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Full text of "Über den historischen Werth der Älteren Dante-Commentare"

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-.p. 



l)BER 



DEN HISTORISCHEN WERTH 



DER ALTEREN 



DANTE-COMMENTARE. 



MIT 



EINEM ANHANG ZIIR DINO-FRAGE 



VON 



C. HEGEL. 



LEIPZIG 

VERLAG VON S. HIRZEL 

1878. 





(;ni FEB. 1927 :j|| 




MEINEM FREUNDE 



FEANZ X. WEGELE 



ALS GEGENGABE 



GEWIDMET. 



Die Dante-Commentare des Mittelalters behalten trotz der 
fortgeschrittenen Daiiteforschung unserer Tage immer noch ihren 
vorzuglichen Werth als Hiilfsmittel fur die Erklamng der Di- 
vina Commedia: schon desshalb weil sie, je naher ihre Verfasser 
der Zeit des Dichters standen, die unmittelbare Kenntniss der 
Sprache und der Dinge vor den spateren voraus haben; aber auch 
fiir sich selbst diirfen sie, mehr oder weniger, als bedeutende 
literarische Erzeugnisso gelten, insofem in ihnen, gleichwie Dante's 
Gedicht selbst das gesammte Wissen von Gott, Natur und Welt 
umfasst, zu verschiedenen Zeiten der jedesmalige Stand der wis- 
senschaftlichen Erkenntniss auf der gemeinsamen Grundlage 
iiberlieferter Bildung sich abspiegelt. Was insbesondere die 
historische Erklamng der gottlichen Komodie betriflft, so schopf- 
ten die Commentatoren des 14. Jahrhunderts, von welchen die 
ersten selbst noch Zeitgenossen des Dichters waren, theils aus 
derselben ihnen wie ihrn. gelaufigen Tradition, theils aus zeit- 
genossischen miindUchen oder schriftlichen Berichten Uber Er- 
eignisse und Personen; sie dienten daher den spateren wieder als 
historische Quelle, wozu dann noch andere, altere oder neuere, 
Autoren hinzugezogen wurden. Wenn wir nun diesen verschieden- 
artigen Quellen der Dante-Commentare nachgehen, konnen wir 
mit Sicherheit feststellen, nicht bloss welche derselben bereits 
vorhanden waren, sondern auch in welcher Gestalt und B6- 
schaffenheit sie den Commentatoren bekannt waren, und wir ge- 
winnen hiermit eine nicht unwichtige Handhabe fur die Kritik 
der italienischen Geschichtschreibung iiberhaupt. 

Es ist meine Absicht in dieser Schrift die alteren Dante- 
Commentare besonders in letzterer Beziehung zu untersuchen, 
daneben aber auch ihre iibrige Beschaffenheit, ihren allgemeinen 

Hegelf Dante-Commentare. 1 



— 2 — 

Charakter und Werth zu beurtheilen und nicht minder ihr Ver- 
haltniss unter einander, in Benutzung der friiheren durch die 
spateren, darzulegen: doch muss ich mich hierbei auf diejenigen 
beschranken, welche berfeits durch den Druck veroffentlicht und 
allgemein erreichbar sind, aber auch anerkanntermassen unter 
den vielen, welche iiberhaupt bekannt und zumeist in der Dante- 
Bibliographie von Colomb de Batines (Prato 1845 T. I u. II) 
beschrieben sind, als die besseren und besten gelten. 



Ich beginne die Reihe nach chronologischer, durch die Ab- 
fassungszeit bestimmter Folge mit: 

^, ., . .5*. 1* Chiose anonime alia prima Cantioa della divina 

^ j-\ Commedia, pubbL de Francesco Selmi. Torino 1865. 

Mit Recht hat der Herausgeber dieser nur auf die Gesange 
des Inferno sich erstreckenden Glossen aus verschiedenen An- 
deutungen geschlossen, dass sie wahrscheinlich noch bei Lebzeiten 
des Dichters, jedenfalls nur wenig spater verfasst sind. Von den 
Parteiqn der weissen und schwarzen Guelfen zu Fiorenz, welche 
sich in den Jahren vor und nach 1300 bekampften, ist als wie noch 
von gegenwartig lebenden die Rede, und von den Schwarzen wird 
bemerkt, dass sie zur Zeit am Regimente seien (e anche vi sono 
p. 40), was schwerlich noch nach 1320, als jene Parteinamen 
schon so gut wie verloschen waren, ware gesagt word en (vgl. 
Th. Paur's Abhandlung liber die Chiose anonime im Dante-Jahr- 
buch I S. 338 f.). Wir haben daher wohl in diesen Glossen die 
friiheste Ueberlieferung von der Auslegung des Gedichts zu er- 
kehnen, und es lasst sich zeigen, wie manches daraus auf die 
sp&teren Commentatoren iibergegangen ist: ich meine nicht bei- 
spielsweise die so nahe liegende und allgemein angenommene 
Deutung der drei allegorischen Thiere im 1. Gesang als lussuria, 
superbia und avarizia, wohl aber andere mehr singulare Auf- 
fassungen, wie z. B. die Beziehung der drei himmlischen Frauen 
im 2. auf Beatrice, Lucia und Rachele, welche sich ebenso im 
Commentar des Lana wiederfindetj die ungeschickte Erklarung 



— 3 — 

von den zwei einzigen Gerechten in Florenz (Inf. VI, 73) im ab- 
stracten Sinne als ragione e giustizia; die wunderliche Erzahlung, 
wie Attila auf seinem Eroberungszug durch Italien sich in die 
belagerte Stadt Rimini einschlich und beim Schachspiel erschla- 
gen wurde (p. 72), nebst anderem, was in gleicher Weise bei 
Lana wiederbegegnet, also wenn auch nicht sicher auf Be- 
nutzung dieser Glossen, docb auf gemeinsamen Ursprung hin- 
weist. 

Wir erkennen in dem Autor einen Mann von allgemeiner 
Bildung, wie sie wohl die Durchschnittsbildung der hoheren 
Klassen in jener Zeit war, nicht aber einen eigentlichen Ge- 
lehrten. Er beweist Kenntniss der alten Literatur, Mythologie 
und Geschichte, aber ohne wissenschaftliches Studium, und hat 
nichts von theologischer Scholastik und Philosophie. Seine all- 
gemeine Auffassung von dem Grundgedanken des Gedichts be- 
wegt sich auf der Oberflache der moralischen Begriffe von Tugend 
und Laster. Virgil, der dem Dichter im dunklen Walde, bei 
seiner Bedrangniss durch die Wolfin, zu Hiilfe kommt, bedeutet 
dem Glossator nichts weiter als den lateinischen Dichter, dessen 
Werk Dante iiber die Folgen von Tugend und Laster belehrt 
hatte und ihm durch die Gluckseligkeit (beatitudine), das ist 
Beatrice, in die Hand gegeben wurde (p. 5). Der Windhund, 
der die Wolfin in die HoUe, aus der sie gekommen, zuriickjagen 
wird, gilt ihm als der Gottessohn selbst, der am Tage des jiing- 
sten Gerichts in der Luft erscheinen wird, was die nicht weiter 
erklarten Worte sua nazion sara tra feltro e feltro besagen 
soUen. Viel Verkehrtes, ja geradezu Unsinniges ist aus der My- 
thologie, Geschichte und Geographic vorgebracht (vgl. Th. Paur 
a. a. 0. S. 350). Auch das seiner Zeit nahe Liegende scheint 
dem Autor nur durch Volksmund bekannt zu sein: so die lacher- 
liche Erzahlung, wie Bonifaz VIII seinen Vorganger, Papst 
Colestin, zur Abdankung bewog, indem er ihm in seiner Schlaf- 
kammer als gefliigeltes Gespenst erschien und ihn mit furcht- 
barer Stimme imd durch eine im Dunkeln leuchtende Schrift er- 
schreckte (p. 18). Paur will den Autor fur einen Guelfen hal- 
ten, weil er Kaiser Friedrich II der ketzerischen Auflehnung 



— 4 — 

gegen die heilige Eirche bescbuldigt; doch hat ja der Dichter 
selbst den Kaiser wegen Ketzerei in die Hollenstadt versetzt 
(Inf. X, 119), obwohl er nicht eben guelfisch gesinnt war, und 
an anderer Stelle sagt der Glossator (p. 110), ebenfalls in Ueber- 
einstimmung mit Dante, dass alles Unheil von den Papsten aus- 
gehe und dass es nicht an ihnen fehle, wenn durch ihre offen- 
baren Sunden der Glaube verloren gehe. 

Als Toscaner offenbart sich der Autor durch die reine 
Sprache, aber fur einen Florentiner, wie Sebni vermuthet, kann 
ich ihn doch wegen seiner auffallenden Unkenntniss liber die 
Zeitgeschichte von Florenz nicht halten, wiewohl er sich iiber 
die altere florentinische Tradition gut genug unterrichtet zeigt. 
So ist ihm die Sage von dem gefahrlichen Schutzpatronat des 
Eriegsgottes Mars, dessen Standbiid sich zur Zeit noch am Ponte 
Vecchio befand (p. 78) — also vor der Ueberschwemmung durch 
den Amo, der es von dort wegriss, im November 1333 (Villani 
XI, 1) — wohl bekannt; wie auch die von der Griindung 
von Florenz durch die romischen Feldherren Florus und Me- 
tellus nach der Einnahme von Fiesole (p. 87), und besser als 
Lana hat er die Stelle Inf. XV, 61: Ma quell' ingrato popolo 
maligno, che discese di Fiesole ab antico verstanden, wo der 
Dichter den zwiefachen Bestandtheil der florentinischen Bevolke- 
rung als fiesolanischen und romischen Ursprungs unterscheidet. 
Wir kennen jetzt die Sage in der Quelle selbst, aus der sie die 
Geschichtschreiber schopften, namlich in der lateinischen Schrift 
De Origine Civitatis, nebst einer alten italienischen Bearbeitung 
und noch einer anderen popularen Abfassung in dem Volksbuch 
Libro Fiesolano, welche 0. Hartwig, Quellen und Forschungen 
zur altesten Geschichte von Florenz 1875, herausgegeben hat. 
Auf diese Quelle weist in den Glossen bestimmt die Nachricht 
hin von der Niederlage des Catilina und der andern romischen 
Verbannten bei Pistoja, wo die iibrig gebliebenen die Stadt 
griindeten, welche ihren Namen von pestilenzia erhielt (p. 133), 
vgl. De Origine p. 56: quia tunc ibi fiiit magna pestilentia ultra 
modum; ebenso die gelaufige Verwechselung des Attila mit To- 
tila (p. 78), welche sich gleichfalls bei Villani II, 1 wiederfindet. 



I 



t 



Die bekannte Erzahlung von der verhangnissvoUen Heirat 
des jungen Ritters Buondelmonte, aus welcher die Entzweiung 
unter den florentinischen Geschlechtern entstand, wird noch auf 
ganz eigenthiimliche Weise und sehr abweichend von Villani vor- 
getragen (p. 152 vgl. Vill. V, 38): Der junge Buondelmonte heisst 
hier mit Vomamen Sinione und seine erste Braut Anna Cavio- 
ciuoli, welche zwar schon, aber so arm war, dass sie keine an- 
stiindige Mitgift aufbringen konnte; durch Vertrag zwischen den 
Buondelmonti und Lamberti wurde dem Simone eine vomehme 
Uberti zur Frau bestimmt, die er jedoch verschmahte, wahrend 
er sich mit seiner ersten schonen Braut vermahlte. Nach Villani, 
dem die Spateren gefolgt sind, verliess umgekehrt Ritter Buondel- 
monte seine erste Braut, die eine Amidei war, und zog ihr eine 
schone Tochter aus dem Hause Donati vor, und hiermit stimmt 
in der Hauptsache auch die angebliche Chronik des Dino Com- 
pagni (I, 2) Uberein, wo aber die verlassene Braut eine Tochter 
• von Oderigo Giantruflfetti heisst. Man sieht, wie wenig constant 
die Tradition vor ihrer Auspragung durch Villani war (vergl. 
Scheffer-Boichor8t,oFlorentiner Studien S. 60 und was ich in: 
Chronik des Dino Compagni S. 64 dariiber gesagt habe). 

Auf der anderen Seite weiss der Glossator offenbar nur 
wenig Sicheres von den Ereignissen der jUngsten Vergangenheit, 
wiewohl er wie ein Zeitgenosse von den Parteien der Weissen 
redet. Denn an der einen Stelle (p. 39) lasst er zuerst die 
Weissen und nachher die Schwarzen, die einen durch die andem 
vertrieben werden, wahrend gerade das Umgekehrte der Fall war, 
und an der andem (p. 132) gebraucht er den sinnverwirrenden 
Ausdruck: ivi combatte messer Carlo con messer Corso Donati e 
caccionne fuori i Cerchi come Bianchi, wo con messer Corso Do- 
nati so viel heissen muss als „verbunden mit", damit man nicht 
den Unsinn darin finde, als ob das Parteihaupt der Schwarzen 
der Gegner des Carl von Valois -gewesen sei, und nennt als Ort 
des Kampfes (mit den Weissen) den Campo Piceno, den er als 
Marsfeld bei Florenz erklart, wahrend die florentinische Tra- 
dition unter Campo Piceno bekanntlich das Schlachtfeld des 
Catilina bei Pistoja versteht: De Origine p. 50, Villani I, 32. 



— 6 - 

Auch ist das Wenige, was der Commentator von dem Leben 
des Dichters beibringt, namlich, dass er in seiner Jugend allein 
nach Geldgewinn getrachtet babe (p. 15) und ein Frauenverfuhrer 
gewesen sei (p. 93), nur fiir eine absurde aus gehassiger Erfin- 
dung stammende Scbmahrede zu erklaren. 



2. Comento alia oantiLoa dell' Inferno di autore ano- 
/,^, , y^} nimo. Firenze 1848 (von Lord Vernon herausgegeben). 

I 

Dieser Commentar, ebenfalls bloss auf das Inferno beziiglich, 
ist mit den von Selmi verofifentlichten Glossen ziemlich gleich- 
zeitig verfasst und nach Form und Inhalt so nahe verwandt, dass 
in mehreren Handschriften, der Pariser und der Strozzi'schen, 
demselben auch ein Theil von jenen Glossen eingeschaltet ist 
(im Abdruck mit P und S bezeichnet). Als Abfassungszeit ist • 
an einer Stelle (p. 165) ausdriicklich das Jahr 1324 (nach an- 
deren Hss. 1328) genannt. Die Erklarung ,ist, ahnlich wie in 
, den Glossen, kurz, frei von Scholastik und iiberfliissiger Gelehr- 
samkeit Im allgemeinen zeigt sich jedoch der Autor besser 
unterrichtet in Mythologie, alter Geschichte und Literatur, wie- 
wohl auch ihm bisweilen ein derartiger Verstoss begegnet, wie 
die Verwechslung der Phadra mit der Ariadne in der Geschichte 
des Theseus (p. 99), oder die der Thais aus den Eunuchen des 
Terenz mit der Geliebten des Simson (p. 146). Haufig trifft er 
in der allegorischen Auslegung das Bessere und Richtige. Den 
Dichter Virgil erkennt er als die wahre Vemunft, die Rachele, 
welche auch er als eine der hiilfreichen Frauen nennt, als das 
beschauliche Leben. Den Veltro erklart er liberhaupt fiir einen 
grossen Menschen, alto per senno e per virtute, und versteht, 
wie die moisten alteren Commentatoren, tra feltro e feltro als 
Filz oder schlechtes Tuch (conciosiacosache il feltro sia il 
pill vile panno), mit Bezug auf die niedrige Herkunft des kiinf- 
tigen Fiirsten der Wahrheit und Gerechtigkeit; doch lasst er 
auch andere Erklarungen offen (p. 23). Die allegorische Deu- 



— 7 — 

tung ist bisweilen kiinstlicli gesucht, aber doch nfcht geschmack- 
lo8, wie z. B. dass beim Hinansteigen Dante's auf den Hiigel der 
untere feststehende Fuss, Inf. I, 30, die Demuth bedeute, auf 
welche der Heilsstand sich stiitze. Geradezu Sinnloses, woran in 
den Chiose kein Mangel ist, findet sich hier nicht. Die geschicht- 
liche Erklarung ist iiberall sehr kurz gefasst und lasst manches 
vermissen, doch ist sie in der Regel sachgemass und zutreffend. 
Die Tradition und Geschichte von Florenz sind dem Commen- 
tator theils ebenso gut, theils bessei* aJs dem Verfasser der 
Glossen bekannt; er giebt z. B. die richtige Erklarung des Campo 
Piceno zu Inf. XXIV, 148 und irrt nicht in Bezug auf die Folge 
der Herrschaft der Weissen und Schwarzen, wobei er freilich 
gleichfalls die neuen Parteinamen auf die alten der Gibellinen 
und Guelfen iibertragt (p. 87); er kennt wie jener das Marsbild 
noch am Fuss des Ponte Vecchio (p. 113) und weiss gut Be- 
scheid sowohl iiber die beriihmten als auch die weniger bekann- 
ten Personlichkeiten, wie iiber die florentinischen Gebrauche, 
von denen er z. B. der jahrlichen Charfreitagsprozession nach 
St. Gallo gedenkt (p. 140). 

Besonders bemerkenswerth ist sein Verhaltniss zu der ge- 
schriebenen Tradition von Florenz, nach der schon erwahnten 
Quelle De Origine Civitatis. Abweichend zwar von dieser macht 
er die Elettra (Inf. IV, 121), statt zur Frau des Attalan, des 
Griinders ^on Fiesole, dem sie die Sohne Italus, Dardanus und 
Sicanus gebar: De Orig. p. 39 — zur Frau des Dardanus, des 
Erbauers von Troja (p. 43). Aber ganz daraus geschopft ist 
die ausfuhrliche Erzahlung von Attila, dem grausamen Tyrannen 
aus Ungam, genannt flagellum Dei, welcher Italien verwiistete 
und dann in Florenz, obgleich freundlich empfangen, 20000 Ein- 
wohner in dem Palast des Capitols durch seine Bitter erwUrgen 
und in den Arno werfen liess, worauf er die Stadt voUends mit 
Feuer und Schwert zerstorte und dagegen das von den Romern 
zerstorte Fiesole wiederherstellte; nachher kamen die Romer 
zuriick und erbauten Florenz aufs neue, wohin auch die Fieso- 
laner infolge Vertrags unter der Bedingung ubersiedelten, dass 
das Bisthum von Fiesole erhalten bliebe (p. 106). — Nur der 






*■ J, 



— 8 — 

Name des Totfla, den die Sage hat und auch Villani (II, 1. 2) 
naeh ihr beibehalt, ist hier in den von Attila verandert; sonst 
aber folgt der Commentator der urspriinglichen Erzahlung viel 
genauer als Villani, der sie weiter ausgeschmiickt und besonders 
darin entstellt hat, dass er Florenz nicht durch die Romer, son- 
dern erst durch Karl den Grossen wieder entstehen lasst. 

Weiter findet sich die Heiratsgeschichte des Ritters Bu- 
ondelmonte auch hier wieder mit anderen Namen und Umr 
standen als in den Chiose und bei Villani (p. 199), worauf naher 
einzugehen nicht nothig. 

Auf das Verhaltniss dieser Auslegung des Inferno zu dem 1 
Commentar des bolognesischen Kanzlers Ser Graziolo de' Bam- i ' 
bagioli werde ich spater zuriickkommen. 

^ 3. Chiose alia Cantioa dell' Inferno di Dante attribuite 

' a Jacopo suo flglio. Pirenze 1848. "'^ - *- ^ ' -:^.-, • ' ^cc.r..rA^, 

Demselben Codex des 14. Jahrhunderts aus der Bibliothek 
von Poggiali, nachmals im Besitz von Lord Vernon, welcher 
no. 2 enthalt, sind auch die^ angeblich von Dantes' Sohn, Jacopo, 
herriihrenden Glossen entnommen. Durch die Veroffentlichung 
beider Stucke ist zunachst klar geworden, dass jener Commentar 
no. 2 und diese Glossen lio. 3 von einander verschieden sind, 
wahrend man sie sonst gewohnlich fiir identisch hielt, weil no. 2 
in einer andern (der Pariser) Handschrift das gleiche Vorwort 
wie no. 3 hat, worin Jacopo in der ersten Person spricht (io 
Jachopo figliuolo di Dante); ubrigens hat schon Batines bei Bo- 
schreibung der Pariser Handschrift jene Verschiedenheit hervor- 
gehoben (Bibliografia I, 584). 

Nichtsdestoweniger besteht eine gewisse innere Verwandt- 
schaft, welche sich in manchen Einzelheiten kund giebt, wie 
z. B. dass hier wie dort die Elettra Gemahlin des Dardanus und 
Tochter des Attalan heisst (p. 15), im Widerspruch mit der ge- 
schriebenen Tradition, wonach sie die Gattin des Attalan war, 
ulld dass die keusche Lucretia hier wie dort die Tochter des 
Brutus genannt wird (p. 15 vergl. Anonimo p. 44), oder dass in 



— 9 — 

gleicher Weise die drei Rachen des HoUenhunds Cerberus auf 
den Unterschied der Gefrassigkeit nach Qualitat und Quantitat 
der Speisen bezogen werdeii (p. 20 vergl. Anonimo p. 53). An- 
deres weist, sei es auf Bekanntschaft mit den Selmfschen Glos- 
sen, oder auf gemeinsamen Ursprung bin, wie die Sage vom 
Attila, dass er beim Schachspiel in Rimini erschlagen worden sei 
(p. 39 vgl. ob. S. 3), von dem Kanzler Petrus von Vinea, dass er, 
nachdem er des Augenlichts durch Blendung beraubt war, sich 
den Kopf an einer Mauer zu Pisa zerstossen babe (p. 42 vgl. 
Chiose da Selmi p. 75), und die wunderlicbe, Fabel, dass der 
Prophet Maumeto ein grosser Pralat in Spanien gewesen sei, 
welchen der Papst axis Eifersucbt mit vielen Versprechungen 
iiber das Meer gesendet babe, um Christum zu predigen, der 
aber nachher, als ihm diese nicht gehalten wurden, das Gegen- 
theil lehrte und den Glauben, den die Sarazenen noch jetzt fest- 
halten, einfiihrte (p. 91 vgl. Chiose da Selmi p. 150); wie die 
Erzahlung von den beiden Frati godenti aus Bologna, welchen die 
oberste Gewalt in Florenz iibertragen wurde, mit den gleichen 
Namen und Umstanden (p. 74 Chiose da Selmi 127). 

Die Autorschaft des Jacopo di Dante, von dem man weiss, 
dass er etwa 4 Jahre nach dem Tode des Vaters nach Florenz 
zuriickkehrte und dort spater gelebt hat (er findet sich in floren- 
tinischen Urkunden 1332 und 1342 genannt, s. Fraticelli, Vita 
di Dante p. 300 vgl. A. von Reumont iiber Dante's Familie im 
Dante- Jahrbuch II, 340), ist, abgesehen von der diirftigen Be- 
schaflfenheit der Glossen, schon aus dem Grunde zu verwerfen, 
weil der Verfasser sicher kein Florentiner war, da er an einer 
andem Stelle von dem Ponte Vecchio zu Florenz als von ihrer 
alten Briicke redet (p. 43 chome al presente nella testa del loro 
vecchio ponte si vede), sich selbst also von den Florentinern 
unterscheidet, nachdem er vorher die wunderlicbe Bemerkung 
gemacht hat, dass es ihre Gewohnheit sei, sich aufzuhangen, wie 
die der Aretinen, sich in den Brunnen zu stiirzen. Uebrigens 
beweist die eben angefiihrte Stelle iiber den Stand des Mars- 
bildes am Ponte Vecchio (si vede) gleichfalls fiir die friihe Ab- 
fassungszeit der Glossen vor 1 333, in welchem Jahr, wie bemerkt, 



— 10 — 

das Marsbild durch eine Ueberschwemmung des Amo fortgerissen 
wurde, worau wir ein gemeinsames Merkmal fiir die Zeit der 
6rsten Commentatoren besitzen, welche das Marsbild noch an 
seiner alien Stelle kannten (s. iiber dieses oft gebrauchte Argu- 
ment in Bezug auf den Ottimo Comento die Ausfiihrung nebst 
Beweisstellen in dem Aufsatz von C. Witte, Dante -Forschungen 
S. 407 f.). 

Was den Inhalt der Glossen betrifft, so handeln sie aus- 
fuhrlicher nur iiber das Mythologische und sind voUig worthies 
in Bezug auf das eigentlich Historische. Mit der florentinischen 
Tradition und Geschichte zeigt der Autor nur oberflachliche 
Bekanntschaft: er weiss wohl von der Zerstorung von Florenz 
durch Attila den Ungam, nicht Totila, wie ihn die Tradition 
nennt (p. 43); er erwahnt die Entzweiung der Geschlechter iiber 
den Heiratsantrag, der zwischen den Buondelmonti und Amidei 
geschlossen wurde, giebt kurz den Ursprung der Parteien der 
Weissen und Schwarzen aus Pistoja an, wohin er richtig den 
Campo Piceno setzt (p. 77), bringt aber iiberhaupt nichts naheres 
iiber die florentinischen Dinge und Personen und lasst gerade 
an den wichtigsten Stellen, Inf. VI und X, wo von solchen die 
Rede ist, fast alles vermissen. 



4. Gomedia di Dante ool oomento di Jacopo della 
Lana. NuoviBBima edizione della regia commissione per 
la pubblicasione del testi di lingua — del buo sooio Lu- 
ciano Scarabelli. Vol. 1—8. Bologna 1866. 1867. 

Von diesem zuerst voUstandigen und unstreitig vorziiglich- 
sten Commentar aus dem Mittelalter hat Colomb de Batines 
mehr als 50 Handschriften beschrieben und waren bereits zwei 
altere Drucke (von Wendelin, Venedig 1477 und Nideobat, Mai- 
land 1477/78) vorhanden: die neueste Ausgabe von Scarabelli 
mit einem weitlaufigen Apparat von Einleitung, Varianten und 
Noten riihmt sich zwar eine sehr sorgfaltige und kritische Be- 
arbeitung sowobl des Dantetextes als auch des Laneo zu sein, 



J 



— 11 — 

ist aber in Wirklichkeit weit entfemt, solchem Anspruch zu 
geniigen.*) 

Ueber den Autor uud Sein Werk hat bereits vor 50 Jahren 
C. Witte eine gediegene Abhandlung in den Wiener Jahrbiichem 
der Literatur (Bd. 44/ 1828, wieder abgedruckt in den Danto- 
Forschungen 1869) veroflfentlicht und darin sowohl die Abfas- 
sungszeit des Gommentars als auch das Yerhaltniss desselben zu 
dem sog. Ottimo Comento feBtgestellt; der neueste Herausgeber 
hat hierzu kaum etwas wesentliches hinzugefugt, wohl aber die 
bereits durch Witte bewiesene Prioritat des Laneo, sowie die 
Benutzung desselben durch Ottimo weiter im einzelnen dar- 
gethan. 

Ueber den Autor Jacopo della Lana steht ausser dem Na- 
men nur so viel fest, dass er aus Bologna war. Das Geschlecht, 
welches deti Namen von der Wollzunft fuhrte, kommt seit Ende 
des 13. Jahrhunderts in Bologna vor, unsicher ist jedoch die 
Genealogie, in welcher man dem Jacopo seine Stelle anweisen 
will, und zweifelhaft die Angabe des lateinischen Uebersetzers 
Albericus de Rosciate, dass er licentiatus in artibus et theologia 
geweseu sei (s. iiber die abweichenden Nachrichten bezuglich des 
Geschlechts della Lana und des Jacomo de Zone del fra Filippo, 
wie der Autor in der Riccardianischen Hds. heisst, Scarabelli's 
Einleitung p. 66flf. und dazu Witte's Bemerkungen im Dante- 
Jahrbuch I, 293). 

Die Abfassungszeit des Werkes ist nach der einen Seite da- 
durch begrenzt, dass es bereits um die Mitte des 14. Jahrhun- 
derts durch den Juristen Alberico de Rosciate in Bergamo, der 
im Jahre 1354 starb, ins Lateinische iibersetzt war, und nach 
der andem dadurch, dass der Commentator an verschiedenen 
Stellen von der Zeit des Dichters als einer vergangenen redet 
(vgl. Witte, Dante - Forschungen S. 369. 380). Bestimmter 

*) Die anmassliche und ungeziemende Folemik des Herausgebers 
gegen C. Witte's Textkritik der D. C. hat dieser selbst im Dante-Jahr- 
buch I, 279—330 gebtthrend abgefertigt, auch nachtraglich, ebend. lU, 
467—475, an einer Reihe von Stellen aufgezeigt, wie fehlerhaft sich die 
Ausgabe von Scarabelli selbst gegenttber den alteren Drucken ausweist. 



— 12 — 

weist auf die Zeit vor 1333 der Umstand hin, dass der Autor, 
ebenso wie die bisher genannten Commentatoren, die Statue des 
Mars noch am Ponte Vecchio kannte (Inf. XIII, 146 T. I, 260); 
andere Beziehungen auf die Gegenwart fiihren selbst bis vor 
1328 zuriick (Witte S. 383).*) 

Der allgemeine Charakter des Commentars ist von dem 
Autor selbst in dem Vorwort bezeichnet, wo er sagt: sein Be- 
streben sei darauf gerichtet, sowohl die Ordnung und den Zu- 
sammenhang des Gedichts darzulegen, als auch den sachlichen 
Inhalt zu erlautern und den Wortausdruck im einzelnen zu er- 
klaren (I, 96). Das erstere, die Ausfuhrung des Gedankengangs 
und die Eintheilung des Inhalts, findet sich in den den einzelnen 
Gesangen vorausgeschickten Einleitungen (welche nur auffallender 
Weise bei den drei ersten Gesangen ganzlich fehlen und ausfiihr- 
lich erst vom 6. an werden), die Einzelerklarung in den sehr 
reichhaltigen Noten unter dem Text. Das Hauptgewicht der 
Auslegung beruht auf dem moralisch theologischen Inhalt des 
Gedichts, in welcher Beziehung der Laneo fiir die spatere Zeit 
vielfach massgebend gebliebon ist. Die AUegorie der Thiere im 
1. Gesang wird, wie in den alteren Glossen, allein von den all- 
gemein menschlichen Verirrungen als Wollust, Hochmuth und 
Habgier verstanden, ohne Einmischung von irgend welchen poli- 
tischen Beziehungen, und die Herkunft des Windhunds, der als 
Better kommen soil, tra feltro e feltro, in zwiefacher Weise ent- 



*) Die Yon Witte citirte Beweisstelle zu Inf. XX, 96: che al pre- 
sente non n'fe in Mantova se non messer Passerino, dessen Herrschaft 
1328 zu Ende ging, verliert nicht an Kraft, sondern im Gegentheil, wenn 
sie, wie Scarabelli I, 349 ohne Grund annimmt, erst nachtraglich hinzu- 
geftigt ware. Die andere Stelle zu Farad. XXV, 4, welche von der in 
Florenz herrschenden Guelfenpartei sagt: e cosl hanno tenuto la terra 
fino al di d'oggi passt gleichfalls gut nur bis 1328, weil in diesem Jahr 
eine Veranderung des Regiments und der Verfassung von Florenz statt- 
fand, vgl. Villani X c. 111. * Dagegen hat Witte mit Recht das Argu- 
ment, welches Scarabelli I p. 22 gebraucht, dass Lana den im J. 1323 
heilig gesprochenen Thomas von Aquino noch fra Tommaso nenne (das 
abwechselnd daneben vorkommende san T. soil nur von den Copisten 
herrtihren) als vollig bedeutungslos verworfen. 



— 13 — 

weder auf seine Erscheinung zwischen den Himmeln, tra cielo e 
cielp, Oder auf die niedrige Geburt mit Erklanmg des feltro als 
Filz Oder grobes Tuch gedeutet. Dies ist um so bemerkens- 
werther, als Jacopo della Lana noch ganz in dem Ideenkreis des 
Dichters und seiner Zeit lebte und mit vieler Belesenheit aus 
dem gleichen Schatz des Wissens sohopfte; er athmete gleichsam 
dieselbe geistige Luft und stand auch bezuglich der Gegensatze 
von Kirche und Reich und der Parteien, welche sich an sie an- 
schlossen, auf der gleichen Hohe geistiger Freiheit. Man sehoj 
wie er sich dariiber in seiner ausfiihrlichen Digression uber die 
Geschichte Roms und des romischen Reichs in, der Einleitung 
zu Parad. VI ausspricht, wo man schon Machiavelli zu ver- 
nehmen glaubt, der doch den Verlauf von zwei weiteren Jahr- 
hunderten iiberblickte: „Man muss wissen," heisst es dort nam- 
lich, 5,dass, seitdem die Papste (li pastori) sich in den Kopf ge- 
setzt haben, dass der Stuhl des Reiches leer stehen soUe, sie jede 
Klasse von Leuten, welche sich dem Reiche widersetzen woUte, 
an sich gezogen und begiinstigt haben, und so wie sich irgend 
ein Verrather an der Krone fand, haben sie ihn gesegnet und 
ihn zur Partei ier Kirche gerechnet, und dieses Parteiwesen hat 
bei der Gebrechlichkeit der menschlichen Natur, welche mehr 
zu siindigen als recht zu thun geneigt ist, dergestalt iiberhand 

genommen, dass fast jeder Italiener darin verwickelt ist. 

Schlecht also thaten die Guelfen, sich dem Reich und den Nach- 

• 

sten zu widersetzen und die Heiligkeit der Kirche mit ihrer 
Partei zu verwickeln, und iibel thun die Gibellinen, das Reich 
mit ihrer Partei zu verwickeln, um den Nachsten zu hassen und 
sich anmassend und unehrerbietig gegen den christlichen Hirten 
zu beweisen" (III, 105). 

Uebrigens ist die historische Seite des Commentars nicht 
gleich hoch zu schatzen, wie die moralisch-theologische. Bei aller 
Fiille des mythologischen und historischen Stoflfs, welchen der 
Autor zusammengebracht hat, zeigt er doch gegeniiber dem 
Dichter eine auffallende Inferioritat, sowohl bezuglich der Kennt- 
niss der Dinge, als besonders der historischen Kritik. VoUkom- 
men richtig hat Witte bemerkt und mit einer Reihe von Bei- 



— 14 — 

spielen belegt: „B©i Jacopo della Lana nimmt Geschichtliches 
und Mythisches, Antikes und Neuestes den gleichen, alles Kostiim 
verschmahenden oder richtiger Novellencharakter an. Selbst die 
biblischen Geschichten werden in behaglicher Breite und nicht 
selten gar fehlerhaft erzahlt." Es ist nicht der Miihe werth, mit 
dem neuesten Herausgeber dariiber zu streiten, ob ein paar 
historische oder geographische Absurditaten mehr oder weniger 
dem Commentar selbst oder nur seinen Copisten, wie das die 
gewohnliche Ausflucht ist, zur Last fallen (s. Scarabelli gegen 
Witte S. 49 f.). SoUte auch Jacopo della Lana nicht, wie die 
alteren Glos8en.(s. oben), den Propheten Mohammed fur einen 
abtriinnigen Cardinal der romischen Kirche, sondem bloss fiir 
den Verfiihrten eines schismatischen Monchs von Smyrna aus- 
gegeben haben (I, 444 zu Inf. XXVIII, 31), so bleibt doch genug 
derartiges iibrig, wie z. B. die Erzahlung vom Sultan Saladin, 
wie er im Incognito nach Frankreich reiste, urn Gotfrid von 
Bouillon zu todten, aber in Paris, wo er am koniglichen Hof er- 
kannt und verhaftet wurde, sein Leben beendigte (I, 147- zu 
Inf. IV); oder die von Attila, wie er zu Rimini, wo er sich ver- 
kleidet einschlich, beim Schachspiel von einem .Mitspieler, der 
ihn erkannte, getodtet wurde (I, 248), wie wir dies schon in den 
alteren Glossen gesehen haben (S. 3. 9) u. a. m. Selbst die im 
Mittelalter wohlbekannte romische Geschichte wird auf gleiche 
Weise romantisch eingekleidet und dabei z. B. die heroische That 
des Mucins Scavola in die Zeit von Julius Casar verlegt und 
dieser an die Stelle von Porsena gesetzt (III, 67 zu Par. IV). 
Aber auch mit den Ereignissen seiner Gegenwart nimmt es Ja- 
copo della Lana wenig genau, wenn er am Schluss seiner romi- 
schen Kaisergeschichte zu Parad. VI (III, 104) sagt: ,,Im J. 1310 
kam Heinrich, Graf von Luxemburg und ging nach Rom, wo er 
von Clemens V mit der Kaiserkrone gekront wurde," so dass 
er gar nicht zu wissen scheint, dass der Papst in Avignon war 
und die Kaiserkronung durch die von ihm beauftragten Cardi- 
nale zu Rom erst 1312 voUzogen wurde. Und so ahnt er oflfen- 
bar auch nicht, dass Dante die auf K. Heinrich VII beziigliche 
Stelle Par. XXX, 137 erst nach dessen Tode gedichtet hat, da 



— 15 — 

er ihm den unwiirdigen Beweggnind unterschiebt, dass er ver- 
muthlich fur sein Lob eine Belohnung von Heinrich erwartet 
habel (III, 467: e potealo muovere premio alcuno ch'ello aspet- 
tava dal detto Enrico per rimuneramento della detta poetria). 

