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Full text of "Über das Wesen der Universität"

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ÜBER  DAS  WESEN 
DER  UNIVERSITÄT 

DREI 
AUFSÄTZE  VON 

JOH.  GOTTL.  FICHTE 

FRIEDR.  SCHLEIERMACHER 

HENRIK  STEFFENS 

AUS  DEN  JAHREN 

1807- 1809 

o 

MIT  EINER  EINLEITUNG  ÜBER: 
„STAAT  UND  UNIVERSITÄT«' 

HERAUSGEGEBEN  VON 

Eduard  Spranger 

NEUE     AUSGABE 


DER  PHILOSOPHISCHEN  BIBLIOTHEK  BAND  120 


VERLAG  VON  FELIX  MEINER  /  LEIPZIG  1919 


>r^' 


Vorwort. 


Gelegenheitsschriften  sind  es,  die  in  diesem  Bande 
zusammengefaßt  sind,  und  eine  festhche  Gelegenheit  hat 
zu  ihrem  Neudruck  angeregt.  Daß  aber  in  ihnen  tiefere 
Fragen  von  bleibender  Bedeutung  behandelt  werden, 
möchte  die  Einleitung  begründen  und  werden  sie  selbst 
kundtun.  Der  Geist,  aus  dem  sie  entstanden  sind,  ist 
noch  heute  lebendig  wie  am  ersten  Tag.  Nicht  ohne 
tiefe  Dankbarkeit  gegen  diesen  wissenschaftlichen  Geist 
und  die  Männer,  die  ihn  wachgehalten  haben,  bietet  der 
Herausgeber  der  Jubilarin,  die  ihm  selbst  die  ganze 
Bildung  gab,  diese   Schriften  von  neuem  dar. 

Charlottenburg,    den    15.  Juli    1910. 

Eduard  Spranger. 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

Vorwort III 

Einleitung VII 

Abweichungen  vom  Text  der  Originalausgaben  ....  XLII 
J.  G.  Fichte,  Deducirter  Plan  einer  zu  Berlin  zu  errichtenden 

höhern  Lehranstalt.     1807       1 

Fr.  D.  E.  Schleiermacher,    Gelegentliche   Gedanken   über 

Universitäten  im  deutschen  Sinn.     1808 105 

H.Steffens,  Über  die  Idee  der  Universitäten.     1809  ...  205 

Sach-  und  Namenregister 281 


Einleitung. 


Das  hundertjährige  Jubiläum  der  Universität  Berhn, 
das  in  diesem  Jahre  begangen  wird,  veranlaßt  in  mannig- 
facher Hinsicht  zum  Rückblick  auf  ihre  Entstehung  und 
die  Faktoren  ihrer  Entwicklung.  Wenn  diese  Entwicklung 
auf  allen  ihren  Stufen  in  der  glänzendsten  Weise  verlief, 
so  verdankt  die  Universität  dies  nicht  nur  ihrer  Lage  in 
der  Hauptstadt  eines  Reiches,  dessen  Macht  in  den  letzten 
hundert  Jahren  ungeahnt  emporgeblüht  ist,  nicht  nur  dem 
Reichtum  ihrer  Mittel  und  der  stolzen  Schar  von  Lehrern, 
die  sie  an  sich  zog;  sie  verdankt  dies  mit  anderen  Worten 
nicht  allein  ihrer  Individualität,  sondern  vor  allem  auch 
dem  Prinzip,  auf  dem  sie  aufgebaut  ist.  Dies  Prinzip 
aber  ist  kein  anderes  als  die  Idee  der  Wissenschaft  in 
derjenigen  Organisationsform,  die  sie  sich  im  Zu- 
sammenhang des  modernen  Staatswesens  schaffen 
mußte  und  konnte.  Die  Berliner  Universität  wurde  in 
einer  Stunde  gegründet,  die  an  großen  Umwandlungen  reich 
war.  Daß  sie  damals,  im  lebendigen  Fluß  der  Dinge,  aus 
durch  und  durch  modernem  Geiste  geboren  wurde,  gab  ihr 
die  überquellende  Lebenskraft  und  machte  sie  zum  Vor- 
bild selbst  ihrer  älteren  Schwestern,  die  die  alten  Formen 
erst  abstreifen  und  langsam  in  die  neuen  hineinwachsen 
mußten.  Diesen  Prozeß  kann  man  in  seiner  vollen  Be- 
deutung nur  verstehen,  wenn  man  in  die  geistige  und 
literarische  Arbeit  hineinblickt,  die  der  Entstehung  selbst 
voranging.  Es  handelte  sich  damals  nicht  nur  um  den 
einzelnen  pohtischen  Akt,  aus  den  Mitteln  des  nieder- 
geworfenen, verarmten  preußischen  Staates  eine  Stätte  der 
geistigen  Wiedergeburt  zu  schaffen,  sondern  auch  um  die 
grundsätzliche  Frage,  welche  Gestalt  die  Universität  unter 
den  neuentstandenen  Formen  des  staatlichen  Lebens  an- 
nehmen müßte,  wie  sich  das  innere  Leben  der  Wissenschaft 
dem  modernen  Staatsleben  eingliedern  könnte.    Ein  Hilfs- 


VIII  Einleitung. 

mittel  zum  Verständnis  dieses  Problems  und  zugleich  eine 
historische  Quelle  sollen  die  im  folgenden  zusammen- 
gefaßten drei  Schriften  bieten,  die  wir  der  Jubilarin  gleichsam 
als  eine  Erneuerung  alter  Patengeschenke  darbringen.  Mag 
auch  jede  dieser  Abhandlungen  zunächst  das  individuelle 
Werk  eines  höchst  individuellen  Geistes  sein  und  aus  der 
eigenartigen  Lage  ganz  bestimmter  örtlicher  Verhältnisse 
hervorgegangen  sein,  so  ist  ihnen  doch  ein  gemeinsamer 
Hintergrund  eigen,  dem  ein  bleibendes  Interesse  zukommt. 
Auf  ihn  sei  hier  einleitend  hingewiesen,  freihch  ohne  die 
Absicht,  die  historischen  Einzelheiten  zu  erschöpfen.  — 

Das  wissenschafthche  Leben  stellt  im  Zusammenhang 
der  modernen,  stärker  differenzierten  Kultur  ein  eigenes 
Gebiet  dar,  dessen  Gestaltung  durch  die  inneren  Zwecke 
der  wissenschafthchen  Arbeit  bestimmt  wird.  Wenn  sich 
also  diese  Seite  der  Kultur  losgelöst  von  allen  anderen 
Faktoren  des  Zusammenlebens  entwickeln  könnte,  so  würde 
sie  gerade  die  Formen  annehmen,  die  dem  Zweck  der 
wissenschafthchen  Forschung  und  Tradition  unmittelbar 
angemessen  wären.  Nun  aber  ist  die  Wissenschaft  ebenso 
wie  jedes  andere  Kultursystem  in  den  sozialen  und  poli- 
tischen Gesamtkörper  mit  eingelagert.  Daher  empfängt 
die  wissenschaftliche  Gemeinschaft  von  diesen  Faktoren 
aus  Rückwirkungen,  die  ihre  innere  Struktur  abändern 
und  sie  unter  ein  ihr  ursprünglich  fremdes  Gesetz  stellen. 
Diese  Wechselwirkung  verläuft  in  den  verschiedensten 
Formen,  die  von  der  jeweiligen  Gestaltung  einerseits  des 
Wissenschaftsbetriebes,  anderseits  der  politisch-sozialen  Ver- 
hältnisse abhängen.  Um  also  die  Stellung  der  Wissenschaft 
in  einem  Kulturganzen  zu  beurteilen,  müssen  wir  immer 
von  einer  doppelten  Fragestellung  ausgehen,  nämlich :  1.  Wie 
wird  die  Idee  der  Wissenschaft  gefaßt?  und  2.  Unter  welchen 
politisch-sozialen  Bedingungen  steht  das  ihr  nachstrebende 
wissenschaftliche   Leben.? 

Bei  ihrer  Entstehung  im  Mittelalter  war  die  Universität 
die  Lebensgemeinschaft  derer,  die  sich  der  Wissenschaft 
widmeten.  Aber  diese  Wissenschaft  war  nichts  im  freien 
Flusse  Befindhches,  sondern  ein  fester  Bestand,  der  durch 
die  Tradition  der  Kirche  fixiert  und  durch  ihre  Autorität 
gesichert  war.  Die  allgemeine  Vorstufe  der  höheren  Fakul- 
täten,    die     facultas    artium,     v.-ar     also    keineswegs    freie 


Einleitung.  IX 

Forscherin  im  Sinne  der  heutigen  philosophischen  Fakultät, 
sondern  die  Bewahrerin  des  allgemeinen  wissenschaftlichen 
Rahmens  :  der  aristotelisch-scholastischen  Philosophie.  Und 
wenn  Staat  und  Kirche  der  Universität  weitgehende  Frei- 
heiten gaben,  so  waren  es  Freiheiten  der  Selbstverwaltung 
und  der  äußeren  Formen,  wie  man  sie  hochangesehenen, 
aber   nur   durchaus    unverdächtigen    Korporationen    erteilt. 

Wie  sehr  aber  diese  Korporationen  die  Universalität, 
auf  die  sie  schon  damals  etwa  Anspruch  machen  konnten, 
von  der  Kirche  zu  Lehen  trugen,  beweist  die  Tatsache, 
daß  nach  der  Reformation  die  protestantischen  Universi- 
täten sofort  dem  territorialen  Prinzip  verfielen :  Wie  Staat 
und  Kirche  jetzt  auf  die  engeren  Kreise  sich  selbständig 
entfaltender  Gebiete  eingeschränkt  werden,  so  auch  die 
Universitäten.  Konfessionelle  und  wirtschafthch-politische 
Gründe  führen  zum  System  der  Universitätssperre.  Damit 
verschwindet  aber  auch  die  wissenschaftliche  Kraft  der 
Universitäten.  Ihr  Erbe  treten  im  17.  Jahrhundert  die  aus 
dem  Geiste  höfischen  Lebens  geborenen  Akademien  an. 
Diese  bedeuten  jedoch  mehr  die  Vereinigung  hervor- 
ragender wissenschaftlicher  Persönlichkeiten,  als  die  Orga- 
nisation des  allgemeinen  wissenschaftlichen  Lebens,  Lehrens 
und   Strebens   überhaupt. 

Dabei  trug  die  protestantische  Universität  noch  ganz 
die  mittelalterlichen  Formen:  der  Altprotestantismus  hatte 
zunächst  die  Autorität  nur  gewechselt,  nicht  ausgeschaltet. 
Dem  entsprach  die  Überlieferung  eines  gegebenen  Wissens- 
stoffes oder  doch  die  Anknüpfung  an  einen  gedruckten 
Leitfaden,  der  zum  Gegenstande  der  Auslegung  gemacht 
wurde.  Ganz  allmählich  nur  drang  die  Richtung  auf  Ver- 
selbständigung des  Individuums  und  rationale  Kritik  durch, 
die  doch  eigentlich  der  lebendige  Keim  der  Reformation 
gewesen  war.  Immer  weiter  breitet  sich  nun  das  Streben 
aus,  das  Leben  dem  Urteil  der  Vernunft  zu  unterwerfen 
und  die  vorgefundene  Kultur  an  den  Maßstäben  wissen- 
schaftlicher Kritik  zu  messen.  Aus  dieser  Bewegung  ging 
als  Korrelat  der  mathematischen  Naturwissenschaft  das 
natürliche  System  der  Geisteswissenschaften  hervor.  Beide 
waren  auf  unbefangene  Forschung  gerichtet;  beide  mußten 
in  konsequenter  Verfolgung  ihrer  rationalen  Selbst- 
gewißheit   mit    den    überlieferten    Autoritäten    des    Staates 


X  Einleitung. 

oder  der  Kirche  in  Konflikt  kommen.  Es  fragte  sich,  wie 
sich  die  aufgeklärte  Monarchie  mit  dieser  neu  in  ihrem 
Schöße  aufkommenden  Macht  auseinandersetzen  würde. 

Die  drei  Möglichkeiten,  die  in  dieser  Hinsicht  be- 
standen, lassen  sich  in  der  Tat  sämtlich  beobachten.  Es 
kam  vielfach  zu  einem  feindseligen  Zusammenstoß,  wenn 
nämlich  die  Resultate  der  Wissenschaft  den  monarchischen 
und  kirchhchen  Geist  bedrohten,  in  dem  der  Staat  seine 
Machtgrundlage  hatte.  Ebenso  oft  aber  gedieh  auch  ein 
friedliches  Zusammengehen,  insofern  der  Staat  selbst  von  auf- 
klärerischen Tendenzen  durchsetzt  war  und  so  in  der  Wissen- 
schaft nur  sein  theoretisches  Spiegelbild,  ja  unter  Umständen 
seine  willkommene  Rechtfertigung  fand.  Christian  Wolff 
und  Kant  haben  je  nach  dem  Wechsel  des  politischen 
Windes  beide  Schicksale  erfahren.  Aber  die  Eintracht  war 
in  Gefahr,  in  einen  faulen  Frieden  auszuarten,  wenn  darüber 
der  innere  Zweck  der  Wissenschaft  vergessen  wurde  und 
sie  zu  einer  Dienerin  des  Staates  herabsank.  Aufklärung 
mit  Lehrfreiheit  war  ein  Prinzip  des  Fortschrittes;  Auf- 
klärung ohne  Lehrfreiheit  mußte  zum  Staatsutilitarismus 
führen.  In  der  Tat  mündete  die  Bewegung  in  diese 
Niederung  aus.  Die  alten  Universitäten,  selbst  Halle  und 
Königsberg  eingeschlossen,  vermochten  im  Rahmen  des 
despotischen  Staates  das  neue  Prinzip  der  Lehrfreiheit 
nicht  durchzusetzen.  Mit  Neid  sah  man  auf  Göttingen,  wo 
der  ursprünglich  territoriale  Charakter  der  Universität  bald 
durchbrochen  worden  war  und  ein  internationaler  Geist 
herrschte,  der  sich  im  politischen  Liberahsmus  und  im 
Aufblühen  der  zweckentrückten  humanen  Studien  äußerte*). 
Anfangs  schien  die  Wolffische  Philosophie  der  ungeheuren 
Entwicklung  der  philosophischen  Fakultäten  einen  Rahmen 
bieten  zu  können.  Aber  sie  war  sehr  bald  zu  einem  neuen 
Gegenstand  der  Tradition  herabgesunken;  die  Fähigkeit, 
die  wissenschaftliche  Forschung  auf  die  Dauer  zu  befruchten, 
besaß  sie  nicht.  Sie  war  mehr  die  enzyklopädische  Voll- 
endung eines  erarbeiteten  Wissens,  als  die  glückliche, 
intuitive  Vorwegnahme  von  Resultaten,  die  erst  die  Zukunft 
im  einzelnen  erhärten  sollte. 


*)   Vgl.  A.  Heubaum,    Geschichte    des  deutschen   Bildungs- 
wesens I,  244  ff. 


Einleitung.  XI 

Je  mehr  nach  dem  kurzen  Aufschwung  im  Anfang  des 
18.  Jahrhunderts  das  eigentUche  Leben  der  Wissenschaft 
erschlaffte,  um  so  wilhger  ordnete  sich  das,  was  übrig 
bUeb,  den  Tendenzen  des  Staates  unter..  Von  gewissen 
Kreisen  der  Aufklärung  darf  man  sagen,  daß  sie  die  Wissen- 
schaft überhaupt  als  eine  Veranstaltung  des  Staates  für 
den  Staat  ansahen.  Beherrschung  des  naheliegenden  Lebens 
zum  Zweck  einer  gesunden  und  praktischen  Daseins- 
gestaltung erschien  als  das  höchste  Ziel:  wenn  sich  im 
Staate  das  Wissen  mit  der  Macht  vereint,  so  wird  er  in 
der  auswärtigen  Konkurrenz  die  Oberhand  behalten  und 
nach  innen  hin  soziale  Wohlfahrt,  Reichtum  und  Glück 
hervorrufen;  derselbe  vortreffliche  Pragmatismus,  den  man 
uns  auch  heute  wieder  als  ein  Universalmittel  anbietet. 
Von  hier  aus  gesehen  mußten  natürlich  die  Universitäten 
mit  ihrem  Vielerlei  von  Interessen  und  Forschungsgebieten 
als  veraltet  erscheinen.  Die  Berufsschule,  die  sich  für  den 
Schulunterricht  schon  durchgesetzt  hatte,  begann  sich 
auch  auf  den  Hochschulunterricht  auszudehnen.  Man 
gründete  Spezialanstalten  für  Ärzte,  Landwirte,  Techniker, 
Künstler  usw.  Hier  brauchte  man  sich  nicht  durch  einen 
schwerfälligen  Ballast  von  historischen  Notizen  und  wider- 
sprechenden Meinungen  hindurchzuarbeiten,  sondern  man 
lernte,  was  man  unmittelbar  brauchen  konnte  und  wie 
man   es    unmittelbar    brauchen   konnte. 

Aber  nicht  nur  wegen  des  Unterrichtsstoffes  und  seiner 
Gliederung  erschienen  die  Universitäten  nunmehr  abgetan, 
sondern  auch  aus  rein  pädagogischen  Gründen :  der  Philan- 
thropismus, dieses  echte  Aufklärungskind,  wandte  sich  gegen 
die  auf  den  Universitäten  herrschende  Methode.  Die  Herr- 
schaft des  Kathedervortrags  hielt  Salzmann  für  einen  Rest 
aus  der  Zeit,  wo  Bücher  selten  waren.  Als  Triumph  der 
Unterrichtskunst  ließ  man  jetzt  nur  das  sokratische  Ge- 
spräch gelten. 

Diese  feindseligen  Stimmen  haben  am  Ende  des 
18.  Jahrhunderts    durchaus    das    Übergewicht*).      Sie    be- 

*)  Zum  folgenden  vgl.  A.IIcubaum,  ,, Die  Reformbestrebungen 
unter  dem  preußischen  Minister  J.  v.  Massow  (1798—1807)  auf 
dem  Gebiete  des  höheren  Bildungswesens".  Mitteilungen  der  Ge- 
sellschaft für  deutsche  Erziehungs-  und  Schulgeschichte,  Bd.  14 
(1904),  S.  187  ff. 


XII  Einleitung. 

weisen  mindestens,  daß  man  den  tatsächlichen  Zustand 
der  Universitäten  als  unzulänglich  empfand,  wenn  auch 
das,  was  man  an  ihre  Stelle  setzen  wollte,  objektiv  keine 
Verbesserung  bedeutete.  Schon  Thomas  Abbt  hatte  in 
den  ,, Literaturbriefen"  diesen  Kampf  eröffnet,  und  Michaelis 
hatte  ihm  mehr  ausführlich  als  erfolgreich  geantwortet. 
Besonders  charakteristisch  aber  sind  die  Diskussionen  der 
Berliner  Mittwochsgesellschaft,  die  sich  1795  an  einen  Auf- 
satz des  Predigers  Gebhard  über  Aufhebung  der  Universi- 
täten anschlössen.  Wenn  von  den  Mitgliedern  auch  nur 
Biester  dieser  radikalen  Forderung  unbedingt  beistimmte, 
so  waren  sich  doch  Teller,  Nicolai  und  Wlömer,  Göckingk, 
Svarez  und  Gedike  darin  einig,  daß  die  innere  und  äußere 
Einrichtung  der  Universitäten  umfassender  Reformen  be- 
dürfe. Was  so  in  den  führenden  Kreisen  der  Aufklärung 
allgemeine  Überzeugung  war,  erhob  auch  der  preußische 
Minister  des  geistlichen  Departements  v.  Massow  zum 
Grundsatz  seiner  Amtsführung.  Wiederholt  richtete  er  an 
den  König  den  Antrag  auf  Umbildung  der  Universitäten; 
ja  im  Grunde  seiner  Seele  sah  er  in  Spezialanstalten 
für  Ärzte,  Juristen  und  Theologen  die  eigentlich  zweck- 
entsprechenden Hochschulen. 

Wie  sich  vom  Boden  der  Aufklärung  aus  eine  Uni- 
versität im  modernen  Sinne,  d.  h.  eine  viele  Spezialschulen 
umfassende  allgemeine  Lehranstalt  ausgenommen  hätte, 
zeigen  die  kurzen  Andeutungen,  die  der  von  der  Aufklärung 
hochgeschätzte  „Philosoph  für  die  Welt"  J.J.Engel  1802 
in  seinen  für  Beyme  bestimmten  Bemerkungen  über  die  Ein- 
richtung einer  „allgemeinen  Lehranstalt"  in  dem  „schönen, 
industriösen,  kunstreichen,  veränderungsvollen  Berlin" 
machte:  der  Gesichtspunkt  der  Technik,  d.h.  die  Ver- 
einigung einer  Fülle  von  großen  praktischen  Anstalten  in 
der  Hauptstadt  steht  im  Vordergrunde;  von  einem  inneren 
Mittelpunkte   aber   ist    nicht   die    Rede*).   — 


*)  Es  war  dies  die  erste  ernstliche  Diskussion  über  die  Frage 
einer  Hochschule  in  Berlin,  die  also  durch  Beyme  angeregt  wurde. 
Max  Lenz  hat  in  einem  Berliner  Akademievortrag  1907  zuerst 
nachgewiesen,  daß  der  bei  Köpke  abgedruckte  Engeische  Entwurf 
von  1802  in  der  Tat  der  einzige  ist,  der  überhaupt  existiert  hat. 
Die  Behauptung  von  Köpke,  daß  Engel  schon  früher  (1799)  einen 
anderen  Entwurf  eingereicht  habe,  beryht  auf  einem  Irrtum.    \'gl. 


Einleitung.  XIII 

Besaßen  nach  alledem  die  Universitäten  überhaupt 
noch  eine  Lebenskraft,  die  es  sich  zu  bewahren  lohnte,  oder 
ist  die  Wiedererweckung  der  alten  Form  nur  eine  Wirkung 
des  aufkommenden  historischen  Geistes  mit  seinen  roman- 
tischen Neigungen?  Gewiß  hat  auch  dieser  geschichtliche 
Geist  mitgewirkt;  dies  beweisen  schon  die  damals  er- 
scheinenden historischen  Schriften  von  Meiners  und 
Baidinger  über  das  Universitätswesen.  Aber  im  Grunde 
war  es  doch  etwas  Neues,  das  sich  aus  den  alten  Formen 
entwickelte,  und  wer  für  die  Universitäten  eintrat,  meinte 
mehr  diesen  werdenden  Kern,  als  die  alte  Hülle;  er  fand 
im  besten  Falle  die  hergebrachte  Organisation  für  ge- 
eignet, den  neuen  Inhalt  zu  tragen,  wenn  er  auch  überzeugt 
sein  mußte,  daß  jener  äußere  Rahmen  ursprünglich  für 
einen   ganz  anderen   Inhalt   geschaffen   worden  war. 

Jene  Keime  nun  trugen  schon  am  Ende  des  ablaufenden 
Jahrhunderts  die  Universitäten  Halle,  Jena  und  Göttingen 
in  sich.  Dort  regte  sich  der  freie  Forschungsgeist,  der  die 
Wissenschaft  als  eine  zusammenhängende,  nur  im  forschenden 
Verein  lösbare  Aufgabe  betrachtete.  Und  wenn  ein  Aus- 
länder für  das  Wesen  und  den  Wert  der  deutschen  Uni- 
versitäten eine  Lanze  brechen  konnte,  so  muß  man  be- 
achten, daß  es  Göttingen  war,  was  ihm  als  Muster  vor- 
schwebte. Als  diese  Universität  unter  französische  Re- 
gierung gekommen  war,  erfuhr  sie  infolge  der  unzuläng- 
lichen Mittel  einen  erheblichen  Niedergang.  In  Paris  und 
Kassel  dachte  man  daran,  durch  Aufhebung  mehrerer 
kleinerer  Universitäten  die  Fonds  der  großen  zu  vermehren. 
In  dieser  Situation  veranlaßte  Joh.  v.  Müller  den  fran- 
zösischen Gelehrten  Charles  de  Villers,  der  ein  guter 
Kenner  deutscher  Wissenschaft  und  Literatur  war,  etwas 
zur  Verteidigung  der  gefährdeten  Anstalten  zu  schreiben. 
Aus  diesem  Anlaß  ging  die  Schrift  „Coup-d'oeil  sur  les 
universites  et  le  mode  d'instruction  pubUque  de  l'Alle- 
magne  protestante;  en  particulier  du  royaume  de  West- 
phalie"  (Kassel  1808)  hervor,  die  die  Franzosen  mit  der 
Eigenart  der  deutschen  Universitäten  erst  vertraut  machen 


Max  Lenz,  Geschichte  der  Universität  Berlin  1,35.  (Ich  verdanke 
der  Güte  des  Herrn  Verfassers  die  Mitteilung  des  betr.  Druck- 
bogens.) —  Köpke,  Die  Gründung  der  Kgl.  Friedrich -Wilhelms- 
Universität  zu  Berlin;  das.  1860.    S.  147  ff. 


XIV  Einleitung. 

sollte*).  In  den  Fakultäten  sah  Villers  nicht  wie  die 
Aufklärer  das  Mittel  eines  zunftmäßigen  Abschlusses, 
sondern  einer  innigen  Verbindung  der  Wissenschaften, 
und  er  zog  diese  Organisation  des  Hochschulunterrichtes 
den  Spezialschulen  weit  vor,  die  in  Frankreich  durch 
das  Gesetz  vom  Jahre  10  (1802)  zur  Herrschaft  ge- 
kommen waren :  ,,A  la  rigueur,  des  ecoles  speciales  peuvent 
suffire,  quand  on  n'a  pour  but  que  de  former  des  sujets 
■nationaux  pour  les  differentes  parties.  Mais  cette  forme 
d'isolement  des  diverses  sciences  ne  conviendrait  pas  ä 
un  etablissement  auquel  on  veut  donner  un  tres  grand 
relief  scientifique,  que  l'on  destine  ä  etre  une  haute-ecole 
pour  l'Europe  entiere,  une  ecole  qui  attire  ä  eile  la  jeu- 
nesse  de  tant  de  pays  divers." 

Was  Villers  hier  lobt,  ist  doch  noch  das  äußerliche 
Nebeneinander  der  Wissenschaften  und  der  dadurch  ge- 
gebene Vorteil  für  den  Studierenden.  Dieses  Neben- 
einander war  in  Göttingen  vorhanden;  aber  noch  nicht 
das  Ineinandergreifen  der  Wissenschaften:  die  organische 
Einheit.  Die  absterbende  Wolffische  Philosophie  vermochte 
das  trotz  ihres  enzyklopädischen  Charakters  nicht  zu  leisten. 
Auch  Kants  Philosophie  war  mehr  Kritik  als  System.  Erst 
wo  die  wesenhafte  Einheit  alles  wissenschaftlichen  Forschens 
ausgesprochen  wurde,  konnte  auch  die  Form  der  Universität 
ihre  höchste  Rechtfertigung  finden.  Diese  Idee  des 
Wissens  aber  stellte  erst  die  nachkantische  Philosophie 
auf.  Und  zwar  müssen  wir  uns  klar  machen,  wie  der  neue 
Begriff  der  W^issenschaft  auf  zwei  Grundsätzen  ruhte:  auf 
dem  Grundsatz  der  freien  Selbsttätigkeit  und  dem  der 
organischen  Einheit  in  allem  wissenschaftlichen  Tun,  um 
dann  zu  erörtern,  wie  sich  diese  Richtung  geistigen  Lebens 
mit  der  neuen  politisch-sozialen  Organisation  auseinander- 
setzte.  — ■ 

1.  Es  ist  merkwürdig,  daß  Kant,  dessen  Tendenz  so 
energisch  auf  Wissenschaftlichkeit  gerichtet  war,  doch  nicht 
unmittelbar  die  Idee  des  Wissens  geschaffen  hat,  aus  der 
die  Wiedergeburt  der  Universitäten  hervorging.  Kant  blieb 
zu  sehr  Analytiker  und  DuaUst.    Demgegenüber  ist  es  nun 


*)  Vgl.  Thimme,    Die  inneren  Zustände  des  Kurfürstentums 
Hannover,  Bd.  II,  S.  248  ff. 


Einleitung.  XV 

Ficht  es  grundlegende  Tat,  auf  einen  Urakt  des  Geistes 
zurückgegangen  zu  sein,  in  dem  Wissen  und  Handeln  — 
und  entsprechend  theoretische  und  moralische  Überzeugung 
—  noch  ungetrennt  sind.  Alle  Gewißheit  haftet  an  einem 
höchsten  Punkte:  dem  Bewußtsein  des  Ich  und  den  in  ihm 
gesetzten  grundlegenden  geistigen  Akten.  Fichtes  Wissen- 
schaftslehre ist  demnach  der  Versuch,  das  Wissen  in  einem 
letzten  Archimedischen  Punkte  zu  verankern.  Jede  einzelne 
Wissenschaft  empfängt  ihre  Garantie  nur  dadurch,  daß  sie 
auf  dem  Wege  der  Deduktion  von  diesem  ursprünglichen 
Wissen  und  Setzen  schlechthin  abgeleitet  werden  kann.  Aber 
Fichte  denkt  sich  die  Verzweigungen  des  Wissens  nicht  als 
einen  ruhenden  Bestand,  sondern  aJs  etwas,  das  in  der  freien 
Explikation  des  Ich  durch  freie  und  doch  notwendige 
Tathandlungen  erzeugt  wird.  Jede  Ausbreitung  der  Wissen- 
schaft ist  also  eine  Eroberung,  ja  selbst  jedes  Lernen  ein 
produktiver  Akt,  und  aller  Fortschritt  hängt  von  diesem 
Fortschritt  des  handelnden  und  zugleich  selbstbewußten 
Geistes  ab.  So  konnte  er  schon  1794  —  in  demselben  Jahre, 
in  dem  die  erste  Wissenschaftslehre  erschien  —  im  Gegen- 
satz zu  Rousseau  den  Gelehrten  als  den  eigentlichen 
Träger  des  Fortschritts  hinstellen.  Zweierlei  also  hat  der 
moderne  Wissenschaftsbegriff  Fichte  zu  verdanken :  die 
Zurückführung  auf  eine  absolute  Einheit  und  die  Zurück- 
führung  auf  produktive  Akte,  d.  h.  also :  auf  die  von  Ewig- 
keit her  im  Geiste  gesetzte  Totalität  und  auf  die  ebenso 
ewige   Fortschrittstendenz. 

Aber  zweierlei  fehlte  ihm  andrerseits  doch  noch,  um 
diesen  Gedanken  zu  vollenden:  einmal  die  Fähigkeit,  auch 
die  Natur  dieser  wissenschaftlichen  Konstruktion  zu 
unterwerfen,  und  ferner  der  grundlegende  Begriff,  der 
zwischen  jener  Einheit  und  jener  Spaltung  des  Wissens 
nach  der  Vielheit  der  Erscheinungen  vermittelte.  Beides 
leistete  Schelhng:  er  schuf  eine  Naturphilosophie,  die 
tatsächlich  die  Natur  aus  ursprünghch  unbewußten  Akten 
des  Geistes  deutete,  und  er  erweckte  den  platonisch- 
neuplatonischen  Begriff  der  Idee  zu  neuem  Leben,  als 
einer  Vermittlung  zwischen  der  ewigen  Unendhchkeit  des 
Geistes  an  sich  und  ihrer  zugleich  individuahsierenden  und 
doch  typischen  Brechung  in  den  einzelnen  Erscheinungen 
der  Natur  und  Geschichte.    Die  Idee  bedeutet  das  Endlich- 


XVI  Einleitung. 

werden  des  Unendlichen,  das  Eintreten  des  göttlichen 
Lebens  in  die  Formen  der  Erfahrungswelt,  ein  Schaffen 
und  Bilden,  das  dem  künstlerischen  vergleichbar  ist  und 
das  von  der  Wissenschaft  nachgeschaffen  wird.  Diese 
Wissenschaft  aber  ist  zugleich  getragen  von  der 
Ahnungskraft  einer  begeisterten  religiösen  und  ästhetischen 
Intuition. 

Indem  nun  Schelling  diese  Momente  mit  den  von 
Fichte  übernommenen  verband,  wurde  ihm  die  Wissen- 
schaft zu  einem  Organismus  im  Reiche  des  Idealen,  den 
er  dem  realen  Organismus  der  Welt  als  sein  Spiegelbild 
gegenüberstellte,  und  die  Universität  oder  Akademie  be- 
deutete ihm  das  Realwerden  dieser  idealen  Einheit.  In 
seinen  , .Vorlesungen  über  die  Methode  des  akademischen 
Studium"  spann  er  dieses  Spiel  mit  Analogien  so  weit  aus, 
wie  es  sich  in  seiner  zum  Architektonischen  neigenden 
Phantasie  gestaltete.  Ja  selbst  die  historisch  gewordenen 
Fakultäten  versuchte  er  noch  als  von  Ewigkeit  her  ge- 
setzte Besonderungen  des  Wissens  zu  begreifen.  Schon 
Schleiermacher  hat  in  seiner  Rezension  über  die  Buch- 
ausgabe dieser  Vorlesungen  hiergegen  Protest  erhoben. 
Aber  den  Grundgedanken  der  modernen  Universität  hatte 
Schelling  mit  jenen  Begriffen  so  überzeugend  umschrieben, 
daß  wohl  unsere  Schriften  alle  drei  durch  ihn  be- 
einflußt   sind. 

Es  ist  schwer,  ein  Bild  von  der  Begeisterung  und 
Größe  dieser  Schrift  zu  geben,  in  der  zum  erstenmal  der 
Gedanke  ausgesprochen  wird,  daß  sich  in  der  Universität 
die  Einheit  des  wissenschafthchen  Strebens  darstellt,  wo- 
durch der  einzelne  schöpferisch  das  Leben  der  Ideen 
in  sich  erzeugt.  Denn  durch  diese  drei  Momente  ist  der 
Geist  bezeichnet,  in  dem  die  entscheidende  Neugründung 
durch  Humboldt,  Schleiermacher  und  Fichte  erfolgte.  „Der 
besonderen  Bildung  zu  einem  einzelnen  Fach,  sagt  Schelling, 
muß  die  Erkenntnis  des  organischen  Ganzen  der  Wissen- 
schaften vorangehen.  Derjenige,  welcher  sich  einer  be- 
stimmten ergibt,  muß  die  Stelle,  die  sie  in  diesem  Ganzen 
einnimmt,  und  den  besonderen  Geist,  der  sie  beseelt,  sowie 
die  Art  der  Ausbildung  kennen  lernen,  wodurch  sie  dem 
harmonischen  Ganzen  sich  anschließt,  die  Art  also  auch, 
wie   er  selbst  diese   Wissenschaft   zu   nehmen  hat,   um  sie 


Einleitung.  XVII 

nicht  als  ein  Sklav^e,  sondern  als  ein  Freier  und  im  Geiste 
des  Ganzen  zu  denken."  Auf  diesen  Standpunkt  aber 
gelangt  nur,  wer  in  der  Vielheit  der  Dinge  die  ewige  und 
göttliche  Idee  zu  ahnen  weiß.  „Nur  das  schlechthin  All- 
gemeine ist  die  Quelle  der  Ideen,  und  Ideen  sind  das 
Lebendige  der  Wissenschaft.  Wer  sein  besonderes  Lehr- 
fach nur  als  besonderes  kennt  und  nicht  fähig  ist,  weder 
das  Allgemeine  in  ihm  zu  erkennen  noch  den  Ausdruck 
einer  universell-wissenschaftlichen  Bildung  in  ihm  nieder- 
zulegen, ist  unwürdig,  Lehrer  und  Bewahrer  der  Wissen- 
schaften zu  sein."  Diese  Ideen  endlich  aber  können  nicht 
in  passivem  Lernen  empfangen  werden,  sondern  müssen 
in  jedem  selbsttätig  neugeschaffen  werden:  ,,Alle  Regeln, 
die  man  dem  Studierenden  vorschreiben  könnte,  fassen  sich 
in  der  einen  zusammen:  Lerne  nur,  um  selbst  zu  schaffen! 
Nur  durch  dieses  göttliche  Vermögen  der  Produktion  ist 
man  wahrer  Mensch,  ohne  dasselbe  nur  eine  leidlich  klug 
eingerichtete  Maschine.  Wer  nicht  mit  demselben  höheren 
Antrieb,  womit  der  Künstler  aus  einer  rohen  Masse  das 
Bild  seiner  Seele  und  der  eigenen  Erfindung  hervorruft, 
es  zur  vollkommenen  Herausarbeitung  des  Bildes  seiner 
Wissenschaft  in  allen  Zügen  und  Teilen  bis  zur  voll- 
kommenen Einheit  mit  dem  Urbild  gebracht  hat,  hat  sie 
überhaupt    nicht    durchdrungen." 

Man  darf  also  sagen:  Seit  Schelling  ist  die  Idee 
des  Wissens  gleichbedeutend  mit  dem  Wissen  von  der 
Idee,  d.  h.  von  ihrer  Einheit  und  ihren  Verzweigungen. 
Diese  Ideenlehre  ergreift  die  übrigen  Denker  der  Zeit  mit 
so  ungeheurer  Schnelligkeit,  daß  sie  nur  als  glückliche 
Ausdrucksformel  für  das,  was  längst  in  ihnen  selbst  lag, 
angesehen  werden  darf;  aber  zuerst  ausgesprochen  hat 
sie  Schelling,  und  zwar  unter  der  Wirkung  Piatos,  der 
Neuplatoniker  und  Schillers  zugleich.  Daher  ist  auch  ihre 
Anwendung  auf  die  Universitäten  durch  Fichte,  Schleier- 
macher und  Steffens  nur  eine  individuelle  Ausprägung 
von  Gedanken,  die  Schelling  zuerst  angeregt  hatte. 

Und  zwar  verläuft  nun  dieser  Gedanke  bei  allen  diesen 
Denkern  in  der  Form:  Die  Einheit  der  Universität  ist 
gerechtfertigt  durch  die  Einheit  der  Idee.  Insofern  das 
Wissen  diese  Idee  abbildet,  bildet  es  auch  ihre  wurzelhafte 
Einheit  ab.     Und  sofern  alles  Wissen  Erkenntnis  des  All- 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  B 


XVIII  Einleitung. 

gemeinen  im  Besonderen  ist,  geht  auch  jede  Wissenschaft 
vom  Einzelnen  zuletzt  auf  jene  höchste  Einheit  des  All- 
gemeinen zurück. 

Wenn  diese  Ansicht  aufs  Konkrete  angewandt  wird, 
so  folgt  daraus  die  Verwerfung  jedes  bloß  praktischen 
Fachstudiums  und  die  überragende  Stellung  der  philo- 
sophischen Fakultät.  Auf  ihr  beruht  die  Einheit  aller 
Wissenschaft,  da  sie  durch  keine  Spezialtendenzen  künftiger 
Berufe  beeinflußt  ist.  Auf  ihr  beruht  ebenso  die  fort- 
schreitende Spezialisierung  des  Wissens  rein  um  der 
Forschung  willen,  also  die  produktive  Erzeugung  neuen 
Wissens,  neuer  Durchdringungen  des  Besonderen  mit  dem 
Allgemeinen.  Wenn  demnach  der  Plan  einer  Universität 
rein  aus  dem  Wesen  wissenschaftlicher  Forschung  entworfen 
würde,  so  würde  in  ihr  die  philosophische  Fakultät  an 
erster  Stelle  stehen  und  dem  ganzen  Betrieb  das  Gepräge 
aufdrücken.  In  der  Tat  wird  man  diesen  Gedanken  bei 
Fichte,  Schleiermacher  und  Steffens,  wenn  auch  in  ver- 
schiedener Form,  ausgesprochen  finden.  Fichte,  der  den 
Plan  seiner  ,, Kunstschule  des  wissenschaftlichen  Verstandes- 
gebrauchs" ganz  aus  der  Idee  deduziert,  weist  dem 
Philosophen  eine  zentrale  Stellung  an  und  läßt  auch  im 
übrigen  nicht  die  Inhaber  einer  ,, seltenen  Wisserei", 
sondern  nur  die  enzyklopädischen  Lehrer  als  eigentliche 
Ordinarien  gelten.  Schleiermacher  knüpft  mehr  ans 
Historische  an,  aber  er  läßt  doch  durchblicken,  daß  die 
bisherigen  oberen  Fakultäten  eigentlich  mehr  Spezial- 
schulen seien,  und  daß  der  philosophische  Geist  die  Uni- 
versität zusammenhalte.  Steffens  endUch  folgt  in  kurzen 
Andeutungen  dem  Wege  Schellings  und  leitet  die  vier 
Fakultäten  aus  charakteristischen  Besonderungen  der 
Idee  ab. 

Aber  wir  betonten,  daß  die  neue  Idee  des  Wissens,  die 
wir  hier  nur  in  ihren  prinzipiellen  Umrissen  wiedergeben 
konnten,  nicht  aus  sich  allein  die  ganze  Organisationsform 
des  wissenschaftlichen  Lebens  bestimmt,  sondern  daß  hier- 
für die  Gesamtlage  der  politischen  und  sozialen  Verhält- 
nisse   maßgebend    wird. 

2.  Auch  der  Staat  und  seine  Grundlagen  in  den  ge- 
sellschaftlichen Verhältnissen  erfuhr  damals  eine  tiefgehende 
Umbildung.    Bisher  war  die  Staatsmacht  durch  eine  Person 


Einleitung.  XIX 

dargestellt  worden,  die  eben  deshalb  Despot  sein  konnte, 
wenn  sie  auch  aufgeklärter  Despot  war.  Diesem  Monarchen 
gegenüber  standen  als  unterworfene  und  zum  Frieden  ge- 
brachte Mächte  die  alten  Stände,  denen,  der  Fürst  im 
Laufe  der  Entwicklung  eine  bestimmte  staatliche  Leistung 
angewiesen  hatte.  Der  Einzelne  gehörte  dem  Staat  an 
durch  Vermittlung  seines  Standes,  und  seine  Funktionen 
beschränkten  sich  auf  das,  was  er  in  diesen  Grenzen  für  den 
von  einer  obersten  Stelle  geleiteten  Staat  sein  konnte. 
Wenn  man  unter  einem  ,, Bürger"  einen  Menschen  ver- 
steht, der  in  all  seinen  Lebensverhältnissen  unmittelbare 
Beziehungen  zum  Staat  hat,  so  hatte  es  seit  dem  Altertum 
keinen  Bürger  mehr  gegeben.  Nun  aber  bereitet  sich 
diese  Ausdehnung  des  staatlichen  Lebens  auf  alle  seine 
Glieder  durch  die  Lehre  von  der  Volkssouveränität  und 
das  von  Rousseau  vollendete  Naturrecht  vor,  und  die  Re- 
volution in  Frankreich,  die  Stein-Hardenbergschen  Re- 
formen in  Preußen-Deutschland  verwirklichen  das  langsam 
Gereifte.  Dadurch  bildet  sich  zunächst  ein  Gegensatz 
zwischen  den  Begriffen  Nation  und  Staat.  Die  Nation  er- 
scheint als  der  Träger  alles  freien  bürgerlichen  Lebens, 
der  Staat  als  ein  von  außen  mechanisch  aufgelegter  Zwang. 

Das  volle  Leben,  die  allseitige  Verwirklichung  der 
ursprünglichen  Menschenkräfte  pulsiert  nur  in  der  Nation. 
Hier  allein  also  kann  auch  jene  Idee,  die  die  Wissenschaft 
ergründen  will  und  die  vor  aller  Wissenschaft  schon  das 
Leben  durchwirkt,  Gestalt  empfangen.  Der  Mechanismus 
des  Staates  hat  keinen  Teil  an  der  Idee.  Denn  diese  wirkt 
nicht  mechanisch,  sondern  organisch,  nicht  durch  Zwang, 
sondern  durch  Selbsttätigkeit,  nicht  durch  Egoismus, 
sondern  durch  sittliche  Autonomie.  Davon  waren  Kant, 
Humboldt,  Fichte  und  ihre  Zeitgenossen  schon  überzeugt, 
ehe  sie  für  ihr  Lebensgefühl  das  Symbol  der  Idee  fanden. 

In  dieser  Übergangsepoche  entsteht  also  eine  Kluft 
zwischen  dem  ideal-sittlichen  und  dem  real-staatlichen 
Leben.  Erst  allmählich  dringt  man  dahin  vor,  auch  den 
Staat  als  ein  Werk  schaffender  Ideen,  d.  h.  geistig- 
moralischer Energien,  anzusehen.  Gerade  in  diese  Zwischen- 
zeit aber  fällt  nun  die  entscheidende  Reflexion  über  die 
Stellung  der  Universität  zum  Staate.  Wir  müssen  diese 
Problemlage  in  ihrer  eigentümlichen  Verwicklung  erfassen. 


XX  Einleitung. 

Solange  der  Staat  nur  äußere  Macht  ist,  muß  ihm 
die  ideelle  Macht  der  Wissenschaft  als  fremde  Kon- 
kurrentin gegenüberstehen.  Dieser  Staat  kann  der  Wissen- 
schaft nichts  geben,  man  kann  höchstens  fordern,  daß 
er  sie  nicht  hindere,  allenfalls  hoffen,  daß  er  Bedingungen 
für  die  ungehemmte  Entfaltung  der  Wissenschaft  setzen 
werde.  Sobald  aber  der  Staat  von  denselben  sittlichen 
und  idealen  Kräften  getragen  wird,  auf  denen  die  Tendenz 
zur  reinen  Wahrheitsforschung  beruht,  sobald  er  das  Werk 
der  freien  Selbsttätigkeit  seiner  Bürger  in  seine  Macht- 
funktionen mitaufnimmt,  kann  er  auch  die  Wissenschaft 
als  eine  dieser  idealen  Kräfte  in  sich  aufnehmen. 

Zwischen  diesen  Extremen  oszilliert  die  Stellungnahme 
!der  Verfasser  unserer  drei  Schriften.  Sie  sind,  wie 
Humboldt,  Kinder  des  alten  aufgeklärten  Staates,  für  den 
die  Wissenschaften  ein  Endliches,  Gegebenes  und  ein 
Technisch-Nützliches  waren,  wie  er  denn  seine  Akademien 
mit  Vorliebe  als  technische  Deputationen  benutzte.  Sie 
wachsen  mit  den  großen  sozialen  und  politischen  Um- 
wälzungen ihrer  Zeit  hinein  in  den  neuen  nationalen  Staat, 
der  ihnen  selbst  noch  als  etwas  Unbestimmtes,  W^erdendes 
vorschwebt.  Und  so  beschäftigt  sie  die  brennende  Frage: 
Wird  dieser  Staat  die  Freiheit  der  Lehre  und  der 
Forschung   in    sich    aufnehmen    können? 

Ohne  Zweifel  konnte  er  es  in  viel  höherem  Maße  als 
der  despotisch  regierte  Staat.  Wenn  eine  Selbstverwaltung 
und  eine  Teilnahme  des  Bürgers  an  den  Funktionen  der 
politischen  Macht  möglich  war,  wenn  jetzt  eine  freie  Kon- 
kurrenz der  wirtschaftUchcn  Kräfte  nach  all  den  Bindungen 
durch  Zölle  und  Zünfte  ungefährlich  erschien,  weshalb  nicht 
auch  eine  freie  Regung  des  lebendigen  Wahrheitstriebes  ?  — 
Wenn  jene  Denker  diese  Frage  nicht  froh  und  zuversichtlich 
bejahten,  so  lag  dies  doch  nicht  nur  an  ihrer  besonderen  zeit- 
geschichtlichen Bedingtheit,  sondern  ihr  Zögern  hatte  auch 
sein  Fundament  in  der  Sache:  der  Staat  mag  sich  noch 
so  tief  mit  dem  freien  sitthchen  Wollen  seiner  Bürger 
—  der  volonte  generale  —  durchdringen,  so  bleibt  der 
Kern  seines  Wesens  doch  Macht;  und  dieses  Macht- 
interesse wird  immer  wieder  mit  der  unbekümmerten  Fort- 
schrittstendenz der  vorurteilslosen  Wissenschaft  zusammen- 
stoßen.     Die    Wissenschaft    ist    absolut    liberal,    der    Staat 


Einleitung.  XXI 

aber  als  feste  Gestaltung  historischer  Lebensformen  immer 
konservativ.  Diese  Antinomie  läßt  sich  nicht  verdecken 
und  nicht  beseitigen.  Sie  muß  immer  wieder  zu  Zusammen- 
stößen führen,  die  das  in  alten  Staatsformen  gesicherte 
Leben  gefährden.  Es  kommt  also  darauf  an,  wenn  man 
den  Staat  nicht  ausschalten  kann  und  will,  das  kom- 
possible  Maximum  von  Lehr-  und  Forschungsfreiheit  im 
Rahmen  des  Staates  zu  realisieren.  Die  Form,  auf  die 
dieser  Lösungsversuch  führen  mußte,  ist  die  moderne  Uni- 
versität, als  eine  vom  Parteileben  und  von  politischen 
Machtinteressen  so  weit  als  irgend  möglich  entrückte  freie 
Organisation.  Jeder  neue  Konflikt  aber  beweist,  daß  hier 
nur  ein  labiles  Gleichgewicht  erzeugt  ist,  und  daß  die 
Gegenwirkung  dieser  heterogenen  Kräfte  selbst  nicht  auf- 
gehoben werden  kann. 

Das  Problem  also  ist  keiner  restlosen  Auflösung 
fähig;  aber  daß  es  zur  rechten  Zeit  aufgeworfen  wurde, 
rettete  die  Organisation  des  Lehrens  und  Lernens  davor, 
den  entscheidenden  Augenblick  zu  versäumen.  Die  Reform 
der  Universitäten,  die  sich  in  der  energischsten  Form, 
nämlich  in  der  einer  völligen  Neuschöpfung  vollzog,  ist 
ein  Stück  der  Stein-Hardenbergschen  Reform.  Sie  ging 
von  dem  umfassenden  Plan  einer  Gliederung  des  Bildungs- 
wesens aus,  den  W.  v.  Humboldt  entworfen  hatte  und  in 
einer  erstaunlich  kurzen  Amtszeit  zu  realisieren  wußte. 
Auch  er  hatte  theoretisch  ein  Mißtrauen  gegen  den  Staat 
und  glaubte,  daß  es  ohne  ihn  weit  besser  gehen  würde. 
Aber  die  tatsächliche  Macht  der  Verhältnisse  zwang  ihn, 
aus  dem  Staat  zu  machen,  was  er  ihm  nie  zugetraut  hätte, 
nämlich  einen  Erzieher  zu  den  höchsten  Idealen  der  Mensch- 
heit. Daher  kam  er  nun  in  die  ganze  eben  entwickelte 
Antinomie  hinein:  Einerseits  schienen  ihm  Freiheit  und 
Selbsttätigkeit  das  eigentliche  Lebensprinzip  der  Wissen- 
schaft zu  sein.  Sie  war  für  ihn  etwas,  das  frei  aus  dem 
Innern  stammt,  das  immer  als  etwas  noch  nicht  ganz  Ge- 
fundenes und  nie  ganz  Aufzufindendes  zu  betrachten  ist 
und  doch  der  Idee  nach  eine  organische  Einheit  bildet. 
Auf  diese  selbsttätige  Erzeugung  des  Wissens  kann  der 
Staat  nicht  wirken.  Was  also  ,,das  Äußere  des  Verhält- 
nisses zum  Staat  und  seine  Tätigkeit  dabei  betrifft, 
so    hat     er    nur    zu     sorgen    für    Reichtum    (Stärke    und 


XXII  Einleitung. 

Mannigfaltigkeit)  an  geistiger  Kraft  durch  die  Wahl 
der  zu  versammelnden  Männer  und  für  Freiheit  in 
ihrer  Wirksamkeit".  Anderseits  aber  sah  er  doch  wieder 
das  Interesse  des  Staates  an  den  inneren  Verhältnissen  der 
Universität  aufs  höchste  beteiligt.  Daher  wollte  er  dem 
Staat  die  Ernennung  der  Professoren  vorbehalten,  selbst 
auf  die  Gefahr  hin,  in  den  Fakultäten  einen  Antagonismus 
zu  erzeugen,  den  er  sogar  als  Freund  individueller  Mannig- 
faltigkeit auch  in  der  Wissenschaft  für  heilsam  hielt. 
Mochte  er  aber  auch  darin  dem  Staatsinteresse  den  Vor- 
rang geben,  so  sprach  er  doch  die  Freiheit  der  Forschung 
als  höchstes  Prinzip  aus  und  erhob  so  zum  ersten  Male 
zum  staatlich  anerkannten  Grundsatz,  was  lange 
schon  in  der  inneren  Entwicklung  der  Wissen  Schaft 
bohrte  und  wühlte. 

Wenn  so  der  praktische  Staatsmann  in  sich  den  Kampf 
zweier  widerstrebender  Tendenzen  zeigte,  so  ist  es  be- 
greiflich, daß  wir  dieselbe  tastende  Unsicherheit  in  den 
rein  literarischen  Erörterungen  unserer  drei  Denker  wieder- 
finden. Aber  sie  trägt  doch  zugleich  bei  jedem  dieser  drei 
Männer  einen  individuellen  Zug,  der  durch  die  Härte  oder 
Weiche  ihrer  persönlichen  Staatsauffassung  hervorgerufen 
wird  und  von  ihrer  Eigentümlichkeit  aus  verstanden 
werden  muß. 

Schleiermacher  stellt  den  Gegensatz  am  reinsten  dar: 
Die  Wissenschaft  fällt  zwar  aus  Gründen  des  Sprachunter- 
schiedes mit  den  Grenzen  der  Nation  im  allgemeinen  zu- 
sammen, aber  nicht  mit  denen  des  Staates.  Das  positive 
Interesse  des  Staates  und  das  wahre  Interesse  der  Wissen- 
schaft gehen  vielmehr  in  der  Regel  auseinander  (vgl.  S.  164). 
Und  auch  Steffens  läßt  in  seiner  zweiten  Vorlesung  einen 
Vertreter  dieser  in  seiner  Zeit  weit  verbreiteten  Ansicht 
auftreten  und  alle  Gründe  entwickeln,  die  sich  für  diesen 
Standpunkt  beibringen  lassen.  Steffens  selbst  aber  ist  zu 
sehr  ScheUingianer,  um  den  Staat  so  von  dem  Leben  der 
Ideen  loszulösen.  Für  ihn  ist  vielmehr  die  Wissenschaft 
die  höchste  Form  des  staatlichen  Selbstbewußtseins,  der 
geistige  Inhalt  seines  äußeren  Organismus.  Bei  Steffens 
ist  also  der  Standpunkt  der  politischen  Romantik  bereits 
zum  Durchbruch  gekommen:  nur  im  Staate  vollendet  sich 
die    Durchdringung    der    Freiheit    (d.  h.  des  Sittlichen)    mit 


Einleitung.  XXIII 

der  Notwendigkeit  (d.  h.  dem  naturhaften  Zwang  und  Kausal- 
zusammenhange). Ja  für  ihn  fallen  auch  die  religiösen 
Ideen  ganz  in  die  Funktioti  des  Staates,  und  der  wahre  Staat 
ist   zugleich   die   wahre    Kirche. 

Ganz  anders  Fichte.  Ihm  liegt  noch  der  revolutionäre 
Liberalismus  der  90  er  Jahre  im  Blute.  Sein  Naturrecht 
von  1796  ist  ein  weit  radikaleres  Buch  als  Humboldts 
staatsfeindhche  Jugendschrift  von  1792.  Schon  sein  ,, Ge- 
schlossener Handelsstaat"  vom  Jahre  1800  aber  bedeutet  für 
das  Gebiet  der  Wirtschaftsphilosophie  ein  ebenso  radi- 
kales Umschlagen  in  den  Staatsenthusiasmus.  Es  war 
Fichtes  Schicksal,  zwischen  dieser  dorischen  Härte  und 
jenem  germanischen  Freiheitsglauben  hin-  und  her- 
zuschwanken. Schwer  genug  wurde  es  ihm,  an  die  höhere 
sittliche  Mission  des  Staates  zu  glauben.  Aber  was  er 
seit  1806  schaudernd  miterlebte,  machte  ihn  zu  einem  An- 
hänger der  strengsten  Organisation.  Als  Redner  vor  der 
deutschen  Nation  forderte  er  die  Staatserziehung.  Auch 
seine  höhere  Lehranstalt  in  Berlin  soll  Staatsinstitut  sein, 
durchaus  ein  Unternehmen  des  gemeinsamen  Lebens,  eine 
Organisation  zugleich  der  Vernunftwissenschaft  und  der 
Vernunftkunst.  Aber  sie  soll  doch  andrerseits  ein  Staat  im 
Staate  sein,  von  eigenen,  aus  dem  Wesen  der  gemeinsamen 
wissenschaftlichen  Aufgabe  geborenen  Formen,  streng  und 
antiindividualistisch  bis  ins  letzte,  preußisch  bis  auf  die 
Uniform  herab.  Wer  nicht  einsieht,  daß  dieser  Welt- 
bürger schließhch  in  seinem  spekulativen  Bemühen  um  den 
Staat  nichts  anderes  errang,  als  ein  Verständnis  für  den 
preußischen  Geist,  wird  ihn  immer  .  nur  äußerlich  und 
mechanisch  deuten.  Was  Fichte  ins  Leben  rufen  wollte, 
wäre  im  Grunde  doch  eine  preußische  Universität 
geworden.  Schleiermacher  wollte  eine  deutsche;  Steffens 
eine  kirchlich-universale.  Humboldt  ließ  den  Baum 
über  all  diese  Kreise  hinauswachsen  und  schuf  eine  Kultur- 
universität überhaupt,  soweit  sie  in  den  Grenzen  einer 
Nation  und  eines  Staates  verwirklicht  werden  kann.  —  — 

So  entschieden  aber  diese  ganze  Literatur  über  die  Uni- 
versitäten aus  allgemeinen  Zeitbedingungen  und  -problemen 
erwachsen  ist,  so  ist  doch  in  jeder  dieser  Schriften  ein  indi- 
vidueller Geist  und  zugleich  eine  besondere  äußere  Veran- 
lassung wirksam.      Hierüber  sei  noch    einiges  hinzugefügt. 


XXIV  Einleitung. 

Fichte  war  Universitätsreformer  von  der  ersten  Stunde 
seiner  Wirksamkeit  an;  er  war  nicht  nur  spekulativer 
Philosoph,  sondern  auch  Pädagog  von  Geburt,  und  das 
lebenweckende  Feuer,  das  in  seiner  Brust  glühte  und  in 
gewaltigen,  zündenden  Worten  herausschlug,  mußte  von 
vornherein  andere  Formen  des  Lehrens  erzeugen,  als  den 
alten  gemächlichen  Kathedervortrag.  Fichte  wolhe  nicht 
darstellen  und  darbieten,  er  wollte  überzeugen.  Wie  sein 
philosophisches  System  alles  auf  Tathandlungen  des  Geistes 
zurückführte,  so  bedeutete  ihm  auch  das  Kollegienhören 
nicht  ein  bloßes  Zuhören,  sondern  einen  Akt  des  Selbst 
von  moralischer  Bedeutung.  Die  subjektivierende  Wen- 
dung, die  Pestalozzi  für  das  Gebiet  der  elementaren 
Pädagogik  durchgeführt  hatte,  macht  Fichte  für  das  ganze 
Gebiet  der  Geistesbildung  zum  Prinzip:  in  den  lebendigen 
Geist  läßt  sich  nichts  einfach  hineinflößen,  sondern  es 
muß  durch  Selbsttätigkeit  erzeugt,  angeeignet  und  nach- 
gebildet werden.  Wie  unpädagogisch  mußte  von  diesem 
Gesichtspunkt  aus  der  bestehende  Vorlesungsbetrieb  er- 
scheinen! Wenn  Fichte  die  alten  Formen  beibehielt,  so 
machte  er  doch  etwas  Neues  aus  ihnen:  seine  Vorlesungen 
waren  ein  unablässiges  Hineinbohren  in  den  Hörer;  nicht 
eigentlich  ein  Wechselgespräch,  sondern  ein  Aufregen  und 
Entflammen  der  geistigen  Tätigkeit,  bei  dem  man  den 
Redner  vergaß  und  von  dem  mächtigen  Werden  des  Ge- 
dankens mithingerissen  wurde.  Noch  heute  fühlt  man  diese 
Macht,  wenn  man  Fichtes  Vorträge  hest:  sie  verwandeln 
sich  ungewollt  in  Rede,  und  die  innere  Unruhe  der  geistigen 
Mitarbeit  läßt  uns  nicht  los,  bis  wir  ausruhend  und  zurück- 
blickend mit  dem  Redner  das  erarbeitete  Resultat  genießen. 
Fichtes  Vorlesungen  sind  daher  so  wenig  wie  seine  Wirk- 
lichkeit ein  Sein:  sie  sind  Leben  und  Werden,  und  was 
sie  gewähren,  ruht  nicht  auf  der  Kraft  des  kühl-logischen 
Beweises,  sondern  darauf,  daß  hier  ein  Lebensstandpunkt 
sich  schöpferisch  entfaltet  und  fühlbar  danach  ringt,  seinen 
Gehalt  bis  in  die  letzten  dunklen  Tiefen  auszusprechen, 
aufzuhellen,  mitzuteilen. 

Es  lassen  sich  noch  andere  wirksame  Formen  des 
Kathedervortrages  denken:  diesen  Typus  aber  hat  Fichte 
mit  nie  erreichter  Genialität  beherrscht.  Wiederholt  hat 
er  Gelegenheit  gehabt  und  genommen,  das  darin  liegende 


Einleitung.  XXV 

pädagogisch-didaktische  Prinzip  in  der  Absicht  einer  all- 
gemeinen Universitätsreform  zu  entwickeln.  Die  hier  mit- 
geteilte Schrift  ist  eigentUch  nur  die  letzte  Ausgestaltung 
von  Gedanken,  die  ihn  zeit  seines  Lebens  bewegten.  Seine 
Vorlesungen  „Über  die  Bestimmung  des  Gelehrten"  von 
1794  haben  wir  schon  erwähnt;  als  er  dann  nach  mannig- 
fachen Kämpfen,  die  im  Grunde  alle  aus  dem  tiefen  Ernst 
und  der  eisernen  Unbeugsamkeit  seiner  Lehrerpersönlich- 
keit erwuchsen,  1805  in  Erlangen  eine  neue  Stätte  der 
Wirksamkeit  fand,  wollte  er  gleichsam  von  Grund  aus  neu 
bauen.  Das  lebhafte  Interesse,  das  Hardenberg  und  Alten- 
stein im  Zusammenhang  ihrer  mustergültigen  Verwaltungs- 
maximen auch  der  fränkischen  Universität  zuwandten,  gab 
ihm  ein  Recht  zu  der  Hoffnung,  daß  man  auf  seine  Ideen 
eingehen  würde.  So  schrieb  er  im  Winter  1805/0Ö  ,, Ideen 
für  die  innere  Organisation  der  Universität  Erlangen",  die 
er  im  darauffolgenden  Sommer  mit  einigen  Zusätzen  und 
Veränderungen  versah  und  Hardenberg  einreichte*).  Dieser 
übergab  sie  Altenstein  zur  Beurteilung,  der  schon  von 
Berhn  her  zu  Fichtes  überzeugten  Anhängern  und  Schülern 
gehörte  und  nun  zu  dem  Reformplan  ein  Gutachten  schrieb, 
das  mit  schwerfälligen  und  weitschweifigen  Worten  alles 
besah  und  fand,  daß  es  gut  war**). 

Die  grundlegenden  pädagogischen  Gedanken  des  Ber- 
liner Universitätsplanes  sind  in  diesen  für  Erlangen  be- 
stimmten Niederschriften  schon  vorgebildet.  Sie  gipfeln 
in  der  Forderung  einer  dialogischen  Lehrmethode;  in  der 
Form  des  sokratischen  Gesprächs  soll  das  Wissen  über- 
mittelt und  befestigt,  in  der  gleichen  Form  beim  Examen 

*)  Näheres  bei  W.  Germann,  „Altenstein,  Fichte  und  die 
Universität  Erlangen".  Erlangen  1889.  Max  Lenz  hat  zuerst 
bemerkt,  daß  die  (nicht  eigenhändige)  Handschrift  der  „Ideen"  in 
dem  Aktenkonvolut  G.  St.  A.  Hardenbergs  Nachlaß  K.  30  nicht 
mit  dem  Druck  in  Fichtes  „Nachgelassenen  Werken",  Bd.  3, 
S.  277  ff.  übereinstimmt,  daß  hier  also  die  veränderte  Redaktion 
vorliegt,  die  Germann  S.  42  vermißt,  weil  er  versäumt  hat,  Druck 
und  Manuskript  zu  vergleichen. 

**)  Diese  Ideen  Fichtes  bestimmten  denn  auch  Altensteins 
Stellung  zur  Universitätsreform  in  der  wichtigen  Denkschrift  über 
die  Reorganisation  des  preußischen  Staates  vom  Sommer  18U7. 
Vgl.  m.  Aufsatz:  „Altensteins  Denkschrift  von  1807  und  ihre  Be- 
ziehungen zur  Philosophie",  Forschungen  zur  brdbg.-preußischen 
Geschichte,  Bd.  XVIII. 


XXVI  Einleitung. 

die  tatsächliche  Erreichung  des  Lehrziels  konstatiert  werden. 
Durch  schriftliche  Ausarbeitungen  soll  der  Studierende  be- 
weisen, daß  das  zu  Lernende  sein  wirkliches  Eigentum 
geworden  ist.  Die  gleiche  produktive  Betätigung  aber 
wird  auch  von  dem  Lehrer  gefordert,  und  eine  Rechenschaft 
über  diese  Leistungen  der  Universität  sollen  die  Jahr- 
bücher geben,  deren  Idee  Fichte  schon  1805  in  seinem 
,,Plan  zu  einem  periodischen  schriftstellerischen  Werke 
an  einer  deutschen  Universität"  entwickelt  hatte*).  Es 
war  nur  die  konsequente  Krönung  für  dieses  System  der 
Wissensproduktion,  wenn  Fichte  die  akademische  Freizügig- 
keit forderte,  die  1810  auf  Humboldts  Antrag  und  nach 
dem  Vorbilde  des  Königreichs  Westfalen  tatsächlich  ein- 
geführt wurde :  der  Sieg  der  freien  Konkurrenz  in  der 
Wissenschaft  über  den  Merkantilismus,  und  zugleich  der 
Sieg  der  allgemeinen  Wissenschaftsidee  über  das  terri- 
toriale   Universitätsprinzip**). 

Gewiß  liegt  in  diesen  Ideen  viel  Richtiges  und  Be- 
herzigenswertes. Das  Überwiegen  der  Vorlesung  über  die 
selbsttätige  Übung,  das  Überwiegen  des  passiven  Auf- 
nehmens über  den  lebendigen  wissenschaftlichen  Verkehr 
zwischen  Lehrer  und  Schüler  ist  und  bleibt  ein  pädago- 
gischer Mangel  des  Universitätswesens,  der  nur  dadurch 
gemildert  wird,  daß  gelegentlich  der  Kathedervortrag  — 
wie  Schleiermacher  sagt  —  in  meisterhafter  Form  gehand- 
habt wird  und  dadurch  ein  Leben  und  Schaffen  in  ihn 
hineinkommt,  das  in  der  bloßen  Form  des  Dozierens  an 
sich  nicht  liegt.  Aber  die  Formen,  in  denen  Fichte  nun 
den  , .wissenschaftlichen  Verstandesgebrauch"  organisieren 
will,  tragen  schon  hier  den  schwerfälligen  und  unfreien 
Charakter  an  sich,  der  in  dem  Berliner  Universitätsplan 
noch  befremdender  wirkt.  Dieses  Uniformieren  und  Re- 
gulieren ist  in  Wahrheit  nicht  die  Luft,  in  der  der  wissen- 
schaftliche Geist  gedeihen  kann.  Fichtes  Glaube,  daß  alle 
Individualität  schließlich  zur  Einheit  und  Gleichförmigkeit 
zusammenschmelzen  müsse,  greift  hier  störend  in  seine 
lebendige  Auffassung  vom  Wesen  der  Wissenschaft  ein. 
Mag  auch  die  Wahrheit  nur  eine  sein:  der  Weg  zu  ihr  muß 


*)  W.W.  VIII,  207  ff. 
*')  Vgl.  \V.  V.  Humboldt,  W.W.  X,  237. 


Einleitung.  XXVII 

individuell  sein,  und  man  kann  der  freien  Regung  der  Kräfte 
keinerlei  Fesseln  anlegen,  wären  es  auch  nur  die  äußerer 
Formen  und  Zeremonien. 

Man  wird  überhaupt  diesen  Universitätsplänen  Fichtes 
nicht  gerecht,  wenn  man  nicht  die  begeisternde  und  be- 
geisterte Voraussetzung  hinzudenkt,  von  der  sie  getragen 
sind.  Das  Wissen,  das  in  so  seltsamen  Organisationen 
gewonnen  werden  soll,  ist  nichts  anderes  als  ein  Stück 
göttlichen  Lebens  :  die  Gottheit  gefaßt  in  ihrer  erscheinenden 
Darstellung.  Alles  Wissen  ist  ein  Beseligtwerden  von  der 
Idee,  oder  besser:  ein  Aussprechen  dieses  höheren  Lebens, 
das  die  dem  Menschen  innewohnende  göttliche  Idee  ver- 
leiht, wenn  sie  ins  Bewußtsein  tritt.  Nirgends  hat  Fichte 
diese  tiefste  Bestimmtheit  des  Gelehrten  begeisterter  und 
herrlicher  ausgesprochen,  als  in  den  Vorlesungen  ,,Über 
das  Wesen  des  Gelehrten  und  seine  Erscheinungen  im 
Reiche  der  Freiheit",  die  er  im  Sommer  1805  in  Erlangen 
hielt.  Der  Gelehrte  ist  ihm  derjenige,  ,, welcher  durch 
die  gelehrte  Bildung  des  Zeitalters  hindurch  zur  Erkenntnis 
der  Ideen  gekommen".  Diese  Idee  aber  ist  nichts  Er- 
klügeltes und  logisch  Bewiesenes,  sie  ist  eine  Form  des 
Lebens  selber,  und  zwar  eine  höhere,  vom  Ewigen  und 
Göttlichen  durchströmte  Form :  „Die  ursprüngliche  gött- 
liche Idee  von  einem  bestimmten  Standpunkte  in  der  Zeit 
läßt  größtenteils  sich  nicht  eher  angeben,  als  bis  der  von 
Gott  begeisterte  Mensch  kommt  und  sie  ausführt.  Was 
der  göttliche  Mensch  tut,  das  ist  göttlich.  Im  allgemeinen 
ist  die  ursprünglich  und  rein  göttliche  Idee  —  das,  was 
der  unmittelbar  von  Gott  Begeisterte  soll  und  wirklich 
tut  —  für  die  Welt  der  Erscheinung  schöpferisch,  hervor- 
bringend das  Neue  —  Unerhörte  und  vorher  nie  Da- 
gewesene. Der  Trieb  des  bloßen  natürlichen  Daseins  geht 
auf  das  Beharren  beim  Alten;  selbst  wo  die  göttliche  Idee 
sich  mit  ihm  vereinigt  —  auf  die  Aufrechterhaltung  des 
bisherigen  guten  Zustandes,  und  höchstens  auf  kleine  Ver- 
besserungen desselben.  Wo  aber  die  göttliche  Idee  rein 
und  ohne  Beimischung  des  natürlichen  Antriebes  ein  Leben 
gewinnt,  da  baut  sie  neue  Welten  auf,  auf  den  Trümmern 
der  alten.  Alles  Neue,  Große  und  Schöne,  was  von  An- 
beginn der  Welt  an  in  die  Welt  gekommen  und  was  noch 
bis  an  ihr  Ende  in  sie  kommen  wird,  ist  in  sie  gekommen 


XXVIII  Einleitung. 

und  wird  in  sie  kommen  durch  die  göttliche  Idee,  die  in 
einzehien  Auserwählten  teilweise  sich  ausdrückt."  Noch 
heute  wird,  wer  an  einen  tiefen  und  notwendigen  Zusammen- 
hang zwischen  Wissenschaft  und  Leben  glaubt,  den  Sinn 
dieses  Zusammenhanges  und  seinen  schöpferischen  Cha- 
rakter, der  weit  über  allen  amerikanischen  Pragmatismus 
hinausgeht,  nicht  tiefer  aussprechen  können,  als  es  hier 
geschehen  ist. 

Fichtes  Bemühungen  um  Erlangen  fielen  in  eine  Zeit, 
in  der  die  Verbindung  zwischen  Preußen  und  den  fränkischen 
P'ürstentümern  schon  ernstlich  bedroht  war.  Der  Herbst 
des  Jahres  vernichtete  alle  Hoffnungen  und  wirkte  auch 
auf  Fichtes  eisernen  Sinn  mit  erschütternder  Gewalt.  Wie 
aber  damals  die  Festungen  Graudenz  und  Kolberg  stand- 
hielten, so  war  es  auch  nicht  die  Absicht  der  Universitäten, 
sich  zu  ergeben.  Halle  fühlte  sich  im  tiefsten  Grunde 
preußisch.  F.  A.  Wolf,  Schleiermacher,  Schmalz  gingen 
nach  Berlin  und  wahrten  dort  die  alte  Tradition.  Es  ist 
nicht  ohne  Bedeutung,  daß  diese  Abzweigung  der  alten 
Universität  den  Grundstock  der  Neugründung  bildete:  der 
nationale  Gedanke,  freilich  in  der  weitherzigsten  Form, 
wurde  ihr  somit  in  die  V/iege  gelegt.  Das  war  es,  was  auch 
der  König  aufgriff,  als  Schmalz  mit  Froriep  im  Sommer  1807 
bei  ihm  die  Verlegung  der  Universität  Halle  nach  Berlin 
beantragte:  durch  die  neue  Universität  sollte  der  Staat  auf 
geistigem  Gebiet  wiedergewinnen,  was  er  auf  physischem 
verloren  hatte.  Der  Glaube  an  die  Kraft  geistiger  Mächte 
gibt  jener  Zeit  ihre  herrliche  Größe.  Der  Kabinettsrat 
Beyme,  der  schon  1802  mit  Engel  den  gleichen  Gedanken 
vorberaten  hatte,  erhielt  den  Auftrag,  ihm  nun  ernstlich 
näherzutreten.  Er  haßte,  wie  die  Mehrzahl  seiner  Zeit- 
genossen, jeden  akademischen  Zunftzwang  und  nahm 
sich  im  stillen  die  Universität  Göttingen  zum  Vorbild. 
Bei  ihm  wurde  nun  eine  Fülle  von  Denkschriften  ein- 
gereicht: Wolf,  Schmalz,  Hufeland,  Schütz,  Reil,  Loder, 
Froriep,  Nolte  —  sie  alle  gaben  ihr  Urteil  ab  und  schlugen 
zum  Teil  Formen  vor,  die  von  der  alten  Universität  weit 
abwichen*).     Auch  Fichte  wurde  von  Beyme  (5.  XI.  1807) 

*)  Den  Verlauf  dieser  Angelegenheit  findet  man  dargestellt 
bei  Köpke;  (das  Verzeichnis  der  Denkschriften  S.  44).  Wesentliche 
Berichtigungen     dazu    wird    die    neue    Universitätsgeschichte    von 


Einleitung.  XXIX 

zu  einem  Gutachten  aufgefordert.  Von  der  Erlaubnis,  sich 
an  die  hergebrachten  Formen  nicht  zu  binden,  hat  er  reich- 
Hchen  Gebrauch  gemacht.  Am  29.  September  und 
3.  Oktober  reichte  er  seinen  ,, Deduzierten  «Plan  einer  zu 
Berlin  zu  errichtenden  höhern  Lehranstalt"  ein,  das  seltsame 
Werk  einer  unbeugsamen  spekulativen  Vernunft,  aber  doch 
durchströmt  von  dem  neuen  Geiste  der  Wissenschaft.  Es 
ist  das  Werk  desselben  Mannes,  der  wenige  Wochen  darauf 
die  ,, Reden  an  die  deutsche  Nation"  begann,  in  denen 
dieselbe  Härte  sich  mit  dem  gleichen  feurigen  Idealismus 
vereint.  Er  wollte,  daß  er  nie  als  Verfasser  des  Universitäts- 
planes genannt  würde;  als  wenn  es  möglich  gewesen  wäre, 
in  einer   einzigen  Zeile   Fichte  zu  verkennen!*) 

Es  war  doch  ein  tiefer  Gegensatz  zwischen  Fichte  und 
den  Hallensern.  Besonders  gegen  Wolf  richtete  sich  die 
Abneigung  des  Philosophen,  und  wiederholt  warnte  dieser 
den  Kabinettsrat  Beyme,  der  zu  den  Anhängern  seiner 
Philosophie  gehörte,  vor  den  übermodernen  Vorschlägen 
des  Philologen.  Im  Grunde  blieben  all  diese  Schriftstücke 
ohne  tiefere  Wirkung.  Beyme  legte,  nachdem  der  Freiherr 
v.  Stein  ihn  gestürzt  hatte,  auch  diese  Funktionen  nieder. 
Seine  Akten  gingen  später  in  Humboldts  Hand  über,  und 
damit  auch  der  ,, Deduzierte  Plan",  Es  ist  durchaus  wahr- 
scheinlich, daß  Humboldt  all  diese  Gutachten  gelesen  hat; 
aber  er  war  zu  sehr  überzeugt  von  der  selbstverständlichen 
Kraft  des  bedeutenden  individuellen  Geistes,  um  andere 
Organisationsformen  zu  suchen,  als  solche,  in  denen  dieser 
sich  mit  möglichster  Freiheit  entfalten  könnte.  So  mag 
denn  der  ,, Deduzierte  Plan"  auf  den  Staatsmann  als  Aus- 
druck einer  Wissenschaftsauffassung  gewirkt  haben,  deren 
Größe  ihm  seit  seinem  Pariser  Aufenthalt  einen  tiefen  Ein- 
druck gemacht  hatte;  als  organisatorischen  Versuch  aber 
hat   er  ihn  ignoriert,   wohl   schon  deshalb,  weil   er  fühlte, 


M.  Lenz  bringen;  wer  die  Einzelheiten  der  Vorgeschichte  kennen 
lernen  -will,  wird  nur  dort  gesicherten,  auf  neuem  Quellenstudium 
ruhenden  Aufschluß  finden. 

*)  Einzelheiten  hierüber  s.  außer  bei  Köpke  S.  46ff.  in  der  von 
Fichtes  Sohn  verfaßten  Biographie:  J.  H.  Fichte,  J.  G.  Fichtes 
Leben  und  literarischer  Briefwechsel,  2.  Aufl.  Leipzig  1862.  Bd.  L 
S.  406  ff.  Daselbst  Bd.  H ,  S.  491  ff.  Fichtes  Briefwechsel  mit 
Beyme.  —  Vgl.  A.  Riehl,  Fichtes  Universitätsplan,  Berliner  Kaiser- 
geburtstagsrede 1910. 


XXX  Einleitung. 

daß  dieser  Inhalt  diese  Form  notwendig  sprengen  müßte: 
man  kann  den  gottbegeisterten  Sinn  und  das  Genie  nirgends 
in  Uniformen  schnüren,  auch  nicht  in  die  preußische. 
Der  Anteil,  der  Fichte  an  der  eigentlichen  Universitäts- 
gründung gewährt  wurde,  war  somit  sehr  gering*).  Um  so 
mehr  aber  dachte  Humboldt  ihn  an  seinem  wahren  Platze, 
auf  dem  Katheder,  zur  Wirksamkeit  gelangen  zu  lassen.  Wir 
sahen,  daß  die  neue  Universität  in  philosophischem  Geiste 
gegründet  wurde:  Fichte  war  es,  der  diesen  Geist  an  erster 
Stelle  vertrat,  wenn  auch  neben  ihm  der  Theolog  Schleier- 
macher eine  andere  Richtung  der  Spekulation  pflegte. 
Fichte  war  der  erste  gewählte  Rektor,  und  er  bewies  in 
dieser  Stellung,  daß  die  alte  Jenaer  Hartköpfigkeit,  in 
der  sich  Charakterstärke  mit  Unduldsamkeit  verbanden, 
noch  nicht  von  ihm  gewichen  war  **).  Vielleicht  war  es 
mit  als  eine  posthume  Rechtfertigung  seines  Verhaltens 
gedacht,  wenn  im  Jahre  1817  dennoch  der  Universitäts- 
plan veröffentlicht  wurde,  nunmehr  ein  historisches 
Dokument  für  den  Geist  einer  Zeit,  die  doch  schon  im 
Versinken  war.  — 

Schon  um  die  Jahrhundertwende  hatte  der  Gedanke 
einer  Universitätsgründung  in  Berlin  begonnen,  auch  das 
Publikum  zu  beschäftigen,  und  neben  den  erwähnten  Denk- 
schriften lief  eine  umfassende  Literatur  einher.  Die  Frage, 
die  dabei  hauptsächlich  in  den  Vordergrund  trat,  war  die, 
ob  die  Universität  lieber  an  einem  kleinen  Orte  —  etwa 
Potsdam  —  als  in  Berlin  errichtet  werden  sollte***).   Wenn 


*)  Fichtes  Sohn  berichtet  a.  a.  O.  I,  S.  415,  daß  sein  Vater  in 
den  Tagen  vom  9.  bis  14.  April  in  Humboldts  Hause  eine  Reihe  von 
Vorträgen  über  die  Errichtung  der  neuen  Universität  gehalten  habe, 
welchen  auch  Nicolovius,  Uhden  und  Schleiermacher  beigewohnt 
hätten.  Dies  ist  unmöglich;  denn  vom  8.  bis  13.  April  1809  befand 
sich  Humboldt  auf  der  Reise  von  Berlin  nach  Königsberg;  es  kann 
sich  also  höchstens  um  das  Jahr  1810  handeln,  in  dem  die  Frage 
überhaupt  erst  zur  näheren  Verhandlung  kam.  Sachlich  nicht 
unwahrscheinlich  ist  der  weitere  Bericht  des  jüngeren  Fichte: 
„Humboldt  lehnte  jedes  nähere  Eingehen  ab  mit  den  Worten: 
»Man  beruft  eben  tüchtige  Männer  und  läßt  das  Ganze  allmählich 
sich  ankandieren«".  —  Vgl.  Köpke  S.  75. 

**)  Die  Dokumente  hierfür  im  2.  Bande  der  Biographie 
S.  102  ff. 

***)  Ein  chronologisches  Verzeichnis  der  allgemeinen  Literatur 
über  Universitäten  seit  1798  s.  bei  Köpke  a.  a.  O.  S.  139  f.  —  Eine 


Einleitung.  XXXI 

sich  eine  Fülle  von  Stimmen  für  das  erstere  erhob,  so 
melden  sich  darin  Vorboten  der  Reaktionszeit.  Schon  unter 
Friedrich  Wilhelm  IL  hatte  die  Beaufsichtigung  der  Stu- 
denten in  Halle  begonnen;  seitdem  hörten  ,sie  nicht  auf, 
politisch  verdächtig  zu  sein.  Aus  diesen  Gründen  und  auch 
im  Interesse  der  akademischen  Moral  wollten  viele  die 
neue  Hochschule  an  einen  weniger  bedenklichen  Ort  als 
Berlin  verlegen,  wie  man  später  die  Lehrerseminare  in 
Wüsteneien  verpflanzte.  Daß  sich  damit  der  idealistische 
Grundgedanke  einer  nationalen  Universität,  die  zugleich 
den  Zwecken  politisch-geistiger  Machtentfaltung  diente  und 
die  Kräfte  der  Ideen  dem  Staate  eingliederte,  nicht  ver- 
einen ließ,  ist  von  vornherein  klar.  Wer  also  die  Sache 
von  diesem  höheren  Standpunkte  ansah,  konnte  unmöglich 
für  einen  anderen  Ort  als  Berlin  stimmen,  und  wenn 
Altenstein  anderer  Ansicht  war,  so  kam  ihm  seine  innere 
Inkonsequenz    nur    nicht    zum    Bewußtsein. 

In  dieser  ganzen  Literatur  können  eine  bleibende  Be- 
deutung nur  Schleiermachers  ,, Gelegentliche  Gedanken  über 
Universitäten  im  deutschen  Sinn"  beanspruchen.  Auch 
Schleiermacher  war  Pädagog  von  Neigung*).  Schon  1804 
hatte  er  Veranlassung  gehabt,  in  der  Jenaer  Literatur- 
zeitung zu  Schellings  ,, Vorlesungen  über  die  Methode  des 
akademischen  Studium"  Stellung  zu  nehmen,  und  im 
gleichen  Jahre  hatte  er  in  der  Rezension  von  Zöllners  ,, Ideen 
über  Nationalerziehung"  gezeigt,  wie  sehr  er  von  der  Rich- 
tung der  Aufklärungspädagogik  abwich.  Für  ihn  war  die 
Nation  bereits  jene  Verbindung  von  Staatsbürgertum  und 
reinem  Menschentum,  die  wir  oben  charakterisiert  haben, 
nicht  mehr  ein  Aggregat  von  Ständen,  von  denen  jeder 
einzelne  seinen  besonderen  Bildungsweg  zur  nationalen 
Leistungsfähigkeit  suchen  müßte.  In  dem  gleichen  Sinne 
faßte  er  nun  auch  in  seiner  Schrift  von  1808  die  nationale 


Anzahl  dieser  Schriften,  nämlich  die  von  Schleiermacher,  Villers, 
Tittmann,  (Wachler),  Eggers,  wurden  in  der  Jenaischen  Allge- 
meinen Literaturzeitung  von  1809,  Nr.  115/7  rezensiert.  Wir  er- 
wähnen dies,  weil  Humboldt  von  dieser  Rezension  mit  Interesse 
Kenntnis  nahm. 

*)  Vgl.  den  Artikel  ,, Schleiermacher"  von  A.  Heubaum 
in  Reins  Enzyklopädischem  Handbuch  der  Pädagogik,  Bd.  7, 
S.  675  ff. 


XXXI I  Einleitung. 

Funktion  der  Universität  auf*).  Wenn  auch  er  ursprüng- 
lich gegen  Berhn  gewesen  war,  so  mußte  er  von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  seine  Ansicht  ändern;  dazu  kam  noch 
die  praktische  Erwägung,  daß  hier  bereits  zahheiche 
wissenschafthche  Institute  und  Hilfsmittel  vorhanden  wären, 
aus  denen  die  neue  Anstalt  gleichsam  von  selbst  erwachsen 
könnte;  auch  wies  er  auf  die  Möglichkeit  einer  Verbindung 
mit  der  Akademie  hin,  die  ja  der  König  in  seiner  Kabinetts- 
ordre  vom  4.  IX.  1807  von  vornherein  in  Aussicht  genommen 
hatte.  Im  übrigen  wußte  er  den  hergebrachten  Universitäts- 
formen, die  ihm  in  Halle,  der  ,, Krone  der  deutschen 
Universitäten",  liebgeworden  waren,  durchgängig  einen 
guten  Sinn  abzugewinnen;  und  mit  Recht,  insofern  er  ihre 
Freiheit  und  Dehnbarkeit  überall  in  den  Vordergrund  stellte : 
nur  von  der  freiesten  Regsamkeit  erhoffte  er  ein  gesundes 
Gedeihen  der  wissenschaftlichen  und  moralischen  Kräfte. 
Die  Erinnerung  an  den  eigenen  langen  Weg  der  Selbst- 
befreiung, den  er  von  Herrnhut  bis  in  die  Kreise  der  Ro- 
mantik zurückgelegt  hatte,  und  der  ihn  zu  dem  univer- 
salen, wahrhaft  gebildeten  Geiste  gemacht  hatte,  der  er 
war,  mag  ihn  bei  diesen  Vorschlägen  erfüllt  haben.  Frei- 
lich konnte  er  damit  kein  Auseinanderfallen  der  Universität 
in  zusammenhangslose  Stücke  beabsichtigen :  ihre  Ein- 
heit sollte  organisch  sein,  d.  h.  dem  freien  Wachstum 
aller  Teile  Raum  lassen,  diese  aber  doch  zu  einem  System 
von  einheitlichem  Lebensprinzip  zusammenfassen.  Mit  diesen 
Gedanken  kam  Schleiermachcr  den  eigenen  Ideen  Hum- 
boldts am  nächsten;  dieser  wählte  ihn  im  Sommer  1810 
in  die  engere  Kommission  für  die  Einrichtung  der  Uni- 
versität, und  so  konnte  Schleiermacher  auch  unmittelbar 
praktisch  für  die  Verwirklichung  der  gemäßigten  Gedanken 
tätig  sein,  die  er  in  seiner  Schrift  vertreten  hatte**).  Man 
darf  daher  von  dieser  sagen,  daß  sie  die  ideellen  Statuten 


*)  Ende  des  Jahres  1807  war  die  Gründung  der  Universität 
wieder  zweifelhaft  geworden;  da  wandte  sich  Schleiermacher  zuerst 
brieflich  an  den  Oberschulrat  Nolte,  dann  auch  an  die  Öffentlichkeit, 
um  die  höchste  Eile  gegenüber  den  „Lockungen  der  Westfälinger 
und  den  Werbungen  der  Russen"  anzuraten. 

**)  Er  gab  sein  Gutachten  über  die  Einrichtung  der  theo- 
logischen Fakultät  und  über  den  akademischen  Gottesdienst  ab; 
ferner  beteiligte  er  sich  an  dem  Entwurf  der  Universitätsstatuten. 


Einleitung.  XXXIII 

der  Universität  Berlin  enthalte  und  den  Geist  am  nächsten 
ausspreche,  aus  dem  diese  hervorgegangen  ist.   — 

Ein  Jahr  später  erschien  im  gleichen  Verlage  und  über 
ein  nahe  verwandtes  Thema  eine  Schrift,  die^  der  Schleier- 
macherschen  durch  die  Person  des  Verfassers  sehr  nahe 
steht  und  schon  im  Vorwort  auf  die  „Gelegentlichen  Ge- 
danken" bezug  nimmt.  Es  ist  damit  eine  Verwandtschaft 
zwischen  beiden  Schriften  gegeben,  die  durch  die  starke 
individuelle  Differenz  nicht  völlig  verwischt  werden  kann. 
Steffens  redet  in  seinen  Vorlesungen  als  spekulativer  Philo- 
soph, ja  geradezu  als  Naturphilosoph ;  Schleiermacher  ver- 
wahrt sich  von  vornherein  dagegen,  als  wolle  sich  seine  kleine 
Gelegenheitsschrift  auch  nur  wissenschaftlich  gebärden. 
Vielleicht  aber  wären,  wenn  auch  Schleiermacher  sein  Thema 
im  strengen  Stil  und  in  der  philosophischen  Fachsprache 
behandelt  hätte,  beide  Schriften  einander  sehr  ähnlich  ge- 
worden. Denn  auch  er  ließ  der  Spekulation  Gerechtigkeit 
widerfahren,  freilich  nur,  wo  sie  in  gehöriger  Verbindung 
mit  dem  realen  Wissen  auftrat.  Beide  Denker  hatten  von 
1804 — 1807  als  Amtsgenossen  an  der  Universität  Halle 
eine  innige  geistige  Gemeinschaft  geführt.  Erst  hier  hatte 
Schleiermachers  aus  den  unmittelbaren  Lebensproblemen 
geborenes  Denken  eine  spekulativ-systematische  Wendung 
genommen.  Auch  seine  Entwicklung  kam  nunmehr,  wohl 
unter  steter  Anregung  durch  Steffens,  tief  unter  den  Ein- 
fluß von  Schelling.  Die  beiden  Seiten,  in  die  das  Absolute 
sich  nach  dessen  Philosophie  auseinandersetzte,  teilten 
Steffens  und  Schleiermacher  gleichsam  imter  sich :  Steffens 
eignete  sich  die  Seite  der  Natur  an;  Schleiermachers  Heimat 
war  die  Welt  der  Geschichte,  d.  h.  die  sittliche  Welt.  Wie 
aber  diese  beiden  Erscheinungsformen  des  Absoluten  für 
den  höchsten  Standpunkt  jener  Philosophie  zuletzt  iden- 
tisch waren,  so  schien  auch  beiden  Freunden  ihre  Arbeit 
als  ein  Werk  an  gleichen  Problemen.  In  der  Einleitung' 
zu  seinen  ,, Grundzügen  der  philosophischen  Naturwissen- 
schaft" (Berlin  1806)  feierte  Steffens  den  Freund  als  den 
einen,  dem  es  gelimgen  sei,  die  Formen  des  Mensch- 
lichen in  reiner  Eigentümlichkeit  zu  fassen  imd  an  jedem 
Punkte  des  geschichtlich-bewußten  Daseins  die  innere  Ge- 
stalt und  ihre  Einheit  mit  sich  selbst  und  dem  Ganzen  rein 
zu  erfassen. 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  C 


XXXIV  Einleitung. 

Die  Kriegsereignisse  störten  dieses  Zusammenleben  jäh, 
wenn  auch  die  Gemüter  einander  nahe  blieben.  Schleier- 
macher ging  nach  Berlin,  Steffens  blieb  in  Halle  zurück. 
Aber  die  Zeit  einer  größeren  Wirksamkeit  kehrte  unter 
der  westfälischen  Regierung  für  ihn  nicht  wieder.  Fesselnd 
und  farbenreich  hat  uns  Steffens  diese  Jahre  der  Unruhe 
und  Not  in  seiner  Selbstbiographie  „Was  ich  erlebte"  ge- 
schildert. Wenn  seine  Darstellung  auch  keineswegs  als 
einwandfreie  geschichtliche  Quelle  angesehen  werden  darf, 
das  eine  daran  ist  doch  echt:  der  große  Patriotismus, 
dessen  Glut  durch  das  Pathos  einer  idealistischen  Philo- 
sophie noch  genährt  wurde.  Nun  begann  in  Berlin  der 
Plan  einer  neuen,  nicht  nur  preußischen,  sondern  deutschen 
Universität  sich  zu  regen.  Die  alten  Hallenser  Freunde 
waren  seine  ersten  Träger;  mancher  zurückgebliebene 
Kollege  wurde  unter  denen  genannt,  die  man  an  die  neue 
Hochschule  zu  ziehen  begehrte,  so  vor  allem  der  mit 
Steffens  befreundete,  von  der  neuen  Naturphilosophie  er- 
füllte hervorragende  Mediziner  Reil.  Auch  in  Steffens 
mußten  sich  Hoffnungen  regen:  „Daß  ich  den  heißesten 
Wunsch  hatte,  nach  Berlin  versetzt  zu  werden,  versteht 
sich  wohl  von  selbst;  auch  glaubte  ich  auf  eine  solche 
Anstellung  hoffen  zu  können.  Ich  betrachtete  mich  wie 
auf  einen  gefährlichen  Vorposten  gestellt  und  glaubte  er- 
warten zu  dürfen,  daß  man  mich  abrufen  würde"*).  Schon 
1807  bemühte  er  sich  um  eine  Berufung  nach  Berlin.  Er 
glaubte  jedoch  Grund  zu  dem  Verdacht  zu  haben,  daß  Fichte 
diesem  Bestreben  entgegenwirke,  und  schrieb  ihm  einen 
gereizten  Brief,  der  mit  den  Worten  schloß  :  „An  Preußen 
habe  ich  Forderungen,  die  man  respektieren  sollte,  und 
man  soll  sich  die  Mühe  nehmen,  mich  förmlich  abzudanken." 
Fichte  wies  den  Verdacht  zurück,  ließ  aber  seine  Antipathie 
deutlich   genug   hindurchblicken**).     1809   lebten   mit   dem 


*)  Was  ich  erlebte,  V,  144. 
**)  J.    H.    Fichte,    J.    G.    Fichtes    Leben    und    Briefwechsel, 

2.  Aufl.  II,  S.  486  ff.  —  Köpke  S.  79f.;  daselbst  weitere  Quellen. 
In  Wirklichkeit  stand  Steffens  damals  schon  als  einer  der  ersten 
auf    der    Liste.      F.   A.    Wolf    nimmt    in    seiner    Denkschrift    vom 

3.  VIII.  1807  bei  der  Verteilung  der  Vorlesungen  auf  ihn  Rück- 
sicht (Köpke  S.  178),  und  Schleiermacher  fordert  bereits  in 
seinem  zweiten  Schreiben  an  Nolte  vom  3.  Januar  1808  seine 
Beruf  uns:. 


Eirxieitung.  XXXV 

Plan  der  Universitätsgründung  auch  Steffens'  Hoffnungen 
von  neuem  auf;  auch  diesmal  vergeblich.  Steffens  selbst 
führte  diesen  Mißerfolg  hauptsächlich  auf  die  Angriffe  der 
empirischen  Naturforscher  zurück,  denen  sich  übrigens  auch 
Goethe  damals  anschloß.  An  den  entscheidenden,  leitenden 
Stellen  war  man  ihm  in  der  Tat  sehr  wohlgesinnt :  seine  Be- 
rufung hat  während  der  ganzen  Zeit  ununterbrochen  ge- 
schwebt, wie  er  selbst  zugibt.  Er  wußte,  daß  Schleier- 
macher seinen  Einfluß  für  ihn  geltend  machte;  auch  F.  A. 
Wolf  scheint  für  ihn  gewirkt  zu  haben,  und  selbst  Hum- 
boldt, gegen  den  Steffens  später  ein  leises  Mißtrauen  durch- 
blicken läßt,  war  anfangs  für  ihn  eingenommen.  Denn 
am  14.  Juli  1809  schrieb  er  an  Wolf:  ,, Steffens  müssen 
wir,  falls  Berlin  noch  Universität  wird,  auf  jeden  Fall 
haben"  *).  Auf  seiner  Urlaubsreise  im  Winter  1809/10 
kam  Humboldt  nach  Halle;  sein  Hauptaugenmerk  war  wohl 
auf  Reil  gerichtet.  Aber  in  dessen  Hause  traf  er  auch 
mit  Steffens  zusammen  und  suchte  ihn  zu  sondieren;  ja 
er  erklärte  geradezu,  daß  es  sein  Wunsch  wäre,  ihn  in 
Berlin  zu  besitzen.  Trotz  dieser  vielversprechenden  Zu- 
sicherungen, die  Humboldt  bald  darauf  in  einem  Brief  an 
Reil  noch  verstärkte,  kam  es  zu  keinem  Resultat.  Im  März 
schrieb  er,  daß  bei  der  Berufung  von  Steffens  ein  Hindernis 
eingetreten  sei.  Dieser  führte  den  Fehlschlag  auf  die  Anti- 
pathien des  Hofes  gegen  seinen  Schwiegervater  Reichardt 
zurück;  ob  mit  Recht,  ist  sehr  zu  bezweifeln.  Jeden- 
falls war  der  Plan  nun  definitiv  gescheitert,  wenn  auch 
Schleiermacher  in  einem  Schreiben  an  Nicolovius  noch 
einmal  dringend  für  die  Berufung  seines  Freundes  eintrat 
und  sich  bereit  erklärte,  —  nachdem  schon  Reil  und  Gräfe 
mit  ähnlichen  Anerbieten  vorangegangen  waren,  —  von 
Michaelis  1810  bis  1812  im  ganzen  1000  Taler  von  seinem 
Gehalt  an  Steffens  abzutreten.  So  blieb  denn  Steffens 
auf  seinem  Vorposten  in  Halle,  bis  ihn  Schuckmann  1811 
an  die  neue  preußische  Volluniversität  Breslau  berief.  Erst 
1831  wurde  sein  W^unsch,  in  Berlin  Professor  zu  werden, 
erfüllt**).  — 

*)  Fleckeisens  Neue  Jahrbücher   für   Philologie   und  Päda- 
gogik, Bd.  152  (1895),  S.  211.  293.  (1.  IX.  1809.) 

**)  Aus  Schleiermachers  Leben  in  Briefen  I\^  173  ff.  —  Nach 
der  Anstellung  in  Breslau  erklärte  Schuckmann  ausdrücklich,  daß 

C* 


XXXVI  Einleitung. 

Bei  dem  unzweifelhaften  Interesse  Humboldts  für 
Steffens  ist  es  wohl  so  gut  wie  sicher,  daß  er  auch 
Steffens'  eben  erschienene  Vorlesungen  über  die  „Idee 
der  Universitäten"  kennen  gelernt  hat.  Irgend  bestimmte 
Gedanken  hat  er  daraus  nicht  aufgenommen;  die  ganze 
Tonart  wird  seiner  klaren  und  maßvollen  Art  wenig  ent- 
sprochen haben.  Aber  er  fand  darin  die  entscheidenden 
Probleme  noch  einmal  verhandelt,  und  er  fand  darin  ferner 
in  starker  Konzentrierung  einen  Zweig  der  herrschenden 
spekulativen  Philosophie  ausgesprochen,  die  ihm  interessant 
war,  wenn  er  auch  nicht  alle  ihre  Luftbauten  und  schnörkel- 
haften Ornamente  billigte.  Humboldt  hatte  zu  der  mo- 
dernen Naturphilosophie  im  strengen  Sinne  keine  Be- 
ziehungen. Aber  die  Lehre  von  der  Identität  der  Lebens- 
prinzipien in  Natur  und  Geist,  von  der  organischen  Struktur 
alles  Lebendigen  und  dem  einheitlichen  Typus  aller  Er- 
scheinungen teilte  doch  auch  er  mit  der  Romantik.  Die 
Weltanschauung  seiner  zweiten  Periode  hat  manchen  mit 
Schellings  Standpunkt  verwandten  Zug;  die  , .Vorlesungen 
über  die  Methode  des  akademischen  Studium"  hatte  er 
in  Rom  mit  brennendem  Interesse  gelesen.  Immerhin  ging 
seine  Spekulation  zu  sehr  von  den  Tatsachen  des  Lebens 
und  des  Wissens  aus,  als  daß  er  die  kühne  Architektonik 
Schellings  und   seiner  Schüler  hätte  billigen  können. 

Steffens  hingegen  setzt  in  seinen  Ausführungen  diesen 
philosophischen  Standpunkt  in  höherem  Grade  voraus,  als 
es  uns  für  derartige  Einleitungsvorlesungen  angebracht 
scheint.  Für  ihn  ist  die  Naturphilosophie  eine  berauschende 
Entdeckung,  von  der  aus  die  ganze  Welt  und  das  höchste 
Bestreben  des  Menschen  einen  neuen  Sinn  empfängt.  Sein 
Wissenschaftsbegriff  ist  durchtränkt  von  den  Prinzipien 
dieser  Spekulation,  durch  die  ihm  die  höchste  Form  des 
Erkennens   erst   verwirklicht  scheint. 

Wir  versuchen,  den  Grundgedanken  dieser  Philosophie 
kurz  zu  entwickeln.  Die  von  Kant  begründete  Transzen- 
dentalphilosophie nahm  in  seinen  Nachfolgern  eine  inter- 
essante neue  Wendung.  Wenn  Kant  gezeigt  hatte,  daß 
die  Form  des  Bewußtseins  für  die  Gestalt  der  Gegenstände 

er  Steffens  niemals  nach  Berlin  gerufen  haben  würde.  Hierüber 
und  über  die  Versuche  jüngerer  Bewerber,  der  Naturphilosophie 
in  Berlin  einen  Lehrstuhl  zu  verschaffen,  vgl.  Köpke  S.262i. 


Einleitung.  XXXVII 

grundlegend  sei,  so  wird  für  Fichte  das  Nicht-Ich  ein  Zu- 
sammenhang, dessen  Struktur  durch  und  durch  von  der 
Struktur  des  Geistes  bedingt  ist.  Für  ihn  selbst  freihch 
war  die  Natur  ein  minder  Reales,  neben  der  geistigen  Welt 
zum  bloß  erscheinenden  Mittel  Herabgesetztes.  Aber  mit 
um  so  größerer  Andacht  vertiefte  sich  Schelüng  in  diese 
naturhafte  Welt  und  leitete  ihre  Gesetzlichkeit  aus  Kate- 
gorien ab,  die  vorwiegend  im  Bereich  des  Geistigen  ein- 
heimisch sind,  nach  seiner  Anschauung  aber  ursprünglich 
indifferent  über  dem  Gegensatz  von  Natur  und  Geist 
schwebten  und  erst  bei  dem  Auseinandertreten  dieses  Gegen- 
satzes in  der  Reflexion  sich  gespaltet  hätten.  Für  die 
dichterischen  Geister  der  Romantik,  wie  Novalis,  die 
Schlegels,  Hülsen  und  Steffens  wurde  dann  die  Natur 
geradezu  ein  vollständiges  Symbol  des  Gemüts,  sein 
Spiegelbild  in  einer  andersseienden  Form,  im  Grunde  aber 
mit   ihm   innig  verwandt,   ja   identisch. 

Diese  Identitätsphilosophie  ruht  auf  erkenntnistheore- 
tischen Grundsätzen,  die  mit  voller  Konsequenz  aus  dem 
Standpunkt  Fichtes  entwickelt  waren;  die  Analyse  findet 
in  ihnen  eine  wundersame  Verschmelzung  von  Kant  und 
Spinoza,  die  durch  die  Mystik  und  ihre  coincidentia  oppo- 
sitorum  vermittelt  ist.  Steffens  übernimmt  diese  Methode 
von  Schelling,  dem  er  nachrühmt,  einen  wissenschaftlichen 
Kultus  eingerichtet  zu  haben,  wie  man  ihn  bisher  noch  nicht 
gekannt  habe.  Ihr  beherrschender  Satz  steht  auch  an  der 
Spitze  von  Steffens'  ,, Grundzügen  der  philosophischen  Natur- 
wissenschaft" :  ,, Wissenschaft  ist  Vernichtung  eines 
Gegensatzes,  Wiedervereinigung  des  ursprünglich 
Vereinigten".  Nur  für  das  endliche  Erkennen  (die  sinn- 
lich bedingte  Erfahrung)  bleiben  die  Gegensätze  noch  außer 
einander,  für  das  wahre  Erkennen  heben  sie  sich  auf  in 
der  ewigen  Einheit.  Auf  diesem  Standpunkt  gibt  es  keine 
Trennung  des  Denkens  und  des  Seins,  des  Subjekts 
und  Objekts,  des  Besonderen  und  Allgemeinen,  der  Wirk- 
lichkeit und  der  Möglichkeit,  der  Natur  und  Geschichte 
mehr,  sondern  all  diese  Entzweiungen  sind  identisch  in 
der  Unendlichkeit  des  reinen  und  ewigen  Denkens.  Man 
kann  diese  Erkenntnistheorie  nur  verstehen  als  eine  Mystik 
der  Erkenntnis :  die  Betrachtung  des  einzelnen,  vom  ewigen 
Denken  Gesonderten,  erscheint  als  ein  niederer  Standpunkt. 


XXXVIII  Einleitung. 

Erst  wenn  alles  Räumlich-Zeitliche  überwunden  ist,  ist  die 
letzte  Wahrheit  erreicht.  Und  sie  selbst  ist  eigenthch 
nichts  anderes  als  das  innere  Sein  der  Dinge,  das  sich  auf- 
tut, wenn  die  Reflexion,  die  Subjekt  und  Objekt  zerspaltet, 
überwunden  ist  und  der  Geist  in  der  reinen  Identität  schwebt. 
Jene  Spaltung  und  Entfremdung  der  Gegensätze  freihch 
ist  nichts  Zufälliges,  sondern  eine  notwendige  Selbstbewe- 
gung des  Geistes,  der  in  der  zunehmenden  Differenzierung 
jedoch  immer  sich  selbst  wiederfinden  muß.  Denn  alle 
diese  Besonderungen  sind  nur  Potenzen,  die  zuletzt  auf 
das  Ewige  und  Eine  bezogen  werden  müssen,  wenn  sie 
in  ihrem  wahren  Wesen  erkannt  werden  sollen:  in  ihrer 
Vereinzelung  und  Besonderung  sind  sie  Nichtwirklichkeiten, 
Negationen.  In  jener  Beziehung  auf  das  ewige  Wesen  aber 
ist  die  Potenz  eine  Idee,  und  die  Pliilosophie  ist  nichts 
anderes  als  die  Wissenschaft  der  Ideen. 

Auch  die  Natur,  für  sich  genommen,  ist  nur  eine  Potenz. 
Aber  in  ihrem  tiefsten  Wesen  erkannt,  ist  sie  Darstellung  des 
Geistes,  eine  ideendurchwirkte  Welt,  das  Gemüt  in  seiner 
ahnungsvollen  Totalität.  Wie  Schelling  klagt  auch  Steffens 
über  die  Trennung  des  Menschen  von  der  Natur,  durch  die 
die  schöne,  naive  Einheit  seines  Wesens  in  einen  Zwiespalt 
auseinandergetreten  sei.  Weil  ihm  die  Natur  nichts 
anderes  ist  als  der  verschlossene  und  verhüllte 
ewige  Geist,  deshalb  kann  ihm  das  Studium  der 
Naturphilosophie  als  ein  Sichwiederfinden  des 
Menschen  erscheinen,  als  ein  Offenbaren  tiefster 
seelischer  Geheimnisse,  und  darum  endlich  als  der 
Zugang  zu  der  Welt  des  wahren,  ewigen  Wissens 
überhaupt,  von  dem  aus  der  Anfänger  in  das  Zen- 
trum der  Ideen  und  der  Weisheit  gelange.  Denn 
auch  die  Geschichte  ist  nichts  als  die  geradhnige  Fortsetzung 
des  Naturlebens.  Beide  aber  sind  im  Absoluten  identisch: 
„Die  Geschichte  ist  das  ewige  Vorbild  der  Natur,  die  Natur 
das   ewige  Abbild  und   Gleichnis  der  Geschichte." 

Uns  ist  diese  Form  des  Denkens  fremd  geworden,  und 
die  Fülle  begeisterter  Worte  will  uns  nur  als  eine  willkür- 
liche Verstärkung  der  mystischen  Instrumentation  er- 
scheinen. Wie  Spielbälle  werden  die  Identitäten  durch- 
einandergemischt, und  die  schmerzhchen  Probleme  des 
Lebens  durch  eine  im  leichten  Reiche  des  Gedankens  voll- 


Einleitung.  XXXIX 

zogene  Harmonie  zwischen  Freiheit  und  Notwendigkeit  aus- 
gewischt. Auch  im  Leben  des  Staates  glaubt  man  die  elek- 
trische Spannung  der  Gegensätze  durch  diese  erträumte 
Harmonie  lösen  zu  können;  ein  heiliger  Bund  zwischen  allen 
Kräften  soll  gestiftet  werden,  und  der  Staat  erscheint  dieser 
romantischen  Andacht  zuletzt  als  ein  Verwalter  vorwiegend 
kirchlicher  Funktionen.  Hat  doch  noch  Hegel  in  anderer 
Form,  aber  im  gleichen  Geist  diese  gefährhch  quietistische 
Lehre  gepredigt.  Für  uns  ist  sie  historisch  geworden.  Aber 
noch  fühlen  wir  durch  den  fremdartigen  Stil  dieses  Glaubens 
die  mächtige  philosophische  Phantasie  heraus,  die  in  den 
Schacht  der  verborgensten  Geheimnisse  hineinleuchtet  mit 
dem  Lichte,  das  sich  in  der  Innerlichkeit  des  geistigen  Selbst- 
erlebens erschließt  und  von  dieser  tiefsprudelnden  Quelle 
aus  den  Zusammenhang  der  Mächte  begreifen  will,  „die 
keines  Menschen  Kunst  vertraulich  macht".  Wenn  dieser 
kühne  Flug  scheiterte,  so  hat  er  doch  die  Wissenschaften 
der  Natur  und  der  Geschichte  gleichmäßig  befruchtet.  Die 
Keime,  die  die  Phantasie  der  spekulativen  Philosophen  in 
das  Feld  der  strengen  Forschung  gesenkt  hat,  sind  auf 
gegangen  in  den  Werken  der  Niebuhr,  Savigny,  Ranke 
Grimm,  der  Alexander  v.  Humboldt,  Darwin,  Spencer 
Fechnerusw.  Und  die  Macht  der  Ideenlehre  hat  sich  gleich 
mäßig  über  die  Welt  der  Geschichte  und  der  Natur  aus 
gedehnt.  So  wurde  die  Philosophie  der  Romantik  gleichsam 
der  Kelch,  aus  dem  die  Blüte  exakter  Forschung  sich  entfalten 
konnte.  Einer,  der  jene  großen  Tage  und  die  Anfänge  der 
L'niversität  Berlin  miterlebt  hat  und  der  selbst  von  dem  En- 
thusiasmus der  Idee  tief  durchdrungen  war,  August  Boeckh, 
hat  noch  als  Greis  (1856)  bekannt:  ,,Ich  spreche  es  mit 
voller  Überzeugung  aus:  Das  jugendliche  Streben  der 
Wissenschaft  jener  Zeit  hatte  einen  höheren  Charakter  der 
Idealität  als   die  Wissenschaft  der  Gegenwart"*).   — 

Wir  haben  die  allgemeinen  und  individuellen  Umstände 
überblickt,  aus  denen  die  im  folgenden  abgedruckte  Uni- 
versitätsliteratur entstanden  ist.  Daß  sie  nicht  nur  von  lite- 
rarischer Wirkung  war,  haben  wir  wiederholt  betont.  Wie 
sehr  sie  die  lebendigen  Wirklichkeitsprobleme  erfaßte,  mag 


*)  Gesammelte  kleine  Schriften,  2.  Band  (Reden).  Leipzig  1859. 
S.  136.    Daselbst  S.  21G  seine  Ansprache  an  Steffens. 


XL  Einleitung.  < 

zum  Schluß  ein  kurzer  Blick  auf  die  Betrachtungen  lehren, 
die  der  Gründer  der  Universität  Berlin  gerade  im  Zeitpunkt 
der  entscheidenden  Erwägungen,  im  Frühling  1810,  aufs 
Papier  warf.  Freilich  ist  Humboldts  Aufsatz  „Über  die 
innere  und  äußere  Organisation  der  höheren  wissenschaft- 
lichen Anstalten"  Fragment  geblieben;  ich  habe  aber  an- 
anderer  Stelle  gezeigt,  wie  sich  diese  Ideen  den  allgemeinen 
pädagogischen  Ansichten  Humboldts  einordnen,  und  wie 
sein  Gesamtplan  der  Bildungsorganisation  zu  denken  ist*). 

Es  ist  zunächst  durchaus  derselbe  philosophische 
Wissenschaftsbegriff,  der  uns  bei  Humboldt  entgegentritt : 
die  Wissenschaft  ist  ein  organisches  Ganzes;  wer  wahres 
Wissen  erstrebt,  darf  nicht  bloße  Fachausbildimg  suchen, 
sondern  muß  sich  mit  dem  Geist  des  Ganzen  erfüllen.  Schon 
der  Schulunterricht  ist  ja  auf  Universalität  der  Kraftent- 
wicklung gerichtet,  freilich  nur  in  Gestalt  einer  formalen 
Übung.  Die  Universität  aber  ist  der  Idee  nach  die  Organi- 
sation der  Wissenschaftsuniversalität :  jedes  Einzelne  ist 
in  ihr  bedingt  durch  die  Stellung  im  und  den  Zusammen- 
hang mit  dem  Ganzen.  Diese  Wissenschaft  ist  nichts 
Fertiges,  sondern  etwas  immer  Werdendes,  nie  ganz  Auf- 
gefundenes. Sie  wird  erzeugt  allein  durch  innere  Selbst- 
tätigkeit, die  die  volle  Freiheit  des  geistigen  Gestaltens 
voraussetzt:  ,,Denn  nur  die  Wissenschaft,  die  aus  dem 
Innern  stammt  und  ins  Innere  gepflanzt  werden  kann,  bildet 
auch  den  Charakter  um."  Diesem  vielseitigen  Leben  der 
Wissenschaft  glaubte  auch  Humboldt  nur  durch  eine  orga- 
nische Verbindung  zwischen  der  Universität,  der  Akademie 
und  den  andern  wissenschaftlichen  Instituten  gerecht 
werden  zu  können. 

Er  ist  ferner  tief  durchdrungen  von  dem  Gedanken, 
daß  die  so  aufgefaßte  Wissenschaft  dem  Staat  belebende 
Kräfte,  Männer  von  echter  Tatkraft  und  Charakter  zuführen 
werde.  Aber  gegen  das,  was  der  Staat  seinerseits  für  die 
Wissenschaft    leisten    kann,    ist    er    noch    skeptischer     als 


*)  „Wilhelm  von  Humboldt  und  die  Reform  des  Bildungs- 
wesens" (=  Die  großen  Erzieher,  Bd.  4),  vgl.  besonders  S.  199  ff. "i. 
Die  dort  gegebene  Darstellung  setzt  die  philosophische  Entwicklung 
von  Humboldts  Bildungsideal  voraus,  die  ich  1909  unter  dem 
Titel:  „W.  v.  Humboldt  und  die  Humanitätsidee"  habe  erscheinen 
lassen. 


Einleitung.  XLI 

Schleiermacher.  Wir  sahen  schon,  wie  unbefangen  er  sich 
über  diesen  Punkt  äußerte.  Er  erwartete  alles  von  der 
natürlichen  Reibung  der  Kräfte,  und  das  ungebundene 
wissenschaftliche  Zusammenleben  in  der  Universitätsstadt 
hielt  er  für  wichtiger  als  das  eigentliche  Kollegienhören. 
Wenn  er  aber  auch  aus  diesem  Grunde  die  freiesten  Formen 
für  die  segenvollsten  hielt,  so  wollte  er  doch  das  Ganze  aus 
einer  Idee  heraus  organisieren  und  einem  Ideal  zubilden. 
Er  streift  beinahe  die  spekulative  Potenzenlehre,  indem 
er  die  Einheit  dieses  lebendigen  Organismus  zu  charakteri- 
sieren versucht.  Feste  Einheit  bei  freiester  Beweglichkeit, 
dieses  höchste  Problem  aller  Organisation  schwebte  ihm 
als  letztes  Ziel  vor.  Er  war  der  rechte  Lebenskünstler,  der 
es  vermochte,  die  Idee  mit  der  Individualität  der  Wirklich- 
keit zu  vermählen.  Diese  Gabe,  die  in  keiner  Analyse 
und  keiner  Formel  ausgesprochen  werden  kann,  macht  das 
Geheimnis  seiner  Wirksamkeit*).  —  Und  so  gelang  ihm,  was 
doch  von  allem  das  Schwerste  war:  in  einer  Zeit,  in  der 
alle  materiellen  Mittel  fehlten,  mit  fast  zauberhafter  Schnel- 
ligkeit das  fertige  Gebilde  hinzustellen,  ein  schöpferisches 
Werk  von  der  Art,  wie  Fichte  in  seinen  oben  angeführten 
Worten  das  Wesen  des  genialen  Schaffens  charakterisiert 
hatte.  Nicht  nur  ein  Vorbild  zur  Nachahmung,  sondern  eine 
lebendige  Macht  von  fortzeugender  Wirkung  wurde  die  Uni- 
versität Berlin,  und  sie  hat  in  einem  Jahrhundert  reicher 
Entfaltung  gezeigt,  welche  ungewöhnliche  Lebenskraft  von 
der  Geburtsstunde  an  in  ihr  schlummerte. 


*)  Die  erwähnte  Denkschrift  ist  abgedruckt  in  Humboldts 
W.W.  X,  250  ff.,  aber  auch  in  Bd.  123  der  „Philosoph.  Bibliothek": 
Wilhelm  von  Humboldts  ausgewählte  philosophische 
Schriften,  herausgegeben  von  Joh.  Schubert,  S.  k:0-4  ff.,  auf  deren 
Einleitung  ich  für  das  Weitere  verweise. 


Abweichungen    vom   Text    der   Originalausgaben. 


Der  Neudruck  beruht  auf  dem  Text  der  ersten  Drucke  der  drei  Schriften.  Die 
Abweichungen  des  Wiederabdruckes  in  Fichtes  und  Schleiermachers  Werken  sind 
hier  nicht  verzeichnet,  da  ihnen  ein  auihentischer  Wert  nicht  zukommt.  Die  Ortho- 
graphie ist  durchgängig  durch  die  reueste  amtliche  ersetzt.  Die  Beibehaltung  der 
Originalinterpunktion  erwies  sich  als  undurchführbar;  doch  sind  charakteristische 
Eigentümlichkeiten  möglichst  bewahrt  worden. 

I. 

Fichtes  deduzierter  Plan. 

6  20  diesem  seinem  Wesen  —  diesem  seinen  Wesen 

72*  eigentümlicher  Bestandteil  —  eigentümliches  Bestandteil 

12  so  könnte  —  konnte 

15*^  vollkommne  —  vollkommner 

16  "  er  wird  einst  —  wird  einst 

23  1»  Dunkel  —   Dünkel 

30^5  besserer  allgemeiner  Verständigung  —  besserer  allgemeinen 
Verständigung 

31  ä  nur  nicht  etwa  —  wir  nicht  etwa 

32 "  ein  allgemeines  Register  —    allgemeines  Register 

391s  worden,  an  ihrem  Teile  auch  der  Heilkunde,  und  dadurch 
—  wurden,  und  an  ihrem  Teile  der  Heilkunde,  beiden,  und 
dadurch 

39  1''  leuchtet  —  leuchte 

41  "  von  ihr  abzusondern  —  von  ihm  abzusondern 

47  1®  nach  allem  ihrem  Vermögen   —   nach   allem  ihren  Vermögen 

51  -*  das  letztere  —  der  letztere 

52  ®  einem  Zugewandten  —  einen  Zugewandten 

61  '  das  literarische  Institut  —  als  literarisches  Institut 

61  *®  das  Korps  —  des  Korps 

63  '  es  möchte  —  möchte 

63  1*  aufzuspeichern  —  aufzuspeichen 

63  *^  zu  befriedigen  vermag  —  zu  befriedigen 

64  ^  der  Lehrenden  —  des  lehrenden 

65  2  an  ihn  —  an  ihm 

69  "  hätte  —  hätten 

69=0  dem,  den  —  dem,  der 

70  -"  nahmen  —  nehmen 

72  ^^  ersten  Stellen  —  erstem  Stellen 


Abweichungen  vom  Text  der  Originalausgaben.       XLIII 

751"  die  Stellen  —  die  Stollen 

78  ^  welcher  —  welchen 

85  ^  sondern,  daß  er  durchaus  auf  sie  Rücksicht  nehme  —  sondern 

daß  er  sie,  wiewohl 
85  35  frische  —  falsche 
87  1^  Materie  —  Malerei 
92  22  müßte  —  müssen 

95  ö  Lehrer  —  Lehren 

96  '3  des  Einzelnen  —  der  Einzelnen 

97  ^^  außerhalb  unsers  —  außerhalb  unsern, 
9810  Leser  —  Lage 

98  2*  Arten  —  Orten 

98'*  hinzugekommene  —  hinzugekommen 
104  ^  sodann  —  sondern 

n. 

Schleiermacher,  Gelegentliche  Gedanken. 
138  5  seien  —  sein 
197  12  Ahndung  —  Ahnung 

in. 

Steffens,  Idee  der  Universitäten. 
214  S8  allem  —  allen 
2151*  Id  e  —  Ideen 

224  1*  ihnen  —  ihm 

225  2''  eurem  —  euren 
233  "  es  —  er 
24333  hätten  —  hätte 

244  15  der  durch  —  die  durch 
253  28  erregen  —  errege 
268  '3  ist  ihm  —  ist  ihnen 

268  8  Vorsehung  —  Forschung 

269  '0  welchen  —  welcher 
275  13  dem  Sinn  —  den  Sinn 


Deducirter  Plan 


zu  Berlin  zu  errichtenden  höhern 
Lehranstalt. 


Geschrieben  im  Jahre   1807 


Johann  Gottlieb  Fichte. 


Stuttgard  und  Tübingen 

in  der  Cottaischen  Buchhandlung. 

1817. 


Deduzierter  Plan 

einer 

ZU  Berlin  zu  errichtenden  höhern  Lehranstalt, 

die 

in  gehöriger  Verbindung  mit  einer  Akademie  der  Wissen- 
schaften stehe. 


Erster  Abschnitt. 

Begriff  einer  durch  die  Zeitbedürfnisse  geforderten 

höhern  Lehranstalt  überhaupt. 

§1. 

Als  die  Universitäten  zuerst  entstanden,  war  das  wissen- 
schaftHche  Gebäude  der  neuern  Welt  großenteils  noch  erst 
zu   errichten.      Bücher  gab   es   überhaupt  nicht  viel;   die 
wenigen,   die    es   gab,   waren   selten,   und   schwer   zu   er-  5 
halten;   imd  wer  etwas   Neues   mitzuteilen  hatte,   kam  zu- 
nächst nicht  in  Versuchimg,  es  auf  dem  schwierigem  Wege 
der    Schriftstellerei   zu   tun.     So   wurde   die    |  mündliche  [4] 
Fortpflanzung  das  allgemein  brauchbarste  Mittel  zu  der 
Erbauung,   der   Aufrechterhaltung    und   der   Bereicherung  10 
des  wissenschaftlichen  Gebäudes,  und  die  Universitäten  wur- 
den   der    Ersatz    der    nicht    vorhandenen,    oder    seltenen 
Bücher. 

§2. 

Auch  nachdem  durch  Erfindung  der  Buchdruckerkunst  15 
die   Bücher   höchst   gemein   worden,   und   die  Ausbreitung 
des  Buchhandels  jedwedem  es  sogar  weit  leichter  gemacht 

1* 


4  Fichte. 

hat,  durch  Schriften  sich  mitzuteilen,  als  durch  mündliche 
Lehrvorträge;  nachdem  es  keinen  Zweig  der  Wissenschaft 
mehr  gibt,  über  welchen  nicht  sogar  ein  Überfluß  von 
Büchern  vorhanden  sei,  hält  man  dennoch  noch  immer 
5  sich  für  verbunden,  durch  Universitäten  dieses  gesamte 
Buchwesen  der  Welt  noch  einmal  zu  setzen,  und  eben 
dasselbe,  was  schon  gedruckt  vor  jedermanns  Augen 
liegt,  auch  noch  durch  Professoren  rezitieren  zu  lassen. 
Da  auf  diese  Weise  dasselbe  Eine  in  zwei  verschiedenen 

10  Formen  vorhanden  ist,  so  ermangelt  die  Trägheit  nicht, 
sowohl  den  mündlichen  Unterricht  zu  versäumen,  in- 
dem sie  ja  dasselbe  irgend  einmal  auch  aus  dem  Buche 
werde  lernen  können,  als  den  durch  Bücher  zu  vernach- 
lässigen, indem  sie  dasselbige  ja  auch  hören  könne,  wo- 

15  durch  es  denn  dahin  gekommen,  daß,  wenige  Ausnahmen 
abgerechnet,  gar  nichts  mehr  gelernt  worden,  als  was  durch 
das  Ohngefähr  auf  einem  der  beiden  Wege  an  uns  hängen 
geblieben,   sonach   überhaupt   nichts   im  ganzen,   sondern  | 

[5]  nur  abgerißne  Bruchstücke;  zuletzt  hat  es  sich  zugetragen, 

20  daß  die  Wissenschaft,  —  als  etwas  nach  Belieben  immer- 
fort auf  die  leichteste  Weise  an  sich  zu  Bringendes,  bei 
der  Menge  der  Halbgelehrten,  die  auf  diese  Weise  ent- 
standen, in  tiefe  Verachtung  geraten.  Nun  ist  von  den 
genannten  zwei  Mitteln  der  Belehrimg  das  eigene  Studieren 

25  der  Bücher  sogar  das  vorzüglichere,  indem  das  Buch  der 
frei  zu  richtenden  Aufmerksamkeit  standhält,  und  das,  wo- 
bei diese  sich  zerstreute,  noch  einmal  gelesen,  das  aber, 
was  man  nicht  sogleich  versteht,  bis  zum  erfolgten  Ver- 
ständnisse hin  tmd  her  überlegt  werden,  auch  die  Lektüre 

30  nach  Belieben  fortgesetzt  werden  kann,  so  lange  man  Kraft 
fühlt,  oder  abgebrochen  werden,  wo  diese  uns  verläßt; 
dagegen  in  der  Regel  der  Professor  seine  Stunde  lang  seinen 
Spruch  fortredet,  ohne  zu  achten,  ob  irgend  jemand  ihm 
folge,   ihn   abbricht,    da   wo    die    Stimde   schlägt,   und  ihn 

35  nicht  eher  wieder  anknüpft,  als  bis  abermals  seine  Stunde 
geschlagen.  Es  -wird  durch  diese  Lage  des  Schülers,  in 
der  es  ihm  unmöglich  ist,  in  den  Fluß  der  Rede  seines 
Lehrers  auf  irgendeine  Weise  einzugreifen  und  ihn  nach 
seinem  Bedürfnisse   zum   Stehen   zu  bringen,   das  leidende 

40  Hingeben  als  Regel  eingeführt,  der  Trieb  der  eigenen 
Tätigkeit  vernichtet,  und  so  dem  Jünglinge  sogar  die  Mög- 


Deduzierter  Plan.  5 

lichkeit  genommen,  des  zweiten  Mittels  der  Belehrung, 
der  Bücher,  mit  freitätiger  Aufmerksamkeit  sich  zu  be- 
dienen. Und  so  sind  wir  denn,  um  von  der  Kostspielig- 
keit dieser  Einrichtung  für  das  gemeine  u^id  das  Privat- 
wesen, und  von  der  dadurch  |  bewirkten  Verwilderung  der 
Sitten  hier  zu  schweigen,  durch  die  Beibehaltung  des 
Notmittels,  nachdem  die  Not  längst  aufgehoben,  auch 
noch  für  den  Gebrauch  des  wahren  und  bessern  Mit- 
tels verdorben  worden. 


§  3.  10 

Um   nicht   ungerecht,    zugleich   auch   oberflächlich   zu 
sein,  müssen  wir  jedoch  hinzusetzen,  daß  die  neuern  Uni- 
versitäten    mehr    oder     weniger    außer     dieser    bloßen 
Wiederholung  des  vorhandenen  Buchinhalts  noch  einen 
anderen    edlern    Bestandteil    gehabt    haben,    nämlich    das  15 
Prinzip     der    Verbesserung    dieses    Buchinhalts,      Es     gab 
selbsttätige    Geister,     welche     in    irgendeinem    Fache    des 
Wissens  durch  den  ihnen  wohlbekannten  Bücherinhalt  nicht 
befriedigt  wurden,  ohne  doch  das  Befriedigende  hierin  so- 
gleich  bei   der   Hand   zu   haben,   und   es   in   einem   neuen  20 
und  besseren  Buche,  als  die  bisherigen  waren,  niederlegen 
zu  können.     Diese  teilten  ihr  Ringen  nach  dem  Vollkomm- 
neren     vorläufig    mündhch     mit,     um   entweder    in    dieser 
Wechselwirkung   mit    anderen   in   sich   selber   bis   zu   dem 
beabsichtigten  Buche  klar  zu  werden,  oder,  falls  auch  sie  25 
selbst   in    diesem    Streben   von   geistiger   Kraft   oder   dem 
Leben  verlassen  würden,  Stellvertreter  hinter  sich  zu  lassen, 
welche  das  beabsichtigte  Buch,  oder  auch,  statt  desselben 
und  aus   diesen   Prämissen,   ein  noch  besseres   hinstellten. 
Aber  selbst  in  Absicht  dieses  Bestandteils  läßt  sich  nicht  30 
leugnen,   daß   er  von  jeher  der  bei  weitem  kleinere  auf   |   [7] 
allen    Universitäten    gewesen,    daß    keine    Verwaltung   ein 
Mittel   in    den    Händen   gehabt,   auch   nur   überhaupt    den 
Besitz  eines  solchen  Bestandteils  sich  zu  garantieren,  oder 
auch  nur  deutlich  zu  wissen,  ob  sie  ihn  habe,  oder  nicht, 
und  daß    selbst   dieser   kleine   Bestandteil,   wenn   er   durch  35 
gutes  Glück  irgendwo  vorhanden  gewesen,  selten  mit  einiger 
klaren   Erkenntnis   seines   Strebens   und  der  Regeln,  nach 
denen  er  zu  verfahren  hätte,  gewirkt  und  gewaltet. 


6  Fichte. 

§4. 

Eine  solche,  zunächst  überflüssige,  sodann  in  ihren 
Folgen  auch  schädliche  Wiederholung  desselben,  was  in 
einer  andern  Form  weit  besser  da  ist,  soll  nun  gar  nicht 
5  existieren;  es  müßten  daher  die  Universitäten,  wenn  sie 
nichts  anderes  zu  sein  vermöchten,  sofort  abgeschafft,  und 
die  Lehrbedürftigen  an  das  Studium  der  vorhandenen 
Schriften  gewiesen  werden.  Auch  könnte  es  diesen  Insti- 
tuten  zu   keinem   Schutze   gereichen,   daß   sie   den   soeben 

10  berührten  edlem  Bestandteil  für  sich  anführten,  indem  in 
keinem  bestimmten  Falle  (auf  keiner  gegebenen  Universi- 
tät) dieser  edlere  Teil  Rechenschaft  von  sich  zu  geben, 
noch  sein  Dasein  zu  beweisen,  noch  die  Fortdauer  des- 
selben zu  garantieren  vermag;  vmd  sogar,  wenn  dies  nicht 

15  so  wäre,  doch  immer  der  schlechtere  Teil,  die  bloße 
Wiederholung  des  Buchwesens,  weggeworfen  werden  müßte. 
So   wie   alles,   was   auf  das   Recht  der   Existenz  Anspruch 

[8]  macht,  sein  imd  leisten  muß,  was  [  nichts  außer  ihm 
zu  sein  und  zu  leisten  vermag,  zugleich  sein  Beharren  in 

20  diesem  seinem  Wesen  und  seine  unvergängliche  Fortdauer 
verbürgend :  so  muß  dies  auch  die  Universität,  oder  wie 
wir  vorläufig  im  antiken  Sinne  des  Wortes  sagen  wollen, 
die  Akademie,  oder  sie  muß  vergehen. 

§  5. 

25  Was,    im    Sinne    dieser    höhern    Anforderung    an    die 

Subsistenz,  die  Akademie  sein  könne,  und,  falls  sie  sein 
soll,  sein  müsse,  geht  sogleich  hervor,  wenn  man  die  Be- 
ziehung der  Wissenschaft  auf  das  wirkliche  Leben  be- 
trachtet. 

30  Man  studiert  ja  nicht,  um  lebenslänglich  und  stets  dem 

Examen  bereit  das  Erlernte  in  Worten  wieder  von  sich  zu 
geben,  sondern  um  dasselbe  auf  die  vorkommenden  Fälle 
des  Lebens  anzuwenden,  und  so  es  in  Werke  zu  ver- 
wandeln;   es    nicht    bloß    zu    wiederholen,    sondern    etwas 

35  anderes  daraus  und  damit  zu  machen;  es  ist  demnach 
auch  hier  letzter  Zweck  keinesweges  das  Wissen,  sondern 
vielmehr  die  Kunst,  das  Wissen  zu  gebrauchen.  Nun  setzt 
diese   Kunst   der  Anwendung  dqr  Wissenschaft  im   Leben 


Deduzierter  Plan.  7 

noch  andere  der  Akademie  fremde  Bestandteile,  Kenntnis 
des  Lebens  nämlich,  und  Übung  der  Beurteilungsfähigkeic 
der  Fälle  der  Anwendung  voraus,  imd  es  ist  demnach  von 
ihr  zunächst  nicht  die  Rede,  Wohl  aber  gehört  hierher 
die  Frage,  auf  welche  Weise  man  denn  die  Wissenschaft  5 
selbst  so  zum  freien  und  auf  unendliche  Weise  zu  gestalten- 
den [  Eigentume  und  Werkzeuge  erhalte,  daß  eine  fertige  [9] 
Anwendung  derselben  auf  das,  freilich  auf  anderm  Wege 
zu  erkennende,  Leben  möglich  werde. 

