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Full text of "Beiträge zur romanischen Philologie : Festgabe für Gustav Gröber"

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BEITRÄGE 


ZUR 


ROMANISCHEN PHILOLOGIE 


FESTGABE 
FÜR 
GUSTAV GRÖBER 


VON 


PH. A. BECKER, D. BEHRENS, E. FREYMOND, 
M. KALUZA, E. KOSCHWITZ, H.R. LANG, F. E. SCHNEEGANS, 
H. SCHNEEGANS, C. THIS, G. THURAU, K. VOSSLER, 
H. WAITZ, L. ZELIQZON, R. ZENKER. 


231.3: 290 


HALLE A.S. 
° MAX NIEMEYER. 
1599 





GUSTAV GRÖBER 


DEM VEREHRTEN LEHRER 
ZUR 


FEIER SEINES FÜNFUNDZWANZIGJÄHRIGEN WIRKENS ALS 


ORDENTLICHER PROFESSOR 


IN DANKBARKEIT DARGEBRACHT. 





Inhalt. 


Koschwitz, E., Ueber einen Volksdichter und die Mundart von Amiens 

Waitz, H., Der kritische Text der Gedichte von Gillebert de Berneville 
mit, Angabe sämtlicher Lesarten nach den Pariser Handschriften 

Kaluza, M., Ueber den Anteil des Raoul de Houdene an der Ver- 
fasserschaft der Vengeance Raguidel ; 

Behrens, D., Zur Wortgeschichte des Französischen . : 

Zenker, R., Die historischen Grundlagen der zweiten ende de 
aan de Louis“ 

This, C., Zur Lehre der Tempora und Modi im chen 

en Ph. Aug., Der Siege de Barbastre 

euneegans, H., Groteske Satire bei Moliere? Ein Being zur Bere 
Moliere’s 

Freymond, E,, ed Kanme ii Sem ee pas Epicode 
der ee des Livre d’Artus, die Sage und ihre Lokalisierung 
in Savoyen . . 

Schneegans, F. Ed., Zu: en E =. ash e Mirabel“ 

Veassler, K,, ea Cellini’s Stil in seiner Vita. Versuch einer 
psychologischen Stilbetrachtung . 

Thurau, G., Geheimwissenschaftliche Ereplone su) re in der 
een französischen Erzählungslitteratur a 

Lang, H. R., The Descort in Old Portuguese and Spanish Fee 

Zeligzon, 104 Mundartliches aus Malmedy (Preussische Wallonie) 





j2 PIERRE 





Ueber 
einen Volksdichter und die Mundart von Amiens, 


Amiens, die alte Hauptstadt der im Mittelalter so litteratur- 
frohen Picarden, hat für die französischen Philologen einen 
besonders guten Klang: die Namen Jacques d’Amiens, Tibaut 
d’Amiens, Girard d’Amiens (von Peter von Amiens gar nicht zu 
reden) pflegen bereits die Ohren ihrer jüngsten Semester zu 
treffen. So war es denn natürlich, dass ich auf meiner Studien- 
reise im Sommer 1891 an dieser Heimstätte Ducange’s nicht vor- 
überfahren konnte, ohne nachzusehen, was aus ihrer alten Mund- 
art geworden, und in welcher Weise sie etwa noch litterarische 
Pflege fand. 

Der Stern, dem ein ausländischer, zumal ein deutscher 
Mundartenforscher in Frankreich vertrauen muss, war mir 
freundlich gesinnt. Er liess mich mit verhältnismässig leichter 
Mühe ein paar würdige, zuverlässige Vertreter des heutigen 
Amiensisch, ja sogar einen vielleicht letzten Ausläufer echt 
amiensischer Dichtkunst finden und für meine Forschungszwecke 
gewinnen, die über den Wunsch einer ersten Orientierung nicht 
hinausgingen. Zu Nutz und Frommen jüngerer Dialektforscher 
will ich hier zunächst mitteilen, wie ich zu diesen beiden 
Gewährsmännern gelangt bin. Die Methode moderner Dialekt- 
forschung ist ja noch wenig ausgebildet, und die meisten 
romanischen Mundartenschilderer haben sich entweder begnügt, 
die Mundart oder Mundarten ihrer Heimat zu beschreiben, oder 
verschweigen, wie sie zu ihrem Material gelangt sind. 

Wer Land, Leute und Sprache einer fremden Stadt schildern 


will, in der er keinerlei Verbindungen besitzt, muss schon in der 
Festgabe für Gustav Gröber. 1 


2 B. KOSCHWITZ, 


[7 


Wahl seines Absteigequartieres vorsichtig zu Werke gehen. Ein 
Gasthof ersten Ranges ist dafür wenig geeignet: Wirt und 
Wirtin pflegen hier unsichtbar oder ortsfremd zu sein; auch das 
Personal ist gewöhnlich nicht einheimischen Ursprungs oder 
heuchelt wenigstens aus fremden Orten zu stammen. Hier ist also 
für intime Orts- und Personenkenntnis kein Rat zu holen: alles 
Volkstümliche wird in diesen internationalen Fremdenherbergen 
geflissentlich fern gehalten. Um so günstiger liegen die Dinge 
bei einem kleineren Gasthofe zweiten oder dritten Ranges. Da ist 
der Gast keine gleichgiltige Nummer, sondern eine Persönlichkeit, 
die einige Aufmerksamkeit verdient; Wirt und Wirtin entstammen 
gewöhnlich einem alteinheimischen Geschlechte oder sind mit 
solchen wenigstens verschwägert und befreundet, und auch die 
Zimmerburschen, Kellner und Hausdiener sind Einheimische und 
machen daraus kein Hehl. Bei ihnen, die keinen vornehmen 
Häusern zu entstammen pflegen, ist reichlich Gelegenheit zu 
Erkundigungen nach allem Volkstümlichen; von ihnen, denen es 
auch an Zeit und Lust zum Bescheidgeben nicht fehlt, erfährt 
man ungeschminkte Wahrheit, so lange kein persönlicher Vorteil 
für sie in Frage kommt, und unter ihnen findet man nicht selten 
auch bereits für Dialektforschung direkt brauchbare Persönlich- 
keiten. Doch wolle man nicht sofort nach seiner Ankunft auf 
die Sammlung von Dialektproben ausgehen. Vorher durchwandere 
man, den Bädeker in der Hand und nach den Vorschlägen dieses 
Führers, die Stadt, besichtige ihre Denkmäler, Bauten, Museen 
und sonstigen Sehenswürdigkeiten. Durch die in diesen Orten 
aufgehäuften geschichtlichen Erinnerungen werden manche ört- 
lichen Erscheinungen ohne weiteres klar, wird man in den in 
jeder Stadt, namentlich in jeder Kleinstadt vorzufindenden, oft 
undefinierbaren, auf Ueberlieferung beruhenden Ortston eingeführt. 
Dann kaufe man sich Exemplare sämtlicher an dem Orte 
erscheinenden Zeitungen und lese sie, den Anzeigenteil ein- 
schliesslich, mit grösster Aufmerksamkeit durch; besuche die 
volksbeliebten Vergnügungslokale (Cafes chantants u. derg].), 
Spaziergänge, Wirtschaften, auch Versammlungen, Vorträge u. 
dergl., und man wird auf diese Weise nicht nur den status 
praesens der die einheimische Bevölkerung beherrschenden 
seelischen Empfindungen und Regungen kennen lernen, sondern 
auch bereits für seinen Hauptzweck manchen ‚nützlichen Auf- 
schluss erhalten. In einem Städtchen, dessen Dialekt noch nicht 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. B) 


erloschen ist, macht dieser sich in den Lokalblättchen, in den 
Volksbelustigungen, Versammlungen u. s. w. fast immer auf die eine 
oder andere Art bemerkbar; man kann daher in der angegebenen 
Weise nicht nur bereits Mundartproben, sondern vor allem 
auch eine Vorstellung gewinnen, wie weit die alte Mundart sich 
noch lebensfähig erhalten hat. Man forsche ferner auch in den 
Buchhandlungen und Bibliotheken nach Dialektschriften (meist 
Kalender, kleine Broschüren, gewöhnlich derb humoristischen, 
gelegentlich auch politischen Inhalts), frage nach deren Ver- 
fassern und hole dabei nach, was man etwa dadurch versäumt 
hat, dass man nicht schon vorher aus den Fachbibliographien 
(insbesondere auch Behrens’ Bibliographie des patois) sich unter- 
richtet hat. Natürlich gebührt den entdeckten lebenden Dialekt- 
forschern, so dilettantenhaft sie sein mögen, ein Besuch; man 
kann immer von ihnen lernen. Ebenso sind Verfasser von Mund- 
artenlitteratur als Studienobjekte ins Auge zu fassen und schon 
bei der ersten Erkundigung auf ihre etwaige Verwendbarkeit 
hin zu prüfen. Hat man so eine Art von Heimatsgefühl ge- 
wonnen und sein Arbeitsfeld kennen gelernt, dann ist der Augen- 
blick gekommen, um an seine eigentliche Aufgabe, die Sammlung 
von zuverlässigen, dem jedesmaligen Sonderzweck entsprechenden 
Mundartproben und die Abfassung einer kleinen Dialektgrammatik, 
heranzugehen. Es gilt nur noch die Schwierigkeit zu über- 
winden, schlechterdings einwandsfreie, willige und intelligente 
Sprachzeugen zu gewinnen. Nur solche sind brauchbar, die einer 
alt ansässigen Familie entstammen, ihre engste Heimat niemals auf 
lange Zeit verlassen haben, und die nicht durch allzu ausgedehnte 
Schulbildung verdorben worden sind. Die schon genannten ein- 
heimischen (dilettantischen) Dialektgrammatiker sind als münd- 
liche Sprachzeugen nur in beschränktem Umfange verwendbar; 
sie sind gewöhnlich von bestimmten Theorien eingenommen, 
können und wollen natürlich nur bestätigen, was sie selbst 
beobachtet haben oder zu haben glauben, sind empfindlich gegen 
Einwendungen, und schliesslich soll ja auch gerade das von 
ihnen Gebotene nachgeprüft und auf seine Zuverlässigkeit hin 
untersucht werden. Dialektdichter, die wirklich die unverfälschte 
Mundart ihres Ortes schreiben, sind selten; meist sind sie un- 
wissentlich von der hochfranzösischen Sprache oder von metrischen 
Bedürfnissen beeinflusst. Doch braucht man im Norden Frankreichs 
nicht zu befürchten, auf reine Salondialektdichter zu stossen, wie 
1* 


4 E. KOSCHWITZ, 


sie der den Felibern gehörige Süden zeitigt, wo die Mundart- 
schriftsteller, in ihrem Bestreben eine neue einheitliche hoch- 
provencalische Sprache zu schaffen, manchmal die schrecklichsten 
Mundartvermischungen vornehmen und Archaismen begehen. Bei 
bezahlten Sprachzeugen aus dem Volke hüte man sich, ihren 
Versicherungen, eine einwandsfreie Dialektsprache zu besitzen, 
ohne weiteres zu glauben, namentlich wenn man sie durch Ver- 
mittelung Nichtsachverständiger angeworben hat. Hier kann 
Selbsttäuschung sowohl wie Protektionismus und der Zweck, das 
ausgesetzte Dialektstundenhonorar zu verdienen, zu Täuschungen 
Veranlassung geben. Die Täuschung wird glücklicherweise meist 
bald erkannt, wenn man sich, wie selbstverständlich, mehrerer 
einander unbekannter Sprachzeugen bedient, deren Angaben sich 
in solchem Falle gar bald widersprechen werden. Doch sei man 
dabei mit seinem Urteile nicht zu rasch: es giebt selbst kleine 
Städte, in denen neben einander zwei verschiedene Mundarten 
gesprochen werden (z. B. in Nimes), und manche Verschieden- 
heiten erklären sich durch das verschiedene Alter der Sprach- 
zeugen. Historisch-grammatische Schulung muss hier entscheiden, 
ohne die Dialektstudien überhaupt nicht denkbar sind. Wer ihrer 
entbehrt, wer ferner nicht mit einem feinen, auch phonetisch 
geschulten Gehör und Lautgefühl ausgerüstet ist, wer nicht die 
Sprache so weit praktisch beherrscht, um auch dialektisch ge- 
färbtes Französisch leicht zu verstehen und seinen Gedanken 
ungezwungen Ausdruck zu verleihen, wer nicht die Kunst des 
Transkribierens auch für feinere und neue Lautschattierungen 
und auch ein gewisses Talent für die rasche Reproduktion des 
Gehörten besitzt, der sollte moderne Mundartenformen überhaupt 
nicht feststellen wollen. Selbst ein mitgebrachter Phonograph, 
der nur zur Erinnerung an Gehörtes zu brauchen ist, kann ihn 
nicht retten, und noch weniger die experimentalphonetische Be- 
obachtung, die wegen ihrer Umständlichkeit nur für -mit dem 
(sehör nicht fassbare Laute und zur Kontrolle des auf andere 
Weise gefundenen zu verwenden ist. — In welcher Weise endlich 
man seine Gewährsmänner abzufragen hat, darauf wollen wir 
hier nicht eingehen. Je nach den verfolgten Zielen muss auch 
das Verfahren ein verschiedenes sein; selbst die gleichen Ziele 
lassen sich auf vielfach verschiedene Weise erreichen, und das 
Verfahren der Befragung muss sich auch nach der Art der zur 
Verfügung stehenden Sprachzeugen richten. — 


_ 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. b) 


Die Wahl meines Absteigequartiers in Amiens war bald 
getroffen. Nach Aufzeichnung dreier Gasthöfe ersten Ranges 
erwähnte der damals noch nicht in Nord- Est und Nord- Ouest 
zerlegte Bädekersche Nord de la France das Hötel de T’Ecu de 
France als „plus modeste, mais bon“. Nur dieses konnte für 
mich in Frage kommen, um so mehr, als Amiens wie so viele 
andere französische Provinzialstädte nicht einen einzigen eines 
Sternes würdigen Gasthof aufzuweisen hat. Das „modeste“ fand 
ich in dem „Schilde Frankreichs“ auch durchaus bestätigt; das 
„bon“ erwies sich wie gewöhnlich als ein relativer Begriff; von 
dem Massstabe aus betrachtet, den man an ein Gasthaus zweiten 
Ranges einer französischen Mittelstadt anzulegen hat, mag es 
gerechtfertigt sein. Auch die Besichtigung Amiens’ und seiner 
Sehenswürdigkeiten war bald vollzogen. Die herrliche Kathe- 
drale mit ihrem am Portal befindlichen „schönen Herrgott von 
Amiens“, ihrem „weinenden Engel“ und wundervoll geschnitzten 
Chorstühlen; die in ihren Verhältnissen so anmutige und har- 
monische, mit prächtigen bunten Fenstern reich ausgestattete 
Kirche von Saint Germain, und das neu erbaute, geschmackvolle 
picardische Museum mit seinen zahlreichen, fast durchweg 
modernen Gemälden nahmen natürlich das Hauptinteresse in 
Anspruch. Von den übrigen Baulichkeiten verdiente die in 
einer ärmlichen Vorstadt gelegene Lupuskirche (Saint- Leu) Be- 
achtung nur wegen ihres schönen gotischen Turmes aus dem 
15. Jh.; das Rathaus lohnt einen Besuch nur, wenn man als 
Liebhaber der Historie den Saal sehen will, in dem 1802 der 
Kongress abgehalten und der Friede von Amiens geschlossen 
wurde. Die an Stelle der niedergerissenen Befestigungswerke 
entstandenen, mit Linden und Kastanien gleichförmig bepflanzten 
Promenaden (Boulevards) machten ebenso wie die allzu regel- 
mässige, viel gefeierte Promenade de la Hotoie mit ihrem (im 
August) vertrockneten Laubwerk und der völligen Abwesenheit 
von Spaziergängern einen melancholischen Eindruck, der durch 
die Verlassenheit aller Strassen, mit Ausnahme der einzigen 
Verkehrsstrasse (r. de Noyon und des Trois Cailloux), die vom 
Nordbahnhofe nach dem Gambettaplatze, dem Mittelpunkte der 
Stadt, führt, noch wesentlich verstärkt wurde. Die Oede und 
Langweiligkeit aller Provinzialstädte Frankreichs nahm hier 
ein fast erdrückendes Mass an; aber diese fast orientalische 
Ruhe und der geringe Verkehr liess für das Festhalten alter 


6 E. KOSCHWITZ, 


Sprache und Gewohnheit das Beste erwarten. Selbst der Ferkel- 
markt, an dem mich zufällig der Weg vorbeiführte, und auf dem 
die Viehhändler und Metzger, die einer Anzahl der Tiere die 
Schwänze ausgerissen hatten, mit abschreckender Rohheit walteten, 
und ein Turnerfest brachten kaum etwas Bewegung in die stille 
Stadt. Von volkstümlichen Vergnügungen war sonst in der Zeit 
meines Aufenthaltes nichts zu entdecken. Das Theater war 
geschlossen, und zwei Singspielhallen, das Eden-Theatre und ein 
eben eröffnetes Grand Concert Parisien, mussten allein dem Ab- 
wechslungsbedürfnis der Bevölkerung abhelfen. Etwas Charakte- 
ristisches, Lokales war in diesen Volksmusentempeln weder bei den 
Sängern noch in den von ihnen vorgetragenen Liedern zu finden; 
der gewöhnliche, vergröberte Abklatsch der vorbildlichen pariser 
Cafes chantants herrschte hier wie in allen französischen Städten 
der gleichen Grösse. Das Grand Concert Parisien versinnbildlichte 
seinen pariser Charakter dadurch, dass in ihm Kellner in roten 
Fräcken, eine weisse Kamelie im Knopfloch, mit grünen Westen, 
schwarzseidnen Kniehöschen, Wadenstrümpfen und Schnallen- 
schuhen die Gäste, meist Handlungsreisende und verwandte 
Geister, bedienten, während der Hauptreiz der Sängerinnen in 
elektrischem Schmucke und seitwärts geteilten Kleidern bestand, 
die bei jedem Schritte gestatteten, die in dickes Wollentrikot 
gehüllten, durch Seitenspiegel vervielfältigten Beine der Künst- 
lerinnen zu bewundern, die damit offenbar für die Abwesenheit 
von Jugend und Schönheit einen Ersatz zu bieten und über die 
fehlende Kunst und Klangfülle ihres erschreckend mangelhaften 
Gesanges hinweg zu täuschen versuchten. Und farblos, alltäglich 
und ohne Eigenart war, was ich an Erzeugnissen der heutigen 
amienser Litteratur und Presse zu erreichen vermochte. Nirgends 
war mir auch auf dem geschilderten, meist einsamen Orientierungs- 
gange ein reines Mundartswort in die Ohren gefallen, und meine 
auf die äusserliche Unbeweglichkeit des Ortes gegründeten 
Hoffnungen begannen zu sinken. 

Wie freudig wurde ich daher überrascht, als mir am zweiten 
Tage meiner Anwesenheit die etwas brummige Wirtin des Eeu 
de la France, nach Landessitte zugleich Kontordame, auf mein 
Befragen nach einigem Nachdenken verriet, dass Amiens einen 
echten und rechten mundartlichen Volkssänger, den letzten. Spross 
eines aussterbenden Geschlechts, in seinen Mauern beherberge, 
nicht mehr zwar auf der Höhe seiner Zeit, sondern als Menschen- 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 7 


ruine, geborgen im Hospize der Vincentinerinnen, aber noch fähig, 
meinen Forschungszwecken zu dienen. Dieser Nachkömmling der 
alten amiensischen Spielmänner durfte mir nicht entgehen, und 
frohen Herzens eilte ich nach dem Hilfshaus der barmherzigen 
Schwestern, um mir dort, es koste was es wolle, den Sprach- 
zeugen zu holen, der mir die alte amienser Sprache und Lieder- 
kunst in ihrer letzten Entwicklung vorführen sollte. Vergebens 
suchte die Schwester Pförtnerin dem fremden Eindringling den 
Eingang zu wehren; die herbeigeholte Frau Öberin liess sich 
erweichen, nachdem ich mich als katholischeu Christen vor- 
gestellt und eine Empfehlungskarte des Monseigneur d’Hulst vor- 
gezeigt hatte, die ich an ihren Adressaten, einen normannischen 
Priester, nicht hatte abgeben können. So wurde ich denn von 
einer Schwester über den Klosterhof nach dem rechten Flügel 
des Hauptgebäudes, in einen grossen Saal geführt, wo an langen 
einfachen Holztischen und auf ebenso einfachen Bänken etwa 50 
alte Männer („Herrn“ würde einen falschen Begriff geben) 
gruppenweise oder einzeln in süssem Nichtsthun herumsassen. 
Aus der Zahl dieser unter der Obhut der Schwestern stehenden 
bonshommes, deren abgeschabte, von ihnen in die Anstalt mit- 
gebrachten Anzüge das gleiche Schmutziggrau der Armut zeigten, 
und denen die gleichmässig verwitterten (Gesichter eine noch 
grössere Aehnlichkeit verliehen, wurde mein Dichter, Pierre 
Dupuis, herausgeholt, und nun konnte die Verhandlung mit ihm 
beginnen. Als er vernommen, dass ich die Erzeugnisse seiner 
Muse von ihm hören wollte, dass ihm um meinetwillen einige 
Tage Freiheit gewährt seien, und dass er für seine Vorträge bei 
mir ein Honorar von einem Franken (das von mir für Dialekt- 
unterricht ständig ausgesetzte Normalhonorar) für die Stunde 
erhalten sollte, da war er mit glühender Seele dabei, und die 
Stunde der ersten Sitzung konnte sofort bestimmt werden. 

Nun fehlte nur noch ein zweiter Dialektzeuge. Denn so 
vertrauenerweckend auch Herr Dupuis war, und so wenig ich 
darauf ausging, erschöpfendes Material für eine Darstellung des 
Neuamiensischen zu gewinnen, so wollte ich doch keine un- 
kontrollierten Angaben zu Papier bringen. Ich suchte und fand 
das Gesuchte oder vielmehr den Gesuchten am Nordbahnhofe in 
der Person des Dienstmannes Nr. 14, Herrn Delarue Auf 
meine erste Frage, ob er in Amiens wohl bekannt sei, gab er 
die Antwort, er sei ein amienser Kind, und er erwarb sich noch 


8 E. KOSCHWITZ, 


mehr meine Sympathie, als er mir weiter erzählte, er sei am 
21. Januar 1844 in Amiens geboren, habe seine Vaterstadt nur 
einmal auf 22 Monate verlassen, die er in Paris verbrachte, 
und beherrsche völlig die Mundart seiner Heimat. Auch Herr 
Dupuis und dessen Diehtungen waren ihm wohlbekannt. Da ich 
keinen Grund zum Zweifel an seinen uninteressiert gegebenen 
Angaben hatte (sie sind nachher auch durch mein Hötelpersonal 
bestätigt worden) und wusste, dass eine etwaige Täuschung 
durch den Vergleich mit den Angaben Dupuis’ bald zu Tage 
treten würde, wurde denn Herr Delarue als zweiter Dialekt- 
professor mit dem genannten Normalhonorare angeworben. Das 
neue Amt gefiel ihm nachher so gut, dass er mich dringend um 
weitere Empfehlungen bat, welchen Auftrags ich mich hiermit 
in bester Ueberzeugung entledige. 

Kehren wir nun zu Herrn Dupuis zurück, der mir bald 
darauf seinen Antrittsbesuch machte, das Haupt mit einer Schirm- 
mütze, die Augen mit grossen Brillengläsern bedeckt. Herr 
Dupuis, geboren am 1. November 1821, stellte eine etwas ältere 
Generation von Amiens dar ais Delarue, was sich auch in ihren 
Sprachformen bemerklich machte. Bis zu seinem zwanzigsten 
Jahre hatte unser Dichter nach eigenem Zeugnis nichts gethan, 
nur gelegentlich in einer der zahlreichen Fabriken Amiens’ 
etwas gearbeitet. Erst in diesem Alter erwachte bei ihm der 
Trieb, lesen zu lernen. Er suchte sich diese schwierige Kunst 
selbst beizubringen; doch scheint er es in ihr nie recht weit 
gebracht zu haben; wenigstens konnte er mir seine Lieder nicht 
vorlesen, sondern musste sie mir auswendig vortragen. Gleich- 
zeitig entdeckte er oder entdeckten andere bei ihm Stimme und 
Singfähigkeit; er lernte, auf sein Künstlertalent aufmerksam 
geworden, das (reigenspiel und die Sangeskunst unter sach- 
kundiger Anleitung, und wurde dann artiste Iyrique, d.i. Tingel- 
tangel-Sänger, welchem Gewerbe er über vierzig Jahre hindurch 
ununterbrochen oblag, niemals Amiens verlassend. Seine An- 
gabe, dass er als komischer Sänger sehr beliebt war, wurde mir 
von allen Seiten bestätigt; doch erstreckte sich diese Beliebtheit 
natürlich nur auf die unteren Klassen der Bevölkerung, die 
allein an der derben Kost seiner Dialektdichtung Gefallen finden 
konnten. In seinen weiteren Angaben, man habe ihn in Paris, 
London und selbst in Algier zu hören gewünscht, liegt wohl 
eine kleine dichterische Uebertreibung; indes ist nicht aus- 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 9 


geschlossen, dass ausgewanderte Landsleute ihn einmal dort zu 
hören wünschten. Auf alle Fälle war diese Ermunterung zum 
Auswandern nicht kräftig genug, um unsern Sänger zu bewegen, 
jemals sein geliebtes Amiens zu verlassen. Seine Fiedel musste 
er niederlegen, als ihm sein linker Arm plötzlich gelähmt wurde. 
Auch seine Stimme hatte, wovon ich mich mehr als mir lieb 
war überzeugen konnte, ihren Klang verloren: wenn Herr Dupuis 
seinen Text nicht mehr auswendig weiter wusste, so sang er mir 
ihn, und dann erinnerte er sich seiner. Einen Drucker und 
Herausgeber hatten die eignen Lieder D.s erst kurz vor meiner 
Ankunft gefunden unter dem Titel: P. Dupuis, Chansons picardes, 
Amiens 1891. Imprimeries Amienoise et du Progres re&unies. 
Kl. 8°. 47 S. Verleger und Verkäufer war Herr Dupuis selber; 
die Niederschrift war, wenn ich mich recht erinnere, durch den 
Redakteur des Progres de la Somme, Herrn Raym. Guilbert, 
erfolgt; die in ihr gebrauchte Rechtschreibung erfreute sich nicht 
des Beifalles unseres Dichters; wir können ihm darin nur bei- 
stimmen. Ob der, 1891 im 70. Jahre befindliche, damals noch 
verhältnismässig rüstige Sänger gegenwärtig noch unter den 
Lebenden weilt, kann ich leider nicht angeben; eine 1893 an 
ihn gerichtete Bestellung neuer Exemplare seiner Gedichtsammlung 
blieb ohne Antwort. 

Was den Inhalt seiner Gedichte betrifft, so entspricht er 
dem Bildungsgrade des Verfassers und dem Geschmacke seiner 
Hörerschaft; wir haben es bei ihm, wie schon angedeutet, mit 
derbem altgallischen Humor zu thun, der vor dem Zotenhaften 
nicht zurückscheut. Am besten sind die Lieder, in denen Dupuis 
die Leiden und Freuden der kleinen Leute von Amiens in heiterer 
Beleuchtung schildert, oder wo er die Sitten der Bauern der 
umliegenden Ortschaften verspottet. Hier schöpft unser amienser 
Villon aus dem Vollen und befindet er sich in ihm geläufigen 
Fahrwasser. Gezwungen sind seine amienser Kaffeehäusern und 
dem dortigen Theater gewidmeten Lieder, von denen einige 
ihren Ursprung offenbar einer bestellten Reklame verdanken. 
Am wenigsten anmutend sind seine im Alter abgefassten 
Dichtungen, worin er sein Unglück beklagt und sich in un- 
natürlicher und angequälter Heiterkeit, echtem Galgenhumor, 
ergeht. Es fehlt ihnen nicht nur an Wahrheit des Gefühls, 
sondern auch an persönlicher Würde; in einigen gleicht Dupuis 
allzu sehr auch den alten Jongleuren, die bei Beginn oder am 


10 E. KOSCHWITZ, 


Schluss ihrer Lieder den Wohlthätigkeitssinn ihrer Hörer anzu- 
regen suchten. Unerfreulich sind endlich auch meist diejenigen 
Dichtungen Dupuis’, worin er pariser Tingeltangel-Lieder in 
seine Mundart umsetzt; am besten von ihnen ist vielleicht sein 
Nicolo, eine Umformung des „Schönen Nicolaus“. Eine hohe 
Bedeutung gebührt natürlich auch dieser Dichtung nicht, weder 
dem Originale noch der Nachdichtung. Von verblüffender Ein- 
fachheit sind die Eingänge der Dupuis’schen Schlussstrophen; 
sie beginnen fast immer mit einem: pour finir; pour en finir; 
cest fini; enfin, pour finir; enfiın pour terminer; pour terminer 
notre cargaison; enfin, je vous le dis pour finir; pour ‚terminer; 
nen parlons plus; enfin, pour bien finir u. dgl. Man könnte aus 
diesen Formeln, die wir ins Hochfranzösische übertragen, leicht 
seine Verfasserschaft erkennen. In seinem Versgebrauche folgte 
Dupuis nur dem Gehör; die theoretischen Gesetze der französischen 
Verskunst waren ihm unbekannt. 

Ich bringe im folgenden eine Auswahl seiner Lieder zum 
Abdruck, in der in der Ausgabe befolgten Schreibung und in 
phonetischer Umschrift. Die Transskription entspricht der in 
meinen Parlers Parisiens? befolgten. Die Varianten unter den 
transskribierten Texten geben die Aussprache Delarues wieder, 
soweit sie von der Dupuis’ abwich;!) die kurzen Noten unter 
dem Guilbertschen Texte, die zum Teil auf Angaben Dupuis’ 
und Delarue’s beruhen, sollen das sprachliche und sachliche Ver- 
ständnis erleichtern. 


!) Da Herr Delarue las, so wurde er natürlich durch die Schreibung 
der Texte beeinflusst. 





EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 


11 


I. Lieder über Amiens und seine Bewohner. 


Derriere Saint-Leu. 
Air de: Madame Gregoire. 


1. Par derrier’ Saint-Leu, 

Mes z’amis, i o iu d’ rire, 

Ches geins sont farceux, 
A s’z’ einteind’ j’ai du plaisir, 

Ein fait qu& d’ calembour 

I n’ sont jammou6 & court; 
Ches famm’ &n’ sont poeint coquettes, 
Ch’ qui font ch’ est & I’ boeinne flan- 

[quette; 
Mais qu’o z’est hureux 
Par derrier’ Saint-Leu. 


2. Par derrier’ Saint-Leu, 
OÖ travaille, o rit, o cante; 
Feut-i boer’ ein keu, 
Chaquein veut poeier s’mi pante; 
Einfan l’ long d’ einn’ journe’, 
I s’y boet tant d’ cafe 
Que m’ voezangn’, mam’sell’ Charlotte 
Avu ch’ mare al foöt des mottes. 
Mais qu’o z’est hureux ... 


3. J’avoes pour voesan, 


De} 


’ 
18 


Quand j’ restoes dal’ ru’ d’l’ Andouille, 21 


Ein app’l& quot Jean, 

De s’ famm'’ o-t-i r’chu d’ fier's douilles! 
Quand einn’ fo& par hasard, 
I reintroet ein peu tard, 





1 Saint-Leul. Ueber das hinter 
dieser Kirche gelegene Stadtviertel s. 
oben 8.5. 2 join] d ya lieu. 
14 poeier s’ mi pante] payer son ecot, 
payer sa part. 21 rue d’ I’ An- 
douille] gegenwärtig: rue de Gand. 
22 quot] petiot, petit. 23 douilles] 
calottes, 


24 


Derier Sä Lo. 


I. par derier Sa Lo, 
mez ämi, jo jü d rir: 
Se ze sö farso, 

a z eted? Ze dü plesir; 
& fe ke t kaläbür 
in sö zZämue a kür; 

Se fäm in sö pu&@ kotiet, 

$ ki fö, Set al buen fläket. 
me k o z et üro, 
par derjer Sä Lo! 


2. par derier Sä Lo, 
o travaiio, o ri, o kät, 
fot i buer & ko, 
Satiö ver poeje smi pät, 
öfä 16 d &n Zurne, 
isi bue tä t kafe 
ke m vuezalo, mämzel Sarlöt, 
ave $ mär al fue de möt! 
me... 


3. Zavue pur vuezä, 
kä 2 röstue da Il rü d 1 äduile, 
en äple tio Zä, 5 
de s fäm o ti rsü ed fier duije! 
kät &n fue, par azar, 
i retrue & po tär, 





2 mz. 3 färse. 4 plezi. 
6 Zamne. 7 katset. Sseski. 
tlätset. 13 natürlich kann man 
auch schreiben: fo ti. foe ti. km. 
14 Satsc. 17 mämzel. 18 avü. 
22 too. 23et. 25 pe. 


12 


Si s’ famme al voyouet pompette, 
Pouf! ein kau d’ poan su s’ trompette, 27 
Mais qu’o z’est hureux .... 


4. Da ches quartiers-lo 
I sont, ma foe, biein tranquilles; 
Ch’est rar’ quant-y vo 
S’y prom’ner ein sergent d’ ville, 
Si bien qw'apres souper, 
Avant d’ monter coucher, 
Tous s’z’ einfants sort’te ä ches portes 
Tranquill’meint foer leu quot’ cerotte. 36 
Mais qu’o z’est hureux ... 


30 


33 


5. Quand j’ veux m’ regaler, 
Mi qu’aimme assez ches boeinnes coses, 39 
Savez-vous ch’ que j’ foes 
Pour qu’ cho n’ m& coutt’ point grand’ 
[eose? 
J’'m’ein vos au Diab’bouli, 
Chez Poplote &j m’assis 
Aveue pour ein sou d’ tablett’s 
I feut vir comm’ j’em pourl&que. 
Mais qu’o z’est hureux ... 


42 


45 


6. Da I’ ru’ des Pangmniers 
I font d’z einfants comm!’ d’el toelle, 
Aussi da ch’ quartier 
Ch’ n’est qu’ des disput’s, des querelles! 
A ch’ t’ heur, ches quots z’ einfants 51 
Sont bien pir’ equ’ da 1’ temps, 


48 


E. KOSCHWITZ, 


si s fäm & ] vuejue pöpet, 
püf! & kg t puä sü s tröpet! 
me.. 


4. da Se kärtje lo 

i sö, ma fue, bie trätjijp; 
se rär kät i vo 

s i promne & serzä d vil(), 
si bie k apre supe, 
avä d möte kuse, 

tu z &fä sort a Se port 

trätiim& fuer lo kjöt kröt. 
me. 


5. Kä z ve m regale 
mi k &m ase se buen k(u)öz, 
save vu S ke S fue 
pur k So n me kut pu& grä k(u)öz ? 


z m & vo o diab buli, 
Se poplöt, e z m äsi 
av@k pur & su t tablet, 
i fg vir köm Ze m porlek! 
me. 


=p) 


. dal rü de päne 

i fö dz &fä köm de 1 tuel, 

osi da S kartie, 

e (k)g de dispüt, de körel»! 
a st er, Se kioz &fä 

sö bie pir ek dä 1 tä; 


Pour ein nunu, ein bout d’ paille, pur &n nünü, & bu t paiia. 
Chaqu’ minut’ ch’est des batailles.. 54 säk minüt $ e de batäilo! 


Mais qu’o z’est hureux ... 


7. J’aimme & vir aussi 
Ches quott’s famm’s d’el ru’ Blanqu’- 57 
[taque, 
A leu porte assis, 
Tourner lau roet, foer des saques; 


me.. 
7. Z em a vir ösi 
Se kjöt fäm de I rü blätäk, 


a lo port asi, 
turne lg rue, fuer de säk; . 





26 pompette] bekneipt. 27 trom- 
pette] Nase, Gesicht. 42 Das Wirts- 
haus zum Diab’bouli besteht nicht 
mehr. 44 tablettes sind kleine vier- 
eckige Kuchen. 47 r. des Pagniers] 
die rue des Panniers trägt noch diesen 
Namen. 53 nunu] Kleinigkeit. 57 
die rue Blanquetaque liegt im gleichen 
Viertel. 


30 trätsil. 34 (auf dem Lande: 


kuke). 36 oder träkime. Delarue: 
trätsilme. tsöt. 42 ez m &. huii. 
43 äsi. 44 avü. 45 fe. ze m. 
47 poni. Das für a in der Aussprache 


eintretende o ist sehr offen: d. 50 
ezne. tserel. 51 t$oz. 57 tsöt. 
59 le. ? 


EIN VOLKSDICHTER UND 


Einne o sein gros poupon 
Assis da sein quot gron; 

Tout r’queudant ses vieill’ keuchettes, 
A li foet chucher s’ goutt/lette. 
Mais qu’o z’est hureux ... 


8. Hier & minuit 
J’ai vu quot Jacqu’s pi s’ maitresse 
Qu’etoett’ ru’ Dav’luy 
Qui se b’zoett’t& d’ bell ’s pronmesses; 
Ein vouezan qu’ leus soupirs 
Eimpächoett’ te d’ dormir, 
De 3’ fernette ed’sus quot Jacque, 
O wuidie ch’ pot & babaque. 
Mais quw'o z’est hureux ... 


9. Einfan, pour finir, 
Feut vir ches garchons, ches filles 
El’ dimeinch’ eorrir 
Au bal, pour danser ch’ quadrille. 
Quand o z’ o bien dans, 
O z’ avale Ech’ cafe, 
L’heure arrive, o souf’ ches lampes, 
Ch’est fini, tout ’ monde decampe. 
Mais qu’o z’est hureux .... 


Viy-1 Heuntoe! 
Air de: Tramway qui passe. 
1. Viv’ nou bell’ prom’nade! 
Viv’ V’Heutoe! ch’ est ein paradis, 
Tout I’ mond’ s’y balade; 
Feut vir cho, &m’ z’ ammis, 





61 gron]| Schoss. 


babaque] caca. 


Die ausgedehnte Promenade de la 
Hotoie (s. o. 8.5) trägt ihren Namen 
von einem Fräulein de la Hotoie, das 
der Stadt den Platz zum Geschenk 


machte. 


67 rue Daveluy, 
unmittelbar hinter der Kirche. 72 


DIE MUNDRAT VON AMIENS. 


60 en 0 s& gro pupö 
asi da s& kio grö; 
tu rkiedä se viei ka(u)set 
63 a li fue Süse z gutlet. 
me... 


8. ier, a minüi, 

Ve a ” 

zak pi z metres 
t rü davlui, 


v 


ki s fuezuet d bel prömes; 
69 € vuezä k lg supir 
&pesuet et dörmir, 
de s fernet etsü kio Zäk, 
72 o widie Ss po a babäak! 
me... 


vu 


k etue 


fa‘ 


9. efä, pur finir, 
75 fo vir se garsö, Se f1ia 
el dim&s kurir 
o bäl, pur däse 5 kadriio, 
78 kät o z q bie däse, 
oz aval es kafe, 
ör ariva, o süf Se läp, 
fini, tu 1 möda dekäp. 
Mekozetüro... 


Vıiv10Otnue! 


1. Viv nu bel promnad»! 

Viv 1 Otue! S et & paradi; 
3 tu 1 möd s i balad>; 
fo vir So, emz ämi. 


61 tso. 62 rtsadä. koset. 


65 bzuet. 
75 fe. 


tso. 


73 uidie. su Il «er. 


4 fo. amz. 


13 


66 


71 ferneto. tso. 


14 E. KOSCHWITZ, 


Viv’ nou bell’ prom’nade, 
nade, 6 
Viv’ I’ Heutoe! ch’est ein paradis, 
Tout I’ mond' 8’y balade, 
lade, 9 
Viv’ I’ Heuto6, em’ z’ anmis! 


2. Tout I’ Heuto& ch’est ä la jon- 
[nesse, 
Pov’ comm’ riche o I’ droet d’y aller, 12 
Uhes z’ ouyrier's, pi ches duchesses, 
Uhes marquis pi ch6s ouvriers; 
Uh’est lo qw’o fraternise, 15 
Lo tout l’ monde est conteint, 
Et pi quoe qu’o n’ein dise, 
Da I’ Heuto& o s’ port’ biein. 18 
Viv’ nou bell’ prom’nade ... 


3. Dal’ Heuto& quand tout est ein 
[feur 

Uhaquein s’ein vo da l’ quote Heutoß; 21 
Pour ches z’ ouvriers que bonheur! 
Ch’est lo quo respire avuk joue. 

Feut vir tous ches quots gosses 24 

A z’ epinoqu’s pecquer; 

Y vont pour foer la noce 

A ch’ bassan boer du lait. 27 

Vive: 


4. Da I’ Heuto& quant o foet ch’ 
[eoncours 
Diu de Diu! m’ z’ anmis qu’ ch’ est 30 
[ti bieu! 
Pour vir’ cho tout Anmiens y court, 
Ches sublime et majestueu! 
Lo o voet des machines, 33 
Des gu’vos, des vaqu’s, pi coer 
Del’ volaill’, des poulines 
Des vieux et pi des toers. 36 
IV VeSgee 


viv.nu bel promnad», 


nade, 


viv l otue... 


2. tu l otue $ et a la Zanes, 


pöv kom ris o l due di ale; 
Sez uvriier, pi Se düses, 
Se marki, pi Sez uvrije; 

Se lo k o fraterniz, 

lo tu 1 möd e köte, 

e pi kue k on & diz, 

da l otue o s port bie. 

viv nu bel promnad? ... 


3. da I’ otue kä tut et & fler 


Sak& s & vo dal kigt otue; 
pür Sez uyriie, ke bon«@r! 
se lo k o rospir avek zue. 

fo vir tu se kio gös 

BER ” 

az epinok pekie; 

i vö pür fuer la nös 
basä buer dü le. 


a 


2 
VEV Rate 


4. da 1 otue kät o fue S kökür, 


diü de diü! omz Ami, °k Ss e bio! 


pür vir So tut ämie i kür, 
$ e süblIm e mazestüo! 
lo o vue de masin, 
de gvo, de väk, de vio, 
del volaii, de pulin 
e pi kuer de taro. 
al a 





25 epinoqw] epinoche, Stichling. 
27 bassan] bassin. 34f. Die Verse 
sind verdorben. Die richtige Lesart 
s. im Texte Dupuis’. 


14 märtsi. 


tsöt. 
petse. 
34 vie. 


23 avüg. 
27 basä. 


18 6 8. 21 Satse. 


24 fe. t8o. 25 
32 mazestüo. 


EIN VOLKSDICHTER UND 


5. Quand vient I’ fete ed’ la Re- 
[publique, 
Feut vir’ cho el’ quator’ juillet: 
L’ Heuto£, ch’ jour-lo est magnifique; 
Ch’est lo qu’o vo pour s’amuser; 
OÖ z’ y voet juer & I’ balle 
Au tamis, au ballon, 
Et pi au soer, au balle, 


Danser ein rigodon. 
ViV; 


39 


42 


45 


6. Quand arrive el’ fet’ d’ess’ z’ 
[@eoles, 

Da I’ Heuto£ feut vir ches z’ einfants 
Su l’herb’ foer des bell’s cabrioles, 
Crier, seuter, danser tout 1’ temps; 

Et pi, & la Francaise, 

T’ feut s’ ze vir’ marcher 

Cantant la Marseillaise 

Comme ed’ z’ anciens troupiers. 

Vimen. 


48 


51 


7. Da Il’ Heutoe&, quant i foet bien 
[sombre, 
Ch’est lo qu’o vo&t ches z’ amoureux 
Tout douch’'meint s’ feufiler da 
|l’ombre; 
Feut s’ z’ einteind’ comme i sont 
[joueyeux! 
Quot Jean dit ä Toeinnette: 
Que biau temps! qu’ y foet bieu! 
Assions-nous su l’herbette, 
Ch’est lo qu’o z’ est t’ hureux! 
NV 


97 


60 


63 


8. Pour n’ein finir, da m’ preimm!’ 
[jonnesse, 
Da 1’ Heuto& o z’ allouet danser, 
Pi, au soer, avek em’ maitresse, 
J’y alloues pour einteind’ canter: 


66 


43 tamis] Ballspiel. 44 balle f£. 
bal, um des weiblichen Reimes willen. 
Vgl. 0. 8.12 2.59 saques f. sacs. 


DIE MUNDART VON AMIENS. 


5. kä vie 1 fet ed la repüblik, 


fo vir So e ] kätor züile: 

l otue, o2 zür lo, e maüifik, 
se lo k o vo pur s amiüze; 

ozi vue zue al bal 
o tami, o balö, 
e pi, suer o bäl, 
däse & rigodö. 
Na 82 


6. kät ariv el fet dez eköl, 


da 1 otue fo vir Sez efä, 
sü l erb fuer de bel kabriiöl, 
kriie, sote, däse tu 1 tä; 

e pi, a la fräsez, 

i fo le vir märse 

kätä la märseiez 

köm edz äsi@ trupie. 

VIlVvoe 
7. da l otue, kät i fue bie sö:br, 

Se lo k o vue Sez amurö 
tu dusom& es fofile da 1 ö:br, 


fo z &ted köm i sö Zueio! 


kio 2ä di a toenet: 

ke bio te! ki fue bio! 

asiöo nu sü 1 erbet, 

Selokoz et üro! 
ER ESCE 


$. pür n & finir, da m tädr Zanes, 
da ] otue o z alue däse, 


pi, o suer, avek em metres, 
i aluem pür etöd käte: 


41 


50 söte. 


39 fe. züite. 40 mönifik. 

ömiüze. 43 balö. 48 fa. 
52 for ze. 56 otue. 
58 fefile. 59 fe. Zueie. 
tuanet. 61 bie. 63 üre. 
prom. 66 otue. 67 avük. 
Zi alue. Es liegen hier und 64 (prom) 
wieder verschiedene Lesarten vor. 


57 amur@. 
60 tSo. 
65 


68 


16 E. KOSCHWITZ, 
Lo, avu per’ Gazette, 69 lo avek per gazet, 


J’ vous jur’ qu’o s’amusoet, 

Avu ses canchonettes, 

Ed’ rire 0 s’ tortilloet! 
Viv’scH 


L’ pere Angot. 
Air de: La fille de Madame Angot. 


1. Da ch’ forbou ed Sant-Pierre, 
Ed’sus I’ route ed Canmon, 
Gn’ avouet einn’ cabarr'tiere 
Qu’on app’loet gross’ Louison, 
Y fallouet vir es’ n’homme, 
Qu& boin gros rigollot! 
Ch’etouet & li la pomme 
Pour servir un brülot. 

Et du cide 
Nom d’einn’ pipe, 
Qu’o buvoet & six sous 1’ pot; 
Que tapage, 
Qu& ramage, 
Qu’o foesoet chez pere Angot! 


- 


2 


12 


2. Quand v’nouet I’ lundi d’ grand 15 


[Päques 
Tous ches jonn’homm’s d’Anmiens, 
Mettoett’ leu pu bieu fraque, 
Leu patalon d’ nanquin. 


18 


z vu zür k 0 s amüzoe 

avek se käsonet, £ 

ed rir o 8 törtiiue. 
VIV.r» 


L per ägo. 


1. da s forbu ed Sä Pier, 

etsü l rut et Kämö, 
n avue En kabärtier 
k o z aplue gröz Luizö; 
i falue vir ezn Om; 
ke bn& gro rigölo! 
S etue a li la poms, 
pür servir & brülo. 

e du sid», 

nö d & pip, 
k o büvue a si su 1 pu; 

ke tapäz, 

ke ramäaz>, 
k o fuezue Se per ägn! 


2. kä vnue l&@di d grä Päk, 
tu Se zönom d ämie 


metuet lo pü bio fräk, 
la patalö d näke. 





69 Pere Gazette ist der Beiname 
unseres Dichters, den er seiner sehr 
redseligen Grossmutter verdanken will. 


1 Das Faubourg Saint Pierre stösst 
an das Viertel derriere Saint Leu an 
und liegt gleich diesem in der Nähe 
der Citadelle. Das geschilderte, auf 
der rue de Corbie befindliche kleine 
Wirtshaus erfreute sich grosser Volks- 
tümlichkeit.  Canmon ist ein kleines 
Dorf in der Nähe. 5 es’ n’homme] 
son mari. 6 rigollot] rigolo, rieur. 
Die Orthographie mit ot ist um des 
Reimes zu brülot willen gewählt. 


69 avü. 70 ez. amüzue. 71 
avü. 

1 et. 11 büvue. 14 ägo. 
17 bie. 18 nätse. 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 17 


Comme ch’etouet jour ed’ fete, 
Lo avuc es’ catan, 
O meingeoet del’ galette, 
Del’ tarte ou bien du flan. 
Et du cide... 


3. Pour vous fouaire einne anm’lette 24 


Y gn’avonet point au-d’sus, 
Cho je I’ dis, je I’ repete, 


D’ tout I’ mond’ ch’etouet conmu. 


OÖ z’y mettouet du lard, 
Ed z’ognons & foueson, 


Ches z’eufs valouett’ deux liards, 
Cho f'zouet treiz’ sous l’ quartr’on. 


Et du eide... 


4. Fallout vir que ripaille, 


Quand v'nouet 1’ fet’ d’ ches setiers, 


J’ vous promets qu'ä I’ volaille 
OÖ n’ fouesouet point d’ quartier; 
Pour bien depeinser 1’ blette 
Qu& ch’ mo&te avouet donne', 
Chaquein cantouet s’n’ariette 
Ein buvant du cafe. 

Et du eide... 


5. Einfan, pour bien finir, 
Quand o reglouet ch’ l’ecot, 
Fallouet I’ vir accourir, 

Ech’ farceu d’ pere Angot, 
Y donnouet ch’ keu d’ cachouere 
Ein disant: mes z’anmis, 
Dimeinch’ j’ai boein espoere 
Qu’o r'varr& coere ichi, 

Boer’ du cide, 





Nom d’ein’ pipe, 
20 catan] catin, femme. 31 quar- 
tron] quarteron = 26 Eier. 34 fet' 


d’ ches setiers] la fete des fabricants 


Köm $ etue zür et fet, 
lo avaek es katä, 
21 o mäzue de | galet, 
de | tärt u bie dü flä. 
e dü sid’... 


3. pur vu fuer en ämilet, 
i ü avue pu& o tsü, 
so Ze 1 di, Z& 1 repet, 
27 tu 1 möd S etue könüi. 

o zi metue dü lär, 

edz onö a fuezö, 
30 Sez @ valuet de liär, 
So bzue tre su 1 kartrö. 

e dü sid... 


33 4. falue vir ke ripaii®, 
kä vnue 1 fet de setie, 

z vu prome k’äl volaiia 
36 d n fuezue puö t kärtie; 
pür bi& dep&se 1 blet 
ke 5 mut avue done, 

39 Sak& kätue sn ariet 
& büvä dü kafe. 
e dü sid... 


42 5. efä, pür bie finir, 
kät o reglue S ] eko, 
falue 1 vir akurlr, 

45 es farso (d)t per ägo; 
i donue S kg t kasuer 
& dizä: mez ämi, 

48 dimös 2 e buen Espuer, 
k o rvere kuer isi. 


buer.... 
Sl 
20 avü. 27 et tul. 30 de. 
38 mötr (frz. für dialekt. muet). 39 
Satse. 45 farse. 46 ko. 47 


emz Ami. 


(Dupuis), d. h. das von ihnen den 
Arbeitern gegebene Fest. 37 la 
blette ist das vom Patron gegebene 
Geschenk, wie übrigens auch V. 38 
erklärt. 46 keu d’ cachouere] coup 
de cachoir, letzter Trunk. 

Festgabe für Gustav Gröber. 2 


49 Q rvare. 


15 E. KOSCHWITZ, 


Qu’o vous veind & six sous |’ pot; 
Que tapage, 
Qu& ramage, 

Qu’o frez coer’ chez pere Angot. 


Ches gouts de m’ famme. 


Air: Faillasse mon ami, 
Ne saute pas a demi. 


1. Ein jour & m’ famme a m’ dit: 
[Benoet, 
Piss’ qu’ tu t’ein vos da l’ville, 
Täche ein mol&e de m’ rapporter, 
Quand cho n’ s’ ro&t qu’eine anguille, 
Tu sais qu’ je n’aimm’ bien, 
Marche € n’ m’oubli’ poeint. 
Surtout n’ foes point d’ ferdrangne, 
N’ t’ein vos poeint t’ seuler, 
Mein pov’ quot Benoet, 
Passe equ’ tu m’ fro6s del’ pangne. 


2. N’os point peur, que j’ li dis, Catan, 


J’ t’ein rapport’re einn’ belle 
I , 


Einne aussi grosse &qu’ mes deux poans, 
Longu’ comm’ einn’ manche ed’ pelle, 
Quand j’ does mett’ vangt sous, 15 


Pi coer vangt chong sous. 
Pour € n’ n’avoir einn’ boeinne, 
J’ veux t’ein regaler, 
Pi t’ein foer meinger 
A t’ foer peter t’ bedaine. 


3. Si biein qu’lo d’sus me v’lo parti 21 


Comme ein joeyeux compere 
Avu mein gouchet bien garmi 
Et pi m’ bell’ carnassiere. 
J&e m’ diso&s comm’ cho: 
N’ein s’ro ch’ qui n’ein s’ro 


Se gu de m fäm. 


1. & zür em fam a m di: benue, 


pik tü t& vo da | vil, 
3 tas & mole de m raporte, 
kä son srue k en ädüil; 
tü se g z en em bie, 
6 märs en m ubli pue. 
sürtu n fue pu& et ferdräns, 
t & vo pu& et sole, 
g m& pov kio benue, 
pas ke tü m fru& del paü(). 


2.n o pu& p«r, ke z li di, kata, 


12 Ss t & raportre En bel(o), 


en osi gr(u)ös &k me de puä, 
lö:g köm @n mäs et pel, 
kä zZ due met vä su 
pi kuer vä 50 su 
pur en n avuer en buens; 


18 z ve t & regale 


pi t & fuer mäze 
a t fuer pete @t beden». 


3. si bie k lo tsü me vlo parti 
köm & zueje köper 
avek m& guse bie garni 


24  e pi m bel karnasier. 


ze m dizue köm $o: 
n € sro ki n & s(a)ro; 





3 ein mol&] un peu. 


2 pis &k tü. 
5 ko ze n Em. 
“tsole. 9 t8o. 
14 &t pel. . 
25 Zoe m. 


17 buen. 


4 ädüil und ädüii. 
7 t ferdröna. 8 
10 pone. 12 &. 
23 avü. 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE 


Ch’ n’est poeint tous les jours föte, 27 
Allons-y gaimeint 
Saquer nom d’ein t’quiein 

De ch’ Y’anguill’ foer’ l’emplette. 30 


4. Einfan j’arrive & 1’ pissonn’ri 
J’erb& pi j’examine; 
Gn’ avoet d’el rai, d’ z’hereings aussi 33 
Et pi coer des sardines; 
Einn’ marchande a m’ dit: 
— Pa/le, he, mein cheri, 36 
Quoe qu’tu vus que j’ t& vinche? 
— Ch’ qui m’feut ch’est d’languille. 
Que j’ li dis, m’ pov’ fille, 39 
Sans cho i gno poeint meinche. 


5. Tout d’ein keu j’ voes einn’ gross’ 
[dondon 
Qui n’ n’avoet plan ein baque: 42 
J’ li dis comm’ cho: ah ca, vo&yons, 

Cambiein chel’ lo, sans craque? 

A m’ dit: eintre nons, 45 
Pour vous ch’est vangt sous. 

Tout d’ suit’ v’lo qu’al’ l’attrape, 
Avu sein coutieu 48 
A li r’ tire ess’ pieu; 

Pouf! al’ met da mein saque. 


Im 


MUNDART VON AMIENS. 


S ne pu& tu le Zür fet, 
älöz i gem&, 

saker nö d & kje! 

de sl ädüij fuer 1 äplet. 


4. efäa Z ariv al pisödri, 
za m erbe pi 2 egzamin. 
avue dz er&, del re osi, 
e pi kuer de sardin; 
en marsäd a m di: 
— par le, m& Seri, 
kue k tü ve ke 2 te v:S? 


19 


— s ki m fo, Se da 1 ädiii), 


ke 2 1 di, am pov fii, 
sä So, i ji o pu& mes. 


5. tu d & ko Z vue En grosz dödö 


kin avue plä & bäk; 
li di köm So: a sa, vueiö, 
köbi@ Selg, sä kräk? 
ä m di: ötro mu, 
pür vu se vä au. 
tu t süit vlo k äl 1 aträp, 
avek s& kutio, 
a li rtir €s pio; 
püf! al me da m& säk. 





6. De m’ famm’ connaissant ches 51 6. de m fäm könesä $e pio gu, 
[p'quots goüts, 
J’ dis: j’vos li foere emplette z di: z vo li fuer 1 äplet 
D’ech’ qui feut pour foere ein ragoüt de 3 ki fo pür fuer & ragu: 
D’einn’ tart’ pi d’einn’ galette; 54 d En tärt et pi d En galet; 
Ein voeyant tout cho & vuejä tu So 
J’ sus sur qw’a s’ein vo S sü sürkas&vo 
32 j’erbe] > Fervue, je revois?) je 28 dzem&. 29 tsie. 3ıin 
regarde. 33 Die Worte sind irr- avue k del re, edz erö. 37 8 te. 
tümlich umgestellt. 8. den Text 388% kimfe. 40 iüo 4ike 
Dupuis’. rai] raie? 40 meinche] ez. 43 ezli. 44 sSelo. 48 avü. 
meche; il n’y a pas moyen. 44 51 po, ptso. 53 fe. 
eraque] erac, blague. Vgl. V.42 baque 
f. bac, V. 50 saque f. sac. Ortho- 
graphie des Herausgebers, der weib- 
liche Reime haben wollte. 
2* 


20 E. KOSCHWITZ, 


Jolimeint € m’ foer’ fete; 57 
A m’ diro: m’ n’anmi, 
Tourn’ t& par ichi 


Qu& j’ t’eimbrasse & pinchette. 60 


7. E' m’ famm’ ch’est ein vrai 
[eordon bleu, 
Feut !l’ vir quant-al fricasse, 
Da tout al’ vous fourr’ des prongneux 63 

Et pi eoer d’el miellasse; 

Ch’est ein bee chucre, 

Al n’ainm’ poeint 1’ sale, 66 
N’ li feut qu’ des friandises, 

Al’ print comm’ bo&chon 

Ein peu d’ieu d’ eitron 69 
Avu du jus d’ reglise. 


8. Aussi ec’ soer-lo pour no souper 
Faloet vir qu& boeinn’ tabe! 72 
Faloöt vir € m’ famım’ s’ein r’ donner! 
Al &toet inr'sasiabe! 
Al o tant meinge 75 
D’ &ss’ n’anguill’ chuere', 
Ed’ tarte et pi d’ poer’ blette 
Qu’ jai te oblige 718 
Ed’ li foer du the 
Pour soulager s’ panchette. 


9. De 1’ foe-lo m’ famme 0’ tant 81 
[meinge 
Qu’a n’ n’o foet des betises, 
Si biein qu’ par nuit al’ m’o laque 

Des fus@’s plan m’ n’ ek’mise; 84 
J’ seinto&s cho tout kau 
Couler I’ long de m’ piau. 

Cho n’ seintoet poeint I’ vannille! 87 
Aussi ch’est fini. 
J’ vous l’ jur’ mes z’anmis, 

J’ gn’ acatt’r& pu d’anguille. 90 


zolim& e m fuer fet; 
a m diro: &mn ami, 
türn te par isi 

ke 5 t Ebräs a päset. 


7. &m fäm, $ et & vre kördö blo, 


fo 1 vir kät äl frikas, 
da tu Al vu für de pröno 
e pi kuer del mieläs; 
$ et & bek Sükre, 
an em puel sale, . 
n li fo k de friiädiz, 
al pr& köm buesö 
& po d io t sitrö 
avek dü zü d regliz. 


8. osi suer lo, pur no supe 
falue vir ke buen täb®! 
falue vir em fam S & rdöne! 

al etue &sasiab?! 
al o tä mäze 
de sn ädüii sükre 
et tärt e pi t puer blet, 
g 2 e te öblize 
d li fuer dü te 
pur sulaze es päset. 


9. de l fue lo m fäm o tä mäze 


x: a mn o fue de bet1z(®), 
si biö k par nüi al m o lase 
de füze plä mn &kmiz; 
Ss sötue So tu ko 
kule 1 15 de m pio, 
&k So sötne pu& 1 vanii(®)! 
osi Ss e fini, 
z vu l di, mez Ami, 
ü akatre pü d ädüli. 


4 
€ 





79 panchette] Bäuchlein, Wanst. 
Dem. von panche, hfrz. panse. 


61 ble. 62 fe. 63 tut. pröüo. 
64 mijeläs. 67inlife. 69 pe. 
je. 70 avü. 76 ädzüij. 78 
&g zete +79 &dli. te. 83 latse. 
s9 ez vu. 90 ädiülip. 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDRAT VUN AMIENS. 21 


Palmyre. 
Air: Je suis ty pochard. 


1. Tiens, te v’lo, mein pauvr’ Gris- 
[poere, 
J’ sus conteint d’et’ vir, 
Feut que j’ te conte el misere 
Qu’a m’o fouet Palmir': 
Al o deserte l’cambuse 
Sans me |’ foer savouere, 
Ein disant, pour es’ n’esquse, 
Qu’ j’ n’arretoue poeint d’bouere. 


2. Dir’ que j'ainme & bouer’ la goutte, 9 


Ch’est-i cho meintir! 
Rien que d’ n’ein vir, cho m’ degoüte, 
J’ peux poeint n’ein seintir. 
Oser dir’, quand j’ sus pompette, 
Que j’ li donn’ des kaus, 
Grispoer’, voes-tu, j’ t& 1’ repete, 
J’ sus bien malheraux. 


3. Hier, ein eintrant da m’ piaule, 
J’ m’ai pu rien trouve, 

Ni vouaissielle, ni castrolle, 
Tout etouet valse; 

Al o tout einl’ve d’ el’ kambe, 
Jusqu’a ches drops d’ lit, 

A m’o laissie sans pot d’ chambe, 
K’mein que j’ fre par nuit? 


4. A m’o laissi® sans candeille, 
Sans pan, sans argeint, 

Sans einn’ pauv’ soupe ä l’oseille, 
Mi qu’ je n’ainm’ si bien; 

Da ch’ lit, gn’avonet pu qu’ d’ el paille 
Ein plache ed’ matt’lo. 

Feut-ti qw'einn’ famm’ so&t cannaille 
D’ fouer des farc’s comm’ cho! 





17 piaule] maison. 20 valse] em- 
porte, 21 kambe] chambre. 


Palmir. 


1. tie, te vlo, m& pöv Grispuer, 


s sü köt& de (t)d vir, 


3 fo ke S te köt €] mizer 


k am o fue Palmir 
al o dezerte 1 käbü:z 
sä me ] fuer savu£r, 
& dizä pür esn eskü:z®, 
k zZ aretue pu® d buer. 


2. dir ke z &m a buer la güt, 
S et i So mötir! 
ri& ke d n & vir, so m degüt, 


k 
p® pue n & setir. 
d v 


s sü pöpet, 


S 
0Zze A 
k li don de ka, 


ez 
u 


s sü bi@ malero. 


3. jer, &n &trä da m piol, 
zn e pü ri& truve, 

ni vuesel, ni kastroöle, 
tu etue valse; 

al o tut älve del käbe, 
züsk a se dro d li, 

a m o lesie sä pq t Säbs, 
ekm& ke S fre par nüi? 


4. am o lesie sä kädeja, 
sä pä, säz arze, 
sä En pöva süp a | ozeja, 
mi ke zn em si bie; 
da S li, ü avue pü k d el paij® 
& plas ed matlo. g 
fot i k En fäm sue kanaija 
d fusr de fars köm 3o! 





7 ezn. 12 es. 14 ke 2. ko. 
15 & tel. 1882ne. 19 vuesiel. 
20 tut. 22 a. dro. 23 po. Sähr. 


29 eg del. 30 Ed. 
32. et fuer. 


27 säz En pOv. 
31 fc, ti. kanaije. 


22 E. KOSCHWITZ, 


5. Jirou& bien ä& ch’ commissaire 33 


Espliquer m’ raison, 

Si j’y vos, y vo m’ fouer’ taire 
Ein m’ traitant d’ bib’ron, 

Vu qu’ä chaqu’ fo@ qu’ j’ai m’ pietange, 
Sans fouere einn’ ni dan, 

I m’einvouet coucher & ch’l’ange, 
Ein d’sous de ch’ cornau. 


6. Ch’est fini, je n’ veux pus d’elle, 


Je n’ n’ai bien assez. 42 


Pour ainmer einn’ tell’ feimmelle, 
Feut-i etre benet! 

Grispoere, ed’ r&jouissance 
Qu’al est cavale’ 

Viens, o z’allons fouer’ bombance 
Ein plangn’ liberte. 


48 


5. zZ irue bie aS komiser 
esplike me rezö, 

si z i vo, i vo m fuer ter 

€ m tretä d bibrö, 

vü k a Sak fue e(k)g zZ m piktäz>, 
sä fuer en ni do, 


39 i m ävue kuse a Sl äz, 


& tsü de S körno. 


6. 8 e fini, zan ve pü d el, 
zann e bien ase, 

pür &me ön tel famels, 
fot i etr bene! 


45 Grispuer, ed rezuisäs(®) 


k al e kaval£, 
vie, o z alö fuer böbäs 
€ pläna liberte! 





II. Spottlieder auf die Bauern. 


Nos bons villageois 


ou ches geins d’Anmiens. 


Air: Ce sera bon pour les Parisiens. 


1. Charlott’, feut att/ler no beudet, 
Pour Anmiens, o partons, ch’est str, 

Tu mettros da l’voetur’ 

Ches fruits qui n’ sont poeint mürs, 
Ches leguemm'’ taques qui nous restent, 
Tout ch’ que nos betails n’ veutt’ t& 

[poeint 
Feut I’ porter ä ches geins d’Anmiens. 


1. Sarlöt, fo atle no bade, 
pur ämie, o partö, S e sücr. 
tü metro da 1 vuetü:r 
Se früi ki n sö pu& mütr, 
Se legem takie ki nu rest, 


6 tu Ss ke no betaii n vertte puß, 


v v 


fo 1 porte a Se ze d ämie. 





39 & ch’l’ange] bei jenem Engel, 
der sich am Gefängnis angebracht 
findet. 40 comau] sonneur, Wächter 
mit Trompete. 46 cavaler] Reiss- 
aus nehmen. 


Das Lied ist zugleich eine Probe 
von des Verfassers Kunst, pariser 
Lieder auf Amiens anzupassen, 


34 Esplitse. 37 && ze. 38 en. 
39 as2. 41 el. 43 famel. 44 
fo ti. et. 46 kavale. 

— 1 fe. keda. 5 ledzem tatse. 
7 fe. - 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 23 


2. Feut preind’ aussi da nou bass’ cour 


2. fo pred osi da nu bäs kür 


El glangn’ qu’o einn’ patt’ d’ecrase’, 9 el glaü k o En pät d ekraze 
glangn gia p , 


A n’ n’est tout desseque’ 
Ch’est comme einne arigne’, 
Quand j’el’ l’erbe, cho m’ fouet d’el 
[pangn’, 
J’ sus sür qu’al est dur’ comm’ du 
[t’quien, 
Feut l’porter & ches geins d’Anmiens. 


3. N’oubli’ poeint d’preinde ech’ 
[pangnier d’eufs, 

Equ’ da I’ grange o z’avons r'trouve, 

I sont d’ l’enne’ passe’ 

Ches glangne y s’ z’/ont couves; 
Mi, j’ n’aimm’ poeint & vir’ rien n’ess’ 

[perdr’, 

Leu cont’hu n’doet poeint seintir boein, 


Portons s’ ze ä& ch&s geins d’Anmiens. 21 


4. Inous rest’ coer’ einn’tine ed’ burr, 
Qui gno poeint moyen d’el’ meinger, 
I feudro !’ l’eimporter 
Por eux, ches boein assez, 
I z’aval’ront cho comm’ d’el cremme, 


Quand-t-o I’ flair’ cho seint tout l’viu 27 


[z’ouein, 
Feut l’ porter & ches geins d’Anmiens. 


5. T’iros traire el’ vaqu’ qui maigrit, 


L’ bett’ lo est malad’ j’ n’ein seus str, 30 


Sein lait y seint tout I’ sur, 
I o I’ goüt d’ mou6sissur’; 


Nos cochons n’ein bouett’ poeint einn’ 33 


[goutt’: 
Plutöt qu’ d’el’ l& ch’ter su no fien, 
Feut l’porter ä ches geins d’Anmiens. 


12 


an e tu desekie, 


Ss e köm En ariüie, 
kä ze | Erbe, So m fue del pair, 


Ss sü sürr k äl e dü:r köm dü ki, 


fe | pqrte a se z& d ämje. 


3. n ubli pu® d pred es paüe de 


eg dal gräz 0 z avö rtruve, 
i sö dl ane pase, 
se glan i z ö kuve; 
mi, zn &m pue a vir rie perda; 


la kötnü n due pu& setir bu&, 
portö ze a Se Z& d ämie. 


4. i nu rest kuer En tin ed bü:r, 
ki i o pu& muei® de | mäze, 

i fodro 1 &pörte 

pür @, S e buön ase, 
i z avalrö So kom del kräms; 
kät o 1 fler, So s& tu 1 viüz us, 


fee ] porte a Se z& d ämje. 


5. t iro trer el vak ki megri, 
(e)l bet lo e malade, Zn & sü sicr, 

se le i s& tu 1 sütr, 

il ol gu d muesisü:r; 
no kasö n & buet pu& En gute, 
plüto ke de le Ste sü no fig, 


A 


fee | porte a se ze d ämie. 








9 glangn’] von lat. gallina; poule. 
27 viu z’ouein] vieux oing, altes 
ranziges Fett. 34 fien] fiente, 
fumier. 


8. fe. ,, 10: desetse, - . 11ren. 12 
erbe. pone. 13 es. tsjie. 15 paüe. 
16 ek. 17 ane pase. 19 e2. 
24 foedro, 25 buen. 26 kröm®. 
27:01, 28. fü. 31 le. 32 ed. 


34 lo. 


24 
6. Por terminer no cargaison, 36 
Tu mont’ros chercher da ch’ grignie 
S’haricott’ epi ches poes 
Qui roull’te d’sus ch’ planque; 
Ches cots foett’ t& d’sus leu ferdraingn’, 
Por s’ein foere ein mole d’argeint, 
Portons s’z& ä ches geins d’Anmiens. 


39 


42 


Ches filles ed’ Boves. 
Air: On n’a jamais vu mon pareil. 


1. Ches fill’s ed’ Boves 
Ch’ n’est point des poves 
Ein grand’ toelette, y feut les vir 3 
[prom’ner, 
Comm’ des cocottes 
I sont farottes 
L’ dimeinche, au bal, o n’ peut point 6 
[s’ z’aborder. 


2. J’ai toujours jeu du goüt pour 
[eh’ poyeis d’ Boves, 
Aussi j’esper’ bien un jour m’y marier; 
Margre quo dit qu’ches fill’s ch’est 9 
[point grand’cose, 
J’ täch’rai d’coesir el’ meilleur’ d’ech’ 
[pangnier. 
Ches fill’s ed’ Boves... 


3. Ein jour j’ai dit: feut pourtant 
[qw' j’esseille 
A fouer’ la cour & !’ fille ed’ Mathurin; 


12 


E. KOSCHWITZ, 


6. pür termine no karkezö, 
tü mötro Serse da 5 griüe, 

z ariköt e pi $e pue 

ki rult etsü s pläke; 
se ko fuet etsü lo ferdrana;‘ 
pur s & fuer & male d arze, 
pgrtö ze a Se Ze d ämie. 


Se fii ed Böv. 


1. se fii ed Böve, 
s ne pu& de pöv>; 
e7 en . — ws 
& grä tuelet i fo le vir promne, 


köm de koköt, 
i sö faröt, 
el dim&s, o bäl, on pe pu& z abgrde. 


2. z e tuzür joe dü gu pur $ pueii 
[ed Böv», 

zür m i marie; 

Se fil S e pu& grä 
[köz?, 

S tasre d kuezir €] meier de $ paäe. 


® Ka} A .. 
osi Z esper bie 


& 
malgre kodik 


Sell". 


a 


3. € zur za m di: fo purtä ka 2 
[eseia 
a fuer la kür al fii ed Matüre; 





38 epi—=epi, et pwis. 39 plan- 
que] plancher. 40 cots] chats. fer- 
draingn’] fredaine, ordure. 


Boves ist eine zwei französische 
Meilen von Amiens entfernt liegende 
Gemeinde. Das Lied wurde von Dupuis 
auch - an Ort und Stelle gesungen. 
5 sont farottes] font des manieres. 
12 j’ai dit] bei Dup. je me dis (za 
m di). esseille] essaye, Schreibung 
um des Reimes willen (: merveille). 


36 kargezö. 38 ez ariköt. 39 
plätsie. 

1 ed. 3 fe 4 koköt. 69 
n. Tees. 10 88. pgne. 12 fe. 
eg z eseje 13 ed Matüre. 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 25 


Pour el’ bieute, cho n’est point einn’ 
[merveille, 
Ses gu’veux sont roug’s, da s’bouque 
[a n’o pu d’deints. 
Ches filles ed’ Boves... 


4. J’avoues d’ l’idee € d’sus l’fill’ 

[@’Angelique, 

Mais da ch’villag’, tout 1’ mond’ m’o 
[dit comme cho 

Que d’ pu quequ’ temps, al erseint des 
[eoliques 

Qu’ ch’est l’fiu d’ quot Jean qui li o 
[fouet du bobo. 

Ches filles ed’ Boves... 


5. Si j’edmandoues el’ fille a Fan- 
[ehonnette? 
Comme lessiveus’ feut vir cho sav- 
[lonner! 


pur el biöte, So n e pu& En mervei(p), 


15 se gve sö rüz, daz buk an o pü d’dg, 


se fl... 


fa} 


4. zavue dlide etsül fii d äzelik, 


18 me, da Sz vilaz, tu 1 möd m o di 


[köm So 
ke tpü kek tä äl &rsö de kalik, 
(e)k Se 1 fiü d kio zä ki li o fue dü 
[bobo. 
Senfig. 22% 


- 


5. si z edmädue el fii a Fäsgnet? 


köm lesivez fe vir so savlane! 


O dit comme cho qu’al est souveint 24 o di köm So, k äl e suv& pöpet, 


[pompette, 
J’ai peur qu’ein jour a’ s’ noech’ da 
[sein baquet. 
Ches filles ed’ Boves... 


6. Chet’lo qui m’plait I’ miu, ch’est 27 


[eoer I’ fille & ch’ Tis 
Mais, par malheur, cho I’ vous l’ dis 
[eintre nous, 
Al’ o ses brongn’s couleur ed’ pan 
[d’epice, 


ze per k & zür as nues da se bakje. 


6. sel ki m ple I mjü, Se kuör el 
[fi a s Tis, 
me, par maler, So 1 vu | di &tra mu, 


al o se hbroü kul&r ed pä d epis, 


Pi quand al’ marche, al’ rambuqu’ ses 30 pi, kät äl märs, al räbük se do zmu 


[daux g’noux. 
Ches filles ed’ Boves... 


7. Pour n’ein finir, j’ vos d’mander 
[quott’ Rosette, 


Beil ee: 


7. pour n & finir, z vo dmäde kjot 
[Rozet, 


Cho m’est egal, si sein pere est vaquer, 33 So m et egäl, si sö per e vake, 





27 Tis] Baptisse, Baptiste. 29 
brongn’s| joues. 30 al rambuqu’ ete.] 
elle frappe ses deux genoux ensemble, 


25 batse. 
33 vatse. 


23 lesiv@&z. 
30 dö. 


20 tSo. 
27. Set lo. 


26 


I m’appreindro & souffler da s’ trom- 


[pette; 


Quand i morro, j’herit’rai d’sein cornet. 


Ches filles ed’ Boves... 


E. KOSCHWITZ, 


i m apredro a sufle da s tröpet, 


kät i mgfo, zZ eritre t se korne. 
se fi... 





III. Ein Reklamegedicht. 


Ch’ eafe d’&ch’ Gros Moelon. 


Air: La rifla fla fla. 


1. Anmiens, mes chers z’anmis, 
Ch’est bien miu qu’a Paris; 
A ch’t’ heure qu’o z’avons 
Ch’ cafe d’ech’ Gros Moelon. 
Allons, gai luron, 
Boer’ a ch’ gros moelon 
Ein cafe d’ six rons, 
Que d’chuc qu’o z’erons, 
Saquer nom d’ein nom, 
Vive ech’ gros moelon! 


2. Da !’ru’ des Tro6s-Cailloux 
OÖ z’o pour ses six sous 
Ein cafe bien chuere 
Servi sans chicore. 

Allons, gai luron.... 


3. Lo d’deins tous les samedis 
Ches campagnards aussi, 
I boett’ te d’ rud’s gorgeons 
Tout chuchant leu moelon. 


12 


15 


18 


eS kafe de S gro mueld. 


2. dal rü de true Kaiju, 
0 zo pür se si su = 
& kafe bie sükre 
servi sä sikore. 

aloe 


3. lo d’ de tu le samdi 
se käpanär osi, 
i buet ed rüd gorzö, 
tu süsa lo muelö. 





Allons, gai luron .... alo... = 
Das Cafe zum Gros Moellon, das 4 es. 5 die, dze Ttsi 
auf der rue des Trois Cailloux (s. 0. 9 saker. 17 köpahär 18 rüd 


S.5) liegt und von mir gewissenhaft 
aufgesucht wurde, zeichnet sich in 
keiner Weise vor den gewöhnlichen 
Kaffeehäusern der französischen Klein- 


städte aus. 
seiner Eröffnung (1884). 


Das Gedicht entstand bei 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS,. 27 


4. Menusiers, teinturiers, 21 4. menüzie, tetürie, 
Manchons pi carpeintiers, mäsö pi karpetie, 

El’ diminche i s’ein vont el dimes i s & vö 
Tertous a ch’ gros mo&lon. 24 tertu a zZ gro muelö. 

Allons, gai luron... aloi. 

5. Ches moreieux d’chue lo d’ deins 5. Se mörsie t sük lo d’ de 
Sont gros comm’ des quots pains; 27 sö gro köm de kjo p£; 

Pour les casser ein deux pür le kase & do 
Ch’ caf'tier prete sein martien. 8 kaftie pret sö martio. 

Allons, gai luron.... 30% alo..... 

6. Quand j’ m’ein vos & ch’ moelon 6. kä zm& voa Ss mmuelö, 
Em’ famme a m’ dit: ‘Simon, em fam a m di: ‘Simö, 
T’eros soin d’rapporter 33 t ero su& do raporte 
D’quo@ chuerer ch’ dejeinner'. d ku& sükre es dezene.’ 

Allons, gai luron... alö .... 

7. Mes z’anmis, pour finir, 36 7. mez Ami, pur finir, 

Mi j’ vous dis cho sans rir’: mi z vu di So sä rir: 

Tächons d’eincourager tasö d &kuraze 

Ch’ ti qui veind boein marque. 39 Sti ki v& bu& markie. 
Allons, gai luron... alö... 





IV. Stimmungslieder des gealterten Dichters. 


A monsieur et madame 
Horde. 
Air: Ah! Qu tes coueinne 
Mein pove Antoeinne! 


A mösi®e e madam örde! 





1. J’ m’ein vos vous raconter m’ n’ 1. z m & vo vu raköte mn istuer, 
[histoere, 
Ecoutez bien cho, mes z’anmis: ekute bie So, mez ämi: 
D’pis que j’sus da l’ mond’, ch’est 3 &tpi ke 2 sü da 1 möd, S e notuer, 
[noto£re, 
Je n’ n’ai ti cante, Diu merci! za n e ti käte, diü mersi! 
22 manchons] magons. 27 t8o. 28 de. 29 martie. 
313% 32 fom © m. 33 ed 
raporte. 34 ed kue. 36 &mz. 


39 esti. märtie. 


Herr und Frau Horde, Besitzer einer Der Text dieses Gedichtes wurde 
Schankwirtschaft auf der Place Saint mir nur von Delarue gelesen. 


28 


Ed’ jus d’ mots et pi d’ealembours 
J’ n’ein sus point A court, 
Morgr& qw je m’ foes viu 

J’ cant’ eoer comme ein bochu: 

Gai, gai, la faridondaine 

Dig, ding, don, la faridondon 

Dig, ding, don, la faridondon. 


2. D’abord, j’ai foet rir’ bien du 
[monde 
A Anmiens, & 1’ campangne aussi, 
OÖ m’ connoet d’ vangt ius & la ronde, 
J6& n’ n’ai ti donne du plaisi! 
Da ch’ temps-lo falloet vir Gazette, 
Avu s’ boeinn’ binette 
Au cafe concert 
Canter d’einn’ voe& bien clair': 
Gai, gai, gai... 


3. Da m’ jeinnesse el dimeinche au 
[soere 
Avuc mes canmarad’s aussi, 
Quoequ’io longtemps j’ mein souviens 
[eoere 
OÖ z’alloemm’ tertous & 1’ cantri’; 
OÖ buvoet & tire larigou 
D’el biere ä troes sous, 
Tout I’ mond’ rigoloet 
Et pi o z’y cantoet: 
Gai, gai, gai... 


4. Da ch’ temps-lo quand j’alloes 
[a I’ fete, 
Falloet vir comm’ j’etoues joueyien! 
Lo j cantoes Mein viu gard’ champete 
Et pi coer Pardrier’ San-Leu; 
Pa d’sus, pour bien les conteinter, 
J’leu racontoes Ch’ Pet, 





6 


g 


12 


18 


21 


24 


27 


30 


33 


E. KOSCHWITZ, 


ed zü d mo e pi t kaläbir 
zn & si puöa kür, 
malgre k Z& m fue vjii, 
Ss kät kuer köm & bosü. 
ge, ge, ge, la faridöden 
dig, de, dö, la faridödo 
dig, d&, dö, la faridödo. 


2. d abör z e fue rir bi& dü möd» 
a ämje, a l käpän osi, 
ö m konne (e)d vä jü a la röd, 
zan ne ti döne dü plezi! 
da s tä lo falue vir Gazet 
ave z buen binet 
o kafe köser, 
käte d en vue bi& kler: 
ger 


2 
nu 


S- 


da m zZanes @l dim&s o suer 
avck me kamarad osi, 
kuck i i o lö tä, z m& suvie& kuer, 
o z älu&m tertu a 1 kätri; 
o büvue a tir larigu, 
de ] bier a true su, 
tu 1 möd rigolue 
e pi o kätue: 
NE 


4. da S tä lo kä zalue a 1 fet, 
falue vir kom Zetue zueio! 
lo s kätue: m& viü gard Säpet, 
e pi kuer: par derier Sä Lo; 
pa tsü, pur bie le kötete, 

z le rakötue S Pe 





Firmin, nicht sehr weit von der Pro- 


menade de la Hotoie, 
Dichter befreundet. 

ist nicht dialektisch. 
16 Gazette] s. o. S. 16 Anm. 
Ch’ Pet] le pe, 
mit den Lippen p’ gemacht wird’. 


waren dem 
9ff. Der Refrain 

14 ius] lieues. 
35 
‘ein Monolog, bei dem 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 29 
Qu’o partoet & rir' 36 k o partue a rir. 
A n’ein pouvoer finir: anpin & finir. 
Gai, gai, gai... gern» 


5. Ein jour equ’ j’eto&s bien malade 39 
A l’höpital je m’ sus reindu: 
Mes z’anmis, que degringolade! 
Je m’disoes: Gazett’ t’es perdu! 
Lo, peindant plusieurs mo&s durant, 
Anmis, ni parents, 
Personn’ n’est v'nu m’vir; 
Quand j’y peins’, cho m’ foet dir’: 
Gai, gai, gai... 


42 


45 


6. V’lo ch’ dergnier couplet de m’ 48 
N [n’ histoere, 
Je n’ vous z’ein dirai poeint pus long, 
Tant que j’ s’rai vivant, j’ m’ein foes 
[gloere, 
Mi, j’ cant’rai toujours des canchons. 
Viv’ la gaite! vive el plaisir! 
Da !’ monde i feut rir'; 
Peindant qu’o vivons, 
Mes boeins z’anmis, cantons: 
Gai, gai, gai... 


51 


54 


J’ eante coer. 


Dir’ qu& d’pis chinquante ans 
J’ foes rire Anmiens tout 1’ temps; 
Aujord’hui, qu& guignon! 3 
J& n’ peux pus juer d’ violon, 
Ni meimm’ m’accompangner 
Pour canter einn’ canchon t 
Qui vous fouech’ rigoler. 
Mein bros gueuche il est mort: 
Ch’est malheraux pour mi; 9 
Margr& mein triste sort 
Ej’ cant’ coer, Diu merci! 


= 





Das Gedicht: Je chante encore, geht 
in der Ausgabe als Einleitungsgedicht 
oder Widmungsgedicht den übrigen 
voran. Zu dem Inhalte vgl. oben 8.9. 


5. & zür ke zZ etu& bi& malada, 
a l opital z9 m sü redü: 
mez ämi, ke degregolad! 
29 m dizue: Gazet, t e perdü! 
lo, pedä plüzier mue dürä, 
ämi, ni parä, 


person n e vnü m vir; 
kä z i p&s, So m fue dir: 
gen... 


6 vlo z dernie kuple de mn istuer, 


vu 
ze 
tä 


n vuz & dire pu& pü 10, 
ke sre vivä, z m & fue gluer, 


mi, s kätre tuzür de käso. 
viv la gete! viv el plezir! 
da 1 möd i fo rir; 
pedä k o vivö, 
me buez ämi, kätö: 


2er: 


Z2 kät kuer. 


dir k tpi sekät ä 
2 fue rir ämie tu | tä; 
ozurdüi, ke ginö! 
za ne pe@ pü Zue d violö, 
ni mem m aköpane 
pur käte en käsö 
ki vu fues(2) rigole. 
Mö bro gös, il e mör, 
S e malero pür mi; 
margre me tristo sör 
es kät kuer, djü mersi! 


2 es. 3 


10 malgre. 


Ueberschrift: 5 kät. 
diind. 5 aköpöne. 


86—15. 


30 E. KOSCHWITZ, 


Die vorstehende Auswahl aus der Liedersammlung Dupuis’ 
reicht hin, um seine Eigenart kennen zu lernen. Unter die 
Klassiker auch nur der Dialektdichtung wird man ihn schwerlich 
einreihen wollen. Immerhin lassen uns die hier zum Abdruck 
gebrachten Gedichte einen Einblick in das Kleinleben der Be- 
wohner von Amiens gewinnen, das allerdings keine Besonderheit 
aufzuweisen hat. Was Dupuis besingt, ist mehr oder minder 
typisch für alle (mord)französischen Klein- oder Mittelstädte. 
Als Sprachprobe betrachtet, reicht, wie auch ein Versuch im 
ereifswalder Romanischen Seminar ersehen liess, das Gebotene 
aus, um eine Vorstellung von dem Lautstande der gegenwärtigen 
Mundart von Amiens zu gewinnen, die in unsern Texten wie 
auch in der Wirklichkeit reichlich mit Argot durchsetzt erscheint. 
Um dem zukünftigen Historiker dieser Mundart seine Arbeit 
noch mehr zu erleichtern, lasse ich hier noch eine kurze Formen- 
lehre des heutigen Dialekts folgen, die ich gleichfalls auf Grund 
von Angaben der Herren Dupuis und Delarue zusammengestellt 
habe. Die beigefügten Paragraphen sind die meiner Neu- 
französischen Formenlehre (Oppeln 1888), die ich bei der Ab- 
fragung zu Grunde legte. 


Artikel und Numerus. Substantiv. 
Singular. 
Nom. (e)S frer el [1] fämt) 1 öm 
Gen. deS oder düfrer del (de 1) fäm ed 1öm oder de St öm 
Dat. aS {rer al (a 1) fäm al 0m oder a St öm 
Acee)sstrer el [1] fäm 1 öm 
Plural. 
Nom. se {rer Se fäm Sez öm [s’z efäl 
Gen. de frer de fäm dez Om |(e)dz onö] 
Dat. o frer a Se fäm az Om 


Acc. se frer Se fäm Sez öm 
1) Die in [ ] befindlichen Wörter sind auf Grund des in den vor- 
stehenden Texten Enthaltenen hinzugefügt. 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. Sl 


N. & ko en Om en [En] fäm 
G.d& ko d en öm d en fäm 
D.a& ko a en öm a en fäm 
A.& ko en Om en fäm 


Singular und Plural sind gleichlautend auch bei: gvo cheval, 
chevaux; metaii metal, metaux; betaii betail, bestiaus; e auf 
(ef), aufs (e); be beuf und beufs; dagegen: travalij:travo; 
siel:siee; oli (il): jü. 


Adjektiv. 


Femininbildung: ne:n&v; 0:0t; ver: vert; nuer : nuert $ 17. 


(noir); fu (f. so): söt; grä: gräd(e); epe:epes; gra:gräs; Zalu 


:Zalüz; bio: bel; mo: möl; — mörtel : mörtel; zeti m. u. f£ — brc 
:brün; bu&:buen; malä:malaü; blä: bläk; — fre:fres; du: dus. 
Organische Komparative: mei®r; pir. 8 25. 
Zahlwörter. 


Grundzahlen: &, do, true, kät, Sök, sis, set, üit, noef, dis, 0:28, $ 27. 


düz, trez, katörz etc. (wie im Französischen); vät, vät e j& (21), 
vät do, vät true etc.; tröt, karät, Sekät, suesät, katre vä, katre 
va &; Se (100), mil. 

Ordnungszahlen: (es) pr&mie, (eZ) doziem, trueziem, katrijem, 
soökiem, siziem, sötiem, üitiem, noeviem, diziem, (es) löziem, 
duzi&m, treziem, katorziem, tSeziem, sezjem, dizsetjem etc. 


la (!) Sök me; Sök pur Se. $ 28 
Multiplicativa: sap, dübl, trip). 
Zahlsubstantiva: (en) ültäne, dizäne, Setäne. S 


Pronomina. 


Personalpronomen. Tonlos. Sing. Nom. (e)S (Kät je chante) $ 33. 


und 2 (vo je vais; &m j’aime); tü (vo tu vas), t (em tu aimes); 
i (vo dl va), il (&m il aime); a (vo elle va), al (&m elle aime). — 
Dat. Acc. m (i m vue il me voit; i m &m il m’aime); t, d. (it 


kät; i d vue; i t &m). — Dat. li (z li dön je Tui donne). — 
Ace. 1 —= le und la (2|] 1 vue je le vois, je la vois). — Plural 


Nom. o (0 söm nous sommes) und 02 (0 z avd nous avons); 0 (0 
käte vous chantez) und oz (0 z ave vous avez); i (kät ls, elles 
chantent) und iz (iz &mt ils, elles aiment), für Masc. und Fem. 


31. : 


32 E. KOSCHWITZ, 


— Dat. Acc. nu,z (i nu vue :l nous vort, i nuz &m 1 nous 


aime); vu,z (i vu vue, I vuz em). — Dat. le (2 le di je leur 
dis). — Ace. le,z (2 le vue je le vois), [ze, z'). 
$ 9. betont. Sing. Nom. Acc. mi; ti; li, &. — Phwr. Nom. Ace. 
0 (= eur), el (= elles). — Reflen: fehlt. 
$ 35. Possessivpronomen. Tonlos. 
Sing. M. me (frer) te (frer) se (frer) 
(e)mn (Om) (e)tn (om) (e)sn (Efä). 
F. (e)m (fäm) (e)t (fäm) (e)s (fäm) 
(e)mn (äm) (e)tn (epe) (e)sn (ämi — amie). 
Pl. M. F. me (frer) te (frer) se (frer) 
mez (ämi) tez (ämi) sez (Ami) 
(e)mz (Ami) [sz] (ämi). 
Sg. M. F. no (frer) vo (frer) lo [13] (frer) 
nu (Ami) vu (ämi) lo (ämi). 
P!. M. F. nu (frör) vu, zZ lo, z 
nuz (Ami). 
BB: 6. Betont. 
Sg. M. el mien el tien e] sien. 
F. €] mien()) el tien el sien(3). 
Pl. M. F. le mien le tien le sien. 
Sg. M. F. el nöt &] vot(e) @] lör (ler). 
Pl. M. F. le nöt le vot le lor. 
8 37—39. Demonstrativpronomen. Ad). 
Sg. M. (e)S (fotoii), |(E)s] F. se] (tab), 
est ämi el tab 
esl efä, Sl om. 
Pl. Se (frer) Se (tab) 


Sez (ämi) 
s. auch Artikel. 
Subst. Sg. M. Sti(-lo), F\. Sel-lo, [Set-lo]; Pl. M. F. Set-lo. — Ntr. 
So, [S]. 
ga—a2. _  Felativ- und Interrogativpronomen. 
N. M. F. tSi; Ntr. ku& (kue& k ti ve que veux-tu); Acc. Klo) 


N. M. ke (move frer), kel (Om); F. ke (fäm), kel (ämi). 
Sg. M. ei kiel F. el kjel. 
Pl. M. le kjel (tid]) le kiel (tiel). 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 39 


Indefinita. 0 (= on); sertä, sertäßd; difere, -et; plüzier. — 8 43—4. 
Sg. M. F. tel; Pl. M. F. tel, z. — Sg. tu, -t; Pl. M. F. tu. — 
Sak; M. Sakie, Satie, F. -en. — Sg. kek&, -en; Pl. kekz&, keken; 
persön; rje; okie, oti& (otSe), oken (otien, otSen); nül; mem; ot. 


Verbum. 
a-Conjugation. $ 48. 
a) Gegenwart. 
Praes. Ind. Con). 
Sg. (2) bläm (2) em (kez) bläm 
(tü) bläm (t) em? (ek tü) bläm 
(i) bläm(o) (il) em? (k i) bläm() 
(al) bläm(») (al) em? 
Pl. (0) blämö (02) &mö (k o) blämös 

(0) bläme (02) eme (k o) blämes 
(1) blämt (iz) emt (k i) bläms 

Imper. bläm. — Inf. bläme. — Pe. Prs. Ger. blämä. 

b) Vergangenheit. c) Zukunft. 

Imperf. Fut. a a 
Ind. Sg. 1. blämue Jauch uel blämrue blämrue [auch ye] 

2. blämue blämro blämrue 
3. blämue blämro blämrue 

Pi. 1. blämuem blämrö blämruem 
2. blämuet blämre blämruet 
3. blämuet blämrö blämruet 


Pc. Pf. bläme. 


Inchoative ö-Conjugation. 


a) Gegenwart. 


YUR 
en 
© 


Ind. Con). 
Sg. 1. fini finis 
2. fini finiS 
3. fini finis 
Pl. 1. finisö finisöS 
2. finise finises 
3. finit (finist) finist 
Inf. finir. — Pe. u. Ger. finisä. 


Festgabe für Gustav Gröber. 3 


34 E. KOSCHWITZ, 


b) Vergangenheit. ec) Zukunft. 
Imperf. Fut. Fut. Impf. 
Ind. 8g. 1. finisue finire [-e] finirue 
2. finisue finiro finirue 
3. finisue finiro finirue 
Pl. 1. finisuem finirö finiruem 
2. finisuet finire finiruet 
3. finisuet finirö finiruet 


Pe. Pf. fini. 


Paradigma v&da (lat. vendere). 


Praesens. Imperf. Fut. Fut. Impf. 
Ind. Con). Ind. 
Sg. 1. ve veda vedue vedre vedrue 
2. ve veda vedue vedro vedrue, 
3. VE vedd vedue vedro ete. 
Pl.1. vedo vedös veduem vedrö 
2. vede vedes veduet vedre 
3. vet vest veduet vedrö 
Pe. Pf. vedü. 
Hilfszeitwort avue. 
Praesens. Imperf. Fut. Fut. Impf. 
8g.1.,e avue, avue ere erue 
2.0 avue ero erue 
3. 0 avue ero erue 
Pl.1. avö avuem erö eruem 
2. ave avuet ere eruet 
9. 6 avuet erö eruet 
Pe. Pf.ü. — Pf. log. (2) e ü Jiü oder’je], (t) oü, Al) oü; 


(oz) ävö ü, (oz) ave ü, (iz) öü. 


Hilfszeitwort e&tr. 


Praesens. Imperf. 
Ind. Con). 
Sg.1.su  Sues etue [etue] 
De sues etue 


8.6 sues etue 


Fut. ut. Impf. 


sre 
STO 
STO 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 39 


Pl.1. som _sueiös etuem srö s(a)ruem 
2. et suaies etuet sre sruet 
3. SÖ suest etuet srö sruet 


Pe. Pf. ete. — Pf. log. (Z) e ete, (t) o ete, etc. 


Uebrige Verba. 
le. Prs. Ind. 8g.1.2.3. &vue; Pl. &vueiö, &vueie, $ 


{ge}! 
——| 
= 
or 
je 


VA 


evuet. — Fut. Evuere. 
ale. _Prs. Ind. 89.1.2.3.'vo; Pl. &lö, ale, vö; Conj. 8g. 
1.2.3. aijo; Pl. alös, ales, ait. — Impf. vo, aber vat& — Fut. 
ire, iro, iro, irö ete. — Fut. Impf. irue, irue ete. 
air. De Ind. Pl. aiisö, ajise, ajist, 
vekr. Pe. Pf. väkjü. 
perde. Prs. Ind. $g.1.2.3. per; Pl. perdö, perde, pert. — $ 53. 
Pe. Pf. perdü. 
Ebenso mörd9, törda. 
bät. Prs. 8g.1.2.3. bo; Pl. bätö, bäte, bat. — Pe. Pf. batü. 
ki@de. Prs. 89.1.2.3. kje oder tie; Pl. tieedö, tjede, 
tiet. — Impf. tiodue. — Pe. Pf. tiodü. — Fut. tiodre. 
süive. Prs. Sg. süi; Pl. süivö, süive, süiv. — Pe. Pf. süivi. 
— Fut. sülvre. 
pläda. Prs. Sg. plä; Pl. pläüö, pläne, plante. — Pe. Pf. 
plä m. f. — Fut. plädre. 
peda. Prs. Sg. pä; Pl. pänd, päne, pant. 
täd9a. Wie peda. 
zueda. Prs. 5g. zuä; Pl. zuano, Zuale, Zua 
kreda. Prs. Sg. krä ete, wie pläda. 
ekrir. Wie hochfrz. 
tiuır. 
ködülr. Wie hochfrz. 
fuer. Prs. Ind. Sg. fue; Pl. fuezö, fußt, fö; Conj. Sg. fues 


nt. 


Pl. fuezöS, fuezes, fuest. — Impf. fuezue, fuezue, fuezue, fuezuem, 
fuezuet ete. [oder bzue ete.|. — Fut. fore, fro, fro, frö, fre, frö. 


Fut. Impf. true etc. — Pe. Pf. fue. 

dir. Prs. Ind. Sg. di; Pl. dizö, dize, dit; Con. Sg. dis; 
Pi. dizös, dizes, dist. — Impf. dizue. — Fut. dire. — Ft. Impf. 
dirue. 

modir. Prs. Ind. Pl. modiso. 

pre&da. Prs. Ind. Sg. pre; Pl. pr&dö, pröde, prent(e); Con). 
Sy. pres; Pl. pr&dös, predes, pröst. 

3x 


854. 


36 E. KOSCHWITZ, 


rir. Prs. Ind. Sg. ri; Pl. riö, rie, rIt; (om. 8g. ri; PI. 
riös, rieS, riSt. — Impf. riiue. — Pe. Pf. ri. — Pe. Praes. rijä. 

müdr. Prs. Ind. Sg. mu; Pl. mulö, mule, müt; Conj. Sg. 
mülo; Pl. mulös, mules, must. — Pe. Pf. mulü. — Fut. mudre. 

(rezüdod). Prs. Ind. Sg. rezu; Pl. vezudö, rezude, rezud; 
Cony. Sg. rezud; Pl. rezudös, rezudes, rezust. — Pe. Pf. rezolü. — 
Impf. fehlt. 

paruet(r). Prs. Ind. 3. Sg. parue; Conj. parues. — Impf. 
3.89. paresue. — Fut. 3. Sg. paretro. 

kruer. Prs. Ind. Sg. krue; Pl. krueiö, krueje, kruet; Con). 
Sg. krue; Pl. krueiös, krueies, krues. — Impf. krueiue. — Pe. 
Pf. krü. — Fut. kruere. — Fut. Impf. kruerue. 

buer. Prs. Ind. Sg. bue; Pl. büvö, büve, buet; Conj. Sg. 
bues; Pl. büvös, büves, buest. — Impf. büvue. — Pe. Pf. bü. — 
Fut. buere. 

pler. Prs. Ind. Sg. ple; Pl. plezö, pleze, plet; Conj. Sg. 
ples; Pl. plezös, plezes, plest. — Impf. plezue. — Pe. Pf. plü. — 
Fut. plere. 

ter. 

lır. Prs. Ind. Sg. li; Pi. 1izö, lize, lit(®); Conj. Sg. bs; Pl. 
lizös, lizes, list. — Impf. lizue. — Pe. Pf. li. — Fut. lire. 

vIv. Prs. Ind. Sg. vi;- Pl. vivö, vive, vit; (onj: 8g. VIV; 


Pl. vivös, vives, vist. — Impf. vivue. — Pe. Pf. vekiü, vetiü. — 
Fut. vivre. 
net. Prs. Ind. 8g. ne; Pl. nesö, nese, nest. — Pe. Pf. ne. 


dörmir. Prs. Ind. Sg. dör; Pl. dörmö, dörme, dört(?); Cony. 
Sg. dörm; Pl. dörmös, dörmes, dörst(). — Impf. dörmue. — Pe. 
Pf. dörmi. — Fut. dörmire. 

servir. Prs. Ind. Sg. ser; Pl. servö, serve, sert; Comj. Sg. 
serv(°); Pl. servös, serves, serft; ete. 

mötir. Prs. Ind. Sg. m&; Pl. mötö, möte, möt; Conj. Sg. 
mes; Pl. me&tös, metes, met. 

pärtir. er Ten Sg. part; Pl. pärtö, pärte, värt; Con). 
Sg. part; Pl. partös, pärtes, pärt. 

sörtir. Prs. Ind. sört, etc. Wie pärtir. 

tigie (cueillir). Prs. ni Sg. tieile; Pl. tioid, tieie, tioit; 
Conj. Sg. tigiie; Pl. tioiös, tioies, tigit. — Impf. tigiue. — Pe. 
Pf. tigie. — Fut. tioiare. r h 

uvrir. :Prs. Ind. $g. üvr; Pl. uvrö, wyre, uft;- Conj. Sg. 
üvr; Pl. uvrös, uvres, üft. — Pe. Pf. uver. — Fut. uvrire. 


EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 37 


kuvrir. Wie uvrir, nur Prs. Ind. Conj. 3. Pl. kuv(?). 

ofrIr. Prs. Ind. Sg. öfr; Pl. ofrö, ofre, öfr. — Pe. Pf. ofer. 
— Impf. ofrue. 

vnir.. Prs. Ind. Sg. vie; Pl. vnö, vne, vient; Conj. Sg. 
vien; Pl. vanös, vones, vient(®). — Impf. vnue. — Pe. Pf. vnü. — 
Fut. viedre. 

tnir. Wie vnIr. 

kurir. Prs. Ind. Sg. kür; Pl. kurö, kure, kürt(°); Con). 
Sg. kür; Pl. kurös, kures, kürst. — Impf. kurue. — Pe. Pf. kurü. 
— Fut. kufre. 

muerir. Prs. Ind. Sg. mer; Pl. murö, mure, mart; Con). 
Sg. m@rs; Pl. murös, mures, m&rSt. — Impf. murue. — Pe. Pf. 
mör. — Fut. mure. 

valuer. Prs. Ind. $g.3. vo; Pl.3. vöt; Conj. Sg. vos; Pl. 
vöst. — Impf. vulue. — Pe. Pf. valü. — Fut. vudro. 

fallen sbrs. Ind. Sg. 3. fo... Impf. falue, — ‚Pe Pf. 
falü. — Fut. fodro. 

vuluer. Prs. Ind. Sy. ve; Pl. vulö, vule, vet; Conj. Sg. 
v@$; Pl. vulös, vules, voest. — Impf. vulue. — Pe. Pf. vulü. — 
Fut. vudre. 

&rsivuer. Prs. Ind. Sg. (&)rSü; Pl. 'rSüvö, 'rSüve, 'rSüt; 
Conj. Sg. (&rsüs; Pl. ’rSüvos, 'rSüves, 'rSüst). — Impf. (e)rSüvue. 
Pe. Pf. (e)rSü. — Fut. (E)rsSüre. 

Ebenso: apersüvuer. 

dvuer. Prs. Ind. Sg. due; Pl. dvö, dve, duet(°); Conj. 8g. 
dues; Pl. dvös, dves, duest(). — Impf. dvue. — Pe. Pf. dü. — 
Fut. dvre. — Fut. Impf. drue, ete. 

savuer. Prs. Ind. Sy. se; Pl. savö, save, set; Conj. Sg. 


säas; Pl. savöS, saves, säst. — Impf. savue. — Pe. Pf. sü. — Fut. 
sere. — Fut. Impf. serue. 
plüvuer. Prs. Ind. Sg. 3. ple; Conj. ple@v. — Impf. plüvue. 


— Pe. Pf. plü. — Fut. plüvro. 

müvuer. Die anderen Formen scheinen nicht mehr zu 
bestehen. 

puvuer. Prs. Ind. Sg. pe; Pl. puvö, puve, pet; Conj. 59. 
p@s; Pl. puvös, puves, p@st. — Impf. puvue. — Pe. Pf. pü. - 
Fut. pure. 

vir. Prs. Ind. Sy. vue; Pl. vuejö, vueje, vuet; Con. 89. 
vu&s; Pl. vueiös, vußies, vuest. — Impf. vuejue. — Pe. Pf. vü. - 
Fut. vuere. 


UN 


or 


ot 


38  KOSCHWITZ, EIN VOLKSDICHTER UND DIE MUNDART VON AMIENS. 


asir. Prs. Ind. Sy. asi; Pl. asjö, asje, asit; Conj. Sg. asiS; 
Pl. asiöS, asies, asist. — Impf. asjue. — Pe. m. f. asi. — Fut. asire. 
8 56. frIt, — br&r. 
trer. Prs. Ind. Sg. 3. tre; Pl. trejö, treje, tröt. — Pe. Pf. 
tre. — Fut. Sg. 3. trero. 


863. Adverb. 
gie [ge]: gieme, dieme. — vre: vreme. — fjer : fierme. — 
avegl : avoeglome. 
köstemg; prüdeme. — letme. 
bie, mal, lu®, tär. — miü, pü, muä. 


E. KoscHwItz. 


Der kritische Text der Gedichte 
von Gillebert de Berneville mit Angabe sämtlicher 
Lesarten nach den Pariser Handschriften. 


Für die Gedichte Gilleberts de Berneville kommen folgende 
Hss. der Pariser Nationalbibliothek in Betracht, die ich nach 
ihrer Nummer und der Bezeichnung von Schwan angeben werde: 
846 (O), 1591 (R), 24406 (V), 845 (N), 1050 (X), 847 (P), 20050 (U), 
844 (M), 12615 (T), 1109 (Q); hierzu kommen noch: die Hs. der 
Pariser Ars. Bibl. L. F. 5198 (K), Bern 389 (C), deren in Herrigs 
Archiv vol. 441—43 gedruckte Abschrift benutzt werden konnte, 
Rom Vatic. Regin. 1490 und 1522, von welchen Hss. sich eine 
Copie in der Ars. Bibl. befindet 3101, 3102 (a, b); endlich das Ms. 
Egerton 274 Brit. Mus. (F) und das Ms. Douce 308 der Bodleiana 
zu Oxford (I). Von dieser Hs. benutzte ich den von @. Steffens 
besorgten Abdruck im Archiv f. d. Stud. d. neueren Spr. u. Litt. 
vol. 97—99. Die genannten Hss. verteilen sich auf drei Gruppen. 
Zur ersten Gruppe sI (nach Schwan), als deren Heimat Arras 
anzusehen ist, gehören M, T, a, b. Nur M, obwohl aus derselben 
Quelle stammend wie die anderen Hss., erscheint des dialektischen 
Gewandes entkleidet. Andererseits stelle ich zu dieser Gruppe () 
als picardisches Denkmal, das allerdings nur durch ein Gedicht 
(XXXIJ) vertreten ist. Zur zweiten Gruppe sIl, welche nach der 
Champagne weist, gehören O,R, V,N,K,X,P. Von der dritten 
Gruppe sIII kommen für uns C, U und I, welche im lothringischen 
Dialekt verfasst sind, in Betracht. F, welches Schwan zu derselben 
Gruppe stellt, dessen Dialekt aber nach ihm auf italienischen 


40 H. WAITZ, 


Ursprung hinweist (p. 263) hat keine Bedeutung für die vor- 
liegende Handschriftenvergleichung, da mir nur zwei Strophen 
eines Gedichtes (XXVII) zu Gebote standen. Ich mache nur 
auf darin vorkommende echt picardische Formen, wie douche, 
porcachie, cascuns, vauroie aufmerksam. Ich konnte es nicht als 
meine Aufgabe betrachten, die Gedichte Gilleberts, die dem- 
nach in verschiedenen Dialekten überliefert sind, sämtlich ins 
Picardische zu übertragen. Hierzu fühle ich mich um so weniger 
berufen, als die verschiedenen picardischen Hss. den picardischen 
Dialekt nicht in gleicher Weise rein und unvermischt wieder- 
geben. Ich habe also in den folgenden Texten die Sprache 
keineswegs uniformiert; ist ein Gedicht nach M, T oder a heraus- 
gegeben (in welchem Falle ich es angegeben habe), so ist an 
der Sprache und den lautlichen Eigentümlichkeiten der Grund- 
lage nichts geändert worden. Diejenigen Gedichte aber, denen 
M zu Grunde liegt, werden, wie M selbst, die gemeinfranzösische 
Orthographie aufweisen; in den nach T herausgegebenen Gedichten 
wird der pieardische Zischlaut vor e und in der Regel durch e, 
in den nach a herausgegebenen durch ch wiedergegeben werden. 

Folgende Abkürzungen habe ich gebraucht: 

Dinaux II = A. Dinaux, les Trouveres de la Flandre et 
du Tournaisis. 1839. 


Herr. Arch. — Herrigs Archiv für das Studium der neueren 
Sprachen und Litteraturen. 
Scheler — A. Scheler, Trouveres belges du XlIle au 


XIVe siecle. 1876. 


I. 


09d, R125r, V4ör, N 71b, K 153, X 104a, C Nr. CLX, U 114v. Strophe 5 

und das Geleit nur in ©. Hg. nach C von Wackernagel, Altfranzösische 

Lieder und Leiche, p. 54, Basel 1846, und nach N in Dinaux II, 197 ff., und 
von Scheler p. 78 ff. nach C, collationiert mit N, O, X. 


I, 1. Au besoing voit on lami 
Piecga que c’est recorde; 
S’or ne fait amors por mi 
Tant que j’aie un chant trouve, 
Je croi que mes n’isterai 
De prison, ains i morrai. . 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 41 


Cele qui m’a mis ceens, 
Ele a fet ses seremens, 
(Jue james ne mengerai 
Ne partirai 

De la prison, 

S’aurai trovee chancon. 


I, 2. Amors, je vos cri merci, 
(Que me dones tel pense, 
Qwaucun noviau chant joli 
Li puisse faire a son gre; 

A cest grant besoing que jai 
Autre aie que vos n’ai. 

Vos estes mes sauvemens, 

N’i vaut cosins ne parens; 
Ja par aus n’en garirai, 
Tant garderai 

Öeste prison, 

(Ju’aurai trovee chancon. 


I, 3. S’or mi metes en oubli, 
Amors, jai mon tens fine 
Et si mi getes de ci, 
Mainte grant jolivete 
Encore por vos ferai. 
A cest besoing nommerai 
Beatris, bien mi porpens; 
Or m’est doubles tous mes sens, 
Huimes a chant ne faudrai, 
Point ne m’esmai 
De la prison. 
De legier ferai chancon. 


I, 4. Prison ne mi puet tenir, 
J’en sui tous asseures, 
Ne autres maus avenir, 
Car li haus nons est nonmes. 
Dame d’Audenarde, pris 
Me tenes en vo pais, 


H. WAITZ, 


Mes ne sui pas esmaies, 

Vo prison ne m’est pas gries, 
Car en lieu d’estre greves 
Sui honores 

En la prison 

Et s’ai trovee chancon. 


L, 5. J’ai euer et cors et desir 
Plus que je ne die asses 
Mis en bone amor servir; 
Or me tient si grans bontes, 
Car je sui en prison mis, 
Mais amors et Beatris 
M’ont tel secors envoies, 
Dont je sui joians et lies; 
Ains que je fuisse afames, 
Sui delivres 
De la prison 
Et s’ai trovee chanson. 


I, 6. Beatris, je sui trais 
Et per vos nomer gueris. 
Bien veul que vos le sachies 
Et vos pri, que vos fachies 
Jehanain chanter asses 
Et si prendes 
De la prison 
L’enprisonnee chanson. 


IT. 


X 104c, K 150. Das Geleit nur in N. Dinaux II, 192 hat die drei 
ersten Strophen und das Geleit gedruckt. Scheler p. 111. 


Il, 1. Merci amors, car j’ai vers vos mespris, 
Com desloiaus, parjures, foi mentie. 
Enragies fui, quant par ma bouche dis 
Qu’amors n’avoit valor ne seignorie. 
Certes, je menti E 
Et si m’en desdi, i 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


Je ne puis valoir 
Ne savoir 

Sens ne cortoisie, 
S’amors ne m’aie. 


II, 2. Pour dieu, amors, qu'or soit arriere mis 
Vos mautalens! s’oublies ma folie 
Et sachies bien: se en parlant mesjfis, 
ÖO’onques li cuers n’i pensa felonie, 
Ne se repenti 
D’estre en vo merci, 
Ains i vueil manoir 
Sans mouvoir; 
Cuer et cors et vie 
Met en vo baillie. 


II, 3. Ja nus cuers n’iert cortois ne bien apris, 
S’amors n’i met son sens et sa maistrie, 
Por ce le vueil en bone foi tous dis 
Servir, coument qu’il m’avienene d’amie. 
Seigneur, fin ami, 
Faites autresi! 
Ne vous chaut d’avoir 
Fol espoir; 
Car tels biens detrie, 
(Jui puis monteplie. 


II, 4. Se je me puis vers amors accorder, 
Je l’en ferai si tres haute amendise, 
(Jw’apres ma mort en orra on parler 
Jusqu’a cent ans. He pities et franchise, 
Metes i la pais! 
S’un tout seul mesfais 
Desfent maugre vous, 
Volant tous 
(Que pais ne soit quise! 
Vo force est jus mise. 


43 


44 H. WAITZ, 


Il, 5. Toute perdrai l’acheson de chanter, 
Se mercis n'est la ou je l’ai requise 
Et requerrai. Se je le puis trouver, 
On me verra muer en meillor guise, 
(C’onques ne fui mais; 
Mains chans en ert fais 
De euer amoros, 
Desirros 
De faire servise 
Que ma dame prise. 


Il,6. Mon ehant voudrai a Fontaines porter 
A mon seignor Huitace ert li requise. 
Chancon, di li, par toi li vueil mander, 
(Jue doutance est ce qui plus me conbrise. 
Trop a pesant fais 
Cruel et mauvais, 
Li fins cuers jalos; 
Nest pas dous 
Tex maus; jusqw'en Frise 
N’a si fort justice. 


11. 


R fol. 91, N fol. 67b, K fol. 144, X fol. 99a, P fol. 115, C Nr. XXTX (es. Herr. 

Arch. 41. 359), U £fol.115. N allein enthält alle Strophen und das Geleit. 

XKP stimmen mit N in Bezug auf die fünf ersten Strophen überein, aber 

das Geleit fehlt. Der Anfang der dritten Strophe weicht ab in C und U und 

diese, wie auch die fünfte Strophe fehlt in R. Die fünfte Strophe fehlt auch 
in ©. Das Geleit steht in UCNR. Hg. von Scheler p. 57 ff. nach ©. 


III, 1. Amors, porce que mes chans soit jolis, 
Vous ai nommee avant premierement, 
Et dex gart hui toutes les Biatris! 
Cele ai nonmee a cest conmencement, 
Qui pas ne m’ennoie. 
Huimes ne porroie 
Avoir nul torment, 
Qu’a amours mi rent, 
Qui veut qu’en li croie. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


III, 2. Et g’i croi tant, tout le euer i ai mis 
Et tout le cors en son comandement. 
Se nul bien sai, je l’ai de li apris, 
S’ele ne fust, n’en seusse noient. 
S’encor ne l’amoie, 
De chanter perdroie 
Mon entendement, 
Mes je n’ai talent 
Que partir m’en doie. 


III, 3. Ains mes chancon de si lie euer ne fis, 
G’i ai noume des haus nons plus de cent. 
Mes li uns est deseur tous de grant pris, 
Celui reclaim ades souvrainement. 
Si m’en vient ma joie 
Et me met en voie 
D’amer loiaument; 
Ce jolif present 
Chascun jor m’envoie. 


III, 4. Bons nons et biaus, tu es a la meillor, 
Que nus hons puist v&oir ne esgarder; 
Ele a mon cuer, je aim de bone amor, 
Mes ne di pas qu’a moi doie penser, 
Car sa seignorie 
A moi n’afiert mie, 
Miex la uueil amer 
Sans merci trouver, 
Qu’el fust abessie. 


III, 5. Nus n’est si bons ne tant ne set d’onor, 
Ö’oneor ne puist, sil Y’avoit, amender. 
Tant a de bien, de sens et de valor 
En son france euer, c’onques ni pout entrer 
Nule vilanie; 
Bien set cortoisie 
Et faire et moustrer; 
Ne l’en vit lasser 
Nus qui soit en vie. 


46 IT. WAITZ, 


III, 6. Chancon, va-t-en a Courtrai sans sejor, 
Car la dois tu premierement aler, 
Ma dame di de par son chanteor, 
(Jue, si li plaist, que te face chanter. 
(Juant t’aura oie, 
Adont ne t/oublie, 
Va sans demourer 
Erart saluer, 
Qui Valeri crie. 


1Va 


In K fol. 143, N fol. 66 und X 9Sd und P fol. 115 erscheint das Gedicht unter 

dem Namen des Gillebert de Berneville. In O fol.56, R fol. 88 und © Nr. CCH 

(Herr. Arch. 42 p. 322) ist es anonym. C enthält nur die drei ersten 

Strophen und in R sind Strophe 4 und 5 umgestellt. Hg. von Scheler p. 53 ff. 
nach C. 


IV, 1. Haute chose a en amor, 
Bien la doit garder qui la, 
Ne puet faillir a honor 
Fins cuers, ou ele sera. 
Qui plus aimie, plus metra 
Trestout son desir 
En bon devenir. 

Por valoir, 

Doit avoir 

Chascuns bone amor 
Sans movoir. 


IV, 2. Dame, por vostre valor 
Mes fins ceuers vos en ama, 
Car bien sai, quwil n’a meillor 
Deca la mer ne dela. 

Amors pas ne m’oublia, 
Quant me fist choisix 
Tout a mon plaisir; 
Por valoir etc. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 47 


IV, 3. De trop fera son poior, 
(ui d’amors se partira, 
Ne james plus vilain tor 
En sa vie ne fera, 
Que dons quwil les laissera; 
Mes sans repentir 
S’i doit on tenir. 
Por valoir etc. 


IV, 4. Amors ensaigne et aprent 
Son home et le met en pris; 
Por c'est fox, qui ne si rent 
Et qui son euer n’i a mis, 
Et je, con lojaus amis, 
Amors servirai 
T’ant con je vivrai. 
Por valoir etc. 


IV, 5. Mult est fox, qui ne s’apent 
A amors servir toz dis, 
(Qu’amors tient celui jolant, 
Qui a li est ententis. 
El m’a si lacie et pris, 
Ses prisons serai 
Et si mi tendrai. 
Por valoir etc. 


V. 


Ozon oveiol aan, N 70l. 70p, Kiol- tol, X £01. 1036, C Nr. CDXC (8. 
Herr. Arch. 43. 369). C enthält nur drei Strophen, die erste, die zweite, die 
aber hier die dritte Stelle einnimmt, während die zweite nur in U steht und 
offenbar nicht hierher gehört. Die dritte Strophe fehlt in V. Strophe 5 steht 


Hg. v. Scheler p. 122, nach N, collationiert mit OVX. 


V, 1. Tant me plaist a estre amis 
Ma dame, la ou je pens, 
Qwil m’est tout ades avis, 
Qu’or primes amer comens 


48 


H. WAITZ, 


Ne je n’ai nul sens, 
Qui ne soit tous mis 
En amer tous dis 
Et si ne m’asent 
Quwil soit autrement; 
Tant con soie vis, 
Ja ne soie ois, 

Si je m’en repent. 


V, 2. Amors, mon cuer aves pris, 
Certes n’en sui pas dolens, 
Ains en sui lies et jolis 
Et me met toudis dedens 
Vo eomandemens, 

Ne iert ja desdis, 
Sl est trop petis 
Li cuers et il fent; 
Plus joliement 

Ne puis estre ocis, 
De ma mort plevis 
La pes bonement. 


V,3. Se finoie a tel honor, 
Quant je deverai morir 
N’auroie mie paor, 

De si faite mort sentir; 
Neporquant emplir 

Ne puet plus d’amor 
Li cuers a nul jor. 
S’amors de celi, 

Qui je cri merci, 

N’i vient par ce tor, 
Porroit de doucor 

Bien rompre parmi. 


V, 4. Frane cuer, parfet de valor, 
En tout bien ferm et entir 
A madame, de meillor 
Ne me porroit souvenir. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


Maint loial desir 
Font en moi sejor, 
Qui ja por dolor 
N’ierent amenri, 

Car de cuer d’ami 

La serf et aor, 
Nonques mes greignor 
L’amor ne senti. 


V,5. Et se ma dame ne m’a 
Mon servir guerredone, 
Ja por ce mains n’avera 
De ma bone volente, 
Car tant de bonte 
En son fin cuer a, 

(Que m’esgardera 
Oncore en pitie. 

Bien m’aura aidie 
Amors, s’ensi va, 
(Juant tant ne m’aida 
Ne ne fist si lie. 


V, 6. Chancon, tu t!en iras la, 
Ou j’ai tot mon euer done, 
La dame du mont t’aura, 
Qui plus aime en verite 
Foi et loiaute, 

Et qui plus en a, 
En sa merci m’a. 
Amors l’a jugie 

Et jai otroie 
(Juanque li plaira, 
Mais qwil n’i ait ja 
Parle de congie. 


VE 


N 152r, K 318v, X 103a, P 166v. Hg. von Scheler p. 95 ff. 


VI, 1. ‚James chancon ne feroie 
Ne autre jolivete, 
S’a ma dame ne pensoie, 
Ou tant a sens et biaute. 
Festgabe für Gustav Gröber. 4 


49 


50 H. WAITZ, 


Et quant l’ai bien remiree 
Sa biaute, tost ai trouvee 
Ma chancon et fet le chant. 
Dex, je l’aim tant 

Ma dame, qwausi voudroie 
(sarder s’eneur con la moie. 


VI, 2. Vis m’est que je mesprendroie 

Et feroie laschete, 

S’a ma dame ne pensoie, 

Ou tant a sens et biaute, 

Mes je n’ai mie en pensee 

Que de moi soit entroublee 

A nul jor de mon vivant. 

Dex, je aim tant 

etc. 


VI, 3. He, vrais dex, conment porroie 
Tant servir en mon a£, 
(ue peusse avoir la joie 
Ou jai si souvent pense. 
Car forment l’ai desirree; 
Pourquoi fu de mere nee 
La tres douce au cuer vaillant! 
Dex, je l’aim tant 

etc. 


vi 


M 132d, K 413. Hg. von Scheler nach M 105 ff. Dem folgenden Text liegt 
ebenfalls M zu Grunde. 


VII, 1. Jolivetes de cuer et ramembrance 

De bone amor me semont de chanter; 

Si chanterai et dex par sa puissance 

Me doint tel chant et tel chancon trover, 
Qu’as mesdisans face le sens derver 

Et viegne en gre a ma dame prisie, 

Que jai tos jors de loial cuer servie; 
Puisque la vi, ne seu aillors penser. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. ol 


VII, 2. Quant je remir sa tres douce samblance 
Et son gent cors et son viaire cler 
Et ne li puis conter ma mesestance, 
Adone convient mon mal renoveler. 
Las! je ni os ne venir ne aler, 
Car trop redout ceus qui sunt plain d’envie, 
Si ai paor que n’en perde la vie, 
Que tant m’estuet de son don consirrer. 


VI, 3. Un mal soustieng, au cuer me point et lance 

Et fait mon vis palir et descharner, 

Mes ja por ce, se l’amors ne m’avance, 

Ne me faudrai de ma dame honorer, 

Qu’amors set bien les maus guerredoner 

Au cuer qui sert loiaument sans boisdie: 

Por ce di je, que li hom n’aime mie 

Qui por travaill se veut d’amors sevrer. 


VII, 4. James nul jor n’auroie au euer grevance, 
S’or mi voloit ma dame reguarder. 
Dex, qu’ai je dit? Nenil, ma meschöance 
Ne mi lait pas tant de bien conquester. 
Einsi languis ne mi sai conforter, 
Car de mon cuer n’ai conseil ne aie, 
Ma dame l’a del tot en sa baillie, 
Prende le cors, je ne li doi veer. 


VII, 5. Merveilles est que nule retenance 
Ne truis en li et si n’en puis torner. 
Dex, quw'ai je dit? Folie et grant enfance: 
Ou mes cuers est, la m’estuet demorer. 
Chancon, va-t-en a ma dame moustrer, 
Di li por dieu, qwele ne m’oublit mie 
Et que te chant, s’onques fist cortoisie, 
En plus haut lieu ne te sai assener, 


4* 


92 H. WAITZ, 


VIH. 


M 132b. Hg. von Scheler p. 66 ff. 


VIII, 1. Coument qu’amors me demainne 


Ne quw'ele m’ait demene, 
Ja ne requerrai por painne 
Que ne serve en loiaute. 
Nonporquant s’ai je done 


Mon cuer ou aine ne pot plaire 


Ne rienz nule faire, 

Qui fust prise en gre, 
N’aine por ce n’eu volente 
D’oublier la debonaire. 


VII, 2. Certes, c’est chose certainne, 


Je le sai par verite, 

Que ma dame est soverainne 
De sens et de grant biaute 
Et se je ni ai trove 

Merei, n’en quier je retraire 
Et se j’ai contraire, 

Tost iert oublie, 

Se j’en puis avoir bonte, 
Qui de lojal amor paire.') 


VII, 3. Nus ne puet faire folie 


En bone amor maintenir, 
Car s’on ne conquiert amie, 
Si fet amors devenir 

Le cuer cortois et hair 
Vilenie sans faillance. 

Puis e’on en avance, 

Nus n’en doit partir, 

Ainz doit on toz jors servir 
Et vivre en bone esperance. 


ı) Vielleicht lat. pariare prov. pairar s. Diez, Et. Wb., 
welche mit treuer Liebe bezahlt“. Fasst man paire auf als 


ist, wie schon Scheler sagt, der Genitiv anstössig. 


„gleich ist“ 


p. 653 „Güte, 


‚so 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 53 


VIII, 4 Amors, de vostre baillie 
N’istrai por dolor soufrir, 
Car tele est vo seignorie, 
Quwen un jor po&z merir 
Toz les maus c’on puet sentir 
Et oster toute grevance; 
Trop fet grant enfance 
Qui n’a son desir 
Et son sens et sa poissance 
Mis en vo droit guarandir. 


VIII, 5. Bone dame et enseignie, 
A vos ferai revenir 
Mon chant par vo cortoisie. 
Car deignissiez consentir, 
(Jue ce vos fust a plaisir 
Que por vos chant, bone et franche! 
Se ceste chöance 
Me puet avenir, 
Nus ne me porra tolir 
Joie ne metre en pesance. 


IX. 


Mı131c, T535. Hg. von Scheler 118 ff. (nach T mit den Var. von M). In M 
fehlen v. S—28 (Ausschnitt in der Hs... Der folgende Text nach T mit 
Collationierung von M. 


IX, 1. Puisqw’amors se veut en moi 
Herbergier, 
Riens ne vail, se je recroi 
D’envoisier 
Por iver sauvage. 
Dame bele et sage 
M’a a justicier; 
D’estre en son dangier 
Ai bel avantage, 
Je m’en tien plus chier. 


H. WAITZ, 


IX, 2. Ses hom entirement soi 
Sans cangier, 
Cascun an un chant li doi 
Envoier 
De mon lige homage; 
Et je sans outrage 
Li quit bien paier 
Et pour moi plegier 
Li doins en ostage 
Mon fin cuer entier. 


IX, 3. Car milleur plege n’i voi 
Ne plus chier, 
S’encor puis par son otroi 
Efforcier 
De mon cors le gage. 
Certes, miex ne sa ge 
M’onour avancier, 
Bien m’i doit aidier 
Chou que son damage 
Ne son mal ne quier. 


IX, 4. Ains le voel ades loer 
Et servir 
Et me voel en bien amer 
Maintenir 
Sans penser folie. 
Se je vilonie 
Li quier, ja venir 
Ne puisse au desir, 
Que jıai de s’aie 
Prendre a son plaisir. 


IX, 5. Mout seut amors bien ovrer: 
Au venir 
De moi vint le cuer oster 
Et saisir, S 
Que n’en senti mie. « 
Ü’est bele maistrie - 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 55 


D’'ome euer tolir 
Sans le cors perir. 
Si douce envaie 
Puet on bien soufrir. 


IX, 6. Dame, rente a vie 
Vos doi mout jolie, 
Qui ne puet faillir 
Desi au morir. 
Par vo cortoisie 
Les faites oir. 


RE 


M 134b, T 34 und 77. Das Geleit fehlt in M. Hg. von Scheler 71 ff. nach M. 
Dem folgenden Texte ist T zu Grunde gelegt. 


X, 1. D’amors me vient li sens dont j’ai chante 
Et dont je chanterai; 
Se je n’amaisse et je n’&usse ame, 
Tot certainement sai, 
ÖO’uns chaitis 
Fuisse mal apris. 
Amors rent 
Riche guerredonement 
Ciaus qui le sevent servir 
Sans li trair. 


X,2. Des chou que j'euc et euer et cors done 
Ou haut lieu que je sai, 
Amai honor et hai fausete 
Et ensi viverai 
A toudis 
Con loiaus amis; 
Qui entent 
A bien, ait chou en convent 
Et se penst d’amors servir 
Sans li trair. 


(op) 


or 


H. WAITZ, 


X, 3. Amors me fist une bele bonte, 
(Juant ma dame esgardai, 
@Quw’ele me mist u cuer le volente 
(Jue je m’i otrolai, 
Tous garnis 
Seurs et hardis 
Ensement 
De faire tot son talent 
Et le voel ades servir 
Sans li trair. 


X, 4. Puisqu’amors m’a et dit et commande, 
Que jaaime, jamerai. 
Ja son voloir nul jor en mon ae 
Ne li contredirai. 
Bien m’a pris 
Tot a son devis 
Sagement 
Et jou debonairement 
Le voel a tos jors servir 
Sans li trair. 


X, 5. Quanque je sai qu’amors a devise, 
A mon pooir tenrai 
Et se je serf ma dame par son gre, 
Je di au miex que sai, 
Quwai conquis 
Tant, qu’en nul pais 
N’a present 
Ne si riche ne si gent. 
Le doi je donc bien servir 
Sans li trair. 


X,6. Un chevalier ai mon chant presente, 
K’en chantant nommerai: 
De Noevile est Gilles au cors molle; 
Plus cortois n’acointaij, | 
Ce m’est vis. 
Au cheval de pris 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 57 


Richement 

Siet et afaitiement. 

Teus hom doit amors servir 
Sans li trair. 


XI. 


M 133d, T 36, a 92v (Ars. 3101, p. 196). Das Geleit nur in M und T. Hg. 
von Scheler 115 ff. Dem folgenden Text liegt a zu Grunde, mit Vergleichung 
von M und T. 


XI, 1. Onques mais si esbahis 
Ne chantai jour de ma vie. 
Amours m’a a la mort mis 
Et ma tres douche folie, 

U ains ne quis faussete, 

Et si Y’ai chier conpere, 

Car chis maus me destraint si, 
Qui m’a assailli; 

Tant m’a conquis et mate, 
(Que li mors est au degre, 

Qui me desfie. 


XI, 2. Cruelment m’a entrepris 
Chis maus qui m’estraint et lie, 
Ne puis aler u pais 
U me dame trop s’oublie; 

Tant que jeusse esgarde 
Son bel vis encouloure, 
Ele m’öust tost gari; 
Mais n’est mie ensi, 
Ains ai trop pis encontre 
Car li mors est au degre 


Qui me destie. 


XI, 3. Je ne doi estre repris, 
Se ma canchon n'est jolie, 
Car mes secours m’est faillis 
Et ma dame ne set mie 


H. WAITZ, 


Qwele m’ait a mort livre. 
T'pestout li soit pardoune! 
Sire dieus, pardounes li, 
De cuer vous em pri, 
Quele si gieue a Lonepre 
Et li mors est au degre, 
Qui me desfie. 


XI, 4. He Dieus, con je fui trais, 
Quant senti ma maladie, 
C’un message n’oi tramis 
A ma dame pour ale; 
Vers la mort m’&ust tense, 
S’un salu m’öust mande. 
Mais ch’est niens, g’i ai failli, 
Trop est loins de mi. 
Chis maus m’a si alite, 
Que li mors est au degre, 
Qui me desfie. 


XI, 5. Roine de paradis, 
Je m’otroi en vo baillie. 
Se jai en fais et en dis 
M’ame de dieu eslongie, 
Dous euers plains d’umilite, 
Jai fianche en vo bonte, 
Que vous proieres pour mi, 
Car jai trop dormi 
En pechies et sejourne 
Et li mors est au degre, 
Qui me desfie. 


XI, 6. Vrais rois plains d’umilite, 
Conduisiez me a salvete! 
Je muir a euer trop mari, 
Quant chele n’est chi, 

A cui je doi feeute | 
Et li mors est au degre, 


Qui me desfie. 


Or 
de) 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


XI. 


M 134c, a 91 (Ars. 3101 p. 192), O55r, R 117r, K 150, X 102d, C Nr. CLXXXI 

(s. Herr. Arch. 42. 308). Hg. von Scheler nach M, collationiert mit C, 0,X. 

Der Text von a gedruckt von Keller, Romvart, Mannheim 1844, p. 294 und 

nach ihm von Mätzner, Altfrz. Lieder, Berlin 1853, p. 52. M allein enthält 

das ganze Gedicht, a die fünf ersten Strophen, das Geleit fehlt. ORKXC 

haben nur drei Strophen: die zwei ersten und die vierte von M und a. Der 
folgende Text nach a, mit Vergleichung der übrigen Hss. 


XII, 1. Fois et amours et loiautes 
Sont en moi sans ja defaillir; 
S’ensi est que sole oublies, 
S’ain ge trop mieus a maintenir 
Loiaute que fol usage. 
Empris Yai a hiretage: 
Qui par biau servir 
Vient a son desir, 
Il fait mult biau vasselage. 


XII, 2. Hom qui aime et veut estre ames, 
Doit toute mauvaistie hair 
Et doit estre courtois et tes, 
Qwil ne se doit enorgueillir. 
Chil alieve son hontage, 
Qui par forche et par outrage 
Veut d’amours joir; 
Bien i doit faillir 
Qui le requiert par haussage. 


XII, 3. Quant dame aim, ch’est tes bontes, 
Que nus hom nel porroit merir 
Et se li amis n’est senes, 
Ele a pooir de repentir, 
Qu’ele ne doit nul servage, 
S’ele i voit son arrierage, 
Bien s’en puet partir, 
Ne s’en doit tenir, 
Si sien en sont li damage. 


60 H. WAITZ, 


XII, 4. D’amours ne doit estre houneres 
Hom qui ne set bons devenir, 
Ains doit estre a tel fuer menes, 
(Jue dame ne le doit oir; 
Mais li felon plain de rage 
Sevent si bien lor langage 
Et lor mos polir, 
U’on ne set choisir 
Liquel ont loial corage. 


XIH, 5. Trop est vilaine lasquestes, 
D’amours dechevoir par mentir, 
Mais qui les biens a conquestes 
Par courtoisie et par soufrir, 
Je le tieng a grant barnage. 
Vous, qui a chel avantage 
Voles avenir, 
Sachies maintenir 
Hounour, s’estes ou passage. 


XII, 6. Chancon, faites mon message, 
Dites ma dame la sage 
Que par son plaisir 
Vos daint retenir, 
Car por s’amor vos trovai je. 


XII. 


M 131d, T35v, V43r, X i01a, K 147, N 68d, C Nr. CLIX (s. Herr. Arch. 42, 

p: 295). Strophe 4 und 5 umgekehrt in NKXV. In denselben Hss. fehlt das 

Geleit. Hg. v. Scheler 75 ff. nach ©. Der folgende Text nach T mit Ver- 
gleichung der übrigen Hss. 


XII, 1. Elas! je sui refuses 
Et ma chancon refusee, 
Tous mes solas est mues 
En ire et en grief pensee, 
Ne jamais ne chanterai 
De cuer gai, N 
S’il n’agree / 
Ma dame honoree 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


Que jıaim de cuer vrai; 
Se mal trai, 

Bien l’ai deservi, 

S’en requier merci. 


XIII, 2. Dame, car me pardones 

Ce que je vos al iree 
Et ma chancon retenes, 
Vos n’en seres ja blasmee; 
Dame, par vos, qu'esgardai, 
Le trovai; 
La jornee 
Si fu mult desvee, 
Que vos corroucai, 
Se mal trai 

etc. 


XII, 3. Bien eroi que sui enganes 
Par ma dure destinee; 
Dame, se vos m’oublies, 
Trop grant perte ai encontree, 
Estre doi tant con vivrai 
En esmai; 
(Quant trovee 
Euc amor loee, 
Son commant passai; 
Se mal trai 
etc. 


XIII, 4. Dame, vos ceuers est ires 
Par ma deserte dervee; 
Dex, con je fui enchantes, 
(Juant crei gent parjuree 
Et vo commant refusai! 
Mal ovrai, 

Douce nee, 
Ma joie est finee, 
Se vo merei nal. 
Se mal trai 

etc. 


61 


62 H. WAITZ, 


XII,5. Franche riens, car m’esgardes! 

S’aurai jole recouvree, 
Vos hom sui et vos jures, 
Vos sers desous vostre espee. 
Jamais ne vos mesferai, 
Ains querrai 
Qwiert doublee 
Vo rente a duree 
Desi que morrai. 
Se mal trai 

etc. 


XIII, 6. Chanconete, querre ires 
La meillor de la contree, 
Ma dame, a cui sui remes. 
Quant tu l’auras saluee, 
A Yfeme te retrai 
Et tant fai, 

Que chantee 
T’ait la bien senee, 
Miex t’en priserai. 
Se mal trai 

etc. 


XV. 


M 131a, a91v (Ars. 3101 p. 193), T 34, K 297. Hg. von Scheler 100 ff. nach 
M collationiert mit T. Das Geleit nur inM, T. 


XIV, 1. Je n’eusse ja chante 
Nul jour par mon essient, 
S’amours ne m’eüst done 
Le sens et l’entendement 
Et puis qw’amours le m’aprent, 
Drois est que ma chancons paire 
Envoisiement. 
Chans sovent 
Doi bien faire 
Pour la bele u je me rent. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


XIV, 2. S’ele m’avoit fait bonte 
D’un seul regart doucement, 
‚J’averoie conqueste 
Bien, honor, joie ensement; 

Et s’ele raison entent, 

J’ai de ma mort essamplaire, 
Qu’al droit jugement 
Voirement 

Ne doi plaire 

A li, tant a le cors gent. 


XIV, 3. Encore averai son gre 
S’esperance ne me ment, 
Je n’ai nule söurte 
Fors de l’espoir seulement. 
Si tres dous recordement 
Mi sont si fin debonaire, 
Que par aus consent 
Bonement 
Mal qui maire 
Moi si que partout m’en sent. 


XIV, 4. Dex, tant aurai desirre 
Et desir qua son talent 
Eüst voloir que sante 
Me donast, car je l’atent 
De li et d’autre noient 
Et quant merci n’en puis traire, 
Desconfortanment 
En tourment 
M’en repaire 
Dusqwa son eommandement. 


XIV, 5. Onques vers li n’oi pense 
Qui finast vilainement, 
Ains serf et s’ai volente, 
Que servirai lolaument 
Ma dame, si vraiement 
Proi dieu, que le euer m’esclaire 


654 H. WAITZ, 


En alegement 

kt s’ament 

Mon contraire 

Si voir quW’a nul mal nm’ tent. 


XIV, 6. Au Bouteillier face present 
Colart de mon chant, retraire 
Le doit a la gent. 
Plus esprent 
Sans mesfaire 
Ses cuers d’onor qu’autre cent. 


XV. 


M 131b, T 35, a 91 (Ars. 3101, p. 191). Der Anfang fehlt in a, das Gedicht 

beginnt hier erst mit Str.3, v.3. Hg. von Scheler 98 ff. nach M collationiert 

mit T. Hier ist der Text nach a festgestellt, so weit die Hs. das Gedicht 
enthält. 


XV, 1. ‚Je fesisse chancons et chans 
Miex c’onques mais et plus sovent, 
Mais il par est si tres chiers tans 
De merci, que n’en truis noient. 
Je ne sai u ele maint, 
Ne je ne truis qui m’i maint, 
Ne ja biaus chans ne fera, 
Qui joie n’aura. 
Helas! jen sui trestous nus, 
Desvestus. 


XV, 2. Or iert asses tost aparans 
Li maus qui ou cuer me reprent, 
A tous jours i sera manans, 

Se ma dame ne le desfent. 

Je sai bien, qwele s’en faint 
Et si n’est nus qui tant laint; 
Mais si tost com li plaira, 

Me confortera f 

De joie, dont sui tous nus, 
Desvestus. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 65 


XV,3. Sa grans biautes, ses dous sanlans 
Et si tres bel contenement 
M’ont pris et amors li poissans 
Mi mist a son coumandement, 
Car tous cuers fors le sien vaint. 
Dieus! tant m’angoisse et destraint 
Li maus que jıai grant piecha, 
Enfin m’ochirra, 
Car de joie sui tous nus, 
Desvestus. 


XV, 4. Samblant fac que soie jolans 
Tel fois que jai le cuer dolent, 
Car ne ueil que mes couvenans 
Sachent felon ne male gent, 
Par qui tous grans biens remaint. 
Dame dont faus hom ataint 
L’amour, ja n’en partira, 
Anchois en sera 
Ses cuers de joie tous nus, 
Desvestus. 


XV, 5. Coument que mes fais soit pesans, 
Tous jours servirai loiaument. 
Dehait ait faus cuers et glaicans, 
Qui pour S’amie trair ment! 
Devant li fait un faus plaint; 
E! dieus pourquoi ne li paint 
Ou front chou quw'il pense la! 
‚Joie venist cha, 
De quoi je sui trestous nus, 
Desvestus. 


XV, 6. De feme ce dient maint 
Que cil aore a bon saint, 
Qui amours et amie a. 
De moi que sera, 
Qui de joie sui tous nus, 
Desvestus! 
Festgabe für Gustav Gröber, 5 


66 H. WAITZ, 


XVl. 


M160r, a8) (s. Ars. 3101, 166r), N68b, X 100a, R115r, P193v, K 145, 
U 144v. Hg. von Scheler p. 86 ff. nach X, collationiert mit U, M und N. In 
M und a ist das Gedicht dem Robert de le Piere zugeschrieben, in KNX steht 
es unter den Gedichten des Gillebert, in P, R und U unter den Anonymen. 
M und a haben mit RNKXP die drei ersten Strophen gemeinsam, die vierte 
Strophe von RNKXP entspricht der vierten Strophe in a, während die fünfte 
Strophe jener Hss. der vierten Strophe in M entspricht. Das Geleit findet sich 
nur in M und a. U teilt mit den übrigen Hss. die zwei ersten Strophen und 
lässt denselben noch zwei Strophen folgen, von denen die erstere andere Reime 
als die vorhergehenden Strophen hat und nur durch den Schlussvers mit dem 
Gedicht verknüpft ist. Die letztere Strophe gehört offenbar nicht hierher. 
Ich teile diese Strophen des Interesses halber unter den Lesarten und An- 
merkungen mit. Der folgende Text ist nach M festgestellt. 


XVI, 1. He amors, je fui norris 
En vostre covent 
Et euidai manoir toudis 
En vos ligement, 
Sans ja desevrer; 
Mais je n’i porrai durer, 
Ce m’est avis, 
Car de toutes pars sui assaillis, 
Si n’ i ai mort deservie, 
Mais bien vueill qw’amors m’ocie. 


XVI, 2. Aine mais nus si entrepris 
Ne fu por noient, 
N’onques si lojaus amis 
N’ot tant de torment 
Con jai por amer, 
Car ceus ou me doi fier, 
Truis anemis. 
Dex m’en doint venjance a mon devis, 
Car n’ i ai mort deservie 

etc. 


XVI, 3. Mult est mes cuers. esbahis 
Qui tant de maus sent, » 
Si nes ai pas deservis - 
Ne ne sai coument 4 


GILLEBER’' DE BERNEVILLE. 


Les puisse eschiver. 
Helas! por li foi porter 
Sui je trais, 
Si que des mauuais en sui hais, 
Sin’ i ai mort deservie 
etc. 


XVI, 4. Et puisque sui envais 
De si male gent, 
Dame, ou jai tout mon cuer mis, 
Car aies talent 
De moi conforter, 
U je ne puis eschaper 
De leur mains vis; 
Et se vous voles, g’ere garis, 
Car n’ i ai mort deservie 

etc. 


XVI, 5. Tout le pooir mout pou pris 
Et le nuisement 
De ceus dont je suis faidis, 
S’en vo biau cors gent 
Puis merci trover. 
Aidies me a resvigorer, 
Car vos porfis 
Iert, s’eschaper puis sans estre oeis, 
Car n’ i ai mort deservie 

etc. 


XVI, 6. Damoisele de grant pris, 
Tasse, proies l’ent 
Qua ceus par cui sui nuisis 
Prende vengement. 
Par moi rapeler 
Les cuers lor feroit crever. 
De ce sui fis 
Et je n’ai pas ces maus deservis 
Et quant n’ai mort deservie, 
N’est pas drois qu’amors m’ocie. 


68 H. WAITZ, 


XVH. 


a93 (s. Ars. 3101, 197), N67d, K 145, P 116b, X 99d, U 153v und 158v. 
Hg. von Scheler p. 120 ff. nach N, collationiert mit P,X. Dem folgenden Text 
liegt a zu Grunde. Die Redaktion von a weicht in verschiedenen Punkten 
von derjenigen der übrigen Hss. ab. Zunächst sind Str.2 und 3 von a in den 
anderen Hss. umgestellt. Der Anfang von Str. 4 ist verschieden in beiden 
Redaktionen. Die Hss. NKPXU enthalten ein Geleit, das nicht in a steht, 
während die fünfte Strophe von a jenen Hss. fehlt. Da jenes Geleit andere 
Reime hat als die übrigen Strophen, so sehe ich es nicht als ursprünglich an. 
Ich teile es unter den Lesarten und Anmerkungen nach X mit. 


XVII 1. Cuident dont li losengier 
Pour chou se il ont menti, 
Que jou me doie eslongier 
D’amours et de mon ami? 
En non dieu! ains l’amerai 
Et bone amour maintenrai 
Nuit et jour 
Sans penser folour, 
Et g’ere envoisie, 
Chantans et jolie. 


XVII, 2. J’ai au cuer un messagier 
D’amour eourtois et joli, 
Qui me fait esleechier; 
Chascun jour parole a mi 
Et me dist que je vaincrai 
Mesdisans et requerrai. 
Traitour 
Morront a dolour, 
Et g’ere envoisie, 

etc. 


XVII, 3. ‚Ja ne me kier esmaier 
Des mesdisans dirai fi, 
S’amerai mon ami chier. 
Dieus, car fust il ore chi, 
Li biaus, li dous au cuer vrai! s 
Ains si courtois n’esgardai. - 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 69 


J’ai amour, 
El mont n’a meillour; 
S’en sui envoisie, 

etc. 


XVII, 4. Mesdisans, de vo gaitier 
Jou ne donroie un espi! 
Or eroissent vostre encombrier! 
Car jai le euer si hardi, 
Voiant vous acolerai 
Mon ami, quant le venrai. 
A ches tour 
Kenres en langour, 
Et g’ere envoisie, 
etc. 


XVII, 5. Petit fait dame a proisier 
(Qui por vilain euer hai 
Laist bone amour abaissier. 
Je sui qui pas ne l’otri; 
Endroit moi amonterai 
Bone amour tant con vivrai. 
Menteour, 
Je vif en baudour 
Et sui envoisie, 
Chantans et jolie. 


XVII. 


M133b, T171v, a92 (s. Ars. 3101, 194), V iilv. Hg. von Scheler, p. 60 ff. 

nach M. Die anderen Hss. hat er nicht gekannt. In T sind Strophe 3 und 

4 umgekehrt, aber mit Unrecht, denn mais g’espoir kK'aurai ale kann nur 

durch die dritte Strophe begründet werden, in welcher der Dichter von den 

losengiers spricht. Strophe 4 fehlt in V. Dem vorliegenden Text liegt a zu 
Grunde. 


XVII, 1. Amours, vostre seignourie 
M’estuet recorder; 
Vos faites a la foie 
En euer oublier 


70 H. WAITZ, 


Raison; je l’oublie 

Par trop haut amer, 

Mais pour che desconforter 
Ne me doi, k’espoir m’afie 
Que jaurai amie. 


XVIII, 2. Ma dame ai de moi saisie 
Sans desireter, 
Amours l’en a fait baillie, 
Ne m’en kier sevrer, 
Que bon m’ est; s’en prie 
Pite k’esprouver 
Se vueille en bien assambler 
Cheste amour, que gens hajle 
Ne le sachent mie. 


XVIII, 3. Quar par leur grant felounie 
Font maint cuer irer, 
Mainte joie ont atargie 
Par leur controver. 
Felon, vostre envie 
Fait mult a douter, 
Quar che samble a vo parler 
Qwil ni ait fors courtoisie 
Et ch’est tout boisdie. 


XVII, 4. Mais g’espoir K’aurai aie; 
Che me fait chanter. 
Il m’est vis, que que nus die, 
Par bien esperer 
A on plus jolie 
Vie qu’a penser 
C’on ne porroit achiever; 
Puis k’esperanche est faillie, 
‚Joie est abaissie. 


XVIII, 5. Nepourquant ain je la vie 
Qui sans destourner  _ 
Me fera, koi que nus die, 
Le mort endurer, 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 71 


Se don ne m’otrie, 

Dont puisse amender, 
Amours, qui si set ouvrer 
Que sens et raison maistrie 
Et droit afeblie. 


XIX. 


O 9ı1c, R 118, V43v, N 69c, K 149, X 102a. Strophe 5 nur in N und R, wo- 
gegen in R das Geleit fehlt. Hg. von Scheler p. 113 ff. nach N, collationiert 
mit O, V und X. 


XIX, 1. Onques d’amors n’oi nule si grief paine 
Qui mi fesist nul jor desesperer, 
Tant aim de cuer sans pensee vilaine 
Cele du mont qui plus fait a loer. 
Bien m’est amors et nuit et jor prochaine, 
Qu’el cuer mi maint, ne mi verra aver, 
Car je li doing, quanque li puis doner 
Et euer et cors et pensee souvraine. 


XIX, 2. Onques amors ne fu de moi lointaine, 
Ne je de li tres ce que soi amer, 
Tout a mon cuer en son lige demaine 
Et si sai bien que ne m’en puis sevrer. 
Longue atente tant soit a moi grevaine, 
Tant m’a conquis qw'el mi fait aourer 
Li, et la croi, tant qu'el me fait sembler 
Que c’est li dex de la joie mondaine. 


XIX, 3. Cele qui jjaim, est tant de bonte plaine 

Qwil m’est avis que la doi comparer 
A l’estoile qu’on nomme Tremontaine, 
Dont la bonte ne puet onques fauser, 
Le marinier parmi la mer hautaine 

Fait ravoier et a droit port sigler, 

Et set et voit quel part il doit aler, 
Par l’estoile dont la vertu est saine., 


12 H. WAITZ, 


XIX, 4. Ausi vous di, qui forsvoie en outrage, 
En fausete, en penser folement, 
S’il veut en bien muer son fol usage, 
Voist esgarder le biau contenement 
Et la valor de la tres bone et sage; 
Ravoies ert en bon enseignement, 
Com marinier a qui l’estoile aprent 
Parmi la mer le plus söur passage. 


XIX, 5. Tant set, tant vaut, tant a loial corage 
Que tous li biens en li croist et se prent, : 
Honor a pris en son cuer son estage, 

Si ne porroit manoir plus hautement, 

Ne ou feist plus de son avantage; 

Ce e’onnor veut, veut ses cuers bonement. 
Pour ce me lo d’amors, qui la me rent 
Et met mon cuer de tout a heritage. 


XIX, 6. Cuens d’Anjou, jai mis mon cuer en ostage 

Que vers amors n’ouvrerai faussement; 

Tous jors serai loial en son homage. 

He! fils de roi, car li faites present 

De vostre cuer, ja n’i aures damage, 

Et s’en croistra vostre honor ensement, 

Car il west nus, se fine amor l’enprent, 

Ne soit ades plus cortois son aage. 


XX. 


U 110r, C Nr. COXXXIV (se. Herr. Arch. 42. 343), X 101c, O 65d, N 69, K 148, 

V43r. Das Geleit steht nur in C. Strophe 4 fehlt inO. In U steht Strophe 4 

an zweiter Stelle, Strophe 2 an dritter, Strophe 3 an vierter. Hg. von Scheler 
p. 92 ff. nach C. 


XX, 1. J’ai souvent d’amors chante, 
Encore en chant, 
Touz jors sui et ai este 
En son comant. 
S’a la foiz m’a fet dolant 
Et desconforte, 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 73 


Or m’a si bien assene 
Qu’a mon vivant 

N’oi mais tant 

‘ De joie a ma volente 
N’a mon devis, 

Con en amer Biatris. 


XX, 2. Cil qui sont espoönte 
Et esmaiant, 
Par femme sont tost mate 
Et recröant; 
Or ferai plus que devant 
De jolivete. 
Por ce s’on m’ a marie, 
N’ai je talant, 
Pou ne grant, 
(Que ja soient mi pense 
Aillors assis 
Qu’a la bele Biatris. 


XX, 3. Toutes dames ont bonte, 
Mien esciant, 
Mais sachies, por verite 
Le vos cröant, 
Que la lune tost luisant, 
Soleil en este 
Passe de fine clarte, 
N’a son semblant 
Ne se prent 
Ne a la tres grant biaute 
Ne au dous ris 
De la bele Biatris. 


XX, 4. Clers soleus sans tenebror, 
Enlumines, 
Passe toute autre luor, 
Bien le saves. 


74 H. WAITZ, 


Autresi a sormontes 

Touz cuers de valor 

Cele qui de toute honor 
Est dame et cles. 

Ja mes gres 

N’iert que j’aie bien nul jor 
Nes paradis 

Sans la bele Biatris. 


XX, 5. DBele dame, qui j’aor, 
Qui tant vales, 
Je me tieng a grant seignor, 
Quant mes penses 
Est en vos servir tornes, 
Et por vostre amor 
Sui de mon cuer sans retor 
Desherites; 
Vous l’aves, 
Si que n’ai mal ne dolor, 
Tant m’esjois, 
Quant j’oi nonmer Biatris. 


XX, 6. Dame d’Audenarde, oies, 
Si sentes tristor. 
Or n’en ales ja paor; 
Tost la perdres, 
S’aprendres 
Mon chant; de si grant savor 
Et de tel pris 
Est li haus nom Biatris. 


XXI 


a 113v (s. Ars. 3101. 242), N 17T1r, K 352v, X 226d. a hat eine von NKX 
verschiedene Lesart. Gemeinsam sind beiden Redaktionen nur zwei Strophen, 
i und 4. Die letztere erscheint bei der N-Gruppe als zweite Strophe und 
weicht im Einzelnen sehr von a ab. Sie gehört:meiner Ansicht nach an die 
zweite Stelle, wie bei a, da erst nach Beschreibung ihres Vergnügens der 
Dichter sagen kann: ‘chaseuns s’est bien aatis q’il feront feste nouuele”. 
Strophe 2, mit Ausnahme des ersten Verses, der dem ersten Vers der dritten 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 75 


Strophe der N-Gruppe entspricht, Strophe 3 und 5 stehen nur in a, während 

andererseits der N-Gruppe zwei Strophen eigentümlich sind, die ich unter 

den Lesarten nach K mitteile. Hg. von Scheler p. 106 ff. nach a und von 

Bartsch, Altfranz. Romanzen und Pastourellen, p. 268f. Das Gedicht ist im 
folgenden nach a mitgeteilt. 


XXI, 1. Lautrier d’Ais a la Chapele 
Repairoie en mon pais; 
Dales une fontenele 
Truis pastouriaus duska sis, 
Les cascun sa pastourele; 
Mult orent de leur delis, 
Car aueuc aus estoit Guis, 
Qi leur cante et kalemele 
En la muse au grant bourdon: 
‘Endure, endure, enduron, 
Endure, suer Marion”. 


XXI, 2. Dist Drieus: ‘Li cuers me sautele, 
Leuons sus! Trop auons sis. 
De la mucoire a 1’ aissele 
Sai les tours grans et petis: 
Entre moi et Perounele 
L’auons use et apris; 
Tost nous ara a point mis 
Guis, qi cante et qalemele 
En la muse au grant bourdon: 
‘Endure, endure etc. 


XXI, 3. Sur lerbe frece et nouuele 
A caroler se sont pris. 
Jascuns ot e(h)apiau d’asprele 
Et e(h)acune en son chief mis. 
Heluis ne fu muele, 
Ains cantoit si a deuis 
K’a son cant s’acordoit Guis, 
Qi leur cante et kalemele 
En la muse au grant bourdon: 
‘Endure, endure etc. 


76 H. WAITZ, 


XXI, 4. Foukes, Drieus et Perounele, 
C(h)aseuns s’est bien aatis 
@'il feront feste nouuele, 
Ains que past li sains Remis; 
Si aura cascun cotele 
D’icest an fors de Paris (a: fore) 
Aueuec aus ert uestus Guis, 
Ki leur cante et kalemele 
En la muse au grant bourdon: 
‘Endure, endure etc. 


XXL 5. Lors dist Drieus: ‘La tourterele 
Doit bien auoir Heluis, 
Car bien cante, et la fisele 
Aura Ersent au grant pis, 
Les wans et la e[hJainturele 
Douroumes a Beatris, 
Et no trois cores ait Guis, 
Qi nous cante et kalemele 
En la muse au grant bourdon: 
‘Endure, endure, enduron, 
Endure, suer Marion”. 


XXI. 


M 133c, T172r, a 92 (s. Ars. 3101, 195), C Nr. XLV (s. Herr. Arch. 41. 367). 

In © stehen nur Strophe 1 und 2, worauf noch eine dritte folgt, die C allein 

angehört. Ich teile sie unter den Lesarten mit. Das Geleit findet sich nur 

in M und T. In M und a steht dies Gedicht unter denen des Giliebert, in C 

und T anonym. Hg. von Scheler p. 64 nach M, collationiert mit C und T. 
Dem folgenden Text liegt a zu Grunde. 


XXI, 1. Aucunes gens m’ont enkuis 
Se jaim pour che que je chant. 
Oil! Mult sui esbaudis, 
Quant il ne sont perchevant 
En quel lieu j’ai mon cuer mis, 
Et si sui je vrais amis. e 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 77 


S’amerai tout mon vivant 

La mieus vaillant 

O’on puist trover. 

Je doi bien pour tele amour chanter. 


XXH, 2. Chanter doi, che m’est avis, 
Quant j’aim dame si sachant, 
Bele de cors et de vis, 
Courtoise et bien avenant. 
Si ai grant soulas conquis, 
Quant pour s’amour sui jolis, 
Et seele me fait samblant 
De cuer joiant, 
Ch’est sans fausser. 
Je doi bien pour tele amour chanter. 


XXH, 3. J’ai pour bone amour empris 
A valoir et nonpourquant 
Sui je merveilles pensis, 
Se je porrai servir tant, 
Que li grans biens soit meris 
K’amours m’a fait; pou apris 
Me trouva et non sachant; 
En amendant 
Me fait muer. 
Je doi bien pour tele amour chanter. 


XXI, 4. Si servirai bonement 
Ma dame, bien puet de moi 
Faire son coumandement, 
Tous jours li porterai foi 
Con fins amis loiaument. 
Ainsi mi doins ligement, 
Ne je fausser ne li doi, 
Car tous biens voi 
En li doubler. 
Je doi bien pour tele amour chanter, 


78 H. WAITZ, 


XXH, 5. Amours, puis k’a vous me rent, 
Pour dieu, gardes moi d’anoi! 
Vostre sui entierement 
Et a ma dame m’otroi. 
Se je sui a son talent, 
‚J’os bien dire a toute gent 
Que bien mon serviche emploi, 
Ne ja de soi 
Ne kier tourner. 
Je doi bien pour tele amour chanter. 


XXI, 6. Dame, mon chant en present 
Vous envoi premierement. 
Fait m’ares signour et roi, 
Se le vous oi 
Por moi loer. 
Je doi bien pour tele amour chanter. 


XXI. 


T fol. 36 und fol. 167. Ersteres ist bei Angabe der Lesarten mit a, letzteres 

mit b bezeichnet. Fol. 36 ist es das letzte von neun Gedichten des Gillebert, 

während es fol. 167 dem Robert de le Piere zugeschrieben ist. Hg. von Scheler 
p. 102 ff. und von Dinaux III (Trouveres artesiens), p. 418 f. 


XXIII, 1. Joliement doi chanter, 
Puisque fine amours m’en prie; 
Si ferai chancon jolie; 
Ce ne puis je refuser, 
Car si sui siens sans fauser 
Ke n’est drois ke l’escondie, 
Ne ja nul jour de ma vie 
Ne m’en partirai, 
Amouretes ai jolietes, s’amerai. 


XXIH, 2. Se nus hom doit bien amer 
Pour sens ne pour courtoisie 
Ne pour bone compaignie, 
C’on puist en dame trover, - 
Sans vilonie penser - 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 79 


Doit estre en sa baillie 

Mes cuers, qui tos jors li crie 

ÖO’ait de moi pite. 

N’ os aler, si envoi un tres douc pense. 


XXILH, 3. Si puisse jou conquester 
S’amour, qui si me maistrie 
Com je l’ai de euer servie 
Sans nul bon point esqiver, 
Et ferai, ne recovrer 
N’ i quier, s’a droit deservie 
Ne l’ai si bien c’amours die 
C’ases ai souffert. 
Je proi amours que nus n’ait amie, s’il ne la desert. 


XXI, 4 De chou me doi jou douter 
Par droit, car je ne quie mie 
Ü’om puist deservir amie 
Pour nule paine endurer; 
Mais dame puet bien douner 
La, u ses euers li otrie, 
De ses biens, et ce m’afie 
Que j’aurai merci. 
Ma loiaus pensee tient mon euer joli. 


XXIII, ‘5. Dex, con fait dame a loer, 
Ki est de tel signorie, 
Quant ses cuers tant s’umelie 
K’il daigne guerredoner, 
Dont en ont au droit parler 
Li bon la millour partie. 
S’ert grans tors, s'ele m’oublie, 
Ki l’aim loiaument. 
Hareu, je muir d’amouretes, biaus dous cuers alegies m’ ent. 


XXIII, 6. Chancon, va t’ent presenter 
A Copin, qui escouter 
Te fera, si li afie 
Que ja de moi n’iert guerpie 
Gele qui jaour. 


80 


H. WAITZ, 


XXIV. 


a112v (s. Ars. 3101, 241) unter dem Namen des Gillebert. 


P 83. 


N 98v, K 204, 


In diesen drei Hss. ist das Gedicht dem Jehan Erars zugeschrieben. 


Hg. v. Scheler p. 9$ ff. nach a und von Bartsch, Rom. und Past. p. 266 ff. 


nach derselben Hs. 


XXIV, 1. Dales Lonepre u boskel 
Erroie avant ier, 
La vi mener grant revel 
Enmi un sentier 
Une jolie tousete, 
Sage, plaisant et jonete. 
Dieus, tant m’abeli, 
Qant seule la vi! 
Et la bele tout ensi 
Enprint a chanter: 
‘Robin, cui je doi amer, 
Tu pues bien trop demourer”. 


XXIV, 2. Je le salu au plus bel 
Que jou poi raisnier, 
Puis li dounai mon chapel 
Pour moi acointier. 
Qant jou vi sa mamelete, 
Qi lieve sa cotelete, 
Mes bras li tendi, 
Si le trais vers mi, 
Et la bele tout ensi 
Enprint a chanter: 
‘Robin, cui je doi amer etec.”. 


XXIV, 3. Je Vassis les l’arbrisel, 
Si le vauc baisier. 
Ele dist: ‘Sire dansel, 
Ce n’öust mestier; 
Je sui une meskinete, 
Nue de dras et povrete, 
Et sacies de fi 
Que j’ai bel ami’, = 


Dem folgenden Text liegt ebenfalls a zu Grunde. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


Adone recoumence ensi 
La bele a chanter: 
‘Robin, eui je doi amer, etc.’ 


XXIV, 4 ‘Sire, jai ami nouvel, 
Tout a souhaidier; 
Je cuit q’il est u vaucel 
Dales cel vivier.’ 
Robin soune sa musete, 
Dont dist a moi la doucete: 
‘Tournes vous de ci, 
Sire, je vous pri”. 
Et dont recoumence ensi 
La bele a chanter: 
‘Robin, eui je doi amer, etc.’ 


XXIV, 5. ‘En lieu de vo pastourel, 
Bele, m’aies cier. 
Ma c/hlainture et mon anel 
A cest: coumencier 
Ares, ma douce amiete”. 
Adone le mis sus l’erbete, 
Mie ne failli, 
Mon bon aconpli. 
Adonec recoumence ensi 
La bele a chanter: 
‘Robin, eui je doi amer, etc.’ 


XXIV, 6. Sire de lonc, ja muel 

N’auront recouvrier, 

Ne ja n’auront leur avel 

Li couart laisnier. 

‚J’entrepris la baiselete, 

Toute fis la foliete 

La soie merci. 

(ant je m’en parti, 

Adone recoumence ensi 

La bele a chanter: 

‘Robin, eui je doi amer, 

Tu pues bien trop demourer”, 
Festgabe für Gustav Gröber. 


8 


82 H. WAITZ, 


XXV. 


T 35 und $84v, wo das Gedicht dem Gillebert zugeschrieben ist, während es 

in M 174d unter dem Namen des Guiot de Dijon steht. Hg. von Scheler p. 74. 

Eine Abschrift von M verdanke ich der bekannten Freundlichkeit des Herrn 

Deprez, conservateur au departement des manuscrits an der Bibliotheque 

Nationale. Bei Angabe der Lesarten bezeichne ich das Gedicht auf p. 35 mit 
a, das andere mit b. 


XXV, 1. De moi doleros vos chant, 
Je fui nes en descroissant; 
Onques n’euc en mon vivant 
.lI. bons jors. 
J’ai a non meschöans d’amors. 


XXV, 2. Ades vois merei criant. 
Amors, aidies vo serjant, 
N’aine n’i peuc trover noiant 
De secors. 
J’ai a non meschöans d’amors. 


XXV, 3. He, traitor mesdisant! 
Vos estes si mal parlant. 
Tolu aves maint amant 
Lor honors. 
J’ai a non mescheans d’amors. 


XXV, 4. Certes, piere d’aymant 
Ne desirre le fer tant 
Con je sui d’un douc samblant 
Covoitos. 
J’ai a non mesch@ans d’amors. 


XXVl 


M 132a. Hg. von Scheler p. 109 ff. und die drei ersten Strophen sind gedruckt 
Dinaux II, 199 £. | 


XXVI, 1. Li joli pense que j’ai, 
Me vienent de fine-amor, 
Et ce que ma dame sai : 
Bone et sage et de valor, 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


Me conforte et tient en joie; 
Et se je pooie 

Passer la meillor 

C’on sache de faire honor, 
Por ma dame le feroie. 


XXVI, 2. Jamaiz n’entroublierai 
Un ris, qui vint de doucor, 
Qu’ele fist, quant l’esgardai. 
Mes ne di pas tel folor, 
Que por moi fust. Je faudroie 
Ne voir ne diroie, 
Mes de tel savor 
M’est el cuer que nuit et jor 
Me samble quw’ades la voie. 





XXVI 3. Dame, je vos ai done 
Mon cuer sanz ja departir; 
S’il pooit estre a vo gre, 
C'est la rien|s] que pluz desir. 
Dame franche et debonaire! 
Se savoie faire 
Le vostre plaisir, 
Mieuz ameroie a morir 
Que nus m’en veist retraire. 


XXVI, 4 Tant ai en amors trove 
Que toz jors la vueill servir; 
Ele m’a fait tel bonte 
Que bien le doi descovrir; 
Car de son douz essamplaire 
Me fait del euer traire 
Mes chanz et furnir, 
Et me fait as bons chierir; 
Tele honor me doit bien plaire. 


XXVL 5. Pluz c’onques mais me sui mis 
En amors novelement. 
Dame! je serai toz dis 
Vos hom de cuer ligement, 
6* 


83 


84 


H. WAITZ, 


Tant qwaurai el cors la vie, 
Et se cortoisie 

En vo cuer descent, 

Qui tort a moi du present, 
Iert mainte chancons oje. 


XXVI, 6. Ma chancons iert envoie 
A la seignorie 
Que jaim loiaument. 
S’iert bien mise et hautement, 
Se de li est recueillie. 


XXVL. 


U 140v, C Nr. XLVII (s. Herr. Arch. 41. 368), 09, R89r, V44v, N 70d, 
K 152, X 233d, F99b (s. P. Meyer, Arch. des miss. sc. et litt. 2me serie 
vol. III, p. 290). Hg. von Scheler #1ff. Strophe 3 und 5 fehlen in U, 
andererseits steht in U eine vierte Strophe, die, wie die Reime zeigen, nicht 
ursprünglich ist und von einem sehr mittelmässigen Dichter herrührt. Die 
Abschrift von F, welche P. Meyer an der angegebenen Stelle veröffentlicht 


hat, enthält nur Strophe 2, 3. 


XXVI, 1. Au nouviau tens que l'ivers se debrise, 
(Que roussignol chantent et main et soir, 
De bien amer a mes cuers fait emprise 
Gele a qui sui liges sans decevoir. 
Par ma chancon li ferai a savoir: 
Ma grant joie ou mon mortel juise 
Or soit du tout a son cortois voloir. 


XXVII, 2. Douce dame, amee sans faintise 
De cuer, de cors, de desir, de voloir! 
Bien ai ma mort et porchacie et quise, 
Se de vos n’ai qui me face valoir. 
He franche riens, ou j’ai mis mon espoir, 
Alegies moi par vostre gentillise . 
Ces cruels maus, qui si me font doloir. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 85 


XXVIL,3. Chascuns se plaint d’amors, qui le justise, 
Et jen sui lies plus que de nul avoir, 
Car jaim ma dame ades en itel guise: 
Grant mal mi fait et pis vauroie avoir; 
Qui bien aime, en gre doit recevoir 
Les maus d’amors, car ele a tel franchise, 
Que nus sans li ne puet grant joie avoir. 


XXVII, 4. Haute valor, dame, s’est en vos mise, 
Plus en ia qw el char David d’avoir; 
Cil m’oeit bien qui devant moi vos prise, 
Quant je de vos ne puis noient avoir. 
He, bone amor! Je fis de vos mon hoir, 
Tout vos donai, quant je vos oi aprise. 
Itel mestre deyroit chascuns avoir. 


XXVIL 5. De cele amor, qui m’alume et atise, 
Ne me quier ja partir ne remouvoir; 
En mon cuer est com aimant assise, 
Ne nus fors deu de l’oster n’a pooir. 
Tout li ferai son bon et son voloir, 
Ne ja par moi niert autrement requise; 
Atendans sui et serai de l’avoir. 


XXVII. 


M 133a. Hg. von Scheler p. 52 ff. 


XXVII, 1. Ades ai este jolis, 
Bien m’en vant, 
Encor le serai toz dis 
Mon vivant, 
Et ferai chancon plus lie 
C’onques ne fis por itant, 
Que cele, cui jaim, me prie 
Et dit a moi que je chant. 
S’en ai le euer pluz joiant. 


86 


H. WAITZ, 


XXVIH, 2. Sa biautez et si douz ris 
Plaisent tant 
A moi, que jai en li mis 
Ligement (M ligemant) 
Mon cuer, qui ne se faint mie 
De faire tot son commant 
Loiaument sanz vilenie, 
Quant remir son douz samblant. 
S’en ai le cuer pluz joiant. 


XXVIIL 3. Li trahitor mal apris 
Souduiant 
Ont tant fait que lor amis 
Ne demant 
A estre. Dex les maudie! 
Il ont este mi nuisant, 
Mes cele a tant seignorie, 
Qui jaim, que nes proise un gant. 
S’en ai le cuer pluz joiant. 


XXVII, 4. Dex por quoi suefre anemis 
A tel gent, (M gant) 
Qui ont en fais et en dis 
Loiaument (M loiaumant) 
Toz jors bone amor chierie, 
Et de tant vait malement (M malemant) 
As felons. De lor envie 
Se dolent premierement. 
S’en ai le cuer pluz joiant. 


XXVII, 5. Qui seroit loiauz amis, 
Vraiement (M vraiemant) 
Vos di et s’en sui toz fis: 
Doublement (M doublemant) 
Seroit la painne merie. 
Michiel de Chastel, mon chant 
Vos envoi, car cortoisie 
M’avez fait et bonte grant. 
S’en ai le cuer pluz joiant. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 87 


XXX. 
M 134a. Hg. von Scheler p. 96 ff. 


XXIX, 1. Jamais ne perdroie maniere 
De chans ne de chancons trover, 
Se ma tres douce dame chiere 
Me voloit sanz pluz commander 
Que je chantaisse liement. 
Ce ne li greveroit noient, 
Et si m’auroit mon sens double 
Et toute ma jolivete. 


XXIX, 2. Mais quant pluz l’aim, pluz la truis fiere, 
Et si ne sai ailleurs penser; 
Trestoute ma poissance entiere 
Ai mis en son gent cors amer. 
Dire puet tot hardiement 
Que nule n’a commandement 
Seur moi fors ele en verite. 
Or me doint dex faire a son gre! 


XXIX, 3. S’ele me feist lie chiere, 
Toz mes chans vos(s)isse amender. 
Dame, vos estes coustumiere 
De si cortoisement moustrer 
Biau samblant a tote la gent, 

Et a moi faites mautalent, 
Qui euer et cors vos ai done; 
N’onques n’i quis fors loiaute. 


XXIX, 4. Quanque je faz, tot li anoie, 
Et si ne m’en sai conseillier. 
Amors! faites qua son gre sole, 
Mieus ne me porriez vos aidier. 
He dex! por coi me fait languir, 
Quant je m’otroi a son plaisir, 
Ne ja dex ne me doint pooir, 
Qwaie d’autre servir voloir. 


88 


H. WAITZ, 


XXIX, 5. Se por une autre l’oublioie, 
J’en feroie mainz a prisier, 
Car certes, je ne me porroie 
Nule part si bien emploier. 
Par dieu! je aim mieuz a servir 
En bon espoir, sanz plus joir, 
Qu’avoir d’une autre et main et soir 
Toz mes solaz par estovoir. 


XXX. 
b 168b (s. Ars. 3102, 86). 


Gilebert de Berneuille a la dame de Gosnai. 


XXXI, 1. Dame de Gosnai, gardez 
Que soiez bien conseillie. 
A Robert Bosquet parlez 
Tant quil soit de uostre ale. 
Je uous part: seignor aurez; 
S’a uo uoloir le prenez, 
C’iert sans le gre uos amis, 
Ensi est li jeu partis, 
Ou uous l’aurez par leur gre 
Maugre uostre uolente. 


XXX, 2. Gilebert, c'est grans wieutez 
A dame d’user sa ule 
Aueuc home qui amez 
N’est de lui, mes ne[l] doit mie. 
Contre tous mes foulz pensez 
J’aim miex faire pis assez (Ars. 3102: s’aim) 
Par leur los et par leur dis; 
A ce me tenrai tout dis 
Ne ja ne m’jert reprouue 
Qu’aie conseil refuse. 


XXX, 3. Dame, retenu auez 
Le piour en uo partie, 
De ioie uous departez, 

Si estes trop foruoie. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


Desormais [uous] soufferrez, 
Soulas trop malz sauourez, 
S’iert uos iugemens enquis 
As urais amans du pais, 
De ce qu’auez trespasse 
Ce qu’amours a commande. 


XXX, 4. Gilebert, uous mesprenez: 

Amours ueult bien et otrie 

Que ioie et ses biens doublez 

Ait dame qui se marie, 

Et ie eroi tant mes priuez 

Qu’a leur pooir m’iert donnez 

Autieux ou mieudres maris 

Que se ie l’&usse pris; 

S’aim bien ce que m’ont gree 

Et s’ai grant blasme eschiue. 


XXX, 5. Dame, bien sai que sauez 
Assez sens et cortoisie; 
Tant iert uo cuers plus desuez, 
S’amours est par uous traie. 
Pour dieu! Or uous repentez, 
Jamais Robert ne creez! 
Bien sai qwil a conseil mis 
A ce que uous auez pris. 
Portez amours loiaute, 
Si uous iert tout pardonne. 


XXX, 6. Gilebert, uous me tenez 
A sage et a bien norrie; 
Pourtant cuidier ne deuez 
Que ie face desuerie, 
Ains m’est li mieudrez remez: 
rn A (fehlt in der Hs.) 
Robert m’a bon conseil quis, 
Mais uous uous estes partis 
Du droit, sıauez mal ouure, 
S’aurez blasme et je bonte. 


89 


90 H. WAITZ, 


XXX, 7. Hue d’Arras, soustenez 
Le droit d’amours et parlez 
A deus drois de nos estris; 
En uous m’en sui du tout mis 
Et, s’il uous plest, si chantez 
Ce chant, quant apris l’auez. 


XXXL 


T 34, Q325b. In letzterer Hs. dem Adam de la Halle zugeschrieben. Dem 
folgenden Text liegt Q zu Grunde. Hg. von Scheler p. 125 ff. 


XXXI 1. Thumas Herier, j’ai partie 
Trovee, dont je vous part; 
A vous ju sans vilounie, 
Ne me tenes a musart, 
N’a felon gaignart, 
Car n’ i sai point de renart. 
Pour une tel manantie 
Com li Audefroi Louchart 
Vous demant, se vostre vie 
Guerpiries les pois au lart. 


XXXIL, 2. Par foi, Ghilebert, biau sire, 
Del prendre sui pourpenses; 
Se le mix n’en sai eslire, 
Bien doi estre faus clames. 
J’ai maisons asses, 
Partout sui bien hosteles; 
Hon qui piert chou qu'il desire, 
N’a mie grans ricetes; 
Quoi que vous en doie dire, 
Je me tieng as pois piles. 


XXXIL 3. Thumas, pourquoi mentiroie? 
Le pieur en aves pris. - 
Si li maisons estoit moie . 
Et li rente et li pourpris, 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


S’en fuisse saisis, 

Pour tous les pois du pais, 
Par saint Pol! ne le donroie. 
Si estes trop boins caitis 
Qui refuses si grant joie, 
Pour estre de pois farsis. 


XXXL 4 Ghilebert de Bernevile, 
Mon sens ne prisies deus nois. 
Nepourquant sacies sans ghile, 

Se j’estoie cuens u rois, 
Cascun jour trois fois 

Seroit de pois mes conrois. 
Te] joie ai, quant on les pile, 
Que j’en cant a hautes vois; 
S’avoie souhais trois mile, 

Je ne prendroie fors pois. 


XXXL 5. Thumas, grans sotie maire 
Vo euer a chou que je vol. 
Quant les gens orront retraire 
Chou que respondes a moi, 
A la boine foi! 
Vous di ensi com je eroi, 
Quil feront rostie faire, 
S’ares le don et l’otroi, 
Que vous en seres li maire, 
Si prendres des fourfais loi. 


XXXI 6. Ghilebert, quoi qu'il aviegne! 
Entresait les pois prendrai; 
Tant con des pois me souviegne, 
A nul jour mal n’averai. 
Tel eröante jai 
Que jes aim de cuer verai; 
Tant con l’ame me soustiegne, 
Pour avoir nes guerpirai, 
N’est dolours qui mon cuer tiegne, 
Quant a la table les ai, 


92 


H. WAITZ, 


XXXIL 7. Thumas, boinement 
M’en metrai en jugement. 
Je di que mal saves prendre. 
Or l’enqueres a tel gent 
Qui en sacent raison rendre; 
Je m’i metrai loiaument. 


XXXI 8. Ghilebert, mangier 
Ne vaurroie a souhaidier 
Fors pois; n’est riens qui le vaille. 
En Robert le Boutellier 
M’en met, comment quwil en aille, 
Et en Mikiel le Waidier. 


XXXI. 


C Nr. VI (Herr. Arch. 41. 348) unter dem Titel: jugemans d’amors, I, fol. 199b. 
Nr. 28 der Jeux-partis (s. Arch. f. d. Stud. d. neueren Spr. u. Litt. 98. 375). Hg. 
von Scheler p. 54 ff., Hofmann, Sitzungsberichte d. k. b. Ak. d. Wiss. 1887, 
I, 488 und teilweise von Dinaux IH, 53f. Der folgende Text ist nach © 


festgestellt, mit Collationierung von I. 