Besser unterrichtet zeigt sich Jacopo della Lana nur iiber 
die Vorgange in seiner Heimat Bologna, wo er zu Inf. XXIII, 103 
iiber die Entstehung des Ritterordens der Frati godenti und zu 
Purg. V, 64 iiber die Ermordung des Podesta JacopO del Cassero 
gute Auskunft giebt. So horte er wahrscheinlich auch von einem 
zu Bologna studierenden Deutschen die sonst bei einem Italienor 
iiberraschende Erklarung von den Parteinamen Gibellinen und 
Guelfen, dass jener von einem Ort in Deutsohland (Waiblingen) 
herkomme und dieser zu deutsch Hund bedeute (III, 264 zuPar. 
XVI am Schluss). Dagegen beweist er nur oberflachliche oder 
ungenaue Kenntniss von dem Leben des Dichters, von den Par- 
teien und Zeitereignissen in Florenz, wo er z. B. die Waldpartei 
(parte selvaggia), unter welcher Dante Inf. VI, 65 die Cerchi 
oder die Weissen versteht, die sich spater mit den Gibellinen 
vereinigten, mit den Guelfen verwechselt (I, 166) und die Ver- 
treibung derselben aus Florenz nach der Ankunft des papstlichen 
Friedensstifters, Carl von Valois, hauptsachlich nur der Eifer- 
sucht des Geschlechts der Franceschi (Franzesi) und. ihren An- 
zettelungen am Hof zu Paris zuschreibt, und wo er von dem 
Leben des Dichters, dessen Schicksal sich im Zusammenhang mit 
diesem Ereigniss entschied, nichts Bestimmteres zu sagen weiss, 
als dass er oft im Rath der Stadt und einer der Prioren gewesen 
sei (III, 364 f. in Einl. zu Par. XXV). 

Wie haufig auch der bolognesische Commentator die alten 
Autoren Livius, Sallust, Lucan u. a. citirt, so schopfte er doch 
seine historische Kenntniss iiber das Alterthum, wie liber das 
friihere Mittelalter, noch mehr aus spateren Compilationen und 
nahm seine unterhaltenden Anekdoten und Novellen aus blossen 
Volksbiichern, wie Libro Trojano, Vita d'Alessandro, Storie Ro- 
mane, Reali di Francia, wie dies schon Witte a. a. 0. dargethan 
hat. Im gleichen Novellenton erzahlt er den Anlass der Ent- 
zweiuiig unter den fiorentinischen Geschlechtern nicht in Ueber- 



— 16 — 

einstimmung mit Villani, sondem in der alteren Fassung, die sich 
auch in dem Commentar des Anonimo von L. Vernon (p. 199) 
findet, wonach der Heiratsantrag zwischen den Buondelmonti 
und Uberti verabredet war (I, 449; III, 261), und giebt, eben- 
falls au8 unbekannter Quelle, eine andere Legende, wie diese 
beiden feindlichpn Geschlecbter, bei Gelegenheit der Belagerung 
von Faenza durch Friedrich II sich wetteifernd bemiihten, ihre 
Vaterstadt an den {[aiser zu verrathen, und wie dies wirklich 
den Uberti gelang (III, 162 zu Parad. XVI, 152). Anderes aber, 
was sich mit der Geschichte des Ursprungs von Florenz beriihrt, 
stammt aus der schon mehrfach erwahnten Quelle De Origine 
Civitatis oder dem Libro Fiesolano: so die Griindung von Fiesole 
durch Konig Attalan, den Gemahl der Elettra, welcher der erste 
Konig von Europa war, der nach dem Ausspruch der Gotter als 
erste Stadt Fiesole, quasi a dire: questa citta fie sola, erbaute: 
(I, 145 zu Inf. IV, 121) vgl. Libro Fiesolano a. a. 0. p. 39: e per 
che file la prima citta fatta si fue in tutto chiamato Fiesole, und 
Villani I, 6; und weiter'was iiber die Theilung der Lander unter 
die drei Sohne, Italo, Dardano, Siccano gesagt ist. Desgleichen 
wird von dem Commentator im Abriss der romischen Geschichte 
zu Parad. VI (III, 92) die Erzahlung von Catilina und von dem 
Krieg der Romer gegen Fiesole ganz nach der Schrift De Origine 
Civitatis (p. 49 — 54) und zum Theil in wortlicher Uebereinstim- 
mung vorgetragen: Cicero imd die Senatoren senden gegen Cati- 
lina den Antonius mit vielem Volk; dann heisst es weiter: Si 
come Catilina vide Antonio e la sua gente, esci di Fiesole con 
la sua gente e ando verso TAlpe, e Antonio drieto aggiunselo in 
campo Piceno, e la fiie grande battaglia, infine vi mori Catilina e 
tutta sua gente, e Antonio ebbe vittoria; vero e che elli non 
torn5 a Roma se non conventisei persone. Tomato a Roma ebbe 
suo trionfo. Ma pur li Romani non potevano credere che tanta 
gente vi fosse rimasa, mandarono in lo ditto luogo, e cosi fu ve- 
duta la veritade. Irati li Romani contra li Fiesolani si manda- 
rono Metello e Fiorino con grande quantita di gente. Man ver- 
gleiche De Origine: Intellexerunt haec Catellina et sui socii, et 
sequentes ex eadem civitate Faesulae exiverunt et versus alpes 



— 17 — 

Appenninos properabant. Et dum haec gererentur, accidit quod 
praedictus Antonius cum dicta militia irent post eos. Adjuncti 
sunt insimul in campo Piceno et ibi inter se acriter pugnaverunt, 
ita quod Catelliua cum suis quasi omnes mortui sunt paucis re- 
manentibus. Antonius vero vix evasit et cum xx sociis reversus 
est Bomam luctuosis et victoriosis. Romani autem increduli quod 
tarn maxima multitude gentium ibi fuerit interfecta, miserunt 
contra civitatem Faesulanam MeteUum et Florinum cum maxima 
multitudine gentium. 

Bis auf geringe Abanderungen hat hier der Commentator 
seine Quelle wortlich wiedergegeben, und es ist nicht ohne 
Interesse zu sehen, dass sie ihm in Bologna, ebenso gut wie 
den alteren Glossatoren des Dante und dem Dichter selbst, 
bekannt war. Wie sie dem Villani und dem Ricordano Males- 
pini gedient hat, habe ich in der Abhandlung iiber die An- 
fange der florentinischen Geschichtschreibung, Histor. Zeitschrift 
Bd. XXXV nachgewiesen. 

5. L'ottixno Goxnmento della D. G. teste inedite d'un 
oentemperaneo di Dante (herausg. von Alessandro Torri). 
Vol. 1 — 3. Pisa 1827—1829. 

Die wenig zutreffende Bezeichnung als ottimo hat dieser 
Commentar im Vocabolario della Crusca wohl hauptsachlich nur 
in RUcksicht auf die reine Sprache des Trecento erhalten. Der 
Telt ist fehlerhaft, bloss nach einer einzigen Hds. der Laurentiana 
abgedruckt; abweichende Lesarten finden sich im Anfang. Nicht 
nur die Rechtschreibung ist modemisirt, wie dies in den neue- 
ren italienischen Ausgaben allgemein iiblich ist, auch die Namen 
sind verandert und andre sogenannte Verbesserungen von dem 
Herausgeber willkiirlich angebracht. • 

Ich kann mich auch beziiglich dieses Commentars, wie bei 
Jacopo della Lana, auf die erwahnte Abhandlung von Witte be- 
rufen, wozu derselbe spater noch eine zweite beziiglich der Ab- 
fassungszeit und des Autors: Quando e da chi sia composto 
rOttimo Comento a Daute, hinzugefiigt hat (Lipsia 1847, wieder 
abgedruckt in Dante-Forschungen S. 399 — 417). 

Hegel, Dante -Commentare. 2 



— 18 — 

Der Autor gibt selbst an zwei Stellen 1,355: mentre che io 
scriveva questa chiosa, anni 1333, und III, 295: al presente — 
nel mille trecento trenta tre, bestimmt die Abfassungszeit seines 
Werkes an. Wenn an einer dritten Stelle I, 255 (zu Inf. XIII, 
144), wo anf die grosse Ueberschwemmung des Amo am 4. Nov. 
1333 (so ist statt des Schreibfehlers 1323 zu lesen, vgl.Villani 
XI, 1) Bezug genommen ist, dieses Jahr als das nachstvergangene 
(anno prossimo passato) bezeichnet wird, so lasst sich daraus 
nur schliessen, dass der Verfasser auch noch 1334 mit seinem 
Werk beschaftigt war. Die im scheinbaren Widerspruch hiermit 
stehende Aeusserung an derselben Stelle aber, dass das Stand- 
bild des Mars viele Jahre hindurch im Arno gelegen habe (vi 
stette dentro per molti anni), geht offenbar nicht auf den Ein- 
sturz des Ponte vecchio durch die Ueberschwemmung rom J. 1333, 
sondern auf eine viel friihere vom J. 1177, von welcher Villani 
V, 8 berichtet, und welche auch der Commentator selbst mit dem 
Datum vom 25. Nov. 1178 am andern Ort erwahnt hat (III, 383); 
vgl. die Ausfuhrung von Witte nebst Beweisstellen (gegen de Ba- 
tines) in Dante-Forschungen 407 ff.; und als bloss missverstand- 
liche Glosse in der fehlerhaften Handschrift gibt sich an anderer 
Stelle (II, 441) das J. 1351 (essendo vescovo uno messer Agnolo 
Acciajoli) schon durch den darin enthaltenen Anachronismus zu 
erkennen (Witte S. 412). 

Wenn demnach der Ottimo nur wenige Jahre nach dem 
Laneo verfasst ist, so erweckt der Autor auch noch unseren be- 
sonderen Antheil an seiner Person durch den Umstand, dass er 
selbst den Dichter personlich gekannt hat, wobei er sich auf 
ein paar miindliche Aeusserungen desselben beruft: die eine, 
dass er nichts bloss um des Reimes willen gesagt, wohl aber 
manche Ausdriicke in anderem Sinne, als dem gewohnlichen, 
gebraucht habe (I, 183); die andere Uber die florentinische 
Sage von dem fiir das Schicksal der Stadt bedeutsamen Stand- 
bild des Mars (I, 255 la quale io scrittore domandando- 
negliele udii cosi raccontare). Welter gibt der Autor sich als 
der Provinz Toscana angehorig (II, 235 von Witte citirt) und 
(wie ich hinzufiige) auch als Florentiner zu erkennen, wo er zu 



— 19 — 

Inf. XXIX, 27 von der Blutrache der florentinischen Geschlechts- 
verwandten redet und dabei das ^bei uns' gebrauchliclie Sprich- 
wort anfuhrt, dass die Rache von 100 Jahren her noch ihre 
Milchzahne behalt: onde e tra noi un motto, che vendetta di 
cento anni tiene lattajuoli (I, 498). Uebrigens schliesst sich 
Witte der ansprechenden Vermuthung de Batines' (der sie selbst 
schon von Mehus aufgenommen hat s. dessen Bibliogr. II, 596) an, 
dass die handschriftliche Bezeiehnung des Autors mit den An- 
fangsbuchstaben A. L. N. F. als Andrea Lancia notaro Fiorentino 
zu erklaren sei, von welchem man weiss, dass er in der ersten 
Halfte des 14. Jahrhunderts gelebt und lateinische Dichter und 
Prosaiker iibersetzt hat. 

Der Ottimo Comento ist nicht in gleicher Weise ein origi- 
nales Werk, wie das des Jacopo della Lana. Der Verfasser hat 
seine Vorganger fleissig benutzt und haufig ausgeschrieben: von 
diesen nennt er an zwei Stellen zum Inferno (I, 121 und 248) 
den Kanzler von Bologna Ser Graziuolo (Bambagioli), von v^ 
welchem bekannt ist, -dass er im J. 1330 aus Bologna verbannt 
wurde (s. de Batine» II, 299). Dessen friiherer Commentar ist 
also, wenn Ser Graziuolo noch Kanzler in Bologna war, als 
er ihn schrieb, vor 1330 verfasst worden; doch scheint der- 
selbe sich nur auf das Inferno erstreckt zu habeg, wie er auchA 
nur bei diesem von Ottimo citirt wird. Ein Theil davon, nam- 
lich der Abschnitt zu Inf. XXV — XXXIV ist in dem Codex 
des Lord Vernon (sonst Poggiali) aus dem 14. Jahrhundert ent- 
halten, s. die Beschreibung von de Batines II, 298 f. und von 
L. Vernon selbst im Vorwort zu den Glossen des Jacopo di 
Dante p. X.*) Ottimo gibt eine lange Glosse des Eanzlers 
von Bologna iiber die Fortuna und den Einfluss der Planeten 
auf Naturanlage und Schicksale der Menschen (I, 121 — 125), 
und weiter zu Inf. XIII, 91 eine kiirzere iiber die der h. Schrift 



*) Im Codex ist der bezeichnete Abschnitt der Glossen zu Anfang 
und am Schluss ausdruckllch dem Kanzler von Bologna zugeschrieben. 
Die Scblussworte lauten: Finite parte delle chiose della prima cantica 
overo comedia di Dante Alighieri di Firenze fatte per lo chanciliere di 
Bolognia amen. 

2* 






'?^^*: J I . >... / 



— 20 — 

anscheinend widersprechende Meinung des Dichters, dass die Seelen 
der Selbstmorder bei der Auferstehung nicht wieder mit ihren Lei- 
bem bekleidet werden (1, 248). Es ist aber, so viel ich sehe, bis- 
her nicht bemerkt worden, dass eben diese beiden Stellen sich 
vollstandig auch bei dem Anonimo des L. Vernon vom J. 1324 
wiederfinden, p. 60 — 66 und p. 111. Und das gleiche Ver- 
haltniss wortlicher Uebereinstimmung mit jenem Anonimo be- 
gegiiet uns noch bei einer Reihe von anderen Stellen des 
Ottimo: vgl. die Noten zu Inf. VII le sue permutazion und 
Vostro savere Ott p. 125 mit Anom. 66, 67; zu Inf. IX Pure 
a noi converra, wo Ottimo p. 151 Bezug nimmt auf den friihe- 
ren Commentator: Vero e ch'altri spone queste parole in altro 
modo, vgl. Anon. p. 76, wo sich eben das weiter Gesagte findet; zu 
Inf. X Con Epicure tutti e suoi seguaci, die wunderliche Namens- 
deutung von Epicure aus epi, che viene a dire di sopra, e cure 
cioe di fuora, Ott. p. 172 vgl. Anon. 85; zu Inf. XI die Er- 
orterung iiber die verschiedenen Arten des Betrugs, Ott. in der 
Einleitung p. 195 und den Noten: La frodo onde ogni p. 203, 
Ed elli a me p. 205, vgl. Anon. 90 — 95; zu Inf. XII die Sage 
vom Minotaurus Ott. p. 218, vgl. Anon. p. 99; zu Inf. XIII 
iiber Attila in Florenz Ott. p. 256 vgl. Anon. 105; zu Inf. XIV 
iiber den Bulichame bei Viterbo Ott. 268 vgl. Anon. p. 117; 
zu Inf. XV iiber die Damme der Flamander und der Paduaner 
und Ser Brunette Latini Ott. 285. 287 vgl. Anon. 123. 124; 
zu Inf. XXI iiber das Arsenal von Venedig Ott. 376 vgl. Anon. 
162; zu Inf. XXXI iiber den schiefen Thurm Carisenda zu Bo- 
logna Ott. 544 vgl. Anon. 234; zu Inf. XXXIII iiber den 
Traum des Grafen Ugolino Ott. 564 vgl. Anon. 249. 250. 

Ergibt sich hieraus einerseits Uebereinstimmung des Ottimo 
in einer Reihe von Stellen mit dem Anonimo des L. Vernon und 
andrerseits Uebereinstimmung des' letzteren mit den von Ottimo 
aus dem Commentar des Kanzlers von Bologna entlehnten Glos- 
sen, so liegt der Schluss nahe, dass Ottimo iiberall, wo er mit 
Anonimo iibereinstimmt, den Commentar des Kanzlers benutzt 
• ' habe und dass beide, der Anonimo und Ser Graziuolo Bamba- 
gioli identisch seien. Leider widerspricht aber dieser Annahme 



i 



— 21 — 

der fatale Umstand, dass die von de 5atines II, 298 f. citirten 
Zeilen, womit in der Hds. des Lord Vernon das BruchstUck 
des Commentars des Kanzlers bei Inf. *XXV beginnt und bei 
Inf. XXXIV aufhort, nicht ebenso im Anonimo vorkommen, so 
dass das zwischen beiden bestehende Verhaltniss einstweilen 
noch unaufgeklart bleibt.*) 

Doch kehren wir zu dem Ottimo zuriick. Nicht genannt, 
aber um so fleissiger benutzt und wortlich ausgeschrieben hat 
der Autor das Werk des Jacopo della Lana. Dieses lang ver- 
kannte Verhaltniss, so dass man beide Commentare sogar fiir 
identisch oder auch umgekehrt den Ottimo fiir das friihere 
Werk hielt, hat zuerst Witte in seiner Abhandlung klar gelegt 
und Scarabelli in der Ausgabe des Laneo wetter nachgewiesen. 
Durch die Vergleichung beider ergibt sich, dass Ottimo die 
moisten Einleitungen zu den einzehien Gesangen, sowie zahl- 
reiche erklarende Noten wortlich aus Lana entnommen hat, und 
zwar in alien drei Haupttheilen des Gedichts, ausgenommen im 
letzten Drittel des Purgatorio (genauer vom 20. Gesang an), 
wo dem Plagiator wahrscheinlich der Text des Laneo gefehlt 
hat. In der Kegel ist solche Benutzung des Vorgangers 
ganz verschwiegen; nur bisweilen wird er mit den Worten: 
Alcuno dice oder dice alcuno chiosatore eingefiihrt, wo Ottimo 
entweder ihm gerade nicht folgen will, wie z. B. bei der fal- 
schen Nachricht Uber Attila's Ende in Rimini (I, 233), oder 
wo er noch andere Erklarungen beriicksichtigt (II, 193). 

Wenn nun zwar der Ottimo in so weit als blosser Com- 
pilator aus friiheren Commentatoren zu betrachten ist, so bringt 
er doch auch aus eigener Kenntniss der alten Literatur eine 
Masse von iiberfliissiger Erudition hinzu, wie z. B. zu Inf. IV 
liber die Geschichte der alten Philosophic und Philosophen, 
wo sich Laneo in der Kiirze bloss auf das Nothige beschrankt, 



*) Auch die Vermuthung von Witte, dass der Commentar des Kanz- 
lers von Bologna in der Hds. Laurenziana PI. XL no. 7 enthalten sei, hat 
sich bei genauerer Untersuchung der letzteren nicht als stichhaltig er- 
wiesen: s. Witte's Schrelben in der Antologia 1831 no. 128 p. 151 und 
die Erwiederung von Piccioli, Antol. no. 130 p. 139 ff. 



— 22 — 

und ebenso hat er die moraJisch-theologische Erklarung des 
Gedichts durch manche biblische Und scholastische Gelehrsam- 
keit bereichert, ohne sie daruin weiter als sein Vorganger zu 
fordern. 

Aehnlich ist das Verhaltniss in der historischen Inter- 
pretation, so weit sie die allgemeine, alte und mittlere Ge^ 
schichte betriflft. Die romische Geschichte ist zu Parad. VI 
weitlaufiger als bei Lana ausgefiihrt, aber nicht in zusammen- 
hangendem Vortrag, wie dort in der Einleitung, sondern stiick- 
weise in den Noten; dagegen hat Ottimo als Einleitung zu dem- 
selben Gesang einen kurzen Auszug aus Lana gegeben uiid an 
der Stelle, wo dieser seinen eigenen politischen und sittlichen 
Standpunkt gegeniiber den Parteien in Kirche und Reich mit 
nachdriicklichen Worten zu erkennen gibt, blosse Allgemein- 
heiten iiber moralische Tugend, gottliches und weltliches Recht 
und einiges iiber die romischen Gesetze hinzugefiigt. 

Nur in einem und zwar wichtigem Punkt iibertriflft Ottimo 
seinen Vorganger bei weitem, namlich in der besseren Kennt- 
niss der florentinischen Geschichte, wie sie natiirlich der Flo- 
rentiner vor dem Bologneser voraus hatte. Abweichend von 
Lana, gibt er hieriiber Nachrichten mit Namen und Daten von 
grosser Zuverlassigkeit, so weit wir sie anderweitig controliren 
konnen. Als Florentiner kennt er, wie Dante selbst, die ein- 
heimische Tradition und Geschichtschreibung noch unabhangig 
von Villani, der sein Werk bekanntlich erst 1348 abschloss. 
Leider citirt er, sonst so reich an Citaten, wo man -sie ihm 
gern erliesse, nirgends seine Quellen, ausser an einer Stelle zu 
Inf. X, 73, wo er mit den Worten: Leggi la cronichetta no- 
vella degli anni domini mille dugento quindici, quando fu 
morto messer Buondelmonte degli Uberti (lies dagli U., d. i. von 
seiten der Uberti, seiner Gegner) I p. 181, offenbar auf eine 
geschriebene Legende hinweist, deren Inhalt er am anderen 
Ort, zu Inf. XXVIli (I p. 487) kurz erzahlt, und zwar in Namen 
und Daten Ubereinstimmend mit Villani V c. 38, welcher letztere 
also dieselbe Quelle benutzt hat, wahrend die alteren Commen- 
tatoren und Dino Compagni, wie schon bemerkt, davon ab- 



} 



— 23 -- 

weicben. Auffallender Weise findet sich dagegen bei Ottimo 
nicht die von andern benutzte Quelle De Origine Civitatis: 
vielleicbt weil er sie absichtlicb verschmabt, bei der Gescbichte 
des Catilina, die er lieber nach Sallust und Cicero erzahlt 
(III, 144); docb wiederholt er nach Lana, was jene Quelle iiber 
Elettra, die Gemahlin des Attalan, enthalt (I p. 45 mit der 
Anfuhrung: un altra cbiosa dice, die wie ofter auf den Laneo 
gebt), und aus dem Anonimo (oder Kanzler von Bologna?) die 
Sage iiber die Zerstorung von Florenz durch Attila (s. oben), 
wozu er bemerkt, dass andere statt Attila den Totila nennen. 
Fiir die spatere florentinische Gescbichte hat Ottimo ohne 
Zweifel, ebenso wie Dante selbst und auch Villani, die Annalen 
aus dem 12. und 13. Jahrhundert gebraucht, die wir als Gesta 
Florentinorum nur aus anderen abgeleiteten Quellen kennen 
(s.hieriiber Scheffer-Boichorst, Studien S.219 und Hartwig, Quellen, 
wo in der Vorrede ein restituirter Text im 2. Heft versprocben 
wird). Dies wird zur Gewissheit durch die Vergleichung der 
folgenden Stellen: Ott. I, 181: Pero che nell' anno mille ottanta 
Arrigo III imperadore venne ad oste sopra Firenze del mese 
di luglio, e levossene a sconfitta, mit Gesta Florent. (nach 
zwei Hss. bei Hartwig a. a. 0.92 Anm. 1): Nel MLXXX lo detto 
Arrigo venne a oste a Fiorenza a di XXI di luglio e levossene 
admodo di sconfitta, womit ebenso Tillani IV, 23 wortlich iiber- 
einstimmt: se ne levo a modo di sconfitta, e cio fu nel detto 
anno a di 21 di luglio; ferner die Nachricht iiber die Ueber- 
schwemmung des Arno 1178, Ott. Ill 383 mit Tolomeo von 
Lucc^ der sie wie Villani aus den Gesta Florent. geschopft hat 
(Scheffer-Boichorst, Studien 224), jetzt in der neuen Ausg. von Ptol. 
Annales, Documenti di Storia Italiana T. VI, 59; und weiter die 
andre Stelle im Ott. I, 184: poi nel mille dugento sessanta sette 
il di di Pasqua il conte Guide Guerra con cavalieri del detto 
re Carlo venne in Firenze, e li Ghibellini se ne partirono la 
notte dinanzi, vergl. Ptol. Luc. a. a. 0. p. 83: Anno dom. 1267 
in die resurrectionis domini comes Guide Guerra venit cum 
militia Gallicana Florentiam et expulit inde omnes Ghibellinos 
(Scheffer-Boichorst 228). 



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— 24 ^ 

Dagegen findet sich bei Ottimo keine Spur, welche auf 
Bekanntschaft mit der angeblich von Dino Compagni geschrie- 
benen Chronik schliessen liesse. Wohl ist es nicht viel, was er 
Tiber die Parteikampfe der Weissen und Schwarzen (I. 99 
zu Inf. VI, p. 421 zu Inf. XXIV), iiber die Ankunft des 
Carl von Valois und die Vertreibung der Weissen aus Florenz 
(11, 365 zu Purg. XX), iiber den Romzug Heinrichs VII (III, 
400 zu Par. XVII) bringt, aber die Daten bezliglich der An- 
kunft des Carl von Valois in Florenz am 1. Nov. 1301, der 
Riickkehr des Corso Donati mit dem Gefolge der Schwarzen 
fiiilf Tage spater, der Verbannungsdecrete gegen die Weissen 
am 4. April 1302 finden sich nicht so bei Dino und stimmen 
mit denen des Villani. Bemerkenswerth ist auch die bestimmte 
Angabe von dem Todestag des Corso Donati am 6. Oct. 1307, 
II p. 455: Quello cavaliere fu morto dal di che parlo qui Forese 
(im Friihjahr 1300) alii sette anni, sette mesi e di circa venti, 
perocche fu occiso nel mille trecento [sette] di sei d'Ottobre, 
was zwar beziiglich des Jahrs, nicht aber des Monats und Tags 
mit dem Datum bei Dino (L. Ill, 15. September 1307) iiber- 
einkommt.*) Endlich ist noch die bedeutsame Stelle des Com- 
mentars zu Purgat. XII, 105: CIi' era sicuro T quaderno e la 
doga (I, 219) hervorzuheben, welche von dem Prozess gegen 
den Podesta Monfiorito 1299 und von dem Betrug der grossen 
Herren Niccola Acciajuoli und Baldo d' Aguglione handelt, worauf 
ich im Anhang zur Dinofrage zuriickkommen werde. 

6. Petri Allegherii super Dantis ipsius genitorts co- 
nioediani conunentariuin — sunitibus Bar. Vernon, curante 
V. Nannucci. Florentiae 1845. 

Pietro Allighieri, des Dichters altester Sohn, folgte seinem 
Vater im Exil nach Verona, und lebte dort bis an sein Endo 
im J. 1364 als angesehener Rechtsgelehrter: judex Communis 



*) Dem gegentlber erscheint mir doch zweifelhaft, dags die Angabe 
des Todestags als 6. Oct. 1308, welche Hartwig, Quellen S. XL anderswo 
gefunden hat, wle er meint, die allein richtige sei. 



1 

I 



• 1 

X 



. — 25 — 

VeroBae heisst er in einem offentlichen Act des grossen Raths 
1337 (Fraticelli, Vita di Dante 307 vgl. v. Reumont a. a. 0.). 
Im Vorwort des Commentars nennt er sidi als Petrus Dantis 
AUegherii de Florentia und sagt, dass er durch hochverehrte 
Freunde zur Abfassung seines Werks bewogen worden sei: non 
tantum nempe considerantes pnrum pusillumque juristam, ut 
sum — quantum, ut quia filius, praetendentes in me de vigore 
patemo, quod procul dubio abest, adesse. So wird er auch in 
einer Grabschrift zu Vicenza, deren Echtheit freilich starken 
Zweifeln unterliegt, als Ausleger der gottlichen Komodie ge- 
feiert: ut librum patris caveis (Fraticelli p. 299 liest punctis) 
aperiret in atris (Vorwort yon Nannucci p. 11). Aus inneren 
Griinden, wobei vorausgesetzt wird, dass der Sohn von den 
Gedanken des Vaters mehr hatte wissen miissen, als er kund 
gibt, ist die Autorschaft desselben von Dionisi und Tiraboscbi 
bestritten worden, wogegen M. G. Ponta, wie mir scheint, mit 
Recht gezeigt hat, dass diese Griinde nur schwach sind (s. die 
Abhandlung in der Ausgabe und iiber die betreffende Literatur 
de Batines I, 635). Gleichviell Das Werk ist in nicht wenigen 
Hss. aus dem 14. und 15. Jahrhundert vorhanden (de Batines 
fiihrt deren 14 auf), und die Abfassungszeit ist an zwei Stellen, 
p. 434: Tertia (sc. genealogia, namlich das dritte Konigsge- 
schlecht von Frankreich) incipit a dicto Ugone et hue usque, 
scilicet in 1340, und p. 581: a nativitate Christi citra sunt 1340, 
ausdriicklich angegeben. 

Demnach ist dieser Conmientar nur wenige Jahre auf den 
Ottimo gefolgt, wie dieser auf den Laneo. Von beiden unter- 
scheidet er sich sowohl durch die lateinische Sprache, wie durch 
die summarische Kiirze der Erklarung, welche in der Form von 
Einleitungen zu den einzelnen Gesangen zusammengefasst ist. 

Der allgemeine Charakter spricht sich schon in der Ein- 
leitung aus, welche dem Ganzen vorausgeht, worin eine scho- 
lastische Ausfiihrung iiber die mehreren causae des Gedichts 
gegeben ist: die causa efficiens ist der Dichter selbst, velut 
in domo fienda aedificator, womit sich der altdeutsche Aus- 
druck zimberman fur Dichter vergleichen lasst (s. den lehr- 



f 



— 26 — 

reichen Aufsatz von K. Bartsch iiber Dante's Poetik, D. Jahr- 
buch III, 307). Weiter verbreitet sich def Autor iiber den 
siebenfachen Sinn, welcher bei der Auslegung in Betracht komme, 
iiber den Begriff von Comoedia und Tragoedia und die vier- 
fache Bedeutimg der HoUenfahrt. Unverkennbar ist bier die 
nahe Verwandtschaft mit dem bekannten Dedicationsbrief Dante's 
zum, Paradiese an Can della Scala, dessen Echtheit neuerdings 
wieder aus untriftigen Griinden (von Landau in seiner Schrift 
iiber Boccaccio S. 238 f.) bestritten worden ist. Namentlich die 
Erklarung der Komodie, welche emsthaft und traurig beginnend 
einen heiteren Ausgang nimmt, im XJnterschied von der Tra- 
godie, welche nach ruhigem Anfang ein erschreckliches und 
schmerzliches Ziel hat, beweist deutlich, dass jener Brief worin 
dies ebenso vorkommt, dem Autor schon im J. 1340 vorgelegen 
haben muss, wenn er ihn auch ebenso wenig citirt, als Boccaccio 
dies thut. 

Die Auslegung des Gedichts ist voU von Scholastik und 
Gelehrsamkeit. Jeder Gedanke und Ausdruck wird mit Citaten 
tos der Bibel, Aristoteles, Seneca, Boethius oder den romischen 
Dichtern belegt; der Wortsinn oder die historische Erklarung 
wird iiberall nur ganz kurz gegeben, das Hauptgewicht auf die 
oft sehr weit gefiihrte allegorische Bedeutung gelegt. Virgil 
z. B. ist im buchstablichen Sinn genbmmen (literaliter loquendo) 
der romische Dichter, der zur Zeit des Julius Casar geboren 
wurde, dessen Vater ein Topfer, und dessen Mutter Maja aus 
Pietola im District von Mantua war, und im bildlichen (per- 
sona figurata) die verniinftige Philosophic (rationalis philosophia); 
er erscheint Dante als heiser, weil dessen Ohren noch nicht fiir 
die Philosophic geoffnet waren (p.. 35). Der Veltro ist nicht, 
wie manche sagen, der Antichrist (vielmehr der Christ, wie wir 
gesehen haben), sondern bedeutet die kiinftige Gerechtigkeit, 
und seine Herkunft tra feltro e feltro ist nicht, wie manche 
sagen, zwischen Stadt Feltre und Berg Feltro, sondern zwischen 
Himmel und Himmel oder zwischen Filz und Filz: id est quod 
talis vir virtuosus et dux natus erit ex matre et patre non con- 
textis et conjunctis, ut est pannus et tela, sed ex disjunctis 



— 27 — 

et solutis, ut feltrum, in quo non est tela, et sic erit naturalis 
et de vili natione (p. 44); iibereinstiinmend mit Lana I, 114 
und Ottimo (I, 10). An andrer Stelle zu Purgat. XXXIII, 43 
bemerkt der Commentator, dass der Dichter den kiinftigen Dux 
und Gesandten Gottes zu dem Zeitpunkt der Conjunction des 
Jupiter und Saturn im J. 1344 oder 1345 erwarte (p. 532 cum 
videat jam per conjunctionem, quae erit forte 44 praesentis 
millesimi sive quinto dominari quemdam ducem): dies war fiir 
den im J. 1340 schreibenden Commentator ein noch bevor- 
stehendes Ereigniss. 

Derselbe bekundet seine Gelehrsamkeit vorzugsweise auf 
dem Gebiet der Mythologie und der romischen Dichtung, we- 
niger auf dem der Geschichte. In seinem kurzen Auszug aus 
der romischen Geschichte zu Parad. VI benutzt er Livius, Va- 
lerius, besonders Lucan, und beschliesst die Reichsgeschichte, 
indem er unmittelbar von Karl dem Grossen auf die Gibellinen 
und Guelfen iibergeht, deren Namen er so erklart: quomodo 
Gebellini dicti a Gebellinghis; nam stirps de Stof de Alemannia 
trimembris erat, scilicet de Stof, Gebellinghis et Braginae-(?); 
et ab ista prosapia ita dicta contra eos se opposuit quidam 
baro ad instantiam ecclesiae, nomine Guelf. 

Sehr wenig ist aus ihm fiir die Geschichte von Florenz 
zu gewinnen. Wohl kennt er, gleichwie die friiheren Commen- 
tatoren, die herkommliche Legende von der Belagerung von 
Fiesole durch Metellus und Florinus, wobei der-letztere im 
Kampfe blieb, und von der Einnahme der Stadt durch Casar, 
welcher Florenz griindete und einrichtete (p. 93. 176. 588); 
missverstanden ist jedoch Dante's Unterscheidung der in Florenz 
zuriickgebliebenen echten Romer von den hereingezogenen Fie- 
solanern (Inf. XV, 73), wo der Commentator gerade die romische 
Halfte von den Fiesolanern, die andere von den Fremden 
herleiten will (p. 93). Beziiglich der Weissen und Schwarzen 
in Florenz begeht er bei der Stelle Inf. VI, 65 den gleichen 
Fehler wie Lana, wo er unter parte selvaggia nicht die 
Weissen oder die Cerchi, welche der Dichter offenbar ge- 
meint hat, sondern die guelfische Gegenpartei versteht; et dicta 



" 28 — 

pars silvestris sic dicta, quia recusat parere ut animal silvestre 
domino suo, scilicet principi Romano, prout debet (p. 93), vergl. 
Lana I, 166: Intende qui parte selvaggia la parte guelfa che 
e contra V imperio, lo quale e regolatore della civiltade, wah- 
rend Ottimo ganz richtig erklart: la parte peccatrice, che non 
vive civilmente — intende, che la parte bianca cacciera I'altra. 
Von Attila weiss der Commentator, wie der Anonimt) (des 
L. Vernon) imd Ottimo, dass er 24000 Florentiner umbrachte, 
und wie Lana, dass er in Rimini umkam (p. 155). 

Das mehrfache Zusammentreffen mit Lana macht die Be- 
nutzung desselben durch den spateren Commentator wahrschein- 
lich; doch weiss dieser bisweilen mehr als jener. Warum der 
Dichter Inf. XV, 67 sagt, dass der alte Ruf die Florentiner 
blind nennt, findet sich weder von Lana noch auch im Ottimo 
erklart: das Richtige bringt mit ein paar Worten Pietro di 
Dante: quia semel Pisani in divisione spoliorum cum Florentinis 
fienda eos deceperunt (p. 176), vgl. liber die Geschichte Vil- 
lani IV, 31. Zu den Worten des Dichters Parad. XVI, 64: 
a Simifonte la dove andava I'avolo alia cerca, erwahnt er (p. 658) 
die Uebergabe des genannten Castells an die Florentiner durch 
den Verrath eines Bauern von San Donate, welcher zum Lohn 
dafur fiir sich und seine Nachkommen Steuerfreiheit erhielt, 
vergl. Villani V, 30, und beweist seine Kenntniss von der Miliz- 
verfassung der Republik durch die eigenthiimliche Deutung: 
cerca, id est assignatione, quando villici vocantur ad sua signa 
et vexilla in exercitu Florentiae, talis hodie est civis qui vol- 
visset se ad cercam Semiphontis; es wurde namlich die Volks- 
bewaffnung in Florenz zur Aufrechthaltung der s. g. Ordnungen 
der Gerechtigkeit schon 1295 auch auf das Weichbild und das 
Gebiet der Republik ausgedehnt, s. meine Abh. iiber diese Ord- 
nungen, Erl. 1867, S. 21. Der Autor, der sich fiir Pietro di 
Dante ausgibt,. war also jedenfalls mit den florentinischen 
Dingen gut bekannt. Moglich wohl, dass er auch schon den 
Villani gekannt hat, so weit dessen Chronik bis 1348 schon vor 
1340 veroflfentlicht war. 