Offenbar  geschieht   dies  nur  dadurch,   daß   man  jene  10 
Wissenschaft   gleich   anfangs   mit   klarem   tmd   freiem   Be- 
wußtsein erhalte.     Man  verstehe  uns  also.     Es  macht  sich 
vieles  von  selbst  in  unserm  Geiste,  imd  legt  sich  demselben 
gleichsam    an,    durch    einen   blinden   imd   uns    selber    ver- 
borgen bleibenden  Mechanismus.    Was  also  entstanden,  ist  15 
nicht   mit    klarem   und   freiem    Bewußtsein   durchdrungen, 
es  ist  auch  nicht  unser  sicheres    und  stets  wieder  herbei- 
zurufendes Eigentum,  sondern  es  kommt  wieder  oder  ver- 
schwindet nach   den   Gesetzen  desselben  verborgenen  Me- 
chanismus, nach  welchem  es  sich  erst  in  tms  anlegte.    Was  20 
wir    hingegen     mit    dem    Bewußtsein,     daß    wir    es    tätig 
erlernen,  und  dem  Bewußtsein  der  Regeln  dieser  erlernen- 
den Tätigkeit,  auffassen,   das  wird  zufolge  dieser  eigenen 
Tätigkeit    und  dem  Bewußtsein  ihrer  Regeln  ein  eigentüm- 
licher Bestandteil   unsrer   Persönlichkeit    und  imseres,  frei  2ü 
und  behebig  zu  entwickelnden,  Lebens. 

Die    freie    Tätigkeit    des    Auffassens    heißt    Verstand. 
Bei  dem  zuerst  erwähnten  mechanischen  Erlernen  wird  der 
Verstand  gar   nicht  angewendet,   sondern  es  waltet   allein 
die    blinde    Natur.     Wenn    jene    Tätigkeit    des    Verstandes  3o 
und    die    bestimmten    Weisen,    wie    dieselbe    verfahrt,    um 
etwas   aufzufassen,    wiederum   zu   klarem   Bewußtsein 
erhoben  werden,  so  wird   (   dadurch  entstehen  eine  beson-  [10] 
nene  Kunst   des  Verstandesgebrauchs   im  Erlernen.     Eine 
kunstmäßige    Entwicklung    jenes    Bewußtsems    der    Weise  bö 
des  Erlernens  —  im  Erlernen  irgend  eines   Gegebenen  — 
würde  somit,  unbeschadet  des  jetzt  aufgegebenen  Lernens, 
zunächst   nicht   auf  das    Lernen,   sondern  auf  die   Bildung 
des  Vermögens   zum   Lernen  ausgehen.     Unbeschadet  des 
jetzt  aufgegebenen  Lernens,  habe  ich  gesagt,  vielmehr  zu  40 
seinem   großen    Vorteile,    denn    man    weiß    gründlich    und 


8  Fichte. 

unvergeßlich  nur  das,  wovon  man  weiß,  wie  man  dazu 
gelangt  ist.  Sodann  wird,  indem  nicht  bloß  das  zuerst 
Gegebene  gelernt,  sondern  an  ihm  zugleich  die  Kunst  des 
Erlernens  überhaupt  gelernt  und  geübt  wird,  die  Fertig- 

5  keit  entwickelt,  ins  Unendliche  fort  nach  Belieben  leicht 
und  sicher  alles  andere  zu  lernen;  und  es  entstehen  Künst- 
ler im  Lernen.  Endlich  wird  dadurch  alles  Erlernte  oder 
zu  Erlernende  ein  sicheres  Eigentum  des  Menschen,  womit 
er  nach  Belieben  schalten  könne,  und  es  ist  somit  die  erste 

10  und  ausschließende  Bedingung  des  praktischen  Kunstge- 
brauchs der  Wissenschaft  im  Leben  herbeigeführt  und  er- 
füllet. Eine  Anstalt,  in  welcher  mit  Besonnenheit,  und  nach 
Regeln,  das  beschriebene  Bewußtsein  entwickelt  und  die 
dabei  beabsichtigte  Kunst  geübt  würde,  wäre,  was  folgende 

15  Benennung  ausspricht:  eine  Schule  der  Kunst  des 
wissenschaftlichen  Verstandesgebrauches. 

Ohnerachtet  auf  den  bisherigen  Universitäten  von  ohn- 

gefähr   zuweilen   geistreiche   Männer  aufgetreten,   die  im  ] 

[11]  Geiste  des  obigen  Begriffs  in  einem  besondern  Fache  des 

20  Wissens  Schüler  gezogen,  so  hat  doch  sehr  viel  gefehlt,  daß 
die  Realisierung  dieses  Begriffs  im  allgemeinen  mit  Sicher- 
heit, Festigkeit  und  nach  unfehlbaren  Gesetzen  auch  nur 
deutlich  gedacht  und  vorgeschlagen,  geschweige  denn,  daß 
sie    irgendwo    ausgeführt    worden.     Dadurch   aber   ist    die 

25  Erhaltung  und  Steigerung  der  wissenschaftlichen  Bildung 
im  Menschengeschlechte  dem  guten  Glücke  und  blinden  Zu- 
falle preisgegeben  gewesen,  aus  dessen  Händen  sie  unter 
die  Aufsicht  des  klaren  Bewußtseins  lediglich  durch  die 
Darstellung    des     erwähnten     Begriffes     gebracht    werden 

SO  könnte.  Und  so  ist  es  die  Ausführung  dieses  Begriffes, 
die  in  Beziehung  auf  das  wissenschaftliche  Wesen  in  der 
ewigen  Zeit  dermalen  an  der  Tagesordnung  ist,  und  die 
sogar  in  ihrer  Existenz  angegriffene  Akademie  würde  wohl- 
tun, diese  Ausführung  zu  übernehmen,  da  das,  was  sie  bis 

35  jetzt  gewesen,  gar  nicht  länger  das  Recht  hat  dazusein. 


Aber    sogar     dieses    Anspruches    alleinigen    und    aus- 
schließenden   Besitz    wird    etwas    anderes    der    Akademie 
streitig  machen,  die  niedere  Gelehrtenschule  nämlich.  Diese, 
40  vielleicht  selbst  erst  bei  dieser  Gelegenheit  über  ihr  wahres 


Deduzierter  Plan.  9 

Wesen  klar  geworden,  wird  anführen,  daß  sie,  bis  auf  die 
Zeiten  der  neuern  verseichtenden  Pädagogik,  weit  besser 
und  vorzüglicher  eine  solche  Kunstschule  des  wissenschaft- 
hchen  Verstandesgebrauches  gewe- 1  sen,  denn  irgendeine  [12] 
Universität.  Somit  wird  die  Akademie  zuvörderst  mit  dieser  5 
niedern  Gelehrtenschule  eine  Grenzberichtigung  treffen 
müssen. 

Diese    Grenzberichtigung    wird   ohne    Zweifel    zur   Zu- 
friedenheit beider  Teile  dahin  zustande  kommen,  daß  der 
niedern  Schule  die  Kunstübung  des  allgemeinen  Instruments   10 
aller   Verständigung,    der    Sprache,    und   von   dem   wissen- 
schafthchen  Gebäude  das  allgemeine  Gerüst  und  Geripp  des 
vorhandenen  Stoffes,  ohne  Kritik,  anheimfalle;  dagegen  die 
höhere  Gelehrtenschule  die  Kunst  der  Kritik,  des  Sichtens 
des  Wahren  vom  Falschen,  des  Nützlichen  vom  Unnützen,   15 
und    das    Unterordnen    des    minder    Wichtigen    unter    das 
Wichtige,    zum    ausschUeßenden    Eigentum    erhalte;    somit 
die  erste:   Kunstschule  des   wissenschaftlichen  Verstandes- 
gebrauches,  als    bloßen    Auffassungsvermögens,    oder    Ge- 
dächtnisses, die  letzte:  Kunstschule  des  Verstandesgebrau-  20 
ches,  als  Beurteilungsvermögens,  würde. 

§  7. 

Kimstfertigkeit  kann  nur  also  gebildet  werden,  daß  der 
Lehrling  nach  einem  bestimmten  Plane  des  Lehrers  unter 
desselben  Augen  selber  arbeite,  und  die  Kunst,  in  der  er  25 
Meister  werden   soll,   auf   ihren  verschiedenen   Stufen  von 
ihren     ersten    Anfängen    an    bis    zur    Meisterschaft,     ohne 
Überspringen  regelmäßig  fortschreitend,  ausübe.    Bei  unse- 
rer Aufgabe  ist  es  die  Kunst  wissenschaftlichen  Verstandes- 
gebrauchs, welche  geübt  werden  soll.    Der  Lehrer  gibt  nur  30 
den  Stoff,  und  regt  an  die  Tä-  [tigkeit;  diesen  Stoff  bearbeite   113] 
der    Lehrimg   selbst;   der   Lehrer  muß   aber   in   der    Lage 
bleiben,  zusehen  zu  können,  ob  und  wie  der  LehrHng  diesen 
Stoff  bearbeite,   damit  er  aus  dieser  Art  der  Bearbeitung 
ermesse,  auf  welcher  Stufe  der  Fertigkeit  jener  stehe,  und  35 
auf  diese  den  neuen  Stoff,  den  er  geben  wird,  berechnen 
könne. 

Nicht  bloß  der  Lehrer,  sondern  auch  der  Schüler 
muß  fortdauernd  sich  äußern  und  mitteilen,  so  daß  ihr 
gegenseitiges  Lehrverhältnis  werde  eine  fortlaufende  Unter-  -10 


10  Fichte. 

redung,  in  welcher  jedes  Wort  des  Lehrers  sei  Beantwortung 
einer  durch  das  unmittelbar  Vorhergegangene  aufgeworfenen 
Frage  des  Lehrlings,  und  Vorlegung  einer  neuen  Frage  des 
Lehrers  an  diesen,  die  er  durch  seine  nächstfolgende  Äuße- 
5  rung  beantworte ;  und  so  der  Lehrer  seine  Rede  nicht  richte 
an  ein  ihm  völlig  unbekanntes  Subjekt,  sondern  an  ein 
solches,  das  sich  ihm  immerfort  bis  zur  völligen  Durch- 
schauung enthüllt;  daß  er  wahrnehme  dessen  unmittelbares 
Bedürfnis,   verweilend,   und  in  andern  und  wieder  andern 

10  Formen  sich  aussprechend,  wo  der  Lehrling  ihn  nicht  gefaßt 
hat,  ohne  Verzug  zum  nächsten  Gliede  schreitend,  wenn 
dieser  ihn  gefaßt  hat;  wodurch  denn  der  wissenschaftliche 
Unterricht  aus  der  Form  einfach  fortfließender  Rede,  die 
er  im  Buchwesen  auch  hat,  sich  verwandelt  in  die  dialogische 

15  Form,  und  eine  wahrhafte  Akademie,  im  Sinne  der  Sokra- 
tischen  Schule,  an  welche  zu  erinnern  wir  gerade  dieses 
Wortes  uns  bedienen  wollten,  errichtet  werde. 

[14J  i  §  8. 

Der   Lehrer  muß   ein   ihm  immer  bekannt  bleibendes 

20  festes  und  bestimmtes  Subjekt  im  Auge  behalten,  sagten 
wir.  Falls  nun,  wie  zu  erwarten,  dieses  Subjekt  nicht  zu- 
gleich auch  aus  Einem  Individuum,  sondern  aus  mehreren 
bestände,  so  müssen,  da  das  Subjekt  des  Lehrers  Eins,  und 
ein  bestimmtes  sein  muß,  diese  Individuen  selber  zu  einer 

25  geistigen  Einheit,  und  zu  einem  bestimmten  organischen 
Lehrlingskörper  zusammenschmelzen.  Sie  müssen  darum 
auch  unter  sich  in  fortgesetzter  Mitteilung  und  in  einem 
wissenschaftlichen  Wechselleben  verbleiben,  in  welchem 
jeder  allen   die   Wissenschaft   von   derjenigen   Seite   zeige, 

SO  von  welcher  er,  als  Individuum,  sie  erfaßt,  der  leichtere 
Kopf  dem  schwerfälligeren  etwas  von  seiner  Schnelligkeit, 
und  der  letzte  dem  ersten  etwas  von  seiner  ruhigen  Schwer- 
kraft abtrete. 

§  9- 
35  Um  unseren  Grundbegriff  durch  weitere  Auseinander- 

setzung noch  anschauhcher  zu  machen:  —  Der  Stoff, 
welchen  der  Meister  dem  Zöglinge  seiner  Kirnst  gibt,  sind 
teils  seine  eigenen  Lehrvorträge,  teils  gedruckte  Bücher, 
deren  geordnetes  und  kunstmäßiges   Studium  er  ihm  auf- 


Deduzierter  Plan.  11 

gibt;  indem  in  Absicht  des  letzteren  es  ja  ein  Hauptteil 
der  wissenschaftlichen  Kunst  ist,  durch  den  Gebrauch  von 
Büchern  sich  belehren  zu  können,  und  es  sonach  eine  An- 
führtmg  auch  zu  dieser  Kunst  geben  muß ;  sodann  aber  auf 
einer  solchen  Akademie  der  bei  [  weitem  größte  Teil  des  ^_, 
wissenschaftlichen  Stoffes  aus  Büchern  wird  erlernt  werden  '  ^^ 
müssen,  wie  dies  an  seinem  Orte  sich  finden  wird. 

Die  Weisen  aber,  wie  der  Meister  seinem  Lehrlinge 
sich  enthüllt,  sind  folgende : 

Examina,  nicht  jedoch  im  Geiste  des  Wissens,  son- 
dern in  dem  der  Kunst.  In  diesem  letztern  Geiste  ist  jede  10 
Frage  des  Examinators,  wodurch  das  Wiedergeben  dessen, 
was  der  Lehrling  gehört  oder  gelesen  hat,  als  Antwort  be- 
gehrt wird,  ungeschickt  und  zweckwidrig.  Vielmehr  muß 
die  Frage  das  Erlernte  zur  Prämisse  machen,  und  eine  An- 
wendung dieser  Prämisse  in  irgend  einer  Folgerung  als  15 
Antwort  begehren. 

Konversatoria,    in    denen    der    Lehrling   fragt,   und 
der  Meister  zurückfragt  über  die  Frage,  und  so  ein  expresser 
Sokratischer   Dialog    entstehe,    innerhalb    des    unsichtbar 
immer    fortgehenden    Dialogs    des    ganzen    akademischen  20 
Lebens. 

Durch  schriftliche  Ausarbeitungen  zu  lösende 
Aufgaben  an  den  Lehrling,  immer  im  Geiste  der  Kunst, 
und  also,  daß  nicht  das  Gelernte  wiedergegeben,  sondern 
etwas   anderes    damit    und    daraus   gemacht   werden    solle,  25 
also,   daß   erhelle,  ob  und  in  wie  weit  der  Lehrling  jenes 
zu  seinem  Eigentume  und  zu  seinem  Werkzeuge  für  allerlei 
Gebrauch  bekommen  habe.    Der  natürliche  Erfinder  solcher 
Aufgaben    ist    zwar    der    Meister;    es    soll    aber    auch    der 
geübtere   [  Lehrüng  aufgefordert  werden,  dergleichen  sich  ^"p, 
auszusinnen,  und  sie  für  sich  oder  für  andere  in  Vorschlag        ' 
zu  bringen.  —  Es  wird  durch  diese  schriftlichen  Ausarbei- 
tungen zugleich  die  Kunst  des  schriftlichen  Vortrages  eines 
wissenschaftlichen    Stoffes    geübt,    und   es    soll   darum   der 
Meister   in    der   Beurteilung   auch   über   die   Ordnung,    die  35 
Bestimmtheit    und   die   sinnliche   Klarheit   der   Darstellung 
sich  äußern*). 

*)  Es  dürfte  vielleicht  nicht  überflüssig  sein,  der  Erwähnung 
solcher  Aufgaben  noch  ausdrücklich  die  Bemerkung  hinzuzufügen, 
daß  nicht  bloß  in  dem  apriorischen  Teile  der  Wissenschaft,  sondern 


12  Fichte. 

117]  I  §  10. 

Zuvörderst  vom  Lehrlinge  einer  solchen  Anstalt. 

Die   äußern   Bedingungen,   wodurch   derselbe   teils   zu- 
stande kommt,  teils  in  seinem  Zustande  verharrt,  sind  die 
5  folgenden : 

1.  Gehörige  Vorbereitung  auf  der  niederen 
Gelehrtenschule  für  die  höhere.  Welche  Leistungen 
für  die  Bildung  des  Kopfs  zur  Wissenschaft  der  niederen 
Schule   anzumuten   sind,    haben   wir   schon   oben    (§  6)   er- 

10  sehen.  Dies  muß  nun,  wenn  die  höhere  Schule  mit  sichern! 
Schritte  einhergehen  soll,  von  der  niedem  nicht  wie  bisher, 
wie  gutes  Glück  und  Ohngefähr  es  geben,  sondern  nach 
einem  festen  Plane,  und  so,  daß  man  immer  wisse,  was 
gelungen  sei  und  was  nicht,  geschehen.    Die  Verbesserung 

15  der  höheren  Lehranstalten  setzt  sonach  die  der  niedern  not- 
wendig voraus,  wiewohl  wiederum  auch  umgekehrt  eine 
gründliche  Verbesserung  der  letzten  nur  durch  die  Ver- 
besserung der  ersten,  und  indem  auf  ihnen  die  Lehrer 
der  niedern   Schule  die  ihnen  jetzt  großenteils  abgehende 

20  Kunst  des  Lehrens  erlernen,  möglich  wird;  daß  daher 
schon  hier  erhellet,  daß  wir  nicht  mit  Einem  Schlage  das 
Vollkommne  werden  hinstellen  können,   sondern  uns  dem- 


auch  in  ganz  empirischen  Scienzen  solche,  die  Selbsttätigkeit  des 
Auffassens  erkundende,  Aufgaben  möglich  seien.  In  der  Philologie, 
der  Theologie  usw.  ist  ja  wohl  bekannt,  daß  diese  Fächer  der 
eignen  Kombinationsgabe  und  Konjekturalkritik  ein  fast  unermeß- 
liches Feld  darbieten,  wobei,  gesetzt  auch  die  Ausbeute  wäre  nicht 
von  Bedeutung,  dennoch  die  Selbsttätigkeit  des  Geistes  geübt  und 
dokumentiert  wird.  Aber  auch  der  Lehrer  der  Universalgeschichte 
könnte,  meines  Erachtens,  ein  nicht  wirklich  eingetretenes  Ereig- 
nis fingieren,  mit  der  Aufgabe  an  sein  Auditorium,  zu  zeigen,  was 
bei  diesem  oder  diesem  von  ihnen  erlernten  Zustande  der  Welt 
daraus  am  wahrscheinlichsten  erfolgt  sein  würde;  oder  der  des 
römischen  Rechts  irgend  einen  Fall,  mit  der  Aufgabe  an  sein 
Auditorium,  das  aus  dem  Ganzen  der  römischen  Gesetzgebung 
hervorgehende  und  in  dasselbe  organisch  einpassende  Gesetz  für 
diesen  Fall  anzugeben.  Es  würde  aus  dem  Versuche  der  Lösung 
dieser  Aufgaben  ohne  Zweifel  klar  hervorgehen,  zuvörderst,  ob 
seine  Zuhörer  die  Geschichte  oder  das  römische  Recht  wirklich 
wüßten,  sodann,  ob  und  in  wie  weit  sie  diese  Scienzen  in  ihrem 
Geiste  durchdrungen,  oder  dieselben  nur  mechanisch  auswendig 
gelernt  hätten. 


Deduzierter  Plan.  13 

selben  nur  allmählich  und  in  mancherlei  Vorschritten  werden 
annähern  müssen. 

Zur  Verbreitung  höherer  Klarheit  über  unsern  Grund- 
begriff füge  ich  hier  noch  folgendes  hinzu.     Daß  der  für 
ein  wissenschaftUches  Leben  bestimmte  Jüngling  zuvörderst     5 
mit  dem  allgemeinen  Sprachschatze  der  wis- 1  senschaftlichen  [18j 
Welt,  als  dem  Werkzeuge,  vermittelst  dessen  allein  er,  so  zu 
verstehen,   wie   sich  verständÜch  zu  machen    vermag,  ver- 
traut werden   müsse,   ist   unmittelbar  klar.     Diese  positive 
Kenntnis  der  Sprache  aber,  so  unentbehrlich  sie  auch  ist,  10 
erscheint  als  leichte  Zugabe,  wenn  wir  bedenken,  daß  beson- 
ders durch  Erlernung  der  Sprachen  einer  andern  W^elt,  welche 
die  Merkmale  ganz  anders  zu  Wortbegriffen  gestaltet,  der 
Jüngling    über    den    Mechanismus,     womit    die    angebome 
moderne   Sprache,   gleichsam  als  ob   es  nicht  anders   sein  15 
könnte,    ihn    fesselt,    tmvermerkt    hinweggehoben     und   im 
leichten  Spiele  zur  Freiheit  der  Begriffebildung  angeführt 
wird;  femer,  daß  beim  Interpretieren  der  Schriftsteller  er 
an  dem  leichtesten   und  schon  fertig  ihm  hingelegten  Stoffe 
lernt,  seine  Betrachtung  willkürlich  zu  bewegen,  dahin  und  20 
dorthin  zu  richten  für  einen  ihm  bekannten  Zweck,  und  nicht 
eher  abzulassen  in  dieser  Arbeit,  als  bis  der  Zweck  erreicht 
dastehe.     Es  wird  nun,  um  dieses  Verhältnisses  willen  der 
niedern   Kunst   des   wissenschaftlichen   Verstandesgebrau- 
ches zu  der  höh  er  n,  notwendig  sein,  daß   die   Schule  in  25 
ihrem  Sprachunterrichte  also  verfahre,  daß  nicht  bloß  der 
erste  Zweck   der  historischen   Sprachkenntnis,   sondern  zu- 
gleich auch  der  letzte  der  Verstandesbildung  an  ihr   sicher, 
allgemein  und  für  klare  Dokumentation  ausreichend   erfüllt 
werde;  daß   z.B.  der   Schüler  auf  jeder  Stufe  des   Unter-  30 
richts  verstehen  lerne,  was  er  verstehen  soll,   vollkommen 
und  bis  zum  Ende,  und  wissen  lerne,  ob  er  also  verstehen 
und  den  Beweis  füh-|ren  lerne;  keinesweges  aber,  wie  es    19^ 
bisher  so   oft  geschehen,   hierüber  vom  guten   Glücke  ab- 
hänge   und  im  Dunkeln  tappe,  indem  sehr  oft  sein  Lehrer  35 
selbst   keinen    rechten    Begriff    vom    Verstehen   überhaupt 
hat    und  gar  nicht  weiß,  welche  Fragen  alle  müssen  beant- 
wortet  werden   können,   wenn   man  sagen  will,   man   habe 
z.  B.  eine  Stelle  eines  Autors  verstanden. 

Betreffend  das    Grundgerüst  des   vorhandenen  wissen-  40 
schaftlichen  Stoffes,  als  das  zweite  Stück  der  nötigen  Vor- 


14  Fichte. 

bereitung,  die  der  Schule  zukommt,  mache  ich  durch 
folgende  Wendung  mich  klärer.  Man  hat  wohl,  um  den 
Forderungen  einer  solchen  geistigen  Kunstbildung,  wie  sie 
auch  in  diesem  Aufsatze  gemacht  werden,  auszuweichen, 
5  die  Anmerkung  gemacht :  eine  solche  besonnene  Ausbildung 
der  Geistesvermögen  sei  wohl  bei  den  alten  klassischen 
Völkern  möglich  gewesen,  weil  das  sehr  beschränkte  Feld 
der  positiven  Kenntnisse,  die  sie  zu  erlernen  gehabt,  ihnen 
Zeit  genug  übriggelassen  hätte;  dagegen  die  unsrige   durch 

10  das  unermeßliche  Gebiet  des  zu  Erlernenden  gänzlich  auf- 
gezehrt werde,  und  für  keine  anderen  Zwecke  uns  ein 
Teil  derselben  übrigbleibe.  Als  ob  nicht  vielmehr  gerade 
darum,  weil  wir  mit  ihnen  weit  mehr  zu  leisten  haben,  eine 
kunstmäßige  Ausbildung  der  Vermögen  uns  um  so  nötiger 

15  würde,    imd    wir    nicht    um    so    mehr    auf    Fertigkeit    und 

Gewandtheit  im  Lernen  bedacht  sein  müßten,  da  wir  eine 

so   große   Aufgabe   des    Lernens   vor  uns   haben.     In   der 

Tat  kommt  jenes  Erschrecken  vor  der  Unermeßlichkeit  1 

[20]  unsers  wissenschaftlichen  Stoffes  daher,  daß  man  ihn  ohne 

20  einen  ordnenden  Geist  und  ohne  eine  mit  Besonnenheit 
geübte  Gedächtniskunst,  deren  Hauptmittel  jener  ordnende 
Geist  ist,  erfasset;  vielmehr  blind  sich  hineinstürzt  in  das 
Chaos,  und  ohne  Leitfaden  in  das  Labyrinth,  so  im  Herum- 
irren bei  jedem  Schritte  Zeit  verliert,  also,  daß  die  wenigen, 

25  welche  in  diesem  Ungeheuern  Ozeane,  vom  Versinken  ge- 
rettet, noch  oben  schwimmen,  beim  Rückblicke  auf  ihren 
Weg  erschrecken  vor  der  eigenen  Arbeit  und  dem  gehabten 
Glücke,  und,  die  noch  immer  vorhandenen  Lücken  in 
ihrem  Wissen   entdeckend,  glauben,  es  habe  ihnen  nichts 

30  weiter  gemangelt,  denn  Zeit,  —  da  doch  die  ordnende 
Kunst,  die  sie  nicht  kennen,  indem  sie  keinen  Schritt 
vergebens  tut,  die  Zeit  ins  Unendliche  vervielfältigt  und 
eine  kurze  Spanne  von  Menschenleben  ausdehnt  zu  einer 
Ewigkeit.    Wenn  schon  die  erste  Schule  für  den  Anfänger 

35  nicht  länger  das  fähige  Gedächtnis  des  einen  Knaben  für 
einen  glücklichen  Zufall,  das  langsamere  eines  andern  für 
ein  unabwendbares  Naturunglück  halten,  sondern  lernen 
wird,  das  Gedächtnis  sowohl  überhaupt,  als  in  seinen  be- 
sonderen,   für    besondere    Zweige    passenden,    Fertigkeiten 

40  kunstmäßig  zu  entwickeln  und  zu  bilden;  wenn  sie  diesem 
Gedächtnisse  erst  ein  ganz  ins  kurze  und  kleine  gezogenes, 


Deduzierter  Plan.  15 

aber   lebendiges     und    klares    Bild    des    Ganzen    eines    be- 
stimmten wissenschaftlichen  Stoffes  (z.  B.  für  die  Geschichte 
ein   allgemeines    Bild    der    Umwandlungen    im    Menschen- 
geschlechte  durch  die  Hauptbegebenheiten  de^  herrschen- 
den Völker,   [  neben  einem  Bilde  von  der  allgemeinen  Ge-    r.^^-, 
stalt  der  Oberfläche  des   Erdbodens,  als  dem  Schauplatze   "" 
jener   Umwandlungen)   hingeben,   und  unaustilgbar  fest  in 
die  innere  Anschauung  einprägen  wird;  sodann  diese  Bilder 
Tag  für  Tag  wieder  hervorrufen  lassen,  und  sie  allmählich, 
aber  verhältnismäßig  nach  allen  ihren  Teilen,  nach  einer  10 
gewissen    Regel    der    notwendigen    Folge    der    Gesichts- 
punkte,   und    so,    daß    kein    einzelner   zum    Schaden    der 
übrigen  ungebührlich  anwachse,  vergrößern  wird;  so  wird 
jenes  Entsetzen  vor  der  Unermeßlichkeit  gänzlich  verschwin- 
den,   und    die    also    gebildeten    Köpfe    werden    leicht    tmd  15 
sicher  alles,  was  ihnen  vorkommt,  auf  jene  mit  ihrer  Per- 
sönlichkeit verwachsenen  Grundbilder  jedes  an  seiner  Stelle 
auftragen,  nicht  auf  ein  unbekanntes  Weltmeer  versprengt, 
sondern  in  ihrer  väterlichen  Wohnung  die  ihnen  wohl  be- 
kannten  Kammern   mit   Schätzen  ausfüllend,   die  sie  nach  20 
jedesmaligem  Bedürfnisse  \vieder  da  hinwegnehmen  können, 
wo  sie  dieselben  vorher  hingestellt. 

Somit  fällt  die  Vorbereitung,  welche  der  Lehrling  einer 
höheren  Kunstschule  auf  der  niedem  erhalten  haben  muß, 
die    Rechenschaft,    die    er   vor   der  Aufnahme   von    seiner  25 
Tüchtigkeit  zu  geben  hat,  und  die  Vollkommenheit,  bis  zu 
welcher    die    niedere    Schule    verbessert    werden    muß,    zu 
folgenden   zwei   Stücken   zusammen.     Zuvörderst   muß   der 
Adspirant  eine   seinen   Fähigkeiten  angemessene  ihm  vor- 
gelegte   Stelle    eines   Autors    in   gegebener   Zeit   gründlich  30 
verstehen   lernen,    und   den   Be- 1  weis   führen  können,   daß   ;22] 
er  sie  recht  verstehe,  indem  sie  gar  nicht  anders  verstanden 
werden  könne.     Sodama  muß   er  zeigen,  daß  er  ein  allge- 
meines   Bild   des   gesamten   wissenschaftlichen   Stoffes,   er- 
hoben  und  bereichert  bis  zu  derjenigen  Potenz  des  Gesicht-  35 
Ijunktes,    an    welche    die    höhere    Schule    ihren    Unterricht 
anknüpft,   in   freier   Gewalt   und   zu  beliebigem   Gebrauche 
als  sein  Eigentum  besitze. 

2.  Aufgehen  seines  gesamten  Lebens  in  seinem 
Zwecke,   darum  Absonderung  desselben  von  aller  40 
andern   Lebensweise,   und  vollkommne   Isolierung. 


1 6  Fichte. 

Der  Sohn  eines  Bürgers,  welcher  ein  bürgerliches  Gewerb 
treibt,  besucht  vielleicht  auch  des  Tages  mehrere  Stunden 
eine  gute  Bürgerschule,  worin  mancherlei  gelehrt  wird, 
das  die  gelehrte  Schule  gleichfalls  vorträgt.  Dennoch  ist 
5  die  Schule  nicht  der  Sitz  seines  wahren,  eigentlichen  Lebens, 
und  er  ist  nicht,  daselbst  zu  Hause,  sondern  sein  wahres 
Leben  ist  sein  Familienleben,  und  der  Beistand,  den  er 
seinen  Eltern  in  ihrem  Gewerbe  leistet;  die  Schule  aber  ist 
Nebensache    und  bloßes  Mittel  für  den  bessern  Fortgang 

10  des  bürgerlichen  Gewerbes,  als  den  eigentlichen  Zweck. 
Dem  Gelehrten  aber  muß  die  Wissenschaft  nicht  Mittel 
für  irgend  einen  Zweck,  sondern  sie  muß  ihm  selbst  Zweck 
'werden;  er  wird  einst,  als  vollendeter  Gelehrter,  in  welcher 
Weise  er  auch  künftig  seine  wissenschaftliche  Bildung  im 

15  Leben   anwende,    in    jedem    Falle    allein   in    der    Idee    die 

[23]  Wurzel   seines    Le  |  bens   haben,   und  nur  von  ihr  aus   die 

Wirklichkeit    erblicken,    und    nach    ihr    sie    gestalten    und 

fügen,  keinesweges  aber  zugeben,   daß  die  Idee  nach  der 

Wirklichkeit  sich  füge;  und  er  kann  nicht  zu  früh  in  dieses 

'20  sein  eigentümliches  Element  sich  hineinleben  und  das 
'vviderwärtige  Element  abstoßen. 

Es  ist  eine  bekannte  Bemerkung,  daß  bisher  auf  Uni- 
versitäten, die  in  einer  kleinern  Stadt  errichtet  waren,  bei 
einigem   Talente    der    Lehrer,    sehr   leicht   ein   allgemeiner 

25  mssenschaftlicher  Geist  imd  Ton  unter  den  Studierenden 
sich  erzeugt  habe,  was  in  großem  Städten  selten  oder  nie- 
mals also  gelimgen.  Sollten  wir  davon  den  Grund  angeben, 
so  würden  wir  sagen,  daß  es  deswegen  also  erfolge,  weil 
in   dem   ersten    Falle    die    Studierenden   auf   den    Umgang 

30  unter  sich  selber  und  den  Stoff,  den  dieser  zu  gewähren 
vermag,  eingeschränkt  werden;  dagegen  sie  im  zweiten 
Falle  immerfort  verfließen  in  die  allgemeine  Masse  des 
Bürgertumes,  und  zerstreut  werden  über  den  gesamten 
Stoff,  den  dieses  liefert,  und  so  das  Studieren  ihnen  niemals 

35  zum  eigentlichen  Leben,  außer  welchem  man  ein  anderes 
gar  nicht  an  sich  zu  bringen  vermag,  sondern,  wo  es  noch 
am  besten  ist,  zu  einer  Berufspflicht  wird.  Jener  bekannte 
Einwurf  gegen  große  Universitätsstädte,  daß  in  ihnen  die 
Studierenden   von    einem   Hörsaale   zum   anderen  weit   zu 

40  gehen  hätten,  möchte  sonach  nicht  der  tiefste  sein,  den 
man    vorbringen    könnte,    und   .er   möchte    sich   eher   be-  1 


Deduzierter  Plan.  17 

seitigen  lassen,  als  das  höhere  Übel  der  Verfließung  des  [24] 
studierenden    Teiles    des    gemeinen    Wesens    mit    der    all- 
gemeinen    jMasse     des    gewerbtreibenden    oder    dumpfge- 
nießenden   Bürgertumes ;    indem,    ganz    davon    abgesehen, 
daß    bei    einem   solchen    nur   als    Nebensache   getriebenen     5 
Studieren  wenig  oder  nichts  gelernt  wird,  auf  diese  Weise 
die  ganze  Welt  verbürgem,  und  eine  über  die  Wirklichkeit 
hinausliegende  Ansicht  der  Wirklichkeit,  bei  welcher  allein 
die    Menschheit    Heilung    finden    kann    gegen   jedes    ihrer 
Übel,  ausgetilgt  werden  würde  in  dem  Alenschengeschlechte ;  10 
imd  mehr  als  jemals  würde  hierauf  Rücksicht  zu  nehmen 
sein  in  einem  solchen  Zeitalter,  welches  in  dringendem  Ver- 
dachte einer  beinahe  allgemeinen  Verbürgerung  steht. 

3.    Sicherung  vor  jeder  Sorge  um  das  Äußere, 
vermittelst  einer  angemessenen  Unterhaltung  fürs  15 
Gegenwärtige,  und  Garantie  einer  gehörigen  Ver- 
sorgung in  der  Zukunft.     Daß  das  Detail  der  kleinen 
Sorgfältigkeiten  um  die  täglichen  Bedürfnisse  des  Lebens 
zum  Studieren  nicht  paßt,  daß  Nahrungssorgen  den  Geist 
niederdrücken,  Nebenarbeiten  ums  Brot  die  Tätigkeit  zer-  20 
streuen    und   die  Wissenschaft   als   einen   Broterwerb   hin- 
stellen,   Zurücksetzung    von    Begüterten    dürftigkeitshalber, 
oder  die  Demut,  der  man  sich  unterzieht,  um  jener  Zurück- 
setzung auszuweichen,  den  Charakter  herabwürdigen :  dieses 
alles   ist,   wenn  auch   nicht   allenthalben   sattsam  erwogen,  25 
denn  doch   ziem- 1  lieh  allgemein   zugestanden.      Aber  man  [25] 
kann  von  demselben  Gegenstande  auch  noch  eine  tiefere 
Ansicht   nehmen.     Es    wird   nämlich   ohne   dies    gar   bald 
sehr  klar   die   Notwendigkeit   sich   zeigen,   daß   im   Staate, 
und   besonders    bei   den    höhern   Dienern   desselben    recht  30 
fest   einwurzle   die   Denkart,    nach   welcher  man  nicht   der 
Gesellschaft    dienen    will,    um    leben    zu    können,    sondern 
leben  mag,   allein  um  der  Gesellschaft  dienen  zu  können, 
und  in  welcher  man  durch  kein  Erbarmen  mit  dem  eignen, 
oder   irgend    eines   anderen,    Lebensgenüsse   bewegt    wird,  35 
zu  tun,  zu  raten,  oder,  wo  man  hindern  könnte,  zuzulassen, 
was  nicht  auch  gänzlich  ohne  diese  Rücksicht  durch  sich 
selber  sich  gebührt;  aber  es  kann  diese  Denkart   Wurzel 
fassen  nur  in  einem  durch  das  Leben  in  der  Wissenschaft 
veredelten    Geiste.      Mächtig   aber   wird   dieser   Veredlung  40 
und  dieser   Unabhängigkeit  von  der  erwähnten  Rücksicht 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  2 


13  Fichte. 

vorgearbeitet  v/erden,  wenn  die  künftigen  Gelehrten,  aus 
deren  Mitte  ja  wohl  die  Staatsämter  werden  besetzt  werden, 
von  früher  Jugend  an  gewöhnt  werden,  die  Bedürfnisse 
des  Lebens  nicht  als  Beweggrund  irgend  einer  Tätigkeit, 
5  sondern  als  etwas,  das  für  sich  selbst  seinen  eigenen  Weg 
geht,  anzusehen,  indem  es  ihnen,  sogar  ohne  Rücksicht 
auf  ihren  gegenwärtigen  zweckmäßigen  Fleiß,  der  aus  der 
Liebe  zur  Sache  hervorgehen  soll,  zugesichert  ist. 

1261  I  §  11- 

10  Wie  muß  der  Lehrer  an  einer  solchen  Anstalt  beschaffen  sein  und 
ausgestattet? 

Zuvörderst,  wie  sich  von  selbst  versteht,  indem  keiner 
lehren  kann,  was  er  selbst  nicht  weiß,  muß  er  sich  im 
Besitze  der  Wissenschaft  befinden,  und  zwar  auf  die  oben 

15  angegebene  Weise,  als  freier  Künstler,  so  daß  er  sie  zu 
jedem  gegebenen  Zwecke  anzuwenden  und  in  jede  mög- 
liche Gestalt  sie  hinüberzubilden  vermöge.  Aber  auch  diese 
Kunstfertigkeit  muß  ihn  nicht  etwa  mechanisch  leiten  und 
bloß  als  natürliches  Talent  und  Gabe  ihm  beiwohnen,  son- 

20  dern  er  muß  auch  sie  wiederum  mit  klarem  Bewußtsein 
durchdrungen  haben,  bis  zur  Erkenntnis  im  allgemeinen 
sowohl,  als  in  den  besondern  individuellen  Bestimmungen, 
die  sie  bei  einzelnen  annimmt,  indem  er  ja  jeden  Schüler 
dieser  Kunst  beobachten,  beurteilen    und  leiten  können  soll. 

25  Aber  sogar   dieses  klare   Bewußtsein    und  dieses  Auf- 

fassen der  wissenschaftlichen  Kunst,  als  eines  organischen 
Ganzen,  reicht  ihm  noch  nicht  hin,  denn  auch  dieses 
könnte,  wie  alles  bloße  Wissen,  tot  sein,  höchstens  bis 
zur  historischen  Niederlegung  in  einem  Buche  ausgebildet. 

30  Er  bedarf  noch  überdies,  für  die  wirkliche  Ausübung,  der 
Fertigkeit,  jeden  Augenblick  diejenige  Regel,  die  hier  An- 
wendung findet,  hervorzurufen,  und  der  Kunst,  das  Mittel 
ihrer  Anwendung  auf  der  Stelle  zu  finden.  Zu  diesem 
[27]   hohen  |  Grade  der  Klarheit  und  Freiheit  muß  die  wissen- 

35  schaftliche  Kunst  sich  in  ihm  gesteigert  haben.  Sein  Wesen 
ist  die  Kunst,  den  wissenschaftlichen  Künstler  selber  zu 
bilden,  welche  Kunst  eine  Wissenschaft  der  wissenschaft- 
lichen Kunst  auf  ihrer  ersten  Stufe  voraussetzt,  für  deren 
Möglichkeit  wiederum   der  eigene   Besitz  dieser  Kunst  auf 


Deduzierter  Plan.  19 

der  ersten  Stufe  vorausgesetzt  wird;  in  dieser  Vereinigung 
und  Folge  sonach  besteht  das  Wesen  eines  Lehrers  an 
einer  Kunstschule  des  wissenschaftlichen  Verstandesge- 
brauchs. 

Das  Prinzip,  durch  welches  die  wissenschaftliche  Kunst     5 
zu  dieser  Höhe  sich  steigert,  ist  die  Liebe  zur  Kunst. 

Dieselbe  Liebe  ist  es  auch,  die  die  wirklich  entstandene 
Kunst  der  Künstlerbildung  immerfort  von  neuem  beleben, 
und  in  jedem  besonderen  Falle  sie  anregen  und  sie  auf 
das  Rechte  leiten  muß.  Sie  ist,  wie  alle  Liebe,  göttlichen  10 
Ursprungs  und  genialischer  Natur,  und  erzeugt  sich  frei 
aus  sich  selber;  für  sie  ist  die  übrige  wissenschaftliche 
Kunstbildung  ein  sicher  zu  berechnendes  Produkt,  sie  selbst 
aber,  die  Kunst  dieser  Kunstbildung,  läßt  sich  nicht  jeder- 
mann anmuten,  noch  läßt  sie  selbst  da,  wo  sie  war,  sich  15 
erhalten,   falls   ihr   freier   Geniusflügel   sich  hinwegwendet. 

Diese  Liebe  jedoch  pflanzt  auf  eine  unsichtbare  Weise 
sich  fort  imd  regt  unbegreiflich  den  Umkreis  an.  Nichts 
gewährt  höheres  Vergnügen,  als  das  Gefühl  der  Freiheit 
und  zweckmäßigen  Regsamkeit  des  Geistes,  und  [  des  j:^^, 
Wachstums  dieser  Freiheit,  und  so  entsteht  das  liebevollste 
und  freudenvollste  Leben  des  Lehrlings  in  diesen  Übungen 
und  in  dem  Stoffe  derselben. 

Diese  Liebe  für  die  Kunst  ist  in  Beziehung  auf  andere 
achtend  und  richtet,  vom  Lehrer,  als  dem  eigentlichen  25 
Fokus,  ausgegangen,  mit  dieser  Achtung  aus  dem  Indixdduum 
heraus  sich  auf  die  andern,  welche  gemeinschaftlich  mit 
ihm  diese  Kunst  treiben,  und  zieht  jeden  hin  zu  allen 
übrigen,  wodurch  die  §  8  geforderte  wechselseitige  Mit- 
teilung aller  und  die  Verschmelzung  der  einzelnen  zu  einem  30 
lernenden  organischen  Ganzen,  wie  es  gerade  nur  aus 
diesen  lernenden  Individuen  sich  bilden  kann,  entstehet, 
deren   Möglichkeit   noch  zu   erklären  war. 

(Ein  geistiges  Zusammenleben,  das  zunächst  der 
schnellern,  fruchtbarem,  und  in  den  Formen  sehr  viel-  35 
seitigen  Geistesentwicklung,  später  im  bürgerlichen  Leben 
der  Entstehung  eines  Korps  von  Geschäftsleuten  dient, 
in  welchem  nicht,  wie  bisher,  der  eigentliche  Gelehrte, 
der  dem  Geschäftsmanne  für  einen  Quer-  und  verrückenden 
Kopf  gilt,  diesem  meist  mit  Recht  den  stumpfen  Kopf  und  40 
den  empirischen   Stümper  zurückgibt,  —  sondern,  die  ein- 

2* 


20  Fichte. 

ander  frühzeitig  durchaus  kennen  und  achten  gelernt 
haben,  und  die  von  einer  allen  gleichbekannten  und  unter 
ihnen  gar  nicht  streitigen  Basis  in  allen  ihren  Beratungen 
ausgehen.) 

[291  1  «  12. 

Diese  Kunst  der  wissenschaftlichen  Künstlerbildung, 
falls  sie  etwa  in  irgend  einem  Zeitalter  zum  deutlichen 
Bewußtsein  hervorbrechen  und  zu  irgend  einem  Grade 
der  Ausübung  gedeihen  sollte,  muß,  in  Absicht  ihrer  Fort- 

10  dauer  und  ihres  Erwachsens  zu  höherer  Vollkommenheit, 
keinesweges  dem  blinden  Ohngefähr  überlassen  werden; 
sondern  es  muß,  und  dieses  am  schicklichsten  an  der 
schon  bestehenden  Kunstschule  selbst,  eine  feste  Ein- 
richtung getroffen  werden,  dieselbe  mit  Besonnenheit  und 

15  nach  einer  festen  Regel  zu  erhalten  und  zu  höherer  Voll- 
kommenheit zu  bilden;  wodurch  diese  Kunstschule,  so  wie 
jedes  mit  wahrhaftem  Leben  existierende  Wesen  soll,  ihre 
ewige  Fortdauer  verbürgen  würde. 

Sie  ist,  wie  oben  gesagt,  selbst  der  höchste  Grad  der 

20  wissenschaftlichen  Kunst,  erfordernd  die  höchste  Liebe  und 
die  höchste  Fertigkeit  und  Geistesgewandtheit.  Es  ist 
drum  klar,  daß  sie  nicht  allen  angemutet  werden  könne, 
wie  man  denn  auch  nur  weniger,  die  sie  ausüben,  bedarf; 
aber  sie  muß  allen  angeboten,  und  mit  ihnen  der  Versuch 

25  gemacht  werden,  damit  man  sicher  sei,  daß  nirgends 
dieses  seltne  Talent,  aus  Mangel  an  Kunde  seiner,  un- 
gebraucht verloren  gehe. 

Für  diesen  Zweck  wäre  demnach  der  Lehrling,  doch 
ohne  Überspringen  und  nach  erlangter  hinlänglicher  Ge- 
^o/^-]  wandtheit  in  den  niedern  Graden  der  Kvmst,  |  zur  Ausübung 
aller  der  oben  erwähnten  Geschäfte  des  Lehrers  anzuhalten, 
unter  Aufsicht  und  mit  der  Beurteilung  des  eigentlichen 
Lehrers,  so  wie  der  andern  in  demselben  Grade  befindlichen 
Lehrlinge.      So    denselben    Weg    zurücklegend    imter    der 

35  Leitung  des  schon  geübten  Lehrers,  und  vertraut  gemacht 
mit  dessen  Kunstgriffen,  welchen  Weg  der  Lehrer  selbst, 
von  keinem  geholfen  und  im  Dunkeln  tappend,  gehen 
mußte,  wird  dieser  Lehrling  es  ohne  Zweifel  noch  viel 
weiter    bringen    in    geübter    und   klarer    Kunst,    denn    sein 


Deduzierter  Plan.  21 

Lehrer,  und  einst  selber,  nach  demselben  Gesetze,  eine  noch 
geübtere  und  klarere  Generation  hinterlassen. 

(Es  geht  hieraus  hervor,  daß  eine  solche  Pflanzschule 
wissenschaftlicher   Künstler  überhaupt,   nach  den  verschie- 
denen Graden  dieser  Kunst,  auf  ihrer  höchsten  Spitze  ein     5 
Professor-Seminarium  sein  würde,  und  also  genannt  werden 
könnte.     Man  hat   homelitische   Übungen  gehabt,   um   zur 
Kunst  des   Vortrages  für  das  Volk,  man  hat   Schullehrer- 
Seminaria  gehabt,  um  den  Vortrag  für  die  niedere  Schule 
zu  bilden;  an  eine  besondere  Übung  oder  Prüfung  in  der  10 
Kunst  des  akademischen  Vortrages  aber  hat  unseres  Wissens 
niemand   gedacht,    gleich   als   ob    es    sich   von    selbst   ver- 
stände,  daß   man,  was  man  nur  wisse,   auch  werde  sagen 
können;  zum  schlagenden  Beweise,  daß  man  mit  deutlichem 
Bewußtsein,    so    weit   dieses   in   dieser   Region   gedrungen,  15 
mit    der    Universität    durchaus    nichts    mehr   beabsichtiget, 
als  dem  gedruckten  Buchwesen  noch  ein  [  zweites  redendes  [3I] 
Buchwesen  an  die  Seite  zu  setzen :  wodurch  unsere  Rede 
wieder   in   ihren   Ausgangspunkt   hineinfällt,   zum  Beweise, 
daß  sie  ihren  Kreis  durchlaufen  hat.  20 

§  13. 

Korollarium. 

Der  bis  hierher  entwickelte  Begriff,  selbst  angesehen 
in  einem  wissenschaftlichen  Ganzen,  gibt  der  Kunst  der 
Menschenbildung,  oder  der  Pädagogik,  den  Gipfel,  dessen  25 
sie  bisher  ermangelte.  Ein  anderer  Mann  hat  in  unserm 
Zeitalter  die  ebenfalls  vorher  ermangelnde  Wurzel  der- 
selben Pädagogik  gefunden.  Jener  Gipfel  macht  mögÜch 
die  höchste  imd  letzte  Schule  der  wissenschaftlichen  Kunst; 
diese  Wiu-zel  macht  möglich  die  erste  und  allgemeine  39 
Schule  des  Volks,  das  letzte  Wort  nicht  für  Pöbel  ge- 
nommen, sondern  für  die  Nation.  Der  mittlere  Stamm 
der  Pädagogik  ist  die  niedere  Gelehrtenschule. 

Aber  der  Gipfel  ruht  fest  nur  auf  dem  Stamme,  und 
dieser  zieht  seinen  Lebenssaft  nur  aus  der  Wurzel;  alle  35 
insgesamt  haben  nur  an,  in  und  durch  einander  Leben  und 
versicherte  Dauer.  Eben  so  verhält  es  sich  auch  mit  der 
hohem  und  der  niedem  Gelehrtenschule,  und  mit  der  Volks- 
schule.   Wir  unseres  Orts,  die  wir  die  erstere  beabsichtigen. 


22  Fichte. 

gehen,   so  gut  wir   es  unter  diesen   Umständen  vermögen, 

aus   unserm   besondern   und   abgeschnittenen   Mittelpunkte 

aus,  unsern  Weg  fort,  nur  auf  die  niedere  Gelehrtenschule, 

|321  I  mit  der  wir  allemächst  zusammenhängen,  und  ohne  deren 

5  Beihilfe  wir  nicht  füglich  auch  nur  einen  Anfang  machen 
können,  die  nötige  Rücksicht  nehmend.  Eben  so  geht 
ihres  Orts,  und  unserer,  die  wir  nur  selbst  erst  unser 
eigenes  Dasein  suchen,  unserer  Hilfe  und  unseres  leitenden 
Lichtes  entbehrend,   die  allgemeine   Pädagogik  ihren  Weg 

10  fort,  so  gut  auch  sie  es  vermag.  Aber  arbeiten  wir  nur 
redlich  fort,  jeder  an  seinem  Ende;  wir  werden  mit  der 
Zeit  zusammenkommen  und  insgesamt  ineinander  ein- 
greifen, denn  jedweder  Teil,  der  nur  in  sich  selber  etwas 
Rechtes   ist,    ist   Teil   zu   einem   größeren    ewigen   Ganzen, 

15  das  in  der  Erscheinung  nur  aus  der  Zusammenfügung  der 
einzelnen  Teile  zusammentritt.  Da  aber,  wo  wir  zusammen- 
kommen werden,  wird  der  armen,  jetzt  in  ihrer  ganzen 
Hilflosigkeit  dastehenden  Menschheit  Hilfe  und  Rettung 
bereit  sein;  denn  diese  Rettung  hängt  lediglich  davon  ab, 

20  daß  die  Menschenbildung  im  großen  vmd  ganzen  aus  den 

Händen  des  blinden  Ohngefähr  unter  das  leuchtende  Auge 

einer  besonnenen  Kunst  komme*). 

[331  I         Diese    Einsicht    und    das    Bewußtsein,     daß    uns    ein 

großer    Moment    gegeben    ist,    der,    ungenutzt   verstrichen, 

25  nicht  leicht  wiederkehrt,  bringe  heihgen  Ernst  und  An- 
dacht in  unsere  Beratungen. 


*)  Da  man  oft  unerwartet  auf  Verkennung  dieses  höchsten 
Grundsatzes  alles  unsers  Lebens  und  Treibens  stößt,  so  ist  es 
vielleicht  nicht  überflüssig,  hierüber  noch  einige  Worte  hinzu- 
zufügen. 

Ein  blindes  Geschick  hat  die  menschlichen  Angelegenheiten 
erträglich,  und  obgleich  langsam,  dennoch  zu  einiger  Verbesserung 

[33]  des  ganzen  Zustandes  geleitet,  so  lange  in  die  Dunkel  j  heit  das  gute 
und  böse  Prinzip  in  der  Menschheit  gemeinschaftlich  und  mit  ein- 
ander verwachsen  eingehüllt  war.  Diese  Lage  der  Dinge  hat  sich 
verändert,  durch  diese  Veränderung  ist  eben  ein  durchaus  neues 
Zeitalter,  gegen  dessen  Anerkenntnis  man  sich  noch  so  häufig 
sträubt,  und  es  sind  durchaus  neue  Aufgaben  an  die  Zeit  entstanden. 

[34]  Das  böse  Prinzip  hat  |  nämlich  aus  jener  Mischung  sich  entbunden 
zum  Lichte;  es  ist  sich  selbst  vollkommen  klar  geworden,  und 
schreitet  frei  und  besonnen  und  ohne  alle  Scheu  und  Scham 
vorwärts.  Klarheit  siegt  allemal  über  die  Dunkelheit;  und  so 
wird    denn    das    böse    Prinzip    ohn.e     Zweifel    Sieger    bleiben    so 


Deduzierter  Plan.  23' 

lange,    bis     auch    das    gute    sich    zur    Klarheit    und    besonnenen 
Kunst    erhebt. 

In  allen  menschlichen  Verhältnissen,  besonders  aber  in  der 
Menschenbildung,  ist  das  Alte  und  Hergebrachte  das  Dunkle;  eine 
Region,  die  mit  dem  klaren  Begriffe  zu  durchdringen  und  mit  be- 
sonnener Kunst  zu  bearbeiten  man  Verzicht  leistet,  und  aus  welcher 
herab  man  den  Segen  Gottes  ohne  sein  eignes  Zutun  erwartet. 
Setzt  man  in  diesem  Glaubenssysteme  jenem  göttlichen  Segen  etwa 
noch  eine  menschliche  Direktion  und  Oberaufsicht  an  die  Seite,  so 
ist  das  eine  bloße  Inkonsequenz.  Das  Alte  ist  ja  jedermänniglich 
bekannt,  diesem  soll  gefolgt  werden,  es  gibt  drum  keine  Pläne  aus- 
zudenken; der  Erfolg  kommt  von  oben  herab,  und  keine  mensch- 
liche Klugheit  kann  hier  etwas  ausrichten ;  es  gibt  drum  auch  nichts 
zu  leiten,  und  die  Oberaufsicht  ist  ein  völlig  überflüssiges  Glied. 
Nur  in  dem  Falle,  daß  Behauptungen,  wie  die  unsrige,  von  freier 
und  besonnener  Kunst  sich  vernehmen  ließen  und  einen  Einfluß 
begehrten,  erhielte  sie  eine  Bestimmung,  die,  der  Neuerung  sich 
kräftig  zu  widersetzen,  und  festzuhalten  über  dem  alten  herge- 
brachten Dunkel. 

Es  ist  nicht  zu  hören,  wenn  die  Sicherheit  dieses  alten  und 
ausgetretenen  Weges  gepriesen,  dagegen  das  Unsichere  und  Ge- 
wagte aller  Neuerungen  gefürchtet  wird.  Bleibt  man  beim  Alten, 
so  wird  der  Erfolg  schlecht  sein,  darauf  kann  man  sich  verlassen; 
denn  es  kann,  nachdem  die  Welt  einmal  |  ist,  wie  sie  ist,  aus  dem  [35] 
Dunkeln  nichts  anderes  mehr  hervorgehen,  denn  Böses.  Hofft  man 
etwa  dabei  das  zu  gewinnen,  daß  man  sich  sagen  könne,  man  habe 
das  Böse  wenigstens  nicht  durch  sein  tätiges  Handeln  herbeigeführt, 
es  sei  eben  von  selbst  gekommen,  und  man  würde  nichts  da- 
gegen gehabt  haben,  wenn  statt  dessen  das  Gute  gekommen  wäre? 
Man  muß  leicht  zu  trösten  sein,  wenn  man  damit  sich  beruhiget. 
Und  warum  sollte  es  denn  ein  so  großes  Wagstück  sein,  nach 
einem  klaren  und  festen  Begriffe  einherzugehen?  Wagen  wird  man 
allein  in  den  beiden  Fällen,  wenn  man  entweder  seines  Begriffes 
nicht  Meister  ist,  oder  nicht  schon  im  voraus  entschlossen,  sein 
Alles  an  die  Ausführung  desselben  zu  setzen.  Aber  nichts  nötigt 
uns,  uns  in  einem  dieser  beiden  Fälle  zu  befinden. 

Am  wenigsten  würden  wir  den  Grundbegriff  von  einer  Uni- 
versität gelten  lassen,  daß  dieselbe  sei  keinesweges  eine  Erziehungs- 
anstalt, deren  unfehlbaren  Erfolg  man  soviel  möglich  sichern  müsse, 
sondern  eine  im  Grunde  überflüssige  und  nur  als  freie  Gabe  zu 
betrachtende  Bildungsanstalt,  die  jeder,  der  in  der  Lage  sei,  mit 
Freiheit  gebrauchen  könne,  v.ie  er  eben  wolle.  Gibt  es  solche  An- 
stalten, als  da  etwa  wäre  das  Werkmeistersche  Museum  u.  dergl., 
so  können  dieselben  nur  sein  für  weise  Männer  und  gemachte 
Bürger,  die  in  Absicht  einer  persönlichen  Bestimmung  und  eines 
festen  Berufes  mit  dem  Staate  sich  schon  abgefunden  haben, 
keinesweges  für  Jünglinge,  die  einen  Beruf  noch  suchen.  Auch  hat 
bisher  der  Staat,  —  und  dies  ist  auch  ein  Altes  und  Wohlher- 
gebrachtes, bei  welchem  es  ohne  Zweifel  sein  Bewenden  wird  haben  [36] 
müssen,  —  es  hat  der  Staat  allerdings  auf  die  Universitäten  gerechnet, 
als  eine  notwendige  und  bisher    durch   nichts   anderes   ersetzte  Er- 


24  Fichte. 


Zweiter  Abschnitt. 

Wie  unter  den  gegebenen  Bedingungen  der  Zeit  und  des 
Orts  der  aufgegebne  Begriff  realisiert  werden  könne. 

§  14. 

5  Soll  unsere  Lehranstalt  keinesweges  etwa  eine  in  sich 

selbst  abgeschlossene  Welt  bilden,  sondern  soll  sie  ein- 
greifen in  die  wirklich  vorhandene  Welt,  und  soll  sie  ins- 
besondere das  gelehrte  Erziehungswesen  dieser  Welt  um- 
bilden,  so   muß   sie  sich  anschließen  an   dasselbe,   so  wie 

10  es  ist  und  sie  dasselbe  vorfindet.  Dieses  muß  ihr  erster 
Standpunkt  sein;  dies  der  von  ihr  anzueignende  und  durch 
sie  zu  organisierende  Stoff;  sie  aber  das  geistige  Ferment 

[34]  dieses  Stoffes.  Sie  muß  [  sich  erzeugen  und  sich  fort- 
bilden innerhalb  einer  gewöhnlichen  Universität,  weil  wir 
15  dies  nicht  vermeiden  können,  so  lange  bis  die  letztere,  in 

[3oj  die  erste  aufge- 1  hend,  gänzlich  verschwinde :  keinesweges 
aber  müssen  wir  von  dem  Gedanken  ausgehen,  daß  wir 
eine  ganz  gewöhnliche  Universität  und  nichts  weiter  bilden 
wollen. 


20 

[36j 


I  §  15. 

Diese  notwendige  Stetigkeit  des  Fortgangs  in  der  Zeit 
sogar  abgerechnet,  vermögen  wir  in  dieses  Vorhabens  Aus- 


ziehungsanstalt eines  Standes,  an  dem  ihm  viel  gelegen  ist;  und 
es  wäre  zu  erwarten,  was  erfolgen  würde,  wenn  nur  drei  Jahre 
hintereinander  es  der  Freiheit  aller  Studierenden  gefiele,  die  Uni- 
versität nicht  auf  die  rechte  Weise  zu  benutzen.  Oder  soll  man 
voraussetzen,  daß  es  mitten  in  unsern  gebildeten  Staaten  noch  einen 
Haufen  von  Menschen  gebe,  deren  angeborenes  Privilegium  dies 
ist,  daß  kein  Mensch  Anspruch  auf  ihre  Kräfte  und  die  Bildung 
derselben  habe,  und  denen  es  frei  stehen  muß,  ob  sie  zu  etwas 
oder  zu  nichts  taugen  wollen,  weil  sie  außerdem  zu  leben  haben? 
Soll  für  diese  vielleicht  jene  freie  und  auf  gar  nichts  rechnende 
Bildungsanstalt  angelegt  werden,  damit  sie,  wenn  sie  wollen,  hier 
die  Mittel  erwerben,  ihr  einstiges  müßiges  Leben  mit  weniger 
Langeweile  hinzubringen?  Alles  zugegeben,  möchten  wenigstens 
diese  Klassen  selbst  für  die  Befriedigung  dieses  ihres  Bedürfnisses 
sorgen;  aber  dem  Staate  ließen  die  Kosten  einer  solchen  Anstalt 
sich  keinesweges  aufbürden. 


Deduzierter  Plan.  25 

führung  um  so  weniger  anders,  denn  also  zu  verfahren,  da 
die    freie    Kunst    der    besonderen    Wissenschaft    so- 
wohl   überhaupt,    als    in    ihren    einzelnen    Fächern 
dermalen  noch  gar  nicht  also  vorhanden  ist,  daß  sie  sicher 
und  nach  einer  Regel  aufbehalten  und  fortgepflanzt  werden     5 
könnte;  sondern  diese  freie  Kunst  der  besondern  Wissen- 
schaft erst   selber  in  der  schon  vorhandenen  Kunstschule 
zimi    deutlichen    Bewußtsein    und    zu    geübter    |  Fertigkeit  [37] 
erhoben  werden,  und  so  die  Kunstschule  einem  ihrer  wesent- 
lichen   Teile    nach   sich    selber    erst    erschaffen    muß.     So  10 
nun  nicht  wenigstens  der  Ausgangspunkt  dieser  Kunst  in 
der    Wissenschaft    überhaupt,    und    unabhängig    von    dem 
Vorhandensein   der   Schule,   irgendwo    und  irgendwann  zu 
existieren  vermöchte,  so  würde  es  niemals  zu  einer  solchen 
Kunstschule,  ja  sogar  nicht  zu  dem  Gedanken   und  der  Auf-  15 
gäbe  derselben  kommen. 

§  16. 
Mit    diesem    Ausgangspunkte    der    wissenschaftlichen 
Kunst  verhält  es  sich  nun  also.    Ktmst  wird  (§  4)  dadurch 
erzeugt,    daß    man   deutlich   versteht,   was   man,    und    wie  20 
man   es   macht.     Die   besondere   Wissenschaft   aber  ist   in 
allen  ihren  einzelnen  Fächern  ein  besonderes  Machen  und 
Verfahren  mit  dem  Geistesvermögen;  und  man  hat  dies  von 
jeher  anerkannt,   wenn  man  z.  B.  vom  historischen  Genie, 
Takt    und  Sinne,  oder  von  Beobachtungsgabe    und  dergl.  25 
als  von  besondem,  ihren  eigentümlichen  Charakter  tragen- 
den   Talenten    gesprochen.      Nun    ist    ein    solches    Talent 
allemal   Naturgabe,   und,  da  es  ein  besonderes  Talent  ist, 
so  ist  der  Besitzer  desselben  eine  besondere  und  auf  diesen 
Standpunkt   beschränkte    Natur,    die   nicht   wiederum   über  30 
diesen    Punkt    sich    erheben,    ilui   frei   anschauen,    ihn    mit 
dem  Begriffe  durchdringen,  und  so  aus  der  bloßen  Natur- 
gabe eine  freie  Kunst  machen  könnte.    Und  so  würde  denn 
die  besondere  |  Wissenschaft  entweder  gar  nicht  getrieben  [38] 
werden  können,  weil  es  an  Talent  fehlte,  oder,  wo  sie  ge-  35 
trieben  würde,  könnte  es,  eben  weil  dazu  Talent,  das  eben 
nur  Talent  sei,  gehört,  niemals  zu  einer  besonnenen  Kunst 
derselben   kommen.     So   ist   es   denn  auch   wirklich.     Der 
Geist   jeder   besondern   Wissenschaft   ist   ein   beschränkter 
und    beschränkender    Geist,    der    zwar   in    sich    selber   lebt  40 


26  Fichte. 

und  treibet  und  köstliche  Früchte  gewährt,  der  aber  weder 
sich  selbst,  noch  andere  Geister  außer  ihm  zu  verstehen 
vermag.  Sollte  es  nun  doch  zu  einer  solchen  Kunst  in 
der  besondern  Wissenschaft  kommen,  so  müßte  dieselbe, 
5  unabhängig  von  ihrer  Ausübimg,  und  noch  ehe  sie  ge- 
trieben würde,  verstanden,  d.  i.  die  Art  und  Weise  der 
geistigen  Tätigkeit,  deren  es  dazu  bedarf,  erkannt  werden, 
und  so  der  allgemeine  Begriff  ihrer  Kunst  der  Ausübung 
dieser    Kunst    selbst    vorhergehen    können.      Nun    ist    das- 

10  jenige,  was  die  gesamte  geistige  Tätigkeit,  mithin  auch 
alle  besonderen  und  weiter  bestimmten  Äußerungen  derselben 
wissenschaftlich  erfaßt,  die  Philosophie :  von  philosophischer 
Kunstbildung  aus  müßte  sonach  den  besondern  Wissen- 
schaften ihre  Kunst  gegeben,  und  das,  was  in  ihnen  bisher 

15  bloße  vom  guten  Glücke  abhängende  Naturgabe  war,  zu 
besonnenem  Können  und  Treiben  erhoben  werden;  der 
Geist  der  Philosophie  wäre  derjenige,  welcher  zuerst  sich 
selbst,  und  sodann  in  sich  selber  alle  andern  Geister  ver- 
stände ;  der  Künstler  in  einer  besondern  Wissenschaft  müßte 

20  vor  allen  Dingen  ein  philosophischer  Künstler  werden,  und 

39]  (  seine  besondere  Kirnst  wäre  lediglich  eine  weitere  Be- 
stimmung und  einzelne  Anwendung  seiner  allgemeinen 
philosophischen  Kunst. 

(Dies    dunkel    fühlend    hat    man,    wenigstens    bis    auf 

25  die  letzten  durch  und  durch  verworrenen  und  seichten 
Zeiten,  geglaubt,  daß  alle  höhere  wissenschaftliche  Bildung 
von  der  Philosophie  ausgehen,  und  daß  auf  Universitäten 
die  philosophischen  Vorlesungen  von  allen  und  zuerst  ge- 
hört werden   müßten.     Ferner  hat  man  in  den  besondern 

30  Wissenschaften  z.  B.  von  philosophischen  Juristen  oder 
Geschichtsforschern  oder  Ärzten  gesprochen,  und  man  wird 
finden,  daß  von  denen,  welche  sich  selber  verstanden, 
immer  diejenigen  mit  dieser  Benennung  bezeichnet  wurden, 
die     mit     der    größten    Fertigkeit    und    Gewandtheit     ihre 

35  Wissenschaft  vielseitig  anzuwenden  wußten,  sonach  die 
Künstler  in  der  Wissenschaft.  Denn  diejenigen,  welche 
a  priori  phantasierten,  wo  es  galt  Fakta  beizubringen,  sind 
eben  so,  wie  diejenigen,  die  sich  auf  die  wirkliche  Beschaffen- 
heit   der    Dinge    beriefen,    wo    das    apriorische    Ideal    dar- 

40  gestellt  werden  sollte,  von  den  Verständigen  mit  der  ge- 
bührenden  Verachtung   angesehen   worden.) 


Deduzierter  Plan.  27 

§  17. 

Die  erste  und  ausschließende  Bedingung  der  Möglich- 
keit, eine  wissenschaftliche  Kunstschule  zu  errichten,  würde 
demnach  diese  sein,  daß  man  einen  Lehrer  fände,  der  da 
fähig  wäre,  das  Philosophieren  selber  als  ei-  i  ne  Kunst  zu  r  iQ  i 
treiben,  und  der  es  verstände,  eine  Anzahl  seiner  Schüler 
zu  einer  bedeutenden  Fertigkeit  in  dieser  Kunst  zu  erheben, 
mit  welcher  nun  einige  dieser  wiederum  den  ihnen  ander- 
wärts herzugebenden  positiven  Stoff  der  besondern  Wissen- 
schaften durchdrängen,  und  sich  auch  in  diesen  zu  Künstlern  10 
bildeten;  von  welchen  letztern  wiederum  diejenigen,  die  es 
zu  dem  Grade  der  Klarheit  dieser  Kunst  gebracht  hätten, 
daß  sie  selbst  Künstler  zu  bilden  vermöchten,  ihre  Kunst 
fortpflanzten.  Nachdem  dieses  letztere  über  das  ganze  Ge- 
biet der  Wissenschaften  möglich  geworden,  in  einer  solchen  15 
Ausdehnung,  daß  man  auf  die  sichere  Fortpflanzung  der 
gesamten  wissenschaftlichen  Kunst  bis  ans  Ende  der  Tage 
rechnen  könnte,  alsdann  stände  die  beabsichtigte  wissen- 
schaftliche  Kunstschule   da,  und  wäre  errichtet. 

§  18.  20 

Dieser   philosophische    Künstler  muß,   beim   Beginnen 
der   Anstalt,    ein    einziger    sein,    außer    welchem    durchaus 
kein     anderer     auf     die    Entwicklung     des    Lehrlings    zum 
Philosophieren    Einfluß    habe.      Wer     dagegen    einwenden 
wollte,    daß    es,    um    die   Jünglinge   vor    Einseitigkeit     und  25 
blindem  Glauben  an  Einen  Lehrer  zu  verwahren,  auf  einer 
höhern    Lehranstalt     vielmehr     eine    Mannigfaltigkeit     der 
Ansichten  und  Systeme,  und  eben  darum  der  Lehrer  geben 
müsse,    würde    dadurch    verraten,    daf3    er   weder   von    der 
Philosophie  überhaupt,  noch  vom  Philosophieren,  als  einer  30 
Kunst,   einen   Begriff   |  habe.     Denn   obwohl,   falls   es   Ge-  [41] 
wißheit   gibt,    und   dieselbe   dem   Menschen   erreichbar  ist, 
(wer  über  diesen  Punkt  sich  noch  in  Zweifel  befände,  der 
wäre  nicht  ausgestattet,  um  mit  uns  über  die  Einrichtung 
eines  wissenschaftlichen  Instituts  zu  beratschlagen),  der  35 
Lehrer,  den  wir  suchen,  selber  in  sich  seiner  Sache  gewiß 
sein   und  ein  System  haben  muß,  indem  im  entgegengesetz- 
ten   Falle    er    mit    seinem    Philosophieren    nicht    zu    Ende 
gekommen  wäre,  mithin  die  ganze  Kunst  des  Philosophierens 


28  Fichte. 

nicht  einmal  selber  ausgeübt  hätte,  und  so  durchaus  un- 
fähig wäre,  dieselbe  in  ihrem  ganzen  Umfange  mit  Bewußt- 
sein zu  durchdringen  und  sie  andern  mitzuteilen,  und  wir 
uns  daher  in  der  Wahl  der  Personen  vergriffen  hätten  — 
5  obwohl,  sage  ich,  dies  also  ist,  so  wird  er  dennoch  in 
seinem  Bestreben,  selbsttätige,  die  Gewißheit  in  sich  selbst 
erzeugende  und  das  System  selbst  erfindende  Künstler  zu 
bilden,  nicht  von  seinem  Systeme,  noch  überhaupt  von 
irgend  einer  positiven  Behauptung  ausgehen;  sondern 
10  nur  ihr  systematisches  Denken  anregen,  freilich  in  der 
sehr  natürlichen  Voraussetzung,  daß  sie  am  Ende  desselben 
bei  demselben  Resultate  ankommen  werden,  bei  dem  auch 
er  angekommen,  und  daß,  wenn  sie  bei  einem  andern 
ankommen,  irgendwo  in  der  Ausübung  der  Kirnst  ein 
15  Fehler  begangen  worden.  Wäre  irgend  ein  anderer  neben 
ihm,  der  ihm  widerspräche,  so  müßte  dieser  etwas  be- 
haupten; ließe  er  sich  verleiten  dem  Widerspruche  zu 
widersprechen,  so  müßte  nun  auch  er  behaupten,  und  es 
entstände  Polemik.  Wo  aber  Polemik  ist,  da  ist  Thesis, 
r  .gl  I  und  wo  Thesis  ist,  da  wird  nicht  mehr  tätig  philosophiert, 
sondern  es  wird  nur  das  Resultat  des,  so  Gott  will,  vorher 
ausgeübten  tätigen  Philosophierens  historisch  erzählt;  so- 
mit hebt  die  Polemik  das  Wesen  einer  philosophischen 
Kunstschule  gänzlich  auf,  und  es  ist  ihr  darum  aller  Ein- 
25  gang  in  diese  abzuschneiden.  — 

(Dieselbe  Unbekanntschaft  mit  dem  Wesen  der  Philo- 
sophie würde  verraten  eine  andere  Bemerkung,  die  fol- 
gende: es  müsse  auf  einer  solchen  Anstalt  die  Vollständig- 
keit der  sogenannten  philosophischen  Wissenschaften  be- 
30  absichtiget  werden,  und  dies,  da  sie  einem  einzigen  nicht 
wohl  anzumuten  sei,  werde  eine  Mehrheit  der  Lehrer  der 
Philosophie  verlangen.  Denn  wenn  nur  wirklich  der 
philosophische  Geist  und  die  Kunst  des  Philosophierens 
entwickelt  ist,  so  vv^ird  ganz  von  selbst  diese  sich  über  die 
35  gesamte  Sphäre  des  Philosophierens  ausbreiten  und  diese 
in  Besitz  nehmen;  sollte  aber  für  andere,  an  welchen  das 
Streben,  sie  in  diese  Kunst  einzuweihen,  mißlingt,  die  wir 
aber  dennoch,  aus  Mangel  besserer  Subjekte,  in  den  bürger- 
lichen Geschäften  anstellen  und  brauchen  müßten,  irgend 
40  ein  historisch  zu  erlernender  philosophischer  Kate- 
chismus, als   Rechtslehre,   Moral  u.   dergl.  nötig  sein,  so 


Deduzierter  Plan.  29 

wird  ja  wohl  dieser  in  gedruckten  Büchern  irgendwo  vor- 
liegen, an  deren  eigenes  Studium  auch  hier,  so  wie  in 
den  andern  Fächern,  dergleichen  Subjekte  vom  Lehrer 
der  Philosophie  hingewiesen,  und  erforderlichen  Falles 
darüber  examiniert  würden.)  6 

I  §  19.  [43] 

Mit  diesem  also  entwickelten  philosophischen  Geiste, 
als  der  reinen  Form  des  Wissens,  müßte  nun  der  ge- 
samte wissenschaftliche  Stoff,  in  seiner  orga- 
nischen Einheit,  auf  der  höheren  Lehranstalt  aufgefaßt  lo 
imd  durchdrungen  werden,  also,  daß  man  genau  wüßte, 
was  zu  ihm  gehöre  oder  nicht,  und  so  die  strenge  Grenze 
zwischen  Wissenschaft  und  Nichtwissenschaft  gezogen 
würde;  daß  man  ferner  das  organische  Eingreifen  der 
Teile  dieses  Stoffs  ineinander  und  das  gegenseitige  Ver-  lö 
hältnis  derselben  tmter  sich  allseitig  verstände,  damit  man 
daraus  ermessen  könnte,  ob  dieser  Stoff  am  Lehrinstitute 
vollständig  bearbeitet  werde,  oder  nicht;  in  welcher  Folge, 
oder  Gleichzeitigkeit  am  vorteilhaftesten  diese  einzelnen 
Teile  zu  bearbeiten  seien;  bis  zu  welcher  Potenz  die  niedere  20 
Schule  denselben  zu  erheben,  und  wo  eigentlich  die  höhere 
einzugreifen  habe;  ferner,  bis  zu  welcher  Potenz  auch  auf 
der  letztern  alle,  die  auf  den  Titel  eines  wissenschaftlichen 
Künstlers  Anspruch  machen  wollteu,  ihn  auszubilden  hätten, 
und  wie  viel  dagegen  der  besondern  Ausbildung  für  ein  25 
bestimmtes  praktisches  Fach  anheimfiele  und  vor- 
behalten bleiben  müsse.  Dies  gäbt  eine  philosophische  En- 
zyklopädie der  gesamten  Wissen.-ciiaft,  als  stehendes  Re- 
gulativ für  die  Bearbeitung  aller  be-ondern  Wissenschaften. 

(Wenn  auch  allenfalls  die  Philosophie  schon  jetzt  fähig  30 
sein    sollte,    zu    einer    solchen    enzyklopädischen    An- 1  sieht   [44] 
der   gesamten    Wissenschaft    in    ihrer   organischen   Eirüaeit 
einige  Auskunft   zu  geben,   so  ist  doch  die  übrige  wissen- 
schaftliche   Welt    viel    zu   abgeneigt,    der    Philosophie    die 
Gesetzgebung,   die  sie  dadurch  in  Anspruch  nähme,  zuzu-  35 
gestehen,   oder   dieselbe   in   dergleichen   Äußerungen  auch 
nur  notdürftig   zu  begreifen,   als   daß   sich  hiervon  einiger 
Erfolg   sollte   erwarten  lassen.     Auch   müßten,   da  es  hier 
nicht  um   theoretische   Behauptung   einiger  Sätze,  sondern 


30 


Fichte. 


um  Einführung  einer  Kunst  zu  tun  ist,  erst  eine  beträcht- 
liche Anzahl  von  Männern  gebildet  werden,  die  da  fähig 
wären,  eine  solche  Enzyklopädie  nicht  bloß  zu  verstehen 
und  wahr  zu  finden,  sondern  auch  nach  den  Regeln  der- 
5  selben  die  besondern  Fächer  der  Wissenschaft  wirkhch  zu 
bearbeiten;  daß  es  daher  am  schickUchsten  sein  wird, 
hierüber  sich  vorläufig  gar  nicht  auszusprechen,  sondern 
jene  Enzyklopädie  durch  das  wechselseitige  Eingreifen  der 
Philosophie  und  der  philosophisch  kunstmäßigen  Bearbei- 
10  tung  der  nun  eben  vorhandenen  besondem  Fächer  der 
Wissenschaft  allmählich  von  selber  erwachsen  zu  lassen; 
daß  mithin  in  Absicht  dieses  ihr  sehr  wesentlichen  Be- 
standteils die  Kunstschule  sich  selbst  innerhalb  ihrer  selbst 
erschaffen  müßte.) 

16  §  20. 

Beim  Anfange  und  so  lange,  bis  es  dahin  gekommen, 

müssen  wir  uns  begnügen,   die  vorliegenden   Fächer  ohne 

organischen  Einheitspunkt    bloß  historisch  aufzufassen,  nur 

[45]  dasjenige,  wovon  wir  schon  bei  dem  ge- [  genwärtigen  Grade 

20  der  allgemeinen  philosophischen  Bildung  dartun  können, 
daß  es  dem  wissenschaftlichen  Verstandesgebrauche  ent- 
weder geradezu  widerspreche,  oder  nicht  zu  demselben 
gehöre,  von  uns  ausscheidend,  das  übrige  aufnehmend, 
imd   es    in    seiner    Würde     und    an    seinem    Platze    bis    zu 

25  besserer  allgemeiner  Verständigung  stehen  lassend;  ferner 
in  diesen  Fächern  die  am  meisten  philosophischen,  d.i. 
die  mit  der  größten  Freiheit,  Kunstmäßigkeit  und  Selb- 
ständigkeit in  denselben  verfahrenden  unter  den  Zeitge- 
nossen, zu   Lehrern  uns  anzueignen;  endlich,  diese  zu  der 

30  am  meisten  philosophischen,  d.  i.  zu  der,  Selbsttätigkeit 
und  Klarheit  am  sichersten  entwickelnden,  Mitteilung  ihres 
Faches  anzuhalten,   und   sie   darauf  zu  verpflichten. 


Über  den  ersten  Punkt,  betreffend  die  Ausscheidung, 

35  werden  wir  demnächst  beim  Durchgehen  der  vorhandenen 

wissenschaftlichen  Fächer    uns  erklären.     Über  den  zweiten 

merke  ich   hier  im  allgemeinen  nur  das  an,   daß   wir  den 

Vorteil  haben,  in  einigen  der  Hauptfächer  diejenigen,  welche 


Deduzierter  Plan.  31 

als    die    freisten    und    selbsttätigsten    allgemein    anerkannt 
sind,  schon   jetzo  die  unsrigen  zu  nennen,   und   daß,   falls 
nur  nicht   etwa  einige   für  die   Herablassung   und   für  das 
Wechselleben  mit    ihren   Schülern,    das   dieser^  Plan  ihnen 
anmutet,   sich  zu  vornehm  dünken,  wir  hoffen  dürfen,   sie     5 
für  unsern  Zweck  zu  gewinnen,  und  daß  in  andern  Fächern, 
I   in  denen  wir  nicht  mit  derselben  Zuversichtlichkeit  das-    [^61 
selbe  rühmen  können,  der  Unterschied  zwischen  den  Zeit- 
genossen in  Absicht  des  angegebenen  Gesichtspunktes  über- 
haupt nicht   sehr  groß   ist,   und  wir  darum  hoffen  dürfen,  10 
ohne  große   Schwierigkeit  die  notwendigen  Stellen  so  gut 
zu  besetzen,   als   sie   unter  den  gegenwärtigen   Umständen 
überhaupt  besetzt   werden  können;   daß  es  aber  ausschlie- 
ßende Bedingung  sei,  daß   dieselben  schon  vor  ihrer  Be- 
rufung und  Anstellung  sowohl  über  unsern  Hauptplan,  als  15 
über  den  dritten  Punkt  in  Absicht  des  zu  wählenden  Vor- 
trages  imterrichtet,   und  aufrichtig   mit   uns   einverstanden 
seien.     In   Absicht   dieses   dritten   Punktes   endlich,   stellen 
wir  als  eine  Folge  aus  allem  bisherigen  fest,  daß,  —  die 
oben  erwähnten   Examina,   Konversatorien    und  Aufgaben,  20 
als  die  erste  charakteristische  Eigenheit  unserer  Methode, 
deren  Anwendung  im  besondern  Falle  am  gehörigen  Orte 
näher  wird  beschrieben  werden,  noch  abgerechnet,  —  alle 
mündliche  Mitteilung  über  ein  besonderes  Fach  ausgehen 
müsse   von   der    Enzyklopädie   dieses    Faches,   und   daß  25 
dieses  die  allererste  Vorlesung  jedes  bei  uns  anzustellenden 
Lehrers   sein     und   von   jedem   Schüler  zu   allererst   gehört 
werden   müsse.     Denn   die    bis   zur   höchsten   Klarheit   ge- 
steigerten einzelnen  Enzyklopädien  der  besondern  Fächer, 
besonders  wenn  sie  alle  zusammen  den  Lehrern  und  Zog-  CO 
lingen  der  Anstalt  bekannt  sind,  sind  das  zunächst  in  die 
von  der   Philosophie  ausgehen   sollende  allgemeine  En- 
zyklopädie (s.  §  19  am  Schlüsse)  eingreifende  Glied,  |  ar-   ;471 
beiten    derselben    mächtig    vor,    und    werden    der    letztern. 
wenn  sie  entstehen  wird,  die  vollkommne  Verständlichkeit  3'> 
fTtcilen  müssen,  indem  auch  sie  selber  umgekehrt  von  ihr 
i(^   Festigkeit   und  Klarheit  erhalten  werden;  sodann  ist 
iheit    und  Ansicht  der  Sache  aus  Einem  Gesichtspunkte 
heraus     der    Charakter    der    Philosophie      und    der    freien 
Kunstmäßigkeit,  die  wir  anstreben ;  dagegen  unverbundene  40 
Mannigfaltigkeit   und  mit  nichts  zusammenhängende  Einzel- 


32  Fichte. 

heit  der  Charakter  der  Unphilosophie,  der  Verworrenheit 
und  der  Unbehilfhchkeit,  welche  wir  eben  aus  der  ganzen 
Welt  austilgen  möchten,  und  sie  drum  nicht  in  uns  selbst 
aufnehmen  müssen;  endlich  wenn  auch  dieses  alles  nicht 
5  so  wäre,  können  wir  aus  Mangelhaftigkeit  der  niedern 
Schule  zu  Anfange  bei  unsern  Schülern  nicht  auf  ein 
solches  schon  fertiges  Gerüst  des  gesamten  wissenschaft- 
lichen Stoffes,  wie  es  oben  (§  10)  beschrieben  worden, 
rechnen,  und  müssen  zu  allererst  diesen  Mangel  in  unsern 

10  besondern  Enzyklopädien  ersetzen.  Die  Hauptgesichts- 
punkte einer  solchen  auf  eine  wissenschaftliche  Kunstschule 
berechneten  Enzyklopädie  sind  die  folgenden:  daß  sie 
zuvörderst  die  eigentliche  charakteristische  Unter- 
scheidung des  Verstandesgebrauchs  in  diesem  Fache 

15  und  die  besonderen  Kunstgriffe  oder  Vorsichtsregeln  in 
ihm,  mit  aller  dem  Lehrer  selbst  beiwohnenden  Klarheit, 
angebe,  und  sie  mit  Beispielen  belege  (und  so  eben  z.  B. 
das  historische  Talent  oder  die  Beobachtungsgabe 
mit   dem   Begriffe  durchdringe);   daß   sie  die  Teile   dieser 

"    Wissenschaft    vollständig     und    um- 1  fassend    vorlege,    und 

^    ^  zeige,  auf  welche  besondere  Weise  jeder,  imd  in  welcher 

Zeitfolge  sie  studiert  werden  müssen;  endlich,  daß  sie  die 

für  den  Zweck  des   Lehrlings  nötige  Literaturkenntnis  des 

Faches     gebe      und     ihn    berate,    was,    und    in    welcher 

25  Ordnung  und  etwa  mit  welchen  Vorsichtsmaßregeln  er 
zu  lesen  habe.  Besonders  in  der  letzten  Rücksicht  ist  der 
Lehrer  dem  Lehrlinge  ein  allgemeines  Register  und  Reper- 
torium  des  gesamten  Buchwesens  in  diesem  Fache, 
in     wieweit    dasselbe    dem    Lehrlinge    nötig    ist,    schuldig; 

30  welches  nun  der  Lehrling  selber,  nach  der  ihm  gegebenen 
Anleitung,  zu  lesen,  keinesweges  aber  vom  Lehrer  zu  er- 
warten hat,  daß  auch  dieser  es  ihm  noch  einmal  rezitiere. 
Gehört  nun  femer,  wie  wir  hoffen,  der  Lehrer  zu  dem  oben 
erwähnten  edlern  Bestandteile  der  bisherigen  Universitäten, 

35  daß  er  mit  dem  gesamten  Buchwesen  seines  Faches  nicht 
allerdings  zufrieden,  und  fähig  sei,  dasselbe  hier  und  da 
zu  verbessern,  so  zeige  er  in  seiner  Enzyklopädie  diese 
fehlerhaften  Stellen  des  großen  Buches  an,  und  lege  dar 
seinen  Plan,  wie  er  in  besondern  Vorlesungen  diese  fehler- 

40  haften  Stellen  verbessern  wolle,  und  in  welcher  Ordnung 
diese  besondern  Vorlesungen,  die  insgesamt  auf  der  festen 


Deduzierter  Plan.  33 

Unterlage  seiner  Enzyklopädie  ruhen    und  auf  ihr  geordnet 
sind,  zu  hören  seien.     Ist  dessen  so  viel,  daß  er  es  allein 
nicht  bestreiten  kann,  so  wähle  er  sich  einen  Unterlehrer, 
der  verbunden  ist,  in  seinem  Plane  zu  arbeiten.     Nur  sage 
er  nicht,  was  im  Buche  auch  steht,  sondern  hur  das,  was     5 
in  keinem  Buche  steht.     (Als  Beispiel :  daß  in  den  Schüler 
I  der  niedem  Schule  sehr  früh  ein  Inbegriff  der  Universal-  [49] 
geschichte  hineingebildet  werden  müsse,  versteht  sich    tmd 
ist   oben    gesagt;    wozu   aber,   außer   der   Anweistmg,    wie 
man  die  gesamte  Menschengeschichte  zu  verstehen  habe,  10 
welche   wohl   am   schicklichsten   dem   Philosophen   anheim 
fallen  dürfte,  auf  der  höhern  Schule  ein  Kursus  der  Uni- 
versalgeschichte solle,  bekenne  ich  nicht  zn  begreifen;  da- 
gegen  aber   würde   ich   es   für   sehr   schicklich    und  alles 
Dankes   wert   halten,    wenn   ein   Professor   der   Geschichte  15 
ein   Kollegium   ankündigte   über   besondere   Data  aus   der 
Weltgeschichte,  die  keiner  vor  ihm  so  richtig  gewußt 
habe,    wie    er,    und    er    mit    diesem    Versprechen    Wort 
hiehe.) 

(Wir  setzen  der  Erwähnung  dieser  von  vielen  so  sehr  20 
angefeindeten    Enzyklopädien,    zur    Vorbauung    möglichen 
Mißverständnisses,   noch    folgendes   hinzu.     Mit   derselben 
vollkommnen  Überzeugung,  mit  welcher  wir  zugeben,  daß 
das   Bestreben,    bei   solchen   allgemeinen   Übersichten   und 
Resultaten   stehen   zu   bleiben,    von    Seichtigkeit,    Trag-  l'5 
heit    und  Sucht  nach  wohlfeilem  Glänze  zeuge,  und  diese 
Schlechtigkeiten    befördere,    sehen   wir   zugleich   auch   ein, 
daß  das  Widerstreben,  von  ihnen  auszugehen,  den  Lehr- 
ling  ohne    Steuerruder   und   Kompaß   in   den   verworrenen 
Ozean  stürze,  daß,  obwohl  einige  sich  rühmen,  hiebei  ohne  30 
Ertrinken  davon  gekommen  zu  sein,  man  darum  doch  nicht 
das  Recht  habe,  jedermann  derselben  Gefahr  auszusetzen; 
daß    selbst    die    Geretteten    gesunder    sein   würden,    wenn 
sie    I  der    Gefahr   sich   nicht   ausgesetzt   hätten;    und   daß    [50] 
die    Quellen    dieses    Widerstrebens    keinesweges   auf   einer  35 
bessern    Einsicht,    sondern    daß    sie   größtenteils   auf   dem 
persönlichen  Unvermögen  beruhen,  solche  enzyklopädische 
Rechenschaft  über  das  eigene  Fach  zu  geben,  indem  diese, 
nur  groß  im  Einzelnen,  niemals  zur  Ansicht  eines  Ganzen 
sich  erhoben   haben.     Wer  nun  eine  solche   Enzyklopädie   lO 
seines   Faches  geben  nicht  könnte,  oder  rücht  wollte,   der 

Universitätsschriften  Fichte,  Sclilcierm.icher,     Steffens.  3 


34  Fichte. 

wäre  für  uns  nicht  bloß  unbrauchbar,  sondern  sogar  ver- 
derbhch,  indem  durch  seine  Wirksamkeit  der  Geist  unseres 
Instituts  sogleich  im  Beginn  getötet  würde.) 

§  22. 

5  Wir  gehen  an  die  historische  Auffassung  des  auf  den 

bisherigen  Universitäten  vorliegenden  Stoffes  und  schicken 
folgende  zwei  allgemeine  Bemerkungen  voraus.  Eine  Schule 
des  wissenschaftlichen  Verstandesgebrauchs  setzt  voraus, 
daß   verstanden     und   bis    in   seinen  letzten   Grund   durch- 

10  drungen  werden  könne,  was  sie  sich  aufgibt;  sonach  wäre 
ein  solches,  das  den  Verstandesgebrauch  sich  verbittet 
und  sich  als  ein  unbegreifliches  Geheimnis  gleich  von  vorn 
herein  aufstellt,  durch  das  Wesen  derselben  von  ihr  aus- 
geschlossen.    Wollte  also  etwa  die  Theologie  noch  ferner- 

15  hin  auf  einem  Gotte  bestehen,  der  etwas  wollte  ohne  allen 

Grund;    welches    Willens    Inhalt   kein    Mensch   durch   sich 

selber    begreifen,    sondern    Gott    selbst    unmittelbar    durch 

besondere  Abgesandte  ihm  mitteilen  müßte;  daß  eine  solche 

[51]  Mittel- 1  lung  geschehen  sei    und  das  Resultat  derselben  in 

20  gewissen  heiligen  Büchern,  die  übrigens  in  einer  sehr 
dunkeln  Sprache  geschrieben  sind,  vorliege,  von  deren 
richtigem  Verständnisse  die  Seligkeit  des  Menschen  ab- 
hänge :  so  könnte  wenigstens  eine  Schule  des  Verstandes- 
gebrauchs sich  mit  ihr  nicht  befassen.    Nur  wenn  sie  diesen 

25  Anspruch  auf  ihr  allein  bekannte  Geheimnisse  und  Zauber- 
mittel durch  eine  unumwundene  Erklärung  aufgibt,  laut 
bekennend,  daß  der  Wille  Gottes  ohne  alle  besondere  Offen- 
barung erkannt  werden  könne,  und  daß  jene  Bücher  durch- 
aus nicht   Erkenntnisquelle,   sondern  nur  Vehikulum 

30  des  Volksunterrichtes  seien,  welche,  ganz  unabhängig 
von  dem,  was  die  Verfasser  etwa  wirklich  gesagt  haben, 
beim  wirklichen  Gebrauche  also  erklärt  werden  müssen, 
wie  die  Verfasser  hätten  sagen  sollen;  welches  letztere, 
wie   sie   hätten   sagen   sollen,    darum   schon   vor   ihrer   Er- 

35  klärung  anderwärts  her  bekannt  sein  müsse:  nur  unter 
dieser  Bedingung  kann  der  Stoff,  den  sie  bisher  besessen 
hat,  von  unserer  Anstalt  aufgenommen  und  jener  Voraus- 
setzung gemäß  bearbeitet  v/erden.  Ferner  haben  mehrere 
bisher  auf   den   Universitäten  bearbeitete   Fächer,   (als   die 


Deduzierter  Plan.  35 

soeben  erwähnte  Theologie,  die  Jurisprudenz,  die  Medizin), 
einen  Teil,  der  nicht  zur  wissenschaftlichen  Kunst,  sondern 
zu  der  sehr  verschiedenen  praktischen  Kunst  der  Anwendung' 
im  Leben  gehört.     Es  gereicht  sowohl  einesteils  zum  Vor- 
teile dieser  praktischen  Kunst,   die  am  besten  in  unmittel-     5 
barer  und  ernstlich  gemeinter  Ausübung  unter  dem  Auge 
des    schon    geübten    |  Meisters    erlernet    wird,    als    andern-  [52] 
teils     zum    Vorteile     der    wissenschaftlichen    Kunst    selbst, 
welche  zu  möghchster  Reinheit   sich  abzusondern    und  in 
sich  selbst   sich  zu  konzentrieren  hat,   daß  jener  Teil  von  10 
unserer    Kunstschule    abgesondert     und    in    Beziehung   auf 
ihn     andere    für    sich    bestehende    Einrichtungen    gemacht 
werden.    Was  inzwischen  auch  in  dieser  Rücksicht  von  der 
wissenschaftlichen   Kunstschule   zu  beobachten   sei,  werden 
wir   bei   Erwähnung   der   einzelnen   Fälle   beibringen.  1j 

§  23. 

Nächst    der    Philosophie    macht    die    Philologie,    als 
das  allgemeine  Kunstmittel  aller  Verständigung,  mit  Recht 
den   meisten   Anspruch   auf   Universalität.     Ob  auch  wohl 
überhaupt    für    das    gesamte    studierende    Publikum  20 
auf    der    höheren    Schule    es    eines    philologischen    Unter- 
richts bedürfen,  oder  vielmehr   dieser  schon  auf  der  niedern 
Schule  beendigt  sein  solle,  ob  insbesondere  für  diejenigen, 
die  sich  zu  Schullehrern  bestimmen,  und  für  die  es 
allerdings  einer  weitern  Anführung  bedarf,   die  dahin  ge-  25 
hörigen  Anstalten  nicht  schicklicher  mit  den  niedern  Schulen 
selbst  vereinigt  werden  würden :  —  die  Beantwortung  dieser 
Frage  können  wir  für  jetzt  dem  Zeitalter,  da  die  allgemeine 
Enzyklopädie  geltend  gemacht  sein    und  die  niedere  Schule 
sein  wird,  was  sie  soll,  anheimgeben,  und  vorläufig  es  beim  30 
Alten  lassen. 

§  24. 

Von   der    Mathematik   sollte   imseres   Erachtens   der 
reine  Teil   bis   zu   einer   gewissen   Potenz   schon   auf   |  der  [53] 
niedern    Schule    vollkommen    abgetan    sein;    und    es    wäre  35 
hierdurch  das,   was  oben   über  das  Pensum  dieser   Schule 
gesagt    worden,    zu    ergänzen.      Da    auch    hierauf    im    An- 
fange nicht  zu  rechnen  ist,  so  wäre  vorläufig  ein  auf  diesen 

3* 


36  Fichte. 

gegenwärtigen  Zustand  der  niedern  Schule  berechneter  Plan 
des  mathematischen   Studiums  zu  entwerfen.  — 

Auf  allen  Fall  ist  mein  Vorschlag,  daß  eine  Komitee 
aus  unsern  tüchtigsten  Mathematikern  ernannt,  diesen  unser 
5  Plan  im  Ganzen  vorgelegt,  und  ihnen  aufgegeben  würde, 
die  Beziehung  ihrer  Wissenschaft  auf  denselben  zu  ermessen, 
und  dem  zufolge  durch  allgemeine  Übereinkunft  einen 
aus  ihrer  Mitte  zu  ernennen,  oder  auch  einen  Fremden  zur 
Vokation  vorzuschlagen,  dem  die  Enzyklopädie,  der  Plan 
10  und  die  Direktion  dieses  ganzen  Studiums  übertragen  würde. 

§  25. 
Die   gesamte    Geschichte   teilt    sich   in   die    Geschichte 
der  fließenden  Erscheinung   und  in  die  der  dauernden. 
Die  erste  ist  die  vorzüghch  also  genannte  Geschichte,  oder 

15  Historie,  mit  ihren  Hilfswissenschaften;  die  zweite  die 
Naturgeschichte;  —  welche  ihren  theoretischen  Teil  hat, 
die  Naturlehre. 

In   der   ersten  ist   der  zu  rufende   Ober-  und   enzyklo- 
pädische  Lehrer   über  unsern   Grundplan  zu  verständigen; 

20  worüber  er  vorläufig  mit  uns  einig  sein  muß. 

Das  ausgedehnte   Fach  der  Naturwissenschaft  be- 
[54]  treffend,  welche  durchaus  als  ein  organisches  Ganze  |  be- 
handelt werden  muß,  kann  ich  nur  eine  Komitee,  so  wie 
oben  bei   der   Mathematik,   in  Vorschlag  bringen,   die   aus 

25  ihrer  Mitte,  oder  auch  einen  Fremden  rufend,  den  Enzyklo- 
pädisten, Entwerfer  des  Lehrplans  und  Direktor  des  ganzen 
Studiums  erwähle,  und  falls  es  so  nötig  befunden  würde, 
nach  desselben  Plane  den  Vortrag  desselben  auch  hier 
mit   der   beständigen   Rücksicht,   daß   nicht   mündlich   mit- 

30  geteilt  werde,  was  so  gut  oder  besser  sich  aus  dem  Buche 
lernen  läßt,  unter  sich  verteile.  Das  Haupterfordernis 
eines  solchen  Planes  ist  Vollständigkeit  und  organische 
Ganzheit  der  Enzyklopädie.  Zugleich  hat  sie  für  ihr  Fach 
sich  mit  der  niedern  Schule  über  die  Grenze  zu  berichtigen, 

35  und  dieser  die  Potenz,  die  sie  hervorbringen  soll,  als  ihr 
künftiges  Pensum  aufzugeben,  welches  auch  für  die  oben 
erwähnten,  so  wie  für  alle  folgenden  Fächer  gilt,  und  hier 
einmal  für  immer  erinnert  wird.  Bloß  die  Philosophie  ver- 
bittet die  direkte  Vorbereitung  der  niedern  Schule    und  ist 

40  mir  nur  ausschließend  eine   Kunst  der  höhern. 


Deduzierter  Plan.  37 


§   2G. 


Die  drei  sogenannten  höhern  Fakultäten  würden  schon 
früher  wohl  getan  haben,  wenn  sie  sich,  in  Absicht  ihres 
wahren  Wesens,  in  dem  ganzen  Zusammenhange  des  Wissens 
deutlich  erkannt    und  sich  darum  nicht,  pochend  auf  ihre     5 
praktische    Unentbehrlichkeit      und     ihre    Gültigkeit    beim 
Haufen,   als    ein   abgesondertes    und   vornehmeres   Wesen 
hingestellt,    sondern    lieber   je- 1  nem    Zusammenhange    sich   [55J 
untergeordnet   und  mit  schuldiger  Demut  ihre  Abhängigkeit 
erkannt  hätten;  indem  sie  nämlich  verachteten,  wurden  sie   10 
verachtet,   und   die   Studierenden  anderer   Fächer   nahmen 
keine  Notiz  von  dem,  was  jene  ausschließend  für  sich  zu 
besitzen    begehrten,    wodurch    sowohl    ihrem    Studium,    als 
der  Wissenschaft  im  Großen    und  Ganzen  sehr  geschadet 
wurde.    Wir  werden  auf  Belege  dieser  Angabe  stoßen.    Eine    15 
wissenschaftliche    Kunstschule    mutet    ihnen     sogleich    bei 
ihrem  Eintritte  in  ihren  Umkreis    diese  Bescheidenheit  zu. 

Der  wissenschaftliche  Stoff  der  Jurisprudenz  ist  ein 
Kapitel  aus  der  Geschichte;  sogar  nur  ein  Fragment  dieses 
Kapitels,  wie  sie  bisher  behandelt  worden.     Sie  sollte  sein  20 
eine    Geschichte    der   Ausbildung   und    Fortgestal- 
tung des  Rechtsbegriffs  unter  den  Menschen,  wel- 
cher  Rechtsbegriff   selber,   unabhängig   von   dieser   Ge- 
schichte,  und   als    Herrscher,   keinesweges   als   Diener, 
schon   vorher   durch   Philosophieren   gefunden   sein  müßte.  25 
In  ihrer  gewöhnlichen  ersten,  lediglich  praktischen  Absicht, 
—  nur  Richter,  welches  ein  untergeordnetes  Geschäft  ist, 
zu   bilden,   wird   sie   Geschichte  jener  Ausbildung  in   dem 
Lande,  in  welchem  wir  leben,  und,  wenn  es  hoch  geht,  unter 
den  Römern,  und  so  Fragment;  aber  ihr  letzter  praktischer  30 
Zweck  ist  der,  den  Gesetzgeber  zu  bilden;  und  für  diesen 
Behuf   möchte   üir   wohl    das   ganze    Kapitel    ratsam   sein; 
denn  obwohl,  was  überhaupt  Gesetz  sein  solle,  schlechthin 
a  priori  erkannt  wird,  so  dürfte  doch  die  Kunst,  die  beson- 
dere  Gestalt   dieses   Gesetzes   (  für  jede  gegebene  Zeit  zu    ^ 
finden    und  es  ihr  anzuschmiegen,  der  Erfahrung  der  ge-  ^^^' 
samten  bekannten  Zeit   in  demselben  Geschäfte  bedürfen. 
Richteramt   sowohl   als   Gesetzgebung   sind   praktische  An- 
wendung der   Geschichte;  und  so  hat  die  Jurisprudenz 
zu   ihrer    ersten    Enzyklopädie    die    Enzyklopädie    der    Ge-  40 


38  Fichte. 

schichte,  indem  dieses  der  Boden  ist,  auf  welchem  sie 
und  der  wissenschaftUche  Verstandesgebrauch  in  ihr  ruhet, 
imd  die  Ausübung  derselben  in  ihrer  höchsten  Potenz 
eigentlich  die  Kunst  ist,  eine  Geschichte,  und  zwar  eine 
5  erfreulichere,  als  die  bisherige,  hervorzubringen.  Die  An- 
führung aber  zur  praktischen  Anwendung  im  Leben  fällt 
ganz  außer  dem  Umkreis  der  Schule,  und  wären  hierin 
die  Schüler  an  die  ausübenden  Kollegia  zu  verweisen,  unter 
deren  Augen,  aber  auf  die  Verantwortung  der  Beamten, 

10  denen  sie  anvertraut  worden,  sie  für  die  künftige  Geschäfts- 
führung sich  vorbereiteten.  Ich  schlage  daher  für  dieses 
Fach  eine  Komitee  vor,  in  welcher  aber  der  oben  be- 
schriebene Enzyklopädist  der  Geschichte  Sitz,  und  für  seinen 
Anteil  entscheidende  Stimme  hätte.     Diese  hätte  einen  be- 

15  sondern  Enzyklopädisten  für  die  Teile  und  die  Literatur 
des  beschriebenen  Kapitels  anzustellen,  den  Studienplan 
vorzuzeichnen  und  die  Anstalten  für  praktische  Bildung" 
unabhängig  von  der  wissenschaftlichen  Kunstschule  zu 
organisieren.       Ich    hoffe,    daß    bei    entschiedener    Durch- 

20  führung    des    Satzes,    nicht    mündlich    zu    lehren,    was    im 
[57]  Buche  steht,   der  Lektionskatalog  dieser  Fakultät  |  kürzer 
werden    wird,    als    er    bisher    war;    wiewohl    durch    unsere 
Grundsätze  des  zu  Erlernenden  mehr  geworden  ist. 

Die  Heilkunde  ruht  auf  dem  zweiten  Teile  des  positiv 

25  zu  Erlernenden,  der  Naturwissenschaft;  jedoch  erlaubt 
ihr  gegenwärtiger  Zustand  den  Zweifel,  in  welchem  auch 
der  Schreiber  dieses  sich  zu  befinden  gern  bekennt,  ob 
aus  jener  unstreitig  wissenschaftlichen  Basis  in  der  wirk- 
lichen Heilkunde  auch  nur  ein  einziger  positiver  Schluß 

30  zu  machen,  und  somit,  ob  diese  Basis  Leiterin  sei  in  der 
Ausübung,  wie  in  der  Jurisprudenz  dies  offenbar  der  Fall 
ist;  oder  ob  nur  gewissen  allgemeinen  Resultaten -jener 
Basis  bloß  nicht  widersprochen  werden  dürfe  durch 
die    Ausübung;    jene    daher    (die    Wissenschaft)    für    diese 

S5  (die  Ausübung)  nur  negatives  Regulativ  und  Korrektiv 
wäre.  Sollte,  wie  wir  befürchten,  das  letzte  der  Fall  sein, 
und  wie  wir  gleichfalls  befürchten,  immerfort  bleiben 
müssen,  so  gäbe  es  von  der  Wissenschaft  in  irgend  einem 
ihrer    Zweige    zu    der    ausübenden    Heilkunde    gar    keinen 

40  stetigen  positiven  Übergang,  sondern  die  letztere  hätte  ihren 
eigentümlichen   Boden   in   einer   besondern,   niemals   auf 


Deduzierter  Plan.  39 

positive  Prinzipien  zurückzuführenden  Beobachtung; 
sie  wäre  somit  von  der  wissenschaftlichen  Schule,  welche 
alle   Zweige    der    Naturwissenschaft   bis   zu   Anatomie,    Bo- 
tanik   u.  dergl.  ohne  alle  Rücksicht  auf  Heilkjande,  und  als 
jedem    wissenschaftlich    gebildeten    Menschen    überhaupt     5 
durchaus    anzumutende    Kenntnisse,    sorgfältig    triebe,    ab- 
zusondern,  und   in   einem   für   sich   bestehenden    Institute, 
rein  |  und  ohne  wissenschaftliche  Beimischung,  die  als  in  [58J 
der    Schule    erlernt    vorausgesetzt    wird,    von    der    materia 
medica    z.    B.    an,    die   ja   nichts    ist,    als    die   Anwendung  10 
der    ärztlichen    Empirie    auf    die    Botanik    und    dergl.,    zu 
treiben.    Welche   unermeßlichen  Vorteile  eine  solche  Ver- 
selbständigung   der    Naturwissenschaft,    die    bisher    häufig 
nur    als    Magd    der    Heilkunde    betrachtet    und    bearbeitet 
worden,  an  ihrem  Teile  auch  der  Heilkunde,  und  dadurch  15 
dem     ganzen     wissenschaftlichen     Gemeinwesen     bringen 
würde,     leuchtet     wohl    von    selbst    ein.      Es    wäre    daher 
aus  Sachkundigen  eine  Komitee  zu  Beantwortung  der  oben 
aufgeworfenen  Frage,  und  zu  Organisierung  derjenigen  An- 
stalten, welche  das  Resultat  dieser  Beantwortung  erforderte,  20 
zu  ernennen.     Daß   ein   solches  selbständiges   Institut  der 
Heilkunde    den    ihm    anheimgefallenen    Stoff   nach    einem 
festen,    auf    seine   Enzyklopädie    begründeten    Plane,   nach 
der  Maxime,  nicht  zu  lehren,  was  im  Buche  schon  steht, 
behandelte,   wäre   auch   ihm   zu   wünschen,   und   es   würde  25 
sich  von  selbst  verstehen. 

Nun  aber,  welches  ja  nicht  aus  der  Acht  zu  lassen, 
haben  auch  die  wichtigsten  Resultate  der  fortgesetzten  ärzt- 
lichen Beobachtung,  deren  wirkliche  Vollziehung  ihnen 
allein  überlassen  wird,  als  ein  Teil  der  gesamten  Natur-  CO 
beobachtung,  Einfluß  auf  den  Fortgang  der  ganzen  Natur- 
wissenschaft, und  so  muß  auch  die  wissenschaftliche  Schule 
sie  keinesweges  verschmähen,  sondern  sich  in  den  Stand 
setzen,  fortdauernd  von  ihr  Notiz  zu  haben  und  bei  ihr 
zu  lernen.  Jedoch  wird  |  die  Ausbeute  davon  niemals  sofort  ^.''gi 
und  auf  der  Stelle  eingreifen  in  das  Ganze  und  so  in  den 
enzyklopädischen  Unterricht  gehören;  es  wird  drum  eine 
andere,  an  ihrem  Orte  anzugebende  Maßregel  getroffen 
werden  müssen,  dieselbe  aufzunehmen  und  sie  bis  zur 
Eintragung   in   die   Enzyklopädie   aufzubewahren.  40 

Daß  die  Theologie,  falls  sie  nicht  den  ehemals  laut 


40  Fichte. 

gemachten  und  auch  neuerhch  nie  förmUch  zurückgenom- 
menen Anspruch  auf  ein  Geheimnis  feierhch  aufgeben  wolle, 
in  eine  Schule  der  Wissenschaft  nicht  aufgenommen  werden 
könne,  ist  schon  oben  gezeigt.  Gibt  sie  ihn  auf,  so  bequemt 
5  sie  sich  dadurch  zugleich  zu  der  bisher  auch  nicht  so  recht 
zugegebenen  Trennung  ihres  praktischen  Teiles  von  ihrem 
wissenschaftlichen. 

Um    zuvörderst    den    ersten    abzuhandeln :    der   Volks- 
lehrer, den  sie  bisher  zu  bilden  sich  vorsetzte,  ist  in  seinem 

10  Wesen  der  Vermittler  zwischen  dem  höhern,  dem  wissen- 
schafthch  ausgebildeten  Stande  (denn  einen  andern  hohem 
Stand  gibt  es  nicht,  und  was  nicht  wissenschaftlich  aus- 
gebildet ist,  ist  Volk)  und  dem  niedern,  oder  dem  Volke. 
Zunächst    zwar,    und    dies    mit    vollem    Rechte,    knüpft    er 

15  sein  Bildungsgeschäft  an  an  die  Wurzel  und  das  Allge- 
meinste aller  höhern  menschlichen  Bildung,  die  Religion; 
aber  nicht  bloß  diese,  sondern  alles,  was  von  der  hohem 
Bildung  an  das  Volk  zu  bringen  und  seinem  Zustande 
anzupassen   ist,    soll   er   immerfort   demselben   zuführen. 

20  Nichts   verhindert,    daß    er   nicht   noch   neben   diesem 

Berufe  ein  die  Wissenschaft  selbst  in  ihrer  Wurzel  selbst- 

[60]  I  tätig  bearbeitender    und  sie  weiter  bringender  Gelehrter 

sei,  wenn  er  will  und  kann;  aber  es  ist  ihm  für  diesen 

Beruf  nicht   notwendig,   und   drum  ihm  nicht   anzumuten. 

25  Es  ist  für  ihn  hinlänglich,  daß  er  überhaupt  die  Kunst 
besitze,  über  wissenschaftliche  Gegenstände  zu  verstehen 
und  sich  verständlich  zu  machen,  die  er  ja  schon  in 
der  niederen  Schule,  welche  er  auf  alle  Fälle  durchzumachen 
hat,  gelernt  haben  wird;  ferner  von  dem  gesamten  wissen- 

30  schaftlichen  Umfange  die  allgemeinsten  Resultate,  und  das 
Vermögen,  erforderlichen  Falles  durch  Nachlesen  sich 
weiter  zu  belehren,  worin  ihm  die  an  der  wissenschaftlichen 
Schule  eingeführten  Enzyklopädien  den  Unterricht  und 
die    nötigen    Literaturkenntnisse    geben.      Die    nötige    An- 

35  führung  zum  Philosophieren  hat  er  beim  Philosophen  zu 
holen.  Für  sein  nächstes  Geschäft  der  religiösen  Volks- 
bildung hat  er  zu  allererst  sein  Religionssystem  in  der 
Schule  des  Philosophen  zu  bilden.  Für  das  Anknüpfen 
seines  Unterrichtes  an  die  biblischen  Bücher  wird  es  voll- 

40  kommen  hinreichen,  daß  ein  Buch  geschrieben  und  ihm 
in    die    Hände    gegeben    werde,    in    welchem   aus    diesen 


Deduzierter  Plan.  41 

Büchern  der  Inhalt  echter  Religion    und  Moral  entwickelt 
werde,  wobei  nun  weder  die  Verfasser  dieses  Buches,  noch 
der  dadurch  zur   Bibclanwendung  anzuleitende  künftige 
Volkslehrer    sehr    bekümmert    zu    sein   brauchen    über    die 
Frage,    ob    die    biblischen    Schriftsteller    es    wirkHch    also     5 
gemeint  haben,  wie  sie  dieselben  erklären;  das  Volk  aber 
vor  dieser   durchaus  nicht  in  seinen  Gesichtskreis  gehörigen 
Frage  sorgfältig  zu  bewah- 1  ren  ist.     Der  Volkslehrer  hat  [61] 
darum   durchaus   nicht   nötig,    die   biblischen   Schriftsteller 
nach  ihrem  wahren,  von  ihnen  beabsichtigten  Sinne  10 
zu    verstehen;    wie    denn    ohne    Zweifel   auch   bisher,    ohn- 
geachtet  es  beabsichtiget  und  häufig  vorgegeben  worden, 
weder  bei  ihm,  noch  auch  oft  bei  seinem  Professor  in  der 
Exegese    dies  der  Fall  gewesen;  und  wir  somit  nicht  ein- 
mal eine  Neuerung,  sondern  nur  das  Geständnis  der  wahren  15 
Beschaffenheit   der    Sache    und   das   besonnene   Aufgeben 
eines  unnötigen   imd  vergeblichen  Strebens  begehren.   Über 
Pastoralklugheit,  d.  i.  über  seine  eigentliche  Bestimmung 
als  Volkslehrer  im  Ganzen  eines  Menschengeschlechts,  imd 
die  Kunstmittel,  dieselbe  zu  erfüllen,  wird  er  ohne  Zweifel  20 
auch    beim    Philosophen    einige    Auskunft    finden    können. 
Sein  eigentümlich  ihm  anzumutender  Charakter,  die  Kunst 
der  Popularität,  und  die  Übungen  derselben  durch  kate- 
chetische, homiletische,  auch  Umgangsinstitute  mit  Glie- 
dern aus   dem  Volke,   sind  der  wissenschaftlichen   Schule,  25 
welche   den   szientifischen   Vortrag  beabsichtigt,   entgegen- 
gesetzt,  drum  von  ihr  abzusondern  und  am  schicklichsten 
den    ausübenden    Volkslehrern,    wie    bei    den    Juristen,    zu 
übertragen.    Das  eigentliche  Genie  für  den  künftigen  \'olks- 
lehrer  ist  ein  frommes  und  Menschen-,  und  besonders  das  30 
Volk  liebendes   Herz;   hierauf  wäre   bei  der  Zulassung  zu 
diesem  Berufe  hauptsächlich  zu  sehen,  und  besonders  bei 
Besetzung  der  Konsistorien,  als  etwa  der  künftigen  Schulen 
solcher  Lehrer,  würde  weit  mehr  auf  diese  Eigenschaften, 
als  auf  I  andere  glänzende  Talente    oder  auf  ausgebreitete  .ggi 
Kenntnisse  Rücksicht  genommen  werden  müssen. 

Der  wissenschaftliche  Nachlaß  dieser  als  einer  priester- 
lichen Vermittlerin  zwischen  Gott  und  den  Menschen  mit 
Tode    abgegangenen    Theologie     an    die    wissenschaftliche 
Schule  würde  durch  eine  solche  Veränderung  seine  ganze  40 
bisherige    Natur    ausziehen     und    eine    neue    anlegen.     Es 


42  Fichte. 

hat  derselbe  zwei  Teile,  ein  von  der  Philologie  abgerissenes 
Stück,  und  ein  Kapitel  aus  der  Geschichte.  Die  morgen- 
ländischen Sprachen,  zu  denen  der  den  Theologen  bis 
jetzt  fast  ausschließend  überlassene  hebräische  Dialekt  einen 
5  leichten  und  schicklichen  Eingang  darbietet,  machen  einen 
sehr  wesentlichen  Teil  der  Sprachentwicklung  des  mensch- 
lichen Geschlechts  aus  und  sind  bei  einer  einst  zu  hoffenden 
organischen  Übersicht  derselben  ja  nicht  auszulassen;  die 
hellenistische  Form  nun  vollends  der  griechischen  biblischen 

10  Schriftsteller  gehört  zur  Kenntnis  der  griechischen  Sprache 
im  ganzen,  welche  Sprache  ja  auf  unsern  Schulen  getrieben 
wird.  Beide  erhalten  gegen  den  aufgegebenen  höchst  zwei- 
deutigen Anspruch,  heilige  Sprachen  zu  sein,  den  weit  be- 
deutendem, daß  sie  menschliche  Sprachen  sind,  zurück,  und 

15  fallen  der  niedern  Schule,  die  sich  ja  der  Trägheit  schämen 
wird,  die  beschränkte  hebräische  Sprache  nicht  allgemein 
bearbeiten  zu  können,  da  sie  die  sehr  reiche  griechische 
Sprache  mit  Glück  bearbeitet,  wiederum  anheim.  Ferner 
sind  die  biblischen  Schriftsteller  ja  höchst  bedeutende  For- 

20  men    der    Entwicklung    des    menschlichen    Geistes,    deren 

[63J  wahrer  Wert  bloß  darum  nicht  |  beachtet  worden,  weil  ein 

erdichteter  falscher  alle  Aufmerksamkeit  der  einen  Partei 

abzog,   und  den  Haß  und  die  unbedingte  Nichtbeachtung 

der  andern  Partei  erregte.     Von  nun  an,  sine  ira  et  studio 

25  in  dieser  Sache  urteilend,  werden  wir  es  eben  so  belehrend 
und  ergötzend  finden,  den  Jesaias  zu  lesen,  als  den  Aeschy- 
los,  und  den  Johannes  als  den  Plato,  und  es  wird  tms 
mit  dem  richtigen  Wortverständnisse  derselben,  welches 
das   gelehrte    Studium  allerdings   anstreben   wird, 

30  weit  besser  gelingen,  wenn  auch  die  ersten  eben  sowohl 
als  die  zweiten  zuweilen  auch  unrecht  haben  dürften, 
als  vorher,  da  sie  immer,  und  für  die  besondere  Ansicht 
jedes  neuen  Exegeten,  recht  haben  sollten,  welches  ohne 
mancherlei    Zwang     und   ohne    nie    endenden    Streit    nicht 

35  zu  bewerkstelligen  war.  Diese  Exegese  wird  redlich  sein, 
auch  redlich  gestehen,  was  sie  nicht  versteht,  dagegen  die 
vom  theologischen  Prinzipe  ausgehende  höchst  unredlich 
war;  (das  oben  Vorgeschlagene  aber  gleichfalls  keine  unred- 
liche Exegese  ist,  da  es  überhaupt  nicht  Exegese  ist,  noch 

40  sich  dafür  gibt,  indem  eine  solche  eine  gelehrte  Aufgabe 
ist,  die  durchaus  vor  das  Volk  nicht  gehört.) 


Deduzierter  Plan.  43 

Das    Kapitel    aus    der    Historie,    wovon    die    bisherige 
Theologie  einen  Hauptteil  sich  fast  ausschließend  zugeeig- 
net,   ist    die    Geschichte    der    Entwicklung   der   reli- 
giösen  Begriffe   unter  den  Menschen.    vEs  geht  aus 
dem  gebrauchten  Ausdrucke  hervor,  daß  die  Aufgabe  um-     5 
fassender   ist,    als    |   die    Theologie   sie   genommen,    indem  [64] 
auch   über   die   Religionsbegriffe   der   sogenannten   Heiden 
Auskunft    gegeben    werden    müßte,    und    daß    die    wissen- 
schaftliche Schule  sie  in  dieser  Ausdehnung  nehmen  wird.  10 
Mit  diesen  zu  ihr  gehörigen    und  sie  erklärenden  Bestand- 
teilen   versehen,     ferner    ohne    alles    Interesse    für    irgend 
ein  Resultat    imd  mit  redlicher  Wahrheitsliebe  bearbeitet, 
wird    auch     die    eigentliche    Kirchengeschichte    eine   ganz 
andere  Gestalt  gewinnen,  imd  man  wird  der  Lösung  meh-  15 
rerer  Probleme,  (z.  B.  über  die  wahren  Verfasser  mancher 
biblischen  Schriften,   über  die  echten  oder  unechten  Teile 
derselben,  die  Geschichte  des  Kanons  usw.,)  die  dem  Un- 
befangenen   noch    immer    nicht    gründlich    gelöst    zu    sein 
scheinen  könnten,  näher  kommen,  oder  auch  genau  finden  20 
und  bekennen,  was  in  dieser  Region  sich  ausmitteln  lasse, 
und  was  nicht.    Es  wäre,  wie  sich  versteht,  dieser  Teil  der 
Geschichte  dem  Enzyklopädisten  der  gesamten  Geschichte 
zur  Verflechtung  in  seinen   Studienplan  anheimzugeben. 

Zur  Entscheidung  über  die  oben  vorgelegte  Haupt-  25 
frage,  und  falls  die  Antwort  darauf  befriedigend  ausfiele, 
zur  Entwerfung  eines  festen  Planes  und  Errichtung  eines 
besondern  Instituts  zur  Bildung  künftiger  Volkslehrer  wäre 
eine  aus  sachverständigen  und  guten  Theologen  und  Pre- 
digern bestehende  Komitee  niederzusetzen.  30 

I  §  27.  [65] 

Diesen  zu  beauftragenden  einzelnen  Männern  und  Ko- 
mitees wäre,  außer  den  schon  angeführten  Geschäften, 
auch  noch  folgendes  aufzugeben,  daß  sie  vollständig  unter- 
suchten, was  an  gelehrtem  Apparate  für  jedes  Fach  (Bücher,  35 
Kirnst-  und  Naturaliensammlungen,  physikalische  Instru- 
mente u.  dergl.)  vorhanden  sei,  welche  Notwendigkeiten 
(l.igegen  uns  abgingen  und  angeschafft  werden  müßten;  für 
vollständige  Katalogen  und  Repertorien  dieser  Schätze 
ll    sorgten  und  in  ihre  Studienpläne  den  zweckmäßigen,  folge-  40 


44  Fichte. 

gemäßen  Gebrauch  derselben  aufnähmen.    Falls  die  beauf- 
tragten  einzelnen    Männer   neben    ihrem   ersten   Geschäfte 
zu  diesem  nicht  Zeit  fänden,  so  wären  sie  zu  ersuchen,  einen 
andern  tüchtigen   Mann  für  dasselbe  zu  ernennen. 
6  In   diesem   Geschäfte  hätten   sie  von  einer   Seite  sich 

sorgfältig  zu  hüten,  daß  sie  nicht,  etwa  um  nichts  um- 
kommen zu  lassen,  oder  aus  Streben  nach  äußerem  Glänze 
und  Rivalität  mit  andern  gelehrten  Anstalten,  durch  Bei- 
behaltung  überflüssiger   Dinge  der   Reinheit  und  Einfach- 

10  heit  unsrer  Anstalt  Abbruch  täten;  so  wie  von  der  andern 
Seite  nichts  zu  sparen  am  wirklich  Nötigen.  Was  den  äußern 
Glanz  betrifft,  so  wird  uns  dieser,  falls  v/ir  nur  das  innere 
Wesen  redlich  ausbilden,  von  selbst  zufallen;  die  bedachte 
Beachtung  desselben  aber,  und  die  Nachahmung  anderer, 

15  von  denen  wir  nicht  Beispiele  annehmen,  sondern  sie  ihnen 
[66]  geben  wollen,  würde  uns  wiederum  in  die  Ver-  ( worrenheit 
hineinwerfen,    welche   ja   von   uns   abzuhalten  unser   erstes 
Bestreben  sein  muß. 

§  28. 

20  Durch  die  allseitige  Lösung  der  aufgestellten  Aufgaben 

wäre  nun  fürs  erste  zustande  gebracht  das  lehrende 
Subjekt  der  wissenschaftlichen  Kunstschule.  Wir  könnten 
mit  den  enzyklopädischen  Vorlesungen  eine,  fürs  erste 
in  ihren  übrigen  Bestimmungen  ganz  gewöhnliche,  Uni- 

25  versität  eröffnen.  Es  wären  jedoch  diese  gesamten  Vor- 
lesungen, in  denen,  immer  nach  dem  Ermessen  des  Lehrers, 
der  fortfließende  Vortrag  mit  Examinibus  und  Konver- 
satorien,  deren  Besuchung  jedem  Studierenden  frei  stände, 
keiner  aber  dazu  verbunden  wäre,  abwechselte,  über  das 

30  erste  Unterrichtsjahr  also  zu  verteilen,  daß  die  Studenten, 
und  wenn  sie  es  wollten  auch  die  Lehrer,  diese  Vorlesimgen 
alle  hören  könnten,  dennoch  aber  den  erstem  zum  auf- 
gegebenen Bücherlesen  und  zur  Ausarbeitung  der  Auf- 
sätze, von  welchem  demnächst,  den  letztern  zu  Beurteilung 

35  dieser  Aufsätze  Zeit  übrig  bliebe.  Es  möchte  in  dieser 
Zeitberechnimg  bei  beiden  Teilen  in  Gottes  Namen  auf 
noch  mehr  als  den  übhchen  Fleiß  und  Berufstreue  gerechnet 
werden;  indem  diese  Eigenschaften  ohnedies  an  unserer 
Schule   an   die   Tagesordnung   kommen   sollen,   und   drum 

40  nicht  zu  früh  eingeführt  werden  können. 


Deduzierter  Plan.  45 


29. 


Während   dieser    enzyklopädischen   Vorlesungen   des 
ersten    Lehrjahres   stellen   der   philosophische  ^  Lehrer   1  so-  '67] 
wohl,  als  die  übrigen  enzyklopädischen  eine  Aufgabe  an 
ihr    Auditorium;     in    dem   oben    sattsam    charakterisierten     5 
Geiste,    so    daß    das   aus    dem   mündlichen   Vortrage   oder 
dem  Buche  Erlernte  nicht  bloß  wiedergegeben,  sondern  daß 
es  zur  Prämisse  gemacht  werde,  damit  sich  zeige,  ob  der 
Jüngling  es  zu  seinem  freien  Eigentume  erhalten  habe   und 
als  anhebender  Künstler  etwas  anderes  daraus  zu  gestalten  10 
vermöge.       Diese    Aufgabe    bearbeitet    jeder    Studierende, 
der  da  will,  in  einem  Aufsatze,  den  er  zu  einem  bestimmten 
Termine   vor   Beendigung   des    Lehrjahres,   mit   einem  ver- 
siegelten Zettel,   der  den   Namen  des  Verfassers   enthalte, 
bei  dem  aufgebenden  Lehrer  einsendet.     Der  Lehrer  prüft  15 
diese  Aufsätze    und  hebt  die  vorzüglichsten  heraus. 

In  dieser   Beurteilimg  der  Aufsätze  ist  bei  rein  philo- 
sophischem   Inhalte    der    Lehrer    der    Philosophie    unbe- 
schränkt :    zur    Krönung    anderer    aber,    die    einen    positiv- 
wissenschaftlichen Stoff  haben,  müssen  der  enzyklopädische  20 
Lehrer  des   Faches    tmd  der  Philosoph  (später,  wenn  wir 
eine  solche  haben  werden,  die  philosophische  Klasse)  sich 
vereinigen,  der  erstere  entscheidend  über  die  Richtigkeit 
und  die  auf  dieser  Stufe  des  Unterrichts  anzumutende  Tiefe 
und  Vollständigkeit  der  historischen  Erkenntnis,  der  zweite  -3 
über  den  philosophischen  und  Künstlergeist,  mit  welchem 
jener    Stoff    verarbeitet    worden.      Ein   von    einem   dieser 
beiden  verworfener  Aufsatz  bleibt  verworfen,  obschon  der 
andere  Teil  ihn  billigte.     Die  Notwendigkeit  |  dieser  Mit-  '68] 
Wirkung  der  philosophischen  Klasse  liegt  im  Wesen  einer  30 
Kunstschule :  die  Mitwirkung  des  historischen  Wissens  aber 
soll  uns  dagegen  verwahren,  daß  nicht  in  empirischen  Fächern 
a  priori  phantasiert  werde,  statt  gründlicher  Gelehrsamkeit. 

Am  Schlüsse  des  ersten  Lehrjahres  wird  das  Resultat 
der  also  vollzognen  Beurteilung  der  eingegebenen  Aufsätze  35 
und  die  Namen  derer,  deren  Ausarbeitungen  gebilligt  sind, 
bekannt  gemacht ;  und  es  treten  von  ihnen  diejenigen, 
welche  wollen,  zusammen,  als  der  erste  Anfang  eines 
lernenden  Subjekts,  in  höherm  und  vorzüglicherem 
Sinne,  an   unsrer  wissenschaftlichen  Kunstschule.    Welche  43 


46  Fichte. 

wollen,  sagte  ich;  denn  obwohl  die  Ausfertigung  eines 
Aufsatzes  und  die  Unterwerfung  desselben  unter  die  Be- 
urteilung des  lehrenden  Korps  diesen  Willen  vorauszusetzen 
scheint,  so  können  mit  dem  ersten  doch  auch  mancherlei 
5  andere  Zwecke  beabsichtiget  werden,  von  denen  zu  seiner 
Zeit;  alle  Studierenden  an  unserer  Universität  können  auch 
für  diese  Zwecke  berechtigt  werden;  und  es  muß  darum 
jedem,  der  sogar  beitreten  dürfte,  überlassen  werden,  ob 
er  will.  Inzwischen  wird  die  Fortsetzung  unsres  Entwurfs 
10  ohne  Zweifel  die  sichere  Vermutung  begründen,  daß  jeder 
wollen  werde,  der  da  dürfe. 

§   30. 

Sie  treten   zusammen  zu   einer  einzigen  großen   Haus- 
[69]  haltung,  zu  gemeinschaftlicher  Wohnung  und  [  Kost,  unter 

15  einer  angemessenen  liberalen  Aufsicht.  Ihre  Bedürfnisse 
ohne  alle  Ausnahme,  nicht  ausgeschlossen  Bücher,  Kleider, 
Schreibmaterialien  usf.,  werden  ihnen  von  der  Ökonomie- 
verwaltung in  Natur  gereicht,  und  sie  haben,  die  Verwaltung 
eines  mäßigen  Taschengeldes  abgerechnet,  wofür  ein  Maxi- 

20  mum  festgesetzt  werden  könnte,  während  ihrer  Studien- 
jahre mit  keinem  andern  ökonomischen  Geschäfte  zu  tun. 
(Der  Grund  dieser  Einrichtung  ist  schon  oben  angegeben 
worden;  und  auf  die  Einwendung,  daß  junge  Leute  auf 
der  Universität  zugleich  das  Haushalten  mitlernen  müßten, 

25  ist  zu  erwidern,  daß,  falls  dieselben  bei  uns  das  Ehrgefühl, 
die  Gewissenhaftigkeit  und  die  intellektuelle  Bildung  er- 
halten, die  wir  anstreben,  es  sich  mit  dem  künftigen  Haus- 
halten von  selbst  finden  werde;  erhalten  sie  aber  bei  dem 
Grade   der    Sorgfalt,   den   wir  anwenden   werden,    dieselbe 

30  nicht,  so  ist  gar  kein  Schaden  dabei,  daß  sie  auch  äußer- 
lich verderben,  und  mag  dies  immer  je  eher  je  lieber  ge- 
schehen.) Inwiefern  aber  diese  Verpflegung  ihnen  frei 
auf  Kosten  des  Staats,  oder  auf  ihre  eigenen  Kosten 
gereicht  werden  solle,   davon  behalten  wir  uns  vor,   tiefer 

35  unten  zu  sprechen ;  und  wollen  wir  mit  dem  Gesagten  keines- 
weges  unbedingt  das  erste  gesagt  haben. 