XXXIL, 1. Amors, je vos requier et pri 
Ke vos me faites jugement 
D’une amie et de son ami, 
Ki entr’ ame sont longuement, 
Des pues K’il furent jovencel; 
Or sont si grant ke del donsel 
A on piece a fait chevalier 
Asses prous; mais j’oi tesmoignier 
Ke il ne poroit barbe avoir. 
Puet l’amor durer ne valoir? 


XXXLH, 2. Gillebert, por verte vos di 
Ke la chose est si faitement 
Ke, pues ke l’uns l’autre a choisi, 
Je veul k’il aime loiaument. 
Quant il est !un de l’autre bel, _ 
L’amor ferme de mon saiel, 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


Et quant li dui cuer s’entr’ont chier, 
Je les veul ensemble laissier; 

Cil iront contre mon voloir 

Ki les en voront removoir. 


XXXIIL 3. Amors, se ne doutoie si 
Vostre ire et vostre maltalent, 
‚Ja auries la tenson a mi, 
Quant obeissies a tel gent. 
Ne sont digne d’avoir juel, 
Et ke d’amor nes un chapel 
Ne de rose ne d’aiglantier 
Ne lor devroit dame baillier; 
Et cele feroit grant savoir, 
Se celui met en nonchaloir. 


XXXIL 4. Gillebers, por vostre merei! 
Parles un pou plus belement; 
Tuit ne sont mie si joli 
Com vos estes mien escient. 
S’une dame aime un garsencel, 
Et eil li semble boin et bel, 
La veul je mon droit avancier 
Et ma signorie enforcier, 
Ke, pues c’on aime ou blane ou noir, 
Tout semble bon, per mon espoir. 


XNXXIH, 5. Amors, je croi et sai de fi 

K’elle n’a desir ne talent 

Ne euer, ki puist amer celui 

Par enfance au comencement 

Sans tricherie et per revel; 

On ne poroit un sec raincel 

Faire florir ne verdoier; 

Ne il ne puet monteplier 

L’amor de lui, jel sai de voir, 

Ne il ne doit amie avoir, 


H. WAITZ, 


XXXI, 6. Gillebers, vos parles ensi 
‚om uns hom sans entendement; 
Se javoie celui trai 
Et vers lui ovre fausement, 
Je sembleroie lou raincel 
Ki se ploie a chascun oisel; 
S’en feroie mains a prisier; 
Vos me voles mal consilier, 
Si com je eroi a mien espoir. 
Querons ki nos en die voir. 


XXXII, 7. Amors, la contesse en apel, 
Se nuls hom ki a tel musel, 
Doit par amors dame embracier. 
Chastelains, venes moi aidier, 
De Biaume, tost feres paroir 
Lou droit et le tort enche&oir. 


XXX. 


N 68b, K 146, X 100c, P 116d und 138c, U 92v. I165e (s. Arch. f.d. Stud. d. 
neueren Spr. u. Litt. 98. 60) enthält nur Strophe 1 und 3. Auch hier muss ich 
Herrn Deprez für die Abschrift von P 138c danken. Hg. von Scheler p. 89 ff., 
Dinaux II, 190 ff. und Laborde, Essai sur la musique ancienne et moderne, 
Paris 1780, II, 166. Der nachstehende Text nach den Hss. der N-Gruppe, 


mit Collationierung von U und 1. 


XXXIHIL 1. J’ai fait maint vers de chancon 
Et s’ai mainte fois chante; 
Onques n’en oi guerredon, 
Nes tant c’on m’en seust gre. 
Mes ja por ce n’iere faus. 
Toz fins et loiaus 
M’en irai 
Et serai 
Sages, si me retrairai 
D’amer celi, 
Ou il n’a point de merci. 


XXXIL, 2. Je ne donroie un bouton 
D’amors ne de sa fierte, 
Issuz sui de sa prison, 
Ou j’ai maint mal endure, 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


Amors n’est fors paine et maus, 
Tormenz et travaus; 
Joie n’ai, 
Quant les ai, 
Et por ce me retrairai 
etc. 


XXXII, 3. Se jamasse traison 
Ne mesdit ne fausete, 
L’on m’&ust tenu a bon 
Et si m’&ust on ame. 
Certes, amors desloiaus! 
Ja n’iere de ciaus, 
Ainz ferai, 
Quant voudrai, 
Chancon, si me retrairai 
etc. 


XXXIIL 4. Nus ne se puet avancier 
En amors fors par mentir, 
Et qui melz s’en set aidier, 
Plus tost en a son plesir. 
Qui feme justisera, 
Ja ne l’amera 
Par couvent 
Loiaument; 
Et por ce je me repent 
etc. 


XXXII, 5. Certes, ja nel quier noier 
G’enpris ma dame a servir. 
Rendu m’en a tel loier 
Quwele me cuida trair. 
Voirs est, s’amor m’otroia, 
Mes el me gaba 
Por vil gent. 
Vengement 
M’en doint dex! Je me repent 
etc. 


96 H. WAITZ, 


Lesarten und Anmerkungen. 
t 


Zu meinem Bedauern sah ich erst nachträglich, dass Bartsch dies 
Gedicht gedruckt hat in seinem mit A. Horning herausgegebenen Band: La 
langue et la litterature frangaise depuis le IXme sijeele jusqu’au XIVme siecle, 
Paris 1887, c. 491 ff., und zwar nach © (Afz. Lieder und Leiche von W. Wacker- 
nagel, Basel 1846, p. 54--56), collationiert mit U 114v, N 71b, K 153a, O 9d, 
VA4ör, R 125r. Ich habe ausser den dort angegebenen Hss. noch X 104 
benutzt. 

Str. 1.: 1. Uiahb. Ceelb. "NX pesoien. (CU lamin. 2. R piecha 
quil est r. U piece ait com lait recordeit. Ü piece ait- ke cest recordei. V 
p. quilestr. N p. quil fu r. 3. NVK fet. U font. RVO amours pour. 


K amors pour. 4. Ct. ke jaie u. c. trouei. U t. ke iaie chant troueit. O 
troue. 5. R bien eroi q. m. n. U bien sai ke ia nisterai. Ci. c. ke maix 
nisterai. Oi. c. q. jamais nistrai. N nistrerai. X nistrai (— 1). 60 


prixon a. i. morai. Uans. NVOKainz. NRi fehlt (— I). NR maurrai. 
7. UC celle ke mait mis ceans. R celle. NK ceenz. OV ceanz. R chaiens. 
8. U elle ait fait son sairemant. C elle ait fait ces sairemens. OÖ fait s. 


sairemenz. R fait sez s. N seremenz. 9. U ke iamais ni mainjerai. Ü ke 
iamaix ne maingerai. Ü que iamais ne maingerai. R iamais. X mangerai. 
V que gi morrai. 10. Ö ne pertirai. 11--Uid:-84,;p: „© d. sa prixen: 


12. KVR trouuee. UCVR chanson. 

Str.2. 1. VR amours. KVR vous. RU pri. U mersit. 2. CU ke. 
R mi. U doneis teil panseir. Ü doneis teil penseir. KV donnez. ON donez. 
R doingniez. OÖ panse. K pensse. 3. U cun bia nouial chan iolit. C 
caucun chantelet ioli. KR nouuiau. OÖ nouel. N nouueau. 4. U pense 
faire a son greit. KVN fere. C grei. 5. U ac. g. besong ke iai. KORNX 
a ceg. X besign. C ke iai. X que ie ai. 6. U atre aide ke uos 
nai. Ca.a. ke. Oahie Koa.a. de uous nai. V a. aide de vous nai. R 
a. aye que vous nai. Xa.a.deu.n. 7. KRV vous. Restez. U sauemans. 
Ü sauemens. OV sauuemenz. R saluemens. $S. U ni ualt amins ne parans. 
C ni ualt eoixins ne pairens.. V valt.e R vault. V cousinz. NX cousins. 
OVK parenz. 9. U bien sai ke ia nisterai. Ü iai per eaus ne guerirai. V 
ij. p. eux nen muerirai. Ri.p.eulznig. Ni.p.a.neg. 10. U ne 
partirai. Ü tant gairderai. 11. U de la prison. Ü prixon. 12. U saura 
t. chanson. Ü caurai t. chanson. NR quauerai trouuee chanson. KVN 
trouuee. V chanson. 

Str.3. C se me meteis en obli. R ne m. mettez e. 0. KÖOVNX me. 
KOVN metez. U meteis. OU obli. 2. U. m. tans feneit. V tanz. R tamps. 
Ct. usei. 3. CONKX se UCKOVNX me. U ieteis. C geteis. O gitez. 
V ietez. RNK getez. C de si. 4. U maintes grans ioliueteis. C ioliuetei. 


OÖ ioliuetey. RK ioliete. 5. U ancores. C eincore. NK oncore. O pour 
uos ferey. VK p. vous. NR pour vous. 6. KRNX ce X besoign. CX 
nomerai. KVN nonmerai. O nommerey. 7. UX biatris. KN biatriz. OV 


beatrix. U b. la ou ie pans. © b. lai ou ie pens.. OVNKX me. OÖ porpans. 
V porpenz. NR pourpens. 8. K ore est. OVN_or est. UC doubleis. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 97 


KOVN doublez. U toz mes cens. KOX touz. V touz mon senz. 9. U 
eumais a chan ne fadrai. C huimaix. O huimais au ch. R huimez. 10. U 
pais nem. Ü poent n. m. 11. C en la prixon. 12. U kar iai trouee 
chanson. C ligier. CV chanson. 

Str.4. 1. C prixons. CKOVNX me. X peut. 2. Uian seust. KX 
gen. CVRies. KOVNX touz. U asegureis. C aseureis. KOVN asseurez. 
R adurez. 3. U ne mais nus mals a. CR mals. V max. 4. R quar li 
chans nous est nommes. KOVNX quant. U ce. ]. halt non sont nommeit. Ü 
hauls. KON hauz. ÜC nomeis. KV nonmez. O nomez. R nommes. X 


nomes. 5. U dadenairde. C dandenairde. NR prison (Fehler). 6. U 
retenus au vos p. R moy tenes et(?) uo pais. X moi t. Ü teneis. KOVN 
tenez. Cpaix. Ve. u. prison. 7. U seus au prison se sachiez. US 


entspricht Vers 7 der übrigen Hss. UO mais. Umaix. Retne nis. p. esmaiez 
(+1). XVK m.nens. U m. ni seus pais esmaiez. Ü pais. KOVRN esmaiez. 
8. fehlt in U. C la prixons nest pais moult gries. KORN griez. 9. R quar. 
U c.aleu. CV leu. U greueiz. C greueis. KOVRN greuez. 10. U seus 
 conförteis. Ü seux honoreis. KO honorez. V hennorez. R honnoures. (ar 
Ü prixon. 12. R trouuee chanson. U chanson. C et saureis pertens chanson. 
KONXV de legier ferai ec. (V chanson). 

Str.5. 2. Cpluxkei.n.d.aisseis. 4. tant s. grant bonteit. 5. prixon. 
6. maix. 7. teil s. enuoiet. 9. a.kei.f. afameis. 10 seuxd. 11. prixon. 

Str. 6. 2. nomeir. 3. ke u. saichies. 4. ke u. faiscies. Dub 
chanteir aisseis. 6. et sa prendeis. 7. prixon. 


Anm. Die letzten Verse fasse ich folgendermassen auf: Wie der 
Dichter im Gefängnis ist, bis er das von seiner Herrin befohlene Lied gemacht 
hat, so nennt er auch das Lied gefangen, bis seine Herrin sich dasselbe vor- 
singen lassen und dadurch aus der Gefangenschaft befreien wird. 


I. 

Str.1. 1. K vous. 2. X con pariures desloiaus f. K desloiax. KN 
pariure. 3. KN enragiez. X boche. 

Str. 2. 1. N por deu. X par dieu. KX car. 2. Nvoz.. KX vo. 
KN mantalenz. KN soubliez. 3. KN sachiez. X meffis. 4. K felounie. 
6. N en uos merci. 7. NK ainz. 8. NK sanz. 

Str. 3. 1. N nert. 2. N sa metrie. K sa mestrie. 3. K pour ce. 
X p. e. la wueill. N toz dis. K touz dis. X touz diz. 4. N comment. 
X coment ... aveigne. 5. N seignor. 6. NK fets. 7. NXuo. 9K 


que tels b. d. N tex. 
Str.4. 1. NKX acorder. 2. N amondise. 4. NK anz. NK pitiez. 


5. NK metez. X pes. 6. N s. t. soul m. X s. tot suel mesfes. 1. X 
malgre uos. N m. uos. 8. KX touz. N toz. 9. Xpes. N nule pais ne 
soit prise. 
Str.5. 1. X lachaison. 2. NK merciz. N larui.l.r. 3. KX la. 
X trouer. 6. N mainz. NK chanz. N faiz. 8. K desirroz. 9.NK fere. 
Str.6. 6. N ceruels. 7. N jalois. 8. N douz. 9, N dex maus. 


10. N justise. 
Festgabe für Gustav Gröber. 7 


98 H. WAITZ, 


Anm. zu 1, 2. Scheler fasst foi mentie als Adj. auf und findet in dem 
Mangel an Uebereinstimmung mit dem Geschlecht der Person eine Unregel- 
mässigkeit, die er auf Kosten des Reimes setzt. mentie fasse ich hingegen 
als Part. pass. auf, das zum Hilfszeitwort j’ai gehört und den Ace. foi regiert: 
jai vers vos mespris, c. d. j’ai foi mentie. 

Anm. zu 4, 6. Wenn Scheler diesen Vers in der Anm. zu s’uns tot seus 
mesfes korrigiert, so ist mir der Sinn unverständlich. Offenbar muss der Vers 
einen Ace. enthalten, der von desfent (1. Pers. Sing.) abhängt; freilich ist 
dann grammatisch unrichtig mesfais, das mesfait heissen sollte. Der Sinn 
des Satzes muss aber sein: ‘Wenn ich ein einziges Vergehen im Widerspruch 
zu euch (Pitie und Franchise) verteidige, so will ich keinen Frieden (mit 
Amor) verlangen, dann ist es mit eurer Macht zu Ende. 


Anm. zum Geleit. Scheler hat das nur in N stehende Geleit, obgleich 
er das Gedicht nach dieser Hs. herausgegeben hat, nicht gedruckt und meint, 
dasselbe passe weder zu diesem, noch zu irgend einem andern Gedicht Gilleberts. 
Der Grund hiervon ist nicht ersichtlich. In Bezug auf den Inhalt passt das 
Geleit vielmehr sehr gut zum Gedicht. Nachdem der Dichter seine Reue 
darüber ausgesprochen hat, dass er sich gegen die Liebe vergangen habe, 
offenbar, weil er von seiner Herrin nicht nach Wunsch erhört wurde, giebt 
er in dem an Huitace gerichteten Geleit dem Gedanken Ausdruck, dass 
Zweifel ihn am meisten quäle, dass Eifersucht etwas sehr Schlimmes sei. 
Dinaux giebt das Geleit, macht aber einen Fehler gegen die Versteilung, 
indem er in einem Verse schreibt: n’est pas dous tex maus, während die 
beiden letzten Worte zum folgenden Vers gehören und dous auf jalos reimt. 
In der Hs. steht dex maus; es muss wohl heissen tee maus, wie Dinaux hat 
und ich verbessert habe. 

Das Komma am Ende von Vers 6 des Geleites ist zu tilgen. 


TIER 
Str.1. 1. RU amours. RK pour. Up.tant. Cceu. CUkem. ce. 
KN chanz. 2. RK vous. UC nomeit. K nonmee. R nonme. X nomee. 
Ü en cest comancement. U primieremant. 3. Uke. Roque. CU deus. 
R diex. U garset toutes les biatris. CC guerisse trestoutes les biautris.. P 
totes. R beatris. PN biatriz. 4. U une en i ait a mon comancemant. 


C por une en ai salue plux de cent. K teleain. N c.an. X nomee. 
R cec. RX comencement. 5. U ke pais ne manoiet. Ü dont pais ne mauoie. 
R manoie. 6. R huimais. C humais. U u mais. R porrai. ÜU poroie. 
7. U mus tormant. C grans tormens.. R tourment. 8. Uaia BR ga 
C ca. KNPX car. R amours. CUKN me. UC rant. 9. UC ke. U veult. 
C ueul. P velt. U can li. C keies. R quen le. U croiet. | 
 Str.2. 1. C et ies croi si ke gi ai trestont mis. N etgieit. RP 
tant que l.c. Umon c. 2. C e. auer et cors. U tot mon cors. P tot le 
cors. U au s. comandemant. K conmandement. NP commandement. 3. U 
s. n. b. s. elle lou mait apris. C aliä. 4. UC celle. X cele. ‚R selle. 
U nan. R ne. U seuse. UC niant. R noiant. 5.-UC sancor. KP soncor. 
6. UC chanteir. U perderoie. 7. U antandemant. CO talent. (Der Vers 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 99 


hat zwei Silben zu wenig). 8. C maix. U mais. R pour ce nai talent. 
U talant. 9. CU ke. C pertir. U man doie. KPX p. en doie. 
Str.3. 1. U ens mais de chaune fui si ebahis. C nan doi partir car 


trop est li nons doulz. KNP ainz. P mon. 2. U ke jai nommeit de hals 
nons plus de cent. C ioie et honors de li uient et descent. N nonmez. 
KNP hauz. 3. U une en i ait desor tous de halt pris. © .I. en iait desor 
les autres tous. N desor. KP toz. NX touz. 4. U se li recors ades 
sourainnemant. Ü reclain. Ü sourainement. N sonuuerainement. 5. U ke 
man v. C se men u. 6: HU an u: 7. U dameir loiamant. Ü dameir 


loiaulment. 8. Ueci. Csi. Ciolit. U presant. . 9. U nut ee ior manuoiet. 
C muit et ior menuoie. 

Str.4. 1. U hals nons et biaz tu es au la millor. C boins. R bon 
nonz. C biauls. K biax. R biauz. P beaus. C tu ies a la millor. K la 
meilleur. R la mellour. 2. U ke nus peust ueoir nen esgardeir. Ü ke 
nuls puist u. ne esgairdeir. X que hons puist uoer ne esgarder. N homs. 
KP wer. Rv.ete. 3.C he deus giai et cuer et cors mis tout. U helais 
m.c. Rellea. KXNP si laim. Uie lains. R ie lain. X si bone. (Der 
Vers hat eine Silbe zu viel. R bonne amour. 4. C se ne di pais ke me 
doie greueir. R seruirai la de bon cuer sanz fausser. U ie n. d. p. ca moi 
doiet panseir. 5. U ke. R mes sa seignourie. UC sa signorie. 6. PKX 
affiert. U mies. 7. U ke la doie ameir. © muelz. KXP melz. N meuz. 
CR ueul. C ameir. 8. C sens. KRNP sanz. CU mereit troueir. X trouer. 
9. Uke. C can. R que f. P qui. U fuist abassie. C abaixie. X abaissie. 

Str.5. 1. U He nus ne ualt ne tant ne seit donor. KX doneur. 2. U 
ke eil lauoit ke nan puist amander. P quoncor. 3. U tant ait en li de 
cent et de ualor. KX ualeur. 4. U cans.f.c. Ke.s.f.cors. X cuer fehlt. 
U conkes ni pot antreir. K trouuer. 5. Uvilonie. XP vilainie. 6. U seit. 
N sert. 7. U faire et demoustreir. KPN fere. PNX mostrer. $. U nelan 
vit laisseir. 9. Un.kes.anu. 

Str.6. 1. UC chanson. U ua tan. C uai ten. R vatent. Ü cortai. 


N cortrai. CU sens. N sanz. R demour. 2. Rquel. Ckelai. Ula 
deus tu. C doit tu. N doiz tu. UÜ premieremant aleir. U (Der Vers hat 
eine Silbe zu wenig). 3. UC di ma dame. Ude pairt. Ü de pair. UR 
chanteour. 4. fehlt nN. U ke se lip. C kelle te faice bien souant 
chanteir. R q. s. 1.p. qui t. U ke te faicet chanteir. 5. U cant taurait o. 
Ü quant taurait 0. 6. U ne tatardier mies. Ü ne tatargier mie. N adone. 
R adont ne toublie mie. (Der Vers hat zwei Silben zu viel). 7. C uai 


sens demoreir. N ua sanz arester. U demoreir. 8. R errant. (CU erairt 
salueir. 9. CU ke. U ualerit criet. 


KV: 
Str.1. 1. Cait. R amonr. 2. RX doi. C gairdeir ki lait. 3.0 
na pas failli ah. NKXPR n. doit f. a h. (R honnour. 4. RNXP fin euer. 
RÜ elle. C serait. 5. KXP melz aime. N meuza. R aimme. Ü ke plux 


aimme plux metrait. 6. NP trestot. O plaisir. N plesirr. 7. K pour b. d. 
O bons. C boens. 8. KR pour. 10. RP chascun. R bonne amour. Ob. 


+ 


100 H. WAITZ, 


amour. 10, 11. Ü fine amors sens m. NK fins amanz son voloir. X fins 
amans son voloir. 
Str.2. 1. RK pour. RO valour. 2. NXK mon fin euer. K uous 


e.a. R vous amera. Ü uos enamait. 3. C et bien sai ke nait millor. 
PK qil na. O moillor. R meilleur. 4. Ü delai la meir ne desai. 5. R 
amours. OX p. n. moblia. Ü pais ne mobliait. 7. ONP tot. NPK plesir. 


Str.3. 1. Rett.f. C del tout ferait son pior. O peour. N peior. 
R piour. 2. Cki. R qui damer se p. 3. C jamaix plux v. BNK si v. 


RO tour. 4. C ne ferait. 5. © ke dons kil les laisserait. O damor qui 
lal. X damors qui la l. KNP damors (P amors. K damours) qui la lessera. 
R amours qui la guerpira. 6. OÖ mais. C maix. ONPK sanz. RÜ sens. 


OÖ repantir. P departir. 7. Rsed.o.t. C sed. len t. 

Str.4. 1. RO amours enseigne. 2. R homme. . NPK. honme. R 
em pris. 3. RK pour. RNK ce est. OR fols. N foux. Rgq.n. si tient. 
5.0 e.i. cun. NK com. O leaus. NK loiax. 6. R amours. 7. K com. 
O et si mi tandrai. R et si mi tendrai. 

Str.5. 1. O mout. R fols. N foux. R qui ne se prent. 2. 


amours. P amor. RK touz d. 3. R quamours. NX joianz. 4. R qui 
en liee P quenluüe.e. 5. O si ma lacie et sopris. 


Str. 1. 1. C trop. O plait. VNK plet. 2. C laioui.p. O pans. 
V penz. 3...K 01.0 kıl 4. O que p. a. VNK quor primes lamer. 
X gor p. lamer. C kor prime a amer comans. O comanz. V commenz. 


N eonment. K conmens. 5. Cetsenain.s. OV senz. 6. Ckenes. 
OVK touz. NX toz. 7. C ameir. OX toz. VNK touz. 8. Okelgsı 
namessent. V et si ne men sent. Ü et si men sent. 9. Kgqil. Ckes.a. 


10. C com. 11.Ciain.so. Oienes. oz. VNKX ni. V oiz. 

Str.2. 1. OVNXK avez. C aveis. V priz. 2. C saichies nen seux 
pais de OV dolanz. NK dolenz. 3. OVNK ainz. C seux. OV liez et 
joliz. NK liez et jolis. X lies iolis (et fehlt). 4. C e m. m. tou dis 
dedans. V mes venez touz diz dedenz. OÖ mais uenez toutes dedenz. KN 
mes uenez toutes dedenz. X mes venes toutes dedens. 5. C uos e. V voz 
commandemenz. O uo comandemenz. N uo commandement. K uo con- 
mandemenz. X uo ec. 6. OVKX niert ja desdiz (—1). N nert ja si desdiz. 
C ne iert iai dedis. 7. OVKN petiz. 8.Oliceue. Nle wer. Cetil 
faut. 9. C plux. 10. C ne puet e. XÜ oceis. 12. la pes fehlt in X. 
C la pax. V bonnement. 

Str.3. 2. O deuroie. X deurai. (Eine Silbe fehlt). 3. O paour. 
NK poor. 5. NX enplir. 6. O damors. 8. KX samor. 9. O que. 
10. N cel tor. 12. NX ronpre. 

Str.4. 1. XO parfait. V franz cuers parfes de valour. 2.0 e. toz 
b. fer e. entier. V en touz biens ferm et entier. X entier. 3. © moillor. 
V meillour. N a ma d. souuenir. 4. OÖ souenir. V acointier. N n. m. p. 
de meillor. 5. O leal. 6. V seiour. 7. OV que. K pour doulor. 8. V 
nerent. 10. O ser. OV aour. 11. O mais. 12. V lamour. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 101 


Str.6. 1. V iraz. 2. VK tot. O donne. V miz (Fehler). 3. OX 
dou m. V.d. m. diraz. 4. V que. O aimme. V aing. 5. O leaute. 
N loialte. 8. O amors iugie (l’a fehlt). V bonne amour logie. 9.0 
outroie. 10. fehlt in V. NK plera. 11. NK mes. K.qil. V que ia ni 


aura. 12.‘V palle. 


C. Strophe 2. 
C’or aies de moy mereit De uos ne guenchir; 
Belle et blonde et auenans, Ains seruirai tant 
Je seux vostre fins amins Ke pechies iert grans, 
Et serai tout mon uiuant, Se ie muer ensi, 
Ne jai a nul tens Maix muels ain morir 
Ne men quier partir Ke languir tous tens. 
VE 
Str.1. 1. X ferai. P feraie. 6. X trouee. 7. Xfait. 9. K que 
si v. NX vodroie. 10. P soneur. N come. P com. 


Str. 2. 5. en fehlt in N. P pense. 6. N oubliee. KXP entroubliee. 

Str.3. 1. PEv.d. XP coment. 3. X poisse. 4. X forment. 
5. X dex souuent lai d. 6. N dex por quoi f. d. m. n. K dex pour quoi 
fui de m. neee. X por coi fu ele de m. n. P dex por goi f. d. m.n. 


Anm. zu 2,6. In KPX enthält der Vers eine Silbe zu viel, N hat 
oubliee an Stelle von entroubliee der anderen Hss. Da es nun leichter an- 
zunehmen ist, dass ein Schreiber irrtümlich © eingeschaltet habe, als dass er 
das längere entr eingefügt hätte, so habe ich entroublee in den Text gesetzt. 
Dies entspricht zugleich dem natürlichen Gedankengang der Strophe: ich 
würde mich schuldig fühlen, wenn ich nicht an meine Herrin dächte, aber 
(mais) es ist durchaus nicht meine Absicht, ihren Frieden zu stören. Vgl. 
auch den Gedankengang der vorhergehenden Strophe. 


vi. 

Str. 1. 1. M ioliuetez. K ioliuete. K remenbrance. 2. K amour. 
4. K chanter st. trover. 5. K que mesdisanz face du sens desuer. 6. K 
e. wiengne a gre ... proisie. 7. M toz j. K touz jorz. 8. Kn. soi a. 

Str.2. 1. Kla tt. d. semblancee. 2.M clair. K s. uiere cler. 4. K 
renouueler. 6. K sont plains d. 7. K poor. 8. K quant t. m. d. samor 
eonsieurrer. 

Str.3. 1. M soustieg. K sonstien quau c. 2. K par ire descharner. 
3. K pour. M se lamort. K se lamorz. 4. K ne defaudrai. 6. K a mer. 
MK sanz. 7. K pour ... li hons. 8. K pour trauail ... damours. 

Str.4. 2. K vouloit ... regarder. 4. K let. 5. K ensi. 6. M 
nai confort n. a. 7. K du tout. 8. K pragne. M li cors. K lisai veer. 


Str.5. 1. est fehlt nK. 5.Kpwle. 6. K pourd. 8. M pluz. 


102 H. WAITZ, 


IX. 


Str. 1. 1. T puiscamors. 2. T herbegier. 3. M rienz ne vaill s. 
Ir. 5. M p. yuers. T p. iuer s. 8. an dieser Stelle ist ein Ausschnitt 
in M; die Lücke beginnt mit en und erstreckt sich bis Str. 3 V.7 incl. 
NERWER Gh 
Str.2. 1. Ts. h. sui entirement. 10. T entir. 
Str. 3: 9. M ce. Teou.! 10. T ni quier. 
Str.4. 1. M ainz la weil. 3. M vueill. 5. M sanz. 6. M vilenie. 
Str.5. 1. T amours bien ouurer. 5. Tq.nes.m. 7. T domme ce. t. 
8. M sanz. 10. T souffrir. 
Str.6. 2 Tmoullte 3 Tkinp.fe 4 Mdeci. 5. T courtoisie. 
6. M la. 


X. 
Str.1. 1. T, damours. M donc. 2. M donc. 3. T, s. j. namasse 
nien T,ei n uie neuse a. 4. M t. certainnement s. T, tout e. s. 


6. M fusse. 7. T, amours. 9, M ceus. T, ceaus ki. M la. 10. M 
sanz 1. trahir. 

Str.2. 1. M desce. T, descou. T; decou. Ta ke. M joi. T, geuc. 
In T, fehlt et cors. T, doune. 9. "D. .ens' N.) ke s: 3. T, honour. 
T, et ai fait f. M faussete. 4. M einsi. T, viurai. 5.Matozd. T 
a tos (dis fehlt). 6. T, com. ZT Tockaze: 8. M ce. T,T; cou. 
9. M e. si pent. T, damours. 10. M wie oben. 

Str.3. 1. T, amours. T; belle. 2. T, kant. 3. T, kele m. m. 
ou c. Mlav. 4. T, ke. 5. M toz guarmis. T, tos g. 8. T, tout. 
9. M la vueill. T, voil. 10. M wie oben. 


Str.4. 1. T, puiscamours. T, puiskamors. T,T, d. e. devise. 2% 
ke iaime et a. M iaimerai. 3. T, ens m. a. 3 u. 4 fehlen in T,. Ga 
tout. 7. T, saiement. 8. M je. 9. M la vueill a toz j. s. Ta le voil 
a. t.j. T, tous jours. 10. M wie oben. 

Str.5. 1. T, canques. T, kankes. T, camours. T, kamors. 2.M 
tendrai. 3. se fehlt in T.. 4. M mieuz. T, m. que jes. (+1). Tr 


m. ke s. 5. 17 carıc.e 11% karlc: 6. T, ken. 9. Mla. T, dont. 
10. wie oben. 


Str.6. 1. T, chevallier. 2. T, nomerai. 3. T, nueville. 4. T, 
courtois. 8. T, aficiement. 9. T, amours. 
XI. 
Str.1. 1. M esbahiz. 2. M jor. 3. M amors. 4. MT douce. 
5. M ou. MT ainc. T fausete. 6. T compare. M compere. 7: M cist. 


Ta cıR! 8. Taki. T assalli. 9. Mtotm.c. Tsim.c. 10. M quar 
la m. 11. agi. T deffie. = 

Str.2. 1. a cmement. 2. M cist. T li maus ki me destraint et lie 
(+1). a gi. 4. M ou. Ma ma d. 5. M esguard, 6. a biaus u. M 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 103 


son cuer v. encolore. T encoloure. 7. M tost m’eust gari (—2). T loes 

8: 8. M maiz ... einsi. 9. M ainz. 10. M quar la m. T et]. m. 
Str.3. 2. MT chancons. a folie (Fehler). 3. M secors ... failliz. 

4. T nel s. m. 6. M trestot. MT pardone. 7. M dex. T diex. M par- 


donez. T pardones. 8. T vos. M je vos en pri (—1). 9. M que se joe 
a lone pre. T quele se jue a. 1. 10. M la m. 

Str. 4. 1. T Diex con ie fui bien trais. M He dex e. i. f. trahis. a 
(etwas undeutlich) Dieus comme ie fui traiis. 2. a gant. 3. a coume sage 
moi tramis. M m. ne tr. 4.M por. 5. T delam. 6. a salus. 7. MT 
cest. a nient. 8.M ci. 9. M eist. T et cis maus ma alite. 10. T 


et l. m. M gq. la mort. 
Str.5. 4. T diu. 5. M douz. a de e. p. dumislite. 6. MT fiance. 
7. MT vos. M proieroiz por m. T prieres. 9. T empecie et sejorne. M 
et en pechie sejorne. 10. et fehlt in T und a. M et la mort. 11. fehlt 
in allen Hss. 
Str.6. 2. M conduisiez ... sauvete. 4. MT cele...ci. 5.T £feute. 
6..M car la mort. 7. T ki m. deffie. 


Anm. zu 4,8. Nimmt man mi, als T und a gemeinsam, als ursprüngliche 
Lesart an, so konnte ei in M entstehen, indem ein Schreiber, der die Hs. aus 
dem pie. ins gem. frz. übertrug, chi statt mi las und dieses zum gem. frz. 
ci machte. 


XU. 


Str.1. 1. a0OXK fo. R foy.. OKX amor. R amour. O leautez. R 
loyautes. € loiaulteis. KX loiaute. M loiautez. 2. MO sunt. Ü est. 
R moy. OK sanz. Ü sens iai d. 3. K sensist e. X sensint. OÖ sainsinc. 
R si est que ie s. C ke. OÖ obliez. K oublie. M oubliez. Ü oblieis. 
4. KMXR saim ie. OÖ saing ie. C sain ie. OÖ mieuz. R miex. KX melz. 
Ö muels. Ra deseruir. 5. O leaute. R loyaute. Ü loiaulteit. U ke f. 
usaige. a usaie. 6. OKX apris 1. en heritage. a iretaje. Ü en eritaige. 
In R fehlt a heritage. 7.agi. Ckiper OÖ beau. © biaul. 9.C sil 
f. moult biaul uaselaige. K fe. O mout bon u. Rtrop b. u. M mont. 
a vaselaie. 

Str.2. 1. OKX hons. R homs. a qi. C ki. OÜC aimme. a aim. 
O et qui unet amer. KX et qui ueut amer. RC weult. M amez. Ü ameis. 
2. R toutes. M tote. OK maunestie. R maluaistiez. a mauuaiste. Ü mal- 
uestiet. 3. MKXC cortois. O tex. Rtelz. KX tels.. C teils. 4. aK all. 
C kil. MC ne sen doit. Od. pas orguillir. RC enorguillir. a enorgeillir. 
5. OKXM eil. Reilz. C sil. O eslieue. CC hontaige. 6. ag. Cki 
per. MORKXC force. Ü per outraige. X mestrage. 7. O unet. RC ueult. 
ORKMX damors. Ü amors. 8.0etb.i.d.f. (+1). 9. ag. Cailki 
ORKXC la. aK regiert. Ü per. ORKX outrage. Ü hausaige. (Der Vers 
hat in © eine Silbe zu viel.) 

Str.3. 1. a qant. M aime cest teus bontez. 3. M senez. 4. M 
del. 5. a gele .. seruaie. 6. a arieraje. 8. aM n. len d. t. 9.0 
chieus en sont li damaie (— 1). M cil sien en sunt li damage. 


104 H. WAITZ, 


Str.4. 1. KMXC damors. a hestre. MOK honorez. NR honnonres. 
X honores. Ü honoreis. 2. OKX ciLı:Rcikz. a0. CK. 0 vue. KX 
ueut. RÜ ueult. © boens. 3. OKM ainz. C teil. M menez. Ü meneis. 
OK liurez. RX liures. 4.C ke. O gq. d.n. len doit hair. Ü lou doit ioir. 
5. Rmez. M mes. Ü maix cil f. pl. OR doutrage. C doutraige. b. R 
sceuent. a sauent. Ü seiuent. a si biau. M si bel. aKX leur. a langaie. 
X lenguage. Ü lingaige. O langaige. 7. aKX leur. C lors. OKX moz. 
8. X quen. OC seit. R scet. Ochosir. 9. Clikeil. O liquelx a. a liquels 
a. KX lequel a. O leaul. R loyal. C loiaul. O coraige. Ü couraige. 


Str.5. 1. M vilainne laschetez. 2. M damors deceuoir. 3. M mes. 
a ki. M conquestez. 4. M cortoisie. 5. M tieg. a jel tient a mult 
grant barnaje. 6. Mvos.. aki NMcel. 7. M uolez. 8. M sachiez. 


9. M honor .. au p. 


Anm. zu 3,9. Mätzner verbessert se tieus en; da tieus als nom. pl. 
unrichtig ist, setzt Scheler se sien. Ich schreibe si sien, da offenbar ci in M 
statt si steht, wie öfters in den Hss. an Stelle von s ein ce gesetzt wurde. 
In M ist der Artikel zugefügt: eil = si li. Es lässt sich auf diese Weise 
auch die Version von a, die offenbar fehlerhaft ist, erklären. Von den beiden 
aufeinander folgenden gleichen Silben (ei, si) konnte von einem Schreiber die 
eine leicht ausgelassen werden, oder aber, war eine Undeutlichkeit an der 
Stelle vorhanden, so konnte cien entstehen, aus dem ein Schreiber, der 
picardische Sprachformen anwenden wollte, chien machte, indem er sich nicht 
bewusst war, dass hier ce den Wert von s hatte. Daraus konnte dann weiter 
chiens und bei der Aehnlichkeit des n und u chieus entstehen. Dies würde 
auf den Gedanken führen, dass a eine Hs. zu Grunde gelegen hätte, in 
welcher der picardische Zischlaut vor e und i, wie in T, durch ce ausgedrückt 
war, was der Schreiber von a zu ch änderte. 


XUoL 
Str. 1. 1. MX Helas. V Elaz. C Elais. MKXNV refusez. C refuseis. 
2. T chancons. Ü chanson. 3. M toz m. soulaz. Ü solaus. M muez. © 
mueis. N jai mes solaz toz muez. K jai touz mes solaz muez. X jai toz 
mes solas mues. V jai touz mes solaz usez. 4. C en poene et en grief 
pencee. V penssee. 5. M jamaiz. XKNV iames. Ü jamaix. 6.Md.c. 


vrai. Vduc.g. 7. C s. naigree. 8. V hennoree. 9. TC eui. KXV 
qui. C iain. Vjaing. X uerai. 10. © trais. 11. M desservi. 'T merchi. 
© mereit. i 

Str.2. 1. TC cor. MKN pardonez. V pardonnez. Ü perdoneis. 2. T 
cou. C ceu ke. VK uous. 3. C chanson. NK receuez. X receues. MV 
retenez. Ü reteneis. 4. VK uous. M seroiz. KNV serez. C sereis iai. 
VC blamee. 5. C por. VK uous. C kesgairdai. 6. VCKX la. Fehlt in 
N.  VKN trounai. 7. C 1 iorneie. 8. M fu bien deveee. T fu bien 
deuee (— 1). © fut bien deuee (— 1). V fu plus que desuee. 9. VK uous. 
X uoz. T eourecai. X coroucai. KN corocai. Ü ke u. corresai. 

Str.3. 1. VXKNC b. sai. NK fui. MKNV enganez. C ke seux 
engingnies. 2. C per. 3. VK vous. MKV moubliez. N mobliez. C 


-_ 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 105 


moblieis. 4. N trop ai grant p. e. C perde. V recovree. 5. KC com. 
7. KV trouuee. 8. M eu a. XKNV oil. Co. N oamors.. V amour. 
9. XCV comant. KN conmant. ( paissai. 

Str. 4. 1. NV voz. KXC uo. MKNY irez. C iries. 2. C por. M 
desserte. NKXV desuee. 3. C deus com ie fui enchanteis. T se duskau 
cuer me greves. NKX de dels (X duels) au cuer me greuez (X greues). 
V dedenz au cuer me greuez. 4.C q. e. g. periuree. TNKX nen devez 
(TX deves) estre blasmee V ne deuez estre blamee. 5. T quant. NKXV 
quant uo conmant (X comant V commant) trespassai. Ü e. u. comant r. 
6. NKV aurai. 7. fehlt in NKXV. 9. © mereit. 

Str.5. 1. Mrienz. Crien. TCcor. VMKN mesgardez. Ü mesgairdeis. 
2. T sarai. MXC recouree. 3. NKX uoz hons. Ü uostre hom seux et uos 
iureis. NKV uoz iurez. X uo iures. M vos jurez. 4. NKX uoz. C wo. 
MKXV desouz. N desoz. Ü uotre e. 5. M jamaiz. NKXV iames. C 
iamaix. VK uous. T mefferai. C meferai. 6. MNKXV ainz. 7. T kert. 
C kiert. V quert. 9. MV de ci. C ke morai. 

« Str. 6. 1. Tccanchonete. C chansonete. Mirez. Cireis. 2. T milleur. 


° © millor. 3. © seux remeis. M remez. 4. T laras. C laurais. 5.6 


par idete t. r. 7. © ke. 81T u bis: „GC teib.. 8. 9. M mieuz ten 
amerai. Ü muels. 


ZEV. 


Str.1. 2. M jor p. m. escient. a ensient. K a m. encient. 3. MK 
samors. a doune. 5. MK puisquamors. a puiskamours. T puiscamours. 
6. K droiz. MK qua m. chancon. a ka ma canchon. K pere. 7. MT 
renvoisiement. 8. T chant s. K chant (souent fehlt). a ch. sonuent. 
9. K si le doi bien fere (+ 2). 10.Mporr. Koui.mr aaqimer. 

Str.2. K. s. meust fet bh. 2. M dun douz regart solement a dou- 
chement. 3. K ie auroie. 4. a hounour. T honour j. essement. 5.K 
reson. 1-9 cd. ji. Tcaud.j, K quad.i. 9. Kaline doit plere 
(a li steht fehlerhaft in diesem statt im folgenden Vers). 

 Str.3. 1. K Oncore aurai je son gre. 2. a sesperanche. 4.M 
solement. 5. MK douz. T dole. 6. K me. M me sunt. a me s. enfin 
d. T debonairement (Fehler). 7. KM eus. 9. KTa m. si m. 10. moi 
fehlt in K. M tot. a sens. 

Str.4. 1. a dieus t. a. desierre. 2. aka Toea. 3. aTK meust 
voloirs que sante. 4. a dounast. M quar. K ce. ie laim tant. 5.Kd.l. 
est d.n. a nient. 6. a gant.... trair. K trere. 7. Ta desconfortement. 
8. MTK e. torment. 9. K repere. 10. a duka. T dusque a. K insqua. 
K conmandement. a coumandement. 

Str.5. 2.aT ki. M vilainnement. K q. tornast u. 3. M ainz. K 
ainz serf a sa u. 4. fehlt na. K q. lamerai I. T loialment. 5. K 
uoirement. 6. a pour d. K pri d. 8. K si ament. 10. a qa. Tea. 

Str. 6. 1. T boutellier. 2. T Cholart. 4. M pluz. 5. M sanz. 
6. Ts. ec. dounour eautrement. 

Anm. zu 6,6. Hier entspricht in gleicher Weise wie XI. 4,8 c in M 
einem m in T: cent ; ment. 


106 H. WAITZ, 


XV. 


Str. 1. 1. M feisse. 2. M mieuz ... pluz. 3. M maiz. 4.M 
mereis. 5. M ou e. m. BT Kr 7. T beaus. 1 Bi. 9. T elas 
je sui. M trestoz. 

Str.2. 1. Masez. 2.Mmal. Tkielc. 3.M toz jorm. 2.5 
deffent. 5. T se £. 6. T ceuers q. t. 7. M maiz. 9. M toz. 

Str. 3. 1. M granz biautez. T beautes. M douz samblanz. 3. Hier 
beginnt a. T amours. 4. MT ma mis a son commandement. (M com- 
|mJandement). 5. Tkit.c. M toz...suen. 6.'M’ dex, T’üıex 77,8 
gq. lai eup. MT pieca. 8. MT moeirra. 9. M toz. 10. a desuetus. 

Str.4. 1. M faz. afaice.e M joianz. 2. T teus. M foiz. 3.M 
vueill.e. T voel.e M mes convenanz. T mes covenans. 4. T sacent. 5.M 
p. eui mainz g.b. T mains gb. 7. MT lamor. 8. M ancoiz. T ancois. 
9. M toz. 10. a desuetus. 

Str.5. 1. M conmeut. T comment. 2. M toz jors serviral. 3.M 
dehez. T dehes. MT glacans. 4. a qi. M por... trahir. 6. M he dex 
por coineliestp. aed.p. goinail point. Te diex p. coi ne li point. 
7. Telf.auf. Mce Tocoukil. a qil pense a. 8. a et la joie uenist 
cha (+2). M ca. 9. T coi. a koi. M trestoz. 10. a desuetus. 

Sa a 2. Taeure.. 3. Tki. Mamors. 4.M de ioie 
moi que sera (Fehler). 5. M toz. 


XVl. 
Str. 1. 1. a En amours. -NU Ea. P Mamors. R amours ie sui. 
a nourris. NK norriz. X noris. 2. U an uostre comant. a conuent. 
NXKPR conuent. 3. U et cuida menoir toz dis. MNP toz dis. KX touz 
dis. 4. U an vos ligemant. R en vouz. a en uous. 5. MNKP sanz. 
XMR desseurer. U deseureir. 6. U bien uoi ni pora dureir. M maiz. 


R mez. NKXP mes. Pn. pourai d. 7. a che. U aviz. 8. R quar. 
MP totes pars. R toutez pars. NK toutes parz. U toutes pairs. N sui 
asailliz. K sui assailliz. U seus asaillis. 9. Uie niam.d. R desseruie. 
10. MP mes. RNKX et. aueil. NK weil. R uwoeil. P uuoil. U uoil. 
P qamors. a qamours. NR quamours.. U camors. a mochie. R mocchie. 
P moecient. U mosie. 

Str.2. 1. a ains m. n. NXKPR onques mes si entrepris. U onke 
mais si ebahis. 2. NKXPRU fui. aKR pour. U noiant. 3. a nonques 
mais loi amis. K loiax. R nonques nulz loyals a P nonques nus lojaus a. 
U nen onkes nus fins amins. 4. P nout. aR tourment. U tormant. 
5. K com. a pour. R con ioi pour amour. U com ia por ameir. 6. RB 
quar. a chiaus. R ceulz. a um.d.fiier. U kar saus o me do fiir. 7. U 
trues anemins. 8. a dieus. R diexv. U deus man. R doinst. NP dont. 
U donst. RP vengance. U wangenee. N a.m.pleir. U am. plaisir. 
gamsen.a Nsna Vienna 

Str.3. 1. M mout... esbahiz. N esbahiz. _ 2. agqi. R que... 
mal. N max. 3. R si ne lai pas desserui. a desseruis. NK deseruiz. 


- 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 107 


4. M comment. RXP coment. NK conment. 5. M men p.e. R lez. 
NKX ges p. Piep. a eskieuer. R eschiener, 6. Pelas. a par. KR 
pour. R foy. 7. M trahis. NK traiz. 8. M malues. Rs. q. dez mes- 
disans sui hais. NK s. q. des medisanz sui haiz. X s. q. de medisans swi 
hais. P s. q. ‘des mesdisans sui hais. 

Str.4. 1. a et que ie sui aceullis. NK enuaiz. 2. a mal (—1). 
3. a bele en qi jai mon cuer mis. NP tot. 4. Rquar. aailes. RNKP 
alez. 5. R moy. 6. Rquari.n. NKXP car. a eskaper. 7. NPR lor. 
8. RNKXP dex (R diex) men doint (KP dont. R doinst) veniance (RP vengance) 
a mon deuis. 

Str.5. 1. RNKXP tout (NP tot) lor (K leur) pooir (KX pouoir) mont 
pourquis (NX porquis P porgis). 2. RNP et lor n. XK et leur n. 
3. RNKXP icil (R yeilz) dont ie sui honnis (X honis. NK honiz P faidis). 
4. NXKPR mes (R mez) sen vo (P vos) cors (R corps) gent. 5. NKPR 


trouuer. 6. M aidiez. RKN je porrai (N ge porre) bien respasser. XP je 
porrai (P pourai) bien eschaper. 7. P car vo profis. R et vos pourfis. 
N et voz profiz. X et uo proufis. K et uo profis. 8. RNKXP ert. NPK 
“sanz. R occhis. 9. R quar ... desseruie. N cair ni am.d. 
Str.6. 2. M proiez. a proiies. 3. a ka chiaus dont iesuin 4a 
prengne. 6. a 1. ce. leur feroient c. 7. a che. 8. a ches. 9. a gant. 


10. a qamours mochie. 


U. Strophe 3. Strophe 4. 
Biaz dous ceuers fins et autiers, Or puent li medissant 

Por uos uoil morir Asseis abaier, 

Ne ia de uostre dongier Car ia de lauoir asseis 

Ne kier mais issir. Et bleif an grenier, 

Gel uoles sofrir; Et bia palefroit, 

Mais ceu mi fait resjoir Belle dame, a mon uoloir 

camon plaisir Ke bien me siet 

Morra por celi eui tant desir; Et sai bien .Ü. sols tout sans dongier 

Je ni ai mort deseruie Mais je ne les gaingnai mies 

Mais bien voil camors mosie. Ja troueit lou nit de pie. 

XVL. 
Str. 1. 1. NPKXU, ceuidoient 1. U, eudoient 1. N li mesdisant. U,U, 

li losangier. 2. NPKX por ce. U,U, por ceu ce il o. U, mantit. Ni. 
mont menti. 3. U,U, ke. NPKXU,U, ie. N esloingnier. PKXU; esloignier. 
U, aloignier. 4. NPKXU, damors. aU,U, ne dem. U,U, amin. 5.N 
en non de. PK enon dieu. U, neil voir. U, nenil voir. XNPK ie lamerai. 
U,U, ie lamera. a ains amerai. 6. NPKXU,U, amor. NPKX seruirai. 
U,U, seruira. 7. U, mut. NPKXU/JT; jor. 8. NPK sanz fere. U, fare. 
X faire. U, panseir. NPKX folor. 9. U, et giere. U, et iere. NPKX 
et siere. U, anvoisie. 10. NPKXU, chantant. U, ioliue. 


Str.2. 1. P Lai au mesagier (a. ce. fehlt). U, a cuer ai .]. messagier. 
U, iai a c. u. mesagier. NK mesagier. 2. NPKXU,U, damors cortois. Us 


108 H. WAITZ, 


jolit. U, jolif. 3.2 qgi. U, ke. U, kis. NPK fet. NPKX resleecier. U, 
releesier. U, releasier. 4. U,U, chacun. NPKXU/;T, jor. U,U, parolle. 
5. NKX il ma dit. U,U; ke. KX uaintrai. U, vancra. TU, vancrai. 
6. NKP mesdisanz. U,U, medissans. a regerrai. NP recererrai. KX reecrerai. 
U, reeroira. Usrecrorai. 7. NXP menteors. K menteor. U, manteor. U, 
manteors. 8. NPKXU,U, uiuront a dolor. 9. NPKXU, giere.. TU; et 
gier. N enuoisiee. U,U, anvoisie. 

Str.3. 1. XNPKT, i.n. men. U, i.n. man. K gier. XNP quier. 
U, aloignier. NPKXU; esloignier. 2. a dem. NK mesdisanz. P mesdisant. 
U,U, medisssans dira fe. 3. U, samera. U, siamera. U,U, amin. 4. NPKX 
dex car. U,U, deus cor. ad. cor. U, ores. NXU,U; ci. PK ici. BGE 
li beau 1. blons.. KH biax l. blons. X li bons li biaus. N. b. 1. blons. 
U, li biaz li blons. U, li bias blons. U,U,;, ac. u. NXuerai.. 6. X NPK 
quainz (N quaine. X quains) plus uaillant (X uaillans) nesgardai. U, a. plus 


vaillant nacoentai. U, cun plus waillant ne regardai (+ 1). 7. U, ia 
amors. XPKU, sai amors. N sai enmors. a amours. 8. NPKX meillors. 
U,U, ou mont nait millors. 9. NPK renuoisie. X renuoisies. U,U, sans 


seus ranuoisie. 

Str.4. 1. NKXPU,U, mesdisanz (X mesdisans. U,U, medissans) fox 
(N foux. K fol. U, fals. U, fas) losengiers (K losengier. U,U, losangier). 
2. NKXPU,U, ie ne uos pris un espi (U, espit). 3. NPKU, croissent. 
NKXP enconbrier. U,U, anconbrier. 4. NKXP quei. U,U, car ia (U, 
ia) lou cuer si hardit. 5. NKXPU,U, mon ami (U,U, amin) acolerai (U,U, 
acolera). 6. NKXPU;,U, si tost con (KU, com) ie (N ge U, ieu) le (U,U, 


lou) uerrai (U, vaira.. U, vara). a gant. 7. NEXP a ce tor. U, el ces 
tor. DU, et’ cel tour. 8. NKXPU,U, serez (X seres. U,U, serois) en 
langor (KPU, languor. U, langour. 9. NKXPU, et giere e. U, et gier 
anuoisie. 
X. Envoi. 

Chanconete tu iras Ges ai maz et recreans 

A mon ami si li di Or morres 

Por dieu que il noblit pas Mesdisanz hues 

Cors dont a le cuer saissi Hou et giere enuoisie 

Ja nel laist por mesdisans Chantant et jolie. 


Anm. zu 4,8. kenres ist als Fut. von caoir aufzufassen: „ihr fallt 
in Mattigkeit, werdet matt“. Die Form mit eingeschobenem n (vgl. 4, 6. 
venrai von veoir) ist wohl sonst nicht belegt. 

Anm. zu 4,1. Während die Varianten in U: fals, fas, mit den- 
jenigen der N-Gruppe verglichen, die richtige Lesart enthalten, sind die- 
jenigen der N-Gruppe (fol, fox, fouwx) offenbar fehlerhaft. Dieser Fehler 
dürfte sich durch Uebertragung aus dem picardischen Dialekt erklären, indem 
sich. der Schreiber bewusst war, dass in picardischen oft au an Stelle von 
ol steht. 


XVIL. 


Str.1. 1. Mamors. Tsignourie. M seignorie. V seignourage. 3. TV 
vous. V fetes. 5. V reson je soloie. 6. Mh. penser. 7. MV mes. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 109 


M por. T cou. MV ce. T descon (forter fehlt). 8. V ne men doi car. 
espoir m. (+1). T kespoirs. M quamors. 9. T ke. 
Str.2. 1. V sesie.e 2. MV sanz. M deshireter. V desheriter. 3. M 


amors. MV fet. T et amors len fait b. 4. M quier. 5. T ke boin m. 
semprie. . 6. MT pitie. M quesprover. T kesprouer. 7. T s. voelle em 
b. a. 2a ueille. 8. TM ceste. a chest. M amor. T ke iens h. M gent. 


9. T ne se saice mie. Der zweite Teil der Strophe fehlerhaft in V; auf die 
drei ersten Verse folgt: en bien esperer | bonne amour que gent haie | ne le 
sachent mie | diex les puist honnir. 

Str.3. 1. TV car. agar. Mlor. Tla. M felenie. T felonie. V 
felonnie. 3. V m. gent o. 4. T lour. M lor. V controuuer. 6. V 
fe. T molt. M mout. 1.M.g.ile. TV ear ce. V semble ...... paller, 
8.agqgil. Tkiniait. a for. TV cortoisie. 9. TMV et cest. M tot. Ta 
toute (+ 1). aV boidie. 

Str.4. 1. M maiz iespoir. T m. iespoir. M quaurai. 2: TM ce. 
M fet. 3. Tquoiiken.d. 5.M pluz. 6. T ioie ka p. M ioie qua p. 
audap. 7. Tcom...esprouer. 8. T p. kesperance. M p. quesperance. 

Str.5. 1. M nonporquant. a nepourgant. V neporquant. TM aim ie 
Vaingie Vlamiee 2. Tki. agi. MV sanz. TMV destomer. 3. MV 
que que. T koi que decrie. 4. MV la. 5. V motroie. 6. V que p. a. 
a dontpuisa. 7. Mamors. Tki. agqi. Mses.ourer. 8. Tke. V senz. 
a raisons. V reson mestrie. 9. T e. ioie. MT affeblie. Vers 9 fehlt in V. 


XIX. 


Str.1. 1. RV damours. R nulle. OÖ poinne. R painne. V poine. 
2. Rque. ON me. ORV feist. V.L.iour. RViour. 3. OV aing. OVNKX 
sanz. OR uilainne. 4. Reelle. O lariens.. OXdoum. N delm. R mond. 
VNK fet. 5. RV amours ... jour. OR prochainne. 6. O gou. OVNKX 
me m. ONKX me u.a. V men u.a. 7. Oqueiel.d. R quari.1.d. 
quanques. RV donner. R corps (et fehlt nach diesem Worte). O sourainne. 
R sounerainne. N souueraine. 

Str.2. 1. RV amours. Rmoy. OR lointainne. NK loingtaine. 2. R 
tres dont. O puisque ie s.a. 3. imXfehlta. OR demainne. 4. ORNKX 
puet. 5. V de m. gr. OR greuainne. 6. OVNKX me. VNK fet. R 
aourer. 7. Rmoye.l.c. OVNKXme. VNKfet. Rsambler. NKX senbler. 
8. RV diex. OR mondainne. 

Str.3. 1. Rcelle. O cui iaing. V iaing. R bontez. OR plainne. 


2. V auiz. N conperer. X conparer. 3. X lestoille.e O quin. R con. 
V quen. N claime. X nome. K nonme. OÖ tremontainne. R tresmontainne, 
X tramontaine. 4. X peut. R falser KX fausser. V cesser. db. N li. 
O marenier. OR hautainne. N hauteine. 6. VK tet. 71. R scet. (In X 
fehlt das zweite et). 8. R et par lestoille con nomme tresmontainne. ONK 


uertuz. O sainne. 

Str.4. 1. VR aussi. ONX uos. X que. V que se noie en outrage. 
ON foruoie. R fouruoie. 2. R falsete. VKX faussete. V pensserr 3. U 
sil uuet. R si veult. 4. V son b. c. O beau. RX bel. 5. RV ualour 


110 H. WAITZ, 


... bonne. OÖ saige. 6. OVNK rauoiez. O iert. R ensengnement. NKX 
ensaignement. 7. NX con. OÖ marenier. R mariniers. K maronnier. O0 
a cu. R lestoille. V apent. 

Str.5. 1. Rscet... loyal. 2. N touz. Rt. li sens. N et reprent. 
3. R honnour. N ostage. 6. R que toute honnour veult sez euers bonnement. 
7. N por. R damours. 8. R du tout en heritage. 

Str.6. 1. V quens danio. 2. OV amours. OÖ nourerai. NX nouuerrai. 
ON fausement. 3. OVKX touz. N toz. VNK iorz. O leaus. V loiaux. 
KN honmage. V homnage. 4.0fe. Va. Nil. X Kill 
VNK fetes. 5.0 d. u. cors. OVN aurez. K auroiz. OV domage. 6.V 


honnour. KX heneur. In OÖ fehlt uostre honor. OÖ ausiment. 7. OÖ nuns 
.. amors. V amour le prent. 8. O aaige. 
XXX. 


Str.1. 1. OC souent. V damours. Ui. tous iors de O chantey. CU 
chanteit. 2. OV eencor. Caincor. Uetancor ch. NK et oncore en ch. (+1). 
X etencorch. 3. V cartouz suieta.e U tous. K toz. O iours. N iorz. 
C seux. U seus. CU esteit. 4. U an son couant. C e. lor ecomant. NK 
conmant. V commant. 5. Ua la fois. O mainte foiz. V a la foiz. C sa 
la foix. NKX sa la fin. O fait. CU mait fait dolent (U dolant.. NK me 
fet dolent. X me fait dolent. 6. CU e. desconforteit. 7. C or seux s. b. 


aseneis. U or mait s. b. aseneit. 8. Ucam.u. C ca mont u. 9. Vna 
mes t. NKX mes. Uno maix t. 10. O wolentei. CU uolenteit. 11220) 
deuiz. Ü ne de delit. 12. V com de bien amer beatriz (+ 1). Ü com de 


bien ameir beatris (+ 1). NKX de bien amer bietris (K bietriz). U com iai 
dameir b. 

Str.2. 1. C ki. O0 sunt. O espoantey. K espoante. Ü espoenteit. 
U acuns sont espoanteit. 2. Nene. U etesmeant. 3. C por. VK fame. 
N fames. X femes. O sunt. C mateit. U de dame sont tost mateit. 5.C 
o. f. plux ke dauant. U lors fera p. ke dauant. 6. V de ioliete. U de 
ioliueteit. U de iolieteit. 7. K pour. CU ceu. U som ait mariet. Cs. 
mait mariet. 8. Unaie tt. NKXC talent. 9. XK poi. N gant. OVU 
tant ne quant (U kant). 10. O pansey. V pensser. NKX penser. CU ke 
iai (U ia) soient mi penseir (U panseis). 11. V aillours assiz. Ü aissis. 
U asis. Kailleursa. 12. Ucala. Ckenl. Oquenl. CU belle. O beatrix. 
V beatriz. NK bietriz. Ü ken la belle beatris. 

Str. 3. 1. O totes ... bontey. C bonteit. U t. d. o. honour. 2: N 
m. escient. K m. encient. C m. essiant. X mon escient. U m. asiant. 
3. VKX mes. N me. CÜ maix. Uet. OVNK sachiez. Ü saichies. O paru. 
K pouru. Ü enueriteit. U de veriteite. 4. C ie uoser. KV uous. U tout 


vrajemant. 5. U nes ke li rais dou lusant. Ü nes ke la nuit vait.luissant. 
6. U soloil en esteit. C solaus en estei. OÖ soloil. 7. U puet antandre la 
elarteit. Ü ne puet randre la clairteit. 8. CU ne lou semblant (U sanblant). 


KNX senblant. 9. CU ne se (U si) prant. 10. C nulle autre grans biauteit. 
U mus a l.t.g. biatez. O a la tres grande beaute. VKX na la tres grande b. 
Nnealat.g. b. 11.Cn. adoulzr. Unenad°r. ON douzr. V douz 
riz. K doz. 12. CU belle. O beatrix. V beatriz._ C beatris. K bietriz. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 111 


Str.4. 1. C cleirs solaus.. U cleirs solos.. VNK sanz. C sens. V 
tenebrour. X tenbror. 2. VNK enluminez. CU enlumineis. 3. © paisse 
t. a. lior. U passet toute atre lieeur. 4. VNK sauez. Ü saueis. U b. lou 
saiueis. 5. Ü ausement ait sormonteit. U atresi ait trepesseit. V seurmonte. 
NK sormontez. 6. C tous. NK toz. U ces ec. d. VU valour. 7. UC 
celle. V de quit.honnor. C ke. KXtout. U honour. 8. Veelez. © cleis. 


U de dames est cleis. 9. C mes iai greis. U a mon greit. VNK grez. 
10. VNX nert quaie bien. K niert qaie bien (in diesen vier Hss. fehlt nul 
ior). U niert ke iaie iai nus biens. C ke. 11. U nan p. V paradiz. 


12. VK sanz. C sens si faite. U belle. C beatris. V beatrix. NK biatriz. 

Str.5. 1. C bone d. O que. C cui. O iaour. C jaiour. V b. d. de 
valour. 2. C ke t. ualeis. OVNK ualez. 3. O teing. X tieen. Vag. 
valour. Ü signor. 4. X q. uo p. OK pensers. Ü penseirs. VN pensez. 
5. Caienu. V vous. K tournez. OVN tornez. Ü tormeis. 6. KV pour. 
C per. V amour. 7. C seux. OVKN sanz. C sens. V retour. 8.0 
desherietez. VNK desheritez. Ü deheriteis. 9. V vous. OVNK lanez. 
.C laueis. 10. C si ke nai nulle d. OV dolonr. 11. N sim. V mesjoiz. 
12. ON nommer. X nomer. C nomeir. O beatrix. V beatriz. Ü beatris. 
K bietriz. 

Str.6. C: 1. dadenairde. 2. senteis. 3. iaip. 4. perdreis. 5. sa- 
prendeis. 7. teil. 8. beatris. 

Anm. zu 3,5ff. An dieser Stelle, welche von Scheler teilweise nicht 
verstanden worden ist (s. dessen Anm.), haben wir zwei verschiedene Redaktionen, 
diejenige der Gruppe N und andererseits die von C und U, die zu einer 
Gruppe gehören. Ich habe die Lesart der Gruppe N in den Text aufgenommen, 
welche folgenden Sinn giebt: Ich versichere euch, dass sie (meine Geliebte) 
den (früh? tost) leuchtenden Mond, die Sommersonne an schöner Klarheit 
übertrifft. Diese (die Sonne, mit Veränderung des Subjekts) hat nicht ihr 
Aussehen und kann sich nicht mit der grossen Schönheit und dem süssen 
Lächeln der schönen B. vergleichen. Allerdings macht bei dieser Auffassung 
der Wechsel des Subjektes Schwierigkeit, und Subjekt des zweiten Satzes 
sollte nicht nur die Sonne, sondern auch der Mond sein. Als der Druck des 
Textes bereits vollendet war, wurde ich hierauf aufmerksam gemacht von 
Herrn Professor Freymond, dem ich überhaupt bei Fertigstellung dieser Arbeit 
für freundlichste Unterstützung und mannigfache Ratschläge zu grossem Danke 
verpflichtet bin. Um diese Schwierigkeit zu heben, möchte ich folgende 
Aenderung des Textes vorschlagen: Am Ende von Vers 7 das Komma durch 
ein Semikolon und Vers 10 ne a la tres grant biaute durch nus (oder auch 
nule) a 1. t. g. b., der Lesart von U, zu ersetzen. Es würde dann mit Vers s 
ein neuer Satz mit dem Subjekt nus beginnen: Niemand hat ihr Aussehen und 
niemand kann sich vergleichen ete. — Die von Scheler angenommene Lesart 
von © würde nicht, wie Scheler meint „pas plus que le soleil Init en ete 
pendant la muit, il ne peut rendre l’air rayonnant ete.“ bedeuten, sondern die 
wörtliche Uebersetzung würde sein: selbst in der Nacht leuchtet sie, die 
Sommersonne kann ihren Glanz nicht wiedergeben ete. Der Anfang ist jedoch 
nicht befriedigend und eine Vergleichung mit der verwandten Hs. U lüsst 
vermuten, dass der Text von © bei 3, 5 verdorben sei, denn in U ist die Stelle 
ganz verständlich: und wisset in Wahrheit, dass sogar der Strahl der leuchtenden 


112 H. WAITZ, 


Sonne ihren Glanz nicht wiedergeben (statt anlandre muss wie in Ü randre 
gelesen werden) kann noch ihr Ansehen und niemand sich vergleicht mit der 
grossen Schönheit ete. 


XXI. 


Str. 1. 2. NK reperoie. 3. NKX de ioste u. f. 4. NK trouuai 
pastors iusqua .VI. X trouai pastors iusques a sis. a du kasis. 5. NKX 
chaseuns ot (N out) sa pastorele. 6. NKX lor. N deliz. 7. NKX auec. 
N eus. X elz. 8. NKX qui leur (N lor) muse et chalemele. a cant e. 
kalemel. 9. NKX de la m. a. gros bordon. 

Str. 3. 5. a helos ni fu pas m. 

Str.4. 1. NKX Fouchier. N dreue. KX dreus. N perronele. K 
perronnele. X perrone. 2. N chascun. NX daus sest a. (N aatiz). K dels 
sest a. 3. agif. Kogilf. NKX dance n. (X nouele). 4. N enmi pre 
uert et flriz. KX en un pre uert et floris (X flori). 5. NKX chascuns 
aura sa cotele. 6. NK dun des enuers de senliz. X dun des enuers de 
saint lis. 7. NKX et si en auera (X aura) Guis. 8. NKX qui leur (NX lor) 
muse et chalemele. 9. NKX de la muse au gros bordon (K bourdon). 


K. Strophe 3. Strophe 4. 

Dist Dreus: Li cuers mi sautele Robins d’une flautele 
Por l’amor de Biatriz. I fesoit deus sons tretiz, 
Et Fouchier forment frestele Pour l’amor de Perronele 
Pour sa miete Aeliz, S’en estoit mult entremis: 
Et Rogier s’amie apele, „Ma miete est la plus bele“, 
Si l’a par le chainse prise, Ce dist Rogier, „ce m’est uis“. 
Par deuant touz aloit Guis, Par deuant touz aloit Guis, 
Qui leur muse et chalemele Qui leur muse et chalemele 
De la muse au gros bourdon De la muse au gros bordon. 
Endure. 


XXI. 


Str. 1. 1. C aueune gent. TMC enquis. 2. C seiam. MC por. M 
ce. Teou. .C:ceu. CT ke. 3. T ore et molt s. e. Ü dont ie trop seux 
esbaihis. M mout. 4. a gant. Tq.i.ses.p. Cg.i. en. M percevant. 
C perseuant. 5. Te. q.l.ai. C ken teilluaim.c..m. _6.Couie 
suis iai u.a. M fins a. 7. M et serai t. m. u. 8. M pluz v. T miex. 
C muels. 9. CT com. Ü troueir. 10. MTC por. C teille. MC amor. 
Ö chanteir. 

Str.2. 1. C ehantier. MTC ce. 2. a qant. C q. iam. T saichant. 
C saichans. 3. CT belle. 4. OTM cortoise. C c. est et auenans. 5 
gi ai gr. honor c. 6. a gant. C et. MC por. MTC samor. © seux iolis. 
7. C et cellem. f.s. M mi. 9. MTC cest. M fauser. Ü fauceir. 

Str.3. 1. M por. T boine. MT amor. 2. M nonporquant. & 
nepourgant. 3. T meruelles. 4. Ts iap: 5. To ke. 6. M quamors. 
T kamors. M ma fet. a peu. 7. MT troua. T saichant. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 113 


Str. 4. 1.ali. T boinement. 3. M commandement. T comandement. 
4. M toz jors. T tous jors. 5. T com. a fois amans.. 6. MT eensi. 8. M 
quar touz b. v. 

Str.5. 1. MT amors. M puisqua vos. 2. M por d. guardez. 3. MT 
vostres. T entirement. 6. M tote. 7. Tkadroitm. MT seruicee. 9. MT 
quier torner. 

Str. 6. 1. T empresent. 2. M vos. 3. M f. mauroiz seignor e. r. 
4. M se je la vos oi. 5. M recorder; diese zwei Verse müssen heissen: se ie 
vos oi : le recorder. 

C Str. 3. Cest la mueldre dou paix : lies sui quant gi voix pansant 
: estre ueul a son deuis : et faire tout son comant : conkes namait tant paris 
: ne tristans ien sui tous fis : com ie fais et si me uant : dor en auant : de 
lamendeir : ie doi bien por teille amor chanteir. 


XXIL 

Str.1. 1. bj. med. ch. (+1). 2. b puiske f. amors m. a memprie. 
3. b cancon. 4.b car ne p. ler. 5. in a fehlen si und sans. 6.2 
qui .n. d. 9. b amoretes. a samorai. 

Str, 2. 1.anul. 2. b cortoisie. 3. b boine. 4. b com. 5. b 
villonie. 7..b ki. 8. b kait. a merci. 9. b enuois... penser. 

Str.3. 2. b samor ki. 3. & con. 4. b boin p. eskieuer. D 
kamors. 8. b kasses ai soffert. 9. b amors ke...sine la d. 

Str.4. 1. ab cou. 5. a doner. 6. b ou. 8. b ke. ab merchi. 


Str. 5. -1. b diex com. 6. b boin. 7zu.8 fehlen ina. 9. b beaus. 
Str. 6. 1. b cancons tt vp. 2.bki. 3.sil.a felltina 4b 
ker... nert. 5. b iauour. 


XXIV. 


Str.1. 1. NKP dehors. N el boschet. KP el bosquet. 2.N e. lautrier. 
P estoie a. 5. NKP dune i. P tosete. 6. NP s. et plesant e. i. K.s. 


plesant e. i. a joliete. 7. NKP dex t. menbeli. 9. N et la tousete t. 
e. (+1). KP et la touse t. (P tot) e. 10. N comence a. ch. KP con- 
mence a ch. 11. NKP r. qui. 12. N puez. NKP demorer. 

Str.2. 1. NKP ie la saluai plus bel. DENKReIeHU- Nee er: IB 


resnier. 3. NKP si li donai m. c. 4. NP por. 5. NKPie P u.mam. 
6. NKP qui. 7. NKP braz. 8. NKPs.latrsu.m au.li. 9. NK 
la touse. P la tose. K tout ensi. P tot ensi. 10. a canter. 

Str.3. 1. N soz. KP sor. NKP larbroisel. a labrisel. 2. NP =. la 
uueil besier. K s. la ui besier. 3. NKP dancel. 5. NKP i. s. u. iouuenete. 
6. NKP poure de dras et nuete. 7. NKP sachiez. 9. NKP et la touse 
(P tose). K tout ensi. P tot ensi. a recoumense, 

Str.4&. 2. Ptot. NK souhedier. 3. Ni.c.quile NKPel. 4. NPK 
delez. N ce u. 5. NKP sone. 6. N done. NKP tousete. 7, 8. NKP 
sire je uos pri: tornez uos (K uous) de ci. 9. NP ee. 1. tose. K e. 1. touse, 
10. a canter. 

Festgabe für Gustav Gröber. 8 


114 H. WAITZ, 


Str.5. 1. Ne. leu. NKP pastorel. 2. P sire (für bele). NKP maiez 


chier. 3. N ceinture. 4. NKP ce conmencier. 5. NKP aurez. 6. N 
adont. NKP la. P seurl. 7. Pm.nif. ImNK 7 und $ umgestellt: mon 
bon aconpli (K acompli): mie ni failli. a aconplir. 9. NK et la touse. 


N tout ensi. P tose tot e. 


Anm. zu XXIV, 6. 1,2. Diese Verse, welche Scheler Schwierigkeiten 
machen, verstehe ich folgendermassen: sire de lonc, Herr von Ferne (vielleicht 
redet der Dichter in dieser Weise scherzhaft einen schüchternen Bekannten 
an, der sich nicht in die Nähe der Damen wagt, sondern sich in der Ferne 
hält) fürwahr für stumme, d. h. solche, welche die Frauen nicht anzureden 
wagen (nicht, wie Scheler meint, des gens muets, qui ne r&pondent pas ä& mon 
appel) giebt es kein Heil. 


XXV. 
Die Lesarten von T 35 sind mit T,, die von T 84v mit T, bezeichnet. 
Str. 1. 1. MT, dolereus. T, dolerex. 2. M nez. 3. M n’onques 
meu-e. m. y. 1, ens m.;y. 4. M deus b. j. T, boins. T, jours. 5. 
M nom. 
Str. 2. 1. 'T, a..voi ;merchi e. 2. T, amours. M aidiez vo servant. 


3. M peu. In T, und T, fehlt trover in diesem Vers und steht am Anfang 
des folgenden. T, noient. 

Str.3. 1. M trahitor. T, traitour. T, traitor. 2. M com vos e. 
malp. 3. M avez. mT, und T, fehlt tolu aves in diesem Vers und bildet 
den Anfang des folgenden, welcher dann lautet: aves tolu leur honors; in 
M: lor h. 

Str. 4. 1. T,T, piere. T, d’aimant. 2. T, desire pas f.t. Md. 
pas ft. 3. MT, com. M douz. T, doc. 4. M convoitoz. T, couuoitous. 


XXVL. 


Str.1. 1. R ou nouuiaus. OX nouiau. Cnouel. U nouial. OR temps. 
U tans. CU ke OVN yvers. Riuer. Xliuer. Uliivers. C li yuer. 
KX se debruise. Öse brixe. Usebrise. 2.CU ke. Orossignol. R rosignos. 
NK rosignol. X rosignox. Ü roisignor. U rosignors chantet. 3. VNK 
fett. NKX enprise. CUd. b. ameir ait fait m. c. U anprise. 4. RCU 
celle.. CUO a eui. C seux l. U seus l. OVNKX sanz. Csens.. U deseuoir. 
5. CU chanson. N fere. U fera. X assauoir. 6. T ioe. O et stt. om. 
R ma m. i. C m. peme i. U m. peiur j. O joise. C inisse. 7. Bılor®. 
d. NKX lors.. OXU dou tout. C del tout. Oens.c. R courtois. VN 
vouloir. 
Str. 2. 1. F douche d. aimee. OVNKX sanz. FC faintisse. U foin- 
tise. 2. X cuers. NKX de d. de sauoir. C de desiriet uoloir. 3. ORNKX 
iai bien ma mort. OX et porchacie e. q. VNK et porchaciee e. a, R m. m. 
pourchacie et aquise. Ü porchaiscie. U porchasie. F porcachie. 4. C ke 
me faice uoloir. U ke mi fasies ualoir. R mi faice u.- F se je de vos noiant 
ne puis ayvoir. 5. Vef. R france V rienz. U rien ouiam.m.e V 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 115 


miz. Fr. en cui j’ai mon e. 6. OVNKX alegiez. C aligies. U aligiez. 
C m. per u. O gentilise. N gentillesse.. ( gentilixe. DU gentelise. F 
gentellisse. 7. F cest eruel mal...fait. CU des cruels mals ke si (U ci) 


m. f.d. ORVNKX les (V ces) crueus (O cruelx, V cruex, KX cruels) maus 
(V maux, K max) que me (RV mi) fetes (ORX faites) auoir. 

Str.3. 1. R Venus s. pl. OVNKX aucuns s. pl. F cascuns s. pl. R 
damours.. Cki. V justie. F camors trop le justice. 2. C maix ien 8. 
NKX et gen sui liez. O liez. V plus en sui liez que de nul autre auoir. 
C plux ke de n. a. 3. ORNX que. V iaing. OR iain. F car j’aine tous 
jors ma dame en itiel guise. Ü bien est ma d. a. e. iteil guisse. R adez en 
telle guise. V en tele g. 4. ORVNKX quant pis me (RV mi) fait (VNK 
fet) et pis voudroie (R vaudroie, X vodroie) auoir. Ü ke mal me fait quant 
bien deuroie auoir. 5.Ceilkib. a. en greitd.r. ORVNKX g.b. a. (R 
aimme) il (R si) doit bien r. 6. VK les max. C les malz. ORXF damer. 
V damours. Rogquar. V quant. ORil. Fel. C damors camors ait teil 
franchisse. F tiel. R francise. 7.C ke. RC nuls. OVNK sanz. C sens. 
R lui; ne fehlt in X. R peut. 

Str.4. 1. O ualors. R francise (+1). V valour. U ualourss. X.d. 

est. U halte u. cest an vos dame mise. Ü dame en cui sont tuit li bien a 
deuisse. 2. C plux en sait kel cher dauid auoir. Up. an i ait kou chair 
dauit dauoir. NX quau ce. K qau. VK davi. 3. R moeist. X moceit. 
KRV vous. C eil me heit bien ki dauant moi uos prisse. U il mosist bien 
ki davant moi uos priset. 4. RVK vous. R vous neant ne puis a. O 
neant. Ü quant ie ne puis de uos ma ioie auoir. U cant ie de uos ne peus 
rien nule auoir. 5. Ueb. V bonne RV amour. U amor. Vfiz. C 
fix. RVK vous. NU oir. 6. OU tot. RV tant. RVK vous. V donnai. 
U dona cant; je fehlt inX. RVK vous. RV emprise. 7. V autel. CU 
iteil. UCO maistre. CU douroit. UN chacuns. 

Str.5. 1. C cestee RV amour. Rog.alumee. Ü kem. e. atixe. 
2. V n. men q. C iai. OÜC remouoir. 3. N comme. K conme. Ü aimans. 
O aymanz. R asise. Ü aisisse. 4. B£flwi. V£l. KXdieu Cke 
nuls fors deu deil osteir nait pr RNK pouoir. 5. OX tot. K uonloir. C 
or soufferai son boin et son uoloir. 6. ja fehlt in K. R autrement niert 
r. NXnert. Ü ne autrement nen iert par moi r. 7. OV atendanz. RN 
atendant. Ü atandans. 


U. Strophe 4. 
E franche rien desour toutes loeee Se de part uos nai acun boen espoir 
Au ceui ia mis cuer et cors et voloir Je me morrai ia ni aura duree 
Ne dites pais ke ne soies amee Pechiez fereis se ne mi secorrois. 
Dou plus loal amin ke iamais soit 


XXI 


Str. 1. 1. TT.h. partie (— 1). 2. T ai tr. si vos part. sTa 
vos giu 8. felonie. 4. T ne men t. a musart. Q muzart. 5. Q gaaigmart. 
7. Q manandie. 8. Q que l. a. 9. T vos. 


g* 


116 H. WAITZ, 


Str.2. 1.Q foy. T beau. 3. T mils. 4. T £ols. 6. Q osteles. 
7. T hom q. pert cou kil desirre. 8. T richetes. 9. T coi que vos. 
10. T tieg. 

Str... IETın..c0l; 3. T se la m. 4. Tetlar. 6. T p. dun 
pais. 7. T ne la donroie. Q@ dourroie. 8. T buens chaitis. 9. TKi. 
Q refusez. 

Str.4. 3. T gille. 4. T se gestoie quens. 8. T chant. 

Str.5. 1. T grant. 2.7 ach. 4. T cou. 5. T bone. 6. T 


vos. Qe. que. 7. Q roestie. 8. T saures. 9. T car vos. ( maires. 
10. Q loy. 

Str. 6. 1. T coi kill. Q quoy quil. 8. Q por. GET SKT. 

Str. 7. 1. T bonement. 2. Q men retrai e. i. 6. T loialment. 


Str.8. 2. T valroie. 4. Q boutillier. 5. T alle. 6. T et M. le 
Waisdier. 


XXXIL. 


Str.1. 3. CI amin. 4. I qui san traiment de longement. C ki entre 
ameit. 5. I tres ceu kil f. i. 6. I donzel. 7. CI ait on. I piese CI 
ait fe C cheuelier. I chiuaillier. 8. I asseis. Cetcestp. Clio t. 
10. C p. lamor dureir n. u. 

Str. 2. 1. per. C uerteit. I uertei. 3. I puis ke lun lautre ait 
choisit. C ait ch. 4. Ti. uoil qui laimme loialment. Ü aince loiaulment. 
5. I cant i.e. C un et lautre bel. 6. I lamour ... saieil. 7. I et cant 
li II cuers sans tronchier. 8. Ti. le uoil an samble 1. 9. I sous i. c. m. 
uolloir. Ö© outre m. u. 10. I qui l. an uorroit r. 

Str.3. 1.In.d.ci. 2.I maltalant. 3.CIiaia. Itansın. A] 
cant. CI teil. I gens. 5. I dignes. 6. C ka dame soit nes .I. chaippel. 
7. CI roze. C dauglentier. 8. I douroit. 9. CI celle. C ferait. I fait 
moult grant sauoir. 10. Ian nn. C nonchailoir. 

Str. 4. 1. I Gillebert p. u. mereit. 2. Ü pairleis u. poue plux bellement. 
I parleis u. poc p. bellement. 3. I mies s. iolit. 4. I con u. e. et nekedant. 
C esciant. 5. I se dame aimmet .I. garsoncel. 6. I samble. C seli 
semble il peirs de chaistels. 7. CIlai. Cfaiti.m. I uoili. m. 8.1 
en fourcier. 9. Takapuis: c. 10. I t. samblant boin p. m. e. (C tuit 
semble boen si com ie croy. 

Str.5. 1. I amour i. c. asai defit. C croy. 2. C naitd.n.t. I que 
eil nait d. n. tallant. 3. In.c. qui put. IC ameir. 4. I per anfance au 
comancement. Ü p. e. a comancement. 5. C sens t. ou sens riuel. I sans 
cors tochier e. p. r. 6. .I. rainsel. C .I. sac paxel. 8. C niant plux puet 
montiplier. 

Str. 6. 1. I Gillebert u. pairleis ansi. C parleis. 2. I.c..T. hons 
sans antandement. Ü sens. 3. fehlt inI. 4. I en uer mi oureis faucement. 
Ce. u. l. oureit faucement. 5. li. sambleroie l. ronxel. Ü rainxel. 6.1 
qui ploie tous dis an vassel. Ü oixel. 7. I san f. moins a. p. Ü ‚moins 
aproixier. 8. C uoleis. I uolies m. consillier. 9..I ie croi bien a mon 
droit espoir. 10. I carons ke nos an d. u. 


GILLEBERT DE BERNEVILLE. 117 


Str. 7. 2. I sehons qui a icel m. C k. ait teil m. 3. C enbraiscier. 
I anbraisier. 4. © chaistelains reneis moy a. I chachelain ueneis m. a. 
5. I d. biaune tot ferois p. C fereis. 6. fehlt in I. 

In I ist hier noch eine Strophe, die offenbar nicht zu dem Gedicht 
gehört. Sie lautet: Gautier iou tieng a grant folor | ceu ke uos maueis ci 
partit | ie ne uorroie anul ior | ke ma dame deust soffrir | por moi point de 
mes estance | iain trop mues an celle balance | de ioie estre consirrous | ke 
ma dame ait cuer irous. 


Anm. zu 4,6. peirs de chaistels (in C) hat wohl hier die Bedeutung 
„Schlossherr“ vgl. engl. pair. 


XXXIL. 


Die Lesarten, welche in P 116d und 138c übereinstimmen, sind unter 
P eingetragen; in den wenigen Fällen, in denen beide Versionen von einander 
abweichen, sind die Lesarten von 116d unter P,, diejenigen von 138c unter 
P., angegeben. 

Str. 1. 1. NKP fet. U main. I mains. UI chanson. 2. NKP foiz. 


I e. s. maintes f. chanteit. U sai par maintes fois chantes. 3. I nonkes 
nan o gueredon. U ki ains nen o gueridon. 4. NP nis. I man s. greit. 
U ne tant com man seust grei. 5. K pour. U mais iai por ceu niere faus. 
I ne iai por ceu niere fais. 6: X touz B,.corf., Kıloiax U masf. e. 
leal. I mais f. e. loialz. 7. U man iray. I serai (ist in der Hs. zum vor- 
hergehenden Vers gezogen). 8. I et ferai. 9. KP, si men. NKP retrerai. 
U saiges si me recrojrai. I biaus chans s. m. r. 10. I dameir c. P celui. 


11. UI nait p. I mereit. 

8.251: U nid. 2. U damor. 3. X issus. U usus(!). A=EL 
maint maus. U mains mas endurei. 5. U f. poine et mal. N maux. K 
max. 6. X tormens. N trauauz. U trauail. 7. U loie (st. ioie). STU 
kant lou sai. 9. K pour. N men retrerai. XP ie me retrai. K si me 
retrai. U por tant si me recroirai. 

Str.3. 1. U iamaise. I s. jamaixe traixon. 2. N medit. K faussete, 
U maluestie ne facete. I maluistiet ne fauceteit. 3. KX lenm. Uon 
maust tenut a bon. I on meust tennt a bon. 4. I ameit. U si maust on 
muelz ame. 5. KX desloiax. U ei amors deloial. I he amours deloiaulz. 
6. NPKX de caus. I a nul ior niere de ciaus (+2). U de sans. 7. XU 
ains. 8. U cant. XU uodrai. Dieser Vers fehlt in 1. 9. NPKX retrerai. 
I biaus chant s. m. r. U biau chan s. m. recroirai. 


Str.4. 1. Ununs... auansier. 2. Uana. Noamor. KP amer. 
U mantir. 3. N meuz. U sil ki muel sen seit a. 4. XP, plaisir. Up. 
t. e. ait ces delis. 5. NKP fame. U ki feme chastoiera. 6. Uj. ne 
lamerai. 7. P por. U le amant. Vers 7 und 8 sind in P, umgestellt. 
8. U par couant. 9. K pour. X sim.r. U por tant mes cuers se repant. 

Str.5. 1. NPKX certes ia celer nel quier (KP, gier). U certes ia 
nou gier noier. 2. P ien pris. U ian prei ma d.a.s. 3. U randuit men 
ait teil lueir. 4. U kele man euidait t. b>P, Horn SENPEX Tue. U 
motria. 6. X ele (+1). U mais ele gaibai. 7. U uoirement. 8. U 


por uil gent. 9, KPX dont, P, diex, U por tant mes cuers se repant. 


118 WAITZ, GILLEBERT DE BERNEVILLE. 


Anm. zu 3,6. Scheler giebt von decaus eine in Bezug auf die Bedeutung 
des Wortes wenig befriedigende Erklärung, da der Uebergang von „barfuss“ 
zu „elend, reduit & la misere“ schwer verständlich und sonst auch nicht belegt 
ist. Während nun die zu einer Gruppe gehörenden Hss. NPKX de caus 
schreiben, hat U de saus, I de ciaus. U schreibt auch sonst häufig s statt ec, 
aber nur, wenn im lothringischen Dialekt (wie auch im gemeinfrz.) der Kon- 
sonant wie s, g ausgesprochen wurde, z. B. in demselben Gedicht hat U 
chanson, die anderen Hss. chancon, mersis neben merci, die anderen Hss. 
merci, auansier, die anderen Hss. auancier. Einem picardischen decaus 
entspricht aber ein lothringisches deichaue und nicht desaus, wie auch 
gemeinfrz. ce vor a zum Zischlaut übergehen musste. Die Lesart von I, 
welche in den Text aufgenommen worden ist, befriedigt dem Sinn nach voll- 
kommen: ich werde nicht zu jenen (welche Verrat und Falschheit lieben) 
gehören. Die anderen Hss. haben dann einen gemeinsamen Fehler (Auslassung 
von i), durch welchen die Schwierigkeit der Stelle veranlasst wurde. 


Konstantinopel. 


(Robert College). Huco Wautz. 


Ueber den Anteil des Raoul de Houdenc 
an der Verfasserschaft der Vengeance Raguidel. 


. . Dass derjenige Raoul, der sich um die Mitte, V.3352, und 
am Schluss, V. 6170, des von Hippeau i. J. 1862 veröffentlichten 
Artusromans Messire Gauvain ou La Vengeance de Raguidel als 
Verfasser nennt, höchstwahrscheinlich identisch ist mit Raoul 
de Houdene, dem Verfasser des Romans Meraugis de Port- 
lesguez und einiger allegorischer Gedichte (Roman des Eles, 
Songe d’Enfer, vielleicht auch Voie de Paradis), hat zuerst 
Mussafia bei Gelegenheit seiner Besprechung der Hippeau’schen 
Ausgabe (Germania VIII, 122) unter Hinweis auf die Stilähnlich- 
keit zwischen der Vengeance Raguidel und dem Meraugis aus- 
gesprochen. Es pflichteten ihm bei Ferdinand Wolf (Denk- 
schriften der Kais. Akad. d. Wiss. zu Wien, 1865, phil.-hist. Klasse 
XIV, p. 159), H. Michelant (Meraugis de Portlesguez, Roman 
de la Table Ronde par Raoul de Houdene, Paris 1869, p. XIV £.), 
der zugleich auf weitere stilistische Uebereinstimmungen zwischen 
der Vengeance Raguidel und Meraugis de Portlesguez und auf 
die gleiche Art der Namensnennung in den Gedichten des Raoul 
de Houdene hinwies, Paul Meyer (Revue (ritique 1869, I, 315), 
der zum ersten Male die auffallend starke Verwendung des sog. 
reichen Reimes in der Vengeance Raguidel und den sicher echten 
Werken des Raoul de Houdene als Beweismittel anführt, und in 
einer privaten Mitteilung an Mussafia auch Karl Bartsch (vgl. 
Jahrbuch für rom. und engl. Litteratur X, 345 Anm.); doch 
glaubten Wolf und Michelant nach der Art der Namensnennung 
in der Mitte des Gedichtes (Ci commence Raols son conte, 
V. 3352) dem Raoul de Houdene nur die zweite Hälfte desselben 
zuschreiben zu dürfen, 


120 M. KALUZA, 


Dies war der Stand der Frage in betreff der Verfasserschaft 
der Vengeance Raguidel, als ich selbst vor nahezu zwanzig Jahren 
mich mit dem in Rede stehenden Roman und den sonstigen 
Werken des Raoul de Houdene näher beschäftigte Es ergab 
sich auch mir bei einem aufmerksamen Studium dieser Dichtungen, 
dass der Raoul der Vengeance Raguidel ohne Zweifel identisch 
ist mit Raoul de Houdenc, dass dieser aber doch nicht das ganze 
Gedicht verfasst haben kann, sondern nur den zweiten Teil des- 
selben, die eigentliche Vengeance Raguidel mit Ausschluss der 
den ersten Teil ausfüllenden Episoden vom schwarzen Ritter und 
der Jungfrau vom Gautdestroit. Ich gab dieser meiner Ansicht 
Ausdruck in der meiner Doktordissertation (Ueber das Verhält- 
niss des mittelenglischen allitterirenden Gedichtes William of 
Palerne zu seiner französischen Vorlage I, Breslau 1881) bei- 
gefügten These Nr.5: „Messire Gauvain ou La Vengeance de 
Raguidel ist von Raoul de Houdenc verfasst; jedoch ist die 
Episode von dem Noir Chevalier und der Pucele del Gautdestroit 
wahrscheinlich nur eine Bearbeitung eines anderen, vielleicht 
unvollendet gebliebenen Gedichtes.“ 

Dieser These wurde, wie andern Thesen auch, in der Fach- 
litteratur keinerlei Beachtung geschenkt; doch kam bald darauf 
unabhängig von mir auch E. Freymond bei Gelegenheit seiner 
so wertvollen Untersuchung Ueber den reichen Reim bei alt- 
französischen Dichtern, Strassburg 1882 und Zeitschrift für rom. 
Phil. VI, 1—36 und 177—215 zu dem ähnlichen Resultate (vgl. 
S. 189 f.), dass die Vengeance Raguidel in zwei von verschiedenen 
Verfassern herrührende Teile, V. 1—3351 und V. 3352—6174, zu 
zerlegen ist, und dass in dem zweiten Teile, in dem Raoul sich 
als Verfasser nennt, der reiche Reim ungefähr in demselben 
Umfange und in derselben Art verwendet wird wie im Meraugis 
de Portlesguez, „dass somit P. Meyer nicht Unrecht hatte, auf eine 
annähernd gleiche Anwendung von leoninischen Reimen hinzu- 
weisen.“ | 

Vorher aber schon hatte W. Zingerle in seiner Dissertation 
(Ueber Raoul de Houdene und seine Werke. Eine sprachliche 
Untersuchung. Erlangen 1880) Zweifel an der Identität der 
beiden Raoul geäussert. Er kam zu dem Resultate, „dass die 
Gründe, welche man für die Autorschaft Raouls de Houdene bei- 
gebracht hat, nicht stichhaltig sind“, dass auch die Sprache: uns 
„keinen entschiedenen Beweis für diese Annalıme“ liefert, dass 


- 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 121 


vielmehr „eine Reihe von Erscheinungen im Gauvain, die wir 
im Meraugis nicht oder wenigstens nicht so stark ausgeprägt 
finden“ dagegen sprechen. Zingerles Arbeit wurde zwar von 
mancher Seite, so z.B. von G. Paris (Romania X, 319) hohes 
Lob gespendet, aber abgesehen von mehrfachen Versehen und 
Unrichtigkeiten im einzelnen ist seine Untersuchung für die Ent- 
scheidung der Frage nach dem Verfasser der Vengeance Raguidel 
schon deshalb ganz wertlos, weil sie dieselbe als ein einheitliches 
Gedicht auffasst, ohne die schon von Wolf und Michelant an- 
gedeutete Möglichkeit zu berücksichtigen, dass zwei verschiedene 
Dichter daran gearbeitet haben. Leider haben auch diejenigen 
Forscher, die unmittelbar nach Freymond mit der Frage der 
Autorschaft der Vengeance Raguidel sich beschäftigten, O. Börner, 
Abbehusen und G. Paris gleich Zingerle an der Einheitlichkeit 
des Gedichtes nicht gezweifelt, obwohl ihnen doch die in der 
gelesensten Fachzeitschrift niedergelegten Ergebnisse Freymonds 
hätten bekannt sein müssen. 

O0. Börner will in seiner Dissertation (Raoul de Houdenc. 
Eine stilistische Untersuchung über seine Werke und seine Iden- 
tität mit dem Verfasser des Messire Gauvain. Leipzig 1884), 
„zumal Zingerle in seiner sprachlichen Untersuchung besonders 
die grammatische Seite der Werke Raouls hervorgehoben hat“, 
den Stil des Raoul de Houdene und zugleich den des Messire 
Gauvain eingehend betrachten, um sodann „an der Hand der 
gewonnenen stilistischen Belege die noch immer unentschiedene 
Frage [zu beleuchten], ob Raoul de Houdene identisch ist mit 
dem Verfasser des letztgenannten Romans.“ Die sehr sorgfältige, 
aber meines Erachtens nach einem unzweckmässigen Einteilungs- 
princip geordnete Sammlung von stilistischem Material deckt 
nun so viele enge und wörtliche Uebereinstimmungen zwischen 
der Vengeance Raguidel und den sicher echten Werken des 
Raoul de Houdene auf, dass der unbefangene Leser erwartet, 
der Verfasser werde sich am Schluss für die Identität der beiden 
Raoul aussprechen. Aber das gerade Gegenteil geschieht. Offen- 
bar unter dem Banne von Zingerle stehend, sucht Börner in 
dem zweiten Teile seiner Arbeit, S. 110—127, mit vieler Mühe 
die thatsächlich in grosser Zahl vorhandenen stilistischen Ueber- 
einstimmungen zwischen der Vengeance Raguidel und den Werken 
des Raoul de Houdene zu entkräften und als zufällig hinzustellen, 
um sodann den Abweichungen die überdies zum Teil durch die 


122 M. KALUZA, 


von Börner nicht berücksichtigte Thätigkeit eines zweiten Dichters 
veranlasst sind, ein über Gebühr grosses Gewicht beizulegen. 
Dabei läuft auch manche Unrichtigkeit und schiefe Auffassung 
mit unter, vgl. Zingerles Recension, Literaturblatt 1888, Sp. 22 
und Zenkers (s. u.) Bemerkungen S. 26 ff. 

Auch Abbehusen, Zur Syntax Raouls de Houdenc, Mar- 
burg 1883 (Ausgaben und Abhandlungen aus dem Gebiete der 
romanischen Philologie LXXVIII), stellt sich nach eingehender 
Untersuchung der syntaktischen Verhältnisse der in Rede stehenden 
Gedichte auf die Seite von Zingerle und Börner, obwohl er selbst 
von Seiten der Syntax nichts aufbringen kann, was irgendwie 
mit Sicherheit auf Verschiedenheit der Verfasser hindeuten könnte. 
Er sagt ($ 227): „Die in den vorstehenden Paragraphen bei- 
gebrachten Nachweise von abweichender syntaktischer Behand- 
lung der Sprache im Meraugis und Gauvain scheinen mir, ob- 
schon sie im Vergleich mit den Fällen von genauer 
oder annähernder Uebereinstimmung wenig zahlreich 
sind, zu dem Schlusse zu berechtigen, dass Meraugis und Gauvain 
nicht von demselben Verfasser herrühren können.“ 

Leider hat, wie schon erwähnt, auch G. Paris durch die 
Arbeiten von Zingerle (vgl. Romania X, 319) und Börner (vgl. 
Rom. XIV, 174) sich beeinflussen lassen und erklärt daher in 
seiner Analyse der Vengeance Raguidel (Histoire litteraire de la 
France XXX, 45 ff.) den Raoul der Vengeance Raguidel und 
Raoul de Houdene für zwei völlig verschiedene Dichter. Gleich 
Zingerle und Börner beruft er sich dabei auf die Verschieden- 
heit der sprachlichen, metrischen und stilistischen Eigentümlich- 
keiten und ganz besonders auf die völlig verschiedene Behandlung 
des Themas der Liebe und der Frauen. Die trotzdem vorhandenen 
Uebereinstimmungen zwischen der Vengeance Raguidel und 
Meraugis erklärt er dadurch, dass beide Dichter die Werke des 
Örestien de Troyes sich zum Vorbild genommen und der Ver- 
fasser der Vengeance Raguidel ausserdem den Meraugis des 
Raoul de Houdene gekannt und an einzelnen Stellen nach- 
geahmt hat. 

Der erste und bisher einzige, der Freymonds Resultate 
(s. 0. 8. 120) verwertet und damit die Entscheidung der Ver- 
fasserfrage der Vengeance Raguidel ihrer. endgültigen Lösung 
ein bedeutendes Stück näher gebraeht hat, war R. Zenker, der 
in seiner Habilitationsschrift (Ueber die Echtheit zweier dem 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 123 


Raoul von Houdene zugeschriebenen Werke, Erlangen 1889) nach- 
weist, dass nach den klaren Worten des Gedichtes (Cr commence 
Raols son conte VR 3352), die auch durch Freymonds Unter- 
suchungen über den reichen Reim bestätigt werden, Raoul nur 
als Verfasser des zweiten Teiles der Vengeance Raguidel, V.3352 
bis 6174, gelten könne, dass aber gerade in diesem zweiten Teile 
trotz Zingerle, Börner und G. Paris die Uebereinstimmungen mit 
den echten Werken des Raoul de Houdene so gross sind, dass 
wir ihn für ein Werk dieses Dichters und zwar für sein Erstlings- 
werk halten dürfen. Diesen Ausführungen Zenkers müssen wir 
im allgemeinen beistimmen und es hätten sich Freunde und 
Gegner der Identität der beiden Raoul hierbei beruhigen können, 
da ja danach die einen für den zweiten, die andern für den 
ersten Teil des Gedichtes Recht behalten haben. Trotzdem aber 
hat Zingerle, der einzige, der, soweit ich sehen kann,') überhaupt 
die Zenkersche Arbeit erwähnt (Kritischer Jahresbericht über 
die Fortschritte der romanischen Philologie I, 428 f.) sich mit 
aller Entschiedenheit gegen die Identität der beiden Raoul und 
gegen die Zweiteilung der Vengeance Raguidel überhaupt erklärt. 
Er sagt a.a.©.: „Ich halte die Echtheit des Songe de Paradis?) 
für möglich — obwohl nicht für sehr wahrscheinlich —, die der 
Vengeance aber nie und nimmer, auch an die zwei Dichter 
des Gauvain glaube ich nicht.“ 


!) Wenn ich etwa eine gelegentliche Aeusserung über Zenkers Schrift 
in der Fachlitteratur übersehen haben sollte, so bitte ich dies damit zu ent- 
schuldigen, dass die romanische Philologie nicht mein gewöhnliches Arbeits- 
gebiet ist. Ich bin ohnedies für manche der in dieser Arbeit gegebenen Nach- 
weisungen meinem lieben Freunde und früheren Studiengenossen, Prof. 
E. Freymond zu Bern, sowie dem Lektor der französischen Sprache an der 
Universität Königsberg, Herrn Dr. Ernest Scharff, zu grossem Danke ver- 
pflichtet, den ich hiermit auch öffentlich aussprechen möchte. 

2) Auf die Frage nach der Echtheit der Voie de Paradis, die Börner, 
Abbehusen und Zenker ebenfalls für ein Werk des Raoul de Houdene halten, 
während früher Zingerle und neuerdings Friedwagner (Meraugis von Port- 
lesguez. Afz. Abenteuerroman von Raoul von Houdenc. Halle 1897, S. LVII, 
Anm. 2) sie ihm absprechen, kann ich hier nicht näher eingehen. Dieses 
Gedicht zeigt ja in der That einige sprachliche und auch metrische Ab- 
weichungen von den sicher echten Werken des Raoul de Houdene, daneben 
aber auch eine so grosse Aehnlichkeit im Stil und in der ganzen Anlage, 
dass es schwer fällt, es einem andern Verfasser zuzuschreiben. Wenn es von 
einem andern Dichter herrührt, dann ist es jedenfalls in unmittelbarer An- 
lehnung an den Songe d’Enfer des Raoul de Houdene und in Nachahmung 
seines Stiles geschrieben, 


124 M. KALUZA, 


Gegenüber dieser entschiedenen Weigerung Zingerles, die 
Autorschaft des Raoul de Houdene auch nur für den zweiten 
Teil der Vengeance Raguidel anzuerkennen, ist es erfreulich, 
auch einige neuere Stimmen zu Gunsten derselben anführen zu 
können; allerdings nehmen dieselben auf die Notwendigkeit der 
Zweiteilung der Vengeance Raguidel keine Rücksicht und halten, 
was entschieden zu weit gegangen ist, das ganze Gedicht für 
ein Werk des Raoul de Houdenc. Hierher gehört zunächst die 
Aeusserung von H. A. Todd (Transactions und Proceedings of 
the Modern Language Association 1886, vol. II, Baltimore 1887, 
p. 1509)): „From a careful reading of these two works I incline 
strongly to attribute them to the same author. W. Zingerle... 
reaches the conclusion that the Raoul of Raguidel is not Raoul 
de Houdene, but his own showing seems to me to point rather 
to their identity“, sodann die nochmalige Erklärung von Paul 
Meyer bei Gelegenheit der Veröffentlichung eines neuentdeckten, 
leider wenig umfangreichen Fragments einer zweiten Handschrift 
der Vengeance Raguidel, Romania XXI, 414 f.: „Je ne veux pas 
A propos de ce fragment examiner de nouveau la question de 
savoir si Raoul, qui se nomme comme auteur au v. 9352 est ou 
non le m&@me que Raoul de Houdenc, lauteur de Meraugis, des 
Ailes de Courtoisie et du Songe d’Enfer. Il a ete repondu 
negativement & cette question par les auteurs de deux disser- 
tations allemandes sur Raoul de Houdene parues en 1881 et 1885 
(Romania X, 319 et XIV, 174). Bien que cette opinion ait ete 
adoptee par G. Paris, je dois dire que les arguments presentes 
dans les deux dissertations ci-dessus indiquees ne m’ont point 
paru tres concluants, de sorte que je persiste dans l’opinion 
contraire que j’ai soutenue apres M. Mussafia en 1869. On 
trouvera ei-apres, en note, quelques rapprochements avec Meraugis 
qui, & mon avis, constituent un commencement de preuve en 
faveur de l’identit6 de Raoul, auteur de la Vengeance avec Raoul 
de Houdene, auteur de Meraugis.“ Paul Meyer weist dann hin 
auf die enge Uebereinstimmung von VR 3574—76 mit MP 1196 
bis 1207, VR 3580 £. mit MP 606—613. 

Ob schliesslich, wie Friedwagner (Meraugis S. LXVI Anm.) 
unter Verweisung auf Romania XXIV, 599 meint, auch G. Paris 


») Das Buch selbst ist mir hier nicht zugänglich; ich citiere nach Abbe- 
husen, Zur Syntax Raouls de Houdene, S. 87, 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 125 


jetzt „zu den Vertretern der Identität beider Dichter“ zu zählen 
ist, erscheint mir doch mehr als zweifelhaft, denn an der an- 
gezogenen Stelle beschränkt sich G. Paris darauf, bei Besprechung 
des I. Bandes des Kritischen Jahresberichtes über die Fortschritte 
der romanischen Philologie die Erklärung Zingerles (S. 428 f.) 
zu registrieren („L’auteur [Zingerle] persiste (il ne parait pas 
avoir encore connu les remarques de P. Meyer, Rom. XXI, 414) 
a regarder Meraugis et la Vengeance de Raguidel comme l’oeuyre 
de deux auteurs differents“) ohne sich selbst nach der einen oder 
andern Seite hin zu entscheiden oder seine früheren Erklärungen 
gegen die Identität der beiden Dichter (Romania XIV, 174; Hist. 
litt. de la France XXX, 48) zurückzunehmen. 

Friedwagner selbst enthält sich in der Einleitung zu 
seiner Ausgabe des Meraugis jedes Urteils über die Verfasser- 
schaft der Vengeance Raguidel, da er „ohnedies dem Gegenstande 
demnächst eine ausführliche Untersuchung widmen“ will (S. LXVI 
Anm. 2; vgl. auch 8. XIV).!) 

Wie man sieht, ist also auch heute noch keine völlige 
Einigung darüber erzielt, ob überhaupt und in welchem Umfange 
Raoul de Houdenc an der Verfasserschaft der Vengeance Raguidel 
beteiligt ist; es stehen sich Anhänger (Paul Meyer, Todd) und 
Gegner der Identität beider Raoul (Zingerle) schroff gegenüber 
und der vermittelnde Standpunkt Zenkers hat bei den Fach- 
genossen zu wenig Beachtung gefunden. Auf welche Seite sich 
Friedwagner in der von ihm angekündigten Untersuchung stellen 
wird, lässt sich aus seinen Andeutungen nicht erkennen. Unter 
diesen Umständen wird, glaube ich, eine nochmalige Erörterung 
der ganzen Frage nicht überflüssig sein, zumal ich hoffe, den 
Anteil des Raoul de Houdene an der Vengeance Raguidel genauer 
abgrenzen zu können, als dies Zenker gethan hat und als es 
Friedwagner, falls er sich überhaupt für Raoul de Houdene ent- 
scheidet, vielleicht thun würde. Da ich bei dem beschränkten 
mir hier zu Gebote stehenden Raume leider nicht das ganze von 


!) Zu meinem grossen Bedauern ist mir erst während des Druckes dieser 
Abhandlung bekannt geworden, dass L. Vuilhorgne, Un trouvere picard 
des XIIe et XIIIe siecles: Raoul de Houdene, sa vie et ses @uvres (1170—1226), 
Beauvais 1896 (vgl. Rom. XXVII, 318 ff.), sich gegen Raoul de Houdene als 
Verfasser der Vengeance Raguidel ausspricht, und dass neuerdings auch 
G. Gröber in seiner trefflichen Darstellung der altfranzösischen Litteratur- 
geschichte (Grundriss II, S. 512) die Identität der beiden Raoul nicht für 
wahrscheinlich hält. 


126 M. KALUZA, 


mir früher oder jetzt gesammelte Material zum Abdruck bringen, 
sondern nur die in dieser Frage in Betracht kommenden all- 
gemeinen Gesichtspunkte aufstellen und erörtern kann, wird 
Friedwagners in Aussicht gestellte eingehende Untersuchung 
durch meine Arbeit wohl nicht überflüssig werden. Ich würde 
mich aber freuen, wenn er unter Vorführung eines reicheren 
Beweismaterials meine Ausführungen stützen und die so viel und 
so lange umstrittene Frage nach der Verfasserschaft der Vengeance 
Raguidel endgültig aus der Welt schaffen könnte. 


I. 


Um die Frage, ob der in V. 3352 und 6170 der Vengeance 
Raguidel genannte Raoul mit Raoul de Houdene identisch ist, 
richtig beantworten zu können, müssen wir uns vor allem dar- 
über klar werden, ob dieser Raoul wirklich, wie Hippeau, Paul 
Meyer, G. Paris, Zingerle und andere annehmen, Verfasser des 
ganzen Gedichtes war oder ob er, wie Zenker glaubt, nur den 
zweiten Teil desselben, V. 3352—6174, geschrieben hat, oder 
endlich ob noch eine dritte Möglichkeit vorliegt. Wenn hierüber 
volle Klarheit geschaffen und der Anteil Raouls an der Verfasser- 
schaft der Vengeance Raguidel bestimmt abgegrenzt ist, wird 
die Entscheidung der weiteren Frage nach der Identität der 
beiden Raoul keine Schwierigkeit mehr bereiten. 

Der klare Wortlaut der Stelle: Ci commence Raols son 
conte VR 3352 gestattet, das wird man mir zugeben, zunächst 
keine andere Auffassung als: Hier, an dieser Stelle, bei V. 3352 
beginne ich, Raoul, meine Erzählung. Was vorhergeht, hat ein 
anderer geschrieben. Dieser Auffassung widerspricht auch nicht 
der Schlusspassus des Gedichts, V.6168 ff., in dem Raoul sich 
geradezu als Verfasser der ganzen Erzählung, li contes, nennt, 


Issi faut et remaint 
Li contes qu'il ne dure mais. 
Raols qui I fist ne vit apres 
Dont il fesist grinnor acontes. 
Qui? N’ soit noumes? C’est-li contes 
De la Vengeance Raguidel .ete., 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 127 


denn er nennt seine Erzählung ausdrücklich „Vengeance Raguidel“ 
und die Rache für die Ermordung Raguidels bildet eben den 
Hauptinhalt der zweiten Hälfte des Gedichtes, während die erste 
zum grossen Teil durch andere Abenteuer ausgefüllt ist. Dem- 
nach teilt also Zenker ]l. ec. S.14f., wie vor ihm Freymond, Ztschr. 
f. rom. Phil. VI, 189 f. die Vengeance Raguidel in zwei von ver- 
schiedenen Verfassern herrührende Teile VR!, V.1—3351, und 
VR2, das Werk Raouls, V. 3352—6174. 

Von denjenigen, welche die Vengeance Raguidel für ein 
einheitliches Werk ansehen, gehen die meisten, so z. B. G. Paris, 
Zingerle, Börner, an dem in der Mitte des Gedichtes so auf- 
fallenden Ausdruck: Oi commence Raols son conte achtlos und 
ohne ein Wort der Erklärung vorüber. Nur Hippeau umschreibt, 
um Raoul als Verfasser des ganzen Gedichtes retten zu können, 
diesen Vers mit den Worten: „Raoul, auteur du po&me, se nomme 
en reprenant ici son r&cit“, aber ‘commencer’ kann doch 
nicht gleichbedeutend sein mit ‘reprendre’”. Paul Meyer wiederum 
(Romania XXT, 415) weist auf die Aehnlichkeit der Verse: Ci 
commence Raols son conte VR 3352 und: Raous qui romance 
le conte MP 4334!) hin, aber wenn diese Aehnlichkeit in der 
Namensnennung auch für die Identität der beiden Raoul spricht, 
so wird dadurch doch das ‘commence’ in der Mitte des Gedichtes 
nicht beseitigt. Wir dürfen nicht einmal nach MP 4534 “romance' 
für “commence’ einsetzen, da die ausdrückliche Bestimmung ‘Ci’ 
dies verbietet. 

Wenn wir uns aber bei der Auffassung von Freymond und 
Zenker beruhigen wollen, dass ein Dichter, Namens Raoul, ein 
von einem andern, uns unbekannten Verfasser bis V. 3351 fort- 
geführtes, aber aus irgend welchem Grunde unvollendet gelassenes 
Gedicht einfach zu Ende geführt habe, ohne das Vorhergehende 
irgendwie zu ändern, ähnlich wie Jehan de Meung den von 
Guillaume de Lorris bei dem Verse Que ge n’ai mes aillors fiance 
(Michels Ausgabe S. 134) abgebrochenen Roman de la Rose fort- 
gesetzt und vollendet hat, dann bleibt es doch unerklärlich, wie 
gewisse, für den zweiten Verfasser, Raoul, besonders charakte- 
ristische metrische und stilistische Eigentümlichkeiten vereinzelt 
auch schon im ersten Teile begegnen. So hat namentlich schon 
Freymond (l. c. S. 189) beobachtet, dass in den letzten 600 Versen 


1) Ich eitiere jetzt natürlich nach der Ausgabe von Friedwagner, Halle 1597. 


128 M. KALUZA, 


des ersten Teiles, also etwa von V.2750 ab „reiche Reime in 
auffallend hoher Zahl angewandt“ sind und auch grammatische 
Reime begegnen, z. B. V. 2787 ff. asailli : sailli, asaut : saut; 
V. 3033 dist : mesdist, dites : mesdites etc., die gleichfalls ein 
Charakteristikum des zweiten Teiles sind. Ungefähr an derselben 
Stelle, V. 2744 ff., finden wir zum ersten Male lebhaftere Rede 
und (Gregenrede, und so sind noch manche andere kleinere 
stilistische Uebereinstimmungen mit dem von Raoul herrührenden 
zweiten Teile zu erkennen (z.B. V. 3211 Ca .I, ga VIL, ca .X., 
ca .XX.), die uns zu dem Schlusse berechtigen, dass die Thätig- 
keit des zweiten Verfassers Raoul nicht erst bei V. 3352, 
sondern schon früher, etwa bei V. 2744 beginnt. 

Der Wechsel des Verfassers an dieser Stelle des Gedichtes 
lässt sich am leichtesten veranschaulichen, wenn wir für jedes 
einzelne Vershundert der Vengeance Raguidel die Summe der 
Verse mit reichem Reim, also die in Freymonds Zusammen- 
stellung unter der Rubrik 5 angegebene Zahl berechnen. Wir 
erhalten dann folgende Zahlenreihen: 

36 — 30 — 26 — 20 — 26 — 24 — 30 — 22 — 28 — 26 
28 — 24 — 2383 - 2 — 34 — 41 —- 0 — 2 — 18 — 12 
12 — 20 — 16 — 10 — 20 — 26 — 26 — 42 — 70 — 60 
56 — 56 — 62 — 42 — 46 — 50 — 48 — 50 — 44 — 30 
32 — 52 — 36 — 52 — 48 — 60 — 54 — 60 — 48 — 32 
52 — 50 — 40 — 44 — 50 — 58 — 46 — 52 — 46 — 48 
40 — (32). 

Schon ein flüchtiger Blick auf diese Zahlen lässt erkennen, dass 
die Verwendung des reichen Reimes in den verschiedenen Teilen 
des Gedichtes eine verschiedene ist und dass der Uebergang zu 
einem stärkeren Gebrauch des reichen Reimes zwischen V. 2700 
und V.2800 fällt. Noch deutlicher tritt der plötzliche Anstieg 
des reichen Reimes etwa bei V.2750 hervor, wenn wir den 
reichen Reim für je 250 Verse berechnen. Wir erhalten dann 





in absoluten Zahlen in 9 

74 — 64 — 70 — 60 30 — 26 — 28 — 24 

66 — 60 — 36 — 40 26 — 24 — 14 — 16 

40 — 38 — 68 — 156 16 -— 15 -— 7 — 92 
142 — 120 — 128 — 94 57 — 48 — 5l — 38 

120 — 120 — 134 — 120 48 — 48 — 54 — 48 5 
114 — 122 — 134 — 116 46 — 49 — 54 — 46 

(72) (41). - 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 129 


Als Durchschnittsprozentsatz der reichen Reime ergiebt sich 
danach für V. 1—2750 22,4 °/,, für V. 2751—6174 aber mehr als 
das Doppelte, nämlich 49,4°/,. Allerdings finden wir auch inner- 
halb anderer längerer Gedichte ein Schwanken in den Prozent- 
sätzen der reichen Reime (vgl. Freymond, 1. c. S. 183 ff.), ohne 
dass darum ein Wechsel des Verfassers anzunehmen wäre, so 
z.B. in Meraugis de Portlesguez. Aber die verschieden starke 
Verwendung des reichen Reimes, die durch folgende Tabelle für 
je 100 Verse veranschaulicht werden möge: 


62 — 70 — 70 — 54 — 58 — 58 — 50 — 48 — 46 — 30 
26 — 44 — 30 — 36 — 36 — 32 — 42 — 28 — 42 — 44 
52 — 46 — 30 — 28 — 48 — 26 — 30 — 30 — 28 — 36 
38 — 40 — 52 — 48 — 34 — 56 — 34 — 32 — 38 — 30 
30 — 46 — 44 — 30 — 32 — 36 — 32 — 32 — 26 — 28 
28 — 88 — 34 — 22 — 34 — 38 — 38 — 32 — 36 — (8) 


ist dort einfacher so zu erklären, dass der Dichter bei Beginn 
seines Werkes die Absicht hatte, den reichen Reim in möglichst 
grosser Zahl zu verwenden, dass er aber allmählich, vom Flusse 
der Erzählung mit fortgerissen, darin nachlässt, so dass der 
Prozentsatz immer mehr herabsinkt und nur vorübergehend etwas 
ansteigt. Ganz dasselbe finden wir in unserem Gedicht bei 
Beginn der Thätigkeit des zweiten Verfassers Raoul. Auch da 
ist in den ersten 200—300 Versen, VR 2800— 3000, der Prozent- 
satz der reichen Reime am stärksten (70, 60); im weiteren Ver- 
laufe des Gedichtes aber fällt er bald mehr, bald weniger ab, 
wenn er auch im allgemeinen auf einer grösseren Höhe sich 
erhält als im Meraugis. 

Somit kann meiner Meinung nach kein Zweifel daran be- 
stehen, dass ungefähr bei V. 2750 ein neuer Dichter und zwar 
der in V.3352 und 6170 genannte Raoul seine Thätigkeit beginnt. 
Auch der Grund, weshalb er seinen Namen nicht sofort, sondern 
erst 600 Verse weiter nennt, ist leicht einzusehen. Raoul wollte 
den Wechsel in der Verfasserschaft erst erwähnen, als er bei 
einer Ruhepause angelangt, als das Abenteuer Gawains bei der 
Pucele del Gautdestroit, dessen Schluss er selbst schon gedichtet 
hatte, beendet war, ähnlich wie auch im Roman de la Rose der 
Beginn der Thätigkeit des zweiten Verfassers erst bei einer 
späteren Gelegenheit (Michels Ausgabe S. 351) erwähnt wird. 

Und wenn wir weiter fragen, wie es kommt, dass mitten 

Festgabe für Gustav Gröber, 9 


150 M. KALUZA, 


in einem Abenteuer plötzlich ein neuer Verfasser auftritt, so 
scheint mir folgende Erklärung dem Sachverhalt am meisten 
gerecht zu werden. Raoul hatte die Absicht einen Roman zu 
schreiben, dessen Held Gavain und dessen Grundfabel die Rache 
für die Ermordung des Ritters Raguidel bilden sollte. Um nun 
den Umfang seiner Erzählung zu erweitern und seinen Helden 
in recht vielen Abenteuern glänzen zu lassen, schob er in die 
eigentliche Vengeance Raguidel neben andern Episoden auch ein 
Abenteuer Gavains auf dem Schlosse des schwarzen Ritters, 
Madus li Noirs, und bei der Pucele del Gautdestroit ein, indem 
er die Schilderung desselben im wesentlichen einem älteren Ge- 
dichte über denselben Gegenstand entnahm. Um aber diese 
Episode mit der Haupthandlung enger zu verknüpfen, musste er 
den Schluss derselben nach eigener Erfindung umgestalten. Er 
liess daher seinen Helden Gavain vom Hofe des Königs Artus 
fortziehen ohne das Wichtigste mitzunehmen, den Lanzenschaft, 
mit dem allein er die Rache vollziehen konnte (V. 540 ff.). Als 
nun der schwarze Ritter von den Leuten der Pucele del Gaut- 
destroit hart bedrängt wird und sich nicht länger halten zu 
können glaubt, fordert er Gavain auf, heimlich die Burg zu ver- 
lassen und von Artus Hilfe zu holen. Gavain weigert sich 
dessen, da er nicht früher an den Hof zurückkehren könne, als 
bis er das Abenteuer, das er suche, bestanden habe. Dabei aber 
fällt ihm ein, dass er ja die Hauptsache, den Lanzenschaft, mit 
dem die Rache vollzogen werden sollte, am Hofe zurückgelassen 
habe. Nunmehr ist er bereit, den Willen des schwarzen Ritters 
zu thun. Am folgenden Tage wird ein Ausfall aus der Burg 
gemacht und bei dieser Gelegenheit entfernt sich Gavain und 
kehrt an den Hof des Königs Artus zurück. Als die Belagernden 
erfahren, dass Gavain, den sie suchen, entkommen ist und Hilfe 
herbeiholt, geben sie freiwillig die Belagerung auf, was dem 
Gavain durch einen nachgesandten Boten gemeldet wird. 

Diesen nicht ungeschickten Abschluss des Abenteuers Gavains 
bei der Pucele del Gautdestroit, der den Uebergang zu der Haupt- 
handlung vermitteln soll, hat schon Raoul selbst geschrieben; 
ebenso rühren von ihm her alle folgenden Abenteuer, das Zu- 
sammentreffen mit Licoridon und mit der schönen, aber koketten 
Yde, die Episode vom Mantel Mautaill&, das Abenteuer mit 
dem Ritter, das an den Chevalier a l’espee-(M&on, Nouveau 
Recueil I, 127—164) erinnert, und endlich die. Vollziehung der 


[| 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 131 


Rache an Guengasouain, dem Mörder des Raguidel, bei der er 
von Yder, dem Geliebten Tremionetens, der die Ringe von den 
Fingern des Ermordeten abgezogen hat, unterstützt wird. 

Wenn diese meine Vermutung richtig ist, dann müsste 
allerdings auch die Exposition der Grundfabel, V. 1—550, die 
Hand Raouls erkennen lassen, und in der That finden wir gerade 
am Anfange des Gedichtes, ebenso wie ich dies für V. 2750— 3351 
konstatiert habe, einige auf Raoul deutende metrische und 
stilistische Eigentümlichkeiten, so ein etwas stärkeres Auftreten 
des reichen Reimes, den grammatischen Reim V.37—40 vint (20) 
: avint, avenra :venra, die Aufzählung in kleinen Gruppen, V.37 
ca .X., ca .XX., die rhetorische Frage V.97: Dormist? Non, par 
nule aventure!) und manches andere. Freilich ist der reiche 
Reim in V. 1--550 doch nicht so häufig und gleichmässig an- 
gewendet wie später in dem sicher von Raoul herrührenden 
Teile des Gedichtes von V. 2750 ab. Wir müssen daher wohl 
annehmen, dass Raoul diese Exposition der Fabel, das Erscheinen 
des geheimnisvollen Schiffes mit dem Leichnam eines erschlagenen 
Ritters etc. nicht völlig selbständig erfunden, sondern im wesent- 
lichen einem älteren Gedichte entnommen und nur hie und da, 
wo es ihm gut schien, weiter ausgeschmückt und überarbeitet hat. 

Wenn wir den Prozentsatz des reichen Reimes als Kriterium 
für oder gegen Raoul ansehen wollen, dann rührt der Anfang 
des Gedichtes, V. 1—50, sicher von ihm selbst her, denn wir 
finden dort unter 25 Reimpaaren 16 mit reichem Reim, also 
640%/,; vgl. ferner den grammatischen Reim V. 37—40 vint (20) 
: avint, avenra:venra und den Ausdruck ca .X., ca .XX. V.37. 
In dem folgenden Abschnitte aber, V. 51—139, der verhältnis- 
mässig wenige reiche Reime aufweist, mag Raoul die ältere 
Fassung im wesentlichen beibehalten und nur hie und da etwas 
geändert haben. Wenn dieses ältere Gedicht, das Raoul hier 
benutzt hat, inhaltlich übereinstimmte mit der Schilderung 
von dem Erscheinen eines geheimnisvollen Bootes mit dem 
Leichnam eines ermordeten Ritters ete. in der Fortsetzung des 
Perceval, V. 20857 ff., dann müsste die Erwähnung der fünf 
Ringe an den Fingern des Ermordeten und die Herbeirufung 


t) So liest die Hs. nach W. Försters Collationsexemplar, das mir durch 
die Güte des Besitzers i. J. 1885 für einige Wochen zur Verfügung gestellt 
war, wofür ich ihm auch hier meinen Dank ausspreche. 


9* 


132 M. KALUZA, 


des Kaplans, der den in der aumosniere gefundenen Brief dem 
Könige vorlesen soll, eine weitere Ausschmückung Raouls sein!) 
(vgl. G. Paris, Hist. litt. de la France XXX, 52£.), und wirklich 
finden wir gerade an diesen Stellen, V. 140—179 und 195—205 
den reichen Reim weit stärker vertreten als unmittelbar vorher 
oder nachher (V. 145 retornes : tornes, 147 tor : ator, 149 leve 
: trove, 151 couchie : corechie, 155 devenus : venus, 157 taissies 
: laissies, 171 maniere : aumosniere, 175 mande : commande, 177 
dist : contredist — 197 lui : celui, 199 ostera : vengera). 

In dem nun folgenden Abschnitte, V. 208—383 (Keus und 
andere Ritter versuchen vergeblich, den Lanzenschaft aus dem 
Körper des Ermordeten zu ziehen. Endlich gelingt dies dem 
(savain. Da es aber keiner vermag, die Ringe von den Fingern 
des Toten abzuziehen, so wird der Leichnam mit dem Karren, 
auf dem er ruht, an die Landstrasse gestellt, während Artus 
und die Seinen sich zu Tische setzen. Während dessen bemerkt 
ein Diener, wie ein fremder Ritter herbeikommt, die Ringe ab- 
zieht und mit ihnen sich wieder entfernt. Der Diener will dem 
Könige davon Meldung machen, wird aber von dem Seneschal 
Kei daran verhindert, der sich schnell rüstet und dem Ritter 
nacheilt) ist der reiche Reim zwar nicht ganz so stark vertreten, 
wie in den sicher von Raoul herrührenden Partien des Gedichtes, 
begegnet aber doch häufig genug, um die Hand Raouls auch hier 
erkennen zu lassen, obwohl manche Stelle, wie in dem Abschnitt 
V. 51—139 (s. o.), unverändert dem älteren Gedicht entnommen 
sein mag. 

Fast gar keinen reichen Reim und auch sonst keine Spuren 
von Raouls Stil zeigt dagegen der nun folgende Abschnitt V. 334 
bis 486 (Kei trifft mit dem Ritter vom Castel de la Cloie zu- 
sammen, der von einem andern Ritter verfolgt wird. Er nimmt 
ihn in seinen Schutz, kann aber nicht verhindern, dass er von 
seinem Verfolger getötet wird, der nun seinerseits auch Kei aus 
dem Sattel wirft); ich möchte daher diese Episode wiederum 
für eine blosse Entlehnung aus einem anderen Gedichte halten, 
zumal sie mit der eigentlichen Grundfabel nur in ganz losem 


1) Da bei Etienne de Bourbon (s. Hist. litt. de la France XXX, 65) nur 
die in dem Leichnam des Ermordeten steckende Lanze und der in der au- 
mosniere befindliche Brief, nicht aber die fünf Ringe erwähnt werden, so 
dürfen wir daraus nicht, wie G. Paris es thut, ohne weiteres schliessen, dass 
er die uns erhaltene Vengeance Raguidel gekannt hat. _ 





RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 133 


Zusammenhange steht, und nur eingefügt ist, um die Prahlsucht 
und Feigheit des Kei besser zu illustrieren. 

In dem folgenden Passus, V.487—549 (der Diener berichtet 
das Fehlen der Ringe, ein anderer die Besiegung des Kei, den 
der König herbeiführen und ins Gefängnis werfen lässt. Gavain 
macht sich auf den Weg, um das ihm übertragene Abenteuer 
zu bestehen, vergisst aber leider, den trongon de la lance, mit 
dem die Rache allein vollzogen werden kann, mitzunehmen), ist 
der reiche Reim wieder stärker verwendet, 14 reiche Reime 
unter 31 Reimpaaren, also 45°/,; wir haben daher hier wohl 
wieder Raouls eigenes Werk vor uns. 

Nun folgt die Begegnung Gavains mit dem Hirten, der 
ihm den Weg zu dem Schlosse des schwarzen Ritters Madue 
weist und das Abenteuer daselbst, das mit der Besiegung des 
schwarzen Ritters durch Gavain endet, V. 550—1538. Der 
Prozentsatz der reichen Reime beträgt hier im Durchschnitt 
etwa 25, ist also erheblich niedriger als in dem von Raoul 
herrührenden zweiten Teile des Gedichtes (49°/,), aber immer 
noch höher als in dem weiter folgenden Abenteuer Gavains bei 
der Pucele del Gautdestroit, V. 1559 —2670, wo er nur etwa 17%, 
ausmacht. Nach V.2670 steigt der Prozentsatz der reichen 
Reime wieder an und erreicht, wie oben erwähnt, in den folgenden 
Hunderten seinen höchsten Stand. 

Diese beiden grösseren Episoden müssen wir demnach als 
Entlehnungen aus einem älteren Gedichte über denselben Gegen- 
stand ansehen, die Raoul in seinen Roman eingefügt und, 
nach dem Prozentsatz der reichen Reime zu schliessen, die erstere 
etwas mehr, die letztere wenig oder gar nicht überarbeitet 
hat. Ich verzichte aber darauf, diejenigen Stellen, welche 
nach meiner Ansicht das Gepräge des Raoulschen Stiles an sich 
tragen, im einzelnen namhaft zu machen; die Hauptsache bleibt, 
dass diese beiden Episoden nicht Raouls volles Eigentum sind, 
sondern einem älteren Gedichte entstammen. Erst der Schluss 
der letzteren Episode, die Ueberleitung zu der Grundfabel, 
V. 2744—3351, ist, wie oben ausgeführt, wieder Raouls Werk.') 

!) Der in der niederländischen Fassung eingefügte Schluss der Episode 
von Maduc oder ‘Maurus’, wie er dort genannt ist, und der Jungfrau von 
‘Galastroet’, Lancelot III, V. 13185— 13586, ist wohl nicht ursprünglich, sondern 
mag von einem jüngeren französischen Bearbeiter herrühren, der sich für diese 
beiden interessierte und .aus ihnen ein glückliches Paar machen wollte. 


134 M. KALUZA, 


Dass es ein solches älteres selbständiges Gedicht über Madus 
li Noirs und die Pucele del Gautdestroit gegeben hat, dafür 
spricht, worauf Freymond mich freundlichst aufmerksam gemacht 
hat, der Titel eines leider verloren gegangenen niederländischen 
Gedichtes Madoc (vgl. Pauls Grundriss der germ. Phil. II, 1, 459). 
Diese beiden Episoden, die noch G. Paris für eigene Erfindung 
Raouls zu halten geneigt war, sind überdies von Freymond auch 
nachgewiesen worden in dem von ihm zum ersten Male näher 
beschriebenen Livre d’Artus (E. Freymond, Zum Livre d’Artus. 
Gröbers Zeitschrift für rom. Phil. XVI, 90—127 und Beiträge 
zur Kenntnis der altfranzösischen Artusromane in Prosa, Zeit- 
schrift für franz. Sprache und Litt. XVII, 1—128), und zwar 
in einer Form, die nicht direkt aus der Vengeance Raguidel 
geflossen sein kann, sondern vielleicht identisch ist mit der 
Quelle Raouls. Es kommt aus dem Livre d’Artus insbesondere 
in Betracht für Madus k Noirs 868: „... Madoc..., der Artus 
nicht huldigen wollte, begab sich in den grossen Forst von 
Sarpenic in das Land der Dame destroit. Hier errichtete er 
eine starke Veste und setzte den Brauch (costume) ein, dass ein 
jeder dahin kommende Ritter mit ihm kämpfen musste; war es 
ein Artusritter und wurde er besiegt, so wurde ihm das Haupt 
abgeschlagen und auf einen Pfahl gesteckt“, und $ 111: „Maduc 
der schwarze, der Lorens Lehnsmann geworden war, richtet 
auch seinerseits einen schlimmen Brauch ein: jeder zu ihm 
kommende Ritter muss, ob bewaffnet oder nicht, mit ihm kämpfen; 
siegt Maduc, so schlägt er jenem das Haupt herunter, lässt es 
auf eine Stange stecken und alsbald wird ein neuer Pfahl er- 
richtet. Häufig überlistet er die zu ihm Kommenden. Er hielt 
nämlich stets ein Essen bereit; kam nun ein Ritter, der lange 
nichts zu sich genommen hatte, und löste er seinen Helm, um 
seinen Hunger zu befriedigen, so trat Maduc hinterlistig hinzu 
und tötete den Ahnungslosen. So richtete Maduc grossen 
Schaden an.“ 

Für die Pucele del Gautdestroit, die dort Lore de Branlant, 
in P auch Dame du Grantdestroit genannt ist (vgl. Freymond, 
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII, 50, Anm. 1), wäre zunächst zu 
vergleichen $ 110 (Schluss): „Heimgekehrt, lässt Lore, nachdem 
sie lange vergebens auf den von ihr geliebten Gavain gewartet 
hat, an einer Kapelle ein Schiebefenster mit einem Fallbeil an- 
bringen, um, wenn Gavain zu ihr komme, ihn und sich selbst 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 135 


damit zu köpfen; sie wünscht auf diese Weise wenigstens nach 
dem Tode mit ihm vereint zu sein und hat schon einen steinernen 
Sarg für sie beide vor dem Altar der Kapelle bereitstehen.“ 
Die Vorgeschichte ihrer Liebe zu Gavain ist allerdings im Zivre 
d’Artus von der Darstellung in unserem Gedichte etwas ver- 
schieden. Dort hatte Lore de Branlant zu Artus eine Botin 
geschickt mit der Bitte, ihr gegen Gaudin de Valesfroiz, der sie 
zur Ehe zwingen wollte, beizustehen. Gavain erbietet sich, ihr 
zu helfen, nimmt aber den Namen eines durch seine Feigheit 
berüchtigten Ritters (vgl. $ 42) Daguenet le coart an ($ 70) und 
wird darum von Lore anfangs verächtlich behandelt. Als sie 
die Tüchtigkeit des Ritters im Kampfe erkannt hat, will sie 
ihn zwar wegen ihrer Verachtung um Verzeihung bitten ($ 74); 
Gavain verlässt aber heimlich die Stadt, nachdem er ihren 
Gegner Gaudin besiegt und gefangen genommen hat. Lore wird 
sich jetzt ihrer Liebe zu dem Daguenet sich nennenden Ritter 
bewusst ($ 75) und begiebt sich daher an Artus’ Hof, um ihn 
wegen ihres Betragens um Verzeihung zu bitten. Dort erfährt 
sie, dass nicht Daguenet, sondern Gauvain ihr geholfen habe. 
Sie erhält von ihm Verzeihung und das Versprechen, sie in ihrer 
Stadt au grant destroit zu besuchen. Da der Besuch aber aus- 
bleibt, lässt sie das bewusste Schiebefenster mit dem Fallbeil 
(s. 0.) anbringen und den steinernen Sarg anfertigen ($ 110). 
„Sie hörte nie auf, ihn zu lieben und um dieser Liebe willen 
fügte sie später gar manchen Rittern Unrecht zu; so hielt sie 
Gavains Brüder gefangen, um diesen dadurch zu sich zu locken“ 
($ 76). 

Ob nun die Abweichungen unseres Gedichtes von der Dar- 
stellung im Livre d’Artus von Raoul selbst herrühren, oder von 
ihm schon in seiner Quelle vorgefunden wurden, lässt sich schwer 
sagen. ‚Jedenfalls ist zu beachten, dass Gavain, wie er dort 
unter dem Namen eines anderen Ritters, Daguenet le coart, sich 
bei Lore einführt, so auch hier, allerdings aus einem anderen 
Beweggrunde, um sein Leben zu retten, von der Kammerzofe 
als Kei der Pucele del Gautdestroit vorgestellt wird. 

Nach alledem möchte ich also den Anteil des in V. 3352 
und 6170 genannten Raoul an der Vengeance Raguidel folgender- 
massen feststellen: 

1. Von Raoul rührt die Komposition des ganzen Romans 
her, die Auswahl der Episoden und ihre Zusammenfügung und 


136 M. KALUZA, 


Verschmelzung mit der Grundfabel, der Rache für die Ermordung 
des Raguidel. 

2. Von ihm selbst ist verfasst der zweite Teil des Gedichtes, 
etwa von V.2744 (vielleicht schon von V. 2671 ab) bis zum 
Schluss, V. 6174. 

3. Von ihm rührt im wesentlichen auch her die Exposition 
der Grundfabel, V. 1—549, doch sind dort schon einzelne Partien 
aus einem älteren Gedichte übernommen, so namentlich das 
Abenteuer Keis mit dem Ritter vom Castel de la Cloie und 
dessen Verfolger, V. 334—486. 

4. Die Abenteuer Gavains auf dem Schlosse des schwarzen 
Ritters, V. 550—1538, und bei der Pucele del Gautdestroit bis 
zu seiner Rückkehr auf das Schloss des Maduc, V. 1539—2670 
oder 2743, sind von Raoul einem älteren Gedichte entnommen, 
aber bald mehr, bald weniger ausgeschmückt und überarbeitet 
worden. 

Somit können wir kurz Raoul als Verfasser von V.2744 
bis 6174, als Ueberarbeiter von V. 1—2743 der Vengeance 
Raguidel bezeichnen. 


Ja, 


Wir kommen nun zur Beantwortung der weiteren Frage: 
Ist der in V. 3352 und 6170 der Vengeance Raguidel genannte 
Raoul, den wir als Ueberarbeiter von V. 1—2743, als Verfasser 
von V. 2744—6174 erkannt haben, identisch mit Raoul de Houdene, 
dem Verfasser des Romans Meraugis de Portlesguez und der 
allegorischen Gedichte Roman des Eles, Songe d’Enfer, ev. auch 
Voie de Paradis? 

Soll die Frage bejaht werden, so darf 1. die Vengeance 
Raguidel nichts enthalten, was gegen den Sprachgebrauch (in 
Lauten, Formen und Satzbildung) des Raoul de Houdene ver- 
stösst. Sie muss 2. in den metrischen und 3. in den stilistischen 
Eigentümlichkeiten mit den sicher echten Werken des Raoul de 
Houdene genau übereinstimmen. Es muss 4. auch dem Inhalte 
nach die Verfasserschaft des Raoul de Houdene nicht unwahr- 
scheinlich sein. Diese vier Forderungen erfüllt, wie ich nunmehr 
unter Hinweis auf die bisherigen Erörterungen der Frage kurz 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 137 


zeigen will, derjenige Teil der Vengeance Raguidel, um den es 
sich nach den vorausgegangenen Frörterungen allein handeln 
kann, nämlich V. 2744—6174 und einige Partien am Anfange 
des Gedichtes, durchaus. 

1. Was zunächst die Sprache der Vengeance Raguidel an- 
langt, so haben zwar Zingerle für Laut- und Formenlehre, Abbe- 
husen für die Syntax auf einige Erscheinungen hingewiesen, die 
dem sonstigen Sprachgebrauch des Raoul de Houdene wider- 
sprechen, aber, wie schon Zenker, 1. c. S. 22—26, gezeigt hat, 
sind dieselben teils von geringfügiger Bedeutung, teils fallen sie 
in den ersten, nicht von Raoul selbst herrührenden Teil des 
Gedichtes hinein. Dabei ist noch zu bedenken, dass wir von 
der Vengeance Raguidel nur eine einzige, noch dazu ganz un- 
vollkommen edierte vollständige Handschrift besitzen, die zur 
Anstellung feinerer grammatischer Untersuchungen wenig ge- 
eignet ist. Schon das Zurückgehen auf die wahre Lesart der 
Handschrift beseitigt manche scheinbare Absonderlichkeiten des 
Sprachgebrauchs der Ausgabe. So finden wir, um nur ein paar 
Beispiele anzuführen, in Hippeaus Ausgabe die falschen Reime 
1417 di : ne lui, 3687 o lwi : toli, 5181 terre : traire, 5859 con- 
nuit : nwit, 5555 retornoit : vait (vadit), in der Hs. aber richtig 
di: nel vi, o Ü: toli, terre : querre, connut : mut (movit), re- 
tornoit : n’oit (non habuit), bei Hippeau 1508 je vo 7 di bien, 
2230 et 7 commandai, 5404 et U sai, in der Hs. aber je vos di 
bien, et commandai, et sai, bei Hippeau 5293 movera, in der Hs. 
zweisilbig mouura (um den Vers zu füllen ist mit Zenker S. 23 
li ors zu lesen), bei Hippeau 880 Se vos i avies amene, 943 Trop 
grant outrage vos farsies, 59392 Vos n’i porries rien avancier, aber 
880 i, 943 vos, 5332 rien sind erst von Hippeau eingesetzt, die 
Formen avies, faisies, porries sind also in der Hs. dreisilbig 
gemessen, u. 8. w. Es zeigt ferner auch das von P. Meyer, 
Romania XXI, 414 ff., veröffentlichte Bruchstück (150 Verse) 
einer zweiten Handschrift der Vengeance Raguidel starke Ab- 
weichungen nicht bloss im Versinnern, sondern auch im Reime; 
auch fehlen dort einige Verse der ersten Hs. und andere sind 
neu hinzugefügt. Kurz, wir sind weit entfernt davon, einen 
zuverlässigen Text der ursprünglichen Fassung der Vengeance 
Raguidel zu besitzen, können darum auf geringfügige Ab- 
weichungen im Sprachgebrauch der uns zufällig erhaltenen 
‚Handschrift keinen Wert legen. Ich darf also wohl, ohne Wider- 


138 M. KALUZA, 


spruch zu erfahren, behaupten: Es besteht zwischen der Vengeance 
Raguidel und den sicher echten Werken des Raoul de Houdene 
keinerlei sprachliche Verschiedenheit, welche gleiche Verfasser- 
schaft ausschliessen könnte, vielmehr ist der dialektische und 
syntaktische Charakter des Gedichtes durchaus in Ueberein- 
stimmung mit dem Sprachgebrauch des Raoul de Houdenc, ab- 
gesehen vielleicht von einigen kleineren Abweichungen, die Raoul 
in dem von ihm nur überarbeiteten ersten Teile des Gedichtes 
hat stehen lassen. 

2. Während der Sprachgebrauch uns nur ein negatives Krite- 
rium für die Feststellung der Verfasserschaft bietet, da Ver- 
schiedenheit desselben zwar Gleichheit der Verfasser ansschliesst, 
Uebereinstimmungen aber noch nichts beweisen, da ja mehrere 
Diehter in demselben Dialekt und zu derselben Zeit geschrieben 
haben können, ist die Uebereinstimmung in den metrischen 
Eigentümlichkeiten, insbesondere in der Verwendung des Reimes 
von grösserem Werte für die Entscheidung der Verfasserfrage, 
da gerade in der Reimtechnik, wie am besten aus Freymonds 
Tabellen über das Vorkommen der verschiedenen Arten des 
reichen Reimes bei den altfranzösischen Dichtern (Ztschr. f. rom. 
Phil. VI, 22—29) zu ersehen ist, fast ein jeder Dichter seine 
eigenen Wege geht und die Achnlichkeit oder Verschiedenheit 
zweier Gedichte in diesem Punkte sich überdies durch Zahlen 
bequem ausdrücken lässt. 

In dem Versbau selbst ist ein Unterschied zwischen der 
Vengeance Raguidel und den Werken des Raoul de Houdene 
nicht zu erkennen. Etwaige Fälle von Hiatus oder Elision oder 
Inklination, die von dem Gebrauche des Raoul de Houdene ab- 
zuweichen scheinen, erledigen sich durch den oben charakteri- 
sierten unzuverlässigen Zustand des uns erhaltenen Textes. Das 
Enjambement, das nach P. Meyer, Revue critique 1869, I, 315 
und G. Paris, Hist. litt. de la France XXX, 47 in den Werken 
des Raoul de Houdenc besonders häufig a ist auch in VR2, 
wie ich von jetzt ab der Kürze wegen den von Raoul selbst 
verfassten Teil der Vengeance Raguidel bezeichnen will, auf 
jeder Seite anzutreffen, eberiso die sog. Reimbrechung, d.h. die 
Trennung der beiden Verse eines Reimpaares durch eine stärkere 
Interpunktion. Ich kann daher darauf verzichten, Beispiele 
dafür zu geben. 3 

Was nun die Reimtechnik des Raoul de’ Houdenc anlangt, 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 159 


so ist es ja aus den früheren Untersuchungen bekannt, dass er 
die sog. reichen Reime nebst den damit verwandten grammatischen 
und den sog. paronymen — Tobler (Vom franz. Versbau®, S. 150) 
nennt sie, Doppelreime — ausserordentlich liebt. Der Durch- 
schnittsprozentsatz der reichen Reime beträgt im Meraugis 39, 
im Roman des Eles 49, im Songe d’Enfer 59, in der Voie de 
Paradis 55. Dabei ist, wie oben (S. 129) schon bemerkt, der 
Prozentsatz der reichen Reime im Meraugis zu Anfang erheblich 
stärker, als weiterhin; das Streben des Dichters nach möglichst 
häufiger Verwendung des reichen Reimes ist also auch dort trotz 
des etwas geringeren Durchschnittes unverkennbar. Nun ist in 
dem ersten Teile dieser Arbeit (S. 128 £.) bereits näher ausgeführt, 
wie gerade durch die Häufigkeit des reichen Reimes der von 
Raoul herrührende zweite Teil der Vengeance Raguidel von dem 
ihm nicht angehörenden ersten Teile sich unterscheidet. Es 
beträgt für VR! der Prozentsatz nur 22,4, für VR? aber 49,4. 
Der Raoul der Vengeance Raguidel liebt also den reichen Reim 
ungefähr in demselben Masse wie Raoul de Houdene bei Ab- 
fassung des Roman des Eles, und wir finden ausserdem in den 
ersten Vershunderten von VR?2 ebenso wie zu Anfang des 
Meraugis den höchsten Prozentsatz reicher Reime (s. o. S. 129). 
Dazu kommt, dass auch die Zahlen für die einzelnen Unterarten 
des reichen Reimes, also III, IV, V, VI und A,B,C,D der 
Freymondschen Tabellen, bei VR mit denen der übrigen Werke 
des Raoul de Houdenc, soweit dies überhaupt möglich ist, überein- 
stimmen. Die Zahlen lauten nach Freymond (l. ec. S. 25 ff.): 


TEL. EV Me SV SR ser IB U D 








MP 19 6 a! 3 3) a Fe A er 
VR? 25 9 11 2 Ale Ch 8. Ohr) 
RE 21 8 18 2 Ag. #5: 6 19, ı 2b 
SE 23 10 19 7 Byrie.B,00: 18 55 
VP 17,5 20,5 912 5 LE | a a ee A 7 


Aber auch damit ist die Uebereinstimmung zwischen VR? 
und Raoul de Houdene in dem Gebrauch der reichen Reime noch 


‘) Die Zahlen für VR? sind hier ebenfalls nach Freymond mitgeteilt, 
der darunter nur V. 3352 — Schluss versteht. Bei Hinzunahme der vorher- 
gehenden 600 Verse würde sich der Prozentsatz für die einzelnen Unterarten 
nur wenig ändern, 


140 M. KALUZA, 


nicht erschöpft. ‚Jeder Dichter hat unbewusst eine Vorliebe für 
bestimmte Reimwörter, die er, so oft sich ihm die Gelegenheit 
dazu bietet, in seinen Werken anbringt. Wenn nun zwei Werke 
verwandten Inhalts wie VR?2 und MP von demselben Verfasser 
herrühren, dann ist von vornherein anzunehmen, dass die Lieb- 
lingsreimwörter des einen auch in dem andern besonders häufig 
wiederkehren werden, obwohl ja kleine Verschiebungen natürlich 
sowohl durch den immerhin etwas verschiedenen Inhalt, wie 
insbesondere auch durch die zwischen der Abfassung der beiden 
Werke vielleicht liegende Zeit veranlasst sein können. Um in 
diesem für die Gleichheit der Verfasserschaft so bedeutsamen 
Punkte die auffallende Uebereinstimmung zwischen VR? und den 
sonstigen Werken des Raoul de Houdene im einzelnen nach- 
zuweisen, müsste ich ein vollständiges Reimlexikon dieser Dich- 
tungen geben, was den Rahmen meiner Arbeit bei weitem über- 
schreiten würde. Ich will daher hier nur ganz kurz auf einige 
in VR? ebenso wie in MP, RE und SE besonders häufig vor- 
kommende reiche Reime hinweisen, z. B. pas (Schritt) : pas (nicht); 
part (Sb.) : part (Vb.); cort (Hof) : cort (kurz); vint (20) : vint 
(kam); non (nicht) : non (Name); pris (Sb.) : pris (Part.); tor 
(Turm) : entor, ator; gie (ich) : congie, songie, jor : sejor; fors 
: esfors; vient : -vient;') vint : -vint, voir : avoir, savoir;, voit 
: avoit, savoit; ci: issi; ci: merci; pres: apres; pris:-pris; avant 
: devant; conte (Erzählung) : conte (Vb.); dire : d’ire; faire : afaire; 
mie (nicht) : amie; querre : conquerre, requerre; semble (Vb.): en- 
semble etc. etc. 

Neben dem gewöhnlichen reichen Reime geht in der Regel 
einher der sog. grammatische Reim, der nichts weiter ist als 
eine Uebertragung des Princips des reichen Reimes auf zwei 
nicht miteinander reimende, aber unmittelbar nebeneinander 
stehende Verse oder Verspaare, und zwar möchte ich den Begriff 
des grammatischen Reimes nicht so eng fassen, wie Tobler (Vom 
franz. Versbau? S. 149) es thut, der grammatischen Reim nur 
dann annimmt, wenn beide Wörter eines Reimpaares in dem 
folgenden Paare in anderer grammatischer Flexion sich wieder- 
holen, z. B. avoir : savoir, avoit : savoit, sondern dazu auch solche 
Fälle rechnen, in denen nur eines der beiden Reimwörter in dem 
folgenden Paare in anderer Flexion wiederkehrt, z. B. (honte :) 


x 


!) D.h. ein Compositum von vient, 


- 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 141 


conte, conte : reconte VR 2768—70. Auch der grammatische 
Reim ist in den von Raoul herrührenden Partien der Vengeance 
Raguidel recht häufig; es besteht also auch in diesem Punkte 
die schönste Uebereinstimmung zwischen VR? und den Werken 
des Raoul de Houdenc. Ich kann wieder nur ein paar Bei- 
spiele von besonderer Häufung grammatischer Reime an- 
führen, z.B. VR 3173 sesist : mesfesist, messeant : seant, (veoir) 
: seoir, asis : sis; VR 5639 conquerres : querres, querrai : con- 
querrai, conquerres; VR 4559 partis : vos jus partis, partes : vos 
jus partes, partie : departie, part (Vb.) : part (Sb.); MP 93 de- 
viser : aviser, avisast : devisast, devis : de vis; MP 1211 garde (Sb.) 
: regarde, esgarder : garder, garda : regarda; MP 1887 vendroit 
: droit (Sb.), torz (Adj.) : torz (Sb.), droiz (Sb.) : droiz (Adj.), 
reson tortue : de son tort tue, orendroit : droit etc. 

Ebenso herrscht Uebereinstimmung zwischen VR? und den 
Werken des Raoul de Houdene in dem Vorkommen der sog. 
paronymen oder Doppelreime (vgl. Freymond, Ztschr. f. rom. Phil. 
VI, 35, Tobler, Vom frz. Versbau? S. 150), doch überlasse ich 
die Nachweisung im einzelnen Friedwagner (s. S. 126 oben), der 
sich leider in der Einleitung zu seiner Ausgabe des Meraugis 
(S.XXXV) die gute Gelegenheit, über die Reimtechnik des Raoul 
de Houdenc genauere Auskunft zu geben und die einzelnen bei 
ihm vorkommenden Arten des Reimes durch Beispiele aus 
Meraugis zu erläutern, hat entgehen lassen. Jedenfalls darf ich 
behaupten, dass in den metrischen Eigentümlichkeiten, insbesondere 
in der Verwendung der reichen, grammatischen und paronymen 
Reime der von Raoul herrührende Teil der Vengeance Raguidel 
mit den sicher echten Werken des Raoul de Houdene in vollem 
Einklang steht. 

3. Wir kommen nun zu den stilistischen Eigentümlichkeiten 
der Vengeance Raguidel. Der Stil des Raoul de Houdene ist so 
charakteristisch und enthält bestimmte, ihm ganz besonders 
eigentümliche Merkmale (vgl. z. B. P. Meyer, Reyue critique 
1869, 311), dass es leicht zu entscheiden ist, ob dieselben 
charakteristischen Stileigentümlichkeiten auch in der Vengeance 
Raguidel anzutreffen sind. Und sie sind anzutreffen. Wenn 
man nur im Auge behält, dass V. 550—2743 als nicht von Raoul 
herrührend, oder von ihm nur leise überarbeitet, auszuscheiden 
sind, dann findet man in Börners Dissertation (s. o. S. 121) auf 
jeder Seite die schönsten Beweise für die enge Zusammen- 


142 M. KALUZA, 


gehörigkeit der Vengeance Raguidel mit den übrigen Werken 
des Raoul de Houdene. Auch sind die von Börner (S. 110 ff.) 
aus dem Stil der Vengeance Raguidel gegen die Autorschaft des 
Raoul de Houdene erhobenen Einwendungen für VR? von Zenker 
(S. 26 ff.) bereits so glänzend widerlegt worden, dass ich dem 
kein Wort hinzuzufügen habe. Dass Zenker nur V. 3352 bis 
Schluss für ein Werk des Raoul de Houdene hält, während ich 
ihm auch die vorhergehenden 600 Verse und einen Teil der Ein- 
leitung des Gedichtes zuschreibe, macht dabei keinen Unterschied, 
denn diese Partien sind von mir gerade deshalb auch für Raoul 
de Houdene in Anspruch genommen worden, weil darin sein Stil 
deutlich zu erkennen ist. Für besonders beweiskräftig halte ich 
die Uebereinstimmung von VR? mit dem Stile des Raoul de 
Houdene in der Synecdoche (Börner S. 45—51), dem Parallelis- 
mus (ib. S. 71—73), der Distributio (S. 73—76), der Parenthese 
(S. 76 £.), der Anaphora (s. 80—83), der Epanalepsis (S. 83 f.), 
der Anadiplosis (S. 84—86), der Epanodos (S. 86), der Epizeuxis 
(S. 86—88), dem Polyptoton (S. 88—91), ferner im Ausruf (8. 93 
bis 96), in den Monologen (S. 97—103; vgl. damit Zenker S. 16 f.), 
in den rhetorischen Fragen!) (S. 103—105), in der Wechselrede 
(S. 105— 107) ete. und ich begreife nicht, wie Börner eine Ver- 
schiedenheit zwischen dem Raoul der Vengeance Raguidel und 
Raoul de Houdenc im Gebrauch dieser Stilfiguren herausfinden 
konnte. | 

Auf weitere Einzelheiten des Stiles einzugehen, verbietet 
mir der beschränkte, mir hier zur Verfügung stehende Raum; 
ein paar ähnliche Stellen aus VR und MP, die mir gelegentlich 
aufgestossen sind, und die ich bei Börner nicht verzeichnet ge- 
funden habe, möchte ich aber doch noch anführen. Man ver- 
gleiche z. B. VR 2893 ft. 


Au mur vienent et si asaillent. 


Et eil qui furent dedens saillent 
Enecontre els etc. 





mit MP4313ff. Les drecent as murs, si assaillent. 


!) Einige rhetorische Fragen sind nur durch das Ungeschick des Heraus- 
gebers verwischt worden, z.B. V.91 Dormist? Non, por nule aventure, V.4185 
Pensa? Voire, jel sai de voir, 4583 Querroit?“ fait il, „Dius que ferai?, 
4589 Mentoie? Ja ne m’avenra, 4119 Feres? Non, voir; je vos afi, 4743 Qui- 
doit? Voire, mais il ert fols, 5925 Ne set? Non. Nus nel puet savoir. 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 143 


Et eil qui furent dedenz saillent 
Enecontre etc. 


VR 3651 Sire, il est miens et vostre est il 
mit MP 260 Par tot soit miens et par tot vostre, 


VR 3691 ff. N’aine puis ne fu ses frains tenus 
Devant co que il est venus 
A la dame dou Gautdestroit 


mit MP 4256f. Onques son frain n’osa hoster !) 
Devant ce qw'il vint a Monhaut 


VR 3821 Quant plus l’esgarde, plus li plaist 
mit MP 384f. Quant plus l’esgarde?) et plus l’avise 
Et plus li plest a deviser 


VR 3850f. Sire, oil bien, mais a vos veul 
Un poi parler 
mit MP 26681. Je vueil a vos 
Parler 1. noı, 


Der Schluss der Vengeance Raguidel, V. 6168 ff.: 
Issi faut et remaint 
Li contes, qwil ne dure mais... 
Qui? N’i soit noume&s?®) Ü’est li contes 
De la VENGEANCE RAGUIDEL. 
erinnert lebhaft an die Schlussverse des Roman des Eles, V. 658 ff.: 
Lairai je que non ne li mete 
A cest romans? Par foi, je non: 
LI ROMANS DES ELES ait non. 


Ganz besonders aber möchte ich hinweisen auf die Aehnlichkeit 
zweier Wortspiele in VR und MP, die meiner Meinung nach 
nur bei der Annahme gleicher Verfasserschaft erklärlich ist. 
Als Druidain von Artus die Hand der Yde beansprucht, er- 
widert er dem Könige auf die Frage nach seinem Namen, V. 4386 ff.: 


') So liest W. Friedwagner hat dafür nach den übrigen Hss. eingesetzt: 
Si ne fine d’esperoner, aber sein Stammbaum der Hss. ist nicht über jeden 
Zweifel erhaben; vgl. G. Paris, Romania XXVII, 307 ff. 

2) So W; Friedwagner: la voit. 

8) Ich weiss nicht, ob meine Interpunktion das Richtige trifit. Die 
Stelle ist wohl ungenau überliefert. Der Zusammenhang erfordert jedenfalls 
die Deutung: „Soll das Gedicht keinen Namen erhalten ?* 


144 M. KALUZA, 


„Druidain, li fius Drulias. 

Et por co ai non Druidain 
Que je dois estre drus Ydain, 
Ele ma drue et je ses drus.“ 


(sanz ähnlich heisst es im Meraugis, V. 1092 ff.: 
„Je ne ving pas ceenz as plez, 
Dame,“ ce dit Gorvains Cadruz, 
Aincois i ving prover qu’a druz'!) 
Me doit la pucele tenir. 


Der Stil von VR? weist also in allen Punkten deutlich auf 
Raoul de Houdene als Verfasser hin, und wenn G. Paris (Hist. 
litt. de Ja France XXX, 47) sagt: „... pris dans son ensemble, 
le style de Raguidel est beaucoup plus familier, plus simple, 
souvent plus neglige que celui de Meraugis; quand on lit les deux 
poemes de suite d’un bout & l’autre, on a l’impression sensible 
quils ne sortent pas de la mäme main“, dann muss er — er 
möge mir dies nicht übelnehmen — die Vengeance Raguidel 
entweder nicht ‘d’un bout & T’autre’ oder doch mit schon vor- 
gefasster Meinung gelesen haben, sonst hätte sich ihm wenigstens 
in dem zweiten Teile des Gedichtes die grosse Stilähnlichkeit 
mit Raoul de Houdene aufdrängen müssen. Ich verweise ihn 
z.B. auf S. 127—138 oder S. 148—164 der Hippeauschen Aus- 
gabe. Wenn er dort den Stil des Verfassers des Meraugis nicht 
wiedererkennt, dann giebt es überhaupt keine Stilähnlichkeit 
mehr. Allerdings salviert sich G. Paris damit, dass er annimmt, 
der Verfasser der Vengeance Raguidel habe den Meraugis ge- 
kannt und dessen Stil nachgeahmt. Aber eine derartig getreue 
Nachbildung des Stiles und der Reimtechnik eines Dichters 
durch einen andern (vgl. Zenker, S. 32) wäre doch ausserordentlich 
schwierig, wenn nicht geradezu unmöglich. Es wäre dann auch 
um so auffallender, dass dieser Raoul, der die Werke des Raoul 
de Houdene gekannt und sich zum Vorbild genommen, sich doch 
nicht durch einen Beinamen von seinem Meister unterschieden 
hätte, während der in weiteren Kreisen bekannte Raoul de 
Houdene auch hier, wie anderwärts (vgl. Michelant, Meraugis 


!) Friedwagner verdirbt das Wortspiel (vgl. Romania XXVII, 314) indem 
er nach 7 liest: Ainz i ving prover que a druz. Auch hier bietet W die 
bessere Lesart. 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 145 


S. XIV £.), seinen Geburtsort unerwähnt lassen konnte (vgl. 
Zenker S. 31).!) 

Dass der Stil der Vengeance Raguidel trotz aller Ueber- 
einstimmungen sich aber doch, wie auch Zenker (S. 30) annimmt, 
um eine kleine Nuance von dem des Meraugis unterscheidet, will 
ich dabei zugeben, und zwar ist, um es kurz zu sagen, der Stil 
der Vengeance Raguidel etwas weniger gekünstelt als der des 
Meraugis; aber diese geringe Verschiedenheit erklärt sich einfach 
durch die zwischen der Abfassung der beiden Romane liegende 
Zeit. Als Raoul de Houdene seinen Meraugis schrieb, den ich 
im Unterschiede von Zenker (s. unten S. 147) für das frühere 
Werk ansehe, wollte er seine ganze Kunst in verschiedenen 
Künsteleien des Stiles zeigen; dasselbe that er im Roman des 
Eles, der wohl bald darauf folgte. Einige Jahre später aber, 
bei Abfassung der Vengeance Raguidel, mochte er wohl ein- 
gesehen haben, dass das Uebermass dieser Stileigentümlichkeiten, 
wie es uns im Meraugis entgegentritt, ermüdend wirkt; er zeigt 
daher eine grössere Mässigung in der Anwendung derselben. 
Eine noch grössere Einfachheit des Stiles finden wir im Songe 
d’Enfer, dessen Abfassung wohl noch etwas später anzusetzen 





!) Aehnlich wie G. Paris sagt soeben (August 1898) auch W. Förster 
(Ztschr. £. frz. Spr. u. Litt. XX, 104): „Ich empfinde, wenn ich auf 1000 Zeilen 
Meraugis 1000 Zeilen Raguidel gelesen habe, den Eindruck, als wenn ich 
eine andere Welt angetroffen hätte.“ Leider geht aus dieser Aeusserung 
Försters hervor, dass auch ihm die Arbeit Zenkers und damit der ganz ver- 
schiedene Charakter von VR'! und VR? unbekannt ist. Ich möchte ihn bitten, 
einmal 1000 Zeilen aus VR?, also etwa V. 4000—5000, zu lesen und dann sein 
Urteil darüber zu sagen. Wertvoll ist mir Försters Zugeständnis (ib. S. 107), 
dass die Vengeance Raguidel „ganz entschieden unendlich höher“ steht als 
Meraugis, denn dies spricht für meine Ansicht (s. u. S. 147), dass Meraugis 
das frühere Werk ist. — Ich bemerke zu Försters Ausführungen (ib. S. 104) 
noch, dass Friedwagner mit keinem Worte erwähnt, dass er die „Raguidel- 
Rache... unserem Dichter zuschreibt“, noch auch dass der „Paradiesestraum“ 
sich unter den von ihm herauszugebenden allegorischen Dichtungen nicht be- 
finden wird. Vielmehr will Friedwagner eine Ausgabe „aller echten und der 
bisher in ihrer Echtheit angezweifelten Werke“ des Raoul de Houdene bieten. 
Er wird also, wenn ich ihn recht verstanden habe — er spricht S. XIV von 
den „allegorischen Dichtungen, für welche alle das handschriftliche Material 
bereits gesammelt ist“ — auch den „Paradiesestraum“ nicht ausschliessen, 
obwohl er ihn für unecht hält, und die beabsichtigte Aufnahme der „Raguidel- 
Rache“ in seine Ausgabe der Werke des Raoul de Houdene praejudieiert nicht 
im geringsten seiner eigenen Entscheidung über die Echtheit oder Unechtheit 
derselben. 
Festgabe für Gustav Gröber, 10 


146 M. KALUZA, 


ist. Zu einem Zweifel an der Autorschaft des Raoul de Houdene 
berechtigt also auch diese geringe Verschiedenheit des Stiles nicht. 

4. Für Raoul de Houdene als Verfasser spricht endlich auch 
der Inhalt der Vengeance Raguidel. Wie der Roman von 
Meraugis gehört auch unser Gedicht in die Gattung der Artus- 
romane. Wie dort glänzt auch hier vor allem Gavain durch 
seine Tapferkeit, während der prahlsüchtige, feige Kei verspottet 
wird. Es ist ferner zu beachten, worauf ja schon mehrfach hin- 
gewiesen worden ist, dass der Held des einen Romans, Meraugis 
de Portlesguez, in dem anderen bei Gelegenheit der Schilderung 
eines Tourniers erwähnt wird, VR 1268 f.: Mervelles bien le fist 
cel jor Meraugis, cil de Portlesguds, und zwar lag nach dem 
ganzen Zusammenhange zur Erwähnung eines einzelnen Helden 
gar keine Veranlassung vor, so dass wir darin nur das Bestreben 
des Verfassers — oder hier vielmehr des Ueberarbeiters — zu 
erblicken haben, bei dieser Gelegenheit auch auf sein früheres 
Werk von Meraugis hinzuweisen, für dasselbe gleichsam Reklame 
zu machen. Ebenso werden späterhin andere Personen aus dem 
Roman von Meraugis in der Vengeance Raguidel erwähnt, so 
Meliant des Lis, VR 3182—88: 


Rois Enguenors le siut avoir. 
Sel donna Meliant de Lis; 
Mais il en fist poi ses delis, 
Qu’il le perdi a Guinesores 
Por la dame de Landesmores, 
U Meliant se conbati 

Contre Madue qui l’abati, 


der im Meraugis 4645 ff. 5561 ff. 5740 ff. erwähnt wird, „serorge 
estoit Belchis le Loiz“. Auch das Turnier zu „Guinesores Por 
la dame de Landemores“ finden wir im Meraugis V. 157 ff. wieder. 
Ferner erinnert Lingrenote, die Herrin des Castel Sanz Non, 
VR V. 5050—55: 


Mais il [Guengasouain] fu el Castel Sanz Non, 
Qui siet en .I. ile qui flote 

U damoisele Lingrenote 

Le mist par son eneantement. 

Ele le tint mult longement _ 

En Tille, tant quwil l’adouba, 


RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 147 


an die Vie Sanz Non, MP 2779—82, die Cite sanz Non, MP 2815 
und an die Dame der Insel, die Gavain so lange gefangen hält, 
bis er von Meraugis befreit wird. Endlich scheint auch die 
komische ‘Figur des Druidain, der trotz aller Hindernisse, die 
sich ihm anfänglich entgegenstellen, doch die Hand der Dame, 
die ihm durch den mysteriösen Lion d’airain zugesprochen war, 
erhält, eine Reminiscenz an den Zwerg im Meraugis (vg]. ins- 
besondere V. 2174—2511) zu sein, der ebenfalls die Dame, die 
ihm anfangs verweigert wird, schliesslich mit Hilfe des Meraugis 
als Gattin heimführt. 

Aus all diesen Anspielungen auf den Roman von Meraugis 
seht deutlich hervor, dass Raoul, der Verfasser bezw. Ueber- 
arbeiter der Vengeance Raguidel den Meraugis genau gekannt 
hat, und am besten musste ihn natürlich der Verfasser selbst, 
Raoul de Houdenc, kennen. Es folgt weiter daraus, dass die 
Vengeance Raguidel nicht, wie Zenker S. 30 annimmt, das 
Erstlingswerk des Raoul de Houdene gewesen sein kann, sondern 
dass der Meraugis früher verfasst war. Hierfür scheint mir 
auch der Ausdruck am Schluss der Vengeance Raguidel zu 
sprechen, V. 6170 f. Raols qui U fist, ne vit apres Dont il fesist 
grinnor acontes, denn das setzt voraus, dass er schon mehr als 
eine grössere Erzählung geschrieben, also mindestens den Meraugis 
vorher verfasst hat. Zenker weist allerdings zur Stütze seiner 
Ansicht auf die Eingangsverse des Meraugis hin, die so ver- 
standen werden können, dass der Dichter sich in diesem Roman 
der vilainies, wie sie in seinem früheren Werke, der Vengeance 
Raguidel, vorkommen, enthalten wolle. Aber so ansprechend 
diese Deutung der etwas dunkel gehaltenen Einleitung des 
Meraugis an sich auch ist, liegt doch kein zwingender Grund 
vor, diese Aeusserung wirklich auf die Vengeance Raguidel zu 
beziehen. Ich glaube vielmehr, dass auch die verschiedene Be- 
handlung des Themas der Liebe und der Frauen in den beiden 
Dichtungen auf die Reihenfolge Meraugis — Vengeance Raguidel, 
nicht auf die umgekehrte, hindeutet. In seinem Erstlingswerke 
Meraugis schwärmte Raoul de Houdene noch für die ideale Liebe 
und erhob die Frauen in jeder Weise; später aber hatte sich 
seine Begeisterung abgekühlt; er hatte wohl selbst manche Ent- 
täuschung erfahren; er neigte daher mehr der Satire zu, wie 
am besten sein an köstlichem Spott so reicher Songe d’Enfer 
erkennen lässt, dem die Vengeance Raguidel ja auch im Stil 

10* 


148 KALUZA, RAOUL DE HOUDENC UND DIE VENGEANCE RAGUIDEL. 


und in der Reimtechnik besonders nahe steht. Darum scheut 
er sich jetzt nicht, in der Schilderung der Liebe und der Frauen 
auch die Kehrseite der Medaille zu zeigen, die in tötlichen Hass 
verwandelte unerwiderte Liebe der Pucele del Gautdestroit, die 
bei Hofe herrschende Leichtfertigkeit der Sitten in dem Fabliau 
vom Mantel Mautaille, den Wankelmut der Frauen in der Figur 
der koketten Yde. Trotzdem aber kann man nicht sagen, 
dass er ungerecht gegen die Frauen gewesen und dass die 
Tendenz der Vengeance Raguidel der des Meraugis entgegen- 
gesetzt ist, denn er schildert uns auch die über das Grab hinaus 
dauernde Treue der Frauen in der Geliebten des Raguidel und 
entwirft ein schönes Bild der wahren Liebe, die alle Hindernisse 
glücklich überwindet, in den Gestalten des Yder und der Tre- 
mionete. Also auch der aus der verschiedenen Behandlung der 
Liebe und der Frauen von Börner und G. Paris (s. o. S. 121 £.) 
gegen die Identität der beiden Raoul erhobene Einwand ist 
nicht stichhaltig, zumal ja auch andere Dichter — ich erinnere 
nur an Chaucer — in ihren Werken die verschiedenartigsten 
Frauentypen uns vorführen. 

Nach alledem halte ich die Verfasserschaft des Raoul de 
Houdene für die Vengeance Raguidel in dem oben (S. 135.) ab- 
gegrenzten Umfange für erwiesen. Wir dürfen also, wenn wir 
berücksichtigen, dass ihm die Komposition des Ganzen angehört 
und dass er auch die einem älteren Gedichte entnommenen 
Partien mehr oder weniger überarbeitet hat, die Vengeance 
Raguidel geradezu als ein Werk des Raoul de Houdence 
bezeichnen. 


Königsberg i. Pr. Max Kauuza. 


Zur Wortgeschichte des Französischen. 


berme f. 


die Gährtonne. Das Wort fehlt bei Littre, Scheler und Koerting. 
Die Herausgeber des Dictionnaire general weisen es seit der 
Mitte des XVII. Jahrhunderts nach und bezeichnen die Her- 
kunft als nicht bekannt. Es wird sich nicht trennen lassen von 
altengl. beorma, me. berme, barme, ne. barm (vgl. Murray, A new 
Engl. Diet), mndl. berm, barm, groning. barm, ostfries. barm, 
mnd. barm, berm, nhd. (aus dem Nd. entlehnt, s. F. Kluge, Etym. 
Wörterb.) Bärme Hefe. Dass ein Wort, welches Hefe bezeichnet, 
die Bedeutung Gährtonne, Gährungswanne annimmt, Kann nicht 
auffallen. Eine Ableitung ist nach dem Diet. general bermier, der 
Bornknecht (ouvrier des salines qui porte l'eau saturee de sel 
dans la cuve), während Littre dasselbe zu berme —= dt. Derme 
(Deichrand ete., vgl. Th. Braune, Zs. f. rom. Phil. Bd. XIX, 
S. 349.) stellt. 


lothr. barge 
Axt zum Behauen der Trester auf der Kelter. J. Graf, Die 
germanischen Bestandteile des patois messin, verzeichnet barge 
S. 32 unter denjenigen Wörtern, welche vielleicht germanischen 
Ursprung haben, und giebt als Fundort Lorrain, Glossaire du 
patois messin (Nancy 1876) an. Anderwärts finde ich es nicht 
nachgewiesen, was auf geringe Verbreitung vielleicht schliessen 
lässt. In Bezug auf die Herleitung bemerkt Graf I. e. „Vgl. 
Vilmar hessisch barte, kleine Axt; fläm. baars Axt (Lorrain). 
Dasselbe Wort wie in Hellebarde; wie jedoch wurde ? zu 9?“ 
Die Bedeutung des lothring. Wortes legt es allerdings nahe, an 
die genannten germanischen Bezeichnungen als etymologische 


150 D. BEHRENS, 


Entsprechungen zu denken. Vielleicht ist es gestattet, in dem 
Auslaut die mitteldeutsche Verkleinerungsendung -che(n) wieder 
zu erkennen. In Oberhessen z.B. bildet man zu boart (Barte, 
kurzes Beil) ein in einzelnen Gegenden sehr gewöhnliches 
Deminutivum bartche; Sprichwort: mer gett net die Boart, mer 
gett erst des Bartche. S. W. Crecelius, Oberhessisches Wörter- 
buch I, S. 96, wo noch auf das Vorkommen des Wortes im 
Bairischen, Schmeller I, S. 283, hingewiesen wird. Lothring. 
(metz.) barge würde hiernach ein mit Deminutivendung ver- 
sehenes mundartl. deutsches bartche in franz. Umbildung wieder- 
geben. Ein von Graf nach Lorrain herangezogenes fläm. baars 
suche ich bei Schuermans, Algemeen vlaamsch idioticon und de Bo, 
Westvlaamsch idioticon vergebens. 


norm. cäonchieire f. 


Jean Fleury verzeichnet das Wort S. 221 seines Essai sur 
le patois normand de la Hague als gebräuchlich in Auderville 
und im Bessin. Es ist nach ihm gleichbedeutend mit forzeire 
(vgl. A. Horning, Zs. f. rom. Phil. XXI, S.454f.) in la Hague: 
partie labouree aux deux bouts d’un „cllos“ !) perpendieulairement 
au labour du reste du champ. Aehnlich äussert sich C. Joret, 
der Le patois normand du Bessin 8. 64 canchiere mit sillon 
transversal laisse au bord d’un champ umschreibt. Was die 
Herkunft betrifft, so sieht Joret in canchiere eine Ableitung aus 
can, 8. m.: cÖöte, champ. Fleury bemerkt: cäonchieire, ce qui 
produira ou ne produira pas la cäonche, chance, ou bien ce qui 
se trouve plac& de cöte, de cäont. Von den beiden hier auf- 
gestellten Etymologien verdient diejenige Jorets, mit der Fleurys 
an zweiter Stelle gemachter Vorschlag übereinstimmt, den Vor- 
zug. Mir scheint indessen auch der Erwägung wert, ob nicht 
vielmehr in dem normannischen Worte dieselbe Bildungsweise zu 
erkennen ist wie in mundartlich franz. torniere s. f.: endroit & 
Vextremit& d’un champ oü le laboureur fait tourner ses chevaux 
et quw'il laboure ensuite en travers (Beauce). Vgl. Martelliere, 


1!) La Hague, comme toute la Basse-Normandie, la Basse- Bretagne ete., 
est divisee en petits enclos fermes de haies, et, dans les parties oü la mer 
empeche les arbres de croitre, de petitS murs en pierres seches — qu’on 
appelle des cellos. Les cllos laboures sont & leur teur divises en cäomps 
(Fleury, I. c. S. 166). 


ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 151 


Glossaire du Vendömois S. 308. Vgl. auch H. Labourasse, Gloss. 
abrege du pat. de la Meuse 8.528, s. f. touneilre (champ sur 
lequel d’autres aboutissent dans le sens de sa longueur. Portion 
de ce champ pietinee par un aboutissant quand il laboure le 
sien. Partie de son champ sur laquelle tourne un aboutissant 
pour menager le premier, et qwil laboure ensuite en travers, 
au risque de tourner sur ses deux voisins), ferner fläm. wendhoek, 
groning. wenakker und das auch in einigen Gegenden Deutsch- 
lands gebräuchliche Wende-, Wend-, Wen-akker — „Acker auf 
dem der Pflug gewendet oder umgewendt wird und der somit 
einen gegen die andern Aecker quer liegenden Landstrich bildet“ 
(J. ten Doornkaat Koolman, Wörterb. d. ostfries. Spr. s. v.), Holstein. 
wenne. Cäonchieire (canchiöre) würde hiernach zu einem nor- 
mann. cangier (cambiare) gehören, das etwa die Bedeutung des 
nfrz. changer in changer la direction du gouvernail, changer la 
barre du gouvernail hatte und in den stammbetonten Formen 
des Präsens auf stimmlose Spirans (canche; vgl. heute Bessin 
granche, granea Joret !.c. S. 108) auslautete. Dass heute neben 
cdonchieire (canchiöre) nur das offenbar der Schriftsprache ent- 
lehnte Verbum chanjie (s. Joret !. c. S. 34) vorzukommen scheint, 
steht der angenommenen Herleitung nicht im Wege, da ja Aus- 
drücke, welche sich auf Ackerbau u. dgl. beziehen, oft genug 
grössere Altertümlichkeit als andere Wörter aufweisen. 


