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Full text of "Bericht über den Internationalen Anti-Militaristischen Kongress im Haag, 1921. Hrsg. vom Internationalen Anti-Militaristischen Bureau gegen Krieg und Reaktion im Haag (Holland)"

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International  An ti -Militarist 
Congress,  Hague,  1921 

Bericht  über  den  Internationalen 
Anti-Militaristischen  Kongress 
im  Haag,  1921 


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BERICHT 

ÜBER  DEN 

INTERNATIONALEN 

ANTI-MILIT  ARKTISCHEN 

KONGRESS 

IM  HAAG  1921 


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HERAUSGEGEBEN  VOM  INTERNATIONALEN  ANTI* 
MILITARISTISCHEN  BUREAU   GEGEN    KRIEG   UND   REAKTION 

IM  HAAG  (HOLLAND). 
SEKRETÄR  JOS.  GIESEN,  HEERENWEG  14        BRECHT  (HOLLAND) 

DEUTSCHE  AUSGABE  IM  VERLAG  FRI  TER,  BERLIN  O  34, 

KOPERNIKUSjSTRAS. 


DEMONSTRATIVER  TEIL 


Empfang. 

Am  Sonnabend,  den  26.  März  1921,  um  4  Uhr  nachmittags,  kamen  Abgeord* 
nete,  Kongreßmitglieder  und  Gäste  in  dem  mit  frischem  Grün  und  roten  Fahnen 
geschmückten  großen  Saal  des  Volkshauses  (Volksgebouw)  im  Haag  zusammen. 

Nachdem  Erfrischungen  umhergereicht  worden  waren,  betrat  N.  J.  C. 
Schermerhorn  (aus  Nieuwe  Niedorp,  Holland)  die  Tribüne,  um  die  Erschienenen 
im  Namen  des  Holländischen  Landesverbandes  des  Internationalen  AntüMilU 
taristischen  Vereins)  (I.A.M.V.)  zu  begrüßen.  Er  verlas  ein  Telegramm  vom 
Hauptvorstand  der  Bauarbeiterföderation  und  richtete  nacheinander  im  Fran« 
zösischen,  Englischen  und  Deutschen  eine  Ansprache  an  die  Gäste  aus  anderen 
Ländern.  Wir  kommen  hier  zusammen,  sagte  er,  nicht  um  ein  Fest  zu  feiern, 
sondern  um  zu  arbeiten,  damit  die  Völker  zu  neuem  antimilitaristischen  Kampf 
erwachen. 

Henri  Huchet  (aus  Paris)  begrüßte  den  Kongreß  im  Namen  der  französi- 
sehen  Kameraden.  Er  hat  mit  dem  Bürgerlichen  Pazifismus'  gebrochen.  Sein 
Platz  ist  nicht  auf  dem  Kongreß  jener  Bewegung  in  Paris,  sondern  hier  auf  dem 
Kongreß  der  antikapitalistischen  Antimilitaristen. 

G.  W.  Meyer  (aus  Bremen)  hatte  in  britischer  Gefangenschaft  die  eng» 
lischen  Dienstverweigerer  kennengelernt.  Er  ist  für  ihre  Grundsätze  gewonnen 
und  überträgt  deren  Ausführung  jetzt  nach  Deutschland.  Er  brachte  den  hollän« 
dischen  Dienstverweigerern  seine  Anerkennung  dar. 

B.  Lansink  jr.  (aus  Amsterdam),  Vorsitzender  des  Niederländischen  Ar* 
beitersekretariats,  begrüßte  den  Kongreß  im  Namen  der  holländischen  syndi* 
kaustischen  Bewegung. 

Eröffnung. 

Des  Abends  um  etwa  8  Uhr  eröffnete  B.  de  Ligt  (aus  Katwijk  aan  Zee, 
Holland)  die  Sitzung.  Im  Jahre  1904,  führte  er  aus,  wurde  auf  Anregung  von 
F.  Domela  Nieuwenhuis  der  I.A.M.V.  gegründet  unter  der  Losung:  „Keinen 
Mann  und  keinen  Pfennig  für  den  Militarismus".  Von  Anfang  an  betrachtete 
man  die  militärische  Frage  als  eine  gesellschaftliche  und  erweckte  in  erster  Linie 
die  Arbeiter,  besonder»  die  Gewerkschaften,  zum  Kampfe  gegen  den  Militarist 
mus,  den  man  als  notwendige  Begleiterscheinung  des  Kapitalismus  erkannte. 
In  anderen  Ländern  mißglückte  vorläufig  der  I.A.M.V.  Ucberall  erschlaffte  der 
antimilitaristische  Kampf.  Man  glaubte  an  eine  Periode  friedlicher  gesellschaft* 
licher  Entwicklung.  Die  internationale  Sozialdemokratie  paßte  sich  den  bür* 
gerlichen  Verhältnissen  an.  Sie  bildete  ein  selbstgenügsames  Proletariat  heran, 
»ir  Zeit,  da  die  Bourgeoisie  immer  unersättlicher  wurde.  In  den  Jahren  1891 
und  1893  verleugnete  sie  bewußt  ihren  antimilitaristischen  Standpunkt  von  1868. 
Domela  Nieuwenhuis,  der  diesen  Standpunkt  aufrechterhielt,  hatte  infolgedessen 
fortwährend  Konflikte  mit  sozialdemokratischen  Führern  (Adler,  Aveling,. 
Liebknecht  sr.,  Plechanow,  Vaillant  usw.).  Ebenso  folgten  maanche  Ans 
archisten  der  Entwicklung  des  Kapitalismus  zum  Imperialismus.  In  den  alten 
Anschauungen  lebend,  wurden  sie  zu  dem  neuen  gesellschaftlichen  Kampfe  un* 
fähig.  Im  Jahre  1914  scharten  sich  manche  ihrer  Vertreter  an  die  Seite  des 
kleinbürgerlichen  Frankreichs,  des  imperialistischen  Englands  und  des  zaristi« 
sehen  Rußlands.  In  allen  Ländern  jedoch  blieben  Ausnahmen:  Malatesta,  Do* 
mela  Nieuwenhuis,  Rosa  Luxemburg,  Liebknecht,  Mehring,  Pierre  Ramus,  Sa? 
vigny  usw.  Und  dann  wirkte  in  Europa  der  Geist  Tolstois  nach,  für  den  die 
gesellschaftliche  und  also  auch  die  militärische  Frage  zu  allererst  eine  persön* 
liehe  Frage  war.  Besonders  durch  ihn  wurde  man  sich  dessen  bewußt,  daß 
der  Mensch  die  Umstände,  in   deren  Mitte  er  selbst  steht,  zu  überwinden  hat,. 

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Erst  wenn  er  in  Wechselwirkung  damit  der  entscheidende  Faktor  geworden  ist, 
wird  —  sowohl  zufolge  Marx  und  Bakunin  wie  zufolge  Tostoi  —  die  wahrhafte 
Menschheitsgeschichte  begonnen  sein.  Infolge  natürlicher  und  politischswirt* 
schaftlicher  Umstände  war  in  England  eine  alte  Ueberlieferung  des  Urchristen* 
tums  in  Quäkern  und  andern  lebendig  geblieben.  Diese  und  die  neuere  Ueber« 
Jieferung  des  individualistischen  Liberalismus  ermöglichten  dort  eine  mächtige 
Dienstverweigerungsbewegung.  Uebrigens  hielten  überall  starke  Persönlich« 
keiten  an  ihrem  revolutionären  Grundsatz  fest.  Nach  und  nach  erwachte  so 
überall  im  Proletariat  eine  Empörung,  die  jedoch  nur  in  kapitalistisch  später 
entwickelten  Ländern  zum  Ausbruch  kommen  konnte.  Von  diesen  behauptete 
sich  allein  Rußland  gegen  den  weißen  Terror. 

Wir  kommen  jetzt  zusammen:  1.  um  gegen  den  Imperialismus  zu  demon« 
strieren;  2.  um  über  die  Gründung  eines  I.A.M.*Bureaus  zu  beraten;  3.  um 
grundsätzliche  und  praktische  Fragen  des   I.A.M.V.  zu  besprechen. 

In  allererster  Linie  vereinigen  wir  uns  gegen  die  Bourgeoisie.  Möge  das 
Proletariat  sich  nicht  mehr  länger  in  ihrem  Dienste  zerfleischen!  Man  suche 
durch  gesellschaftliche  und  sittliche  Umwälzung  jedem  drohenden  Weltkrieg 
zuvorzukommen! 

Durch  Paßverweigerung  hat  die  holländische  Obrigkeit  den  linken  Flügel 
des  Kongresses  stutzen  wollen.  Wir  halten  jedoch  international  Fühlung,  und 
den  holländischen  linken  Flügel  kann  die  Regierung  doch  nicht  treffen. 

Als  antikapitalistische  Antimilitaristen  haben  wir  vor  allen  Dingen  den 
Russen  zu  helfen.  In  Politik,  Strategie  und  Diplomatie  haben  sie  viele  Erfolge 
errungen.  Aber  wirtschaftlich  sind  sie  noch  schwach,  und  auch  moralisch  noch 
nicht  allzu  stark.  Gewiß,  es  beginnt  ein  neuer  Geist  zu  erwachen  —  was  Kro« 
potkin  bezeugt  —  aber  Krieg,  Terror  und  Parteidiktatur  können  keinem  Volke 
zu  wirtschaftlicher  Selbständigkeit  und  kultureller  Freiheit  verhelfen,  sondern 
es  nur  verwildern.  Doch  wir  hier  im  Westen  sind  die  Hauptursache  ihrer  revo* 
lutionären  Entkräftung.  Vernichten  wir  hier  Krieg,  Terror  und  Kapitalismus, 
dann   wird    Rußland   sich   von    selbst   erholen. 

Redner  bedauerte,  daß  nur  Angehörige  der  weißen  Rasse  an  diesem  Kon« 
greß  teilnehmen.  Wir  grüßen  die  farbigen  Mitkämpfer  und  erwarten,  daß  sie 
die  antikapitalistische,  antimilitaristische  Weltbewegung  mit  neuem  Schwung 
verstärken. 

Diese  Rede  wurde  in  Deutscher  Sprache  gehalten  und  von  Teil  zu  Teil  ins 
Französische  übersetzt.     Jos.  Giesert  (aus  Utrecht)  übersetzte  sie  ins  Englische. 

Danach  faßte  De  Ligt  die  Hauptsachen  seiner  Rede  im  Holländischen  zu* 
sammen  und  betonte,  daß  die  holländische  Regierung  durch  Paßverweigerung 
an  Leute  wie  Björklund  und  Pierre  Ramus  ihren  mörderischen  Charakter  offen« 
barte.  (Begeisterter  Beifall.)  Auf  seine  Bitte  erhob  sich  die  Versammlung  von 
den  Plätzen  zu  Ehren  des  Andenkens  an  F.  Domela  Nieuwenhuis,  der  während 
seines  ganzen  Lebens  zur  Vorbereitung  dieses  Kongresses  beigetragen  hatte  und 
einer  der  wenigen  war.  die  gleichsam  in  weißem  Gewand  durch  die  bedrängende 
Finsternis  gingen.  Ihm  haben  wir  zu  folgen.  Redner  erklärte,  daß  man  bei« 
nahe  mathematisch  sicher  beweisen  kann,  daß  ein  neuer  Weltkrieg  sich  nähert, 
wenn  das  Proletariat  sich  nicht  dem  Kapitalismus  und  Militarismus  entzieht.  Es 
ist  eine  Bourgeoislüge,  von  „gelber  Gefahr"  zu  sprechen;  es  gibt  nur  eine 
Gefahr:  die  weiße  Weltgefahr,  den  Imperialismus.  Mit  den  farbigen  Mitkämpfern 
bilden  wir  ein  Ganzes.     Auch  jetzt  kämpfen  wir  mit  ihnen  weiter. 

Berichte  und  Botschaften  an  den  Kongreß. 

Schermerhorn  las  eine  Botschaft  von  den  bulgarischen  Tolstoianischen  Anti* 
militaristen  vor,  deren  Verfasser  Yanko  Todorow  ebenfalls  durch  Paßschwierig« 
keiten  verhindert  war.  Sie  widersetzen  sich  jedem  Kriege,  sei  er  Angriffs« 
oder  Verteidigungskrieg,  sowohl  in  revolutionären  wie  in  kontrarevolutionären 
Zeiten.  Tausende  Fälle  von  Dienstverweigerung  kündigen  das  Nahen  des 
Tages  an,  wo  der  Krieg  überhaupt  aufgehoben  sein  wird. 

Wilfred  Wellock  (aus  London)  erstattete  Bericht  über  die  englische  anti* 
militaristische  Bewegung,  die  in  den  10  000  Dienstverweigerern  ihren  Kernpunkt 
fand.  Dies  ist  die  sittliche  Grundlage,  worauf  eine  neue  Weltordnung  gebaut 
werden   soll.     Und  diese  ist  notwendig;  der  Bourgeois«Pazifismus  ist  unhaltbar. 


Antimilitarismus  ist  Antikapitalismus.  Die  englische  antirailitaristische  Tätige 
keit  steht  im  Begriff,  sich  in  der  Bewegung  „Keinen  Krieg  mehr"  (No  More 
War  Movement)  durchzusetzen. 

Frietz  Lieb  (aus  Zürich)  sprach  im  Namen  der  Schweizer  Jugend.  Im  Zu- 
sammenhang mit  den  Dienstverweigerungen  während  des  Krieges  erwähnte  er 
Jules  Humbert  Droz,  der  ebenfalls  wegen  Paßschwierigkeiten  nicht  auf  diesem 
Kongreß  anwesend  war.  Besonders  die  Jugend  wehrt  sich»  in  der  Schweiz 
kräftig. 

Marcel  Sauvage  (aus  Paris)  sprach  Worte  der  Versöhnung  zu  Franzosen 
und  Deutschen.  Als  der  Krieg  ausbrach,  blieben  unter  Sozialisten  und  Christen 
fast  allein  eine  Gruppe  Anarchisten  ihrem  Grundsatz  treu.  Sie  hatten  sich 
um  Sebastian  Faure  geschart.  Die  Zeitung  „Le  Libertaire"  bekämpft  kräftig 
Krieg  und  Militarismus.  Bei  einem  Aufstand  im  Heere  1907  trieben  Maschinen* 
gewehre  die  Soldaten  auseinander.  Unvergänglich  ist  der  Ruhm  der  französi* 
sehen  Matrosen,  die  auf  dem  Schwarzen  Meer  sich  weigerten,  gegen  die  russi* 
sehen  Revolutionäre  zu  kämpfen.  In  Frankreich  gibt  es  folgende  antimilitaristi* 
sehe  und  pazifistische  Gruppen:  1.  Bürgerliche,  worunter  der  Frauenbund  für 
den  Frieden;  2.  sozialistische:  Bourgeois*Sozialisten,  Bolschewisten,  syndika* 
listische  Jugend;  3.  anarchistische:  individualistisch  und  kommunistisch  Gesinnte;, 
4.  religiöse:  Christen,  Okkultisten,  Theosophen. 

R.  Morgan  French  (aus  San  Francisco,  Kalifornien)  war  schon  einmal  mit 
einer  Abordnung  amerikanischer  Frauen  nach  Europa  gekommen,  um  hier  die 
Männer  zur  Einstellung  des  Kampfes  zu  bewegen.  Als  stolze  Amerikanerin  hegte 
sie  volles  Vertrauen  auf  Wilson.  Nun  aber  erwartet  sie  nicht  mehr  das  Min* 
deste  weder  von  ihm,  noch  von  den  Frauen,  noch  von  Amerika.  Einst  das  Land 
der  Freiheit,  ist  es  jetzt  so  entartet,  daß  sogar  verbannte  und  verjagte  Revo» 
lutionäre  dort  keine  Ruhe  mehr  finden.  Rednerin  bekommt  durch  diesen  Kons 
greß  wieder  Hoffnung.  Laßt  uns  nun  die  Bewunderung  für  ihn  auch  mit  der 
Tat  bestätigen! 

Weißer  Terror  in  Ungarn. 

Stefan  Villyamy,  der  Ungarn  vertreten  sollte  und  dem  es  ebenfalls  unmög* 
lieh  war,  zu  kommen,  sandte  folgenden  Bericht  über  den  weißen  Terror  in 
Ungarn: 

Der  weiße  Terror  besteht  hauptsächlich  in  individuellen  Tätigkeiten.  Genau 
wie  mittelalterliche  Raubritter  kaufen  vermögende  Leute  Offiziere  und  Mann« 
schaften  auf,  um  plündernd  mit  ihnen  durchs  Land  zu  ziehen.  Erst  wurde  alles, 
was  nur  etwas  mit  Revolution  zu  tun  gehabt  hatte,  ermordet.  Danach  wurde 
unter  denen,  die  sich  nicht  gerade  für  weißen  Terror  erklärten,  ein  Blutbad  an* 
gerichtet.  Auch  das  Elend  trieb  viele  als  Henker  in  Horthys  Dienst.  Die 
sogenannte  „nationale  Armee"  ist  jedoch  ebensowenig  zuverlässig  wie  seiner* 
zeit  die  Offiziere  des  gewesenen  habsburgischen  Heeres  für  die  Roten.  Es  ist 
die  fixe  Idee  des  weißen  Terrors,  die  Zeit  des  Mittelalters  wieder  heraufzubc* 
schwören:  Die  bürgerlichen  Freiheiten  aufgehoben,  die  Macht  der  Kirche  wieder* 
hergestellt.  Die  Geißelstrafe  ist  wieder  eingeführt  worden  und  die  schärfste 
Zensur.  Hierdurch  sind  die  heutigen  Herrscher  mit  dem  früheren  Fürsten* 
hause  wohl  oder  übel  innig  verbunden.  Keine  Naturwissenschaft,  keine  moderne 
Kunst,  keine  Literatur  darf  mehr  bestehen.  Die  anarchistischen  und  antimilu 
taristdschen  Gruppen  hatten  an  der  roten  Diktatur  nicht  teilgenommen.  Dennoch 
nahmen  die  Terroristen  alle  Mitglieder  anarchistischer  und  antimilitaristischcr 
Gruppen  gefangen  und  suchten  sie  durch  unerhörte  Folterungen  zum  Bestätigen 
willkürlicher  Beschuldigungen  zu  zwingen.  Wer  von  ihnen  noch  mit  dem  Leben 
davongekommen  ist,  kann  man  überhaupt  nicht  wissen.  Furchtbar  ist  der  weiße 
Terror  in  seiner  Spionage  und  Sabotage.  Durch  unaufhörliche  Lügenartikel  in 
den  Zeitungen  betrügt  man  das  Volk.  Weiße  Bürokraten  nisten  sich  auf  den 
Büros  der  Arbeiter  ein,  um  dort  als  kleine  Tyrannen  zu  herrschen.  In  gleicher 
Weise  hatten  sie  sogar  auf  die  Sowjetherrschaft  großen  Einfluß  ausgeübt.  Die 
Massenhinrichtungen,  Gefangennahmen  und  Internierungen  sind  bekannt.  Man 
fragt  sich:  Wie  ist  das  alles  möglich?  Ganz  einfach!  Das  ungarische  Volk 
erwartet  Heil  immer  von  andern,  nie  von  sich  selbst.  So  ist  es  jetzt  wieder 
Horthys  Traum,  sich  als  Söldner  an  die  Entente  zu  verkaufen,  um  die  Bol* 
schewisten  zu  bekriegen,  wie  die  Ungarn  für  die  Habsburger  gegen  die  Türken 


Söldner  waren.  Kurzum,  dieser  weiße  Terror  zeigt  deutlich  den  abenteuer* 
liehen  Charakter  des  Staates  überhaupt:  Er  ist  nichts  anderes  als  eine  Räuber* 
Unternehmung.  Was  sich  jetzt  in  Ungarn  auswütet,  ist  die  letzte  Phase  eines 
tausendjährigen  militärischen  Machtmißbrauches,  der  sich  in  Raserei  für  sein 
baldiges  Ende  rächt.  Was  gewesen  ist,  wird  dadurch  nicht  ungeschehen  ge* 
macht.     Was  kommen  muß,  kann  weißer  Terror  nicht  verhindern. 

Bericht  über  die  antimilitaristische  Bewegung  in  Oesterreich. 
Von  Pierre  Ramus. 

Trotzdem  Oesterreich  infolge  seiner  politischen  Neuordnung  sein  altes 
Militärsystem  glücklich  losgeworden  ist,  ist  der  Militarismus  dennoch  nicht  tot, 
sondern,  sowohl  im  Rahmen  des  durch  die  Entente  gestatteten  Ausmaßes,  wie 
auch  außerhalb  desselben,  als  Söldnerarmee  fortbestehend.  Daß  dies  der  Fall, 
daran  sind  vor  allen  Dingen  die  Sozialdemokratie  wie  die  „Kommunisten"  schuld, 
die  den  Fortbestand  eines  Müitärsystems  begünstigen,  weil  sie  darin  einen 
„Schutz  der  Republik"  zu  sehen  vermeinen,  zumindest  einen  Wall  gegenüber 
der  Reaktion,  dadurch,  daß  sie  darnach  getrachtet  haben,  ihre  Parteianhänger  zu 
veranlassen,  in  die  neue  Armeeform  einzutreten. 