— 29 — 

7. II Commento di Giovanni Boccaccio — per cura di 
Gkietano Milanesi. Vol. 1 — 2. Firenze 1863. 

Das letzte Werk, welches der grosste italienische Prosaiker 
des 14. Jahrhunderts am Ende seines Lebens verfasst hat und 
unvollendet hinterliess, sind die Vorlesungen liber die gott- 
liche Komodie, welche er im Herbst 1373 in der Kirche St. 
Stefano zu Florenz gehalten hat, nachdem er zu diesem Zweck 
von der Signorie der Republik berufen worden*) — 60 an der 
Zahl, von welchen die letzte nach dem Anfang der Erklarung 
zu Inferno XVII abbricht. Die Zeit der Abfassung ist demnach 
das Jahr 1373, wie auch der Autor selbst gelegentlich angibt, 
Lez. VI p. 193: perciocche sono MCCCLXXIII anni che egli 
(Cristo) nacque. ^ 

Die erste Vorlesung handelt im allgemeinen iiber Inhalt 
und Form des Gedichts, iiber den mehrfachen Sinn, Zweck und 
Titel desselben, iiber den Dichter selbst, zuletzt iiber den Be- 
griff des Inferno. Man erkennt darin zum Theil wortliche Be- 
nutzung des schon erwahnten Widmungsbriefs von Dante an 
Can Grande della Scala, wie besonders in dem, was iiber den 
buchstablichen und allegorischen Sinn, iiber den Endzweck des 
Gedichts, welcher sei, die Lebenden aus dem Stande des Elends 
zu dem der Seligkeit hinzufiihren, iiber den Titel Komodie, dass 
er sich nicht auf die Form, sondern den Inhalt beziehe, gesagt 
ist. Auch noch an anderer Stelle ist von diesem Brief Ge- 

4 

branch gemacht, wo Boccaccio in der 5. Vorlesung (p. 154) als 
Beispiel der buchstablichen und der allegorischen Bedeutung 
den Vers: In exitu Israel de Aegypto anfiihrt und erklart. 
Daraus, dass der Autor Dante's Brief nicht ausdrucklich citirt, 
folgt weder, dass er ein unerlaubtes Plagiat im heutigen Sinne 
begangen hat, noch im anderen Fall, dass jener Brief erst 
nachtraglich gefalscht worden ist (wie Landau S. 238 das 
Dilemma stellen will). Die schriftstellerische Uebung in jener 



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*) Ver^. M. Landau, Giov. Boccaccio, sein Leben und seine Werke, 
insbesoudere aber den Commentar S. 233 — 243. 



— 30 — 

Zeit nahm es mit der Unterscheidung des geistigen Eigenthums 
andrer, welches man fiir seinen Zweck verwendete, durchaus- 
nicht so genau, wie wir schon bisher an zahlreichen Beispielen 
gesehen haben, und noch weiter bei Boccaccio selbst und an- 
deren sehen werden. Dass Dante's Brief wirklich schon viel 
friiher existirte, beweist die bereits erwahnte Benutzung des- 
selben durch Pietro di Dante (s. S. 26), wie auch seine Echt- 
heit aus jeder Zeile durch den unnachahmlichen Stil des Dich- 
ters hervorleuchtet. Mit dem Commentar des Pietro di Dante 
hat Boccaccio aber auch sonst manches gemein, so dass an seiner 
Bekanntschaft mit demselben nicht zu zweifeln ist. Ganz so 
wie dort, werden auch hier vier Ursachen des Gedichts nach 
der scholastischen Terminologie aufgefiihrt: la causa materiale, 
la formale, la efficiente e la finale, der Autor selbst als causa 
efficiente bezeichnet, und dessen Name von dare abgeleitet: 
perciocche ciascuna persona la quale con liberale animo dona 
di quelle cose, le quali egli ha di grazia ricevute da Dio, puote 
essere meritamente appellato Dante (p. 89), mit Berufung auf 
die Anrede der Beatrice: Purgat. XXX, 55: Dante, perche Vir- 
gilio se ne vada, wo Pietro di Dante die gleiche Namensdeutung, 
wenn auch mit anderer Anwendung gibt (p. 513). Uebrigens 
unterscheiden sich Boccaccio's Vorlesungen auf sehr vortheil- 
hafte Weise von jenem Commentar, indem sie sich fast ganz 
frei halten von allem scholastischen Beiwerk und viel mehr auf 
das Gedicht selbst eingehen. Dafur fehlt es ihnen nicht an 
anderer Zuthat. 

Vor alien alteren Commentatoren miteinander hat Boccaccio 
den grossen Vorzug eines wahrhaft dichterischen Verstandnisses, 
welches liberall dem poetischen Ausdruck gerecht wird und ihn 
aufs beste ins Licht stellt?; und wie sein Werk die Geistes- 
richtung, Bildung und Geschmack des zuerst auflebenden ita- 
lienischen Humanismus aufeeigt, hat es auch neben Dante's 
Komodie selbst nach mehr als einer Seite hin selbstandige Be- 
deutung. 

Das Hauptgewicht legt Boccaccio bei seiner Erklarung auf 
die allgemein menschliche und moralische Tendenz, wahrend 



— 31 — 

er sich so gut wie gar nicht beriihrt zeigt durch die grossen 
Parteigegensatze der damaligen Welt und die kleinen der ita- 
lienischen Commuiieu, worin Dante lebte und webte. Der 
romischen Kirche gegeniiber sichert er sich gleich anfangs in 
der Einleitung, wie um sich ein fiir alle mal mit ihr abzufin- 
den — ganz nach Sinnesart der italienischen Humanisten — 
eine voUig gedeckte Stellung durch den Vorbehalt: ^wenn er 
etwa unbedachtsamer Weise oder aus Unkenntniss etwas sagen 
sollte, was mit der katholischen Wahrheit nicht voUig iiberein- 
stimme (fosse meno che conforme), so nehme er dies schon 
jetzt zum voraus zuriick und unterwerfe sich der Zurecht- 
weisung der heiligen Kirche' (Lez. 1 p. 91). Nicht befangen 
durch die Vorliebe fiir sein Italien und nicht ergriffen von dem 
patriotischen Schmerz und dem heiligen Zorn, welchen Dante 
* iiber dessen Ungliick und Schmach empfand, stellt Boccaccio 
die kiihle historisch philosophische Betrachtung an, der wir 
spater wieder bei Machiavelli begegnen, dass Religion und 
Wissenschaft, Waffen und weltliche Macht, wie einst von den 
Assyrern und Persern auf das mapedonische und das romische 
Reich, so nun auf die Deutschen und Franzosen iibergegangen 
seien, ja sogar nach England iiberzugehen drohen (Lez. 6 p. 92: 
essendo appo i Tedeschi e appo i Galli, e par gia che il cielo 
ne minacci di portarle in Inghilterra). 

Der Commentar lasst bei der Auslegung der einzelnen 
Gesange die Erklarung der Worte und Sachen vorausgehen und 
hierauf die Allegoric oder die Anwendung auf das allgemein 
Menschliche folgen. In der Allegoric des 1. Gesangs werden 
die drei Thiere, wie gewohnlich, auf Sinnenlust (sensualita, 
lussuria), Hochmuth und Habsucht gedeutet, noch allgemeiner 
aber als Fleisch, Welt und Teufel aufgefasst, und weit entfemt 
in der drastischen Beschreibung der Wolfin eine Anspielung 
auf die ropaische Curie zu erkennen, verfliichtigt sich bei Boc- 
caccio das Sinribild des Windhunds, der zum Heil Italiens kom- 
men wird, in den allgemeinen Gedanken einer himmlischen 
Constellation, welche dem Menschengeschlecht die Tugend der 
Freigebigkeit einpragen und es vor dem Laster des Geizes 



— 32 — 

bewahren wird, gleichwie der Hund der Wolfin Feind ist. Weiter- 
hin sind die AUegorien der Ort, wo sich der Autor in lebendigen 
Sittenschilderungen von der Ziigellosigkeit der Zeitgenosseli in 
Fleischeslust, schamloser aus der Fremde heriibergenonimener 
Kleidertracht, Prunk der Gastmahler u. s. w. (Lez. 22. 25 u. a. 0.) 
ergeht, und wo er die Vorwiirfe des Dichters gegen die Floren- 
tiner in diesen Beziehungen sogar noch verscharft, oder ge- 
legentlich auch seinem Weiberhass Luft macht, womit er jedem 
verstandigen Mann aus vielen Griinden das Heiraten abrathen 
will (Lez. 58): — man erkennt in dem Bussprediger nicht 
mehr den leichtfertigen Novellenerzahler des Decamerone, mit 
dem er selbst in seinen alten Tagen allerdings nichts mehr ge- 
mein haben woUte, ausgenommen die Liebe zur Poesie, die er 
gegen ihre Verachter, und waren sie selbst Plato und der heilige 
Hieronymus, in Schutz nimmt (Lez. 31), und die Liebe zu dem 
unsterblichen Ruhm, den sie verschafift, wovon er als glanzendstes 
Beispiel seinen Freund und Meister Petrarca hinstellt (Lez. 57). 

Gegeniiber seinen Vorgangem halt sich der Commentator 
Boccaccio moglichst unabhangig; er hat wohl einzelues von 
ihnen entlehnt, nirgends aber wortlich aus ihnen abgeschrieben. 
Die Benutzung des Dante'schen Widmungsbriefs, wie des Com- 
mentars von Pietro di Dante wurde bereits erwahnt. Auch 
mit Lana und Ottimo zeigt sich anderes verwandt: man ver- 
gleiche z. B. die Nachricht iiber die Graber von Aries und die 
Schlacht des Wilhelm von Orange I, 185, mit Lana I, 206, 
iiber Papst Anastasius und Photin I, 246, mit Ottimo I, 199. 
Wo der Autor selbst sich auf seine Vorganger .bezieht, ohne 
aber auch nur einen zu nennen, geschieht es entweder nur 
um Widerspruch zu erheben, wie z. B. gegen die Meinung, dass 
unter dem Windhund im ersteu Gesang Christus oder der Mon- 
golenchan zu verstehen sei, oder er beschrankt sich darauf, 
ihre Ansicht kurz zu referiren, wie z. B. dass der che fece per 
viltate il gran rifiuto Inf. Ill, 60 nicht Papst Colestin V, son- 
dem Esau sein soUe. 

Boccaccio beherrschte wie Dante und selbst noch mehr als 
dieser das ganze Gebiet des romischen Alterthums und die 



— 33 — 

hierauf teziigliche Literatur des Mittelalters. Auch die Kennt- 
niss der griechischen Literatur wurde ihm durch seine neu- 
griechischen Lehrer, besonders Leo Pilatus, den er ofters nennt, 
vermittelt. Aus diesen Quellen schopfte er die alte Mythologie, 
wie in seinem Werk De genealogia Deoruin (iiber dessen Quel- 
len s. Landau a. a. 0. S. 194), so in dem Commentar, und 
nicht minder die alte Geschichte. Doch verschmaht er daneben 
auch nicht Sagen und Fabeln des Mittelalters, wie z. B. von 
Virgils Wunderthaten in Neapel (Lez. 2, I, 121), wiewohl er 
bisweilen, wo er die bessere Quelle kennt, seine Kritik gegen 
sie iibt, wie z. B. bei der Geschichte des Attila, welche er nicht 
nach der florentinischen Legende erzahlt, sondem aus Historia mis- 
cella, die er als Paulus Diaconus citirt, entnimmt (Lez. 47, II, 305). 

Was die Geschichten, Personen und Dinge von Florenz 
betrifft, so brauchte Boccaccio, welcher dort selbst zu Hause 
war, nicht die Hiilfe der friiheren Commentatoren, und er hatte 
bereits, wie sie nicht, seinen Giovanni Villani. Die Chronik 
des letzteren liegt liberall als Quelle zu Grande, wo er die 
Zeitgeschichte des Dichters erlautert: so z. B. iiber die Ab- 
dankung des Papstes Colestin Y und die Intrigue seines Nach- 
folgers, Lez. 9 vergl. Villani VIII, 5; die genauen Daten der 
zweimaligen Vertreibung der Guelfen aus Florenz, Lez. 40 
(II, 228) vergl. Vill. VI, 33. 79; uber den Parteienkampf der 
Schwarzen und Weissen, wo er ausdriicklich einmal auf Vil- 
lani hinweist: chi queste istorie vuole pienamente sapere, legga 
la Cronica di Giovanni Villani, periocche in essa distesamente* 
si pone, Lez. 24 (II, 12) vergl. Vill. VHI, 39—43. 

Nur von der alten Fabel iiber die Griindung von Fiesole 
durch Attalante will Boccaccio nichts wissen, weil er davon in 
keinem glaubwiirdigen Buch gelesen (Lez. 14, I, 342), wie er 
trotzdem sagt, dass sie auch bei Villani (I, 7) vorkonunt; iib- 
rigens gibt er doch an anderer Stelle aus dieser Chronik in 
aller Kiirze die* Sage iiber die Griindung von Florenz und den 
Krieg der Florentiner und Fiesolaner bis zur Einverleibung der 
letzteren in die Stadt, freilich mit dem Beisatz secondo che 
alcuni vogliono — dicono (II, 411, Lez. 56). 

Hegel, Dante- Commentare. 3 



— 34 — 

• 

Boccaccio, im J. 1313 zu Certaldo unweit Florenz geboren, 
konnte aber auch noch Zeitgenossen, Freunde und Angehorige 
des Dichters befragen. So horte er von einem Vertrauten 
Dante's aus seiner letzten Lebenszeit zu Ravenna, dass dieser 
das 56. Lebensjahr iiberschritten hatte, als er daselbst starb 
(I, 104, Lez. 2). So liess er sich in Florenz von einem Neflfen 
des Dichters, Andrea Poggi, welcher eine merkwiirdige Aehn- 
lichkeit in Gesichtszugen und Gestalt mit seinem Oheim besass, 
Mittheilungen liber dessen Lebensweise machen und auch jene 
unwahrscheinliche Geschichte erzahlen, wie Dante bei seiner 
Flucht aus Florenz die 7 ersten Gesange der gottlichen Komo- 
die im Hause zuriickgelassen habe, wo sie spater zufallig wie- 
der aufgefunden und ihm nach Lunigiana seien zugeschickt 
worden, woven man eine Andeutung in den Anfangsworten Inf. 
VIII: lo dice seguitando, finden woUte — eine Erzahlung, 
welche mit unwesentlichen Modificationen ihm auch Ser Dino 
Perini, der den Dante personlich gekannt hatte, bestatigte 
(Lez. 33). Die anmuthige Novelle von der schonen und tugend- 
haften Gualdrade, Tochter des Bellincion Berti, welche der 
Kaiser Otto IV im Dom zu Florenz sah und die er dem Gra- 
fen Guide vermahlte, verdankte Boccaccio einer Mittheilung des 
ehrwurdigen Coppo di Borghese Domenichi (Lez. 58, II, 434): 
iibrigens kannten sie auch schon Ottimo (I, 299) und Villani 
(V, 37). Und noch hoheren Ursprung hat eine andere wunder- 
liche Erzahlung des Messer Luigi Gianfigliazzi, der sie von 
Kaiser Karl IV gehort haben wollte, iiber den Ursprung der 
Guelfen und Gibellinen von zwei deutschen Baronen, Gulfo und 
dem mit ihm verwandten Gibellino,' von welchen der erstere 
bei seiner Vermahlung mit der Markgrafin Mathilde durch die 
Zauberkiinste des letzteren, der auf Gulfo's Gliick neidisch war, 
zuerst impotent gemacht und nachher auch vergiftet wurde 
(Lez. 40, II, 225). Besser unterrichtet zeigt sich Boccaccio 
iiber die in der Komodie genannten Florentiner: mehr selbst 
als Ottimo weiss er von dem witzigen Schmarotzer Giacco 
(n, 8), dem jahzornigen Cavalier Fil^ppo Argenti (II, 150), 
von Dante's Freund Guido Cavalcanti (11, 230), seinem be- 



— 35 — 

riilunten Lehrer Ser Brunette Latini (11, 405) und noch au- 
deren zu berichten. 



8. Chiose sopra Dante. Testo inedito. Firenze, Fiatti 
1846 (gleichfalls von dem verdienten Dantefreund Lord Ver- 
non auf seine Eosten herausgegeben). 

Der sogenannte falsche Boccaccio. Dem Abdruck ist eine 
Handschrift aus dem 15. Jahrh. (Riccard. nr. 1028) zu Grunde 
gelegt, worin Boccaccio als Autor genannt ist. Von einer an- 
dern Hs. aus dem 14. Jahrh. (Riccard. 1037), die aber nur 
das Inferno enthalt, sind die Varianten unter dem Text an- 
gegeben, von einer dritten, gleichfalls aus dem 14. Jahrh. (Ma- 
gliabech. I nr. 4), welche die abgedruckte sowohl an Correctheit 
und Vollstandigkeit, wie durch die Prioritat des Alters iiber- 
trifft, dem Herausgeber aber leider erst spater bekannt wurde, 
sind die Abweichungen und Vermehrungen im Anhang nach- 
getfagen; noch mehrere zumtheil unvoUstandige Hss. finden 
sich bei C. de Batines I, 640 ff., beschrieben. 

Voran gedruckt ist eine von Luigi Rigoli 1829 in der 
Crusca gehaltene Vorlesung, worin gegen Lami und Mazzuchelli 
welche beide das Werk fiir eine Jugendarbeit des Boccaccio 
erklart batten, aus Stil, Diction und Abfassungszeit, bewiesen 
wird, dass Boccaccio nicht der Verfasser sein konne. Einen 
nicht minder triftigen Beweis liefert von Anfang bis zu Ende 
der Inhalt der Glossen. 

Die Abfassungszeit ist, wie schon Rigoli bemerkt hat, an zwei 

Stellen als das Jahr 1375 angegeben: p. 82, wo es von den aus 

Florenz vertriebenen Gibellinen heisst: et allora infino a questo 

punto cioe MCCCLXXV non vi tonrarono nessuno (im Druck 

steht MCCLXXV, aber Hs. Magliab. hat noch das dritte C) und 

p. 692, wo Karl IV als gegenwartig regierender Kaiser genannt 

ist: il quale Charlo regnava ora (lies regna ora) nel MCCCLXXV 

ed e state piu anni per addietro. Als dritte Stelle fiige ich bin- 

zu aus Hs. Magliab. (im Anhang) p. 781: i Bisconti signori di 

3* 



c-^f 



f > 



— 36 — 

Melano e sono di sino al di d'oggi cioe nove di gennaio a 
mille trecento settanta quattro (nach florentinischer Datirung 
entsprechend Jan. 1375). 

Somit sind diese Glossen nnr zwei Jahre spater als der 
Conunentar des Boccaccio iind wenige Jahre vor dem von Ben- 
venuto von Imola geschrieben: ubrigens geben sie nicht eine 
voUstandige, sondern nur stellenweise Erklarung der einzebien 
Gesange. 

Bemerkenswerth ist vor allem ihre originale Beschaffenheit. 
Zwar bezieht sich der Autor bisweilen, wie z. B. bei dem Vel- 
tro, auf verschiedene Meinungen, aber es lasst sich doch nicht 
die Benutzung eines uns bekannten alteren Gommentars in 
wortlicher oder sachlicher Uebereinstimmung erkennen. 

Dass Dante im Anfang des Gedichts mit der Mitte unseres 
Lebensweges das Alter von 35 Jahren meine, findet sich bei 
Lana, Ottimo und Boccaccio angemerkt; doch erwahnt Ottimo 
auch die andre Annahme von 33 ^/^ Jahren mit Bezug auf das 
von Christus erreichte Lebensalter, wie sich dies in den dem 
Jacopo di Dante zugeschriebenen Glossen findet. - Die Glosse 
des falschen Boccaccio bemerkt kurzweg, ohne Angabe des 
Grundefi, der Dichter habe seine Reise im Alter von 33 Jahren 
angetreten.*) Die * Allegoric der drei Thiere ist wie gewohn- 
lich auf die drei Hauptlaster, lussuria, superbia, avarizia, be- 
zogen; die Sonnenstrahlen auf der Hohe bedeuten die Tugend; 
Virgil, der als Better erscheint, das Studium seines Gedichts. 
Ueber den Veltro sind verschiedene Meinungen, es sei ein 
Kaiser, der zu Rom residiren und die schlechten Hirten ver- 
treiben werde, oder Christus als Weltrichter, oder ein gerechter 
und heiliger Papst, unter welchem auch seine Hirten heilig und 
gerecht leben werden, wobei der Glossator nur hinzufiigt: ma 
io no^l credo, das heisst: er glaube nicht an ein solches kiinf- 
tiges heiliges Leben der geistlichen Hirten. In deii Glossen 
zum zweiten Gesang sind Virgil auch als die Vemunft des 



*) Gh' egli chominciasse nel mezzo del tempo di nostra vita cio^ 
ch» egli avea anni XXXIII. 



— 37 — 

Dante selbst, Beatrice als die heilige Theologie, Lucia als die 
gottliche Gnade und zugleich die heilige Schrift, Rachel als das 
beschauliche Leben erklart. Am anderen Orte, Purgat. XXXI, 
ist Beatrice die heilige Schrift neben Mathilde, dem thatigen 
Leben (p. 810 f.). Die vier grossen Dichter des Alterthums, 
Homer, Horaz, Ovid und Lucan, Inf. IV, sind als Reprasentanten 
der vier Cardinaltugenden aufgefasst (p. 29). Man sieht, die 
Glossen fiigen ausser dem allgemein gelaufigen, was nicht iiber 
die Oberflache der Erklarung hinausgeht, nichts als willklirliche 
Einfalle hinzu. 

Von ebenso geringem Werth erscheint der sachliche In- 
halt derselben beziiglich der alten Mythologie, Literatur und 
Geschichte, wie der neuen italienischen und florentinischen Zeit- 
geschichte. Was von den Helden und Heldinnen, Dichtem und 
Philosophen des Alterthums zu Inf. IV erwahnt ist, beschrankt 
sich auf blosse Anekdoten und bekannte Legenden, wo nur ein- 
mal die Eritik gegen die Aeneis auffallt: es sei nicht wahr, dass 
Aeneas nach Carthago gekommen und mit Dido zu thun gehabt 
habe, weil jener 200 Jahre frliher als diese lebte, sondern Dido 
habe sich verbrannt, als Konig Jarbas sie zur Gattin begehrte 
(p. 45), was der Glossator vermuthlich aus Justinus XVIII, 6 
entnommen hat^ 

Die Bemerkung des Herausgebers im Vorwort, dass dieser 
Commentar unter den alteren der einzige im gibellinischen Sinn 
geschriebene sei, finde ich in keiner Weise zutreffend. Gibel- 
linischer Gesinnung sind wir bei Jacopo della Lana begegnet; 
in diesen Glossen aber ist keine Spur weder von gibellinischer, 
noch von politischer Gesinnung iiberhaupt zu entdecken. Das 
Geschichtliche iiber Kaiser Friedrich und seine Sohne ist nichts 
als schlechte Legende, im Novellenton erzahlt und voll von 
den aufifallendsteli Anachronismen; so die Angabe, dass Fried- 
rich n die Gebeine des Papstes Bonifaz (der bekanntlich 53 
Jahre spater, als Friedrich gestorben ist) habe wieder aus- 
graben lassen (Inf. X p. 85), oder die absurde Erzahlung von 
den beiden Sohnen des Kaisers, welche beide Manfred hiessen, 
von denen der eine, der ihm in der Regiefung nachfolgte, den 



— 38 — 

Vater, als er krank war, mit einem Bettkissen erstickte, dann 
aber selbst, als er den Krieg gegeu die Kirche in Apulien fulirte, 
von seinem Halbbruder mit einem Klystier vergiftet wurde und 
anderes dieser Art mehr (Purgai III p. 302). Die grosse 
Exclamation Dante's iiber den fried- und rechtlosen Zustand 
Italiens in Purgat. VI gibt dem Glossator nur Veranlassung, 
das wunderlichste Zeug iiber Gothen und Lombarden vorzutra- 
gen, und gleich sinnlos stellt er der Erklarung des Paradieses 
die Geschichte von 14 tagferen Romern voran, welche durch 
den Beweis ihrer Vaterlandsliebe grossen Ruhm erlangten, unter 
denen als erster Brutus Cassius, und als letzter Marcus ge- 
nannt, aber, wie man aus der Erzahlung ihrer Thaten sieht, 
Junius Brutus und Atilius Regulus gemeint sind. Dem kommt 
gleich, dass an einer anderen Stelle Tarquinius Priscus als 
Gegner des Hannibal, der ihn besiegte (p. 849), aufgefuhrt ist! 
Oder, um noch ein paar Beispiele aus der italienischen Zeit- 
geschichte anzufuhren, wenn von Kaiser Heinrich VII, der hier 
als re Righo di Lambergho erscheint, gesagt ist, dass zur Zeit 
als er starb, sein Feind Papst Bonifaz regiert habe (p. 692), 
Oder vom Erzbischof Otto Visconti zu Mailand (der 1262 durch 
P. Urban IV ernannt wurde) dass er 1310 durch Cardinal 
Ottaviano degli Ubaldini eingesetzt worden sei (p. 781). 

Besser unterrichtet zeigt sich der Glossator iiber die Sagen 
und die Geschichte von Florenz, woraus man auf seine floren- 
tinische oder toscanische Herkunft schliessen mochte. Er weiss 
von der Zerstorung der Stadt durch Totila, flagellum dei ge- 
nannt, imd dem verhangnissvoUen Marsbild, welches im J. 1333 
durch die Ueberschwemmung des Arno vom Ponte Vecchio 
weggerissen wurde (p. 113) und erzahlt ahnlich wie Boccaccio 
(Lez. 58) die Anekdote von der Tochter des Bellincion Berti, 
der guten Gualdrada (p. 604 nicht zu Inf. XVI, 37, wo sie 
eigentlich hingehort, sondem zu Parad. XVI), und ahnlich wie 
Villani (V, 38) das Ereigniss von der aufgehobenen Verlobung 
des Buondelmonte mit einer Amidei und dem verhangnissvoUen 
Wort des Mosca Lamberti (p. 233), desgleichen von den Kampfen 
und gegenseitigen Vertreibungen der Guelfen und Gibellinen 



— 39 — 

(p. 80), von den Parteien der Weissen und Schwarzen (p. 53). 
Immer aber sind auch diese Erzahlungen theils nur ganz all- 
gemein gehalten, theils mit vielem Unrichtigem vermischt, so 
wie sie wohl in der miindlichen Tradition gelaufig waren, ohne 
Benutzung einer besseren historischen Quelle; und es ist fur 
die Zeit, als der Glossator schrieb, im besonderen Grad be- 
merkenswerth, dass er offenbar selbst nicht die Chronik des 
Villani gekannt, wenigstens sicher nicht unmittelbar benutzt hat> 
wie sich aus den Abweichungen in Daten, Namen und Zahlen 
ergibt; vgl. z. B. iiber die Schlacht bei Montaperti p. 80 mit 
Villani VI, 78, iiber das Treffen bei Pieve al Toppo p. Ill mit 
Vill. VII, 120 u. a. m., und wie noch mehr aus so groben 
historischen Missverstandnissen erhellt, wie dieses, dass Messer 
Vieri de' Cerchi und seine mit ihm aus Florenz vertriebene 
Partei der Weissen die Riickkehr mit Hiilfe des Carlo senza 
terra versucht habe, nachdem unmittelbar vorher gesagt ist, 
dass Corso Donati und die Schwarzen mit Hiilfe des Carl Her- 
zog von Florenz (Charlo ducha di Firenze) zuriickgekehrt seien, 
wo also der Glossator aus dem einen Carl von Valois, dem 
Freunde der Schwarzen, zwei verschiedene Carl, einen ohne 
Land und einen Herzog von Florenz, gemacht hat! (p. 53). 

Ware nicht die Abfassungszeit der Glossen durch die 
wiederholte Angabe des Jahrs 1375, so wie durch die zutref- 
fende Erwahnung von dem kurz vorhergegangenen Ereigniss des 
Kriegs der Florentiner gegen die Ubaldini (p. 785)*) gegen 
jeden Zweifel sicher gestellt, so mochte man eine so geringe 
Kenntniss der italienischen und florentinischen Geschichte bei 
einem nicht ganz ungelehrten Autor, der entweder in Florenz 
selbst Oder wenigstens nicht weit davon entfemt zu Hause war, 



*) I quail Ubaldini sono in quest anno istati disfacti da Fiorentini 
di tutte Talpe loco, non vi tenghono piti nulla, cio^ furono liveri de dis- 
fare (?) del mese di no v. MCCCLXXIII; vgl. ttber die Eroberung der 
s&mmtlichen Burgen der Ubaldini auf dem Apennin durch den florenti- 
nischen Feldherm Obizzb di Cortesia da Monte Gayilli im J. 1373 das 
Diario d' anonimo Fiorent. in Documenti di storia Ital. T. YI Cronache 
dei secoli Xin e XIY p. 302. 



— . 40 — 

fiir ganz undenkbar halten. Sein Werk ist in dieser Hinsicht 
gewiss eine literarische Merkwiirdigkeit, sonst aber ohne alien 
sachlichen Werth iind hatte den Anfwand des splendiden Ab- 
drucks in keiner Weise verdient, wenn nicht in Italien alles, 
was im Trecento geschrieben, allein schon desshalb fiir werth- 
voll erachtet wiirde. 



7". ... 

/ ./ ' j^ 9. ComxnentiLxii magistri Benevenuti de Imola super 



Dantem Allegherii di Florentia. 

Das lateiniscbe Werk des Benvenuto von Imola ist in zahl- 

reichen Handschriften vorhanden, unter welchen am moisten 

die Estensische zu Modena vom J. 1408 geschatzt wird (s. die 

Hss. Beschreibung bei C. de Batines II, 303 — 314), aber nur 

auszugsweise, so weit es historischen Inhalts ist, als Excerpta 

historica durch Muratori, Antiquitates Italicae I p. 1034 — 1298 

J' ^ bekannt gemacht worden. Die voUstandige Ausgabe, welche 

^^^. \ ;; ^^ Lord Vernon mit Nannucci's Hiilfe beabsichtigte, ist nicht zur 

"'*"'^'/'' Ausfuhrung gekommen^-. Statt dessen ist nur eine italienische 

' 'A Va / Uebersetzung des Works in 3 Banden, Imola 1855^ erschienen, 

., *7 wobei der Uebersetzer Giovanni Tamburini nichts als eine Ab- 

^' "''^ '" schrift des schon von Muratori benutzten Estensischen Codex 

gebraucht hat, die um so weniger das Original ersetzen kann, als 

sie sich im einzelnen als unzuverlassig erweist. Indessen kann 

man hiernach doch den Commentar des Benvenuto im ganzen 

* beurtheUen und beziiglich des Historischen, worin besonders der 

Werth desselben liegt, geniigen meist schon die von Muratori 

gegebenen Ausziige. 

Benvenuto da Imola, Bambaldi, wie er mit dem Familien- 
namen heisst,*) ist anderweitig durch eine historische Schrift 
Liber Augustalis, ein kurzes und vollig unbedeutendes Compen- 
dium der Kaisergeschichte bis auf E. Wenzel (gedrubkt bei Fre- 



*) Dieser ist ihm in einlgen Hss. aus dem 15. Jahrh. beigelegt, 
s. de Batines a. a. 0. no. 11. 12. 



— 41 — 

her-Struve Scriptores II, 1 — 20), so wie durch seine Bezie- 
hungen zu Petrarca aus dessen Briefen bekannt: vergl. das Vor- 
wort von Tamburini, wo noch andere ungedruckte Schriften 
desselben Autors iiber Valerius Maximus, iiber die Pharsalia 
des Lucan angefubrt sind. In seinem Daute-Commentar gibt 
er selbst gelegentlich Nachricht iiber seine Herkunft aus 
Imola, wo sein Yater Magnus Compagnus Yorlesungen bielt 
(Murat. 1273)*) und iiber seinen Aufenthalt in Bologna, mit 
dessen Sitten und Sprache er darum, wie er sagt, gut genug 
bekannt sei, quia fui ibi per decennium (Mur. 1073): woraus 
zu schliessen, dass er zur Zeit nicht mehr dort war, als er sein 
Werk schrieb. Dieses ist dem/ Markgrafen Nicolaus II von 
Este (gestorben 1388), auf dessen Anregung Benvenuto auch 
die erwahnte Casarengeschichte verfasste, gewidmet und beginnt 
mit einer geschichtlichen Ausfiihrung iiber dessen Vorfahren 
zum Ruhm seines Hauses. Mit grosser Verehrung spricht der 
Autor von dem beriihmtesten Dichter der Zeit Petrarca (Mur. 
1192 und ofter) und mit noch grosserer Liebe von seinem 
theuren Lehrer Boccaccio (ib, 1277: Job. Boccaccius verius bucca 
aurea, venerabilis praeceptor mens diligentissimus), welche beide 
bereits verstorben waren. Denn wenn auch Benvenuto schon 
1375, in welchem Jahr Boccaccio aus dem Leben schied (21. Dec), 
zu Bologna iiber Dante gelesen hat (nam in 1375 dum essem 
Bononiae et legerem istum librum, Mur. 1063), so fallt doch 
die Abfassung des Gommentars erst in das Jahr 1379, wie aus 
einer anderen Stelle zum Inferno hervorgeht (Mur. 1070): 
wo auf das Ereigniss der Zerstorung der Engelsburg zu Rom 
de praesenti anno, d. i. im J. 1379 (nicht 1389, wie der Text 
bei Muratori und ebenso die Uebersetzung von Tamburini un- 
richtig hat,**) vgL Gregorovius Gesch. der Stadt Rom VI, 504) 
Bezug genommen ist, wahrend noch an einer anderen auf den 



*) Quae audivi ab optiino patre meo Magno Compagno, qui dia legit 
tarn laadabiliter etc. Der Name des Yaters findet sich nicht ander- 
weitig erkl&rt. 

**) In der Uebersetzung sind daneben gerade die wichtigen Worte 
de praesenti anno dbergangen. 



— 42 — 

als Gegenpapst am 21. Sept. 1378 gewahlten Robert von Genf, 
Clemens VII, hingedeutet wird (Mur. 1078: et certe hodie est 
dignissimum et sanctissimum, quum cuidam antipapae Geben- 
nensi viro omnium vitiosissimo etc.*) Somit ist dieser voU- 
standige Commentar nur wenige Jahre auf den unvollendeten 
von Boccaccio gefolgt. 

Das innere Verhaltniss des Commentators Benvenuto zu 
dem Gedicht ist ein voUig anderes als wie der bloss moralische 
Standpunkt des Boccaccio, welcher sicb hinsichtlich seiner Recht- 
glaubigkeit gegeniiber der romischen Kirche verwahren zu miissen 
glaubte. Zwar steht auch er den politisch kirchlichen Partei- 
gegensatzen zur Zeit Dante's schon fern genug, um nicht per- 
sonlich davon beriihrt zu werden. Er bemerkt, dass der Dichter 
aus einem Guelfen ein Gibellin geworden sei, und citirt dazu 
Boccaccio De vita et moribus Dantis, findet aber lacherlich den 
Ausspruch eines Parteimanns, dass Dante sein Gedicht nicht 
hatte schreiben konnen, wenn er nicht Gibellin geworden ware 
(Mur. 1045). Doch als Guelfe ist Benvenuto darum noch. nicht 
anzusprechen, weil er uber Kaiser Friedrich II dasselbe un- 
gUnstige Urtheil ausspricht, wie es sich in Italien zu seiner 
Zeit festgesetzt hatte, z. B. peperit (Constantia) terribile mon- 
strum soil. Fridericum II, hostem implacabilem ecclesiae (zu 
Parad. VI Mur. 1237). Denn auf der andern Seite vertheidigt 
er doch wieder den Dichter bei jeder Gelegenheit gegen allerlei 
Anklagen oder Verdachtigungen beziigUch seines kirdilichen 
Glaubens oder seines sittlichen Lebens und scheint sich im 
voUkommenen Einklang mit ihm zu befinden bei dessen Ver- 
dammungsausspriichen Uber die ausgeartete Geistlichkeit und 
die schlechten Papste. Von der Starke seines eigenen sittlichen 
Eifers nach dieser Seite bin hatte er selbst den Beweis ge- 
geben, dass er, als er zu Bologna Uber Inferno XV las und das 
dort von dem Dichter gebrandmarkte Laster der Sodomie be- 
sonders bei der Geistlichkeit der Stadt sehr verbreitet fand> 



*) Auch diese bedeutsame Stelle ist in Tamburini's Uebersetzung 
I, 468 ausgelassen! 