Mit  diesem  also  zustande  gebrachten  Stamme  tritt 
mm  das  lehrende  Korps  in  das  oben  beschriebene  innige 
Wechselleben.     Sie   werden   fortdauernd   erforscht    und  in 


Deduzierter  Plan.  47 

ihrem  Geistesgange  beobachtet,  sie  |  haben  den  ersten  Zu-  [70] 
tritt   zu    den    Examinibus,    Konversatorien,    dem    Umgange 
und  der  Beratung  der  Lehrer,  und  stehen,  in  der  Benutzung 
der    vorhandenen    hterarischen    Hilfsmittel,    jedem    andern 
vor;   auf   ihre  nächsten  unmittelbaren   und  wohlbekannten     5 
Bedürfnisse  rechnet  immerfort  der  gesamte  mündliche  Vor- 
trag der  Kunstschule.     Im  Falle  der  würdigen  Benutzung 
dieser  Schule,  die  durch  eine  tiefer  unten  zu  beschreibende 
Prüfung  dokumentiert  wird,   stehen  sie  bei  Besetzung  der 
höchsten  Ämter  des  Staates  allen  anderen  vor  (und  tragen  10 
den  von  Gottes  Gnaden  durch  ein  vorzügliches  Talent  ihnen 
geschenkten    und  durch  würdige  Ausbildung  jenes  erstem 
verdienten  Adel). 

Immerhin  mögen  neben  ihnen  andere  Studierende  an 
den  vorhandenen  Bildungsmitteln  der  Anstalt,  welche  recht  15 
eigentlich  doch  nur  für  jene  sind,  nach  allem  ihrem  Ver- 
mögen teilnehmen    und  in  freier  Bildung  jenen  den  Rang 
abzulaufen   suchen,   welches,   falls   es  ihnen  gelänge,   auch 
nicht  unanerkannt  bleiben  soll.     Diese  wachsen  gewisser- 
maßen wüd,  wie  im  Walde;  jene  sind  eine  sorgfältig  ge-  20 
pflegte  Baumschule,  welche  in  alle  Wege  doch  auch  sein 
soll,   und  aus   welcher   sogar  dem  Walde  manches   edlere 
Samenkorn  zufliegen  wird.   Jene  sind  reguläres,  und  es  wird 
wohl  auch  eine  anständige  deutsche  Benennung  für  sie  sich 
finden  lassen;  diese  sind  irreguläres,  die  lat.  Observanz,  2.5 
bloße  Socii  und  Zugewandte;  und  dies  wären  die  beiden 
Hauptklassen,  in  die  unser  studierendes  Publikum  zerfiele. 

l  §  31.  171] 

Es  würde  auch  fernerhin  nach  jedem  abgelaufenen 
Lehrjahre  denen,  die  bis  jetzt  noch  unter  den  Zugewandten  30 
sich  befänden,  frei  stehen,  durch  gelungene  Ausarbeitungen, 
(indem  gegen  das  Ende  jedes  Lehrjahres  Aufgaben  für 
dergleichen  gegeben  werden),  ihre  Aufnahme  unter  die 
I\i';4^ularcn  nachzusuchen.  Außerdem  würden  diejenigen 
d(  r  jungen  Inländer,  welche  vorzügliches  Talent  und  Pro-  35 
gressen  von  der  niedern  Schule  zu  dokumentieren  ver- 
möchten, (über  deren  Grad  und  die  Art  der  Beweisführung 
später  etwas  Festes  bestimmt  werden  kann),  gleich  bei  ihrem 
Eintritte  auf  die  Universität  ein  Recht  haben  auf  einen. 
Platz  unter  den  Regularen.  40 


48  Fichte. 


§   32. 


Es  wäre  zu  veranlassen,  daß  gleich  bei  der  Eröffnung 
der  Universität,  da  es  noch  keine  Regularen  gibt,  die- 
jenigen, welche  die  Aufnahme  unter  sie  durch  Ausarbei- 
5  tungen  zu  suchen  gedächten,  eben  so  wie  späterhin  die 
Regularen  es  sollen,  zu  einem  gemeinschaftlichen  Haus- 
halt zusammenträten.  Dies,  obwohl  unter  besonderer  Auf- 
sicht des  Lehrinstituts  stehend,  wäre  dennoch  keine  eigent- 
lich  öffentliche,    sondern   eine   Privatanstalt,   und   die    Mit- 

10  glieder  lebten  nicht,  wie  es  mit  den  Regularen  unter  ge- 
wissen Bedingungen  wohl  der  Fall  sein  kann,  auf  Kosten 
des  Staates,  sondern  auf  die  eigenen,  die  jedoch,  ganz 
wie  bei  den  Regularen,  gemeinschaftlich  verwaltet  würden. 
[72]  Es  ]  könnte  auch  denjenigen  unter  diesen  Vereinigten,  wel- 

15  che  beim  Anfange  des  zweiten  Lehrjahres  nicht  tmter  die 
Regularen  aufgenommen  und  so  aus  dieser  ersten  Ver- 
bindung in  eine  neue  hinübergenommen  würden,  nicht  ver- 
wehrt werden,  in  dieser  ihrer  ersten  Verbindung  fortzuleben, 
indem    sie    zufolge    des    vorhergehenden    §    beim   Anfange 

20  des  künftigen  Lehrjahres  glücklicher  sein  können,  und  so 
Kandidaten  der  Regel  bleiben.  Es  können  zu  ihnen 
hinzutreten,  um  denselben  Anspruch  zu  bezeichnen,  andere, 
die  bisher  unter  den  Zugewandten  sich  befanden,  des- 
gleichen   die    von    der    niederen    Schule    Kommenden,    die 

25  nicht  schon  von  daher  das  Recht,  unmittelbar  unter  die 
Regularen  zu  treten,  mitbringen.  Diese  machen  nun  eine 
dritte  Klasse  der  bei  uns  Studierenden,  ein  Verbindungs- 
glied zwischen  den  Regularen  und  den  Zugewandten : 
Novizen.      Sie    sind    schon    durch   die    Natur   der    Sache, 

30  indem  die  Lehrer  wissen,  daß  vorzüglich  aus  ihrer  Mitte 
beim  Anfange  des  neuen  Lehrjahres  sie  das  Kollegium  der 
Regularen  zu  ergänzen  haben  werden,  der  besondem  Be- 
achtung derselben  empfohlen. 

§  33. 

35  Damit  nun  nicht  etwa  die  Zugewandten,  —  denn  von 

den  Novizen,  die  ihren  Anspruch  auf  die  Regel  durch  ihr 
Zusammenleben  bekennen,  ist  dies  nicht  zu  befürchten  — 
um    der    größern    Lizenz    willen,    jemals    versucht    werden, 


Deduzierter  Plan.  aq 

sich  für  vornehmer  zu  hal-[ten,  denn  die  Regularen,  soD    7? 
der   Vorzug    der   letztern   sogar   äußerHch   anschaubar   ge- 
macht werden  durch  eine  Uniform,  die  kein  anderer  zu 
tragen    berechtigt    sei,    denn    sie    und    ihre  ^  ordentlichen 
Lehrer.      Damit     dieser    Rock    gleich    anfangs    die    rechte     5 
Bedeutung  erhalte,  sollen  sogleich  von  Eröffnung  der  Uni- 
versität an  die  ordenthchen  Lehrer  diese  Uniform  gewöhn- 
lich  tragen,   also    daß    im   ersten   Lehrjahre   nur   sie.   und 
diejenigen,   die   in   demselben   Verhältnisse   mit   ihnen   zur 
Lniversität  stehen,  damit  bekleidet  seien;  später,  nach  Er-  10 
nennung  des  ersten  Kollegium  von  Regularen,  sie  auf  diese 
fortgehe,   und   so  femer  bei  allen  folgenden  Ergänzungen 
des  letztern. 


§  34. 

Diese  Einrichtung  soll  zugleich  die  äußere  sittliche  15 
Bildung  unserer  Zöglinge  unterstützen  und  die  Achtung 
derselben  bei  dem  übrigen  Publikum  befördern  und  sicher- 
stellen. Gründliches  und  geistreiches  Treiben  der  Wissen- 
schaft veredelt  ohne  dies  ganz  von  sich  selbst;  überdies 
wird  für  die  Entwicklung  der  Ehrliebe  und  des  Gefühls  für  20 
das  Erhabene,  als  das  eigentliche  Vehikulum  der  sitthchen 
Bildung  des  Jünglings,  durch  Beispiel  und  Lehre  gesorgt 
werden;  die  Ordnung  aber  kommt  durch  die  getroffene 
Einrichtung  von  selber  in  seinen  Lebenslauf:  und  so  ist 
für  die  innere  Bildung  gesorgt.  25 

Die   äußere   wird,   bei   entwickelter   Ehrliebe,   der   Ge- 
danke  unterstützen,    daß    sein    Rock   ihn   bezeichne,    [und    74 
daß   dieses   Kleid  nicht  im   Müßiggange  auf  den   Straßen 
sich  herumtreiben,  oder  wohl  gar  an  gemeinen  Orten    und 
bei  Zusammenläufen  sichtbar  werden,  sondern  daß  es,  als  so 
Mitglied  der  Gesellschaft,  nur  in  Ehrenhäusern  erscheinen 
dürfe.    Was  aber  Ehrenhäuser  sind,  wird  man  ihm  sagen, 
und  auf  alle  Weise  die  Erlaubnis,  in  solchen  Häusern  ihn 
zu  empfehlen,  zu  verdienen  suchen.    (Z.  B.:  Mag  immerhin 
beim   jetzigen    Zustande    der    Dinge    unter   gewissen    Um-  35 
ständen  ein   ehrliebender  JüngUng,   der  in  ein   Duell  ver- 
flochten worden,    Entschuldigung  verdienen,   so   soll   doch 
unser  Zögling  durchaus  keine  finden  darüber,  daß  er  sich 
erst  unter  Pöbel,  von  welcher  Geburt  derselbe  auch  übri- 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiennacher,  Steffens.  4 


50  Fichte. 

gens  sein  möge,  begeben,  wo  dergleichen  möglich  war. 
Dahin  werde  der  point  d'honneur  des  ganzen  Korps  ge- 
richtet.    Feige   übrigens  sollen  sie  nicht  werden.) 

Nach  außen  hin  ist  gegen  die  Hauptquelle  der  Ver- 
5  achtung  im  Leben,  Unordnung  im  Haushalt  und  Schulden- 
machen, unser  Zögling  gesichert.  Daß  bei  Exzessen,  deren 
Urheber  unbekannt  bleiben  sollten,  nicht  auch  unschuldig, 
wie  dies  in  Universitätsstädten  wohl  zu  geschehen  pfleget, 
dies  Korps  als  der  stets  vorauszusetzende  allgemeine  Sünder 

10  aufgestellt  werde,  dagegen  werden  die  Lehrer  sich  durch 
die  Vorstellung  schützen:  Habt  ihr  unsern  Ehrenrock  bei 
dem  Exzesse  gesehen?  Habt  ihr  dies  nun  nicht,  so  ver- 
leumdet nicht  unsere  Zöglinge,  denn  diese  gehen  nie  aus, 
außer   in    diesem   Rocke:    und    sie    (diese    Lehrer)    werden 

15  über-  i  haupt    alles    Ernstes    auf    die    Ehre    ihrer    Zöglinge, 
[75]  und  auf  alle  die  Einrichtungen  halten,  die  ihnen  möglich 
machen,  dies  mit  ihrer  eignen  Ehre  zu  tun. 


§  35. 

Die   Zugewandten   stehen,   da   sie  weder  eigenthche 

20  Mitglieder  unsrer  Anstalt,  noch  eigentliche  angesessene 
Bürger  sind,  unter  der  allgemeinen  Polizei,  und  es  muß 
diese,  ohne  alle  Mitwirkung  von  Seiten  der  Anstalt,  und 
ganz  auf  ihre  eigene  Verantwortung,  die  Einrichtungen, 
wodurch   den    übrigen    Bürgern   die   gehörige    Garantie   in 

25  Hinsicht  dieser  Fremden  geleistet  werde,  treffen.  Nicht 
anders  würde  es  sich  mit  den  Novizen  verhalten;  welche 
jedoch,  da  sie  eine  Einheit  bilden  und  ein  sichtbares  Band 
dieser  Einheit  an  ihrer  ökonomischen  Verwaltimg  haben, 
eine  tüchtigere  Garantie  zu  geben,  auch  dui  ch  diesen  ihren 

30  Repräsentanten  in  Unterhandlung  mit  der  Polizei  zu  treten 
vermögen,  und  so,  in  Absicht  der  Individuen,  einer  hbe- 
ralern  Gesetzgebung  unterworfen  werden  können,  als  die 
erstem.  Nun  aber  steht  die  Lehranstah  mit  diesen  beiden 
Klassen     noch     in    einem    engern    Verhältnisse,    denn    die 

35  übrigen  Bürger,  und  es  ist  der  allgemeinen  Polizei  völlig 
fremd,  dasjenige,  was  aus  diesem  engern  Verhältnisse  her- 
vorgeht, zu  ordnen.  Demnach  fielen  die  dahin  gehörigen 
Anordnungen  dem  Institute,  als  dem  einen  und  vorzüglich- 
sten Teilnehmer  des  abzuschließ.enden  Kontraktes  anheim.  — 


Deduzierter  Plan.  5X 

Diese  Klassen  haben  zu  allen  von  der  Schule  getroffenen 
I  Lehranstalten  den  Zutritt;  da  aber  ferner  die  Schule  weder  [16] 
um  ihre  wissenschaftlichen  Fortschritte,  noch  um  ihre  Auf- 
führung sich  im  mindesten  bekümmert,  so  beschränkt  sich 
ihr  Recht  an  diese  lediglich  auf  den  Punkt,  sich  gegen  5 
die  Verletzungen,  welche  aus  der  Erteilung  dieses 
Zutrittes  entstehen  könnten,  (denn  gegen  andere  Ver- 
letzungen schützt  auch  sie  die  allgem^eine  Polizei),  zu 
s  chützen. 

Dergleichen   Verletzungen    würden   sein:    Störung   der   10 
Ruhe    und    Ordnung    in    den    Lehrübungen,    zu    denen    sie 
den  Zutritt  erhalten;  Verletzung  der  Achtung,  die  das  Ver- 
hältnis des  Lernenden  zum  Lehrer,  oder  der  Zugewandten 
zu   denen,   um   deren   willen  die  Anstalt   eigentlich   da  ist, 
erfordert;  endlich  könnten  bei  dem  bekannten  Eigendünkel  15 
und  der   verkehrten   Reizbarkeit  der  gewöhnlichen  Studie- 
renden,   aus    dem,    Dingen    der    ersten    und    zweiten    Art 
entgegengesetzten    Widerstände    der    Lehrer   andere    gröb- 
lichere  Beleidigungen    und  Angriffe   erfolgen,   welche,  als 
erfolgt  lediglich  aus  dem  verstatteten  Zutritte,  nicht  nach  20 
allgemeinen  polizeilichen  Grundsätzen,  sondern  nach  stren- 
geren,  beurteilt   werden  müßten. 

Es  müßte  dem  zufolge  zwischen  der   Lehranstalt  und 
jedem  Individuum  der  Kontrakt,  durch  den  das  letztere  das 
Recht  des  Zutrittes  erhält    und  sich  auf  die  Bedingungen,  25 
unter   denen   es   dasselbe   erhält,   verpfhchtet,   durch   einen 
ausdrücklichen  Akt  abgemacht  werden.     Dieser  Akt  ist  die 
Inskription;    die    Bedingungen    aber    sind    die    Gesetz- 
gebung für  den  Zugewandten,  |  welche,  da  das  übrige  Ver-  [77] 
hältnis  desselben  zu  andern  Bürgern  eine  Sache  der  Polizei  80 
ist,    durchaus     nur    sein    Verhältnis    zur    Lehranstalt,     als 
solcher,    zu   bestimmen   hat.     Die    Novizen   können,   aus 
dem   schon    der    Polizei    gegenüber   angegebenen    Grunde, 
auch  in  dieser  Beziehung  unter  eine  mildere  Gesetzgebung 
ucsetzt  werden.  35 

Der  Akt  der  Inskription  und  Verpflichtung  auf  die 
Gesetze  ist  ein  juridischer,  und  wird  drum  am  schicklichsten, 
so  wie  die  unten  zu  bezeichnenden  Justizgeschäfte,  einem 
besonders  zu  ernennenden  Justitiarius  der  Lehranstalt 
anheimfallen.  40 

Da    die    Anstalt    in    gar    kein    anderes    \'crhältnis    mit 

4* 


52  Fichte. 

den  Zugewandten  eingeht,  als  auf  die  Erlaubnis  des  Zu- 
trittes, so  bleibt  ihr  auch  kein  anderes  Zwangsmittel  übrig, 
als  die  Zurücknahme  dieser  Erlaubnis.  Dieses  kann  ge- 
schehen im  besondern  oder  im  allgemeinen.  In  Ab- 
5  sieht  des  erstem  muß  es  jedem  einzelnen  Lehrer  auf  seine 
eigene  Verantwortung  vor  seinem  Gewissen  frei  stehen,  einem 
Zugewandten,  dessen  Unruhe  und  Zerstreutheit  ihn  oder 
sein  Auditorium  stört,  oder  der  ilm.  oder  seine  mit  ihm 
enger   verbundenen    Schüler   beleidigt   hat,   den   Zutritt   zu 

10  seinen  Lehrübungen  für  eine  gewisse  Zeit,  oder  auch  auf 
immer,  zu  untersagen;  und  das  ganze  lehrende  Korps  muß 
ihn  hiebei,  durch  die  Verwarnung  vor  größerem  Übel,  auf 
seine  bloße  Anzeige  unterstützen.  Das  zweite  erklärt  sich 
selbst;  imd  sind  die  Fälle,  —  unter  die  der,  daß  jemand  der 
[78^  Verweisung  eines  ein- 1  zelnen  Lehrers  aus  seinem  Audi- 
torium nicht  Folge  geleistet  hätte,  mit  gehört,  —  durch 
das  Gesetz  festzustellen.  Sollte,  bei  Verborgenheit  der  Ur- 
heber beleidigender  Attentate,  etwas  erst  ausgemittelt  werden 
müssen,   so   fällt  diese   Untersuchung  dem  Justitiarius  der 

20  Universität  anheim,  vor  dessen  Gericht  sich  der  Inskribierte, 
bei  Strafe  der  Relegation  in  contumaciam,  zu  steilen  hat. 
Bisherige  Universitäten,  z.  B.  die  Nutritoren  der  Jenaischen 
Universität  und  derselben  Senat,  haben  angenommen,  daß 
es  in  solchen  Fällen  für  die  Verurteilung  keinesweges  des 

25  strengen  juridischen  Beweises  bedürfe,  sondern  daß  ein 
dringender  Verdacht  dazu  hinreiche ;  indem  ja  nicht  irgend 
eine  Strafe  zugefügt,  sondern  nur  eine  frei  erteilte  Er- 
laubnis wiederum  zurückgenommen  werde,  weil  deren  Fort- 
dauer gefährlich  scheine;  und  der  Verfasser  dieses  ist  der 

30  Meinung,  daß  diese  recht  haben,  und  daß  auch  wir  den- 
selben Grundsatz  aufzunehmen  hätten.  Der  Justitiarius  ist 
in  dieser  Qualität,  als  Verwalter  des  Rechtes  des  Instituts, 
sich  selbst  zu  schützen,  demselben  verantwortlich. 

Mit  der  Zurücknehmung  der   Inskription  ist,  teils  um 

35  die  Mitglieder  der  Universität  gegen  den  fernem  Überlauf 
und  die  Rache  der  Entlaßnen  zu  sichern,  teils,  weil  ein 
solcher  gar  keinen  Gnmd  mehr  aufweisen  kann,  seinen 
Aufenthalt  an  diesem  Orte  fortzusetzen,  die  Verweisung 
aus    der    Universitätsstadt    und    ihrer    nächsten    Nachbar- 

40  Schaft,    oder    die    Relegation    natürlich    verknüpft.      Die 
[79]  Pflicht,  über  diese  zu  |  halten,  fällt  der  Polizei,  die  in  dieser 


Deduzierter  Plan.  53 

Rücksicht  gar  nicht  Richter  oder  Revisor  des  Urteils, 
sondern  lediglich  Exekutor  des  schon  gesprochenen  Ur- 
teils ist,  anheim;  und  müßte  gegen  diese,  falls  sie  ihre 
Pflicht  lässig  betriebe,  die  Universität  als  Kläger  auftreten. 

(Sollte   in    dieser   Ansicht    einige   Richtigkeit   sein,    so     5 
würde   daraus   auch   erhellen,    wie   die  bisherige   Justizver- 
waltung auf  Universitäten,  bald  in  der  Voraussetzung,  daß 
die  Universität  nicht  mehr  dürfe,  als  eine  Erlaubnis  zurück- 
nehmen,  die  sie  selbst  gegeben,  bald,  indem  sie  zugleich 
das    ihr   fremde    Geschäft    der    Polizei   und    der    Ziviljustiz  10 
ausüben   sollte,   endlich,   indem  ihr  auch  ein  Gefühl  ihrer 
Vater-  und  Erzieherpflichten  entstand,  geschwankt,  und  bald 
zu   viel,    bald   zu   wenig   getan   habe.     Hier   ist,   durch   die 
Trennung  zwei  sehr  verschiedener  Klassen  von  Studieren- 
den der  Widerspruch  gelöst;  und  durch  die  anheimgegebene  15 
Freiheit,    zu    welcher    Klasse    jemand    gehören    wolle,    das 
persönliche  Recht  behauptet.) 

§  36. 

In  Absicht   der  Verknüpfung  der  Relegation  mit  der 
Zurücknahme   der   Inskription,   die   bei   Fremden  ganz  un-  20 
bedenklich  ist,  dürfte  in  dem  Falle,  da  die  zu  Relegierenden 
ihren  elterlichen  Wohnplatz  in  der  Universitätsstadt  hätten, 
billig  das   Bedenken  eintreten,  ob  die  Universität,  so  wie 
sie  ohne  Zweifel  das  Recht  hat,  diese  aus  ihren  Hörsälen 
zu  verweisen,  auch  das  Recht  habe,  sie  aus  ihrem  väterlichen  25 
Hause  zu  ver- [  treiben.    Da  inzwischen,  falls  man  ihr  dieses    80] 
Recht  absprechen  müßte,   sie  gegen  diese  durchaus  nicht 
weniger  gefährlichen  Jünglinge  ohne  eine  besondere  Ein- 
richtung nicht  gesichert  werden  könnte,  so  wäre  als  eine 
solche  besondere  Einrichtung  vorzuschlagen:  1)  daß  Söhne  30 
aus    der    Universitätsstadt,    falls    sie   nicht   etwa   schon   als 
Mitglieder   einer   niedern   Schule   das   gute   Zeugnis   dieser 
ihrer    Lehrer    für    sich    hätten,    sich    einige    Zeit    vor    der 
Inskription    zu    derselben   anmelden   müßten,    und   von    da 
an    beobachtet    würden,    und   daß    man    ihnen,    falls    diese  35 
Beobachtung    Bedenklichkeit    gegen   sie    einflößte,    die    In- 
skription   verweigern    könne;     2)    daß     ihre    Eltern    eine 
namhafte  Summe  als  Kaution  für  sie  stellten,  deren  erste 
Hälfte    im    Falle    der    Zurücknahme    der    Inskription,    statt 


54  Fichte. 

der  Relegationsstrafe,  mit  der  sie  dermalen  verschont  blie- 
ben, verfiele;  daß  aber,  falls  sie  hinfüro  von  neuem  sich 
einiger  Exzesse  gegen  die  Lehranstalt  schuldig  machten, 
auch  die  andere  Hälfte  verfiele,  und  sie  dennoch  relegiert 
5  würden.  Sollten  Eltern  diese  Kaution  stellen  nicht  können 
oder  wollen,  so  müssen  sie  sich  es  eben  gefallen  lassen, 
daß  auch  ihre  Söhne  im  Falle  der  Verschuldung  relegiert 
werden;  so  wie  bisher  zuweilen  sogar  Professoren  sich 
haben  gefallen  lassen  müssen,  daß  ihren  unfertigen  Söhnen 

10  dieses  begegnet;  indem  es  gänzlich  in  dem  freien  Ver- 
mögen aller  Studenten  in  der  Welt  beruhet,  diejenigen 
Handlungen,  welche  Relegation  nach  sich  ziehen,  und  deren 
Katalog  bei  uns,  die  wir  der  Polizei  und  dem  Zivilgerichte 
[81]  überlassen   |  würden,  was  ihres  Amtes   ist,  gar  nicht  groß 

15  sein  würde,  zu  unterlassen. 


§  37. 

Die  Regularen  werden  vom  Staate  und  seinem  Organe, 
der  allgemeinen  Polizei,  (denn  mit  der  Ziviljustiz  könnte 
wohl  die  Ökonomieverwaltung  derselben,  keinesweges  aber 

20  ein  Einzelner  von  ihnen  zu  tun  bekommen),  betrachtet 
als  ein  Familienganzes,  das  als  solches  für  seine  Mitglieder 
einsteht.  Wäre  von  den  letztern  gesündigt,  so  ist  frei- 
lich das  Ganze  zur  Verantwortung  und  Strafe  zu  ziehen; 
dagegen    bleibt    die    Bestrafung    des    einzelnen    Mitgliedes 

25  der  Familie  selbst  überlassen  und  wird  im  Schöße  derselben 
vollzogen,  und  ist  väterlich  und  brüderlich,  und  soll  dienen 
als  Erziehungs-,  keinesweges  aber  als  schreckendes  Mittel. 
Nur  wenn  ein  Individuum  vom  Körper  abgesondert  und 
ausgestoßen  werden  müßte,  könnte  es  wieder  als  Einzelner 

30  dastehen  und  dem  Forum,  für  welches  es  sodann  gehörte, 
anheimfallen. 

Es  erhellt,  daß  ohne  vorhergegangene  Degradation 
und  Ausstoßung  keine  der  bisher  aufgestellten  gesetzlichen 
Verfügungen   auf   die   Regularen  passen,   und  daß   für  sie 

35  weder  Justitiarius,  oder  Relegation,  oder  des  etwas  statt- 
finde. Durch  die  bloße  Ausstoßimg  könnten  sie  doch  nicht 
weniger  werden,  als  das,  was  sie  ohne  Einverleibung  in 
das  Korps  der  Regularen  gewesen  sein  würden.  Zuge- 
wandte, und  erst  als  solche  müßten  sie  von  neuem  sich 


Deduzierter  Plan.  55 

vergehen,  um  der  Polizei,  |  oder  dem  Justitiarius,  welchem  [82] 
sie  ja  von  nun  an  erst  anheimfallen,  verantwortlich  zu 
werden.  Daß  die  Fälle,  in  denen  ein  Familienganzes  seine 
Mitglieder  nicht  vertreten  kann,  z.  B.  Krirninalfälle,  aus- 
genommen sind,  daß  aber  auch  sodann  die  Degradation  5 
der  Auslieferung  an  den  Richter  vorhergehen  müsse,  ist 
unmittelbar  klar. 

Die  Regularen  hätten  sonach  zuvörderst  für  sich  eine 
Regel  zu   finden,   nach   der  die   Möglichkeit  solcher   Fälle 
so  gut    als  aufgehoben    und  überhaupt  alle  Vorkehrungen  10 
so    getroffen    würden,    daß    die    Polizei    keine    Gelegenheit 
fände,  von  ihnen  Notiz  zu  nehmen :  sodann  ein  Ephorat  und 
Gericht  zu  errichten,  das  über  die  Ausübung  dieser  Regel 
hielte.    Ohne  dies  würde  in  dem  Hause,  in  welchem  sie  bei- 
sammen   wohnten,    ein    alter    ehrwürdiger    Gelehrter,     der  15 
selbst  einst  mit  Ruhm  und  Verdienst  Lehrer  am   Institut 
gewesen   wäre,    als   der   immittelbarste   Hausvater   der   Fa- 
milie, mit  ihnen  wohnen  imd  leben.     (Sollte  späterhin  die 
Gesellschaft  also   anwachsen,   daß   sie  in  mehrere   Häuser 
verteilt  werden  müßte,   so   müßte  diese  nicht   etwa  durch  20 
die    Benennung   verschiedener    Kollegia    getrennt,    sondern 
das    Einheitsband    müßte    durch    die    Gemeinschaftlichkeit 
eines  Hausvaters    und  durch  andere  Mittel  auch  äußerlich 
sichtbar    bleiben.)      Dieser    wäre    der   natürliche    Präsident 
dieses    Familiengerichts.      Ferner   sind   natürliche    Beisitzer  25 
desselben  alle  ordentlichen   Lehrer  an  der  Anstalt,   indem 
ja  deren  eigne  Ehre  von  der  Ehre  ihres  Zöglings  abhängt; 
und  könnten  dieselben,  zur  Sparung  ihrer  |  Zeit,  abwech-  [83] 
selnd    in    demselben    sitzen.      Endlich    wären,    damit    ein 
wahrhaftes  Familien-  und  Brudergericht  entstände,  aus  den  30 
Regularen    selbst,    nach    einer   leicht    zu   findenden    Regel. 
Beisitzer  zu  ernennen.    Deren  richterliche  Verwaltung  trüge 
nun  den  oben  angegebenen   Grundcharaktcr ;  die  Verhand- 
lungen  aber  und   Richtersprüche  derselben  blieben  durch- 
aus im   Schöße  dieses   Korps;  hierüber  andern  etwas  mit-  35 
zuteilen,    würde   betrachtet    als    eine    Ehrlosigkeit,    die    un- 
mittelbar  die   Ausstoßung  nach   sich  ziehen  müßte. 

Eine   ähnliche   Einrichtung  können   die   Novizen,  falls 
sie    eine    Verwaltung    finden,    deren    Garantie    die    Polizei 
annehmen  will,   treffen.     Nur  haben  sie  keinen  Anspruch  40 
auf  den  Beisitz  der  ordentlichen  Lehrer  in  ihrem  Familien- 


56  Fichte. 

gerichte;  es  kann  ihnen  aber  erlaubt  werden,  außerordent- 
liche Professoren,  von  denen  zu  seiner  Zeit,  oder  auch  andere 
brave  Gelehrte,  zu  diesem  Beisitze  einzuladen.  Überhaupt, 
so  ähnlich  auch  das  Noviziat  jetzt  oder  künftig  dem  Kolle- 
5  gium  der  Regularen  werden  möchte,  so  bleibt  doch  immer 
der  Hauptunterschied,  daß  das  letztere  unter  öffentlicher 
Autorität  und  Garantie  steht,  das  erste  aber  ein  mit  Privat- 
freiheit zustande  gebrachtes  Institut  ist,  dessen  Mitglieder 
von  Rechts  wegen  keinen  größeren  Anspruch  haben,  denn 
10  die  Zugewandten,  und  die  die  Begünstigungen,  welche 
Pohzei  und  Universität  ihnen  etwa  geben,  nur  anzusehen 
haben  als  ein  freies  Geschenk,  das  ihnen  auch  wieder 
entzogen  werden  kann. 

[84]  t  §  38. 

15  Durch  das  Bisherige  ist  nun  auch  die  Entstehung  des 

lernenden  Subjekts  in  seinen  verschiedenen  Abstufungen, 
und  wie  dasselbe  immerfort  ergänzt  und  erneuert  werden 
solle,  beschrieben.  Wir  können  nunmehro  auch  an  eine 
weitere   Bestimmung  des  schon  oben  im  allgemeinen  auf- 

20  gestellten  lehrenden   Subjekts  gehen. 

Auf  den  bisherigen  Universitäten  war  es  Doktoren 
imd  außerordentlichen  Professoren  erlaubt,  sich  im  Lesen 
zu  versuchen  und  zu  erwarten,  ob  ein  Publikum  sich  um 
sie  herum  versammeln  werde.     Haben  dieselben  schon  auf 

25  einer  andern  Universität  das  Recht,  Vorlesungen  zu  halten, 
gehabt,  so  können  auch  wir  es  ihnen  erlauben.  Im  entgegen- 
gesetzten Falle  mögen  sie  das  anderwärts  Gebräuchliche 
auch  bei  uns  leisten.  Die  eigentlichen  Lehrer  für  die 
Regularen  und  die,  so  es  zu  werden  streben,  sind  freilich 

30  die  enzyklopädischen  Lehrer,  die  ja  auch  die  entscheidenden 
Aufgaben  geben,  so  wie  die  von  diesen  etwa  eingesetzten 
Lehrer  des  Teils  eines  Faches,  welche,  obwohl  Unterlehrer, 
dennoch  ordentliche  Lehrer  sind.  Für  diese,  die  wir 
immer  insgesamt  außerordentliche  Professoren  nennen 

35  könnten,  blieben  demnach  die  Zugewandten  übrig,  an  denen 
sie  sich  versuchen  könnten.  Dennoch  sollen  auch  nicht 
nur  Regularen,  und  zwar  die  geübtesten  und  befestigtsten, 
von  dem  enzyklopädischen  Lehrer  des  Faches  zur  Be- 
suchung ihrer  Vorlesungen  ernannt  werden,  sondern  auch 
roK-i  dieser  Lehrer  selbst    und  andere  Lehrer  befugt  |  sein,  den- 


Deduzierter  Plan.  57 

selben  insoweit  beizuwohnen,  bis  sie  einen  bestimmten  Be- 
griff von  den  Kenntnissen  und  dem  Lehrertalent  des 
Mannes  sich  erworben. 

Die  erste  Erlaubnis  zu  lesen  geht  nur  auf  ein  Lehr- 
jahr. Nach  Verfluß  desselben  muß  abermals  um  dieselbe  5 
eingekommen  werden,  und  es  kann  diese  nach  Befinden 
ist,  so  müßte  bei  einem  die  Erlaubnis  zu  lesen  oder  die 
der  zweckmäßig  befimdene  Lehrer  kann  als  ordentlicher 
Unterlehrer  oder  auch  als  Enzyklopädist,  wenn  der  vor- 
herige abgehen  will,  ernannt  werden.  10 

Die  Entscheidung  über  beide  Gegenstände  hängt,  wie 
bei  Beurteilung  der  Aufsätze,  ab  von  der  Klasse  des  Faches, 
so    wie    von    der    philosophischen    Klasse,    wo    die    erstere 
über    die    Gründlichkeit    der    empirischen    Erkenntnis,    die 
zweite  über   die  philosophische   Freiheit  und  Klarheit  ent-  15 
scheide.    Auch  hier  müssen  für  ein  beiahendes  Urteil  beide 
Stimmen  sich  vereinigen,  indem  jede  Klasse  erst  unter  sich 
imd  für   sich   einig  sein  muß,   und  ihre   Stimme   hier  nur 
für   eine   gezählt  wird.     Da  jedoch,   so   wie   das  Alter  be- 
schuldigt   wird,    jeder    Neuerung    zuweilen    sich    feindselig  20 
zu  zeigen,    eben  so   die  kräftigere  Jugend  von   Eifersucht 
gegen  fremdes  Verdienst  nicht  immer  ganz  freizusprechen 
ist,   so  müßte  bei   einem  die  Erlaubnis  zu  lesen  oder  die 
Anstellung  eines  Lehrers  betreffenden  Falle   fürs  erste  jede 
besondere   Klasse   (die  hier   requirierte   empirische,   so  wie  25 
die  philosophische)  zuvörderst  in  sich  selber  in  zwei  Teile 
geteilt   werden,   den  Rat   der  Alten  und   den   der  aus- 
übenden   Lehrer,    und    nur    wenn   diese   beiden    |  Teile  '86. 
nein  sagten,  hätte  die  Klasse  Nein  gesagt,   dagegen  auch 
das  einseitige  Ja  des  einen  Rates  zum  Ja  der  Klasse  würde.  30 
Dadurch  würde  hervorgebracht,  daß  weder  die  Neuerungs- 
furcht  des   einen,   noch   die   Eifersucht  des   andern   Teiles 
den   Fortschritt  zum  Bessern  hindern  könnte,   und   diesen 
beiden   Dingen  an   einander  selber   ein  wirksames   Gegen- 
gewicht  gegeben;   wo   aber   beide   Teile   Nein   sagten,    da  35 
würde  wohl  ohne  Zweifel  das  Nein  die  richtige  Antwort  sein. 

(Übrigens  wird  eine  solche  Einteilung  imsers  gelehrten 
Korps  in  einem  Senat  der  Alten  und  der  Lehrer  zu  seiner 
Zeit   aus    dem   Wesen   des    Ganzen,   ganz   ohne    Rücksicht 
auf   das   soeben   erwähnte   besondere   Bedürfnis,   sich   sehr  40 
natürlich  ergeben.) 


58  Fichte. 


§  39. 


Eine  Auswahl  der  Regularen  in  jedem  Fache  wird 
beim  Fortgange  der  Anstalt,  als  ein  Professorseminarium, 
ohnedies  unter  der  Aufsicht  der  ordentlichen  Lehrer  zu 
5  den  Geschäften  des  Lehrers  angehalten  werden.  Diesen 
könnte,  wenn  sie  aus  der  Klasse  der  Studierenden  heraus- 
getreten tmd  zu  Meistern  ernannt  worden,  das  Recht  zu 
lesen  auf  dieselbe  Weise  erteilt  werden,  so  wie  aus  ihnen 
die  Lehrstellen  nach  derselben  Regel  sehr  leicht  besetzt 
10  werden.  Doch  würden  uns  immerfort  auf  jeder  Stufe 
unserer  Vollendung,  zu  uns  kommende  fremde  Lehrer, 
auf  die  §  praeced.  erwähnte  Weise,  willkommen  sein,  und 
wir  dadurch  gegen  jede  Einseitigkeit  des  Tones  uns  zu 
verwahren  suchen. 

[87]  I  §  ^°- 

Die  Verwaltung  des  Lehramtes,  besonders  nach  unsern. 
Grundsätzen,  erfordert  jugendliche  Kraft  und  Gewandtheit. 
Nun  ist  wenigen  die  Fortdauer  dieser  jugendlichen  Frisch- 
heit bis  in  ein  höheres  Alter  hinein  zugesichert;  auch  fällt 

20  die  Neigung  der  meisten  originellen  Bearbeiter  der  Wissen- 
schaft in  reifern  Jahren  dahin,  ihre  Bildung  in  einer  festen 
und  vollendeten  Gestalt  niederzulegen  in  das  Archiv  des 
allgemeinen  Buchwesens,  und  es  ist  sehr  zu  wünschen,  daß 
dies    geschehe,    und    ihnen    die    Zeit    und    Ruhe    dazu    zu 

25  gönnen.  Wir  müssen  drum  nicht  anders  rechnen,  als  daß 
wir  die  Lehrer  an  unserer  Anstalt  nur  auf  eine  bestimmte 
Zeit  beibehalten  wollen.  Alle  diejenigen,  mit  denen  das 
Institut  zuerst  beginnt,  werden  sich  bald  nach  der  ehren- 
voll   verdienten    Ruhe    sehnen    und    gern    den    Zeitpunkt 

80  ergreifen,  da  unter  ihnen  ein  jüngeres  Talent  sich  gebildet 
hat,  das  ihren  Platz  würdig  besetze.  Alle  während  des 
Fortganges  des  Instituts  neu  angestellten  Lehrer  sind  nur 
auf  einen  bestimmten  Zeitraum  (etwa  für  die  Periode, 
innerhalb    welcher    das    studierende    Publikum   sich   zu    er- 

35  neuern  pflegt)  anzunehmen,  nach  dessen  Ablaufe  beide 
Teile,  die  Universität  und  der  Lehrer,  auf  die  §  38  be- 
schriebene Weise,  den  Kontrakt  erneuern,  oder  auch  auf- 
heben können. 


Deduzierter  Plan.  59 


§   41. 


Um    im    ökonomischen    Teile    solcher    Verhandlungen 
dem  bisher  oft  stattgefundenen  anstößigen  Markten  |  zwi-  [88] 
sehen  Regierungen  und  Gelehrten,  indem  die  ersteren  zu- 
weilen von  der  Verlegenheit  eines  wackern  Mannes  Vorteil     5 
zu  ziehen  suchten,  um  seine  Kraft  und  sein  Talent  wohl- 
feilen   Kaufes    an    sich    zu    bringen,    die    letztern    zuweilen 
auch   mit    dem    Gehörigen    sich   nicht   begnügen   mochten 
und  ihre   übertriebenen   Forderungen  durch  teils  mit   List 
an  sich  gebrachte  auswärtige  Vokationen  unterstützten,  in  10 
der  Zukunft  und  für  unser  Lehrinstitut  vorzubauen,  mache 
ich  folgenden  Vorschlag. 

Entweder  sind  diese  Lehrer  Einländer  und  auf  unserm 
Institute,  wohl  gar  als  Reguläre,  wie  zu  erwarten,  gebildet; 
so   hat   das   Vaterland  ohnedies   den   ersten   Anspruch   auf  15 
ihre   Kräfte,   so   wie   sie  Anspruch  auf   die   Fürsorge  des- 
selben,   in   jedem    Falle    und   ihr   ganzes    Leben   hindurch, 
haben;   oder   sie   sind   Fremde,   welche  bei   uns  auch  ihre 
Bildung   nicht    erhalten   haben.      Im   letzten    Falle   fordere 
man    von    ihnen,    daß    sie,    beim    Eingehen    irgend     eines  20 
Verhältnisses     mit    uns,    oder    bei    der    Erneuerung     eines 
solchen,  sich  erklären,  ob  sie  ihr  Fremdenrecht  beibehalten, 
oder  ob  sie  das  völlige  Bürgerrecht  haben  (sich  nostrifi- 
zieren lassen)  wollen.     Im   ersten   Falle  müssen   wir  uns 
freilich    gefallen   lassen,    daß,    falls    sie    uns    unentbehrlich  25 
sind,  sie  sich  ims  so  teuer  verkaufen,  als  sie  irgend  können ; 
jedoch  wird  diese  Verbindung  immer  nur  auf  einen  Zeit- 
raum   eingegangen;    und    können    wir    etwa    nach    dessen 
Abfluß   sie   entbehren,   so   sollen   sie  wissen,   daß   wir  uns 
sodann    um    sie   durchaus    nicht   weiter   kümmern   werden,  30 
und  sie  gehen  können,  wohin  es  ilmen  gefällt.    Im  zweiten 
I    Falle    erhält    der    Staat   an    sie,    und    sie    an    den    Staat  [89] 
alle   Ansprüche,    die   zwischen   ihm    und   den   bei   uns   ge- 
bildeten   Eingebornen     stattfinden.       Um    nun    in    diesem 
letztem  Verhältnisse   zugleich  die  persönliche   Freiheit  des  35 
Individuum  sicherzustellen,  zugleich  eine  rechtliche  Gleich- 
heit  des    Individuum   mit   dem    Staate,   der  bisher   seinem 
Diener  lebenslänglichen  L^nterhalt  zusichern,  von  ihm  aber 
zu  jeder  Stunde  sich  den  Dienst  aufkündigen  lassen  mußte, 
hervorzubringen,  und  besonders,  um  dem  Gelehrtenstande  40 


60  Fichte. 

zu  größerer  Moralität  und  Ehrliebe  in  Dingen  dieser  Art 
zu  verhelfen,  setze  man  den  Anspruch  auf  lebenslange 
Versorgung,  verhältnismäßig  nach  dem  Fache,  als  gleich 
einem  gewissen  bestimmten  Kapital,  das  der  des 
5  vollkommnen  Bürgerrechts  Teilhaftige  dem  Staate  zurück- 
zahle, wenn  er  dessen  bisherige  Dienste  verlassen  will.  Ist 
er  nun  dem  auswärtigen  Berufer  dieser  Summe  wert,  so 
mag  derselbe  sie  bezahlen,  und  er  ist  frei;  aber  es  ist 
zu  hoffen,  daß  dieser  Fall  nicht  sehr  häufig  eintreten  und 
10  auf  diese  Weise  wir  mit  der  Beseitigung  so  mannigfacher 
Vokationen  verschont  bleiben  werden. 

§  42. 

Es  ist,  in  der  Voraussetzung  dieser  Einrichtung,  bei 
der  Frage,  wie  abgetretene  Professoren  zu  versorgen  seien, 

15  nur  von  solchen  die  Rede,  denen  das  vollkommicne  Bürger- 
recht angeboren,  oder  von  ihnen  angenommen  ist;  indem 
[90]  diejenigen,  welche   dasselbe  abge-[  lehnt,   nach  ihrem  Aus-' 
tritte  nicht   nur   nicht   versorgt  werden,   sondern   es   sogar 
eine  feste   Maxime  unserer  Politik  sein  soll,   dieselben  so- 

20  bald  wie  möglich  entbehrlich  zu  machen. 

Die  bei  uns  erzogenen  und  beim  Austritte  aus  den 
Studierenden  des  Meistertums  würdig  befundenen  Regu- 
lären haben  ohnedies  den  ersten  Anspruch  auf  die  ersten 
Ämter   des    Staates,   und  man  könnte  auch  immerhin   den 

25  Lehrern,  die  das  Institut  beginnen  werden,  denselben  An- 
spruch erteilen,  den  man  ihren  spätem  Zöglingen  nicht 
wird  versagen  können.  Dieser  Anspruch  und  die  Fähig- 
keit, dergleichen  Ämter  zu  bekleiden,  werden  dadurch  ohne 
Zweifel    nicht    vermindert,     daß    der    Mann    durch     einige 

30  Jahre  Lehreramt  es  zu  noch  größerer  Gewandtheit  in  dem- 
jenigen wissenschaftlichen  Fache,  dessen  Anwendung  im 
Leben  das  erledigte  Staatsamt  fordert,  und  nebenbei  zu 
größerer  Reife  des  Alters  und  der  Erfahrung  gebracht 
hat;  es  wäre  vielmehr  zu  wünschen,  daß  alle  diesen  Weg 

35  gingen,  und  das  Leben  der  ersten  Bürger  in  der  Regel 
in  die  drei  Epochen  des  lernenden,  des  lehrenden  und 
des  ausübenden  wissenschaftlichen  Künstlers  zerfiele.  Weit 
entfernt  daher,  um  die  Anstellung  ausgetretener  Lehrer 
verlegen  zu  sein,  müßten  wir,  .wenn  wir  auch  sonst  keines 


Deduzierter  Plan.  61 

Korps  der  Lehrer  bedürften,  ein  solches  schon  als  Pflanz- 
schule und  Repertorium  höherer  Geschäftsmänner  errichten, 
und  bei  eintretendem  Bedürfnisse  aus  diesem  Behälter  zu- 
weilen sogar  den,  der  lieber  darin  bliebe,   herausheben. 
I        Dieses    Bedürfnis    austretender    Lehrer    für    den    Staat  rqi-i 
und  den  höhern  Geschäftskreis  desselben  noch  abgerechnet, 
bedarf  auch  für  sich  selbst  das  literarische  Institut  solcher 
Männer.  —  Es  gibt  sehr  weit  von  der  Wurzel  des  wissen- 
schaftlichen Systems  abliegende,  in  ein  sehr  genaues  Detail 
eines    Faches    gehende    Kenntnisse,    welche    in    die    allge-  10 
meine  Enzyklopädie  und  den  gewöhnlichen  Kreis  des  Unter- 
richts  an    der   wissenschaftlichen    Schule   nicht   eingreifen, 
und  ohne  deren  Kenntnis  jemand  ein  sehr  trefflicher  Lehrer 
sein  kann.    Doch  kann  das  Bedürfnis  auch  dieser  Kenntnis 
für    Lehrer    und    Lernende    eintreten;    es   muß    daher    das  15 
Mittel   vorhanden    sein,    sie   irgendwo    zu   schöpfen.     Dies 
seien    fürs     erste    die    ausgetretenen     Lehrer.      Vielleicht 
arbeiten     sie     ohnedies    an     einem    Werke,     in    welchem 
sie  ihre  individuelle  Bildung  in  das  allgemeine  Archiv  des 
Buches   niederlegen    wollen,    zu    dem   ihnen   die   Muße    zu  20 
gönnen  ist.     Nebenbei  mögen  auch  Lehrer  und  Lernende 
sich  bei  ihnen  Rats  erholen  über  das,  worin  sie  vorzüglich 
stark  sind;  oder  auch  vorkommenden  Falles  beide  sie  um 
einige   Vorlesungen   ersuchen,   in   Gottes   Namen  über   ein 
orientalisches  Wurzelwort,  oder  die   Naturgeschichte  eines  25 
einzelnen    Mooses.      Sie   sind   mit    einem    Worte    Rat   und 
Hilfe   der  Jüngern  bei   eintretenden   Notfällen  im  Wissen 
sowohl  als  der  Kunst. 

Indem     sie     nun     doch    nicht    mehr    eigentliche     und 
ordentliche  Lehrer  an  der  Universität,  und  ihre  noch  fort-  30 
dauernden  Leistungen  nur  frei  begehrte  und  frei  gewährte 
Gaben    sind,    sind    sie    eine    Akademie    der    Wis-isen-  [92] 
Schaft,    im    modernen    (eigentlich    französischen)    Sinne 
dieses  Wortes;  und  für  die  Universitätsangelegenheiten  der 
oben  erwähnte   Rat  der  Alten.     Mit  ihnen  tritt  bei  der-  35 
gleichen  Beratschlagungen  das  Korps  der  wirklichen  Lehrer, 
als  Rat  der  ausübenden  Lehrer,  zusammen;  daher  sind 
auch  die  letztem  natürliche  Mitglieder  der  Akademie;  und 
die  gesamte  Akademie  ist,  in  Beziehung  auf  die  Universität, 
der  Senat  derselben,  nach  den  erwähnten  beiden  Haupt-  40 
teilen  in  allen  festzusetzenden  besondem  Klassen. 


62  Fichte. 

Freie  Mitglieder  der  Akademie  bleiben  auch  die  zu 
andern  Staatsämtern  beförderten  ausgetretenen  Lehrer,  und 
sie  sind  befugt  und,  inwiefern  es  ihre  anderen  Geschäfte 
erlauben,  ersucht,  an  den  Beratschlagungen  derselben,  als 
5  Mitglieder  des  Rates  der  Alten,  teilzimehmen ;  (und  sie 
werden  gebeten  werden,  welche  Dekorationen  auch  sonst 
ihnen  zuteil  geworden  sein  dürften,  dennoch  zuweilen  auch 
unsre  Uniform,  welche  überhaupt  jeder  Akademiker  trägt, 
mit  ihren  Personen  zu  beehren.) 

10  In  dieser  Akademie  Schoß   bleibt  ihnen  auch  immer, 

welche  Schicksale  auch  sonst  auf  ihrer  politischen  Lauf- 
bahn sie  betroffen  haben  möchten,  der  ehrenvolle  Rückzug, 
und  ist  ihnen  da  ein  sorgenfreies,  geehrtes  Alter  bereitet, 
indem  der  Charakter  eines  Akademikers  character  indele- 

15  bilis  wird. 


§  43. 

Noch  wäre,  in  derselben  Rücksicht,  um  sichern  Rat  und 

[93]  Hilfe   in   jeder  literarischen    Not   zu  finden,   eine    [  andere 

Art  von  Akademikern,  die  sogar  niemals  ordentliche  Lehrer 

20  gewesen,  anzustellen;  ich  meine  jene  lebendigen  Reper- 
torien  der  Bücherwek,  und  die,  welche  groß  und  einzig 
sind  in  irgend  einer  seltenen  Wisserei,  obwohl  sie  es 
niemals  zu  einer  enzyklopädischen  Einheit  der  Ansicht  ihres 
Faches,    oder    zu    einer    lebendigen    Kunst    in    demselben, 

25  gebracht  haben,  und  darum  als  ordentliche  Lehrer  für 
uns  nicht  taugen.  Wir  wollen  sie  nur  dazu,  daß  unser 
ordentlicher  Lehrer  diese  lebendigen  Bücher  zuweilen  nach- 
schlage; die  Klarheit  und  Kunstmäßigkeit  wird  er  dem 
bei   ihm    geschöpften    Stoffe    für   die    Mitteilung    an    seine 

30  Schüler  schon  selber  geben. 

(So  starb  vor  mehrern  Jahren  zu  Jena  ein  gewisser 
B.,  der  mehrere  hunderte  von  Sprachen  zu  wissen  sich 
rühmte,  imd  von  dem  andere,  auch  nicht  mit  Unrecht, 
sagten,  er  besitze  keine  einzige.   Dessen  ohnerachtet,  glaube 

35  ich,  würde  auch  der  Besitz  eines  solchen  uns  wünschens- 
würdig  sein.  Denn  falls  etwa,  wie  es  denn  in  der  Tat 
dergleichen  Leute  gibt,  jemand  glaubte,  das  gesamte 
menschliche  Sprachvermögen  sei  im  Grunde  eins,  vmd  die 
mancherlei    besondern    Sprachen    seien    nur,     nach    einem 


Deduzierter  Plan.  63 

gewissen  Naturgesetze,  ohne  einige  Einmischung  der  Will- 
kür   fortschreitende    weitere    Bestimmungen    und    Ausbil- 
dungen jener  einen  Wurzel,  und  es  lasse  sich  sowohl  diese 
Wurzel   als  jenes  Naturgesetz  finden;  und  etwa  einer  unsrer 
Akademiker  an  die  Lösimg  dieser  Aufgabe  ginge,  so  würde     5 
diesem  aus  andern  Gründen  nicht  füglich  anzumuten  sein, 
daß  er  alle  Sprachen  der  Welt  wisse;  |  es  möchte  sie  aber  [94] 
neben  ihm  und  für  seinen  Gebrauch  ein  solcher  B.  wissen, 
der     wiederum    immer    unfähig    sein    möchte,    ein    solches 
Problem  zu  denken    und  sein  Wissen  für  die  Lösung  des-  10 
selben  zu  gebrauchen.  —  So  müssen  wir  denn  den  ganzen 
vorhandenen  historischen  Schatz  aller  Wissenschaft  bei  uns 
aufzuspeichern  suchen,  nicht  um  ihn  tot  liegen  zu  lassen, 
sondern  um   ihn   einst   mit  organisierendem   Geiste   zu   be- 
arbeiten.    Ist  dies  geschehen,  dann  wird  es  Zeit  sein,  das  15 
Caput  mortuum  wegzuschaffen ;  bis  dahin  wollen  wir  nichts 
wegwerfen  oder  verschmähen.) 

So    ist,    nachdem    der    Theologie   der   Alleinbesitz    der 
orientalischen  Sprachkunde  und  der  der  Kirchengeschichte 
abgenommen   worden,   kaum  zu  erwarten,   daß  beides,   bis  20 
auf  seinen  letzten  bekannten   Detail,  in  den  gesamten  en- 
zyklopädischen   Unterricht    der    Philologie    oder    der    Ge- 
schichte   an     unserer     Kunstschule     werde    aufgenommen 
werden;    daß    wir   sonach    eines   ordentlichen   Lehrers   der 
orientalischen  Sprachen,  oder  der  Kirchengeschichte  kaum  25 
bedürfen  werden.     Dennoch  müssen  immerfort  Männer  in 
unsrer  Mitte  sein,  bei  welchen  jeder,  der  aus  irgend  einem 
Grunde  das  Bedürfnis  hat,  über  das  Enzyklopädische  hinaus 
bis    zu    dem   äußersten    Detail   dieser   Fächer   fortzugehen, 
sein   durch   das   bloße    Buch   nicht  also   zu   befriedigendes  30 
Bedürfnis  zu  befriedigen  vermag. 

Übrigens  sind  diese  Anführungen  nur  als  Beispiele 
zu  verstehen.  Eine  systematische  Übersicht  der  Summe 
unserer  Bedürfnisse  in  dieser  Rücksicht,  so  wie  |  die  An-  [95] 
gäbe  der  bestimmten  Männer,  die  wir  zu  diesem  Behuf  für  85 
den  Anfang  mit  uns  zu  vereinigen  hätten,  werden  die 
Beratschlagungen  der  oben  erwähnten  einzelnen  Männer 
und  Komitees,  welche  auch  über  diesen  Teil  unseres  Plans 
zu  instruieren  wären,  an  die  Hand  geben. 

Auch  diese  Art  von  Akademikern  besitzt  alle  Rechte  40 
eines  solchen,  und  sitzt  im  Rate  der  Alten. 


64  Fichte. 


§  44. 


Betreffend  den  Übergang  aus  dem  Korps  der  Lehr- 
linge in  das  der  Lehrenden  oder  praktisch  Ausübenden : 
Der  Reguläre  müsse  am  Ende  seines  Studierens  doku- 
5  mentieren,  daß  der  Zweck  desselben  bei  ihm  erreicht 
worden,  sagten  wir  oben.  Da  nun  der  letzte  Zweck  unsrer 
Anstalt  keinesweges  die  Mitteilung  eines  Wissens,  sondern 
die  Entwicklung  einer  Kunst  ist,  der  in  einer  Kunst  Voll- 
endete aber  Meister  heißt,   so  würde  jene  Dokumentation 

10  darin   bestehen,    daß    er   sich   als   Meister   bewähre. 

Das  Meisterstück  würde  am  schicklichsten  in  einer 
zu  liefernden  Probeschrift  bestehen,  nicht  über  ein  Thema 
freier  Wahl,  sondern  über  ein  vom  Lehrer  seines  Faches 
ihm  gegebenes    und  darauf  berechnetes,  daß  daran  sich 

15  zeigen   müsse,    ob    der    Lehrling   die   in    seiner    indi- 
viduellen Natur  liegende  größte  Schwierigkeit,  die 
dem   Lehrer  ja  wohl  bekannt  sein  muß,  durch  die  kunst- 
[96]  mäßige   Bildung   seines   Selbst    |  besiegt  habe.     (Wählt   er 
selbst,   so   wählt  er  das,  wozu  er  am  meisten  Leichtigkeit 

20  und  Lust  hat,  daran  aber  zeigt  sich  nicht  der  Triumph  der 
Kunst;  der  Lehrer  soll  ihm  das  aufgeben,  was  für  seine 
Natur  das  Schwerste  ist ;  denn  das  Schwere  mit  Leichtigkeit 
tun,  ist  Sache  des  Meisters.)  Über  diese  seine  eigene 
Schrift  nun    und  auf  den  Grund  derselben  werde   er,  bis 

25  zur  völligen   Genüge  des   Lehrers,  öffentlich  examiniert. 

Es  sind  zwei  Fälle.  Entweder  wird  in  einem  besondern 
empirischen  Fache  das  Meistertum  begehrt.  In  diesem 
Falle  gibt  der  Lehrer  dieses  Fachs  das  Thema;  die  Prüfung 
aber  und  das  Tentamen  zerfällt  in  zwei  Teile,  von  denen, 

30  wie  auch  bei  den  früheren  Beurteilungen  der  Aufsätze 
der  Studenten,  der  Lehrer  des  Faches  nach  der  Erkenntnis, 
und  beim  Kandidaten  des  Meistertums  insbesondre  dar- 
nach forscht,  ob  er  sie  in  der  Vollständigkeit  und  bis  zu 
demjenigen    Detail,    bis    zu    welchem    der    mündliche    und 

35  Bücherimterricht  an  der  Kunstschule  fortgeht,  gefaßt  habe; 
die  philosophische  Klasse  aber  über  die  lebendige  Klarheit 
dieser  Erkenntnis  ihn  nach  allen  Seiten  hinwendet  und 
versucht. 

Oder  der  Kandidat  begehrte  bloß  in  der  Philosophie 

40  das  Meistertum;  so  würde  er  in  Absicht  des  Thema  sowohl, 


Deduzierter  Plan.  65 

als  der  Prüfung,  auf  den  ersten  Anblick  lediglich  der  philo- 
sophischen Klasse  anheimfallen,   und   die   Empirie  an   ihn 
keine   Ansprüche    haben.     Da   inzwischen   die   Philosophie 
gar  keinen   eigentlichen   Stoff  hat,   sondern  nur  das  allen     , 
Stoff  der  Wissenschaft  und  des  |  Lebens  in  Klarheit  und  rq-i 
Besonnenheit  auflösende  Mittel  ist;  und  derjenige,  der  sich 
für  einen  großen  Philosophen  ausgäbe,  dabei  aber  bekennte, 
daß    er    weder    etwas   anderes   gelernt,    vermittelst    dessen, 
als  eines  Mittelgliedes,  er  seinen  philosophischen  Geist  ins 
Leben  einzuführen  vermöchte,  noch  auch  seine  Philosophie  10 
unmittelbar  von  sich  zu  geben    und  sie  andern  mitzuteilen 
verstände,  ohne   Zweifel   der   Gesellschaft  völlig  unbrauch- 
bar  und  keinesweges  ein  Künstler,  sondern  ein  totes  Stück 
Gut  sein  würde;  so  muß  der,  der  sich  auf  die  Philosophie 
beschränkt,  wenigstens  sein  Vermögen,  sie  mitzuteilen  und  15 
einen  kunstmäßigen  Lehrer  in  derselben  abzugeben,  doku- 
mentieren.    Und  so  kann  keiner  als  Meister  in  der  Philo- 
sophie  anerkannt    werden,    der    sich    nicht    auch    zugleich 
als  Doktor  derselben  bewährt  hat. 

Nun   ist    es   femer   gar   nicht   hinlänglich,    daß    er   in  20 
dieser  Fertigkeit  des  Vortrages    seiner  Klasse  genüge;  er 
soll   auch   Nichtphilosophen,   dergleichen  ja,   wenn   er   das 
Lehramt   einst    im   Ernste   verwaltet,   alle   seine    Lehrlinge 
anfangs    sein   werden,    verständlich   werden   können;    und 
so  fällt  denn  in  dieser  Rücksicht  das  Endurteil  von  seiner  25 
eigenen  Klasse  an  die  empirischen  Klassen  insgesamt,  die 
es  durch  aus  ihrer  Mitte  ernannte  Stellvertreter  verwalten 
können.  Hier  also  entscheidet  umgekehrt  die  philosophische 
Klasse  über   die  Richtigkeit  des   Inhalts,  als   Resultat  der 
erlernten  Kunst,  die  Gesetze  des  Denkens  im  Philosophieren  30 
frei  zu  befolgen,  die  empirischen  über  die  Gewandtheit  und 
I  Klarheit  in  dieser  Kunst,  die  er  durch  den  Vortrag  dar-  [98] 
legt.     Mögen  diese  immerhin  über  das  Vorgetragene  kein 
Urteil   haben;    der   Vortrag   selbst   wenigstens   muß   ihnen 
als   meistermäßig   einleuchten.   —   Es   werden   darum   die-  35 
jenigen,    welche    um    das    Meistertum    in    der    Philosophie 
nachzusuchen  gedenken,  sich  schon  früher  in  dem  Lehrer- 
seminarium   geübt    haben,    da   der   philosophische   Vortrag 
ohnedies  der  vollkommenste  und  das  Vorbild  alles  andern 
Vortrages  bleiben  muß,  und  darüber  an  unsrer  Kunstschule  40 
alles  Ernstes  zu  halten  ist. 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  5 


66  Fichte. 

Dagegen  kann  der  empirische  Gelehrte,  der  seine 
Kenntnisse  vielleicht  nur  praktisch  anzuwenden  gedenkt, 
Meister  sein,  ohne  gerade  Doktor  sein  zu  können.  Macht 
er  auch  auf  das  letztere  Anspruch  und  begehrt  er  an 
ü  unserm  Institute  zu  lehren,  so  muß  er  seine  Fertigkeit 
darin  noch  besonders  dartun,  und  hat  er  hierüber  beiden, 
sowohl  der  philosophischen  Klasse,  als  der  seines  Faches, 
Genüge  zu  leisten. 

Es  läßt   sich  auch   den  Zugewandten  das   Recht,   das 

10  Meistertum  in  Anspruch  zu  nehmen,  nicht  durchaus  ver- 
sagen. Da  jedoch  hierbei  die,  den  Lehrern  auch  von  allen 
schwachen  Seiten  ihrer  individuellen  Natur  oder  Erkennt- 
nis weit  besser  bekannten  Regularen  in  Nachteil  kommen 
würden,   so   wäre  von   den  Zugewandten  in  diesem  Falle, 

15  für  Herstellung  der  Gleichheit,  zu  fordern,  daß  sie  wenig- 
stens ein  Lehrjahr  vor  ihrer  Erhebung  zu  Meistern  ihren 
Anspruch  dem  Lehrer  des  Faches,  so  wie  dem  der  Philo- 
sophie,  bekannt   machten,   und   dieses   Jahr   hindurch   sich 
[99]  dem  allseitigen  [  Studium  dieser  Lehrer  bloßstellten.    Könn- 

20  ten  nicht  diese  beiden  Lehrer  am  Ende  des  Jahres  mit 
gutem  Gewissen  erklären,  daß  ihnen  diese  jungen  Männer 
für  die  Absicht  hinlänglich  erkundet  seien,  so  müßte  die 
Beratung  über  ihr  Gesuch  abermals  ein  Lehrjahr  hinaus- 
gesetzt  werden,    während   dessen   sie   zu  diesen  beiden   in 

25  demselben  Verhältnisse  blieben,  wie  im  ersten  Jahre.  Sie 
möchten  auch  an  diese  Lehrer  für  diese  eigentlich  nicht 
im  Kreise  ihres  Berufs  liegende  Mühe  einen  Ersatz  aus- 
zahlen, der  in  jedem  Falle,  ob  sie  nun  des  Meistertum.s 
würdig  befunden   wären,  oder  nicht,  verfiele. 

30  Erst    durch    die    Erlangung    des    Meistertums    beweist 

der  Reguläre  seine  würdige  Benutzung  des  Instituts  und 
tritt  ein  in  sein  Recht  des  ersten  Anspruches  auf  die  ersten 
Würden  des  Staates.  Ganz  gleich  läßt  sich  ihm  hierin 
nun  einmal  nicht  setzen  der  Meister  aus  den  Zugewandten, 

35  der  tms  die  nähere  Bekanntschaft  mit  seinem  moralischen 
Charakter  und  seiner  bisherigen  sittlichen  Aufführung  ver- 
sagt hat.  Jedoch  auch  hierüber  das  Beste  hoffend,  und 
da  er  denn  doch  auch  der  Kunst  Meister  ist,  könnte  man 
ihm   den   ersten   Anspruch    da,   wo   kein   Meister   aus   den 

40  Regularen  sich  gemeldet,  zugestehen. 

Den  Regularen,  die  etwa  in  dem  Gesuche  des  Meister- 


Deduzierter  Plan.  QJ 

tums  durchfielen,  so  wie  Zugewandten,  die  keinen  Anspruch 
darauf  machten,  möchte  man  immerhin  den  gewöhnlichen 
Doktorgrad  erteilen,  und  mögen  die  empirischen  Klassen 
über  die  dabei  nötigen  |  Leistungen  etwas  festsetzen.    Ein  [100] 
gewöhnlicher  und  gemeiner  Doktor  nämlich  ist  derjenige,     5 
der  nicht  zugleich  auch,  wie  die  früher  oben  angeführten, 
Meister  ist,  und  es  ist  in  diesem  Falle  mit  den  beiden  letzten 
Buchstaben  nicht  eigentlich  Ernst,  indem  wirklich  Doktor 
zu   sein   nur   derjenige   vermag,    der   Meister   ist;    sondern 
es    ist   jenes    Wort   nur   euphemisch   gesetzt,    statt    doctus,  10 
einer  der  etwas  erlernt  hat. 

Die  rechten  heißen  Meister  schlechtweg,  und  kann 
man  den  Doktor  weglassen;  wiewohl  man  auch,  um  den 
L'nterschied  noch  schärfer  zu  bezeichnen,  die  letzten  Titular- 
doktoren  nennen  könnte.  Die  philosophische  Klasse  hat  15 
bei  dergleichen  Promotionen  gar  kein  Geschäft;  denn  die 
ihr  selber  gibt  es  nur  Meister  imd  Doktor  in  Vereinigung; 
um  die  andern  Klassen  aber  bekümmert  sie  sich  nur, 
wenn  diese  Anspruch  auf  den  Rang  des  Künstlers 
machen,  dessen  diese  letzte  Art  der  Doktoren  sich  20 
bescheidet. 

Aus   ihnen   werden   im   Staate   die   subalternen   Ämter 
besetzt,    (Man  kreierte  magistros  artium,  und  in  den  neuern 
Zeiten,    da    der    Magistertitel   in   Verachtung   geraten,    hat 
man  nur  noch  den  für  vornehmer  geachteten   Doktortitel  25 
führen  mögen,   da   es   doch   offenbar  weit  mehr  bedeutet, 
ein    Meister   zu   sein,    denn   ein    Lehrer.     Wir   haben   mit 
jenen  magistris  artium   gar   nicht   zu   tun,    da  wir   keines- 
weges  Künste  annehmen  und  in  denselben  etwa  bis  auf 
Sieben  zählen,   sondern  nur  eine,  die  Kunst  schlechtweg,  30 
und  diese  zwar  als  unendlich,  kennen;  sondern  unser  Mci- 
I    ster  ist  artis   magister   schlechtweg,   der   Kunst   Meister,  [101] 
und  es  ist  zu  erwarten,  daß  die,  die  dieses  Namens  wert 
sind,   sich  seiner  nicht  schämen  werden.     Und   so  mögen 
sie    denn   immer    Meister    schlechtweg    ohne    Beisatz,    und  35 
ohne  das,  auch  nur  verringernde,  Herr,  angeredet  werden, 
und  sich  schreiben :  der  Kunst  Meister. 

Vor    der    Neuerung    haben    wir    uns     auch    nicht     zu 
fürchten,   denn   auch  andere   Universitäten  machen   Neue- 
rungen, wie  die  Jenaische,  die  anfing  gar  keine  magistros  40 
artium   mehr,    sondern   nur    Doktoren   der    Philosophie     zu 

5* 


68  Fichte. 

kreieren,  oder  die  zu  Landshut,  die  dermalen  Doktoren  der 
Ästhetik  kreiert. 

Nun  ist  dieser  gradus  magistri  dermalen  nirgends  vor- 
handen, und  wir  können  uns  denselben  nicht  erteilen  lassen. 
5  Ohne  Zweifel  aber  wird  das  Meisterstück  der  die  Kunst- 
schule anfangenden  Lehrer  dann  geliefert  sein,  wenn  sie 
andere  Künstler  gebildet  haben.  Indem  sie  nun  mit  gutem 
Gewissen  diese  für  Meister  erklären  dürfen,  erklären  sie 
zugleich  sich  selbst  dafür;  sie  erhalten  den  Grad,  indem  sie 
10  ihn  erteilen,  und  können  ihn  drum  von  da  an  auch  führen.) 


§  45. 

In  allen  den  erwähnten  Aufsätzen,  so  wie  in  denen 
über  das  Meistertimi  und  den  damit  zusammenhängenden 
tentaminibus  wird  die  deutsche  Sprache  gebraucht,  keines- 

15  weges  etwa  die  lateinische.     Der  in  diesem  oft  angeregten 
[102]  Streite    dennoch    niemals    \  deutlich    ausgesprochene     ent- 
scheidende Grund  ist  der:  Lebendige  Kunst  kann  ausgeübt 
und   dokumentiert   werden   lediglich  in   einer   Sprache,   die 
nicht    schon    durch    sich    den    Kreis    einengt,    sondern     in 

20  welcher  man  neu  und  schöpferisch  sein  darf,  einer 
lebendigen,  und  in  welche,  als  unsere  Muttersprache,  unser 
eignes  Leben  verwebt  ist.  Als  die  Scholastiker  in  der 
lateinischen  Sprache  mit  freiem  und  originellem  Denken 
sich   regen   wollten,   mußten   sie   eben   die    Grenzen   dieser 

25  Sprache  erweitern,  wodurch  es  nun  nicht  mehr  dieselbe 
Sprache  blieb,  und  ihr  Latein  eigentlich  nicht  Latein,  son- 
dern eine  der  mehreren  im  Mittelalter  entstehenden  neu- 
lateinischen Sprachen  wurde. 

Wir  haben  für  diese  freie  Regung  unsere  vortreffliche 

30  deutsche  Sprache:  das  Latein  studieren  wir  ausdrücklich 
als  das  abgeschlossene  Resultat  der  Sprachbildung  eines 
untergegangenen  Volkes,  und  wir  müssen  es  darum  in 
dieser  Abgeschlossenheit  lassen. 

Der   Philolog,    eben   weil   er   sein   Geschäft   in   diesem 

35  fest  abgeschlossenen  Kreise  treibt,  kann  bei  Interpretation 
der  Klassiker  sich  der  römischen,  und,  wie  in  Gottes  Namen 
zu  wünschen  wäre,  auch  der  griechischen  Sprache  bedienen ; 
und  es  wäre  den  Zöglingen  unseres  Instituts  anzumuten,  daß 
sie  schon  beim  Austritt  aus  der  niedern  Schule  diese  Fertig- 


Deduzierter  Plan.  69 

keit,    auch    lateinisch    zu    reden    und    sich    zu    unterreden, 
gelernt  hätten.     Sollte  man  in  gewissen  Fällen,   z.  B.  wo 
der  Anspruch  auf  ein  Schulamt  ginge,  nötig  finden,  |  daß  [103] 
auch   der    Kandidat    des    Meistertums    die    Fortdauer    und 
noch  höhere  Ausbildung  dieser  Fertigkeit  zeigte,  so  könnte     5 
er   dies   tun,   aber   nur   an    Gegenständen   jenes   historisch 
geschlossenen  Kyklus;  wo  aber  ursprünglich  schöpferisches 
Denken    gezeigt    werden    soll,    da   wird   die    schon   fertige 
Phrasis  bald  für  uns  denken,  bald  unser  Denken  hemmen; 
und  darum  bleibe  bei  diesem  Geschäfte  die  tote  Sprache  10 
ferne  von  uns. 

§  -IG. 

Wir   gehen   über   zur   Ökonomieverwaltung   unsers    In- 
stituts. 

Es  ist  vor  allem  klar,  daß  ein  zu  fester  Einheit  15 
organisiertes  Verwaltungskorps  dieser  Geschäfte  eingesetzt 
werden  müsse,  dessen  höchste  Mitglieder  wenigstens  aus 
dem  Schöße  der  Akademie  selbst  seien,  etwa  ausgetretene 
Lehrer,  indem  nur  diesen  die  gebührende  Liebe  sich  zu- 
trauen läßt,  die  übrigen  aber  diesen  und  der  gesamten  20 
Akademie  verantwortlich  sind. 

Um   den   Folgen   aus   der  Veränderlichkeit   des    Geld- 
wertes für  ewige  Tage  vorzubeugen,  wären  die  Einkünfte 
des   Instituts  nicht  auf  Geld,  sondern  auf  Naturalien  fest- 
zusetzen, also  daß  es  z.  B.  zu  einem  bestimmten  Termine  25 
von   einem   bestimmten   Bezahler   so   und  so   viel   Scheffel 
Korn  zu   ziehen  hätte,   die  allerdings   nicht   in  Natur,  son- 
dern in  klingender  Münze  abgeliefert  würden;  nicht  jedoch 
nach  einem  |  für  immer  festgesetzten  Preise,  sondern  nach  [103] 
dem,  den  dieses  Korn  am  Termine  der  Zahlung  auf  dem  30 
Markte    wirklich    hätte.      Ebenso    hätte    es    nun    auch    an 
seine  Besoldeten  terminlich  so  und  so  viel   Scheffel  Korn 
zu  bezahlen. 

§  47. 

Die  beiden  Hauptquellen  von  Einkünften,  auf  die  wir  35 
fürs    erste    zu    rechnen   hätten,    wären    die    Einkünfte    des 
Kalenderstempels  von  der  Akademie,  sodann  die  der  ein- 
gegangenen Universität  Halle,  inwiefern  dieselben  uns  ver- 


70  •         Fichte. 

bleiben,  v/ozu  noch  die  Verwaltung  der  Zahlstellen  im 
Korps  der  Regularen,  und  späterhin  andere,  tiefer  unten 
zu  erwähnende,  Hilfsquellen  kommen  würden.  Nicht  bloß 
darum,  weil  die  Nation  zahlt,  sondern  aus  noch  weit  tiefern 
6  Gründen,  soll  dieselbe  innigst  mit  dieser  Angelegenheit 
verflochten  werden,  und  unser  Institut  sehr  deutlich  als 
ein  Nationalinstitut  dastehen. 

Wir  werden  dies  auf  folgende  Weise   erreichen.     Da 
den  eigentlichen  wesentlichen  Teil  unsrer  Anstalt,  um  dessen 

10  willen  alles  andere  da  ist,  das  Korps  der  Regularen  bildet, 

so    werden   die    Stellen   in   diesem   Korps    verteilt   auf   die 

Kreise  und  Städte  der  Monarchie*),  nach  dem  Maßstabe, 

wie  jeder,   gezwomgen  oder  freiwillig,   beiträgt.     Stellen, 

[105]  nicht   [  in  dem   Sinne,  daß   nur  der  aus  dem  Kreise  oder 

15  der  Stadt  Gebürtige  diese  Stelle  haben  könne,  sondern 
jeder,  dem  eine  solche  Stelle  zukommt,  und  sie  begehrt, 
erhält  sie  ohne  Verzug;  sondern  also,  daß  zwischen  dem 
Besitzer  der  Stelle  imd  dem  Kreise  oder  der  Stadt,  dem  sie 
zufällt,  ein  Verhältnis  entstehe,  wie  zwischen  Klienten  und 

20  Patron;  daß  der  erstere  glaube,  so  wie  sein  eigentlicher 
Geburtsort  ilm  zu  dem  natürlichen  Leben,  so  habe  dieser 
Kreis  oder  diese  Stadt  ihn  zu  dem  höhern  wissenschaft- 
lichen Leben  geboren,  daß  die  letztere  an  den  Sukzessen 
dieses  ihres  Alumnus  den  Anteil  von  Ruhm  nehme,  den  sie 

25  griechischen  Städte  an  den  aus  ihnen  stammenden  Siegern 
in  den  olympischen  Wettkämpfen  nahmen,  endlich,  daß 
der  erstere,  wie  hoch  er  auch  jemals  emporsteige,  dennoch 
zeitlebens  zu  dankbarem  Gegendienste  bei  jeder  Gelegen- 
heit bereit  sei,  und  aus  dem  Klienten   ein  Patron  werde, 

30  Mehrere  zarte  sittliche  Verhältnisse,  die  daher  entspringen, 
abgerechnet,  wird  sich  auch  ein  Interesse  und  eine  Achtung 
für  Wissenschaft  durch  die  Nation  als  ein  sie  ehrenvoll 
auszeichnender  Charakterzug  verbreiten,  der  wiederum  die 
Quelle    großer    Ereignisse    werden    kann.      Stellen    ferner, 

35  nicht  in  dem  Sinne,  daß  die  Zahl  derselben  jemals  ge- 
schlossen sei,  vielmehr  soll  jeder,  der  es  wert  ist  und  es 
begehrt,  aufgenommen  werden;  sondern  daß  die  vorhan- 
denen  und   besetzten   nach   diesem  bestimmten   jMaßstabe 


*)  Wie  es  z.  B.  mit  den  Stellen  an  den  sächsischen  Fürsten- 
schulen die  Einrichtung  ist;  auch  mit  den  weiterhin  beschriebenen 
Modifikationen. 


Deduzierter  Plan.  7_[ 

unter  die   Kreise   etc.   verteilt   werden.     Auch   dem  deut- 
schen Ausländer   (wer  von  anderer   Nation  wäre,   qualifi- 
I  ziert  sich  wegen  Abgang  der  Sprache  nicht  zum  Wechsel-  [106] 
leben  mit  ims)   soll,  wenn  er  würdig  ist,  bessonders  wenn 
er  beim  Eintritte  zugleich  der  Verpflichtung,  die  das  voll-     5 
kommne  Bürgerrecht  (§  40)  mit  sich  führt,  sich  unterwürfe, 
die    Aufnahme    unter    die    Regularen     nicht    abgeschlagen 
werden.    Doch  würde,  nach  dem  Grundsatze,  daß  mit  dem 
Auslande   nur   der   Repräsentant   der   Einheit   des    Staates 
zu  verhandeln  hätte,  diese  Erlaubnis  nur  der  König  erteilen   10 
können,  und  wären  somit  alle  an  Ausländer  gegebenen  Plätze 
königliche,  keinesweges  aber  Landes  stellen.    Doch  wäre 
der  König  zu  ersuchen,  diese  Erlaubnis  den  von  dem  Lelirer- 
korps  Vorgeschlagenen  nicht  leicht,  und  nicht  ohne  höchst 
bewegende    Gründe    zu    versagen;    indem,    anderer    Rück-   15 
sichten  zu  schweigen,  hierdurch  die  preußische  Nation  recht 
laut  ihre  Anerkennung  des  allgemeinen  deutschen  Bruder- 
tumes  dokumentiert,  und  auch  dies  in  der  Zukunft  wichtige 
Ereignisse  nach  sich  ziehen  kann. 

§  48.  20 

Nach   Maßgabe,   wie  jeder  Teil   des   Landes   beiträgt, 
sollten  auf  ihn  die  Stellen  verteilt  werden,  sagte  ich.     So 
möchte,  ohne  alle  Rücksicht,  ob  dadurch  die  Verwaltung 
vereinfacht   werde    oder  nicht,   indem  weit  höhere   Dinge 
(die  wirkliche  Beschäftigung  der  Nation  mit  diesem  Gegen-  20 
Stande  und  derselben   Folgen)   zu  beabsichtigen  sind,   der 
bisherige  Kalendcrpacht  ganz  aufgehoben  werden,  dagegen 
aber    die    [  Kreise    und    Städte    sich    selber    taxieren,    wie  '107] 
viele  Scheffel  Korn  für  diesen  Stempel  sie  zahlen  wollten, 
die   sie   hernach   durch   eigene   Distribution   der   Kalender  30 
wieder  beitrieben;  wobei  ihnen  vorbehalten  bleiben  müßte, 
die  Stempelgebühr  nach  Steigen  oder  Fallen  der  Kornpreise 
zu  steigern    oder  zu  verringern.     Nach  dieser  ihrer  Quote 
am   Beitrage   zum   Ganzen   richtete  sich  ihr  Anteil  an   der 
Berechtigung  auf  Stellen.     Falls  nicht,  was  der  Schreiber  35 
dieses    in    seiner   dermaligen    Lage    nicht    erkunden    kann, 
dadurch   eine  andere,   schon   eingeführte   Stempcltaxe  auf- 
gehoben würde,   so  könnte  diese  Einnahme  noch  auf  fol- 
gende Weise   vermehrt   werden,   daß   durch  alle   Teile  der 


72  Fichte. 

Monarchie  dasselbe  eine  Maß  und  Gewicht  eingeführt 
werde,  was  ohnedies  seit  langem  sehr  zu  wünschen.  Die 
Bestimmung  eines  solchen,  und  des  Mittels,  es  unwandelbar 
zu  erhalten,  ist  ein  natürlich  einer  Akademie  der  Wissen- 
5  Schäften  anheimfallendes  Geschäft.  Die  Übereinstimmung 
mit  diesem  Grundmaße  und  Gewicht  wäre  nun  allen  Maßen 
und  Gewichten  durch  einen  Stempel  zu  attestieren,  dessen 
Ertrag  dem  Institute  zu  gut  käme,  und  auf  dieselbe  Weise 
beigetrieben  v/ürde. 
10  Ebenso    würde   das,    woraus    der   bisherige    Fond    der 

Universität  Halle  bestanden,  auf  Naturalien  gesetzt,  und 
denen,  die  es  abzutragen  schuldig  sind,  als  Quotum  ihrer 
Berechtigung  zur  Besetzung  der  Stellen  angerechnet. 

[1081  1  §  49. 

15  Da  die  bei  uns  gebildeten  Regularen  den   ersten  An- 

spruch auf  die  ersten  Stellen  des  Staates  haben  sollen, 
so  würden,  wenn  noch  andere  Universitäten  außer  uns 
in  der  Monarchie  bestehen  sollten,  dieselben  entweder  auch 
sich  zur  Kunstschule,  und  zu  diesem  Behufe  ein  Korps  von 

20  Regularen  in  ihrer  Mitte  bilden  müssen;  oder  sie  würden, 
als  reine  Zugewandtheiten,  in  denen  auch  nicht  einmal  ein 
besserer  Kern  wirkte,  zu  betrachten  sein,  und  derselben 
Zöglinge  ebenso  am  Verdienste  wie  an  Rechte  der  unsrigen 
nachstehen.     Es  ist  zu  befürchten,   daß   das   erstere  ihnen 

25  nicht  sonderlich  gelingen  werde,  indem  wir,  die  wir  ohne- 
dies im  Anfange  nicht  einmal  auf  Vollständigkeit  für 
unsern  Behuf  rechnen  können,  ihnen  ohne  Zweifel  weder 
im  Inlande  noch  im  Auslande  etwas  für  eine  Kunstschule 
Taugliches  übrig  lassen  werden;  daß  sie  sonach,  bei  dem 

30  besten  Bestreben,  dennoch  in  die  zweite  höchst  nachteilige 
Lage  kommen  würden.  Und  so  dürfte  denn  vielleicht 
das  in  Anregung  Gebrachte  zugleich  die  Veranlassung 
werden,  um  über  eine  tiefere  bisher  mannigfaltig  verkannte 
Wahrheit  die  Augen  zu  öffnen. 

35  Das  Bestreben,  die  Schule  imd  Universität  recht  nahe 

am  väterlichen  Hause  zu  haben,  und  in  dem  Kreise,  in 
welchem  man  dumpf  und  bewußtlos  aufwuchs,  ebenso 
dumpf  fortzuwachsen  und  in  ihm  sein  Leben  hinzu- 
bringen, ist  unseres  Erachtcns  zuvörderst  entwürdigend  für 


Deduzierter  Plan.  73 

den   Menschen;   denn   dieser  soll   [   einmal   herausgehoben   [109] 
werden   aus   alle   den   Gängelbändern,   mit   denen   die   Fa- 
milien- und  Nachbar-  und  Landmannsverhältnisse  ihn  immer- 
fort tragen    imd  heben,  und  in  einem  Kreise  von  Fremden, 
denen  er  durchaus  nichts  mehr  gilt,  als  was  er  persönlich     5 
wert  ist,  ein  neues  und  eignes  Leben  beginnen,  und  dieses 
Recht,  das  Leben  einmal  selbständig  von  vorn  anzufangen, 
soll   keinem   geschmälert   werden;    sodann   streitet   es    ins- 
besondere mit  dem  Charakter  des  wissenschaftlichen  Man- 
nes,  dem  freier,   über   Zeit  und   Ort   erhabener   Überblick  10 
zukommt,  das  Kleben  an  der  Scholle  aber,  höchstens  dem 
gewerbtreibenden    Bürger   zu   verzeihen,    ihn   entehrt;    end- 
lich wird  dadurch  sogar  die  organische  Verwachsung  aller 
zu  einem  und  demselben  Bürgertume  gehindert,  und  ledig- 
lich   daher    entstehen    die    Absonderungen     einzelner    Pro-  15 
vinzen  und  Städte  vom  großen  Ganzen  des  Staats;  daher, 
daß  z.  B.  der  Ostpreuße  dem  Brandenburger,  der  Thüringer 
dem  Meißner,  als  etwas  für  sich  bedeuten  wollend,  gegen- 
übertritt,   und   man   sich   nicht   wundern   muß,    daß    z.    B. 
der  Bayer  dem  Preußen  gegenüber  sich  der  gemeinsamen  20 
Deutschheit  nicht  entsinnt,  da  ja  sogar  der  Ostpreuße  zu- 
weilen des  gemeinsamen  Preußens  vergißt.    Aus  keinem  in 
solcher  Beschränktheit  Aufgewachsenen  ist  jemals  ein  tüch- 
tiger Mensch    oder  ein  umfassender  Staatsmann  geworden. 
Wäre    dieses    Bestreben    einmal    in    seiner    wahren    Natur  25 
erkannt,  und  so  eingesehen,  daß  dasselbe  keinesweges  ge- 
schont, sondern  ohne  Barmherzigkeit  weggeworfen  |  werden  [HO] 
müsse,  so  wäre  auch  kein  Grund  mehr  vorhanden,  warum 
mehrere  Universitäten  in  derselben  Staatseinheit  bestehen 
sollten;   es   würde   erhellen,   daß   der  Ausdruck   ,,Provin-  30 
zial-Universität"  einen  Widerspruch  enthielte,  indem  die 
Universalität   das   Besondere  aufhebt,   und   daß   ein   Staat 
von  Rechts  wegen  auch  nur  eine  Universität  haben  sollte. 
Sollen  und  müssen  einmal  diejenigen  Bürger  des  gemein- 
samen Staats,   die  nicht  bestimmt  sind,  aus  der  unbeweg-  OJ 
liehen  Scholle  den  Nahrungsstoff  zu  ziehen,  durcheinander 
gerüttelt   werden   zu  allseitiger   Belebung,   so   ist   dazu  die 
Universität  der  einzig  schickliche  Ort,  und  mögen  sie  von 
da  an  wiederum  nach  allen  Richtungen  verbreitet  werden, 
jeder,   nicht   dahin,   wo   er  geboren   ist,    sondern  wohin   er  40 
paßt,    damit    wenigstens   an   dieser   edlern    Klasse    ein   Ge- 


74 


Fichte. 


schlecht  entstehe,  das  nichts  weiter  ist,  denn  Bürger,  und 

das  auf  der  ganzen  Oberfläche  des   Staats   zu  Hause  ist. 

Nach    diesen    Prinzipien    müßten    die    andern    in    der 

preußischen  Monarchie  vorhandenen  Universitäten  eingehen, 

5  und  die  Fonds  derselben  zu  unserer  Anstak  gezogen  werden. 
Die  in  die  neue  Anstalt  nicht  herübergezogenen  Lehrer 
könnten  ihre  Gehalte  fortziehen,  oder  auch  nach  Maßgabe 
ihrer  Brauchbarkeit  anderw.^vts  versorgt  werden.  (Einen 
Teil  derselben  würden  wir,  als  die  §  42  beschriebene  Art 

10  von    Mitgliedern    des    Rats    der    Alten,    sogar    notwendig 

brauchen.)    Diese  herübergezogenen  Fonds  würden  auf  die 

[111]  Provinzen   der   eingegangenen   Universitäten,  als   Quo-lten 

ihrer   Berechtigung  auf   Stellen,   verteilt,   zum   Ersätze   des 

verlorenen  Rechtes,  im  Schöße  der  Famihe  den  gelehrten 

15  Hausbedarf  an  sich  zu  bringen.  Über  unsern  Plan  gehörig 
verständiget,  ist  sogar  zu  hoffen,  daß  sie  sich  diese  Ab- 
änderung gern  werden  gefallen  lassen. 

(Als  Einwürfe  dagegen  erwähne  ich  zuvörderst  einen, 
den  man  kaum  für  möglich  hahen  würde,  wenn  er  nicht- 

20  wirklich  gemacht  würde,  den  von  der  weiten  Reise. 
Gerade  die  Möglichkeit,  junge  Menschen  vorauszusetzen, 
welche  die  Unbequemlichkeit  eines  Transports  scheuen,  wie 
Bäume,  oder  vor  den  Gefährhchkeiten  einer  Reise,  z.  B. 
von  Königsberg  nach  Berlin,  sich  fürchten,  beweiset,  wie 

25  notwendig  es  sein  möge,  dem  Mute  mancher  in  der  Nation 
hierin  ein  wenig  zu  Hilfe  zu  kommen.  Oder  ist  der  Kosten- 
aufwand für  ordinäre  Post  und  Zehrung  auf  dieser  kurzen 
Reise  ihnen  so  fürchterlich,  so  könnte  man  ja  den  sich 
berechtigt  glaubenden  Provinzen  aus  den  Fonds  eine  Reise- 

30  Stipendienkasse  zugestehen,  aus  denen  sie  für  die  gar 
Dürftigen  diese  kleine  Ausgabe  bezahlten. 

Sodann  meint  man,  es  könnte  doch  etwa  einmal  auf 
einer  solchen  Universität  ein  besonderer  und  interessanter 
Geist  und  Ton  entstehen,  den  wir  durch  eine  Aufhebung 

35  dieser   Universität  ganz  unschuldig  viele  Jahre  vor  seiner 

Geburt  morden  würden,  und  man  befürchtet,  daß  wir  der 

Entwicklung  der  herrlichen   Originalität  innerhalb  solcher 

[112]  kleinen   Beschränkungen   |   Eintrag   tun  würden.     Hierauf 

dienet  zur  Antwort,  daß  zufolge  der  Zeit,  in  welcher  die 

40  Wissenschaft  steht,  es  m  derselben  nicht  mehr  Legionen 
Geister,  die  jeder  für  sich  ihr  .Wesen  treiben,  sondern  nur 


Deduzierter  Plan.  75 

einen,  in  seiner  Einheit  klar  zu  durchdringenden  Geist 
gibt,  für  dessen  ewige  allseitige  Anfrischung  gerade  an 
anserm  Institute,  durch  die  sehr  häufige  Erneuerung  des 
lehrenden  Korps  und  durch  den  offen  geführten  edlen 
Wettstreit  aller  miteinander,  vorzüglich  gesorgt  ist;  daß  5 
aber  diese  vorgebliche  Originalität  innerhalb  lokaler  Be- 
schränkung nicht  Originalität,  sondern  vielmehr  Kari- 
katur sei,  welche,  so  wie  den  schlechten  Geschmack,  der 
an  ihr  sich  labt,  immer  mehr  verschwinden  zu  machen,  auch 
ein  Zweck  unserer  Anstalt  ist.  Es  bliebe  nach  Beseitigung  10 
dieser  sich  aussprechenden  Einwürfe  kein  anderer  übrig, 
als  das  dunkle  Gefühl  des  Strebens,  doch  ja  nichts  um- 
kommen zu  lassen,  indem  allerhand,  uns  freiüch  nicht  be- 
kanntes Heil  durch  irgend  eine  Zauberkraft  daraus  sich 
entwickeln  könne,  mit  welchem,  als  selbst  nicht  auf  deut-  15 
liehe  Begriffe  zu  bringen,  man  in  der  Region  deutlicher 
Begriffe  nicht  reden  kann.) 

§  50. 

Die  Stellen  der  Kanoniker  an  den  Hochstiften  waren 
ursprünglich  für   den   Unterricht   eingesetzt;   und  die   Ein-  20 
künfte  könnten  diesem  ersten  Zwecke  füglich  zurückgegeben 
werden.     Auf  die  gleiche  Weise  ist  der   Streit  gegen  die 
Ungläubigen,     wozu     die     Johanniter-Malteser- 1  Ritter     ge-  T 113] 
stiftet  worden,  nicht  mehr  an  der  Tagesordnung,  wohl  aber 
der  geistige   Krieg   gegen   Unwissenheit,    Unverstand   und  25 
alle  die  traurigen  Folgen  derselben;  und  könnten  so  auch 
diese  Güter  diesem  Zwecke  gewidmet  werden.     Sie  würden 
auf  dieselbe  Weise,  wie  die  früher   erwähnten  Einkünfte, 
als  Recht  auf  Stellen  unter  die  Beitragenden  verteilt. 

Ich  sage  nicht,  daß  unser  einiges  Institut  diese  ohne  30 
Zweifel  sehr  großen  Hilfsquellen  verschlingen  solle.  Dieses 
Institut  muß  für  sich  den  Grundsatz  der  Verwaltung  haben, 
daß  ihm  alles  dasjenige,  dessen  es  für  die  Erreichung 
seiner  Zwecke  bedarf,  unfehlbar  werde,  daß  es  aber  auch 
durchaus  nichts  begehre,  dessen  es  nicht  bedarf;  noch  kann  35 
es  einen  andern  haben,  ohne  durch  überflüssiges  Geschlepp 
und  Gepäck  sich  selbst  zur  Last  zu  werden.  Sodann  wird 
zu  bedenken  sein,  daß  auch  der,  demnächst  sogleich  zu 
reformierenden  niedern  Schule  ihr  Anteil  zukomme;  ferner, 


76  Fichte. 

daß,  wenn  es  über  kurz  oder  lang  zu  einer  ernstlichen 
Reform  der  Volkserziehung  kommen  sollte,  auch  für  die 
Unterstützung  dieses  Zwecks  das  Nötige  vorhanden  sein 
müsse.  Wir  wollen  nur  sagen,  daß  gerade  die  gegen- 
5  wärtige  Zeit  der  Verlegenheit  benutzt  werden  könne,  um 
jene  bisher  anders  angewendeten  Güter  für  diesen  größeren 
Zweck  des  gesamten  Erziehungswesens  in  Beschlag  zu 
nehmen,  und  daß  es  unter  andern  auch  der  Kunstschule 
frei  stehen  müßte,   von  ihnen  Gebrauch  zu  machen,  falls 

10  einmal    ihre    andern    Quellen    nicht    ausreichend    befunden 

[114]  würden.     Selbst  auf  den  Fall,  daß  |  zunächst,  oder  irgend 

ein  andermal,  der  Staat  für  eigene  Zwecke  dieser  Einkünfte 

bedürfte,    worüber   tiefer  unten;    so   würde   es    immer   ein 

freundlicheres  Ansehn  haben,  wenn  er  sie  zuerst  für  diesen, 

15  als  Zweck  der  Nation  unmittelbar  einleuchtenden  Zweck 
der  Nationalerziehung  in  Beschlag  genommen  hätte. 

§  51. 

Wie  in  Absicht  der  regulären  Stellen  überhaupt  der 
Grundsatz  feststeht,  daß  jedwedes  Individuum,  das  zu  einer 

20  solchen  sich  qualifiziert  und  sie  begehrt,  sie  haben  müsse, 
so  steht  in  Absicht  der  Zahlung  der  Grundsatz  fest, 
daß,  wer  zahlen  könne,  zahlen  müsse,  wer  aber  nicht  zahlen 
könne,  dieselbe,  inwiefern  er  nicht  zahlen  kann,  un- 
weigerlich    frei     erhalte.      Nicht    die    Zahlung    qualifiziert, 

25  sondern  die  anderweitige  Leistung;  und  so  soll  auch  der 
doppelt  oder  dreifach  Zahlende  dennoch,  als  Ausländer 
bei  dem  Könige,  als  Inländer  bei  einem  Kreise,  eine  Stelle 
als  freie  Gunst,  nachsuchen,  damit  er  wisse,  daß  es  in 
unserer   Anstalt   noch   etwas   gibt,   das   für    Geld   nicht   zu 

30  haben  ist,  und  soll  der  etwanigen  ökonomischen  Rücksicht, 
daß  man  den  Zahlung  Anbietenden  in  Absicht  der  Proben 
der  Würdigkeit  gelinder  behandle,  durchaus  kein  Einfluß 
gestattet  werden.  Ebenso  schließt  auch  nicht  das  Un- 
vermögen zu  zahlen  aus,  sondern  das  geistige  Unvermögen. 

35  Die  zu  leistende  Zahlung  ist  zu  berechnen  im  Durch- 

[115]  schnitte   (am   besten   auch   nach   Scheffeln   Getreide)    |  auf 

die  eben  erwähnten  dem  Zöglinge  in  Natur  zu  liefernden 

Bedürfnisse,    auf    Honorar   an   die    Lehrer   für    Unterricht 

und  Prüfung  bei  Erteilung  des  Meistertums,  auf  Gebrauch 


Deduzierter  Plan.  77 

der  öffentlichen  literarischen  Schätze  usw.,  und  haben  die 
Eltern  oder  Vormünder  des  zahlenden  Zöglings  der  Ökono- 
mieverwaltung Kaution  zu  leisten  auf  die  Zeit,  für  welche 
der  Zögling  in  das  Institut  aufgenommen  wird,  indem  man 
ihn,  um  späterhin  ausbleibender  Zahlung  willen,  ja  nicht  5 
ausstoßen  könnte,  dennoch  aber  die  Verwaltung  auf  ihn 
als  Zahler  rechnet.  Die  Form  dieser  Sicherstcllung  wird 
leicht  sich  finden  lassen.  Und  zwar  werden  alle  jene  in 
Rechnung  kommenden  Gegenstände  also  berechnet,  wie  sie 
dem  Zöglinge  zu  stehen  kommen  würden,  wenn  er  einen  10 
Privathaushalt  führte,  keinesweges  aber  also,  wie  sie  der 
alles  in  Ganzem  an  sich  bringenden  Verwaltung  zu  stehen 
kommen :  wie  denn  dies,  da  dieser  große  Haushalt,  ohne 
Zutritt  des  Einzelnen,  als  eine  Einrichtung  des  Staates 
besteht,  ganz  billig  ist,  und  schon  dadurch,  zu  Deckung  15 
der  Freistellen,  ein  Beträchtliches  gewonnen  werden  kann. 

Es   ist    zu   hoffen,    daß    unsre   reichen    Häuser,    deren 
Glanz  ja  sonst  bei  also  getroffenen  Einrichtungen  in  ihrer 
Nachkommenschaft  erlöschen  würde,  den  Zutritt  zu  unsern 
.Regularen   fleißig   nachsuchen,   und   daß   besonders   unser  20 
Adel  diese  Gelegenheit  mit  Freuden  ergreifen  werde,  um 
zu    zeigen,    daß    es    nicht    bloß    die    versagte    Konkurrenz 
war,  die  ihn  bei  seinem  bisheri- 1  gen  Range  erhielt,  sondern  [116] 
daß    er   auch   bei    eröffneter   freier    Konkurrenz    mit    dem 
Bürgerstande  denselben  zu  behaupten  vermöge.    Es  könnte  25 
hiebei  festgesetzt  werden,  daß  die  Grafen  doppelte  Zahlung 
leisteten,  wie  dies  in  Absicht  der  KoUegienhonorarien  auch 
bisher    also    gehalten    worden;    andere    Adelige    noch    die 
Hälfte  des  ganzen  Quantum  zuschössen. 

Freistellen  müssen  nicht  notwendig  ganze  Freistellen  30 
sein,  indem  eine  Familie,  die  zwar  nicht  alle  diese  Kosten 
zu  tragen  vermöchte,  doch  vielleicht  einen  Teil  derselben 
tragen  kann.    Es  kann  also  Viertel-,  Halbe-,  Dreiviertelfrei- 
stellen geben,  nach  Maßgabe  des  Vermögens  der  Familie. 

Doch  sollen  ganz  Unvermögende  auch  ganz  freie  Station  35 
erhalten;  und  es  soll  in  Rücksicht  dieser  sogar  eine  Ver- 
anstaltung getroffen  werden,  wodurch  sie  beim  einstigen 
Austritte  aus  dem  Kollegium  der  Regularen,  wie  dieser 
auch  übrigens  ausfallen  möge,  für  die  erste  Zeit  und  bis 
zu  einiger  Anstellung  gedeckt  seien.  *10 

Die   Entscheidung  über  diese  teilweisen    oder  ganzen 


78  Fichte. 

Befreiungen   fällt    der   ökonomischen   Verwaltung    des    In- 
stituts zu,  welcher  zu  diesem  Behufe  die  Eltern  oder  Vor- 
münder   des    Zöglings    genügende    Einsicht    in    die    Ver- 
mögensumstände desselben  zu  geben  haben.     Es  muß  bei 
5  dieser  Einsicht  Genauigkeit  stattfinden,  indem  hierüber  das 
Ehrgefühl    der    Nation    selbst   geschärft   werden    soll,    und 
so,    wie    Armut    keine    Schande,    das    Sicharmstellen     und 
die   Raubgier,   welche   den  Ertrag  milder   Stiftungen  wirk- 
[117]  lieh    Unvermögenden    wegzuneh- 1  men    sucht,    zur    großen 
10  Schande  werden  sollen.    Hinwiederum  ist  mild  und  freund- 
lich dem  wirklichen   Unvermögen  das   Gebührende  zu   er- 
lassen, und  es  ist  drum  klar,  daß  diese  Verwalter  für  den 
Fortgang     der    Wissenschaften     redlich    interessierte     und 
talentvolle    Jünglinge,    auch    wenn    sie   arm    sind,    herzlich 
15  liebende  Männer,  und  also  selbst  Akademiker,  wo  möglich 
ausgetretene  Lehrer  sein  müssen. 

Welcher  nun  unter   den  Zöglingen  seine   Stelle  ganz, 
oder  teilweise  frei  habe,  braucht  niemand  zu  wissen,  außer 
die    Eltern    oder    Vormünder    eines    solchen     und    die    er- 
20  wähnten   Verwalter;    indem   dieses    die   beiden   Teile    sind, 
welche  die  Abkunft  geschlossen,  und  sind  diese  allerseits 
zur  Verschwiegenheit  zu  verpflichten.    Denn  obwohl  Armut 
fernerhin  keine   Schande  sein  soll,   so  soll  doch  so  lange, 
bis    es    allgemein   dahin   gekommen,    dem   zahlenden   Zög- 
2Ö  linge  auch  die  Versuchung  erspart  werden,  sich  über  den 
ihm   bekannten   Nichtzahler   neben  ihm  zu   erheben.     Alle 
sollen  in  solche  Gleichheit  gesetzt  werden,  daß  dem  Reichsten 
das  wenige,  anständigkeitshalber  vielleicht  nötige  Taschen- 
geld von  der  Verwaltung  nicht  reichlicher  gereicht  werde, 
30  als  dem  ganz  freien  Armen.    Nicht  einmal  der  freigehaltene 
Zögling   selbst   braucht   diesen    Umstand   zu   wissen;    denn 
obwohl  wir  für  das  Dasein  der  Anstalt  überhaupt  die  Dank- 
barkeit aller,  Zahler  oder  Nichtzahler,  in  Anspruch  nehmen, 
so    wollen   wir   doch   dafür,   daß   jedes    Talent,   auch  ohne 
35  Äquivalent   in   Gelde,   bei   uns   Entwicklung   findet,   keinen 
[118]  besondern  Dank,  indem  1  wir  dies  für  Pflicht,   so  wie  für 
den   eigenen   Vorteil   des   Vaterlandes   erkennen.     Und   so 
sind  denn  die  an  die  Kreise  zu  verteilenden  Stellen  keines- 
weges  Kost-  oder  Freistellen,  sondern  es  sind  Stellen  über- 
40  haupt.     Jede  mögliche  Stelle  kann  auch  Freistelle  werden; 
nur  weiß  der  Kreis  selber  nicht,  wie  es  sich  damit  verhält, 


Deduzierter  Plan.  79 

sondern  nimmt  unbefangen  Anteil  an  den  wissenschaft- 
lichen Fortschritten  seines  Klienten,  ohne  zu  wissen,  auf 
welche  besondern  ökonomischen  Bedingungen  er  dieses  ist. 


§  52. 

Indem  der  Ausfall,  der  durch  diese  erteilten  Befrei-  5 
ungen  in  der  Ökonomie  des  Regulats  entsteht,  aus  der 
Gesamtheit  der  oben  verzeichneten  Quellen  bestritten  werden 
muß,  dieser  Ausfall  aber,  je  nachdem  das  vorzüglichere 
Talent  aus  den  reichen,  oder  aus  den  unbegüterten  Klassen 
der  Nation  hervorgeht,  sehr  v/andelbar  und  veränderlich  10 
sein  dürfte,  so  ist  klar,  daß  in  diesem  Hauptteile  der  Aus- 
gaben keine  Fixierung  stattfinde,  daß  der  Verwaltung  große 
Hilfsmittel  zur  Disposition  stehen  müssen,  daß  dieselbe 
durchaus  kein  Interesse  hat,  dieselben  ohne  Not  zu  ver- 
schwenden, daß  sie  demnach  die  etwanigen  Ersparnisse  15 
getreulich  zu  den  Händen  der  Regierung,  welche  über  die 
Wahrhaftigkeit  des  Resultats  der  geführten  Verwaltung 
durch  eine,  gleichfalls  auf  Stillschweigen  zu  verpflichtende 
Behörde  Einsicht  nehmen  kann,  zurückliefern  wird;  end- 
lich, daß  dieser  ganze  Teil  der  |  Verwaltung  dem  übrigen  ]".  .q-, 
Publikum  ein  dasselbe  nicht  angehendes  und  ihm  undurch- 
dringliches Geheimnis  bleibe.  Das  lehrende  Korps  ist  es 
!  eigentlich,  das  nach  den  gelieferten  Aufsätzen,  oder  der 
i  von  der  niedern  Schule  gebrachten  Tüchtigkeit,  ohne  alle 
!   Rücksicht  oder   Notiz  von  den  Vermögensumständen,  das  25 

Regulat   erteilt;   dies   ist   das   Erste  und   Wesentliche.     In 
'   dieser  Erteilung  können  sie,  nach  dem  aufgestellten  Grund- 
I  Satze,  daß  durchaus  kein  vorzügliches  Talent  ausgeschlossen 
(  werden  solle,  nicht  beschränkt  werden.     Wie  es  mit  dem 
i  also  zum  Regularen  unwiederbringlich  Ernannten  in  ökono-  30 
mischer    Rücksicht    gehalten    werden    solle,    ist    die    zweite 
außerwesentliche  Frage,  deren  Beantwortung  der  Ökonomie- 
Verwaltung    anheimfällt.      Dieser    verbietet    Gerechtigkeits- 
gefühl und  Rücksicht  auf  Ehrliebe  der  Nation,   Befreiung 
ohne  Not  zu  begünstigen;  die  Natur  der  ganzen  Einrichtung  35 
aber,   sie   der  dargelegten   Not  zu  versagen;   und  so  kann 
auch  diese  auf  keine  Weise  eingeschränkt  werden. 

Ebenso  wenig  findet   im   zweiten   Hauptteile  der  Aus- 
gaben, der  Besoldung  der  Lehrer   und  anderer  Akademiker, 


80  Fichte. 

der  Erhaltung  oder  neuen  Anschaffung  von  Literatur- 
schätzen und  andrer  den  Fortgang  der  Wissenschaften 
befördern  sollender  Einrichtungen  eine  Fixierung  statt. 
Denn  obwohl  sich  auch  etwa  ein  Maximum  des  Gehaltes 
5  für  einen  einzigen  festsetzen  ließe,  so  läßt  sich  doch  durch- 
aus nichts  festsetzen  über  die  Anzahl  der  zu  Besoldenden, 
[120]  von  so  höchst  verschie- 1  denen  Arten  imd  Klassen,  sondern 
es  richtet  sich  diese,  so  wie  die  andern  angegebenen  Ver- 
anlassungen  von   Ausgaben,    nach    dem   jedesmaligen   Zu- 

10  Stande  der  Wissenschaft,  und  ist  wandelbar,  wie  dieser. 
Die  Mitglieder  der  Anstalt  können  in  diesen  Beurteilungen 
nur  das  Heil  der  Wissenschaft  und  ihrer  Anstalt  als  höchstes 
Gesetz  anerkennen,  und  sie  sind  diejenigen,  denen  gründ- 
liche   Durchschauung    desselben,    so    wie    herzliche    Liebe 

15  dafür  sich  am  vorzüglichsten  zutrauen  läßt;  auch  verbietet 
die  Erwägung  dieses  Heils  selbst  ihnen  ebenso  unnötige 
Verschwendung  in  allen  den  erwähnten  Zweigen,  als  schäd- 
liche und  unwürdige  Sucht  zu  sparen.  Und  so  geht  denn 
auch   für    diesen    Teil    dasselbe    Resultat    hervor,    das   wir 

20  oben  für  den  ersten  Teil  aufstellten;  es  gilt  dasselbe  dem- 
nach fürs  Ganze. 


§  53. 

In  Absicht  des  Besoldungssystems  möchte  festgesetzt 
werden  1)  ein  Gehalt,  der  dem  Akademiker,  als  solchem, 

25  gereicht  wird,  und  der  dem  des  vollkommenen  Bürgerrechts 
teilhaftigen  unter  keiner  Bedingung  entzogen  werden  kann. 
Da  nicht  so  leicht  jemand  bloß  Akademiker  sein  wird, 
so  ist  dieser  Gehalt  nur  als  ein  Beitrag,  keinesweges  aber 
als  das,  woraus  der  ganze  anständige  Unterhalt  des  Mannes 

30  zu  bestreiten  sei,  zu  betrachten.  2)  Das  Mitglied  des  Rates 
der  Alten  hat  entweder  ein  anderweitiges  Staatsamt,  oder 
[121]  eine  von  den  mannigfaltigen  ökonomischen  |  oder  Auf- 
seherstellen, die  aus  der  Natur  imseres  Instituts  hervor- 
gehen,  wofür  er  besonders   besoldet  wird;   auch  wäre   er 

35  für  die  Weisen,  wie  er  durch  vorübergehende  Vorlesungen 
oder  andere  Leistungen  uns  nützlich  wird,  durch  vorüber- 
gehende Remimerationen  zu  entschädigen.  Arbeitet  er  an 
einem  gelehrten  Werke,  so  könnte  ihm  auch  für  diesen 
Behuf   die    Ökonomieverwaltung    Unterstützung   oder   Vor- 


Deduzierter  Plan.  81 

schlisse  leisten.  3)  Der  ausübende  Lehrer  wird  nach  Maß- 
gabe seiner  Arbeit  an  Vorlesungen  und  andern  Übungen 
und  Prüfungen  besonders  besoldet.  Die  Zugewandten  zahlen 
für  alle  diese  Gegenstände,  inwiefern  sie  an  denselben  An- 
teil nehmen  wollen,  ein  festzusetzendes  Honorar;  und  zwar  5 
voraus.  Denn  es  wird  dadurch  eines  solchen, Zugewandten, 
der  sein  vorausbezahltes  Geld  nun  auch  wiederum  abhören 
will,  Fleiß  und  Regelmäßigkeit  sehr  befördert;  und  mögen 
wir  ihm  diese  Art  der  Ermunterung  gern  gönnen.  Der 
Regulär  ist  hierin  frei,  und  wird  eben  der  Gehalt  des  Lehrers  10 
als  sein  von  der  Verwaltung  für  ihn  bezahlter  Beitrag,  der 
ja  bei  Zahlstellen  auch  angerechnet  wird,  betrachtet.  Dieses 
von  den  Zugewandten  zu  ziehende  Honorar  ist  jedoch  dem 
Lehrer  bei  Fixiervmg  seines  Gehaltes  nicht  eben  in  Rechnung 
zu  bringen,  sondern  derselbe  also  zu  setzen,  als  ob  er,  neben  15 
seinem  Gehalte  als  Akademiker,  von  diesem  leben  müßte; 
um  ihn  von  dem  Beifalle  dieser  Zugewandten  ganz  unab- 
hängig zu  erhalten. 

I        Dasselbe   Honorar  von  den  Zugewandten  haben  auch  [122] 
die  außerordentlichen  Professoren  zu  ziehen.  -0 

Eigentlich  ist  es  die  Akademie  selbst,  welche  als  im- 
umschränkte  Ökonomieverwaltung  (§  52)  sich  selbst  aus  ihrer 
Mitte  besoldet.  So  wie  die  andern  Stände  nicht  verlangen 
sollen,  daß  diese  in  Anständigkeit  des  Auskommens  ihnen 
nachstehen,  so  wird  auch  ihnen  von  ihrer  Seite  gerade  25 
jenes,  nicht  zu  vermeidende  Verhältnis  die  Pflicht  auf- 
legen, vor  den  Augen  der  Nation  nicht  als  unersättliche 
und  habsüchtige,  sondern  als  edle  und  sich  bescheidende 
Männer  dazustehen;  und  ist  diese  Denkart  auf  alle  Weise 
in  sie  hineinzubringen.  30 

§  54. 

Für  das  erste  Lehrjahr  möchte  es  zweckmäßig  sein, 
den  enzyklopädischen  Lehrern,  sowie  etwa  den  andern  nötig 
befundenen  Unterlehrern,  wenn,  wie  es  größtenteils  der 
Fall  sein  dürfte,  sie  schon  außerdem,  als  Akademiker  35 
oder  dergl.,  einen  fixierten  lebenslänglichen  Gehalt  haben, 
eine  besondere  Remuneration  für  die  Arbeiten  dieses  ersten 
Lehrjahres  zuzugestehen,  und  für  die  folgenden  Lehrjahre 
sich   ein   weiteres    Bedenken   vorzubehalten;    unter   andern 

Universitatsschrifien  Fichie,   Schleiermacher,   Steffens.  Q 


82  Fichte. 

auch,  damit  man  erst  sähe,  wie  sich  jedes  machte,  und  ob 
nicht  indessen  etwas  anderes  sich  findet,  das  sich  noch 
besser  macht.  In  Bestimmung  dieser  Remuneration  wäre, 
inwiefern  nicht  etwa  der  Mann  schon  sonst  ausreichend 
5  besoldet  ist,  und  man  in  dieser  Rücksicht  schon  ohne- 
[123]  dies  ei- 1  nen  Anspruch  hat  auf  seine  ganze  Kraft,  bilhg  als 
Maßstab  unterzulegen,  was  in  dieser  Zeit  durch  Schrift- 
stellerei  hätte  erworben  werden  können.  Denn  obwohl 
das  bisweilen  auch  übliche  Ablesen  eines  vor  langen  Jahren 

10  angefertigten  Heftes  etwas  höchst  Bequemes  ist  und  kaum 
eine  andere  Kraft  fordert,  als  die  der  Lunge,  so  dürfte 
doch  eine  solche  Verwaltung  des  Lehramts,  wie  wir  sie 
gefordert  haben,  und  die  unter  andern  auch  den  größten 
Teil   der  alten   Hefte   unbrauchbar  macht,   alle   Kraft  und 

15  Zeit  des  Lehrers  in  Anspruch  nehmen;  und  wer  diese 
Verhältnisse  kennt,  weiß,  daß  Kollegienlesen  auf  die  ge- 
wöhnlichen Bedingungen  für  einen  nicht  ungewandten 
Schriftsteller  in  ökonomischer  Rücksicht  ein  Opfer  ist,  das 
zwar    der   wackere    Mann   gern   bringt,    der   auch   wackere 

20  aber  nicht  ohne  Not  fordert. 

§  55. 

Für  dieses  erste  Jahr  könnte  nun  der  Universität  vom 
Staate  ein  öffentlicher  Hörsaal  eingegeben  werden.  Die 
Studierenden   löseten   gegen   ihr    Honorar,    etwa   bei   dem, 

25  um  der  Inskriptionen  willen  auch  gleich  anfangs  anzu- 
stellenden Justitiarius  der  Universität  Belege  (Zutritts- 
karten), nach  welchen  ihnen,  durch  einen  gleichfalls  anzu- 
stellenden famulus  communis,  auf  eine  zu  Jena  seit  1790 
übliche,  dem  Schreiber  dieses  wohlbekannte  Weise,  ihre  Plätze 

30  im  Auditorium  angewiesen  werden.  Da  wir  im  ersten  Jahre 
noch  keine  Regularen  haben,  (Novizen  können  wir  haben, 
[124]  I  die  aber  doch  immer  nur  als  Zugewandte  zu  betrachten 
sind),  sonach  diese  etwa  künftigen  Regularen,  denen  viel- 
leicht   auch    künftig    Freistellen    gegeben    werden,    in    der 

35  allgemeinen  Masse  der  Zugewandten  noch  unentdeckt 
liegen,  so  soll  der  Justitiarius,  nach  einem  ihm  etwa  anzu- 
gebenden Kanon,  diese  erwähnten  Belege  auch  frei  geben 
können,  worüber  er  sich  hernach  mit  dem  Lehrer,  der  das 
Kollegium  liest,  zu  berechnen  hat.     Ebenso  wäre  ein  Plan 


Deduzierter  Plan.  83 

zu  entwerfen,   wie  man  während  dieses   ersten   Jahres  un- 
vermögende    Studierende,     durch    Stipendien,     Freitische 
u.  dergl.,    unterstützen    könne.      Doch   ist    die    Einführung 
gewöhnlicher  Konviktorien-,  Stipendiatenexamens  u.  dergl., 
durch  welche  der   Unvermögende  herausgehoben    und  be-  5 
zeichnet  wird,   als  mit  unserm  allerersten  Grundsatze  über 
diesen  Gegenstand  streitend,  auch  im  ersten  Jahre  zu  ver- 
meiden.   Sollte  man  nicht  etwa  späterhin  über  den  Grundsatz 
sich  einverständigen,  daß  bei  solchen,  die  da  Regularen 
werden  weder  könnten  noch  wollten,  (wo  bei  Bejahung  10 
des  letzten  Falles  die  einigermaßen  frei  zu  haltenden  wenig- 
stens   Novizen   sein   müßten,    und   es   im    Noviziate   über 
diesen  Punkt  eben  also  gehalten  werden  könnte,  wie  oben 
(§  51)  für  das  Regulat  vorgeschlagen  worden),  und  da  die 
zu   subalternen    Geschäften   nötigen   Handwerksfertigkeiten  15 
weit   sicherer  und   schicklicher   außerhalb   der    Universität 
erlernt  werden,  das  Studieren  ein  bloßer  Luxus  sei, 
der,  wenn  er  ja  statthaben  solle,  aus  eignen  |  Mit-  [125] 
teln,  keinesweges  aber  auf  Kosten  des  Staates  be- 
stritten   werden    müsse;     sondern    sollte     man    darauf  -0 
bestehen,     die    milden    Stiftungen    der    über    diese    Dinge 
freilich  nicht  so  scharf  sehenden  Vorwelt   auf  die  bisherige 
Weise  zu  verwenden,  so  kann  man  nichts  dagegen  haben, 
daß  dergleichen  Benefiziaten  unter  den  bloßen  Zugewandten 
auf  alle  Weise  bezeichnet  werden,  und,  so  Gott  will,  ihnen  -5 
sogar  eine  metallene  Nummer  an  den  Ärmel  geheftet  werde, 
damit  die  Liebeswerke  doch  auch  recht  in  die  Augen  fallen. 
Nur   soll   man   den   nicht   also   behandeln,    der   einmal    ein 
Ehrenjüngling  und  Reguläre  werden  könnte. 

§  56.  30 

Diese  also  zu  einem  organischen  Ganzen  verwachsene 
Akademie  der  Wissenschaften,  wissenschaftliche  Kunst- 
schule und  Universität  muß  ein  Jahresfest  haben,  an 
welchem  sie  sich  dem  übrigen  Publikum  in  ihrer  Existenz 
und  Gesamtheit  darstelle.  Der  natürlich  sich  ergebende  33 
Akt  dieses  Festes  ist  die  Ablegung  der  Rechenschaft  über 
ihre  Verhandlungen  das  ganze  Jahr  über;  und  es  sollten 
hiebei  zugegen  sein  Repräsentanten  der  Nation,  gewählt 
aus  den  zu  den  Stellen  Berechtigten,  und  des  Königs, 
beider    als    der   Behörde,    der    die    Rechenschaft    abgelegt  40 


84  Fichte. 

wird.      Zu    diesem    Feste    wäre    der    Geburtstag    Friedrich 
Wilhelm  des  Dritten,  als  dessen  Stiftung  jener  Körper  exi- 
[126]  stieren   |  wird,   falls   er  jemals  zur   Existenz  kommt,   unab- 
änderlich und  auf  ewige  Zeiten  festzusetzen. 

5  §  57. 

Korollarium. 

Die  einzelnen  Vorschläge  dieses  Entwurfs  sind  keines- 
weges  unerhörte  Neuerungen ;  sondern  sie  sind,  wie  sich 
bei    einem    so    viele    Jahrhunderte    hindurch    in    so    vielen 

10  Ländern  bearbeiteten  Gegenstande  erwarten  läßt,  insgesamt 
einzeln  irgendwo  wirklich  dagewesen,  vmd  lassen  sich  bis 
diesen  Augenblick  in  mehrern  Einrichtungen  der  Uni- 
versitäten Tübingen,  Oxford,  Cambridge,  der  sächsischen 
Fürstenschulen,  in  ihrem  sehr  guten,  das  Gewöhnliche  weit 

15  übertreffenden  Erfolge,  darlegen.  Lediglich  darin  körmte 
der  gegenwärtige  Entwurf  auf  Originalität  Anspruch 
machen,  daß  er  alle  diese  einzelnen  Einrichtungen  durch 
einen  klaren  Begriff  in  ihrer  eigentlichen  Absicht  ver- 
standen,   sie   aus    diesem    Begriffe   heraus    wiederum   voll- 

20  ständig  abgeleitet,  vmd  sie  so  zu  einem  organischen  Ganzen 
verwebt  habe;  welches,  wenn  es  sich  also  verhielte,  dem- 
selben keinesweges   zum  Tadel  gereichen  würde. 

Den  Haupteinwurf  betreffend,  den  derselbe  zu  be- 
fürchten hat:  den  der  Unausführbarkeit,  muß  in  der  Berat- 

25  schlagung   hierüber   nur   nicht   die   im   Verlaufe   von  allen 

Seiten  hinlänglich  charakterisierte,  übrigens  ehrenwerte  und 

von  uns   herzlich  geehrte   Klasse  gefragt  werden,   welche, 

wenn    nur    sie    allein    in    der    Welt    vorhanden    wäre,    mit 

[127]  ihrer  Behauptung  der  ab  1  soluten  Unausführbarkeit  Recht 

30  behalten  würde.  Wir  selbst  geben  zu,  daß  im  Anfange  die 
Ausführung  am  allerunvollkommensten  ausfallen  werde, 
glauben  aber  sicher  rechnen  zu  dürfen,  daß,  wenn  es  über- 
haupt nur  zu  einigem  Anfange  kommen  könne,  der  Fort- 
gang  immer   besser   geraten   werde;    selbst   aber    auf   den 

35  Fall,  daß  wir  befürchten  müßten,  es  werde  sogar  nicht  zu 
einem  rechten  Anfange  kommen,  müßten  wir  dennoch  den 
Versuch  nicht  unterlassen,  indem  im  allerschlimmsten  Falle 
wir  doch  nichts  Schlimmeres  werden  können,  denn  eine 
Universität  nach  hergebrachtem  deutschem   Schlage. 


Deduzierter  Plan.  85 

Die    allgemeinen    Merkmale    der    Gründlichkeit    eines 
Planes,  der  sich  nicht  bescheiden  mag,  ein  bloßer  schöner 
Traum  zu  sein,   sondern  der  auf  wirkliche  und  alsbaldige 
Ausführung  Anspruch  macht,  sind  diese:  daß  er  zuvörderst 
nicht   etwa  die   wirkliche   Welt  liegen  lasse   und   für   sich    5 
seinen  Weg  fortzugehen  begehre,  sondern  daß  er  durchaus 
auf  sie  Rücksicht  nehme,  wiewohl  allerdings  nicht  in  der 
Voraussetzung,  daß  sie  bleiben  solle,  wie  sie  sei,  sondern 
daß  sie  anders  werden  solle,  und  daß  im  Fortgange  nicht 
er  sich  ihr,   sondern  sie  sich  ihm  bequeme;  und  daß   er,  10 
nach  Maßgabe  der  Verwandtschaft,   eingreife  auch  in  die 
übrigen  Verhältnisse  des  Lebens,  und  wiederum  von  diesen 
getragen  und  gehoben  werde;   sodann,  daß   er,   einmal  in 
Gang  gebracht,   nicht   der  immer  fortgesetzten   neuen  An- 
stöße seines  Meisters  bedürfe,  sondern  für  sich  selbst  fort-  15 
gehe,  und,  so  er's  braucht,  zu  höherer  Vollkommenheit  sich 
bilde.     Nach  |  diesen  Merkmalen  sonach  ist  jeder  Entwurf  [128] 
zu  prüfen,  wenn  die  Frage  über  seine  Ausführbarkeit  ent- 
schieden werden  soll. 


Dritter  Abschnitt.  20 

Von  den  Mitteln,  durch  welche  unsere  wissenschaftliche 

Anstalt  auf  ein  wissenschaftliches  Universum  Einfluß 

gewinnen  solle. 

§  58. 
Das  in  unsrer  Kunstschule  einmal  begonnene  wissen-  25 
schaftliche  Leben  soll  nicht  etwa  in  jeder  künftigen  Gene- 
ration sich,  so  wie   es  schon  da  war,   nur  wiederholen; 
viel   weniger  noch  soll  es   ungewiß   herumtappen,   und   so 
selbst  Rückfällen  ins  Schlimmere  ausgesetzt  sein;  sondern 
es  soll  mit  sicherm   Beuaißtsein  und  nach  einer  Regel  zu  30 
höherer  Vollkommenheit  fortschreiten.    Damit  dies  möglich 
werde,  muß  diese  Schule  die,  in  einem  gewissen  Zeitpunkte 
errungene  Vollkommenheit  irgendwo  deutlich  und  verständ- 
lich  niederlegen ;   an   welche  also   niedergelegte   Stufe   der 
Vollkommenheit  dieses  Zeitpunktes  das  beginnende  frische  35 
Leben  sich  selber  und  seine  Entwicklung  anknüpfe.     Am 
besten  wird  diese  Aufbewahrung  geschehen  vermittelst  eines 
Buches. 


86  Fichte. 

[129]  I  §  59. 

Da  aber  das  wirkliche,  in  unmittelbarer  Ausübung  be- 
findliche Leben  der  wissenschaftlichen  Kunst  fortschreitet 
von  jeder  errungenen  Entwicklung  zu  einer  neuen,  jede 
5  dieser  Entwicklungen  aber,  als  die  feste  Grundlage  der  auf 
sie  folgenden  neuen,  niedergelegt  werden  soll  im  Buche; 
so  folgt  daraus,  daß  dieses  Buch  selbst  ein  fortschreitendes, 
ein  periodisches  Werk  sein  werde.  Es  sind  Jahrbücher 
der  Fortschritte  der  wissenschaftlichen  Kunst  an  der  Kunst- 

10  schule ;  welche  Jahrbücher,  wie  ein  solcher  Fortschritt  erfolgt 
ist,  ihn  bestimmt  bezeichnet  niederlegen  für  die  nächste 
und  alle  folgende  Zeit,  und  welche,  wenn  die  wissenschaft- 
liche Kirnst  nicht  unendlich  wäre,  einst  nach  derselben 
Vollendung  begründen  würden  eine  Geschichte  dieser  — 

15  sodann  vollendeten  Kunst. 


§  60. 

Die  Kunst  schreitet  fort  auf  zwiefache  Weise :  teils 
überhaupt,  wie  alles  Leben,  daß  sie  eben  lebendig  bleibe, 
und  niemals  erstarre  oder  versteine;  teils  daß  dieses  über- 

20  haupt  also  fortgehende  Leben  auch  fortschreite,  zu 
höherer  Kraft  imd  Entwicklung.  Dies  letztere  geschieht 
wiederum  auf  doppelte  Weise,  nämlich  zuerst  in  ihm  selber 
und  intensive,  in  Absicht  des  Grades;  sodann  nach  außen 
hin  und  extensive,   indem   es  immer  mehr  des  ihm  ange- 

25  messenen  Stoffes  in  sich  aufnimmt,  und  ihn,  mit  sich  ihn 
durchdringend,  organisiert,  also  in  Absicht  der  Ausdehnung. 
[130]  —  I  Tot  ist  ein  wissenschaftlicher  Stoff,  so  lange  er  ein- 
zeln und  ohne  sichtbares  Band  mit  einem  Ganzen  des 
Wissens  dasteht,  vmd  lediglich  dem  Gedächtnisse,  in  Hoff- 

30  nung  eines  künftigen  Gebrauches,  anheimgegeben  wird. 
Belebt  und  organisiert  wird  er,  wenn  er  mit  einem  andern 
verknüpft,  und  so  zu  einem  unentbehrlichen  Teile  eines 
entdeckten  größern  Ganzen  wird;  und  jetzt  erst  ist  er 
der   Kunst  anheimgefallen.     Wird   dieses  schon   entdeckte 

35  und  in  den  Jahrbüchern  vorliegende  Ganze  mit  einem 
klaren  Begriffe  durchdrungen,  (die  Klarheit  ist  aber  ein 
ins  Unendliche  zu  Steigerndes),  daß  die  Teile  sich  noch 
enger  aneinander  anschließen    und  durcheinander  verwach- 


Deduzierter  Plan.  87 

sen,  so  hat  die  Kunst  intensiv  gewonnen;  greift  der  vor- 
handene Einheitsbegriff  weiter  und  erfaßt  ein  bis  jetzt 
noch  einzeln  Dastehendes,  so  gewinnt  sie  extensive.  Beide 
Arten  des  Fortschrittes  unterstützen  sich  wechselseitig  und 
arbeiten  einander  vor.  Die  Erweiterung  des  Begriffes  5 
macht  seine  Verklärung,  seine  Verklärung  seine  Er- 
weiterung leichter. 

In    Absicht    der    zuerst    erwähnten     periodischen    An- 
frischung    des    wissenschaftlichen    Lebens    aber,    die    an 
sich  kein    Fortschreiten   ist   weder   intensiv   noch    extensiv,  10 
verhält  es  sich  also :  —  Unabhängig,  in  Absicht  der  Materie, 
von  der  besonnenen  und  kunstmäßigen  Entwicklung,  und 
gerade   um    so    mehr,    in    je    höherem    Grade    die    letztere 
vorhanden  ist,  schreitet  das  geistige  Leben  des  Menschen- 
geschlechtes durch  sich  selber,  wie  nach  einem  unbewußten  15 
Naturgesetze  fort.     Die   Spra- 1  che  konzentriert,   die   Phan-  [131] 
tasie  erhöht  sich,  die  Schnelligkeit  des  Fassungsvermögens 
steigt,   der  Geschmack   wird  zarter,  xmd  so   ersterben  in 
einem   spätem   Zeitalter   Formen,   die   der   wahrhafte   Aus- 
druck  des    Lebens   eines   frühern  waren,   und   so   muß   oft  20 
das,  dem  in  keiner  Weise  eine  höhere  innere  Vollkommen- 
heit sich  geben  ließe,  dennoch  aus  der  erstorbenen  äußeren 
Form   in    die   des   dermaligen   Menschengeschlechts   aufge- 
nommen   werden.      (Wir   machen    an    folgendem    Beispiele 
unsern    Gedanken    klärer.    —    Selber    die    Philosophie,    als  25 
die  reinste,  stoffloseste  Form,  die  auch  im  mündlichen  Vor- 
trage immer  also,  als  reines  Entwicklungsmittel  der  Kunst 
des   Philosophierens,   sich  behandelt,   geht  dennoch  in   Be- 
ziehung auf  stetigen   Fortschritt  der  Wissenschaft  auf  ein 
Buch    aus,    welches    die    durchgeführte    richtige   An-  30 
Wendung   der    Denkgesetze,   als   festes   und   stehendes 
Resultat,  absetze.     Fürs   erste  nun,   was  nicht  unmittelbar 
dasjenige  ist,  was  wir  sagen  wollen,  sondern  wodurch  wir 
uns  vorbereiten :  —  wäre  nun  ein  solches  Buch  vorhanden, 
so   würde   dennoch  bis   ans   Ende   der   Tage  jedwedes   In-  35 
dividuum,    das    ein    Philosoph    sein   wollte,    vielleicht    jenes 
Buch  als  Leitfaden  brauchend,  jene  Anwendung  der  Denk- 
gesetze selbst  und  in  eigener  Person  durchführen  müssen, 
und  von  dieser  Arbeit  jenes  Buch  ihn  auf  keine  Weise  ent- 
binden.    Dagegen  hätte  er  davon  folgenden  Vorteil :  führte  40 
sein   Denken   ihn   auf   ein   anderes    Resultat,    als   in   jenem 


88  Fichte. 

Buche  vorliegt,  so  müßte  er  entweder  deutlich  und  bestimmt 
[132]  I  nachweisen  können,  welcher  Fehler  in  Anwendung  der 
Denkgesetze  im  Buche  begangen  worden,  der  dieses  von 
dem  seinigen  verschiedene  Resultat  hervorgebracht  hätte; 
6  oder  er  wüßte,  so  lange  er  dies  nicht  könnte,  sicher,  daß 
er  mit  seinem  eignen  Denken  noch  nicht  im  klaren  sei, 
er  müßte  annehmen,  daß  sein  Resultat  ebensowohl  irrig 
sein  könnte,  als  das  im  Buche  vorliegende,  und  hätte  kein 
Recht,   seinen  Satz,   der  möglicherweise  irrig  sein  könnte, 

10  an  die  Stelle  eines  andern,  der  freilich  auch  irrig  sein 
kann,  in  dem  allgemeinen  Buchwesen  zu  setzen.  Möchte 
er  höchstens  diesen  seinen  Satz,  ausdrücklich  als  nicht 
sattsam  begründet,  für  die  weitere  Untersuchung  eines 
künftigen   klärern   Denkers   aufbewahren.     Und  dies  wäre 

15  denn,  in  dem  ersten,  wie  in  dem  zweiten  Falle,  der  Erfolg 
des  vorhandenen  Buches  für  die  Wissenschaft,  dort  sichere 
Erweiterung,  hier  Verwahrung  vor  blindem  Herumtappen 
und  dem  Eigendünkel,  der  da  will,  daß  seine  unbewiesenen 
Behauptungen  mehr  seien,  als  anderer,  vielleicht  bewiesene 

20  Behauptungen,  indem  nur  er  unfähig  ist,  den  Beweis  zu 
fassen.  Hiervon  reden  wir  mm  zunächst  nicht,  sondern 
davon.  Ob  nun  wohl  auch  jenes  niedergelegte  philoso- 
phische Buch  also  beschaffen  wäre,  daß  es  weder  in  seinem 
Inhalte,  noch  im  Grade  der  Klarheit  überhaupt  eine  Ver- 

25  besserung  erhalten  könnte,  so  möchte  es  doch  immer  einer 
Erfrischung  durch  das  neue   Leben  der  Zeit   bedürfen.) 