(se) doguer 


(sich) stossen, frapper a coups de tete, a coups de corne. (Syn. 
cosser): Deux beliers qui se doguent (Diet. yener. s. v.). Das 
Wort fehlt bei Scheler und Koerting. Littre führt es auf frz. 
dogue (engl. dog) zurück. Die Verfasser des Diet. general ver- 
weisen auf daguer und bezeichnen die Herkunft als nicht bekannt. 
Es liegt auf der Hand, dass das von Littr& herangezogene engl. 
dog (die Dogge) das Etymon nicht sein kann. Gleiche oder 
ähnliche Bedeutung wie frz. doguer haben die mundartlichen 
Benennungen: mont. doguer battre, dazu die Ableitung doguette 
s. f. volee de coups (Ss. Sigart, Gloss. eiymologique montois? S. 152); 
wallon. sö doguc, se heurter (s. Remacle, Diet. wallon-frane.? 1, 
S. 523; fehlt bei Grandgagnage); pikard. doker frapper (s. Corblet, 
Glossaire S. 371 und Jouancoux, Etudes pour servir a un glossaire 
etym. du pat. picard 1, 8.179, s. v. doquer). J. bemerkt dazu: 


152 D. BEHRENS, 


d’une forme bas latin Zocare, par adoucissement de t end. Tocare 
est d’origine germanique; il correspond A l’ancien haut allemand 
zuchön, arracher, frapper. Das ist lautlich unmöglich, da an- 
lautendes ? auf französischem Boden nicht zu d wird. Ich sehe 
in dem Worte mndl. docken (dare pugnos, ingerere verbera), 
mfläm. docken (frapper, battre, ferir), westfläm. heute dokken 
(aanstooten, Kloppen, slaan), dazu ib. dokkeren herhaaldelijk 
dokken, kloppen of botsen, dok stoot. Vgl. auch ostfries. dokken 
(ten Doornkaat Koolman 1. c.). Neben dokken steht im Flämischen 
gleichbedeutendes Zokken (vgl. ndl. tokkelen und dazu J. Franck, 
Etymol. Woordenb. s. v.), dem schriftfranz. toquer, norm. toquer 
frapper de la tete (s. du Bois-Travers, Glossaire S. 347, hier 
auch Zoquant, toquard: tetu, qui a la tete assez dure pour en 
frapper ce quwil rencontre ete.), Bessin toqwie (s. C. Joret 1. ce. 
S. 171), Morvand toquer frapper, heurter, Berry toquer etc. 
(vgl. Littre s. v., de Chambure, Glossaire du Morvand S. S46f., 
wegen des Etymons zuletzt H. Schuchardt, Zs. f. rom. Phil. XXI], 
S. 397 f.) entsprechen. Die Beziehungen von niederl. dokhen, 
tokken (Groning. tukken, N.-Brab. tukken, tuken) und franz. 
doguer, toquer bleiben im Einzelnen näher zu untersuchen. Für 
ausgemacht halte ich aber, dass franz. doguer, das nur im 
Pikardischen und in einem Teil des wallonischen Sprachgebietes 
wirklich heimisch zu sein scheint, aus dem Niederländischen ein- 
gedrungen ist und aus einer germanischen Grundform Zukkon 
(vlt. Zoccare) wenigstens auf romanischem Boden sich nicht er- 
klären lässt. — Das im Diet. general verglichene franz. daguer 
steht in einigen seiner Bedeutungen flämischem (s. de Bo I. e.) 
daken (raken, treffen, tegenaankomen of zijn, fr. ioucher) zum 
mindesten sehr nahe. Ob es damit in etymologischem Zusammen- 
hang steht, wage ich nicht zu entscheiden. 


afrz. doukes, dokes 


wird von Godefroy ohne Angabe der Bedeutung mit einem Frage- 
zeichen aufgeführt. Belegt wird es von ihm zweimal aus dem 
XTI. Jahrhundert Arch. S. Omer: Les doukes et les pieches de 
dras a detail paient, de chascun .XX.s., Il.d. und ib.: Chil ki 
drap ont et ki dras font faire et pieches et dokes. Aus den 
Patois vermag ich das Wort, über dessen Bedeutung und Herkunft 
ein Zweifel nicht wohl möglich ist, nicht nachzuweisen, Es ist 


ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 153 


hochdeutschem Tuch entsprechendes mndl. doke (Plur. zu doee). 
Vgl. mnd. dök, alts. dök, afries. dök, heute ostfries. dök, welches 
Tuch, Zeug etc, dann auch ein einzelnes, abgepasstes Stück 
Zeug bedeutet.') 


afrz. esclaidage m. 
impöt sur les marchandises qui &taient transportees sur des 
charrettes ou des traineaux (Godefroy). S. auch du Cange s. v. 
esclichium. Grandgagnage, Diet. de la langue wall. II, S. 347 
verzeichnet das Wort mit der Bemerkung: droit qui se percevait 
sur chaque tonnneau de vin, de beurre etc., ap. Roq. esclaidage. 
Cp. al. selaidewr (ouvrier dont le metier consistait prob. & 
resserrer les douves des tonneaux, ou en gen. tonnelier .. .). 


: 1) Aus dem Ndl. oder Nd. stammende altfranzösische Wörter sind von 
Godefroy öfters überhaupt nicht oder nicht zutreffend gedeutet worden. Dahin 
gehören hamette (s. unten 8.157, Anmerkung), helbot (s.u. 8.156), warq 
(s. u. 8. 160). Ferner linsat: rasiere de linsat, .IV.d., es ist fläm. lijnzaad, 
mndl. lijnsaed, ostfries. linsät linsäd, mhd. linsät lini semen. Escüte (mnd. 
schute, nd. schüte, norw. skuta, ndl. schuwit ete.) wird mit (petit) bateau 
richtig umschrieben, aber fälschlich zu escute, das ein ganz anderes Wort ist 
(s. Littr& ecoute 2), gestellt. Tangqwe ist mndl. tanghe, ndl. tang, die Zange. 
Stoeille ist fläm. stoel (Stuhl) oder wohl vielmehr stoeltje (Stühlchen). 
Tourneur de stoeilles —= stoelendraiier (Stuhldrechsler). Traine wird irr- 
tümlich auch mit „sorte de poisson“ wiedergegeben. Es ist an den beiden 
angezogenen Stellen (Huile de poisson e’on dist communement fraine und 
Huile de trane) vielmehr mndl. traen, ndl. traan (ostfries. trän, Thran, aus- 
gelassenes und flüssiges Fett von Fischen und sonstigen Seetieren). Wegen 
lifecop, livecop s. de Bo, Westflaamsch Tdioticon: lijfkoop, Soort van wijn- 
‚koop, fr. pot-de-vin, bestaande gem. in bier dat de koopers in eene boom- 
venditie, enz. te drinken geven; ferner: Geld of drank aan den verkooper 
gegeven tot zekerheid van den koop. Zu fläm. holländ. loopen (laufen) gehört 
lopinaille. Vgl. westfläm. loopege etc. „loopster, lichtzinnige dochter die 
veel op den dril is. Het woord is zoo sterk niet als’t fr. coureuse“ (de Bo 
l. c. 8. auch Schuermans, Allgem. vlaamsch idiot.: looperigge, looperegge). 
Sperial ist fläm. sperel, sperrel (houten spies waarmede men eene deur of 
venster sluit. de Bo). Venne ist in dem ersten der beiden von G. für das 
Wort gegebenen Belegen, glaube ich, mndl. fläm. mnd. ostfries. ete. venne, 
fenne (ahd. fenna, fenne). Die Wörter bedeuten Sumpf, Moor; dann niedriges 
Weideland, pascuum palustre (Kilian). Gegen diese Herleitung spricht nicht 
der Anlaut des französischen Wortes, wie afrz. verbode (flüäm. verbod) und 
vebrighe (ndl. veebrug) zeigen. Gehen die von Godefroy richtig gedeuteten 
Ausdrücke lorpidon und lourpesseux auf westfläm. lurpe booswicht, 
schelm, schurk, deugniet, zurück oder ist in diesem Falle das fläm. Wort 
romanischen Ursprungs? Vgl. zu lorpidon auch A. Klett, Lexikographische 
Beiträge zu Rabelais’ Gargantua 8. 52f, 


154 D. BEHRENS, 


Hierzu meint A. Scheler in einer Anmerkung: Le radical selaid 
appartient prob. A la mäme famille germanique sit (findere, 
scindere, discerpere), qui a donn& selaii [se fendiller, s’entr’ouvrir, 
en parlant des douves d’un tonneau], afr. esclier, esclayer; selaidi 
peut avoir sienifie „faire des tonneaux“ d’oü selaid (tonneau), 
sclaidage et sclaideur. Ta chose, toutefois, reste A examiner. Es 
unterliegt wohl keinem Zweifel, dass zu esclaidage, sclaideur 
gehört das bei du Cange verzeichnete scleida, vehiculi species, 
Gall. traineau, Insulensibus eselan. Comput. ann. 1508 ex Tabul. 
S. Petri Insul.: Item ei qui adjuvit in sancto Salvatore ad 
ponendam (campanas) super Seleidam, XII. solidos. Scleida aber 
führt auf fläm. sledde slede (s. de Bo I. c. s. v. slette: Een houten 
raam of spriet of zoo iets waarop de landbouwer zijnen ploeg 
of zijne eegde legt om ze van de hofstede naar den akker, of 
van den akker naar de hofstede te voeren), mndl. sledde slidde, 
mengl. slede, mnd. slede!), ndl. siede slee, nd. slede släde sl£e, 
ostfries. slede släde ete., swed. dän. släde, gehört also nicht, wie 
Scheler für den von ihm angenommenen Stamm sclad annimmt, 
zu einer germanischen Wurzel slit (spalten), sondern zu slid 
(gleiten), d.h. zur selben Wortsippe wie ahd. slita, mhd. slite 
slitte, nhd. Schlitten (s. Kluge, Etym. Wörterb.). Sclaid bedeutet 
nicht „tonneau“, sondern „Schlitten“, selaidi nicht „faire des 
tonneaux“, sondern etwa „Schlitten fahren“, selaideur nicht 
„ouvrier dont le metier consistait prob. a resserrer les douves 
des tonneaux ou en gener. tonnelier“, sondern jem. der Schlitten 
fertigt (s. Godefroy Ss. v. selaideur die Belege) oder Schlitten 
fährt. Wegen Wallon. schte, pik. celidon .vgl. Grandgagnage 
l. c. II, 8. 349. Nicht völlig durchsichtig ist die Bildungsweise 
von wall. scloion, wozu Scheler Grandgagnage I. c. Anm. bemerkt 
„se deduit correctement de selite“. 


flet m. 


ein Fisch aus der Gruppe der Flachfische oder Pleuronectiden: 
pleuronectes flessa, gleichbedeutend mit altfrz. flondre, neunorm. 


') S. Schiller und Lübben, Mittelniederd. Wörterb. Hier auch slede in 
der speeielleren Bedeutung, die mit. scleida in der von du Cange eitierten, 
oben mitgeteilten Stelle vielleicht hat: (bewegliches) Gestell: Ok ward de 
grunt (wo eine Glocke gegossen werden”soll) vol pale gestot; dar leide men 
brede over her, so dat de slede mit den belde and.forme dar up quam to 
stande. Magd. Sch. Chr. 413, 5. 


ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 155 


flondre (Robin, Etude s. le pat. norm. en usage dans Varrond. de 
Pont- Audemer), fllonde (Joret, Le pat. norm. du Bessin), deutsch 
Flunder. Ueber die Herkunft des Wortes (auch flez, woraus die 
lat. Bezeichnung flessa erst gebildet wurde) macht Littre@ keinerlei 
Angaben. Die Verfasser des Dict. general bemerken „parait 
apparente & langl. fleet, anglo-saxon fleten, nager, flotter“. 
Diese Annahme verliert an Wahrscheinlichkeit dadurch, dass im 
Englischen selbst eine zu fleet, fleten gehörige Benennung der 
betreffenden Fisch-Species nicht vorhanden ist. Hier bietet sich 
vielmehr flat (fish), womit verschiedene Fische der Familie Pleu- 
ronectidae (flounder, turbot, halibut), insbesondere Pleuronectes 
Americanus, benannt werden, das zu derselben Wortsippe wie 
anord. flatre, ahd. flaz (flach, platt) gehört und nach A. Scheler 
das Etymon des frz. flet ist. In formeller Beziehung genügt 
eher ndl. vleet, mndl. vleet, ostfries. flät, von denen, ich weiss 
nicht mit welchem Recht, angenommen wird, dass sie mit 
engl. /lat gleichen Ursprung haben. Ihrer Bedeutung nach 
entfernen sich das niederländische und ostfriesische Wort von 
dem französischen insofern, als damit nicht Fische der Familie 
Pleuronectidae, sondern Rochen (Nagelroche und Glattroche) be- 
zeichnet werden, worauf indessen bei der äusseren Aehnlichkeit 
dieser mit den Pleuronectiden kein allzugrosses Gewicht zu legen 
sein dürfte. Auf die fläm. Bezeichnung einer Rochenart vloot 
vlote (s. de Bo l.c.: Een zeevisch, ook Schate geheeten, fr. raze 
blanche, 1. Raia batis) ist jedenfalls pikard. gleichbedeutendes 
flote zurückzuführen Noch sei erwähnt das in der Bedeutung 
zu frz. flet ziemlich gut passende ostfries. /lidder, womit eine 
kleine Art Scholle oder Plattfische bezeichnet wird, das sich aber 
mit /let in etymologischen Zusammenhang nicht wohl bringen 
lässt. Aus dem Vorstehenden dürfte sich immerhin soviel mit 
hinreichender Deutlichkeit ergeben haben, dass neben engl. 
fleet, angels. fleten andere germanische Wörter grösseres oder 
mindestens gleiches Anrecht auf Berücksichtigung haben, wenn 
es sich um die Frage nach der Herkunft des frz. flet handelt. 
Aus dem Niederländischen, Niederdeutschen stammt auch 
eine andere Bezeichnung für eine Flachfischart: hellebut (hippo- 
glossus vulgaris), dem mfläm. helbot heylbot (ndl. heilbot, ostfries. 
heilbut) eher entsprechen als engl. hallibut halibut. Littre, der 
das franz. Wort als veraltet aufführt, giebt keine Etymologie. 
Im Dietionnaire general, desgl. bei Scheler und Koerting, fehlt es. 


156 D. BEHRENS, 


Mundartlich begegnet heute auf frz. Sprachgebiet eilbotte, eilbutte, 
heilbotte im Patois von Mons. Vgl. dazu Sigart /. c., der in seinen 
etymologischen Ausführungen Richtiges und Falsches mischt. 
Nach einer auf Hecart zurückgehenden Angabe E. Rollands in 
Faune populaire III, 8.107 begegnen im Rouchi albute, elbute 
neben flette in der Bedeutung des frz. let. Wegen des in seinem 
zweiten Bestandteil etymologisch identischen turbot s. ©. Joret, 
Melanges S. 44 ff. Godefroy, der helbot, helboeult aus der zweiten 
Hälfte des XVI. Jahrhunderts belegt, verkennt die Bedeutung 
dieses Wortes, wenn er fragt: sorte de boisson? Der von 
ihm mitgeteilte Beleg lautet: Deux tonneaux de: helbot (1563, 
S. Omer, ap. La Fons, Gloss. ms., Bibl. Amiens). G. dachte wohl 
an das von ihm ebenfalls verzeichnete Verbum heler, heller 
(boire ensemble, se souhaiter r&ciproquement la sante), das gleich- 
bedeutendem meng]. haile, heile (nengl. hail) entspricht und womit 
jedenfalls helbot nichts zu thun haben kann. 

Niederländisch ist, wie die Endung erkennen lässt, ebenso 
das von Godefroy verzeichnete afrz. scolkin, scoleken s. m. poisson 
seche. Gemeint ist wohi Pleuronectes limanda, die Scholle, also 
ebenfalls eine Flachfischart: fläm. scholle (Deminutivform heute 
scholletje), mndl. scholle, ndl. schol, nfries. skol. Auf franz. Sprach- 
gebiet begegnen noch heute in der Lütticher Mundart skolkın 
(plie sechee et sal&e), Rouchi scole, Mons skole, wozu man Grand- 
gagnage und Sigart !. c. vergleiche. 

Zum Schluss sei noch erwähnt nfrz. raff, die Flossfedern 
der Flunder „nageoires du poisson appele flet, qui avec la peau 
grasse a laquelle elles sont attach&es, constituent un mets delicat“ 
(Littre). Littre äussert sich über die Herkunft des Wortes 
nicht. Die Herausgeber des Diet. general bezeichnen dieselbe 
als unbekannt. Germanischer Ursprung lässt sich gleichwohl 
nicht bezweifeln, und zwar handelt es sich wahrscheinlich auch 
hier um eine Entlehnung aus dem Niederländischen, in dem raff 
für die ältere Zeit bezeugt ist: raf, raffen ligulae cubitales vel 
bicubitales ex ventre rhombi piseis. (Kiliani Etymologicum). 
Näheres s. bei Grimm, Wörterb. s. v. Raff. 


altwallon. hamelete 


petit bout de toit en triangle que l’on construit au sommet d’un 
pignon. Borsu. S. Grandgagnage, Dictionnaire IL, S. 604. Zur 


ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 157 


Herkunft des Wortes wird ebenda bemerkt: c’est le mäme mot 
que le nW. hamelete (coiffe)!), comme le demontre l’analogie 
d’origine du terme synonyme hoüve. Als Etymon des neuwallon. 
hamelete (coiffe qu’ont parfois les enfants en naissant) wird ib. 
I, S. 357 und II, S. XXXVII angels. hama (tegmen), afries. id. 
et home (vetement), niries. hame home (gousse ol le bl& est 
contenu avant de se developper en Epi) vermutet und dabei noch 
hingewiesen auf das von Kilian aus der alten. Mundart von 
Geldern etc. verzeichnete kamm mit der Bedeutung Nachgeburt. 
— Was mir wichtig erscheint für die Herleitung des altwallon. 
Wortes, ist die von G. nicht erwähnte Thatsache, dass im Ost- 
friesischen noch heute eine Bezeichnung ham oder hanım — „über 
den Giebel hervorragendes und schräg herabhängendes Stroh- 
dach eines Bauernhauses von alter Bauart“, also mit der Be- 
deutung des altwallon. abgeleiteten Wortes, im Gebrauch ist. 
Ostiries. ham begegnet ausserdem in den Zusammensetzungen 
ham-ende, hom-ende oder hamm-ende etc. („der Hinterteil eines 
Bauernhauses und zwar speciell der Teil desselben, der unter 
dem schrägen Abdach liegt, oder sich vom hintern Giebel bis 
zum sogenannten Katgäfel erstreckt, der den Schluss der mit 
dem Vorderhaus unter einem Dach liegenden eigentlichen Scheune 
des alten friesischen Bauernhauses bildet“) und ham-fak („ab- 
gekleideter Raum unter und an dem überhängenden Strohdach“). 
Es ist klar, dass in diesem ham der Ausgangspunkt für die 
Erklärung des altwallon. hamelete gefunden werden muss, gleich- 
viel welches die weiteren etymologischen Beziehungen des ostfries. 
Wortes zu angels. hama etc. (vgl. ten Doormkaat Koolman 1. c. 
s.v. ham 5, ham-ende, ham-fak) sind.?) 


!) Vgl. damit das von Godefroy mit einem Fragezeichen versehene afrz. 
hamette. 

2?) ham, hamme begegnen in niederdeutschen Mundarten in mehreren 
weit auseinanderliegenden Bedeutungen und bieten in Bezug auf ihre etymo- 
logischen Beziehungen unter sich manch schwieriges Problem, das den Ger- 
manisten zu lösen obliegt. Abgesehen von dem oben behandelten haben noch 
mehrere andere hier einschlägige Wörter auch für die französische Wort- 
forschung Interesse. Ich erwähne nfrz. amade, das in der Schriftsprache 
heute nur noch als Ausdruck der Wappenkunst begegnet und hier drei durch- 
kreuzende Querbinden bezeichnet. Dass, wie die Herausgeber des Dictionnaire 
general angeben, ein germanisches hamm = „lieu elos“ zu Grunde liegt, wäre 
jedenfalls noch zu erweisen. Altfrz. hamede, hameide, hamaid hatten auch 
die Bedeutung barre, barriere. S. Godefroy und A. Scheler, La geste de Liege 


158 D. BEHRENS, 


wallon. labaie 


gourgandine, coureuse, impudique. De Jaer. Duvau übersetzt 
grante labaie mit grande coquine. Simonon! bemerkt: se dit 
des pauvresses faineantes, sans bas ni souliers, qui courent les 
rues. Nach Simonon? ist damit synonym labenne, femme pauvre, 
faineante et deguenillee. Grandgagnage, der die vorstehenden 
Angaben seiner Gewährsmänner Dietionn. II, S.4 verzeichnet, 
äussert sich über das Etymon von labaie nicht. Dasselbe liegt 
gleichwohl nahe. Es ist mndl. Zabay (snapster, d. i. Schwätz- 
maul. Oudemans, Büjdrage IV, S. 4), ndl. Zabbei Plaudertasche. 
Vgl. mndl. labben, kletsen, babbelen (Oudemans 2. ec. S.6), ndl. 
labben, angeben, schwätzen, ferner ndl. Zabbeien plaudern, 


Gloss. phil. S.173. Es scheint das Wort in dieser Verwendung, die offenbar 
als die ursprünglichere zu bezeichnen ist, im Mittelalter nur im Wallonischen 
und Pikardischen zu begegnen, demselben Dialeetgebiet, auf dem es noch 
heute sich nachweisen lässt: Cambrösier, Diet. wallon. frangois, hamaide s.f. 
pince, barre de fer applätie par un bout et dont on se sert commme d’un 
levier; Grandgagnage I. c. I, S.270 hamaihe hamainde (mit der von Cambresier 
angegebenen Bedeutung); Remacle, Dictionnaire? II, S. 77 hamaitt, levier, 
pince; Jouancoux, Etudes, pik. hamiye s. v. hamille un bäton que l’on met en 
travers derriere une porte pour la fermer, une forte cheville de bois grossiere- 
ment faite, qui sert de verrou exterieur aux portes de granges, etables, ete., 
et m&me de verrou interieur. Scheler vergleicht Grandgagnage, Dict. II, S. 605 
Anm., mit Recht afläm. hameyde, hammeyboom, repagulum, ligenum trans- 
versum quod ostiis opponitur in postem utriusque immissum, und Jouancoux 
weist auf ndl. hameye, hammeye, hameyd verrou, clöture faite d’un bäton. 
S. weitere german. Entsprechungen bei Verwys en Verdam, Mittelnederlandsch 
Woordenbook III, Sp. 65: mndl. hameide, hameede, ameide, ameede, ameye, 
hammeye, homeye; mnd. hameide, homeide, hameie, homeie; mhd. hamit; dazu 
K. Strackerjahn Hamheide im Korrespondenzblatt des Vereins für nieder- 
deutsche Sprachforschung. Jahrg. 1838. Heft XII, No.1, S.7f. Form und 
Bedeutung dieser Wörter lassen an ihrer etymologischen Zusammengehörigkeit 
mit den genannten französischen nicht zweifeln, aber der Ursprung beider 
bleibt dunkel. Die Bedeutung lässt zunächst, wie schon Scheler im Gloss. 
phil. gethan, an deutsches hemmen (mhd. hemmen, hamen) denken, dessen 
Etymologie selbst aber, wie aus Kluge, Etym. Wörterb., zu ersehen, noch 
nicht hinreichend klar gestellt ist. Zu hemmen möchte man auch das von 
Godefroy einmal aus dem Altfrz. belegte und mit einem Fragezeichen ver- 
sehene kamestoc, das sich buchstäblich an der angeführten Stelle mit Hemm- 
stock verdeutschen lässt, stellen. Beachte ebenda noch das etymologisch nicht 
hierher gehörige Substantiv hamee f. manche, das noch Littre als veraltet 
(manche de l’ecouvillon) aufführt und dem westfälisches hamme f. Sensengriff in 
der Bedeutung nahe steht. Woeste, Wörterbuch der westfälischen Mundart S. 91, 
vergleicht mit dem von ihm verzeichneten hamme das französische hampe. 


ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 159 


schwätzen, ndl. und ostfries. Zabbe-kal Anbringer, Schwätzer, 
ndl. Zabberlot, Raufer, Renommist, ostfries. labbe-lot, eine flatter- 
hafte, leichtsinnige, alberne Person, die sowohl in ihrem Thun 
als in ihrem Reden sehr leichtfertig ist. Vgl. zum Niederl. 
J. Franck, Etym. Woordenbook s. v. labben. Nicht hierher zu 
gehören scheint das oben erwähnte, von Simonon? als gleich- 
bedeutend mit labaie verzeichnete wallon. labenne. Grandgagnage 
s.v. bringt es u.a. mit dem in Aachen gebräuchlichen labbang 
fem. une femme qui ne fait que courir et neglige son menage, 
ndd. laban, paresseux, zusammen, das von ten Doornkaat Koolman 
l. c. ebenso wie ostfries. laban als wahrscheinlich identisch mit 
dem biblischen Eigennamen Laban bezeichnet wird. 


x ostfrz. loure f. 

_ phon. Zur, Spinnstube, möchte Ad. Horning, Zs. f. rom. Phil. XVILL, 
S.221f. mit L. Adam, entgegen G. Paris, Romania IX, S. 609, 
auf lucubra zurückführen. Lucubrum (bei Forcellini) bedeute 
schwaches Licht, Nachtlicht, lucubrare „bei nächtlichem Lichte 
arbeiten“. Auf die Frage der Lautentwickelung, welche das 
von ihm angenommene Etymon voraussetzt, ist H. nicht ein- 
gegangen. Romania XXIII, S. 614 räumt G. Paris ein, dass die 
von Horning nachgewiesene Form lovre (nördliche Schweiz und 
Franche-Comte) das Etymon lucubra stütze. Ich finde gleich- 
bedeutendes lovre noch bei Roussey, Glossaire du parler Bournois 
S.197 und bei Ch. Contejean, Glossaire du patois de Montbeliard 
S..343. Contejean bemerkt: litteralement l’oeuvre, parce que, 
dans nos campagnes, on travaille pendant les veill&es. La lettre / 
provient de l’article. Ich stehe nicht an, der Deutung Üs, die 
H. unbekannt geblieben zu sein scheint, den Vorzug zu geben, 
umsomehr als von Labourasse, Glossaire abrege du patois de la 
Meuse 8. 405 die gleichbedeutenden Ableitungen owuvreuil (Ss. ım. 
ecraignes, veillee. Erinnert sei an afız. ovreor Erec 399, dazu 
W. Foerster, Anm.), owwro ohne anlautendes / verzeichnet werden. 
Ovre, das die Arbeit, das Werk bedeutete, wäre hiernach etwa 
zunächst verwendet worden zur Bezeichnung des Materials, das 
bearbeitet wird oder bearbeitet worden ist., spec. zur Bezeichnung 
des rohen, nicht gehechelten und gesponnenen Hanfs: Montbeliard 
ovre S.f. chanvre non peigne, chanvre brut; nprov. obro, ovro, 
oro etc. partie du chanyre entre la fleur et l’&toupe ce qu'on 
met en oeuvre (Mistral, Zresor s. v.); Beaune oeuvre, Ecorce 


160 D. BEHRENS, 


de chanvre qui vient d’etre owvree, travaillee, peign&e par les 
fortoux, on la devise en paquets nou6s appeles poupees, puis on 
l’enroule sur la quenouille au moment de filer (Ch. Bigarne, Pat. 
cd Locutions S. 177); den gehechelten Flachs oder Hanf (filasse) 
bezeichnet ovre resp. euvr’ auch im Patois von Bournois (siehe 
Ch. Roussey 1. c. s. v., F. Richenet, Pat. de Petit-Noir S. 136). 
Die weitere Entwickelung der Bedeutung des Wortes zu Spinn- 
stube ist dann verständlich und jedenfalls nicht ohne Analogie 
in der Bedeutungslehre.!) — In formeller Beziehung ist zu 
bemerken, dass der Tonvokal der meisten der behandelten Worte 
durch den Vokal endungsbetonter Formen gleichen Stammes be- 
einflusst worden ist. Das gilt nicht nur von lothr. Zur, sondern 
ebenso z.B. von Bournois ovre (phon. övr: etr än övr, etre absorbe 
avec curiosite et etonnement en presence d’une chose nouvelle, 
des. faits et gestes d’une personne inconnue) u.a. Wegen der 
Behandlung des Nexus Lab. + r in den ostfranzösischen Grenz- 
dialekten s. Horning, Franz. Stud. V, 8.507. Dass das Gebiet, 
auf dem lothr. Zur Spinnstube sich noch heute hat nachweisen 
lassen (La Bresse, St. Blaise-la-Roche, Aubure) mit demjenigen, 
auf welchem die Neigung der Labialen vor r zu schwinden 
durchgedrungen ist (s. Horning !. c. S. 507), nicht zusammen- 
fällt, dürfte die oben vorgetragene Herleitung noch nicht als 
unannehmbar erscheinen lassen, zumal der Zurückführung von 
lur auf lucubra nicht geringere formelle Bedenken entgegen 
stehen. Zu Gunsten von lucubra könnte sprechen, dass Haillant, 
Dicetionnaire phonet. et etymol. 8. 363 für gewisse Ortschaften der 
Departements Doubs und Jura neben lovra eine Form lougra 
angiebt. Ich finde dieselbe in keiner mir zugänglichen Quelle 


!) Aehnliche Bedeutungsübergänge, wie sie hier für frz. ovre angesetzt 
wurden, machte auch das deutsche „Werk“ durch. So dürfte, wie angenommen 
worden ist, dtsch. Werg (stuppa) zu Werk gehören. Mnd. Werk, Wark be- 
deutet ferner im besonderen auch Bienenwerk, -gewerk, die (ausgepressten) 
Honigwaben (Schiller und Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterb. s. v.), so 
heute noch ostfries. Wark Wachskuchen (aufgefasst als das „Werk“ der Bienen, 
ten Doornkaat Koolman !.c. III, S. 516), groning. wark de waskoeken.in een 
bijenkorf (H. Molena, Wörterb. d. Groning. Mundart im 19. Jahrh. S. 466). 
Identisch damit ist das von Godefroy einmal belegte und mit einem Frage- 
zeichen verzeichnete afrz. warg: une femme a faire chandeiles avecq warg 
(1606, Compt., La Bassee, ap. La Fons, Gloss. ms. Bibl. Amiens). Dann 
bedeutet mnd. Werk, Wark auch „die Gesamtheit der in einem bestimmten 
Zweige Arbeitenden, Gewerk, Iunung, Gilde, Zunft“ (Schiller u. Lübben 1. c.). 


Pr. 


ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 161 


für die Sprache dieser Gegenden verzeichnet und vermag, da 
auch Haillant nähere Angaben nicht macht, über dieselbe vor- 
Jäufig nicht zu urteilen. 

Nach dem Muster von veillotte bildete man in Montbeliart 
zu lovre (soiree, veillee) ein abgeleitetes lovrotte s. f. colchique 
d’automme. S. Contejean 1. c. S.346 und vgl. auch Bournois 
lövröt Roussey 1. c. S. 197. In Gerardmer heisst dieselbe Pflanze 
fio d’loures, in La Bresse fiow louriau. Mehr s. Haillant, Flore 
populaire des Vosges S. 170. 


afrz. lurelle 


„Windel“ ist nach A. Horning, der Zs. f. rom. Phil. XVII, 
S. 222 über Vorkommen und Verbreitung des Wortes gehandelt 
hat, identisch mit frz. kiure (von ker) und bedeutet nach ihm 
eigentlich Windelband, Wickelband. G. Paris bemerkt dazu 
Romania XXII, S.614 „malgr& les explications de l’auteur, on a 
peine A croire que deja dans la traduction de S. Bernard Feire 
se soit contracte en lure“. Dieser Einwand ist berechtigt 
und man wird sich, wenn derselbe sich nicht beseitigen lässt, 
nach einem anderen Etymon umsehen müssen. Ein solches bietet 
sich in ahd. ludara, luthara (cunae, cunabula, involumentum), 
mnd. Ixdere, Kindes-Windeln (Schiller und Lübben Z. e.), mndl. 
ludere. Vgl. ferner heute ostfries. lür oder lüre, eine wollene 
Decke, worin die Säuglinge gewickelt werden, ndl. Zuwur (auch 
lwier, s. Franck 1. ce. s. v.), Kinderwindel, dazu luurgoed, Wickel- 
zeug, auch luurkorf, luurmand, Kinderkorb. Ich weiss nicht, ob 
dahin ebenfalls gehört fläm. ludders, doeken waarin men de 
kinders bakert; nach Schuermans, Algemeen vlaamsch idioticon 
S. 353 wäre es dasselbe wie lodders (Lumpen). Auf franz. Gebiet 
finde ich noch bei Labourasse I. c. rürelle als Nebenform von 
lurelle mit Dissimilation des Anlarftes und im Patois von Yonne 
lutre, lutrelle von M. Jossier in seinem Dietionnaire (Extrait du 
Bulletin de la Soc. des Se. hist. et natur. de !Yonne. 1° sem. 1882 
verzeichnet mit der Bedeutung couche, drapeau, morceau de toile 
dont on enveloppe un enfant et par-dessus lequel on pose le 
lange (Saint-Bois, Auxerre). 


lusin m. 


auch Zuzin. Terme de marine et de peche. Ligne d’amarrage 
faite avec deux fils de caret tres-fins, commis ou entrelaces 
Festgabe für Gustav Gröber, 11 


162 D. BEHRENS, 


ensemble. Littr&, der das Wort mit dieser Bedeutung anführt, 
äussert sich über das Etymon nicht. Zu Grunde liegen die 
gleichbedeutenden nld. hwising, mnd. husinge, husingh, nfries. 
hösing ete., aus denen lusin durch Agglutinierung des bestimmten 
Artikels entstanden ist. Vgl. Jal, der Glossaire nautique 8. V. 
irrtümlich engl. housing als Grundform nicht nur des frz. lusin, 
sondern auch des nd. hösing, ndl. hwising etc. ansetzt, und ten 
Doornkaat Koolman 1. ce. Ss. v. hüsel, höselin, hüseln, hösling, wo 
über die Herkunft der germanischen Wörter eine ansprechendere 
Vermutung geäussert wird. Ueber die Bedeutung handelt aus- 
führlicher H. Röding, Allgemeines Wörterbuch der Marine [1794] 
I, S. 745 s. v. Höäsing. 


nevre f. 


steht bei Jal, Gloss. naut. S. 1066 mit der Bemerkung fr. anc. 
s. £. (Etymol. inconn.) Bätiment servant & la p@che du hareng. 
— „C'est une espece de flüte d’environ 60 tonneaux, qui sert 
aux Hollandois pour la peche du haran.“ Desroches (1687). — 
„Buise ou Nevre. Bätiment hollandais &quipe pour la peche du 
hareng“. P. Marin, Diet. holl. et fr. (1752). Vgl. hierzu noch 
J. H. Röding, Allgem. Wörterb. d. Marine Ill, 5 Französischer 
Index 8.253 Neure ou Neuve. Eine holländische Heringsbüse. 
Frz. nevre, dessen Herkunft von Jal als unbekannt angegeben 
wird, ist das mndl. ever, benaming van een vaartuig, een vracht- 
schip; auch everseip, een vrachtscheepje, ook roeiboot, veerschip 
(s. Verwijs en Verdam, Mittelnederlandsch Woordenb. s. v.). Auch 
mnd, ewar, eever und heute ostfries. över oder @wer „Name eines 
kleinen Fluss- oder Wattschiffes von scharfem Bau mit einem 
Mast und glattem Spiegel“. ten Doornkaat Koolman, dessen 
Ostfriesischem Wörterb. die letzte Notiz entnommen ist, bemerkt 
weiter: „Die Ever kommen vorzugsweise auf der Elbe vor und 
gehen auch auf hohe See zum Fischen etc. Im Harrlinger- 
lande heissen die auf den Kanälen fahrenden Binnenschiffe auch 
över, wo sie alsdann selbstredend nicht scharf, sondern flach 
gebaut sind“. Die Herkunft des niederländ. niederd. Wortes 
ist noch nicht mit Sicherheit ermittelt, es unterliegt aber wohl 
keinem Zweifel, dass frz. nevre daraus mit n-Prothese in der 
bekannten Weise entstanden ist, -also gebildet wurde wie u.a. 
afrz. niespe (Godefroy) aus *espe (fäm. espe,-holländ. esp, dtsch. 
Espe). - 


ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 163 


pacant m. 


Grobian, Flegel. Die Akademie verzeichnet das Wort in ihrem 
Wörterbuch seit 1798. Aus der älteren Sprache belegt es 
Godefroy einmal mit der Bedeutung homme du pays. In den 
lebenden Mundarten erfreut es sich weiter Verbreitung: burgund. 
pacan, homme grossier. Mignard, Hist. de Vidiome bourg. bemerkt 
dazu: c’est le m&me mot en Champagne, &erit un peu differemment 
(pacan); en latin, paganus. Mais voieci la nuance: un paysan, 
c’est ’habitant du village; un pacan, c’est le rustre tout & fait 
incivilise. Pikard. pancant, lourdaud, paysan, homme A manieres 
gauches et roides; terme injurieux, egalement connu dans les 
departements du Jura, d’Eure-et-Loire et du Nord (Corblet 7. e. 
S. 504). Bessin pacan s. m. lourdaud, davon abgeleitet pacaman 
adv. en lourdaud, lourdement (C. Joret, Melanges de phon. norm. 
S. XLIX. Vgl. auch norm. pacan paysan grossier und pacamment 
en pacant, lourdement, du Bois-Travers, Gloss. du pat. norm. 
S. 254). Pat. manceau pakent und pakinnement vustiquement, 
maladroitement, grossierement (Dagnet, Le pat. manc. S. 120). 
Morvand paican, vagabond, vaurien (de Chambure, Glossaire. 
Hier weitere Angaben). Auch Lyon pacan (Puitspelu, Diet. 
etymol. 8. 283). Roman. Schweiz pakan pagan (Puitspelu 7. c.). 
Neuprov. pacan, pacant, vilain, manant, rustre, roturier, personne 
de basse extraction (Mistral). Dazu hier ein Femininum pacano 
und die Ableitungen pacanarie facons roturieres, grossierete, 
pacanas, pacamard (nic.) gros rustre, flandrin, faindant, vaurien, 
pacaneja, pacandeja (lim.) se conduire en homme de peu, pacaniho, 
pacanilho (1.), pacandalho (l.) les manants, les gens de peu, la 
roture. Man hat das Wort zumeist auf paganus zurückgeführt. 
Dieser Annahme, der unüberwindliche lautliche Schwierigkeiten 
entgegen stehen, neigt auch Littr& zu. Scheler bemerkt s. v. 
pacage „du meme radical latin pase, paitre, et non de paganus, 
vient le terme pacant, manant, lourdaud, ep. rustre, pr. paysan“. 
Die Verfasser des Diet. general haben, und wohl mit Recht, auch 
diese letztere Herleitung nieht übernommen. Sie bezeichnen die 
Herkunft des Wortes als unbekannt. Nach Bedeutung und Form 
scheint mir, ohne dass ich mich für dieses Etymon schon ent- 
scheiden möchte, auch das deutsche Packan mit dem Hochton 
auf der letzten Silbe Anspruch auf Berücksichtigung zu haben. 
S. Grimm, Wörterbuch, packan, ostfvies. pak-an Pack-an, Fass-an, 
Einer der anfasst oder angreift. 
i1* 


164 D. BEHRENS, 


lothr. pudä 
im Steinthal „der Riemen, der (und nur insoforn er) beide Teile 
des Dreschflegels verbindet“. A. Homing, der das Wort Zs. f. 
rom. Phil. IX, S. 509 und Franz. Stud. V, S. 117 verzeichnet, 
vermutet an erstgenanntem Orte in Bezug auf die Herkunft 
desselben, dass es das Participium prodan (von prendre) sei: 
„Das r wurde umgestellt und schwand dann vor d. Ein ana- 
loger Fall von Schwund eines umgestellten r liegt in punel’ 
Iprunelle) vor. Pud@ würde jenen Riemen als den Packenden, 
(Greifenden bezeichnen“. Lässt sich auch gegen die Möglichkeit 
dieser Herleitung weder von seiten der Form noch des an- 
genommenen Begriffswandels viel einwenden, so scheint es mir 
doch näher zu liegen, in pwd@ das Participium von pendere zu 
sehen. Die Annahmen der r-Metathese und des Schwundes des 
umgestellten » vor d sind dann unnötig und von seiten des 
Begriffes bietet es wohl keine grössere Schwierigkeit, im vor- 
liegenden Falle den Riemen als den hängenden statt als den 
packenden, greifenden aufzufassen. Zur Stütze meiner Ansicht 
bemerke ich, dass N. Haillant, Diet. phonet. et etymol. S. 455, 
podant in der Verbindung podant d’öröye — houcle d’oreille ver- 
zeichnet, wo es nur schriftfrz. pendant entsprechen Kann, und 
verweise mit Rücksicht auf den Bedeutungswandel auf neufrz. 
pendant in der Verbindung pendant de ceinturon, de baudrier 
— partie du ceinturon, du baudrier, qui soutient l’epee (Littre). 


wall. repe 


corde A laquelle sont attaches plusieurs hamecons, ist nach 
Grandgagnage, Dictionnaire II, S. 295, vielleicht von dem Verbum 
reper, trainer volontairement & terre le bout de l’echasse, ge- 
bildet worden. Dagegen sprechen die Qualität des Tonvokals 
in repe und die Bedeutung, welche das wallon. Wort nach G. 
hat. Es ist vielmehr fläm. reep, s. Schuermans Algemeen vlaamsch 
idiot. 8. 528 s. v. reep: 5° in Limburg ook voor’t Holl.: reepangel 
[Schnurangel]. ZReepen leggen, de reepangels in’t water leggen. 
Hier hat reep genau die Bedeutung des wallon. repe. Vgl. ferner 
ndl. reep (Streifen, Strang), reepdanser, Seiltänzer, mnd. r&p, repe, 
ostfries. röp (Seil, Tau etc. oder auch der zum Seilmachen vor- 
bereitete, schon gedrehte oder gesponnene Hanf), denen weiter 
ae. rap, ne. rope, anord. reip, ahd. nhd. reif etc. entsprechen. 


ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 165 


Das Verbum reper, für das Grandgagnage ein Etymon nicht auf- 
stellt (falls nicht in dem Hinweis auf riper ein solches gegeben 
sein soll), gehört wahrscheinlich zu fläm. reppen, rippen, met 
snel geweld of snellen ruk trekken, ndl. reppen, berühren, mnd. 
reppen, rühren bewegen etc., ostfries. reppen bewegen, regen, 
rühren. 


lothr. resse 


eine Ladung Schiefer. Graf, Die germ. Bestandteile des pat. mess., 
erwähnt das Wort S. 37 unter denjenigen, welche vielleicht ger- 
manischen Ursprung haben und bemerkt dazu „Lorrain giebt an 
plattdeutsches reysse. Wo?“ Ich finde Reiss als Massbezeichnung 
für Dachschiefer bezeugt für Nassau: Ein Reiss Dachschiefer hat 
acht Fuss Länge; man stellt die Dachschiefer dicht zusammen 
senkrecht auf und misst dann in horizontaler Richtung, also 
quer gegen die Fläche. Je nach ihrer Stärke kommen auf ein 
Reiss 120—160 Stück Schiefer (H. Veith, Deutsches bergwörter- 
buch s.v.). Vgl. Grimm, Wörterbuch s. v. reis. 


Malmedy strompe 
„alguillon pour piquer les boeufs. Le meme mot que stomb avec 
un r epenthetique“. Die von Grandgagnage, Dietionnaire IL, 
S. 408 angenommene Ableitung erscheint unannehmbar, da ein 
Lautgesetz, wonach hinter st ein epenthetisches » eintritt, in der 
Mundart von Malmedy nicht existiert, und ein besonderer Grund, 
weshalb im vorliegenden Falle ein „r epenthetique* sich ein- 
gefunden habe, nicht angegeben wird. Ein näher liegendes 
Etymon bietet sich in ndl. stromp, mnd. strump, afries. sirump 
(Strunk, truncus), die mittelhochdeutschem sirumpf (Stumpf, 
Stummel, Baumstumpf, verstümmeltes oder gestutztes Glied) ent- 
sprechen. In Bezug auf das mit sörompe gleichbedeutende und 
von ihm als etymologische Grundlage angenommene wallon. stomb 
bemerkt Grandgagnage /. c. S. 404 „de la meme famille que Tall. 
stumpf (obtusus), stupfen (piquer, pousser, aiguillonner), während 
Scheler in einer Bemerkung zu dem @.schen Texte meint „il 
n’est pas impossible que stomb vepresente le lat. stimulus. — 
Stemble, stomble, stomb’ est une succession parfaitement admissible 
en wallon“. Da, so weit ich sehe, lat. stimulus sonst auf gallo- 
romanischem Gebiet in volkstümlicher Gestalt nicht erhalten ist, 
so liegt es wohl schon deshalb näher, mit G. den Ursprung des 


166 D. BEHRENS, 


wallonischen Wortes im Germanischen zu suchen. Hier bieten sich 
nd. stummel, stumpel, nld. stommel (entsprechend ahd. stumbal, 
stumpal, mhd. stumbel) und die auf die gleiche germanische 
Wurzel zurückgehenden nd. stump, nld. stomp, mnd. mfläm. stompe, 
westfäl. stump, ostfries. stump oder stumpe Stumpf, Stamm oder 
Wurzelende von etwas, Wurzelstock, Baumstumpf, abgehauenes 
und verstümmeltes Glied, kleines und kurzes Ende oder etwas etc. 
Vgl. F. Kluge, Etymol. Wörterb. s. v. Stummel und Stump. Alt- 
wallon. stomble, dem von den beiden in Betracht gezogenen 
germanischen Wortfamilien nur die erstere (stummel) genügen 
würde, belegt A. Scheler, Glossaire philologique 8.285, mit der 
Bedeutung Stock: sor son stomble s’apoie; ne plus que mon 
stomble ne puet en ly reprendre Rachine ne verdure. S. auch 
(odefroy s. v. stomble. 


afrz. tierre m. u. f. 
auch Zhierre, tiere. Godefroy belegt das Wort einige Male aus 
der älteren Litteratur und fügt als Erklärung hinzu: pieu auquel 
on attache les chevaux et les vaches pour les faire päturer dans 
les champs. Der Abbe Decorde, der in seinem Diet. du patois 
du pays de Bray thiers als heute noch der Sprache der Haute- 
Normandie angehörend nachweist, umschreibt es in ähnlicher 
Weise mit: pieu auquel on attache les chevaux et les vaches 
pour les faire päturer dans les champs. In Wirklichkeit be- 
deutete terre im Altfranzösischen und bedeutet es wohl auch 
heute im Normannischen nicht den „Pflock“, sondern Tau, Seil 
oder die Kette etc. nebst Pflock zum Festmachen des grasenden 
Viehes. Vgl. E. Robin, Etude sur le pat. norm. en usage dans 
larrond. de Pont-Audemer S. 382: tiere, Systeme d’attache pour 
faire päturer les bestiaux ... Le Zere est un appareil complet 
et aussi simple quiingenieux. Sa partie la plus essentielle con- 
siste en un petit pieu et une chaine plus ou moins longue, tous 
deux en fer, et fixes l’un A l’autre par un anneau qui permet 
cependant & la chaine de tourner autour du pieu .... Ueber die 
Herkunft des Wortes heisst es hier: Origine germanique probable- 
ment. En anglais, tie signifie attache, et to tie attacher. Le 
dietionnaire de Spiers donne aussi le verbe Zether „lier par une 
attache des animaux sur le pre“. Die germanische Herkunft ist 
absolut sicher. Zu Grunde liegt das mittelenglische Substantiv 
tedir, ne. tedder (tether), Spannseil, Spannkette für weidendes 


ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 167 


Vieh, das in mehr oder weniger abweichender Lautgestalt in zahl- 
reichen germanischen Mundarten wieder begegnet: mnd. Zudder, 
mfläm. tudder, tuyer, afries. tiader, tieder, ostfries. tädder (Tau, 
Seil, Strick oder Bindseil, Fessel, Fangstrick etc. nebst Pflock 
zum Fesseln oder Festmachen des grasenden Viehes auf un- 
eingefriedigten Weiden und Triften oder grasbewachsenen Stellen 
an öffentlichen Wegen etc.), norm. tjoder, tjor, tjör etc. 


varlope. 


Mehrere über die Herkunft von frz. varlope aufgestellte An- 
sichten findet man bei Koerting, Lat.-rom. Wörterbuch No. 8820, 
mitgeteilt. Hier im Anschluss daran einige Notizen, die zur 
weiteren Aufklärung des etymologischen Problems, glaube ich, 
beitragen können: 1. in nordfranzösischen Mundarten begegnet 
das Wort im Anlaut mit und mit v: vosg. worlope (ouor-lop’) 
s.f. varlope Haillant, Essai S. 617; mont. warlope s. f. varlope, 
gros rabot Sigart, Glossaire ? S. 378; Bessin vörlope s. f. varlope, 
rabot, hier auch ein Verbum verlope varloper, raboter; Pont- 
Audemer varlopures, copeaux de menuisier, produits de la varlope 
ou verlope Robin, Etude 8. 397; vendöm. verlope s. f. varlope 
P. Martelliere, Glossaire S. 326. 2. das Niederländische besitzt 
die Bezeichnung voorlooper — Scharfhobel, s. Sicherer en Akveld, 
Nederlandsch-hoogduitsch Woordenbook s. v. — Koerting bemerkt 
l. c.: ndl. voorloop Vorlauf (vielleicht Benennung des dem Schlicht- 
hobel vorarbeitenden Scharfhobels). Mir ist in Wörterbüchern des 
_ Niederländischen voorloop, das schon Scheler ansetzt, in der hier 
von K. angenommenen Bedeutung nicht begegnet, ebensowenig 
ein von Joret, Essai s. I. pat. norm. du Bessin S. 178, gekanntes 
ndl. worloop. Das vorerwähnte voorloper dagegen wird von Sigart, 
der es /. c. = mont. warlope setzt, als flämisch bezeichnet, womit 
eine Angabe de Bo’s, Westvlaamsch Idiot. (1892), S. 1333 s. v. 
varlope im Einklang steht. Nach de Bo heisst ebenda der Scharf- 
hobel weerlicht (-lucht), d. i. Wetterleuchten, Blitz, mndl. wederlije 
„bliksem“.!) Hiermit sind zwei niederländische Wörter, welche 


ı) Ein anderer Hobel wird ib. donder (Donner) genannt. S. de Bol. c. 
S. 216 donder, zoo heet de schaaf die men gebruikt na den Voorlooper. De 
Voorlooper (frz. varlope) heet de Weerlicht, en even als na den weerlicht de 
donder volgt, zoo ook na den Voorlooper komt de Kortschaaf, de Strijkblok 
of de Reeschaaf. 


168 D. BEHRENS, 


dem französischen varlope begrifflich genau entsprechen, that- 
sächlich nachgewiesen. Die romanischen Bezeichnungen sind 
wohl zum Teil aus einer Kontamination beider, zu erklären. Der 
Annahme eines von Diez angesetzten ndl. weerloop, Wiederlauf, 
bedarf es nicht. 


wagque f. 


mesure pour le charbon de terre, dans le Hainaut. Complement 
du dict. de U Acad. france. 1842. S. auch Poitevin, Nowv. Dict., 
waque n. f. „Pron. wak. Metrol. anc. Mesure dont on se servait 
dans le Hainaut pour le charbon provenant des mines“. Mont. 
wak 8. f. charge de houille (Borin). Fl]. vracht, charge (Sigart, 
Glossaire? Ss. v.). In der älteren Sprache nach Godefroy waghe, 
wague, wacque, waueque S.f. sorte de cuve, de tonneau, ou de 
banne; mesure de capacite usitee en Flandre et egale A 442 
livres du pays, dans le Nord en general le poids, la masse de 
certaines marchandises, en particulier de la houillee Man ist 
zunächst versucht an deutsches „Wagen“ zu denken, das, wie 
die Zusammensetzung blocgwaghe (Godefroy) zeigt, in der Form 
wague entlehnt werden konnte. In der deutschen Bergmanns- 
sprache bezeichnet Wagen (auch Förderwagen) „ein auf vier 
gleich hohen Rädern ruhendes Fördergefäss“ (Veith, Deutsches 
Bergwörterbuch 8. 550). Doch abgesehen davon, dass ich nicht 
habe nachweisen können, dass die Bezeichnung „Wagen“ im 
Germanischen als Masseinheit verwandt worden ist, stimmt auch 
das Geschlecht nicht zu dem des französischen Wortes. So bleibt 
wohl nur übrig, letzteres auf deutsches Wage, ndl. waag zurück- 
zuführen. Für diese Annahme spricht, ausser der Form und 
dem Geschlecht des frz. wague, namentlich auch der Umstand, 
dass bereits im Mnd. wage nicht nur ein Gerät zum Wiegen 
bezeichnete, sondern auch (s. Schiller u. Lübben I. ec.) ein be- 
stimmtes Gewicht „nach den Waren verschieden, ursprünglich 
das Gewichtsmaximum, das auf einer Stadtwage gewogen werden 
konnte“. Aehnlich im Mfläm., worüber man de Bol. c. s. v. waag, 
wage vergleiche; noch heute nach derselben Quelle fläm. waag, 
wage een gewicht van 100 Kilogrammen. Dass das Wort, welches 
zunächst ein bestimmtes Gewicht bezeichnete, im Französischen 
auch als Bezeichnung eines Raummasses verwendet wurde, kann 
nicht als besonders auffällig erscheinen. Von Godefroy werden 
l.c. Wörter verschiedenen Ursprungs zusammengeworfen. 


ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 169 


pikard. wepe 

Gaillard, cräne. Corblet, Glossaire, S. 590. Auch Grandgagnage 
erwähnt das Wort Dictionnaire II, S. 487 s. v. wespe: Cp. pik. 
wepe adj. („gaillard, cräne“) und A. Scheler bemerkt dazu in 
einer Anmerkung: cet adj. wepe me rappelle lital. v@spo (prompt, 
agile, vif), qui certainement n’a rien de commun avec vespa et 
dans lequel on ne voit qu’une variante de »xsto, v. Dz. 343. Grand- 
gagnage erwähnt dann noch /. c. wespiant, fretillant, semillant, 
Namur it., Malmedy wispiant, agile, souple, remuant, semillant, 
und hierzu schreibt Scheler in der erwähnten Anmerkung: Je 
n’entends nullement, toutefois, par cette remarque, contester le 
rapport etymologique entre wespiant et wespe, qwappuie particul. 
le terme analogue fr. papillonner. Was zunächst das Etymon 
des Adjektivs wepe angeht, so scheint mir weder Grandgagnage 
noch Scheler auf der richtigen Fährte zu sein. Näher jedenfalls 
als an das Substantiv wespe oder an das ital. Adjektiv visto zu 
denken, liegt es, das Wort auf fläm., mndl., ostfries. wepel (Adj.) 
zurückzuführen, das als Lehnwort im Pikardischen zu wepe 
werden musste (vgl. ib. aimabe. aimable, onke oncle etc.) und in 
der Bedeutung übereinstimmt. S. Schuermans, Algem. vl. idiot. 
s. v. wepel: Een wepelpaard bet. in de prov. Drenthe: een kwaad- 
aardig peerd dat zich niet laat behandelen af berijden. Bij Kilian 
komt wepel voor als oud-Vlaand. en Holl. voor: 1° vagus, in- 
constans.... Besser noch passt zu der des pikardischen Adjektivs 
die Bedeutung im heutigen Ostfriesischen: beweglich oder sich 
hin und her bewegend und schwingend, unruhig, lebendig, wild, 
mutwillig, waghalsig ete., bezw. beweglich, schlank, flink ete. 
— Wallon. wespiant, Malm. wispiant von der romanischen Be- 
zeichnung für Wespe abzuleiten, empfiehlt sich schon deshalb 
nicht, weil letztere in Malm. nicht, wie bei der erwähnten An- 
nahme doch zunächst zu erwarten wäre, wispe, sondern webse 
heisst. Es bietet sich als nahe liegendes Etymon mndl. zwispelen 
dwalen, slingeren, heen en weer gan, zweven etc. (Oudemanns, 
Bijdrage Ss. v.), ostfries. wispeln, unruhig hin und her fliegen 
oder schweben, sich iter. hin und her bewegen oder schwingen, 
wedeln etc. Ob ndl. nd. wispeln seinerseits mit wwespe, wofür 
mnd. auch wispe (die Wespe) vorkommt, etymologisch zusammen- 
hängt, braucht hier nicht untersucht zu werden. Bemerkt sei 
nur, dass im Ostfries. heute wispel auch Wespe oder Bremse, im 
Mnd. Bremse, Hummel etc. bedeutet. 


170  D. BEHRENS, ZUR WORTGESCHICHTE DES FRANZÖSISCHEN. 


Verzeichnis der behandelten Wörter. 


amade 157. 
barge 149. 
berme 149. 
blocqwaghe 168. 
cäonchieire 150. 
daguer 152. 
(se) doguer 151. 
doukes 152. 
esclaidage 158. 
flet 154. 

flote 155. 
hamede 157. 
hamee 158. 
hamelete 156. 
hamestoc 158. 


hamette 153. 157. 


hampe 158. 
helbot 153. 156. 
hellebut 155. 
labaie 158. 


Giessen. 


labenne 159. 
lifecop 153. 
linsat 153. 
lopinaille 153. 
lorpidon 153. 
loure 159. 
lourpesseux 158. 
lovrotte 161. 
lurelle 161. 
lusin 161. 
nevre 162. 
niespe 162. 
ovre 159. 
pacant 163. 
puda 164. 
raff 156. 

repe 164. 
reper 165. 
resse 169. 
rürelle 161. 


sclaid 154. 
sclaideur 154. 
sclaidi 154. 
scolkin 156. 
sperial 153. 
stoeille 153. 
stomb 165. 
strompe 165. 
tanque 153. 
tierre 166. | 
toquer 152. 
traine 153. 
varlope 167. 
vebrighe 153. 
venne 153. 
verbode 153. 
wague 168. 
warg 153. 160. 
wepe 169. 


wespiant, wispiant 169. 


D. BEHRENS. 


Die historischen Grundlagen der zweiten Branche 
des „Couronnement de Louis“, 


Das Epos von „Ludwigs Krönung“, welches sein Heraus- 
geber, E. Langlois,'!) in der uns erhaltenen sprachlichen Form 
um 1130, G. Paris?) hingegen um 1150 ansetzt, zerfällt in vier 
sich deutlich von einander abhebende, auf sehr verschiedenen 
geschichtlichen Vorgängen beruhende Branchen. 

Die zweite Branche, die V.228, bzw. 272—1449, d.h. nahezu 
die Hälfte des ganzen Gedichts (2683 Verse) umfasst, hat zum 
Gegenstand einen Feldzug, den Wilhelm von Orange anlässlich 
einer Pilgerfahrt nach Rom auf Bitten des Papstes gegen die 
in Italien eingefallenen Sarazenen unternimmt. Der Gang der 
Handlung ist im einzelnen der folgende: 

Nachdem der junge 15-jährige Ludwig in der Kapelle zu 
Aachen gekrönt ist und auf den Rat seines Vaters, Kaiser Karls, 
Wilhelm zu seinem Vormund ernannt hat (— Inhalt der ersten 
Branche), erbittet der letztere von Karl Urlaub für eine Pilger- 
fahrt nach Rom, die er schon vor 15 Jahren gelobt habe.’) Der 


!) Le Couronnement de Louis, Paris 1888. (Soc. des ane. textes frang.). 

2) Litt. frang. au moyen äge?, S. 247. 

3) Wenn Becker, Die altfranzösische Wilhelmsage, Halle 1886, S. 221. 
aus Tirade XI schliesst, „dass die Verse 1—271 zwei Scenen enthalten, 
wovon die eine (Tirade I—X) in Aachen bei der Krönung, die andere 
(Tirade XI—XIV) etwa fünf Jahre später im Palast spielt“, so kann ich ihm 
nicht beistimmen. Die fragliche Tirade lautet: 


V. 160 Quant ont le jor de Loois rei fait, 
La cort depart, si sont remes li plait; 
Chascun Franceis a son ostel s’en vait. 
Cine anz vesqui pwis Charles et non mais. 
Charles li reis en monta el palais 
Ou veit son fill, si li dist entresait. 


172 R. ZENKER, 


Kaiser willigt, wenn auch ungern, ein und giebt ihm 60 (nach 
anderer Lesart 40) Ritter, sowie 30 mit Gold und Silber beladene 
Saumtiere mit. Wilhelm zieht, nachdem er von Ludwig Abschied 
genommen und ihm für den Fall der Not seinen Beistand zu- 
gesagt hat, über den grossen St. Bernhard nach Rom; Wibelin 
und Bertran befinden sich in seiner Begleitung. In Rom nehmen 
sie Quartier bei einem Wirte Namens Ciquaires und begeben 


Offenbar soll mit V. 163 keineswegs, wie Becker will, gesagt werden, dass 
zwischen dem Vorausgehenden und dem Folgenden fünf Jahre verlaufen seien, 
vielmehr ist der Vers zu fassen als parenthetische Zeitbestimmung: „Dies 
geschah fünf Jahre vor Karls Tode“. Der Hoftag löst sich auf, die Grossen 
kehren in ihre Heimat zurück, Karl aber begiebt sich in den Palast und 
belehrt dort seinen Sohn, wie er es vorhin öffentlich gethan, nun nochmals 
privatim über seine Regentenpflichten. Bei der Beckerschen Auffassung müsste 
doch notwendig ausgesprochen sein, dass der Kaiser das Herannahen seines 
Todes gefühlt und daraufhin seinen Sohn noch einmal vorgenommen habe; 
vermutlich würde der Dichter ihn uns auf dem Totenbette gezeigt haben — 
denn unmittelbar vor dem Tode wäre die Scene doch zu denken —, während 
er ihn hier noch ganz munter „den Palast hinaufsteigen“ lässt. Es wäre auch 
nicht zu verstehen, wie Karl im Angesichte des Todes, Wilhelm, der eben 
zum Vormund des Sohnes ernannt wurde, Urlaub zu einer Fahrt nach Rom 
hätte erteilen können, während doch jeden Augenblick, im Falle seines Ab- 
lebens, Wilhelms Anwesenheit dringend nötig werden könnte. Aus Vers 249: 
Al mostier fu Guillaumes Fierebrace (wo die Krönung vollzogen worden ist) 
zu schliessen, dass sie noch in der Krönungskapelle sind, verbietet Tirade XI 
freilich; daraus folgt aber nicht, das inzwischen fünf Jahre vergangen sind, 
sondern nur, dass sie wieder in der Kapelle sind: Karl geht in den Palast, 
dort findet das Gespräch mit Ludwig statt, Wilhelm wird zum Vormund 
ernannt, dann begeben die drei sich wieder in die Kirche, wo Wilhelm den 
Schwur leistet. 
V. 224 Respont li cuens: Par ma fei, volentiers. 
Il li jura seur les sainz del mostier. 


Zwischen V. 224 und 225 hat sich der Scenenwechsel vollzogen. Wenn Becker 
darauf hinweist, dass, falls man die Scene als eine einheitliche betrachte, 
Wilhelm 5 Jahre in Rom zugebracht haben müsste, so ist darauf zu erwidern, 
dass die Dichter es bekanntlich mit solchen chronologischen Angaben sehr 
wenig genau nahmen. Der Widerspruch zwischen der Anwesenheit des 
Papstes in Aachen und dann in Rom bleibt nun freilich, aber derselbe erklärt 
sich sehr einfach durch die Annahme, dass hier zwei Lieder zusammengefügt 
sind, die ursprünglich nichts mit einander zu thun hatten und dass der 
Widerspruch vom Redaktor nicht bemerkt wurde. 

Diese Annahme widerstreitet allerdings Beckers These, wonach die 
ganze Branche erst nachträglich hinzugellichtet worden wäre. Aber diese 
These ist m. E. unhaltbar und hat auch bereits den Widerspruch Jeanroys, 
Romania 25, 357 n.2 erfahren. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LoOUISs. 173 


sich nach Beendigung der Mahlzeit zur Ruhe. In der Nacht 
hat Wilhelm einen schreckhaften Traum. Er sieht von Russland 
(Rossie) ein Feuer herankommen, das Rom an allen Enden in 
Brand steckt. Während er unter einem dicht belaubten Baume 
steht, stürzt ein Windhund auf ihn zu, der ihn in Angst versetzt; 
mit seiner Pfote giebt das Tier ihm einen solchen Schlag, dass 
er zu Boden stürzt. Da erwacht er und befiehlt Gott seine Seele. 
Der Traum, heisst es, wurde wahr, denn die Sarazenen befanden 
sich im Anzug: König Galafre, König Tenebre, König Cremuz 
und der „amire“ Corsolt haben Capua eingenommen, König Gaifier 
mit Frau und Tochter und 30000 Christen sind in ihre Ge- 
fangenschaft geraten. 

Am nächsten Morgen legt Wilhelm seine Waffen auf dem 
Altar nieder und hört die Messe, die der Papst celebriert. Da 
erscheinen zwei Boten mit trauriger Kunde: die Sarazenen haben 
Capua eingenommen und 30000 Gefangene gemacht, die, wenn 
sie nicht befreit werden, des Todes gewärtig sein müssen. Er- 
schrocken wendet der Papst sich um Beistand an Wilhelm, der 
eben knieend vor dem Altar betet. Dieser aber zaudert: er 
glaubt, mit seinem kleinen Häuflein gegen solche Uebermacht 
nichts ausrichten zu können; man solle einen Boten an Ludwig 
senden, dass er ihnen Hilfe bringe. Dem widersetzt sich indes 
Bertran aufs entschiedenste: unverzüglich möge man zu den 
Waffen greifen und sich zur Wehr setzen. Und der Papst wird 
dringender: „Sieh hier St. Petrus, den Hüter der Seelen. Wenn 
Du für ihn heute diese Vasallenfahrt unternimmst, dann darfst 
Du Fleisch essen alle Tage Deines Lebens und Frauen nehmen 
so viel Du Lust hast; Du wirst keine noch so schwere Sünde 
begehen — wofern Du Dich nur vor Verrat hütest —, von der 
Du nicht von vornherein für das Leben absolviert wärest. Im 
Paradies wirst Du wohnen, wo unser Herr seine guten Freunde 
behütet; St. Gabriel wird Dir vorangehen“. „Ja, bei Gott“, ruft 
Graf Wilhelm aus, „nie hatte ein Priester so freigebigen Sinn. 
Jetzt soll kein Mensch der Welt und kein Heide, sei er auch 
noch so grimmig, mich abhalten, diese Gesellen im Kampfe zu 
bestehen“. Er greift sofort zu den Waffen, schwingt sich aufs 
Ross und schickt sich an, an der Spitze von 3000 Mann, die der 
Papst ihm zur Verfügung stellt, dem Feinde entgegenzutreten. 
Da erklärt der Papst, bevor es zum Blutvergiessen komme, noch 
einen Versuch machen zu wollen, die Ungläubigen zu friedlichem 


174 R. ZENKER, 


Abzug zu bewegen: seinen ganzen Schatz wolle er ihnen als 
Preis anbieten. Der Vorschlag findet Billigung und so begiebt er 
sich denn selbst ins feindliche Lager zu König Galafre. Dieser 
aber weist das wohlgemeinte Anerbieten zurück. Dafür macht 
er den Gegenvorschlag, den Streit durch einen Zweikampf zu 
entscheiden: werde sein, Galafres, Kämpe besiegt, so solle Rom 
für alle Zeit dem Papst gehören und niemand solle es ihm dann 
je mehr streitig machen. Der Papst denkt sofort an Wilhelm 
und geht auf den Vorschlag ein. Auf seine Bitte führt Galafre 
ihm seinen Kämpen vor, König Corsolt, der wilde Drohungen 
gegen die Christen ausstösst und erklärt, keinen von den „Mannen 
Gottes“ hienieden am Leben lassen zu wollen. Nach Rom zurück- 
gekehrt, erstattet der Papst Wilhelm Bericht über das Ergebnis 
seines Vermittelungsversuches, woraufhin letzterer sich sogleich 
zum Kampfe anschickt. Der Zweikampf zwischen Wilhelm und 
Corsolt, der unter den Augen der beiden Heere und des Papstes 
stattfindet, wird nun sehr ausführlich beschrieben; in seinem 
Verlauf wird Wilhelm von Corsolt die Nasenspitze abgeschlagen, 
schliesslich aber gelingt es ersterem, den Kampf zu beenden, indem 
er seinem Gegner das Haupt vom Rumpfe trennt. Triumphierend 
kehrt er nach Rom zurück, wo er vom Papst, von seinem Neffen 
Bertran, von Wibelin und Gautier freudig begrüsst wird. Wilhelm 
erklärt ihnen, er wolle von nun an den Namen „Wilhelm mit 
der kurzen Nase“ führen. Die ganze Nacht hindurch, bis zum 
Morgengrauen, wird der Sieg festlich begangen. In aller Frühe 
brechen die Heiden ihr Lager ab und wenden sich zur Flucht. 
Wilhelm mit seinen Genossen und dem Heere der Römer setzt 
ihnen nach und haut auf die Fliehenden ein, die sich nun zur 
Wehr setzen. König Galafre greift Wilhelm an in der Hoffnung, 
ihn gefangen zu nehmen, aber er wird besiegt und selbst zum 
Gefangenen gemacht; mit 300 andern Heiden sendet Wilhelm 
ihn an den Papst. Als die Heiden das sehen, verzichten sie auf 
weiteren Widerstand und wenden sich zur Flucht. Am Tiber 
angelangt, finden sie ihre Schiffe und segeln schleunigst davon. 
Galafre wird getauft, die christlichen Gefangenen, die sich auf 
einem Schiffe auf dem Tiber befinden, werden mit Galafres 
Beihilfe befreit und nach Rom gebracht. König Gaifier bietet 
Wilhelm seine Tochter zur Frau _an, letzterer willigt auf Rat 
des Papstes ein und die Hochzeit soll eben in der Kirche gefeiert 
werden, da treffen zwei Boten aus Frankreich mit der Nachricht 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUIS. 175 


ein, Kaiser Karl sei gestorben und Verräter wollten den Sohn 
Richards von Rouen zum König erheben. Wilhelm ist sofort 
bereit, dem an ihn ergehenden Rufe Folge zu leisten, er nimmt 
Abschied von seiner Verlobten und kehrt in Begleitung von 
1000 Rittern, die der Papst ihm mitgiebt, nach Frankreich zurück. 
Damit schliesst die zweite Branche. 

Wie man sieht, haben wir in ihr ein durchaus einheitliches, 
in sich abgeschlossenes Ganzes vor uns, das mit dem Voraus- 
gehenden wie mit dem Folgenden durch keine andern Fäden ver- 
knüpft ist als allein die Person Wilhelms. 

Die Frage nun nach den historischen Ereignissen, welche 
die Branche wiederspiegle, ist verschiedentlich erörtert worden; 
es haben sich darüber geäussert P. Paris,!) R. Dozy,2) Jonck- 
bloet,) L. Gautier?) E. Langlois?) Ph. A. Becker f) 
L. Willems?) und zuletzt A. Jeanroy.°) 

Jonckbloet ist der Urheber der heute herrschenden An- 
schauung; er war der erste, der den König Gaifier unserer Chanson 
mit dem historischen Herzog Waifar von Salerno indentifizierte 
und demgemäss in unserer Branche einen poetischen Wieder- 
schein der Kriege Kaiser Ludwigs II. gegen die Sarazenen in 
den Jahren 866—872 erblickte. Langlois und Willems stimmten 
bei und begründeten Jonckbloets Ansicht, die dieser nur kurz 
angedeutet hatte, in ausführlicher Weise, Becker äusserte sich 
gleichfalls zustimmend und ebenso Jeanroy, so dass also die in 
Rede stehende Frage heutzutage, wie es scheint, als erledigt 
betrachtet wird und unter den Forschern über die geschichtliche 
Grundlage der zweiten Branche des Couronnement de Lowis volle 
Einhelligkeit besteht. 

Ich glaube nun meinesteils, dass jene Frage durch Jonck- 
bloets von den späteren Gelehrten acceptierten Hinweis auf 


die Sarazenenkriege Ludwigs II. keineswegs abgethan ist, und 
Bi. ” 

!) Les manuscrits frangois de la bibliotheque du roi, Paris 1840, t. III, 125. 

2) Recherches sur lhistoire et la litterature de U Espagne pendant le 
moyen äge, Leyden 1860, 2e &d., t. II, Append. p. XCIII. In der 3. Auflage 
(Leyden 1881) hat Dozy den betreffenden Passus gestrichen. 

3) Guillaume d’Orange, Haag 1854, t. II, 105 ff. 

4) Les Epopees frangaises, Paris 1878—1894, Qme öd., t. IV, 9. 

5) Ausgabe, Introd. p. XXXO—LI. 

6) Die altfranzösische Wilhelmsage, Halle 1896, S. 16. 

7) L’element historique dans le Coronement Loois, Gent 1896, p. 10—17. 

6) Romania 25, 357 f, und 465 f. 


176 R. ZENKER, 


werde diese meine Anschauung im folgenden des näheren be- 
gründen. 

Sehen wir zunächst, welche Gründe für Jonckbloets Ansicht 
von diesem selbst, sowie von den genannten Forschern beigebracht 
worden sind, und ob dieselben eine ausreichend feste Stütze für 
jene These bilden. 

Hier ist nun gleich zu bemerken, dass Langlois, der die 
Frage am ausführlichsten erörtet hat, sowie Becker und Willems 
darin gefehlt haben, dass sie das Chronicon Salernitanum') als 
rein historische Quelle verwerten und ihrer Darstellung der 
betreffenden geschichtlichen Vorgänge zu Grunde legen. Die 
Chronik von Salerno, verfasst zu Salerno um das Jahr 978, ist 
aber — wie auch Jeanroy, freilich nur nebenbei, bemerkt — 
für das 9. Jahrhundert keine zuverlässige Geschichtsquelle, 
sondern hat für diese wie für die ältere Zeit überhaupt in aus- 
giebigem Masse die Volkssage, vielleicht direkt Lieder epischen 
Inhalts benutzt; vgl. Pertz, 85. III, 467 und Wattenbach, 
Deutschlands Geschichtsquellen @m Mittelalter I, 399. Da ihrem 
Verfasser auch gute Quellen zu Gebote standen, so ist es gewiss 
keineswegs ausgeschlossen, dass auch manches von dem, was 
die Chronik an sonst nicht bezeugten Thatsachen überliefert, 
wirklich historisch ist; aber es fehlt uns jedes Kriterium, um 
eine Scheidung vorzunehmen, und man wird deshalb prinzipiell 
— wie auch Dümmler in seiner Geschichte des ostfränkischen 
Reiches?, Leipzig 1887—1888, gethan — jede Darstellung der 
damaligen Ereignisse ausschliesslich auf die zeitgenössischen, 
von der Sage unbeeinflussten Quellen zu gründen haben. 

Nun stimmt freilich die Chronik von Salerno in den wesent- 
lichen für uns in Betracht kommenden Daten mit den letzt- 
genannten Quellen so ziemlich überein; immerhin ist es, da es 
gilt, die geschichtlichen Grundlagen unserer Chanson zu er- 
mitteln, durchaus notwendig, die Darstellung beider getrennt Zu 
halten. 

Die Chronik von Salerno berichtet über den Feldzug 
Ludwigs, speziell über die Belagerung Salernos durch die 
Sarazenen in den Jahren 871—872, in sehr ausführlicher Weise, 
und zwar ist der Gang der Erzählung in ihr im wesentlichen 
der folgende: | 


») Pertz, SS. III, 528—532. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LoUuIs. 177 


Kaiser Ludwig ist auf die Bitte des Adelchis und des mit 
ihm verbündeten Waifer (Guaiferius) von Salerno, sowie des 
Kaisers Basilius von Constantinopel nach langem Zögern endlich 
nach Unteritalien mit grosser Heeresmacht aufgebrochen, um 
die Sarazenen zu vertreiben. Nachdem der Papst ihn zu Rom 
gekrönt hat (die Krönung war thatsächlich schon im Jahre 850 
erfolgt), zieht er nach Calabrien, besiegt dort die Sarazenen, 
erobert nach mehrjähriger Belagerung Bari, dessen Sultan ge- 
fangen genommen wird, und entreisst ganz Apulien und Calabrien 
den Händen der Ungläubigen. Dann verweilt er drei Jahre zu 
Benevent. Da seine Gemahlin sich bei den Beneventanern miss- 
liebig: macht, vertreiben ihn diese aus der Stadt; er muss schwören, 
sich keine Bedrückungen mehr erlauben zu wollen und eilt mit 
all den Seinigen nach „Gallien“ d. i. Oberitalien. 

Als Waifer von Salerno eines Tages zum Bade geht, ruft 
ihn ein Sarazene Namens Arrane, der auf dem Markte sitzt, 
an und bittet ihn um sein Kopftuch. Waifer entspricht mit 
ritterlicher Freigebigkeit sofort dem Ansinnen. Der Sarazene 
kehrt nach Afrika zurück und sieht dort, wie eine grosse Flotte 
ausgerüstet wird, die für Italien bestimmt ist und Salerno 
erobern soll. Von Dankbarkeit gegen Waifer erfüllt, lässt er 
diesem, was er gesehen, durch einen Amalfitaner Namens Flurus 
melden: er möge ja alles thun, um seine Stadt in Verteidigungs- 
zustand zu setzen, denn ein schwerer Kampf stehe ihm bevor. 
Waifer, erschrocken, befestigt die Stadt und erbaut vor allem 
genau nach Angabe jenes Sarazenen eine Reihe von Türmen. 

Bald darauf lässt Gott, um die Beneventaner für ihren an 
Ludwig begangenen Frevel zu strafen, die Sarazenen unter 
einem Feldherrn Namens Abdila in Calabrien einfallen; sie er- 
obern einige Städte im Lande und schliessen dann Waifer in 
Salerno ein. Neapel, Benevent und Capua werden verwüstet. 
Salerno wird heftig bestürmt, Waifer aber als tapferer Mann 
setzt sich energisch zur Wehr. In offener Feldschlacht zwar 
wagt er den Feinden nicht entgegenzutreten, aber durch kleinere 
Streifcorps hält er sie bald hier bald dort in Atem. Als Abdila 
in einer Kirche eine tempelschänderische Handlung vornehmen 
will, wird er durch einen herabstürzenden Balken getötet; an 
seiner Stelle wählen die Sarazenen einen gewissen Abemelee zu 
ihrem Anführer. Ein vornehmer Sarazene fordert eines Tlages 
einen Salernitaner Namens Petrus zum Zweikampf heraus und 

Festgabe für Gustav Gröber, 12 


178 R. ZENKER, 


wird von ihm vor der Kirche der Märtyrer Cosmas und Damian 
getötet. Vier riesenhafte Brüder, die Söhne Helims, setzen 
den Salernitanern besonders heftige zu; einer von ihnen bietet 
sich ihnen täglich zum Zweikampf an. Ein gewisser Landemar 
leistet der Herausforderung Folge; mit seinem Wurfspiesse 
durchbohrt er den Heiden, der bald darauf seiner Verletzung 
erliegt. 

Inzwischen beginnen die Belagerten Hunger zu leiden; die 
(semahlin Waifers selbst trägt den Verteidigern auf den Mauern 
Speisen zu. Die Not aber ist beständig im Wachsen, schon sehen 
die Salernitaner den Moment vor Augen, wo sie sich den Un- 
gläubigen werden übergeben müssen. Da eilt Bischof Landulf 
von Capua zu Ludwig nach Pavia, um seinen Beistand anzurufen. 
Und seine dringenden Bitten sind nicht vergeblich, der Kaiser 
zieht mit einem Heere nach Campanien, er sendet seinen Neffen 
Cuntart (d. i. Gunthart) auf dessen flehentliche Bitten den 
Sarazenen entgegen, die bei Capua aufs Haupt geschlagen werden. 
Sodann werden die beiden Grafen Ardignus und Remedius nach 
Benevent geschickt, wo sie bei einem Orte Namens Mamma den 
Feinden eine Niederlage beibringen. Um zu verhindern, dass schon 
bei ihrem Nahen die Sarazenen die Flucht ergreifen, bedienen die 
Christen sich einer Kriegslist: sie nehmen Zweige in die Hand 
und rücken so dicht gedrängt vor. Als die Agarener das sehen, 
wissen sie nicht, was sie davon denken sollen und sagen: „Ein 
Berg kommt auf uns zu“. Sobald die Christen nahe genug sind, 
werfen sie die Zweige weg und greifen zu den Waffen, die 
Sarazenen werden nach tapferem Widerstande niedergemacht 
oder in die Flucht geschlagen. Sie geben nun die Belagerung 
von Salerno auf und entfliehen übers Meer nach Calabrien. 
Ludwig kehrt, nachdem er einen vergeblichen Versuch gemacht, 
sich Benevents zu bemächtigen, in seine „Heimat“ zurück, wo 
er bald darauf stirbt. 


Diese ganze Erzählung trägt stark romanhaftes Gepräge 
und steht im einzelnen mehrfach mit den zeitgenössischen Be- 
richten im Widerspruch. Was die letzteren über die Belagerung 
Salernos und die mit ihr zusammenhängenden Ereignisse melden, 
habe ich in den Hauptzügen dargelegt in meiner Abhandlung 
„Das Epos von Isembard und Gormund, Halle 1896“, S. 129 ff.; 
ich bin genötigt, es hier zu wiederholen, um ein Urteil darüber 


N 24} 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LouIss. 179 


zu ermöglichen, inwieweit die Darstellung der Chronik von 
Salerno mit der beglaubigten Geschichte im Einklang steht. 

Im Jahre 866, als die Sarazenenplage in Unteritalien aufs 
höchste gestiegen war, trat Kaiser Ludwig II. (zu Rom gekrönt 
850), der Sohn Kaiser Lothars und Enkel Ludwigs des Frommen, 
an der Spitze der gesamten zu den Fahnen einberufenen waffen- 
fähigen Mannschaft des Landes auf Bitten der Langobarden,') 
namentlich der Beneventaner und Capuaner, die Heerfahrt nach 
dem Süden an. Er zog über Ravenna, Pescara nach dem Fueiner 
See, von da durch das Gebiet von Benevent über Montecassino 
gegen Capua, das belagert und nach einigen Tagen erobert und 
zerstört wurde. Er wandte sich dann nach Salerno, wo ihn 
Herzog Waifar (seit S61 an der Regierung) empfing und sich 
ihm förmlich unterwarf. In den folgenden Jahren bekämpfte er 
dann die Sarazenen mit entscheidendem Erfolge und eroberte 
871 nach 4-jähriger Belagerung Bari, ihren Hauptstützpunkt. 
Der Sultan, Mufareg-ibn-Salem, der solange der Schrecken des 
Landes gewesen, sowie die sarazenische Besatzung wurden in 
die Gefangenschaft abgeführt. Es ging dann ein Heer ab, um 
Tarent zu belagern, die Sarazenen aus Calabrien zu vertreiben 
und ihnen Sieilien zu entreissen. Der Kaiser selbst begab sich 
nach Benevent; hier nun entstand, vermutlich infolge schroffer 
Behandlung der Einwohner durch die kaiserlichen Truppen,?) am 
13. August 871 ein Volkstumult, in dem Ludwig, nach dreitägiger 
Verteidigung in einem Turme, gefangen genommen wurde; man 
plünderte seinen Schatz und vertrieb die dislocierten Truppen. 
Erst am 17. September wurde der Kaiser auf Bitten des Bischofs 
Aio von Benevent wieder in Freiheit gesetzt. Eben damals nun 
landeten die Sarazenen bei Salerno ein Heer von 30000 Mann, 
das die Stadt einschloss und die Umgegend wie das Gebiet 
von Neapel, Benevent und Capua verheerte. Der Kaiser begab 
sich zunächst über Spoleto, von wo aus er vergeblich zwei 
aufständische Grafen, Lambert von Spoleto und einen andern 


1%) „Langobardi vero dum nimia swis pro faclis perieula sustinerent, ob 
hoe nimirum afflieti necessitatemque compulsi, Franciam legatos dirigunt 
atque gloriosi imperatoris Hludowici implorant augusti elementiam, ut patria 
sua cum gente veniens, eos ommino a Saracenis jamtocius eriperet.“ Chron. 
S. Bened. ec.2 bei Waitz, SS. Rer. Lang. S. 469. 

2) „Coeperunt Galli graviter Beneventanos persequi ac erudeliter veware,“ 
Erchempert c. 34, bei Waitz, SS. Rer. Lang. 8. 247. 


12% 


180 R. ZENKER, 


Lambert, verfolgte, nach Ravenna. Während er bereits wieder 
auf dem Rückwege nach Rom begriffen war, kam ihm zu Farfa 
im Sabinerland Bischof Athanasius von Neapel entgegen, um 
seinen Beistand für das belagerte Salerno zu erbitten; Ludwig 
begab sich vorläufig mit ihm nach Rom, wo er im Mai 872 
eintraf und am 18. d.M. durch Papst Hadrian nach feierlicher 
Messe neu gekrönt wurde.!) Da der Papst seine Bitten mit 
denen des Athanasius vereinigte, entschloss sich der Kaiser nun- 
mehr, Salerno Hilfe zu bringen und rückte selbst gegen Süden 
vor. Auf Veranlassung Bischof Landulfs von Capua entsandte er 
ein Heer unter dem Befehl der Grafen Hunroch, Agefrid und 
Boso, das die Sarazenen bei S. Martino in der Nähe Capuas am 
Volturno besiegte.?) Zur gleichen Zeit wurden die Sarazenen in 
zwei weiteren Treffen geschlagen: von den Beneventanern unter 
Führung des Adelchis an einem nicht näher bezeichneten Orte 
und von den Capuanern bei Sessola. Nun sahen sie sich genötigt, 
die Belagerung von Salerno aufzugeben. Vorher noch hatte, so 
hören wir, Herzog Waifar vergeblich den Kaiser durch seinen 
Verwandten Petrus und seinen Sohn Waimar um Hilfe bitten 
lassen; beide waren auf den Rat des Bischofs Landulf gefangen 
gesetzt und nach „Langobardien“ abgeführt worden. 

Nach ruhmvoll beendetem Feldzuge begab Ludwig sich 
nach Capua, verweilte hier ein Jahr und kehrte Ende 873 nach 
Oberitalien zurück, wo er am 12. August 875 starb. 


Dies ist es, was süditalische Sage vom Ende des 10. Jhs. 
einerseits und was die zuverlässigen Berichte von Zeitgenossen 
andererseits über jene Ereignisse melden, welche nach der 
herrschenden Anschauung die geschichtliche Grundlage der 
zweiten Branche des Couronnement de Louis bilden. 





!) Der Kaiser hatte den Beneventanern vor seiner Freilassung schwören 
müssen, dass er für die ihm angethane Unbill keine Rache nehmen und 
niemals mit Heeresmacht das beneventanische Gebiet betreten wolle. Von 
diesem Eide hatte der Papst Ludwig gelöst. Die Krönung ist aufzufassen 
als Rehabilitation nach der Lösung vom Eid, vgl. Böhmer-Mühlbacher, 
Regesta Imperii I, Innsbruck 1889, n. 1218d. 

2) Andreae Bergom. Hist. c.15, Waitz, 5S. S.228. Obgleich Andreas 
dieses Treffen vor Ludwigs Gefangennahme setzt, so scheint es doch so gut 
wie gewiss, dass er das gleiche Ereignis meint wie Erchempert ce. 35, ib. S. 248: 
„misso exercitu Tam dietus augustus per sugestionem Landulfi praesulis ... 
perdidit ex prophanis in Capua ferme novem milia viros“. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUIS. 181 


Die Uebereinstimmungen zwischen Chanson und Geschichte 
— welch letztere er, wie gesagt, in der Chronik von Salerno 
niedergelegt glaubt — hat zuerst Langlois a.a.0. S. XNXXIX ff. 
im einzelnen nachzuweisen sich bemüht. Er sagt: 

„Dans le Coronement Loois nous voyons un Gwaifier, 
roi de Capoue, fait prisonmier avec sa famille et ses sujets par 
les Sarrasins et delivre par les Frances; dans la chronique nous 
trouvons un Guaifier, souverain de Salerne, reduit a la 
derniere extremite, presque fait prisonnier avec sa famille et ses 
sujets par les Sarrasins et delivre par les Frances. Dans les 
deux reeits les infideles, apres leur defaite, quittent Ultalie. Ce 
sont la les faits principaux, ceux qui forment le fonds du reeit, 
et ils sont identiques de part et dautre“. 

Aber auch die sehr weitgehenden Unterschiede hat schon 
Langlois hervorgehoben und zu erklären versucht: 


In der Geschichte spielt sich der Kampf ab unter den Mauern 
von Salerno, in der Chanson dicht bei Rom; 

der Chronik zufolge werden die Sarazenen in einer Feld- 
schlacht besiegt, in der Chanson im Zweikampf; 

dort wird der Name des sarazenischen Kämpfers nicht 
genannt, wir erfahren nur, dass es, wie Corsolt, ein sich heraus- 
fordernd gebärdender Riese war, der, wie dieser in der Chanson, 
von dem Christen getötet wird. Der Kämpe der Christen hingegen 
heisst in der Chronik Petrus, in der Dichtung Wilhelm. 

Die Verlegung des Schauplatzes von Salerno nach Rom 
zunächst erklärt sich nun nach Langlois einfach durch die That- 
sache, dass es den Spielleuten um geographische Genauigkeit 
nicht zu thun war: „Pour eux le siege du pape etait un centre, 
ou venaient se grouper tous les Evenements qui se passatent au- 
dela de Montjeu. Le fait avait lieu en Italie, done ce pouvait 
etre pres de Rome“. Ueberdies erkenne man noch, dass ursprüng- 
lich der Schauplatz nicht in unmittelbarer Nähe von Rom 
gedacht war, denn bei Wilhelms Ankunft sei von den Sarazenen 
noch keine Rede, niemand denke an sie, bis zwei Boten die 
Nachricht von ihrer Landung bei Capua brächten. Auf die 
räumliche Entfernung der beiden Städte aber werde im Gedichte 
keine Rücksicht genommen, Rom und Capua würden nahezu 
vermengt, was sich durch die Annahme erkläre, der Kampf 
habe in der ursprünglichen Redaktion vor Capua stattgefunden 


182 R. ZENKER, 


und sei erst nachträglich, infolge der Einführung des Papstes, 
vor Rom verlegt worden. 

Wenn sodann der Chronik zufolge die Sarazenen in einer 
Feldschlacht besiegt würden, nach der Chanson hingegen in einem 
Zweikampf, so sei dieser Unterschied ohne Bedeutung und lasse 
sich überdies im Notfalle auch durch die Geschichte (d.h. die 
Darstellung der Chronik) erklären; denn in die Schilderung der 
Belagerung seien mehrere Einzelkämpfe eingewoben und der 
Chronist erzähle zwei davon mit ziemlicher Ausführlichkeit. Doch 
liege es näher, den Zweikampf zwischen Corsolt und Wilhelm 
als eine nachträglich der geschichtlichen Thatsache der Be- 
freiung Guaifiers hinzugefügte Episode zu betrachten. 

Die sonstigen Abweichungen müsse man auf Rechnung der 
unvermeidlichen Veränderung setzen, welche die Geschichte durch 
die Sage zu erfahren pflege. 

Was Wilhelm von Orange betrifft, so sei dieser jedenfalls 
ursprünglich in dem Liede nicht aufgetreten, sondern erst nach- 
träglich eingeführt worden, vielleicht infolge der eyklischen Ten- 
denz, welche die Epen in drei Gesten gliederte, die Königsepen, 
die Epen von Garin von Monglane und die von Doon von Mayence, 
sei es infolge irgend eines anderen Umstandes. Langlois wirft 
dann die Frage auf, wer ursprünglich Wilhelms Stelle in dem 
Liede eingenommen habe und er glaubt, seinen Vorläufer zu 
erkennen in jenem Cuntart, der nach der Chronik von Salerno 
die Sarazenen bei Capua besiegte und der in einer Handschriften- 
familie in der dritten Branche des Couronnemenit V.1619 ge- 
nannt werde: 

„Dans la 3° partie du Ooronement Loois, au vers 1619, le 
nom de Guarin de Rome, donnd par les familles de manuserits 
B et (, est remplacd dans la famille A par Gontier de Rome.‘) 
Dans les manuscrits, les noms propres sont sowvent abreges et 
un copiste, dont Vesprit dtait rempli des noms de Guarin de 
Montglane et de Guarin le Loherain, resolvait tout naturellement 
Vabreviation G. de Rome en Guarin de Rome. Pour lire Gontier 





1) Die betreffende Stelle lautet (Worte Wilhelms an einen Knappen): 
V. 1618 „Va, si me di dan Gualtier de Tudele, 
Guarin (A: Gontier) de Rome en diras la novele, 
Qwencontre mei sont tes portes overtes; 
Qui vuelt aveir guaaignier et conquerre, 
Si viegne tost, n’i ait noise ne feste“. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUIS. 183 


de Tome, il fallait ou que ce nom füt cerit en toutes lettres ou 
que le copiste connüt um personnage heroique du möeme nom |L. 
entscheidet sich offenbar für den letzteren Fall, da die Familien 
B und C nach ihm von einander unabhängig sind, also im Original 
Garin gestanden haben muss, welches er denn auch in den Text 
aufnimmt]. Or, ce personnage est evidemment ce neveu de Vem- 
pereur Louis, Gontier, qui delivra Garfier assiege par les infideles, 
et trouva la mort, a läge de quwinze ans, dans les bras de la victoire.‘) 
C'est le möme evenement historique qui fait entrer Voncle et le neveu 
dans la poesie. Lorsque plus tard les remanieurs identifierent 
avec Louis, fils de Charlemagne, tous les rors ou empereurs du 
meme nom, lorsqwils firent de Guillaume le defenseur necessaire 
de Louis le Debonnaire, Gontier subit une transformation parallele 
a celle de son sowverain Lowis II, et quand celwi-ci cdda la place 
a Louis, fils de Charles, lwi-meme fut absorbe par Guillaume.“ 

Demgemäss denkt sich nun Langlois die Entwickelung 
unserer Branche folgendermassen: 

Es existierte ein Lied, welches erzählte, wie Gontier, an der 
Spitze von Ludwigs II. Truppen, Gaifier, der von den Sarazenen 
in Salerno belagert wird, befreit. In dieses Lied wurde die Person 
des Papstes eingeführt, was die Verlegung des Schauplatzes nach 
Rom zur Folge hatte. Indem man Ludwig II. mit Ludwig dem 
Frommen identificierte, ersetzte man Gontier durch Wilhelm. An 
Stelle der Feldschlacht, in der Gontier die Sarazenen besiegte, 
trat ein Zweikampf zwischen Wilhelm und Corsolt, der unter den 
Namen Corsubles, Corsables, Corsabrin auch in anderen Chansons 
de geste auftritt. 


Soviel über die Ausführungen Langlois. Willems in seiner 
oben ceitierten Abhandlung stimmt ihnen rückhaltlös bei. Neu 
ist bei ihm nur der Hinweis auf die 'Tihatsache, dass Kaiser 
Ludwig 11. von Italien ebenso wie Ludwig der Fromme einem 

!) Langlois hat die Chronik von Salerno in der Ausgabe von Muratori, 
Script. Ber. It. II,2, S. 261 benutzt, wo der Neffe des Kaisers G@ontar heisst, 
während die älteste (vatikanische) Handschrift — die Quelle der übrigen 
welche Pertz, SS. III, 467 zum Abdruck bringt, die Namensform Cuntart bietet. 
Indessen ändert das an obigen Ausführungen nichts. Die Namen Gontar d. i. 
Gunt-hari und COuntart d. i. Gunt-hart können im vorliegenden Falle ohne 
weiteres als identisch betrachtet werden, wie ich des näheren gezeigt habe in 
meiner im Druck befindlichen Abhandlung: „Neues zu Isembard und Gor- 
mund“, Zeitschr. f. rom. Phil. 23. 


184 RK. ZENKER, 


Karl in der Regierung folgte, nämlich in der Regierung der 
Provence (seinem Bruder Karl), wodurch sich nach Willems die 
Vermengung der beiden Ludwige in der Sage erklärt: 

„On voit clairement comment la confusion a pu se produire : 
en 863, comme en 814, il y eut un empereur Lowis — le Debonnaire 
avait ele couronnd comme tel a Aix — succedant a un Charles. 
L’empereur Lowis II se trowvait reellement en Italie, comme notre 
Coronement lindique, lorsque s’owvrit la succession de son frere 
Charles. Ce n’etait point le cas de Louis le Debonnaire, qui se 
trouwvait en Aquitaine, lorsque mourut son pere Charlemagne. 

Toutefois le Coronement a interverti Vordre chronologique 
des faits : Guillaume vient d’abord delivrer Gaifier d’Espolite, 
assiege par les Sarrasins dans Capoue, et apprend ensuite la 
mort de Charlemagne. Dans Vhistoire, Lowis II succeda a Charles 
en 863, et le siege de Salerne n’eut hieu que dix ans apres, en 873.“ 

 Jeanroy a.a.0., Romania 25, 358, und in seiner Anzeige 
von Willems’ Schrift, ebenda S. 465, stimmt diesem und Langlois 
vollkommen bei, nur lehnt er — mit Recht — des Letzteren 
Vermutung, Wilhelm sei an die Stelle Cuntarts getreten, ent- 
schieden ab: „il n’y a presque rien de commun entre le personnage 
historique et le heros legendaire : ce Cuntart etait un enfant: 
Guillaume est considere par Vauteur comme etant dans la force 
de läge; Cuntart mourut dans sa victoire : Guillaume fut & peine 
blesse. Enfin si Guillaume avait remplacd Cuntart, le röle de 
celni-ei n’eut pas subsiste“.') 

Becker endlich a. a. O. reproduciert kurz und mehr im 
Vorbeigehen die Anschauung Jonckbloets und Langlois’, ohne 
sich mit den Einzelheiten näher zu befassen. 


!) Jeanroy meint (a.a. 0. 8.359), die Geschichte von der Belagerung 
Salernos werde nach Frankreich gebracht haben „quelque pelerin de Rome“. 
Ich weiss nicht, warum man beständig diese wackeren Pilger als Staffetten 
und Kolporteure der Sagen- und Epen-Stoffe von Nation zu Nation auf- 
marschiren lässt. Wir bedürfen ihrer doch wahrlich nicht. In den grossen 
Kriegen der damaligen Zeit wurden die abendländischen Nationen unaufhörlich 
durcheinander gerüttelt; die gleichen Heere standen bald gegen die Sara- 
zenen im Süden, bald gegen die Normannen im Norden im Felde. In ihnen 
werden wir die Vermittler der Epenstoffe zu erblicken haben, deren pars 
magna sie selbst waren, nicht in den Pilgern, die doch zunächst andere 
Gedanken im Kopfe hatten als Krieg und Kriegsgeschrei. Im vorliegenden 
Falle bewirkten die Ueberführung sicher die zahlreichen Franzosen in Ludwigs 
Heere, das ja vielfach geradezu als das Heer der „Galli“ bezeichnet wird. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LoUIs. 185 


Somit besteht also, wie gesagt, unter den Forschern volle 
Uebereinstimmung hinsichtlich der geschichtlichen Grundlagen 
unserer Branche und nur darüber machen sich Meinungsver- 
schiedenheiten geltend, welches der Anlass war, dass das ursprüng- 
lich selbständige Lied unserer Chanson, dem Couronnement, ein- 
gegliedert wurde. 

Ich stimme nun meinesteils der herrschenden Anschauung 
insoweit vollkommen bei, als auch ich annehme, dass von jenen 
geschichtlichen Ereignissen, welche oben ausführlicher dargelegt 
wurden, in unserer Chanson ein Widerschein vorhanden ist; dafür 
scheint mir entschieden der Name Gaifier = Waifarius zu sprechen, 
insofern die Geschichte von einem anderen italienischen Fürsten 
dieses Namens, der mit den Sarazenen im Kampfe gelegen hätte, 
nichts weiss. Darauf freilich, dass auch die Chronik von Salerno 
von Zweikämpfen zwischen Christen und Sarazenen meldet, 
möchte ich kein Gewicht legen; denn diese Zweikämpfe tragen 
rein episodischen Charakter, sind für den Verlauf der Ereignisse 
völlig irrelevant und können folglich die Vorbilder für den 
Zweikampf zwischen Wilhelm und Corsolt nicht gewesen sein. 
Dagegen erblicke ich eine weitere Stütze für die fragliche An- 
sicht in der bisher noch nicht beachteten oder doch nicht hervor- 
gehobenen Thatsache, dass genau die gleichen geschichtlichen 
Ereignisse den historischen Hintergrund bilden in zwei anderen 
französischen Chansons de geste, von denen die eine freilich nur 
fragmentarisch, die andere nur in deutscher Uebersetzung auf 
uns gekommen ist: nämlich in dem Liede von Isembard und 
Gormund und in einer Chanson, deren Kenntnis uns, soweit ich 
sehe, nur durch den mittelniederdeutschen Prosaroman von Loher 
und Maller vermittelt wird, denselben Roman, der uns ja auch 
über den Inhalt der Chanson von Isembard und Gormund so 
wichtige Aufschlüsse erteilt. Was Isembard und Gormund betrifft, 
so habe ich in meiner schon oben eitierten Schrift gezeigt, dass 
diese Dichtung neben mancherlei anderen geschichtlichen Er- 
eignissen auch den grossen Feldzug Kaiser Ludwigs II. gegen 
die Sarazenen widerspiegelt, in dem die Belagerung Salernos 
eine Episode bildet.') Im Loher und Maller sodann erhalten wir 


!) Bezüglich der Einwände Beckers, Zeitschr. f. rom. Phil. 20 (1896), 
549 und F. Lots, Gormond et Isembard, recherches sur les fondements 
historiques de cette epopee, Romania 27 (1898), 1 verweise ich auf meine im 
Druck befindliche, oben S. 183, Anm. 1 ceitierte Abhandlung. Was Lauer, 


156 R. ZENKER, 


im zweiten Teil die Uebertragung einer Prosaauflösung einer 
französischen Chanson de geste, in der ganz augenscheinlich 
genau die gleichen geschichtlichen Ereignisse verarbeitet sind. 
Es scheint mir nicht überflüssig, die fragliche Episode, auf die 
meines Wissens noch Niemand aufmerksam gemacht hat, hier in 
extenso mitzuteilen. 

Im ersten Teil und im ersten Abschnitt des zweiten Teils 
des Loher und Maller!) wird bekanntlich erzählt, wie Loher, d. i. 
Lothar, der Sohn Karls des Grossen, aus Frankreich verbannt, 
mit seinem Freunde Maller, d. i. Mallart, nach Konstantinopel 
gelangt und nach allen möglichen Abenteuern: zum -Kaiser von 
Konstantinopel gekrönt und mit Zormerin, des alten Kaisers 
Tochter, vermählt wird. Es heisst dann S. 113: 

Wie ein Bote des Papstes kam. 

Während Loher noch beim Hochzeitsmahle sitzt, erscheint 
ein Bote des Papstes und kniet vor ihm nieder: „Bonifacius, 
unser geistlicher Vater, entbietet Euch, dass Ihr ihm zu Hilfe 
kommt: 14 heidnische Könige halten Rom belagert, darunter der 
Sultan von Babylonien und der König von Mohrenland, dessen 
Volk ganz schwarz ist: es gleicht den höllischen Teufeln. Sie 
haben wohl 30000 Gewappneter; der schwarzen Teufel sind so 
viel, sie nehmen das ganze Land ein und verderben alles römische 
Land. Darum bittet Euch unser geistlicher Vater, ihn nicht in 
den grossen Nöthen zu lassen, denn es betrifft die ganze Christen- 
heit, und wer ihm zu Hilfe kommt, der verdient soviel Ablass, 
dass die Gnade unsäglich ist, die der Papst dazu giebt“. „Lieber 
Bote“, sprach Loher, „hat der Papst nicht auch zu meinem lieben 
Bruder nach Frankreich geschickt?“ „Herr“, sprach der Bote, 
„ich glaube, dass er auch zu ihm geschickt hat; aber ich kann 
Euch nicht für wahr sagen, ob er kommt oder nicht, denn man 
spricht gemeiniglich, er lasse sich durch Verräter leiten und glaube 
alles, was sie ihm sagen“. Loher verspricht nun seinen Beistand 
und giebt dem Boten Briefe an den Papst mit. Maller erklärt, 
Loher begleiten zu wollen. Dieser sammelt seinen Heerbann und 
fährt bei gutem Winde hinüber nach Italien. „So kamen sie 


Lowis IV d’Outremer et le fragment d’Isembart et Gormont, Romania 26 
(1897), 161 neues beibringt, steht meinen Aufstellungen in keiner Weise im 
Wege, wie Lauer selbst ausdrücklich bemerkt. 

!) Loher und Maller, Ritterroman, erneuert ven K. Simrock, Stutt- 
gart 1868. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LouIs. 187 


ins römische Land und ritten fürbass gen Rom. Da kamen Loher 
und König Ludwig vor Rom zusammen in den Kampf wider die 
Heiden und wusste doch keiner recht von dem andern“. 

Wie sie gen Rom kommen, sehen sie Christen und Heiden 
sich kampfbereit gegenüber stehen. Sie vernehmen bei den 
Christen den Ruf Montjoie und schliessen daraus, dass es König 
Ludwig mit den Franzosen ist und denen von Burgund. Die 
Franzosen fangen nun an, mit den Heiden zu streiten. Zu ihrem 
obersten Marschall hat Ludwig „Imera den unseligen“ (offenbar 
— Aimer le chetif), seinen Schwager, der Königin rechten Bruder, 
gemacht, der allen voran wacker drein schlägt. „Doch sagt uns 
die Historie, die Franzosen hätten eine Niederlage erlitten, wenn 
Loher und Maller nicht gewesen wären, die den Heiden in den 
Rücken fielen.“ Loher kommt seinem Bruder, den er am Wappen 
erkennt und dem das Pferd unterm Leibe getötet ist, zu Hilfe 
und haut ihn aus dem Getümmel heraus. Er giebt sich ihm 
dann zu erkennen, worauf Ludwig Loher um Verzeihung bittet 
wegen alles dessen, was er gegen ihn gethan. „Von dieser Bitte 
ward Lohers Herz bewegt, dass er sprach: „Bruder, ich verzeihe 
Euch, was Ihr wider mich gethan habt, wiewohl wir unser 
väterlich Erbe sehr ungleich geteilt haben. Ihr habt Frankreich 
und dazu das Kaisertum von Rom: deshalb will ich mit Euch 
vor den Papst zu Rom und was der darüber entscheidet, daran 
soll mir genügen“. „Darin will ich Euch gerne folgen“, sprach 
Ludwig. Der Kampf nimmt dann seinen Fortgang. Maller 
sucht Loher, kann ihn aber nicht finden; er sieht unter den 
Heiden viele Riesen. Einen riesenhaften heidnischen König, der 
einen eisernen Kolben in der Hand trägt, fordert er zum 
Streit heraus, kann ihm jedoch nichts anhaben. Der Riese 
ergreift Maller, legt ihn vor sich auf den Sattel und führt ihn 
so mit sich nach seinem Zelt, um ihn zum Abend zu verspeisen. 
Maller aber zieht heimlich sein kleines Brotmesser heraus und 
sticht den Riesen durch den Rücken (sic) ins Herz, so dass er tot 
vom Pferde fällt. Dann ergreift er den Kolben des Riesen und 
eilt wieder in den Streit. Er wäre aber mit seinen Leuten 
überwunden worden, wenn Imera ihm nicht mit 20000 Christen 
zu Hilfe gekommen wäre. Letzterer erkennt in Maller seinen 
Neffen, den Sohn seines Bruders, Königs Galien von Monzion. 

Während des ganzen Streites steht der Papst auf den 
Mauern und betet für die Christen. Als es Nacht wird, bricht 


188 R. ZENKER, 


man die Schlacht ab und schliesst mit den Heiden zur Bestattung 
der Toten einen 14-tägigen Waffenstillstand. Die Christen reiten 
nach Rom, der Papst kommt ihnen entgegen, segnet sie und 
heisst Ludwig sowohl als Loher willkommen. Er führt sie in 
seinen Palast und bewirtet sie. Die Heiden sind betrübt, denn 
sie haben 15000 Mann verloren, aber auch von den Christen 
liegt die gleiche Anzahl erschlagen. 

Nachdem der Waffenstillstand abgelaufen ist, celebriert der 
Papst die Messe und die Christen reiten aus Rom hinaus, um 
den Streit fortzusetzen; Maller trägt das Banner. Der Sultan 
will ihn mit der Axt aufs Haupt schlagen, aber der Streich geht 
fehl und dem Pferde auf den Hals, sodass Maller mit dem Pferde 
niederfällt. Er springt wieder auf die Füsse, Ludwig und Imera 
kommen ihm zu Hilfe, der Sultan aber findet seinerseits den 
Beistand von 60000 Heiden. Maller wehrt sich tapfer, obgleich 
er aus mehr denn 15 Wunden blutet; er trifft den Sultan auf 
den rechten Schenkel, den er ihm beinahe abhaut, der Sultan 
stürzt vom Pferde und wird von den Heiden ins Zelt getragen. 
Trotzdem wäre Maller unterlegen, wenn ihm nicht Loher zu 
Hilfe geeilt wäre, der ihn gen Rom führt. Inzwischen schlägt 
Imera auf den Sultan Markeser, dass er ihm eine Achsel abhaut; 
auch Ludwig tötet einen heidnischen König. Schliesslich schlägt 
Loher das Banner der Heiden nieder, die sich nun alle zur Flucht 
wenden; nur wenige von ihnen entkommen. 

„Als die Heiden erschlagen waren, da ritten die Christen 
fröhlich wieder gen Rom. Der Papst ging ihnen entgegen und 
empfing sie freundlich. Er gab ihnen den heiligen Segen und 
hiess die Toten an geweihter Statt begraben. Der Heiden Körper 
wurden von Wölfen, Hunden und mancherlei wilden Tieren 
gefressen. Die Christen blieben zu Rom bei dem Papst wohl 
vierzehn Tage“ (S. 120). 


Damit schliesst die Episode Nun ist zunächst zu kon- 
statieren, dass Loher, der hier als Sohn Kaiser Karls von Frank- 
reich bezeichnet wird, unzweifelhaft identisch ist mit König 
Lothar HI. von Lothringen (7 869), dem Sohne Kaiser 
Lothars I. und Enkel Ludwigs des Frommen. Loher erscheint 
nämlich in dem Roman als ein- regelrechter Don Juan, der 
um seines leichtfertigen Lebenswandels willen von seinem 
Vater auf sieben Jahre aus Frankreich verbannt wird: Lioher, 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUIS. 189 


heisst!) es, habe den Frauen so zu gefallen gewusst, dass es die 
Ritterschaft verdross. „Darum ging die Ritterschaft all vor 
Ludwig, der auch König Karls Sohn war, und klagten ihm über 
Loher. Sie sprachen: „Herr Loher, Euer Bruder, geht zu den 
Frauen und berühmt sich sehr viel: das können wir ihm nicht 
wehren. Er lässt nicht ab, wenn Ihr nicht dazu helft, dass er 
verbannt wird aus dem Lande: darüber wird er vielleicht der 
Scherze vergessen und in rechtem Verständnis Gutes und Böses 
erkennen“. Ludwig legt dann die Sache seinem Vater vor, der 
dem Wunsche der Ritterschaft entspricht und Loher des Landes 
verweist. Später, als Loher auf den Vorschlag des Papstes mit 
Ludwigs Zustimmung zum Kaiser von Rom ernannt worden ist, 
bereden „die Verräter“ Ludwig, seinen Bruder entmannen zu 
lassen, damit er keine Leibeserben gewinne und die Krone von 
' Rom wieder an Frankreich falle: „denn sie hätten Lohern 
gerne Leid gethan, weil er auch ihnen Schmach gethan hatte 
an ihren Weibern und Töchtern“. Es gelingt ihnen schliesslich, 
Ludwig, der erst widerstrebt, für ihren Plan zu gewinnen, so 
dass dieser Loher einen freundlichen Brief schreibt und ihn 
nach Frankreich einlädt. Loher leistet Folge und wird nun 
von den Verrätern in eine Kammer gelockt unter der Vor- 
spiegelung, er werde dort zehn oder zwölf gar schöne Frauen 
finden, mit denen er trinken solle „Dieser Rede war Loher 
froh, denn er hatte solches mehr geübt.“ Sobald er in der Falle 
ist, führen sie ihr Vorhaben aus.?) 

Nun spielt bekanntlich gerade im Leben Lothars II. ein 
Liebeshandel eine grosse Rolle: sein Liebeshandel mit der Kon- 
kubine Waldrada, derentwegen er im Jahre 857 seine Gattin 
Theutberga verstiess?) Die Angelegenheit, die ungeheures Auf- 
sehen erregte, bewirkte, dass Lothar den Zeitgenossen als ein 
zu sinnlichen Ausschweifungen geneigter Mensch erschien; in 
einem päpstlichen Rundschreiben heisst es von ihm: „wenn der 
noch in Wahrheit König genannt werden kann, der seine sinn- 
lichen Gelüste nicht zügelt“,*) und Prudentius in seinen Annalen 


1) Loher u. Maller S. 1. 

2) Ib. S. 123 ff. 

8) Vgl. darüber besonders Dümmler, Gesch. d. ostfränk. Reiches 11?, 31. ; 
Mühlbacher, Reg. Imp. I, S. 477 ft., sowie den Artikel Lothar II. von Mühl- 
bacher in der Allgemeinen deutschen Biographie B. 19 (184). 

4) Mühlbacher, Reg. Imp. n. 1267 b. 


190 R. ZENKER, 


bemerkt, die Söhne Lothars I. überhaupt seien, wie dieser selbst, 
der Libertinage ergeben gewesen.') Auf der seines Ehehandels 
wegen einberufenen Synode von Aachen, 29. April 862, zeiht 
Lothar II. selbst sich der Unenthaltsamkeit: „porro se inconti- 
nenltem esse professus est et sine conjugali copula juvenilis aetatis 
ardorem ferre non posse asserwit“.?) 

Es liegt auf der Hand, dass von dem Lothar der Geschichte 
zu dem unseres Romans nur ein Schritt ist: beiden gemein ist 
der Hang zur Ausschweifung, der sich nur in verschiedener Weise 
äussert: dort durch eine das ganze Leben beherrschende ehe- 
brecherische Leidenschaft, hier durch die Neigung zu allerhand 
salanten Abenteuern. 

Die Identität Lohers mit Lothar II. von Lothringen also 
vorausgesetzt, kann es nicht zweifelhaft sein, dass der geschicht- 
liche Hintergrund der analysierten Episode des Loher und Maller 
eben die Sarazenenkriege Ludwigs II. in den Jahren 866—872 
bilden. Denn ein einziger fränkischer König Namens Ludwig 
hat in Italien gegen die Araber gekämpft und das war eben 
Ludwig II.; derselbe war Kaiser von Rom, wie der Ludwig 
unseres Romans (vgl. S. 187), und wurde, wie dieser, thatsächlich 
von seinem Bruder Lothar II. unterstützt. Regino in seinem 
Chronicon (beendigt 907) berichtet zum Jahre 867 (= 866),?) 
Ludwig habe eine Gesandtschaft mit der Bitte um Unter- 
stützung an seinen Bruder Lothar abgeordnet und dieser selbst 
habe ihm ein Heer zugeführt, die Truppen Lothars hätten aber 
nach vielen und glücklichen Kämpfen mit den Sarazenen durch 
das ungewohnte Klima und durch Krankheiten ungeheuere Ver- 


1) Lotharius imperator, defuncta ante biennium Ermengarda christia- 
nissima regina, duas sibi ancillas ex villa regia copulavit, ee quarum altera, 
Doda vocabolo, filium genuerat, quem Karolomannum vocari iubet; aliique 
filii eius similiter adulteriis inserviunt. Pertz, SS. 1,48. 

2) Mansi, Concil. Collectio 15, 612. 

s) Pertz, SS. 1,578: „Per idem tempus gens Sarracenorum in Benevento 
ex Africa veniens, universam pene regionem illam invaserunt, caedibus, rapi- 
nis ac incendiis omnia depopulantes. Contra quos Hludowicus imperator 
exercitum contrahit, et veritus ne forte adversus innumerabilem hostium mul- 
titudinem vires regni non sufficerent, ad Hlotharium fratrem in Gallias 
legatos mittit, omnino exposcens, ut ad praefatae nequissimae gentis vires 
extenuandas audaciamque refrenandam sibi cum Dei auxilio, virtute quoque 
Francorum, opitularetur. Qui nihil cunctatus, exercitum cum ingenti indu- 
stria undequaque contrahit, fratrique quanta potwit celeritate in adiutorium 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LotIs. 191 


luste erlitten. Diese Nachricht Reginos ist, was Lothars persön- 
liches Erscheinen in Italien anlangt, allerdings unsicher, richtig 
aber scheint zu sein, dass er ein Hilfscorps nach Unteritalien 
entsandte,') und gewiss ist, dass er im Jahre 869, also während 
der Belagerung Baris, in Rom und dann in Benevent verweilte, 
allerdings nicht, um Ludwig zu unterstützen, sondern um wegen 
seines Ehehandels mit ihm zu konferieren. Ueberdies ist für 
unseren Zweck das, was man glaubte, was das Gerücht sagte 
— auf dem doch die Angabe Reginos fusst — offenbar. ebenso 
bedeutsam wie das, was wirklich geschah. — Wenn sodann Lothar 
in dem Roman als Kaiser von Griechenland erscheint und von 
Konstantinopel aus Ludwig zu Hilfe kommt, so dürfte sich 
auch in diesem Zuge die Erinnerung an geschichtliche Vorgänge 
erhalten haben. Denn in der That wurde Ludwig bei seinem 
 Feldzuge gegen die Sarazenen von den Griechen unterstützt: im 
Jahre 869 erschien vor Bari eine griechische Flotte von 400 
Schiffen, die Kaiser Basilius zu Ludwigs Unterstützung ab- 
gesandt hatte,?) und eine ebensolche Flotte traf S70 ein.) Wenn 
ferner nach dem Roman Lothar durch päpstliche Gesandte um 
Hilfe angegangen wird, so stimmt dazu die Angabe der Chronik 
von Salerno Kap. 107,1) wonach Ludwig, als er sah, dass er Bari 
ohne Flotte nicht einnehmen könne, eine Gesandtschaft nach 
Konstantinopel abordnete und um eine Flotte bat, sowie die 
Thatsache, dass, wie es scheint, 870 neuerdings Gesandte nach 
Konstantinopel geschickt wurden.5) Wenn endlich im Roman 
Loher auf seine Frage an den päpstlichen Boten, ob der Papst 
nicht auch an seinen Bruder in Frankreich geschickt habe, zur 
Antwort erhält: „Er (der Bote) glaube wohl, dass er das gethan, 
aber er könne nicht sagen, ob mit Erfolg, denn Ludwig lasse 
sich durch Verräter leiten “, so liegt es nahe, in diesem Zweifel 
des Boten an Ludwigs Bereitwilligkeit, Hilfe zu leisten, einen 
Nachklang der gleichen Tradition zu sehen, die sich bei dem 


venit. Ubi plurima bella gesta sunt, non solum fortiter, sed etiam felieiter, 
Deo opem ferente. Inter haec exereitus Hlotharii gravi peste fatigatur ...“ 

1) Mühlbacher, Reg. Imp. n. 1205a und Dümmler, Ostfr. Reich 
II?, 235. 

2) Mühlbacher, eg. n. 1208. 

8) Ib. n, 13i2c. 

4) Pertz, SS. III, 521. 

5) Mühlbacher, Reg. n. 1212a. 


192 R. ZENKER, 


byzantinischen Historiker Constantinos Porphyrogenetos, De ad- 
ministrando imperio cap. 29!) findet, wonach die Beneventaner 
anlässlich des Sarazeneneinfalles vom Jahre 871 Ludwig ver- 
eeblich um Hilfe anriefen und sich dann an den Kaiser von 
Constantinopel wandten, der ihnen sofortigen Beistand zusagte. 

Schliesslich möchte ich nicht unterlassen, darauf hinzu- 
weisen, dass die Ziffer, auf welche der Roman die sarazenische 
Streitmacht vor Rom veranschlagt, 30000 Mann, genau stimmt 
zu der Zahl, welche die geschichtlichen Quellen für die Stärke 
des im Jahre 871 bei Salerno gelandeten Heeres angeben (eben 
jenes Heeres, das dann die Stadt belagerte und von-Ludwig ge- 
schlagen wurde). Freilich ist auf derartige summarische Zalhlen- 
angaben viel Gewicht nicht zu legen. 

Ich glaube nun, man wird im Hinblick auf die hervor- 
gehobenen Uebereinstimmungen zwischen Geschichte und Diehtung 
es als ausgemacht betrachten dürfen, dass eben die Sarazenen- 
kriege Kaiser Ludwigs II. die geschichtliche Grundlage auch der 
im zweiten Teile des Loher und Maller analysierten französischen 
Chanson de geste bilden. Diese Thatsache aber ist geeignet — und 
zu diesem Zwecke allein wurde sie ja hier ins Licht gestellt —, 
der Ansicht, wonach die gleichen Vorgänge sich in der zweiten 
Branche des (ouronnement de Louis spiegeln, zur weiteren Stütze 
zu dienen, insofern sie nämlich zeigt, dass jene Ereignisse wirk- 
lich Gegenstand französischen Heldensanges geworden waren.?) 

Stimme ich nun soweit Jonckbloet, Langlois und Willems 
bei, so kann ich mich hingegen mit den beiden letzteren nicht 
einverstanden erklären, wenn sie annehmen, die Einreihung 
unserer, ursprünglich ein selbständiges Lied darstellenden Branche 
in das Couronnement sei eine Folge der Vermengung Kaiser 
Ludwigs II. mit Ludwig dem Frommen, ja ich begreife nicht 
recht, wie eine solche Ansicht überhaupt aufgestellt werden 


1) Migene, Patrol. graeca t. 113, 258. 

2) Wir besitzen also, soweit bis jetzt unsere Kenntnis reicht, eine 
fünffache sagenhafte oder poetische Spiegelung jenes gleichen historischen 
Ereignisses, nämlich: 

1. in der Chronik von Salerno, 

2. in dem oben erwähnten Bericht des Constantinos Porphyrogenetos, 
De admin. imp. cap. 29, 

3. im Isembard und Gormund, 

4. in jener Episode im zweiten Teil des Lohex und Maller, 

5. in der zweiten Branche des Couronnement de Louis. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE Louss. 193 


konnte. Denn da in dem hypothetischen älteren Liede Ludwig II. 
doch natürlich im Einklang mit der Geschichte als in Italien 
weilend und als Bekämpfer der Sarazenen erschienen sein müsste, 
wie ihn uns ja auch die im Loher und Maller analysierte, oben 
S. 186 ff. besprochene Chanson zeigt, so wäre die notwendige 
Konsequenz seiner Identifizierung mit Ludwig dem Frommen 
offenbar gewesen, dass man nun diesem eine solche Heerfahrt 
nach Italien angedichtet hätte. Statt dessen tritt Ludwig in 
unserer Branche überhaupt nicht auf, er weilt während der 
Romfahrt Wilhelms bei seinem Vater in Frankreich und ist an 
den Ereignissen auch in keiner Weise beteiligt. Von Einreihung 
unserer Branche in den Wilhelmseyklus infolge von Identifizierung 
jener beiden Ludwige kann deshalb m. E. gar nicht die Rede sein; 
diese Einreihung erklärt sich vielmehr, wie im nachstehenden 
gezeigt werden wird, als Folge der Identifizierung des Helden 
der Branche, Wilhelms, mit Wilhelm von Orange, mit dem er 
ursprünglich nichts zu thun hatte. 

Im übrigen also billige ich die herrschende Ansicht in- 
soweit, als auch ich annehme, dass ein Wiederschein jener 
unteritalischen Ereignisse in unserer Branche vorhanden ist. 

Damit ist nun aber doch noch keineswegs gesagt — und 
hier komme ich an den Punkt, wo sich mein Weg und der der 
oben genannten Forscher, die sich neuerdings über die Frage 
geäussert haben, trennt — damit ist nicht gesagt, dass jene Er- 
eignisse wirklich die alleinige geschichtliche Grundlage unserer 
Branche bilden. Durch die moderne Epenforschung ist ja mit 
völliger Sicherheit festgestellt worden, dass in den epischen 
Liedern vielfach ganz verschiedene historische Ereignisse, welche 
durch längere Zeiträume von einander getrennt sein können, sei 
es infolge von Namensgleichheit des Helden, sei es aus irgend 
einem anderen Grunde, mit einander verschmolzen worden sind. 
Ich glaube nun, dass eine solche Verschmelzung auch bezüglich 
unserer Branche zu statuieren ist, dass in ihr Erinnerungen an 
historische Vorgänge, die um ca. 150—170 Jahre jünger sind als 
die Belagerung Salernos, mit der Erinnerung an diese durch 
die Dichtung vermengt worden sind, sei es nun, dass ein episches 
Lied auf jene Belagerung durch eine junge historische Tradition 
umgestaltet wurde, sei es, dass ein solches Lied mit einem 
jüngeren Liede contaminiert wurde oder doch gewisse Elemente 
an dasselbe abgegeben hat. 

Festgabe für Gustav Gröber, 13 


194 R. ZENKER, 


Es ist nämlich zunächst zu beachten, dass die Darstellung 
unserer Chanson in einer ganzen Reihe sehr wesentlicher Punkte 
von der Geschichte abweicht, dass sie Momente enthält, welche 
in der Geschichte der Jahre 866—72 keinerlei Entsprechung 
finden; es sind wesentlich die folgenden: 

1. Der Held der Chanson, der Besieger der Sarazenen, ist 
Guillaume Fierebrace, le margquis au court nez; ein fränkischer 
Grosser dieses Namens spielt in dem Feldzuge Ludwigs weder 
der Geschichte noch der sagenhaften Darstellung der Chronik 
von Salerno oder dem zweiten Teile des Loher und Maller zu- 
folge irgend eine Rolle. i 

2. Wilhelm zieht in der Chanson nach Rom als Pilger, in 
Beeleitung von nur 60, oder, nach anderer Lesart, 40 Rittern; er 
will ein vor Jahren gethanes Gelübde erfüllen und hat keinerlei 
kriegerische Absichten. Erst in Rom erfährt er von dem Ein- 
fall der Ungläubigen und zieht ihnen nun entgegen, nicht an 
der Spitze eines eigenen, sondern eines römischen Heeres, das 
der Papst ihm zur Verfügung stellt. Ludwig hingegen, dessen 
Stelle Wilhelm in der Dichtung doch vertritt, rückte nach Unter- 
italien vor in der ausgesprochenen Absicht, die Sarazenen zu 
bekämpfen, und führte ein gewaltiges Heer mit sich. Die Pilger- 
fahrt Wilhelms hat weder in der Geschichte jener Jahre, noch 
in Sage und Dichtung irgendwelche Entsprechung. 

3. Von Salerno ist in dem Liede so wenig die Rede, wie 
von der Belagerung irgend einer anderen Stadt. Waifar wird 
nicht belagert, sondern befindet sich mit vielen anderen Christen 
in der Gefangenschaft der Sarazenen, aus der ihn Wilhelm 
befreit. 

4. Die Sarazenen werden in der Chanson besiegt infolge 
eines Zweikampfes Wilhelms mit dem riesenhaften König Corsolt, 
dessen Fall die Flucht der Heiden nach sich zieht, in der Ge- 
schichte und der sie widerspiegelnden Sage hingegen in offener 
Feldschlacht; die beiden Zweikämpfe zwischen Christen und 
Sarazenen, welche die Chronik von Salerno anlässlich der Be- 
lagerung der Stadt schildert, können, wie gesagt, nicht in 
Betracht kommen, da sie auf den Verlauf der Begebenheiten 
ohne jeden Einfluss sind. 

Diese Discrepanzen zwischen Geschichte und Chanson sind, 
dünkt mich, derart, dass es schwer halten dürfte, sie durch 
spontane Entwickelung einer Sage über den Feldzug Ludwigs 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUISs. 195 


und die Belagerung Salernos zu erklären. Dagegen werden sie 
sofort verständlich, wenn wir annehmen, dass sich mit Er- 
innerungen an die ebengenannten Ereignisse solche an 
die Thaten der ersten Normannen in Unteritalien, an 
die Thaten Wilhelms, des Sohnes Tancreds von Haute- 
ville, und seiner Genossen verbunden haben. 

Die Ansicht, dass kein anderer als eben Wilhelm, der Sohn 
Tancreds, der Held unserer Branche sei, hat‘ bekanntlich vor 
nahezu sechzig Jahren schon Paulin Paris ausgesprochen.!) 
Wilhelm von „Hauterive“, meint er, der berühmte Anführer 
der normannischen Eroberer, habe den Beinamen Dras de fer, 
Brachium ferri, getragen und müsse deshalb identisch sein 
mit dem Guillaume Fierebrace unserer Chanson. „De cette coin- 
eidence il faut conclure que le commencement du Couronnement 
du roi Loeys a ete inspire par les bruits que Von avait repandu 
en France au temps des exploits du chevalier normand; autre- 
ment, il serait diffieile de trower un hen naturel dans notre 
chanson entre ce qui touche aux affaires de France et la deli- 
vrance de Rome. Mais pour distribuer entre plusieurs personnages 
les exploits que les jongleurs ont reumis sur une seule tete, il suffit 
souvent de tenir compte des surnoms dont la memoire ne s’est pas 
perdu; ainsi Guillaume d’Orange differera de Guillaume Bras de 
fer ou Fierebrace, et ce dernier n’aura rien de commun en rdalite 
avec Guillaume au court nez. L’histoire de cette confusion n'est pas 
diffieile « deviner: tandis que les jongleurs reeitaient sur Gisllaume 
au court nez les laisses qu'ils avaient appris des preeddens äges, 
d’autres jongleurs revenus d’Italie racontaient ce quwils avaient 
peut-etre vu eux-memes, la victoire de Guillaume- Bras de fer sur 
les Sarrasins de la Siceile, la delivrance de Salerne, la fuwite des 
Sarrasins, les dons enormes accordes au vainqueurs et a ses 
rares compagnons. Üertes, les exploits miraculeux des enfants 
de Tancrede de Hauterive etaient dignes d’inspirer de nobles 
rapsodies aussi bien que, dans le siecle suwivant, ceux de Godefroi 
de Bouillon et de Baudowin de Sebourg. Ainsi les chansons du 
vieux Guillaume d’Orange et du Bras de fer Normand marcherent 
quelque temps de front; mais la generation suwivante ne manqua 
pas de les confondre en une seule, et puis enfin les jongleurs 

nous raconterent, tout d’une haleine, les exploits d’Italie et 


1) Les manuserits frangois, Paris 1840, t. III, 125. 
13* 


196 R. ZENKER, 


Vheureuse lutte du heros de V’Aqwitaine contre les usurpateurs 
du tröne de France.“ 

(Gegen diese Paris’sche Hypothese hat sich dann aber sehr 
entschieden Jonckbloet ausgesprochen und ihm haben sich 
Langlois, Gautier, Willems und Jeanroy angeschlossen. 
Jonckbloet meint,') Paris’ Folgerung wäre dann richtig, wenn 
Wilhelm in unserer Branche den Beinamen Fierebrace annähme; 
aber das Gegenteil sei der Fall, er verliere denselben und nehme 
einen anderen an. Der Beiname Fierebrace, den Wilhelm trage, 
stamme vielmehr von dem gleichnamigen Grafen von Poitiers. 
Jonckbloet schildert dann, vornehmlich nach Gaufredus Mala- 
terra, Historia Sicula,2) die Schicksale Wilhelms und kommt zu 
dem Schlusse, dass sie mit dem Inhalt unserer Chanson keinerlei 
Verwandtschaft hätten: „Or, si Guillaume de Hauteville n’a pas 
defendu le Pape, n’a pas combattu les Sarrasins, il va 
sans dire que pour cette raison encore nous hesiterons a vouloir 
retrower dans cette partie de notre poeme un Echo de la tradition 
de ses hauts faits.“ 

Ueberdies finde sich die Geschichte von der Befreiung Roms 
von den Sarazenen infolge eines Zweikampfes auch in der Chanson 
von Ogier, in der auch der Name des Sarazenen Corsolt oder 
Corsubles wiederkehre. In dieser Chanson aber habe eine Ver- 
wechselung der Namen nicht stattfinden können, folglich sei kein 
Grund vorhanden, die That dem Sohne Tancreds von Hauteville 
zuzuschreiben. 

Die Argumentation Jonckbloets fand die Zustimmung Leon 
Gautiers,°) der sie unbesehen hinnimmt, wenn er bemerkt: 
„M. Jonckbloet ... a demontre clairement ‘que Guillaume Bras- 
de- Fer n’avait jamais defendu la Papaute, et qwen second lieu 
Ü n’avait jamais combattu les Sarrasins’. Le fils de Tancrede a 
perdu par la les deux traits qui le rapprochaient quelque peu de 
notre heros.“ | 

Dagegen lässt Langlois®) nur den letzten von Jonckbloets 
Einwänden gelten. Was seine Behauptung betreffe, Wilhelm 
verliere in unserer Branche den Beinamen Fierebrace, :so sei 
diese nicht richtig; Wilhelm führe vielmehr den Beinamen 


!) Guillaume d’Orange, Haag 1854, t. II, 105 ft. 
?) Muratori, 88. Rer. It. V, 549 ff. 
®) Epopees frangaises t. IV 2, 94. 

#) Introd. S. XLVI. - 


= 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LouIs. 197 


Fierebrace fort neben dem des Marquis au court nez, ja es sei 
recht wohl möglich, dass er ihn hier zum ersten Male führe. 
Allerdings werde er Fierebrace genannt schon in Liedern, die 
als älter gälten als die uns vorliegende Fassung des Couronne- 
ment Louis, aber, wenn man daraus ein Argument gegen P. Paris 
entnehmen wolle, so müsse man erst zwei Dinge beweisen: ein- 
mal, dass diese Lieder auch älter seien als die erste Redaktion 
des Couronnement, in der der fragliche Beiname auftrat, und 
dann, dass dieser Beiname schon in den ältesten Fassungen 
jener Lieder vorhanden war und nicht erst später eingeführt 
worden ist. 

Ebensowenig sei Jonckbloets zweiter Einwand stichhaltig. 
Denn wenn Guillaume Bras-de-fer nicht selbst die Sarazenen 
bekämpft und den Papst verteidigt habe, so hätten doch andere 
Normannen, die vor ihm in Italien weilten, beides gethan und 
ihre Thaten hätten auf ihn übertragen werden können. 

Dagegen lässt Langlois nun den Hinweis Jonckbloets auf 
die Chanson von Ogier gelten: „Cet argument, en montrant avec 
quelle facilite les trouwveres savatent changer les noms de leurs 
personnages, prowe que le combat contre Corsolt a pu etre 
attribud a Guillaume de Narbonne aussi directement qua Ogier, 
sans lintermediaire de Guillaume Bras-de-fer*. 

Ueberdies scheine der Hauptgrund, der P. Paris bewog, den 
Helden der Chanson mit dem Sohne Tancreds von Hauteville 
zu identifizieren, sein Beiname Dras-de-fer zu sein, den er mit 
Fierebrace gleichstelle. Aber diese beiden Namen seien vielmehr 
völlig verschieden: der erstere komme von .brachium de ferro, 
der zweite von Fera brachia, eine Verwechselung der beiden sei 
gar nicht möglich. 

Auf diese Ausführungen Langlois’ hin beschränkt sich denn 
Willems in seiner Studie über unsere Branche!) auf die Be- 
merkung: „Je considere comme entierement inutile de revenir ei 
sur les objections que Jonckbloet fait a une hypothese de P. Paris, 
qui eroyait retrowver dans cette partie du poeme linfluence d’un 
Guillaume de Hauteville, chef Normand, surnomme bras de fer 
(brachium de ferro). M. Langlois montre tres bien, apres 
Jonckbloet, qwil ne peut avoir et€ le prototype de Guillaume 
fierebrace (fera brachtia)“. 


1) L’elöment historique dans le Coronement Loois S. 17, n. 1. 


198 R. ZENKER, 


Jeanroy a.a.0. ist offenbar der gleichen Ansicht, denn 
er erwähnt die Paris’sche These überhaupt nicht mehr. 

Nun hat aber schon Cloötta in seiner Abhandlung „Die 
der Symagon- Episode des Moniage Guillaume II zu Grunde 
liegenden historischen Ereignisse“ !) kürzlich dargethan, dass 
Jonckbloets Haupteinwand gegen die Anschauung von P. Paris, 
dass nämlich der Sohn Tancreds von Hauteville nicht gegen die 
Sarazenen gekämpft habe, falsch ist. „Es ist aber ganz un- 
erklärlich“, sagt Cloötta, „wie Jonckbloet bei dieser Gelegenheit 
behaupten Konnte, dass Tancreds ältester Sohn niemals gegen 
die Sarazenen gekämpft habe, und wie L. Gautier, Ep. france: 
IV,94 Anm.5 und E. Langlois, (our. de Lowis S. XLVIf. hierin 
Jonckbloet sogar beistimmen konnten.?) Hätte der sonst so 
umsichtige Gelehrte die von ihm selbst zitierten Stellen aus 
Gaufredus Malaterras Historia Sicula genauer angesehen, so 
hätte er sich überzeugt, dass jene Siculi, die Tancreds Sohn 
Wilhelm an der Seite der Griechen bekämpft, nichts anderes 
sind als Saraceni, wie sie in anderen Quellen genannt werden; 
hätte er dann diese verglichen, so hätte ihm auch nicht ent- 
gehen können, dass jener Arcadeus, den Wilhelm vor Syrakus 
mit seiner Lanze durchbohrte, weiter nichts ist als der von 
Gaufred in einen Eigennamen verwandelte Titel des Befehls- 
habers der sarazenischen Garnison dieser Stadt: gazrd (Ir. caid) 
mit dem Artikel: al-gazd (sp. alcaide).“ 

Trotzdem stimmt Oloötta freilich Jonckbloet in der Haupt- 
sache bei, insofern auch er die Zurückführung unserer Branche 
auf die Thaten Wilhelms von Hauteville ablehnt. 

Nicht besser als mit dem von Cloötta widerlegten steht es 
nun aber mit demjenigen Argument Jonckbloets, dem Langlois 
ausschlaggebende Bedeutung beimisst: dass nämlich die Befreiung 
Roms und der Zweikampf mit Corsolt = Corsubles auch in der 
Chanson von Ogier dem Dänen vorkommen, dass hier von einer 


1) Abhandlungen, Prof. Tobler gewidmet, Halle 1895, S. 2541. 

2) In der That, unerklärlich! Der Fall ist aber typisch für die Art 
und Weise, wie gelegentlich „wissenschaftliche Resultate“ zu stande kommen. 
Eine gewisse These ist aufgestellt worden, ein Kritiker „widerlegt“ dieselbe 
durch einen Einwand, der thatsächlich falsch ist, wie jeder, der ihn auf seine 
Berechtigung nachprüfen würde, sofort erkennen müsste; ein dritter nimmt 
das Argument unbesehen hin und stimmt bei, und für den vierten ist die 
Sache — abgethan. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOuIs. 199 


Verwechselung der Namen (Ogier und Guillaume Bras-de-fer) 
nicht die Rede sein könne und dass folglich der Zweikampf 
mit Corsolt dem Wilhelm von Narbonne ebensowohl wie dem 
Ogier direkt, ohne Vermittelung Wilhelms Bras-de-fer habe zu- 
geschrieben werden können. Dieser Einwand gegen die Identi- 
fikation Wilhelms Fierebrace mit dem Sohne Tancreds von Haute- 
ville ist vollkommen nichtig; denn einmal beweist er doch nur, 
dass die Geschichte von der Befreiung Roms und dem Zweikampf 
mit Corsolt auf Wilhelm von Orange wie auf Ogier übertragen 
werden konnte, ohne dass sie vorher an den Namen Wilhelms 
Bras-de-fer geknüpft zu sein brauchte, nicht aber, dass sie 
thatsächlich auf ihn in dieser Weise übertragen wurde und nicht 
vorher doch an den Namen des letzteren geknüpft war; und dann 
trifft der Einwand doch nur diesen einen Zug, die Befreiung 
Roms und den Zweikampf, nicht aber andere Züge, welche sich 
für die Identifikation des Wilhelms unserer Chanson mit Wilhelm 
von Hauteville anführen lassen. 

Es bleibt somit von der ganzen Beweisführung Jonckbloets 
nur bestehen der Hinweis auf die Thatsache, dass der Sohn 
Tancreds nieht, wie der Wilhelm der Chanson, den Papst be- 
schützt habe, ein Bedenken, das sich, wie Langlois richtig 
bemerkt, leicht erledigt durch die Erwägung, dass andere 
Normannen dies gethan haben und ihre Thaten auf Wilhelm, als 
den berühmtesten, übertragen werden konnten. 

Damit sind denn sämtliche Einwände Jonckbloets gegen 
die Paris’sche These als absolut hinfällig erwiesen. Hinfällig ist 
endlich auch der von Langlois selbst formulierte Einwand, der 
Sohn Tancreds habe den Beinamen Dras-de-fer —= Brachium de 
ferro geführt, der Wilhelm unserer Chanson hingegen heisse 
Fierebrace = Fera brachia; beide Beinamen seien vollkommen 
verschieden und hätten nicht verwechselt werden können. Uloötta, 
a.a.0. S.262f. hat nämlich gezeigt, dass Wilhelm in keiner 
Quelle Drachium ferri oder de ferro genannt werde und diese 
Form vermutlich erst von P. Paris aus dem französischen Dras- 
de-fer übertragen worden sei; vielmehr erscheine sein Beiname 
nur in den Formen Ferreabrachia, Ferrebrachia, Ferrabrachta, 
Ferabrachia und (Acc.) Ferabrachium, denen ein französisches 
Fierebrace zu Grunde zu legen sei. Somit ist der historische 
Beiname des Wilhelm von Hauteville vollkommen identisch mit 
dem des Helden unserer Chanson, 


200 R. ZENKER, 


Und so wären wir denn zu dem Ergebnisse gelangt, dass 
sämtliche Einwände, die bisher gegen P. Paris’ Theorie 
geltend gemacht wurden, nicht stichhaltig sind. 

Zwar nicht auf Wilhelm von Hauteville als das Vorbild 
des Helden unserer Branche, wohl aber auf das erste Auftreten 
der Normannen in Unteritalien überhaupt als ihre historische 
Grundlage hat nun, wie es scheint, völlig unabhängig von P. Paris, 
auch R. Dozy!) hingewiesen, indem er sich auf die Ueberein- 
stimmungen zwischen dem Inhalt der Branche und den Berichten 
des Leo Ostiensis und des Ordericus Vitalis stützt. 
Freilich sind Dozys diesbezügliche Bemerkungen ganz summarisch 
gehalten. Er giebt eine kurze Analyse der Branche, teilt dann 
den Bericht des Leo in Uebersetzung mit, hebt ein paar Ab- 
weichungen in dem Bericht des Ordericus hervor und weist 
ausserdem darauf hin, dass normannischer Ursprung der Branche 
auch hervortrete in der Anrufung eines normannischen Heiligen 
durch Wilhelm, des saint Lö (Sanctus Laudus), Bischofs von 
Coutances, V. 956: 


Dex, dist li cuens, qui formastes saint Loth, 
Defpent MOB sten 


sowie in der Begehrlichkeit Wilhelms, der häufigen Verwendung 
des Wortes gaaignier „qui etait justement Videe dominante des 
cupides et ruses Normands“. 

Allein Gautier?) hat unter den späteren Forschern von diesen 
Ausführungen Dozys kurz Notiz genommen. Er glaubt sie aber 
mit der Bemerkung zurückweisen zu können, die Erzählung Leos 
und Ördericus’ sei von der modernen Kritik „legitimement mis 
en doute“, Pre&vost habe sie bezeichnet als einen „rceit de pure 
üwention, comme toutes les circonstances qwi s’y rapportent. Et 
d’ailleurs, qwaurait de commun la prise de Salerne par quelques 
aventuriers avec cette delivrance de Rome par Guillaume qui est 
racontee dans le Couronnement Looys?“ 

Die Anrufung St. Lös sei irrelevant, da die Dichter die 
Namen der Heiligen nach den Bedürfnissen des Reimes wählten. 
„Ils avaient saint Leonard pour les couplets en art, saint Richer 
pour les couplets en er, saint Loth pour les couplets assonances 





1) Recherches sur l’histoire et la lifterature de ran ?, Leyden 1860, 
t. II, 370 und Append. p. XCII, no. XXXVI. 
2) Ep. frang.? IV, 96. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUIS. 201 


en o etc.“ Der Hinweis endlich auf die häufige Verwendung 
von gaaignier sei überhaupt nicht ernst zu nehmen. 

Man wird ja nun Gautier, was die beiden letzten Punkte 
betrifft, natürlich ohne weiteres Recht geben. Wenn er hin- 
gegen die Glaubwürdigkeit der beiden oben genannten Historiker 
unter Berufung auf das Urteil der modernen Kritik anzweifelt, 
so ist er im Irrtum, wie wiederum schon Cloötta a. a. 0. S. 266, 
Anm. 2 bemerkt hat: „Wenn letzterer — Gautier — jedoch er- 
klärt, die neuere Geschichtsforschung bezweifle mit Recht die 
Wahrheit der betreffenden Berichte, und gar noch einen leicht- 
fertigen Ausspruch Le Prevosts anführt, nach welchem die Er- 
zählung Orderichs völlig aus der Luft gegriffen wäre, so muss 
dagegen Einspruch erhoben werden“. Die betreffenden Angaben 
würden vielmehr im wesentlichen für richtig angesehen von 
de Blasiis, La insurrezione pugliese e la conquista normanna 
nel secolo XI, Napoli 1864, I, 69ff. und von Schipa, Arch. stor. 
per le province Napol., XIII, 499ff.; dass ihnen jedenfalls eine 
wahre Thatsache zu Grunde liege, sei die Ansicht von Hirsch, 
Forsch. z. deutsch. Gesch. VIII, 236, Delare, Les Normands en 
Italie, Paris 1883, S.41 und Schack, Gesch. der Normannen in 
Steilien, 1889, I, 90, und die vollständige historische Richtig- 
keit von Amatus’ (= Leos) Bericht nähmen an Amari, Storia 
dei Musulmani di Sieilia, Firenze 1854, II, 343; Giesebrecht, 
Deutsche Kaiserzeit II, 178 und 611; Büdinger, Hist. Zeitschr. 
VIII, 352 u. a. m. 

Trotzdem stimmt Cloötta, wie Jonckbloet gegenüber P. Paris, 
so hier Gautier gegenüber Dozy in der Sache selbst bei, wenn 
er bemerkt, die Ansicht Dozys sei von Gautier „zurückgewiesen“ 
worden. Langlois, Willems und Jeanroy erwähnen dieselbe über- 
haupt nicht mehr. 

Ich glaube nun, dass die Forschung sehr unrecht gethan 
hat, über Dozys Hinweis einfach zur Tagesordnung überzugehen; 
ich glaube, dass die Uebereinstimmungen zwischen dem Inhalt der 
zweiten Branche des Couronnement und dem, was die Geschicht- 
schreiber über das erste Auftreten der Normannen in Unteritalien 
und Sicilien melden, in der T'hat derart sind, dass sie uns nötigen, 
zwar nicht, wie D. will, in Wilhelm von Montreuil, wohl aber, 
mit P. Paris, in Wilhelm, dem Sohne Tancereds von Hauteville, 
den Helden der Branche zu erblicken. Wenn diese Thatsache 
bisher verkannt wurde, so scheint mir das wesentlich mit darin 


202 R. ZENKER, 


seinen Grund zu haben, dass man sich vor eine falsche Alter- 
native gestellt glaubte, nämlich die Alternative: die Branche 
hat zur Grundlage entweder die Belagerung Salernos im 
Jahre 871 oder die T’haten Wilhelms von Hautevillee Da nun 
das Auftreten Waifars in dem Gedichte es in der That, wie 
oben dargelegt, höchst wahrscheinlich macht, dass jenes erstere 
Ereignis sich in der Branche spiegelt, so schloss man: folglich 
muss die Ansicht P. Paris’, der Sohn Tancreds sei der Held 
der Branche, falsch sein. Aber jene Alternative existiert nicht, 
sie beruht auf einer mangelhaften Vorstellung von dem Leben 
epischer Sage und dem Zustandekommen epischer Lieder; denn 
sie lässt eine dritte Möglichkeit vollständig ausser Acht: die, 
dass sowohl die Belagerung Salernos als auch die Thaten 
Wilhelms in unserer Branche ihre Spuren zurückgelassen haben, 
dass beide durch die Dichtung mit einander vermengt worden 
sind. Dass eine solche Contamination verschiedener geschicht- 
licher Ereignisse im Epos etwas ganz gewöhnliches ist, das 
braucht ja für jeden, dem die neueren Forschungen über epische 
Dichtung und Sage und die Beziehungen zwischen Epos und 
Geschichte nicht völlig fremd geblieben sind, hier nicht erst des 
näheren dargelegt zu werden; es ist eine feststehende Thatsache, 
für die sich zahlreiche Beispiele anführen lassen. Eben jene dritte 
Möglichkeit ist nun aber im vorliegenden Falle zu statuieren: 
neben der Belagerung Salernos vom Jahre 871 spiegeln sich in 
unserer Branche — und zwar mit viel grösserer Deutlichkeit 
und Vollständigkeit — die Thaten der ersten Normannen in 
Unteritalien, vor allem Wilhelms, des Sohnes des Tancred; sie 
sind es, welche die eigentliche geschichtliche Grundlage des Liedes 
bilden, während sich von jenem anderen Ereignis nur ein paar 
mehr oder weniger deutliche Reminiszenzen erhalten haben. 

Es soll nun diese Behauptung im folgenden begründet 
werden, zu welchem Zwecke es zunächst erforderlich ist, dar- 
zulegen, was die beglaubigte Geschichte über das erste Auftreten 
der Normannen in Italien und über die Schicksale Wilhelms 
meldet. !) 


Im Jahre 1016 war die Stadt Salerno von einem starken 
sarazenischen Heere zu Wasser und zu Lande eingeschlossen 


') Vgl. für das Folgende besonders Lothar von Heinemann, Geschichte 
der Normannen in Unteritalien und Sieilien, Leipzig 1894, 1,33 ff., sowie 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUISs. 205 


worden, weil der Fürst Waimar III!) sich weigerte, den bisher 
gezahlten Tribut zu entrichten. Da landeten in der Nähe der 
Stadt 40 normannische Ritter, die von einer Pilgerfahrt nach 
dem heiligen Grabe zurückkehrten. Sie erbaten von Waimar 
Waffen und Pferde, um an dem Kampfe teilnehmen zu können 
und es gelang mit ihrer Hilfe, den Feind in die Flucht zu 
schlagen und die Stadt zu entsetzen. Der Fürst wünschte, die 
Normannen im Lande festzuhalten, doch sie erklärten, in die 
Heimat zurückkehren zu müssen, versprachen aber, zu Hause 
von dem Reichtum der Gegend erzählen und die ihrigen zur 
Auswanderung auffordern zu wollen. Ihr Ruf verhallte nicht 
ungehört. Eben damals war ein vornehmer normannischer Graf 
Namens Wilhelm Ripostellus von seinem Gegner, den die Quellen 
bald Osmund, bald Gislebert nennen, im Streite erschlagen worden. 
Der Thäter fürchtete den Zorn des Herzogs Richard II. (seit 
996) und trat, der Werbung der heimkehrenden Pilger Folge 
leistend, begleitet von seinen vier Brüdern und, wie es scheint, 
einer Anzahl anderer normannischer Edeler, die Fahrt nach dem 
Süden an. Die Abenteurer durchzogen Frankreich und Norditalien 
und gelangten nach Rom, wo sie sich dem Papst Benediet VII. 
vorstellten und seinen Segen für ihr Unternehmen erbaten. Bene- 
diet kam ihnen wohlwollend entgegen und wies sie nach Capua 
an Melus (Ismael), einen vornehmen Barenser, vermutlich lango- 
bardischen Geschlechts, der damals an der Spitze des apulischen 
Unabhängigkeitskampfes gegen die drückende byzantinische Herr- 
schaft stand. Melus nahm die Normannen sofort in seine Dienste 
und schlug 1017 an der Spitze eines normannisch-langobardischen 
Heeres die griechischen Feldherrn wiederholt aufs Haupt, erlitt 
aber freilich 1018 auf der Ebene von Cannae eine schwere 
Niederlage, die dem Aufstande ein jähes Ende bereitete. Der 
Verlust der Normannen war ein sehr grosser, Melus und ihr 
Führer Rodulf entkamen nur mit wenigen Begleitern; die über- 
lebenden traten teils in die Dienste des griechischen Statthalters, 
teils wurden sie von den Fürsten Waimar von Salerno, Pandulf 
von Capua und von dem Abte Atenulf von Montecassino in Sold 
genommen. 


Hirsch-Bresslau, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich IL, 
Leipzig 1875, III, 144 ff.; ferner OÖ. Delarc, Les Normands en Italie, Paris 1888. 

ı) Waimar war damals seit 17 Jahren an der Regierung, vgl. Aime, 
Ystoire de li Normant, p. p. Delarc, Rouen 1892, p. 19, n. 1. 


204 R. ZENKER, 


Die unteritalischen Ereignisse der folgenden Jahre, die 
Römerfahrten Kaiser Heinrichs II. sowie Conrads IL, die Fehden 
Pandulfs von Capua u.s. w. interessieren uns hier nicht. Ich 
hebe nur die Thatsache hervor, dass die Normannen durch neuen 
Zuzug aus der Heimat beständige Verstärkung erfuhren und in 
der 1030 gegründeten Feste Aversa einen Stütz- und Sammel- 
punkt gewannen, von dem aus später die Eroberung Unteritaliens 
ins Werk gesetzt wurde. Ich gehe gleich über zu den Vor- 
gängen auf Sieilien im Jahre 1037. 

Hier regierte seit 1019 der Emir Ahmed al Akhal, der 
den Beinamen Abu-Giafar, d. i. Vater des Giafar führte; die 
Griechen nannten ihn Arzoiayege. Unter ihm wurden die Streif- 
züge in die unter byzantinischer Herrschaft stehenden unter- 
italischen Lande wieder mit Energie aufgenommen; die Griechen 
ihrerseits erneuerten den Krieg auf sieilianischem Boden, ver- 
mochten aber keine dauernden Erfolge zu erringen. Im Jahre 
1035 nun brach unter den Arabern Siciliens ein Bürgerkrieg 
aus zwischen „Sicilianern“, d.h. den im Islam erzogenen Nach- 
kommen der alten Einwohner der Insel, und den erst später 
eingewanderten Afrikanern. An der Spitze der letzteren stand 
der Emir Abu-Giafar selbst, während die Sicilianer von seinem 
Bruder Abu-Hafs angeführt wurden. Um die Erhebung der 
Sieilianer zu unterdrücken, trug Abu-Giafar kein Bedenken, ein 
Bündnis mit Byzanz zu schliessen; er erhielt den Titel eines 
magister militum und erkannte wahrscheinlich die byzantinische 
Oberhoheit an. Abu-Hafs seinerseits wandte sich um Hilfe an 
den Sultan von Tunis, der bereitwillig ein Heer von 6000 Mann 
nach Sieilien entsandte. Diesem war Abu-Giafar nicht gewachsen, 
er wurde wiederholt geschlagen und musste bei dem griechischen 
Feldherrn, Konstantinos Opos, Zuflucht suchen. Letzterer setzte 
im Jahre 1037 nach Sieilien über, besiegte das Heer der Afrikaner 
in mehreren Treffen und befreite 15000 christliche Sklaven aus 
der Gefangenschaft der Ungläubigen, kehrte aber dann, wohl weil 
er der Uebermacht auf die Dauer nicht gewachsen war, nach 
Italien zurück. Abu-Giafar wurde in Palermo von den Afrikanern 
eingeschlossen und von seinen eigenen Anhängern ermordet. 

Sofort traf man nun in Byzanz umfassende Vorkehrungen, 
um Sieilien der Oberhoheit des griechischen Kaiserreiches zu 
unterwerfen. Georg Maniakes, der sich schon in Kleinasien als 
Feldherr bewährt hatte, wurde mit der Führung des Krieges 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUIS. 205 


gegen die Sarazenen beauftragt, die auserlesensten Truppen 
wurden ihm zur Verfügung gestellt.!) Im Jahre 1038 ging er 
nach Apulien, um sein Heer durch unteritalische Truppen zu 
verstärken. Auf Veranlassung Waimars IV. von Salerno schlossen 
sich ihm auch eine Anzahl Normannen an, — nach einer Quelle 
(Amatus von Montecassino) 300, nach anderen?) 500 —, unter 
denen zwei von den zwölf Söhnen Tancreds von Hauteville,’) 
Wilhelm und Drogo, besonders hervorragten.‘) Sie waren bald 
nach der Gründung von Aversa in Italien eingetroffen, hatten 
anfangs in den Diensten Pandulfs von Capua gestanden, waren 
dann aber zu Waimar IV., dem Sohne Waimars III., über- 
gegangen und stiessen also unter seinen Hilfstruppen zum grie- 
chischen Heere. Mitte des Jahres 1038 setzte Maniakes nach 
Sieilien über; er nahm Messina ein — bei welcher Gelegenheit 
sich die Tapferkeit der Normannen glänzend bewährt haben 
soll, — besiegte ein sarazenisches Heer bei Rometta und unter- 
warf einen grossen Teil der Insel der griechischen Herrschaft. 
Anfang des Jahres 1039 rückte er dann gegen Syrakus vor und 
belagerte die Stadt. Hier bestand Wilhelm von Hauteville nach 
dem normannischen Geschichtschreiber Gaufredus Malaterra und 
dem sog. Anonymus Vaticanus mit dem Befehlshaber der Stadt, 
der Arcadius oder Archaydus, d.i. Al-gaid, genannt wird, einen 
Zweikampf, in dem er seinen Gegner mit der Lanze durch- 
bohrte: „wegen dieser That war er seitdem bei den Griechen 
wie bei den Sarazenen Gegenstand höchster Bewunderung“. 
Inzwischen hatte der Emir ein neues Heer gesammelt, dem 


') In seinem Heere befand sich auch die Leibgarde der Waräger unter 
dem berühmten Harald Hardraade. 

2) So Cedrenus ed. Bonn I, 545: "Ervye noooeragıodusvos zal 
Pocyyovg [d. i. Normannen] nevraxoclovg and tor neoav rov Minewv T'e)- 
Jıör usranzsupdivras. 

3) Hauteville-la-Guichard im Departement der Manche, 13 Kilometer 
nordöstl. von Coutances. Nach Gauttier d’Arc, Histoire des conquötes des 
Normands en Italie, en Sicile et en Gröce, Paris 1830, 8.66 wären die 
Ruinen des von Tanered bewohnten Schlosses noch im Anfang unseres Jahr- 
hunderts zu sehen gewesen. 

4) Nach Aime6, Ystoire de li Normant 11,8, &d. Delarc 8.59 hatte 
Waimar den Wilhelm zum Anführer der Normannen ernannt: La poteste 
imperial se humilia a proier laide de Guaimere, laquel petition vouloit Gay- 
mere aemplir, et fist capitain Guillerme filz de Tancrede liquelle novelle- 
ment estoit venut des partiez de Normendie avec ‚II. freres, Drugone et 
Unfroide,; avec liquel manda trois ‚CO, Normant“, 


206 R. ZENKER, 


Maniakes bei Troina, nordwestlich vom Aetna, entgegentrat. 
Die Griechen errangen den Sieg, der nach den genannten nor- 
mannischen Historikern hauptsächlich der Tapferkeit Wilhelms 
und seiner Genossen zu danken gewesen wäre. „Wilhelm, der 
Sohn Tancreds, stolz auf seinen kriegerischen Ruhm, stark in 
den Waffen, kommt den Griechen zuvor und nimmt den Kampf 
auf; nur mit seinen eigenen Leuten tritt er dem Feinde ent- 
gegen, bevor die Griechen zur Stelle sind. Tapfer streitend 
streckt er viele nieder, schlägt die übrigen in die Flucht und 
seht als Sieger aus dem Kampfe hervor“. Auch Syrakus fiel 
nunmehr in die Hände der Griechen. Aber den Normannen 
wurde von Maniakes mit Undank gelohnt. Empört über die 
Behandlung, die man ihnen zu Teil werden liess, sagten sie sich 
von den Griechen los und kehrten nach Apulien zurück, um nun 
hier als furchtbare Gegner ihrer bisherigen Verbündeten auf- 
zutreten. Durch neuen Zuzug aus der Heimat und durch die 
Anhänger der aufständischen, anti-griechischen Partei verstärkt, 
schlugen sie 1041 den byzantinischen Feldherrn am Flusse 
Oliveto; auch in dieser Schlacht zeichneten sich Wilhelm und 
sein Bruder Drogo nach Gaufred vor allen andern aus. Eine 
neue Niederlage erlitten die Griechen in der Ebene von Cannä 
bei Monte Maggiore am Ofanto, eine dritte im gleichen Jahre 
bei Monte Peloso. Die letztere wäre nach Gaufredus Mala- 
terra 1,10 und dem Anonymus durch das Eingreifen Wilhelms 
entschieden worden, während Guillelmus Apulus die gleiche Rolle 
einem gewissen Walter, dem Sohne des Amicus, zuschreibt.!) Im 
weiteren Verlauf des Krieges wurde Apulien den Griechen ent- 
rissen und im Jahre 1042 von den Normannen Wilhelm zum 
Grafen von Apulien ernannt.?2) Die eroberten Gebiete wurden 
unter den obersten Schutz Waimars von Salerno gestellt, der, 
hoch erfreut, seine Macht weiter ausdehnen zu können, dem Grafen 
Wilhelm seine Nichte, die Tochter seines Bruders, des Herzogs 
Guido von Sorrent, zur Frau gab. Er nannte sich seitdem 
Herzog von Apulien und Calabrien und erkannte Wilhelm als 


1!) Vgl. Delarce, Les Normands en Italie S. 115. 


2) Aim& II, c. 28, ed. Delarc 8. 82: „et ordenerent entre eaus ensemble 
de faire sur eaux un conte. Et ensi fu, quar il firent lor conte Guillerme fil 
de Tancrede, home vaillantissime en armes et aorne de toutes bones costumes, 
et beauz, et gentil, et jovene*. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUISs. 207 


Grafen von Apulien und seinen Vasallen an. Anfang des 
Jahres 1043 fand die Verteilung des eroberten und noch zu 
erobernden apulischen Landes unter die zwölf normannischen 
Führer statt. Wilhelm erhielt Ascoli, sein Bruder Drogo Venosa. 
Auf die Kämpfe gegen die Griechen in den folgenden Jahren 
braucht nicht mehr eingegangen zu werden. Wilhelm starb 1045 
und wurde in S. Trinitate zu Venosa begraben. Sein Nachfolger 
in der Grafschaft wurde Drogo, den Waimar sich noch enger 
verband, indem er ihm seine Tochter zur Frau gab. 

Dies die Ereignisse in Unteritalien und Sieilien zur Zeit 
des ersten Auftretens der Normannen, soweit sie hier für uns 
von Interesse sind. Die Gründe nun, welche mich bestimmen, 
eben in ihnen die geschichtliche Grundlage der zweiten Branche 
des Couronnement zu erblicken, sind die folgenden: 


1. Nach der Chanson ziehen Wilhelm Fierebrace und seine 
60 — nach anderen Handschriften 40 — Begleiter als Pilger 
aus Frankreich nach Rom. Der Geschichte zufolge waren die 
ersten Normannen, die auf unteritalischen Boden erschienen, 40 
normannische Ritter, die auf einer Pilgerfahrt begriffen waren. 
Wenn die letzteren nicht, wie die Pilger in der Chanson, direkt 
von Frankreich kamen, sondern sich auf dem Rückwege von 
Jerusalem befanden, so ist es zunächst klar, dass dieser Zug 
leicht in Vergessenheit geraten konnte; er fehlt auch bei Guilel- 
mus Apulus, der nur weiss, dass die ersten Normannen in Italien 
Pilger waren, die den Monte Gargano besuchten,') von einem 
vorherigen Besuche Jerusalems ist bei ihm nicht die Rede, vgl. 
Gesta Roberti Wiscardi 1,112): 


„Horum |se. Normannorum] nonnulli Gargani ceulmina montis 
Conscendere tibi, Michael Archangele, voti 
Debita solwentes“. 


Ueberdies erklärt sich die Nichterhaltung jenes Zuges 
durch die unten zu besprechende Thatsache, dass jene erste 
Fahrt normannischer Pilger durch die Tradition vermengt wurde 
mit den späteren Nachschüben normannischer Ritter, speciell mit 
der Uebersiedelung der Söhne Tancereds von Hauteville. Dass 


1) Ueber die Geschichte dieses Heiligtumes und die Pilgerfahrten der 
Normannen dahin vgl. Delare, 0. c. 8. 29 ff. 


2) Muratori, SS. Rer. It. V,253; Pertz, SS. IX, 239. 


208 R. ZENKER, 


auch diese, Wilhelm Ferabrachia') und seine Brüder, als Pilger 
nach Italien gekommen seien, sagt Ordericus Vitalis, list. eccles. 
1. 111%): „Ik autem |se. filii Tancredi| non simul, sed diverso 
iempore sub specie peregrinorum, peras et baculos por- 
tantes (ne a homanis caperentur) in Apuliam abierunt, 
omnesque varüs eventibus auch, duces aut comites in Apulia seu 
Calabria vel Sicilia effecti sunt“. Wenn sodann Wilhelm in der 
Chanson Karl erklärt, er wolle nach Rom ziehen, um ein vor 
15 Jahren gethanes Gelübde zu erfüllen: 


V.233 Dien a quinze ans, a celer ne vos quier, 
Que m’i promis, mais ne poi espleitier, 
so stimmt dies wieder zu der oben citierten Darstellung des 
Guilelmus Apulus, wonach jene ersten Normannen den Monte 
Gargano bestiegen in Erfüllung eines dem heil. Michael 
gethanen Gelübdes. 

Die Zahl der Ankömmlinge beträgt den geschichtlichen 
Quellen zufolge, wie gesagt, 40. Bezüglich dieser Zahl stimmen 
Amatus von Montecassino und der von ihm völlig unabhängige 
Leo Ostiensis in seiner ersten Redaktion überein: 


Amatus I, cap. 173): Avan mille puis que Christ lo nostre 
Seignor prist char en la virgine Marie, apparurent en lo monde 
‚XL. vaillant pelerin; venoient del sain sepulere de Jerusalem 
pour aorer Jhucrist. 

Leo II, 37): His primum diebus venerunt Capuam Normanni 
aliquot, quadraginta fere numero. 

In der Chanson beläuft sich die Zahl der Pilger, wie 
bemerkt, nach einigen Handschriften auf 60, nach anderen auf 
40 (genau genommen auf 61, bezw. 41, da Wilhelm selbst nicht 
einbegriffen ist). Die Uebereinstimmung zwischen Geschichte 
und Dichtung wäre nun gewiss höchst bemerkenswert, auch 
wenn die 40 immerhin so nahe stehende Zahl 60 die richtige, 
ursprüngliche Lesart darstellte; sie wäre es aber gewiss in 
erhöhtem Grade bei 40. Welche von beiden Lesarten verdient 

!) Dies, nicht Ferreabrachia, ist, wie schon bemerkt, nach Cloötta, 
0. €. 8.263, die ursprüngliche Form des Namens. 

2, Ed. Le Pr&vost, Paris 1840, t.D,88 (1. III, cap. V); ed. Migne, 
Patrol. lat. 188, 269 (1. III, cap. XIT). ° 


5) Ed. Delare S. 18. . 
4) Chron. Mon. Cas. bei Pertz, SS. VII, 659. _ 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUISs. 209 


den Vorzug? Nach dem Herausgeber des Couronnement, Langlois, 
die erstere; er setzt seissante in den Text und dies scheint auch 
das von ihm aufgestellte Handschriftenschema zu fordern, falls 
wirklich, wie man nach dem Variantenapparate auf den ersten 
Blick annehmen muss, seissante nicht nur in Gruppe B, sondern 
auch in Hs. © steht. 


Langlois’ Schema ist nämlich das folgende'): 


0 
| 


| 
A B 
Klee | ar 
A A AB aha B! B2 Ö [D] 

















D enthält unsere Branche nicht, kommt also hier nicht in 
Betracht. 

Seissante stünde danach also in zwei von einander unab- 
hängigen Handschriftenfamilien, .XL. nur in einer, in A, jenes 
müsste also, wie es scheint, den Regeln der Handschriftenkritik 
zufolge im Original gestanden haben. 

Hat nun aber © wirklich, wie man nach Langlois’ Varianten- 
verzeichnis annehmen muss, seissante? Auf den ersten Blick, 
wie gesagt, scheint es so, aber bei näherem Zusehen kann man 
daran zweifeln. Zu V.39 macht nämlich Langlois folgende Be- 
merkung: „U differe trop pour qwon en puisse mentionner toutes 
les variantes; je renvoie a la copie integrale que j'en imprime ä 
la fin de ce volume. (Quand de nouveau il se rapprochera assez 
des autres lecons pour que je puisse reprendre le systeme d’anno- 
tation apphque aux vers precedents, je le ferai“ LI. will also 
vorläufig alle Varianten von © unterdrücken, will sie aber wieder 
mitteilen, wenn C in seinen Lesarten den übrigen Handschriften 
wieder näher kommt; in der That findet sich nun V. 39-90 nicht 
eine einzige Variante von Ü verzeichnet. Von V. 92 an er- 
scheinen sie hingegen wieder zahlreich, hier hat also L. offenbar 
sein früheres System wieder aufgenommen (vgl. V. 92, 93, 94, 95, 


») Introd. S. OXXVII. 
Festgabe für Gustav Gröber. 14 


210 R. ZENKER, 


97, 98 u.s. w.), von V.109 an aber verschwindet © neuerdings, 
um erst V. 331 wieder mit einer Variante aufzutauchen. Da es 
nun bei den ausserordentlich starken Abweichungen, welche gerade 
U aufweisst, direkt ausgeschlossen zu sein scheint, dass von V. 109 
bis V.331 nicht eine einzige Variante sollte zu verzeichnen gewesen 
sein — A und B haben ihrer viele —, so wird man zu dem 
Schlusse gedrängt, dass Langlois hier abermals die Varianten von 
C gänzlich bei Seite gelassen hat. In eben diesem Abschnitt 
stehen aber die uns hier interessierenden Stellen unserer Branche, 
nämlich V. 237 und 251. Nun verweist allerdings der Heraus- 
geber in der citierten Anm. zu V. 39 auf die „copie integrale* von 
0, die er am Schlusse veröffentlicht, aber diese Kopie beginnt 
erst mit V. 1206, wegen des Anfanges verweist Langlois wieder 
zurück auf die Varianten: „Les 7206 premiers vers du manuserit 
C sont donnes dans les variantes des 1500 premiers vers du texte 
critique*. Somit erfahren wir aus Langlois’ Ausgabe über die 
Varianten von © V.109—331 gar nichts und es ist aus ihr 
durchaus nicht zu entnehmen, ob C wirklich, wie man bei ober- 
flächlicher Betrachtung nach dem Apparat glauben muss, V. 237 
und 251 seissante, oder ob es quarante hat — welches dann also 
in den Text zu setzen wäre —, oder ob es vielleicht eine ganz 
andere Zahl aufweist oder eine solche etwa überhaupt fehlt, — 
in welchem Falle quarante und seissante gleichberechtigt neben- 
einander stünden. 

Nun ist aber weiter zu bemerken, dass selbst für den Fall, 
es habe C wie B seissante, daraus noch keineswegs folgt, dass 
diese Zahl wirklich im Original stand. Es scheint nämlich klar, 
dass sich die Vertauschung der beiden Ziffern einfach erklärt 
als die Folge einer Verwechselung der beiden römischen Ziffern 
XL und LX. Offenbar konnte nun eine solche Verwechselung 
recht wohl auch zwei von einander völlig unabhängigen 
Schreibern passieren und die Thatsache, dass die eine der 
beiden Ziffern sich in zwei von einander unabhängigen Hand- 
schriftenfamilien findet, würde also noch keineswegs darthun, 
dass sie wirklich die ursprüngliche Lesart darstellt. 

Somit ist die von Langlois in den Text gesetzte Zahl 
seissante als ursprünglich durchaus nicht gesichert und die Mög- 
lichkeit gegeben, dass vielmehr guarante im Original stand; in 
diesem Falle würde also die Uebereinstimmung zwischen den 
geschichtlichen Zeugnissen und unserer Chanson bezüglich der 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE Louss. 211 


Zahl jener in Italien eintreffenden französischen Pilger eine 
vollständige sein, die doch unmöglich als rein zufällig betrachtet 
werden könnte. 

Weitere Uebereinstimmungen zwischen Geschichte und Chan- 
son sind nun die folgenden: 

2. Wilhelm und seine Genossen unternehmen die Fahrt 
nach Rom in Pilgertracht, aber unter den Kutten führen sie 
Schwert und Harnisch: 


V.274 Desoz les chapes orent les branz letrez 
Et neporquant si orent il trosse 
Les buens halberz et les helmes dorez. 


Eben in dieser Ausrüstung pflegten die Normannen ihre Pilger- 
fahrten zu unternehmen, vgl. Delarc, Les Normands en Italie, 
S. 35: „Leur robe de penitence recowvrait une cotte de maille, ä 
cöte de leur bäton ils avaient une bonne et lourde epde dont ils 
se servaient a loccasion“. 

3. Der Name des Helden ist hier wie dort identisch: 
Guillaume Fierebrace in der Chanson, Guwilielmus Ferabrachia 
(Ferreabrachia) in der Geschichte; denn der letztere erscheint 
bei Gaufredus Malaterra in der That als der hervorragendste 
unter den Normannen, als ihr Protagonist. Gaufred sowohl als 
Guillelmus Apulus spenden ihm das höchste Lob. Der erstere 
sagt von ihm anlässlich seines Todes, cap. XII'): 

Guwibielmo ... comite.... defuncto, magnus dolor omnes Nor- 
mannos invasit. Quwippe qui tanti consili virum, tam armis 
strenuum, tam sibi munificum, affabilem, morigeratum ulterus se 
habere diffidebant; 
und Guil. Apulus schildert ihn mit den Worten, o. ce. II, V. 222): 


. vir ferrea dietus habere 

Brachia Guwilelmus, ewi vivere si licuisset, 

Nemo Poeta suas posset depromere laudes, 

Tanta fwit probitas animi, tam vivida virtus. 
Allerdings befindet sich der geschichtliche Wilhelm nicht unter 
jenen zuerst in Italien erscheinenden 40 Pilgern, sondern unter den 
Normannen, welche später auswanderten: er traf, wie wir sahen, 
mit seinem Bruder Drogo erst nach dem Jahre 1030 in Italien 


1) Muratori, SS. ker. It. V, 552. 
2) Ib. V,259; Pertz, SS. IX, 254. 
14* 


212 R. ZENKER, 


ein. Indessen erklärt sich diese Diserepanz zwischen Chanson und 
Geschichte offenbar sehr einfach durch die Thatsache, dass jenes 
erste Erscheinen normannischer Ritter auf unteritalischem Boden 
von der Tradition vermengt wurde mit der durch jene Pilger 
veranlassten ersten Einwanderung normannischer Abenteurer, 
die sich dem Melus anschlossen, und das Auftreten dieser wieder- 
um mit den später erfolgten Zuzügen aus der Normandie über- 
haupt. Eine derartige Vermengung ist, wie es scheint, vollzogen 
bei Leo Ostiensis in seiner ersten, von Amatus noch unabhängigen 
Redaktion, 1. IL, cap. 37!): 


His primum diebus venerunt Capuam Normanni aliquot, 
quadraginta fere numero; qui domini sui comitis Normanniae 
iram fugientes, tam ipsi quam plures eorum socii quaquavorsum 
dispersi, sicubi reperirent qwi eos ad se reciperet reqwirebant; 
viri eqwidem et statura proceri, et habıtu pulchri, et armis ex- 
perientissimi, quorum praeciput erant vocabulo Gislebertus Doteri- 
cus, Rodulfus Todinensis, Gosmannus, Rufinus, atque Stigandus. 
Hoc cognito Melus, mox illos accersit ...* 

Hier sind also offenbar die 40 Pilger identifiziert mit jenen 
Normannen, die auf Veranlassung dieser Pilger auswanderten 
und dann mit Melus gemeinsame Sache machten. 

Aehnlich scheint Gaufredus Malaterra die Uebersiedelung 
der ersten Normannen nach Italien zu vermengen mit dem Ein- 
treffen der Söhne Tancreds. Wenigstens ist bei ihm von einer 
normannischen Einwanderung vor dem Auftreten Wilhelms und 
seiner Brüder nicht die Rede; er scheint die Vorstellung zu haben, 
dass diese die ersten Normannen in Italien waren, jedenfalls 
muss jeder Leser seines Werkes diese Vorstellung bekommen. Er 
sagt, nachdem er über die Familie Tancreds, seine zweimalige 
Heirat und seine 12 Söhne berichtet hat, cap. V: 


Sieque communi consilio prima aeltas |sc. filiorum Taneredi], 
prae caeteris adhuc minoribus magis roborata, primo patria 
digressi, per diversa loca militantes lucrum quaerentes, tandem 
apud Apuliam Italiae provinciam, Deo se ducente, pervenerunt. 

Mit einer ganz analogen, ebenso nahe liegenden dritten 
Kombination haben wir es offenbar zu thun, wenn wir annehmen, 
man habe jene 40 Pilger identifiziert mit Wilhelm Fierabras und 
seinen Genossen. . 


> 


') Pertz, SS. VII, 652. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LouIs. 215 


4. In der Chanson begeben sich die Pilger direkt nach Rom 
zum Papst. Ebenso berichtet Radulf Glaber, Historiae III, e. 1') 
[verfasst 1035 —442)], die ersten normannischen Auswanderer, 
als deren ‘Anführer er Rodulf nennt, hätten in Rom Station 
gemacht und sich dem Papst Benediet VIII. vorgestellt (der sie 
zur Bekämpfung der Griechen in Apulien aufgefordert und nach 
Benevent gewiesen habe). Ademar von Chabannais, der sich 
kürzer fasst, scheint das gleiche sagen zu wollen, Historiae II, 
c. 553) (beendigt 1028), und Guillelmus Apulus sowie Amatus 
bemerken wenigstens, dass sie ihren Weg über Rom nahmen: 


Guillelmus Ap. I, V.41®): 
Postquam gens Romam Normannica transit inermis 
Fessa labore viae Campanis substitit horis. 


Amatus I, c. 205): Et vindrent armes non come anemis, 
mes come angele, dont par toute Ytalie furent receuz. Les coses 
necessaire de mengier et de boire furent donndes de li signor et 
bone gent de Ytalie, et passerent la cite de Rome et vindrent 
a Capue ... 

5. Wilhelm „Ferabrachia“ hat, wie der Guillaume Fierebrace 
unserer Chanson, die Sarazenen bekämpft und einen vornehmen 
Sarazenen — den Befehlshaber von Syracus — im Zweikampf 
getötet. Gaufredus Malaterra sagt ausdrücklich, dass eben dieser 
Zweikampf es war, welcher Wilhelms Ruhm bei Griechen und 
Sarazenen begründete; wir dürfen also annehmen, dass die Er- 
innerung an ihn geraume Zeit in der Tradition fortlebte. Ein 
wesentlicher Unterschied besteht hier freilich zwischen Geschichte 
und Dichtung insofern, als der ersteren zufolge jene Kämpfe 
mit den Sarazenen auf Sieilien, vor Syracus und bei Rometta, 
stattfanden, während in unserer Chanson der Schauplatz nahe 
bei Rom ist. Indess erledigt sich die Diserepanz offenbar mit 
der gleichen Bemerkung, durch die Langlois, Introd. S. XL die 
Verlegung des Schauplatzes von Salerno nach Rom erklärt: „Le 


1) Pertz, SS. VII, 62. 

2) Vgl. Rev. hist. 48 (1892), S. 295. 

8) Pertz, SS. IV, 140: „Richardo vero eomite Rotomagi, filio Richardi, 
Normannos gubernante, multitudo eorum cum duce Rodulfo armati Romam, 
et inde conivente papa Benedicto Appuliam aggressi, cuneta devastant.“ 

4) Muratori, SS. V,254; Pertz, SS. IX, 242. 

5) Ed. Delarc 8.23, 


214 R. ZENKER, 


siege du pape etait un centre oü venaient se grouper tous les 
evenements qui se passatent au dela de Montjeu. Le fait avait 
lieu en Italie, done ce pouvait Etre pres de Rome“) 

Der Chanson zufolge besteht Wilhelm, wie wir sahen, zu- 
nächst den Zweikampf mit Corsolt und feiert dann die Nacht 
hindurch mit seinen Begleitern den errungenen Sieg; am nächsten 
Morgen brechen die Sarazenen ihre Zelte ab und wenden sich 
zur Flucht, Wilhelm mit den Seinen setzt ihnen nach und es 
kommt nun noch zum Handgemenge, in dem Galafre von Wilhelm 
besiegt und zum Gefangenen gemacht wird. 

Dieser Gang der Ereignisse erinnert in höchst 'bemerkens- 
werter Weise an die Darstellung des Gaufredus Malaterra 
cap. VII?), die ich im Wortlaut hier glaube mitteilen zu sollen: 

Maniakes ist nach Sicilien übergesetzt und hat vornehmlich 
durch die Tapferkeit der Normannen Messina eingenommen. 

„Maniacus nostrorum causa nactus urbem, in pretio eos 
habere coepit, donisque, et promissionibus corrigere ad militiam. 
Inde ergo profundiores partes Siciliae attentando, et omnia sub- 
jugando progredientes, Syracusam usque pervenerunt. Arcadius 
quidam, qui urbi principabatur, nostris infestus, multas strages 
dabat; quo Gwuilielmus Tancredi filius, qui Ferrebrachia nun- 
cupatur, plurimum indignatus, impetu facto, super eum irruit, 
fortiterque congrediens hastıli robore dejectum interfeeit: unde et 
mazima laudis admiratione deinceps apud Graecos et apud Siculos 
|—= Saracenos| fuit.’) Siculi itaque usque ad sexaginta millia 


1) Bekanntlich war es um die geographischen Kenntnisse selbst gelehrter 
Chronisten der Zeit oft herzlich schlecht bestellt. Von dem oben erwähnten 
Radulf Glaber und Ademar bemerkt Baist, Zur Kritik der Normannen- 
geschichte des Amatus v. Monte Casino, Forsch. z. deutsch. Gesch. 24, 287: „Der 
politische und geographische Gesichtskreis der beiden Franzosen erstreckt 
sich nicht über Rom hinaus: Rod. Glaber, der in Rom Sa ist, setzt den 
Vesuv nach Afrika“. 