— 43 — 

bei dem Cardinallegaten davon Anzeige machte und die Be- 
strafung der Schuldigen veranlasste, wodurch er begreiflicher 
Weise, wie er hinzufiigt, grossen Hass auf sich hid (Mur. 1063). 
Und bei dem schmerzlichen Ausruf des Dichters iiber das Un- 
gliick des durdi die Parteien zerfleischten Italien, Purgat. VI, 
ergeht sich der Commentator gleichfalls in den starksten Ans- 
driioken iiber den papstlichen wie iiber den kaiserlichen Hof, 
welche, gleich wie die feile Dime den Leib, die Freiheit Ita- 
liens verkaufen, so dass alle barbarischen Nationen ihre Lust 
an ihm ausiiben, ja er nennt sogar die Zeit des Dichters eine 
noch verhaltnissmassig ruhige und gliickliche im Vergleich mit 
der seinigen, auf welche in Wahrheit das Wort Virgils zur An- 
wendung komme: Crudelis ubique luctus, ubique pavor et plurima 
mortis imago. Wann werde doch endlich der Windhund er- 
scheinen? (Mur. 1167). 

Selbstverstandlich hat Benvenuto den Commentar des von 
ihm so hoch verehrten Boccaccio, so weit er reichte, benutzt; 
um so auffallender ist, dass er denselben nirgends erwahnt, 
selbst dort nicht, wo er doch die anderen Schriften Boccaccio's: 
De genealogiis Deorum, De casibus virorum illustrium, De mu- 
lieribus claris, De fluminibus, Bucolica (Mur. 1277), De vita 
et moribus Dantis und den Decamerone der Reihe nach auffiihrt 
(Mur. 1163). Wohl auf miindliohe Aeusserungen und Mittheil- 
ungen seines geliebten Lehrers beruft er sidi ofter, z. B. be- 
ziiglich des Pantherthiers, das lebendig in Florenz zu sehen 
war (Mur. 1037), oder iiber seinen Aufenthalt in Monte Cas- 
sino, wo er die werthvolle Bibliothek im traurigsten Zustand 
fand (Mur. 1296): aber kein Wort von seiner letzten Schrift, 
dem Commentar! Nichtsdestoweniger ist die Benutzung des- 
selben, sei es aus der schriftlichen Abfassung, oder aus den 
Vortragen zu Florenz, unzweifelhaft. Aus ihm ist genommen, 
was in der Einleitung iiber Tragodie, Komodie und Satire ge- 
sagt ist, weiter die Erwahnung, dass Dante sein Gedicht zuerst 
babe lateinisch abfassen woUen, wozu die drei ersten Verse in 
lateinischer Version als Probe gegeben sind und warum er von 
solchem Vorhaben wieder abgegangen sei (vgl. Bocc. Lez. 1 am 



— 44 — 

Schluss), wobei aber Benvenuto nicht seine Quelle, sondern nur 
die von Petrarca gegen Boccaccio getliane Aeusserung citirt, 
dass der Dichter wohl alles, was er gewoUt, auch wirklich rer- 
mocht hatte (Mur. 1038). Ebenso wiederholt er aus gleicher 
Quelle zu Anfang von Inf. VIII die schon oben erwahnte Er- 
zahlung von der Wiederauffindung der 7 ersten Gesange zu 
Florenz nach Dante's Verbannung (Mur. 1042), und an anderem 
Ort einen Charakterzug des Brunetto Latini aus dessen Leben 
(Mur. 1059 vgl. Bocc. II, 406) und noch anderes mehr. Die 
constante Uebung der Commentatoren sich dasjenige, was ihnen 
bei ihren Vorgangern gefiel, ohne weiteres anzueignen, gereicht 
dem Benvenuto wenigstens nicht zum besonderen Vorwurf.*) 
Uebrigens bewahrt derselbe bei der Auslegung der Di- 
vina commedia auch dem Boccaccio gegeniiber seine Selbstan- 
digkeit. In der allegorischen Erklarung der drei Thiere im 
ersten Gesang, als lussuria, superbia und avarizia, stimmt er 
zwar mit ihm, wie mit den alteren Commentatoren iiberein, 
nimmt aber die Deutung des Windhunds auf Christus, welche 
jener ausdriicklich verworfen hatte, unter den tausend hieriiber 
bereits vorgebrachten Meinungen (mille sono le opinioni e con- 
tese in proposito) wieder auf, freilich nur so, dass man ebenso 
gut wie Christus sich einen andern kiinftigen Fiirsten denken 
konne, denn der Dichter habe seine Prophezeiung absichtlich 
dunkel gehalten, gleichwie Virgil die von der Wiederkehr des 
goldenen Zeitalters (Tambur. I, 49). Bei den Worten: Inf. Ill 
che fece per viltate il gran rifiuto, zieht er entschieden die 
Deutung auf Esau vor — secondo i migUori interpreti (Tam- 
bur. I, 98) — denn an den im J. 1313 heilig gesprochenen 
P. Colestin V sei doch gar nicht zu denken! Die besseren 
Ausleger, welche hier gemeint sind, kennen wir nicht; die alten 
Glossen, Lana, Ottimo, Pietro di Dante verstehen alle keinen 
andern als den Papst trotz seiner Heiligkeit, und auch Boc- 
caccio neigt zu derselben Ansicht, indem er den Dichter ent- 
schuldigt, welcher dies vor der Heiligsprechung des. Colestin 



*) Vergl. 0. S. 30 und u. S. 48. 



— 45 — 

geschrieben habe, aber vorsichtig hinzusetzt: freilich sei es jetzt, 
nach derselben, nicht mehr erlaubt zu glauben; nur so lasst 
er auch die andre Deutung auf Esau oflfen.*) 

Ohne Zweifel hat Benvenuto unter seinen Vorgangern na- 
mentlich die Bolognesen, den Kanzler Ser Graziuolo und Jacopo 
della Lana, gekannt. Doch vermag ich eine nahere Verwandt- 
schaft mit letzterem nicht nachzuweisen. Vielleicht verdankt 
er ihm hie und da eine unbedeutende Einzelheit, wie z. B. be- 
ziiglich der Sage liber die Schlacht der Christen und Heiden 
bei Aries, Inf. IX, 112, wo die Leichen der gefallenen Christen 
durch vom Himmel beschriebene Zettel kenntlich gemacht wur- 
den, wahrend die iibrigen Commentatoren anderes davon be- 
richten. Doch folgt er auch dem Lana gegeniiber gem seiner 
eigenen, wenn auch nicht gerade besseren Meinung; wie z. B. 
bei der Auslegung der grossen Allegorie in Purgat XXIX, wo 
er, abweichend von den iibrigen, in den beiden Alten, welche 
dem Triumphwagen der Kirche folgen, nicht St. Lucas, als Ver- 
fasser der Apostelgeschichte und St. Paul, als den der Brief e, 
sondem schlechthin St. Petrus und St. Paulus und in dem Greis 
der ^schlafend, doch mit sinnigem Antlitz' den Schluss macht, 
nicht den Autor der Apokalypse, sondem den h. Bemhard er- 
kennen will (Tamb. II, 576 s.), 

Der eigenthiimliche Worth des Commentars besteht be- 
sonders in seinem historischen Inhalt, worin er seine Vorganger 
mit einer Fiille von Nachrichten iiber Persorien und Ereignisse 
aus der Zeit des Dichters iibertriflft. Benvenuto ist unter den 
Commentatoren Dante's der Historiker, wie Pietro di Dante der 
Scholastiker: vorzugsweise aus ihm haben daher die neueren 
Ausleger die historische Erklarung des Gedichts geschopft. Da 
aber Benvenuto selbst der Zeit des Dichters fern stand, auch 
nicht Florentiner war oder zu Florenz lebte, so konnte er seine 



*) Neuerdings hat sich noch Gdschel, Dante -Jahrbnch I, 103 ff. 
, Nicht Cdlestin* gegen die fast allgemeine Annahme erkl&rt: war aber 
mdchte wohl seine Deatong auf einen unbekannten abtrOnnigen Weissen 
vorziehen? 



- 46 — 

Nachrichten nicht aus der dort einheimischen Tradition, son- 
dem nur aus den ihm zuganglichen schriftlichen Quellen ent- 
nebmen, und man braucht nicbt weit zu suchen, um als seine 
Hauptquelle die Cbronik des Giovanni Villani zu erkennen. 

Dies gilt zunacbst fur die florentiniscbe und andere Zeit- 
gescbicbte. Die bistoriscbe Erklarung zu Inf. VI (Mur. 1040) 
iiber die Parteien der Weissen und Scbwarzen und die Ankunft 
des Carl von Valois ist wortlicb excerpirt aus Villani VIII, 
39 — 49; zu Inf. X liber Farinata degli Uberti (Mur. 1046) aus 
Vill. VI, 81; zu Inf. XIII iiber das Treflfen bei Pieve al Toppo 
im J. 1288 (Mur. 1054 wo unricbtig das J. 1278 stebt) aus 
VilL VII, 120; und so iiberall, wo von florentinischen Din- 
gen die Rede ist. Aber aucb die Gescbicbte des Grafen Ugo- 
Uno von Pisa Inf. XXXIU (Mur. 1140) ist nur aus Vill. VII, 
121 abgescbrieben.*) Nicbt minder alles was sich auf die all- 
gemeine Gescbicbte von Papsten und Kaisern, italieniscbe und 
Weltgescbichte beziebt; vergl. iiber Friedricb Barbarossa zu 
Purg. XVIII (Mur. 1209) mit Vill. V, 1—3; uber Kaiser Fried- 
ricb n zu Purg. XVI (Mur. 1204) mit Vill. VI, 14—34; iiber 
Manfred, und Conradin zu Inf. XXVIII (Mur. 1116. 1118) mit 
Vill. VI, 7—9. 23—27; iiber Carl I und II von Neapel und 
den Krieg in Sicilien zu Purg. XX (Mur. 1218) mit Vill. VII, 
93. 94; iiber die Papste Nicolaus III, Colestin V, Bonifaz VIII, 
Clemens V zu Inf. XIX (Mur. 1075—1077) mit Vill. VII, 54. 
VIII, 5. 6. 80. 81; iiber den Propheten Mobammed zu Inf. 
XXVIII (Tambur. I, 680) mit Vill. II, 8; uber die Belagerung 
und Einnabme von Acco durch den Sultan von Aegypten im 
J. 1291 zu Inf. XXVII (Mur. 1111) mit Vill. VII, 145, wo der 



*) Bloss entweder aus falscher Lesung oder MiBSverstandniss ist 
hier die Aenderung in der Antwort zu erklaren, welche Marco Lombardo 
dem Grafen auf seine Frage: was er von seinem Reichthum halte, gibt: 
Yob estis recepturi pejorem amicitiam quam aliquis dominus Italiae — 
bei Villani: Yoi siete meglio apparecchiato a ricevere la male mec- 
cianza che barone dltalia; wo male meccianza so yiel als Missgeschick 
bedeutet. 



1 

I 



— 47 — 

Excerptor nur den ganz ungeschickten Zusatz macht: Nota etiam 
quod baec civitas Accon olim vocata est Joppe und eiii Citat 
aus Josephus de bello Judaico hinzufugtl 

Die bei solchen Entlehnungen yorkommenden unrichtigen 
Jahreszahlen mogen zum Theil dem Schreiber der Textesab- 
schrift zur Last fallen; aber auch die Verwochselung der Namen 
und Verwirrung in den Sachen erweckt kein giinstiges Vorur- 
theil fiir die Zuverlassigkeit- der Quellenbenutzung. So z. B. 
ist beziiglich der durch den florentinischen Podesta Fulcieri de* 
Calvoli im J. 1302 gegen die Weissen voUzogenen grausamen 
Executionen, zu Purgat. XIV (Mur. 1194), die Erzahlung des 
ViU. VIII, 59. 60 in Thatsachen und Namen durcheinander ver- 
wirrt, wo zwar die benannten duo de Scholaribus, statt bei 
Villani: uno degli Scolari, an Dino Compagni II, 30: duo gio- 
vaui degli Scolari erinnern, sonst aber iiberall keine Spur von 
letzterem zu finden ist*) 

Auf anderen Quellen oder eigener Kenntniss durch die ihm 
naher liegende Tradition beruht was der Commentator iiber 
Dinge und Personen in Bologna und den Stadten der Romagna 
zu berichten weiss, wiewohl man auch hier bisweilen wieder 
dem Villani begegnet, wie z. B. bei der Erzahlung, wie Guide 
von Montefeltro die Franzosen und Papstlichen in Forli iiber- 
raschte und aus der Stadt hinaustrieb, zu Inf. XVII (Mur. 1105), 
nach Vill. IX, 81. Dazu kommt femer eine Menge von nicht 
weiter beglaubigten Anekdoten, sei es aus dem Leben Dante's 
selbst, sei es von bekannten oder sonst unbekannten Personlich- 
keiten, beziiglich welcher dieser Commentator die Hauptfund- 
grube fiir die spateren geworden isi Woher er diese Geschichten 



*) Es ist nichts als ein Missverst&ndniss , wenn Muratori in der 
Praefatio p. 1030 an der Spitze der von dem Commentator erw&hnten 
Schriften die Chronik des Dino Compagni nennt, unter Anfiihrung der 
Stelle ad Inf. VIII (1042): et porta vit ad quemdam civem nomine Diuum 
eo tempore famosum eloquentem in Florentia : denn dieser Dino war nach 
Boccaccio (Lez. 33), aus dem die Erz&hlang tiber die Wiederauffindung 
der 7 ersten Ges&nge entnommen ist: Dino di messer Lambertuccio 
Frescobaldi. 



— 48 — 

genommen, hat Benvenuto nicht angegeben, wie er auch selbst 
den 80 stark von ilun- ausgeschriebenen Villani nicht ein ein- 
ziges mal genannt hat! Wohl nennt er verschiedene andere 
neuere Geschichtschreiber, wie den Mussatns von Padua, aber 
diesen doch nur in Bezug auf seine lateinische Tragodie liber 
Ezzelin (Mur. 1048), -den Ricobaldus von Ferrara, aber nur um 
zu Inf. XII, 112 zu bemerken, dass Dante selbst in der An- 
nahme der Ermordung des Markgrafen Obizzo durch seinen 
Sohn diesem Chronisten gefolgt sei (Mur. 1049). Man sieht, 
es ist Methode in dieser Weise des Citirens und noch mehr 
des Nichtcitirensl So sind ausser dem Commentar des Boc- 
caccio gelegentlich noch andere Schriften desselben benutzt, 
aber der verehrte Lehrer wird regelmassig gerade da nicht 
genannt, wo er wirkUch als Quelle benutzt ist: z. B. wo 
Benvenuto nach Boccaccio, Vita di Dante, die Person des 
Dichters nach ihrer ausseren Erscheinung beschreibt und dazu 
die Anekdote erzahlt, wie die Frauen Verona's seine dunkle 
Gesichtsfarbe mit krausem Bart seiner HoUenfahrt zuschrieben 
(Mur. 1037), Oder wo er nach Decamerone, Giom. IX, 8, eine 
Anekdote iiber den florentinischen Schmarotzer Ciacco zu Inf. 
VI zum besten gibt (Tambur. I, 214—216). • 

Noch mehr schwindet der Glaube an die Zuverlassigkeit 
des Commentators in historischen Dingen, wenn man sieht, wie 
wenig Kritik er bei dem Aufisammeln herkommlicher Anekdoten 
anwendet, wie er z. B. von Sultan Saladins Reisen im Incog- 
nito durch die Lander des Abendlands, um die Vorbereitungen 
zum Ereuzzug auszukundschaften, ausfahrlicher als Ottimo be- 
richtet (Tambur. I, 129), oder von dem schandlichen Betrug 
des Kaisers Friedrich II erzahlt, wodurch es ihm gelang die 
Prinzessin von Antiochia zu verfiihren (Mur. 1046). Umsomehr 
iiberrascht seine treffende Kritik beziiglich der fabelhaften Stadt- 
geschichten, womit die italienische Geschichtschreibung sich im 
12. und 13. Jahrhundert bereichert hatte. So urtheilt er iiber 
die florentinische Sage, die er aus Villani kannte, dass alles, 
was sie von der Erbauung Fiesole's durch den Konig Attalan, 
von dem Krieg der Homer gegen Fiesole und dem Ursprung 



— 49 — 

von Florenz beriphtet, nichts als Fabel sei (quae omnia reputo 
frivola), weil die alien Autoren, Livius, Florus, nichts davon 
wissen; so heisst er die Namensableitung von Fiesole, quasi 
fiat sola, eine Posse (trufifa est) und das dort gebrauchte Citat 
aus Lucan fur den Amo lacherlich, weil die Stelle sieh auf 
den Sarnus in Unteritalien bezielie (Mur. 1060). Ebenso 
verwirft er die aus dem Namen von Siena (aus senes und 
Senones) hergeleitete Griindungsgeschichte, wonach diese Stadt 
von den Alten und Schwachen der Senonischen Gallier erbaut 
sein soUte, indem er benierkt, es liege hier eine oflfenbare Ver- 
Wechselung mit Sinigaglia zu Grunde (Mur. 1130); und nicht 
minder die Erbauung von Ravenna durch die Urenkel Noahs, 
denn es gebe keine authentischen Autoren bis zu den Noachiden 
hinauf (ib. 1198). Auch glaubt er nicht an die fabelhaften 
Wunderthaten und Wunderwerke des Virgil in Neapel, welche 
noch Boccaccio ganz ernsthaft vorgetragen hatte (Lez. 2): die 
kupferne Miicke, welche alle Miickeri und Schnaken aus der 
Stadt verscheuchte, das bronzene Pferd, welches alle kranken 
Pferde daselbst heilte, die beiden Kopfe aus Marmor, einen 
lachenden und einen weinenden, an zwei verschiedenen Thoren, 
welche den Eingehonden Gliick oder Ungliick bedeuteten -^ und 
erwahnt dabei das Witzwort, welches Petrarca zu K. Robert 
von Neapel sagte: er wisse nicht, dass Virgil jemals Bildhauer 
in Marmor oder Steinmetz gewesen sei (Mur. 1140). — Immer- 
hin ein erfreulicher Anfang von historischer Kritik, dank dem 
geistigen Fortschritt und dem emeuerten classischen Studium 
eben durch Petrarca's Verdienst. 



10. Cominento di Frahcesco da Buti — per cura di 
Crescentino Gianixini. Vol. 1—3. Pisa, 1858—1862. 

Die schone Ausgabe des grossen Commentars von Buti ist 
von den Verlegern, den Gebriidem Nistri in Pisa, im patriotischen 
Sinne untemommen worden. Der Herausgeber Giannini hat 

Hegel, Dante - Commentare . 4 



yr 



— 50 — 

zwei florentinische Handschriften, Riccardiana. und Magliabeo- 
chiana nach Abschriften der Bibliothek des Lord Vernon benutzt^ 
so zwar, dass die erstere dem gedruckten Text zu Grunde ge- 
legt, von der andem die Varianten angegeben sind; nicht be- 
riicksichtigt sind dagegen die werthvoUen Hss. der Laurenziana, 
von denen die alteste doch noch aus dem Ende des 14. Jahrh. 
herriihrt (s. die Hss.-Beschreibung von Batines II, 318). 

Aus der vorausgeschickten Lebensbeschreibung ist zu ent- 
nehmon, dass Francesco Buti, geb. 1324, gest. 1406, von einem 
Pisanischen Geschlecht abstammte, welches den Namen Buti 
von einem Castell des Stadtgebiets fiihrte, dass er die hochsten 
Ehrenstellen der Republik als Mitglied der Credenza und der 
Anzianen bekleidete, das Kanzleramt versah, auch mit wichtigen 
auswartigen Missionen und Verhandlungen beauftragt wurde und 
in seiner spateren Lebenszeit als Professor der Grammatik an 
der Universitat zu Pisa lehrte, in welcbem Beruf er auch ver- 
schiedene grammatische Schriften, Regulae grammaticales und 
liber den Briefstil, verfasst hat. Auf dem noch vorhandenen 
Grabdenkmal im Franciscanerkloster heisst er daher schlecht- 
weg nur Magister Franciscus doctor grammaticae olim Bartoli 
da Buti. 

Dass der Dante -Commentar aus den Vorlesungen entstan- 
den ist, welche der Autor zu Pisa gehalten hat, ist von ihm 
selbst im Vorwort gesagt: Non so, se io faro pregio d'opera 
scrivendo la lettura sopra il poema — secondo il mode e I'or- 
dine che per me si lesse publicamente nella citta di Pisa. Wenn 
aber der Herausgeber Giannini in der Lebensgeschichte Buti's 
(p. XXXIV) iiber die Abfassungszeit seines Werkes bemerkt, 
dass Francesco da Buti, wiewohl zweimal durch Krankheit in 
der Arbeit unterbrochen, dasselbe schon im Juni 1385 voUendet 
habe, so steht im Widerspruch mit dieser nicht weiter belegten 
Angabe die Aeusserung des Autors selbst an einer Stelle im 
3. Theil seines Commentars, wo er das J. 1393 das laufende 
nennt: p. 163 e ora Vinceslao re di Boemia figliuolo del detto 
Cai*lo lo quale non e anco coronato benche corra 1393 dalla 
incarnazione. 



1 



— 51 — 

Centofaiiti's einleitendes Vorwort riihint mit Recht, im 

Gegensatz zu dem scholastischen Charakter anderer Commeu- 

tare, namentlich des dem Pietro di Dante zugeschriebenen, die 

Einfachheit und Naturlichkeit der Auslegung, wie die Sauber- 

keit des italienischen Stils bei Buti. Wenn nur dieser treflf- 

liche Commentator nicht dabei so unertraglich weitschweifig 

ware, ungeachtet er-selbst zu Anfang verspricht, dass er seine 

Leser durcb Kiirze, wonach jedermann verlange, zufrieden stellen 

woUe (p. 5)1 Er folgt mit seiner Erklarung dem Gedicht Vers 

fiir Vers und Wort fur Wort, gibt die Umschreibung in Prosa 

und die sachliche Ausfuhrung iiber alles ohne Unterschied, gleich 

als ob er zu vollig unwissenden Schiilern rede, in dem Ton 

wie z. B. zu Inf. XXXIII, 80: Del bel paese la dove il si suo- 

na — Jtalien ist ein Land, wo man iiberall, wenn man be- 

jahen will, das Wort si gebraucht, und ist gemeinhin schon 

genannt und dafiir gehalten, und darum sagt der Dichter scho- 

nes Land', oder wie er bei dem schmerzvollen Ausruf Dante's 

Purgat. VI, 76: Ahi serva Italia, die Erklarung folgendermassen 

beginnt: ^Der Dichter gebraucht hier eine rhetorische Wendung, 

welche man Ausruf (esclamazione) oder griechisch Apostrophe 

nennt. Das Wort ahi ist ein Redetheil, welcher in der Gram- 

matik Ausrufungs- Interjection (interjezione esclamativa) heisst 

und deutet auf Zorn oder Unwillen. Italia ist ein Theil von 

Europa, welcher vor alters von den Griechen eingenommen und 

desshalb Gross -Griechenland genannt wurde': — in solcher 

Weise fahrt der langweilige Commentator auf ein paar Seiten 

fort, nicht bloss alle Namen von Italien nebst deren Ableitungen, 

sondem auch die Provinzen und Stadte aufzuzahlen, und ver- 

schont den Leser selbst nicht mit der Miglienzahl von Lange 

und Breite der Halbinsel, wie sie Solinus angibt, wahrend er 

sich iiber den eigentlichen Gedanken des Dichters nur ganz 

kurz fasst und sich zu keiner historischen Ausfuhrung oder 

vergleichenden Betrachtung iiber seine Gegenwart veranlasst 

findet. Uebrigens enthalt dieser Commentar in gleichmassiger 

Breite eine iiberreiche Fiille von Sacherklarungen aus der alten 

Philosophie wie aus der Inittelalterlichen Scholastik, aus Mytho- 

i* 



— 52 - 

logie und Geschichte und besonders Astronomie. Doch sehen 
wir zuerst sein Verhaltniss zu den Vorgangem. 

Am meisten lehnt sich Buti im Anfang, so weit Boccaccio's 
Commentar geht, an diesen an, auf den er sich auch einige 
mal ausdriicklich beruft (I, 7. 357. 366). Aus ihm ist wortlich 
entnommen, was in der Einleitung iiber die Ursachen, die ma- 
teriale, formale, wirkende und Endursache, so wie iiber den 
Titel des Gedichts und den Namen des Dichters (Dante cioe 
donatore), iiber den vierfachen Sinn vorkommt, wo nur das 
hiibsche Disticlion hinzugefiigt ist: 

Littera gesta refert, quid credas allegoria, 
Moralis quid agas, quid speres anagogia. 

Selbst die vorsichtige Verwahrung Boccaccio's, dass er nichts 
gegen die Lehre der heiligen Mutter Kirche gesagt haben wolle 
und alles derartige zum voraus widerrufe, hat Buti aus ihm 
wiederholt (p. 11). Auch folgt er ihm ofter in den Einzeler- 
klarungen, die er nur ins breite tritt, so wie in den mytholo- 
gischen Excursen, vgl. z. B. die Erklarung der neun Musen 
zum Anfang des 2. Gesangs I p. 59 mit Boccaccio Lez. 7. Doch 
hat er noch andere seiner Vorganger gekannt und beriicksich- 
tigt, von diesen aber nur den einen Fra Guido del Carmine 
als Verfasser einer Schrift iiber 27 Gesange des Inferno aus- 
driicklich genannt (I, 289: nello scritto che fe sopra li 27 canti 
della prima cantica); und zwar bei der Stelle Inf. VI, 73: 
Giusti son due, ma non vi sono intesi, die von jenem Commen- 
tator auf Guido Cavalcanti und Dante selbst gedeutet waren, 
was sich iibrigens auch schon bei Boccaccio findet (Lez. 24). 
Diesen noch ungedruckten lateinischen Commentar des Guido von 
Pisa, eines Zeitgenossen von Dante, hat C. de Batines in einer 
Hs. zu Mailaud nachgewiesen (II, 299). 

Nicht genannt, aber unzweifelhaft haufig benutzt ist Ja- 
copo della Lana. Uebereinstimmend mit ihm ist z. B. die Er- 
klarung der rathselhaften Herkunft des kiinftigen Erretters von 
Italien, Inf. I, 105: e sua nazion sara tra feltro e feltro durch 
tra cielo e cielo, wo Lana nicht klar gemacht hat, wie feltro 



— 53 — 

den Himmel bedeuten kann, Buti aber die geschmacklose Inter- 
pretation gibt, der Himmel heisse Filz wegen seiner filzigen d. i. 
soliden Beschaflfenheit (per questo intende lo cielo che e di 
materia solida e intera)! Auch eine Menge historischer Nach- 
richten, Anekdoten und Legenden sind aus Lana heriiberge- 
nommen. Dahin gehort im ersten Theil die Erzahlung von 
Attila's Stadteverwiistung in Italien und seinem Tode in Rimini 
(p. 341 vgl. Lana I, 248), von dem Selbstmord des Petrus a 
Vinea (p. 357), von der Stiftung des Ritterordens der frati 
godenti zu Bologna (p. 601 wortlich^aus Lana I, 383), von 
P. Bonifaz VIII, wie er den Geliisten seines Neffen die Frau 
des Sciarra Colonna preisgab (p. 700 vgl. Lana I, 436, was 
auch Ottimo diesem nachgeschrieben hat); im zweiten Theil, 
iiber K. Manfreds Ende (p. 39), die Ermordung des Podesta 
von Bologna Jacopo da Cassero (p. 110 wortlich aus Lana II, 
58), die Niederlage der Florentiner, Purg. XI, 112: quando fu 
destrutta la rabbia Fiorentina (p. 263), wo Buti durch den 
Irrthum des Lana (II, 132) verfiihrt worden ist, die Schlacht 
bei Montaperti 1260, welche der Dichter gemeint hat, mit dem 
Treffen bei Pieve al Toppo von 1288 zu verwechseln, von wel- 
ehem letzteren bei Dante Inf. XIII, 121 die Rede ist, vgl. Vil- 
lani VII, 120; im dritten Theil die nur aus Lana (III, 263) 
geschopfte Erzahlung, wie die feindlichen Geschlechter von 
Florenz, Uberti und Buondelmonti, bei Gelegenheit der Be- 
lagerung von Faenza durch Friedrich II, sich durch Verrath 
ihrer Stadt bei dem Kaiser zuvorzukommen suchten (III, 486). 
An einer andern. Stelle hat Buti sogar seinen Boccaccio ausser 
Acht gelassen, weil er hier gerade nur den Lana vor Augen 
hatte, wo er namlich von der Stammmutter der Grafen Guidi, 
der Buona Gualdrada gar nichts zu sagen weiss, weil er nichts 
iiber sie gefunden habe (I, 430), wahrend doch Boccaccio hier 
die anmuthige Novelle von ihrer Bogegnung mit K. Otto IV 
im Dom zu Florenz erzahlt, die Benvenuto von Imola aus ihm 
wiederholt hat. So folgte er auch dem Lana, wo er zu Parad. 
XII, 83: di reiro ad Ostiense ed a Taddeo, den einen wie den 
andern fur zwei grosse Decretalisten ausgibt und damit den 



— 54 — 

Sinn des Dichters verfehlt, welcher den einen als Reprasentanten 
des canonischen Rechts, den andern als den der Medicin meint, 
wie auch Benvenuto den letzteren als einen beriihmten mit 
Dante befreundeten Arzt kannte, welcher zu Bologna las und 
1295 gestorben war (Tambur. Ill, 239). 

Francesco Buti ist unter den alteren Commentatoren Dan- 
te's vorzugsweise der Grammatiker, wie Pietro di Dante der 
Scholastiker und Benrenuto von Imola der Historiker. Sein 
eigenthiimliches Verdienst besteht in der genauen Erklarung 
des Wortsinns, wobei m^ ihn oft mit Nutzen zu Rathe ziehen 
kann; auch ist fur die allegorische Erklarung manche Belehrung 
aus ihm zu gewinnen, worin er seine Vorganger iiicht selten 
durch richtiges Urtheil und feines Gefiihl iibertrijBFt, wie er 
z. B. in der Deutung der drei himmlischen Frauen im zweiten 
Gesang des Inferno auf die zuvorkommende, erleuchtende und 
voUendende Gnade und in der Erklarung der allegorischen ^ 
Figuren des Triumphzugs in Purgat. XXIX zuerst das Richtige 
getroffen hat. Seine schwachste Seite ist dagegen die historische. 
Zwar kennt er die Geschichte Roms, die er wie Lana ausfiihr- 
lich zu Parad. VI vortragt, aus den alten Autoren Livius, Lu- 
can u. a., aber auffallend genug ist doch selbst hier seine Un- 
sicherheit, wenh er z. B. sich erst durch Boethius iiber die 
Verschiedenheit von Julius Casar und Cajus Casar, den Sohn 
des Germanicus, belehren lasst und dabei iiber andere desselben 
Namens im Zweifel bleibt (III, 192). Bei der Aufzahlung der 
romischen Kaiser mit ihren Regierungsjahren folgt er dem 
Martin von Troppau, den er zwar nicht hier, aber an andrer 
Stelle citirt (III, 211). Was soil man aber dazu sagen, dass 
er, auf das Jahrhundert in dem er selbst lebte herabkommend, 
Kaiser Karl IV im J. 1355 durch Papst Clemens d. i. seine 
Cardinale (per papa Chimento cioe per li suoi cardinali) ge- 
kront werden lasst, da doch Clemens VI bereits 1352 gestorben 
war und zur Zeit Innocenz VI auf dem papstlichen Stuhl zu 
Avignon sass? oder dass an andrer Stelle, wo Dante Purgat. 
VI, 103 dem romischen Konig Albrecht von Oesterreich und 
seinem Vater Rudolf zum Vorwurf macht, dass sie, durch Hab- 



-. 55 - 

begierde jeiiseits der Alpen festgehaiten, Italien, des Reiches 
Garten, wiist gelassen batten, da sie namlicb nicbt zur Kaiser- 
kronung nacb Rom gekommen waren — dass der Commentator 
biezu die ungeborige Bemerkung macbt, Konig Albrecbt sei 
von seiner Kaiserkronung nacb Deutschland zuriickgekebrt (II, 
138: Alberto da Ustericb eletto imperadore e preso la corona 
si ritorno ne la Magna)! 

Zu dem auffallendsten gebort an dieser Stelle, wie Uber- 
haupt in den beiden ersten Tbeilen des Commentars, die Un- 
bekanntschaft des gelebrten Pisaners mit der doch sonst scbon 
sebr bekannten Cbronik seiner Nacbbarstadt Florenz von Gio- 
vanni Villani! Wobl kennt Buti die Sage von der Erbauung 
und Zerstorung des romiscben Florenz, aber in dem wenigen, 
was er davon erwabnt (I, 413), lasst sicb weder Benutzung des 
Villani noch der Scbrift De Origine erkennen, und iiber das 
verhangnissvolle Standbild des Mars gab ibm nicbt Villani, 
sondern Boccaccio's Commentar, den er bier citirt (I, 367), 
Auskunft. In Betreff der florentiniscben Parteien, so wobl der 
Gibellinen und Guelfen, als aucb der Weissen und Scbwarzen, 
sagt Buti zu Inf. VI und X nicbts mebr, als sicb scbon bei 
Lana findet, begebt aber dabei gelegentlicb den groben Ver- 
stoss, dass er den bekannten Friedensstifter Carl von Valois 
zum Sobn eines unbekannten K. Friedricb von Frankreicb 
macbt (cbe cestui fu figliuolo del re Federigo) und anderes von 
Konig Friedricb sagt, was nur auf Pbilipp IV geben kann, wie- 
wobl er nicbt der Vater, sondern der Bruder des Carl von 
Valois war (I, 188. 189)1 Wo er mit Lana, wie bemerkt, die 
Niederlage der Florentiner bei Montaperti mit ibrem Sieg bei 
Pieve al Toppo verwecbselt, fiigt er naiver Weise binzu: An- 
dere sagen, es sei der Ort nicl^t Pieve al Toppo, sondern Monte 
Aperto gewesen; er wisse aber nicbt ob dies ein und derselbe 
Ort sei (II, 263): das wusste er nicbt, der gelehrte Pisaner, der 
docb die alten Namen, Provinzen und Stadte von ItaHen und 
selbst die Entfemungen nacb Miglienzabl aus Solinus kanntel 
Er batte es leicht aus Villani erfabren konnen, den er aber offen- 
bar aucb dort nocb nicbt benutzte, wo er die bekannte Legende 



— 56 .- 

von der abgebrocheneu Verlobung des Ritters Buondelmonte 
fast ganz nach den Worten des Lana erzahlt.*) 

Erst bei Ausarbeitung des dritten Theils seines Commen- 
tars ist Buti auf Villani's Chronik gekommen und hat sie yon 
da an benutzt: so dort, wo er die Verlobungsgeschichte des 
Ritters Buondelmonti noch einmal mit den Worten des Villani 
erzahlt und aus diesem die Namen der gibellinischen und guel- 
fischen Geschlechter von Florenz entnimmt (III, 483 vgl. mit 
Vill. V, 38. 39), und dort, wo er ihm, zwar ungenau und con- 
fus, bei der Sage von Catilina und der Belagerung von Fiesole 
durch die Romer folgt (p. 191 vgl. mit Vill. I, 30 — 38), und 
weiter beziiglich der Erbauung von Florenz durch die romischen 
Feldherren und der Zerstorung durch Totila, wo er auch die 
Quelle ausdriicklich citirt (p. 451 secondo che dice Joanni Vil- 
lani vgl. Vill. I, 38. II, 2). Ferner ist Villani citirt zu dem 
Kreuzzug Konrads III, welchen Cacciaguida, Dante's Vorfahre, 
begleitete Parad. XV, 139, nur begeht der Commentator hier 
wieder den groben Irrthum, den genannten Konig Konrad III 
von Schwaben mit Konrad II dem Salier — Currado primo, wie 
ihn die Italiener nennen — zu verwechseln (III, 457); und 
wieder, wo er zuerst aus Lana die Vertreibung der Guelfen aus 
Florenz mit der Jahreszahl 1250 entnimmt und dann hinzu- 
fiigt, Villani setze dieselbe in das J. 1246 (p. 487, soil heissen 
1248, vgl. Vill. VI, 33, denn auch das Citat VII, 196 passt 
nicht oder setzt eine andere Bucher- und Capiteleintheilung des 
Villani als die uns bekaiinte voraus). 