[133]  I  §  61. 

Das  bisher  Beschriebene  gäbe  nun  das  Kunstbuch 
der   Schule.     Nun   zeigt   sich  diese   Kunst,   und  ihr   Leben 

30  schreitet  fort,  in  Organisation  eines  Stoffes.  Inwiefern  dieser 
Stoff  wirklich  schon  organisiert  ist,  ist  er  aufgenommen  in 
die  Kunst,  und  in  derselben  Buch,  und  es  bedarf  für  ihn 
keines  besondern  Buches;  inwiefern  er  aber  noch  nicht 
durchdrungen   ist,    und    er    also    die   weitere    Aufgabe    für 

35  die  Kunstschule  enthält,  muß  diese  Aufgabe  irgendwo  in 
fester  Gestalt  niedergelegt  sein,  und  die  Schule  bedarf, 
außer  ihrem  Kunstbuche,  auch  eines  Stoffbuches.  Dies 
ist  mm  zum  Teil  schon  vorhanden  an  dem  ganzen  vor- 
liegenden   Buchwesen,     und    muß    nur    die    Schule    dieses 


Deduzierter  Plan.  89 

kennen.  Die  dahin  gehörigen  Einrichtungen  sind  schon 
im  vorigen  Abschnitte  angegeben,  und  es  läßt  in  dieser 
Kenntnis  ein  Fortschritt  nur  so  sich  denken,  daß  diese 
Kenntnis  des  vorhandenen  Buchwesens  vervollständiget,  und 
das  allgemeine  Repertorium  desselben  besser  geordnet  und  5 
einer  leichtern  Übersicht  im  ganzen  zugänglicher  gemacht 
werde,  auf  welchen  Zweck  auch  unsere  Schule  in  alle 
Wege  anzuweisen  ist.  Jenes  auf  diese  Weise  schon  vor- 
handene große  Stoffbuch  selber  soll  nun  fortschreiten; 
zuvörderst,  indem  es  seiner  äußern  Form  nach  erfrischt  10 
und  erneuert  wird,  sodann,  indem  in  Absicht  des  Inhalts 
es  teils  berichtigt  und  von  den  darin  vorhandenen  Fehlern 
gereinigt,  teils  immerfort  ergänzt  und  erweitert  wird.  Das 
letzte  geschieht  durch  neue  Entdeckungen  auf  dem  Gebiete 
der  Geschichte  |  und  der  Naturkunde;  welche  Entdeckungen  non 
immerhin  bei  ihrer  ersten  Erscheinung  zur  Aufnahme  in 
die  Einheit  sich  nicht  qualifizieren  mögen,  dennoch  aber, 
bis  ein  mehreres  zu  ihnen  hinzukommt,  aufbehalten  werden 
müssen.  Durch  diese  neuen  Entdeckungen  verlängert  sich 
wiederum  das  Stoffbuch  nach  der  Peripherie  hin,  das  nach  20 
der  Seite  seines  Zentrum  immer  mehr  verkürzt  und  von 
dem  Kunstbuche  aufgenommen  wird. 

Dieser  Fortschritt,  des  Stoffbuches  sowohl  wie  auch 
des  Kunstbuchs,  kann  sich  nun  begeben  entweder  bei  uns, 
oder  bei  andern;  wo  wir  im  letztern  Falle  die  Ausbeute  25 
in  unsre  Schule  und  unser  Buch  aufzunehmen  haben, 
damit  das  gesamte  Buch  des  Menschengeschlechts  und 
sein   wissenschaftlicher    Fortschritt   Einheit   behalte. 

Zum  Fortschritte  dieses  gesamten  Buches  gehören  auch 
diejenigen  Bestrebungen,  dasselbe  zu  verbessern,  die  nur  30 
noch  Versuche  sind,  und  noch  nicht  zu  der  Festigkeit  ge- 
diehen, daß  man  sie  in  einem  Buche  niederlegen  könne. 
Auch  diese  Versuche,  wenn  sie  bei  andern  angestellt  werden, 
kennen  zu  lernen,  wenn  wir  sie  anstellen,  uns  dabei  der 
Beobachtung  andrer  nicht  zu  entziehen,  müssen  wir  An-  35 
stalt  treffen. 

§  62. 
Um  über  den  Fortschritt  der  wissenschaftlichen  Kunst, 
die  im  Kunstbuche  dargelegt  werden  soll,  ganz  verständlich  zu 
werden,  legen  wir  unsere  Gedanken  dar  an  einem  Beispiele.  40 


90  Fichte. 

[135]  I  Wenn  also  z.  B.  mit  der  Universalgeschichte  es  dahin 
zu  kommen  bestimmt  wäre,  daß  man  einsähe,  sie  sei  nicht 
ein  Zufälliges,  das  auch  entbehrt  werden  könne,  sondern 
sie  habe  eine  bestimmte,  dem  Menschengeschlechte  sich 
5  aufdringende  Frage,  nach  bestimmten  gleichfalls  im  mensch- 
lichen Geiste  schon  vorliegenden  Fragartikeln,  zu  beant- 
worten; als  etwa,  wie  unser  Geschlecht  zu  menschlicher 
Lebensweise,  zu  Gesetzlichkeit,  zu  Weisheit,  zur  Religion, 
und   worin   noch   etwa   sonst   die  Ausbildung   zum  wahren 

10  Menschen  bestehen  mag,  sich  allmählich  erhoben  habe,  — 
hier  einseitig,  dann  zurückfallend,  um  auch  andere  bisher 
vernachlässigte  Bildungsweisen  in  sich  aufzunehmen;  und 
man  über  diese  Fragen  zu  einigen  bestimmten  und  im- 
veränderlichen  Resultaten  gekommen  wäre :  so  würde  man 

15  sodann  auch  einsehen,  daß  die  bisher  abgesteckten  Epochen 
nach  Entstehung  oder  Untergang  großer  Reiche,  nach 
Schlachten  und  Friedensschlüssen,  die  Regententafeln 
u.  dergl.  nur  provisorische  Hilfsmittel,  berechnet  auf  eine 
Denkart,    die    nur    durch    die    Erschütterung    des    äußeren 

20  Sinnes  berührt  wird,  gewesen  seien,  um  die  Sphäre  jener 
bessern  Ausbeute  indessen  zu  erhalten;  und  man  würde 
nur  an  jene,  inniger  an  das  Interesse  der  menschlichen 
Wißbegier  sich  anschmiegenden  Epochen  die  Geschichte 
anknüpfen,  welche  nun  allerdings  auch  jene  ersten  weniger 

25  bedeutenden  mit  sich  fortführen  würden,  damit  das  Gemälde 

sein    vollkommnes    Leben    bis    auf    den    wirklichen    Boden 

herab  bekäme.     Man  würde  z.  B.  nicht  mehr  sagen :  unter 

[136]  der   Regierung   1  des   und   des  wurde   der   Pflug  erfunden, 

sondern  umgekehrt :  als  der  Pflug  erfunden  wurde,  regierte 

30  der  und  der,  dessen  Leben  vielleicht  auf  die  weitern  Be- 
gebenheiten des  Pfluges,  auf  welches  letztern  Geschichte 
es  hier  doch  allein  ankommt,  Einfluß  hatte.  Die  Kunst 
der  Geschichte  wäre  dadurch  ohne  Zweifel  fortgeschritten, 
indem  man   nunmehro   erst   recht   wüßte,   wonach   man   in 

35  derselben  zu  fragen,  und  worauf  in  ihr  zu  sehen  habe; 
sie   wäre    mit    einem   klaren    Begriffe    durchdrungen. 

Dadurch  wäre  auch  die  ganze  Bearbeitung  derselben  an 
unsrer  Kunstschule  verändert.  Vorher  bestand  ihre  eigent- 
liche Aufgabe  darin,   jenen  klaren  Begriff  und   die  festen 

40  Data,  die  eine  Übersicht  der  Begebenheiten  nach  seiner 
Leitung  gibt,  zu  finden,  und  in  diesem  Finden  bestand  die 


Deduzierter  Plan.  91 

gemeinschaftliche  Arbeit  unserer  Kunstschule.    Jetzt  ist  dies 
da:  es  wird  abgesetzt  im  Buche,  das  unser  Zögling  selber 
lesen  mag.    Vorher  mußte  er  ein  nach  andern  Epochen  ein- 
geteiltes   Buch    lesen,    das    ihm   jetzt   auch    in   alle    Wege 
nicht  ganz  erlassen  werden  kann,  das  aber  ihm,  der  einen    5 
Leitfaden  von  höherer  Potenz  hat,  weit  leichter-  haften  wird, 
als   seinem   frühern   Vorgänger.     Die   unmittelbar   zu   trei- 
bende  Kunst   an   unserer   Schule   erhält   in   Beziehung  auf 
die    Geschichte    eine    andere    Aufgabe;    ohne    Zweifel    die, 
jene    Data    weiter    auszuarbeiten     und    zu    verbinden,    und  10 
so    mehr    des    bisher   noch   nicht    durchdrungenen    Stoffes 
der  Fakta  durch  den  Grundbegriff  zu  durchdringen. 
I        So   in   allen  andern   Fächern.     Die   Kunst   gräbt  fort-  [137] 
gehend   sich   tiefer   in   bisher   unsichtbare   Welten;    die   in 
dem    nunmehr    ausgegrabenen    Schachte    gewonnene   Aus-  15 
beute  legt   sie   nieder,   als  Ausgangspunkt   und   als   Instru- 
ment ihres  weitern  Verfahrens. 

Und  so  wäre  denn  1)  in  unsern  Jahrbüchern  des  Fort- 
schrittes der  Kunst  an  unserer  Schule,  als  Hauptbestand- 
teile und  als  Epoche  machend,  niederzulegen  die  enzyklo-  20 
pädischen  Ansichten  jedes  unserer  Lehrer  von  seinem 
Fache;  kurz,  versteht  sich,  und  im  Großen  und  Ganzen. 
Sollte  ihm,  wie  dies  also  zu  erwarten,  diese  klare  und 
ewig  dauernde  Rechenschaft  auch  nicht  während  der  Aus- 
übung seines  Lehramtes  angemutet  werden  können,  so  kann  25 
sie  dennoch  nach  dem  Austritte  ihm  nicht  füglich  erlassen 
werden,  und  hat  er  darauf  schon  während  der  Ausübung  zu 
rechnen. 

2)  Da  unsere  Schüler  auch  Bücher  lesen  sollen,  und 
wir  ihnen  überhaupt  nichts  zu  sagen  gedenken,  was  eben  30 
so  gut  im  Buche  steht,  so  gehört  zu  jener  enzyklopädischen 
Rechenschaft  eines  Lehrers  allerdings  auch  die  An- 
gabe, welche  Lektüre  er  vorschreibe.  Diese  Lektüre 
mag  für  den  Anfang  in  schon  vorhandenen  Büchern 
stehen,  und  es  wird  in  diesem  Falle  genug  sein,  diese  zu'  35 
zitieren. 

Späterhin  aber  werden  wir,  teils  um  die  allenfalls  ver- 
altete äußere  Form  anzufrischen,  teils  aber  und  vorzüglich, 
wegen    des    durch    den    Fortschritt    der    Kunst    ganz    ver- 
änderten Ausgangspunktes  der  von  uns  wirklich  zu  treiben-  40 
den  Kunst,   Lesebücher  für  unsere   1  Zöglinge   (ein   corpus  [138] 


92  Fichte. 

jedes  einzelnen  Faches,  wie  es  bisher  nur  ein  corpus  iuris 
gab)  eigens  drucken  lassen  müssen.  In  Absicht  des  ersten 
—  des  Erfrischens  —  wird  zu  beobachten  sein,  daß  dies 
nicht  von  dem  Ermessen  des  Einzelnen  abhängen  könne, 
6  sondern  mehrere  die  Tüchtigkeit  eines  Einzelnen  für  diesen 
Behuf  anerkennen  müssen,  indem  nicht  in  jedem  der  ge- 
samte lebendige  Zeitgeist  sich  ausspricht,  imd  mancher  ver- 
sucht wird,  seinen  individuellen  Geist  für  jenen  zu  halten. 
In  Absicht  des  zweiten  haben  wir,  so  wie  im  Lehren  den 

10  Grundsatz,  nicht  zu  sagen,  was  schon  gedruckt  ist,  im 
Schreiben  den,  nicht  zum  zweitenmale  drucken  zu  lassen, 
was  einmal  gedruckt  ist.  —  Wird  einmal  das  Bedürfnis 
solcher  eigenen  Lesebücher  eintreten,  so  werden  uns  die 
Mittel  nicht  abgehen,   demselben  abzuhelfen,   und  können 

15  wir  recht  füglich  von  denen,  die  bei  uns  Meister  und 
Doktor  zu  werden  verlangen,  dergleichen  Probestücke  be- 
gehren. 

Wir  erhielten  an  jenen  enzyklopädischen  Rechenschaf- 
ten,   von    denen    jede    künftige    die    vorhergegangene    ent- 

20  weder  formaliter,  durch  Klarheit  und  Leichtigkeit,  oder 
materialiter,  durch  weitere  Umfassung  des  Stoffes,  über- 
treffen müßte,  —  oder  sie  könnte  nicht  aufgenommen 
werden,  und  dies  wäre  ein  Beweis,  daß  die  Kunst  dermalen 
bei  uns  stille  stände  —  eine  fortgehende  und  eng  zu- 

25  sammenhängende     Reihe     von     Fortschritten    in    der 
Wissenschaft,    welche    der    Nachwelt,    die    einen    beträcht- 
lichen Teil  derselben  übersehen,  und  vielleicht  das  Gesetz 
[139]  dieses  Fortschrittes  entdecken  [  könnte,  wiederum  als  Mittel 
weit    höherer    Fortschritte    dienen    könnte.      Wir    erhielten 

30  an  dem,  mit  jener  und  ihrem  Gesetze  gemäß  fortschreitenden 
Lesebuche,  das  nicht  gerade  in  den  Kontext  jener  Jahr- 
bücher eingewoben  sein  müßte,  sondern  selbständig  exi- 
stieren könnte,  ein  äußerliches  Dokument  und  einen  Ex- 
ponenten der  Jahrbücher. 

35  Dieses    Lesebuch    würde,    so    wie    es    von    einer    Seite 

durch  Steigerung  der  Gesichtspunkte  anwüchse,  von  der 
andern  durch  Auswerfung  des  sattsam  bearbeiteten  Stoffes 
abnehmen.  Wir  machen  dies  deutlich  an  demselben  Bei- 
spiele der  Geschichte.     Wenn  man  durch  Erfassung  etwa 

40  des  angegebenen  Standpunktes  für  diese  —  die  Ge- 
schichte — ,   vielleicht  auch  aufgeben  wird  den  Zweck,  in 


Deduzierter  Plan  93 

derselben    Psychologie    oder    Staatswissenschaft    zu 
lernen  —  Zwecke,  die  man  leicht  für  Vorspiegelungen  halten 
dürfte,  um  dem  Philosophen  gegenüber  sich  aus  der  Ver- 
legenheit, deutlich  einen  Zweck  seines  Studiums  anzugeben, 
zu  ziehen,  —  begreifend,  daß  man  diese  Zwecke  weit  wohl-    5 
feilern  Kaufes  mit   der  Philosophie  erreichen^ könne;   daß 
aber    die    Regierungskunst,    die    durchaus    etwas    anderes 
sei,   denn   die   durch  Philosophieren  zu  schöpfende   Regie- 
rungswissenschaft,    eine     leichte    und    sich    von     selbst 
findende  Zugabe  des  rechten  Studiums  der  Geschichte  sei:  10 
—  wenn  man,  sage  ich,  diese  Zwecke  aufgeben  wird,  als- 
dann   wird    man    einer    Menge    Untersuchungen,    die    nur 
dem   psychologischen    oder   politischen   Zwecke   unter   die 
Arme  greifen  sollen,  sich  gern  |  überheben.  —  (So  lange  [140] 
es,  um  über  die  Echtheit  eines  gewissen  Dokuments  urteilen  15 
zu  können,   auf  die   Untersuchung,  welchen  Zuschnitt   der 
Bart  eines  gewissen  Kaisers  gehabt  habe,  ankommt,  muß 
man  in  alle  Wege  diese   Untersuchung  gründlich  treiben. 
Sollte  aber  durch  einstige  Vollendung  dieser  Untersuchung 
die  Echtheit  oder  Unechtheit  des  Dokuments,  gemeingültig  20 
für  alle  künftige  Zeit,  ausgemittelt  sein,  so  mag  man  nun 
den    Bart    immer    fahren    lassen ;    ja    dieses    um    so    mehr, 
wenn  sogar  an  der  Echtheit  oder  Unechtheit  des  Dokuments 
selber  ims  nichts  mehr  liegen  sollte,  indem,  was  dadurch 
entschieden  werden  soll,  indes  anderwärts  her  entschieden  25 
worden.      Freilich     müßte     man    zu    diesem    Behufe    auch 
darüber  mit  sich  einig  sein,  daß  es  in  allen  Fächern  Gewiß- 
heit und  eine  feste,  unwidersprechliche  Beweisführung  gebe, 
und   nicht   etwa  gerade   in   das   blinde    Herumtappen    und 
in  die  Wiederholung  desselben  Kreislaufes    durch  jegliche  30 
Generation     die    Perfektibilität    des    Menschengeschlechtes 
setzen.) 

So,  wenn  nun  jemand  durchaus  kein  anderes  Mittel 
hat,  um  über  den  Wert  einer  gewissen  Meinung  zu  ent- 
scheiden, außer  daraus,  daß  sie  die  Meinung  eines  gewissen  35 
alten  Philosophen  gewesen,  dabei  aber  doch  noch  immer 
Zweifel  hegt,  ob  dieselbe  nicht  vielmehr  die  Folge  der  Ge- 
sundheitsbeschaffenheit dieses  Philosophen,  als  seiner  Spe- 
kulation gewesen;  so  ist  diesem  die  Frage  über  die  Hypo- 
chondrie oder  Nichthypochondrie  des  Mannes  allerdings  40 
höchstbedeutend :  wer  aber  auf  anderm  Wege  über  den  in 


94  Fichte. 

[141]  Frage  gestellten  [  Wert  Bescheid  hätte,  der  könnte  jenen 
Philosophen  samt  seinem  Gesundheitszustande  ruhig  an 
seinen  Ort  gestellt  sein  lassen. 

§  63. 
5  Neben  diesem  ersten    und  wesentlichen  Teile  der  Jahr- 

bücher, den  enzyklopädischen  Rechenschaften  der  Lehrer, 
gibt  es  noch  einen  zweiten,  zum  ersten  notwendig  gehören- 
den Teil,  die  Ausarbeitungen  der  Schüler.  Denn  es  soll 
ja  nicht  bloß  die  Kunst  der  gesamten  Schule  in  Bearbeitung 

10  des  wissenschaftlichen  Stoffes,  es  soll  auch  die  besondere 
Kunst  der  Lehrer  gezeigt  werden,  selber  Künstler  aus  dem 
ihnen  gegebenen  Stoffe  der  Zöglinge  zu  bilden,  und,  so 
Gott  will,  der  Fortgang  auch  dieser  Kunst.  Über  die 
Lehrmethode    derselben    wird    schon    ihre    enzyklopädische 

15  Rechenschaft,  auch  ohne  ausdrückliches  Vermelden,  die 
nötige  Auskunft  geben.  Über  so  viele  andere,  in  Worten 
auch  nicht  füglich  zu  beschreibende  Kunstmittel  mögen  sie 
schweigen,  und  dieselben  eben  üben;  aber  ihr  Werk,  den 
Künstler,    der    aus    ihren    Händen    hervorgeht,    mögen    sie 

20  vorzeigen. 

Im  Anfange  zwar,  und  in  den  ersten  Jahren  werden 
wir  noch  nichts  dieser  Art  vorzuweisen  haben;  einen 
sichern  Anfang  aber  müssen  dennoch  auch  die  Jahrbücher 
sich  setzen,  indem  es  außerdem  wohl  immer  bei  dem  Ver- 

25  sprechen  bleiben  könnte.    Dieser  Anfang  könnte  erscheinen 

[142]  zu  Anfang  des  zweiten  Lehrjahrs,  und  er  |  müßte  enthalten 

1)  die  enzyklopädischen  Ansichten  der  angestellten  Lehrer 

jedes  Faches,  die  sie  ja  ohne  Zweifel  bei  der  Vorbereitung 

auf    dieses    ihnen    großenteils    neue    Kollegium    schrifthch 

30  entworfen  und  während  des  mündlichen  Vortrages  und 
der  mit  den  Lehrlingen  angestellten  Übungen  verbessert 
haben  würden.  2)  Die  Probeaufsätze  der  Studierenden, 
welche  gebilligt,  und  deren  Verfassern  die  Befugnis,  das 
Regulat  nachzusuchen,  gegeben  worden.    Sollte  das  letztere 

35  zu  weitläuftig   ausfallen,    so   könnten  aus   den   gelungenen 

nur    die    gelungensten    ausgewählt,    der    andern    aber    nur 

im  allgemeinen  mit  dem  gebührenden  Lobe  gedacht  werden. 

(Der  zweite  Punkt  wäre  zugleich  die  den  Lehrern,  die 

das  Regulat  zuerst  besetzen,  allerdings  nicht  zu  erlassende 

40  öffentliche     Rechenschaft,     daß     sie    hierbei    nach     festen 


Deduzierter  Plan.  95 

Grundsätzen  und  keineswcges  willkürlich  verfahren;  in- 
gleichen die  Weisung  an  Studierende  und  deren  Eltern, 
v.as  bei  künftigem  Ansprüche  auf  dasselbe  Regulat  von 
ihnen  wenigstens  gefordert  werden  würde.  Wenigstens: 
denn  es  könnte  so  kommen,  daß  das  erstemal,  um  denn  5 
doch  überhaupt  ein  an  Personal  auch  nicht  gar  zu  schwaches 
Regulat  einzusetzen,  nach  ein  wenig  mildern  Grundsätzen 
verfahren  werden  müßte,   denn  späterhin.) 

Aus  denselben  Bestandteilen,  Nachträgen  der  Lehrer 
zu  ihren  enzyklopädischen  Ansichten,  und  Probe-  [ aufsätzen  t-^.pi 
neuer  Kandidaten  des  Regulats  würden  die  Jahrbücher 
auch  zu  Anfange  des  dritten,  vierten  usw.  Lehrjahres  be- 
stehen, so  lange  bis  wir  Aufsätze  von  solchen,  die  bei  uns 
das  Meistertum  erhalten  hätten,  mitteilen,  und  so  die  Auf- 
sätze der  Schüler  ungedruckt  lassen  könnten.  Erst  mit  15 
diesen  ginge  die  eigentliche  Rechenschaftsablegung  des 
Lehrers  über  seine  Lehrerkunst  an. 

Hier  auch  hebt  die  eigentliche  Rechenschaft  der  ge- 
samten Kunstschule  über  den  Fortschritt  des  Lehrertalents 
und  der  Künstlerbildung  an  ihr  an.  Werden,  noch  ab-  20 
gerechnet  die  Steigerung  des  Begriffes  selbst,  (wovon 
§  praeced.),  in  der  Form  die  Aufsätze  der  künftigen  Meister 
klärer,  gewandter,  freier,  leichter,  denn  die  der  frühern, 
so  steigt  die  Kunst;  das  Gegenteil  davon  wäre  ein  Beweis, 
daß  sie  wenigstens  in  dieser  Rücksicht  fiele,  und  die  gc-  25 
samte  Akademie  hätte  zusammenzutreten  und  Anstalten 
zu  treffen,  ne  detrimenti  quid  capiat  respublica. 

Schon  in  den  andern  mit  den  Lehrlingen  anzustellen- 
den Übungen,  recht  eigentlich  aber,  und  auch  andern  sicht- 
bar in  diesen  Jahrbüchern,  kann  ein  Lehrer  sehen,  ob  ein  30 
anderes,     jugendlicheres      und     gewandteres      Lehrertalent 
neben   ihm   aufkomme,   und   er   hat   sodann   ohne   Säumen 
auszutreten     und   diesem    seinen    Lehrstuhl    zu    überlassen. 
Der  eigentliche  Vater  dieses  Studium,  und  der  fortdauernde 
Berater    und    Warner    in    demselben   bleibt    er    immerfort.   35 
I        Der  hier  entworfene  Begriff  solcher  Jahrbücher  wäre  [Hi] 
dem  ersten  anhebenden  Teile  derselben  in  einer  das  große 
Publikum  befriedigenden  Deutlichkeit  vorn  anzusetzen,  und 
hätten  wir  in  dieser  Einleitung  uns  auf  alle  hier  aufgestellten 
Grundsätze   für   uns   und   unsere    Nachkommen,   vor   Welt  40 
und  Nachwelt,  auf  ewig  zu  verpflichten. 


96  Fichte. 


§   64. 


Betreffend  den  Fortgang  insbesondere  des  Stoffbuches 
durch  uns  geht  dieser,  wie  sich  versteht,  auch  bei  uns, 
so  wie  in  der  übrigen  Welt,  seinen  Weg  fort.  Es  wäre 
5  hierbei  nur  folgendes  anzumerken.  Zuvörderst  ist  wohl 
von  keinem  unserer  Akademiker  zu  erwarten,  daß  er,  ent- 
weder um  das  Dasein  seiner  Person  kund  zu  tun,  oder 
um  an  den  Ehrensold  irgend  eines  schlecht  unterrichteten 
Buchhändlers  zu  kommen.  Geschriebenes  schreibe  und,  kom- 

10  piliercnd  aus  zehn  Büchern,  ein  eilftes  mache,  und  hätte, 
falls  dergleichen  doch  einem  beikäme,  die  gesamte  Aka- 
demie die  gemeinschaftliche  Ehre  zu  retten  und  die  Schmach 
des  Einzelnen  von  sich  abzuwehren.  Sodann,  dergleichen 
Vermehrungen     des    Stoffbuches    von    selten    unsrer    Aka- 

15  demiker  müßten  zunächst  auf  das  gegenwärtige  Bedürfnis 
unsrer  Kunstschule  gehen  und  bestimmt  sein,  diesem  ab- 
zuhelfen; und  es  wäre  Arbeiten  von  dieser  Beziehung  der 
Vorzug  vor  andern  zu  geben.  Im  Falle  eines  solchen  Be- 
dürfnisses  könnten  wir  auch  Auswärtige  zur  Mithilfe  durch 
r-j/tn  Aussetzung  eines  Preises  auffordern;  der  Aka- 1  demiker 
selbst  ist  für  den  Preis  zu  hoch;  dem  Bedürfnisse  der 
Familie  abzuhelfen,  wenn  er  kann,  ist  ihm  ohnedies  Pflicht 
wie  Freude,  und  sind  die  vom  Rate  der  Alten  recht  eigent- 
lich für  dieses  Geschäft,  auch  in  Absicht  des  Buchwesens, 

25  eingesetzt. 

Einen  Teil  des  fortschreitenden  Stoffbuches  jedoch 
müssen  wir  als  ein  notwendiges  GHed  in  unsem  Plan 
aufnehmen,  und  die  regelmäßige  Fortsetzung  desselben 
organisieren;   ich  meine  die   Niedcrlegung  der  an  unserer 

30  Akademie  gemachten  neuen  Entdeckungen  für  Geschichte 
und  Naturwissenschaft,  zu  welcher  letztern  auch  das  in 
der  ärztlichen  Praxis  Entdeckte,  das  einen  wissenschaft- 
lichen Aufschluß  über  die  Natur  verspricht,  gehört,  und 
wir   deswegen   auch,   ohnerachtet   wir   die   ärztliche   Praxis 

35  ganz  von  uns  auszuschließen  gedenken,  für  diesen  letztem 
Behuf  einen,  oder  etliche  Männer  imter  unsern  Akade- 
mikern haben  müssen.  Es  ist  unsere  Pflicht  sowohl,  als 
unser  Vorteil,  daß  diese,  sobald  sie  zu  einer  bestimmten 
schriftlichen  Relation  haltbar  genug  geworden,  nicht  inner- 

40  halb   unserer   Gesellschaft   bleiben,   sondern  auch  das  aus- 


Deduzierter  Plan.  97 

wärtige  Publikum,  das  uns  ja  auch  diesen  neuen  Stoff  be- 
arbeiten helfen  soll,  Kunde  davon  erhalte.  Es  müßten  drum 
angelegt  werden  Jahrbücher  der  wissenschaftlichen 
Entdeckungen  an  unserer  Akademie.     Ob  der  Stoff 
so  reich  ausfalle,  daß  er  einer  selbständigen  periodischen    5 
Schrift  bedürfe,  oder  ob  diese  Jahrbücher  mit  dem  tiefer 
tmten  zu  erwähnenden  Werke,  der  Biblio-  [thek  der  Akade-  [146] 
mie,    vereinigt    werden    sollten,    mag    entschieden   werden, 
wenn   es   an   die   wirkliche  Ausführung  geht.     So   viel   ist 
klar,  daß  wir  kein  Bändchen  der  Fortsetzung  solcher  Jahr-  10 
bücher  liefern  können,  wenn  wir  innerhalb  der  Zeit  nichts 
Neues    entdeckt    haben,    daß    sie    somit    keinesweges    be- 
stimmte  Termine   ihrer   Erscheinung  halten  können. 

§  65. 

Noch  ein  Hauptgegenstand  der  Beachtung  unserer  15 
Akademie  ist  die  Benutzung  des  außerhalb  unsers  und 
anderwärts  fortschreitenden  Stoff-,  sowie  auch  Kunst- 
buches, und  die  Nutzbarmachung  desselben  für  diejenigen 
unserer  Mitglieder,  die  wegen  andrer  Geschäfte  nicht  Zeit 
haben,  aufs  bloße  Geratewohl  zu  lesen  (die  ausübenden  20 
Lehrer  und  Studierenden),  von  denjenigen  aus  uns,  die 
diese  Zeit  haben,  (dem  Rate  der  Alten). 

Es   ist   dazu   erforderlich   zuvörderst,   daß   man   diesen 
Fortschritt,  d.  h.  die  neu  erschienenen  Schriften  historisch 
kenne.     Für    diesen    Behuf    erscheint   nun   zu    Leipzig    der  25 
bekannte  Meßkatalog  als  das  Verzeichnis  ihrer  zu  Markte 
gebrachten   Ware,    dessen    Besorgung,    wie    sich   versteht, 
eine  Sache  des  Verkäufers  der  Ware  ist.     Es  mochte  gut 
sein,  daß  sich  fertigere  Federn  fanden,  welche  diesen  ]\Ieß- 
katalog  paraphrasierten ;    doch  war  und  blieb   dies  immer  30 
eine  rein  merkantilische   Sache,   zum  Dienste  des   Käufers 
und  Verkäufers;  und  eine  allgemeine  Literaturzeitung  kann 
durchaus  auf  [  keinen  höheren  Wert  Anspruch  machen,  als  [147] 
auf  den  eines  Journals  des  Luxus  und  der  Moden.     Daß 
diese   subalternen    Handarbeiter   durch   schlecht   unterrich-  35 
tete  Schmeichler  sich  überreden  ließen,  sie  verwalteten  zu- 
gleich das  Geschäft  der  Kritik,  und  dieses  lasse  sich  eben 
mit  der  durchaus  merkantilischen  Rücksicht,  den  ganzen 
Meßkatalog  herunter  zu  rezensieren,  vereinigen;  daß, 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  7 


98  Fichte. 

nachdem  die  Meinung  einmal  entstanden,  sogar  solche, 
die  da  wohl  fähig  gewesen  waren,  das  Amt  der  Kritik 
zu  verwalten,  sich  verleiten  ließen,  zuweilen  ein  treffen- 
deres Wort  in  jenen  unwürdigen  Kontext  hineinzuwerfen, 
5  ist  in  unsern  Tagen  eine  der  ergiebigsten  Quellen  des  lite- 
rarischen und  andern  Verderbens  geworden,  und  es  ist 
darüber,  auf  Handlanger  und  Unternehmer  solcher  Para- 
phrasen des  Meßkatalogs,  ein  größeres  Maß  von  Spott 
gefallen,  als  sie  Kraft  hatten,  zu  verdienen.     Da  die  Lieb- 

10  haberei  unserer  Leser  noch  immer  nach  dergleichen  Lite- 
raturzeitungen sich  hinzuwenden  scheint,  und,  so  viel  dem 
Schreiber  dieses  bekannt  ist,  der  eigentliche  Grund  ihrer 
Verwerflichkeit  selten  rein  ausgesprochen  und  ins  Auge 
gefaßt  wird,  so  sagen  wir  noch  bestimmt,  daß  dieser  unser 

15  Entwurf  anmute,  zu  begreifen  folgendes :  daß,  wenn  auch 
etwa  überhaupt,  was  wir  hier  an  seinen  Ort  gestellt  sein 
lassen,  die  Zeit  sich  herausnehmen  dürfe,  die  Zeit  zu  kriti- 
sieren, diese  Kritik  wenigstens  nicht  an  der  Allheit  der 
erscheinenden  Bücher,  so  wie  die  einzelnen  uns  unter 

20  die  Hände  fallen,  geübt  werden  könne,  indem  ein  solcher 

[148J  Vorsatz  [  selbst  einen  absolut  unkritischen,  unphilosophischen, 

der  Einheit   unempfänglichen,   planlosen   Geist  voraussetzt, 

und   nur   eine   planlose   und   verworrene   Geburt   erzeugen 

kann;  sondern  daß  sie  an  ganzen  Klassen  und  Arten 

25  von  Büchern,  die  nach  Innern  Kriterien  schon  vorher 
unterschieden  worden,  geübt  werden  müsse ;  daß  jener 
Vorsatz,  alles  aus  der  Presse  Hervorgegangene  zu  rezen- 
sieren, offenbar  die  Rücksicht  auf  gleiche  Gerechtigkeit 
gegen  alle  Verleger,  als  WarenHeferanten,   dartue,   wie  es 

30  denn  auch  die  Verleger  sind,  welche  auf  die  Vollständig- 
keit der  Literaturzeitungen  am  meisten  dringen,  und  über 
Vergewaltigung  laut  klagen,  wenn  einer  ihrer  Artikel  un- 
angezeigt  geblieben ;  daß  demnach  der  merkantilische  Zweck 
der   wesenthche,    den    Plan    und   das    Grundgesetz    solcher 

35  Unternehmungen  bestimmende;  der  kritische  aber  nur  der 

hinterher,  als  Vorwand  hinzugekommene  ist,  und  daß  man 

sogar  auch  darüber  sich  niemals  ernsthaft  beratschlaget,  ob 

eine  Vereinigung  dieser  beiden  Zwecke  auch  wohl  möglich  sei. 

Möge   wenigstens    von    unserer   Akademie   eine   solche 

40  Verwirrung,  welche  ihr  und  der  Kunstschule  Wesen  so- 
gleich im  Beginn  zerstören  würde,  fern  bleiben! 


Deduzierter  Plan.  99 

Übrigens  mag  in   Gottes   Namen,  und  es  wäre   dieses 
sogar  höchst  ratsam,  in  der  Hauptstadt  unserer  Monarchie, 
neben    dem    Sitze    der    Akademie,    auch    eine    solche    voll- 
ständige  Paraphrase   des   Meßkatalogs   er- [scheinen;   wäre  [U9J 
es  auch  nur  darum,  um  die  anderwärts  erscheinenden  auf-     5 
geblasenen   Zwitternaturen   von   unsern   weniger   unterrich- 
teten Mitbürgern  abzuhalten.     Es  sei  dies  ein  Privatimter- 
nehmen  eines,  etwa  des  akademischen  Buchhändlers.    Die 
Sache   ist    Handarbeit,    welcher   der   Leipziger   unparaphra- 
sierte  Meßkatalog  zur  Basis  diene.    Der  Referent  versichert  10 
als  Äugenzeuge,  daß  das  Buch  wirklich  erschienen  sei   und 
er  es  unter  den  Augen  gehabt  habe;    das   sei  sein  Titel, 
so   viel  koste   es,   und   hierauf   läßt   er   die   Inhaltsanzeige 
und   irgendeine    Stelle    aus    dem   Buche   abdrucken.     Über 
die  Wahl  dieser  Stellen,  auch  etwa  über  ganz  auszulassende  15 
Schriften,   mag   er   die   Akademie   derjenigen    Klassen,   die 
ohnedies  aus  andern  Gründen  diese  Bücher  durchzulaufen 
haben,  befragen  dürfen,  und  wäre  diesen  eine  allgemeine 
Aufsicht  und  Zensur  dieses  Meßkatalogus,  jedem  in  seinem 
Fache,  zu  übertragen.  —  Halte  zu  diesem  Behuf  der  Unter-  20 
nehmer   sich    einige   Zugewandte,    wiewohl    auch   ganz   un- 
studierte  Kaufmannsbursche  das  Geschäft  versehen  könnten. 

Was  dagegen  der  Akademie  als  solcher  in  Beziehung 
auf  die  auswärtige  Vermehrung  des  Buchwesens  recht 
eigentlich  zukommen  würde,   wäre  folgendes :  25 

1)  Die  Mitglieder  des  Rates  der  Alten  nehmen,  jeder 
für   sein    Fach,    die    durch   die   letzte    ^N'Iesse   erfolgte   Ver- 
mehrung des  Buches  für  dieses  Fach  vollständig  in  Augen- 
schein, welches,  wenn  die  Literatur  der  Deut- [sehen  ihren  [150] 
bisherigen   Charakter     noch   lange   behält,   großenteils  mit  30 
Durchsicht    der    Inhaltsanzeigen,    der    Register,    der    Vor- 
reden, und  einigem  Durchblättern  sich  wird  abtun  lassen. 
Sollte  in  dieser  Durchsicht  dem  einen  etwas  vor  die  Augen 
kommen,  das  nicht  eigentlich  zur  Kompetenz  seines  Faches 
gehörte  und  hier  sich  nur  in  dasselbe  verloren  hätte,  so  macht  35 
er  den,  in  dessen  Fach  es  eigentlich  gehört,  aufmerksam. 

2)  Was    nun    in    dieser    dermaligen    Vermehrung    des 
Buches  sich  findet    als  Fortschritt,  d.  i.   als  Verbesserung 
oder  Erweiterung  des   Stoffbuches  in  diesem  Fache,  oder 
auch    als  Erhöhung  des  Kunstbuches,  nach  dem  oben  an-  40 
gegebenen  Maßstabe  einer  solchen  Erhöhung,  wird  nieder- 


100  Fichte. 

gelegt  in  einem  andern  periodischen  Werke,  welches  man 
Jahrbücher  der  Fortschritte  des  Buchwesens,  oder 
auch  die  Bibliothek  der  Akademie  nennen  könnte. 
Was  bloße  Wiederholung  des  schon  Bekannten  ist,  wird 
5  mit  Stillschweigen  übergangen.  Rückfälle  in  schon  wider- 
legte Irrtümer  mögen,  falls  nämlich  zu  befürchten  wäre, 
daß  ein  Mitglied  unserer  Akademie  dadurch  geirrt  werden 
könnte,  angezeigt  werden.  Da  eine  solche  Übersicht  aus- 
geht  von    der    bisherigen    Literatur   des    Faches,    die    ihre 

10  feststehenden  Abteilungen  schon  haben  wird,  so  kann  sie 

recht  füglich  an  diese,  als  den  Grundleitfaden,  sich  halten 

zeigend,  wie  jeder  dieser  Teile  bereichert  worden  sei,  und 

so   das    Buch,   wo   diese   Bereicherung   sich  vorfindet,   auf 

[151]  Veranlassung   des    Inhalts,   keinesweges    aber  |  den    Inhalt 

15  auf  Veranlassung  des  Buches,  wie  dies  die  Paraphrase  des 
Meßkatalogs  tut,  anführen. 

Bücher,  in  denen  gar  nichts  Neues  steht,  ohne  daß 
sie  doch  auch  als  eine  Erfrischung  des  bisherigen  Buch- 
wesens  in   diesem   Fache   gelten  könnten,   und   die   daher 

20  gar  nicht  existieren  sollten,  werden  in  dieser  Bibhothek 
ganz  übergangen.  Es  würde  ganz  zweckmäßig  sein,  daß 
dergleichen,  nach  Angabe  dieser  Referenten  in  der  Biblio- 
thek, die  man  darüber  zu  befragen  hätte,  auch  in  dem  Meß- 
katalog übergangen  würden,   damit,   so  wie  wir  selbst  auf 

25  die  bloße  Buchmacherei  Verzicht  tun,  wir  auch  die  Unter- 
stützung der  auswärtigen  Buchfabriken  durch  den  Ankauf 
unserer  weniger  unterrichteten  Mitbürger  verhindern.  Das 
Publikum  wisse,  daß  es  desjenigen,  das  sogar  unser  Meß- 
katalog übergeht,  sicherlich  nicht  bedarf. 

30  Diese  Bibliothek  ist  unserer  Akademie  Bibliothek, 

und  zunächst  für  deren  Gebrauch  geschrieben.  Mit  dem 
ersterwähnten  Durchwühlen  des  ganzen,  durch  die  Messe 
herbeigeführten  Schuttes  braucht  keiner  unserer  Lehrer 
oder   unserer    Schüler    sich    zu   bemühen;     selber   der    alte 

35  Akademiker  und  Mitarbeiter  an  der  Bibliothek  braucht 
es  nur  mit  dem,  der  auf  seinen  Teil  gefallen  ist;  die 
übrigen  Teile  haben  andere  für  ihn  übernommen.  Und 
so  hat  denn  unser  Akademiker  nur  diese  Bibliothek  zu 
lesen,  und  findet  in  ihr  die  bestimmte  Nachweisung,  was 
|--.(.,^-|  er  etwa  noch  außerdem  |  neu  Erschienenes  zu  lesen  habe. 
Für    ihn     ist     daher    diese    Bibliothek   allerdings    Kritik, 


Deduzierter  Plan.  101 

Scheidung  des  zu  Lesenden  von  dem  nicht  zu   Lesenden, 
des  ganzen  neusten  Buches. 

Will  auch  das  auswärtige  Publikum,  und  unter  ihnen 
die    V'erfasser    und    Verleger    dieses     gesamten     neusten 
Buches,    diese    Bibliothek,     die    durchaus    nicht    ihnen    zu-     5 
liebe  geschrieben   ist,   dennoch  lesen,   so   steht  ihnen  dies 
ganz  frei.     Wollen   sie  ferner  dieselbe  als  allgemein,   und 
so  auch  für  sie  geltende  Kritik  setzen,  so  tun  sie  das  auf 
ihre    eigene    Verantwortung.     Wir    wenigstens,    uns    auf 
die  Unsrigen  beschränkend,  haben  niemals  einen  solchen  10 
arroganten   Anspruch   gemacht,    unsem   Richterspruch  der 
ganzen  Welt  aufzudringen;  dringt  er  sich  ihnen  aber  etwa 
von   selbst   in   ihrem   eigenen   Bevinißtsein  auf,   so   ist  dies 
ein  desto  ehrenvolleres  Zeugnis  für  uns.    Was  daraus  ent- 
stehen möge,  so  haben  wir  mit  Verfassern  oder  Verlegern  15 
nichts   abzutun,    indem   wir   uns   diesen   niemals   für    etwas 
verbunden  haben. 

(Daß,  weil  wir  nicht  blind  herumtappen,  sondern  nach 
einem  festen  Plane  einhergehen,  wir  gar  bald  zu  großem 
Ansehen  gelangen  werden,  und  daß  dies  mächtig  zur  \^er-  20 
besserung  des  ganzen  Literaturwesens  wirken  werde,  läßt 
sich  voraussehen.  Jedoch  ist  sogar  diese  große  Folge  nur 
eine  zufällige,  die  wir  nicht  beabsichtigen;  denn  zu  beschei- 
den, das  Heil  der  |  ganzen  Welt  auf  unsre  Schultern  laden  [153] 
zu  wollen,  denken  wir  zunächst  nur  auf  unser  eignes  Heil.)  '-'5 

§  66. 
Noch  sind  allein  übrig  die  oben  erwähnten  Anstalten, 
wodurch  wir  von  den   Bemühungen  anderer   wissenschaft- 
licher  Körper,   welche   Bemühungen  noch  nicht   Festigkeit 
genug  erhalten  haben,  um  im  Buche  niedergelegt  zu  werden,  30 
zeitig  Notiz  erhalten,  und  diese  Körper  in  die  Lage  setzen, 
von  den  gleichen  Bemühungen  bei  uns  Notiz  zu  nehmen. 
Es   wäre   in   dieser   Rücksicht   vorzuschlagen:     1)    daß   wir 
an   allen    bedeutenden    Akademien    und    Universitäten   des 
deutschen  Vaterlandes  sowohl  als  des  Auslandes  uns  einen  35 
besondern  Freund  und  Repräsentanten  erwählten  aus  den 
Mitgliedern    eines    solchen    Korps;    gegenseitig    diesen    er- 
laubend und  sie  einladend,  dasselbe  bei  uns  zu  tun.     Diese 
Repräsentanten   wären    ersucht,    alles,    was   an   ihrem   Orte 
von  der  eben  erwähnten  Art  sich  zutrüge,  davon  sie  glaubten,  40 


102  Fichte. 

daß    es    die    befreundete    Akademie    interessieren    könnte, 
derselben  durch  Korrespondenz  zu  melden.     2)  Damit  wir 
jedoch,    tiefer    denn    diese   fremden   Berichte,    die   nur    die 
erste  Aufmerksamkeit  erregen  sollen,  und  selbst  dasjenige, 
5  was  diese  etwa  mit  Stillschweigen  übergehen,  mit  eigenen 
Augen  zu  sehen  uns  in  den  Stand  setzen,  sollen,  womöglich 
ununterbrochen,  junge  Männer  aus  unserer  Mitte  zu  ihnen 
gesendet  werden  und  bei  ihnen  einige  Zeit  sich  aufhalten, 
l154]  die  nach  erfolgter  |  Rückkehr  uns  mündlichen  Bericht  ab- 
10  statten,  wie  sie  alles  befunden.     Diese  sind  zu  allemächst 
an   unsern    Repräsentanten   adressiert,    der   ihnen  mit   Rat 
und   Tat   an   die    Hand  gehe.     Es   versteht   sich,   daß   wir 
dasselbe   den   verbündeten   Gesellschaften   zugestehen,   und 
die  Ihrigen  also  behandeln,  wie  wir  wollen,  daß  die  Unsrigen 
15  von    ihnen    behandelt    werden.      So    wünschen    wir     ohne 
Zweifel,   daß   die   Unsrigen   den   unbeschränktesten    Zutritt 
zu  allen   wissenschaftlichen   Übungen   der  Auswärtigen  er- 
halten,   und    müssen    drum    diesen    denselben    Zutritt    bei 
uns    geben.      Keinesweges    aber    wünschen    wir,    daß    den 
20  Unsern   bei    diesen    Besuchen    etwa   das    Sehwerkzeug   des 
Auslandes    untergeschoben    werde,    sondern    daß    sie    sich 
ihres  eigenen  Auges,    so  wie  es  bei  uns  gebildet  worden, 
bedienen;    wir  sind  darum  ebensowenig  befugt,  oder,  falls 
wir    unsern    Augpunkt    für    besser    zu    halten    berechtiget 
25  sein    sollten,    verpflichtet,    ihn    unsern    Gästen    zu    leihen, 
sondern   mögen   sie   das   Vermögen   zu  sehen   eben   schon 
mitgebracht   haben.     Der   hierüber   nötigen    Politik   mögen 
sich  sowohl  unsere  zu  diesen  Gesandtschaften  gebrauchten 
Mitbürger,     als    alle    unsere    Akademiker    befleißen;     und 
30  es  haben  z.  B.  die  ersten  nicht  gerade  nötig,  dem  Ausländer 
gegenüber   laut   über   ihn   zu   denken,    sondern    sie    mögen 
sich  berichten  lassen;   ihres  Herzens  wahre  Gedanken  aber, 
bis  zu  ihrer  Rückkehr  in  unsere  Mitte,  für  sich  behalten. 
Die   zu   diesen  wissenschaftlichen   Gesandtschaften  am 
r<K^1  besten   sich   qualifizierenden   Subjekte  wären   bei   uns  |  ge- 
zogene   und  gelungene  Regularen,  und  könnten  sie  damit 
sehr   füglich    die   Zeit    zwischen   ihrem   Austritte    aus    dem 
Regulat  und  ihrem  Eintritte  in  die  Akademie  ausfüllen. 
Vorzüglich    würden    zu    diesen    Geschäften    gebraucht 
40  werden,   und,   falls   sie   nur  geradeso   gut  wie  andere   sich 
dazu  qualifizierten,  diesen  sogar  vorgezogen  werden  müssen 


Deduzierter  Plan.  103 

die  Söhne  aus  der  Universitätsstadt,  und  besonders  die 
unserer  Akademiker;  es  versteht  sich,  wenn  die  Haupt- 
beding'ung,  daß  sie  gelungene  Regularc:i  wären,  von  ihnen 
erfülh  wäre.  Dieses  zwar  keinesweges  als  ein  persön- 
liches Vorrecht,  dergleichen  bei  uns  keine  Geburt  gibt,  5 
sondern  vielmehr  als  Gleichstellung  niit  den  übrigen, 
und  Entschädigung  dafür,  daß  sie  die  Universitätsstadt 
an  ihrem  Geburtsorte  finden  und  im  Grunde  aus  dem 
Umkreise  der  Ihrigen  zu  einem  völlig  selbständigen  Leben 
noch  niemals  herausgekommen  sind,  und  so  die  hiermit  10 
verknüpften,  oben  erwähnten  Vorteile  bisher  verloren  haben. 

§  67. 
Korollarium. 

Unsere    Akademie    an    und    für    sich    betrachtet,    gibt 
in   der   von   ims   angegebenen  Ausführung  das   Bild   eines  15 
vollkommnen  Staats;    redliches   Ineinandergreifen   der  ver- 
schiedensten Kräfte,  die  zu  organischer  Einheit  tmd  Voll- 
ständigkeit verschmolzen  sind,  zur  Beförderung  |  eines  ge-  [156] 
meinsamen   Zweckes.     An   ihr    sieht   der   wirkliche    Staats- 
künstler  immerfort   dieselbe   Form   gegenwärtig    und   vor-  20 
banden,    welche    er    auch    seinem    Stoffe   zu   geben    strebt, 
und    er    gewöhnt    an    sie    sein,    von    ntm    an    durch   nichts 
anderes  zu  befriedigendes  Auge. 

Dieselbe  Akademie  stellt  in  ihrer  Verbindung  mit  den 
übrigen,  außer  ihr  vorhandenen  wissenschaftlichen  Körpern  20 
dar  das  Bild  des  vollendet  rechtlichen  Staatenverhältnisses. 
Alle,  in  sich  übrigens  allein,  geschlossen    und  selbständig 
bleibend,    kämpfen    aus    aller    ihrer    Kraft    um    denselben 
Preis,  die  Beförderung  der  Wissenschaft    und  der  wissen- 
schaftlichen Kunst;    aber  ihr  Wettkampf  ist  notwendig  red-  30 
lieh,  und  keiner  kann  den  errungenen  Sieg  verkennen  oder 
schmälern,  ohne  sich  selbst  der,  allen  gemeinschaftlichen, 
und  bei  unendlicher  Teilung  dennoch  immer  ganz  bleiben- 
den  Ausbeute   des    Sieges    zu    berauben.     Ihr   Wettkampf 
ist  liebend;    das  beleidigte  Selbstgefühl  des  Überwundenen  35 
hebt  sogleich  sich  wieder  empor  an  der  Freude  über  den  ge- 
meinsamen Gewinn,  und  die  augenblickliche  Eifersucht  geht 
schnell  über  in  Dank  an  den  Förderer  des  gemeinen  Wesens. 

Diese    Form    einer    organischen    Vereinigung    der   aus 


104  Fichte. 

lauter  verschiedenen  Individuen  bestehenden  Menschheit 
vermag  in  ihrer  Sphäre  die  Wissenschaft  zu  allererst,  und 
dem  Kreise  der  übrigen  menschlichen  Angelegenheiten 
[157]  lange  zuvorkommend,  zu  realisieren.  Als  ein-  ]  zelne  Republik 
5  darum,  weil  zuvörderst  das  Interesse,  das  in  dieser  Sphäre 
scheiden,  trennen  und  voneinander  halten  könnte  das 
zu  Einigende,  bei  weitem  nicht  so  dringend  und  gebieterisch 
herrscht,  als  das  der  sinnlichen  Selbsterhaltung,  welches 
auf  des   Staates   Gebiet   entzweiet  und   sich  befeindet;   so- 

10  dann,  weil  selber  das  Element,  das  die  Wissenschaft  be- 
arbeitet, die  Denkart  veredelt  und  die  Selbstsucht  schmäh- 
lich macht.  Als  ein  Verein  von  Republiken  darum,  weil  alle 
genau  wissen  mid  verstehen,  was  sie  eigentlich  Avollen; 
dagegen    die    politischen    Entzweiungen    der    Völker     imd 

15  weltverheerende  Kriege  sich  sehr  oft  auf  die  verworrensten 
und  finstersten  unter  allen  möglichen  Vorstellungen  gründen. 
In  dieser  frühern  Realisierung  der  für  alle  menschlichen 
Verhältnisse  eben  also  angestrebten  Form  ist  sie  an  dem 
einen,  das   sie  gestaltete,   Weissagung,   Bürge    und  Unter- 

20  pfand,  daß  auch  das  übrige  einst  also  gestaltet  sein  werde, 
der  strahlende  Bogen  des  Bundes,  der  in  lichten  Höhen 
über  den  Häuptern  der  bangen  Völker  sich  wölbt. 

Aber  selbst  indem  sie  noch  verheißet,  erfüllet  sie  schon, 
imd  ist   gedrungen   zu   erfüllen.     Die   einzige   Quelle   aller 

25  menschlichen  so  Schuld  wie  Übels  ist  die  Verworrenheit 
derselben  über  den  eigentlichen  Gegenstand  ihres  WoUens; 
ihr  einiges  Rettungsmittel  daher  Klarheit  über  denselben 
Gegenstand;  eine  Klarheit,  welche,  da  sie  nicht  uns  fremd 
bleibende  Dinge  erfaßt,  sondern  die  innerste  Wurzel  unsers 
[■-.f-oi  Lebens,  unser  Wol-|len  ergreift,  auch  unmittelbar  einfließt 
in  das  Leben.  Diese  Klarheit  muß  nun  jeder  wissenschaft- 
liche Körper  rund  um  sich  herum,  schon  um  seines  eigenen 
Interesse  willen,  wollen  und  aus  aller  Kraft  befördern; 
er  muß  daher,  so  wie  er  nur  in  sich  selbst  einige  Konsistenz 

35  bekommen,  unaufhaltsam  fortfließen  zu  Organisation  einer 
Erziehung  der  Nation,  als  seines  eigenen  Bodens,  zu  Klar- 
heit und  Geistesfreiheit,  und  so  die  Erneuerung  aller 
menschlichen  Verhältnisse  vorbereiten  und  möglich  machen; 
durch  welche  Erwähnung  der  Nationalerziehung  war  wieder 

40  am  Schlüsse  unsers  ersten  Abschnittes  niedergesetzt  werden, 
und  so  den  bis  ans  Ende  durchlaufenen  Kreis  schließen. 


Geleofentliche  Gedanken 


über 


Universitäten 


deutschem  Sinn. 


Nebst 

einem  An  hang 

über 
eine   neu  zu   errichtende. 


F.  Schleiermacher. 


Berlin   1808. 
In  der  Realschulbuchhandlung. 


Vorrede. 


Nur  ein  kleines  \'or\vort  für  die  kleine  Schrift.    Schon 
durch  die  Art,  wie  sie   sich   bezeichnet,   will  sie  gern  die- 
jenigen abweisen,  welche  hier  etwa  aus  irgendeinem  Miß- 
verstand  eine   wissenschaftliche   erschöpfende   Behandlung     5 
des  Gegenstandes   suchen  möchten.     Es  wäre  falsche   Be- 
scheidenheit, wenn,  was  [  so  gemeint  ist,  sich  nur  für  etwas   [IV] 
Gelegentliches   ausgeben   wollte;   wie   es   Anmaßimg   wäre 
und  leere  Prahlerei,  wenn,  was  nur  gelegentlich  entstanden 
ist  und  nur  so  wirken  soll,  sich  wissenschaftlich  gebärden  10 
wollte.      Die    Sache   verträgt    allerdings    eine    strenge    und 
gründliche  Behandlung;    das  wissenschaftliche  Feld,  wohin 
sie    gehört,    mag   auch    dem   Verfasser    nicht    ganz    fremd 
sein,  und  er  hofft,  daß   die  hier  vorgetragenen   Gedanken 
selbst    größtenteils    auch    dort    eine    Stelle    würden    finden  15 
müssen.    Nur  hier  macht  er  gar  nicht  Anspruch  auf  wissen- 
schaftliche Reife  oder  strenge  Darstellung.     Er  trägt  seine 
Ansicht  ohne   diesen  Grad  der  Vollendung  vor,   gelegent- 
lich tmd  soviel  möglich  leicht   hingewor- 1  fen  als   ein  ver-  [V] 
ständliches   Wort,    zur   Beherzigung   für   eine    Zeit,    welche  20 
während  der  Zerstörung  so  vieles  Alten  auch  so  manche 
neue  Keime  entA\dckelt. 

Wer     bei     Pflanzung    oder    Erneuerung    wissenschaft- 
licher  Anstalten    mitzuwirken    hat,    kann    sich    doch    nicht 
genug   vorsehn,    ob    er    auch    den    Gegenstand,    über    den  25 
er  zu   ratschlagen  hat,   und   seine   einzelnen  Teile   in   ihrer 


108  Schleiermacher. 

wahren  Beziehung  aufgefaßt  habe.  Schon  seit  langer  Zeit 
werden  die  entgegengesetztesten  Ansichten  über  diese 
Sache  aufgestellt.  Jede  enthält  unstreitig  etwas  Wahres 
und  ist  beherzigungswert;  aber  wenn  es  doch  nur  eine 
5  Seite  ist,  die  sie  nach  Neigung  oder  nach  Umständen 
[VI]  heraushebt,  so  muß  doch  die  Vor-  [  Stellung  des  Ganzen, 
die  sich  bloß  hieraus  bildet,  unsicher,  störrig  und  ver- 
schroben ausfallen;  denn  einzelne  Beziehungen  können 
nie   das    Maß   der   Sache   selbst   sein,   ja   auch   ihr   eignes 

10  Maß  nicht  in  sich  haben.  Und  leider,  wie  schwer  ist  es 
nicht  zu  vermeiden,  daß  Neigung,  daß  besondere  Ver- 
hältnisse, daß  oft  sogar  ein  fremdartiges  Bedürfnis  nicht 
Einfluß  erhalte  auf  die  Überlegungen  derer,  die  eben 
zu  handeln  haben! 

15  Drum   soll   auch  derjenige   nicht   unwillkommen   seine 

Stimme  vernehmen   lassen,   der   Muße  hat,    sich  vor  dem 

Gegenstand  niederzulassen,  und  ihn,  \ne  er  sich  seit  langer 

Zeit  verschiedenthch  unter  uns  gestaltet  hat,  von  allen  Seiten 

[VII]  zu  betrachten.    Denn  auch,  |  wo  Neues  gebaut  werden  soll, 

20  ist  es  von  der  größten  Wichtigkeit  zu  wissen,  was  von  dem- 
Bisherigen  wesentlich  oder  zufällig,  und  was  vielleicht  gar 
in  Irrtum  und  Mißverständnis  gegründet  gewesen,  und 
also  verwerflich  ist,  wie  sich  dessen  in  allen  Zweigen  des 
menschlichen   Tuns   und   Wirkens   immer   finden  muß. 

25  Eine   solche  Betrachtung  eignet   sich  am  meisten  zur 

öffentlichsten  Mitteilung,  weil  sie  nicht  nur  für  die  wenigen 
angestellt  wird,  welche  auf  diesem  Gebiet  schaffen,  um- 
bilden, regieren  sollen,  sondern  für  alle,  die  einen  leb- 
haften  Anteil    an   der    Sache   nehmen.      Diese   alle   daher 

30  möchte   sich    der  Verfasser   einladen,   ihm   bei   seiner   Be- 

[VIII]   schauung  zuzuschauen,  [  und  dadurch  aufgeregt  zu  werden, 

den  Gegenstand,  es  sei  nun  so  wie  er  oder  besser  als  er, 

auf   jeden    Fall   aber   gründlicher    als    zuvor    zu    erkennen. 


[1] 


Vom  Verhältnis  des  wissenschaftlichen  Vereins  zum 
Staate. 


Man  kann  annehmen,  daß  fast  allgemein  die  Voraus- 
setzung gemacht  wird,  es  solle  unter  den  Menschen  nicht     ö 
nur  Kenntnisse  aller  Art  geben,  sondern  auch  eine  Wissen- 
schaft.    Die   Ahndung   von   ihr,    das    Verlangen   nach   ihr 
regt  sich  überall.    Selbst  die,  welche  ihr  Geschäft  am  aller- 
meisten   nach    hergebrachter    Gewohnheit    behandeln,    be- 
rufen  sich   auf  die  Voreltern;    was   gar  keinen   Sinn   hat,  10 
wenn  nicht   das   dunkle   Gefühl   darin  liegt,   diese   müßten 
bei    dem    gleichen   Verfahren    nicht    bloß    das    Recht    der 
Gewohnheit  für  sich  gehabt  haben,  sondern  vielmehr  einen 
höheren    Grund.      Ebenso    die,     welche     in     menschhchen 
Dingen  irgend  etwas  durch  die  Kraft  des  bloßen  Instinkts  15 
vv^eiter  fördern,   berufen  sich  darauf,   daß   andern  obliegen 
müsse,  ihr  Tun  zu  erklären  und  verständig  zu  rechtfertigen. 
Dies  alles  weiset  auf  die  Wissenschaft  hin. 
I        Daß   aber   diese   durchaus   nicht    Sache  des   einzelnen  [2] 
sein,  nicht  von  einem  allein  zur  Vollendung  gebracht  und  20 
vollständig    besessen    werden    kann,    sondern    ein    gemein- 
schaftliches   Werk    sein   muß,    wozu    jeder    seinen    Beitrag 
liefert,   so    daß   jeder   in   Absicht   ihrer  von  allen   übrigen 
abhängig   ist,    und   nur    einen   herausgerissenen    Teil    sehr 
unvollkommen  allein  besitzen  kann,  auch  das  muß  gewiß  25 
allgemein   einleuchten.     Wie   genau  hängt   doch   alles    zu- 
sammen    und    greifet    ineinander    auf    dem    Gebiete     des 
Wissens,  so  daß  man  sagen  kann,  je  mehr  etwas  für  sich 
allein   dargestellt   wird,   um   desto   mehr    erscheine   es   im- 
verständlich  und  verworren,  indem  streng  genommen  jedes  30 
einzelne   nur   in   der  Verbindung   mit   allem   übrigen   ganz 
kann  durchschaut  werden,  und  daher  auch  die  Ausbildung 
jedes   Teiles    von   der   aller   übrigen    abhängig   ist.     Diese 


110  Schleiermacher 

notwendige  und  innere  Einheit  aller  Wissenschaft  wird 
auch  gefühlt  überall,  wo  sich  bestimmte  Bestrebungen 
dieser  Art  zeigen.  Alle  wissenschaftlichen  Bemühungen 
ziehen  einander  an  und  wollen  in  eines  zusammengehen, 
5  und  schwerlich  gibt  es  auch  auf  irgendeinem  andern  Ge- 
biete des  menschlichen  Tuns  eine  so  ausgebreitete  Gemein- 
schaft,  eine   so  ununterbrochen  fortlaufende  Überlieferung 

[3]  von  den  [  ersten  Anfängen  an,  als  auf  dem  der  Wissen- 
schaft.   Freilich  nicht,  als  ob  nicht  auch  hier  die  Bemühim- 

10  gen  der  Menschen  gesondert  und  mannigfaltig  geteilt,  ja 
hie  und  da  sogar  gewaltsam  und  willkürlich  auseinander 
gerissen  wären.  Was  verschiedene  Völker  gleicher  Zeit 
wissenschaftlich  betreiben,  hängt  oft  äußerlich  gar  wenig 
zusammen;    und   noch  mehr   erscheinen  ganze   Zeitmassen 

15  voneinander  gesondert.  Allein  wer  die  Sache  etwas  im 
Großen  ansieht,  dem  kann  auch  hier  in  dem  fortschreitenden 
Bestreben,  alles  Getrennte  allmählich  zusammenzubringen, 
die  vorherrschende  Gewalt  einer  inneren  Einheit  nicht 
entgehen. 

20  Bei    diesem    Zusammenhange    nun    kann    es    nur    ein 

leerer  Schein  sein,  als  ob  irgendein  wissenschaftlicher 
Mensch  abgeschlossen  für  sich  in  einsamen  Arbeiten  und 
Unternehmungen  lebe.  Vielmehr  ist  das  erste  Gesetz  jedes 
auf    Erkenntnis    gerichteten    Bestrebens:    Mitteilung;    und 

25  in  der  Unmöglichkeit,  wissenschaftlich  irgend  etwas  auch 
nur  für  sich  allein  ohne  Sprache  hervorzubringen,  hat 
die  Natur  selbst  dieses  Gesetz  ganz  deuthch  ausgesprochen. 
Daher  müssen  sich  rein  aus  dem  Triebe  nach  Erkenntnis, 
wo  er  nur  wirklich  erwacht  ist,  auch  alle  zu  seiner  zweck- 

^^  mäßigen  Befriedigimg  nötigen  Verbin- 1  düngen,  die  ver- 
schiedensten Arten  der  Mitteilung  imd  der  Gemeinschaft 
aller  Beschäftigmigen  von  selbst  gestalten;  und  es  wäre 
irrig  zu  glauben,  daß  alle  dergleichen  Anstalten,  wie  es  jetzt 
scheint,  nur  das  Werk  des  Staats  sein  könnten.     Niemand 

35  wird  angeben  können,  wie  dieser  darauf  gekommen  sein 
sollte,  das  Wissen,  wenn  es  ursprünglich  ganz  zerstreut 
gewesen  wäre,  auf  solche  Weise  zu  sammeln.  Nur  da 
werden  alle  Unterrichtsanstalten  eigentlich  vom  Staate  aus- 
gehn  müssen,  wo  über  ein  noch  ganz  rohes  Volk  eine  kleine 

40  Anzahl  eines  gebildeten  bildend  herrscht,  und  den  Trieb 
des  Wissens  erst  in  jenem  erwecken  will.     Man  sehe  nur. 


Gelegentliche  Gedanken.  Hl 

wie  schon  im  Schöße  der  Famihe  die  Elemente  zum  Unter- 
richt und  zur  Gemeinschaft  der  Kenntnisse  sich  selbst 
bilden;  wie  zweifelhaft  es  im  allgemeinen  bleibt  auch 
von  den  größeren  Vorkehrungen,  ob  sie  von  selbst  ent- 
standen, oder  vom  Staat,  oder  von  der  Kirche  gegründet  5 
sind.  Ergibt  sich  nicht  aus  allem,  daß  wir,  um  der  Natur 
der  Sache  getreu  zu  bleiben,  alle  solche  Veranstaltungen  als 
etwas  Ursprüngliches,  aus  freier  Neigung,  aus  innerem 
Triebe  Entstandenes  ansehen  müssen? 

Aber   freilich    je   mehr    sie    sich    ausbilden,    um    desto  10 
mehr  erfordern  sie  Hilfsmittel,  Werkzeuge  man- 1  eher  Art,  [5] 
Befugnis   der    Verbundenen,    auch    als    solche    mit    andern 
auf    eine   rechtsbeständige   Art    zu   verkehren.      Dies    alles 
kann    freilich    nur   durch    den    Staat    erlangt   werden,    und 
daher  ergeht  an  ihn  die  Anmutung,  diejenigen,  die  sich  zum  15 
Behuf  der  Wissenschaft  miteinander  verbimden  haben,  wie 
wir    uns     ausdrücken,    als    eine    morahsche    Person    anzu- 
erkennen, zu  dulden  und  zu  schützen.  Bei  deutschen  Völker- 
schaften   und    Verfassungen    kann     diese     Zumutung     am 
wenigsten   befremdlich    sein,    da    wir    bei    ihnen   beständig  20 
eine   Menge  freier  Vereinigungen  zu  allerlei  Zwecken  be- 
stehen und  entstehen  sehen,  die  der  Staat  nicht  nur  duldet, 
so  lange  sie  sich  als  unverdächtig  ausweisen,  so  daß  man 
ihnen,  um  Verfolgung  gegen  sie  zu  erregen,  immer  etwas 
Unbürgerliches,    Staatzerstörendes    erweisen   muß,    sondern  25 
denen  er  auch  Vorrechte  mancher  Art  einräimiet,  wie  sie 
zusammengesetzten  Personen,  die  ja  doch  größer  sind  als 
einzelne,  wohl  geziemen  mögen. 

Wie  es  aber  auch  mit  andern  Vereinigungen  vielfältig 
geschieht,  daß,  wenn  der  Staat  von  ihrer  Nützlichkeit  über-  30 
zeugt  ist,  er  sie  sich  allmählich  so  aneignet  und  sie  in  sich 
aufnimmt,    daß    man    hernach    nicht    mehr    imterscheiden 
kann,  ob   sie  frei  für  |  sich  entstanden  oder  von  der  ver-  [6] 
waltenden  Macht  gestiftet  worden  sind,  dasselbige  ist  auch, 
wie  wir  sehen,  sogar  mit  den  wissenschaftlichen  Verbindun-  35 
gen   geschehen;    wiewohl,    wenn    die    Erfahrung    nicht    so 
klar  vor  Augen  stände,  jeder  zweifeln  möchte,  ob  wirklich, 
bei  dem  genauen  Zusammenhang  aller  wissenschaftlichen 
Bestrebungen    derselben    gebildeten    Zeit,    diejenigen,     die 
innerhalb  eines  gewissen  Staates  entstanden  sind,  sich  gut-  40 
willig  von  den  übrigen  trennen,  imd   dagegen  dem  Staat, 


112  Schleiermacher. 

der  ihnen  eigentlich  fremd  ist,  sich  so  genau  würden  an- 
schheßen  wollen.  Und  freilich  fehlt  es  auch  nicht  an  einer 
ebenso  in  die  Augen  fallenden  Widersetzlichkeit  des  wissen- 
schaftlichen Vereins  gegen  diese  zu  genaue  Verbindung. 
5  Das  Wahre  und  Natürliche  von  der  Sache  scheint  aber 
dieses  zu  sein. 

Alle  wissenschaftlichen  Tätigkeiten,  welche  sich  in  dem 
Gebiet  einer  Sprache  bilden,  haben  eine  natürliche  genaue 
Verwandtschaft,   vermöge   deren   sie   näher   unter  sich,   als 

10  mit  irgend  anderen  zusammenhängen,  und  daher  ein  eignes 
gewissermaßen  abgeschlossenes  Ganzes  in  dem  größeren 
Ganzen  bilden.  Denn  was  in  einer  Sprache  wissenschaftlich 
erzeugt  und  dargestellt  ist,  hat  teil  an  der  besonderen  Natur 

[7]  dieser  Sprache;  wenn  es  sich  |  nicht  ganz  unmittelbar  auf 

15  Erfahrungen  und  Verrichtungen  bezieht,  die  überall  not- 
wendig dieselben  sein  müssen,  wie  im  Gebiete  der  Mathe- 
matik und  der  experimentalen  Naturlehre,  so  läßt  es  sich 
nicht  genau  ebenso  in  eine  andere  Sprache  übertragen, 
und  bildet  daher  unter  sich  vermöge  des  Zusammenhanges 

20  mit  der  Sprache  ein  gleichartiges  Ganzes.  Für  die  Wissen- 
den bleibt  es  allerdings  eine  notwendige  Aufgabe,  auch  die 
Trennung  zwischen  diesen  verschiedenen  Gebieten  wieder 
aufzuheben,  die  Schranken  der  Sprache  zu  durchbrechen, 
und,  vv-as  durch  sie  geschieden  zu  sein  scheint,  vergleichend 

25  aufeinander  zurückzuführen;  eine  Aufgabe,  in  welcher 
vielleicht  die  wissenschaftliche  Beschäftigung  mit  den 
Sprachen  ihr  höchstes  Ziel  findet.  Allein  diese  Aufgabe 
ist  offenbar  für  die  Gemeinschaft  des  Wissens  die  höchste, 
vielleicht  nie  aufzulösende,  und  eben  dadurch  bewährt  sich 

30  nur  desto  mehr  jene  Absonderung  als  eine  unumgängliche. 
Denken  wir  uns  also  auf  allen  Punkten  aus  freiem  Triebe 
nach  Erkenntnis  wissenschaftliche  Verbindungen  ent- 
stehend, so  werden  sich  diese  zunächst  so  weit  zu  ver- 
einigen streben,  als  das  Gebiet  einer  und  derselben  Sprache 

35  reicht.  Dies  wird  der  engste  Bund  sein,  und  jede  darüber 
hinai:sgehende   Gemeinschaft  nur  eine  weitere. 

[8]  I  Dem  Staat  aber  leuchtet  auch  ein,  daß  Kenntnisse 
und  sogar  Wissenschaften  etwas  Heilsames  und  Treffliches 
sind.     Wie   groß  oder  klein   er   auch   sei,   wie  recht  oder 

40  unrecht  er  daran  tue,  ein  eigner  sein  zu  wollen :  er  kann 
als  solcher  nur  durch  eine  Masse  von  Kenntnissen  bestehn. 


Gelegentliche  Gedanken.  113 

die  sich  möglichst  der  Totahtät  nähert,  so  wenigstens,  daß 
von  allen  Zweigen  des  Wissens  einige  Spur,  einiges  Bewußt- 
sein in  ihm  vorkomme  durch  lebendigen  Sinn,  durch  Nach- 
frage, durch  williges  Aufnehmen,  wenn  denn  auch  zu  einer 
eigentümlichen    Art    der   Vollendung   nur    einiges    in    ihm     5 
gedeiht.      Wenigstens    ein    anständiges    und.  edles    Leben 
gibt  es  für  den  Staat  ebensowenig  als  für  den  einzelnen, 
ohne  mit  der  immer  beschränkten  Fertigkeit  auf  dem  Ge- 
biete  des    Wissens   doch   einen    allgemeinen    Sinn   zu   ver- 
binden.    Für   alle  diese  Kenntnisse  nun   macht   der   Staat  10 
natürlich  und  notwendig  eben  die  Voraussetzung  wie  der 
einzelne,   daß   sie   in  der  Wissenschaft   müssen   begründet 
sein,    und   nur   durch   sie  recht   können   fortgepflanzt   und 
vervollkommnet    Averden.      Er    sucht    sich    daher    in    einen 
lebendigen  Zusammenhang  zu  setzen  mit   allen  Bestrebun-  15 
gen,    die    zu   dieser   Vervollkommnung   führen;     er   nimmt 
sich  der  Anstalten  an,  die  er  selbst  müßte  gestiftet  haben, 
wenn    er    sie   j   nicht   gefunden    hätte;     und    da    auch    der  [9] 
wissenschaftliche    Verein    ein    Bedürfnis    hat,    vom    Staate 
geschützt  und  begünstiget  zu  werden,  so  werden  beide  ein  20 
Bestreben    haben,    sich    miteinander    zu    verständigen    und 
zu  einigen.     Der   Staat  aber  arbeitet   nur  für   sich,   er  ist, 
wie    er   geschichtlich   erscheint,    durchaus    zunächst    selbst- 
süchtig, und  will  also  auch  die   Unterstützung,  die  er  der 
Wissenschaft  bietet,  nicht  über  seine  Grenzen  hinaus  wirk-  25 
sam  sein  lassen.     Wenn  nun  der  Staat  das  Gebiet  seiner 
Sprache  ganz  erfüllt,  so  strebt  auch  die  wissenschaftliche 
nähere  Vereinigung  nicht  über  seine  Grenzen  hinaus ;  und 
so  geht  die  Verbindung  zwischen  beiden  ohne  allen  Zwiespalt 
vor  sich,  schneller  oder  langsamer,  je  nachdem  beide  Teile  30 
lebendiger  überzeugt  sind,  oder  nur  mangelhafter  einsehen, 
wie  sie  einer  des  andern  bedürfen,   und  was  sie  einander 
leisten  können.     Wenn  aber  der  Staat  dieses  Gebiet  nicht 
ausfüllt :    so    haben    er    und    der    wissenschaftliche    Verein 
bei  ihrer   abzuschließenden  \'erbindung  ein  verschiedenes  35 
Interesse.    Die  wissenschaftlichen  Männer  wollen  den  Staat 
und   seine    Unterstützungen    nur   gebrauchen,    um    in   dem 
größeren  Gebiet  der  Sprache  recht  kräftig  wirken  zu  können 
zu  ihrem  Zwecke;    die  engeren  Grenzen  des  Staates  wollen 
sia   nicht  |  für    die   ihrigen    anerkennen;     und    müssen    sie  i.^, 
ihm  für   seine   Unterstützungen   Dienste   leisten,    so   sehen 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  R 


114  Schleiermacher. 

sie  diese  nur  als  etwas  Untergeordnetes  an.  Die  Re- 
gierungen hingegen  sind  nur  um  so  mehr  eifersüchtig  auf- 
einander, als  sie  einander  näher  stehen,  und  fürchten  von 
der  weiterstrebenden  wissenschaftlichen  Verbindung  Gleich- 
5  gültigkeit  für  den  Staat,  oder  gar  Vorliebe  für  fremde 
Einrichtungen,  imd  andere  nachteilige  Einflüsse  auf  den 
Geist  der  Untertanen;  sie  tun  daher  das  Mögliche,  um 
den  näheren  Verein  auch  der  Gelehrten  in  den  Grenzen 
des    Staates    eingeschränkt    zu    halten.      Umgekehrt,    wenn 

10  ein  Staat  das  Gebiet  mehrerer  Sprachen  umfaßte :  so  würde 
er  alle  Gelehrten  in  seinem  Umfange  einladen,  sich  gleich 
nahe  zu  vereinigen  und  auch  als  solche  ein  Ganzes  zu 
bilden.  Diese  aber  würden  offenbar  zwei  Parteien  dar- 
stellen,  jede   Zunge  würde   die   Begünstigung   des   Gewalt- 

15  habers  der  anderen  abzuringen  suchen,  und  aufrichtige 
Verbrüderung  würde  nur  unter  denen  stattfinden,  die  eine 
Sprache  reden.  Daß  es  unnatürlich  ist,  wenn  ein  Staat 
sich  über  die  Grenzen  der  Sprache  hinaus  vergrößern 
will,  hat  neuerlich  ein  großer  Herrscher  selbst  behauptet, 

20  so   daß    man   sich   nur   wundern   muß,   was   doch   für   eine 
[11]  dringende  Notwendigkeit  selbst  |  ein  so  klares  Bewußtsein 
wie   das    seinige   beherrschen   konnte.     Ob    es    ebenso   un- 
natürlich ist,  wenn  das  Gebiet  einer  und  derselben  Sprache 
sich   in    so    viele   kleine    Staaten   zerteilt,    als    Deutschland 

25  erleidet,  das  sei  dahingestellt.  Wenigstens  scheint  es  rat- 
sam, wenn  sie  in  einer  genauen  Verbindung  bleiben,  und 
töricht,  wenn  jeder  von  ihnen  seine  wissenschaftlichen  Ein- 
richtungen abgeschlossen  für  sich  besitzen  will.  Denn 
nur   äußerlich    und    erzwungen    können    diese    ein    Ganzes 

30  bilden,  welches,  je  kleiner  der  Staat,  desto  lächerlicher 
werden  wird,  wenn  es  sich  vollständig  gestalten  will;  der 
Natur  der  Sache  nach  können  sie  immer  nur  Teile  des 
weitergreifenden  Vereins  sein,  und  müssen  sich,  je  mehr 
sie   sich   absondern   wollen,   um   so   mehr   des   wohltätigen 

35  Einflusses  der  übrigen  Teile  und  damit  zugleich  ihrer 
Nahrung  und  Gesundheit  berauben.  In  der  Tat  wunder- 
licher und  von  dem,  was  das  gemeine  Wohl  erfordert,  ent- 
fernter kann  wohl  nichts  sein,  als  wenn  ein  deutscher 
Staat  sich  mit  seinen  wissenschaftlichen  Bildungsanstalten 

40  einschließt.  Vielmehr  inniger  sollte  sich  die  Gemeinschaft, 
in   welcher    solche    Staaten    stehen   müssen,    nirgends   aus- 


Gelegentliche  Gedanken.  115 

sprechen  als  in  wissenschaftlichen  Dingen;   und  wenn  gar 
die    natürliche     Richtung     dahin    gehen     sollte,     daß     sie 
ebenso  eins  [  würden,  wie  die  Sprache  immer  mehr  eine  [12] 
wird,  wo  gäbe  es  wohl   ein  leichteres  sichreres  und  natür- 
licheres Vorbereitungsmittel  hiezu,  als  wenn  auf  dem  wissen-    5 
schaftlichen  Gebiet,  welches  in  so  genauer  Wechselwirkung 
sowohl  mit  dem  Staate  als  mit  der  Sprache  steht,  die  viel- 
seitigste,  treueste,  eifersuchtsloseste  Gemeinschaft  gestiftet 
würde,    durch    welche    die    innere    Einheit    des    äußerlich 
Getrennten    recht   klar    zutage   käme  ?     Und    wodurch    soll  10 
denn  endlich  klar  und  leidenschaftlos  entschieden  werden, 
wie   lange    diese   Absonderung    dauern,    und    wie   weit    sie 
gehen  soll,  als  durch  die  möglichst  weit  verbreitete  wissen- 
schaftliche  Bildung,    welche   die   Besonnenheit  erhält,   von 
keinem  einzelnen   Interesse  geblendet  wird,  und  die  klein-  15 
liehen  Leidenschaften  und  Vorurteile  allmählich  ausrottet? 
Dennoch  haben  sich  wenige  von  unsern  vaterländischen 
Regierungen    von    allen    Fehlern    in    dieser    Hinsicht    frei 
gehalten;  sondern  anstatt  daß  jede  bei  sich  sollte  gepflegt 
haben,   was   sie  konnte,   und  überall   Regierung  und  Volk  20 
mitgenießend  und  benutzend  froh  und  stolz  gewesen  sein 
über  alles,   was  sich  irgendwo  im  Umfang  des  deutschen 
Vaterlandes   bildete,    haben   je   länger   je   mehr   zwei   ganz 
entgegengesetzte   Maßregeln  überhand  genommen.    Einige 
1   Regierungen  nämlich  wetteiferten  miteinander  darin,  die  T^^. 
ihnen  untergebenen  Bildungsanstalten  zum  Mittelpunkt  alles 
wissenschaftlichen     Verkehrs      für     ganz     Deutschland     zu 
machen,  indem  sie  darauf  bedacht  waren,  von  weit  umher 
alles,  was  sich  wissenschaftlich  auszeichnet,  an  sich  zu  ziehen, 
sollten  auch  andere  Staaten  dadurch  in  Dürftigkeit  versetzt  30 
werden.    Wenn  hiebei  nur  ein  wahrer  Wetteifer  zum  Grunde 
gelegen  hätte,  ja  nicht  hinter  dem  zurückbleiben  zu  wollen 
was  man  tun  konnte;  wenn  dabei  die  gute  Meinung  gewesen 
wäre,    für   die   kleinern   Staaten,   die   hierauf    nicht   zu   viel 
verwenden  konnten,  mit  zu  arbeiten,  Anstalten  für  sie  mit  35 
zu  unterhalten,   und  Talente  für  sie  mit   zu  belohnen:  so 
wäre  nicht  viel  dagegen  zu  sagen  gewesen.     Die  Absicht 
v\'ar  aber  eigentlich  zuerst,  daß  jeder  Staat  in  Befriedigung 
seiner     wissenschaftlichen     Bedürfnisse     sich     unabhängig 
machen  wollte  von  jedem  andern,  da  doch  die  wahre  Un-  40 
abhängigkcit  hierin  nur  die  sein  kann,  wenn  zu  des  gemein- 


116  Schleiermacher. 

schaftlichen  Gutes  Erhahung  und  Vermehrung  jeder  nach 
Verhältnis  reichlich  beiträgt,  jenes  aber  nur  eine  hoch- 
mütige, verderbliche  Prahlerei  ist.  Dann  wollte  man  auch 
-  durch  geistiges  Übergewicht  dem  Staate  Macht  und  Ansehn 
[14]  verschaffen  über  sein  eigentliches  Gebiet  |  hinaus.  Dies 
ist  freilich  die  friedlichste  und  schönste  Art  der  Eroberung; 
aber  der  Wissenschaft  kann  es  leicht  gefährlich  werden, 
wenn  das  bloße  Geld  den  Gelehrten  zur  Lockspeise  ge- 
macht   wird.      Und    werden    diese    Eroberungen    im    Miß- 

10  Verhältnis  mit  der  natürlichen  Wichtigkeit  des  Staates  oder 
in  einem  kleinlichen  Stile  betrieben  :  so  ist  das  überhaupt 
lächerlich  oder  krankhaft.  Die  andere  Maßregel  ist  die 
wissenschaftliche  Sperre,  wenn  nämlich  die  Regierungen 
das     wissenschaftliche     Verkehr    mit     dem    Auslande    be- 

15  schränken  oder  aufheben,  und  ihre  Bürger  hindern,  auf 
jede  Art,  wie  sie  es  wünschen,  an  den  wissenschaftlichen 
Bemühungen  benachbarter  Staaten  teilzunehmen.  Geschieht 
dies,  wo  die  Kirche  den  Staat  beherrscht,  wie  bis  neuerhch 
größtenteils   im   katholischen   Deutschland :   so   ist   das   ein 

20  bedauernswürdiger  Beweis  eines  finstern  Zustandes.  Ver- 
sucht diese  Sperre  ein  mäßiger  Staat,  der  von  größeren 
umgeben  ist,  und  fühlt,  daß  er  sich  auf  alle  Weise  an- 
strengen und  alle  Mittel  zu  Hilfe  nehmen  muß,  um  seine 
Selbständigkeit    so    lange    als    möghch    gegen    sie    zu    be- 

25  haupten:    so   ist   zu   beklagen,   daß   man   sich   so   gewaltig 
verrechnen    kann    bei    so    löblicher    Absicht,    indem    doch 
[15]  geistige  Beschränktheit,  die  aus  solcher  Absonderung  |  ent- 
stehen muß,  niemals  die  Selbständigkeit  sichern  oder  ver- 
mehren kann.     Wenn  aber  gar  ein  selbst  mächtiger  Staat, 

30  und  der  auch  jenes  Erobern  mit  Erfolg  betreibt,  wenig 
zufrieden  mit  dem,  was  er  in  diesem  Fache  schon  geleistet 
hat,  bis  er  das  Fehlende  ersetzen  kann,  auch  noch  die 
Sperre  verordnet :  so  ist  das  offenbar  ein  Hochmut,  eine 
Illiberalität,  eine  niedrige  und  geldsüchtige  Ökonomie,  die 

35  auch  auf  die  Absicht  jener  Eroberungen  ein  noch  nach- 
teiligeres Licht  wirft,  und  mehr  als  irgend  etwas  eine 
solche  Regierung  bei  allen  Gebildeten  der  Nation  verhaßt 
machen  muß. 

Allein  in  einem  noch  wesentlicheren  Punkte  pflegt  der 

40  Staat,  indem  er  sich  der  wissenschaftlichen  Anstalten  an- 
nimmt, von  der  Art,  wie  sie  müssen  geleitet  und  geordnet 


Gelegentliche  Gedanken.  117 

v.crden,   eine   ganz   andere   Ansicht   zu   haben,    als   die   Ge- 
lehrten, welche  zum  Behuf  der  Wissenschaft  selbst  näher 
unter    sich    verbunden    sind.      Beide    Teile    würden    gewiß 
sehr  einig  sein,  wenn  der  Staat  von  den  Forderungen  eines 
alten  Weisen,  wenn  auch  nicht  die  erste,  daß  die  Wissenden  5 
herrschen  sollen,   doch   die   zweite,   daß   die ,  Herrschenden 
wissen   sollen,   recht   wollte   gelten  lassen  in   ihrem  vollen 
Sinne.      Die    Staatsmänner,    auch    diejenigen,    welche    das 
gemeine   Wesen   am  meisten   |   fortbilden,    erscheinen   sich  [16] 
und    anderen    mehr    den    Künstlern    ähnlich,    als    daß    sie  10 
wissenschaftlich    zu    Werke    gingen,    indem    sie    den    Staat 
handhaben.    Glücklich  ahndend,  das  Rechte  herausfühlend, 
bringen  sie  unbewußt  hervor,  und  gestalten  mit  geschickter 
Hand  nach  einem  ihnen  einwohnenden  Urbilde,  v.'ie  jeder 
Künstler  nach  dem  seinigen.     Das  ist  leicht  zu  erkennen  15 
und  aufrichtig   zu  loben,   und   so   herrschen   sie  allerdings 
nicht   als   Wissende.     Aber   daß   dieser  künstlerische    Sinn 
doch  bei  denen  am  gebildetsten  und  richtigsten  sein  wird, 
welche    entweder    selbst    die    Tatsachen    und    Erfahrungen 
wissenschaftlich   anzusehn   verstehn,   oder  wenigstens   Dar-  20 
Stellungen   derselben,   die'  diesen   Endzweck  haben,   zu   be- 
nutzen;   daß   der   Staatsmann,   wie  jeder,    der   künstlerisch 
etwas     hervorbringt,    aus    dem    Schatze    der    Wissenschaft 
mittelbar  oder  unmittelbar  für  seine  Kunst  schöpfen  muß, 
v,-ie     gewiß    auch    er    ihn    seinerseits    durch    seine    Werke  25 
wiederum  bereichert ;  daß  wahre  Verbesserungen  in  allen 
Zweigen    der    Staatsverwaltung    nur    um    so    sicherer    ein- 
geleitet werden  und  gedeihen  können,  als  die  Herrschenden 
und  soviel  möglich  auch  die  Beherrschten  die  wahre  Idee 
des  Staates  überhaupt  sowohl,  als  auch  dieses  bestimmten  30 
richtig  aufgefaßt  haben,   und  mit   dem   1  Bewußtsein   der-  [17] 
selben   Beispiele   aus    dem   ganzen   Gebiet   der    Geschichte 
zu  benutzen  wissen,  und  daß  also  auf  jede  Weise  wahrhaft 
gewußt   werden   muß,    wenn   gut   geherrscht   werden   soll : 
dies  sollte  wenigstens  um  so  mehr  anerkannt  werden,  da  35 
schon  die  Erfahrung  zeigt,  daß,  wenn  man  sich  auf  irgend 
einem   Gebiet   von   dieser   Einsicht   entfernt,   in   demselben 
entweder    ein   tumultuarischer,    anarchischer    Zustand    sich 
bildet,  wie  im  ehemaligen  Polen  imd  in  manchem  anderen 
Reiche,    welches    bei    vielen    Kenntnissen    nur    gar    wenig  40 
Wissenschaft  besitzt,  oder  auch  ein  Kastenwesen  entsteht. 


X1Q  Schleiermacher. 

eine  ärmliche  Empirie,  die  sich  streng  und  ängstlich  an 
die  Tradition  anschließt,  im  offenbaren  Mißverhältnis  mit 
andern  besser  geleiteten  und  daher  fortschreitenden  Zweigen. 
Allein  eben  dies  wird  doch  oft  gar  nicht  anerkannt,  sondern 

5  vielmehr  der  Einfluß,  den  die  Wissenschaft  auf  den  Staat 
zu  gewinnen  sucht,  gehaßt  und  gefürchtet.  Der  Staat  ist 
alsdann  natürlich  nur  von  dem  unmittelbaren  Nutzen  der 
Kenntnisse  überzeugt  und  ergriffen.  Ausgebreitete  Be- 
kanntschaft  mit   Tatsachen,    Erscheinungen   und   Erfolgen 

10  aller  Art   sucht  er  zu  begünstigen,  und  wenn  er  sich  der 

wissenschaftlichen  Anstalten  annimmt,  sie  vorzüglich  hier- 

[18]  auf  zu   lenken.     Denjenigen   hingegen,   welche   sich    |  zum 

Behuf    der    Wissenschaft    freiwillig   vereinigen,    kommt    es 

auf  ganz   etwas  anderes  an,   als  allein  auf  die  Masse  der 

15  Kenntnisse.  Was  sie  vereiniget,  ist  das  Bewußtsein  von 
der  notwendigen  Einheit  alles  Wissens,  von  den  Gesetzen 
und  Bedingungen  seines  Entstehens,  von  der  Form  und 
dem  Gepräge,  wodurch  eigentlich  jede  Wahrnehmung,  jeder 
Gedanke,   ein   eigentliches   Wissen   ist.     Und   eben    dieses 

20  Bev/ußtsein  suchen  sie  vornehmlich  zu  erwecken  und  zu 
verbreiten,  durch  welches  aliein  auch  in  allen  Kenntnissen 
und  in  jeder  Erweiterung  derselben  die  Wahrheit  und  die 
Sicherheit  kann  erhalten  werden.  Darum  arbeiten  sie  über- 
all schon  bei  einer  m^äßigen  Summe  von  Kenntnissen  darauf 

25  hin,  ihnen  diesen  wissenschaftlichen  Charakter  zu  geben. 
Wo  nur  erst  das  Notdürftigste  über  einen  Gegenstand  in 
Erfahrimg  gebracht  ist,  ziehn  sie  ihn  in  das  Gebiet  der 
Wissenschaft,  suchen  die  Einheit  darin  auf,  aus  welcher 
alles    Mannigfaltige    begreiflich   wird,    trachten   das    Ganze 

SO  in  jedem  Einzelnen  zu  sehen,  und  wiederum  jedes  Einzelne 
nur  im  Ganzen.  So  auch  jeden  Menschen,  den  sie  sich 
ähnlich  bilden  wollen,  führen  sie,  auch  nur  mäßig  ausge- 
rüstet, gleich  auf  diesen  Hauptpunkt  wissenschaftlicher  Ein- 
[19]  heit   und   Form,   üben  ihn   in   dieser   Art  zu   |  sehen,   und 

35  lassen  ihn  nur,  nachdem  er  sich  so  festgesetzt  hat,  noch 
tiefer  in  das  Einzelne  hineingehn,  weil  er  alles  wirklich 
wissen  soll  im  strengeren  Sinn,  imd  sonst  alles  Anhäufen 
einzelner  Kenntnisse  nur  ein  unsicheres  ümhertappen  wäre, 
was  immer  nur  in  bezug  auf  eine  bessere  Behandlung  einen 

40  vorläufigen  Wert  haben  könnte.  Der  Staat  hingegen  ver- 
kennt nur  zu  leicht  den  Wert  dieses  Bestrebens,  und  je  lauter 


Gelegentliche  Gedanken.  119 

sich  die  Spekulation  —  so  wollen  wir  immer  nennen,  was 
sich  von   wissenschaftlichen   Beschäftigungen   überwiegend 
nur  auf  die  Einheit  und  die  gemeinschaftliche  Form  alles 
Wissens  bezieht  —  je  lauter  sich  diese  gebärdet,  desto  mehr 
sucht  der  Staat  sie  zu  beschränken,  und  allen  seinen  Ein-     5 
fluß,    den   aufmunternden   imd   den   einengenden,   dazu   zu 
gebrauchen,    daß    die   realen   Kenntnisse,    die    Massen    des 
wirklich  Ausgemittelten,  auch  ohne  Hinsicht  darauf,  ob  jenes 
Gepräge  der  Wissenschaft  ihnen  aufgedrückt  ist  oder  nicht, 
allein  gefördert  werden,  und  als  die  einzig  echten  Früchte  ^0 
alles    auf    Erkenntnis     gehenden     Bestrebens     erscheinen. 
Dieser    Richtimg    nun    muß    der    wissenschaftliche    Verein 
notwendig  entgegenstreben,  und  die  edleren  Mitglieder  des- 
selben werden   daher   immer   darnach  trachten,   sich   mög-  ^ 
liehst    zur    Unabhängigkeit    |  vom    Staat    heraufzuarbeiten,   roQ-i 
indem  sie  teils  ihre  Vereinigung  der  Gewalt  und  Anordnung 
des   Staates   zu  entziehen,   teil,s  ihren  eigenen   Einfluß  auf 
denselben  zu  erhöhen  suchen.    Wo  möglich  flößen  sie  dem 
Staate   eine   würdigere   imd  wissenschaftlichere   Denkungs- 
art  ein;  wo  aber  nicht,  so  suchen  sie  wenigstens  sich  selbst  -0 
je   länger   je   mehr    Glauben   und  Ansehn    zu   verschaffen. 
Je   mehr   aber   die   wissenschaftlich    Gebildeten   so   in   den 
Staat  verflochten  sind,  daß  das  Wissenschaftliche  bei  ihnen 
vom   Politischen    überwogen   wird    und   nicht    zum   klaren 
Bewußtsein  kommt,  desto  eher  werden  sie  sich  diesen  Ein-  -5 
griffen  des   Staates  fügen;  und  je  genauer  sich  in  diesem 
Sinn  beide   Teile  verbinden,   um  desto   m^ehr   isoliert   sich 
ein  solcher  Teil  des  größeren  wissenschaftlichen  National- 
vereins  von   allen   übrigen,    die   ihre   eigentümlichen   Prin- 
zipien fester  halten,  und  sinkt  zu  einer  bloßen  Veranstaltung  30 
für  den   Gebrauch  des   Staates  herab.     Vorzüglich  wo  der 
Staat   schon  das   gesamte   Gebiet   der   Sprache   zu   einem 
Ganzen  verbunden  hat,  und  also  sehr  mächtig  und  glänzend 
ist,    schlägt    dieser    Kampf    gewöhnlich    zum    Nachteil    der 
Wissenschaft  aus.     Und  wenn  man  dem  entgegengesetzten  35 
Zustand  einige  Vorzüge  zugestehen  will,  so  ist  gewiß  dies 
keiner  der  i  geringsten,  daß  alsdann  der  Staat  wenigstens   [21] 
in  dieser  Hinsicht  die  Wissenschaft  freier  gewähren  läßt, 
vväre  es  auch  nur  um  sich  mit  ihr  zu  schmücken. 

Auf  dasjenige,  was  in  dieser  Darstellung  flüchtig  hin-  -iO 
geworfen  ist,  werden  wir  öfters  zurückweisen  müssen;  denn 


120  Schleiermacher. 

ohne  die  vornehmsten  Momente  dieser  Gegenwirkungen 
zwischen  Staat  und  Wissenschaft  im  Auge  zu  haben,  ist 
es  nicht  möghch,  die  äußeren  Schicksale  der  letzteren  zu 
begreifen,  oder  wenn  eine  bestimmte  Aufgabe  gelöset  werden 
5  soll,"  einen,  dem  jedesmaligen  Verhältnis  zwischen  Staat 
und  Wissenschaft  angemessenen  Gang  einzuschlagen.  Am 
v/enigsten  aber  kann  man  sonst  verstehen,  warum  der  Staat 
die  Universitäten  gerade  so,  wie  wir  sehen,  zu  behandeln 
pflegt,  und  warum  diese  so  sehr  nach  der  Unabhängigkeit 

10  von  ihm  trachten,  und  es  als  die  vorteilhafteste  Lage  an- 
sehn, wenn  sich  der  Staat  in  ihre  Verwaltung  wenigst 
möglich  einmischt.  Doch  wir  müssen  zuerst  sehen,  welchen 
Platz  eigentlich  die  Universitäten  einnehmen  in  dem  wissen- 
schaftlichen   Verein,    und    welches    ihr    vorzüglichstes    Ge- 

1j  Schäfte  ist. 


[22]  1  2. 

Von  Schulen,  Universitäten  und  Akademien. 

Unter  Akademien  werden  hier,  was  man  gelehrte  Ge- 
sellschaften nennt,  von  aller  Art  verstanden,  und  die  Ver- 

20  bindung,  in  welcher  sie  untereinander  stehen  sollten,  und 
innerlich  gewiß  auch  stehen.  Von  Schulen  aber  denken 
wir  hier  nur  an  diejenigen,  die  man  wenigstens  ansehn 
kann,  als  wären  sie  unmittelbar  aus  dem  Bedürfnis  und 
Trieb  nach  Erkenntnis  entstanden,  also  nur  die  gelehrten, 

25  deren  Vorsteher  notwendig  vollkommen  wissenschaftlich 
gebildete  Männer  sein  müssen,  und  in  denen  Kenntnisse 
mitgeteilt  werden,  die  unmittelbar  in  das  Gebiet  der  Wissen- 
schaft fallen. 

Alsdann  sind  dieses  die  drei  Hauptformea,  in  welche 

30  sich  jetzt  alle  Vereinigungen  zum  Betrieb  der  Wissen- 
schaften gestalten.  Sie  kommen  zwar  überall  im  neueren 
Europa  vor;  aber  auch  deshalb  könnte  man  wohl  Deutsch- 
land als  den  Mittelpunkt  der  Bildung  ansehn,  weil  in 
anderen    Ländern   zwar   einzelne   dieser    Formen,    Schulen 

35  besonders  und  Akademien,  in  einem  größeren  Stil  vor- 
kommen, alle  drei  nebeneinander  aber  nirgends  so  rein 
heraustreten  als   bei  uns.     Auch  könnte  man  wohl  sagen, 


Gelegentliche  Gedanken.  121 

I    der  ganze   Typus,   der  sich  darin   zeigt,   sei   ursprünglich  [23] 
deutsch,  und  schließe  sich  genau  der  Bildung  anderer  auch 
aus   Deutschland   hervorgegangener  Verhältnisse  an.     Die 
Schule  als   das   Zusammensein  der   Meister  mit  den   Lehr- 
burschen,  die   Universität  mit  den  Gesellen,  und  die  Aka-     5 
demie  als  Versammlung  der  Meister  imter  siph.     Doch  für 
die    meisten,    die    von    einer    tiefen    Verachtung    für    alles 
Zunftwesen  durchdrungen  sind,  heißt  dies  wohl  wenigstens 
das,    was    erst   beschrieben   werden   soll,    durch   Dunkleres 
erläutern,    wo    nicht    gar    die    wissenschaftlichen    Anstalten  10 
herabwürdigen  durch  Gleichsetzung  mit  diesen  verschrienen 
Formen,    denen    aber    doch    auch    gar    viel    Schönes    zum 
Grunde  liegt.    Betrachten  wir  also  diese  drei  Verbindungen, 
Schule,    Universität    und    Akademie,    lieber    für    sich    und 
fragen,    was    doch   jede    bedeutet,    und   wie    sie   unter    sich  15 
zusammenhängen.     Denn  ohne  sie  alle  drei  verstanden  zu 
haben,  möchte  es  uns  schwerlich  gelingen,  über  das  Wesen 
und   die   zweckmäßige   Einrichtung   der   einen,   auf   die   es 
uns  ankommt,  einig  zu  werden. 

Die  Wissenschaft,  wie  sie  in  der  Gesamtheit  der  gebil-  20 
dcten  Völker  als  ihr  gemeinschaftliches  Werk  und  Besitz- 
tum  vorhanden    ist,    soll    den    Ein- 1  zelnen   zur    Erkenntnis  [24] 
hinanbilden,  und  der  Einzelne  soll  auch  wiederum  an  seinem 
Teil  die  Wissenschaft  weiter  bilden.     Dies  sind  die  beiden 
A'errichtungen,  auf  welche  alles  gemeinschaftliche  Tun  auf  25 
diesem  Gebiet  hinausläuft.     Man  sieht  leicht,  wie  die  erste 
von  ihnen  in   der  Schule  ganz  die   Oberhand  hat,   und  in 
der  Akademie  dagegen  die  andere.    Die  Schulen  sind  durch- 
aus   gymnastisch,    die    Kräfte    übend,    und    besitzen    ihren 
fremden    Namen   mit    Recht.     Den   Knaben   von   besserer  30 
Natur  und  hervorstechenden  Gaben,  welche  die  Vermutung 
erregen,  er  könne  für  die  Wissenschaft  empfänglich  sein, 
oder   wenigstens    eine    Masse    von   Kenntnissen   vorteilhaft 
verarbeiten,    diesen    übernehmen    sie,    und    versuchen    auf 
alle  Weise,  ob  dem  wirklich  also  sei.     Zweierlei  aber  ist,  35 
Moran  sich  zeigen  muß,  ob  ein  Mensch  für  diese  höhere 
Bildung   sich   eigne,    auf   der   einen    Seite    ein   bestimmtes 
Talent,  welches  ihn  an  ein  einzelnes  Feld  der  Erkenntnis 
fesselt,  auf  der  andern  der  allgemeine  Sinn  für  die  Einheit 
und  den  durchgängigen  Zusammenhang  alles  Wissens,  der  40 
systematisch   philosophische   Geist.     Zusammentreffen   muß 


122  Schleiermacher. 

beides,  wenn  der  Mensch  sich  zu  etwas  Ausgezeichnetena 
bilden  soll.  Auch  das  entschiedenste  Talent  wird  ohne 
[25]  diesen  Geist  keine  Selbständig- 1  keit  haben,  und  nicht  weiter 
gedeihen  können,  als  daß  es  ein  tüchtiges  Organ  wird  für 
5  andere,  die  das  wissenschaftliche  Prinzip  in  sich  haben. 
Und  der  systematische  Geist  ohne  ein  bestimmtes  Talent 
wird  sich  mit  seinen  Produktionen  in  einem  sehr  engen 
Kreise  herumdrehen,  und  sich  in  wunderlichen  Auswüchsen, 
Wiederholungen  und   Umbildungen  immer  des  nämlichen 

10  höchst  Allgemeinen  erschöpfen,  weil  er  eben  keines  Stoffes 
recht  Meister  ist. 

Dies  hindert  aber  nicht,  daß  nicht  auch,  bei  der  Ver- 
einigung beider,  bei  einigen  das  Talent  hervorherrsche, 
bei  andern  der  allgemeine  wissenschaftliche  Geist.     Beides 

15  aber  bedarf,  wo  es  nicht  in  einem  ganz  ausgezeichneten 
Grade  vorhanden  ist,  um  erweckt  und  ans  Licht  gebracht 
zu  werden,  bald  mehr  bald  minder  eines  absichtlich  ange- 
brachten Reizes,  einer  kunstm.äßigen  Behandlung.  Und 
so  muß   die   Schule  auf  beides  wirken.     Sie  muß  elemen- 

20  tarisch  auf  der  einen  Seite  den  gesamten  Inhalt  des  Wis- 
sens in  bedeutenden  Umrissen  vorführen,  so  daß  jedes 
schlummernde  Talent  zu  seinem  Gegenstande  sich  kann 
angelockt  fühlen,  und  muß  auf  der  andern  dasjenige  be- 
sonders herausheben  und  mit  vorzüglichem  Fleiß  behandeln, 

25  worin    die    wissenschaftliche    Form    der    Einheit    und    des 
[26]  Zusam- 1  menhanges  am  frühsten  kann  deutlich  angeschaut 
werden,  und  was  aus  demselben  Grunde  zugleich  das  all- 
gemeine  Hilfsmittel  alles  andern  Wissens  ist.     Aus  dieser 
Ursache   sind  mit   Recht   Grammatik  und  Mathematik   die 

30  Hauptgegenstände  auf  Schulen,  ich  möchte  sagen:  die  ein- 
zigen, die  mit  einem  Anklang  von  Wissenschaftlichkeit 
können  vorgetragen  werden.  Zugleich  muß  aber  auch  die 
Schule  methodisch  alle  geistigen  Kräfte  so  üben,  daß  sie 
bestimmt  auseinander  treten  und  ihre  verschiedenen  Funk- 

35  tionen  klar  eingesehen  werden,  und  sie  so  stärken,  daß  jede 
sich  eines  gegebenen  Gegenstandes  mit  Leichtigkeit  ganz 
bemächtigen  kann.  Dies  vereinigt  durch  die  einfachsten 
und  sichersten  Operationen  zu  bewirken,  ist  das  Ziel  der 
Schulen.    Gewiß  wird  keine  auch  bei  der  besten  Einrichtung 

40  und  Leitung  dies  alles  in  gleicher  Vollkommenheit  leisten, 
sondern  die  eine  mehr  in  diesem,  die  andere  mehr  in  jenem 


Gelegentliche  Gedanken.  123 

Teile  sich  Vorzüge  erwerben.  Aber  nur  um  desto  nötiger 
wird  es  sein,  daß  man  überall  den  Gesamtzweck  vor  Augen 
behalte,  damit  jede  auf  dem  Wege  zu  der  ihr  angemessenen 
Virtuosität  sich  vor  verderblicher  Einseitigkeit  bewahren 
könne;  und  desto  mehr  ist  eine  höchste  allgemeine  Leitung  •'' 
zu  wünschen,  um  von  jeder  solchen  Anstalt  ganz  den  Nut- 
I  zen  für  das  wissenschaftliche  Gebiet  zu  ziehen,  den  sie  [27] 
gewähren  kann. 

In  der  Akademie  hingegen  finden  sich  die  Meister  der 
Wissenschaft   vereinigt;    und   wenn   nicht   alle   auf   gleiche  10 
Weise  Mitglieder  derselben  sein  können,   so  sollen  wenig- 
stens alle  durch  sie  repräsentiert  werden,  und  zwischen  den 
Mitgliedern   und   den   übrigen   des    Namens   würdigen   Ge- 
lehrten ein  solcher  lebendiger  Zusammenhang  stattfinden, 
daß   die  Arbeiten  der  Akademie  wirklich  als  das  Gesamt-  15 
werk   ihrer   aller   können   angesehen   werden.     Jeder   muß 
darnach  streben,  dieser  Verbindung  anzugehören,  weil  das 
Talent,   was    einer   in   sich   ausgebildet   hat,   ohne   die   Er- 
gänzung   der    übrigen    doch    nichts   wäre    für   die   Wissen- 
schaft.    Darum  bilden  alle  ein   Ganzes,  weil  sie  sich  Eins  20 
fühlen  durch  den  lebendigen  Sinn  und  Eifer  für  die  Sache 
des  Erkennens  überhaupt,  und  durch  die  Einsicht  in  den 
notwendigen  Zusammenhang  aller  Teile  des  Wissens;  eben 
darum  aber  sondern  sie  sich  auch  wieder  in  verschiedene 
Abteilungen,    weil    jeder    Zweig    des    Wissens    einer    noch  25 
engern  Vereinigung  bedarf,  um  gründlich  imd  zweckmäßig 
bearbeitet   zu   werden.     Je   feiner    diese   Verzweigung    sich 
vervielfältiget    und    je    lebendiger    dabei    die    Einheit     des 
Ganzen  bleibt,  |  ohne  sich  in  eine  leere  Form  zu  verUeren,  [28] 
so   daß    in   jedem  Einzelnen    die   Teilnahme  an   den   Fort-  3) 
schritten  des  Ganzen  und  der  Eifer  für  sein  besonderes  Fach 
einander  gegenseitig  beleben,  und  also  die  engste  Gemein- 
schaft zwischen  den  verschiedenen  Teilen  der  Wissenschaft 
in  dem  Schoß  der  Akademie  auf  das  leichteste  unterhalten 
wird :    um    desto    vollkommner    ist    die    Einrichtung    des  35 
Ganzen. 

Wie   viele   Akademien   nach   dieser    Idee   Deutschland 
wohl  haben  sollte  ?  Eine  höchstens  oder  zwei,  eine  nördliche 
und   eine    südliche,    die   aber   auch   in   der   innigsten   Ver- 
bindung  stehn,    und   überall,   teils   wo   ein   natürlicher   Zu-  40 
sammenfluß  von  Gelehrten  aller  Art  entstünde,  teils  wo  ein 


124  Schleiermacher. 

Ort  für  ein  besonderes  wissenschaftliches  Gebiet  sich  vor- 
zügHch  eignete,  ihre  Töchter  haben  müßten.  So  lange  eine 
solche  Vereinigung,  nach  welcher  der  Natur  der  Sache 
wegen  alles  strebt,  noch  nicht  erfolgt  ist,  können  sich 
5  also  unsere  zerstreuten  gelehrten  Gesellschaften  nur  als 
Bruchstücke  ansehn,  und  nur  durch  das  lebhafteste  Ver- 
kehr untereinander  sich  ihr  Dasein  bis  zu  diesem  Zeitpunkt, 
der  vielleicht  nicht  mehr  fern  ist,  erhalten. 

Mit  dieser  Ansicht  von  Schulen  und  Akademien  stimmt 
.^J:  auch  das  ganze  Verfahren  dieser  Anstalten  |  zusammen.  Die 
Schulen  geben  in  den  öffentlichen  Prüfungen  eine  Aus- 
stellung, die  ganz  gymnastisch  ist,  und  nur  zeigen  kann, 
wie  weit  die  intellektuellen  Kräfte  für  das  Wissen  geübt 
sind.     Literarische    Produktionen   aber   kommen   ihnen   als 

15  solchen  gar  nicht  zu,  weil  nichts  öffentlich  erscheinen  soll, 
was  nicht  die  Wissenschaft  weiter  fördert.  Darum  sieht 
man  auch  immer  den  Programmen  oder  Einladungsschriften 
der  Vorsteher  das  Mißverhältnis  an,  indem  sie  entweder 
gar  nicht  verdienen  aufgestellt  zu  werden,  oder  wenn  das, 

20  sich  für  das  Publikum  nicht  eignen,  welches  sie  doch 
zunächst  in  Anspruch  nehmen.  Daher  in  vieler  Hinsicht  ein 
vortreffliches  Zeichen  für  eine  Schule  ist,  wenn  dergleichen 
gar  nicht  von  ihr  gefertiget  werden.  Dagegen  fordert  man 
von   jeder   Akademie,   daß    sie    Werke   hervorbringt,    näm- 

25  lieh  nicht  große,  das  Ganze  umfassende  oder  gar  revolu- 
tionäre Bücher,  sondern  Sammlungen  von  Aufsätzen,  welche 
einzelne  noch  unerforschte  Gegenstände  beleuchten,  eigene 
Entdeckungen  darlegen,  neuerfundene  Methoden  ans  Licht 
bringen  oder  prüfen.     Denn  so  durch  viele  kleine  Beiträge 

30  die  Wissenschaften,  welche  schon  Umfang  und  Sicherheit 
in    gewissem    Maß    gewonnen    haben,    zu    fördern,    das    ist 
[30]  die   Sache   der  Akademie;   und  je  mehr   |  Gehalt  und  Zu- 
sammenstimmung  sich   in   ihren   W>rken   zeigt,   um   desto 
mehr  Verdienst  wird  man  ihr  zuschreiben.    In  demselbigen 

35  Sinne  läßt  auch  die  Akademie  Aufgaben  zur  Auflösung  er- 
gehen, teils  um  sich  für  einzelne  Fälle,  wo  der  Versuche 
nicht  genug  gemacht  werden  können,  oder  wo  Unter- 
suchungen erforderlich  sind,  die  sich  nicht  an  jedem  Ort 
anstellen  lassen,  auch  außerhalb  ihrer  Mitte  Hilfe  zu  ver- 

40  schaffen  —  daher  mit  Recht  die  eigentlichen  Mitglieder 
ausgeschlossen  sind  von  der  Preisbewerbung  —  teils  auch 


Gelegentliche  Gedanken.  125 

um  auszuspüren,  wer,  noch  nicht  zu  ihr  gehörend,  sich  mit 
wissenschaftlichen  Gegenständen  aus  einzelnen  Gebieten 
ernsthaft  imd  erfolgreich  beschäftiget,  damit  sie  sich  aus 
diesen  von  Zeit  zu  Zeit  würdige  Genossen  aneignen  könne. 

Was  ist  nun  aber  die  Universität  zwischen  beiden,  der     5 
Schule  und  der  Akademie  ?    Man  könnte  denken,  daß  diese 
beiden  sich  in  alle  wissenschaftlichen  Verrichtungen  teilten, 
und  jene  ganz  überflüssig  wäre  zwischen  ihnen.    So  urteilen 
auch  gewiß  manche  unter  uns,  schwerlich  mit  echt  deutschem 
Sinn;    denn    diese    Ansicht    ist    ja    die    herrschende    eines   10 
anderen  Volkes,   welchem,  je  mehr   es  sich  in  sich  selbst 
konsolidierte,    um    so    mehr    alles    ausgegan- 1  gen    ist,    was  1.81] 
einer  Universität  ähnlich  sieht,  und  nichts  übrig  geblieben, 
als  Schulen  und  Akademien  in  unzähliger  Menge  und  in  den 
mannigfaltigsten  Formen.    Allein  man  übersieht  hiebei  offen-  15 
bar  einen  sehr  wesentlichen  Punkt.     Die  Schulen  beschäf- 
tigten sich  nur  mit  Kenntnissen  als  solchen;  die  Einsicht 
in  die  Nattu"  der  Erkenntnis  überhaupt,  den  wissenschaft- 
lichen Geist,  das  Vermögen  der  Erfindung  und  der  eigenen 
Kombination   suchen  sie  nur  vorbereitend  anzuregen,  aus-  20 
gebildet  aber  wird  dies  alles  nicht  in  ihnen.    Die  Akademien 
aber  müssen  dies  alles  bei  ihren  Mitgliedern  voraussetzen; 
nur   von    einem    gemeinschaftlichen    Mittelpunkt    aus,    und 
durch  das  Bewußtsein  desselben  —  das  spricht  ihre  ganze 
Organisation  aus,  wenn  sie  auch  keine  Veranlassung  finden,  2b 
es    ausdrücklich    zu    erklären    —    wollen    sie    die    Wissen- 
schaften fördern;  auch  kann  dies  nur  so  auf  eine  überein- 
stimmende Weise  geschehen.    Wie  leer  müßten  die  Werke 
einer  Akademie  sein,  wenn  sie  überall  bloße  Empirie  triebe, 
und   an    keine    Prinzipien    in    jeder    Wissenschaft    glaubte !  80 
Wie    leer    wäre    der    ganze    Gedanke    einer    gemeinschaft- 
lichen Beförderung  aller  Wissenschaften,  wenn  diese  Prin- 
zipien nicht  wiederum  zusammenstimmten  und  ein  Ganzes 
bildeten!   Und  wie  jämmerlich  die  Ausfüh-  [rung,  wenn  etwa  [32] 
die    Mitgheder    über    alle    diese    Prinzipien    uneins    wären!  35 
Offenbar  also  wird  vorausgesetzt,  jedes  Mitglied  einer  Aka- 
demie sei  über  die  philosophischen  Prinzipien  seiner  Wissen- 
schaft mit  sich  selbst  und  den  übrigen  verstanden,  jedes  be- 
handle sein  Fach  mit  philosophischem  Geist,  und  eben  dieser 
in  allen  sich  ähnliche  Geist  in  seiner  Vermählung  mit  dem  40 
jedem  Einzelnen   eigentümlichen   Talent   mache   nur  jeden 


126  Schleiermacher. 

zu  einem  wahren  Gliede  der  Vereinigung.  Soll  dieser  Geist 
dem  Menschen  von  ohngefähr  kommen  im  Schlaf?  Soll  nur 
das  wissenschaftliche  Leben  aus  dem  Nichts  entstehen,  nicht 
wie  jedes  andere  durch  Erzeugung?  Soll  nur  dieses  in 
5  seinen  ersten  zarten  Äußerungen  keiner  Pflege  bedürfen, 
und  keiner  Erziehung?  Hier  also  liegt  das  Wesen  der 
Universität.  Diese  Erzeugimg  und  Erziehung  liegt  ihr  ob, 
und  damit  bildet  sie  den  Übergangspunkt  zv/ischen  der  Zeit, 
wo   durch  eine   Grundlage  von  Kenntnissen,  durch  eigent- 

10  liches  Lernen  die  Jugend  erst  bearbeitet  wird  für  die  Wissen- 
schaft, und  der,  wo  der  Mann  in  der  vollen  Kraft  und 
Fülle  des  wissenschaftlichen  Lebens  nun  selbst  forschend 
das  Gebiet  der  Erkenntnis  erweitert  oder  schöner  anbaut. 
Die  Universität  hat  es  also  vorzüglich  mit  der  Einleitung 
roo^  eines  Prozesses,  mit  |  der  Aufsicht  über  seine  ersten  Ent- 
wicklungen zu  tun.  Aber  nichts  Geringeres  ist  dies  als 
ein  ganz  neuer  geistiger  Lebensprozeß.  Die  Idee  der 
Wissenschaft  in  den  edleren,  mit  Kenntnissen  mancher 
Art   schon  ausgerüsteten  Jünglingen  zu   erwecken,   ihr  zur 

20  Herrschaft  über  sie  zu  verhelfen  auf  demjenigen  Gebiet 
der  Erkenntnis,  dem  jeder  sich  besonders  widmen  will, 
so  daß  es  ihnen  zur  Natur  werde,  alles  aus  dem  Gesichts- 
punkt der  Wissenschaft  zu  betrachten,  alles  Einzelne  nicht 
für    sich,    sondern    in    seinen    nächsten    wissenschaftlichen 

25  Verbindungen  anzuschauen,  und  in  einen  großen  Zusam- 
menhang einzutragen  in  beständiger  Beziehung  auf  die 
Einheit  und  Allheit  der  Erkenntnis,  daß  sie  lernen,  in  jedem 
Denken  sich  der  Grundgesetze  der  Wissenschaft  bewußt 
zu    werden,    und    eben    dadurch    das    Vermögen    selbst    zu 

SO  forschen,  zu  erfinden  und  darzustellen,  allmählich  in  sich 
herausarbeiten,  dies  ist  das  Geschäft  der  Universität.  Hier- 
auf deutet  auch  dieser  ihr  eigentlicher  Name,  weil  eben  hier 
nicht  nur  mehrere,  wären  es  auch  andere  und  höhere, 
Kenntnisse    sollen    eingesammelt,    sondern   die    Gesamtheit 

35  der  Erkenntnis  soll  dargestellt  werden,  indem  man  die 
Prinzipien  und  gleichsam  den  Grundriß  alles  Wissens  auf 
{34]  solche  Art  zur  Anschauung  bringt,  |  daß  daraus  die  Fähig- 
keit entsteht,  sich  in  jedes  Gebiet  des  Wissens  hinein- 
zuarbeiten.    Hieraus   erklärt   sich  die  kürzere  Zeit,  welche 

40  jeder  auf  der  Universität  zubringt  als  auf  der  Schule;  nicht 
als  ob  nicht  um  alles  zu  lernen  mehr  Zeit  erfordert  würde, 


Gelegentliche  Gedanken.  127 

sondern  weil  man  das  Lernen  des  Lernens  wohl  abmachen 
kann  in  kürzerer;  weil  eigentlich,  was  auf  der  Universität 
verlebt  wird,  nur  ein  Moment  ist,  nur  ein  Akt  vollbracht 
wird,   daß   nämlich   die   Idee   des   Erkennens,   das  höchste 
Be-wnjßtsein  der  Vernunft,  als  ein  leitendes  Prinzip  in  dem     5 
Menschen    aufwacht.      Hierauf    weisen    alle    Eigentümlich- 
keiten   hin,    welche    die    Universität    von    der    Schule    auf 
der  einen,  von  der  Akademie  auf  der  andern  Seite  unter- 
scheiden.    Auf   der   Schule  geht   man  nach   den   Gesetzen 
des     leichtesten    Fortschrittes    von    einem    Einzelnen     zum  10 
andern   über,   und   ist   wenig   bekümmert   darum,   ob   jeder 
überall   etwas    Ganzes   vollende.     Auf   der   Universität   da- 
gegen ist  man  hierauf  so  sehr  bedacht,  daß  man  in  jedem 
Gebiet  das  Enzyklopädische,  die  allgemeine  Übersicht  des 
Umfanges  und  des  Zusammenhanges  als  das  Notwendigste  15 
voranschickt,  und  zur  Grundlage  des  gesamten  Unterrichts 
macht.     Und  die   Hauptwerke  der   Universität  als  solcher 
sind  Lehrbücher,  Kompendien,  deren  Endzweck  nicht  |  ist,  [35] 
die  Wissenschaft   im  einzelnen  zu   erschöpfen  oder  zu  be- 
reichem, wo  auch  weder  das  Leichteste  noch  das  Schwerste  20 
noch  das   Seltenste  den  Vorzug  genießt  bei  der  Auswahl, 
sondern   deren   \"erdienst   in   der    höhern   Ansicht,    in   der 
systematischen  Darstellung  besteht,   und  welche   dasjenige 
am   m.eisten    herausheben,    worin    sich    am   faßlichsten    die 
Idee  des  Ganzen  darstellt,  und  wodurch  Umfang  und  innere  25 
Verbindung    desselben    am   anschaulichsten    wird.      Ferner 
in  den  Akademien  kommt  alles  darauf  an,  daß  das  Einzelne 
vollkommen  richtig  und  genau  herausgearbeitet  werde  im 
Gebiet    aller    realen    Wissenschaften;     dagegen    die     reine 
Philosophie,    die    Spekulation,    die    Beschäftigung    mit    der  30 
Einheit   und   dem   Zusammenhang   aller    Erkenntnisse   und 
mit  der   Natur  des  Erkennens   selbst  durchaus  zurücktritt. 
Gewiß  nicht  als  etwas  für  das  reale  Wissen  Geringfügiges, 
oder  gar  an  sich  Verwerfliches  und  Nichtiges.    Denn,  wie 
man  sich  auch   anstelle,   alles   einzelne   Wissen   ruht   doch  35 
immer  auf  jenem  Allgemeinen;  es  gibt  kein  wissenschaft- 
lich hervorbringendes   Vermögen  ohne  spekulativen   Geist, 
und  beides  hängt  so  zusammen,  daß,  wer  keine  bestimmte 
philosophische  Denkungsart  sich  gebildet  hat,  auch  nichts 
Tüchtiges   und    Merkwürdiges   wissenschaftlich   selbständig  40 
her- 1  vorbringen  wird,  sondern  er  wird  immer,  bewußt  oder  [36] 


128  Schleiermacher. 

unbewußt,  auch  da,  wo  er  durch  einen  wunderbaren  In- 
stinkt erfindet,  von  einer  spekulativen  Richtung  der  Ver- 
nunft abhängen,  die  sich  vielleicht  nur  in  andern  deutlich 
offenbart.  Auch  wird  eines  jeden  philosophische  Denkungs- 
5  art  sich  in  der  Sprache,  in  der  Methode,  in  der  Darstellung, 
bei  jedem  wissenschaftlichen  Werke  aussprechen.  Sondern 
deswegen  tritt  die  Philosophie  hier  zurück,  v/eil,  wenn  auf 
akademische  Weise  die  Wissenschaften  gemeinschaftlich 
sollen    gefördert    werden,    alles    rein    Philosophische    schon 

10  so  muß  in  Richtigkeit  gebracht  sein,  daß  fast  nichts  mehr 
darüber  zu  sagen  ist.  Diese  Voraussetzung  scheint  freilich 
bisher  nirgends  unter  uns  vollkommen  begründet  gewesen 
zu  sein,  und  man  würde  vielleicht  nicht  zu  viel  einräumen, 
wenn    man    gestände,    eine    solche    völlige    Einigung    und 

15  Befriedigung  in  Sachen  der  Philosophie  könne  sogar  unter 
einem  Volk,  wenn  es  ihm  wirklich  ernst  ist  mit  der  Sache, 
nie  als  wirklich  vollendet  gegeben  sein,  sondern  nur  durch 
eine  immer  fortschreitende  Annäherung  und  Verständigung, 
Allein  jede  Akademie  macht  dennoch  diese  Voraussetzung 

20  notwendig,  wenigstens  insofern,  daß  es  ihr  natürlich  ist, 
[37]  dasjenige,  was  in  dieser  Hinsicht  schon  |  geschehen  ist, 
als  die  Hauptsache  anzusehn,  und  was  noch  übrig  ist,  als 
das  Kleinere.  Eine  spekulative  Abteilung  kann  sie  eigent- 
lich nur  in  dem  Sinne  haben,   daß   sie,  voraussetzend,   es 

25  gebe  unter  einem  Volke  nur  eine  philosophische  Den- 
kungsart,  die  Einerleiheit  dessen,  was  zu  verschiedenen 
Zeiten  verschieden  ausgedrückt  worden  ist,  darstellt,  die 
in  einer  und  derselben  Zeit  gegeneinander  tretenden  Diffe- 
renzen beleuchtet,  was  sich  philosophisch  gebärdet  und  doch 

30  nur  Polemik  gegen  die  Philosophie  ist,  in  seiner  Blöße  zeigt, 
kurz  durch  historische  und  kritische  Behandlung  des  auf 
diesem  Gebiete  Vorhandenen  jene  Annäherung  und  Selbst- 
verständigung der  Nation  befördert.  Selbst  hervorzubringen 
aber  und  neue  Wege  einzuschlagen  auf  dem  Gebiete  der 

36  eigentlichen  Philosophie,  dies  scheint  der  Akademie  weniger 
zuzukommen.  Dagegen  ist  für  die  Universität  allgemein  an- 
erkannt der  philosophische  Unterricht  die  Grundlage  von 
allem,  was  dort  getrieben  wird;  und  weil  eben  diese  höchsten 
Ansichten   vorzüglich    mitgeteilt    werden    sollen,    und   zwar 

40  auf  die  individuellste  Weise,  so  müssen  sie  auch  in  ihrer 
Differenz  von  allem,  was  Gleichartiges  neben  ihnen  besteht, 


Gelegentliche  Gedanken.  129 

dargestellt  werden,  daher  auf  und  zwischen   Universitäten 
vorzüglich  die  philosophischen  Strei- 1  tigkeiten  ihren   Platz  [38] 
haben,    und    auf    ihnen    vornehmlich     die    philosophischen 
Schulen  sich  bilden. 

So  ist  die  Universität  in  Absicht  ihres   Hauptzweckes     5 
etwas  ganz  Eigentümliches,  von  Schule  und  Akademie  gleich 
wesentlich  Verschiedenes;  allein  äußerlich,   das   will  nicht 
sagen  zufällig,  sondern  so  wie  es  für  jedes  Innere  notwendig 
ein    Äußeres    gibt,     äußerlich    hat    sie    ebenso    notwendig 
etwas  Ähnliches  von  beiden;  sonst  würde  es  auch  wunder-  10 
liehe  Sprünge  geben  in  dem  wissenschaftlichen  Leben  der 
einzelnen   Menschen.     Der  wissenschaftliche  Geist  als  das 
höchste  Prinzip,  die  unmittelbare  Einheit  aller  Erkenntnis 
kann  nicht  etwa  für  sich  allein  hingestellt  und  aufgezeigt 
werden     in    bloßer    Transzendentalphilosophie,    gespenster-  15 
artig,  wie  leider  manche  versucht   und  Spuk  und  unheim- , 
liches    Wesen    damit    getrieben    haben.      Leerer    läßt    sich 
wohl  nichts  denken,  als  eine  Philosophie,  die  sich  so  rein 
auszieht,  und  wartet,  daß  das  reale  Wissen,  als  ein  niederes, 
ganz  anders  woher  soll  gegeben  oder  genommen  werden;  -jo 
und  vergeblicher  für  die  Wissenschaft  würde  wohl  nichts 
die  Jünglinge  in  den  schönsten  Jahren  vorzüglich  beschäf- 
tigen,  als   eine   Philosophie,   die   keine   bestimmte    Leitung 
für  das  künftige  wissenschaftliche  Leben  in  allen  Fächern 
gäbe,  1  sondern  höchstens  diente,   den   Kopf  aufzuräumen,  ^^ , 
was   man   ja   schon  an    der   gemeinen    Mathematik   rühmt.  ^    ■' 
Sondern  nur  in  ihrem  lebendigen  Einfluß  auf  alles  Wissen 
läßt  sich  die  Philosophie,  nur  mit  seinem  Leibe,  dem  realen 
Wissen  zugleich  läßt  dieser  Geist  sich  darstellen  und  auf- 
fassen.   Daher  werden  auf  der  Universität  auch  Kenntnisse  30 
mitgeteilt,  höhere  zum  Teil  und  andere,  die  in  dem  Plan 
der    Schule   gar   nicht   lagen.      Insofern    entsteht   also   Zu- 
lernen, und  die  Universität  ist  zugleich  Nachschule.  Ebenso 
ist    sie    auch    Vorakademie.      Der    wissenschaftliche    Geist, 
der  durch  den  philosophischen  Unterricht  geweckt  ist,  und  35 
durch  Wiederanschauung  des  vorher  schon  Erlernten  aus 
einem  höheren  Standpunkt  sich  befestiget  und  zur  Klarheit 
kommt,  muß   seiner  Natur  nach  auch  gleich  seine  Kräfte 
versuchen   und   üben,   indem   er   von  dem   Mittelpunkt  aus 
sich  tiefer   in   das   Einzelne   hineinbegibt,   um  zu   forschen,  40 
zu   verbinden,    Eignes   hervorzubringen   und    durch   dessen 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  9 


130  Schleiermacher. 

Richtigkeit  die  erlangte  Einsicht  in  die  Natur  und  den  Zu- 
sammenhang alles  Wissens  zu  bewähren.  Dies  ist  der  Sinn 
der  wissenschaftlichen  Seminarien  und  der  praktischen  An- 
^  stalten  auf  der  Universität,  v/elche  alle  durchaus  aka- 
r.Q,  demischer  Natur  sind.  Daher  auch  beide  Benen- 1  nungen 
wieder  in  die  Universität  hineinspielen,  und  sie  oft 
hohe  Schule  genannt  wird,  und  dann  wäeder  Akademie. 
Daher  es  Unverstand  ist,  zu  behaupten,  Universitäten  dürf- 
ten  solche   Anstalten   nicht   haben,    weil   sie   nur  für  Aka- 

10  demien  gehörten. 