2)98.8..0.8: Hal: 

°) Der Anonymus Vaticanus, Historia Sicula (bei Muratori, SS. 
VIII, 748), der erst um 1146 schrieb, aber die gleichen Quellen benutzt 
hat wie Gaufred, berichtet über diesen Zweikampf folgendermassen: 

. Maniacus cum exercitu suo apud Syragusiam iter aggreditur, cui 
civitatem appropinquanti Syragusani obviam occurrerunt, et convenientibus 
utrinque exercitibus maxima vi inter se tentatum est. Erat autem ex parte 
Saracenorum quwidam vocatus Archaydus, idem |[l. id est] legis Doctor, vel 
Princeps, cwi tantae vires, tantaque animositas inerat, quod nullus Grae- 
corum, wel Langobardorum ei numquam impune oecurrebat; cumque jam 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LoUIs. 215 


congregati Maniaco et suis in partibus Trainae wurbis bellum 
offerre tentant. Porro Gwilielmus filius Tancredi laude militiae 
ferox, armis strenuus, Graecos ad certamen praeveniens, certamine 
inito, cum suae gentis tantum militibus cum hoste congreditur, 
antequam Graeci ad locum certaminis perveniant. Fortiter agendo 
plures stravit, reliquos fugat, vietor effieitur.“ ') 

Also, wie in der Chanson, erst Zweikampf, dann allgemeines 
Handgemenge, bezw. Schlacht. Jener findet statt bei Syrakus, 
diese bei Troina. Streicht man aber Syrakus und Troina, so 
könnte man meinen, es mit zwei eng zusammenhängenden Er- 
eignissen auf gleichem Schauplatze zu thun zu haben, und es ist 
klar, dass aus einer Darstellung der Ereignisse wie der Gaufreds 
durch Unterdrückung der Ortsangaben, die für französische Zu- 
hörer ohne Interesse waren, leicht die in unserer Chanson ge- 
gebene werden konnte. Die Verschiebung des Schauplatzes von 
Syrakus nach Troina wurde vergessen und nur festgehalten, 
dass erst ein Zweikampf Wilhelms und dann, von demselben 
durch kurzen Zeitraum — in unserer Chanson durch eine Nacht 
— getrennt, ein allgemeiner Kampf mit den Sarazenen statt- 
gefunden hatte. 

Gaufred zufolge tötet Wilhelm den „Arcadius“, indem er 
ihn mit der Lanze durchbohrt: hastili robore dejectum interfeeit. 
Auch Wilhelm in der Chanson durchbohrt seinen Gegner mit 
der Lanze und zwar zweimal hintereinander, durch und durch, 
so dass die Spitze der Lanze auf der anderen Seite wieder her- 
vortritt: 


multos oceidisset, magnamque eorum partem, cew lupus oves, in fugam con- 
vertissel, Gwilielmus Ferabrachia, cujus virtus semper tendebat ad ardua, 
damna suae partis diulius non sustinens, deducto aceitus in eum equo per 
hastam, quam ipse gestabat, solita virtute per medium peectus illius contorsit. 
Itaque mortuo jam illo, in quo tota salus civitatis nitebatur, casıu subito con- 
territi Sarraceni infra muros se recipiunt, et clausis porlis, telis et lapidibus 
potius quam mucrone vel lancea eminus se tuentur“. 

1!) Amatus II, cap. 8, ed. Delare S. 59, berichtet über den sieilianischen 
Feldzug nur ganz im allgemeinen, indem er das Hauptverdienst am Siege 
der Griechen für die Normannen in Anspruch nimmt: „Et a dire la verite, 
plus valut la hardiece et la prouesce de ces petit de Normans que la multitude 
de li Grex, et ont combatu a la cite, et ont vaincut lo chastel de li Sarazın, 
et la superbe de li Turmagni [= Tovouaexgaı, Turmarcha, i. e, „turmae seuw 
regionis praefectus“] gist par li camp, li gofanon de li chrestien sont efforciez, 
et la gloire de la victoire est donnde a li fortissime Normant“, 


216 R. ZENKER, 


V. 910 Brandist la lance o l’enseigne de paille, 
Fiert le paien sor la vermeille targe: 
Teinz et verniz et li fuz en trespasse, 
Le blanc halbere li desront et desmaille, 
La wieille broigne ne li valu meaille; 
Par mi le cors son reit espie li passe, 
Que d’altre part peüst l’en ume chape 
Soz le fer pendre, qui bien s’en preist quarde. 


Und dann nochmals: 


V.946 LD’espie li mist tres par mi leu del cors, 
Que d’altre part en paru li fers hors. 


Freilich sind diese Lanzenstösse keine tödlichen, Wilhelm 
yötet Corsolt nicht mit der Lanze, sondern mit dem Schwerte, 
indem er ihm den Kopf abhaut. Ich möchte deshalb auch auf 
den in Rede stehenden Zug kein besonderes Gewicht legen. 


Aus dem Gesagten erhellt, dass ich den Zweikampf Wilhelms 
Ferabrachia mit dem „Arcadius“ als das geschichtliche Vorbild 
für den Zweikampf Wilhelms Fierebrace mit Corsolt betrachte, 
und die Schlacht bei Troina als die historische Grundlage des 
in der Chanson am nächsten Morgen folgenden Kampfes mit den 
auf der Flucht begriffenen Sarazenen. 


Der Name Corsolt mag auf willkürlicher Erfindung beruhen. 
Aber es ist doch zu beachten, dass uns der Name von Wilhelms 
Gegner eben nicht bekannt ist, denn Arcadius ist ja, wie wir 
sahen, nur der latinisierte Titel al-gaid. Wäre es nicht mög- 
lich, dass der Name dem Corsolts ähnlich gelautet hätte? Wahr- 
scheinlicher freilich ist es, dass der sarazenische Kämpe in der 
Tradition allgemein nur unter der Gaufred und dem Anonymus 
bekannten Bezeichnung fortlebte. 


6. In der Chanson spielt von den sarazenischen Fürsten 
nächst Corsolt die Hauptrolle König Galafre. Er wird von Wilhelm 
gefangen genommen, empfängt auf seinen eigenen Wunsch hin 
die Taufe und erreicht dann durch eine List die Befreiung von 
30000 christlichen Gefangenen — unter ihnen König Guaifiers —, 
die sich in den Händen seiner ehemaligen Glaubensgenossen be- 
fanden. Nun hat Becker, Die altfranz. Wilhelmssage S. 17, 
Anm. 1 die Vermutung geäussert: „man könnte wegen Galafre an 
Apolaffar, Fürsten von Tarent, denken, der zuerst mit Sinekolfus 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE Lou. 217 


von Salerno, dann mit Radelchis von Benevent verbündet war. 
Chron. Sal. S. 508 ff.“. 

Indem ich zunächst von der Persönlichkeit dieses in der 
Chronik von Salerno genannten Apolaffar absehe, möchte ich 
Becker hinsichtlich der Zurückführung des Namens Galafre auf 
den historischen Namen Apolaffar entschieden beistimmen. Ich 
halte es in der That für sehr wahrscheinlich, dass beide identisch 
sind. Das anlautende A konnte ja leicht abfallen, das o der 
ersten Silbe sich dem a der zweiten und dritten assimilieren, 
Palaffar durch Vertauschung des anlautenden Konsonanten, viel- 
leicht in Anlehnung an den normannischen Namen Gulafra — 
ein Rogerius Gulafra begegnet bei Ordericus Vitalis, Hist. ecel. 
1. III, ed. Le Pr&vost cap. V, p. 87 und ib. cap. VIII, p. 107 — 
zu Galaffar, Galafra, Galafre werden. Wenn man bedenkt, welche 
arge Entstellungen gerade arabische Namen zu erfahren pflegten, 
so wird man urteilen, dass Galafre dem Apolaffar — welche 
Form freilich selbst schon aus Abu-Giafar verderbt ist — noch 
verhältnismässig sehr nahe steht. 

Dagegen möchte ich nun stark bezweifeln, dass jener 
Apolaffar des Chronicon Salernitanum, auf den Becker hinweist, 
das geschichtliche Vorbild Galafres sei. Allerdings berichtet die 
Chronik, wie Becker bemerkt, über einen Zweikampf desselben 
mit dem älteren Guido von Spoleto, in dem Guido von Apolaffar 
und letzterer von Guidos Schildknappen verwundet wird; aber 
dieser Zweikampf hat doch in seinem ganzen Verlaufe mit dem 
zwischen Wilhelm und Galafre keinerlei Aehnlichkeit und, soweit 
ich sehe, liegt sonst kein Grund vor zu der Annahme, es spiegele 
sich jene Fehde zwischen Salerno und Benevent im ‚Jahre 845, 
in der der Apolaffar des Chronicon ‚Salern. auftritt, in unserer 
Branche, noch auch sind Erinnerungen an diese Ereignisse in 
irgend einer anderen französischen Chanson de geste bisher nach- 
gewiesen. Dagegen spielt, wie wir oben sahen, ein sarazenischer 
Fürst gleichen Namens, Abu-Giafar, von den Griechen Apolafar 
genannt — unter welchem Namen ihn also auch die im griechischen 
Heere dienenden Normannen kennen mussten — auf Sieilien eben 
zur Zeit des ersten Auftretens der Normannen in Italien eine 
Rolle. Apolafar regierte, wie wir sahen, auf Sicilien von 1019 
bis 1037; er schloss 10385 mit Byzanz einen Bund gegen die 
„Sieilianer“, wurde von diesen und ihren Verbündeten geschlagen, 
floh zum griechischen Feldherrn, der nach Sieilien übersetzte, die 


218 R. ZENKER, 


„Afrikaner“ besiegte und 15000 christliche Sklaven befreite, 
wurde aber schliesslich von seinen eigenen Anhängern zu Palermo 
ermordet. 

Ich möchte die Vermutung wagen, dass wir in diesem 
Apolafar das Vorbild für den Galafre unserer Branche zu 
erkennen haben. Ich meine, die Thatsache, dass Apolafar sich 
mit den Christen verbündete, dass er zu dem christlichen 
Feldherrn floh, und dass eben damals eine ungewöhnlich grosse 
Zahl christlicher Gefangener befreit wurde — ein Ereignis, das 
weithin Aufsehen erregen musste —, konnte von der Sage wohl 
dahin umgedeutet werden, Apolafar sei von den Christen ge- 
fangen genommen worden — wie der Galafre unserer Chanson —, 
er sei zum christlichen Glauben übergetreten und er sei es 
gewesen, der durch eine List die Sarazenen zur Herausgabe jener 
Gefangenen bewog. Freilich ist Apolafar an den Ereignissen der 
Jahre 1038 und 1039, in denen ich den eigentlichen historischen 
Kern unserer Branche erblicke, nicht mehr beteiligt. Wenn wir 
aber bedenken, dass Apolafars Name nach 18-jähriger Regierung 
über Sieilien auch bei den Christen allgemein bekannt sein musste, 
so hat die Annahme gewiss nichts unwahrscheinliches, er sei 
durch die Tradition, durch die Sage mit den Ereignissen der 
unmittelbar folgenden Jahre in Verbindung gebracht worden, es 
sei also der verunglückte Feldzug des Konstantinos Opos, in dem 
Apolafar seine Rolle spielt, durch die Tradition vermengt worden 
mit der sich unmittelbar an ihn anschliessenden Expedition des 
Maniakes. 

Im übrigen gebe ich gerne zu, dass in Anbetracht der 
etwas vagen Natur der übereinstimmenden Züge die Identifikation 
Galafres mit Abu-Giafar— Apolafar ihre Bedenken hat und ich 
möchte ihr denn auch als Argument für die hier zu begründende 
These eine besondere Bedeutung nicht beimessen. 

7. In der Chanson will Guaifier „von Spoleto“, der, wie wir 
sahen, wohl mit Recht identificiert wird mit dem historischen 
Waifar von Salerno, dem Wilhelm seine Tochter zur Frau geben. 
Die Trauung soll eben vollzogen werden, da kommen Boten aus 
Frankreich, die Wilhelm abberufen, so dass die Vermählung 
unterbleibt. Nun heisst der Fürst von Salerno zur Zeit der 
Normanneneinwanderung Waimar, und wir hören, dass Wilhelm, 
nachdem er zum Grafen von Apulien ernannt war, dessen Nichte 
heiratete, Eine Verwechselung Waimars von Salerno mit Waifar 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LovIs. 219 


von Salerno, der aus dem Liede auf die Belagerung Salernos 
bekannt war, musste, meine ich, leicht eintreten können, und 
ich möchte denn vermuten, dass jenes historische Faktum die 
Grundlage’ bildet für die in unserer Chanson berichtete geplante 
Vermählung Wilhelms mit Waifars Tochter. Die Verwechselung 
der Nichte mit der Tochter konnte offenbar leicht eintreten und 
mochte dadurch befördert werden, dass Wilhelms Bruder und 
Nachfolger als Graf von Apulien, Drogo, thatsächlich Waimars 
Tochter heiratete.!) Natürlich wurde in dem unserer Branche 
zu Grunde liegenden Liede die Vermählung wirklich vollzogen; 
die vorliegende Version ist einfach eine Folge der Einreihung 
des Liedes in den Wilhelms-Cyklus, wie unten noch gezeigt 
werden wird. 

8. Wie in der Inhaltsangabe unserer Branche oben mit- 
geteilt wurde, hat Wilhelm in der ersten Nacht, die er zu Rom 
zubringt, einen beängstigenden Traum: er sieht von Russland 
(Rossie) ein Feuer herankommen, das Rom an allen Enden in 
Brand steckt; ein Windhund springt, während er von seinen 
Begleitern getrennt ist, auf ihn zu und versetzt ihm mit seiner 
Pfote einen solchen Schlag, dass er zu Boden stürzt. Der Traum 
wird dann vom Dichter dahin gedeutet, die Sarazenen seien im 
Anzuge gewesen.2) Nun muss aber bei dieser Auslegung des 
Traumes die Angabe doch offenbar höchlich befremden, das Feuer 


1) Heinemann, a.a. 0. S. 103. 

2) Diese Deutung passt augenscheinlich absolut nicht zu dem Inhalt 
des Traumes und rührt sicher von einem gedankenlosen Ueberarbeiter her. 
Konnte es wohl einem überlegten Dichter einfallen, das blosse Herannahen 
einer feindlichen Heeresmacht durch das obige Gleichnis zu symbolisieren’? 
Ich glaube nicht. Vielmehr scheint es mir kaum zweifelhaft, dass die ur- 
sprüngliche Tendenz des Traumes die war, ein Wilhelm bevorstehendes Unheil 
anzukündigen, und dass er sich bezieht auf den Zweikampf mit Corsolt, auf 
jenen kritischen Augenblick nämlich, wo Wilhelm seine Nasenspitze verliert: 
Mit einem gewaltigen Streich trifft Corsolt den Wilhelm ins Visier, schlägt 
ihm die Nasenspitze ab und spaltet ihm sein Ross durch und durch, so dass 
Wilhelm sich nun zu Fuss seinem riesenhaften Feinde gegenübersieht und in 
grösster Gefahr schwebt. Das ist es, was gemeint ist mit dem „tot le feseit 
envers terre eliner“. Corsolt schlägt ihn mit seiner Keule auf den Kopf und 
wenn Gott und die Jungfrau sich seiner nicht angenommen hätten, so wäre 
Wilhelm verloren gewesen: 


V. 1083 Ja mais par lui ne fust Rome aquitee, 
Se Deus ne fust et la vierge onoree, 


Der „Windhund‘“ ist also Corsolt, 


220 R. ZENKER, 


sei von Russland ausgegangen. Was in aller Welt — so fragt 
man doch — haben denn die Sarazenen mit Russland zu thun? 
Der sarazenische Ansturm ging doch aus von Süden und Westen, 
von Afrika und Sieilien, nicht vom Norden, von Russland, und 
in den französischen Chansons de geste wird bekanntlich auch 
stets Afrika als die eigentliche Heimat der Sarazenen betrachtet. 
Dass hier als solche Russland erscheint, ist gewiss sehr auffällig. 

Und noch eine andere Stelle muss unseren Anstoss erregen. 
Als der Papst im sarazenischen Lager erscheint und König 
Galafre auffordert, das Land zu verlassen, da giebt ihm dieser 
zur Antwort: „Du bist nicht recht klug. Hier bin ich gekommen 
in mein rechtes Erbe, das mein Ahn und mein Vorfahr gründeten 
und Romulus und Julius Caesar, der diese Mauern und diese 
Brücken und diese Schanzen baute“: 


V.462 ... „Tu mies mie bien sages; 
Ci sur venuz en mon dreit eritage, 
Que estora mes ancestre et mes aves, 
Et Romulus et Julius Cesaires, 
Qui fist cez murs et cez ponz et cez barres.“ 


Man fragt sich wiederum erstaunt, wie der Dichter dazu 
kommt, den Fürsten der Sarazenen Romulus und Julius Caesar 
als seine Vorfahren bezeichnen zu lassen. Denn so muss die 
Stelle doch verstanden werden, dass Galafre auch sie zu seinen 
Vorfahren rechnet; anderenfalls hätte ihre Erwähnung ja hier, 
wo es sich um Begründung seiner Erbansprüche handelt, keinen 
Sinn. Dass aber nicht die Sarazenen Rom gegründet haben und 
dass Caesar ein römischer Kaiser war, das war doch auch dem 
unwissendsten Spielmann des Mittelalters bekannt. 

Ich glaube nun, der Anstoss ist in beiden Fällen zu 
beseitigen durch die Annahme, dass eine Verwechselung der 
Sarazenen mit den Griechen, den Byzantinern vorHegt, welche 
letzteren ja nach dem sicilischen Feldzuge die eigentlichen Feinde 
der Normannen waren: unmittelbar an jene Heerfahrt gegen die 
Sarazenen schliesst sich die normannische Schilderhebung gegen 
die griechische Herrschaft in Unteritalien und Wilhelm selbst 
hat, wie wir sahen, in mehreren Schlachten gegen die Griechen 
gekämpft, in eine derselben, die von Montepeloso, nach Gaufredus 
Malaterra und dem Anonymus Vaticanus ausschlaggebend ein- 
gegriffen, Die Griechen kamen in der That „aus der Gegend 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE Louis. 221 


von Russland her“, ja nicht nur dies, sie kamen zum grossen 
Teile direkt aus Russland, insofern nämlich die russischen Hilfs- 
truppen, in erster Linie die berühmten russischen Waräger, ein 
beträchtliches Kontingent im griechischen Heere bildeten. Die 
„Russen“ werden in den Chroniken der Zeit sehr häufig unter 
den griechischen Truppen ausdrücklich erwähnt; so bei Leo 
Ostiensis, Chron. Mon. Cas. II, 37!) anlässlich des von den Nor- 
mannen unterstützten Aufstandes des Melus: „[Graeei] Apuliam 
sibi Calabriamque sociatis in auxilium suum Danis, Russis, et 
Gualanis vendicaverant“; desgleichen in den Annalen von Bari?) 
ad a. 1041 gelegentlich der Schlacht von Oliveto: „ceciderunt ibi 
multi Russi et Obseqwiani“, und ebenda bei Erwähnung der 
Schlacht von Cannae im Jahre 1018: „ubi perierunt plurimi 
Natulichi [= Anatolici] et Obsequiani, Russi, Trachiei |= Thraces], 
Calabriei, Longobardi, Capitanates“; ja, Ademar von Chabannais 
bezeichnet anlässlich des letztgenannten Treffens das griechische 
Heer geradezu als das der „Russen“, Fist. III, e. 55%): „Quarto 
congressi |sc. Normanni| cum gente Russorum vieti et prostrati 
sunt ...*“ .Eine von den Griechen drohende Gefahr konnte 
deshalb sehr wohl aufgefasst werden als eine solche, die „von 
Russland“ käme. 

Und was dann jenen zweiten Punkt betrifft, so betrachteten 
die Griechen sich bekanntlich in der That als die Erben des 
alten römischen Weltreiches, die griechischen Kaiser sich als die 
rechtmässigen Nachfolger der römischen. Einem Anführer der 
Griechen konnte somit vom Dichter sehr wohl die Behauptung 
in den Mund gelegt werden, Rom sei von seinen „Vorfahren“ 
Romulus und Julius Caesar erbaut worden. 

Die Annahme einer an beiden Stellen vorliegenden Ver- 
wechselung von Sarazenen und Griechen findet nun offenbar 
eine höchst erfreuliche Stütze durch den von Cloötta in seiner 
mehrfach citierten Abhandlung „Die der Synagon-Episode de 
Moniage Guillaume II zu Grunde liegenden historischen Er- 
eignisse“ erbrachten Nachweis, dass der ursprüngliche Held dieser 
Episode eben Wilhelm von Hauteville ist; denn dieser Nachweis 
stützt sich u.a. auf die Identifizierung einer in der Synagon - 


1) Pertz, SS. VL, 652. 
2) Pertz, SS. V, 54. 
8) Pertz, SS. IV, 140. 


222 R. ZENKER, 


Episode geschilderten Schlacht zwischen Franzosen und Sara- 
zenen mit der oben erwähnten Schlacht von Montepeloso, in 
der die Normannen die Griechen aufs Haupt schlugen; es ist 
also hier die gleiche Verwechselung von Sarazenen und Griechen 
vollzogen, die ich für unsere Branche statuieren zu müssen glaube. 
Cloötta weist, um sie zu erklären, auch darauf hin, dass seit 
dem ‚Jahre 1054 die Griechen in den Augen der Abendländer 
erklärte Schismatiker, Ketzer waren, dass sie, ähnlich wie die 
Sarazenen, als Falschgläubige, als Gegner des rechtgläubigen, 
römisch-katholischen Christentums galten. Es mag sein, dass 
dieser Faktor mitgewirkt hat, doch bedürfen wir seiner, glaube 
ich, nicht; der Umstand, dass beide, Sarazenen sowohl als Griechen, 
(segner der Normannen waren, genügte, um ihre Verwechselung 
in der normannischen Tradition herbeizuführen, wie denn Cloetta 
selbst bemerkt: „bei diesen so Schlag auf Schlag aufeinander 
folgenden Freignissen war überhaupt eine strenge Scheidung 
zwischen den einander beständig ablösenden Gegnern der Nor- 
mannen einem volkstümlichen Sänger unmöglich “.!) 

Ist also die hier gegebene Erklärung der beiden fraglichen 
Stellen richtig, hat wirklich eine Verwechselung der Sarazenen 
mit den Griechen stattgefunden, dann haben wir in dieser That- 
sache offenbar einen weiteren Grund für die Annahme, dass 
unsere Branche die Thaten Wilhelms und seiner Normannen 
wiederspiegelt. Denn eine derartige Verwechselung war eben 
nur im 11. Jahrhundert möglich, nicht aber im 9. zur Zeit der 
Sarazenenkriege Ludwigs II., da bei diesen, wie wir 8.191 sahen, 
die Griechen die Verbündeten der Franken waren, eine That- 
sache, die nach Ausweis des Loher und Maller auch die epische 
Tradition festhielt. 


Dies wären die Momente, welche mir dafür zu sprechen 
scheinen, dass wir den eigentlichen historischen Kern unserer 
Branche in dem ersten Auftreten der Normannen in Unter- 
italien und den Thaten Wilhelms Fierabras, ältesten Sohnes des 


!) Ich darf mir wohl erlauben, hier ausdrücklich zu bemerken, dass 
die oben gegebene Erklärung jener beiden auf den ersten Blick befremdlich 
scheinenden Stellen unserer Branche niedergeschrieben war, bevor ich davon 
Kenntnis erhielt, dass Cloötta sich gleichfalls zu’ der Annahme einer von der 
Sage oder Dichtung vollzogenen Verwöächselung von Sarazenen und Griechen 
genötigt gesehen hatte. Ich erblicke in diesem Zusammentreffen also allerdings 
eine Stütze für die Richtigkeit meiner obigen Vermutung. 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LoUIs. 223 


Tancred von Hauteville, späteren Grafen von Apulien, und seiner 
Genossen zu erblicken haben. Sind die beigebrachten Gründe 
auch, wie ich zugebe, von sehr verschiedenem Wert, so dürften 
sie in ihrerGesamtheit doch ausreichen, um die Thatsache ausser 
Zweifel zu setzen. 


Ich denke mir danach nun die Entwicklung unserer Branche 
etwa folgendermassen: 


Wilhelm, der anfangs der dreissiger Jahre mit seinem 
Bruder Drogo in Unteritalien eingetroffen war, hatte sich bald 
zu einer gewissen dominierenden Stellung unter seinen Lands- 
leuten aufgeschwungen, so dass Waimar von Salerno, wie Amatus 
berichtet (vgl. S. 205, Anm. 4), ihn zum Anführer jenes Normannen- 
trupps ernennen konnte, der die Expedition des Maniakes nach 
_Sieilien begleitete. In den nun folgenden Kämpfen mit den Sara- 
zenen wurde er vermöge seiner Körperkraft und seiner helden- 
mütigen Tapferkeit rasch ein Gegenstand der Bewunderung bei 
Freund und Feind. Vor allem erregte gewaltiges Aufsehen sein 
Zweikampf mit dem sarazenischen Befehlshaber von Syrakus, den 
er durch einen Lanzenstoss tötete, was allgemeine Flucht der Sara- 
zenen zur Folge hatte. Kurz darauf errang er bei Troina an 
der Spitze seiner Normannen, bevor die Griechen in den Kampf 
eingreifen konnten, abermals einen glänzenden Sieg über die 
Ungläubigen. 

Diese Ereignisse bewirkten den Eintritt Wilhelms in die 
Reihe der epischen Helden; sie prägten sich tief der Phantasie 
seiner Stammesgenossen ein und lebten zunächst in der Tradition 
fort. Bald wurden mit ihnen Vorgänge in Beziehung gesetzt, an 
denen Wilhelm in Wirklichkeit nieht beteiligt gewesen war. In 
dem der Unternehmung des Maniakes unmittelbar voraufgehenden 
verunglückten Feldzuge des Konstantinos Opos gegen die Sara- 
zenen Siciliens hatte ein Emir Apolafar, der 18 Jahre lang der 
Beherrscher Siciliens gewesen, eine hervorragende Rolle gespielt: 
er hatte mit den Griechen ein Bündnis geschlossen und war 
dann vor seinen eigenen Glaubensgenossen zu diesen enttlohen 
— eben damals waren eine Menge christlicher Gefangener, 
15000 schätzte man, aus der sarazenischen Gefangenschaft be- 
freit worden. Bald bildete sich die Tradition, Apolafar sei 
vielmehr von den Griechen gefangen genommen worden, er habe 
die Taufe empfangen und er sei es gewesen, der durch eine List 


224 R. ZENKER, 


die Losgabe jener Gefangenen bewerkstelligt habe. Später nun 
vermengte die Sage den Feldzug des Konstantin mit dem des 
Maniakes und erzählte, Wilhelm selbst sei es gewesen, der den 
Apolafar in siegreichem Zweikampfe gefangen genommen — was 
dann zur weiteren Folge hatte, dass nun Apolafar zum Anführer 
des sarazenischen Heeres gestempelt wurde, dem Wilhelm gegen- 
übergestanden. 

Diese Sage nun gelangte infolge des regen Verkehres, der 
in der zweiten Hälfte des 11. Jh. Unteritalien mit der Normandie 
verknüpfte, nach Frankreich.!) Hier stand damals der Helden- 
sang in seiner vollen Blüte. Auf allen Burgen und Schlössern, 
auf allen Strassen und Plätzen ertönten die Lieder von Roland 
und Olivier, von Kaiser Karl und Kaiser Ludwig und von 
den gewaltigen Kämpfen, die sie einst gegen die Sarazenen 
sollten ausgefochten haben. Und nun vernahm man die Kunde 
von Wilhelm Fierebrace, der in jüngst vergangener Zeit ähn- 
liche Thaten im fernen Süden, in Sicilien, sollte vollbracht 
haben. Es konnte nicht ausbleiben, dass die Dichtung sich 
alsbald seiner Person bemächtigte, musste doch neuer Stoff den 
Spielleuten jederzeit willkommen sein. Aber was wusste das 
französische Publikum — vorausgesetzt, dass diese Namen sich 
überhaupt so lange in der Sage erhalten hatten — von 
Messina, von Syrakus und Troina, von Montepeloso, den Stätten, 
von denen Wilhelms Ruhm ausgegangen war! Dagegen kannte 
jedermann Rom, die Residenz des Papstes, so mancher aus 
eigener Anschauung. So verlegte man denn den Schauplatz der 
Sarazenenkämpfe Wilhelms in die Gegend von Rom. Befördert 
mochte dieses „Transferi“ werden durch den Umstand, dass alte 
Lieder existierten, welche von Kämpfen Kaiser Karls oder Kaiser 
Ludwigs gegen die Ungläubigen eben in Italien erzählten und 
dass auch in diesen der Schauplatz die Gegend von Rom war 
(vgl. oben den Loher und Maller, S. 186). Das Hauptinteresse 
konzentrierte sich natürlich auf jenen siegreichen Zweikampf, 
den Wilhelm mit einem sarazenischen Fürsten — Corsolt nannte 
ihn die Tradition — bestanden hatte; dieser wurde nun ins 


') Dass Wilhelms Ruhm auch nach der Normandie drang, sagt ausdrück- 
lich der Anonymus Vaticanus, a. a. 0. 8.751: „Oujus |sc. Guwilielmi Comitis] 
gloriosissima fama jam fere per totius Mundi terminos elucescens, transmon- 
tanas partes, et praecipuwe Normanniam, referendo de suis suecessibus 
laetificaverat“. 


- 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUISs. 225 


einzelne ausgemalt. Es schloss sich daran die Schilderung eines 
auf jenen Zweikampf folgenden allgemeinen Kampfes mit den 
Sarazenen und die Gefangennahme Galafres. 

Wann aber, unter welchen Umständen, so fragte man sich, 
war Wilhelm nach Italien gekommen? Jedenfalls, mutmasste 
man, als einer jener 40 Pilger, von denen die Ueberlieferung 
berichtete, dass sie zuerst dahin ausgewandert seien und dass 
sie sich zunächst nach Rom gewendet hätten zum Papst, um 
von ihm den Segen zu erbitten (vgl. den oben S. 212 eitierten Be- 
richt des Leo Ostiensis sowie die Berichte Ademars und Radulf 
Glabers S. 213). Gewiss hatte er — so lag es nalıe, weiter zu 
folgern — dort die Kunde von dem Einfall der Sarazenen er- 
halten und war ihnen dann auf ausdrückliche Bitten des Papstes 
selbst entgegengetreten. 

Und damit war die Darstellung unserer Branche in ihren 
Hauptzügen gegeben. 

Nun hatte sich weiter die Erinnerung erhalten, dass Wilhelm 
sich mit dem Fürsten von Salerno, Waimar, durch Heirat ver- 
bunden hatte; in Wirklichkeit hatte er sich, wie wir sahen (S. 206) 
mit Waimars Nichte vermählt, die Sage aber hatte aus der 
Nichte eine Tochter gemacht, was um so leichter eintreten 
konnte, als Wilhems Bruder und Nachfolger in der That Waimars 
Tochter geheiratet hatte. Aus einem’ epischen ILiede kannte 
man nun einen Fürsten von Salerno Namens Waifar, fr. Guaifier, 
der darin von den Sarazenen belagert wurde. Eine gewisse 
inhaltliche Verwandtschaft dieses Liedes mit den Traditionen über 
Wilhelm bewirkte, dass jenes die letzteren beeinflusste; so identi- 
ficierte man Waimar von Salerno mit Waifar von Salerno, der 
nun also Wilhelms Schwiegervater wurde. ‚Jenes epische Lied, 
in dem Guaifier auftrat, berichtete, wie gesagt, von seiner Be- 
lagerung durch die Sarazenen sowie von seiner Befreiung durch ein 
französisches Heer unter König Ludwig. Indem nun der Dichter 
des Wilhelmsliedes Guaifier in dieses einführte, machte er ihn 
aus einem mit knapper Not der Gefangenschaft der Sarazenen 
entronnenen Belagerten zu einem wirklich in sarazenische Ge- 
fangenschaft Geratenen und versetzte ihn unter jene 30000 
christlichen Gefangenen, die nach Wilhelms Sieg über Corsolt 
durch Galafre aus den Händen der Ungläubigen befreit wurden. 
Die Dankbarkeit für seine Errettung wurde nun der Grund, der 
Guaifier bestimmte, Wilhelm seine Tochter zur Frau zu geben. 

Festgabe für Gustav Grüber, 15 


226 R. ZENKER, 


Die Dichtung schloss natürlich ursprünglich durchaus angemessen 
mit der wirklich vollzogenen Vermählung Wilhelms und der 
Tochter Guaifiers. Wenn in unserer Branche die Heirat unter- 
bleibt, so ist dies offenbar einfach eine Folge der Einreihung 
des ursprünglich selbständigen Liedes in den grossen Cyklus von 
Wilhelm von Orange, welche eine Abänderung des Schlusses 
notwendig machte. Wilhelm von Orange hat nämlich bereits 
eine Frau, Orable, der Compilator konnte ihn deshalb unmöglich 
in Italien zum zweiten Male heiraten lassen. So gab er denn 
dem Schlusse des Liedes die uns vorliegende Fassung, wonach 
die Vermählung, die eben vollzogen werden soll, unterbrochen 
wird durch zwei Boten aus Frankreich, die Wilhelm die Kunde 
bringen von Kaiser Karls Tode und seinen Beistand anrufen 
gegen die Empörer, die Ludwig des Thrones berauben wollen: 
Wilhelm leistet der Aufforderung Folge, kehrt unverzüglich nach 
Frankreich zurück und aus der geplanten Heirat wird nichts. 
Der naheliegenden Frage aber, wie denn Wilhelm, der Gatte 
Orables, überhaupt daran habe denken können, eine zweite Frau 
zu nehmen, glaubte der Redaktor begegnen zu sollen durch die 
Bemerkung: 


V.1433 Trestot aveit entrobliee Orable 


„er hatte Orable rein vergessen“, — gewiss ein Einfall, der auf 
das Prädikat „geistreich“ gerade keinen Anspruch erheben kann. 


Dies wäre also ein Versuch, die Entstehung unserer Branche 
auf Grund der in ihr nachweisbaren oder doch möglicherweise 
in ihr enthaltenen historischen Thatsachen zu erklären; ich sage 
ausdrücklich: ein Versuch, denn nur als einen solchen möchte 
ich die vorausgehenden Darlegungen betrachtet wissen. Es liegt 
mir fern, behaupten zu wollen, dass die Entwicklung der Sage, 
der Krystallisationsprozess der einzelnen geschichtlichen Elemente, 
sich wirklich in der angegebenen Weise vollzogen habe; es mag 
sein, dass der Vorgang in vielen Punkten ein ganz anderer war. 
Nur darauf kam es mir an, zu zeigen, dass sich unter Berück- 
sichtigung der die Umbildung der Geschichte zur Sage in der 
Regel bestimmenden Faktoren die Entstehung unserer Branche 
auf Grund jener, m. E. in ihr sich widerspiegelnden historischen 
Ereignisse vollkommen verständlich machen lässt. 

Mag es sich nun also mit der allmählichen Gestaltung der 
Sage verhalten wie ihm wolle, als gesichertes Ergebnis meiner 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUIS. 227 


Ausführungen glaube ich bezeichnen zu dürfen den Nachweis, 
dass nicht, wie man bisher annahm, die Belagerung Salernos in 
den Jahren 871—72, sondern, wie schon Paulin Paris richtig 
erkannte, die Thaten Wilhelms Fierabras, des ältesten Sohnes 
Tancreds von Hauteville, den eigentlichen historischen Hinter- 
grund der zweiten Branche des Couronnement bilden; die einzige 
in der Branche vorhandene Erinnerung an jene Belagerung 
Salernos dürfte zu erblicken sein in der Gestalt Guaifiers „von 
Spoleto“, der vermutlich aus einem die fragliche Belagerung be- 
handelnden Liede, welches infolge inhaltlicher Verwandtschaft 
mit der Wilhelmstradition oder dem Wilhelmsliede letztere beein- 
flusste, herübergenommen wurde, sowie in dem Motiv seiner 
Befreiung aus sarazenischer Gefangenschaft durch ein siegreiches 
christliches Heer; möglich, dass ausserdem der Zug, wonach der 
Papst selbst dem Kampfe zusieht, aus dem Guaifier-Liede stammt, 
da ein gleiches von ihm berichtet wird in jenem, im Loher und 
Maller analysierten Epos, welches auf den nämlichen Ereignissen 
beruht wie das hypothetische Guaifier-Lied. 

Somit ist also Wilhelm von Hauteville auch auf Grund 
der zweiten Branche des Couronnement — wie, nach Üloöttas 
Ausführungen in seiner mehrfach citierten Abhandlung, auf 
Grund der Synagon-Episode — den zahlreichen geschichtlichen 
Vorbildern des Wilhelm von Orange anzureihen und das der 
Branche zu Grunde liegende Lied ist aller Wahrscheinlichkeit 
nach entstanden in der Normandie in der zweiten Hälfte des 
11. Jahrhunderts. 

Dieses Resultat steht nun aber freilich im direkten Wider- 
spruch mit einer Behauptung von Gaston Paris in seiner Kritik 
der Cloöttaschen Abhandlung, Romania 24, 457, wonach im 
11. Jahrhundert epische Lieder auf geschichtlicher Basis über- 
haupt nicht mehr entstanden wären: „Au XI° siecle, Täge de la 
transformation de lhistoire en epopde etait passe (les Croisades 
n’ont pas donned une vraie Öpopee) ...* Bei aller Achtung vor 
der Autorität dieses ausgezeichneten Gelehrten und gründlichsten 
Kenners der epischen Poesie Frankreichs glaube ich doch, dass 
es schwer sein dürfte, entscheidende Gründe für die aufgestellte 
These beizubringen. Was den Hinweis auf die Kreuzzüge 
betrifft, so geht die Thatsache, dass diese eine eigentliche 
Epopöe nicht hervorgebracht haben, doch mehr das 12. als das 
11. Jahrhundert an. In wnserem Falle liegen die in Betracht 


15* 


228 R. ZENKER, 


kommenden Ereignisse (1038—45) dem ersten Kreuzzuge um ca.60, 
dem zweiten aber um mehr denn 100 Jahre voraus, — Zeiträume, 
die doch für die hier zur Discussion stehende Frage wohl be- 
rücksichtigt werden müssen. Und dass zu einer Zeit, wo das 
Rolandslied sowohl als Isembard und Gormund erst die uns vor- 
liegende Gestalt erhielten, wo in diese Lieder noch Personen 
aus verhältnismässig naher Vergangenheit wie Richard I. von der 
Normandie (7996) und Odo II. von Champagne (7 1037) eingeführt 
und ganze Tiraden auf sie gedichtet wurden, dass zu dieser Zeit, 
die noch völlig in der Atmosphäre des Heldensanges lebte und 
webte, unter dem Eindrucke gewaltiger historischer Ereignisse 
und überragender Persönlichkeiten nicht auch neue epische 
Lieder gelegentlich sollten haben entstehen können, das dünkt 
mich a priori wenig wahrscheinlich. 

Indess — wozu eine Frage erst des langen und breiten 
erörtern, die eben durch die Existenz unserer Branche thatsäch- 
lich bereits entschieden ist? Unsere Branche selbst, so behaupte 
ich, legt vollgültiges Zeugnis dafür ab, dass, wenigstens bei den 
Normannen, auch im 11. Jahrhundert noch epische Lieder auf 
geschichtlicher Grundlage entstehen konnten. 

Danach ist denn die zweite Branche unter den vieren, aus 
denen sich das Couronnement de Lowis zusammensetzt, aller 
Wahrscheinlichkeit nach die jüngste, insofern nämlich die andern 
Branchen alle in geschichtlichen Ereignissen einer viel früheren 
Zeit wurzeln (vgl. die S. 175 citierten Abhandlungen von Willems 
und Jeanroy). Dieses Ergebnis findet nun, was die dritte Branche 
anlangt, eine sehr erfreuliche Bestätigung durch ein aus dem 
Studium der Assonanzen entnommenes sprachliches Moment, auf 
das schon Langlois, Introd. S.CXLV und CLVIII und nach ihm 
Willems, a.a.0.S. 82 hingewiesen haben, freilich, ohne ihm die 
richtige Deutung zu Teil werden zu lassen. Es handelt sich um 
einen zwischen Branche II und III (Richard von der‘ Normandie) 
hervortretenden Unterschied in der Behandlung von o + Nasal 
und reinem o. Während nämlich in der letztgenannten Branche 
nach Ausweis von Tirade XLIII und LII beide Laute mit ein- 
ander assonieren, werden sie in Branche II streng auseinander 
gehalten: Tirade XXVI hat in 108 Versen ausschliesslich Asso- 
nanzen auf o-+ Nasal. (Wie Branche I und IV sich in diesem 
Punkte verhalten, wissen wir nicht, da beide o-Assonanzen über- 
haupt nicht aufweisen). Die Erklärung nun, welche Langlois 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUIS. 229 


für die Erscheinung giebt, ist in hohem Grade künstlich und 
unwahrscheinlich. Er wirft nämlich die Frage auf, ob die 
verschiedene Behandlung der beiden Laute dadurch zu erklären 
sei, dass der Dichter des Couronnement, zu einer Zeit lebend, 
wo die Nasalierung von o eben zum Durchbruch kam, sich 
anfangs (in Branche II) noch eine grössere Strenge in der 
Behandlung der Assonanzen zur Pflicht gemacht habe, auf die 
er dann später (in Branche III) Verzicht leistete, — oder ob 
wir den Grund jener Erscheinung darin zu erblicken haben, 
dass uns in den einzelnen Branchen des Couronnement ver- 
schiedene, ursprünglich selbständige Gedichte vorliegen, die erst 
später zu einem Ganzen vereinigt wurden. Langlois meint, beide 
Erklärungen seien „egalement plausibles“. Trotzdem entscheidet 
er‘'sich nun für die erste Möglichkeit, aber rein willkürlich, ohne 
irgend einen Grund für seine Entscheidung geltend zu machen. 
Denn wenn er bemerkt, im zweiten Falle müssten jene Gedichte 


nicht nur zu verschiedener Zeit entstanden, sondern — aus 
einem nachher zu erörternden Grunde — auch in verschiedenen 


Dialekten abgefasst gewesen sein, so wird man doch, falls Langlois 
hierin ein Bedenken gegen jene zweite Möglichkeit erblicken 
sollte, sofort antworten: „Und warum sollten sie denn nicht in 
verschiedenen Dialekten abgefasst gewesen sein?“ Die andere 
Möglichkeit nun, der Langlois den Vorzug giebt, muss offenbar als 
eine recht künstliche bezeichnet werden. Ist es, frage ich, wohl 
glaublich, dass ein Dichter, für den o-+ Nasal und reines o sich 
klanglich noch so nahe standen, dass er beide in zwei Tiraden 
von zusammen 80 Versen noch unbedenklich im Reime band, 
sich in einer Tirade von vollen 108 Versen die unnütze und 
lästige Fessel angelegt haben sollte, beide Laute auseinander zu 
halten, ausschliesslich Assonanzen mit o + Nasal zu verwenden, 
während sich ihm Reime mit reinem o zahlreich darbieten 
mussten? Ich glaube, es giebt nichts unwahrscheinlicheres als 
diese Annahme. Deshalb werden wir uns vielmehr für jene zweite 
Möglichkeit entscheiden, wonach die in Rede stehende Discrepanz 
dadurch ihre natürliche Erklärung findet, dass Branche II ur- 
sprünglich ein selbständiges Lied war und von einem anderen 
Dichter herrührt als Branche II. Für diese Annahme spricht 
auch der Umstand, dass Branche II noch bezüglich eines weiteren 
Punktes in der Behandlung der Assonanzen von anderen Branchen 
des Couronnement (von Branche I und IV) abweicht, nämlich 


230 R. ZENKER, 


bezüglich der Bindung von en und an. Denn dass gerade in 
dieser Branche solche sprachliche Besonderheiten hervortreten, 
kann doch kaum als Zufall betrachtet werden, sondern weist 
entschieden darauf hin, dass die Branche eben von einem anderen 
Verfasser herrührt als diejenigen Branchen, welche entsprechende 
Lauterscheinungen nicht zeigen. 

Eine andere Erklärung der in Rede stehenden Erscheinung 
als Langlois giebt Willems a. a. 0. Er meint, Branche II könne 
nicht später verfasst sein als Branche III, da sie auf älterer 
historischer Basis beruhe als letztere (auf der Belagerung Salernos 
871—72). Da nun die Scheidung der beiden fraglichen Laute in 
der Assonanz das jüngere sei, so müsse Tirade XXVI entweder 
interpoliert sein, „cette laisse n’apportant rien de nouwveau au 
poeme“, oder sie sei später einer Ueberarbeitung unterzogen 
worden, von der jene beiden anderen Tiraden verschont blieben. 
Dass Tirade XXVI „nichts neues bringe“, ist eine mehr als 
kühne Behauptung, wenn man bedenkt, dass eben sie jene Scene 
enthält, in der Wilhelm seine Nasenspitze einbüsst und sich 
den Beinamen des „Marquis au court nez“ erwirbt: die Tirade 
muss vielmehr als unentbehrlich bezeichnet werden; und die 
Annahme einer Ueberarbeitung, die sich auf Tirade XXVI be- 
schränkt hätte, ist offenbar ebenso künstlich wie die oben be- 
sprochene Theorie Langlois. Es liegt nun aber auch gar kein 
Grund vor, Interpolation oder Ueberarbeitung der fraglichen 
Tirade anzunehmen, da, wie in dieser Abhandlung gezeigt wurde, 
die eigentliche geschichtliche Grundlage von Branche II eben 
nicht, wie Willems glaubt, älter, sondern viel jünger ist als die 
von Branche III, es also auch ganz natürlich erscheint, dass sie 
jüngere Lautentwickelung aufweist als die letztere. 

Also, ich bin der Ansicht, dass die Scheidung von o + Nasal 
und reinem o in Branche II gegenüber ihrer Vermengung in 
Branche III sich erklärt durch Verschiedenheit der Verfasser der 
beiden, ursprünglich selbständige Lieder darstellenden Branchen. 
ist dem so, dann folgt aus dieser Thatsache, dass Branche II 
jünger ist als Branche III, da, wie schon bemerkt, die 
Trennung jener Laute in der Assonanz einer späteren Stufe 
der Sprachentwickelung angehört als ihre Gleichstellung. 

Ein gleichfalls aus der Beobachtung der Assonanzen ge- 
schöpftes sprachliches Moment bestätigt nun des weiteren auch 
unsere ausschliesslich auf inhaltliche Gründe basierte Vermutung, 


DIE ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LotvIss. 231 


dass der Verfasser von Branche II in der Normandie zu Hause 
war. Wie nämlich Langlois, Introd. S. CXLIV ff., gezeigt hat, 
scheidet diese Branche nach dem Zeugnis von Tirade XXIII 
zwischen en und an im Reime, was Branche I (Tirade T) und 
Branche IV (Tirade LIX und LXII) nicht thun (Branche III 
enthält keine en- oder an-Tirade). Langlois will nun diese ab- 
weichende Behandlung von en und an ebenso wie das oben be- 
sprochene Phänomen erklären durch die Annahme, der Dichter 
des Couronnement habe zu einer Zeit gelebt, wo en und an erst 
auf dem Wege waren, zusammenzufallen, und er habe anfangs 
exakter, dann lässiger gereimt. Hiergegen ist nun offenbar das 
gleiche Bedenken geltend zu machen wie oben gegen Langlois’ 
Erklärung der on-Tirade, und überdies scheitert im vorliegenden 
Falle seine Vermutung, der Dichter habe erst strenger gereimt 
und später sich mehr Freiheit gestattet, sofort an Tirade I, 
welche ja en und an schon bindet. L. bemerkt nun allerdings 
bezüglich dieser Tirade: „la distinction entre les deux sons parait 
cependant probable“, aber das ist eine ganz willkürliche, durch 
nichts begründete Behauptung, denn neben acht Assonanzen auf 
an erscheint in der Tirade eben auch eine auf -en: gent, und 
da diese in allen Handschriften steht, so ist an ihrer Echtheit 
nicht zu zweifeln: die Tirade scheidet also die beiden Laute 
thatsächlich nicht. 

Willems vertritt auch hier wieder eine abweichende An- 
schauung, nämlich die, das ganze Couronnement, von dem er die 
erste Branche (also auch Tirade I) als später hinzugedichtet 
abtrennt, habe ursprünglich en und an geschieden. Seine Gründe 
für diese Behauptung sind jedoch völlig unzureichend. Denn wenn 
er bezüglich Tirade LXII, welche beide Laute mischt, darauf 
hinweist, dass Hs. C diese Tirade nicht enthalte, dafür aber 
eine andere, in AB fehlende, LXIII in €, welche ausschliesslich 
Reime auf -en biete, so müsste nun doch erst bewiesen oder 
wahrscheinlich gemacht werden, dass Ü gegenüber AB die ur- 
sprünglichere Fassung biete, — was aber nicht geschieht; und 
wenn. W. hinsichtlich Tirade LIX, die gleichfalls en und an 
nicht trennt, erklärt, die Tirade sei eben später überarbeitet 
worden, so müsste doch auch für diese Aufstellung irgend 
ein Grund beigebracht werden, — was wiederum nicht ge- 
schieht. Die fragliche These Willems’ schwebt somit gänzlich 
in der Lutft, 


232  R. ZENKER, ZWEITE BRANCHE DES COURONNEMENT DE LOUIS. 


Wir werden denn also auch in diesem Falle, im Gegensatze 
zu Langlois und Willems, die abweichende Entwickelung von 
e-+ Nasal in Branche II gegenüber Branche I und IV erklären 
durch die Annahme, dass erstere ehedem ein selbständiges Lied 
darstellte und von einem anderen Dichter herrührt als die beiden 
letzteren Branchen. Nun ist bekanntlich die Scheidung von en 
und an, welche in Branche II vorliegt, eine Eigentümlichkeit 
des normannischen und des pikardischen Dialektes, wohingegen 
im Franzischen schon früh Zusammenfall der beiden Laute ein- 
trat. Wir werden deshalb, nachdem wir rein aus inneren Gründen 
zu dem Schlusse gedrängt wurden, Branche II sei. vermutlich 
in der Normandie zu Hause, in der Thatsache, dass die sprach- 
liche Form der Branche einen der charakteristischen Züge des 
normannischen Dialektes aufweist, eine willkommene Bestätigung 
jenes mit ganz anderen Mitteln gewonnenen Ergebnisses erblicken 
dürfen. 

Ich fasse nun zum Schluss die Resultate der vorliegenden 
Untersuchung nochmals kurz in folgenden Sätzen zusammen: 

Die zweite Branche des Couronnement de Louis spiegelt 
wider das erste Auftreten der Normannen in Unteritalien im 
Jahre 1016 und die Thaten Wilhelms Fierabras, der 1045 als 
Graf von Apulien starb; daneben haben sich in ihr Reminiszenzen 
an die Belagerung Salernos durch die Sarazenen in den Jahren 
871—72 erhalten. Sie bildete ursprünglich ein selbständiges 
episches Lied, das vermutlich in der Normandie in der zweiten 
Hälfte des 11. Jahrhunderts entstand und später in den Wilhelms- 
cyklus eingereiht wurde infolge von Identificierung des Helden 
mit Wilhelm von Orange. Die Branche ist im Hinblick auf 
ihre historischen Grundlagen vermutlich die jüngste unter den 
Branchen, aus denen sich das Couronnement zusammensetzt, und 
gestattet nicht, das Vorhandensein dieses Epos in der uns vor- 
liegenden Fassung höher hinaufzurücken als etwa in den Anfang 
des 12, Jahrhunderts. 


Rostock. R. ZENKER, 


Zur Lehre der Tempora und Modi im Französischen. 


In dem 1883 erschienenen ersten Bande des Grundrisses der 
romanischen Philologie hat Prof. Gröber') in gedrängter Form 
die Gesichtspunkte angegeben, nach denen die französische Syntax 
zu bearbeiten sei. Seine Ausführungen, die durchaus neue, noch 
unbetretene Wege weisen, haben mich dazu angeregt, in der 
dort vorgezeichneten Richtung weiter zu forschen. Wenn die 
folgenden Erörterungen einigermassen zur Klärung beizutragen 
vermögen, so ist dies nicht zum wenigsten der Förderung zu 
verdanken, die ich im Gedankenaustausch mit Prof. Gröber in 
der zuvorkommendsten Weise empfangen habe. 

Bisher sind noch nicht viele Versuche gemacht worden, in 
der bezeichneten Richtung vorzugehen. In einigen seitdem ver- 
öffentlichten Grammatiken sind wohl Ansätze dazu zu finden. 
Dagegen ist eine Monographie erschienen, die die Frage der 
Stellung des attributiven Adjektivs nach den Aufstellungen 
Gröbers fürs Neufranzösische und Altfranzösische mit Heran- 
ziehung des Lateinischen behandelt.?2) Auch einzelne der in der 
Zeitschr. für roman. Philologie abgedruckten Aufsätze Kalepkys 
über Modus- und Tempuslehre bewegen sich in dieser Richtung. 


1) Vgl. 8. 213 ff., sowie 8. 225, 237. 

2) Cron, Die Stellung des attributiven Adjektivs im Altfranzösischen 
(Strassburger Dissertation). Strassburg 1891. — Vgl. dazu des Verfassers 
Aufsatz „Zur Adjektivstellung‘‘ in Zeitschrift für franz. Sprache u. Litteratur 
Bd. XVI!, S.102ff. — Die absprechende Kritik der Uronschen Arbeit von Sven 
Berg in seinem Aufsatze „Bidrag till frägan om det attributiva adjektivets 
plats i modern franska“ (In Frän filologiska föüreningen i Lund. Spräkliga 
Uppsatser. Lund 1897, S. 105 ff.) ist hinfällig, da sich herausstellt, dass Sven 
Berg weder Gröbers Aufstellungen noch Crons Ausführungen richtig ver- 
standen hat. Vgl. dazu des Verfassers Besprechung dieses Aufsatzes in oben 
genannter Zeitschrift Bd. XX?®, 5, 193 ff, 


I) 
=) 


C. THIS, 


„Zuviel Unterscheidungen verraten, dass das Wesen der 
Sache nicht erfasst ist.“ Diese im Grundriss von Gröber aus- 
gesprochenen Worte deuten den Fehler an, an dem unsere bis- 
herigen Grammatiken hauptsächlich kranken. Scheinbar Aehn- 
liches denken auch diejenigen, die gegen zu vieles Grammatisieren 
ihre Stimme erheben, indem sie sagen, man müsse die Grammatik 
auf das Notwendigste beschränken. Das ist m. E. ein Sprung ins 
Unbestimmte. Woran liegt es, dass so viele Unterscheidungen 
gemacht werden? Die Antwort auf diese Frage ist von keinem 
von denen, die über allzuviel Grammatiktreiben sich beklagen, ge- 
geben worden, ja, wie mir scheint, nicht einmal versucht worden. 
Sehen wir uns neuere Werke grammatischer Art an, die eine 
Einschränkung durchzuführen suchen. Sie beruhen alle noch 
auf derselben Grundlage wie die früheren; sie stützen sich auf 
die lateinische Grammatik, oder sie gehen von der deutschen 
Grammatik aus und sagen, im Französischen entspreche das 
dem Deutschen, jenes aber nicht. Darin liegt der grosse Fehler. 
Solange wir von der alten grammatischen Auffassung nicht ab- 
gehen, und so lange wir glauben, wir müssten bei der Be- 
trachtung einer fremden und dazu noch lebenden Sprache von 
der deutschen ausgehen, wird es unmöglich sein, in das Wesen 
der Ausdrucksweise der fremden Sprache einzudringen. 

Eine in sich abgeschlossene, von der verglichenen unbe- 
einflusste Sprache kann nicht aus dieser heraus begriffen werden. 
Man könnte wohl einwenden, die lateinische sei ja doch sogar 
die Muttersprache des Französischen. Dieser Einwand ist leicht 
zurückzuweisen, wenn man bedenkt, dass das Lateinische sich 
zum Französischen auf einem Boden entwickelt hat, wo eine 
andere Sprache, die keltische, bereits gesprochen wurde, die nicht 
auf die Grammatik der weiter sich entwickelnden Sprache ohne 
Einfluss bleiben konnte. Das Lateinische hat sich hier auf einem 
ganz fremden Boden fortentwickelt; die neue Umgebung, die 
neuen Kulturbedingungen, der Einfluss der autochthonen Sprache, 
diese Umstände haben alle, jeder in seiner Weise, zu der Ent- 
wickelung der neuen Sprache mit beigetragen. Vor allem aber 
kennen wir die Syntax der in Frankreich geredeten lateinischen 
Sprache gar nicht; diese Syntax ist nicht die der lateinischen 
Schriftsprache gewesen. Ein besonderer, bei der Betrachtung der 
französischen Grammatik zu berücksichtigender Punkt ist der, 
dass die französische Sprache den Formenreichtum der lateinischen 


ZUR LEHRE DER TEMPORA UND MODI IM FRANZÖSISCHEN. 235 


zum grossen Teil aufgegeben hat. Dies gilt namentlich für 
Verb und Nomen. Die Konjugation ist reduziert, die Deklination 
vollständig aufgegeben, und man muss sich wundern, wenn in 
neueren Grämmatiken noch von Verben und Adjektiven mit einem 
Accusativ-, Dativ- oder Genitiv-Objekt die Rede ist. 

Unseres Erachtens liegt die Möglichkeit, in das Wesen des 
französischen Ausdrucks einzudringen, allein darin, dass man 
von der Sprache selbst, ohne Berücksichtigung einer andern, 
ausgeht. Aus ihr heraus soll der Sprachgebrauch, das Regel- 
mässige für den Ausdruck eines Gedankens, erkannt werden, 
den der Franzose unbewusst beobachtet, damit seine Gedanken 
durch die Form den Eindruck hervorrufen, den er seinem Hörer 
oder Leser mitteilen will. Und diese Regeln oder Sprachmittel 
müssen sich einfach gestalten, wenn überhaupt für den seine 
Muttersprache unreflektierend Redenden eine Möglichkeit bestehen 
soll, seine Sprache richtig d. h. eindeutig zu sprechen. Ein- 
fach müssen diese Sprachmittel sein; denn wie wäre es sonst 
verständlich, dass der gemeine Mann, der durchaus nicht 
„grammatisch geschult“ ist, zum Verständnis seiner Gedanken 
in seinem Dialekte die richtigen Sprachmittel anzuwenden weiss? 
Dass der gemeine Mann z.B. kein Defini gebraucht, noch in 
der ihm geläufigen Sprache kennt, sondern das sogen. Perfekt 
im Indikativ anwendet, liegt auf einem anderen Gebiete: er 
hat für Geschehnisse nur insoweit Interesse, als sie in Beziehung 
zu seiner Gegenwart stehen. Jede Begebenheit gilt ihm als 
für seine Gegenwart abgeschlossen, und er gebraucht daher das 
Perfekt. Er ist daher in seiner Rede immer nur subjektiv. 
Aus demselben Gesichtspunkte dürfte es sich auch erklären, 
wenn wir in den Patois eine Vorliebe für Voransetzung des 
attributiven Adjektivs zu bemerken glauben. Wenn wir anderer- 
seits aber auch den gemeinen Mann den Konjunktiv richtig 
anwenden sehen, können wir dann wohl annehmen, dass ilm 
dies möglich wäre, wenn er die vielfachen und verwickelten 
Ueberlegungen, zu denen unsere Grammatiker anleiten, machen 
müsste? Das ist unmöglich; die Bedingungen, die die Regel 
des Grammatikers aufstellt, sind viel zu zahlreich und zu wenig 
unterscheidbar. Wenn der gemeine Mann den Konjunktiv richtig 
anwendet, so ist das ein Beweis dafür, dass die Verhältnisse 
einfach sind und dass höchstens ein „es ist so“ oder „es ist 
nicht so“ für ihn vorliegt (vgl. Gröber a. a. O.). 


236 C. THIS, 


Es liegt nicht in unserer Absicht, in dieser Festschrift 
dem Regelwerk der gesamten französischen Grammatik eine ein- 
gehendere Prüfung zu widmen. Wir greifen ein Kapitel heraus, 
das vielleicht zu den interessantesten der französischen Grammatik 
gehört, das Kapitel der Tempora und Modi, und hoffen, dass es 
uns gelingen werde, zu seiner Klärung beizutragen. 


T: 

Unser Denken ist bedingt durch die Vorgänge in unserer 
Aussenwelt, wozu selbstverständlich unser eigener Leib und Geist 
gehört, abhängig von der Einwirkung unserer Umgebung auf 
unsere Sinne, von unseren so gewonnenen Vorstellungen und An- 
schauungen. Wer durch die Vorgänge der Aussenwelt in einer 
Richtung nicht beeinflusst ist, wie z. B. der Blinde, Taube, nimmt 
auch keine Eindrücke in dieser Richtung in sich auf, ist sich 
dieser Vorgänge nicht bewusst; er wird auch nicht zum Denken 
in jener Richtung kommen, noch das Bedürfnis haben, Gedanken 
jener Art seinen Mitmenschen mitzuteilen, da er ja solche Ge- 
danken nicht hat. Sprechen heisst doch jedenfalls Bewusstseins- 
akte mitteilen. Wir bringen nun die vermöge unserer Sinne und 
des Innewerdens unser selbst in uns aufgenommenen Vorgänge als 
solche, d.h. als wahrgenommen (vgl. Gröber, Grundriss I, 214) 
zum Ausdruck. Ob dabei Täuschungen unterlaufen, ob unser 
Redeinhalt der Wirklichkeit, einer Thatsache entspricht, ist dabei 
von keinem Belang; wir können zunächst beabsichtigen, diese 
Vorgänge so mitzuteilen, wie wir ihrer bewusst sind, wir be- 
schreiben, was wir mit unsern Sinnen erkannt haben, wie wir 
wahrgenommen haben. Wenn wir „sehen“, dass Wasser vom 
Himmel fällt, so teilen wir diesen Eindruck der Aussenwelt auf 
unser Gesicht durch die Angabe des Objekts unseres thätigen 
Gesichtssinnes mit, indem wir sagen: „Es regnet“. Wenn wir in 
einem Nebenzimmer ein Geräusch „hören“, das etwa durch das 
Herabfallen eines lose hängenden Gegenstandes hervorgerufen 
worden ist, so teilen wir vielleicht als unsere Schlussfolgerung 
daraus mit: „Es ist jemand in dem Nebenzimmer“, wenn auch 
dieser Redeinhalt der Wirklichkeit nicht entspricht: wir stellen 
das Gesagte als wahrgenommen hin, es ist als wahr- 
genommen gedacht ausgesprochen. 

Die Sprache besitzt nun eine Reihe von Verbformen, die 
der Redende gebraucht, um einen Redeinhalt für den Hörer 


ZUR LEHRE DER TEMPORA UND MODI IM FRANZÖSISCHEN. 237 


ebenfalls als wahrgenommen hinzustellen; der Franzose sagt in 
obigen Fällen: „Il pleut; ilya quelqu’un dans la piece voisine“. 
Die gewählten Verbformen zeigen an, dass die beiden Rede- 
inhalte als wahrgenommen gedacht sind. Wir benennen diese 
Formen des Zeitworts Indikativ, und zwar mit Rücksicht auf 
die Art und Weise, wie wir von dem Wahrgenommenen sprechen, 
d.i. in Hinsicht auf die Modalität der Aussage. Beim Gebrauche 
einer Verbform des Indikativs wird demnach ein Redeinhalt als 
wahrgenommen gedacht hingestellt. 

In unserem Bewusstsein liegen Reihen von Wahrnehmungen, 
Vorstellungen, Erkenntnissen vor. Wir verbinden sie nach 
innerer Nötigung, durch Erinnerung, Ideenassociation, Schluss- 
verfahren u.s.w. Ist z.B. als wahrgenommen gegeben: „Zwei 
Grössen sind einer dritten gleich, deux grandeurs sont egales a 
une troisieme“, so ergiebt sich durch analytisches Schlussverfahren 
als neue Erkenntnis, genauer gesagt, das Anerkenntnis: „Diese 
Grössen sind auch unter sich gleich, ces grandeurs sont egales 
entre elles“. Der ganze Gedankengang findet genau denselben 
Ausdruck wie in den oben angeführten Beispielen durch den 
Indikativ, da die Folgerung in der Bedingung bereits enthalten 
ist. Es kann aber auch eine Reihe von Sein oder Geschehen als 
wahrgenommen vorliegen, bei deren Gliedern ein Verhältnis der 
zeitlichen Succession obwaltet, das als ein ständiges unserem 
Gedächtnis eingeprägt ist und das uns zu einer Synthese Ver- 
anlassung geben kann, die jedoch nicht die einzige ist und 
die nicht unmittelbar in einem neuen Wahrnehmungssatz aus- 
gesprochen werden kann. Z.B. kann als wahrgenommen vor- 
liegen, dass es sehr schwül ist, dass dunkle schwere Wolken 
am Himmel sind, dass es blitzt und donnert; auf Grund dieser 
Wahrnehmungen sprechen wir nach unserer Erfahrung den Ge- 
danken aus: „Es wird regnen“. Wir sagen nicht: „Es regnet“, 
weil das Geschehen nicht wahrgenommen ist. Das „Regnen- 
werden“ ist gefolgert, ist potential; die Aussage „Es wird regnen“ 
ist durch die Wahrnehmung des bewölkten Himmels u. s. w. 
bedingt. Ein solches Geschehen ist also nur als bedingtes hin- 
zustellen. Oder ich habe vielleicht soeben einen Brief erhalten; 
darin werde ich um eine Auskunft gebeten, ich entschliesse 
mich sie zu geben und sage: „Ich werde die Auskunft geben“, 
Diese letzte Aussage ist hervorgerufen durch ein als wahır- 
genommen gesetztes Geschehen, ist Willenserklärung; sie be- 


238 C. THIS, 


schränkt sich auf die Angabe der Disposition zu dieser 
Thätigkeitsausführung. 

Nun könnte man meinen — und das ist die allgemeine 
Meinung — dass mit „Es wird regnen, ich werde die Auskunft 
geben“ ein Geschehen ausgedrückt werde, das in einer spätern 
Zeit — gewöhnlich Zukunft genannt — zur Ausführung kommt. 
Soll durch die obigen Sätze wirklich gesagt werden, dass die 
Thätigkeit auch thatsächlich in einer zukünftigen Zeit ausgeführt 
wird? Nein. Denn es ist sehr gut möglich, dass das Geschehen 
unterbleibt, dass es nicht regnet, und dass ich das Schreiben des 
Briefes versäume oder andern Sinnes werde und die Ausführung 
der Thätigkeit unterlasse.. Auch in der folgenden Aussage: 
„Wenn der Vater kommt, werde ich ihm die ganze Wahrheit 
sagen“ wird der zweite Gedanke durch den im ersten gesetzten 
bedingt; die als wahrgenommen gedachte Ankunft des Vaters 
disponiert mich nur zur Mitteilung der ganzen Wahrheit. Tritt 
das erste nicht ein, so wird das zweite, das durch den Eintritt 
des ersten bedingt ist, hinfällig. Mit „Ich werde den Brief be- 
antworten“ oder „ich werde die ganze Wahrheit mitteilen“ wird 
demnach ein Geschehen als (durch ein oder mehrere als 
wahrgenommen gedachte Geschehen) bedingt gedacht hin- 
gestellt. Und so in allen futurischen Sätzen. 

Zum Ausdruck eines solchen Gedankeninhalts hat die fran- 
zösische Sprache — im Gegensatze zur deutschen und den andern 
sermanischen Sprachen — besondere Verbformen ausgebildet, 
die durch Anhängung aus dem Präsens von avoir entnommener 
Endungen an den Infinitiv des Verbs entstanden sind (vgl. auch 
lat. amabo, wo bo einer Wurzel mit der Bedeutung „werden“ 
entspricht), also je repondrar a cette lettre; s’il vient, je lwi dirai 
toute la verite. 

Dass bei einer derartigen Aussage nicht lediglich ein Zeit- 
stufenunterschied, sondern ein Modalitätsunterschied der Verb- 
formen vorliegt, ergiebt die Entstehung dieser Formen; denn 
das in -ai, -as, -a steckende Verb mit dem Stammelement a und 
den Personalelementen 2 und s drückt ja keine „Zukunft“, keine 
„Zeit“ aus, sondern hat selbst die Bezeichnung „Disposition“. 
Das zeigt sich noch deutlich in Sätzen wie: „Zu ne tueras pas“, 
den wir im Deutschen mit „Du sollst nicht töten“ wiedergeben. 
Hiermit soll doch wohl nicht auch gesagt werden, dass man in 
einer späteren, einer kommenden Zeit nicht töten werde; vielmehr 


ZUR LEHRE DER TEMPORA UND MODI IM FRANZÖSISCHEN. 239 


hat man sich als wahrgenommenes Sein, das zu jenem Geschehen 
die Bedingung ist, etwa zu denken: „Du willst den Geboten 
Gottes folgen“: also hast du nicht zu töten, hast nicht „einen 
Schritt breit“ die Disposition zu töten. Das als wahrgenommen 
gedachte Befolgen der Gebote Gottes bedingt das Nichttöten.') 

Die beiden Satzinhalte „Tu ne tues pas“ und „Tu ne tueras 
pas“ sind von der Gegenwart aus gedacht bezw. ausgesprochen; 
sie unterscheiden sich daher nur in der Art der Setzung des 
Inhalts, im Modus, und zwar so, dass mit „Tu ne tues pas“ ein 
Geschehen als wahrgenommen bezeichnet, mit „Tu ne tueras 
pas“ dasselbe Geschehen als bedingt hingestellt wird. 

Die Verbformen, mit denen ein Geschehen als bedingt aus- 
gedrückt wird, bezeichnen wir als Verbformen des Conditionals 
zum Unterschiede von denen des Indikativs. 

Gehen wir weiter in der Betrachtung von Sätzen, die An- 
gaben von Thätigkeiten enthalten. Wir betrachten folgende 
beiden Satzgefüge: 

Je desire que ton ami vienne 
und Je swis ravi que ton ami sort retablı. 


Mit je desire und je swis ravi wird ein Sein oder Geschehen als 
wahrgenommen hingestellt; denn es. stehen die Thätigkeitsformen 
des Indikativs. Wie verhält es sich aber mit fon ami vienne und 
ton ami soit retabli? Beide Gedanken sind für die Gegenwart 
ausgesprochen; sie unterscheiden sich also in der Zeitstufe nicht 
von je desire und je suis ravi, wohl aber in der Art, wie die 
Inhalte gesetzt sind. Ton ami vienne ist die nähere Bestimmung 
des je desire und ton ami soit retabli nähere Bestimmung des je 
swis ravi. Der Indikativ kann nicht stehen, da dann der Inhalt 
als wahrgenommen hingestellt wäre, und desirer ebenso wie öfre 
ravi sind keine Ausdrücke, mit denen ein Geschehen als ein 
wahrgenommenes bezeichnet wird. Dasselbe Verhältnis liegt vor 
in Satzgefügen wie: Je crains quw'il ne soit malade, il est temps 
qwWil arrive, il est possible quwil vienne, il faut qwil parte. Mit 
desirer, etre ravi, eraindre u.s.w. wird aber auch der abhängige 
Gedanke nicht als bedingt hingestellt, daher auch der Konditional 
nicht am Platze ist. Verbformen wie vienne, soit, parte drücken 
demnach einen Redeinhalt aus, der nicht als wahrgenommen und 


1) Vgl. auch Verfassers Besprechung von Tobler, Vermischte Beiträge II 
in Zeitschrift für franz. Sprache und Litteratur XVII? 8.7 ft. 


240 C. THIS, 


nicht als bedingt gesetzt ist, also Gegensatz zu dem als wahr- 
genommen oder bedingt gedachten Sein oder Geschehen. Mit dieser 
Feststellung dürfte sich die Grammatik zufrieden geben. Wir 
wollen versuchen, das Wesen dieser Modalitätsform zu ergründen, 
da die bisherige Feststellung nur eine negative Erklärung ist. 

In welcher — nicht grammatischen — Beziehung stehen 
in der Aussage „je desire que ton ami vienne“ die beiden Ge- 
danken zu einander? Was wird mit „Ich wünsche, dass dein 
Freund kommt“ ausgesprochen? Es heisst: das Kommen deines 
Freundes ist der Gegenstand meines Wunsches, mein Wunsch 
ist veranlasst durch die Vorstellung eines Freundes, dessen Ab- 
wesenheit als Mangel empfunden wird, das Kommensollen ist 
gleichsam die Ursache dafür, dass ich einen Wunsch hege. Gewiss! 
Aber ein Gedanke, der nur vorausgesetzt ist, besteht auch 
nur in unserer Vorstellung, er enthält demnach ein nicht wahr- 
genommenes Sein oder Geschehen. Ebenso ist in der Aussage 
je suis ravi que ton ami soit retabli das Wiederhergestelltsein 
die Voraussetzung zu meiner Freude; durch das vorausgesetzte, 
also nur vorgestellte Sein der Wiederherstellung wird die Freude- 
empfindung in mir hervorgerufen. Gleichfalls soll mit je comprends 
oder il est naturel qwil soit malade nicht gesagt werden, dass 
ein Kranksein als wahrgenommen ausgesprochen wird, sondern 
dass allein die Vorstellung seines Krankseins für mich begreiflich 
ist, in der Natur seiner Lebensweise liegt.') 

Bei’ solcher Bezeichnung der Thätigkeit wird also ein Satz- 
inhalt als nur vorgestellt ausgesprochen,2) ein so gedachtes 
Sein oder Geschehen ist der Gegensatz zu einem wahrgenommenen 
oder bedingten Sein oder Geschehen. Wir bezeichnen die Thätig- 
keitsformen dieser Modalität als Konjunktiv. 

Zu diesen drei Modalitäten von Thätigkeitsformen kommt 
schliesslich noch eine vierte, durch die ein Redeinhalt als ge- 
fordert, befohlen (geboten oder verboten) hingestellt wird: 
komme viens, komme nicht »e viens pas. Diese Modalität be- 
zeichnen wir als Imperativ. 

Aus unseren bisherigen Erörterungen hat sich ergeben, dass 
sich für unsere Gegenwart ein und derselbe Gedanke seinem 
Inhalte nach mit Formen des Zeitworts auf vier verschiedene 
Arten ausdrücken lässt. Nehmen wir die Thätigkeit des Schreibens 





1) Vgl. auch Zeitschrift für franz. Sprache und Litteratur XVII, 8.4. 
2) Vgl. Gröber a. a. 0. 8. 214. - 


ZUR LEHRE DER TEMPORA UND MODI IM FRANZÖSISCHEN. 241 


für die Zeitstufe der Gegenwart an, so kann dies Geschehen also 
gedacht werden: 

1. als wahrgenommen — ıl eerit, 

2. als bedingt — il Eerira, 

3. als nur vorgestellt — (je desire, il est temps, il est 

possible quw)il eerive, 

4. als befohlen — ceris. 

Für die Zeitstufe der Gegenwart kann innerhalb dieser 
vier Modalitäten ein Geschehen noch daraufhin angesehen werden, 
ob es als nicht abgeschlossen, noch vor sich gehend, im Verlauf 
begriffen hingestellt wird, oder ob es bereits als abgeschlossen, 
vollzogen gedacht ist. Wollen wir eine Thätigkeit als eine solche 
bezeichnen, die vor sich gehen, noch nicht vollendet oder ab- 
$eschlossen sein soll, so sagen wir zZ. B. j’ceris une lettre, j’eerirai 
une lettre u.s. w. Soll hingegen diese Thätigkeit für die Gegen- 
wart als abgeschlossen angesehen werden, so wird es heissen: 
j’ai eerit une lettre, j’aurai eerit une lettre u. S. Ww. 

Zum Ausdruck eines als unabgeschlossen gedachten Ge- 
schehens bedient sich das Französische des konkreten Sinnes 
verlustig gegangener, Form gewordener Verbformen, in denen für 
Indikativ, Konjunktiv und Imperativ bestimmte Endungen an den 
Verbstamm, für Konditional an den Infinitiv angehängt werden; 
ein als abgeschlossen gedachtes Geschehnis wird dagegen durch 
die syntaktische Verbindung Funktion gewordener Formen von 
avoir (beim reflexiven Verb von £tre) mit dem Perfektpartizip 
des Verbs der Handlung ausgedrückt. Fassen wir diese Formen 
als zusammengesetzte oder syntaktische Formen des Verbs zu- 
sammen, so können wir im Gegensatz dazu die erstarrten Verb- 
formen als einfache Formen des Verbs bezeichnen. Wir erhalten 
demnach für die Verbformen der Gegenwart folgendes Schema: 


Zeitstufe!) der Gegenwart. 








Sein oder Geschehen |) Modi 

ist gedacht als | Indikativ | Konditional Konjunktiv Imperativ 
unabgeschlossen . . | j’eeris J'eerirai | Jeerive deris 

I 
(einfache Form) | 
abgeschlossen . ..., J’ai eerit |j’aurai &erit| j’aie eerit | (aie &erit) 
(syntaktische Form) | | 
Li 1) 








!) Siehe Curtius, Griechische Schulgrammatik, $ 193; Lücking, 
Franz. Schulgrammatik, $ 254. 
Festgabe für Gustar Gröber. 16 


242 C. THIS, 


I. 


Im Vorhergehenden ist erörtert worden, wie wir einen 
Gedanken mit Beziehung auf unsere Gegenwart zum Ausdruck 
‘bringen können. Hierbei bleiben wir aber nicht stehen. Wir 
haben noch die Fähigkeit, uns eines Seins oder Geschehens zu 
erinnern, das unserer Gegenwart angehört hat, dessen Zeuge wir 
waren, uns eines Seins oder Geschehens zu erinnern, das hinter 
unserer Gegenwart, in unserer Vergangenheit liegt, und ein 
solches Sein oder Geschehen auch für die Zeitstufe der Ver- 
gangenheit anzuschauen. Besinnen wir uns auf- die Ver- 
gangenheit, was auch durch Bericht, Ueberlieferung aus der 
Erinnerung anderer geschehen kann, so lassen sich für die Ver- 
gangenheit Gedanken mit denselben Modalitäten ausdrücken wie 
für die Gegenwart, abgesehen vom Imperativ, für den auch das 
Lateinische keine Vergangenheitsformen besass, dagegen wohl 
das Griechische (door). 

Entsprechend der Aussage: j’eeris une lettre bezeichnet 
Jeerivais une lettre ein Geschehen, das in der Vergangenheit als 
wahrgenommen gedacht ist; ich berichte mit diesen Worten von 
einem Zustand, in dem ich mich zu einer gewissen hinter der 
(segenwart, in der ich spreche, zurückliegenden Zeit befunden 
habe. Verbformen wie j’eerivaxs sind demnach so recht eigentlich 
die descriptiven. Wir verhalten uns ebenso descriptiv oder 
schildernd, wenn wir, als Zeuge oder nach Zeugen berichtend, 
von einer Schlacht redend, das Schlachtfeld, die Führer der 
Schlacht, das Benehmen der Soldaten u. s. w. beschreiben. Wir 
geben die natürliche Lage des Schlachtfeldes, sein Aussehen 
während oder nach der Schlacht nach unserer für die Zeitstufe 
der Vergangenheit gedachten Anschauung an, oder wir charakteri- 
sieren einen oder mehrere der Führer. Wir verhalten uns in 
diesen Fällen über die Dinge und Zustände teils berichtend, 
teils beurteilend. Wollten wir diese Schilderungen für die Zeit- 
stufe der Gegenwart ausdrücken, so wäre in Bezug auf die Lage 
des Schlachtfeldes und die Führer etwa die Antwort auf die 
Frage gegeben, warum man ein solches Feld, den und den 
Führer auswählt. Und die Antwort würde lauten: „Dies ist 
die Lage des Feldes, dies und dies sind die Eigenschaften der 
Führer; darum geschieht diese Auswahl“. So_etwa würde auch 
ein Bericht aussehen, der während der Schlacht oder unmittelbar 


ZUR LEHRE DER TEMPORA UND MODI IM FRANZÖSISCHEN. 243 


nach der Schlacht gegeben würde, natürlich nur insoweit er 
Lage und Aussehen des Schlachtfeldes, Charakterisierung der 
Führer betrifft. 

Es kann demnach ein Sein oder Geschehen für die Zeitstufe 
der Vergangenheit zunächst als wahrgenommen gedacht hin- 
gestellt werden; die Thätigkeitsformen, durch die ein Redeinhalt 
als wahrgenommen ausgedrückt wird, sind die indikativischen 
Thätigkeitsformen der Vergangenheit. 

Die Setzung eines Seins oder Geschehens als für die Ver- 
gangenheit wahrgenommen kann für dieselbe Zeitstufe ein anderes 
Sein oder Geschehen als in ihm liegend, daher mit ihm wahr- 
genommen ergeben. Dem entspräche folgende Aussage: „Wenn 
(damals) die zwei Grössen einer dritten gleich waren, so waren 
sie (damals) unter sich gleich, S7 les deux grandeurs etaient egales 
a une troisieme, elles etaient egales entre elles“. Es kann aber 
auch für die Vergangenheit ein Geschehnis als wahrgenommen 
gedacht ausgesprochen sein, aus dem ein anderes Geschehen als 
ein bedingtes gefolgert wird. In der Aussage: „Si tu obeissais 
a tes parents, tu ferais ce voyage* wird der Gehorsam gegen 
die Eltern als wahrgenommen gedacht hingestellt, und dieser 
bedingt die Ausführung der Reise, ist die Disposition zur Unter- 
nehmung der Reise. Obige Aussage bedeutet also: „Wenn du 
deinen Eltern gehorchtest, so war für dich die Disposition, die 
Bedingung zur Ausführung der Reise gegeben“. Damit ist ebenso 
wenig, wie bei der entsprechenden Modalität für die Gegenwart, 
ausgesprochen, dass diese Thätigkeit in einer späteren, zukünftigen 
Zeit auch wirklich, thatsächlich zur Ausführung gekommen sei: 
es wird nur logisch gefolgert. 

Thätigkeitsformen, durch die ein Gedanke für die Zeitstufe 
der Vergangenheit als bedingt gedacht ausgedrückt wird, nennen 
wir die konditionalen Thätigkeitsformen der Vergangenheit. 

Drittens kann auch für die Zeitstufe der Vergangenheit 
ein Sein oder Geschehen als ein nur Vorgestelltes ausgesprochen 
werden: Je desirais que tu vinsses, j'dtais ravi que tu fusses 
retabli. Es lässt sich hier, wie für der Zeitstufe der Gegenwart, 
darauf hinweisen, dass die Redeinhalte tu vinsses und tu fusses 
rctabli, weil von je desirais bezw. j’etais ravi abhängig, nicht 
als wahrgenommen bezeichnet, noch bedingt gedacht sind, da ja 
mit desirer und Eire ravi ein Redeinhalt nicht als wahrgenommen 
oder bedingt hingestellt wird, und ferner lässt sich auch darauf 

16* 


244 C. THIS, 


hinweisen, dass tu vinsses von tu viennes und tu fusses von tu 
sois sich nur darin unterscheiden, dass erstere Formen für die 
Vergangenheit, letztere dagegen für die Zeitstufe der Gegenwart 
gelten. 

Auffällig dürfte es nun erscheinen, dass die familiäre Rede 
den konjunktivischen Verbformen für die Vergangenheit die ent- 
sprechenden Formen für die Gegenwart vorzieht. Den Grund dafür 
glaubte man darin suchen zu sollen, dass die konjunktivischen 
Vergangenheitsformen zum Teil schwerfällig seien (fu tracas- 
sasses!) Das halten wir aus verschiedenen Gründen für unwahr- 
scheinlich. Zunächst müssten dann nur sogenannte schwerfällige 
Formen ersetzt werden, während doch diese Erscheinung sich 
auf alle konjunktivischen Vergangenheitsformen erstreckt. Und 
dann haben gerade die Volkssprachen die konjunktivischen Ver- 
gangenheitsformen bewahrt und gebrauchen sie auch für die Zeit- 
stufe der Gegenwart, während die konjunktivischen Gegenwarts- 
formen geschwunden sind, offenbar weil sie mit den entsprechenden 
indikativischen zum grössten Teil gleich lauteten. Nur bei £tre 
sind die Gegenwartsformen allein auch für die Vergangenheit 
im Gebrauch, da sie sich lautlich von den indikativischen unter- 
scheiden. 

Die Erklärung für obige Erscheinung liegt m. E. in der 
Bedeutung des Konjunktivs selbst und in seiner Anwendung. 
Da ein konjunktivischer Redeinhalt nicht unabhängig erscheint, 
sondern einen anderen Gedanken — der bekanntlich auch durch 
Geberde, Tonfall u. dgl. allein ausgedrückt sein kann (vgl. Gröber, 
Grundriss I, S. 214) — zur Voraussetzung hat, so ist die Zeit- 
stufe der Vergangenheit hinreichend bezeichnet, wenn sie im 
übergeordneten Gedanken ausgedrückt ist. Und das ist um so 
eher möglich, als durch den Konjunktiv ein Redeinhalt doch als 
nur vorgestellt gedacht ist. Im dem Satzgefüge: Je desirais 
quwil vienne ist mit desirais die Zeitstufe, für die der Redende 
spricht, als die der Vergangenheit bezeichnet, und damit wird 
der als Voraussetzung zu dem Wunsche gegebene Gedanke für 
die Vergangenheit festgelegt. 

Da, wie bereits oben gesagt, ein Modus des betohlänen Ge- 
schehens für die Zeitstufe der Vergangenheit nicht entwickelt ist, 
so ergeben sich für diese die der Zeitstufe der Gegenwart ent- 
sprechenden drei Modalitäten der Thätigkeitsformen: 1. Indikativ: 
jeerivais, 2. Konditional: j’eerirais, 3. Konjunktiv: j’eerivisse. 


ZUR LEHRE DER TEMPORA UND MODI IM FRANZÖSISCHEN. 245 


Nun kann aber auch für die Zeitstufe der Vergangenheit 
ein Sein oder Geschehen als unabgeschlossen oder als ab- 
geschlossen gedacht ausgedrückt werden. Die hierfür vor- 
handenen Thätigkeitsformen entsprechen in ihrer Bildung bezw. 
Ausdrucksform denen der Gegenwart, so dass auch hier die 
einfachen Formen zum Ausdruck eines unabgeschlossen gedachten 
Geschehens gebraucht werden, zum Ausdruck eines als ab- 
geschlossen gedachten Geschehens dagegen syntaktische Ver- 
bindungen. 

Wir erhalten so für die Zeitstufe der Vergangenheit das 
Schema: 

Zeitstufe der Vergangenheit. 


ee —————— 

















“ Sein oder Geschehen | Modi 
ist gedacht als | Indikativ |  Konditional Konjunktiv 
: REN UT me 2er: GENE 
unabgeschlossen . . . || Jeerwaıs | J’eerirais | Jeerivisse 
(einfache Form) | | | 
abgeschlossen . . . . | Javais Eerit | j’aurais eerit | j’eusse derit 


(syntaktische Form) | | 


Eine Vergleichung der Verbformen in Bezug auf die beiden 
Zeitstufen, die verschiedenen Modalitäten und in Bezug darauf, 
ob die Thätigkeit als unabgeschlossen oder als abgeschlossen gilt, 
ergiebt folgendes Schema: 

















E | . | 2 Ieyr 
Zeit- | Sein oder Modi 
stufe | Geschehen ist II ee ME he En 2 
der | gedacht als Indikativ Konditional | Konjunktiv Imperativ 
en e2 il & ee meer ae. ze - : 
i unabgeschlossen | j’eeris \ J’eerirai j’eerive eeris 
Gegen: ||" SNERO OFFEN I J J | 





|| 
I | | 


wart l abgeschlossen |j’ai eerit jaurai eerit | j’aie eerit |(aie eerit) 





© BAM 
1} .. ” ” | ... ” ” 

Ver- unabgeschlossen | j’eerivais J’eerirais | J’eerivisse 

gangen-, I; .kaaka a, A nA | 

heit | abgeschlossen |j’avais derit| j’aurais derit | j'eusse eerit —_ 











III. 

Mit der Aussage: „J’eeris une lettre“ wird ein Geschehen 
als wahrgenommen gedacht ausgedrückt. Eine und dieselbe 
Thätigkeitsform kann nur einerlei ausdrücken, sie hat nur eine 
und dieselbe Bedeutung. Sie kann sich nieht etwa in der Weise 


246 C. THIS, 


in verschiedene Bedeutungen spalten, dass zum Beispiel j’ceris 
einmal die Thätigkeit als eintretend, ein andermal als dauernd, 
oder dass sie als einmalig oder wiederholt oder stets sich wieder- 
holend gedacht ist. In der Verbform liegt eine Zeitdauer nicht 
ausgedrückt. Eine solche Spaltung, die sich in der Form nicht 
äusserlich kennzeichnete, würde die Klarheit des Gedanken- 
ausdrucks beeinträchtigen. Soll ein derartiger Nebenumstand mit 
dem Redeinhalt verbunden werden, dann pflegt die Sprache, 
wenn es durchaus notwendig ist und sich dieser Nebenumstand 
aus dem Zusammenhange des Gesagten nicht ergiebt, geeignete 
Worte hinzuzufügen. Die eine Verbform wird aber dabei immer 
nur eines zu bezeichnen haben, in unserem Beispiel also die 
Thätigkeit des Schreibens als wahrgenommen, gleichviel ob dabei 
„wiederholte Handlungen“, „allgemein Giltiges“ oder sonst ein 
Erkenntnisinhalt zum Ausdruck gebracht wird. Es bezeichnen 
die indikativischen Verformen, ebenso wie die konditionalen oder 
konjunktivischen, immer nur ein und dasselbe, die indikativischen 
das als wahrgenommen, die konditionalen das als bedingt, die 
konjunktivischen das als vorgestellt gedachte Sein oder Geschehen. 

Dieselbe Einheit der Bedeutung haben auch die den 
Thätigkeitsformen der Gegenwart entsprechenden Formen für 
die Zeitstufe der Vergangenheit. Auch hier wird z. B. beim 
Gebrauche indikativischer Verbformen ein Sein oder Geschehen 
einfach als wahrgenommen gedacht ausgedrückt. Schilderung, 
Gleichzeitigkeit, Relativität sind Ausdrücke, die sich erst aus 
dem Zusammenhang der Rede ergeben, sie haften aber nicht an 
der Verbform selbst.') 

Nun besitzt das Französische für die Zeitstufe der Ver- 
gangenheit noch eine Verbformengruppe, das defini. Dasselbe 
kann absolut gebraucht werden, wie in dem Beispiele: „On a lu 
les details de ces scenes revoltantes; le miserable tentant vainement 
d’etrangler sa femme, puwis se rabattant, pour assouvir sa rage, 
sur ses deux malheureuses petites filles, pauvres Etres sans defense, 
quil eut le sang-froid d’aller reclamer a la creche voisine en 
’) Vgl. auch Kalepky in Zeitschrift für romanische Philologie XVII, 
8.498: „Sowohl für die unter den Namen Imparfait als auch für die unter 
den Namen Defini zusammengefassten Verbformgruppen kann nur je eine 
Bedeutung gelten gelassen werden“. Damit stimmt aber nicht mehr, wenn 


S.505 für avoir, &tre und savoir in allen ihren Formen zwei Bedeutungen 
angesetzt werden. - 





ZUR LEHRE DER TEMPORA UND MODI IM FRANZÖSISCHEN. 247 


excipant impudemment des droits paternels, dont il se proposait 
de faire un tel usage (Temps, 22 aoüt 1898 in dem Artikel: Les 
crimes contre les enfants); meist aber steht es, um die einzelnen 
aufeinanderfolgenden Akte einer Erzählung, die Begebenheiten, 
Ereignisse, die die Erzählung bilden, auszudrücken. Diese 
Formen unterscheiden sich in ihrem Gebrauche wesentlich von 
denen des besprochenen Imperfekts im Indikativ, mit welchem 
für die Zeitstufe der Vergangenheit ein Sein oder Geschehen 
reflektierend als wahrgenommen hingestellt wird. Während daher 
durch J’eerivais une lettre ein Vorgang in konkreter Anschauung 
descriptiv hingestellt wird, also etwa „Ich war damals brief- 
schreibend“, so wird mit J’cerivis une lettre das Briefschreiben 
als Akt, Geschehnis bezeichnet, welches sich aus einer Reihe von 
Momenten zusammensetzt, die in der einen Aussage J’cerivis une 
lettre zusammengefasst sind, weil die Aufzählung der einzelnen 
Momente für den vorliegenden Fall ohne Belang ist. Es ergiebt 
sich aus dem Bisherigen schon, das der Unterschied zwischen 
Formen wie J’cerivais und J’eerivis nicht in der Zeitstufe, sondern 
in der Art der Setzung des Inhalts, im Modus liegt. 

Welches ist nun die Bedeutung des defini, aus welcher heraus 
sich sein Gebrauch ergiebt? Gehen wir auf das Lateinische 
zurück, so finden wir es in dem Perfektum (dia — dis) wieder. 
Das lateinische Perfekt wird für die Zeitstufe der Gegenwart 
wie für die der Vergangenheit gebraucht. In Anwendung auf 
die Gegenwart, bezeichnet die lateinische Grammatik die Form 
als perfectum logicum, perfectum praesens, als Vollendung in der 
Gegenwart; auf die Vergangenheit angewendet, als absolutes 
Perfekt!) und als perfectum historicum zur Aufzählung der 
einzelnen Momente einer Erzählung. Nur im Sinne des absoluten 
Perfekts und des perfectum historicum finden wir das Defini im 
Französischen, während für das perfectum praesens oder logieum, 
womit ein Sein oder Geschehen in der Gegenwart als ab- 
geschlossen bezeichnet wird, eine neuentstandene, im Lateinischen 
aber bereits vorbereitete syntaktische Verbindung — j'ai derit — 
angewendet wird. 

Nun ist natürlich, dass eine Form wie seripsi nicht mehrere 
Bedeutungen haben kann, je nachdem sie nämlich für die Zeit- 


!) Vgl. Iwan Müller, Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft 
II, 3. 255, 


248 C. THIS, 


stufe der Gegenwart oder für die der Vergangenheit gebraucht 
erscheint. Aus dem Zusammenhang der Rede ergiebt sich erst 
die Beziehung. Es muss also in dem Gebrauche der Form als 
perfectum praesens und als perfectum historicum etwas Gemein- 
sames liegen, das die scheinbar doppelte Bedeutung erklärt. 

Betrachten wir die Beispiele Dixi quae dixerem und Graeei 
Troiam decem annos obsessam tenuerunt. Je nachdem die Aus- 
sage auf die Vergangenheit oder auf die Gegenwart bezogen gilt, 
ergiebt sich: „Ich sagte, was ich sagen wollte“ oder „ich habe 
gesagt, was ich sagen wollte* und „die Griechen hielten Troja 
zehn Jahre lang belagert“ oder „die Griechen haben Troja zehn 
Jahre lang belagert gehalten“. Gemeinsam ist beiden Ausdrucks- 
weisen, dass das Sagen bezw. Belagerthalten als vollführt hin- 
gestellt wird, es wird ein vollführtes Sagen bezw. Belagerthalten 
bezeichnet. Beziehen wir nun die Aussage auf die Gegenwart, 
so gilt das vollführte Sein oder Geschehen für diese Zeitstufe 
als abgeschlossen; beziehen wir sie auf die Vergangenheit, so 
gilt Sein oder Geschehen in derselben schlechthin als vollführt. 
Das lateinische Perfekt bezeichnet also ein Geschehen als voll- 
führt, als vollzogenen Akt. 

Kehren wir zum französischen defini zurück. Wir haben 
gesehen, dass für das perfectum praesens das Perfekt im Indikativ, 
als perfectum historicum das Defini gebraucht wird. Im Grunde 
genommen hat demnach das Defini die Bedeutung des lateinischen 
Perfekts beibehalten, nur ist der Umfang des Gebrauchs ein- 
geschränkt worden. Soll daher im Französischen ein Sein oder 
Geschehen für die Zeitstufe der Vergangenheit ohne Beziehung 
auf die Gegenwart des Redenden als vollführt bezeichnet werden, 
so heisst es z. B.: J’eerivis une lettre, „das Briefschreiben ist in 
meiner Vergangenheit vollführtes Geschehen“ ;!) wird das voll- 
führte Geschehen auf die Gegenwart des Redenden bezogen, so 
gilt es für dessen Gegenwart als abgeschlossen, und es heisst: 
J’ai ecrit une lettre, womit der durch das vollzogene Brief- 
schreiben herbeigeführte Zustand bezeichnet wird. So bedeutet 
Hier je fis une promenade „für gestern, als in meiner Ver- 
gangenheit, ist das Spazierengehen vollführtes Geschehen“. — 
Nous fümes Troyens stellt das letzte Glied einer Reihe von als 
vollführt hingestellten Geschehnissen dar, und daraus, dass das 


P 


1) Vgl. Kalepky a.a. O0. S. 508. 


ZUR LEHRE DER TEMPORA UND MODI IM FRANZÖSISCHEN. 249 


Sein oder Geschehen, hier das Trojanersein, als vollführt gedacht 
ist, ergiebt sich für Nous fümes Troyens: „Wir waren einmal 
Trojaner, wir sind es gewesen und sind es nun nicht mehr“. 

Wenh wir eine ganze Reihe zusammengehöriger, aufein- 
anderfolgender Geschehnisse für die Zeitstufe der Vergangenheit 
als vollführt aufzählen, so erhalten wir eine Erzählung, eine 
Geschichte. Ein Krieg z. B. setzt sich aus einer solchen Reihe 
vollführter Geschehnisse zusammen. 

Der Unterschied zwischen Imperfekt im Indikativ und 
Defini liegt darin, dass mit ersterem ein in der Vergangenheit 
als wahrgenommen gedachtes, mit dem Defini ein in der 
Vergangenheit als vollführt gedachtes Sein oder Geschehen 
bezeichnet wird. 

Die Thätigkeitsformen, vermittelst deren ein Sein oder 
Geschehen für die Zeitstufe der Vergangenheit als voll- 
führt bezeichnet wird, wollen wir Modus narrativus, kurz- 
weg Narrativ benennen. 

Wie schon in der Latinität die Volkssprache für das Per- 
fektum die Form mit habeo und dem part. perf. pass. gebraucht 
hat,!) so haben wir im Französischen in der Rede des gemeinen 
Mannes, in der familiären Rede, eine Vorliebe für diese syn- 
taktische Verbindung. In der familiären Rede gelten solche 
Geschehnisse einfach als für die Gegenwart abgeschlossen. Daher 
sind auch narrativische T'hätigkeitsformen für sie nicht vor- 
handen; der gemeine Mann sagt nur: Ich habe gesehen, j’ar 
vu. So erklärt es sich, dass z.B. französische Dialekte Keine 
narrativischen Thätigkeitsformen aufweisen. Und wenn wir die 
Sprache des gemeinen Mannes in Deutschland beobachten, so 
werden wir finden, dass auch für sie nicht sogenannte indi- 
kativische Imperfekte bestehen. 

Nach diesen Erörterungen darf es uns nicht wundern, wenn 
der Franzose, wie neuere Grammatiker sagen, mit Vorliebe das 
sogenannte Perfekt im Indikativ statt des (vom Grammatiker) 
erwarteten Defini gebraucht. Das ist nichts Neues und hat wohl 
immer in familiärer Rede bestanden. Dass uns dies jetzt erst 
besonders auffällt, rührt zum Teil wohl daher, dass die familiäre 
Rede in Schriftwerken jetzt mehr denn je, vielleicht in etwas 


') Vgl. Iwan Müller, Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft 
II, S. 256, $27 Anmerkung. 


250 C. THIS, 


übertriebener Weise, Anwendung findet, und dass die Verfasser 
auch sonst sich viel subjektiver ausdrücken. (Man beobachte 
z. B. die Stellung des attributiven Adjektivs bei den Neueren). 

Nun finden wir auch in Erzählungen, in Geschichtswerken, 
dass der Verfasser bei der Aufführung der einzelnen aufeinander- 
folgenden Begebenheiten sich durch sein subjektives Empfinden 
fortreissen . Jässt und die Vorgänge als eben geschehend an- 
zuschauen, sie gleichsam mitzuschauen vermeint. Er vergegen- 
wärtigt sich die Vorgänge d. h. er teilt die einzelnen Geschehnisse 
als für seine Gegenwart wahrgenommen gedacht mit, er gebraucht 
also die indikativischen Thätigkeitsformen für die Zeitstufe der 
Gegenwart. Es ist dies eine Erscheinung, die allen Sprachen 
gemeinsam ist. Dieser Uebergang findet natürlich meist nur bei 
Mitteilung von Erzählungsmomenten statt; sobald der Redende 
ausschmückt, schildert, so wird der Standpunkt der Vergangenheit 
wieder eingenommen. (Rhetorische Darstellungsweise). 

Auch bei der Aufzählung der einzelnen Momente einer 
Erzählung kann ein Geschehnis in der Weise in Beziehung zu 
einem andern gesetzt werden, dass das eine als abgeschlossen 
gedacht ist für die Zeit, in der ein anderes als vollführtes Ge- 
schehen bezeichnet wird, z. B.: Aussilöt que la plwie eut cesse, 
nous continuämes notre chemin. Auch hier wird das eine Ge- 
schehen in einfacher, das andere in syntaktischer Form aus- 
gedrückt. Wir haben demnach auch für den Narrativ einfache 
und syntaktische Thätigkeitsformen zu unterscheiden und erhalten 
dafür folgendes Schema: 




















Zeitstufe der | Sein oder Geschehen | Narrativ 
| ist gedacht als | 
1 
$ | unabgeschlossen 2 | j eerivis 
Vergangenheit | | Hr A 
| abgeschlossen | J’eus eEcrit 
| 


Wie hilft sich nun die familiäre Rede zum Ausdruck 
eines im Verhältnis zu einem anderen abgeschlossen gedachten 
Geschehnisses, da sie für das Defini das sogenannte Perfekt 
gebraucht? Sie bedient sich sogenannter doppelt zusammen- 
gesetzter Formen, indem sie z. B. für Quand j’eus acheve ce 
travail, j’allai me promener sagt: Quand j’ai eu acheve ce travall, 
je suis alle oder j’ai dtE me promener, wodurch das Verhältnis 
der beiden Redeinhalte zueinander deutlich gekennzeichnet wird. 


ZUR LEHRE DER TEMPORA UND MODI IM FRANZÖSISCHEN. 251 


Eine vergleichende Zusammenstellung der personalen Thätig- 
keitsformen ergiebt folgendes Schema: 









































| Sein oder | 2 Mod n | 
| Geschehen ist | 
r | 
8 | gedacht als | Indikativ | Narrativ | Konditional Konjunktiv Imperativ 
Gegen- 'unabgeschlossen | j’eeris u j’ecrirai j ecrive eeris 
wart (abgeschlossen | j’ai eert | — j’aurai ecrit| j’aie eerit (aie ecrit) 
| | 9,7 . . .., 2 4, . . 2 m | 
Ver- re jeerwais |j’eeriwis \j’eerirais IJ’eerivisse | — 
gangen- | | | 
Ivo Bee [een ee BEA Re 
heit abgeschlossen |j’avais Eerit | j’eus Eerit|j’aurais Ecrit, j'eusse eerit = 
| | | | | 


Aus vorstehender Zusammenstellung ergeben sich fürs 
Französische: 


1. Zwei Zeitstufen: Gegenwart und Vergangenheit; 


2. Thätigkeitsformen: 

a) Einfache, zum Ausdruck eines als unabgeschlossen 
gedachten Seins oder Geschehens, 

b) Zusammengesetzte oder syntaktische, zum Aus- 
druck eines als abgeschlossen gedachten Seins oder 
Geschehens (mit Beziehung auf ein anderes als un- 
abgeschlossen gedachtes Sein oder Geschehen); 

3. Fünf Modi: 

a) Der Indikativ zur Bezeichnung eines als wahr- 
genommen gedachten Seins oder Geschehens, 

b) der Narrativ zur Bezeichnung eines in der Ver- 
sangenheit als vollführt gedachten Seins oder 
(seschehens, 

c) der Konditional zu Bezeichnung eines als bedingt 
gedachten Seins oder Geschehens, 

d) der Konjunktiv zur Bezeichnung eines als vor- 
gestellt gedachten Seins oder Geschehens, 

e) der Imperativ (nur für die Zeitstufe der Gegen- 
wart) zur Bezeichnung eines als befohlen (geboten 
oder verboten) gedachten Seins oder Geschehens. 


Strassburg i. E, C. Taıs. 


Der Siege de Barbastre. 


Unter den Aimeri-Epen, die im allgemeinen zu den besten 
srzeugnissen aus der Zeit der Vollblüte der altfranzösischen 
Heldendichtung gehören, gebührt dem Siege de Barbastre ein 
Ehrenplatz. Historische Erinnerungen birgt das Lied nicht; die 
epischen Motive sind auch nicht neu; aber die Klarheit der An- 
ordnung, die Anschaulichkeit und Lebensfrische der Erfindung, 
der kräftige Ausdruck und die drastisch pikante Darstellung 
zeugen von der besonderen Begabung des Dichters. Gleichwohl 
scheint geringe Aussicht auf eine baldige Veröffentlichung des 
Liedes mit seinen 7000 und mehr Alexandrinern bei fünf oder 
sechs Handschriften vorhanden zu sein. Eine teilweise Kenntnis 
dieses Epos vermittelt die Jenaer Dissertation von V. Keller, 
Le Siege de Barbastre und die Bearbeitung von Adenet le roi, 
Marburg 1875, die im Anhang die Anfangstiraden giebt. Die 
Schlusstiraden findet man bei ©. Densusianu, La Prise de Cordres 
et de Sebille, Paris 1895 (Soc. des anc. Textes). Zur Vervoll- 
ständigung dieser Mitteilungen lege ich die Pariser Hs. Bibl. 
nat. 24369, fol. 116—157, zu Grunde und ergänze deren zwei 
Blätter umfassende Lücke (nach fol. 134) aus der Pariser Hs. 
Bibl. nat. 1448, fol. 130—32. 


[Ms. B. N. 24369, fol. 116.]| Zur Pfingstzeit sass Aimeri in 
Narbonne; seine Söhne waren bereits aus einander gegangen, ein 
jeder besass sein eigenes Land. Bei Aimeri befanden sich nur 
Guillaume, Bovon de Commareis, Hermenjart und dreihundert 
Ritter; bei Tisch fungierten Girart_und Guielin, Bovons Söhne, 
als Seneschälle. Nach dem Essen beginnt das Ritterspiel unter 
den Mauern von Narbonne. Allein vor Abendwerden wird es 


DER SIEGE DE BARBASTRE. 253 


zum Kampfe kommen; denn der Emir von Spanien und der 
Amustant von Cordova haben geschworen Frankreich zu erobern 
und Aimeri zu überfallen. 

An dem Tage hat also Aimeri 100 neuen Rittern Waffen 
gegeben und nach der Mahlzeit das Lanzenstechen begonnen. 
Hermenjart hat ihr Prunkzelt aufschlagen lassen und sich mit 
ihren Jungfrauen, von Paris und Helena singend, hinein begeben. 
Eben klagte Girart mit seinen Altersgenossen über die lange 
Dauer des Friedens, der keine Gelegenheit gebe seine Kühnheit 
zu bewähren, als ein verwundeter Ritter die Botschaft bringt, 
der Emir sei in Gascogne eingebrochen und habe den König 
Yon im Thal von Moriaine geschlagen. 

Schon erscheint, von Madiant, Corsolt und Malpriant geführt, 
[fol. 117] die Vorhut der Heiden. Die Narbonner waffnen sich; 
doch ihre Zahl ist zu gering, um Stand zu halten. Die fiehende 
Hermenjart wird beim Brückenkopf von 14 Nubiern ergriffen; 
Aimeri sieht ihre Gefahr, eilt ihr mit den Seinen zu Hilfe und 
befreit sie. Wilhelm, der den Rückzug deckt, gerät in Be- 
drängnis. Ein neuer Vorstoss der Franzosen rettet ihn; aber 
Guielin, Girart und Bovon geraten aus dem Sattel und werden 
mit Savari von Toulouse, Richier dem Alten (le flouri), Hunaut 
von Bretagne, Joffroi dem Angevinen, Renaut von Montaimier 
und 100 anderen Jungherrn umringt. Gleichzeitig erscheint der 
Emir mit dem Gros der Ungläubigen und wirft Aimeri zurück. 
[fol. 118] Durch Hermenjarts Klagen gespornt, wagt er noch einen 
vergeblichen Waffengang. Seinem Schwanken, ob er seinen 
Sohn und seine Enkel durch Uebergabe der Stadt retten solle, 
macht Hermenjart ein rasches Ende mit der energischen Be- 
merkung, dass sie Narbonne lieber allein mit den 300 Damen 
verteidigen würde als auf einen solchen Vergleich eingehen. 

Der Emir lässt die Gefangenen vor sich führen und erfährt 
mit Entzücken, dass sie von Aimeris Geschlecht sind. Gleich 
möchte er den Galgen errichten lassen. Trotzig erinnert ihn 
Bovon daran, dass Aimeri noch lebt und sieben Söhne hat. Der 
Amustant von Cordova schlägt vor, die Gefangenen in das Verliess 
Corsolts von Tabarie bringen zu lassen; zu Johannis, beim grossen 
Götzenfest, würden sie Libanor, des Emirs Sohn, mit seiner 
Tochter Malatrie vermählen; dann könnten sie ihre Rache be- 
friedigen und hingehen und Frankreich erobern. Corsolt wird 
beauftragt die Gefangenen nach Barbastre zu führen, wo er sie 


254 PH. AUG. BECKER, 


täglich peitschen und nur alle vier Tage mit einem Roggenbrot 
versehen soll; von dort möge er nach Cordova gehen und Malatrie 
sagen, dass sie Libanor versprochen sei und Königin von Frank- 
reich werden würde. 

[fol. 119] Corsolt entledigt sich seines Auftrages und liefert 
seine Gefangenen in Barbastre dem Almoraviden, einem Oheim 
des Emirs, wie wir später erfahren, aus. Dieser lässt Bovon und 
seine Söhne ins Verliess werfen, die übrigen Franzosen oben im 
Turme einsperren. Im Verliess haust die Schlange Baalais, die 
Bovon und seine Söhne zwingt auf einen Felsblock zu flüchten, 
wo sie sich abwechselnd mit einem Stocke gegen das Untier 
wehren. Bovon hat die Hoffnung aufgegeben, sein Land und 
seine Gemahlin Elissent je wieder zu sehen. 

In Barbastre wohnte ein sarazenischer Edelmann, Clarion 
von Valdoine, dem einst die Hälfte der Stadt, Palast und Turm 
gehörten. Vom Emir seines Erbteils beraubt und innerhalb der 
Bannmeile der Stadt gebannt, denkt er sich, dass, wenn die 
Franzosen wüssten, wer er ist, sie ihm vielleicht sein Lehen 
zurückerstatten würden. Er erhebt sich vom Lager, zündet ein 
Licht an und kommt zum Verlies, wo er dem betrunkenen 
Kerkermeister die Schlüssel abnimmt. Bovon hört ihn nahen 
und glaubt ihre Marter solle wieder beginnen. Er droht. Clarion 
meint, die Franzosen liebten es zu drohen; liesse er sie hinaus, 
so würden drei Mann genügen, sie wieder in den Kerker zu 
stossen. [fol. 120] Wie Bovon vernimmt, wen er vor sich hat, 
sagt er ihm volle Rückerstattung seiner Güter zu. Clarion 
reicht ihnen Wurfspiesse, sie töten die Schlange und treten 
heraus. Der Kerkermeister wird geweckt und erschlagen. Auf 
sein Schreien erwacht der Almoravide, eilt mit 30 Sarazenen 
herbei, wird aber von Bovon niedergestreckt. Clarion war hin- 
gegangen, die übrigen Franzosen zu befreien; sie fassen die 
Perser im Rücken; Corsolt entkommt mit vier Mann aus dem 
Turm und ruft die Stadt zu den Waffen. Vor Morgengrauen 
wagen aber die Heiden keinen Sturm. [fol. 121] Zu seiner Be- 
ruhigung erfährt Bovon, dass der von Julius Caesar gebaute 
Turm jedem Angriff trotzt. Die Leichen der Gefallenen werfen 
sie auf die Angreifenden herunter. Bei einem Ausfall machen 
sie hundert Gefangene, die sich taufen lassen; im Turm finden 
sie auch noch 20 Schwarze vor, [fol. 122] die sich gleichfalls 
unterwerfen. Die Götzenbilder werden zerschlagen und die Edel- 


DER SIEGE DE BARBASTRE. 255 


steine herausgebrochen. Eine besondere Freude erlebt Girart, 
wie er sein Streitross Ferrant entdeckt, das ihm mehr wert ist 
als Alexanders Bucefalus. 

Corsolt von Tabarie verlässt heimlich Barbastre und bringt 
dem Emir Kunde von dem Vorgefallenen. Eilends heben die 
Sarazenen die Belagerung auf [fol. 123] und besteigen ihre 
Schiffe. Hermenjart will verzweifeln, weil sie glaubt, ihr Sohn 
werde fortgeführt. 

Eines Tages war Bovon ausgeritten und bewunderte von 
einer Anhöhe die Lage von Barbastre mit den umgebenden 
Waldungen, Ackerfeldern, Weinbergen und Wiesen, als er die 
anrückenden Heiden gewahr wurde, die Girart am Drachen- 
banner als das Heer des Emirs erkennt. Die ersten heran- 
sprengenden Sarazenen werden geworfen; vor der wachsenden 
Zahl müssen aber die Franzosen weichen. Vom Turm sehen die 
Zurückgebliebenen die Bedrängnis des kleinen Häufchens und 
eilen zu den Waffen. Noch einmal hat Bovon Front gemacht 
[fol. 124] und eben ist Girart gestürzt, als Clarion hervorbricht 
und mit Hohnreden auf Muhamed sich auf seine früheren Glaubens- 
genossen wirft. Plänkelnd ziehen sich die Franzosen in die Burg 
zurück. Der Emir, der mit Bovon zusammentrifft, muss gestehen, 
dass er noch nie einen so rüstigen Greis gesehen. 

Der Emir lässt nun sein Zelt beim Brückenkopf auf- 
schlagen, den Adler nach Frankreich gewendet; daneben wird 
die „Mahomerie“ errichtet. |fol. 125] Der Amustant sendet nach 
Cordova um Malatrie. Die Boten finden sie unter der Sykomore 
mit ihren Jungfrauen. Sie erzählen ihr die Wegnahme von 
Barbastre und die beschlossene Vermählung. Da schleicht sich 
eine stille Neigung zu Girart in ihr Herz. Sie entbietet die 
Könige von Loquiferne, ihre Vasallen; die von Alexandrien und 
Nubien treffen ein. Hundert Maultiere werden mit Schätzen 


beladen. ; 
Son riche dromadaire fist charger sans demour 


Desus un olifant qui mout ot de vigour. 


[fol. 126] Vor Barbastre empfängt der Emir seine zukünftige 
Schwiegertochter mit grossen Verheissungen. „Wie wollt ihr“, 
fragt sie mit einem Anflug von Hohn, „die Franzosen aus ihrem 
Lande vertreiben, wenn ihrer hundert euch hier aufhalten?“ 
Einstweilen lässt sie sich Girart als Geschenk versprechen, wenn 
er in die Hände des Emirs fallen sollte. Libanor tritt ein und 


256 PH. AUG. BECKER, 


der Amustant stellt ihn seiner Tochter vor, indem er die Zu- 
sagen betreffs der französischen Krone abermals beteuert. „Das 
wäre ein reiches Leibgedinge“, meint sie, „wenn er mich lieben 
wollte“. — „Schöne“, erwidert Libanor, „Ihnen zuliebe sollte 
jeder Ritter seinen Kopf aufs Spiel setzen.“ Auf den folgenden 
Morgen sagt ihr Libanor einen Waffengang vor der Stadt zu. 

Ihr Zelt lässt Malatrie gleich bei der Brücke, die über die 
Sorre führt, aufschlagen, bei einem Hölzchen an einer Quelle; 
sie verlangt, dass Libanor zu ihrer Bedeckung neben ihr lagere. 
[fol. 127] Die Nacht bringt ihr keine Ruhe. Früh morgens, 
nachdem sie sich geschmückt, reitet sie auf ihrem Maultier vor 
Libanors Zelt und erinnert ihn an sein Versprechen. Libanor 
lässt seine Ritter für den Notfall diesseits der Brücke in Bereit- 
schaft und überschreitet die Sorre mit Malatrie Unter einem 
Oelbaum macht er Halt, steckt den Speer in die Erde, bindet 
Pferd und Maultier daran, breitet den Mantel am Boden aus und 
beginnt mit der Jungfrau über Ritterkampf und Liebe zu plaudern. 

Mit Tagesgrauen war auch Girart aufgestanden und lauschte 
dem Vogelsang und sah den Morgentau fallen, da erblickt er in 
der Flussniederung den Ritter und die Dame unter dem Baume. 
Die Unthätigkeit der letzten vierzehn Tage drückt ihn. Ver- 
stohlen schleicht er durch den Saal, wo sein Vater schläft, 
bangend, er möchte aufwachen; er lässt sich sein Pferd geben 
und zwingt Gautier, den Tolosanen, der das T'hor hütete, ihm 
den Ausgang freizugeben. 

Malatrie sieht den fremden Ritter kommen und macht 
Libanor aufmerksam; dieser verspricht ihn gleich gefangen her- 
zubringen und verlangt dafür einen Kuss; sie giebt ihm auch 
mehr, |fol. 128] aber erst, wenn er wieder kommt. Die Beiden 
reiten sich entgegen und nennen sich; Libanor bietet Girart 
seine Nichte, Rubions Tochter, an. Beim ersten Anprall wirft 
Girart seinen Gegner aus dem Sattel so nahe am Flussufer, dass 
er beim Umdrehen ins Wasser fällt und um ein Haar ertrunken 
wäre. In dieser misslichen Lage sieht er, wie Girart sein 
Pferd ergreift und seiner Braut anbietet, indem er griechisch 
zu ihr sagt: 


Vez le la ou se baigne dedens Sorre la clere 
Par le chaut qui est grant du soleil qui l’appresse. 
Car li ales aidier son blanc hauberc aterdre; 
Seul i est descendus, n’a vassal qui le serye. 


DER SIEGE DE BARBASTRE. 257 


Malatrie erkundigt sich nach Girarts Namen und bietet 
ihm gleich ihre 25 Städte an, wenn er sie fortführen will. 
Schon regt es sich aber im Zeltlager; allen voran sprengt Corsolt 
herbei und holt die Flüchtigen ein. Trotz der flehentlichen 
Bitten der Jungfrau wendet sich Girart zum Kampfe. Corsolt 
fliegt aus dem Sattel; aber die Sarazenen umringen Malatrie und 
führen sie hinweg. [fol. 129] Girarts Gefahr war Gautier nicht 
entgangen; schnell weckt er Bovon; zu rechter Zeit öffnet sich 
das Thor und erschallt das Montjoie der Franzosen. Guielin 
macht seinem Bruder Vorwürfe, dass er ohne ihn hinaus gegangen 
ist, er reicht ihm sein eigenes Pferd Morel, während man den 
verwundeten Ferrant heimführt. Auf einen Kampf lässt sich 
Bovon nicht ein; denn schon überschreitet der Emir die Brücke. 
Christen und Heiden dringen in wirrem Knäuel in die Burg, 
aber Gautier lässt das Fallthor gleiten, und die unvorsichtig 
Eingedrungenen müssen ihre Tollkühnheit büssen. 

Wenn sich Malatrie die kräftigen Schimpfreden des Emirs 
gefallen lassen muss, geht es Girart nicht besser. „Ein ver- 
nünftiger Ritter“, meint Bovon, „begiebt sich nicht allein in 
Gefahr“. — „Aber die günstige Gelegenheit“, erwidert Girart, 
„und das erbeutete Pferd und die Jungfrau!* — „Wo ist sie, 
liefere sie mir aus.“ — „Ja, die Sarazenen haben sie fortgeführt.“ 
[fol. 130] — „Wie? und du bist nicht einmal verwundet. In 
einem solchen Fall wäre ich nicht umgekehrt, ohne durchstochen 
und verhauen zu sein.“ — „In meiner Lage hätte jeder gehandelt 
wie ich.“ — „Wie so? Habe ich nicht als Markgraf allein 
gegen vier gekämpft, zwei von ihnen gefangen genommen und 
ein schönes Lösegeld von denselben erhalten?“ — „Jawohl, da 
standen aber Ihre Ritter und Bogenschützen hinter Ihnen. Aber 
ein Greis wird der Jugend nie den Ruhm ihrer schönen Thaten 
gönnen.“ — Ergrimmt greift Bovon nach einem Stabe, den man 
ihm entwindet, während man Girart fortführt. Guielin wirft 
seinem Bruder sein Benehmen vor. „Ich weiss es“, erwidert 
Girart, „dass er ein tüchtiger Ritter ist, 


Mais fol est et estous, s’a le cuer pautonnier, 
Li vilain deputaire.“ 


Mit gleichem Trotz antwortet auch Malatrie ihrem Vater, 
sie sei nicht schuldig; Libanor habe sie mit sich geführt, ihr 
zuliebe habe er ein Bad in voller Rüstung genommen. Das 

Festgabe für Gustav Gröber, 17 


258 PH. AUG. BECKER, 


werde eine schöne Hochzeit geben. Schande über die, die 
ihn möge! 

Auch diese Nacht flieht sie der Schlaf. Sie winkt ihren 
Getreuen Malaquin, auf dessen volle Ergebenheit sie zählen 
kann, weil sie ihm sein Erbe hat zurückerstatten lassen, an ihr 
Bett, lässt sich tiefstes Geheimnis zusagen und verspricht dafür, 
ihn mitzunehmen, wenn sie nach Frankreich ginge. In ihrem 
Auftrag muss er nach Barbastre, um Girart, Savari, Joffroi, 
Hunaut und Guielin zu einem Stelldichein im Gehölze einzuladen; 
ein Jeder würde sein Liebchen finden. Malaquin reitet durch 
den Fluss. Die Sarazenen sehen ihn wohl, denken sich aber 
nichts dabei. Die Flussnebel werden dichter, und da meint der 
eine, er sei umgekehrt, der andere, er sei ertrunken. 

Gautier will den Heiden nur mit Bovons Erlaubnis einlassen; 
[fol. 131] aber Girart lässt ihm öffnen, hört seinen Auftrag und 
berät sich mit seinen Freunden. Guielin vertritt die Ansicht, 
dass ein Verliebter auch etwas wagen müsse, namentlich einer 
Königstochter zuliebe. Statt seiner möge man Renant von Mon- 
taimier mitnehmen, er werde mit hundert Rittern Wache halten. 
So begeben sie sich zum Stelldichein. Die Pferde hütet Malaquin. 
Malatrie schlägt eine heimliche Flucht aus; auf ihre Bitte nimmt 
Girart den Helm ab, küsst sie, doch meidet er ihren Mund, weil 
sie noch Heidin ist. [fol. 132] Corsolt führte diese Nacht die 
Schaarwacht. Im Wäldchen stösst er bei Tagesgrauen auf 
Guielin; der bläst ins Horn, Girart springt mit den Seinen zu 
Pferde. Von beiden Seiten gefasst, stieben die Heiden im 
steigenden Morgennebel auseinander. Malatrie ruft dem fliehenden 
Corsolt bittere Hohnreden nach. Der Emir hält Corsolts Schreck 
für den Wahn eines Träumers. Allein die Verwundeten gestatten 
keinen Zweifel. 

[fol. 133] Den jungen Franzosen sperrt der Fluss den Rück- 
zug ab. Girart ermahnt die Seinen zu standhaftem Märtyrertum. 
„Gut gepredigt“, meint Guielin, „man möchte sich bekehren. 
Wendet euch doch an diese Heiden, ich werde sie mit dem 
Schwerte taufen; reicht ihnen das Chrisma.“ — Zum Unglück 
erscheint Libanor. [Renaut, Aleaume, Guinemin und Fouqueret 
fallen.| Ohne ein Wunder waren alle ‚verloren. Bovon lag 
nämlich gegen Morgen in tiefem Schlaf; im Traum sah er einen 
Eber, den 30 Windhunde ihm entreissen wolken; er verscheucht 
sie, ein Löwe erscheint. Da wacht er auf, fragt nach seinen 


DER SIEGE DE BARBASTRE. 259 


Söhnen, hört, dass sie ausgegangen sind; eilends waffnen sie sich, 
treten durch das Thor (la porte foraine). Libanor gewahrt sie 
erst, als ihr Schlachtruf Narbonne ertönt. Malatrie, die ihn 
fliehen sieht, zeigt ihren Jungfrauen die Franzosen, Bovon, 
Aimeris dritten Sohn, Girart, den sie liebt, Gui, der die 
Schwester des Emirs erhalten soll, Hunaut, Savari, Joffroi, denen 
sie die Töchter des Amatris, von Solas und des Margaris 
bestimmt. 

Auch Malatrie flieht zum Schein, sie lässt sich aber von 
Bovon einholen und fordert ihn zu rascher Umkehr auf. — „O 
nein“, antwortet der alte Sünder, „Sie müssen mit mir kommen; 
schon lange vermisse ich den Umgang mit Frauen.“ — „Ich 
diene Ihnen herzlich gern.“ — „Sie sollen nichts dabei verlieren. 
Vor Ablauf eines Monats werden Sie Girarts Gemahlin sein.“ — 
So ziehen sie sich nach Barbastre zurück. Schon hat indessen 
der Emir die Brücke überschritten. Fechtend dringen die 
Franzosen ein; da lässt Gautier das Fallthor gehen. Guielin 
hat eben noch Zeit dem gestürzten Hunaut, Hermenjarts 
Schwestersohn, aufzuhelfen und ihn durch das Nebenpförtchen 
einzulassen; er selber bleibt in den Händen der Sarazenen. 

Vor den Emir gebracht, gesteht Guielin stolz seinen Namen 
und behauptet, dass sein Vater niemals eine Burg ausliefern 
würde, auch wenn er tausend gefangene Söhne hätte. Indessen 
möge man am folgenden Tage einen Versuch machen. Gesagt, 
gethan. Auf Schussweite vor der Stadt wird der Scheiterhaufen 
errichtet. Sofort errät Girart, was vorgeht. Mit Bovons Er- 
laubnis verlässt er die Stadt (par la porte turquoise), die Schlacht- 
rosse wie Saumtiere am Zügel führend, als wären sie Kaufleute. 
So naht er, eben wie Guielin herbeigeschleppt wird. Sie stürzen 
sich auf die Ungläubigen; [Ms. B. N. 1448, fol. 130] Girart, Joffroi, 
Savari, Hunaut und Renaut von Montaimier verrichten Wunder; 
(uielin will auch Anteil haben am Kampf und wirft sich die 
Rüstung eines erschlagenen Feindes um. Gleichwohl würden sie 
der Uebermacht erlegen sein, wäre nicht Bovon zu Hilfe ge- 
kommen und hätte sie in geschlossener Ordnung zurückgeführt. 
Mit den Franzosen freut sich auch Malatrie über Guielins Be- 
freiung. 

Bovon hält es an der Zeit, nach Frankreich zu senden und 
Ludwigs und Aimeris Hilfe anzurufen. Zur Botschaft erbietet 
sich Clarion, [fol. 131] zur Begleitung Hunaut, Jotfroi und Savari. 


1t* 


260 PH. AUG. BECKER, 


Seinen Verwandten lässt Bovon seine früheren Dienste ins Ge- 
dächtnis rufen, wie er Aimeri bei Narbonne geholfen, als er in 
der Not die Toten auf den Mauerzinnen aufstellte, wie er Bernart 
in Brusbant, Wilhelm in seiner Stadt beigesprungen, da er so 
ausgehungert war, dass man ihm den Mund mit einem Messer 
öffnen musste, um ihm laues Wasser einzuflössen, als Bernart 
die von Bovon erbeuteten Saumtiere mit Lebensmitteln brachte; 
Hernaut lässt er an Gironde erinnern, wo er das Wasser aus 
den Laufgräben trinken musste, Garin an die Hochzeit Guiberts 
unter den Mauern von Terragona, als Bovon ihn mit Guibert 
befreite, bevor man sie zu den Galeeren schleppen konnte, 
Guibert an die Belagerung von Narbonne. Dem König Ludwig 
sollten die Boten Barbastre versprechen. Malatrie lässt Hermen- 
jart melden, sie sei bereit Justamonts Schatz unter die Franzosen 
zu verteilen. Mit Kräutersaft gefärbt verlassen die Boten die 
Stadt (par la porte terrine) und lügen sich durch das Heiden- 
lager durch. Dem KEmir stellt sich Clarion als Bote seiner 
Schwester Mateserie aus Sankt Thomas in Indien vor, der 
Rubions Ankunft anmelden soll; [fol. 132] den Verdacht Salots 
von Bagdad beschwichtigt er, indem er vorgiebt, sie seien vom 
Emir zum Einkauf von Rüstungen nach Cordova geschickt; 
ähnlich täuscht er Corsolt. Beim Verlassen des Lagers über- 
fallen sie aber die Geleitsmannschaft eines Provianttransportes 
[Ms. B. N. 24369, fol. 135] und lassen dem Emir den wahren 
Zweck ihrer Fahrt mitteilen. 

Am 15. Tage treffen sie in Narbonne ein. Aimeri hat 
seine Söhne entboten; Joffroi sieht ihre Banner flattern und 
erkennt sie mit Freuden. Durch die St. Paulgasse kommen sie 
zum Palast und grüssen Aimeri und Hermenjart. „Woher 
kommt ihr?“ — „Von Barbastre, wo wir im Schlangenverliess 
schmachteten. Clarion hier hat uns befreit. Ich bin Hunaut, 
dies ist Joffroi und Savari, dein Tochterkind.*“ — „Ihr seid 
Spione; jene, die ihr nennt, sind noch blutjunge Leute. An den 
Galgen mit diesen.“ — Wilhelm erkennt an Savaris Kinn eine 
kleine Narbe. „Das ist ja Savari“, ruft er freudig, „der Sohn 
Guiberts.“ — Man wäscht sie mit Essig, bittet um Vergebung 
[fol. 136] und lässt sich nun erzählen, wie .die Franzosen sich seit 
einem Monat in Barbastre halten tind keine Nahrung mehr haben 
als das Blut ihrer Pferde. Die Boten erinnern Aimeri an die 
Belagerung von Narbonne, Wilhelm an die van Orange, Hernaut 


DER SIEGE DE BARBASTRE. 261 


an die von Gironde durch die elf Söhne Borrels, wo er gegen 
sein Gelübde Wasser trinken und Torte essen musste; Garin 
erinnern sie, wie er mit Aimer bei Guiberts Hochzeit gefangen 
genommen wurde. Joffroi richtet Malatries Auftrag aus. 

Am folgenden Tage brechen die Boten auf nach Frankreich. 
In Tours erfahren sie, dass der König in Orleans weilt. Hier 
treffen sie am Sonntag ein, wie man zu Tische ging. Guibert, 
der etwas jünger war als Girart, war Seneschall. [fol. 137] 
Hunaut grüsst Ludwig, Blanchefleur und Guibert. Seit einem 
Jahre (!) sei Bovon in Barbastre; Ludwig möge kommen und 
König von Spanien werden; seinen Speer könne er ins Meer 
schleudern wie einst Karl bei Dureste. Ludwig zaudert, er 
möchte das Frühjahr abwarten. Guibert springt auf, zerschlägt 
einen Stab von Apfelbaumholz auf dem Tische und ruft laut: 
Montjoie! Der König sei schlecht beraten, wenn er Bovon und 
Aimeri die Hilfe verweigere. Als Karl nach Eroberung von 
Morindien aus Spanien kam und Narbonne, damals in Aucibiers 
Besitz, erblickte: da wollte Niemand die Stadt annehmen als 
Aimeri allein, obwohl er noch Knappe war. Dreimal habe ihm 
Karl Hilfe gebracht, Ludwig noch nie. Er möge an seine 
Krönung in Aachen denken. Wilhelm habe damals unrecht ge- 
handelt; einen solchen König könne man weder lieben noch 
fürchten. — Mit seinen Rittern verlässt Guibert den Saal, 
schlägt sein Zelt jenseits der Brücke auf und in zwölf Tagen 
hat er mehr als 15000 Ritter um sich versammelt. Acht Tage 
lang wagt kein Mensch Guiberts Namen in Ludwigs Gegenwart 
zu nennen. Eines Morgens erblickt ihn der König an den Ufern 
der Loire und bittet Vuidelon von Baiern um Rat. |fol. 138] 
Dieser rät, Bovon zu Hilfe zu ziehen. Blanchefleur unterstützt 
ihn mit ihren Bitten, bis Ludwig zusagt. Vuidelon übernimmt 
es, Guibert zu versöhnen, und erhält mit leichter Mühe das Ver- 
sprechen, dass er zur Sühne nach der Rückkehr seinen Sattel 
von Paris nach Etampes auf den Schultern tragen würde. 

Ludwig versammelt ein Heer von 150000 Mann bei Saint 
Martin de Tours. Nach einem beweglichen Abschied begeben sie 
sich über Angers nach Narbonne, wo Aimeri seinen Lehensherrn 
prächtig [fol. 139] bewirtet und mit Hermenjart um die Wette 
Schätze unter die Ritter austeilt. Ueber die pres de Tindre, an 
Pamplona vorbei geht es nach Spanien; Guibert führt die Vor- 
hut, Aimeri die Nachhut, Die Besatzung von Sevane (?), einer 


262 PH. AUG. BECKER, 


wieder verloren gegangenen Eroberung Karls des Grossen, greift 
die Franzosen an; Guibert schlägt sie und nimmt die Stadt. 
Nach drei weiteren Tagen lagern sie am Flusse von Tarente; 
Wilhelm hält Schaarwacht. Sie erblicken Sarazenen und greifen 
auf Garins Rat an. Wenn aber die einen Narbonne rufen, ant- 
worten die andern mit Montjoie. Wilhelm hält die Kämpfenden 
an [fol. 140] und erkennt in den Fremdlingen seinen Bruder 
Aimer, der nach siebenjährigen erfolgreichen Kämpfen in Buriane 
nach Narbonne zurückkehrte. Gross ist Aimeris Freude; er be- 
dauert nur, dass Hermenjart sie nicht mit ihnen teilt. 

Inzwischen ging es Bovon nicht besonders. "Vom hohen 
Turm sah er die Küchen der Ungläubigen rauchen und musste 
hungern. Malatrie klagte, wie die Zelte ihres Vaters allen 
Ueberfluss an Lebensmitteln hätten, während sie an allem 
Mangel litten. Girart will einen verzweifelten Versuch machen, 
ihre Lage zu bessern, als Gautier einen Zug von Saumtieren 
bemerkt. Einen Hinterhalt in einem Gehölz zurücklassend, 
nähert sich Girart den Sarazenen und erfährt, dass der Emir 
die Lebensmittel dem zur Verstärkung heranziehenden König 
von Salebone entgegenschickt. „Ihr seid also die Leute, die uns 
entgegenkommen sollten?“ fragt Girart. [fol. 141] „Seid vor- 
sichtig; wir sind mit Salol von Bagdad überworfen; nehmt lieber 
euern Weg durch dies Wäldchen.“ Natürlich fallen die Türken 
in den Hinterhalt. Zu spät eilt der Emir herbei; die Säumer 
sind unter Bovons Deckung in das Schloss gebracht worden. 
Libanor wird von Girart aus dem Sattel geworfen und fort- 
geschleppt; Malatrie empfängt ihn mit Spottreden, während sie 
Girart herzt und küsst. [fol. 142] Trotz dieses Erfolges werden 
sich die Franzosen nicht mehr lange halten können, und sie 
ahnen nicht, wie nahe Ludwig schon ist. 

Inzwischen trifft des Emirs Schwestersohn Rubion ein; auf 
die Kunde des Falls von Barbastre, die er beim Götzenfeste 
erhielt, hatte er keinen Augenblick gesäumt; auch der Traum 
seiner Geliebten Clarune, Brohadas’ Tochter, die einen Drachen 
aus Spanien herfliegen und Rubion zerfleischen sah, hatte ihn 
nicht abgehalten. 

[fol. 143] Bereits ist Ludwig in Sicht der Stadt; Clarion 
lässt ihn deren feste Lage zwischen Meer und Sorre bewundern. 
Auf den Rat des Amustant versucht der Emär, Bovon zu einem 
übereilten Abkommen zu bewegen; indem er ihm gegen Aus- 


DER SIEGE DE BARBASTRE. 263 


lieferung von Barbastre, Malatrie und Libanor freien Abzug 
verspricht. Bovon nimmt freudig an unter Vorbehalt der Zu- 
stimmung Girarts. Die ganze Nacht, auf der Wache, denkt er 
sehnsüchtig an die Heimat. Am Morgen soll der Vertrag be- 
schworen werden. Girart sträubt sich; er fürchtet eine Hinter- 
list; [fol. 144] im Traum sah er einen feuerspeienden Drachen aus 
Frankreich kommen; Vögel flogen ringsum und riefen: Bovon 
von Commareis, gieb uns den versprochenen Schatz heraus! Das 
ist das französische Entsatzheer. „Nein“, erwidert Bovon, „das 
sind die Sarazenen, die uns vernichten werden.“ Girart lässt 
sich überreden, da erblickt Guielin jenseits des Lagers das 
flatternde Banner Wilhelms, die Vorhut der Christen. Bovon 
muss sich an die Brüstung lehnen; wer könnte seine Ergriffen- 
heit schildern! „Flieh, Türke, bevor es zu spät ist. Ludwig 
und die Franzosen sind da.“ In seiner Wut fällt der Emir über 
Muhamed her und misshandelt ihn. 

Clarion, der Wilhelms Banner trägt, hat sich unbemerkt 
durch einen Thalgrund genähert; jetzt stürzt er sich auf die 
Könige, die entsetzt fliehen. Muhamed wird zerschlagen. Bovon, 
Girart und Guielin steigen vom Turm herunter und umarmen 
ihre Freunde [fol. 145] und führen sie zum Palast. „Was für 
ein Land ist denn Frankreich?“ fragt Girart Clarion. „Traun! 
solch ein Volk habe ich noch nicht gesehen“, beteuert dieser. 
Wilhelm übernimmt die Bewachung des Turmes, während Bovon 
sich zum König begiebt. Auf die Kunde seiner Ankunft eilt 
seine ganze Sippe herbei. „Lebt sich’s gut in Spanien?“ scherzt 
Aimer. „Nehmt nicht alles für euch, lasst auch mir ein Stück 
übrig. Was mich anlangt, mag ich doch lieber die Heiden in 
offenem Felde erwarten als in einer Burg.“ 

Der König lässt Bovon und seinen Söhnen neue Rüstungen 
und frische Pferde geben. [fol. 146] Am folgenden Morgen wird 
dann der Emir aufgefordert, sich zu bekehren; er wirft den 
Speer nach dem Boten, dieser erwidert, tötet einen Türken und 
entflieht. Der Amustant, der ihn einholt, verliert sein Pferd. 
Auf beiden Seiten eilt man zu den Waffen [fol. 147] und rückt 
ins Gefecht. Guibert trägt die Oriflamme und zeichnet sich aus; 
er stürzt, Wilhelm rettet ihn; Salot wirft sich ins Gedränge; 
aber Aimeri kommt hinzu und tötet den Träger des Drachen. 
Die Sarazenen müssen über die Sorre zurückweichen und Gautier 
entdeckt eine durch Marksteine bezeichnete Furt. Frische Heiden- 


264 PH. AUG. BECKER, 


scharen erneuern den Kampf, der bis zum Abend dauert. [fol. 148] 
Die Nacht ruhen die Franzosen am Ufer des Flusses. 

An demselben Abend trifft im Heidenlager Fabur mit seiner 
Tochter Almarinde und seinen Nichten Alfanie und Blanchandine 
ein. Die Erzählung der Heldenthaten der Franzosen erweckt in 
Almarindens Herz die Liebe zu Guibert; ein Traum bestärkt sie 
in dem Glauben, dass sie und ihre Cousinen den jungen Nar- 
bonnern bestimmt sind, [fol. 149] und sie lässt sie auch gleich zum 
Stelldichein einladen. Der Flussnebel verhüllt sie beim Kommen; 
im Zelt bezeugen sie sich ihre Liebe bis zum Morgen; aber die 
Schaarwächter bemerken die Pferde und wecken Fabur. Guibert 
hört das Geräusch; seine Geliebte beschwört ihn, sie nicht zu 
verlassen. Auf der Flucht werden sie eingeholt; [fol. 150] Guibert 
wird leicht verwundet und gestürzt. Während er aufspringt und 
sich zur Wehr setzt, flieht sein Pferd durch den Fluss zu den 
Franzosen, die Guibert verloren glauben. Sie eilen hin und be- 
freien Guibert, Girart und Guielin aus ihrer verzweifelten Lage. 
Neue Türkenscharen kommen hinzu, der Kampf entbrennt von 
neuem und wird fortgesetzt, bis der Nebel bei Sonnenuntergang 
die beiden Heere trennt. |[fol. 151] Nach dem Essen höhnt Aimeri 
über Guiberts Missgeschick: „Gewiss hat das Mädchen selbst die 
Türken verständigt.“ — „Warum wäre sie mir dann gefolgt?“ 
— „Wo ist sie? Ich habe sie ja noch nicht gesehen; gleich 
bringe man ihr kostbare Gewänder.“ Almarinde ihrerseits muss 
sich gegen die Vorwürfe ihres Vaters verteidigen; sie schiebt 
die Schuld auf die schlechte Bewachung des Flusses; als schwache 
Mädchen konnten sie sich gegen gewappnete Ritter nicht wehren.') 

Die Türken haben ihre Banner und Tervagant unter einer 
Pinie aufgestellt. Der Amustant prophezeit dem Emir den Sieg; 
doch rät er eine gute Besatzung nach Cordova zu schicken, 
obwohl die Stadt einerseits durch das Meer, andererseits durch 
ein hundertstöckiges Mauerwerk geschützt ist. Guibert, Girart 
und Gui treffen auf ihrem Patrouillengang die viertausend nach 
Cordova abgehenden Sarazenen |fol. 152] und treiben sie mit 

ı) Die Fabur-Episode ist nur eine Wiederholung der Haupterzählung, 
sie unterbricht die Entscheidungsschlacht müssiger Weise und lässt sich mit 
einzelnen zu ihr gehörigen Zusätzen im Folgenden. ohne Mühe ausschalten. 
Wenn die Eliminierung dieser Episode berechtigt ist, so wird man den Dichter 
des Siege de Barbastre, wie ich glaube, die Kenntnis des Guibert 
d’Andrenas zuschreiben dürfen, 


- 


DER SIEGE DE BARBASTRE. 265 


Wilhelms Beihilfe in wilder Flucht auseinander, doch wagen sie 
aus Unkenntnis der Wege nicht, sie weiter zu verfolgen. 

Am Morgen ordnet Ludwig das Heer in drei Treffen. (Er 
sagt, sie seien seit acht Monaten unthätig in Spanien.) [fol. 153] 
Ein abgefangener Spion muss dem Emir die Herausforderung 
zur Schlacht überbringen. Dieser stellt sieben Treffen auf. 
Seinen Götzen bedeckt er mit 100 Mark Gold, und wie er 
wankt, rufen die Türken, der Sieg sei gewiss. Aimeri über- 
schreitet den Fluss mit dem ersten Treffen und wirft das erste 
der Feinde auf das zweite zurück. Garin macht Fabur zum 
Gefangenen und übergiebt ihn Guibert, der ihn nach Barbastre 
schickt. Gleichzeitig mit dem dritten Treffen der Heiden greift 
Wilhelm ein und dringt so stürmisch vor, [fo. 154] dass auch das 
vierte unter Corsolt nachgiebt. Jetzt rückt auch Ludwig vor; 
der Kampf wird allgemein; die Franzosen dringen bis zu den 
Zelten; im Flusse wird gekämpft; seit Roncevaux sah man kein 
solches Gemetzel. Salots Schar ist gesprengt; die Jungfrauen 
treten vor das Zelt, dem Lanzenstechen zuzuschauen. [fol. 155] 
Salot fällt. von Guiberts Hand; schon hat Guielin den Amustant 
bei der Nasenstange gepackt, als Girart den Todesstreich auf- 
hält und den Vater seiner Braut nach Barbastre bringen lässt. 
Vuidelon von Baiern fällt vor Ludwigs Augen; der König durch- 
bohrt dem Emir den Oberarm; dieser wendet mit den Seinen die 
Zügel; beim Ueberschreiten der Argente verliert er noch die 
Hälfte der Leute; dann jagt er in wilder Flucht davon und 
wird sich erst in Persien oder Indien sicher fühlen. 

Ludwig lässt die Toten auflesen und die Verwundeten nach 
Barbastre bringen. Dorthin führen Guibert, Girart und Guielin 
die Jungfrauen. Mahomed wird zerschlagen und das Gold unter 
die Franzosen verteilt. Dann wird das Land erobert; binnen 
acht Tagen war es bis nach Santiago gesäubert. 

Nur Cordova blieb einzunehmen. Ludwig zieht vor die 
Stadt und schlägt sein Zelt auf dem Oelberge auf. Der Aumacor 
Bruiant glaubt sich sieben Jahre halten zu können. Er versucht 
einen Ausfall, |fol. 156] stösst auf Wilhelm und wird geschlagen 
und bis zu den Thhoren verfolgt. Ludwig befiehlt den Sturm; 
ein Wald wird gefällt, die Gräben werden mit den Aesten gefüllt, 
15 Fuss hoch Erde darüber geschüttet; aus den Baumstämmen 
wird ein zehnstöckiges Kastell erbaut, das 400 Schildknappen 
unter dem Schutz der Armbrustschützen besteigen. Auf der 


266 PH. AUG. BECKER, DER SIEGE DE BARBASTRE. 


andern Seite schlägt die Steinschleuder Bresche in den Wall. 
Die Franzosen dringen ein und bemächtigen sich des Thores. 
Alt und jung wird niedergemacht. 

Auf Bovons Vorschlag wird auch Lerida am Meere bestürmt. 
Die aufgezogenen Brücken werden mit Haken heruntergerissen; 
die Bogenschützen hindern das Werfen von griechischem Feuer; 
die Schleudermaschine wird so nahe vor das Thor gebracht, dass 
sie die Riegel sprengt. Alle Heiden werden getötet, das Gold 
und Silber nach Barbastre geschleppt. 

In Barbastre findet Ludwig Malatrie; er fragt sie, ob sie 
Girart möchte; seit einem Monat ist es ihr einziger Wunsch. 
Sie giebt dem König den Schatz Justamonts zu verteilen. Der 
Amustant, Fabur und Libanor werden auf die Namen Aimeri, 
Guillaume und Louis getauft; die Jungfrauen behalten die 
ihrigen bei. Clarion bekommt sein Lehen zurück und wird mit 
Blanchandine vermählt; Guibert erhält Almarinde mit Morindia 
und Lerida. |Nach der Hs. 1448 tritt er Almarinde an Libanor 
ab.]| Darauf begiebt man sich.nach Cordova. Malatrie lässt 
sich von ihren Jungfrauen schmücken und tritt von allgemeiner 
Bewunderung begrüsst in den Saal. Der König spricht sie 
Girart zu; [fol. 157] der Amustant schenkt ihr eine kostbare 
Krone, die Ludwig ihr aufsetzt. Die Hochzeit dauert acht 
Tage. Dann kehrt Clarion nach Barbastre zurück, Libanor 
nach Morinde, und Girart nimmt Abschied von Guielin und 
Bovon. 

Auf dem Heimwege nehmen die Franzosen noch Saragoza 
ein, das Aimer erhält, und Pamplona, das man Fabur verleiht. 
Acht Tage später werden die Franzosen in Narbonne von 
Hermenjart mit Jubel empfangen; dann kehrt Ludwig nach 
Paris zurück und entlässt sein Heer. Aimeris Söhne begeben 
sich jeder in sein Land; nur Guibert, der noch nicht versehen 
ist, bleibt bei Aimeri, der altert und sein Land dem Jüngsten 
bestimmt. 


Budapest. Pu, Aug. BECKER, 


Groteske Satire bei Moliere? 
Ein Beitrag zur Komik Moliere’s. 


So sorglich sich die Moliereforschung der Biographie des 
&rossen Komikers, der Ermittelung seiner Quellen und der Unter- 
suchung seines Verhältnisses zu den zeitgenössischen Dichtern 
und massgebenden Persönlichkeiten angenommen hat, so stief- 
mütterlich hat sie eigentlich die Frage nach dem Wesen des 
Komischen in seinen Lustspielen behandelt. Die Moliere- 
biographen haben die Frage nicht einer näheren Untersuchung 
gewürdigt. Entweder geben sie nur kurze Bemerkungen im 
Anschluss an die einzelnen Stücke!) oder bleiben in ihren Be- 
trachtungen zu sehr auf der Oberfläche.?2) Die Einzelforschung 
hat nur selten die Frage aufgegriffen und lange nicht erschöpft.?) 


1) So Mahrenholtz, der wohl ein Kapitel über Moliere’s moralische, 
religiöse und politische Richtung, über sein Verhältnis zur Wissenschaft, zur 
Schauspielerkunst, auch eines über seine Litteratur und Weltkenntnis sowie 
über seine dichterische Originalität bietet, aber das Wesen des Komischen bei 
ihm nicht untersucht (vgl. Mahrenholtz: Moliere’s Leben und Werke vom 
Standpunkt der heutigen Forschung, 1881, 2. Bd. Franz. Studien von Körting 
und Koschwitz). 

2) Das muss man leider auch von Lotheissen sagen „Moliere, sein 
Leben und seine Werke 1880“, namentlich von seinen Bemerkungen über 
das Wesen der Komik im Anfang. Im Kapitel „Moliere’s Stellung in der 
Geschichte des Lustspiels“ finden wir wertvolle Ansätze, aber nicht mehr. 
Le Breton in Petit de Julleville’s Litteraturgeschichte Bd. V bietet in den 
Kapiteln „Systöme dramatique de Moliere S. 24ff.“ und „le Comique de Moliöre 
8. 57“, nichts, was irgendwie in die Tiefe ginge. — Larroumet in seinem 
schönen Buch „la Comödie de Moliöre“ berührt die Frage ebensowenig wie 
Taschereau und Claretie in ihren Moliörebiographien. 

>) Auf die wenigen Untersuchungen kommen wir weiter unten zu 
sprechen. Von Bedeutung ist eigentlich nur Louis Vivier in einer Reihe von 
recht interessanten, unter dem Titel „L’art de Moliöre“, im Molieriste VIII 


268 H. SCHNEEGANS, 


Wir haben im Folgenden vor, nur die eine Seite des Komischen 
bei Moliere zu untersuchen, können aber, wenn wir die im Titel 
gestellte Frage lösen wollen, die wichtigsten Grundfragen nach 
dem Wesen des Komischen bei ihm nicht umgehen. 

Schon zu Moliere’s Zeiten hat man den grossen Unterschied, 
der zwischen seinen Farcen und Charakterkomödien besteht, 
herausgefühlt. Die Verschiedenheit erblickte man aber meistens 
nur im Gegensatz des Feineren zum Rohen. So Boileau in den 
berühmten Versen des Art poetique III: 


„Üest par la que Moliere illustrant ses cerits | 

Peut-etre de son art eüt remporte le prix, 

Si moins ami du peuple, en ses doctes peintures 
Il n’eut point fait souvent grimacer ses figures; 
(uittE pour le bouffon Vagrcable et le fin 

Et sans honte a Terence alliE Tabarin. 

Dans ce sac ridieule ou Scapin s’enveloppe 

Je ne reconnais plus Fauteur du Misanthrope.“ 


Diese Auffassung findet man heutzutage noch. Die Farce 
ist nach der Meinung Vieler die untergeordnete Gattung, die den 
Dichter auf niedriger Stufe erscheinen lässt.!) Diese Ansicht 
bekundet, meines Erachtens, eine gänzliche Verkennung des 
ästhetischen Wertes beider Gattungen. Vom ästhetischen 





erschienenen Artikeln. Die anderen Zss., auch das Molieremuseum, enthalten 
nichts derartiges. 

!) In seinem Programm „Moliere in seinen Farcen und ersten Komödien 
Straunsberg 1877“ meint Klug in Bezug auf seine Farcen und ersten Komödien: 
„Selbstverständlich sind auch wir der Meinung, dass es Moliere erst nach 
vielen Missgriffen und Schwankungen gelungen sei, zum Bau einer 
untadeligen Komödie vorzudringen“. Auch spricht er von der „Hilflosigkeit 
und Unbeholfenheit“ des Dichters in diesen ersten Komödien. — Mahrenholtz 
drückt sich in Bezug auf die Possen meistens so aus, als ob sie. etwas ver- 
werfliches und untergeordnetes wären. So 8.94: „der Neigung zum Possen- 
haften“ sagt er, „trug Moliere mehr Rechnung als für seinen Ruhm dienlich 
gewesen ist“; 8.257 rühmt er es an Moliere, dass er im Avare den Abweg 
in das Volkstümlich -Possenhafte vermieden habe. S. 239 bedauert er den 
Rückfall in jene niedere possenhafte Komik, welche die Farcen und die ersten 
Jugendstücke des Dichters bekunden; S. 241 sagt er, er hätte sich geschämt, 
bei der Aufführung einer Moliere’schen Posse wider sein besseres Wollen 
gelacht zu haben. In den oben eitierten "Artikeln sucht auch Louis Vivier 
alle möglichen Gründe, um Moliere zu „entschuldigen “dass er Pourceaugnac 
(S. 257) und „les fourberies de Scapin“ (S. 266) geschrieben habe. 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 269 


Standpunkt kann die Posse nie und nimmermehr als eine 
niedrigere Gattung angesehn werden als das Charakterlustspiel. 
Zum Dichten einer guten Posse gehört ebensogut Genie wie 
zum Dichten eines Charakterlustspiels.!) Der „Medecin malgre 
lui“ ist als Posse ein ebenso geniales Stück wie der „Tartuffe“ 
als Charakterlustspiel. Aber warum kann uns dieses Stück in 
die ausgelassenste Lustigkeit versetzen, während uns sogar 
manches Charakterlustspiel Moliere’s heutzutage kalt lässt? 
Etwa weil Stücke dieser Art s.g. niedrigen Instinkten bei uns 
schmeicheln, oder weil wir uns eines weniger fein entwickelten 
ästhetischen Geschmacks rühmen dürfen? Wohl kaum! Wir 
haben es hier nämlich nicht mit einer Unter- und Oberstufe 
zu thun, sondern mit zwei verschiedenen Arten des Komischen, 
die nebeneinander sehr wohl ihre Berechtigung haben. Vom 
ästhetischen Standpunkte aus, wohlverstanden. Ein Eindringen 
in die Entstehung des Komischen in beiden Fällen wird uns 
überzeugen. 

Die Ursache des Komischen erblickte ich in meiner Geschichte 
der grotesken Satire S.20 in dem plötzlichen Zusammenstoss 
eines Lust- und Unlustgefühls. Das Lustgefühl entstand dadurch, 
dass eine neue Vorstellung schnell und ungestört zu einer im 
Bewusstsein vorhandenen sich assimilierte, während das Unlust- 
gefühl seine Quelle in dem Umstande fand, dass die neue Vor- 
stellung in Widerspruch mit den im Bewusstsein sich befindenden 
geriet und deshalb isoliert blieb. Beim Possenhaften bestand das 
Gefühl der Lust in der Freude über einen gelungenen Streich, 
das Unlustgefühl dagegen in der durch die angeschaute Zweck- 
widrigkeit und Unwahrscheinlichkeit hervorgerufenen Dummheit. 
Ich führte als Beispiel eine Scene aus einer Harlekinade an, in 
welcher der Harlekin einem Stotterer, der ein schweres Wort 
nicht herausbringen konnte, dadurch half, dass er ihm urplötzlich 
mit dem Kopf gegen den Bauch rannte. In diesem Beispiel geht 
das Unlustgefühl aus der grossartigen Dummheit hervor, welche 
darin besteht, einem Stotterer dadurch helfen zu wollen, dass 
man ihm einen Stoss gegen den Bauch giebt. Diese neue Art 
von Heilung kann sich zu den in unserm Bewusstsein vor- 


ı) Diderot soll gesagt haben: „Si lon croit quil y a beaucoup plus 
d’hommes capables de faire Pouwrceaugnace que le Misanthrope, on se trompe“ 
vgl. Molieriste VIII, S. 259. 


270 HM. SCNHEEGANS, 


handenen Vorstellungen von Heilungen durchaus nicht assimi- 
lieren. Die Vorstellung bleibt infolgedessen isoliert und ver- 
ursacht ein Unlustgefühl; dieses Unlustgefühl tritt aber sofort 
mit einem Lustgefühl viel stärkerer Art in Konflikt. Bei aller 
Sonderbarkeit ist der Einfall des Harlekin doch ganz klug. Es 
ist ihm gelungen etwas fertig zu bringen, was wir für unmöglich 
hielten. Jeder gelungene Streich erweckt aber in uns ein Lust- 
gefühl, denn jede neue Erfahrung einer Ueberwindung von 
Schwierigkeiten bereichert unser Wissen, in anderen Worten 
assimiliert sich zu den zahlreichen in unserm Bewusstsein schon 
vorhandenen Vorstellungen ähnlicher Erfahrungen. Aus dem 
Zusammenprallen beider Gefühle entsteht ein starkes, lustiges 
Lachen, das von ganz harmloser Art ist, da das Lustgefühl in 
der von hässlichem Egoismus ganz freien Freude über den 
gelungenen Streich eines Anderen seine Quelle hat. Dieses 
Lachen wird auch durch die s.g. Farcen Moliere’s verursacht. 
Als solche wäre ich geneigt anzusehen, als die gelungensten 
„le M&edecin malgr& lui“ und „Monsieur de Pourceaugnac“, 
dann „l’Amour medecin“ und „le Mariage forc&“, ferner 
schon zur Intriguenkomödie gehörend, „les Fourberies de 
Scapin, l’Etourdi und le Depit amoureux“.t) 

Sehen wir uns zunächst den „Medecin malgre lui“ etwas 
genauer an. Einerseits erscheint uns die Geschichte dieses rohen 
Holzhauers, der seine Frau durchprügelt, dann aber selbst durch 
Haue veranlasst wird, gegen seinen Willen als Arzt in der 
Stadt aufzutreten, und gegen unser Erwarten von den Leuten 
wirklich als grosser Arzt angestaunt und bewundert wird, aller 
Wahrscheinlichkeit zuwiderlaufend, und deshalb auf den ersten 
Blick dumm. Die Vorstellung eines solchen Menschen findet nichts 
Analoges in unserm Bewusstsein, kann sich mit keiner der sich 
in demselben befindenden Vorstellungen associeren, bleibt isoliert, 
und verursacht infolgedessen ein Unlustgefühl. Dieses’ tritt aber 
sofort in Konflikt mit einem mächtigen Lustgefühl. So dumm 
die Geschichte auch ist, die uns hier vorgeführt wird, sie ist doch 
höchst witzig zu gleicher Zeit. Wenn wir es recht bedenken, 
ist dieser Holzhauer doch ein wahres Genie in seiner Art. Ein 


1!) Ueber das Verhältnis der Posse zur s. g. Intriguenkomödie vgl. 
weiter unten 8. 276ff. George Dandin, den Lotheissen als Posse ansieht, 
ist meiner Ansicht nach eine Sittenkomödie. 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 271 


Anderer hätte die Rolle als Arzt niemals spielen können und 
wäre als Schwindler sofort entlarvt worden. Dank seiner gross- 
artigen Frechheit, weiss er es aber so einzurichten, dass er den 
Leuten fortwährend Sand in die Augen streut. Von Medizin 
weiss er rein gar nichts, aber durch sein sicheres Auftreten, 
durch die Paar Brocken Latein, die er früher gelernt hat, und 
mit denen er um sich wirft, durch sein geschicktes Ausnutzen 
der Dummheit Anderer, weiss er den Streich, der gegen ihn 
gespielt werden sollte, nicht bloss unschädlich zu machen, sondern 
sogar zu seinem eigenen Profit auszubeuten. Ich will hier nur 
an folgende köstliche Scene erinnern, in welcher er sich mit 
wahrhaftig grossartiger Genialität aus der Schlinge zu ziehen 
weiss. Geronte frägt ihn, woher es komme, dass seine Tochter 
stumm sei. „Es ist nichts leichter zu erklären“, antwortet er mit 
verblüffender Sicherheit. „Es kommt daher, dass sie die Sprache 
verloren hat.“ — „Sehr wohl“, erwidert Geronte, „aber die Ur- 
sache, bitte, welche bewirkt, dass sie die Sprache verloren hat?“ 
— Alle unsere besten Autoren, meint Sganarelle, werden Ihnen 
sagen, „que c’est l’empeöchement de l’action de la langue“. Und 
als Geronte sich auch damit noch nicht begnügt, und weiter 
frägt, nimmt er, nachdem er sich versichert hat, dass Geronte 
kein Latein versteht, seine Zuflucht zu dem furchtbarsten 
Kauderwelsch, bringt alle möglichen gelehrten Wörter und 
Phrasen, die er je in seinem Leben gehört, durcheinander, und 
überschüttet den guten Mann mit einer solchen Flut nichts- 
bedeutender, aber höchst wichtig erscheinender Redensarten, 
dass derselbe schliesslich in den Ruf ausbricht: „On ne peut 
pas mieux raisonner, sans doute“. Und selbst die Blösse, die er 
sich gegeben hat, als er in seiner grossartigen Unwissenheit das 
Herz auf die rechte und die Leber auf die linke Seite gesetzt 
hat, weiss er durch die selbstverständlich aussehende Bemerkung 
wieder gut zu machen „Owi, cela etait autrefois ainsi, mais nous 
avons change tout cela, et nous faisons maintenant la medeeine 
d’une methode toute nowvelle“.) Umd Geronte ist so überzeugt 
von der Richtigkeit dieser Behauptung, dass er kleinlaut um 
Verzeihung bittet: „Ü’est ce que je ne savois pas et je vous 
demande pardon de mon ignorance“. Die Geschicklichkeit unseres 


') Ueber den Umstand, der vielleicht Moliere zum Anbringen dieses 
Scherzes veranlasste, vgl. Molieriste V, S. 119 und VI, S. 189. 


272 H. SCHNEEGANS, 


Holzhauers erfüllt uns ebenso mit Bewunderung wie diejenige 
des Harlekin. Es ist also wiederum der gelungene Streich, der 
in uns ein Lustgefühl erweckt. 

Die Posse „M. de Pourceaugnac“ verursacht die gleiche 
komische Wirkung. Auf den ersten Blick erscheint uns die 
Geschichte des guten limusiner Edelmannes, weil sie ebenfalls 
aller Wahrscheinlichkeit widerspricht, entsetzlich albern. Wie 
kann man uns zumuten, zu glauben, dass Pourceaugnac auf alle 
plumpen Streiche hereinfällt, die man ihm in der Hauptstadt 
spielt, um ihm die Heirat der Tochter des Oronte gründlich zu 
verleiden! Wird er wirklich nicht merken, dass Eraste ihn 
betrügt, wenn er ihn bei seiner Ankunft als einen seiner besten 
Freunde umarmt, mit dem er schon in Limoges zusammen gewesen 
ist? Es ist doch nicht schwer zu merken, dass Eraste keine 
Ahnung weder von der Stadt noch von seiner Verwandtschaft 
hat. Und wie kann er die zwei Aerzte, die ihm Eraste auf den 
Hals schickt, für zwei Wirte halten, die ihn beherbergen wollen? 
Er müsste sie doch an der Kleidung sofort erkennen! Und 
endlich, die zwei Frauen, die ihn als ihren durchgebrannten 
treulosen Gatten verfolgen, die Kinder, die in ihm ihren pflicht- 
vergessenen Papa wiedererkennen wollen, seine Verkleidung als 
Dame, aus Furcht vor seiner Verurteilung als Polygame, sein 
Abenteuer mit den Schweizern, die ihm galante Anerbietungen 
machen, ist das nicht alles der Gipfel der Unwahrscheinlichkeit? 
Kommt uns das nicht entsetzlich dumm vor, und erregt es nicht 
infolgedessen ein Unlustgefühl? Gewiss, aber dieses Unlustgefühl 
tritt sofort mit einem viel mächtigeren Lustgefühl in Konflikt! 
Ganz ebenso wie bei den vorigen Fällen. Wenn wir es recht 
bedenken, so sind das doch alles sehr kluge Einfälle, famos 
gelungene Streiche, die uns da vorgeführt werden. Um Pour- 
ceaugnac die Heirat mit Julie zu verleiden, konnten keine 
besseren Streiche erdacht werden, als diejenigen, welche uns 
dargestellt werden. Eraste, Sbrigani, Nerine, selbst Julie wissen 
die Streiche von Pourceaugnac so genial auszunutzen, ihre 
sanze Intrigue baut sich so klug auf, dass wir voller Be- 
wunderung für sie sind. Schon der Gedanke allein, dass Julie 
den ihm aufgedrungenen Bräutigam durch übertriebenes Ent- 
gegenkommen, das an das Unschickliche grenzt, stutzig macht, 
wäre genial zu nennen. Sie weiss ganz gut, dass sie einen 
biederen Provinzialen, der gerade in dieser Beziehung besonders 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 273 


streng sein muss, durch ein solches Betragen am meisten vor 
den Kopf stossen wird. Und an einen gegen ihn geführten 
Streich wird er da am allerwenigsten glauben. Solchen Kniffen 
gegenüber ist er vollständig wehrlos. Also erreichen sie alle 
glänzend ihren Zweck. Wir bewundern wieder den gelungenen 
Streich. Der einzige Unterschied gegen den Medecin malgre 
lui wird wohl der sein, dass hier vielleicht das Mitleid für den 
armen Pourceaugnac, dem so übel mitgespielt wird, die Freude 
am gelungenen Streich bei besonders weichherzig oder streng 
moralisch angelegten Leuten beeinträchtigen kann. Doch ist 
das für die komische Wirkung nicht das Ausschlaggebende. 
Das Publikum der Posse, das naive Volk wird sich daran nicht 
stossen.) 

So gelungen wie die beiden besprochenen Possen sind keine 
sonst bei Moliere.?2) Doch entsteht die komische Wirkung auf 
ähnliche Art. Im Etourdi und den Fourberies de Scapin 
freilich hat es der Dichter nicht vermocht das Lustgefühl viel 
stärker zu entwickeln als das Unlustgefühl. Die angeschaute 
Dummheit macht in einer weniger gelungenen Posse oft mehr 
Eindruck als der gelungene Streich) Wenn Scapin in jener 
Scene, die Boileau so sehr empörte, den alten Geronte, den er 
in einen Sack eingeschlossen hat, angeblich um ihn gegen seine 
Verfolger zu retten, windelweich durchhaut, indem er ihn glauben 
macht, die Schläge, die er bekommt, würden ihm von den ihn 


!) Dieser Umstand hat den einen oder anderen Aesthetiker veranlasst, 
um Moliere gegen den Vorwurf der Roheit zu schützen, in diesem Stück ein 
satirisches Element hervorzuheben, das meines Erachtens nicht in den Vorder- 
grund treten darf. So L. Vivier l.c., der behauptet, Moliere habe sich an 
der Unverschämtheit eines limusiner Edelmanns rächen wollen. Eine solche 
persönliche Rache wäre aber meiner Ansicht nach schlimmer als die Posse. 

?) Ich kann sie nicht alle im Einzelnen durchnehmen. Man untersuche 
aber nach dem gegebenen Vorbild den Amour medeein und den Mariage force 
auf ihre possenhaften Elemente hin. 

s) A. W. Schlegel in seinen Vorlesungen über dramatische Kunst und 
Litteratur hat die Empfindung, dass die Unverschämtheit in den Fourberies 
zu gross ist. Er sagt S. 105 in Böckings Ausg., Leipzig 1846 „der harmlose 
Blödsinn der beiden Alten reicht kaum hin, es glaublich zu machen, dass sie 
ohne alle Schwierigkeit in eine so handgreifliche, grob gesponnene Schlinge 
hineingehen“. Das scharfe Urteil Boileau’s über Moliöre's Possen überhaupt 
mag auch wohl aus der Empfindung hervorgegangen sein. Ein weniger 
gelungenes Stück sollte aber nicht dazu führen, die ganze Gattung zu ver- 
dammen. 

Festgabe für Gustav Gröber. 18 


274 H. SCHNEEGANS, 


verfolgenden Raufbolden erteilt, mit denen er sich zum Schein 
unterhält, so ist die Unwahrscheinlichkeit des Gelingens eines 
solchen Streichs doch so gross, dass sie der Bewunderung für 
den in der That gelungenen Schelmenstreich in unserm Empfinden 
gewiss die Wage halten wird. Da infolgedessen das Lustgefühl 
dem Unlustgefühl kaum überlegen sein wird, so wird das ent- 
stehende Lachen die übermütige Ausgelassenheit, die es bei 
den vorigen Beispielen charakterisierte, kaum erreichen. Hierzu 
kommt gewiss auch noch der Umstand, dass bei diesem Beispiel 
die rohe Handlungsweise Scapin’s dem armen Greise gegenüber 
ein moralisches Unbehagen hervorrufen wird, welches das andere 
Unlustgefühl noch verstärken wird. Beim moralisch weniger 
entwickelten Volke oder bei Kindern, wird dieses Unlustgefühl 
natürlich viel weniger leicht aufkommen können. Ausserdem 
macht in diesen Gesellschaftsklassen oder in diesem Alter die 
physische Ueberlegenheit einen so grossen Eindruck, dass sie die 
Entwickelung eines Lustgefühls nur begünstigt. Aus diesem 
Grunde wird eine solche Scene wie die eben geschilderte dem 
Volke oder der Jugend viel besser gefallen als uns, wie ja über- 
haupt die Possen, in welchen Prügeleien die Hauptrolle spielen 
die eigentliche komische Domäne von Volk und Jugend sind. 
Von der Posse weicht, was die komische Wirkung betrifft, 
die Intriguenkomödie nicht viel ab. Der einzige Unterschied 
wird wohl der sein, dass die Geschicklichkeit, die wir darin 
bewundern, nicht auf das Konto einer der in dem Stück auf- 
tretenden Personen, sondern auf dasjenige des Dichters zu setzen 
ist, der es so gut versteht, die verschiedensten Fäden zu ver- 
wirren, ohne dass die grosse Unwahrscheinlichkeit der ver- 
wickelten Handlung ad absurdum geführt wird. Ein solches 
Stück dürfte Sganarelle ou le cocu imaginaire sein. Im Grunde 
genommen ist die Intrigue so unwahrscheinlich als möglich. 
Man denke nur: C£lie beklagt sich darüber, dass ihr Vater sie 
ihrem teuern Lelie nicht zur Frau geben will, und während 
sie dessen Bild anschaut, das sie in einem Medaillon bei sich 
trägt, fällt sie in Ohnmacht und lässt zugleich das Bild auf die 
Erde fallen. Sganarelle, ihr Nachbar, eilt ihr zu Hülfe. Während 
er sie in seinen Armen hält, um sie aufzuheben, erblickt ihn 
vom Fenster aus seine Frau; sofort fasst sie den Verdacht, er 
möchte untreu sein. Sganarelle hegt ihr gegenüber denselben 
Verdacht, als er hinzukommt und sieht, wie sie das von Celie 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 275 


dagelassene Bild Lelies, welches sie aufgehoben, in Händen hält. 
In Lelie, den er nicht kennt, glaubt er den Geliebten seiner 
Frau entdecken zu sollen. Beide Gatten machen sich gegenseitig 
ebenso unberechtigte als erbitterte Vorwürfe. Darauf kommt 
Lelie von der Reise zurück. Sganarelle, der ihn an dem in 
seinem Besitze befindlichen Bilde, das er in der Hand seiner 
Frau gefunden hat, erkennt, hält ihn für den Geliebten seiner 
Gattin. Er dagegen glaubt in ihm den Gatten seiner Celie, die 
sich inzwischen verheiratet habe, erkennen zu sollen, und fällt 
aus Verzweiflung darüber ebenfalls in Ohnmacht, und zwar just 
in die Arme der Frau von Sganarelle, die ebenso hilfbereit ist, 
wie ihr Gatte vorher der Celie gegenüber. Sganarelle, der kurze 
Zeit nachher den Lelie, der inzwischen wieder zu sich gekommen 
ist, aus dem Hause seiner Frau kommen sieht, ist natürlich nun- 
mehr vollständig von ihrer Schuld überzeugt und erzählt der Celie, 
die seine Klagen zufällig gehört hat, dass Lelie der Geliebte 
seiner Frau ist. Nunmehr ist auch sie in Verzweiflung und 
aus Entrüstung bereit den Gatten zu nehmen, den ihr Vater ihr 
vorschlägt. So ist es denn dem Dichter gelungen durch eine und 
dieselbe Intrigue die Eifersucht der zwei Männer und der zwei 
Frauen gegeneinander zu erwecken. Die Lösung des Knotens 
wird ebenso unwahrscheinlich als dessen Schürzung durch eine 
schwatzhafte Magd, die alles mit angesehen, herbeigeführt. Ich 
glaube, dass ich mich nicht täusche, wenn ich das zur Hervor- 
bringung der komischen Wirkung nötige Unlustgefühl wiederum 
in der grossartigen Unwahrscheinlichkeit resp. Dummheit dieser 
Scenen, die allen unseren sonstigen Erfahrungen widersprechen, 
suche. Ein einziges Wort der Erklärung würde ja genügen, 
das ganze luftige Gebäude zu zerstören. Das Lustgefühl hat 
aber seine Quelle in der Freude, die wir über die Geschicklichkeit 
des Dichters empfinden, der es zu Stande bringt, so unwahr- 
scheinliche Dinge doch so darzustellen, dass sie nicht unmöglich 
erscheinen, und der spielenden Leichtigkeit, mit welcher er es 
versteht, alle sich ihm entgegensetzenden Schwierigkeiten zu 
überwinden. 

Im allgemeinen hat es Moliere lieber, in seinen Komödien 
die klugen Streiche mit denen er uns amüsieren will, durch die 
Personen des Stückes selbst ausführen zu lassen. Und die 
Intrigue spielt dabei keine grosse Rolle. Das Schürzen des 
Knotens ist ja überhaupt nie Molieres starke Seite gewesen. 

18* 


276 H. SCHNEEGANS, 


In dieser Hinsicht ist ihm die moderne Komik weit überlegen. 
Labiche hat in seinen Stücken wohl das Hervorragendste ge- 
leistet, was nach der Seite hin versucht worden ist. Sein 
„Chapeau de paille d’Italie* ist das genialste derartige 
Stück, das ich kenne. Es ist zugleich ein glänzendes Beispiel 
dafür, wie nahe Intriguenkomödie und Posse mit einander ver- 
wandt sind.!) Beide haben auch denselben Zweck: Durch ihre 


!) Ich rufe die Handlung ins Gedächtnis zurück: Einem jungen Manne 
Fadinard, der eben im Begriff ist Hochzeit zu feiern, muss, das Unglück 
passieren, dass, während er sich mit der ganzen Hochzeitsgesellschaft auf den 
Wege nach Paris macht, das Pferd seines Wagens einen kostbaren Strohhut, 
den eine Dame (Anais) im Bois de Vincennes, an einen Baum aufgehängt 
hat, zerfrisst. Er wird deshalb von dem Offizier (Emile), mit welchem dieselbe 
ein Rendez-vous hat, zur Rede gestellt und bis in seine Wohnung verfolgt. 
Da zufällig das Dienstmädchen der Anais, welche im Hause Fadinards mit 
dem Diener desselben ein Rendez-vous hat, das im Besitze Fadinards befindliche, 
übrig bleibende Stück des Strohhutes erwischt und Anais infolgedessen fürchten 
muss, dass ihr Mann ihr Verhältnis mit Emile erfahren werde, verlangt sie, 
dass Fadinard ihr sofort einen ähnlichen Strohhut kaufe. Fadinard willigt, 
um einen Skandal mit dem Offizier zu vermeiden, ein, obgleich seine ganze 
Hochzeitsgesellschaft in Droschken unten vor der Thüre wartet. Während der 
Offizier und Anais in seiner Wohnung zurückbleiben, geht er, von der ganzen 
Hochzeitsgesellschaft begleitet, einen Hut in einem Modegeschäft zu kaufen. 
Dort will das Unglück, dass er seine frühere Geliebte wiedertrifit, der er 
die Ehe versprochen hat. Wiederum aus Furcht vor einem Skandal, lässt er 
die Hochzeitsgesellschaft glauben, dass das Modegeschäft die Mairie ist, in 
welcher die Ehe geschlossen werden soll. Einen gleichen Strohhut kann er 
aber, da er sehr seltener Art ist, dort nicht finden. Seine frühere Geliebte 
vertraut ihm nun, unter der Bedingung, dass er sie dann heiraten werde, an, 
dass die Baronne de Champigny einen solchen Hut besitze. Sofort macht sich 
Fadinard auf den Weg dorthin, immer von der Hochzeitsgesellschaft verfolgt, 
welche sich nun einbildet, man gehe zum Essen ins Gasthaus. Die Baronne 
de Champigny erwartet gerade einen etwas sonderbaren berühmten Neapolitaner 
Sänger zum Abend bei ihr. Als Fadinard dort ankommt, wird er für den 
betreffenden gehalten, und erlebt mit der Hochzeitsgesellschaft, die dort 
ein vorzügliches Hochzeitsmahl nebst famos organisierter Soiree mit Ball, 
vorzufinden meint, die allertollsten Abenteuer. Den Hut bekommt er aber 
nicht, da die Baronne denselben ihrer Nichte geschenkt hat. Sofort eilt er 
zu derselben und findet ihren Mann, Herrn Beauperthuis im Begriff ein Fuss- 
bad zu nehmen. Derselbe erwartet mit Ungeduld seine Frau, die seit dem 
Morgen ausgeblieben ist. Den Fadinard, der furchtbar aufgeregt spät Abends 
bei ihm einbricht, hält er zuerst für einen Dieb, der einen Raubmord an ihm 
verüben will. Die Hochzeitsgesellschaft glaubt sich endlich zu Hause an- 
gekommen und will sich für die Nacht häuslich einrichten. Nach einer Reihe - 
toller Scenen, kommt es schliesslich heraus, dass die Dame, welche Herr 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? PA 


ganz harmlose und naive Komik wollen sie nur unterhalten, 
niemals verspotten. Das ist meines Erachtens der springende 
Punkt, der sie von dem andern Lustspiel, das ich satirisches 
Lustspiel nennen möchte, trennt.!) 

Merkwürdigerweise haben die Aesthetiker und Litteraten, 
die sich mit dem Wesen des Komischen bei Moliere beschäftigten, 
den grossen Unterschied, der zwischen der eben besprochenen 
Komik und der andern besteht, nicht genügend herausgefühlt. 
Einige halten nur das Satirisch-Komische für berechtigt und sehen 
das andere, sobald es bei Moliere vorkommt, für eine Verirrung 
an. So sagt Vivier 8.269 l.c. „Le comique est l’expression du 
ridieule et de la sottise — le plaisir comique est celui que nous 
trowons a lexpression du ridicule et de la sottise“ Als Ziel 
der Komödie sieht er nur folgendes an: „La comedie s’est choisi 
le völe de nous eelairer en flagellant les prejuges et la sottise“. 
Ebenso sagt er S. 209: „Part comique commence a la satire 
personnelle, continue par Wobservation des moeurs, aboutit au 
caractere, dest a dire une des formes permanentes de U’humanite,; 
il commence a l’individu, continue par le groupe, aboutit a 
l’espece“. Deshalb muss er, um Moliere’s Komik in den Possen 
verständlich zu machen, alle möglichen Kunststückchen anwenden. 
Er sucht nach Satirischem, wo solches nicht vorhanden ist. So im 
Monsieur de Pourceaugnac (vgl. o.). Auch die Fourberies 
de Scapin sucht er zu „entschuldigen“ (S. 266), indem er sagt: 
„Nous ne sommes pas fäches de punir la liaison des deux 
Beauperthuis erwartet, keine andere ist, als diejenige, die in Fadinard's 
Wohnung ist (Anais), dass also der Strohhut, nach dem er sucht, derselbe 
ist, den er ersetzen soll. Mitten in der Nacht macht sich die ganze Gesell- 
schaft auf den Weg nach Fadinard’s Wohnung, er, um die Dame zu befreien, 
Beauperthuis, um den Ehebruch zu konstatieren, die Hochzeitsgesellschaft, 
der die Geschichte doch schliesslich zu bunt geworden ist, um die Hochzeits- 
geschenke wieder zurückzunehmen. Dieser Umstand führt glücklicherweise 
die Lösung des Knotens herbei. Fadinard entdeckt unter den Hochzeits- 
geschenken einen ganz gleichen Strohhut; er hat natürlich nichts eiligeres zu 
thun als denselben der Anais zukommen zu lassen, die nun ihrem Manne 
gegenüber die Beleidigte spielt. — Es wird allerdings Fadinard nicht leicht, 
den Hut Anais zu geben, — denn die Hochzeitsgesellschaft ist unterdessen 
wegen nächtlicher Ruhestörung eingesperrt worden, — schliesslich gelingt es 
aber doch, und Alles trennt sich im besten Einvernehmen. 

!) Deshalb würde ich nicht wie Bohtz „Ueber das Komische und die 
Komödie“ Göttingen 1844, das Intriguenlustspiel dem Charakterlustspiel und 
den Possen zusammen entgegenstellen, 


978 H. SCHNEEGANS, 


vieillards“. Im „Amour medeein“, im „Medecin malgre lui“ 
sucht er nur die Satire der Aerzte. Auch Schlegel meint 
S.116 l.e., obgleich er sonst der Posse durchaus gerecht wird, 
dass Scapin und Pourceaugnac u. a. genügsam beweisen, dass 
Moliere mit dem Fortgang der Jahre nicht an künstlerischer 
Reife zunahm. Dass Mahrenholtz die Posse für eine Verirrung 
des Geistes ansieht, haben wir oben bereits gesehn. 