Leider  haben  die  bisherigen  Erfahrungen  nur  bewiesen,  daß  die  neue  Söldner* 
armee  ganz  dasselbe  gefügige  Werkzeug  in  den  Händen  der  herrschenden  Macht* 
haber  ist,  wie  es  das  alte  Militärsystem  für  die  früheren  Herrschaftselemente 
gewesen  ist. 

Der  Fortbestand  eines  Militärsystems  hat  auch  den  Fortbestand  der  Rüstungs* 
und  Munitionsindustrie  bewirkt.  Diese  schafft  und  erzeugt  in  Oesterreich  un* 
ausgesetzt  und  mit  Hochdruck  für  das  Ausland  und  besonders  die  Gegenrevo* 
tion,  so  daß  Oesterreich  das  Exportland  für  Waffen  und  Munition  par  exel* 
lence  für  die  Gegenrevolution  geworden  ist. 

Um  so  mehr  ist  dies  der  Fall,  als  die  Arbeiterbewegung  keine  wirklich  ent* 
schiedene  Stellung  dagegen  einnimmt.  Anstatt  die  gesamte  Einstellung  der 
Rüstungss  und  Munitionsindustrie  zu  bewirken,  wurde  diese  Propaganda  nicht 
unterstützt,  weil,  wie  Friedrich  Adler  sagte,  dadurch  Tausende  Arbeiter  arbeits* 
los  werden  würden.  Man  begnügte  sich  mit  der  sogenannten  Unterbindung  des 
Transports.  Vom  Arbeiterrat  wurde  ein  entsprechendes  Komitee  eingesetzt,  das 
aber  nur  in  ganz  vereinzelten  Fällen  Erfolg  zu  verzeichnen  hatte.  In  der  über* 
wiegenden  Mehrheit  von  Fällen  gelang  der  Transport  auf  dem  Wege  des  Schleich* 
handeis,  der  Bestechung,  was  schon  dadurch  bewiesen  wird,  daß  der  Arbeits* 
betrieb  in  der  Munitionsindustrie  nicht  vom  Unternehmertum  eingestellt  wurde. 
Solches  wäre  gewiß  geschehen,  wenn  die  Unterbindung  des  Transportes  wirklich 
wirksam  und  durchgreifend  gewesen  wäre. 

Um  in  die  österreichische  Söldnerarmee  der  sogenannten  „Wehrmacht"  auf* 
genommen  zu  werden,  muß  der  Eintretende  einen  Eid  schwören,  ein  Gelöbnis, 
das  ihn  zur  absoluten  Befolgung  der  Disziplin  verpflichtet,  bei  sonstiger  schwerer 
Bestrafung.  Es  ist  interessant,  daß  diese  ganze  Militärordnung  größtenteils  und 
unter  der  Regierungsperiode  des  sozialdemokratischen  Staatssekretärs  für  Heer* 
wesen,  Dr.  Julius  Deutsch,  ausgearbeitet  wurde  und  zur  gesetzlichen  Annahme 
gelangte.  Während  die  Hinterbliebenen  und  Invaliden  des  Weltkrieges  mit  ge* 
radezu  lächerlichen,  erbarmungswürdigen  Pensionen  abgefertigt  worden  sind, 
wird  den  Angehörigen  der  neuen  Söldnerarmee  ein  ziemlich  gutes  Einkommen 
und  Existenzniveau  geboten,  nur  um  ihren  bedingungslosen  Gehorsam  im  In* 
teresse  der  Aufrechterhaltung  des  bestehenden  kapitalistischen  Systems  ge* 
sichert  zu  haben.  Und  obwohl  es  für  das  österreichische  Volk  ganz  gleich* 
gültig  ist,  ob  Westungarn  —  als  Geschenk  des  St.  Germainer  Friedensvertrages  — 
zu  Oesterreich  kommt  oder  nicht,  wird  diese  Frage  dennoch  einmütig  von  allen 
politischen  Parteien  als  eine  „wichtige"  erklärt,  und  ihretwegen  —  in  diesem  Fail 
unter  dem  Schutz  der  Entente  —  gewaltig  mit  dem  Säbel  geklirrt.  Auch  ist  es 
sicher,  daß,  wenn  es  wegen  Westungarn  zu  einer  kriegerischen  Auseinander* 
setzung  käme,  alle  politischen  Parteien  einmütig  vorgingen,  zur  „Befreiung"  von 
Westungarn  würden  sie  Westungarn  lieber  verwüstet  und  verheert  als  bei 
Ungarn  geblieben  sehenl 

Gegen  alle  die  vorgenannten  Strömungen,  Zustände  und  politischen  Situa* 
tionen  machen  als  erklärte  antimilitaristische  Elemente  nur  drei  Organisationen 


Front  und  wenden  sich  gegen  jene  in  ihrer  Totalität.  Es  ist  dies  der  Bund 
herrschaftsloser  Sozialisten,  der  unter  den  Arbeitern  propagiert,  der  Bund  der 
geistig  Tätigen,  dessen  Propaganda  sich  vornehmlich  und  fast  nur  auf  die  Ins 
tellektuellen  erstreckt  und  der  Versöhnungsbund,  der  vom  christlich*religiösen 
Standpunkt  aus  wirkt.  Außer  diesen  Gruppen  ist  keine  Organisation  vor* 
handen,  die  wirklich  antimilitaristisch  aufträte  oder  sich  betätigte.  Als  public 
zistisches  Organ  des  österreichischen  Antimilitarismus  erscheint  regelmäßig  nur 
„Erkenntnis  und  Befreiung",  Wochenschrift  des  herrschaftslosen  Sozialismus,  in 
Wien.  In  allen,  sehr  häufigen  und  bei  allen  in*  und  ausländischen  Anlässen  ein* 
berufenen  Versammlungen  wird  der  prinzipielle  und  absolute  Antimilitarismus  in 
den  Vordergrund  gerückt.  Die  antimilitaristische  Bewegung  in  Oesterreich  trägt 
den  Stempel  des  Antipatriotismus,  des  Antinationalismus  und  der  Verweigerung 
des  Waffen*  und  Militärdienstes  in  jeder  Form  und  unter  allen  Staatsformen  aus* 
geprägt  an  sich. 

Eingelaufene  Briefe  und  Mitteilungen. 

Sonntag  morgen  erstattete  Giesen  Bericht  über  die  Kongreßteilnehmer  und 
teilte  mit,  daß  mehrere  Abgeordnete,  zusammen  ungefähr  25,  infolge  Paß* 
Schwierigkeiten  und  dgl.  nicht  anwesend  sein  konnten.  Von  folgenden  Personen 
und  Organisationen  waren  Briefe  eingelaufen:  Ausschuß  für  anarchistische  Be* 
Ziehungen  in  Barcelona,  Mondo*Paco  (Weltfrieden)  in  Wien,  Kinema*Kreuzzug 
in  New  York,  Magnus  Schwantje  in  Berlin,  Dänischer  Landesverband  des 
Internationalen  Frauenbundes  für  Frieden  und  Freiheit,  Stefan  Villyamy  in 
Ungarn,  Freie  Arbeiter*Union  (Syndikalisten)  Deutschlands,  Ortsgruppe  der  Syn* 
dikalisten  in  Wiesbaden,  Friedensbund  von  Kindern  in  Kopenhagen,  Maurice 
Wullens  (Redakteur  von  „Les  Humbles")  in  Paris,  Louis  Bertoni  im  Namen 
der  Schweizer  Anarchisten  und  revolutionären  Syndikalisten,  Bund  der  geistig 
Tätigen  (Franz  Kobler)  in  Wien,  Räte  syndikalistischer  Arbeiter  (C.  L.  Raim* 
bault)  in  Paris,  Arbeiter*Ido*Klub  in  Kopenhagen,  Exekutiv*Ausschuß  des  Inter* 
nationalen  Frauenbundes  für  Frieden  und  Freiheit  in  Genf,  Oertliches  Arbeits* 
Sekretariat  in  Amsterdam,  Niederländische  Federation  von  Arbeiter*Esperan= 
tisten.  Freier  Jugendverband  der  Niederlande,  Friedensverein  in  Manchester. 
L.  J.  Bott  (Catholic  Friends)  in  England,  Nicht*Kombattantenverein  in  London, 
und  andere. 

Dienstverweigerungsmanifest  von  Frauen. 
Ein  von  Alice  Park  (in  Palo  Alto,  Kalifornien)  eingesandtes  Dienstver* 
weigerungsmanifest  wird  vorgelesen.  Zufolge  eines  Beschlusses  des  Frauenkon* 
gresses  1919,  keinen  Krieg  mehr  auf  irgendwelche  Weise  zu  unterstützen,  son* 
dem  ihr!  nötigenfalls  durch  internationalen  Frauenstreik  unmöglich  zu  machen, 
ruft  man  darin  die  Frauen  und  Mütter  aller  Länder  auf,  durch  ihre  Unterschrift 
zu  erklären,  daß  sie  allen  organisierten  Mord  als  menschenunwürdig  betrachten 
und  an  keinerlei  unmittelbarer  oder  mittelbarer  Kriegsarbeit  teilnehmen  werden. 

Biologische  Bedeutung  des  Krieges. 

Der  Vorsitz  wurde  Dr.  Helene  Stöcker  (aus  Berlin)   übertragen. 

Prof.  G.  F.  Nicolai  (aus  Berlin)  führte  über  die  biologische  Bedeutung  des 
Krieges  folgendes  aus:  Es  hat  keinen  Zweck,  den  Krieg  einfach  zu  verneinen. 
Beim  Ausbruch  des  Weltkrieges  scheiterte  sowohl  die  Internationale  der  So* 
zialdemokratie  wie  auch  die  der  Wissenschaft  der  Sozialdemokratie  wie  auch 
die  der  Wissenschaft  und  Religion.  Moralgebote  verfehlen  ihre  Wirkung,  so 
lange  sie  noch  nicht  tief  in  der  menschlichen  Natur  verankert  sind.  Um  den 
Krieg  mit  Erfolg  zu  bekämpfen,  muß  man  ihn  erst  biologisch  verstehen,  das 
heißt,  ihn  aus  der  Natur  der  Kriegführenden  erklären.  Weiß  man  einmal,  unter 
welchen  Bedingungen  Kriege  notwendig  entstehen,  dann  kann  man  sie  leicht 
überwinden,  indem  man  diese  Bedingungen  aufhebt.  Einst  waren  Kriege  der 
Menschheit  nützlich.  Jetzt  sind  sie  es  nur  für  eine  kleine  wertlose  Minderheit 
und  sind  deshalb  für  die  Allgemeinheit  schädlich.  Die  Trennung  der  Menschen 
in  Rassen  und  Völker  erscheint  uns  jetzt  als  zufällige  widernatürliche  Folge  des 
früheren  Mangels  an  zweckmäßigen  Umgangsmitteln.  Nationale  Selbständigkeit 
hat  heutzutage  nur  noch  traditionellen  und  kulturellen  Wert;  vom  Gesichts* 
punkte  der  Lebensentwicklung  hat  sie  keinen   Wert  mehr.     Naturwissenschaft* 


lieh  kann  man  beweisen,  daß  das  menschliche  Geschlecht  eins  ist,  und  daß  es 
nur  eine  menschliche  Rasse  gibt.  Gelingt  es  nun,  der  Menschheit  diese  These 
ins  Herz  zu  prägen,  dann  ist  hiermit  die  naturwissenschaftliche  Grundlage  ge* 
schaffen,  um  mit  Beibehaltung  der  Kulturwerte  der  einzelnen  Völker  einen 
Bund  freier  Nationen  zu  bilden,  worin  die  Menschheit,  befreit  von  den  fort« 
währenden  Hindernissen  der  gegenseitigen  Vernichtungskriege,  mit  beispielloser 
Energie  ihren  lebensfördernden  Kampf  aufnehmen  kann  gegen  alles,  was  kein 
Menschenantlitz  trägt  (Tiere,  Krankheiten  und  Naturkräfte)  und  kommende 
Geschlechter  ungeahntem  Glück  entgegenführen  wird.  Entweder  muß  der 
Gedanke,  der  diese  Zusammenkunft  beseelt,  Tatsache  werden,  oder  das  alte 
Europa   wird  untergehen. 

Bericht  des  Niederländischen  Landesverbandes. 
Im  Namen  des  holländischen  Landesverbandes  des  I.A.M.V.  bedauerte 
M.  de  Boer  (aus  Amsterdam),  daß  der  Charakter  des  Vereins  seit  1904  noch  so 
wenig  international  war,  hoffte  aber,  daß  man  von  nun  an  von  einem  Inter; 
nationalen  Antimilitaristischen  Verein  sprechen  könne.  Der  holländische 
Landesverband  des  I.A.M.V.  zählt  80  Ortsgruppen  und  einige  tausend  Mitglieder 
und  hat  seit  Jahren  eine  rege  Tätigkeit  entfaltet.  Zehntausende  Flugschriften 
und  Broschüren  wurden  verbreitet.  Das  Organ  „De  Wapens  Neder"  (Die 
Waffen  nieder)  erscheint  monatlich  in  einer  Auflage  von  ungefähr  18  000 
Exemplaren.  Redner  betonte  die  Bedeutung  des  von  1200  Personen  unterzeich; 
neten  Dienstverweigerungsmanifestes.  600  Mann  verweigerten  den  Militär* 
dienst;  65  000  Gulden  wurden  als  Unterstützung  an  die  Familien  der  Bedürf* 
tigen  unter  ihnen  ausbezahlt.  Der  I.A.M.V.  hat  immer  in  allgemeinen  revolu; 
tionären  Aktionen  mitgewirkt  und  unterstützte  die  Bewegung,  welche  die  in? 
dischen  Kolonien  von  Holland  abzulösen  sucht.  Wenn  jetzt  in  der  hollän; 
dischen  sozialdemokratischen  Arbeiterpartei  der  Antimiltarismus  stärker  wird, 
so  ist  dies  nicht  zum  mindesten  dem  mittelbaren  Einfluß  des  Vereins  zu 
verdanken. 

Telegramme  von  und  an  Frau  F.  Domela  Nieuwenhuis. 

Sonntag  mittag  eröffnete  De  Ligt  die  Versammlung  mit  der  Mitteilung,  daß 
von  Frau  F.  Domela  Nieuwenhuis  ein  Telegramm  eingelaufen  war,  worin  sie 
ihre  Sympathie  und  Kameradschaft  bezeugte.  Der  Kongreß  beschloß  hierauf, 
mit  einem  Grußtelegramm  zu  antworten. 

Die  sittlichen  Folgen  des  Krieges. 

Der  Vorsitz  wurde  nun  Ernest  H.  Fletcher  (aus  Bilthoven,  Holland)  über; 
tragen. 

Wilfred  Wellock  (aus  London)  spricht  über  die  sittlichen  Folgen  des  Krieges. 
Es  ist  ein  großer  Unterschied  zwischen  den  primitiven  Völkern,  die  mit  Stolz 
die  Schädel  und  Ohren  ihrer  erschlagenen  Feinde  zeigen,  und  dem  jetzigen 
Menschen,  der  sich  dessen  schämt,  was  er  im  Kriege  geleistet  hat.  Dies  zeigt 
das  Wachsen  des  sittlichen  Bewußtseins.  Einst  wurde  alles  von  der  Frage  nach 
Nahrung  und  Lebensgewißheit  beherrscht.  Besonders  unter  ungünstigen  Natur; 
umständen  fühlten  Stämme  und  Völker  sich  verpflichtet,  einander  in  wildem 
Kampf  ums  Dasein  gewalttätig  zu  massakrieren.  Noch  ganz  von  der  Natur 
umgeben,  lebte  man  nach  den  Grundsätzen  dieser  Natur.  Der  Krieg  war  not; 
wendig  und  wurde  als  sittlich  empfunden.  Die  Einheit  des  Blutes,  den  Zu; 
sammenhang  miteinander  erlebte  m^p  religiös  in  seinen  Göttern.  Der  eigene 
Gott  war  lanqe  Zeit  der  gute  Gott,  in  dessen  Namen  man  freimütig  Fremde 
tötete.  Infolge  der  Entwicklung  von  Technik  und  Verkehr  nahm  die  Pro; 
duktion  zu  und  wuchs  die  menschliche  Persönlichkeit.  Dies  äußerte  sich  u.  a. 
in  religiösen  Konflikten.  Auch  hatte  man  wegen  seines  Gottesdienstes  ums 
Dasein  gekämpft  (Religionskriege)  und  das  organisierte  Menschentöten  als  eine 
sittliche  Notwendigkeit  erfahren.  Gleich  wie  mit  wissenschaftlicher  Entwick; 
lung  die  Naturbeherrschung  zunimmt,  wächst  mit  religiöser  Entwicklung  die  Ver; 
träglichkeit.  Man  lernt  einsehen,  daß  der  Mensch  ein  geistiges  Wesen  ist  und 
betrachtet  schließlich  Töten  als  die  größte  Sünde.  Unter  dem  Kapitalismus  wird 
diese  Anschauung  jedoch  nicht  anerkannt:    eine  kleine  Gruppe  von  Großkapita; 


listen  beherrscht  die  Produktion  so,  daß  die  große  Masse  nicht  mehr  ihre  Bedurft 
nisse  befriedigen  kann.  Im  imperialistischen  Kriege  werden  die  Menschen  gegen* 
einander  aufgepeitscht  und  die  sogenannten  Feinde  als  Barbaren  hingestellt.  Der 
entstehende  sittliche  Streit  wird  unterdrückt.  Dies  ist  die  tiefste  Ursache  der 
heutigen  Entsittlichung:  Man  denke  an  die  Zustände  in  Irland,  Indien,  Mesopo* 
tamien,  Arabien  usw.;  man  denke  an  die  Demoralisation  in  England  selbst  und 
in  allen  kapitalistischen  Ländern:  Gewinnsucht,  Unsittlichkeit  und  Geschlechts« 
krankheiten  wüten;  es  gibt  keine  Achtung  vor  dem  Leben  mehr.  Während 
England  und  Amerika  zum  Kriege  rüsten,  kommt  das  ganze  Gesellschaftswesen 
unter  die  Herrschaft  einer  immer  kleineren  Anzahl  Menschen.  Es  erscheint  nicht 
wenig  Zivilisation  nötig,  um  gute  Sklaven  heranzubilden.  Der  Empörung  der 
Indier  zollte  Redner  Beifall.  Was  Rußland  betrifft,  werden  wir  erst  ein  Recht 
haben,  es  zu  kritisieren,  wenn  wir  hier  mehr  und  besseres  leisten.  Mit  Vernunft 
und  Geist  haben  wir  einen  neuen  Weg  zu  bahnen.  Berufen  wir  uns  auf  Gewalt 
und  niedrige  Instinkte,  so  werden  wir  selbst  niedrig.  Jedoch  kann  man  sich  auch 
auf  das  Höchste  berufen.  Mit  dem  Geiste  fühlen  wir  uns  stärker  als  mit  den 
Muskeln.  Neue  Erziehung  ist  erforderlich,  kräftige  Propaganda,  starke  Organi* 
sation,  um  zu  verhindern,  daß  die  Menschheit  in  Barbarei  zurückfällt.  Unser 
Gegner  ist  sehr  mächtig,  aber  wir  glauben  an  neue  psychologische  Möglichkeiten. 

Krieg  und  Militarismus. 

Marius  Hanoi  (aus  Paris),  der  infolge  Krankheit  am  Kommen  verhindert  war, 
hatte  seine  Rede  über  Krieg  und  Militarismus  niedergeschrieben,  damit  sie 
auf  dem  Kongreß  von  Henri  Delecourt  vorgelesen  werden  sollte.  Ohne  Paß 
unterwegs  nach  dem  Haag,  wurde  diesem  in  Antwerpen  die  Weiterreise  unmög- 
lich. Trotzdem  gelang  es  ihm,  uns  Hanots  Rede  durch  einen  der  Kameraden 
überbringen  zu  lassen.     Wir  entnehmen  daraus  folgendes: 

/.  Militarismus  vor  dem  Kriege.  —  Es  liegt  im  Interesse  der  kleinen  Gruppe 
von  Herrschern  und  Regierern,  den  Krieg  lebendig  zu  erhalten  und  den  Völker; 
haß  zu  schüren.  Doch  werden  nach  einigen  Jahrhunderten  die  Haßgefühle  der 
Franzosen  und  Deutschen  den  Menschen  lächerlich  erscheinen.  Man  wird  be- 
greifen, daß  man,  anstatt  sich  gegen  Mitmenschen  zu  wenden,  lieber  Elend,  Un* 
wissenheit,  Krankheiten  und  Unfälle  als  Feinde  bekämpfen  sollte  (Charles  Richet). 
Seit  1871  wurde  in  Frankreich  der  Vergeltungsgedanke  in  Hinsicht  auf  Deutsch* 
land  systematisch  genährt,  u.  a.  von  Deroulede  und  Barres.  Man  nahm  den  drei» 
jährigen  Dienstzwang  an,  wie  sehr  er  auch  Deutschland  reizen  mußte;  man  ver* 
bündete  sich  mit  dem  autokratischen  Rußland.  Die  auf  Frieden  hinzielende 
Politik  von  Caillaux  (Agadir*Frage)  wurde  zur  Seite  gestoßen  und  gegen  An* 
schauungen  im  Geiste  Millerands  eingetauscht.  In  Frankreich  wütete  wüster 
Chauvinismus  und  für  die  Kolonien  schien  „Krieg"  dasselbe  wie  „Zivilisation" 
zu  bedeuten.  Dies  alles  förderte  den  Militarismus.  Im  übrigen  wurden  die 
Heere  auch  gegen  den  Feind  im  eigenen  Lande  angewendet.  Wie  früher  Fürst, 
Priester  und  Kriegsmann,  entscheiden  jetzt  Industrieller,  Kaufmann  und  Kriegs* 
gewinnler. 