Dies  scheint  im  wesentlichen,  wie  aus  der  Betrachtung 
ihrer  Hauptzüge  hervorgeht,  das  Verhältnis  jener  drei  ver- 
schiedenen Anstalten  zu  dem  gemeinschaftlichen  Zwecke 
zu  sein;  und  in  der  Tat,  wenn  sie  wohl  eingerichtet  sind 

15  und  recht  ineinandergreifen,  so  scheint  gar  nichts  zu 
fehlen,  sondern  dieser  Zweck  vollständig  durch  sie  erreicht 
werden  zu  müssen.  Um  desto  verderblicher  aber  muß  es 
auch  sein,  wenn  sie  ihr  Gebiet  und  ihre  Grenzen  verkennen. 
Verderblich,  wenn  die  Schulen  sich  hinauf  versteigen  wollen 

20  und  spielen  mit  philosophischem  Unterricht,  um  vorzu- 
spiegeln, als  sei  es  nur  ein  leerer  Schein  mit  dem  wesent- 
lichen Unterschiede  zwischen  ihnen  und  den  Universitäten. 
Denn  nicht  sicherer  können  die  Zöglinge  verdorben  werden 
für  letztere,  und  für  das  wissenschaftliche  Leben  überhaupt, 

25  als  wenn  man  sie  anleitet,  auch  die  höchste  Wissenschaft, 

die  nur  Geist  und  Leben  sein  kann,  und  sich  sehr  wenig 

äußerlich    gestaltet,    nur    so    anzusehen    wie    eine    Summe 

[41]  einzelner  Sätze  und  |  Angaben,  die  man  ebenso  erwerben 

und  besitzen  kann  wie  andere  Schulkenntnisse.    Verderblich, 

30  wenn  die  Universitäten  ihierseits  jenes  Vorgeben  wahr 
machen  und  in  der  Tat  nur  fortgesetzte  Schulen  werden, 
indem  sie  zwar  voreiligerweise  Akademien  vorstellen  und 
vollendete  Gelehrte  treibhäuslich  bei  sich  ausbilden  wollen 
durch  immer  tieferes  Hineinführen  in  das  Detail  der  Wissen- 

35  Schäften,  dabei  aber,  was  ihnen  eigentlich  obliegt,  näm- 
lich den  allgemeinen  wissenschaftlichen  Geist  zu  wecken 
und  ihm  eine  bestimmte  Richtung  zu  geben,  darüber  ver- 
nachlässigen. Verderblich,  wenn  die  Akademien  von  Partei- 
geist ergriffen   sich  in  spekulative   Streitigkeiten  einlassen, 

40  oder  ebenso  verderblich,  wenn  sie.  in  ein  nicht  allzuwohl 
begründetes    reales    Wissen    eingehüllt,    hochmütig    herab- 


Gelegentliche  Gedanken.  131 

sehend  auf  jene  Zwistigkeiten,  denen  etwa  die  Lebhaftig- 
keit der  mitteilenden  Begeisterung  den  Anschein  des  Leiden- 
schaftUchen  gibt,  sich  wenig  darum  kümmern,  ob  diejenigen, 
die  sie  zur  Bereicherung  der  Wissenschaften  unter  sich 
aufnehmen,  durch  diese  spekulativen  Untersuchungen  hin-  5 
durchgegangen  sind  oder  nicht. 

Woher  aber  diese  Mißverständnisse  so  häufig?    Gewiß 
großenteils  aus  Mangel  an  inniger  Einheit  |  in  allem,  was  [42] 
für  die  Wissenschaft  und  durch  sie  unter  uns  da  ist.    Wer 
nur  in  einer  dieser  Formen  des  wissenschaftlichen  "V^ereins  iij 
lebt,    dem   kann   es    gar    leicht   begegnen,    daß    er,    durch 
Vorurteile  verleitet,  vergessend  was  ihm  die  andern  früher 
gewesen  sind,  sie  für  nichts  hält,  und  die  seinige  zu  allem 
machen   will.     Diese   Vorurteile   finden   sich  auch   überall. 
Was  ist  gewöhnlicher,  als  daß   akademische  Gelehrte  auf  15 
den  Schulmann  als  auf  einen  Unglücklichen,  in  hartes  Joch 
Verdammten  herabsehn,   der,   um  nur  seine  Pflicht  zu  er- 
füllen, sich  unvermeidlich  gewöhnen  müsse,  pedantisch  an 
Kleinigkeiten  zu  haften,  und  der  in  den  Vorhof  der  Wissen- 
schaften eingezwängt,  die  höchsten  Genüsse  derselben  für  20 
immer  entbehre?   Was  gewöhnlicher,  als  daß  sie  den  Uni- 
versitätslehrer als  einen  sich  vornehmer  dünkenden  Schul- 
mann  betrachten,    der   gleichsam   nur   ihr   Diener   sei,   be- 
stimmt   die    Wissenschaften,    wie    sie    sie    ihm    übergeben, 
fortzupflanzen,    und    ihrem    Gange   demütig    zu    folgen   als  2ö 
der  Unsterblichen  Fußtritte?    So  verschreit  wiederum  der 
Schulmann     die    Akademiker    als    Müßiggänger,    weil    sie 
wenig   täten   im   Vergleich   mit   ihm   zur   Ausbreitung   des 
Reiches     der    Wissenschaften,     und    klagt    über    die    Uni- 
versitätslehrer, als  über  anmaßende  [  Undankbare,  die  oft  ?P,, 
die    bessere    Hälfte    von    dem    wieder    verdürben,    was    er       '' 
gebaut  hat.     Diese  wiederum  beweisen  den  Schulmännern 
Geringschätzung,  als  solchen,  die  nur  am  Buchstaben  kleben, 
und  denen   der   Geist  ihrer   eignen  Wissenschaft  größten- 
teils fremd  bleibt,   und  schildern   die  Akademien  als  Ver-  S5 
sorgungs-    oder   Mitleidsanstalten   für    zudringliche,    falsch- 
berühmte oder  abgelebte  Gelehrte.    Wie  verkehrt  ist  dieses 
alles !    Der  tüchtige  Vorsteher  einer  gelehrten  Schule  muß 
als  Gegengewicht  gegen  das,  was  er  beständig  auszuüben 
hat,  und  selbst  als  Leitung  dafür,  eine  Umsicht  des  Ganzen  40 
besitzen,   durch  die  er  in  seiner  Person  die  Akademie  re- 


132  Schleiermacher. 

präsentiert;  er  bedarf  derselben  wissenschaftlichen  Be- 
sonnenheit, desselben  reinen  Beobachtungsgeistes,  wie  einer, 
der  die  Wissenschaft  weiter  fördert,  und  die  Entwicklung 
der  Jugend,  die  er  leitet,  ist  wohl  schwieriger  als  irgend 
5  eine  einzelne  Untersuchung.  Wie  der  Akademiker  in  ein- 
samer Meditation  alle  vorhandenen  Resultate  erwägen,  alle 
Andeutungen  benutzen,  und  so  neue  Entdeckungen  fördern, 
und  wie  der  Universitätslehrer  immer  in  demselben  Kreise 
sich  umdrehend  mit  der  erkenntnislustigen  Jugend  leben 
10  und    sie    auf    alle   Weise    erregen,    dies    sind    freilich    zwei 

[44]  sehr  verschiedene  Beschäftigungen :  |  aber  von  der  einen 
aus  über  die  andere  als  über  etwas  weit  Geringeres  hinweg- 
sehen, das  kann  doch  nur  der,  welcher  gar  nicht  beide  mit- 
einander verbindet.     Und  es  ist  immöglich,  daß  dies  dem 

15  ausgezeichnetem  Gelehrten  begegne.  Denn  auch  der  stillste 
emsigste  Forscher  muß  eben  in  seinen  glücklichsten  Augen- 
blicken, in  denen  der  Entdeckimg,  welche  doch  allemal 
auch  zu  einer  neuen  lebendigem  Ansicht  des  Ganzen  führt, 
sich  zu  der  belebendsten  begeisterten  Mitteilung  aufgelegt 

20  fühlen,  und  wünschen,  sich  im  Geiste  der  Jünglinge  aus- 
gießen zu  können.  Und  kein  bedeutender  Universitätslehrer 
kann  wohl  eine  Zeitlang  seinen  Lehrstuhl  würdig  ausgefüllt 
haben,  ohne  auf  Untersuchungen  und  Aufgaben  gestoßen 
zu  sein,  die  ihm  den  großen  Wert  einer  Vereinigung  fühl- 

25  bar  machen,  in  der  jeder  bei  allen  Unterstützung  und  Hilfe 
findet  auf  seinem  wissenschaftlichen  Wege.  Um  aber  diese 
gegründete  gegenseitige  Wertschätzung  bei  allen  immer 
zu  erhalten,  müßte  eine  genauere  Gemeinschaft  gestiftet 
sein  zwischen  den  öffentlichen  Bildungsanstalten;   die  vor- 

30  trefflichsten    Schulmänner,    Universitätslehrer    und    Akade- 
miker müßten  gemeinschaftlich  an  der  Spitze  der  wissen- 
schaftlichen   Angelegenheiten    stehen,     dann    würde     sich 
[45]  wahrer  Gemeinsinn  für  ihre  1  ganze  Sache  von  ihnen  aus 
unter  allen  Gelehrten  immer  weiter  verbreiten. 

35  Geschieht  das  nicht  ?   wird  man  fragen ;  vereinigt  nicht 

der  Staat  Gelehrte  aus  allen  diesen  verschiedenen  Klassen 
in  den  Verwaltungsräten,  durch  welche  er  die  Sache  des 
öffentlichen  Unterrichtes  leitet?  Wohl;  aber  als  Staats- 
diener vereiniget  er  sie  da  mit  andern  Geschäftsmännern, 

40  unter  ihm  eigentümlichen,  ihnen  aber  fremden  Formen, 
zu  einer  Aufsicht,  die  alles  immer  vorzüglich  in  Beziehung 


Gelegentliche  Gedanken.  133 

auf  den   Staat   betrachtet.    Von   hier  aus   gibt   es   für   die 
Verhältnisse   dieser   Anstalten   eine   ganz   andere   Ansicht; 
und    jemehr    bei    so    beamteten    Gelehrten    ihr    Verhältnis 
als  Staatsdiener  überwiegt,  was  so  natürlich  erfolgen  muß, 
um  desto  leichter  tragen  sie  dann  auch  diese  Ansicht  auf     5 
ihren  eigentlich  wissenschaftlichen  Wirkungskreis  über,  alles 
schätzend  und  behandelnd  nach  seinem  unmittelbaren  Ein- 
fluß  auf   den    Staat,   und,    wie   auch   die   Erfahrung  lehrt, 
gewiß  nicht  zum  Vorteil  der  geistigen  Verbesserung.     Es 
ist  dem  ganzen  Gang  neueuropäischer  Bildung  angemessen,  10 
daß   die   Regierungen   auch   der   Wissenschaften   sich   auf- 
munternd annehmen  und  die  Anstalten  zu  ihrer  Verbreitung 
in  Gang  bringen  mußten,  wie  es  mit  Künsten  und  |  Fertig-  [46] 
keiten  aller  Art   der  Fall   zu  sein  pflegt.     Allein  hier  wie 
überall    kommt    eine    Zeit,    wo    diese    Vormimdschaft    auf-    15 
hören  muß.     Sollte  diese  nicht  für  Deutschland  allmählich 
eintreten,    und   wenigstens    in   dem   protestantischen    Teile 
desselben   bald    ratsam   sein,    daß    der    Staat    die    Wissen- 
schaften  sich    selbst   überlasse,   alle   Innern   Einrichtungen 
gänzlich  den  Gelehrten  als  solchen  anheimstelle,  imd  sich  20 
nur    die    ökonomische    Verwaltung,    die    polizeiliche    Ober- 
aufsicht und  die  Beobachtung  des  unmittelbaren  Einflusses 
dieser   Anstalten    auf    den    Staatsdienst    vorbehalte?     Die 
Akademien,  denen  die  Regierungen  immer  nur  einen  mittel- 
baren Einfluß  auf  ihre  Zwecke  zutrauten,   sind  von  jeher  25 
freier  gewesen,  und  haben  sich  wohl  dabei  befunden.    Aber 
Schulen  und  Universitäten  leiden  je  länger  je  mehr  darunter, 
daß   der    Staat   sie  als   Anstalten   ansieht,   in  welchen   die 
Wissenschaften   nicht  um   ihret-,    sondern   um   seinetwillen 
betrieben    werden,    daß    er   das    natürliche    Bestreben   der-  30 
selben,  sich  ganz  nach  den  Gesetzen,  welche  die  Wissen- 
schaft fodert,  zu  gestalten,   mißversteht   und   hindert,   und 
sich  fürchtet,  wenn  er  sie  sich  selbst  überließe,  würde  sich 
bald  alles  in  dem  Kreise  eines  unfruchtbaren,  vom  Leben 
und  von  der  Anwendung  weit  entfernten  Lernens  und  Leh-  35 
I   rens  herumdrehen,  vor  lauter  reiner  Wißbegierde  würde  [47] 
die  Lust  zum  Handeln  vergehn,  und  niemand  würde  in  die 
bürgerlichen    Geschäfte    hinein    wollen.     Dies    scheint    seit 
langer  Zeit   die   Hauptursache  zu   sein,   weshalb   der  Staat 
sich  zu  sehr  auf  seine  Weise  dieser  Dinge  annimmt.     Und  40 
allerdings  kann  man  nicht  leugnen,  daß,  wenn  den  Reden 


134  Schleiermacher. 

zu  glauben  wäre,  die  bisweilen  einige  Philosophen  führen, 
so  würden  diese  alle  ihre  Schüler,  und  sie  wissen  die 
Jugend  sehr  zu  fesseln,  von  aller  bürgerlichen  Tätigkeit 
zurückhalten.     Allein   warum   sollte  man    das,   und   warum 

5  dem  vorübergehenden  Reiz  einen  so  dauernden  Einfluß 
zuschreiben?  So  ist  von  jeher  gesprochen  worden,  und 
von  jeher  sind  die  jungen  Männer  aus  den  Schulen  der 
Weisen  unmittelbar  in  die  Säle  der  Gerichtshöfe  und  die 
Verwaltungkammern   geströmt,   um   die   Menschen   beherr- 

10  sehen  zu  helfen.  Schauen  und  Tun,  wenn  sie  auch  gegen- 
einander reden,  arbeiten  einander  immer  in  die  Hände; 
das  Verhältnis  zwischen  denen,  welche  sich  der  bloßen 
Wissenschaft  widmen,  und  den  übrigen  bestimmt  die  Natur 
selbst  immer  richtig  und  sehr  ebenmäßig.     Man  vergleiche 

15  nur  den  großen  Haufen  derer,  welche  durch  die  Schulen 
[48]  und  Universitäten  hindurchgehn,  mit  der  kleinen  |  Anzahl 
derer,  welche  endlich  die  Akademie  eines  Volkes  bilden, 
und  betrachte,  wie  viele  auch  von  den  letzteren  noch  zu- 
gleich angesehene  Staatsdiener  sind,  um  sich  hierüber  für 

20  immer  zu  beruhigen,  und  zu  gestehen,  daß  der  Staat  Vor- 
sprung genug  hat  durch  die  vielen  Vorteile,  die  er  allein 
bieten  kann,  und  durch  die  Gewalt,  mit  welcher  politisches 
Talent,  wo  es  sich  irgend  findet,  immer  durchzubrechen 
weiß.      Nährt    aber    der    Staat    durch    falsche    Besorgnisse 

25  und  darauf  gegründete  Anordnungen  jene  Mißverständnisse 
der  mit  der  Verbreitung  der  Wissenschaften  beschäftigten 
Gelehrten  unter  sich:  so  werden  die  Schulen  ungründlich; 
auf  den  Universitäten  wird  die  Hauptsache  unter  einer 
Menge  von  Nebendingen  erstickt;  die  Akademien  werden 

30  verächtlich,  wenn  sie  sich  je  länger  je  mehr  mit  lauter 
unmittelbar  nützlichen  Dingen  beschäftigen,  und  der  Staat 
beraubt  sich  selbst  auf  die  Länge  der  wesentlichsten  Vor- 
teile, welche  ihm  die  Wissenschaften  gewähren,  indem  es 
ihm  je  länger  je  mehr  an  solchen  fehlen  muß,  die  Großes 

35  auffassen  und  durchführen,  und  mit  scharfem  Blick  die 
Wurzel  und  den  Zusammenhang  aller  Irrtümer  aufdecken 
können. 


Gelegentliche  Gedanken.  135 

I  3.  [49] 

Nähere  Betrachtung  der  Universität   im  allgemeinen. 

Die    Vergleichung    der    Universität    mit    den    Schulen 
und  Akademien  hat  uns  ihren  wesenthchen  Charakter  ge- 
zeigt,   vermöge    dessen    sie    notwendig    in    die    Mitte    tritt     5 
zwischen  beide,    daß   nämlich   durch    sie   der   wissenschaft- 
liche Geist  in  den  Jünglingen  soll  geweckt  und  zu  einem 
klaren  Bewußtsein  gesteigert  werden.     Und  dies  haben  wir 
fast  ohne   Beweis,  wie  es   denn  höchst  anschaulich  ist  für 
sich,  hinzugenommen,   daß  hiezu  die   formelle   Spekulation  10 
allein     nicht     hinreiche,    sondern    diese    gleich    verkörpert 
werden  müsse  in  dem  realen  Wissen.     Auch  genügt  hiezu 
nicht   etwan   eine  beliebige  Auswahl  von  Kenntnissen,   wie 
auf  Schulen  zur  gymnastischen  Übung.     Denn  der  wissen- 
schaftliche Geist  ist  seiner   Natur  nach  systematisch,   und  15 
so    kann    er    unmöglich    in    einem    Einzelnen    zum    klaren 
Bewußtsein   gedeihen,   wenn  ihm  nicht   auch  das   Gesamt- 
gebiet  des   Wissens  wenigstens   in   seinen   Grundzügen  zur 
Anschauung  kommt.     Noch  weniger   können    sich   in   den 
Einzelnen  der  allgemeine  Sinn  und  das  besondere  Talent  20 
vereint  zu  einem  eigentümlichen  intellektuellen  Leben  aus- 
bilden,  wenn   nicht   auf   der    Universität   jeder    |  dasjenige  [50] 
findet,    was    sein    besonderes    Talent    anregen    kann.      Die 
Universität  muß   also  alles   Wissen   umfassen,   und  in  der 
Art,  wie  sie  für  jeden   einzelnen  Zweig  sorget,   sein  natür-  25- 
liches  inneres  Verhältnis  zu  der   Gesamtheit  des  Wissens, 
seine  nähere  oder  entferntere   Beziehung  auf  den  gemein- 
schaftlichen Mittelpunkt  ausdrücken.  Nur  eine  Abweichung 
hievon,  scheint  es,  kann  man  gestatten,  daß  nämlich  das- 
jenige überwiegend  hervorgezogen  werde,  wohin  sich  über-  30" 
haupt  das   Talent   der   Nation   vorzüglich  neigt;    eine   Ab- 
weichung, die   sich   auch   nur   in   den   der  Akademie   sich 
nähernden  Veranstaltungen  der   Universität  zeigen   dürfte. 

So  müßte  es  sein,  wenn  ohne  fremden  Einfluß  der 
wissenschaftliche  Trieb  allein  die  Universitäten  errichtete  35 
und  ordnete.  Sehen  wir  aber,  wie  sie  sind,  so  finden  wir 
alles  ganz  anders.  Wissenschaftlich  angesehen  erscheint 
das  meiste  höchst  unverhältnismäßig,  dem  Unbedeutenden 
ein  großer  Raum  vergönnt,  vieles,  was  an  sich  gar  nicht 
zusammenzugehören    scheint,    äußerlich    verbunden,    Wich-  -iO 


136  Schleiermacher. 

tiges   dagegen    verkürzt,    oder   noch    ganz   neu   aussehend, 
als   ob   es   erst   hinzugekommen   wäre,   vieles   auch   so   be- 
handelt, als  wäre  es  gar  nicht  für  die  bestimmt,  in  denen 
[51]  wissenschaftlicher  Geist  sich  entwickeln  ]  will,  sondern  für 
ö  die,  denen  er  ewig  fremd  bleiben  muß. 

Offenbar  geht  dieser  Geist  nicht  in  jedem,  auch  nicht 
in  allen  denen  auf,  die  wohl  fähig  und  geneigt  sind  eine 
schöne  Masse  von  Kenntnissen  zu  sammeln  und  in  ge- 
wissem Sinne  zu  verarbeiten.     Deshalb   soll  schon  die  ge- 

10  lehrte  Schule  nur  eine  Auswahl  junger  Naturen  in  sich 
fassen,  und  aus  diesen  selbst  wiederum  nur  eine  Aus- 
wahl zur  Universität  senden;  allein  weil  sie  nur  vor- 
bereitend ist,  und  nicht  bestimmt,  diese  Gesinnung  selbst 
schon  ans   Licht  zu   bringen,   so  kann  sie  auch  über  den 

16  Grad  der  wissenschaftlichen  Fähigkeit  nicht  zuverlässig 
und  definitiv  entscheiden.  Sie  schließt  aus  der  Lust  und 
Leichtigkeit,  mit  welcher  die  von  ihr  dargebotenen  Kennt- 
nisse aufgefaßt  werden,  aus  der  mehr  oder  minder  auf- 
keimenden Vorliebe   für  den  wissenschaftlichen   Gehalt  in 

20  denselben.  Aber  das  alles  ist  ziemlich  trüglich,  und  das 
Sicherste  davon  grade  am  wenigsten  in  eine  äußerlich 
gültige  Form  zu  bringen.  Wie  oft  findet  man  erstaim- 
lichen  Fleiß  und  große  Lust  und  Liebe,  die  sich  nur 
für   den   Kenner   durch  etwas   gar   unbewußtes   Tierisches 

25  unterscheidet,    bei    gar   wenig    Geist    und    Talent.     Ja   bei 

manchen  öffnet   sich  grade  in   dieser  entscheidenden  Zeit 

[52]  eine  |  taube  Blüte,  die  nur  zu  leicht  für  fruchtbar  gehalten 

wird.     Und    wiederum,    wenn    die    Schule    sich    in    ihrem 

Urteil    die    größte    Strenge    zum    Gesetz    machen    wollte: 

30  wie  manche,  die  sich  erst  später  entwickelt  hätten,  würden 
dann  voreilig  der  ferneren  Pflege  beraubt!  Kurz,  es  ist 
unvermeidUch,  daß  viele  zur  Universität  kommen,  die  eigent- 
lich untauglich  sind  für  die  Wissenschaft  im  höchsten 
Sinne,  ja  daß  diese  den  größeren  Haufen  bilden,  weil  in 

35  der  Tat  dies  weit  weniger  nachteilig  sein  kann,  als  wenn 
ein  einziges  großes  und  entschiedenes  Talent  die  wohl- 
tätigen Einflüsse  dieser  Anstalt  ganz  entbehren  müßte. 
Der  Gedanke,  schon  auf  der  Schule  oder  beim  Abgehn 
von  derselben  eine  Trennung  festzusetzen  zwischen  denen, 

40  welche  der  höchsten  wissenschaftlichen  Bildung  fähig,  und 
denen,   die   für   eine   untergeordnete    Stufe   bestimmt   sind. 


Gelegentliche  Gedanken.  137 

und  für  letztere  eigene  Anstalten  zu  stiften,  wo  sie  ohne  die 
philosophischen  Anleitungen  der  Universität  gleich  für  ihr 
bestimmtes    Fach    der    Erkenntnis    mehr    handwerksmäßig 
und  traditionell  weitergebildet  würden,  dieser  Gedanke  ist 
jedem  furchtbar  und  schrecklich,  der  an  der  Bildung  der     5 
Jugend    einen    lebendigen    Anteil    nimmt.      Nicht    in    eine 
Zeit  gehört  er,  wo  jede  Aristokratie  der  Natur  der  Sache 
nach  unter- [gehen  muß,   sondern  in  eine  solche,  wo  man  [53] 
sie  erst  recht  pflegen  und  erweitern  will.    Oder  meint  man, 
angehende   Jünglinge,    welche   sich   auf   gelehrten   Schulen  10 
auch  nur  mit  einigem  Erfolge  gebildet  haben,  sollten  sich 
selbst  zu   einer  Zeit,   wo   sie   unmöglich   schon   sich   selbst 
zu  erkennen   vermögen,   das    Urteil    einer   solchen    Herab- 
setzung sprechen,  und  nicht  vielmehr  nach  aller  Herrlich- 
keit der  Wissenschaft  ihre  Hand  ausstrecken  wollen?  Solche  15 
verdienten  wirklich,  ganz  verstoßen  und  verunehrt  zu  werden! 
Nein,  man  lasse  zusammen  die  trefflicheren  und  die  minderen 
Köpfe  erst  die  entscheidenden  Versuche  durchgehen,  welche 
auf  der  Universität  angestellt  werden,  um  ein  eignes  wissen- 
schaftliches Leben  in  den  Jünglingen  zu  erzeugen,  und  erst,  20 
wenn   diese   alle   ihres    höchsten    Zweckes    verfehlt    haben, 
werden  sich  von  selbst  die  meisten  auf  die  untergeordnete 
Stufe  treuer  und  tüchtiger  Arbeiter  stellen.    Solcher  bedarf 
der  wissenschaftliche  Verein  gar  sehr;   denn  die  wenigen 
wahrhaft  herrschenden  und  bildenden  Geister  können  gar  25 
viele  Organe  in  Tätigkeit  setzen.     Darum  müssen  die  Uni- 
versitäten  so    eingerichtet    sein,    daß    sie    zugleich    höhere 
Schulen  sind,  lun  diejenigen  weiter  zu  fördern,  deren  Ta- 
lente,  wenn   sie   auch   selbst   auf   die   höchste   Würde   der 
I  Wissenschaft  Verzicht  leisten,  doch  sehr  gut  für  dieselbe  r^-i 
gebraucht  werden  können.     Und  zwar  darf  sich  dies  nicht 
als  eine  besondere  Veranstaltung  äußerlich  unterscheiden 
lassen,   weil   ja  auch  beide    Klassen  von   Lernenden  nicht 
äußerlich  unterschieden  sind,  sondern  sich  erst  durch  die 
Tat   selbst   voneinander  trennen   sollen.     Noch  mehr  aber  35 
bedarf  der   Staat  von  diesen   Köpfen   der   zweiten   Klasse. 
Er  kann  sehr  wohl  einsehen,   daß  die  obersten  Geschäfte 
in  jedem  Zweige  nur  denen  mit  Vorteil  anvertraut  werden, 
welche  von  wissenschaftlichem  Geiste  durchdrungen   sind, 
und   wird    doch    danach    streben    müssen,    daß    ihm    auch  40 
der  größte  Teil  von  jenen  untergeordneten  Talenten  anheim- 


138  Schleiermacher. 

falle,  welche  auch  ohne  diesen  höheren  Geist  ihm  durch 
wissenschaftliche  Bildung  und  eine  Masse  von  Kenntnissen 
brauchbar  sind.  Daher  muß  er  nun  aus  demselben  Grunde 
dafür  sorgen,  daß  die  Universitäten  zugleich  höhere  Spezial- 
5  schulen  seien  für  alles  dasjenige,  was  von  den  in  seinem 
Dienst  nutzbaren  Kenntnissen  zunächst  mit  der  eigentlichen 
wissenschaftlichen  Bildung  zusammenhängt;  und  wenn  es 
auch  auf  diesem  Gebiete  nicht  ebenso  notwendig  ist,  ist 
es    doch    natürlich    genug,    auch    hier    die    äußere    Unter- 

10  Scheidung  zu  vermeiden. 
[55]  I        So  weit  ist  also  alles  gut,  und  auch  dies  letztere  nicht 
als  ein  Mißbrauch,  oder  als  eine  Verunreinigung  rein  wissen- 
schaftlicher  Anstalten    anzusehen;     sondern    vielmehr    vor- 
trefflich, weil  auf  diese  Weise  doch  auch  in  der  größeren 

15  Masse  der  Gebildeten  so  viel,  als  jedem  möglich  ist,  auf- 
geregt werden  kann,  wenigstens  vom  Sinn  für  wahre  Er- 
kenntnis, weil  denen,  die  eine  solche  Schule  gemacht  haben, 
wenigstens  eingeprägt  bleiben  muß  das  Gefühl  der  Ab- 
hängigkeit der  Kenntnisse,  die  sie   dort  einsammelten  von 

20  den  höheren  wissenschaftlichen  Bestrebungen,  und  weil 
die  Bildungsanstalten  für  den  Dienst  des  Staates  durch 
ihre  Verbindung  mit  den  rein  wissenschaftlichen  empfäng- 
licher bleiben  müssen  für  jede  Verbesserung,  und  in  sich 
selbst   lebendiger.      Und    dieses    ist    unstreitig    das   Wesen 

25  der  deutschen  Universitäten,  wie  sie  seit  langer  Zeit  wirk- 
lich sind.  Wenn  aber  hie  und  da  die  Regierungen  anfangen, 
den  politischen  Teil  dieser  Anstalten  für  die  Hauptsache 
anzusehen,  hinter  welcher  das  eigentlich  WissenschaftUche 
in  jedem   streitigen   Falle   zurückstehen   müsse:   so  ist   das 

30  schon  ein   sehr  verderblicher   Mißverstand;    und  wenn   sie 
gar  wünschen,   der  Form  der   Universität  ganz  überhoben 
[56]   zu  sein,  und  an  die  allgemeinen  gelehrten  Schulen  |  gleich 
die  Spezialschulen  für  die  verschiedenen  Fächer  des  Staats- 
dienstes  anknüpfen    zu   können,    so    ist    dies    ein    trauriges 

35  Zeichen  davon,  daß  man  den  Wert  der  höchsten  Bildung 
für  den  Staat  verkennt,  und  daß  man  den  bloßen  Mechanis- . 
mus  dem  Leben  vorzieht.     Ja,  wo  ein  Staat  die   Universi- 
täten, den  Mittelpunkt,   die   Pflanzschule  aller  Erkenntnis 
zerstörte,  und  alle  dann  nur  noch  gleichsam  wissenschaft- 

40  liehen  Bestrebungen  zu  vereinzeln  und  aus  ihrem  lebendigen 
Zusammenhang  herauszureißen  suchte :  da  darf  man  nicht 


Gelegentliche  Gedanken.  139 

zweifeln:   die  Absicht  oder  wenigstens  die  unbewußte  Wir- 
kung eines  solchen  Verfahrens  ist  Unterdrückung  der  höch- 
sten freiesten  Bildung  und  alles  wissenschaftlichen  Geistes, 
und  die  unfehlbare  Folge  das  Überhandnehmen  eines  hand- 
werksmäßigen Wesens  und  einer  kläglichen  Beschränktheit    5 
in    allen    Fächern.      Unüberlegt    handeln    diejenigen,    oder 
sind     von     einem    undeutschen    verderblichen    Geiste     an- 
gesteckt,   die    uns    eine    Umbildung    und    Zerstreuung    der 
Universitäten    in    Spezialschulen    vorschlagen;     so    wie    in 
jedem   Lande,    wo   jene   Form   von   selbst   ausstürbe,   oder  10 
wo,  auch  wenn  die  Regierung  es  nicht  hinderte,  doch  nie 
eine  wahre  Universität  zustande  käme,  sondern  alles  immer 
schulmäßig  bliebe,  die  Wissenschaft  gewiß  im  |  Rückgang  [57] 
und  der  Geist  im  Einschlafen  begriffen  sein  müßte. 

Wie  nun,   so  lange  der   Staat  die  Grenzen  des  recht-  15 
mäßigen   Einflusses,    den  ihm   die    Wissenschaft   gestatten 
kann,  nicht   überschreitet,  der   Unterricht  auf  der  Univer- 
sität sich  gestalten  muß,  das  läßt  sich  an  jeder  nur  noch 
mittelmäßig    eingerichteten    leicht    erkennen.      Das    Allge- 
meinste nämlich  ist  allen  gemein,  und  alle  beginnen  damit,  20 
und  trennen  sich  erst  späterhin  auf  dem  Gebiete  des  Be- 
sondem,    nachdem    in    jedem    sein    eigentümliches    Talent 
und  mit    demselben   die    Liebe   zu   dem   Geschäft   erwacht 
ist,    in    welchem    er    es    vorzüglich   kann   geltend    machen. 
Alles   also    beginnt    mit    der    Philosophie,    mit    der    reinen  25 
Spekulation,  und   was  etwa  noch  propädeutisch   als   Über- 
gang von  Schule  zu  Universität  dazu  gehört.     Nur  beruht 
das  Leben  der  ganzen  L^niversität,  das  Gedeihen  des  ganzen 
Geschäftes  darauf,  daß  es  nicht  die  leere  Form  der  Speku- 
lation   sei,    womit    allein    die    Jünglinge    gesättigt    werden,  30 
sondern  daß   sich  aus  der  unmittelbaren  Anschauung  der 
Vernunft  und   ihrer   Tätigkeit   die    Einsicht   entwickele    in 
die  Notwendigkeit  und  den  Umfang  alles  realen  Wissens, 
damit  von  Anfang  an   der  vermeinte   Gegensatz   zwischen 
Vernunft  und  Erfahrung,  zwi- 1  sehen  Spekulation  und  Em-  r-^i 
pirie  vernichtet,  und  so  das  wahre  Wissen  nicht  nur  möglich 
gemacht,     sondern     seinem    Wesen    nach    wenigstens    ein- 
gehüllt gleich  mit  hervorgebracht  werde.     Denn  ohne  hier 
über  den  Wert  der  verschiedenen  philosophischen  Systeme 
zu   entscheiden,   ist   doch  klar,    daß   sonst   gar  kein    Band  40 
sein  würde   zwischen   dem  philosophischen    L'Uterricht  und 


140  Schleiermacher. 

dem  übrigen,  und  gar  nichts  bei  demselben  herauskommen, 
als  etwa  die  Kenntnis  der  logischen  Regeln  und  ein  in 
seiner  Bedeutung  und  Abstammung  nicht  verstandener 
Apparat  von  Begriffen  und  Formeln.  Die  Aussicht  also 
5  muß  eröffnet  werden  schon  durch  die  Philosophie  in  die 
beiden  großen  Gebiete  der  Natur  und  der  Geschichte,  und 
das  Allgemeinste  in  beiden  muß  nicht  minder  allen  gemein 
sein.  Von  der  höhern  Philologie,  sofern  in  der  Sprache 
niedergelegt  sind  alle  Schätze  des   Wissens  und  auch  die 

10  Formen  desselben  sich  in  ihr  ausprägen,  von  der  Sitten- 
lehre, sofern  sie  die  Natur  alles  menschlichen  Seins  und 
Wirkens  darlegt,  müssen  die  Hauptideen  jedem  einwohnen, 
wenn  er  auch  seine  besondere  Ausbildung  mehr  auf  der 
Seite  der  Naturwissenschaft  sucht;  so  wie  sich  kein  wissen- 
^  15  schaftliches  Leben  denken  läßt  für  den,  dem  jede  Idee 
[59j  von  der  Natur  fremd  bliebe,  die  Kenntnis  |  ihrer  allgemein- 
sten Prozesse  und  wesentlichsten  Formen,  der  Gegensatz 
und  Zusammenhang  in  dem  Gebiete  des  Organischen  und 
Unorganischen.     Daher   das   Wesen   der   Mathematik,   der 

20  Erdkenntnis,  der  Naturlehre  mid  Naturbeschreibung  jeder 
innehaben  muß.  Je  mehr  aber  ins  Besondere  hinein,  in 
Geschichtsforschung,  Staats-  und  Menschenbildungskunst, 
in  Geologie  und  Physiologie,  desto  mehr  auch  beschränkt 
sich   jeder    auf    das    Einzelne,    wozu    er    berufen    ist;    und 

25  an  diese  Beschränkung  wendet  sich  hernach  der  Staat 
mit  seinen  besondern  Instituten  für  die,  welche  an  der 
politischen  und  religiösen  Fortbildung,  sowie  an  der  phy- 
sischen Erhaltung  und  Vervollkommnung  der  Bürger  ar- 
beiten sollen;     Institute   welche,   wenn   sie   der   Universität 

30  nicht  ganz  fremd  und  verderbliche  Auswüchse  auf  ihr 
sein  sollen,  sich  selbst  abhängig  erklären  und  erhalten 
müssen  von  der  wissenschaftlichen  Behandlung  der  Natur 
und  der  Geschichte,  und  mithin  von  der  Philosophie. 

Weil   aber   selbst   hierin,   und   ohnerachtet   an   diesem 

35  Unterricht  viele  teilnehmen,  denen  der  philosophische  die 
wahre  Weihe  nicht  gegeben  hat,  dennoch  der  äußere  Unter- 
schied, um  auch  von  dieser  Seite  die  Einheit  des  Ganzen 
[60]  nicht  zu  stören,  mög- 1  liehst  vermieden  wird,  weil  in  jedem 
Unterricht,    wenn    er    noch    einigermaßen    dem    Charakter 

40  der  Universität  treu  bleibt,  die  wissenschaftliche  Darstel- 
lung  die    Hauptsache   ist,    und    das    Detail   nur    Wert   hat 


Gelegentliche  Gedanken.  141 

als  Belag,  als  Handhabe,  als  roher  Stoff  für  die  Versuche 
in  eigner  Kombination  und  Darstellung:  so  ist  auch  die 
Lehrweise  mit  geringen  Abstufungen  überall  dieselbe. 

Wenige  verstehen  die  Bedeutung  des  Kathedervor- 
trages; aber  zum  Wunder  hat  er  sich,  ohnerachtet  immer  5 
von  dem  größten  Teile  der  Lehrer  sehr  schlecht  durch- 
geführt, doch  immer  erhalten,  zum  deutlichen  Beweise,  wie 
sehr  er  zum  W>sen  einer  Universität  gehört,  imd  wie  sehr 
es  der  Mühe  lohnt,  diese  Form  immer  aufzusparen  für  die 
wenigen,  die  sie  von  Zeit  zu  Zeit  recht  zu  handhaben  10 
wissen.  Ja  man  könnte  sagen,  der  wahre  eigentümliche 
Nutzen,  den  ein  Universitätslehrer  stiftet,  stehe  immer  in 
gradem  Verhältnis   mit   seiner   Fertigkeit   in   dieser   Kunst. 

Jede    Gesinnung,    die    wissenschaftliche    wie    die    reli- 
giöse,  bildet   und  vervollkommnet   sich   nur  im   Leben,   in  15 
der  Gemeinschaft  mehrerer.     Durch  Ausströmung  aus  den 
Gebildetem,  Vollkommenem,  wird  sie  zuerst  aufgeregt  und 
aus  ihrem  Schlum- 1 mer  erweckt  in  den  Neulingen;  durch  [61] 
gegenseitige  Mitteilung  wächst  sie  und  stärkt  sich  in  denen, 
die   einander  gleich  sind.     Wie  nun  die  ganze   Universität  20 
ein  solches  wissenschaftliches  Zusammenleben  ist,   so  sind 
die    Vorlesungen    insbesondere    das    Heiligtum    desselben. 
Man   sollte    meinen,    das   Gespräch   könne   am   besten   das 
schlummernde   Leben  wecken  und  seine   ersten  Regungen 
hervorlocken,  wie  denn  die  bewamdemswürdige  Kunst  des  25 
Altertums  in  dieser  Gattung  noch  jetzt  dieselben  Wirkungen 
äußert.     Es   mag  auch   so   sein   zwischen   zweien,   oder  wo 
aus  einer  ganzen  Menge  einer  als  Repräsentant  derselben 
mit  Sicherheit  kann  aufgestellt  werden,  oder  wenn  einzelne 
die  niedergeschriebenen   trefflichen   Werke   dieser   Art  ge-  30 
nießen,   und    gleichsam    das    Dargestellte    an    sich    wieder- 
holend   durchleben.      Allein    es    muß    wohl    nicht    so    sein 
unter  vielen  und  in  der  neueren  Zeit,  weil  doch  ohnerachtet 
so    mancher    erneuerten    Versuche    das    Gespräch    nie    als 
allgemeine    Lehrform    auf    dem    wissenschaftlichen    Gebiet  35 
aufgekommen    ist,    sondern    die    zusammenhangende    Rede 
sich   immer   erhalten   hat.     Es    ist   auch   leicht    einzusehen 
warum.     Unsere  Bildung  ist  weit  individueller  als  die  alte, 
das  Gespräch  wird  daher  gleich  weit  persönlicher,  so  daß 
kein   Einzelner   im   [  Namen   aller   als   Mitunterredner   auf-  t-gQ-. 
gestellt  werden  kann,  und  das  Gespräch  eine  viel  zu  äußer- 


142  Schleiermacher. 

liehe,  nur  verwirrende  und  störende  Form  sein  v,-ürde. 
Aber  der  Kathedervortrag  der  Universität  muß  allerdings, 
weil  er  Ideen  zuerst  zum  Bewußtsein  bringen  soll,  doch 
in  dieser  Hinsicht  die  Natur  des  alten  Dialogs  haben,  wenn 
5  auch  nicht  seine  äußere  Form;  er  muß  darnach  streben, 
einerseits  das  gemeinschaftliche  Innere  der  Zuhörer,  ihr 
Nichthaben  sowohl  als  ihr  unbewußtes  Haben  dessen,  was 
sie  erwerben  sollen,  andererseits  das  Innere  des  Lehrers, 
sein   Haben  dieser   Idee  und   ihre  Tätigkeit  in  ihm  recht 

10  klar  ans  Licht  zu  bringen.  Zwei  Elemente  sind  daher 
in  dieser  Art  des  Vortrages  unentbehrlich  und  bilden  sein 
eigentliches  Wesen.  Das  eine  möchte  ich  das  populäre 
nennen:  die  Darlegung  des  mutmaßlichen  Zustandes,  in 
welchem  sich  die  Zuhörer  befinden,  die  Kunst,  sie  auf  das 

15  Dürftige  in  demselben  hinzuweisen  und  auf  den  letzten 
Grund  alles  Nichtigen  im  Nichtwissen.  Dies  ist  die  wahre 
dialektische  Kunst,  und  je  strenger  dialektisch,  desto  popu- 
lärer. Das  andere  möchte  ich  das  produktive  nennen.  Der 
Lehrer  muß  alles,  was  er  sagt,  vor  den  Zuhörern  entstehen 

20  lassen;  er  muß  nicht  erzählen,  was  er  weiß,  sondern  sein 
[63]  eignes  Erkennen,  die  |  Tat  selbst,  reproduzieren,  damit  sie 
beständig  nicht  etwa  nur  Kenntnisse  sammeln,  sondern 
die  Tätigkeit  der  Vernunft  im  Hervorbringen  der  Erkennt- 
nis unmittelbar  anschauen  imd  anschauend  nachbilden.   Der 

25  Hauptsitz  dieser  Kunst  des  \"ortrags  ist  freilich  die  Philo- 
sophie, das  eigentlich  Spekulative;  aber  alles  Lehren  auf 
der  Universität  soll  ja  auch  hievon  durchdrungen  sein, 
also  ist  doch  dies  überall  die  eigentliche  Kunst  des  Uni- 
versitätslehrers.    Zwei   Tugenden   müssen  sich   in  ihr  ver- 

30  einigen:  Lebendigkeit  und  Begeisterung  auf  der  einen 
Seite.  Sein  Reproduzieren  muß  kein  bloßes  Spiel  sein, 
sondern  Wahrheit;  so  oft  er  seine  Erkenntnis  in  ihrem 
Ursprung,  in  ihrem  Sein  und  Gewordensein  vortragend 
anschaut,   so  oft  er  den  Weg  vom  Mittelpunkt  zum   Um- 

35  kreise  der  Wissenschaft  beschreibt,  muß  er  ihn  auch  wirk- 
lich machen.  Bei  keinem  wahren  Meister  der  Wissenschaft 
wird  das  auch  anders  sein;  ihm  wird  keine  Wiederholung 
möglich  sein,  ohne  daß  eine  neue  Kombination  ilin  belebt, 
eine  neue  Entdeckung  ihn  an  sich  zieht;    er  wird  lehrend 

40  immer  lernen,  und  immer  lebendig  und  wahrhaft  hervor- 
bringend dastehn  vor  seinen  Zuhörern.     Ebenso  notwendig 


Gelegentliche  Gedanken.  143 

ist    ihm    aber    auch    Besonnenheit    und    Klarheit,  um,  was 
die    Begeisterung   wirkt,  |  verständlich    und    gedeihlich    zu  [64] 
machen,  um  das  Bewußtsein  seines  Zusammenseins  m.it  den 
Neulingen  immer  lebendig  zu  erhalten,  daß  er  nicht  etwa 
nur  für  sich,  sondern  wirklich  für  sie  rede,  und  seine  Ideen    5 
und  Kombinationen  ihnen  wirklich  zum  Verständnis  bringe 
und  darin  befestige,  damit  nicht  etwa  nur  dunkle  Ahndun- 
gen von  der  Herrlichkeit  des  Wissens  in  ihnen  entstehen, 
statt    des    Wissens    selbst.      Kein    Universitätslehrer    kann 
wahren  Nutzen  stiften,  weim  er  von  einer  dieser  Trefflich-  10 
keiten  ganz   entblößt   ist;    und    die   rechte   gesunde    Fülle 
der   Anstalt  besteht   darin,    daß,    was   etwa   einem   Lehrer, 
der  von   der   einen    Seite    sich   vorzüglich   auszeichnet,   an 
der  andern  menschlicherweise  abgeht,  durch  einen  andern 
ersetzt  werde.     Diese  beiden  Tugenden  des  Vortrags  sind  15 
die  wahre  Gründlichkeit  desselben,  nicht   eine  Anhäufung 
von  Literatur,  welche  dem  Anfänger  nichts  hilft,  und  viel- 
mehr   in    Schriften    muß    niedergelegt    als    mündlich    mit- 
geteilt werden;    aus  ihnen  fheßt  die  echte  Klarheit,  nicht 
besteht  sie  in  unermüdetem  Wiederkäuen,  in  preiswürdiger  20 
Dünne    und    Dürre    des    Gesagten;     aus    ihnen    die    wahre 
Lebendigkeit,   nicht   aus  dem  Reichtum   gleichbedeutender 
Beispiele  und,  gleichviel  ob  guter  oder  schlechter,  nebenher- 
laufender  Einfälle    und   pole-  j  mischer   Ausfälle.     Wunder-  [65] 
bar    genug    ist    die    Gelehrsamkeit    eines    Professors    zum  25 
Sprichwort   geworden.     Je    mehr    er    besitzt,    desto    besser 
freihch;    aber  auch  die  größte  ist  unnütz  ohne  die  Kunst 
des  Vortrages.    Übet  der  Lehrer  diese  an  seinen  Schülern 
gehörig  aus,  so  kann  es  wenig  schaden,  wenn  sie  ihn  auch 
bisweilen   darauf   ertappen,    etwas   Einzelnes    auf   dem   Ge-  30 
biet  seiner  Wissenschaft  nicht  zu  wissen;  sie  werden  den- 
noch   wissen,    daß    er    die    Wissenschaft    als    solche    voll- 
kommen besitzt.     Ja  man  kann  immer  hoffen,  daß   einem 
jungen  Universitätslehrer  die  Gelehrsamkeit  noch  komme: 
wenn   er    aber   jenes    Talent    der    Mitteilung   nicht   in   den  35 
Jahren  hat,  wo  er  seinen  Zuhörern  am  nächsten  steht,  so 
wird  er  es  späterhin  schwerlich   erlangen.     Was  hilft  alle 
Gelehrsamkeit,  wenn  statt  des  echten  Kathedervortrags  nur 
der  falsche   Schein,  die  leere   Form  davon  vorhanden  ist ! 
Nichts    Jämmerlicheres    zu    denken    als    dieses.      Ein    Pro-  40 
fessor,   der  eüi  ein  für  allemal  geschriebenes   Heft  immer 


144  Schleiermacher. 

wieder  abliest  und  abschreiben  läßt,  mahnt  uns  sehr  un- 
gelegen an  jene  Zeit,  wo  es  noch  keine  Druckerei  gab, 
und  es  schon  viel  wert  war,  wenn  ein  Gelehrter  seine 
Handschrift  vielen  auf  einmal  diktierte,  und  wo  der  münd- 
rggi  liehe  Vortrag  zugleich  statt  der  Bücher  |  dienen  mußte. 
Jetzt  aber  kann  niemand  einsehn,  warum  der  Staat  einige 
Männer  lediglich  dazu  besoldet,  damit  sie  sich  des  Privi- 
legiums erfreuen  sollen,  die  Wohltat  der  Druckerei 
ignorieren  zu  dürfen,  oder  weshalb  wohl  sonst  ein  solcher 

10  Mann  die  Leute  zu  sich  bemüht,  imd  ihnen  nicht  lieber 
seine  ohnehin  mit  stehenbleibenden  Schriften  abgefaßte 
Weisheit  auf  dem  gewöhnlichen  Wege  schwarz  auf  weiß 
verkauft.  Denn  bei  solchem  Werk  und  Wesen  von  dem 
wunderbaren   Eindruck   der   lebendigen   Stimme   zu   reden, 

15  möchte  wohl  lächerlich  sein. 

Soll  aber  der  Vortrag  den  geforderten  Charakter  haben : 
so  dürfen  freilich  die  eigentlichen  Vorlesungen  nicht  das 
einzige  Verkehr  des  Lehrers  mit  seinen  Schülern  sein. 
Steife  Zurückgezogenheit  und  Unfähigkeit,  auch  außerhalb 

20  des   Katheders  noch  etwas  für  die  studierende  Jugend  zu 
sein,    hängen    auch    gewöhnlich    mit    den    schon    gerügten . 
Untugenden  des  Vortrages  zusammen.     Wenn  der  Lehrer 
mit   Nutzen  anknüpfen  soll  an   den  Erkenntniszustand  der 
Zuhörer;  wenn  er  ihnen  helfen  soll,  die  Abweichungen  zu 

25  vermeiden,  zu  welchen  sie  hinneigen;  wenn  er  sich  glück- 
lich hindurcharbeiten  soll  durch  die  unter  ihnen  herrschen- 
[67]  den  Unfähigkeiten  im  Auf- 1  fassen :  so  müssen  noch  andere 
Arten  und  Stufen  des  Zusammenlebens  mit  ihnen  ihm  zu- 
statten kommen,  um  ihn  in  der  nötigen  Bekanntschaft  mit 

30  den  immer  abwechselnden  Generationen  zu  erhalten.  Man 
sage  nicht,  daß  dies  der  Zahl  wegen  unmöglich  sei.  Es 
schließt  sich  an  die  Vorlesungen  eine  Kette  von  Verhält- 
nissen, an  denen,  je  vertrauter  sie  werden,  schon  von  selbst 
desto  wenigere  teilnehmen,  Konversatorien,  Wiederholungs- 

35  und  Prüfungsstunden,  solche,  in  denen  eigne  Arbeiten  mit- 
geteilt und  besprochen  werden,  bis  zum  Privatumgang  des 
Lehrers  mit  seinen  Zuhörern,  wo  das  eigenthche  Gespräch 
dann  herrscht,  und  wo  er,  wenn  er  sich  Vertrauen  zu 
erwerben  weiß,  durch  die  Äußerungen  der  erlesensten  und 

40  gebildetsten  Jünglinge  von  allem  Kenntnis  erlangt,  was 
irgend    auf    eine    merkwürdige    Weise    in    die    Masse    ein- 


Gelegentliche  Gedanken.  145 

dringt  und  sie  bewegt.  Nur  indem  er  allmählich  diese 
Verhältnisse  knüpft  und  benutzt,  kann  der  Lehrer  die  herr- 
liche Sicherheit  der  Alten,  welche  immer  den  rechten  Fleck 
trafen  in  ihren  Unterredungen,  verbinden  mit  der  edeln 
Bescheidenheit  der  Neueren,  welche  eine  schon  angefangene  5 
und  selbständig  fortgehende  individuelle  Bildung  jedes 
Einzelnen  immer   voraussetzen   müssen. 

I        Man  sieht,   diese   Gabe   der   Mitteilung  läßt  noch  die  [68] 
mannigfaltigsten   Verschiedenheiten    zu.     Dem   einen   wird 
besser  gelingen,  das   Scheinwissen  zu  demütigen  und  das  10 
Bedürfnis   wahrer   Wissenschaft   zu    erregen,    dem   andern, 
die  Grundzüge  derselben  anschaulich  darzustellen;   der  eine 
wird  mehreren  durch  Begeisterung  die  erste  Weihe  geben, 
der  andere  mehr  sie  durch  Besonnenheit  befestigen;    der 
eine  wird   geschickter   sein,   indem   er  nur   scheint   es   mit  15 
dem  Einzelnen  und  Mannigfaltigen  zu  tun  zu  haben,  doch 
immer  zu  der  innersten  und  höchsten  Einheit  die  Betrach- 
tung zurückzuführen;    ein  anderer  wird  mit  seinem  Talent 
mehr  dem  Einzelnen  angehören,  und  es  auch  da  vorwalten 
lassen,  wo   er  an  das  Allgemeinste  und   Höchste  geheftet  20 
zu  sein  scheint.    Jeder  aber  wird  ein  vortrefflicher  Lehrer 
sein,  bei  welchem  sich,  wde  auch  das  eine  oder  das  andere 
überwiege,  doch  alles  Notwendige  lebendig  vereint  findet; 
und  die  Universität  muß  auch  darin  Universität  sein,  daß 
sie    alle    diese    Verschiedenheiten    in    sich    zu    vereinigen  25 
strebt,    damit    jeder    Zögling    imstande    sei,    einen    solchen 
Lehrer    zu    finden,    wie    ihn    unter    den    gegebenen    Um- 
ständen und  bei  den  gemachten  Fortschritten  seine  Natur 
begehrt. 

I        Allein    wie    lebendig    und    glücklich    auch    dieses    Be-  ?£,, 
streben   sei,   ein  völliges   Gleichgewicht,   so   daß   für  jedes 
Bedürfnis   auf   gleich   vollkommene  Art   gesorgt   sei,   wird 
doch  auf  einer  solchen  Anstalt  wohl  nie  erreicht  werden. 
Jede   wird   sich   zu   jeder   Zeit  auf   irgend   eine    Seite   hin- 
neigen.    Die  eine  wird  sich  auszeichnen  durch  lebendigere  35 
Erregung   des   wissenschaftlichen   Geistes   im   allgemeinen, 
aber   in   den   meisten    Fächern    vielleicht   zurückbleiben   in 
gründlicher    Ausführung    des    Einzelnen,    die    andere    um- 
gekehrt dieses  mehr  leisten  als  jenes;  die  eine  wird  vor- 
züglicher sein  in  rein  philosophischer  Hinsicht,  die  andere  40 
als   Vorakademie   oder   als   Aggregat    von    Spezialschulen; 

Universilatsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  ]0 


146  Schleiermacher. 

die  eine  mehr  ihren  Zöghngen  vorarbeiten,  und  dagegen 
die  freiere,  höhere  Kombination  ihnen  selbst  überlassen, 
die  andere  sie  mehr  zu  dieser  anleiten,  aber  alles,  was 
irgend   Sache   des    Fleißes   ist,   ihnen   selbst   zumuten.     Ja 

5  ziemlich  lange  behaupten  oft  Universitäten  denselben  Cha- 
rakter, daß  die  eine  mehr  spekulative  Köpfe  bildet,  die 
riber  wohltun  werden,  die  realen  Wissenschaften  ander- 
v/ärts  zu  suchen,  und  eine  andere  lange  Zeit  fast  nur 
Rotüriers  erzieht,  weil  schon  ein  entschiedenes  Talent  dazu 

10  gehört,  um  auf  ihr  einen  höheren  wissenschaftlichen  Geist 
[70J  2U  I  entwickeln,  welches  dann  die  beiden  schon  gefähr- 
lichen Extreme  der  Einseitigkeit  sind,  zwischen  welchen 
die  übrigen  besser  schwanken.  Dies  deutet  darauf,  daß 
notwendig  auch  innerhalb  des  Gebietes  einer  und  derselben 

15  Nationalbildung  eine  Mehrheit  von  Universitäten  sich 
finden  muß,  und  daß  das  möglichst  freie  Verkehr  und 
der  unbeschränkteste  Gebrauch  von  jeder  nach  eines  jeden 
Bedürfnis  nicht  zu  entbehren  ist.  Wie  natürlich  diese 
Wahrheit  ist,   geht  freilich  schon   daraus  hervor,   daß   die 

20  Universitäten  in  der  Mitte  stehen  zwischen  den  gelehrten 
Schulen  und  der  Akademie.  Achtunddreißig  davon  zu  be- 
sitzen, wie  die  deutsche  Nation  bis  jetzt  geduldet  hat, 
mag  freilich  ein  großes  Unglück  sein,  und  die  Ursache, 
warum  so  wenige  zu  etwas  Tüchtigem  gediehen  sind :  aber 

30  wie  soll  nun  das  rechte  Maß  gefunden  werden?  Man  finde 
nur  zuerst  das  rechte  Maß  der  gelehrten  Schulen,  man 
bringe  dann  mehr  Einigungsgeist  unter  die  Deutschen, 
daß  nicht  jeder  Gau  auch  hierin  etwas  Besonderes  für 
sich   haben   wolle,    und   dann   Lasse  man   mehr   die   Sache 

35  selbst  gewähren,  künstle  nicht,  und  wolle  nicht  Leichen 
frisch  erhalten,  so  wird  sich  allmählich  das  Rechte  finden. 
Doch  immer  noch  besser  hier  das  Maß  überschritten,  als 
[71]  den  Gedanken  an  [  eine  deutsche  Zentraluniversität  auf- 
kommen lassen,  oder  den  an  eine  gänzhche  Umschmelzung 

40  der  alten  Form,  zwei  Extreme,  von  denen  jedes  das  größte 
Unglück  wäre,  welches  nach  allen  bisherigen  den  Deut- 
schen noch  begegnen  könnte. 


Gelegentliche  Gedanken.  I47 

4. 
Von  den  Fakultäten. 

ISIan  hat   schon  oft   und   viel  gesagt,   unsere  vier   Fa- 
kuhäten,  die  theologische,  juridische,  medizinische  und  philo- 
sophische,   und   noch    in    dieser    Ordnung   obenein,    gäben    5 
den    Universitäten    ein    gar   groteskes    Ansehn.     Und    das 
ist  auch  gewiß   unleugbar.     Wenn  man   es   aber   dennoch 
als  einen  großen  Vorteil  ansieht,  den  Umschaffungen  oder 
bedeutende    Veränderungen     solcher    Anstalten    gewähren 
können,   daß  man  dabei  zugleich  dieser  Formen  sich  ent-  10 
ledigen   und    bessere    dafür    einführen    werde :    so    übereile 
man  sich  doch  ja  nicht,  damit  man  nicht  etwas  ganz  Will- 
kürliches   an    die    Stelle    dessen    setze,    was    sich   auf    eine 
natürliche    Art     gebildet,     und    eben    seiner    Natürlichkeit 
wegen   so   lange   erhalten  hat;    sondern   |  suche   doch   erst  r^-y, 
die    Bedeutung    dieser    bisherigen    Formen    recht    zu    ver- 
stehen. 

Durch  das  bisher  Gesagte  sollte  dies  Verständnis  schon 
sehr  erleichtert  und  vollständig  eingeleitet  sein.     Es  kann 
wohl  von  unserm  Gesichtspunkt  aus  niemanden  entgehen,  20 
daß  diese  Formen,  wie  grotesk  sie  auch  sein  mögen,  wenig- 
stens   sehr    repräsentativ    sind,    und    sich   ganz    genau   auf 
das  Gewordensein  und  den  jetzigen  Zustand  der  Universi- 
täten beziehen.     Offenbar  nämlich  ist  die  eigentliche  Uni- 
versität, wie  sie  der  wissenschaftliche  Verein  bilden  würde,  25 
lediglich    in    der    philosophischen    Fakultät    enthalten,    und 
die  drei  anderen  dagegen  sind  die  Spezialschulen,  welche 
der  Staat  entweder  gestiftet,  oder  wenigstens,  weil  sie  sich 
unmittelbar   auf   seine   wesentlichen    Bedürfnisse   beziehen, 
früher  und  vorzüglicher  in  seinen   Schutz  genommen  hat.  30 
Die   philosophische  hingegen   ist   für   ihn   ursprünglich   ein 
bloßes  Privatunternehmen,  wie  der  wissenschaftliche  Verein 
überhaupt   ihm    eine    Privatperson   ist,    und   nur   durch   die 
innere  Notwendigkeit  und  durch  den  rein  wissenschaftlichen 
Sinn    der    in    jenen    Fakultäten    Angestellten    subsidiarisch  35 
herbeigeholt  worden,   weshalb   sie   denn   die  letzte  ist  von 
allen.    In  der  ganzen  Form  also  spiegelt  sich  die  Geschichte 
I  der  Universitäten  in  ihren  Grundzügen  ab.     Die  positiven  [73] 
Fakultäten   sind   einzeln    entstanden   durch    das    Bedürfnis,  40 
eine  unentbehrliche  Praxis  durch  Theorie,  durch  Tradition 


148  Schleiermacher. 

von  Kenntnissen  sicher  zu  fundieren.  Die  juridische  gründet 
sich  unmittelbar  in  dem  staatbildenden  Instinkt,  in  dem 
Bedürfnis,  aus  einem  anarchischen  Zustande  —  anarchisch, 
weil  die  Gesetzgebung  nicht  gleichmäßig  fortgeschritten 
5  war  mit  der  Kultur  —  einen  rechtlichen  hervorgehen  zu 
lassen,  in  dem  Gefühl,  daß  dies  nur  geschehen  könne, 
indem  man  zu  dem  Besitz  eines  Systems  vollständiger,  unter 
sich  übereinstimmender  Gesetze  zu  gelangen  suchte,  und 
zu  höheren  Prinzipien,  nach  welchen  in  zweideutigen  Fällen 

10  die  Gesetze  auszulegen  wären.  Die  theologische  hat  sich 
in  der  Kirche  gebildet,  um  die  Weisheit  der  Väter  zu  er- 
halten, um,  was  schon  früher  geschehen  war,  Wahrheit 
und  Irrtum  zu  sondern,  nicht  für  die  Zukunft  verloren 
gehen  zu  lassen,  um  der  weiteren  Fortbildung  der  Lehre 

15  und  der  Kirche  eine  geschichtliche  Basis,  eine  sichere,  be- 
stimmte Richtung  und  einen  gemeinsamen  Geist  zu  geben; 
und  wie  der  Staat  sich  näher  mit  der  Kirche  verband, 
mußte   er   auch    diese   Anstalten    sanktionieren   und   unter 

seine   Obhut   nehmen.     Die   medizinischen    Schulen  haben 
20 
r,j,1  sich  seit  ]  uralten  Zeiten  gegründet  auf  das  Bedürfnis,  teils 

den  Zustand  des  Leibes  zu  erkennen  und  zu  modifizieren, 
teils  auf  eine  mehr  oder  minder  dunkle,  geheimnisvolle 
Ahndung  von  den  innigen  Verhältnissen  der  gesamten  üb- 
rigen  Natur   zu   dem  menschlichen    Leibe.     Daher   waren 

25  sie  von  Anfang  an  teils  überwiegend  gymnastisch,  teils 
magisch  und  mystisch.  Durch  Vereinigung  beider  Zweige 
gewannen  diese  Bemühungen  allmählich  ein  mehr  kunst- 
mäßiges Ansehn,  und  in  dem  Maß,  als  sie  anfingen,  durch 
Beobachtungen  und  Versuche  in  die  verschiedenen  Zweige 

30  der  Naturwissenschaft  sich  hineinzuarbeiten,  und  also  großer 
äußerer  Unterstützungen  zu  bedürfen,  mußte  der  Staat 
sich  ihrer  ebenfalls  annehmen.  So  sind  diese  Anstalten 
entstanden;  der  tiefe,  richtige  Sinn,  der  sich  immer  mehr 
über    das    Schlechte    hervorarbeitet,    hat    die    Neigung    zu 

35  dem  bloß  Handwerksmäßigen  und  Empirischen  besiegt, 
und  der  wissenschaftliche  Geist,  wir  dürfen  sagen  vor- 
züglich der  deutschen  Nation,  das  immer  klarer  werdende 
Gefühl  von  dem  Innern  Zusammenhange  alles  Wissens, 
hat  sie  in  einen  Körper  endlich  vereinigt,  wobei  natürlich, 

40  wenn  dies  nicht  als  ein  bloß  zufälliges  und  äußeres  Neben- 
einandersein erscheinen  sollte,  auch  jener  Zusammenhang, 


Gelegentliche  Gedanken.  149 

]    jene   gemeinschaftliche    Begründung   sich    äußerlich   dar-  [75] 
stellen  mußte,  was  denn  durch  die  philosophische  Fakultät 
geschieht.    In  dieser  einen  ist  daher  allein  die  ganze  natür- 
liche   Organisation    der   Wissenschaft   enthalten,    die   reine 
transzendentale  Philosophie  und  die  ganze  naturwissenschaft-    5 
liehe  und  geschichtliche  Seite,  beide  vorzüglix:h  mit  denen 
Disziplinen,    welche    sich    am    meisten    jenem    Mittelpunkt 
der  Erkenntnis  nähern;  aber  doch  auch  die  mehr  ins  Be- 
sondere  gehenden   schließen   sich   so   lange   an   die   philo- 
sophische  Fakultät  an,   als  sie  nicht  zum  Behuf  eines  be-  10 
stimmten    Zweckes    pragmatisch    behandelt    werden.     Jene 
drei  Fakultäten  hingegen  haben  ihre  Einheit  nicht  in  der 
Erkenntnis  unmittelbar,  sondern  in  einem  äußeren  Geschäft, 
und  verbinden,  was  zu  diesem  erfordert  wird,  aus  den  ver- 
schiedenen Disziplinen.    Diese  eine   also  stellt  allein  dar,  15 
was   der  wissenschaftliche  Verein  für   sich  als   Universität 
würde  gestiftet  haben,   jene   drei   aber,   was   durch  ander- 
weitiges  Bedürfnis   entstanden,   und   wobei   die   reinwissen- 
schaftliche Richtung  äußerlich  untergeordnet  ist.    Die  Ord- 
nung,   welche    sie   unter   sich   beobachten,    beweiset   offen-  20 
bar  das  dominierende  Verhältnis   des   Staats  auch  in  den 
öffentlichen  wissenschaftlichen  Anstalten;  und  genauer  an- 
gesehen  zeigt    I  sich   darin  teils   das  geschichtliche  Voran-  [yg] 
treten    der    Kirche    vor    den    Staat,    teils    die   alte    löbliche 
Weise,   die   Seele  dem  Leibe  voranzustellen.  25 

Was  sich  unstreitig  sehr  bald,  gewiß  sobald  als  wahrer 
Nutzen  dadurch  wird  gestiftet  werden  können,  von  selbst 
machen  wird,  das  ist  eine  Umbildung  der  juridischen  Fa- 
kultät. Die  bloße  Kenntnis  eines  positiven  Gesetzbuches 
als  solchen,  welches  doch  immer  mit  Unrecht  ein  fest-  30 
stehendes  imd  unveränderliches  ist,  und  von  den  wissen- 
schaftlichen Männern  soll  fortgebildet  werden,  nicht  sie 
sich  unterwerfen,  hat  zu  wenig  wissenschaftlichen  Charakter. 
Hier  müssen  also  die  Politik,  die  Staatswirtschaft,  die  philo- 
sophische und  historische  Kenntnis  der  Gesetzgebung  selbst  35 
mehr  heraustreten.  W^as  sollen  aber  andere  Veränderungen, 
wie  man  sie  hie  und  da  entwerfen  und  ausführen  sieht? 
Was  man  damit  meint,  ist  Willkür,  Spielerei;  und  was 
man  damit  bewirkt,  ist  wohl  etwas  Übleres;  und  es  ist  zu 
fürchten,  daß  man  nicht  ungestraft  Einrichtungen  vertilgen  40 
kann,    die   für   sich   schon    geschichtliche    Denkmäler   sind, 


150  Schleiermacher. 

und  die,  wenn  gleich  von  vielen  nicht  verstanden,  den 
Geist  der  Nation  aussprechen.  Entsteht  je  eine  Universi- 
tät durch  eine  freie  Vereinigung  von  Gelehrten,  dann  wird 
[77]  von  selbst  das,  |  was  jetzt  in  der  philosophischen  Fakultät 
5  vereiniget  ist,  die  erste  Stelle  finden,  und  die  Institute, 
welche  Staat  und  Kirche  bitten  werden  damit  zu  verknüpfen, 
werden  ihre  untergeordneten  Stellen  einnehmen.  Solange 
dies  nicht  geschieht,  sondert  sie  sich  am  besten  dadurch  von 
den   übrigen   ab,    daß    sie    die   letzte   ist,   besser   als   wenn 

10  sie  sich  zwischen  die  andern  stellt  und  sich  dadurch  mit 
ihnen  vermischt,  oder  wohl  gar  als  wenn  sie  —  damit 
das  nicht  als  eins  und  also  weniger  erscheine  als  die 
übrigen  drei,  was  doch  weit  mehr  ist  als  sie  —  sich  spalten 
wollte  in  mehrere  Abteilungen.     Gewiß   würden  dann  die 

15  einzelnen  Disziplinen  den  wissenschaftlichen  Charakter 
immer  mehr  verlieren,  und  sich  den  pragmatischen  Instituten 
nähern.  Und  für  die  reine  Philosophie  ist  in  dieser  Ver- 
einigung mit  den  realen  Wissenschaften  zu  einem  äußer- 
lichen  Ganzen   so   schön  ausgesprochen   die   Freiheit,  bald 

20  mehr  einzeln  für  sich  herauszutreten,  bald  mehr  an  den 
realen  Wissenschaften,  als  außer  ihnen,  sich  darzustellen, 
eine  Freiheit,  ohne  welche  sie  nicht  gedeihen  und  sich  in 
ihrem  wahren  Wesen  zeigen  kann,  und  die  nicht  mehr 
bestehen  könnte,  wenn  ein  äußeres  Zeichen  der  Trennung 

25  festgestellt  wäre. 

[78]  I        Erhalte  sich  also  nur  die  philosophische  Fakultät  dabei, 

daß   sie   alles   zusammenfaßt,   was   sich  natürlich  und  von 

selbst  als  Wissenschaft  gestaltet,  so  mag  sie  immerhin  die 

letzte  sein.     Was   ist   auch   hier  an  dem  Range   gelegen? 

30  Sie  ist  doch  die  erste  deshalb,  weil  jedermann  ihre  Selb- 
ständigkeit einsehen  und  gestehen  muß,  daß  sie  nicht  wie 
die  übrigen,  sobald  man  von  einer  bestimmten  äußeren 
Beziehung  hinwegsieht,  in  ein  ungleichartiges  Mannigfaltiges 
zerfällt  und  aufgelöst  werden  kann.     Sie  ist  auch  deshalb 

35  die  erste  und  in  der  Tat  Herrin  aller  übrigen,  weil  alle 
Mitglieder  der  Universität,  zu  welcher  Fakultät  sie  auch 
gehören,  in  ihr  müssen  eingewurzelt  sein.  Dies  Recht 
übt  sie  fast  überall  aus  über  die  ankommenden  Studieren- 
den; von  ihr  werden  zunächst  alle  geprüft  und  aufge- 
'  40  nommen,  und  dies  ist  eine  sehr  löbliche  und  bedeutende 
Sitte.     Nur  scheint  sie  noch   erweitert  werden  zu  müssen, 


Gelegentliche  Gedanken.  151 

um  ihre   Bedeutung   ganz  zu   erfüllen.     Es   ist  gewiß   ver- 
derblich, daß  die  Studierenden  gleich  anfänglich  sich  können 
irgend   einer   andern    Fakultät   einverleiben.     Alle   müssen 
zuerst  sein  und  sind  auch  der  Philosophie  Beflissene;  aber 
alle  sollten  eigentlich  auch  in  dem  ersten  Jahre  ihres  akade-     5 
mischen  Aufenthaltes  nichts  anderes  sein  dürfen.    Das  alte 
I  Unwesen,  die  Knaben  in  der  Wiege  für  ein  gewisses  Ge-  [79] 
schäft    zu    bestimmen,    ist    immer   noch   nicht   ausgerottet; 
denn  für  das  wissenschaftliche  Leben  ist  die  gelehrte  Schule 
nur  die  Wiege.     Was  für  Vorstellungen  von  seinem  künf-  10 
tigen  Beruf,  von  dem  Verhältnis  desselben  zu  dem  ganzen 
großen  Gebiet  der  Wissenschaften  und  des  durch  sie  un- 
mittelbar befruchteten  Lebens    kann  der  angehende  Jüng- 
ling wohl  von  dort  her  mitbringen?   Die  allgemeinen  Über- 
sichten, theologische,  juridische,  mit  welchen  man  die  Ab-  15 
gehenden  hie  und  da  zu  versenden  pflegt,   sind  nur  Hul- 
digungen, welche  man  verkehrterweise  jener  Verkehrtheit 
der  voreiligen   Bestimmung   darbringt,   und   ein   Raub,   der 
schwerlich  ungestraft  an  den  L^niversitäten  begangen  wird. 
Gewiß  sind  die  Fälle  selten,  wo  sich  eine  bestimmte  Rieh-  20 
tung  des  Talentes  schon  auf  der  Schule  offenbart,  und  mit 
Recht  kann  man  sagen,   daß   in  jedem  solchen  Falle  nur 
desto    notwendiger    sei,    den    Jüngling,    wenn    er    für     die 
Wissenschaft  gedeihen  soll,  eine  Zeitlang  im  Allgemeinen 
derselben   aufzuhalten,   damit   sein   allgemeiner    Sinn  nicht  25 
ganz   unterdrückt   werde  von   der   vorherrschenden   Gewalt 
des   besonderen    Talents.     Möchte   man    doch   bald    dahin 
kommen,  die  Jünglinge  nur  zum  Studieren  überhaupt  1  der  [80] 
Universität  zuzuschicken.    Wenn  sie  sich  ein  Jahr  nehmen 
dürfen,   um   sich   in   den    Prinzipien   festzusetzen    und   sich  30 
von  allen  wahrhaft  wissenschaftlichen  Disziplinen  eine  Über- 
sicht zu  verschaffen:  so  wird  diese  Zeit  nicht  verloren  sein; 
während    derselben    wird    am    sichersten    ihre    Gesinnung, 
ihre  Liebe,  ihr  Talent  sich  entwickeln;  sie  werden  untrüg- 
licher ihren  rechten  Beruf  entdecken,  und  des  großen  Vor-  35 
teils   genießen,    ihn   selbständig   gefunden   zu   haben. 

Nicht  anders  aber  sollten  auch  alle  Universitätslehrer 
in    der    philosophischen    Fakultät    eingewurzelt    sein.      Be- 
sonders kann  man  bei  der  juridischen  und  theologischen 
Fakultät  nie  sicher  sein,  daß  nicht  das  Studium  allmählich  40 
immer  mehr  einer  handwerksmäßigen  Tradition  sich  nähere, 


152  Schleiermacher. 

oder  in  ganz  unwissenschaftlicher  Oberflächlichkeit  ver- 
derbe, wenn  nicht  alle  Lehrer  zugleich  auf  dem  Felde 
der  reinen  Wissenschaft  eignen  Wert  und  Namen  haben, 
und  eine  Stelle  als  Lehrer  verdienen.  Man  sollte  daher 
5  nicht  nur  ausschließend  solche  wählen,  sondern  es  müßte 
gesetzmäßig  sein,  daß  jeder  Lehrer  dieser  Fakultäten,  wenn 
auch  nicht  zugleich  Mitglied  der  philosophischen,  doch 
als  außerordentlicher  Lehrer  bei  irgend  einem  Zweige  der- 
selben verpflichtet  wäre,  und  von  Zeit  zu  Zeit  Vorträge 
m^l  aus  dem  reinen  |  wissenschaftlichen  Gebiete  hielte,  die  in 
gar  keiner  unmittelbaren  Beziehung  auf  seine  Fakultät 
ständen.  Nur  dadurch  könnte  man  auch  äußerlich  sicher 
sein,  die  lebendige  Verbindung  dieser  Doktrinen  mit  der 
wahren  Wissenschaft,  ohne  welche  jene  gar  nicht  auf  die 

15  L'niversität  gehören  könnten,  zu  erhalten.  Und  in  der 
Tat  verdient  ja  wohl  jeder  Lehrer  des  Rechts  oder  der 
Theologie  ausgelacht  und  von  der  Universität  ausge- 
schlossen zu  werden,  der  nicht  Kraft  und  Lust  in  sich 
fühlte,  auf  dem  Gebiet,  es  sei  nun  der  reinen  Philosophie 

20  oder  der  Sittenlehre  oder  der  philosophischen  Geschichts- 
betrachtung oder  der  Philologie,  etwas  Eignes  mit  aus- 
gezeichnetem Erfolg  zu  leisten. 

Wenn  übrigens  schon  die  philosophische  Fakultät  am 
besten  tut,  eine  zu  bleiben,  und  wenn  sie  sich  zum  Behuf 

25  gewisser  Geschäfte  in  Unterabteilungen  spalten  müßte,  dies 
ja  nicht  auf  eine  zu  bestimmte  und  bleibende  Art,  kurz  ja 
nicht  so  zu  tun,  daß  die  Einheit  als  das  Wesentlichere 
darüber  verloren  gehe :  so  ist  ja  wohl  deutlich,  daß  auch  das 
allgemeine  Streben  der  Universität  darauf  gehn  muß,  sich 

30  nicht  zu  sehr  ins  Einzelne  hinein  bestimmt  zu  teilen,  jeden 

Lehrer    etwa    streng    in    den    Grenzen    seiner    Fakultät    zu 

[82]  halten,    oder   gar    in    dieser    ihn   ganz   bestimmt    |  auf   ein 

gewisses    Fach    einzuschränken.      Vieles    fällt    freilich    von 

selbst  weg,  wenn  jeder  Lehrer  einer  Fakultät  zugleich,  wenn 

3)  auch  nicht  ebenso  genau,  der  philosophischen  angehört 
und  in  dieser  selbst  die  Sektionen  nicht  streng  geschieden 
sind.  Aber  warum  sollte  auch  ein  Lehrer  gehindert  werden, 
einmal  das  Gebiet  einer  andern  Fakultät  zu  betreten? 
Grenzen  doch  alle  aneinander  und  berühren  sich  in  mehre- 

40  ren  Punkten,  so  daß  es  an  Veranlassungen  nicht  fehlt,  aus 
einer    in    die    andern    hinüberzuschweifen.      Ergreift    diese 


Gelegentliche  Gedanken.  153 

ein    Gelehrter    recht,    und    begnügt    er    sich    nicht    damit, 
nur  für  sein   eignes    Studium  zu  leihen,   was   er  von  dort 
her  braucht :  so  muß  er  gewiß  etwas  recht  Eigentümliches 
und  Geistreiches  hervorgebracht  haben  auf  dem  fremden 
Gebiet,  wenn  er  sich  entschließt,  es  öffentlich  vorzutragen.    5 
Die    Eifersucht    der    Fakultäten    aufeinander  -wegen    ihres 
Gebietes  ist  etwas  mit  Recht  Veraltetes  und  Lächerliches. 
Wem  einmal  öffentlich  die  Würde  eines  wissenschaftlichen 
Lehrers  gegeben  und  sein  Talent  dazu  anerkannt  ist,  der 
muß  es  auch  üben  können,  auf  welchem  Gebiet  er  will.    Die  10 
Zeit,   während   der   einem   Gelehrten   diese   Gabe   der   Mit- 
teilung zu  Gebote  steht,  ist  zu  beschränkt;  die  Gabe  selbst 
ist  zu  zart  und  zu  schwer  ganz  in  die  1  Gewalt  zu  bekommen,    [83] 
als  daß  man  nicht  jede  gute  Stunde  und  alles,  was  sie  ein- 
gibt, vollständig  genießen  und  auch  benutzen  sollte.  15 

Eben  deshalb  ist  auch  der  wahre  Geist  der  Universität 
der,  auch  innerhalb  jeder  Fakultät  die  größte  Freiheit 
herrschen  zu  lassen.  Ordnungen  vorschreiben,  wie  die  Vor- 
lesungen aufeinander  folgen  müssen,  das  ganze  Gebiet  unter 
die  Einzelnen  bestimmt  verteilen,  das  sind  Torheiten;  nicht  20 
einmal  ein  solches  Privatabkommen  der  Lehrer  unter  sich 
wäre  wünschenswert.  Es  wäre  immer  eine  Beförderung 
der  Stagnation,  dahingegen  neues  Leben  in  einen  jeden 
Zweig  der  Wissenschaften  kommt,  wenn  er  wieder  von 
andern,  und  verzüglich  von  solchen,  die  sich  mit  andern  25 
Zweigen  mehr  abgegeben  haben,  aufs  neue  bearbeitet  wird. 
Darum  lasse  keiner  sein  Talent  so  bestimmt  und  äußer- 
lich binden,  oder  binde  es  selbst.  Männer  von  Geist  und 
Fleiß,  und  denen  das  Geschäft  wert  und  lieb  ist,  welches 
sie  auf  der  Universität  treiben,  können  unmöglich  in  dieser  30 
Hinsicht  eines  äußerlichen  Gesetzes  bedürfen;  sie  haben  in 
sich,  was  sie  treibt,  so  viel  zu  tun  als  sie  können,  und 
sie  müssen  sich  selbst  ihr  Gesetz  sein.  Auch  ist  dies 
natürlich  viel  zu  eigentümlich,  um  von  einem  andern  oder 
im  allgemeinen  [  gegeben  zu  werden,  da  es  so  genau  von  ro<i 
dem  Verhältnis  des  Lehrers  zu  seinen  Schülern  abhängt. 
Je  fester  diese  ihm  anhangen,  je  mehr  sie  sich  in  ihrem 
wissenschaftlichen  Streben  allgemein  von  ihm  gefördert 
fühlen,  durch  ein  desto  größeres  Gebiet  werden  sie  von 
ihm  wollen  geführt  sein;  je  mehr  sie  dagegen  in  ihm  nur  40 
eine   besondere   Virtuosität   bewundern,   um    desto   weniger 


154  Schleiermacher. 

werden  sie  wünschen,  daß  er  sich  aus  deren  Gebiet  hinaus 
versteige,  sondern  so  etwas  vielmehr  mit  einer  leisen 
Schadenfreude  ansehn. 

Daher  ist  es  auch  gewiß  mehr  schulmäßig  als  im 
5  wahren  Geiste  der  Universität,  wenn  die  Nominalprofes- 
suren zu  stark  hervortreten.  Einem  Lehrer  vorschreiben, 
daß  er  in  einem  bestimmten  Zeiträume  dasselbe  wieder 
vortrage,  heißt  ihm  sein  Geschäft  zuwider  machen,  und 
also  schuld  sein,   daß  sein  Talent  nur  desto  schneller  ab- 

10  laufe.  Auch  ist  es  natürlich,  daß,  wer  noch  auf  andere 
Weise  als  auf  dem  Katheder  für  die  Wissenschaft  arbeitet, 
sich  einrichten  muß,  damit  seine  Arbeiten  sich  nicht  all- 
zusehr hindern,  wenn  er  anders  mit  Lust  und  Interesse 
vortragen   soll,   und   sich   also   solchen   Geboten  unmöglich 

15  fügen    kann.      Freilich    sagt    man,    es    müsse    doch    dafür 

85]  gesorgt  werden,  daß  in  einem  solchen  |  Zeitraum,  als  man 
für  einen  gewöhnlichen  Aufenthalt  auf  der  Universität  rech- 
nen kann,  alles  Wesentliche  eines  jeden  Gebietes  wirklich 
vorkomme.      Gewiß    richtig  I     aber    ist    nur    eine    gehörige 

20  Fülle  von  Lehrern  rechter  Art  vorhanden,  so  hat  es  da- 
mit keine  Not.  Und  sollte  es  ja:  nun  wohl,  so  weise  man 
jedem  sein  besonderes  Fach  an,  aber  nur  insofern,  daß, 
wenn  innerhalb  des  bestimmten  Zeitraumes  keiner  sich  ge- 
funden   habe,    der    es    in    dem    gehörigen    Umfang   vorge- 

25  tragen  hätte,  dieser  alsdann  dazu  verpflichtet  sei.  Und 
diese  Anweisung  sei  so  wenig  rechtlich  verklausuliert  und 
so  lose  als  möglich,  so  daß  ohne  alle  Weitläuftigkeit  zwei 
Lehrer  die  Gewährleistung,  welche  sie  übernommen  haben, 
gegeneinander   vertauschen   können.     So   wird   jeder   seine 

SO  Freiheit  behalten,  und  das  Ganze  dadurch  nicht  vernach- 
lässiget werden,  sondern  nur  gewinnen. 

Je  mehr  nun  jeder  Lehrer  auf  diese  Art  seinen  Kreis 
selbst  bestimmen  und  nach  Belieben  bald  erweitern  bald 
verengern    kann,    tun    desto    mehr    söhnt    man    sich    auch 

35  aus  mit  dem   so    sehr  verschrieenen   Honorar.    Auch   dies 
muß   doch   wunderbar  genug  mit   dem   Geist  und  Wesen 
unserer    Universitäten    zusammenhängen,    weil    es    sich    so 
86]  beständig,   trotz   ]  mancher   spöttischen  Ausfälle   der  neue- 
sten Verfeinerung,  erhalten  hat,  und  man  kann  wohl  sagen, 

40  daß  das  die  schlechtesten  Universitäten  und  die  schlech- 
testen Partien  jeder   Universität  sind,  wo  am  meisten  das 


Gelegentliche  Gedanken.  155 

Honorar  umgangen  wird.    Zuerst  gehört  es  zu  den  wenigen 
Einrichtungen,    worin    sich    die    Universität    als    aus    einer 
ganz    freien    Privatvereinigung    von    Gelehrten    entstanden 
darstellt.    Weil  dies  nun  ihre  natürlichste  und  schönste  Seite 
ist,  so  hat  auch  gewiß  das  Verhältnis,  sich  seinen   Unter-     5 
rieht  bezahlen  zu  lassen,   nie   einem  Lehrer,   der  es  nicht 
selbst  durch  niedrige  Gesinnung  entweihte,  in  der  Achtung 
der  Jünglinge  geschadet,  noch  kann  es  ihm  selbst  erniedri- 
gend  erschienen    sein,    da    es    zugleich   das    Gefühl   seiner 
Abhängigkeit  vom  Staat  verringert.     Daher  soll  sich  auch  10 
der  Staat  in  dies  Verhältnis  gar  nicht  mischen;  er  soll  das 
Betragen  gegen  die  Ärmeren  dem  guten  Ton  der  Lehrer 
überlassen.     Will  er  vorschreiben,  was  oder  wie  oft  jeder 
auch   unentgeltlich   vortragen   soll :   so   mahnt   dies   an   die 
schlechtesten   Einrichtungen   kleiner   Schulen,   wo   das   Ge-  15 
meinere  öffentlich  und  das  Seltnere  und  Höhere  in  Privat- 
stunden   zu    lernen    ist.      Viel    besser    werden    die    Lehrer 
selbst  finden,  was  sich  von  Zeit  zu  Zeit  dazu  |  eignet,  ein  [87] 
solches   Gastmahl   für   eine   auserlesene   Anzahl  zu   sein. 

Hierher  gehören  denn  auch  die  Seminarien,  welche  mit  20 
den     meisten    Fakultäten,    der    medizinischen,    der    theolo- 
gischen, und  der  philologischen  Sektion  der  philosophischen 
verbunden    zu    sein    pflegen,    und    fast    überall    als    eigene 
Anstalten  erscheinen,   welche   ganz  besonders   vom   Staate 
gestiftet  und  begünstiget  sind.    Die  Lehrer,  welche  ihnen  25 
vorstehen,    werden    dafür    noch    besonders    besoldet,     und 
größtenteils  (nur  in  den  klinischen  Anstalten  der  Mediziner 
ist   es   nicht   üblich)  genießen  auch   die  Jünglinge,  welche 
daran  teilnehmen,  namhafte  Vorteile.     Es  ist  schon  oben 
erwähnt,    daß    diese    Seminarien    dasjenige    sind,    wodurch    30 
sich   die    Universität   der   Akademie   nähert,   und   daß   die 
eignen  darstellenden  Versuche,  die  ins  Einzelne  gehenden 
Studien   und    Untersuchungen   der   Jünglinge    darin   sollen 
geleitet    werden.      Daher    der    innerste    Kreis    der     reinen 
Philosophie   auch   nichts    von   dieser   Art   aufzuzeigen   hat,  35 
sondern   für   ihn   die   Stelle  jener  Anstalten   eigentlich  die 
Disputierübungen  vertreten  sollten,  welche  den  Zweck  haben, 
sich   in   den  philosophischen   Prinzipien   und  in   den  allge- 
meinen Ansichten  recht  festzusetzen.     Die  Seminarien  aber 
schließen    sich   an    die    Disziplinen    an,    welche    1  mehr   in  p^, 
das    Besondere   gehen,    und   sind    dasjenige   Zusammensein 


156  Schleiermacher. 

der  Lehrer  und  Schüler,  worin  die  letzteren  schon  als 
produzierend  auftreten,  und  die  Lehrer  nicht  sowohl  un- 
mittelbar mitteilen,  als  nur  diese  Produktion  leiten,  unter- 
stützen und  beurteilen.  Daß  in  den  Seminarien  Höheres, 
5  als  im  gewöhnlichen  Laufe  der  Vorlesungen  vorkommet, 
unmittelbar  gelehrt  werden  soll,  ist  notwendig  eine  ganz 
falsche  Ansicht.  Denn  auf  alles  unmittelbare  Lehren  haben 
auf  der  Universität  alle  ein  gleiches  Recht;  die  Seminarien 
sind  aber  ihrer  Natur  nach  immer  nur  für  einen  Ausschuß 

10  bestimmt.  Zwischen  ihnen  und  den  Vorlesungen  liegen 
noch  die  Konversatorien,  in  welchen  die  Reaktion  des 
Jünglings  zuerst  dem  Lehrer  sichtbar  wird;  er  unter- 
scheidet das  minder  faßlich  Vorgetragene,  und  gibt  es 
dem  Lehrer  zur  Umarbeitung  und  Erläuterung  zurück;  er 

15  bringt  Zweifel  und  Einwendungen  vor,  um  sie  sich  lösen 
zu  lassen.  Diese  fast  wesentliche  Form  fehlt  freilich  häufig 
genug,  aber  die  Lücke  muß  gewiß  sehr  fühlbar  werden, 
wo  sich  nicht  etwa  eine  solche  freiere  Vereinigung  mit  in 
den  Seminarien  versteckt.     Schon  bei  dieser  mehr  gegen- 

20  seitigen  Mitteilung  erscheinen  gewiß  nur  diejenigen,  in 
welchen  der  wissenschaftliche  Geist  sich  wirklich  regt.- 
[89]  Natürlich  ergibt  sich  hier  Gele- 1  genheit  genug,  den  Jüng- 
lingen Arbeiten  anzuweisen,  und  sie  zu  L^ntersuchungen 
aufzufordern,  wodurch  sie  mehr  Licht  in  einzelne  Gegenden 

25  ihres  Wissens  bringen,  und  die  Nebel,  von  denen  sie  um- 
fangen sind,  zerstreuen,  oder  die  Unbeholfenheit  in  ihren 
geistigen  Tätigkeiten,  welche  sie  drückt,  überwinden  können. 
Nur  die  ernsteren,  hinlänglicher  Kräfte  sich  bewußten, 
werden   den   anstrengungsvollen   Weg  nicht   scheuen;   und 

30  wenn  sie  das  Bedürfnis  fühlen,  auch  auf  diesem  die  Gemein- 
schaft mit  dem  Lehrer  fortzusetzen,  so  ist  das  Seminarium 
gemacht.  Eigentlich  also  muß  jedem  Lehrer,  welchem 
es  gelingt,  eine  Anzahl  der  Jünglinge  seines  Faches  näher 
an  sich  zu  ziehn,  diese  Leitung  ihrer  eignen  Arbeiten  von 

35  ihnen  selbst  übertragen  werden,  jeder  muß  sich  sein  Semi- 
narium selbst  bilden.  Diesem  natürlichen  Gange  tritt  der 
Staat  in  den  Weg,  wenn  er  für  jede  Fakultät  ein  Semi- 
narium stiftet,  und  dieses  mit  besonderen  Begünstigungen 
einem  Lehrer  überträgt.   Daran,  daß  der  Staat  gewöhnlich 

40  auf  Lebenszeit  verleiht,  und  daß,  auch  wenn  er  eine  solche 
Anstalt    zuerst    stiftet,    doch    die    in    Deutschland    so    sehr 


Gelegentliche  Gedanken.  157 

herrschende  Achtung  für  das  Alter  sie  dem  Ältesten  über- 
tragen  wird,    der   zu  einem   solchen   näheren  persönlichen 
Verkehr  mit  der  Jugend,  wenn  alles  1  Übrige  gleich  gesetzt  [90] 
wird,    der    Regel    nach    der    minder    geschickte    ist,    daran 
wollen    wir   nicht    einmal    denken;    das    größte   und    sieht-     5 
barste   Übel   ist,    daß,    wenn   ein   Lehrer  mit  solchen   Be- 
günstigungen versehen  ist,  der  Anteil  an  den  eignen  Arbeiten 
der  Jünglinge  dadurch  ein  Monopol  wird,  und  die  andern 
außer  Stand  gesetzt  werden,   ihr  Verhältnis  zu  den  Jüng- 
lingen zur  Vollendung  zu  bringen,  und  so  viel  zu  nutzen,  10 
als  sie  könnten.     Ebenso  wenn   der  Staat  eine  bestimmte 
Anzahl  von   Studierenden,  oft  schon  bald  nach  ihrer  An- 
kunft  auf    der    Universität,    als    Seminaristen   begünstiget: 
so  zieht  er  nicht  nur  die  Jünglinge  auf  eine  unreine  Art 
zu  dem  Lehrer  ausschließend  hin,  der  diese  Begünstigungen  15 
zu  verteilen   hat;   sondern  er   verfällt   auch  in  den  so  all- 
gemein dafür  anerkannten  Fehler,  reine  Aufmunterungen, 
die  nur  selten  wirklich  aufmuntern,  Belohnungen,  ehe  noch 
etwas   geschehen    ist,    zu   verteilen.     Auf   diese   Art   sollte 
es  wohl  keine  Seminarien  geben,  sondern  der  Staat  sollte  20 
die   Unterstützungen,   welche  er  jeder   Fakultät  zu  diesem 
Behuf   bestimmt    hat,    gemeinsam   niederlegen,    und   jeder 
Lehrer,  welcher  einen  Kreis  von  engeren  Schülern  zu  eignen, 
wahrhaft  wissenschaftlichen  Arbeiten  unter  sich  vereinigen 
will  und  kann,  müßte  den  tüchtigsten  unter  |  ihnen  einen  rq^-, 
Teil  davon  können  zufließen  lassen.     Nur  wenn  der  trau-  '" 
rige  Fall  eintreten  sollte,  daß  kein  Lehrer  von  selbst,  und 
ohne  eine  besondere  Belohnung,  Beruf  hierzu  fühlte,  müßte 
die   gesamte   Anstalt    oder   der    Staat   zutreten.     Vielleicht 
sind  die  bestehenden   Seminarien  zum   Teil  auf  diese  Art,  30 
zum  Teil  aus  dieser  Voraussetzung  entstanden;  auf  jeden 
Fall  aber  müßte   das    Monopol   in   demselben  Augenblick 
aufgehoben   werden,    wo    sich   ein   anderer   Konkurrent   zu 
diesem  Geschäft  findet. 

Nach  ähnlichen  Grundsätzen,  daß  nämlich  der  Staat  3S 
nie  Aufmunterungen  und  Wohltaten  verteilen  soll,  son- 
dern nur  Belohnungen  und  Ehrenzeichen,  muß  auch  das 
ganze  Stipendienwesen  beurteilt  und  auf  seinen  ursprüng- 
lichen Zweck  zurückgeführt  werden,  da  es  nur  durch  die 
allmählich  eingerissene  Weichlichkeit  in  ein  Benefizien-  40 
Wesen   ist   verwandelt   worden.     Der    Student   müsse   keine 


158  Schleiermacher. 

anderen  Stipendien  mitbringen,  als  die  er  auf  der  Schule 
schon  verdient  hat,  und  diese  müssen  nur  so  lange  dauern, 
bis  er  sich  auf  der  Universität  neue  verdienen  kann,  damit 
er  nicht,  ohne  daß  es  bemerkt  und  geahndet  werde,  aus 
5  einem  trefflichen  Schüler  ein  schlechter  Student  werde. 
Alle  Unterstützungen  müssen  nur  dem  Geprüften,  und  für 
[92]  ausgezeichnet  |  Erkannten,  erteilt  werden,  und  ein  Ehren- 
zeichen begleite  sie,  so  daß  sich  der  Reiche  ebensowohl 
darum  bewerbe  als  der  Arme,  und  nur  den  Vorteil  davon 

10  einem  andern  gern  überlasse.  Nur  so  wird  der  ursprüng- 
liche Zweck  erreicht,  und  Demütigungen  und  Unterschei- 
dungen vermieden,  welche  nirgend  weniger  an  ihrer  Stelle 
sind  als  auf  der  Universität. 

Alles    dies    setzt   freilich   voraus,    daß    die    Lehrer   der 

15  Universität  sind,  wie  sie  sein  sollen.  Allein  wie  könnte  man 
auch  eine  andere  Voraussetzung  als  diese  bei  den  wesent- 
lichsten Einrichtungen  zum  Grunde  legen?  Es  mag  viel- 
leicht andere  Dinge  geben,  welche  gedeihen  können,  wenn 
auch  diejenigen,  die  daran  arbeiten,  nur  durch  einen  äußern 

20  Zwang  gehalten  und  getrieben  werden ;  dieses  Werk  aber 
nicht,  sondern  es  kann  nur  durch  Lust  und  Liebe  bestehen, 
und  was  ohne  diese  auch  die  vortrefflichsten  äußeren  Ge- 
bote und  Statuten  tun  können,  kann  immer  nur  ein  leerer 
Schein   werden.     Wer    sich   die    Aufgabe   setzt,    eine    Uni- 

25  versität  so  einzurichten,  daß  sie  gehen  und  Dienste  leisten 
müßte,  wenn  auch  die  Lehrer  kaum  mittelmäßig  wären, 
und  nicht  vom  besten  Willen,  der  unternimmt  ein  töricht 
Ding.  Denn  was  für  den  Geist  sein  und  ihn  kräftigen  soll, 
das  muß  auch  aus  der  Kraft  des  Geistes  hervorgehen. 
j-Qon  I  Darum  ist  nun  freilich  die  erste  Sorge  die:  wie  be- 
kommt man  Lehrer,  welche  den  rechten  Sinn  haben,  und 
welchen  alle  die  nötigen  Kräfte  mit  großem  Geschick  zu 
Gebote  stehen.?  Wir  haben  die  wesentlichsten  Zweige  der 
Universität  betrachtet;   aber  wie  erneuern  sie  sich  nun  in 

35  jedem  vorkommenden  Fall  am  besten?  Die  Erfahrung 
scheint  zu  verraten,  daß  gerade  dieser  wichtige  Punkt  noch 
nicht  auf  eine  der  Idee  und  dem  Wesen  des  Ganzen  ange- 
messene Art  ist  eingerichtet  gewesen.  Es  finden  sich  über- 
all der  Mißgriffe  zu  viele,  als  daß  man  dies  glauben  könnte; 

40  und  man  darf  nicht  annehmen,  daß  die  Anzahl  tauglicher 
Männer  zu  diesem  Geschäft  so  gering  wäre,  als  die  Anzahl 


Gelegentliche  Gedanken.  159 

trefflicher    Lehrer    wirkUch    ist;    ja    es    lassen    sich    ganze 
Perioden  unterscheiden,  wo  eine  Universität  mit  fast  lauter 
ausgezeichneten,  und  andere,  wo  sie  mit  minder  als  mittel- 
mäßigen Männern  besetzt  ist.     Dies  scheint  seinen  Grund 
darin    zu    haben,    daß    die    Regierung    die    Sorge    für    die     5 
Besetzung   dieser   Ämter   gewöhnlich    einem    bedeutenden 
Staatsmarme  überläßt.     Hat  dieser  das  rechte  Talent  und 
den  wahren  Eifer  für  die  Sache,  so  wird  es  ihm  nicht  fehlen, 
vortreffliche    Männer    zusammenzubringen;    folgt    ihm    ein 
anderer   Übelgewählter,   so   werden  auch   dessen  schlechte  10 
I  Wahlen  allmählich  statt  jener  trefflichen  eine  Reihe  von  [94] 
unbedeutenden  Männern  aufstellen.    Ja  es  ist  zu  besorgen, 
daß  nur  in  einem  kleinen  Staate,  der  unmöglich  die  Uni- 
versität als  für  seine  Bedürfnisse  daseiend  ansehen  kann, 
der  Aufsicht  führende  Staatsmann  lediglich  auf  die  wissen-  15 
schaftliche  Qualität  sehen  wird;  je  größer  aber  der  Staat, 
desto  mehr  wird  er  sich  verleiten  lassen  durch  die  so  allge- 
meine herrschende  Ansicht,  und  den  talentvollsten  Gelehr- 
ten, denen  es  aber  um  die  Wissenschaft  selbst  zu  tun  ist, 
solche    Männer    vorziehn,    welche    sich    als    Freunde     und  20 
Meister  in  der  Kunst  gezeigt  haben,  die  Wißbegierde  der 
Jünglinge   nur   zum  vermeinten   Besten   des   Staats   zu  be- 
arbeiten.    Sollte  man  also  nicht   dieser  so  schwer  zu  ver- 
meidenden falschen  Richtung,  und  jener  für  das  Gedeihen 
der  Universität  so  üblen  Veränderlichkeit  derselben  zuvor-  25 
zukommen   suchen,    indem   man   die    Besetzung   der    Lehr- 
stellen weniger  von  einer  Person  abhängig  machte?  Spricht 
nicht  die  Natur  der   Sache  dafür,  daß,  wenn  die  Wissen- 
schaft nicht  untergehn  soll,  an  der  Wahl  ihrer  eigentlich- 
sten Erhalter  und  Fortpflanzer  auch  der  wissenschaftliche  30 
Verein  einen  bedeutenden  Anteil  nehmen  müsse? 
I       Man   sagt   freilich,   der   Kurator   der   Universitäten   sei  [95] 
ja  notwendig  immer  ein  wissenschaftlich  gebildeter  Mann, 
und  nicht  minder  diejenigen,  welche   ihm  zunächst  an  die 
Hand  gehen,  Mitglieder  gewöhnlich  des  höchsten  Kirchen-  35 
rats   oder    Schulrates;   allein   hier   tritt   nun    die    Besorgnis 
ein,    daß     diese    alle    je    länger    je    mehr    sich    vorzüglich 
als  Staatsdiener  betrachten  werden,  und  der  Wunsch,  daß 
der   Anteil    des   wissenschaftlichen   Vereins   an   dieser   An- 
gelegenheit  bestimmter    und   abgesonderter   von    dem   des  40 
Staates   hervortreten   möge.     Auch   darauf   kann   man  frei- 


160  Schleiermacher. 

lieh  erwidern,  es  stehe  jeder  Universität  frei,  diese  Wahl 
dem  Wesentlichen  nach  ganz  in  ihre  eignen  Hände  zu 
bringen  und  sich  aus  sich  selbst  zu  erneuern.  Denn  sie 
könne  aus  ihren  eigenen  Zöglingen  Privatdozenten  bilden, 
5  und  wenn  diese  eine  Zeitlang  mit  Erfolg  aufgetreten  wären 
und  sich  Verdienste  erworben  hätten,  würde  der  Staat  sie 
gewiß  nicht  übergehen;  und  wenn  er  es  auch  täte,  würden 
sie  doch  wirksamer  sein  auf  der  Universität  als  die  von 
ihm   angestellten    Lehrer.     Das   heißt   aber   zu   wenig   aus 

10  der    Natur    der    Sache   gesprochen.      Ein    Privatdozent    als 

solcher   wird    es    nie    über    einen    öffentlich    sanktionierten 

Lehrer,   auch   nicht   über   einen   solchen,    der   ihm  wissen- 

[96]  schaftlich  weit   |  nachsteht,   davontragen;  bleibt   er  immer 

ausgeschlossen  von  der  Teilnahme  an  der  Innern  Leitung 

15  des  Ganzen,  so  muß  ihm  Mut  und  Lust  vergehen,  und 
er  wird  sich  entweder  hinwegbegeben,  oder  sein  Talent 
wird  ungenutzt  verwelken.  Ist  also  der  Staat  nicht  daran 
gebunden,  solche  Männer  aufsteigen  und  einrücken  zu 
lassen,   so   ist  mit  dieser   Freiheit   des   Lehrens  wenig  ge- 

20  Wonnen  für  die  Sache  der  Wissenschaft.  Auf  der  andern 
Seite  aber  wäre  es  wahrlich  nicht  gut,  wenn  eine  Universität- 
sich so  ganz  aus  sich  selbst  erneuerte,  wie  es  auch  sonst 
keine  gedeihlichen  Früchte  gibt,  wenn  in  einem  Boden 
immer  nur  der  Same  ausgestreut  wird,  den  er  selbst  hervor- 

25  gebracht  hat;  oder  wie  in  Familien,  die  immer  nur  unter 
sich  verkehren  und  heiraten,  die  Manieren  sich  versteinern 
und  der  Geist  verschwindet,  so  würde  auch  eine  solche 
Universität  immer  einseitiger  werden  und  trockener.  Eine 
jede  muß  vielmehr  auf  jede  Weise  auch  von  den  andern 

30  auf  sich  einwirken  lassen,  und  es  müsse  keiner  je  an 
Lehrern  fehlen,  welche  in  mehreren  wissenschaftlichen  Ge- 
meinheiten gelebt  haben,  um  das  fremde  Gute  und  die 
Früchte  eines  vielseitigen  Verkehrs  auch  den  nur  daheim 
Erzogenen  mitzuteilen. 
rgyj  I  Die  Universität  selbst  muß  freihch  am  besten  wissen, 
was  sie  bedarf,  so  oft  ihr  eine  Lücke  entsteht,  oder  sie 
Gelegenheit  bekommt,  sich  zu  erweitern;  und  da  man 
bei  ihren  Mitgliedern  Bekanntschaft  voraussetzen  darf  mit 
allem,    was    sich    Merkwürdiges    auf    dem   vaterländischen 

40  Gebiete  der  Wissenschaften  regt,  so  muß  sie  auch  wissen, 
wo  sie  ihren  Bedarf  finden  kann.    Allein  leider  möchte  wohl 


Gelegentliche  Gedanken.  161 

niemand  dafür  stimmen,  ihr  jede  Wahl  allein  zu  überlassen; 
die  Universitäten  sind  im  ganzen  so  berüchtiget  wegen 
eines  Geistes  kleinlicher  Intrigue,  daß  wohl  jeder  bei  einer 
solchen  Einrichtung  von  der  Parteisucht,  von  den  in  lite- 
rarischen Fehden  gereizten  Leidenschaften,  von  den  persön-  6 
liehen  Verbindungen  die  nachteiligsten  Folgen  befürchten 
wird.  Der  Regierung  und  ihren  Repräsentanten,  denen 
freilich  diese  Versuchungen  ganz  fremd  sind,  fehlt  da- 
gegen als  solchen  gar  vieles,  was  zur  richtigen  Beurteilung 
gehört,  und  auch  wenn  sie  schon  erworbenen  Ruhm  zum  10 
Maßstab  nehmen,   werden  sie  sich  oft  irren. 

Am    meisten    Schwierigkeit    scheinen    in    beider    Hin- 
sicht   zu    verursachen    die    Lehrstellen    der    reinen    Philo- 
sophie.     Denn    dieses    Gebiet    liegt    dem    Staate    am    ent- 
ferntesten,  und   am   wunderlichsten   müßte    es    ihm   selbst  15 
vorkommen,    wenn    er    entscheiden    sollte,    wer    |   mm    der  [98] 
echteste   Philosoph    sei,    der   am   meisten   begünstiget   und 
hervorgezogen  zu   werden  verdiene.     Auch   gibt   es  nichts 
Verhaßteres   auf    diesem   Gebiete,    nichts,    was   gutes   Ver- 
nehmen  und   gegenseitiges   Vertrauen    so    sehr    schwächen  20 
muß,  als  wenn  eine  Regierung  Partei  nimmt  in  Sachen  der 
Philosophie,  indem  sie  eines  oder  das  andere  der  streitenden 
Systeme    ausschließt    oder    zurücksetzt.      Auf    der    andern 
Seite  aber  sind  die  Universitäten  selbst  immer  der  Kampf- 
platz,  wo    am   heftigsten,   und    bisweilen   bis    zur   Vemich-  25 
tung,  dieser  Streit  der  Systeme  geführt  wird,  so  daß  man, 
wenn  ihnen  selbst  die  Entscheidung  überlassen  wäre,  die 
heftigsten  Bewegungen  fürchten  müßte.    Hier  scheint  kaum 
eine  andere  Hilfe  zu  sein,  als  eben  in  jener  Freiheit  des 
Lehrens.    Wer  sich  Bahn  macht,  dem  vergönne  man  Raum ;  30 
wem  es  gelingt,  nachdem  er  sich  in  der  gehörigen  Form 
auf  einer   Universität   niedergelassen,   den   größten   Beifall 
zu  erwerben  und  zu  bewahren,  und  das  Talent  zur  Speku- 
lation aufzuregen,   den  bekleide   man   mit   dem   Charakter 
des  öffentlichen  Lehrers  ohne  Rücksicht  auf  sein  System,  35 
ja   selbst    ohne    Scheu    vor    den    Streitigkeiten,    die    unter 
gewissen   Umständen   auf   diesem   Gebiet   einmal   nicht   zu 
vermeiden   sind.      Nur   hafte    kein    öffentlicher    Fleck    auf 
seinem  sittlichen  |  Ruf,  nur  sei  zugleich  von  ihm  bekannt,  [99] 
daß  er  auch  irgendein  Feld  des  realen  Wissens  bearbeitet.  40 
X'ielleicht    ist    dies    das    einzige    Gebiet,    wo    ein    Melden, 

Uuiversitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  StelTeni.  H 


162  Schleiermacher. 

ein  Ansuchen  um  die  öffentliche  Lehrerstelle  von  Seiten 
der  Konkurrenten  stattfinden  dürfte,  und  die  Entscheidung 
zwischen  mehreren  fast  gleich  qualifizierten  überließe  viel- 
leicht der  Kurator  am  besten  derjenigen  Klasse  der  Natio- 
5  nalakademie,  welche  am  wenigsten  in  die  Streitigkeiten 
der  Parteien  verflochten  zu  sein  und  den  reinsten  Sinn 
für  jedes  Talent  an  sich  zu  haben  pflegt,  nämüch  der 
philologischen. 

Auf  jedem  andern  Gebiet  scheint  es  weniger  schwierig 

10  zu  sein,  wie  sich  am  besten  der  Staat  und  der  vdssenschaft- 
liche  Verein  in  das  Geschäft  der  Besetzung  zu  teilen  haben. 
Für  Stellen,  an  denen  das  Interesse  des  Staates  als  solchen 
sich  unmittelbar  ausspricht,  möge  der  Kurator  vorschlagen, 
mit  Zuziehung  derjenigen  Mitglieder  des  ihm  zugeordneten 

15  höchsten  Studienrates,  welche  auf  diesem  Gebiet  die  höch- 
sten gelehrten  Würden  erworben  haben  —  denn  andere 
sollten  nie  eine  Stimme  haben  in  Sachen  der  Universitäten 
—  und  wählen  sollte  die  Fakultät,  in  welche  der  Anzu- 
stellende  eintreten  wird,  mit  Zuziehung  derjenigen  Sektion 
[iriöl  ^^^  '  Phi'<3sophischen,  an  welcher  ihre  Mitglieder  teilhaben, 
oder  in  welche  der  Anzustellende  auch  eintreten  will.  Für 
solche  Lehrstellen  aber,  welche  den  wissenschaftlichen 
Charakter  am  strengsten  beibehalten,  schlage  die  Univer- 
sität selbst  vor  etwa  drei,  v/ie  sie  in  der  Stimmenmehrheit 

25  aufeinander  gefolgt  sind,  und  unter  diesen  wähle  mit  ähn- 
licher Zuziehung  der  Kurator.  Durch  eine  Einrichtung 
dieser  Art,  wie  sie  sich  auch  für  jede  Universität  eigen 
modifiziere,  scheint  das  Gleichgewicht  am  besten  gesichert, 
und  die  meisten  Übeln  Einflüsse  abgehalten  zu  werden. 

^50  Aber  wäre   es  nicht  fast  ebenso  nötig  zu  fragen:  wie 

kann  man  sich  am  besten  zur  rechten  Zeit  der  trefflichen 
Lehrer  wieder  entledigen  ?  Wahrlich,  niemand  spielt  eine 
traurigere  Rolle  als  ein  Universitätslehrer,  der  sich  als 
solcher   überlebt   hat,   der   dies   fühlt,   und   doch   noch   ge- 

35  nötigt  ist,  sein  Geschäft  fortzutreiben,  um  nicht  in  einen 
dürftigen  Zustand  zu  geraten!  Hier  sieht  man,  wie  wich- 
tig es  einem  Staate  ist,  nur  wenig  Universitäten  zu  haben, 
weil  so  am  besten  ein  Lehrer  während  seiner  blühendsten 
Zeit   für   die   spätere   einigermaßen    sorgen   kann,   und   vor 

40  allem  wohlbegabte,   so  daß   die   Anstalt  jedem  Verdienten 
[101]  eine    ehrenvolle    und    bequeme    [   Zurückziehung   gewähren 


Gelegentliche  Gedanken.  I(j3 

könne.     Aber  ebenso  wichtig  ist  gewiß  in  dieser   Hinsicht 
ein    richtiges    und    freundliches    Verhältnis    zwischen     den 
Universitäten  und  der  Akademie.    Die  Gabe  der  Mitteilung, 
wie   sie   der   Universitätslehrer   haben   muß,   ist   ein   zartes 
Talent,  das  nur  in  dem  schönsten  Zeitpunkte  des  Lebens     5 
sich  findet;  und  wenn  sonst  Philosophen  den  rechten  natür- 
lichen  Anfang   und    das    Ende    der   Zeugungskraft    zu   be- 
stimmen   sich    nicht    scheuten,    so    könnte    man    auch    für 
dieses  Talent  wohl  festsetzen,  daß  es  in  der  Regel  zwischen 
dem    fünfundzwanzigsten    und    dreißigsten    Jahre     anfängt  10 
sich  zu  entwickeln,  und  rasch  seiner  schönsten  Blüte  zueilt, 
und  daß,   wer  das   fünfzigste  Jahr  zurückgelegt  hat,   einer 
schnellen  Abnahme  desselben  entgegensehen  kann.     Nicht 
sowohl  der   aus   der  Wiederholung   entstehende  Überdruß, 
wie  man  meint,  bewirkt  diese  Abnahme;    eine  solche  Wir-  15 
kung  hat  der  wahre  geistvolle   Lehrer  auf  einer  wohl  ein- 
gerichteten  Universität   erst  sehr  spät   zu  befürchten :   son- 
dern je  mehr  die  Jugend  schon  einem  ganz  anderen  Zeit- 
alter   angehört    als    der    Lehrer,    je    weniger    er    sich    ihr 
in   Gedanken   assimilieren  und   eine   bestimmte   Liebe  und  20 
Freude  mit  ihr  gemein  haben  kann,  um  desto  mehr  muß 
sich   die    Neigung  und   das    Geschick  verlieren,  J  sich  mit  [102] 
ihr  in  nähere  Verhältnisse  einzulassen,   und  um  desto  un- 
erfreulicher und   unfruchtbarer  wird  das   Geschäft.     Wird 
aber  jemand  sagen,  wer  dieses  Talent  nicht  mehr  besitze,  25 
der  sei  der  Wissenschaft  abgestorben  ?  und  die  Akademie 
würdige    sich    herab    zu    einer    Verpflegungsanstalt,    wenn 
sie   solche   Männer  unter  sich   aufnehme  ?     Ist  nicht  auch 
in  demselben  Maß  erst  die  in  einzelnen  schwierigen  Unter- 
suchungen  so  oft  störende  und   übereilende   Lebhaftigkeit  30 
der  Phantasie  verschwunden,   und  dagegen   die   Besonnen- 
heit  in    ihrer   vollen    Kraft  ?     V' ollbringt   nicht    eben   diese 
in   solchen    Jahren   noch    die    herrlichsten    Werke  ?     Auch 
sehnt    sich    jeder    wahrhaft    wissenschaftliche    Lehrer    auf 
der  Universität   am  meisten  in   späteren  Jahren,   je  gründ-  35 
lieber  er   seine  Wissenschaft   gelehrt  hat,   um  desto   mehr 
nach  der   Muße  des  Akademikers,   um  seine   Forschungen 
ruhiger  verfolgen  und  die  schönsten   Früchte  seiner  Medi- 
tation zur  Reife  bringen  zu  können.    Auch  an  solchen  pflegt 
es  nicht    zu    fehlen    unter    den    L^niversitätslehrcrn,    welche  40 
sich  zum    Geschäftslcben   hinneigen,    wenn   ihre    Lehrgabe 

11* 


164  Schleiermacher. 

anfängt  zu  verblühen.  Für  beide  muß  es  einen  ehren- 
vollen und  verfassungsmäßigen  Übergang  geben,  wenn  die 
[103]  Universität  nicht  in  dem  Maß  erkranken  soll,  als  |  mehrere 
ihrer  Mitglieder  anfangen  schwach  zu  werden  für  ihr  Ge- 
5  schäft.  Denn  sollen  sie  gedeihen,  so  muß  der  Lehrer 
wie  der  Schüler  eine,  nur  langsamer,  vorübergehende  Er- 
scheinung sein. 

Man   sieht    leicht,    die    natürliche    Richtung    der    Uni- 
versitäten  geht    dahin,    den   allmählich    vorherrschend   ge- 

10  wordenen  Einfluß  des  Staates  wieder  in  seine  natürlichen 
Grenzen  zurückzuweisen,  und  dagegen  immer  mehr  den 
Charakter  des  wissenschaftlichen  Vereins  in  diesen  ihm 
zunächst  angehörigen  Anstalten  hervortreten  zu  lassen. 
Dies   muß    also   auch   von   ihren   öffentlichen   Handlungen 

15  gelten,  und  von  den  Formen,  unter  welchen  die  Universität 
oder  ihre  wesentlichen  Glieder,  die  Fakultäten,  als  ein 
Ganzes  auftreten.  Es  muß  sich  allmählich  immer  genauer 
trennen,  was  zum  innem  häuslichen  Leben  der  Anstalt 
selbst  gehört,  von  allem,  wobei  sie  selbst  oder  ihre  einzelnen 

20  Glieder  nur  als  Mitglieder  der  bürgerlichen  Gesellschaft 
anzusehen  sind.  In  allem,  was  zu  jenem  Gebiet  sicher 
gehört,  muß  die  Universität  sich  frei  und  unabhängig  ihr 
Hausrecht  selbst  bilden,  und  es  nach  Beschaffenheit  der 
Umstände  verändern  können;   der   Staat   kann   sich  dabei 

25  keiner    Leitung    anmaßen,     sondern     nur     Mitwissenschaft 
fodern    und    Aufsicht    führen,    damit    dieses    Gebiet    nicht 
[104]  überschritten  werde.    |   Nur  von  den  Vorteilen  vmd  Besitz- 
tümern,   welche    er    verliehen    hat,    mag    er    Rechenschaft 
fordern  und  verlangen,  daß  sie  durch  von  ihm  dafür  an- 

30  erkannte  Sachverständige,  aus  deren  Zahl  aber  doch  die 
Universität  muß  auswählen  können,  verwaltet  werden. 
Alles  übrige  ist  Vormundschaft,  welche  nur  in  der  Kind- 
heit der  Wissenschaft  an  ihrer  Stelle  sein  kann,  und  gegen 
welche    die    natürliche    Widersetzlichkeit    um.    so    stärker 

35  sein  muß,  je  mehr  die  Universität  ihre  Mündigkeit  fühlt 
und  zu  festen  Ansichten  und  einem  gründlichen  Stil  ihres 
Lebens  gelangt  ist.  Was  aber  die  Formen  betrifft,  unter 
welchen  sie  öffentlich  auftritt  und  ihre  Rechte  und  Ord- 
nungen bildet :  so  ist  die  wissenschaftliche  Gesinnung  unserer 

40  Zeit  ihrer  Natur  nach  durchaus  demokratisch,  und  das 
Bewußtsein  lebendig,   daß  alle  wissenschafthchen   Männer 


Gelegentliche  Gedanken.  165 

dem  Geiste  nach  einander  gleich  sind,  und  die  Geschäfte 
eines  jeden  gleich  wesentlich  dem   Ganzen  angehören.    Je 
mehr   also    die    Verfassung   sich    frei    gestalten    kann,    um 
desto   demokratischer   wird   sie   sich   bilden.     Es   sei   nun, 
daß  eine  persönliche  Repräsentation  aller  eigentlichen  ]\Iit-    5 
glieder    den    öffentlichen    Körper     konstituiere,     oder     ein 
engerer  Ausschuß :  der  Geist  wird  immer  derselbe  sein,  und 
auch  der  Form  nach  wird  ein  Ausschuß  immer  nur  )  ent-  [105] 
stehen  können  durch  freie  Wahl,  um  diejenigen  in  vorzüg- 
liche  Tätigkeit   zu   setzen,   welche   man   für   die   Geschick-  10 
testen  hält,  den  gemeinsamen  Willen  aller  zutage  zu  fördern 
und  auszusprechen.     Wo  ein  regierender  Ausschuß   durch 
bestimmtere   Qualifikationen  feststehend  gebildet  wird,   da 
muß  sich  gewiß  auch  in  andern  Dingen  die  zum  Grunde 
liegende    aristokratische    Gesinnung    mit    ihren    vielfältigen  15 
Nachteilen   offenbaren,    vorzüglich    durch    Tyrannei    gegen 
aufkeimende    Verdienste,    durch    Haschen    nach    äußerem 
Ansehen,     durch    einen    verschrobenen,    imwissenschaftlich 
vornehmen  Ton.    Die  innere  demokratische  Gesinnung  hin- 
dert aber  nicht,  daß  die  Verfassung  äußerlich  eine  monar-  20 
chische  Form  habe,  wie  wir  sie  überall  und  gewiß  zu  großem 
Nutzen  der  Universitäten  finden.    Derm  diejenigen,  welche 
mit  ihr  verkehren,  wenden  sich  natürlich  zunächst  an  den, 
von  dem  die  Ausfertigung  ausgeht,  sei  es  nun  die  münd- 
liche  oder   die    schriftliche.     Ist    dies    nun   nur    ein   unter-  25 
geordneter    Beamter,    so    wird    dadurch    nur    zu    sehr   eine 
minder  achtungsvolle  Behandlung  des  ganzen  Körpers  er- 
leichtert.    Daher    ist    es    sehr    dienlich,    daß    einer,     der 
übrigens  innerhalb  nur  der  erste  ist  unter  Gleichen,  außer- 
halb mit  der  Würde  des  ganzen  Körpers  bekleidet,  diesen  30 
gegen  die  |  Staatsbehörden,  gegen  die  Einzelnen,  und  vor-  [106] 
züglich  auch  gegen  die  Jünglinge   repräsentiere.     Dies  ist 
die    wahre    Idee    eines    Rektors    der    Universität,    welcher, 
um  dem  demokratischen  Charakter  des   Ganzen  nichts  zu 
vergeben,  aus  dem  repräsentierenden  Körper  und  von  dem-  35 
selben  nach  bestimmten   Formen  und  auf  eine  bestimmte 
Zeit  muß   wählbar  sein.     Wo   ihn  der  Staat  aber  ernennt, 
vielleicht  auf  lange  Zeit  oder  lebenslänglich,  vielleicht  gar 
auch    innerlich   ihn   mit   größern   Vorrechten   begabt,    als 
nur  der    erste   zu   sein   unter   Gleichen,    da   ist    schon   die  40 
wahre   wissenschaftliche    Freiheil   gefährdet,    und    ein   ver- 


166  Schleiermacher. 

derbliches     Übergewicht     solcher     Ansichten    zu    fürchten, 
welche  die    Wissenschaft   zum   bloßen    Dienst   des    Staates 
herabwürdigen.    Denselben  demokratischen  Charakter  muß 
auch  die   Geschäftsführung  einer  jeden   einzelnen  Fakultät 
5  haben.     Wo   ein  Präsidium  ist,   ist  es  wechselnd  entweder 
durch  Wahl,   oder,  was  bei   einer  kleineren  Anzahl  natür- 
licher ist,  durch  Reihenfolge,  und  hebt  innerhalb  die  Gleich- 
heit aller  nicht  im  mindesten  auf.    Wenn  man  irgend,  sei 
es    dem    Lebensalter   oder    dem    Geschäftsalter,    oder    aus 
10  sonst  einem   Grunde   einem   Einzelnen   einen  inneren  Vor- 
zug einräumt :  so  muß  das  Ganze  notwendig  den  Charakter 
[107]  der  Schwäch- [lichkeit  bekommen,  der  dem  Alter  eigen  ist, 
oder  leiden  durch  die  Abhängigkeit  von  der  Beschränktheit 
eines  Einzelnen. 


15  5. 

Von  den  Sitten  der  Universität,  und  von  der  Aufsicht. 

Dies  ist  die  größte  Klage,  welche  seit  langer  Zeit 
geführt  wird  über  die  deutschen  Universitäten,  daß  im 
ganzen   rohe    und    allen    Umgebenden    lästige    Sitten,    daß 

20  eine  höchst  unordentliche  Lebensweise  der  den  Wissen- 
schaften obliegenden  Jünglinge  fast  unzertrennlich  scheint 
von  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  und  Verfassung,  und 
daß  aus  dem  in  ihr  gegründeten  Majigel  an  Aufsicht  über 
eine  bis  zum  Übermut  mutige  Jugend  nicht  nur  eine  Menge 

25  kleinen  Frevels  und  Störungen  der  Ruhe  entstehen,  sondern 
auch  viele  von  den  vortrefflichsten  Einrichtungen  dadurch 
vergeblich  gemacht  werden,  und  selbst  das  Beste  auf  der 
Universität  ohne  Nutzen  bleibt :  so  daß  man  zweifeln  müßte, 
meinen  viele,  ob  nicht  dennoch  wegen  dieses  einen  Punktes 

30  eine  Umarbeitung  der  ganzen  bisherigen  Form  zu  wünschen 
wäre. 
[108]  I        Alles  durcheinander,   was   den   Gegenstand   dieser   Be- 
schuldigung  ausmacht,    ist   unter   dem    Namen   der   akade- 
mischen Freiheit  bekannt  und  verschrieen,  von  den  meisten 

35  gefürchtet,  wenn  es  in  ihre  Nähe  kommen  sollte,  und  der 
Beschreibung  nach  gehaßt  von  denen,  die  sie  nicht  kennen, 
oder  die  vergeßlich  und  undankbar  sind  gegen  ihre  Jugend, 


Gelegentliche  Gedanken.  167 

vielen  aber  eine  erfreuliche  und  anmutige  Erinnerung  an 
die  reichste  und  kräftigste  Zeit  des  Lebens,  und  wenigen, 
welche  in  den  Zusammenhang  eingeweiht  sind,  ein  inter- 
essanter Gegenstand,  und  die  dabei  vorkommenden  Schwie- 
rigkeiten zu  lösen  eine  wichtige  Aufgabe.  5 

Sie  hat  zwei  Seiten,  diese  Freiheit  der  Studenten,  welche 
wir  abgesondert  betrachten  wollen.     Die  eine  ist  die  Frei- 
heit, welche  sie  in  Vergleich  mit  der  Schule,  von  der  sie 
herkommen,   auf  der   Universität   genießen,   in  bezug   vor- 
nehmhch    auf    ihre    geistigen    Beschäftigungen.      Sie    sind  10 
dabei  keiner  Art  des  Zwanges  unterworfen ;  nirgends  werden 
sie  hingetrieben,   und  nichts  ist  ihnen  verschlossen.     Nie- 
mand befiehlt  ihnen,  diese  oder  jene  Lehrstunden  zu  be- 
suchen; niemand  kann  ihnen  Vorwürfe  machen,  wenn  sie 
es  nachlässig  tun  oder  unterlassen.    Über  alle  ihre  Beschäf-  15 
tigungen  gibt  es  keine  Aufsicht,  |  als  nur  so  viel  sie  selbst  [109] 
einem  Lehrer   freiwillig  übertragen.     Sie  wissen,  was  von 
ihnen  gefordert  wird,   wenn   sie   die   Universität  verlassen, 
und    was    für    Prüfungen    ihnen    dann    bevorstehen;     aber 
mit   welchem   Eifer  sie  nun   diesem  Ziel   entgegenarbeiten  20 
wollen,   und  wie  gleichförmig   oder  ungleich  ihn  verteilen, 
das  bleibt  ganz  ihnen  selbst  anheimgestellt.  Man  sorgt  dafür, 
daß  es  ihnen  an  Hilfsmitteln  nicht  fehle,  um  immer  tiefer 
in  ihr  Studium  einzudringen;    wie  gut  oder  schlecht  sie  sie 
aber  benutzen,    darüber   zieht   sie,    wenn  es   auch   bemerkt  25 
wird,    wenigstens    niemand    unmittelbar    zur    Rechenschaft. 
So  haben  sie  also  volle  Freiheit,  sich  der  Trägheit  zu  über- 
lassen und  den  nichtswürdigen  Zerstreuungen,  und  können 
anstatt  eines  löblichen  Fleißes  die  schönste  Zeit  ihres  Lebens 
unverantwortlich  verschwenden.     Und  was  für   ein  großer  30 
Schade  ist  es  nicht,  meint  man,  wenn  auf  diese  Art  viele 
Jünglinge  ohne   bedeutenden    Nutzen   von   der   Universität 
zurückkehren,  da  sie  allerdings  viel  würden  gelernt  haben, 
wenn  sie  in  besserer  Zucht   und  Ordnung  wären  gehalten 
worden,  und  einem  heilsamen  Zwang  unterworfen  gewesen.  35 

Allerdings  würden  manche  mehr  lernen  auf  diese  Art ; 
allein  man  vergißt,  daß  das  Lernen  an  (  und  für  sich,  wie  [HO] 
es  auch  sei,  nicht  der  Zweck  der  Universität  ist,  sondern 
das   Erkennen;    daß   dort  nicht    das   Gedächtnis   angefüllt, 
auch  nicht  bloß  der  Verstand  soll  bereichert  werden,  son-  40 
dern    daß    ein   ganz    neues    Leben,    daß    ein    höherer,    der 


168  Schleiermacher. 

wahrhaft  wissenschafthche  Geist  soll  erregt  werden,  wenn 
er  anders  kann,  in  den  Jünglingen.  Dieses  aber  gelingt 
nun  einmal  nicht  im  Zwang;  sondern  der  Versuch  kann 
nur  angestellt  werden  in  der  Temperatur  einer  völligen 
5  Freiheit  des  Geistes,  schon  an  und  für  sich,  vornehmlich 
aber  unter  Deutschen  und  mit  Deutschen.  So  wie  nur 
durch  Liebe  und  Glauben,  und  dadurch,  daß  man  ihn 
empfänglich  annimmt  für  beides,  der  Mensch  kann  unter 
das  Gesetz  der  Liebe  und  des  Glaubens  gebracht  werden, 

10  nicht  durch  irgendeine  Gewalt  oder  durch  einen  Zwang 
äußerer  Übungen;  so  auch  zur  Wissenschaft  und  zum 
Erkennen,  welches  ihn  befreit  vom  Dienst  jeder  Autorität, 
kann  er  nur  kommen,  indem  man  lediglich  durch  die  Er- 
kenntnis  und    durch    kein    anderes    Mittel   auf   ihn    wirkt. 

15  indem  man  schon  die  Kraft  in  ihm  voraussetzt,  welche 
ihn  entbindet,  irgendeiner  Autorität  zu  dienen,  als  nur  in- 
sofern sie  sein  eignes  Erkennen  wird,  und  also  aufhört 
[111]  Autorität  zu  sein.  Und  nun  wir  Deutsche  noch  |  besonders, 
wir  geschworenen  Verehrer  der  Freiheit  nicht  nur,  sondern 

20  der  Eigentümlichkeit  eines  jeden,  die  wir  nie  etwas  ge- 
halten haben  von  einer  allgemeinen  Form  und  Norm  des 
Wissens  wie  des  Glaubens,  noch  von  einer  einzigen  unfehl- 
baren Methode  dazu  zu  gelangen  für  alle,  wie  können 
wir   anders    als   annehmen,    daß    dieser   höhere    Geist    des 

25  Erkennens  in  jedem  auf  eine  eigene  Weise  hervorbreche  ? 
Wie  können  wir  anders  als  annehmen  und  durch  unsre 
Einrichtungen  dartun,  daß  dieser  Prozeß  durchaus  auf 
keine  mechanische  Weise  könne  gehandhabt  werden,  son- 
dern einen  ganz  entgegengesetzten  Charakter,  nämhch  den 

30  der  Freiheit,  in  allen  seinen  Teilen  an  sich  tragen  müsse? 
Darum  können  wir  alles,  was  dazu  gehört,  nicht  anders 
als  höchst  zart  behandeln;  darum  sind  wir  überzeugt,  es 
müsse  jedem  von  den  Anleitungen,  die  dazu  führen,  eine 
große   Mannigfaltigkeit   dargeboten  werden,   und  versetzen 

35  eben  darum  alle,  denen  wir  zum  Erkennen  verhelfen  wollen, 
in  eine  so  große  Gemeinschaft  der  geistigen  Anregungen 
aller  Art;  darum  setzen  wir  voraus,  jeder  müsse  am  besten 
wissen,  wieviel  von  diesen  Anregungen  er  vertragen  und 
sich  aneignen  könne;  darum  wollen  wir  gern  Raum  lassen 
[11*^1  ^^^^"^'  "^^^  jedem  von  innen  |  kommt,  als  den  ersten  Spuren 
und  Andeutungen    dessen,   was   wir  zu   erreichen   streben, 


Gelegentliche  Gedanken.  169 

und  wollen  keinen  darin  beschränken,  wie  er  beides  mit- 
einander mische  und  sich  in  jedes  vertiefe;  darum  lassen 
wir  jeden,  soviel  es  in  einer  Gemeinschaft  möglich  ist, 
auswählen  die  schönsten  und  kräftigsten  Stunden,  und  ihn 
die  anderen  nutzen,  wie  er  will  und  kann.  5 

So  hängt  dieser  Teil  der  studentischen  Freiheit  innig 
zusammen  mit  unserer  nationalen  Ansicht  von  der  Würde 
der  Wissenschaft,  und  es  müßte  uns  unmöglich  sein,  die- 
jenigen   anders    zu    behandeln,    welche    wir    für    bestimmt 
halten,  Wissende  zu  werden.    Guter  Rat  darf  nicht  fehlen,  10 
und  die   Einrichtung  der   Universitäten   gibt  Veranlassung 
genug,  ihn  zu  erteilen;  aber  auch  die  mindeste  Spur  von 
Zwang,  jede  noch  so  leise  bewußte  Einwirkung  einer  äußeren 
Autorität  ist  verderblich.     Bei  einer  mechanischen,   schul- 
mäßigen  Einrichtung   würde  es   ein   Wunder   sein,   gesetzt  15 
auch  die   Lehrer  wären  alle  vortrefflich,  und  alles  übrige 
ebenfalls,    wenn    diejenigen,    die    wirklich    fähig    sind    zur 
Erkenntnis    zu    kommen,    auf    der    Universität    und    durch 
sie    dazu    gelangten;     denn    je    mehr    sich    der    Geist    der 
Wissenschaft   regt,   desto  mehr   wird   sich  auch  der   Geist  20 
der   Freiheit   |  regen,   und  sie  werden  sich   nur  in   Oppo-  [113] 
sition    stellen   gegen    die   ihnen    zugemutete    Dienstbarkeit. 
Und   diejenigen,    welche   die    Natur    für   die   Wissenschaft 
bestimmt  hat,  sind  doch  die  würdigsten,  die  eigentlichsten 
Glieder  der   Universität;   alles  ist   um  ihretwillen   da,   alles  25 
muß  sich  auf  sie  beziehen,  und  nichts  darf  gelitten  werden, 
was  ihnen   schlechthin   zuwider  sein  müßte. 