Es mag zur Charakterisirung des historischen Theils von 
Buti's Commentar noch erwahnt werden, dass mehrfach die Legenda 
aurea als Quelle benutzt ist, wie namentlich bei der Geschichte des 
Propheten Mahomet, wo sie ausdriicklich citirt ist, 1, 720: maestro 



*) Bei Lana sagt Bonna Donati zu dem Verlobten: Sciaruto, ove 
vai tu? tu sei lo piii bello giovane di questa terra, e vai a sposare una 
scimia; se tu vuoi mia figliuola io te la d6! (I, 449); fast ebenso Buti 
(I, 728): Ove vai tu che sei cosi bei giovane, e vai sposare una bertuccia 
(einen Affen, wie scimia): se tu vuoi costei (die Tochter, die sie ihm 
vorstellte), io la ti dar6. . 



— 57 — 

Jacopo de' frati predicatori nel libro delle legende de' santi nella 
legenda di papa Pelagio; wahrend andere Absurditaten wohl nur • 
aus eigenem Missverstandniss des Grammatikers entsprungen 
sind: so die Erklarung der Tedeschi lurchi d. i. der gefrassigen 
Doutschen, Inf. XVII, 21 von zwei verschiedenon Volkern Te- 
deschi und Lurchi, zwischen welchen die Donau hindurchfliesse 
(I, 451); die Versetzung der deutschen Frisen nach Phrygien 
(I, 791), die Versetzung des bekannten Ketzers Fra Dolcino von 
Novara nach Navarra, wo ihn der Konig von Navarra mit Be- 
lagerung eingeschlossen haben soil (I, 723), und die Ableitung 
der Langobarden von den Galliem des Bellovesus (III, 208). 
Besser unterrichtet zeigt sich Francesco Buti begreiflicher 
Weise in den Pisanischen Dingen, Geschichten, Geschlech- 
tem, Personen (s. z. B. I, 828. II, 125. 178), und hier mag 
man ihn wohl mit einem gewissen Vertrauen benutzen, aber 
weiter hinaus nicht. Der sehr iiber Verdienst gepriesene Com- 
mentar des Buti steht in Ansehung des historischen Werths 
hinter vielen andem zuriick. 



11. Coxnmento aUa divina coxnmedia d'anonimo Fioren- 
tino del secolo XIV ora per la prima volta stampato a / 
cura di Pietro Fanfani. Vol. 1 — 3. Bologna, 1866 — 1874. 

Ueber die Ausgabe dieses bis dahin nur wenig bekannten 
Commentars ist Folgendes vorauszuschicken. Der Herausgeber, 
Pietro Fanfani, anderweitig als italienischer Philologe und Lexi- 
cograph und neuerdings auch durch den Dino-Streit bekannt, 
spricht sich im Vorwort nur ganz kurz iiber das Werk und 
seine eigene Zuthat aus: er riihmt den Worth des Commentars 
fiir die Geschichte, besonders fur die Biographic der Zeitge- 
nossen Dante's, und nicht minder, gleichwie Gold in Gold ge- 
fasst,die reine toscanische Sprache; alles andere, die Vergleichung 
der Handschriften und sonstige kritische Bemerkungon, wird bis 
auf das Ende verschoben, weil der Herausgeber selbst im An- 



— 58 — 

fang nocfa nicht wisscii konne, was alles er worde zu sagen 
haben. Doch hat derselbe sein Versprechen nicht erfUllt: der 
kritische Anhang ist ganzlich ausgeblieben; statt dessen wird 
das gelehrte Publicum im Vorwort des dritten und letzten Ban- 
des durch die unliebsame Entdeckung iiberrascht, welche der 
Herausgeber selbst erst wahrend des Druckes gemacht hat, 
dass dieser ganze dritte Theil und auch schon mehr als die 
Halfte des zweiten mit dem schon ofter und neuerdings wieder 
abgedruckten Commfentar des Jacopo della Lana voUig identisch 
ist I Die neue Ausgabe von mehr als anderthalb starken Ban- 
den unter dem falschen Titel des Anonimo Fiorentino war hier- 
nach nur Uberfliissige Liebesmiihe auf Kosten des Verlegers und 
der Kaufer des Works *) 

In den sparlichen Noten unter dem Texte sind sprach- 
liche Bemerkungen gegeben, in dem 2. Theil, wo dem Heraus- 
geber allmahlich die Identitat mit Lana aufleuchtete, auch Hin- 
weisungen auf diesen. Mit Quellenuntersuchung hat sich der- 
selbe gar nicht befasst: man erfahrt nicht einmal, aus welchem 
Grunde der unbekannte Autor ein Florentiner heisst, noch 
warum sein Commentar in das 14. Jahrhundert gesetzt wird. 

Aus dem Werke selbst lasst sich nichts iiber den Autor 
und seine Herkunfb entnehmen; doch behalten wir der Bequem- 



*) Die Schuld dieses von fast unglaublicher Leichtfertigkeit zeugen- 
den Missgeschickes soil nach Fanfani's Aeusserung G. de Ba tines wenig- 
stens mittragen, welcher den 3. Theil im codex Palatinus als Fortsetzung 
des Anonymus erklart habe (£rr6 dunque 11 De Batines, che 11 codice 
Palatino del Paradise lo diede per 11 seguito del nostro Anonimo, quando 
invece era di Jacopo). Allein diese Behauptung ist nichts als eine Un- 
wahrheit! Denn in der Bibliografia Dantesca II, 348 ist ausdrucklich 
gesagt, dass die Palatinische Hs. ebensowie die Laurenziana nur den 
Theil tiber das Inferno enthalte, wie auch die weiter gegebene Beschrei- 
bung der ersteren p. 350 aufzeigt. Nur die einzige Hs. Biccardlana, 
welche dem Abdruck des Anonimo zu Grunde liegt, hat noch den Com- 
mentar zum Purgatorio. AUe drei Hss. sind aus dem 15. Jahrhundert. 
Woher Fanfani den dritten Theil genommen, hat er weder in dem Vor- 
wort, noch in der Zeitschrift L'Etruria I, 1851 p. 28, anzugeben fttr gut 
gefunden ! 



— 59 .— 

lichkeit wegen die Benennung Aiionimo Fiorentino bei. Auch 
die Zeit der Abfassiing ist nirgends angegeben. Das Datum, 
welches in der Riccardianischen Hs. vorausteht: Comento di 
Dante 1343, ist von spater Hand erst im vergangenen Jahr- 
hundert hineingeschrieben und bloss aus der Luft gegriffen; 
denn die Unrichtigkeit desselben ergibt sich aus Citaten von 
Boccaccio's Novellen und von Petrarca's Briefen (II, 73. 227), 
und noch bestimmter aus der Benutzung des Commentars von 
Boccaccio, wonach der Autor nicht vor 1374 geschrieben haben 
kann. Nimmt man aber hinzu, dass er gelegentlich einmal die 
Chronik des Giovanni Villani, welche bis 1348 fortgeht, eine 
alte nennt (I, 374 trovasi nella vecchia cronaca intitolata in 
Giovanni Villani), so wird man die Abfassungszeit des Werkes 
wohl besser in den Anfang des 15. Jahrhunderts, dem auch die 
Handschriften angehoren, als in das Ende des 14. setzen.*) 

Dass man es nicht mit einem durchaus originalen Werk 
zu thun habe, lasst sich gleich in der Einleitung zum 1. Ge- 
sang erkemien, wo sich starke Benutzung zum Theil des Boc- 
caccio, zum Theil des Pietro di Dante zeigt. Aus Boccaccio's 
Commentar ist entnommen was liber das friihere Vorhaben 
Dante's gesagt ist, sein Gedicht in lateinischer Sprache abzu- 
fassen, was er nachher mit Riicksicht auf die Grossen, bei denen 
er Ruhm erlangen wollte, aufgegeben habe (Bocc: E gia era 
alquanto proceduto avanti, quando gli parve mutare stilo etc. 
Anon.: E gia distesa la materia alquanto inanzi, quando muto 
stilo etc.); ebenso was weiter folgt iiber den Unterschied der 
drei Inferni, der oberen Holle in uns selber, der mittleren auf 
der Oberflache der Erde, welche der Limbus oder die VorhoUe 
genannt wird, und der unteren innerhalb der Erde, welche das 
Inferno von Dante ist — das meiste davon, selbst mit den 
Citaten aus den alten Dichtern, ist aus Boccaccio Lez. 1 abge- 
schrieben. Wo aber Anonimo einen siebenfachen Sinn des Ge- 
dichts annimmt als: letterale, storico, apologico, metaforico, alle- 



'") Dies hat Fanfani selbst nachtraglich anerkannt, Borghini, Anno 
m no. 24. 



- 60 — 

gorico, tropologico, auagogico, wahrend Boccaccio alleiii den 
buchstablichen und allegorischen gel ten lasst, ist die Termino- 
logie nebst der ganzen Ausfuhrung aus Pietro di Dante (p. 4 — 8) 
entlehnt. 

Nicht zwar die gleiche Abhangigkeit von den friiheren 
Commentatoren, aber doch vielfache Benutzung der beiden ge- 
uannten begegnet im einzelnen bei dfer Auslegung der ersten 
Gesange: so ist die Eintheilung des ersten Gesangs in vier Ab- 
schnitte nebst Angabe ihres Inhalts aus Pietro di Dante ge- 
nomm^; die Erklarung der Anfangsworte: Nel mezzo del 
cammin* di nostra vita, wortlich aus Boccaccio Lez. 2 (Milanesi 
p. 104), die Allegoric der Thiere im ersten Gesang aus beiden, 
wozu als eigene Zuthaten die Naturbeschreibung der Thiere 
mit symbolischer Beziehung auf die verschiedenen Lebensalter 
des Menschen, die Lebensgeschichte des Virgil und poetische 
Erzahlungen aus der Aeneis hinzugefugt sind. Zum 2. Gesang 
ist die Eintheilung in 6 Theile aus Pietro di Dante entlehnt, 
die geschmacklose Erklarung der 9 Musen durch die 9 Organe, 
welche die menschliche Stimme bilden (I, 34) aus Boccaccio 
(Lez. 7), der sie selbst der ofter von ihm citirten Mythologie 
des Fulgentius verdankte, die Deutung der drei himmlischen 
Frauen, welche sich fiir Dante's Errettung bemiihten, der ersten 
(donna gentile) auf das Gebet (orazione), der zweiten, Lucia, 
welche die dritte, Beatrice, anrief, auf das gottliche Erbarmen, 
wieder aus Boccaccio (Lez. 8 Milanesi I, 247); desgleichen im 
3. Gesang das schon von diesem geausserte Bedenken gegen die 
Deutung der Worte che fece per viltate il gran rifiuto auf 
P. Colestin, welchen die Kirche heilig gesprochen habe. Auch 
die schon oben S. 34 erwahnte wunderliche Erzahlung von den 
deutschen Baronen Gulfo und Ghibellino, welche Boccaccio 
mittelbar von Kaiser Karl IV her gehort hatte, findet sich hier 
fast mit denselben Worten wieder und ist oflfenbar nur aus 
ihm, der sie allein hat, geschopft, wiewohl Anonimo diese seine 
Quelle absichtlich verbergen will, indem er sich dabei auf 
deutsche Chroniken beruft (I, 247 secondo certe cronache te- 
desche). Ebenso versteckt er dies^lbe Quelle, wo er zu Inf. 



— 61 — 

XVI, 37 die anmuthige Novelle von der guten Gualdrade wie- 
derholt (I, 373 vgl. Bocc. Lez. 58). Der so viel von ihm be- 
nutzte Commentar des Boccaccio ist iiberhaupt nirgeuds ge- 
nannt, wohl aber dep Decamerone citirt, wo bei Purgat. XIV, 97 
die Novelle von dem Liebeshandel der Tochter des dort ge- 
nannten Buon Lizio von Valbona erzahlt wird (II, 227: come 
scrive mess. Giovanni in quello libro delle cento novelle). 

Man wird schon hiernach beurtheilen konnen, wie wenig 
der Anonimo Fiorentino selbst in dem ersten Theil des Com- 
mentars das ihm von dem Heransgeber (im Vorwort zum 
3. Bande) gespendete Lob vollkommener Originalitat wirklich 
verdient .*) AUerdings tritt hier noch nicht, wie in dem zweiten, 
die Abhangigkeit von dem Laneo ein; doch ist neben Boccaccio 
und Pietro di Dante gelegentlich auch Ottimo benutzt, wie aus 
wortlicher Uebereinstimmung bei einigen Stellen hervorgeht; 
so z. B. zu Inf. IX im Anfang iiber die thessalische Zauberin 
Erichtho, Ottimo I, 152: Questa fu maga incantatrice in Grecia, 
nella contrada di Tessaglia, partita dalla citta, dall usi e modi 
delle femine e degli uomini, la sua vita, scrive Lucano, era in 
caverne e invocava diavoli etc., und Anon. I, 217: Fu adunque 
Erithon magica incantatrice in Grecia, nella contrada di Tesag- 
lia, estratta da ogni operazione d'uomo, la sua vita era in 
caverne, et invocava i demoni — Lucano scrive etc., und bei 
Inf. IX, 112 iiber die Graber der gefallenen Christen bei Aries, 
Anon. I, 234 vgl. Ott. I, 166. 

Die Bekanntschaft mit Jacopo della Lana hat der s. g. 
Florentiner Anonymus offenbar erst spat, im Fortgang seiner 
Arbeit gemacht; dann aber hat er ihn um so starker ausge- 
beutet Die Benutzung beginnt, so viel ich sehe, erst bei Pur- 
gatorio XI, wo die Einleitung mit Abkiirzungen und einige un- 
bedeutende Noten iiber Osanna, Vanagloria und den Maler 
Oderigo aus ihm entnommen sind. Aber schon bei dem fol- 
genden XII Gesang sind wie die Einleitung so auch die moisten 



*) Fanfani: ]& opera bellissina, originale, schietta di favella e di 
stile, richissima di notizic — una vera delizial 



— 62 — 

Noten bloss abgeschrieben, und weiterhin Yon Gesang XVI an 
ist das Verhaltniss der Art, dass durchweg der Commentar des 
LaQa zu Grunde gelegt ist und dazu nur Zusatze aus anderen 
Quellen, von 4®nen noch zu reden ist, hinzugekommen sind, der 
dritte Theil aber hat, wie erwahnt, nur durch den Herausgeber 
den falschen Titel des Anonimo erhalten. 

Es ist weiter zu untersuchen, welche Quellen, abgesehen 
von den friiheren Commentaren, der Anonimo sonst noch be- 
nutzt hat. Auch diese .iassen sich leicht erkennen; denn als 
blosser Compilator beweist er sich auch darin, dass er den alten 
Autoren, die er um so fleissiger citirt, als er die neueren gem 
verschweigt, in der Kegel mit wortlicher Uebersetzung folgt: 
so z. B. dem T. Livius bei der Erzahlung von der Schandthat 
des Sextus Tarquinius und dem edlen Tod der Lucrezia (I, 
116 — 119 vgl. Livius I c. 57 — 59). In der Geschichte des 
Mittelalters hat er bisweilen die Chronik des Martin von Trop- 
pau herangezogen, welche als Cronica Martiniana citirt ist, z. B. 
iiber P. Hadrian V (I, 309), Uber den Propheten Mohammed 
(Maumet I, 598), iiber Karl den Grossen (p. 653. 679); ebenso 
oft aber auch, wo sie nicht citirt ist, z. B. iiber die Begegnung 
des Papstes Leo mit Attila (Scrivesi ancora 1, 306, vgl. Martin, ss. 
XXII, 418), uber Friedrich Barbarossa (II, 295 vgl. Mart. p. 470). 
Als Hauptquelle jedoch, sowohl fiir die allgemeine mittelalter- 
liche, als auch fur die florentinische Geschichte hat ihm die 
Chronik des Giovanni Villani gedient. Sie findet sich zum 
ersten mal genannt I, 359: Conta Giovanni Villani nella cro- ' 
naca come negli anni di Cristo MCXVII i Pisani feciono una 
grande armata di galee, und was weiter hierauf wortlich bei 
Vill. IV c. 31 folgt; und liachher noch ofter, einige mal auch 
schlechthin als la cronaca (I, 591. 678). Dagegen nicht ge- 
nannt, wenn auch ausgeschrieben, ist dieselbe an einer grosseren 
Zahl von Stellen, so z. B. iiber die von Pistoja her in Florenz 
eingefiihrten Parteien der Weissen und Schwarzen und die 
Uebertragung der Signorie auf Carl von Valois I, 169 f. nach 
Villani VIII c. 38. 39. 49, iiber die Vertreibung der Gibellinen 
aus Florenz im J. 1266 I, 251 nach Vill. VII c. 12, iiber Messer 



— 63 — 

Farinata degli Uberti im Parlament zu Empoli I, 255 nach 
Vill. VI, 81, iiber Kaiser Friedrichs II Kreuzzug, seinen Krieg 
mit dem Papst und sein Ende I, 257 — 259 nach Vill. VI, 1. 
16. 17. 41, wo sogar ungeschickter Weise der Satz: come detto 
abbiamo per la detta cagione che mai non voile intrare in Fi- 
renze ne in Faenza (p. 259) aus Villani (c. 41) wiederholt ist, 
wiewohl das Vorhergehende, worauf es sicli bezieht, fehlt.*) 

Ebenso ist die lange Stelle iiber die Belagerung und Ein- 
nahme von Acco durch den Sultan von Agypten 1291 I, 574 f.: 
II Soldano di Babilonia d'Egitto — niuna terra appresso nella 
terra santa rimase a' Cristiani wortlich nach Vill. VII, 145 ge- 
geben, wie die Erzahlung von dem Hungertod des Grafen Ugo- 
lino von Pisa I, 689 f. negli anni di Cristo MCCLXXXVIH del 
mese di luglio — onde a parte guelfa di Toscana fu grande 
abbassamento et esaltamento de' ghibellini nach Vill. VII, 121, 
wo nur eine Nachricht iiber die Tochter des Grafen hinzuge- 
fiigt ist. Bisweilen hat der Anonimo, wie eben hier, mit dem 
was ihm Villani hot noch anderes combinirt, z. B. iiber Ezzelin 
von Romano (I, 299) ausser dem, was Villani VI, 72 von dessen 
Ende berichtet, die Erzahlung von der grausamen Hinrichtung 
der Paduaner und des Kanzlers Ser Aldobrandino, iibereinstim- 
mend mit Boccaccio (Lez. 46, Milanesi II, 299); iiber Attila, 
unter dem Namen Totila, (I, 303 — 306) zu Villani II, 1 noch 
die* bereits erwahnte Stelle aus Martins Chronik. 

Von besonderem Interesse ist nun das gleiche Verfahren, 
womit Anonimo an mehreren Stellen seines Commentars, welche 
die Geschichte von Florenz zur Zeit des Dichters betreflfen, seine 
Hauptquelle mit einer andern verbindet, in der wir unzweifel- 



*) Der Herausgeber Fanfani macht hierzu aasnahmsweise die kritische 
Bemerkung, dass dieses Sttick wohl aus einem Chronisten der Zeit sein 
mOchte, hat aber keine Ahnung davon, dass dieser Chronist kein andrer 
als Villani ist; aus diesem hatte er auch an einer andern w5rtlich ent- 
lehnten Stelle, beziiglich der Erbauung und ZerstOrung von Fiesole (I, 356), 
die falsche Lesart per errata, von der er in der Note eine verkehrte Er- 
klarung gibt, als per rata (di ciascuno rione di Roma): Vill. I, 38, be- 
nch tigen kSnncn. 



— 64 — 

• 

hafte Spuren der angeblichen Chronik des Dino Compagni er- 
kennen. Solche interessante Verwandtschafb begegnet noch nicht 
im ganzen ersten Theil des Commentars, wo iiberall imr Vil- 
lain benutzt ist, und zwar auch dort nicht, wo Dino Compagni 
liber dieselben Dinge theils abweichend, theils ausfuhrlicher be- 
richtet, wie z. B. iiber den Anfang der florentinischen Parteien 
infolge der riickgaiigig gemachten Verlobung des Messer Buon- 
delmonti. Anon. I, 608 nach Villani V, 38; iiber die Ankunft 
des Friedensstifters Caii von Valois in Florenz und die Riick- 
kelir des Corso Donati, Anon. I, 170 vgl. Vill. VIII, ^9; son- 
dem erst in den historischen Erlauterungen zum Purgatorio, 
und zwar gerade von da an, wo in der Hauptsache der Laneo 
ausgeschrieben ist und jene Erlauterungen nur als Einschaltungen 
hinzugefUgt sind. Doch hiervon behalte ich mir vor in dem 
Anhang iiber die Dino-Frage das weitere zu erortern. Vor- 
laufig ist es auch fiir diese nicht unwichtig, die Art und Weise 
der Compilation und namentlich der Quellenbenutzung bei dem 
Anonimo Fiorentino festgestellt zu haben. — 

Wir kommen nun zu den spateren Dante-Commentaren aus 
dem 15. Jahrhundert. 



12. Lo Inferno della Commedia di Dante Alighieri 

col comento di Guiniforto delli Bargigi — con introdusione 

/" e note dell' aw. G. Zacheroni. Marsiglia. Firenze. 1838. 

Der Herausgeber Zacheroni, welcher zur Zeit als italienischer 
Fliichtling in Marseille lebte, hat als Dedication eine ironische 
Zuschrift an Papst Gregor XVI und als Einleitung einen feurigen 
Aufruf an die Jugend Italiens vorausgeschickt. In der letztern 
wird die verzweiflungsvoUe Lage Italiens geschildert, wo die 
Geister gefesselt seien, der Gedanke selbst unterdriickt werde, 
Henker und Gefangniss diejenigen erwarten, welche iiber das 
Ungliick des Vaterlands trauem: Dante's majestatische Grosse 
soil fur die italienische Jugend als Vorbild dienen, damit sie 
seine Lehren beherzige und die hohen Geschicke Italiens erfiillel 



- 65 - 

Ohne Zweifel nur um dieser Einleitung willen wurde das Werk 
nach dem Erscheinen der ersten Lieferungen durch die papst- 
liche Inquisition in Bologna und Imola mit Beschlag belegt, wo- 
durch der Herausgeber sich auch erst zur nachtraglichen De- 
dication desselben an den Papst bewogen fand, worin er mit 
boshafter Wendung sagt, es solle dessen Name darum an der 
Spitze steben, damit er einen wiirdigen Platz an der Stelle finde, 
wohin der gibellinische Dichter seine Vorganger yersetzt babe I*) 

Das Werk des Guiniforte selbst, sein Commentar liber die 
HoUe, ist weit entfernt davon, solcher Tendenz mit verwandtem 
gibellinischem Geist zu entsprechen. Ja der Herausgeber hat 
es sogar fur nothig und erlaubt gehalten, aus dem Grunde, 
weil der Autor, als serviler Katholik, den Dante in Sachen der 
Religion schlecht verstanden babe, den theologiscben Theil des 
Commentars,, so weit es der Zugammenhang gestattete, zu strei- 
chen und nur den philologischen, historischen und phUosophischen 
vollstandig zu geben. Als Grundlage fur die Ausgabe hat eine 
mit Miniaturen gezierte Pergamenthds. vom Ende des 15. Jahr- 
hunderts gedient, welche einst Konig Franz I 1519 Yon dem 
Mailander Giacomo Minuzio zum Geschenk erhielt, zur Zeit 
aber sich im Besitz des Philologen Gaston de Flotte zu Mar- 
seille befand, woneben, um eine durch ausgefallene Blatter 
entstandene LUcke zu erganzen, noch eine zweite, wie es scheint 
gleichzeitige, Abschrift in einer schonen Pergamenthds. der Pa- 
riser Bibliothek benutzt wurde (s. die genauere Beschreibung 
beider Hdss. bei De Batines I, 652 f.). 

Ueber den Autor, Guiniforte delli Bargigi, und dessen als 
classischer Philologe beriihmteren Vater Gasparino hat Mazzu- 
chelli, Gli scrittori d' Italia Vol. II P. I, ausfiihrlich gehandelt, 
woraus Tiraboschi, Storia della letteratura Ital. L. Ill c. 5 einen 
Auszug gibt. Die gesammelten Schriften beider, hauptsachlich 
Reden und Brief e, sind Yon Cardinal Furietti unter dem Titel: 
Gasp. Barzizii Bergom. et Guiniforti filii Opera ed. J. A. Furiettus, 



*) D' intitolorla al Yostro nome, percli6 trovi luogo condegno \k 
dove il Ghibellino pose quello di altri Yostri Predecessori. 

Hegel, Dante -Commentaro. 5 



~ 66 -- 

Romae 1723. 4^, herausgegeben worden. Von dem Dante-Com- 
mentar Guiniforte's ist in dieser Sammlung nur das an den 
herzoglich mailandischen Kammerer Jakob de Abate gerichtete 
Widmungsschreiben aufgenonunen, welches in^ der Ausgabe von 
Zacheroni vermisst wird. 

Sowohl Gasparino de Barzizza (der Zuname kommt von 
seinem Geburtsort im Gebiet von Bergamo her) als auch sein 
Sohn Guiniforte standen die langste Zeit ihres Lebens in Diensten 
der Herzoge von Mailand. Filippo Maria verlieh dem Guini- 
forte, nachdem er aus dem Dienst des Konigs Alfons von Ara- 
gon und Sicilien wieder in den seinigen zuriickgetreten war, 
1434 den Lehrstuhl der Moralphilosophie in Pavia, verwendete 
ihn aber auch als Generalvicar in den offentlicheii Geschaften, 
besonders als Orator bei auswartigen Missionen. Spater war 
Guiniforte noch im Dienst des Herzogs Franz Sforza als Secre- 
tar und begleitete 1459 dessen Sohn Galeazzo auf der Reise 
nach Florenz und Rom, wo er im Namen desselben eine Anrede 
an P. Pius II hielt (s. Opere p. 57). 

Wie aus dem erwahnten Widmungsschreiben an den her- 
zoglichen Kammerer hervorgeht, hatte Herzog Filippo Maria 
selbst, welchen der Autor mit ganz iiberschwanglichem Lobe 
preist, letzterem den Auftrag ertheilt, die Komodie des vortreff- 
lichen theologischen Poeten (Theologi Poetae) zu erklaren. Gui- 
niforte hatte also den herzogUchen Hof und die gebildete Ge- 
sellschaft von Mailand als das Publicum, fiir welches er schrieb, 
vor Augen; darum woUte er auch, wie er dort sagt, sich nur 
der Vulgarsprache mit Vermeidung aller Fremdworter bedienen 
und sich nicht mit gelehrter Ostentation bei Widerlegung der 
verschiedenen Meinungen aufhalten, iiberhaupt weniger den 
sonst lobenswurdigeu Ton der Wissenschaft, als den der Bildung 
des Hofs anschlagen (neque vero laudabilem apud omnes 
scholasticum potius in commentando, quam aulicum imitabor 
modum). 

Ueber die Zeit der Abfassung gewahrt einen Anhaltspunkt 
die von dem Herausgeber nicht beachtete Stelle, wo der Com- 
mentator zu Inferno VI beziiglich der Parteien der Schwarzen 



- 67 - 

und Weissen in Florenz sagt, er woUe diese Geschicliten niclit 
wiederholen, um nicht alte Feindschaft in den Herzen der Flo- 
rentiner aufzufrischen, was sowohl seiner eigenen Natur wider- 
spreche, wie es auch sein gnadigster Herr, der erlauchte Herzog, 
nicht erlauben wiirde, nachdem er mit seiner gewohnten Gnade 
alien Hass und Streit mit jener Republik abgethan, ihr durch 
seine Giite den Frieden gewahrt habe und auch ferner seine 
reiche Gunst schenken woUe, damit sie sich von ihrem Schaden 
erholen uDd Yon der Furcht bestandiger Knechtschaft, worin 
sie in den vergangenen Jahren freiwillig verwickelt gewesen, sich 
befreien konne (p. 140: e in tutto liberarsi da ogni timore di 
quella perpetua servitu, nella quale negli anni passati volon- 
tariamente si era inviluppata). 

Mit dem erwahnten Friedensschluss ist vermuthlich der 
von 1441 gemeint, denn der friihere von 1435 war nur von 
ganz kurzer Dauer, und damit stimmt auch die Hindeutung 
auf die mehrjahrige freiwillige Knechtschaft der Florentiner, 
worunter man wohl nichts anderes als ihre Unterwerfung unter 
die Staatsleitung des Cosimo dei Medici zu verstehen hat, nach- 
dem dieser im Herbst 1434 aus der Verbannung nach Florenz 
zuriickgekehrt war, wahrend die von ihm vertriebenen Gegner 
Hiilfe eben bei dem mailandischen Herzog suchten und fanden; 
s. die Rede des Rinaldo degli Albizzi bei Machiavelli, Istorie 
Fiorent. L. V c. 8. 

Uebrigens charakterisirt die vorstehende hofische Aeus- 
serung Guiniforte's sein gauzes Werk. Der mailandische Autor 
will keiuen Anstoss bei seinem allergnadigsten Herrn geben, 
auch dprt nicht, wo der Dichter ihn gibt. Wie er um der 
politischen Haltung des Herzogs willen, nichts iibles von den 
Florentinem sagen will, so bestimmt ihn die gleiche Riicksicht, 
jede argerliche Hinweisung auf die Schaden der romischen Curie 
oder die Gebrechen der Geistlichkeit zu vermeiden, und gegen- 
iiber dem gibellinischen Dichter seinen Guelfismus zu betonen. 
Also gilt es ihm fiir ausgemacht, dass das romische Reich zwar 
von Gott, aber durch den papstlichen Stuhl eingesetzt und ge- 
ordnet sei, was ihm seitens des Herausgebers in einer Note das 



- 68 - 

Pradicat eines schlechten Publicisten zuzieht (p. 34). Bei der 
Erklarung des Veltro, welcher die Wolfin vertreiben werde, be- 
merkt der CSommentator: einige woUten dies zur Herabsetzung 
(dettrazione) der geistlichen Pralaten auslegen, doch halte er 
das nicht fur anstandig (la qual esposizione dico non essere 
onesta, p. 24). Ebenso geht er iiber den bedenklichen Vor- 
wurf des Dichters gegen den, welcher aus Feigheit den grossen 
Verzicbt that (Inf. Ill), mit der kurzen Bemerknng hinweg: 
die gewohnliche Meinung sei, dass der Dichter den P. Colestin V 
gemeint habe (p. 63), und will auch nicht bei den Worten 
desselben verweilen (lasciamo queste parole), wo kahlkopfige 
Pfaffen, Papste und Cardinale wegen iibermassigen Geizes die 
HoUenstrafe erleiden (p. 163). Von Kaiser Friedrich II als 
dem Feinde der romischen Kirche und notorischen Ketzer wie- 
derholt er die lacherliche Anekdote, wie er den Gegenbeweis 
der Unsterblichkeit der Seele durch den Augenschein an einem 
im Sack eingeschlossenen und darin getodteten Menschen fuhrte, 
aber den unglaubigen Cardinal Ottaviano Ubaldini, den der 
Dichter an demselben Ort erblickte (Inf. X, 120), will er lieber 
nicht nennen: ^mogen andere an diesem Bissen nagen' (p. 243)1 
Gegen den Dichter selbst gerath er in tugendhafte Entriistung, 
wo dieser die Bologneser des Lasters der Kuppelei bezichtigt 
(Inf. XVIII, 58): es sei sehr unrecht, wegen einzelner Siinder 
ein ganzes Volk, und noch dazu ein so edles und hochgesinntes, 
wie das von Bologna, zu schmahen (p. 422). — Hatte nicht 
Zacheroni fiir die Tendenz seiner Publication, dem papstlichen 
Stuhl unangenehme Wahrheiten zu sagen, besser gethan, einen 
anderen geeigneteren Autor des Mittelalters zu wahlen? 

Ueberhaupt wird man aus diesem Commentar kaum irgend 
einen neuen Aufschluss zur Erklarung der gottlichen Komodie ge- 
winnen. Guiniforte gibt in der Kegel nichts als die prosaische Um- 
schreibung der Worte und Gedanken des Dichters, dringt nir- 
gends in die Tiefe der Sache ein, weder nach der philosophischen 
noch nach der historischen Seite, und geht den Dunkelheiten 
des Gedichts moglichst aus dem Wege. Den Veltro z. B. er- 
klart er fiir einen Fiirsten von hochster Tugend, unter welchem 



— 69 — 

die Laster, besonders die Habsucht aus der Welt verschwinden 
und jedStmann sicli der Tugend ergeben wird, oder fiir einen 
heiligen Mann, welcher die Menschen dazu bewegen wird, dass 
sie ihre Siinden bereuen; seine Herkunft wird sein, wie einige 
sagen, zwischen der Stadt Feltre in der Mark von Treviso und 
Montefeltro in der Romagna (p. 23). Nur in so unbestimmter 
Weise wird auf die frUheren Commentatoren Bezug genommen, 
nirgends einer von ihnen genannt. Doch lasst sich erkennen, 
dass Guiniforte, wie in der Form, so auch in der Sache, sich 
am meisten an Franc. Buti anschliesst und diesen Vorganger 
stark benutzt hat. Uebereinstimmend ist nicht nur die Auf- 
fassung der AUegorie des ersten Gesangs, die sich lediglich nur 
um die Allgemeinheiten von Tugend und Laster bewegt, son- 
dem, wo sich die Benutzung noch deutlicher zeigt, die Aus- 
legung des Einzelnen, wie z. B. die missverstandene Deutung 
von Vers 41: Si che a bene sperar m' era cagione di quella 
fera alia gajetta pelle, wo beide mit der abweichenden Lesart 
di quella fiera la gajetta pelle das Verbum sperare als Transi- 
tivum nehmen: so dass die Tagesstunde und die schone Jahres- 
zeit mir gute Hoflhung auf die Haut des Thieres gaben, d. h. 
das Thier zu iiberwinden (ebenso haben dies noch Landino und 
Vellutello erklart), und die nicht iible Auslegung von Vers 70: 
Nacqui sub Julio, ancorche fosse tardi, welchen Boccaccio und 
Benvenuto de Imola nicht zu erklaren wussten, in dem Sinne: 
Virgil sei zu spat unter Casar geboren worden, um sich ihm 
noch als Dichter zu zeigen und von ihm geehrt zu werden. 
Wortlich nach Buti sind bei Vers 8 des zweiten Gesangs: 
mente che scrivesti die bezeichnenden Ausdriicke fiir die ver- 
schiedenen Functionen von Seele und Geist gegeben (p. 31 vgl. 
Buti p. 60*), wie Buti dies seinerseits aus Pietro di Dante 
(p. 52) genommen hat. Uebereinstimmend mit Buti ist ebenso 



*) Ghiamasi anima in quanto vivifica 11 corpo, mente in quanto 
pensa e intende, animo in quanto vuole, ragione in quanto disceme e 
giudica lo diritto, memoria in quanto si ricorda, spirito in quanto spira, 
sentimento in quanto sente. 



— 70 — 

die Erklarung der drei himmlisclien Frauen als zuvorkommende, 
erleuchtende und mitwirkende Gnade, und warum Lucan unter 
den vier Dichtern (Inf. IV, 90) zuletzt genannt ist, weil er 
namlich mehr Historiker als Dichter war; wie die Angabe, dass 
Seneca dem Apostel Paulus befreundet gewesen sei und mehrere 
Briefe an ihn geschrieben habe, wesshalb er auch von dem h. 
Hieronymus unter die Zahl der Heiligen aufgenommen worden 
sei (p. 101 vgl. Buti I, 140) u. a. m. 

Andere, besonders historische Einzelheiten, sind aus dem 
Commentar des Boccaccio geschopft, wie z. B. iiber Elettra, 
Tochter des Attalante (p. 92), Saladins Reise im Incognito 
(p. 95), die Philosophen Aristoteles, Sokrates u. a. (p. 97), 
Semiramis, Dido, Cleopatra (p. 113) u. a. Doch hat Guiniforte 
hier und sonst auch die alten Quellen, wie z. B. iiber Attila 
(p. 299) die Historia miscella (Lib. XV, 3 — 9) benutzt, in 
der Kegel ohne sie zu nennen; nur ausnahmsweise findet sich 
einmal die Cronaca Martiniana und zwar in ihren Zusatzen 
citirt (p. 449 secondo le addizioni della Cronaca Martiniana), 
wo der Commentator die Zeitfolge der von Dante (Inf. XIX) 
erwahnten simonistischen Papste richtiger als andere an- 
gibt. Wie derselbe iiberall weit entfernt ist, den Leser mit 
unnothiger Gelehrsamkeit zu belastigen, so hat er sich auch 
nicht die Miihe genommen iiber Dante's Leben und seine Zeit- 
geschichte, selbst wo es nothwendig zur Erklarung gehorte, in 
den Quellen nachzuforschen, denn was er hieriiber beibringt, ist 
ganz oberflachlich und allgemein gehalten. Ueber Dante's 
Schicksal z. B. berichtet der Commentator zu Inf. XV nichts 
mehr als dass er in der Parteiung der Schwarzen und Weissen 
zum gemeinen Besten geredet habe, wesshalb, wie man sagt 
(onde dicesi), er bei den Machthabern des Staats verdachtig 
wurde und Florenz verlassen musste (p. 363). Warum ein altes 
Sprichwort die Florentiner blind nenne, sei nicht nothig weiter 
zu untersuchen (ib.); die Legende von der verhangnissvollen 
Heirat des Ritters Buondelmonte ist ohne Namen und nahere 
Umstande bloss nach dem, was man sagt (dicesi), mitgetheilt 
(p. 636), die Geschichte des gibellinischen Parteihauptes Messer 



— 71 — 

Farinata degli Uberti iiach dem, was der Commentator bei den 
alten Auslegern des Dichters gefunden (p. 231, secondo ch' io 
ho raccolto da altri spositori). Nicht einmal die Chronik des 
Villani, so wenig wie eine andere Geschichtsquelle aus Dante's 
Zeit, scheint Guiniforte gekannt zu habeni Sein Commentar ist 
uberhaupt nach der historischen Seite bin vollig worthies. Die 
elegante Oberflachlichkeit, welche darin vorherrscht, charakteri- 
sirt in gleicher Weise den Autor als Orator und Diplomat des 
mailandischen Hofs, wie seinen fiirstlichen Auftraggeber und 
das vornehme Publicum, fiit welches er schrieb. 