//.  Militarismus  während  des  Krieges.  —  Im  August  1914  zogen  auch  die 
Franzosen  in  den  Krieg,  irregeleitet  von  den  offiziellen  Sozialisten,  von  den  Lei* 
tern  der  Confederation  Generale  du  Travail,  voa  der  bürgerlichen  und  sozial* 
demokratischen  Presse.  Endlich  drang  es  jedoch  zu  ihnen  durch,  daß  nicht 
Deutschland,  sondern  alle  kapitalistischen  Länder  für  den  Krieg  verantwortlich 
waren.  Zweimal  schlugen  die  Herrscher  ein  Friedensangebot  ab.  Seitdem  war 
es  klar,  daß  die  Soldaten  nicht  ihr  Vaterland,  sondern  den  Kapitalismus  vertei* 
digten.    Welchen  Nutzen  zog  das  französische  Volk  aus  der  Landesverteidigung? 

Verwüstete   Städte   und  Dörfer 3  720 

Gänzlich    zerstörte    Häuser       310  209 

Verwüstete  Fabriken 11 506 

Teilweise  zerstörte  Häuser     .......         313  675 

Obdachlose  Personen 2  712  000 

Zerstörte  Brücken   und  Viadukte      ....  4  785 

Verlorengegangenes    Vieh 20  000  000 

Französische  Tote 1500  000 

Französische  Verstümmelte 274  000 

10 


///.  Militarismus  nach  dem  Kriege.  Man  behauptete,  daß  Frankreich  für 
die  Vernichtung  des  Militarismus  und  für  die  Freiheit  kämpfte.  Der  Genfer 
Friedensvertrag  lehrt  jedoch  etwas  anderes.  Keine  der  moralischen  Verpflich* 
tungen,  die  man  während  des  Krieges  übernommen  hatte,  erfüllte  man.  Säbel  und 
Kommisstiefci  regieren.  Man  unternimmt  militärische  Expeditionen  nach  Ruß* 
land,  Mesopotamien,  Cilicien,  Syrien,  Polen  und  Marokko.  Frankreich  steht  hinter 
Denikin,  Koltschak,  Wrangel  und  Pilsudski.  Der  Rhein  wird  besetzt,  das  Ruhr* 
becken  bedroht.  Militärischer  Dienstzwang  von  18  Monaten  bis  zu  3  Jahren 
wird  eingeführt,  die  Freiheit  des  Denkens  unterdrückt!  Nur  die  Revolution  kann 
uns  retten.  Antikapitalistischer  Antimilitarismus  muß  auf  alle  mögliche  Weise 
propagiert  werden,  besonders  im  Zusammenwirken  mit  deutschen  Kameraden. 
Laßt  uns  unaufhörlich  kämpfen  und  uns  nicht  als  besiegt  ergeben. 

Militarismus  und  Klassenkampf. 

Da  Henriette  Roland  Holst  -  van  der  Schalk  (aus  Zundert,  Holland) 
verhindert  war,  bat  man  ihren  Parteigenossen,  den  Kommunisten  J.  Brommert  jr. 
(aus  Enschede,  Holland),  ihre  Thesen  vorzutragen.  Dieser  erklärte  sich  hierzu 
bereit  und  ebenfalls  geneigt,  diesbezügliche  Fragen  und  Bemerkungen  zu  beant* 
worten. 

Henriette  Roland  Holst  führte  aus,  daß  in  der  jetzigen  gesellschaftlichen 
Phase  der  Militarismus  gebraucht  wird:  1.  um  die  Interessengegensätze  der 
Herrscher  auszukämpfen  und  unterdrückte  Völker  auszubeuten;  2.  um  das 
Proletariat  in  eignen  und  anderen  Ländern  unterdrückt  zu  halten;  3.  um  Länder, 
wo  das  Proletariat  mit  der  Erfüllung  seiner  historischen  Aufgabe  einen  An« 
fang  macht,  möglichst  zu  vernichten.  Dies  muß  als  ein  zusammenhängendes 
Ganzes  bekämpft  werden.  Der  Charakter  dieses  Kampfes  hat  sich  nach  den 
augenblicklichen  Umständen  zu  richten.  Besonders  Sabotage,  Arbeits*  und 
Dienstverweigerung  erfüllen  darin  eine  bedeutende  Rolle.  Hierzu  muß  fort« 
fahrend  und  international  antimilitaristische  Propaganda  geführt  werden.  Man 
wende  sich  nicht  nur  an  die  Soldaten,  sondern  schon  an  die  Jugend,  besonders 
auf  dem  Lande.  Man  verstehe  unter  Militarismus  nicht  nur  Milizheere,  sondern 
auch  die  Organisation  von  Bürgerwehren,  Polizei,  Grenzwache  usw.  Diese  sind 
jedoch  für  die  antimilitaristische  Propaganda  so  gut  wie  unzugänglich.  In 
revolutionären  Uebergangszeiten  werden  sie  im  Dienst  der  herrschenden  Klassen 
stehen.  Diese  werden  außerdem  Eingeborene,  Kolonialtruppen  usw.  gegen  das 
Proletariat  anwenden.  Dieses  hat  daher  in  erster  Linie  von  der  Bourgeoisie 
und  ihren  Trabanten  Entwaffnung  zu  fordern.  Jedoch  kann  diese  Entwaff* 
nung  nur  durchgeführt  werden,  wenn  das  Proletariat  bewaffnet  ist.  Nach 
dieser  Auffassung  sind  rote  Heere  antimilitaristische  Einrichtungen,  Werkzeuge 
zur  Befreiung  arbeitender  Massen.  Die  hier  und  da  und  endlich  überall  ent* 
stehenden  roten  Heere  werden  schließlich  das  internationale  rote  Heer  der 
Revolutionäre  bilden.  Für  Imperalisten  ist  Gewalt  erstes  Hilfsmittel.  Die 
tierische  Grausamkeit  der  bürgerlichen  Klasse  kann  und  will  das  Proletariat  in 
seiner  revolutionären  Vorstellung  nicht  zum  Beispiel  nehmen.  Im  allgemeinen 
handhabt  das  Proletariat  die  Gewalt  mit  Widerwillen.  Seine  wichtigsten  Mittel 
sind  Propaganda  und  Ueberzeugung.  Wenn  auch  proletarische  Revolution  ohne 
Gewalt  unmöglich  ist,  so  ist  es  doch  unsere  Pflicht,  Gewalt  und  Blutvergießen 
möglichst  zu  beschränken.  — 

Bei  dem  hierauf  folgenden  ausführlichen  Gedankenaustausch  erklärte 
Brommert,  daß  seiner  Meinung  nach  die  Gewalt  nur  ein  sehr  bedeutender 
NebenfaktoT  ist.  Hauptsache  ist  die  Geisteskraft  des  revolutionären  Proleta* 
riats.  Im  äußersten  Notfalle  muß  seiner  Meinung  nach  das  Proletariat  seine 
Zuflucht  zu  allen  Mitteln  nehmen.  Es  handelt  sich  nicht  darum,  ob  ein  Mittel 
gut  oder  schlecht  ist,  sondern  nur,  ob  es  zweckmäßig  ist.  Redner  meint,  daß 
in  kommunistischen  Gemeinschaften,  die  Gewaltmittel  für  ihre  Aufrechterhaltung 
und  Organisation  anwenden,  auch  für  die  sogenannten  Absolutisten  Raum  ist. 
Sie  könnten  sich  nämlich  mit  dem  wirtschaftlichen  Aufbau  der  neuen  Gesell* 
schaft  beschäftigen.  Unter  gewissen  Umständen  wäre  es  jedoch,  wie  Brommert 
meinte,  sehr  gut  möglich,  daß  auch  gegen  sie  mit  Gewalt  vorgegangen  wird. 
Es  gibt  kein  höheres  Ziel  als  das  allgemeine  Glück  der  Menschheit,  und  hier« 
für  müssen  unbedenklich  alle  nötigen  Mittel  gebraucht  werden, 

u 


Zusammenwirken  mit  den  unterdrückten  farbigen  Rassen. 

Hiernach  sollte  Dr.  Armin  T.  Wegner  sprechen,  der  aber  auch  wieder  durch 
Paßschwierigkeiten  verhindert  war,  wie  sich  im  letzten  Augenblick  heraus* 
stellte.     Seinen  uns  zugesandten  Thesen  entnehmen  wir  folgendes: 

Der  Antimilitarismus  hat  das  Ziel,  die  Völker  von  den  Leiden  des  Krieges 
und  von  kapitalistischer  Unterdrückung  zu  befreien.  Militarismus  und  Kapita* 
lismus  (Gewalt  und  Habsucht)  sind  die  beiden  wesentlichen  Kennzeichen  der 
Zivilisation  des  modernen  Europas.  Jedoch  sind  diese  fürchterlichen  Trieb* 
federn  bei  keiner  Gelegenheit  so  ungeschminkt  zum  Ausdruck  gekommen,  wie 
in  der  Stellung  Europas  gegenüber  den  orientalischen  Völkern.  Darum  kann 
der  Kampf  für  die  Aufhebung  ihrer  Herrschaft  nur  dann  zu  segensreichem 
Ende  führen,  wenn  er  in  engster  Verbindung  mit  den  kolonisierten  Völkern  aus* 
gefochten  wird.  1.  Die  Länder  des  Orients  mit  ihren  großen  wirtschaftlichen 
und  Kunstschätzen  bieten  der  kapitalistischen  Habsucht  die  stärkste  Ver* 
lockung.  Darum  hat  Europa  immer  versucht,  sich  mit  rücksichtsloser  Ge* 
walt  dieser  Länder  zu  bemächtigen.  Die  meisten  Kriege  der  letzten  Jahr? 
hunderte  sind  Handels*  oder  Kolonialkriege  gewesen,  die  im  Besitz  orientalischer 
Länder  ihren  Ursprung  fanden,  oder  Kriege  zur  Eroberung  solcher  Länder  oder 
auch  Kriege,  die  Länder  des  Okzidents  wegen  ihrer  Kolonien  führten  (eng* 
lischer  Krieg  in  Indien,  Frankreichs  Krieg  in  Afrika,  spanisch*  holländische 
Kolonialkriege  usw.).  2.  Da  die  unterworfenen  Völker  des  Orients  sich  jedes* 
mal  aus  ihrer  unnatürlichen  wirtschaftlichen  und  politischen  Unterdrückung 
zu  befreien  suchen,  führt  dies  wieder  zu  neuen  Kriegen,  Aufständen  und  Revolu* 
tionen  (Indien,  Aegypten,  Deutsch*Südwestafrika,  China  usw.).  3.  Europa  hat 
durch  die  mechanisierenden,  geisttötenden  Mittel  seiner  Wirtschaftspolitik  und 
Frondienste  schon  viele  Völker  des  Orients  zu  gleichen  Maßregeln  gezwungen 
und  mit  denselben  Gewaltideen  vergiftet.  Hierzu  bieten  das  beste  Beispiel  die 
Japaner,  die  man  schon  aus  diesem  Grunde  die  Preußen  des  Orients  genannt 
hat  Diesen  Prozeß  nun,  die  Militarisierung  des  Orients,  gilt  es  aufzuhalten. 
Der  Kampf  gegen  den  Militarismus  kann  nur  dann  erfolgreich  sein,  wenn  er  in 
allen  Ländern  zugleich  geführt  wird.  Hierzu  gehören  vor  allem  auch  die  Länder 
des  Südens  und  des  Ostens,  denn  der  größte  Teil  der  Erdoberfläche  liegt  im 
Orient.  Allein  900  Millionen  Menschen  wohnen  in  Asien.  5.  In  ihren  orientali* 
sehen  Kolonien  besitzen  die  europäischen  Mächte  große  Menschenvorräte,  die 
sie  gewissenlos  ohne  Erbarmen  zu  Heeresbildung  und  Krieg  verwenden,  ohne 
sich  selbst  dabei  in  Gefahr  zu  begeben.  Die  Engländer  gebrauchen  so  die 
Indier,  die  Franzosen  die  Afrikaner.  Darum  gilt  es,  die  Eingeborenen  zu  dem 
Bewußtsein  zu  bringen,  daß  sie  mißbraucht  werden,  damit  sie  sich  in  eignem 
Interesse  bei  neuer  Pressung  dem  Kriegsdienste  für  die  Ziele  Europas  wider* 
setzen.  6.  Die  kapitalistischen  Staaten  des  Okzidents  bilden  einen  geschlossenen 
Ring  von  Weltunternehmern,  kraft  dessen  sie  die  immer  mehr  verarmten  Völker 
des  Orients  als  Fabrikstagelöhner  rastlos  arbeiten  lassen.  Diesen  Kordon  muß 
man  durch  Zusammenschluß  aller  besitzlosen  Völker  des  Orients  zersprengen. 
7.  Der  Orient  ist  die  Wiege  des  Friedensdienstes  und  aller  friedliebenden 
Religionen  (Taoismus,  Buddhismus,  Christentum,  Bahaismus).  Es  ist  deshalb 
anzunehmen,  daß  der  Friedensgedanke  auch  heute  in  den  orientalischen  Völkern 
starke  Unterstützung  finden  wird  (Tagore).  Wenn  es  noch  ein  Mittel  gibt,  um 
die  unerhörte  Mechanisierung  der  Welt  aufzuhalten  und  den  Unter* 
gang  des  Okzidents  zu  verhindern,  so  ist  dies  vielleicht  allein  noch  in  dem 
unerschöpflichen  Brunnquell  der  orientalischen  Seele  zu  suchen. 

Das  Los  der  grundsätzlichen  Dienstverweigerer  in  Rußland. 

Am  Sonntag  abend  las  K.  Boeke  (aus  Bilthoven,  Holland)  den  Bericht  von 
Wladimir  Tschertkoff  (in  Helsingfors)  vor,  der  wegen  Paßschwierigkeiten  nicht 
anwesend  sein  konnte.  Tschertkoff  betont  die  große  Bedeutung  der  Propaganda 
Tolstois  für  die  Dienstverweigerung.  Die  Zahl  der  Dienstverweigerer  ist  unmög* 
lieh  anzugeben.  Es  sind  837  Fälle  von  Dienstverweigerung  aus  absolutistischen 
Gründen  bekanntgeworden,  die  zwischen  1914  und  1916  vorkamen.  Die  diesen 
Leuten  auferlegten  Strafen  waren  außergewöhnlich  schwer.  Unter  der  vor* 
läufigen  Regierung  Kerenskis  wurde  allen  gefangenen  Dienstverweigerern 
Amnestie  verliehen.     Als  die  Sowjetrepublik  gerade  errichtet  worden  war,  ent* 

12 


ließ  man  alle  Dienstverweigerer.  Doch  das  wurde  bald  anders.  In  manchen 
Bezirken  warfen  die  örtlichen  Militärbehörden  sie  ins  Gefängnis,  in  andern 
wurden  sie  zur  Arbeit  gezwungen,  die  an  Stelle  des  Militärdienstes  trat.  Wieder 
anderwärts  wurden  sie  als  Verräter  des  Sozialismus  betrachtet  und  als  Fahnen< 
flüchtige  hingerichtet.  Im  Herbst  1918  traten  verschiedene  religiöse  Gruppen 
und  Sekten,  wie  Baptisten,  Mennoniten,  Adventisten  und  der  Moskauer  Toi« 
stoianische  Verein  für  wirkliche  Freiheit  zu  einem  Kongreß  zusammen  und 
wandten  sich  mit  einer  Eingabe  um  Gewissensfreiheit  auch  betreffs  des  Kriegs« 
dienstes  an  die  Sowrjetregierung.  Die  Antwort  hierauf  war  das  Dekret  des 
Rates  der  Volkskommissare  vom  4.  Januar  1919:  1.  Personen,  die  aus  religiösen 
Gründen  den  Dienst  verweigern,  können  sich  beim  Volksgericht  melden  mit 
der  Bitte,  während  ihrer  Dienstperiode  selbstvertretende  Arbeit  zu  leisten,  zum 
Beispiel  im  Dienste  des  Roten  Kreuzes,  in  den  Hospitälern  gegen  ansteckende 
Krankheiten  usw.,  nach  eigner  Wahl.  2.  Zur  Beurteilung  jedes  Falles  erbittet 
das  Volksgericht  ein  Gutachten  vom  Moskauer  Vereinigten  Rat  Religiöser  Ge« 
meinschaften  und  Gruppen.  Dieser  hat  glaubhaft  zu  machen,  daß  der  Be= 
treffende  aufrichtig  und  ehrlich  handelt  und  eine  religiöse  Anschauung  vertritt, 
die  keinen  Militärdienst  erlaubt.  3.  Ausnahmsweise  hat  dieser  Rat  das  Recht, 
nach  einstimmigem  Beschluß  den  Vorstand  des  Allrussischen  Zentralen  Exekutiv« 
Ausschusses  zu  ersuchen,  gewisse  respektable  Persönlichkeiten  gewisser  religiöser 
Anschauungen  ohne  irgendwelche  stellvertretende  Arbeit  vollständig  vom 
Militärdienste  zu  entheben.  —  Dieses  Dekret  wrurde  jedoch  bei  weitem  nicht 
überall  ausgeführt.  In  mehreren  Bezirken,  zum  Beispiel  Wladimir,  Smolensk. 
Samara  und  anderen,  verfolgte  man  die  Dienstverweigerer  weiter  und  warf  sie 
ins  Gefängnis.  Hörte  der  Vereinigte  Rat  von  einem  solchen  Falle,  so  wendete 
man  sich  sofort  an  die  Behörden.  Diese  griffen  ein,  und  das  Urteil  wurde,  wenn 
möglich,  widerrufen.  Viele  haben  dem  ihr  Leben  zu  verdanken.  Oefters 
kümmerten  sich  jedoch  die  Ortsbehörden  nicht  um  die  Schritte  der  Zentral« 
gewalt.  So  wurden  zum  Beispiel  in  Smolensk  7  grundsätzliche  Dienstver« 
•seigerer  erschossen.  Einmal  sandten  Behörden  einen  Dienstverweigerer  zu 
Koltschaks  Heer,  damit  er  dessen  Zucht  untergrabe.  Weiter  wiesen  manche  Dienst« 
verweigere-  die  Vermittlung  des  Rates  zurück,  weil  sie  meinten,  nur  mit  eignen 
Geisteswaffen  kämpfen  zu  müssen.  Einige  Mitglieder  des  Vereinigten  Rates, 
darunter  auch  Tschertkoffs  Vater,  halten  ihre  Tätigkeit  mehr  und  mehr  für 
unmöglich.  Sie  «lauben  weder  imstande  zu  sein,  noch  das  Recht  zu  haben,  über 
anderer  Leute  Ueberzeugung  und  Gewissen  zu  urteilen.  Tscherkoffs  Brief 
endigte  mit  einem  Auszug  aus  einem  Brief,  den  ein  grundsätzlicher  Dienst« 
Verweigerer  vor  dem  Augenblick  seiner  Erschießung  geschrieben  hatte. 

Antimilitarismus,   Frauen   und  Erziehung. 