Wir   haben    freilich   gesehn,    daß    die   größere   Anzahl 
immer  aus   solchen  bestehen  wird,   welche  nicht  bestimmt 
sind,  in  das  Innerste  der  Wissenschaft  einzudringen;  aber  30 
ebenso  auch,  daß  es  in  dem  Geiste  der  Universität  liegt, 
keinen    äußeren    Unterschied    m    der    Behandlung    beider 
festzusetzen,    sondern    von    der    Voraussetzung    auszugehn, 
als  würden  alle  sich  zu  jener  Höhe  erheben  lassen.    Darum 
müssen  alle   sich  dieser   Freiheit   erfreuen,   und  hievon  ist  35 
um  so  weniger  etwas  nachzulassen,   da  ja  gar  nicht  folgt, 
daß  diejenigen,  die  freilich  nicht  den  rechten  Nutzen  aus 
ihr     ziehen,     sie    deshalb    mißbrauchen    müssen    als     eine 
Lockung  zur  Trägheit  und  Zerstreuung.     Ist  doch  auf  jeder 
Universität    bei    weitem    die    größte    die    An7ahl    der    gar  40 
nicht  genialisciien  oder  sich  eigentümlich  unc'  auszej-hnend 


170  Schleiermacher. 

entwickelnden,  aber  doch  treuen  und  fleißigen  Jünglinge. 
[114]  Und  das  ist  |  auch  ganz  natürlich.  Denn  diejenigen,  in 
welchen  sich  keine  höhere  Kraft  regt,  und  oft  wild  und 
verworren  genug  äußert,  ehe  sie  aus  der  Gärung  in  die 
5  Klarheit  des  Bewußtseins  übergeht,  diese  sind  desto  lenk- 
samer durch  alles,  was  ihnen  edel  erscheint.  Auf  sie  ist 
zu  wirken  durch  die  Macht  der  Liebe  und  der  Ehre,  in 
ihnen  ist  lebendig  zu  erhalten  die  Anhänghchkeit  an  das 
Haus,  an  den  Staat,  an  den  Beruf,  den  sie  sich  vorgesetzt 

10  haben,  an  alles,  was  Gesetz  und  Ordnung  heißt.  Wenn 
also  Eltern  und  Pfleger  Jünglinge  zur  Universität  senden, 
in  denen  sie  den  Genius  vermissen,  welcher  die  Freiheit 
schlechthin  fodert;  so  mögen  sie  nur  dafür  sorgen,  sie 
hinzusenden  aufs  festeste  gebunden  durch  alle  diese  schönen 

15  Bande.  Die  Universität  kommt  ihnen  ja  auf  alle  Weise 
zu  Hilfe.  Sie  bietet  religiöse  Anstalten  dar,  welche  nicht 
etwa  nur  um  dieser  untergeordneten  Glieder  willen,  sondern 
ebenso  sehr  auch  für  die  edelsten  und  trefflichsten,  um 
die    Wissenschaft    und    die    innerste    Kraft    des    sittlichen 

20  Lebens  auf  das  festeste  zu  binden,  nirgends  fehlen  sollten; 
sie  vergegenwärtiget  in  den  Entlassungen  derer,  welche  die- 
öffentlichen  Zeugnisse  ihrer  fortgeschrittenen  Bildung  aus- 
stellen, die  Zeit,  wo  jeder  anfängt  zu  ernten,  was  er  gesäet 
[115]  hat;     sie    besitzt  |  eben   in   ihren    Seminarien,    ihren    Preis- 

25  aufgaben,  ihren  dargebotenen  Belohnungen  und  Ehren- 
zeichen sehr  kräftige  Ermunterungen  zum  Fleiß  und  Er- 
weckungen der  Ehrliebe.  Gibt  es  aber  auf  der  Universität 
Jünglinge,  welche  weder  durch  diese  Mittel  zu  einem  regel- 
mäßigen  Studium  zu  bringen  sind,  noch  kraft  jener  Frei- 

30  heit  selbst  und  der  durch  sie  sich  entwickelnden  Innern 
Lust  und  Liebe  zur  Wissenschaft  unmittelbar,  den  dar- 
gebotenen Unterricht  nutzen:  so  sind  dies  unstreitig 
solche,  welche  gar  nicht  auf  eine  Universität,  und  gar 
nicht,    auch    nicht   als    treue    Arbeiter    in    das    Gebiet    der 

35  Wissenschaft  gehören,  welche  entweder  ganz  abgeneigt 
sind  der  Erkenntnis,  oder  gar  auch  einer  niedrigen 
Denkungsart  hingegeben.  Daß  sich  dies  eher  zeigt  in 
diesem  Reiche  der  Freiheit  und  vielleicht  schneller  die 
Oberhand  gewinnt,   das   ist   weder   für   sie   selbst,   für  ihre 

40  Sittlichkeit  und  ihren  persönlichen  Wert,  noch  auch  für 
die   Gesellschaft    ein  Verlust   zu   nennen,   welche   es   lieber 


Gelegentliche  Gedanken.  171 

darauf  wagen  muß,  daß  solche,  die  schon  einen  unrichtigen 
Weg  eingeschlagen  hatten,  die  Zeit  verlieren,  oder  eihger 
in   ihr   Verderben   gehn,    als    daß    sie   denen,   auf   welchen 
ihre    schönsten    Hoffnungen    ruhen,    das    Mittel    entziehen 
sollte,    diese    wirklich    zu    erfüllen.      Mögen    diejenigen    zu-     5 
sehn,  J  welche  ihre  Pflegebefohlenen  in  diesen  reichen  und  [116] 
üppigen    Boden    verpflanzen,    wo    freilich    ganz   umkommt, 
was  seiner  nicht  bedurft  hätte,  um  zu  gedeihen!    Die  Frei- 
heit aber,  mit  jedem  den  Versuch  zu  machen,  wie  er  ihm 
zusagt,   darf   weder   der   Staat   noch   der   wissenschaftliche  10 
Körper  beschränken.     Wenn  der  letzte  schon  auf  den  ge- 
lehrten  Schulen  über  der  angehenden  Jünglinge  geistigen 
Zustand  Gutachten  ausstellt,  welche  ihren  Pflegern  als  Rat 
und  Wink  dienen  können;   wenn  der  erstere  die  gesetzliche 
Notwendigkeit,  die  Universität  besucht  zu  haben,  nicht  über  1') 
die  Gebühr  auch  auf  solche   Geschäfte  ausdehnt,   die  mit 
der    Wissenschaft    gar    nicht    zusammenhängen;     wenn    er 
das  Vorurteil  nicht  beschützt,   als   seien   die   Universitäten 
das  einzige   Mittel,  um  zu   einem  gewissen,   sehr  mäßigen 
Grade  einer  ziemlich  oberflächhchen  geistigen   Bildung  zu  20 
gelangen:   so   ist  alles  geschehen,   was  geschehen  konnte, 
um    diejenigen    vor    der    Universität    zu    bewahren,    denen 
sie  verderblich  sein  muß. 

Doch   betrachten   wir  nun   auch   die  andere   Seite  der 
studentischen   Freiheit.    Diese  nämhch  ist   Freiheit  in  Ver-  25 
gleich  mit  dem  Zustande,  welcher  auf  die  Universität  folgt, 
wenn  jeder   in   die   bürgerlichen   und  in   die  gewöhnlichen 
geselligen  Verhältnisse   ein- [tritt.     Das  Wesenthche   dieser  [117] 
Freiheit  recht   zu  fassen,   ist   eigentlich   nicht   leicht.     Der 
eigene   Gerichtsstand   ist   wohl  nur   ein  sehr  weniges   oder  30 
gar  nichts  davon.     Auch  kann  man  nicht  sagen,  daß  den 
Studenten     etwa    Vergehungen    gegen    die    Gesetze    nach- 
gesehen würden,  welche  in  andern  Verhältnissen  der  Strafe 
nicht   entgehen   könnten.    Vielmehr  genießen   sie  hierunter 
keiner  andern  Begünstigungen,  als  welcher  sich  die  Jugend  35 
überhaupt    erfreut,    ja    sie    sind    noch    Strafen    ausgesetzt, 
welche  härter   sind   als   alle   sonst   gewöhnlichen,   weil   sie, 
wenigstens  der  Absicht  des  Gesetzes  nach,  einen  entscheiden- 
den Einfluß   auf  die  künftige   Lebenszeit  haben.     Ebenso- 
wenig ist  die  Sache  in  andern  bestimmten  Vorrechten  zu  40 
suchen,  welche   die   Studenten   als    ein  eigen   privilegierter 


172  Schleiermacher. 

Stand  genössen.  Genau  genommen  möchte  das  Wesen 
dieser  Freiheit  nur  darin  bestehen,  daß  die  Studenten  unter 
sich  von  fast  alle  dem  sich  frei  halten,  was  sonst  in  der 
Gesellschaft  Konvenienz  ist,  daß  sie  sich  an  die  Sitten  nicht 
5  binden,  denen  hernach  jeder  in  dem  Stande,  welchen  er 
wählet,  sich  fügen  muß,  sondern  daß  sich  auf  der  Univer- 
sität die  verschiedensten  Sitten  und  Lebensweisen  auf  das 
freieste  entfalten  können.  Auf  der  Straße  leben  und  wohnen 
[118]  auf  antike  Art;  sie  mit  Musik  |  und  Gesang,  oft  ziemlich 

10  rohem,  erfüllen,  wie  die  Südländer;  schlemmen,  wie  der 
Reichste  so  lange  es  gehen  kann,  oder  einer  Menge  von 
gewohnten  Bequemlichkeiten  bis  zu  zynischer  Unordnung 
entsagen,  wie  der  Ärmste,  ohne  eines  von  beiden  zu  sein; 
die    Kleidung    aufs    sorgloseste   vernachlässigen,    oder    mit 

15  zierkünstlerischer  Aufmerksamkeit  eigentümlich  daran 
Schnörkeln;  eigne  Sprachbildung,  eigene  geräuschvolle 
Arten,  Beifall  oder  Tadel  zu  äußern,  und  ein  vorzüglich 
auf  diese  ungestörte  Mannigfaltigkeit  sich  beziehender, 
gewissermaßen    öffentlich    eingestandener    und    gestatteter 

20  Gemeingeist,  dies  ist  unstreitig  das  Wesen  der  studentischen 
Freiheit,  und  alles,  was  sich  sonst  noch  daran  hängt,  nur 
zufällig. 

So  die  Sache  angesehen,  möchte  man  fast  zuerst  fragen, 
warum   denn   diese   Freiheit   so    übel   berüchtiget   ist,   und 

25  warum  es  sie  denn  nicht  geben  soll?  Die  kleinen  Unord- 
nungen und  die  Verschwendung  väterlicher  Güter,  welche 
daraus  in  einzelnen  Fällen  entstehen,  sind  Kleinigkeit  gegen 
das,  was  die  Jugend  der  begüterten  Stände,  auch  ohne 
alle    Universität,    in     andern    Verhältnissen     ausübt.      Die 

30  kleinen  Unbequemlichkeiten,  welche  den  Einwohnern  eines 

Universitätsortes    daraus    erwachsen,   müssen   eben   als   ein 

[119]  lokales    Übel   angesehen   werden,    deren    |   eines    oder    das 

andere    es    doch    überall    gibt,    und    nachteiligen    Folgen 

dieser   Art    vorzubeugen,    ist    eine    Aufgabe    teils    für    die 

35  Polizei,  teils  für  den  Einfluß,  v/elchen  sich  Lehrer  und 
Vorgesetzte  müssen  zu  erwerben  suchen.  Wenn  doch  diese 
Freiheit  sich  so  von  selbst  bildet,  daß  sie  von  dem  innersten 
Geiste  der  Universität  unzertrennlich  zu  sein  scheint;  wenn 
doch  hier   die   Mannigfaltigkeit   und   Eigentümlichkeit   der 

40  Sitten  um  so  stärker  heraustritt,  als  in  anderen  Ständen 
dia     Gleichförmigkeit     und     Charakterlosigkeit      überhand 


Gelegentliche  Gedanken.  173 

nimmt :  so  scheint  sie  ja  ein  heilsames  Gegengewicht,  welches 
man  müßte  gewähren  lassen,  wenm  nicht  die  wichtigsten 
Gründe  entgegenstehn.  Man  nehme  hinzu,  daß  in  der  Art, 
wie  die  meisten  Menschen  sich  eingestanden  ungern  den 
lästigen  Formen  fügen,  wie  die  niedem  Stände  den  höhern  5 
schmeicheln  und  sich  schmiegen,  diese  Jünglinge,  welche 
die  Wahrheit  und  das  Wesen  der  Dinge  und 'des  Lebens 
suchen,  zunächst  nichts  anderes  sehen  können,  als  Feig- 
herzigkeit, Trägheit,  niedrigen  Eigermutz.  Soll  man  ihnen 
nicht  vergörmen  hiegegen  den  Einspruch  so  stark  und  so  10 
praktisch  als  möglich  auszudrücken? 

Doch  es  ist  wahrlich  auch  sehr  leicht  einzusehen,  warum 
diese  Freiheit  stattfinden  muß,  und  daß  sie  |  Beziehungen  [120] 
von  der  größten  Wichtigkeit  hat.     Im  allgemeinen  ist  die 
Zeit,  wo  der  Mensch  sein  besonderes  Talent  unterscheiden  15 
lernt,  wo  er  sich  seinen  Beruf  bildet   und  aus  dem  Zustande 
des  persönlichen  Unterworfenseins,  des  Gehorsams,  in  ein 
selbständiges  Dasein  übergeht,  zugleich  auch  die,  wo  sein 
Charakter   sich   festsetzt,    w^o    sein    Gemüt    eine   bestimmte 
Richtung  nimmt,  und  ein  bleibendes  Verhältnis  von  Neigun-  20 
gen    sich    entwickelt.     Daß    also    hier   der    Übergang    zur 
Selbständigkeit,  daß   das  Werden  des   Lebens  durch  freie 
Wahl  sich  auch  äußerlich  ausprägt,   ist  natürlich,  und  es 
zeigt  sich  dies  auch  mehr  oder  weniger  in  allen  Verhält- 
nissen.    Bei   denenjenigen   aber,    die    sich   der   Erkenntnis  25 
ergeben  haben,    soll   ja   diese    Entwicklimg   nicht   nur   die 
eigentümlichste  sein,   weil   sie   sonst   auf   einer  niedrigeren 
Stufe  zurückbliebe,  als  ihrem  Streben  nach  Erkenntnis  ziemt; 
sondern  sie  muß  auch,  damit  nicht  das  alte  Abgedroschene 
sich  bewähre,    daß  die  Gelehrtesten  am  wenigsten  sehen,  30 
was  vor   den    Füßen   liegt,    ebenfalls   eine    Sache   des    Er- 
kennens  sein,   sie  müssen  sich  selbst,  wie  sie  werden,  auf 
das  bestimmteste  finden.     Darum  eben  sorgt  man  sie  aus 
der    Famihe    zu    entfernen,    damit    nicht    das    Gemeinsame 
derselben  die  persönliche  Eigentümhch- 1  keit  zu  überwältigen  ^^.,.. 
scheine;    darum  hält   man   sie  noch  zurück  von  der  Ver- 
bindung mit  dem  Staate,  damit  sie  dieser  großen  Gewalt 
nicht  eher  anheimfallen,  bis  sie  ihr  eigentümliches  Dasein, 
so  wie  es  einem  Erkennenden  geziemt,  festgestellt  haben. 
Dies  alles  aber  würde  umsonst   sein,  wenn  sie  sich  nicht  40 
eine  Zeitlang  in  einer  Lage  befänden,  wo  sie  ganz  ihrem 


174  Schleiermacher. 

eigenen  sittlichen  Gefühl  überlassen  sind,  wo  nichts  bloß 
Äxaßeres,  wie  eine  in  der  Gesellschaft,  welcher  sie  noch 
nicht  angehören,  gebildete  Schicklichkeit  für  sie  allerdings 
wäre,  ihre  Neigungen  zurückhält,  wo  sie  jede  Weise  und 
5  Ordnung  des  Lebens  versuchen  und  sehen  können,  wie 
mächtig  jede  Lust  und  Liebe  in  ihnen  zu  werden  vermag. 
Dadurch  allein  werden  sie  fähig,  in  der  Folge  ihre  Stellung 
und  ihre  Lebensweise  richtig  zu  wählen,  und  keine  anderen 
Verbindungen  zu  knüpfen,  als  die  ihrer  Natur  angemessen 

10  sind.  Die  durch  diese  Freiheit  hier  zu  weit  geführt  werden, 
die  ihr  eignes  sittliches  Gefühl  nicht  in  solchen  Schranken 
hält,  daß  sie  ihrer  Würde  nicht  verlustig  gehen,  das  sind 
offenbar  auch  die,  welche  gar  nicht  auf  die  Universität 
gehörten,    welche    diese    Würde,    deren    sie    so    leicht    ver- 

15  lustig    gehen,    nie    besessen    haben,    und    deren,    wie    man 

[122]  meint  hier  erst  verderbte,   Sittlich- 1  keit  nichts  gewesen  ist 

als  ein  erzwungenes  Werk  äußerer  Zucht  und  Gewöhnung. 

Denn  wer  in  der  Tat  Wahrheit  sucht,  und  andere  sollten 

doch   nicht    sein    Mitglieder    dieser    Anstalt,    der    ist    auch 

20  in  sich  selbst  sittlich  und  edel;  bei  ihm  wird  auch  die 
Erkenntnis  vorzüglich  Eingang  finden,  die  ihn  das  Niedrige 
als  nichtseiend  und  leer  verwerfen  lehrt;  und  wenn  ein 
solcher  auch  in  mancherlei  Verirrungen  hineingeworfen 
wird,  und  so  die  Gewalt  der  Natur  an  sich  selbst  erfährt, 

25  so  werden  auch  diese  nicht  an  ihm  verloren,  und  noch 
weniger  von  solcher  Art  sein,  daß  man  aufhören  müßte,  ihn 
zu  achten  und  zu  lieben.  Die  aber  keiner  andern  als 
einer  von  außen  hervorgebrachten  Sittlichkeit  fähig  sind, 
werden    auch    keiner    wahren    Erkenntnis    fähig    sein,    ja 

30  auch  nicht  der  Einsicht  und  Bildung,  welche  selbst  in 
den  mehr  Untergeordneten  auf  der  Universität  soll  hervor- 
gebracht werden.  Wenn  sie  also  Schaden  leiden  durch 
die  Art,  wie  sich  diese  Unfähigkeit  offenbart,  so  ist  er  nicht 
den  für  ihre  wahren  Mitglieder  notwendigen  Einrichtungen 

35  dieser  Anstalt   zuzuschreiben. 

Aber  es  lohnt  wohl,  daß  man  nicht  nur  das   Innere, 

sondern    auch    das    mehr    Äußerliche    dieser    Freiheit    be- 

[123]  trachte,  nicht  nur  was  sie  für  den  Cha- 1  rakter  ist,  sondern 

auch   was   für   die   Sitten.     Die   Sitten   sind   der  Ausdruck 

40  der  innern  Sittlichkeit,  und  inwiefern  sie  sich  als  etwas 
Gemeinsames  bilden,  und  als  eine  Norm  für  mehrere,  sind 


Gelegentliche  Gedanken.  175 

sie  der  Ausdruck  ihrer  gemeinsamen  Sittlichkeit,  ein  Werk 
des  Bewußtseins,   welches  jede   Gesellschaft   und  jede  Ab- 
teilung derselben   hat   von   ihren   Verhältnissen.     Soll   nun 
die  Sittlichkeit  reiner  werden,  und  das  Bewußtsein  klarer: 
so  müssen  auch  die  Sitten  und  das,  was  für  anständig  gilt,     5 
nicht    unveränderlich    sein,    sondern    bildsam,    iind    müssen 
auch    wirklich    gebildet    werden.      Hier    ist   nun    eben    der 
Vorzug   und    die    Eigentümlichkeit   von    Deutschland,    daß 
von  jeher   die    Bildung   der    Sitten   nicht   ausgegangen   ist 
von  den  äußerlich  höheren  Ständen,  deren  Hoheit  ja  eben  10 
auch  nur   Sitte  ist,  und  also  in  Frage  steht,   sondern  von 
denen,  welchen  vermöge  ihres  Geschäftes  die  ursprünglich 
büdende    Kraft    der    Erkenntnis    einwohnen    muß.      Diese 
haben  teils  in  ihrem  Kreise   unmittelbar  den  freieren  Stil 
des    Lebens    eingeführt,    der    sich    von    da    aus    verbreitet  15 
hinauf  und  hinabwärts;  teils  prüfend  entschieden,  was  von 
dem  Vorhandenen  oder  anderwärts  neu  Entstehenden  ver- 
worfen zu   werden  verdiene  oder   angenommen.     Die  also 
auf  der   Universität   sich  zur   |  Erkennmis  bilden,   sind  zu-  [124] 
gleich  die,  welche  in  Zukunft  auch  die  Sitten  bilden  sollen.  20 
Können    wir    nun    von    diesen    verlangen,    daß    sie    immer 
nur   aus    Gehorsam   in    Gehorsam    gehen   sollen,    aus    dem 
des  väterlichen  Hauses  in  den  der  Konvenienz  ihrer  künf- 
tigen Verhältnisse?    Sollen  sie  von  Anfang  an  und  immer 
dem   unterworfen    sein,   was    sie    bilden   sollen  ?     Vielmehr  25 
kann  ja  der  Übergang  von  dem  Gehorsam  zu  ihren  bilden- 
den Einflüssen  nur  der  sein    durch  eine  Periode,  in  welcher 
sie  sich  frei  fühlen  von  solchem  Zwang,  in  welcher  jeder, 
eine  große  Mannigfaltigkeit  vor  sich  habend,  seine  eigenen 
Sitten  sich  frei  bildet,   wie  er  sie  seinen  jetzigen  Verhält-  30 
nissen  angemessen  findet;    nicht  damit  sie  so  bleiben,  was 
ja  auch  nicht  geschieht,   sondern  damit  er  lerne,  auch  in 
künftigen  Verhältnissen  die  Sitte,  die  er  findet,   ihnen  an- 
gemessener gestalten.     Darum   ist   die   Universität   so   not- 
wendig  zugleich   ein   Sammelplatz   von    Menschen  aus   den  35 
verschiedensten  Gegenden;    darum  arbeitet  diese   Freiheit, 
wie  sie  sich  unter  uns  gestaltet  hat,  so  vorzüglich  auf  das 
hin,   was   uns   grade   am   meisten   fehlt,    auf   den   hberalen 
Ausdruck  des  Eigentümlichen  auch  in  einer  gemeinsamen 
Form.     Wer   Gelegenheit  gehabt   hat   zu  beobachten,  dem  40 
wird -auch  nicht  entgangen  sein,  |  wie  sich  die  studentische  [125] 


176  Schleiermacher. 

Freiheit  als  ein  wirksames  Mittel  zu  diesem  Zwecke  be- 
währt, wie  sehr  sie,  zumal  wenn  auch  die  Erkenntnis 
der  Jünglinge  auf  diesen  Punkt  gerichtet  wird,  hilft  das 
Wesentliche  und  Wahre  vom  Zufälligen  und  Leeren  unter- 
5  scheiden,  und  finden  lehrt,  was  auf  der  einen  Seite  not- 
wendig geschehen  muß,  und  was  auf  der  andern  höchstens 
geschehen  kann  unter  den  gegebenen   Umständen. 

Daß  die  Jünglinge  sich  hernach  anfänglich  scheu  zeigen 
und    verlegen,    daß    ihre    ersten    Versuche    in    der    Gesell- 

10  Schaft  oft  linkisch  ausfallen,  ist  kein  Unglück,  und  der 
Fehler  würde  sich  noch  eher  verlieren,  wenn  das  Ver- 
hältnis der  Studenten  zur  Gesellschaft  auf  der  Universität 
selbst  richtiger  organisiert  wäre.  Die  Studierenden  be- 
dürfen  einer   großen   Abgeschiedenheit   von    den   übrigen; 

15  sie  dürfen  in  die  Leerheit  des  gewöhnlichen  geselligen 
Verkehrs  nicht  hineingezogen  werden.  Auf  der  andern 
Seite  aber  kann  sich  nie  eine  Klasse  von  Menschen  un- 
gestraft ganz  isolieren.  Das  rechte  Maß  ist  auch  hier 
ein  natürliches.     Wenn  der   Umgang  der  Lehrer  mit  den 

20  Schülern  lebendig  und  auf  den  rechten  Ton  gestimmt  ist; 

wenn    die    Ausgezeichnetem,    die   allein    daran    teilnehmen 

[126]  können,  auch  von  allen  andern  |  Seiten  so  qualifiziert  sind, 

daß    ihnen    ein    bedeutender    Einfluß    auf    ihre    Gefährten 

nicht  entgehen  kann;  wenn  die  Älteren  die  rechte  Gewalt 

25  ausüben  über  die  Neulinge,  alles  ohne  dem  Wesen  der 
studentischen  Freiheit  zu  nahe  zu  treten :  so  wird  auch 
hier  das  Rechte  immer  mehr  erreicht  werden,  imd  das 
nach  jedem  vernünftigen  Maßstab  rohe  imd  ungeschlachte 
Wesen  sich  immer  mehr  verlieren. 

30  Wohll    wird  auch  dies  alles  zugegeben,  so  klagt  man 

noch  über  zwei  große  und  wesentliche  Übel,  welche  jene 
Freiheit  begleiten,  und  von  welchen  unrecht  wäre  ganz 
zu  schweigen. 

Das  eine  ist,  daß  die  Studenten  alles  Nichtstudentische 

35  in  diesen  einen  großen  Gegensatz  als  Philisterwesen  zu- 
sammenwerfen, und  sich  jede  nur  nicht  offenbar  straf- 
fällige Verhöhnung  dagegen  erlauben.  Dieser  herrschen- 
den Stimmung  liegt  aber  etwas  sehr  Wahres  zum  Grunde, 
nämlich  der   Gegensatz  zwischen  dem  höchsten  bildenden 

40  Prinzip,  welches  sie  in  sich  zu  entwickeln  da  sind,  und  der 
rohen,  gemeinen,  der  Bildung  widerstrebenden  Masse,  der 


Gelegentliche  Gedanken.  177 

sich   ihnen    desto    stärker  aufdringt,   je   weniger   sie   selbst 
noch    in    dem    lebendigen    bildenden    Verhältnis    zu    dieser 
Masse  stehn.     Die  Verachtung  und  Härte  gegen  die  wider- 
strebende sittliche  und  geistige  Roheit  |   sollte  man  ihnen  [127] 
nur   recht   tief   einprägen,   und    es   ihnen   zum   Ehrenpimkt     5 
machen,   in   dieser   Hinsicht   immer    Studenten 'zu  bleiben. 
Wenn   sie   aber   glauben,    das   bildende   Prinzip   nur   unter 
sich,  und  überall  sonst  die  verächtliche  Masse  zu  finden : 
so    ist    das    der   Ausbruch    des    Übermutes,    der    zurückge- 
drängt  werden    muß,    und   die    natürliche    Folge   jener   zu  10 
starken   Isolierung.     Aber  im  ganzen  kann  man   auch   der 
Gesamtheit    dieser    Jünglinge    Gerechtigkeitssinn   nicht    ab- 
sprechen;  das   Achtungswerte,   was   sich   ihnen  als   solches 
offenbart,  wissen  sie  zu  ehren.     Man  zeige  ihnen  nur  recht 
viel  Edles  in  recht  freien   Formen;  man  sorge  nur  dafür,  15 
daß   sie  nicht  imter  denen,   die  ihnen  die   Nächsten  sind, 
unter  ihren   Lehrern,   das   Gemeine  haufenweise  erblicken: 
so  wird  auch  hier  der  Mißbrauch  leicht  beseitiget  werden, 
ohne  daß  das  Gute  verloren  geht. 

Das    andere    ist    der    Zweikampf,    und    dieser    ist    eine  20 
höchst   natürliche   und   unvermeidliche   Erscheinung.      Die- 
jenigen, welche  die  Wissenschaft  suchen  und  in  noch  nichts 
anderes  verflochten  sind,  sind  dem  Staate  mehr  als  sonst 
irgend    ein    Einzelner    fremd,    und    können   nicht    gewohnt 
sein,    einander    aus    dem    Gesichtspunkte    des    Bürgers    zu  2^ 
betrachten.    Auch  insofern  sie  damit  beschäftiget  sind,  ihrer 
Person  die  |  höchste  Würde  zu  verschaffen  und  sich  inner-  [12bj 
lieh  durch  Erkenntnis  über  alle  anderen  zu  erheben,  müssen 
sie.  hinzugenommen  das  Feuer  der  Jugend,  am  reizbarsten 
sein  gegen  Kränkungen,  die  ihrer  Person  widerfahren,  und  30. 
können    weniger    als    andere    in    Ehrensachen    Recht    und 
Genugtuung  vom  Gesetz  nehmen,  da  dies  fast  überall  Er- 
örterungen   vorschreibt,    welche    das    reizbare    Gefühl    aufs 
neue  empören  —  oder  Abstufungen  in  der  äußern  W^ürde, 
und  demgemäß  auch  Verschiedenheiten  in  der  Zurechnung  35 
und    Strafe    der    Beleidigungen    annimmt,    welche    sie    sich 
nicht  können  gefallen  lassen.    Dazu  kommt,  daß,  so  wie  in 
den  Augen   der  der  Wissenschaft   Beflissenen  ihre   Person 
den    höchsten    Wert    hat,    sie    auf   der   andern    Seite   noch 
durch  keine  besondere  Verbindung  verpflichtet  sind,  ihrer  4  ) 
zu  schonen,   und  daß  also   für  das  höchste  Gut  auch  der 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  SlefTens.  12 


178  Schleiermacher. 

höchste  Preis  geboten  und  gewagt  wird.  Es  hegt  zutage, 
daß  die  Sühne  für  persönhche  Beleidigungen  die  Auf- 
gabe ist.  welche  der  Staat  noch  am  wenigsten  zu  lösen 
weiß,  und  in  allen  Ständen  offenbart  sich  die  Neigung,  sich 
5  selbst  zu  helfen.  Aus  dem  Gesagten  erhellt  nun  Avohl,  daß, 
so  lange  es  noch  irgend  einen  Stand  gibt,  bei  welchem 
der  Zweikampf  die  übliche  Form  dieser  Selbsthilfe  ist, 
[129]  gewiß  auch  auf  der  |  Universität  keine  andere  wird  ge- 
bräuchlich  sein,   und   daß   in   Zukunft  wie  bisher  alle  An- 

10  stalten,  ihn  abzuschaffen,  vergeblich  sein  werden,  bis  etwa 
auf  einem  andern  Wege  die  Gesetzgebung  und  das  herr- 
schende Ehrgefühl  einander  näher  gekommen  sind.  Tra- 
gische Ausgänge  sind  auch  so  selten,  daß  man  bei  weitem 
weniger   Aufheben    von    der    Sache    machen    würde,    wenn 

16  nicht  unter  den  bürgerhchen  Ständen  eine  panische  Furcht 
herrschte  vor  dem  Gedanken  an  das  Klirren  der  Degen. 
Daß  jedoch  großer  Mißbrauch  mit  dem  Zweikampf  ge- 
trieben wird,  läßt  sich  nicht  leugnen,  auch  wenn  man  die 
Sache  selbst  als  unvermeidlich  ansieht.     Aber  eben  gegen 

20  diese  Mißbrauche  ließe  sich  viel  tun,  wenn  man  nicht  so 
hartnäckig  darauf  bestände,  alle  Mittel,  die  man  in  Händen" 
hat,  nur  an  der  vorderhand  unmöglichen  Abstellung  zu 
verschwenden.  Vorzüglich  müßten  alle  gymnastischen 
Übungen   und   namentlich   das    Fechten   unter   öffentlicher 

25  Autorität  kunstmäßig  bis  zur  höchsten  Vollkommenheit  ge- 
trieben werden.  Dadurch  würde  der  Zweikampf  nicht  nur 
minder  gefährlich  werden,  sondern  auch,  indem  jeder  sich 
den  Ruf  der  Gewandtheit,  der  Stärke,  des  Mutes  schon 
durch  die  Übungen  erwerben  könnte,  würden  die  Treff- 
(-.jon-i  liebsten  es  am  leichtesten  verschmähen  dürfen,  für  |  jede 
Ivleinigkeit  Genugtuung  zu  fordern,  weil  doch  niemand  es 
auslegen  könnte  als  Feigherzigkeit,  und  so  würde  das  Ehr- 
gefühl selbst  von  innen  heraus  sich  allmählich  berichtigen. 
Ja  auch  viele  Veranlassungen  zum  Schlagen  würden  weg- 
35  fallen.  Denn  auch  hier  zeigt  sich,  welch  eine  gefährliche 
Sache  es  ist,  wie  ein  alter  Weiser  sagt,  die  Seele  zu 
üben  ohne  den  Leib.  Weil  es  auf  den  Universitäten  so 
viele  gibt,  die  dieses  tun,  so  entsteht  eben  daraus  auch 
das  Entgegengesetzte,  daß  viele  wiederum  den  Leib  üben 
40  ohne  den  Geist,  und  in  diesen  bildet  sich  dann  das  äußere 
Ehrgefühl  des   Standes,   welchem  sie  angehören,   auf  eine 


Gelegentliche  Gedanken. 


179 


desto    herbere    und    leidenschaftlichere    Art    bis    zur    u-irk- 
lichen    Schlagesucht.      Ist    hierin    das    Gleichgewicht    her- 
gestellt, so  werden  nur  noch  wenige  Fälle  übrig  bleiben  für 
unvermeidlichen  Zweikampf.    Anerkennen  kann  der  Staat, 
und   selbst   die    Korporation   der    Universität,    insofern   sie    5 
gerichtüche   Funktionen   ausübt,   freilich   auch^  diese   nicht  • 
aber  sie  wird  dann  die  Maßregel,  die  Zweikämpfe  so  viel 
möglich    zu    Ignorieren,    wenigstens    auf    diejenigen     nicht 
mehr  anwenden  dürfen,  welche  die  gymnastischen  Übungen 
verabsäumt  und  sich  geschlagen  haben,   ohne  ausgelernte  lo 
Fechter  zu  sein,  auch  auf  diejenigen  nicht,  welche  den  bei 
weitem  |  zufäHigeren   Schuß   dem   Gefecht  vorziehen      Da-  [1311 
durch  würde,  bei  gehöriger  Wachsamkeit,  ohne  dem  Ehr- 
gefühl   zu    nahe    zu    treten,    dieses    gefährhche    Spiel    bald 
m  die  moghchst  engen  Schranken  zurückgewiesen  werden    15 


6. 
Von  Erteilung  der  gelehrten  Würden. 

Dies  ist  unstreitig  die  am  meisten  veraltete  Partie 
unserer  Universitäten.  Die  scholastische  Form  der  Dis- 
putationen ist  zu  einem  leeren  Spielgefecht  geworden:  und  20 
da  man  es  auch  mit  dem  übrigen  durchgängig  mcht  sonder- 
lich genau  genommen  hat,  so  ist  der  Kredit  fast  aller 
auf  der  Universität  erteilten  Würden  tief  unter  den  Punkt 
der  Satire  herabgesunken.  Es  fehlt  nur  noch,  daß  man  es 
als  emeii  iMaßstab  der  größten  Schnelligkeit  angäbe  wie  05 
eu-i    Student    sich    in    einen    Doktor    der    Philosophie    ver- 

M-ftf  :.•    ^'"   F^^''    ^"'^"^^    ^^^'    ^''^'    allgemeinen 
Mißkredits  ist,   daß  häufig  der  Staat  diese  Würden  nicht 
einmal  für  zureichend  hält,  um  den  Besitzern  ohne  weitere 
l^rufung   die   Praxis    in   den    Gerichtshöfen   oder   auch   die  30 
ärztliche  zu  verstatten,   was   in   der   Tat  eine  solche   Unzu- 
I   triedenheit   desselben  mit  den  Universitäten  voraussetzt    [132} 
aaß  man  sich  nur  wundern  muß,   wie  er  sie  doch  sonst 
anerkennt   und   unterstützt.     Fast    nur   in   den   ehemaligen 
klemen  Reichslandern  und  Reichsstädten,  die  selbst  keine  35 
Universitäten  haben,  gleichsam  als  ob  dies  nur  bei  minderer 
i^enntnis  der  Sache  möglich  wäre,  hat  sich  noch  die  Ach- 

12* 


180  Schleiermacher. 

tung  für  diese  Würden  erhalten,  welche  der  Idee  der- 
selben angemessen  ist.  Und  doch  geschehen  diese  öffent- 
lichen Erklärungen  großenteils  für  den  Staat  und  in  Be- 
ziehung auf  ihn.  So  geht  es,  wenn  ein  Institut  das  klare 
5  Bewußtsein  seines  Zweckes  sich  nicht  erhält,  und  also 
verfehlt,  sich  allmählich  nach  Maßgabe  desselben  umzu- 
bilden. Dann  ist  ihm  späterhin  nicht  anders  mehr  zu  helfen 
als  durch  große  durchgreifende  Reformen;  und  nur  durch 
diese    könnte    auch    den    Graden,    welche    die    Universität 

10  erteilt,  ihr  verlorenes  Ansehn  wieder  verschafft  werden. 

Die  wahre  Bestimmung  der  gelehrten  Würden  ist  leicht 
einzusehn,  wenn  man  sich  an  das  bisher  Gesagte  hält. 
Soll  es  einen  wissenschaftlichen  Verein  geben  als  eine 
äußere  Gesellschaft :   so   muß   es   auch  eine  äußere   Hand- 

16  lung   geben,   durch   welche   der   Einzelne  aus   der  übrigen 

[lo3J  Masse  abgesondert  und  in  |  denselben  aufgenommen  wird. 

Da  mm  auf  der  gelehrten   Schule  diese   Sonderung  nicht 

streng    und    eigentlich    erfolgen    kann,    sondern    auch    zur 

Universität  noch  alle  diejenigen  müssen  zugelassen  werden, 

20  welche  sich  auf  der  Schule  nur  ein  vorläufiges  Recht  er- 
worben haben,  nach  dieser  Aufnahme  zu  streben:  so  kann 
diese  Handlung  nur  nach  zurückgelegter  Laufbahn  auf 
der  Universität  erfolgen.  Natürlich  aber  ist  die  Aufnahme 
selbst  und  die  Entscheidung  über  die  Würdigkeit  auf  das 

25  genaueste  verbunden,  und  die  letztere  kann  nur  dadurch 
entstehen,  daß  durch  die  Tat  selbst  ein  einstimmiges  Urteil 
des  Aufzunehmenden  und  derer,  welche  den  wissenschaft- 
lichen Verein  dabei  repräsentieren,  sich  bilde.  Hieraus  er- 
klärt   sich   auch   die    Form    dieser    Handlungen    im   allge- 

80  meinen.  Es  muß  dadurch  dokumentiert  werden,  daß  der 
Einzelne  den  Geist  der  Wissenschaft  als  Prinzip  in  sich 
aufgenommen  hat ;  dies  geschieht  durch  das  Gespräch,  durch 
die  Disputation,  wodurch  er  veranlaßt  wird,  seine  Denkungs- 
art  und  das   Innere  seiner  Ansichten  zu  eröffnen,  und  zu 

35  zeigen,   welcher   Kombinationen   er   fähig   ist.     Dabei   hegt 

der  alte  Satz  zum  Grunde,  daß  die  dialektische  Konsequenz 

bewähren   müsse,   ob   etwas    Aufgestelltes    in   wissenschaft- 

[134J  lichem  Geist  hervorge- 1  bracht  sei  oder  nicht.    Es  soll  aber 

auch   ferner   dokumentiert   werden   die    Fähigkeit   des   Auf- 

40  zunehmenden,  die  Wissenschaft  weiter  zu  bilden.  Darum 
muß  er  auch  bewähren,   wie  er  in  einem  einzelnen  Felde 


Gelegentliche  Gedanken.  181 

des  realen  Wissens  einheimisch,  und  mit  dessen  Fort- 
schritten sowohl  als  dessen  Bedürfnissen  bekannt  ist;  und 
dies  soll  eben  geschehen  durch  die  abzufassenden  Disser- 
tationen oder  durch  die  eigentlichen  mündlichen  Prüfungen. 
So  kann  es  nicht  fehlen,  daß  in  dem  Aufzunehmenden,  6 
wenn  nicht  eine  von  beiden  Parteien  bösen  v  Willen  hat, 
ganz  dasselbe  Urteil  entsteht  wie  in  seinen  Richtern.  Denn 
mit  dem  Produkt  zugleich,  welches  ihnen  die  Anschauung 
von  seinem  Zustande  gibt,  muß  sich  auch  sein  eigenes 
Selbstgefühl  dem  analog  entwickeln.  Die  eigentliche  Auf-  10 
nähme  besteht  nur  in  symbolischen  Gebräuchen,  welche 
die  Handlung  beschließen. 

So   erscheint   die   Sache   ganz   einfach;   allein   sie   wird 
weit   verwickelter,    wenn    man    sie    näher    betrachtet.     Auf 
die   Universität   nämlich   gehen   viele,    die   sich   zwar   nicht  15 
durch  lebendige  Vereinigung  des  wissenschaftlichen  Geistes 
und  des  Talentes  zu  wahren  Mitgliedern  des  wissenschaft- 
lichen Vereins  ausbilden,  aber  doch  vermöge  ihres  Talentes 
eine    [  Menge    von    Kenntnissen    einsammeln    und    Fertig-  [135] 
keiten  erlangen,  und  so  viel  Ehrfurcht  und  Anhänglichkeit  20 
gewinnen   für   das,    was   auf    dem   eigentlich   wissenschaft- 
lichen Gebiet  vorgeht,  daß  man  erwarten  kann,  sie  werden  . 
sich   in    der   Anwendung   ihrer   Talente   durch   die   wissen- 
schaftlichen Geister  leiten  lassen.     Dies  sind  Arbeiter  auf 
dem  Gebiet  der  Wissenschaft.     Ob  nun  diese  als  Mitglieder  25 
des  Vereins   sollen  angesehen,   und  also  auch,  wiewohl  in 
einem    andern    Sinne    und    auf    andere    Weise,    darin    auf- 
genommen werden,  oder  ob   er  sie  nur  durch  vorteilhafte 
Zeugnisse    seinen    Mitgliedern    als    brauchbare    Werkzeuge 
für    bestimmte    Fächer    empfehlen    soll,    das    hängt    schon  30 
davon  ab,  in  wie  strengem  oder  weitem  Sinne  der  Begriff 
dieses  Vereins  gefaßt  wird,  und  kann  recht  sein  so  oder 
so.     Aber  auch   unter   den  wahren   Mitgliedern   zeigt   sich 
ein    Unterschied    für   den   wissenschaftlichen    Verein.      Ihr 
Talent    nämlich    kann,    wie    wir    zu    sagen    pflegen,    mehr  3.') 
praktisch  sein  oder  mehr  theoretisch,  und  dann  auch  ihre 
Gesinnung  und  Lebensweise  m.ehr  gelehrt  oder  mehr  poli- 
tisch.   Die  letzteren  werden,  wie  sehr  sie  auch  vom  wissen- 
schaftlichen Geiste  durchdrungen  sind,  dennoch  mehr  dar- 
nach   streben,    das    Erkannte    auf    eine    reale    Weise    dar-  40 
(\    zustellen,    |  die    Wissenschaft    mit    dem    Leben   zu   einigen,  [loü] 


182  Schleiermacher. 

und  ihre  Früchte  in  dasselbe  überzutragen,  als  daß  sie 
an  ihr  selbst  arbeiten  und  bilden  sollten.  Nur  diejenigen, 
aber,  welche  sich  das  letzte  zum  Geschäft  machen,  werden 
die  höchsten   sein  für   den  wissenschaftlichen   Verein;   nur 

5  sie  werden  die  Stellen  ausfüllen  auf  der  Universität  und 
in  der  Akademie,  und  wenn  sie  an  öffentlichen  Geschäften 
teilnehmen,  dieses,  eben  wie  jene  das  Lehren,  nur  als 
Nebensache  ansehn.  Sie  allein  sind  also  die  eigentlichen 
Doctores,   von  denen  aber  auch  in  einem  höheren   Grade 

10  muß  gefordert  werden,  daß  sie  von  dem  Zustande  einer 
besonderen  Wissenschaft  genaue  Kenntnis,  und  in  der  Hand- 
habung derselben  großes  Geschick  beweisen.  Hier  sind  nun 
vorzüglich  die  Proben  der  Gelehrsamkeit  an  ihrer  Stelle, 
und  müssen  eigentlich   immer   von   der  Art   sein,   daß   sie 

15  etwas  Merkwürdiges  bleiben  für  dieses  Gebiet.  Ein  Doktor, 
welcher  nicht  gleich  bei  seinem  Eintritt  in  diese  Würde 
eine  Spur  von  seinem  Dasein  zeichnet,  welche  allgemeine 
Aufmerksamkeit  erregt  und  während  der  Epoche,  in  der 
sich  die  Wissenschaft  eben  befindet,  nie  ganz  verschwinden 

20  kann,   ein   solcher  ist  eigentlich   seines   Namens  unwürdig. 

Was    der    zu    Erhebende    mit    einer    solchen    Probe    noch 

[137]  weiter  ver- 1  binden   will,   zum   Beweise   seines   Talentes  für 

das   Lehrgeschäft,   welches   ihm   natürlich  anheimfällt,   das 

hängt  am  besten  von  ihm  selbst  ab,  ob  ein  gelehrtes  Ge- 

25  sprach  oder  eine  kleine  Anzahl  von  Vorlesungen  über  einen 
bestimmten  Gegenstand.  Oder  wenn  er  dennoch  die  Form 
der  Disputation  wählen  wollte,  die  eigentlich  hieher  arn 
wenigsten  gehört,  und  nur  in  den  scholastischen  Zeiten 
der  Theologie,  aus  denen  sie   herübergenommen  ist,   alles 

30  in  allem  sein  konnte :  so  müßte  ihr  nur  der  Zweck  unter- 
gelegt werden,  daß  er  als  Schiedsrichter  der  eigentlich 
Streitenden  die  Gabe  zeigte,  den  Gang  ihrer  Rede  so 
zu  leiten,  daß  der  Gegenstand  klar  werden  müßte,  und  zu 
verhüten,  daß   sie  sich  nicht  durch  Mißverständnis  immer 

o5  tiefer  verwickelten. 

Welches  ist  nun  aber  weiter  das  richtige  Verhältnis 
der  Fakultäten  m  Absicht  auf  die  Erteilung  dieser  Würden  ? 
Daß  jene  Zeugnisse,  oder  wenn  es  als  mehr  angesehen 
werden  soll:   der   niedrigste   Grad   von  jeder   Fakultät   für 

40  sich  erteilt  wird,  versteht  sich  von  selbst,  da  es  hiebei 
nur  auf  die  innerhalb  ihres  besonderen  Gebietes  erworbenen 


Gelegentliche  Gedanken.  183 

Kenntnisse   ankommt.      Dasselbige    gilt    von    der   höchsten 
Würde  der  Doktoren,  inwiefern  diese  von  dem  vorangehen- 
den  mittleren    Grade   sich    sondert   und    |  allemal   auf   ihn  [138] 
gepfropft    wird.      Ohnstreitig    ist    dies    das    Richtigste,    da 
jeder,  sobald  er  den  wissenschaftlichen  Geist  in  sich  leben-     5 
dig  fühlt,  auch  nach  den  äußerlichen  Zeichen  dieses  Vor- 
zuges  streben  wird,   jenes   andere  aber,   ob    Neigung   und 
Talent    mehr    auf    das    Praktische    hingehe    oder    auf    das 
Theoretische,  sich  gewöhnlich  erst  später  entscheidet.   Dann 
also  hat  man  es  wiederum  nur  mit  dem  Gebiet  jeder  be-  10 
sonderen   Fakultät  bei   Erlangung   dieser  höchsten  Würde 
zu  tun,  und  jede  kann  also  auch  unter  dieser  Voraussetzung 
für    sich    verfahren.     Ob    aber    auch   jene    eigentlich    erste 
Würde,  da  sie  zugleich  die  Aufnahme  in  den  gesamten  wissen- 
schaftlichen Verein  ist,  und  dabei  alles  auf  den  Geist  und   15 
das    Vermögen    der    Erkenntnis    überhaupt    ankommt,     ob 
diese  zu  erteilen  auch  die  Sache  der  einzelnen,  mehr  posi- 
tiven Fakultäten  sein  kann,  die  nur  durch  ihre  Verbindung 
mit  der  philosophischen  den  wissenschaftlichen  Verein  reprä- 
sentieren können,  und  sie  nicht  vielmehr  —  wo  nicht    aus-  20 
schließlich,  doch  vorzüglich  —  von  der  philosophischen  Fa- 
kultät ausgehn  muß,  dies  ist  gewiß  sehr  zu  überlegen.    Am 
nächsten    scheint   hier    die    theologische    Fakultät    sich    an 
das  zu   halten,   was  die    Natur  der   Sache   erfordert.     Die 
niedrigste    Bewährung   pflegt   sie   nur   durch   Zeugnisse   zu  25 
I  beurkunden;  von  zwei  verschiedenen  Graden  zeigen  sich  [139] 
fast  nur  noch  da  Spuren,  wo  sie  sich  mehr  als  Spezialschule, 
und  nicht  auf  eine  lebendige  Weise  mit  den  andern  und 
der   philosophischen   zu   einer   Universität   vereiniget   zeigt. 
Bei  Erteilung  ihrer  Doktorwürde  aber  setzt  sie  in  der  Regel  30 
die  philosophische  voraus,  und  läßt  letztere  allein  auch  bei 
sich  den  niederen  Grad  vertreten,  natürlich  in  Voraussetzung 
der  von  ihr  selbst  eingeholten  Zeugnisse.     Offenbar  wenig- 
stens  müßte   überall   bei   dieser   ursprünglichen   Aufnahme 
die  philosophische  Fakultät  mit  zugezogen  werden,  da  keine  35 
andere  als  sie  für  sich  allein  die  Einheit  des  wissenschaft- 
lichen Vereins  unmittelbar  repräsentiert.     Innerhalb  dieser 
Fakultät   selbst   aber  tritt   wiederum  mit  wenigen   Abände- 
rungen dasselbe  Verhältnis  ein,  welches  zwischen  ihr  und 
den  andern  Fakultäten  stattfindet,  weil  sie  nämlich  in  sich  40 
selbst    auch    ein    Zentrum    hat,    die    Philosophie    im    engen 


184  Schleiermacher. 

Sinne,  und  nach  außen  mehrere  Seiten,  die  realen  Wissen- 
schaften. Zeugnisse  kann  sie  nur  ausstellen  über  geschicht- 
liche und  naturwissenschaftliche  Kenntnisse;  denn  wer  von 
der  höheren  Philosophie  nur  Kenntnisse  hat,  ohne  den 
5  wissenschaftlichen  Geist,  abgerechnet  daß  nach  solchen 
[MOJ  kaum  jemand  fragen  wird,  der  hat  sie  auch  nur  |  geschicht- 
lich. Zwei  Grade  aber  müßten  in  ihr  auch  unterschieden 
werden,  indem  alle,  welche  von  der  Universität  aus  ent- 
weder in  die  Staatsverwaltung  oder  in  die  Naturbearbeitung 

10  für  den  Staat  in  einem  großen  Sinne  eingreifen  wollen, 
billig  den  wissenschaftlichen  Geist  in  sich  müssen  aus- 
gebildet haben,  dennoch  aber  manches  entbehren  können, 
was  dem,  der  den  Beruf  des  Lehrers  fühlt,  nicht  fehlen 
darf.    In  beiden  Graden  wird  jeder  immer  einen  bestimmten 

15  Zweig  des  realen  Wissens  angeben  können,  von  dem  er 
vorzüglich  ausgehn  will;  weshalb  denn  außer  den  Philo- 
sophen im  engeren  Sinne  auch  diejenigen  vorzüglich  seine 
Richter  sein  mögen,  welche  diesen  Zweig  bearbeiten,  wie- 
wohl auch  das  nicht  das  Ratsamste  sein  möchte,  da  doch 

20  ih  der  Folge  kein  Gebiet  dem  Aufgenommenen  verschlossen 
ist;  auf  jeden  Fall  aber  werde,  wer  die  Würde  eines  Dok- 
tors erhält,  zum  Doktor  der  Philosophie  schlechthin  ernannt, 
ohne  einen  Beisatz,  der  auf  eine  einzelne  Disziplin  hin- 
weiset.    Denn  die  Fakultät,  vv^elche  vorzugsweise  die  Ein- 

25  heit   aller   Wissenschaften   repräsentiert,   die   ohnedies   von 
allen  Seiten  her  genugsam  verdunkelt  wird,  muß  auch  in 
ihren  feierlichen  Handlungen  diese  Einheit  bestimmt  aus- 
sprechen.    Doktoren  der  Geschichte  oder  der  Ästhetik  zu 
'  [141]  ernennen,  ist  fremd  und  lächerlich,  und  |  wird  gewiß,  wenn 

3U  man  es  auch  willkürlich  einführt,  nicht  bleibend  sein  und 
geschichtlich  werden. 

Was  aber  nicht  wesentlich  zu  sein  scheint  bei  diesen 
Handlungen,  sondern  nur  dem  früheren  Zustande  der  Roheit 
und    Unwissenschaftlichkeit    unserer    Sprache    angemessen, 

35  das  ist  der  durchgängige  Gebrauch  der  lateinischen  in 
allen  diesen  Geschäften.  Gewiß  hat  diese  Einrichtung, 
weil  die  größere  Menge  sich  dabei  zu  mancherlei  Ver- 
fälschungen versucht  fühlen  mußte,  nicht  wenig  beige- 
tragen,  die  gelehrten  Würden  selbst  um  ihren  guten  Ruf 

40  zu  bringen.  Je  mehr  wir  auch  Fortschritte  machen,  um 
desto  mehr  muß  gewiß  jene  schon  längst  abgeschlossene 


Gelegentliche  Gedanken.  |g- 

Sprache  sich  zur  wissenschaftlichen  Darstellung  für  uns, 
außer  auf  dem  philologischen  und  vielleicht  mathematischen 
Gebiet,  unbrauchbar  zeigen.  Was  für  Gewinn  soll  auch 
cntstehn,  wenn,  was  deutsch  vortrefflich  gesagt  werden 
konnte,  in  römischer  Sprache  mittelmäßig  auftritt?  Es  ist  5 
genug,  wenn  außer  jenen  Gebieten  die  römische  Sprache 
rem  imd  zierlich  bei  solchen  öffentlichen  Gelegenheiten 
erscheint,  welche  mehr  eine  populäre  und  schöne,  als  eine 
wissenschaftliche  und  gründliche  Darstellung  fordern,  und 
wo  sich  der  Redner  nach  Belieben  in  dem  Gebiet  antiker  lü 
Gesinnung  und  Ansicht  halten  darf. 

1        So  ohngefähr  gestalten  sich  die  gelehrten  Würden,  rein  [142J 
aus  dem  Gesichtspunkt  des  wissenschaftlichen  Vereins  an- 
gesehen;   was   für    Rücksichten   aber    hat   wohl    der    Staat 
darauf  zu  nehmen,  oder  überhaupt  gar  keine?    Er  gesellt  15 
sich  doch  zu  der  wissenschaftlichen  Vereinigung  und  nimmt 
sich   ihrer  an,   oder   untergibt  ihr  die   von   ihm   selbst   ge- 
stifteten Unterrichtsanstalten,  um  gewiß  für  die  Geschäfte, 
wozu  es  deren  bedarf,  Männer  von  Kenntnissen  und  von 
höherer  Bildung  zu  finden.     Stimmt  dies  wohl  zusammen  20 
damit,    daß    er    doch    hernach   dem    Urteil    dieses    Vereins 
nicht  traut,  und  sich  nicht  darnach  richtet?    Es  läßt  sich 
unterscheiden  für  den   Staat   ein  niederer   Dienst   und   ein 
höherer.     Wie  wohl  es  getan  ist,  auch  diejenigen,  welche, 
eigentlich   für   den   höheren    bestimmt   sind,    sich   dennoch  25 
zunächst   eine  lange  Zeit  im  niedern  Gebiet  herumtreiben 
zu  lassen;    oder  wie  richtig   die  Meinung  sein  mag,  daß, 
wer  nur  lange   genug   den   niedern   Dienst   verrichtet   hat^ 
auch    wohl    geschickt    sein    werde    für    den    höheren:    dies 
gehört    nicht   hieher   zu   untersuchen;    die   Verschiedenheit  30 
in  der  Sache  aber  ist  einleuchtend  und  bekannt.    Im  niedern 
Staatsdienst  gibt  es  ein  ansehnhches  Gebiet,  welches  Kennt- 
nisse wissenschaftHcher  Art  erfodert.   Wenn  die  Universität 
im  Namen  des  wissenschaftlichen  Vereins  einem  |  Einzel-  [U-il 
nen  das  Zeugnis  ausstellt,   daß    er  diese   besitzt:   so   weiß  35 
ich  nicht,  was  für  einen  Sinn  die  Prüfung  noch  haben  soll, 
welche   der    Staat    durch    Beamte    über    ihn    verhängt;    so 
wie,   wenn  er  sich  auf  das  Zeugnis   der  letztern  verlassen 
will,  nicht  einzusehen  ist,  warum  er  den  Besuch  der  Uni- 
versität zur  Pflicht  macht.     Diese  hinzukommende  Prüfung  4u 
sollte  zur  Qualifikation   des   Einzelnen  gar  nicht  gehören; 


186 


Schleiermach  ^ 


sondern  nur  um  zu  erfahren,  wozu  er  sich  besonders  eignet, 
und  wieviel  er  schon  von  den  kleinen  Fertigkeiten  und 
Notizen  mitbringt,  welche  allenfalls  auch  erst  durch  die 
Übung  dürfen  erworben  werden.     Für  den  höheren  Dienst 

5  bedarf  es  nicht  nur  einer  Masse  wohlerworbener  Kennt- 
nisse, sondern  auch  Übersicht  des  Ganzen,  richtiges  Urteil 
über' die  Verhältnisse  der  einzelnen  Teile,  ein  vielseitig 
gebildetes  Kombinationsvermögen,  einen  Reichtum  von 
Ideen  und  Hilfsmitteln.    Soll  dies  alles  zuverlässig  sein  und 

10  geordnet,  so  muß,  wer  sich  dieser  Gaben  rühmt,  in  das 
Heiligtum  der  Wissenschaft  eingedrungen  sein.  Darum 
eröffnet  es  auch  der  Staat  seinen  künftigen  Dienern,  und 
will  sie  nur  aus  diesem  empfangen.  Sollten  nun  nicht  eben 
hierüber    auch    die    Zeugnisse    der    wissenschaftlichen    An- 

13  stalten,  wenn  sie  zweckmäßig  und  streng  erteilt  werden, 
[144]  das  erste  sein,  worauf  der  Staat  sich  ver-lläßt?  Das  Vor- 
urteil, als  ob  es  etwa  einem  adlig  Gehörnen,  oder  überhaupt 
der  Klasse,  welche  auf  die  höheren  Geschäfte  Anspruch 
macht,  kaum  anstehe,   einen  gelehrten  Grad  anzunehmen, 

20  und  ein  solcher  sich  dadurch  schon  selbst  von  den  Ge- 
schäften ausschließe  und  zum  Schulstaube  verdamme,  kann 
wohl  kaum  gerechtfertigt  werden,  sondern  muß  verschwm- 
den,  wenn  Staat  und  Universität  sich  selbst  und  gegen- 
seitig verstehen.     Vielmehr   sollte  der  höhere   Staatsdienst 

25  gerade  nur  solchen  eröffnet  sein;  diejenigen,  welche  sich 
mit  dieser  Würde  ausschließlich  in  die  politische  Laufbahn 
begeben,  sollten  überall  an  die  Spitze  der  Geschäfte  gestellt 
zu  werden  Hoffnung  haben,  und  auch  die,  welche  mit 
der  Würde  der  Lehrer  bekleidet  sich  vorzüglich  den  Wissen- 

30  Schäften  widmen,  sollte  doch  der  Staat  als  Aufseher,  als 
Ratgeber  bei  allem,  was  in  ihr  besonderes  Fach  einschlägt, 
zu  gebrauchen  wissen.  Doch  diese  Änderung  in  der  gegen- 
wärtigen Praxis  müßten  die  Universitäten  selbst  vorbe- 
reiten;   sie    müssen    ihre    gotischen    Formen    beleben,    sie 

35  müssen  mit  den  Würden,  die  sie  erteilen,  nicht  länger  ein 
Spiel  treiben  und  sie  mißbrauchen  lassen  zu  leeren  Namen. 


Anhang  [145] 

über 
eine  neu  zu  errichtende  Universität. 


Man  sagt,  der  preußische  Staat  fühle  das  Bedürfnis, 
auch  für  seinen  verminderten  Umfang  die  verlorene  ehe-  5 
malige  Friedrichs-Üniversität  durch  eine  andere,  neu  zu 
errichtende  zu  ersetzen,  und  man  sagt,  es  sei  beschlossen, 
in  Berlin  solle  sie  errichtet  werden.  Großenteils  in  dieser 
Hinsicht  sind  die  vorstehenden  Gedanken  gerade  jetzt 
niedergeschrieben  und  bekannt  gemacht  worden,  und  sie  10 
würden  ihren  Zweck  verfehlen,  wenn  nicht  von  einigem 
wenigstens  die  Anwendtmg  auf  den  vorliegenden  Fall  hinzu- 
gefügt würde. 

Das    Gefühl,   welches   diesen   Entwurf   erzeugt   hat,   ist 
gewiß    sehr   richtig   und   achtungswert.     Es   beweiset,    daß  15 
Preußen  den  Beruf,  den  es  lange  geübt  hat,  auf  die  höhere 
Geistesbildung    vorzüglich   zu   wirken   und   in   dieser    seine 
Macht   zu   suchen,   nicht   aufgeben,    sondern  vielmehr   von 
vorne  anfangen   |  will;   es  beweiset   ferner  ganz  bestimmt,   [146] 
was    wohl    ebenso    viel    wert    ist,    daß    Preußen    sich    nicht  20 
isolieren   will;    sondern   auch   in    dieser    Hinsicht   mit   dem 
gesamten  natürlichen  Deutschland  in  lebendiger  Verbindung 
zu    bleiben    wünscht.      Zwei    Provinzialuniversitäten    hat    es 
bereits.      Königsberg    für    die    außerdeutschen,    oder    viel- 
mehr, da  es  ja  jetzt  keine  Beziehung  mehr  gibt,  in  welcher  25 
das  eigentliche  Preußen  weniger  deutsch  wäre  als  Branden- 
burg, für  die  nördlichen,  Frankfurt  für  die  südlichen  Pro- 
vinzen.    Aber  mehr  können  auch   diese  beiden   Anstalten 
ihrer    Natur    nach    nicht    werden;    auch    Frankfurt    ist    zu 
abgelegen,    um    irgend    Ausländer    an    sich    zu    ziehn,    die  30 


188  Schleiermacher. 

für  eine  große  Universität  von  der  höchsten  Wichtigkeit 
sind,  um  die  Anlage  zu  einer  hart  manierierten  intellek- 
tuellen Existenz,  wie  sie  im  eigentlichen  Preußen  so  sehr 
auffällt,  und  wie  man  sie  auch  auf  den  königlich  sächsischen 
5  Universitäten  findet,  in  Schranken  zu  halten.  Frankfurt 
war  nur  gut  zu  einer  Missionsanstalt  für  die  Polen,  um 
welche  sich  Preußen  hoffentlich  jetzt  weniger  bekümmern 
wird.  Auch  müßte  diese  Universität,  um  sie  bedeutend  zu 
machen,  durchaus  neu  geschaffen  werden,  und  warum  sollte 

10  der  Staat  die  Kräfte,  welche  dazu  gehören,  an  einem  übel 

[147]  gelegenen    Ort    und   an    |  der    Umbildung    einer    durchaus 

untergeordneten  und  in  vieler  Hinsicht  schlechten  Anstalt, 

was  immer  eine  ebenso  undankbare  als  schwierige  Arbeit 

ist,    verschwenden,    da    er    mit    fast    gleicher    Anstrengung 

15  Neues  erbauen  kann  ? 

Aber  warum  gerade  in  Berlin  ?  Potsdam  freilich  kann 
wohl  kaum  einem  Sachkundigen  einfallen,  da  eine  Uni- 
versität in  einer  kleinen  Stadt  mit  dem  privilegiertesten 
Militär   und  dem  Hofe  dicht  zusammen,   der  alle   Kleinig- 

20  keiten  notwendig  erfahren  müßte,  in  der  Nähe  der  Haupt- 
stadt eigentlich  der  wunderlichste  Gedanke  ist,  den  man 
haben  kann.  Allein  Brandenburg,  Havelberg,  mittlere 
Städte  nahe  an  der  Grenze,  also  gelegen  für  die  Ausländer, 
und  wo  man  zum  Besten  der  Universität  allmählich  große 

25  Fonds  einziehn  könnte,  dergleichen  sollten  einem  jeden 
weit  eher  in  den  Sinn  kommen,  als  Berlin.  Sollte  also 
bei  einer  so  auffallenden  Wahl  eine  Hinsicht  auf  Vorteile 
entschieden  haben,  welche  Berlin  allein  darbietet  ?  Diese 
sind  freilich  leicht  zu  sehn,  insofern  es  in  den  preußischen 

30  Staaten   der   reichste    Sammelplatz   ist   von   Gelehrsam.keit, 

von    Talenten,    von    Kunstübungen    aller    Art,    insofern    es 

viele    Institute  in  sich  faßt,   welche   die   Universität   unter- 

[148]  stützen    und    wiederum    [    durch    die    Verbmdung    mit    ihr 

neuen  Glanz  oder  einen  höhern  Charakter  bekommen  könn- 

35  ten,  insofern  es  zugleich  die  gebildetsten  Formen  des  Lebens 
darstellt,  und  die  höchsten  W^ürden,  zu  denen  sich  der 
anstrebende  Jüngling  in  jedem  Fache  emporschwingen  kann, 
ihm  dicht  imter  die  Augen  bringt.  Allein  dies  sind  Vor- 
teile, deren  alle  Universitäten,  welche  für  die  Wissenschaft 

40  und  den  Staat  den  meisten  Nutzen  gestiftet  haben,  immer 
entbehrten.     Dagegen   hat   Berlin   für   eine   solche   Anstalt 


Gelegentliche  Gedanken.  189 

eigne,  nicht  zu  verkennende   Nachteile,   die  aus  der  Weit- 
läuftigkeit    der    Stadt,    der    Teurung    der  Bedürfnisse,    der 
Leichtigkeit    der   Zerstreuungen,    der    Mannigfaltigkeit    an- 
dringender   Versuchungen,    der    Ofensitzerei    vieler    Jüng- 
linge, die  hier  schon  auf  Schulen  erzogen,  hier  auch  stu-     » 
dieren,   und  hier  gleich  in  die  Verwaltung  tr^eten  würden, 
und  eigentlich  von  allen   Seiten,  könnte  man  wohl  sagen, 
unausbleiblich    entstehen    müssen,    Nachteile,    welche    dem 
großen  Publikum  am  meisten  in  die  Augen  leuchten,  und 
welche    es    der    neuen    Anstalt,    die    ohnehin    mit    mannig-  l*^ 
faltiger  Eifersucht  zu  kämpfen  hätte,  schwer  machen  würden, 
Vertrauen   zu   gewinnen.      Sollte   also   jetzt   wohl    der   Zeit- 
punkt   sein,    um   jener   mehr    glänzenden   als    wesentlichen 
A^orteile    willen    einen    |  mißlichen    Kampf    zu    wagen    mit  [149] 
diesen  Nachteilen?   Wer  einen  so  bedeutenden  Verlust  ge-  lö 
macht  hat,  der  darf  nicht  leichtsinnig  spekulieren,  sondern 
muß   mit   sichern   Unternehmungen  von   neuem  anfangen, 
um  seinen  Kredit  zu  heben. 

Schon    unter    der    vorigen    Regierung,    zu    einer    Zeit, 
wo   der  preußische    Staat   durchaus   kein   Bedürfnis    hatte,  20 
eine  neue  Universität  zu  errichten,  wurde  ein  Plan  gemacht 
zu    einer   großen    Lehranstalt   in    Berlin,   Avelche   eigentlich 
keine  Universität  sein,  aber  doch  die  Dienste  der  Universi- 
täten leisten  sollte,  von  einem  sehr  gebildeten  Schriftsteller, 
der   Prinzenlehrer   gewesen   war   und   zugleich   das    Schau-  25 
spiel  dirigierte.    An  Feinheit  und  an  Pracht,  wie  an  höfischer 
Vomehmigkeit    v/ird    es    also    dem    Entwurf    nicht    gefehlt 
haben.    Zur  Ausführung  ist  er  indes  nicht  gekommen,  wenn 
man  nicht  eine  und  die  andere,  um  diese  Zeit  entstandene 
Spezialschule  ansehn  will  als  Versuche  mit  solchen  einzelnen  30 
Teilen  dieses  Ganzen,  —  denn  auf  einen  Mittelpunkt  und 
dessen  lebendige  Kraft  mag  wohl  wenig  gerechnet  worden 
sein  —  den  Anfang  zu  machen,  bei  denen  man  am  v/enig- 
stcn  in  Grenzstreitigkeiten  käme  mit  den  bestehenden  Uni- 
versitäten.   Die  Hauptabsicht  war  ohnstreitig,  die  gotische  35 
Form  und  das  |  Zunftwesen  der  alten  Universitäten  allmäh-  [150] 
lieh  zu  untergraben,  vorzüglich  aber  den  sogenannten  Stu- 
dentengeist   zu    tilgen,    der    von    Furchtsamen    für    höchst 
furchtbar    und    verderblich    gehalten    wurde.      Mit    solchen 
Bildungsversuchen  aus  heiler  Haut,  ohne  daß  ein  bestimmtes  40 
Bedürfnis    bestimmte    Maßregeln    natürlich    erzeugte,    und 


190  Schleiermacher. 

ohne  daß  man  von  dem  Umzubildenden  eine  vollständige 
Ansicht  genommen  hätte,  um  sich  zu  überzeugen,  wie  das 
wesentliche  Gute  und  die  dermaligen  Mißbräuche  sich 
gegeneinander  verhalten  und  worin  beide  gegründet  sind, 
5  ist  es  immer  eine  bedenkliche  Sache.  Wer  Zeit  und  Kraft 
übrig  hat  und  es  nicht  scheut,  mit  wichtigen  Dingen  auch 
zu  spielen,  der  mag  dergleichen  wagen.  Soll  man  aber 
wohl  glauben,  daß  eine  weise  Regierung  unter  den  gegen- 
wärtigen   Umständen   einen   so   entstandenen   Plan   hervor- 

10  suchen  werde,  dessen  Erfinder  gewiß  durch  reife  Einsicht 
in  das  streng  wissenschaftliche  Gebiet  nicht  vorzüglich 
glänzte,  sondern  vielmehr  durch  einseitiges  Popularisieren 
für  diesen  Gegenstand  sich  mißempfiehlt,  und  dessen  Haupt- 
absicht war,  einen  Geist  zu  untergraben,  den  man,  mit  mög- 

15  liebster  Beseitigung  seiner  Auswüchse  und  verkehrten  Äuße- 
rungen,  jetzt   mehr   als   je   suchen   sollte   sorgfältig   zu   be- 
[151]  wahren  als  Ei- 1  nigungsmittel  für  den  besten  Teil  des  künf 
tigen    Geschlechtes    und    als    Gewahrsam    für    echt    vater 
ländischen   Sinn?     Gewiß,    das   wollen   wir   nicht   denken 

20  um  so  weniger,  da  auch  jene  ganze  Methode,  die  realen 
Wissenschaften  aus  dem  Zusammenhang  mit  der  Philo 
Sophie  herauszureißen,  und  entweder  auf  willkürliche  Theo 
rien  zu  bauen,  oder  in  bloße  Empirie  verwandeln  zu  wollen 
sich  unter  uns  wohl  längst  überlebt  hat. 

25  Es  scheint  also  nichts  übrig  zu  bleiben,  um  eine  solche 

Wahl  für  das  Lokale  einer  neuen  Universität  zu  erklären, 
wenn  sie  sich  doch  in  Berlin  nicht  eben  wesentlich  besser 
befinden  wird  als  anderswo,  als  daß  irgend  eine  Not- 
wendigkeit vorhanden  ist,  weshalb  sie  nur  in  Berlin  über- 

30  haupt  bestehen  kann;  und  diese  ist  leicht  aufzuzeigen. 
Denn  wenn  sie  sogleich  gestiftet  und  in  Tätigkeit  gesetzt 
werden  soll,  und  wenn  ihre  Lage  allerdings  eine  solche 
ist,  daß  sie  sich  bei  einem  kränklichen  Anfang  kein  langes 
Leben  versprechen  darf:  woher  soll  sie  anderswo  alle  die 

35  Hilfsmittel    nehmen,    welche    einer    blühenden    Universität 
notwendig  sind?     Hätte  sie  auch   Geldkräfte  in   Überfluß, 
so   sind  doch  Bibliotheken,   Sammlungen  von  alten   Denk- 
mälern, botanische  Gärten,  anatomische,  mineralogische  und 
[152]  I   zoologische  Kabinette  unmöglich  im  Augenblicke  herbei- 

40  geschafft;  und  wie  könnte  in  unsern  Tagen  eine  Uni- 
versität mit  Auszeichnung  in  die  Schranken  treten  wollen, 


Gelegentliche  Gedanken.  191 

der  es  an  diesen  wesentlichen  Attributen  fehlte  ?  Dies  ist 
gewiß  eine  so  einleuchtende  Ursache,  daß  nach  keiner 
andern  weiter  gesucht  werden  darf. 

Wenn   also   nicht    um   irgend   einer   besondern   Pracht 
und  Herrlichkeit  willen,  sondern  nur  damit  sie  unmittelbar     5 
leben  und  rasch  gedeihen  könne,  die  Universität  in  Berlin 
wohnen  soll :  so  scheinen  die  Maßregeln,  die  zu  ergreifen 
sind,    einander    so   untergeordnet   werden    zu   müssen,   daß 
man  zunächst  für  alles  dasjenige  sorge,  was  der  Universität 
zum  selbständigen  Dasein  notwendig  ist ;  dann  darauf  denke,  10 
wie  die  besondem  Nachteile  zu  vermeiden  sind,  mit  denen 
eben  Berlin  ihr  vorzüglich  droht,  und  nur  erst  nach  diesem, 
und  insofern  dieses   Nötigere  nicht  darunter  leidet,   dürfte 
man   in   Betrachtung   ziehen,   wie   nun  auch   wiederum   die 
besondern   Vorteile,   welche    Berlin   darbietet,   recht   zu   be-  15 
nutzen  wären. 

Was  das  erste  betrifft :  so  scheint  zunächst  schon  die 
Art,   wie  die  gesuchten  notwendigen   Hilfsmittel  in   Berlin 
vorhanden  sind,  der  Unabhängigkeit  der  Universität  nicht 
günstig    zu    sein,    wenn    man    |  nicht    durch    Machtsprüche  r^^- ^ 
eingreifen  will  in  die   Ordnungen  anderer  Anstalten,   und 
das    würde    ihr    wiederum    Haß    zuziehen.      Wo    die    Uni- 
versität keinen  andern  Gebrauch  zu  machen  hat,  als  der  dem 
Qualifizierten   Publikum  überhaupt  verstattet  ist,   da  ist  sie 
in   der  Tat   auch  nur  als   eine   Vermehrung   desselben   an-  25 
zusehn,  und  die  Sache  hat  keine  Schwierigkeit.    So  müßten, 
was    die    Bibliothek    betrifft,    die    Studierenden    besondere 
Lesezimmer   haben   in    dem    Universitätsgebäude,    und   die 
Bücher  von  der  Bibliothek  allemal  auf  den   Namen  eines 
Professors  oder   der   Universität   überhaupt   dorthin  geholt  3) 
werden.    Nur  müßte  man  freilich  allmählich  auf  eine  eigne 
Handbibliothek   aus  solchen   Werken   denken,   nach  denen 
die   Nachfrage  besonders   häufig   sein  muß,   und  die  doch 
auf   der   Königlichen   Bibliothek   für   das   übrige    Publikum 
nicht    fortdauernd    können    entbehrt    werden.      Bei    andern  35 
Instituten  könnte  man  es  für  die  beste  Auskunft  halten,  die 
gegenwärtigen    Aufseher    derselben    zu    Professoren     ihrer 
Wissenschaft    bei    der    Universität    zu    ernennen,    und    was 
könnte  man  in  der  Tat  dieser  Besseres  wünschen,  als  einen 
Willdcnow  zu  besitzen  für  die  Botanik,  und  einen  Karsten  40 
für  die  Mineralogie  ?   Allein  teils  ist  damit  nicht  für  immer 


192  Schleiermacher. 

[154]  geholfen,  wenn  neben  der  |  Universität  noch  die  Bergaka- 
demie bestehen  soll,  und  das  medizinisch-chirurgische  Kolle- 
gium; und  es  wären  dadurch  entweder  der  Universität 
oder  diesen  beiden  Korporationen,  die  unter  ganz  anderer 
6  Aufsicht  stehen  und  eine  ganz  andere  Bestimmung  haben, 
die  Hände  gebunden  für  die  Zukunft;  teils  ist  es  dem 
echten  Geist  einer  Universität  zuwider,  daß  nur  einer  aus- 
schließend befugt  oder  instand  gesetzt  sein  soll,  eineWissen- 
schaft  zu  lehren.    Hier  entsteht  also  die  freilich  schwierige, 

10  aber  doch  auch  nicht  unauflösliche  Aufgabe,  solche  In- 
struktionen zu  entwerfen  und  solche  Garantien  zu  geben, 
daß  die  Universität  nichts  aufgeben  müsse,  was  ihre  Natur 
wesentlich  erfordert,  und  doch  auch  in  frühere  bestimmte 
Rechte    so    wenig   als   möglich    eingegriffen   würde.     Ähn- 

15  liches  würde  vielleicht  geschehen  müssen  in  Absicht  des 
anatomischen  Kabinetts  und  der  Tierarzneischule,  wiewohl 
letztere  sich  wohl  am  leichtesten  und  vorteilhaftesten  auf 
gewisse   Weise  mit   der   Universität  vereinigen  ließe. 

Doch  nicht  nur  in  Beziehung  auf  die  Hilfsmittel,  son- 

20  dern  auch  auf  die  Personen  der  Lehrer  und  Schüler,  ist  es 
eine  Aufgabe,   die   leicht  verfehlt   werden  kann,   der   Uni- 
versität   ihre    Unabhängigkeit    gleich    anfangs    zu    sichern. 
[155]  Wenn   man  nämlich   etwa    |  das   Personal   der   Lehrer,   ich 
will  nicht  sagen  ausschließend,  aber  doch  größtenteils  aus 

Cü  solchen  Gelehrten  zusammensetzen  weilte,  die  bereits  in 
andern  Verhältnissen  in  Berlin  leben :  so  würde  es,  wie 
vortrefflich  auch  die  IVIänner  sein  mögen,  mit  dem  freien 
Dasein  der  Universität  nur  schlecht  bestellt  sein.  Es  ist 
bekannt,  wie  gefangennehmend  das  Geschäftsleben  ist,  zu- 

.^0  mal  ein  genau  ausgearbeitetes  und  spitzfindig  eingerich- 
tetes, und  Gelehrte,  die  einmal  in  dieses  eingelebt  sind, 
werden  immer  ihre  Anstellung  bei  der  Universität  nur  als 
eine  Nebensache  ansehn,  nicht  viel  anders  als  die  Vor- 
lesungen,  welche   sie   schon  jetzt   zu   halten  gewohnt   sind. 

P5  Hiezu  kommt,  daß  sie  durch  ihre  andern  Geschäfte  mit 
der  Zeit  beschränkt  sind  auf  eine  Weise,  die  mit  der 
natürlichen  Ordnung  der  studierenden  Jünglinge  nicht  wohl 
vereinbar  ist.  Dasselbe  gilt  von  denen,  welche  auf  höheren 
oder   besonderen   Schulen   als    Lehrer   angesetzt   sind,   und 

40  diese  müßten  sich  überdies  noch  zwei  ganz  verschiedene 
Methoden  des  Lehrens  aneignen,  was  schwerer  sein  mag. 


Gelegentliche  Gedanken.  193 

als   man   glaubt.     Von   solchen   Kollisionen   darf   die    Uni- 
versität nicht  abhängen;  und  überhaupt,  wäre  sie  für  die 
meisten  Lehrer  nur  eine  Nebensache,  so  würde  sie  es  bald 
auch  für  die  Schüler  sein;  sie  würde  trotz  alles  |  Vortreff-  [156] 
liehen,   was    sie   in   sich   vereinigte,    nur   wenig   Vertrauen     5 
finden  und  auch  wxnig  verdienen,  weil  sie  bald  gewissen 
administrativen  Kollegien  gleichen  würde,  in  denen  es  auch 
nie  an  vortrefflichen  Männern  gefehlt,  über  die  man  doch 
aber  immer  geklagt  hat,  eben  weil  sie  für  alle  diese  Männer 
nur  eine  Nebensache  waren.     Gewiß  ist  es  durchaus  not-  10 
wendig,    Lehrer   anzusetzen,    welche   kein   anderes   als   ge- 
lehrtes Geschäft  treiben,  und  auch  nicht  nötig  haben,  sich 
um  ein  anderes,  am  wenigsten  administratives,  zu  bewerben, 
und   welche   zugleich   schon   als    Universitätslehrer    Übung 
und  Ansehn  haben,  und  zwar  in  solcher  Anzahl,  daß  das  15 
Wesentliche  in  jeder  Fakultät  durch  sie  allein  könnte  ge- 
deckt  werden;   und   nur   in   diesem   Fall   wird   man   sagen 
können,  daß  die  Universität  auf  festen  Füßen  steht.    End- 
lich darf  die   Universität  auch  nicht,  und  zwar  unter  den 
gegenwärtigen    Umständen   am   wenigsten,    abhängen    von  20 
der  Wohlhabenheit  der  Eltern,  welche  glauben,  ihre  Söhne 
für   einen   Aufenthalt   in    Berlin   hinreichend   versorgen   zu 
können.     Auf   diesem   Wege   würde   man  nur   eine   kleine 
Anzahl   zierlicher   und   vornehmer,   oder   üppigreicher   und 
lockerer  Studierenden  bekommen,  deren  größter  Teil  den  25 
Lehrern,  welche  es  mit  der  Wissenschaft  redhch  meinten, 
eben  nicht  1  viel  Lust  und  Liebe  einflößen  würden.    Noch  [157] 
keine  Universität  hat  ohne  einen  Unterstützungsfonds  be- 
standen, und  ein  solcher  müßte  vorzüglich  für  Berlin  herbei- 
geschafft werden.     Würde  er  nach  den  oben  aufgestellten  30 
Grundsätzen  verwaltet :  so  würde  die  Besorgnis  wegfallen, 
daß    durch    Unterstützungen    nur    ungeschickte   und    uner- 
zogene Arme  herbeigelockt  würden.    Besonders  zweckmäßig 
aber  wäre  es  für  Berlin,  wenn  alle  Unterstützungen  nicht 
sowohl   in  barem   Gelde  beständen,   als   in  unentgeltlicher  55 
und  zugleich  ehrenvoller  Darreichung  wesentlicher  Bedürf- 
nisse, Wohnung,  Speisung,  Pleizung.     Dadurch  würde  auch 
am   leichtesten    der    Privatreichtiun   angelockt    werden,    zu 
diesen   Unterstützungen  beizutragen.     Allein  nicht   nur  für 
das   wahre   Bedürfnis   muß   gesorgt   werden,   sondern  auch   tO 
für  die  großenteils  ungegründete   Furcht   der  Auswärtigen 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,   Steffens.  13 


194  Schleiermacher. 

vor   einer   unmäßigen   Teurung   in   Berlin   muß   etwas   ge- 
schehen.    Viel  tut  freilich  schon  die  Hoffnung,   daß  jeder 
Fleißigste   und  nicht   nur   der  Ärmste  an   den  öffentlichen 
Unterstützungen   Anteil   nehmen   kann.     Dann   sorge   man 
5  dafür,  daß  unter  öffentlicher  Autorität  wenigstens  für  den 
Anfang  einige  Personen  die  Vermittlung  zwischen  den  Stu- 
dierenden und   den   Hausbesitzern  und   Speisewirten  über- 
[158]  nehmen,  billige  Kon- 1  trakte  abschließen,  und  die  verschie- 
denen Preise,  welche  sie  halten  können,  gehörig  bekannt 
10  machen,  damit  jeder  die  Sicherheit  habe,  bald  und  leicht 
zu  finden,  was  seinen  Vermögensumständen  angemessen  ist. 
Auch  dieses  muß  man  noch  verhüten,  daß   nicht  zu  sehr 
überhandnehme    das    Unterrichterteilen    der    Studierenden, 
um  sich  Erleichterung-  zu  verschaffen.     Dies  ist  freilich  in 
15  Berlin    verderblicher   als    anderswo.     Am   besten   aber   ge- 
schähe dies  durch  V^orkehrungen,  die   nicht  von  der  Uni- 
versität ausgehen  müßten,  sondern  von  der  Behörde,  welcher 
die  Aufsicht  über  den   Unterricht  überhaupt  obliegt. 

Wie  dieses  schon  eine  Zerstreuung  ist :  so  möchte  man 
20  im  allgemeinen   die  mannigfaltigen   Gelegenheiten   zu  Zer- 
streuungen aller  Art  obenanstellen  unter  den  Nachteilen, . 
die  in  Berlin  vorzüglich  zu  befürchten  sind.     Auch  hiemit 
möchte  es   aber   so  arg   nicht   sein,   als   man  glauben  will. 
Das  Sehenswürdige  der  Stadt  selbst  und  ihrer  Umgebungen, 
25  und  alles,  was  man  unter  dem  Namen  der  Merkwürdigkeiten 
begreift,    ist   nur   gefährlich    durch    die    Neuheit,    also   nur 
für  die  erste  Zeit,  und  es  gibt  gewiß  keine  Universität,  wo 
nicht  den  meisten  über  solchen  Neuigkeiten  ein  Teil  von 
dieser  verloren  ginge.    Natürlich  wird  sich  auch  die  Uni- 
rio91  ^^^^^^ä^  ^^  einem  |  Teile,  und  wahrscheinhch  nicht  in  der 
glänzendsten   Mitte  der   Stadt   zusammendrängen,   und  der 
Fleißige  leichter,  was  in  den  übrigen  vorgeht,   ignorieren 
können.     Von  allen   Ergötzungen  aber  und   Lustbarkeiten, 
welche  ebenso  viel  Aufwand  fordern,   als  sie  Zeit  kosten, 
65  die  theatralischen  und  musikalischen  Darstellungen  an  der 
Spitze  von  diesen,  ist  eben  des  Aufwandes  wegen  wenig  zu 
besorgen.     Wenn  nur  der  Studierende  außer  stand  gesetzt 
ist,   seine   notwendigen   Bedürfnisse  fortdauernd   unbezahlt 
zu  lassen    und  den  größten  Teil  seiner  Zuschüsse  an  der- 
40  gleichen    Vergnügungen    zu    verwenden,    so    wird    er    bald 
auf   ein   für   seine  Zeit   gar   leidliches    Maß   gebracht   sein. 


Gelegentliche  Gedanken.  195 

Und  dies  ist  gewiß  zu  erreiclien,  wenn  nur  die  Gesetze  über 
das  Kreditwesen  der  Minderjährigen  wirklich  in  Anwendung 
gebracht   werden.     Dies   ist   in   der   Tat   in   Berhn   leichter 
als  anderswo,  weil  keine  Klasse  von  Bürgern  genötigt  sein 
wird,   fast  ganz  von  den   Studierenden  zu  leben  und  also     5 
um   ihre   Gunst  zu  buhlen.     Auch  werden   schon  alle   die- 
jenigen jungen  Leute  sich  mehr  vor  nicht  ganz  ehrenvollen 
Schulden  hüten,  die  nun  beim  Abgang  von  der  Universität 
ihren  Gläubigern  nicht  entgehen,  sondern  in  Berlin  bleiben, 
um  dort  ihre  erste  Anstellung  zu  suchen,  und  dadurch  wird  JIO 
I   bald  eine  ernstere  Ansicht  von  dieser  Sache  herrschend  [160] 
werden.      Nur   daß    man    ja    nicht    auf   den    unseligen    Ge- 
danken einer  Zahlungskommission  komme !    Doch  man  hat 
ja   wohl   gesehn,    wie   wenig   Eingang,   allen    eingezogenen 
Nachrichten  zufolge,  sie  anderwärts  gefunden  und  wie  noch  15 
viel  weniger  sie  ausgerichtet  hat.     Auch  ist  nichts  in  der 
Welt    dem   Wesen    einer    Universität    mehr   zuwider.     Soll 
die  Bildung  des  Charakters  mit  der  des  wissenschaftlichen 
Geistes   gleichmäßig   fortschreiten;   soll   der   Jüngling   sich 
in    dem    Maß    und    Verhältnis    seiner    Neigungen    kennen  20 
lernen :    so   muß    er   Freiheit   haben,   auch   in   seinen  Aus- 
gaben jetzt   dieses,   jetzt   ein   ganz   entgegengesetztes   Ver- 
hältnis  einzuführen;   er  muß  die  Bequemlichkeiten  sowohl, 
als  die  Gefahren  der  Ordnung  wie  der  Unordnung  und  was 
sonst   hierher  gehört,   kennen   lernen,   damit,   wenn   er  ins  25 
tätige  Leben  tritt,  er  nicht  erfahrungslos  erscheine,  sondern 
als  ein  gemachter  Mann,  der  auch  über  seine  eigene  Lebens- 
weise sicher  ist.     Diese  Freiheit  ist  notwendig.   Mißbrauch 
im  einzelnen  wird  immer  stattfinden;  aber  den  gibt  es  ja 
auch  in  den  späteren  Perioden  des  Lebens,  und  übel  wäre  30 
uns  geraten,  und  schlecht  wäre  es  um  die  Regierung  jeder 
Angelegenheit  bestellt,  wenn  uns  nichts  übrig  bliebe,  |  als  [161] 
um  des  Mißbrauchs  willen  dem  unentbehrlichsten  Gut   zu 
entsagen.      Sollte     unsre    Gesetzgebung    und    Polizei    noch 
nirgends    so    weit    gediehen    sein,    daß    man    ihr    die    reine  35 
Aufgabe  vorlegen  dürfte,   den  Mißbrauch  möglichst  einzu- 
schränken ohne   die  Aufopferung   wesentlicher  Vorteile  ? 

Dasselbige   gilt   auch  wohl   von   den   Ausschweifungen 
vorzüglich  des  Geschlechtstriebes  und  der  Spielsucht,  von 
welchen    man    unsägliches    Unheil    fürchtet    für    eine    Uni-  40 
versität,  die  in  Berlin  wäre.    Freilich  gefährliche  Klippen! 

13* 


196  Schleiermacher. 

allein  wohl  nicht  viel  gefährlicher  in  Berlin  als  an  jedem 
andern  Orte.  Es  werden  immer,  solange  Berlin  eine 
Hauptstadt  bleibt  und  seinen  ehemaligen  Charakter  nicht 
ganz  verleugnet,  viele  junge  Leute  sich  dort  aufhalten, 
5  die  reicher  sind  und  mehr  üppige  Verwöhnungen  haben 
als  die  Studierenden,  und  daher  werden  auch  diejenigen 
Klassen,  welche  von  der  Sittenlosigkeit  der  Jugend  leben, 
ihre  Nachstellungen  mehr  auf  jene  richten,  als  auf  diese. 
Dagegen  in  kleineren  Städten  die  Studenten  fast  die  einzige 

10  Jugend  sind,  welche  in  Betracht  kommt,  und  alle  Künste 

der  Verführung  ausschließend  gegen  sie  gerichtet  werden; 

[162]  ein  Umstand,  durch  welchen  jener  Unterschied  reich-  ]  lieh 

aufgewogen  wird;  wie  denn  in  einer  Residenz  freilich  alles 

Böse  glänzender  und  verführerischer  ist  als  an  andern  Orten, 

15  aber  auch  zumal,  was  von  dieser  Art  das  Ausgesuchteste 
ist  und  das  Glänzendste,  die  Geldkräfte  eines  Studenten, 
der  seiner  Natur  nach  überall  Liberalität  übt,  gar  bald 
übersteigt.  Daher  scheint  in  dieser  Hinsicht  nur  zweierlei 
notwendig    zu    sein.      Einmal,    daß    die    Wachsamkeit    der 

20  Polizei  gegen  alle  Anstalten  der  Verführung  geschärft  werde, 
daß  sie  sich  es  z.  B.  zum  Gesetz  mache,  welches  gar  nicht 
ausgesprochen  werden  darf,  ihr  sonst  so  oft  vernachlässigtes 
Recht  gegen  Spielhäuser  mit  der  größten  Strenge  auszuüben, 
sobald    Studenten    darin    angetroffen    werden;    daß    ferner 

25  bekannt  gemacht  würde,  Klagen  in  Unzuchtssachen  sollten 
gegen  eine  gewisse  Klasse  junger  Leute,  unter  welche  sich 
die  Studenten  ganz  natürlich  subsumieren  müßten,  gar  nicht 
angenommen  werden,  und  was  für  ähnliche  gute  Maßregeln 
sich   sonst  nehmen  ließen.     Dann   aber  auch   müßte   alles 

30  mögliche  geschehen,  um  die  Studenten  vor  niedrigen  Arten 

des   Umganges  und  der  Vergnügungen  zu  bewahren,  und 

strenge   Ehrbegriffe  auch   in   dieser   Hinsicht   unter   ihnen 

[163]  aufrecht  zu  erhalten.  |  Denn  freilich  in  dem  Maß,  als  sie 

sich  mit  dem  Niedrigen  auf  dem  Gebiete  des   Umganges 

35  und  der  Vergnügungen  behelfen  müßten,  würden  sie  auch 
den  niedrigsten  Arten  der  Verführung  preisgegeben  und 
dann  sicher  verloren  sein. 

Beide   Vorschläge    hängen   zusammen   mit    zwei   wich- 
tigen Fragen,  die  wir  nicht  ganz  unerörtert  lassen  können; 

40  die  eine  ist  die:  unter  welcher  Obrigkeit  sollen  die  Stu- 
denten stehen?   die   andre  die:   wie   sollen   sie   in  der  Ge- 


Gelegentliche  Gedanken.  197 

Seilschaft   angesehen   werden?    Was   die   erste  betrifft:   so 
ist   wohl   jetzt   niemand,    der   nicht   die    Unzweckmäßigkeit 
der   eigenen    Universitätsgerichte   einsähe,   und  man   kann 
sagen,    daß    sie   auf   preußischen   Universitäten   schon    seit 
langer  Zeit  vorzüglich  ist  gefühlt  worden.     Es  würde  hier    5 
zu  weit  führen,  die  Sache  historisch  zu  beleuchten,  und  zu 
zeigen,   wie  weit  die  gegenwärtigen   Umstände  von  denen 
unterschieden    sind,    unter    welchen    diese    Einrichtung    ur- 
sprünglich   ist    getroffen    worden.     Auf    der    andern    Seite 
muß   es  allerdings   ein  Mittel  geben,  gefährliche  Subjekte  10 
zu   warnen   und   sogar   zu   entfernen,   wenn   sie   auch   noch 
nichts  begangen  haben,  was  eine  so  strenge  Ahndung  von 
Seiten  gewöhnlicher  Gerichtshöfe  veranlassen  könnte.  Daher 
I  scheint  man  beides  verbinden  zu  müssen.     Die  Studenten  [164] 
seien  in  allem,  was  sich  zu  einer  gerichtlichen  Klage  quali-  15 
fiziert,    der   gewöhnlichen   Obrigkeit   unterworfen;   aber   es 
gebe   zugleich   eine   disziplinarische   Kommission,    aus   den 
Vorstehern  der  Universität  zusammengesetzt,  welche  nicht 
nur   als   Polizeimaßregel   mancherlei   Strafen,    nicht   ausge- 
schlossen die  Entfernung  der  Studenten  von  der  Universität,  20 
ausschließend    verfügen    könne,    sondern   an    welche   auch 
die  Obrigkeit  angewiesen  sein  muß,  Klagesachen  gewisser 
Art,    nachdem   sie   sie   gehörig   eingeleitet,    immer    zurück- 
zuweisen, und  dann  unter  ihrer  Autorität  die  Entscheidung 
der  Kommission  zu  publizieren  und  auszuführen.   Wer  diese  25 
Maßregel   genauer   durchdenkt,   wird   sehn,   wie   durch   sie 
eine  Menge  von  Schwierigkeiten  bei  weitem  am  leichtesten 
gehoben  werden.     Nur  solange  noch   ein  mehrfacher   Ge- 
richtsstand besteht,  darf  die  Obrigkeit  der  Studenten  keine 
andere   sein  als   die   der   sogenannten  Eximierten.     Sie   ist  30 
die   Obrigkeit   ihrer    Lehrer,    und   größtenteils    das    Forum 
des    Standes,    dem    sie    entgegengehn.      Ja   schon    deshalb 
kann   es   nicht  anders   sein,   vv'cil   man  doch   den  Adligen 
unter   ihnen   dies   Vorrecht   nicht    streitig   machen   könnte, 
und  unter  1  den  Studenten  selbst  alle  Spuren  von   Unter-  ^i*,., 
schied  des  Standes  soviel  möglich  müssen  vertilgt  werden. 
Was   aber  die   zweite   Frage   betrifft   über   die   Gesell- 
schaftsverhältnisse    der    Studierenden:     so    kann    freilich 
weniger  die  Rede  davon  sein,  was  geschehen  solle,  als  was 
wahrscheinlich  geschehen  werde,   und   nach   welcher   Seite  40 
hin   man    dem   gemäß    die    öffentliche    Meinung    müsse    zu 


198  Schleiermacher. 

lenken  suchen.  Viele  besorgen,  der  Student  werde  sich 
sehr  zurückgesetzt  fühlen  in  Berlin,  und  als  ein  armseliges, 
ganz  unbedeutendes  Wesen  erscheinen,  und  das  wäre  aller- 
dings ein  großer  Nachteil.    Allein  wird  nicht  jeder  bessere 

5  Lehrer  es  sich  zur  Pflicht  machen,  seine  ausgezeichneteren 
Schüler  in  seinen  gesellschaftlichen  Kreis  zu  ziehen  und 
ihnen  auch  dadurch  seine  Achtung  und  seine  nähere  Teil- 
nahme zu  beweisen?  Werden  nicht  sehr  viele  empfohlen 
sein  an  Bekannte  des  väterlichen  Hauses  ?    Für  alle  diese 

10  wäre  gesorgt  genug  in  dieser  Hinsicht,  und  vielmehr  bei 
der  großen  gesellschaftlichen  Leichtigkeit  Berlins  nur  zu 
befürchten,  daß  sich  hieran  schon  zuviel  gesellschaftliche 
Zerstreuungen  anknüpfen  möchten,  und  daß  durch  zu  viel- 
faches und  frühes  Schmiegen  in  die  gesellschaftlichen  Ver- 
,^^J^  hältnisse  und  die  eingeführten  |  Sitten  der  Charakter  der 
studentischen  Freiheit  verschwinden  und  die  wohltätigen 
Einflüsse  derselben  verloren  gehen  möchten.  Auf  der  andern 
Seite  wäre  dies  gesellschaftliche  Verkehr  freilich  nicht  all- 
gemein ;    die    so    Vorgezogenen    würden    leicht    von    ihren 

20  Genossen  zu  weit  entfernt,  und  die  Zurückgesetzten  eben 
dadurch  genötigt,  sich  entweder  ganz  zu  isolieren,  oder 
sich  Gesellschaften  von  untergeordneter,  niedriger  Art  auf- 
zusuchen. Darum  wäre  es  in  Berlin  ganz  notwendig,  auch 
wieder    das    Untersichsein    der    Studenten,    wo    der    eigene 

25  und  freie  Stil  des  Lebens  seinen  Platz  hat,  und  ihren  eigenen 
Gemeingeist  zu  befördern,  notwendig,  sie  fühlen  zu  lassen, 
daß  sie  schon  als  Studenten,  als  diejenigen,  auf  denen  die 
wichtigsten  Hoffnungen  des  Vaterlandes  ruhen,  eines  Grades 
von    öffentlicher   Achtung   und   Aufmerksamkeit   genießen, 

30  deren  sie  sich  nicht  unwürdig  machen  dürfen,  und  deshalb 
zweckmäßig,  daß  man  die  landschaftlichen  Verbindungen, 
welche  sich  um  so  zuverlässiger  bilden  werden  als  das 
Ganze  den  Charakter  der  Universität  trägt  und  als  die 
gymnastischen    Übungen    an    der    Tagesordnung    sind,    mit 

35  Klugheit   dulde   und   leite,   daß    man   nicht   jede   Art,   sich 
[167]  äußerlich  auszuzeichnen,  verbiete,  1  und  daß  man   erlaube, 
daß  bei  gewissen  Gelegenheiten  die  Studenten  als  Korpora- 
tion öffentlich  auf  eine  ehrenvolle  Art  erscheinen  und  re- 
präsentieren dürfen.    Auf  solche  Weise  wird  man  am  besten 

40  ihr  ganzes  Verhältnis  zur  übrigen  Gesellschaft  in  die  rechte 
Temperatur  setzen. 


Gelegentliche  Gedanken.  199 

Indem  auf   diese   Weise   der   eigentümliche   Geist   der 
Universität  und  die  notwendige  Freiheit  der  Studierenden 
beschützt  und  erhahen  werden,  verschwinden  zugleich  zum 
Teil  wenigstens  die  üblen   Folgen  davon,   daß   immer   ein 
ansehnlicher    Teil    der    Jünglinge    seinen    Aufenthalt    nicht     5 
verändert  und  auf  der  Universität  wie  auf  der  Schule  dem 
elterlichen    Hause    einverleibt    bleibt.      Denn    um    an    der 
Achtung,    welche    die    Korporation    genießt,    teilzunehmen, 
werden  sie  sich  zu  dieser  halten  müssen,  indem  der  leichte 
Spott  über  diejenigen,  die  sich  ausschheßend  auch  in  der  10 
Universitätsperiode  an  die  Familie  halten  wollen,  von  dem 
echten    Studentensinn,   wenn   er   sich  frei   entwickeln   darf, 
unzertrennlich  ist.    Auch  die  Verwandlung  der  öffentlichen 
Unterstützungen  in  Speisung  und  Behausung  wird  einiges 
beitragen,    um   Einzelne   aus    dem   beschränkten    Familien-  15 
leben   herauszureißen,   und  darum  sollte   1  man  vorzüglich  ^168] 
auch  allen  für   Berliner  bestimmten   Benefizien  diese  Ein- 
richtung geben. 

Sind  nun  im  allgemeinen  die  ursprünglichen  Einrich- 
tungen in  dem  Sinne  festgesetzt,  um  das  unabhängige  Be-  20 
stehen  der  Universität  zu  sichern  und  die  nachteiligen 
Verhältnisse,  die  in  Berlin  für  sie  eintreten,  möglichst  zu 
beschränken:  dann  erst  und  wenn  sich  das  WesentUche 
so  bewährt  hat,  kann  man  fragen,  wie  nun  auch  die  be- 
sondern Vorteile,  welche  BerHn  darbietet,  möglichst  können  '25 
benutzt  werden. 

Zuerst   ist  unstreitig  Berlin  der  Ort,  an  welchem  sich 
auch    in   Zukunft    die    Universität    am   vortrefflichsten    mit 
Dozenten   versorgen    kann,    mit   Ausnahme    des    eigentlich 
spekulativen  Faches,  für  welches  man  wahrscheinlich  immer  30 
am  besten  tun  wird,  sie  von  auswärts  zu  holen.     Was  aber 
die  übrigen  Zweige  betrifft,  so  ist  oben  auseinandergesetzt 
worden,  wie  bei  manchem,  der  seine  erste  wissenschafdiche 
Bildung  vollendet  hat,  unentschieden  sein  kann,  ob  er  mehr 
Talent  vmd  Neigung  habe,  seine  Einsicht  und  Gesinnung  35 
in   der  Verwaltung   des    Staates   geltend   zu   machen,   oder 
auf    dem    Lehrstuhl.      Anderwärts    muß    dies    oft    übereih 
oder  nach  bloß  äußeren  Be- 1 Ziehungen  entschieden  werden;  [169] 
und  ist  die  Wahl   einmal  gemacht,   so   ist  sie  meistenteils 
unwiderrufHch.    An  einem  Orte  hingegen,   welcher  beides.  40 
das  Zentrum  der  Verwaltung  und  die  Universität,   in  sich 


200  Schleiermacher. 

faßt,  hat  jeder  Gelegenheit,  sich  hinreichend  zu  prüfen;  er 
kann  sich  beide  Schranken  öffnen  lassen,  und  sich  so 
lange  in  beiden  versuchen,  bis  der  innere  Zwiespalt  ihm 
selbst  überzeugend  entschieden  ist,  und  sich  das  eine  Talent 
5  bedeutend  über  das  andere  herausgehoben  hat.  Ja  auch  die 
kürzesten  Blüten  der  Lehrgabe  dürfen  an  einem  solchen 
Ort  nicht  verloren  gehen;  sondern  in  wem  sich,  wenn  er 
einmal  wissenschaftlich  durchdrungen  ist,  vielleicht  mitten 
in   den  Geschäften   der  Verwaltung  irgend  eine   eigentüm- 

10  liehe  Ansicht  so  weit  entwickelt  hat,  daß  er  fühlt,  er  könne 
eine  klare,  durchgreifende,  aufregende  Darstellung  davon 
geben;  oder  wer  in  seinen  wissenschaftlichen  Nebenstunden 
irgend  einen  einzelnen  Zweig  einer  Wissenschaft  mit  Gründ- 
lichkeit und  mit  solchem  Erfolg  getrieben  hat,  daß  er  glaubt 

15  durch  seine  Entdeckungen  oder  seine  eigentümliche  Me- 
thode auf  dem  Katheder  nützlich  zu  werden,  der  kann  es 
besteigen.  Ebenso  haben  wir  gesehen,  wie  gar  oft,  be- 
[170]  sonders  bei  denen,  die  als  [  Lehrer  auf  der  geschichtlichen 
Seite  der  Wissenschaft  stehen,  wenn  das  vergängliche  Talent 

20  des  eigentlichen,  für  die  Universität  gehörigen  Lehrens  zu 
verblühen  anfängt,  die  Neigung  zur  praktischen  und  poli- 
tischen Anwendung  der  Wissenschaft  wieder  die  Oberhand 
gewinnt.  Nirgends  läßt  sich  nun  dieser  natürlichen  Um- 
wandlung milder  und  leichter  entgegenkommen  durch  einen 

25  allmählichen  Übergang,  als  in  der  Hauptstadt,  so  daß  auf 
der  einen  Seite  auch  noch  die  letzten  Äußerungen  der  Lehr- 
gabe genutzt  werden  können,  und  auf  der  andern  keiner, 
dessen  Lust  und  Kraft  nicht  mehr  der  Universität  gehört, 
ihr,    weil    er   seine    rechte    Stelle   nicht    finden   kann,    eine 

30  unnütze  Last  sei.  Aber  freilich  wird  dieser  Vorteil  nur  in 
dem  Maß  erreicht  werden  können,  als  der  Staat  das  Ver- 
trauen hat,  daß,  wer  m  der  Wissenschaft  gelebt  hat  und 
von  Ideen  durchdrungen  ist,  auch  die  notwendigen  empi- 
rischen  Einzelheiten   schnell   auffassen,    sich   leicht   in   die 

35  Kenntnis  der  Sachen  versetzen,  und  durch  ein  höheres 
Talent  die  Länge  der  Dienstzeit  ersetzen  kann;  nur  in 
dem  Maß,  als  er  in  der  Organisation  seiner  ganzen  Ver- 
waltung den  wesentlichen  Unterschied  zwischen  dem  kleinen 
[171]  Dienst  und  dem  großen  stärker  hervor- 1  treten  läßt  als  bis- 

40  her;  und  nur  in  dem  Maß,  als  gleich  die  Erteilung  der 
gelehrten    Würden,    als    der    unentbehrlichen    Qualifikation 


Gelegentliche  Gedanken.  201 

sowohl  für  einen  angehenden  Universitätslehrer,  als  für 
einen,  der  in  den  großen  Staatsdienst  treten  will,  auf  einen 
solchen  Fuß  gesetzt  wird,  daß  sie  wieder  allgemeinen  Kredit 
gewinnen,  und  das  Vorurteil  keine  Nahrung  findet,  daß,  wer 
sich  mit  ihnen  befasse,  dadurch  zugleich  seine  Unfähigkeit  5 
imd  Unlust  zu  Geschäften  bekunde.  Dann  -könnte  eine 
Universität  in  Berlin  vor  allen  andern  den  Vorzug  haben, 
immer  lauter  frische,  kräftige,  lehrlustige  und  in  dem  rechten 
Verhältnis  zur  studierenden  Jugend  stehende  Lehrer  zu 
besitzen.  10 

Nächstdem  kann  sie  sich  auch  auszeichnen  durch  einen 
Reichtum  an  Lehrern  auch  für  das  Besonderste  und  für 
die  vom  Mittelpimkt  der  Erkenntnis  am  weitesten  ent- 
fernten technischen  Disziplinen.  Man  denke  hiebei  zu- 
nächst an  die  schon  in  Berlin  bestehenden  Spezialschulen,  15 
die  chirurgische  Schule,  die  Bauschule,  die  Bergwerks- 
schule; denn  Akademien  wünschten  wir  sie  nicht  nennen 
zu  müssen,  wo  Unterricht  bis  ins  kleinste  des  äußern  Appa- 
rats und  der  Hilfsfertigkeiten  für  einzelne  Wissenschaften 
I  erteilt  wird,  Unterricht,  welcher  eigentlich  auch  dem  r.-i^. 
Studierenden  offen  stehn  muß,  damit  er  selbst  seine  äußer- 
lichsten Talente  versuchen  und  verhältnismäßig  ausbilden 
kann,  und  auch  die  äußerliche  Seite  des  wissenschaftlichen 
Gebietes  kennen  lernt.  Auf  eine  mehr  zufällige  und  un- 
sichere Weise  könnten  diese  Anstalten  der  Universität  nütz-  25 
lieh  werden,  wenn  nur  die  bei  ihnen  angesetzten  Lehrer 
Erlaubnis  erhielten,  die  wesentlichen  Disziplinen  ihrer  An- 
stv^lt  auch  bei  der  Universität  vorzutragen.  Vielleicht  aber 
könnte  noch  etwas  Größeres  ausgerichtet  werden,  wenn 
man  die  Anstalten  selbst  auf  eine  gewisse  Weise  mit  der  30 
Universität  vereinigte.  Jetzt  haben  sie  ein  gar  besonderes 
Ansehn.  Neben  dem  Fach,  welchem  sie  zunächst  gewidmet 
sind,  haben  sie  noch  Lehrer  in  allgemeinen  Wissenschaften, 
die  mit  jenem  zunächst  zusammenhängen,  was  sich  in  der 
Nähe  der  Universität  hernach  wunderlich  ausnehmen  wird.  3") 
Man  sollte  sie  vielleicht  in  zwei  Teile  teilen;  der  eine 
wäre  die  Schule,  und  bearbeitete  diejenigen,  welche  sich 
diesem  Fach  gewidmet  haben,  ohne  nach  wissenschaftlicher 
Bildung  zu  streben.  Der  andere,  höhere  würde  mit  der 
Universität  vereinigt;  die  Zöglinge  wären  Studenten  in  40 
vollem  Sinn,  |  die  Lehrer  Professoren,  und  der  Unterricht  [173J 


202  Schleiermacher. 

ganz  in  den  der  Universität  aufgenommen.  Die  niedere 
Klasse  könnte  ebenso  mit  den  gelehrten  Schulen  in  Ver- 
bindung gesetzt  werden,  und  diese  mit  der  Universität 
selbst  durch  solche  Mittelglieder  in  eine  nähere  Gemein- 
5  Schaft  treten,  so  daß  beide,  ohne  von  ihrer  Eigentümlichkeit 
etwas  aufzugeben,  doch  auch  wieder  als  ein  Ganzes  an- 
zusehn  wären,  und  die  Hauptstadt  auch  hierin  das  be- 
stimmteste sinnliche  Bild  von  dem  Einssein  aller  Teile 
im  Ganzen  aufstellte. 

10  Dasselbige  könnte  endlich  auf  der  andern  Seite  auch 

geschehen  in  Beziehung  auf  die  Akademie  der  Wissen- 
schaften. Zwischen  dieser  und  der  Universität  gibt  es, 
wie  wir  schon  gesehen  haben,  eine  natürliche  Gemein-; 
Schaft;    der    Universitätslehrer   arbeitet    sich   allmählich   in 

15  die  Akademie  hinüber,  und  ein  großer  Teil  der  Akademiker 
hat  immer  noch  Zeiten,  wo  es  ihn  drängt,  im  Einzelnen  die 
Funktionen  eines  Universitätslehrers  zu  versehen.  Diese 
Gemeinschaft  könnte  hier  auf  eine  höchst  wünschenswürdige 
Weise  organisiert   werden,   ebenfalls  ohne   daß   beide  An- 

20  stalten   äußerlich   eins   würden   und  aufhörten,   das   Eigen- 

[174]  tümliche  ihres  Zweckes  und  We-|sens  auf  das  bestimmteste' 

auszusprechen,   sondern  nur  so,  daß   durch  die  Einzelnen, 

welche   mit   Recht   beiden   angehören,   für   das    Leben   ein 

allmählicher    Übergang    stattfände    und    eine   freundschaft- 

25  liehe  Verbindung  beider  Anstalten,  in  welcher  sich  wie- 
derum die  Einheit  der  ganzen  wissenschaftlichen  Organisa- 
tion sinnlich  darstellte.  Die  Einflüsse,  welche  wir  der  Aka- 
demie und  den  Akademikern  auch  auf  die  Universität 
zugeschrieben    haben,    und    ihre    überall    unbeschränkt    zu 

30  erhaltende  Freiheit,  sich  selbst  zu  erneuern,  sichert  hin- 
länglich gegen  die  wunderliche  Ansicht,  als  würde  dann 
die  Akademie  nur  eine  Versorgungsanstalt  sein  für  abgelebte 
Professoren;  vielmehr  wird  sie  durchaus  in  der  wissen- 
schaftlichen  Republik   erscheinen  als   die   ehrwürdige  Ver- 

35  Sammlung  der  Ältesten.  Nur  muß  auch  die  Universität, 
indem  sie  diese  wie  die  vorige  Verbindung  sucht,  nicht 
erscheinen,  als  täte  sie  es  aus  einseitigem  Bedürfnis,  aJs 
würde  sie  ohne  diese  Stützen  ärmlich  und  unscheinbar 
sein,  und  als  sollten  zu  ihrem  Besten  andere  Anstalten  von 

40  ihrer  Selbständigkeit  aufopfern.  Vielmehr  muß  auch  sie 
unabhängig  auftreten  und  selbständig,  und  die  Verbindung 


Gelegentliche  Gedanken.  203 

muß  eine  von  beiden  Teilen  gewünschte  Annäherung  sein. 
]  Denn  was  abgerungen  wird  auf  diesem  Gebiet,  ist  sicher  [175] 
als  unrechtes  Gut  nie  gedeihlich.    Darum,  wenn  man  nicht 
alles    verderben    will,    denke   man   doch   ja   anfänglich    auf 
nichts  anders,  als  nur  eine  Universität  zu  stiften,  die  soviel     5 
möglich  für  sich  bestehe.    Ja,  um  recht  deutlich  zu  machen, 
daß    es    zunächst   nicht    die    Hinsicht   auf   diese   künftigen 
Vorteile   ist,   was   die   Universität  nach   Berlin  bringt,   son- 
dern  der   Drang  des  Augenblickes :   so   erkläre  man  doch 
am  liebsten,  sie  solle  nur  provisorisch  in  Berlin  sein,  und  10 
denke    darauf,  ihr  Kräfte  zu  sammeln,  damit  sie  alles,  was 
ihr  notwendig  ist,   eigen  habe.     Sieht  man  dann,  daß  die 
eigentümlichen    Nachteile   von    Berlin    sich   nicht   besiegen 
lassen:  so  werde  man  ja  nicht  geblendet  durch  die  etwai- 
gen  Vorteile,    sondern    die    Universität    wandere,    so    bald  15 
sie  kann.    Es  wird  ja  wohl  nicht  nötig  sein,  steht  zu  hoffen. 
Aber    durch    die    Kundmachimg    dieses    Entschlusses     und 
die  Anstalten,  um  ihn  nötigenfalls  zu  realisieren,  wird  die 
Universität    Vertrauen    auf    ihre    Moralität    gewinnen,    und 
nach   Maßgabe   ihrer   Unabhängigkeit   wird   sich   auch   die  20 
Stimmung  bilden,  durch  welche  sie  sich  in  Besitz  der  letzt 
erwähnten    Vorteile    setzen    kann.      Und    dann    ist    eine 
I     wissenschaftliche     Organisation     gegründet,      die     ihres-  [176] 
gleichen  nicht  hat,   und  durch  ihre  innere   Kraft  sich  ein 
weiteres  Gebiet  unterwerfen  wird,  als  die  jetzigen  Grenzen  25 
des    preußischen    Staates    bezeichnen,    so    daß    Berlin    der 
Mittelpunkt  werden  muß  für  alle  wissenschaftlichen  Tätig- 
keiten des  nördlichen  Deutschlandes,  so  weit  es  protestan- 
tisch ist,  und  die  Bestimmung  des  preußischen  Staates  für 
die    Zukunft    von    dieser    Seite    einen    sichern    und    festen  30 
Grund   gewinnet.     Bei    einer    solchen   Aussicht   müssen   ja 
wohl  kleinliche  Rücksichten  und  Besorgnisse  verschwinden, 
und  es  bleibt  nur  zu  wünschen,  daß  die  Regierung,  welche 
diesen  Entwurf  gefaßt  hat,  sich  bald  imstande  fühle,  ernst- 
lich zur  Ausführung  zu  schreiten.  35 


Ueber 

die  Idee  der  Universitäten, 


Vorlesungen 


Henrik  Steffens, 

ordentlichem  Professor   der  philosophischen  Naturwissenschaft  auf 
der  Friedrichsuniversität  zu  Halle. 


Berlin   1809. 
In  der  Realschulbuchhandlung. 


Vorrede. 


Ich  habe  diese  \'orträge  bei   der  Eröffnung  der  Vor- 
lesungen  im    Wintersemester    1808/9    gehaken.      Ich    ward 
durch  Geschäfte  und  Krankheit  verhindert,   sie  früher  als 
jetzt   auszuarbeiten,   und   da   mein   \'ortrag   immer   frei   ist,     5 
wird  man  nur  den  Ideengang,  keinesweges  aber  den  Vor- 
trag im  einzelnen  hier  wiederfinden.     Über  die  Art  deut- 
scher   Universitäten,    wie    sie    dem    Ausländer    erscheinen 
müssen,   hat   ein  achtungswerter  Ausländer   geredet,   |  den  [IJl] 
tiefem  nationalen  Sinn  derselben  hat  einer  der  trefflichsten  10 
Geister  der   Nation   entwickelt;   mir   schien  es  nicht  über- 
flüssig,  den  Studierenden  selbst  über  die  akademische  Bil- 
dung Aufschlüsse  zu  geben.     Daß  Vorträge  der  Art  nicht 
bloß  belehrend,  sondern  auch  anregend  sein  müssen,  hielt 
ich  für  notwendig.  15 


[1]  I  Erste  Vorlesung. 


Anrede. 

Es  ist  unsere  Absicht,  durch  die  gegenwärtigen  Vor- 
träge den  höheren  Sinn  und  die  Bedeutung  akademischer 
5  Bildung  zu  entwickeln,  welches  eben  in  Zeiten,  wie  die 
jetzigen,  wichtiger  als  sonst  sein  möchte.  Es  ziemt  sich 
aber  dabei,  die  Lage  der  Dinge  genau  zu  erwägen,  damit 
wir  erfahren  mögen,  ob  dasjenige,  was  wir  behaupten  und 
fordern,  nichts  Törichtes  sei  und  mehr  den  Wahn  Einzelner, 

10  als  die  wahrhafte  Bedeutung  des  Ganzen  ausspreche.  Denn 
jede  Erforschung,  die  auf  allgemeine  Verhältnisse  des. 
Lebens  und  geschichthche  Entwicklung  sich  beziehet,  muß 
auf  die  Zeit,  als  eine  zukünftige  Blüte  derselben,  hindeuten, 

[2]  und   keinesweges   auf    eine   einseitige    |  Betrachtung,   oder 

15  auf  ein  bloß  Allgemeines  gerichtet  sein.  Aus  diesem  Grunde 
sei  es  .uns  vergönnt,  den  Vortrag  mit  einer  kurzen  Schilde- 
rung der  Zeit  anzufangen. 

Es  gibt  Menschen  —  auch  Jünglinge  — ,  denen  eine 
überlieferte    Welt    genügt;     bestimmt    durch    eine    frem.de 

20  Richtung,  geleitet  durch  einen  fremden  Willen,  äußert  sich 
das  Eigene  durch  kleine,  kaum  bemerkbare,  Schwingungen. 
Daß  Menschen  der  Art  brauchbar  werden  können,  ja  selbst 
gebildet,  und  für  einen  bestimmten  Kreis  tüchtig,  leugnen 
wir   keinesweges,   auch   sei    es    ferne   von   uns,    sie    zu    er- 

25  niedrigen,  oder  durch  eine  törichte  Rangordnung  der  Geister 
der  Eitelkeit  zu  frönen.  Hier  rede  ich  aber  nvu:  solche 
an,  denen  die  Welt  ein  wundersames  Rätsel  ist,  dessen 
Lösung  keinem  anderen,  sondern  nur  der  eigenen  Seele 
anvertrauet   ward,    solche   nur,   die   sich   ganz   hinzugeben, 

30  und  daher  auch  die  eigene  innere  Bestimmung  nicht  ab- 
zutrennen   vermögen,    Geister   nur,    die,    ursprünglich   frei, 


Idee  der  Universitäten.  209 

nur  selbsteigene  Übereinstimmung  suchen.    Denn  für  solche 
sind  [  die  Institute,  deren  Idee  wir  uns  zu  entwickeln  ent-  [3] 
schlössen  haben. 

Die  Zeit,  in  der  wir  geboren  oder  in  deren  Grund- 
sätzen wir  erzogen  sind,  zeichnet  sich,  wie  jetzt  allgemeiner,  5 
als  noch  vor  kurzem,  zugestanden  wird,  durch  ein  träges 
Anhängen  an  das  Herkömmliche,  verbunden  mit  einem 
eitlen  Jagen  nach  Neuerungen  im  einzelnen,  und  durch  eine 
sanftmütige  Schlaffheit  aus.  Daß  eine  neue  Zeit  beginnt 
und  hier  keimend  vorbereitet  wird,  dort  gärend  herv^or-  10 
bricht,  ist  man  gez-\vungen,  ebenso  allgemein  anzuerkennen. 

Suchen  wir  die  Anfänge  derjenigen  Zeit,  deren  letzte 
schlaffe  Schwingungen  uns  die  nächste  Vergangenheit  zeigt, 
so  finden  wir  sie  in  jener  merkwürdigen  Epoche  des  fünf- 
zehnten  und    sechzehnten    Jahrhunderts.      Denn   auch   da-  15 
mals   begann   eine   neue  frische   Zeit.     Große   Geister   zer- 
brachen die  Fesseln,  welche  eine  frühere  Zeit  um  sie  ge- 
wunden hatte.    Wenn  auf  mehrem  Punkten  und  in  mehrern 
Richtungen  zugleich  die  freie  Forschung,   wie  durch  eine 
geheime  Übereinkunft,  |  zusammenstimmt,  wenn  die  schein-  ^^ 
bar  getrenntesten  Beschäftigungen  entfernte  Geister,  durch  '■  ■' 
eine  unsichtbare  Hand  geleitet,  nach  dem  nämlichen  Ziel 
hinführen,  dann  werden  wir  es  inne,  ^vie  der  Geist  der  Ge- 
schichte wach  sei.     Der  stille   Fleiß,   das   äußerlich   nicht 
auffallende    geistige    Bemühen,    in    Forschungen    verloren,  25 
die,    einzeln   betrachtet,    nur   wenige    Geister   anzusprechen 
scheinen,  treten  in  solchen  glücklichen  Zeiten  mit  andern 
in  einen  geheimen  Bund,  und  diese  unerwartete  Verbindung 
greift,   allmählich  wachsend,   in  das   ganze   Leben   ein,   er- 
greift   die    gesamte    Masse    desselben,    und    bestimmt    mit  30 
hoher,   unergründlicher  Gewalt  den  Gang  der  Geschichte. 
So  behauptet  der  stillsinnende  Geist  seine  ewigen  Rechte. 
Während  der  gemeine  Mensch  wähnt,  es  sei  nur  die  Ge- 
walt da,  wo  sie  äußerlich  erscheint,  birgt  sich  die  wahre, 
die  geistige  Leiterin  der  Geschichte,  in  stiller  Tätigkeit,  nur  35 
verwandten  Geistern  vernehmlich. 

Die  Buchdruckerkunst  teilte,  wie  durch  einen  Zauber, 
einen  jeden  Gedanken  der  gesam-Iten  Masse  mit,  und  ein  [5] 
großes    Gespräch   wundersamer   Art   verband   die    entfern- 
testen Geister  und  forderte  zur  allgemeinen  Teilnahme  auf.  40 
Durch   die   Entdeckung  des  kühnen   Kolumbus   und  die 

Universitätsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  J4 


210  Steffens. 

darauf  folgende  Umsegelung-  der  Erde  schloß  sich  unser 
Planet  in  sich  selbst.  Kopernikus  zerbrach  die  Täuschung 
irdischer  Erscheinung  in  der  Bewegung  der  Himmelskörper. 
Bisher  wurzelte  der  Mensch  mehr  an  der  Erde;  indem  er 
5  geistig  die  Erde  umspann,  gewann  er  das  ätherische  Leben 
derselben.  Bisher  war  das  Leben  in  die  bloße  Erscheinung 
getaucht;  nachdem  diese  an  einer  Stelle  durchbrochen  war, 
trat  es  in  eine  höhere  Welt  geistiger  Gesetze  ein.  Dem 
götthchen   Kepler  ward   es   vergönnt,   jene   geistigen   Ge- 

10  setze  der  ewigen  Natur  ahnend  zu  deuten.  So  Über- 
schwengliches, der  Zeit  vertraut,  konnte  nicht  ohne  Frucht 
bleiben.  Da  regte  sich  der  Geist  in  allen  Richtungen,  bis  er 
den  Mittelpunkt  aller  Forschung,  die  Religiosität,  ergriff.  Sie 
bewegte,  wundersam  erregt,  die  ganze  Masse.    Das  Opfer 

rg-i  der  frischen  Regung,  Johann  Huß,  und  |  ihr  kühner  Held, 

Martin  Luther,  stellen  den  Gipfel  jener  herrlichen  Zeit  dar. 

Ein  jeder   kennt   die   großen   gärenden    Bewegungen, 

in   welche    Europa   versetzt   ward,    und   die    erst   mit    dem 

Dreißigjährigen  Kriege  endigten.     Leider,  was  so  fröhlich 

20  begann,   sollte   in   der  nächsten  Zeit   nicht   reifen.     In  der 
früheren    Vergangenheit    ward    der    Mittelpunkt    alles    Er-, 
kennens  mehr  auf  der   Seite  des   Leiblichen  gefaßt,   und, 
wie  alle  Himmelskörper  sich  um  die  Erde,  so  bewegte  sich 
alles  Göttliche  um  die  Erscheinung  desselben.     Kämpfend 

25  gegen  diese  falsche  Richtung  verfiel  die  Zeit  —  nicht  jene 
großen  Geister,  die  derselben  ihre  Richtung  gaben  —  auf 
das  entgegengesetzte  Extrem.  Als  ein  Unendliches  ward 
Gott  aus  dem  Leben  verwiesen,  so  wie  die  Erde  nur  in 
ihrer  äußeren  Abhängigkeit  gegen  das  Universum  erkannt 

30  ward.  Alle  höheren  Symbole  des  Lebens  verschwanden,  die 
leeren  Einzelheiten  desselben  blieben  bedeutungslos  zurück. 
Immer  mehr  von  diesen  ergriffen,  entwich  das  Göttliche 
immer    weiter.      Was    Nationen   gegen    Nationen   waffnete 

[7]  I  und  bewegte,  war  nicht  mehr  der  Kampf  für  das  Heilige, 

35  sondern  nur  eitle  Vorteile  frevelnder  Politik.  Unsere  Na- 
tion, aus  deren  Mitte  das  Herrlichste  entsproß,  versank 
am  tiefsten.  Die  Innern  und  heiligsten  Töne  der  Sprache, 
deren  wundersamste  Tiefe  durch  Luther  uns  ansprach, 
verstummten.      Eine    schnöde    Politik,    Lug    und    Trug    zu 

40  einem  künstlichen  System,  dessen  Gewalt  die  Geschichte 
bis  jetzt  nicht  kannte,  gestaltend,  drang  sich  in  die  Mitte 


Idee  der  Universitäten.  211 

des   Lebens  hinein,   erstickte  im  geselligen   Leben,   wie  im 
Leben   der   Staaten,    den   Keim   frischer   Eigentümlichkeit, 
und  fesselte  uns  durch  das  Netz  leerer  Konvenienz.     Eine 
benachbarte   Nation  war   es  vorzüglich,   deren   Dasein   auf 
diese  falsche  Richtung  gegründet  war.    Ihre  Sprache,  dieser    5 
Richtung    ganz   hingegeben,    verdarb    die    unsere,    wie    ihr 
Leben   unsere   Gesinnung.     Der   Bürger  trennte  sich  vom 
Staate,   der  Gelehrte  vom  Mittelpunkt  alles  Wissens,  alles 
von  der  Religion,  und  mattherzige  Duldung  war  das  mürbe 
Band,  welches  diese  zerfallene  Masse  locker  zusammenhielt.  10 
I        Eine  jede  Zeit,   wenn  sie  reif  wird,   hat  ihre   irdische  [8] 
Blüte,  gestaltet  sich  in  einer  eigenen  Kunst.     Die  heitere 
Blüte  der  alten  griechischen  und  römischen  Zeit  erquickt 
die    ganze   Geschichte.     Die    Blütenzeit   des    Katholizismus 
steht  in  ewig  frischen  Bildern  der  Poesie  und  Kunst  vor  15 
uns  da.    Wir  kennen  die  Blüte  der  neuern  Zeit,  entsprossen 
auf    einem   dürren   Boden,    mehr   durch   ihre   innere   Voll- 
endung, als  durch  ihre  hohe  Bedeutung  merkwürdig;   die 
Zeiten    Ludwig   des    Vierzehnten,    und    die    darauf    fol- 
gende Epoche  der  Enzyklopädisten.  20 

Jene   Richtung,   unserer   Nation  fremd,   ward  von   ihr 
aufgenommen  und  ungeschickt  nachgeahmt.     Die  Sprache 
zierte  sich  unnatürlicher  Woise  mit  französischen  Wörtern; 
was  glänzend  und  vornehm  sein  wollte,  in  der  Wissenschaft, 
wie   im   Leben,    brauchte   die   fremde   Tracht.     In   unsern  25 
eigenen  Augen  mußten  wir  geringer  erscheinen,  als  jene 
Ausländer;  bei  diesen  aber  konnten  wir,  als  ungeschickte 
Nachahmer,     keinesweges    auf    große    Achtung    Anspruch 
machen.     So  wurden  die   Stifter   |  der  neuern  Zeit  in  die  [9] 
ungeschickten  Knechte  derselben  verwandelt,  und  ein  großer  30 
König   der  gesunkenen   Nation   erschien  mit   der   größten 
Intensität    der   fremden   Ausbildung   und    der   Verachtung 
gegen   die   einheimische.     Nicht   in   dieser   schauderhaften 
Zeit,    früher   schon   war    Deutschland   unterjocht,    und   die 
gegenwärtige    Katastrophe    stellt    nur   den    Gipfel    früherer  35 
Geistesknechtschaft  dar. 

Wohl  uns,  daß  jene  Richtung  nur  eine  aufgedrungene 
war;  zurückgedrängt  war  jene  ursprüngliche  herrliche  Natur, 
keinesweges  unterdrückt. 

Wir  verfolgen  die  Spuren  der  fremden  Richtung,  wie  40 
sie  im  Wissen  und  Leben  sich  darstellt. 

14* 


212  Steffens. 

In  jener  frühern  Zeit,  die  man  bekämpfte,  ward  das 
Göttliche  selbst  in  die  engen  Schranken  der  Erscheinung 
gefesselt.  Das  so  eingeengte  Göttliche  erscheint  in  trüber 
und  finsterer  Gestalt,  verliert  den  heitern  Glanz  ewiger 
5  Idee,  und  artet,  bloß  auf  das  Persönliche  bezogen,  in 
finstern  Aberglauben  aus.  Dieser  bezeichnete  das  Wissen 
wie  das  Leben  jener  Zeiten.  Indem  man  jenen  Aberglauben 
[10]  bekämpfte,  verfiel  man  auf  das  ent- 1  gegengesetzte,  ebenso 
nichtige,  Extrem.    Das  Göttliche  ward  au.s  dem  Leben,  wie 

10  aus  dem  Wissen  verdrängt,  und  nur  in  ein  äußeres  nich- 
tiges Verhältnis  gegen  beide  gesetzt.  Als  ein  Werkmeister 
der  Natur  erschien  die  Gottheit  außer  derselben,  sie  selbst 
als  ein  unendlich  leerer  Begriff,  die  Fülle  der  Dinge  von 
ihr    entfremdet.     Wo    die    Idee   waltet,    lebt   alles   in   sich 

15  und  im  Ganzen,  und  aus  jedem  Punkte  im  Leben,  wie  in 
der  Natur,  strahlt  uns  das  Göttliche  entgegen.  Die  Form, 
das  Einschränkende  der  Dinge,  tritt,  lebendig  geschaut, 
nicht  als  ein  Verneinendes,  sondern  als  ein  Bejahendes, 
aus    der    Innern    Fülle    des    Daseins    hervor.      Wer    sein 

20  eigenes  Maß  erkennt  und  lebendig  faßt,  der  besitzt  das 
Maß  aller  Dinge.  Dem  Unmäßigen,  aus  der  gemessenen- 
Linie  eigener  Schönheit  Heraustretenden,  verwirrt  sich  die 
Welt  und  die  Dinge.  W^er  sich  in  sich  zurückzieht,  in 
Innern  Bildungen  sich  selber  erkennt,  in  schönen  Bahnen 

25  sich  selber  bewegt,  der  führt  ein  allgemeines  und  gesonder- 
tes  Leben   zugleich.    Mit  allen   Dingen  verbindet   ihn  ein 
[11]  klarer  Äther,  i  dieselbe  Sonne  erweckt  und  belebt  ihn  und 
alle,    die   nämliche    Schwere   trägt   ihn   und   alle;    er   führt 
ein  planetarisches  Leben.     Heraustretend  aus  den  Bahnen 

30  eigenen  Daseins,  ruft  er  das  alte  Chaos  hervor,  alle  Be- 
wegungen durchkreuzen  sich,  einander  vernichtend,  der 
vereinigende  Äther  trübt  sich,  das  schaffende  Licht  bricht 
als  verzehrendes  Feuer  hervor,  und  die  erbeutende  Schwere 
verwandelt  sich  in  vernichtenden  Stoß  und  Widerstand. 