13. Comento di Christophoro Landino Fiorentino 
sopra la comedia di Dante poeta excellentissimo, 1481, im- 
presso in Firenze per Nicholo di Lorenzo della Magna 

(s. die Beschreibung dieser editio princeps sowie der zahlreichen 
spateren Ausgaben bei De Batines T. I). 

Der grosse Commentar des Cristoforo Landino fiihrt uns 
in die wissenschaftlichen Studien und das geistige Leben des 
Mediceischen Gelehrtenkreises zu Florenz ein. Im J.' 1434 zu 
Florenz geboren,*) gewann Landino die Gunst des feinsinnigen 
Cosimo dei Medici, theilte die philosophischen Studien des be- 
riihmten Uebersetzers des Platon und des Plotin, Marsilio Ficino, 
erhielt 1457 den Lehrstuhl der Poesie und Beredsamkeit in 
Florenz und nahm spater, als Secretar der Republik und Kanzler 
der Guelfenpartei, auch Antheil an den oflFentlichen Geschaf- 
ten; er uberlebte noch den Enkel des Cosimo, den erlauchten 
Lorenzo dei Medici, welchen er zu seinen Schiilem zahlte, und 
starb 1504 zu Pratovecchio, wo er die letzten Jahre in stiller 
Zuriickgezogenheit zubrachte. Neben anderen literarischen Ar- 



*) Bandini, Specimen litteraturae Florentinae saec. XV, 2 Voll. Flor. 
1748 vgl. A. V. Eeumont, Lorenzo de' Medici I, 561, II, 40. Tiraboschi, 
Storia Lib. Ill § 51 hat nach einer Briefstelle das gewohnlich als 1424 
angegebene Geburtsjahr mit 1434 berichtigt. 



/ 



— 72 — 

beiten, lateinischen Poesien, Commentaren iiber Horaz und Vir- 
gil, eiBer Uebersetzung der Historia naturalis des Plinius und 
einer moral-philosophischen Abhandlung unter dem Titel: Dis- 
putationum Camaldulensium libri quatuor, ist der Commentar 
iiber Dante als sein Hauptwerk zu betrachten. 

Mit welchem Eifer das Studium des Dante zur Zeit Lan- 
dins betrieben wurde, beweisen wie andere gleichzeitig in Flo- 
renz entstandene Schriften — die Uebersetzung von Dante's 
Monarchie durch Marsilius Ficinus, die Abhandlung des Antonio 
Manetti iiber die Gestalt und die Maasse der HoUe — so nicht 
minder die hohe Werthschatzung des Dichters von seiten des 
Lorenzo de' Medici selbst, welcher die gottliche Komodie von 
friiher Jugend an auswendig wusste,*) am moisten aber der 
ausserordentliche Beifall, welchen Landins Commentar bei den 
Zeitgenossen fand. 

Landin hat sein Work im J. 1480 verfasst**) und im fol- 
genden Jahr mit einer Widmung an die florentinische Republik 
herausgegeben. In der Widmung ist gesagt: nachdem er den 
allegorischen Sinn von Virgils Aeneis in lateinischer Sprache 
erklart habe, woUe er nun auch den verborgenen und gottli6hen 
Sinn der*Komodie des Dante in toscanischer Sprache erlautern 
und zugleich den Text, gereinigt von barbarischen Idiomen, wo- 
durch ihn die Commentatoren verdorben haben, in seiner wahren 
Lesung wiederherstellen. Von den friiheren Commentatoren 
nennt er die beiden Sohne des Dante, Piero und Francesco (wo- 
mit doch nur Jacopo gemeint sein kann), femer Benvenuto de 



*) Quaestiones Camaldul. L. FV, wo Lorenzo, der den Dialog mit 
Leo Baptista Alberti ftihrt, von sich sagt: Ego enim a prima pene pue- 
ritia ex utriusque parentis instituto adeo familiare universum opus Flo- 
rentini poetae mihi reddidi, ut pauci omnino sint in eo loci, quos ego — 
non facile ad verbum exprimerem. Vgl. Lorenzo's Urtheil uber die Dichter 
des 13. und 14. Jahrh. bei A. v. Eeumont a. a. 0. II, 3 ff. 

**) Dieses Jahr ist von dem Autor selbst wiederholt angegeben, in 
der Ausgabe Dante con Tesposizione di Christ. Landino e d' Alessandro 
Vellutello, Venezia 1596 fol., welcbe ich gebrauche, f. 4^: nel presente 
anno 1480, f. 6i> in questo anno della salute 1480. 



— 73 — 

Imola, den Carmeliter Theologen Ricardo, Andrea von Neapel 
und den Juristen von Bergamo Guiuiforte, ruhmt aber vorzugs- 
weise den Boccaccio wegen des sachlichen Worths • seines Com- 
mentars, wiewohl er ihn nicht bis iiber die Halfte des ersten 
Theils fortgesetzt habe, und neben diesem den Francesco Buti, 
der in Pisanischer Sprache (in lingua Pisana) am meisten da- 
fiir gethan, den allegorischen Sinn des Gedichts zu enthiillen. 
Aufifallender Weise geschieht hier keine Erwahnung weder von 
Jacopo della Lana noch von Ottimo, woraus zu schliessen^ wio 
sich dies auch durch die Nicbtbenutzung beider noch mehr be- 
statigt, dass sie ihm voUig unbekannt waren. 

In welchem hoheren Sinn als die friiheren Gommentatoren 
Landino die gottliche Komodie erfasst und erklart haben will, 
entnehmen wir schon im allgemeinen aus der von ihm voraus- 
geschickten Betrachtung iiber das Wesen und den gottlichen 
Ursprung der Poesie. Nach Aristoteles und Plato waren in den 
altesten Zeiten die Dichter zugleich Theologen; die Poesie ist 
nicht bloss eine der freien Kiinste, sondern viel gottlicher als 
diese umfasst sie alle miteinander, kleidet alles menschliche 
Denken und Wissen in wunderbare Erfindungen ein und iiber- 
tragt es in andere Formen; wahrend sie den Schein annimmt, 
von niedrigen Dingen zu erzahlen und blosse Fabeln zur Er- 
gotzung miissiger Horer vorzutragen, verbirgt sie darunter das 
Hohere, das aus der Quelle der Gottheit stammt. 

Aehnlich wie Marsilius Ficinus die christliche Religion und 
Theologie mit der Philosophic der Alten verband, ohne sie doch 
ineinander aufgehen zu lassen, war Landino bemiiht, unter der 
Hiille der Dichtung die verborgene Weisheit und hochste Wissen- 
schaft aufzudecken. Als treuer Interpret will er unter Anrufung 
der gottlichen Hiilfe, nicht bloss den buchstablichen Sinn von 
Dante's Diohtung, sondern auch den allegorischen, tropologischen 
und anagogischen eroflEnen,,welche drei Sinne er jedoch wegen 
ihrer nahen Verwandtschaft unter dem Begriff des allegorischen 
zusammenfasst. 

Also Allegoric ist das wahre Wesen der Poesie! Diese Auf- 
fassung hat fur Dante's Dichtungen die gute Berechtigung, dass 



— 74 - • 

ja der Dichter selbst sich zu ihr bekennt und danach, wie im 
Convito seine Canzonen, so in dem Widmungsbrief des Para- 
dieses an Caen della Scala die gottliche Komodie selbst ausge- 
legt hat: doch mit der gleich wesentlichen Begrenzung, ohne 
welche die Dichtung nur ein unniitzer Umweg oder iiberfliissiger 
Zierrath ware, dass sie auch an sich d. i. im buchstablichen 
Sinne schon sei, wie Dante seine zweite Canzone am Schluss 
zu denen sagen lasst, die ihren inneren Sinn nicht verstehen: 
Ponete mente ahnen com' io son bella. Nun ist aber sehr be- 
merkenswerth, wie Landin mit der philosophischen Bildung des 
akademischen Kreises, dem er angehorte, ausgehend von Dante's 
allegorischer Dichtung, die gleiche Interpretation auf dessen 
antikes Vorbild, den Virgil, iibertragt und wieder von hier aus 
zu Dante zuriickkehrend, diesen gleichsam Uberallegorisirt. Um 
sich daher mit solcher Anschauungsweise naher vertraut zu 
machen ist es nothig, vorerst einen Blick auf seine Erklarung 
von Virgils Aeneis zu thun, wie er sie nach ihrem ganzen Zu- 
sammenhang in den von ihm selbst im Dante-Commentar ofter 
citirten Disputationes Camaldulenses vortragt *) 

Dort namlich werden in den beiden ersten Buchem die 
allgemeinen Principien der Ethik in Bezug auf das beschau- 
liche und thatige Leben und auf die Frage nach dem hochsten 
Gut behandelt und davon im dritten und vierten die Anwendung 
auf die Aeneis gemacht. Was unter Troja, Aeneas, Italien zu 
verstehen sei, soil gezeigt werden. Aeneas ist das Sinnbild des 
irrenden Menschen, der endlich zum Ziel der Tugend und wahren 
Gliickseligkeit gelangt; der Held vertheidigt Troja, das Land 
seiner Heimat, das Sinnbild der sinnlichen Lust, worin der in 
sie versunkene Paris untergeht. Seine himmlische Mutter Ve- 



*) Landin war tibrigens nicht der erste, der die allegorische Er- 
klarong auf die Aeneis anwendete. Abgesehen von dem alteren Werk 
des Fulgentius, Virgiliana Continentia (s. Ad. Ebert, Gesch. der Literatur 
des M. A. S. 457) finden sich ganz ahnliche Deutungen schon bei Petrarca 
in seiner Schrift De contemptu mundi, s. ECrting, Fetrarca's Leben und 
Werke, 1878, S. 504. 



— 75 — 

nu8 ist die gottliche Liebe, welche ihn antreibt Troja zu ver- 
lassen, wo ihn seiii irdischer Vater Anchises festhalteh will, 
um Italien, das Land der Tugend und Gliickseligkeit, welche in 
der Erkenntniss .der gottlichen Dinge besteht, aufzusuchen. Die 
Irrfahrten der Reise und die Hindemisse, denen er begegnet, 
sind die sinnlichen Begierden und Leidenschaften: Thraci^n, 
wo Mars verehrt wird, bedeutet die Habsucht (habendi libido), 
den auf Erwerb durch Gewaltthat gerichteten Sinn; Kreta, wo- 
hin die Fahrt durch Missverstanduiss des Ausspruchs von Apollo 
zuerst geht, stellt die Macht vor, welche der Sinnenreiz iiber 
uns ausiibt; die Harpyien bedeuten den Geiz, Scylla und Cha- 
rybdis wiederum die grossen Begierden der Wollust und Hab- 
sucht, die Cyclopen die Menschen verzehrende wilde Tyrannei. 
Sicilien ist das Land der niederen Vemunft, abgerissen von 
Italien als dem Lande der hoheren Vemunft; Karthago das 
Bild des wohleingerichteten Staats und des thatigen Lebens, 
wie Italien das des beschaulichen; Dido bedeutet die schwache 
durch falsche Ueberredung und Unenthaltsamkeit zu Fall ge- 
brachte Tugend. Aeneas muss erfahren, dass zur Erkenntniss 
der hoheren Dinge nicht zu gelangen ist, ohne die niederen zu 
verachten: die Gottin Juno, welche ihm immer neue Hinder- 
nisse bereitet, ist das Sinnbild der Ehre und Herrschaft; durch 
die Ermahnung des Gotterboten und durch die RUcksicht auf 
den Sohn und kiinftigen Erben, Ascanius, welcKer das zukiinf- 
tige und ewige Leben bedeutet, wird Aeneas bewogen, Karthago 
und Dido zu verlassen; er erreicht endlich Italien, muss aber 
dort erst noch in die Unterwelt hinabsteigen, um die Welt der 
Laster in ihrem ganzen Umfang kennen zu lernen und sich 
von ihrer Schuld zu reinigen, damit er zu den Elysischen Fel- 
dern gelange.*) Hiermit schliesst die Erklarung der Aeneis, 
nachdem sie ihr Ziel mit dem Abschluss der Allegoric schon 



*) Hac igitur ratione impulsus Maro, cum ad summum bonum 
perducere hominem velit, ita Aeneam instituendum curat, ut primo 
yitia omnia edoceat, delude illis eum expiatum ad campos Elysios 
perducat. 



— 76 — 

lange vor dem Ende des Gedichts selbst erreicht hat; ihre 
Fortsetzuag durch alles weitere konnte nur ermiidende Wieder- 
holung derselben Gedanken in anderer Einkleidiing sein und 
wiirde damit nicht minder die Ueberflussigkeit d,es ganzeti Restes 
der Dichtung darthun. 

Man sieht, dass Landin in seiner Erklanung des Virgil 
nicht bloss die allegorische Auffassungsweise, sondem auch den 
Grundgedanken der AUegorie selbst nebst ihrer ganzen Aus- 
fuhrung aus Dante's gottlicher Komodie heriibergenonunen hat, 
so dass eigentlich beide, das antike und das moderne Epos, 
nur mit anderen Symbolen ein und dasselbe bedeuten; seine 
Meinung ist aber natiirlich nicht, wiewohl er dies wirklich thut, 
den alten aus dem neueren Dichter zu erklaren, sondern um- 
gekehrt den Virgil als Dante's Vorbild in den Grundgedanken 
der gottlichen Komodie wiederzufinden. 

Hier beginnt die Wanderung durch die jenseitigen Reiche 
mit derVerirrung des Menschen im Walde — der wie die grie- 
chische Hyle den korperlichen Leib, welcher die Seele gefangen 
halt, bedeutet — und endet mit der speculativen Anschauung 
des hochsten Guts in der Gestalt der gottlichen Dreieinigkeit. 
Der MeHsch weiss nicht, wie er in den Wald kommt* d. h. wie 
seine Seele in den Leib eintritt, womit er viele Fehler annimmt, 
wesshalb er in diesem Punkt voU Schlafs ist, bis die Vemunfb 
auf der Mitte des Wegs, womit kein bestimmtes Lebensjahr ge- 
meint sein soil, erwacht. Der rechte Weg ist die moralische 
Tugend als Mitte zwischen zwei fehlerhaften Extremen; um ihn 
zu finden, bedarf es des Lichts der Vernunft. Der Berg, zu 
welchem er hinauffuhrt, ist die Contemplation, auf dessen Hohe 
die Sonne der Weisheit leuchtet, wie bei Virgil der goldene 
Zweig, den die Tauben dem Aeneas anzeigen; fest steht immer 
der untere Fuss beim Aufsteigen, weil die Contemplation in der 
Ordnung des Denkens fortschreitet, oder so dass (wie auch 
Buti annimmt) der untere Fuss die. Liebe zu den geringeren 
Dingen bedeutet, von wo aus der andere zu den hoheren auf- 
steigt. Die drei Thiere, welche als Hindemisse in den Weg 
treten, sind dieselben Verirrungen, welche den Aeneas von dem 



— 77 — 

hochsten Gut als dem Ziele seiner Fahrt abhielten: das Panther- 
thier, als sinnliche Lust, ist dort Troja, welches Aeneas nicht 
verlassen wollte, bis ihm seine Mutter Venus die gottliche Liebe 
einflosste; die Wolfin, als Habsucht, ist dort Thracien, die stro- 
phadischen Inseln und noch vieles andere; der Lowe, als Ehr- 
geiz, ist dort die den Trojanern feindliche Gottin Juno. Virgil 
selbst, der dem verirrten Menschen zu Hiilfe kommt, bedeutet 
allegorisch die Moralphilosophie und die heidnische Wissenschaft 
(allegoricamente piglia Virgilio per la filosofia morale et per 
tutta la dottrina de' gentili): er erscheint heiser, weil die Ver- 
nunft in dem von Sinnlichkeit befangenen Menschen sich an- 
fangs nur schwach vernehmen lasst (so erklarte dies schon Pietro 
di Dante), oder weil die lateinische Sprache und insbesondere 
Virgil viele Jahrhunderte hindurch nur schlecht verstanden 
wurden; unerklart lasst Landin den Vers: Nacqui sub Julio 
ancorche fosse tardi. Die Weissagung von dem Windhund, 
welcher die Wolfin in die HoUe zuriicktreiben und Italien retten 
wird, ist von dem Dichter absichtlich dunkel gehalten, gleich- 
wie bei Virgil: Jam redit et virgo, redeunt Satumia regna. 
Landin will sie mit vielen anderen Auslegern auf Christus be- 
ziehen, welcher den Menschen statt der Unwissenheit Weisheit, 
statt des Ungehorsams Liebe und statt der Laster moralische 
Tugend einflossen wird, und erklart (wie Pietro di Dante und 
andere) tra feltro e feltro: cioe tra cielo.e cielo, weil der Him- 
mel mit dem im Filz verdichteten Haar zu vergleichen sei: 
also ist die kiinftige Erscheinung Christi als des Weltrichters 
gemeint und unter Italien jedes Land zu verstehen, wo man 
im Christenthum lebt. Hierzu kommt aber noch die bemerkens- 
werthe Aeusserung des Commentators: Dante habe als vortreflF- 
licher Mathematiker gewisse Revolutionen der Hinunel vorher- 
gesehen, durch deren wohlthatigen Einfluss die Habsucht auf- 
horen werde; und in der That sei am 25. November 1484 
eine Constellation von Saturn und Jupiter im Scorpion zu 
erwarten, womit eine Religionsverbesserung angekiindigt werde, 
zwar nicht der Religion selbst, denn keine kann wahrer sein 
als die unsrige, aber eine Besserung des Lebens und der Re- 



— 78 — 

gierung des christlichen Reichs (f. 7^: la onde non potendo 
essere religione alcuna piu vera che la nostra, havro adunque 
ferma speranza che la Republica chnstiana si ridurra a ottima 
vita et governo). Also Weissagung von einer nahe bevor- 
stehenden KirchenreformationI Uebrigens hatte auch schon 
Pietro di Dante den Veltro und Dux bei der Conjunction 
der genannten Planeten im J. 1344 oder 1345 erwartet (s, 
oben S. 27.) 

Zum Anfang des zweiten Gesangs gibt die Anrufung der 
Musen und des Genius der Dichtung Landino die Veranlassung 
zur allegorischen Erklarung der ersteren nach Boccaccio, und 
zu einer philosophischen Abhandlung iiber die Seelenkrafte, 
deren Terminologie er, ebenso wie Guiniforte, aus Pietro di 
Dante oder Buti (s. o.) entlehnt. Weiter folgt eine Erorterung 
iiber das thatige und das beschauliche Leben, wovon der Autor 
bereits ausfuhrlich in den camaldulensischen Disputationen gOT 
handelt hat, denn Aeneas und Paulus, auf deren Vorgang sich 
Dante bezieht, bedeuten wieder nichts anderes als der erstere 
das thatige, der andere das beschauliche Leben, wie Dante selbst 
die niedere und Virgil die hohere Vemunft. 

So bewegt sich dieser weitschichtige Commentar von An- 
fang bis zu Ende immer nur in demselben Kreis moralphilo- 
sophischer Begriffe, worin jede Schonheit der Poesie in dem 
farblosen Grau der Abstraction untergeht. Die Dichtung ver- 
stehen, heisst hier nicht bloss den dichterischen Gedanken auf- 
finden, wo und in der Art, wie er ihr wirklich zu Grunde liegt, 
sondem sie wird als die mehr oder weniger durchsichtige HUUe 
eines philosophischen Systems aufgefasst, welches ihr erst den 
angeblich hoheren Worth verleihen soil. Und diese Art der 
Auslegung erstreckt sich mit gleicher Sicherheit wie auf den 
Sinn des Gedichts, so auch auf die darin vorkommende Mytho- 
logie, die heilige und profane Geschichte. So z. B. bedeutet 
der Fahrmann der Unterwelt bei Dante wie bei Virgil, nach 
Landins Ausfiihrung in beiden Commentar en, den Uebergang 
des menschlichen WiUens zum Sundigen, der Fluss Acheron die 
Bewegung der Seele zur Siinde, Charon die freie Willkiir, das 



— 79 - 

Schiff den Willen, das Ruder, womit es gelenkt wird, die Wahl. 
Der Hollenrichter Minos ist das Gewissen der Verdammten und 
der Schweif, durch dessen Umschlingungen er jedem seinen 
Ort anweist, driickt als hinterster Theil des thierischen Korpers 
symboliscli aus, dass der siindige Mensch die Gewissensbisse 
erst hinterher am Ende seines Lebens empfindetl Der HoUen^ 
hund Cerberus mit seinen drei Rachen bedeutet die leiblichen 
Bediirfnisse als Essen, Trinken und Schlafen, ohne welche das 
Thier nicht loben kann; die drei Gesichter des Lucifer von ver- 
schiedener Farbe, das rothe den Zom, das weisse die Habsucht 
Oder den Neid, das schwarze die TragheitI Die Flucht Israels 
aus Aegypten ist das Verlassen der Religion der Heiden, wobei 
der Herr Gold und Silber mitzunehmen befahl, namlich das 
Gold der Weisheit und das Silber der Beredsamkeit (f. IP), 
und dergleichen mehr. 

Bemerkenswerth i^t auch noch, wie Landin, durch blosse 
Umdeutung in die Abstraction, den Dichter auch da zu recht- 
fortigen weiss, wo er sich im Widersprtich mit seinem politischen 
System oder wenigstens dessen historischer Begrundung findet. 
Dies ist namentlich der Fall bei der Erklarung der wichtigen 
Stelle Inferno XXXIV, wo Brutus und Cassius zugleich mit Ju- 
das Ischarioth als Hauptyerrather des Menschengeschlechts im 
untersten Hollenpfuhl durch Lucifer zermalmt werden. Landin 
hat sich anderswo als entschiedener Guelfe bekannt:*) wie wird 
er sich nun mit dem Gibellinismus Dante's VBrtragen? Sein 
historisches Urtheil iiber Casar und Brutus ist total verschieden 
von dem des Dichters und einigermassen auffallend bei einem 
Bewunderer und Diener des Lorenzo dei Medici. Denn von 
Casar sagt er, bei aller sonstigen Anerkenuung seiner grossen 
Thaten und Eigenschaften, dass er damals, als er nach Tyrannei 



*) In einem Brief an Maestro Paolo Lucchese (abgedruckt in Ban- 
dini, Speqmen litt. Flor. II, 116) setzt er diesem auseinander, dass die 
guelfische Gesinnung die allein wahre und florentinische sei, die, welche 
auch die papstliche Autoritat gegen die Angriffe der falschen Tyrannei 
vertheidigt habe. 



— 80 — 

strebend den Rubico iiberschritt, aus einem vortrefflichen Men- 
schen ein hochst grausames Thier (immanissima fiera) geworden 
sei und alle empfangenen Wohlthaten der Republik nur mit 
schandlichen Verbrechen vergolten habe; und wie es keine gros- 
sere Biirgertugend gebe, als das an dem Yaterland begangene 
Unrecht zu rachen, so sei nach den Gesetzen einer jeden gut 
eingerichteten Republik der Mord des Tyrannen immer als 
hochstes Verdienst geachtet und belohnt worden; darum glaube 
er auch, dass gleichwie der heilige Gregor durch seine Fiirbitte 
den gerechten Kaiser Trajan aus der ewigen Verdammniss zur 
hQchsten Gliickseligkeit errettete, ein andrer Gott gefalliger 
Heiliger dasselbe fur Brutus erwirkt habe. Dennoch will Lan- 
din den Dichter wegen seiner Conception keineswegs tadeln, 
vielmehr dessen wahre Meinung darlegen: namlich unter Casar 
verstehe derselbe nicht den historischen Julius Casar, sondem 
das Reich (I'imperio) und unter Brutus und Cassius nicht die, 
welche jenen verbrecherischen Freiheitsrauber ermordeten, son- 
dem die, welche den wahren Monarchen todten (per chi uccide 
il vero Monarca). Wem faUt hierbei nicht Goethe's Spruch ein? 
JlJH Auslegen seid frisch und munter, legt ihr's nicht aus, so 
legt was unter*.*) 

In solcher Weise hat Landin, die Divina Conunedia um- 
deutend, wie er sich riihmt, seine Vorganger Boccaccio und 
Buti, welche sich am meisten bemiiht batten den allegorischen 
Sinn des Gedichts zu oflfneu) durch tiefere Forschung iiber- 
troflfen.**) Diese beiden hat er auch vorzugsweise benutzt, da- 
Beben gelegentlich noch den Pietro di Dante zu Rath gezogen, 
in der Regel ohne sie besonders zu citiren, nachdem er sie im 
allgemeinen im Vorwort genannt hat. Bei der geschichtlichen 
Auslegung aber diente ihm neben Boccaccio vorzugsweise Ben- 
yenuto da Imola als Quelle. Auch da wo beide nur aus Vil- 



*) Vgl. Ubrigens hierzu Vellutello unten. 

**) Ma a me e parato di«ripetere la mente et il proposito di Dante 
da pit! alto principio et investigare in lui con perpetuo tenore pid re- 
condita dottrina. 



— 81 — 

lani schopften, erspart sich Candin gewohnlich die Miihe auf 
den Chronisten selbst zuriickzugehen: so erzahlt er z. B. die 
Geschichte von der Heerfahrt der Pisaner nach den Balearen 
zu Inf. XV, 67 nur nach Boccaccio den er citirt, und schreibt 
aus Benvenuto da Imola zu Inf. XII, 134 die Geschichte von 
Attila ab, wie aus dem von ihm mit heriiber genommenen fal- 
schen Citat: come scrive Paolo Dia^ono (vgl. Benv. da Imola, 
Tambur. I, 315), ersichtlich ist. Aus Boccaccio (Lez. 46) ist zu 
Inf. Xn, 110 die Geschichte des Tyrannen Ezzelin da Romano 
nebst den Citaten aus der Tragodie des Paduaners Mussatus und 
der Chronik des Villani abgeschrieben, aus Benvenuto (Tam- 
bur. I, 268) zu Inf. X, 119 die schlechte Anekdote, wie Kaiser 
Friedrich II die Prinzessin von Antiochia verfiihrte (s. o. S. 48). 
Doch spricht Landin bei dieser Gelegenheit, trotz seiner guel- 
fischen Gesinnung, ein unbefangeneres Urtheil als das sonst land- 
laufige iiber den grossen Kaiser aus, wenn er von ihm sagt, 
dass er mit grosser kriegerischer Kraft und hohem Geist be- 
gabt, gleich gefiirchtet von den Christen wie von den Sarazenen 
war, und ware er nicht durch den Trug des Papstes gereizt 
word«n, so hatte er sich auch wohl nicht so grausam gegen 
die Kirche bewiesen, so dass man ihn mit Recht unter die 
Ketzer gesetzt habe (f. 64*). 

Dass iibrigens Landin natiirlich auch den wichtigsten Chro- 
nisten seiner Yaterstadt gekannt hat, beweisen andere Stellen, 
wo er Villani unraittelbar benutzte. So erzahlt er zu Inf. 
XIII, 149, mit Berufung auf Villani, die Sage von der Zer- 
storung von Florenz durch Attila, fiigt aber aus Benvenuto 
(s. Tambur. I, 343), den er nicht nennt, die kritische Bemerkung 
hinzu, dass Paulus Diaconus nichts von Attila's Ankunft in Tos- 
cana und Florenz wisse, und aus eigner Kenntniss die andere 
in Bezug auf die angebliche Wiedererbauung von Florenz durch 
Karl den Grossen, dass ^Alchindo', welcher mit grossem Fleiss 
die Thaten Karls beschrieb, nur von einem zweimaligen Auf- 
enthalt desselben zu Ostern in Florenz berichte: — wo man 
den rathselhaften Namen des Chronisten wohl als Alcuin zu 
erklaren hat, doch so dass er, weil Alcuin selbst keine Ge- 

Hogelf Dante- Commontaro. 6 



— 82 — 

schichte des grossen Karl geschrieben hat, allegorisch etwa 
den Eginliard bedeutet.*) 

Ueber die Parteikampfe von Florenz zu Dante's Zeit ist 
zu Inf. VI, Purgat. XX, 70, nur Villani in aller Kiirze excer- 
pirt. Zu Inf. X, 91 citirt Landin beziiglich der Rede, welcbe 
der Gibellinenfiihrer Farinata degli Ubcrti in Empoli gehalten 
hat, die florentinische Geschichte des Leonardo Aretino, worin 
jene mehr als bei Villani VI, 81 oratorisch ausgeschmiickt 
ist. In der Lebensgeschichte des Dichters, welche dem Com- 
mentar vorausgeschickt ist, ist nichts enthalten, was nicht schon 
in der Vita von Boccaccio nnd in der von Leonardo Aretino 
zu finden ware. Und was sonst der Commentar iiber Person- 
lichkeiten und Thatsachen aus Dante's Zeit bringt, ist meist 
nur nach Benvenuto wiederholt, wie z. B. die Geschichte von 
dem Kirchendiebstahl des Nanni Fucci in Pistoja zu Inf. XXIV, 
125 (vgl. die Uebers. von Tamburini I, 579) u. a. 

Bei solcher im ganzen nur diirftigen Quellenbenutzung ist 
nun aber schliesslich noch eine Quelle hervorzuheben, welche 
unsere Aufmerksamkeit im besonderen Grade auf sich zieht, 
weil sie den in neuester Zeit viel besprochenen Ricordano 
Malespini betrifft. Bei der Aufzahlung der alten florentinischen 
Geschlechter namlich in Parad. XVI fiihrt Landin zu f. 85 die- 
sen Chronisten unter dem Namen Perdano Malespini an, 
als einen sehr zuverlassigen Schriftsteller aus der Zeit von 
1200,**) theilt aus ihm die Beschreibung des ersten Umkreises 
des romischen Florenz (nach Malesp. ed. Giannini c. 27), wie 
die des zweiten nach Wiederherstellung der Stadt durch Karl 



*) Wiewohl auch die Lorscher und Eginhards Annalen nur von einem 
Weihnachtsaufenthalt Earls im J. 786 berichten. Das Citat stammt ver- 
muthlicli aus derselben sagenhaften Quelle, nach welcher Villani III, 3 
die Ankunft Karls in Florenz nach dessen Wiederherstellung erz&hlt, 
woselbst er zu Ostem 805 viele Ritter geschlagen und die Kirche von 
St. Apostolo im Borgo gegriindet haben soil. 

**) f. 339 »: E noi a questa parte felice acconsentiamo a Perdano 
Malespini scrittore di croniche, huomo se non dotto e eloquente, almen 
molto fedele et diligente, et che in tutte le cose s^ngegna di indurre 



- 83 — 

den Grossen (nacli c. 44) wortlich mit, und folgt ihm welter 
noch (nach c. 57 und 58) in dem langen Geschlechterverzeich- 
niss nebst Angabe ihrer Wohnorte in der Stadt^ wobei er je- 
doch mehrere Einscbaltungen beziiglich derjenigen Geschlechter 
macht, welche dort nicbt genannt sind, aber in spaterer Zeit 
beriihmt waren, obenan die Medici und mit diesen die Altoviti, 
Ricci, Albizzi, Strozzi u. a.;*) ebenso bei der spateren Stelle 
Parad. XVI, 136, wo von dem Anfang der Parteiung in Fiorenz 
die Rede ist, in dem Verzeicbniss der guelfischen und gibel- 
linischen Geschlechter, wo Malespini (c. 105) in Einzelheiten 
von Villani (V, 39) abweicht. 

Es ergibt sich aus dieser Benutzung der Chronik des Ma- 
lespini, dass Landin an der Echtheit und Glaubwiirdigkeit der- 
selben, deren Abfassungszeit er in die Zeit setzt, welche ihr 
Autor selbst angibt (c. 41), nicht im mindesten zweifelte, wo- 
bei die Art und Weise, wie er sie anfuhrt und dem Leser 
bokannt macht, zugleich darthut, dass sie im allgemeinen nur 
w^enig bekannt war. An einem andern Ort (Ueber die Anfange 
der florentinischen Geschichtschreibung, Historische Zeitschr. 1876 
S. 60) habe ich die Vermuthung ausgesprochen, dass die von 
Scheffer-Boichorst erwiesene Falschung des Malespini wahr- 
scheinlich aus dem Kreise der seit 1343 aus Fiorenz vertrie- 
benen Rittergeschlechter hervorgegangen sei. Spater als das 
14. Jahrhundert kann die Zeit ihrer Abfassung nicht gesetzt 
werden, wenn die Angabe des Herausgebers FoUini (Fir. 1816), 
dass eine Hds. der Magliabechiana diesem Jahrhundert ange- 
hore, richtig ist. Doch habe ich noch keine friihere Erwahnung 
der Chronik als bei Landin gefunden. Der *von ihm gebrauchte 



testimonio. Costal fu neir anno mille e dugento della nostra salute. 
Furono adunque le prime mura etc. Derselbe Name Perdano M. ist nach- 
her noch zweimal genannt, gleichlautend in alien Landinausgaben die 
ich gesehen. 

•) Dipoi furono chiamate dal popol Florentine et anco donate dal 
lato della civility, dodici famiglie, tra le quali furono Medici, i quali 
molte volte hanno bavuto la somma del governo della Fiorentina Repu- 
blica, et Altoviti etc. 

6* 



- 84 — 

Vomame^ Perdano ist sonst nicht weiter beglaubigt; aber auch 
der gewohnlicb angenommene Ricordano hat keine sichere 
Gewahrschaft, da die Lesung der Hss. selbst schwankt und 
Ricordano iiberhaupt sonst nicht als Namensform vorkommt 
(s. die Vorrede von Follini, welcher dafiir Guardino setzen 
mochte). — 

Im allgemeinen gilt von den Dante-Comihentaren des Mittel- 
alters, die wir der Reihe nach durchgenommen haben, dass je 
weiter sie von der Zeit des Dichters abliegen, um so geringer 
ihr Worth fur die geschichtiiche Erklarung der gottlichen Ko- 
modie ist. Das Interesse an der Zeitgeschichte des Dichters 
erscheint in dem Maasse abgeschwacht, als die Commentatoren 
sich wenig oder gar nicht mehr von den grossen Gegensatzen 
der Kirche und des romischen Reichs, wie der. politischen Par- 
teien, in denen Dante lebte, innerlich beriihrt fanden. Wenn 
noch Guiniforte in Mailand Scheu trug von den florentinischen 
Parteien viel zu sagen, um nicht alte Leidenschaften und 
Schmerzen aufzuregen, so zeigt der wenig spatere Florentiner 
Landin keine Spur mehr von Bedenken solcher Art, und wenn 
jener es vermied fiber das Verderben der Kirche und die Aus- 
artung der GQistlichkeit sich auszulai3sen, um nicht an einer 
gefahrlichen Klippe anzustossen, so steht Landin auch in dieser 
Beziehung auf freierer Hohe, ohne doch dariiber, gleichwie als 
eine selbstverstandlicho Sache, viel Worte zu mach^n, und vollig 
kalt lasst ihn der Schmerzensausruf des Dichters iiber die Zu- 
stande Italie^s in Purgat. VI, der noch bei Benvenuto von 
Imola einen so tiefgefiihlten Wiederhall fand. 

Die eigenthiimliche Bedeutung des beriihmten Works von 
Landin liegt, wie wir sahen, in der allegorischen Erklarung, 
welche hier schliesslich auf eine solche Spitze getrieben ist^ 
dass die gottliche Komodie nur als Einkleidung eines allgemein 
giiltigen moralphilosophischen Systems erscheint. Und diese 
Auffassung entsprach so sehr der herrschenden Bildung der 
Zeit, dass fortan die alteren Commentare durch den von Landin 
verdrangt wurden und fast in Vergessenheit kainen. Nur wenige 



-1 



— 85 — 

Jahre vorher war zu Mailand 1478 die Dante- Ausgabe von 
Nidobeat erschienen, worin Terzago Guidi von Novara in dem 
sie begleitenden Commentar noch den Jacopo della Lana zu 
Gmnde gelegt hatte.*) Nacb der ersten Veroflfentlicbung des 
Landiniscben Commentars folgten im 15. und 16. Jahrhimdert 
eine ganze Reihe von neuen Abdriicken, die meisten in Venedig, 
welche den deutlichen Beweis von der hohen und allgemeinen 
Werthschatzung wie des Dichters so des Commentators ab- 
geben.**) 



Nicht friiher als 1544 wagte es Alessandro Vellutello aus 
Lucca (gest. 1566) mit einem neuen Dante-Commentar hervor- 
zutreten. 