Der  Vorsitz  wurde  nun  dem  Kameraden  Fritz  Lieb  faus  Zürich)  übertragen. 
Dr.  Helene  Stöcker  (aus  Berlin)  begrüßte  den  Kongreß  als  Mitglied  des  Haupt« 
Vorstandes  des  Deutschen  Bundes  der  Kriegsdienstgegner  und  als  Vertreterin 
des  Internationalen  Frauenbundes  für  Frieden  und  Freiheit.  Die  Frau,  fuhr  sie 
fort,  die  durch  den  Weltkrieg  aufs  greulichste  beleidigt  worden  ist.  hat  ganz 
besonders  die  Aufgabe,  eine  Weltanschauung  und  eine  Gesellschaftsordnung 
zu  bekämpfen,  die  Krieg  und  blutige  Gewalt  verherrlicht.  Ein  Teil  der  Frauen 
ist  sich  dieser  hohen  Aufgabe  bewußt.  Neben  der  männlichen  Xeigung  nach 
Herrschaft  ist  es  notwendig,  im  öffentlichen  Leben  auf  die  wreihliche  N'eigung 
nach  Milde  ("die  natürlich  nicht  nur  an  d^s  weibliche  Geschlecht  gebunden  ist) 
/u  ihrem  Rechte  kommen  zu  lassen.  Es  liegt  im  Wesen  der  Frau  als  Geberin 
des  Lebens,  daß  sie  alle  Mittel  verteidigt,  die  dem  Leben,  der  Kultur  und  dem 
Frieden  dienen,  und  daß  sie  sich  allen  Bestrebungen  widersetzt,  die  in  «ewalt« 
ti'tiger  Richtung  führen  und  damit  Tod  und  Verderben  verewigen.  Als  Hüterin 
des  Lebens  muß  sie  vor  dem  Kriege  als  einer  Gefahr  für  das  Menschengeschlecht 
warnen  und  Lebenserhaltung  und  Achtung  vor  dem  Leben  als  Grundsätze  der 
Weiblichkeit  und  Mutterschaft  zum  Siege  führen.  Schon  der  Jugend  muß  klar« 
gemacht  werden,  daß  Krieg  überhaupt,  rieht  nur  der  sogenannte  Eroberungs* 
krieg,  das  große  Verbrechen  ist.  wofür  schließlich  alle  diejenigen  mitveranrwort« 
lieh  zu  machen  sind,  die  an  das  sittliche  Recht  der  Xotwehr  glauben.  Solange 
die  ganze  Welt  den  Verteidigungskrieg  als  gerechtfertigt  betrachtet,  hat  man 
kein    Recht,    diejenigen    als    Verbrecher    zu    behandeln,    die    dieser    Auffassung 

13 


gemäß  ihre  Pflicht  taten,  aber  zufällig  zu  den  besiegten  Völkern  gehören.  Klare 
Erkenntnis  des  verhängnisvollen  Selbstbetruges,  daß  mörderische  Notwehr  er« 
laubt  wäre,  muß  bereits  in  den  empfänglichen  Boden  der  Kinderseele  gepflanzt 
werden.  Die  Lehre  vom  Heere  als  einem  Notwehrmittel  muß  man  eben  so 
gründlich  abschwören  wie  die  Eroberungsgeliiste.  Dies  muß  allen  inkonsequenten 
Pazifisten,  allen  Sozialdemokraten  und  bürgerlichen  Friedensfreunden  bei» 
gebracht  werden.  Schon  Nietzsche  sagte,  daß  ein  Volk  endlich  lernen  sollte, 
freiwillig  das  eigene  Schwert  zu  zerbrechen.  Hätte  es  das  Vorurteil  des  Vcr* 
teidigungskrieges  nicht  gegeben,  dann  wäre  der  Weltkrieg  nie  ausgebrochen  oder 
hätte  wenigstens  nicht  solchen  Umfang  angenommen.  In  Zukunft  muß  jedem 
Menschen  von  der  Jugend  an  beigebracht  werden,  daß  niemand  an  der  teuf« 
lischen  Barbarei  des  Krieges,  einerlei  unter  welchem  Vorwand,  teilnehmen  darf. 
Besonders  die  Frau  hat  einzusehen,  daß  das  unantastbare  Recht  jedes  Menschen, 
der  geboren  wurde,  das  Leben  selbst  ist.  Das  Christentum  hat  uns  den  Wert 
der  menschlichen  Persönlichkeit  gelehrt.  Hieraus  ergibt  sich,  daß  nicht  allein 
der  Kapitalismus,  sondern  auch  die  falsche  Erziehung  bekämpft  werden  muß. 
als  hätte  der  Staat  das  Recht,  frei  über  Leben  und  Tod  seiner  Bürger  zu  ver* 
fügen.  Weder  die  Sozialisten  der  Zweiten  Internationale,  noch  die  der  Mos* 
kauer,  haben  dies  genügend  in  sich  aufgenommen.  Wenn  man  schon  die  wirt* 
schaftliche  Ausbeutung  des  Lebens  brandmarkt,  wieviel  mehr  dann  die  fürchter* 
lichste  Ausbeutungsform,  die  mittels  des  Krieges  das  Leben  selbst  raubt.  Das 
so  wenige  dies  erst  einsehen,  kommt  hauptsächlich  von  falscher  Erziehung.  Die 
Anerkennung  der  Heiligkeit  menschlichen  Lebens  kann  «Hein  die  Grundlage 
einer  neuen  Gesellschaft  bilden.  Notwendig  ist  es,  freie  Bahn  zu  schaffen  für 
einen  Geist  von  Liebe,  Erkenntnis  und  gegenseitiger  Hilfsbereitschaft. 

Lichtbilder. 

Danach  zeigte  der  frühere  Offizier  G.  W.  Meyer  (aus  Bremen)  eine  Reihe 
Lichtbilder,  die  den  verstümmelnden  und  lebenzerstörenden  Charakter  des 
Krieges  mit  erschütternder  Deutlichkeit  demonstrierten.  „Vergeßt  nicht",  riet 
er  auf  Englisch,  Esperanto  und  Französisch  den  Anwesenden  zu,  „daß  es 
Menschen  sind  wie  wir,  Väter  und  Söhne!" 

Militarismus,  Kommunismus  und  Antimilitarismus. 

Nun  folgte  Vorlesung  der  ausführlichen  Rede  von  Pierre  Ramus  (Rudolf 
Großmann  aus  Wien),  der  wegen  Paßschwierigkeiten  dem  offiziellen  Teil  des 
Kongresses  nicht  beiwohnen  konnte,  jedoch  im  Haag  anwesend  war.  Seiner 
Meinung  nach  war  der  Zweck  gesellschaftlicher  Bewaffnung  durch  irgendwelchen 
Häuptling,  Fürst,  Präsident  oder  Sowjetdiktator  nie  die  Sicherung  gesellschaft* 
liehen  Interesses,  sondern  diente  stets  zur  Aufrechterhaltung  der  Machtstellung 
derjenigen,  die  für  das  autoritätsgläubige  Volk  das  Interesse  der  Gemeinschaft 
verkörperten.  Wußte  eine  neue  Gruppe  durch  bewaffnete  Minderheiten  die  alten 
Herrscher  zur  Seite  zu  werfen,  dann  entartete  sie  bald  zu  neuen  Machthabern, 
Und  das  Volk,  das  durch  Kirche  und  Schule  und  öffentliche  Meinung  und  sitt* 
liehe  Theorien  bearbeitet  worden  war,  erkannte  die  neue  Macht  als  Staat  an. 
Welche  Form  dieser  Militarismus  auch  immer  annimmt,  ob  Volksmiliz,  Wehr* 
pflicht,  Söldnerheere,  er  kann  nie  die  Grundlage  gemeinschaftlichen  Interesses 
sein  und  stellt  sich  immer  als  Mittel  der  Herrschaft,  Gewalt  und  Ausbeutung 
heraus,  was  im  Weltkrieg  klar  zutage  trat.  Jeder  Staat,  auch  der  einer  prole* 
tarischen  Sowjetdiktatur,  hat  Militär  nötig  und  muß  daher  denselben  Grundsatz 
eiserner  Disziplin  und  Gewalt  anwenden,  wie  die  imperialistischen  Staaten.  Der 
Zusammenbruch  Rußlands,  Oesterreich*Ungarns  und  Deutschlands  bewies,  daß 
der  Militarismus  die  Grundlage  von  Staat  und  Volksausbeutung  ist.  Leider 
lebte  der  Gedanke  eines  positiven  und  aktiven  Antimilitarismus  so  gut  wie  nicht 
im  Proletariat,  und  seine  Leiter,  ganz  unter  dem  Einfluß  der  Theorien  von  1793, 
schufen  einen  neuen  Militarismus  und  befestigten  so  die  Staatsmacht.  Dennoch 
hat  der  Weltkrieg  den  Kapitalismus  angetastet  und  seinen  Zusammenbruch  in 
Möglichkeit  gestellt.  Wenn  nun  das  Proletariat  nur  einsehen  würde,  daß  jeder 
Krieg  allein  dem  Interesse  von  Kapital,  Besitz  und  Regierung  dienen  kann. 
Einziger  Ausweg  ist  Anrimilitarisierung  der  Gesellschaft.  Der  Militarismus 
ist  die  Waffe  des  Staates,  die  sich  dem  Lebensgrundsatze  des  eigenen  Volkes  und 

14 


der  ganzen  Menschheit  entgegenstellt.  Er  ermöglicht  dem  Staate  die  Beschützung 
des  Eigentumsmonopols,  entzieht  der  Gesellschaft  einen  großen  Teil  der  Pro* 
duktionskräfte  und  vergeudet  menschüche  Arbeit  zur  Waffen»  und  Munitions* 
fabrikation.  In  diesem  Lichte  gesehen,  ist  der  Militarismus  der  Kern  der  sozialen 
Frage.  Antimilitarisierung  der  Gesellschaft  bedeutet  Vorbereitung  und  Ueber* 
gang  zur  Aufhebung  aller  gesellschaftlichen  Monopole,  d.  h.  zum  Kommunismus, 
der  ebenso  wirtschaftlich  wie  zweckmäßig  ist.  Antimilitarismus  ist  die  Grund* 
läge  zum  Kommunismus,  und  Aufhebung  des  Monopols  bedeutet  Entfernung 
aller  Herrschaft.  Das  wesentliche  Ziel  von  allem  Antimilitarismus  ist  kommu* 
nistische  Anarchie.  Aktiver  und  passiver  Antimilitarismus  ist  jetzt  der  einzige 
Ausweg.  Der  Antimilitarist  widmet  sich  diesem,  abgesehen  davon,  ob  die 
Gesellschaft  sein  Ziel  schon  jetzt  erreichen  kann.  Er  verweigert  Eid  und  Militär- 
dienst und  ist  unbedingter  Antipatriot.  Alle  Probleme  der  Diplomatie,  alle 
Kolonial?  und  Wirtschaftsfragen  sind  nur  im  Geiste  des  antimilitaristischen  Korn* 
munismus  zu  lösen.  Es  ist  die  Kulturaufgabe  des  Antimilitaristen,  der  Mensch* 
heit  vorbildlich  zu  beweisen,  daß  die  Sache  der  Freiheit  und  des  Rechts  nie  auf 
mörderische  Weise  aufrechterhalten  werden  kann.  Hieraus  ergibt  sich  Verzicht* 
leistung  auf  alle  Verteidigung,  einschließlich  der  eines  sogenannten  kommunisti* 
sehen  Staates.  Geschieht  dieser  Verzicht  nicht,  so  gerät  das  Volk  nicht  allein  in 
Abhängigkeit  von  allerlei  wirtschaftlichen  und  politischen  Machthabern,  sondern 
wird  auch  von  einem  Geiste  des  neuen  Militarismus  vergiftet.  Die  Verherr* 
lichung  des  roten  Heeres  bringt  das  Proletariat  in  den  Wahn,  daß  auch  Mili* 
tarismus  und  Krieg  Befreiungsmittel  für  den  Klassenkampf  seien.  Während  der 
Glaube  an  besiegende  Kraft  von  Waffengewalt,  Militarismus  und  Krieg  schon 
lange  widerlegt  ist,  wird  er  künstlich  im  Proletariat  lebendig  erhalten.  Infolgedessen 
werden  alle  ethischen  und  kulturellen  proletarischen  Interessen  auf  das  mili* 
taristische  Niveau  hinabgedrückt.  Die  marxistische  Auffassung  betreffs  der 
Bewaffnung  des  Proletariats  muß  daher  verwirrend  wirken  und  einen  grundsätz* 
lieh  reaktionären  Geist  erwecken.  Das  Proletariat  überhaupt  ist  keine  gleich* 
geartete  Masse;  es  hat  nur  wenige  revolutionäre  Kerne:  allgemeine  Bewaffnung 
des  Proletariats  bedeutet  deshalb,  daß  kulturell  rückständige  Massen  befähigt 
werden,  sich  revolutionären  Minderheiten  entgegenzustellen.  Bewaffnung  einer 
Elitegruppe  aus  dem  Proletariat  führt  zu  willkürlicher  Diktatur  von  Söldnern 
oder  Parteimachthabern,  deren  Zuverlässigkeit  nicht  verbürgt  ist.  Uebrigens 
läßt  man  unter  der  Losung,  das  Proletariat  bewaffnen  zu  wollen,  die  stets  zu* 
nehmende  und  stets  mehr  verschlingende  Waffen*  und  Munitionserzeugung  der 
Bourgeoisie  fortdauern.  Unverfrorenheit,  strategische  Kenntnis  und  militärische 
Erfahrung  sind  nun  einmal  an  der  Seite  der  Reaktion.  Man  blicke  nur  nach 
Mitteleuropa.  Dort  steht  jetzt  das  revolutionäre  Proletariat  fast  unbewaffnet 
einer  stark  bewaffneten  Reaktion  gegenüber,  die  die  große  Masse  des  rück* 
ständigen  Volkes  in  seinem  Dienst  hat.  Der  anarchistische  Kommunismus 
fordert,  daß  der  Militarismus  als  Machtzentrale  des  Staates  und  Hüter  aller 
Monopole  durch  Dienstverweigerung  und  revolutionär*wirtschaftlichen  Kampf 
so  bald  wie  möglich  aufgehoben  werde.  Eine  neue  Jugend*  und  Volkserziehung 
ist  erforderlich.  Während  einer  Revolution  ist  es  die  Aufgabe  der  anarcho* 
kommunistischen  Antimilitaristen,  die  vollständige  Aufhebung  aller  Militär* 
Organisationen  zu  fordern.  Sie  erfüllen  damit  die  Aufgabe  der  Revolution  selbst: 
Aufhebung  von  Autorität  und  Kapitalismus:  Entfernung  von  allem,  was  ver* 
hindert,  daß  aus  der  Erde  sich  freie  Kräfte  in  harmonischem  Zusammenspiel  ent* 
wickeln.  Bestände  eine  in  solchem  Geiste  lebende  anarcho*kommunistische  Ge* 
meinschaft,  so  würde  sie  wahrscheinlich  militärisch  angegriffen.  Sie  hätte  dann 
die  Aufgabe,  der  Menschheit  zu  zeigen,  daß  man  sich  noch  auf  andere  Weise 
verteidigen  kann.  Erstens  durch  Vernichtung  des  Spukgedankens  „Feind". 
Findet  ein  Einfall  statt,  so  wird  diesem  nicht  militärisch  widerstanden.  Je  mehr 
dann  der  sogenannte  Feind  durchdringt  und  sich  über  das  Land  verbreitet,  desto 
mehr  er  seine  militärische  Macht,  die  naturgemäß  zentralistisch  ist,  verliert. 
Zweifellos  würde  solche  Kampfweise  auch  Opfer  kosten.  Wie  unendlich  groß 
Ist  jedoch  die  Anzahl  der  Opfer,  die  die  verwüstende  Gewalt  des  jesuitischen 
Militarismus  fordert!  Ohne  Opfer,  ohne  zähen,  unaufhörlichen  Kampf  wird  die 
Menschheit  nie  zur  Befreiung  gelangen.  Es  handelt  sich  nur  darum,  was  hier 
wirklich  zweckmäßig  ist.  Schließlich  befindet  sich  das  Proletariat  auf  dem 
Gebiete  der  Gewalt  unter  den  ungünstigsten  Umständen.     Dies  ist  das  Sonder* 

15 


gebiet  der  Bourgeoisie.  Auf  antimilitaristischem  sozialwirtschaftlichem  Gebiet 
ist  es  gerade  umgekehrt:  hier  ist  die  Bourgeoisie  vollständig  vom  Proletariat  ab- 
hängig. Sie  kann  die  Industrie  nicht  militarisieren,  wenn  das  bewußtgewordenc 
Volk  es  nicht  will.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  enthält  der  Antimilitarismus 
die  wesentlichen  Methoden  der  sozialen  Revolution  in  sich.  Er  ergibt  sich  als 
die  Revolution  in   Permanenz:    die  fortwährende  Umwälzung. 

Telegramme. 

Am  Montag  eröffnete  J.  van  Langen  (aus  Kopenhagen)  die  Sitzung  und  er» 
teilte  Jos.  Giesen  das  Wort  zur  Vorlesung  eingelaufener  Telegramme.  Aus  MeL 
bourne,  Australien:  „Die  Australische  Friedenskonferenz  sendet  brüderliche 
Grüße".  Aus  Wien:  „Solidarischen  Gruß  von  den  konsequenten  Antimili* 
taristen  Rudolf  Hacker,  Konrad  Hofer,  Ignaz  Holzreyter,  Ernst  Hübl,  Robert 
Hynek,  Ernst  Kerpen,  Anton  Kulich,  Karl  F.  Kocmata,  Moritz  Likier,  Otto 
Lustig,  J.  Magerer,  Ben  Mandl,  Josef  Mottitscha,  Johan  Podany."  Aus  Amster* 
dam,  vom  Niederländischen  Verein  Unabhängiger  Typographen:  „Unsere  besten 
Wünsche  für  das  Wohlgelingen  dieses  Kongresses". 

Protest  gegen  Paßverweigerimg  usw. 

Da  sich  endgültig  herausgestellt  hatte,  daß  auch  Armin  T.  Wegner,  der  über 
Antimilitarismus,  Kolonien  und  Orient  sprechen,  und  Rudolf  Rocker,  der  Milü 
tarismus  und  Kapitalismus  behandeln  sollte,  wegen  Paßschwierigkeiten  nicht  an* 
wesend  sein  konnten,  schlug  Jos.  Giesen  dem  Kongreß  folgende  Protestresolution 
vor,  die  unter  großer  Begeisterung  angenommen  wurde: 

„Der  Internationale  Antimilitaristische  Kongreß  im  Haag  1921  protestiert 
gegen  den  offenen  und  geheimen  Widerstand  der  Regierungen,  Behörden  und 
Polizeiorgane,  die  u.  a.  folgenden  Personen  Pässe  verweigerten:  R.  Großmann 
(Pierre  Ramus),  C.  J.  Björklund,  Armin  T.  Wegner,  Jules  Humbert  Droz,  Rudolf 
Rocker  und  anderen  Änarcho*Sozialisten,  radikalen  Pazifisten,  Antimilitaristen 
der  Dritten  Internationale  und  Syndikalisten.  Der  Kongreß  freut  sich  jedoch 
über  die  Tatsache,  daß  hierdurch  der  revolutionärsantimilitaristische  Charakter 
des  Kongresses  dargetan  ist,  und  daß  sich  hieraus  deutlich  die  Notwendigkeit 
schärfster  antimilitaristischer  Aktion  ergibt  für  die  Völker,  die  das  Neue  und 
das  Gute  wollen. 

Antimilitarismus  und   Gewerkschaftsbewegung. 

Zur  Vorlesung  gelangt  nun  die  Rede  von  C.  J.  Björklund  (aus  Stockholm), 
der  den  offiziellen  Sitzungen  des  Kongresses  nicht  beiwohnen,  sondern  nur  seinen 
Vortrag  über  Antimilitarismus  und  Gewerkschaftsbewegung  soeben  dem  Kon* 
greß*Sekretär  überreichen  konnte.  Im  Namen  der  Neu«Sozialistischen  Partei 
dankte  Björklund  für  die  Einladung  zum  Reden  und  führte  aus,  daß  der  mili- 
tärische  Apparat  noch  immer  den  herrschenden  Klassen  und  Parteien  dient,  um 
mit  roher  Gewalt  Arbeiter,  die  sich  befreien  wollen,  zu  unterdrücken.  Darum 
haben  besonders  die  Gewerkschaften  als  Arbeiterorganisationen  eine  praktische 
iintimilitaristische  Aufgabe.  Sie  haben  den  Kampf  der  direkten  Aktion  zu  führen. 
Das  heißt  nicht  Mord  und  Totschlag  oder  unmoralische  Politik,  sondern  eine 
Aktion  höchster  kultureller  und  sittlicher  Werte,  sich  ergebend  aus  der  Forderung 
von  Frieden  und  Gerechtigkeit.  Ueberall  wird  das  Militär  gegen  die  Arbeiter 
verwendet.  So  sandte  König  Oskar  II.  im  Jahre  1879  tausend  Soldaten  mit 
50  000  scharfen  Patronen  und  6  Geschützen  gegen  streikende  Arbeiter  in  SundsvaJ. 
Aehnliche  Maßregeln  nahmen  die  schwedischen  Herrscher  in  den  Jahren  1890. 
1891,  1892,  1898,  ^1900,  1903,  1906,  1908,  1909  während  des  Generalstreiks,  1917 
gegen  die  Hungerdemonstrationen,  1921.  Dasselbe  sieht  man  in  allen  Ländern, 
besonders  in  Frankreich  und  Spanien,  aber  auch  in  angeblich  demokratischen 
Ländern,  wie  Schweiz  und  Norwegen.  Als  man  jedoch  1903  in  Norwegen  einen 
Walfischfängeraufruhr  blutig  niederschlagen  wollte,  weigerten  sich  die  Soldaten 
zu  schießen  und  trat  einer  von  ihnen  aus  den  Reihen  auf  den  Hauptmann  zu  mit 
den  Worten:  „Es  ist  Ihre  Sache  zu  befehlen,  aber  unsere  Sache,  zu  gehorchen 
oder  nicht".  Sogar  im  „freien"  Amerika  ermordet  man  Hunderte  Arbeiter, 
ebenso  wie  in  Deutschland,  Rußland  usw.  Die  Arbeiterorganisationen  haben  sich 
daher  mit  der  militärischen  Frage   zu  befassen.     Je  eher  man   den   Militarismus 

16 


angreift,  desto  besser,  sonst  kommt  man  mit  seinen  iMaßnahmen  zu  spät,  und  es 
fließt  unnötigerweise  Arbeiterblut.  Dies  gilt  auch  für  kommende  Revolutionen. 
In  Schweden  wird  dies  von  den  Gewerkschaftlern  eingesehen,  obwohl  noch  lange 
nicht  praktisch  verwertet.  Dennoch  haben  bereits  die  Elektriker  und  Typo* 
graphen  beschlossen,  alle  Arbeit  für  den  Militarismus  zu  boykottieren.  Be* 
sonders  muß  direkte  Aktion  geführt  werden:  sofort  weigere  man  sich,  Waffen* 
zeug  und  Heeresbedarf  herzustellen,  Kasernen  zu  bauen  usw.,  Waffen,  Munition 
und  Soldaten  zu  transportieren;  denn  dadurch  ignoriert  man  die  ganze  militärische 
Mordmaschine.  Gegen  den  Krieg  selbst  wende  man  Generalstreik  an.  Da  ein 
Teil  der  Arbeiter  sich  immer  wieder  als  Soldaten  gegen  das  Proletariat  hergibt, 
ist  es  nötig,  zu  sorgen,  daß  das  Verhältnis  zwischen  Arbeitern  und  Soldaten  das 
möglichst  beste  sei.  Neue  Erkenntnis  und  neue  Gesinnung  muß  in  ihnen  er« 
weckt  werden.  Militärischer  Gehorsam  muß  als  schwerstes  Verbrechen  dar« 
gestellt  werden.  Die  Gewerkschaft  muß  durch  Versammlungen,  festliche  Zu* 
sammenkünfte,  Flugblätter  usw.  mit  den  Militärkameraden  in  fortwährender 
Fühlung  bleiben.  Ejn  neuer  Wille  muß  sich  weigern,  tote  Gewehre,  Kanonen  usw. 
zu  handhaben.  Die  Gewerkschaften  müssen  alle  Aktionen  gegen  das  Militärs 
System  unaufhaltsam  unterstützen.  Boykott,  Blockade  und  Generalstreik  müssen 
den  Krieg  brechen.  Die  Gewerkschaften  sollen  auch  allen  persönlichen  Wider« 
stand  gegen  das  Militärsystem  unterstützen  und  die  Dienstverweigerung  fördern. 
Nach  dem  Elend  des  Weltkrieges  dringt  bei  den  Arbeitern  das  Bewußtsein  durch, 
daß  gesellschaftliche  Massenaktion  dem  Kriege  und  Militarismus  ein  Ende  machen 
muß.  Der  Beschluß  der  Ersten  Internationale  von  1868  und  die  Auffassung  von 
Domela  Nieuwenhuis  1891  und  1893  wirken  fort,  ebenso  was  Keir  Hardie  und 
Vaillant  1910  zu  Kopenhagen  vorschlugen.  Die  Amsterdamer  Gewerkschafts« 
Internationale  beginnt  dies  anzuerkennen.  Es  ist  unsere  Aufgabe,  zu  sorgen, 
daß  die  Methode  der  direkten  Aktion  überall  angenommen  und  praktisch  an« 
gewendet  wird. 