Andere Aesthetiker dagegen haben in der Komödie das 
Satirische zu wenig hervorgehoben. So Vischer in seiner 
Aesthetik IIL, S. 1433. Während er, wie wir, das Hauptmoment 
des Intriguenlustspiels in der Kreuzung der List mit den frap- 
panten Schlägen des Zufalls ansieht, sagt er vom Charakter- 
lustspiel: Das Wesentliche, welches die tiefere Seite der Komik 
ergreife, sei „das Zwielicht im Geiste, die wunderbaren Ver- 
schiebungen und Reflexe des Vernünftigen und der Grille, des 
festen klaren Wollens und der Schwäche, des dunkeln Triebes, 
der Selbsterkenntnis und der Blindheit, des Sinnes im Wahn- 
sinn, des Wahnsinns im Sinne, alle die irrationellen Brüche im 
originellen Menschen und die Widersprüche des Humors; da liegt 
ohne Frage eine tiefere Komik als in dem mathematischen Witze 
der Kreuzungen von Witz und Zufall“. In seiner Darstellung 
des Charakterlustspiels hebt Bohtz (Ueber das Komische und 
die Komödie, Göttingen 1844) das Satirische nicht hervor. Er 
sagt höchstens, das Charakterlustspiel beabsichtige unmittelbar 
bei dem Erscheinen der Individuen selbst auch den Anblick des 
Lächerlichen zu geben. Das Wesentliche ist ihm aber, dass sich 
dem Dichter Gelegenheit darbiete, interessante, seltsam frappante 
Züge der Charaktere, die der gewöhnlichen Beobachtung verdeckt 
bleiben, in einem hellen Mittelpunkte, der allen entgegenleuchte, 
zu konzentrieren; die Porträtmalerei hebt er meistens hervor, 
welche eine Feinheit und Schlauheit der Beobachtung voraus- 
setze, welche auch das im Innern des Menschen Verborgene 
ungemein glücklich auffinde, und andern sichtbar zu machen 
wisse. Dass dies alles einen besonderen Zweck habe, und nicht 
etwa Selbstzweck sei, findet Bohtz nicht heraus. Nur eine 
einzige Stelle zeigt, dass er das satirische Element nicht ganz 
übersehn hat. Es ist dies aus einer Bemerkung über den 
Misanthrope ersichtlich. In diesem Stück, meint er S. 252, walte 
das satirisch-didaktische Element vor. Sonst meint er, an anderer 
Stelle, habe Moliere die Kunst verstanden, das Interesse des 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 279 


eigentlichen Bühnenspiels und das didaktische Element mit- 
einander auszugleichen (S. 249). — Humbert in seinem Buche 
„Moliere, Shakespeare und die deutsche Kritik, Leipzig 1869“ 
ist auf die berührten Fragen näher eingegangen, als die eben 
Erwähnten. Aber das Wesentliche im Charakterlustspiel scheint 
ihm nicht das satirische Element zu sein. Wir sehen es aus 
seinen Bemerkungen über die einzelnen Stücke. Komisch wird 
der Geizhals, sagt er, dadurch, dass seine eigenen einander wider- 
streitenden Tendenzen oder die seinigen und die seiner Umgebung 
sich gegenseitig vernichten. Was er als Komik der „Gelehrten 
Frauen“ ansieht, mutet uns noch seltsamer an. „Die Komik der 
Gelehrten Frauen“, sagt er, „rührt von der Sprache her und 
dem Mangel an Bildung, die wir bei dem Ehemann und der 
Magd antreffen, aus dem Zwiste zweier Gelehrten und aus der 
Charakterschwäche des Ehemannes, der seiner Frau gern entgegen- 
treten möchte.“ Die Ansicht, dass das „Feine“ dem Charakter- 
lustspiel, das „Rohe“ der Posse gehöre, scheint auch bei ihm 
ihr Wesen zu treiben. In den Femmes savantes, bemerkt er 
S. 59, kommen einige Charaktere vor, die eher in die Posse als in 
die feinere Charakterkomödie zu gehören scheinen, nämlich die 
alte Jungfer Belise und der Gemahl der Philaminte.') Freilich 
scheint aus andern Stellen hervorzugehen, dass er das satirische 
Element bei Moliere nicht übersieht; so sagt er, dass der Inhalt 
des Tartuffe und des Geizhalses die schärfste, schonungsloseste 
Satire des Geizes und der Heuchelei sei. Aber er hält nicht 
dieses Element für das Wesentliche. Er meint, es träte diese 
Satire, selbst da, wo es sich um widerliche moralische Fehler 
handle, wie im Geizhals und im Tartuffe, niemals in der Form 
als solche hervor. Im Gegenteil, fügt er hinzu, der komische 
Eindruck lässt in dem Gemüt des Lesers oder Zuschauers den 
satirischen nicht aufkommen. Wir sehen also, er setzt das 
Komische dem Satirischen entgegen.?) Es sind dies nach ihm 


!) Ganz ähnlich Mahrenholtz 1l.c. S.269 „Die äussere Form der 
Dichtung ist halb die der haute com&die eigentümliche, halb eine an die 
volkstümliche Posse erinnernde“. Neben Scenen, die ganz im Stil der edleren 
Komödie gehalten sind, finden sich possenhafte Effektformen, wie die 
zwischen Philaminte und der Magd, die Zankscenen der Gelehrten, das Be- 
nehmen des Trissotin der Henriette gegenüber u. s. w. 

2) Auch Schlegel scheint Satire und Komik als unvereinbar zu halten 
(vgl. 8.121 1.c.). In M.’s prosaischen Stücken findet er Andeutungen von 


280 H. SCHNEEGANS, 


Gegensätze, wie sie schärfer nicht gedacht werden können. 
„Das Komische“, sagt er an anderer Stelle, „erregt Wohlgefallen, 
unter des Künstlers Hand muss selbst das scheusslichste Un- 
geheuer, wenn es sonst künstlerisch wirken soll, durch die Art 
der Darstellung dazu beitragen, Wohlgefallen zu erregen. Der 
Komiker solle den widerlichen Eindruck, den er schon in Wirk- 
lichkeit mache, nicht verstärken, sondern verwischen; er müsse 
die Hässlichkeit des Gegenstandes noch mehr hervortreten lassen, 
als in der Wirklichkeit zu geschehen pflege, und trotzdem dürfe 
dasselbe uns nicht unangenehm berühren.“ Nach meiner Ansicht 
konstruieren hier Humbert und alle andern mit ihm Gegensätze, 
die nicht vorhanden sind. Und sie thun dies, weil sie sich über 
das Wesen der Satire nicht klar sind. Freilich, wenn man im 
gewöhnlichen Leben Komisches und Satirisches nebeneinander 
stellt, haben wir den Eindruck, dass das erste nur Wohlgefallen, 
das zweite Widerwillen erregt, resp. verletzt. Und wenn wir 
das Komische, das wir vorhin im Chapeau de paille d’Italie oder 
im Medecin malgr& lui, oder im Monsieur de Pourceaugnac be- 
trachteten, auf sein Wesen untersuchten, so fanden wir, dass es 
keine Spur von Satirischem enthielt, und dass es lauter Wohl- 
gefallen erregte. Aber ist denn das das einzige Komische? 
Tritt uns dasselbe Komische entgegen in Harpagon, der, wie 
Maitre ‚Jacques von ihm erzählt, um zu sparen, seinen Pferden 
nachts den Hafer wegstiehlt oder die Katze seines Nachbars 
verklagt, weil sie ihm den Rest einer Hammelkeule entwendet 
habe, oder in der Belise, welche den Notar auffordert, er möchte 
doch in seinem Kontrakt die Summen in Minen und Talenten, 
die Daten in Iden und Kalenden aufschreiben, weil es nur so für 
gelehrte Frauen schicklich sei, oder haben wir dasselbe Komische 
in jenem Ärzte des „Amour me&decin“, welcher das grosse Wort 
gelassen ausspricht, es sei besser für einen Kranken nach Hippo- 
krates’ Regeln zu sterben als gegen dieselben zu genesen, oder 
in jenem Pedanten der „Jalousie du Barbouill&“, der, wenn man 
ihn um Rat frägt, jedes Wort, das er hört, zuerst nach seiner 
Etymologie untersucht? Das ist alles komisch, aber doch ver- 
schieden von dem vorhin untersuchten Komischen. Der Unter- 


jener didaktischen und satirischen Ader, die der komischen Gattung 
eigentlich fremd sind, z. B. in seinen beständigen Angriffen auf die Aerzte 
und Advokaten (?), in den Erörterungen über den wahren Weltton u. s. w. 
womit er wirklich rügen, widerlegen, belehren und nicht bloss belustigen will. 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 281 


schied besteht aber nicht etwa in der grösseren Feinheit oder 
Roheit, wie so vielfach behauptet wird. Mit Absicht haben wir 
gerade ziemlich derbe Beispiele angeführt. Der Unterschied liegt 
darin, dass wir in diesem Komischen im Gegensatz zum andern 
ein satirisches Element haben. Machen wir uns das im einzelnen 
klar, und nehmen wir zunächst ein Beispiel, das den vorhin für 
das Possenhafte besprochenen an Derbheit nahe kommt. Worin 
liegt das Komische in dem Geizhals, von dem erzählt wird, dass 
er die Katze seines Nachbars verklagt, weil sie ihm den Rest 
einer Hammelkeule raubt? Welche sind die Lust- und Unlust- 
gefühle, die bei einem solchen Beispiele durch ihren Zusammen- 
stoss Lachen erregen? Im ersten Moment denken wir wie vorhin, 
beim Harlekin oder Sganarelle: das, was uns hier erzählt wird, 
ist höchst unwahrscheinlich, ja sogar so unwahrscheinlich, dass 
es uns thöricht vorkommt. Wie kann man uns zumuten, zu 
glauben, dass ein Geizhals so geizig ist, dass er sogar seines 
Nachbars Katze wegen Diebstahls verklagt? Die Vorstellung 
eines solchen Geizigen kann sich zu den in unserm Bewusstsein 
vorhandenen Vorstellungen von Geizigen nicht leicht assimilieren, 
sie findet nichts Verwandtes in unserm Bewusstsein, sie bleibt 
isoliert und erweckt deshalb ein Unlustgefühl. Aber dieses tritt 
sofort mit einem Lustgefühl in Konflikt. Wir wissen, maitre 
‚Jacques ist ein witziger Kerl. Er hat sich über den Geiz seines 
Herren geärgert; er will ihm eins versetzen, er will ihm zeigen, 
wie sein Benehmen von allen Leuten, nicht bloss von ihm be- 
urteilt wird. Und er erdenkt sich diese übertriebene Schilderung, 
die kein Mensch wirklich für ernst nehmen wird. Wie bei den 
andern Beispielen, werden wir uns zunächst freuen über den 
famosen Einfall, den er da gehabt hat. Er ist pikant und geist- 
reich ausgeführt. Wir bewundern den Witz des Mannes, der es 
versteht, in so reichem Masse auch den Empfindungen, die wir 
haben, Ausdruck zu verleihen. Aber bei dieser harmlosen Freude 
über die so gelungene Darstellung dessen, was auch wir fühlen, 
bleiben wir nicht stehen. Unser Lustgefühl schöpft aus anderer 
Quelle kräftigere Nahrung. Es entschlüpfte uns schon vorhin. 
Maitre Jacques will dem Geizhals eins versetzen. Er will ihn 
verspotten, und er thut es glänzend, indem er seinen Spott in 
das Gewand einer tollen Karikatur kleidet. Diese Verspottung 
thut uns, die wir uns über das Betragen des Geizhalses geärgert 
haben, sehr wohl, denn diese Karikatur assimiliert sich sofort 


282 H. SCHNEEGANS, 


zu den in unserm Bewusstsein schlummernden Vorstellungen des 
rechten Umgehens mit Geld und Besitz, welche die Bestrafung 
des Geizes verlangen. Zu der oben beschriebenen harmlosen 
Freude tritt also noch die Freude über die glänzende Abfuhr 
hinzu, die dem nach unserm Empfinden Nichtseinsollenden erteilt 
wird. Dieses doppelte Lustgefühl ist natürlich viel stärker als 
das nur aus dem ans Unmösgliche streifende „Unwahrscheinliche“ 
entstandene Unlustgefühl. Aus dem plötzlichen Zusammenprallen 
beider entsteht ein lustiges, aber auch zugleich spöttisches Lachen. 
Dieses spöttische Element, welches sich hier der Karikatur be- 
dient, ist aber anders ausgedrückt satirisch. Denn worin besteht 
die Satire, wenn nicht in dem Spott über etwas nach der Meinung 
des Satirisierenden Nichtseinsollenden? Der Begriff Satire hat 
allerdings nach dem Empfinden mancher etwas Scharfes und Ver- 
letzendes, und Humbert scheint zu denen zu gehören, welche die 
Satire nur als etwas Gehässiges ansehen. Sagt er doch folgendes: 
„Die Satire macht die Aerzte gehässig, Moliere hingegen macht 
sie zu Gegenständen des Wohlgefallens, hüllt sogar den Gedanken, 
dass sie morden, in ein komisches Gewand, so im Medecin malgre 
lui III, 1,2, woraus wir nur citieren: ‘I! y a parmi les morts 
une honnetete, une diseretion la plus grande du monde; jamais 
on wen voit se plaindre du medecin qui Va tue... Il est vrai 
que les morts sont fort honnetes gens sur cette matiere’. Ist das 
der Ton der Satire, oder nicht vielleicht Ernst im Hintergrunde, 
verhüllt durch komische Form?“ Ich muss gestehen, dass ich 
diese Auffassung nicht teile. Und ich glaube nicht, dass sie 
berechtigt ist. Horaz gilt doch auch als Satiriker, Regnier und 
Rabelais sind es gewiss, und doch hüllen sie ihre Satiren in das, 
was Humbert ein „komisches Gewand“ nennt. Die Satire kann 
eben die grösste Mannigfaltigkeit zur Schau tragen. Sie kann 
herb, bitter, grob, ätzend scharf sein, sie kann aber auch liebens- 
würdig, heiter, witzig, ironisch, sogar wohlwollend sein. Ihre 
Aufgabe besteht darin, auf den Widerspruch der Wirklichkeit 
mit dem Ideal durch Spott oder Hohn in der einen oder andern 
Art hinzuweisen, und so auf deren Besserung und Veredelung 
einzuwirken. Dasjenige Komische, welches sich, wie das oben 
erwähnte, der Satire bedient, um Lachen zu erregen, will ver- 
spotten, um zu bessern. Das ist der Grundunterschied zwischen 
diesem Komischen und dem andern. Wir würden also dem Naiv- 
Komischen das Satirisch-Komische entgegensetzen. Wenn 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 283 


das erstere in der Posse und im Intriguenlustspiel das Mass- 
gebende ist, so ist dieses im sogenannten Charakter- und Sitten- 
lustspiel das Ausschlaggebende Da die Satire es aber durch 
Spott auf Veredelung und Verbesserung absieht, so thut es auch 
dieses Komische. Es steckt in demselben ein ethisches Motiv, 
das dem andern Komischen vollständig abgeht. Wenn beide in 
ästhetischer Hinsicht völlig gleich stehen, so steht doch dieses 
in ethischer Beziehung hoch über dem andern. Und daher kommt 
es, dass es auch im allgemeinen als feiner gepriesen und als 
besser höher geachtet wird. Hat es doch einen ungleich edleren 
Zweck als das andere, das eben nur unterhalten will. Deshalb 
kann es auch bildenden Wert besitzen. Das „castigare ridendo 
mores“ ist die Devise dieses Komischen. Das Satirisch - Komische 
ist das Sittlich- Komische, und nur aus ethischen Gründen, niemals 
aus ästhetischen — man kann es nicht stark genug betonen, 
denn es wird stets übersehn — steht dieses Komische höher als 
das andere.!) 

Dieses Komische kann aber, wie wir schon hervorgehoben 
haben, auf sehr verschiedene Weise seinen Zweck erreichen. Es 
ist dies der Fall je nachdem der Spott stark oder schwach auf- 
tritt. In den vorhin erwähnten Beispielen hatten wir absichtlich 
ausserordentlich krasse Fälle angeführt, um den Unterschied 
zwischen dem Naiv- und Satirisch-Komischen besonders scharf 
hervorzuheben. Jedesmal, wenn, wie hier, das Unlustgefühl einer 
an die tollste Unmöglichkeit streifenden oder dieselbe erreichenden 
Vorstellung entspringt, haben wir es mit Grotesk-Satirischem zu 
thun.?2) Ein Geizhals, welcher die Katze seines Nachbars wegen 
Diebstahls verklagt, oder ein Arzt, der den eben erwähnten Aus- 
spruch thut, sind groteske Ausgeburten. In der Wirklichkeit 
können sie nicht existieren (es müsste denn sein, dass sie ver- 
rückt wären; dann würden sie aber Mitleid erregen). Solche 
Gestalten könnnen den von Rabelais erfundenen an die Seite 
gestellt werden; sie sind würdige Kollegen eines Bridoie, der die 

') Dass neben diesem Satirisch- Komischen, in welchem der Spott sittlich 
berechtigt ist, ein anderes Komische existiert, welches den Spott unberechtigt 
benutzt und nur der gemeinen Freude am Fall des Erhabenen entspringt, 
braucht hier nicht hervorgehoben zu werden. Es ist das Burlesk-Komische, 
das sehr oft in Travestie oder Parodie seinen Ausdruck findet (vgl. meine 
Geschichte der grotesken Satire, Einleitung). 

2) Vgl. Geschichte der grotesken Satire, Einleitung. 


984 H. SCHNEEGANS, 


Prozesse nach dem T,oos entscheidet, des Bischofs der Papimanen- 
insel, der die Dekretalien über alles erlaubte Mass anbetet, und 
aller jener Scholastiker, deren in ihrer Subtilität haarsträubende 
Werke der besondere Schmuck der Bibliothek von St. Vietor sind. 
Ob in Moliere’s Komödie dieses Grotesk-Satirische eine Rolle 
spielt, werden wir nachher zu untersuchen haben. Hier möchte 
ich nur darauf hinweisen, dass es in der Komödie der Italiener 
einen ziemlich grossen Platz einnahm. Die Pedanten in der 
Komödie des 16. Jahrhunderts, bei Francesco Belo, Pietro Aretino, 
Giordano Bruno u. s. w., welche ihr Italienisch latinisieren und 
in der lingua pedantesca sich ausdrücken (vgl. Geschichte der 
grotesken Satire S. 432 ff.) und die zu stehenden Typen gewordenen 
Dottori der commedia dell’arte, ebenso wie die zahlreichen bramar- 
basierenden Kapitäne (wir finden sie auch bei Scarron unter dem 
Namen Matamore und in der deutschen Litteratur bei Gryphius 
als Horribilicribrifax und Daridatumdarides, vgl. 1. ec. S. 463 ff.) 
sind alle groteske Schöpfungen. Im grossen und ganzen treten 
jedoch in der Komödie groteske Gestalten nicht zu häufig auf, 
schon aus dem einfachen Grunde, weil Unmöglichkeiten sinnlich 
nicht oder nur sehr schwer darstellbar sind. Die Phantasie des 
grotesken Satirikers darf sich nicht an die Schranken der Bretter 
stossen, sie muss ins Unbegrenzte schweifen, um Geniales leisten 
zu können.!) 

Das satirische Element in der Komödie beschränkt sich dem- 
gemäss gewöhnlich auf weniger stark gepfefferte Darstellungen. 
Der Geizhals bei Moliere erscheint nicht auf der Bühne, wie in 
der Erzählung des Maitre Jacques; Menschen wie Tartuffe be- 
gegnen wir häufig im Leben; die gezierten Frauen und ihr An- 
beter Mascarille, Trissotin und Vadius, die zimperlichen Marquis 
in ihren reichbebänderten Kleidern, alle jene bekannten Ge- 
stalten des unsterblichen Dichters sind keine Karikaturen, sondern 
Porträts, die z. T. noch heute — mutatis mutandis — erkennbar 
sind, zu Moliere’s Zeit aber gewiss frappante Aehnlichkeit hatten. 
Soll man aber deshalb, weil in diesen Bildern die Farben nicht 
stark aufgetragen sind, sich vorstellen, dass Moliere nur hat 
schildern, und nicht hat satirisieren wollen? Humbert scheint 
dieser Ansicht zu sein: „Wir wüssten keine einzige Moliere’sche 


‘) So wären bei weitem nicht alle grotesken Satiren Rabelais’ auf der 
Bühne möglich. - 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 285 


Komödie zu nennen“, sagt er S. 343, „die bei der Lektüre oder der 
Aufführung im grossen und ganzen einen vorwiegend satirischen 


Eindruck machte. — Der komische Eindruck“, sagt er etwas 
weiter, „lässt im Gemüt des Lesers oder Zuschauers den satirischen 
nicht aufkommen.“ — Selbst wenn wir davon absehen, dass 


Humbert auch hier satirisch viel zu eng auffasst, können wir 
eine solche Ansicht nicht teilen oder nur mit grossem Vorbehalt. 

Dass mit der Litteratur ganz unbekannte Zuschauer oder 
Leser bei den Precieuses ridicules, oder der Darstellung der 
Marquis oder Aerzte bei Moliere die Satire nicht in vollem 
Masse herausfinden werden, versteht sich von selbst. Die Satire 
macht nie Eindruck, wenn sie sich auf Verhältnisse oder Dinge 
bezieht, die man nicht kennt oder nicht versteht. Aber bei der 
Darstellung des Tartuffe oder Avare, beide Vertreter von Lastern, 
die auch jetzt noch existieren, müsste einer mit Blindheit ge- 
schlagen sein, wenn er nicht merkte, worauf es dem Dichter 
hauptsächlich ankommt, die Satire dieser Laster. 

Ausserdem muss man sich, wenn man das Wesen des 
Komischen bei Moliere und dessen Bedeutung richtig beurteilen 
will, in die Zeit des Dichters zurückversetzen. Was machten 
damals seine Stücke für Eindruck? Die Verfolgungen, denen 
er seit dem Erscheinen der Ecole des femmes von seiten der 
Marquis und Frömmler ausgesetzt war, sind eine beredte und 
überzeugende Antwort. Nie wären Schriften wie Boursault'’s 
Portrait du prince, Donneau de Vises’ Zelinde ou la veritable 
eritique de l’Ecole des femmes, Montfleury’s Impromptu de 
l’Hötel de Conde, die Vengeance des marquis, des Boulanger 
de Chalussay’s Elomire hypocondre!) entstanden, wenn man 
nicht zu seiner Zeit das Gefühl gehabt hätte, dass er die be- 
treffenden Stände oder Verhältnisse satirisierte. Nie hätten es 
seine Feinde sonst gewagt, sein Privatleben anzutasten, indem 
sie jene gemeine Verdächtigung über sein Verhältnis zu Armande 
Bejart, resp. Madeleine erfanden, um den König gegen ihn ein- 
zunehmen. Auch die Frömmler, der Präsident Lamoignon und 
der Erzbischof von Paris an der Spitze, hätten nicht daran 
gedacht die Aufführung Tartuffe’'s zu verhindern, der Herr von 
Rochemond hätte es sich erspart, Moliere als den leibhaftigen 
Teufel hinzustellen, er hätte es nicht für nötig gehalten, ilın als 


ı) Vgl. Mahrenholtz l.c. 8. 372 alle betreffenden Pamphlete. 


286 H. SCHNEEGANS, 


Verbrecher an der göttlichen Majestät Ludwigs XIV zu brand- 
marken oder als den indirekten Urheber aller Seuchen, Pest und 
Hungersnot an den Pranger zu stellen.') Solche leidenschaftliche 
Angriffe hatten ihren guten Grund. 

Und wen dieselben noch nicht überzeugten, dem könnten 
des Dichters eigene Worte den Beweis erbringen. In der Critique 
de l’Ecole des femmes lässt der Komiker selbst diejenigen auf- 
treten, welche in seinen Werken wirkliche Satiren erblickten. 
Wenn Celimene von den „satires desobligeamtes“ spricht, „qu’on 
y voit contre les femmes“, antwortet Uranie, indem sie nur in 
sofern dieses Urteil mildert, als sie sagt „ces sortes de satires 
tombent directement sur les moeurs et ne frappent les personnes 
que par reflexion*. Und Dorante, der Verteidiger der Ecole des 
femmes, der in der Critigue gewiss die Ansichten Moliere’s selbst 
ausspricht, nennt sogar satirisch eine Scene, die wir nicht 
einmal als solche vermutet hätten: „Ft quant au transport 
amoureuz du cinquieme acte quon accuse d’etre trop outre et trop 
comique, je voudrais bien savoir si ce n’est pas faire la satire 
des amants ...*“ (Sc. VII). Dass es Moliere hauptsächlich darauf 
ankommt, das Lächerliche an den Personen darzustellen, die 
er auf die Bühne bringt, sehen wir noch aus der Stelle in Se. VII, 
wo Dorante behauptet, es sei leichter eine Tragödie zu schreiben 
als „dentrer comme il faut dans le ridicule des hommes et de 
rendre agreablement sur le theätre les defauts de tout le monde“. 
— Und im Impromptu de Versailles kommt an mehreren Stellen 
Moliere noch einmal auf das Satirische in seinen Stücken zu 
sprechen. Er sagt in Sc. III in Bezug auf sich selber: Par la 
sambleu! Le railleur sera raille ...“ Und Mme. du Parc erwidert: 
Cela lwi apprendra a vouloir satiriser tout. Comment cet im- 
pertinent ne veut pas que les femmes aient de lesprit? Il con- 
damne toutes nos expressions elevees et pretend que nous parlions 
toujours terre ü terre. Und Mme. de Brie: Le langage n’est rien, 
mais dl censure tous nos attachements, quelques innocents quls 
puissent etre, et, de la facon quwil en parle, dest ötre criminelle 
que d’avoir du merite ...“ Etwas weiter Mme. Bejart: Il satirise 
möme les femmes de bien, et ce mechant plaisant leur donne le 
titre d’honnötes diablesses“. Endlich Me! Moliere: Je vous laisse 
a penser si tous ceux qui se croient satirises par Moliere ne 


= 


!) Ueber de Rochemond vgl. Moland II, S. 475 ffr 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 287 


prendront pas l’occasion de se venger de lwi!!“ — Nach alledem 
erscheint es mir ganz unzweifelhaft, dass Moliere in seinen 
Stücken grosses Gewicht auf das satirische Element legte. Dieses 
Element ist das unterscheidende Merkmal dieses Komischen. Das 
Lachen bei der Anschauung dieses Komischen ist infolgedessen 
auch ein anderes wie beim Naivkomischen. Es verfolgt die ganze 
Skala vom lauten, jovialen und zugleich höhnischen Lachen des 
Grotesken bis zum feinsten spöttischen Lächeln der s.g. haute 
comedie. Aber Spott ist immer das Massgebende dabei. Bei der 
Darstellung von Gestalten wie Tartuffe oder der marquis u. S. w., 
die nicht karikiert sind, entspringt das Unlustgefühl nicht 
mehr der tollen Unwahrscheinlichkeit oder Unmöglichkeit des 
angeschauten Bildes, sondern nur dem Unbehagen, das man 
empfindet, Personen dargestellt zu sehen, deren Laster und 
Thorheiten dem Ideal, das in einem schlummert, zuwiderlaufen. 
Das Unlustgefühl entspringt also ethischer Quelle. Das Lust- 
gefühl dagegen schöpft seine Kraft erstens wiederum aus der 
Bewunderung für den Witz und die gelungene Darstellung des 
Dichters, der es versteht solche Thorheiten in ein besonders 
helles Licht zu rücken oder in eine Umgebung, welche dieselben 
scharf hervorhebt. Es ist die Freude über das Wiedererkennen 
des Bekannten, dieselbe Freude, die wir etwa bei der Darstellung 
des uns täglich Begegnenden durch den Kynematographen em- 
pfinden, welcher das Leben darstellt, wie es ist. Es kommt aber 
zugleich noch das andere bereits oben mitgeteilte Lustgefühl 
hinzu. Ein Lustgefühl, welches seine Quelle in der Verspottung 
des dargestellten Gegenstandes sieht; denn warum hat uns der 
Dichter diese Thorheiten in so vortrefflicher Beleuchtung gezeigt? 
Doch nicht bloss, um uns damit bekannt zu machen — wir sehen 
sie ja schon — sondern um sie ad absurdum zu führen. Er 
bringt seine Personen in Situationen, in welchen sie genötigt 
sind, ihre wahre Natur besonders glänzend zu offenbaren, so 
Tartuffe in der Scene mit Elmire, in welcher er, der fromme 
Heilige, die gemeine sinnliche Natur, die ihm eigen ist, offenbart, 
wenn er sich gesichert glaubt, oder M. Jourdain, der sich durch 
die thörichtste Anbetung des Adels verleiten lässt, sein Hab und 
Gut in die Hände des vornehmen Schwindlers Dorante zu spielen, 
oder die Precieuses ridicules, welche sich durch das Auftreten 
A la mode des Mascarille bestechen lassen, vor einem Lakaien 
die ganze Affektiertheit ihrer Sprache und Koketterie ihres 


288 H. SCHNEEGANS, 


Wesens zu offenbaren, oder in der Ecole des femmes Arnolphe, 
der sich gebrüstet hat, durch die Art, mit welcher er Agnes vor 
jeder Bekanntschaft sorglich hütet, sie zur ergebensten Gattin 
heranzuziehen, und es gerade erleben muss, dass die Unerfahren- 
heit, in welcher er sie gelassen, seine Erziehungsmethode ver- 
eitelt. Man sagt gewöhnlich: In einer Charakterkomödie ent- 
wickelt sich die Situation aus den Charakteren. Und das ist für 
das Auge des Zuschauers, welcher das fertige Produkt vor sich 
sieht, ganz gewiss richtig. Wenn wir uns aber die Arbeit des 
Dichters vergegenwärtigen, so erhalten wir ein verschiedenes 
Bild. Der Dichter lässt die Situationen nicht aus den Cha- 
rakteren hervorgehen, er sucht nach Situationen, in denen sich 
die Charaktere ganz besonders deutlich offenbaren können.!) Man 
hat es Moliere häufig zum Vorwurf gemacht „qwil prenait son 
bien oü il le trowvait“. Ihm galt aber das Suchen nach Situa- 
tionen an und für sich nicht als die originelle Arbeit des Dichters. 
Er entnahm sie bald diesen, bald jenen. Die wirklich schöpferische 
Arbeit bestand für ihn darin, den Charakter der Hauptperson so 
klar und vollständig darzustellen, dass sich Keiner über den 
Fehler, den er satirisieren wollte, täuschen konnte. 

Dem Geschmack und der Richtung seiner Zeit gemäss hat 
es Moliere nicht nötig gehabt, die Farben stark aufzutragen. 
Einem gebildeten Menschen wird man einen Fehler auf viel 
leichtere Weise begreiflich machen können, als einem Bauern- 
jungen. Er hatte ein feingebildetes Publikum vor sich, das für 
das Lächerliche ein scharfes Auge hatte. In naiveren, roheren 
oder in leidenschaftlich erregten Zeiten kann sich ein Dichter 
in der Charakterkomödie mit so feiner Charakteristik nicht be- 
gnügen. Statt die Charaktere nur in ein helleres Licht zu setzen, 


!) Ich freue mich in dieser Hinsicht mit Vivier übereinzustimmen, den 
ich sonst manchmal bekämpfen musste. Er sagt 1. c. p. 301: Der Zweck Molieres 
„n'est pas de chercher la conclusion d’un fait, mais le developpement d’un 
caractere, de faire voir comment son original se comporte dans chaque occasion. 
Pour cela, il a imagine, non pas un fait unique dont les autres dependent, 
mais au contraire une serie de faits qui sırvent a demontrer un caractere 
unique“ ... Er denkt sich aus „les circonstances qui peuvent mettre chaque 
trait en lumiere et les actes qui le traduisent. Ainsi Harpagon est avare, 
que fera lavare amoureux? Vavare qui veut marier sa fille? Vavare qui traite 
son monde?“ Oder im Bourgeois gentilhomme haben alle auftretenden Personen 
besonders den Zweck „de donner a Jourdain loccasien d’etre ridieule d’une 
facon nowvelle“. 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 289 


muss er die Eigentümlichkeiten, auf die es ihm besonders an- 
kommt, kKarikieren. Dadurch erregt er ein stärkeres Lachen, 
denn der ‚Zusammenprall zwischen Lust- und Unlustgefühl ist 
stärker als bei den feineren Komödien, wo im Unlustgefühl das 
Unwahrscheinliche, im Lustgefühl die Karikatur keine Rolle 
spielt. Je stärker der Gegensatz zwischen Lust- und Unlust- 
gefühl, desto lauter das Lachen, und je nachdem Lust oder Unlust 
selbst stärker, ein heiteres, joviales, lustiges oder ein bitteres, 
sarkastisches Lachen. Die Nüancen sind natürlich unendlich. 
Bei der Aufführung des Tartuffe oder der Femmes sayantes wird 
man nicht laut auflachen. Man wird eher lächeln. Das Ver- 
snügen wird ein gedämpftes und zugleich im Grunde sittlich 
ernstes sein. Das ist der Fall in den meisten satirischen Komödien 
Moliere’s.!) — Sollte aber Moliere nicht auch manchmal in dieser 
Gattung die Farben sehr stark auftragen? So stark, dass man 
an Grotesk-satirisches bei ihm denken könnte? Das ist die Frage, 
die ich jetzt des Näheren untersuchen möchte. Ich konnte nicht 
an die Behandlung derselben herantreten, bevor ich meine Auf- 
fassung des Komischen bei Moliere dargelegt hatte. Dass ich 
diese groteske Satire natürlich nicht bloss in den eigentlichen 
satirischen Komödien Moliere’s, sondern auch in den Possen suchen 
werde, brauche ich nach dem eben Bemerkten (vgl. Anm. 1) nicht 
hervorzuheben. Der Dichter arbeitet doch nicht nach einem 
Schema und nimmt sich nicht vor, einmal eine satirische, einmal 
eine rein possenhafte Komödie zu schreiben. Es ist die Sache 
des Aesthetikers je nach dem Vorwiegen des einen oder des 
andern Elements die Komödie bald dieser und bald jener Gattung 
zuzuschreiben. 

Sowohl Vivier als auch Mahrenholtz haben den Gedanken 
ausgesprochen, dass im Bourgeois gentilhomme tolle Ueber- 
treibungen vorkommen.?) Und in der That, wenn man bedenkt, 
dass Mr. Jourdain, um der Ehre würdig zu sein, seine Tochter 
dem Sohne des Grosstürken zur Frau zu geben, sich zum Mama- 
mouchi machen lässt, hat man einen solchen Eindruck. Den- 
selben erhält man auch, wenn man die Pedanten der Jalousie 
du Barbouille, des Depit amoureux und des Mariage forc& erblickt, 
!) Dass in diesen Komödien auch possenhafte Scenen vorkommen, wie 
in der Posse satirische, versteht sich von selbst. 

2) Vivier l. c. p. 227, er geht auf die Frage aber nicht näher ein. 
Mahrenholtz 1. c. p. 252 gebraucht sogar den Ausdruck groteske Uebertreibung. 

Festgabe für Gustav Gröber. 19 


290 H. SCHNEEGANS, 


welche ganz im Stile der italienischen Pedanten in einem fort 
etymologisieren und in ihrer Eitelkeit vollständig aufgehen. 
Auch scheinen in zahlreichen Komödien die Aerzte, die in ihrer 
Verehrung von Hippokrates und Galen so weit gehen, dass sie 
darüber ihre eigentliche Aufgabe, die Genesung der Kranken, 
vergessen, Pendants zu Rabelais’ Scholastikern zu sein. Sehen 
wir uns dieselben etwas näher an, und beginnen wir mit den 
Pedanten. 

In der ältesten auf uns gekommenen Komödie Molieres, in 
der Jalousie du Barbouille, lässt der Diehter seinen Helden den 
Docteur um Rat fragen, wie er sich seiner Frau, die ihm durch 
ihren leichtfertigen Lebenswandel viel zu schaffen machte, gegen- 
über verhalten soll. Doch lässt ihn dieser nicht zu Worte kommen. 
Es sei, so sagt er, ungezogen von ihm, ihn anzureden ohne seinen 
Hut herunter zu nehmen und ohne rationem loci, temporis et 
personae zu beachten. Er hätte ihn mit den Worten anreden 
müssen: Salve vel salvus sis, Doctor, Doctorum conditissime. Als 
sich der Barbouille darauf entschuldigt, und ihm versichert, er 
halte ihn gewiss für einen galant homme, unterbricht ihn der 
Docteur wiederum, um ihm zu sagen, woher das Wort galant 
komme. „Sache que le mot galant homme vient d’elegant; prenant 
le g et la de !a derniere syllabe, cela fait ga, et puwis prenant |, 
ajoutant un a et les deux dernieres lettres cela fart galant, et 
puis ajoutant homme cela fait galant homme.“ Und darauf 
belehrt er ihn, dass er nicht bloss einmal docteur sei, sondern 
zehnmal und beweist diese hochmütige Behauptung mit der 
seinem Stande in der italienischen Komödie stets eigenen Ge- 
schwätzigkeit, durch Argumente wie die folgenden: „Parceque 
comme Vunite est la base, le fondement, et le premier de tous les 
nombres, aussi, moi, je suis le premier de tous les docteurs, le 
docte des doctes. 2. Parceqwil y a deux facultes necessaires pour 
la parfaite connoissance de toutes choses: le sens et !entendement, 
et comme je suis tout sens et tout entendement, je swis deux fois 
docteur u.S. w., u.8s.w. Nachdem er sich auf diese Weise bei- 
nahe totgeredet hat, bietet ihm der Barbouille, um sich endlich 
Gehör zu verschaffen, Geld an; aber der Doctor will nichts davon 
wissen: Er sei keine feile Seele, kein Mensch, der sich ums Geld 
bekümmere, er werde nie einen Pfennig annehmen, und in echt 
srotesker Weise überschüttet er ihn mit folgenden, jedem Mass 
hohnlachenden tollen Uebertreibungen, welche-die im grotesken 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 291 


Stile so beliebte Form der Aufzählung annehmen.!) „Sache, mon 
ami, que quand tu me donnerais une bourse pleine de pistoles, et 
que cette bourse seroit dans une riche boite, cette boite dans un 
etui precieux, cet etwi dans un coffret admirable, ce coffret dans 
un cabinet curieux, ce cabinet dans une chambre magnifique, cette 
chambre dans un appartement agreable, cet appartement dans un 
chäteau pompeux, ce chäteau dans une citadelle incomparable, 
ceite citadelle dans une ville celebre, cette ville dans une ile 
fertile, cette ile dans une province opulente, cette province dans 
une monarchie florissante, cetie monarchie dans tout le monde; 
et que tu me donnerais le monde, ou seroit cette monarchie floris- 
sante, oü seroit cette province opulente, oü seroit cette ile fertile, 
ou seroit cette ville celebre u.s. w.2) Auch in der sechsten Scene 
setzt der Doctor durch ein ähnliches Auftreten unsere Geduld 
auf eine harte Probe. Einmal etymologisiert er: das Wort bonnet 
leitet er von „bonum est“ voila qui est bon parceqwil garantit 
des catarrhes et fluxions“, ein andermal zieht er die Grammatik 
ins Gespräch hinein, wo sie nichts zu thun hat, „tu as la mine 
de swivre fort ton caprice; des parties d’oraison tu n’aimes que la 
conjonction; des genres le masculin, des declinaisons le genitif, de 
la syntaxe mobile cum fixo, et enfin de la quantite, tu n’aimes 
que le dactyle, qwia constat ex una longa et duabus brevibus“ — 
oder er schwatzt in einem fort darauf los, nur um zu schwatzen. 

Eine ganz ähnliche Rolle spielt Metaphraste im Depit 
amoureux. Als ihn Albert in seinem Zweifel um Rat fragen 
will, lässt er ihn ebenso wenig zu Worte kommen, wie der oben 
erwähnte Doctor. Er sucht ihm durch lateinische Brocken, die 
sich grossartig ausnehmen, aber nichts zu bedeuten haben, zu 
imponieren, oder er etymologisiert, indem er z. B. behauptet, 
maitre komme von magister, d.h. dreimal so gross — oder er 
giebt ihm gutgemeinte Ratschläge über die Art, wie er sich 
ausdrücken soll. 

Im Mariage fore& ist Pancrace ein Pedant ganz gleicher 
Art. Er geht sogar noch weiter als die Andern; er lässt nicht 
bloss Sganarelle, der ihn um Rat fragen will, nicht zu Worte 
kommen, sondern er hört sogar nicht auf ihn, als er ihn anredet, 


») Vgl. Geschichte der grotesken Satire, 8.259 fl., die grotesken Auf- 
zählungen. 
?) Es wird nun alles wieder in umgekehrter Reihenfolge aufgezählt. 
19* 


202 H. SCHNEEGANS, 


er ist so eifrig in einem Disput mit einem Menschen im Nachbar- 
hause begriffen, dass er Sganarelle nicht einmal bemerkt, als er 
auf die Strasse kommt, und jenen Nachbar mit den ärgsten Be- 
schimpfungen ob seiner Unwissenheit zu überschütten fortfährt, 
und immer wieder damit anfängt, während Sganarelle mit ihm 
spricht. Auch hier sind es Quisquilien der schlimmsten Art, die 
ihn beschäftigen. Er ärgert sich darüber, dass der Betreffende 
„la forme d’un chapeau“ gesagt hat, statt „la figure d’un chapeau, 
dautant qWiül y a cette difference entre la forme et la figure que 
la forme est la disposition exterieure des corps qui sont animes, 
et la figure la disposition exterieure des corps qui sont inanimes“. 
Und auch hier renommiert der Pedant wieder mit seiner klein- 
lichen Gelehrsamkeit. Er kann es gar nicht begreifen, dass 
Sganarelle ihn französisch und nicht in einer andern Sprache 
anredet; es will ihm nicht in den Kopf hinein, dass er nicht 
über eine philosophische Frage seinen Rat hören will, und 
schliesslich ergeht er sich auch in einer jener beliebten Auf- 
zählungen, wie wir sie oben bereits vorfanden. Hören wir nur, 
was er sich alles rühmt, zu gleicher Zeit zu sein: „Homme de 
lettres, homme d’erudition, homme de suffisance, homme de capa- 
cite, homme consomme dans toutes les sciences naturelles, morales 
et politiques, homme savant, savantıssime, per ommes modos et 
casus, homme qui possede superlative fables mythologiques et 
histoire, grammaire, poesie, rhetorique, dialectique et sophistique, 
mathematique, arithmetique, optique, onirocritique, physique et 
mathematique, cosmomelrie, geometrie, architecture, speeuloire et 
speculatoire, medecine, astronomie, astrologie, physionomtie, mitos- 
copie, chiromancie, giomancıe.“ 

Diese Moliereschen Pedanten sind einfach die Nachkommen 
derjenigen der italienischen Komödie. Sie tragen alle Merkmale 
des Grotesken an sich. Ihre Schwatzhaftigkeit, Eitelkeit, 
Kleinigkeitskrämerei, Streitsucht, ihre bis ins Absurde gehende 
Vorliebe für die lateinische Sprache und Etymologisierungssucht 
wird in einer Weise übertrieben, welche sich sogar im Stile 
geltend macht. Eine andere Frage ist freilich die, ob Moliere 
durch die Darstellung solcher Pedanten in ähnlicher Weise wie 
Rabelais seiner Zeit oder die italienischen Komiker des 16. Jahr- 
hunderts die Gelehrten grotesk hat satirisieren wollen, in andern 
Worten, ob wir eine bewusste groteske Satire hier vor uns 
haben. — Ich bin nicht dieser Ansicht. Moliere hatte nicht 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 293 


den geringsten Anlass dazu; denn die Gelehrsamkeit machte sich 
zu seiner Zeit nicht mehr so breit wie im 16. Jahrhundert. 
Moliere hat die Pedanten, die in seinen ersten Stücken und in 
dem leicht hingeworfenen Mariage force eine Rolle spielen, 
einfach der italienischen Komödie entnommen. Der Doctor war 
mit der Zeit zu einem stehenden Typus geworden, der in jeder 
Komödie auftrat. Moliere war seiner Wirkung sicher, wenn er 
den Doctor auf die Bühne brachte. So ist die Einführung solcher 
Pedanten in sein Theater, wie ich glaube, nicht einer bewussten 
grotesken Satirisierung zu verdanken, sie ist einfach einer jener 
bequemen Bühnenkniffe, deren ein routinierter Schauspieler und 
Theaterdirektor wie er, mehrere zur Verfügung hatte. — Wenn 
Moliere die Pedanten seiner Zeit satirisieren will, so trägt er 
nicht so stark auf. Sehen wir uns nur den Maitre de philo- 
sophie im Bourgeois gentilhomme an. Auch er ist von sich ein- 
genommen und prunkt mit seiner Gelehrsamkeit, aber es werden 
diese Eigenschaften durchaus nicht übertrieben dargestellt. Das 
Etymologisieren kommt gar nicht vor; nur an einer Stelle eitiert 
der Gelehrte ein lateinisches Sprichwort, das aber an dieser 
Stelle nicht unangebracht ist; seine Sprache ist zwar pedantisch, 
so namentlich wenn Mr. Jourdain ihn frägt: Qui sont-elles ces 
trois operations de Vesprit? und er antwortet: la premiere, la 
seconde et la troisieme, la premiere est de bien concevoir par le 
moyen des universaux ... U.S.w. und da, wo er zu der be- 
kannten Formel „Barbara Celarent Darü Fario BDaralipton“ 
seine Zuflucht nimmt, oder geradezu erklärt, er wolle „traiter 
cette matiere en philosophe“. Er lässt sich auch leicht vom 
Zorne hinreissen und spart in seinem Streite mit den Lehrern 
des Mr. Jourdain die Schimpfwörter nicht. Welch’ ein grosser 
Unterschied aber zwischen diesen Scenen und den vorhin be- 
sprochenen besteht, springt sofort in die Augen. Noch feiner 
gezeichnet ist Vadius in den Femmes savantes. Seine Eitelkeit 
und Reizbarkeit überschreiten niemals die Grenze des im ge- 
wöhnlichen Leben Möglichen und Wahrscheinlichen. Auch Mr. 
Bobinet in der Comtesse d’Escarbagnas, welcher der Gesellschaft 
„le bon vepre“ statt „le bonsoir“ wünscht, weist keine grotesk 
übertriebenen Züge auf. Solche Gestalten können wir echt 
Molieresche nennen. Auf diese Weise satirisiert Moliere, wenn 
er sich von der Beeinflussung seiner Vorbilder frei macht und 
ganz auf eigenen Füssen steht, 


294 H. SCHNEEGANS, 


Wir erwähnten vorhin den Maitre de philosophie des 
Bourgeois gentilhomme und stellten fest, dass er nicht grotesk 
ist. Ist es aber nicht vielleicht Mr. Jourdain selbst? Dieser 
biedere Pariser Bürger, welcher eine so kindische Verehrung 
für alles hat, was adlig ist oder nach Adel aussieht, thut die 
sonderbarsten Dinge, um dem Ideal, das ihm vorschwebt, nach- 
zukommen. Er lässt sich nicht bloss standesgemäss kleiden, er 
nimmt nicht bloss in seinen alten Tagen Sing-, Tanz- und Fecht- 
stunden, er hält sich nicht bloss einen Lehrer der Philosophie 
und lädt schöne Marquisen zum Souper ein, denen er die 
korrektesten Reverenzen macht und die galantesten Kompli- 
mente verabreicht, er hat sogar den tollen Gedanken, seine 
Tochter mit dem Sohne des Grosstürken zu verheiraten. Dieser 
letzte Einfall und die Ausführung desselben machen gewiss einen 
grotesken Eindruck. Dass die Eingenommenheit für den Adel 
beim guten Mr. Jourdain so weit geht, dass er auf die Erzählung 
von Covielle hereinfällt, der Sohn des Grosstürken, der zufällig 
durch Paris komme, sei in seine Tochter verliebt, und um seines 
künftigen Schwiegersohnes würdig zu sein, die tolle Ceremonie 
seiner Erhebung in den Stand eines Mamamouchi über sich er- 
gehen lässt, das können wir Moliere mit dem besten Willen nicht 
mehr glauben. Das ist groteske Uebertreibung! — Man denke 
doch, was Mr. Jourdain alles durchmachen muss, um Mamamouchi 
zu werden! In seiner eigenen Wohnung erscheinen sechs Türken, 
ein Muphti und Derwische. Erstere tragen einen Teppich und 
tanzen mit demselben im Zimmer herum, dann gehen sie darunter 
durch, schliesslich breiten sie ihn auf dem Boden aus, werfen 
sich dann auf die Knie, rufen Allah und singen. Der Herr 
Jourdain hat sich die Haare abrasieren und als Türke verkleiden 
müssen; er muss den Alcoran auf dem Rücken tragen, während 
der Muphti und seine Begleiter im tollsten Kauderwelsch den 
grössten Unsinn hersagen. Der Muphti singt „Halaba, balachou, 
balaba, balada“, und die Türken wiederholen es. Darauf bringen 
sie dem biedern Jourdain einen mit zahlreichen angezündeten 
Lichtern geschmückten kolossalen Turban her und setzen ihm 
denselben auf den Kopf; endlich geben sie ihm noch einen Säbel 
und hauen ihn zum Schluss noch durch. ‚Wenn man sich diese 
Scene vergegenwärtigt, die an TFollheit alles überbietet, was 
sonst Moliere geschaffen, selbst die Doctorpromotion von Argan, 
kommt es einem wirklich so vor, als ob sich-in seine Komödie 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 295 


eine groteske Satire verirrt hätte, die an Tollheit diejenigen des 
16. Jahrhunderts gewiss erreicht. Man kann vom Adel noch so 
eingenommen sein; wenn man nicht wirklich verrückt ist, wird 
man sich doch nicht dazu hergeben auf diese Weise Mama- 
mouchi zu werden. Mamamouchi — wie soll überhaupt ein 
Pariser, bei aller Beschränktheit, auf einen solchen Namen 
hereinfallen? — 

Dies mag der Eindruck sein, den Moliere’s Komödie auf 
einen macht, der die Entstehung derselben nicht kennt. Wir 
werden allerdings anders urteilen müssen. Das Ende des bourgeois 
sentilhomme — wir glauben uns nicht zu täuschen — haben wir 
nicht einer bewussten grotesken Satire zu verdanken. Um 
dem Hofe zu gefallen, welcher gerade damals, nachdem Laurent 
d’Arvieux nach einer langen Orientreise über die türkischen 
Gebräuche Vortrag gehalten hatte, an Derartigem grosses Inter- 
esse fand, hatte Moliere eine türkische Maskerade auf die Bühne 
bringen müssen. D’Arvieux erzählt in seinen Memoiren,') er 
habe mit Moliere in Auteuil an der Komödie gearbeitet und sei 
dann mit allen die Kleidung betreffenden Fragen betraut worden. 
Die Veranlassung der Komödie scheint demnach die türkische 
Maskerade gewesen zu sein. So sind denn die Türkenscenen 
nicht organisch aus der übrigen Komödie hervorgegangen. Moliere 
musste vielmehr seine Komödie so einrichten, um die befohlenen 
Türkenscenen so wenig als möglich unwahrscheinlich erscheinen 
zu lassen. Ein äusserer Druck hat Moliere veranlasst, von der 
Art der Satire abzuweichen, die sich im ersten Teil der Komödie 
kundgiebt. Uns erscheinen die Scenen grotesk, aber sie sind 
nicht der Ausfluss grotesker Satire. 

Dies scheint auf den ersten Blick bei denjenigen Komödien 
eher der Fall zu sein, in denen Moliere die Aerzte angreift. 
Die Eigentümlichkeiten dieses Standes zur Zeit Moliere’s er- 
scheinen in so verzerrtem Bilde, dass wir nicht an ihre Möglich- 
keit in der Wirklichkeit glauben können. Das Aeussere, die 
Kleidung und die Sprache ist für den Moliere’schen Arzt die 
Hauptsache. Kaum hat Don Juan’s Diener Sganarelle das Arzt- 
kleid angelegt, so ist er schon als Arzt hoch geachtet, und kommen 
schon die Leute haufenweise zu ihm, um ihn zu befragen (Festin 


') Memoires du chevalier d’Arvieux. Tome IV, p. 252/3, 3° edition de 
1735, C£. darüber Moliereausgabe von Despois et Mesnard VIII, 1883, p. 12. 


296 H. SCHNEEGANS, 


de Pierre IIT, 1). Eines der ersten Dinge, wonach der Holzhauer 
Sranarelle sich erkundigt, als er den Arzt zu spielen gezwungen 
wird, ist die Frage, ob er denn auch seinen Talar bekommen 
werde (Medeein malgr& lui 1,6). Als später L&andre, der sich 
auch als Arzt verkleiden will, den Sganarelle bittet, ihm ein 
Paar medizinischer Ausdrücke mitzuteilen, damit er den Ein- 
druck eines geschickten Arztes hervorrufen könne, antwortet 
ihm Sganarelle: „Allez, allez, tout cela n’est pas necessaire, il 
suffit de U’habit, et je n’en sais pas plus que vous“. Im Malade 
Imaginaire wird Argan versichert, dass schon das Umlegen eines 
Talars aus ihm einen Arzt machen könnte. Das Lateinsprechen, 
die Kenntnis der Krankheiten und der Heilmittel, sei nicht die 
Hauptsache, wie Argan anzunehmen scheine „En recevant la 
robe et le bonnet de medecin“, sagt Beralde, „vous apprendrez 
tout celä et vous serez apres plus habile que vous ne voudrez“. 
Und als Argan sich darüber wundert, verstärkt ihn Beralde in 
der Ansicht: „Oui, Von ma qua parler avec une robe et un 
bonnet, tout galimatias devient savant, et toute sottise devient 
raison“ und die witzige Toinette setzt dieser Ansicht die Krone 
auf, indem sie hinzufügt: „Zenez, Monsieur, quand il n’y aurait 
que votre barbe, dest deja beaucoup, et la barbe fait plus de la 
moitie d’un medecin (ILL, 22). 

Beinahe ebenso wichtig als das Kleid ist die Sprache. 
Das wissen diejenigen, die sich bei Moliere als Arzt verkleiden, 
um irgend einen Streich zu vollführen, sehr wohl. Schon im 
Medecin volant nimmt der als Arzt verkleidete Sganarelle seine 
Zuflucht zu diesem Mittel, um den Leuten zu imponieren. Er 
kann allerdings nicht viel; aber „Salamalec, Signor si, segnor 
non, per ommia saecula saeculorum“ genügt schon, um den Leuten 
Sand in die Augen zu streuen (Se. IV). — Der Sganarelle des 
Medecin malgre lui kann schon mit grösserer Gelehrsamkeit auf- 
warten. Mit Begeisterung ruft er aus: Cabrü cas arei thuram, 
catalamus, singulariter, nominativo, haec musa, la muse, bonus, 
bona, bonum U.S. w. U.8. w. Und voll aufrichtiger Bewunderung 
ruft Geronte: Ah que n’ai-je etudie! 

Das Prunken mit gelehrten Ausdrücken ist aber nicht das 
einzige, was Sganarelle den wirklichen Aerzten abgelauscht hat; 
er weiss, dass für sie die Hauptsache darin besteht, blindlings 
den Vorschriften des Hippokrates und Galen zu folgen. Für 
Moliere’s Aerzte ist die Regel des Hippokrates ebenso heilig wie 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 297 


die Bibel für die Theologen, und für alles und jegliches nehmen 
sie zur Theorie derselben ihre Zuflucht. So sagt Sganarelle, um 
dem Geronte zu imponieren, als er zum erstenmal zu ihm kommt, 
mit grossartiger Frechheit: Hippokrates sagt, dass wir uns beide 
bedecken sollen, und von Geronte gefragt, wo sich denn diese 
Regel fände, antwortet er mit ebenso kecker Stirne: Dans son 
chapitre des chapeaux. Im Amour medeecin ist der Arzt Tomes 
von der Unfehlbarkeit des Hippokrates so überzeugt, dass, als 
Lisette ihm erzählt, ein von ihm behandelter Kutscher sei ge- 
storben, er diese Thatsache aufs energischste bestreitet, aus dem 
einfachen Grunde, weil Hippokrates gesagt habe, dass Krank- 
heiten, wie die, an der dieser Kutscher gelitten, erst am 14. 
oder 21. Tage zu Ende gehen, und er doch erst 6 Tage lang 
krank sei.!) 

In anderer Formulierung kommt derselbe Gedanke bei 
Moliere mehrfach vor. Als im Monsieur de Pourceaugnac I, 8 
ein Bauer sich bei einem Arzte darüber beklagt, dass sein 
Freund die heftigsten Schmerzen im Kopf erdulde, fährt der 
Arzt mit der Bemerkung dazwischen, der Kranke sei ein Thor, 
da in der Krankheit, an welcher er leide, nach Galen ihm nicht 
der Kopf, sondern die Milz weh thun sollte. — Die Theorie ist 
immer die Hauptsache. Sogar wenn sie dem eigentlichen Ziele 
der Arzneikunst zuwiderlaufe, müsse ihr der Vorrang eingeräumt 
werden. Herr Tomes rühmt sich während der Konsultation 
im Amour medecin (II, 3), er sei so sehr für Beibehaltung der 
Form, dass er einmal das ganze Heilverfahren hingehalten habe, 
nur weil er den Regeln nach vorgehen wollte, und dies, obgleich 
schleunige Hilfe nötig war, wie ja der — nach ihm neben- 
sächliche — Umstand zeigte, dass die Kranke während dieser 
Disputationen starb. Das habe aber gar nichts auf sich: „Un 
homme mort n’est qu'un homme mort, et ne fait point de con- 
sequence; mais une formalitd negligee porte un notable prejudice 
a tout le corps des medeeins“. Auch für den Kranken, meint 


1!) Die Worte sind so krass, dass sie eitiert werden müssen. Lisette: 
...il est mort. Tomes: Mort? Lisette: Owi. T.: Cela ne se peut pas. L.: 
Je ne sais pas si cela se peut, mais je sais bien que cela est. T.: Il ne peut 
pas etre mort, vous dis-je. L.: Et moi je vous dis quwil est mort et enterre, 
T.: Vous vous trompez. L.: Je Vai vu. T.: Cela est impossible. Hippocrate 
dit que ces sortes de maladies ne se terminent quau quatorze ou au vingt-un, 
et il n’y a que sin jours quwil est tombe malade, 


298 H. SCHNEEGANS, 


sein Kollege Bahis (II, 5), ist es besser, nach den Regeln vorzu- 
gehen. Und er versteigt sich zu dem grossartigen Ausspruch: 
Il vaut mieux mourir selon les regles que de rechapper contre les 
regles. Im Monsieur de Pourceaugnae geht ein Arzt sogar noch 
weiter. Als der zweite Arzt über die vermeintliche Krankheit 
des Limusiner Edelmannes, die Hypochondrie, eine lange Rede 
gehalten hat, die von Gelehrsamkeit strotzt, antwortet ihm sein 
Kollege, er habe so schön und so gelehrt geredet, dass es un- 
möglich sei, dass Mr. de Pourceaugnac nicht verrückt und Hypo- 
chonder sei „et quand il ne le seroit pas, il faudroit quil le devint, 
pour la beaute des choses que vous avez dites, et la justesse du 
raisonnement que vous avez fait“. Mehr kann man wahrhaftig 
nicht verlangen. Um der Schönheit einer theoretischen Unter- 
suchung willen krank werden, das ist das nec plus ultra des 
Triumphs der Theorie. Dass aber die Aerzte solche Ansichten 
haben, darf uns nicht wundern. Werden doch dieselben, nach 
Moliere, den Doctoranden beim Examen eingeprägt! In der 
Promotionsscene des Malade imaginaire muss der Bachelerius 
schwören, dass er stets sein wolle „in omnibus consultationibus 
ancieni aviso aut bono aut mauvarso, de non jamais se (te) servire 
de remedüs aucunis quam di ceux seulement doctae facultatis, 
maladus aüt-il crevare et mori de suo malo!“ Der blinde Ge- 
horsam, das ist das Hauptverdienst des Arztes. Deshalb rühmt 
es Herr Diafoirus an seinem Sohn Thomas (Malade imaginaire 
11, 6) ausdrücklich, dass er blindlings den Präcepten der älteren 
Aerzte folge und die sogenannten neuen Entdeckungen niemals 
habe verstehen wollen. Wenn die Aerzte dann doch wenigstens 
ihre Schüler etwas lehren könnten! Aus der Promotion im 
Malade imaginaire sehen wir aber, welches das Resultat ihrer 
Studien ist. Als der Kandidat auf die Frage der Examinatoren 
„quare opium facıt dormire“ antwortet „qwia est in eo virtus 
dormitiwva, eujus est natura sensus assoupire“, geraten die Aerzte 
alle in Entzücken und rufen aus: Bene bene bene bene respondere. 
Dignus, dignus est intrare im nostro docto corpore“. — Ebenso 
gefällt ihnen die Antwort des Kandidaten, als er als Heilmittel 
für Wassersucht, Lungenentzündung, Asthma, Fieber- und 
Atmungsbeschwerden, mit konstanter Bosheit angiebt: „Ulys- 
terium donare, postea seignare, -ensuita purgare“, und wenn 
dieses nichts helfe: „Iteseignare, repurgare et reclysterisare“. 
Trotz dieser glänzenden, in jeder Hinsicht gleichen Vorbereitung 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 299 


sind die Aerzte doch manchmal nicht gleicher Ansicht. Sie 
streiten sich im Amour medecin und sagen sich die grössten 
Grobheiten. Tomes meint, wenn man Geronte’s Tochter nicht 
sofort zur Ader lasse, so werde sie sterben, dagegen behauptet 
Desfonandres, wenn man es thäte, würde sie keine Viertelstunde 
länger leben. Oft suchen sie ihre Uneinigkeit dem Kranken 
gegenüber zu verhehlen, indem sie die im Grunde verschiedensten 
Dinge für gleich erklären. Thomas Diafoirus hat bei Argan auf 
eine Milzkrankheit die Diagnose gestellt. Herr Purgon hat, ohne 
dass dieser davon etwas wusste, eine Leberkrankheit konstatiert. 
„Schliesslich kommt es auf dasselbe heraus“, meint Herr Diafoirus; 
„qui dit parenchyme, dit Yun et Vautre, a cause de letroite sym- 
pathie qwils ont ensemble, par le moyen du vas breve, du 
pylore, et sowvent des meats cholidoques“. Und als er ver- 
mutet, dass ihm wohl sein Arzt Purgon Braten verordne, und 
Argan im Gegenteil antwortet, Suppenrindfleisch, so wird es ihm 
nicht schwer, beide Verordnungen mit einander zu vereinen: 
„Eh owi, röti, bowilli, m&me chose!“ — Das ist schliesslich für 
solche Aerzte nicht so wichtig. Was in ihren Augen viel 
wichtiger ist, das ist zu wissen, ob man die Heilmittel in 
geraden oder ungeraden Dosen verabreichen soll. Im Monsieur 
de Pourceaugnac rät der Arzt „de faire les saignees et les pur- 
gations en nombre impair, numero Deus impare gaudet“, und 
im Malade imaginaire verordnet Herr Diafoirus dem Argan, er 
solle stets eine gerade Zahl von Salzkörnern in seine Eier legen, 
dagegen die Heilmittel in ungerader Zahl zu sich nehmen. Nicht 
jedermann ist aber so gläubig wie der eingebildete Kranke. Die 
meisten wissen, was man von solchen Heilmitteln erwarten kann. 
Schon im Medecin volant antwortet Sganarelle seinem Herm, 
als derselbe ihn frägt, ob er denn seine Rolle als Arzt gut 
werde spielen können, er solle sich doch ja keine Sorgen darüber 
machen, er könne einen ebenso gut zum Sterben bringen als 
irgend ein anderer Arzt der Stadt. Und im Amour medeecin II, 1 
weiss Lisette von einem Mann zu erzählen, der beim Tode eines 
Bekannten niemals sage, er sei an dieser oder jener Krankheit 
gestorben, sondern an so und so viel Aerzten und Apothekern. 
Dass eine Katze, die vom Dach heruntergefallen ist, mit dem 
Leben davon kommt, erklärt sie aus dem Umstand, dass sie 
eben nicht ärztlich behandelt worden sei, sonst wäre sie gewiss 
gestorben, Im Don Juan III preist Sganarelle als ein herrliches 


800 H. SCHNEEGANS, 


Resultat des &metique, dass er sofort zum Tode geführt habe. 
Wie könnte man sich ein wirksameres Heilmittel wünschen? — 
Don Juan ist ganz damit einverstanden, dass Sganarelle seine 
Rezepte ad libitum verschreibe, sie würden die Kranken ebenso 
leicht gesund machen wie die der Aerzte, die doch nur dem 
Glück, dem Zufall und den Naturkräften die Erfolge ihrer Heil- 
mittel verdankten. 

Wenn aber auch die Aerzte bei allen Leuten für Ignoranten 
gelten, so sind sie sich doch selbst ihrer Unwissenheit nicht 
bewusst. Im Gegenteil! Sie halten sich für die gelehrtesten 
Herren der Welt. Der Bachelerius, dem die hohe Ehre zuteil 
wird, in eine so gelehrte Körperschaft einzutreten, ist sich dessen, 
was das bedeutet, bewusst. In den Dankesworten, die er an die 
Fakultät richtet, erklärt er, es sei ihm unmöglich dieselbe zu 
loben, denn der Sonne könne man kein Licht, dem Himmel keine 
Sterne und dem Lenz keine Rosen hinzufügen. Er wisse wohl, 
dass er ihnen mehr verdanke als der Natur und seinem Vater. 
„Natura et pater meus hominem me habent factum, mais vos me, 
ce qui est bien plus, avetis factum medicum!“ So selbstbewussten 
Herren sich zu widersetzen, ist ein Verbrechen. Wehe dem, der 
es versucht! Der Kranke, der in ihre Hände geliefert wird, 
gehört ihnen an. Der Arzt hat das unumschränkte Recht alles 
mit ihm zu thun, was ihm beliebt. Schon in der Promotion 
wird ihm das eingeschärft: Er habe, so sagt ihm der Praeses, 
virtutem et pwissanciam medicandi, purgandi, seignandi, pergandı, 
taillandi, coupandi et occidendi impune per totam terram“. Dieses 
Recht will der Arzt ordentlich ausnutzen. Wenn er einmal 
einen Kranken hat, so lässt er ihn nicht mehr los: In Monsieur 
de Pourceaugnac II,2 sagt der Arzt dem ÖOronte, dass der 
limusiner Edelmann, da er sich nun einmal in seine Kur begeben 
habe, ihm ganz angehöre, seine Krankheit sei wie ein Möbel, 
das ihm zu eigen gegeben sei. Und er erklärt ausdrücklich, 
er werde nicht gestatten, dass er sich verheirate, bevor er 
zuerst der medieinischen Wissenschaft Genüge gethan und alle 
Mittel eingenommen, die man ihm verschrieben habe. Und. wenn 
er fliehe, so werde er ihn durch Richterspruch zwingen, sich 
durch ihn heilen zu lassen! Und finde er ihn nicht, dann werde 
er sich an ihn, den Oronte halten, und ihn statt des anderen 
kurieren, denn er brauche einen Kranken und-werde ihn nehmen, 
wo er ihn treffe. — Ebenso tyrannisch wie dieser Arzt ist der 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 301 


gestrenge Herr Purgon im Malade imaginaire III,6. Als er hört, 
dass Argan das Klysterium nicht genommen hat, das er ihm ver- 
ordnet hatte, kennt er sich nicht mehr vor Wut. Es sei dies ein 
ungeheuerliches Attentat gegen die medicinische Wissenschaft, 
ruft er aus, ein crimen laesae facultatis, das man nicht genügend 
bestrafen könne. Die Schenkung, die er seinem Neffen, dem 
Bräutigam von Argan’s Tochter, versprochen hatte, vernichtet 
er aus Wut. Er lässt ihn, den Armen, der sich entschuldigen 
will, nicht zu Worte kommen, und ohne sich um sein Jammern, 
womit er ihn zu unterbrechen sucht, zu kümmern, ruft er ihm 
zu: „J’ai a vous dire que je vous abandonne a votre mauvaise 
constitution, a lintemperie de vos entrailles, a la corruption de 
votre sang, a l’äcrete de votre bile et a la feeulence de vos humeurs 
... et je veux qwavant qu'il soit quatre jours, vous deveniez dans 
un etat incurable, que vous tombiez dans la bradypepsie, de la 
bradypepsie dans la dyspepsie, de la dyspepsie dans l’apepsie, de 
l’apepsie dans la lenterie, de la lienterie dans la dyssenterie, de 
la dyssenterie dans U'hydropisie et de U’hydropisie dans la privation 


de la vie, out vous aura conduit votre folie“. — So gross ist also 
die Herrschsucht des Arztes, dass, wenn man seinen Anordnungen 
nicht folgt, er einem sogar den Tod wünscht. — Dass dies eine 


groteske Uebertreibung ist, liegt auf der Hand, und wir haben 
die obige Stelle auch deshalb wörtlich angeführt, um zu zeigen, 
wie wiederum die groteske Satire die am häufigsten auftretende 
Eigentümlichkeit des grotesken Stils, die kolossale Aufzählung 
nach sich zieht. — Wie soll man aber überhaupt die Darstellung 
der Aerzte bei Moliere verstehen? Haben wir es durchweg mit 
grotesker Satire zu thun? Dass uns Modernen die Aerzte, wie 
sie bei ihm auftreten, grotesken Eindruck machen, mit ihrem 
seltsamen Kauderwelsch, ihrer sonderbaren Kleidung, ihrer ab- 
göttischen Verehrung für die Form, ihrer Herrschsucht und 
Ignoranz, brauche ich nicht ausdrücklich zu sagen. Aber eine 
andere Frage ist die, ob sie Moliere selbst grotesk darstellen, 
ob er eine groteske Satire derselben schreiben wollte. 

Ein Zeitgenosse Moliere’s, Francois Bernier sagt in seinen 
Essais de medecine 1696 (Chapitre sur les ennemis de la medecine) 
unter anderem — ich eitiere nur die Stelle, die uns besonders an- 
geht: „De toutes les pieces dont ce comedien a outre les caracteres 
ce qui lui est souvent arrive et quon ne voit guere dans lancienne 
comedie, celles ou il joue les medeeins sont incomparablement plus 


302 H. SCHNEEGANS, 


outrdes que les autres“. Kurz vorher spricht er von der geringen 
Wahrscheinlichkeit, welche Moliere’s Bilder der Aerzte aufweisen. 
— Das spräche für starke Uebertreibung der Satire, wenn dieser 
Francois Bernier nicht selber Arzt wäre.') Als solcher schrieb 
er aber pro domo, ausserdem sagt von ihm Raynaud auch, dass 
die pekuniären Verhältnisse, in denen er lebte, ihn erbittert 
hätten.?) Auf das Urteil eines erbitterten Parteimannes kann 
man nicht viel geben. 

Bei der Untersuchung der Frage stossen wir aber auf noch 
viel wichtigere Bedenken als diese. Gerade die Scene, die uns 
vielleicht jetzt den unwahrscheinlichsten Eindruck "macht, die 
Doctorpromotion im Malade imaginaire, ist, wenn man sieht, 
wie zu Moliere’s Zeiten derartige Promotionen vor sich gingen, 
im Grunde nicht sehr übertrieben. Die Ceremonie ging in 
Wirklichkeit ähnlich vor sich, wie sie bei Moliere dargestellt 
wird. Die ganze Fakultät führte in corpore unter Musik- 
begleitung den Kandidaten in den Saal. Nach einigen lateinischen 
Reden nahm der Präses das Wort, um auf die Rechte und 
Pflichten des Arztes hinzuweisen. Dann wurde ihm die Doktor- 
mütze aufgesetzt, ein Ring an den Finger gesteckt, und ein 
goldener Gürtel gegeben. Endlich brachte man ihm das Buch 
des Hippokrates, und indem er die Hand darauf stützte, musste 
er den Eid leisten. Raynaud hat l.c. 8. 53ff. ganz eingehend 
die Doktorpromotion, wie sie in Paris vollzogen wurde, mit 
derjenigen im Malade imaginaire verglichen und die grosse 
Aehnlichkeit beider nachgewiesen. Die Eröffnungsrede des 
Präsidenten bei Moliere ist eine Lobrede der Medizin, wie in 
Wirklichkeit. Freilich besteht darin ein ziemlicher Unterschied 
dass in Wirklichkeit der President de vesperie die Fakultät 
wegen ihrer Wissenschaft, Tugend und Uneigennützigkeit lobte, 
dagegen der Präses bei Moliere den materiellen Gelderwerb preist. 
Darin liegt aber keine groteske Satire, sondern eine burleske 
Verhöhnung.?) — Die Fragen, die an den Kandidaten gerichtet 


!) Raynaud, Les medeceins au temps de Moliere, Paris 1862, aus dem 
ich die Stelle habe, sagt von ihm, dass er medecin de la duchesse douairiere 
d’Orleans gewesen sei. 8.438 Anm. 

2) Il vecut dans un etat voisin de la misere d’oü une äprete de caractere 
dont il a laisse la prewve dans ses Essais de medecine. 

®) Ueber burlesk vgl. 8.283 Anm.1 und Geschichte der grotesken 
Satire, Einleitung; burlesk ist der frivole, aus keinem berechtigten Grund 
das Erhabene in den Staub herunterziehende Scherz. 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 303 


werden, sind der Reihe nach den verschiedensten Gebieten ent- 
nommen, zuerst der Physiologie, dann der Pathologie (hydropisie, 
asthme, fievre hectique), endlich wird eine praktische Frage vor- 
gelegt. Nach jeder Antwort spricht der Präsident die Worte: 
„Audivistis, viri clarıssimi, quam bene, quam apposite respondit 
Baccalaureus vester; eum, si placet, tempore et loco commendatum 
habebitis“. Die Antwort des Chores bei Moliere ist dem Sinne 
nach gleich. Der Eid bei Moliere ist dem wörtlichen beinahe 
auf den Leib geschnitten: „Juras gardare statuta per Facultatem 
praescripta, cum sensu et jugeamento“; in Wirklichkeit: „quod 
observabis jura, statuta, leges et laudabiles consuetudines hujus 
ordinis“. — Und der Kandidat antwortet jedesmal „Juro“. Auch 
die Aufnahmeformel ist der Wirklichkeit nachgeahmt. Sie lautete: 
„Atctoritate sedis apostolicae qua fungor in hac parte, do tibi 
licentiam legendi, interpretandi et faciendi Medieinam hie et ubique 
terrarum“. Moliere machte daraus: „Zgo cum isto boneto venerabili 
et docto Dono tibi et concedo Virtutem et pwissanciam Medicandi, 
purgandi, seignandi, pergandi, taillandi, coupandi et occidendi 
impune per totam terram“.) Das ist eigentlich keine groteske 
Uebertreibung, sondern nur eine nähere Ausführung des „facere 
medieinam“. Die angeführten Heilmittel gab die damalige Medizin 
in Wirklichkeit. Nur das occidendi ist natürlich hinzugefügt und 
wiederum ein Herunterreissen der Ceremonie ins Gemeine. Also 
wiederum ein burlesker Scherz. Burlesk ist in dieser ganzen Scene 
auch dasjenige, was ihr den grössten komischen Reiz verleiht, das 
macaronische Latein. Die Aerzte zur Zeit Moliere’s schrieben 
nicht etwa wie die Scholastiker am Anfang der Renaissance ein 
barbarisches Latein. Im Gegenteil, ihr Latein war vorzüglich, 
wie Raynaud nachweist.?) Es hätte also kein Grund vorgelegen 

) Die primitive Fassung lautete aber nach Raynaud S. 235, welcher 
behauptet Magnin habe sie gefunden und in der Ausgabe von Moliöre's Werken 
von Ph. Chasles sei sie gedruckt: Dono tibi atque concedo Puissanciam, 
virtutem atque licentiam Medieinam cum methodo faciendi, id est: Olysteri- 
zandi, Seignandi, Purgandi, Sangsaesandi, Ventosandi, Scarificandi, Pergandi, 
Taillandi, Coupandi, Trepanandi, Brulandi, Uno verbo selon les formes atque 
impune occidendi Parisiis et per totam terram. — In Herrigs Archiv Bd. 91, 
S.263 hat Ludwig Fränkel eine andere ziemlich verschiedene Fassung ver- 
öffentlicht. 

2) ]. ec. S. 406 J’ai lu pour ma part un grand nombre de thases de cette 
epoque, et je puis affirmer quwelles sont presque toutes d'une latinite irre- 
prochable que nous powvons bien ne pas envier, mais qua coup sür nous 
serions embarasses d’imiter. 


304 IH. SCHNEEGANS, 


ihre Sprache so zu satirisieren, wie es mit dem Scholastikerlatein 
die Epistulae obscurorum virorum gethan hatten. Das schlechte 
Latein wollte aber Moliere auch gar nicht geisseln. Er ärgerte 
sich wohl bloss über den so sehr verbreiteten Gebrauch der toten 
Sprache in einer Kunst, welche die ganze Menschheit anging. 
Er hielt dies für eine Affektiertheit und Unnatürlichkeit und 
machte sich auf burleske Weise darüber lustig, indem er die 
Aerzte statt in der besonders erhabenen und feierlichen Sprache, 
die sie erstrebten, in einem Kauderwelsch der ärgsten Art, 
welches sie dem Gelächter preisgeben musste, sich ausdrücken 
liess. So hätten wir denn in dieser Promotionsscene nicht eine 
groteske Satire zu erblicken, sondern einen burlesken Scherz. 

Wenn Moliere die Aerzte grotesk hätte satirisieren wollen, 
so hätte er in den von den Kandidaten bei den verschiedenen 
Prüfungen behandelten Fragen wahrhaftig Stoff genug gefunden. 
Louis Lenoir promovierte 1645 über die Frage An modicus cibt, 
medicus sibi? Revellois 1658 über An utendum cibis simpli- 
cioribus? Td. Charier 1657 Estne homini vivendum ut edat?!). 
Von den Licenciaten wurden die Fragen untersucht: An quartanae 
curandae conveniat ebrietas (1658) — Utrum Tobiae ex piscis 
folle curatio naturalis (1668) — An qui mel et bythyrum comedtt, 
sciat reprobare malum et eligere bonum (1670)2) Man wird 
unwillkürlich an die Bibliothek von St. Vietor bei Rabelais 
erinnert, wenn man solche Titel liest. Die damalige medizinische 
Wissenschaft stand nämlich noch ganz unter dem Bann der 
Scholastik. Disputiert wurde nach fest vorgeschriebenem Schema.) 
Wenn Moliere in Mr. de Pourceaugnac den Arzt seine lange 
Rede so streng schematisch einteilen lässt, haben wir es mit 
einem Bild der Wirklichkeit zu thun. Auch dass Moliere ihn 
1) Vgl. Pauly, Moliere et les medecins, Molieriste VIII, S. 290. 

2) Von Raynaud 8.50 l. ce. eitiert nach Hazon „Eloge historique de la 
Facult& de medeeine de Paris 1770. Raynaud eitiert noch folgende Unter- 
suchungen: Est-il bon de s’ennivrer une fois par mois? — La femme est-elle 
un owvrage imparfait de la nature? — L’eternument est-il un acte naturel? 
— Les bätards ont-ils plus d’esprit que les enfants legitimes? — Faut-il tenir 
compte des phases de la lune pour la coupe des cheveux? 

3) Die Thesen bestanden immer aus 5 Artikeln, vgl. Raynaud, S. 42: 


„Dans le premier on donnait Vexposition du sujet, et on posait la majeure; 
dans le second on la developpait; le troisieme et le quatrieme article etaient 


x 


consacres V’un a etablir, Vautre a commenter la mineure. Enfin dans le 
einquieme on refutait les objections et on tirait la comelusion des pr&misses. 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 305 


in Gegenwart des Patienten so lang über seine Krankheit reden 
lässt, ist nicht übertrieben. Wer am besten und am längsten 
disputieren, wer in brillanten Perioden schreiben und sprechen, 
wer seine Gegner durch richtig angebrachte Citate zu über- 
raschen und zu verwirren verstand, der galt als der geschickteste 
Mediziner. Bis zum Bacalaureusexamen sahen die Studenten die 
Kranken nicht. Erst dann begleiteten sie einen Arzt auf seine 
Besuche und nun verwandelte sich das Zimmer des Kranken in 
einen Vorlesungssaal; es wurde über seine Krankheit hin und her 
gestritten, wie in Mr. de Pourceaugnac und im Malade imaginaire. 

Das grosse Gewicht endlich, welches die Aerzte bei Moliere 
auf ihr äusseres Auftreten legen, ist auch dem wirklichen Leben 
getreulich nachgeahmt. Bei ihrer Ernennung mussten die Pro- 
fessoren der Medizin z.B. einen solennen Eid leisten, dass sie 
ihre Vorlesungen stets in vollem Ornat halten würden.!) Die 
Aerzte trugen lange Perrücken, liessen sich den Bart stehen — 
dieses wurde sogar für so wichtig .gehalten, dass eine These 
darüber geschrieben wurde „An medico barba?“ — sie ritten 
gewöhnlich auf Maultieren durch die Stadt. Als der Arzt 
(Guenaut gegen die Gewohnheit ein Pferd bestieg, verursachte 
er unter den AÄerzten grosses Aergernis.!) — Aber die Aerzte 
waren nicht bloss auf ihre Tracht stolz. Von ihrer Gelehrsam- 
keit und Unfehlbarkeit, von ihrer kolossalen Bedeutung über- 
haupt waren sie im höchsten Grade eingenommen. Von Anfang 
an wurde ihnen übrigens dieser Hochmut eingeflösst. Wir sehen 
es aus einigen von Raynaud l.c. p. 63 eitierten Auszügen aus 
der Aufnahmerede eines jungen Mediziners in die Korporation.?) 
Wenn man liest, mit welchen Lobsprüchen ein ganz junger 
Mensch wie dieser überschüttet wurde, kann man sich nicht 
wundern, dass er sich später als Arzt für eine bedeutende Per- 
sönlichkeit halten musste, gegen deren Anordnungen zu handeln, 


!) Ueber die Bedeutung, welche die Aerzte ihrer Tracht beilegten, 
wurde vielfach im Volke gespottet: Raynaud eitiert p. 81 ohne Quellenangabe 
folgende Verse, welche im Volke gang und gebe waren: Affecter un air 
pedantesque | cracher du grec et du latin, | longue perruque, habit grotesque | 
de la fourrure et du satin, | tout celüa reuni fait presque | ce qu'on appelle 
un medecin. 

2) „Paranymphus medieus habitus in scholis medieinae die 28 junii 1648 
a Roberto Patin, medieinae baccalaureo“, dem nachfolgen „Orationes encomi- 
asticae singulorum qui tum licentiae gradu donandi erant“, 

Festgabe für Gustav Gröber, 20 


306 H. SCHNEEGANS, 


Verbrechen war. „Da ist er, dieser junge Moreau“, so heisst es 
in der Rede, „das Wunder seines Jahrhunderts und dieser Schule!“ 
Was sage ich? Das Wunder? Kann man denn wunderbar einen 
Sterblichen nennen, bei dem alles göttlich ist? Das ist das unter- 
scheidende Merkmal eines Helden, dass alles bei ihm erhaben ist 
und nichts an Mittelmässigkeit erinnert. — Und er vergleicht 
ihn mit jenen Helden, welche Isokrates #eo» zefdeg nannte, er 
macht darauf aufmerksam, dass, wenn man ihn reden hörte, man 
zu gleicher Zeit Hippokrates, Plato, Aristoteles, Galen, Plinius, 
Theophrast, Ptolemaeus und Cicero zu hören meinte und jeder- 
mann auszurufen bereit war „Non haec humanis opibus, non 
arte magistra proveniunt“. — Und wenn schon ein Kandidat so 
gepriesen wurde, was sagte man nicht alles, wenn die Fakultät 
in Frage kam? Hier kannte die Hyperbel keine Grenzen mehr. 
Einige Auszüge aus Gwil. Marcelli Rhetoris Oratio panegyrica 
pro celebritate iatrogonistarum laurea donandorum mit dem 
typischen Titel Medico Deo similis mögen einen Begriff davon 
geben.!) Dieser Redner entblödet sich nicht auszurufen: „Ihr 
Herren aus der Fakultät, Ihr seid die Wohlthäter des Menschen- 
geschlechts, Ihr seid Gott ähnlich durch Euer Wissen, ähnlich 
durch Euer Mitleid! Ihr seid die Minister und die ‘Kollegen’ 
Gottes“. Und der Redner argumentiert weiter folgendermassen: 
„Alles kommt uns von Gott her, also das Schlechte wie das 
Gute. Von Euch, Ihr Herren Aerzte, kommt nur Gutes. Gewiss 
ist Gott gerecht, und er hat seine Gründe, wenn er uns betrübt. 
Aber schliesslich ist das Uebel immer das Uebel, und die Medizin 
ist immer heilsam. O über jene wunderbare und wirklich un- 
glaubliche Erscheinung, wenn sie uns die Erfahrung nicht alle 
Tage lehrte. Gott schickt uns die Krankheit, und Ihr das Heil- 
mittel! Er schlägt und Ihr heilt! Er legt uns die Duldung auf 
wie eine Strafe, und Ihr bringt uns nur Erleichterungen und 
Wohlthaten!“ Und so kommt er denn zu dem grossartigen 
Schluss: „Wir wären dem Arzte selbst mehr schuldig als Gott 
selbst, wenn wir nicht Gott selber den Arzt verdankten“. — 
Wenn derartiges in der Wirklichkeit geschah, so können wir 
uns nicht mehr über die Zornausbrüche Purgon’s wundern und 
werden die Keckheit, mit welcher Tomes behauptet, ein Kranker 
könne nur mit Erlaubnis von -Hippokrates’ Regeln sterben, 


!ı) Vgl. Raynaud ]. ce. S. 64—65. 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 307 


natürlich finden. Ist der Arzt Gott ähnlich, so muss man ihm 
gehorchen wie Gott; wer es nicht thut, ist ein Gottloser und 
muss verdammt werden. Das ist ganz logisch. 

Und ebenso wie das Selbstbewusstsein der Aerzte, so ist 
auch ihr starres Festhalten an der „Regel“ der Wirklichkeit 
abgelauscht. Die ehrwürdige Pariser Fakultät „veteris disci- 
plinae retinentissima“, wie sie sich gerne nennt, war von einer 
Ausschliesslichkeit und Engherzigkeit, die uns empörend dünkt. 
Sie war die erklärte Feindin aller Fortschritte, die sie nicht 
selbst ins Werk gesetzt hatte; sie erklärte die Theorie von der 
Zirkulation des Blutes in Acht, da sie aus England kam, sie 
wollte das Antimon nicht als Heilmittel gelten lassen, weil es 
in Montpellier zuerst aufgekommen war; von der Chinarinde 
wollte sie nichts wissen, weil sie amerikanischer Import war. 
Noch im Jahre 1650 schrieb der Arzt Guy Patin, dass er die 
Einführung der Chemie in die medizinische Wissenschaft für 
durchaus schädlich halte, und 1671 wollte die Pariser Fakultät 
von den Lehren Descartes’, die sich auf Anatomie und Physiologie 
bezogen, nichts wissen. Die Heilmittel, welche diese Aerzte 
verschrieben, waren stets dieselben „seignare, purgare, elysterium 
donare“. Guy Patin nannte sich selbst den Mann der drei s, 
denn er kannte nur drei Heilmittel, le sene, la saignde, le syrop 
de rose. In seinen Büchern erzählt derselbe Arzt, er habe seine 
Frau von einer Lungenentzündung geheilt, indem er sie zwölf- 
mal hintereinander zur Ader liess. Seinen Sohn, der am Fieber 
krank da lag, liess er nicht weniger als zwanzigmal zur Ader; 
einen Patienten, der an Rheumatismen litt, vierundsechzigmal. — 
Der Aderlass war das Heilmittel für alles, für Fieber, Nieren- 
schmerzen, sogar für Keuchhusten. Und der Aberglaube, den 
wir bei Moliere finden, spielte auch im Leben seine Rolle. Frau 
von Sövign& erzählt in einem Briefe des 13. März 1671, welches 
Mittel man gegen den Biss toller Hunde gebrauchte: Als drei 
Hofdamen der Königin von einem tollen Hund gebissen wurden, 
schickte man sie nach Dieppe und liess sie dreimal ins Meer 
hinuntertauchen. Dagegen scheint die ungerade Zahl von Salz- 
körnern und die Beachtung der ungeraden Zahl beim Anwenden 
von Heilmitteln nicht sehr übertrieben. — Ueberhaupt wenn 
man sich, wie wir es eben gethan, die Verhältnisse zu Moliere's 
Zeiten genauer ansieht, kommt einem auch die Satire der Aerzte 
bei ihm gar nieht mehr sehr übertrieben vor. Der eine oder 

20* 


308 H. SCHNEEGANS, 


andere Zug erreicht die Höhe des Grotesken, aber die gesamte 
Satire der Aerzte nicht. Bei diesen Verhältnissen hätte er noch 
eanz anders übertreiben müssen, um an die Höhe von Rabelais’ 
Satiren heran zu reichen. Im allgemeinen hat er sich damit 
begnügt die diesbezüglichen Missstände grell zu beleuchten, und 
nur hie und da hat er keck die Schranken der Möglichkeit 
durchbrochen. Solche Beispiele sind bei dieser Satire häufiger 
als sonst, weil Moliere die Verhöhnung des Aerztestandes 
besonders am Herzen lag. Hatte er doch selbst bei seiner 
schwankenden Gesundheit immer viel mit den Aerzten zu thun 
gehabt, und hatte er die Nichtigkeit ihrer Wissenschaft häufig 
genug erproben können. Die Leidenschaft, die ja stets bei der 
Erzeugung des Grotesken im Spiele ist, mochte ihn dazu führen, 
hie und da die gewöhnlichen Grenzen über den Haufen zu 
werfen. Grotesk wird unser Dichter auch in folgenden Bei- 
spielen, die wir vorhin zu erwähnen noch keine Gelegenheit 
fanden, weil sie nicht direkt eine Satire der Aerzte als solche 
sind. Der gute Thomas Diafoirus, der beschränkte, in seine 
Wissenschaft ganz verbohrte Jüngling, der als Bräutigam der 
Angelique ausersehn ist, weiss so wenig von der Welt der 
Wirklichkeit und kann so wenig das Empfinden und Fühlen 
eines jungen Mädchens beurteilen, dass er ihr als Brautgeschenk 
nichts Besseres in Aussicht zu stellen weiss als seine T’hese, die 
er gegen den Verfechter der Theorie des Blutumlaufs geschrieben 
hat,!) und, um ihr ein Vergnügen zu bereiten, sie einlädt, der 
Sektion einer Frau beizuwohnen. Der Vater ist ebensowenig 
weltgewandt. Er geniert sich durchaus nicht — naturalia non 
sunt turpia — vor den anwesenden Mädchen zu erklären, dass 
sein Sohn vollständig imstande sei, Kinder zu zeugen und in 
dieser Beziehung also einen vorzüglichen Ehemann abgeben würde. 

In den Femmes savantes finden wir auch einige Stellen, 
welche an das Groteske streifen. Dass Belise III, 3 sich in 
Bezug auf ihre Anbeter den tollsten Illusionen hingiebt, mag 
noch hingehen; in dieser Beziehung kann man in der That oft 
sein blaues Wunder erleben. Dass Philaminte (II, 6) ihr Mädchen 
entlässt, weil es Fehler gegen die Grammatik macht, ist trotz 


!) Mahrenholtz schreibt allerdings S. 282 in Anm.: Ganz naturwahr! 
Vor kurzem erst schrieb mir ein philologischer Th. Diafoirus: Ein Liebes- 
antrag geschieht für einen Philologen am besten dadurch, dass man der Aus- 
erwählten Broschüren überreicht und mit ihr darüber spricht! 


GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 309 


aller Verschrobenheit der gelehrten Damen schon schwerer be- 
greiflich; wirklich grotesk ist aber zweifellos das Verlangen 
Belise’s V, 3, der Notar solle im Ehekontrakt die Geldbeträge in 
Minen und Talenten, die Daten in Iden und Kalenden bezeichnen, 
und namentlich die Stelle II,2, wo Philaminte und Belise von 
ihren vermeintlichen astronomischen Entdeckungen im Mond 
sprechen. Behauptet doch Philaminte, sie habe ganz klar 
Menschen im Mond entdeckt und versteigt sich doch Belise zu 
dem Ausspruch, sie habe zwar keine Menschen, aber Kirchtürme 
erblickt. — Aus dem Geizhals haben wir bereits die schönen 
Anekdötlein erwähnt, die nach Maitre Jacques’ Erzählung über 
Harpagon in der Stadt herumgetragen werden. Dass er sich 
besondere Kalender machen liess, in denen die quatretemps und 
vigiles doppelt aufgeführt werden, um sein Gesinde häufiger 
zum Fasten zu zwingen, möge hier noch hinzugefügt werden. 
Uebrigens weiss auch sein Diener La Fleche sein groteskes 
Scherflein zur Charakteristik seines Herrn beizutragen, wenn er 
behauptet, Harpagon hasse so sehr das Wort „geben“, dass er 
es niemals gebrauche, und dafür stets „leihen“ anwende,!) oder 
indem er erzählt, der blosse Anblick eines Bittstellers verursache 
ihm schon Konvulsionen. Und Harpagon bleibt hinter seinen 
Dienern nicht zurück, sondern zeigt sich in groteskem Licht, 
wenn er, vom Commissaire gefragt, wen er denn des Diebstahls 
für verdächtig halte, antwortet: Tout le monde, et je veux que 
vous arretiez prisonniers la ville et les faubourgs. V,1. 

Solche Stellen sind aber verhältnismässig recht selten und 
können eher als groteske Witze denn als groteske Satiren im 
grossen Stil angesehn werden. Wir kommen also in unserer 
Untersuchung zu einem vorwiegend negativen Resultat. Die 
groteske Satire als solche spielt bei Moliere keine grosse Rolle. 
Bereits in meiner Geschichte der grotesken Satire hatte ich 
S. 483 die Behauptung ausgesprochen, dass schon aus kKultur- 
geschichtlichen Gründen im 17. Jahrhundert die groteske Satire 
nicht mehr blühen konnte. Unser jetziges Resultat bietet für 
Moliere die Bestätigung dazu. 

Moliere hat die Schäden seiner Zeit satirisiert, wie Rabelais 
die der seinigen. Aber beide thun es dem Geschmack ihrer Zeit 


1) II,5 „donner est un mot pour qui il a tant d’aversion qu'il ne dit 
jamais, je vous donne, mais je vous prete le bonjour“, 


310 H. SCHNEEGANS, GROTESKE SATIRE BEI MOLIERE? 


gemäss. Der ältere in tollster Ausgelassenheit und mit gröbster, 
jovialster Uebertreibung. Wäre er nicht in so schallendes Ge- 
lächter ausgebrochen, so wäre es seiner stürmisch dahin eilenden 
Zeit nicht eingefallen auf ihn zu hören. Moliere brauchte so 
starke Mittel nicht. Mit weltmännischer Höflichkeit und 
ironischem Lächeln hielt er seinen Zeitgenossen den Spiegel 
vor, um ihnen zu zeigen, wie sie waren, und Preziösen und 
Marquis, Dichterlinge und Blaustrümpfe, Aerzte und Heuchler, 
bissen sich aus Aerger in die Lippen; Verleumdung und Klatscherei, 
Gericht und Kirche suchten sie in Bewegung zu setzen, um ihren 
Feind zu verderben, aber alles umsonst. Ihr Bild lebt in dem 
Spiegel weiter, hell und klar, uns manchmal übertrieben vor- 
kommend, weil wir an die Möglichkeit solcher Zustände nicht 
mehr glauben können, aber doch im Grunde wahr und echt. 


- Erlangen. HEINRICH SCHNEEGANS. 


Artus’ Kampf mit dem Katzenungetüm. 


Eine Episode der Vulgata des Livre d’Artus, die Sage und ihre 
Lokalisierung in Savoyen. 


In verschiedenen mittelalterlichen Texten, bei einigen 
savoyischen Chronisten und Historikern und in einer noch heute 
in Savoyen nicht ganz vergessenen Sage ist von einem wunder- 
lichen Kampf des Königs Artus (oder zweier seiner Ritter) mit 
einem Katzenungeheuer die Rede, dessen Ausgang verschieden 
dargestellt wird. Am ausführlichsten wird dieser Kampf in der 
Vulgata des Livre d’Artus beschrieben und diese Schilderung 
weist dadurch noch eine besondere Eigentümlichkeit auf, dass 
der Schauplatz der Handlung in die Nähe des Genfer Sees oder 
des Zac de losane, wie er im Text genannt wird, verlegt ist. 

Die Frage, wie eine an Artus anknüpfende Sage dazu kam, 
ausnahmsweise in die südwestliche Schweiz und nach Savoyen 
gesetzt zu werden, interessierte mich und führte mich zu zeit- 
raubenden, wiederholt für längere Zeit unterbrochenen Unter- 
suchungen, deren Resultate ich im Folgenden zusammenstelle.') 
Ich teile zunächst den Text der Episode im Livre d’Artus mit, 
bespreche alsdann die verschiedenen Versionen der Sage und 
behandle schliesslich die Lokalisierung derselben. 


1) Einiges davon habe ich in einem Vortrag mitgeteilt, den ich bereits 
im Jahre 1891 in der germ.-roman. Sektion der 41. Versammlung deutscher 
Philologen und Schulmänner zu München hielt; freilich sah ich Verschiedenes 
damals ganz anders an als jetzt. 


312 E. FREYMOND, 


T: 


Die Episode vom Kampf Artus’ mit dem Katzenungetüm 
im Livre d’Artus (Vulgata). 

Die Vulgata des Livre d’Artus ist bekanntlich in einer 
Reihe von Handschriften und verschiedenen alten Drucken über- 
liefert. Zur Mitteilung der betreffenden Episode konnte ich nur 
zwei Handschriften und zwei alte Drucke benutzen, nämlich den 
aus dem 14. Jahrhundert stammenden Codex 2534 der Gross- 
herzoglichen Hofbibliothek zu Darmstadt,!) aus dem ich die auf 
fol. 204a und b stehende Episode s. Z. selbst kopiert habe, 
zweitens die Handschrift der Bibl. Nat. f. 19162, aus welcher mir 
Herr Arthur Piaget durch gütige Vermittelung von Herrn Gaston 
Paris den betreffenden Abschnitt freundlichst abgeschrieben hat.) 
Die beiden von mir benutzten Drucke gehören der Aargauischen 
Kantonsbibliothek. Das Exemplar des einen Druckes vom Jahre 
1505 enthält nur den Livre d’Artus oder vielmehr Le second 
volume de merlin,;, denn so wird bekanntlich dies Glied der 
Romanreihe in den alten Drucken betitelt. Am Schluss des 
Bandes heisst es: CUy finist le second volume de merlin. Imprime 
a Paris par Michel le noir libraire iure en lumiversite paris |!] 
demourant deuant saint denis de la chartre. Le penultime iour 
de octobre Lan mil eing centz et cing?) — Das andere Exemplar 
ist eine Ausgabe vom Jahre 1526, welche die beiden Bände 
Merlin (d.h. Merlin und Livre d’Artus) und die Propheecies de 
Merlin enthält. Der Titel lautet: S$ Ensuyt le premier volume 
de Merlin. Nouuellement imprime a Paris en la grant rue sainct 
Jacques a lenseigne de la Roze blanche couronnee.*) Brunet 





!) Siehe über diese Handschrift A. Schmidt in Zeitschrift f. rom. 
Philol. XIV, 521£. 

2) Für einige Stellen am Schluss der Episode teilte mir Herr Piaget, 
dem ich hierdurch meinen besten Dank abstatte, ausserdem Lesarten der Hs. 
Bibl. Nat. f. 9123 mit. 

3) Brunet (Manuel du Libraire. Paris 1862, III, 1654f. erwähnt eine 
von Michel le Noir gedruckte Ausgabe vom Jahre 1505, welche die beiden 
Bücher Merlin und die Propheties de Merlin enthält; im Explieit ist dort 
le 2e iour de septembre verzeichnet. 

*) Die Titel der beiden anderen Teile sind kürzer gefasst: LE second 
volume de Merlin, nouuellement imprime @ Paris, bezw. LEs prophecies de 
Merlin. nouuellement Imprimees a Paris; allein das Explicit eines jeden Teils 
giebt die oben gedruckte genauere Bezeichnung des Druckorts an. Im Explieit 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 313 


führt 1. ec. 1655 nur eine Sonderausgabe der Propheties vom 
gleichen Jahr und vom gleichen Drucker an. 

Ausserdem habe ich zur Vergleichung noch die mittel- 
niederländische und die mittelenglische Version des Livre d’Artus 
herangezogen.!) Die mittelniederländische Version befindet sich im 
Doec van Coninc Artur. In dem grossen Gedichteyklus, der vom 
Herausgeber van Vloten fälschlich Jacob van Maerlants Merlijn?) 
betitelt ist, endet der eigentliche Merlijn, wie das te Winkel 
richtig hervorgehoben hat, mit V. 10398. Nach einigen Ueber- 
gangsversen, in denen sich Lodewijck van Velthem nennt, 
beginnt die Uebertragung der Vulgata des Livre d’Artus.) Jan 
te Winkel hat, so viel ich bei allerdings nur flüchtiger Ver- 
gleichung sehen konnte, wohl Recht, diese 1326 vollendete 
Uebertragung als eine getreue zu bezeichnen.*) Immerhin sei 
bemerkt, dass sich Lodewijck in seinem Gedicht bei weitem 
nicht so genau an seine Vorlage hält wie dies der un- 
bekannte Verfasser der mittelenelischen Prosaversion 
thut. Die zwischen 1450 und 1460 entstandene Prosaversion®) 


des dritten Teils heisst es dann noch: Et fut le dit liure de Merlin acheue 
dimprimer le second iour de Juing Mil eing centz XXVI. 

1) Die italienische Version — I due primi libri della istoria di 
Merlino ristampati secondo la rarissima edizione del 1480 per cura di 
Giacomo Ulrich. Bologna 1884. (Scelta di curiositä letterarie inedite o 
rare. Disp. CCI) — enthält nur eine Uebertragung des auf Robert de Boron 
zurückgehenden Merlin, nicht noch eine solche des ersten Teils des Livre 
d’Artus. Die Ausgabe von 1480 ist also im Hinblick auf den Titel unvoll- 
ständig. 

2) Jacob van Maerlants Merlijn, naar het eenig bekende Steinforter 
handschrift uitgegeven door J. van Vloten. Leiden 1882. Zu dieser Aus- 
gabe siehe die zwar scharf tadelnde, aber, wie es scheint, gerechte Kritik te 
Winkels im Lbl. £. germ. u. rom. Phil. II e. 347 ft. 

>) Die sich in der Hs. vor V. 33599 findende Ueberschrift: Hier begint 
dat boek van den koninck Artur etc. steht daher nicht an richtiger Stelle. 
Dasselbe gilt wohl für die S. 247 sich findende Ueberschrift: Hier begint dat 
ander boek van Merlyne. Der second liure de Merlin der Drucke beginnt 
früher; das stimmt übrigens nicht ganz zu dem Beginn des eigentlichen Livre 
d’Artus. An ihrem Platze steht in der Steinforter Handschrift (siehe die 
Ausgabe S. 390) die Ueberschrift der uns hier interessierenden Episode: Hoe 
die koninck Artur street gegen ene vreeslike catte, 

+) Siehe Pauls Grundriss der german. Philologie! II, 458. 

®) Merlin or The Early History of King Arthur: a Prose Romance 
(about 1450—1460 A. D.) edited from the unique ms. in the University Library, 
Cambridge. With an introduction by D.W. Nash. Part I—Ill. London. 


314 E. FREYMOND, 


schliesst sich, wenigstens in der weiter unten mitgetheilten 
Episode ebenso eng an das französische Original an wie der 
vorausgehende Teil, der englische Prosa-Merlin.') 

Die verschiedenen von mir benutzten Texte geben die 
Episode von Artus’ Kampf mit der Katze nicht in völlig über- 
einstimmender Weise wieder; sondern der Text der Darm- 
städter Handschrift — im Folgenden mit D bezeichnet — 
steht allen anderen Texten insofern gegenüber, als 
diese Episode darin wesentlich gekürzt erscheint.) 
Sowohl die beiden Prosadrucke wie auch die mittelniederländische 
und die mittelenglische Version stehen der längeren Version der 
Pariser Handschrift Bibl. Nat. f. 19162 (fortan P genannt) ent- 
schieden näher, und zwar so, dass die mittelenglische Version 
(EP) sowie der ältere Druck vom Jahr 1505 (I!) mit P noch 
näher verwandt sind als der Druck vom Jahr 1526 (I?). Die 
mittelniederländische Version des Lodewijck van Velthem (L.v.V.) 
kürzt vielfach, stellt sich aber doch gleichfalls zur Version P. 

Ob es sich bei der Version D um eine nachträglich gekürzte, 
d.h. jüngere Version handelt oder ob diese kurze Darstellung 
die ursprünglichere ist, vermag ich nicht zu entscheiden, da ich 
das überlieferte Handschriftenmaterial zu wenig kenne. Im 
Hinblick auf die Darstellung möchte ich eher geneigt sein, die 
kürzere Version für die ursprünglichere zu halten. Die eigent- 
liche Kampfesschilderung in der ausführlicheren Version (PI'T?) 
zeichnet sich durch eine Lebhaftigkeit und durch einen Realis- 
mus der Darstellung aus, wie wir sie sonst in den Prosaromanen 
nicht gerade häufig treffen. Immer von neuem versucht es 
das Ungetüm, sich auf den Gegner loszustürzen. Auch die 
kürzere Version erzählt davon, dass Artus der grausigen Katze 
erst mit der Lanze, dann mit dem Schwert beizukommen sucht, 
dass er ihr zuerst die beiden Vorderfüsse, dann die beiden 
Hinterfüsse abschlägt, und dass sich darauf das verstümmelte 


(E. E. T. S. 1865—69). Die Uebertragung des Livre d’Artus beginnt mit 
Chapter VII. Part II, S. 108. Die uns interessierende Episode findet sich im 
Chapter XXIII bezw. siehe Ende des Chapter XXII. Part II, S. 664—669. 

!) Siehe dazu Arthour and Merlin nach der Auchinleck-Handschrift 
nebst zwei Beilagen hrsg. v. E.Kölbing, Leipzig 1890. (Altengl. Bibl. IV) 
S. CLXXX ff. bezw. auch P. Richter, Beiträge zur Erklärung und Textkritik 
des mittelenglischen Prosaromans Merlin. Erste Hälfte. Bresl. Diss. 1894, S. 7. 

2) Ob der Text in D auch sonst gekürzt ist, konnte ich s. Z. während 
meines kurzen Aufenthalts in Darmstadt leider nicht konstatieren. 


- 


ARTUS KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 315 


Untier nach seiner Höhle zu retten sucht. Allein in D ist das 
alles kurz und trocken erzählt; es fehlt die Detailmalerei, die 
in der längeren Darstellung nicht uninteressant ist. Nach dieser 
längeren Version verfängt sich die wütende Katze zunächst mit 
den Vorderklauen in Artus’ Schild, und der König kann sie 
abschlagen. Dann wiederholt sich dieses Motiv: das Ungeheuer 
stürzt sich wiederum auf Artus, krallt seine Hinterklauen in 
das Maschenhemd ein, beisst sich oben in Artus’ Körper fest, 
lässt alsdann mit den Zähnen los, als es Artus’ Schwert am 
Leibe spürt; die Hinterfüsse haben sich aber im Halsberg ver- 
fangen, und so hängt die Katze mit dem Kopfe nach unten, 
sodass Artus auch die Hinterbeine abhauen kann. Der Rumpf 
wälzt sich noch hin und her. — Es würde mir auffällig erscheinen, 
wenn ein mittelalterlicher Ueberarbeiter, obschon er sonst seine 
Vorlage kürzt, die genannten, M. E. originellen Züge unterdrückt 
hätte. Ein weiteres Moment dafür, dass die kürzere Version 
wsprünglicher ist als die längere, findet sich vielleicht darin, 
dass in der ersteren der Name von Artus’ Schwert, Escalibore, 
angeführt wird, während er in der längeren Version fellt. 
Möglicherweise weist endlich die Lesart in D (Zeile 51) si salli 
[sc. li chas] maintenant fors del lac für de la cave im P oder 
de sa cave in I'I®, wonach nämlich die Katze aus dem See, 
nicht aus der Höhle hervorspringt, um sich auf Artus zu stürzen, 
auf eine ursprünglichere Form der Sage; allein es kann sich 
hierbei in D um einen Schreibfehler handeln, da in D kuz 
vorher (Zeile 43) und auch später (Zeile 70) der Aufenthaltsort 
der Katze als cauee bezeichnet wird. 

Den genannten Punkten steht ein anderer gegenüber, der 
für die Ursprünglichkeit der ausführlicheren Version ins Gewicht 
fällt. In dem Passus nämlich, welcher unserer Episode 
unmittelbar vorausgeht, und der, wie ich bei dieser Ge- 
legenheit konstatiere, aus Waces Brut entlehnt ist, schliesst 
sich die ausführlichere Version enger an Waces Text an als die 
Version D. Unmittelbar vor dem Kampfe Artus’ mit der Katze 
wird im Livre d’Artus folgendes erzählt: Nachdem Artus sich 
geweigert hat, den Römern den durch eine Gesandtschaft ge- 
forderten Tribut zu zahlen,!) zieht Lucius — der bei Galfrid 


1) Siehe P. Paris, Romans d.1. table ronde II, 339 fl. Vgl. Galfrid 
von Monmouth, Historia regum Britanniae lib. IX, cap. 158. und Wace, 
Brut V. 10903 fi. Von diesem Zug Artus’ gegen die Römer ist übrigens noch 


316 E. FREYMOND, 


von Monmouth procurator, bei Wace emperere genannt wird — 
mit einem gewaltigen Heer über den Mont-Geu!) nach Burgund; 
Artus verlässt England, tötet den Riesen auf dem Mont St. Michel, 
und zwischen Langres und Autun kommt es zu einem heftigen 
Kampf, in welchem Lucius fällt und die Römer von Artus besiegt 
werden. Den Uebergang von dieser Episode zu derjenigen vom 
Kampf Artus’ mit der Katze drucke ich gleichfalls ab, und die 
Vergleichung der Lesarten in den ausführlichen Versionen?) mit 
den wenigen Versen von Wace, die ich anführe, zeigt grössere 
Uebereinstimmungen als eine Vergleichung von D und Wace. 
Es ist nicht wahrscheinlich, dass ein Ueberarbeiter, der ergänzt 
und erweitert, die Quelle für diesen Abschnitt, Waces Brut, 
wieder hervorgeholt und seinen Text danach geändert hätte. 
Allein unmöglich wäre es trotzdem nicht, dass D eine ursprüng- 
lichere Version darstellte, und dass der Schreiber von D einzelne 
Wörter ausgelassen hätte.?) 


in verschiedenen anderen Texten die Rede; so in Thomas Malorys Morte 
Darthur, dessen erweiterte Darstellung auf der des Livre d’Artus beruht. 
Sommers Ausgabe ist mir leider nicht zugänglich; ich verweise auf einen 
modernisierten Druck, London 1816, part I, Chap. 88ff. Siehe ferner den 
jüngeren Titurel Str. 4552 ff.; Claris & Laris V. 5667—6902, wo auch von 
der Gesandtschaft die Rede ist; der römische Kaiser Thereus entkommt nach 
diesem Gedicht aus der Schlacht, die breit erzählt wird. 


!) Mont-Geu oder Mont-Giu (Mons Jovis), in mittelalterlichen 
Texten und Urkunden als bekannter Alpenpass oft erwähnt, bedeutet meist 
den grossen St. Bernhard, kann aber auch den kleinen St. Bernhard bezeichnen. 


2) Leider fehlt mir für diesen Passus eine Abschrift von P. 

3) Dass auch vorher schon Wace die direkte Quelle für den 
Livre d’Artus gewesen ist, zeigt deutlich folgende Gegenüber- 
stellung des Briefes, den Lucius dem Artus zuschickt: 


Wace Brut | m 
p. p- Le Roux de Liney. t. II, p. 116, (Druck des Livre d’Artus v. J. 1505, 
V. 10919 ff. fol. CXXb; vgl. auch P, den kürzen- 


den Druck v. J. 1526, fol. CXIIIe, nach 
welchem ich einige Druckfehler in I! 
verbessere.) 


Luces qui Rome a em baillie Je luces empereur de Romme et qui ay 
10920 Et de Rome la signorie, puissance et seigneurie des rommains 
Mande ce qwil a deservi a mon ennemy le Roi artus mande 
Al roi Artur son anemi: seullement autant comme il a desseruy 





Mult me desdaigne, en mer- | enuers moy et enuers tout le pouoir 
[villant, | de romme. Et trop me esmerueille 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 317 


Wie dem auch sei, ich habe dem folgenden Text die kürzere 
Version D, den Text der Darmstädter Handschrift, zu Grunde 
gelegt. Unter dem Text gebe ich die Varianten von P,T!T2, 
L.v.V. und EP; wo die Drucke mit P zusammengehen, wird 
die Schreibung von P angeführt, ähnlich die Lesart von I! in 
Varianten, die I! und I? gemeinsam sind. Rein dialektische oder 
orthographische Verschiedenheiten, ferner solche, welche die 
Deklinationsregeln betreffen, bleiben unberücksichtigt. Die Ab- 
breviaturen löse ich auf, die Eigennamen sind mit Majuskeln 
versehen, auch setze ich einige Interpunktionszeichen, ein. Von 
der mnld. Bearbeitung (L.v.V.) und der me. Prosa (EP) führe 
ich nur einzelne Stellen an, die zeigen sollen, dass diese 
beiden Versionen der Pariser Hs. und den beiden Drucken 
näher stehen als D. — Für die ersten Sätze fehlte mir eine 
Abschrift von P. 


Et me mervel, en desdegnant, | et me vient a grant desdaing que luy 

25 Que par forfait et par orgoel par son tresgrant forfait et par son 
Ösals] vers moi ouvrir ton oel. | grant orgueil se osa enuers romme 
Mult me desdaing, mult me , rebeller ne leuer le chief. Siay moult 
[mervel grant merueille comment et par quel 

De ce que tu prens tel consel | conseil tu osas querre (I? prendre) 

De prandre contre Rome estrif | estrif enuers Romme tant comme tu 

830 Tant com saces un romain vif. | me sceusses en vie. Si test venue 
Mult par as fait grant estotie | ceste estourdie de fol hardement et 
Que vers nous als] pris envaie, | de melancolie de teste quant encontre 
Qui tot le mont vengier devons, | romme te veulx rebeller et encontre 

Et qui le cief de[l] mont tenons. | moy [fol. OXX ec] qui ay le pouoir et 

35 Nel ses encore, mais tu saras; | la seigneurie sur tout le monde. Ainsi 





Nel as veu, mais tu verras comme tu las sceu et veu et encores 

Com grans cose a a corechier le scauras et verras plus appertement 

Rome qui tot doit justichier. que tu nas fait encores comme cest 

Tu es issus de ta nature grant chose de romme courroucier se 
40 Et trespasse as ta mesure. tu as trespassee sa droicture. 


In dieser Art geht es noch lange fort, wenn auch die Anlehnung nicht immer 
so deutlich ist wie in der mitgeteilten Stelle. Erwähnt seien noch die 
folgenden Vergleiche, für welche sich bei Galfrid von Monmouth, der erheblich 
kürzer gehaltenen Quelle von Waces Brut, keine Analoga finden: 


Wace Brut 10947 ff. IE 
Tu veus mostrer et par mervelle Saiches se tu le tiens longuement que 
Que li lions fuit por l’oelle, le loup senfuyra pour la brebis et le 
Et que li leus fuit por le cievre, lyon pour la chieure. Et le Iyeure 


Et li lupars avant le lievre. chacera les leuriers. 


[87 


318 E. FREYMOND, 


Darmstädter Hofbibliothek Codex Nr. 2534 (D). 
[fol. 203d] Moult fu lies li rois Artus de la uictore que 
dieus leur auoit donnee. si fist entierer les mors et les naures 
[fol. 204 a] emporter et garir. et puis fist prendre le cors 
l’empereour et l’enuoia a Rome et manda que cestoit li treus 
que li Breton deuoient a ceus de Romme. adont prist li rois 
consel a Merlin del aler ou del retourner. „Sire“, dist M[erlins], 





Vgl. ‚zu dem ersten Abschnitt Wace, Brut V. 13385 — 13402: Artus se 
fait ioios et lies | Qui l’orgoil de Rome a plaissies; | Grasses en.rant al roi de 
glore | Par qui il a eu victore. | Cerquier a fait tos les ocis, | Tos les siens et 
tos ses amis; | Les uns fist iloc enterer, | Et les autres en fist porter. | Par 
la contree, as abeies, | En fist enterrer granz parties. | Le cors fist al empereor | 
Prandre et garder, a grant honor; | A Rome em biere l’envoia, | Et a cels 
de Rome manda | Quw’altre treu ne lor donroit | De Bretaigne que il tenoit, | 
Et qui tr&u li requerroit | Autretel li anvoieroit. — 

1. Moult— Artus] I? |[fol. CXXa] Le roy Artus fut bien ioyeux || lies] 
I: [fol. COXXXIlla] ioyeulx || de la] I'I? ad. deseonfiture des rommains et de 
la || 2. Zewr] I' luy || söe—mors] L.v.V. 34913 ff. Ende alle die daer doet 
waren bleven, | Dadi opten kerchof graven beneven, Ende in abdyen. EP S. 664. 
and biryed the deed bodies in chirches and abbeyes of the contrey; || mors] 
II? oceis es abbayes et (I! ad. es) monstiers du pays || 3. emporter] I! en fist 
porter I2 fist emporter || 4. Rome] I! ad. en biere, vel. EP on a beere || 
manda] I'I® ad. aux rommains. I! wiederholt mit Druckfehler die Worte 
bie(n)re et manda aux rommains que || treus— Romme] T'T? treu de bretaigne 
qui leur (I! ennuyoit I? enuoyoit) et qui leur en demanderoit ilz feroient tout 
ainsi | vgl. L. v. V. 34919 ff. Ende ontboet den Romeynen overluet, | Dat waer 
haer tsyns ende haer tribuet, | „Dien die van Bertanien daer senden in, | 
Dien gy hem dickewile hebhet vor nu | Geheescet; aldus komensi betalen; | 
Es ieman die hem meer wil halen, | Men sal hem geven sule payment | Gelije 
dat men iu nu sent“. EP. and sente worde to the romains that is was the 
trewage of Bretaigne, that he sent to Rome and yef thei wolde aske eny 
more he wolde hem sende soche a-nother in the same wise; || 5. adont — 
retourner] I'I2 Et quant il eut ce fait il (I! print I? voulut prendre) conseil 
se il yroit auant ou se il retourneroit (I? ad. arriere) en gaule. (I! Et P 
mais) les princes luy dirent quil en demandast conseil a Merlin. Lors (I! 
appelle I? apella) le roy Merlin et luy dist. Beau doulx amy que vous 
plaist il que ie face car il est a vostre voulente (I! ad. ou) du retourner ou 
daler auant. L.v.V. 34927 ff. Doe hi dit dus hadde gedaen, | Nam hi raet 
an die prinzen saen, | Wat hi doen soude nu mere. | Die princen baden hem 
alle sere, | Dat hi Merlyne rades vrage nu. EP 8.664. and whan he hadde 
don thus, he toke counseile wheder he sholde holde forth his wey, or turne 
a-gein in to Gaule, and the princes seide he sholde take conseile of Merlin. 
Than the kynge called Merlin, and seide, „Dere frende, how pleseth it you 
that I shall do“. || 6. Sire—aide] L.v. V. 34932 ff. Doe riet hem Merlijn, 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM.:KATZENUNGETÜM. 319 


„vous n’ires mie a Romme ne vous ne retourneres mie encore, 
mais nous irons un peu auant, car aucunne ient ont mestier de 
uostre aide. Car outre le lac de Losenne repaire vns anemis 
qui si destruit le pais quil n’i ose repairier hom ne fame“. 
„Comment“, fait li rois, „ne puet nus hom durer a lui ne n’est 
vns hons com vns autres?“ „Nenil, sire“, fait Mferlins|, „ains 
est vns cas plains d’anemi(e) si grant et si orrible que dest 
espoentable cose a ueoir“. „Diex merci“, fait li rois Artus, „dont 





seegie iu, | Dat hi niet vorder en voere mede, | Maer bleve houden opter stede | 
Drie tage ochte vier nadien; | Daer soude noch ander wonder gescien. | Nu 
swiget dit boee hier nadat | Ende secht van Artur ende van ener cat. Es 
folgt die Ueberschrift: Hoe die koninck Artur street tegen ene vrees- 
like catte. V.34939f. Hier secht dit boec: doe waren leden | Drie dage, 
zeide Merlijn ter steden: |] dist] PL-T fait || 7. mie] P pas auant I'I2 pas || 
ne vous] P om. || mie] PT? pas || 8. mais —irons] PL:I: ains ires || un peu] 
P om. || mestier] P bien mestier EP grete nede I? besoing || 9. aide] PL 
ad. Comment fait li rois (P ad. Artus): (I'I® ad. y) a il (P ad. dont) guerre 
en cest pais? (P Sire oil II? ouy sire) fait Mferlins] (P outre I!I® contre) 
le lac de (P losane IE loseroye). Vgl. EP „How so“, seide the kynge, 
„is ther werre in this contrey?“ „Sir“, seide Merlin, „ye! beyonde the lak 
de losane“. || Car—fame] L.v. V. 34941 —4. „Here, over gene lac 
es uwes te doen | Want daer en es negeen man so koen, | Die daer dorst 
wanderen om enen viant, | Die in enen berge woent in dat lant.“ || oufre— 
Losenne] PI'T: il i EP ther || repaire] PI'T’ ad. uns deables IE ad. et EP 
ad. a devell || 10. qui—pais] PII-EP om. || qwil— fame] I’? si que nulle 
personne ny ose repairer EP so that ther dar nother a-bide man ne women. 
PIT? ad. (P Si II? tant) destmist (PT il le I? le) pais, (P car il oeist 
et acravente IE il oceist) quankil (P aconsieut. II? attaint et acrauante) 
EP ad. for he distroieth the contrey, and sleth all that he may gete“. || 
11. Comment —autres] L. v. V. 34945. 6. „Hoe“, zeide die koninck, eest maer 
&en man, | Wat soudewy alle derwaert dan?“ I'I? stellen die Sätze um: 
Comment (I? ad. vng) dyable faiet le roi nest il (I! mye 1° pas) homme comme 
(I? ad. vng) autre. (I! ad, et) ne peut nul durer a luy. EP „How so“, seide 
the [S. 665] kynge, „may tler no man hym endure, than is he no man as 
other ben“. || nus—autres] P nus avoir duree a ui. Dont nest il hom comme 
autres || 12. Nenil—ueoir] L. v. V. 34947—50. „Neen, here“, zeide doe 
Merlijn saen, | „Dat es eene catte, een Duvel, sonder waen, | Die so vreeslye 
is tansine mede, | Men sach nie desgelykes in gener stede“. EP „No“, quod 
Merlin, „it is a catte, full of the devell that is so grete and ougly, that it is 
an horible sight on to loke“. || sire] P om. || ains est] 1 mais e. I? mais 
cest || 13. d’anemie] I'I® de venin et de (I dyable I? dyablerie) || orrible] 
I:I2 espouentable || que cest] P kil est || 14. espoentable cose] P espaventables 
II? merueilles. || Diee—bieste] L. v. V. 34951. 2. „God, Here, genade!“ zeide 
die koninck, | „Wanen mach komen alsulken dine?“ EP „Jhesu merey“, seide 
the kynge to Merlin, „whens might soche a beeste come?“ || Diex merci] P 


10 


320 E. FREYMOND, 


15 poet wenir tel bieste?“ „Sire“, fait Mferlins], „tout ce vous 


20 


dirai ie bien“. 

La nuit de l’ascention ot ..IV. ans que vns paisans peschieres 
uint au lac de Losane atout ses engins et ses rois pour pescier, 
et quant il ot sa roit aparellie, si promist a nostre signeur le 
premier p[olisson qwil prendroit. et quant il ot iete en l’eue, il 
traist un luc qui bien ualoit .XX. sols. et quant il uit le poisson 
si biel, si dist que dameldieus nel aroit mie, mais il aroit 
Vautre apries. si reieta encore et prist milleur asses. et dist 
que encore nel aroit [Hs. la roit] mie, mais il aroit le tier[s| 








estre venue || Sire—bien] EP „Sir“, seide Merlin, „than can I telle you“. || 
tout— bien] Entsprechendes fehlt bei L. v. V. || tout] PL'I: om. || ce) T iele || 
17. La—ot] EZ il aduint: il y eut le iour de lascention || La—ascention] 
PI! TI avint a lassention | vgl. L. v. V. 34953.4 „des es vier iaer, | Teer Opvaert 
Onses Heren, wet vorwaer | EP „Hit be-fill at the assencion hens a-foure 
yere || paisans peschieres| PI! peskieres paisans I? pescheur peschant L. v. V. 
34955 viscer EP fissher || 18. Losane] TI! loseraye I? Loseroye; vgl. 
L.v. V. 34955 Losanen quam | Te viscene in den lac || 19. sa roit aparellie] 
P ses engiens apareillies et ses rois por ieter en leue I'I? (I! appareilles 
I? apprestees) ses rethz et (I! ad. ses) engins pour gecter en leaue | vgl. 
L.v. V. 34957. Ende warp sijn nette in den lac voertmere EP and whan he 
was redy to caste his nette in to the water || sö] PL’T2 il || nostre signeur] 
TI dien || 20. et—traist] I? adone aduint quil pescha. L.v. V. 34960 Doe 
vine he EP and whan he drough vp his nette, he toke || ot] P ad. ses engiens || 
21. traist| P prist I! en tira || Dien—sols] I'I valloit bien .XX. franez 
P bien valut .XXX.s. | vgl. L.v. V. 34961 dertich scellinge EP .XXX.s. || e£] 
I? mais || ii —poisson] I! le pescheur le vit || 22. Dbiel] P grant et si biel 
I: ad. et si gent | vgl. EP and grete || si dist] T il d. comme malieieux I! 
ad. a soy mesmes comme malicieux P ad. a soi meisme soef entre ses dens 
comme malissieus | vgl. EP he seide to hym-self softly be-twene his teth || 
que—apries] PI'I: haben dafür einen Hauptsatz, geradeso wie EP und L. v. V. 
34962.3. PI'T? Dieus navra pas (P cest poisson I'I2 cestuy) mais (PI! ad. il) 
aura lautre (I? ad. premier) ke jou prendrai (P premierement I! le premier) || 
23. si—asses]) PI'I: Lors regeta (PI? ses I' les) engiens en leue et (P prist 
I: reprint I? print) un poisson ki (P miex valut I! mieulx valoit I? valloit 
encore mieulx) ke (P li premiers I'I2 lautre) PI'T2 ad. et quant il le vit si 
(P grant et si bel I'I? bel et si grant) si le covoita (PI! moult I? fort) | vgl. 
EP and whan he saugh it was so good and so feire || 24. nel—mie] PT? se 
(P pooit bien damedieus soufrir de celui I! peut bien dieu passer et souffrir 
de cestuy I? pouoit bien dieu passer de cestuy | vgl. EP that yet our lorde 
god myght wele a-bide of this || aroit] I? aura || 25. nulle doute] P n. 
doutance I? faulte || L. v. V. 34966.7 ist hier kürzer: Doe zeide hi: noch sal 
God beiden nadas, | Want den derden sal ic hem geven;-|| remist] P regeta || 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜUM. 321 


traist un petit cathon plus noir que meure. et quant li paisans 
le uit, si dist qwil li aroit bien mestier a oster les ras et les 
soris de son ostel. si s’en uint en sa maison et le nori tant 
qu’il estrangla lui et sa femme et ses enfans. et s’en fui en vne 
montegne qui estoit outre le lac. et quant il ot illuec vne 
grant piece conuerset, et il ocioit [et destruioit] quanqu'il con- 
sieuoit. si vous en ires par la. ossi esse [!] li drois chemins de 
Rome et metres, se diex plaist, en pais les bonne[s] gens“. 
Quant li rois Artus et li baron oirent ceste parole, si se 
sainierent et disent que c’estoit uengance de nostre signour del 
pechie que eil auoit fait de trespasser le promesse nostre signeur. 





l’eue] P ad. tierce fois || et] P si I! ad. il || 26. traist] I’ tire I? tira || plus] 
I2 om. || que] I? comme || meure] EP cool; L.v. V. hat den Vergleich nicht. || 
paisans] PI'J2 peskieres || 27. si dist] I' il se pensa I? si pensa || mestier] 
P ad. en sa maison || a] I? pour || et les] I? et || 28. soris] P ad. hors || son 
ostel| II? sa maison || si—maison] P om. Entsprechendes fehlt auch bei 
L.v.V. und in EP, I hat dafür: Si lapporta a son hostel || wint] I! ad. a tout || 
et le] I: Il le || 29. estrangla] I? lestrangla || enfans. et] P ad. puis I'T? 
enfans. puis || 30. estoit] PI2 est || le] I? ad. diet || lac] PI'I? ad. ke jou vos 
ai dit; vgl. EP that I haue to you of spoken || quant— conuerset] P puis a este 
illueques jusques a ore I! des lors a este depuis tousiours illec I? des lors a 
tousiours mais est illee || 31. et il] PT! si || ocioit] PT'I? ocist et (P destruist 
I:I? destruyt) || quangwil] I? tout ce quil || consieuoit] PI! ataint T? treuue. 
P ad. et il est grans et espaventable a merveilles; vgl. L. v. V. 34981 Ende 
si es eislye ende groet mede | und EP and he is grete and horible that it is 
merveile hym to se || 32. si] I'I2 Vous || par la] P iluec I'I? (T? ad. droict) 
par illee || ossi esse] P car autresi est ce I! Car aussi est ce I? et aussi est 
ce || de] P daler a I! a. Entsprechendes in EP, nicht bei L. v. V. || 33. en— 
gens] PI'I® les boines gens (P ad. dou pais) en pais ki (P senfui II? sont) 
en (P autres I'I2 estranges) contrees. EP hat den Relativsatz; bei L. v. V. 
fehlt Aehnliches. — 

Von hier an teile ich nur Sinnvarianten mit, derart dass 
Synonyma, ferner bei Verben Ersatz eines Tempus durch ein 
anderes, dsgl. Zusätze oder Auslassungen einzelner nebensäch- 
licher Wörter oder Umstellungen einzelner Wörter meist 
unberücksichtigt bleiben. 

34. li rois Artus et] nur in D || oirent— parole] I? entendent Merlin || 
se sainierent| P sen commeneierent tot a signier I? sont esbahis PI! ad. de 
la merveille (P ad. kil oirent), EP ähnlich wie P; L.v. V. 34954 Dit hadde 
den baronen wonder groet || 35. signour] PT! ad. et demoustrance EP and a 
tokne || del pechie] I? om. || 36. que] I? pource que || eil] I? le pescheur EP 
the fissher L.v. V. 34986 die viscer || fait] I! om. || fe—signeur] I! ce quil auoit 
menty et defailly de son conuenant P ad. si quident et croient ke nostre sires 
soit ceorechies de ce kil auoit menti de sa covenance. EP ähnlich wie P || 

Festgabe für Gustay Gröber, 1 


30 


39 


4 


_ 


H> 
T 


19] 


80 


322 E. FREYMOND, 


Si commanda li rois que on s’aparillast et se meist on a la 
voie droit uiers le lac. si fist on. et ne trouerent hom ne 
fame en la terre. si prist li rois monslignour] Gaufain] et le 
roy Loth et Gahariet et le roy Ban et Mferlin]. et dist quwil 
voet aler ujelir cel auersier. si s’en monterent el mont. et 
quant il furent el mont, si dist M[erlins] au roy Artus: „Sire, 
en celle roche la en vne grant [fol. 204b] cauee est li cas dont 
ie vous parole“. — „Et comment“, fait li rois, „uenra il“? „Vous 
le uerres“, fait M[erlins], „hastiuement; mais garnissies vous de 
uos armes et de uous deffendre, car il vous assaura briement“. 
— „Or vous traiies dont tout ariere“, fait li rois Artus, „car ie 
uorrai ja esprouer son pooir“! — Et cil fisent son commandement. 
et si tost com il se furent [Hs. fuisent] tuit trait ariere, M[erlins] 
commencha a siffler moult durement et moult soef. et quant li 





37. Si—lac] L.v. V. 34988 ff. Doe hiet die koninck, dat men gebode, | Dat 
men trossen soude ende laden, | Ende ten lakewaert varen met staden |] 
s’aparillast] PI'I2 troussast || 838. voie] PI' ad. Et cil firent son commande- 
mant I! ad. si se departirent dostun. Die folgenden Worte auch in P: 
(Pl? si I! et) se mistrent (II? droietement au chemin de loseraye P 
vers le lJac de Losane). EP wieP. || si fist on) PI!I? om. dsgl. nichts 
ähnliches in EP || et—terre] PI'I? et troverent le pais (P gaste et nient de 
gent IT? et vuyde et gaste de gens I! ad. et sans gaignages) car hom ne 
feme nosoit el pais habiter (I? ad. pour ce chat). et errerent tant kil en 
vindrent (P en son I'I® amont) le mont ou cil deables anemis estoit. si se 
logierent (P desous I!I? en) vne valee ki estoit (P pres a II? bien) une lieue 
loing de cele montaigne (P ad. ou cele beste estoit). EP ähnlich, doch hat 
es richtiger vnder the mounte für en son bezw. amont le mont. L.v.V. geht 
wieder eher mit PI'I? als mit D. || 39. li rois— Merlin] P li rois Loth et 
messire G. lor armes et Gaheries et li rois Bans por aler avoec le roi Artu 
et avoec M. II? le roi Loth ses armes et (I! alla I? sen vint) auec le Roy 
artus qui estoit moult bien arme: et monseigneur gauuain et gaheriet et le 
roi ban et merlin. EP stimmt eher mit P, L.v. V. 34997 ff. scheinbar eher 
mit D überein; allein V. 34500 nähert sich L. v. V. wieder der Version P und 
kürzt wieder im folgenden. || 40. dist] PI'I2 dient || 41. voet] PT:'I: voelent || 
auersier| PI? ad. ki si grant damage a fait u pais IT’ ad. qui tant fait de 
dommaige et si grant au pays et en la terre || mont] PI'I2 ad. si comme M. 
les maine ki tot savoit lestre par le grant sens ki en lui estoit. In EP ent- 
sprechender Zusatz. || 42. mont] PI: ad. venu || 48. en vne g. cauee] PI? om. 
I! que vous voyez PLT? ad. (P si II? Adonc) li mostre une (P ad. grant) 
cave en une (P praierie I'T2 pierre) ki moult esteit grande et parfonde. || 
dont—parole| P om. EP wie P || 44. it] P ad. hors T'I? ad. dehors I! ad. 
ce chat dont vous me comptez || 45. werres] P ad. ja hors || hastiuement] P 
moult hastivement venus || garnissies— et de] I! soyez garni de P soies pres 
de I? soyez prest a || 49. twit] PI' om. || 50. commencha a siffler] P fist 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 323 


chas T'oy, si salli maintenant fors de la cave [Hs. fors del lac], 
car il cuida que ce fust bieste sauuage et il estoit encore tous 
familleus .et tous dierues de fain et courut encontre le roy Artus 
tantost com il le uit. et li rois tendi son espiel encontre et le 
cuide ferir parmi le cors, mais li dyables prent le [fier] as dens 
et le sace a lui si fort quwil fist le roy tout canceler. et al 
estord(e)re que li rois fist, l’espiel [Hs. lespee] rompi et li fiers 
len remest en la goule. si le commenca a rongier aussi com 
s’il fust derues. et puis le gete ius et receurt sus au roy. et 
li rois hauce Escalibore et le fiert parmi la tieste si qUil i a 





un ciffle || durement—soef] PI'I® moult haut I! ad. et cler || 51. de la 
eave] Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass die Lesart in D fors del lac 
aus einer ursprünglicheren Version unserer Episode stammt; allein sie passt 
nicht recht zu dem, was in D vorangeht und folgt (s. Zeile 43 und Zeile 70), 
sie wird auch durch keine der anderen mir bekannten Versionen gestützt, 
s. P de la cave I!I? de sa cave; vgl. auch EP he [i. e. the catte] lept out of 
the cave und L. v. V. 35012.3. Entie catte, die dat hoerde, quam nu | Uten 
hole gescieten na diesen || 53. familleus—encontre]| P fameillex et tous 
geuns et corut tous derves et tous esragies de faim en vers; vgl. EP and he 
[i. e. the catte] was hungry and fastinge, and ran woodly a-straye toward the 
kynge Arthur. I! fameilleux et ieun et comme enraige tout desue de famine 
encontre I? affame et comme enrage de faim pour ce quil ne tromuoit que 
mengier et vint courir contre || 54. tantost—uit] T’Iom. P Et si tost comme 
li rois Artus le vit venir. EP and as soone as the kynge saugh hym comynge. 
L.v.V. 35016. Ende alset die koninck sach || et li rois] P si || son espiel] 
(I! la I? sa) lance || 55. le [fier]] in D findet sich eine Rasur, durch welche 
3—4 Buchstaben, vermutlich fer, entfernt wurden. PI'I le fer || dens—can- 
celer] EP thet so harde, that he made it [i. e. the steill heed] bende || 56. a ui] 
PI'T? om. || 57. Vespiel rompi] (P del espie I! de la lance) rompi (P le fust 
empres dou fer I! le fer apres le feust) I? rompit sa lance; EP ähnlich wie P || 
fiers— goule] Entsprechendes fehlt bei L. v. V., der im folgenden stark kürzt. || 
58. rongier]) P rogliier I'I? menger; dagegen hat EP make a grym noyse || 
59. derues] PI'T forsenes || et—ius] P Et li rois jete jus; EP entsprechend; 
I'T: Et quant il (I! eut rongie vne I? leut ronge) grant piece si le gette ius 
et recourt sus au roy et le roy (I! eut gette I? gecta) || et receurt—roy] PI'I? 
le tronchon de la lance et (P trait I! eut traiete 1? tira) lespee hors del 
(P fuerre II? fourreau) et (P tint I! eut mis I? meist) leseu devant (PT son 
pis et I? luy. Lors) li cas li saut (PI! ad. maintenant) ki (P salir li TI? saisir 
le) euida (PT? ad. a la gorge). et li rois leva si durement lescu encontre kil 
(P flatist le cat a T'I? le fist flatir encontre) terre. Mais tost (P resault sus 
au roi moult vighereusement T’I? resaillit en piez (IT! ad. le chat) et lui recourt 
sus vigourousement). L.v. V entspricht P, dsgl. EP; nur hat EP ähnlich wie 
TI? für salir sese und im letzten Passus but soone he [i. e. the catte] lepte 
vpon his feet and ran vpon the kynge full fiereely || 60. Escalibore] PL’ 


21* 


19707 


60 


324 E. FREYMOND, 


trenchie le euir. mais li cies [Hs. ties] fu si durs et si fors 
quil ne le pot entamer. et dont ressaut li chas et le saisi entre 
les espaules si que li sans vermaus en sali apries les ongles. 
quant li rois uit son sanc, si en fu moult courfoulchies et sache 
Escalibore sa bonne espee et le fiert si qwil li copa les .II. pies 





lespee || 61. cies] P cies I!T? test. EP hat dafür heed, L. v. V. 35032 hernen- 
panne || et si fors] PI? om. || 62. entamer] PI'I? ad. et neporquant (P il lestona 
si I! sy durement se sentit le chat estourdy I? se sentit le chat si durement 
blece) del coup kil cai a la terre (PI! tous estendus. I? comme estourdy). 
(P Mancois I! mais aincois I? mais ains) ke li rois (I? ad. Artus) peust avoir 
(P son escu recovre I'I2 recouvert son coup) | EP entspricht im Ganzen P; 
L.v.V. kürzt. || et dont—les] I! le saisit le chat I? le chat le saisit) si 
durement a descouuert parmy les || et—ressaut| P li sailli || saisi entre] P saisi 
tot a descovert par || 63. espaules] PI'I2 ad. (P et II? quil) li embati ses ongles 
parmi le haubert doutre en outre jusquan la char et (P le sacha I!T? retira) 
si durement a luy kil (P ad. en) fist (P voler I’J? cheoir) plus de (P .CCC. 
I:J2 cent) mailles (T'I? ad. du haubert). EP entspricht P, nur hat es für Zi 
sailli sesed hem, ferner hat es .IVe., nicht .CCC.; L.v.V. 35041 hat drie- 
hondert || en sali] I! en cheut a terre I? commenca a couler || apries— ongles] 
I: om. || ongles] ad. (PT! et sen failli petit kil (P nel I! ne) I? et a peu quil 
ne) feist (P caoir a terre I! le roy cheoir I? cheoir le roi) || 64. courchies] 
PI'T: ad. Lors mist lescu devant son pis et tint lespee el poing destre et 
corut sus au cat (P ad. moult durement TI! ad. moult vigoureusement) (PT? ki 
lecoit I! et le chat lecheoit) ses ongles por le sane dont il estoient moillies. 
Et quant il vit le roi venir (PI! ad. en vers luy), si li saut alencontre et le 
quida saisir ausi comme (I'I2 ad. il auoit fait) devant. mais li rois li lance 
son escu au devant et li cas i feri ens de[s] .II. pies (I'I? ad. de) devant si 
ke il (I'I® ad. luy) embati ses ongles (P ad. parmi 1? ad. a trauers del escu), 
si (P le sacha II? les retira) si durement ke il (PI! enclina I? fist encliner) 
le roi encontre terre, si ke la (P guide I! guige I? guiche) del eseu li (P vola 
encontre terre del I!I? coula du) col. Mais il le tint si bien (P par les 
enarmes I! aux mains I? es mains) kil ne li pot escaper. ne li cas ne pot 
ses ongles ravoir, ains (P remest I! demoura par deuant I? demoura) pendant 
al escu par les .II. pies (I? ad. de) devant. Et quant li rois Artus vit kil 
se tint en lescu si fermement | EP hat den Zusatz fast ganz P entsprechend; 
er findet sich auch, wenn auch am Ende gekürzt, bei L. v. V. 35046—55. || 
et sache—roy] PLI? si hauce lespee et le fiert (P ad. si durement) parmi 
les jambes kil (PT! li I? les) coupa (P ambesdeus un petit desous le jonoil 
II? en deux au dessoubz des genoux) tout outre (I? om. tout outre). Et li cas 
(P chiet a terre et li rois jete lescu si li cort sus lespee traite et li cas 
sac[r]oupi sor les I! sacropit sus ses I? cheut a terre qui incontinent se 
acroupist dessus les) .II. jambes (II? ad. de) derriere et reskigne des dens et 
bee la goule et li rois (P lance a luy et te I! Jance a luy de lespee et I? le) 
cuida ferir parmy la teste. (PI! et I2 mais) li cas sempaint des .II. pies 
[TI ad. de] derriere (PI: et I? si) li saut (P emmi le vis I'I? au visaige) et 
(P le prent as pies derriere II? se tient a Juy des deix piedz) et (PT as P 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 325 


deuant. et puis encore ressaut [li chas] au roy. cil [Hs. si] le 
refiert et li cope les .II. autres. adont trebusse li chas a terre 
et iete un tel brait si eruelment que li rois s’en esmeruilla et 
fist si grant noise que cil del ost T'oirent clerement. et se vot 
retraire a la cauee dont il estoit issus. et li rois le refiert de 
Vespee outre le cors. et la chei mors li cas. et depuis ke li 





a tout ses) dens (P et IT? si que il) li enbat (P en la char si kil II? les 
ongles et les dens jusques a la char et) li fait le sanc (P saillir en maint lieu 
I! saillir au millieu I? yssir) del pis (P ad. et des espaules en haut). (P Et 
I: Et quant I? Quant) li rois (P sent I! sentit I? vit) kil le tenoit si fort 
(P ad. si) li (P apointe [de] lespee lameure encontre le ventre et li vaut 
lanchier parmi le cors I! apointe lespee au ventre I? fiche lespee au ventre). 
Et quant li cas senti lespee (P si lasca les I! il laissa la prinse des I? si 
lascha la prinse des) dens et se laissa aler contreval. (P si se quid[a] laissier 
I'I2 pource quil cuyda) caoir a terre. mais les .II. pies ke il ot ficies el 
haubere (PI! le tindrent si ke il (P remest I! demoura) pendant la teste 
contreval. et quant li rois le vit en tel maniere pendu a luy I? le detindrent 
la teste aval), EP stimmt wiederum mit P überein, L. v. V. giebt 35058—73 
den Zusatz gekürzt wieder. || 66. eil—autres] (PT! si I? et le roy artus) 
hauce lespee et li caupe les .II. pies (IT? ad. de derriere). Ein Analogon für 
die Worte hauce lespee in PT'I? fehlt in EP und bei L. v. V. || 67. adont — 
terre] PI'I® et (TI? le chat P li cors; vgl. EP body, L. v. V. 35076 buee) chiet 
a terre || 68. et iete— noise] PL'T: Et si tost comme il fu ceus il se commencha 
a (I? ad. se) voltrer et (P a batre et a braire I!I? a eryer) si durement || 
69. que cil—clerement]) P ke en lost le roi Artu ki logies [zu ergänzen ist 
nach Hs. Bibl. Nat. f. 9123: est (oder estoit) en la valee] l’oirent [Hs. P loi 
on] tot elerement tout eil ki i estoient. II? que (I! ad. tous) ceulx de lost 
le ouyrent elerement. || et] PI'I2 ad. quant il ot jete (P cel I! ce grant I? ce) 
cri si commencha a sauteler par la grant force (P de I!I? quil auoit en) son 
cors et || 70. retraire a] PI'I: traire vers. — EP hier etwas anderes: and whan 
she [i. e. the catte] hadde caste this cry she be-gan to crepe faste down the 
foreste by the grete strengthe that was in hir; auch L. v. V. 35078—84 weicht 
etwas ab und ist hier etwas ausführlicher als sonst: Ende ereet so lude, dat 
men van daer | Hoerde daer dat heer lach vorwaer, | Dat ene halve myle 
was; | Des menegen sere wonderde, sijt seker das, | Die dat in den heer 
hoerden naer, | Die meenden, dat die Duvel waer; | Doe begansi te wentelen 
na desen, | Ende hadde gerne in haer hol gewesen; || et—cors] PI'P Mais 
li rois se mist entre lui et le caue et li cort sus (IT? ad. moult hastiuement 
lespee traiete) et li cas (P se lance I! par la grant force quil auoit se 
relanca I? par sa grant force se relanca) a lui kil le quida (P aierdre II’ 
prendre) as dens. Mais au lanchier ke il fist lassena li rois de lespee par 
desus les .II. iambes (I!I® ad. de) devant et li tronconne (I? ad. en deux 
parties) doutre en outre. EP stimmt zu P, nur hat es kein Analogon für 
die Schlussworte dieses Passus. L. v. V. 35085 ff. kürzt etwas. || 71. et la 

mons del chat] PI'I: Lors (P acort I! acourent I? eoururent) M[erlins] (1 et 
li autre II? et gaheriet et messire Gauuain) cele part et li demanderent 


70 


326 E. FREYMOND, 


chas i ot este ocis, vot li roisque limons qui estoit apielles 
mons del lac euist a nom mons del chat. 


comment il li (P estoit I'I? est). Bien fait il la merchi Dieu. car jou [ai] 
oeis (I! ad. et mort I? ad. et mis a mort) le deable ki maint damage a fait 
en ce pays. et sacies (P ad. vraiement) ke jou noi onques (P mais de mon 
cors si grant doutance IT? en ma vie si grant paour ne si grant doubtance 
de rien) comme jou ai eu de luy, fors seulement dou jaiant ke jou ocis lautre 
jor en la montaigne au flos de mer, si en aor (P ad. et merchi) nostre signour. 
— Sire font li prince vos aves droit. Lors regarderent les pies (I? ad. du 
chat) ki furent (P remes I!I? demourez) en lescu (PT! ad. et el haubere). 
(PI! ad. et dient ke onques mais ne furent tel pie ven.) (P ad. si reprist 
Gahferies] lescu et sen retornerent al ost moult grant joie faisant.) (PT! ad. 
(P Et quant li prince I‘ Et quant les princes et les barons) virent les pies et les 
ongles (P ki tant estoient lone I! du chat) si en furent tot esbahi.) (I? ad. dont 
ilz furent fort esbahys car iamais de telz piedz de chat nauoient veuz) PT-I 
si menerent le roi a sa tente et le desarmerent et regarderent ses (P engratines 
I? und Bibl. Nat. f. 9123 esgratineures I! gratineures) et ses morsures del cat 
(I2 ad. qui estoient moult auant) si li levent et netoient moult gentement. 
et li mire li mistrent tel (P cose II? oingnement) sus (I? ad. ses playes) ke 
tot le venin (P li traistrent I! en traiet I2 en tira hors) et lapareillierent en 
tel maniere que onques nen (P1? laissa I! Jaisserent) a cevauchier. (P si 
sejornerent celui jor I! Celluy iour ilz ne se armerent mye I? Celluy iour ne 
sarma il pas) jusca lendemain kil se [P om. se] misent (P au cemin arriere 
vers Gaule I! au chemin droit vers france I? a cheuaucher droit vers france). 
Et li rois en fist porter lescu ou les pies dou cat pendoient (P ad. et ceus 
del haubere fist metre en un coffre). et commanda kil (P fuissent I'I: fust) 
bien garde. (IT? ad. Si sen vont en telle maniere contre val la vallee. (I! Et 
moult regardoyent I regardans) la montaigne qui moult estoit haulte et 
(I! roide I? droiete)). PT Et li rois demande a Mferlin] (I! om. a Merlin). 
Comment eil mons ert apeles. (P Et M[erlins] li dist ke cil dou pais lapeloient 
I! Et il dist que ceulx du pays lappelloient I? sire dist merlin on lappelle) 
le mont dou lac pour (P un lac ki li batoit II? ce que le lac [I! y 
batoit EZ bat]) au pie desous. Par foi fait li rois cis noms voil jou kil li 
soit (PI! tolus I? oste), si voil ke desoremais soit apeles li mons dou 
cat por ce ke licas iavoit (I? ad. faict) son repaire. et por cekili est ocis. 
(P Et a tele eure le dist li rois ke I! Et celluy nom que le roy dist I? et ce 
nom) onques puis ne li (P chai chis nons ]? cheut I! faillit) ne jamais ni 
faudra (P ad. tant comme cis siecles duerra). Für diese letzten Worte von 
P hat die Hs. Bibl. Nat. f. 9123: tant comme eist siecles durt que touz jours 
n’ait il remembrance dou chat que li roys Artus y oceist. Et le mont dou 
chat est il encore appelez. EP schliesst sich mit ganz geringfügigen Ab- 
weichungen an P an. L.v. V. giebt den ersten grösseren Teil dieses Zusatzes 
relativ ausführlich wieder und stimmt am meisten mit P überein. Nur bei 
L.v. V. wird bei Erwähnung des Riesen, "vor dem Artus eine gleiche Angst 
im Kampfe ausstand wie in dem Kampfe mit der Katze eine mir sonst nicht 
bekannte nähere Bezeichnung angeführt. Es handelt sich natürlich um den 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 327 


Si s’en retorne li rois atout son ost lies et ioians del honnour 
que nostre sires li auoit faitfe] et donnee. — 

Si se taist ichi li contes de lui et retourne a ceuls qui les 
prisons amainent en fra[n]|ce. 





auf dem Mont St. Michel hausenden Riesen, von dem schon Galfrid von 
Monmouth (lib. X cap. 3) erzählt; bei L.v.V. heisst es V. 35094 ff. Ice en 
quam nie in meerre noet | Noch in meerre angest mede, | Sonder van den 
gigante ter stede, | Dien ie vor Carmelyde doet sloech. — Den Schluss des 
Zusatzes bringt L.v. V. stark gekürzt; vgl. 35123ff. Ende dander voete dade 
hy daernare | In een coffer lecgen daer | Ombe te togene, gevielet, daernaer; | 
Enten berch, die te voren hiet mede | Die berch van der Losanen, hi heten 
dede | Den berch van der Catten voert; | Ende ember meer sint, na die woert, | 
Wart hi die berch van der Catten geheten. 

74. Si—donnee]| nur in der oben abgedruckten Hs. D. || 76. de lwi] 
‘I: deulx PI' a parler (P dou roi Artu et de sa compaignie I! deulx) || a] 
PI! ad. parler de || amainent] PI'I? enmainent || en france] TI? om. || 


IT. 
Die Sage. 


In den verschiedenen Versionen des Livre d’Artus (im 
folgenden LA genannt!) geht Artus, wie aus dem vorausgehenden 
Text zu ersehen ist, siegreich aus dem Kampfe mit dem Katzen- 
ungetüm hervor. Das eigentümliche Abenteuer wurde aber auch 
mit einem für Artus tragischen Ausgang erzählt, und 
auf eine derartige Version wird in einem kurzen, leider unvoll- 
ständigen und daher dunkelen Passus des mittelhochdeutschen 
Gedichts Manuel und Amande?) angespielt. G. Paris weist 
bei der Besprechung des mhd. Fragments®) nicht nur auf unsere 
oben mitgeteilte Episode hin, sondern auch auf eine Stelle in 
Andre’s Romanz des Franceis, in welcher gleichfalls davon 
die Rede ist, dass Artus im Kampfe gegen die Katze Capalu 
gefallen sein soll. G. Paris stellte diesem Wesen Capalu das 
einen Katzenkopf tragende Monstrum Chapalu in dem epigonen- 
ı) Um nicht stets die Titel der verschiedenen Texte wiederholen zu 
müssen, wende ich Siglen an. 

2) Zeitschrift f. deutsches Altertum u. Litt., Bd. XXVI, S. 297 fl., 1882. 

®) Hist. litt. d. 1, France, t. XXX, 218 ss. 


be | 


ot 


328 E. FREYMOND, 


haften Nationalepos Bataille Loquifer zur Seite, wogegen 
F. Novati in einem kurzen Artikel Einspruch erhob.!) Mit 
Unrecht, wie wir sehen werden; denn schon in mittelkymrischen 
Texten wird ein Katzenuntier Cath Paluc erwähnt, das gleichwie 
die Katze vom Lac de Losane für die Umgebung ein Unglück 
bedeutete. Gelegentlich einer Besprechung von G. Paris’ trefflicher 
Arbeit machte A. Nutt auf zwei dieser kymrischen Stellen auf- 
merksam.?) 

Im folgenden seien zunächst alle mir bekannt gewordenen 
Stellen angeführt, in denen von dem verschiedene Metamorphosen 
durchmachenden Katzenuntier, beziehungsweise von einem Kampfe 
Arturs oder eines anderen Helden mit dem Monstrum die Rede 
ist. Durch Zusammenstellung der gleichen Elemente in den ver- 
schiedenen Versionen der Sage wird es mir vielleicht gelingen, 
auf die Entwickelung derselben einiges Licht zu werfen. 

Der ursprünglichen Sage am nächsten steht vermutlich 
nachstehende mittelkymrische Stelle, die sich im sogenannten 
schwarzen Buch von Caermarthen (BB) vorfindet, d.h. in 
einer Liederhandschrift, die unter der Regierung Heinrichs II. 
geschrieben worden ist (1154—1189).3) In Nr. 31 der Ausgabe 
von W. Skene#) heisst es nach dessen Uebersetzung: 


Cai the fair went to Mona 
To devastate Llewon 
His shield was ready 


1) Atti d. R. Accad. d. Lincei, 1888, Serie IV, Rendiconti vol. IV, 580 ff. 
Auf diese Arbeit wurde ich s. Z. durch Herrn Gaston Paris aufmerksam ge- 
macht, dem ich noch für weitere Nachweise zu grösstem Dank verpflichtet 
bin. Meinen besten Dank möchte ich hier auch Herrn Kollegen Baist aus- 
sprechen, der mich s. Z., noch bevor ich Nutts weiter oben verzeichnete 
Kritik kannte, auf die seither von Nutt erwähnten mittelkymrischen Stellen 
und auf eine weitere hinwies und mir aus Skenes Werk, das mir bisher trotz 
vieler Bemühungen nicht zugänglich war, einige Stellen mitteilte. _ 

2) Folklore. Bd.I. 8.281. 1890. — Seitdem hat jene Stellen noch 
z. T. herangezogen F. Lot (Romania XXV,590 und Anm. 3); ferner hat 
Philipot (Rom. XXVI, 304) in einem Artikel die Episode der Bataille 
Loquifer als Analogon für die Episode des fier baiser in der Sage von Bel 
Inconnu verwertet. 

°) Vgl. Windisch in seinem Artikel „Keltische Sprachen“ in Ersch 
u. Grubers Eneyelopaedie, 2. Sektion, XXXV, 8.165. F.Lot l.c. 8.590, 
Anm. 3 setzt die Handschrift ins 3. Drittel des 12. Jahrhunderts. i 

) W. Skene, The four ancient books of Wales. Edinburgh 1868. 
vol. I, 8. 264. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 329 


Against Cath Palug 

When the people welcomed him. 

Who pierced the Cath Palug? 

Nine score before dawn 

Would fall for its food 

Nine score chieftains .. 
Das Folgende fehlt leider, so dass wir über den Verlauf des 
Kampfes nichts wissen; soviel aber zeigt uns dies Fragment, dass 
in Mona, d.h. Anglesey, ein Ungeheuer Cath Palug hauste, das 
vor der Abenddämmerung neunmal 20 Häuptlinge (chieftains) 
auffrass, und dass der in der alten walisischen Sage heldenmütige 
Kei auszog, um dies Untier zu bekriegen. 

An zwei anderen mittelkymrischen Stellen ist nicht von der 
Bekämpfung des Untiers, sondern von seiner Abkunft die Rede. 
So erzählt die Artustriade der aus dem Anfang des 14. Jahr- 
hunderts stammenden Hs. Hengwrt 536 (T!) folgendes: ') Coll, 
son of Collfrewy, who kept the ancient sow of Dallweir Dalben, 
who went burrowing as far as Penryn Awstin in Cornwall, and 
there going to sea, landed at Abertsrogi in Gwent Iscoed, and Coll, 
son of Collfrewy, having his hand on the bristles, whenever she 
went on the sea or on the land, and at Maes Gwenith in Gwent 
she dropped wheat and bees, and from hence forth there is the 
best wheat there, and from thence she went to Lonwen in Penbro, 
and there she dropped barley and bees, and from thence there is 
the best barley in Lonwen, and from thence she proceeded to the 
Riw Cyferthwech in Eryri, and there she dropped a wolf-cub and 
an eagle and Coll, son of Collfrewy, gave the eagle to Brynach 
Gwyddel of the north, and the wolf he gave to Menwaed of 
Arllechwed, and these are the wolf of Menwaed and the eagle of 
Brynach, and thence going to Maendu in Llanfare, in Arvon, 
and there she dropped a kitten and Coll son of Collfrewy 
threw the kitten into the Menai, and she became after- 
wards the Paluc cat. (Im Urtext steht Cath Palue). 

Ganz Ähnlich und etwas ergänzt findet sich dieselbe Er- 
zählung in den Triaden des Roten Buches von Hergest, 
und ich führe sie (T?2) nach der Uebersetzung von Loth an:?) 
') Siehe Skene ]. c. II, 459. Kollege S. Singer war so freundlich, mir 
aus Skene den Wortlaut dieser Triade mitzuteilen. 

2) Siehe J. Loth, Les Mabinogion. Paris 1889. t. II, 247 ss. 


390 E. FREYMOND, 


Trois grands porchers de V’ile de Brydein: ... Le troisieme etait 
Koll, fils de Kollvrewi, qui gardait les porcs de Dallwyr Dallbenn 
a Glynn Dallwyr, en Kernyw. Une de ses trwies, du nom de 
Henwen, etait pleine. Or, il etait predit que l’ile de Brydein 
aurait a souffrir de sa portee. Arthur rassembla donc l’armede 
de l’ile de Brydein et chercha a la detruire. La trwe alla, 
en se terrant, jusqwWa Penryn Awstin, en Kernyw. La, elle se 
jeta dans la mer avec le grand porcher a sa suite. A Maes 
Gwenith, en Gwent, elle mit bas un grain de froment et une 
abeille; aussi, depuis lors jusqWaujourd’hut, il n’y a pas de 
meilleur terrain que Maes Gwenith pour le froment et les abeilles. 
A Llovyon, en Pennvro (Pembroke), elle mit bas un grain d’orge 
et un grain de froment; aussi, V’orge de Llovyon est passe en 
proverbe. A Riw-Gyverthwch, en Arvon, elle mit bas un lowveteau 
et un petit aigle. Le loup fut donne a Menwaed, et l’aigle a 
Breat, prince du Nord. Ils eurent a sen repentir. A Llanveir, 
en Arvon, sous Maen Du (la ptierre noire) elle mit bas 
un chat, que le grand porcher lanca du rocher dans la 
mer. Les enfunts de Paluc, en Mon, le nourrirent, pour 
leur malheur. Ce fut le chat de Paluc, un des trois 
fleaux de Mon et nourris dans son sein... 

Schliesslich sei hier noch auf folgende Triade (T?) hin- 
gewiesen:!) Trois principales oppressions de Mon et nourries 
dans son sein: le chat de Paluc; ... 

In den beiden ersten Triaden T! und 'T? erscheint die von 
Coll gehütete Sau als ein dämonisches Wesen, das einerseits 
Fruchtbarkeit, anderseits Unheil mit sich führt. Aus dieser Sau 
ging der Cath Paluc hervor, welcher die Insel Mona unsicher 
machte und zu den drei Hauptübeln der Insel gehörte. Dieses 
Katzenuntier, dessen Gestalt nicht näher beschrieben wird, wird 
nach der einen Triade von Koll ins Meer geworfen, nach der 
anderen in den Menai, d.h. in die Meeresenge, die Mona oder 
Anglesey von Caernarvon trennt, und dies erinnert einigermassen 
daran, dass der Chat der Episode des Livre d’Artus als kleine 
schwarze Katze aus dem Lac de Losane herausgefischt wird. 
Aehnlich wie der Fischer im altfranzösischen Text die Katze 
heim nimmt und sie gross zieht, bis dass sie ihn und die Seinen 
erwürgt, so zogen nach der einen. Triade (T:) die Kinder des 


> 


1) J. Loth l.e. IL, 8.%65, Nr. 9. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜUM. Bi 


Paluc die Katze in Mon zu ihrem Unglück auf.') — Dieselbe 
Triade T? ist für uns noch insofern interessant, als darin Artur 
genannt wird, der sein Heer versammelt hatte, um die unheil- 
schwangere Sau zu vernichten. Doch von der weiteren Aus- 
führung seiner Absicht erfahren wir nichts. Das Auftreten 
Arturs ist hier vermutlich nicht ursprünglich, sondern vielleicht 
veranlasst durch seine bekannte Verfolgung des Ebers Twreh 
Trwyth.?2) In ähnlicher Weise kann die Uebertragung des 
Kampfes gegen die Katze von Kei auf Artur erfolgt sein.?) 


1) Ein ähnliches Motiv findet sich auch im Book of Lismore, einer 
irischen Handschrift des 15. Jahrhunderts, welche eine Version der Brandan- 
sage enthält. Danach rief ein schwacher Greis auf einer fischreichen Insel 
‚dem Brandan zu, sich vor einer Meerkatze zu retten, die, so gross wie ein 
junger Ochse oder ein dreijähriges Pferd, dort hause. Die Bestie schwimmt 
den Fliehenden nach, und auf ein Gebet Brandans erhebt sich ein Walfisch, 
der mit der Katze kämpft, bis sie beide für immer in der Meerestiefe ver- 
sinken. Der Greis erzählt dann Brandan und seinem Gefolge, dass er mit 
anderen elf Männern auf die Pilgerschaft gezogen sei und die Meerkatze als 
niedliches kleines Tier bei sich führte. Die Katze sei sehr gewachsen, habe 
aber bisher Menschen nicht geschädigt; seine elf Genossen seien tot. Siehe 
H. Zimmer, Keltische Beiträge II in Zs. f. deutsch. Altertum u. d. Litt. 
XXXIL, 8. 138 £. 

2) Auf die Aehnlichkeit der Sau des Dallweir Dalben und des Ebers 
Twreh Trwyth, der in der mittelkymrischen Erzählung von Kulhwch u. 
Olwen vorkommt und schon in der Historia Brittonum (sog. Nennius) 
genannt ist — s. Mommsen’s Ausgabe, Mon. Germ. Hist. Auctor. antiquiss. 
XII, 217 —, hat bereits J. Loth (Les Mabinogion, t.I, S. 248f., Anm.) hin- 
gewiesen. 8. dazu F. Lot (Romania XXV, 590, Anm. 2), der twreh trwyth 
mit sanglier qui s’elance oder sanglier fwrieux übersetzt. 

s) Vielleicht lässt sich, worauf mich Herr Kollege Baist hinwies, diese 
Uebertragung auch anders erklären. In dem oben 8. 328f. genannten Lied 
Nr. 31 des Schwarzen Buches von Caermarthen (Skene 1. ce. I, S. 262) heisst es: 

Arthur distributed gifts, 

the blood tricekled down. 

In the hall of Awarnach, 

fighting with a hag, 

he cleft the head of Palach. 
Es wäre möglich, dass infolge einer Namensverwechslung Artur, der Besieger 
des Palach zum Sieger des Cath Palue gemacht worden wäre. Im Ider 
erscheint, worauf mich noch Herr Baist verwies, ein König Talac als Gegner 
des Artus. Talac de Rougemont begegnet übrigens noch im Chev. as. 11. esp. 
2612, ein Taulas im Chey. d. 1. charrette 5814, ein Talas im Conte d. Gral 
16567; vgl. noch Taillas ib. V. 31377. Ob dieser Talas mit dem kymrischen 
Palach etwas zu thun hat, ist jedenfalls sehr zweifelhaft, 


392 E. FREYMOND, 


Wir sahen, dass die Katze in den beiden kymrischen 
Triaden T! und T? mit dem Meer in Beziehung gesetzt wird, 
bezw. dass sie in der Episode des Livre d’Artus aus dem See 
herausgefischt wurde. Auf Aehnliches weisen noch andere Stellen. 
In Manuel und Amande (MA) wird von dem zweifelhaften 
Ende des Artus erzählt; es heisst da V. 151 ff.: 


Swelch sin ende were, 

da von ist manic mere 

. in livte spellent 

die daran gehellent 

Daz sie iz for war wissen 

ein visch wurde uf gerizzen, 
Des der konic sere engalt 
als ein katze gestalt 


Das Folgende fehlt leider, so dass wir aus dem Erhaltenen nur 
schliessen können, dass Artus’ Tod mit einem Abenteuer in Ver- 
bindung gebracht wird, in welchem ein Fisch in Katzengestalt 
etwas zu thun hat. 

Etwas deutlicher drückt sich Andre!) in seinem Romanz 
des Franceis?) aus. An der uns näher angehenden Stelle dieses 
eigentümlichen Gedichts heisst es: 


Rime ont de lwi ih Franceis . 
Il ont dit que riens n’a valu, 
Et donc a Arflet n’a chalu 


1) Nachdem die Identificierung dieses Andr& mit Andr& de Cou- 
tances, dem Verfasser einer der drei poetischen Bearbeitungen des Evan- 
gelium Nicodemi, bereits früher ausgesprochen worden war, ist dieselbe 
neuerdings durch G. Paris sehr wahrscheinlich gemacht worden (s. Trois 
versions rimees de l’Evangile de Nicodeme p. Chretien, Andre de Coutances 
et un anonyme, p. p. G. Paris et A. Bos. Paris 1885. 8. XVII Soe. d.a.t.fr.). 
— Als geborener Normanne und getreuer Untertan des Königs von. England 
macht er sich in seinem Romanz des Franceiz über die Franzosen und ihre 
thörichten Erzählungen von Artur lustig und zeigt ihnen, dass der wackere 
Artur nach seinem siegreichen Zweikampf mit dem feigen Frollo Frankreich 
erobert habe. Das Gedicht ist vermutlich vor der Eroberung der Normandie 
durch Philipp August, d.h. vor 1204, geschrieben. — Der genannte Zwei- 
kampf zwischen Artur und Frollo wird schon von Galfrid von Monmouth und 

danach öfters erzählt. 
{ 2) Vgl. A. Jubinal, Nouv. Rec. d. coütes, dits et fabliaux. t.II. 8.2. 
— G. Paris (Hist. litt. XXX, 219) und F. Novati l. c. 581 haben die Stelle 
bereits abgedruckt. 


- 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 333 


Que bote fu par Capalu 

Li reis Artur en la palu, 

Et que le chat l’ocist de guerre, 
Puis passa outre en Engleterre, 

Et ne fu pas lenz de conquerre, 
Ainz porta corone en la terre 

Et fu sire de la contree. 

Ou ont itel fable trovee? 

Menconge est, Dex le set, provee: 
One greignor ne fu encontree. 


G. Paris hält Capalu und die über Artus siegreiche Katze für 
ein und dasselbe Wesen und erinnert, wie schon bemerkt, an 
das Monstrum Chapalu in der Bataille Loquifer, das einen Katzen- 
kopf, einen Pferdeleib, Drachenfüsse und einen Löwenschwanz 
hat. Gegen jene Identificierung wendet sich F. Novati, er 
glaubt, Andr& spreche in diesen Versen von zwei verschiedenen 
für Artur verhängnisvollen Abenteuern: erstens vom Kampfe 
mit Capalu, der den König Artur in einen Sumpf gestossen, und 
zweitens vom Kampfe mit einer Katze, die den Artus getötet 
habe. Der Capalu — in der That identisch mit dem Chapalu 
in der Bataille Loquifer — sei ein Monstrum, das durch seine 
Gestalt an die Chimaera gemahne. Die Katze von Lausanne sei 
etwas ganz anderes, nämlich eine echte Katze von ungewöhnlichen 
Dimensionen und Kräften. Hätte Novati die oben erwähnten 
Stellen aus mittelkymrischen Texten gekannt, in denen Cath Palue 
nichts anderes als eine Katze ist, die ins Meer, bezw. in den 
Menai geworfen wird und für Mona ein Unglück bedeutet, so 
hätte er voraussichtlich jenen Einspruch nicht erhoben; denn er 
würde Cath Palue sicherlich nicht von Capalu oder Chapalu 
getrennt haben. 

Wir wollen im Auge behalten, dass nach Andres Romanz 
des Franceis (A) Artur von einer Katze, die Capalu genannt 
wird, in einen Sumpf (en la palu) gestossen und im Kampfe 
getötet wird, desgleichen dass diese Katze England eroberte und 
König wurde. Dahinter steckt vermutlich eine Metamorphose, 
d.h. die Katze wird nach der Besiegung des Artur in einen 
Mann verwandelt worden sein. Ob aus dem Vers 


Puis passa outre en Engleterre 


zu entnehmen ist, dass sich Andre den Kampf auf dem Kontinent 


334 E. FREYMOND, 


denkt, lässt sich nicht mit Bestimmtheit entnehmen; zweifelhaft 
kann erscheinen, wie man den Vers 


Et que le chat l’occist de guerre 


aufzufassen hat. de guerre könnte vielleicht soviel wie „im regel- 
rechten Kampf“ sein; wahrscheinlicher ist mir, dass Andre damit 
andeuten wollte, dass Artur sich nicht allein, sondern mit seinem 
Heer oder wenigstens mit seinen Kämpen gegen das Ungetüm 
aufmachte. 

Etwas Aehnliches bietet nicht nur die oben mitgeteilte Triade 
des Roten Buches T?, wo freilich Artur mit einem Heer auszieht, 
um die Sau, die Mutter der Katze, zu vernichten, sondern ist 
noch aus der nun folgenden sonderbaren Stelle zu entnehmen: 

Henricus Septimellensis ist der Verfasser einer Elegie 
De diversitate fortunae et philosophiae consolatione, die nach 
Leyser!) im Jahre 1191 oder 1192 verfasst ist. In dem etwa 
zwischen 1465 und 1475 geschriebenen Helmstädter Codex Nr. 185, 
der die Elegie enthält, findet sich auf Blatt 62 folgende Rand- 
glosse:?) Arturus dieitur fwisse [rex] britanie multum probus 
et honorandus, qui iniens certamen cum quadam belua perdidit 
milites suos, tandem interfecit eandem beluam, nec tamen domi 
revertebatur, [itaque vivere putatur]?) posiguam fwit mortuus, 
unde adhuc a britanis exspectatur ut veniat ... 

Von einer Katze ist hier zwar nicht die Rede, allein im 
Hinblick auf schon genannte und noch anzuführende Stellen ist 
es m. E. ganz zweifellos, dass in dieser Glosse die belua das 





1) P.Leyser, Hist. poetarum et poematum medii aevi. Halae 1721. 


2) s. ibid. 459, Anm. Ich kam auf diese Stelle durch A. Graf’s Hin- 
weis (Miti, leggende e superstizioni del medio evo. II, S. 318). — Auf meine 
Anfrage erteilte mir Herr Bibliothekar G. Milchsack in Wolfenbüttel freundlichst 
Auskunft über die Hs. und über die Glosse; ihm verdanke ich auch die oben 
angeführte Datierung der Hs., ferner die Mitteilung, dass die Glosse ungefähr 
in derselben Zeit nachgetragen ist. 

3) Statt der hinzugefügten Worte itaque vivere putatur findet sich in 
der Handschrift die Abbreviatur ete, welche von Leyser mit etiam, von anderer 
Seite mit et nee aufgelöst wurde. Ich habe Bedenken gegen diese Auflösungen 
und ich vermute, dass eine Lücke vorliegt. Mein Schwager O0. Rossbach 
. sieht, wie ich glaube, mit Recht in diesem- ete nichts anderes als das uns 
geläufige etc. für et cetera und schlägt mir die oben mitgeteilte Ausfüllung 
der entschieden vorhandenen Lücke vor. Bei Randglossen wird schon des 
Raumes wegen manches fortgelassen. ii 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 335 


Katzenungetüm bedeutet, das uns beschäftigt. — Abgesehen davon, 
dass Artur nach dem Wortlaut der Glosse mit seinen Kämpen 
gegen das, Untier zieht, und dass Artur hier im Gegensatz zu 
der Andr& bekannten Version im Kampfe Sieger bleibt — analog 
der Erzählung im Livre d’Artus — enthält die Glosse ein neues 
Sagenmotiv, dass nämlich Artur nach siegreichem Kampfe 
nicht mehr heimkehrte. 

Dass Artur nach dem Kampf mit der Katze auf immer ver- 
schwand, geht wohl aus den folgenden Versen Peire Cardenal’s!) 
hervor, auf welche mich Herr Gaston Paris hinwies: 


Mas quant lo rices er d’aisso castiatz 
Venra n’Artus, sel qwemportet lo catz; 


jedenfalls kannte Peire Cardenal eine Version der Sage, nach 
welcher Artus von der Katze entführt wurde. — Auf diesen 
Punkt werde ich noch zurückkommen. Im Folgenden sei zunächst 
eine weitere Stelle angeführt, nach welcher Artus, gleichwie im 
Roman des Franceis, von der Katze besiegt wird. 

In dem in mannigfacher Beziehung interessanten Roman 
Galeran de Bretagne?) schlägt der Titelheld auch im Schach- 
spiel seinen Gegner, den Deutschen Guynant, und wird deswegen 
von dem Rivalen der Lüge bezichtigt. Es heisst da V. 5068 ff. 
von Guynant: 

Et cil qui jeu souffrir ne puet, 

Par si grant ire sen esmuet 

Quil le ledenge de contrueve, 

Et le roy Artu li reprueve 
Que le chat occist par enchaus. 


Der zuletzt angeführte Vers ist m. E. zu übersetzen mit: den 
die Katze durch ihre Nachstellungen tötete?) Aus dieser Stelle 


!) Vgl. Birch-Hirschfeld, Ueber die den provenzal. Troubadours 
des XII. u. XIII. Jahrhunderts bekannten epischen Stoffe. Halle 1878. 8. 54. 

?2) Le roman de Galerent, par le trouvere Renaut ... p. p. A. 
Boucherie. Montpellier-Paris 1888. 

®) Ich fasse also le chat als Nominativ auf und der Fall ist den analogen 
Fällen in diesem Gedicht hinzuzufügen, die Mussafia (Romania XVII, 8. 451, 
Anm. 2) zusammenstellte. Ich glaube kaum, dass eine andere Interpretation 
zulässig ist; denn wenn man die Verse so auffassen wollte: Guinant wirft 
dem Galeran den König Artus vor, dass dieser die Katze tötete, so wäre das 
an und für sich wunderlich. Es müsste in diesem Falle der Schwerpunkt des 
Vorwurfs der Lüge oder des Betrugs auf den Worten par enchaus liegen; 


336 E. FREYMOND, 


und aus dem, was darauf folgt — Guynant nennt Galeran einen 
feigen Bretonen u.s. w. — darf man schliessen, dass der Kampf 
Artus’ mit der Katze hier als ein Hirngespinnst der Bretonen 
hingestellt wird. 

Die bisher angeführten französischen Stellen, sowie die 
Verse Peire Cardenals stammen aus dem 12.!) und 13. Jahrhundert. 
Dem 14. Jahrhundert gehört das epigonenhafte Epos Tristan 
de Nanteuil an, welches einige unsere Sage betreffende Züge 
enthält. Novati war es, der auf den ersten im folgenden mit- 
geteilten Passus ken gemacht hat; obgleich er ihn bereits 
abgedruckt, glaube ich die Stelle hier nochmal wiedergeben zu 
sollen.?2) — Der unbekannte Verfasser des Tristan de Nanteuil 
führt nicht nur die übermenschliche Kraft seines Helden und der 
ihn nährenden Hindin, sondern auch diejenige der von Artus 
nach schwerem Kampf besiegten Katze auf den Genuss von 
Sirenenmilch zurück: 


Nourris furent d’un lat qui fu de tel maistrie, 

D’une seraine fut, sy con listoire crie. 

Il est de tel vertu et de tel signorie 

Que se beste en a beu elle devient fournye, 

Si grande et si poissant, nel tenes |a folye|, 

Que nul ne dure a lui, tant ait chevalerie. 

Artus le nous aprouve, qui tant ot baronnye, 

Car au temps qu’ill| reygna, pour voir le vous affie, 
Se combati au chat qw’alecta en sa vie 


enchaus könnte dann nicht die übliche Bedeutung von „Verfolgung, Nach- 
stellung oder dgl.“ haben, sondern müsste etwa „betrügerische Verfolgung, 
Betrug, List“ heissen; allein diese Bedeutung von enchaus kenne ich nicht. 
— fn einer jüngeren Version der Sage, die ich im dritten Teil dieser Arbeit 
mitteile, gelingt die Tötung der Katze mit Hilfe einer List von seiten der 
Artusritter Berius und Melianus. 

!) In das 12. Jahrhundert noch wird Andre’s Romanz des Franceis 
gehören. 

2) Vgl. P. Meyer, Notice sur le rom. d. Tristan de Nanteuil im Jahrb. 
f. rom. u. engl. Lit. IX, S. 11, Anm.; s. auch P. Paris (Hist. litt. d. I. France 
XXVI, 235). Die von P. Meyer l.c. aus einem Lied des Königs von Navarra 
(Diex est ausi come li pelicans) angeführten Verse, in denen auf Grund 
eines livre des Bretons vom Kampf zweier Drachen und vom Einsturz eines 
Schlosses die Rede ist, dürften sich übrigens auf Wace, Brut V. 7491 ff. oder 
event. auch auf eine Stelle des Prosa-Merlin beziehen. Siehe die Ausgabe 
des Merlin ven G. Paris u. J. Ulrich. Paris 1886 (Soe. d”a. t. fr.) t. 1, S. 56 ff. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 337 


Du let d’une seraine qui en mer fut peschie, 
Mes le chat devint tel, ne vous mentiray mie, 
Que nuls homs ne duroit en la soye partie 
Qu’ill| ne mesist affin, a duel et a hachie. 
Artus le conquesta par sa bachelerie, 

Mais ains l’acheta cher, sy com l’istoire cerye. 


Diesem merkwürdigen, aber für den Sagenforscher nicht uninter- 
essanten Passus geht Folgendes voraus: Tristan, der als Kind, 
einsam und verlassen, auf dem Meer dem Tode nahe war, wird 
von einer Sirene genährt, und das Schiff, das beide trägt, landet 
in Ermenie. Ein Fischer bemächtigt sich des Kindes und der 
Sirene; seine Frau steckt die Sirene in ein Gefäss, um sie dem 
König von Ermenie zu überbringen.') Soviel Milch floss aus 
den Brüsten der Sirene, dass eine Schüssel damit gefüllt wurde. 
In der Nacht aber genoss eine Hindin diese Milch und sie ward 
davon so stark, dass sie nicht nur den Fischer und 
seine Frau, sondern auch 1000 Leute des Landes 
erwürgte. Die den Fischer, seine Frau und die Leute des 
Landes erwürgende Hindin erinnert, wie Novati anmerkungs- 
weise ganz richtig bemerkt und wie übrigens bereits P. Paris 1. ce. 
gesagt hatte, an den Chat de Lausanne, der ja den Fischer, seine 
Frau und Kinder und alles, was er erreichen kann, vernichtet. 
Die von Artus besiegte mächtige Katze, wie auch die das Land 
verwüstende Hindin werden indirekt insofern mit dem Meer in 
Beziehung gebracht, als sie ihre aussergewöhnliche Kraft ihrer 
Ernährung mit Sirenenmilch verdanken. 

Im Hinblick auf die weiter unten mitgeteilten Texte, die 
für unsere Sage in Betracht kommen, sei gleich hier noch auf 
einige weitere Stellen im Tristan de Nanteuil hingewiesen: die 
für die Gegner gefährliche Hindin, die übrigens gelegentlich 
einen grossen Haufen von Schlangen und Wildschweinen im 
Gefolge hat,?) unterliegt endlich — ähnlich wie die belua in 
der oben 8. 334 angeführten Glosse — dem Angriff des Sultans 
Galafre und eines Heeres von 100000 Mann und wird getötet.s) 
In diesem an Absonderlichkeiten reichen Gedicht wird später 


1) Siehe P. Meyer l.c. 8.8. 

2) ibid. S. 11. Serpens et pors sauvages avec lui amena, 
Couvers en fut le champ si loing c’om regarda. 

3) s. ibid. 8. 31. 


Festgabe für Gustav Gröber. 