14. La Comedia di Dante Aligieii con la nova espo- 
sitione di Alessandro Vellutello. Vinegia per Francesco 
Marcolini 1544. 

Das Work ist dem Papst Paul III gewidmet, und zwar 
weil er als Nachfolger des bochsten Monarcben liber alle drei 
Reiche, von denen der Dichter handelt, berrscbe. Man wird 
hiemach Uberall eine stark guelfisch ausgepragte Tendenz er- 
warten; docb spricbt sicb solcbe sonst weder iiberhaupt, 
noch im Gegensatz gegen den Dicbter aus, und dass sie 
Vellutello nicbt in der unbefangenen Auslegung binderte, be- 
weist z. B. dass er nocb weniger als Landin Bedenken tragt, 
den grossen Verzicbt aus Feigbeit (Inf. Ill, 59) auf die Ab- 
dankung des Papstes Colestin V zu bezieben, wobei er den 
Dichter nicbt etwa damit recbtfertigt, dass die Heiligsprechung 



*) Nach Witte's Bemerkung, Dante-Forschungen S. 364 hat Terzago 
jedoch den urspriingllchen Commentar vielfach ver&ndert and bedeutende 
Zu8S.tze hinzugefUgt. 

**) De Batines Bibliografia Dantesca I p. 36—59 beschreibt 7 Aus- 
gaben aus den beiden letzten Decennien des 15. Jahrh., h&lt aber 
^indestens 15 filr authentisch. 



-f 



— 86 — 

dieses Papstes erst spater erfolgte, sondem seine Meinung sei, 
dass Colestin durch seinen Verzicht der Kirche einen schlechten 
Dienst erwiesen habe. 

Im Vorwort rechtfertigt Vellutello seine neue Textesaus- 
gabe der Divina Commedia damit, dass der hochgeschatzte Al- 
dinische Druck (Venetiis aedibus Aldi MDII) ebenso fehlerhaft 
sei, wie die meisten Handscbriften, wesshalb er den Text so 
bericbtigt babe, dass selbst der wiederauferstandene Dante es 
nicbt besser gekonnt hatte; mit mehr Bescbeidenbeit sagt er 
dann von seinem neuen Commentar, dass, wiewobl fast jeder- 
mann sicb bei der Erklarung des Christoph Landin beruhige, 
er doch seine von den fruberen Auslegern haufig abweichende 
Auffassung der Worte und des Sinns nicbt habe zuriickhalten 
woUen. Uebrigens zeigt sicb Vellutello seinem Vorganger Landin 
so sehr geistesverwandt, dass er ihm sowobl in der Art und 
der Anwendung der allegoriscben Erklarung, als aucb in den 
einzelnen Auslegungen ofter folgt, als von ihm abweicht, wobei 
er jedocb im allgemeinen zwei Vorziige vor ihm voraus hat, 
erstens den einer angemessenen Kiirze und zweitens, dass er 
nicbt darauf ausgeht, ein moralisch philosophiscbes System in 
das Gedicht hinein zu interpretiren, oder wie er dem Landin 
und andern vorwirft, dass sie mehr sicb selbst als das Gedicht 
auslegen (quelli espositori che lo sono a se piu jche all' autore), 
sondern sicb tiberall mehr an die Sache halt und was zu ihr 
gehort mit passenden Anfiihrungen und Belegstellen aus den 
alten Autoren oder aus der heiligen Schrift und den Kirchen- 
vatem erlautert. Wahrend er unniitzen Subtilitaten aus dem 
Weg geht, beweist er nicbt selten ein richtigeres Urtheil oder 
besseren Geschmack, wie er z. B. gleich im Anfang der Lan- 
din'schen Deutung des Waldes als Hyle, Stoff oder Korper, 
widerspricht und darin die Menge der Irrthiimer und falschen 
Wege, in denen sicb der Mensch verirrt, erkennt, und wie er 
schon im Vorwort die Deutung des Windhunds auf Christus 
als Weltrichter oder auf eine vorhergesehene Constellation der 
Planeten verwirft und statt dessen zu der Stelle im ersten Ge- 
sang selbst zuerst die von den meisten Neueren angenommene 



— 87 — 

Erklarung bringt, wonach unter deni Windhund, als Feinde der 
Wolfin d. i. avarizia, das Oberhaupt der Gibellinen Can della 
Scala, Herr von Verona, verstanden wird. Seine von Landin 
abweichende Meinung spricht er, wie sonst oft, so beziiglich 
der schon erwahnten Aeusserung desselben iiber die Morder des 
Julias Casar zu Inf. XXXIV mit den Worten aus: ware es auch 
ihre Absicht gewesen, die friihere Freiheit in Rom wiederher- 
zustellen, so batten sie doch bedenken soUen, ob dies uberbaupt 
moglich war und ob sie nicht durch Hinwegraumung des Casar 
den Zustand verscblimmerten; Casar sei kein Sulla oder Nero 
gewesen, sondern der Glanz des roniischen Namens, ein Furst, 
der alle andern vor und nach ihm ail Hochherzigkeit iibertraf, 
und der Himmel selbst babe durch Zeichen und Wunder sowie 
durch das Schicksal der Morder seine Missbilligung ihrer That 
kund gegeben; Dante babe dies alles wohl erwogen und darum 
den Casar nicht unter die Tyrannen im Blutstrom gesetzt, son- 
dern in den ersten Umkreis unter die edlen Trojaner, von 
denen er abstammte. Man sieht, wie Vellutello den Dichter 
aus ihm selbst erklaren, ihm koine fremde Meinung unter- 
schieben will. 

Ich iibergehe mit kurzer Erwahnung das besondere Ver- 
dienst, welches sich Vellutello in seinen Abhandlungen um die 
Beschreibung der drei Reiche des Jenseits nach Lage, Umfang 
und Gestalt erworben hat, worin er seine Vorganger, die floren- 
tinischen Akademiker Antonio Manetti, Girolamo Benivieni und 
Landin, jedoch mit offenbar viel zu weitgehender mathematischer 
und astronomischer Bestimmtheit, zu iibertreffen bemiiht war. 

Was. die historische Erklarung betrifft, so bemerkt Vellu- 
tello im Vorwort, dass man ihm vielleicht vorwerfen werde, 
dass er allzu kurz dariiber hinweggegangen sei, aber er wolle 
nicht Geschichtschreiber und Fabelerzahler sein, sondern sich 
bloss auf das nothigste beschranken und im ubrigen auf andere 
verweisen. Man findet daher in dieser Beziehung bei ihm nur 
wenig neues und selten andere als die schon von seinen Vor- 
gangem benutzten Quellen, wie das Chronicon Veronense, 
worauf er sich fiir die Geschichte des Can Grande della Scala 



— 88 — 

bezieht,*) welches nachmals von Muratori (SS VIII, 641) heraus- 
gegeben worden ist, und das Gescliichtswerk des Gerardus fiber 
Ezzelin da Romano, von dem er sagt, dass es erst kiirzlich be- 
kannt geworden sei, welches sich in den Quellensammlungen 
von Leibnitz (Scriptores Brunswic. II) und Muratori (SS. Ital. 
VIII) abgedruckt findet.**) 

Fiir die florentinische und speciell die Zeitgeschichte Dan- 
te's hat Vellutello, wie es scheint, nur die einzige Chronik des 
Villani als Quelle benutzt, aber er hat diesen trefiElichen Ge- 
wahrsmann offenbar besser als irgend einer seiner Vorganger 
gekannt und genauer als sio iiberall nach Buch und Capitel 
citirt. 

Als charakteristisch fur die Commentatoren Landin und 
Vellutello mag endlich noch bemerkt werden, dass gleich wie 
jener, als guter Florentiner, noch an die Wunderwirkung des 
Marsbilds am Ponte Vecchio, so wie an die schiitzende Kraft 
der mit dem Haupte gegen Mailand gerichteten Statue des 
Lowen vor dem Palast der Signorie glaubte, freUich mit dem 
Vorbehalt, dass solcher Glaube nicht der Wahrheit unserer 
Religion entgegen sei***) — so Vellutello gelegentlich dem 
Dante den Geist der Weissagung zuschreibt, wenn er in Pur- 
gat. XI, 98 die Worte: e forse e nato chi I'uno e Taltro 



*) Zu Inf. I, 101: faremo di lui questo poco discorso, et diremo 
haver trovato a Verona in alcuni antichi volumi scritti a penna da per- 
sone ignote et grossi, ma fidelissimi per molti scontri che n'abbiamo. 

**) Zu Inf. XII, 109: secondo che scrive Pietro Gerardo autore in 
quel tempi di tutte le sue inaudite crudeltk, Topera del quale h stata 
nuovamente posta in luce. Der Autor, der tibrigens die Thaten des 
Ezzelin im gUnstigsten Lichte darstellt, ist Gerardus de Maurisiis und 
war Sohn eines Petrus, sollte also rich tig Gerardo di Pietro heissen. 
L.eibnitz sagt in seinem auch bei Muratori wieder abgedruckten Vorwort 
nichts von jener friiheren Ausgabe, auf welche sich Vellutello bezieht, 
sondem nennt allein die sp&tere von 1636 Venedig. 

***) Zu Inf. XIII, 145: Credo ancora, salvo sempre il piti vero 
giuditio che non sia contro la nostra religione, che secondo Tastrologia 
si fabrichi una statua con tal costellatione ch' abbi qualche momento e 
forza in se etc, 



— 89 — 

caccera di nido, die man gewohnlicli auf den Dichter selbst 
bezieht, auf Petrarca deuten will. 

Vellutello's Commentar erlangte im 16. Jahrhundert bei- 
nahe dasselbe hohe Ansehen wie der von Landin und wurde 
auch haufig in den Venezianischen Ausgaben (1564. 1578. 1596) 
mit letzterem zusammen gedruckt (s. iiber diese Ausgaben C. 
de Batines I, 91 ff., Ferrazzi, Manuale Dantesco.II, 453). — 



Wenn ich hier schliesslich noch die der Zeit nach mit 
Vellutello's Commentar zusammenfallenden Vorlesungen des Bene- 
detto Varchi erwahne: 

15. Lezioni sul Dante e Frose varie — per cura di 
G-ius. Ajazzi e Lelio Arbib T. I Firenze 1841. 

so geschieht dies nur, um zu bemerken, dass sie, wie man es 
kaum von dem verdienten Geschichtschreiber von Fiorenz er- 
warten sollte, gar nichts Historisches enthalten. Diese Vor- 
lesungen, 19 an der Zahl, welche sicb wie alle Schriften Var- 
chi's durch vortreffliche Diction und sachliche Klarheit aus- 
zeichnen, verbreiten sich, mit Bezug auf einzelne Gesange und 
Stellen des Purgatorio und des Paradise, iiber verschiedene 
Materien der Philosophie, Theologie, der classischen Philologie, 
xler Medicin, Physik und Astronomie, worin der Autor seine 
umfassende literarische und wissenschaftlich encyclopadische Bil- 
dung beweist. Dieselben wurden von ihm in den Jabren 1543 
und 1545 an der florentinischen Akademie gehalten, und es 
findet sicb darin auch seine Antrittsrede bei Uebemahme des 
Consulats der Akademie (Lez. 5), deren erhabenen Gonner, 
Herzog Cosimo, er mit vielem Lobe preist. Auf Vellutello's 
gleichzeitig (1544) erscbienenen Commentar ist an einer Stelle, 
wo von dem Aufsteigen des Dichters zu den Himmeln die Rede, 
' ausdriicklich Bezug genommen (p. 193: delle quali [cose] pero 

ha favellato ultimamente messer Alessandro Vellutello con assai 
diligenza e cognizione). — 



/ 



1^ 



— 90 — 

Von den spateren Dante- Commentaren aus dem 16. bis 
18. Jahrhundert, des Danielle von Lucca (Venezia 1568), des 
Jesuiten Pompeo Venturi (Lucca 1732 auf Eosten des Ordens 
herausgegeben und P. Clemens XII dedicirt, und sehr oft wie- 
der gedruckt), des Minoriten Baldassaro Lombard! (Roma 1791 
und ofter wiederholt) ist hier nicht nothig zu reden, da sie 
keinerlei historischen Werth haben, auch nicht selbstandig auf 
die Quellen, sondem nur auf die friiheren CJommentatoren zu- 
riickgehen. 



Anhang. 

Zur Dino-Frage. 

Aus der vorstehenden Studie iiber die Dante- Commentare 
ergibt sich, in Bezug auf die Quellenbenutzung fiir die histo- 
rische Erklarung des Gedichts, kurz das folgende Resultat. 

Abgesehen von der alten Geschichte und Mythologie, deren 
Kenntniss sie aus den romischen Autoren oder von diesen ab- 
geleiteten Compilationen des Mittelalters schopften, waren die 
ersten Glossatoren und Conunentatoren des Dante bis Mitte des 
14. Jahrhunderts, welche noch nicht die vortreffliche Chronik 
des Giovanni Villani besassen, fur die italienische und Zeitge- 
schichte des Dichters theils auf miindliche Tradition, der sie 
noch nahe standen, theils auf dieselben historischen Quellen 
angewiesen, welche auch Villani benutzt hat: als solche er- 
kannten wir die Schrift iiber den Ursprung von Florenz (De 
Origine Civitatis) in den altesten Glossen zum Inferno (von Sehni 
herausg.) und dem ihnen verwandten Anonimo (von Lord Vernon), 
so wie auch in dem ersten vollstandigen Commentar des Jacopo 
della Lana; sodann auch die von Scheflfer-Boichorst nachgewie- 
sene Quelle der Gesta Florentinorum in dem Commentar des 
Ottimo. Die Benutzung der Chronik von Villani unterscheidet 
die spatoren Commentare nach Mitte des 14. Jahrh. von den 
friiheren: wir fanden sie zuerst in dem Commentar des Boc- 
caccio, nachher noch mehr in dem des Benvenuto da Imola und 
dem s. g. Anonimo Fiorentino. Doch hat von ihr der Pisaner 
Biiti nur in seinem dritten Theil, der Mailander Guiniforte ^r 



^ 



— 92 — 

keinen Gebrauch gemacht. Selbst der Florentiner Laudino hat 
sich ofter bloss an Benvenuto von Imola statt an Villani, dessen 
Quelle, gehalten; daneben hat er aber auch die angeblich im 
J. 1200 verfasste Chronik des Ricordano Malespini, den er 
Perdano Malespini nennt, an einigen Stellen ausgeschrieben und 
damit zuerst, so viel bekannt, deren Vorhandensein zugleich 
mit der Anerkennung ihrer Echtheit von seiten der Akademiker 
zu Florenz bezeugt. Endlich ist Vellutello ganz besonders wie- 
der auf Villani zuriickgegangen, woneben er gelegentlich noch 
einige bekannte Chroniken hinzugezogen hat. 

Von der Chronik des Dino Compagni, welche angeblich vor 
1312 geschrieben und fur die florentinische Geschichte zu Dante's 
Zeit bisher als Quelle ersten Rangs betrachtet worden ist, findet 
sich in diesen Commentaren keine Spur, ausser allein bei dem 
Anonimo Fiorentino, dessen Abfassung nicht friiher als in den 
Anfang des 15. Jahrhunderts zu setzen ist. Das Verdienst diese 
Spur zuerst, wenn nicht entdeckt, doch bekannt gemacht zu 
haben, gebiihrt unserem Kritiker Scheflfer-Boichorst, welch er in 
seinem letzten Aufsatz iiber den Dinostreit (Histor. Zeitschr. 
1877) die wortliche Uebereinstimmung einiger Stellen des Ano- 
nimo mit der Chronik des Dinb nachgewiesen und aus solcher 
Verwandtschaft die Vermuthung nahe gelegt hat, dass der von ihm 
entlarvte Falscher des Dino, welcher die gelehrte Welt mehrere 
Jahrhunderte lang hinter das Licht gefiihrt, wie vieles andere, 
so auch den sonst noch unbekannten Anonimo Fiorentino fur 
seinen Zweck verwendet habe. 

Der neue Falschungsbeweis, welcher gleichsam wie ein letzter 
vernichtender Gnadenstoss gegen den Falscher gefiihrt wird, 
verdient um so mehr eine genauere Untersuchung, als er in der 
That geeignet ist, ein neues Licht iiber die immer noch rathsel- 
hafte Dino-Frage zu verbreiten. Doch will ich zuvor noch in 
Bezug auf den literarischen Streit, der sich hieriiber entsponnen 
hat, ankniipfend an meine friihere Relation (Die Chronik des 
Dino Compagni, Leipzig, S. Hirzel, 1875, Einl. S. 9 — 15) weiter 
berichten, welchen Wiederhall der erwahnte Artikel von Scheffer- 
Boichorst jenseits der Alpen hervorgerufen hat. 



— 93 — 

Vor aljen andem hat dort Pietro Fanfani in den letzten 
Jaliren und noch bis heute den literarischen Kampf gegen die 
verstockten Dinisten mit unermiidlicliem Eifer fortgesetzt. Nicht 
bloss in seiner alle vierzehn Tage erscheinenden Zeitschrift, II 
Borghini, auch in einer Reihe von Flugschriften mit allerhand 
injuriosen Titeln ist von ihm immerfort und wohl den meisten 
zum Ueberdruss dasselbe Lied vom gefalschten Dino wiederholt 
worden. Und nicht genug damit! In einer neuen Ausgabe der 
Chronik nebst Commentar unter dem Titel: Le Metamorfosi di 
Dino Compagni (Firenze 1877), welche in Lieferungen er- 
scheinend fiir den Gebrauch in den italienischen Schulen be- 
stimmt ist (commentate per usb delle scuole del regno), hat 
derselbe den ganzen bisherigen kritischen Apparat noch einmal 
zusammengestellt und mit neuem erganzt, zu dem Zweck, urn 
den bosen Falscher auf Schritt und Tritt in seiner linguistischen 
und historischen Blosse aufzudecken und nicht minder dessen 
ungeschickte Vertheidiger, zu welchen er auch den Schreiber 
dieses zahlt, vor allem aber dessen apologetischen Commentator, 
Isidore del Lungo, der Absurditat zii iiberfuhren und der Lacher- 
lichkeit sogar vor den Schuljungen preiszugeben. Mitten in 
dieser bereits ziemlich weit fortgeschrittenen Arbeit iiberraschte 
ihn Scheffer-Boichorst's letzte Entdeckung, welche er dann 
sofort in seinem Borghini No. 24, 15. Juni 1877, unter der 
Ueberschrift: Nuova scoperta Dinesca del Professore Scheffer- 
Boichorst, mit Posaunenschall fur Italien verkiindigte. Dabei 
hat es diesen unerschrockenen Streiter nicht im mindesten, wie 
es scheint, in Verlegenheit gesetzt, dass doch erst wieder der 
deutsche Kritiker kommen musste, um ihm solches neue Licht 
Uber die Falschung des Dino aufzustecken, und zwar aus einem 
Werke, welches ihm am wenigsten hatte unbekannt sein soUen, 
nachdem er selbst es herausgegeben hatte und nachdem er seit 
Jahren auf die Suche der Diuofalschung ausgegangen war I 
Gleichviel, ausgemacht ist, wie Fanfani den Lesem des Bor- 
ghini a. a. 0. verkiindigt, dass der falsche Dino, gleichwie er den 
Villani entstellt, den Tolomeo da Lucca, den della Tosa, Cer- 
menate, Mussato gepliindert, so auch den Commentar des Ano- 



— 94 — 

nimo ausgeschrieben und verdorben hat, ausgemacht ist vor 
dem blossen Lichte der Vernunft, dass nicht umgekehrt der 
Anonimo die Chronik des Dino benutzte, weil die letztere er- 
wiesenenuaassen durchaus falsch ist (e cbiarita falsa per tatto) 
d. h. mit anderen Worten, dass nicht erst erwiesen zu werden 
braucht, was bereits erwiesen ist. 

Einen voUig verschiedenen Eindruck hat die erwahnte Ent- 
deckung auf den Akademiker Isidore del Lungo, den Commen- 
tator des Dino und unerschiitterlichen Vertheidiger seiner Echt- 
heit, gemacht. Nachdem sein friiher begonnener Commentar im 
Druck (1870) unvoUendet geblieben ist, war del Lungo, wie man 
weiss, seit Jahren mit Abfassiing und Druck eines neuen be- 
schaftigt, auf dessen endliches Erscheinen die gelehrte Welt 
immer noch gespannt ist. Wahrend dieser ganzen Zeit hat der- 
selbe, gleichsam wie im blauen Himmel uber den Wolken 
thronend, den rasenden Dinosturm unter seinen Fiissen voriiber- 
gehen lassen, unbekiimmert, wie es schien, um jede Art der 
Herausforderung, sei es mit den spitzen Waflfen des Witzes oder 
den groberen der Verhohnung, womit sein unermiidlicher Gegner 
Fanfani ihn aufzustacheln bemiiht war. Solche olympische Ruhe 
konnte ihm oflfenbar nur die Siegesgewissheit verleihen, womit 
zugleich die stille und heitere Genugthuung, wohl nicht ohne 
Beimischjing einer in seiner Lage gewiss verzeihlichen Schaden- 
freude, verbunden war, diesen ganzen blinden Larm auf einmal 
mit dem Quos Ego seines neuen Commentars, wenn er nur erst 
das Licht der Welt erblickte, niederzuschlagen und die voile 
Wahrheit strahlend iiber Dino aufgehen zu lassen. Dennoch 
hat er endlich, chi per lungo silenzio parea fioco, das hart- 
nackige Stillschweigen gebrocheni Was ihn aber aufstorte und 
dazu bewog, seine Stimme in einer Broschiire: La critica ita- 
liana dinanzi agli stranieri e all' Italia nella questione su Dino 
Compagni (Firenze, Sansoni 1877) zu erheben, war nicht der 
neue Dino -Commentar Fanfani's, welchen er der Ehre seiner 
Erwiederung nicht gewiirdigt hatte, sondern eben nur die Ent- 
deckung unseres deutschen Kritikers. Durch diese war namlich 
das theuerste Geheimniss, welches er selbst still in der Brust 



— 95 — 

bewahrt und unter dem Siegel unverbriichlichen Schweigens nur 
wenigen Eingeweihten, namentlich Gino Capponi, Giovanni Tor- 
toli, Cesare Guasti, Cesare Paoli, Alessandro Gherardi anver- 
traut hatte, leider zu friih enthiillt, ja profanirt worden: — 
eben das Hauptargument, ^la splendidissima praoya d'autenti- 
cita', womit er seine und Dino's Gegner durch einen einzigen 
Streich zu vernichten und fiir sich selbst den fur den Beweis 
der Echtheit Dino's von Fanfani ausgesetzten Preis von so und 
so viel Lire einzubringen gedachte, von welcher Summe er gross- 
miiihig die eine Halfte dem Herausgeber des Anonimo Fioren- 
tino, die andere dem Blindeninstitut iibermacben woUte (p. 13)1 
Dass nicht erst ein Fremder jene Entdeckung zu machen braucbte, 
dass er selbst sie langst gekannt, dies zur Ehre Italiens dem 
gelehrten Publikum mitzutheilen, ist der eigentiicbe Zweck der 
Broschiire, wobei jedoch der Autor auch nicht unterlassen kann, 
die voile Schale seines lang verhaltenen Zorns und seiner griind- 
lichsten Verachtung iiber den spottsiichtigen Gegner auszugiessen. 

Also, ein und dasselbe Argument, welches Scheflfer-Boichorst 
wie als letzten Trumpf ausgespielt hat, um den vermeinten 
Falscher Dino's in seiner traurigen Blosse zu entlarven, gilt 
dem florentinischen Akademiker del Lungo als der triftigste 
Beweis der Echtheit der Chronik, als ein unzweifelhaftes Zeug- 
niss aus dem 14. Jahrhundert fur dieselbel Ein zweischneidiges 
Schwert nennt es der letztere natiirlich nur in dem Sinne, dass 
es allein nach der richtigen Seite gebraucht wirklich schneidet. 
Die 'Frage, mit der wir uns jetzt beschaftigen wollen, ist auf 
solche Schneide gestellt. 

Treten wir die Untersuchimg mit dem ruhigen Gleichmuth 
unbefangener Wahrheitsliebe an. 

Dante gedenkt im Purgat. XU, 105 mit den Worten: ad 
etade ch'era sicuro il quaderno e la doga, der guten alten Zeit 
von Florenz, als das Buch und das Maass noch ungefahrdet 
waren, und spielt damit auf einige bekannte Vorfalle seiner 
iZeit an, welche in jener unerhort waren. Wir erwarten nahere 
Auskunft hieriiber von den Commentatoren und vielleicht auch 
von den Florentiner Chroniken. Doch von den Commentatoren 



— 96 — . 

wissen allein Ottimo und Anonimo Fiorentino geniigenden Be- 
scheid zu geben, wie wir sogleich mittheilen werden. Der 
friihere Jacopo della Lana iibergeht die Stelle mit Stillschweigen. 
Pietro di Daute sagt nur im aUgemeinen, dass damals die 
Burger noch nicht selbstsiichtig nach Gewinn trachteten. Ben- 
venuto da Imola denkt an die Biicher der Kaufleute oder der 
offentlichen Einkiinffce und bringt erst zu der spateren Stelle, 
wo Dante noch einmal darauf zuriickkommt, Parad. XVI, 105 
quel che arrossan per lo stajo die Nachricht, dass einer von 
den Chiaramontesi sich der Falschung bei Austheilung von Korn 
und Salz der Commune schuldig gemacht babe. Aebnlich Buti, 
nur das's er an der zweiten Stelle unrichtig einen Tosinghi zum 
Schuldigen macht, wahrend doch die Tosinghi nicht hier, son- 
dem erst Vers 114 bei Dante erwahnt sind. Landin erklart, . 
ohne von den friiheren Auslegungen Notiz zu nehmen, offenbar 
nur nach Vermuthung, quaderno und doga zusammen als ein 
Kammereibuch von Holz, welches durch Herausnehmen einer 
Daube (ne fu tratto una doga, Fassdaube!) gefalscht worden 
sei. Vellutello scheint etwas bestimmteres zu wissen, unter- 
scheidet quaderno als Buch Her offentlichen Einkiinfte und doga 
als Hohlmaass, welches mit dem Siegel der Commune gezeichnet 
war und an dessen Stelle ein anderes von geringerem Umfang 
beim Weinverkauf untergeschoben worden sei. Danielle (Ve- 
netia 1568) wiederholt nur Landin's unpassende Erklarung. 
Venturi (Lucca 1732) berichtigt dieselbe, gibt aber dafiir nichts 
mehr als er bei Vellutello gefunden. Lombardi (Roma 1791) 
bleibt ebenfalls nur hierbei stehen. Erst in der Florentiner 
Ausgabe dell' Ancora (1817 — 1819) und darnach in den Zu- 
satzen der Paduaner Ausgabe des Lombardi (Padova 1822) 
wird Bezug genommen auf den zur Zeit noch ungedruckten 
Ottimo, der als Anonimo citirt ist, und daraus das zur Sache 
gehorige Historische mitgetheilt. — Dies eijie Beispiel mag da- 
zu dienen um zu zeigen, wie nur bei den alteren Commenta- 
tor en die wirklich historische Belehrung zu holen ist, und wie 
wenig die spateren davon im gegebenen Fall Gebrauch gemacht 
haben. 



— 97 — 

Sehen wir nun die Erklarung des Ottimo (II, 219). Die 
Stelle lautet in wortlicher Uebersetzung, wie folgt: ^Im Jahr 
1299 war Messer Monfiorito da Caverta Podesta von Florenz; 
dieser wurde wegen vieler und oflfenbarer Betriigereien durcli 
die Signorie abgesetzt und verhaftet; er gestand unter anderem, 
dass er dem Messer Niccola gedient habe mit einem (Menschen), 
der verurtheilt werden soUte .*) Dieser Messer Niccola war da^ 
mals im Priorat (il quale messer Niccola fii allora nel Priorato) 
und liess im Einverstandniss mit Messer Baldo, unter dem Vor- 
wand den Prozess gegen Messer Monfiorito einzusehen, das Buch 
von der Kammer holen (mand5 per lo libro alia Camera), und 
riss daraus heimlich das Blatt aus, welches jene Sache betraf. 
Desshalb wurde unter dem folgenden Priorat eine formliche und 
geheime Untersuchung (solenne e segreta inquisizione) einge- 
leitet und wurden verurtheilt im Jahre' — die letzten Worte 
fehlen im Text. Ueber das andre von Dante in Bezug genom- 
mene Factum ist nur noch kurz hinzugefugt: ^Als Herr Durante 
de' Chermontesi ZoUeinhehmer und KammeriBr der Salzkammer 
der Commune von Florenz war, zog er eine Daube aus dem 
Scheflfelmass (una doga dello stajo) heraus und eignete sich das 
Salz oder das Geld an, welches der Gewinn abwarf.' Wir 
lassen das letztere, als nicht weiter zu unserer Untersuchung 
gehorig, bei Seite. ^ 

Es ist bereits oben dargethan worden, dass der in den 
Jahren 1333 und 1334 geschriebene Ottimo iiberall gute Kennt- 
niss der florentinischen Geschichte, unabhangig von Villani, 
theils aus alteren Quellen, theils aus noch lebendiger Tradition 
beweist. Auch beziiglich der vorstehenden Nachricht iiber den 
Prozess des Podesta Monfiorito lasst sich die Richtigkeit seiner 
Daten anderweitig constatiren. Nach den Florentiner Chronisten 



*) Der Sinn der Worte des Textes: aver servito 11 detto messer 
Niccola d'alcuno che dovea esser condannato ist unklar, die Stelle wahr- 
scheinlich, wie haufig bei Ottimo, corrumpirt. Nach Anonimo and Dino 
war, wie wir sehen werden, Niccola Acciajuoli selbst der Schuldige, der 
verurtheilt werden sollte, ftir welchen der Podestk ein falsches Zeugniss 
entweder ausstellte oder annahm. 

Hegel, Dante ~ Commeiitare. 7 



— 98 — 

Paolino Fieri mid Simone della Tosa war Monfiorito aus Coderta 
in der Mark Treviso — die Namensverderbung Caverta im Ab- 
druck des Ottimo fallt wie vieles andre dieser Art der fehler- 
haften Hs. zur Last — Podesta von Florenz seit Anfang 1299, 
wurde aber schon nach 4 Monaten im Mai wegen schlechter 
Amtsfuhrung durch die Signorie abgesetzt, ins Gefangniss ge- 
worfen und zu schwerer Geldbusse verurtheilt.*) Ottimo stimmt 
hiermit liberein im Jahr 1299 wie in dem Umstand der Ab- 
setzung des ungerechten Podesta vor Ablauf seines Amtsjahrs. 
Von dem Vergehen des Niccola Acciajuoli und des Baldo Agu- 
glione, ihrer Falschung des Gerichtsprotokolls, welche eine Folge 
des Prozesses gegen den Podesta war, schweigen die genannten 
beiden Chronisten. In dieser Beziehung findet sich jedoch der 
kurze Bericht des Ottimo in dem Commentar des Anonimo 
Fiorentino, dessen Abfassungszeit wir in den Anfang des 15. 
Jahrhunderts gesetzt haben, durch eine umstandlichere Er- 
zahlung erganzt, die ich hier im Wortlaut mittheile (Ausg. 
von Fanfani Vol. II, 206). 

Nel MCCLXXXXV, doppo la* cacciata di Gian de la Bella, 
essendo Firenze in male state, fu chiamato rettore di Firenze, 
a petizione di quelli che reggevono, uno povero gentile uomo 
chiamato messer Monfiorito della marca Trivigiana, il quale 
prese la forma della terra, et assolvea et condennava senza ra- 
gione, et palesemente per lui et sua famiglia si vendea la gius- 
tizia. Nol sostennono i cittadini et compiuto I'ufficio, presono 
lui et due suoi famigli, et lui misono alia coUa, et per sua 
confessione si seppono cose che a molti cittadini ne segui grande 
infamia; et faccendolo coUare due cittadini chiamati sopra 
cio I'uno dicea hasta, I'altro dicea no. Piero Manzuoli cam- 
biatore, chiamato sopra cio, disse: Dagli ancora uno crollo; 
e '1 cavaliere ch' era in sulla colla disse: lo rende^ uno testi- 
monio falso a messer Niccola AcciajoU, il quale non condannai; 



*) Die Citate aus beiden Chronisten hat schon ScheflFer-Boichorst, 
Florent. Studien S. 121 bei Untersuchung der Erzahlung des Dino bei- 
gebracht. 



— 99 — 

non volea il Manzuolo che quella confessione fosse scritta, pero 
che messer Niccola era suo genero; I'altro pure voile et scris- 
sesi; et saputo messer Niccola questo fatto ebbe si gran paura 
che il fatto non si palesasse, ch' egli ne consigli5 con messer 
Baldo Agulione, pessimo giudice gibellino antico. Chiesono il 
quaderno degli atti al notajo et ebborlo; et il foglio dov' era il 
fatto di messer Niccola trassono del quaderno: et palesandosi 
per lo notajo del foglio ch' era tratto, fu consigliato che si 
cercasse di chi I'avea fatto; onde il podesta, non palesando 
niente, prese messer Niccola, et messer Baldo fuggi. Fu 
condennato messer Niccola in libre m m. et messer Baldo 
in II m. et a' confini fuori della citta et del contado per uno 
anno. 

Diese Erzahlung stimmt mit Ottimo in der Art und Weise 
der Falschung (durch Herausreissen eines Blattes des Gerichts- 
protokoUs) iiberein. Die Namen der beiden Manner, welche 
sie begingen, sind hier vollstandig genannt. Neu ist feraer der 
Vorgang bei der Tortur des Podesta. Die beiden Untersuchungs^ 
richter waren zuerst uneinig iiber die Fortsetzung derselben, 
nachher auch iiber die Abfassung des ProtokoUs, als der eine, 
Piero Manzuoli von der Wechslerzunft (cambiatore), zu seinem 
Schrecken das Gestandniss des Podesta vernahm, dass er (der 
Podesta) den Messer Niccola auf Grund eines falschen Zeug- 
nisses freigesprochen habe; denn Messer Niccola war des Piero 
Schwiegersohn. Trotz der Einrede des letzteren wurde die Aus- 
sage des Podesta doch in das ProtokoU aufgenommen, natiirlich 
aber der dadurch blossgestellte Niccola sofort von seinem 
Schwiegervater davon benachrichtigt. Nicht erwahnt ist hier 
der erhebliche Umstand, dass Niccola Prior war, als er das 
GerichtsprotokoU von dem Notar einforderte; erganzt dagegen 
die Liicke am Schluss der Stelle aus Ottimo bezliglich der Ver- 
urtheilung der beiden Uebelthater. Entschieden unrichtig ist 
jedoch in der Erzahlung des Anonimo erstens das Jahr 1295, 
in welches der Vorfall gesetzt wird, statt 1299, und zweitens 
die Erwahnung, dass der Podesta erst nach Ablauf seines Amts 
(compiuto I'ufficio) verhaftet und in Untersuchung gezogen wor- 

7* 



— 100 — 

den sei: in beiden Beziehungen hat Ottimo, wie Wir sahen, das 
Richtige. 

Woher hat aber der Anonimo, der im Beginn des 15. Jahrh. 
schrieb, seine Erzahlung mit ihren Einzelheiten? Natiirlich aus 
einer alten schriftlichen Quelle, die er hier ebenso wenig nennt, 
als er auch die alteren Conunentatoren, die er benutzte, xmd 
selbst den von ihm ausgeschriebenen Villani in der Kegel nicht 
genannt hat.*) Es beweist wenigstens nichts gegen die Be- 
nutzung des Dino, wenn er ihn nicht nennt.**) 

Vergleichen wir nun die Stelle im ersten Buch der Chronik 
des Dino Ciompagni (S. 20 der iu Italien gebrauchlichsten 
Stereotypausgabe Firenze, Barbera), welche mit dem Anonimo 
sowohl im wesentlichen der Sache, als zumtheil auch im Wort- 
laut iibereinstimmt: 

I pessimi cittadini per loro sicurta chiamarono per loro 
podesta messer Monfiorito da Padova, povero gentiluomo, 
acci5 che come tiranno punisse e facesse ragione torto e del 
torto ragione, come a loro paresse, il quale prestamente intese 
la volonta loro e quella segui, che assolvea e condannava 
sanza ragione, come a loro parea: e tanta baldanza prese, 
che palesamente lui e la sua famiglia vendevano la 
giustizia e non ischifavano prezzo, per picciolo e grande che 
fusse: e vemie in tanto abbominio, che i cittadini nol pote- 
rono sostenere, e feciono pigliare lui e due suoi famigli, 
e fecionlo collare, e per sua confessione seppono delle 
cose, che a molti cittadini ne segui vergogna assai e 
assai pericolo: e vennono in discordia, che I'uno volea fosse piu 
coUato, e I'altro no. Uno di loro, che avea nome Piero Man- 
zuolo, il fe un' altra volta tirar su, il perche confesso avere 
ricevuto una testimonianza falsa per messer Niccola Acciajoli: 
il perche nol condanno: e funne fatto nota. Sentendolo messer 
Niccola, ebbe paura non si palesasse piu; ebbene con- 



•) S. oben S. 62. 