Praxis  des  Antimilitarismus. 

Albert  de  Jong  (aus  dem  Haag)  behandelte  dieses  Thema  etwa  folgenderweise: 
Der  Kern  des  Militarismus  ist  ein  System  von  roher  Gewalt  und  Disziplin  zur 
Ausübung  wirtschaftlicher  Unterdrückung.  In  einer  Gemeinschaft  sozial  gleich* 
berechtigter  Individuen  wäre  ein  militärisches  System  undenkbar.  Es  bildet 
jedoch  einen  wesentlichen  und  unentbehrlichen  Bestandteil  der  heutigen  Gesell* 
schaft.  Und  diese  kennzeichnet  sich  nicht  allein  durch  Kriegselend,  sondern,  als 
fortwährender  Krieg  aller  gegen  alle  (Klassen*  und  Konkurrenzkampf),  erfordert 
sie  auch  in  sogenannter  Friedenszeit  tausend  und  aber  tausend  Opfer  der 
Armut.  Es  gibt  auch  Schlachtfelder  wirtschaftlichen  Elends  (Tuberkulose, 
Wohnungsnot).  Redner  gibt  dem  Tod  auf  dem  Schlachtfelde  den  Vorzug  gegen* 
über  dem  Leben  in  Sorge,  Elend  und  Krankheit,  das  tausende  Proletarierkinder 
führen.  Obendrein  wird  die  Industrie  immer  mehr  militarisiert  und  das  Pro* 
duktionsvermögen  zur  Herstellung  von  Mord*  und  Heeresmaterial  angewendet. 
Es  besteht  eine  fortwährende  Wechselwirkung  zwischen  Kapitalismus  und  Mili* 
tarismus.  Da  der  Militarismus  den  Hauptpfeiler  der  Klassengesellschaft  darstellt, 
bildet  der  Antimilitarismus  einen  notwendigen  Bestandteil  des  proletarischen 
Klassenkampfes.  In  erster  Linie  hat  darum  die  Arbeiterklasse  die  Pflicht,  gegen 
Krieg  und  Militarismus  zu  kämpfen,  1.  weil  ihr  direktes  Interesse  dies  erfordert, 
2.  weil  sie  in  sich  die  Macht  trägt,  nicht  allein  um  in  einem  gegebenen  Augen* 
blick  durch  Generalstreik  und  Massendienstverweigerung  den  Militarismus  zu 
stürzen,  sondern  auch,  um  eine  Gesellschaft  zu  errichten,  worin  für  rohe  Gewalt 
kein  Raum  mehr  ist.  Man  darf  nicht,  wie  der  alte  Liebknecht,  die  Bourgeoisie 
allein  für  den  Krieg  verantwortlich  machen.  Denn  für  sie  ist  der  Krieg  eine 
Selbstverständlichkeit;  sie  muß  Krieg  führen  infolge  des  jetzigen  Wirtschafts* 
Systems,  infolge  ihres  Interesses  usw.  Für  das  Proletariat  gilt  dies  alles  nicht. 
Eine  besondere  antimilitaristische  Weltbewegung  ist  erforderlich,  um  diese  Er* 
kenntnis  bei  den  Arbeitern  wachzurufen  und  außerdem,  um  Propaganda  zu 
machen  in  dem  Teil  der  Bevölkerung,  der  außerhalb  der  Gewerkschaftsbewegung 
steht.  Zwanzig  Jahrhunderte  Christentum  haben  bewiesen,  daß  man  mit  Ver* 
Weisung  auf  das  Gute  und  Erhabene  allein  nichts  erreicht.  Wir  haben  vorläufig 
vom  Interesse  der  Arbeiter  auszugehen.  Der  Kapitalismus  ist  bankerott;  sein 
Verfall  nimmt  immer  mehr  zu;  immer  mehr  Lohnsklaven  erwachen  zu  Menschen, 

17 


was  zu  einem  sieh  immer  mehr  verschärfenden  Klassenkampf  Veranlassung  gibt. 
Dieser  Klassenkampf  muß  zur  Revolution  führen  und  hat  auch  in  manchen  Gegen« 
den  schon  dahin  geführt.  Ueberdies  droht  neuer  Weltkrieg.  Es  handelt  sich  also 
um  Krieg  oder  Revolution.  Sache  der  Arbeiter  ist  es,  zu  sorgen,  daß  vor 
etwaigem  neuen  Weltkrieg  die  Revolution  kommt,  um  auf  diese  Weise  die 
Menschheit  vor  den  Schrecken  des  neuen  Krieges  zu  behüten,  um  die  Revolution 
möglichst  zu  internationalisieren,  und  um  die  Revolution  auf  ein  möglichst  hohes 
Niveau  zu  stellen:  ihre  Resultate  dürfen  nicht  durch  die  Entartung  des  Prole« 
tariats  verdorben  werden,  und  der  Aufbau  der  neuen  Gesellschaft  darf  nicht 
durch  erneute  Erschöpfung  der  Vorräte,  Lahmlegung  der  Produktion  usw.  ver« 
hindert  werden.  Bei  eventueller  Revolution  wird  das  Heer  in  drei  Teile  zerfallen: 
diejenigen,  die  nicht  weiterkämpfen,  weil  sie  es  bisher  nur  gezwungen  taten,  die« 
jenigen,  die  sich  auf  die  Seite  der  Revolution  stellen  und  diejenigen,  die  die 
Partei  der  reaktionären  Gewalt  ergreifen.  Die  Antimilitarismen  haben  den 
Militarismus  und  die  Heeresdisziplin  derart  zu  untergraben,  daß  die  beiden  ersten 
Teile  möglichst  groß  und  der  dritte  möglichst  klein  werden.  Es  geht  für  Anti« 
militaristen  nicht  an,  gegenüber  der  Gewalt  der  Bourgeoisie  revolutionäre  Gewalt 
zu  propagieren,  wenn  man  auch  überzeugt  ist,  daß  eine  eventuelle  Revolution 
nicht  ohne  Gewalt  vor  sich  gehen  wird.  Der  autoritäre  Kommunismus  möge 
Propaganda  für  das  rote  Heer  machen,  weil  er  seiner  Art  gemäß  den  Militarismus 
nicht  entbehren  kann.  Wir  Anarchisten  propagieren  diese  Kampfmittel  nicht. 
Wir  sehen  zwei  Gruppen  von  Menschen  vor  uns:  eine  kleine  Gruppe,  die  Inter« 
esse  am  Militarismus  hat,  und  eine  große  Gruppe,  die  wir  vom  Gegenteil  über« 
zeugen  müssen.  Gegenüber  der  Einführung  des  Berufssoldatensystems  sind 
kräftige  Propaganda  und  Anwendung  sofortiger  Einstellung  «militärischer  Pro« 
duktion  die  einzigen  Mittel,  um  die  öffentliche  Meinung  zu  erobern  und  die 
Arbeiterklasse  zu  Generalstreik  und  Massendienstverweigerung  im  Kriegsfalle 
zu  erziehen.  Empfehlenswert  ist  weiter  zweckmäßige  Sabotage.  Keine  Tat 
untergräbt  den  Autoritätsgedanken  so  sehr  wie  persönliche  Dienstverweigerung 
In  Rußland  hat  die  Revolution  sich  in  militärischer  Richtung  entwickelt,  was  eine 
Anzahl  Revolutionäre  außerhalb  Rußlands  bewegt,  ihre  Kraft  nicht  in  anti« 
militaristischem,  sondern  in  rot«militaristischem  Kampfe  zu  suchen.  Man  ver« 
gesse  nie,  daß  die  Entwicklung  in  Rußland  zum  Teil  eine  Folge  des  Verhaltens 
des  westeuropäischen  Proletariats  ist.  Ebensowenig  lasse  man  außer  acht,  daß 
die  Kommunisten  der  Dritten  Internationale  alte  Sozialdemokraten  sind,  und  ein 
großer  Teil  von  ihnen  verantwortlich  zu  machen  ist  für  die  fatalen  Folgen  von 
parlamentarischer  Politik  und  Parteisozialismus.  Jedenfalls  haben  hier  alle  Re« 
volutionäre  sich  gegen  die  Entente  zu  wenden;  sie  machte  die  Rheingegend  zu 
einer  Operationsbasis  für  ein  gewaltiges  Heer,  das  auch  gegen  Rußland  und 
gegen  in  Mitteleuropa  entstehende  Revolutionen  angewendet  werden  könnte. 
Hieraus  ergibt  sich  jedoch  für  Redner  keine  Annahme  der  Parteidiktatur  der 
autoritären  Kommunisten.  Wenn  ein  autoritärer  Kommunist  sagt:  das  Prole? 
tariat  entscheidet  über  dies  oder  jenes,  so  entscheidet  er,  der  Kommunist,  der 
Diktator,  darüber.  Aber  wenn  ein  freiheitlicher  Kommunist  sagt:  Ich  entscheide 
darüber,  dann  entscheidet  das  Proletariat.  Das  Volk  hat  sein  Los  in  die  eigene 
Hand  zu  nehmen.  Als  Arbeiter  in  erster  Linie,  und  nicht  als  Soldaten,  haben 
die  Proletarier  in  sich  die  Macht,  den  Kapitalismus  zu  brechen.  Erforderlich 
ist  Zusammenwirken  aller  revolutionären  Antimilitaristen,  die  in  enger  Fühlung 
mit  der  Gewerkschaftsbewegung  eine  energisch  handelnde  Bewegung  zu  bilden 
haben,  die  an  allen  Punkten  den  Militarismus  in  seinem  Wesen  angreift,  die  anti* 
militaristischen  Aktionen  in  der  ganzen  Welt  sich  'konzentrieren  läßt  und  sie 
überall  bekanntmacht,  und  auf  diese  Weise  die  Revolution  beschleunigt,  den 
Krieg  vereitelt  und  dem  Proletariat  in  Rußland  und  anderwärts  seine  Selbst« 
bestimmung  verbürgt. 

Antimilitarismus  und  Gewerkschaftsbewegung. 

B.  Lansink  ;'.-.,  Vorsitzender  des  Niederländischen  Arbeitersekretariats  in 
Amsterdam,  führte  hierüber  etwa  folgendes  aus:  Das  Wesen  des  Militarismus 
ist  nicht  allein  in  Kaserne  und  Heer,  sondern  auch  in  allen  Organen  der  kapita« 
listischen  Gesellschaft  festzustellen,  auch  im  Produktionssystem.  Das  ganze 
Wirtschaftsleben  ist  davon  durchzogen.  Es  ist  unrichtig,  die  Mißstände  des 
Kapitalismus  allein   den  Kapitalisten  zuzuschreiben.     Der  Unterschied  zwischen 

18 


Kapitalist  und  Arbeiter  besteht  oft  nur  darin,  daß  ersterer  Kapital  besitzt  und 
letzterer  es  entbehrt,  wohingegen  beider  Gesinnung  genau  dieselbe  ist.  Wir 
müssen  daher  auch  persönlich  Sozialisten  werden.  Der  Geist  des  Kapitalismus 
und  der  des  Militarismus  sind  im  Wesen  eins;  nur  äußert  sich  im  Heere  stärker 
als  in  der  Fabrik  die  Tatsache,  daß  ein  Mensch  über  den  anderen  herrscht  und 
die  Untergebenen  für  eigene  Taten  nicht  verantwortlich  sind.  Antimilitaristische 
Propaganda  genügt  deswegen  nicht,  wenn  sie  ausschließlich  gegen  den  in  Heer 
und  Flotte  verkörperten  militaristischen  Apparat  gerichtet  wird.  Militarismus 
ist  sogar  im  heutigen  Unterrichtswesen  anzutreffen.  Das  Wesen  des  Militarismus 
besteht  nicht  darin,  daß  man  etwas  Unangenehmes  tun  muß,  sondern  daß  man 
Dinge  tun  muß,  die  dem  eigenen  menschlichen  Wesen  zuwider  sind,  und  daß  man 
in  einen  Automat  verwandelt  wird.  In  einer  wirklich  sozialistischen  Gesellschaft 
kann  so  etwas  nicht  bestehen.  Kapitalismus  und  Militarismus  sind  eins  und 
müssen  bekämpft  werden  durch  sozialistische  Erziehung  der  Arbeiterklasse,  die 
in  jetziger  Zeit  am  Militarismus  ebenso  schuldig  ist  wie  die  Bourgeoisie.  Es 
handelt  sich  also  darum,  die  wirtschaftliche  Organisation  der  Arbeit  in  den  anti* 
militaristischen  Kampf  hineinzuziehen  und  zugleich  jeden  einzelnen  Arbeiter 
individuell  zum  Sozialisten  heranzubilden.  Die  Arbeiter  sollen  keine  schwarze 
oder  rote  Geistlichkeit  für  sich  denken  lassen,  sondern  selbst  denken.  Sie  müssen 
zu  der  Einsicht  kommen,  daß  sie  nur  die  Güter  herstellen  dürfen,  die  der 
materiellen  und  geistigen  Erhebung  der  menschlichen  Gemeinschaft  nützlich 
oder  dienstbar  scheinen.  Diese  Erkenntnis  bricht  sich  Bahn,  was  auch  hervor* 
geht  aus  der  Resolution  der  Metallarbeiter  in  Deutschland,  die  sich  für  Ver* 
•Weigerung  der  Herstellung  von  Kriegsmaterial  aussprachen.  Die  Gewerkschafts* 
bewegung  hat  auch  einen  neuen  Geist  unter  dem  Volk  wachzurufen.  Dies  kann 
nicht  mit  Gewehren  geschehen;  hiermit  vernichtet  man  die  Arbeiterhirne  nur, 
ohne  sie  revolutionieren  zu  können.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  lese  man: 
„Die  revolutionäre  Massenaktion"  von  Henriette  Roland  Holst.  Der  Sozialismus 
ist  nicht  allein  ein  Kampf  um  etwas  mehr  materielle  Güter,  sondern  ein  Kampf 
zur  Umwälzung  der  Geister.  Das  ausschlaggebende  Moment  in  diesem  Kampfe 
muß  die  direkte  Aktion  sein,  während  man  seine  weiteren  Maßnahmen  dem  Ver* 
halten  der  gegnerischen  Partei  anzupassen  hat.  Da  die  kapitalistische  Klasse  in 
revolutionären  Perioden  nicht  davor  zurückschrecken  wird,  die  Befreiungs* 
versuche  des  Proletariats  möglichst  gewalttätig  niederzuschlagen,  meint  Redner, 
daß  die  Gewerkschaftsbewegung  die  Gewalt  als  Kampfmittel  nicht  ganz  ver* 
werfen  kann,  doch  betont  hiergegen,  daß  revolutionäre,  wirtschaftliche,  direkte 
Aktion  den  Ausschlag  geben  muß,  und  zwar  gegen  den  Geist,  der  sowohl  Kapi* 
talismus  als  Militarismus  beseelt,  und  für  eine  neue,  menschenwürdige 
Gesellschaft. 

Große  Volksversammlung. 

Am  Montag  mittag  fand  mit  glänzendem  Erfolg  eine  Versammlung  unter 
freiem  Himmel  statt,  die  vom  Vorsitzenden  des  I.A.M.V.,  Landesverband  Nieder* 
lande,  M.  de  Boer  (aus  Amsterdam),  eröffnet  wurde. 

Gruß  an  gefangene  Kameraden. 
Auf  Antrag  von  Rocrda  wurde  folgende  Resolution  gefaßt: 

„Der  Internationale  Anti*Militaristische  Kongreß  grüßt  die  tausende  Käme* 
raden  in  Gefangenschaft  wegen  Widerstandsleistung  und  Dienstverweigerung, 
überhaupt  wegen  ihres  Mutes  zur  ausdauernden  Arbeit  an  der  Verwirklichung 
einer    Gesellschaft,   die  des   Namens   einer   Menschengesellschaft   würdig   ist." 

Brief  aus  Spanien. 

Marcel  Sauvage  las  den  Brief  vor,  den  das  Spanische  Komitee  für  Anar* 
chistische  Beziehungen  an  den  Internationalen  AntkMilitaristischen  Kongreß  ge« 
richtet  hatte. 

Die  spanischen  Kameraden  hatten  beabsichtigt,  Abgeordnete  zum  Kongreß 
zu  senden;  der  erste,  der  hierzu  ausersehen  war,  wurde  von  der  spanischen 
Polizei  ermordet,  der  zweite  ins  Gefängnis  geworfen;  der  dritte  sah  sich  außer* 
stände,  die  streng  bewachten  Pyrenäen  zu  überschreiten. 