ID 
IZ 


338 E. FREYMOND, 


davon erzählt,’) wie Tristan im Walde einer Dame begegnet, 
die ihn, den Furchtsamen, durch Versprechungen verschiedener 
Art dazu bringt, ein sie verfolgendes Ungetüm zu bekämpfen, 
das, im ganzen einer Schlange ähnlich, dennoch Füsse mit scharfen 
Krallen, rotglühende Augen und scharfe Zähne hat, die zwei 
Handflächen weit aus dem Maule hervorstehen.?2) Tristan schlägt 
ihm eine Pfote ab und sticht es mit dem Schwert durch das 
Maul bis ins Herz. Das Untier verwandelt sich alsdann in einen 
Mann und beansprucht Tristans Liebe zum Dank dafür, dass es 
sich von ihm habe töten lassen. Die Dame entpuppt sich als 
Fee Gloriande, Cousine der Fee Morgue und des Königs Malabron, 
und gesteht Tristan, dass sie ihn den Kampf habe bestehen lassen, 
um ihm das Fürchten abzugewöhnen. Ihr Zweck ist erreicht, 
und sie führt Tristan in ein Feenschloss, wo dieser von Artus 
das unverwundbar machende Wunderhorn zum Geschenk erhält, 
das er als der nunmehr mutigste aller Ritter hatte ertönen lassen 
können.3) 

Die zuletzt genannten Episoden erinnern deutlich an jene 
Episode in der Bataille Loquifer, in welcher Renouart im 
Feenreich, wo auch Artus weilt, mit Chapalu oder Capalui) 
zu kämpfen hat. Ein Zusammenhang lässt sich nicht leugnen. — 
Die Bataille Loquifer ist nach W. Cloetta°) bald nach dem 
Jahr 1175 entstanden. Der im 14. Jahrhundert geschriebene, 
nur in einer einzigen Handschrift des 15. Jahrhunderts erhaltene 
Tristan de Nanteuil ist erheblich jünger als die Bataille Loquifer. 
Wir werden schon aus diesem Grunde annehmen dürfen, dass 
die Chapalu-Episode in der Bataille Loquifer der ursprünglichen 
Sage näher steht als die daran gemahnenden Episoden im Tristan 
de Nanteuil. Das ältere Gedicht, die Bataille Loquifer, bietet 
ja schon mehr als genug des Phantastischen und Absurden; es 
wird aber in dieser Beziehung vom Tristan de Nanteuil weit 
übertroffen. Der Verfasser des Tristan, der nach Wunderbarem 


1) s. ibid. S. 38 ff., ferner P. Paris 1. ce. S. 246 f. 

2) Dieser Schlange ähnelt ein Monstrum im Artusroman Claris u. Laris 
V. 5497 ff. 

3) Philipot hätte diese Stelle in seiner bereits erwähnten Besprechung 
(Romania XXVI, 303.) benutzen können. 

+) Ob wir den Namen hier in der Bataille Loquifer Chapalu oder 
Capalu schreiben wollen, ist nebensächlich; in den Handschriften findet sich 
ausser diesen beiden Graphien auch Kapalu. 

5) Arch. f. d. Stud. d. n. Spr. u. Litt., Bd. 93, S. 41. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 339 


und Unwahrscheinlichem förmlich sucht, hat, wie ich vermute, 
in seiner mitunter geradezu kindisch werdenden Phantasie die 
Elemente einer älteren Erzählung, die der Chapalu-Episode in 
der Bataille Loquifer ähnlich gewesen sein mag, getrennt und 
mit anderen Zügen verwoben. 


Doch sehen wir uns die Chapalu-Episode in der Bataille 
Loquifer (BL) etwas genauer an:!) An den am Meeresufer 
schlafenden Riesen Renouart treten drei Feen heran und be- 


1) Die Episode ist von Le Roux de Lincy, Livre des l&gendes, Paris 
1836, S. 246 ff. nach dem Ms. La Vall. 23 (heute Bibl. Nat. f. 24369) gedruckt. 
— Für die in Frage stehende Episode bietet die Berner Hs. 296 der 
Wilhelmsepen sehr wenig. Diese Hs. enthält zwar in der Branche Bataille 
Loquifer die Beschreibung der Kämpfe zwischen Renouart und Ysabras (alias 
Isembart), zwischen Renouart und Loquifer, zwischen Guillaume und Desrameg, 
allein die Abenteuer Renouarts in Avalon, Renouarts Kampf mit dem Un- 
geheuer Chapalu sind nicht darin enthalten. Diese auf bretonische und 
z. T. auf kymrische Sagenelemente zurückgehenden Scenen fehlen auch in 
der altfranzösischen Prosafassung des Epos (vgl. J. Weiske, Die Quellen des 
afrz. Prosaromans von Guillaume d’Orange. Hall. Diss. 1898. S.71), so- 
dass die Vorlage des Prosaromans mit dem Berner Codex etwas näher ver- 
wandt sein könnte, umsomehr als auch sonst beiden Versionen gewisse Einzel- 
heiten gemeinsam sind, die, wie Weiske anzunehmen scheint, sonst in dem 
Epos fehlen: so z. B. die Episode, in welcher Renouart den Kampf mit 
Loquifer unterbricht und sich am Abend des ersten Kampftages in das 
Sarazenenlager begiebt, wo er bewirtet wird und übernachtet (vgl. Berner 
Codex 296, fol. 99 u. Weiske l.c. 8.72). Die Stelle, an welcher das unheil- 
volle Wirken von Desram&s Haupt beschrieben wird, fehlt in unserer Hs. 
ebenso wie im Prosaroman. Allein ich weiss nicht, ob sich die zuerst hervor- 
gehobene Episode nicht auch in einer der anderen Handschriften der Bataille 
Loquifer vorfindet. Weiskes Vergleichung des Prosaromans mit der Analyse 
von P. Paris (Hist. litt. d. l. France, t. XXII) konnte, wie das Weiske selbst 
sagt, für diese Branche nicht zu abschliessenden Resultaten führen. Jeden- 
falls wird der Text der Berner Hs. schon darum nicht die direkte Vorlage 
für den Prosaroman gewesen sein, weil er den Kampf zwischen Renouart 
und Ysabras enthält, der in der Prosa fehlt. Wenn ferner, wie aus Weiskes 
Mitteilungen zu ersehen ist, der Prosaroman die Elemente der bretonischen 
Sagenkreise gar nicht aufweist, so gilt das nicht durchaus für den Text der 
Bataille Loquifer in der Berner Hs., in welchem, beiläufig gesagt, fol. 108 .d 
anstatt Jendeu de Brie (vgl. Hist. litt. d. 1. France, XXII, 534) Grandors 
de Brie als Verfasser der Branche genannt wird. Der Berner Codex giebt 
am Schluss der Bat. Loquifer (fol. 112b) die Einleitung zu den Abenteuern 
Renouarts in Avalon, d. h. eine Laisse auf -is, die z. T. mit der von Le Roux 
de Liney 1. c. S. 246 ff. nach einer Pariser Hs. gedruckten übereinstimmt. Die 
Feen treffen in Begleitung eines Zauberers den am Meeresufer schlafenden 
Renouart. Die letzten Verse der Branche lauten in der Berner Hs. fol. 112e: 


22* 


340 E. FREYMOND, 


schliessen, ihn, den kühnsten lebenden Streiter, ins Feenland 
Avalon zu entführen u.s. w. Das geschieht mit Hilfe von aller- 
hand Zauber, und Artus, Roland, sowie das ganze Feenvolk 


li bers se dort ne sest mie esperis 

ains quil se lieue sera mout coniois. 

dist lune |sc. fee] a lautre cis hom est mout maris 
Grant dolor a por mallefer son fis 

Que tiebaus tient dedens sa tour antis 

dedens aiete auoec les arabis. 


Unmittelbar darauf folgt noch in derselben Spalte die Rubrik Ci parole eiste 
estore de le feme .R. Qui morte est. sen ot si grant duel Quil sen est fwis 
a bride et est devenus mones, dann eine Miniatur, auf welcher 3 klagende 
Gestalten an einem Sarkophag stehen. Die folgende Spalte fol. 112d enthält 
eine Miniatur, einen Ritter (Renouart) zu Pferd vor Mönchen darstellend; 
und es folgt der Anfang der Moniage Renouart: 


Or est dolans .R. et maris 
pour sa moullier la cortoise aelis u. Ss. w. 


(Zu der Moniage in der Berner Hs. siehe Ph. A. Becker in Zeitschrift f. 
rom. Phil. XVII, 115, Anm.). So weit ich die Berner Hs. bis jetzt unter- 
sucht habe, enthält sie weder in den vorausgehenden noch in den folgenden 
Partien einen Ersatz für die Lücke, die am Schluss der Bataille Loquifer 
offenbar vorliegt. — W. Cloötta, der die Berner Hs. zu seinen Unter- 
suchungen über die beiden Epen vom Moniage Guillaume benutzt hat (siehe 
Arch. f. d. Stud. d. n. Spr. uw. Litt., Bd. 93, S. 403), mag Recht haben, wenn 
er den Kopisten dieser Hs. einen ganz gedankenlosen Abschreiber nennt, der 
sich nicht die geringste Mühe giebt, das zu verstehen, was er schreibt. Die 
Berner Hs. weist m. E. auch sonst verschiedene Fehler, wie auch gewisse 
Widersprüche auf; allein es lässt sich ohne Benutzung der anderen Hss. nicht 
eruieren, ob man dieselben alle dem Kopisten des Berner Codex zur Last 
legen darf. Von diesen Widersprüchen führe ich nur den folgenden an, weil 
er für unsere obige Untersuchung in Betracht kommt. Loquifer umgürtet 
sich vor seinem Kampf mit drei Schwertern; in der Berner Hs. fol. 94d heisst es: 


Cainte a hisdose au senestre coste 
puis rependi recuite al autre les 
et dolerouse qui fu mansale. 


Während nach diesem Vers das Schwert Dolerouse einem Mansale gehört 
haben soll, wird es später als ehemaliges Eigentum des Königs Capalu an- 
geführt; der betr. Vers lautet fol. 102b: 


et dolerouse qui fu roi capalu 


und entspricht einem von P. Paris, Mss. frane. III, S. 161 mitgeteilten Yon 
— Trotz der hervorgehobenen Mängel bietet der Berner Text vielfach Besseres 
als die von Le Roux de Lincy benutzte Pariser Hs., wenigstens in den aller- 
dings wenigen Versen, die ich habe vergleichen können. Ich behalte mir 
vor, die Berner Hs. der Wilhelmsepen genauer zu prüfen, ohne darum den 
Herren Becker und Cloetta irgendwie ins Gehege zu kommen. Die Bataille 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETEÜM. 341 


(gent faee) sind über die Ankunft des immer noch schlafenden 
Renouart erfreut. Sie wollen Renouarts Mut auf die Probe 
stellen, verstecken sich daher und Artus lässt durch Maragon !) 
den Chapalu hervorholen: 


Plest vous oir quel deable ce fu? 

Le chief ot gros, merveilleus et velu, 

Les yex ot roux et el chief embatu, 

La gueule ot lee et les denz mult agu, 
Teste ot de chat, cors de cheval erinn. 


Im weiteren wird die Schilderung von Chapalus Gestalt noch 
vervollständigt. Es handelt sich dabei um similäre Laissen, und 
daraus erklärt es sich, dass sich — wenigstens in dem von 
Le Roux de Liney gedruckten Text — kleinere Widersprüche 
vorfinden. So werden dem Monstrum einerseits Leopardenfüsse 
und ein Löwenschwanz zugeschrieben, anderseits Greifenfüsse 
und Greifenklauen. 

Renouart, der schon bei seinem Erwachen nicht wenig 
erstaunt war, sich in einem ihm unbekannten Palast zu finden, 
erschrickt bei dem Anblick des Scheusals; es kommt alsbald 
zum Kampf, der in Einzelheiten an Artus’ Kampf mit dem Chat 


Loquifer speeiell verdient trotz ihres epigonenhaften Charakters eine genauere 
Untersuchung; denn so absonderlich und ungeheuerlich einzelne Episoden 
auch erscheinen, so bietet der Text für den Sagenforscher doch manches 
Interessante. Es sei hier nur darauf verwiesen, dass A. Nutt (Folklore I, 
S. 251) Loquifer = Lok Ifern, Ifern = Hölle setzt; statt des Namens des, 
beiläufig gesagt, flammenspeienden Loquifer hätte Nutt besser dessen Aufent- 
haltsort Loquiferne in seine Parallele gesetzt. — Femer sei auf die Fienr 
des Pecoulet verwiesen, der das Meer mit grösster Schnelligkeit dureh- 
schwimmt, oder auf die Wünschelrute der einen Fee u.s.w. — Weiske 
meint 1.c. 72f., dass die Zauberkraft von Desramös Haupt und seine Ein- 
wirkung auf das Meer jedenfalls auf bretonischen Ursprung hinweise. Das 
bezweifle ich und verweise auf die Laide Semblance in der obsoleten Version 
des Livre d’Artus (vgl. meine Beiträge zur Kenntnis der afrz. Artus- 
romane in Prosa; Zs. f. franz. Spr. u. Litt. XVII, S. 70 ff., Anm. 2), sowie 
auf die Pilatussage, die ich noch weiter unten heranziehen werde. 

') Der Name Maragon ist dem des Königs Malabron ähnlich: s. oben 
5.338. Im Gaufrey kann der lwiton Malabron verschiedene Gestalt an- 
nehmen, nämlich nach Belieben die eines Pferdes, Schafes, Vogels, Apfels, 
einer Birne, eines Baumes oder eines Fisches (vgl. Gaufrey, p. p. Guessard 
et Chabaille. Paris 1859. V. 5338 f.). An die obige Episode erinnert es 
einigermassen, dass Malabron den Mut seines Sohnes Robastre in unheimlicher 
Weise auf die Probe stellt und, als dieser die Probe besteht, sich in einen 
schönen Jüngling verwandelt. 


342 E. FREYMOND, 


de Lausanne im Livre d’Artus erinnert.') Die Feen bitten Artus 
wiederholt, den Kampf zu unterbrechen. Artus, dem das Schau- 
spiel Spass macht, verweigert es; denn er wusste, was kommen 
sollte. Chapalu war nämlich ein verzaubertes Wesen und sollte 
seine scheussliche Gestalt verlieren, wenn er Blut von der Ferse 
des besten Ritters, nämlich Renouart, geleckt hätte. So hatte 
es seine Mutter, die Fee Bruhan, nach seiner Geburt bestimmt; 
denn sie war über das Kind trotz seiner Schönheit unglücklich, 
sie konnte es nicht überwinden, dass sie einstmals beim Bade 
in der Quelle Albon von dem Elfen (»nuiton) Rigalez?) über- 
rascht und vergewaltigt worden war. — Der Kampf zwischen 
Renouart und Chapalu endet damit, dass die Entzauberung 
Chapalu’s in der angegebenen Weise erfolgt; das Monstrum ver- 
wandelt sich in einen schönen Mann, der seinem Gegner dankt 
und ihm zu dienen verspricht. 

Wir sahen, dass im Tristan de Nanteuil die Kraft der von 
Artus besiegten Katze durch deren Ernährung mit Sirenenmilch 
erklärt wird. Auch in der Bataille Loquifer wird am Schlusse, 
freilich in ganz anderem Sinne, Chapalu mit einer Sirene zu- 
sammengebracht. Renouart hatte in Avalon die Liebe der 
Morgain genossen;?) allein schon nach vierzehn Tagen nimmt 
er von ihr Abschied, um in Odierne seinen Sohn Maillefer zu 
suchen. Morgain, enttäuscht, will das verhindern und veranlasst 


ı) In BL reisst Chapalu dem Renowart den Helm herunter und 
zerstückelt ihn mit seinen Zähnen; ähnlich reisst die Katze in LA Artus 
den Spiess aus der Hand und kaut daran; dann wirft sie ihn fort, gerade 
so wie Chapalu die Waffe Renouarts hinter sich schleudert. In beiden Fällen 
können die tüchtigen Schläge dem Untier zunächst nichts anthun; in beiden 
Fällen schleckt das Monstrum Blut. 

2) P. Paris benutzte für seine Analyse der BL in der Hist. litt. d. 1. 
France Bd. XXII eine andere Handschrift als Le Roux de Lincy, und in 
jener Hs. sind die Eltern des Monstrums Gringalet und die Fee Brunehold 
(s. 1. c. 8.537). Da Gringalet bezw. Keincaled in der afrz. Artusepik bezw. 
in kymrischen Texten das Pferd Gavains bezw. Gwalchmeis bezeichnet, 
liesse sich — so meint mein Freund $. Singer — der Pferdeleib des Monstrums 
erklären. — Erwähnt sei bei dieser Gelegenheit, dass im Gaufrey V. 2872 
u. 2887 das Pferd Gaufreys, das ehemals dem König Gloriant gehörte, 
Marchepalw heisst. — In der Chanson d’Antioche (p.p. P. Paris. Paris 
1848. Rom. d. XII pairs d. France) t. I, S. 18 wird ein Palast des Garsion 
d’Antioche palais Capalu genannt; ob diese Bezeichnung mit unserem Capalu 
irgend etwas zu thun hat, lässt sich nicht sagen. x 

3) Vgl. Hist. litt. d. 1. Fr. XXI, 537, - 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 343 


durch Chapalu'!) einen Schiffbruch. Allein schon vorher waren 
Renouart und Chapalu Sirenen begegnet; Renouart hatte sich 
eine derselben durch Chapalu herbeibringen lassen und hatte sie 
auf ihre Bitten wieder ins Wasser gelassen. Zum Dank dafür 
wird Renouart von den Sirenen beim Schiffbruch gerettet und 
an das Gestade von Odierne getragen. 

Dass die vorher besprochene Chapalu-Episode in der Bataille 
Loquifer mit den verschiedenen oben erwähnten Scenen im Tristan 
de Nanteuil auffallende Aehnlichkeiten aufweist, brauche ich nicht 
im einzelnen auszuführen. In der Bataille Loquifer ist die Sage 
von Chapalu mit dem Entzauberungsmotiv verbunden, das 
bekannter ist in den verschiedenen Versionen des Bel Inconnu. 
Im Tristan de Nanteuil steht dies Entzauberungsmotiv mit der 
Katze in gar keinem Zusammenhang, sondern es findet sich in 
der Episode, in welcher Tristan von der Fee Gloriande dazu 
veranlasst wird, mit dem Schlangenungetüm zu kämpfen, das 
sich in einen Mann verwandelt. Ich glaube, wie schon bemerkt, 
dass der Verfasser des Tristan de Nanteuil die ver- 
schiedenen Züge einer Episode kannte, die der Chapalu- 
Episode in der Bataille Loquifer verwandt gewesen 
sein mag. Da er vermutlich ohne schriftliche Vorlagen dichtete, 
wird er ganz unabsichtlich diese verschiedenen Elemente 
der Episode voneinander getrennt und mit anderen 
Sagenelementen vermischt haben. Ich vermute, dass die 
Hindin im Tristan de Nanteuil, die ihre Stärke dem Genuss 
von Sirenenmilch verdankt und ähnlich wie der Chat de Lausanne 
das Land verwüstet, ursprünglich nur zu einer ganz anderen 
Episode, die sich im Tristan de Nanteuil findet, gehörte, nämlich 
zu der Episode des heiligen Egidius.?) 

Während Chapalu, der entzauberte Jüngling, nach der 
Bataille Loquifer der Sohn des Elfen Rigalez (bezw. Gringalet) 
und der Fee Bruhan (bezw. Brunehold) ist, sehen wir ihn in 
den letzten Bearbeitungen der Sage von Ogier le Danois als 
König der Elfen und als Rivalen des Artus auftreten. 
1) Aus P. Paris’ Analyse ist nicht zu ersehen, ob dieser Gesinnungs- 
wechsel Chapalu’s, der ja vordem Renouart zu dienen versprochen hatte, 
irgendwie motiviert wird. 

2) Vgl. dazu auch G. Paris in der zusammen mit A. Bos ver- 


anstalteten Ausgabe von Guillaumes de Berneville Vie de St. Gilles. Paris 1881 
(Soc. d. a. t. frang.) S. LXIU ff. CI und Anm. 1, sowie CI nebst Anm. 2. 


344 E. FREYMOND, 


Ueber das dem 14. Jahrhundert angehörende, in drei Hand- 
schriften erhaltene, in Alexandrinerlaissen geschriebene, alt- 
französische Rifacimento des Ogier le Danois, sowie über die 
damit ziemlich genau übereinstimmende Prosabearbeitung aus 
dem 15. Jahrhundert, die nur in alten Drucken erhalten ist, hat 
R. Renier!) berichtet und hat bereits die Bataille Loquifer 
herangezogen, um auf gleiche oder ähnliche Motive in beiden 
Texten hinzuweisen. Herr Renier hatte die Güte, mir aus dem 
Turiner Prachtexemplar des ältesten von A. Verard besorgten 
Druckes des Prosa-Ogier (s. D. ca. 1498) einige Stellen ab- 
zuschreiben. 

Um zu zeigen, dass die ganze Episode von Ogiers Aufent- 
halt in Avalon nicht nur mit der analogen Episode in der Bataille 
Loguifer, sondern auch mit einigen Zügen des Tristan de Nanteuil 
Aehnlichkeiten aufweist, sei ihr Inhalt kurz mitgeteilt. Voraus- 
geschickt sei, dass Ogier unmittelbar nach seiner Geburt Feen 
zur Seite stehen, unter anderen Morgue und Gloriande. 

Gegen den Schluss des langen Romans wird Ogier mit seinem 
Schiff an das irdische Paradies verschlagen (vgl. Renier 1. c. S.445). 
Er tötet die das Magnetschloss bewachenden Löwen und betritt 
einen Saal, in welchem er an einer reichbeseizten Tafel von dem 
Pferd Papillon bedient wird, das sich ganz wie ein Mensch be- 
nimmt. Papillon ist ein von Artus besiegter Elfenfürst, der von 
Artus dazu verurteilt worden ist, 300 Jahre lang in der Gestalt 
eines Pferdes zu leben. Am nächsten Morgen besteht Ogier sieg- 
reich einen Kampf gegen eine furchtbare Schlange und gelangt in 
einen Zaubergarten, wo er einen Apfel geniesst und erkrankt. 
Da erscheint Morgue, die ihn heilt und ihm mitteilt, sie habe ihm 
seit seiner Geburt beigestanden und wolle ihn nun zum Gefährten 
haben. Die Fee verjüngt Ogier mit Hilfe eines Zauberringes 
und führt ihn dann in das Schloss von Avalon, wo er von Artus 
freudig aufgenommen wird. Ogier wird mit einem Kranz gekrönt, 
der die Kraft hat, jeden traurigen Gedanken zu bannen. Hier 
heisst es weiter: Or estoit le roy Artus en grant debat avec le 
roy des luytons et le vouloit getter le roy capalus roy des 
dis luitons hors du chastel de faerie. Si viendrent plusieurs 
assaillir le dit chasteau et tant que ils gaignerent la basse court. 


1) Siehe Reniers namentlich durch die Anmerkungen wertvolle 
Ricerche sulla leggenda di Uggeri il Danese in Franeia. (Mem. d. Reale 
Accad. d. scienze di Torino. Serie II. tomo XLI. Torino 1891. S. 430 ff.). 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETUM. 345 


Adone se print a crier de recief. Ou es tu [Druck Ov estu] 
roy artus ie te deffie corps a corps. Et si tost que Ogier 
l’ouyt si fut tout eschauffe si demanda qui ce pouvoit estre qui 
parloit de 'si estrange facon car il n’a pas parolle d’homme, se dit 
Ogier [Druck Ohier]. Et le roy artus lui dist plainement. Ogier 
mon amy ie vous compteray la verite. Je vous dy que le roy 
des lutons a grant envie sur moy. Et de fait trouveroit 
voluntiers le moyen et facon de me getter de ce chasteau ... 
Artus erzählt weiter, dass Capalu und seine Elfen ihm aus Neid 
wegen des Wunderschlosses zu schaffen machen, dass er sich aber 
hin und wieder räche; so habe er vor kurzem einen Elfen damit 
bestraft, dass er ihn für einen Zeitraum von 300 Jahren in ein 
Pferd verwandelt habe. Ogier erfährt so das Schicksal Papillons. 
Er erhält alsdann von Artus die Erlaubnis, mit dem König Capalu 
zu kämpfen: si tost qwil fut dehors il trowa capalus qui se 
vint apparoistre a luy en figure dung chevalier grant 
et fort... Nachdem Ogier seinen Namen genannt, erwidert 
Capalu: Je ne me rendray pas au roy artus mais je me rendray 
a toi, car meilleur compaignon de toy ie ne scauroy trouver au 
monde. Adone capalus bailla son espee a ogier lequel le print 
tres voluntiers. Ogier führt den Capalu zu Artus, übergiebt ihn 
Morgue, und bittet Artus, dass Capalu nie seine Rittergestalt 
aufzugeben brauche Capalu lässt sich taufen. 

Von einem Kampfe zwischen Artus und Capalu, dem Elfen- 
könig, ist also nicht mehr die Rede; allein es besteht zwischen 
den beiden eine Rivalität und Capalu fordert wenigstens 
Artus zum Kampfe heraus.) Aus den Worten capalus qui 
se vint apparoistre en figure dung chevalier ... lässt sich wohl 
schliessen, dass Capalu, der Elfenkönig, im stande war, ver- 
schiedene Gestalten anzunehmen.?) Die Möglichkeit einer 
Metamorphose ist jedenfalls auch insofern deutlich zu erkennen, 
als Capalu auf Ogiers Wunsch in Zukunft die Gestalt eines 


!) Schon oben (S. 340 Anm.) wurde ein Vers der Bataille Loquifer 
hervorgehoben, in welchem ein roi capalu genannt wird. 

2) Hierbei sei auf eine Stelle im mittelniederländischen Torec des 
Jacob von Maerlant hingewiesen, einem Epos, das auf ein verlorenes alt- 
französisches Original zurückgeht. Der Grossonkel des Toree kann sich ganz 
unsichtbar machen; er kann, wie es in der mndl. Version heisst, die Gestalt 
eines alf annehmen, wofür im Urtext nach G. Paris jedenfalls luiton stand, 
Siehe Hist. litt. d. 1. France XXX, 266. 


346 E. FREYMOND, 


Ritters behält. Als eigenartig wird die Sprache des Capalu 
hervorgehoben; er spreche nicht wie ein Mensch. Allein davon, 
dass Capalu ursprünglich etwas mit dem Meer oder mit einem 
See zu thun habe — wie der kymrische Cath Palue oder die 
Katze im Livre d’Artus oder in Manuel und Amande oder endlich 
im Tristan de Nanteuil — davon hat sich in dem Ogiertexte, 
soweit ich ihn kenne, keine Spur erhalten. 

Von einer solchen Meerkatze ist allerdings auch im Chevalier 
du Papegau nicht die Rede; allein an den Kampf Artus’ mit 
der Katze erinnert der Kampf, den Artus — das ist ja der 
Chevalier du Papegau — mit dem Poisson-Chevalier unter- 
nimmt, um einer Fee (der Dame aux cheveux blons) zu helfen.') 
Von diesem Monstrum heisst es zu Anfang des Romans: chevalier 
qui converse en la mer et chascun jour la vient destruire sa 
(sc. der Fee) gent et sa terre, et Iy a ja mort .LX. chevaliers 
des meilleurs de sa terre. Weiter (l. ce. S.14ff.) wird der Poisson- 
Chevalier als der hässlichste, schrecklichste Ritter geschildert, den 
es je gegeben habe; er ist so gross, dass er zu seinem Ross von 
der Grösse eines Elefanten passt; sein Geschrei lässt das Land 
meilenweit erzittern, und er verwüstet die ganze Umgegend. 
Es gelingt Artus, dem maufes — so wird der Poisson-Chevalier 
öfter genannt — den rechten Arm abzuschlagen, so dass er sich 
vers son recept zurückzuziehen sucht. Artus folgt ihm und setzt 
ihm so zu, dass das Monstrum infolge des Blutverlustes endlich 
zu Boden stürzt. Allein noch im Todeskampf richtet es entsetz- 
lichen Schaden an; denn es wälzt sich hin und her?) und wirft 
mehr als zwanzig starke Bäume um. Als das Untier verendet 
ist, tritt Artus näher heran und sieht zu seinem nicht geringen 
Erstaunen, dass nicht nur Ross und Reiter ein Ganzes bilden, 
sondern dass auch die schwarzen Waffen, Helm, Schild, Schwert, 
Lanze und Panzer tout une chose sind. Während in der Episode 
des Livre d’Artus nach dem Tode der Katze Artus’: Gefährten, 
Merlin und die anderen (d.h. Gaheriet, Gavain und jedenfalls 
auch Loth?)) herzulaufen, um Artus nach seinem Befinden zu 





!) Siehe Le Chevalier du Papegau, nach d. einzigen Pariser Hs. hrsg. 
v. F.Heuckenkamp. Halle 1897. S.1ff. 

2) Auch der Rumpf des seiner Extremitäten beraubten Chat de Lausanne 
wälzt sich im Todeskampf hin und her. ” 

3) Siehe oben 8. 325 die Lesarten von P und FI? in dem zu Zeile 71 
gehörenden Zusatz. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETUM. 347 


befragen, begegnet Artus im Chevalier du Papegau nach dem 
Tode des Poisson-Chevalier vier Rittern, die ihm zu Hilfe ge- 
schickt worden waren. Artus berichtet ihnen sein Abenteuer, 
und, wie im Livre d’Artus die in Artus’ Schild und Panzer hangen- 
gebliebenen Pfoten der Katze besichtigt werden, so wird hier 
den vier Rittern der tote Gegner gezeigt (vgl. 1. c. S. 18. 23 ff.). 
Die vier Ritter, nicht minder ihre Herrin, sind über die Ver- 
nichtung des Ungeheuers hocherfreut, und dem Sieger Artus 
wird in der Amoureuse CitE — so heisst der Feensitz — ein 
glänzender Empfang bereitet. Am nächsten Tage reiten Artus, 
die Fee und ihr Gefolge auf den Kampfplatz, um das Monstrum 
zu sehen. Auf den Befehl der Fee wird ihm die Haut abgezogen, 
um für alle Zeiten in der Amoureuse Cite als Wunderding auf- 
bewahrt zu werden.!) Dann geht man dem Weg nach, den der 
Poisson-Chevyalier einzuschlagen pflegte, so oft er ins Land kam. 
Dieser Weg führte direkt an die Meeresküste Kaum 
sind Artus, die Fee und ihr Gefolge dort angelangt, so erhebt 
sich ein heftiger Sturm auf dem Meere. Zt?) ne demoura mie 
granment qwilz virent lever ondes en mer si haultes quwil leur 
sembloit qwelles montassent au ciel. Et pwis oyrent venter et 
tonner si fort que ilz cuidoient tous estre peris, et dura une 
bonne piece celle tempeste. Et quant elle fu cessee, ilz ojrent 
eryer et braire et plourer, mais Üz ne scevent qui, ne ne peuent 
entendre autre chose fors le ery et le brait et les voix de les 
rouses. Si se merveillent moult que ce puet estre. Et tele ya 
qui dient que cest la generation du Poisson Chevalier, et les 
autres dient que ce sont dyables qui usent leurs vertus. Et ce 
que Yun en dist n’en dist mie Vautre, si n’en pot len savoir 
la verite. 

Die letzten Worte unterschreibe ich gern; immerhin sei 
noch im Folgenden in Kürze auf verschiedene märchenhafte 
Wesen hingewiesen, die in irgend einer Beziehung mit 
dem Poisson-Chevalier oder mit dem Monstrum Capalu 
verwandt zu sein scheinen. Zuvor sei nochmals hervor- 
gehoben, dass Artus’ Kampf mit dem Poisson-Chevalier nicht 
nur einige bereits hervorgehobene Einzelheiten mit Artus’ Kampf 


1) Auch dieser Zug erinnert an Aehnliches im Livre d’Artus. Am 
Tage nach dem Kampfe befiehlt Artus den Schild mit den darin hangenden 
Katzenpfoten wohl aufzubewahren. Vgl. die Lesarten von PI! auf S. 326). 

2) Chevalier du Papegau. S. 24, 17. 


348 E. FREYMOND, 


mit dem Chat de Lausanne gemeinsam hat, sondern dass beide 
Episoden in dem Hauptmerkmal übereinstimmen, dass Artus 
mit einem Monstrum kämpft, das aus dem Wasser ge- 
kommen ist. 

Im Hinblick auf die eigenartige Gestalt des Poisson-Chevalier 
beruft sich der Autor des Chevalier du Papegau auf die Mape- 
mundi und sagt:!) Car len trouve en livre qwW’on appelle Mape- 
mundi qwil est ung monstre qui en mer a sa conversion que len 
clame Poisson Chevalier, qui semble avoir destrier, heaulme et 
haubert et lance et escu et espee, mais il est tout de luy mesmes, 
et tel estoit celluy. — Ob man dieser Berufung des Autors 
auf die „Mapemundi“ völligen Glauben schenken darf, kann 
zweifelhaft erscheinen; jedenfalls ist es mir leider ebensowenig 
wie Heuckenkamp und G. Paris?) gelungen, in mittelalter- 
lichen Encyklopädien und anderen Texten etwas genau Ent- 
sprechendes zu finden) G. Paris meint, es handle sich wahr- 
scheinlich um eine stark übertriebene Schilderung des Schwert- 
fisches. Das ist gewiss sehr gut möglich; allein ebenso möglich 
ist, dass der Verfasser des Chevalier du Papegau oder der Ver- 
fasser seiner Vorlage für dies Ungeheuer an andere, in mittel- 
alterlichen Encyklopädien vorkommende Monstra gedacht hat und 
dass er Verschiedenes kombiniert und durcheinander geworfen 
hat. Er kann z.B. Beschreibungen der Kentauren (speciell des 
FHippocentaurus) und der Seepferde vermischt haben, von denen 
Isidor sagt: Eguwi marini vocantur. quod prima parte equi sunt. 
postrema soluuntur in piscem.) Oder es schwebten ihm vielleicht 
die in encyklopädischen Werken häufig anzutreffenden Fisch- 
menschen oder vielleicht auch bewaffnete Sesweiber vor, von 
denen Thomas Cantimpratensis, De naturis rerum (Berner 
oe IE 53 8. 46a) sagt: Mulieres sunt ıbi praeterea speciose 


N s. ibid. S. 24, 8. 

2) s. ibid. S. 94, Anm. zu 24,9 und Hist. litt. d. 1. rate XXX, 106. 

®) In den viel entlegenes Material enthaltenden Beiträgen zur Litteratur 
und Sage des Mittelalters (Dresden 1850) widmet Graesse ein besonderes 
Kapitel den Meermännern und Meerfrauen und entlehnt dort (S. 39): Wolfs 
niederländischen Sagen Nr. 217, S. 319 Folgendes: „... 1305 ward ein 
Seemann mitten im Meere bei Holland gefangen, der wie ein Ritter ge- 
wappnet war, und ans Land geführt, starb aber schon nach drei Wochen 
zu Dockum“. 7 

#) Isidorus Hispalensis. Etymologiae lib. XII” Ich benutze den In- 
kunabeldruck von Ginther Zainer aus Reutlingen v. J.1472, s. fol. CLX v". 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETUM. 349 


ualde in quodam fluwio calido habitantes, horridas uestes habentes 
armis argenteis eo quod non habent ferrum vtentes. Die Schuppen 
solcher fabelhaften Fischmenschen mögen mit Panzerschuppen 
verwechselt worden sein und den Glauben an gepanzerte und 
weiter an bewaffnete Meermänner verursacht haben. 

Die Eigentümlichkeit, dass die Sippe des Poisson-Chevalier 
oder Teufel einen Sturm auf dem Meere entstehen lassen, braucht 
der Verfasser des Chevalier du Papegau, der ja diesbetreffend 
auch keine Quelle anführt, nicht einer „Mapemundi“ entnommen 
zu haben. Es handelt sich dabei um eine weitverbreitete Sage, 
wonach die nämliche Eigentümlichkeit allerlei bösen Dämonen 
oder Wesen zugeschrieben wird, die mit solchen in Verbindung 
gebracht werden. So wird dies, um an schon Erwähntes zu 
‚erinnern, von des Pilatus Leiche erzählt, von dem Haupt des 
Desram& in der Bataille Loquifer, von der Laide Semblance in 
der obsoleten Version des Livre d’Artus u. s. w.') 

Sturm auf dem Meer und Schiffbrüche verursachen schon der 
antiken Sage nach die Sirenen. — Wir sind in unserer Sagen- 
untersuchung zweimal Sirenen begegnet: im Tristan de Nanteuil 
wird die Kraft des Titelhelden, der Hindin und der Katze, die 
Artus besiegte, auf den Genuss von Sirenenmilch zurückgeführt, 
und in der Bataille Loquifer wird Renouart durch Sirenen aus 
einem durch Chapalu veranlassten Schiffbruch gerettet. An beiden 
Orten wird aber, soweit ich diese Texte kenne, nichts von dem 
hauptsächlichsten Charakteristikum der Sirenen gesagt, dass sie 
nämlich durch ihren Gesang Schiffer in ihre Nähe locken und 
ins Verderben bringen. — In encyklopädischen Werken des 
Mittelalters wird den Sirenen diese Fähigkeit gelassen, und die 
nämliche Fähigkeit wird vereinzelt auf ein ganz anderes fabel- 
haftes Monstrum, auf den Mantichoras, übertragen. Das 
geschah vermutlich aus folgenden Gründen: die Sirenen gleich- 
wie der Mantichoras wurden als Wesen gedacht, deren Körper 
aus Mensch und Tier zusammengesetzt waren, ferner waren die 
Sirenen, in späterer Sage mit den Harpyien verwechselt, ebenso 
1) Siehe oben 8.341, Anm. — Merlin versenkt das in einem Kofler 
geborgene Haupt in das Meer. Anderwärts werden solchen Häuptern weitere 
dämonische Eigenschaften zugeschrieben. Nach einer isländischen Sage 
offenbart der in einer Kiste aufbewahrte Kopf eines ertrunkenen Mannes 
dem Besitzer alles, was er zu wissen wünscht. Siehe Mogks Mythologie in 
Pauls Grundriss d. germ. Philol. I’, 3. 1047 f. 


350 E. FREYMOND, 


wie der Mantichoras, Menschentöter, Menschenwürger; endlich 
ähnelten der Sage nach die sonderlichen Töne des Mantichoras 
den Klängen zweier verschiedener Instrumente (Trompete und 
Tuba).') 

Ich gehe hier kurz auf den Mantichoras ein, nicht nur weil 
es sich dabei um ein Wesen handelt, dessen Körper ähnlich wie 
der des Chapalu in der Bataille Loquifer?) aus verschiedenen 
Tierkörpern zusammengesetzt erscheint, sondern auch, weil 
der Mantichoras in einem Text als Meerwesen bezeichnet wird, 
und endlich weil im italienischen Abenteuerroman Fortunato 
der Titelheld das mit dem Mantichoras identische Ungetüm 
Antichora besiegt, und diese Kampfschilderung in einem Punkt an 
diejenige von Artus’ Kampf mit der Katze von Lausanne erinnert. 

Der erste, der von dem aus Indien stammenden Monstrum Man- 
tichora, Mantichoras oder Martichora etc. erzählte, war Ütesias; 
seine Beschreibung ist uns mehr oder weniger gekürzt, in Stellen 
bei Aristoteles, Pausanias, ausführlich bei Cl. Aelianus, 
auch bei Photios erhalten.) Danach handelt es sich um ein 
zinnoberrotes, eulenäugiges Monstrum von der Grösse eines Löwen, 
das einen zottigen Leib hatte, dazu ein Menschenantlitz, Menschen- 
ohren, drei Reihen Zähne — letzteres, beiläufig bemerkt, wie 
die Skylla schon in der Odyssee — und einem mit längeren und 
kürzeren feinen Stacheln versehenen Skorpionenschwanz. Der 
behende Mantichoras ist gierig nach Menschenfleisch und hat 
daher seinen Namen; denn Martichora bedeutet nach Aelian und 
Photios soviel wie @«vdgworogayos. — Nach Ureuzer!) wäre 
der Martichoras das Oberhaupt der ahrimanischen Tierschöpfung, 
d.h. das Oberhaupt der bösen, unreinen Tiere nach altiranischer 
Auffassung. Das würde ziemlich der Erklärung am Schluss 


1) Auf antiken Kunstdenkmälern werden die Sirenen mit Lyra und 
Flöte dargestellt. Isidorus Hispalensis (s. 1. c. fol. CLr.) sagt von den Sirenen: 
vna voce. altera tibiis. tereia lira canebat; und dementsprechend äussert sich 
Pierre le Picard in seiner Bearbeitung des Physiologus; siehe dazu 
Lauchert, Geschichte des Physiologus. Strassburg 1889. S. 148. 

2) Siehe oben 8. 341. 

) Siehe hierzu Äryolov too Kyıdlov t& owLousre. Ctesiae Cnidii 
quae supersunt, nunc primum seorsum emendatius atque acutius edita cum 
interpretatione latina Henriei Stephani aliorumque ... indices copiosissimas 
adjeeit Albertus Lion. Gottingae 1823. S.172f. 226 ff. 272. 

s) F.Creuzer, Symbolik und Mythologie der“alten Völker, besonders 
der Griechen. 2. Aufl. Leipzig und Darmstadt. 1819, I, 720 f. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 351 


der oben (S. 347) erwähnten Episode vom Poisson-Chevalier ent- 
sprechen, wo es heisst, dass die Sippe des Poisson-Chevalier oder 
Teufel Sturm und Unwetter erregen. Allein wenn sich Creuzer 
bei dieser Gelegenheit auf Plutarch beruft, so finde ich an der 
betreffenden Stelle nichts von Mantichoras noch von „Wasser- 
igeln“, sondern es ist von Wassermäusen die Rede.!) 

Mag dem sein, wie es will, im Mittelalter erst wurde, soviel 
ich sehe, dem Mantichoras die Eigenschaft beigelegt, dass er die 
Menschen durch seinen Gesang anlocke. Davon spricht Gautier 
de Metz an einer Stelle seiner Image du monde, die ich nach 
dem fragmentarischen Berner Codex Nr. 393 fol. 43r. eitire, wobei 
ich einige Verbesserungen nach der Handschrift der Bibliotheque 
Nationale f. 1598 fol. 13b anbringe: 


En inde .I. autre beste ra 

quen apele manthicora; 

vis dome et .III. ordres de denz 

li sont en la bouche dedenz, 

teus de chieure, cors de kon?) 

et la queue dun scorpion, 

voiz de serpent qui par douz chant 
atrait et deuoure la gent 

et est plus isnele daler 

que nest uns otsiaus de voler.>) 

1) IMAovreoyov neol "Ioıdog zei Ooloıdos. Plutarchi de Iside et 
Osiride liber graece et anglice ed. Samuel Squire. Cantabrigiae s. a. 
S. 317 wöc EvVdgovg; doch vgl. Anm. 7. 

2) Plinius ist der erste Schriftsteller, wie es scheint, der dem Manti- 
ehoras direkt einen Löwenleib zuschreibt; siehe Hist nat. lib. VIIL, 75. 

>) Das stimmt ziemlich zur Darstellung des Solinus (s. ©. J. Solini 
Collectanea rerum memorabilium, iterum rec. Th. Mommsen. Berolini 1895. 
S. 190), allein von der Verfolgung der Menschen durch den Mantichora spricht 


Solin nieht. — Zum Mantichora s. auch noch Brunetto Latini's Trösor, 
hrsg. v. Chabaille. Paris 1863. 8.249. — Thomas Cantimpratensis 


De naturis rerum (Cod. Bern. 53, fol. 70 b) beruft sich auf Plinius und Solinus, 
entnimmt seine Beschreibung des Mantichora fast wörtlich dem Solin; un- 
mittelbar vorher schildert er fast in gleicher Weise eine Bestie mit Namen 
Mauricomorion, nämlich folgendermassen: Mauricomorion bestia est orientis. 
ut dieit Ax. [Ax eine typisch nicht exakt wiederzugebende Abbreviatur für 
Adelinus, den Thomas öfters und kurz zuvor als Quelle nennt] cıyus magnitudo 
ut magnitudo leonis . animal |fol. TO b] est fortissimum . et rubicundum colore. 
Tres acies dencium habet . pedes eius ut pedes leonis . facies eius et oculi et aures 
ut hominis sunt . et oculi eius fusei coloris. Cauda eius ut cauda scorpionis 


352 E. FREYMOND, 


Bei der Aufzählung von 22 Königen des Orients sagt Jean 
d’Outremeuse!): Ly XVI* roy est dit Anafragius, qwi at les 
noires Mardinigos, et si ont awec eaux .I. maistre de meire 
que ons nomme Manticora: et at fache d’homme et trois dens 
en ordre, corps et jambes de Ilyon et couwe de scorpion, oeux 
sanglans. Hervorgehoben sei, dass hier der Manticora als 
maistre de meire oder in einer anderen Handschrift desselben 
Textes mostre de meire, jedenfalls also als Meerwesen be- 
zeichnet wird. 

In den dem 15. Jahrhundert angehörenden, an eigentüm- 
lichen Abenteuern reichen italienischen Prosaroman Fortunato 
wird davon erzählt, wie der Titelheld mit vier Begleitern, von 
denen einer ein Kentaur ist, ein Ungetüm Antichora antrifft 
und tötet. Es heisst da (Florenz. Biblioteca Nazionale. Mes. 
Panciatich. 36 fol. 83a): sentirono una vocie tanto doleie che tutti 
diquella sinnamorauano. KEechosi andarono dirietro |Hs. dirieeto] 
acquella bocie laquale era duno ferocie serpente che si chiama 
Anthichora, il quale era di questa factione: prima hauea viso duomo 
molto spauenteuole con tre denti in boccha due disotto ed vno 
disopra. ciglia di chapra, chorpo di lione, coda |Hs. chapo] di 
scorpione, piedi chon unghie molto pungienti. Allaqual vocie 
chorreuano huomini ed animali tanto era dolcie. E quando erano 
appresso di lei ed ella correua loro addosso e diuorauaglı. 

Die Bestie lebt in einer Grotte. Fortunato schlug ihr 
die beiden Vorderbeine ab, sodass sie hinfiel und getötet 
werden konnte. Die abgezogene Haut macht unverwundbar.?) 





agrestis . et in cauda eius rubedo parua. Sonus oris eius welud 
audires loquentem hominem . et vox eius sicut vox tube . 
velociter currit tamquam ceruus . et venatur homines . et eos deuorans 
manducat. — Bemerkt sei hier noch, dass Thomas weiterhin (Bern. Cod. 53, 
fol. 120d) bei seiner, wie er sagt, auf Adelinus beruhenden Schilderung der 
Skylla diese den Sirenen gleichstellt: Scilla monstrum est sieut Syrene u. S. w. 

1) Ly mireur des histors. Chron. de Jean des Preis dit d’Outremeuse, 
p- p- A. Borgnet. t.I. 1864. 8.283. Ein ganz ähnlich zusammengesetztes 
Monstrem wie der Manticora versetzt übrigens Jean d’Outremeuse kurz 
vorher nach Afrika. Siehe ibid. S. 281. 

2) Andr& sagt in seinem Romanz des Franceis (s. oben S. 333), dass die 
Katze Capalu den Artus in einen Sumpf, en la palu, stiess. Ganz unmöglich 
wäre es nicht, dass ein verblasster Rest dieser Sage in einer anderen Stelle 
des Fortunato vorliegt: [fol. 87d] In der Nähe des Phison kommt Fortunato 
mit seinen Gefährten in ein von Sonnenanbetern bewohntes Land Burbante, 
dessen Hauptstadt Girasole stark -befestigt war, um den täglichen Angriffen 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETUM. 359 


Leider habe ich mir s. Z. die eigentliche Kampfbeschreibung 
nicht Kopiert, da es mir damals nur darauf ankam, Material für 
portenta und monstra zu sammeln. Ich weiss daher nicht, ob 
dieser Kampf in Einzelheiten vielleicht genauer an Artus’ Kampf 
mit der Katze von Lausanne erinnert; immerhin sind die an- 
geführten Momente — dass die Bestie in einer Grotte lebt, dass 
der Held ihr beide Vorderbeine abhaut, sodass sie hinfällt und 
getötet werden kann — solchen gleich, die sich in unserer 
Episode des Livre d’Artus vorfinden; auch ist der Antichora des 
italienischen Romans gleichwie die Katze von Lausanne ein 
menschenwürgendes Ungeheuer. 

Nach diesem Exkurs über den Mantichoras wollen wir 
noch einmal kurz zu dem Poisson-Chevalier zurückkehren, den 
Artus, der Titelheld des afz. Prosaromans Le Chevalier du 
Papegau, tötet. Dem Poisson-Chevalier ähnelt jener eigentüm- 
liche Ritter, der in der Kröne Heinrichs von dem Türlin') 
Artus den Keuschheitsbecher überbringt. Vgl. Kröne V.933 ff: 
Der Ritter kündigt sich durch seinen Gesang an, seine Stimme 
gleicht der einer Sirene;?) er ist klein von Gestalt wie ein 
Kind von 6 Jahren, trägt Kleider nach französischer Sitte, sein 
Mund und seine Nase sind hässlich, die Augen eisgrau und so 
gross wie Strausseneier; die Wimpern stehen zwei Spannen 
auseinander u.s.w. Sein Haar gleicht Fischflossen, seine 
Hautfarbe ist schwarzgrau. Sein Pferd gleicht vorn einer 
Robbe,?) hinten einem Delphin, und der Schwanz enthält 
lange Strahlen von Fischflossen; die Mähne reicht bis an die 
Kniee und ist mit langen Flossen bewachsen, die Beine des 


von benachbarten Riesen zu trotzen. Die mit grossen Mauern versehene 
Stadt der Riesen war umringt chon un padule grandissimo loquale si 
passaua con ciertte nawicielle e barche. esse nessuno vi fusse passato alle 
loro stanze efjusse stato veduto disubito luccideano e poi selo mangiauano e 
chiamasi questa abitazione labitation verde de chappelluti. posto che 
quegli di giralsole la chiamauano lamara mortte ... 

!) Diu Cröne von Heinrich von dem Türlin, hrsg. v. G.H. F. Scholl. 
Stuttgart 1852. 

2) Vgl. den Antichora im Fortunato oben S. 352. 

8) Statt V.983 mervlozzen hat S. Singer, dem ich den Verweis auf 
diese Stelle in der Kröne verdanke, merphossen vorgeschlagen; das zweite 
Element des Wortes merphossen sei als Entstellung von phoca aufzufassen. 
S. Singer, Textkritisches zur Kröne in Zeitschrift f. deutsches Altertum u. 
deutsche Litt. Bd. XXXVII. 1894. S. 252. 


Festgabe für Gustav Gröber. 23 


354 E. FREYMOND, 


Pferdes dagegen mit Federn. — Da die Keuschheitsprobe für 
die Damen und Ritter, besonders für den spottenden Kei jämmer- 
lich ausfällt, und nur Artus und der fremde Ritter sie bestehen, 
will sich Kei an letzterem rächen. Es kommt zum Zweikampf, 
in dem Kei unterliegt. Wenn auch Kei hier in der Kröne seine 
bekannte depravierte Rolle spielt, so darf dennoch hervor- 
gehoben werden, dass m. W. nur hier Kei der Gegner eines 
monströsen, an Wasserwesen erinnernden Ritters ist, und dass 
dies an die älteste Version unserer Sage erinnert, in welcher 
Kei sich anschickt, den Kampf mit dem Cath Paluc einzugehen. 


Um den Ursprung und die Bedeutung der Sage von Chapalu 
oder von der Katze, mit der Artus kämpft, zu erklären, seien 
die Grundmotive der Sage kurz zusammengestellt, oder, da 
Kämpfe bekannter Sagenhelden mit Monstris einen ganz allgemein 
verbreiteten Sagenzug bedeuten, will ich vielmehr dabei das 
Hauptgewicht auf die verschiedenen Schilderungen des Monstrums 
selbst legen. — 

Ich besprach Stellen aus folgenden Texten: Livre d’Artus 
(LA), Lied im schwarzen Buch von Caermarthen (bb), drei 
kymrische Triaden (7, 72, 73), Manuel u. Amande (MA), Andres 
Romanz des Franceis (A), Glosse zu Henricus Septimellensis 
(GHS), Lied des Peire Cardenal (PC), Galeran de Bretagne 
(GB), Tristan de Nanteuil (ZN), Bataille Loquifer (BL), Be- 
arbeitung des Ogier le Danois (OD). Hinzugezogen seien noch, 
wiewol weder von Chapalu noch von einer Katze die Rede ist, 
der Chevalier du Papegau (ChP), die Kröne (X), Fortunato (F), 
in denen Monstra — der Poisson-Chevalier, bezw. der eigentüm- 
liche Ritter, bezw. der Antichora — an Chapalu oder an das 
Katzenungetüm erinnern. 


1. Das hauptsächlichste Charakteristikum ist wohl 
das, dass das Monstrum bezw. Chapalu für die Umgebung, 
bezw. für seinen Gegner — meist Artus — ein Unglück 
bedeutete: 

Ein Unheil für das Land ist das Monstrum nach LA, (die 
Katze von Lausanne verheert das Land) BB (Cath Palue frisst 
täglich neunmal 20 Häuptlinge), 7?73 (Cath Palue ist eine der 
drei Plagen von Mona);!) das Monstrum tötet Artus (4,GB, 





») In TN wird dies Motiv auf die Hindin übertragen. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. "55 


vermutlich MA) oder entführt ihn (PC), oder, nachdem es viele 
seiner Kämpen vernichtet hat (GHS), wird es Artus schwer, 
den Sieg davonzutragen (LA, TN,GHS); vgl. auch ChP (der 
Poisson-Chevalier verwüstet das Land und hat bereits 60 Ritter 
der Fee getötet), vgl. schliesslich F (der Antichora lockt durch 
seine Stimme Menschen und Tiere an, um sie zu erwürgen). — 
Abgeschwächt ist dies Motiv in BZ, wo Chapalu den Gegner 
Renouart hart bedrängt, ihn verwundet und sein Blut leckt, 
ferner in OD, wo der Elfenkönig Chapalu Artus zu schaffen 
macht, endlich in X, wo der sonderbare Ritter den Kei besiegt. 


2. Das Monstrum wird mit dem Wasser (Meer, See, 
Sumpf) oder mit Meerwesen in Verbindung gebracht. 


So in LA (Katze aus dem Lac de Losane herausgefischt), 
T:ıT? (Cath Paluc von Coll in den Menai bezw. ins Meer ge- 
worfen, dem er wieder entstiegen sein muss, da er später zur 
Landesplage wurde), MA (visch-katze); indirekt auch in A 
(Artus wird von Capalu in den Sumpf gestossen). In ZN wird 
die Katze durch Sirenenmilch genährt; in ganz anderem Sinne 
wird Chapalu in BZ mit einer Sirene zusammengebracht. Vgl. 
noch OhP (Poisson-Chevalier), X (des Ritters Stimme gleicht der 
einer Sirene, sein Haar gleicht Fischflossen, sein Pferd gleicht 
vorn einer Robbe, hinten einem Delphin), und F (das Vorbild 
des Monstrums Antichora, der Mantichoras, wird von ‚Jean 
d’Outremeuse maistre bezw. mostre de meire genannt). 


3. Das Monstrum weist die Gestalt einer Katze 
auf oder es ist ein Wesen, dessen Körper aus Teilen 
verschiedener Tierkörper bezw. aus Mensch und Tier 
zusammengesetzt erscheint: 

Das Monstrum ist eine Katze nach LA, BB, T', T?, T®, 
A, PC, GB, TN. Vgl. weiter MA visch-katze. In BL hat 
Chapalu einen Katzenkopf, in F' hat Antichora einen Menschen- 
kopf; der übrige Körper von Chapalu und Antichora ist aus 
Körperteilen verschiedener Tiere zusammengesetzt. Vgl. noch 
den Poisson-Chevalier in ChP (Ross und Reiter bilden ein 
Ganzes), und den bei Grundmotiv 2 beschriebenen Ritter und 
sein Ross in X. 

4. Mit dem vorausgehenden dritten Grundmotiv 
hängt zusammen, dass das Monstrum irgend eine ab- 
sonderliche Metamorphose durchmacht: 


23* 


396 E. FREYMOND, 


a) Die Katze wächst zu grossen Dimensionen an (LA,TN) 
oder 

b) sie ist von aussergewöhnlicher Herkunft: 7'!7? (Cath 
Palue geht aus der Sau des Dallwenn Dallbeir hervor); BL (der 
Sohn eines Elfen und einer Fee, wird von der Mutter in das 
Monstrum Chapalu verwandelt). Eine Metamorphose ist wohl 
auch für A anzunehmen (die den Artus besiegende Katze regiert 
in England), vielleicht auch für MA (visch-katze); verblasst ist 
dies Motiv in OD (Chapalu soll seine Rittergestalt behalten). 

Die angeführten Grundmotive berechtigen m. E. ohne 
weiteres zu dem Schluss, dass der Cath Palue oder Chapalu 
oder Capalu, die monströse Katze, ein mit bösen Gewalten 
zusammenhängendes Wesen ist. In ZA wird die Katze 
auch direkt anemis bezw. deables anemis und diables genannt; 
ebenso wird in BL Chapalu als deable bezeichnet; ähnlich wird 
in ChP der Poisson-Chevalier maufes genannt. 

Dass böse Dämonen, der Alp, Teufel und Hexen, Katzen- 
gestalt annehmen, ist ein weit verbreiteter Sagenzug, der 
namentlich in deutschen und in schweizer Sagen vielfach belegt 
worden ist.') Allein wir werden die Katze unserer Sage nicht, 

1) Siehe die von Du Cange s. v. catta aus Osberts Mirakeln des heil. 
Dunstan (Acta SS. Benedict. sec.5, S. 709) angeführte Stelle, wonach der 
Dämon in Gestalt einer Katze aus dem Leibe eines Besessenen fährt. (Nach 
Potthast, Wegweiser durch die Geschichtswerke des europäischen Mittel- 
alters. 2. Aufl., S. 1277 gehört diese Vita Dunstani dem 12. Jahrhundert an.) 
Siehe ferner W. Hertz, Der Werwolf. Beitrag zur Sagengeschichte. Stutt- 
gart 1862, S. 71ff.; A. Lütolf, Sagen, Bräuche und Legenden aus den fünf 
Orten Lucern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug. Lucern 1865, S. 117; 
W.Mannhardt, Wald- und Feldkulte. Bd. II. Berlin 1877, S. 172 ff. Anm. 
L. Laistner, Das Rätsel der Sphin&. Berlin 1889. II, S.1ff. — Nach LA 
werden der Katze zuerst die beiden Vorderbeine, dann die beiden Hinterbeine 
abgeschlagen; ähnlich werden in TN der verwandelten Schlange, ferner in # 
dem Antichora die beiden Vorderbeine abgehauen. Das erinnert daran, dass 
in mehreren Sagen dem als Katze auftretenden Dämon eine Pfote abgeschlagen 
wird; vgl. W. Hertz l.c. S. 71, Laistner 1. c. S.2ff. — Ein typischer Zug 
scheint es zu sein, dass ein Riese im Kampfe zuerst eine Hand, dann einen 
Fuss oder ein Bein verliert; s. z. B. meine Analyse des Livre d’Artus (Zeit- 
schrift f. franz. Spr. w. Litt. XVII, S.96, $ 181, ferner den Ugone d’Avernia 
des Andrea da Barberino, hrsg. v. Zambrini u. Bacchi della Lega). Scelta di 
curiositä letterarie 188). Bologna 1882, Kap. 12, wo Ugone so gegen den 
Riesen Marabus und dessen Mutter Arabas verfährt. — 

Nach den beiden Triaden 7! und 7? ging“ Cath Paluc aus einer 
dämonischen Sau hervor; umgekehrt sehen wir das Dorftier zu Lütwil aus einem 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 337 


wie sie in deutschen Sagen häufig erklärt worden ist, als Alp 
oder andererseits als Vegetationsdämon auffassen; im Hinblick 
auf das zweite oben hervorgehobene Grundmotiv — dass nämlich 
das Monstrüm in den meisten Versionen der Sage mit dem Wasser 
oder mit Meerwesen in Verbindung gebracht wird — werden 
wir vielmehr den Schluss ziehen, dass wir es bei der Katze 
in unserer Sage mit einem Wasserdämon zu thun haben. 

Auch in keltischen Erzählungen ist die Katze mitunter als 
Dämon aufzufassen, wie aus der oben erwähnten,') dem Book of 
Lismore entnommenen Stelle zu ersehen ist, und ich will zunächst 
einige Analoga dazu aus der germanischen Mythologie mitteilen. 
Ich excerpiere dazu einige Sätze aus Mogks Mythologie?): Die 
Wassergeister erscheinen meist in Tiergestalt.... Bei 
dem Nix und einigen Geistern mit anderen Namen finden sich 
entschieden elfische Züge. Vor allem hat der Geist die 
Proteusnatur; er vermag verschiedene Gestalten anzunehmen 
und erscheint in verschiedenen Gestalten.) (Vgl. oben Grund- 
motiv 4.) 


Kätzchen zur Gestalt des gewaltigsten Ebers heranwachsen; s. E.L. Roch- 
holz, Naturmythen. Neue Schweizersagen. Leipzig 1862. S. 101f. 


1) Siehe diese Abhandlung S. 331, Anm. 1. — Ein Dämon ist die Katze 
in der Hauptquelle der Navigatio Brandani, in dem Imram euraig Maelduin, 
wo der Pflegebruder Maelduins für seinen Diebstahl dadurch bestraft wird, 
dass eine Katze wie ein feuriger Pfeil durch ihn hindurehspringt und ihn 
verbrennt, sodass er zu Asche wird. Aus der feurigen Katze wird in Brandans 
Seefahrt der Teufel in Gestalt eines äthiopischen Knaben. Vgl. Zimmer in 
Zeitschrift f. deutsch. Altertum u. Litt. Bd. 33. S. 157. 

2) Pauls Grundriss der german. Philologie I! S. 1039. 

3) Auch in den folgenden Sätzen Mogks findet sich einiges, was ent- 
fernt an einige Züge in den verschiedenen Versionen unserer Sage erinnert. 
So verweist er auf den Zwerg Andvari, der sich in Hechtsgestalt in einem 
Wasserfall aufhält; vgl. den Fischer im Livre d’Artus, der erst zwei Hechte, 
dann eine Katze aus dem See fischt. — Hinweisen darf ich wohl auch auf 
das von Mogk aus Vernaleken (Sagen aus Oesterreich 185) entnommene 
Märchen, nach welchem ein Wassermann einem armen Fischer einen Schatz 
zu zeigen verspricht, wenn er redlich mit ihm teile. Während hier der 
Fischer seinem Versprechen auf das Redlichste nachkommt, handelt der 
Fischer im Livre d’Artus unredlich, da er Gott das Resultat des ersten und 
zweiten Fanges vorenthält; er muss dafür mit dem Leben büssen u. s. w. 
Es sei gleich hier noch kurz das englische Märchen „Der Lindwurm von 
Lambton“ mitgeteilt, auf das mich S. Singer aufmerksam machte. (Ich 
kenne es nur in der kürzlich erschienenen deutschen Bearbeitung von Anna 
und Leon Kellner, Englische Märchen, Wien-Leipzig. S. 50f.) Der 


398 E. FREYMOND, 


Im Beowulf werden bekanntlich zwei Kämpfe gegen 
Wasserdämonen geschildert. Das Seeungeheuer Grendel herrscht 
im Sumpf am Meer und über seiner Wohnung erheben sich hoch 


junge, leichtsinnige Erbe von Lambton ging, wie häufig, an einem Sonntag 
an den Wearfluss angeln, und da er nichts fing, fluchte er und erregte dadurch 
das Aergernis der vorübergehenden Kirchgänger. Gleich darauf fasste etwas 
an seiner Angel, und der Jüngling zog zu seinem Entsetzen einen Lindwurm 
heraus, den er in einen Brunnen warf. Der Brunnen wurde bald für das 
täglich grösser werdende Ungetüm zu eng. Dieses kroch daher heraus und 
wuchs allmählich so heran, dass es in der Nähe des Wear einen Berg dreimal 
umringeln konnte und der Schrecken des Landes war. Es wurde dadurch 
besänftigt, dass ihm zur täglichen Nahrung ein grosser, mit Milch gefüllter 
Trog hingestellt wurde. [Es ist dies bekanntlich ein weitverbreiteter Sagen- 
und Märchenzug; besonders Kobolde und Elfen sucht man auf diese Weise 
günstig zu stimmen. Vgl. z.B. ©. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. 
Leipzig 1854. S.5. 14. 20; Grimm, Deutsche Sagen. Berlin 1816. I, 107; 
Irische Elfenmärchen, übersetzt von den Brüdern Grimm. Leipzig 1826. 
S. LXXIX; A. Ceresole, Lögendes des Alpes vaudoises. Lausanne 1885 
passim.] War der Trog nicht voll, so entwurzelte das Untier die Bäume in 
der Umgegend. Mancher Ritter hatte im Kampf gegen den Lindwurm sein 
Leben verloren. Nach siebenjähriger Abwesenheit kehrte der junge Lord von 
Lambton heim; er besiegte das Ungetüm namentlich dadurch, dass er auf den 
Rat einer Wahrsagerin seine Rüstung dicht mit Lanzenspitzen besetzen liess, 
und dass demzufolge das Ungeheuer desto mehr tötliche Wunden empfing, je 
enger es seinen Gegner umschlang. — Verschiedene Motive dieses Märchens 
erinnern deutlich an unsere Sage. So die Fischzugsscene: im Märchen wird 
von dem Jüngling ein Ungetüm herausgefischt, weil er sich — geradeso wie 
der Fischer im Livre d’Artus — gegen Gott vergangen hatte. Vgl. ferner 
das Heranwachsen des Ungetüms, das sich wie die Katze unserer Sage auf 
einem Berg in der Nähe eines Wassers aufhält und zur Landplage wird. 
Gleichwie der Lindwurm im englischen Märchen, entwurzelt der Poisson - 
Chevalier im Chevalier du Papegau Bäume; letzterer allerdings im Todes- 
kampf. — Das am Schluss des Märchens sich findende Motiv von der tot- 
bringenden Rüstung mit den Lanzenspitzen erinnert daran, dass die Lausanner 
Katze sich mit den Klauen in Artus’ Schild und Panzer venet und so von 
Artus schwer verwundet bezw. getötet werden kann. 

Endlich will ich hier noch bemerken, dass einige irzelhetien ver- 
schiedener Versionen unserer Sage entfernt an eine Erzählung von 1001 Nacht 
erinnern; vgl. die Uebersetzung von G. Weil. Vierter Abdruck der dritten 
Auflage. Bonn 1897. S.26ff. Der arme Fischer zieht viermal hintereinander 
etwas anderes heraus als er erwartet, einen toten Esel, einen Topf voll Sand 
und Kot, dann Scherben, Steine und Schmutz, endlich aber eine messingne 
Flasche, die er öffnet und aus der ein Geist in Gestalt eines Nebels hervor- 
kommt, der sich dann zum Körper eines Riesen verdichtet. Der Fischer 
weiss den Geist wieder in das Gefäss zu bannen und wirft ihn ins Meer, 
aus dem er gekommen. - 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 399 


die Wellen. Zur Nachtzeit verheert Grendel das benachbarte 
Land und raubt deren Bewohner. Beowulf reisst ihm den 
rechten Arm aus und verwundet ihn derart, dass er im Meeres- 
grund stirbt. 

Weitergehende Uebereinstimmungen mit Versionen unserer 
Sage weisen Scenen aus der Edda auf, Scenen, die die Midgard- 
schlange betreffen und auf welche mich die Herren Kollegen 
Detter und S. Singer aufmerksam machten: Eines der Kinder 
des bösen Loki ist der Midgardsorm. Gleich nach der Geburt 
nehmen die Götter diesen Wurm den Eltern weg und werfen 
ihn ins Meer. Er wird mit der Zeit so gross, dass er um 
die ganze Erde herumwächst. Auf einem Zuge kommt der 
Gott Thor zum Riesenkönig Utgardaloki. Dieser stellt ihm 
unter anderem die Aufgabe, eine Katze vom Boden zu heben. 
Trotz aller Anstrengung gelingt es aber dem Gott nur, ihr ein 
Bein vom Boden zu lüpfen; denn diese Katze war nichts anderes 
als der verwandelte Midgardsorm. Ein anderes Mal fährt Thor 
mit dem Riesen Hymir auf den Fischfang; er zieht mit der 
Angel den Midgardsorm herauf; als er ihm aber mit dem 
Hammer den Kopf zerschlagen will, zerschneidet der Riese die 
Angelschnur. Am Ende aller Tage wird Thor wieder mit dem 
Midgardsorm kämpfen; dann wird er ihm den Kopf zerschlagen, 
selbst aber von seinem Gifthauch fallen.!) — 

Im Hinblick auf das Vorausgehende liegt es nahe, sich die 
Frage vorzulegen, ob wir nicht nur dem Katzenmonstrum unserer 
Sage, sondern der Sage selbst eine weitergehende mythische 
Bedeutung zusprechen dürfen. Es wäre ja möglich, dass das 
verschiedene Metamorphosen durchmachende Monstrum, ursprüng- 
lich nach meiner Vermutung ein Wasserdämon, das Element 


!) Gleicher Herkunft wie der Cath Paluc ist nach den beiden Triaden 
T'! und T? (s. oben S. 329) ein Wolf. Das erinnert daran, dass die Midgard- 
schlange und der Fenriswolf Geschwister sind. — Hätte S. Bugge die 
kymrischen Stellen, in denen von Cath Paluc die Rede ist, gekannt, so hätte 
er sie voraussichtlich für seine Theorie von der Einführung fremder Elemente 
in die Edda verwertet; solche in die Edda eingedrungene Mythen sollen nach 
Bugge bekanntlich durch die Wikinger von den brittischen Inseln mitgebracht 
worden sein; sicherlich hätte Bugge mit Rücksicht auf jene kymrischen 
Stellen an dem mir von Hn. Detter angegebenen Passus (Helge- Digtene 1. 
Kjobenhavn 1896. 8.47, Anm. 2), wo er den Beinamen des irischen Sagen- 
königs Carpre, Cinnchait und Caitchenn, d. h, Katzenkopf, erklärt, den Namen 
Chapalu nicht von kymr. cath, Katze, und penlle, Haupt, abgeleitet, 


360 E. FREYMOND, 


selbst, das Meer, oder, da das Monstrum nach verschiedenen 
Versionen der Sage heranwächst, die Flut bedeutete. — Man 
könnte dann auch vielleicht weiter schliessen, dass auch der 
Gegner dieses Dämons einen mythischen Hintergrund hätte. 
Wäre in den ältesten Stellen, die die Sage bringen, Artus der 
Gegner, so könnte man mit Rücksicht darauf, dass Artus auch 
die Rolle des wilden Jägers!) zuerteilt wird, Artus als Wind- 
dämon auffassen und in dem Kampfe zwischen Artus und der 
Katze den Streit zwischen dem Wasserdämon und dem Wind- 
dämon erblicken. Allein nicht Artus, sondern Kei ist es, der 
sich in dem ältesten erhaltenen Text unserer Sage zum Kampf 
gegen Cath Paluc anschickt. Auch Kei werden übernatürliche 
Eigenschaften zugeschrieben: er konnte neun Tage und neun 
Nächte unter Wasser bleiben, konnte neun Tage und neun 
Nächte schlaflos zubringen; eine durch sein Schwert zugefügte 
Wunde war unheilbar; nach Belieben wuchs er zur Höhe eines 
grossen Baumes an; bei heitigem Regen blieb alles, was er in 
der Hand hielt, bis auf Handflächenbreite trocken; so gross war 
seine Körperhitze.?2) — Die genannten Eigenschaften machen es 
nicht gerade wahrscheinlich, dass man Kei etwa die mythische 
Bedeutung eines Winddämons zuerkennen dürfe. 

Ich gestehe offen, dass ich mich in diesen Dingen zu wenig 
zu Haus fühle; immerhin glaube ich bestimmt, dass der Cath 
Palue ursprünglich ein Wasserdämon ist, und ich will auf Grund 
von greifbarerem Material noch zeigen, dass Katzen öfters in 
Sagen mit dem Meer oder mit Seen in Verbindung ge- 
bracht werden, bezw. dass der Aberglaube verbreitet war, dass 
Katzen Seestürme heraufbeschwörten. 

In der von Rochholz?) mitgeteilten Sage „Erbauung der 
Kirche zu Montagny* wird Folgendes erzählt: Als der junge 
Johannes wegen seiner Armut als Freier zurückgewiesen worden 
war und betrübt des Weges daherschritt, erschien ihm ein Mann 
in kostbarer Rüstung (der Geist Karls des Kühnen) und versprach 
ihm die Schätze in dem nahen Hügel unter der Bedingung, dass 
Johannes ihm etwas in den See trüge und ihm in aller. Stille 





‘) Davon wird noch im dritten Teil meiner Untersuchung die Rede sein. 

2) Vgl. Kulhwch und Olwen bei J. Loth, Les Mabinogion. t. I. 
Ss. 225 f.; s. auch 8. 257: Kei ist der beste Schwertschleifer der Welt. — 

>) l.e. 8.168ff. Das Dorf Montagny liegt zwischen Grandson und 
Yverdon. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 361 


sein altes Wehrgehänge abgürte. Johannes erschien zur ver- 
abredeten Stunde auf dem Hügel und versank mit dem Ritter 
in die Erde, bis sie in ein helles Gewölbe gelangten, das allerlei 
Kriegswerkzeug und von Gold schimmernde Gefässe enthielt. 
Doch Johannes hatte nicht Zeit sich lange umzuschauen; „denn 
albald kam aus der Weite der Halle ein dickes, kohl- 
schwarzes Ungetüm auf allen Vieren daher,!) und der 
Gerüstete sprach zu Johannes: Hier ist meine Lieblingskatze; 
diese wirf mir sogleich vom Tophet hinunter in den See, alsdann 
komme so schnell du vermagst, wieder hierher ... Johannes 
that unverweilt, was ihm geheissen worden war. Halb athemlos 
kam er mit der mächtigen Katze auf den Tophet hingerannt. 
Das ist ein Felsen des Neuenburger Sees... Während er die 
Kätze hier ins Wasser hinabwarf, kratzte ihn das sich sträubende 
Ungeheuer noch so heftig, dass er schon ein Tonnerre de chat! 
im Munde hatte; aber der Warnung wohl eingedenk, die ihm 
der Geharnischte gegeben, verbiss er schweigend seinen Schmerz. 
Nun musste er sich seine blutenden Hände schnell abwaschen, 
und auch dies war aufs schleunigste abgemacht; denn kaum 
berührte er das Wasser, so wogte und stürmte der bis jetzt 
so zahme See in solcher erschreckender Höhe daher, dass 
Johannes auf's eiligste entsprang und in den Hügel zurückfloh! 
Als Johannes den Ritter unter gebotenem Stillschweigen ent- 
gürtete, schien dieser neben seiner Hand emporzuwachsen. Das 
Schwert schlug Johannes eine tiefe Wunde. Da schlug es zwölf 
Uhr, die That war geglückt. Johannes durfte sich so viel von 
seinen Reichtümern mitnehmen, als er wollte, seine frische 
Wunde war verschwunden wie alles, was er gesehen. Er 
heiratete seine Geliebte und stiftete die Kirche in Montagny. — 

Rochholz, der diese uns interessierende Sage kommentiert, 
verweist bereits, wie ich erst nachträglich sah, auf das oben 
angeführte Analogon in der jüngeren Edda, führt noch das 
Volksrätsel an, das in der Hallwyler Gegend vom stürmischen 
Hallwyler See gilt: 

E graue Chatze rennt 


Über we d’Wänd, 


und glaubt, wohl mit Recht, die Katze werde hier als die auf- 
spritzende Uferwelle des windgepeitschten Sees personifiziert. 


‘) Das erinnert an Chapalu’s Erscheinen in der Bataille Loquifer. 


362 E. FREYMOND, 


Diese zerstörende Gewalt der anstürmenden Seewoge sei es, die 
den starken Johannes erst blutig reisst und dann in die Flucht 
jagt.!) — Rochholzens Auffassung deckt sich also so ziemlich 
mit der oben von mir für den Cath Palue gegebenen. 

Die dämonische Bedeutung der Stürme erregenden Katze 
wird noch klarer aus einigen Stellen in englischen Hexen- 
prozessen des 16. Jahrhunderts, deren Mitteilung ich meinem 
Freunde S. Singer verdanke: Im Jahre 1589?) war ein gewisser 
John Fian angeklagt, einen Sturm erregt zu haben, um König 
Jacob VI. auf seiner Ueberfahrt von Dänemark nach Schottland 
zu vernichten. ‚John Fian gestand, dass ihm der Teufel ge- 
boten habe, Katzen ins Meer zu jagen to raise winds for 
destructione of schippis. — Fine gewisse Agnes Sampsoune 
legte folgendes Geständnis ab: at the time she took a cat and 
christened it and afterwards bounde to each part of that cat the 
cheefest part of a dead man and the severall joyntes of his bodie; 
and that in the night following the said cat was conveyed 
into the middest of the sea by all these witches, saylıng in 
their riddles or cives (cf. Macbeth I. III,8) and so left the said 
cat right before the town of Leith in Scotland. This done there 
did arise such a tempest in the see as greater hath not 
been seen ...) 

Endlich sei auf Grimm, DWhb. Bd. VI ce. 1853 verwiesen: 
Meerkatze 3) ein Fabelthier: lamia, merwunder, das da hat leib 
und angesicht als ein frau und fusz als ein pferde, unhold, 
nachtfar, merkatz, geslecht zu Rome lamina. Dief. 316c; niederd. 
monstrum, merkatte Schiller - Lübben 3,79. 

Ist nach alledem wohl nachgewiesen, dass die Katze in 
unserer Sage ursprünglich als Wasserdämon auf- 


1) Durch seinen Verweis auf eine Stelle in C. Meyer, Aberglauben des 
Mittelalters und der nächstfolgenden Jahrhunderte. Basel 1884 brachte mich 
Herr Bibliothekar Dr. Geiser in Bern auf einen Passus in der Chronik des 
Joh. Knebel, der zum Jahr 1478 von einem in der Nähe des Neuenburger 
Sees stattgefundenen heftigen Kampf zwischen einer grossen Zahl von Katzen 
spricht. 4000 Katzen blieben tot. — Knebel beruft sich diesbetreffend auf 
die mündliche Erzählung des Kämmerers des Abtes von Lutri. Vgl. Chronik 
des Kaplans Joh. Knebel aus den Zeiten des Burgunderkriegs. Basel 1851. 
1855. 2. Abt. 8.179 (deutsche Uebersetzung von K. Buxtorf-Falkeisen). 

2) Siehe Spalding, Elizabethan Demonology. London 1880. $ 104. 
Mach. I. III, 15—25. . 

3) Siehe ib. zu IV. L6. r 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETUÜM. 363 


zufassen ist, besitzen solche Wasserdämonen wenigstens in 
der germanischen Mythologie eine Proteusnatur, so bedarf es 
kaum einer weiteren Auseinandersetzung dafür, dass in dem 
rätselhaften mittelhochdeutschen Fragment von Manuel und 
Amande von dem visch als ein katze gestalt die Rede ist, und 
dass der Poisson-Chevalier im Chevalier du Papegau vermutlich 
im Grunde nichts anderes ist als eine stark entstellte Variante 
der Meerkatze Cath Paluc. 

Beiläufig bemerkt sei noch, dass Giraldus Cambrensis 
in seiner Topographia Cambrensis von einer Art von Forellen 
sagt, sie würden cati genannt;!) interessanter ist, dass chat de 
mer heute noch die Bezeichnung für eine Fischart ist; ich citiere 
Littre s. v. chat 5%. Chat de mer. Un des noms vulgaires de la 
chimere monstrueuse, poisson chondropterygien, qui est la 
chimere arctique de certains auteurs,; vgl. auch die deutsche Be- 
zeichnung Seekatze (Chimaera L). 


Kehren wir nunmehr noch einmal zur Episode im Livre 
d’Artus zurück. Während von Artus’ Kampf mit dem Katzen- 
untier weder bei Galfrid von Monmouth noch bei Wace die 
Rede ist, findet sich in der ausführlicheren Version jener Episode 
ein Passus, der einigermassen an Stellen bei Galfrid und Wace 
erinnert. Bemerkt sei, dass ja der Verfasser des Livre d’Artus, 
wie im ersten Teil dieser Untersuchung gezeigt wurde, Waces 
Brut benutzte. 

Nachdem der scheussliche Gegner besiegt ist — so heisst 
es in der ausführlicheren Version des Livre d’Artus — laufen 
die Gefährten des Königs, die zurückgeblieben waren, hinzu, um 
sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Artus beruhigt sie, 
gesteht aber, dass er nie derart für sein Leben gefürchtet 
habe als nur einmal noch, nämlich vor kurzem, als er 
den Riesen en la montaigne au flos de mer!) tötete. Die 
Gefährten staunen über die im Schilde festgehakten Katzenfüsse; 
Gaheriet nimmt den Schild und trägt ihn freudig ins Lager, 


!) Giraldi Cambrensis Opera ed. by J. F.Dimock. London 1867, vol.V. 
8.33. (Rer. Brit. med. aevi Seript.); vgl. Du Cange s. v. catus. 3. — gatus, 
gattus war übrigens auch eine Bezeichnung für eine Art von Schiffen. Siehe 
Du Cange s. v. gatus. 

2) Das ist der Riese vom Mont St. Michel, der bei Wace, Brut V. 11598 
Dinabuc heisst. 


364 E. FREYMOND, 


wo die Barone sich nicht genug darüber verwundern können ... 
Artus lässt dann den Schild gut aufbewahren.') — Man ver- 
gleiche damit die Stelle bei Galfrid lib. X, cap. 3: Nachdem 
der an Polyphem erinnernde Riese unter grossem Getös hin- 
gestürzt ist, heisst es: Rex illico in risum solutus, praecepit 
Deduero amputare ei caput, et dare uni armigerorum 
ad deferendum ad castra: ut spectaculum intwentibus fieret. 
Praecepit intuentibus fieri silentium: dicebat autem se non 
invenisse alium tantae virtutis, postquam Rithonem 
gigantem in Aravio monte interfecit, qwi eum ad praelium 
invitaverat. Es folgt die Schilderung Rithos und eine kurze Er- 
wähnung des Zweikampfs, die man früher erwartet hätte, und 
es heisst dann: Victoria igitur ... potitus, in secundo noctis diluculo 
ad tentoria sua remeaverunt cum capite, ad quod admiırandum 
catervatim concurrebant, ei ascribentes laudes, qui patriam a tanta 
ingluvie liberaverat. Vgl. Wace, Brut V. 11956 ff. 11996 ff. An 
der zuletzt genannten Stelle heisst es: 


Quant Artus a le monstre ocis 
Et Dedwier a le cief pris, 

Joios d’iloc sen retornerent, 

A Fost vinrent, si Satornerent ... 


vgl. damit den Zusatz in Hs. P des Livre d’Artus (s. oben S. 326 
zu Zeile 71): si reprist Gaheries lescu et sen retornerent al ost 
moult grant joie faisant. 

Das Moment, dass Artus nie einem so gefährlichen Gegner 
segenüberstand als damals, da er (nach Galfrid-Wace V. 11983) 
den Riesen in Aravio monte oder El mont d’Araive, bezw. (nach 
dem Livre d’Artus) den Riesen au flos de mer tötete, dieses 
Moment hat noch ein Analogon in der Bataille Loquiier, wo es 
von Renouart, der das Scheusal Chapalu vor sich sieht, heisst: 


N’ot tel paour en trestout son aage 
Comme il ot lors de cel home marage 


womit wohl Ysabras gemeint ist. — An und für sich könnte man 
in einem Epos eine derartige Bemerkung während oder nach der 
Schilderung eines aussergewöhnlichen Kampfes für formelhaft 
halten; möglicherweise beruht auch die Uebereinstimmung in 


!) Ein ähnlicher Zug wurde oben S. 347 nebst Aım. 1 bei Besprechung 
von Artus’ Kampf mit dem Poisson-Cheyalier hervorgehoben. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 365 


dem Verweis auf den home marage, bezw. auf den Riesen au flos 
de mer auf reinem Zufall; immerhin glaubte ich auf diese Punkte 
aufmerksam machen zu sollen, da diese Uebereinstimmungen 
ebensogut‘ nicht zufällige zu sein brauchen. Möglich ist es 
weiterhin, dass der Kampf Arturs mit dem dämonenhaften Riesen 
vom Mont St. Michel den Anstoss dazu gegeben hat, dass im 
Livre d’Artus dem König Artus das Abenteuer mit dem Katzen- 
monstrum unmittelbar nach dem Römerzug zugeschrieben wurde, 
da er unmittelbar vor demselben ein gleichfalls schwieriges 
Abenteuer, den Kampf mit dem Riesen, zu bestehen hatte. 
Allein ich lege auf die letztere Vermutung durchaus kein Gewicht. 
Dass Artus’ Kampf gegen den Riesen vom Mont St. Michel nicht 
die direkte Veranlassung dazu gewesen ist, dass der Kampf 
gegen die Meerkatze auf Artus übertragen wurde, möchte ich 
aus Folgendem schliessen: Wenn auch, wie wir gesehen, der 
Kampf eines Helden gegen einen Wasserdämon ein ziemlich 
weitverbreiteter Sagenzug ist, so ist doch schon wegen der 
übereinstimmenden Namensformen Cath Palue und Chapalu un- 
zweifelhaft, dass speciell die in kymrischen Texten erhaltene 
Sage, wenn auch stark verändert, in den verschiedenen be- 
sprochenen Texten weiterlebt, die Artus’ Abenteuer mit einer 
Katze enthalten. In der ältesten Version der Sage bereitet sich 
Kei zum Kampf mit Cath Palue vor; allein das Gedicht ist uns 
nur fragmentarisch überliefert, und es ist nicht unmöglich, dass 
schon die kymrische Sage Artus als Helden des in Frage stehen- 
den Abenteuers kannte. Ich darf nochmals darauf verweisen, 
dass bereits in der Triade 7? davon erzählt wird, dass Artur 
ein Heer sammelte, um die unheilschwangere Sau zu vernichten, 
die unter anderen den Cath Paluce warf.!) — Es findet sich 
aber noch ein anderer Passus bei Galfrid von Monmouth bezw. 
bei Wace, der vielleicht mit etwas mehr Recht als die Episode 
vom Kampf mit dem Riesen vom Mont St. Michel als das Vorbild 
für den Kampf Artus’ mit dem Katzenuntier angesehen werden 
kann, oder der wenigstens in Einzelheiten für die eine oder die 
andere Sage das Muster abgegeben haben kann. Im dritten 
Buch (Kap. 14. 15) der Historia Regum Britanniae wird von 
einem schönen, freigebigen, sehr starken Brittenkönig Morvidus 
erzählt, der in einer Schlacht allein mehr zu Stande brachte als 


t) Siehe oben S. 331, Anm. 3 bezw. S. 330. 


366 E. FREYMOND, 


der grösste Teil seines Heeres.!) Morvidus war übrigens ein 
roher Geselle; denn nach dem Sieg schlachtete er die über- 
lebenden Feinde ab und, wenn er nicht mehr konnte, liess er die 
übrig bleibenden schinden und verbrennen. Nun heisst es weiter 
(Kap. 15 am Schluss): Advenerat namque ex partibus Hyberniei 
maris inauditae feritatis belua, quae incolas maritimos sine inter- 
missione devorabat. Cumque fama ejus aures attigisset: accessit 
ipse ad illam, et solus cum sola congressus est?) At cum ommia 
tela sua in illam in vanum consumpsisset, acceleravit monstrum 
illud et apertis faucibus ipsum velut pisciculum devoravit. — 
Wenn man Waces Text (Brut 3467—3520) mit der angeführten 
Stelle vergleicht, so findet man allerlei kleinere Erweiterungen, 
vor allem die, dass das Untier unmittelbar nach dem Tode des 
Morpidus stirbt. 

Diese Episode lässt sich gewiss auch als eine weitere 
Variante unserer Sage?) auffassen; denn wir finden darin die 


1) Wace, Brut V. 3453 ff. sagt dafür, Morpidus habe allein mehr Leute 
getötet als sein ganzes Heer. — Aehnlich schlug Artur allein in der Schlacht 
am mons Badonis an einem Tage 960 Männer nieder; s. Hist. Brittonum ed. 
Mommsen S. 200. 


2) Bei dem Erscheinen des Monstrums im Livre d’Artus heisst Artus 
seine Begleiter sich zurückzuziehen. — In der vorher (8. 364) von mir heran- 
gezogenen Stelle bei Galfrid X, 3 ist auch davon die Rede, dass Artur gegen 
solche Monstra wie der Riese vom Mont St. Michel kein Heer in den Kampf 
führte, cum ... solus ad illa destruenda sufficeret. 


3) Bei dieser Gelegenheit sei hervorgehoben, dass, wenn ich auch alle von 
mir genannten Texte, in denen von einem Kampf mit einem Meermonstrum 
berichtet wird, für verschiedene Versionen derselben ursprünglichen Sage 
halten möchte, die vermutlich einen mythischen Hintergrund hat, ich keines- 
wegs leugnen will, dass hier und da ähnlichen Erzählungen historische Fakta 
zu Grunde liegen können, die dann sagenhaft mehr oder weniger aufgebauscht 
wurden. Wirklich lebende Wesen, deren eigentümliche Gestalten durch die 
Sage verändert wurden, können in solchen Fällen für die Beschreibungen von 
Monstren das Vorbild abgegeben haben. Man denke z.B. an die Walrosse, 
die sich übrigens bis gegen das 15. Jahrhundert an den Küsten Schottlands 
aufhielten. Sind das nicht sonderbar gebaute Tiere, an denen man — ähnlich 
wie beim Chapalu in der Bataille Loquifer — ohne grosse Phantasie einen 
Katzenkopf, einen Pferdeleib, breites Maul mit langen spitzen Zähnen und, 
wenn auch nicht Leopardenfüsse und Greifenklauen, so doch zum Uebrigen 
nicht passende Flossen erkennen kann? Auch für ihre wilde Wut, sobald sie 
angegriffen sind, für ihr lautes Brüllen findet man Analoga in Sagen, die von 
Meermonstris erzählen, und speciell auch in mehreren Versionen unserer Sage. 
— (Chat marin ist übrigens heute der Name einer Robbe, und vgl. damit 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETUM. 367 


hauptsächlichsten oben hervorgehobenen Grundmotive: Das Un- 
tier ist ein Unglück für das Land und für den Gegner; es ist 
ferner ein hässliches Meermonstrum, das zwar keine Katze ist 
und keinen Katzenkopf hat, von dem aber Wace V. 3472 immer- 
hin sagt: de lait cors et de laide teste. — Interessant ist, dass 
also schon Galfrid und Wace, welch letzteren der Verfasser des 
Livre d’Artus benutzte, von einem Brittenkönig berichten, der 
im Kampfe gegen ein Meermonstrum seinen Tod fand. Aehn- 
liches erzählten ein halbes Jahrhundert später die Franzosen 
von Artus; denn wenn auch der vor 1204 geschriebene Romanz 
des Franceis das den Artus tötende Monstrum Capalu eine 
Katze nennt, so ist diese Katze doch, wie wir gesehen haben, 
ursprünglich ein Meerungeheuer. Die Franzosen werden die 
ursprünglich kymrische Sage wie andere ähnliche Sagen von 
Bretonen empfangen haben; die Bretonen aber glaubten, wie 
aus der oben S. 335 angeführten Stelle im Galeran de Bretagne 
hervorgeht, an den durch eine Katze herbeigeführten Tod des 
Artus. Ueber Artus’ Tod waren verschiedene Sagen verbreitet. 
Schon Galfrid von Monmouth berichtet bekanntlich, dass Artus, 
nachdem er in der Schlacht am Flusse Cambula seinen ver- 
räterischen Neffen getötet, selbst tötlich verwundet wurde und 
zur Heilung der Wunden nach der Insel Avalon geführt wurde. 
Aehnlich Wace, Brut V. 13681 ff.; allein Wace hält Merlins 
Prophezeihung für richtig, dass das Ende Artus’ zweifelhaft sei, 
und dass ihn noch immer die Bretonen erwarten. Auch der 
Verfasser von Manuel und Amande sagt, wie wir sahen: 


Swelch sin ende were 
da von ist manic mere.!) 


Wenn nun nach der verbreiteten Sage Artus nach der Katastrophe 


Ph. A. Nemnich, Allgem. Polyglotten-Lexikon der Naturgeschichte. Ham- 
burg 1793 s. v. Phoca ursina. Ursus marinus. Deutsch: Der Seebär; Büren- 
robbe; Seekatze.... Russisch: Morskoi kot. — Was das Geschrei oder 
Gebrüll von sterbenden Monstren, Riesen und bösartigen Rittern anlangt, so 
scheint das geradezu typisch zu sein; s. z. B. meine Analyse des Livre d’Artus 
l. c. 8.89. 8163, 8. 96. $ 181 oder Ugone d’Avernia I, S. 204, wo von einem 
Schlangenungeheuer die Rede ist. 

!) Die Glosse zu Henricus Septimellensis (s. oben 8. 334) besagt, dass 
Artus nach dem allerdings schweren Sieg über das Untier nicht mehr heim- 
kehrte. -- Auf andere Darstellungen der Entführung Artus’ durch Morgan ete. 
gehe ich hier nicht ein; vgl. dazu F. Lot, Romania XXIV. 504 fl. 


368 E. FREYMOND, 


nach Avalon entführt wurde, so ist es erklärlich, dass sich aus 
der vorherbesprochenen Form der Sage, nach welcher Artus im 
Kampf gegen ein Meerungeheuer bezw. gegen ein Katzenungetüm 
fiel, die Sagenform entwickelte, nach welcher Artus von dem 
Katzenungetüm auf andere Weise ins Jenseits befördert wurde, 
nämlich durch Entführung. Die zuletzt genannte Form der 
Sage war gleichfalls mindestens schon zu Anfang des 13. Jahr- 
hunderts verbreitet, da Peire Cardenal sie kennt. Ja, diese 
Version wird noch älter sein. Peire Cardenal spricht zwar nur 
davon, dass Artus von einer Katze weggetragen wurde; im Hin- 
blick auf die sich in verschiedenen Texten des 12. Jahrhunderts 
findende Sage, wonach Artus nach Avalon entführt wurde, darf 
man wohl den Schluss ziehen, dass auch die Sagenform existierte, 
wonach die Katze, alias Chapalu, den Artus nach Avalon ent- 
führte. Die Existenz dieser Entwickelungsstufe der Sage darf 
man wohl um das Jahr 1170 annehmen; denn erst nach der 
Fixierung dieser Entwickelungsstufe wird man darauf gekommen 
sein, Chapalu als verzaubertes Monstrum mit Katzenkopf neben 
Artus im Feenreich auftreten zu lassen (vgl. die bald nach 1175 
verfasste Bataille Loquifer), bezw. ihn, den Chapalu zum Elfen- 
könig zu machen, als welcher er neben Artus in Avalon, im 
Feenreich, figuriert und mit ihm Streit führt. 

Zum Schluss sei noch auf Folgendes hingewiesen: Da Avalon 
schon bei Galfrid von Monmouth insula Avallonis genannt wird, 
da die Sage von der Feeninsel Avalon als Aufenthaltsort des 
Königs Artus auch sonst im 12. Jahrhundert genugsam verbreitet 
war, so wäre die Entführung nach dieser Insel durch die Katze 
erklärlich, wenn man mit mir die Katze als Wasserdämon auf- 
fasst.!) 


!) In seinem kürzlich erschienenen Aufsatz über Glastonbury und Avalon 
(Romania XXVII. 559) verweist F. Lot auf die irische Sage von der Ent- 
führung Condles des Schönen. Condle wird in ein Reich gebracht, dessen 
König Tethra heisst. Nach einem anderen irischen Text (Bataille de Mag- 
Tured) wird Tethra als König der Fomor& bezeichnet und Lot erklärt diesen 
Namen Fomore aus fo „unter“ und muir „Meer“. Vgl. noch Lot 1. e.:S. 562, 
Anm. 1: „L’evhemerisme des Irlandais fit plus tard des Fomore des ‘pirates’; 
mais dans ce deguisement leur caractere de diviniteE maritime transparait. 
Tethra est un des dieux de la mort ... Manannan-mac-Lir (fils de ocean), 
qui, dans d’autres recits, joue un röle "analogue a celui de Tethra est sans 
conteste une divinite maritime. “ 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETUM. 369 


III. 
Die Lokalisierung der Sage. 


Unsere Episode schliesst sich im Livre d’Artus an die 
Schilderung der Schlacht zwischen Langres und Autun an, in 
welcher Artus die Römer besiegt. Artus ist unschlüssig, ob er 
weiter vordringen oder den Rückzug antreten soll. Merlin rät ihm, 
er solle mit dem in der Nähe, jenseits des Sees von Lausanne!) 
hausenden Katzenungetüm kämpfen, um das Land von dieser 
Plage zu befreien. Merlin erzählt dann weiter von der Katze, 
dass ein Fischer an den See von Lausanne kam und die Katze als 
kleines Tier herausfischte u. s. w. Artus macht sich auf den Weg 
in.der Richtung nach dem See von Lausanne und nach Besiegung 
der Katze bestimmt er, dass der Berg, auf dem das Untier hauste 
und welcher vordem Mont du Lac geheissen haben soll, fortan 
den Namen Mont du Chat trage. 

Die eigentümliche und ganz vereinzelt dastehende Ver- 
legung einer von Artus erzählenden Episode in die Schweiz 
bezw. an den Genfersee, beschäftigte mich intensiv, und ich legte 
mir zunächst die Frage vor, ob sich diese Erscheinung nicht 
auf irgend einem Wege erklären lasse. 

Da das Monstrum, wie wir gesehen, auch Capalu oder 
Chapalu genannt wird, und Andre in seinem Romanz des Franceis 
erzählt, dass Capalu den besiegten Artus en la palu, in einen 
Sumpf gestossen habe, glaubte ich zunächst, den Namen eines 
alten Stadtteils von Lausanne, der noch heute La Palud heisst, 
irgendwie mit dieser eigentümlichen Lokalisierung der Sage in 
Verbindung bringen zu können. Ich suchte das Alter dieser 


!) Die Handschriften D und P haben outre le lac de losane, die beiden 
Drucke I! und I? contre le lac de loseroye; vgl. oben S. 319. Loseroye und später 
loseraye sind zweifellos Schreib- oder Druckfehler; denn auch die mitteleng- 
lische Version hat beyonde the lak de losane, und im mittelniederländischen 
Text findet sich nicht nur V. 34955 der Name Losanen, sondern es wird auch 
am Schluss der Episode der Berg, auf dem der Kampf stattgefunden hatte, 
die berch van der Losanen genannt. Auch andere Handschriften des alt- 
französischen Textes als D und P haben übrigens Losane. — Lac de Losane 
ist durchaus keine aussergewöhnliche Bezeichnung für den lacus Lemanus. S. 
z.B. Joh. Bapt. Plantini Helvetia antiqua et nova. Tiguri Helvetiorum 1737, 
S.S1 und 201; G. Paradin, Chronique de Savoye Reueuö et nouuellement 
angmentee. Lyon 1561. S.22 und weiter unten in dieser Abhandlung. 

Festgabe für Gustav Gröber. 24 


370 E. FREYMOND, 


Ortsbezeichnung zu eruieren und fand sıe zuerst erwähnt in 
einer Urkunde vom Jahr 1182, nach welcher Papst Lucius III. 
dem Augustiner-Kanonikatskloster von St. Marius zu Lausanne 
seine Besitzungen zusichert.!) Herr Kollege G. Favey in Lausanne 
hatte die Güte, das Original der Urkunde auf dem Kantons- 
archiv für mich einzusehen und mir mitzuteilen, dass es in der 
Urkunde heisst: ... terram de Spesses cum nemore juxta posito, 
vineas et terras de Runens et vineas de Palu. Nach der Auf- 
fassung des Herrn Kantonsarchivars de Crousaz, dessen Ansicht 
Herr Favey freundlichst für mich einholte, sind die hier ge- 
nannten Weinberge von Palu dieselben, die später Weinberge 
von St. Laurent und Chanderon genannt werden und in den 
Besitz des Bistums von Lausanne übergingen. Das Stadtviertel 
St. Laurent stösst unmittelbar an die heutige Place de la Palud 
an;.es ist möglich, dass dieser Name Palud oder auch La Palud 
ursprünglich dem ganzen Thal des Flon beigelegt wurde. 

Ich habe dann auf der Kantonsbibliothek in Lausanne eine 
Reihe von Handschriften und Drucken, in denen ich etwas 
Genaueres über die geographischen Namen der Gegend oder 
über ältere, sich an die Lokalitäten knüpfende Sagen zu finden 
hoffte, durchgesehen und stiess im Cod. F. 1069 (Plantin, 
Varia, 17. Jahrhundert) S. 11 auf folgenden Passus: la troisiesme 
banniere s’appelle la Palud a cause quautresfois cestoit un 
marais; encor aujourd’huy si lon creuse tant soit peu on trouwve 
de Veau.?) 

Wenn demnach in der besagten Urkunde vom Jahre 1182 
nur von vineas de Palu die Rede ist, so müssen sich doch auf 
dem Palu genannten Ort wenige Jahrzehnte später Wohnhäuser 
befunden haben; denn die dritte grössere Feuersbrunst, die 
Lausanne im dreizehnten Jahrhundert heimsuchte, der Brand vom 
18. Juli 1235, entstand in dem in palude gelegenen Hause eines 
Jean d’Aubonne, wie aus folgender Stelle im Cartularium 


) Vgl. Schweizerisches Urkundenregister, hrsg. v. d. allgem. 
geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz. Bern 1863. Bd.I. S. 322. 

2) Ganz ähnlich in der wenig jüngeren Handschrift, Lausanne, Biblio- 
thöque cantonale F. 1071, S. 26. Plantins Beschreibung von Lausanne ist 
übrigens, wie ich nachträglich sah, gedruckt bei R. Blanchet, Lausanne des 
les temps anciens. Lausanne 1863. 8.53. — Vgl. auch D. Martignier et 
A. de Crousaz, Dietionnaire historique, geographique et statistique du 
Canton de Vaud. Lausanne 1867. S. 509. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 371 


Lausannense zu ersehen ist: Anno ab incar. do. MCCXXXV. 
quinto decimo Kal. augustj peccatis tam cleri quam populj exi- 
gentibus igmis accensus est lausanne in palude in domo 
Johannis de albona de nocte. et dum tam_clerici quam laicj 
currerent ad diruendas domos ante ignem. ne ignis ascenderet 
ad ciuitatem et Monasterium ...!) Erst 1481 wurde die 
untere Stadt, zu der das Quartier Palud oder La Palud gehörte, 
mit der eigentlichen Cite zu einer Gemeinde vereinigt;?) aber 
schon in den fünfziger Jahren desselben Jahrhunderts wurde das 
heute noch auf der Place de la Palud befindliche Rathaus erbaut. 
Aus der kurz zuvor von mir angeführten Stelle ergiebt sich jeden- 
falls, dass im Jahre 1235, d.h. ziemlich in derselben Zeit oder 
wenig später als der Livre d’Artus geschrieben worden sein mag, 
- Palu als bewohnter Vorort von Lausanne galt. Es wäre dem- 
nach möglich, dass der Verfasser des Livre d’Artus Artus’ Kampf 
gegen die Katze deswegen in die Nähe von Lausanne bezw. in 
die Nähe des Sees von Lausanne verlegt hätte, wenn wir nämlich 
voraussetzen dürften, dass er die von Andre im Romanz des 
Franceis mitgeteilte Sagenform gekannt hätte, nach welcher die 
Katze Capalu den besiegten Artus in den Sumpf, en la palu, 
gestossen haben soll; wir müssten weiter voraussetzen, dass er 
aus irgendwelchem Grunde diese Version durch die von ihm 
gegebene, nicht von ihm erfundene Version ersetzt hätte u. s. w.?) 





!) Cartulaire du Chapitre de Notre-Dame de Lausanne, redige& par le 
Prevöt Conon d’Estavayer (1228—1242) Mem. et Doc. p. p. la Societe 
d’histoire d. l. Suisse Komande. t. VI, 573). 

2) Siehe Martignier et Crousaz |]. ce. 8. 501. 

®) An und für sich wäre es übrigens nicht undenkbar, dass 
seinerzeit im Waadtland von eingewanderten Bretonen ursprünglich 
bretonische Erzählungen verbreitet worden wären, und dass vielleicht diese 
sonderbare Lokalisierung in der Gegend selbst entstanden wäre. Es ist nämlich 
eigentümlich, dass mehrere Ortsnamen des Kantons Waadt an Bretonen 
erinnern, so die Alp Bretaye, zwei Dörfer des Namens Bretigny, der Flecken 
Brit und das Dorf Bretonnieres bei Romainmötier (s. Martignier et Crousaz 
l.e. 8.125 ff.). Ohne die Etymologien der genannten Ortsnamen geben zu 
wollen, sei nur darauf hingewiesen, dass Bretonnieres urkundlich schon im 
Jahre 1154 und ca. 1160 vorkommt; beide Male tritt ein gewisser Breto de 
Dretoneres bezw. Bretto de Brettoneres auf (vgl. Schweizer. Urkundenregister. 
Bd. II. 8.104 und 160). Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Ortsname 
Bretoneres nach dem Personennamen Breto oder einem Breton gebildet, und 
möglicherweise könnte es sich bei der in den erwähnten Urkunden genannten 
Persönlichkeit wın einen Nachkommen eines jener Bretonen handeln, die in 


24* 


372 E. FREYMOND, 


Allein wir wollen nicht gar zu viel voraussetzen, und ich 
will keine allzu kühnen Hypothesen aufstellen. Ich habe mir 
die redlichste Mühe gegeben, etwas über die ehemalige Existenz 
unserer Sage in Lausanne und in der Umgebung heraus zu 
bekommen, allein ohne irgendwelchen Erfolg;!) sodass ich davon 
überzeugt bin, dass unsere Sage auch in früheren Zeiten 


der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts infolge der Normanneneinfälle 
ihre Heimat verliessen und von denen das aus dem Ausgang des elften Jahr- 
hunderts stammende Chronicon Namnetense sagt: territi comites ac 
Maetierni dispersi sunt per Franciam, Burgundiam.et Aquitaniam ... 
pauperes vero Britanni terram colentes sub potestate Normannorum reman- 
serunt. Ich entnehme dies Citat einer Besprechung Zimmers in den Gött. 
Gel. Anz. 1890. 8. 803. 


In einer Urkunde vom Jahre 1226, in welchem von einem Streit zwischen 
dem Bischof von Lausanne Wilhelmus und Haimo von Fucigny die Rede ist, 
wird ein Wulelmus bretuns de chesaus genannt. Siehe das im Folgenden öfters 
von mir ceitierte, gründliche Werk von L. Wurstemberger, Peter II, 
Graf von Savoyen. Ein Charakterbild des XIII Jahrhunderts. Bd. IV Ur- 
kunden. Bern und Zürich 1858. 8.28. 


ı) Mein alter Freund P. Allenspach, Besitzer der Feuille d’Avis de 
Lausanne, war so freundlich in der Nummer vom 6. III. 1891 seines ver- 
breiteten Blattes einen kurzen Artikel über die Episode des Livre d’Artus zu 
bringen, mit der Anfrage an die Leser, ob die Sage im Waadtlande bekannt 
sei. Es liefen einige Antworten ein. So berichtete eine im Jahre 1823 
geborene Frau Thuillard, am Mont-Riond, dem kegelförmigen Hügel zwischen 
Lausanne und Ouchy hätte eine weisse Dame den Tag über als wilde Katze 
ihr Wesen getrieben, um sich auf die Zudringlichen (indiserets) zu stürzen. 
Von ihrem Grossvater wollte Frau Thuillard wissen, dass der Mont-Riond 
ehedem Mont du Chat genannt worden sei. — Die eben erwähnte Sage wurde 
mir in Mont-Riond, dem behaglichen Hause am Fusse des Hügels, das ehedem 
Voltaire bewohnte, nicht bestätigt; vielmehr wurde mir, beiläufig gesagt, 
erzählt, es heisse, Attila habe dort seine toten Krieger und Pferde aufrecht 
stehend beerdigen und den Hügel über ihnen errichten lassen. Plantin, dessen 
Handschrift (Lausanne. Bibl. Cantonale F. 1071) ich schon oben heranzog, 
erzählt zwar S. 37 von Attila, erwähnt aber die Sage nicht. — Doch um auf 
jene Einsendungen, die an die Redaktion der Feuille d’Avis gerichtet 
waren, zurückzukommen, so wurde ich durch eine derselben auf das Richtige 
geführt. Es war mir zwar die Existenz des Mont du Chat in Savoyen be- 
kannt; allein ich hatte damals genauere Studien darüber nicht gemacht und 
hielt einstweilen an der falschen Lokalisierung in Lausanne fest. Infolge 
jenes Artikels in der Feuille d’Avis de Lausanne erfuhr ich von einem 
Arzt, dem seither verstorbenen Herrn Berney in Rolle, den ich aufsuchte, er 
habe s. Z. in Aix-les-Bains, das in der Nähe des Lac du Bourget liegt, gehört 
oder gelesen, dass der Mont du Chat seinen Namen von einer grossen Katze 
habe, die auf dem Berge von einem Ritter getötet worden sei. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 373 


nicht in Lausanne bekannt bezw. lokalisiert war. 
Uebrigens ist ja im Text des Livre d’Artus von der Stadt 
Lausanne gar nicht die Rede, sondern nur vom lac de losane. 
Aber auch diese eigentümliche Lokalisierung am Genfersee wird 
m. E. dem Verfasser des Livre d’Artus oder vielleicht seiner mir 
unbekannten Quelle für die Episode zuzuschreiben sein. Warum 
diese Lokalisierung gewählt wurde, lässt sich nicht mit Bestimmt- 
heit sagen; vielleicht liegt eine blosse Verwechslung vor, und 
zwar des bekannteren Lac de Lausanne und des Lac du 
Bourget oder der Lacs de Chevelu, in deren Nähe die Sage, 
wie ich im Folgenden zeigen werde, wirklich lokalisiert war. 
Diese Seen liegen in Savoyen und sind schliesslich, wenn wir an 
unsere Episode im Livre d’Artus denken, nicht gar viel weiter 
von dem Schlachtfeld zwischen Langres und Autun entfernt als 
der Genfersee. Der herrliche Lac du Bourget ist der zweit- 
grösste See von Frankreich;!) seine Schönheit hat Lamartine 
zu seinem bekannten stimmungsvollen Gedicht Ze Lac und zu 
schönen Schilderungen in seinem Raphael angeregt.) Im Westen 
wird der Lac du Bourget von dem Bergrücken Mont du Chat 
begleitet, der in der Dent du Chat eine Höhe von 1400 Metern 
erreicht. Am Westabhang des Mont du Chat liegen die sehr 
kleinen Lacs de Chevelu, ferner das Dorf Chevelu und ca. 
einen Kilometer nordöstlich davon der Gnadenort St. Jean de 
Chevelu. Der Bergrücken bildet einen Sattel und Pass, der 
Col de Chevelu heisst. Ueber den Mont du Chat führte eine 
alte Römerstrasse und es spielt dieser Berg und sein Pass in 
der viel umstrittenen Frage, welchen Weg Hannibal bei seinem 
Alpenübergang eingeschlagen habe, eine grosse Rolle’) — Am 
Fusse des Mont du Chat, zugleich am Lac du Bourget, liegt die 
im Jahre 1125 gegründete Abtei Hautecombe, welche die Gräber 
zahlreicher Mitglieder aus dem gräflichen bezw. fürstlichen Hause 
Savoyen enthält. 

Mit diesem Mont du Chat in Savoyen ist der Mont 
du Chat identisch, der im Livre d’Artus am Schluss der 
1) Vgl. Andr6 Delebecque, Les lacs frangais. Paris 1898. S. 5 u. passim. 
2) Raphael, pages de la vingtiöme annee. Paris 1849. S. 26, 51 fl. 

5) Zu den neuesten hierzugehörenden |Publikationen gehört folgende 
Abhandlung, auf die mich Herr Dr. Dübi aufmerksam machte: Josef Fuchs, 


Hannibals Alpenübergang — Ein Studien- und Reiseergebnis. Wien 1897. 
S. 72 ff. findet sich eine ausführliche Beschreibung des Mont du Chat. 


37 E. FREYMOND, 


Episode von Artus’ Kampf mit dem Katzenungetüm ge- 
nannt wird. 

Um zu diesem Resultat zu gelangen, las ich zunächst die 
zahlreiche Sagenzüge enthaltenden Anciennes chroniques de 
Savoye,!) die aus dem Anfang des 15. oder aus dem Ende des 
14. Jahrhunderts stammen.?2) In dem Bericht von der Gründung 
von Hautecombe stiess ich (ec. 127) auf die Namensform Mont 
du Chat Artiam,?) die mich zwar natürlich gleich an Artus 
erinnerte, aber doch nicht genügte. Diese in dem Druck der 
Chroniques vorliegende Form Mont du Chat Artiam ist m. E. 
als fehlerhaft anzusehen; denn in dem dem 15. Jahrhundert an- 
gehörenden Berner Codex Nr. 248, der die Genealogie?) des 
illustres segneurs contes de Savoye ... enthält, beginnt 
Kap. LXIII (Comme le conte Hunbert pour la mort de anne sa 
secunde feme se dolousa et comme il fonda labeye daulte combe) 
mit folgenden Worten: Aduint que la contesse anne dewint malade 
dune forte maladie dont elle morut pour laquelle chose le conte 
mena telle doleur que ne se porroit dire. Et pour rien dont on 
lui parlast ne se voloit esioir. Mais se mist ou cuer de non 


2) Monumenta historiae patriae. Script. t. I. Augustae Taurinorum 1840. 

2) Siehe ib. Einleitung von Promis, bezw. L. Menabrea, Des origines 
feodales dans les Alpes oceidentales.. Turin 1865. S. 41. 

°) An diese Namensform Artiam erinnerte mich der in lokalen Er- 
zählungen und Sagen von Thonon auftretende industrieux Arthas; s. M. 
M. Dantand, Gardo soit Recueil d’histoires et lögendes du pays de Thonon. 
Thonon 1891. 8.32. Allein meine Vermutung war irrig; denn Herr Dantand 
teilte mir freundlichst auf meine Anfrage Folgendes über den industrieux 
Arthas mit: Il fut un owvrier de genie,; le premier il trowa un outil ü 
equarrir les bois et il imagina la mortaise pour les assembler, ce qui fut une 
revolution dans la construction de la demeure des hommes. Der 23. Gardo 
der Sammlung von Dantand enthält übrigens eine eigentümliche Geschichte 
von Merlin, auf die ich anderwärts zurückkommen werde. — Bei dieser 
Gelegenheit gestehe ich offen, dass ich leider nichts Genaueres über den 
Artaean Mercury of the Allobroges of ancient Gaul weiss, der nach Rhys 
(Studies in the Arthurian Legend. Oxford 1891, S.40) mit der brittischen 
Gottheit Arthur identisch sein soll. 

4) Die ersten 24 Blätter der Papierhandschrift enthalten ein Verzeichnis 
der Kapitelüberschriften; dann folgt ein leeres Blatt und es beginnt auf 
fol. 26r° der Text mit der Angabe: En ce liure de maintes notables et 
anciennes escriptures est contenue la genologie |!] des Illustres segneurs contes 
de sauoye u. s. w. — Der Text ist, soviel ich nach allerdings flüchtiger Ver- 
gleichung gesehen, nichts anderes als eine Fassung der Anciennes chroniques 
de Savoye, die von der gedruckten Version vielfach abweicht, 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM, 375 


jamais soy marier ne estre au monde. Et choisi vn lieu solitaire 
sur le lac prez du mont du chat artus ...‘) Ganz ähnlich 
hat unsere Berner Hs. fol. 88r ... fist vn priore fonder a lentree 
du lac prez du mont du chat artus en lonneur de saint 
morice que depuis on appella le burget, wofür es in der ge- 
druckten Version ce. 130 lautet: v2 fonda vng priore a lonnour 
de saint Mauris allentree du lac du Mont du Chat nommee (!) le 
lace du Dourget. 

Denselben Namen Mont du Chat Artus fand ich dann 
in der dem 16. Jahrhundert angehörenden Chronique de Savoye 
des Paradin.?2) Hier heisst es S. 104 ganz dem Vorhergehenden 
entsprechend, dass Humbert in dritter Ehe einen Sohn Thomas 
erhielt, und dass er aus Freude darüber eine Priorei gründete 
a lVentree et assez prochain du Lac du mont dw Chat Artus, 
qui depuis ha este appelle le bourget.) 

Die gleichen Ereignisse, etwas verändert, werden auch 
von Lambert Vanderburch erzählt in seiner lateinisch ge- 
schriebenen savoyer Geschichte.) Vom Mont du Chat ist hier 
nicht die Rede, sondern der nicht gut orientierte Verfasser 
versetzt die Abtei von Altacomba d.i. Hautecombe merkwürdiger- 
weise an den lacus Lemanus. Es heisst da nämlich: Humbertus 

. suorum nemine conscio, in remotum quendam a mortalium 
consortio locum (cui ad eundem lacum Lemanum sito Alta- 
comba nomen) abit ... Die Verlegung der Abtei Hautecombe 
an den Genfersee ist falsch. Der Autor verwechselte offenbar den 
Lac du Bourget mit dem bekannteren Genfersee, und die Stelle 
berechtigt mich, glaube ich, zu der Annahme, dass auch der 
Verfasser des Livre d’Artus oder seine Quelle den Lac du Bourget 
oder den Lac de Chastillon, wie er damals auch geheissen haben 
mag, mit dem bekannteren Lac de Losane verwechselt hat.) 


!) Auf die Frage kann ich mich nicht einlassen, was an den besagten 
Orten historisch richtig dargestellt ist oder nicht. Bemerkt sei nur, dass sich 
bereits Ludovico della Chiesa (Dell’ istoria di Piemonte libri tre. Torino 
1608, 8. 51f.) gegen die Darstellung der bald zu nennenden Paradin e aleuni 
altri moderni richtet. 

2) Table s. v. 102. Richtiger wäre statt 102 die Zahl 104 gewesen. 

®) Ganz ebenso in der Ausgabe Paradins vom Jahre 1602. 

%) Sabavdorum dvceum principvmque Historiae gentilitiae 
libri dvo Lamberto Vanderburchio, ad diuam Mariam virginem Vltraieeti 
Decano, Autore. Lyon 1595, S. 21. 

°) Exakten.. geographischen Kenntnissen begegnet man bekanntlich im 


376 E. FREYMOND, 


Die savoyer Urkunden, die ich darauf durchgesehen habe,') 
boten mir für meinen Zweck wenig; ich fand da, was seit langer 
Zeit bekannt ist, dass der Mont du Chat in den ältesten er- 
haltenen Urkunden Mons Munni bezw. Mons Munitus heisst. 
Die erstere Namensform (super Montem Munni) findet sich in 
einer undatierten Urkunde,?) in der von einer Schenkung des 
Grafen Humbert I. die Rede ist. Humbert IL, der später den 
Beinamen Albamanus erhielt, starb wahrscheinlich im Jahre 
10483) und Carutti setzt diese und eine andere undatierte Ur- 
kunde zwischen solche aus den Jahren 1025 und 1026. Die 
Namensform Mons Munitus steht in einer um wenige Jahre 
jüngeren Urkunde?) und beide Namen weisen wohl darauf hin, 
dass der Berg alte Römerbefestigungen aufwies. Der gelehrte 
L. Menabrea führt in seiner Histoire municipale de Chambery®) 
noch weitere Namensformen an, nämlich Mont-Monixz, Mont-Mun, 
und betont, dass sich die Bezeichnungen Mons Cati, Mont 
du Chat erst seit dem Jahre 1232 belegen lassen. Diese 
von Menabrea angegebenen Jahreszahl 1232 stimmt trefflich zu 


Mittelalter selten. Wer weiss, ob dem Verfasser des Livre d’Artus oder dem 
Verfasser seiner Quelle nicht für die Lokalisierung der Sage eine geo- 
graphische Definition vorschwebte wie die folgende, die ich in einem m. W. 
unedierten altfranzösischen geographischen Traktat fand (Cod. Bern. 590. 
XII. Jahrh. fol. 134b): La contree Iyonnoise est longue et estroite. Ele con- 
tient la moitie de la contree daquitaine. Ele naist vers le mont du chat 
et au lac de losane. en icel leu ou li rosnes entre dedens le lac. et si 
sestent iusqua la mer de bretaigne ... Der Leser dieser Definition konnte 
schliessen, dass sich der Mont du chat in der unmittelbaren Nähe des lac de 
losane befand. Was übrigens den Schlusspassus der eitierten Stelle betrifft, 
so könnte man vielleicht daran denken, dass da eine Verwechslung von 
Iyonnoise und Leonnois in der Bretagne vorliegt. 

') D. Carutti, Regesta comitum Sabaudiae marchionum in Italia ab 
ultima stirpis origine ad. an. MCCLIH. Torino 1889. (Bibl. stor. ital. t. V), 
ferner L. Wurstemberger’s genanntes Werk. Allerdings habe ich die in 
diesen Bänden gedruckten 1900 Urkunden nicht von A—Z durchgelesen. 

2) Siehe Carutti l.c. Nr. LX; etwas anders ist diese Urkunde gedruckt 
von Trepier, Recherches historiques sur le Decanat de St. Andre (Mem. de 
V’ Acad. de Savoie, 3. ser. t. VI, S. 37). 

3) Siehe Caruttil.c. S.20 und 8. 47, Nr. COXXXVI. 

4) Siehe Carutti l.c. Nr. LXXXI. 

5) Von diesem Werk, über das ich ausführliche Mitteilungen Herrn 
Abbe P. Jullien aus St. Jean de Chevelu, gegenwärtig in Chambery, ver- 
danke, erschienen nur drei Lieferungen im Druck. Ghambery 1847—48. S. 
livr. 1 das 4. Kapitel: Origines romanesques de Chambery. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 31 


der von G. Paris angenommenen Datierung des Livre d’Artus, 
nämlich ca. 1230.) Nach dieser Zeit fand auch ich die Namens- 
formen Mons Cati ete. öfters. Ich verweise auf per montem cati 
in einem Vertrag des Grafen Amadeus mit den Januenses vom 
Jahre 1300,2) ferner auf mons Gati?) und endlich auch auf 
die Form mons Felis in einer Urkunde vom Jahre 1263,?) die 
deutlich zeigt, dass diese Namen Katzenberg bedeuten. — 
Der mons cati wird auch in einem Passus bei Estienne de 
Bourbon genannt; auf diese Stelle wurde ich durch Herrn 
Gaston Paris aufmerksam gemacht, und sie ist für unsere Unter- 
suchung darum besonders wertvoll, weil hier wieder, und zwar 
in eigenartiger’ Weise, König Artus mit dem Mont du Chat 
in Verbindung gebracht wird. 

In seinem wohl zwischen 1251 und 1260 verfassten Trac- 
tatus de diversis materüs praedicabilibus>) berichtet Estienne de 
Bourbon, der kurz zuvor die Befreiung einer von einem Dämon 
besessenen Alten erzählt, Folgendes:®) Item aliquando ludificant 
[se. daemones] transmutando se in species militum compugnancium 
et emittencium faces ardentes, qui ab hominibus solent appellari 
arzei, quasi succensi vel flammigeri. Item aliquando in simili- 
tudinem militum venancium vel ludencium, qui dieuntur de familia 
Allequini vulgariter vel Arturi. Audiwi quod, cum quwidam 
rusticus circa Montem Cati portaret facem lignorum ad lunam, 
vidit infinitam multitudinem canum venaticorum quasi post pre- 
dam latrancium, post infinitam multitudinem peditum et eqwitum. 
et cum quereret ab uno illorum qui essent, respondit quod essent 
de familia regis Arturi, ad cujus curiam propinquam 
venirent, ut ibi bene sibi esse. Et visum fwit dieto rustico 
quod sequeretur cos, et quod intraret in mazxima et nobilissimu 
palacia, et [videret] milites et dominas ludentes et choreizantes, 
comedentes et bibentes nobiha fercula, et in fine dietum est ei 


1) Vgl. meine Beiträge z. Kenntnis d. afz. Artusromane in Prosa (Zs. 
f. franz. Spr. u. Litt. XVII, 8. 11). 

2) Siehe Mon. hist. patr. Liber jurium. t. II. 1857. S. 407. 

8) Siehe Mon. hist. patr. Seript. I. c. 688. 

4) Wurstemberger l.c. Bd. IV. 8.303. Nr. 601. 

5) Anecdotes historiques, lögendes et apologues tires du recueil inedit 
d’Etienne de Bourbon, dominicain du XIIIe siöcle, publ. pour 1. Soc. d. 
V’hist. de France par Lecoy de la Marche. Paris 1877. S.XX, 

9 170-8, 821, 


378 E. FREYMOND, 


quod iret ad lectum, et quod ductus esset in camera ad lecthwm 
preciosissime ornatum, in qua jacebat quedam domina visa mira- 
biliter speciosa,; cum qua cum intrasset et obdormisset, invenit se, 
in mane excilatus, super facem lignorum turpiter jacentem et 
ludificatum. 

Hier erscheint also Artus als wilder Jäger am 
Mont du Chat. Der Herausgeber Lecoy de la Marche macht 
zu den Worten circa Montem Cati allerdings anmerkungsweise 
darauf aufmerksam, dass verschiedene Berge Mont du Chat 
genannt worden seien; der bedeutendste sei der am Lac du 
Bourget, d.h. der, der uns beschäftigt. Während demnach der 
Herausgeber die Frage offen lässt, von welchem Mont du Chat 
Etienne de Bourbon hier spricht, aber doch auf unseren Mont 
du Chat besonders hinweist, ist es für mich ausser Zweifel, dass 
just der uns näher angehende Berg gleichen Namens in Savoyen 
gemeint ist. Denn dieser Berg ist es, der, wie wir sahen, in 
Chroniken Mont du Chat Artus genannt wird, und auf ihm wird, 
wie ein weiter unten angeführter Text zeigt, die Episode vom 
Kampf mit dem Katzenungetüm lokalisiert. Dazu kommt, dass 
Estienne de Bourbon Savoyen durchreist hat; nach dem Jahr 
1249 muss er in Chambery gewesen sein; er berichtet von dem 
nach ihm in diesem Jahr!) erfolgten Bergsturz des Mont Grenier, 
der nicht weit von Chambery entfernt ist. 

Die Erzählung Estiennes erinnert deutlich an die bekannte, 
knapp fünfzig Jahre ältere Stelle der Otia imperialia des 
Gervasius von Tilbury,?) nach welcher Artus im Aetna oder 
Mongibel, und zwar in palatio miro opere constructo weilt. Ich 
führe den Schlusspassus der Stelle an: Sed et in sylvis Britanniae 
majoris aut minoris consimtlia contigisse referuntur, narrantıbus 
nemorum custodibus ... se alternis diebus circa horam meridianam 
ei in primo noctium conticinio, sub plenilunio luna lucente, 
saepissime videre militum copiam venantium et canum et cornuum 
strepitum, qui sciscitantibus se de societate et familia Artur: 
esse affirmant. Ich möchte gleich hier noch auf die moderne, 


!) Siehe l.c. S. IX. Diese Katastrophe ereignete sich übrigens am 
24.25. Nov. 1248, wie ich aus den alten Berichten ersehe, die Wurstem- 
berger ].c. S. 113 ff. zusammengestellt hat. 

2) In einer Auswahl neu hısg. v. F. Liebrecht. Hannover 1856. 
8. 12f. — - 


ven 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETUM. 379 


in der Haute-Bretagne!) verbreitete Form dieser Sage hinweisen 
weil darin von Katzengeschrei und sich balgenden Katzen 
die Rede ist. Im Canton de St. Brice (Ille et Villaine) wird 
.erzählt, dass die unter der Führung des Artus stehende, wilde Jagd 
einen Lärm verursacht, der an Katzengeschrei und an das 
Bellen toller Hunde erinnert: Souvent, les passants ont vu dans 
des champs de genets, ou au beau milieu d’une clairiere ou d’une 
piece de terre en päture, des petits Etres semblables a des 
chats, gambadant, se dechirant entre eux et hurlant comme des 
possedes ... Les anciens racontent que ce personnage [e.a.d. 
Artus] assistait un dimanche a la messe paroissiale, lorsquil 
entendit des chiens aboyer dans la plaine voisine. Üetait tout le 
tintamarre d’une chasse au courant. Sans attendre la fin de 
Foffice divin, n’ecoutant que sa passion, Artus sortit de leglise 
pour prendre part a la chasse. Dieu, pour le punir, Fa condamne 
a chasser jusqwa la fin des siecles. 

Es würde mich von meinem Thema zu weit abführen, wenn 
ich hier genauer auf die Rolle Artus’ als wilder Jäger eingehen 
wollte; nur so viel sei dazu gesagt, dass mir die, ich möchte 
sagen, christianisierte Art und Weise, auf welche in der modernen 
bretonischen Erzählung Artus’ Rolle als wilder Jäger erklärt 
wird, nicht ursprünglich erscheint. Vermutlich wird die schon 
im sog. Nennius erwähnte Jagd Artus’ auf den Eber Twrch 
Trwyth dazu beigetragen haben, Artus — dessen Weiterleben 
verschieden erzählt wird — zum wilden Jäger zu stempeln. Ich 
erinnere aber hier nochmals an den oben S. 335 herangezogenen 
Vers Peire Cardenals, nach welchem Artus durch die Katze — 
einen Dämon — entführt wurde, ferner an die Glosse zu Henricus 
Septimellensis (s. oben S. 334), die besagt, dass Artus nach 
Besiegung der belua nicht mehr heimkehrte, endlich an die 
Stellen in der Bataille Loquifer und in der Bearbeitung des 
Ogier le Danois, wo uns Artus in Avalon in Verbindung mit 
Capalu geschildert wird (s. oben S. 341 ff.). 

Da ich soeben Avalon erwälnte, sei noch bemerkt, dass 
es auch in Savoyen einen Ort dieses Namens giebt. In einer 
Urkunde vom Jahre 1230 wird ein Burno de Avalono genannt;?) 


'!) Orain, le Monde fantastique en Haute-Bretragne. (Melusine II, 
S. 373f.) Der vierte Band der Melusine, der Weiteres darüber enthält, ist mir 
leider gegenwärtig nicht zugänglich. 

2) Siehe Carutti l.c, 8.192. Nr. DXXV, 


380 E. FREYMOND, 


ferner sind castra Buxeriae et Avalonis bezw. castra de Boissiere 
et de Avalon urkundlich zweimal im Jahre 1242 belegt.') 


Nachdem wir gesehen haben, dass der Mont du Chat am 
Lae du Bourget von Savoyer Chronisten seit dem Ende des 
14. Jahrhunderts Mont du Chat Artus genannt wird, und dass 
Estienne de Bourbon ca. 1260 Artus als wilden Jäger auf den- 
selben Berg versetzt, wollen wir zu unserer Sage vom Kampf 
Artus’ mit dem Katzenungetüm zurückkehren. 


Um Genaueres über die Sage und ihre eventuelle Lokali- 
sierung in Savoyen zu erfahren, sah ich mich, da ich nicht dazu 
kam an Ort und Stelle zu gehen, genötigt, brieflich zahlreiche 
Gelehrte und Nichtgelehrte in Savoyen zu belästigen; ich erhielt 
eigentlich immer, wofür ich auch hier meinen besten Dank aus- 
sprechen möchte, liebenswürdige Antworten, die für mich hin 
und wieder wertvolle Winke enthielten. Mit gemischten Gefühlen 
erfüllte mich eine der ersten Antworten, die Mitteilung des 
ehemaligen Archivars Herrn A. de Jussieu in Chambery, dass 
die Sage vom Kampf mit der Katze, nach welchem der Mont 
du Chat am Lac du Bourget seinen Namen habe, allen Leuten 
bekannt sei, die sich mit der savoyischen Geschichte befasst 
hätten. Durch einen Verweis in Dessaix’ Sagensammlung?) 
kam ich auf das Buch von Mailland über Bordeau, den Mont 
du Chat u.s.w.,?) das einen besonderen Abschnitt über die 
Etymologie des Namens. dieses Bergs enthält, und durch dies 
Buch wurde ich auf die Werke von M&nabr&a aufmerksam, 


1) Siehe Carutti 8.235, Nr. DOLXVIII und S. 240, Nr. DULXXXV; 
letztere Urkunde ausführlicher bei Wurstemberger ]l.c. S. 90, Nr. 160. — 
Das bei Carutti S. 260 in einer Urkunde vom Jahre 1246 genannte castrum 
Avyllon, zu welchen Namen Carutti ein sic hinzusetzt, wird dasselbe sein. 
Ich vermute, dass jenes castra Avalonis der heutige Weiler Avalon ist, der 
in der Nähe von Pontcharra, einer Station auf der Route Chambery-Grenoble, 
oder genauer, zwischen Pontcharra und der eine Meile davon entfernten Ruine 
des Chäteau de Bayard liegt. Vgl. The Alpine Guide. The Western Alps 
by John Ball. A new edition by W.A.B. Coolidge. London 1898, S. 187. 
Nach Coolidge wäre in diesem Avalon im Jahre 1135 der heilige Hugo von 
Lincoln geboren. 

2) Antony Dessaix, Legendes et traditions populaires de la Savoie. 
Annecy 1875. 

s) Mailland, notaire. Bordeau, son chäteau feodal, le Mont-du-Chat 
et le Lac du Bourget. Etudes historiques, scientifiques et pittoresques. 
Chambery 1875, s. 8. 69 fl. R 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETUM. 381 


der in dem schon oben S.376 Anm.5 von mir erwähnten Kapitel 
seiner Histoire de Chambery bereits vor fünfzig Jahren darauf 
hinwies, dass die am Mont du Chat lokalisierte Sage unter 
dem Einfluss von Ritterromanen, speciell des Roman 
de l’Enchanteur Merlin d.h. unseres Livre d’Artus ent- 
standen sei. Hervorgehoben sei dabei, dass der Protagonist 
der in Savoyen bekannten Sage nicht mehr Artus ist, sondern 
seine Rolle haben die ihn auf seinem Zug nach Italien be- 
gleitenden Ritter Berius und Melianus übernommen, die als- 
dann in der Nähe des Mont du Chat die Orte Chambery und 
Montmelian gegründet haben sollen. 

Bevor ich diese Version abdrucke, eitiere ich noch folgenden 
Passus aus M&enabrea: la tradition dont il sagit jowissait encore, 
il y a deux-cents ans, d’une vogue immense. Un Johannes 
Reinerius a qui nous sommes redevables d’un petit ouvrage latin 
sur Porigine de Chambery, fait de ce conte populaire le sujet 
capital de sa composition: (Il m’a etE impossible jusquw'a present 
de trouver ce livre, qui, d’apres le catalogue MS de la bibliotheque 
de M. Montreal, doit etre intitule: De eleganti origine Camberüi). 
— Il en est de möme d'un Jacobus Delexius qui, en 1571, 
publiait un opuscule a peu pres semblable (29 pages et 3 feuillets 
de dedicace adressee clarissimo senatui Sabaudiae. Cet opusceule 
est des plus rares!)). Le naif Fodere, semparant a son tour de 
ce singulier reeit, met a le reproduire, a le commenter, une com- 
plaisance non moins singuliere . 

Ich drucke im Folgenden aus Maillands Buch?) die be- 
treffende, Jacques Fodere& entnommene Stelle ab; Fodere 
bezieht sich auf den von M&enabr6a genannten Joannes Reinerius 
und nennt ihn Renerius: Joannes Renerius rapporte qu’au-dessus 
du Mont-du-Chat, se trouvoit une beste furieuse que le 
vulgaire appelloit un chat sauvage, mais il estoit d'une 
grandeur ewcessive, qui tiroit plus tost sur le tygre, lequel 


ı) Es war auch mir trotz vieler Bemühungen und Anfragen an ver- 
schiedene Bibliotheken nicht möglich, etwas Genaueres über die Publikationen 
dieses Reinerius und des Delexius zu erfahren. 

2) Siehe Mailland l.c. S.70f. Der seither verstorbene Herr Mailland 
hatte s.Z. die Güte, auf meine Bitte seinen Abdruck nochmals mit der 
Darstellung bei Foder& (Narration historique et topographique des cowvents 
de l’ordre de Saint Frangois et des monasteres de Sainte Claire. Lyon 1619) 
zu vergleichen. 


382 E. FREYMOND, 


infestoit tellement les habitants eirconvoisins que Von 
ne pouvoit passer par ceste montagne, sinon en grand’- 
troupe et bien armes. 

En ce mesme temps, Arthurus ou Arthus, roy de Bre- 
taigne (que je crois estre U Angleterre, qwa towjours este appelke 
la Grand’ Bretagne) allant en Italie et passant par ce pays, 
fut instamment prid par les pauvres villageois (car «l dit 
que lors, il n’y avoit aucune ville ny bourgade en ce climat) de 
leur donner quelques secours contre cette beste sauvage. 
A cest effect il leur laissa deux varllants et genereux cavalliers 
avec leurs compaignies, appelez Yun Berius et Vautre Melianus, 
freres charnels. 

Ces deux braves capitaines, apres avoir recogneu la figure 
et nature de cest animal, inventerent une machine!) dans une 
cabane de bois, laquelle ils firent porter environ le milieu de la 
montagne et dans laquelle «ls miärent plusieurs petits agneaus. 
Et, au-devant de la cabane, ils dresserent deux autres loges, 
a la suite Dune de Vautre; la plus proche desquelles avoit une 
canonniere qui flanquoit droit du long de la machine. Berius 
s’enferma dans ceste loge contigüie et Melianus a Fautre swivant. 
Les petits agneaux beslant et criant attirerent ceste furieuse beste, 
et comme elle fut acharnde pour les devorer, berius donna le 
signal ü Melanus son frere, et cependant par la canonniere ıl 
tira promptement plusieurs coups de fleche a la teste de ceste 
beste, si bien qwil la terrassa, et aussitost Melianus y accourust 
avec son coutelas qui la mit en pieces. Et par ainsi le pays 
fut delivrd d’une si grande calamite et afflietion: duquel 
benefice on attribuoit la gloire au roy Arthus. Et d’autant 
que le vulgaire estimoit que cest animal estoit un chat 
sauvage, ledit Renerius dit que le nom demeura 4 ceste 
montagne, Mont-du-Chat. Et par effect, dans les con- 
trats et titres, elle est appelde le Mont-du-Chat-Arthus. 

Berius, en ce sien voyage, lustrant et contemplant ceste belle 
plaine qui tient depuis la ou est a present le Bourget, jusque 
pres de St. Jeoyre,2) la trowa sy planteureuse et agrdable (ainsy 


1) Es ist m. E. nicht unmöglich, dass die Erfindung dieser Maschine 
und deren Verquiekung mit unserer Sage dadurch zu erklären ist, dass chat 
im Alt- und Mittelfranzösischen auch „Kriegsmaschine“” bedeutet. 

2) Kleiner Ort südlich von Chambery. - 


ARTUS” KAMPF MIT DEM KATZENUNGETUM. 383 


que deffect on le voit depuis le haut des montagnes et adveniies 
circonvoisines) que dest une vallce d’un plaisant aspect, et ü ceste 
occasıon toute ceste campagne estoit appelde par amthonomasie 
Campus Pülcher; quw:l fit bastir ceste ville et luy donna le nom 
compose de celui du lieu Campus et du sien berius, Vappelant 
Campoberium, et depuis par apostrophe Camberius, enfin, tournd 
en genre neutre Camberium. 

Menabrea begnügt sich damit, den Schluss dieser Stelle 
abzudrucken, in welcher von der Gründung von Chambery durch 
Berius die Rede ist. Vorher aber äussert er über die Ent- 
wicklung der Sage folgende Ansichten: Nos origines heroiques ne 
remontent pas en general a une Epoque aussi reculee quw'on pour- 
rait se Vimaginer. Die meisten seien erst unter dem Einfluss 
der Ritterromane entstanden, so die Sage von der Gründung 
Chamberys durch Berius und Montme&lianst) durch Melianus. 
Unzweifelhaft sei, dass Berius oder Berinus, ebenso wie Melian, 
Melion, Melianus oder Meliadus einen hervorragenden Platz unter 
den Wackeren der Tafelrunde einnehmen. Der Letztere sei der 
Held mehrerer ehemals vielgelesener Romane, die man bei Brunet 
(Manuel du Libraire) und in der Bibliotheca Manuseriptorum 
des P. de Montfaucon verzeichnet finde Berius sei höchst- 
wahrscheinlich identisch mit dem Titelhelden des Roman de 
Berinus, der 1521 gedruckt worden sei. Die Hauptquelle aber 
für die von Fodere mitgeteilte Erzählung sei im Roman de 
Merlin zu suchen. 

In der Hauptsache stimme ich Menabrea vollkommen bei; 
ich zweifle nicht daran, dass jene von Foder& mitgeteilte Sage 
mehr oder weniger direkt auf unsere Episode im Livre d’Artus 
oder auf eine damit verwandte Erzählung zurückgeht, und dass 
die Uebertragung der Hauptrolle von Artus auf die Ritter Berius 
und Melianus nur erfolgte, um die Gründung der Städte Cham- 
bery und Montmelian auf sagenhafte Helden zurückführen zu 
können. In Einzelheiten erscheinen mir aber die Ansichten 
Menabreas nicht scharf genug präcisiert oder auch unrichtig. 
Zunächst darf man natürlich nicht ohne weiteres die Namen 
Melian, Melion, Melianus und Meliadus einander gleichstellen; 
immerhin verweise ich auf das Namenregister von Löseth zu 


!) Montmelian, ehedem starke Festung, liegt südöstlich von Chambery 
und ist Station auf der Route Chambery-Grenoble, 


384 E. FREYMOND, 


seinen Analysen des Prosa-Tristan, Palamedes und Meliadus,') 
wo, abgesehen von Meliadus, dem Titelhelden des bekannten 
Prosaromans, noch vier andere Meliadus, ferner vier verschiedene 
Leute des Namens Melian?) und ein Kastellan Mehkanus ver- 
zeichnet sind. Was Melion betrifft, so ist mir dieser Name nur 
aus dem bekannten Lai gegenwärtig, der eine Version der 
Werwolfsage darstellt. Bekanntlich ist dieser Lai einer von 
denen, in welchen Artus auftritt, und ich darf dabei hervor- 
heben, dass nach diesem Text Artus nach ‚Irland kommt, um 
hier Frieden zu stiften und um mit den geeinigten Völkern 
einen Kriegszug gegen die Römer zu unternehmen.?) — Diese 
im Lai de Melion ganz nebensächlich berührte Situation erinnert 
einigermassen an die Situation im Livre d’Artus vor Mitteilung 
der Episode vom Kampf mit der Katze; in dem von Foder& über- 
lieferten Bericht des Renerius wird gleichfalls vor der Kampf- 
schilderung des Artus gedacht, der auf seinem Zug nach Italien 
in das Land kam u. Ss. w. 


Doch kehren wir zu Menabreas Auffassungen zurück. Ob 
man gleich ihm Berius, den sagenhaften Gründer Chamberys, mit 
Berinus, dem Titelhelden des Prosaromans, identifizieren darf, 
erscheint. mir fraglich; allerdings gestehe ich, von diesem Prosa- 
roman nicht viel mehr zu wissen als Menabrea. Ich kenne nur 
die kurzen Notizen von P. Paris und bei Dunlop-Liebrecht*®) 
und ich hatte nicht den Mut, wegen dieser Frage die Direktion 
der Pariser Nationalbibliothek um event. Ueberlassung der 
einzigen Handschrift des langen Textes zu bitten.) Jedenfalls 


ı) E. Löseth, Le roman en prose de Tristan, le roman de Palamede 
et la compilation de Rusticien de Pise, analyse eritique. Paris 1890. S. 527. 
2) Der vierte dort angeführte Melian de Lis tritt bekanntlich in 
mehreren Artusepen auf, so besonders im Meraugis de Portlesguez, 
vorher in Crestiens Eree V. 1698, dann in der Vengeance Raguidel 
V. 3183, ferner im Livre d’Artus (s. meine Analyse, Zs. f. franz. Spr. u 
Litt. XVII. 8.51 Anm.). Ein Meliant de Melyadel erscheint im Chevalier 
as .II. espees V.7292f. — Auch Meliadus findet sich in den Artusepen; 
s. Meraugis V. 2910 u.s. w. 
3) Siehe W. Horaks Druck in Zs. f. roman. Philol. VI. S. 99. V. 339 ff. 
#) Manuscrits francois. t. VI, 147 £. — Dunlop-Liebrecht, Geschichte 
der Prosadichtungen. Berlin 1851. S. 264. 
5) Die verschiedenen Bibliotheken, an die ich mich wandte, um einen 
der seltenen, von Brunet (Manuel d. Libraire 1, 788f3) verzeichneten Drucke 
zu erlangen, besassen den Text nicht. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 385 


ist Menabrea im Unrecht, wenn er diesen Berinus zu denen 
rechnet, die an Artus’ Tafelrunde einen hervorragenden Platz 
einnahmen. Sollte der von Fodere genannte, sagenhafte Berius 
wirklich mit Artus zusammengebracht werden müssen, so könnte 
man etwa an den in verschiedenen Artustexten auftretenden 
Briens denken oder an dessen Bruder, der im Eree V. 1997 in 
einer Handschrift Bilius genannt wird.!) 

Auf Fodere beruht der ganz ähnliche, aber verkürzte 
Bericht von Jean Louis Rochex?) aus dem Jahr 1670, aus 
dem ich nur folgende Worte des der Sage skeptisch gegenüber 
stehenden Autors anführe: „Une histoire de Jean Renerius 
(rapportee par Fodere) porte que ce Roy Arthus passant en 
Italie ... laissa deux de ses capitaines Berius et Melianus pour 
tuer un chat en forme de tygre (ce n’etoit done pas un chat) u. S. w. 
— Weiter beruht auf Fodere oder auf Maillands Abdruck die 
kurze Darstellung der Sage, die neuerdings A. Dessaix in seiner 
Sagensammlung gegeben hat. Davon sei nur folgender Passus 
hervorgehoben: Un ancien chroniqueur, Joannes Reinerius, nous 
fournit ... un conte qui s’est perpedtued jusqu’a nous) Das 


!) Da bei Sagenbildungen die verschiedensten Elemente mitwirken 
können, sei darauf verwiesen, dass Galfrid von Monmouth lib. III, e. 1ff. — 
dementsprechend auch Wace, Brut V. 2359 ff. — ausführlich von den brittischen 
Brüdern Brennius und Belinus erzählen, die sich nach kurzer gemein- 
samer Regierung veruneinigen, da Belinus seinen jüngeren Bruder Brennius 
übervorteilt und unterjocht. Brennius wird gegen Belinus aufgestachelt, er 
solle seiner ehemaligen Kraft eingedenk sein, die er bei Besiegung des Fürsten 
Cheulf gezeigt habe. Statt C'heulfo duci Morinorum hat Wace V. 2423 fi. 
Oesio ... qui rois de Moriane estoit, und der Herausgeber Le Roux de 
Liney verweist zu diesem Namen anmerkungsweise darauf, dass im Mittel- 
alter darunter Savoyen verstanden wurde. Brennius, von Belinus besiegt, eilt 
nach Gallien und gelangt zu Seginus, dem Fürsten der Allobroger, dessen 
Tochter er heiratet (Galfrid III, e. 6). Für Allobroges setzt Wace V. 2702 
bezw. 2737 Bourgogne und Borgoignon. Die Brüder werden durch ihre 
Mutter versöhnt, sie erobern ganz Gallien und unternehmen — eine Reminis- 
cenz an den von Livius erzählten Römerzug des Galliers Brennus — einen 
Zug nach Rom ete., wobei Britten und Allobroger Seite an Seite kämpfen; 
nach Besiegung der Römer bleibt Brennius in Italien, während Belinus nach 
England zurückgeht. 

2) Auf meine Bitte erhielt ich Mitteilung von dieser Stelle durch Herrn 
Abbe Truchet in St. Jean de Maurienne. Vgl. La Gloire de l’abbaye et 


vall&e de la Novalese, situee au bas du Montcenis, du cöt& d’Italie, ... par R. 
D. Jean Louis Rochex. Chambery 1670. Livre 3e, S. 42. 
3) A. Dessaix, Lögendes et traditions popul. d. 1. Savoie S. 149. — Die 


Festgabe für Gustav Gröber. 25 


386 E. FREYMOND, 


Letztere ist richtig. Die Sage, der diese Untersuchung 
gewidmet ist, ist auch heute in der Gegend des Mont 
du Chat in Savoyen noch nicht ganz vergessen. Herr 
Abbe P. Jullien aus St. Jean de Chevelu, der in der liebens- 
würdigsten Weise mir zu helfen bemüht war, teilte mir zunächst 
auf eine darauf bezügliche Frage meinerseits dasselbe mit, was 
mir Herr Dessaix s. Z. geschrieben hatte: die Sage sei nicht 
volkstümlich, sie sei jedoch heute noch gebildeten Leuten be- 
kannt, die sie in irgend einer Form gelesen hätten.!) Allein es 
ist Herrn Abb& P. Jullien gelungen, zwei volkstümliche 
Versionen der Sage ausfindig zu machen, über welche er 
mir kurz vor dem Druck dieser Abhandlung Folgendes schreibt: 
„Dans mes investigations orales aupres des vieux de la paroisse 
[e. &. d. de St. Jean de Chevelu], j’aöi pu me rendre compte que 
le souwvenir de la legende n’etait pas aussi mort que je lavais 
eru dabord. J’ai meme recueilli deux versions populaires de 
Phistoire. La premiere se rapproche de la vötre. Il s’agit d’un 
chevalier qui attaquant vaillamment la „bete“?) (comme ils 
appellent le chat) finit par la saisir par la queue et a lui briser 
le corps contre le rocher qui en a garde l’empreinte. — L’autre 
version est plus curieuse encore: La „bete“ devorait le vingtieme 
de tous ceux qui passaient sur la montagne. Or, un jour, le 
vingtieme devait etre un malheureux soldat revenant de faire son 
„eonge“. Il resolut de vendre bravement sa vie, fit benir son 
fusil par le cure voisin, ajusta la bete et la tua au moment ou 


Sage findet sich nicht in der Sammlung von Maria Savi-Lopez, Leggende 
delle Alpi. Torino 1889. — Nach einer brieflichen Mitteilung, die ich s. Z. 
von Herrn Dessaix erhielt, sollen die Bücher, die von Aix-les-Bains handeln, 
so die mir unbekannten Journaux der Mme. de Solms und andere, sämtlich 
eine Sage berichten, in der eine Katze die Hauptrolle spielt, aber die 
Sage habe dort nicht den klassischen naiven Charakter, der den Volkssagen 
zukomme. 


!) Das Interesse für die Sage oder ihre heutige Kenntnis geht auch 
daraus hervor, dass die Zeitung Le Republicain de la Savoie, Nummer vom 
26. Juni 1884, die Episode mitteilte. Herrn Dessaix verdanke ich eine Kopie 
dieses Artikels, dessen Verfasser sich auf die Ausgabe des Romans Arthur 
vom Jahre 1488 beruft. Leider habe ich diesen Druck nicht einsehen können, 
sodass ich nicht weiss, ob wirklich darin, wie man aus dem Zeitungsartikel 
entnehmen könnte, der Name lac de losane fehlt. 

2) Das erinnert an die belua, die in der Randglösse zu Henricus Septi- 
mellensis erwähnt ist. - 


ARTUS” KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 387 


celle-ci sautait d’um rocher sur la route. Naturellement le rocher, 
comme dans le premier recit, a garde l’empreinte du monstre. 
Effectivement, on montre encore et toujours a qui veut la voir, 
un peu au dessus du milieu de la montagne, la fameuse roche en 
question, sur laquelle se dessine plus ou moins vaguement la 
forme d’un chat auquel manquerait la tete. — J’ai meme releve, 
ü ce sujet, au cours d’ume conversation expression de „sous le 
chat“ quun paysan employait pour designer Vendroit de la route 
ou il avait rencontre un autre individu. Je me suis informe et 
il parait que cette expression est courante surtout de lautre cöte 
de la montagne (versant du Bourget), pour designer la partie 
de route qui se trowve en vne du rocher“. — 

Meine Bemühungen, diesseits des Mont du Chat, speciell 
in Aix-les-Bains, etwas über die heutige Existenz einer volks- 
tümlichen Fassung unserer Sage zu erfahren, blieben erfolglos. 

Ich resümiere das Vorausgehende: Nach Menabrea erscheint 
der den Lac du Bourget begleitende Bergrücken Mont du Chat 
unter diesem Namen erst seit dem Jahr 1232; spätestens um die 
Mitte desselben Jahrhunderts wird derselbe Berg bereits mit 
Artus in Verbindung gebracht, wie sich aus der Stelle bei 
Estienne de Bourbon ergiebt; seit dem Ende des vierzehnten 
Jahrhunderts nennen Chronisten den Berg Mont du Chat Artus 
und im 16. und 17. Jahrhundert wird der Kampf zweier Artus- 
ritter gegen die Katze auf diesem Mont du Chat erzählt und 
diese Erzählung ist heute noch nicht ganz vergessen; endlich 
leben noch heute zwei verschiedene veränderte Versionen der 
Sage im Volksmunde. Es scheint mir, gleichwie vor 50 Jahren 
schon Menabrea, ganz zweifellos zu sein, dass wir es bei diesen 
verschiedenen Erzählungen mit verschiedenen, allerdings ver- 
änderten bezw. modernisierten Versionen unserer im Livre d’Artus 
enthaltenen Sage zu thun haben. 

Wir wollen uns nunmehr die Frage vorlegen, wie unsere 
Episode oder vielmehr Sage, die, ursprünglich in Wales 
entstanden, durch Bretonen den Franzosen übermittelt wurde 
und verschiedene Formen annahm, nach Savoyen gelangt 
sein mag. Eine abschliessende Antwort auf diese Frage wird 
Niemand von mir erwarten; es kann sich natürlich nur um 
Vermutungen handeln. 

Zunächst suchte ich nach historischen Beziehungen 
zwischen dem savoyischen Grafenhaus und Frankreich 

25* 


388 E. FREYMOND, 


bezw. England; denn in England konnte die Sage doch auch 
bekannt sein. Für das 13. Jahrhundert sind solche leicht zu 
finden, wenn man an Peter II. von Savoyen denkt, den Eroberer 
der Waadt, der wegen seiner Thatkraft den Beinamen le petit 
Charlemagne erhielt. Peter IL, der 1263 Graf von Savoyen 
wurde und 1268 starb, hielt sich wiederholt und zwar längere 
Zeit in England auf, wo er sich die Gunst des Königs Heinrichs III. 
in hohem Grade erwarb und zu hohen Staatsämtern gelangte. 
Das erste Mal ist Peter im Jahre 1241 nach England gekommen; 
in demselben Jahr kam er auch nach Wales!) u.s.w. Heinrich III. 
von England (1207—1272, König seit 1216) führte Anfang des 
Jahres 1236 Eleonore, die Tochter Raimund Berengars von 
Provence, als seine Gemahlin heim. Er schloss sich eng ihren 
Verwandten mütterlicherseits an und stand bald unter deren 
Einfluss; diese Verwandten Eleonorens mütterlicherseits, ihre 
Mutter und deren Brüder, waren die Kinder Thomas’ I. von 
Savoyen.?) — Schon vor der Hochzeit Heinrichs III. ist ein Sohn 
Thomas’ I. von Savoyen in England gewesen, wie das ein vom 
20. April 1232 datierter Brief Heinrichs III. an Thomas beweist.3) 
Durch die Ehe mit Eleonore wurde Heinrich III. mit Ludwig IX. 
von Frankreich verschwägert; denn kurze Zeit bevor Heinrich 
Eleonoren als seine Gattin heimführte, wurde die ältere Schwester 
Eleonorens, Margarete, mit Ludwig IX. vermählt. — Somit be- 
stehen seit dem Jahr 1236 zwischen dem savoyischen 
Grafengeschlecht und den Königen von Frankreich und 
England die nächsten Beziehungen. 

Der uns interessierende Berg in Savoyen wird aber bereits 
seit dem Jahr 1232 Mons Cati genannt, und wenn wir auch 


1!) Siehe dazu Wurstemberger, Peter II. von Savoyen. Bd. I, S. 29 ft. 

2) Ich darf hierzu folgenden Passus aus Wurstembergers Werk, Bd. II, 
S.1ff. wiedergeben: „Da das väterliche Haus Alienorens auf der einzigen 
Person ihres Vaters beruhte, und mit dessen Tode schon im 10. Jahr ihrer 
Ehe erlosch, so vereinigte sich ihre und ihres Gemahls ganze Liebe auf ihrer 
Mutter und den Brüdern derselben, den Söhnen Grafen Thomas’ I. von Savoyen. 
Diese Verwandtschaftsverhältnisse wurden aber bald so enge und so .warm 
und vervielfältigten sich auf so auffallende Weise, dass es nicht lange anstund, 
ehe sie sich mit dem damaligen Gang der Begebenheiten in England innig 
verflochten, die dann eine entscheidende Einwirkung von daher empfingen, 
und hinwieder stark auf die Schicksale und Handlungen der savoyischen Fürsten 
und Fürstensöhne zurückwirkten“. « 

®) Siehe Wurstemberger l.c. II S. 26. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 389 


G. Paris’ Datierung des Livre d’Artus um das Jahr 1230 gelten 
lassen wollen, so ist damit nicht gesagt, dass wir nicht noch 
etwas weiter zurückgehen dürfen. Der Verfasser des Livre d’Artus 
oder der seiner Vorlage hat diese Episode vom Kampf mit der 
Katze doch nicht erfunden; er hat eine mündlich und schriftlich 
verbreitete Sage verwertet und etwas umgemodelt. Wir sahen 
ja, dass die verwandte, schon stark veränderte Version der Sage, 
die Sage von Chapalu, sich bereits in der bald nach 1175 ver- 
fassten Bataille Loquifer vorfindet, und dass eine andere Version 
der Sage in dem vor 1204 verfassten Romanz des Franceis des 
Andre vorliegt. An diesen Stellen wird freilich der Mont du 
Chat nicht erwähnt, aber nichts spricht dagegen, dass auch eine 
andere Version als die im Livre d’Artus enthaltene 
nach Savoyen gelangte; ja, im Hinblick darauf, dass Artus 
schon Mitte des 13. Jahrhunderts als wilder Jäger auf den 
Mont du Chat versetzt wird, halte ich das für sehr wahrschein- 
lich. Es seien daher noch einige ältere Beziehungen zwischen 
dem Grafengeschlecht von Savoyen und dem französischen bezw. 
englischen Hofe angeführt: Der im Jahre 1103 verstorbene Graf 
Humbert II. von Savoyen heiratete eine Burgunderin; Adelais, 
die Tochter dieser Beiden, wurde 1115 mit Ludwig VI. oder dem 
Dicken von Frankreich vermählt, der von 1108—1137 regierte. 
Wichtiger als diese Beziehung ist für uns vielleicht Folgendes: 
Es ist genugsam bekannt, dass Eleonore von Poitou, ihre T'ochter 
aus erster Ehe, Marie de Champagne, ferner ihr zweiter Gemahl, 
Heinrich II. von England, verschiedene provenzalische und alt- 
französische Dichter protegierten und beeinflussten. Es ist für 
unseren Zweck vielleicht nicht belanglos, dass dieser Heinrich II. 
von England mit Humbert III. von Maurienne in Ver- 
bindung trat,!) um dessen Tochter Aalis mit seinem Sohn Johann 
zu verloben. Infolge des frühzeitigen Todes der Aalis wurde 
der Plan hinfällig, allein der auf einer Zusammenkunft zu Mont- 
ferrand in der Auvergne im Januar 1173 geschlossene 
Heiratspakt ist uns erhalten?) Humbert sagt darin 
seinem zukünftigen Schwiegersohn Johann die Nachfolge in seiner 
ganzen Grafschaft zu für den Fall, dass er, Humbert, keinen 
männlichen Erben bekommen sollte; im anderen Falle verspricht 


1) Siehe Carutti l.c. S. 125. Nr. CCOXLII vom Jahre 1170. 
2) Siehe Wurstemberger Il. c. Bd. I, S.34 bezw. Bd. IV, S. $ ff. 


390 E. FREYMOND, 


er ihm eine Anzahl Herrschaften und Schlösser auf beiden 
Seiten des Gebirges. Dass bei dieser Gelegenheit 
Heinrich II. und Humbert III. von den Ortschaften in der 
Gegend des Mont du Chat sprachen, darf man ohne weiteres 
aus folgenden Worten der Urkunde schliessen: [Humbertus Comes 
Mauriensis et Marchio Italiae] donat etiam ei |Johanni filio 
Henriei illustrissimi Regis Angliae| totam vallem Novalesiae, 
Camberiacum quoque cum omnibus pertinentüs suis, Aiz, Asperum 
montem, Montem majorem, Cameram cum Burgo et toto mandato. 
— Dem eben genannten Humbert III. werden vier Gemahlinnen 
zugeschrieben, darunter Beatrix von Vienne und Burgund und 
eine Gertrud von Flandern-Elsass.!) Wurstemberger be- 
merkt zu dieser Gertrud von Flandern Folgendes:?) „Auch über 
Gertrud von Flandern fehlt es an urkundlicher Gewissheit. Die 
Umständlichkeit und Bestimmtheit der ältern Schriftsteller über 
diese Gertrud und ihre Ehe mit Humbert IIL, und die Thatsache, 
dass damals Flandern und Elsass einem Herren gehorchten, 
lässt zwar vermuten, Humbert habe wirklich eine Gemahlin 
dieses Namens gehabt; nur kann sie nicht seine letzte gewesen 
sein“. Ob seit Wurstemberger historisch Sichereres über diese 
Gertrud gefunden worden ist, weiss ich nicht, aber ich sehe, 
dass Carutti in der Stammtafel der savoyischen Grafen Gertrud 
als zweite Gemahlin Humberts III. anführt.?) — Humbert III. 
starb 1189; die genannte Gertrud von Flandern wird 
irgendwie mit Philipp von Elsass, Grafen von Flandern, 
verwandt gewesen sein, der bekanntlich Crestien de Troyes 
ein Buch übergab, nach welchem derselbe seinen Conte du Gral 
verfasste. 


Ich habe zu zeigen versucht, dass es im Laufe des 12. und 
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wahrlich nicht an 
nahen Beziehungen zwischen dem Grafengeschlecht von Savoyen 
und dem französischen bezw. englischen Hofe fehlt, und dass 
solche nahe Beziehungen gerade Kreise betreffen, die 
auch sonst durch ihren Einfluss auf die Entwickelung 
der altfranzösischen höfischen Epik bekannt sind, und 


1) Die alte sagenhafte Savoyer Chronik giebt ihm nur drei Frauen, 
darunter Mechthild von Flandern. 

2) ].c. Bd. I. S.39, Anm. 19. ? 

s) 1.c. 8. 8781. a 


ARTUS KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 391 


in denen Crestien de Troyes die Anregungen zur Abfassung seines 
Lancelot und seines Conte du Gral empfing. Es wäre daher im 
Hinblick auf diese verwandtschaftlichen Beziehungen und Be- 
rührungen sehr gut erklärlich, dass unsere Sage vom Kampfe 
Artus’ mit der Katze in Savoyen bekannt wurde. 


Allein die Sage kann auch in anderer Weise von Frank- 
reich aus nach Savoyen importiert worden sein. Die meisten 
Franzosen, die nach Italien reisten, überschritten wohl den Mont 
du Chat, wenn sie nicht Savoyen unberührt liessen. Die zu- 
letzt von mir angeführte Urkunde vom Jahre 1170 (Carutti 
Nr. CCCXLIII) schliesst mit folgendem Satz: Fwit enim idem 
comes |sc. Humbertus comes Moriennae] filius Amati (Amedei III) 
comitis, et ditissimus in possessione urbium et castellorum : nec 
aliquis potest adire Italiam, nisi per terram ipsius. — 
Ich teile Zenkers Verwahrung!) dagegen, dass man beständig 
die wackeren Rompilger als Staffetten und Kolporteure der 
Sagen- und Epenstoffe von Nation zu Nation aufmarschieren 
lässt. Es ist den Pilgern in dieser Beziehung schon oft manches 
mit Unrecht zugemutet worden, und sie erinnern an die be- 
kannten römischen Steinmetzen, denen man allerlei Sonderlich- 
keiten auf Inschriften zuschrieb, und die so zu Opfern ihrer 
mangelhaften Schulbildung wurden. Allein trotzdem erlaube ich 
mir die Bemerkung, dass in dem uns näher angehenden 
Falle die Rompilger sehr gut Vermittler der Sage ge- 
wesen sein können. In der französischen Uebersetzung von 
Bernhards von Breitenbach Peregrinationes findet sich 
fol. 193r° die Reiseroute nach Rom verzeichnet, le chemin de 
romme auec toutes les eglises ... que doiuent visiter les 
pelerins qui y vont u.8s.w. Die Routen von Lyon nach Rom, 
bezw. von Lyon nach Venedig, enthalten zunächst die gleichen 
Stationen, nämlich die folgenden: de Iyon a la verpilerie, de la 
verpilerie a la tour du pin, de la tour du pin a heiguebelette, 
Montaigne fort haulte, de heiguebelette a chambery, de 
chambery a Montmelian?) u. s.w. In direkter Linie zwischen 
Aiguebelette und Chambery liegt der südliche Ausläufer des 


») Siehe Festgabe für G.Gröber, S. 184 Anm. 

2) Le grant voyage de Jerusalem ... Imprime a Paris pour Francoys 
regnault libraire demourant en la grant rue sainct Jacques a Iymaige sainct 
Claude. 1517. 


392 E. FREYMOND, 


Bergrückens vom Mont du Chat. — Im Jahre 1395 überschritt 
Ogier VIII, Herr von Anglure, auf seiner Wallfahrt nach 
Jerusalem den Mont du Chat.!) 

Nachdem gezeigt worden ist, wie unsere Sage von Artus’ 
Kampf mit dem Katzenungetüm von Frankreich nach Savoyen 
gelangt sein kann, darf ich zum Schluss noch angeben, wie 
ich mir die Lokalisierung der Sage auf dem Mont du 
Chat erkläre. Ich möchte vermuten, dass bei der ganz eigen- 
artigen Lokalisierung zwei Momente mitgespielt haben. 

Erstens: Die Episode schliesst sich im Livre d’Artus, wie 
schon wiederholt gesagt wurde, unmittelbar an den Sieg Artus’ 
über die Römer zwischen Langres und Autun an, und ich zeigte, 
dass für diesen Römerzug oder wenigstens für die Schlacht 
Waces Brut die Quelle für den Livre d’Artus abgegeben hat. 
Galfrid von Monmouth, die Vorlage von Wace, ist also die 
indirekte Quelle für jene Schlachtschilderung. Sehen wir nun 
zu, was bei Galfrid auf den Bericht der Schlacht folgt. Die 
Episode schliesst hier Lib. X, cap. 13 folgendermassen: Hostes 
quoque suos miseratus, praecepit indigenis sepelire eos: corpusque 
Luciü ad senatum deferre, mandans non debere aliud tributum 
ex Britannia reddi. Unmittelbar darauf heisst es: Deinde post 
subsequentem hyemem in partibus illis moratus est: et 
civitates Allobrogum subjugare vacavit.?) Adveniente vero 
aestate, cum Romam petere affectaret, et montes trans- 
cendere incoepisset, nunciatur ei Modredum nepotem suum, 
cujus tutelae commiserat Britanniam, ejusdem diademate per 
tyrannidem et proditionem insignitum esse; reginamque Ganhu- 
maram, violato jure priorum nuptiarum, eidem nefanda Venere 
copulatam esse. Damit endet das zehnte Buch und die beiden 
ersten Kapitel des folgenden Buches berichten die Katastrophe. In 
der Schlacht ad flumen Cambula wird Modred getötet, aber auch 
Artur wird tötlich verwundet und gelangt nach der Insel Avalon. 

Schon Galfrid von Monmouth erzählt also, dass 
Artus den auf die Schlacht gegen die Römer folgenden 


1) Vgl. Le saint voyage de Jherusalem du seigneur d’Anglure, p. p. 
F. Bonnardot et A. Longnon. Paris 1878. (Soc. d. a. t. frang.) S. 1f. 

2) Uebrigens ist in dem, bereits im ersten Teil dieser Untersuchung 
herangezogenen Brief des Procurators Lucius an Artur davon die Rede, dass 
Artur Gallien und die Provinz der Allobroger den Römern entrissen habe. 
Vgl. Galfrid lib. IX, cap. 15. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 393 


Winter in jener Gegend (zwischen Autun und Langres) 
zubrachte und die civitates Allobrogum subjugare vacavit. 
Die Allobroges sassen bekanntlich in der Gallia narbonnensis, 
und zwar zwischen der Isere, dem Genfersee und der Rhone. 
Mit Rücksicht darauf, dass der Alpenübergang mit der Ueber- 
steigung des Mont du Chat begann, ferner mit Rücksicht darauf, 
dass diese Route später sicherlich, — vermutlich auch vordem 
— beliebt war, dürfen wir aus den hervorgehobenen Worten 
cum ... montes transcendere incoepisset ohne weiteres schliessen, 
dass schon Galfrid den Artur just bis auf den Mont du 
Chat oder bis in dessen Nähe gelangen lässt. Hier erhielt 
er die traurige Botschaft vom Verhalten seines Neffen Modred, 
hier kehrte er um, um nach Britannien zurückzukehren, und 
dann erfolgt die Katastrophe. Die Katastrophe für Artus wurde 
aber, wie im zweiten Teile dieser Arbeit gezeigt wurde, auch 
noch in anderer Weise erzählt, derart nämlich, dass Artus im 
Kampfe gegen das Katzenungetüm seinen Tod fand, bezw. dass 
er in diesem Kampfe zwar Sieger blieb, aber nicht mehr nach 
Britannien heimkehrte, sondern von der Katze — einem Dämon 
— entführt wurde. Es mag dann die Sage den Kampf mit der 
Katze just an den Ort versetzt haben, wo Artus (vgl. Galfrid von 
Monmouth) die Alpen zu überschreiten begann, bezw. vielleicht 
mag auch erzählt worden sein, dass Artus just auf den Berg 
entführt wurde, der dann Mont du Chat hiess. So wäre es 
erklärlich, dass Estienne de Bourbon schon ca. 1260 den Artus 
auf dem Mons Cati als wilden Jäger auftreten lässt. 

Das zweite Moment, das bei der eigentümlichen Lokali- 
sierung der Sage auf dem Berg am heutigen Lac du Bourget 
mitgespielt haben kann, ist nach meiner Vermutung das, dass 
Lokalitäten in der Nähe des Berges Namen aufweisen oder 
aufwiesen, die, auf volksetymologischem Wege, ganz oder teil- 
weise mit chat, catum oder vielleicht sogar mit den in einigen 
Versionen der Sage vorkommenden Namen des Monstrums, näm- 
lich mit den Namen Capalu oder Chapalu in Verbindung gebracht 
wurden. 

Den nach Osten im Ganzen steil abfallenden Bergrücken 
des Mont du Chat begleitet, wie schon gesagt, der See, der 
heute Lac du Bourget heisst. Am Fusse des Berges, zugleich 
am See liegt der Ort Bordeau und weiter nördlich die berühmte 
Abtei Hautecombe, Die Urkunde über die Gründung von Haute- 


304 E. FREYMOND, 


combe ist vom Jahr 1125 datiert und lautet folgendermassen:'!) 
Amedeus comes de Savoya, laudante uxore sua, donat Amedeo 
Abbati Altaecumbae terram super ripam de lacu Castellione, 
quae olim Charaya, nunc Altacumba nuncupatur. Chastillon 
oder, nach Verstummen von s vor Konsonant, Chätillon heisst 
ein altes Schloss am nördlichen Ufer des Sees; auch in dem 
jedenfalls sehr alten Namen für das Gelände, auf welchem Haute- 
combe steht, nämlich in Charaya konnte die erste Silbe an 
chat, catum erinnern. 


Zu den verschiedenen Etymologien des Namens Mont du 
Chat, die Mailland mitteilt, gehört auch die von Eugene Burnier,?) 
wonach der in Frage stehende Berg nicht nur Mons Munitus, 
sondern auch Mons Thuates geheissen haben soll; nach Joanne?) 
sollen Zchat oder chat von Theutates-Thuat, dem Namen des 
gallischen Mercur, herkommen, der auf dem Mont du Chat einen 
Tempel gehabt habe. Derselben Herkunft soll Monthoux oder 
Montheux sein, der Name eines kleinen Fleckens auf der West- 
seite des Berges, der ca. einen Kilometer vom Pass des Mont 
du Chat entfernt ist und zum Kirchspiel St. Jean de Chevelu 
gehört. In einer Abhandlung von ©. A. Ducis fand ich darüber 
folgenden Passus:?) se dirigeant vers Aimavigne, Jongieux, Billieme, 
Monthoux, Monsthuates, dont on fait Mont-du-Chat, par la con- 
fusion du t et du c dans l’ecriture gothique du XIII sieclee An 
den hier angenommenen Einfluss der Graphie glaube ich nicht; 
vielleicht ist der Name des Dorfes Monthoux oder vielmehr Mons- 
thuates auf den Berg, auf dem es liegt, übertragen worden, oder 
umgekehrt; ein *Monsthudt>) erinnerte lautlich an ein * Monstsat 
und auf volksetymologischem Wege hätte vielleicht ein Mont du 
Chat entstehen können. Allein ich weiss nicht, wie alt der Ort 


1) Carutti l.c. S. 96. Nr. CCLXIV. Ausführlich bei Guichenon, 
Histoire genealogique d. 1. Re. Maison d. Savoy. Lyon 1660. Lib. VI. 
Preuves 8. 31. 

2) E. Burnier, Le chäteau et le prieur& du Bourget, &tude historique 
S. 14. Ich kenne die Schrift nur aus Maillands Verweis in seinem Buche 
Bordeau u.s.w. 8.69. Herr Abbe Jullien schreibt mir, dass Bumier |. c. 
Belege für die Namensform Mons Thhuates nicht Babe: 

3) Siehe Mailland 1. c. S. 71. 

ı) Voies romaines de la Savoie in Revue Savoisienne. 34° annee. 
Annecy 1893. S. 329. - 


5) Monthoux würde auf eine Betonung *Monsthiat hinweisen. 


ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜM. 395 


bezw. die Bezeichnung Monsthuates ist. Als ich s. Z. die nicht 
mit Namenverzeichnissen versehenen Urkundensammlungen durch- 
sah, achtete ich leider nicht auf diese Form und auch bei nach- 
träglichem Suchen stiess ich nicht auf diesen Namen. 


Das am Westabhang des Mont du Chat liegende Monthoux 
oder Montheux gehört, wie ich eben bemerkt habe, zum Kirch- 
spiel St. Jean de Chevelu; einen Kilometer von letzterem ent- 
fernt ist das eigentliche Dorf Chevelu und ganz in der Nähe 
liegen die kleinen Seen von Chevelu. Dieser Name Chevelu 
ist alt; wenigstens begegnen schon in der angeführten Urkunde, 
laut welcher Graf Amedeus im Jahre 1125 dem Abt Amedeus 
ein Stück Land zur Gründung von Altacumba überlässt, als 
Zeugen ein gewisser Dernardus de Cappiluto und sein Sohn 
Torestanus. Der letztere zog im Jahre 1145 mit Amadeus III. 
ins heilige Land.) Einen Gwigo Chevelluto bezw. Guido de 
Cheveluto fand ich urkundlich in den Jahren 1232 und 1234.2) 
Den Namen dieses Ortes Chevelu fand ich auf einer alten Karte 
von Savoyen von Sanson (Paris 1663) in der Form Gabeleu ou 
Chavelu |!.. Ich halte es nicht für undenkbar, dass die Aehn- 
lichkeit dieses Namens mit den Namensformen für das Katzen- 
monstrum in seinen verschiedenen Gestalten, nämlich mit Capalu 
oder Chapalu, dazu beigetragen haben kann, die Sage vom 
Kampf mit der Katze auf den Berg zu versetzen, an dessen 
Westabhang die Ortschaften Chevelu und die Lacs de Chevelu 
liegen. — 

Der Umstand also, dass schon Galfrid von Monmouth in 
seiner vor 1138 geschriebenen Historia regum Britanniae den 
König Arturus nach dem Römerkrieg bis in die Gegend des 
heutigen Mont du Chat gelangen lässt, ferner vielleicht der 
Umstand, dass verschiedene Ortsbezeichnungen in unmittelbarster 
Nähe dieses Berges durch ihre Namensformen an das Substantivum 
chat bezw. an Ohapalu erinnerten, mögen dazu beigetragen haben, 
dass unsere Sage auf dem besagten Berg lokalisiert wurde, oder 


1) Vgl. Caruttill.c. 8.107. Nr. CCXCVL. 

2) Siehe Carutti l.c. 8.194, Nr. DXXX bezw. S. 201, No. DXLVIH. 
Nach einer Mitteilung des Herrn Jullien handelt über die Herren von Chevelu 
unter anderen der Marquis de Toraz in seiner im Erscheinen begriffenen 
Genealogie de la noblesse savoisienne. — Vom alten Schloss Chevelu existieren 
heute nur noch die Kellerräume, 


396  E. FREYMOND, ARTUS’ KAMPF MIT DEM KATZENUNGETÜUM. 


vielleicht, dass der Berg infolge dieser Lokalisierung den Namen 
Mont du Chat erhielt. 

So schliesse ich denn endlich meine Untersuchung, in der 
Hoffnung, zur Erklärung der eigentümlichen Sage von Artus’ 
Kampf mit dem Katzenungetüm und zur Erklärung der ausser- 
gewöhnlichen Lokalisierung dieser Sage auf dem Mont du Chat 
einiges beigetragen zu haben; ich selbst habe jedenfalls das 
angenehme Gefühl, das Katzenungetüm, mit dem ich mich so 
lange herumgebalgt habe, hoffentlich für immer los zu sein. 


Bern. E. FrEyYmonD. 


Zur Chanson de geste „Aiol et Mirabel“, 


In einer epischen Ueberlieferung, die wie die altfranzösische 
wesentlich auf historischer Grundlage beruht, entstehen epische 
Erzählungen, wenn ein das Volksbewusstsein erschütterndes Er- 
eignis einer durch körperliche und seelische Vorzüge hervor- 
ragender Persönlichkeit Gelegenheit geboten hat in der Stunde 
der Gefahr oder des Sieges als Vorkämpfer seines Volkes oder 
einer Volksgemeinschaft hervorzutreten. Nur wer im Dienste 
der Seinen kämpft und fällt oder wer durch Trotz und Ruch- 
losigkeit seinen Zeitgenossen Bewunderung und Furcht einflösst, 
nur dessen Name lebt im Epos fort. Wer im engeren Kreise 
der Familie oder der Hausgemeinschaft durch Tugend oder 
Frevelsinn sich auszeichnet, um den kümmert sich die Chanson 
de geste nicht; die Haustragödien, die sich in einer Zeit wilder 
Leidenschaft und zügelloser Entfaltung der Persönlichkeit auf 
den einsamen Burgen entrollen mochten, haben keine Chanson 
de geste entstehen lassen, nicht etwa weil sie verborgen bleiben 
mussten, denn Hausgenossen, Knechte, Mägde konnten für ihre 
Verbreitung sorgen und andere Litteraturgattungen spiegeln sie 
wieder — Romane, Heiligenlegenden —, sondern weil ihnen der 
historische Hintergrund fehlte. Er allein giebt der Chanson de 
geste ihren Ernst und schützt sie zunächst vor den Aus- 
schweifungen der willkürlich schaltenden Phantasie; sie bleibt 
menschlich wahr, mag auch die historische Bedeutung der Er- 
eignisse und Persönlichkeiten im Spiegel der Dichtung über- 
trieben erscheinen. Sobald die historische Persönlichkeit vermöge 
ihres thätigen Eingreifens in die Geschichte des Volkes dem 
Gedächtnis der Menschen bewahrt ist, beginnt die schaffende 
und umgestaltende dichterische Arbeit. Es wird immer wieder 


398 F. ED. SCHNEEGANS, 


eine reizvolle Aufgabe der Forschung sein zu untersuchen, welche 
Kräfte in einer Zeit verhältnismässig hochentwickelter Kultur 
zur Bildung epischer Heldenfiguren beigetragen haben, wie wir 
sie in den Königs- und Wilhelmsepen finden. Der Fixierung der 
epischen Erzählung durch den Vers muss eine Zeit vorausgehen, 
in der der Sagenstoff sich selbst überlassen von Mund zu Mund 
wanderte, von denen ausgehend, die an den Ereignissen beteiligt 
und weitsichtig genug waren, um den Zusammenhang der Be- 
gebenheiten übersehen zu können. Aus der Fülle der Einzelheiten, 
aus denen sich ein grosses Ereignis zusammensetzt, fiel das 
Unwesentliche weg, einige besonders markante Züge prägten 
sich dem Gedächtnis ein und traten in starker Beleuchtung her- 
vor, von den historischen Figuren blieben nur wenige zurück, 
deren Bedeutung, Stellung, Vorzüge umsomehr wuchsen als sie 
die Rolle vieler Vergessener in sich vereinigten und zu typischen 
Gestalten umgearbeitet wurden. Mit dieser ersten Stufe, die 
wir notwendig annehmen müssen, wie wir uns auch die weitere 
Entwickelung der Sagenbildung denken mögen, war die Grund- 
lage für eine Chanson de geste gegeben. Die Frage ist nur, ob 
eine solche mündliche Erzählung lange bestehen konnte, ohne 
ihren historischen Charakter vollständig zu verlieren in einer 
Zeit der Unruhe, wo die Erinnerung an die Thaten früherer 
(zenerationen im Wechsel der Verhältnisse sich leicht verwischen 
musste Auch wer an eine späte Entstehung unserer Gedichte 
glaubt und eine Periode oraler Ueberlieferung vorausgehen lässt, 
nimmt eine Fixierung der Sagenstoffe an. Voretzsch hat in 
inhaltsreichen und anregenden Aufsätzen!) die Existenz einer 
Heldensage nachzuweisen unternommen, deren Spuren er einerseits 
in Merowingersagen andererseits in karolingischen und späteren 
Chroniken wiederfinden will. Besonders wichtig erscheinen ihm 
die bekannten Erzählungen über Karl den Grossen und Pipin in den 
Gesta Karoli Magni des Mönchs von St. Gallen, wo das Vorhanden- 
sein von Karolingersagen ausdrücklich bezeugt ist. Dass solche 
Anekdoten über den Heldenkaiser und seine Mitkämpfer sich 
ausbildeten, ist natürlich; sie entstanden unter den ungebildeten, 
in kindlich naiven Vorstellungen aufgewachsenen Kriegern, im 


1) Die französische Heldensage. Heidelberg 1894. Ders., Philologische 
Studien für Sievers und Allgemeine Zeitung (Beilage Nr. 234. Oktober 1897): 
„Märchen, Sage, Epos“, als Erwiderung auf meinen Aufsatz „die Volkssage 
und das Heldengedicht“ (Neue Heidelberger Jahrbücher 1898, S. 58—67). 