**) Wie dies ScheflFer-Boichorst, Dinostreit S. 188 doch geltend 
machen will. 



— 101 — 

siglio con messer Baldo Aguglioni, giudice sagacissimo 
e suo avvocato, il quale die modo di aver gli atti dal notajo 
per vederli, e raseiie quella parte che Tenia contro a messer 
Niccola. E dubitando il notajo degK atti avea prestati se 
erono tocchi, trov5 il raso fatto e accusogli. Fu preso messer 
Niccola e condannato in lire tremila, e messer Baldo si 
fuggi, ma fu condannato in lire duemila, e confinato 
per uno anno. 

Die ersichtliche sachliche und wortliche Uebereinstimmung 
des Anonimo mit Dino nothigt Benutzung entweder des einen 
durch den andem oder einer dritten gemeinschaftHchen Quelle 
durch beide anzunehmen *) 

Um hieriiber ins klare zu kommen, sind vorerst die Ab- 
weichungen beider Erzahlungen zu betrachten. Dino nennt 
Padua als Herkunftsort des Podesta, Anonimo die Trevisauische 
Mark: das erstere ist unrichtig, das letztere richtig.**) Dino 
lasst die verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem Uhter- 
suchungsrichter Manzuolo und Niccola Acciajoli unerwahnt, wo- 
durch das Verstandniss der Geschichte verdunkelt wird. Dino 
gebraucht die indirecte Rede, wo Anonimo die Worte der bei- 
den Richter und des Podesta selbst anfiihrt. Bei Dino geschieht 
die Falschung des Protokolls durch Ausradirung der Stelle, bei 
Anonimo wie bei Ottimo durch Ausreissen eines Blatts. 

Diese Abweichungen sind von der Art, dass sie nicht als 
von Anonimo herriihrend, Dino als Quelle vorausgesetzt, gedacht 
werden konnen. Der Dante -Commentator ist, wie ich oben ge- 
zeigt habe, blosser Compilator, der seine Quellen abschreibt, 
dabei wohl abkiirzt, mit anderen combinirt, hie und da miss- 
versteht, aber nicht in der Weise, wie hier anzunehmen ware, 
umformt. Um so naher liegt die entgegengesetzte Vermuthung, 
dass der Falscher des Dino den Anonimo ausgeschrieben und da- 



•) Vergl. Scheffer-Boichorst, Zum Dinostreit S. 188. 
**) Dies hat Scheffer-Boichorst zur Genflge bewiesen und ich gebe 
jetzt meiuen Erklaruugsversuch (Die Chronik des Dino Gompagni S. 45) 
nach seiner Entgegnung (Die Chronik S. 29) bereitwillig auf. 



— 102 — 

bei nach seiner Gewohnheit — wie behauptet wird — aus bios- 
sem Widerspruchsgeist oder Eigensinn verandert und ver- 
schlechtert habe *) Wie aber, wenn nun Dino doch den Ano- 
nimo in einigen Punkten verbessert hat? Die beiden vorhin 
erwahnten Unrichtigkeiten des letzteren, das falsche Jahr 1295 
im Anfang**) und die Angabe, dass der Podesta sein Amtsjahr 
vollendet habe (compiuto Tufficio), finden sich bei ihm nicht. 
Dino erwahnt in seiner Chronik nach der Vertreibung des Giano 
della Bella im J. 1295 zuerst kurz deren Folgen und kommt 
dann auf die Geschichte des Podesta, wo er das Jahr nicht 
angibt, worauf er zu den Ereignissen von 1300 iibetgeht. Das 
Missverstandniss des Anonimo, die Geschichte des Podesta noch 
in das Jahr 1295 zu setzen, lasst sich leicht erklaren, wenn 
die Quelle, aus welcher er schopfte, die Ereignisse in gleicher 
Folge, wie die Chronik des Dino, vortrug. Bei Dino steht: die 
Biirger konnten die Ungerechtigkeit des Podesta und seiner 
Leute nicht langer ertragen und liessen ihn und diese verhaften: 
ofifenbar ist also seine Meinung nicht, dass der Podesta sein 
Amt noch bis zu Ende des Jahrs fortgefiihrt habe, wie Ano- 
nimo dies unrichtig annimmt. Der Beweis, dass Dino bloss 
den Anonimo ausgeschrieben und verdorben habe, lasst sich, 
wie man sieht, so nicht fiihren: man ist daher genothigt, eine 
gemeinschaftliche Quelle beider anzunehmen, und wir sind gliick- 
licherweise im Stande derselben noch weiter auf die Spur zu 
kommen. 

In der Divina Commedia, Purg. XX, 70: Tempo veggh'io, 
non molto dopo ancoi, che tragge un altro Carlo fuor di Francia, 
ist die Rede von der Sendung des Carl von Valois, des Brii- 
ders des Konigs von Frankreich, nach Florenz als Friedens- 
stifter im Auftrage des Papstes Bonifaz VIII, und von seinem 
verratherischen Verhalten zu Gunsten der schwarzen Guelfen 



*) S. Scheffer-Boichorst, Zum Dinostreit S. 189. 
**) Scheffer-Boichorst hat in seinem Abdruck*der Stelle S. 187 die 
Anfangsworte: nel MCCLXXXXY dopo la cacciata di Gian della Bella 
weggelassen. 



103 — 



(con la lancia con la qual giostro Giuda), wodurch er sicli mit 
Schande belud. Anonimo Fiorentino gibt hierzu die historische 
Erklarung, welche mit einem wortlichen Auszuge aus Villani 
VIII, 49 beginnt und schliesst; dazwischen sind jedoch Bruch- 
stiicke aus Dino, oder sagen wir besser, aus jener unbekannten 
Quelle, welche Dino enthalt, eingeschaltet. Das Verfahren des 
Compilators wird aus der folgenden Zusammenstellung, worin 
die von ihm entlelinten Satze beider Vorlagen durch den Druck 
hervorgehoben sind, deutlich. 



Villani VIII c. 49. 

Nel detto anno 1301 del 
mese di settembre giunse 
nella citta d'Alagna in Cam- 
pagna, ov' era papa Boni- 
fazio colla sua corte, messer 
Carlo conte di Valois et 
fratello del re di Francia 

con pill conti et baroni 

il quale messer Carlo dal 
papa e da suoi cardinali fu 
ricevuto onorevolmente; e 
venne ad Alagna lo re Carlo e 
suoi figliuoli a parlamentare con 
lui e a onorarlo; el papa il 
fece conte di Romagna. E 
trattato e messo* in assetto 
col papa e col re Carlo il 
passaggio di Cicilia alia 
primavera vegnente, per la 
principale cagione perch' 
era mosso di Francia, il 
papa non dimenticato lo 
sdegno preso contro alia 
parte bianca di Firenze, non 
voile che soggiomasse e ver- 



Anonimo Fior. II, 326. 

Nel 1301 del mese di set- 
tembre giunse nella citta d' Alag- 
na, ov' era papa Bonifazio, mes- 
ser Carlo conte di Valos et frar 
telle del re di Francia, il quale 
messer Carlo fu ricevuto dal 
papa onorevolmente; il papa 
il fece conte di Romagna, et 
misse in effetto col re Carlo il 
passaggio di Cicilia alia prima- 
vere vegnente, per la principale 
cagione perch' era mosso di 
Francia; et il papa, non dimen- 
ticato lo sdegno preso contro 
la parte bianca, per infestamento 



— 104 — 



de' Guelfi da Firenze, gli diede 
il titolo di paciaro in Toscana, 
et ordin5 che tornassi alia citta 
di Firenze: si fece coUa sua 
gente et molti Fiorentini et 
Toscani et Eomagnuoli confinati 
di loro terre, et venne a Siena; 
et venuto a Siena 



nasse invano, e per infesta- 
mento de' guelfi diFirenze, 
si gli diede il titolo di pa- 
ciaro in Toscana, e ordino 
che tornasse alia citta di 
Firenze. E cosi fece, colla 
sua gente et con molti al- 
tri Fiorentini e Toscani e 
Romag^nuoli, usciti e confi- 
nati di loro terra per parte 
guelfe et nera. E venuto a 
Siena || e poi a Staggia, que' che 
govemavano la citta di Firenze 
avendo sospetto di sua venuta, 
tennero piu consigli di lasciarlo 
entrare nella citta o n5. — 

Bis hierher geht die wortliche Abkiirzung aus Villani, wo- 
bei eine Reihe von Zwischensatzen, selbst auf Kosten des Ver- 
standnisses, ausgelassen sind. Das unmittelbar darauf Folgende 
steht im gleichen Verhaltniss zu Dino: 



Dino Comp. II (p. 34). 

E quando fu quivi, mando 
ambasciatori a Firenze mes- 
ser Guiglelmo francioso cherico, 

uomo disleale e uno ca- 

valiere provenzale ch' era il 
contrario, con lettere del loro 
signore. Giunti in Firenze vi- 
sitarono la Signoria con gran 
riverenzia, e domandarono 
parlare al gran consiglio, 
che fu loro concesso. Nel 
quale per loro parlo uno avvo- 

cato da ^olterra e assai 

disordinatamente parl5 e disse: 



Anon. Fior. 

mando suoi imbasciadori a 
Firenze; et addimandarono il 
gran consiglio con molta umilta, 
il quale non fu loro dinegato; 
et sposta loro imbasciata nel 



105 



che il sangue reale di Francia 
era venuto in Toscana solamente 
per metter pace nella parte 

di santa chiesa . Molti 

dicitori si leyarono in pie 
affocati per dire e magni- 
ficare messer Carlo, e an- 
darono alia ringhiera tosto 
ciascnno per esser il primo. 
Ma i Signori niuno lascio- 
rono parlare: ma tanti fu- 
rono, che gli ambasciatori 
s'avvidonOjche la parte che 
volea messer Carlo era 
maggiore e piu baldanzosa, 
che quella non lo volea. E 
al loro Signore scrissono, 
che aveano inteso che la parte 
de' Donati era assai inalzata, e 
la parte de' Cerchi era as- 
sai abbassata. I Signori dis- 
sono agli ambasciatori, ri- 
sponderebbono al loro Sig- 
nore per ambasciata. E 
intanto presono loro consiglio, 
perche essendo la novita grande, 
niente voleano fare senza il con- 
sentimento de' loro cittadini. 
Richiesono adunque il consig- 
lio generale della parte guelfa 
— — — Mandaronsi gli 
ambasciatori, e furono gran 
cittadini di popolo, dicendoli, 
che potea liberamente ve- 
nire: commettendo loro, che 
da lui ricevessono lettere 



consiglio, che fu di mettere pace 
tra' cittadini, molti dicitori si 
levorono affocati di dire et di 
magnificare il Signore; et an- 
darono alia ringhiera. Veggendo 
questo i Signori, non gli lascio- 
rono parlare, ma tanti furono 
quelli che si mostrorono, che 
gl' imbasciadori s'acoordorono 
che la parte che volea messer 
Carlo era piu baldanzosa et 
maggiore che I'altra. Scrissono 
al Signore che venisse, che la 
parte de' Cerchi era abbassata. 
Agli ambasciadori fu risposto 
che al Signore sarebbe risposto 
per imbasciata. Mandoronsi 
gl' imbasciadori, significandogli 
ch' ei potea venire liberamente, 
ricevendo da lui lettere bollate 



— 106 



ch' egli non acquisterebbe juris- 
dizione, ne occuperebbe niuno 
onore della citta, ne legge ne 
state della citta non mutarebbe. 
Entro in Firenze la domenica 
prima che yiene dope Ognis- 
santi.*) 



bollate, che non acquiste- 
rebbe contro a noi niuno giu- 
risdizione, ne occuperebbe 
niuno onore della citta ne 
per titolo d'impero ne per altra 
cagione,neleIeggi della citta 
muterebbe, ne I'uso. U dici- 
tore fu messer Donate d'Alberto 
Ristori con piu altri giudici in 
compagnia. Fu pregato il can- 
celliero suo, che pregasse il 
Signore suo, che non venisse il 
di d' Ognissanti — — II 
perche delibero venire la do- 
menica seguente. 

Hier, wo bei Dino die weitlaufige Erzahlung der Verhand- 
lungen in Florenz folgt, wendet sich Anonimo von ihm ab und 
wieder seiner anderen Quelle, dem Villani zu, um bald zum 
Schluss zu kommen: 



Villani VIH, 49. 
e a di 5 di novembre nella 
chiesa di santa Maria No- 
vella, essendosi raunati potesta 
ecapitano e priori mes- 
ser Carlo — promise di con- 
servare la citta in pacifico e 
buono state — per consiglio 
di messer Musciatto Fran- 
zesi, il quale infino di Fran- 
cia era venuto per suo pe- 
dotto — fece armare sua 



Anon. Fior. 
Andarono i signori Priori a 
santa Maria Novella a parlargli: 
dope molte impromesse et sacra- 
menti fatti di conservare la terra 
in quelle state ch' egli la tro- 
vava, per consiglio di messer 
Muciatto Fraucesi, venuto con 
lui di Francia, fece armare sua 



*) ScheflFer-Boichorst, Zum Dinostreit S. 191, will anders interpun- 
giren: Entrd in Firenze. La domenica prima — andarono in signori 
Priori, und stellt dadurch Uebereinstimmung des Datums mit Villani her. 
Mir scheint dies sehr gezwungen und ich behalte daher die Interpunction 
beiy wie sie der Abdruck des Anonimo hat. 



— 107 — 

gente In questo ro- gente, et entrato messer Corso 

more messer Corso — venne in Firenze, corsono la terra, et 

in Firenze ando alle ruppono le prigioni, et caccio- 

carcere del comune — e dili- rono molti cittadini, et con tutto 

bero i pregioni — E con questo strazio della terra mes- 

tutto questo stracciamento ser Carlo non vi pose riparo, et 

di cittade, messer Carlo di venne contro a ogni impromessa 

Valois ne sua gente non mise fatta, et cbntro a ogni suo sacra- 

consiglio ne riparo, ne at- mento; et a' di due d'Aprile 

tenne sacramento o cosa vegnente cacci5 di Firenze et 

promessa per lui E die bando a molti cittadini etc. 

per questo modo fu abbatutta 
e cacciata di Firenze I'ingrata 
e superba parte de' bianchi — 
a di 4 d'Aprile 1302. 

Angesichts dieser Zusammenstellung ist es nicht nothig viel 
Worte uber eine Sache zu machen, die von selbst in die Augen 
springt, da jedermann zugeben wird, dass der Dante- Commen- 
tator auf gleiche Weise wie den Villani, so den Dino oder dessen 
Quelle excerpirt hat und dass die umgekehrte Annahme, wonach 
der Falscher des Dino die gleichlautenden Satze aus dem Ano- 
nimo heriibergenommen und in seine weitlaufigere Erzahlung 
kiinstlich verwebt und dabei mit grosster Behutsamkeit alles 
andere, was Anonimo aus Villani hat, unberiicksichtigt gelassen 
hatte, ganzlich imstatthaft ist. 

Dieselbe Art der Compilation aus beiden Quellen begegnet 
uns noch an einer andern Stelle des Anonimo, wo er zu Purgat. 
XXIV, 82: Or va, diss' ei, che quei che piu n' ha colpa vegg'io 
a coda d'una bestia tratto — uber den Untergang des Corso 
Donati, des grossen Parteihaupts der Schwarzen, die historische 
Erlauterung zumtheil mit den Worten des Dino Compagni, 
zumtheil mit den Worten des Villani bringt: 

Dino Compagni III (p. 84). Anonimo Fior. II, 392. 

Fra i Guelfi neri di Fi- Egli e da sapere che tra' 
renze per invidia e per guelfi di Firenze, per invidia et 



— 108 — 



avarizia un' altra volta nac- 
que grande scandolo: il 
quale fu, che messer Corso 
Donati, parendogli avere 
fatta piu opera nel riac- 
quistare la terra, gli parea 
degli onori e degli utili 
avere piccola parte o quasi 
nulla: perocche messer Ros- 
so della Tosa, messer Paz- 
zinodeiPazzi, messer Betto 
Brunelleschi e messer Geri 
Spini co' loro seguaci di 
popolo prendevano gliono- 
ri, servivano gli amici, e 
davano i risponsi e faceano 
le grazie, e lui abl>assa- 
rono. E cosi vennono in 
grande sdegno negli animi, 
e tanto crebbe, che venne 
in palese odio. MesserPaz- 
zino de' Pazzi fece un di 
pigliare messer Corso Donati 
per danaridoveva avere da 
lui, e molte parole villane 
insieme si diceanoper volere 
lasignoriasenzalui,perche 
messer Corso era di si alto 
animo e di tanta operazi- 
one, che netemeano,e parte 
contentevole non crede- 
vano, che dare gli si po- 
tesse. Onde messer Corso 
raccolse gente a se dimolte 
guise. Gran parte ebbe de' 
grandi, perocche odiavano i 



per avanzia, nacque uno scan- 
dolo grande, il quale fu che 
messer Corso, credendosi piu 
avere operate il male neir ao- 
quistare la terra per forza, 
parea a messer Corso Donati 
dell' onore e dell' utile avere 
piccola parte, o quasi nulla, pero 
che messer Eosso della Tosa et 
messer Geri Spina et messer 
Pazzino de' Pazzi et messer 
Betto Brunelleschi co' loro se- 
guaci di popolo, prendeano gli 
onori et gli amici serviano, da- 
vano risponsi et grazie, et lui 
abbassavano; et cosi vennono 
in grande sdegno negli animi; 
et tanto crebbe per continuare, 
che venne in palese odio, et fa- 
velle si tennono. Messer Paz- 
zino il fece pigliare per moneta 
che da lui dovea avere, et par- 
role oziose dinanzi a' visi si 
diceono : et cio faceano per avere 
la signoria sola senza lui, pero 
che messer Corso era di si alto 
animo et di tanta operazione, 
che ne temeono, et parte con- 
tentevole non credeono che 
dare gli si potessi. Messer Corso 
accolse a se gente di molte guise, 
de' grandi ch' erono mal con- 



— 109 — 



popolani pe' forti ordinamenti 
della giustizia fatti contro a 
loro, i quali promettea annul- 

lare de' quali farono 

i Medici e i Bordoni, i quali 
li soleano esser nemici e 
sostenitori di messerRosso 
della Tosa [hier folgt die Er- 
zahlung von dem Fortgang der 
Verschworung]. 

Villani Vin c. 96. 

Per la qual cosa per . 
grandegelosiasubitamente 
si levo la cittade aromore, 
e sonarono i priori le cam- 
pane a martello, e fu ad 
arme il popolo e' grandi a 

pie e a cavallo, E su- 

bitamente, com' era ordinate 
per gli sopradetti caporali, fu 
data una inquisizione ovvero 
accusa — in contro al detto 
messer Corso, opponendo- 
gli come dovea e volea tra- 
dire il popolo — faccendo. 
venire Uguccione della 
Faggiuola — E la richiesta 
gli fu fatta, e poi ilbando, 
e poi la condannazione in 
meno d'una ora — — — 
[hier folgt der Angriff der be- 
waflfneten Volksmacht auf die 
Hauser des Corso Donati und 
die Erstiirmung der Barrika- 
den.] Veggendo cio messer 



tenti. I Bordoni, i Medici po- 
tenti popolani, i quali soleano 
essere a lui iniqui, nimici, sqs- 
tenitori della grandezzadimesser 
Rosso della Tosa, divennono di 
sua giura. 



Per la qual cosa et per gran 
gelosia subitamente si levo la 
citta a romore, et sonorono i 
priori le campane a martello, 
et fu ad arme il popolo a pie 
et a cavallo. Fu data subita- 
mente una accusa contro a mes- 
ser Corso, opponendogli come 
volea tradire il popolo, et fare 
venire Uguccioiie della Faggi- 
uola suo socero; et la richiesta 
gli fu fatta; et poi il bando et 
la condennagione in men d'un 
ora; et assalito alle case, et en- 
trato il popolo dentro al ser- 
raglio di messer Corso, si parti 



— no — 

Corso e' suoi — fuggisi fuori et usci di Firenze; et seguitato 

della terra — perseguitati da certi popolani et Catalani 

per alquanti cittadini a die '1 seguivano, fu preso; et 

cavallo e Catalani — messer menandolne preso, come fu di 

Corso fu giunto epreso — e costa a santo Salvi, per non 

menandolne preso a Firenze, venire alle mani de' suoi nimici, 

come fu di costa a san Salvi si lascio cadere a terra del 

— per paura di venire-all e cavallo, et ivi gli fu dato per 

mani de' suoi nemici — si alcun Catalano d'una lancia 

lascio cadere da cavallo. per la gola, et lascioUo per 

I detti Catalani veggendolo in morto strascinandolo alquanto 

terra, Puno di loro gli diede il cavallo. 
d'una lancia per la gola 
d'uno colpo mortale, e lascia- 
ronlo per morto. 

Der Dante-Commentator hat auch hier, wie man sieht, bald 
die eine, bald die andere Quelle ausgeschrieben, und sehr ein- 
fach erklart sich hieraus sowohl der ^bemerkenswerthe Wider- 
spruch zwischen Anonimo gegen Dino, als auch die merkwiirdige 
Uebereinstimmmig' desselben mit Villani iiber den Tod des 
Corso Donati, worauf SchejBfer-Boichorst (Zum Dinostreit S. 192) 
aufinerksam macht: namlich Anonimo^ stimmt mit Dino oder 
mit Villani, je nachdem er die eine oder die andere Quelle aus- 
schreibt. Merkwiirdiges ist nichts dabei: fiir den Zweck seines 
Commentars wahlte er aus den ihm bekannten Quellen gerade 
nur die Stellen heraus, die ihm nach ihrem Wortlaut die be- 
quemsten waren; von einer andern Art der Kritik ist bei ihm 
iiberhaupt nicht die Rede.*) 

Fassen wir das Ergebniss unserer bisherigen Untersuchung 
iiber die drei Stellen des Anonimo, wo sich wortliche Ueberein- 
stimmung mit der Chronik des Dino Compagni findet, zusammen, 
so hat sich schon bei der ersten, wo das Verhaltniss auf den 



*) Begreiflicher Weise jSchweigt der Anonymus' (Scheffer-Boichorst 
a. a. 0. 190), wo Dino von sich und seinen Yerhandlungen erzahlt, denn 
das gehdrte doch gewiss nicht in den Dante- Commentar. 



— Ill — 

ersten Blick noch zweifelhaft schien, gezeigt, dass fiir beide, 
Anonimo und Diuo, eine gemeinschaftliche Quelle anzunehmen 
ist, und diese Voraussetzung hat sich uns bei den zwei anderen 
Stellen, wo im Anonimo Compilation abwechselnd aus Villani 
und Dino oder dessen Quelle vorliegt, zur Gewissheit erhoben. 
Werfen wir jetzt den Blick auf die Kritik zuriick, welche 
gegen die Chronik des Dino geiibt worden ist, um ihre Falschung 
im 16. oder 17. Jah^hundert zu beweisen. Scheffer-Boichorst 
hatte mit vielem Scharfsinn in der Erzahlung des Dino iiber den 
Prozess des Monfiorito eine Reihe von handgreiflichen Wider- 
spriichen und Unwahrscheinlichkeiten aufgedeckt und sie dem- 
nach fiir ein blesses Phantasiestiick erklart (Florentiner Studien 
S. 119 — 125 und die Chronik des D. C. S. 31). Mit gesteigertem 
Ausdruck einer gerechten sittlichen Entriistung erhob er daraus 
den Vorwurf bewusster Liige und absichtlicher Verleumdung 
gegen den Falscher, der ^in einem Anfall von grenzenlosem Ueber- 
muth den Entschluss gefasst habe, seinen Lesern weiss zu machen^ 
dass zwei der angesehensten Manner von Florenz ganz gemeine 
Verbrecher gewesen seien'; und er fiihlte sich dem durch ihn 
gliicklich entlarvten Falscher gegeniiber als wahrer, wenn auch 
spater Ehrenretter, weil er jene ^zwei Manner, denen man zum 
wenigsten nachriihmen diirfe, dass sie ihre municipalen Pflichten 
getreu erfiillt haben, von dem ihnen angehefteten Schandmale 
fiir alle Zeiten befreit* habel — Wie bald hat sich nun doch 
dieses Blatt gewendetl Dino kann getrost, um ein anderes Wort 
seines Kritikers zu gebrauchen, den Vorwurf der Liige und 
Verleumdung ^zuriickschleudem'. Seine Erzahlung, welche die 
grossen Schurken, die vor und nach 1300 im Regiment von 
Florenz sassen und trotz ihrer gerichtlichen Verurtheilung da- 
rin blieben, an den Pranger stellt, welche den Zorn des un- 
sterblichen Dichters dariiber, dass er vor solchen Leuten aus 
der geliebten Vaterstadt weichen musste und durch solche sein 
ganzes Leben von ihr femgehalten wurde, eben erst recht be- 
greiflich macht: — diese Erzahlung findet sich jetzt, wie durch 
den Vers von Dante selbst: ad etade ch' era sicuro il quademo 
e la doga, so auch durch seine Commentatoren voUauf bestatigt. 



— 112 — 

and es bleibt anf Dino im Grande nidbts welter sitzen, als dass 
er den Podesta Monfiorito za einem Padaaner macht, da er 
doch ein Treyisaner war! Denn die andem yermeiDten Unwahr- 
scheinlichkeiten oder Widerspriiche yerschwinden yor der ein- 
fachen Wahrfaeit der Thatsache, deren Znsammenhang yrir yol- 
lends aos den erganzenden Berichten^ des Ottimo and des 
AnonJmo erkannt haben.*) 



*) So erledigt sich ein Haaptargument von Scheffer-Boichorst gegen 
die Wahrheit der Erzllhlnng Dino's, welches daher genommen war, dass 
Niccola Acciajnoli doch gleich nach seiner Yerortheilong als Prior im 
September 1299 Yorkommt, durch die Angabe des Ottimo, dass Messer 
Kiccola eben znr Zeit Prior war, als er das ihn compromittirende 6e- 
richtsprotokoll yon der Eammer holen liess (was er sich gerade nnr in 
solcher amtlichen Stellung heraosnehmen durfte): er war also nicht Prior 
nach, sondem yor seiner Yemrtheilang! Die Absetzong des Podestli 
fand statt im Mai 1299, daranf folgte erst sein Prozess bei dem Syndicat; 
liiccola Acciajnoli trat das Priorat Mitte Augnst an, welches bis Mitte 
October w&hrte (s. das Priorenyerzeichniss bei March. Stefan! in Delizie 
degli eruditi Tosc. YIII, 86) ; nnter dem folgenden Priorat wnrde er wegen 
F&lschung verurtheUt. 

Bloss hinein interpretirt, aus Unkenntniss des Gerichtsverfahrens, 
hatte Scheffer-Boichorst (Stndien S. 122), dass die Burger (cittadini), 
welche nach Dino's Erzahlung fiber die Tortur des Podestii uneinig wur- 
den, Prioren der Signorie gewesen seien,'wogegen ich (die Chronik S. 46) 
aus den Statuten von Florenz bewies, dass ein Syndicat von 6 (spater 8) 
gew&hlten Btirgem die Amtsffihrung des Podestli zn untersuchen hatte; 
daher sagte ich w5rtlich: ^Piero Manzuolo war nicht Prior, sondem einer 
der Syndici nnter denen die Meinungsverschiedenheit entstand.' Scheffer- 
Boichorst meint (Znm Dinostreit 188 Note 1), wir w&rden nnn durch den 
Anonymus eines andem belehrt. Ich frage: welches andem? Dessen, dass 
nur zwei, nicht alle sechs Syndici bei der Tortur zugegen waren? Nicht 
daranf kommt es an, sondem darauf, dass sie nicht Prioren waren, unter 
welcher Yoranssetzung der Eritiker den Dino ad absurdum fuhren woUtel 
Um aber auch die Eritik, welche sein italienischer Nachtreter in den 
Metamorfosi di D. C, handhabt, an einem Beispiel zu charakterisiren, sei 
bemerkt, dass Fanfani erstens den Dino wegen seiner Erzahlung im 
ganzen und einzelnen wiederholt der Ltige zeiht, ohne freilich noch zu 
ahnen, dass der yon ihm selbst herausgegebene Anonimo die gauze 
Geschichte bestMigt, dass er zweitens in einer andern Note den Com- 
mentator des Dino, Isidoro del Lungo (und implicite auch Scheffer-Boi- 
chorst), der crassesten Ignoranz in der florentinischen Geschichte be- 



- 113 - 

Also ist die gegen Dino's Erzahlung geiibte Kritik hinfallig 
geworden in der Hauptsache. Und man kann daraus eine all- 
gemeine Belehrung iiber den rechten Gebranch wie den Miss- 
brauch der historischen Kritik gewinnen. Ohne noch die ander- 
weitige Bestatigung der angezweifelten Erzahlung des Dino zu ' 
kennen, hatte ich in meinem Rettungsversuch S. 46 bemerkt, 
dass bei der damaligen Parteiherrschaft in Florenz Einfluss und 
Macht nicht durch den sittlichen Werth der Personen bedingt 
gewesen sei. Ich woUte damit sagen, dass man die Zustande der 
florentinischen Republik in jener Zeit nicht nach unseren Be- 
griflfen des Statthaften beurtheilen diirfe, und dass man nicht 
nach solcher vorgefassten Meinung berechtigt sei, eine erzahlte 
Goschichte fur unglaubwiirdig zu erklaren, sondem man soUe 
umgekehrt erst lernen, wie die Zustande wirklich beschaffen 
waren und danach sein Urtheil iiber die Glaubwlirdigkeit der 
Erzahlung bilden. So verhalt es sich wirklich: die beiden 
Parteimanner und Machthaber der Republik, Niccola Acciajoli 
und Baldo Aguglione, wurden im J. 1299 wegen erwiesener 
Falschung zu hohen Geldbussen xmd einjahriger Verbannung 
verurtheilt, und dennoch hat dies ihrem Ansehen und ihrem 
Einfluss bei den regierenden Parteigenossen so wenig geschadet, 
dass sie wenige Jahre nachher wieder die hochsten Ehrenamter 
als Prioren und Gesandte der Republik inne batten und dass 
Baldo Aguglione als ein beriihmter Jurist noch im J. 1311 das 
nach ihm benannte Staatsgesetz durchbringen konnte, welches 
fiir immer ein trauriges Denkmal des Parteihasses jener Zeit 
geblieben ist (s. meine Schrift S. 47)1 — 



Ich bin durch die Revision der Schefifer-Boichorst'schen 
Kritik in meiner Schrift iiber Dino Compagni (Leipzig 1875) 



schuldigt, weil er annehmen konnte, dass die Tortur des Podestk vor den 
Prioren vollzogen worden Sei, und dass er drittens in einer andem Note 
den Falscher des Dino durch die Behauptung widerlegen will, dass Piero 
Manzuolo in diesem Jahr nicht Prior gewesen sei, obwohl Dino dies gar 
nicht gesagt hat I Und solcher Gommentar ist zor Belehrung der ita- 
lienischen Schulen bestimmt! 

Hegel, Dante -Commentare. 8 



- 114 - 

• 

zu dem Ergebuiss gekommen, dass wie sehr auch die Echtheit 
uiid Glaubwiirdigkeit der Chronik im einzelnen erschiittert wor- 
den, doch nicht damit auch die weitergehende Hypothese ihrer 
spateren Erdichtung bewiesen sei, dass man vielmeEr zur Er- 
klarung des Werks im ganzen, nach Plan und Inhalt, Idee und 
Ausfuhrung einen echten Kern iiberlieferter Denkwiirdigkeiten 
annehmen miisse, welche in der Gestalt, worin sie uns vorliegen, 
eine spatero Ueberarbeitung erfahren haben, wodurch Missver- 
staudnisse aller Art, Anachronismen, Zusatze selbst aus eigener 
Erfindung hineingekommen sind. Diese vermittelnde Ansicht, 
welche weder die Echtheit der Chronik behauptet, noch die 
Falschung im Sinne eines historischen Romans annimmt, hat 
Widerspruch, aber auch Zustimmung erfahren — Widerspruch 
begreiflicher Weise am meisten von Scheflfer-Boichorst selbst 
in seiner Antikritik (Leipzig 1875), wohlerwogenen Beifall in 
einer Recension von Th, Wiistenfeld (Gottinger Gelehrte An- 
zeigen 1875). Ebenso sind in ItaUen von Dinisten und Anti- 
dinisten die Argumente fiir und wider die Echtheit mit glei- 
chem Nachdruck wiederholt worden. Ich will nicht weiter auf 
das einzelne zuriickkommen. Dass die Chronik im ganzen nach 
Inhalt und Form ein schwer zu erklarendes Problem sei, wird 
jedermann, auf welcher Seite er stehe, zugeben. 

Es fragt sich jedoch, welchen Weg der Erklarung man fiir 
den besseren halten soil. Bei dem einen findet man die Schwie- 
rigkeit, in alien einzelnen Fallen den echten Kern der Ueber- 
lieferung aus den falschen Zuthaten des spateren Redactors 
herauszuschalen*); bei dem andern wii*d das objective Rathsel 
eigentlich nur in ein subjectives verwandelt, d. h. von dem 
schriftstellerischen Werk in den Autor zuriickverlegt, denn ein 
psychologisches Rathsel bliebe immerhin der Falscher, welcher 
bei seiner Kenntniss von allem moglichen Quellenmaterial, doch 
aus wunderlichem Widerspruchsgeist oder blossom Eigensinn 
gegen besseres Wissen die historische Wahrheit entstellt haben 
sollte. Von der Entscheidung hieriiber hangt dann weiter ab, 

*) Wiewohl Th. Wtlstenfeld in seiner Becension S. 1576 dies fUr 
thunlich hMt. 



— -115 — 

wie man sich in Zukunft zu der Chronik des Dino verhalten 
soli, ob man sie mit Recht noch historisch verwerthen kanh, 
Oder ob man den Dino, wie jetzt schon gewohjilich geschieht, 
kurzweg zu den Todten wirft. Ich habe mich am Schluss 
meiner Schrift dahin ausgesprochen, dass man die Chronik bei 
ihrer zweifelhaften Beschaflfenheit, im Hinblick auf die leiden- 
schaftliche Gemiithsstimmung des Autors und die Zuthaten des 
BearbeiterSa mit Vorsicht zu benutzen habe; es komme darauf 
an fiir die Thatsachen^ die sie berichtet, noch anderweitige Be- 
wahruiig zu finden/ Eben diese Bestatigung • des historischen 
Inhalts hat sich, neben vielerlei Unrichtigkeiten, schon bei 
einer Reihe von Dingen gefunden, welche zumtheil wesentlicher 
Art, zumtheil von nur nebensachlicher Bedeutung sind, aber ge- 
rade in letzterer Beziehung durch ihre bloss beiliiufige Erwahnung 
am moisten dem Werke die Farbe der Echtheit verleihen.*) 
Auf eine unbekannte Quelle von hohem Worth sind wir nun 
aber durch die Excerpte im Dante- Common tar des Anonimo 
Fiorentino hingewiesen, welche nicht bloss im Inhalt, sondern 
auch im Wortlaut mit Dino Compagni iibereinstinmien. Dadurch 
gewinnt die Chronik eine noch viel weiter reichende Bewahrung 
ihrer Glaubwiirdigkeit und ist die Falschungshypothese, welche . 
sie zumeist aus blosser dichterischer Erfindung eines unter der 
Maske des Dino auftretenden spateren Autors erklarte, vollends 
widerlegt, zugleich aber auch an der einen Parallelstelle, welche 
den Prozess des Podesta Monfiorito betriflft, das willkiirliche Ver- 
fahren des Bearbeiters oder Redactors jener originalen Denkwiir- 
digkeiten dargethan. 

*) S. meine Schrift S. 72— -85. Von dieser Art ist auch der von 
Th. Wttstenfeld (Recension S. 1577) aus dem Schatz seiner Urkunden- 
ausziige beigebrachte Beweis beztiglich der beilaufigen Erwahnung wo 
Dino sagt, dass er schon einmal wegen Verletzung der Ordnungen der 
Gerechtigkeit angeklagt worden sei (L. II ed. Barbara p. 38). Aus einem 
Actenstiick vom Nov. 1295 (im Cod. des Florentiner Archivs Classe XI 
no. 35) erhellt die Wahrheit der. Thatsache wie die Veranlassung der 
Anklage, weil namlich Dino zur Zeit seines Gonfalonierats die Bestrafung 
gewisser Fersonen wegen Gewaltthatigkeit unterlassen hatte. 



Druck von Poschel & Trepte in Leipzig. 



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