19 


Nach  brüderlichem  Gruß  an  den  Kongreß  erzählen  die  spanischen  Kame= 
raden,  wie  schwer  ihre  Aufgabe  ist  im  Kampfe  um  eine  Welt  der  Freiheit.  Keine 
Tyrannei  der  Vergangenheit  oder  Gegenwart,  noch  die  spanische  Inquisition 
zur  Zeit  Torquemadas,  noch  das  Auftreten  Albas  in  Flandern,  noch  die  Strenge 
des  Zarenregimes,  übertrifft  die  wüste  Grausamkeit  des  jetzigen  spanischen 
Terrors.  In  Spanien  herrscht  eine  in  sogenannten  „juntas  de  defensa"  (Ver* 
teidigungsräten)  organisierte  militärische  Gruppe,  die  sogar  der  Regierung  ihren 
Willen  aufzwingt.  Ihre  politischen  Diener,  wie  Dato,  errichteten  eine  eiserne 
Diktatur,  hoben  alle  konstitutionellen  Bürgschaften  auf.  verletzten  alle  Gesetze 
und  eröffneten  eine  höllische  Jagd  auf  alle  vorwärtsstrebenden  Elemente,  be* 
sonders  auf  die  revolutionären  Syndikalisten.  Allein  in  Barcelona  wurden  in 
zehn  Tagen  ungefähr  tausend  Revolutionäre  verhaftet.  Als  die  Gefängnisse 
überfüllt  waren,  ketteten  die  Behörden  jedesmal  15,  20  oder  30  Kameraden  an* 
einander  und  jagten  sie  mit  berittenen  Gendarmen  wochen*  und  monatelang 
über  die  Landstraßen  Spaniens,  von  einem  Gefängnis  zum  andern,  täglich  30 
bis  40  Kilometer  weit.  Die  Leiden  dieser  Kameraden  waren  gering,  verglichen 
mit  dem,  was  andere  auszuhalten  hatten.  Man  prügelte  sie  mit  Stöcken,  Säbeln 
und  Gewehrkolben,  man  zerriß  ihre  Geschlechtsteile,  so  daß  viele  vor  Elend 
umkamen.  Manche  wurden  gezwungen,  auf  ein  unbeschriebenes  Blatt  Papier 
ihre  Unterschriften  zu  setzen,  worüber  dann  die  Machthaber  eine  Erklärung 
schrieben,  wonach  dde  Unterzeichner  sich  der  greulichsten  Dinge  zu  be* 
schuldigen  schienen.  Hierauf  erfolgte  dann  Verurteilung  zu  lebenslänglicher 
Zuchthausstrafe  oder  Erschießung.  Trotzdem  ging  die  revolutionäre  Bewegung, 
weiter.  Dann  bildete  die  Regierung  Banden  aus  Räubern  un'd  Kupplern,  die  ohne 
irgendwelchen  Prozeß  ungestraft  revolutionäre  Syndikalisten  töteten,  während: 
man  ständig  verhaftete  Kameraden  ermordete,  unter  dem  Vorwand,  daß  sie  zu 
flüchten  versuchten.  Heldenmütig  halten  unsere  Geistesfreunde  dagegen  stand. 
Infolgedessen  brechen  im  Heere  Aufstände  aus  und  sind  Offiziere  durch  ihre 
Soldaten  hingerichtet  worden.  Aus  diesem  Gesichtspunkte  ist  auch  die  Hin* 
richtung  Datos  zu  verstehen.  Die  internationale  Bourgeoispresse  und  auch  ein 
großer  Teil  der  Presse  der  reformistischen  Sozialdemokraten  gibt  von  all  diesem 
eine  falsche  Darstellung.  Darum  bitten  wir  euren  Kongreß,  unsere  Stimme 
weiterzutragen  und  diese  Tatsachen  ins  Weltall  hinauszurufen.  Wir  Anarchisten 
kämpfen  Schulter  an  Schulter  mit  unseren  syndikalistischen  Kameraden.  Vier 
der  unsrigen  haben  den  Trauerzug  der  Toten  eröffnet.  Erstaunt  und  betrübt 
sehen  wir  die  Gleichgültigkeit,  womit  die  Arbeiterorganisationen  und  die 
intellektuellen  Gruppen  die  Barbareien,  die  der  spanische  Staat  täglich  verviel* 
fältigt,  ruhig  mit  ansehen.  Diese  mangelnde  internationale  Solidarität  bildet 
einen  bedauernswürdigen  Kontrast  zu  der  straffen  Einheit  aller  Regierungen* 
aller  Bourgeoisien  und  aller  reaktionären  Mächte.  Trotz  allem  nehmen  wir  voll* 
ständig  an  dem  Kongreß  teil  und  sind  wir  bereit,  mit  euch  für  einen  praktischen 
Kampf  gegen  den  Militarismus  zusammenzuwirken.  Unserer  Meinung  nach 
muß  dae  erste  und  zweckmäßigste  Aufgabe  sein,  sofort  alle  Quellen,  woraus  der 
Militarismus  sich  ernährt,  zu  verstopfen,  und  vor  allen  Dingen  unsere  Pro* 
paganda  zu  steigern,  um  die  Vorurteile  des  Patriotismus  aus  dem  Gehirn  des 
Volkes  auszurotten. 

Resolution  gegen  den  spanischen  Terror. 

Auf  Antrag  der  französischen  Kameraden  beschloß  die  Volksversammlung, 
an  den  spanischen  Ministerpräsident  sofort  einen  Brief  folgenden  Inhalts  zu 
richten: 

„Der  Internationale  AntkMilitaristische  Kongreß  im  Haag  vom  26.  bis 
31.  März  1921  ist  aufs  schmerzlichste  getroffen  von  der  niederträchtigen  kapi* 
talistischsreaktionären  Inquisition,  die  nun  Spanien  bluten  läßt  und  deren  Opfer 
unsere  Brüder,  Arbeiter  und  Bauern  dieser  Halbinsel  sind.  Er  richtet  sich  an  die 
spanische  Regierung,  besonders  an  König  Alfons  und  den  Präsidenten  des  spani* 
sehen  Ministerrates,  um  seine  tiefste  Entrüstung  darüber  auszudrücken.  Mit 
Entsetzen  und  revolutionärem  Zorn  haben  die  internationalen  Abgeordneten 
von  den  vielfältigen  Ermordungen  gehört.  Der  Kongreß  hat  beschlossen,  diesen 
Protest  zu  bestätigen,  indem  er  mit  Unterstützung  der  Arbeitermassen  in  allen 
Ländern   die  spanischen  Erzeugnisse  boykottiert." 


\0 


Unter  begeisterter  Teilnahme  der  Anwesenden  führten  nach  De  Boer, 
Roorda  und  Sauvage  das  Wort:  Stöcker,  Wellock,  Wichers  (von  der  Femi* 
nistischen  Partei  in  den  Niederlanden),  Wastiaux,  Lieb,  Nicolai,  Cordes,  der 
Esperantist  Eyers,  der  Idist  IJzerdraat,  French  und  Giesen. 

Antimilitarismus  und  Christentum. 

Am  Montag  abend  erteilte  Schermerhorn  das  Wort  an  Pfarrer  Henri  Huchet 
aus  Paris,  der  erklärte,  keiner  politischen  Partei  anzugehören,  sondern  die  Frei* 
heit  im  Geiste  Christi  zu  lieben.  Er  wies  darauf  hin,  wie  in  geradem  Gegen* 
satz  zu  den  pazifistischen  Ueberlieferungen  des  Urchristentums  die  offiziellen 
Vertreter  der  katholischen  und  protestantischen  Kirchen  jetzt  Krieg  und  Mili* 
Zarismus  verherrlichen.  Schon  zur  Zeit  Konstantins  hatte  die  Kirche  mit  dem 
Staat  eine  Vernunftehe  geschlossen.  Während  ursprünglich  der  Christ,  wenn 
er  getauft  wurde,  mit  dem  ganzen  Körper  ins  Wasser  getaucht  wurde  als 
Symbol  gänzlicher  Erneuerung,  hielt  er  in  späterer  Zeit  während  der  Taufe  den 
einen  Arm,  womit  er  die  Waffe  führen  sollte,  vorsichtig  über  die  lebenerneuernde 
Flut.  Eine  abscheuliche  Entartung  bewirkte,  daß  infolge  der  zäsaristischen 
Neigungen  der  Kirche  der  Geist  der  offiziellen  Christen  immer  mehr  jesuitisch 
und  militaristisch  wurde.  Schließlich  verehrten  die  Gläubigen  einen  Christus, 
der  wie  in  einem  Flugzeug  in  den  Wolken  schwebte.  Jedoch  der  Geist  Christi 
muß  auf  Erden  kommen.  Mit  dem  Evangelium  der  Freiheit  und  des  Friedens 
sollte  praktisch  Ernst  gemacht  werden.  Nicht  in  der  Kirche,  sondern  hier 
können  die  Gläubigen  finden,  was  sie  brauchen  und  was  Christus  uns  lehrt. 

Antimilitarismus  und  Freidenkertum. 

Danach  sprach  B.  Reyndorp  aus  dem  Haag  über  Antimilitarismus  und  Frei* 
denkertum.  Die  konsequenten  Freidenker,  führte  er  aus,  die  nicht  nur  gegen 
-geistige  und  moralische  Ueberherrschung  kämpfen,  sondern  auch  nach  Ver* 
wirklichung  von  Frieden,  Freiheit  und  Gerechtigkeit  streben,  müssen  not- 
wendigerweise auch  Antimilitaristen  sein.  Obschon  der  Weltkrieg  vielen  die 
Augen  geöffnet  hat  für  die  Tatsache,  daß  die  Raub*,  Mord«  und  Herrschsucht 
der  Machthaber  von  Geistlichen  als  „von  Gott  gewollt"  verteidigt  wird,  und 
sie  mit  Abscheu  dagegen  erfüllt  hat,  vereinigen  die  Klerikalen  sich  jetzt  wieder 
aufs  neue  international  als  eine  geschlossene  schwarze  Macht,  die  die  lebens* 
feindlichen  Zwangs«  und  Wahnvorstellungen,  Aberglaube,  Unwissenheit,  Milita* 
rismus  und  Ausbeutung  aufs  neue  fördert  und  verstärkt.  Gegen  diese  bar« 
barische  Verschwörung  müssen  die  Freidenker  sich  international  zusammen* 
schließen.  Jede  gesellschaftliche  Einrichtung  ist  gleichsam  die  Verkörperung 
bestimmter  Gedanken  und  Gefühle,  und  mit  Recht  hat  daher  Keir  Hardie  auch 
den  Militarismus  „einen  Geisteszustand"  genannt.  Dessen  Träger  sind  die 
Antipoden  des  vernünftigen  Menschen,  dessen  Kräfte  die  Freidenker  als  An* 
hänger  der  Evolutionslehre  zu  freier  und  völliger  Entwicklung  bringen  und  auf 
diese  Weise  an  der  edelsten  Kulturauslese  mitwirken  wollen.  Der  Militarismus 
Avirkt  jedoch,  wie  Haeckel  einmal  schrieb,  doch  später  verschwieg,  aselektiv, 
und  führt  die  Rasse  zur  Entartung.  Die  körperlich  und  geistig  am  besten 
entwickelten  Personen  entzieht  er  periodisch  der  produktiven  Arbeit,  vergeudet 
sie  in  der  Kriegszeit  millionenhaft  und  überläßt  dann  den  Schwachen  und  Ent* 
arteten  die  Fortpflanzung  der  Rasse.  Allzuviele  Freidenker  waren  lange 
Zeit  in  demselben  Wahn  befangen  wie  die  Reformisten  und  die  meisten  mo* 
dernen  Soziologen,  die  meinten,  der  Gewaltstaat  würde  sich  durch  demokratische 
Reformen  langsam  zu  einer  vernunftgemäßen  Gesellschaft  entwickeln,  bis  es 
im  Jahre  1914  plötzlich  schien,  als  sei  der  Urstaat  aus  den  Zeiten  der  Bar* 
bared  wieder  auferstanden.  Treffend  sagt  Müller*Lyer,  daß  solch  ein  Staat  sich 
nur  durch  seinen  Umfang  von  einer  gewöhnlichen  Räuberbande  unterscheidet, 
aber  dieselben  Grundsätze  und  dieselbe  Taktik  verfolgt.  Für  die  konsequenten 
Freidenker,  die  schon  vor  dem  Weltkriege  freiheitliche  Revolutionäre  und  So* 
zialisten  waren,  war  alles,  was  da  geschah,  eine  empirische  Betätigung  der 
Wahrheit  ihrer  Ueberzeugung,  daß  wahrhafter.  Friede  erst  durch  den  Friedens* 
willen  und  die  Friedenstat  der  Völker,  d.  h.  dar  arbeitenden  und  denkenden 
Massen  selbst,  kommen  kann.  Die  besten  Freidenker,  sagte  Redner,  waren 
daher    auch     immer     zugleich     Antimilitaristen     und     Revolutionäre.     Die    An* 

21 


erkennung  der  Einheit  des  freien  Gedankens  und  des  Antimilitarismus  ergibt 
sich  deutlich  aus  der  Weise,  wie  Schermerhorn  auf  dem  Kongreß  des  Nieder* 
ländischen  Freidenkervereins  .,De  Dageraad"  (Der  Tagesanbruch)  1915  den  Zu? 
sammenhang  zwischen  beiden  darstellte.  Auf  Anregung  des  Redners  faßte  der 
„Dageraad"*Kongreß  von  1916  einen  Beschluß,  der  ebenso,  wie  der  1905  zu 
Paris  gefaßte  Beschluß  von  Domela  Nieuwenhuis,  auf  den  unbedingten  Gegen* 
satz  zwischen  freiem  Gedanken  und  Militarismus  hinwies,  und  der  mit  der  Er* 
klärung  endigte,  daß  der  Niederländische  Freidenkerverein  für  die  Folge  den 
Kampf  gegen  den  Militarismus  aufnehmen  werde  und  sich  dabei  der  intcllektu* 
eilen  Mittel  bedienen  wird,  die  ihm  als  philosophischen  und  ethischen  Verein  zur 
Verfügung  stehen.  Obwohl  man  nicht  so  konsequent  war  wie  die  Freidenker 
in  Paris,  die  erklärten,  daß  nur  die  Formel  „Keinen  Mann  und  keinen  Pfennig 
für  den  Müitarismus"  das  Uebel  an  der  Wurzel  angreift,  war  es  doch  ein 
Schritt  vorwärts  zum  rechten  Ziel.  Antimilitarismus  und  Freidenkertum  bleiben 
natürliche  Verbündete,  denn  dies  ist  die  erste  Bedingung  für  die  Verwirklichung 
des  Ideals,  das  Antimilitaristen  und  Freidenker  beide  verfolgen:  der  freie 
Mensch  in  freier  Gesellschaft. 

Nachdem  Boeke  noch  den  militaristischen  Charakter  des  kirchlichen,  be* 
sonders  des  katholischen  Glaubens,  betont  hatte;  Neel  Kist  ihre  Freude  über 
die  Anwesenheit  vieler  Frauen  und  Mütter  auf  diesem  Kongreß  ausgedrückt 
und  zum  Kampfe  gegen  den  in  Krieg  und  Frieden  entsittlichenden  Kapitalismus 
aufgefordert  hatte,  hielt  Schermerhorn  eine  Schlußrede.  Er  erklärte  sich  dank* 
bar  für  die  aufgeweckte  Stimmung,  die  den  demonstrativen  Teil  des  Kongresses 
ausgezeichnet  hatte,  und  bezeugte  allen,  die  zu  dem  Gelingen,  der  sehr  zahlreich 
besuchten   Versammlungen   beigetragen   hatten,   seinen  herzlichsten   Dank. 


22 


ORGANISATORISCHER  TEIL 

I. 

INTERNATIONALES 
ANTI  =  MILITARISTISCHES  BUREAU 


Vertretene  Organisationen. 

Folgende  Organisationen  waren  vertreten:  Internationaler  Frauenbund  für 
Frieden  und  Freiheit  und  die  Friedensvereine  der  Frauen  in  den  Vereinigten 
Staaten  Amerikas  durch  Rose  Morgan  French;  I.  A.  M.  V.  Landesverband 
Belgien  durch  Adamas  und  Les  Gerard;  Landesorganisation  Konsequenter  Anti* 
Militaristen  Dänemarks  (I.  A.  M.  V.  Landeisverband  Dänemark)  durch  J.  van 
Langen;  Anarchistische  Jugend  Rheinlands  und  Westfalens  durch  F.  Cordes; 
Bund  der  Kriegsdienstgegner  (Deutschland)  durch  G.  W.  Meyer  und  Dr.  Helene 
Stöcker;  Bund  „Neues  Vaterland",  Deutscher  Friedensverein  (Ortsgruppe  Berlin) 
und  Internationaler  Frauenbund  für  Frieden  (Deutscher  Landesverband)  durch 
Dr.  Helene  Stöcker;  Nie*mehr*Krieg*Bewegung  (No  More  War  Movement) 
durch  Wilfred  Wellock;  Anarchistische  Konföderation  von  Paris  durch 
L.  Haussard;  Christliche  Friedensbewegung  Frankreichs  durch  Pfarrer  H.  Huchef; 
Schriftstellergewerkschaft  Frankreichs  durch  Marcel  Sauvage;  Anarchistische 
Gruppen  Nordfrankreichs,  Syndikalistische  Jugend  und  Bund  der  Dienst- 
verweigerer (I.  A.  M.  V.  Landesverband  Frankreich)  durch  L.  Wastiaux; 
I.A.M.V.  Landesverband  Niederlande  durch  J.  Hooyberg  und  L.  Bot  jr.;  Nieder* 
ländisches  Arbeiter*Sekretariat  durch  ß.  Lansink  jr.;  Bund  herrschaftsloser  So« 
zialisten  in  Oesterreich  durch  Pierre  Ramus,  Neusozialistische  Partei  Schwedens 
durch  C.  J.  Björklund;  Kommunistische  Jugend  der  Schweiz  durch  Fritz  Lieb; 
Internationale  Absolutisten  durch  C.  Boeke,  H.  P.  Eyers  und  Ernest  Fletcher. 

Ferner  Landes*  und  Ortsorganisationen  aus  den  Niederlanden,  wie:  Bund 
Religiöser  Anarcho * Kommunisten  (Freie  Kommunisten),  Freie  Sozialisten, 
SoziakAnarchisten,  Freidenkerverein  „De  Dageraad",  Feministische  Partei,  Gut* 
templer,  Sozialistische  Partei,  Revolutionäre  Frauenverbände,  Metallarbeiter, 
Putzfrauen,  Stukkateure,  Schneider,  Gemeindearbeiter  usw. 

Nicht  anwesend. 

Wegen  Paßschwierigkeiten  konnten  unter  anderen  nicht  anwesend  sein: 
Janko  Todorov  (Bulgarische  Tolstoianer):  H.  Delecourt  (I.A.M.V.  Landes* 
verband  Frankreich);  Wladimir  T scher tkoff  (Russische  Religiöse  freie  Gemein* 
Schäften);  Jul.  Humbert  Droz  (Welsch  =  Schweizer  Sozialistische  Jugend); 
J.  Moyses  (Wiener  Versöhnungsbund);  Jean  Simon  (Schweizer  Christliche 
Sozialisten). 

Marius  Hanoi,  Schriftführer  des  französischen  I.  A.M.  V.,  kürzlich  nach  zehn 
Monaten  Untersuchungshaft  von  gerichtlicher  Verfolgung  enthoben,  konnte 
wegen  Krankheit  nicht  kommen. 

Die  Abgeordneten  der  Anarchistischen  Konfederation  in  Spanien  konnten 
infolge  des  in  ihrem   Lande  wütenden  Terrors  nicht   anwesend  sein. 

Bis  zuletzt  hoffte  man  vergeblich  auf  das  Kommen  von  Dr.  Armin  T.  Wegner. 
der  über  „Antimilitarismus,  Kolonien  und  Orient"  reden  sollte,  und  von  Rudolf 
Rocker,  der  „Militarismus  und  Kapitalismus"  behandeln  und  die  deutschen 
Syndikalisten  vertreten  sollte.  Auch  diese  schienen  durch  Paßschwierigkeiten 
verhindert  zu  sein. 

Einige  deutsche  Arbeiter*Abgeordnete  wurden  am  Tage  vor  dem  Kongreß 
in  Bilthoven  bei  Utrecht,  Holland,  verhaftet,  bis  nach  Ostern  gefangen  gehalten 
und  dann  über  die  Grenze  transportiert. 

Linn  A.  E.  Gabe  sollte  die  Mexikanische  Kommunistische  Partei  und  das 
Komitee  für  freien  Handel  mit  Rußland  auf  dem  Kongreß  vertreten.  In  seiner 
Monatsschrift  „Gates  International  Monthly"  schrieb  er  im  März  1921,  daß  er 
verhindert  ist,  an  dem  Kongreß  teilzunehmen  und  darum  einen  auf  dem  Kongreß 
vorzulesenden  Bericht  über  die  Lage  in  Mexiko  eingesandt  hat.  Diesen  Bericht 
hat  der  Schriftführer  jedoch  bisher  nicht  empfangen. 

24 


Ohne  Paß  anwesend. 

Trotz  aller  Regierungsmaßnahmen  gelang  es  unter  anderen  den  Kameraden 
Adamas  und  Lea  Gerard  aus  Belgien,  Haussard  aus  Frankreich,  Pierre  Ramus 
aus  Oesterreich,  Björklund  aus  Schweden,  während  des  Kongresses  im  Haag 
anwesend  zu  sein. 

Polizei. 

Der  Kongreß  wurde  von  holländischen  und  ausländischen  Polizeispionen 
umschwärmt.  Dank  der  ausgezeichneten  Hilfe  mehrerer  holländischer  Käme? 
raden  waren  sie  jedoch  nicht  imstande,  dem  Kongreß  auch  nur  im  geringsten 
zu  schaden.  Alles  verlief  dem  Charakter  und  den  Absichten  der  internationalen 
Zusammenkunft  entsprechend.  Alle  paßlosen  Kameraden  sind  wieder  wohl* 
beharten  nach  Hause  gekommen. 

Erste  geheime  Sitzung. 

Am  Freitag,  den  25.  März,  waren  Pierre  Ramus  und  Lea  Gerard  bereits  im 
Haag.  Bald  kamen  auch  andere  Paßlose.  De  Ligt,  De  Jong,  Eckhard,  Giesen 
und  Schermerhorn  hielten  mit  ihnen  von  Anfang  an  fortwährend  Fühlung. 
Infolgedessen  waren  sie  von  dem  Verlauf  des  offiziellen  Teiles  des  Kongresses 
völlig  unterrichtet.  Auch  wurden  nachts  vorläufige  Besprechungen  abgehalten. 
Während  am  Montag  nachmittag  die  große  Volksversammlung  die  Aufmerksam* 
keit  der  Polizei  in  Anspruch  nahm,  fand  die  erste  geheime  Sitzung  statt.  An* 
wesend  waren  Adamas,  Lea  Gerard,  Van  Langen,  Haussard,  Ramus,  Björklund, 
Eckhard,  De  Jong,  De  Ligt,  Schermerhorn  und  einige  andere  Kameraden.  In 
erster  Linie  wurde  die  Errichtung  eines  internationalen  antimilitaristischen 
Bureaus  erwogen.  Augenscheinlich  war  man  sich  darüber  einig,  daß  nicht  nur 
Bestehen  und  Entwicklung  eines  eigentlichen  internationalen  antimilitaristischen 
Vereins  erwünscht  war,  sondern  daß  die  ganze  internationale  antikapita* 
listische  und  antimilitaristische  Bewegung  sich  in  einem  Bureau  konzentrieren 
müsse,  woran  auch  nicht  rein  antimilitaristische  Vereine  und  andere  aus* 
gesprochen  revolutionär  *  antimilitaristische  Organisationen  als  der  I.A.M.V. 
teilnehmen  könnten.  Dieses  Bureau  würde  ein  praktisches  Ziel  haben:  den  Kampf 
gegen  Krieg,  Terror  und  gegen  Intervention  in  Ländern,  die  dabei  sind,  sich 
revolutionär  zu  befreien.  Es  könnte  genannt  werden:  Internationales  Anti* 
Militaristisches  Bureau  gegen  Krieg  und  Reaktion.  Besonders  die  Belgier, 
Franzosen  und  Holländer  forderten,  daß  auch  der  Charakter  dieses  Bureaus  aus* 
gesprochen  antikapiltalistisch  sei.  Weiter  wurden  von  französischer  und  hol* 
ländischer  Seite  verschiedene  antimilitaristische  Kampfmittel  angedeutet,  wovon 
noch  später  die  Rede  sein  wird. 