ZUR CHANSON DE GESTE „AIOL ET MIRABEL®., 399 


Volke, unter den Bauern. Aber aus solchen Anekdoten wird 
niemals ein Epos entstehen, besonders nicht ein Epos mit so 
ausgeprägt historischem Charakter wie die Chanson de geste. 
Deshalb hat auch Voretzsch schärfer ais er es zuerst gethan 
von diesen Volkssagen die „Heldensage“ unterschieden, ohne 
aber auf die Sagen der Gesta Karoli Magni in seiner Beweis- 
führung zu verzichten. Dürfen wir die Existenz einer solchen 
mündlich überlieferten Heldensage annehmen, die sich in den 
höheren Ständen erhalten haben müsste, da derartige Erzählungen 
im Volke allen Zufälligkeiten und Einflüssen ausgesetzt, von der 
Tradition und dem Kastengeist vor willkürlichen Umgestaltungen 
nicht geschützt, bald phantastisch ausgestaltet worden wären? 
Wir müssten die mündliche Fortpflanzung nicht allein kurzer 
Berichte etwa über die Krönung Ludwig’s oder die Kämpfe 
eines Ogier oder eines Raoul de Cambrai annehmen, sondern 
auch in den Hauptscenen und den charakteristischen Einzelheiten 
fixierter Erzählungen, die wesentlich verschieden wären von den 
Anekdoten, wie sie über berühmte Persönlichkeiten sich ver- 
breiten. Die Annahme einer solchen Heldensage scheint mir 
schwierig, trotz der von Voretzsch beigebrachten Argumente. 
Aber brauchen wir dieses Bindeglied zwischen dem historischen 
Ereignis und dem Epos? Ein Dichter, der den Ereignissen nahe 
genug stand, um bestimmte Einzelheiten und Namen und den 
erschütternden Eindruck des Geschehenen auf sich einwirken zu 
lassen, konnte aus der schmerzvollen oder freudigen Stimmung 
der von den Ereignissen unmittelbar getroffenen Generation 
heraus eine zusammenhängende, poetisch gefärbte Erzählung 
schaffen, mit der Absicht die „gesta majorum“* vor dem Unter- 
gange zu retten. Die Farben, mit denen der Krieger zum Helden 
verklärt und die einzelnen Scenen künstlerisch ausgestaltet 
wurden, entnahm der Dichter der ihn umgebenden Wirklichkeit. 
So entstanden der Krönungsakt im „Coronement Loois“, der 
Prozess Ganelon’s und seine Hinrichtung im Rolandslied, alle jene 
in ihrer schlichten Grösse lebensvollen und ergreifenden Scenen, 
die der Chanson de geste ihren historischen Charakter und ihre 
kulturgeschichtliche Bedeutung geben. Frühere Gedichte boten 
dem jüngeren Dichter einzelne Motive und epische Situationen; 
die letzten Träger berühmter Namen zogen die Thaten gleich- 
namiger Vorgänger an sich, Heiligenlegenden und der reiche 
Schatz der Volkslitteratur boten weiteren Stoff zur poetischen 


400 F. ED. SCHNEEGANS, 


Ausschmückung der epischen Erzählung. Sobald das dem Epos 
zu Grunde liegende geschichtliche Ereignis mit seinen Folgen 
aufhörte der Volksphantasie gegenwärtig zu sein und zum Er- 
zählungsstoff geworden war, rückte der Held mächtig in den 
Vordergrund, nicht mehr als Träger der Handlung, sondern schon 
als Individuum, auf das sich das Interesse der naiven Zuhörer 
konzentrierte, die ihre Aufmerksamkeit von der Handlung auf 
die fasslichere Heldengestalt übertrugen. Nun wollte man Näheres 
von ihm wissen, von seinem Wesen, den Menschen kennen. 
So enstanden zunächst in älteren Gedichten Episoden wie der 
Tod Alda’s im Rolandslied, dann mit dem Fortschreiten des 
handwerksmässigen Betriebes der epischen Litteratur Gedichte 
über Eltern, Vorfahren und Anverwandte der ursprünglichen 
historischen Figuren. Der lebendige Strom der historisch ge- 
gründeten Epik ist bereits versiegt in der Zeit, aus der uns die 
ältesten Epen erhalten sind, und, wenn dann ein Ereignis wie 
die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer eine Prosa- 
darstellung in der Vulgärsprache hervorruft, ist längst die Zeit für 
eine lebenskräftige Epik vorüber, der historische Sinn ist auch 
in Laienkreisen erwacht. Man überlässt es nicht mehr dem 
Annalisten die Thaten der Gegenwart in ihrer Wahrheit der 
Nachwelt zu erhalten und lebt nicht mehr in der Erinnerung einer 
poetisch verklärten Vergangenheit: die Gegenwart ist sich ihrer 
Bedeutung bewusst, das historische Zeitalter mit der Entfaltung 
der Persönlichkeit hat begonnen und zugleich die Scheidung 
zwischen der höfischen Litteratur und der Volkslitteratur. Hatte 
die Chanson de geste ihre ursprüngliche Bedeutung verloren, 
hörte sie auf ein Spiegel der Thaten der Vergangenheit zu sein 
und wurde sie Unterhaltungslitteratur, so genügte sie den 
Anforderungen einer höher gebildeten höfischen Gesellschaft 
nicht mehr, die in der Litteratur sich selbst erkennen wollte; 
es entstand der Roman, der einen durch Tapferkeit hervor- 
ragenden Menschen von der Allgemeinheit loslöst und in Liebe, 
Abenteuern, Kämpfen, Fahrten nach einem fernen Glück sich 
frei entfalten lässt. Das Epos ist von der Oeffentlichkeit zurück- 
getreten und wendet sich dem Leser zu, der im Roman Menschen 
sucht, nicht die Geschichte eines Volkes, an der Hand des 
kundigen Dichters in die Tiefen des Menschenherzens eindringt, 
dabei unterhalten und durch die wechselnde Scenerie, die Aben- 
teuer, die Verwickelungen der Handlung in Spannung erhalten 


ZUR CHANSON DE GESTE „AIOL ET MIRABEL“. 401 


sein will. Der Roman beleuchtet gerade die Seiten der mensch- 
lichen Natur und des Lebens, welche das Epos ursprünglich 
vernachlässigt hatte. Aber die Chanson de geste war nicht 
untergegangen. Sie entwickelte sich weiter als höheres Hand- 
werk, wie aus jeder lebenskräftigen Litteraturgattung ähnliche 
Produkte künstlich hervorgehen: bestimmte Situationen, Cha- 
raktere, formelhafte Wendungen, Vergleiche, Epitheta bildeten 
den Vorrat, aus dem stets neue Epen entstanden, die unter sich 
eine Familienähnlichkeit haben wie die Tragödien des 17. Jahr- 
hunderts. Auf dieser Stufe angelangt konnte das Epos sich dem 
Einfluss des höfischen Romans nicht entziehen. Nicht allein 
einzelne Motive und Figuren drangen in das Volksepos ein, der 
Geist des aristokratischen Romans wirkte umgestaltend auf 
dasselbe ein. Was das Epos dadurch an psychologischer Fein- 
heit gewann, verlor es an sittlichem Ernste dadurch, dass die 
Thaten des Helden Selbstzweck wurden, er nicht mehr im Dienst 
einer höheren Idee stand und zum Abenteurer wurde. Das 
Epos Aiol und Mirabel ist ein treffliches Beispiel für diese 
eigentümliche Kreuzung von Abenteuerroman und Chanson de 
Geste. Es ist vielleicht nicht ganz nutzlos auch nach der lehr- 
reichen Einleitung, welche W. Förster der Ausgabe des Textes 
vorausgeschickt hat und der scharfen Charakteristik, welche 
Gröber (Grundriss II, S. 569 f.) von diesem Epos gegeben, noch- 
mals auf die Komposition dieses eigentümlichen Gedichtes und 
seine Stellung innerhalb der altfranzösischen Epik einzugehen. 

Dass das Gedicht keine historische Grundlage hat, ist 
wahrscheinlich; wenigstens ist keine geschichtliche Person be- 
kannt, die das Vorbild Aiol’s sein könnte. Auch der Heilige des 
Namens ist erst nachträglich mit dem Helden Aiol in Verbindung 
gebracht worden. Der Stoff des Epos scheint frei erfunden zu 
sein. Ueberarbeitungen und eine tiefgehende Umgestaltung des 
zweiten Teiles des Gedichtes, die sich äusserlich im Wechsel 
des Metrums zeigt, lassen uns aber im Zweifel über den ursprüng- 
lichen Plan des Epos. Die sehr frühen Citate, die für die grosse 
Beliebtheit des Gedichtes Zeugnis ablegen, bürgen zugleich dafür, 
dass der Auszug des jugendlichen Helden mit der Rüstung des 
Vaters, seine Verspottung durch rohe Gesellen dem ursprüng- 
lichen Gedichte angehören. Schon hier zeigt sich aber die 
Verquickung epischer und romanhafter Elemente. Das Motiv 
der Vertreibung Elies vom Hofe Ludwigs durch den Verräter 

Festgabe für Gustav Gröber. 25 


402 F. ED. SCHNEEGANS, 


und Intriganten Macaire verweist zwar Aiol in die Gruppe der 
Verräterepen (Aye d’Avignon, Macaire, Gaydon u. s. w.). Aber 
dem Dichter ist es um den Kampf zwischen Elie und seinen 
Feinden zunächst nicht zu thun, sondern nur darum seinen 
jugendlichen Helden allein auf Abenteuer ausziehen zu lassen. 
Man hat Aiol mit Perceval verglichen; wenn auch ein direkter 
Zusammenhang zwischen beiden Figuren nicht bestanden haben 
wird, so gleicht Aiol dem jungen Helden der Graaldichtung darin, 
dass er wie ein Romanheld als Individuum aufgefasst und isoliert 
ist, nur äusserlich im Dienste einer höheren Aufgabe kämpft; 
eigentlich sind seine Thaten Selbstzweck, Abenteuer, aber es 
fehlt ihnen der Reiz geheimnisvoller Poesie, der die Figur 
Perceval’s umschwebt und für den weder der Dichter noch seine 
Hörer Verständnis haben mochten. Die Figur selbst ist mit 
(seschick und liebevoll gezeichnet, die Mischung von rührender 
Kindlichkeit und Schüchternheit mit aufflammendem Heldentum 
trefflich gelungen. Der spätere Bearbeiter des zweiten Teiles 
der Chanson hat diese Züge verwischt und lässt ohne Weiteres 
den Knaben Aiol zum Helden werden. Dass die Wiedererlangung 
des väterlichen Besitzes dem Dichter nur die Gelegenheit geben 
sollte seinen Helden einen abenteuerlichen Zug unternehmen zu 
lassen, ergiebt sich aus der Art wie die Erkennungsscene zwischen 
dem König und seinem Neffen ungebührlich verzögert wird, auch 
nachdem Aiol durch seine Heldenthat vor Orleans die Gunst 
des Königs erworben und am Hofe sich die erste Stelle errungen 
hat. Ausser einigen Unebenheiten ist die Darstellung bis zur 
Ankunft Aiols am Hofe Ludwigs durchaus korrekt und das Werk 
eines Dichters, wenn wir von der Interpolation der Eingangs- 
strophe, einer Doppelerzählung in 260 Alexandrinern (v. 1625 bis 
1885) absehen. Die Erzählung nimmt eine neue Wendung mit der 
Ankunft des sarrazenischen Boten Tornabeus. Diese Episode ist 
in Zehnsilbern erzählt, gehört also nicht dem letzten Ueber- 
arbeiter an. Ist sie aber ursprünglich? Hier giebt uns ein 
Traumbericht in den Eingangsstrophen des Gedichtes die Möglich- 
keit in der wirren Darstellung uns einigermassen zurechtzufinden. 
Mitten in der Abschiedsscene unterbricht der alte Elie das lange 
„chastiement“, um einen Traum zu erzählen, in dem er die 
Zukunft seines Sohnes vorhergesehen hat und den der Eremit 
deutet. Ein solcher Traum kann nur den-Zweck haben den 
Inhalt des Gedichtes zusammenzufassen, um die Hörer kurz zu 


ZUR-CHANSON DE GESTE „AIOL ET MIRABEL“. 4053 


orientieren, ihre Teilnahme für die vielversprechende Erzählung 
zu gewinnen. Förster ist zwar der Ansicht, dass die Traum- 
angaben zu dürftig sind, um uns über den Inhalt des Gedichtes, 
wie es dem Urheber der Traumerzählung vorlag, näher zu unter- 
richten.!) Einiges erfahren wir aber doch. Wir sehen, dass Aiol 
ein Adler wird, der die andern Vögel „va iustichant“, was im 
Gedichte in der Erhebung Aiol’s am Hofe Ludwigs in Erfüllung 
geht. Den verarmten Rittern und „boin sergant“ soll ferner Aiol 
ihre verlorenen Güter zurückgeben. Etwas ganz entsprechendes 
finden wir zwar im Gedichte nicht, ganz ähnlich aber sehen wir 
Aiol v. 3723 ff. arme Ritter und Knappen reich beschenken und 
durch seine Wohlthaten an sich ketten: 


Or tient Aiols meisnie de cheualiers, 
S’en seruira le roi qui Franche tient, 
Encore en ert Elies ses peres lies, 
Si en sera Makaires grains et iries. 

Dieser Zug grossartiger aber zielbewusster Freigebigkeit 
ist nicht neu im Epos. Im Charroi de Nimes sehen wir Wilhelm 
eine Schar von „poures bachelers“ und „escuiers qui ont dras 
despanez“ um sich versammeln und zwar nicht durch Gesehenke, 
wohl aber durch die Aussicht auf Beute zu dem kühnen Unter- 
nehmen gegen die Sarrazenen fortzureissen.2) Wie im Aiol erregt 
auch im Charroi de Nimes die Macht Wilhelms, der Führer einer 
Schar unternehmungslustiger Jünglinge geworden ist, den Neid 
eines Gegners. Der alte Aymes warnt den König die „flor de 
France* mit einem Abenteurer ausziehen zu lassen; zu Fuss 
und bettelnd werden sie nach Hause zurückkehren und unter- 
dessen wird dass Reich wehrlos sein. Der Verräter Macaire 
sucht Aiol ganz ähnlich, wenn auch mit anderen Gründen, bei 
König Ludwig anzuschwärzen und auch hier nimmt der König 
den Helden gegen den Verleumder in Schutz. Trotz der Aehn- 
lichkeit der beiden Scenen ist ein Zusammenhang nicht an- 
zunehmen. Sie gehen offenbar auf einen Brauch der Zeit zurück?) 


1) Mentz: Die Träume in den altfranzösischen Karls- und Artus-Epen 
(Ausgaben und Abhandlungen aus dem Gebiet der romanischen Phil. LXXII 
Marburg 1888) bespricht den Traum, ohne aber den Zusammenhang mit «dem 
Epos näher zu untersuchen. 

2) Charroi de Nimes v. 636 ff. 

°) Flach: Les origines de l’ancienne France. Paris 1893. Bd. II, S. 469 
(Le compagnonnage d’aventure). 


26* 


404 F. ED. SCHNEEGANS, 


und können selbständig in beiden Gedichten entstanden sein. 
Aber ihre Aehnlichkeit, die Rolle, welche das so gewonnene 
Gefolge Wilhelms im Charroi spielt, der Nutzen, den Aiol’s Vater 
und der König von der jugendlichen Schar einst ziehen sollen, 
verbunden mit der auffallenden Thatsache, dass diese Krieger 
im weiteren Verlauf der Chanson nicht erwähnt werden,') das 
Alles macht es wahrscheinlich, dass schon an dieser Stelle 
eine Störung in unserem Aiol eingetreten ist. In der Traum- 
erzählung finden wir, dass die Bäume des Waldes und die 
wilden Tiere sich vor Aiol neigen und sich ihm unterwerfen, 
dass er sie in Wasser untertaucht. Die Bäume bezeichnen nach 
des Eremiten Deutung ein Reich, das Aiol zufallen soll, die 
Tiere Sarrazenen, die er besiegen und taufen wird. Da die 
wilden Tiere offenbar im Walde hausten, dessen Bäume sich vor 
Aiol neigen, so sind wir wohl berechtigt anzunehmen, dass nach 
dem Traume Aiol Herrscher in einem Sarrazenenreiche werden 
sollte: „si auera corone el cief portant“. Darauf wird erzählt, 
dass der Adler Aiol mit zwei Habichten nach Spanien zieht 
und dass die Mauern von Pampeluna sich vor ihm neigen; hier 
erobert er die „ymage“ „che ert une pucele mout auenans“. Die 
Stadtmauern, die vor Aiol niederfallen, erinnern an das bekannte 
Wunder, das wir in Chroniken und Epen oft finden. Hier 
scheint aber der Zug sich nicht auf die Art, wie Pampeluna im 
ursprünglichen Gedicht erobert wurde, zu beziehen, sondern nur 
bildlich die Unterwerfung der Stadt darzustellen. Dass aber 
Aiol mit zwei Begleitern, den „ır ostoir blanc“, Pampeluna 
erobert hätte, ist selbst in einem Abenteuerroman undenkbar. 
Vielmehr scheinen im Traume zwei Ereignisse oder zwei Episoden 
desselben Ereignisses zusammengezogen zu sein, die Fahrt Aiol’s 
mit zwei Begleitern nach Spanien und ein kriegerischer Zug, bei 
dem er beteiligt war und der mit dem Falle von Pampeluna 
endigte. Wir hätten somit für den zweiten Teil des Gedichtes 
eine Erzählung anzunehmen, wie wir sie im Wilhelmseyklus 
mehrfach finden, besonders in der Prise d’Orange Auch in 
diesem Epos zieht Wilhelm zunächst mit wenigen Begleitern als 
Abenteurer nach Orange, angezogen durch den geheimnisvollen 
Reiz des Unbekannten und Fernen und durch die vielgepriesene 


') In dem Kampfe, der nach dem Pferderenfien zwischen Aiol und 
Makaire entsteht, leisten sie Aiol Hülfe: Aiol v. 4451 £. 


ZUR CHANSON DE GESTE „AIOL ET MIRABEL“, 405 


Schönheit Orable’'s. Erst nachher wird ein grösserer Zug unter- 
nommen, der die Eroberung der Stadt zur Folge hat. Wie 
hätten wir uns danach die Handlung des Gedichtes nach der 
Inhaltsangabe im Traumgesicht zu denken? Nachdem Aiol 
durch seine Tapferkeit die angesehenste Stellung erworben und 
Makaire’s Macht erschüttert hat, schickt er zunächst Boten zu 
seinen Eltern mit Geld und Geschenken. Da die beiden italie- 
nischen Bearbeitungen des Aiol (s. Förster: Aiol und Mirabel 
Einleitung S. XVII) und eine spanische Ballade (ib. S. XXT) die 
Eltern Aiol’s aus der Verbannung zurückführen und diese Epi- 
sode den Forderungen der Wahrscheinlichkeit entsprechend an 
dieser Stelle des Gedichtes erwartet wird, dürfen wir vielleicht 
auch für den französischen Aiol dieselbe Reihenfolge der Freig- 
nisse annehmen. In der Motivierung der Fahrt Aiol’s nach 
Spanien gehen der französische Aiol und die italienischen Be- 
arbeitungen auseinander. Im Aiol bringt der Sarrazene Tornabeus 
König Ludwig die drohende Botschaft Mibrien’s, des Königs von 
Pampeluna. Die Scene ist so lebhaft erzählt, die Gestalt des 
ungeschlachten Riesen so im Charakter der echten Teile des 
Gedichtes, die Parteinahme Aiol’s für den verspotteten und 
misshandelten Boten ist so sehr der Charakteristik des treu- 
herzigen, edelmütigen Heldenknaben entsprechend, dass wir die 
Scene dem ursprünglichen Gedichte zuschreiben dürfen. Aiol 
wird sodann von Ludwig mit einer Antwort auf die Drohungen 
Mibrien’s nach Spanien geschickt. Wie im Traum verkündet 
war, zieht er mit zwei Gefährten, der Adler mit den zwei 
„ostoir blanc“, bis vor Pampeluna. In den italienischen Versionen 
lockt ihn die Schönheit der sarrazenischen Prinzessin nach 
Spanien; im Prosaroman schickt sie dem Helden, von dessen 
Vorzügen sie gehört hat, einen Zwerg als Boten (ebenso handelt 
Rosaflorida, die Sarrazenenjungfrau, in einer der spanischen 
Romanzen; s. Förster: Aiol Einleitung S. XXI), während um- 
gekehrt in dem italienischen Gedicht Aiol die Schönheit Bella- 
rosa’s preisen hört, wie Wilhelm die Orable’s, und auszieht um 
sie zu erobern. Die Erzählung der Botenfahrt Aiol’s, seiner 
Ankunft vor Pampeluna, wo seine Begleiter Mibrien treffen und 
durch ihre Botschaft und leere Drohungen die Sarrazenen in 
die Flucht treiben, während Aiol schläft, diese ganze Erzählung 
ist so abenteuerlich und unwahrscheinlich, dass wir an der Stelle 
schon eine starke Ueberarbeitung des Textes annehmen müssen, 


406 F. ED. SCHNEEGANS, 


die mit der Umgestaltung des zweiten Teiles der Dichtung 
zusammenhing, dem Zurücktreten Mibrien’s und des von uns als 
wahrscheinlich angenommenen Zuges des Christenheeres nach 
Spanien. In unserem Gedichte hören wir von dem für das 
nächste Jahr angekündigten Zug gegen Mibrien nichts mehr; 
Mibrien wird erst am Schlusse des Gedichtes angegriffen, weil 
durch einen Zufall Mirabel in seine Macht geraten ist. Im 
Original wurde wohl die Botschaft Karls in gebührlicherer Form 
vorgetragen und hatte einen Zug Ludwigs nach Spanien zur 
Folge, auf dem sich Aiol mit der ihm ergebenen Kriegerschar 
auszeichnete. Pampeluna wurde erobert, die Heiden besiegt und 
getauft und Aiol oder dessen Söhne mit der neueroberten Stadt 
belehnt, wenn wir den Angaben des Traumes trauen dürfen. 
Wurde nun Mirabel bei der Botenfahrt Aiol’s erobert oder erst 
bei dem eben angenommenen Zug nach Pampeluna? Ersteres 
ist das Wahrscheinlichere, da wenigstens ein Theil der Aben- 
teuer Aiol’s auf seiner Flucht von Pampeluna mit Mirabel 
ursprünglich zu sein scheint, wie übrigens die einzeln stehen 
gebliebenen Zehnsilbner zeigen. Die den Inhalt treffende Um- 
arbeitung scheint vielmehr nach der Erzählung von Aiol’s 
Hochzeit zu beginnen. Der Ueberfall der Neuvermählten durch 
Makaire, ihre Fortschleppung nach Losane könnten noch ur- 
sprünglich sein. Von da an wird aber die Handlung immer 
verwickelter und abenteuerlicher, besonders aber ist der Zu- 
sammenhang mit den Ereignissen in Pampeluna ganz gelöst. 
Leider lässt sich die Erzählung nicht kontrollieren weder an 
der Hand der italienischen Bearbeitungen, die von einander 
abweichen, noch der niederländischen Uebersetzung, die eine 
im Wesentlichen mit unserem Texte übereinstimmende Vorlage 
überträgt. Sicher ist, dass gerade in den Teilen, die einer 
Ueberarbeitung verdächtig sind, die Figur Aiol’s ganz farblos 
ist, er zum willenlosen Werkzeug in den Händen Makaire’s 
wird, sich ohne Widerstand hin- und herführen lässt und in der 
seltsamen Kerkerscene (Aiol ed. Förster S. 290) von den ein- 
brechenden Räubern weggeschleppt und von Mirabel getrennt 
wird. Gegen die Annahme eines im Zusammenhang mit der 
Botschaft Aiol’'s stehenden Zuges nach Pampeluna als Grund- 
motiv des zweiten Teiles der Dichtung könnte man geltend 
machen, dass in der Traumerzählung das Symbol der Taufe der 
besiegten Heiden der Erwähnung des Zuges Aiol's und der Er- 


ZUR CHANSON DE GESTE „AIOL ET MIRABEL". 407 


oberung der „ymage“ vorausgeht. Aber der Gang der Handlung 
auch in der überarbeiteten Form des Epos, das mit der Eroberung 
von Pampeluna schliesst, zeigt, dass die Reihenfolge der Ereig- 
nisse im Traum willkürlich verändert ist, um die Heimführung 
Mirabel’s durch Aiol, die Geburt und Krönung der zwei Söhne 
als Abschluss der Lebensarbeit des Helden hinzustellen. 

Wir sehen wie das Epos Aiol entstanden ist; es ist nicht 
wie andere Epen aus einem ursprünglichen Kern durch Zuthaten 
fremder Episoden allmählich herausgebildet worden, es ist auch 
nicht das Werk eines in der Tradition der Epenüberlieferung 
aufgewachsenen jongleur’s der in den Bahnen seiner Vorgänger 
weiterarbeitend aus epischen Gemeinplätzen handwerksmässig 
ein Gedicht verfasste, sondern es ist das Kunstprodukt eines 
geschickten Dichters, der mit Benutzung bekannter epischer 
Motive etwas neues geschaffen hat. Er entnahm zunächst den 
sogenannten Verräterepen die Verleumdung eines treuen Vasallen 
durch einen Vertreter der Verrätersippe, seine Verbannung, sein 
Leben in der Wüste bei einem hilfreichen Eremiten; in den 
Eingangsstrophen, die durch eine Alexandrinerstrophe ersetzt 
wurden, mochten der Grund der Verbannung Elie’s und das 
Leben der Familie im Walde eingehender geschildert sein, 
wenigstens ist der Beginn ausführlicher in der italienischen 
Bearbeitung. Die Figur des jugendlichen Abenteurers mit ihrem 
starken Hervortreten der Persönlichkeit ist unter dem Einfluss 
der höfischen Romanlitteratur entstanden. Der im Original wohl 
eingehender geschilderte Kampf Aiol’s mit Makaire und die 
Zurückberufung Elie’s wurden mit Motiven aus dem Wilhelms- 
cyklus verarbeitet. Ausser der komischen Figur des Tornabeus, 
die mit ihrer Plumpheit, Riesenhaftigkeit und Gefrässigkeit an 
die Gestalten der späteren Wilhelms- und Königsepen erinnert, 
ist das Heidentum nur Staffage ohne fassbare Gestalten. Ueber 
die Ausdehnung der Sarrazenenherrschaft hat der Dichter keine 
Vorstellung; er weiss nur, dass Spanien ihnen gehört, früher aber 
christliches Gebiet war. Schon im ersten Teile des Gedichtes 
treten sarrazenische Abenteurer auf, die bei Mibrien Söldner- 
dienste gethan und von Pampeluna weggezogen sind. Wie sie 
in die Gegend von Bordeaux kommen, ist nicht erklärt; der 
Dichter weiss nur im allgemeinen aus der Epenlitteratur, dass 
in Südfrankreich die Sarrazenen einst hausten. Von der Herr- 
schaft der Sarrazenen im Abendland hat er nur einen unklaren 


408 F. ED. SCHNEEGANS, 


jegriff; man fühlt nichts mehr von dem Schrecken, den die 
Sarrazenen den Christen einst eingeflösst und dessen Erinnerung 
noch durch die Macht der Tradition auch in späteren Epen des 
Wilhelmseyklus fortlebt. Er macht sich über die Sarrazenen lustig, 
kennt die Anekdoten über Muhamed, erzählt rationalistisch, wie 
die Priester die Statue Muhamed’s zum Reden bringen. Aus 
diesen verschiedenen Elementen hat der Dichter sein Werk frei 
komponiert, obgleich der spätere Bearbeiter der Alexandriner- 
partieen vielleicht mit gutem Glauben diese „canchon de fiere 
estoire“, diese „plus veraie estoire“, den „fables“ (Abenteuer- 
romanen) der „novel iougleor“ entgegenstell.e. Auch Aiol ist 
nur noch der Form nach eine chanson de geste, gehört eigentlich 
der Unterhaltungslitteratur an. 

Betrachten wir die Abenteuer, die Aiol besteht, näher, so 
finden wir zunächst zwar eine Reihe von Kampfscenen. Die 
Gegner Aiol’s sind aber ausser den sarrazenischen Söldnern und 
den Verwandten Makaire’s, die ihn während der Fahrt nach 
Spanien überfallen, Räuberscharen. Die Kämpfe mit Räubern 
sind sogar typisch für unser Gedicht. Gleich nachdem der 
Heldenknabe seine Eltern verlassen hat, übernachtet er in einem 
Kloster, das von Räubern angegriffen und ausgeplündert wird; 
Aiol gelingt es die Räuber zu besiegen und ihnen ihre Beute zu 
entreissen. Die Scene wiederholt sich bald darauf, es schliesst sich 
ihr ein weiterer Kampf mit Strassenräubern an. Im zweiten Teile 
sind ähnliche Kämpfe noch weiter ausgemalt. Zunächst finden 
wir das von Räubern bewohnte Schloss, in das die Reisenden 
durch erheuchelte Gastfreundschaft gelockt werden, dann die als 
Mönche verkleideten Räuber, die Aiol und Mirabel heimtückisch 
überfallen. Neben diesen Kampfscenen begegnen wir aber gewöhn- 
lichen Reiseabenteuern, wie sie der einsame Wanderer haben 
konnte. Aiol trifft mildthätige Pilger, die ihn beraten, ihn 
beschenken und mit ihm und Mirabel ihr Brot teilen, freundliche 
Gastwirte, die mit ihm Mitleid haben, den Förster Thierri, der 
den kräftigen Jüngling als Schwiegersohn bei sich behalten 
möchte. In Orleans angelangt wohnt er bei einer Tante, deren 
Tochter sich in den schönen und stolzen Vetter verliebt und 
ihn zu verführen sucht. Im zweiten Teile führt uns der Diehter 
in das Haus eines Landedelmanns; eines Oheims Aiol’s, dessen 
Söhne dem höfisch gebildeten, glänzenden Ritter mit Ehrfurcht 
dienen. Ein weiteres Abenteuer gestattet uns einen Einblick 


ZUR CHANSON DE GESTE „AIOL ET MIRABEL“, 409 


in die kulturellen Verhältnisse der Zeit, zeigt uns die Tochter 
eines verarmten Ritters in der Macht eines rohen Parvenüs; wir 
lernen die inneren Leiden der armen Frau kennen, die von der 
niederen Denkart des Gatten sich abgestossen fühlt und sich mit 
ihrem Sohne, in dem die mütterliche aristokratische Gesinnung 
fortlebt, gegen den Vater verschwört. Fügen wir die vorzüg- 
lichen Scenen derber Komik, die Verspottung Aiol’s durch 
Schenkwirte und „pautoniers“ hinzu, die lebendigen Scenen aus 
dem Strassentreiben der Zeit, die Gestalt des reichen Fleischers 
Hagenel, dem ganze Quartiere der Stadt Orleans gehören, so 
erhalten wir eine fast ununterbrochene Reihe von Sittenbildern, 
Scenen aus dem mittelalterlichen Städteleben, von Charakter- 
figuren aus dem niederen Volk und dem Bürgertum, die dem 
Gedichte ein ganz eigenartiges Gepräge geben und bei dem 
Dichter litterarische Interessen und Bestrebungen voraussetzen, 
die dem Ideal der ritterlichen Epik fremd, zum Teil ihm ent- 
gegen sind. Von den Episoden der Ritterromane sind die Scenen 
im Aiol grundverschieden. Das poetisch Zauberhafte fehlt ihnen, 
die Figuren bewegen sich auf dem Boden der Wirklichkeit. Es 
sind nicht einzelne Scenen und Gestalten, die als spätere Zuthaten 
in den archaischen Rahmen einer Chanson de geste eingedrungen 
sind; die realistischen Gemälde aus dem Alltagsleben füllen viel- 
mehr das ganze Werk, sie sind zum Teil wenigstens bedingt 
durch die Charakteristik des jungen Helden, dessen Unerfahren- 
heit und kindliches Wesen zu komischen Scenen Anlass geben 
musste und sich am deutlichsten offenbarte im Kontakt mit der 
gemeinen Wirklichkeit. Dieselbe nüchterne Auffassung hat den 
Figuren des Epos das Heldenhafte, Ueberwältigende abgestreift 
und sie zu Menschen der Gegenwart gemacht; selbst der Krieg 
zwischen den Anhängern Elies und Makaire hat weder die 
Grossartigkeit noch die tragische Wildheit, die wir in den 
leidenschaftlichen Kampfscenen der Lothringerepen oder des 
Girart de Roussillon bewundern; die alten epischen Motive, 
selbst in ihrer romanhaften Umgestaltung, passen nicht in den 
Rahmen der Gegenwart hinein, nehmen sich wie Anachronismen 
aus. Die Kämpfe mit Räubern, das Zusammentreffen mit 
Pilgern, mit Mönchen, die Abenteuer auf Schlössern, in Klöstern, 
die Wirtshausscenen, die Prügeleien und Schimpfereien, die an 
die Karrikatur streifende Charakteristik der Figuren lassen uns 
unwillkürlich, mag auch die Zusammenstellung auffallen, an den 


410 F. ED. SCHNEEGANS, 


realistischen Roman denken, wie er sich später unter ganz 
andern Verhältnissen und Einflüssen aus dem aristokratischen 
Roman im 17. Jahrhundert entwickelte. Hervorgegangen aus dem 
Streben der Wirklichkeit die Elemente der Erzählung zu ent- 
nehmen, aber in Anlehnung an die höfischen und antikisierenden 
Romane, ersetzte der realistische Roman die konventionellen 
(Gestalten durch lebensvolle Figuren, der Roman wurde zum 
Spiegel der Gegenwart, während die Komposition mit der viel- 
verschlungenen Handlung, zum Teil noch die Elemente der 
Handlung selbst an die höfischen Romane gemahnten. Etwas 
von der Tendenz dieses modernen Realismus ist, wenn auch 
unbewusst, in Werken wie Aiol zu verspüren. Man denke an 
die Art wie Elie, der verstossene Vasall, als gemütlicher Alter 
geschildert ist, an die praktischen Lebensregeln, die er dem 
Sohne auf den Weg giebt: „Spiele nicht, suche gute Gasthäuser 
aus der alten Zeit auf, iss viel, trink nicht zuviel des hefenlosen 
Weines“, an den Humor mit dem er von seinen alten verrosteten 
Waffen spricht. Mit behaglicher Breite werden die verschiedenen 
schmähsüchtigen Bürger geschildert, vor allen der Fleischer 
Hagenel und seine Frau, „dame Hersent“ „al ventre grant“, 
„le mal parlant“, welche Aiol das Zeichen ihres Gewerbes, eine 
lange Wurst, als Fähnlein an die Lanze binden will und den 
sonst geduldigen Jüngling zu einer derben Schimpfrede hin- 
reisst. Nicht minder ausführlich und liebevoll geschildert ist die 
Begegnung Aiols mit Lusiane; jeder Zug ist hier scharf be- 
obachtet; wir sehen Lusiane „al cors legier* Aiol ins Haus 
führen, sein Pferd dem Stallknecht zur Pflege übergeben, dann 
Aiol Knappendienste leisten, ihm einen Schemel unter die Füsse 
rücken, ihm die Sporen abnehmen, sie blank putzen und an den 
Schwertriemen hängen, damit er sie wiederfinde, wenn er aus- 
reiten will. Nach dem Essen bereitet sie ihm sein Bett, was 
wieder mit homerischer Breite geschildert wird, sieht noch einmal 
nach, ob Marchegai nichts fehlt, ob er noch ordentlich beschlagen 
ist, und führt dann Aiol in sein Schlafgemach. Wir haben hier 
keine kleinliche Detailmalerei, sondern eine litterarisch desswegen 
interessante Darstellung, weil jeder Zug dazu beiträgt den Cha- 
rakter des leidenschaftlichen Mädchens, ihre innige, bewundernde, 
hingebende Zuneigung klar hervortreten zu lassen, die sich nicht 
genug thun kann in liebevoller, bescheidener Dienstleistung. 
Der naivbrutale Liebesantrag Lusiane’s, die Art wie sie demütig 


ZUR CHANSON DE GESTE „AIOL ET MIRABEL“. 411 


und ohne Murren die Zurechtweisung Aiol’s über sich ergehen 
lässt und ihrer Liebe schmerzvoll entsagt, während Aiol im 
Vollgefühl seiner hohen Aufgabe sie nicht weiter beachtet, 
diese Züge stimmen vorzüglich zu der psychologisch feinen 
Charakteristik der Hauptfiguren. Den Schluss der Lusiane- 
episode bildet die Begegnung Mirabel’s mit Lusiane, welche die 
„damoisele d’Espaigne* hart anfährt, um sich bald mit ihr 
feierlich zu versöhnen, nachdem sie in Aiol ihren nahen Ver- 
wandten erkannt hat. Es sei noch besonders hingewiesen auf 
das merkwürdige Abenteuer in Roimorentin bei dem Wucherer 
Hunbaut; auch hier finden wir feingezeichnete Charaktere, den 
rücksichtslosen Wucherer, die feinfühlige, in aristokratischen 
Ideen aufgewachsene Gattin, welcher der Gast heilig ist und 
die empört ist über den von Hunbaut an Aiol geplanten Verrat. 
Durch rohe Misshandlungen glaubt Hunbaut die stolze Frau 
bändigen zu können, die scheinbar nachgiebt und sich im Stillen 
mit ihrem Sohne gegen ihren Mann verschwört. Wie merk- 
würdig realistisch ist die Anwort Hunbaut’s auf die Frage Aiol's, 
wo seine Frau bleibt: „Ele est un poi malade, dist l’ostes, en 
son cie£ — D’autre part si commanc vos lis aparellier“. Er- 
sreifend ist die Begegnung des Sohnes mit der Mutter, die 
blutend ihn aufsucht: „Dame, dist li valles, por les sains desou- 
siel! — Qui vous ossa chou faire tant que fuise sor pies?“ 
Hunbaut hat unterdessen den Herrn von Roimorentin, einen 
Verwandten Makaire’s, von der Ankunft Aiol’s benachrichtigt, 
die Stadt wird alarmiert und der Kampf beginnt, in dem der 
im Stillen schon bestehende Zwiespalt in der Familie Hunbaut’s 
zum tragischen Ausbruch kommt. Wie manche Scene und Figur 
aus dem Leben der Zeit liesse sich noch aufführen, die Mönche, 
die Pilger, die Raubritter, der Bürger von Poitiers, bei dem Aiol 
übernachtet hat und von dem er Kleider und einen Ring erhalten 
hat: Aiol schickt ihm von Orleans aus Dankbarkeit Geschenke; 
der Bürger versammelt seine Verwandten, zeigt ihnen die Sendung 
Aiol’s, ist froh in dem armen, bescheidenen Knaben den Helden 
erkannt zu haben und hält seinen Verwandten eine längere 
Rede, die er mit einer weisen Sentenz schliesst. So reiht sich 
Scene an Scene an, mit einer Ausführlichkeit und in einer Fülle, 
wie wir sie in andern Chansons de geste kaum wiedertreffen. 
Fesseln uns diese Sittenbilder durch die Unmittelbarkeit und 
Treue der Darstellung, so scheint der Dichter, der mit ihnen 


412 F. ED. SCHNEEGANS, 


den alten Sagenstoff zu beleben suchte, bei seinen Lesern eine 
ganz Ähnliche Wirkung erzielt zu haben; auch sie sollten ihre 
Freude haben an den wohlgelungenen Abbildern der Wirklich- 
keit; und dass sie es gethan, ersehn wir aus den Anspielungen 
auf unser Gedicht und dem sprichwörtlichen „Vela un bel Aiouc- 
quet“ (s. Förster, Einleitung S. XXV). 

Auch in der Litteratur des Mittelalters blieb die äussere 
Form unverändert, während der Inhalt des einzelnen Werkes dem 
Wechsel der Zeit und des Geschmackes folgte. Diese äussere 
Form und die durch die Tradition festgesetzte Bezeichnung lassen 
uns unter dem allgemeinen Namen „chanson de geste“ Werke 
zusammenfassen, die mit den eigentlichen und ursprünglichen 
Erscheinungen der Gattung nur eine sehr entfernte Aehnlichkeit 
haben. Nach einer offenbar sehr kurzen und frühen Zeit, in 
der durch den Zusammenstoss der Franken mit der gallorömischen 
Bevölkerung und die Bildung des fränkischen Reiches, später 
in den Kämpfen der Franken mit den Sarrazenen, das nationale 
oder doch das christliche Bewusstsein mächtig erwacht war und 
in den typischen Gestalten der an das Uebermenschliche grenzen- 
den Heldenfiguren der chanson de geste seinen Ausdruck ge- 
funden hatte, kamen die stürmischen Zeiten des untergehenden 
Karolingerreiches und der Ausbildung des Feudalwesens mit den 
in politisch unruhigen Perioden sich stark entwickelnden In- 
dividualitäten. Das Epos, das seine frische Lebendigkeit und 
ursprüngliche Kraft noch besass, verlor seinen allgemein natio- 
nalen Charakter und wurde zur poetischen Hauschronik, in der 
die wilden Fehden der grossen Vasallen untereinander und mit 
dem Landesherrn erzählt wurden. Dann kam die Zeit des 
Niedergangs: rein handwerksmässig wurden die alten Stoffe 
umgearbeitet und weitergeführt, Volkserzählungen, Legenden 
wurden nach dem Muster der älteren Epik verarbeitet (Amis und 
Amiles, Berte aus grans pies u. s. w.). Daneben aber versuchten 
sich talentvolle oder erfindungsreiche Köpfe in Neuerungen; so 
entstand die Reise Karls nach Jerusalem, ein „po@me heroico- 
comique“, Charroi de Nimes, unser Aiol. Auch die Gattung der 
chanson de geste folgte dem allgemeinen Gesetze der Ent- 
wickelung, es blieb aber bei interessanten Versuchen, während 
später in einer litterarischen Schöpfungen günstigeren Zeit aus 
dem Ritter- und Schäferroman einzelne Elemente sich loslösen 
konnten und die neuen Gattungen des psychologischen Romans 


ZUR CHANSON DE GESTE „AIOL ET MIRABEL“. 413 


und des Sittenromans sich differenzierten. Wie früh der Auf- 
lösungsprozess in der epischen Litteratur begonnen hat, zeigt 
eine kulturhistorisch wichtige Stelle unseres Aiol. Der spätere 
Ueberarbeiter fügt der Erzählung von der Begegnung Aiol’s mit 
einem Pilger moralische Betrachtungen über die Sittenlosigkeit 
der Gegenwart hinzu und stellt ihr die guten alten Zeiten ent- 
gegen, von denen das Epos erzählt; man sieht wie ihm, der um 
1200 lebte, diese Gestalten fernliegen, er spricht von ihnen wie 
wir von den Figuren der Märchenwelt: v. 1699 ff. 


Baron, a icel tans dont uous m’oes conter 
N’estoient mie gens el siecle tel plente, 

Li castel ne les uiles n’erent pas si puple 
Com il sont or endroit, ia mais le mesqueres, 
Mais les fores antiues, li bos grant et rame, 
Qui puis sont detrenchie, essillie et gaste ... 
Nus hom ne prendoit feme, sS’auoit xxx ans passe 
Et la pucele encontre aussi de bel ae. 

Quant uenoient al terme quw’aloient espouser, 
Auoient il tel honte, ce sachies par uerte, 
Quidoient tous li puples les deust esgarder. 
Dont estoit fois el siecle, ereanche et loiautes, 
Mais puis est auarisse et Juxure montes, 
Mauaisties et ordure, et faillies bontes. 


Heidelberg. F. Ep. SCHNEEGANS. 


Benvenuto Gellini’s Stil in seiner Vita. 


Versuch 
einer psychologischen Stilbetrachtung. 


Motto: Le style c’est ’homme. 


Vorwort. 

Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch psychologischer Stil- 
betrachtung, meines Wissens der erste, und bedürfte vielleicht 
einer eingehenden Rechtfertigung, wenn nicht die Anregung dazu 
von Gröber selbst ausgegangen wäre. Im ersten Band seines 
Grundrisses S.213 ff. hat Gröber in Kürze die Prinzipien auf- 
gestellt, nach denen eine wissenschaftliche Syntax und Stilistik 
zu verfahren hätte, und im Winter-Semester 94/95, da ich Gröbers 
Uebungen über neufranzösische Syntax im romanischen Seminar 
der Universität Strassburg besuchte, hatte ich Gelegenheit, von 
ihm selbst mit den neuen Grundsätzen, mit ihrer Begründung 
und praktischen Anwendung näher vertraut gemacht zu werden. 
Die Selbstbiographie des Cellini, die ich drei Jahre später zur 
Lektüre vornahm, regte mich besonders zu einer auf Grund der 
Gröber’schen Theorie durchzuführenden Sprachanalyse an. Ich 
trat betreffs meines Vorhabens mit Gröber in Korrespondenz und 
einigte mich mit ihm über die Grundzüge der Disposition. 

Leider musste ich aus Mangel an Raum und Zeit darauf 
verzichten, die Arbeit überall im Detail auszuführen; vieles blieb 
unerklärt und unerwähnt, und von wichtigen Kapiteln, wie von 
der Wortbildung, der Wortwahl, den Metaphern und der Phra- 
seologie Cellinis musste ganz abgesehen werden, so dass nur die 
syntaktischen Ausdrucksmittel dieser Betrachtung zu Grunde 
liegen. Wenn ich es trotzdem wage, diesen meinen ersten Ver- 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 415 


such auf dem Gebiet der romanischen Philologie dem hochverehrten 
Jubilar als Festgabe darzubieten, so möge mich entschuldigen der 
aufrichtige Wunsch, meinem Lehrer ein Zeichen der Dankbarkeit 
zu geben — so geringfügig es immer sei. 


Einleitung. 


Von Bedeutung für die Beurteilung der Sprache unseres 
Schriftstellers sind zunächst einige äusserliche Momente, auf die 
hier nur flüchtig hingewiesen werden kann. 

I) Cellini hat seine Vita nicht mit eigener Hand geschrieben, 
sondern er hat sie, während er in seiner Werkstatt arbeitete, 
einem vierzehnjährigen Knaben, gebürtig aus der Gegend von 
Arezzo, in die Feder diktiert.‘) Dass dabei seine Prosa an Spon- 
taneität gewinnen, an logischem Zusammenhang verlieren musste, 
bedarf wol kaum des Beweises. Wie viele von den zahlreichen 
Anakoluthen, Auslassungen, Wort- und Satzverstümmelungen auf 
die Rechnung des kleinen Schreibers kommen, ist schwer zu 
entscheiden und müsste von Fall zu Fall diskutiert werden. 
Benedetto Varchi, dem Cellini das Manuskript zur Korrektur 
unterbreitete, hat offenbar so gut wie gar nichts daran geändert,?) 
wohl aber hat es der Verfasser selbst, wenn auch nur ganz flüchtig 
revidiert, wie aus den wenigen Korrekturen von seiner Hand 
hervorzugehen scheint.’) 

II) Cellini bedient sich der florentinischen Vulgärsprache, 
weil er die klassische Schriftsprache seiner Zeit nicht beherrscht. 
Er ist fast jeder litterarischen Bildung bar und schreibt die 
Sprache so wie er sie im Ohr hat. Von einer systematischen 
Ausbeute dieser äusserst wichtigen Quelle für die Geschichte des 
toskanischen Dialekts kann hier keine Rede sein. Nur die wich- 
tigsten Idiotismen und Archaismen aus der Syntax mögen ge- 
nügen, um das durchaus vulgäre Gepräge der Sprache des Cellini 
darzuthun.t) 


1) Wenigstens zum grössten Teil. Vgl. ed. Guasti, Firenze 1890, 
S.3f. S.23 a.3. 8.443 a.1 und S.450 a.5. 

2) Vgl. ed. Guasti S.1f. Ueber etwaige Korrekturen des Varchi vgl. 
ebenda 8.178 a.4. 209£. a.7, 235 a.4. 

®) Vgl. ed. Guasti S.5 a.1. 40 a.5. 78 a.1. 81 a.3. 130 a.2. 154 a.d. 
193 2.2. 217 a. 1. 277 8. 317 a.1. 

*) Im übrigen verweise ich auf die sprachlichen Anmerkungen in den 
Ausgaben Bianchi (ed. Le Monnier) und G. Guasti (Firenze, Barbera 1890), 
die im Bestreben dem Nichttoskaner von heute sämtliche Abweichungen zu 


416 K. VOSSLER, 


1) Zunächst ist ein Fall zu erwähnen, der nur scheinbar 
ins Gebiet der Syntax gehört, thatsächlich aber in vulgär-pho- 
netischer Schreibweise seinen Grund hat, nämlich die Auslassung 
der Präposition a vor Wörtern, die mit a anlauten. 24,5 e vostri 
figlinoli ne avevano awer bisogno und 250,1. Auch Cellini selbst 
schreibt so: 514 ed io resto ancora awere cinquecento scudi. 

2) Ebenfalls auf lautlichem Wege, satzphonetisch ist zu 
stande gekommen das populäre und bei Cellini ganz gewöhnliche 
in nel (innel) für in «l resp. nel, vgl. 6,9. Anders Blanc, Gramm. 
d. it. Spr. 8. 173. 

3) Vorwiegend vulgär ist die häufige Durchbrechung der 
Kongruenz: 16, 4 intorno era sette tondi, ne’ quali era intagliato 
e commesso di avorio et 0sso nero le sette Virtu. 49 cosı e il co- 
stume, dua terzi ne tocca al lavorante. Vgl. 128,5 und Vocke- 
radt $ 161.2. 7 edificorno una citta, e ciascuni!) di loro prese 
a fare uno di questi ... edifizi. 67 mi era morti di molti com- 
pagni. 302 si era partito?) quelli umori. 243 ci fu insegnato 
quella sorte d’ erbe, le quali n’ era pieno le siepe. 135 subito 
tornatomi le virtu al suo suogo ... 75 subito le due donne che 
in mezzo Ü avevano, mossosi a pieta .. trovorno ... Alle diese 
Konstruktionen, die bei Cellini nach hunderten zählen, sind ellip- 
tisch. Dem Sprechenden schwebt ein neutraler singularer Subjekts- 
begriff vor, der teils weggelassen, teils in einer partitiven Mass- 
bestimmung enthalten ist, in der Sprache des Volkes aber auch 
gerne ausgedrückt wird?): 112 domandatomi quant egli era che 
io ero giunto, gli dissi che gli era circa quindiei giorni. 

4) Eine andere, noch heute volkstümliche und in den alten 
Komödien besonders häufige Durchbrechung der Kongruenz findet 
sich in der Anrede: 420,1 voi eri. 

5) Populär, archaisch und bei Cellini nicht selten ist die 
Verwechselung der Quantitätsadverbien mit den entsprechenden 





erklären, fast alles Bemerkenswerte zur Sprache bringen. Sämtliche Citate, 
soweit nichts anderes angemerkt ist, beziehen sich auf die Ausgabe von Gaetano 
Guasti; die erste Zahl bezeichnet immer die Seite, die zweite die Anmerkung 
unter dem Text. — Um bei der Bestimmung des Gemeinvulgären sicher zu 
gehen, habe ich ausser dem heutigen Dialekt von Florenz vergleichsweise die 
wichtigsten Prosa-Komödien der Zeitgenossen und Landsleute des Cellini bei- 
gezogen (Niccolo Macchiavelli, Bernardo Dovizi, Agnolo Firenzuola, Giam- 
battista Gelli und Anton Francesco Grazzini. Die Komödien des Giovanni 
Maria Cecchi wurden mir leider zu spät zugänglich). _ 
1) Vockeradt $ 428 a. 1. 2) Vock. 316, 2. 2) Vock. 377, 2. 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 417 


Adjektiven, vgl. 480,7 und 22 fu tanto la virtu di quello assenzio. 
32 feci una opera di ariento di basso rilievo, grande quanta € 
una mana di un fanciullo piccolo und daneben 61 questi suggelli 
si fanno grandi quanto e tutta una mana di un piccol putto. 
336 quelle tante maravigliose parole. 19 mi pareva arte troppa 
vile.‘!) Bei mehreren Substantiven stellt das Volk die Kongruenz 
gerne mit demjenigen Wort her, das dem abhängigen Satzglied 
am nächsten steht; die phonetische Kongruenz erhält den Vorzug 
vor der grammatischen. 54 ebbi finita la detta opera con tantı 
belli animaletti, fogliami e maschere quante immaginar si P0ssa. 
Die Kongruenzstörungen gehen in der Sprache des Volkes noch 
viel weiter; hier konnten nur die gewöhnlichsten, die konventionell 
gewordenen Fälle aufgeführt werden. Was darüber hinausgeht, 
fällt auf Rechnung des Individuums und gehört in die Stilistik. 

6) Für die familiäre Rede bezeichnend ist die Vorliebe für 
den sog. Dativus ethicus,?) der meist zu reflexiven Konstruktionen 
führt, wie: 14 quella lucertola ... si e una salamandra. 63 detta 
palla mi portava dugento passi andanti in punto bianco. 532 il 
modello piecolo ... mi piacque assai, ma quella sua opera si ha 
trapassato la bontü del modello und 126 eccoti i quattro bravi 
geovamı. 

7) Noch heute liebt es der Florentiner, Quantitätsadjektiva, 
die an und für sich schon ein partitives Verhältnis ausdrücken, 
in den Genitiv zu setzen. Demgemäss schreibt Cellini: 89 ammazzai 
di molti uomini de’ nimiei. 221 con di molte di queste parole fa- 
stidiose. 118 il resto del Dio Padre aveva uno ammanto che svo- 
lazzava, dal quale usciva di molti puttint. 

8) Archaisch, vielleicht ein Rest des lateinischen Genitivs, 
ist die deiktische Anfügung absolut gesetzter Personenbezeich- 
nungen nach casa. 132 me ne andai in casa il duca Lessandro. 
186 partitomi andai a casa il signore, il quale non aveva man- 
dato per me. 

9) Vulgär ist der unlogische Gebrauch demonstrativer Be- 
stimmungen,?) wie: 168 questo si chiamava per nome il Solosmeo. 
170 il quale aveva nome messer Domenico Fontana. 


1) Vock. 435, 10 ff. und 433, 10. Andere Durchbrechungen der Kongruenz 
sind nur scheinbar und beruhen auf flexivischen Eigenheiten des florentinischen 
Idioms. — Ueber 19: questo epigramma fu letto da tutto Firenze, vgl. Vock. 
168, 5. 

2) Vock. 195 f. >) Vock. 335,1. 

Festgabe für Gustav Gröber. 27 


418 K. VOSSLER, 


10) Dem älteren Sprachgebrauch eigen ist die Auslassung 
des Artikels resp. Attributs bei mehreren Substantiven, die ver- 
wandte Begriffe darstellen, aber verschiedenes Geschlecht haben.') 
9 con tanto valore e wirtu, ebenso der freie Gebrauch des Artikels 
beim attributiv-possessiven Fürwort.?2) 158 io m’ attendevo alla 
mia bottega e mie faccende. 

11) Der plastischen Ausdrucksweise des Volkes eigen ist 
die Setzung des bestimmten oder unbestimmten Artikels bei 
Zahlenangaben.?) 20 giunto all’ etüa de qwindiei anni. 171 lassami 
un quwindiei ducati. 237 questo cavallo mi par pur maggior cosa 
?’ un dieci, ebenso die Verwendung des singularischen cento für 
centinaia. 243 pochi cento scudi und die von certo zu unbestimmter 
Massangabe an Stelle von alcuno(i) oder statt eines partitiven 
Genitivs: 241 lor dicevano ... che € ve certe secche, per le 
quali la barca subito si disfarebbe, endlich die des Partieipiums 
von dire an Stelle eines demonstrativen Pronomens, oder gar des 
Artikels: 12 la detta sua donna si sconciö. 7 ma sono ditte 
fabbriche molto minori di quelle di Roma. 

12) In familiärer Rede wird gern das absolute pron. pers. 
an Stelle des einfachen gesetzt, auch da wo kein besonderer 
Nachdruck darauf liegt.) — Ueber andere vulgäre Eigenheiten im 
Gebrauch des Fürworts vgl. Guastis Anmerkungen: gäi statt le 
12,6. 47,8. 54,6 und statt loro 103,5; gnene für gliela und glielo 
25,9. 54,2; la für ella, und le für elle 76,10. pron.rel. für de- 
monstr. 36,2. 82,3; al cwi statt al quale 38,4 und ebenso alla 
cui 45,3; quale ohne Artikel statt @Z che®): 137 non avrebbe voluto 
isdegnarmi, qual fussi causa di perdermi und ebenso il quale 454, 6. 

13) Vulgär und affektisch gefärbt ist die pleonastische Ver- 
wendung des relativen che.6) 186 onde, io che non ne so nulla, 
voi mi fate torto. 218 per la qual cosa, lui ch’ era piacevolissimo, 
mille volte ci ridemmo insieme di questo gran credito. Vulgär 
ist auch die elliptische Verschleifung eines Relativsatzes mit dem 
Hauptsatz: 335,4 la sera che il giorno gli avevo dato la medaglia. 
342,1 la sera sequente che la mattina avevo auto la commessione, 
sowie die Unterdrückung der Präposition vor dem pron. rel. 8 nel 


2) Vock. 338, 3. 2) Vock. 382. 3) Vock. 336. 
4) Vock. 370,5 und Guastis Anm. 8,2. 38,6. 
5) Vock. 403, 6. 5 


6) Vgl. Opere di A. F. Grazzini ed. Fanfani, vol. IF. Firenze 1859. S. 117, 
Anm. 1. 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 419 


luogo che luwi aveva li ditti sua alloggiamenti. 331 che io ti con- 
duca vivo a quel re che io t' ho promesso. Vielleicht erklärt sich 
aus diesen Konstruktionen auch der vulgäre Gebrauch eines 
pleonastischen che nach dove 42,5, quando, onde, come 470,2, 
quasi, salvo (429) u.8.W.') 

14) Eine Folge des beschleunigten Tempos der gesprochenen 
Rede ist die Auslassung der Präposition hauptsächlich vor dem 
Infinitiv. 345 JIddio ei ha aiutati ritornare. 184 Veduto questi 
mia nimici che non potevano ottenere per via nessuna impedirmi 
la zecca, presono ... und die der Copula zwischen zwei Impera- 
tiven 55,2 e va di! a monsignore ... 

15) Archaisch ist der Gebrauch der Präpositionen di für con 
8,1 und 78,5; da für «a und umgekehrt 410,5. 521,1. 396,4 u.a.; 
a für per 463,8. 64,6. 

16) Ferner die Verwendung der Copula e zur Einleitung 
eines regierenden Nachsatzes.?) 216 Essendo assat in sieme ragu- 
nati, e tutti mi guardavano. 

17) Dem Volk und den alten Schriftstellern eigen ist auch 
der ausgedehnte Gebrauch der Konjunktion che a) für sieche 278,3. 
223,5 u.s.w., b) für affinche 463,6, c) für mentre, quando 510,1, 
der von dove im Sinn von allora, dopo di che 80,2, 511,6 und mit 
subordinierender Funktion im Sinn von mentre, benche, quando 
467,5 U.S.W. 

18) Bemerkenswert sind einige veraltete resp. vulgäre Verbal- 
Konstruktionen. Ich beschränke mich auf Aufzählung der wich- 
tigsten: mostrare neutral — parere, apparire, mostrarsi 450, 6. 
469,1. 547,2; spaventare — spaventarsi 209,1. 417,5; alzare — 
alzarsi 464 und umgekehrt: attendersi a ges. — attendere a 
qualchecosa 222; solleeitarsi di far ges. 219; traboccare ges. — 
innondare ges. 139,3 und — geitar abbasso, rovesciare 328,1; 
crescere — far crescere qc. 57,2; accennare qualcuno che faccia 
ges. — acc. a qlen. 200; a me basto essere accennato 399; campare 
qualchecosa — salvare 90,2; compiacere una cosa ad uno — 
comp. uno di ges. 51,2. 295; non aveva mai restato di cicalare 
193. Endlich ist im älteren Sprachgebrauch begründet die Ver- 


!) Das dove che u.s.w. wäre also entstanden nach Analogie von nel 
luogo- tempo- modo u.s.w. che, wenn anders man in diesem che nicht die Kon- 
junktion zu sehen hat. 

2) Vock. 478, 11. 


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420 K. VOSSLER, 


wendung von avere a mit folgendem Infinitiv im Sinne von 
sapere, potere, osare 230,2. 

19) Dass die Stellung der Formwörter, speziell die der un- 
betonten Pronomina noch nicht in der heutigen Weise fixiert ist, 
bedarf wohl kaum der Erwähnung, vgl. 161,2; 371 aveva dettomi; 

373,9. 413,3. Auf einige andere Berührungspunkte des Cellini- 
schen Stils niit dem Sprachgebrauch des Volks wird noch gelegent- 
lich aufmerksam gemacht. 


III) Ausserdem erhellt der niedrige Bildungsgrad Benvenutos 
aus der häufigen Verstümmelung resp. Italianisierung der Fremd- 
wörter: 117,5 finusumia, simitria. 392 Leoconte für Laocoonte. 
381 cherminali für eriminali. 440 notomia für anatomia. 538 sih- 
mato für sublimato. 509 archimista. 12 filosafo und so fort. 

Seine Unkenntnis des Lateins verrät er durch Citate wie 
298 De Profundis clamavit und Qwi habitat in ajutorium. 

In dem Kapitel über seine Gefangenschaft ersetzt er einmal 
den Reim durch Assonanz 316 istorte : volte.!) 


IV) Endlich bleibt zu erwähnen, dass er während seines 
Aufenthaltes in Frankreich sich einige, wenn auch nur wenige 
Gallicismen angeeignet hat. Er gebraucht fermare im Sinn von 
chiudere 91. sortire für uscire 148. traino für seguito, treno reale 
247. dorure für ornamenti doro 421. Wahrscheinlich ist auch 
der Ausdruck far buona (lieta) cera in dem Sinn wie ihn Cellini 
gebraucht eine Wiedergabe des französischen faire bonne chere 
287 und 341. Man sieht, die Französierung ist nur äusserlich 
und auf das Lexikon beschränkt geblieben. Auch zeigt die 
Wiedergabe französischer Namen (Fontana Belio 340,2, Iscontro 
und »isconte 354 und 350,1 für Visconte u.s. w.), dass Cellini kein 
allzugründlicher Kenner des Französischen war, obgleich er uns 
S.375 vom Gegenteil überzeugen möchte. 


Allgemeines. 
Die Individualität eines Schriftstellers hat sich in seinem 
Stil zu offenbaren, und zwar nach verschiedenen Seiten hin, ent- 
sprechend den Seelenvermögen, welche die Psychologie unter- 
scheidet. Somit erhalten wir A eine verstandesmässige Seite des 
al und B eine gefühlsmässige. _Das intellektuelle Vermögen 


97 Vielleicht lag ihm auch die dialektische form vorte im Ohr. Vgl. 
ar chimista. at; 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 421 


wieder lässt sich zerlegen in AI ein analytisch-logisches und ATI 
ein synthetisch-künstlerisches. Dem ersteren entspricht im sprach- 
lichen Ausdruck AI die objektive Rede, dem letzteren AII die 
subjektive, die bewusst oder unbewusst künstlerische, oder wie 
sie Gröber schlechtweg nennt: die affektische Rede. Zugleich 
aber enthält die affektische Rede den Ausdruck für das Gefühls- 
vermögen, Ethos und Pathos, so dass sie einer doppelten Be- 
trachtung unterliegt: nach der künstlerisch-intellektuellen Seite 
hin fragen wir (AII): über welche Mittel verfügt der Schriftsteller, 
um seine Gefühle auszudrücken? und bei Untersuchung seines 
Gefühlsvermögens fragen wir (B): welcher Art sind die Gefühle 
und Affekte, die seinem Ausdruck zu Grunde liegen? 


Al. Der analytisch-logische Intellekt des Cellini. 


Die bereits aufgeführten syntaktischen Eigentümlichkeiten 
der Vulgärsprache zeigen, um wie viel die Rede des Volkes an 
logischer Korrektheit hinter der Schriftsprache zurückbleibt; sie 
fügt und stellt die Satzteile vielfach nach phonetischen Rück- 
sichten, giebt dem affektischen Ausdruck den Vorzug, lässt ihn 
auch da zu, wo ihn der gebildete Schriftsteller ausschliessen 
würde, und ist verhältnismässig arm an Mitteln, die Abhängig- 
keitsgrade der Sätze und Satzteile untereinander zu kennzeichnen. 
Ueberall wo dadurch Unklarheit oder Zweideutigkeit entstehen 
könnte, vermitteln Betonung und Gebärde das Verständnis. Jedem 
der Schriftsprache Unkundigen fehlt somit eine sehr primitive 
und wichtige Schulung des analytischen Verstandes. Ausserdem 
aber dass das Idiom Benvenutos an und für sich wenig geeignet 
ist zu klarem, verstandesmässigem Gedankenausdruck, bemerkt 
man bei Cellini eine ungewöhnliche Nachlässigkeit und Hast in 
der Handhabung dieses mangelhaften Werkzeugs. Die Vorstel- 
lungen gehen ihm gleichsam durch. So lange er noch an der 
Darstellung des ersten Gedankens arbeitet, drängt sich ihm ein 
zweiter und dritter störend dazwischen. So wird er gerade da, 
wo er verstandesmässig lehrhaft zum Leser spricht, sehr oft 
zweideutig oder gar unverständlich. Ob es Nachlässigkeit oder 
Affekt und Rhetorik seien, die zu syntaktischen Abweichungen 
führen, dürfte bei Cellini nicht immer leicht zu entscheiden sein. 
Jedesfalls kommt es uns hier nur darauf an, den Mangel an 
Folgerichtigkeit in seinen Konstruktionen darzuthun. Das Kapitel 
von der Rektio und das von der Koordination und Subordination 


422 K. VOSSLER, 


der Sätze verspricht dazu die meisten und wesentlichsten Belege, 
während für die Charakteristik der affektischen Rede von beson- 
derer Wichtigkeit sein werden die Positio,'!) die Permutatio, 
die Diminutio und Augmentatio.?) 


1) Rectio. 


Tausendfach wird von Cellini die Rectio unterbrochen. Im 
Verlauf des Satzes drängt sich ihm ein neues Beziehungswort 
auf, das an Zahl oder Geschlecht vom ersten verschieden ist. 
9 e quivi © gran gentili uomini: ancora m’ e in Pisa, e ne ho 
trovati in molti luoghi ...; et in questo Stato ancora n’ € restato 
qualche casata, pur dediti all’ arme. 6 con tutto che quegli uomini 
che si sono afjaticati ..., hanno dato cognizione di loro al mondo, 
quella sola doverria bastare, vedutosi esser uomo e comosciuto. 
76 se bene (li fogliami turcheschi) hanno qualche poco di grazia, 
la non continua di piacere, come fanno i nostri foglamı. 

Nicht selten entsteht Zweideutigkeit durch eine nachlässige 
Ellipse des Subjekts besonders beim Gerundium und Partieipium 
absolutum. 47 Cost (Lucagnolo) preso il suo vaso, portatolo al 
papa, resto satisfatto benissimo, e subito lo fece pagare (nämlich 
der Papst). 166 in questo fango era investito un sasso di pietra 
viva con molti acuti canti, e cogliendolo [io] con un di quei canti 
in sul mezzo del capo, | Benedetto] cadde come morto svenuto in 
terra. — 109 Alwigi Alamanni ... era amico del detto Federigo 
Ginori, il quale molte volte lo condusse a bottega mia, e per sua 
grazia mi si fece molto domestico amico (nämlich Alamannı). Zu- 
weilen führt die Missachtung der Kongruenzregeln zur absoluten 
Unverständlichkeit. 9 ora quanto io m’ abbia acquistato qualche 
onore alla casa mia, li quali a questo nostro vivere di oggi per 
le cause che si sanno e per Ü arte mia, quali non € materia da 
gran cose, al suo luogo io le diro. Oder es werden in der Eile 
zwei disparate Beziehungsverhältnisse mit einander vermengt. 
162 che cd insegnassino delli tesori, i quali m’ e pien la terra. 
41 solo vi resto la mia berretta, la quale, assicuratisi e mia avver- 
sari ..., ognumno di loro la percosse con le sua arme. 26 non 
potendo isforzare quel che la natura ei inclinava. 40 il cancelliere 
ci comando ... che noi ci dessimo sicurta U um V altro. 75f. atten- 
devo con ogni sollecitudine ... a farmi pratico in quella diversitä 


!) Das Wort im weitesten Sinn genommen. 
?2) Ellipse und Pleonasmus, vgl. Grundriss 1,214. - 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA, 423 


e differenzia di arte, che di sopra ho parlato. Eine eigentüm- 
liche Konfusion herrscht im folgenden: 63 questo (segno mara- 
viglioso) si era, che con la quinta parte della palla il peso della 
mia polWwere, detta palla mi portava dugento passi andanti in punto 
bianco.!) 

In der Wahl der modalen und temporalen Formen des 
Verbs zeigt Cellini eine grosse Sicherheit, zumal die florentinische 
Vulgärsprache mit der Syntax der Schriftsprache hier ziemlich 
im Einklang steht. Häufig sind freilich und nicht immer logisch 
vermittelt die Permutationes temporis et modi, aber meist wird 
dabei eine eigentümliche künstlerische Wirkung erzielt, insofern 
die Permutatio nur in bewegter Rede vorkommt.?2) An dieser 
Stelle ist nur zu bemerken, dass Cellini zuweilen das Gerundium 
verwechselt mit dem Participio passato. Da aber dieser Fehler 
fast nur beim absoluten Gebrauch des Partie. und Gerundium 
begegnet, wird er besser ins Kapitel des zusammengesetzten 
Satzes verwiesen. Seltener sind Fälle wie 174 la medaglia ... 
la quale io facevo con un rovescio figurato una Pace. 

Ziemlich häufig ist die nachlässige Auslassung des Verbum 
finitum. 

Einige Verbalkonstruktionen, die, wie oben gezeigt ist, im 
Dialekt ihre Analoga haben, sind specifisch cellinianisch. 

193 scontrarsi in qualcuno. 162 uscirsi di qualcosa. 32 und 
272 generare neutral in der Bedeutung »nascere. 477 empiere für 
empiersi. 51 rasserenare für rasserenarsi. 191 passare für lasciar 
passare. 388 risultare für far risultare. 424 contenere für fur 
contenere, racchiudere qualcosa in qualcosa. 131 mi avevo preso. 
394 non eramo ancora passati il 1543. 129 und 211 dimandare 
mit Accus. der Person und Sache. 425 intaccare qualcuno «a 
qualcosa. 

Die Verwechselung von Adjektiv und Adverb geht kaum 
weiter als der vulgäre Sprachgebrauch gestattet.) Vereinzelt 





1) Statt: che la mia polvere con la qwinta parte del peso della palla mi 
portava detta palla dugento passi 1.S. w. 

2) Einmal wird die Consecutio durchbrochen in folge einer mangelhaft 
durchgeführten Korrektur von Cellinis Hand 81,3. Ein anderer Fall ist 378: 
potria essere che la mi farebbe un figliuolo. 

>) Vgl. Einleitung und Vock. 357. Auszuschliessen sind gemeinvulgäre 
Fälle wie 125, 10 era questo capitano volentieri a mettere altri al punto; 50, 6 
massimo für -e; 148,2 certissimo, 462,3 espresso, 265,5 istrettissimo, 223,4 
stietto für schiettamente. 


424 K. VOSSLER, 


stehen Fälle wie 264 cose tanto discosto al vero. 128 era la 
corte discosto da moi neben 224 avendo la ditta opera vicina alla 
fine. — 266 mi teneva tal cosa benissimo segreto. 

Unlogisch, obgleich von älteren Schriftstellern und vom Volk 
noch immer gerne gebraucht, ist die affektische Verstärkung 
des Superlativs resp. Comparativs, die von Cellini oft sehr weit 
getrieben wird. 525 questo ancor molto piü bellissimo marmo. 

Einige Unsicherheit ist zu bemerken im Gebrauch der 
demonstrativen und relativen Zeitadverbia. 16 iwi a poco tempo 
gi fu restitwito il suo luogo. 276 il luogo dove io son useito. 
234 Ascanio ... il quale era venuto a Roma da Tagliacozzi, di 
donde gli era. Weit grösser aber wird die Konfusion da, wo 
diese Adverbia als Konjunktionen funktionieren. 

Doch bleibt erst noch einiges zu bemerken über die Präpo- 
sitionen, die von Cellini sehr häufig ausgelassen werden. Ein 
grosser Teil dieser Fehler wird übrigens auf Rechnung des 
Schreibers gesetzt werden dürfen, denn beim Diktieren konnte 
die Präposition, da sie meist in der Proklyse steht, leicht über- 
hört werden. Auf den Seiten 450—552, d.h. in dem von Cellini 
eigenhändig geschriebenen Abschnitt hört denn auch diese Art 
von Auslassungen auf, und sie kommt nur noch in Sätzen vor, 
deren Konstruktion ohnedem gestört ist. 19f. (Bandinello) non 
aveva lume di missuna casata, ma era figliuolo d’ un carbonajo: 
questo non e da biasimare il bandinello. 50 il mio ... padre 
5’ abbatte per sorte | un di quelli arrabbiati che erano degli Otto. 
Aehnliche Fälle 76, 4. 54,1. 77,3. 78,4. 92,2 u.s.w. — 491 e cost 
certi altri bastioni e porte (furon consegnati) a diversi ingegnert, 
i quali nom mi sovviene, ne manco fanno al mio proposito. 

Einige Male tritt die Präposition a an Stelle von con. 
52. la sua professione ... si e !’ arte della oreficeria, ed in quella 
opera maravigliosamente, e tirane molto miglior guadagno che 
ui non farebbe al sonare. 53 io andavo pensando se tal cosa 
io dovevo accettare, considerato quanto la mi era per nuocere allo 
isviarmi dai belli studi dell’ arte mia ... Andere Sonderheiten, 
wie der Gebrauch von fuor di lwi statt lontano da lui (29,2. 91,3), 
appresso a quelle statt oltre a quelle (85,4. 279,3) stören nicht 
das logische Verhältnis, sondern sind vielmehr künstlerische Steige- 
rungen des Ausdrucks. 

Das wichtigste, was über den Gebrauch des Artikels und 
der Pronomina zu bemerken ist, fällt auf Rechhung der floren- 


BENVENUTO CELLINIS 8TIL IN SEINER VITA. 425 


tinischen Vulgärsprache. Besonders mache ich noch aufmerksam 
auf die Anwendung der relativen Fürwörter an Stelle der demon- 
strativen — ein Charakteristikum des Cellinischen Stils. 

Endlich zeigt sich in der Handhabung der Negation ein 
Mangel an logischer Präzision. 521 Io non mancai di non dire 
tutto quello che mi occorreva. 501 e non restavano i popoli con- 
tinuamente di appiccare. 364 in prima avevo fatto la porta 
del palazzo di Fontana Bbehio: e per non alterare, il manco che 
io potevo, U ordine della porta ... 509 di sorte che io ebbi de’ 
gran piaceri che io avessi mai. Auch diese Ungenauigkeiten 
dürften durch den Sprachgebrauch des Volkes veranlasst sein. 

Man kann überhaupt die Beobachtung machen, dass die 
meisten Verstösse gegen die Rectio dem Cellini gerade da pas- 
sieren, wo die florentinische Vulgärsprache von der Schriftsprache 
sich entfernt. Cellini hat nur die Freiheiten seines Idioms noch 
erweitert. Ueberall wo dieses keine festen Schranken bietet, ist 
er unsicher und irrt: sein Sprachgefühl hat sich an der Vulgär- 
sprache gebildet, nicht an der Schriftsprache. 


2) Der zusammengesetzte Satz. 


Von besonderer Wichtigkeit für die Kenntnis der Gedanken- 
bildung Benvenutos ist seine eigentümliche Art, die Sätze zu 
periodisieren. Während der klassische Schriftsteller in seinen 
Perioden sich bemüht, das abgeklärte und geordnete Bild eines 
fertigen Verlaufs von Vorstellungen darzustellen, zeigt uns der 
Stil Cellinis gleichsam die Genesis seiner Associationen in all’ 
ihrer ursprünglichen Unordnung. Die Gedanken, die Beziehungs- 
verhältnisse folgen sich, stossen sich, verwickeln sich, je nachdem 
sie der Reihe nach ins Bewusstsein treten. Der Stil erhält ein 
hastiges Galopptempo, und die Logik und die Ordnung kommen 
meistens zu kurz. 

Vor allem fällt auf eine ausserordentliche Vorliebe für die 
absoluten Partieipien und Gerundien, die leicht zu begreifen ist, 
wenn man bedenkt, dass beide Konstruktionen die loseste und 
billigste Art der Subordination darstellen, indem ihre Anwendung 
nicht verpflichtet, sich vorher Klar zu werden, ob es sich um 
ein temporales, kausales, konditionales oder koncessives Ver- 
hältnis handelt. Dazu kommt als weitere Freiheit dieser Kon- 
struktionen ihre scheinbare Subjektlosigkeit, mit der Cellini 
einen weitgehenden Missbrauch treibt. An die oben gegebenen 


426 K. VOSSLER, 


Belege reihe ich noch den folgenden: 185 Onde lwi accostatosi 
al muro, e di gia appressatici bene, cognosciuto ispresso per le sue 
dimostrazione che lui aveva volunta di farmi dispiacere, e vedu- 
tomi solo a quel modo, penso la gli riuscisst. 

Einigemale wird infolge einer Verkennung des temporalen 
Verhältnisses das Gerundium mit dem Partieipium verwechselt 
und umgekehrt: 109 Mosso la guerra papa Olemente alla citta di 
Firenze ... amcora io fwi comandato. 143 lui aveva due torce 
innanzi ed andava in furia domandato dal papa. Unsicherer sind 
die folgenden Fälle: 98 Me ne andai all’ Agnolo ...; e fattomi wi 
un fornelletto ... ed acconcio ... un ceneracciolo ... gittando 
l’ oro di sopra in sw carboni, a P0co a poco cadeva in quel piatto. 
105 bussando(io) la porta, si fece alla finestra uma certa gobba 
arrabbiata. Oefters wird der konjunktive Charakter dieser beiden 
Konstruktionen vollständig vergessen. 184 .l signore non gli 
rispondendo a proposito, ma faceva intendere alla moglie che 
farebbe le vendette. 1971. chiamai um certo Pietro Pagolo ... 
e trovatolo che gli stava con un certo Dernardonaccio orafo, il 
quale non lo trattava molto bene, per la qual cosa io lo levai 
da Iwi. — Nicht selten führt die Vorliebe für diese Kon- 
struktionen zur Herstellung eines unnötigen oder unrichtigen 
Abhängigkeitsverhältnisses. 193 essendo alloggiatı a un certo 
luogo, il quale e di qua da Chioggia ..., l oste volse esser pagato 
a suo modo. 192 Gl e troppo discosto la casa vostra dalla sua, 
avendo a tornare un altra volta. 

Kaum weniger weitgehend ist der Gebrauch und Missbrauch, 
der mit der Konjunktion che getrieben wird, was sich wiederum 
erklärt aus der Mannigfaltigkeit und scheinbaren Freiheit ihrer 
Funktionen, die einem ungeordneten Denker wie Cellini ver- 
führerisch sein musste. 280 :l papa ... disse: Che m’ aveva 
tenuto in prigione a riquisizione di certi sua, per essere lui (io, 
Cellini) un poco troppo ardito; ma che cognosciuto le virtu sue 
e volendocelo tenere appresso a di noi, avevamo ordinato U. S. W. 
529 si credette, che oltre ai sua disordini, che questo dispiacere, 
vedutosi perdere il marmo, ne fussi buona causa. 165 (Felice) 
li (a ser Benedetto) chiese li sua dinari in un poco di rwvido 
modo, il quale era V usanza sua; che il detto ser Denedetto era 
con quelli sua padroni. 83 avvicinatosi a dua ore passai da casa 
di questa Pantasilea, con animo, che essendovs quel Luigi Pulei, 
di fare dispiacere all’ uno e Valtro u.8.W. — 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 427 


Eine fast durchgehende Unsicherheit zeigt sich im Gebrauch 
der Wendung esser causa. 275f. contrastando Tossa con quella 
grossezza di quella pallottola, non possendo l ossa piegarsi, fü 
causa che in quel luogo si roppe. 107 forzato dai prieghi del 
fratello e della sorella, furno causa che io mi fermai a Firenze. 

Andere Unebenheiten im Gebrauch der Konjunktion sind 
die folgenden: perche im Sinn von tanto che, sicche. 310 gli 
usava una volta la settimana di fare una crapula assai gagliarda, 
perche da poi la gomitava. avvegnacche im Sinn von essendo che. 
72 avvegnacche lora si cominciava appressare ... pensai a una 
piacevolezza ähnlich 531,1; 174,2 u.s. w. sebbene im Sinn von 
perche. 216 sebbene io nom potevo andare con i mia piedi, mi 
feei portare und umgekehrt: 263 e perche in questo tempo che 
il papa stava cost, tutti e’ prigioni si usavano con maggior dili- 
genza riserrare; onde a me non era fatto nessuna di queste cotal 


cose, ma liberamente ... me ne andavo per il Castello. — il per 
che statt perche. 173 «l perche si era saputo che io tornavo 
a Roma, diceva volersi morire per farmi dispetto. — infra che 
für oltracche. 97 si misse i soldatı in tanto disordine che, infra 
che gli eran pieni del latrocimio ... piüu volte si volsono abbotti- 
nare. — Nicht unlogisch wäre das von Cellini gern gebrauchte 


.non tanto (che) für oltre (che), wenn es immer richtig Konstruiert 
würde. 509 e con questo, non tanto U avermelo mostro a parole, 
che egli si cavo um foglio ... nel quale ... questo buon vecchio 
aveva disegnato ... 40 a me parve esser assassinalo, non tanto 
ch’ io mandai per un mio cugino. 

Endlich werden gerne der Subordination unterworfen auch 
Sätze, die in keinem gedanklichen Zusammenhang zu einander 
stehen. 185 questo ditto corsetto (soldato corso) ... eredette tale 
impresa poterla fare da per se solo; in modo che un giorno 
doppo desinare mi feciono chiamare da parte del signor Pier 
Luigi ... 201 giunsi a Roma; e perche io tenevo una casetta 
in istrada Julia, la quale non essendo in ordine, io andai « 
scavalcare a casa di messer Giovanni Gaddi. 

Bei der grossen Vorliebe für die Unterordnung der Sätze 
begegnet es sehr häufig, dass nicht nur verschiedenartige Kon- 
struktionen mit einander vermengt werden, sondern ebenso oft, 
dass die Nachsätze vergessen bleiben. Die gelegentlich bisher 
gegebenen Beispiele mögen genügen. — Beachtenswert ist aber 
nicht allein Cellinis Unfähigkeit, vollendete Perioden zu bauen, 


428 K. VOSSLER, 


sondern ebenso sehr sein fortwährendes Bestreben, die Gedanken 
vermittelst der Periode in Beziehung zu einander zu bringen. 
Dasselbe bestätigt die Betrachtung der Coordination. 
So oft es nur angeht, werden die Sätze mit einander verbunden, 
und zwar vorzugsweise mittelst eines relativen dove, onde, il 
per che, per la qual cosa, il quale u.s. w., freilich auch hier 
nicht immer mit logischer Schärfe, und oft auch da wo es nicht 
nötig wäre. 497 ascosamente dal duca ei mi punzecchiavano: 
dove io gl pregavo di grazia che gli stessino fermi. 67 (loro) 
non volendo crederlo, ond’ io volendo restar veritiero a quei talı, 
ne ebbi a dare testimonianza, Aehnlich 68,1. 69f. me ne andai 
a trovare il Rosso pittore ... e trovato il mio Rosso, il quale 
oltra modo si rallegro, onde io gli dissi. 88 posi la mira nel 
mezzo appunto a uno che io vedevo sollevato dagh altri; per la 
qual cosa la nebbia non mi lasciava discernere se questo era 
a cavallo o a pie. 90 aleuni cardinali e signori mi benedivano 
e davanmi grandissimo animo. Il che io baldanzoso mi sforzavo 


di fare quello che io non potevo. 96f. e perche loro ... veni- 
vano pi adagio e piü folti che «l solito assai, il che dato fuoco ai 
mia soffioni, ... gittai ... u.8. w. Die übrigen kopulativen Kon- 


junktionen bieten weniger Anlass zu logischen Ungenauigkeiten. 

Also auch hier wieder neben dem Bemühen den Ge- 
dankenzusammenhang sprachlich darzustellen die Unfähigkeit 
zur richtigen Durchführung des Vorhabens, indem teils zu viele, 
teils ungenaue Verbindungen hergestellt werden. Wenn wir im 
Kapitel der Rectio den Schriftsteller kennen gelernt haben, dem 
es an logischer Schulung fehlt, und der befangen bleibt inner- 
halb der ungeordneten Syntax seines heimatlichen Dialekts, so 
zeigt uns das Kapitel vom zusammengesetzten Satz den Cellini, 
der sich über die Rede des Volkes erheben will und sich dazu 
des augenfälligsten und unvolkstümlichsten Mittels bedient: 
nämlich der möglichst langen und möglichst verwickelten Periode. 
Diese Neigung stimmt nicht übel zu seiner Eitelkeit, seinem 
Geschmack für alles Bizarre und Grandiose, für alles das, was 
man nach seinem grossen Meister und Landsmann als „Michel- 
angiolesco“ bezeichnet. 


All. Der synthetisch-künstlerische Intellekt des Cellini. 


Die bisher beobachteten Durchbrechungen der Syntaxis 
regularis, obgleich aus dem Mangel an grammatischer Schulung 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 429 


entsprungen, verfehlen doch nicht, auf den gebildeten Leser einen 
eigentümlichen Reiz auszuüben: sie gewähren ihm das Vergnügen 
des raschen Begreifens, Erratens, Ordnens, Korrigierens, des 
Besserwissens. Diese Wirkung des Cellinischen Stils, deren sich 
schon Varchi bewusst war, als er darauf verzichtete das Manu- 
skript durchzukorrigieren, nennen wir die unfreiwillig künst- 
lerische, die naive. Daneben steht freilich schon die Tendenz 
zur rhetorischen Kunst, zur Periode. Bei Betrachtung der 
affektischen Ausdrucksmittel muss der Dualismus von naiv und 
rhetorisch noch mehr zu Tage treten. 


Indem die Sprache des Volks und ebenso sehr die Cellinis 
durchweg zum affektischen Ausdruck neigt, schwächt sie dessen 
Wirkung bedeutend ab. Benvenutos Stil erhält so die unmittel- 
bare Lebhaftigkeit der gesprochenen Rede, das durchschnittliche 
Ethos der ganzen Vita wird pathetisch gehoben und offenbart 
einen Mann, dem all seine Lebenserinnerungen ebenso gegen- 
wärtig in der Phantasie, als teuer im Herzen leben. An den- 
jenigen Stellen aber, wo gesteigerte Leidenschaft einsetzt, muss 
zu den allerstärksten sprachlichen Mitteln gegriffen werden, 
woraus eine fast einzig dastehende Fülle und Kraft des affek- 
tischen Ausdrucks resultiert. Die dauernd affektische Belebtheit 
das Ganzen erhellt am unmittelbarsten aus der Wort- und Satz- 
stellung.!) 


1) Wort- und Satzstellung. 


Wir betrachten zunächst einige Fälle von Inversion,?) 
wobei die pronominale Wiederaufnahme des absolut und klamativ 
vorausgeschickten Satzgliedes einen höheren Grad von Affekt 
bezeichnen dürfte, als die einfache Inversion. 208 io dissi, che 
quel poco dell’ oro e de’ denari, quali potevano essere in circa 
ottocento scudi fra oro, argento, giore e danari, questi volevo 


') Eine Betrachtung der Positio auch auf ihre logische Richtigkeit hin 
hätte manches lehrreiche ergeben, musste aber aus Mangel an Raum unter- 
bleiben. Hier nur wenige Beispiele: 175 era un giorno doppo desinare del 
mese di aprile, ed era un bel tempo. 190 rispose che aveva in culo il duca e 
noi di nuovo (wenn di nuovo hervorgehoben werden sollte, musste d. n. 
rispose gestellt werden). 370 in fra i quali era uno stampatore molto valente 
di libri. 

2) Unter affektischer Inversion verstehe ich im Anschluss an Gröber die 
veränderte Stellung, die dem vom Aftekt getragenen Satzglied gegeben wird. 


430 K. VOSSLER, 


che fussino della mia povera sorella. 160 per essere nostro 
domestico compagno un certo Agnolino Gaddi, ancora lui menammo 
a questa faccenda. 169 e ragionando col ditto Solosmeo 
vediamo con gran furia ritornare a noi l’ ostiere. 178 ai quali 
io adiratamente dissi; che le mie brighe io ero uomo da per me 
a saperle finire. 120 a questi orafi, di queste cose belle 
bisogna lor fare e’disegni. 24 io a te lo feci dare, e tu a me 
Vhai fatto torre. 159 «o risposi che della fortezza e della 
sieurta dell’ animo me ne avanzerebbe. 15 d’ avorio e fu il 
primo che lavorassi bene. 33 veduto questo, mi spiccai da loro, 
ed in concetto di tristi e ladri li tenevo. 169 -al qual oste noi 
pin volte dicemmo, che seco noi non volevamo andare. 41 Giunto 
fra loro, st come un toro invelenito, quattro 0 cinque ne gittai 
in terra, e con loro insieme caddi ... Quelli che in piedi restati 
erano, quanto egli potevano sollecitavano ... 39 furno le parole 
a loro di tanto spavento, che nessuno si mosse. 69 io dissi a 
questo amico, che non si appressassi a me, perche spacciato ero. 
33 Gl menai si grande il pugno in una tempia, che svenuto 
cadde. 203 Iddio sia per la ragione: 0 vivo fuggo, 0 morto 
preso. 302 e voi ribaldi, ribaldi resterete. Ausserordentlich 
beliebt ist die elliptische Konstruktion finsto che U ebbi, giunti 
che fummo etc. statt des objektiven dopo che l ebbi finito oder 
wie Cellini sagen würde: di poi che io V ebbi finito. Verhältnis- 
mässig ebenso häufig ist affektische Inversion in der Frage. 
Es mag genug sein an einem Beispiel doppelter Inversion. 55 chi 
mi toglie la roba mia com le fatiche ıinsieme, ancora segli puo 
concedere la vita? 

Ein weitgehender, geradezu kühner Gebrauch wird gemacht 
von der affektischen Voranstellung des attributiven Adjektivs 
und Adverbs. 25 O caro figliuol mio, ancora io sono stato buono 
disegnatore: e per refrigerio di tal cosı maravigliose fatiche 
e per amor mio che son tuo padre, che t ho ingenerato ed allevato 
e dato principio di tante onorate virtu, al. riposo di quelle non 
prometti tu qualche volta pigliar quel flauto e quel lascivissimo 
cornetto, e con qualche tuo dillettevole piacere, dilettandoti 
d’esso, sonare? 42 il mio afflitto e povero buonm padre. 
393 non gli essendo bastato la vista di fare con le sue mane a 
gara meco, prese quell’ altro lombardesco ispediente. 64 mi 
capito alle mane, infra tante le altre, una testa di un dulfino. 
160 fatto il negromante le sue medesime preparazione con quel 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 431 


medesimo e piu ancora maraviglioso ordine, ci misse nel 
circulo. 106 cos lietamente e con gran piacere finimmo la 
cena. — Auch das distinktiv funktionierende Adjektiv wird gerne 
affektisch ‘herausgehoben: 136 il papa ... fattomi uno guardo 
addosso terribile, disse. 128 questo e fratello di quel che tu 
vedi la carnale, ebenso das Adverb: 60 subito messo mano 
all’ arme Vuno e Valtro arditamente ... Weniger spontan 
wirkt in der Regel der rhetorische Kunstgriff des Chiasmus') 
53 non lo facendo arai la paterna maladizione, e faccendolo sia 
tu benedetto per sempre da me. il papa aveva mandato per me 
e meco si consigliava. 271 cosı mi menorno, e chiusonmi con 
maravigliosa diligenza. 159 forte animo e sicuro bisogna che 
sia di quell’ uomo che si mette a tale impresa. 167 cosı faccen- 
domi della necessita virtu, arditamente spinto modestamente 
il cavallo ... libero passat. 


Sehr beliebt ist auch die periphrastische Hervor- 
hebung des vom Aifekt getragenen Satzgliedes: 221 E’non 
accadrebbe lo spender danari in corrieri, perche tu sai le cose 
innanzi che le si faccino: che spirito e quello che te le dice? 


Affektisch ist auch die Inversion untergeordneter Sätze, 
wobei entweder der ganze Satz, oder nur ein Teil davon heraus- 
gehoben wird: 216 non tanto U’ avere inteso che io ero morto, ma 
piu pareva loro miracolo, che come morto parevo loro. 220 Qual- 
che novita e forza che sia avvenuta a Firenze. 


Besonders wirkungsvoll wird der rapide und sprungweise 
Gang der Vorstellungen unseres Schriftstellers wiedergegeben 
durch die grosse Menge parenthetisch eingeschalteter Sätze. 
220 Cosi venuticene a Roma, era un bwio grandissimo: e quando 
noi fummo arriwati viecino a banchi e vicino alla casa nostra, To 
avevo um cavalletto sotto, il quale andava di portante furiosissimo, 
di modo che, essendosi il di fatto un monte di caleinacci e tegoli 
rotti nel mezzo della strada, quel mio cavallo non vedendo il 
monte, ne io, con quella furia lo salse; di poi allo scendere 
trabocco, in modo che fare un tombolo. 222 Avendo gia fatto 
tre figuretie d’oro, tonde, di grandezza di um palmo incirca 
(queste ditte figure furno quelle che io avevo cominciate per il 


1) Von Gröber in seinen Uebungen folgendermassen definiert: Verwen- 
dung der verstandesmässigen und affektischen Stellung für parallele Satz- 
bestimmungen oder Satzglieder, um dieselben kontrastieren zu lassen. 


432 K. VOSSLER, 


calice di papa Olemente: erano figurate per la Fede, la Speranza, 
e la Carita:), onde io aggiunsi di cera tutto il restante. 

So wendet denn Cellini die affektische Stellung an, indem 
er sich einerseits gleichsam instinktiv der lebhaften Rede seiner 
Heimat hingiebt, andererseits aber mit voller Absicht seine 
Vorstellungen je nach ihrer subjektiven Intensität heraushebt, 
und die Worte und die Sätze mit kühner Souveränität und oft 
im gewollten Gegensatz zum gewöhnlichen Sprachgebrauch an- 
ordnet. 


2) Permutationen.!) 


Permutiert wird entweder die syntaktische Funktion der 
Satzglieder und Sätze oder die lexikologische (Bild, Metapher). 
Von den ersteren, den syntaktischen Permutationen haben wir 
bereits verschiedene kennen gelernt, soweit sie die Logik des 
Sprachgebrauchs stören. Die psychologische Erfahrungsthatsache 
von der Reciprocität zwischen Verstand und Phantasie findet 
auch hier ihre Bestätigung: was Cellinis Gedankenausdruck an 
Folgerichtigkeit verliert, gewinnt er an Sinnlichkeit. 

Das ist der Fall z. B. bei affektisch veranlassten Kon- 
gruenzstörungen, wo statt grammatikalischer Uebereinstimmung 
eine phonetische, eine Art von Assonanz, hergestellt wird. 
466 Signore, io conosco che Vostra Eeccellenzia Illustrissima mi 
ha questa molta poca fede. 39 non mi pareva di meritare tanta 
gagliarda riprensione. Oder wo von mehreren Beziehungswörtern 
nur noch das letzte berücksichtigt wird. 68 spaventato ognuno 
in casa, lo amico mio, la vacca grossa e la minuta,?) tutte fuggite. 

Zur affektischen Voranstellung der Personalform tritt gerne 
noch verstärkend die Durchbrechung der Kongruenz hinzu. 121 e 
val pih le scarpe di Benvenuto che gli occhi di tutti questi altri 
balordi. 48 maravigliatosi Tl’ una el altra, pure disse Madonna 
Porzia, oder auch bei normaler Stellung der Personalform: 
172 in modo che noi, V arme e il sangue messe tanto terrore a 
quei poveri gentiluomini ... 

Der moderne Leser wird geneigt sein, die sinnliche Kraft 
solcher Permutationen — wofern sie überhaupt diesen Namen 


1) Als Permutatio wird von Gröber die Verwendung von Satzgliedern 
in anderer Funktion bezeichnet. Hier sind aber noch andere qualitative 
Abweichungen von der Syntaxis regularis mitbehandelt. 

!) Damit meint er zwei „Üortigiane“. - 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 433 


verdienen — zu überschätzen, aber die Einleitung und der 
erste Teil dieser Arbeit dürften gezeigt haben, wie viel davon 
als idiomatisch zu beurteilen ist, und wieviel etwa aus purer 
Nachlässigkeit mit untergelaufen sein mag. Cellini geht mit 
diesen vom Dialekt gebotenen Ausdrucksmitteln wenig haus- 
hälterisch um und sozusagen unsystematisch. Eine gewisse Regel- 
mässigkeit habe ich nur bemerken können im Gebrauch von voi 
in der Anrede mit 2. Pers. Sing. des Zeitwortes. Es wird nämlich 
von Cellini nur da gesetzt, wo Leute niederen Standes sprechen. 
12 quella allevatrice ... disse: Jo vi porto un bel presente, qual 
voi non aspettavi; ähnlich 475,5, oder der Vornehme gebraucht 
es vertraulich dem Niedergestellten, der Freund dem Freunde 
gegenüber. 3833 voi avevi di gia auto Ü opera per virtu de’ vostri 
modell. 212 se voi cognoscevi che la salute sua fussi stata ... 
nel bere dua fiaschi d’ acqua, per che non Ü aver detto prima? 
Oder aber Cellini verwendet es selbst im höchsten Affekt, als 
er sich vor Gericht verteidigt: 258 voi vi difenderesti! ... non 
dovevi vor prima che voi mi pigliassi intendere dove io giravo 
questi ottanta mila ducati? Ancora non dovevi voi vedere la 
nota delle gioie ...? Di poi che voi avessi trovato mancamento, 
allora voi dovevi pigliare tutti i miei libri e con esso meco, und 
in ähnlicher Stimmung seinem Rivalen Bologna gegenüber 384 io 
so che voi sapevi.!) 

Ebenso wird mit feiner Unterscheidung der pluralis maie- 
staticus gehandhabt. 285 disse il papa ...: Io manderö per 
Denvenuto, e per um poco di mia satisfazione lo mettero giu in 
quelle camere del giardın segreto ... e anche gli faro dar le spese, 
insin che ei passi questo poco della fantasva. 

Bei anderen anakoluthartigen Störungen aber herrscht 
grosses Schwanken: bald stehen sie salopp in verstandesmässiger 
Rede, bald künstlerisch wirkungsvoll in affektisch belebter. Da 
wir bereits verschiedene Belege kennen gelernt haben, in denen 

') Zweifelhaft sind die Fälle si che per lei voi rompessi il collo, 385,2 
und 389,3, 408 voi doverresti, 144 se gia voi non ... facessi. Wahrschein- 
lich liegt gerade in dieser flexivischen Eigenheit des Dialekts (-assi, -essi, 
-issi,; -asti u. 8. w. für -aste u.s. w.) die genetische Erklärung für die syn- 
taktische Anomalie. Einen einleuchtenden Beleg dafür bietet 409 die Rede 
Cellinis an Franz I., wo neben der 3. sing. fem. (maesta) und masenl. die 
2. pl. als Anrede dient voi mi facesti dare und daraufhin dicendo che mi 
sapevi il buon grado. 

Festgabe für Gustav Gröber, 28 


434 K. VOSSLER, 


Nachlässigkeit oder Vergesslichkeit vorzuliegen scheint, möge es 
an zwei affektischen Beispielen genug sein. 239 Io che non ne 
volevo far nulla, ed era disposto andarmene a ogni modo, mi fu 
forza accettare Ki tre cawvalli. 12 di poi dua amni di nuovo 
ingravido: e perche quei vizi che hanno le donne grawide, molto 
vi si pon cura, gli erano appunto come quelli del parto dinanzi. 

Eigentümlich ist der nachdrückliche Gebrauch, der ver- 
schiedenemale vom Obliquus gemacht wird: 193 avemmo di buono 
bellissimi letti, nuovi ogni cosa e veramente pulit. 211 tu non 
hai mai potuto con tutte le tue fatiche far nulla di quel che Ü ha 
fatto ogni cosa. 446 il primo getto ... venne bene super- 
lativo.grado. 291f. e se io non fussi stato venduto sotto la 
fede papale un vescovado da un veniziano cardinale, e um 
romano da Farnese ... tu mai non mi ripigliavi. 192 gli altri 
compagni scambio di aiutarlo, si ritirorno indietro. 269 quando 
questa cosa gli cominciava a venire, e' parlava assai, modo che 
cicalare. 339 perche da quei pagoncelli che io vi mangiai causa 
della mia sanita, infuora altro non vi conobbi di buono und der 
Gebrauch des Genetivus partitivus, zu dem Cellini als Florentiner 
ohnehin eine grosse Neigung hat. 207 doverresti venirci con messer 
Antonio Allegretti o con messer Annibal Caro con di quegli 
altri vostri virtuosi. Insofern der genit. part. im Italienischen 
objektiv nur zur Massbestimmung von Konkreten dient, wirkt 
er, auf Abstrakta angewandt, affektisch anschaulich. 286 e io 
pure lo pregavo con le braccia in eroce che mi levassı di quivi, 
perche io sapevo bene che un papa simile a quello mi poteva 
fare di molto bene, ma che io sapevo certissimo che lui studiava 
in farmi segretamente per suo onore di molto male. 

Im Gebrauch der modalen und temporalen Formen des 
Verbs ist eine der allgemeinsten, und darum auch farblosesten 
Permutationen die Setzung des modus realis anstatt des con- 
ditionalis. 126 se il capitano ..."si fussi mostro ... quei giovani 
mettevano la corte in fuga. 114 se tu venivi un Poco prima ... 
io ti facevo rifare ... 227. al quale io dissi: Adumque Trteondall 
meglio, lei merita!) dua volte di berretta. 

Gerne tritt auch der Realis an Stelle des Subjunktivs. 
113£. il papa ... aggiunse, dicendo all arcivescovo ... che... 


!) Nach Gröber ist das Futurum nichts anderes als die präsentische 
Form des modus conditionalis oder potentialis, wie aus seiner etymologischen 
Herkunft sowie aus seiner Bedeutung hervorgeht z. B.: Non sara vero. 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 435 


mi facessi quanto carezze quanto e’ poteva. 107 volse in questa 
medaglia che io facessi uno Ercole che sbarrava la bocca al 
lione, besonders häufig infolge eines Ueberspringens der oratio 
indirecta in die receta. 24 gli dissi che volevo far vendette delle 
ingiurie che quel ribaldo gli aveva fatto, con questo che voi mi 
lasciate attendere all’ arte del disegno.') 

Natürlich fehlt auch nicht die Verwendung des Condizionale 
passato für das Cond. presente. 237 di poi entrö con modestissimi 
ragionamenti, mostrandomi che arebbe auto desiderio che io lo 
ritraessi, auch der umgekehrte Fall hat manchmal statt: 237 mi 
aveva messo in ordine una camera, che sarebbe troppo onorevole 
a un cardinale. 

Nicht gerade häufig tritt das Präsens an Stelle des Perfekts. 
138 in questo di medesimo passando per piazza Navona, avendo 
meco quel mio bello can barbone, quando io son giunto dinanzi 
alla porta del Bargello, il mio cane con grandissimo impito forte 
latrando si getta ... 36f. le dispute furno grande ... pur & la 
ragione che volse il suo luogo.?) 

Bezeichnend für den Stil Cellinis ist der häufige Gebrauch 
des Perfekts an Stelle des Plusquamperfekts, mit andern Worten 
die Versetzung eines vorausgegangenen, accessorischen Ereignisses 
in den augenblicklichen Verlauf der Erzählung, als habe es noch 
einmal zu geschehen. 49 il di sequente andai a ringraziare 
madonna Porzia, e gli dissi che sua signoria aveva fatto il con- 
trario di quel ch’ ella disse. 202 io chiamai quel mio servitor 
maggiore, che aveva nome Üencio (era quello che io menai nel 
cerchio di negromanzia) vgl.159. 103 ... dove io fui messo in 
opera da un certo maestro Niccolö milanese, il quale era orefice 
del duca di detta Mantova. Messo che io fui in opera, di poi 
dua giorn? ... seltener umgekehrt, als sei das Ereignis bereits 
eingetreten und vollendet. 244 questa notte fü tanto piacevole, 
che tutti e’nostri affanni si erano comversi in risa. 

(serne wird auch eine Handlung in ihrer Absolutheit heraus- 
gehoben oder gemalt mittelst eines ausserhalb der Konstruktion 


') Selbstverständlich wird auch die eonsecutio temporum durch solchen 
Redewechsel gestört. 241 lor dicevano non esser possibile, perche non v' & 
acqua che sostenessi la barca, e che € v’& certe secche per le quali la barca 
subito si disfarebbe. 

2) Wohl infolge einer Ellipse, objektiv hiesse es z. B.: 2 la ragione 
che sempre vuole e che anche allora volse il s. 1. 


2g* 


436 K. VOSSLER, 


stehenden Infinitivs. 212 se vor cognoscevi ..., perche non V avwer 
detto prima? 216 a me non bastava la vista di viwere ne di 
morire, se prima non mi purgavo da questa infamia, e conoscere 
chi fussi quel temerario ribaldo che avessi fatto quel falso rapporto. 
228 feci tanto che io non tanto raggiungerla, ma la passar 
assai bene. 272 tutti quei mia ferruzzi come se dire tanaglie e 
un pugnale. 220 trabocco, in modo che fare un tombolo. 

Aehnlich funktioniert das absolute Gerundium. 203 or 
cognoscete voi che giudizio di medico fu questo avendogli conto 
un caso si grande, e lwi farmi una tal dimanda! 240 il corriere 
disse, che se ne verrebbe meco, non potendo far altro, perche 
lasciando quel biechiere non gli sarebbe onore. 

Hinter einigen Verben steht gerne das Gerundium an Stelle 
des Infinitivs mit der Präposition. 276 ed io sollecitai andando- 
mene inverso la chiesa. 282 non ti accadra!) ritornare in 
Francia andando a tribolare la vita tua in questa parte e in 
quella. 174 io me ne andai in casa mia, mettendomi a finire 
la medaglia. 

Zur Anzeige rascher Vollendung oder Aufeinanderfolge von 
Handlungen wird ganz vorzugsweise das Partieip benutzt. 
60 subito messo?) mano all’ arme U uno e Valtro arditamente; 
ma non si tosto cominciato tal briga, che molti entrorno di 
mezzo, pi presto pigliando la parte mia che altrimenti, e sentito 
e veduto che io avevo ragione. 

Bemerkenswert ist endlich die grosse Neigung zum Im- 
perfekt behufs malerischer Ausdehnung einer einmaligen Hand- 
lung. 112 veduto che m’ ebbe il papa, molto strasordinariamente 
si rallegrö: ed io ... con quanta modestia io potevo me gli 
accostavo appresso. 191 spinsi innanzi il cavallo, e quando fu 
presso a cinquanta passi, scavalcai, e arditamente col mio giannet- 
tone andavo innanzi. Il Tribolo s’ era fermato indietro, ed era 
rammichiato in sul cavallo, che pareva il freddo stesso: e Lamen- 
tone procaccio gonfiava e soffiava, che pareva un vento,; che 
cosı era il suo modo di fare; ma piu lo faceva allora che ıl solito. 

Wir beobachten, dass sämtliche Permutationes modi et 
temporis dazu dienen müssen, die Handlungen und Geschehnisse 


1) — abbisognerä. 
2) Dazu bemerkt Guasti: messo, invece di mettemmo, ma il modo 
esprime meglio la prontezza del metter mano alle armi. . 


BRNVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 437 


dem Modus realis resp. perfectus und der Gegenwart und somit 
dem Interesse des Lesers näher zu rücken als die verstandes- 
mässige Perspektive gestatten würde. 

Aelmlich wirkt die vielgeübte Verwendung passivischer 
Konstruktionen anstatt aktivischer, wobei der Ausdruck eine 
feine Intimität bekommt, zumal meist der Dativus ethicus damit 
verbunden ist. 255 «n mentre che io gli davo V arme, mi venne 
considerato che in quel luogo appunto io avevo ammazzato 
Pompeo. 231 «dl papa rispose, che farebbe quanto gli venisse 
bene di fare. 233 «ıl detto fanciullo ... se doleva, dicendomi che 
Ascanio gli aveva dato!) sanza ragione nessuna. Alle qual parole 
io dissi a Ascanio!: O com ragione 0 senza ragione, non ti 
venga mai piu dato a nessum di casa mia. 232 io pensavo che 
fusse un vecchino, sı perche lui serviva tanto bene; e perche gli 
era tanto saputo. 

Die einzelnen Vorstellungen aus ihrem normalen Verhältnis 
herauszuheben und zu versinnlichen, ist auch der Zweck aller 
übrigen Permutationen. Adjektiva und Verba werden gerne zu 
substantivischer Geltung erhoben. 45 :0 venuto in un poco di 
baldanza pur mescolato un poco di onesta vergogna, divenni 
r0s50. 250 quelli sono assassini di strada ed hanno preso questo 
p0co?) dell’ occasione. 122 in breve di spazio ebbe finito. 254 ora 
avverlisca il mondo ... quanto possono le maligne istelle ... in 
noi umani! — 133 che io avevo futto un gran lavorare in 
sı poco tempo. 52 questa cosa mi causava molto pin ıl sonare, 
che io non facevo prima. 

Mindestens ebenso häufig ist die Verwendung von Sub- 
stantiven an Stelle von Adjektiven bald in prädikativer, bald 
in attributiver Funktion: 435 quelli uomini alla franciosa arebbono 
detto che vo fussi stato peccatore e che e’ fussi stato il vero certe 
magagne che a torto m’ erano apposte3) 220 contavo loro le 
istrettezze della caccia e quella diavoleria del trave di fuoco. 
261 in questo poco dell’ agitazion del tempo il re Francesco aveva 
di gia inteso. 140 lasciato che io ebbi finire al papa quella sua 
smania di parole. 199 auto che io ho la grazia, lascero tutta la 
divozione di Roma. — Besonders beliebt sind Konstruktionen 
wie un certo diavoletto d’un suo soldato corso U. a. 


ı) ’aveva bastonato. 
2) Besonders poco wird sehr häufig so gebraucht. 
>) Statt fussero state vere, 


438 K. VOSSLER, 


Affektisch sind auch alle Deminutiva, Aggranditiva, Vezzeg- 
giativa und Spregiativa,') deren Cellini eine unglaubliche Menge 
besitzt. Sie alle aufzuzählen wäre Sache der Wortbildung bei 
Cellini. Hier nur einen Fall: 254 io non avevo parlato due volte 
a miei di a questo pazzerellino di questo cardimalueccio 
de’ Gaddi, und dazu die Bemerkung, dass Cellini seine Freunde 
und Feinde immer mit denselben oder ähnlichen schmeichel- 
haften resp. gehässigen Attributen verfolgt und überschüttet.?) 

Neben der bereits erwähnten Verwechslung von Adjektiv 
und Adverb hat auch häufig affektische Permutation zwischen 
den beiden statt. 203 a questo ardıto spinsi innanzi U arme. 
519f. Valtra (cagione) si era, che le ditte storie andavano tamto 
poste basse, che le venivano troppo inferiore alla vista, e che le 
sarebbono un pisciatoio da cami, e continue starebbono piene 
d’ogni brutiura. 2561. tu parli molto sicuramente, anzi troppo 
altiero. Nach Analogie der Redensarten farla bella, farla netta 
u. a. schreibt Cellini 185 22 quale disse che la farebbe cosi facile 
come bere un wuovo fresco.. — Umgekehrt: 243 do so che i vostri 
sono iscudi, e son daddovero3) 249 paura di non nulla für paur« 
vana. 161 queste creature sono tutte sotto a di noi für ci sono 
inferiori. 219 avevo ammazzato dell’ anitre e dell’ oche assai 
bene. 324 la Terra avevo fatta una femmina tanto di bella 
forma quanto io avevo potuto e saputo. 

Merkwürdig ist 418 Lionardo, che accorruomo gridava 
Gesüu Gesü! 

Sehr beliebt ist die Verwendung von Demonstrativen an 
Stelle elativer oder superlativer Bestimmungen: 260 appresso ho 
fatto alla santa Chiesa tanti ornamenti d’argento, d’oro e di 
gioie, tante medaglie e monete s? belle e sı omorate. 294 di 
poi cost carpone mi accostai, seltener die von qualitativen 
Fragewörtern an Stelle von quantitativen: 191.. al porto, quale 


’) Wenigstens in ihrer ursprünglichen Bedeutung. Bildungen wie 
catenaccio, ombrellino u. a. haben ihren affektischen Wert verloren. 

2) Von seinem Rivalen Bernardo Baldi spricht er in folgenden Aus- 
drücken: 488f allora il detto ribaldone con quella sua vociaccia, che ei la 


sonava per il suo nasaccio d’ asino, disse ... ed aggiungendo molte altre sue 
sciocche parolacce ... questo ribaldaccio ... il .duca gli dette parecchi 
ceffatoni in quelle sue gotacce ... . questo 9maccio U.S. W. 


®) Aehnlich 273 Benvenuto € un pipistrello contraffatto, e io son um 
pipistrello da dovero. 


- 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 439 


e non so che poche migha lontan da Ferrara. 163 io lo 
domandati, che tempo vi si metterebbe.!) 

Ebenso selten als merkwürdig ist der adjektivische Gebrauch 
des interrogativen chi: 258 oime dove ho io andare adunque? 
e a chi principe che mi difenda? und der des unbestimmten 
Fürworts altri. 2835 senza pensare ne al cardinale ne a persona 
altrı. 

Zuweilen entspricht in chiastischer Weise einem Interro- 
gativum ein Demonstrativum: 261 .l re Francesco aveva di giä 
inteso minutamente come il papa mi teneva prigione, e a cosi 
gran torto,; einem Quantitativum ein Qualitativum: 301. .sö fece 
un Cristo ... ed era di tanta bella grazia ... quale ingegno 
umano non potria immaginare una millesima parte. 

Endlich ist zu bemerken der Gebrauch des bestimmten 
Artikels an Stelle des unbestimmten: 234 in tutte le cose vostre 
io non viddi mai ne il pin liberale ne il piü dabbene di voi (statt 
uomo pin lib.). 219 tirar ... e ne investü dua con la sola palla; 
che mai non volsi tirare con altro che con la sola palla und 
der des unbestimmten in qualifizierender Funktion: 56 assassi- 
nas’ egli a questo modo le case... in una Roma? 429 ma faccendo 
(lei) altrimenti io le parlero come a un ser Pier Francesco 
Riccio. 

Unter den Permutationen der Konjunktionen?) ist die 
häufigste und schwächste die Verwendung des malenden come 
an Stelle von che, mit andern Worten die Setzung einer indirekten 
Frage, wo objektiv eine Aussage zu stehen hätte. Vergleiche 
übrigens Vock. 449,6; 168 wi mi deite nuove, come quella sera 
medesima papa Clemente aveva mandato un suo cameriere. Etwas 
seltener funktioniert come als temporale Konjunktion: 273 come 
io fui a dua ore innanzi il giorno, io cavai quelle bandelle. 
212 come tu sei guarıto voglio che tu mi faccia una Nostra 
Donna di tua mano, oder als kausale resp. koncessive: 216 zo 
arditamente, cosı come io non mi potevo muovere, dimandai 


1!) Wahrscheinlich veranlasst durch das Nebeneinander von che or’ &? 
und quante ore sono? in der ital. Zeitrechnung. 

2) Historisch betrachtet sind überhaupt alle Konjunktionen auf dem 
Weg der Permutatio zustande gekommen, und die Uebertragungen temporaler 
oder lokaler Konjunktionen auf das causale oder koncessive Gebiet verdienen 
kaum mehr affektisch genannt zu werden, weil es sich um verwandte Funktionen 
handelt, 


440 K. VOSSLER, 


Giorgio ... 258 ma se uno venissi per ammazzar vol, COS% 
prete, voi vi difenderesti. 

Das unterordnende che dient häufig gleichsam koordinativ 
zur Einführung einer Parenthese: 268 s’ incontro in dua di quei 
mia maggior nimici, che P uno era quell’ Jeronimo ... e l altro 
era un certo Michele. 

Oft steht eine kopulative Konjunktion an Stelle einer adver- 
sativen: 211 Oh potenzia della natura! lei sa e’ bisogni sua, ei 
medici non sanno nulla. 223 questo diamante val meglio di diciot- 
tomila scudi, dove che appena noi lo stimavamo dodiei. 

Seltener hat zum Zweck der Steigerung die umgekehrte 
Permutatio statt: 332 ogni dua giorni io n’ ammazzavo uno, il 
quale larghissimamente ci nutriva, ma di tanta virtu che tutte le 
malattie da noi si partirno. 

Zu erwähnen als charakteristisch für Cellinis kaprieiösen 
Stil ist die Gewohnheit die Doppelkonjunktionen zu permutieren: 
262 pensando che questa indegnazione del papa, sı per la mia 
innocenzia, amcora per i favori del re, si dovessi terminare. 
193 gli uomini da bene ... si cognoscono molto meglio guando 
sono lodati da altri, che a lodarsi ... da per lor medesimt. 

Sehr gross ist die Neigung, einen Umstandssatz verkürzt 
wiederzugeben, ich berücksichtige aber hier nur diejenigen Fälle, 
in denen ausserdem affektische Permutatio vorzuliegen scheint. 
211 lasciala stare, che forse per farmi male ella m’ ha fatto tanto 
bene, che tu non hai mai potuto ... 

Zuweilen geht die Verkürzung der Umstandssätze noch 
weiter und führt zu Wendungen, die sonst nur in getragener 
Poesie begegnen. 285 disse il papa, pure alquanto vergognandosi 
della iscellerata gia data fede sua. 333 non poteva questo 
vecchio sopportare questa ingiuria di questi tanti danari che 
andavano al papa. 

Hypothetische Sätze werden, abgesehen von der Umschreibung 
mittelst des Participiums oder Gerundiums, zuweilen durch einen 
Relativsatz ersetzt. 270 Benvenuto, chi ti dessi le comodıta, 
e' ti darebbe pure il cuore di volare? 

Zuweilen funktioniert ein Relativsatz an Stelle einer in- 
direkten Frage. 337 io vi voglio dire per quel che io non mi 
curo di vedere mai piu vasi. Aehnl. 361,3. 484 nom mi potevo 
immaginare un tale accidente da guello che e’si potessi pro- 
cedere. > 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA, 441 


Selbstverständlich fehlt auch die rhetorische Frage nicht, 
doch kommt sie meist nur in direkt angeführter Rede zur Ver- 
wendung. 

Verhältnismässig selten ist auch die Apostrophe. 484 or 
senti un terribile accidente, piacevolissimo lettore. 254 ora avver- 
tisca il mondo e chi vive in esso quanto possono le maligne 
istelle ...! 530 io dissi: Oh sventurato marmo! certo che alle 
mani del Bandinello egli era capitato male (il marmo), ma... 
Ebenso selten sind, wenn man von der direkt eingeführten Rede 
absieht, die Interjektionen. 

Auch diese kleine Auswahl aus der Unzahl affektischer Aus- 
drucksmittel zeigt wieder den Schriftsteller, der stufenweise von 
sanz landläufigen Wendungen sich erhebt zu den kühnsten 
Durchbrechungen der regulären Syntax. Die bewusste, oft 
geradezu gesuchte Auflehnung gegen den Sprachgebrauch steht 
ausser Zweifel. 

Neben dem natürlichen Hang zum sinnlichen, kräftigen und 
anschaulichen Ausdruck steht unverkennbar die gesteigerte Sucht 
nach bizarren, geschraubten Wendungen. 

Eine gewaltige künstlerische Begabung, die von der eigenen 
überquellenden Kraft um so leichter auf Abwege getrieben wird, 
als ihr durch Erziehung und Schule keine Schranken gewiesen 
sind. — Eine Untersuchung des Wortschatzes und der Metaphern 
müsste die Phantasie des Künstlers in ihrer Kraft und Unordnung 
noch deutlicher enthüllen. 


3) Pleonasmen und Ellipsen. 


Zum Schluss mögen noch einige Beispiele von Ellipsen 
und Pleonasmen beigezogen werden, um über Stärke oder 
Ueberladenheit, Kürze oder Weitschweifigkeit des Cellinischen 
Stils zu entscheiden.!) 


Pleonasmus und Ellipse der Formwörter. 


Das Polysyndeton wiegt in der Hauptsache vor über das 
Asyndeton, d. h. der nachdrücklichen und detaillierten Aufzählung 
wird der Vorzug gegeben über die beschleunigte und summarische. 
538 trovai la pezza molto sangwinosa: subito io mi immaginai 


1) Auf Wiederholungen und Auslassungen im grossen Massstab machen 
die Kommentatoren aufmerksam, 


442 K. VOSSLER, 


di aver mangiato qualche cosa velenosa, e piu e piu volte mi 
andavo esaminando da me stesso che cosa la potessi essere stata; 
e mi tornd in memoria quei piatti e scodelle e scodellini, datimv 
differenziati dagli altri, la detta moglie dello Sbietta,; e perche 
quel mal prete, fratello del detto Sbietta, ed essendosi tanto affatı- 
cato in farmi tanto onore, e poi non volere restare a cena com 
esso noi; e amcora mi torno in memoria Vaver detto il detto 
prete ... 280 in questo mezzo mi venne a visitare la nobilta di 
Roma, e giovani e vecchi e d’ ogni sorte. 

Häufiger wird das Asyndeton aber bei rascher zeitlicher 
Aufeinanderfolge von Ereignissen. 243 essendo noi molli, ıstraccht 
e affamati, fummo piacevolissimamente ricevuti, ed wi ci rasciu- 
gammo, ci riposammo, satisfacemmo alla fame. 190 a questo 
romore loste gridava: Lamentone diceva, non fate: alcumi di 
loro dicevano, oime il capo! altri, lasciami uscir di qui, questa 
era una bussa inistimabile; parevano un branco di porci: Ü oste 
venne col lume; io mi ritirai su, e rimessi la spada. 211 com- 
parso maestro Francesco, veduto il gran miglioramento, dann aber 
weiter: e la serva piagnere, e il fattorino correre innanzi e in- 
dietro, e Felice ridere, questo scompiglio dette da credere al 
medico che ... 

Zur bekräftigenden Einführung eines Satzes dient gerne 
das pleonastische e: 235 al quale di poi molte preghiere dissi: E 
per esser voi suo padre, per amor vostro lo ripiglio. Auch ein 
einzelnes Satzglied wird so gesteigert: 271 :o ne avevo fatto 
istrisce e benissimo cueite vgl. 439,6. — Die Konjunktion che 
wird gerne wiederholt: 202 Oime padrone mio, egli e il bar- 
gello ... e dice, che se voi non fate presto, che gettera U uscio 
in terra auch andere Konjunktionen werden zuweilen gesteigert: 
302 la virtü di Dio m’ha fatto degno ...: onde per questo io 
mi cognosco di essere libero. 

Weit seltener ist Ellipse der Konjunktion, wenn -man von 
den Fällen absieht, in denen Vergesslichkeit vorliegt: 379 «n- 
tanto m’ero consigliato, il mio meglio si era di cacciargli via 
tutt a dua. 231 il giovanetto signore Sforza, ammaestrato, disse 
che....2> 

Der Hang zur deiktischen Steigerung der Pronomina, 
obwohl an und für sich schon eine Eigentümlichkeit der vulgären 
Ausdrucksweise, bildet er doch ein wichtiges Charakteristikum 
des Cellinischen Stils, indem er ihn bald kräftig und nachdrücklich, 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 445 


bald breit und umständlich erscheinen lässt. Ganz gewöhnlich 
ist, wie gesagt, die Verwendung des absoluten Pron. pers., wo 
das einfache genügen würde, sowie die pleonastische Wieder- 
aufnahme‘ von Subjekt oder Objekt. 20 aveva un suo unico 
figliuolo naturale, al quale lui molte volte gli comandava, ebenso 
die Verstärkung demonstrativer Pronomina mittelst detto, tale, 
cos? u.a. 64 questi tali cercatori da quei tali villani avevano 
alcuna volta per pochissimi danari di queste cose ditte. 25 tal 
cosı meravigliose fatiche, oder mittelst Ripetitio resp. Periphrasis: 
170 io ripreso «l diamante, lo porsi di nuovo a Sua Eccellenzia, ed 
a quella dissi, che il diamante ed io eramo al servizio di quella. 
179 ma quella (strada) dove era la casa del mio nimico Pompeo, 
era quella strada che diritta porta a Campo di Fiore. Merk- 
würdig ist: 270 come questo povero uomo sent quel nome di 
pipistrello, che era ! umore in quel che peccava quell’ anno, messe 
una voce grandıssima. 271 di mano in mano tanti quanti io ne 
cavavo, tanti ne contraffacevo di cera. 

Bald affektisch, bald vulgär ist der Gebrauch des pleo- 
nastischen neutralen egli: 256 signori mia, egli e piu d’una 
mezz’ ora, che voi non restate di domandarmi di favole. 360 la 
vostra fortuna e stata bonissima, ma gli e bene stato cattivo il 
vostro Poco sapere. 

Bemerkenswert sind einige Fälle, in denen der pleonastisch 
gesetzte Artikel zur anschaulichen Hervorhebung des folgenden 
Begriffes dient: 272f ah i sudiei poltroni! io... farovei tal 
dispiacere ... 263 egli era il maggior ribaldo ... e s’ accomodava 
a tutte le sorte de’ vizi. 154 Monsignore, facciängli grazia di 
cento delle parole. 193£ tutto vedevo che m’ era facile il farle, ma 
non vedevo gia Vesser facıle il salvare me ed il mio compagno. 

Aehnlich steht der unbestimmte Artikel: 255f chiese ... 
che di questa somma de’danari glie ne facessi una donagione. 
159 venuto una volta in un proposito d’un ragionamento nel 
quale s’ intervenne a parlare ... 146 pose alla mia opera nome 
una cipollata, e mi disse che me la farebbe finire in una galea. 
273 il battente del legno della porta, e anche il chiavistello face- 
vano un contrasto, il perche io non potevo aprire. 312 ancora 
non voglio lasciar indietro una cosa, la maggior che sia inter- 
venuto a un altro uomeo.!) 


!) Aehnlich 361 questa e altra maggior cosa che esser fatto gentiluomo 
veniziano, 


444 K. VOSSLER, 


Eine eigenartige stilistische Kontrastwirkung erhält zuweilen 
die Ellipse des bestimmten Artikels bei mehreren Substantiven, 
wenn sie disparate Begriffe bezeichnen: 54 Misser Lucagnolo, 
dice Benvenuto che vi manda a mostrare le sue promesse e vostre 
coglionerie. 473 questi cotai casi hamno bisogno di aiuto e non 
consiglio, und umgekehrt in Anwendung und Wirkung: 369 se 
bene molto prima io mi dovevo ricordare del piu virtuoso, del 
pi amorevole e del piü domestico uomo dabbene che mai io 
conoscessi al mondo. 

Affektisch ist ferner der sehr häufige pleonastische Gebrauch 
des pron. possess. besonders in Verbindung mit dem unbestimmten 
Artikel. 214 egli aveva una sua lebbrolina secca. — 257 di poi 
ti lasceremo andare in tua liberta. 

Die Häufung und Verstärkung der Präpositionen ist in der 
Rede des Volks freilich nichts ungewöhnliches, wird aber von 
Cellini auffallend weit getrieben. 184 io potessi star sicuro per 
insino al ditto tempo. 186 la commessione era data per a una 
ora di notte. 196 e con le parole insieme saltai nella barca. 
193 da poi pochi giorni appresso. 195 gli entrö um tremito 


addosso si grande, che ... 230 qualcuno avessi fatto cattivo 
ufizio contro a di me. 236 io fui levato d’ in sull’ osteria. 237 io 
lo feci incirca a tre ore di tempo. 251 partir ... per alla volta 


di Santa Maria. 287 entro il bargello dentro nella mia camera. 
403 mi missi intorno a finire quella grande statua.') 

Gerne werden auch die Negationen verstärkt mittelst eines 
niente, nulla u.s.w, mit ganz besonderer Vorliebe aber mittelst eines 
al mondo. 88 qui non e un rimedio al mondo. 122 non gli da- 
rebbe una noia al mondo. 124 sanza un proposito al mondo. 

Dass die Pleonasmen der Formwörter häufiger sind als ihre 
Ellipsen, erklärt sich teils aus dem Charakter des Cellinischen 
Stils, teils aber auch aus der Unentbehrlichkeit vieler Form- 
wörter. 


Pleonasmus und Ellipse selbständiger Begriffe. 


Ebenso wenig haushälterisch geht Cellini mit den Pleonasmen 
um behufs Steigerung selbständiger Begriffe. Das einfachste Mittel 
ist die Repetitio. 129 voltandosi a me col viso disse tre volte: 
Addio, addio; el’ ultima parola se ne ando con queila bravosissima 


- 


») Ueber Ellipse der Präposition cf. oben. 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 445 


anima. 165 era stato a Napoli molti e molt’ anni. 165 pin e 
piü volte. 166 Benvenuto adesso adesso ha ammazzato Tobbia. 
216 ora tu sai tu se egli evero 0 no. 232 io gli posi uno amore 
grandissimo come figliuolo, e lo tenevo vestito come se figliuolo 
mi fussi stato. 264 io rispondevo, che si bene come frate luwi diceva 
il vero, ma come uomo e' non diceva il vero. 

Nicht pleonastisch ist die Ripetitio mit verändertem Wortsinn 
(Wortspiel) z. B.: 144 ancora io con questa bestia entrai in 
bestia. 

Bemerkenswert ist die Gewohnheit, in erregtem Dialog dem 
Gegner seine eigenen Ausdrücke zu wiederholen. Gellini hat 
mit dem Volk gemeinsam die Freude an der „Retourkutsche“ 
und am Wortspiel. Als ihn der Kardinal Salviati nach dem vom 
Papst bestellten Becher frägt: 144 dov’e questa tua cipollata? 
ha’la tu finita? antwortet er: O monsignor reverendissimo, io 
la mia eipollata non ho finita, e non la finiro, se vor non 
mi date delle eipolle da finirla. 186 disse: altra volta ci ri- 
vedremo . Al quale io dissi: Jo sempre mi riveggo con gli 
uomin: da bene, e con quelli che fanno ritratto tale, und viele andere. 

Die über die Grenzen der Logik oft hinausgehende Ver- 
stärkung des Superlativs und Komparativs ist in der affektischen 
Rede des Volks sehr beliebt und bei Cellini ganz gewöhnlich: 
526 questo ancor molto piü bellissimo marmo. 36 questo era il 
primo piü eccellente orefice di Roma. 62 ancor a questo esercizio 
molto diffieilissimo ... mi messi. 102 mio fratello tanto valoro- 
sissimo alla guerra. 

Sehr beliebt ist die Häufung verschiedener Worte gleichen 
oder ähnlichen Sinnes, die ebenso oft eine kraftvolle Steigerung 
des Ausdrucks als eine leere Tautologie darstellt, je nachdem 
der augmentierte Begriff Gegenstand des Affektes ist, oder nicht. 
Bei Anordnung der Belege habe ich mich bemüht, die Tautologie 
von der affektischen Steigerung zu trennen. 233 l altra mattina 
seguente. 499 io le messi in fila alquanto levate un pPoco dalla 
vista. 267 accade un giorno infra gli altri, che ... (sehr häufig). 
577 troppo bisognerebbe che lungamente io mi dilungassi. 544 con 
maggior voglia che mai, piü ringrazio Iddio. 241 ei chiedevano 
aiuto che noi gli aiutassimo vogare. 446 e'non pareva alli amiei 
mia il dovere che io altrimenti la dovessi rinettare (la statua). 
290 la moglie del signor Pierluigi ... se ne ando dal papa e 
gittandosi ginoechiomi ... questa donna disse. 218 Niccolö ... 


446 K. VOSSLER, 


mi serisse cost, dicendomi che... 285 il papa affermö esser la 
verita ... ma che voleva un piacere da Sua Signoria, e questo si era 
che voleva che gli rendessi nelle mane Benvenuto. 236 il quale 
mi disse che mi pregava che io lo lasciassi venir meco. 254 questa 
sua saccenteria lui non la fece per farmi un male al mondo, ma 
solo la fece per cervellaggine ... sua. 143 appressandosi il papa 
a voler partirsi per andare a bologna. 56 in modo che necessi- 
tati dal caso furno forzati a narrare tutto il caso. 263 aleuni ... 
mi consighavano che io mi dovessi fuggire. 271 andai esaminando 
quanto vilume mi bastıwa a poter iscendere. — 21 esempre gli 
facevo cadere le lagrime ... ogmi volta che lui mi sentiva. 130 feci 
intagliare in detta lapida F arme nostra de’ Cellini. 36 volevo 
esser mio e non di altri. 42 quel che Iddio ara ordinato tanto 
farete, e non piü la. 301 mi pareva questo sole senza Ü razzi 
sua, ne pit ne manco, un bagno di purissimo oro istrutto. 57 era ne 
pit ne manco come passare per me2zo il Zodiaco. 36 io dissi, 
che cosı bene come io adoperavo e ferri ... non manco bene 
adoperrei la spada. 335 che se gli usava meco quelle istratte 
parole ai mia orecchi che io non v’andrei in modo nessuno. 
74 quella ricca cena la quale era abundantissima a mera- 
viglia. 175 se la potenzia delle mie perverse istelle non avessino 
auto una maggior potenzia. 254 ora avertisca il mondo e chi 
vive in esso, quanto possono le... istelle.. 273 in prima diwvo- 
tissimamente a Dio feci orazione, pregando sua divina Maesta 
che mi dovessi difendere. 154 manda per V opera subito e fa di 
non aspettare la siconda parola. 

Wie sich beim Pleonasmus Kraft und schwerfälliger 
Schwulst die Wage halten, ähnlich verleiht die Ellipse dem 
Cellinianischen Stil bald einen beschleunigten Gang und präzise 
Kürze, bald ein sprungweises Hasten und Unklarheit, je nachdem 
die diminuierten Satzteile dem Verständnis entbehrlich sind oder 
nicht, je nachdem der herrschende Affekt die unterdrückten 
Vorstellungen eo ipso enthält, oder nicht. — Von nachlässigen 
Ellipsen, sofern sie die Konstruktion stören, haben wir schon 
verschiedene kennen gelernt, sodass wir uns füglich auf Dar- 
stellung der affektischen Fälle beschränken können, wobei ich 
die gewöhnlicheren, sozusagen conventionellen voranstelle: 395 
U una [causa] si e perche ... 357 gli e ben vero che si dice: tu 
imparerai per un’ altra volta. Questo non vale perche la (cosa) 
vien sempre con modi diversi. 485 il duca ragiona e ride con 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 447 


Denvenuto ed & tutto in buona (disposizione). 117 Benvenuto mio, 
la cera e facile da lavorare; il tutto e farlo d’oro. 250 voltomi 
a’ compagni dissi: Al primo (colpo) ammazzo colw. 233 egli mi 
rispose, wozu Guasti bemerkt: volgarmente usasi il verbo rispon- 
dere per replicare con arroganza 0 con superbia. In ähnlich 
absoluter Bedeutung gebraucht Cellini noch einige andere Verben. 
34f. questo e di quelli Fiorentini che sanno e tu sei di quelli 
che non sanno. 57 mi prego ch’ io facessi cınquanta compagni 
per guardia di detta casa. 172 sebbene non era «l male d’ im- 
portanza, appariva assai. 282 chi di loro mi!) offeriva e chi 
mi presentava. 284 essendo certi gentiluomini e mia amiei in 
sulla mia bottega, mi mostrorno dieendo: Ecco lassüu il colombo. 
547 con tutto che e’ (il crocifisso) mostrassi bene, dirizzato che 
io Vebbi ®moströ assai meglio, a tale (segno) che io me ne 
satisfacevo assai. 122 feci un ferrolino d’ accıaio finissimo e torto; 
e radeva. 

282 gli contai tutta la cosa ... e gli detti grandissimi con- 
trassegni, insino a | dell’ acqueruolo che m’ avevo portato addosso. 
225 Va, Benvenuto mio, che tu sei un valente womo: facei onore, 
che | buon per te (sehr häufig). 159 sarebbon troppo lunghe a dir 
tal cose per U appunto: basta \ che io stetti in procinto 0 d’ im- 
pazzare o di morire (häufig). 24 molto pet utile et onore trarra 
il vostro Benvenuto, se lwi attende all’ arte dell’ orafo, che | «a 
questa pifferata. 233 e perche lei aveva nome di non pudica 
donna, seppe fare a questo giovanetto qualche carezza forse pi 
la che 1 TV uso dell’ onesta. 234 io dissi: Se’ tu venuto per finire 
il tempo che tu m’hai promesso? Disse di a e_ per non si 
partir mai piü da me. 42 il buon frate mi disse che io non 
avessi paura di nulla; che \ tutti e mali del mondo che io avessı 
fatti, in quella cameruccia sua ero sicurissimo. 409 parendomt 
che’ voi | sı gran re, ed io | quel poco artista che io sono, dovessi 
fare ... una statua. 297 non fussi costwi il Diavolo, che | tanti 
noi doviamo aver paura di wi? 39 chi di voi esca della sua 
bottega, | Paltro corra per il confessoro, perche il medico non ci 
ara che fare. 191 ma non mi capitate mai pin in questa osteria, 
che \ guai 4 a voi. 191 andiamo innanzi, perche chi ha ragione 
Iddio TV aiuta | e voi vedrete come io mi aiuterö da me?) 380 e 


1) mi ist Dativ. 
2) Vermischung zweier verschiedener Sprichwörter. 


448 K. VOSSLER, 


mossomi, fuwi preso per una spalla e volto, e | una voce che disse: 
Benvenuto, | come tu suoi,!) enon wer paura. 416 oh che destino 
mio & questo, che mi sforza a far questo viaggio! \ pur che Al 
cardinale non sia d’ accordo com madama di Tempes! Aehnliche 
Ellipsen 441,5; 475,2; 258, 5. 

Suchte man nun mittelst einer vergleichenden Statistik der 
Ellipsen und Pleonasmen festzustellen, ob Cellinis Schreibweise 
eher breit als gedrängt, eher präzis als umständlich ist, so würde 
man wohl finden, dass die Neigung nach beiden Extremen hin 
ziemlich gleich stark ist, wie ein nachlässig geschnittenes Kleid 
hier zu knapp und dort zu weit ist. Gerade das Nebeneinander. 
von Umständlichkeit und treffender Kürze giebt der Ausdrucks- 
weise des Cellini ihren capriciösen und bizarren Charakter. 


4) Resume. 


In logischer Gedankendarstellung ein Stümper, in sinnlicher 
Plastik des Ausdrucks ein Meister, ist Cellini der reich begabte 
Künstler, dem der sichere Instinkt einer sinnlichen Phantasie 
die Schule der Logik ersetzt. Leider hat die hochentwickelte 
Rhetorik zeitgenössischer Stilisten ihn hin und wieder zu Kunst- 
stücken verleitet, die ihm nur halb gelingen und mit der 
kräftigen Originalität seiner angeborenen Sprache in eigentüm- 
lichem Gegensatz stehen. 


B. Das Gefühlsvermögen (die Affekte). 


So wenig als die physischen Begleiterscheinungen der 
Affekte in einer konstanten Beziehung zur psychologischen 
Qualität derselben stehen,2) ebensowenig lässt sich aus den syn- 
taktischen Formen der affektischen Rede die Art des zu Grunde 
liegenden Affekts erschliessen.?2) Freude und Zorn können beide 
zum Pleonasmus, beide zur Permutatio u. s. w. führen. 

Wohl aber offenbaren sich -in den syntaktischen Formen, 
ähnlich wie in allen Bewegungserscheinungen die formalen 
Eigenschaften der Affekte: ihre Intensität und ihre Verlaufsform. 
Von den physischen Bewegungserscheinungen geben natürlich 
die unwillkürlichen (Herzschlag u.a.) die sichersten Kriterien 


1) suoli. 2) W. Wundt, Grundriss der Psychologie. 2. Aufl., 206 f. 
s) Die musikalischen Mittel der affektischen Rede, Betonung und 
Rhythmus würden freilich manchen Aufschluss geben. 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 449 


ab. Der sprachliche Ausdruck aber, der einerseits willkürlich 
ist, und andererseits durch den Sprachgebrauch in gewissen 
Punkten immer gefesselt bleibt, muss demgemäss den Affekt 
auch in ‘seinen formalen Eigenschaften am wenigsten treu 
wiedergeben. Immerhin, glaube ich, lässt sich für einen mög- 
lichst reinen und möglichst adäquaten syntaktischen Ausdruck 
des Affekts etwa folgendes Schema aufstellen: 


1. Die Verlaufsform der den Affekt konstituierenden Ge- 
fühle zeigt sich 


a) in der Wort- und Satzstellung, indem die vom Affekt 
getragene Vorstellung einen hervorragenden Platz erhält. (Reihen- 
folge). 

b) in der Diminutio und Augmentatio, indem auf der vom 
Affekt getragenen und augmentierten Vorstellung länger ver- 
weilt und über die zu vernachlässigende, diminuierte, hinweg- 
geeilt wird. (Tempo). 

Das Asyndeton z. B. beschleunigt, das Polysyndeton ver- 
lanesamt das Tempo der Vorstellungen und Gefühle, (nicht etwa 
das Tempo der Rede, denn beim Sprechen wird jede Ellipse 
kompensiert durch eine Pause [Gedankenstrich]). 

2. Die Intensität der Gefühle zeigt sich 


a) in der Permutatio, indem die vom Affekt getragene 
Vorstellung aus ihrem normalen Beziehungsverhältnis zu andern 
Vorstellungen heraus und emporgehoben wird. (Relative In- 
tensität.) 

b) in der Augmentatio und Diminutio, indem die vom 
Affekt getragene Vorstellung ohne Rücksicht auf ihr Verhältnis 
zu anderen Vorstellungsgruppen, ja sogar oft mittelst deren 
Unterdrückung, verstärkt wird. (Absolute Intensität.) 

Dabei besteht, wie leicht ersichtlich, ein Kausalzusammen- 
hang zwischen der Reihenfolge der Gefühle und Vorstellungen 
und ihrer relativen Intensität, und einer zwischen ihrer Verlaufs- 
geschwindigkeit und ihrer absoluten Intensität. Die Vorstellungen 
treten je nach ihrer affektischen Stärke früher oder später, 
rascher oder langsamer herein ins Bewusstsein und wieder hinaus, 
und Aufgabe und Wesen der affektischen Syntax ist es, dieses 
wechselvolle Spiel wiederzugeben. 

Um aber die Aufschlüsse der affektischen Syntax für die 
Kenntnis des Innern eines Schriftstellers mit Gewinn zu benutzen, 


Festgabe für Gustav Gröber. 29 


450 K. VOSSLER, 


müsste man erst sicher sein, ob der Affekt, welcher der Rede 
zu Grunde liegt, sich jedesmal deckt mit demjenigen der im 
Hörer, resp. Leser erzeugt werden will. 

Zu entscheiden, ob die dargestellten Gefühle in der Seele 
des Autors auch ganz so existieren, ob sie echt sind, ist Sache 
einer höheren Kritik, zu deren Ausübung alle erdenklichen Mittel 
beigezogen werden müssen.') Immerhin glaube ich, garantiert 
die Art und die Absicht, in der Cellini seine Vita geschrieben 
hat, eine verhältnismässig sehr grosse Aufrichtigkeit und Spon- 
taneität des Ausdrucks. Wenn wir daher ganz allgemein von 
der ausserordentlichen Häufigkeit und von der einzig dastehenden 
Kühnheit des affektischen Ausdrucks bei Cellini uns den Schluss 
erlauben auf ein ebenso intensives als bewegtes Gefühlsleben in 
der Seele des Autors, so glaube ich, kommen wir der Wahr- 
heit ziemlich nahe. Cellini neigt vorzugsweise zu den starken 
3emütsbewegungen, die sich meist in rascher Aufeinanderfolge 
ablösen, sein Temperament wäre somit — wenn es erlaubt ist, 
die alte Bezeichnung beizubehalten — das cholerische. 

Die Psychologen wollen, dass die starken Temperamente 
(cholerisches und melancholisches) sich mit Vorliebe den Unlust- 
stimmungen hingeben.?2) Cellini macht hier Keine Ausnahme. 
Wir kommen damit auf den psychologischen Inhalt, die Qualität 
seiner Gemütsbewegungen zu sprechen. Diese erhellt freilich nur 
aus dem Sinn und Zusammenhang der Rede. Besonders fallen 
dabei in die Wagschale die Permutationen der Bedeutung der 
Worte und Sätze (Metaphern und Bilder); denn diese werden 
vorzugsweise von der (Qualität des Affekts bestimmt. — Ich 
würde die Gemütsbewegungen im Anschluss an Wundt?) ein- 
teilen in subjektive, objektive und objektive, die sich auf äussere 
Ereignisse in der Zukunft beziehen. So wäre zunächst zu unter- 


‘) Unter allen Litteraturdenkmälern geben den echtesten Ausdruck des 
Affekts die Monologe in bedeutenden dramatischen Werken. Man erprobe 
z.B. das obige Schema am folgenden Monolog von Altieris Filippo (Atto III, 


cam R 2 s 5 
sc. VD . oh! ... quanti sono i traditori? audace 


Perez fia tanto? Penetrato ei forse 

Il cor mi avesse? ... Ah! no... Ma pur, quai sensi? 

Quale orgoglio bollente! — Alma si fatta 

Nasce ov’io regno? — e dov!io regno, ha vita? 
2) Wundt, Grundzüge der physiolog. Psychologie. 2. Aufl. II. Bd. 346. 
8) Grundriss 211. 


BENVENUTO CELLINIS STIL IN SEINER VITA. 451 


suchen die affektische Rede, wo er von sich selbst spricht (Stolz, 
Eitelkeit u. s. w.), wo er von andern spricht (Hass, Liebe) und 
von Gegenständen, die sein Interesse erregen (seiner Kunst u. a.), 
und endlich, wo er über zu erwartende Ereignisse sich auslässt, 
oder vergangene in ihrem Verlauf erzählt (Spannung und Lösung, 
Furcht und Hoffnung). 

Bei Beurteilung seiner Stellungnahme zu den Neben- 
menschen wäre ausser seinen eigenen Aeusserungen zu berück- 
sichtigen der Stil, in dem er die Rede anderer wiedergiebt; dieser 
deckt sich, wie leicht ersichtlich, vollständig mit seinem eigenen. 
Der individuellen Ausdrucksweise der Einzelnen wird so emt 
wie keine Rechnung getragen. Lehrlinge, Päpste und Kaiser, 
alle müssen den Stil des Cellini teilen.!) So drückt dieser selbst- 
sichere Mann auf alles, was ihn umgiebt, den Stempel seiner 
starken Subjektivität, und verrät damit allerdings, wie sehr es 
seinem Geist an Elastieität und Anpassungsfähigkeit gebricht. 

Wenn uns die formalen Eigenschaften der Sprache des 
Cellini einige Schlüsse erlaubt haben auf die Richtung seiner 
ästhetischen und logischen Gefühle, so lassen sich die übrigen 
sog. intellektuellen und höheren Gefühle, die ethischen und 
religiösen, wohl doch nur aus dem Inhalt der Rede und aus der 
Gesamtheit der übrigen Gefühle erkennen, und wir müssen auf 
eine nähere Untersuchung auch nach dieser Seite hin verzichten. 

1) Sogar der von Guasti 253 kursiv gedruckte Brief des Kardinals von 
Ferrara trägt so sehr die Spuren Cellinischer Eigenart, dass er eher eine freie 
Reproduktion aus dem Gedächtnis als eine Kopie darstellt. — Ich habe darum 
auch ohne weiteres die direkte Rede unter die Belege aufgenommen. 


Heidelberg. Kart VOSSLER. 


29* 


Geheimwissenschaftliche Probleme und Motive 
in der modernen französischen Erzählungslitteratur, 


1? 

Die litterarischen Prätentionen des Occultismus haben in 
den letzten Jahrzehnten in Frankreich eine so grosse Ausdehnung 
und Bedeutung gewonnen, sie haben wiederholt auch auf das 
Gebiet der Poesie, namentlich der lyrischen und erzählenden, 
so nachdrücklich und erfolgreich hinübergegriffen, dass man 
dieser eigentümlichen Erscheinung wohl einmal ernsthaft näher 
treten darf, auch ohne sich als Apostel phantastischer Schwärmer 
und Charlatans zu verdächtigen. 

Heutzutage dient der Name Occultismus als Kollektiv- 
bezeichnung für sämtliche T'heorieen und Praktiken, die der 
Erforschung oder Demonstration aller von der officiellen Wissen- 
schaft noch nicht allgemein anerkannten Vorgänge des Seelen- 
lebens und ihrer den Sinnen verborgenen — oceulten — Ursachen 
gewidmet sind. Sie umfasst also gleicherweise die ganze Magie, 
den Spiritismus und Hypnotismus, wie bestimmte Teile der eigent- 
lichen Mystik und Theosophie, das grosse, in modernem Sinne 
erweiterte und ausgestaltete Gebiet der Philosophia occulta, wie 
einst der Titel lautete, unter dem die berühmtesten Schwarz- 
künstler des 16. Jahrhunderts, Cornelius Agrippa von Nettes- 
heim uud nach ihm Paracelsus alles über den transcendentalen 
Phänomenalismus Gelehrte zusammenfassten. 

Die wissenschaftliche Arbeit von Jahrhunderten, der Spott 
ganzer (senerationen ist nicht imstande gewesen, die Geheimlehren 
aus den Faktoren des modernen Kulturlebens zu eliminieren, das 
Interesse an jenen Nachtseiten des menschlichen Wesens und 
des Weltsystems zu töten, die vielleicht keine Wissenschaft je 
erhellen wird. Den ausserhalb der anerkannten wissenschaftlichen 
Hypothesen in Lehre oder Brauch sich bethätigenden Glauben an 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 453 


eine geheime geistige, nicht materialistische Mechanik der Natur 
hat die gegnerische Litteratur mit manchen kräftigen Schimpf- 
namen belegt. La Philosophie de la Canaille titulierte ihn 
beispielsweise ein französischer Anonymus des 17. Jahrhunderts, 
und sein deutscher Uebersetzer!) machte daraus die freundliche 
Bezeichnung Ochsenphilosophie. Aber das Wort eines oceul- 
tistischen Autors?) aus dem 18. Jahrhundert Magia ist die beste 
Philosophia kommt heute durch das absonderliche Treiben 
speciell in weiten Kreisen der französischen Hauptstadt wieder 
zu Ehren. Angesehene Schriftsteller bekennen sich ausdrücklich 
zum Teufels- und Wunderglauben, in den Werken litterarischer 
Modegrössen ist die totgeglaubte Dämonologie zu neuem Leben 
erstanden. Das Maleficium, die Verzauberung, das Einvoütement, 
Beschwörungen, Teufelsmessen finden wieder Gläubige, Apostel 
und Märtyrer. Mitten in einer von nüchterner Spekulation und 
materialistischer Lebensauffassung beherrschten Gesellschaft — 
en plein Paris — müht man sich in Öffentlichen Konventikeln 
um die Kabbala fin-de-siecle, um die systematische Diskussion 
ausserordentlicher psychischer Phänomene.) Die Anhänger des 
modernen Spiritismus zählen in Frankreich nach Hunderttausen- 
den; in Paris allein wurden sie (1891) auf 500000 Köpfe ge- 
schätzt.*) In französischer Sprache erscheint etwa ein Dutzend 
Zeitschriften, die ihren und verwandten Bestrebungen dienen.’) 
Die stärkste Stütze findet diese Bewegung aber keineswegs in 
der grossen urteilslosen und sensationslüsternen Menge, sondern 
in den besten Kreisen, medizinischen, religiösen und litterarischen, 
unter Gelehrten, Künstlern und Dichtern. Man erstaunt über die 
glänzende Reihe berühmter Namen, die der französische Oceultis- 
mus mit Recht für seine Sache reklamieren darf: Vietor Hugo, 
George Sand, Delphine Gay, Al. Dumas pere, die beiden 
Sardou,®) Camille Flammarion, Aug. Vacquerie, der Maler 


1) C.M. Baltzer, La Philosophie de la Canaille. Aus d. Frantzösischen 
0. O. 1705. 

2) St. R. Axtelmeier, Fürbild der gleichförm. Uebereinstimmung d. 
obern Kraeffte mit d. untern des firmament. Himmels. Augspurg 1707. 

3) Revue hebdomadaire (d. Journal d. Debats) 5. mars 1898. 

*) Kiesewetter, Gesch. d. neueren Occultismus, Leipzig, S. +70. 

5) Papus, Traite methodique de science oceulte, Paris 1891, S. 1028. 

6) Vietorien Sardou, Clef de la vie. Paris 1857. Dumas fils glaubte 
an Chiromantik. Tissot überliess einen Kupferstich „Apparition media- 
nimique“ an Papus für sein „Traite“ ete. 


454 G. THURAT, 


Tissot!) u.a. waren oder sind Anhänger der modernen Geister- 
lehre. Dazu gesellen sich Andere in grosser Zahl, die teils als 
Skeptiker, teils ohne deutlich erkennbare persönliche Stellung- 
nahme zu den oceulten Wissenschaften mit ihrem Inhalt oder 
ihrer Geschichte sich schriftstellerisch beschäftigt haben. 

Der moderne Oceultismus, wie ihn auch „Papus“, nach 
seinem wahren Namen Gerard Encausse, definiert,') hält sich für 
eine synthese des connaissances actuelles, die Quintessenz aller 
menschlichen Erfahrungen und Spekulationen; sein Material füllt 
ein Gebiet von kaum übersehbarem Umfange. Eine zusammen- 
fassende Darstellung, aus französischer Feder, etwa in der Art, 
wie sie in den grundlegenden Arbeiten von Kiesewetter und 
du Prel in deutscher Sprache vorliegen, giebt es noch nicht. 
Das Hauptwerk des französischen Oceultismus, der unförmliche 
Wälzer von Papus ist keine angenehme Lektüre, weder über- 
sichtlich noch — trotz seiner 1100 Seiten — erschöpfend, aber 
interessant als Denkmal jüngster Kultur- und Litterärgeschichte. 
Kleinere, jedoch namentlich in historischer Hinsicht sehr ober- 
flächliche Leitfäden sind: Fabart, Hist. philosophique et politique 
de Vocculte, magie, sorcellerie, spiritisme, av. une pref. de ©. Flam- 
marion Paris 1885. — J. Lermina, La science occulte. Magie 
pratigue, Paris 1890, in deutscher Uebersetzung Leipzig 1890. 
Das jüngste Buch dieser Art ist Bataille, Le Diable au XIX. 
siecle ou les mysteres du Spiritisme. Paris 1897.2) 

So zahlreich und gewichtig die Einwände auch sein mögen, 
die man, gestützt auf Inhalt und Methode der herrschenden 
Wissenschaft, gegen den Anspruch der oceultistischen Lehre, 
selbst auch als Wissenschaft respektiert zu werden, erheben darf, 
so wenig lässt sich gegen den eigenartigen poetischen Reiz ihrer 
Ueberlieferungen und Spekulationen geltend machen. Etwas von 
dem fesselnden Zauber, der die mittelalterliche Nekromantie und 
Hexenkunst umgab, liegt auch noch über den spiritistischen 
Problemen, den hypnotischen Experimenten und dem Geister- 
glauben der Neuzeit, und das Grauen, das diese in die Unendlich- 
keit hineinragenden Erscheinungen auch in skeptischen Gemütern 


1) Papus, Traite etc. S. 4. 

2) Die französische Fachlitteratur dieses Genres ist ausserordentlich reich. 
Man findet sie in der Bibliographie methodique d. l. science oceulte, etude 
critique von Papus, Paris 1892 und in noch jüngeren Specialkatalogen 
besonderer Buchhandlungen. Die ält. Werke s. bei Kiesewetter, 1. c. 468 ff. 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 455 


erwecken können, wirkt auf die Phantasie mit ähnlich unwider- 
stehlicher Anziehungskraft, wie der populäre Aberglaube, Volks- 
sage und Volksbrauch, die ohnehin oft überraschende Analogieen 
mit den Öffenbarungen der geheimen Wissenschaften enthalten. 
Ihrerseits hat die occultistische Propaganda bald erkannt, wie 
mächtig ihre Lehre in poetischem Gewande zu wirken vermag, 
und Werke im Tone feuilletonistischer Causerie, unterhaltender 
Erzählung, aber auch solche im Stile erhabenster Poesie in 
ihren Dienst gestellt. Mit den litterarischen Reklamationen, 
welche die französischen Oceultisten gegenüber den Dichtergrössen 
der Vergangenheit geltend machen, greifen sie so hoch wie nur 
möglich: Dante, Shakespeare, Göthe gehören danach zu ihrem 
Bann, die Divina commedia, Tempest, Midsummer-Night’s-Dream, 
Faust sind Zeugnisse ihres Geistes. 

Diejenige Dichtungsgattung, die für die romantische Kunst, 
dem Ungewöhnlichen, Gespenstischen den Schein der Realität 
zu verleihen, im Laufe des 19. Jahrhunderts die beliebteste 
geworden ist und ihrem ursprünglichen Charakter nach auch 
am besten dazu passt, ist der Roman mit seinen verschiedenen 
Unterarten, der Novelle, der Erzählung, der belletristischen 
Skizze. So nahm einst Jung-Stilling Swedenborgsche Lehren 
zum Gegenstand seiner Romane (Florentin von Fahlendorf, 
Theobald ete.), so schrieb du Prel seinen hypnotisch-spiritistischen 
Roman Das Kreuz am Ferner.) Einen festen Platz in den 
Bücherverzeichnissen der französischen Oceultisten besitzen Bul- 
wers Rosenkreuzerroman Zanoni, seine Alice und The last days 
of Pompeji, vor allem auch die Erzählungen Edgar Poes, der 
persönlich noch an den spiritistischen Vorlesungen Jackson 
Davis’, des amerikanischen Swedenborg, teilgenommen und in 


!) Stuttgart, Cotta Nachflg. 1891. — Die reiche Novellenlitteratur der 
deutschen Romantik hat verwandte Motive oft verwertet. — Gregor Sama- 
rows Schauerroman Unter fremdem Willen, behandelt Hypnose und Suggestion 
mit einem bemerkenswerten Mangel an Sachkenntnis; ein seichtes Machwerk 
ist auch die Geistergeschichte Vollmondzauber von Ossip Schubin (Ueb. 
Land u. Meer, Jhrg. 1898, Nr. 35—50). Näher auf die deutsche Litteratur 
dieses Genres einzugehen, ist hier nicht der Platz. Erwähnenswert sind die 
in P.Lindaus Uebersetzung in Engelhorns Allg. Romanbibl. 10. Jhrg. Bd. 12 
(1894) erschienenen Unheimlichen Geschichten von Diek-May zugleich als 
Quelle von Lindaus Drama Der Andere. Die jüngste Erscheinung in diesem 
obskuren Gebiete sind wohl die Kreuzfahrer von Maria Janitschek, Ver- 
lag „Kreisende Ringe“ (Max Spohr, Leipzig) 1898. 


456 G. THURAU, 


seiner kosmogonischen Dichtung Eureka ein in der geheim- 
wissenschaftlichen Litteratur viel eitiertes Opus hinterlassen hat.') 

In der französischen Erzählungslitteratur selbst haben 
oceultistische Themata weit früher eine Rolle gespielt, als die 
jüngsten Vertreter der Reeits de Voceulte sich und ihre Leser 
glauben machen wollen. Gilbert Augustin Thierry knüpfte 
in der Vorrede zu La Tresse blonde (1888) an den Ruf Le 
naturalisme est mort, der nach dem Erscheinen von Zolas La 
Terre allzu rasch Widerhall gefunden hatte, seine Ausführungen 
über die neue Kunstform, den Roman nouwveau, der se haussant 
vers Vocculte den ohnmächtigen, greisenhaften Naturalismus ab- 
lösen würde und berufen wäre, eine idealistische Erzählungs- 
dichtung wieder zu Ehren zu bringen. Aber einerseits hat der 
soviel gescholtene Naturalismus auch in der modernsten littera- 
rischen Produktion so tiefe Spuren hinterlassen, dass heute eine 
strenge Trennung idealistischer Romane von den Spielarten der 
entgegengesetzten Richtung schwerer durchführbar ist als je; 
andererseits lassen sich die Vorläufer dieser Reeits de l’oceulte 
sowohl vor Beginn wie während der verschiedenen Phasen der 
grossen Litteraturbewegung konstatieren, die sich während des 
letzten Jahrhunderts vollzogen hat. Man findet sie freilich nicht 
immer auf den Höhen des Parnasses, wie ja überhaupt die be- 
vorzugte Stellung des Romans nicht viel älter als ein Jahrhundert 
ist; man muss sie zuweilen in den mehr kulturhistorischen 
Niederungen der kleinen ephemeren Unterhaltungslitteratur 
suchen, unter den Üontes noirs, den Contes fantastiques, den 
Contes cabbalistigues des 18. Jahrhunderts. Eine Zusammen- 
stellung solcher Geschichten findet sich beispielsweise in der 
39 Bände starken Sammlung der Voyages imaginaires, songes, 
visions et romans cabbalistigques, Amsterdam et Paris 1787—89 
(Bd. 34), ein Werk, das auch wegen seiner schönen Kupfer von 
Marillier gesucht ist. Es ist den französischen Erzählern auf 
diesem Gebiete ähnlich ergangen, wie den modernen Spiritisten, 
die nicht immer erkannten, dass den von ihnen nur wieder ent- 
deckten Erscheinungen uraltbekannte Thatsachen zu Grunde lagen. 

Man könnte die oceultistische Erzählungslitteratur in Frank- 


1) Von englischen Schriftstellern gehörten zu den gläubigen Anhängern 
der spiritistischen Doktrin u.a. Thackeray und Trollope. Vgl. Kiese- 


wetter, Gesch. d. neueren Oceultismus, S. 457. Bemerkenswert ist auch die 
russische Litteratur auf diesem Gebiete. - 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 497 


reich auf zwei Perioden verteilen, die, nicht streng von einander 
geschieden und mit zahlreichen Ausläufern in einandergreifend, 
ungefähr zwei gleichen Abschnitten in der Geschichte der 
Geheimwissenschaften entsprechen und in den fünfziger Jahren 
zusammenstossen, in einer Zeit, in der die moderne spiritistische 
Bewegung, namentlich in Amerika und Frankreich, grösseren 
Boden gewinnt. Die erste dieser Epochen beherrschten in der 
Hauptsache „der Seher des Nordens“, Swedenborg mit seiner 
pietistischen Mystik und Seelenlehre, Mesmer und Puysegur 
mit der Theorie des animalischen Magnetismus, die zweite die 
Magie Hippolyte Rivails, genannt Allan Kardee, der, in 
Bezug auf die Schilderungen der Geisterwelt der Nachfolger 
Swedenborgs, die indische Religionsphilosophie mit seiner Lehre 
zu verschmelzen suchte, daneben die grossen Spiritistenspektakel 
der letzten Jahrzehnte, William Crookes mit der Entdeckung 
der „strahlenden Materie“, die hypnotischen Experimente und 
gelehrten Untersuchungen der medizinischen Schulen von 
Nancy und Paris, die modernen Theorieen über Suggestion 
und Sonnambulismus. 

Die poetische Formel für den geheimwissenschaftlichen 
Inhalt der ersten Periode enthalten die Contes fantastiques 
der Romantiker, die ihre Muster wieder in dem Diable amou- 
reux des französischen Martinisten Jacques Cazotte und in den 
Phantasiestücken des deutschen Visionärs E. T. A. Hoffmann 
gefunden hatten. Gegenüber den alten Contes noirs und Contes 
bleus, die sich an den Kinderglauben eines Märchenpublikums 
oder die niedrige Sensationslust des Lesepöbels wandten, be- 
zeichneten diese romantischen Geisternovellen und Romane einen 
bedeutenden Fortschritt in realistischer Kunst. Mit grosser 
Freiheit bewegen sich diese Geschichten auf der schmalen Grenze 
reiner Fiktion und experimenteller Erfahrung, und aus dem 
alltäglichen Leben geschöpftes Thatsachenmaterial fügt sich 
unter dem Schleier des Wunderbaren und Uebernatürlichen zu 
poetischen Bildern kunstvoll zusammen. Namen wie Balzac, 
Gauthier, Mörim6e, Nodier u.a. charakterisieren diese Manier. 
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts aber ist das phantastische 
Element auch in der Behandlung oceultistischer Themata mehr 
hinter das positive und logische zurückgetreten. Die documents, 
wissenschaftliche Belege sollen der Fabel eine Art scholastischer 
Wahrscheinlichkeit geben; man rückt das Uebernatürliche aus 


458 G. THURAU, 


dem mysteriösen Halbdunkel der Phantasie mehr in das Licht 
der nüchternen Reflexion. 

Diese Wandlung der poetischen Darstellung vollzog sich 
zum Teil unverkennbar unter der Wirkung der naturalistischen 
Kunstlehren von den documents exacts, der observation erue, 
der realitE brutale; von grossem Einfluss wurde aber auch 
die mit der Zeit veränderte Stellung der officiellen Wissenschaft, 
namentlich der medizinischen und naturwissenschaftlichen gegen- 
über einzelnen oceultistischen Problemen. Mesmer war seiner 
Zeit durch die Pariser Konferenz zu schmählichem Zurück weichen 
gezwungen worden,!) Swedenborgs Einfluss auf wissenschaftliche 
Kreise war trotz der vorübergehenden Teilnahme Kants ein sehr 
zweifelhafter; erst später, zumal in der zweiten Hälfte dieses 
Jahrhunderts gewann der Magnetismus (Schule Du Potet’s), der 
Hypnotismus (Charcot, Bernheim, Luys), das „magische 
Seelenleben*“ auch auf dem Gebiete der Naturwissenschaften 
(Crookes, Fechner, Flammarion) ein entschiedeneres Inter- 
esse, selbst die Zustimmung anerkannter Autoritäten. Historische 
Forschungen über alte Geheimlehren im Orient, das Hexenwesen 
des Abendlandes in früheren Jahrhunderten näherten viele der 
verlachten Theorieen und Erscheinungen modernen wissenschaft- 
lichen Hypothesen und Beobachtungen. Solche Umstände be- 
günstieten auch in der an diese Dinge anknüpfenden Erzählungs- 
dichtung das Bestreben, durch Einfügung wissenschaftlichen 
Materials ihre nachhaltige Wirkung zu erhöhen, statt mit rein 
künstlerischen Mitteln sich an die Phantasie zu wenden. 

Man vergleiche einmal Balzacs Peau de chagrin mit 
einer ganz modernen Erscheinung, der von Satanismus und 
mystischen Delirien erfüllten Romandichtung Za-bas von Huys- 
mans,?) den auch die französische Kritik bereits mit Balzac 
zusammengestellt hat,?) und der mit den anderen litterarischen 
Reaktionären ähnlicher Färbung in der That das letzte Glied 
bildet, durch das sich die Romanlitteratur des 19. Jahrhunderts 
wie in einem Ringe wieder mit ihrem Anfange zusammenschliesst. 
Gegenüber dem Positivismus, mit dem der moderne Erzähler 
seine Fabel durch historische Dokumente zu stützen sucht, 


') Büchner, Kraft und Stoff (1883) S. 361. Dazu Du Prel, Philo- 
sophie der Mystik, Leipzig 1885, S. 150 ff. 
2) Paris, Tresse et Stock 1891. 

5) Paul Flat, Seconds essays sur Balzac, Paris 1894, S. 131. 


- 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 459 


springt die über jeden Einwurf sich erhebende Ironie noch 
deutlicher in die Augen, mit der Balzac den ganzen Apparat 
der ernsten Wissenschaft, Mikroskop, Aetzmittel, hydraulische 
Presse und elektrische Schläge an dem problematischen Talisman 
zu Schanden macht. Er demonstriert damit nicht das Ueber- 
natürliche, sondern nur das Unerklärliche, die Ohnmacht und 
Beschränktheit menschlicher Einsicht. Wohl wird man anderer- 
seits zugeben müssen, dass auf den nachdenklichen Leser der 
mysteriöse Lederfetzen, den Balzac als Symbol menschlicher, 
das Leben verzehrender Begierden seiner Hauptfigur angeheftet 
hat, inmitten des realistischen Milieus wie ein störender Wider- 
spruch wirkt; Hippolyte Castille bemerkt in einer Kritik!) nicht 
ganz mit Unrecht, das Balzacs Phantasmen in seinen Geschichten 
sich ausnehmen wie zweiköpfige Hammel in einer Potterschen 
Landschaft. Aber das Nachdenken soll sich mit der Histoire 
fantastique nicht zu viel zu schaffen machen, wenn die roman- 
hafte Einkleidung ihres poetischen Inhaltes nur die Phantasie 
befriedigt. Charles Nodier, der Theoretiker des bizarren Genres, 
spricht in diesem Sinne von der histoire vague, qui laisse l’äme 
suspendue dans un doute reveur et melancolique, Vendort comme 
une melodie, et la berce comme um reve?) Das Motiv des ledernen 
Amuletts umgiebt die Dichtung wie ein magischer Kreis, in den 
der Leser gebannt ist, und dessen Zauber durch jedes fürwitzige 
Wort zerstört werden kann. Glücklicherweise verfällt nicht 
Jeder auf ein solches Wort so leicht wie Philar&te Chasles,) 
der die moquante Frage aufwirft, was aus dem ganzen Zauber 
wohl würde, wenn Raphael schlauerweise den Wunsch ausspräche, 
dass die symbolische Haut sich ausdehnte. 

In Huysmans Za-bas ist der poetische Schmuck der Er- 
zählung, die romanhafte Erfindung selbst verhältnismässig dürftig, 
das historische Aktenmaterial über den Satanismus aber für einen 
Roman recht reichlich. Der Held ein Litterat, der mit der 
Lebensgeschichte eines „Satanisten“ des 15. Jahrhunderts be- 
schäftigt ist, erlebt unter dem Zwange einer durch dieses Studium 





!) In der Zeitung La Semaine 4. Okt. 1846. Abgedruckt bei Spoel- 
berch de Lovenjoul, Hist. des @uwvres de Balzac, Paris 1888, 8. 362 fl. 
(vgl. S. 368). 
2) Nodier, Hist. d’ Helene Gillet (Contes d. 1. Veillee, Paris 1390, S. 19/20). 
) Vorrede zu Contes philosophiques par Balzac 1831. Vgl. Loven- 
joul, 1.098.172. 


460 G. THURAU, 


und andere äussere Umstände begünstigten Autosuggestion eine 
spukhafte Liaison mit einer hysterisch entarteten Frau, die nun 
auch als eine jolie satanique, ein moderner Incubus'!) erscheint. 
Die sehr einfach gesponnene Fabel bildet nur die Würze für 
die Demonstrationen einer aus alten Quellen destillierten und 
weitläufig erörterten Hexenkunst und reisst schiesslich wie ein 
loser Faden ab. Ein Opfer der Vernunft fordert auch Huys- 
manns Werk von dem gläubigen Leser; die Verschmelzung des 
intellektuellen und des künstlerischen Interesses ist bei ihm auf 
einem anderen Wege erstrebt, als bei Balzac, aber ebensowenig 
vollkommen erreicht wie bei ihm. 

Die positive Richtung der oceultistischen Erzählung ver- 
stärkte auch der Beifall, den Poes Novellen in Frankreich 
fanden. Geist und Stil dieser Dichtungen unterschieden sich 
wesentlich von der gemütvollen Phantastik, der sprunghaften, 
nebulosen Manier E. T. A. Hoffmanns; aus ihnen sprach der 
scharfe Thatsachensinn des Yankees,?) ein kühl, mit unerbittlicher 
Logik kombiniertes Grauen. Le mathematicien du fantastique?) 
nannte Leon Hennequin den gespenstigen Amerikaner. Durch 
kühne Analogieen, subtile Deduktion, zuweilen vermischt mit 
willkürlichen Prämissen und Trugschlüssen, suchten auch seine 
französischen Schüler den Gebäuden ihrer Phantasie ein logisches 
Gefüge zu geben. Was bei solchem Spiel an verblüffender 
Thatsächlichkeit für den ersten Eindruck gewonnen wurde, ging 
an eigentlich poetischer Wirkung verloren, zumal die scharfe 
psychologische Darstellungsweise Poes seinen Nachahmern meist 


fehlte.) — 
9 


2. 

Der grosse Stein der uralten Weisen, das Arcanum oder 
Lebenselixir bildet das älteste und populärste aller geheim- 
wissenschaftlichen Probleme. Unendlich viel ist über seinen 
Ursprung und sein Wesen gefabelt worden; wandernde Adepten, 
regierende Herren und Gelehrte setzten Leben oder Vermögen 
an die Lösung des grossen Geheimnisses, und noch heute besitzt 


') Vgl. auch die aktenmässige Darstellung in Balzacs Suceube (Contes 
droslatiques). 

2) Vgl. Bleibtreu, Gesch. d. engl. Litt. II, 420. 

3) Revue contemporaine, 25. Jan. 1885. Poe, et. crit., S. 36. 

#) Vie] verdankt der französische Kriminalroman dem Einflusse Poe's. 
Ueber Gaboriau und Poe vgl. Marius Topin, Romahciers contemporains, 
Paris 1881, 8. 327 ff. = 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 461 


die im modernen Sinne gedeutete alchymistische Wissenschaft 
ihre Jünger.') In den Träumen der alchymistischen Spekulanten 
hatte der Lapis philosophorum von altersher eine doppelte Be- 
deutung: Als chemisches Reagens bewirkte er die Transmutation 
der Metalle, als medizinisches Universalmittel die renovatio 
corporis; die magischen Heilkräfte, die der Volksglaube dem 
natürlichen Golde zuschrieb, besass in unbegrenzten Masse das 
aurum potabile der Goldmacher, die tinctura physicorum wie 
Theophrast es nannte. In jedem Falle ist das alchymistische 
Zaubermittel der Träger der allmächtigen Urmaterie, und die 
Lehren auch neuerer Philosophen von einer die Welt durch- 
dringenden und beherrschenden Substanz, Theorieen von der 
chemischen Zerlegbarkeit der Elemente, von der Zurückführung 
aller physikalischen Erscheinungen auf ein Grundprinzip u.a. 
haben immer wieder Gelegenheit zu symbolischen Deutungen 
und neuen Variationen des alten Problems gegeben. 

Die Idee, welche die Grübeleien der Alchymisten beherrscht, 
und in dem Elixir nach einem greifbaren Ausdruck ringt, das 
Verlangen nach dem unerschöpflichen Zauberquell, der Reichtum 
und Leben spendet, hat auch einen unleugbar poetischen Zug. 
Das fluchbeladene, mit dämonischer Macht das Geschick seiner 
Herren bestimmende Nibelungengold haben Sage und Dichtung 
mit unvergänglichem Glanze umgeben. Durch alle Mythen des 
Altertums zieht sich der Traum der Völker von ewiger Lebens- 
blüte und nie versiegender Jugendfrische; die jüngere Edda 
erzählt von der Asin Idun und den goldenen Aepfeln, deren 
Genuss die Götter immer von neuem verjüngt, und der Jung- 
brunnen der Märchen, in dessen Wasser welke Glieder mit neuer 
Lebenskraft sich füllen, ist doch auch nur ein poetisches Symbol 
für dieselbe Idee. 

Der moderne Erzähler, der sich dieses Gegenstandes be- 
mächtigen will, sieht zwei Möglichkeiten vor sich: Er kann ihn 
entweder symbolisierend mit der Freiheit des Kunstmärchens 
gestalten oder in rationalistischer Auffassung ganz auf den Boden 
der Wirklichkeit stellen. Balzac hat das eine in Z’Eliwir de 
longue vie, das andere in La Recherche de U’Absolu versucht. 
In L’Elixir de longue vie erscheint das Arcanum noch in seiner 


!) Eine Geschichte der Alchymia giebt Kiesewetter, Die Geheim- 
wissenschaften, 2. Aufl. S. 1—240; vgl. auch Papus, Traite meth., 8. 643 fl. 


462 G. THURAU, 


primitiven Gestalt, als magische Tinktur; in die Haut gerieben, 
verlängert sie das Leben „bis an den jüngsten Tag“, wie die 
alten Alchymisten prahlten. Ihre Herkunft von einem morgen- 
ländischen Weisen, ihre Zusammensetzung bleibt rätselhaft wie 
ihre Wirkung, ein traditioneller Zug aller alchymistischen 
Fabeleien. Eine kleine Phiole des Verjüngungsmittels vererbt 
sich in einer vornehmen und reichen Familie durch zwei Genera- 
tionen; aber der Sohn entzieht dem Vater die Wohltat des 
Elixirs aus Habsucht, der Enkel vernichtet den Zauber vollends, 
als er bei dem Versuch, ihn auf die Leiche seines Vaters wirken 
zu lassen, vor Angst und Grauen die kostbare Flasche zerbricht. 
Die gekünstelte Naivetät der Erzählung, die als ein Phantasie- 
stück A la Hoffmann beabsichtigt war, schlägt etwas gewaltsam 
in die groteske Ironie des Schlussteiles um, der unter lautem 
Gelächter über die leichtgläubigen und Wundersüchtigen aus- 
klingt. Die kleine Erzählung ging von der ersten Veröffent- 
lichung an unter dem Titel Conte philosophique oder Etude 
philosophique; nach der weniger anspruchsvollen Terminologie 
der guten alten Zeit war sie ein conte moral, eine kaprieiöse 
Illustration zu dem Könflikt zwischen Liebe und Selbstsucht, 
zwischen menschlichem Wollen und Können, ein Konflikt, in dem 
das geheimnisvolle Fluidum nur die Rolle eines malerischen 
Symbols spielt. 

In grösseren Verhältnissen ist das alchymistische Problem 
in dem Roman La Recherche de l’Absolu entwickelt. Hier 
tritt es als eine konfuse Verquickung der alten Lehre von den 
drei alchymistischen Grundprinzipien, der — auf Lavoisier ge- 
stützten — Hypothese von der Zusammensetzung der chemischen 
Elemente aus Einheiten höheren Grades und der Vorstellung von 
dem Elektromagnetismus als der alles zwingenden, bewegenden 
und formenden Kraft auf. Ein heruntergekommener polnischer 
Edelmann hat den bedauernswerten Balthasar Claas mit seinem 
Entdeckungsfieber infiziert; der Stickstoff soll durch weitere 
Zerlegung aus der Reihe der Elemente entfernt werden, damit 
als solche nur Sauerstoff, Kohlen- und Wasserstoff die grosse 
Dreiheit, le grand ternaire der ältesten Adepten, bilden. Soweit 
ist das Problem nur ein formales Zugeständnis an die alte 
Alchymie, an das der eifrige Balthasar freilich zahllose Kost- 
spielige Analysen verschwendet. Praktisch gestaltet es sich erst, 
wenn das in allen Zusammensetzungen der Materie wirkende 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 463 


Grundprinzip, das Absolute, entdeckt ist, jene Kraft, die den 
einfachen Kohlenstoff zum Diamanten formt, die Metalle trans- 
mutiert, den Gedanken erzeugt. Diesen vagen Spekulationen 
opfert der reiche Patricier seinen Wohlstand, sein Ansehen, das 
Leben seiner Frau, das Glück seiner Kinder; verarmt, verspottet 
endet er in der dürftigsten Umgebung in dem Augenblicke, als 
ein Zufall ihm die Kunde übermittelt, dass ein Anderer das 
Absolute entdeckt hat. Der Roman enthält nichts Phan- 
tastisches, er ist ganz realistisch; aber er bewahrt selbst an 
den bedenklichsten Stellen, in den Kapiteln, welche die wissen- 
schaftlichen Auseinandersetzungen bringen, noch einen Schimmer 
von Poesie. Im Munde des Alchymisten, der seine Verirrung 
vor der verzweifelnden, forschenden Gattin mit seiner Liebe zu 
rechtfertigen sucht, ist die trockene chemische Weisheit in- 
dividualisiert und in eine persönliche, gefühlvoller Teilnahme 
zugängliche Sphäre gerückt. Eine ganze Anzahl sorgfältig ge- 
zeichneter Nebenfiguren giebt dem Bilde die nötige Perspektive 
und nimmt dem wissenschaftlichen Mittelpunkte jede scholastische 
Aufdringlichkeit. 