35  Wo  aber  konnte  jene   chaotische  Verwirrung  stärker 

hervortreten,  als  da,  wo  dasjenige,  was  der  Mittelpunkt 
des  Daseins  ist,  nur  als  ein  Äußeres  begriffen  ward?  Wie 
das  Heiligste  selbst  bloß  in  dem  Zwange  der  Verhältnisse, 
so  wurde  auch  das  Dasein  nicht  in  sich,  sondern  nur  in 

40  einem  fremden  Dasein  geschaut.  Als  das  Band  entflohen 
war,   zerfielen  die   Dinge,   und  ihr   inneres  geheimes  Ver- 


Idee  der  Universitäten.  213 

ständnis  untereinander  war  verschwoinden.    Wo  die  Dinge 
und  das  Leben  nur  in  vielfachen  Verhältnissen  begriffen 
werden,   kann  bald   eine,   bald   eine  andere   Relation  will- 
kürlich !  herausgehoben  werden,  und  so  entstand  ein  müßi-  [12] 
ges    Gerede   über   die    Dinge   und   über    das    Leben.     Die    5 
Duldung  entgegengesetzter  Ansichten  war  das  geheime  Ge- 
ständnis  der   Nichtigkeit   aller.     Wie   sehr   das    Band   der 
lebendigen    Natur    aus    allen    Forschungen    derselben    ent- 
wichen war,  liegt  in  der  heutigen  Physik  am  Tage.    Auch 
im  Leben  trennte  sich  das  Einzelne  vom  Ganzen;  alles  löste  10 
sich,  vom  Leben  getrennt,  in  allgemeine  Begriffe  auf,  die, 
personifiziert,   in   Stände   fixiert  wurden.     Die   Ehre   ward 
an    einen    privilegierten    Stand    veräußert,    die    höchsten 
Probleme    des    Lebens   dem   gelehrten    Stande   überlassen, 
die   Wohltätigkeit  an  Armenanstalten  verpachtet,   die  Er-  15 
Ziehung   den   Pädagogien   vertraut.     So    trat,    was   als   all- 
gemeine Grundlage  des  Daseins  in  einem  jeden  sich  durch- 
dringen sollte,  in  ein  äußeres,  zwangvolles  und  feindseliges 
Verhältnis. 

Die  kraftlose  Schlaffheit  der  vereinzelten  Teile  brachte  20 
eine  Ruhe  hervor,  welche  sich  aller  Gemüter  bemeisterte. 
Was  auch  die  Heere  gegeneinander  waffnete,  die  Nationen 
nahmen   we- 1  nig   oder   gar   keinen   Anteil   an   dem   Streit.  [13] 
Eine    narkotische    Gleichförmigkeit    schläferte    die   kräftig- 
sten Geister  ein.    Das  Große,  Kühne  und  Herrliche  in  der  25 
Geschichte  schwebte  nur  in  dunkeln  Sagen,  halb  als  Fabel, 
halb  als  Wahnsinn  ergriffen  vor  uns,  oder  wurde,  in  Er- 
zählungen und  Dramen  aufgestutzt,  gebraucht,  die  erschlaff- 
ten  Nerven  krampfhaft  zu   erschüttern.     Wenige  von  uns 
glaubten  in  ihrem  Leben  Zeugen  großer  und  erschütternder  30 
Taten  zu  sein..  Fast  keiner  wünschte  es.    Selbst  die  Leiden- 
schaften   verließen    die    allgemeine    Mäßigung    nicht,    und 
große   Verbrechen   waren   so   selten   geworden,   als   große 
Tugenden.     So  verstummten  die  Wunder  der  Geschichte, 
ihre  Glorie  war  erloschen  und  keiner  glaubte  an  sie.  35 

Man  werfe  mir  nicht  vor,  daß  ich  ein  zu  hartes  Urteil 
über  die  nächste  Vergangenheit  fälle.  Die  Zeit  hat  sie 
gerichtet,  und  sie  ist  in  der  Fülle  eigener  Überklugheit  zu 
Grunde  gegangen.  Man  behaupte  nicht,  daß  ich  unrecht 
tue,  indem  ich  jungen  Gemütern  das  meiste  zu  rauben  40 
I    suche,   was   ihnen,   von   Eltern  und   Lehrern   überliefert,  [14] 


214  Steffens. 

als  Stütze  ihres  Daseins  erschien.  Erbarmungslos  hat  die 
Geschichte  eine  jede  Stütze  vernichtet,  und  was  nicht  zur 
bloßen  Masse  der  Zeit  gehört  —  an  diese  aber  ist  meine 
Rede  nicht  gerichtet  —  ist  lediglich  an  sich  selbst  gewiesen. 
5  Denn  die  Verwickelungen  der  Irrtümer  haben,  dem  wider- 
strebenden Geschlechte  zum  Trotz,  der  Wahrheit  den  Weg 
gebahnt.  Was  einige  Geister  ahnend  voraussahen,  andere 
vernehmlich  aussprachen,  ist  laut  geworden.  Die  Wunder 
verklungener   Zeiten  drängen   sich   hervor.     Die   tiefe   Be- 

10  deutung  der  Natur  eröffnet  sich  unter  den  Händen  wider- 
strebender Forscher.  Tiefe  Geister  traten  in  einen  ge- 
heimen Bund,  und  die  Wahrheit,  die  klar  von  einigen 
geschaut  wird,  drängt  wenigstens  bei  andern  zerstörend  in 
das  lockere  Gewebe  nichtigen  Erkennens  hinein.     Ihr  sagt, 

15  wir   sollen   die   jungen   Gemüter   langsam  vom   Irrtum   zur 

höhern    Wahrheit    führen,    während   alles,    von   plötzlicher 

Gärung  ergriffen,  keinen  festen  Standpunkt  uns  gewinnen 

[15]  läßt.    Alle  Teile  des  Lebens  ]  sind  erschüttert,  Staaten,  zu 

welchen   wir  gehörten,   gestürzt.    Formen   des   Lebens,   die 

20  unverwüstlich  schienen,  plötzlich  verschwimden,  die  treue 
Anhänglichkeit  an  Fürst  und  Vaterland  schwankt,  die  plan- 
vollste Lebensklugheit  kennt  sich  selber  in  den  nächsten 
Momenten  nicht  mehr;  in  allen  Teilen  des  Wissens  ringt 
Irrtum   mit  Wahrheit,   und  das   Wogen  und   Brausen   des 

25  Ganzen  läßt  uns  auf  keinem  Punkte  das  Feste  und  Wahre 
ergreifen.  Von  diesem  mächtigen  Kampfe  des  Lebens  und 
der  Geister  sind  wir  alle  ergriffen.  Vermögen  wir  es  euch 
zu  verheimlichen,  daß  dem  so  sei?  In  der  Naturforschung, 
in  der  Arzeneikunde,  in  der  Jurisprudenz,  ja  in  der  Religion 

30  selbst  ringt  ein  Werdendes  mit  dem  Vergangenen.  Das 
bloß  Überlieferte,  was  ihr  wohl  sonst  mit  müßiger  Trägheit 
empfinget  und  als  Zeichen  eurer  Bildung  von  der  hohen 
Schule  mit  euch  nahmt,  hilft  euch  nicht  mehr.  Oder  meint 
ihr,    die   toten   Buchstaben   der    Gelehrten  könnten   unver- 

35  wüstlich   bleiben,   während   alle    Formen   des   Lebens    sich 

gewaltsam  ändern? 

[16]  I        In  einer  solchen  Zeit,  wenn  je,  war  eine  Hinweisung 

auf  jenen  Mittelpunkt,  der,  in  allem  Wechsel  des  Lebens 

und    Erkennens    derselbe,    über    die    Zeit    erhaben,    seine 

40  Wahrheit  in  sich  selber  trägt,  vor  allen  notwendig.  Zwar 
ist    es    gewiß,    auch    dieser    Mittelpunkt    trägt,    dargestellt, 


Idee  der  Universitäten.  215 

das  Gepräge  der  Eigentümlichkeit  der  Nation  und  des 
Individuums.  Wie  ein  jeder  Mensch,  die  Wahrheit  er- 
spähend, nur  Übereinstimmung  mit  sich  selbst  sucht,  so 
auch  die  Nation.  Aber  welche  unter  den  lebenden  Nationen 
sollte  die  Hoffnung,  den  festen  Mittelpunkt  des  Erkennens  5 
zu  finden,  lebhafter  fassen  können,  als  diejenige,  die  den 
i-eligiösen  Mittelpunkt  am  meisten  in  sich  behielt,  zu  ver- 
schiedenen Zeiten,  frisch  erwachend,  eine  neue  Zukunft 
der  Geschichte  schuf,  eine  jede  schiefe  Richtung  wohl 
als  ein  Fremdes,  sich  selbst  verleugnend,  aufnahm;  aber  10 
nie  die  innere  Eigentümlichkeit  verlor? 

Meine  Absicht  ist,   abgesehen  von  dem,  was   Geister 
von   Geistern   trennt,   ohne   Rücksicht   auf  die   Worte   der 
Schule,  zu  beweisen,  daß  die  Idee  |  der  Universitäten  keine  [17] 
andere  sei,  als  die,  jenes  feste  Zentrum  des  Erkennens  und  15 
Lebens   heraus   zu   heben,    daß    sie   Schulen   der  Weisheit 
seien.     Wohl  wissen  wir  es,   daß  diese   Institute,  wie  das 
Leben,    schwankten,  und  oft,   auch  in  unsern  Tagen,  den 
Irrtümern  der  Zeit  huldigten.    Doch  nicht  von  der  Art  und 
Weise,  wie  sie  erscheinen,  soll  die  Rede  sein,  sondern  von  2o 
dem,  was  sie  der  Idee  nach  sind. 

Ihr  aber,  die  ihr  hier  versammelt  seid,   Genossen  der 
Weisheit  zu  werden,  prüft  euch  selber,  ob  ihr  die  innere 
Aufforderung    in    euch    spürt,    eigene    Probleme    selbst    zu 
lösen.     Erforscht,  ob  euch  auch  die  innere  Wahrheit  alles  25 
sei.     Erwägt,    daß    ihr   kühn    über    die    Trümmer    eigener 
Irrtümer  hinwegschreiten  müßt,  daß  die  Masse  des  Schlech- 
ten und   Falschen   noch  mächtig   sei,   daß   alles   —   ange- 
strengter  Fleiß,  hohe  Besonnenheit  und  jedwede  Tugend 
des  Forschers  in  Anspruch  genommen  wird;  bedenkt,  daß  30 
die    Hoffnung   der   Nation   auf   der   Entfaltung   keimender 
Geister  beruht;  laßt  euch  durch  den  Glanz  irdischer  Güter 
und   durch   |  den   Schein   des   Falschen   nicht   irre  führen,  [18] 
laßt    euch    durch    eine    fremde    Richtung,    und    wären    die 
Vorteile,    die    zu    erringen    sind,    noch    so    groß,     niemals  35 
locken!    Glaubt  ihr  etwa,  es  sei  gefährlich,  eine  eigentüm- 
liche nationale  Richtung  kühn  und  fest  zu  verfolgen?    Ihr 
habt   nur   eure   eigene   Feigheit,    nicht   die   fremde   Gewalt 
zu  befürchten.     Die  Macht,  die  uns  beherrscht,  wäre  ent- 
weder eine  barbarische,  die  für  die  eigentümliche  Bildung  40 
unserer    Nation    keinen    Sinn    hätte,    wie    die    der    Goten, 


216  Steffens. 

indem  sie  die  Herrlichkeit  der  alten  Welt  zerstörten,  oder 
sie  dünkte  sich  allein  gebildet,  und  glaubte  sich  befugt, 
die  eigene  Bildung  uns  aufzudringen,  wie  die  Römer,  wenn 
sie  rohe  Nationen  unterjochten.  Keins  von  beiden  ist  der 
5  Fall.  Eine  jede  gebildete  Nation  hat  notwendig  Achtung 
für  die  eigentümliche  Bildung  anderer.  So  sei  das  Unglück 
der  Zeiten  eine  Aufforderung  für  uns,  das,  was  uns  eigen 
ist,  mehr  wie  sonst  zu  achten,  sorgfältiger  zu  pflegen, 
reicher  auszustatten.  Es  ist  gewiß,  so  wie  die  äußere  Ge- 
r.|Q-|  walt,  welche  die  Umwälzung  der  Zeiten  |  veranlaßte,  einer 
fremden  Nation  eigen  ist,  so  gehört  uns  die  innere  Gewalt, 
die  still  keimend  eine  bedeutungsvolle  Zukunft  vorbereitet. 
In  einem  edleren  Kampfe  wartet  euer  ein  schönerer  Sieg. 
Lernet  eure  Waffen  kennen;  der  Erfolg  ist  keinesweges 
15  ungewiß.  Ich  rede  mit  Jünglingen,  denen  frischer  Lebens- 
mut und  heitere  Hoffnung  zur  Seite  steht,  daher  ertöne 
keine  Wehklage  über  eine  Zeit,  deren  keimende  Herrlich- 
keit wir  selbst  zu  entfalten  und  zu  genießen  trachten 
werden. 


Zweite  Vorlesuno;-.  [20] 


Wenn    wir    die    Universitäten    Schulen    der    Weisheit 
nennen,   so  wird  es   nötig  sein,   dieses,   und  das,   wodurch 
sich    die    Universitäten    von    andern    Erziehungsinstituten 
unterscheiden,    genau    zu    entwickeln.      Denn    es    ist    klar,    5 
daß,  unserer  Behauptung  gemäß,  nicht  dasjenige,  was  hier 
gelehrt  wird,  sondern  die  Art  und  Weise,  wie  es  gelehrt 
wird,    das    Unterscheidende    abgeben   muß.      So    daß    alle 
diejenigen    Kenntnisse,     die    auf    Universitäten    mitgeteilt 
werden,    ja    selbst    ganze    Fächer    der    Gelehrsamkeit    aus-  10 
gebildet   werden   können   auf    Lehranstalten,    die   dennoch 
keinesweges  auf  die  Benennung  einer  Universität  Anspruch 
machen   dürfen.     Was   nämlich  die   Universität   von  allen 
andern   Unterrichtsanstalten  unterscheidet,   ist  dieses,   daß 
alles   Bestreben  auf  das   innere  Wesen  der   Wissenschaft,  15 
auf  die  innere  |  Organisation  alles  Wissens,  also  auf  das   [21] 
Höchste  aller  Spekulation  gerichtet  sei.   Von  diesem  Mittel- 
punkt   des    Ganzen   breitet    sich   das    Licht    erst   über   die 
einzelnen    Teile    aus,    und    diese    werden   keinesweges    als 
einzelne,   sondern  vielmehr  als  lebendige  Teile   des   einen  20 
und  unteilbaren  Wissens  gefaßt. 

Bevor  wir  aber  diese  Idee  der  Universitäten  genau 
entwickeln,  müssen  wir  auf  die  Einwürfe  der  Gegner  not- 
wendig Rücksicht  nehmen,  welche  eine  solche  \'cranstaltung 
für  unmöglich,  und  das  Streben  nach  ihrer  Realisierung  '25 
sogar  für  schädlich  halten.  Die  Masse,  nicht  bloß  der 
Menschen  überhaupt,  sondern  auch  der  Gelehrten,  müssen 
"wir  zu  diesen  Gegnern  rechnen,  und  der  laute  Widerspruch, 
der  sich  gegen  die  Mitteilung  des  spekulativen  Wissens  auf 
den  Universitäten  erhebt,  scheint  mit  der  Energie  der  Ent-  30 
faltung  derselben  sich  zu  steigern.  Selbst  auf  die  bessern 
Jünglinge    ist    diese    allgemeine    Stimmung,    durch    welche 


218  Steffens. 

die  im  Innern  schon  vernichtete  Zeit  ihr  Scheindasein  noch 
[22]  zu  retten  sucht,  nicht  ohne  Fol- Igen,  und  viele  junge  Ge- 
müter werden  durch  sie  irre  geführt.  Aus  diesem  Grunde 
werden  wir  einen  Gegner  redend  einführen,  und  zwar  nicht 
5  einen  solchen,  der  die  Weisheit  überhaupt  schmäht,  oder 
das  Bestreben,  sie  im  Wissen  zu  erringen,  ein  törichtes 
nennt,  vielmehr  einen  solchen,  der  mit  der  größten  Achtung 
für  das  höchste  spekulative  Wissen,  eine  Veranstaltung 
zur    öffentlichen    Mitteilung   und    Erregung    derselben   für 

10  Jünglinge  unmöglich  und  schädlich  nennt. 

,,Daß  die  Weisheit  das  höchste  Gut  der  Menschen 
sei,"  wird  ein  solcher  sagen,  „wird  keineswegs  geleugnet, 
auch  das  Bestreben,  nur  sie  in  allen  Teilen  des  Wissens 
wieder    zu    finden,    nennen    wir    das    höchste    und    edelste 

15  des  Geschlechts.  W^enn  ihr  aber  eine  Lehranstalt  annehmt, 
auf  welcher  auf  nichts  Untergeordnetes,  sondern  eben  auf 
dieses  höchste  Ziel  alles  menschlichen  Wissens  Rücksicht 
genommen  wird,  ja  wo  es  nicht  als  ein  zu  Erringendes, 
sondern  als  ein  unmittelbar  Erkanntes  und  Gegebenes  an- 

20  gesehen  wird,  so  behauptet  ihr  etwas  durchaus  Törichtes 

[23]  und   Ver- 1  werfliches.     Versteht   ihr  unter   der    Idee    einer 

Universität     nur    das    nicht    darstellbare    Ideal    derselben, 

welches  die  Dürftigkeit  des  Daseins  und  die  Beschränktheit 

der  Staaten  von  selbst  aufhebt,  so  werden  wir  uns  hüten, 

25  gegen  ein  solches  Hirngespinst  zu  kämpfen.  Meint  ihr 
aber,  daß  es  Pflicht  der  Staaten  sei,  eine  Veranstaltung 
zu  treffen  und  aus  ihren  Mitteln  zu  unterhalten,  welche,  aus 
der  Dürftigkeit  des  Daseins  heraus  gehend,  den  Geist  zu 
erziehender  Bürger  auf  die  Weisheit  richtet,  so  behauptet 
^0  ihr  etwas  Unmögliches.  Denn  was  ihr  Weisheit  nennt, 
ist  nicht  jenes  ethische  Gleichgewicht  der  Seele,  welches 
nur  die  erhabene  imd  rücksichtlose  Tugend  als  Gesetz  aller 
Handhmgen  erkennt,  und  welches  wohl  durch  Erziehung, 
Leben   und   innere    Betrachtung,    keinesweges   aber   durch 

35  eine  öffentliche  Lehranstalt  gepflegt  werden  kann.     Eure 
Behauptung  gehet  vielmehr  dahin,  daß  nicht  einzelne  Kennt- 
nisse,   sondern    das   gemeinschaftliche   Zentrum   derselben, 
also   dasjenige,   was   zu  allen  Zeiten,   und  fast   immer  ver- 
[24]  gebens,  die  größten  Geister  beschäftigte,  und  [  von  jeher 

40  als  das  höchste  Gut  weniger  angesehen  ward,  dem  werden- 
den Bürger  freigebig  mitgeteilt  Averden  soll.     Ein  solches 


Idee  der  Universitäten.  219 

Institut  aber,   wenn   es   der   Staat   auch   törichterweise  ge- 
nehmigen wollte,  würde  sich  selbst  notwendig  vernichten. 
Es   ist   zu   bekannt,   und  man  müßte   die   Geschichte   ver- 
leugnen,  wenn  man   es   nicht  gestehen  wollte,   daß   selbst 
die  erhabensten  Geister  über  dasjenige,  was  sie  das  Höchste    5 
nennen,   keinesweges   einig   sind.     Ja   selbst   unsere   Tage, 
durch   die   Richtung  auf   die    Spekulation   so   merkwürdig, 
bieten  uns  die  auffallendsten  Beispiele  einer  solchen  Ent- 
zweiung   dar.      Das    erste    Erfordernis    einer    Einrichtung, 
wie   ihr   sie  annehmt,   wäre   eine  vollkommne   innere  Ver-  10 
einigung    der    Lehrer,    so    daß    in    einem    jeden    Vortrage 
doch   nur  die  Einheit   des  Wissens  gelehrt  würde.     Oder 
glaubt  ihr,  daß  aus  der  Entzweiung  der  Lehrer  das  Bild 
der   harmonischen  Einheit   in  der   Seele  der   Schüler   ent- 
stehen könne  ?  Eben  daher  ist  es  notwendig,  daß  der  Lehrer  15 
nur  solche  Dinge  vorträgt,  über  welche  man  vollkommen 
einig  ist,  oder  sich  verei- 1  nigen  kann,  wie  dieses  mit  den  [25] 
Erfahrungswissenschaften  der  Fall  ist,  wenn  auch  die  Stufe 
der  Vereinigung  eine  geringere  wäre.     Oder  ist  es  recht, 
den    heranwachsenden   Jüngling,    dem   die   Welt   und   das  20 
Dasein  noch  fremd  ist,  in  das  Labyrinth  unreifer  Versuche 
irre  zu  führen?    Haben  wir  die  Folgen  dieser  Verirrungen 
nicht  in  unsern  Tagen  deutlich  genug  vernommen?    Zwar, 
es    schmeichelt    dem   Jüngling,    sich    im    Besitz    dessen   zu 
wähnen,   was   die   größten   Geister  vergebens   zu   erlangen  25 
sich  bestrebt  haben.     Der  mühsame  Fleiß  und  das  ernst- 
hafte Studium  sind  zurückgetreten,  und  haben  willkürlichen 
Träumereien  allerlei  Art  Platz  machen  müssen.    Wer  kann 
ohne   Unwillen  jenes  freche  Spiel  der  Jünglinge  ansehen, 
welche,    den  mühsamen   Erwerb   der   Vorgänger   höhnend,  30 
mit  Übermut  das  Ernsthafteste  betreiben,  und  in  der  höch- 
sten Überklugheit  gefangen  die  Einfalt  preisen?    In  allen 
Wissenschaften  haben  diese  irre  geführten  Jünglinge,  zwar 
das    ernsthafte    Bestreben    wahrer    Gelehrten    nicht    unter- 
drücken  können,   aber   doch  die   Stimme   des   besonnenen  35 
Forschens  )  oft  genug  überschrieen.    Ist  es  gewiß,  daß  das  [26] 
wissenschaftliche  Forschen  nichts  mehr  haßt,  als  die  Will- 
kürlichkeit,   nichts    Höheres    kennt    und    schätzt,    als    das 
Gesetz,  und  nicht  zum  Erdichten,   sondern  zur   stillen  Be- 
trachtung da  ist;  so  kann  der  Wissenschaft  nichts  schäd-  40 
lieber  sein,  als  das  freche  Spiel  unserer  Tage.     Und  was 


220  Steffens. 

hat  diese  chaotische  Verwirrung  hervorgerufen,  wenn  nicht 
dieses,  daß  mehrere  Lehrer,  unter  sich  uneinig,  die  eigene 
Ansicht  als  die  höchste  priesen?  Dadurch,  vor  allem,  ist 
dasjenige,  was  man  sonst  im  Hintergrunde  aller  Bestre- 
5  bungen  als  das  Höchste  mit  heiliger  Scheu  ansah,  frevent- 
lich hervorgezogen,  und  wie  die  Lehrer  es  auf  ihre  Weise, 
glaubten  es  die  Schüler  auch  auf  ihre  Weise,  nicht  als 
das  Gemeinsame  aller  Geister,  sondern  als  das  Eigentum 
einiger  privilegierten,  ansehen  zu  können. 

10  ,,Doch  gesetzt  auch,  daß  jene  postulierte  Einigkeit  und 

innere    Übereinstimmung    der    Lehrer    stattfinden    könnte, 

wie  kann  man  glauben,   daß   es  möglich  sei,  den  jungen 

Männern  jenes  Höchste  mitzuteilen,  welches,  wie  ihr  selbst 

[27]  bekennt,   nur  ]  ein   Selbsterrungenes  ist  ?    Es   sei,   sagt  ihr, 

16  das  Höchste  der  Wissenschaft  nicht  ein  Überliefertes.  Ein 
jeder  soll,  behauptet  ihr,  nicht  Übereinstimmung  mit  seinem 
Lehrer,  sondern  mit  sich  selbst  suchen.  So  verschieden 
ihr  auch  denken  möget;  daß  nur  auf  diese  Weise  die 
höchste  Wahrheit  zu   erringen  sei,   bekennt  ihr   einmütig. 

20  Aber  welche  ist  denn  jene  innere  Übereinstimmung,  deren 
hohe  Würde  ihr  nicht  genug  preisen  zu  können  glaubt? 
Nur  diejenige  des  Erkennens.  Diese  setzt  aber  eine  eigene 
Welt  mannigfaltiger  Anschauung  und  vielseitigen  erprobten 
Nachdenkens  voraus.    Ihr  aber  bemeistert  euch  der  leeren 

25  Seele  der  Jugend,  und  fesselt  sie  frühzeitig  in  das  Ge- 
webe eigener  Ansichten,  übertäubt  die  eigentümliche  Rich- 
tung des  Geistes,  die  allmählich  durch  eigenes  Forschen 
heranreifen  würde,  und  tötet  die  höhere  Freiheit  des  Geistes, 
indem   ihr  sie  preiset.     Wer  kennt   nicht   die   Gewalt   der 

30  Rede,  die  mehr  fesselt  und  hinreißt,  als  daß  sie  die  kühle 

Besonnenheit    zu    unterhalten     imstande    wäre?      Vertraut, 

wenn  ihr  in  der  Wissenschaft  höhere   Standpunkte  errun- 

[28]  I  gen  zu  haben  glaubt,  eure  Bemühungen  der  stillen  Schrift, 

seht  sie  als  dasjenige  an,  was  sie  sind,  als  Blüten  wissen- 

35  schaftlicher  Nachforschungen,  und  glaubt  nicht,  durch  un- 
natürliche Treibhausanstalten  dasjenige  aus  der  unreifen 
Seele  hervorlocken  zu  können,  was  nur  als  Lohn  eigener, 
ernsthafter  und  lange  fortgesetzter  Bemühungen  erschei- 
nen kann! 

40  „Doch  gesetzt   auch,    daß   wir   jenen   falschen   Bestre- 

bungen irgend  einen  Erfolg  zugestehen  wollten,  so  können 


Idee  der  Universitäten.  221 

wir  doch  keiiiesweges  gestehen,  daß  der  Staat  verpflichtet 
sei,   eure  Unternehmung  zu  unterstützen.     Was  der  Staat 
einrichtet,  muß  er  beurteilen,  übersehen  und  richten  können. 
Ihr  aber  fordert,  und  zwar  von  Rechts  wegen,  die  größte 
Freiheit  sowohl  für  den   Einzelnen,   als   im   Ganzen.    Was    5 
ihr  unternehmt,  ist  ein  Unendliches,  über  die  Dürftigkeit 
des  Daseins  Hinausgehendes.     In  dieser  aber  ist  der  Staat 
befangen.    Er  hat  ein  Dasein  einzurichten,  zu  organisieren, 
zu  erhalten,  nicht  ein  erträumtes  zu  realisieren.    Was  dem 
Staate  nicht  untergeordnet  ist,  ist  ihm  |  fremd,  und  kann  r^q-i 
Vv'ohl  von  ihm  geduldet  und  anerkannt,  keinesweges  aber 
als   sein  eigenes   Produkt  angesehen  werden.     Die   innere 
Übereinstimmung,   die  ihr  für  die  Geister  postuliert,   muß 
auch   dem    Staate   eigen   sein.     Was   der    Staat   einrichtet, 
muß  er  kontrollieren  können.     Eine  Kontrolle  der  Geister  15 
aber  wäre  der  Tod  aller  Wissenschaften.    Das  Höchste  des 
Erkennens   stellt,  Aveissagend,   die  Zukunft  dar,   der   Staat 
aber  unterliegt  dem  Drange  der  erscheinenden  Gegenwart. 
Aus  diesem  Grunde  hat  der  Staat  recht,  wenn  er  nur  die 
Richtung    des    Geistes    als    ihm    zugehörig   anerkennt,    die  20 
der   Gegenwart  untergeordnet  ist  und  ihren  Bedürfnissen 
entspricht.     Nie  wird  er  dem  Geiste  Fesseln  anlegen,  auch 
nicht   die  höchste   Richtung  geringschätzen;  aber  sie   ent- 
springt als  die  schönste  Blüte  der  Gesellschaft,  ihrer  hohen 
Würde  gemäß,  nur  durch  sich  selber  gepflegt.    Wir  leugnen  25 
die  Gewalt  des  Geistes  nicht,  die,  in  die  Masse  eindringend, 
das  ganze  Leben  anders  zu  gestalten  vermag.     Dann  ist, 
was  für  den  Staat  nur  eine  Bestrebung  war,  wirklich  ge- 
worden, stellt  die  erscheinende  Gegen-  [  wart  dar,  und  wird,  [30] 
dem  Staate  innig  einverleibt,  von  ihm  gepflegt.    Nur  was  30 
der   Staat,  als   solcher,   anerkennt,   ist   für   ihn  da.     Nicht 
die  höchsten  Geister  allein,  ein  jedes  Talent  hat  ein  Ziel, 
welches  über  die  enge  Gegenwart  hinausreicht.     Nicht  in 
der  unbestimmten  Unendlichkeit  seiner  Bestrebungen,  erst 
in  seiner  Entfaltung  ist  es  für  den  Staat  da.    Ebenso  kann  35 
der   Gelehrte  niemals  fordern,  daß   eine   Betrachtung,   die 
nicht  auf  das  erscheinende  Leben  und  dessen  Bedürfnisse, 
sondern  auf  ein  ewiges,  in  der  Erscheinung  nicht  darstell- 
bares geht,  auf  die   nämliche  Weise  von  dem  Staate  an- 
erkannt werden  soll,  wie  eine  nützliche  Erfindung,  die  den  40 
Bedürfnissen  der  Zeit  entspricht. 


222  Steffens. 

„Ein  jeder  gebildeter  Staat  erkennt  es  an,  daß  die 
Grenze  seiner  Gewalt  da  sei,  wo  das  Geistige  angeht.  Und 
wer  kennt  nicht  den  Frevel,  die  Unterdrückung  und  das 
mannigfache  Unheil,  welches  daraus  entstand,  daß  der 
5  Staat  sich  ein  Urteil  über  das  Geistige  anmaßte?  Was 
[31]  von  der  Religion  in  dieser  Rücksicht  gilt,  gilt  not-  [wendiger- 
weise auch  für  das  Höchste  der  Wissenschaft.  Beide 
können  nur  auf  die  Duldung  des  Staats  Anspruch  machen, 
und  verkennen  die  eigene  Würde,  wenn  sie  mehr  fordern. 

10  Ja,  wie  der  Steat  zwar  alle  Religionsparteien,  so  auch  alle 
höheren  Ansichten  der  Wissenschaften,  so  verschieden  sie 
auch  unter  sich  sein  mögen,  und  so  eifrig  sie  sich  wechsel- 
seitig zu  vernichten  'und  aufzuheben  trachten,  duldet,  kann 
er   den   Gelehrten    ebensowenig    erlauben,    die    noch    nicht 

15  gebildete  Jugend  in  den  Irrgarten  einander  widersprechen- 
der Ansichten  zu  verwickeln,  als  er  den  Religionsparteien 
erlaubt,  sich  durch  Proselyten  auszubreiten.  Denn  ihr 
gesteht  es  mir,  daß  das,  was  ihr  Wissenschaft  nennt,  keines- 
weges  ein  bloßes  Abstraktum  sei,  sondern  das  ganze  Dasein 

20  ergreife,  und  demselben  eine  bestimmte  Richtung  gebe. 
Von  Rechts  wegen  nennen  wir  diejenigen,  die,  aus  dem 
Drange  des  gegenwärtigen  Lebens  heraustretend,  auf  die 
Bedürfnisse  desselben  von  einem  eingebildeten  höhern 
Standpunkt  verachtend  heiabblicken,  Schwärmer  und  un- 
ro9n  nütze  Bürger.  Denn  wir  wur-[zeln  in  dem  gegebenen 
Dasein,  und  die  mannigfaltigen  geselligen  Verhältnisse  mit 
den  Bedürfnissen  derselben  sind  uns  unmittelbar  mit  unserm 
Dasein  gegeben.  Schon  so,  wie  wir  einzeln  da  sind,  müssen 
wir  tun  unser  Dasein  ringen,  durch  einen  steten  besonnenen 

30  Kampf  wird  es  allein  unterhalten,  und  ein  jeder  Moment 
der  Ruhe  ist  unmittelbar,  sowohl  im  intellektuellen  wie 
im  physischen  Leben,  mit  dem  Tode  verknüpft.  Wir  sind 
aber  nicht  da,  einzeln  zu  existieren,  ein  jeder  ist  natürlich 
Gatte  und  Vater.    Der  Kampf  mit  äußeren  Umständen  ver- 

35  größert  sich,  und  die  Besonnenheit,  die  in  Anspruch  ge- 
nommen wird,  muß  gesteigert  werden.  Endlich  gilt  für 
den  ganzen  Staat,  was  für  den  Einzelnen  und  für  den 
Familienvater  gilt,  in  noch  höherem  Grade.  Auch  er  muß 
um   sein  Dasein  ringen.     Die   Natur,   die   Verwickelungen 

40  geselliger  Verhältnisse,  andere  Staaten,  treten  kämpfend 
gegen   ihn  auf,   und   wo    nicht   ein   jeder   Bürger   mit   An- 


Idee  der  Universitäten.  223 

Strengung  aller  seiner  Kräfte  an  dem  Kampfe  des  Ganzen 
teilnimmt,    kann    er    selber    niemals    bestehen.      Zwar,    ihr 
habt  I  versucht,  das  sogenannte  Nützliche,  welches '  nichts  [33] 
anders    ist,    als    die    Richtung    der    Tätigkeit    eines    jeden 
Bürgers   zu   Unterhaltung   des   Ganzen,   zu   schmähen   und     5 
herabzuwürdigen.    So  haben  viele  unter  euch  gemeint,  man 
müsse  den  Verstand  verlieren,  um  die  Würde  'der  höhern 
Vernunft  zu  erringen.     Ihr  habt  unrecht.     Nicht  umsonst 
genießt  ihr  die  Vorteile  der  Gesellschaft.     Ein  jeder  muß 
seinen  Platz  im  Staate  bezahlen  mit  einer  nützlichen  Tätig-  10 
keit,  und  der  Staat,  der  immer  nur  sich  selbst  will,  würde 
im   Widerspruch   mit   sich   selbst    sein,    wenn   er   ein   Mit- 
glied   duldete,    welches    nicht   zugleich    Bürger   wäre.     Ge- 
wohnt,   das    Leben   selbst   über   die   fälschlich   sogenannte 
Idee  desselben  zu  vergessen,  sind  euch  die  Bedingnisse  des  15 
Lebens   verborgen  geblieben.     Ihr  würdet   sonst   einsehen, 
daß  der  Staat  das  Recht  hat,  den  jungen  Bürger  ganz  für 
sich  zu  gewinnen,  und  daß  das  höhere  Erkennen,  wie  es 
erst  aus  mancherlei  errungenen  Kenntnissen  innerlich  her- 
vorgehet, so  auch  äußerlich  aus  einem  reifen  und  tätigen  20 
Leben  entspringt.    Selbst  die  Religionslehrer,  deren  ]  Tätig-  [34] 
keit    durchaus   auf    ein    Unsichtbares   gerichtet   ist,    zahlen 
ihren  Platz  als  Bürger  keinesweges  als  solche,  welches  auch 
schon  daraus  erhellt,  daß  die  am  meisten  gebildeten  Staaten 
auf  die  Verschiedenheit  religiöser  Ansichten  keine   Rück-  25 
sieht  nehmen.    Vielmehr  ist  es  ihnen  übertragen,  dasjenige 
Maß    ethischer  Vollkommenheit   zu   nähren  und  zu   unter- 
halten,    ohne    welches    die    Gesetze     ihre    Kraft    verlieren 
würden  und  der  Staat  nicht  bestehen  könnte. 

„Nicht   grundlos    ist   die   Behauptung   vieler,    daß    die  30 
ausgebreitete    Neigung   zur   spekulativen   Wissenschaft   die 
meisten    Menschen    untüchtig    zur    Erfüllung    bürgerlicher 
Pflichten  macht.     Selten   sind   diejenigen   Geister,   die  mit 
gleicher  Energie  und  Klarheit  das  innere  und  das  äußere 
Leben  zu  ergreifen  vermögen,  und  mit  Recht  hat  man  uns  35 
Deutschen  den  Vorwurf  gemacht,  daß  wir,  mehr  mit  tiefen 
Spekulationen    und   mit    dem    Höchsten   des    Wissens,    als 
mit  dem  wirklich  Daseienden  beschäftigt,  das  Naheliegende 
vergaßen,   dasjenige,  was  eine  große   Klarheit  und  innere 
Sicherheit   |   erlangen  kann,    versäumten,    um    erträumten  ro„, 
Idealen   nachzujagen,   über   deren   Wert   wir   nicht    einmal 


224  Steffens. 

einig  sind.  So  haben  wir  den  Untergang  der  klaren  und 
verständigen  Wissenschaft,  sowie  die  Verwirrung  und  den 
Sturz  der  Staaten  vorbereitet.  Wenn  in  dieser  trüben  Zeit 
alle  diejenigen  Kräfte,  und  das  nicht  selten  bewunderungs- 
5  würdige  Talent,  welches,  so  oft  auf  leere  Spekulationen 
gerichtet,  nutzlos  vergeudet  ward,  einen  gemeinsamen  Ver- 
einigungspunkt im  Leben  gefunden  hätte,  wahrlich,  wir 
hätten  das  Trauerspiel  des  furchtbaren  Untergangs  nicht 
erlebt!    Das  mag  die  Regierungen  warnen,  jenen  Lehrern, 

10  die,  indem  sie  wähnen,  ein  Heiligeres  darzustellen,  bei  den 
jungen  Bürgern  alle  nützliche  Tätigkeit  lähmen  und  herab- 
würdigen, die  nötigen  Grenzen  zu  setzen.  Ja  wir  behaupten, 
es  ist  Pflicht  der  Staaten,  strenger  als  bis  jetzt,  dafür  zu 
sorgen,  daß  der  Bürger  ihnen  ganz  gehöre.   Wer,  indem  er 

15  dem   Staate  zugehört,   und  in   seinem -Sinne  tätig  ist,   zu- 
gleich   eine   höhere   Richtung   annimmt,    der   ist    nicht   im 
[36]  Widerspruch    mit    dem    Staate,    eine   [  heitere    Blüte    des- 
selben, und  aus  dem  Verständnis  des  Lebens  und  des  Er- 
kennens  würde  eine  klare  Ansicht  entspringen,  den  Miß- 

20  geburten  phantastischer  Grillenfänger  keinesweges  ver- 
gleichbar. So  werde  der  Jugend  das  Wahre  und  Ver- 
ständige in  der  Wissenschaft  und  im  Leben  mitgeteilt ;  nicht 
aus  der  unreifen  Wurzel  suche  man  die  Blüten  zu  treiben, 
und  der  schlanke  und  gesunde  Stamm^  fest  in  sich,  wird 

25  sie  ohne  euer  Hinzutun  hervorbringen,  wo  er  edlerer 
Natur  ist!" 

So  haben  wir  gezeigt,  daß  das  Bemühen,  die  Jugend 
mit  dem  Höhern  der  Wissenschaften  bekannt  zu  machen, 
ein  sich  selbst  widersprechendes,  dem  Staate  aber  schäd- 

30  liches  Unternehmen  sei,  welches  eher  unterdrückt  als  be- 
fördert zu  werden  verdient.  Wir  haben,  wie  ich  glaube, 
keinen  bedeutenden  Vorwurf  verhehlt.  Und  so  erscheint 
mein  eigenes  Bestreben  als  ein  törichtes  und  schädliches, 
und  ich  überlasse  es  fürs  erste  eurem  eigenen  Nachdenken, 

35  zu  erwägen,  ob  dem  so  sei. 


Dritte  Vorlesung.  [37] 


Es  ist  euch  bekannt,  daß  durch  euren  Aufenthalt  auf 
Universitäten  euer  ganzes  zukünftiges   Schicksal  bestimmt 
wird.     Hier   bringt   ihr   die   Jahre   zu,    in  welchen   frische 
Jugend   und   männliche   Besonnenheit   miteinander   ringen,    5 
und  bei  weitem  der  größte  Teil  der  akademischen  Bürger 
erlebet    während    eines   Aufenthalts    auf    Universitäten    die 
merkwürdige  Epoche  des  klarern  oder  undeutlichem  Selbst- 
erkennens,  welche  wir  als  die  dritte  Stufe  der  Geburt  be- 
zeichnen könnten;  indem  wir  die  leibliche  Geburt  als  die  10 
erste,   die   Selbstgeburt  des   Kindes,  wenn  es   sich  als   ein 
eigenes  zu  unterscheiden  anfängt,  als  die  zweite  bezeichnen. 
In   einer  jeden  dieser  Epochen  wird  der   Mensch,   immer 
intensiver,  an  sich  selbst  gewiesen,  und  die  dritte  Epoche 
bestimmt  unabänderlich  das  Maß  der  Eigentümlichkeit  für  15 
das  I  ganze  Leben.    Von  euch  nun,  die  ihr  hier  versammelt  [38] 
seid,  behaupten  wir,  daß  ihr  das  höchste  Maß  der  Eigen- 
tümlichkeit erringen  sollt.     Um  so  mehr  ist  es  notwendig, 
eure  hiesige  Laufbahn  mit  der  größten  Besonnenheit  an- 
zufangen, vna  zur  klaren  Einsicht  desjenigen,  welchem  ihr  20 
nachstrebt,   zu  gelangen.     Aus   diesem   Grunde  darf   euch 
nichts   verborgen   bleiben.     Die   triftigsten   Einwendungen 
derer,   welche  ein  solches   Bestreben  für  nichtig   erklären, 
und    diejenige   Wahrheit,    welche   die   Vorurteile   der    Zeit 
und   des   gegenwärtigen   Daseins   am   meisten   bekämpfen,  25 
müssen  wir  euch  gleich  klar  und  unumwunden  darlegen. 
Aus  eurem  Gemüte  aber  entweiche  der  kindische  Leichtsinn, 
und  zu  der  unbefangenen  Fröhlichkeit  der  Jugend  geselle 
sich  der  höchste  Ernst  des  Lebens. 

Wir  werden  bei  der  nachfolgenden  Betrachtung  nicht  30 
auf  eine  einzelne  Wissenschaft,  noch  viel  weniger  auf  eine 
einzelne    Ansicht     irgend     einer    Wissenschaft     Rücksicht 

Universitätsschriftea  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  15 


226  Steffens. 

nehmen,  vielmehr  auf  den  Sinn  aller  wissenschaftlichen 
Bemühung.  Dieser  aber  ist  in  der  Weisheit  enthalten. 
[39]  Die  Weisheit  |  nämlich  ist  nicht  das  Vorrecht  irgend  einer 
Schule,  ist  nicht  in  dieser  oder  jener  einzelnen  Ansicht 
5  ausgesprochen,  auch  darf  keiner  behaupten,  er  sei  vor 
allen  im  Besitz  derselben.  Sie  ist  vielmehr  die  göttliche 
Leiterin  alles  Wissens,  der  innere  klare  Grund  aller  Wahr- 
heit, und  die  sichere  Richtschnur  alles  Lebens.  Nicht  im 
Erkennen  allein  kann  die  Weisheit  gesucht  werden,  denn 

10  die  innere  Übereinstimmung  des  Erkennens  wird  durch 
die  Wahrheit  bezeichnet.  Ebensowenig  finden  wir  sie 
in  der  innern  Übereinstimmung  der  Handlungen  und  des 
Daseins,  denn  diese  wird  als  die  sittliche  Vollkommenheit 
begriffen.     Die  Weisheit  ist  nur  da,  wo  die  Wahrheit  und 

15  die  Sittlichkeit,  das  Erkennen  und  das  Dasein  sich  in  einem 
höhern  Leben  durchdringen.  Von  dieser  also,  nicht  von 
der  Liebe  zur  Weisheit,  oder  von  der  Philosophie,  insofern 
diese  in  irgend  einem  Menschen  auf  eine  eigentümliche 
Weise  sich  darstellt,  sei  hier  die  Rede,  und  diese  preisen 

20  wir,   mit   den   trefflichen  Alten,   als   das   höchste   Gut  und 

[40]  den  göttlichsten  Besitz  der  Sterblichen.   Sie  |  allein  gewährt 

die  höchste  Klarheit  und  mit  dieser  die  höchste  Seligkeit, 

ja  sie  ist  mit  der  Seligkeit  eins.     Denn  was  wir  Unglück 

nennen,  entsteht  nur  aus  dem  Mißverhältnis  zwischen  dem 

25  innern  Dasein  oder  dem  Erkennen,  und  dem  Äußern.  Wo 
beide  sich  durchdringen,  ist  alle  Sehnsucht  gestillt,  sind 
alle  Wünsche  befriedigt  und  aller  Widerstreit  aufgehoben. 
Auch  ist  durch  die  Anschauung  der  Weisheit,  so  wie  sie 
selbst    die    Sprache    bezeichnet,    jener    unnütze    und    leere 

30  Streit,  über  die  Trennung  zwischen  dem  innern  und  äußern 
Leben,  als  wenn  sie  sich  wechselseitig  aufhöben  oder  aus- 
schlössen, als  völlig  nichtig  gesetzt. 

Was  aber  von  den  einzelnen  Menschen  gilt,  gilt  auch 
von  dem  Staate.  Er  ist  nicht  bloß  eine  äußere  Einrichtung, 

35  aus  welcher  sich  die  Vernunft  und  die  höchste  Richtung 
einzelner  aufschlösse;  vielmehr  stellt  er  den  höchsten 
Verein  und  die  innigste  Durchdringung  des  innern  und 
äußeren  Daseins  aller  zu  einem  höheren  Leben  dar.  Man 
sagt,  es  sei  die  Pflicht  der  Regierung  und  der  Bürger,  das 
r.-j^l  Glück  des  Staats  zu  beför- 1  dern.  Aber  hat  man  denn 
irgend  eine  deudiche  Anschauung  von  dem,  was  man  so 


Idee  der  Universitäten.  227 

bezeichnet?     Wenn  man  sagt,  es  sei  das  höchst  niöghche 
Wohlbefinden  aller,  so  sucht  man  die  Frage  mehr  zu  um- 
gehen, als  sie  gründlich  zu  beantworten.     Das  Glück  der 
Staaten   ist,   wie   das   Glück   der   einzelnen   Menschen,   die 
Durchdringung  des  Erkennens  und  des  Daseins.    So  wie    5 
der  Kreis  des  Erkennens   in   einem   Staate  sich  erweitert, 
ohne  daß   die  äußere  Gewalt  des   Staats  die  Erweiterung 
anerkennt,   entstehen  jene  mannigfachen  Verirrungen,  auf 
welche  viele  der  angeführten  Vorwürfe  sich  berufen,  und 
die  also  Produkte  der  sich  selbst  mißverstehenden  Staats-  10 
Verfassung  sind.     Wenn  die  Frage  entsteht:  wo  wir  jenes 
Erkennen  des  Staats  zu  suchen  haben,  so  erhellt  von  selbst, 
daß  dieses  nur  in  der  Richtung  der  edelsten  Geister  des- 
selben gesucht  werden  muß.    Wer  mit  einem  unbefangenen 
Blick   die   Geschichte   betrachtet,   dem  wird   es   nicht   ent-  lö 
gehen,  daß  eine  jede  Nation,  abgesondert  von  den  übrigen 
durch   eine   eigentümliche   Sprache,   das   einzige,   über   alle 
unter-  [  geordnete    und    vorübergehende    Gewalt    erhabene  [42] 
Sondernde  der  Nationen  —  zu  einer  jeden  Zeit  sich  durch 
ein   eigenes   Gepräge   der   geistigen   Richtung  auszeichnet.  20 
Dieses   Gemeinsame  zu  fassen,   den  tiefen   Sinn   desselben 
zu    ergreifen,    ist    Pflicht    der    Regierung.      Kleinlich    und 
nichtig  erscheint  jene  Behauptung,  von  Höflingen  ersonnen 
und  von  Sklaven  ausgebreitet,  als  würde  durch  die  Gnade 
des    Herrschers    die    geistige    Richtung    des    Staats    unter-  -23 
stützt.    Wehe  demjenigen  Fürsten,  der  sie  nicht  anerkennt, 
der    nicht    einsieht,    daß    sie    die    edlere    Seele   des    Staats 
sei,    die  als   eine   gemeinsame    Sonne   ihn   selbst   und  alle 
Bürger   belebt  I     Gleich   nichtig  ist   diejenige  Ansicht,   die 
behauptet,  daß  die  Weisheit  da  sei,  die  niedern  Bedürfnisse  30 
des  Staats  und  des  Lebens  zu  befriedigen;  vielmehr  ist  er 
selbst   nur  da,   um  das   Höchste  darzustellen   und  anzuer- 
kennen.    Wie    der    einzelne    Mensch,    überzeugt    von    der 
Nichtigkeit  seines  irdischen  Daseins,  welches  entsteht  und 
vergeht,   in  jeder  seiner   Handlungen  das   Unvergängliche  35 
der  Sitdichkeit,  selbst  auf  Kosten  seines  Lebens,  dar- 1  zu-  [43] 
stellen   sucht,    in   seinem   Erkennen   aber   nur   der   ewigen 
Wahrheit  huldigt,  so  sind  auch  die  Staaten  —  selbst  nur 
das   Gemeinsame   der   ewigen   \'ernunft,   dieser  also    nicht 
widersprechend    —    nur    dazu    da,    damit    die    Herrlichkeit  40 
des  Ewigen  durch  sie  kund  werde.    Die  Nation,  die  dieses 

15* 


228  Steffens. 

nicht  erkennt,  ist  eine  barbarische.  Diejenige  hingegen, 
die  vor  allen  der  Weisheit  huldigt,  gelangt  zu  jenem  glanz- 
vollen Dasein,  dessen  untergegangene  Herrlichkeit,  in  den 
Trümmern  der  alten  Welt,  die  Geschichte  betrauert.  Die 
5  verirrten  und  sich  mißverstehenden  Töne  der  Bürger  ver- 
ständigen sich  wechselseitig,  und  verklären  sich  zu  einer 
Sprache,  die  das  heitere  und  göttliche  Dasein  des  Ganzen 
in  einer  jeden  Richtung  kund  tut.  Das  Dürftige  des 
Lebens  und  die  nichtigen  Gestalten  desselben  verschwinden 

10  in  den  heiligen  Offenbarungen  der  Kunst,  und  allenthalben 
tritt  uns  ein  Großes  und  Treffliches  entgegen,  die  höhere 
Würde  des  Lebens  bezeichnend. 

Die  Natur  enthält  das  Vorbild  alles  Lebens  und  das 
[44]  Gleichnis  aller  gesellschaftlichen  Ver- 1  bindungen  in   sich. 

15  Wo  sie  nur  den  äußeren  Verhältnissen  unterworfen  ist, 
wie  in  der  toten  Natur,  ist  sie  in  sich  verschlossen  und 
herbe,  und  vermag  nicht  einen  Mittelpunkt  des  Daseins 
zu  finden,  welcher  nur  da  geschaut  wird,  wo  wir  die  ein- 
zelnen   Verhältnisse,    als    solche,    vernichtend,    das    Ganze 

20  umfassen.  Die  Natur  strebt,  wie  die  Geschichte,  das 
Höchste  darzustellen.  Aber  nur,  wo  dasjenige,  was  in 
der  toten  Natur  bedeutungslos  auseinandergehalten  wird 
und  sich  wechselseitig  ausschließt,  wie  das  Starre  und 
Flüssige,  sich  wechselseitig  bis  zur  höchsten  Einheit  durch- 

25  dringet,  gelingt  es  ihr,  das  Leben  zu  offenbaren.  Der  Mittel- 
punkt des  äußeren  Daseins  ist  gefunden,  indem  auf  einem 
jedweden  Punkt  nicht  das  Einzelne,  sondern  das  Ganze, 
wenn  gleich  auf  eine  besondere  Weise,  gesetzt  ist.  Aber' 
diejenigen  äußeren  Verhältnisse,  welche,  das  Leben  tötend, 

30  uns  in  der  erstarrten  Natur  nirgends  den  Mittelpunkt  er- 
kennen  ließen,   treten   in   der  gesamten   Organisation  der 
Tiere   für   das   innere   Leben   hervor,   und   wie   die    Stoffe 
[45]  und    die    |  mannigfaltigen    Dinge    dort    nicht    zum    innern 
Verständnis    und    zur    wechselseitigen    Durchdringung    ge- 

35  langen  können,  so  sehen  wir  hier  das  innere  Dasein  in 
mannigfaltigen  Richtungen  zersplittert,  die  sich  bloß  äußer- 
lich beschränken  und  einengen,  sich  aber  nicht  gegenseitig 
verstehen  und  ohne  gemeinsamen  Mittelpunkt  sind.  In 
dem    Menschen    gelingt    es    der    Natur,    diejenige    Durch- 

40  dringung  des  innern  Daseins  zu  erlangen,  welche  mit  einem 
jedweden  Leben  schon  für  das  äußere  gegeben  ist.     Indem 


Idee  der  Universitäten.  229 

die  Natur,  jenem  Punkt  entgegen  eilend,  den  äußeren  Drang 
wechselseitiger  Beschränkungen  überwindet  und  das  Wider- 
sprechendste in  hohen  Einklang  verbindet,  wirft  sich  das 
innere  Licht  nach  außen,  und  alles  niedere  Dasein  erhält 
durch  dieses  Höchste  erst  seine  Bedeutung  und  wird  durch  5 
dasselbe  verklärt. 

Was    uns    die    Natur    hier    zeigt,    wiederholt    sich    bei 
dem    geselligen   Verein    der    Menschen   auf    die    nämliche 
W^eise.    Der  vereinzelnde  Mensch,  der  nur  sich  selber  sucht, 
in  seiner  Selbstheit  und  in  seinen  Begierden  befangen,  stellt  10 
nur  ein  äuße-jres  Verhältnis  dar,  welches  für  ihn  und  für  [46] 
das  Ganze  gleich  bedeutungslos  und  nichtig  ist.     In  dem 
geselligen    Verein     sollen     alle    Richtungen     vereinzelnder 
Menschen  und  der  tötende  Widerstreit  der  Begierden,   in 
eine   innige   Verbindung   tretend,    ein   höheres    Leben   dar-  15 
stellen.    Wird  diese  Verbindung  auf  einer  niederen   Stufe 
festgehalten,    so   daß   das   tiefste   und  bedeutendste   Leben 
des  Menschen  ihr  fremd  bleibt,  so  ist  einer  solchen  Nation, 
und  wenn  auch  die  innere  Übereinstimmung  ihres  Daseins 
noch  so  weit  gediehen  wäre,  wenn  die   Gesetze  und  Ein-  20 
richtungen  des  Staats,  den  Kunsttrieben  und  Instinkten  der 
Tiere  ähnlich,   eine  große  innere   Sicherheit  und   Klarheit 
erlangt  hätten,  doch  nur  eine  untergeordnete  Rolle  zuge- 
teilt.     Nur   derjenige    Staat    ist    der    natürliche    Herrscher 
aller    übrigen,    wie    der    Mensch    der    Herr   der   Natur,    in  25 
welchem    das    Höchste    und    Tiefste    menschlicher    Bestre- 
bungen heimisch  geworden  ist.     Und  zwar  auf  eine  solche 
Weise,  daß  das  höchste  und  niedrigste  Dasein  sich  durch- 
dringen,  und   dieses   durch   jenes   verklärt   wird.     Wie   die 
Seele  den  |  Leib  durchdringt  und  mit  diesem  eins  ist,   so  ?9_, 
daß  wir  in  der  Anschauung  des  Lebens  beide  keinesweges 
als  getrennt  oder  voneinander  verschieden  zu   fassen  ver- 
mögen, so  soll  der  höhere  Geist,  den  Staat  belebend,  mit 
ihm  eins  sein. 

Es  ist  ein  törichter  Wahn,  daß  die  höhern  Bestre-  35 
bungen  mit  den  Bedürfnissen  des  Staats  im  Widerspruch 
wären.  Dieses  findet  nur  da  statt,  wo  eine  tote  Abstraktion 
für  ein  Erkennen,  und  ein  tierisches  Dasein  für  ein  Leben 
gilt.  Wo  der  Staat  die  Wissenschaft  nicht  erkennt,  der 
Gelehrte  sich  von  dem  Leben  des  Staats  entfernt  hat,  40 
sind   beide   gleich    nichtig,    und,   aus   einem   unfruchtbaren 


230  Steffens. 

Boden  entsprungen,  wird  die  Wissenschaft  wie  das  Leben 
keine  Früchte  bringen. 

Die  Natur  sucht  vergebens  jenen  innern  Einklang  des 
Daseins,  der  nur  in  der  anmutigen  Schönheit  angeschaut 
5  wird,  darzustellen.  Alles,  was  in  ihr  hervortritt,  das  Höchste 
wie  das  Geringste,  trägt  die  Spuren  der  Vereinzelung  und 
Abweichung.  Wir  können  daher  die  Geschichte  als  die 
[48]  Fortsetzung  des  Naturlebens  und  als  die  |  vollkommenste 
Offenbarung  desselben  ansehen.   Wie  in  der  anorganischen 

10  Natur  die  Elemente,  im  Kampfe  miteinander  begriffen,  das 
Übergewicht  äußerer  Verhältnisse  darstellen,  und  die  Spuren 
des  wilden  Kampfs  und  der  gegenseitigen  Vernichtung 
uns  aus  den  zerstörten  Massen  ansprechen,  so  zeigt  sich 
uns  das  Nämliche  allenthalben  und  zu  allen  Zeiten  in  der 

16  Geschichte.  Denn  die  Gedanken  und  Begierden,  in  einer 
bloß  äußern  Spannung  gedacht,  sich  selber  wechselseitig 
einschränkend  und  ausschließend,  stellen  ein  grauses  Ge- 
misch von  Untaten  und  Zertrümmerung  dar,  welches,  für 
sich  betrachtet,  ohne  Bedeutung  und  Sinn  zu  sein  scheint. 

20  Aller  geselliger  Verein  geht  darauf  aus,  jene  rohen  Ele- 
mente der  Geschichte  zu  bändigen,  damit,  was  im  Wider- 
streit sich  vernichtet  und  aufhebt,  durch  höhere  Einigung 
verbündet,  sich  tragen  und  erhalten  soll.  Die  Momente 
dieser  Vereinigung  liegen  schon  in  dem  Kampfe  der  Ele- 

25  mente  selbst,  wie  wir  die  Spuren  und  Keime  des  Lebens 

bis  in  die  Tiefen  der  ältesten  Gebirge  verfolgen  können. 

[49]  Was   will   nun   diese   gesellschaftliche   Ver- 1  bindung  ?    Das 

Glück  aller,  antwortet  man.     Aber  was  können  wir  unter 

dem    Glück   aller   verstehen?     doch    nicht   wiederum,    daß 

30  ein  jeder  das  Dasein  des  Staats  unterhält,  denn  dadurch 
entstünde  nur  ein  arger  Widerspruch.  Ein  jeder  würde  sich 
in  den  allgemeinen  Begriff  des  Staats  verlieren,  als  wenn 
dieser  allein  wäre;  wenn  wir  aber  diesen  selbst  suchen, 
so   stellt  er  sich  uns  dar  als  die  Vereinigung  aller.     Der 

35  Staat  hebt  sich  also  auf,  wenn  er  die  Realität  der  Bürger 
aufhebt,  so  wie  der  Bürger  sich  vernichtet,  wenn  er  sich 
als  verschieden  vom  Staate  denkt.  Da  nun  der  Staat, 
als  das  Allgemeine,  ein  Unteilbares  und  Ganzes  ist,  der 
Bürger  aber,  obgleich  ein  Gesondertes,  doch  eins  ist  mit 

40  dem  Staate,  so  muß  mit  dem  Staate  die  Mannigfaltigkeit 
der  Bürger,  mit  einem  jeden  Bürger  aber  das  Ganze  des 


Idee  der  Universitäten.  231 

Staats   zu  gleicher   Zeit  und   unzertrennbar  gegeben   sein. 
So  sehen  wir  in  der  Natur  diejenigen  Stoffe  und  Kräfte, 
die  sich  wechselseitig  widerstreben  und  aufheben,  bis  ins 
'Jnendliche  verbündet  und  einig  da,  wo  das  Leben  hervor-     . 
bricht.     Indem  aber  alle  Ele-|mente  im  Lebendigen  sich  r^Qj 
innerlich  vereinigen,  sondert  sich  eine  jede  Gestaltung,  als 
ein  eigenes  Organ;  in  einem  jeden   Organ  stellt  sich  das 
Ganze  dar,  und  die  Harmonie  des  Lebens  ist  mit  der  Ge- 
samtheit  aller    Organe    auf    eine    solche   Weise    eins,    daß 
sie   sich  keinesweges  wechselseitig  ausschließen,   vielmehr  10 
eir  jedes  Einzelnes,  indem  es  mit  sich  selbst  auch  das  Ganze 
setzt,  das  Ganze  aber  zugleich  und  notwendig  alle  Organe. 
Welches   ist   nun  jenes    heilige    Band,    durch   welches 
das   Ganze   des   Staats   in   einem  jeden   Bürger,   ein  jeder 
Bürget  aber  im  Ganzen  des  Staats  auf  die  nämliche  Weise  15 
und  zumal  gesetzt  wird  ?    Es  ist  klar,  daß  nichts  Geringeres, 
als  dieses  Band,  den  inneren  Mittelpunkt  und  das  Wesen 
des  Staats  darstellen  kann.    In  nichts  Untergeordnetes  oder 
Einzelnes  kann  dieses  gesetzt  werden,  da  es  ja  eben  das 
Höchste  und  Gemeinsame  aussprechen  soll.     Auf  das  tie-  20 
rische   und   sinnliche   Wohlbefinden   der    Bürger   kann    es 
nicht  gehen,  denn  dieses  enthält  vielmehr  jene  rohen  Ele- 
mente der  Geschichte,  welche  alle  Gesellschaft  zer- 1  stören,  [51] 
indem  sie  sich  selbst  unter  sich  vernichten.     Auch  fordert 
der  Staat,  und  zwar  mit  vollem  Rechte,   die  völlige  Auf-  25 
Opferung   des   äußeren   Daseins,   ja   des   Lebens,   wenn   es 
zur    Erhaltung    seines    Daseins    notwendig    ist.     Hier   also 
ist  der  Punkt  der  Vereinigung  keinesweges  gefunden;  viel- 
mehr  rufen   vielfältige  Verhältnisse   oft    einen  Widerstreit 
hervor,  in  welchem  die  lebendige  Teilnahme  an  dem  Staat  so 
alles   physische   Wohlergehen   und   das    Leben   selbst   aus- 
schließt, die  Erhaltung  des  Lebens  aber  den  wahren  Bürger- 
sinn aufhebt.    Etwas  aber  muß  da  sein,  welches  der  Staat 
schlechterdings   zu  achten   hat,    so   daß   er   nie  und   unter 
keiner  Bedingung  eine  Aufopferung  von  diesem  von  irgend  35 
einem   Bürger   fordern   darf,    ohne   sich   selbst   aufzuheben 
und  sein  Wesen  zu  vernichten.    Dieses  wird  nun  dasjenige 
sein,  was  in  dem  Einzelnen,  in  einer  eigentümlichen  Rich- 
tung,   doch   mit    der   Allgemeinheit   des    Ganzen   auf   eine 
solche  Weise  eins  ist,  daß  jenes  Besondere  ohne  das  All-  40 
gemeine,    dieses   ohne   jenes    nicht   gedacht   werden   kann, 


232  Steffens. 

[52]  das  eigentlich  unvergängliche  und  |  wahrhaft  innere  Leben 
des  Staats.  Es  ist  die  Wahrheit  und  Sittlichkeit,  und 
deren  äußere  Erscheinung  die  heilige  und  unantastbare 
Ehre.  Ein  jeder  wird  gestehen,  daß  diese  allein  im  Ganzen 
5  des  Staats  von  einem  jeden,  in  einem  jeden  vom  Ganzen 
des  Staats  heilig  geachtet  werden  muß.  Von  dieser  heißt 
es,  wie  in  der  Religion  von  der  Gottesfurcht,  von  welche: 
sie  auch  keinesweges  verschieden  sein  dürfte,  daß  ihr  eine 
jede  Verheißung  gegeben  ist  im  Himmel  und  auf  der  Erds, 

10  und  daß  wir  sie  erst  zu  suchen  haben,  ruhig  erwartend, 
daß  uns  alles  Übrige  zugeteilt  werde.  In  einem  jeden  Staat 
ist  daher  keiner  eingeengt  in  dem^  was  seine  heiligere 
Natur  erheischt.  Ein  jedes  Talent  entfaltet  sich,  ein  ;eder 
Geist  stellt  sich  selber  dar  nach  der  ungebundenen  Freiheit 

15  seiner  innern  Natur.  Nicht  ein  Futterkraut  ist  der  leben- 
dige Mensch,  gemäht,  ehe  er  blühte,  zur  Nahrung  für  das 
alles  verschlingende  Ungeheuer,  für  einen  Staat,  der,  in 
der  Dürftigkeit  des  niedrigsten  Daseins  befangen,  sein 
Wesen  verkennt  und  sich  selber  widerspricht.  Der  Staat 
i-KQ-i  ist  viel- [mehr  als  ein  fruchtbarer  Garten  anzusehen,  in 
welchem  das  Herrlichste  ohne  Zwang  die  mnere  Fülle 
seines  Daseins  entfalten  kann;  ein  fruchtbarer  Boden,  die 
Keime  des  Trefflichsten  pflegend  und  nährend.  Und  wie 
die  Natur  nicht  ruht,  bis  es  ihr  gelingt,  das  Widerwärtige 

25  liebend  zu  verbinden  und  die  innere  Sonne  ihres  Daseins 
in  dem  Menschen  zu  offenbaren,  so  ringt  auch  das  Ge- 
schlecht der  Sterblichen,  von  der  inwohnenden  Gottheit 
getrieben,  alles  Widerstrebende  der  Irrtümer  und  Begierden 
in  einem  heitern  Dasein  vernichtend,  alle  Gemüter  durch 

30  Liebe  zu  vereinigen,  so  daß  ein  jeder  das  Schicksal  aller, 

alle  aber  das  wahre  Glück  eines  jeden  fühlen  und  tragen. 

Wenn  wir  die  Natur  betrachten,  dann  zeigt  sich  uns, 

wie    ein    jedes    Einzelne,    sich    selbst    durchdringend,     die 

höchste  Vollkommenheit  des  Ganzen  kund  tut.     Denn,  wo 

35  in  einem  Leibe  ein  jedes  Organ,   sich  selbst  nur  suchend 

und  in  aller  Tätigkeit  nur  das  Eigentümliche  offenbarend, 

allen   äußeren    Zwang   vernichtet   und   wie    in    einer    eige- 

[54]  I  nen  Welt  lebend  sich  am  reinsten  sondert,  da  ist  zugleich 

die   herrlichste   Darstellung  des   Ganzen;   ja  diejenige   Ge- 

40  stalt,  welche  die  Einheit  dieser  Organe  in  einem  eigentüm- 
lichen Dasein  entfaltet,  trägt  auch  die  Wurzel  ihres  Lebens 


Idee  der  Universitäten.  233 

in  sich  selbst,  und  abgesondert  von  den  äußern  Dingen 
lebt  sie  wie  in  einer  eignen  innern  Welt.  Diese  Sonderung 
der  Gestalten  ist  mit  der  Überwindung  roher  Elemente  eins, 
die  Erde  ist  in  ihnen  geselliger  geworden,  der  äußere  Streit 
der  Elemente  ist  im  Mittelpunkt  der  Seele  innerlich  ge-  5 
schlichtet.  So  ist  die  Erde  mit  sich  selber  einig  geworden, 
die  dunkle  Finsternis  eines  vernichtenden  Kampfes  hat  dem 
heitern  Lichtglanz  eines  liebevolleren  und  fröhlicheren 
Lebens  weichen  müssen.  Gebändigten  Riesen  gleich, 
müssen  die  rohen  Elemente  der  herrschenden  Liebe  dienst-  10 
bar  sein,  und  nur  wie  in  einer  dunkeln  Erinnerung  wird 
die  rauhe  Zeit  des  vernichtenden  Kampfes  noch  festge- 
halten. 

So  sucht  ein  jeder  nur  die  Übereinstimmung  mit  sich, 
denn  indem  das  jugendliche  Gemüt  dem  tiefen  Sinn  eigenen  15 
Daseins    unbefangen   und  [  fröhlich   folgt   und,    die   eigene  [55] 
Natur  erkennend,   sich  selber  entfaltet,   stellt  es   eben  das 
Ganze   am   reinsten   und    herrlichsten   dar.     Rücksichtslos 
folge  du  also  deiner  eigenen  höhern  Natur,  nicht  äußerlich 
klügelnd,   ob   sie  dem  Staate  fremd  sei,   oder   nicht!    Wo  20 
du  das  eigene  Maß  gefunden  hast,  da  hast  du  das  heilige 
Verhältnis  des  Ganzen,  die  innere  Übereinkunft  mit  allem, 
am  tiefsten  ergriffen.     Wo  aber  ein  innerer  Zwiespalt  ent- 
steht, wo  du  dich  selbst  in  einem  äußeren  Verhältnis  zum 
Staate,   als   bloßes    Mittel    desselben,    dich   täuschend,    an-  25 
siehst,    oder  wo   du   glaubst,   untergeordneter   Rücksichten 
wegen    die    höhern    Anforderungen    deines    Geistes    unter- 
drücken zu  müssen,  erscheint  der  Staat  in  dir  und  du  im 
Staate  vernichtet.   Wäre  es  möglich,  daß  dasjenige  Prinzip, 
welches  die  Organe  in  der  leiblichen  Gestalt,   die  Gestalt  30 
in  dem  Geschlechte,  das  Geschlecht  in  der  Natur  sondernd 
vereiniget,    verschwinden    könnte,    dann    würde    die    rauhe 
Zeit    zerstörender    Elemente    mit    roher    Gewalt    wiederum 
hereinbrechen.     So   ruhen  im   Hintergrunde   menschlichen  ^^ 
Daseins  die  vernichtenden  |  Kräfte  der  Begierden  und  Irr-  r-ß-i 
tümer.      Was    diese    im    Staate    zu    bändigen    vermag,    ist 
nicht  ein  Teil  desselben,  sondern  das  Ganze,  welches  die 
Gottheit  dir  auf  eine  eigentümliche  Weise  zu  nähren  und 
zu   pflegen   anvertraute.      Innerlich,    nicht   äußerlich,   wird 
der  Streit  des  Daseins  geschlichtet.     Ein  jeder  unter  uns  40 
trägt  das  Schicksal  des   Staats  in  seinem   Innern,  und  wo 


23-4  Steffens. 

die  gemeinsame  Liebe  verschwindet,  der  Staat  die  heilige 
Eigentümlichkeit  opfert,  du  den  Staat  in  den  Zauberkreis 
deiner  Begierden  zu  bannen  suchst,  da  wird  der  innere 
Krieg  zerstörender  Kräfte  hervorgerufen  und  das  wilde 
ö  Heer  der  rohen  Begierden  erweckt,  welche,  Unheil  brütend, 
das  Verbrechen  des  Ganzen  in  einem  jeden  und  eines  jeden 
im  Ganzen  strafen.  Wo  'aber  ein  jeder,  die  eigene  Selig- 
keit suchend  und  mit  sich  selber  einig,  seine  höhere  Natur 
als  die  des  Ganzen  erkennt,  der  Staat  sein  inneres  Wesen 

10  in  der  eigentümlichen  Richtung  eines  jeden  vernimmt,  da 

verschwindet  die  trübe  Abweichung  und  der  vernichtende 

Zwang,    und    selbst    die    niedern    Bedürfnisse    des    Lebens 

[57]  werden   |    durch  die   Gewalt   des  belebenden   Geistes   von 

der    Klarheit    des    Erkennens    durchdrungen,    dieses    aber 

15  selbst,  das  Dasein  ordnend,  ruft  die  anmutige  Schönheit 
hervor,  in  welcher  der  Widerspruch  aller  Abweichung  gelöst 
wird,  in  welcher  dasjenige,  was  in  der  nicht  ganz  ent- 
fesselten Natur  noch  immer  die  trüben  Spuren  des  äußern 
Zwangs   tragen  muß,   aus   der   innern   Fülle   eigenen   Da- 

20  seins  entspringt,  die  höchste  gemeinsame  Blüte  der  Natur 
und  Geschichte. 


I 


Vierte  Vorlesunor.  [58] 


^5• 


Nachdem  wir  gezeigt  haben,  wie  eine  jede  geistige 
Richtung  und  das  höchste  Bestreben  in  Wissenschaft  und 
Kunst  zum  Wesen  des  Staats  gehöre,  Hegt  es  uns  ob,  dar- 
zutun, auf  welche  Weise  der  Staat  das  Höchste  und  Treff-  5 
Hchste  zu  pflegen  vermag,  und  wie  die  Erweckung  und 
Unterhaltung  der  Weisheit  durch  eine  Staatseinrichtung 
befördert  werden  könne.  Um  dieses  einzusehen,  wird  es 
vorzüglich  wichtig  sein,  das  Verhältnis  des  Bürgers  zum 
Staate  genauer  zu  erwägen.  10 

Nichts  ist  den  Menschen  furchtbarer,  als  die   eiserne 
Notwendigkeit    des    äußern    Lebens,    so    daß    die   meisten 
dieselbe   nur  mit  einem  scheuen  und  unsichern  Blick  be- 
trachten,  ja   wohl   denjenigen,    der   sie   genauer   ins   Auge 
zu  fassen  wagt,  als  einen  Feind  ansehen.    Wir  aber  wollen  15 
uns  in  nichts  täuschen,  wir  wollen  uns  gestehen,  daß  aus 
dem  )  äußern  Leben  alle  Spuren  der  Freiheit  verschwunden  [59], 
sind.     Die   Natur   geht  kalt  vor  unsern   Hoffnungen  und 
Wünschen  vorüber,  und  mit  strenger  und  erbarmungsloser 
Härte  sehen  wir  sie,  ihren  Gesetzen  folgend,  gleich  emp-  20 
findungslos   bei   unsern    Freuden   und   Leiden   sein.     Uns 
selbst   hat   sie   ergriffen,    und   ohne   unser   Zutun  uns   das 
Maß    der   Eigentümlichkeit   und   die   Art   und   Weise   des 
Daseins  unabänderlich  bestimmt.    Alle  unsere  Taten  werden, 
äußerlich  hingestellt,  von  der  allgemeinen  Gewalt  ergriffen,  25 
und  stellen  die  Harmonie  der  Geschichte,  keinesweges  die 
Freiheit   des    Einzelnen   dar.     Anders    wird   alles,    als   wir 
es  dachten;  was  wir  wollen,  wird  vernichtet,  was  wir  ver- 
nichten möchten,  durch  unser  Widerstreben  hervorgerufen. 
Die   Verwicklungen  der   Umstände   werfen  uns  unwillkür-  30 
lieh  hin,  wo  wir  keinesweges  zu  stehen  wünschen,  lähmen 
unsere   Tätigkeit,   wo   wir   handeln  möchten,   und   zwingen 


236  Steffens. 

uns  zum  Handeln,  wo  wir  ruhen  möchten.  Ja  unsere  eigenen 
Handlungen,  aus  der  Innern  Freiheit,  so  scheint  es,  ent- 
[60]  Sprüngen,  nehmen  uns  |  gefangen,  scheinen,  als  Vergangen- 
heit, fremden  Mächten  anzugehören,  und  engen  von  allen 
5  Seiten  die  eigene  freie  Zukunft  ein.  Selbst  die  Worte, 
die  ihr  jetzt  vernehmt,  gehören,  ausgesprochen,  dem  Reden- 
den nicht  mehr  an,  und  welche  Früchte  sie  tragen  werden, 
ob  böse  oder  gute,  oder  auf  unfruchtbaren  Boden  hin- 
gestreuet,    gar   keine,   bestimmt    nur    der   lebendige    Gang 

10  der  Geschichte. 

Diese  Härte  und  Strenge  der  Natur  finden  wir  im 
Staate  wieder.  Was  ihm  widerstrebt,  vernichtet  er  mit 
großer  Härte.  Keine  Wünsche  des  Einzelnen  können  ihm 
etwas  gelten,   er  sieht  in  dem  Einzelnen  nur  das   Ganze. 

15  Du  kannst,  durch  eigene  Natur  oder  durch  Geschick,  in 
eine  solche  Lage  versetzt  sein,  daß  dir  nur  ein  geringes 
Maß  irdischen  Genusses  vergönnt  ist.  Du  kannst  mit 
Leiden  und  Kummer  mannigfacher  Art  kämpfen,  vielleicht 
in  deinem  Beruf  nur  geringen  Trost  finden,  mit  eherner 

20  Strenge  wird  dennoch  von  dir,  wie  von  dem  Glücklichsten, 

die  größeste  Aufopferung  gefordert.    Nichts,  was  dir  äußer- 

[61]  lieh    zugehört,    soll    imstande    sein,    dich   vom    |  Staate   zu 

trennen,  und  wo  es  erfordert  wird,  mußt  du  freudig  deinem 

Besitze,  dem  Leben,  ja  dem  Genüsse  der  Liebe  zu  entsagen 

25  imstande  sein.  Alles,  was  du  im  Widerspruch  mit  dem 
Staate  willst,  hebt  ihn  auf.  Die  Duldung  eines  Innern 
Widerspruchs  aber  ist  eine  tötende  Schwäche  des  Staats. 
So  ist  der  Staat  eine  zweite  Natur,  unerbittlich  wie  die 
erste,  und  uns  bleibt  nichts,  so  scheint  es,  als  ruhig  und 

30  ergeben,  uns  selbst  und  aller  eigenen  Freude  entsagend, 
unter  der  Last  eines  mühevollen  und  unbegreiflichen  Da- 
seins zu  keuchen. 

Aber  ursprünglich,  wie  die  Notwendigkeit,  ist  auch 
die  Freiheit.    Alle  Dinge,  die  da  sind,  sind  nur  für  anderes 

35  da,  wir  sind  ursprünglich  für  uns  selbst.  Die  Selbstbestim- 
mung ist  die  innere  Wurzel  unsers  Daseins,  und  wo  sie 
verschwindet,  hören  wir  innerlich  auf  zu  sein.  Ist  es  gewiß, 
daß  die  Natur  ihre  höchste  Bedeutung  erst  in  dem  Menschen 
erhält,    so   daß   alle   Gesetze   derselben   erst   in   ihm  ihren 

40  gemeinsamen  Mittelpunkt  gefunden  haben,  so  ist  es  klar, 
[62]  daß  auch  die  Notwendig- [keit  der  Natur  erst  in  und  mit 


Idee  der  Universitäten.  237 

der  Freiheit  der  ?^Ienschen  bestehe  und  da  sei.     Denn  in 
der   äußeren    Natur   ist    alles    für    ein   anderes   und   durch 
ein    anderes    da,    begriffen    wird    es    aber    nur    in    dem, 
was   durch   sich   selbst    ist,    alle    Gesetze    also    nur    in  der 
Vernunft,  die,  als  die  reine  Selbstbestimmung,  das  innere    5 
heilige   Eigentum  eines  jeden   Menschen   ist.     Die   Natur- 
gesetze stellen,  als  solche,   nichts  bloß  Äußeres,   der  Ver- 
nunft Fremdes,  dar.    Denn  die  Vernunft  begreift  und  faßt 
ewig  nur  sich  selber  und  ist  nichts  anderes,  als  der  reine 
Akt  des  Selbsterkennens.    Die  Gesetze  der  Natur,  also  auch  10 
die  Notwendigkeit  derselben,  stellen  demnach  die  Gesetze 
der  Vernunft  selber  dar,  und  da  diese,  wo  sie  ist,  absolut 
frei    ist,    so    ist    die    Notwendigkeit    nur    in    und    mit    der 
Freiheit,    und    ohne   diese    nichtig.     Vom    Staate   gilt   das 
Nämliche,   wie  leicht   einzusehen  ist.     Denn  der   Staat  ist  15 
nichts  anderes,  als  die  gemeinsame  Organisation  der  Ver- 
nunft aller  Bürger.     Und  da  diese  niemals  aufhören  kann, 
frei  zu  sein,  so  ist  die  Freiheit  nicht  allein  in  dem  Allge- 
meinen   des    1  Staats,    sondern    notwendig   auch    in    einem  [63] 
jeden  Bürger  ganz  und  uneingeschränkt  da.  20 

Es  entsteht  die  Frage :  wie  nun  diese  Notwendigkeit 
mit   der   Freiheit   bestehen   könne,    da   sie    sich   zu   wider- 
sprechen   und    wechselseitig    aufzuheben    scheinen?      Daß 
dieses   der   Fall   ist,   wo   beide   in    ein   äußeres   Verhältnis 
gegeneinander  treten,  ist  in  und  für  sich  klar.    Wo  daher  25 
in  einem  Staate  die  Notwendigkeit  im  Ganzen  hervortritt, 
die  Freiheit  dahingegen  als  das  Eigentum  weniger  erscheint, 
da   verlieren   beide    ihre    Bedeutung.      Die    Notwendigkeit 
erscheint  als  drückender  Zwang,   und   die   Bürger  werden 
in  Knechte  verwandelt,  die  Freiheit  aber  stellt  sich  als  sich  30 
selbst  aufhebende   Willkür   dar,   und   der   Regent   wird   in 
einen  Tyrannen  verwandelt.  Will  nun  das  Volk  seine  Rechte 
wieder  gewinnen,  indem  es  die  Freiheit,  deren  verschobenes 
Bild  der  Tyrann  uns  darstellte,  als   ein  Äußeres  für   sich 
zu  erringen  sucht,  so  entsteht  jene  schauderhafte  Anarchie,  35 
welche  uns  die  wilde  Verirrung  einer  benachbarten  gesunke- 
nen  Nation   als   ein   warnendes   Beispiel   dargestellt    |  hat.  [64] 
Die  Freiheit  also  wird  nur  in  und  mit  der  Notwendigkeit, 
diese  nur  in  und  mit  jener  sein  können.    Ja  sie  müssen  als 
das  Eine  und  Nämliche  erkannt  werden.  40 

Man  hat  über  die   Realität   der  verschiedenen   Staats- 


238  Steffens. 

Verfassungen  gestritten,  und  bald  der  einen,  bald  der  andern 
den  Vorzug  geben  wollen.  Man  hat  unrecht.  Wie  die 
belebende  Natur  die  hohe  Harmonie  und  Bedeutung  des 
lebendigen  Daseins  in  mehrern  Individualitäten  darzustellen 
5  vermag,  so  auch  die  Geschichte.  Und  der  ganze  Sinn  und 
das  innere  Leben  des  Staats  kann  in  einer  jeden  Ver- 
fassung gleich  bedeutend  hervortreten.  Töricht  ist  der 
Wahn,  als  vi^enn  je  eine  Staatsverfassung  eine  gemachte, 
etwa  durch  einen  ausgezeichneten  Mann  ersonnene  wäre, 

10  vielmehr  ist  sie  immer  ein  lebendiges  Produkt  der  Ge- 
schichte, ein  wahres  Naturleben  derselben.  Selbst  wo  ein 
einzelner  Gesetzgeber  hervorragt,  und  als  der  ordnende 
Geist  des  Staats  erscheint,  wie  Zamolxis  unter  den  Scythen, 
Solen  in  Athen,  Lycurgus  in  Lacedämon,  Moses  unter 
r^^l  den  1  Juden,  stellen  sie  keinesweges  ein  Einzelnes  dar,  als 
wenn  sie  aus  allgemeinen  Begriffen  einer  toten  und  abstra- 
hierten Staatsverfassung  ihre  Gesetze  abgeleitet  hätten,  in 
welche  nun  die  lebendigen  Menschen  hineinpassen  sollten, 
vielmehr  sind  sie  selbst  nur  als  das  klare  Bewußtsein  des 

20  eigentümlichen  Volks  anzusehen,  so  daß  sich  beide  wechsel- 
seitig ergänzen.  Man  versuche  nur,  Zamolxis  unter  die 
Juden,  Moses  unter  die  Scythen  zu  versetzen,  ja  in  das- 
selbe Griechenland  Solon  nach  Lacedämon,  oder  Lycur- 
gus nach  Athen  zu  verpflanzen,  um  inne  zu  werden,  wie 

25  innig  ihr  Dasein  mit  dem  eigentümlichen  Leben  ihres  Volks 
verknüpft  war,  und  wie  wenig  leere  und  von  dem  Leben 
abstrahierte  allgemeine  Begri£]Ee  das  leitende  Prinzip  ihrer 
Gesetzgebungen  waren. 

Indem  nun  die  Staaten,  wie  die  Gattungen  der  Natur, 

30  in  verschiedener  Richtung,  und  das  nämliche  suchend,  sich 

auf  mannigfache  Weise  formen  und  gestalten,  können  wir 

doch  einen  allgemeinen  Typus  der   Gestalten,   nach  einer 

[66]  vierfachen  Richtung,  wahrnehmen.     Alle  aber  suchen  |  sie 

die  lebendige  Durchdringung  des  Einen  und  Vielen.    Einige 

35  Staaten  nämlich  überlassen  der  Natur  die  Sorge  für  ihre 
Verfassung,  indem  sie  die  höchste  Gewalt  einigen  aus- 
erwählten Geschlechtern  erblich  anvertrauen,  andere  be- 
halten sich  selbst  diese  Sorge  vor,  wie  in  den  Wahlreichen, 
beide  aber  stellen  die   Einheit  des   Besondern   und  Allge- 

40  meinen  bald  unter  der  Gewalt  des  Einen  und  Allgemeinen, 
wie  in  den  Erb-  und  Wahlmonarchien,  bald  unter  der  Ge- 


Idee  der  Universitäten.  239 

walt  des  Besondern  und  Vielen,  wie  in  den  Aristokratien 
und  Demokratien  dar.  Aus  den  mannigfaltigen  Verbin- 
dungen dieser  Grundformen  können  vielfältige  Abwei- 
chungen und  Modifikationen  entspringen,  alle  aber  können 
die  nämliche  Idee  des  Staats  auf  eine  individuelle  Weise  5 
darstellen. 

Wenn  nun  das  Wesen  des  Staats  nicht  in  einer  äuße- 
ren Form  liegt,  so  daß   das  wahrhafte  und  innere   Glück 
desselben  durch  eine  solche  weder  erzeugt  noch  erhalten 
werden  kann,   indem  wir  vielmehr  gestehen  müssen,   daß  10 
die  nämliche  Form,  die  einer  Nation  und  einer  gewissen 
Zeit   I  angemessen  ist,   einer  anderen  vielmehr  fremd  und  [67] 
widerstrebend  sein  kann,  so  entsteht  die  Frage :  worin  das 
eigentliche    Heil   eines    Staats   gesucht   werden   müsse,    so 
daß  in  ihm  die  äußerste  Strenge  der  Gesetze  mit  der  ewigen  15 
Freiheit  aller   Bürger  zugleich  bestehen  kann? 

Ein  jeder  Staat,  und  je  lebendiger  und  frischer  er  in 
sich    ist,    mit    desto    größerer    Strenge,    nimmt    das    ganze 
Dasein  des  Bürgers  in  Anspruch,  fordert  von  ihm,  wenn  es 
die  Notwendigkeit  gebietet,   die  Aufopferung  aller   Güter,  iO 
ja  selbst  des   Lebens.     Eine   Forderung  dieser  Art  würde 
widernatürlich  und  im  höchsten  Grade  grausam  sein,  wenn 
der   Staat   dem   Bürger   bloß   als   eine   äußere   und   streng 
gebietende  fremde   Gewalt   erschiene.     Nur   dadurch  also, 
daß    ihm    die    Gewalt    des    Staats    nicht    als    eine    fremde,  25 
sondern  als  die  eigene,  selbst  bestimmte,  hervortrete,  würde 
jene  widernatürliche  Grausamkeit  verschwinden.     Es  muß 
daher   dem   Staate  vor   allem   wichtig   sein,   daß   die    Idee 
desselben  in  einem  jeden  Bürger  klar  da  liege,  und  zwar 
auf  eine  sol- 1  che  Weise,   daß  alle  Gesetze  desselben  von  ^ng^ 
ihm  innerlich  als  selbst   entworfene   eigener  Vernunft  an- 
erkannt werden.     Denn  nur  dadurch  wird  der  Bürger  frei 
erklärt,  und  nur  so  das  Problem,  wie  sich  die  Freiheit  und 
Notwendigkeit  im  Ganzen  und  in  einem  jeden  Bürger  durch- 
dringe, vollständig  gelöst.     Nun  gehören  aber  zum  Wesen  35 
des  Staats,  und  damit  sein  inneres  Leben  in  seinem  ganzen 
Umfange  dargestellt  werde,  die  höchsten  Forschungen  des 
menschlichen    Geistes,    die    eben,    ausgedrückt    durch     die 
Eigentümlichkeit  der  geistigen  Richtung  der   Nation,   das 
Trefflichste,    alle    übrigen    Verhältnisse    Verklärende    und  40 
Erhöhende     enthalten.       Derjenige    allein     aber     hat     die 


240  Steffens. 

höchste  Weisheit,  und  mit  dieser  die  höchste  Freiheit 
errungen,  der  die  Tiefen  des  nationalen  Geistes  in 
ihrem  ganzen  Umfange  erspäht  hat.  Wohl  wissen  wir  es, 
daß  Gemüter  da  sind,  die  auf  eine  bewußtlose  Weise 
5  mit  dem  Staate  innig  verbündet  sind,  so  daß  ihr  inneres 
Leben  das  Ganze  mit  inniger  Liebe  umfaßt,  und  ihr  eigenes 
Wesen  in  der  schönen  und  stillen  Darstellung  desselben 
[69]  wieder  |  erkennt;  Gemüter,  deren  scheinbare  Verschlossen- 
heit in  der  stillen  und  anspruchslosen  Hingebung,  in  der 

10  Sicherheit  einer  herrlichen  Natur  und  in  der  heiligen  Treue 
verschwindet.  Solche  Gemüter,  die  im  Staate,  wie  die 
Pflanzen  in  der  Erde,  wurzeln,  ist  es  ihnen  gleich  versagt, 
das  Höchste  des  Staats  zur  klaren  Anschauung  zu  erheben, 
offenbaren  durch  die  Entfaltung  herrlicher  Taten  auf  eine 

15  stumme  Weise,  daß  das  tiefste  Wesen  des  Staats  in  ihnen 
heimisch  sei,  wie  in  den  Pflanzen  alle  Elemente  sich  ver- 
söhnen, und  stellen  sich,  verklärt  durch  stille  und  heilige 
Einfalt,  den  größten  Geistern  gleich. 

Aber  keinesweges  vollendet  ist  der  Staat  durch  solche 

20  Bürger.  Er  selbst  zeigt  uns  das  Gemeinsame  der  Vernunft, 
und  das  klare  Selbsterkennen,  welches  zum  Wesen  derselben 
gehört,  muß  ihn  im  Ganzen  und  auf  jedem  Punkte  durch- 
dringen. Selbst  jene  verschlossenen  Gemüter  müssen,  ihr 
stilles  Dasein  unbefangen  umfassend,  von  der  allgemeinen 

25  Klarheit,   wenn  gleich  bewußtlos,  getragen,   in  dieser  wie 

[70]  in  einer  eigenen  Welt  |  leben.     Denn  wäre  im  Staate  das 

Erkannte  und   Bewußtlose  wahrhaft  gesondert,   so   würde 

die  Gewalt,  auf  welche  Seite  sie  auch  gesetzt  würde,  als 

eine  fremde,  das  Entgegengesetzte  vernichtende  erscheinen. 

30  Wenn  nun  aber  dem  Staate  ein  bestimmtes  Maß  des  Er- 
kennens  zugeschrieben  wird,  so  werden  die  Bestrebungen 
der  Bürger,  insofern  sie  über  dieses  endliche  Maß  hinaus- 
reichen, wie  die  Gegner  behaupten,  dem  Staate  fremd 
sein.     Nun  stellen  diese  aber  selbst  die   Behauptung  auf, 

35  daß  die  höchsten  Bemühungen,  allmählich  die  Masse  er- 
greifend, dem  Staate  eine  bedeutungsvollere  Zukunft  vor- 
bereiten. Entweder  sind  nun  jene  Bemühungen,  rein  ab- 
getrennt von  dem  Gesamtleben,  wie  in  einer  eigenen  Welt 
eingeschlossen,    dann    aber    ist    es    unbegreiflich,    wie    ein 

40  solches  Fremde  jemals  auf  die  Masse  einwirken  könne. 
Oder    sie    müssen    ein    äußeres    Verhältnis    zwischen    dem 


Idee  der  Universitäten.  241 

Staate  und  jenem  Bemühen  festsetzen,  dann  aber  werden 
diese    sich   wechselseitig    einschränken    und    ausschheßen. 
Wird  die  Gewalt  auf  die  Seite  der  geistigen  Bemühungen 
gesetzt,   so   |  werden  diese   störend  auf  die   Einrichtungen  [71] 
des    Staats   einwirken,    wird   aber   die    Gewalt   dem   Staate     5 
zugestanden,   so   erscheint  diese  dem  geistig   Forschenden 
als   eine   fremde,    und   da   der    Staat   das   Recht    hat,    das 
ganze    Dasein   des    Bürgers    in   Anspruch   zu    nehmen,    so 
wird   er   in   einen   bloßen   Knecht    des    Staats   verwandelt. 
Dünkt    es    euch   aber   billig,    daß    dasjenige    Bemühen,    in  10 
welchem   ihr    selbst    das    Herrlichste    des    Geschlechts    an- 
erkennt, und  welches  euch  die  schönsten  Früchte  für  die 
Zukunft  verspricht,   in   Knechtsgestalt   erscheine,   während 
es  dem  untergeordneten  Dasein  vergönnt  ist,  den  ganzen 
Umfang  seines  Wesens  frei  zu  entfalten?   Ja  es  wird  euch  15 
klar  sein,  daß  der  tiefe  Forscher,  entweder,  sich  von  dem 
Staate  absondernd,  in  erhabener  Einsamkeit  sich  in   sich 
einschließen  muß,  wie  dieses  wohl  in  Zeiten  herber  Ver- 
schlossenheit der  Fall  war,  wo  dann  sein  großes  Dasein, 
ohne  Früchte  vorübergehend,  erst  in  einer  schönern  Zeit,  20 
und  in  einem  Staate,  der  sein  inneres  Wesen  klar  geschaut 
hat,  wieder  auferstehen  v/ird;   oder  er  erkennt  die  Gewalt 
des  Staats  |  an,  so  wird  ihn  die  Knechtsgestalt,  die  seinem  [72] 
inneren   Wesen   widerspricht,    notwendig   vernichten. 

Doch  auch  das  Wohl  des  Ganzen  erfordert,   daß   ein  -'5 
jedwedes    große    und    bedeutungsvolle    Bemühen    sich    aus 
ihm,  wie  aus  seinem  eigenen  Wesen,  entfalte,  welches  uns 
eine  kurze  Betrachtung  klar  machen  wird.     Ihr  behauptet, 
daß  der  Staat,  gefangen  von  dem  Drange  der  Gegenwart, 
bei    allen   Veranstaltungen    nur    auf    die    Bedürfnisse    der-  30 
selben  zu  sehen  hat.    Aber  was  ist  denn  diese  Gegenwart? 
Bestimmt    durch   die   Vergangenheit,    aufgelöst   durch    die 
Zukunft,  läßt  sie  sich  in  keinem  Momente  fassen.   Was  ihr 
für  die  Gegenwart  einrichtet,  ist  vergänglich  wie  sie.    Alle 
eure    Einrichtungen    tragen    die    Spuren    der    Vernichtung  35 
in  sich  selber.     Je  vereinzelter   sie  dargestellt   sind,   desto 
schneller   verschwinden    sie,    wie   jene    niederen    Organisa- 
tionen, die,  in  dem  Übergange  vom  Leben  zum  Tode  keinem 
von    beiden    vollkommen    angehörig,     in    wenigen    Augen- 
blicken erscheinen  und  vergehen.     Je  tiefer  eure   Einrieb-  40 
tungen  in  der  Vergangenheit  der  Geschichte  |  und  in  der  [73] 

Universitiitsschrifteu  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  1(3 


242  Steffens. 

Natur  der  Dinge  wurzeln,  desto  dauernder  und  in  sich 
lebendiger  sind  sie.  Aber  dieses  Zurückgehen  in  der  Ge- 
schichte und  in  der  Natur  der  Dinge  ist  nichts  von  dem 
stillen  und  forschenden  Zurückkehren  des  menschlichen 
5  Geistes  in  sich  selber  Verschiedenes.  Von  der  Reihe  wech- 
selseitiger Bestimmungen  ergriffen,  kann  er  da  nur  ruhen, 
wo  ihm  die  Selbstbestimmung  entgegentritt.  Diese  ent- 
hält den  lebendigen  Anfang  und  das  Ende  aller  Dinge  in 
sich,  und  bewahrt,  selbst  unabhängig  von  allem  Wechsel, 

10  den  Keim  neuer  Gestaltungen.  Wenn  alles  nur  den  klein- 
lichen Bedürfnissen  des  erscheinenden  Daseins  entsprechen 
soll,  so  verschwindet  mit  dem  Untergange  der  Einrichtung 
auch  derjenige  Geist,  der,  selbst  in  dem  Wechsel  lebendig, 
sich  ewig   neu  gestaltet.     Wer  kennt   nicht  jene  unglück- 

15  liehen  Knechte,  die  von  einer  so  törichten,  wie  grausamen 

Gewalt  ergriffen,  zum  Räderwerk  plumper  Maschinen  herab- 

gewürdiget  wurden,   und   die,   wenn  irgend   ein  Zufall  das 

kümmerlich  zusamm.engefügte  Werk  zerstörte,   ausgetrock- 

[74]  net,  einseitig  zugeschnitten  und  [  gemodelt,  ohne  lebendige 

20  Kraft,  als  verdorbenes  und  überflüssiges  Werkzeug  weg- 
geworfen wurden?  So  tötet  der  Staat  das  belebende  Prin- 
zip in  sich,  wenn  er  der  unendlichen  Richtung  der  Talente" 
und  Geister  ein  nichtiges  Maß  vorschreibt.  Wohl  kann 
ein  solcher  Staat  für  einen  Augenblick  einen  bedeutungs- 

25  losen  Glanz  erlangen,  aber  das  Maß  seiner  Vollendung 
grenzt  auch  unmittelbar  an  den  Moment  seiner  gänzlichen 
Vernichtung.  Wir  sehen,  wie  der  Gärtner,  mehr  für  den 
augenblicklichen  Genuß,  als  für  das  Wesen  der  Vegetation 
Sorge    tragend,    indem    er    alles    auf    einen    erscheinenden 

30  Moment  bezieht,  den  Trieb  der  Fortpflanzung  einem  kurz 
erscheinenden  Glanz  der  Blüte  opfert.  Was  den  ewigen 
Keim  der  Fortschreitung  in  sich  enthält,  unterwirft  sich 
dem  Drang  der  Umstände  und  vernichtet  die  lebendige 
Zukunft,  eine  kurze  Gegenwart  vorübergehend  darzustellen. 

85  Was  die  gefüllten  Blumen  in  unserm  Garten  sind,  sind  jene 

Staaten  in  der   Geschichte.     Nur  derjenige   Staat,   der  es 

einsieht,  daß  das  Entfaltende  und  Belebende  in  seiner  Er- 

[75]  scheinung  nicht  wiede- 1  rum  durch  diese  gemessen  werden 

kann,   daß   es  vielmehr,   den  unscheinbaren   Keim   der  Zu- 

40  kunft  enthaltend,  als  sein  innerstes  Heiligtum  gepflegt 
werden  muß,   kann  ohne   Sorgen  den  Trübsalen   der  Zeit 


Idee  der  Universitäten.  243 

und  dem  unvermeidlichen  Untergang  bestehender  Ein- 
richtungen entgegensehen,  denn  was  in  ihm  lebt,  gehört 
nicht  einer  einzelnen  Zeit  oder  bestimmten  Umständen, 
vielmehr  der  ewig  sich  neu  gestaltenden  Geschichte. 

Daher  wird  der  Staat,  sich  selber  erkennend  und  sein  5 
Wesen  durchdringend,  dafür,  vor  allem,  Sorge  tragen,  daß 
einem  jeden  Bürger  die  Idee  des  Staats  dargelegt  werde, 
damit  ein  jeder,  keinesweges  gebunden  durch  irgend  eine 
bestimmte  Richtung,  in  innerer  Übereinstimmung  mit  sich 
selbst,    seine   Eigentümlichkeit   entfalte.  10 

Hieraus  wird  es  nun  klar,  was  wir  auch  schon  früher 
behaupteten,  daß   ein  jeder,  der  sein  eigenes   Maß  kennt, 
auch  das  Maß  aller  Dinge  besitze,  und  indem  er,  unbefangen 
und  rücksichtlos,  die  Übereinstimmung  mit  sich  selbst  sucht,     , 
auch  mit  dem  Staate  übereinstimmt.    Da  aber  der  \  innere  r-  •] 
Widerstreit  der  Begierden  und  die  Gewalt  roher  Elemente, 
sowie   der   physische   Druck,    der    nicht   selten   den   hohen 
Aufflug  des  Geistes  zu  lähmen  imstande  ist,  die  freie  Selbst- 
bildung zu  unterdrücken  und  zu  vernichten  streben,  so  ist 
es  Pflicht  der  herrschenden  Gewalt,  diese  dem  Heiligsten  20 
des  Staats  drohenden  Hindernisse  aus  allen  Kräften  zu  be- 
kämpfen.   Denn  nichts  hat  der  Staat  so  sehr  zu  betrauern, 
als   die   Unterdrückung   eines  keimenden  Talents.     Es   ist 
also   eine   notwendige   Folge  aus   dem  Wesen   des   Staats, 
daß    derselbe   in   allem   sich   bestrebt,    die   innere   Freiheit  25 
des    Geistes,    von   welcher   die   äußere    nur   als   der   matte 
Abglanz  anzusehen  ist,   zu  schützen  und  zu  pflegen. 

Möge  es  uns  ergötzen,   das  frische  und   ewig  jugend- 
liche Bild  eines  solchen  Staats,   der,   in  welcher  Form  er 
sich  auch  darstelle,  die  einzig-wahre  Republik  genannt  zu  30 
werden    verdient,    genau   ins    Auge    zu   fassen!     Ihn  selbst 
aber  werden  wir   in   seiner   ganzen   Herrlichkeit   in   einem 
jeden    Bürger   wiederfinden.     Wenn   auch   Geschick,    Um- 
stände,   oder    [  eigentümliche   Natur   diesem   die   geringste  [77] 
Stelle   angewiesen   hätten,   so   wird   er   sich   doch   dadurch  35 
keinesweges    erniedrigt    finden,    überzeugt,    daß    eine    jede 
Stelle  im  Staate  ihm  erlaubt,  die  innere   Herrhchkeit  und 
wahre  Vornehmheit  desselben  in  sich  darzustellen.     Auch 
wird  ihm  der  angewiesene  Kreis,  mit  allen  seinen  Beschrän- 
kungen, als   ein   notwendiger,   also   ihm   innerlich   heiliger.  40 
erscheinen;   ihm  wird  der   strengste   Gehorsam  gegen   die 

IG* 


244  Steffens. 

Gesetze  keinesweges  drückend  sein,  denn  die  größte  Strenge 
des  Staats  entspricht  der  innern  Ordnung  seines  eigenen 
Wesens.  Vielmehr  wird  er  in  einer  jeden  Verletzung  der- 
selben sich  selbst  angegriffen  fühlen.  Sollte  Leichtsinn 
5  oder  Leidenschaft  ihn  dazu  gebracht  haben,  irgend  ein 
Gebot  des  Staats  zu  übertreten,  so  wird  er  nie,  sich  selbst 
herabwürdigend,  Gnade  erflehen.  Denn  die  vorübergehende 
Schmach,  die  ihn  trifft,  berührt  nur  sein  äußeres,  nicht 
wesentliches  Dasein,  welches  er  dem  Staate  freudig  opfert; 
10  daß  aber  das  Recht  auch  an  ihm  verübt  werde,  fordert 
seine  höhere,  ihm  heiligere  Natur. 

[78]  [  Wie  ein  jeder  Bürger  sich  dem  Staat  opfert,  so  erkennt 
auch  dieser  in  ihm  die  wahre  Stärke  und  den  Abglanz 
seines  ganzen  Daseins,  und  selbst  in  dem  geringsten  Bürger, 
16  der  durch  die  äußere  notwendige  Form  des  Staats  zur 
höchsten  Abhängigkeit  bestimmt  ist,  stellt  die  ewig  unan- 
tastbare Ehre  das  Höchste  dar,  worin  er  und  der  Ge- 
waltigste gleich  vornehm  sind.  Der  Weise  allein  ist  der 
wahre  König,  wie  die  Alten  sich  ausdrückten;  und  damals 
20  war  Rom  vor  allen  mächtig  und  in  sich  gesund,  als  Cyneas 
bei  einer  Versammlung  vieler  Bürger  ebenso  viele  Könige 
zu  sehen  glaubte.  Stille  aber  ist  der  rechte  Bürger  und 
friedfertig,  nicht  wähnend,  es  sei  ihm  erlaubt,  über  alles 
zu  klügeln;  duldend  und  vergessend,  was  nur  seine  Per- 
25  sönlichkeit  kränkt  und  sein  äußeres  Dasein  verletzt;  gehor- 
sam, der  gebietenden  Gewalt  huldigend,  mit  Demut  und 
Ergebenheit,  nicht  widerstrebend,  wo  er  nicht  wahrhaft 
berufen  ist,  in  schweren  Zeiten  das  Ganze  darzustellen. 
Dann  erst,  wenn  die  herrschende  Gewalt,  sich  selbst  auf- 

^0  hebend,    törichterweise   fordern   wollte,    1    daß    irgend    ein 

L79J  Bürger  dem  klaren  Irrtum  huldigen  oder  die  Sittlichkeit 
verletzen  sollte,  zieht  sich  die  wahre  innere  Stärke  und 
die  höchste  gebietende  Kraft  des  Staats  in  die  Seele  des 
Bürgers  zurück,  so  daß  der  Herrscher  ein  Verbrechen  be- 
35  geht,  ja  aufrührerisch  handelt,  wenn  er  die  göttliche  Ober- 
herrschaft in  ihm,  der  in  solchem  großen  Augenblick  der 
wahre  König  genannt  werden  kann,  verkennt  oder  schmäht. 
Der  gesunde  Staat  ist  ferner  unantastbar.  Denn  auf 
einem  jeden  Punkte  wird  das  Ganze  angegriffen.     Da  das 

40  Dasein  eines  jeden  Bürgers  mit  dem  Staate  auf  das  innigste 
verschmolzen    ist,    so    ist    der    Untergang    des    Staats   sein 


Idee  der  Universitäten.  245 

eigener  Tod.    Und  zwar  sieht  er  in  dem  sinkenden  Staate, 
mit    innerlichem    Schauder,    das    Ersterben    seiner    innern 
heiligen  Natur  und  seiner  Ehre.    Diesem  zu  entgehen,  dem 
einzigen  wahren   Unglück,   welches   er   zu  befürchten   hat, 
opfert   er   frohen   Mutes    Besitz,    Leben   und    Liebe.     Sein    5 
höheres    Dasein   feiert    den    Triumph    eines    schönern    Be- 
sitzes,  eines  heiligern  Lebens,   einer  tiefern  Liebe  in  dem. 
Wiederaufblühen  [  des  geretteten  Staats.    Ein  solcher  Staat  [80] 
daher  kann  nie  unterjocht,   nur  ausgerottet  werden.     Aus- 
gerottet,  sage  ich,   als   wenn   dieses   möglich  wäre.     Aber  lo 
welche  irdische  Kraft  kann  gegen  das  Unsichtbare  kämpfen? 
Wäre  der  angreifende  Staat  selbst  mit  sich  übereinstimmend 
und   in   sich   gesund,    wahrlich,    nie   würden   wir   ihn    zum 
Kampfe    gegen    das    Heilige    hervortreten    sehen.      Ist    er 
aber  von  Begierden  des  Volks   oder   des   Herrschers   ent-  15 
flammt,  wild  gegen  das  Heilige  empört,  so  wird  die  innere 
Kraft   des   Göttlichen  im   Staate,   alle   Bürger   im  Kampfe 
vereinigend,    notwendig   die   Nichtigkeit   seines   Bestrebens 
kundtun. 

So  nun  zeigt  sich  die  in  sich  frische  und  wahre  Re-  20 
publik.    Man  hat  aber  die  Behauptung  aufgestellt,  es  könne 
keine  Republik  ohne  Heloten  da  sein.     Eine  Behauptung, 
die  wir,  das   Mangelhafte  der  Erscheinung  erwägend,   zu- 
.ucben  müssen.     Nur  sind  diese  es  nicht,  wie  in  der  alten 
Welt,  durch  die  Natur  oder  durch  das  Geschick,  vielmehr  25 
durch  eigene  Wahl.     Knechte  des  Staats  nämlich  nennen 
wir  diejenigen,  deren  Gesinnung  mit  der  |  Gesinnung  des  [81] 
Staats   im   Widerspruche   steht,    so   daß    sie    irgend   etwas 
anderes,    als    das    allgemeine    Wohl    suchen    und    wollen; 
also  ein  jeder,  der  an  einer  vereinzelten,  dem  Staate  fremden  30 
Existenz  hängt.     Wäre  diesem  auch  im  Staate  große  Ge- 
walt anvertraut,  so  ist  er  doch  nur  ein  Knecht  des  Staats, 
indem  der  geringste  Bürger  innerlich  absolut  vornehm  und 
frei   ist,   und   seine   Unterwerfung   selbst   ist    nur   die   eines 
Heloten.  35 

So  ruht  das  Schicksal  des  Staats  in  der  innern  Seele 
eines  jeden  Bürgers,  und  wenn  irgend  ein  Unheil,  den 
Staat  zerstörend,  hervorbricht,  oder  euer  eigenes  bürger- 
liches Dasein  zu  vernichten  droht,  ihr  habt  es  euch  ledig- 
lich selbst  beizumessen.  Ihr  beklagt  euch,  wenn  die  Ge-  40 
walt  des  Herrschers,  übermütig  hervorwachsend,  die  Frei- 


246  Steffens. 

heit  der  Bürger  verschlingt,  und  wenn  derselbe,  indem 
er  die  anvertraute  Gev/alt  mißbraucht,  als  ehrsüchtiger 
Eroberer  den  Frieden  benachbarter  Länder  zerstört,  und 
die  Söhne  des  Landes  zum  frevelnden  Raube  leitet.     Euch 

5  selbst   habt   ihr   anzuklagen,   denn   eine   solche    Mißgestalt 
[82]  schwerer  Zeiten  entspringt  [  nur,  wie  ein  Zauberbild  mannig- 
facher Verbrechen  der  Bürger,  aus  dem  gärenden  Sumpfe 
eigener  Sündhaftigkeit.     Ihr  beklagt  euch  über  den  Druck 
und  frechen  Übermut  der  Großen  und  Mächtigen,   indem 

10  ihr  euch,  getrieben  von  irgend  einer  persönlichen  Furcht 
oder  Hoffnung,  ihnen  als  Knechte  darstellt,  und  wahrlich 
nicht  mit  Unrecht  als  solche  behandelt  werdet. 

Ihr  werdet  sagen,  ein  solcher  Staat,  wie  wir  ihn  hier 
geschildert   haben,    sei   niemals   da,    und    eine    solche   Ver- 

15  bindung  sündhafter  Menschen  keinesweges  möglich.  Aber 
ihr  werdet  gestehen  müssen,  der  wahre  Staat  sei  nur  da, 
wo  man  aufs  eifrigste  sich  bestrebt,  die  Bürger  von  den 
Knechten  zu  sondern,  so  daß  man  in  die  innigste  Ver- 
einigung jener  das  höchste  Wohl  des  Staats  setzt,  indem 

20  man  den  Knechten  ihren  rechten  Platz  anweist,  und  sie 
durch  eine  wohlgeordnete  Gewalt  zu  bändigen  sucht. 


Fünfte  Vorlesung.  [83] 


Wir  haben  einsehen  lernen,  wie  der   Mittelpunkt  der 
äußeren  Notwendigkeit  des  Staats  die  Freiheit  selber  sei, 
so  daß  die  erste  ohne  die  zweite  auf  keine  Weise  da  sein 
könne.     Es  ist  aber  klar,   daß   die   äußere   Notwendigkeit     5 
eins   sei  mit   dem   Einengenden  und   Beschränkenden   des 
äußeren  Daseins,  so  aber,  daß  da,  wo  die  innere  Freiheit 
waltet,  jenes  Einschränkende  nicht  mehr  als  solches,   son- 
dern als   die   lebendige   innere    Form    der    Freiheit    selber 
hervortritt.      So    wie    nun    die    Notwendigkeit    durch     das  10 
äußere  Dasein,  so  wird  die  Freiheit  durch  das  Erkennen 
dargestellt,  und  da  die  Einheit  der  Handlungen  Sittlichkeit, 
die  Einheit  des  Erkennens  aber  Wahrheit  genannt  wird,  so 
sehen  wir,  daß  die  Freiheit  und  Notwendigkeit  nichts  von 
der  Wahrheit  und  Sittlichkeit  Verschiedenes  sei,  wie  vielmehr  15 
dasjenige,    |  welches  wir  von  verschiedenen   Standpunkten  [6i] 
der    Betrachtung    als    das    eigentliche    Wes'en    des    Staats 
kennen  lernten,  in  sich  übereinstimmt.     Da  nun  aber  die 
Einheit   des   Erkennens   und    Daseins,    der   Wahrheit   und 
Sittlichkeit  also,  die  Weisheit  ist,  beide  sich  aber  in  einem  l'O 
Staate,     als     Freiheit     und     Notwendigkeit,     durchdringen 
müssen,  so  erhellt,  daß  die  Weisheit  die  Seele  des  Staats 
sei.     Es  wird  jetzt  von  uns  gefordert,  daß  wir  zeigen,  wie 
die  Weisheit  in  einem  Staate  gepflegt  werde,  und  wie  die 
Bürger  desselben  zur  höchsten   Freiheit   gelangen.  25 

Unsere  Behauptung  ist  nun,  daß  die  Universitäten  solche 
Einrichtungen  sind,  durch  welche  die  Jünglinge  des  Staats 
aufgefordert  werden,  durch  Selbstbestimmung  das  Maß  zu 
erringender  Freiheit  sich  selbst  zu  erwerben.  Und  zu  keiner 
Zeit  dünkt  es  uns  notwendiger,  diese  Würde  der  Universi-  öO 
täten,    die    dadurch    zu    den    wichtigsten    und    ersten    Ein- 


248  Steffens. 

richtungen  des  Staats  erhoben  werden,  zu  behaupten.  Denn 
nicht  ohne  Bedauern  bemerken  wir,  wie  die  schöne  Neigung, 
[85]  die  Deutschland  [  über  alle  übrigen  Länder  Europas  erhob 
und  ihm  die  erste  Stelle  anwies,  diese  nämlich,  durch  eigenes 
ß  inneres  Bemühen  das  Wesen  des  Daseins  und  der  Dinge 
auf  eine  eigene  Weise  zu  ergründen,  immer  mehr  ab- 
nimmt, so  daß  solche,  die  vormals  die  freie  Richtung  des 
Geistes  mit  fröhlicher  und  jugendlicher  Unbefangenheit 
befolgten,    nun,    sei    es   durch   den    Druck    der    Umstände 

10  gelähmt,  oder  durch  die  gar  zu  große  Sorge  für  die  irdische 
Zukunft  dazu  bewogen,  nur  auf  dem  kürzesten  Wege  sich 
selbst  für  irgend  einen  bloß  endlichen  Zweck  zuzubereiten 
suchen,  und  so  sich  selbst,  das  Ringen  nach  höherer  Frei- 
heit  gewaltsam   unterdrückend,    zu   fortdauernder   Knecht- 

15  Schaft  verdammen.  Zwar  ziemt  es  sich  nicht,  indem  wir 
einen  so  großen  Gegenstand  mit  einem  freien  Blicke  zu 
umfassen  trachten,  die  Abnahme  unserer  Lehranstalt  ins- 
besondere zu  erwähnen,  denn  gar  zu  leicht  schleichen  sich 
in   solche   Klagen  persönliche,   den   Lehrern  der   Weisheit 

20  keinesweges   anständige    Rücksichten    ein.     Aber    in   ganz 

Deutschland   hat   sich  die   Menge   derer,   welche   die   Uni- 

[86]  versitäten  besuchten,  |  nur  gar  zu  sehr  verringert,  und  ist 

es  gleich  gewiß,  daß  auch  vormals  dasjenige,  was  wir  als 

das  innere  Wesen  und  die  Idee  der  Universitäten  darstellen 

2")  werden,  von  den  wenigsten  gesucht  ward,  so  ist  es  doch 
unleugbar,  daß  diese  Anstalten  vorzüglich  die  Pfleger  des 
nationalen  Geistes  und  die  Erwecker  innerer  Freiheit  ge- 
nannt werden  müssen;  so  daß  wir,  ohne  uns  zu  irren, 
behaupten  können,  daß  der  Verfall  der  Universitäten  mit 

30  dem  Verfall  der  Nation  selbst  gleichen  Schritt  hält.  Und 
wie  können  wir  es  auch  vergessen,  daß  diese  Institute,  in 
einer  glücklichern  und  innerlich  selbständigem  Lage  der 
Nation,  die  hellen  Zentralpunkte  des  höchsten  nationalen 
Bestrebens  bezeichneten,  so  daß  wir  die  Universitäten  zu 

35  Prag  und  Wittenberg  als  die  Geburtsstätten  einer  Zeit  an- 
sehen müssen,  deren  gewaltiger  Geist  auf  ganz  Europa 
bestimmend  einwirkte.  Wie  innig  aber  solche  Einrich- 
tungen mit  dem  Wesen  deutscher  Eigentümlichkeit  ver- 
schmolzen sind,   erhellt  vor  allem  daraus,  daß   der  eigent- 

40  liehe  Sinn  der  Universitäten  bei  allen  andern  Nationen 
[87]  früher  oder  später  |  erlosch,  in  Deutschland  aber  sich,  selbst 


Idee  der  Universitäten.  249 

unter  den  ungünstigsten  Umständen,  erhielt,  und  auch  jetzt 
^vohl  unterdrückt,  aber  keinesweges  verschwunden  ist. 

Möchte  es  mir  gehngen,  in  euch  den  höhern  Geist  zu 
beschwören,  so  daß  ihr  euch  nicht  mit  der  Dürftigkeit  einer 
kümmerlichen  Zeit,  vielmehr  mit  den  großen,  kühnen  und     5 
in   sich   tüchtigen    Männern   einer   herrlichen  A'orzeit    ver- 
wandt fühlen  möchtet! 

Um  die  Idee  der  Universitäten  vollkommen  fassen  zu 
können,  ist  es  nötig,  einiges  über  das  Verhältnis  derselben 
zur  frühern  Bildung  auf  den  Schulen  zu  sagen.    Wie  näm-  10 
lieh  das  Kind  gleich  nach  der   Geburt,   obgleich  in  einer 
Rücksicht  selbständig  und  ein  eigenes   Leben  darstellend, 
doch  durch  die  Art  der  Ernährung  an  der  Mutter  wurzelt, 
und  nur  imstande  ist,  ein  schon  Assimiliertes  zu  genießen, 
so  wurzelt  auch  das   Kind  geistig  in   einem  fremden   Da-  15 
sein  auf  eine  solche  Weise,  daß  es  das  schon  aufgenommene 
Bild  der  Dinge  und  des   Lebens  aufnimmt,   dieses  jedoch 
bewußt- 1  los  auf  eine  eigene  Weise  gestaltend.    Alles  zwar  [88] 
empfängt   das   Kind   durch   Selbsttat,    so   jedoch,    daß   die 
klare   Anschauung   der    eigenen   Tätigkeit    zurückgedrängt  20 
ist,  und  in  der  bewußtlosen  Unschuld  der  kindlichen  Ent- 
faltung  verschwindet.      So    gewiß    nun,    als    die    Natur   in 
einem  jeden  Kinde  eine  eigene  Welt  eigentümlicher  Kräfte 
und    Fähigkeiten     verschlossen    hat,    so    gewiß    ist    nichts 
törichter  und  verwerflicher,  als  wenn  man  mit  rauher  Hand  25 
den  freien  Wuchs  der  Natur  verunstaltet,  indem  man  die 
unbefangene  Seele  des  Kindes  einengt.     Diese  aber  ist  die 
heiligste    Gabe    der    Gottheit,    welche    anzuerkennen,    aber 
nicht     nach     endlichen    Zwecken    klügelnd    zu    beurteilen, 
Eltern  und  Staat  da  sind.     Daher  ist  alle  Erziehung  nur  30 
pflegend,  keinesweges  bestimmend.     Die  große  unergründ- 
liche Freiheit  der  Natur,  die,  sorgfältig  gepflegt,  in  spätem 
Jahren  als  Freiheit  des  Geistes  sich  selber  ergreift,  haben 
wir   auch    in    dem    Kinde    zu    achten.      Wißt    ihr,    die    ihr 
törichterweise    durch    eine    frühe    Bestimmung    der    freien  35 
Seele  des  Kindes  ein  endliches  Ziel   setzen  möchtet,   |  ob  [89] 
nicht  das  Kind  bestimmt  ist,  was  ihr  ersonnen  habt,  mit 
großer    Kraft    zu    bekämpfen?     Daher    sei    die    Erziehung 
nur  auf  das  Gemeinsame  aller   Geister  gerichtet,   als  den 
fruchtbaren  Boden,  aus  welchem  alles  Individuelle,  eigenen  40 
Gesetzen     folgend,     entspringt    und    sich    selber    gestaltet. 


250  Steffens. 

Dieses  aber  werde  mit  großer  Strenge  mitgeteilt,  und  der 
notwendige  Zusammenhang  sei  bei  dem  Unterrichte  wich- 
tiger, als  die  bloße  Mannigfaltigkeit  und  Masse  der  Kennt- 
nisse. Im  Sittlichen  lerne  das  Kind  strengen  Gehorsam, 
5  im  Wissen  aber  werde  ihm  nur  das  mitgeteilt,  wovon  ihm 
der  Zusammenhang  klar  ist.  Es  sei  der  Unterricht  eine 
gymnastische  Übung,  in  welcher  die  junge  Seele  die  eigene 
Kraft  kämpfend  erproben  kann.  Die  klaren  Gesetze  des 
Denkens,   der   Sprache,   der  Zahlen  und   Figuren   sind  als 

10  eine  feste  Grundlage  des  allgemeinen  Erkennens  anzusehen, 

deren    strenger    Zusammenhang    den    Kindern    nicht    früh 

genug   mitgeteilt   werden   kann.     Fürchtet    nicht,    daß    die 

strenge    Beschäftigung    der    Freiheit    der    Seele    schädlich 

[90]  sei,  vielmehr  wird  das  Kind  den  |  gesetzmäßigen  Zusammen- 

15  hang,  und  zwar  je  strenger  er  dargestellt  wird,  desto  eher, 
mit  innigem  Ergötzen  verfolgen,  denn  die  frohe  Ahndung 
der  innern  Freiheit  des  Geistes  begrüßt  das  Kind  aus  der 
unwandelbaren  Notwendigkeit,  da  sie  vielmehr  durch  das 
lockere    Gewebe    willkürlicher    Verbindungen,    welche     die 

20  eigenen  Kräfte  des  Kindes  nicht  aufregen,  getrübt  oder 
wohl  gar  vernichtet  wird.  Auch  stellt  jene  feste  Grund-- 
läge  eine  sichere  Form  dar,  die,  je  gesetzmäßiger  und  in 
sich  geschlossener  sie  erscheint,  desto  inniger  sich  an  die 
Seele  des  Kindes  anschmiegt,  und  später  die  Organe  einer 

25  freiem  Weltanschauung  aus  sich  entfaltet.  Vor  allem  aber 
ist  es  notwendig,  und  wir  können  es  mit  Recht  die  höchste 
Kunst  des  Erziehers  nennen,  daß  der  Unterricht  des  Kindes 
mit  seiner  sittlichen  Ausbildung,  diese  mit  seinem  ganzen 
äußern  Dasein  in  der  innigsten  und  genauesten  Verknüpfung 

30  bleibe,  so  daß  nichts,  von  dem  übrigen  abgetrennt,  in 
einem  äußeren  Verhältnis  erscheine,  vielmehr  eine  jede 
Beschäftigung  sich  dartue  als  eine  lebendige  Funktion  des 
[91]  nämlichen  ge- 1  sunden  Daseins.  Die  belebende  Anschau- 
ung, die  das  Kind  so  innig  und  genau  mit  der  Natur  ver- 

35  knüpft,  unterhalte  und  pflege  man  sorgfältig,  daß  sie  zum' 
gemeinsamen  Bande  des  strenge  Geordneten  im  kindlichen 
Erkennen,  und  zur  innigen  Liebe,  die  das  ganze  Dasein  zu 
einem  allgemeinen  erweitert,  sich  allmählich  verherrliche. 
Denn  in  dem  reinen  kindlichen  Gemüte  ruht,  wie  ein  zarter 

40  Genius,  der  schöne  Sinn,  der  liebevoll  mehrere  zu  um- 
fassen   imstande    ist;    und    wo    der    wahre    Bürgersinn    in 


Idee  der  Universitäten.  251 

einem  jeden  Familienkreise  herrscht,   da  teilt   er   sich  auf 
eine  lebendige  Weise  dem  Kinde  mit.     Die  Erbsünde  ist 
die    Sünde    der    Bürger    selbst,    die   wie    ein   verderbliches 
Gift  die  keimende  Generation  ansteckt,  und  wo  die  Will- 
kür im  Geistigen  und   Sittlichen  frühe  dem   Kinde  nichts    ^ 
als  verunstaltete  Zerrbilder,  die  dem  äußeren  ^Zwange  un- 
willig nachgeben,  darstellt,  verschwindet  der  schöne  Gleich- 
mut und  das  anmutige  Ebenmaß  aus  der  kindlichen  Seele, 
die  nun,  von  Begierden  ergriffen,  nur  die  Mißgestalt  einer 
Welt  voll  Widersprüche,   in  welcher   sie  lebte,   offenbaren  10 
wird.  I  Frühzeitig  aber  errege  man  in  dem  kindlichen  Ge-  [02] 
mute  die  Neigung  zum  Übersinnlichen,  wodurch  die  zarte 
Seele  die  strenge  Notwendigkeit  der  äußeren  Dinge   und 
die    Abhängigkeit    und    Eitelkeit    der    irdischen     in     einer 
höhern   Ordnung   verklärt    erblickt.      Nicht    etwa   in   allge-  lö 
meinen  Begriffen,  der  Seele  des  Kindes  fremde,  stelle  man 
ihr  das   Göttliche  dar,   sondern  in  reiner  Einfalt,  wie   sie 
die    christliche    Religion    uns    darlegt,     werde     ihnen    das 
Heiligste  kundgetan,  und  es  ist  bekannt  genug,  wie  innig 
eine   einfache   Darstellung  der   göttlichen   Liebe   das  kind-  20 
liehe  Gemüt  zu  ergreifen  und  zur  Frömmigkeit  zu  erwecken 
imstande  sei. 

Das   so   durch   den   Glauben   gestärkte,    durch    eigene 
Kraft  in  sich  rüstig  gewordene,  durch  strengen  Gehorsam 
gestählte,   und   durch   innige   Liebe   mit   dem   Allgemeinen  25 
innigst  verbundene,   heranwachsende   Kind   überlasse  man 
ohne    Sorge    seiner    eigenen    Natur.     Was    innerhalb     der 
Sphäre   der   Eigentümlichkeit   hervortritt,   kann   zwar   nach 
den    Regeln    der    Klugheit    beurteilt    werden.      Denn     der  ^ 
Mensch,    von    den    Verhältnissen    des    Lebens    |  ergriffen,  j^j^.^, 
lernt  frühe  seine  Handlungen  den  äußern  Umständen  ge- 
mäß   einzurichten.    Was    ihm    aber    diesen    eigentümlichen 
Kreis  selbst  bestimmte,  den  er  unbestraft,  und   ohne  daß 
er  mit  sich  selbst  in  einen  das  Heiligste  des  Gemüts  zer- 
störenden   Widerspruch     gerät,     niemals    zu    überschreiten  35 
wagen  darf,   ist  auf  keinerlei  Weise  durch   endliche  Rela- 
tionen zu  begreifen.     Dieser  Kreis   erscheint  vielmehr  als 
der  unmittelbare  und  geheime  Grund   seines   Daseins,   als 
das  innere  Licht,  welches  die  Welt,  alle  Dinge  und   Ver- 
hältnisse erhellt  und  beleuchtet;  und  nur  innerhalb  dieses  40 
Kreises  bewegt  er  sich  vollkommen  frei;  wo  er  ihn  verläßt. 


252  Steffens. 

ist  er  selbst  nur  ein  nichtiges,  aus  dem  wechselseitigen 
Spiel  der  Relationen  hervorgerufenes,  von  einer  fremden 
Gewalt  ergriffenes,  in  einzelnen  Rücksichten  gefangenes, 
ein  innerlich  hohles,  nur  zusammengeronnenes  Schein- 
5  bild,  ohne  innere  Bedeutung  und  Bestand.  Enger  scheinen 
die  Grenzen  des  eigentümlichen  Kreises  bei  einigen  gezogen, 
die  durch  eine  bestimmte  Richtung  des  Geistes  mit  be- 
[94]  stimmten  Gegenständen  oder  Ver- 1  hältnissen  der  Dinge 
ursprünglich  innerlich  verwandt  scheinen.     Der  enger  ge- 

10  schlossene  Kreis  ist  jedoch  nicht  ohne  innere  Tiefe  und 
wundersame  Bedeutung,  und  das  Herrlichste  entspringt 
aus  solchen  verschlossenen  Gemütern  oft  auf  die  über- 
raschendste Weise,  auch  verbindet  sie  die  innere  Liebe 
und  die  rücksichtslose  Sittlichkeit,  die  das  Ganze  des  Ge- 

15  schlechts  in  jedem  Gemüte  kundtut,  unmittelbar  mit  dem 
Allgemeinen.  Daher  erscheine  uns  der  Mensch,  dessen 
Gemüt  ihn  ursprünglich  an  geringe  Beschäftigung  fesselt, 
nicht  geringer  oder  unwürdiger.  Nur  strebe  keiner,  von 
törichter  Eitelkeit  geleitet,  den  Kreis  zu  überschreiten,  den 

20  ihm  die  Natur  vorschrieb.  Ein  nichtiges  und  nutzloses 
Beginnen  ist  dieses.  Nichtig,  denn  nur  dasjenige,  was  aus 
dem  eigenen  Gemüte  entspringt,  hat  Bedeutung  und  Be- 
stand; nutzlos,  ja  schädlich,  denn  wenn  er  das  Beste  des 
Ganzen  sucht,   so  findet  er   es   nur,   indem  er  unbefangen 

25  der  eigenen  Natur  folgt.   Was  ihn  also  irreleitet,  kann  nur 
eine  persönliche  Rücksicht  sein,  indem  er  ein  glanzvolleres 
[95]  Schein- 1  dasein  für  sich  selber  zu  erringen  sucht,  eine  Ver- 
messenheit,   die    sich    durch    innern   Widerspruch   an    ihm 
selber  rächt,  an  dem  Staate  aber,  wenn  er  sich  durch  den 

30  Schein  irreführen  läßt,  durch  Verwirrungen  mancher- 
lei Art. 

Einige  Gemüter  aber  finden  in  sich  das  eingeborne 
Bestreben,  das  Wesen  der  Dinge  zu  erforschen  und  in  einer 
jeden  Beschäftigung   nicht  die  abgetrennte  und   einseitige 

35  Richtung  allein,  sondern  in  dieser  den  Abglanz  des  Ganzen 
auszuprägen.  Eine  geheime  Sehnsucht  trennt  diese  schon 
frühe  von  dem  Einzelnen  und  Äußeren  des  Lebens,  und  was 
in  dem  Leben  und  in  der  Erscheinung  der  Dinge  sich 
widerstrebt,    Mißverständnisse,    äußerer   Zwang    und   jedes 

40  nichtige  Verhältnis  will  sich  in  solchen  Gemütern  innig 
vereinigen.    Wo  die  stille  Sehnsucht  des  höhern  Erkennens 


Idee  der  Universitäten.  253 

in  einem  jugendlichen  Gemüte  keimt,   da  werde  sie  sorg- 
fältig  gepflegt;   wo    die   rüstige   Kraft    ein    eigentümliches 
inneres  Dasein  sich  selber  zu  erringen  strebt,  da  werde  sie 
vor  allem  geachtet.     Denn  in  solchen  Gemütern  liegt  der     . 
zukünftige  |  Glanz  des  Staats,  unkenntlich  zwar  und  noch  lögi 
nicht  gestaltet,  in  einem  tiefen  Grunde  sicher  verschlossen. 
Nicht  immer  zwar  ist  jenes  Bestreben  dem  Fremden  oder 
der  eigenen  Seele  klar,  aber  wenn  man  sich  innig  überzeugt 
hat,  daß  das  keimende  Bestreben  nicht  ein  bloßes  Schein- 
bild sei,  welches  ein  fremdes  und  bloß  mitgeteiltes  nach-  10 
äffend    wiedergibt,    so    erkenne    man,    wie    man    sich    der 
heiligen  unantastbaren  Stätte  höherer  Eigentümlichkeit  ge- 
nähert habe,  und  sorgfältig  entferne  man  eine  jede  äußere 
Gewalt,  damit  die  emporstrebende  Seele  zum  innern  Ver- 
ständnis  gelange.     Diese    Gemüter    sind    nicht    so    selten,  15 
wie  man  glaubt,  und  die  herrlichsten  Zeiten  sind  eben  die, 
in  welchen  sie  den  innern  eingebornen  Trieb  ungebunden 
verfolgen  können.     Was  in  verschiedenen  Richtungen  der 
menschliche  Geist  erspähet  hat,  werde  ihm  in  klaren  und 
bestimmten   Umrissen  mitgeteilt;   einfach   und   strenge   sei  20 
der  Unterricht,  besonders  aber  von  aller  Fiktion  und  von 
dem  lockern  Gebäude  nichtiger  Erklärungen  und  leerer  Rä- 
sonnements  entfernt,  damit  die  [  reine  Gestalt  der  verschie-  [97j 
denen  Zeiten  in  der  Geschichte  und  die  reinen  Tatsachen 
in   der   Natur   die  keimende   Seele   zu   fernerem   Forschen  25 
erregen.     Nicht  zu  früh  werde  der  Jüngling  der  äußeren 
Leitung  endedigt;   nur  dann,   wenn  der  innere  Trieb  der 
Selbstforschung     aus    dem    Mittelpunkte     des    Unterrichts 
selbst  klar  und  dcudich  hervortritt,  hat  er  die  höhere  Stufe 
des  Erkennens  errungen,  und  ist  als  ein  Freigelassener  an-  30 
zusehen. 