Zweite  geheime  Sitzung. 

Am  Dienstag  morgen  hatten  sich  versammelt:  French.  Adamas,  Gerard, 
Van  Langen,  Meyer,  Nicolai,  Stöcker,  Haussard,  Huchet,  Sauvage,  Wastiaux, 
Eyers,  Fletcher,  Ramus,  Björklund,  Boeke,  De  Boon,  Eckhardt,  De  Jong,  De  Ligt. 
Harinck,  Schermerhorn  und  einige  andere.  Form  und  Aufgabe  des  Bureaus 
wurden  näher  besprochen.  Von  belgischer,  französischer,  deutscher  und  hol* 
ländischer  Seite  wurde  wiederum  Nachdruck  darauf  gelegt,  daß  ein  zu  errich* 
tendes  I.A.M.B.  ausgesprochen  antikapitalistisch  sein  müßte.  Die  Tätigkeit  des 
Bureaus  sollte  von  revolutionär*sozialistischen  Organisationen  und  Gruppen  ge* 
tragen  sein. 

Eröffnung  des  organisatorischen  Teils. 

Am  Dienstag  mittag  eröffnete  Schermerhorn  den  organisatorischen  Teil  des 
Kongresses,  der  für  das  Publikum  zugänglich  war.  Er  sprach  die  Erwartung 
aus,  daß  auch  der  zweite  Teil  dieser  Zusammenkunft  im  Zeichen  gegenseitiger 
Wertschätzung  und  Kameradschaft  stehen  möge. 

25 


Weitere  eingelaufene  Briefe. 

Giesen  teilte  <ien  Inhalt  eines  Schreibens  mit,  worin  der  Vorstand  der 
Anarchistischen  Konföderation  Nordspaniens  dem  Kongreß  seine  Sympathie 
bezeugt  und  erklärt,  zu  ständigem  Zusammenwirken  bereit  zu  sein.  Ferner 
übermittelte  er  Grüße  vom  Freireligiösen  Bund  der  Ueberkonfessionellen  aus 
Oesterreich  und  vom  örtlichen  Arbeitersekretariat  in   Groningen,  Holland. 

Bericht  des  Schriftführers. 

Ais  Schriftführer  des  vorläufigen  I.  A.  M.  B.  erstattete  Jos.  Giesen  folgen* 
den  Bericht:  Nach  dem  Weltkriege  knüpften  wir  mit  22  Ländern  in  5  Erdteilen 
Verbindungen  an.  Mehrmals  blieben  diese  lose  (wie  mit  Argentinien  und 
Aegypten)  oder  waren  sie  schwer  aufrecht  zu  erhalten  (wie  mit  Spanien 
und  Rußland).  Schon  inniger  wurden  die  Beziehungen  zu  Australien,  Neu* 
Seeland,  Mexiko,  Bulgarien  und  Finnland.  In  Europa  geht  es  gut.  Neue 
Landesverbände  des  I.  A.  M.  V.  entstanden  in  Belgien,  Dänemark  und  Frank* 
reich.  Das  vorläufige  I.  A.  M.  B.,  das  auf  den  im  August  1920  im  Haag  ab* 
gehaltenen  geheimen  Konferenzen  von  belgischen,  dänischen,  deutschen  und 
französischen  Kameraden  ernannt  worden  war,  versandte  Manifeste,  die  von  den 
Kameraden  international  veröffentlicht  wurden.  Von  den  vielen  Blättern,  die 
uns  unterstützten,  verdient  „Erkenntnis  und  Befreiung"  von  Pierre  Ramus  be* 
sondere  Erwähnung.  Wir  stehen  in  Verbindung  mit  1.  rein  antimilitaristischen 
Organisationen  (z.  B.  die  Landesverbände  des  I.  A.  M.  V.,  Vereine  ehemaliger 
Kriegsteilnehmer,  Nie*mehr*Krieg*Bewegung);  2.  Gewerkschaften  (Nieder* 
ländisches  Arbeitersekretariat,  Syndikalisten  in  Dänemark,  Deutschland  und 
Frankreich,  französische  syndikalistische  Jugend  usw.);  3.  Frauen*  und  Jugend* 
vereinen  (Frauenbund  für  Frieden  und  Freiheit,  mit  Sitz  in  Genf,  Holländische 
Feministische  Partei,  verschiedene  revolutionärssozialistische  Frauenorganisa* 
tionen,  Freie  Jugend  in  Deutschland,  Oesterreich,  Schweiz  usw.);  4.  politisch*wirt* 
schaftlichen  Organisationen  weiterer  Tendenz  (Bund  herrschaftsloser  Sozialisten 
in  Oesterreich;  Sozialistische  Partei,  freikommunistische  und  anarchistische 
Organisationen  und  Gruppen  in  den  Niederlanden;  Anarcho*Sozialisten  in 
Schweden  usw.);  5.  besonderen  Vereinen  (Vegetariervereine,  humanitäre  Or* 
ganisationen,  Freidenkergruppen  usw.).  Redner  hofft,  daß  dieser  Kongreß  dazu 
beitragen  werde,  alle  diese  und  ähnliche  Organisationen  zu  gesteigerter,  ge* 
meinsamer  Tätigkeit  zu  bringen. 

Revolutionärer  Antimilitarismus   in  Frankreich. 

An  Stelle  des  Schriftführers  des  I.  A.  M.  V.  Landesverband  Frankreich, 
Marius  Hanoi,  der  infolge  Krankheit  verhindert  ist  zu  kommen,  verliest  Luden 
Wastiaux  (aus  Roubaix)  einen  von  /.  Gir ardin  aufgestellten  Bericht  über  Frank* 
reich.  Die  Syndikalistische  Jugend  wurde  im  Jahre  1904  errichtet.  Trotz  Ver* 
folgungen,  Gefängnisstrafen  usw.  entfaltete  sie  rege  Tätigkeit.  Man  gründete 
einen  Verständigungsausschuß,  um  die  antimilitaristische  Arbeit  der  Jugend* 
liehen  zu  zentralisieren.  Durch  Versammlungen,  Flugblätter,  Broschüren  und 
Demonstrationen  verbreitete  man  seine  Grundsätze.  Als  der  Krieg  ausbrach, 
blieb  man  seinem  Antimilitarismus  treu.  Die  Herausgabe  des  „Cri  des  Jeunes" 
(Ruf  der  Jugendlichen)  verbot  die  französische  Obrigkeit.  Da  ließ  man  ihn  in 
Portugal  drucken  und  verbreitete  ihn  im  geheimen.  1916  und  1917  wurden 
Kerngruppen  von  Kameraden  gebildet,  die  bis  ins  Heer  hinein  Worte  des 
Friedens  propagierten.  Zahlreiche  Flugschriften  wurden  unter  den  Truppen  ver* 
breitet.  Mehrere  Kameraden  gerieten  wegen  antimilitaristischer  und  pazifisti* 
scher  Propaganda  ins  Gefängnis.  Durch  Vermittlung  des  „Ausschusses  zur 
Wiederaufnahme  internationaler  Beziehungen"  erklärte  man  sich  mit  den  Kien* 
thaler  und  Zimmerwalder  Konferenzen  einverstanden.  Im  Jahre  1919  enthüllte 
man  den  Arbeitern  in  zahlreichen  Volksversammlungen  das  verhängnisvolle 
Verhalten  ihrer  Leiter.  Gemeinschaftlich  mit  der  anarchistischen  Jugend  er* 
richtete  man  einen  antimilitaristischen  Aktionsausschuß.  Gegen  Ende  1919 
gründete  man  auf  Anregung  der  Kameraden  Leon  Prouvost  und  Bonvallet  und 
nach  Beratung  mit  dem  „Verständigungsausschuß"  einen  französischen  Landes* 
verband  des  I.A.M.V.,  genannt  „Ligue  des  Refractaires"  (Bund  der  Dienst* 
Verweigerer).      Nur    die   anarchistische    Jugend    und   einige    ehemalige   Kriegsteil* 

26 


nehmer  nahmen  das  Programm  an.  Die  großen  sozialistischen  Organisationen; 
ließen  den  Aufruf  unbeantwortet.  Infolge  der  Haltung  der  Regierung  propagiert 
man  jetzt  im  geheimen.  Die  Syndikalistische  Jugend  steht  auf  anderem  Stand? 
punkt  als  der  Bund  ehemaliger  Kriegsteilnehmer  und  die  sogenannten  kommu* 
nistischen  Jugendorganisationen,  die  die  Leute  nicht  zur  Dienstverweigerung 
veranlassen,  sondern  zum  Eintritt  in  das  kapitalistische  Heer,  um  auf  diese 
Weise  durch  Propagieren  und  Exerzieren  ein   rotes  Heer  vorzubereiten. 

Wastiaux  verlas  ferner  verschiedene  antimilitaristische  Flugschriften 
des  französischen  Landesverbandes  des  I.  A.  M.  V.,  der  Syndikalistischen 
Jugend  usw. 

Auf  Wunsch  Schermerhorns  berichtete  Wastiaux  hierauf  noch  einiges  über 
die  Tätigkeit  der  nordfranzösischen  Gruppe  der  anarchistischen  Kommunisten, 
woran  er  selbst  teilgenommen  hatte.  Sie  hielt  mit  den  revolutionären  Syndikat 
listen  enge  Fühlung.  Unermüdlich  wirkte  im  Kohlenbecken  des  Bezirks  Pas  de 
Calais  Kamerad  Broutchoux,  der  im  Jahre  1907  den  anarchistischen  und  anti; 
militaristischen  Kongreß  in  Holland  besucht  hatte.  Man  untergrub  den  rnili* 
tärischen  Geist  der  Soldaten,  die  gegen  streikende  Arbeiter  nach  den  Zechen* 
gebieten  gesandt  wurden.  Im  Norden  erschienen  die  antimilitaristischen 
Organe  „Le  Combat"  und  „Le  Cri  du  Peuple".  Man  brachte  den  unmoralischen 
Charakter  des  Heeres  ans  Tageslicht,  ebenso  die  Greuel,  die  in  den  Militär* 
gefängnissen  in  Französisch*Afrika  getrieben  wurden.  Dies  erregte  hohe& 
Interesse  bei  der  Bevölkerung,  wovon  viele  infolge  ihrer  Gemütsstimmung  mit 
den  militärischen  Strafmaßregeln  Bekanntschaft  gemacht  hatten.  Die  Käme? 
raden,  die  derart  in  revolutionärssyndikalistischem  Sinne  wirkten,  wurden  vom 
Parlament  aus  von  den  offiziellen  Sozialisten  angegriffen.  Im  Jahre  1914  er? 
schien  „La  Defense  Sociale".  Da  kam  das  große  Verbrechen  des  Weltkrieges. 
60  Haftbefehle  wurden  für  Nordfrankreich  erlassen.  Die  meisten  Kameraden 
entkamen.  11  Widerspenstige  wurden  gefangen  noch  Paris  gebracht.  „Le 
Combat"  wurde  wegen  kriegsgegnerischer  Artikel  verfolgt.  Dagegen  begann 
die  offizielle  sozialistische  Presse  eine  Kampagne,  wonach  Deutschland  ein  zu 
vernichtendes  Karthago  war.  Die  deutsche  miiltärische  Besetzung  vom  9.  Oktober 
1914  bis  zum  19.  November  1918  rechtfertigte  in  keiner  Hinsicht  den  Haß,  den 
die  Arbeiterbevölkerung  Nordfrankreichs  der  deutschen  Nation  entgegen- 
bringen könnte.  Tausende  deutsche  Soldaten  zogen  durch  Roubaix  und  waren 
dort  einquartiert.  Ihr  einfaches  und  korrektes  Betragen  unterschied  sich  günstig 
von  der  Anmaßung  der  Offiziere  und  Polizeibeamten,  die  die  Bevölkerung 
terrorisierten.  Auch  während  der  deutschen  Besetzung  suchten  die  Anti* 
militaristen  gegen  den  Strom  zu  schwimmen.  1915  begannen  einige  Käme* 
radinnen  eine  pazifistische  Propaganda;  sie  wurden  beschuldigt,  im  deutschen 
Spionagedienst  zu  stehen,  und  ihr  Vorhaben  mißglückte.  Am  18.  März  1916 
gab  es  in  Roubaix  einen  Hungeraufruhr.  Brave  französische  Bürger,  biedere 
Händler  und  deutsche  Kommandanten  waren  sich  darüber  einig,  daß  die  Brot* 
losen  gestraft  werden  mußten,  weil  sie  versucht  hatten,  sich  den  Vorrats* 
schrank  der  Kriegsgewinnler  anzueignen.  Im  Mai,  Juni  und  Juli  1918  beriefen 
die  nordfranzösischen  Kameraden  geheime  antimilitaristische  Versammlungen 
ein  und  verteilten  Flugschriften.  Ueber  die  Fronten  hinweg  war  man  bestrebt, 
den  Pazifisten  der  ganzen  Welt  seine  Sympathie  zu  offenbaren.  Man  ver* 
breitete  Broschüren  von  Domela  Nieuwenhuis,  Kropotkin  und  Malatesta.  Seit 
dem  Waffenstillstand  führt  man  einen  energischen  Kampf  gegen  die  milita* 
ristische  Geisteskrankheit  des  siegenden  Frankreichs.  Dabei  muß  man  sieb, 
fortwährend   den   angeblich    sozialistischen   Führern   entgegenstellen. 

Die  dänischen  Nahrungsverweigerer. 

J.  van  Langen,  Abgeordneter  der  dänischen  konsequenten  Dienstverweigerer 
(Landesverband  Dänemark  des  I.A.M.V.)  erzählt,  wie  diese  verhältnismäßig 
kleine  Gruppe  großen  moralischen  Einfluß  ausübt.  Man  verweigert  den 
Militärdienst  und  kämpft  sich  danach  durch  Nahrungsverweigerung  aus  dem 
Gefängnis  frei.  Auch  weigerte  man  sich,  dafür  an  die  Stelle  tretenden  bürgere 
liehen  Dienst  zu  verrichten,  da  man  dies  als  Streikbrecherarbeit  betrachtete.  Der 
sozialdemokratische  Minister  Stauning  wendete  auf  die  grundsätzlichen  Dienst? 
Verweigerer  unerbittlich  das  harte  Gesetz  an,  obwohl  er  sich  Antimilitarist 
nannte.     In    Hinsicht   auf  die   militärische   Frage   stehen    die   dänischen    Svndika* 


li 


listen  auf  verschiedenen  Standpunkten.  Immerhin  muß  der  antimilitaristische 
Kampf  hauptsächlich  mit  wirtschaftlichen  Mitteln  geführt  werden.  Ein  Teil  der 
früheren  grundsätzlichen  Dienstverwcigerer  ist  jetzt  auch  für  Eintritt  in  das 
kapitalistische  Heer,  um  auf  diese  Weise  ein  rotes  Heer  vorzubereiten.  Redner 
hält  es  für  einen  falschen  Weg,  daß  Revolutionäre  sich  derart  dem  Militärzwang 
und  den  Militärvorschriften  unterwerfen  wollen.  Möge  Erfahrung  sie  eines 
besseren  belehren  und  in  die  Reihen  der  Kämpfer  zurückführen!  Wenn  man 
auch  meint,  zu  gewissen  Zeiten  Gewalt  anwenden  zu  müssen,  so  mache  man 
doch  Unterschiede.  In  kleinen  Ländern  wie  Dänemark,  Schweden,  Norwegen, 
Holland,  Belgien  kann  die  Revolution  nicht  aufkommen;  das  geschieht 
anderswo.  Und  dann  werden  die  kleineren  Länder  in  den  großen  Strom  mit* 
gerissen.  Darum  ist  das  Bilden  sogenannter  roter  Heere  in  derartigen  Ländern 
sowieso  vorläufig  vollständig  überflüssig.  Kommt  die  Revolution,  so  haben 
dde  Arbeiter  zu  wissen,  wro  sie  stehen  müssen.  Je  mehr  sie  sich  ihrer  Wirtschaft? 
liehen  Bedeutung  bewußt  werden,  desto  kräftiger  wird  ihr  revolutionärer 
Kampf  sein. 

Wirken  des  Niederländischen  I.A.M.V. 

Ueber  die  Tätigkeit  des  I.A.M.V.  seit  1904  teilt  Hooyberg  noch  verschiedene 
Einzelheiten  mit.  Bei  jeder  Truppenaushebung  verteilte  man  Flugblätter  und 
Broschüren.  Gegen  den  Plan  zur  Vergrößerung  der  holländischen  Flotte  wurde 
grundsätzlich  Stellung  genommen.  Mehrmals  eiferte  man  gegen  Anwerbung  für 
das  Kolonialheer,  so,  indem  man  auf  den  Werbeplakaten  den  Kopf  eines  abge? 
bildeten  Soldaten  mit  einem  Totenkopf  überklebte.  Ueberall  in  Holland  wurden 
zu  Weihnachten  besondere  Friedensversammlungen  einberufen.  Hunderttausende 
gummierte  Etiketten  wurden  verbreitet,  die  verschiedene  Mottos  trugen;  so  zur 
Zeit  der  Eröffnung  des  Haager  Friedenspalastes:  „Den  Krieg  humanisieren,  heißt 
den  Teufel  humanisieren."  Oefters  geriet  man  mit  der  Justiz  in  Konflikt.  Domela 
Nieuwenhuis,  Schermerhorn  und  andere  warnten  vor  dem  drohenden  Weltkrieg. 
1914  setzte  man  die  antimilitaristische  Tätigkeit  wirksam  fort.  Auch  organi? 
sierte  man  eine  Dienstverweigerungsbewegung  gegen  den  militärischen  Uebungs? 
zwang.  Viele  Mitglieder  des  I.A.M.V.  beteiligten  sich  an  der  bereits  von  De  Boer 
erwähnten  Dienstverwreigerungsbe\vegung.  Im  Mai  1917  entschloß  man  sich, 
die  Munitionsherstellung  besonders  zu  bekämpfen,  und  stellte  man  Arbeitsvers 
Weigerung  im  Dienste  des  Militarismus  auf  eine  Linie  mit  grundsätzlicher  Dienst; 
Verweigerung.  Im  Dezember  1917  beschloß  man,  auch  Verweigerer  des  Zivil? 
kriegsdienstes  als  Militärdienstverweigerer  zu  betrachten.  Der  I.A.M.V.  wuchs 
von  500  zu  3000  Mitgliedern  an.  Jedes  Jahr  verbreitet  man  zu  Tausenden  einen 
Soldatenalmanach.  Bei  inländischen  Unruhen  hält  man  die  Soldaten  vom  Schießen 
auf  das  Volk  zurück.  Der  I.A.M.V.  wirkte  auch  kräftig  in  allgemeinen  revolu? 
tionären  Aktionen  und  suchte  dann  vor  allen  Dingen  Fühlung  mit  der  Gewerk? 
Schaftsbewegung. 

Mittelbar  übte  der  Verein  auch  Einfluß  auf  noch  nicht  politisch  verseuchte 
Mitglieder  der  sozialdemokratischen  Arbeiterpartei  aus,  die  soeben  einen  kleinen 
Schritt  in  unserer  Richtung  wagte.  Seit  1917  arbeitete  der  I.A.M.V.  für  den  jetzt 
stattfindenden  Kongreß. 

Antimilitarismus  in  Belgien. 