Ein grosser Sprung führt von dieser transcendentalen 
Chemie zu der spiritistischen Metaphysik in Lerminas „Conte 
magique“: L’Elixir de Vie‘) Dem interessanten Büchelchen 
hat Papus eine sechs Seiten lange Vorrede gestiftet, in der 
die einschlägigen Theorieen beleuchtet werden. Die „wissen- 
schaftliche“ Grundlage der „Erzählung“ ist eine Erweiterung 
der Lehre von der psychischen Kraft, wie sie Crookes, Cox, 
Perty u.a. im Einzelnen untereinander abweichend aufgestellt 
haben.?) Wie die Blutkörper die Träger einer Lebenskraft sind, 
mit der durch die Cirkulation die einzelnen Organe des Leibes 
immer von Neuem versorgt werden, so giebt es auch in dem 
Nervengeflecht noch andere Reservoirs, in denen Lebensenergie 
aufgespeichert ist, ein nervöses Fluidum, das imstande ist, sowohl 
aus dem Organismus herauszutreten, als auch in die Ferne 
anziehend auf die gleichgeartete Lebenskraft eines fremden 
Leibes zu wirken. Wer das Geheimnis kennt, vermag willkür- 
lich, die unsichtbare, vitale Energie irgend eines menschlichen 
Körpers in seinen eigenen, ähnlich wie das Blut bei einer 


ı) Jules Lermina, L’Elieir de Vie, Conte magique. Paris, Georges 
Carre, 1890. 
2) Vgl. Kiesewetter, Gesch. d. n. Oceult. ete. 


464 %. THURAU, 


Transfusion, hinüberzuleiten. Dr. Thevenin, der wunderbare Held 
in Lerminas Erzählung, ist ein Greis von unberechenbarem Alter, 
noch ein Schüler Mesmers, erfahren in der Kunst der Hypnose, 
von Natur hervorragend für magnetische Manifestationen dis- 
poniert; er missbraucht seine Fähigkeit dazu, kräftig und gesund 
veranlagte Kinder an sich zu fesseln, die Lebenskraft aus 
den jugendlichen Körpern in sich aufzusaugen und sich dadurch 
immer wieder zu verjüngen. Die Opfer dieses modernen Vampyrs 
und seiner unsichtbaren Kunst sterben an einer unerklärlichen 
Schwäche und vollständigem Blutmangel. Von einem kundigen 
Arzte schliesslich seines verbrecherischen Treibens überführt, 
versteht er sich dazu, seinem letzten Opfer, das bereits im 
Todeskampfe liegt, die geraubte Lebenskraft durch reinjection 
zurückzugeben. Die sonderbare Operation bedeutet für ihn 
selbst den Tod. Das Ganze ist eine geschickte, anregende 
Skizze, die dem Anspruche, eine unterhaltende Illustration oceul- 
tistischer Spekulationen zu geben, genügt, ohne gerade besonders 
poetisch zu wirken. Die novellistische Einkleidung ist ent- 
schieden besser in desselben Verfassers Magicienne gelungen;!) 
hier unternimmt eine Mutter unter Assistenz eines einsichtigen 
Arztes die Transfusion ihres vitalen Fluidums in den Körper 
ihres totkranken Kindes. Ihr eigenes Leben ist dadurch ver- 
wirkt, nach sechs Monaten ist das gerettete Kind eine Waise, 
aber durch die magische Injektion des aetherischen Elixir 
für ein langes Leben ausgerüstet. So dürftig auch hier die 
Fabel ist, so minutiös sind die Angaben über Wesen und Her- 
gang des Experiments; ihrer Veranschaulichung dient noch ein 
besonderes Titelbild, ein Pendant zu den spiritischen Geister- 
photographieen,?) auf dem das Zixir wie ein hellleuchtendes 
Wolkenband, ein glänzender Nebelstreif zwischen Mutter und 
Tochter schwebt. Jules Lermina schrieb noch eine ganze Reihe 
phantastischer Novellen. 

Zu den merkwürdigsten Thatsachen des oceulten Se 
gehören die Erscheinungen des magnetischen Schlafes und 
der h u ln Suggestion;?) sie sind oft Gegenstand der 


1) J. Lermina, La Magicienne, Paris, Chamuel 1892. Vgl. Balzac 
Melmoth (Contes phil.). 

2) Reproduktionen der von Crovdkes aufgenommenen Geisterphoto- 
graphieen findet man bei Kiesewetter, Gesch. d. n. Oee. 8.598. 603. 604. 605. 

°) Vgl. auch K. E. Franzos, Die Suggestion u. d. Dichtung, Berl. 1892. 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 465 


Romandichtung gewesen. In Frankreich galten zur Zeit Mes- 
mers, Puysegurs und Deleuzes in weiteren Kreisen die magne- 
tistischen Experimente mehr für eine physique amusante, als für ein 
ernster Aufmerksamkeit wertes Studium. Auf diese Zeit bezieht 
sich der vom Jahre 1841 datierte!) Roman Balzacs Ursule 
Mirouet. Balzac scheint den 1834 erschienenen Cours du magne- 
tisme animal des Baron du Potet nicht gekannt oder doch nicht 
berücksichtigt zu haben, denn er führt nur die älteren Autori- 
täten an. Die einschlägigen Kapitel des Romanes sind das IX, 
(Precis sur le magnetisme) und das XX. (Apparitions). In dem 
ersten handelt es sich um eine Demonstration von künstlichem 
Sonnambulismus, das Hellsehen einer in magnetischen Schlaf Ver- 
senkten, die von dem Thun und Reden einer ihr unbekannten 
meilenweit entfernten Person Kunde zu geben weiss; in dem 
andern um den Verkehr mit einem Verstorbenen im Traume, um 
eine Geisterbotschaft, die unverkennbare Aehnlichkeit mit den 
prophetischen Traumvisionen Swedenborgs?) hat; sie bezieht 
sich auch auf ein verloren gegangenes Dokument, ein Motiv, 
das u.a. auch Tieck in einer Novelle Die Wundersiüchtigen®) 
verwertet hat. Die wunderbaren Thatsachen sind keineswegs 
lose oder mechanisch in den Gang der Ereignisse eingefügt, 
sondern gewissenhaft mit Einzelheiten der natürlichen Ent- 
wickelung der Dinge verknüpft und der Eigenart der Personen, 
die sie erleben, angepasst. Der moderne Oceultismus lehrt, dass 
Hellseher ihr Wissen aus dem unbewussten Vorstellungsinhalt 
dabei interessierter Personen entnehmen können; neben der 
sonnambulen Ursule Mirouet steht auch in der That eine solche 
interessierte Person, der diebische Postmeister. In dem pro- 
phetischen Traume Ursulas knüpft zugleich das gesteigerte Er- 
innerungsvermögen an das von ihrem Onkel einst im Scherze 
gegebene Versprechen, im Falle der Gefahr auf ihren Ruf auch 
nach dem Tode ihr zu erscheinen, und an seine unvollständigen 
auf dem Sterbebette geäusserten Wünsche über das fatale Testa- 
ment an; wie Kiesewetter zu Swedenborgs Erlebnis mit 
Frau von Marteville bemerkt, kann man annehmen, dass in 
solchem Falle der Visionär „hellsehend das Versteck findet und 


1) Vgl. Spoelberch de Lovenjoul, Hist. d. euvres d. B., S. 65. 
2) Du Prel, Philosophie der Mystik, S. 299. Kiesewetter, Gesch. 
d. Oce., 8. 278 ff. 
8) Ges. Novellen IV, S. 1—222 (Bresl. 1835 —42). 
Festgabe für Gustav Gröber. 30 


466 G. THURAT, 


den angeblichen Geist aus sich selbst hinaus hypostasiert“.') In 
dem inneren Zusammenhange des Romans bilden die beiden 
oceultistischen Kapitel die Knotenpunkte. Balzac selbst hatte die 
Einteilung in 22 Kapitel zu Gunsten einer Anorduung in zwei 
Abschnitte Les heritiers alarmes und La succession Mirouet auf- 
gereben.?) Dr. Mirouet, der sich von seiner Pariser Praxis in 
die Provinz zurückgezogen hat, wird von den Verwandten als 
Erbonkel sorgfältig taxiert und beobachtet; grosse Aufregung ver- 
breitet unter ihnen die plötzliche Bekehrung des eingefleischten 
Materialisten zum Kirchenglauben und die damit wachsende In- 
timität mit seiner Nichte Ursule. Diese Bekehrung ist eben die 
Folge jener magnetischen Experimente, zu denen ein Pariser 
Kollege den alten Arzt eingeladen hat, und die den Anhänger 
der Eneycelopädisten, den Schüler Lockes und Condillacs zu einem 
Mesmerianer und katholischen Christen machen. In dem zweiten 
Abschnitte, der die verbrecherischen Chikanen der intriguierenden 
Verwandten erzählt, sind es wieder die Visionen Ursulas, welche 
durch die Enthüllung der Testamentsunterschlagung die ent- 
scheidende Wendung herbeiführen. Der Charakter des skep- 
tischen, nur positiven Argumenten zugänglichen Doktors motiviert 
die wissenschaftliche Einkleidung der magnetischen Demon- 
stration, wie sich andererseits aus dem weichen, religiös ge- 
stimmten und krankhaft erregten Gemüt Ursules die vage Phan- 
tastik des Traummotivs ergiebt. 

Es war nicht überflüssig, auf die Komposition des sonst 
wohlbekannten Werkes näher einzugehen, weil es einer der 
frühesten, jedenfalls der bedeutendste Versuch ist, im Roman 
den Sonnambulismus mit dem Gebiete des Verbrechens in 
Verbindung zu bringen. E. T. A. Hoffmann hat im Majorat 
dasselbe Thema bereits berührt, aber, wie es in seiner Art lag, 
nur leise angeschlagen; es ist anzunehmen, dass Balzac auch 
in diesem Falle unter dem Einflusse des deutschen Erzählers 
gestanden hat. 

Die Differenz der Meinungen über die Möglichkeit einer 
verbrecherischen Suggestion ist auch in Frankreich noch eine 
grosse. Die Professoren von Nancy erkennen sie in vollem 
Umfange, die Pariser Schule mit der Einschränkung an, dass 
nur eine solche posthypnotische Suggestion, d.h. über den Zeit- 


- 


1) Kiesewetter, 1. c. S. 289. 2) Vgl. Lovenjoul, 1. c. 8. 66. 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 467 


punkt des Erwachens hinaus andauernde, ausgeführt werden 
kann, die dem Charakter des Beeinflussten entspricht. In der 
Romandichtung büsst sie in dieser Auffassung einen grossen 
Teil ihres sensationellen Reizes ein, da sie nur eine mechanische 
Verstärkung auch ohne sie erkennbarer und wirksamer Motive 
bilden kann. Du Prel hat sich in seinem Romane (Das Kreuz 
am Ferner), um die Erzählung dem herrschenden Streit der 
Meinungen zu entziehen, gegen seine Ueberzeugung der Ansicht 
der Pariser Gelehrten angeschlossen.!) Der französiche Roman 
variiert das Problem auf die mannigfachste Weise. 

Natürlich bemächtigte sich die brutale, auf ungewöhnliche 
Effekte sinnende Phantasie der Feuilletonromanschreiber bald 
des ergiebigen Motivs.. Frederie Soulies Le Magnetiseur?) 
kann sich mit den verwegensten Erfindungen der Hintertreppen- 
litteratur messen. M. de Lussay hat seine Frau vielfach zu 
hypnotischen Experimenten benutzt; auf ihre Tochter vererbt 
sich die Empfänglichkeit der Mutter für magnetische Beein- 
flussungen. Ein M. de Premitz missbraucht seine eigene magne- 
tische Begabung zur Vergewaltigung des jungen Mädchens, das 
aber, obwohl verstümmelt, noch einen Gemahl in dem General 
d’Aspert findet. Dieser Idealmensch entpuppt sich schliesslich 
als Vater des Verbrechers, der die Frucht eines heimlichen Ver- 
hältnisses ist, das der General in jungen Jahren mit der Herzogin 
von Avarennes unterhalten hat, derselben Dame, deren legitime 
Tochter der verschlagene Pr&mitz als Gemahlin zu gewinnen 
im Begriff steht. Der heiratslustige Sünder legt in der Hypnose, 
die der alte Lussay ihm aufzwingt, endlich ein umfassendes 
Geständnis ab und wird von ihm erdolcht. So bilden Ehebruch, 
doppelter Incest, Mord die Angelpunkte einer Schauerhistorie, 
deren geschickte Erfindung und Verwickelung in dem trivialen 
Stil und der durch aufregende Effekte zerrissenen Darstellung 
nicht einmal zur Geltung kommen können. 


) Du Prel, Das Kreuz a. Ferner, Bd. I, S. 234 Anm. — Liegeois, 
De la suggestion et dw sonnambulisme dans leurs rapports sur la juris- 
prudence, Paris 1889. — Revue de l’hypnotisme, Februar 1891, S. 226. 
— Sphinx III, 390. — Du Prel, Das hypnot. Verbrechen und seine Ent- 
deckung, Münster 1889 (Verl. d. akad. Monatshefte); Suggestion u. Dichtung, 
Gegenwart 1891, Nr. 4 u. 6. 

2) F.Souli&, Le Magnetiseur, Paris, M. Levy 1858. — Dsgl. Soulie, 
La Sonnambule. 


30* 


468 G. THURAU, 


Massvoller und künstlerisch vornehmer ist das Thema in 
G. A. Thierrys Marfa (Le Palimpseste)‘) gestaltet. Ein 
alter russischer Fürst, Volkine, Nihilist, politischer Flüchtling, 
Spiritist, Gatte einer schönen Leibeigenen (Marfa), bedient sich 
eines jungen Franzosen als Mediums für seine hypnotischen 
Versuche. Das ehebrecherische Verhältnis, das sich zwischen 
seiner Frau und dem Hausfreunde entwickelt, übergeht er mit 
unerklärlichem Stillschweigen, bis auf einer nächtlichen Schlitten- 
reise durch die russischen Steppen, zu der die beiden Männer 
durch die polizeiliche Verfolgung genötigt werden, die Kata- 
strophe hereinbricht. Lucien kehrt die Waffe, die er gegen 
eine Schar Wölfe, die das Gefährt angreift, gebrauchen soll, 
gegen den Fürsten, erschiesst ihn, wird aber von dem unheim- 
lichen Rivalen noch im letzten Augenblick mit einem furchtbaren 
Erbe bedacht. Der alte Hypnotiseur suggeriert ihm sterbend 
die Idee: „Tu n’epouseras point Marfa. Le jour de vos noces, 
toi-meme, tu raconteras tout aux juges de ton pays. Je veux! ...* 
Diese Eingebung findet denn auch ihre Verwirklichung. Das 
schuldige Paar vergiftet sich nach dem Geständnis vor dem 
Untersuchungsrichter mit Hilfe eines alten Dieners, eines reli- 
giösen Fanatikers, der sich wie das lebendige Fatum an ihre 
Fersen geheftet hat. In dem reichen Rahmen romanhafter Zu- 
thaten, der diese einfache Fabel umgiebt, wirkt sie ausserordent- 
lich fesselnd. Der Autor aber stellt, wie eine kurze Vorrede 
andeutet, noch einen höheren Anspruch; er will auch eine philo- 
sophische Studie geliefert haben, die das planmässige Wirken 
einer oceulten Macht, eines Moralgesetzes zeigt, das sich mit der 
Forderung von Sühne und Vergeltung nicht nur an die einzelne 
Person, sondern auch an die Familie hält.?2) Diese Beziehungen 
— die redoutables lois morales de !Occulte — sprechen nur sehr 
undeutlich aus der Dichtung selbst; soll etwa der asketische 
Schwärmer, der alte Anton-Michael sie repräsentieren? Unter 
diesem Gesichtspunkte ist die Marf« ein nur halbgelöstes Rätsel; 
andere unter den Reecits de "’Occulte Thierrys bringen diese Idee 
der erblichen und solidarischen Sühne, der Expiation, ent- 
schiedener und fasslicher zum Ausdruck. 


ı) Gilbert Augustin Thierry, Marfa (Le Palimpseste), Paris, 
A. Colin & Co. 18837. “ 
?) Vgl. Lemaitre, Les Contemporains, V, 8.40. _ 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 469 


Es giebt kein hynotisches Verbrechen, das nicht 
auf hynotischem Wege entdeckt werden könnte.!) Diesen 
tröstlichen Lehrsatz könnte man als Grundgedanken von Jules 
Clareties Novelle Mornas bezeichnen.?) Ein junger Mensch 
trifft ein der Hypnose leicht zugängliches Mädchen und suggeriert 
ihm den Diebstahl von Bankbillets, die er in der Bibliothek 
eines kranken, blinden Greises versteckt weiss. Das Verbrechen 
wird pünktlich ausgeführt, aber von der Polizei entdeckt, die 
auf den Gedanken verfällt, die Uebelthäterin am Orte der That 
in hypnotischen Schlaf zu versenken. In diesem Zustande 
wiederholt das Mädchen den ganzen Vorgang mimisch und nennt 
auch den eigentlichen Anstifter. Das Beste an der Novelle ist 
die genaue Wiedergabe der Experimente. Im Uebrigen ist Claretie 
auch in diesem Falle, was er immer ist, ein ausgezeichneter 
Improvisator, der eine gute Idee flüchtig ausführt. Die psycho- 
logische Schilderung des „Helden“, seines inneren Zustandes 
während der ganzen Verwickelung beschränkt sich auf einige 
dürftige Angaben. Es ist dies einer von vielen Fällen gleicher 
Art, in denen über der Ausmalung solcher ausserordentlicher 
Seelenphänomene die gewöhnlichen psychologischen Forderungen 
der Erzählkunst vernachlässigt werden. Von anderen Bearbeitungen 
ähnlicher Motive verdient noch Belots Alphonsine (Paris 1897, 
Dentu) genannt zu werden. 

Der Missbrauch magnetischer Kräfte im Liebesleben ward 
übrigens ein willkommener Zuwachs des erotischen Ideenmaterials 
der Dichtung.?) U.a. lässt auch A. de Musset einen seiner Helden, 
Cassius in Suzon, den Magnetismus anwenden, um bei seiner 
Geliebten zum Ziele zu gelangen.!) „O’est manque d’imagination 
... Il nm’est pas que detre ignorant pour s’occuper de sciences 
occultes“, fertigt Faguet5) das kleine Poem ab. Sicherlich hat 
Musset vieles geschrieben, was schöner ist, als dieses phan- 


1) Du Prel, Kreuz am Ferner II,236. — Sphinx, Monatsschrift für 
Spirit. ete. Aprilheft 1891. 

2) Revue contemp., 25. Aug. 1885, S. 565 f. 

3) Ueber die thatsächliche Grundlage dieser Fabeleien vgl. man 
E. Mesnet, Outrages a la pudeur. Violences sur les organes sewuels de la 
femme dans le sonnambulisme provoque et la fascination. Et. medico-legale, 
Paris 1893. 

“) Musset, (Euvres, Paris 1882, S. 43. 

5) Faguet, Le XIX siecle, Etudes litteraires, 8. 270. 


470 G. THURAU, 


tastische Gedicht, das im Zusammenhange mit anderen Proben 
oceultistischer Poesie aber immer das Interesse einer bemerkens- 
werten litterarischen Kuriosität behalten wird. Eine humoristische 
Episode dieser Art enthält ein Roman, den die französischen 
Öceultisten in mehrfachem Sinne für sich in Anspruch nehmen '): 
Les inmovations mirrfiques du tres ingenieux Docteur Selectin 
von Giraud-Montiere, eine Verspottung moderner philo- 
sophischer Theorieen, eine philantropische Donquixoterie, deren 
derbe, ins Ungeheuerliche schweifende Ironie zuweilen an 
Rabelais erinnert.?2) Man vergegenwärtige sich die eine Situation: 
Dr. Ceriere, Selectins intimster Freund, auch ein Pendant zu dem 
berühmten Knappen des ingenioso hidalgo, Kommt einstmals völlig 
betrunken von einem Gastmahle nach Hause und äussert vor dem 
vertrauten Ratgeber unverhohlen sein Begehr, sein Gattenrecht 
bei seiner Frau — de gre ou de force — auszuüben. Selectin, 
auch in der Physiologie der Liebe ein Mann von festen Grund- 
sätzen, erklärt die Ausführung des Vorhabens in solchem Zu- 
stande für ein Verbrechen: La fatalitE risque de te cereer um 
enfant! ... Mais un enfant congu dans Fivresse risque de naitre 
epileptique?) Als seine Ueberredungskünste aber an dem Eigen- 
sinne des Berauschten scheitern, stürzt er selbst, zu einem Opfer 
entschlossen, davon, sucht die Frau auf, hypnotisiert sie und 
vollbringt selbst das grosse Werk: „Soyons pere avant lepoux! ...* 

Das Originellste an dem französischen Oceultismus, sein 
unterscheidendes Merkmal, ist die berühmte oder berüchtigte 
Reinkarnationslehre; sie bildete auch den am meisten charakte- 
ristischen Teil der Theorieen Allan Kardecs,!) der sie von der 
Metempsychose des Pythagoras herleitetee Nach der modernen 
oceultistischen Auffassung giebt es drei Dinge im Menschen: 
den materiellen Körper, das rein geistige Element der Seele und 
den zwischen beiden vermittelnden Perisprit oder Astralleib, von 
den an den Buddhismus anknüpfenden Occultisten auch ZLinga 
Sharira genannt, ein organisierendes Prinzip, le mediateur 
plastique. Im Tode trennt sich die Seele mit ihrem Astralleibe 
vom Körper, erhebt sich ins Jenseits, in den siderischen Raum, 


!) Papus, Bibliographie meth., S. 75. 

2) Paris, Plon, Nourrit. 1889. Erste Ausg. 1885 unter dem Namen 
Girand-Godde, angezeigt von Ed. Rod, Rev. contemp., 1885, 25. April, 8.627. 

>) Papus, Traite meth., S. 297; Dr. Selectin, S. 96. 

+) Kiesewetter, Gesch. d. n. Occult., 8. 481ff. ” 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 471 


kann aber so oft als es zu ihrer Vervollkommnung nötig ist, 
wieder eine neue materielle Existenz annehmen. Mehrere solche 
Reinkarnationen muss jede Seele durchwandern, so dass jeder 
Mensch schon mehrere Existenzen gehabt hat und noch andere auf 
dieser oder einer andern Welt haben wird. Verstorbene treten 
auch, vorübergehend materialisiert, mit Lebenden in Verkehr. 
Die wunderbaren Kundgebungen des amerikanischen Spiri- 
tistenhäuptlings Davis waren schon aller Welt bekannt geworden, 
in Frankreich stand der Kardekismus in voller Blüte, als Theo- 
phile Gautier für den Moniteur (1865, Nov. und Dez.) seine 
„nouvelle phantastique* Spirite schrieb, ein vollständiges Pendant 
zu Balzacs Seraphita, die eingestandenermassen als ein populärer 
Katechismus der Swedenborgschen Lehre beabsichtigt war,') wie 
Gautiers Erzählung als eine novellistische Wiedergabe der neueren 
spiritistischen Geistertheorie anzusehen ist. Selbst das sonder- 
bare Titelwort Sperite ist eine Schöpfung Hipp. Rivails (al. 
Kardec), dem man trotzdem eine gute Kenntnis der neueren 
Sprachen nachrühmt.?) Die dichterische Erfindung Gautiers, das 
Interesse, das sie für sich beanspruchen kann, ist sehr gering. 
Guy de Malivert erhält durch ein Medium, später durch direkte 
Manifestationen Kunde von dem Geiste eines verstorbenen jungen 
Mädchens, das ihn in frühester Jugend geliebt, vergeblich auf 
seine Annäherung gehofft, sich im Kloster in exstatischer Ent- 
sagung und verhaltener Leidenschaft verzehrt hat, an ihrer 
unglücklichen Liebe gestorben ist. Die Abgeschiedene — Spirite 
— diktiert ihm die Geschichte ihres irdischen Lebens, der Vor- 
gänge bei ihrem Tode und ihrem Eintritte ins Jenseits; Gautier 
kopiert hier die Schilderungen der Spiritisten von der auto- 
matischen Schrift im sog. Trancezustande, d.h. in der Verzückung. 
Als sich die unsichtbaren Bande zwischen Spirite und Malivert 
gefestigt haben, entsteht ein intimerer Verkehr: „Les ämes se 
penetreront par la pensce et le desir sans aucum signe ewterieur"; 
das einzige sinnlich erkennbare Zeichen der Nähe des Geistes 
ist ein ätherischer Hauch oder ein glänzender Nebel. Malivert 
hat sich thatsächlich in das Phantom verliebt; sie kosen, musi- 
zieren, machen eine Reise nach Griechenland, wo der mit seinen 
Gedanken schon völlig im Jenseits weilende Liebhaber bei einem 





1) Vgl. Pref. zum Livre mystique, S. 377 ((Euvres de Balzae, 
Brux. 1837, Tome II). 
2) Kiesewetter, Gesch. d.n, Occult., S. 473/4. 


472 G. THURAU, 


- 


Räuberangriff in den Bergen auf rätselhafte Weise erschossen 
wird. Eine überirdische Erscheinung verhüllt seine Gestalt, 
eine leuchtende Hand schliesst die tötliche Wunde. 

Unter dem grossen französischen Romanpublikum und seiner 
deutschen Gefolgschaft dürfte Spirite heute noch eher Leser 
finden, als Balzacs Seraphita, deren philosophische Tiefen und 
geradezu chaotische Mysterien trotz der schönen Sprache, in der 
alles dargestellt ist, schon nach den ersten Abschnitten ab- 
schreckend langweilig sind; zu dem Besten, dem Schlusse, der 
Schilderung der seraphischen Verklärung der Heldin, gelangt 
man schon in völliger Ermüdung. Gautier seinerseits beherrscht 
in seiner Novelle den ganzen äusseren Apparat, Milieu und 
Sprache, mit der Vollkommenheit, die ihm den Namen eines 
Meisters der Zitterature plastique eingetragen hat; für die 
psychologische Vertiefung der männlichen Hauptfigur ist nur 
sehr wenig gethan, auch die Nebenfiguren, Maliverts weltliche 
Geliebte und ihre persönliche Umgebung sind ihrem inneren 
Wesen nach nur angedeutet; am interessantesten ist die Ver- 
folgung der Liebesgefühle Spirites über die Grenze der sichtbaren 
Welt hinaus. Gautier erhielt noch während der ersten Ver- 
öffentlichung der Novelle im Moniteur von einem unbekannten 
weiblichen Medium ein Gedieht, das die Schreiberin für ein 
Geisterdiktat A. de Mussets ausgab.!) Seraphita wie Spirite 
gehören heute noch zu den belletristischen Standardworks der 
französischen Oceultisten. Aug. Strindberg, dessen Bekehrung 
zur Mystik sich bekanntlich auch in Paris vollzogen hat, empfing 
von dem Romane Balzacs, „des genialen Interpreten Swedenborgs“ 
einen tiefgehenden Eindruck ,?2) und seine eigenen Visionen er- 
schienen ihm fortan als ebenso viele vollwertige documents 
humauins. 

Einen ähnlichen Abschluss wie Gautier seinem Spirite 
hat dem astronomisch-spiritistischen Romane Stella?) Camille 
Flammarion gegeben, der hier übrigens den romantischen 
Formenkünstler an poetischer Einbildungskraft und psycho- 


2) Das Gedicht ist gedruckt bei Spoelbereh de Lovenjoul, Hist. 
d. euvres d. Gautier, I, S. 312. 

2) Magazin f.d. Litt. d. Auslandes. 1898, Nr. 13. (M. Messer, D. wahn- 
sinnige Strindberg). Ueber Strindbergs Inferno, vgl. Deutsche Rundschau, 
1898 Okt., 8. 153 ff. 2 

>) Paris, Marpon & Flammarion 1897. = 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 475 


logischer Feinheit weit überragt. Stella ist die wechselvolle 
Liebesgeschichte eines gelehrten, mit elektromagnetischen Kräften 
reich ausgestatteten Astronomen und einer jungen, in dem ober- 
flächlichen Treiben der vornehmen Gesellschaft aufgewachsenen, 
aber auch mit ungewöhnlichen psychischen Fähigkeiten begabten 
Frau. Die gegenseitige Anziehungskraft ihres elektrischen 
Fluidums befähigt ihn, mit der Geliebten in sonnambulem Zu- 
stande zu verkehren, ihre Seele im Astralkörper aus weiter 
Entfernung an sich zu ziehen. Ihr gemeinsamer Tod erfolgt 
nach langer glücklicher Ehe auf der einsamen Höhe eines 
Gletschers, in der Exstase einer leidenschaftlichen Umarmung, 
während einer elektrischen Ueberladung der Atmosphäre, die ein 
in der Nähe der Erde vorüberschwebender Komet veranlasst, 
und durch die ihre Seelen in der Hülle des Astralleibes sich 
mit dem siderischen Nebel des Wandelsternes vereinigen. Sie 
werden in die Fernen des Himmelsraumes mitgeführt, und ihr 
Astralkörper sammelt auf dem Mars die atmosphärischen Fluida 
zu einer neuen organischen Bekleidung um sich. C'est la que 
Raphael et Stella vivent actwellement. Flammarions Stella 
gehört zweifellos zu dem Besten, was die an Gutem allerdings 
nicht sehr reiche neuere oceultistische Erzählungslitteratur zu- 
sammen getragen hat; die Theorieen, die ihm zu Grunde liegen, 
hat der berühmte Astronom in seinen Reeits de ÜInfini!) noch 
weiter ausgesponnen. 

Eine irdische Seelenwanderung, eine wirkliche Reinkarnation 
unter menschlichen Verhältnissen, erzählt Leon Hennique in 
dem Roman Un Caractere.?) Der Marquis Agenor de Cluses, früh 
verwaist, in der Einsamkeit auf sein inneres Leben beschränkt, 
hat mit Therese, Comtesse de Montegrier, aus herzlicher Neigung 
die Ehe geschlossen, seine Frau aber bald durch die Geburt einer 
Tochter verloren. Sein sehnsüchtiger Wunsch nach einer Wieder- 
vereinigung mit der Verstorbenen verwirklicht sich; Therese 
kündigt ihr Erscheinen durch eine ‚schriftliche Geisterbotschaft 
an, die Agenor in sonnambulem Zustande fixiert, und offenbart 
sich dann in persönlicher Gestalt, in der leuchtenden Nebel- 
materie ihrer ätherischen Existenz. Die Vereinigung der Gatten 
steigert sich zur grössten Intimität, bis zum materiellen Liebes- 
genuss. Eine neue Geisterbotschaft verkündigt darauf die 


1) Paris, M. & Fl. 1892. 2) Paris, Tresse & Stock, 1889. 


174 G. THURAU, 


Reinkarnation des Geistes, die in dem Augenblick erfolgt, in 
dem Agenor von seiner inzwischen vermählten Tochter eine 
Enkelin geboren wird. Diese Enkelin ist demnach die zweite 
irdische Verkörperung Theresens; durch einen Unfall verkrüppelt, 
zieht das Kind zu dem Grossvater auf ein einsames Landschloss, 
wo sich unter dem Einflusse der Erinnerungen an die Präexistenz 
des kleinen Wesens die innigste Zuneigung zwischen beiden 
entwickelt. Als dann der Vater des Mädchens aus egoistischen 
Gründen seine Rückkehr ins Elternhaus verfügt, befreit der Tod 
die Seele T'heresens wieder von der materiellen Hülle des Kindes 
und setzt sie von neuem in übernatürlichen Rapport mit Agenor. 
Diese phantastische Fabel hat ein möglichst realistisches Gewand 
erhalten, das überall an politischen und gesellschaftlichen Zu- 
ständen Halt findet; die genaue Darstellung der Reinkarnations- 
theorie hat ihren Platz in der Geisterbotschaft erhalten, mit 
der sie sich als Motivierung der entscheidenden Wendung un- 
gezwungen in die Erzählung einfügt. 

Schwerfälliger giebt sich der Tagebuchroman Memoires 
d’un SuieidE vom Maxime du Camp.'!) Der Held ist auch hier 
ein durch verfehlte Erziehung und einsames Leben verbitterter 
und in sich gekehrter Mann, Jean-Marc. Seine Geliebte, Suzanne, 
die Frau eines Pariser Spekulanten, gerät durch die Entdeckung 
des Liebesverhältnisses in häusliches Elend und folgt, durch den 
Tod ihres Kindes jedes Haltes beraubt, ihrem Verführer nach 
Beirut, wo er nach langen ziellosen Wanderfahrten Halt gemacht 
hat. Dort stirbt sie an dem Gifte, das eine eifersüchtige 
Cirkassierin ihr beizubringen weiss. Jean-Mare kehrt nach 
Paris zurück und findet dort im Twuileriengarten unter den 
spielenden Kindern eines, das sich ihm mit überraschender Ver- 
traulichkeit anschliesst und ihn durch eine auffallende Aehnlich- 
keit mit Suzanne erregt. Er erfährt, dass es neun Monate nach 
dem Tode seiner Geliebten zur Welt gekommen ist, und scheidet 
freiwillig aus dem Leben, mit der festen Ueberzeugung, sie noch 
in einer neuen irdischen Inkarnation gesehen zu haben. Diese 
Memoires bilden eine Lebensbesehreibung in unzusammen- 
hängenden Absätzen, ohne festen Mittelpunkt; auch die Rein- 
karnationsepisode ist ein ganz unmotiviertes und entbehrliches 


ı) M. du Camp, Mem. d’un swieide, Paris, Marpon & Flammarion, 
1858, 2. ed. 1876, 3. Ed. 1890. 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 475 


Stück der Erzählung. Bemerkenswert ist die Verschiedenheit, 
mit der sich diese beiden Romane zu dem wunderlichsten 
Problem der Geheimwissenschaften stellen, zu der Psychurgie, 
der Lehre. von Zeitpunkt und Art der Aufnahme der Seele in 
den neugeborenen Körper.‘) Bei Hennique hört Agenor von 
dem Geiste die Worte: Une fille va naitre ü Berthe. — Je ne 
mappartiens plus; die Fesselung der im siderischen Raume 
schwebenden Seele vollzieht sich also im Augenblick der Geburt, 
für Suzanne offenbar aber schon im Moment der Konception. 
G. A. Thierry hat das Reinkarnationsproblem in einer 
ganzen Reihe von Erzählungen behandelt, in La Bien - Aimee, 
La Tresse blonde, Rediviva und La Redemption de Larmor. Art, 
Zahl und Dauer der Reinkarnationen wird durch das Karma 
bestimmt, das Gesamtbild der guten und bösen Thaten des 
Menschen, die ihm ins Jenseits folgen und als Instinkte seine 
Bewegungen in der Geisterwelt beherrschen, das symbolische 
Schuldbuch aller Existenzen, die er durchgemacht hat; es wird 
geschlossen, wenn alle Schuld gesühnt ist. Die Vorstellung aber, 
dass die Erinnerung an die Präexistenz im Menschen nur eine 
ganz dunkle und verworrene ist, dass sie meist in dem rein- 
karnierten Geiste ganz verlöscht, rückt das moralische Wesen 
des Einzelnen völlig in das dunkle Machtgebiet der Erbsünde 
und setzt an die Stelle des autonomen Willens die Abhängigkeit 
von einer unbekannten Vergangenheit. Die Romandichter vollends 
haben die Theorie dieser reinigenden, sühnenden Seelenwanderung 
oft bis zur Aufhebung jeder freien Willensbestimmung durch- 
geführt; Charakter und Lebensgang der Reinkarnierten gestalten 
sich noch fatalistischer, fast schematisch, wenn das Karma des 
Einzelnen, wie in Thierrys Tresse blonde, auch mit der Schuld - 
der Vorfahren belastet wird, und mit dem Zwange der Erbsünde 
der direkte Mechanismus fremden menschlichen Einflusses, der 
Suggestion, verbunden wird. Der Romandichter, der den Lebens- 
gang eines Reinkarnierten unter dem Einflusse individueller 
Motive, äusserer Ursachen und einer nur persönlichen Erbsünde, 
des Karma in der einfacheren Auffassung, darstellen wollte, 
könnte nur so verfahren, dass er eben dieses Karma in dem 
Naturell jedes Einzelnen, in bestimmten Eigenschaften und 
Neigungen mit solcher Gewalt nach Geltung und Bestätigung 


') Papus, Traite meth., 8. 262. 


476 G. THURAT, 


ringen liesse, dass davor alle anderen Einflüsse zu nichte würden. 
Der blosse Hinweis auf den transcendentalen Zusammenhang 
des Lebenslaufes mit einer vergessenen Präexistenz, magische 
Willensbestimmungen, können aber nicht die psychologische 
Charakterdarstellung ersetzen. An diesem Punkte liegt die 
Hauptschwäche der Reeits de l’Oceulte Thierrys. Ein Thema, 
wie es z.B. Tresse blonde hat, schliesst jede Selbstbestimmung, 
jede individuelle Reaktion auf äussere Motive, vollständig aus. 

Der Held der Erzählung La Dien- Aimce!) überlässt seine 
Frau wissentlich dem ehebrecherischen Umgange, er nimmt die 
Schande freiwillig als Sühne seiner früheren Inkarnation auf sich, 
und seine Seele wird zum letzenmale durch den irdischen Tod 
von den Banden des Fleisches befreit. Die beiden Schuldigen 
haben denselben Fehltritt bereits in früherer Inkarnation be- 
gangen; ohne Erinnerung daran, ohne Einsicht in das oceulte 
Gewebe der Welt versäumen sie die Gelegenheit, sich durch 
Entsagung und Leiden zu entsühnen. Mit Hilfe eines ehr- 
würdigen Weisen, eines I/nitiE gelingt ihnen schliesslich das 
geheimnisvolle und schwierige Werk. In KRediviwa und La 
Redemption de Larmor ist dasselbe Motiv nur wenig variiert, 
macht aber trotz der Wiederholung in der lebendigen Darstellung 
einen gleichmässig fesselnden Eindruck. 

La Tresse blonde?) erweitert das Thema in der vorhin 
angedeuteten Richtung. Der alte Marquis Maureac, ein alter 
Haudegen, ein Held der Chouannerie, hat seinen Ruhm mit 
einer Schandthat erkauft, weil er Yvonne Gallo, die Frau eines 
Bretonen, die ihn liebte, zum Verrate zwang, der ihren Gatten 
und seine Mannschaft dem Feinde überlieferte, und weil er sie 
selbst dann einem grausamen Tode überliess. In dem sonnambulen 
Zustande eines Opiumrausches durchlebt der junge Marquis, sein 
Sohn Rene, die fürchterliche Scene, die seinen Vater zum Ver- 
brecher stempelt. Nach dem Tode des Generals beherrscht die Er- 
innerung an dieses Familiengeheimnis vollständig den Geist des 
jungen Mannes; die Hypnose eines mysteriösen Magnetiseurs, 
der ihn an sich zu ziehen weiss, verstärkt in ihm die Idee, dass 
er in der Chansonnette eines verrufenen Theaters die Tochter 


1) G. A. Thierry, Reeits de V’Oceulte: La Bien-Aimee, Rediviva, La 
Redemption de Larmor. Paris, A. Colin et Co. 

2) Paris, Colin, 1898. Zuerst 1888 in der Rev. d. deux mondes ver- 
öffentlicht. - 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 477 


und Reinkarnation der misshandelten Bretonin vor sich hat und 
durch eine Ehe mit ihr das alte Unrecht büssen muss. Die 
ganze Historie verläuft in einen Anfall von Tobsucht, in den 
Ren& nach der Eheschliessung mit der kleinen Yvonne verfällt, 
und während dessen er von ihr erstochen wird; das ist seine 
Expiation. Eine Menge oceultistischer Motive steckt in der 
bizarren Dichtung. Das Doppelgängerdasein des Helden, das ihn 
noch in einer anderen gleichzeitigen Liebes- und Heiratsaffaire 
engagiert, die Hypnose der Sängerin, der theatralische Apparat 
des Magikers, der mit seinem Hokuspokus die blutige Tragödie 
dirigiert, geben dem ganzen Werke das Ansehen einer zweifel- 
haften Charlatanerie, und es hält schwer, im Ernst an die 
Versicherung des Autors zu glauben, dass er als artiste penseur 
den Konflikt der menschlichen Persönlichkeit mit dem Verhängnis 
des Atavismus!) auf solche Weise meinte schildern zu dürfen. Die 
psychologische Charakteristik, die bei der Hauptperson wenigstens 
durch Hypnose und die fixe Idee der Erbschuld ausgeschlossen 
war, ist den Nebenfiguren zu gute gekommen. Der Titel hängt 
wie der ganze Roman an einem Haare, der blonden Locke, die 
der General sich als Erinnerung an seine alte Liebe bewahrte, 
und die zu der Coiffure der kleinen Schauspielerin so auf- 
fallend passt.?) 

Wie es möglich ist, sich willkürlich seiner Seele zu ent- 
äussern, sie im Astralleib an einen andern Ort zu schicken, 
erzählt Lermina in einem Conte astral: A brüler) Er knüpft 
augenscheinlich an Einzelheiten aus der Lebensgeschichte der 
Mme. Blavatzky an, der Urheberin der sog. T'heosophie, 
einer modernen Sibylle, die angeblich sieben Jahre bei den 
Himalayabrüdern zugebracht hatte, bei den Mahatmas, tibe- 
tanischen Priestern oder Halbgöttern, die sich beliebig von ihrem 
Körper trennen können, um sich im Astralkörper ans andere 
Ende der Erde zu begeben!) im Besitz alles Geheimwissens sind 
und ihren Schülern auf jede Entfernung ihre magischen Zeichen, 
Botschaften in Worten, Glockensignalen, Blüten und Blumen- 


I 

2) Der Gedanke, dass ein Mensch in einem andern wieder aufleben 
könne, liegt der Novelle Morella von Poe (Tauchnitz-Sammlung, Bd. 2212, 
S. 247) zu Grunde. 

8) Paris, Boulanger 1894. Nr. 72 der Pet. Bibl. diamant. 

ı) Kiesewetter, Gesch. d. n. Occult., S.448. Papus, 1. ce. S. 256. 749. 


478 G. THURAU, 


duft zugehen lassen können. Der Held in Lerminas Erzählung 
entbrennt in leidenschaftlicher Liebe zu einer Adeptin der 
indischen Geheimlehre, die mit ihrem gelehrten Bruder Sanskrit- 
studien betreibt, ihren Verehrer zuerst durch wissenschaftliches 
Interesse fesselt, dann aber seiner Liebe sich entzieht, als sie sich 
auf Befehl ihres Gurus (Lehrers) nach Madras begeben muss — 
ganz wie einst Mme. Blavatzky durch ihren Bonzen von Paris 
nach New-York kommandiert wurde. Unser Held indes, in die 
Kunst, aus der Haut zu fahren, „initiert“, unternimmt es, seinen 
Astralleib nach Indien zu dirigieren. Seine Seele trennt sich von 
ihrem Leibe, den entseelten Körper schafft die Polizei nach der 
Morgue, die Aerzte konstatieren Selbstmord; aber die befreite 
Seele manifestiert sich durch eine magische Blumensendung, die 
unsichtbare Hände an ihrer sterblichen Hülle niederlegen. Dabei 
keine Spur von Ironie! Credo, quia absurdum. 

Gautier hat in seinem Avatar!) ein ähnliches Motiv in 
seiner Art behandelt. Dr. Cherbonneau versetzt mit Hilfe einer 
magischen Formel, die ihm ein berühmter Fakir einst mitgeteilt 
hat, die Seele eines jungen Grafen in den Körper eines Anderen, 
dessen Frau jener leidenschaftlich liebt, während die Seele des 
Gatten in den Leib seines Nebenbuhlers gebannt wird. Das 
Duell, das diese beiden, gegen einander ausgetauschten Männer 
ausfechten, die Vorstellung, dass jeder in seinem Gegner sich 
selbst verletzen muss, gehört zu dem Tollsten, was die roman- 
tische Phantastik ausgesonnen hat. Gautier gehörte aber nicht 
zu den Gläubigen unter den Litterateurs- Mages; auch diese 
Historie ist nur ein symbolisierendes Phantasiespiel, das den 
Sinn enthält, dass keine Zauberei den Scharfblick wahrer Liebe 
täuschen kann.?) 

Die Reinkarnation bedeutet immer einen Fortschritt der 
Seele auf dem Wege der Vervollkommnung zu Gott; sie ist das 
Produkt eines geistigen Bildungsprinzips, das die in früheren 
Existenzen erworbenen Fähigkeiten immer mehr erweitert, dies 
aber nur in einem organischen Körper erreichen kann, der immer 
wieder auch neuen äusseren Existenzverhältnissen angepasst 
werden muss; die Reinkarnationen können selbst im Abstande 
von tausenden von Jahren und sowohl auf der Erde wie auf 


1) Moniteur 1856, Fevr., Mars, Avril. — Gaut., Romans et Contes, 1863. 
2) Godefroy, Hist. d. 1. litt. fr. d. XIX. siecle I 1881, S. 161. 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 479 


einer anderen Welt stattfinden. Damit ist ein transcendentaler 
Darwinismus angenommen, den die Roman- und Novellendichter 
auf ihre eigene Weise ausgelegt haben. Maupassant stellt in 
seinem Horla!) ein Wesen höherer Ordnung vor, unsichtbar, 
unfassbar, mächtig durch seine Bedürfnislosigkeit, das, wie 
auch früher immer die weiterentwickelte Gattung die auf einer 
niedrigen Stufe stehende vernichtet hat, den Daseinskampf gegen 
den Menschen zu führen und zu gewinnen berufen ist. Le Horla 
gehört zu den Erzählungen Maupassants, die sich mit phan- 
tastischen Sujets, physiologischen und pathologischen Wundern 
befassen; er ist eine von Grauen erfüllte Vision, ein Bild, über 
das der Wahnsinn bereits seine dunkeln Flügel gebreitet hat. 

Das Gegenstück dieses Horlagespenstes bildet der Ottysor 
im Triboulat Bonhomet des Grafen Villiers de l’Isle-Adam.?) 
Triboulat ist ein Arzt, wissenschaftlich, ironisch, ein Charakter 
mit der sonderbaren Mischung von Skepsis und Phantastik, zu 
der die schöngeistigen Darsteller des Oceultismus so oft ihre 
Zuflucht nehmen. Er erzählt die Geschichte eines ihm be- 
freundeten Ehepaares, der Lenoirs, in deren Hause tiefsinnige 
(sespräche über den Weltzusammenhang, Mystik und altes Geheim- 
wissen geführt zu werden pflegten. Während einer Reise, -die 
Ms. Lenoir unternimmt, vergeht sich seine Frau mit einem jungen 
Lieutenant, Henry Clifton. Der betrogene Gatte kommt erst 
sehr spät, als er bereits als Leiche im Sarge liegt, auf un- 
erklärliche Weise hinter das Verbrechen, das er auf fürchterliche 
Art bestraft. Er inkarniert sich in ein fabelhaftes Wesen, 
einen Ottysor, einen Vampyr, der an der australischen Küste in 
wüster Gegend haust, und den Räuber seiner Ehre, als er einst 
zu Schiff an das öde Gestade verschlagen wird, tötet. Die 
schauerliche Scene erscheint der von Gewissensangst gepeinigten 
Frau vor ihrem Sterbebette, fixiert sich in ihren wunderbaren 
Augen und wird an ihrer Leiche von dem Doktor mit Hilfe 
des Augenspiegels mit aller Genauigkeit „wissenschaftlich“ kon- 
statiert. Von all’ dem Hohn, all’ dem Grässlichen und Unsinnigen, 
das auf den etwa zweihundert Seiten des Buches ausgebreitet 
ist, giebt auch eine genauere Analyse kein annähernd voll- 
ständiges Bild. 


\) Maupassant, Le Horla, Paris, Ollendorf 1887. 
2) Paris, Tresse et Stock, 1887. Nouv. &d. 1896. 


480 }. THURAU, 


3. 

Der gelehrte Thomas Campanella, einer der bedeutendsten 
Theoretiker des neueren Oceultismus, behauptet im IV. Buche 
seines Werkes De sensum rerum et magta!) dass neben der 
Astrologie die Religion und die Medizin als die Hauptsäulen 
der Magie anzusehen seien; freilich meint er nicht die kirchlichen 
Dogmen, sondern die Mystik, die das dämonische Widerspiel der 
Wirklichkeit ist, nicht das medizinische Handwerk, sondern den 
tiefen Einblick in die Natur und die Kunst, auf sie mit geheimer 
geistiger Kraft zu wirken. So drängen sich aber zu allen 
Zeiten, vorwiegend auch heute, die Geheimwissenschaften mit 
en Wurzeln und Anslänfer n in die Theologie und Medizin, 
und dieselbe Vermischung verwandter Elemente macht sich such 
in der oceultistischen Belletristik bemerkbar. 

Die christliche Kirche hat nie aufgehört, die Möglichkeit 
der Zauberei zu lehren, und ist, gleichviel ob sie diese als 
nichtigen Wahn hinstellte oder als realen Ausfluss übermensch- 
licher, böser Gewalten verfolgte, vielfach mit den Phantasmen 
des Geheimwissens in nahe Berührung gekommen. Die moderne 
französische Romanlitteratur, die sich wieder viel mit reli- 
giöser Mystik, frommer Exaltation und übernatürlichen 
Glaubensäusserungen beschäftigt, gerät dabei natürgemäss oft 
in das Gebiet des Oceultismus. Die medizinische Wissen- 
schaft wiederum hat in letzter Zeit namentlich in Frankreich 
viel gethan, um oceulte Erscheinungen des Seelenlebens, die 
abergläubische Deutung erfahren hatten, aufzuhellen und als 
natürliche Aeusserungen eines gestörten oder überreizten Nerven- 
systems zu erklären. So hat Charcot nachzuweisen versucht, 
dass Bildnisse und Schilderungen, die man aus früheren Jahr- 
hunderten von Dämonenbesessenen kennt, genau zu den Be- 
obachtungen passen, die man bei partieller oder totaler Anästhesie, 
bei kataleptischen Anfällen, Konvulsionen verschiedener Natur 
macht.2) Die oceultistische Romanlitteratur hat sich auch diese 
Errungenschaften zu nutze gemacht, und es ist einer ihrer 
gewöhnlichsten Kunstgriffe, Menschen, die im Banne übernatür- 
licher Mächte leben, so darzustellen, dass man ihre Phantasmen 


1) Kiesewetter, Gesch. d. n. Occult., 8. 176. 

2) Charcot, Les demoniaques dans Vart, Paris 1898. Vgl. auch Ch., 
La foi qui guerit, Paris 1897 (Alcan). M. da Fleur y, L’enseignement 7 
la Salpetriere, Paris 1898 (Alcan). 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 481 


so gut für die Delirien eines Wahnsinnigen oder Fieberkranken, 
wie für Offenbarungen einer höheren Einsicht halten kann. Ist 
doch beispielsweise in Thierrys Erzählung Le Masque (1894) die 
Scheidewand, die das alltägliche Leben von dem Irrenhause trennt, 
schon völlig geschwunden! Dass ferner die persisch-medischen 
Zauberer wie die Hexen narkotische Stoffe, Opium, Hanf, Bilsen- 
kraut, benutzten, um sich in Exstase zu versetzen, ist bekannt;') 
und so gehört auch ein grosser Teil der sog. pathologischen 
Litteratur, zu der man in Frankreich selbst von ausländischen 
Dichtern beispielsweise auch E. T. A. Hoffmann gerechnet hat?) 
nicht nur die Erzählungsdichtung, die einer durch künstliche 
Mittel erregten Phantasie entspringt, sondern auch die, welche die 
Einbildungen des Rausches, des Fiebers, des Irrsinns, des Traumes 
registriert, in gewissem Sinne in das Reich des Oceultismus. 

Es giebt ausserdem eine grosse Masse phantastischer Motive, 
die in verschiedenen Erzählungen mannigfach verkleidet, der 
Märchenpoesie verwandt, wie auch diese selbst mit altem und 
neuem „Geheimwissen“ zusammenhängen und, in einer glücklichen 
Modifikation, zuweilen unerwartet mit dieser Beziehung deutlich 
hervortreten. Bei der Verfolgung solcher Analogieen wird sich 
stets wieder die Erkenntnis ergeben, dass die poetische Behand- 
lung dieser Probleme und Motive heute immer weiter von dem 
Märchenwesen abrückt, und die Phantasie der gelehrten Forschung 
unterordnet. Nicht übersehen darf man daneben den Umstand, 
dass der Aberglaube und die naive Einbildung des Volkes oft 
unerwartet durch die Wissenschaft bestätigt wird. 

Im Rahmen dieser Skizze kann nur noch eine kurze Liste 
ihr zu Grunde gelegter, aber nicht näher herangezogener Er- 
zählungen und Romane gegeben werden: About, D’homme «a 


Voreille cassee — Le Nez d’un notaire 1862. 1886 (Levy). — 
Paul Adam, En decor — Etre — Essence de Soleil. Les 
Volontes merveilleuses 1890 (Tresse et Stock). — U. Boutet, 
Contes dans la nwit (Chamuel). — Paul Bonnetain, Z’Opium 
1886 (Charpentier). — A. France, Thais 1897 (Levy). — A.de 
Gondrecourt, Un ami diabolique (Degorce-Cadot). — Uharles 


Grandmoujin, Medjour (Chamuel 1895). — Auguste Jouffroy, 
La Sonnambule 1891. No&l Kolbac, Le Sang 1888 (Marpon et 


!) Kiesewetter, Geheimwissenschaften, S. 568. 673. 
2) Revue des deux mondes 1895, 15. Nov., S. 311 ff. 
Festgabe für Gustav Gröber. ol 


482 G. THURAT, 


Flammarion). — Jules Lermina, Histoires incroyables — Nou- 
velles hist. iner. (Sarnie 1888). — A tes pieds, 1889 (Kolb). — 
Zippelius 1893 (Boulanger) — La deux fois morte 1895 (Chamuel). 
— Maupassant, La Main (Contes du jour et de la nuit, Marpon 
et Flammarion). — E. A. Thierry, Le Stigmate 1898 (A. Colin) 
— Le Masque 1894 (Colin).!) — Leon Riotor, Le pressentiment. 
La jument noire 1895 (Chamuel) — Villiers de l’Isle-Adam, 
L’Eve future 1886 (de Brunhoff). 

Diese Eve future darf man unbedenklich als den Gipfel 
wissenschaftlicher Phantastik bezeichnen; denn in ihr sind mit 
unerschütterlichem Ernste Thatsachen und Hypothesen modernster 
Wissenschaft zu einer Einheit verbunden, in der die Wirklich- 
keit auch einer fernen Zukunft sie der Menschheit schwerlich 
je vor Augen stellen wird. Der Held des Romans ist eine 
dichterische Vergrösserung der Persönlichkeit Edisons, des 
genialen amerikanischen Erfinders. Er schafft für seinen Freund, 
einen spleenigen Lord, das Weib der Zukunft, eine Kombination 
des chemisch fabrizierten Homunculus und des Automaten- 
menschen, eine Maschine aus künstlichem Menschenfleisch, aus 
einem mit der subtilsten Mechanik konstruierten Gerüste von 
Muskelbändern und Knochen, aus einem durch ein Gewebe elek- 
trischer Leitungen hergestellten Nervensystem, mit einer durch 
phonographische Apparate erzeugten Sprache, der photographischen 
Camera nachgebildeten Augen — und einer lebendigen Seele, 
die der grosse Erfinder aus einem wirklichen Menschenleibe, 
der einer Sonnambulen gehört, herausholt und in die künstlich 
geschaffene Hülle inkarniert. Der Lord hat leider das Malheur, 
dieses wunderbare Weib, für das ihm sein gelehrter Freund 
auch chemische Präparate als Nahrung mitgegeben hatte, bei 
der Ueberfahrt nach England durch das Scheitern seines Schiffes 
zu verlieren. Die Absurdität dieser naturwissenschaftlichen 
Fabelei ist ohne Gleichen; die Wissenschaft zeigt dieser Roman 
wie in einem Hohlspiegel zur Karrikatur verzerrt. Die Dar- 
stellung ist in zahlreiche kurze Kapitel zerrissen und mit 





ı) Thierry hatte für die spiritistische Mumienromantik dieser Erzählung 
bereits Vorbilder in Gautiers Roman de la Momie (Moniteur 1857, Avnil, 
Mai; Ed. Hachette und Charpentier) roman pharmaceutique et ganaliforme 
nach des Verfassers Ausdruck (Lovenjoul, 1. c. U, 127) und dessen Erzählung 
Le Pied de momie (1840, in Romans et Contes 1863 ete.), sowie in Abouts 
L’homme a Voreille cassee (1862). 


GEHEIMW. PROBLEME U. MOTIVE D. FRZ. ERZÄHLUNGSLITT. 483 


athemraubenden Parenthesen überladen. Man hat in dieser Eve 
future die modernste und in gewissem Sinne vollkommenste Ge- 
staltung eines Problems vor sich, das bekanntlich auch E. T. 
A. Hoffmann (der Automat und der Sandmann) behandelt hat. 
Hoffmanns Modell war der schachspielende Türke gewesen, den 
1770 der Wiener Mechaniker Wolfg. v. Kempelen, angeregt 
durch einen französischen Wanderphysiker und Magnetiseur 
Pelletier, hergestellt hatte, und der in einer Zeit, die von den 
mesmerischen Wunderkuren und allerlei occultistischen Schwindel 
beherrscht war, ungeheures Furore machte.) Die musikalische 
Theaterdichtung der Franzosen hat die kuriose Olympia, Hoff- 
manns weiblichen Automaten, wiederholt auf die Bühne ge- 
bracht (Barbier-Offenbach, Les Contes d’Hoffmann, Leuven- 
Beauplan-Adam, La Poupde de Nuremberg, Nuiter-Leon- 
Delibes, Coppelia). 

Die kleine hier gebotene Auswahl liesse sich mit Leichtig- 
keit ins Zehnfache vergrössern; ein Genuss ist die ununter- 
brochene Lektüre dieser oft über alle Grenzen der Vernunft 
und des guten Geschmacks hinausschweifenden Litteratur aber 
nicht. Gleichwohl wächst sie von Tag zu Tag, und mit dem 
Bewusstsein einer besonderen litterarischen Sendung erklärt 
Papus in der Vorrede zu Lerminas Elixir: La liste se grossit 
chaque jour davantage des Mages - Litterateurs representamt toutes 
les ecoles, depuis le catholique ultramontain Joscphin Peladan, 
Pinitiateur du mouvement, jusqwWau charmant poete Gwilbert 
Augustin Thierry, en passant par le catholique socialiste?) Paul 
Adam et les poetes Albert Jhouney, Emile Michelet, Paul Marrot 
et L. Mauchel. Voila donc une nouvelle ecole qui se leve a lhorizon, 
ecole tout a la fois scientifique, artistique et sociale. 

1) Eine eingehende Besprechung von Kempelens Verdiensten um die 
Phonetik und andere Einzelheiten brachten die Phonetischen Studien von 
Vietor, Jhrg. 1890, IV. Bd., Heft 1, S. 1 ft. 

2) Der für den französischen Spiritismns charakteristische sozialpolitische 
Zug war es auch, der besonders das Interesse Napoleons Ill. wachrief (vgl. 
Kiesewetter, Gesch. d. n. Oce. S. 476). Die Isisgemeinde des Thaumaturgen 
Hermes in Thierrys Erzählung Le Masque ist eine Anspielung auf Spiri- 
tistenkolonien, wie sie z. B. der französische Grossindustrielle Godin in 
Guise gründete. 


Königsberg i. Pr. Gustav THURAU. 


31* 


The Descort in Old Portuguese and Spanish Poetry. 


In his study of the descort published in the Zeitschrift für 
roman. Philol., vol. XI, p. 212ff., Appel came to the conelusion 
that the so-called ensaladas, the only Portuguese and Spanish 
forms which he examined for comparison with the Provencal 
descort, were not directly related to it. T'here are, however, a 
number of Spanish and Portuguese compositions which are more 
or less closely akin to the Provencal type, and these are found 
in the very place to which one most naturally turns for imitations 
of Provencal models, in the works of the Gallego-Portuguese and 
the Gallego-Castilian Lyrie Schools. 

In the colleetions of the Gallego-Portuguese School there 
are four compositions which have thus far been mentioned as 
specimens of the descort, two being contained in the Cancioneiro 
Colocei-Brancuti (nos. 135 and 470) and two in the Cancioneiro 
da Vaticana (nos. 481 and 963).') 

The first of these pieces (CB. 135 — no. I of our text) is 
by Nuneannes Cerzeo, of whom we know nothing, but who 
was probably a poet of the earlier pre-Alphonsine period, if any 
inference may be drawn from the fact that the nine compositions 
we have of him are placed in the eancioneiro between those of 
Joam Soares Somesso and Pero Velho de Taveiroos.2) Both in 
form and feeling the poem in question, which the author himself 
in the last line calls descordo, i.e. descort, is a fair representative 
of the Provencal type. It is ceritically edited in the appendix 

!) See Ü. Micha&lis de Vasconcellos in Grundriss der roman. Philol. II2, 193 
and Das Liederbuch des Königs Don Denis p. CIX. 

2) Cf. C. Michaelis de Vasconcellos, Zeitschr. f. rom. Phil. XIX, 597. 


THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 485 


of the edition, soon to be published, of the Cancioneiro da Ajuda 
by Mrs. Carolina Michaelis de Vasconcellos, to whose amiability 
I am indebted for the advance-sheets of her text. 

As for its form, this descort may be divided into two main 
groups of lines, The first group, of 24 lines, constitutes the 
main body of the piece, and consists of four stanzas of equal 
length, but differing in the order of rhymes. The first two stanzas 
have masculine decasyllables with the rhyme-order abebac, only 
the first rhyme being the same in both stanzas. In the other 
two stanzas of this group we find the rhyme-order deeffe, d 
being a feminine hendecasyllable,!) e a feminine and f a masculine 
decasyllable. As will be seen, d is a palavra perduda or rima 
dissoluta. The second group, of 41 lines, divides itself into two 
series of stanzas differing in rhyme-order and metre, and is 
followed by a fiinda or tornada. The lines are all masculine. 
The scheme of the first group is as follows: 


448 
eieseren]e 


448 
ITeeoDBocen 
That of the second group: 


3.,272323.803.20.2 7258 
I bbbbedddde 
223252782212 527208 
II eeeeceeeec 


It will be observed that here, as in many of the Provencal 
descorts, the stanzas fall into sections which agree both in regard 
to the rhyme-order and the number of syllables.?) 


!) Mrs. Vasconcellos considers d a decasyllable and accordingly reads in 
1.19 pois instead of the pois que of the ms. But this leaves 1. 13 to be 
accounted for where we clearly have a hendecasyllable unless soidade be 
shown to be a word of only three instead of four syllables. But oi in 
soidade is regularly dissyllabie in the usage of the time, as may be seen 
in Das Liederbuch ete. p. CXXI and in the Cantigas de Santa Maria of 
Alphonse X, nos. 48, 67, 379 (ef. ibid. säidade, väidade), and is mostly so 
measured in the Cancioneiro de Resende (see Cornu, Romania XII, p. 305). 
There is, therefore, no good reason for treating 1. 13 as a decasyllable and 
altering 1.19 accordingly. Besides, our poet uses the hendecasyllable elsewhere, 
e.g. CB. 130 and 136, and nowhere need the employment of different metres 
surprise us less than in a descort. 

2) See Appel, 1. c. p. 213. 


486 H. R. LANG, 


In the fünda we find, as usual, the rhymes and metres of 
the last stanza repeated. 

42288 
cbece 

From the note: stroph . antist . et loco epod . discor. 
which Colocei put at the head of this poem, it appears that he 
understood the descort proper to begin with the short lines 
(1. 25f£.) and to take the place of the usual fienda belonging to 
the preceding two pairs of stanzas.!) 

As for the contents of our descort, they differ somewhat 
from those peculiar to the Provencal and French specimens of 
this type. The poet declares his intention to leave the people 
and the places where he has been suffering and to seek recovery 
elsewhere, though he knows that once gone, he will long to 
return to his former abode. The exact cause of the poet’s 
suffering and of his decision to go away is not stated, but 
it would appear to be rather the fear of the maldizentes or 
lausengiers?) than the cruelty of his lady. There is, however, 
throughout the poem a tone of resignation which is in perfect 
keeping with the nature of the descort. 

The second Old Portuguese descort (CB. 470 —= no.) of our 
text) is by Alphonse X (r. 1252—1284). It may be recognized 
as such both by its subject and its form, and is so designated 
by the note discor which Colocei placed under it. 

It consists of three stanzas of nine short lines each, followed 
by a refrain. The scheme is as follows: 


454454465 
l) aabaabxabB 
Cr re ec Be a ie) 
2) ccbechbechbB 
4464465465 
3) ddbddbxdbB 


It will be observed that barring a few irregularities, here 
again each stanza divides itself into a number of congruous 


6 5 
smaller sections. In the second stanza, we might obtain b for b 


1) C£. C.M.de V., CA. I, p. 765. 


2) This motive is a commonplace of courtly lyries. See Jeanroy, De 
Nostratibus p. 2—8. - 


THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 487 


by reading in 1.19 cedjo], € instead of ced’,e. In the first and 
third stanzas, the substitution of a rhyme-less word for a 
rhyme in -or and -er is most likely an intended irregularity, 
and one’ which we could only remove by producing a more 
improbable one in the form of an interior rhyme in the second 
stanza. The use of the refrain in this descort is characteristie 
of the liberty with which the Portuguese troubadours treat 
their models. 

In this song, Alphonse X gives utterance to the grief which 
the separation from his lady causes him, declaring that he would 
prefer death to a continuance of this torment. Such a complaint 
is quite in accordance with the train of ideas found in the 
Provencal descort, and in this respect our poet has therefore 
followed his models more closely than Nuneannes Cerzeo who, 
on the other hand, appears to have been more successful in the 
matter of form. 

In neither of the two compositions just described is there 
any evidence of direct imitation, whether in regard to form or 
subject, of any of the Provencal or French descorts known.!) 

The character of the third Old Portuguese poem which 
comes in question here (CV. 963 — no. III) is made sufficiently 
‚elear by the rubrie which precedes it in the collection: 

This song he [Don Lope Dias] composed in the measure 
of a descort, and he made it on an infanzon of Castile who 
carried with him a guilt bed and who was very rich and bore 
himself ill and was very miserly. 

Considering this statement in the light of the two songs 
just examined, we learn from it not only that the piece by 
D. Lope Lias was a cantiga d’escarnho composed to the air of 
a descort, but that the Gallego-Portuguese Iyrie school understood 
by the term descordo essentially the same thing as the poets 
of Provence, deviating from them, however, in this that they 
employed the form of the descort not only for love-poems, but 
also for compositions treating of other themes. 

The name of D. Lopo Lias (or Diaz) is of frequent oceurrence 
in the family of the Lords of Biscay who play so prominent a 
part in the history of Castile in the 12th and 13th centuries. 


!) Bartsch, Grundriss 392, 16 is as yet unedited. 


488 H. R. LANG, 


Mrs. Carolina Michaölis de Vasconcellos registers the author of the 
twenty cantigas d’escarnho e de maldizer to which the poem under 
discussion belongs, as D. Lopo Diaz de Haro!), thus identifying 
him with one of the members of the family bearing that name, 
and her opinion receives no little support from the fact that in 
his verse he repeatedly?) alludes to the troubadours of Orzelhon, 
a castle in Castile owned by the Lords of Biscay.?) The question 
then arises with which one of the members of that house our 
author is to be identified. 'T'here is a planh or, as the Portuguese 
call it, an endexa, by Pero da Ponte (Cancioneiro da Vaticana 
no. 575) on the death of one D. Lopo Dias, praising him for his 
valour and his liberality.t) As Pero da Ponte was a contemporary 
of King Ferdinand III (7 1252) and as his datable compositions 
fall within the years 1236—1252,°) the subject of his dirge was 
in all probability the D. Lopo Diaz de Haro who for the signal 
valour and the good judgment devoted to the service of his 
king won for himself the surname Cabega Brava, and who died 
in 1236.) The minstrel gives us no detail by which we could 
identify the subjeet of his pianh with the author of the cantigas 
d’escarnho, nor do the latter enable us to decide with anything 
like certainty on the question whether he was the Lopo Diaz 
surnamed Cabeca Brava or his grandson who met his death at 
the hands of his king, Sancho IV, in 1288.”) The eircumstance, 
however, that his literary legacy is transmitted to us in the 
collections between that of two of the earlier troubadours, Fernam 
Paez, de Tamalancos, and Martin Soares,‘) and the further fact 
that in two of his songs (CV. 947 and 948) he speaks of himself 


1) Grundriss der roman. Philol. 112, 189. 

2) CV. nos. 947, 948, 962. 

3) See Espaüa Sagrada XIX, 242 & 272; XX, 123 & 329. 

#) In drawing inferences from the attribution of such qualities, it must, 
however, be borme in mind that it had become a conventional trait of the 
planh in Provence. 

5) C£. De Lollis, Studi di filol. romanza I, 34. 

6) Livro de Linhagem p. 259 ff.; Argote de Molina, Nobleza de Andaluzia 
(ed. 1588) cap. 82—38. 

?) Croniea de Alfonso X, c. 18; Argote de Molina, ]. ec. Mrs. Vasconcellos, 
to whom I am indebted for much valuable material in regard to D. Lopo Dias, 
promises to publish in the near future ai article entitled ‘“Wolf-Dietrich’ 
bearing on the subjeet-matter of this descort. - 

5) See Mrs. Vasconcellos, Grundriss 1. c., and Liederbuch p. XXX. 


THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 489 


as though he were the patron of the trobadores d’Orzelhon, argue 
very strongly in favor of Cabega Brava.') 

His cantiga d’escarnho en son d’un discordo consists of four 
stanzas which differ in the order and class of rhymes as well 
as in metrical structure, and the scheme of which, if I rightly 
understand it,?) is as follows: 


455646255 
I aaabaaaab 
405% 2552024.52.275#5 
U geeedecced 
64464646 
Hricefereret 
AubrDEDEDEIGCDEB 
IV ggghgggh 


The structure of this poem shows clearly that its author 
regarded discordance of the component parts an essential feature 
of the form of a descort, and in this he is in accord with the 
practice observed in the other two compositions which we have 
examined and which are descorts in feeling as well. The question 
may be asked whether our poet composed the air of his descort 
as well as the text or whether he borrowed it from another. 
We have no means of deciding it, but cases of such borrowing 
of the son are by no means unknown in the Old Portuguese 
Songbooks. The intonation of a magnificent sirventese by 
Alphonse X, CV. 79, reechoes in a song of his contemporary, 
Count Gil Peres (CB. 1520 —= 393)?) and the strophie form of a 
cantiga d’escarnho by Joham Soares Coelho, whose fifty songs 
were composed between 1230—1260,%) is found again in a sir- 
ventese of Martin Moxa which was nearly a century later and 
which we shall now examine. 

It is the last of the four compositions which have thus 
far been mentioned as specimens of the Old Portuguese descort 
(CV. 481 = no. IV of our text). 


ı) No light is thrown on the question by the mention of a D. Lopo 
Dias in CV. 1145. 

2) My efforts to obtain the readings of the ms. CB. for this poem and 
CV. 481 have unfortunately not been successful. 

8) Cf. De Lollis, 1. c. p. 52. 

4) See Liederbuch p. XXXV and Mrs. Vasconcellos, Zeitschrift f. rom. 
Philol. XX, 162. A 


490 H. R. LANG, 


According to Mrs. Vasconcellos,') Martin Moxa was an 
Aragonese and a contemporary of the Bishop of Vizeo, Miguel 
Vivas, for whom his poems were sung. If this be correet, his 
poetie activity belongs to the second quarter of the 14th century, 
during the reign of Alphonse IV of Portugal. We have of him 
fifteen songs, seven being cantigas d’amor and the rest moral 
poems or sirventös. As has already been said, our song is of 
the latter class. 

As there is no rubrie or razon, nor any other note quali- 
fying it as a composition set to the musie of a descort, its claim 
to this term must rest entirely on the evidence of its form. 
Its scheme is as follows: | 


45 br 5. 5 4227 AED 

I aabaabecebecch 

4554554355 4 245 

II däbddbeeebeeeb 

5545542554255 

I Meere 

KPD TERSERERTE 

IV jjs)jjsjlisjsie 

Fiinda: 

na 
Jikjs 


Of these four stanzas, the first and second have in common 
a masculine rhyme in -ar, the third and fourth one in -er. All the 
four stanzas seem to consist of the same number of symmetrical 
parts, and the intention of symmetry is indeed so evident as to 
lead one to suspect in the disagreement of the metre in 1.8, 
36 and 50 with 1.22, and also in 1.55 with 13, 27 and 41 errors 
on the part of the copyist. The readings of the CB. might here 
give us the regular correspondence. The only discord in this 
harmony of component parts comes from the fact that the stanzas 
vary in the number of rhymes, the first two stanzas having 
each three, the third stanza four and the fourth only two. 
Nuneannes Cerzeo employs three rhymes in his first four stanzas, 
Alphonse X and Lopo Dias in theirs only two, and this last is 
the number found in most of the Provencal descorts.?) 


1) Zeitschrift für roman. Philol. XIX, p. 584 and 59%. 
2) See Appel, l. cc. p. 214. “= 


THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 491 


Moxa’s fiinda repeats, as usual, the rhymes of the stanza 
immediately preceding, having, however, in addition a blank line. 

Now, if disagreement of the component parts was an essential 
feature of the form of the Old Portuguese descort,!) as would 
appear from the facts on hand, the poem under discussion can 
hardly claim to meet this requirement and there is, therefore, in 
the absence of other evidence, no sufficient ground for regarding 
it as having been composed to the air of a descort. It isa 
moral sirventesc written in short lines like several poems of 
this class by Peire Cardenal with which, indeed, it has much 
in common both in subject-matter and expression.?) As for its 
strophie form, it is, as has already been said, in almost every 
point identical with that of a cantıga d’escarnho (CV. 1025) by 
D. Joham Soares Coelho, the scheme of which is as follows: 


45545543554 255 
I aabaabeecebdddb 
41554554355 4255 
I eefeefgggfhhhf 
45545543554255 
Un 21 fi ıfgeefiiVis 


It will be observed that here as in Moxa’s piece the only 
disturbance of the complete harmony of the component parts is 
caused by the varying number of rhymes employed in the stanzas, 
the first two having four, the last one only three rhymes. Coelho’s 
song differs from Moxa’s in that the latter has fewer rhymes 
and a fünda. The original copy of Coelho’s composition had most 
likely another stanza continuing rhyme b of the first stanza. 

We have therefore only three Old Portuguese songs which 
deserve the designation of discordo or descort, and from the 
evidence presented by them we may conclude that in substantial 
accordance with Provencal practice and precept the Gallego- 
Portuguese descort was a love-poem singing of unrequited affection 
and giving formal expression to this discord of sentiments by 
the more or less unequal structure of its component parts.?) 


!) This does not seem to have been the case in Provencal. See Appel, 
l. c. p. 218. 

2) See Liederbuch p. LV and Modern Lang. Notes X, 216—7. 

>) There is a love-poem by Alphonse X (CB. 468 from 1. 9—84), which 
shows irregularity in the last lines of each stanza and the sentiment of which 
is quite in harmony with that of a descort. Colocei may not have noticed 


492 H. R. LANG, 


The differences which exist between the three Old Portu- 
guese descorts and those of Provence and France are those which 
generally characterize the free and easy way with which the 
Gallego-Portuguese troubadours treated their foreign models and 
which assigns to them so independent a position in the lyrie 
poetry of the Romance nations in the Middle Ages.!) 

More specimens of the Old Portuguese descort must have 
existed in the original Cancioneiro. This is placed beyond a 
doubt by a number of references to this poetic form contained 
in the fragment of an index of songs published by Molteni on 
p. 1 of his partial edition of CB., one of which, to the lost com- 
position no. 10, reads as follows: discort et omi staza fa sel dissi. 
By sel dissi the humanist Coloceci meant, as Mrs. Vasconcellos 
has pointed out,?) those poems which appeared to him to agree 
in structure approximately with Petrarch’s canzone no. XIX.) 

It remains now for us to see what, if any, examples of 
the descort we have in the Gallego-Castilian Lyric School of 
the 14th and 15th centuries which, as the Marques de Santillana 
informs us in his wellknown letter of 1449 to the Connetable 
of Portugal, and as is proved by abundant evidence, continued 
the literary traditions of the Gallego-Portuguese troubadours not 
only in form and feeling, but partly even in the use of the Portu- 
guese language.*) But in being transplanted upon Castilian soil, 
Portuguese Iyrie poetry, and especially its love-songs, could not 
escape the influence of the scholastie spirit of its new environment 
and lost much of the simplieity and warmth of feeling of its 
original home. 

Among the poetie terms oceurring in the texts collected 
in the Cancionero de Baena,) the word discor, which we find 
employed by Colocei as marginal note to the two Old Portuguese 





it because the first eight lines of the number (468) under which it stands, 
are part of a song in honor of the Virgin. 

!) See Mrs. Vasconcellos, Grundriss II?, p. 181, and Liederbuch p. CXLV. 
— The Early Italian Lyrie School has only one genuine descort, which is 
attributed to Dante. See Appel, 1. c. p. 223. 

2) Grundriss II2, 197, note 2. 

») Ed. Mestica, p. 290. — Many of the poems so marked by Colocei can 
not be considered as good cases of such similarity. 

4) See Mrs. Vasconcellos, Grundriss !-c. p. 230—242; Liederbuch p. XIV 
to XIX and Baist, Grundriss p. 424—427. 

5) The references will be to the Leipzig edition of, 1860. 


THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 493 


descorts contained in the CB.) is one of the most frequent and 
is used in more than one sense.?) 

In the first place, it signifies a song or poem in general, as 
may be seen from the following passage which is also important 
as showing that the discor belonged to the muestria mayor 
(C. Baena I, 253). 


E pues vos tenedes por tan sabidor 

que en tan brieve tempo tan alto sobistes, 
so maravillado commo preposystes, 

syn lay € deslay, syn cor, syn discor, 
syn doble, mansobre,?) sensillo 6 menor, 
syn encadenado, dexar o prender; 

que arte comun devedes creer 

que non tiene en sy saber nin valor. 

De verbo partido, maestria mayor, 

nin de macho € fenbra non vos acorrystes; 
palabra perdida non la enxeristes 

en vuestros desires con sala o rrygor ...*) 


In the same general sense of song we find it used by the 
Marques de Santillana (ed. Amador p. 365): 


incesantes los discores 

de melodiosas aves 

oy sones muy suaves 
tiples, contras, e tenores.®) 


In the second place, the term discor is used with reference 
to a special kind of poetie composition. 

This is probably the case in the following quotation from 
a petition of Alfonso Alvares de Villasandino (Ü. Baena I, p. 197): 


Poderoso ensalcado, 

estas dos que vos enbio 
son de otro alvedrio, 
fechas para Juan Furtado 


ı) But the form employed in the »azon to UV. 963 is descor or more 
probably descor[do]. Ci. CB. 135. 

2) Mrs. Vasconcellos has had the great kindness of putting at my 
disposal her notes on the use of the discor in Spanish poetry. 

3) Read mordobre. Cf. Grundriss II®, p. 196 and 255. 

“) Other passages with this meaning of discor which we cannot quote 
here, are l.c. I, p. 49, 95, 209; II, p. 54, 139, 185. 

5) Cf. Cancionero de Estuniga, p. 230 where this piece is attributed to 
Juan de Mena. 


494 H. R. LANG, 


La una como discor, 

la otra commo deslay; 
los yerros que en ellos ay, 
digalos algunt doctor. 

But if the antithesis of discor and deslay is here really 
intended to import more than it does in the many other cases where 
the two terms are used in conjunction,!) we cannot determine the 
exact meaning of discor here any more than that of deslay. 

The Cancionero de Baena contains, however, a number of 
poems the rubrie of which states that they were composed as 
in the manner of a discor, aud from these we may derive some 
light in regard to what this term signified. As the stanzas of 
the three pieces are all equal in structure, only two of each 
are published under nos. V, VI and VII of our text. 

The first of these, no. V, is a love-plaint and so far con- 
forms perfectly to the Provengal and Old Portuguese theory of 
the descort. Its metrical scheme is as follows: 


Daarı ara 44.7 IT 
I aabaab bba bba 
AA Id AT. aa Be 
II ccedced dde dde 
4-4 add 447 44 7 
III Weseikieert, a Le te 
AAN EA IT SO °. 3.7 
ga 


Of similar structure is another love-plaint (©. Baena II, 191) 
which, if the emendation of its rubrie proposed by Mrs. Vas- 
concellos is correct, was also composed commo ad manera de discor. 
It differs from the preceding poem in this that in the second 
and third stanzas it has feminine rhymes only. 

No. VI is a complaint of death and its pains, and therein 
deviates from the traditional subject of the descort proper. In 
structure, however, its nine stanzas agree with those of no. V. 
Only the fourth stanza uses a masculine rhyme (cf. no. V, first st.). 

Now, the strophie form employed in these compositions is 
practically identical with the one found in three songs of the 
Gallego-Portuguese school, the scheme of which is as follows: 

83733% 


aab ab 


(DD 


») C. Baena II, p. 54, 139, 185. Fr 


THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 495 


One of these songs is preserved under no. 74 of the Can- 
cioneiro da Vaticana and is a sirventes by Alphonse X: 
OÖ genete 
poys remete 
seu alfaraz corredor, 
estremece 
e esmorece 
o coteyfe con pavor. 


The second, also by Alphonse X, is a song in honor of the 
Virgin (Cantigas de S. Maria, no. 500). In this case, the scheme 
in question is in each stanza preceded by four feminine seven- 
syllables with the rhyme-order abba.') 

The third is the well-known charming song dedicated by 
Amadis to Leonora,?) preserved to us in fragmentary form in 
nos. 244 and 246 of the Colocei-Braneuti under the name of its 
author, Joam Lobeira, a Portuguese troubadour of the second 
half of the 13th century: >) 


Leonoreta, 

Fin roseta, 

Bella sobre toda fror, 

Fin roseta, 

Nom me meta 

Em tal coita voss’ amor.*) 


In Montalvo’s Amadis the poem is called both cancion and 
villaneico, but its author in all probability intended it to be a 
lai>), of which species of lyrie composition five examples are 
preserved in our Old Portuguese cancioneiros. If such was the 
case, the use of the strophic form under discussion in the lai 
would explain its employment at a later period in the descort 
which, as we know, in Provencal and French poetry was closely 
akin to, if not identical with, the 1ai.s) 


2») C£. CM. no. 380. 

2) Amadis de Gaula, 1. II, e. XI. 

3) See Mrs. Vasconcellos, Grundriss 1I?, 220—1. 

*) For the edition of the whole text see the article by Mrs. Vasconcellos 
in Zeitschr. f. rom. Phil. IV, 347—351. 

5) Cf. Mrs. Vasconcellos, Grundriss 1. ce. 

6) Cf. Appel, 1. c. p. 229—230 and for the period in question the coupling 
together of lai and deslay, cor and discor, and of deslai and discor already 
referred to. For the form of Leonoreta, fin roseta and the instances of 
the strophe couee in the Canc. de Baena, cf. e. g. Peire d’Alvernhe’s Rossinhol, 


496 H. R. LANG, 


But as Alphonse X wrote both a satirical and a religious 
song in this form, so the poets of the Cancionero de Baena 
also used it for other purposes. Thus it appears in a cantiga 
addressed by Alfonso Alvares de Villasandino to his wife (I, p. 18) 
where it occupies the first six lines of a stanza ending in a 
refrain. Another composition was according to its rubrie written 
por amor € loores de una duena de quwien el (fray Diego) era 
enamorado (C. Baena II, 184). The sentiment of this poem is 
closely akin to that of Lobeira’s Leonoreta, Fin roseta, as may 
be seen from the first stanza: 


Graciossa, 

muy fermosa, 

de muy linda fermosura; 
amorosa 

& donosa, 

de angelica fygura, 

muy pura 

criatura, 

deleytosa. 


The only three other poems in the Cancionero de Baena 
which are designated as being composed in the manner of a 
discor, are respuestas exchanged between Juan Alfonso de 
Baena and Alvar Rroys del Toro (C. Baena II, 101, 102 and 
103). Being all written in the same scheme, only the first one is 
published in our text (no. VII). The scheme, which is absolutely 
identical in all stanzas, is as follows: 


vw vu vu u 


There is therefore a considerable difference between these 
speeimens of the discor and those previously deseribed. Not 
only has the subjeet-matter of the respuestas nothing in common 
with that of the Provencal descort, but the equality of the 
stanzas shows a decided departure from the practice of the Old 
Portuguese descorts. On the other hand, in the poems of Fray 
Diego de Valencia who, it must be borne in mind, wrote. in the 


el seu repaire, and Jeanroy, Origines ete. p. 364—877. There is a certain 
resemblance of form between Nuneannes’ descort (= no. I) and parts of 
Bonifaci Calvo’s lai (Appel, Zeitschrift XI, p. 227) and also the descort 
published in the same volume p. 216. 


THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 497 


second half of the 14th century and was therefore in close touch 
with the later Gallego-Portuguese troubadours, we find a much 
closer relationship, both in form and feeling, with the earlier 
tradition of this school in Portugal. In the course of the further 
development of this courtly poetry in Castile, where it received 
a new direction, the descort appears to have lost more and more 
its character as a special kind of love-poem and finally to have 
been treated, both in subjeet-matter and strophie form, as little 
more than a lyrie poem in general.!) 

The subject of the relation of the discor with the other 
forms of courtly lyries in Castile deserves, however, a further 
and more careful study than I have been able to bestow upon 
it at present, and I intend to return to it in the near future. 


E 
CB. 135 (— 109). 


Agora me quer’ eu ja espedir 
da terra, e das gentes que i son, 
u mi Deus tanto de pesar mostrou, 
e esforcar mui ben meu coracon 
5 e.ar pensar de m’ ir alhur guarir. 
E a Deus gradesco porque m’ en vou. 


Ca [a] meu grad’, u m’ eu d’ aqui partir, 
con seus desejos non me veeran 
chorar nen ir triste, por ben que eu 
10 nunca presesse, nen me poderan 
dizer que eu torto fac’ en fogir 
d’ aqui u me Deus tanto pesar deu. 


Pero das terras averei soidade 
de que m’ agora ei a partir despagado, 
15 e sempr’i tornarä o meu cuidado, 
por quanto ben vi eu en elas ja; 
ca ja por al nunca me veerä 
nulh’ ome ir triste nen desconortado. 





I. 2 teira. 13 teiras. 15 (despagado) e s. etc. 


!) In a poem by Rodriguez del Padron (ed. Bibliöfilos p. 78) we read 
of a youth who dentro las flores en son de alabanca Dezia un discor. Here, 
again, discor seems to denote little more than song. 

Festgabe für Gustav Gröber, 39 


En 


498 


20 


25 


30 


40 


45 


60 


H. R. LANG, 


E ben digades, pois que m’ en vou, verdade: 
Se eu das gentes algun sabor avia, 
ou das terras en que eu guarecia? 
Por aquest’ era tod’, e non por al; 
mais ora ja nunca me serä mal 
por me partir d’ elas e m’ ir mia via. 


Ca sei de mi 
quanto sofri 
e encobri 
en esta terra de pesar. 
Como perdi 
e despendi, 
vivend’ aqui, 
meus dias, posso m’ en queixar. 


E cuidarei 
e pensarei 
quant’ aguardei 
o ben que nunca pud’ achar. 
Els]forcar-m’ ei 
e prenderei 
como guarrei 
eonselh’ agor’, a meu cuidar. 


Pesar 
d’ achar 
logar 
provar 
quer’ eu veer, se poderei. 
OÖ sen 
d’ alguen, 
ou ren 
de ben 
me valha, se o en mi ei! 


Valer 
poder, 
saber, 
dizer 
ben me possa, que eu d’ ir ei. 
D’ aver 
poder 
prazer 
prender 
poss’ eu, pois esto cobrarei. 





I. 19 digadeg. 21 teiras. 23 may. 28 teira. 36 (paich) pudachar. 
37 E. 38 forca rmei 39 guairei. ° 42 Pesar (da)- 43 (da) dachar. 


THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 499 


Assi querrei 
buscar 
viver 
outra vida que provarei, 
65 e meu descord’ acabarei. 


I. 
CB. 470 (— 362). 


Par Deus, senhor, 

en quant’ eu for 

de vos alongado, 

nunca en mayor 
9 coita d’ amor 

nen atan coitado 

foi eno mundo 

por sa senhor 

homen que fosse nado. 
10 Penado, penado! 


Se nulha ren 

sen vosso ben 

que tant’ ei desejado, 

que ja o sen 
15 perdi por ren, 

e viv’ atormentado 

sen vosso ben. 

De morrer en 

ced’, & mui guisado. 
20 Penado, penado! 


Ca log’ ali 
u vus eu vi, 
fui d’ amor aficado 
tan muit’ en mi 
25 que non dormi 
nen ouve gasalhado. 
E se m’ este mal 
durar assi 
2 eu nunca fosse nado, 
30 Penado, penado! 








I. 61 querei. 

I. 1 and 2 in one line; likewise 7 and 8. 8 poi. 14 oflem(p). 
18 Demoirer. 19 gulado. 21 Calogalhy. 27 and 28 in one line. 
29 nnnea. 


32* 


500 H. R. LANG, 


EIER 
CV. 963. 


Este cantar fez en son d’un descor[d], e feze-o a un infanzon 
de Castela que tragia leito dourado e era mui rico e guisava-se 
mal e era muit’ escasso. 


Quen’ 0j’ ouvesse 
guisad’ e podesse, 
un cantar fezesse 
a quen mi-ora eu sei, 

5 e Ihi dissesse: 

e pois pouco valvesse, 
non desse 
ren que non trouxesse, 
sei-t’ en cas d’ el rei. 


10 Ca pois onrado 
non € nen graado, 
döado 
faz leito dourado 
depos si trager, 

15 e ten poupado 
quant’ a, e negado. 
Pecado 
o trag’ engianado 
que Ih’ o faz fazer. 


20 Ca nunca el de seu 
aver deu ren, 
esto sei eu, 
que Ih’ esteuesse ben. 
Demo Ih’ o deu 

25 pois que lhi prol non ten; 
muito Ih’ & greu 
quando 1h’ o ped’ alguen. 


E mantenente 
perd’ o contenente 
30 verdadeiramente, 
e vai-s’ asconder; 
e faz-se doente, 
e vosso mal non sente, 
e fuj’ ant’ a gente 
35 po-la non veer. 





III. Rubrie dü sescor — dou(t)rado gilava. 
4 agmhora. 14 trag’. 17 pecado. 18 ot" gehganado. 22-3 esto 
sey eu be glhesteuesse ben. 26 muytolhe gu. 34 fuganta. 


vr 


- THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 501 


Ivy 
CV. 481. 


Per quant’ eu vejo, 
perco m& desejo, 
ei coita e pesar. 
Se and’ ou sejo, 

5 0 cor m’ est antejo, 
que me faz cuidar; 
ca pois franqueza, 
proeza 
venceu escasseza, 

10 non sei que pensar. 
Vej’ avoleza, 
maleza 
per sa soteleza 
o mundo tornar. 


15 Ja de verdade 
nen de lealdade 
non ouco falar, 
ca falsidade, 
mentira e maldade 

20 non lhis da[n] logar. 
Estas son nadas 
e criadas 
e aventuradas 
e queren reinar. 

95 As nossas fadas 
iradas 
foron chegadas 
por este fadar. 


Louvamiantes 
30 e prazenteantes 
an prez e poder. 
Enos logares 
u nobres falares 
soian dizer, 
35 vej’ alongados, 
deitados, 
do mund’ eixerdados, 
e van-se perder. 
Vej’ achegados, 





IV. 2 per zo. 5 mestä teio. 8 and 9 in one line. 11 ueianoleza. 
17 onzo. 23 en uenturadas. 29 Louva myätes. 30 pzeteates. 33 hu 
nobres || falares. 38 e aälle p. 





902 H. R. LANG, 


40 loados, 
de muitos amados 
os de mal dizer. 


Pela crerizia 
per que se soia 
45 todo ben reger, 
paz, cortezia, 
solaz que avia, 
fremoso poder, 
quand’ alegria 
50 vevia 
no mund’ e fazia 
muit’ a ’lguen prazer, 
foi-se sa via 
e dizia 
55 cada dia: 
ei de falecer. 


Dar que valia 
compria 
seu tempo, 
60 fogia 
por s’ ir asconder. 


| 2 
C. Baena II, p. 185. 


Este desir, commo ä manera de discor, fiso & ordenö el 
dicho fray Diego de Valencia & una duela que era su enamorada 
en Leon. 


En el viso 

ä& mi priso, 
con grant fuerca de amor, 
cuerpo lisso, 

5 muy enviso, 
que non vy tal nin mejor. 
Con grant dolor 
jay pecador! 
en pessar serä mi rysso, 

10 por ser mi cor 
su servidor 
de la que non quier nin quiso. 





IV. 41 demuytus || amadus. 47 auin. 49 quandalegua. 50 weuini. 
52 muytalgue jzer. 56 defalezer. 60 and 61 fogur pr [sir a. 


THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 503 


Cos natural, 

angelical, 

15 eriatura muy polida, 
gesto rreal, 
nunca vi tal, 
de todos bienes conplida, 
noblecida 

20 € guarnida 
de bondades sin egual; 
la mi vyda 
es perdida, 
sy su merged non me val. 


25 Tan syn pessar 
la fuy amar, 
6 amar& mientra bevir, 
que non ha par 
mi mal pasar, 

30 & passar& por bien servir. 
Puedo desir 
que sy(n) moryr 
que me non deve rrebtar 
en yo sofrir 

35 syn le fallyr 
por merged & bien cobrar. 


Cafır gentil, 
claro beril 
es la su Iynda fegura, 
40 una de mill, 
muy doneguil, 
excelente criatura; 
mucho pura, 
syn orrura, 
45 su color commo brasyl 
por natura, 
syn mesura, 
lynda ymagen de marfyl. 


vl. 
C. Baena II, 188. 
N . , . N » r 
N Este desiv, commo & manera de diseor, fiso & ordenö el 


dicho fray Diego de Valencia quexandose de la muerte © de sus 
dolores; el qual desir es muy bien fecho & bien ordenado & de 
sotil invencion, segunt 1a materia de que trata. 





904 


H. R. LANG, 


Dyme, Muerte, 
; porque fuerte 
es ä todos tu memorya? 
ca tu suerte 
fu& conuerte 
ä los que biven en gloria. 
Qitatoria 
& munitorya 
enbias que me conhuerte; 
dilatoria, 
perentoria 
ä mi puerta non apuerte. 


Tü desfases 
muchas fases 
que fueron fermosas caras; 
los rrapases 
de almofases 
con los sehores conparas; 
algasaras 
muy amaras 
contra muchos buenos fases; 
tus senaras 
cuestan caras 
al coger de los agrases. 


etc. 


VIL 
C. Baena LI, 101. 


Este desir fiso & ordenö el dicho Juan Alfonso de Baena, 


r 


commo ä manera de discor, contra el dicho Juan Garcia de 
Vinuessa, por quanto non le respondiö & su replicacion prostry- 
mera, nin tan poco el dicho Alfonso Alvares, & se fue de la 
corte; por lo qual ovo affear el dicho Juan Alfonso al dicho 


Juan Garcia. 


Muy alto rey digno, 
pues Villasandino 
tomö su camino 
e non diö respuesta, 
segunt que adevino, 
6 Juan, su sobrino 
quebrö su molino T 
e yaze de cuesta. = 


THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 505 


Magüer la promesa 
que fyso muy gruesa 
a fuer de Vynuensa, 
de darme batalla, 
presumo que cessa 
su lyd € revessa; 
pues veo ssu fuessa 
abierta syn falla. 


etc. 


Notes. 


I. 8. seus desejos = desejos d’ella. Cf. Trovas no. 115 (= CA. 291) 7. 
En qual coita me seus desejos dan. For this use of the possessive pronoun 
see Liederbuch p. 117—8, note to 1. 249. 

13—18. For the idea expressed in these lines ef. CB. 130 (CA. 384), by 
the same author. 

22. „It was all for this reason (i. e. on account of my not experieneing 
any pleasure etc.) and for no other reason.“ 

41—45. Accepting the text as received, the intended construction seems 
to be: I desire to see whether I shall be able to experience the grief of 
seeking another place. A reading which suggests itself here is pe[n]sar for 
pesar, making this infinitive dependent on guer’ eu; but even thus the passage 
would not be satisfactory. 


U. 10. „Wretched me!“ Cf. Trovas no. 124 (= CA. 283): Des i penado 
me ten; Trov. 125 (= CA. 284) penad’ irei d’ amor. 

11. For se (eontracted from see = sedet; cf. sejo — sedeo) see Zeitschr. 
f. rom. Philol. XIX, 522 and 531. 

26. gasalhado, here = help, comfort. Cf. CB. 20, 1.4—5 and CV. 230, 
l. 2—3. 


II. I am as yet unable to interpret this poem. 

5—8. The meaning of these lines is not clear to me. 

9. sei, if the correct reading, is imperat. 2. sg. (= sedi). See Cormu, 
Grundriss I, 800. 

16. negado, concealed. 


IV. 2. me condensation for meu. See Zeitschr. f. rom. Philol. XVI, 219 
and Liederbuch p. OXLVI. 

4. sejo here in the original sense of sedeo. 

3. „It sickens my heart.“ Antejo, for entejo dislike, disgust, as antre 
for entre. From Lat. in taedio, as Mrs. Vasconcellos states in the glossary 
of her edition of Sä de Miranda. Cf. CV. 1025: E que grand’ entejo | En 
toda molher a (= which causes disgust to every woman). See also Blutean’s 
Dictionary s. v.: Ter entejo a algum manjar. 

11. Avoleza, borrowed from the Provencal. 

12. maleza, malice, deception, oceurs in contemporary charters. See 
Elueid. s. v. 


906 LANG, THE DESCORT IN OLD PORTUGUESE AND SPANISH POETRY. 


29. louvamfantes, overpraising, flattering, partieiple of a verb *louva- 
miar formed from lowvamta, the older form of lowvaminha (see Cornu, Grundriss 
I, 753) of which Mrs. Vasconcellos, Sä de Miranda, s. v. says: Forma derivada 
de louwvar sob a influencia d’um latin hypothetico laudamen, laudamina. Üf. 
choraminhar. See also Bluteau, s. v. lowwaminha, gabo lisongeiro. 

30. prazenteantes, from prazentear to fawn, to flatter. Occurs frequently, 
as Trovas no. 208; CB. 197, 198, 208. : 

35. The object of vejo is understood to be something like this: Os que 
nobres falares soian dizer. Cf. for indefinite subject of soian Trovas 180 
(= CA.206) and d, p.300 = CA. 805). Possibly the original reading of 
32—8 was: E os jograres Que n. f. etc. 

48-53. The construction of this passage is not quite clear. As the text 
now reads, the nouns in 11. 46—8 seem to be the subject of 'foi-se sa via, 
but this and the following verb make as singulars much better predicates to 
alegria, and the whole passage would gain in clearness and force by the 
following reading: Grand’ alegria [Que]vevia etc. 

52. C£. Trovas 77 = CA. 10) 19 dirä ’Iguen; 88 (= CA.26) 24 ja ’Iguen; 
d, p. 800 (= CA. 305) 16 quen a 'migo leal. 


New Haven, H. R. Lang. 
Conn. 


Mundartliches aus Malmedy (Preussische Wallonie). 


Im Herbste des Jahres 1893 veröffentlichte ich als wissen- 
schaftliche Beilage zum Jahresberichte des Metzer Lyzeums eine 
Abhandlung unter dem Titel „Aus der Wallonie“. Die Ein- 
leitung derselben giebt neben Anderem nähere Auskunft über den 
Stand der wallonischen Mundart in Malmedy, und im Fortgange 
der Arbeit folgen Sprachproben verschiedenen Inhalts: Kleine 
Erzählungen, Sprichwörter und anderes, das die Volkskunde 
betrifft. Seit dem Erscheinen dieser Abhandlung ist mir dank 
der Liebenswürdigkeit der Familie Lebierre aus Malmedy, in 
welcher das Singen und Sagen herkömmlich ist, und der Ver- 
mittlung des ebenfalls dort wohnenden wallonischen Dichters 
G. Bodet reiches Material zugeflossen. Aus diesem Material habe 
ich das, was mir das Interessanteste schien, ausgewählt und biete 
es, eine dooıg OAıym Te Yılm TE, meinem hochverehrten Lehrer 
zu seinem Ehrentage dar. Diese Zusammenstellung gewährt dem 
Forscher einen Blick in das Gefühlsleben des in jeder Beziehung 
interessanten wallonischen Völkchens, und die Hinzufügung der 
Melodie bei einigen Liedern dürfte den Wert des Dargebotenen 
noch erhöhen. Bis auf einige Lieder, deren Verfasser angegeben 
werden, sind es echte Volkslieder, die zum Abdruck gebracht 
werden. Die Melodie derselben ist einfach und eher eintönig, 
wie bei den meisten derartigen romanischen Gesängen und nicht 
zu vergleichen mit der ähnlicher deutschen Lieder. Die Worte 
sind zwar schlicht, haben aber dafür echt volkstümliches Ge- 
präge und entsprechen der Anspruchslosigkeit früherer Zeiten. 
Heute haben die in Malmedy gesungenen Lieder in ihrer Melodie 


908 


L. ZELIQZON, 


und in ihren Worten die alte Schlichtheit und Einfachheit ver- 
loren, sie sind neueren französischen Erzeugnissen nachgebildet 
und entbehren der früheren Unmittelbarkeit. 


Die Schriftzeichen sind die bekannten; über einzelne Nüancen 


vgl. „Aus der Wallonie“ 8. 8. 


Um die Mitte des 6. Jahrhunderts hat der Sage nach der 
später heilig gesprochene Bischof Remaclius die Klöster Malmedy 


und Stavelot gegründet. 
folgende hübsche Sage. 


Ledyät’ dv S&E R’'mäk’ 
e do 1&. 

S& R’mäk’, aprez av@r, avu l’per- 
misiö dq rwa Sizber, föde, Tä si 
se kwarät’ öt, lv mustir’ dv Mämdi, 
k’est@ dedya adon, kam’ il e kg 
v, q dyoses’ dv Kolgü’, dvvef’ pok’ 


apre evek’ dv Mastrek-Lity’ e desida | 


dv föde qsv Ö mustir dvvey sv 


pröp’ dyoses’. I kwita dök lv mustir’ 


dv Mämdi, pasa ö p’ti rv, lv Sal’, ki | 


formef’ adony, kom’ s’e ko po I’ dyür 
d’v lv ka, lv limit’ &t’ le dieses’ dv 
Koloü’ e dv Lity’ e ayä trove on 
ädrwa köv’näp’, si föda 6 d&zim’ 
mustir'. 


S& R’'mäk’ k’ömef’ denne ö kö d’mey | 


a sez qvri, alef’ az alätür kweri de 
pir’ pq le födmey. Me 6 be dyür, 
vonla l’ovrety’ a stok. Fät’ dv pir', 
se R’mak’ sv k’mägrief’ e d’mädef’ 
ä bö Dyv dv li vini de moy enn’ 
et. 
äty’ li apare de I’ mvt, tE dv 8 
di 


Afen se priir’ furi egzöse. On 


somey e li dv rote dvve lv 


levaz e kv, m @r po dla lv 
mustirr dv Mämdi, i truvr®@ su ki 


kwir’. 


Sest® l’& si se sekwät. | 





Se R'mäk’ n’e vu nen Or | 


Auf diese Gründung bezieht sich die 


Legende de St. Remacle 
et du loup. 


St. Remacle, apres avoir, avec la 
permission du roi Sigebert, fonde, l’an 
six cent quarante-huit, le monastere 
de Malmedy, qui etait deja alors, 
comme il est encore aujourd’hui, au 
diocese de Cologne, devint peu apres 
eveque de Maästricht-Liege et decida 
de fonder aussi un monastere dans 
son propre diocese. Il quitta donc le 
monastere de Malmedy, passa une 
petite riviere, la Challe, qui formait 
alors, comme c’est encore pour le jour 
d’aujourd’hui le cas, la limite entre 
les dioceses de Cologne et de Liege et, 
ayant trouve un endroit convenable, 
y fonda un deuxieme monastere. C’etait 
l’an six cent cinquante. St. Remacle, 
qui aimait donner un coup de main & 
ses ouvriers, allait aux alentours cher- 
cher des pierres pour les fondements. 
Mais un beau jour, voila l’ouyrage 
arrete. Faute de pierres, St. Remacle 
se chagrinait et demandait au bon 
Dieu de lui venir du moins en aide. 
Enfin ses prieres furent exaucees. Un 
ange lui apparait [de] la nuit, (au) 
temps de son sommeil et lui dit de 
marcher [de]vers le levant et que, une 
heüre par delä le monastere de Mal- 
medy, il trouverait ce qu’il cherche. 
St. Remacle n’en veut pas entendre 


BIETET 


MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 509 


pvs. Lv ledenmen, al’ piket’ dg dyür, 
il attel’ sv bäade ki li syervef’ pm 


träsporte le pir’, e volla sv dirize ve | 


l’ koste ku Fäty’ li avef’ edikT- Aprez 
avaer rote tr&z a kwatr’ar, il arif 


en ö käton dezer, ta kgvri dv breyir’ 


e d’dyvnes’ e wiskv dyiey amoyeä& 
“hope de pir’ dv tot’ groher. S’est®@ 


l’afer’ dv SE R’mäak’. A pvz abey’, il 
&pliy le hat’ dv z’bäde, e sula fe, i 
r’prede to ds, avu le "halkgte, a küs’ 
lv voy’ ve d’wis K'il esti vini. Lv 
ledenmey e le dyür svvay, lv mem’ 
ren’ ruk'mösa e, gräs’ a se korve, le 
mur dg ngv& mustIr’ kreht tepes’. OÖ 
be dyür, ki v’zev’ on’ grät’ tyoler, 
s&ö R’'mäk’ arive, tot’ en qn’ &w’, a 
s’perir’ e sv s&tay fwar n& hi, s’astapel’ 


dvzg ö vI tyen’ pg fe qn’ ptit’ soket’ | 
e s’rv'hape, sg I’ tey kv I’ bade wedr@ 
az alötür. A pon’ Se R’mäk’ est@-t-i | 


edwarmi, K’ö 1® asöt’ fü d’an’ supez), 
plok’ so I’ bade e lv ströl’ d’ö ko d’ 
den. Dvspyerte par le kri dv z’ bäde, 
i dar, d’o ple so, so Vl®, pesay 


li pl&r ruh@r lv pof' grizon, me 
trg tar, lv bäde avef’ dedya few 


bay’ do I’poy’ e n’est®@ pv K’O kadaf”. 
S& R’mäk’ plät’ la stamvs, sv d’ lär- 
mötan e tüzay a su Kl alef fe, 
ka i n’a pv z’ bäde pe li pwarte 
le “halkgte d’ pi’. Dvven s’ dvspi, 
i tap’ lez ö a ho, tg dyödan le men, 

ab 


e s’adres’ ö Dyv: e v sı li vey 


eko n’ fi en’ &t. Tg reskaredyT 


par l’öspiräsyoy ki adhey dv la hö, 





plus. Le lendemain, au point du jour, 
il attelle son baudet qui lui servait 
pour transporter les pierres, et le voilä 
se diriger vers le cöte que lange lui 
avait indigue. Apres avoir marche trois 
ou quatre heures, il arrive dans un 
canton desert, tout couvert de bruyeres 
et de genäts et olı gisaient en masse!) 
des pierres de toute grosseur. C’etait 
l’affaire de St. Remacle. Au plus vite,?) 
il emplit les hottes du baudet, et, cela 
fait, ils reprennent tous deux, avec 
leur fardeau, ä& la course?) le chemin 
d’oü ils etaient venus. Le lendemain 
et les jours suivants, Ja m&me course 
recommence, et, gräce ä sa corv&e, les 
murs du nouveau monastere croissaient 
vite. Un beau jour qw'il faisait une 
grande chaleur, St. Remacle arrive, 
tout en (une) eau, ä sa pierriere et se 
sentant fort fatigue, se jette [des]sous 
un vieux chene pour faire un petit 
somme et se r&chapper,*) sur le temps) 
que le baudet paitrait aux alentours. 
A peine St. Remacle etait-il endormi, 
quwun loup saute hors d’un fourre, se 
precipite sur le baudet et l’&trangle 
d’un coup de dents. Reveill& par les 
cris de son baudet, il s’elance, d’un 
plein saut, sur le loup, pensant lui 
pouvoir arracher le pauyre grison, mais 
trop tard, le baudet avait dejä fait le 
bäillement de la poule®) et n’etait plus 
quun cadayre. St. Remacle plante 
lä, bouche beante, se larmoyant et 
reflöchissant & ce qwil allait faire, car 
il n’a plus son baudet pour lui porter 
les fardeaux de pierres. Pendant son 
döpit, il löve les yeux en haut, tout 
en joignant les mains, et s’adresse au 
bon Dieu: et le ciel lui vient encore 
une fois en aide. Tout encourage par 
l’inspiration qui descend de lä-haut, 


1) wörtlich „en mont“; das folgende Wort ‘hope hängt mit dem deutschen 


Haufen zusammen. 
3) en toute häte. 


4) = erholen. 


2) eigentlich „habile“. 
5) — pendant. 


6) sprichwörtliche Redensart — das Gähnen des Huhns für „sterben“. 


510 


S& R'mäk’ nv fe ni on’ ni das, i 
där’ so ll®@, Yapun’ po l’”hatre e 


li tap’ le d& hot’ da bade so 1’do. | 


Lv 18, 
!’ g&y’, e dvvni si dümyes’ k’on 


ki torat’ avef lv sam’ a 


an@ e Juk’ tot’ esbare sv sen Epli hay 
Le hat’ 
s’waroke e, 


träkilmey le hat’ dv kawye. 


plen’, Se R’mäk’ prey 


s’enne syervay kam’ d’vn’ sukordyir, | 


krı a l&: „Hot’, 1@!“ e » 1& sv me 
a rote tg pähvlmey a koste dv s’tyeron. 
Arive dvvay 1’ nov& koven, Se R’mäk’ 
raköt’ l’afer’ a sez ovri k’esti tot 
ö tel 


le hot’ furi dvherdyI, S& R’mäk’ 


ewere d’ör’ miräk. Kwaz 


mina lv l® ve lv stäf’ dö bäde, e, | 


drovä P’uy’, li d’ha: „OQO stav’, la!“ 
e lv I® musa 9 stäl’, e, kam’ ö motor, 
sv küka so lv styermey. Lv ledenmen, 
a l’pöt’ do dyür, Sö R’mäk’ re herni‘ha 
lv 1& e fi, avu lv, lv mem’ korve kv 
I’ dyu dv d’van, e sula kötinva le 
dyür svvay, tä kv 1’ mustir’ fu fini. 
Adon S& R’mäk’ retyesa lv 1@ dv wis 
k’i v’nef’, tg li d“hay: „O bwa, 1®!“ 
e lv 1® dvspareta. E s’e mutwa sis’ 
ledyät’ vosi k’a dune a se präs’-abe 
dq I’ viy Prösipöte dv Stävl&-Mämdi 
lide dv fe figure dvven lV’ekvson dv 
Stävl&: „O 1& pwartay d& hot’ röpli 
d’ pir“. 





L. ZELIQZON, 


St. Remacle n’en fait ni un ni deux, 
il court sur le loup, l’empoigne par la 
nuque et lui met les deux hottes du 
bandet sur le dos. Le loup, qui au- 
paravant avait l’&cume ä la gueule, est 
devenu si doux quun agneau et re- 
garde tout &tonne son Saint remplissant 
tranquillement la hotte de cailloux. 
La hotte pleine, St. Remacle prend 
son bäton et, s’en servant comme d’un 
fouet, erie au loup: „Hotte, loup“!) 
et le loup se met & marcher tout 
paisiblement ä cöt& de son charretier. 
Arrive devant le nouyeau couyent, 
St. Remacle raconte l’affaire & ses 
ouvriers qui &taient tout &tonnes d’en- 
tendre un tel miracle. Quand les hottes 
furent döchargees, St. Remacle mena 
le loup vers l’ecurie du baudet, et, 
ouyrant la porte, lui dit: „A l’etable, 
loup!“?) et le loup entra dans l’etable, 
et, comme un mouton, se coucha sur 
la litiere. Le lendemain, au point du 
jour, St. Remacle reharnacha le loup 
et fit, avec lui, la m&me corv6e que le 
jour de devant, et cela continua les 
jours suivants, tant que le monastere 
fut fini. Alors St. Remacle rechassa 
le loup d’oü [qw/il venait, tout (en) 
lui disant: „Au bois, loup!“ et le loup 
disparut. Et c’est peut-etre cette 
legende-ci qui a donn& aux princes- 
abbes de la vieille Prineipaute de 
Stavelot-Malmedy l’idee de faire fi- 
gurer dans l’&cusson de Stavelot: „Un 
loup portant deux hottes remplies de 
pierres“. 


1) „Hotl@“ Name, den heute noch eine grosse Heide im Osten von 
Malmedy führt und zwischen dieser Stadt und dem Flecken Weismes liegt. 


Hat’ = links. 


2) „Stavl@“ wallonischer Name, den noch heute Stavelot, die auf 
belgischem Gebiete liegende Schwesterstadt von Malmedy, führt. 


MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 511 





Volkslieder. 


Siehe Anhang, Seite 525, Melodie Nr. 1. 


Lv mox”. 


. Vonsi vvni l’aren’ 
sc 
Pq v’ni hape lv may’; 


L’areü’ lv may’, lv may’ V’aren’. 


Refrain: Pöf’ moy’, kv n’tv 


savef’ tv! bis. 


. Vonsi voni l’balu 
Po v’ni “hape l’aren’; 
L’ balu l’areü’, 


L’areü’ lv may’. Refrain. 


. Vonsi vvni lv pay’ 
Pa v’ni hape l’balu; 
L’ poy’ lv balu, 

L’ balu l’aren’, 


L’aren’ lv may’. Refrain. 


. Vonsi voni !’veh® 
Pa v’ni 'hape lv pay’; 
L’ veh® lv poy', 

L’ poy’ lv balu, 

L’ balu l’aren’, 


L’areü’ lv may’. Refrain. 


Vonsi voni lv r’när 
Pq v’ni 'hape l’ veh@®; 
Lv r'när l’veh«, 

L’ veh® lv pay’, 

L’ pgy’ lv balu, 

L’ balu l’areni’, 


L’areü’ lv may’. Refrain. 


. Vonsi vvni lv 1® 

Po v’ni “hape lv r’när; 
Lv 1& lv rinär, 

Lv r'när l’ veh®, 

L’ veh®& lv pay’, 

L’ pay’ lv balu, 

L’ balu l’aren’, 


L’aren’ lv moy’. Refrain. 
q ”% 





La mouche. 


. Voiei venir l’araignee 


Pour venir attraper la mouche; 
L’araignee la mouche, la mouche 
[l’araignee. 
Refrain: Pauyre mouche, que 
ne te sauyais-tu! 


Voiei venir le hanneton 

Pour venir attraper l’araignee, 
Le hanneton l’araignee, 
L’araignee la mouche. 


. Voiei venir la poule 


Pour venir attraper le hanneton; 
La poule le hanneton, 

Le hanneton l’araignee, 
L’araignee la mouche. 


. Voiei venir le putois 


Pour venir attraper la poule; 
Le putois la poule, 

La poule le hanneton, 

Le hanneton l’araignee, 
L’araignde la mouche. 


Voici venir le renard 

Pour venir attraper le putois; 
Le renard le putois, 

Le putois la poule, 

La poule le hanneton, 

Le hanneton l’araignee, 
L’araignde la mouche. 


. Voiei venir le loup 


Pour venir attraper le renard; 
Le loup le renard, 

Le renard le putois, 

Le putois la poule, 

La poule le hanneton, 

Le hanneton l’araignee, 
L’araignee la mouche, 


512 L. ZELIQZON, 


7. Vonsi voni l'tyes@r 
Po v’ni tue lv 1&; 
L’tyes@r lv 1&, 
Lv 1& lv r’när, 
Lv r'när l’vehe, 
L’veh® lv poy’, 
L’poy’ lv balu, 
L’balu l’aren’, 
L’aren’ lv may’. Refrain. 


8. Vonsi voni l’fisik 
Po v’ni edi l’tyes@r; 
L’fisik l'tyeser, 
L’tyes@r lv 1, 

Lv 1& lv r’nar, 
Lv r'när !’vehe, 
L’veh®& lv pgy', 
L’poy’ lv balu, 
L’balu l’areü, 
L’areü’ lv may’. 


Pöf’ mgqz’, kv n’tv sävef’ tv! bis. 





7. Voiei venir le chasseur 


Pour venir tuer le loup; 
Le chasseur le loup, 

Le loup le renard, 

Le renard le putois, 

Le putois la poule, 

La poule le hanneton, 
Le hanneton l’araignee, 
L’araign&e la mouche. 


. Voiei venir le fusil 


Pour venir aider le chasseur; 

Le fusil le chasseur, . 

Le chasseur le loup, 

Le loup le renard, 

Le renard le putois, 

Le putois la poule, 

La poule le hanneton, 

Le hanneton l’araignee, 

L’araignee la mouche. 

Pauvre mouche, que ne te sauvais- 
tu! 


Siehe Anhang, Seite 525, Melodie Nr. 2. 


Lv pyu. 
1. Mv mer’ m’evöy’ a lew',| „. 
Avu ö nü badu; J bis. 
Dyv m’gret’ podrI l’orey', 
Sv trovaty’ Ö gro pyu. 
Tvrlvrö Bablen’, | 
Torlvrö Bablu. f 


2. Dyv m’gret’ padrT l’orey’, \ Di 
Sv trovaty’ ö gro pyu; J .: 
Dyv I'pri &t’ me d&z ök’, 

Dyv li spata s’grq ku. Refrain. 


3. Dyv l’pri Et’ me daz ök’,\ „. 
Dyv li spata s’gro ku; J bis. 
S’avef’ qn’ tel’ d’vetrey’ 

Kv dy’ fi le trip’ avu. Refrain. 


Refrain bis. 


I 





Le pou.!) 


1. Ma mere m’envoie ä l’eau(fontaine) 


Avec une neuve cruche; 

Je me gratte derriere l’oreille, 

Ce trouvai-je un gros pou. 
Turluron Bablenne, 
Turluron Bablou. 


. Je me gratte derriere l’oreille, 


Ce trouvai-je un gros pou; 
Je le pris entre mes deux ongles, 
Je lui ecrasai son gros c... 


. Je le pris entre mes deux ongles, 


Je lui Ecrasai son gTos cC..;. 
Q’avait de telles entrailles 
Que je fis les tripes avec. 


!) In der preussischen Wallonie heisst die Form „pv“, die Heimat dieses 
Liedes dürfte deshalb in Belgien gesucht werden, obwohl es in Malmedy 


gesungen wurde und noch gesungen wird. 


10. 


ak 


12. 


13. 


MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 


S’avef’ qn’ tel’ d’vetrey’] .. 4. 


Kv dy’ fi le trip’ avu; = 


Dy’evita me vwazen’ 
A ze trip’ dv m’gro pyu. Refrain. 


D’yevita me vwazen’ | D. 


A trip’ dv m’erg pyu;j Bis. 


S’avef’ de brok’ a l!’ga&y’ 
Kg pe k'ö 1&@ weru. Refrain. 





S’avef’ de brok’ a l’gaey’\ 6. 


Kg pe k’ö 1&@ weru; J 38. 








S’avef’ on’ si gros’ tyes’ 

K’ö s’ewera avu. Refrain. | 
S’avef’ qn’ si gras’ tyes’\ vi 1: 
K’ö s’ewera avu; re 

S’avef’ on’ si grät’ pe 

Kv dy’ fim’ kutyäs’ avu. Refrain. 
S’avef’ qn’ si grät’ pe | Bi 8. 
Kv dy’ fi m'kutyas’ avu; | °°%* 

Sv m’demona de krv 

Po met’ de pez ä ku. Refrain. 

Sv m’dumona de krv \ vi 9. 
Po met’ de pez ä ku; °°* 

Dyv r'sey podri m’grey’ 

Wis kv ty"hapa m’grg pyu. Refr. 
Dyv r'sey podrI m’grey’ | pie. ! 10. 
Wis kv ty*hapa m’gro pyu;| 9° 

Dyv r'seta ko on ü 

Kv m’pyu avef’ ponu. Refrain. 

Dyv r'seta ko on ü \ Bi 11. 
Kv m’pyu avef’ ponu;| °°% 

I pezef’ sek kwatron, 

On’ dvme lüt avu. Kefrain. 

I pezef’ sek kwatron,\ bis 12. 
On’ duvme lüt avu; | = 

Dyv l’frikasa Q I’pel’ 

E dy’fi le vöt’ avu. Refrain. 

Dyv I'frikasa q I’pel’\ 13. 


E dy’ fi le vöt’ avu;J bis. 


Dyv vz’evit’ don tortq 

A ze vöt' dv m’gro pyu. 
Torlvrö bablen’ 
Torlvrö bablu. 


Festgabe für Gustav Gröber. 


Q’avait de telles entrailles 
Que je fis des tripes avec; 
J’invitai mes voisines 

Aux tripes de mon gros pou. 


J’invitai mes voisines 

Aux tripes de mon gros pou; 
Q’avait des crocs & la gueule 
Encore pire qu’un loup-garou. 


Q’avait des crocs & la gueule 
Encore pire qu’un loup-garou; 
Q’avait une si grosse tete 
Qu’on s’en effraya [avec]. 


Q’avait une si grosse tete 
Qu’on s’en effraya avec; 
Q’avait une si grande peau 
Que je fis ma culotte avec. 


Q’avait une si grande peau 

Que je fis ma eulotte avec; 

Ce (il) m’(en) demeura des restes 
Pour mettre des pieces au ce... 


Ce (il) m’(en) demeura des restes 
Pour mettre des pieces au e..; 
Je ressens derriere mon oreille 
Oü [que] j’attrapai mon gros pou. 


Je ressens derriere mon oreille 
Oü [que] j’attrapai mon gros pou; 
Je ressentis encore un @uf 

Que mon pou avait pondu. 


Je ressentis encore un @uf 
Que mon pou avait pondu; 
Il pesait cing quarterons, 

Une demi-louth (once) avec. 


Il pesait einq quarterons, 

Une demi-louth (once) avec; 
Je le fricassai dans la poele 
Et je fis les omelettes avee. 


Je le fricassai dans la po&le 

Et je fis les omelettes avec; 

Je vous invite done tous 

Aux omelettes de mon gros pou. 
Turluron Bablenne 
Turluron Bablu. 


33 


r 


eo) 


[I 


[bj 


Malmedysche Ausdruck dafür ist „trez’“. 


14 


L. ZELIQZON, 


Siehe Anhang, Seite 526, Melodie Nr. 3. 


Krämißoy do bö vi tey 


pase. 


Pirö n’vu nen däse, 
Sin’a de nü sole; 
De sole tg ron, 

Po fe däse Piron. 


Piro n’vu nen däse, 
S’ n’a de nüve tyäset; 
De tyäset’ tote vet’ 

E de sole to rö, 

Po fe däse Pirö. 


Pirö n’vu ner däse, 
Si n’a ö nü kutyäs’; 
Ö kutyas’ fe a 1’'has’, 
De loy& kramwazen, 
De tyäset’ tote vet’ 
E de sole to ron, 

Po fe däse Pirö. 


Pirö n’vu nen däse, 
Si n’a on’ nüf’ tyvmI7’; 
On’ tyvmiz kom’ on’ tIy, 


Ö kutyas’ fe a l’‘has); 
De loyen kramwazen, 
De tyäset’ tote vet’ 
E de sole to ro, 

Po fe däse PIroz. 


Pirö n’vu nen däse, 

Si n’a ö nü dyıle; 

OÖ dyile d’on’ p& d’tye, 
On’ tyumız’ kam’ on’ tIZ, 
Ö kutyäs’ fe a l’'has', 





Crämignon!) du bon vieux 


temps passe. 


Pierre ne veut pas danser, 
S’il n’a de neufs souliers; 
Des souliers tout ronds, 
Pour faire danser Pierre. 


Pierre ne veut pas danser, 
Sl n’a de neuves chaussettes, 
Des chaussettes toutes vertes 
Et des souliers tout ronds, 
Pour faire danser Pierre. 


Pierre ne veut pas danser, 
S’il n’a une neuve culotte; 
Une culotte faite & la häte, 
Des jarretieres cramoisies, 
Des chaussettes toutes vertes 
Et des souliers tout ronds, 
Pour faire danser Pierre. 


Pierre ne veut pas danser, 

S’il n’a une neuve chemise; 

Une chemise comme une grosse 
[paysanne, 

Une eulotte faite & la häte, 

Des jarretieres cramoisies, 

Des chaussettes toutes vertes 

Et des souliers tout ronds 

Pour faire danser Pierre. 


Pierre ne veut pas danser, 

S’il n’a un neuf gilet, 

Un gilet d’une peau de chat, 

Une chemise comme une paysanne, 
Une culotte faite ä la häte, 


!) Das Wort „krämiioy“ ist lütticher Herkunft, aber der Ausdruck 
und der Gegenstand sind in Malmedy stets in Gebrauch gewesen. Der echt 


Der Reihentanz, den die Kinder 


zu Johanni aufführen, heisst „le trez’ del’ S&@ Dyeny“; „mine le trez’“ — den 


Reihentanz anführen. 


Dafür ist in Malmedy auch gebräuchlich „fe“ oder 


„mine l’kawe“, vgl. dazu „Aus der Wallonie“ 8. 26. 


MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 515 


De loyen kramwazen, 
De tyaset’ tote vet’ 
E de sole to ron, 

Po fe däse Piron. 


. Pirö n’vu ne däse, 
S’in’a ö nü abi; 

On abi groz e gri, 

OÖ dyile d’on’ p& d’tye, 
On’ tyvmiz’ kom’ an’ t1y, 
Ö kutyas’ fe a 1’'has’, 

De loyen kramwazen, 

De tyäset’ tote vet’ 

E de sole tq ron, 

Po fe däse Piron. 


. Pirö n’vu nen däse, 

S’i n’a on’ nüf’ krawat; 
On’ krawat’ sg l’verdät, 
On abi groz e gri, 

Ö dyile d’an’ pe d’tye, 
On’ tyvmiz' kam’ an’ tiy, 
Ö kutyäs’ fe a 1’‘häs’, 
De loyen kramwazen, 
De tyäset’ tote vet’ 

E de sole to ron, 

Po fe däse Piron. 


. PIrö n’vu nen däse, 

Si n’a 6 nü tyape; 

Ö tyap& d’qn’ pe d’vg, 
On’ krawat’ so I’verdät’, 
Ön abi graz e gri, 

Ö dyile d’qn’ p& d’tye, 
On’ tyvmiz’ kom’ an’ tiy', 
Ö kutyäs’ fe a ‘has’, 
De loyen kramwazen, 
De tyäset’ tote vet’ 

E de sole to ron, 

Po fe däse Piron. 








Des jarretieres eramoisies, 
Des chaussettes toutes vertes 
Et des souliers tout ronds, 
Pour faire danser Pierre. 


. Pierre ne veut pas danser, 


S’il n’a un neuf habit; 

Un habit gros et gris, 

Un gilet d’une peau de chat, 

Une chemise comme une paysanne, 
Une culotte faite ä la häte, 

Des jarretieres cramoisies, 

Des chaussettes toutes vertes 

Et des souliers tout ronds, 

Pour faire danser Pierre. 


. Piron ne veut pas danser, 


S’il n’a une neuve cravate; 

Une cravate [sur le] verdätre, 

Un habit gros et gris, 

Un gilet d’une peau de chat, 

Une chemise comme une paysanne, 
Une culotte faite & la häte, 

Des jarretieres ceramoisies, 

Des chaussettes toutes vertes 

Et des souliers tout ronds, 

Pour faire danser Pierre. 


. Pierre ne veut pas danser, 


S’il n’a un neuf chapeau; 

Un chapeau d’une peau de veau, 
Une cravate [sur le] verdätre, 
Un habit gros et gris, 

Un gilet d’une peau de chat, 
Une chemise comme une paysanne, 
Une eulotte faite ä la häte, 

Des jarretieres eramoisies, 

Des chaussettes toutes vertes 

Et des souliers tout ronds, 

Pour faire danser Pierre. 


Die erste Strophe singt einer ganz allein, ebenso das Neue in jeder neuen 
Strophe. Als Refrain dient die Wiederholung aus den früheren Strophen. 


33* 


1. 


DD 


16 


L. ZELIQZON, 


Volkslied ohne Titel. 


On’ dyön’ fey’ ki s’marey’, 
El’ pyer sv liberte, 

Lv pöf’ abädone 

Nv se su k’el’ va fe. 

Si li ven Ö r’peti, 

Kwä l’sere e manety’, 
Sere todi l’arety”. 


Refrain. 
Vif’ le kräminon, le dyoy®& p&son, 


Po tyäte le bete, 
Vif’ le kräminon, le dyoy® pe&son, 


Po tyäte, todi s’amvze. 


A d’bü de l’prı mir’ äne, 

Si li ven ö p’ti f1, 

Lv pöf’ abädene nv poöre pv 
[dwarmi. 

Vonla l’efay ki kr, 

Färe potyI so p1, 


Adon todi bersT. Refrain. 


El’ s’e va ä vwazen, 
L’efay li fe sg 1’‘ho, 
El rvvey tote tyagren’. 
Su om’ sv fe-t-i 0, 

I r'vere a dgz @r’, 
Färe l’bute o Ie, 


Todi li d’ne a ber’. Refrain. 


Kwä dy’est@ 
I n’avef’ rey d’si du K’lv, 

Me dıspo kv dy’ sa s’fem’, 

A s’t@r’ i n’mv luk’ pv. 

L’est@ si biname, 

S’est& todi „mö k@r“, 

A s’tar’ i m’lJum’ Marey’. Refrain. 


ko dyon’ fey’, 








1. Une jeune fille qui se marie, 


Elle perd sa liberte, 

La pauvre abandonnee 

Ne sait ce qu’elle va faire. 

Si (il) lui vient un repentir, 
Quand elle sera en mönage, 
(Ce) sera toujours l’orage. 


Refrain. 
Vivent les eramignons, les joyeux 
[pinsons, 
Pour chanter les beautes, 
Vivent les cramignons, les joyeux 
[pinsons, 
Pour chanter, toujours s’amuser. 


Au |de] bout de la premiere annee, 

Si (il) lui vient un petit fils, 

La pauvre abandonnee ne pourra 
[plus dormir. 

Voilä l’enfant qui crie, 

Faudra sauter sur pied, 

Alors toujours bercer. 


Elle s’en va chez le voisin, 
L’enfant lui fait sur le giron, 
Elle revient toute chagrine. 
Son homme se fait-il soül, 

Il reviendra & douze heures, 
Faudra le pousser au lit, 
Toujours lui donner & boire. 


Quand j’etais encore-jeune fille, 
Il n’(y) avait rien de si doux que lui, 
Mais depuis que je suis sa femme, 
A cette heure il ne me regarde plus. 
Il etait si bien-aime, 

O’&tait toujours „mon coeur“, 

A cette heure il me nomme Marie. 


MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 587 


Par lv vi profes’ Lebierre. 


1. In’e ka Kle vije tyäson 
bis. 
K’ö tarlatef’ dq ter pase, 
O le tarlatef’ sen fason, | 
“Hütg ben sis ku nq v’zalan, bis. 
[tyäte.| 
3. A möt’ p’avar bon a vik1, 
bis. 
Fä käzi n’fe k’ö mem’ manety’; 
S’e to z’veyan tortg voltT 
K’ö se mötni ’mustir emej 0 
I’vyety' 


3. Kel’ grät’ dyöy’ n’es’ nen pq n'sakT, 
bis. 


Kwä k’ö pu fe ö p’ti plezir, 
E kv voz af’ rasaziyl \ 
OÖ mälvr® d’on’ bon’ pate, bis. 

(d’kröpır) 


4. Vikan dök tqz e bräv’ vwazen, 
bis. 
Redä ng syervis’ la k’ng l’plan, 
Amvzä nq ingsämen, bis 
Amözä ng kqm’ de höz efay.| 








Par le vieux professeur 
Lebierre.!) 
Air de la chasse du jeune Henry 
(Mehul). 


1. I n’(y) a encore que les vieilles 
[ehansons 


Qu’on fredonnait du temps passe, 

On les fredonnait sans facon, 

Ecoutez bien celle que nous vous 
[allons chanter. 


2. Au monde pour avoir bon & vivre, 


(ID) faut quasi ne faire qu’un meme 
[menage; 

C'est [tout] (en) se voyant tous 
[volontiers 

Qu’on sait maintenir l’eglise au 

[milieu du village. 


3. Quelle grande joie n’est-ce pas 
[pour quelqu’un, 
Quand [quJon peut faire un petit 
[plaisir, 
Et que vous avez rassasie 
Un malheureux d’une bonne potee 
|de pommes de terre. 


4. Vivons done tous en braves voisins, 


Rendons-nous service [la] (tant) 
[que nous pouvons, 
Amusons-nous innocemment, 
Amusons-nous comme de bons 
[enfants. 


Siehe Anhang, Seite 527, Melodie Nr. 4. 


Er dog ten de krinolim. 


1. Es’ vgs’ kat’, mamzel’, sula? 


K& balon, k& balon! 


ı) Vgl. „Aus der Wallonie“ 8. 16. 


Air du temps des crinolines. 
1. Est-ce votre robe, mademoiselle, 
[eela? 
Quel balon, quel balon! 


518 D; 


Es’ vqs’ kat’, mamzel', sula? 
K& balon k’v voz af’ la! 

23. I ffär& p’ale avu 
OÖ bvrnu, ö bermu! 


I £far& bey ö bvrmu 
Avu de flotyet’ ä kü! 


ZELIQZON, 


Est-ce votre robe, mademoiselle, 
[eela? 
Quel balon que vous avez lä!! 


| Il vous faudrait pour aller avec 
| Un burnous, un burnous! 

| Il vous faudrait bien un burnous 
| Avec des floches!) au e..! 


Siehe Anhang, Seite 527, Melodie Nr. 5. 


Pastorale. 
Kuhhirten rufen sich von einem Berge zum andern, von einer Weide zur 
andern zu: 
a) 1. Hirt: Lörilalöy’! | a) Lörilalöy’ ! 


A kwin’ @r' enne r'vas avu te 
[vaty’? 
Lörilaloy’! 
2. Hirt: A l’@r’ do l’petrot', 
Si ki n’pu vese k’i trgt'! 
Lörilalöy’!! 
b) Raydaday’, wis sony ng vaty’? 
Raydaday’, 0 pre sävaty”. 
Raydaday’, k’es’ ki le wät’? 
Raydaday’, s’e nqs’ syervät. 
Raydaday’, kv fe-t-el’ la? 
Raydaday', el’ k& ö dra. 
Raydaday’, pa kwe e-s’ fe? 
Raydaday’, pq sofle s’ne. 


A quelle heure (t’) en revas-tu 
[avec tes vaches? 
Lörilalöy’! 
A l’heure de 1?) 
Celui qui ne peut lächer un vent, 
quw'il läche un pet! 
Lörilaloy’! 
b) Raydaday’, oü sont nos vaches? 
Raydaday’, au pre sauvage. 
Raydaday’, qu’est-ce qui les garde? 
Raydaday’, c’est notre servante. 
Raydaday’, que fait-elle lä? 
Raydaday’, elle coud un drap. 
| Raydaday’, pour quoi est-ce faire? 
| Raydaddy’, pour souffler son nez. 





Siehe Anhang, Seite 528, Melodie Nr. 6. 
Ronde. 


1. A marty1, on ven de galan, bis. 
Dy’ä atte ök’ pg d&z edan. 


Refrain: Bö, bö, bö p’ti bone, | 


Bö, bö, bö p’ti bone, 
P’ti bone, 
Bö, bö, bö p’ti bone to rö. 





ı) Quasten, Troddeln. 


2) Unverständliches Wort, welches des Reinfes 


gebildet ist. 


1. Au marche, on vend des galants, 
J’(en) ai achet& un pour deux liards. 
Bon, bon, bon petit bonnet, 
Bon, bon, bon petit bonnet, 
Petit bonnet, 
Bon, bon, bon petit bonnet tout rond. 





wegen mit „trgt’“ 


MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 519 


2. Dy’ä atte ök’ po dez eday bis. | 2. J’(en) ai achete un pour deux liards 
E s’aty’-työzi lv pv rozlar. | Et [ce] ai-je choisi celui qui avait le 
Refrain. teint le plus rose (le plus vermeil.) 


3. E s’aty-tyizi lv pv rozlan, bis. 3. Et[ce] ai-je choisi celui qui avait le 

[teint le plus rose, 

Dyv l’a pyerdu tg n’ne ralar. Je l’ai perdu tout en retournant. 
Refrain. 


4. Dyv l’a pyerdu tq n’ne ralay, bis. | 4. Je l’ai perdu tout en retournant, 
O0! I’dyal’ hape tg le galan! Oh! le diable emporte tous les 
Refrain. [galants! 


5. O! V’dyal’ hape to le galay! bis. 5. Oh! le diable emporte tous les 


[galants! 
Kv n’rur’-dyv kg me daz edan! | Que ne [r’Jai-je encore mes deux 
Refrain. [liards! 


6. Kv n’ruy’-dyv ko me daz edan! bis. 6. Que ne [r’Jai-je encore mes deux 


[liards! 
Dy’är& ko p’on’ on’ dv rvbaz! J’aurais encore pour une aune de 
Refrain. [rubans! 


7. Dy’ar& kg p’on’ ön’ dv ruban! bis. | 7. J’aurais encore pour une aune de 
[rubans! 
A martyI 6 vey de galay! Au marche on vend des galants! 
Refrain. 





Siehe Anhang, Seite 528, Melodie Nr. 7. 


Lied eines jungen Mädchens, das ungeduldig auf die 
Ankunft seines Geliebten wartet. 


Suis-je belle, suis-je nette, suis-je 
[propre, ') 


Saty’ bel’, saty’ net’, saty’ gäy’, 


Mv galay n’vere-t-i may’? Mon galant ne viendra-t-il jamais? 
M’är&ty’ fe gäy’ po ren, M’aurais-je fait(e) propre pour rien, 
Mv galan n’vere-t-i nen? Mon galant ne viendra-t-il pas? 


1) gut angezogen. 


920 


L. ZELIQZON, 


Siehe Anhang, Seite 529, Melodie Nr. 8. 


Le sohe do novel an. 


. Tyätar, biname Mämdien, 
Tyäta» tortgo I’ngvel’ äne, 
Me ösv, ma fwa, n’rüvyä nen 
Dv dir’ adiv a l’ä pase. Dis. 
Tyätä, tyätä a pl& g0z1 

Le sah& da porfö d’nos’ kür, 


Tyätan e fiesti'hay a l’mi 
Do novel a7 lv prumI dyür. bis. 


. Sohetan dök 6 bö manety’ 

A se k’ l’amür a dya loyi, 
Sohettay On vr& mariety’ 

A se k’sist’ äne d& noki. bis. 
Sohetay k’i s’emey’ fwar ben 
Dyıvsk’ä dyerey dyür dv le vey’, 
Sohetany K’a no dyone dyen 

No pläy’ todi dir’ lv parey’. bis. 


. Sohetan Osv a ze viy 
On’ bon’ säte, de dyür tq plen, 


Tat’ le benedixyö do ST, 


Lv dyoy’, l’akwar e ’kötötmen; bis. 


A sez qm’ bräf’ e devue 
K’ovre p’asvre nqs bqnr, 


Sqheta,, Klee nö respekte 


Fas’ le plezir e nost’ qn&r. bis. 


Sohstay äfey a Mämdi 

De dyür mey@&r kv l’ay pase, 
Lv träkilite do peyi, 

Do bö ten, de bon’ dere; bis. 
Sohetay ng surtu torte 
L’akwar, lv gete, l’unyon, 

Po Klan ki ven, sv n'vikä Kg, 


' Les souhaits du nouvel an. 





| 


(Florent Lebierre.) !) 


1. Chantons, bien-aimes Malmediens, 


Chantons tous la nouvelle annee, 
Mais aussi, ma foi, n’oublions pas 
De dire adieu & l’an passe. 
Chantons, ehantons & pleins gosiers 
Les souhaits du profond de notre 
[eoeur, 
Chantons et fetons au mieux 
Du nouvel an le premier jour. 


. Souhaitons done un bon menage 


A ceux que l’amour a deja lies, 
Souhaitons un heureux mariage 
A ceux que cette annee doit nouer; 
Souhaitons qu’ils s’aiment fort bien 
Jusqu’au dernier jour de leur vie, 
Souhaitons qu’& nos jeunes gens 
Nous puissions toujours dire la 
[pareille. 


Souhaitons aussi aux vieux 
Une 'bonne sante, des jours tout 
[pleins, 
Toutes les benedietions du Ciel, 
La joie, l’accord et le contentement; 
A ces hommes braves et devoues 
Qui travaillent pour assurer notre 
[bonheur, 
Souhaitons que leur nom respecte 
Fasse leur plaisir et notre honneur. 


. Souhaitons enfin & Malmedy 


Des jours meilleurs que l’an passe, 

La tranquillite du pays, 

Du bon temps, des bonnes denrees; 

Souhaitons-nous surtout tous 

L’accord, la gaite, l’union, 

Pour que l’an qui vient, si nous 
[vivons encore, 

Nous puissions r&epeter notre chan- 


Ng pläy’ repete ngs’ tyäson. bis. 
Ai [son. 

'!) Florent Lebierre + ist der Verfasser des in der ganzen Wallonie 
bekannten und gesungenen „Lv nvt’ dv may“ (Maiennacht), vgl. „Aus der 
Wallonie* S. 25. 


MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 521 


Verschiedenes zur Volkskunde Gehörendes. 


Siehe Anhang, Seite 530, Melodie Nr. 9. 


Tyäson a Sö-Nikole | Chanson & St.Nicolas. 
Biname S& Nikole, Bien-aim& Saint-Nicolas, 
Kwä vo r'vere do l’Fräs’, ' Quand vous reviendrez de [la] France, 
Nv rüvyo nen dv m’rapwarte ı N’oubliez pas de me rapporter 
Dog suk’ e dez amät', | Du sucre et des amandes, 
On’ bel’ pop’ dv Pari, , Une belle poupee de Paris, 
Avu de bez abi, ' Avee de beaux habits, 
A la fason dv Barbari, mez ami! ' A la facon du Barbari, mes amis. 


Worte, die man hersagt, indem man die Finger eines 
kleinen Kindes eins nach dem andern etwas kneift, um 
dasselbe zu unterhalten und aufzuheitern. 


Pösen, Dzvlen, dyv ven, dyv va | Ponsin, Julin, je viens, je vais chercher 

kweri ö d@&. Lv kwen? Lv gran, | un doigt. Lequel? Le grand, 

lv p’ti; westi? valsi, volla, le petit; oü est-il? voici, voilä, 
atrap’, atrap’! | attrape, attrape! 


Siehe Anhang, Seite 530, Melodie Nr. 10. 
Lied, welches die Kinder singen, indem sie im 
Frühlinge Pfeifen aus „bwa d’trota“!) verfertigen 
und auf das grüne Holz schlagen, bis die Rinde 
sich ablöst. 


Set’ Agat’, bö Dyv t/ades’! Sainte Agathe, le bon Dieu fasse que 
[tu reussisses!?) 
Kwä noz’ vaty’ are l’ve, ' Quand notre vache aura le veau, 
Täre l’bür’ e 1’bö läse. | Tu auras le beurre et le bon lait. 
Si tv n’mus’ nen b& vit’ fü, Si tu ne sors pas bien vite dehors, 
Dyv t/metre en ö grä trö, ' Je te mettrai dans un gros trou, 
Wis k’i n’a tg ren’ e tq rabo, ' Oü [qw]il n’(yJa (que) [tous] des gre- 
| [nouilles et des crapauds, 
Bö, bö, buy’ sq Utrö, Bo, Bo, frappe sur le trou, 





') Prunus padus (Linne); auch genannt „ferä bwa“ (feurant), blüht 
im April und Mai, kommt ausserhalb der Ardennen wenig vor. 
2) ades’ ist Imperativ von adersI = gelingen machen, gelingen. 


922 L. ZELIQZON, 


Kaw’ dv dy’vö ' Queue de cheval 
D’amon V’Lerö. | De chez Lero (Fuhrmann in Malmedy). 
Oder: Buy’ sq Vtang, | Frappe sur le tonneau, 
Kaw’ dv purse. | Queue de pore. 


Wenn ein Kind von seinen Eltern oder von einem 
Erwachsenen wegen einer Unartigkeit eine Tracht 
Schläge bekommen hat, lachen es seine Spielgenossen 
aus, indem sie ihm „have-ngzet’“ machen, d.h. sie 
fahren ununterbrochen mit dem Zeigefinger der 
rechten Hand über den der linken und rufen: 


Fese ku so l’bloke! | Fess6 c.. sur le bloc!) 
Tir’ Y’awey’ fü do l’o he!  Tire Y’aiguille hors de l’os! 


Oder auch sie singen folgende Worte, indem sie 
in die Hände klatschen: 


Maty&, Maty&, Mathieu, Mathieu, 
K’a tume l’ku q f&@, ' Qu’(i)a tombe le cul au feu, 
Ö l’minre a Bavir' ' On le menera a Bavir’?) 
Po pele le kröpir, ' Pour peler les pommes de terre, 
E mi dy’Ire avu Et moi j’irai avec 
Po pele le mäs’-tu, Pour peler les mange-tout, 
Rü, rü, rü, rü, la, la. Rou, rou, rou, rou, la, la. 





Worte, welche die „‘Haget’“ (Maske mit traditionellem 
Anzuge in Malmedy) an der Spitze von Kindern, die 
ihm nachlaufen, im Chor mit ihnen singt:°) 





Kawe, kawe, (Tanz mit Gesang, wobei einer 
| hinter dem andern folgt.)*) 
Ki s’dvpig’ e ki s’duget.. ' Qui se remplit de pissat et qui se 
Sen [degoutte. 
Däsan s& r& dir’, mez efan, ' Dansons sans rien dire, mes enfants, 
Nos’ tyey ki n’pu tyır. ' Notre chien qui ne peut (zu CACARE). 
1) —c.. fesse sur le bloe. 2) Name des Spitals in Malmedy. 


3) vgl. „Aus der Wallonie“ 8. 23 über den Karneval. 
) vgl. „Aus der Wallonie“ S. 26. 


MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 523 


Siehe Anhang, Seite 531, Melodie Nr. 11.') 

Kwan m’grä mer’ fvsev’ le vöt’, na | Quand ma grand'mere faisait les ome- 
pgtyI, pgtyI petyet'; kway m’grä | lettes, nous sautions (ter); quand 
mer’ fvsey’ le vöt’, ng patyI ta ök’ | ma grand’-mere faisait les omelettes, 
so V’öt’. nous sautions tous l’un sur l’autre. 


Wortspiele (viermal hintereinander sprechen). 


On’ tyert& d’bel’ vet’ sety’ hin’, | Une charretee de belles vertes seches 
[büches, 

On’ bel’ vet’ sety’ “hin’ sv. | Une belle, verte seche büche dessus. 

Klawti, klaw’ kwat’ klä! | Cloutier, cloue quatre clous. 

Kwat’ fi kwat’ pla d’waf. | Quatre fois quatre plats de gaufres. 


Ausdrücke für Eislauf und Schneevergnügen. 








Sv ligi [Se] glisser 

Fe on’ lig’ Faire une glissoire 

Fe qn’ ruglät’ Faire une glissoire sur un plan incline 

Fe ö rakawtety’ Faire une glissade accroupis les uns 
[derriere les autres 

Mine lv rakawtety’ Tenir la tete de cette glissade 

Sv bat’ ä kö d’'hotye Se battre & coups de boule de neige 

Fe ö grä mer’ Faire un acceroc sur la glace 

Fe büze l’ew’ Faire deborder un ruisseau 

Kinderspiele. 

Dyowe ä kada. Jouer aux billes. 
dyqwe a l’mak’ e ter’ jouer & jeter sur la terre (f. Mädchen) 
dyaowe a l’fqs’ jouer ä la fosse (in ein Loch) 
dyqawe a l’tyodir’ jouer & la chaudiere (grösseres Loch) 
dyaqwe a l’petül’ (mit grossen Klickern) 
dyqwe a l’röy’ jouer ä la raie (auf einem Strich) 
dyqwe a maki fu jouer & mettre dehors (a. d. Loche) 


!) Dieses Kinderliedchen ist in „Aus der Wallonie“ S.16 ohne Melodie 
abgedruckt, letztere ist mir erst in der letzten Zeit bekannt geworden, der 
Vollständigkeit wegen bringe ich sie hier zum Abdrucke. 


924 
Dyqwe 
Dyowe 


Dyqgwe 
Dyowe 


Dyowe 


Dyowe 
Dyqwe 
Dyowe 


Dyowe 


Dyowe 


Dyowe 


Bide 


L. ZELIQZON, 


a sto 
mitye-mitye, blä ty’vö 


a 
a V'rastikäy’ 
a if 


a l’pwat’ Tyave 


a sı fe 
a l’pat’ 
a l’savat’ ki ren’ 


a fe pase le mgs’ 


pey’ u tyes’ 


Ausdrücke 


a lkin’ 


Dyvda 
Le d® buson 
Kupron 

Pi do l!’dam'hel’ Maroy 
Grä per’ 

I m’edum’ 

Av@r ön’ äp’ 

Av@r ö term’ 

Av@r ö kwader’ 

Avar kin’ 








Ball spielen (Ball aus Leder mit Werg 
gestopft). 
jouer & saute-mouton 


| jouer ä& la cachette 


jouer aux lievres (ein Teil der Spieler 
stellt das Wild dar, ein Teil die 
Jäger; jeder gefangene Hase wird 
Jäger) 

jouer & la porte Chavet (Durchgang 
bei Outrelepont in Malmedy). 


‚ jouer ä c’est fait (Versteckspiel). 
| jouer & la main chaude 


jouer & la pantoufle qui roule (Einer 
wird mit einem Pantoffel auf die 
Hand geschlagen, er muss dann 
raten, wer den Pantoffel hat. 

jouer & faire passer les baguettes 
(einer muss durch eine doppelte 
Reihe mit Ruten bewaffneter Jungen 
durchlaufen). 

jouer pile ou face. 


beim Lotospiele. 


Jouer au loto 

No.1 

No. 13 

No. 33 

No. 69 

No. 77 

No. 90 
Avoir un No. sur la ligne 
Avoir deux No. sur la ligne 
Avoir trois No. sur la ligne 
Avoir quatre No. sur la ligne 
Avoir eing No. sur la ligne, das Spiel 

gewinnen. 





MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 525 


Anhang. 


1. Melodie zu La mouche. 
Moderato lieto. 


enge 


Von-si w-ni IVa-reü’ Po - ‘'ha-pe lv may, Da- 








r 7 











ten. Refrain. 


SeSrsperssersen 


4 © 390 de 




















ren’ lv moy’, lv mgz’ V’a-reh’. Pof moz', Kv n’tv sa - vef’ 


Für die anderen Strophen füge man 
diese Noten so oft hinzu, als der Text 
es erfordert, bis zu Ende 


® 
Ei 


tv, Eof moy, ku) nv s2.- ver to! 
) %; 




















Finale. Refrain. Bapeotamente 
F. ten Fine. 


re BES NN 


Pof’ max’, kv n’tv savef’ tv, Pof’moz’, ku n'tu sa-vef’ tu! 

















2. Melodie zu Le pou. 


Tempo giusto. Solo. 


\ 


Zen 























Mv mer’ m’e-vöy’ a l’Ew’, A... yu::8. nu be 


526 L. ZELIQZON, 


{3} 


re 


du; Mv mer’ m’e-voy’ a 1ew’, A- 


& es ae eisen 


=’ 
du, ba-du; =, m’gret’ pg - drI n. - rey’, Sv tro- ner ö gro 


9 


= — = ie 
Per ee- 
































ur 















































pyu. Tor-Ww - rö Ba-blen - e, Tvr -Ww-rö Ba-blu, 
ar Fine 
IE efrain. R fr 
Seesen on 
en 
Ba - blen’, Tor -  - rö Ba-blu, Ba-blu. 


Tor - w - rö 


3. Melodie zu Cramignon du bon vieux temps passe. 


ı. Strophe. 
a poco rit. Er 


PS Diener ren 


1 n’a de. "nm. .,80 - 1e: 




















Pi-rö nvu nen dä - se, 

















ron,..Po. ‚fe: ..da== "se: SPı=707: 


2. Strophe. 
ns =: .Ppoco 2 3 — 4a tempo 


PS erBerEee 


Pi -rö n’vu ney dä - se, S’n’a de nü-ve tyä-set’; De tyä- 




















927 


MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 














dä - se PI-rö. 


J=> a 
Bebpe Sm 
PERS en ee 


” 
set’ tet-e vet’ E de sq-le ta rö,Pa fe 


Für die anderen Strophen füge man diese 
Fine. 


Noten so oft hinzu, als der Text es erfordert, 
bis zu Ende. 
& Finale. 

















ee EB a3 | SE 


E de sq-le tg rö, Po fe dä-se PT-rö. 


4. Melodie zu Air du temps des erinolines. 




































































‚ „ Allegretto En wer 
3 N 
S-zzere: zz: ] 
E zen, eg Ja 
Es’ vos’ Kat), mam-zel’, su - % Ke ba - lon, ke ba - loy! 
’ TERN er poco rall. u 
Bee 
= # Sm 
Es’ vas’ kat’, mam-zel', su-la? Ke ba-lon, k’v voz af’ la! 
5. Melodie zu Pastorale. 
> ı. Hirt. SS parlando 
eo Bzs=sz=ze-- 
@i 5 az _ 
Lö- ri - la-by! Akwin @rf en-ne rvas a - vu te 
lunga 2. Hirt 
Bela a 
a ae Zr —=> zu 2 
re mm an 
=F u, = u Zum Ep Bram ? m 
A Tär de !’pe-trat‘, 


vaty’? Lö-ri - la - by ——! 


928 L. ZELIQZON, 


me SEE Es rn == N= =\ Zr Se 
Drezsecesczcceren: 























Si ki 'npu ;ve=se' ki tot! Do = Nele sr 


6. Melodie zu Ronde. 





























Rondo 
N FR Refrain. 
=g= = 
ze: see 
A mar -tyl, on ven de ga - lan, A mar-tyi Ö vey 























Bel e AT 


de ga - lan, Dy’ä at-te ök’ po d&@z &€-dan. Bö, bö, bö p’ti bo-ne, 

















sf Refrain. 
— N Nez 
t f= |, — ® IE 3 Al NN | 
Ds Berne SEITE 
Bö, bö, bö p’ti bo-ne, p’ti bo-ne, Bö, bö, bö p’ti ba-ne te rTö. 


7. Melodie zu Lied eines jungen Mädchens, das ungeduldig 
auf die Ankunit seines Geliebten wartet. 


Zum etto scherzoso. 


PaiRSirpesirEee ren 


Soty’ bel’, soty’ net’, sgty’ gäy’, Mv ga-lan n’ve-re-t-i may’? M’ä- 









































Fee 


r&ty’ fg gäy’ pa ren, Mv ga -lay n’ve-re_- ti nen? 


| ar . 
BRMES- 
I 
el 
WR 





MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 529 


8. Melodie zu Les souhaits du nouvel an. 














Allegretto. 
mf Ol. Lebierre. 
z n BE 
8 er men 


Tyä-tan, bi-na-me Mäm-di - en, Tyä-tay tor - to I’mg- 























ee 


vel’ — ä-n, Me 5- ww, ma fwa, n’rü-vyä nen Dv 























Sem: 




















dırr a-div a Tlä pa-se Dv dirra-diva lä&ä-——- pa-se Tyä- 
p0oco rit. 

zer 2,2. 02 | 

= ee 


, 


tä, tyä-tä a pe an -zı L 9-8 a par - fö d’ngs 


a tempo 


Press re en; 


kür, Tyä-tan e fies - ti-hay al’mi Da na-vel a7 PEN; prv-mT 




















Refrain. 

















Danse en rond. 
un 
her 
sms 
dyür, Da ngq-vel ä lv pv - mi dyür La, la, la, 


Festgabe für Gustay Gröber. 34 


990 L. ZELIQZON, 











see 


Seren 


la,. la, segue. 




















9. Melodie zu Chanson ä St. Nicolas. 
Moderato. 


PursspssseSres een 


Bin - a-me Se Ni-ko - l&, Kwävg rve-re da Ll’Frä-se, Nv 


BF 


rü-vig ney dv m’ra-pwar-te do suk’ e dez 




































































2 a | 
ses ren 


On: bel pop” dv Pa-r, A- vu de bez ’a-b, A 


poco accelerando 


A 


-son dv Bar-ba - ri, mz a 




















10. Melodie zu Sainte Agathe. 
Pesante e parlando. 


Be ZesSeissen: 


Sät’ A - gat’, bö Dyv t’a - des’! Kwängz’ vaty’&- re I’ve, Tä-re 




















MUNDARTLICHES AUS MALMEDY. 531 


SeP>pre>rs=—:es: 


!bür e Ib lä-se Si tv n’mus’ nen be vit’ fü, Dyv t’'met- 












































PSsrSrsseeirsrer-e 


re ren 0 gratro, WS ki na. tg ım’ e to ra-bo, Be 


N SESSjPZPRIFZSFSFESSnrE: 


bö, buy’ sq !’'trö, Kaw’ dv dy’vo! Bug’ sg !’tg-ne, Kaw’ dv pur-se. 





























11. Melodie zu Quand ma grand’more. 


Allegretto lieto. 


es GH 


Kwan m’grä mer’ fv - sev’ le vöt’, na Peg - tyI, po-tyT po- 









































ee 


tyet’-te; kwar m’grämer’fv-sev’ le vöt’, ng pga-tyI tg ök’ so l’öt. 


Metz. L. ZELIQZoN. 





Sachregister. 


A. 


Aiol et Mirabel, Komposition der 
Chanson 401 —407. Stellung der 
Chanson innerhalb der epischen 
Litteratur 409—413. Realismus 
der Sitten- u. Charakterschilderung 
408 — 411. 


Alfons X. von Castilien und Leon, | 


portug. Dichter 486, 487, 489, 490, 
491, Anm. 3, 495 f. 


Alvares de Villasandino, Alfonso, | 


castil. Dichter 493, 504. 
amade nfrz. 157. 


Amiens, Beschreibung der Stadt 5 ff. | 
Mundart, Formenlehre 30 ff. Texte | 


11 ff. 


B. 


Baena, Juan Alfonso de, castilischer 
Dichter 496, 504. 

Balzac, H.de, Peau de chagrin 458, 
459. Elixir de longue vie 461f. 
Recherche de l’Absolu 462. Ursule 
Mirouet 465. Seraphita 472. 

Barbastre s. Siege. 

barge lothr. 149. 

Bataille Loguifer 328, 338. Die 
Berner Hs. 339 ff. Anm. Chapalu- 








Andre, Rom. d. Franceis 327, 332, 
352 Anm. 2. 

antejo portug. 505. 

antre portug. 505. 

Apolafar, Emir von Sieilien (1019 
bis 37), identisch mit Galafre im 
Cour. de Lowis? 217. 

Arthas 374 Anm. 2. 

Artiam 374. 

Artus im Feenreich 340 ff., als wilder 
Jäger 360, 377 ff. — S. auch Katzen- 
ungetüm. 

Avalon 340, 344, 367 f., 379£. 

avoleza portug. 509. 


Episode 339 ff. Verhältnis zu 
Tristan de Nanteuil 338 f. 343. 

Belot, Alphonsine 469. 

Berius, Artusritter 381 ff. 

berme frz. 149. 

blocqwaghe afrz. 168. 

Buch, rotes, von Hergest 329. 

Buch, schwarzes, von Caermarthen 
328. 

Burleskkomisch 283, 302, 303, 304. 


994 


c. 


Cabeca Brava, s. Lope Diaz. 

cäonchieire norm. 150. 

Capalu, Chapalu 327, 333, 338 ff., 
342, 343 ff., 395. 

Cath Palue 328 ff., 359 Anm., 360, 
365. 

Cellini, Benvenuto, Stil in seiner 
Vita. Versuch einer psychologischen 
Stilbetrachtung 414—451. 

Vorwort 414. 

Einleitung. (Einige äussere 
Momente von Bedeutung für 
die Beurteilung des Cellini- 
schen Stils 415. 


I. Das Manuskript der Vita 415. | 


DH. Eigenheiten der florentini- 
schen Vulgärsprache im 16. 


Jahrhundert 415. 


rarische Bildung 420. 
IV. Gallieismen bei Cellini 420. 
Allgemeines. (Darlegung der 
Disposition nach psycho- 
logischen Gesichtspunkten) 
420. 
AI. Der analytisch-logische In- 
tellekt des Cellini 421. 
1) Rectio 422. 
2) Der zusammengesetzte 
Satz 425. 


daguer frz. 152. 


Dämonen in Katzengestalt 356f. 379. | 


decaus, afz. 118. 

Defini s. Narrativ. 

descordo, altportug. Ausdruck für des- 
cort 484, 491. 


Descort, altportugiesischer und alt- | 


spanischer 484— 506. Altportug. 
Descort 484—492. CB. 135: Form 








und Schema 485 f.; Inhalt 486. CB. | 
490: Form und Schema 486 f.; In- | 
halt 487; Vergleich mit dem Des- 


SACHREGISTER. 


A II. Dersynthetisch-künstlerische 

Intellekt des Cellini 428. 

1) Wort- und Satzstellung 
429. 

2) Permutationen 432. 

3) Pleonasmen und Ellipsen 
441. 
a) der Formwörter 441. 


b) selbstständiger Be- 
griffe 444. 
4) Resume 448. 
B. Das Gefühlsvermögen (die 


Affekte) dargelegt in seinem 
Beziehungsverhältnis zum 
Stil 448—451. 
Chambery, sagenhafte Gründung 
von, 381 ff. 


' Chapalu s. Capalu. 
III. Einiges über Cellinis litte- | 


Chapeau de paille d’Italie von 
Labiche 276 f., 280. 

Charakterkomödie 268, 269, 277, 
278, 279, 288. 

Chevalier du Papegau 346. 

Chevelu in Savoyen 373, 395. 

choraminhar portug. 506. 

Colocci, Angelo, italien. Humanist 
492. 

Couronnement de Louis, Branche I 
171 Anm. 3. Branche I, Ent- 
wickelung 223. 


cort der Provenz. 487. CV. 968: 
galt zufolge der Rubrik nur der 
Form nach als Descort 487; Lebens- 
zeit des Verfassers Lope Diaz 487 
bis 489; Form und Schema 489; 
Entlehnung von Weisen 489.. CV. 
481: Form und Schema 490 f.; 
identisch mit CV. 1025, cantiga 
d’escarnho 491; nicht als Descort 
"zu betrachten 491; Definition des 
altport. Descert und Vergleich mit 
dem provenz._ 491 f. Kunstaus- 


SACHREGISTER. 


drücke: fünda 485f., 491; pa- 
lavra perduda 485; sel dissi 492. 


Texte: CB. 135, 470; CV. 963, 481 | 


herausgegeben 497 ff.; CB. 244, 246, 
468, 1520; CV. 74, 79, 575, 947, 948, 
1025; CM. 300, besprochen 488 ff. 
Altspanischer Descort 492 —497. 
Bedeutung von discor in Castilien 
493f. Vergleich von drei Gedichten 
des Fray Diego mit altportug. 
Schweifreimstrophen 494 ff. Ver- 
gleich der respuestas (CBaena 101 
bis 103) mit dem altportug. und 
provenz. Descort 496 f.e Kunst- 
ausdrücke: cor, discor, lay deslay, 
maestria mayor 493f.; a manera 


endexa, Klagelied 488. 

entejo portug. 505. 

entre portug. 505. 

escarnho, cantigas de, 
488 f., 491. 


Spottlieder 


Farce resp. Posse 268, 269, 270, 272, 
273, 276, 277, 278, 283, 289. 

Fisch in Katzengestalt 332. 

Flammarion, Stella 472f. 


Galafre s. Apolafar. 

Galeran de Bretagne 335. 

Galfrid von Monmouth 364, 366, 
385 Anm., 392. 

gasalhado portug. 505. 


Gautier de Metz, Image du monde | 


351. 
Gautier, Th., 
Avatar 478. 


Spirite 471, 472. 

















939 


de discor 494, 502—504 ; mansobre 
verlesen für mor dobre 493, Anm. 3; 
respuesta 496. Texte: CÜBaena II, 
101, 185, 188, herausgegeben 502 
bis 505, II, 102—103, 184, 191 be- 
sprochen 493—497. 

Dialektforschung, Methode bei 
Aufsuchung von Sprachzeugen 1 ff. 

Diego de Valencia, Fray, castil. 
Dichter 496 f., 502 £. 

doguer (se) frz. 151. 

doukes afrz. 152. 

Du Camp, Memoires d’un Suicide 474. 

Du Prel, Kreuz am Ferner 455, 467. 

Dupuis, amiensischer Dialektdichter 
7. Dichtungen desselben 11 ff. 


esclaidage afrz. 153. 
Estienne de Bourbon 132 Anm., 
377, 393. 


flet frz. 154. 
flote pik. 155. 


| Fortunato 350, 352. 


Genealogie des contes de Savoie 
374. 

Gillebert de Berneville 39 ft. 

Gil Perez, Conde, port. Dichter 489. 

Giraud-Montiere, Les innovations 
mirifiques du Doct. Seleetin 470. 

Grotesk satirisch (ef. die ganze 
Abhandlung 267—310). 

Guillaume s. Wilhelm. 


936 


H. 


hamede afrz. 157. 

hamee frz. 158. 

hamelete wallon. 156. 

hamestoc afız. 158. 

hamette afrz. 153, 157. 

hampe frz. 158. 

Heinrich von dem Türlin, Kröne 
353. 





I. 
Jean d’Outremeuse 3. | 
Imperativ 240, 241, 242, 251. | 
Indikativ236-237,241,242-243, 251. 


SACHREGISTER. 


helbot frz. 153, 156. 

Heldensage (altfranzösische) 398. 
hellebut frz. 155. 

Hennique, Un Caractere 473f. 


| Henricus Septimellensis 334, 


367 Anm. 
Huysmans, Lä-bas 458. 
Hypnotisches Verbrechen 469 f. 


Intriguenkomödie 270 Anm., 274, 
276, 277 Anm., 283. 


K. 


Karma 475. 

Katze, entführt den Artus 335; mit 
dem Meer und mit Seen in Ver- 
bindung gebracht 360 ff. | 

Katzenungetüm, Sage vom Kampf | 
mit einem, 327 ff.; bevorstehender | 
Kampf mit Kei 328f., 360. Artus, | 
Held der Sage 322 ff., 327, 331 ff., 
365; Episode im Livre d’Artus | 
318 ff., verschiedene Versionen 
314 ff. Reminiscenzen an Galfrid 











labaie wallon. 158. 

labenne wallon. 159. | 

Labiche s. Chapeau de paille d’Italie. 

Lac de Losane, Losenne etc. 319£., | 
322, 369 ff. | 

lai, Dichtungsgattung 495 f. 

Lambton s. Lindwurm. 

La Palud, Stadtteil von Lausanne 
369 ff. 

laudamen 506. 

laudamina 506. 

Lausanne s. Lac. 

Lebenselixir 460 ff. 

Lebierre, Volksdichter 517, 5%. | 





von Monmouth und Wace? 363 ff. 
Grundmotive der Sage 354 ff. Ent- 
wickelung der Sage 367f. Lokali- 
sierung in Savoyen 373 ff. Gründe 
dafür 387 ff. Kampf des Berius 
und Melianus mit der Katze 336 
Anm., 881 ff. 
kenres, Fut. von caoir, 108. 
Kinderspiele 523£. 
Konditional237—239, 241,243, 251. 
Konjunktiv 239— 241, 243—244, 251. 


Legende des heiligen Remaclius 
508—510. 

Leonoreta, Fin roseta, Gedicht 495 f. 

Lermina, LElixir de vie 463; A 
brüler 477. 

lifecop afız. 158. 

Lindwurm von Lambton, engl. 
Märchen 357 f. Anm. 

linsat afız. 153. 


ı Livre d’Artus 134£., 312 ff. mndl. 


und me. Version 313 £.; Quelle: 
Waces Brut 315 ff. 
Lobeira, Joam,portug. Dichter 495f. 
Loher im Loher u. Maller identisch 


SACHREGISTER. 


mit König Lothar II. v. Lothringen | 
(855—69) 188 ft. 
Loher u. Maller 186 ff. 
Lope Diaz (Lias) de Haro, port. 
Diehter 487 ff. | 
lopinaille afrz. 153. 
Lore de Branlant 134. 
lorpidon afrz. 153. 
Losane s. Lac. 
Lothar s. Loher. 
loure ostfrz. 159. 
lourpesseux afız. 153. 
louvamia portug. 506. 
louvamtantes portug. 506. | 
*Jouvamiar 506. | 
louvaminha portug. 506. 





M. 


Madoc, verloren gegangenes nieder- 
ländisches Gedicht 134. | 
Madus li Noirs 133. | 
maleza portug. 505. | 
Malmedy, Texte in der Mundart | 
von, 507 ff. | 
Mantel Mautaille 148. 
Mantichoras, Monstrum 349 ff. 
Manuel und Amande 327, 332. 
Maupassant, Le Horla 479. 
Mauricomorion, Monstrum 351 
Anm. 3. | 
Maurus und die Jungfrau von Gala- 
stroet, niederländische Bearbeitung | 
133 Anm. 
Meerkatze 36. 
Meermonstra 346f., 350, 352, 355, 
358 f., 366 f. 
Melianus, Artusritter 381 ff. 
Meraugis de Portlesguez, Aus- 
gabe von Friedwagner, S. 197 
Anm., 141, 143. Anm., 145 Anm.; 
früher entstanden als die Vengeance | 
Raguidel 145, 147. Reicher Reim 
in M. de P. 129, 139. 
Merlin, ital. Version 313 Anm. 1. 
Messire Gauvain ou la Vengeance 
de Raguidel s. Vengeance Raguidel. 
Modi 236—251. 








| Ludwig, 


997 


louvar portug. 506. 

lovrotte (Montbeliart) 161. 

König von Frankreich, 
Kaiser von Rom, im Loher und 
Maller, Teil II, identisch mit Kaiser 
Ludwig II. von Italien (850—875) 
190. 

Ludwigs II. von Italien Sarazenen- 
krieg 866 — 872 in der Geschichte 
179 £.; in der Chronik von Salerno 
176 ff.; Grundlage einer Episode in 
Teil II des Loher und Maller 190; 
Grundlage von Branche II des 
Cour. de Louis 175. 

lurelle afrz. 161. 

lusin frz. 161. 


Moliere 267 —310. Amour medeein 
270, 273 Anm. 2, 278, 280, 297, 
299. Avare 279, 281, 283, 284, 285, 
288 Anm., 309. Bourgeois gentil- 
homme 2897, 288 Anm., 289, 293, 
294, 295. Comtesse d’Escarbagnas 
293. Critique de l’Ecole des femmes 
286. (George Dandin 270 Anm. 
Depit amoureux 270, 289, 291. 
Don Juan 295, 299, 300. Ecole 


des femmes 285, 288.  Etourdi 
270, 273. Femmes savantes 279, 
289, 293, 308. Fourberies de 


Scapin 268 Anm., 270, 273, 277. 
Impromptu de Versailles 286. Ja- 
lousie du Barbouille 280, 289, 290. 
Malade imaginaire 296, 298, 299, 
301, 302, 305. Mariage force 270, 
273 Anm., 289, 291, 293. Medecin 
malgr&e lui 269, 270, 273, 278, 
280, 296. Misanthrope 269 Anm., 
278. Pourceaugnac 268 Anm., 269 
Anm., 270, 272, 277, 280, 297, 298, 
299, 300, 304, 305.  Precieuses 
ridicules 284, 285, 287. Sganarelle 
ou le cocu imaginaire 274. Tar- 
tuffe 269, 279, 284, 285, 287, 289. 

Monstra (Tier- u. Menschenmonstra) 
338, 341, 346, 348 ff., 366. 


998 


Montagny, Erbauung der Kirche | 
von, schweizer. Sage 360 f. 

Montalvo, Gareia Ordoüez de, Ver- 
fasser des span. Amadis 495. 

Mont du Chat 326, 369, 372 Anm., 
373 ff., 393 ff. 

Mont du Chat Artus 375, 38. 





N. 


Narrativ 246-250, 251. | 
negado portug. 508. | 
nevre frz. 162. | 
niespe afrz. 162. | 
Normannen, ihr Auftreten in Unter- | 


Ogier le Danois 343 ff. 
Ortsnamen, bretonische, im Waadt- | 
land? 371 Anm. | 


0. 
| 
| 


SACHREGISTER. 


Monthoux, Dorf in Savoyen 394. 
Montm&lian, sagenhafte Gründung 
von, 381 ff. 
Mont-Riond, 
Anm. 1. 
Moxa, Martin, portug. Dichter 489 ff. 
Musset, Suzon 469. 


Sagen vom, 372 


italien Grundlage von Branche II 
des Cour. de Louis 195 ff. 


' Nuneannes Üerzeo, portug. Dichter 


484 f., 487, 490. 


Orzelhon, trobadores de 488. 
ovre (Montbeliard) 159. 


P; 


pacant frz. 163. | 

Padron, Rodriguez de, castil. Dichter 
497 Anm. 

Paez, Fernan, de Tamalancos, portug. | 
Dichter 488. 

Palach 331. 

Peire Cardenal 335, 491. 

peirs de chaistels 117. 

penado portug. 505. 

Peroda Ponte, portug. Dichter 488. 

Pero Velho, de Taveiroos, portug. 
Dichter 484. 

Poe 455 ff., 460, 477 Anm. 2. 

Portugiesisch. 





Texte: Descorts 497—502. 

Grammatik: Condensation 
von eu zu € 505. 

Metrik: Messung von oi in 
soidade 485 Anm. 1; Elision des 
Anlauts 506. 

Syntax: Pronom. poss., ob- 
jektive Kraft desselben 505. 

prazenteantes portug. 506. 
prazentear portug. 506. 
Psychurgie 475. 

Pucele del Gautdestroit 133f. 
pudä lothr. 164. 


BR: 


raff frz. 156. | 
Raoul, (Vengeance Raguidel v. 3352, | 
6170) identisch mit Raoul de Hou- | 
dene 136—146. 


Raoul de Houdenc, Sein Anteil | 


an der Verfasserschaft der Ven- 
geance Raguidel 119—148. 
Reinkarnation 470 ft. 


| Remaclius, Legende des heiligen, 


508 ff. 


SACHREGISTER. 


repe wallon. 164. 
reper wallon. 165. 
resse lothr. 165. 


Santillana, Marques castil. 


Dichter 492 £. 


de, 


302, 308 u. a. 

Satirisches Lustspiel 277, 279, 
281, 282, 283, 284, 289. 

Sau des Dallweir Dalben 329, 356 
Anm. 


Savoyen, Chronisten von, 374 ff., | 


381 ff., 385. Urkunden 376 ff. 
Schweifreimstrophen 493 ff. 
sclaid 154. 
sclaideur 154. 
sclaidi 154. 
scolkin afrz. 156. 
se portug. — sedet 505. 


katze. 
sei portug. — sedT 505. 
sejo portug. — sedeo 505. 
serventes, sirventesc 489 ff. 


Talac, Talas, Taulas, Taillas 331 | Thomas 


Anm. 3. 
tanque afız. 153. 


539 


' Roman des Eles 119, 139, 145. 


| 
| 
| 


S. 


rürelle 161. 


Siege de Barbastre 252-266. 


ı Sirenen 336, 342f., 349. 
Satire 278, 280, 282, 285, 286, 295, | 





Thätigkeitsformen, einfache 241, | 


245, 250, 251. 
—, syntaktische 241, 245, 250, 251. 


r Tore; 


Thierry, G@. A., Reecits de l’Oceulte 
456. Marfa 468. Tresse blonde | Tristan de Nanteuil 336 ff. Hin- 


456, 475, 476. 
476. Le Masque 481. 


varlope frz. 167. 

vebrighe afız. 153. 

Vengeance Raguidel (Messire 
Gauvain). Ueber die Verfasser- 


La Bien-Aimee | 


| 


V: 


| 


Soares Coelho, 
Dichter 489, 491. 

Soares, Martin, portug. Dichter 
488. 

Soares Somesso, Joan, 
Dichter 484. 

Songe d’Enfer 119, 139, 145, 147. 


Joan, portug. 


portug. 


‚ Soulie, Le Magnötiseur 467. 
' Spanisch. 


Texte: Descorts 502—505. 
sperial afız. 153. 
stoeille afrz. 158. 
stomb wallon. 165. 


 strompe (Malmedy) 165. 
Seekatze 367 Anm. s. auch Meer- | 


Sturm auf dem Meer oder See durch 
Dämonen verursacht 341 Anm., 349, 
360 ff. 

Suggestion 464 ff. 


Cantimpratensis, de 
naturis rerum 348, 351, Anm. 3. 

tierre afrz. 166. 

toquer frz. 152. 

Alvar Roys 
Dichter 496. 

traine afrz. 158. 


del, castil. 


din im, 337, 343. 
Twrch Trwyth, Eber 331. 


schaft (Ansichten von Abbehusen 
122, Bartsch 119, Börner 121 f., 
141 £., W. Förster 145 Anm., Frey- 
mond 120, 127£., Friedwagner 


940 
125, Gröber 125 Anm., P. Meyer 


119, 124, Michelant 119, Mussafia | 
119, G. Paris 121, 192, 125, 144, | 
Todd 124, Vuilhorgne 125 Anm,, | 


F. Wolf 119, Zenker 192f., 142, 
144, 145, 147, Zingerle 120f., 123, 
127. Ungenauigkeiten der Hippeau- 
schen Ausgabe 137, 142 Anm. Zer- 
fällt in zwei von verschiedenen 
Verfassern herrührende Teile 119, 
120, 121, 123, 126ff. Raoul, der 
Verfasser des zweiten (V(R? —=\. 
2744-6174) und Ueberarbeiter des 
ersten Teiles (VR! — V. 1—2748) 
136, ist identisch mit Raoul de 
Houdene 148. Reicher Reim in 
VR, 120, 128 ff., 138 ff. Sprach- 
liche, metrische und stilistische 
Eigentümlichkeiten von VR? in 


WW. 


Wace, Brut, Quelle des Livre d’Artus 
315 ff., 318, 385 Anm., 392. 

warg afrz. 153, 160. 

Wasserdämonen 37. 

wepe pik. 169. 

wespiant, wispiant wallon. 169. 


Zeitstufe der Gegenwart 236 
bis 241, 251. 





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SACHREGISTER. 


Uebereinstimmung mit den Werken 
des Raoul de Houdene 137f., 138 
bis 141, 141—146. Inhalt der 
Vengeance Raguidel spricht nicht 
gegen die Verfasserschaft des Raoul 
de Houdene 146—148. Vengeance 
Raguidel später verfasst als Me- 
raugis de Portlesguez 145, 147f. 

venne afrz. 153. 

verbode afrz. 153. 

Villiers de 1’Isle Adam, Tribou- 
lat Bonhomet 479. L’Eve future 
482 f. : 

Voie de Paradis, Verfasserschaft 
123 Anm. 2, 145 Anm. 

Volkskunde, Verschiedenes 
521 ff. 

Volkslieder (Malmedy) 511 ff. 


zur 


Wilhelm Fierabras (Guillaume Fiere- 
brace), Sohn Tankreds von Haute- 
ville, identisch mit Guillaume 
Fierebrace, le marquis au court 
nez im Cour. de Louis, Branche I 
195 ff. 


Zeitstufe der Vergangenheit 
242— 245, 246—250, 251. 


nn mn 


nnnnnn 


.44, 


48, 


59 
9% 
96 
248 
9 


, 

I 

’ 
, 
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Verbesserungen und Nachträge. 


.6, 2.3 v.u.: Einen jüngeren Dialektdichter besitzt Amiens an Edouard 


David, der allerdings in seinen: C'hes Lazards, El Muse Picarde, 
L’Tripee ete. mehr über als für das Volk schreibt und darum mit 
Dupuis nicht zu vergleichen ist. 


.9, Z.19: Nach Mitteilungen von Fräulein Guilmont aus Amiens ist Dupuis 


i. J. 1895 oder 1896 gestorben. 

IH 1,1 lies por ce statt porce. — III 1,2 lies vos statt vous. — III 
1,8 lies amors statt amours. 

V 2,5 lies vos statt vo. 

IX 6,6 lies le statt les. 

XXXI 3,1 lies pour quoi statt pourquoi. 

I, Str. 2,9 C lies i. p. e. ni g. statt i. p. e. ne Q. 

2.6 lies dixerim statt dixerem. 


‚390. Z.12ff.: Zu Gertrud von Flandern hätte auf Carutti l. ce. S. 121, 


Nr. CCCXXXIII verwiesen werden sollen. Gertrud war zuerst mit 
Humbert II. von Maurienne, dann mit dem Edelmann Huon d’Oisi 
verheiratet; ob der letztere mit dem zeitgenössischen, bekannten 
Trouvere gleichen Namens etwas zu thun hat, kann ich gegenwärtig 
nicht eruieren. Von beiden Gatten geschieden bzw. getrennt, ging 
Gertrud ins Kloster. Daraus dass Gertrud 1. ec. als Theodoriei Alsatiae 
comitis filia bezeichnet wird, ferner aus dem Zusammenhang von Stellen 
in der Genealogia comitum Flandriae ergiebt sich, dass Gertrud 
die Schwester Philipps von Elsass und Flandern, des 
Gönners Crestiens de Troyes war. 


. 428, Z.6 lies perche statt per che. 

.431, Z.9 lies faccendo statt facendo. 
.433, Z.15 lies perche statt per che. 

484, Z.18 lies in fuora statt infuora. 
434, Z.21 lies Caro o con statt Caro con. 


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Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. 8. 


























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