Wo  nun  kann  jene  innere  Sehnsucht  gestillt  werden, 
jene  ringende  Kraft  ihren  freien  Spielraum  erhalten,?  Im 
Staate  hat  alles  eine  bestimmte  Richtung,  eine  jede  Be- 
schäftigung ihren  eigenen  Kreis,  alles  ist  füreinander  da,  35 
und  keine  Richtung  der  Tätigkeit  ist  in  sich  selber  ge- 
gründet. Wird  der  Jüngling,  nachdem  er  der  fremden 
Leitung  entging,  unmittelbar  von  der  äußern  Gewalt  des 
Staats  ergriffen,  so  daß  ihm  ein  bestimmter  Kreis  der 
Tätigkeit  angewiesen  wird,  für  welchen  allein  er  ferner  40 
ausgebildet  werden  soll,  so  ist   es  klar,  daß  jenes  höhere 


254  Steffens. 

Bestreben  unwiederbringlich  erdrückt  wird,  und  wenn  auch 
[98]  I  die  Sphäre,  die  ihm  angewiesen  wird,  seiner  innern  Natur 
nicht  widerspricht,  so  wird  sie  doch  als  eine  vereinzelte, 
und  dadurch  seinen  Geist  lähmende  dem  erscheinen,  der  in 
5  einer  jeden  Richtung  nicht  das  Einzelne  und  Abgesonderte, 
sondern  eben  das  Bild  des  Ganzen  schauen  wollte.  Auch 
liegt  in  keinem  einzelnen  Kreise,  und  in  keiner  Beschäf- 
tigung, insofern  sie  abgetrennt  von  den  übrigen  betrachtet 
wird,  das  höhere  Prinzip,  welches  alles  zusammenhält  und 

10  belebt,  und  ein  Staat,  in  welchem  selbst  die  freiem  Geister 
unmittelbar  von  dem  Einzelnen  gefesselt  würden,  müßte  als 
ein  kümmerlich  Zusammengesetztes,  in  welchem  die  Teile 
nur  äußerlich  und  locker  verbunden  sind,  erscheinen,  und 
ohne  innere  widerstrebende  Kraft,  einem  jeden  Stoß  nach- 

10  gebend,  in  sich  zerfallen.  So  würde  die  Geringschätzung 
des  Geistes  sich  an  dem  Staate  selbst  rächen. 

Daher  die  Universitäten,  die  also  Schulen  der  Selbst- 
bildung   sind,    und    sich    eben    dadurch    von    den    frühern 
Unterrichtsanstalten     unterscheiden.      Daß     der    Staat    sie 
r  "  j  unterhalten   muß,    erhellt   von    [  selbst;    denn    sein    ganzes 

''"  höheres  Dasein  beruht  darauf,  daß  hier  der  Geist  des  freien- 
Forschens  ungehindert  walten  kann.  Wer  hier  die  höhere 
Selbstbildung  zu  erlangen  trachtet,  den  treibt  keine 
äußere    Gewalt,    kein    fremder    Wille,    auch    keine    äußere 

25  oder  endliche  Rücksicht,  sondern  lediglich  die  eigene  Be- 
stimmung und  seine  innere  Natur.  Gründlich  unterrichtet 
muß  derjenige  sein,  der  hier  den  höhern  Sinn  der  Wissen- 
schaft zu  ergründen  sucht.  Alles  dasjenige  Wissen,  welches 
bloß  mitgeteilt  wird,  muß  er  schon  erlangt  haben,  und  wer 

30  in  dieser  Rücksicht  früher  vernachlässigt  ist,  der  suche  die 
Kenntnisse,  die  ihm  fehlen,  sich  selbst  freiwillig  in  einen 
Schüler  verwandelnd,  zu  erlangen.  Wir  wollen  es  keines- 
weges  verhehlen,  daß,  nach  unserer  Ansicht  manches,  was 
auf  den  Universitäten  erst  gelehrt  wird,  eigentlicher  Gegen- 

35  stand   der   Schulen   sei.     Daraus    entspringt    ein   doppelter 

Nachteil;  denn  erstlich  ist  bei  demjenigen  Wissen,  welches 

bloß  mitgeteilt  wird,  eine  genaue  Verbindung  des  Lehrers 

[100]  mit  dem  Schüler  durchaus  notwendig,  so  |  daß  dieser  auf 

einem  jeden  Punkte  des  Fortschreitens  sorgfältig  begleitet 

40  wird,  da  die  größere  Entfernung  des  Lehrers  auf  den  Uni- 
versitäten durch  den  freiem  Vortrag,   welcher  der   Selbst- 


Idee  der  Universitäten.  955 

bildung  angemessen  ist,  demjenigen,  der  hier  doch  nur  als 
bloßer  Schüler  ist,  notwendig  schädlich  sein  muß.  Zweitens 
aber  wird  der  höhere  und  eigentliche  Universitätsunterricht 
bei  denjenigen,  die  teils  als  Schüler,  teils  als  Freie  be- 
trachtet werden,  notwendig  einen  innern  Widerspruch  ent-  6 
halten. 

Universitäten  nennen  wir  also  solche  Veranstaltungen 
der   Staaten,   auf  welchen   es   allen   Geistern  vergönnt   ist, 
der   eigenen   Richtung   ungebunden   zu   folgen.     Der    Ruf 
ergeht  an  einen  jeden  Jüngling,  aber  nur  die  innere  Natur  10 
bestimmt,  ob  ihm  gefolgt  werden  soll.    Zwar  wird  an  dieser 
Stelle   keinesweges    der    äußere    strenge    Gehorsam    aufge- 
hoben, über  die  innere  Richtung  der  Tätigkeit  aber  herrscht 
hier   keine   gebietende   Gewalt.     Der   Ort   und   die   innere 
ungetrübte  Freiheit  desselben  ist  dem  Staate  im  höchsten  15 
Grade  heilig,  denn  hier  werden  die  wahrhaften  |  Augurien  [101] 
gesucht,  und  aus  den  Nachforschungen  der  Meister,  welche 
die  Natur  der  Dinge  und  der  Geister  zu  erspähen  suchen, 
aus  dem  hervortretenden  innern  Einverständnis  derselben, 
erwartet  der  Staat  die  bedeutende  Weissagung  seines  zu-  20 
künftigen  Schicksals. 

Eine  Aufforderung  zum  Fleiß  an  die  Jünglinge,  die 
hier  erscheinen,  und  die  Universität  im  Geist  und  in  der 
Wahrheit  suchen,  wäre  so  überflüssig  wie  nutzlos.  Denn 
wer  nicht,  von  seinem  innern  Geiste  getrieben,  etwas  25 
Eigenes  und  Tüchtiges  zu  leisten  gesonnen  ist,  der  gehört 
nicht  zu  uns.  Der  Träge  ist  ein  geborner  Knecht,  für 
ihn  ist  der  äußere  Zwang  da,  und  ihm  wäre  besser,  er 
wäre  der  fremden  Leitung  niemals  entledigt.  Er  ist  also 
hier,  unwürdig  in  die  Gesellschaft  der  Freien  zu  treten,  als  30 
wenn  er  nicht  hier  wäre.  An  ihn  ist  daher  die  Rede  keines- 
weges gerichtet.  Schamlos  aber  ist  die  Behauptung  träger 
Knechte,  als  wenn  das  rüstige  Ringen  kräftiger  Geister 
zurückgedrängt  werden  müsse,  damit  sie  in  ihrer  trägen 
Ruhe  nicht  beschämt  werden.  35 

I        Zu  euch  also,  die  ihr  hier  wahrhaft  heimisch  seid,  die  [102] 
ihr,  durch  gründlichen  Unterricht  vorbereitet,  den  inneren 
Sinn  des  Daseins  erfassen  möchtet,  rede  ich  allein.     Vor 
allen  aber  ermuntere  ich  euch  das  Gemüt  zu  reinigen,  ehe 
ihr  das  heilige   Geschäft  vornehmt.     Alle  irdischen   Rück-  *0 
sichten  müsset  ihr  aus  der  Seele  bannen,  als  wenn  nichts 


256  Steffens. 

als  der  Gott  der  Wahrheit  und  der  Liebe,  und  die  forschende 
Seele  da  wäre.     Nicht   euch   selbst  gehört   ihr  jetzt   mehr 
an.     Wer   den   heiligen    Schleier   der   Wahrheit    zu   lüften 
trachtet,  und  nicht  ihr  sein  ganzes  Dasein  opfert,  in  stiller 
ö  Andacht  und  steter  Hingebung,  wer  die  entgegentretende 
und  hervorgerufene  Gottheit  schmäht,  der  begeht  unnenn- 
baren Frevel.     Keine  Furcht  vor  der  Zukunft  trübe  eure 
Blicke,  denn  diese  überlaßt  ihr,  das  Selbsterkennen  suchend, 
ruhig  dem  waltenden  Gotte.    Armut,  äußerer  Druck,  Schmä- 
^0  hung   blödsinniger   Toren,    Geringschätzung    des   verirrten 
Volks,  und  das  Geschrei  der  Masse  der  Sklaven,  die  euch 
das    Kettengeklirr    als    eine    fröhliche    innere    Musik,    und 
[lOöj  ihre  erzwungene  Verbin- 1  düng  als  eine  lebendige  und  innere 
aufdringen  möchten,  müsse  euch  keinesweges  stören. 
15  Auch   verheimlichen   wir   es    euch   nicht,    daß    ihr   das 

äußere  Glück  vielleicht  auf  eurem  Wege  nicht  zu  erringen 
vermöget,    nur   lernt   ihr    es    zu    entbehren.      Die   Eitelkeit 
bleibe  ferne  von  euch,  denn  mit  der  Welt  des  Scheins  habt 
ihr  nichts  zu  teilen,  und  das  innere  stille  Sinnen,  die  un- 
20  nennbare    Größe    der    Welt,    die    ihr    zu    ergründen    sucht, 
ruft  die  Demut  hervor.     Sicheren  Grund  und  Boden  aber,  . 
fest   und   unbezwingbar   in   jedem   Andrang,    habt    ihr   ge- 
funden, indem  ihr  der  eigenen  Natur  folgtet,   denn  diese 
ist    die    Offenbarung    Gottes    in    euch,    das    ursprüngliche 
25  göttliche   Gesetz,   welches  die   sichere   Grundlage  und   der 
ordnende   Geist  aller  äußeren   Gesetzmäßigkeit   ist.     Spürt 
ihr  in  euch  einen  bestimmten  inneren  Ruf  zur  Ergründung 
bestimmter  Verhältnisse,  oder  überhaupt  zu  einer  bestimm- 
ten Tätigkeit,  so  befolgt  ihn  unbefangen  und  ohne  Klügeln, 
30  nicht  achtend,  was  andere,  für  euer  irdisches  Wohl  mehr 
als   billig   besorgt,    euch   raten   mögen,    denn   der   Ruf   ist 
[104]  I    die   Stimme   Gottes   in   euch,   und   höher  als   die  blinde, 
sich    selbst    nicht    verstehende,    Sorge    der    Menschen     zu 
schätzen. 
35  So  von  allem  Irdischen  gereiniget,  indem  ihr  nur  mit 

euch  selbst  und  mit  eurem  Gotte  zu  Rate  geht,  könnt  ihr 
ohne  Sorge  die  freie  Bahn  des  reinen  Forschens  beginnen. 
Zwar  wir  dürfen  es  euch  nicht  verhehlen,  daß  in  dem  Reiche 
der  Geister,  dem  ihr  euch  zu  nahen  wagt,  großer  Zwiespalt 
40  zu  herrschen  scheint.  Doch  ihr  werdet  es,  ist  euer  Be- 
ginnen redlich,  erfahren,  wie  sich  der  Widerstreit  in  dem 


Idee  der   Universitäten.  257 

Stillforschenden  Gemüte  in  hohe  Eintracht  auflöst.  In 
den  Zahlen,  wird  einer  euch  sagen,  und  in  dem  strengen 
Verhältnis  der  Figuren  liege  allein  die  innere  Gewißheit, 
auch  sei  in  der  Natur  nichts  Gewisses,  was  sich  nicht  in 
diese  strenge  Form  füge.  Die  Erfahrung,  wird  man  be-  5 
haupten,  sei  täuschend  und  unsicher,  und  könne  bald  so, 
bald  anders  gedeutet  werden,  man  müsse  daher  die  ent- 
gegengesetzten Äußerungen  nebeneinander  dulden,  ungewiß, 
welche  die  rechte  sei.  Bei  dem  allen  wird  der  mühselige 
Fleiß,  der  in  [  der  Ergründung  der  Natur  der  Dinge  ver-  r-iQ^-i 
sunken  ist,  niemals  aufhören,  ihr  werdet  in  die  Werk- 
stätte der  Scheidekünstler,  der  Anatomen,  der  Physiker 
geführt  werden,  und  unwillkürlich  wird  euch  das  bedeu- 
tungsvolle Leben  der  Natur  entgegentreten  und  klar  werden. 
In  den  Gebirgen,  in  den  Pflanzen  und  Tieren,  werdet  ihr  15 
einen  Geist  walten  sehen,  und  dem  reinen  kindlichen  Sinn 
wird  die  unwillkürliche  Übereinstimmung  widerstrebender 
Forscher  keinesweges  verborgen  bleiben. 

Andere    werden    behaupten,    die    Natur    sei     nur     ein 
Untergeordnetes,  und  nur  der  menschliche  Geist  und  sein  20 
inneres    Leben    sei    ein    würdiger    Gegenstand    ernsthafter 
Betrachtungen.      Ist    denn    nicht    die    Natur,     werden    sie 
sagen,  ein  bloßer  Spiegel  der  Zeiten  in  der  Geschichte,  so 
daß  sie,  je  nachdem  die  Zeiten  wechselten,  auch  im  inneren 
Geiste  der  Menschen  eine  andere  Gestalt  annahm?    Diesen  25 
Zeiten  oder  Völkern  erschien  sie  als  ein  geselliger  Verein 
von    Dämonen   und    Göttern,    jenen   als    ein   weissagender 
Dämon,   unseren  Tagen  als   ein   ungeheures   Wechselspiel 
toter   i  Stoffe  oder  unbegriffener  Kräfte.     Aber  der   Geist  [luß] 
der  Zeit  selbst  läßt  sich  keinesweges  ergreifen.    Wir  selbst  30 
finden  uns  in  einer  bestimmten  Zeit,  von  der  vergangenen 
bedingt,  und  wie  kann  diese  das  Maß  zur  Beurteilung  der 
übrigen   enthalten?     Doch   die   reinen   Tatsachen   der   Ge- 
schichte   und    die    Bemühungen   der    edelsten    Geister    der 
verschiedenen    Zeiten     werden    euch    kundtun,     wie    alles  35 
nach  dem  nämlichen  Zentrum  strebte,  und  dasjenige   nur 
bleibend  war,  in  welchem  Natur  und  Geist  sich  innig  durch- 
drang. 

Der  Widerstreit  der  Geister  erscheint  nur  demjenigen 
als  solcher,  der  ihn  teilt,  der,  durch  diese  oder  jene  Rück-  40 
sieht  gefangen,  oder  durch  die  Gewalt  eines  überwiegenden 

UniversitiiisschrifteD  Fichte,   Schleiermacher,  SlelTeus.  17 


258  Steffens. 

Geistes  gefesselt,  nicht  Übereinstimmung  mit  sich,  sondern 
mit  andern  sucht. 

Indem  sich  die  mannigfahigen  Richtungen  des  For- 
schens  für  euch  eröffnen,  wird  euch  die  Menge  der  Gegen- 
5  stände  und  die  Erwägung,  daß  eine  jede  Richtung  den 
angestrengten  Fleiß  eines  ganzen  Lebens  erfordert,  oft 
[107]  abschrecken.  Aber  |  nicht  die  mühsame  Untersuchung,  nur 
die  Früchte  derselben  gehören  euch  zu,  und  je  tiefer  die 
Erforschung   ist,   desto   einfacher   das   Resultat,    und   desto 

10  inniger  verbindet  es  sich  mit  der  allgemeinen  Organisation 
des  menschlichen  Wissens.  Es  wird  euch  befremden,  wenn 
euch  viele  Untersuchungen  weit  abwärts  von  dem  Leben 
und  seinen  Bedürfnissen  zu  führen  scheinen.  Auch  hier 
dürft   ihr  dem   Gange   der    Untersuchung   und   dem   Wink 

16  des  höhern  Geistes,  der  euch  in  so  entlegene  Gegend 
führte,  nicht  klügelnd  widerstreben.  Ja,  daß  ihr,  indem 
ihr,  die  selbst  entworfenen  Probleme  verfolgend,  eurer 
eigenen  Natur  Genüge  zu  leisten  suchet,  euch  keinesweges 
vom  Wesen  des  Staats  trennt,  davon  wird  euch  eine  kurze 

20  Betrachtung  überzeugen  können. 

Denn  daß  die  innere  Freiheit  aller  Bürger  zum  Wesen 
des  Staats  gehöre,  werdet  ihr  wohl  nicht  leugnen  können; 
er  selbst  erscheint  aber  sowohl  als  die  Bürger  als  ein 
bloßer    Knecht   äußerer   Verhältnisse.      Denn   die   Einrich- 

25  tungen  und  die  innere  Gestalt  des  Staats  sind  keinesweges, 
[108]  I    äußerlich  betrachtet,   in   sich  selber  gegründet,   vielmehr 
mit  strenger  Notwendigkeit  bedingt  durch  die  nächste  Ver- 
gangenheit   und    durch    die     beschränkende    Natur.      Wie 
aber  können  Einrichtungen,  die  selbst  nur  durch  ein  Äuße- 

30  res  bedingt  sind  und  keine  Spur  der  wahren  Freiheit  in 
sich  enthalten,  in  dieser  knechtischen  Unterwürfigkeit  die 
Freiheit  der  Bürger  begründen?  Wie  daher  der  Bürger 
nur  frei  wird,  indem  die  Gesetze  des  Staats  als  die  selbst- 
entworfenen  seines   eigenen  Wesens   begriffen  werden,   so 

35  wird  der  Staat  selber  nur  frei,  indem  der  ordnende  Geist 
aller  Zeiten  und  die  waltende  Gesetzmäßigkeit  der  Natur 
in  ihm  heimisch  wird.  Dann  erst  erscheint  der  äußere 
Zwang  als  innere  geheiligte  Notwendigkeit,  und  eine  jede 
Einrichtung  entspringt  aus  dem   Innern  des   Staats  selbst, 

40  der  in  sich  begründet  und  fest  steht.  Diese  Freiheit  aber, 
die   aus    dem    Mittelpunkte    des    Staats    sich    einem    jeden 


Idee  der  Universitäten.  259 

Bürger   mitteilt,    erringt   er   nur   durch   die   Bemühung  der 
erhabensten  Geister,  die,  indem  sie  ihr  eigenes  Wesen  zu 
ergründen  suchen,   durch  die  Gewalt  der   |  Weisheit  auch  [109] 
den  Staat  erheben,  dessen  Bürger  sie  sind. 

Ehe  ich  diese  Stunde  schließe,  finde  ich  es  notwendig,  6 
euch  vor  gefährlichen  Abwegen  zu  warnen.v  Erstlich  sei 
es  euch  also  gesagt,  daß  es  nicht  allen  gegeben  ist,  alles 
zu  fassen,  daß,  wenngleich  der  allgemeine  Sinn  einen  jeden 
beleben  soll,  so  daß  eine  jede  Beschäftigung  durch  ihn 
geheiligt  wird,  dennoch  ein  jeder  mit  strenger  Entsagung  10 
dasjenige  Problem,  welches  ihm  die  Natur  zu  lösen  gab, 
diejenige  Tätigkeit,  zu  welcher  er  sich  vorzüglich  berufen 
fühlt,  mit  allem  Fleiß  zu  fassen  hat,  überzeugt,  daß  eine 
jede  Richtung  auf  gleiche  Weise  das  Herrlichste  zu  offen- 
baren vermag.  15 

Zweitens  warne  ich  euch  vor  jenem  falschen  Scheine, 
der,  den  Hochmut  nährend,  andere  gern  überreden  möchte, 
daß  man  alles  begriffen  habe.     Denn  indem  man  andere 
täuschend    dasjenige,  was  man  keinesweges  selbst  klar  ge- 
faßt  hat,   so  zu   stellen   sucht,   als   wenn  es   die  Wahrheit  20 
enthielte,   wirft   sich   der   Dünkel,   das    eigene   Wesen   zer- 
störend,   nach   innen,    und  |  die   innere    Wahrheit,    die   ihr  [110] 
ergreifen  möchtet,  erstirbt  in  dem  erlogenen  Scheine.   Auch 
trennt  euch  der  falsche  Dünkel  mehr  als  die  ernsthafte  und 
sinnige    Beschäftigung    mit    den    erhabensten    Dingen    von  25 
dem  eigentlichen  Leben.     Klüger  dünkt  ihr  euch,  als  die 
Zeit,  in  welcher  ihr  lebt;  und  auf  das  Bestreben  derselben 
töricht  herabblickend,  wollt  ihr  ihre  W^ünsche,   ihre   Hoff- 
nungen und  ihr  Ringen  nicht  teilen.     Die  wahre  Weisheit 
aber  gewinnt  euch  für  das   Leben  und  trennt  euch   nicht  30 
von  demselben.     Eine  jede  Wunde  der  Zeit   soll  in   euch 
ihre   Heilung,   eine  jede  Verirrung  derselben  in   euch  ihre 
Zurechtweisung  erhalten.     Wo  daher  die  allgemeine  Liebe 
erloschen,    wo    die    allgemeine    Teilnahme    und    der    tätige 
und   hilfreiche   Sinn  verschwunden   ist,   da   herrscht   frevel-  3;") 
hafter  Irrtum  im  Innern. 

Endlich  warne  ich  euch  vor  dem  schädlichen  Irrtume, 
welchem  oft  redliche,  aber  krankhafte  Gemüter  unterliegen, 
indem  sie  wähnen,  daß  sie  berufen  sind,  ein  einseitig  ent- 
worfenes Bild  ersonnener  Vollkommenheit  in  der  Welt  zu  40 
reali- 1  sieren.     Nicht  in  der  Übereinstimmung  mit  der  äuße-  [111] 

17* 


260  Steffens. 

ren  Welt,  sondern  in  der  Übereinstimmung  mit  euch  selbst, 
die  euch  keiner  rauben  kann,  liegt  die  Wahrheit  eures  Da- 
seins, und  mit  dieser  die  V/eisheit.  Zwar  tätig  werdet  ihr 
sein,  was  euch  recht  dünkt,  immer  lehrend,  und  was  euch 
5  richtig  scheint,  ausübend,  den  Erfolg  aber  dem  waltenden 
Geist  der  Geschichte  ruhig  überlassen,  und  nicht  in  er- 
schlaffenden wehmütigen  Klagen  euch  verlieren,  wenn,  was 
ihr  wollt,  mißverstanden  wird,  vielleicht,  von  Irrtum  und 
Bosheit  ergriffen,  mißgestaltet  erscheint ;  denn  nicht  fremde 

10  Bosheit  und  Irrtum,  nur  der  eigene  vermag  euch  zu  be- 
unruhigen. Zwar  bestrebt  ihr  euch,  den  Geist  der  Zeiten 
als  euren  eigenen  zu  fassen,  aber  in  seine  unergründliche 
Tiefe  zu  schauen,  ist  dem  Sterblichen  nicht  vergönnt. 
Dennoch  wißt  ihr,  daß  die  waltende  Gottheit  euch  inner- 

15  lieh   befreundet   ist.     Eure    eigenen   Taten,    einmal   getan, 

gehören  dem  ordnenden  Geiste  zu,  dessen  Offenbarungen 

ihr,  getrennt  von  allem  Persönlichen,  zu  betrachten,  keines- 

[112]  weges    nach    irdischen    Wünschen    und    Hoffnun-|gen    zu 

richten  habt.    Eure  eigene  innere  Natur  erkennt  ihr  in  den 

20  Ideen  Gottes,  deren  Betrachtungen  ihr  euch  andachtsvoll 
weihet,  nicht  in  den  krankhaften  Idealen,  die  ewig  nur 
Götzen  verirrter  Gemüter  sind.  So  seid  ihr  unabhängig 
von  dem  äußeren  Wechsel,  wahrhaft  tätig  im  Sinne  des 
Ganzen,  und  keine  getäuschte  Hoffnung,  nicht  der  Unter- 

25  gang  dessen,  was  euch  das  Teuerste  zu  sein  scheint,  nicht 
die  Mißverständnisse  der  Welt,  vermögen  die  innere  Ruhe 
zu  stören,  die,  in  stiller  Betrachtung  versunken,  in  den 
Gärungen  der  Zeit  und  in  den  Verwicklungen  derselben 
den  allmächtigen  Geist  erkennt,  der  sich  in  eurem  Innern 

80  kundtut,  der  die  Quelle  aller  Weisheit,  so  wie  innige  Ver- 
bindung mit  ihm  die  Wurzel  aller  Freiheit  ist. 


Sechste  Vorlesung.  [ii3] 


Daß  die  Idee  der  Universitäten  begriffen  wird  aus 
der  Art  und  Weise,  wie  auf  denselben  gelehrt  wird,  aus 
dem  Sinne,  den  man  hier  zu  erwecken  sucht,  und  nicht 
aus  der  Masse  der  Kenntnisse,  die  hier  erlangt  werden,  5 
oder  aus  der  äußeren  Beschaffenheit  derselben,  wird  euch 
schon  dadurch  klar  werden,  daß  die  erste  Fakultät,  die 
euch  zur  wissenschaftlichen  Selbstbildung  einladet,  die  philo- 
sophische sei.  Denn  ein  jeder  wird  gestehen,  daß  die 
Weisheit  nicht  von  dem  mannigfaltigen  Wissen  verschieden,  10 
vielmehr  der  ordnende  und  belebende  Geist  desselben  sei. 
Hier  also  vorzüglich  soll  man  euch  auf  das  wissenschaft- 
liche Bestreben  überhaupt,  dessen  Natur  und  Bedeutung 
aufmerksam  machen.  Hier  begegnet  euch  das  mannig- 
faltige  Bemühen  der  Geister,  eine  gemeinsame  ]  Sprache  rJ\  .1 
zu  finden,  und  die  Dinge  sowohl  als  das  Leben  als  klare 
Ziffern  zu  ergreifen,  deren  Deutung  man  unablässig  nach- 
spürt. 

Wer  hat  nun  den  menschlichen  Geist  zu  jenem  rastlosen 
Bemühen  angeregt,  daß  er  nimmer  ruhend  den  verwandten  20 
Geist  in  allen  Verhältnissen  des  Lebens  und  des  Daseins  zu 
erspähen  sucht?  Warum  reißt  er  sich  von  den  Bedürf- 
nissen der  Zeit  los  und  verläßt  die  ebene  Bahn  des  ge- 
meinen Daseins,  einem  unendlichen  Bestreben  und  müh- 
seligen  Nachforschungen   sich  widmend?  25 

Dieses  ist  es,  daß  er  das  Unwandelbare  und  Feste 
innerlich  fassen  und  ergreifen  möchte.  Denn  alles  in  dem 
äußeren  Leben  ist  unsicher  und  wechselnd.  Ein  jedes 
Ding,  ein  jeder  Gedanke,  eine  jede  Seele  möchte  sich  selbst 
darstellen  und  fassen.  Die  \''erhältnisse  aber  haben  zwin-  30 
gend  alles  ergriffen,  daß   es  auf  allen  Wegen  nur  als  ein 


262  Steffens. 

Bedingtes  erscheint.  Wahrlich,  gern  opferten  wir  das  eigene 
erscheinende  Dasein,  uns  einem  fremden  zutrauungsvoll 
hingebend,  wenn  wir  in  diesem  das  Wandellose  entdeckten, 
[115]  aber  die  näm-|  liehe  Bedingung  und  das  nämliche  Schick- 
5  sal  tritt  uns  allenthalben  entgegen.  So  ergreift  uns  die 
leere  Unendlichkeit,  das  unmäßige  Verlangen,  die  glühende 
Sehnsucht,  die  immer  fortstrebend  die  ewige  Fülle  in  der 
Leere  des  Unendlichen  erreichen  möchte,  ein  Unförm- 
liches mit  dem  Geformten  verglichen,  immer  dürftig  nach 

10  dem  Hinlänglichen  schmachtend,  immer  unbestimmt,  nie- 
mals gänzlich  ruhend,  alles  alle  Wege  duldend,  unersättlich 
und  in  äußerster  Armut.  Die  Gegenwart  erscheint  uns 
als  der  helle  Punkt,  aber  er  läßt  sich  nimmer  ergreifen; 
die  Vergangenheit  zeigt  auf  die  Zukunft,  daß  sie  sich  um- 

15  armen  möchten,  doch  die  Bestimmtheit  der  ersten  erstirbt 
in  der  unendlichen  Leere  der  zweiten,  die  Gegenwart  ist 
ein  bedeutungsloser,  immer  erscheinender,  immer  wieder 
verschwindender  Punkt,  der  uns  ruhelos  ergriffen  hat  und 
unbefriedigt  hinwälzt  zwischen  Erinnerung  und  Ahndung. 

-0  Wo  ist  der  feste  Mittelpunkt,  den  alle  Geister  suchen, 

wo  die  heitere  Ruhe  und  die  genügende  Form,  deren  wir 

[116]  alle    bedürfen?     Was    stillt   |  das    ewige    Verlangen,   ohne 

welches  das  Leben  leer  erscheint,  mit  welchem  innere 

Sorge    furchtbarer   Art    in    atemloser    Hitze    uns    herumzu- 

25  treiben  scheint  ? 

Suchen  wir  in  dem  erscheinenden  Leben,  welches  doch 
nur  in  Verhältnissen  da  ist,  diese  festhaltend,  uns  ein  frevel- 
haftes Dasein  zu  verschaffen,  so  gebiert  sich  der  Haß  und 
die   wilde   feurige   Begierde,    die   alles   vernichten   möchte, 

30  den  äußeren  Zwang  sinnlos  bekämpfend.  Suchen  wir  dem 
erscheinenden  Gedanken,  der  aus  Verhältnissen  geboren 
ist,  irgend  einen  erlogenen  Wert  beizulegen,  indem  wir 
die  Welt  der  Vorstellungen  ihm  törichterweise  opfern,  so 
gebiert  sich  die  hohle  Lüge,  die  Nichtigkeit  des  leeren  Be- 

35  strebens  klar  darstellend. 

Wenn  wir  den  Grund  des  Widerspruchs  aufsuchen,  der 
dem  ganzen  Leben  und  Wissen  allen  Bestand  und  alle 
Bedeutung  zu  rauben  scheint,  so  entdecken  wir  leicht,  daß 
er  darin  liegt,  daß  das  Endliche  und  Bedingte,  als  ein  Ein- 

40  zelnes,  im  Gegensatz  gegen  das  Unbedingte  und  Unend- 
liche, gesetzt  wird;  denn  so  gibt  uns  die  erscheinende  Welt 


Idee  der  Universitäten.  263 

I  alles,  Gedanken,  Dinge  und  äußeres  Dasein.    Könnte  die  [117] 
menschliche  Seele  eine  Anschauung  gewinnen,  in  welcher 
das  Bedingte  und  Unbedingte,  das  Endliche  also  und  Un- 
endliche  sich   durchdrängen,    so   würde   ein   solches,    nicht 
durch  ein  anderes,  sondern  durch  sich  selber  bedingt  sein;     5 
üenn   wäre   es   durch   ein   anderes   bedingt,    dann   wäre    es 
nicht,  was  es  der  Voraussetzung  nach  sein  sollte,  ein  Un- 
bedingtes.   Ein  solches  würde  ferner  durchaus  unvergleich- 
bar, seiner  eigenen  Natur  ewige  Genüge  leisten.     Ewig  in 
sich   geschlossen,   würde   es   keinem   Wechsel   unterworfen  10 
sein,  denn  alle  Veränderungen  entspringen  nur  aus  einer 
fremden  Bedingung.    Der  Begriff  der  Zeit  wäre  also  für  ein 
solches  Wesen  aufgehoben,  und  was  bloß  im  Verhältnisse 
da  ist   und  durch  äußere   Ursachen  hervorgebracht   ward, 
würde  in  Rücksicht  seiner  ein  Nichtiges  sein.    Absolut  frei  15 
wäre  ferner  ein  solches  Wesen;  denn  frei  nennen  wir,  was 
sich  selbst  bestimmt  in  innerer  Übereinstimmung,  mit  seiner 
Natur.    Endlich  gäbe  es  für  dasselbe  keine  äußere  Welt  im 
Gegensatz    gegen    eine    innere,    denn    |    diese    Gegensätze  [118] 
würden  sich  entweder  wechselseitig  beschränken  oder  auf-  20 
heben.     In  dem  ersten  Falle  fände  eine  fremde  Bedingung 
statt,    welches    der    Voraussetzung    widerspricht.      In    dem 
zweiten  Falle  wäre  der  Unterschied  verschwunden. 

Es    ist    wichtig,    und    ohne   allen    Zweifel    von   großer 
Bedeutung  für  das  forschende  Gemüt,  zu  erfahren,  ob  eine  -25 
Anschauung    dieser    Art    eine    erträumte    und    unmögliche, 
oder    eine    wahrhafte,    von    der    Seele    zu    erringende,    sei. 
Aber  eine  solche  Anschauung  eines  Allgemeinen  und  Un- 
bedingten, in  welchem  das  besondere  und  bedingte  Wesen 
nicht   zum   Teil,    sondern   ganz   gesetzt   wird,    gewährt   uns  30 
die  unwandelbare  Sittlichkeit.     Wir  wissen  es,  und  werden 
es  durch  die  Betrachtung  unmittelbar  inne,  daß  diese  über 
alle  Relationen  schlechthin  erhaben  ist,  daß  sie  in  absoluter 
Rücksichtlosigkeit    ewig    und    unwandelbar    sei.      In    allen 
Gemütern  ist  sie  durchaus  die  nämliche,  so  daß  alle  Seelen,  35 
sittlich  angesehen,  den   nämlichen  Grund  haben,   und  das 
besondere  Leben  aus  der  nämlichen  Quelle  schöpfen.    Doch 
ist   sie   nicht   teil- 1  weise   in   einem   jeden,    so  daß   der  eine  [119] 
das   sittliche   Supplement   des  andern   wäre,   sondern   ganz. 
Ein  jeder  ist  also,  sittlich  angeschen,  ein  unendliches  und  40 
schlechthin  über  alle  Verhältnisse  erhabenes  Wesen.    Doch 


264  Steffens. 

ist  dieses  Unbedingte  mit  dem  Besondern  auf  eine  solche 
Weise  gesetzt,  daß  auch  er  nicht  der  SittHchkeit  nur  zum 
Teil  gehört,  vielmehr  geht  die  Anforderung,  mit  ihr  eins 
zu  sein,  an  sein  ganzes  Wesen.  Das  Besondere  und  All- 
5  gemeine,  das  Endliche  und  Unendliche,  sind  also  eins 
und  unzertrennbar. 

Wie  nun  die  Sittlichkeit  uns  jene  selige  Einheit  im 
Allgemeinen  darstellt,  so  offenbart  uns  die  Schönheit  dieses 
nämliche  im  Besondern.     Denn  dadurch  unterscheidet  sich 

10  das  Schöne  von  dem  bloß  Nützlichen  und  Angenehmen, 
daß  dieses  nicht  in  sich  selbst,  sondern  in  einem  Äußern 
begründet  ist,  so  daß  es  sich  zu  einem  Fremden  verhält  wie 
ein  Mittel  zum  Zweck,  also  beständig  nur  in  äußeren 
Verhältnissen  und   nach   Bedürfnissen  geschätzt   wird,   das 

15  Schöne  dahingegen   nur  aus   sich  selbst   begriffen  werden 

[120]  kann.     Die  Schönheit  f  lebt,  getrennt  von  allem  Äußeren, 

in  einer  eigenen  heitern  Welt,  und  das  Sondernde  der  Form 

wird    nur    aus    dem    Wesen    begriffen;    sie    enthält    daher 

eine  wahrhafte  Unendlichkeit  in  sich,  von  der  Endlichkeit 

20  ununterscheidbar.  Nicht  in  einem  bloß  Äußeren  erkennen 
wir  die  Schönheit,  vielmehr  offenbart  sich,  mit  der  Form 
aufs  innigste  verbunden,  ein  Geistiges,  welches,  alle  Teile 
zu  einem  Ganzen  belebend,  einen  jeden  durchdringt.  Die 
Schönheit  nun  kann  weder  als  ein  bloß   Unendliches  und 

25  Inneres,   etwa  als   ein   Begriff,   gefaßt   werden,    noch  auch 
als   ein  Endliches   und  Äußeres,   etwa  bloß   aus  den  Ver- 
hältnissen der  Massen  zueinander,  vielmehr  ist  das  Äußere 
und  Innere  nicht  bloß  verbunden,  sondern  durchaus  eins. 
Wie   wir    nun   die   Einheit   des   Allgemeinen   und   Be- 

30  sondern    in    der    Sittlichkeit    und    Schönheit,     welche    uns 
eben  das  Herrlichste  des  Innern  und  äußern  Daseins  offen- 
barten,  wahrnehmen,    so   auch   in   allem    dem,    worin   das 
Trefflichste   im    Leben   und   in   der    Natur    uns    entgegen- 
[121]  kömmt.  |  Das  ist  es  eben,  was  den  Forscher  mit  unwider- 

35  stehhcher  Gewalt  an  die  stumme  Natur  knüpft,  daß  sie 
in  sich  lebt,  die  Fülle  aller  Schönheit  und  aller  Ideen  in 
sich  verschließt,  und  sich  ganz  in  einem  jedweden  Dinge 
kundtut.  Ja  die  äußere  Notwendigkeit,  die  den  Fremdling 
der  Natur  erschreckt,  indem  sie  vor  seinen  Wünschen  und 

40  Hoffnungen  kalt  vorübergeht,  erquickt,  vielmehr  den  For- 
scher, der  in  ihr  die  unwandelbare,  ewige  Gesetzmäßigkeit 


Idee  der  Universitäten.  055 

erblickt,  der  er  das  Erscheinende  seines  Daseins  mit  allen 
seinen  persönlichen  Wünschen  und  Begierden  gern  opfert, 
wenn  es  ihm  vergönnt  ist,  an  dem  ewigen  Leben  des  un- 
wandelbaren Geistes  teilzunehmen. 

Wie  in  der  Natur  stellt  sich  auch  in  der   Geschichte    5 
das    Herrlichste    und    dasjenige,    was    die    Seele    innerlich 
erquickt,    nur   dar,    wo    die   Einheit   des   Allgemeinen   und 
Besondern  geschauet  wird.    Äußerlich  angesehen,  und  den 
Verhältnissen   geopfert,    scheint    dem    Leben    nur    geringe 
Bedeutung  eigen  zu  sein.    Ein  sinnloses  Gemenge  einander  10 
widersprechender   Taten,    unreife   Ver- 1  suche   des    Geistes,  [122] 
die  sich  selbst  vernichten  und  \\'idersprechen,  ein  grauses 
Gemisch   von    Untaten   allerlei    Art,    hat    das    Ganze    und 
einen  jeden  Teil  ergriffen  und  alles  chaotisch  untereinander 
geworfen.    Doch  was  sich  selber  niemals  versteht  in  unserm  15 
Leben,  was  Natur  gegen  Menschen  und  Menschen  gegen- 
einander waffnet,  die  verirrten  Töne,  die  ihre  eigene  Be- 
deutung nicht  festhalten  können,  weiß  der  göttliche  Dichter 
in   holder   Eintracht   zu   verbinden.     Wohl   mag   die   Seele 
sich  erquicken  an  dem  ewigen  jugendlichen  Bilde,   durch  20 
welches    der    Dichter   es   versteht,    das,    was    getrennt    und 
vereinzelt  in  der  Welt  alle  Bedeutung  verliert,  tief  zu  er- 
greifen  und   demselben    einen    hohen    Sinn    einzuhauchen. 
Auch  die  Dichtung  ist  nur  vollkommen,  wenn  sie,  in  sich 
geschlossen,    einen   jeden   Teil   durch   das    Ganze   verklärt,  25 
und  dieses  wiederum  durch  das  fröhliche  und   freie  Spiel 
das  Besondere  zu  verherrlichen  vermag. 

Ganze  Zeiten  haben  sich  durch  Dichtungen  verewigt, 
ja  diese  sind  es,  die,  uns  alle  tragend,  als  die  immer  dauernde 
und    ewig    frische    Wurzel  |  unsers    Daseins    hervortreten,  rio-i] 
Ein  jeder,  der  mit  festen  und  klaren  Augen  es  vermag,  die 
großen,  herrlichen  und  selbst  in  ihren  Ruinen  so  kolossalen 
Fragmente  der  bedeutenden  Nationen  der  frühen  Vorzeit 
zu  schauen,  muß  notwendig  in  ihnen  die  Reste  einer  Zeit 
erblicken,  in  welcher  Wissenschaft,  Kunst  und  Tat  in  un-  35 
zertrennbarer  Vereinigung  das  Göttlichste  und  Höchste  her- 
vorzubringen   vermochten.      Diese    \'ereinigung    rief     jene 
wundersamen  Kenntnisse  der  entferntesten  Vorzeit  hervor, 
jene  tiefen,  durchgreifenden  und  hohen  Ansichten  der  Natur, 
deren   Fragmente  wir  bewundern,   ohne   daß   wir,   bei  der  40 
herrschenden  Naturwissenschaft  und  Geschichte,  im  gering- 


266  Steffens. 

stell  imstande  sind,  sie  zu  begreifen;  sie  riefen  jenes  kühne, 
große,  und  in  der  Tat  kunstreiche  Leben  hervor,  in  welchem 
Taten  sich,  wundersam  mit  Taten  verknüpften  und  ein 
großes  und  bedeutungsvolles  Ganze  bildeten,  durch  sie 
5  entstand  jene  kühne  Verwechselung  der  Wirklichkeit  mit 
der  Allegorie,  indem  das  hohe  Dasein  dieser  Heroen  nichts 
[124]  anders  |  war,  als  eine  einzige  herrliche  Allegorie  des  Über- 
sinnlichen, durch  sie  entstanden  endlich  die  rhythmischen 
Töne,   in  welche  das   herrliche   Leben  sich,   wie  aus   einer 

10  klaren  Lichtquelle,  ergoß  und  einen  göttlichen  Glanz  über 
die  ganze  Geschichte  warf,  den  die  spätem  gesunkenen 
Geschlechter  nie  ganz  zu  trüben  oder  zu  zerstören  ver- 
mochten. 

Barbarisch  und  in  sich  bedeutungslos  nennen  wir  die- 

15  jenigen  Völker,  deren  Leben  sich  nicht  in  dem  hellen 
Mittelpunkte  betrachtender  Gemüter  abzuspiegeln  ver- 
mochte. Eben  daher  erquicken  uns  jene  Darstellungen, 
weil  die  Zeit  selbst  in  ihnen  gebändigt  scheint,  das  Wech- 
selnde sein  Zentrum  gefunden  hat,  in  welchem  das  Ganze 

20  und  Besondere  das  gemeinsame  Dasein  feiert.  Die  Zer- 
störung hat  sich  in  ihnen  selbst  überlebt.  Denn  jene  Na- 
tionen sind  untergegangen,  aber  die  reifen  Früchte  eines 
herrlichen  Lebens  werden  in  goldenen  Schalen  uns  allen 
dargereicht,   die   unsterbliche   Nahrung,    die   unsere   innere 

25  Verwandtschaft  mit  dem  Göttlichen  kundtut. 

[125]  I        Auch  die  deutsche  Nation  hat  eine  solche  dichterische 

Vorzeit,  die  noch  nicht  erloschen  ist.     Zwar  indem  wir  die 

nationale  Gottheit  verleugneten,  fremden  Götzen  huldigend, 

ist  sie  vielen  unter  uns,  und  zwar  vor  allem  denjenigen,  die 

30  sich  die  Klügsten  dünken,  fremd  geworden  und  dient  dem 
Gebildeten  zum  Gespötte.  Aber  mit  stiller  Andacht  werden 
die  Gestalten  der  frühesten  Vorzeit  in  der  Erinnerung  des 
Volks  festgehalten.  Hier  unterhalten  sie,  manchmal  ver- 
zerrt und  wunderlich  mißgestaltet,   niemals  aber  ganz  ge- 

35  tötet,  das  innere  Leben  der  Nation,  und  gründen  die  heiter- 
sten Hoffnungen  für  die  Zukunft.  Selbst  die  größten  Geister, 
die  aus  allen  Gegenden  des  Wissens  und  aus  dem  be- 
deutungsvollen Leben  aller  Geister  und  Nationen  die  gött- 
liche   Nahrung    ziehen,    müssen    sich   zu    der    heimatlichen 

40  Einfalt  hinneigen,  damit  das  tiefe  Leben  der  Nation  aus 
ihnen    herausbreche.      Zwar    die    Stürme    sind    gekommen, 


Idee  der  Universitäten.  267 

und  der  Winter  ist  eingetreten,  die  Blüten  und  Blätter  sind 
verwelkt   und   die   Zweige   zerknickt,   aber   das   innere   und 
I    unbezwingbare    Leben,    die    noch    nicht    ausgetrockneten  [126] 
Säfte  desselben,  offenbaren  sich  in  dem  blutenden  Stamme, 
den    nahen    Frühling    verkündigend.      Indessen    sehen    wir     5 
bei    anderen   Völkern    die    Erinnerung    erloschen,    nur    ein 
Scheinleben  spielt  noch  immer  in  der  nirgends  haftenden 
Krone.    Aber  das  hohle  Leben  hat  keinen  Bestand,  die  Zeit 
des  Welkens  ist  nahe,   selbst  der   Frühling  wird  es   töten, 
und   die  Axt   ruht  an  der   verstorbenen   Wurzel,   den   aus-  10 
getrockneten  Baum  zu  fällen. 

Das   ist   es,   was  wir   wollen,   was   die  sehnende   Seele 
sucht,    was    Mühe   und    Fleiß    und   Anstrengung   jeglicher 
Art  erregt :  den  Schein  vernichtend,  das  Göttliche  schauen, 
was  in  allem   allein   Bestand   hat.     Da  aber  tritt   es  allein  15 
hervor,   wo   in  jedwedem   Dinge   das   Ganze   sich   spiegelt. 
Daher  ergreift  die  Seele  eine  innige  Freude  und  unnenn- 
bares Ergötzen,  wo  die  Einheit  des  Allgemeinen  und  Be- 
sondern sich  kundtut.    „Die  Seele  kennt  zwar  das  Unend- 
liche,  kennt   alles,   aber   dunkel.     Wenn   ihr   das   Brausen  20 
eines   Waldes   im   Sturme  vernehmt,    so   hört   ihr   das   Ge- 
räusch eines  |  jeden  Blattes,  aber  vermischt  mit  dem  Ge-  [127] 
rausch    aller    andern,    ohne    es    zu    unterscheiden.      So    ist 
das  Rauschen  und  Wogen  der  Welt  in  unserer  Seele."  Aber 
was    die    Seele    dunkel    und    auf    eine    verworrene    Weise  25 
schauet,  das  bestrebt  sie  sich  zur  klaren  Einsicht  zu  erheben, 
damit   auf   jedwedem   Punkte   ihr   das    Göttliche    entgegen- 
trete,  und  sie  es  in  einer  jeden   eigentümlichen  Richtung 
wahrnehmen  könne.    Ein  jedes  wissenschaftliche  Bestreben 
sucht  in  der  Tat  nichts  anderes,  als  jene  Einheit  zu  erlangen,  30 
denn  auch  in  einer  jeden  selbst  empirischen  Wissenschaft 
ist  nicht  das  Besondere  für  sich,  auch  nicht  der  allgemeine 
Grundsatz   für   sich,    sondern    nur   die   Einheit   beider   das 
Reelle.     Indem  nun  die  Seele  auf  diese  Weise  bemüht  ist, 
die  Natur  der  Dinge  und  die  Bedeutung  des  Daseins  über-  35 
haupt  zu  ergründen,  hat  sie  den  innern  gemeinsamen  Grund 
aller  Wahrheit  und  dasjenige  gefunden,  welches  alle  Seelen 
verbindet  im  Erkennen,   wie  die   Sittlichkeit   im   Handeln. 
Denn  es  ist  wohl  klar,  daß  das  Unwandelbare  nichts  sein 
kann,  als  der   Geist   des   Alls   oder   Gott.  |  Wenn   nämlich  ^ogl 
das  Unendliche  und  Unbedingte,  welches  wir  in  vollkomm- 


268  Steffens. 

ner  Einheit  mit  dem  Endlichen  und  Besondern  in  jedweder 
Wahrheit  zu  schauen  trachten,  nicht  das  Unendhche 
schlechthin  wäre,  so  wäre  es  ja  selbst  ein  Bedingtes,  und 
da  eine  jede  Bedingung-  in  der  höchsten  Anschauung 
5  nichtig  ist,  so  wäre  es  ein  durchaus  Nichtiges.  Ist  aber 
dasjenige,  welches  wir  in  vollkommener  Einheit  mit  dem 
Besondern  erblicken,  das  wahrhaft  Unendliche,  so  ist  dieses 
Besondere  selbst  in  diejenige  Welt  versetzt,  in  welcher 
alles   für   sich   selbst   und   durch   sich   selbst   ist,    indem   es 

10  im  Ganzen  ist,  das  Ganze  aber  zu  gleicher  Zeit  in  jedem 
Teile.  Wohl  wissen  wir  es,  daß  es  dem  Menschen  nicht 
gegeben  ist,  die  göttliche  Herrlichkeit  zu  schauen.  Aber 
der  göttliche  Sinn  ist  ihm  gegeben,  weshalb  es  von  ihm 
heißt,  er  sei  nach  dem  Bilde  Gottes  geschaffen.     Und  wie 

15  der  Mensch,  auch  ohne  über  den  Erfolg  seiner  Taten  zu 

klügeln,   nur  durch  den  sittlichen   Sinn  innerlich  mit  dem 

Geiste    der    Geschichte    übereinstimmt,    so    daß    seine    Ge- 

[129]  sinnung  eins  ist  mit  dem  Willen  der  wal-  [  tenden  Vorsehung, 

welches  er  weiß,  so  gewiß   als  er  da  ist,  so  ist  auch  der 

20  göttliche  Sinn  im  Forscher  das  einzige,  durch  welches 
wir  mit  der  Wahrheit  übereinstimmen,  und  wie  außer  der 
Sittlichkeit  alles  Verbrechen  und  sich  selbst  vernichtende 
Untat  ist,  so  ist  außer  dem  göttlichen  Sinn  alles  falsch, 
sich  widersprechend  und  dem  Irrtum  bloßgegeben. 

25  Vergebens  aber  sucht  ihr  diesen  Sinn  auf  eine  mittel- 

bare Weise  zu  erringen,  indem  ihr,  Sätze  mit  Sätzen  ver- 
gleichend, ihn  allmählich  hervorzurufen  sucht.  Die  Ver- 
nunft, in  welcher  er  wohnt,  ja  mit  welcher  er  durchaus 
eins  ist,   ist   nicht   eine   solche,   die   derjenigen  ähnlich  ist, 

30  welche  unter  uns  gewöhnlich  Vernunft  genannt  wird,  welche 
man  durch  Grundsätze  zu  vollenden  pflegt,  und  die,  indem 
sie  Schlüsse  sammelt,  vervollkommnet  wird,  die  also  schließt, 
indem  sie  nachsinnet,  wie  eins  aus  dem  andern  folgt,  und 
die    Dinge    nach    dieser    Schlußfolge    betrachtet,    die    also 

35  vorher  nichts  besitzt,  sondern  leer  ist  und  erst  durch  das 

[130]  Lernen  zur  Vernunft  wird.     Diese  |  in  Relationen  geborne 

V^ernunft,  die  diesen  Namen  nicht  verdient,  kann  von  den 

Verhältnissen,  von  welchen  sie  gefangen  ist,   niemals   sich 

losreißen.     Glaubt  ihr  es  wohl  möglich,   daß   einem  Men- 

40  sehen,  dem  der  Sinn  für  die  Schönheit  niemals  auf- 
gegangen  ist,    diese    klar   werden   könnte,    wenn   man   die 


Idee  der  Universitäten.  269 

Verhältnisse   der   schönen   Gestah  mit  großer   Genauigkeit 
entwickelte  ? 

Wenn  ihr  daher  behauptet,  daß  der  Mann  diesen  Sinn 
erringen     könne     durch     anhaltende     Beschäftigung     mit 
Wissenschaft,  so  geratet  ihr  in  einen  argen  Widerspruch.     5 
Denn  außer  dem  Sinn  ist  alles  Irrtum  und  Wahn,  und  eine 
beständige   Beschäftigung   mit   dem   Nichtigen   würde   uns 
eher  von  der  Wahrheit  entfernen,  als  sie  uns  näher  bringen, 
wie  uns  dieses  die  Zeit  und  die  einseitigen  Richtungen,  in 
welchen   sie  gefangen   ist,   genugsam  beweisen.     Auch   ist  10 
der  Sinn  für  das  Göttliche  nicht  ein  künstlicher,  vielmehr 
der  ursprüngliche,  natürliche,  wahrhaft  kindliche,  nur  durch 
die    schiefe    Richtung    einer    sich    selbst    mißverstehenden 
Zeit  irregeleitet,  und  |  es  ist  das  Höchste  und  Wichtigste  [131] 
für  den   Staat,   daß   er,   nicht   etwa   erkünstelt,   sondern  in  15 
allem  gepflegt  und  erhalten  wird. 

Daher  werdet  ihr  eingeladen,  diesen  Sinn  in  der  Er- 
forschung der  Natur,  in  den  Bemühungen  der  trefflichsten 
und  freiesten  Geister  aller  Zeiten  zu  erkennen,  und  in  euch 
selbst  zu  pflegen.  -0 

Zwar  stellen  sich  die  Universitäten  immer  selbst  wieder 
her,  so  daß  auch  diejenigen,  die  sich  den  Wissenschaften 
durchaus  widmen  wollen,  hier  alles  finden,  dessen  sie  be- 
dürftig sind;  indessen  ist  dieses  keinesweges  das  alleinige 
Streben  derselben,  die  belebende  Idee  soll  vielmehr,  von  -5 
diesem  Mittelpunkt  ausgehend,  alle  Richtungen  erhellend, 
eine  jede  Beschäftigung  verklärend,  den  ganzen  Staat  durch- 
strömen, und  auch  in  den  unscheinbarsten  Regungen  des- 
selben, der  Sonne  gleich,  freies  Leben  und  eigentümliche 
Gestalt  hervorrufen.  Wie  nun  das  nämliche  allgemeine  30 
Wissen,  dem  Staate  einverleibt,  sich  in  verschiedenen  Rich- 
tungen ergießt,  wird  der  Gegenstand  einer  eignen  kurzen 
Betrachtung  sein. 

I        Die   zwei  großen   Momente   des   ewigen   Seins   stellen  tl^-^J 
sich  in  zwei  Formen,  als  Natur  und  Geschichte,  dar.    Das  35 
Allgemeine  des  Geistes,  dem  Besondern  der  Gestaltung  ein- 
verleibt,   erkennen   wir   in   der   Natur,    das   Besondere  der 
Natur,    dem    Allgemeinen    des    Geistes    innigst    verbündet, 
entfaltet   sich  in  der   Geschichte.     Wahrhaft   sind   sie   nur 
da,    wo    sie   sich   vielseitig   auf    eine    solche   Weise   durch-  i^ 
dringen,  daß  das  Ganze  der  Natur  sich  in  der  Geschichte, 


270  Steffens. 

das  Ganze  der  Geschichte  sich  in  der  Natur  abprägt,  wovon 
uns  die  Blütezeiten  der  bedeutendsten  Nationen,  Kunst, 
Poesie  und  jedwede  Wissenschaft  überzeugen  können.  Von 
beiden  Seiten  das  Dasein  ergreifend,  sucht  der  Staat  allem 
5  das  Gepräge  eines  eigentümlichen  Lebens  aufzudringen,  so 
daß  der  wilde  Naturgeist  dem  Staate  dienstbar  wird,  alle 
widerstrebenden  Kräfte  der  Natur,  in  schönem  Ebenmaß, 
ein  äußeres  Leben  und  eine  heitere  Gestalt  desselben  her- 
vorrufen,  indem  der   Geist  aller  Zeit   in   einer  Gegenwart, 

10  sich  durchdringend,  ein  frisches  inneres  Leben,  voll  hoher 
[133]  Bedeutung,    |  entfaltet,   damit   so    eine   gesunde   Seele   des 
Staats     in     einem     schönen     und     gesunden    Leibe    sich 
darstelle. 

In  einer  doppelten  Richtung  wird  die  äußere  und  phy- 

15  sische  Gesundheit  und  das  organische  Ebenmaß  des  Staats 
gesucht.  Denn  man  bestrebt  sich  erstlich  es  darzustellen, 
indem  man  die  Kräfte  der  Natur  zwingt,  als  lebendige 
Gliedmaßen  des  Staats  im  Ganzen  und  Allgemeinen 
sich   dem    Staate    einzuverleiben.      Dieses    geschieht    durch 

20  die   Industrie,  durch  die   Steigerung  und   organische   Voll- 
endung des  nationalen  Kampfs  mit  der  Natur,  der  besonders' 
in  unsern  Tagen  von  großer  Bedeutung  geworden  ist,  so 
daß,   wenn   nicht   mehr   der   enge   Egoismus   des   Besitzes, 
sondern    der    freie    Geist    des    Staats    sich    in    diesen    Be- 

25  mühungen    entfaltet,    eine    bedeutungsvolle    Zukunft    durch 
dieselben   vorbereitet   wird.     Zwar   werdet   ihr   die    Lehren 
nicht  vermissen,  die  auf  den  Universitäten  diese  Richtung 
[134]  andeuten.    Aber  sie  verdient  durch  eine  eigene  Fakultät  dar- 
gestellt zu  wer- 1  den.     Der  Grund,  warum  dieses  bis  jetzt 

30  nicht  auf  den  Universitäten  stattfindet,  ist  in  der  Geschichte 
derselben  gegründet,  denn  die  höhere  organische  Bildung 
dieser  Bestrebungen  und  ihre  wissenschaftliche  Tendenz 
ist  erst  mit  der  bedeutenden  Fortbildung  der  Naturwissen- 
schaft überhaupt  hervorgetreten,  und  als  die  Neigung,  die 

35  ökonomischen  Einrichtungen  des  Staats  wissenschaftlich 
zu  begründen,  so  überhand  nahm,  daß  man  es  notwendig 
fand,  auch  auf  den  Universitäten  Rücksicht  darauf  zu 
nehmen,  war  der  Geist  derselben  der  Zeit  so  fremd  ge- 
worden, daß  man  den  wahren  Sinn  und  die  Bedeutung  der 

40  philosophischen  Fakultät  nicht  mehr  faßte.  Man  sah  diese 
daher    als    ein    Unbestimmtes    an,    und    glaubte    dasjenige, 


Idee  der  Universitäten.  271 

was  man  mit  andern  bestehenden  Fakultäten  nicht  zu  ver- 
einigen  wußte,    am    bequemsten   mit    dieser   verbinden    zu 
können.     Es  ist  aber  klar,   daß   dadurch  die  Grenzen  der 
philosophischen  Fakultät  überschritten  werden,  indem  diese 
den   allgemeinen   wissenschaftlichen   Sinn   auszubilden   hat,     5 
keinesweges    aber    eine   bestimmte    Rieh- 1  tung   des    Staats  [135] 
fixiert.     Eine   kameralistische    oder   ökonomische    Fakultät 
ist  daher  in  unsern  Tagen  auf  den  Universitäten  notwendig, 
und  in  dieser  wird,  wie  wir  gezeigt  haben,  die  äußere  und 
physische  Gesundheit  des  Staats  im  Allgemeinen  dargestellt.  10 
Eine   andere   Fakultät   schützt   die   Gesundheit   des    Staats, 
insofern  sie  durch  einen  jeden  Bürger  dargestellt  wird,  im 
Besondern;  eine  solche  ist  die  medizinische.    Diese  beiden 
Fakultäten  stellen  die  Richtung  der  gesamten  Naturwissen- 
schaft  zur   Erhaltung   des    Staats   dar,    und   eine  jede    Be-  15 
schäftigung   des    Arztes   oder   des    Ökonomen   wird    um   so 
tiefer  in  die  wahre  Idee  des  Staats  eingreifen,  je  tiefer  er 
den  Geist  der  Natur,  also  auch  seine  innige  Einheit   mit 
dem  Wesen  der  Geschichte   erkannt   hat. 

Auch  das  innere  Leben  des  Staats  stellt  sich  in  einer  20 
doppelten    Form    dar.      Die    innere    Gesundheit    desselben 
wird    im    Allgemeinen    fixiert    durch    das    Recht,    durch 
die  Strenge  der  Gesetze,  welche  die  störenden  Begierden 
und  das  Vernichtende  abtrünniger   Gesinnungen  aus   dem  ^. 
Ganzen  des  |  Staats  ausschließen,  und  diese  geschichtliche  rj^ig-i 
Richtung  wird  in  einer  eigenen  Fakultät,  in  der  juridischen, 
dargestellt.     Endlich  wird  das  innere  geschichtliche  Leben 
und  der  eigentliche  Geist  des   Staats,   insofern   er  sich   in 
einem  jeden  Bürger  darstellt,   im   Besondern  durch  den 
religiösen   Kultus   festgehalten,   und   in   einer   eigenen    Fa-  30 
kultät,  in  der  theologischen  nämlich,  fixiert.     Beide  Rich- 
tungen werden  desto   tiefer   in  den   eigentlichen   Sinn  des 
Staats  eingreifen,  je  tiefer  sie  den   eigentlichen   Sinn  und 
den    Geist    der    Geschichte    ergriffen    haben,    diesen    aber 
erkennen   sie   nur,   indem   sie   seine   hohe   Einheit  mit   der  35 
Natur  fassen,  und  auf  diese  Weise  stellt  sich  uns,  wenngleich 
in  einer  bestimmten  Richtung  festgehalten,  auf  einem  jeden 
Punkte  das  Ganze  dar. 

Nun  können  wir  zwar   nicht  leugnen,   daß   diejenigen 
Beschäftigungen,  zu  welchen  uns  die  Fakultäten  vorbereiten.  40 
auch    auf    eine    bewußtlose    Weise    von    solchen    ausgeübt 


272  Steffens. 

werden  müssen,  denen  es  nicht  vergönnt  ist,  den  höchsten 
Punkt  des  Erkennens  zu  ergründen.  Solche,  äußerlich  ange- 
[137]  I  sehen,  untergeordneten  Gemüter  können  auf  einzelnen  In- 
stituten gebildet  werden,  die  jedoch  ihren  höhern  ordnenden 
5  Geist  den  Universitäten  verdanken  müssen,  so  daß  das 
höchste  Bestreben  der  keimenden  Weisheit  den  ganzen 
Staat  belebend  umfaßt  und  in  keiner  Beschäftigung  ver- 
mißt wird. 

Euch  aber  ist  es  gegeben,  dem  Höchsten  nachzustreben, 
10  und  mit  der  Treue  der  Verwaltung  den  hohen  Genuß  des 
Erkennens  zu  verbinden. 


Siebente  Vorlesung. 


[1381 


Was  wir  im  Erkennen  ergreifen,  wird  nicht  erst  durch 
unser  Erkennen;  es  ist  schon  da.  Alles  wahre  Erkennen 
ist  mit  dem  Dasein  eins,  und  die  heilige  Wahrheit  eins  mit 
einer  heiligen  Welt,  in  welcher  alle  Dinge  ihr  eigenes  5 
Sein  in  dem  Ganzen  und  alle  Gemüter  ihre  ewige  Freiheit 
in  der  waltenden  Notwendigkeit  finden.  Diese  Welt  ist 
uns  nicht  fremd,  sie  wurzelt  innerlich  in  der  Seele  eines 
jeden,  und  nur  die  Träume  der  Verhältnisse  halten  sie 
fern  von  uns.  Wie  wir  im  Traume  keinesweges  das  Wachen  10 
gänzlich  vergessen,  dieses  vielmehr,  wenngleich  bewußtlos, 
in  den  Traum  mit  hineingeht,  und  verhindert,  daß  wir 
nicht  ein  bleibendes  Spiel  willkürlicher  Phantasien  werden, 
so  daß  wir,  aufgewacht,  die  Kontinuität  des  Bewußtseins 
behalten,  wenn  uns  |  gleich  der  Traum  in  eine  wundersame  ;Poqt 
Welt  voller  Willkür  versetzt,  so  bleibt  in  unserer  Seele,  ist 
sie  gleich  von  den  Verhältnissen  ergriffen,  das  tiefe  Gefühl 
eines  höhern  Lebens  in  einer  ewigen  Welt.  Und  wie  im 
Traume  das  Bewußtsein  desselben,  als  eines  solchen,  nicht 
selten  hineindringt,  die  Täuschungen  aufhebend,  so  dringt  20 
sich  das  Erkennen  des  höhern  Seins  in  die  gefangene  Seele 
hinein.  Und  wie,  wenn  die  Idee  uns  verläßt,  wenn  die 
geselligen  Verhältnisse  und  die  heitern  Gegenstände,  in 
welche  wir  durch  Gewohnheit  heimisch  geworden  sind,  sich 
entfernen,  wenn  eine  wilde,  uns  fremde  und  drohende  2:> 
Natur  uns  umgibt,  die  heimliche  Angst  und  das  verborgene 
Grauen  uns  umfaßt,  und,  Vernichtung  drohend,  die  zagende 
Seele  umfängt,  so  auch  im  Leben,  wenn  die  Gemeinschaft 
der  Geister  und  die  liebevolle  Heimat  des  ewigen  Seins 
uns  verläßt.  Was  ist  es,  was  die  Natur  in  jedem  Leben  30 
darzustellen  versucht,  was  der  Staat  mit  allem  seinen  Streben 
ergreifen  will,  was  wir  im  Erkennen  mit  Freude  und  Froh- 

Universitatsschriften  Fichte,  Schleiermacher,  Steffens.  Jg 


274 


Steffens. 


[140]  locken  begrüßen?  Es  ist  die  |  Welt,  in  welcher  ein  jedes 
Ding  sein  Dasein  feiert  im  Ewigen,  und  eine  jede  lebendige 
Gestalt  frisch  und  fröhlich  die  ewig  jugendlichen  Glieder 
bewegt  in  dem  unbetrübten  Äther  des  Ganzen,  es  ist  der 
5  neue  Himmel  und  die  neue  Erde,  die  uns  verheißen  sind, 
die  Gemeinschaft  der  Heiligen,  deren  trüber  Abglanz  mit 
froher  Hoffnung  uns  umfängt.  Die  Geschichte  zwar  ist  ver- 
worren und  getrübt,  die  Natur  zwar  dem  beständigen  Wech- 
sel hingegeben.  Aber  faßt  nur  mit  gereinigtem  Blicke  Natur 

10  und  Geschichte,  und  ihr  werdet  schauen,  wie  die  entfesselte 

Natur  im  Geiste  der  Heiligen  frei  und  tätig,  der  Geist  des 

Ewigen  in  der  Natur  in  heiliger  Notwendigkeit  ruhend  ist ! 

Was  hat  euch  in  jene  heilige  Welt  versetzt  und   uns 

im  Traume  das  Gefühl  des  Wachens  erhalten?    Habt  ihr 

16  es  errungen,  daß  ihr  es  euer  eigenes  nennen  könnt,  habt 
ihr  das  Ewige  erkämpft  durch  endliche  Tat?  Alle  eure 
Taten  sind  von  Verhältnissen  ergriffen,  alles,  was  ihr  dar- 
stellt, ist  ein  Einzelnes  und  Vergängliches.  Und  wenn 
[141J  jemand  käme  und  sagte  euch:  hier  ist  die  Wahrheit,   1  in 

20  diese  Worte  habe  ich  sie  gebannt,  und  wenn  es  ein  Engel 
vom  Himmel  wäre,  glaubt  ihm  nicht!  Himmel  und  Erde, 
die  Abgründe  des  Daseins,  jegliches  Leben  und  jedwede 
Zunge  zu  ahen  Zeiten  möchten  sie  dir  darstellen,  auch  liegt 
sie  in  den  Bemühungen  der  trefflichsten  Geister,  und  du 

26  magst  sie  wohl  erkennen  darin,  aber  nicht  als  ein  Abge- 
sondertes, durch  welches  sie  vor  allem  gefesselt  und  so 
ausgesprochen  wäre.  Kann  in  der  Zeit  das  Zeitlose  geboren 
werden?  Nicht  an  diesen  oder  jenen  habt  ihr  euch  ge- 
wendet, auch  nicht  an  euch  selbst,   insofern  ihr  euch  im 

30  Bewußtsein  ergreifen  könnt.  Was  bringt  euch  dazu,  das 
Ewige  zu  ergreifen?  Nichts  EndUches,  denn  dieses 
zeigt  nur  auf  ein  anderes,  und  aus  dem  eisernen  Kreise, 
der  euch  umfaßt,  könnt  ihr  niemals  heraustreten.  Also  das 
Ewige  war  schon  da,   ehe  ihr  es   ergriffen  habt,   und  was 

35  ihr  findet  ist  eben  deshalb  ein  Ewiges  und  Gewisses,  weil 

ihr  in  diesem  den  innersten  Kern  eures  Daseins,  die  ewige 

gnadenvolle    Gabe    erkennt.     Daher    ist   alles    Wahre    un- 

[142]  mittelbare  Offenbarung,  ein  schlechthin  Geschenk-  i  tes,  die 

göttliche    Mitgabe    einer   herrlichen   Natur.    Alle   Weisheit 

40  ist,  ihrem  tiefsten  Grunde  nach,  Überheferung,  die  Natur 
häh  sie  verschlossen,  die  Vorzeit  hat  sie  in  bedeutungsvollen 


Idee  der  Universitäten.  275 

Bildern  aufbewahrt,  und  was  ihr  in  eurem  Gemüte  erkennt, 
ist  euch  ein  absolut  Freies,  weil  ihr  es  von  nichts  Einzelnem, 
sondern  nur  von  dem  Ganzen   empfangt,   und  weil  dieses 
unmittelbare  Empfangen  mit  dem  freien  Heraustreten  aus 
der    eigenen    Natur    eins   ist.     Alles,    was    wir   zu    erringen     6 
streben,  das  schönste  Dasein  und  das  tiefs^te  Einverständ- 
nis  der   Geister   unter   sich   und   mit   der   Natur,    liegt  als 
Vergangenheit  vor  uns;  will  die  Zukunft  etwas  anderes,  als 
die  Enträtselung  der  tief  verborgensten  Vorzeit  ?     Wo  die 
Zeiten    sich   fassen    und    verstehen,    da    bricht    die    innere  10 
Übereinstimmung    und    der    wahre    Friede    als    Gegenwart 
hervor.     Daher  hält   Natur   und   Vergangenheit   unser   zu- 
künftiges   Schicksal    in    großen    zerstreuten    Hieroglyphen 
gefangen,  und  emsig  spähen  wir  dem  Sinn  derselben  nach, 
wohl  fühlend,  was  sie  uns  sind.     Die  kindliche  Zuversicht  1'' 
jener   herrlichen   |  Vorzeit,   der  jugendliche   Frohsinn,   das  [i-iS] 
feste    Vertrauen    offenbaren    in    einem    jeden    die    in    sich 
sichrere   und   umvandelbarere    Natur,    die   wir    in   der   Er- 
innerung unserer  eigenen  Kindheit,  wie  in  der  Geschichte 
wiederfinden.     Und   wie   die    Nationen    ein   leeres    Dasein  20 
führen,  in  deren  Adern  die  frischen  Säfte  der  unendlichen 
Vergangenheit  versiegt  sind,  so  ist  auch  uns  nur  ein  aus- 
gestorbenes Leben  gegeben,  wenn  die  Kindheit  und  Jugend 
versiegt  und  alle  Alter  in  den  späteren  sich  nicht  durch- 
dringen.    In  dem  kindlichen  Gemüte  aber  stellt   sich  das  26 
Heilige  klar  genug  als  eine  Gabe  Gottes  dar.     Daher  ist 
der  feste  Grund  des  Daseins  der  Glaube,   seine  Blüte  die 
Liebe,    und    der   lebensschwangere    Keim    des    zukünftigen. 
Lebens  die  fröhliche  Hoffnung.     In  diesen  umarmen  sich 
Kindheit,    Jugend    und    Alter,    Vergangenheit,    Gegenwart  30 
und   Zukunft,   und   alle   Widersprüche,    die   das    Erkennen 
aufzuheben  strebt,  sind  in  einem  heiligen  Dasein  vernichtet. 
Es  wird  einem  jeden  einleuchten,  daß  dasjenige,  was 
in  dem  Staate  und  im  innern  so-  |  wohl  als  äußern  Leben  [144] 
einen  über  den  andern  erhebt,   doch  nur   ein  Schein  sein  35 
könne  und  in  der  Idee  des  Staats  nichtig,  da  das  Ganze  in 
einem  jeden  auf  gleiche  Weise  abgebildet   sein   soll.    Da- 
her ist  der  eigentliche  Staat  (die  Idee  desselben)  die  Ge- 
meinschaft der   Heiligen;   diese  ist   keinesweges  von   dem 
Staate    verschieden,    sondern    innerlich    und    wahrhaft    als  40 
der    eigentliche    Geist    desselben    zu    betrachten.      Die    Ge- 

18* 


276  Steffens. 

meinschaft  der  Heiligen  aber  ist  die  Kirche.  Zur  Ge- 
meinschaft der  Kirche  ist  ein  jeder  berufen,  als  Bürger 
derselben  ein  jeder  frei,  nicht  geringer  als  die  übrigen, 
und  aller  Schein  und  aller  äußere  Unterschied  löst 
6  sich  in  der  göttlichen  Gleichheit  gemeinsamer  Gnade 
auf.  Ihr  fragt  nach  dem  Verhältnis  der  Kirche  zum  Staat? 
Aber  der  Staat  soll  aufblühen  in  der  Kirche,  die  Kirche 
das  ewige  Vorbild  des  Staats  sein,  und  nur  wo  heilige 
Andacht    alle    Gemüter    verbindet,    ist    der    Staat    in    sich 

10  gesund  und   frisch. 

In    der    Kirche    also    schauen    wir    diejenige    Welt,    in 

[145]  welcher  der  edle  Geist  mit  allem  seinem   |  Forschen  und 

Streben   sich   selbst   zu    ergreifen   sucht.     Wir   lösen   nicht 

die  Widersprüche  des  Daseins,  wir  erkennen  nur,  wie  sie 

15  ursprünglich  gelöst  sind,  und  auch  hier  erscheint  die 
Wissenschaft  in  ihrer  hohen  Einheit  mit  der  Kirche  und 
mit  dem  Staate. 

Die  Wissenschaft  und  das   Leben  werden  aber  dann 
erst    in   ihrer   Würde   dargestellt,    wenn   alle    Verhältnisse, 

20  alle  äußeren  Rücksichten  untergeordnet  sind,  so  daß  wir 
uns,  wahrhaft  frei,  bewegen  in  der  eigentlichen  Heimat. 
Dann  mögen  wir  uns  aber  wohl  ernsthaft  fragen:  wie  wir 
uns  von  den  Erscheinungen  loszureißen  vermögen,  wie 
wir   uns   trennen  können  von   den   Verhältnissen,    die   uns 

26  festhalten?  Die  Welt  hat  sich  an  unsere  Herzen  geschmiegt, 
die  Genüsse  derselben  locken  uns,  die  untergeordnete  Klar- 
heit täuscht  mit  dem  Scheine  tiöherer  Wahrheit,  die  irdische 
Schönheit  möchte  uns  fesseln,  und  das  gewohnte  Dasein 
hält  uns  mit  süßen  Banden  fest.     Innig  wurzelt  die  Gewalt 

30  der    Erscheinung    in    unserm    tiefsten    Herzen,    mit    zarten 

[146]  Fasern   hat    sie    1  eine   jede   lebendige    Regung   umfangen, 

und  unnennbarer  Schmerz  durchbebt  das  Innerste  der  Seele 

bei  der  Trennung.    Habt  ihr  die  Tiefen  des  Todes  ermessen, 

kennt  ihr  die  Grauen,  die  Schmerzen  desselben?    Nur  wer 

36  ihn  überlebt  hat,  vermag  es,  ihn  zu  fassen. 

Aber    dann   leben    wir    erst,    wenn    wir    freiwillig    den 
Tod    überwinden.      Soll    die    höchste    Tat,    der    Tod,    eine 

'  erzwungene  sein?  Alles  sollen  wir  besitzen,  als  diejenigen, 
die  es  nicht  haben,  und  in  dem  Wechsel  der   Schicksale, 

40  sowie  in  dem  Tode,  auch  in  unserm  eigenen,  nur  die 
Offenbarung  des  höhern  Lebens  erkennen.     So  alles  frei- 


Idee  der  Universitäten.  <r,-^~ 

willig  opfernd,  erringen  wir  das  Sein  in  Gott,  in  welchem 
wir  allein  wahrhaft  leben  und  sind.  Dieses  Opfer  ist  die 
Versöhnung.  Wer  mag  sagen:  er  habe  sie  errungen,  wer 
fühlt  sich  nicht  den  Elementen  preisgegeben  und 'dem 
vernichtenden  Scheine?  5 

Daher  ist  uns  ein   heiliges   Vorbild  gegeben,   der  ein- 
geborne  Sohn  Gottes,  Jesus  Christus,  den  wir  anbeten. 
Die  ganze  Natur  feiert  |  die  Versöhnung,  alle  Dinge  sind  [U7] 
heihg,    wo   das   versöhnende    Leben   den   Tod   überwindet. 
Wißt  ihr  es  nicht,  wie  die  Erde  jauchzte,  als  der  Mensch  10 
geboren  ward   im  Bilde  Gottes?    Hört  ihr  nicht  das   fort- 
dauernde Jubeln  der  Luft,  das  Frohlocken  des  Meeres  und 
die  Lobgesänge  der  Tiefen  der  Erde,  bis  in  ihre  innerste 
Wurzel  hinein?    Jährlich  feiert  sie  das  ewige  Fest  heiliger 
\'ersöhnung   in    dem   rhythmischen   Gang   ihres   Wechsels.  15 
Die  rauhen  Zeiten  sind  verschwunden,  was  sich  befeindete, 
durchdringt    sich   in    ewiger    Umarmung,    der   starre    Stein 
belebt  sich  in  den  beweglichen  Gliedmaßen,  das  Flüssige 
selbst  findet  die   ersehnte   Gestalt,   sich   bewegend   in  den 
Adern,    und    die    Luft    ertönt    in    melodischen    Gesängen.  20 
Frohlockend  begrüßt  sich  das   Ganze   in   einem  jedweden 
Leben,   und   ladet  den  andachtsvollen   Forscher   zum   ent- 
zückenden Genuß.     Was  die  menschliche   Gestalt  für  die 
Natur,    das    ist    der    Versöhner    für   die    Geschichte.      Ihr 
schauet  in  ihm  voller  Verblendung  nur  den  Schmerz,  die  25 
Trübsal    und   das    Elend,    und    erblickt    nicht    die    ewi- 1  ge  [148J 
Herrlichkeit.     In  ihm  leben  wir  alle,   zu   ihm  drängt   sich 
eine  jede  lebendige  Seele,  in  ihm  verklärt  sich  das  Wider- 
sprechende der  Zeit,  wie  die  Elemente  sich  versöhnen  in 
der  menschlichen  Gestalt.     Er   ist   der  wahrhafte   Mensch  30 
unter  den  Menschen,  die  ewig  bleibende  Gestalt,  ewig  aus 
dem  Vater  geboren,  ewig  in  ihm  seiend,  der  wahre  Mittel- 
punkt, in  welchem  die  verirrten  Töne  sich  verstehen,  die 
wilden   Begierden   sich  auflösen,   die   Sonne   der   sonst   im 
Finstern  irrenden  Geschichte.     Er  ist  in  uns,   wir  sind   in  35 
ihm  die  eingebornen  Söhne  des  Vaters.    Was  in  ihm  sich 
entfaltete,  das  stellt  sich  in  uns,   nur  trüber  und  unreiner, 
wieder  dar.    Der  böse  Geist,  die  hohle  Lüge  des  irdischen 
Lebens  lockt  uns  in  die  leere  Wüste,  damit  wir,  von  den 
Bedürfnissen  des  Lebens  gefangen,  der  irdischen  Nahrung  40 
das   heilige   Wort   Gottes   opfern   sollen,    er    führt   uns   auf 


278  Steffens. 

die  Zinnen  des  Tempels,  damit  die  schwindelnde  Seele  sich 
nach  dem  Abgrund  sehne,  und  er  bringt  uns  die  blinde 
Herrschsucht  entgegen,  die  im  Denken,  wie  im  Handeln, 
[149]  das  Persönliche,  aus  Rücksichten  |  Geborne,  zum  Götzen 
5  aufstellen  möchte,  auf  daß  ihm  die  Völker  huldigen.  Der 
aber  ist  selig  zu  preisen,  der  den  Lockungen  frühe  wider- 
strebt, das  Sterbliche  frühe  in  sich  vernichtet,  nur  das 
Göttliche  sucht  im  Wissen  wie  im  Handeln,  denn  es  stehet 
geschrieben:    du    sollst    anbeten    Gott    deinen    Herrn    und 

10  ihm  allein  dienen.  Wer  sich  so  gewidmet  hat  auch  im 
Leben  dem  Ewigen,  der  verbannt  den  Versucher  aus  seiner 
Seele,  aber  die  Engel  treten  hinzu  und  dienen  ihm. 

Wenn  ihr  dem   Erlöser   euer   Dasein   gewidmet   habt, 
ihm  einen  Tempel  gebauet  in  eurem  Innern,  dann  schließt 

15  in  heiligen  Augenblicken  die  Seele  sich  auf,  wie  die  duf- 
tende Blume  in  der  Nacht,  erhebt  sich  aus  dem  Gedränge 
irdischer  Trübsale,  wie  die  Blume  aus  dem  Gedränge  der 
Blätter  hervorstrebt,  die  alten  Zeiten  begrüßen  euch,  wie 
Moses  und  Elias,  die  freundlichsten  Jünger  eines  frommen 

20  Lebens,    Glaube,    Liebe    und    Hoffnung,    gesellen    sich    zu 

euch,  und  die  befreiete  Seele  erblickt,  voll  Entzücken,  in 

höherer  Verklärung  die  selige  Heimat. 

[150]  Wohl  sollt  ihr  kämpfen  den   harten   Kampf,   und  der 

Kelch  wird  nicht  von  euch  genommen;  möchtet  ihr  treue 

25  Freunde  finden  und  innere  Zuversicht,  denn  wahrlich,  wem 
das  Grauen  des  Todes  nicht  nahe  war,  wer  den  Schmerz 
des  Opfers  nicht  empfand,  dem  ist  das  Geheimnis  des 
wahren  Lebens  und  Geistes  fremde  geblieben. 

Sehnt  ihr   euch   nicht   nach   der   herrlichen  kindlichen 

30  Zeit,  in  welcher  gemeinsame  Andacht  alle  Seelen  ent- 
flammte, alle  Taten  verherrlichte,  der  kommende  Früh- 
ling ein  Tempel  Gottes  war,  voll  Anbetung  und  Lob,  und 
alle  Blüten  ihm  Myrrhen  brachten  und  duftende  Opfer  ? 
Wünscht  ihr  nicht,  daß  die  ewig  frische  und  jugendliche 

35  Quelle  eines  heiteren  Daseins  sich  in  eurem  Innern  be- 
lebend ergieße?  Ergreift  euch  nicht  ein  innerer  Wider- 
wille vor  der  leeren,  hohlen,  marklosen  Welt  voll  Wider- 
sprüche? Daß  ihr  den  Kern  erfassen  möchtet,  daß  ihr 
euch  baden  möchtet   im   Morgentau,   und   die   Worte   des 

40  Lebens  vernehmen!  Woran  könnt  ihr  euch  halten?  Das 
klügelnde  Wissen   hebt   sich  selber   auf,   einen   Ruhepunkt 


Idee  der  Universitäten.  279 

findet  ihr  |  nirgend.     Das  leere  Wissen  ist  mattherzig  ge-  [151]) 
worden,  und  die  flachen  Worte  ersterben  in  dem  eigenen 
Munde.     Habt   ihr   nicht   vernommen,    wie   die    Gedanken 
und    das    künstliche    Gewebe    derselben    geopfert    werden, 
und  aus  ihrer  Vernichtung  die   Ideen  entspringen,   zarten    5 
Kindern  gleich,  die  sich  vor  dem  Erlöser  verneigen? 

Ja,  der  Christus  wird  wiedergeboren  unter  uns;  huldi- 
gend begrüßen  ihn  die  trefflichsten  Geister;  die  Zeit  wird 
wiederkehren,  in  welcher  ein  großes  Gefühl,  eine  gemein- 
same   Andacht    uns    alle    durchdringen    wird;     allgemeine  10 
Gärungen  bereiten   seine  Ankunft   vor   und   erwecken   die 
Träumenden.    Schon  sind  die  Sterne  in  Osten  aufgegangen, 
die  den  Weisen  seine  Geburtsstätte  zeigen.    Die  Betglocke 
höre  ich,  die  alle  zusammenruft,  das  gemeinsame  Fest  zu 
begehen.    Die  einfältigen  Töne  der  alten  Zeit  drängen  sich  15 
zu    uns    und    möchten    uns    wecken,    das    bedeutungsvolle 
Gemäuer  verlassener  Kirchen  mahnt  uns,  das  sinnige  For- 
schen ruft  den  Erlöser  herbei,  das  Unglück  der  Zeiten  ruft 
uns   zusammen,   und   wir    suchen    |  das    heilige   Band,   das  [152] 
uns  alle  verbinden  soll.     Wenn  die  Morgenröte  hervortritt  -^^ 
und  die  Vögel  ihren  Gesang  anstimmen,  dann  verschwinden 
die  trüben  Geister,  die  uns  gefangen  hielten,  und  wir  be- 
grüßen uns  in  Liebe  und  Eintracht. 

In  Christus  durchdringt   sich  das   Geistige   und  das 
Irdische,    er   ist   der   gemeinsame   Mittelpunkt   des   Geistes  2^ 
und  des  Lebens.    Daher  ist  sein  herrliches  Dasein  eins  mit 
der   Vernichtung   aller   Verhältnisse,    mit    der   Innern    und 
äußern  Selbsttötung,  und  die  wehende  Fahne  des  Kreuzes 
ist  die  Glorie  der  Geschichte  geworden.     Vergebens  sucht 
ihr  das  Heil  außer  ihm.    Ihm  muß  der  Bürger  seine  Habe,  30 
der  Weise  sein  Erkennen,   der   Staat   sein  Dasein  opfern, 
damit  der  Geist  des  Vaters  und  des  Sohnes  lebendig  unter 
uns  werde,  in  Tat  und  in  der  Wahrheit.    Daher  ist  Christus 
der  König  der  Kirche,  der  innere  Herrscher  aller  Völker, 
und  sein  Sinn  der  wahre  Bürgersinn.    Nicht  teilweise  sollen  35 
wir  dem  Ewigen  opfern,  vermeinend,  daß  wir  mit  einigen 
I  Entsagungen  die  Reste  der  Persönlichkeit  sichern  können.  [153]^ 
Ganz  sollen  wir  den  Schein  in  uns  töten,  der   Bürger  im 
Staate,   beide   in   der   Kirche,   auf   daß   wir   eins   seien,   so 
wie  sie  eins  ist,   Christus  im   Staate,   wir  in  ihm,  auf  daß  40   _; 
wir  vollkommen  eins  sind  in  ewiger   Liebe. 


280  Steffens. 

Ihr  aber,  die  ihr  der  Weisheit  nachstrebt^  erkennt  in 
ihm  den  innern  Kern  derselben!  Nur  wer  den  Tod  über- 
wunden hat,  mag  sagen,  daß  er  lebe.  Wer  dem  Sterb- 
lichen zugehört  mit  seiner  innersten  Seele,  der  stirbt  alle 
5  Tage,  dem  Unsterblichen  aber,  und  wer  Teil  hat  an  dem 
ewigen  Leben,  dem  bleibt  der  Tod  fremd  immerdar.  Er 
steht  fest,  und  das  Wanken  der  Zeit  vermag  ihn  nicht  zu 
erschüttern.  Daher  nehmet  es  wahr,  wie  die  Tapferkeit 
der    Streiter   Gottes    die   wahrhaft    männliche   Tugend    sei. 

10  Ihr  werdet  den  Lug  und  Trug  bekämpfen,  und  Mißgestalten 

der  Irrtümer  und  Begierden,  denen  der  zürnende  Gott  die 

Gewalt    gab,    vernichten    durch    das    mächtige    Wort    und 

durch   die    tapfere    Tat.      Gehorsam    werdet    ihr    sein   dem 

[154]  I  Staate  und  den  Gesetzen,  ihn  selbst  darstellend  in  einem 

15  heiligen  Wandel,  auch  werdet  ihr  die  Herrscher  erkennen 
und  ihnen  in  Demut  huldigen,  nur  schmeicheln  werdet  ihr 
nie,  denn  das  Schmeicheln  ist  der  Freien  unwürdig  und 
ziemt  sich  nur  für  die  Knechte;  auch  ist  nur  einer  gut,  und 
dieser  ist  Gott,  und  wenn  sie  alles  getan  haben,   sind  sie 

20  doch  nur  innerlich  durch  die  Liebe  frei,  äußerlich  aber 
unnütze  Knechte.  Fest  werdet  ihr  die  Gabe  halten,  die 
euch  Gott  schenkte,  und  wuchern  mit  dem  Schatze,  den 
er  euch  vertraute,  damit  seine  Herrlichkeit  durch  euch 
kund  werde.    Die  Liebe  wird  in  eurer  Seele  lebendig  sein, 

25  ein  jedes   Dasein   heiligend,    eine  jede   Tat   verklärend. 

So  schließe  ich  die  Rede.  Selbst  sündhaft,  wagte  ich 
es,  euch  das  Heiligste  nicht  zu  verhehlen;  das  Innerste 
des  Gemüts  wollte  ich  anregen  und  die  heiligste  Quelle 
der  Weisheit  und  des   Daseins   euch   eröffnen.     Die  Rede 

30  verstummt,  die  Verhältnisse  der  Welt  winken  euch.     Nicht 

[155]  ohne  Rührung  schließe  ich,  denn  was  blühen  |  und  Früchte 

tragen  wird,  weiß  nur  der  Ewige  allein,  wen  aber  die  Rede 

innerlich    ansprach,    der    bewahre    sie!     Die    Zeit    braucht 

Männer,  die  Nation  Bürger,  auf  daß  sie  erstehe  und  der 

35  geweissagte  Tempelbau  anfange.  Aber  viele  sind  berufen 
und  wenige  sind  auserwählt. 


Sach- 


und  Namenregister. 


Adel  47.  erhöhte  Zahlungen  des 
c^.s  77. 

Aeschylus  42. 

Akademie:  Unterschied  v.  d. 
Universität  127,  äußere  Ähn- 
lichkeit mit  der  U.  129  f.  Ver- 
bindung mit  der  U.  202.  Un- 
terschied V.  d.  Spezialschulen 
201.  '^-  im  antiken  Sinne  6.  10. 
(^.  im  modernen  (frz.)  Sinne 
als  '^.  der  Wissenschaften  61  f. 
69.  120f.  ur.  im  Sinne  Fichtes 
69.  81.  83.  (^.  als  Vereinigung 
der  Meister  123.  l/"-  als  Ver- 
einigung ehemaliger  Universi- 
tätslehrer 163.  höchstens  2  in 
Deutschland  angebracht  123. 
Verbindung  der  txen  unter- 
einander 124.  Arbeiten  der  t/; 
123  f.  Sammlung  von  Aufsätzen 
der  <y.  124.  Preisaufgaben  124. 
setzt  ein  Prinzip  des  Ganzen 
der  Wissenschaften  voraus  125. 
setzt  philosophische  Einigung 
voraus  128.  hat  keine  philo- 
sophischen Aufgaben  128. 

Akademiker  6äf.  80f.  96.  131. 

All,  Geist  des  <y-s  267. 

Allegorie  des  Übersinnlichen  im 
Sinnlichen  (vgl.  Hieroglyphen, 
Ziffern)  266. 

Allgemeine,  das  (vgl.  Wissen) 
122.  Allgemeines  u.  Besonderes 
238,  in  seiner  Durchdringung 
oder    Identität  231.   264 f.   267. 

Alten,  die  14. 

Alumnus  70. 


Anatomie  39,  anatomisches  Ka- 
binett 192. 

Anschauung,  intellektuelle  263, 
belebende  o^-  der  Natur  250. 

Anstalten,  wissenschaftliche 
190  f. 

aposteriori  26. 

Apparate,  wissenschaftliche  43. 

apriori  26.  37.  45. 

Archiv  des  Buchwesens  s.  Lite- 
ratur. 

Aristokratie  137. 

Arzt  96. 

Auditorium  45,  cvasplätze  82. 

Aufgaben  11,  für  die  Studieren- 
den als  Aufnahmearbeit  45. 

Aufklärung  210ff. 

Aufsätze  der  Lehrer  44. 

Ausarbeitungen,  schriftliche 
11. 

Ausland  lOlff. 

Ausländer76,  „deutscher'-cy 71. 

Ausschließung  der  Studieren- 
den 52. 

Ausschuß,  regierender  lt.  der 
Universität  165. 

B. 

Begriff,  klarer  23.  26.  Begriffs- 
bildung 13.  begriffliche  Durch- 
dringung 86. 

Bergakademie  192. 

Berlin  31.  99.  187 ff.  Vorteile 
einer  Universität  in  iy~.  188. 
Nachteile  189.  i^  als  Mittel- 
punkt für  die  Wissenschaft  des 
protestantischen  Deutschlands 
203. 


282 


Sach-  und  Namenregister. 


Besoldung  der  Professoren  81. 
c^ssystem  80. 

Bewußtsein,  zum  klaren  ly. 
erheben  7  f. 

Bewußtlose,  das  240. 

Bibel  40ff.  (Xanwendung  41. 
(.Verklärung  41.    Textkritik  42  f. 

Bibliothek  43.  77.  8U.  cxen 
190  f.  Universitätsc^.  191.  „Bi- 
bliothek der  Akademie"  (Publi- 
kation) 97.  99. 

Bildungsanstalten,  Vereini- 
gung aller  öffentlichen  o^-  132. 

Botanik  39  (vgl.  Willdenow). 

Buchdruckerkunst  3.  144. 
209. 

Buchhändler,  akademischer  99. 

Buchwesen  (vgl.  Literatur)  21. 
32.  58.  61.  88  f.  9G.  100. 

Bücher  10 f.  43.  Bücherlesen 
der  Professoren  44. 

Bürger  17.  73f.  224.  243ff.  Ver- 
hältnis zum  Staate  235. 

Bürgerschule  16. 

c. 

Cambridge  84. 
Christus  277ff. 
Collegium  medico-chirurgi- 

c  u  m  1 92. 
Cyneas  244. 

D. 

Dasein,  höheres,  s.  Leben ;  eigen- 
tümlicher  Kreis   des  lys  251  f. 

Dekan  166. 

Demokratischer  Charakter  der 
Universität  164  f. 

Denkgesetze  87 f. 

Detail  der  Wissenschaft  63. 

Deutsch,  LT.  und  undeutsch  139. 
Deutschheit   73.      Vgl.   Nation. 

Dialektik  142. 

Dialog,  sokratischer  11. 

Dichtung  265.  o^  der  Vorzeit 
266. 

Direktor  einzelner  Studien- 
fächer 36. 

Disputationen  179f.  182.  Dis- 
putierübungen 155. 


Dissertationen  (vgl.  Aufsätze, 

Ausarbeitungen,  Probeaufsätze) 

64.   181. 
Disziplinarkommission    197. 
Doktor  56.  92.  182.    als  niederer 

Grad  im  Unterschied  v.  Meister 

66  f.     ^.   der  Philosophie  65  ff. 

184.     u^'  der  Ästhetik   68.  184. 

w.  der  Geschichte  184. 
Dozenten  in  Berlin  199.  201. 
Duell  s.  Zweikampf. 
Durchdringung  (als  Terminus 

der   Identitätsphilosophie)  226. 

228  f.  238. 

E. 

E  h  r  e  als  äußere  Erscheinung  232. 

Eigentum,  geistiges  7 f. 

Eigentümlichkeit  s.  Indivi- 
dualität. 

Einheit,  organische  103,  lt,  aller 
wissenschaftlichen  Anstalten 
201  f.  Vgl.  Wissen  und  orga- 
nisch. 

Einseitigkeit  123. 

Elternhaus  der  Studierenden 
73. 

Empirie   39.   45.    57.   64ff.    118. 

125.  139. 

Engel,  J.  J.  (Verfasser  des  Pla- 
nes einer  allgemeinen  Lehr- 
anstalt   zu   Berlin    1802)    189 f. 

Entdeckung,  wissenschaftliche 
132. 

Enzyklopädie  29—36.  40.  61. 
63.  enzykl.  Ansicht  91  f.  En- 
zyklopädie als  Hauptgegen- 
stand der  Universitäten  127. 
enzyklopädische  Lehrer  45. 
56  f.  81.  ur,  Rechenschaften 
94  f. 

Enzyklopädisten,  die  fran- 
zösischen 21 L 

Ephorat  der  Regularen  55. 

Erkennen,  Erkenntnis,  Ein- 
heit und  Allheit  der  Erkenntnis 

126.  Einheit  der  (.A  129,  höheres 
Erkennen  223.'»i(^,  als  eine 
Funktion  des  Staates  240.  ix^ 
ist  eins  mit  dem  Dasein  273. 
Vgl.  Wissen. 


Sach-  und  Namenregister. 


283 


Erfahrungs  Wissenschaften 
219.  Vgl.  Empirie  und  reale 
Wissenschaften. 

Erlöser  277. 

Erziehung  der  Nation  104.  l/". 
nur  auf  das  Gemeinsame  aller 
Geister  zu  richten  249  f.,  nur 
auf  das  Gesetzmäßige  250. 
Vgl.  Pädagogik. 

Ethik  140. 

Ewige,  das  227. 

Examen  6.  11.  31.  44.  47.  64. 
83.     Vgl.  Prüfungen. 

Exegese,  biblische  41  f.  Exeget 
42. 

Exzesse  50. 


Fachgelehrte  62. 

Fachschulen  s.  Spezialschulen. 

Fakultäten  34 ff.  37. 147ff.270ff. 
theologische  Fakultätl48. 151  ff. 
271.  juristische  v-  148 f.  151  ff. 
kameralistische  271.  ökono- 
mische 271.  medizinische  148  ff. 
271.  —  philosophische  v.  261. 
271.  ihre  überragende  Bedeu- 
tung 147,  schafft  den  Zusam- 
menhang aller  übrigen  149. 
Stellung  in  der  Reihenfolge 
150.  Immatrikulation  zuerst  in 
ihr  151.  —  Vgl.  Klasse. 

Familie  73  f.  als  Schoß  des 
Unterrichts  111.  '^nleben  des 
Studenten:   Nachteile  199. 

Famulus  communis  82. 

Fertigkeit  des  Erlernens  8. 

(Fichte  J.  G.)  129. 

Fleiß  der  Studierenden,  selbst- 
verständlich 255. 

Fonds  74.  Vgl.  Naturaldotie- 
rung. 

Forschen,  freies  254. 

Fortschritt  85ff.  89. 

Fragemethode  10. 

Frankfurt  a.  O.  (Universität) 
187  f. 

Franzosen  216.  französische 
Kultur  211.    (^.  Revolution  237. 

Freiheit  19.  235.  240.  263  (De- 
finition). 275.     ^x~    als   innerste 


Wurzel  unseres  Daseins  236. 
(X-  der  inneren  Richtung  208. 
■^  des  Geistes  220.  243.  ur.  der 
Forschung  s.  Lehrfreiheit, 
akademische  Freiheit  166  ff. 
2  Seiten:  1)  des  Lernens  167 ff., 
2)  der  Lebensführung  171  ff. 
'^.  der  Bürger  239. 

Freiheit  und  Notwendig- 
keit 236.  247.  250.  259.  ihre 
Identität  a;  in  der  Natur  237, 
b)  im  Staate  237. 

Freistellen  77f.  82.  Geheim- 
haltung 78. 

Freitische  83. 

Friedrich  der  Große  211. 

Friedrich  Wilhelm  III.  84. 

G. 

Ganzes  22.  118.  267.  275.  das 
Ganze  als  lebendige  Einheit 
212  f.,  seine  Darstellung  im  ein- 
zelnen 232  f. 

Gebühren  bei  Promotionen  76. 

Gedächtniskunst  14f. 

Gehalt  s.  Besoldung. 

Geist:  der  Geist  ist  nur  einer 
75.  nationaler  cxi  240.  wissen- 
schaftlicher >jr.  129  ff.  135  f.  139. 

Geistesvermögen  25. 

Gelehrte  als  Staatsdiener  133 f. 

Gelehrtenschule  f=  Gvmna- 
sium)  8  f.  15.  21  f.  29.  32  f. 
35 f.  40f.  47.  68.  75.  120f.  136. 
146.  254.  CA  ihr  Vorsteher  131  f. 
'y,  als  Vorbereitung  zur  Uni- 
versität 12.  äußere  .Ähnlichkeit 
mit  der  Universität  129  f.  Un- 
terschied 127.  ur.  gymnastisch 
die  Kräfte  übend  121  —  124. 
elementarisch  122.  wissenschaft- 
lich 122.  f>ibt  nur  Kenntnisse 
ohne  Einsicht  in  die  Natur  des 
Erkennens  125. 

Gemeinschaft  der  Lernenden 
10,  wissenschaftliche  ••v-  39.  o^ 
der  Heiligen  s.  Kirche.  (^  der 
öffentlichen  Bildungsanstalten 
(etwa  im  Sinne  der  Universite 
imperiale)  132. 


284 


Sach-  und  Namenregister. 


Gemeinsinn,  wissenschaftliclier 
132. 

Gemüter,  forschende  252,  ver- 
schlossene 240. 

Genie  19.  25. 

Geologie  140. 

Gericht  der  Regularen  (Fami- | 
liengericht)  55.  Gerichtsbarkeit 
der  Universität  197.  j 

Geschäftsleben  der  Gelehrten  { 
199  f.  ! 

Geschichte  15.  36.  89 ff.  92 ff.  96.  i 
117.  140.  284.  265.  275.     Geist  | 
der   ur.  209.    260.   268.     cX    als 
Fortsetzung     des    Naturlebens 
230.    tX)  =  das  Besondere  der 
Natur  verbunden  mit  dem  All- 
gemeinen des  Geistes  269.    ihr  | 
Streben,     das    Höchste    darzu- 
stellen 228.    als  Teil  der  Theo- 
logie 42.     Enzyklopädie  der  i^- 
37  f.    Vgl.  Universalgeschichte. 

Geschichtsphilosophie  22. 
85  ff.  90  f.  208  f.  257. 

Geschick  22. 

GeschlechtlicheAussch  wei- 
fungen 195f. 

Geselle  (im  wissensch.  Sinne 
bei  Fichte)  121  usw. 

Gesellschaft  221.  223.  i^.  =  G&- 
selligkeit  176.  Gesellschaftsver- 
hältnisse der  Studenten  197. 

Gesetz  des  Staates  als  Produkt 
der  Freiheit  239.  Gesetzgebung 
37.    für  die  Zugewandten  51. 

Gespräch,  Unterrichtsgespräch 
141  f.     Vgl.  Dialog. 

Glück,  äußeres  256. 

Goten  215 f.  gotische  Formen 
der  Universitäten  186.  189. 

Gott  210.  267.  L^.  =  Geist  der 
Wahrheit  256.  (^  den  Sterb- 
lichen innewohnend  232.  das 
Göttliche  267.  269.  278 ff.  in 
die  Endlichkeit  gefesselt  oder 
ganz  aus  ihr  verdrängt  212. 

Gottesdienst  an  der  Universi- 
tät 170. 

Grade,  akademische  182 ff.  vgl. 
Würden. 

Grammatik  122. 


Griechisch  42. 

Gymnasium  s.  Gelehrtenschule. 

gymnastische  Geistesübung  135. 
Gymnastische  Übungen  178. 

198. 

H. 

Halle  a.  S.  (Universität)  69.  72. 
186.  248. 

Harmonie  des  Lebens  231. 

Haushaltung,  gemeinschaft- 
liche der  Regularen  46,  der 
Irregulären  48.  Hausvater  der 
Regularen  55. 

Hebräisch  42. 

Heilkunde  s.  Medizin. 

Heraklit  93. 

Hieroglyphen,  (vgl.  Allegorie, 
Ziffern)  275. 

Historie  s.  Geschichte,  histo- 
risch 30.  historisches  Talent  32. 

Homiletisches  Institut  41. 

Honorar  76f.  81.   154ff. 

Hus,  Joh.  210. 


Idee  117.  142.  212.     ur.  des  Er- 

kennens  127,   des  Ganzen   der 

Wissenschaft    127.     Verhältnis 

der  o^  zur  Wirklichkeit  16.  vgl. 

Staat;  Wissen. 
Individualität    135.    141.    168. 

173.    175.    215.   220.    225.   232. 

239.  249.  253.    iy~-  der  Nationen 

227. 
Industrie  270. 
Inländer  als  Professoren  59. 
Irreguläre    im    Sinne    Fichtes 

47  usw. 
Inskription  51  ff. 
Instrumente,  physikalische  43. 
Intellektuelle    Anschauung 

s.  Anschauung. 
Interpretieren     eines     Autors 

13.  15. 
Isolierung  der  Studierenden  15. 

J. 

Jahrbücher  der  Kunstschule 
86fff.  97.  Stoffbuch  88 ff.  96 f. 
99.  Kunstbuch  8b ff.  Jahrbücher 


Sach-  und  Namenregister. 


285- 


der  wissenschaftlichen  Ent- 
deckungen 97.  LT.  der  Fort- 
schritte   des    Buchwesens    100. 

Jahresfest  der  Universität  83 f. 

Jena  (Universität)  52.  62.  67.  82. 

J  esaias  42. 

Jesus  Christus  277.  Vgl.  Chri- 
stus. 

Johannes  der  Evangelist  42. 

Jurisprudenz  35.  37;  bei  den 
Römern  37.  Enzyklopädie  der 
ur,  37,  praktische  Vorbildung 
38.     Jurist  41. 

Justitiarius  der  Universität 
51  ff.  55.  82. 

K. 

Kalendermonopol  der  Aka- 
demie der  Wissenschaften  69. 
71. 

Kampf  der  Elemente  und  seine 
Schlichtung  233. 

Kandidaten  69,  lt. der  Regel  48. 

Kanoniker  75. 

Karsten,  Prof.  der  Mineralogie 
191. 

Kastenwesen,  wissenschaft- 
liches 118. 

Katechetisches    Institut  41. 

Kathedervortrag  4.  141ff.; 
populäres  und  produktives  Ele- 
ment 142. 

Katholisches  Deutschland 
116. 

Kenntnisse  im  Gegensatz  zum 
wissenschaftlichen  Geist  109. 
117  f.    129.    136.  184.   218.   261. 

Kepler  210. 

Kind  249. 

Kirche  116.  274ff. 

Kirchengeschichte  43.  63. 

Klasse  (vgl.  Fakultät)  der  Lehrer 
57;  philosophische  45.  57.  64fff. 
Klassen  der  Studierenden  53. 

Kleinstaaten,  deutsche  114. 

König,  der  71. 

Königsberg  (Universität)    187. 

Kollegienlesen  82.  Vgl.  Vor- 
lesungen. ' 

Kolumbus  209. 

Kombinationsgabe  12.  i 


1  Komitee  36.  38f.  43. 

I  Kompendien  127. 
Konj  ekturalkritik  12. 

I  Konsistorien  41. 

I  Konversatorien  11.  31.  44.  47- 

144.  156.     Vgl.  Dialog. 
Kopernikus  210. 

j  Korporation  der  Studenten  198. 

I  Korps   der   Lehrenden   46  f.   64. 

I  Vgl.  Gemeinschaft.  .r>  der 
Lehrhnge  64. 

i  Kredit  195. 
Kriminal  fälle  55. 

{  Kritik,  wissenschaftliche  9.  lOOf. 

!  Kunst      im      wissenschaftlichen 

I  Sinne,  bei  Fichte  als  lebendige 
Anwendung  des  Wissens  und 
„Kunst  des  wissenschaftlichen 
Verstandesgebrauchs"  6fff.  11. 
13.    18f.   25 f.   35.   45.   64.   67 f. 

I      Kunst  des  Lehrens  12.    Kunst- 

'      bildung   14.     Kunst   der   Men- 

[      schenbildung  22. 
Kunstbuch  vgl.  Jahrbücher. 

I  Kunstsammlung  43. 

'Kunstschule  im  wissenschaft- 
lichen Sinne  (vgl.  Kunst)  25. 
27.  35.  37  f.  65.  76.  85. 
Künstler  im  wissensch.  Sinne 
8.  18.  26.  29.  94 f.;  im  eigent- 
lichen Sinne  117. 
Kurator   der    Universität    159f- 

Landshut  (Universität)  68. 

Latein  als  Promotionssprache, 
Schleiermacher  für  Abschaf- 
fung 184  f. 

Leben,  höheres  (wissenschaft- 
liches) 70.  168.  226.  264.  274 ff.; 
erscheinendes  la.  210.  212.  221. 
261;  das  ewige  tx--  221.  t^.  als 
Zweck  der  Wissenschaft  7. 

Lebensbedürfnisse  der  Stu- 
dierenden 17  f. 

Lehre:  Lehrauftrag  164.  Lehr- 
freiheit 161.  241.  Lehrgebiet 
(nicht  zu  eng  zu  begrenzen) 
152  f.  Lehrbücher  127.  Lehr 
burschen    121.      Lehrstoff    lOf- 


286 


Sach-  und  Namenregister. 


Lehrer  (vgl.  Professoren)  18; 
ausübende  57.  61.  i^-  a.  D.  69. 
78.  Lehrkörper  =  lehrendes 
Subjekt  44.  56.  Lehrersemi- 
narien  s.Professorenseminanen. 

Lehrlinge    s.  Studierende. 

Lehrlingskörper  =  lernendes 
Subjekt  10.  45  ff.  56. 

Lehr  Verhältnis  9  f. 

Leipzig  (Universität)  97. 

Lektionskatalog  38. 

Lektüre  91. 

Lernen  des  Lernens  127. 

Lesebücher  91f. 

Liebe  19.  259. 

Literatur  (vgl.  Buchwesen)  4 
11.  21.  29.  32.  38.  40.  58.  61 
88  f.  91.  96.  100.  143.  Litera 
turverzeichnis  32.  Literatur 
wesen  101;  literarische  Hilfs 
mittel  47. 

Literaturzeitung  97ff. 

Ludwig  XIV.  211. 

Luther  210. 

Lykurgus  238. 

M. 

Magister  182 ff.  magister  ar- 
tium  67  f.     Vgl.  Meister. 

materia  medica  39. 

Mathematik  35 f.  112.  122.  129. 
140.  257. 

Mechanismus  (im  geistigen 
Leben)  7.  12f.  138. 

Medizin  35.  38.  Verhältnis  zur 
Naturwissenschaft  38.  Enzyklo- 
pädie der  (•:  39. 

Meister  (vgl.  Doktor)  11.  58. 
60.  64.  92.  95.  12L  ^  der 
Philosophie  65.  Unterschied 
vom  Doktor  66  ff.  Meisterstück 
64.     s.  Dissertation. 

Meßkatalog  9Tff.   100. 

Mitteilung,  wissenschafthche 
110.   132. 

Mittelpunkt  (philosophischer 
Terminus  bei  Steffens)  236.  262. 
266.  269.  (^.  des  Erkennens 
215.  217 f.;  rehgiöser  ^.  214f. 
(^.  des  Daseins  228. 

Moral  41. 


Moses  238. 

Museum,  Werkmeistersches  in 
Berlin  23. 

N. 

Napoleon  (?)  114. 

Nation  21.  70f.  76.  78.  83.  104. 
227.  267  f.  deutsche  c^-  71.215. 
Individualität  der  cy-.  215  f.  Na- 
tionalbildung 146.  Nationaler- 
ziehung 76.  104.  Nationalverein, 
wissenschaftlicher  119.  Uni- 
versität als  Nationalinstitut  70. 

Natur,  lebendige  2 13 f.  la.  als 
Vorbild  alles  Lebens  228.  Ihr 
Streben,  das  Höchste  darzu- 
stellen 228.  CX--  =  Fülle  aller 
Schönheit  und  aller  Ideen  267. 
iy.  =  das  Allgemeine  dem  Be- 
sonderen eingeprägt  269.  (y~. 
ist  kalt  vor  unsern  Wünschen 
und  Hoffnungen  235. 

Natur  und  Geist  (ihre  Durch- 
dringung,  Identität)  257. 

Natur  und  Geschichte  234. 
269  f.  274.  277. 

Naturaldotierung  der  Univer- 
i      sität  69.  71  f.  76. 

Naturaliensammlung  43. 
1  Naturphilosophie  257. 
I  Naturwissenschaft    36.     38f. 
[      89.  96.  112.  140.   270. 
]  Nominalprofessuren  154. 

Nostrifikation  der  Professoren 
59. 

Notwendigkeit  des  äußeren 
Lebens  235,  vgl.  Freiheit  und 
Notwendigkeit. 

Novizen  48.  50.  55.  82f. 

Nützlichkeit  223. 

o. 

Observanz  47. 
Offenbarung  34. 
j  Ökonomie  Verwaltung     der 
1      Universität  46.  69  ff.  77—81. 
I  Ökonomische  Wissenschaft 
270. 
Ordnung  des  Stoffes  15. 
Ordnungsverletzungen     sei- 
tens der  Studierenden  51. 


Sach-  und  Namenregister. 


287 


organisch  10.  12.  18f.  29f.  73. 
organische  Natur  140.  organi- 
sches Ganzes  36.  83  f.  organi- 
sierender Geist  63.  Organisieren 
des  Stoffes  86.  88. 

Originalität  der  Universitäten 
75  f. 

Oxford  (Universität)  84. 


Pädagogik  9.  2If.  UO. 
Pastoralklugheit  41. 
Perfektibilität  93. 
Person,  Wissenschaft  als  mora- 
lische  LT.   111. 

Pestalozzi,  J.  H.   21. 

Philanthropismus  9. 

Philistertum   176. 

Philologie  12.  35.  42.  (als  Teil 
der  Theologie)  140.  Philolog  68. 
philologische   Professoren    162.  ! 

Philosophie  26f.  81.  37.  40.1 
64ff.  87.  93f.  121.  125ff.  127f.  i 
140.  150.  183  f.  226.  Philosoph 
41.  134.  Philosophischer  Enzy- 
klopädist 45.  Besetzung  der 
Professur  für  Philosophie  161  f. 
Philosophischer  Geist  (u.  s.  Ver- 
hältnis zu  den  realen  Wissen- 
schaften) 121.  125  f.  190.  Philo- 
sophische Systeme  27  f.  129. 
Philosophie  die  höchste  Wissen- 
schaft 130.  philosophischer  Ka- 
techismus 29.  -^  als  allgemeines 
Anfangsstudium  139.  Philoso- 
phische Anleitung  als  Wesen 
der  Universität   137. 

Physik  213. 

Physiologie  140. 

Plan  des  Lehrens  9.  12. 

Plato  42.   117. 

Polemik  28.  128.  (Fichte  und 
Schleiermacher  gegen  die  philo- 
sophische LT.  auf  den  Univer- 
sitäten.) 

Polen  117. 

Politik   140. 

Polizei  50ff.  54ff.  196. 

Popularität,   Kunst  der  ^y.  41. 

Potenz  29.  35. 

Prämien  170.  vgl.  Preise. 


Prag  (Universität)  248. 

Praxis  181f. 

Prediger  43. 

Preise,  wissenschaftliche  96. 
Preisaufgaben  170. 

Preußen,  73f.  186f. 

Prinzip,  gutes  und  böses  22, 
bildendes  t^.  176  f.  belebendes 
w-  des  Staates  242.  das  höhere 
zusammenhaltende  lt.  254. 

Privatdozent  160. 

Privatumgang  zwischen  Leh- 
rern und  Schülern  144. 

Privilegien  171. 

Probeaufsätze  92.  94f.  Probe- 
schrift (vgl.  Dissertation)  64. 

Produktivität  der  Gelehrten 
5  f.  32.  das  Produzieren  des 
Wissens  142.  keine  literarische 
Produktion  auf  Schulen  124. 

Professoren,  ordentliche  55. 
außerordentliche  56.  81.  Indi- 
vidualität der  Professoren  145. 
Gewinnung  s-eeigneter  ^^.  158  f. 
Wahl  der  ^.  160  f.  162.  Anr 
Stellung  auf  Zeit  58  f.  Besoldung 
79  f.  Alter  der  '^.  162  f.  Pen- 
sionierung 59  f.  162.  Gefahr  des 
Gesc'iäftslebens  der  Professoren 
192.  Professorsemina rium 
21.  58.  65.  vgl.  Lehrer.  Meister, 
Senat,  Universitätslehrer. 

Programme  (Schulschriften)  124. 

Protestantisches  Deutsch- 
land 133.  203. 

Provinzialuniversität  (ein 
Widerspruch)  73.  —  186. 

Prüfungen,  akademische  180 f. 
v.  der  Talente  136  f.  öffentliche 
Schulprüfungen  124.  vgl.  Exa- 
men. 

Psychologie  93. 

Publikum,  auswärtiges  96 f.  101. 


Rat  der  Alten  57.  61.  63.  96f. 
99.  vgl.  Senat. 

Recht,  Rechtsbegriff  37.  Römi- 
sches o^  12. 

Reform  der  Lehranstalten  12. 

Reformation  209. 


288 


Sach-  und  Namenregister. 


Regeln  (des  Lernens  u.  Lehrens 
bei  Fichte)  7.  18.  20  f.  25.  30  ff. 
55. 

Regierung  227.  Regierungs- 
kunst u.  -Wissenschaft  93. 

Regularen,  (im  Sinne  Fichtes 
ordentliche  Mitglieder  der  Stu- 
dentenschaft, das  sog.  „Regu- 
lat":)  45 ff.  48fff.  56.66.  70.  72. 
77.  79.  81  ff.  94  f.  102. 

Reisestipendienkasse  74. 

Rektor  der  Universität  165 f. 

Relationen  (als  Gegenstand 
untergeordneter  Verstandesre- 
flexion) 268.  273  f.  276.  279  f. 

Relegation  52ff. 

Religion  40f.  140f.  222.  278. 
Religionslehrer  223.  Religions- 
unterricht 251.  Religionsge- 
schichte (=  Entwicklung  der 
religiösen  Begriffe  unter  den 
Menschen)  43. 

Remuneration  80. 

Renaissance   209. 

Repetitorien  144. 

Repräsentanten,  auswärtige 
der  Akademie  101  f.  lt  der 
Studenten  199. 

Republik  243.  246.  wissenschaft- 
liche (^-  104. 

Rezensieren  97 ff. 

Richter-Vorbildung  37. 

Ritterorden  75. 

Ruhestörungen  166.  vgl.  Ex- 
zesse. 

s. 

Schauen  und  Tun  (Verhältnis 
zueinander  n.  Schleiermacher) 
184. 

Schleier m acher  207. 

Schlußfolgern  268. 

Schönheit  234.  264. 

Scholastiker  68. 

Schuldenmachen  der  Studen- 
ten 50.  194  f. 

Schule  120 ff.  249.  Schullehrer 
35.  131.  Schulamtskandidat  69. 
o^  des  wissentl.  Verstandes- 
gebrauchs 34.  vgl.  Kunstschule. 


Sehnsucht  des  höheren  Erken- 
nens  252  f. 

Selbstbildung  254f.  261. 

Selbsterkennen  als  3.  Stufe 
der  Geburt  225. 

Selbständigkeit  der  Studieren- 
den  173. 

Selbsttätigkeit  7.  12.  28.  30 f. 
220.  249. 

Selbstverwaltung  d.  Univer- 
sität 164  f. 

Seminare    130.  155ff. 

Senat  57.  61.  63.  74  vgl.  Rat  der 
Alten.    Senator  80. 

Sinn,  Aufregung  des  ors  für  Er- 
kenntnis 138. 

Sittlichkeit  232.  247.  263  (in 
allen  Menschen  dieselbe).  264. 
(immer  ein  Ganzes.)  Verhältnis 
zum  Erkennen  174.  Sitten  der 
Universität  166.  Verhältnis  zur 
Sittlichkeit  174  f.  Individualität 
der  Sitten  175.  freie  Sitten- 
bildung 175,  Sittenlehre  vgl. 
Ethik. 

Sokrates  11. 

Solon  238. 

Spekulation  119.  135.  139.  142. 
217  ff.  223  f. 

Sperre,  wissenschaftl.  l/^  gegen 
das  Ausland  116. 

Spezialschulen  138f.  145.  147. 
183.  189.  201.  277. 

Spiel  sucht  195  f. 

Sprache   9.  13.  42.  68.  71.  211. 

227.  Deutsche  la  bei  Promo- 
tionen 68.  lat.  (.^-68.  griech.(.A.68. 
orientalische  ^  42.  63.  cy.  als 
das  die  N  ationen  Sondernde  227. 
Sprachgebiet  als  Grundlage  der 
Wissenschaft  112.  113ff.  119. 
Sprachunterricht  13.  Sprach- 
wissenschaften 112. 

Staat  23f.  270.   Idee  des  ijs  117. 

228.  269.  275.  den  Bürgern  dar- 
zulegen 243,  sein  Schicksal  ruht 
in  der  inneren  Seele  jedes  Bür- 
gers 245.  sein  Einssein  mit  dem 
Bürger  230.  als  die  innerste 
Durchdringung  des  inneren 
und  äußeren  Daseins  226.    als 


Sach-  und  Namenregister. 


289 


Schlichtung  des  vernichtenden 
Zwiespalts  233.  als  Notwendig- 
keit 236.  als  zweite  Natur  230. 
sein  Zweck  226  f.,  nicht  das 
Glück  aller  230.  Grenzen  seiner 
Gewalt  222.  sein  Einssein  mit 
dem  höheren  Geist  229.  or;  als 
Zahler  77.  Verhältnis  z.  Kirche 
275 ff.  Verhältnis  zu  den  Uni- 
versitäten 218ff.  221  ff.  die  Uni- 
versität als  Einverleibung  des 
allgemeinen  Wissens  in  den  (^: 
269.  Verhältnis  zur  Wissen- 
schaft 110  ff.  164.  230.  258.  soll 
die  Wissenschaft  sich  selbst 
überlassen  132  f.  Gegenwirkung 
zwischen  u~.  und  Wissenschaft 
120.  als  Mittel  zu  wissen- 
schaftlichen Zwecken  114.  Verh. 
z.  wissenschaftlichen  Verein  113. 
118  f.  Einfluß  der  Wissenschaft 
auf  den  (V-  118.  Verh.  zum 
Sprachgebiet  ll3f.  119.  Verh. 
zu  den  akademischen  Würden 
179  f.  185.  —  Staatsämter  47. 
60.  66  f.  72.  80.  Staatskosten, 
Studium  auf  v-  46.  Staats- 
männer 117.  Staatsprüfungen, 
abzuschaffen  186.  Staatsver- 
fassung als  Naturprodukt  der 
Geschichte  238.  (Ven,  ihre 
Individualität  238.  Staatswirt- 
schaft 149.  .  Staatswissenschaft 
93.  Staatenverhältnis,  repräsen- 
tiert durch  das  Verhältnis  der 
Akademien  103. 

Stand  40.  Stände  213.  Standes- 
erziehung 213.  Standesunter- 
schiede der  Studenten  197. 

Stellen,  reguläre  76.  Zahlstellen 
76.  Freistellen  76.  (^.  der  Kreise 
oder  Städte  für  die  Regularen 
70.  Könighcheix.  71.  Landes  ly. 
71. 

Stempeltaxe  71  f. 

Stipendien  83.  i^wesen  157f. 

Stoffbuch,  siehe  Jahrbücher. 

Strafen  der  Studenten  171. 

Streitigkeiten,  spekulative  cy. 
130  f. 

Studienplan  43.  juristischer  38. 

Universitäisschriften  Fichte,  Schleierm 


Studierende  12.  Selbständig- 
keit der  cxn  73.  zwei  Klassen 
nach  den  Talenten  137.  Um- 
gang untereinander  16.  Ver- 
hältnis zum  Bürgertum  16. 

Studium,  zwei  Arten:  Bücher- 
studium u.  Kolleghören  4. 

Stufen  der  wissenschaftlichen 
Bildung  9. 

Symbol  210.  (vgl.  Allegorie. 
Ziffern.) 

Systematischer  Geist  122. 

T. 

Talent  135f. 

Taschengeld  der  Studierenden 
46.  78. 

Tentamen  64.  68. 

Terminologie  13. 

Theologie  12.  34.  39ff.  43.  63. 
nicht  aufzunehmen  40.  ihr  prak- 
tischer und  wissenschaftlicher 
Teil  40  f.  Theolog,  braucht  nicht 
wissenschafthch  zu  sein  40  ff.  43. 

Theorie  181f. 

Tierarzneischule  192. 

Tod  276.  278.   280. 

Transzendentalphilosophie 
129.  149. 

Tübingen  (Universität)  84. 

Typus  des  Bildungswesens  121. 
Typen  der  Staatsverfassung  238. 

u. 

Übereinstimmung  mit  sich 
selbst  215.  220.  233.  243.  258. 
260.  innere  oo  226. 

Übersinnliches,  Neigung  dazu 
251. 

Umgang  der  Professoren  mit 
den  Studenten  176.  198. 

Uneinigkeit  derLehrenden219. 

Unendliches,  Streben  nach  dem 
(V  n  262.  Unendliches  und  End- 
liches: Gegensatz  262  f.  Identi- 
tät 262  f.   268. 

Uniform  der  Regularen  49.  62. 

Universalgeschichte  12.  33. 
90  f. 

Universalität  35.  73.  259. 

acher,  StefTens.  19 


290 


Sach-  und  Namenregister. 


Universität  im  hergebrachten 
Sinne  24.  44.  85.  als  not- 
wendige Bildungsanstalt  23. 
Definition  (Wesensbestim- 
mung) 8.  (Fichte)  —  125  ff.  138. 
(Schleiermacher)  —  247  ff.  255. 
(Steffens.)  —  Idee  der  cy-.en  215. 
269.  Individualität  der  ex  145  f. 
Zweck  der  tx- 167.  (Xen  =  Schu- 
len der  Weisheit  215.  217.  = 
Schulen  der  Selbstbildung  254. 
Grenzbestimmung  9.  gegen 
Schule  u.  Akademie  129  f.  zu- 
gleich höhere  Schule  für  die 
wenigerVeranlagtenl37f.  Selb- 
ständigkeit gegenüber  den  orga- 
nisch mit  ihr  verbundenen  An- 
stalten 202.  Geschichte  der  Uni- 
versitätenS.  147.149.Verfall248. 
politische  Beziehungen  116. 138. 
an  großen  oder  kleinen  Orten  1 6. 
Selbstergänzung  269.  Philoso- 
phie als  ihre  Grundlage  128.  Er- 
zeugung des  philosophischen 
Geistes  126.  Einleitung  eines 
neuen  geistigen  Lebensprozesses 
126.  ein  Moment  d.  geistigen  Er- 
wachens 127.  —  Universitätsleh- 
rer 131  f.  141  ff.  vgl.  Professoren. 

Untergang  (Zusammenbruch  v. 
Jena  und  Tilsit)  224. 

Unterredung  s.  Dialog  10. 

Unterricht,  Zusammenhang 
wichtiger  als  Masse  der  Kennt- 
nisse 250. 

Unterstützungsfonds  193f. 

Unzucht  196f. 

Urbild  s.  Idee. 


Vaterland  214.  vaterländischer 

Sinn  190. 
Venia  legendi  56 f.  zuerst  nur 

auf  1  Jahr. 
Verbindungen,     wissenschaft- 

hche  111. 
Verein,    wissenschaftlicher,    im 

Sinne     der     wissenschaftlichen 

Gemeinschaft    überhaupt    113. 

118f.  131.  137.  147.  180f.   183. 

185.  geselliger  ^.  229  f. 


Verfassung  der  Universität 
164  ff.  demokratisch  164  f.  mon- 
archisch 165. 

Verkehr  zwischen  Lehrer  und 
Schülern  144. 

Vermögen,  geistiges  cx;  zum 
Lernen  7. 

Vernunft  127.  139.  142.  das 
Gemeinsame  der  ewigen  Ver- 
nunft 227.  240.   ihr  Wesen  268. 

Verstand  7.  9. 

Verstehen  13. 

Verwaltung  des  Unterrichts 
132. 

Villers,  Charles  de  ^^  207. 

Virtuosität  123. 

Volk,  Reform  d.  Volkserziehung 
76.  Volksschule  21.  Volksunter- 
richt 34.  rehgiöser  Volkslehrer 
40  f.  43. 

Vorlesungen  44.  141ff.  Vor- 
lesungsverzeichnis 38. 

Vorsehung  23.  268. 

W. 

Wahrheit  247.  256.  259.  268. 
274.  iy->  und  Sittlichkeit  als  das 
Band  zwischen  Staat  u.  Bürger 
231  f.  Verhältnis  zur  Weisheit 
226. 

Weisheit  234.  240.  261.  280. 
(Xj  =  Wahrheit  und  Sittlichkeit 
247.  t/-  die  Seele  des  Staats  247. 
cx~.  als  Sinn  aller  wissenschaft- 
hchen  Bemühungen  226. 

Weltverbesserung,  Gefahren 
259. 

Werkmeister,  s.  Museum  23. 

Wetteifer,  wissenschaftlicher  in 
den  deutschen  Staaten   115. 

v.  W  i  1 1  d  e  n  o  w ,  Prof.  der  Botanik 
191. 

Wirklichkeit  17.  24.  85.  als 
Allegorie  266. 

Wissen,  Wissenschaft,  Idee 
der  LA.  126.  organische  Einheit 
der  (X-  (Wissenschaft  als  Ganzes) 
18f.  21.  29.  37.  ]09f.  118f.  121. 
123.  l'.^6f.  135.  149.  183f.  216. 
Organisation  des  Wissens  217. 
Wissenschaft   als   Lebenszweck 


Sach-  und  Namenregister. 


291 


15.  als  Selbstzweck  16.  (y  ge- 
richtet auf  das  Unwandelbare 
261.  ihr  allgemeines  Gerüst 
Gegenstand  der  niederen  Ge- 
lehrtenschule 9.  (^  im  Gegen- 
satz zu  Kenntnissen  109.  als 
gemeinsames  Werk  1U9.  ihre 
Fortbildung  5  f.  als  Mittel  zu 
Macht  u.  Ansehen  des  Staates 
116. 120.  praktische  Anwendung 
6.  37  f.  allgemeines  u.  einzelnes 
Wissen  127.  Wissenschaft  a- 
priori  12.  empirische  ^y- 12.  267. 
besondere  lx  (positive)  25.  31. 
45.  reale  tx^  129f.  135.  139.  150. 
184.  190.  historische  (X".  63. 

Wittenberg  (Universität)  248. 

Wohnungen  der  Studenten  194. 

W^ürden,  akademische  179  ff. 
Mißkredit  179.  wahres  Wesen 
180.  Verhältnis  der  Fakultäten 
dazu  182  ff.   vgl.  Grade. 


Z. 

Zahlungskommission   (Schul- 
denregulierung  für  die  Studie- 
!      renden)   195. 
1  Zamolxis  238. 

I  Zeit,  Ausnutzung  der  ly^  14. 
I  bloße  (V-.  214.  {phänomenal  263. 
I  Zeitverhältnisse  (Zeitlage)  8.  24. 
I  37.  107.  208 f.  Zeitgeist  92.  Zeit- 
i      aher  22. 

I  Zentraluniversität,    Schleier- 
macher gegen  deutsche  ^y.  146. 
1  Ziffern  (vgl.  Allegorie,  Symbol) 
]      261. 
Zugewandte  47f.   50ff.  54.  56. 
66.  (Bewerbung  um  den  Meister- 
grad) 72.  81  ff. 
Zunftwesen  der  Fakultäten  121. 

189. 
Zusammenleben,  wissenschaft- 
liches 20.  81.  141.  144. 
Zweikampf,  vgl.  Duell,  49ff.l77ff. 


19^ 


Verlag  der  Dürr'schen  Buchhandlung  in  Leipzig, 

Johannes  Schubert 

Wilhelm  von  Humboldts 

ausgewählte  philosophische  Schriften 

(Philosophische  Bibliothek,  Band  123.) 
Preis:  geheftetet  3  M.  40  Pf.,  gebunden  4  M. 


T~\er  Name  Wilhelm  von  Humboldts  wird  zwar  stets  neben 
-»-^  dem  seines  populären  Bruders  Alexander  mit  der  größten 
Hochachtung  genannt,  doch  kann  man  nicht  gerade  behaupten, 
daß  das  Bild  des  seltnen  Mannes  im  Bewußtsein  unserer  Ge- 
bildeten schon  festere  Konturen  gewonnen  habe.  Dieser  Band, 
der  im  Jubiläumsjahr  von  Humboldts  großer  Schöpfung,  der 
Berliner  Universität,  erscheint,  will  dazu  beitragen,  die  Kenntnis 
seiner  Geistesart  in  weitere  Kreise  zu  tragen.  Er  zeigt 
Humboldt  in  zweckmäßig  ausgewählten  Schriften  und  Aufsätzen 
als  Ästhetiker,  Pädagogen,  Geschichts-,  Religions-  und  Sprach- 
philosophen. Eine  ausführlicher  gehaltene  Einleitung  gibt  ein 
Gesamtbild  seines  Lebens  und  vielseitigen  Schaffens  als  Ge- 
lehrter, Gesandter  und  liberaler  preußischer  Staatsmann;  sie 
zeigt  ihn  in  seinem  Freundschaftsbund  mit  Schiller,  in  seiner 
schöpferischen  Mitarbeit  an  den  großen  Zielen  und  Problemen 
des  deutschen  Idealismus.  Es  ist  zu  wünschen  und  zu 
hofl'en,  daß  die  täglich  wachsende  Teilnahme  unserer  Zeit 
an  den  Resultaten  dieser  glänzenden  Epoche  deutschen 
Geisteslebens  auch  einem  VV.  von  Humbold  in  reicherem 
Maße,    als    es    bisher    geschehen,    zu    gute    kommen    möge! 


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