Da  die  anwesenden  belgischen  Kameraden  offiziell  als  abwesend  gelten,  er? 
stattet  De  Jong,  der  öfters  für  den  I.A.M.V.  Belgien  bereist  hatte,  an  ihrer  Stelle 
Bericht.  Belgien  ist  das  Schlachtfeld  Europas.  Leider  kann  keiner  der  belgischen 
Kameraden  hier  bezeugen,  was  man  durchgemacht  hat.  Was  uns  an  Belgien  aufs 
fällt,  ist  der  Kampf  zwischen  Flamen  und  Wallonen;  das  ist  mehr  als  ein  Sprachen* 
kämpf.  Man  kann  die  Flamen  mit  den  Iren  vergleichen.  Die  sozialistische  Be? 
wegung  in  Belgien  ist  von  opportunistischer  Art.  Die  flämischen  früheren  Kriegs? 
teilnehmer  sind  Antimilitaristen,  weil  sie  einsehen,  daß  sie  im  Dienste  eines 
Imperialismus  gebraucht  werden,  der  sich  schließlich  als  der  französische  Im? 
perialismus  herausstellt.  Man  ist  des  Krieges  überdrüssig,  doch  ist  die  Erkennt? 
nis  so  gering,  daß  man,  anstatt  völlige  Entwaffnung  und  Wehrpflichtabschaffung 
TKi  fordern,  für  einen  halbjährigen  Dienst  eintritt.  Erfreulicherweise  wirkt  jetzt 
der  I.A.M.V.  für  „keinen  Mann  und  keinen  Pfennig".    Sein  Schriftführer  Hermann 

28 


van  de  Reeck  wurde  bei  einer  revolutionären  Bewegung  von  einem  stumpfsinnigen 
Diener  der  Obrigkeit  getötet.  Inzwischen  unterstützten  auch  andere  Kämpfer, 
wie  Stroobants,  Leo  Gerard,  de  Swert  und  Adamas  unsere  Bewegung.  Es  gibt 
^etzt  Ortsgruppen  in  Brüssel,  Antwerpen,  Löwen,  Ostende,  Ninove,  Mecheln 
und  Diest.  Wallonische  und  flämische  Revolutionäre  wirken  darin  einträchtig 
zusammen.  Als  Schermerhorn  in  Belgien  umherzog,  um  unsere  Ideen  zu  ver» 
künden,  erfuhr  er  eine  schändliche  Beleidigung  von  dem  sozialdemokratischen 
Minister  Vandervelde.  Unter  aller  Kritik  ist  das  Verhalten  der  uns  feindlichen 
Presse. 

Antrag  über  ein  internationales  antimilitaristisches  Bureau. 

Schermerhorn  erteilte  De  Jong  das  Wort.  Dieser  weist  in  seinen  Mitteilungen 
über  zu  behandelnde  Punkte  darauf  hin,  daß  das  Bureau  das  Bestehen  zweier 
Körperschaften  erforderlich  erachtet:  1.  eine  internationale  Organisation  anti* 
militaristischer  Vereine  im  Sinne  des  I.A.M.V.,  2.  ein  Bureau,  wozu  auch  die* 
jenigen  antimilitaristisch  gesinnten  Vereine  beitreten  können,  die  noch  allerlei 
andere  Ziele  verfolgen  (zum  Beispiel  syndikalistische,  politisch*wirtschaftliche, 
humanitäre  Organisationen,  Frauen*  und  Jugendbewegung).  Dieses  letztere  richtete 
sich  dann  besonders  gegen  drohenden  Krieg,  weißen  Terror  und  Intervention 
gegenüber  dem  revolutionär  auftretenden  Proletariat. 

Stellung  zu  den  Absolutisten. 

Ferner  teilte  Redner  mit,  daß  in  Bilthoven  (Holland)  bereits  vor  diesem 
Kongreß  eine  Gruppe  Absolutisten  zusammengetreten  ist,  die  beschlossen  hat, 
sich  nicht  separat  zu  organisieren,  wenn  der  I.A.M.V.  ihre  Anschauungen  teilt. 
Es  ist  gewiß,  daß  der  I.A.M.V.  als  solcher  sich  nicht  auf  absolut  gewaltlosen 
Standpunkt  stellen  wird.  Hieraus  ergibt  sich  für  die  Absolutisten  das  Recht,  sich 
auf  Grund  einer  eigenen  Prinzipienerklärung  zu  organisieren.  Entschließt  man 
sich  jedoch  jetzt  zur  Errichtung  eines  IA.M.*Bureaus,  so  hoffen  wir,  daß  sie  dazu 
beitreten  und  mit  uns  zusammenwirken  im  Kampf  gegen  drohenden  Weltkrieg 
usw.  Hierzu  können  übrigens  alle  Revolutionäre  zusammenwirken,  von  den 
Anhängern  der  Dritten  Internationale  an  bis  zu  Quäkern  und  Tolstoianern. 

Dritte  geheime  Sitzung. 

Vom  Dienstag,  den  29.  März,  abends  8  Uhr,  bis  Mittwoch,  den  30.  März, 
morgens  um  5  Uhr,  waren  folgende  Kongreßteilnehmer  versammelt:  French, 
Adamas,  Gerard,  Van  Langen,  Meyer,  Nicolai,  Stöcker,  Eyers,  Fletcher,  Wellock, 
Haussard,  Sauvage,  Wastiaux,  Ramus,  Björklund,  Lieb,  Boeke,  de  Boon,  Bot, 
Eckhard,  Giesen,  J.  Harinck,  T.  Harinck,  Hooyberg,  De  Jong,  Kaastra,  De  L/gf„ 
Schermerhorn  und  einige  andere. 

Antimilitaristische  Kampfmittel. 

Von  französischer  Seite  hob  man  hervor,  daß  ein  I.A.M.B.  von  durchaus 
praktischer  Arbeit  erforderlich  ist.  Man  bemühe  sich,  Desertationsbureaus  zu  er* 
richten;  man  gebe  politische  Dokumente  heraus,  die  die  herrschende  Klasse  ent* 
larven;  man  erwäge  die  Sabotage  als  Kampfmittel;  man  führe  Pressekampagnen; 
man  veranlasse  Boykott  von  Gewerkschaften,  deren  Mitglieder  Kriegsarbeit 
leisten;  man  mache  besonders  unter  den  Frauen  Propaganda;  durch  Flugblätter 
rege  man  persönliche  Dienstverweigerung  an;  man  wende  sich  direkt  schriftlich 
an  die  imperialistischen  Regierungen;  man   nehme  eine  Weltsprache  an. 

Art  des  Bureaus. 

Sodann  prüfte  man,  welche  Form  das  Internationale  Anti*Militaristische  Bureau 
annehmen  sollte,  und  ob  auch  dieses  einen  ausgesprochen  antikapitalistischen 
Charakter  brauchte.  Von  österreichischer  und  absolutistischer  Seite  hielt  man 
letzteres  nicht  für  unbedingt  erforderlich.  Von  belgischer,  deutscher,  hollän* 
discher  und  schweizerischer  Seite  bestand  man  ganz  entschieden  darauf,  daß  das 
Bureau  sowohl  theoretisch  wie  praktisch  Kapitalismus  und  Militarismus  im  Zusam* 
menhang  bekämpfen   sollte.     Besonders  in   Deutschland  hat  es   sich   ja  gezeigt, 

29 


■daß  antimilitaristische  Vereine  ohne  ausgesprochen  antikapitalistischen  Charak« 
ter  immer  wieder  verbürgerlichten  und  manchmal  in  Händen  neuer  Kriegsmächte 
zu  willenlosen  Werkzeugen  wurden.  Es  wäre  erwünscht,  daß  der  antipatriotische 
Charakter  des  Bureaus  auch  für  jedermann  direkt  augenscheinlich  würde.  Von 
österreichischer  Seite  bemerkte  man,  daß  doch  Quäker  und  andere  religiöse  Sek* 
ten,  wovon  viele  Mitglieder  keine  Antikapitalisten  sind,  durch  persönliche  Dienst« 
Verweigerung  in  der  Kriegszeit  einen  wirksamen  Kampf  gegen  den  Krieg  führten. 
Es  wäre  unrichtig,  solchen  Gruppen  das  Zusammenwirken  mit  dem  Bureau  unmög« 
lieh  zu  machen.  Im  allgemeinen  stimmte  man  schließlich  mit  der  Auffassung 
überein,  daß  die  Tätigkeit  des  I.A.M.B.  einen  ausgesprochen  antikapitalistischen 
Charakter  besitzen  sollte. 

Zweifellos,  so  erklärte  man  von  holländischer  Seite,  haben  verschiedene 
Quäker  und  andere  Religiöse  einen  bewundernswerten  Kampf  gegen  den  Krieg 
geführt,  doch  man  vergesse  nie,  daß  Quäker  und  andere  weniger  oder  mehr 
ketzerische  Gruppen  tüchtig  am  Aufbau  des  Kapitalismus  mitgeholfen  haben 
und,  obwohl  sie  in  manchen  Hinsichten  humanitäre  Taten  verrichteten,  doch 
gleichzeitig  den  Kapitalismus  durch  Handel  und  Gewerbe,  meistens  ohne  Pro« 
test,  aufrecht  erhielten.  Erfreulicherweise  gibt  es  jetzt  unter  den  Quäkern  schon 
viele,  die  weiter  sehen  und  verstehen,  daß  der  sogenannte  Friede  ein  fortwährender 
Wirtschaftskrieg,  ein  mörderischer  Klassenkampf  ist,  und  daß  sich  dann  in 
kritischen  x\ugenblicken  der  sogenannte  Krieg  als  dessen  typischer  Ausbruch 
darstellt.  Wir  leben  jetzt  in  einer  Periode,  wo  der  Mensch  nicht  den  Wirt« 
Schaftsprozeß  vernünftig  beherrscht,  sondern  wo  die  Dinge^  den  Menschen 
beherrschen,  wo  der  Tod  das  Leben,  die  Quantität  die  Qualität  ver« 
schlingt.  Wie  verdienstvoll  der  nicht  geradezu  antikapitalistisch  ge* 
sinnte  Antimilitarismus  der  Tat  an  sich  auch  sein  möge:  wenn  seine  Anhän« 
ger  den  Kapitalismus  nicht  anrühren  oder  ihn  sogar  praktisch  und  grundsätzlich 
fördern,  stehen  sie  kulturgeschichtlich  weit  zurück  gegenüber  revolutionären 
Antikapitalisten,  die  sich,  wenn  auch  in  gewalttätigster  Weise,  im  Kampfe  für 
eine  neue  Gesellschaft  praktisch  und  grundsätzlich  dem  Kapitalismus  entgegen« 
stellen.  Wenn  man  zwischen  weniger  oder  mehr  bürgerlich  betontem 
Antimilitarismus  und  dem  revolutionären  Proletariat  zu  wählen  hätte, 
so  verdiente  letzteres  bei  weitem  den  Vorzug,  denn  das  revolutionäre 
Proletariat  überhaupt  vertritt  eine  neue  Zukunft,  wohingegen  im  bürger« 
liehen  Antimilitarismus  nur  noch  ein  Rest  der  edelsten  Kräfte  aus  der 
Vergangenheit  lebt.  Von  der  radikalen  antikapitalistischen  Gesinnung  der  an« 
wesenden  Absolutisten  sind  wir  jedoch  alle  überzeugt.  Darum  ist  es  zu  erwar« 
ten,  daß  man  einander  finden  wird.  Um  andererseits  jedoch  zu  verhüten,  daß 
der  antikapitalistische  Antimilitarismus  des  Bureaus  auch  nur  einen  Schein  von 
Aehnlichkeit  mit  dem  Sozialpatriotismus  zeigt,  der  sich  jetzt  auch  solcher  Aus« 
drücke  bedient  und  um  die  einseitig  negative  Fassung  der  entworfenen  Prinzipien« 
erklärung  zu  überwinden,  wird  vorgeschlagen,  nicht  von  „antikapitalistischem 
Antimilitarismus",  sondern  von  „revolutionärem  Antimilitarismus"  zu  sprechen. 
Darin  ist  dann  zugleich  auch  der  absolut  antikapitalistische  Charakter  des 
I.A.M.B.  ausgedrückt.  Als  Grundlage  für  das  Bureau  wurde  schließlich  folgende 
Formel  für  annehmbar  erklärt:  „Das  Internationale  Anti«Militaristische  Bureau 
•gegen  Krieg  und  Reaktion,  zusammengesetzt  aus  revolutionär«antimilitaristischen 
Organisationen,  hat  den  Zweck,  den  Militarismus  international  zu  bekämpfen, 
um  die  Unterdrückung  der  Arbeiterklasse  und  den  Krieg  unmöglich  zu  machen." 

Antimilitarismus  für  die  ganze  Menschheit. 

Am  Mittwoch,  den  30.  März,  mittags,  eröffnet  De  Ligt  die  Versammlung  mit 
der  Mitteilung,  daß  der  Kongreßausschuß  einen  Brief  von  einem  sehr  zuverlässi« 
gen  orientalischen  Gesinnungsfreund  erhalten  hatte,  woraus  zu  ersehen  war,  daß 
in  Holland  verweilende  farbige  Mitmenschen  aus  Presseberichten  über  den  Kon« 
greß  den  Eindruck  erhalten  hatten,  daß  „international"  für  uns  soviel  wie  „weiß" 
bedeutete.  Warum,  fragte  man,  wurden  nicht  einmal  die  Thesen  von  Wegner 
vorgelesen?  Man  weiß  doch,  wie  sehr  die  orientalischen  Völker  unterdrückt 
werden.  Will  man  dem  Kongreß  nicht  den  Charakter  eines  okzidentalischen 
Kongresses  geben,  dann  hat  man  seine  Aufmerksamkeit  auch  nach  dem  Orient 
zu  richten.  —  Hiergegen  bemerkte  De  Ligt,  daß  er  sich  bereits  in  seiner  Eröff« 

30 


nungsrede  an  die  farbigen  Rassen  gewendet  hatte,  was  man  in  „Nieuwe  Rotters 
damsche  Courant",  „Nieuws  van  den  Dag"  und  anderen  Zeitungen  sehr  deutlich 
erwähnt  findet.  Redner  wiederholte  den  Schluß  seiner  Eröffnungsrede.  Ferner 
hat  der  Kongreßausschuß  versucht,  Wegner  als  Redner  nach  dem  Haag  zu  be« 
kommen.  Weder  Wegner  selbst,  noch  der  vorbereitende  Ausschuß  hatten  erwar« 
tet,  daß  die  holländische  Regierung  ihn  im  letzten  Augenblick  ausschließen 
würde.  Augenscheinlich  wünscht  sie  die  Kolonialfrage  auf  dem  Kongreß  nicht 
behandelt  zu  sehen.  Um  Wegner  dennoch  sprechen  zu  lassen,  und  um  die  Ab* 
sichten  des  Kongresses  in  klares  Licht  zu  rücken,  zitiert  Redner  Wegners  „Bot« 
schaft  an  Asien"  („Die  Tat",  1920),  worin  der  Verfasser  an  die  besten  Kräfte 
in  den  orientalischen  Völkern  appelliert,  um  die  Welt  vom  okzidentalischen  Ver« 
derben  zu  erretten;  er  schildert  darin  das  Kolonialsystem  und  das  Elend,  das 
sich  daraus  für  alle  farbigen  Völker  ergibt,  und  er  betont,  daß  wir  Abendländer, 
die  wir  den  Ursprung  unserer  Zivilisation  und  Kultur  dem  Morgenland  verdanken, 
dies  den  Asiaten  mit  unserem  abscheulichen  Ausbeutungssystem  vergelten. 
Jedoch  „die  Sonne,  die  im  Westen  in  Blut  untergeht,  wird  einst  hell  im  Osten 
wieder  aufgehen".  De  Ligt  weist  ferner  darauf  hin,  daß  der  Niederländische 
Landesverband  des  I.A.M.V.  sich  jahrelang  bemüht  hat,  mit  Indien  in  Verbin« 
düng  zu  kommen.  Dies  ist  jedoch  nicht  gelungen.  So  hat  J.  Harinck  mit 
Soewardi  Berührung  gesucht,  als  es  noch  nicht  feststand,  welche  politische  Rieh« 
tung  dieser  einschlagen  würde.  Auch  dies  mißglückte.  Redner  selbst  hat  u.  a. 
von  Sneevliet  Adressen  erhalten.  Hierdurch  und  noch  auf  andere  Weise  hat 
Giesen  versucht,  Fühlung  mit  dem  Orient  zu  bekommen,  ebenfalls  ohne  Erfolg. 
Im  Orient  lebt  ein  begreifliches  Mißtrauen.  Vielleicht  hat  man  unsere  Briefe 
für  von  der  Polizei  herrührend  angesehen.  Im  allgemeinen  erwarten  wir  von 
den  farbigen  Völkern  in  revolutionärer  Hinsicht  viel,  weil  sie  sich  nicht  wie 
Europäer  und  Amerikaner  allmählich  dem  sich  immer  ungünstiger  entwickelnden 
Kapitalismus  anpassen  konnten,  sondern  von  diesem  in  seiner  höchsten  Entwick« 
lungsform,  als  Imperialismus,  plötzlich  aufs  heftigste  angegriffen  werden.  Die 
Urinstinkte  unserer  farbigen  Mitmenschen  empören  sieh  gegen  unsere  Dekadenz; 
der  kommunistische  Gedanke  bricht  sich  bei  ihnen  Bahn.  Eigentlich  ist  die 
Rassenfrage  auch  eine  Klassenfrage.  Alle  Revolutionäre  der  ganzen  Erde  haben 
sich  vereint  dem  Weltimperialismus  entgegenzustellen.  Der  Kongreßausschuß 
freut  sich  daher,  mitteilen  zu  können,  daß  es  ihm  vor  kurzem  gelungen  ist,  in 
angemessener  Weise  mit  der  orientalischen  revolutionären  Bewegung  in  Beziehung 
zu  treten,  wovon  man  noch  Näheres  erfahren  wird. 

Bericht  Norwegen. 

H.  C.  Eckhard  (aus  Hilversum,  Holland)  verliest  einen  von  den  Norwegischen 
Neusozialisten  W.  Anderssen,  Trygve,  Aahervik  und  Nills  Higgland  in  Kristiania 
eingelaufenen  Bericht:  „In  Norwegen  gibt  es  ebenso  wie  anderwärts  zwei  Rieh« 
tungen  unter  den  Antimilitaristen:  1.  Man  meint  in  der  Kaserne  das  Heer  zer* 
setzen  zu  können!  2.  man  ist  für  sofortige  Dienstverweigerung.  Viele  verweigern 
den  Militärdienst  aus  religiösen,  christlichen  Gründen;  sie  werden  leicht  bestraft. 
Andere,  die  zum  Beispiel  auf  Grund  „menschlicher"  Gefühle  den  Dienst  ver« 
weigern,  werden  fürchterlich  verfolgt.  Erster  Dienstverweigerer  in  Norwegen 
war  der  bekannte  Anarchist  Kristoffel  Haussteen  (1880).  Sein  Wort  war:  „Nie« 
man  kann  mich  zwingen,  gegen  meine  Ueberzeugung  zu  handeln."  Er  erfuhr 
Hohn  und  Verfolgung,  aber  auch  Nacheiferung.  Ihm  folgte  der  revolutionäre 
Sozialist  Karl  Nummedal,  dann  der  Sohn  eines  Obersten,  Einar  Li.  Als  Journalist 
wußte  dieser  die  Dienstverweigerungsfrage  aktuell  zu  machen,  und  als  Sozial« 
demokrat  weigerte  er  sich,  was  ihm  neun  Monate  Gefängnisstrafe  einbrachte. 
Dies  geschah  im  Jahre  1906,  und  1907  folgten  sieben  Dienstverweigerer,  1908  vier, 
1910  sechs,  1911  neun,  1912  vier,  1913  sieben,  1914  acht,  1915  sechs,  1916  zwölf, 
1917  dreiundzwanzig.  1918  begann  die  Dienstverweigerung  zu  einer  Massen« 
bewegung  anzuwachsen,  besonders  in  NordsNorwegen,  wo  die  Rekruten 
beschlossen,  militärischen  Aufrufen  nicht  mehr  Folge  zu  leisten.  Dies 
ging  so  weit,  daß  selbst  die  Regierung  sich  entschloß,  die  Aushebung  acht 
Monate  aufzuschieben.  Nach  der  Revolution  in  Rußland  brachen  die  Sozial« 
demokraten  den  Widerstand,  indem  sie  vorschlugen,  im  Heere  Agitation  gegen 
das  Heer  zu  führen.  Durch  diese  Haltung  wurde  die  Dienstverweigerungs« 
bewegung  zersplittert.     Doch  die  Solidarität  dauerte  fort.     Als  zum  Beispiel  die 

31 


Polizei  in  Sulitjelma  einen  Dienstverweigerer  holen  sollte,  brach  sofort  General* 
streik  aus,  und  die  Polizei  mußte  ohne  den  Dienstverweigerer  abziehen.  Darauf 
sandte  die  Regierung  ein  Kriegsschiff  mit  Unteroffizieren  und  Kadetten,  die  elf 
Dienstverweigerer  des  Nachts  aus  ihren  Häusern  holten;  andere  Dienstverweigerer 
entwichen  in  die  Berge.  Am  28.  Mai  1918  verweigerten  neun  Rekruten  zugleich 
den  Dienst  auf  dem  Exerzierplatz  Gimlemsen,  in  Harstadt  fünf.  Von  vielen  Ort* 
schaffen  fand  sich  kein  einziger  Rekrut  ein,  Hunderte  weigerten  sich.  In 
Trondhjem  drohten  die  Gewerkschaften  mit  Streik,  als  sich  dort  ein  Dienst* 
Verweigerer  im  Gefängnis  befand.  Im  Jahre  1919  waren  allein  in  Lynge  25  Dienst* 
verWeigerungsfälle  anhängig.  Der  Staatsanwalt  teilte  mit,  daß  es  im  Jahre  1920 
nicht  weniger  als  137  Dienstverweigerer  aus  religiösen  Gefühlen  gab,  welche 
Anzahl  man  ruhig  verdoppeln  kann,  wenn  man  die  sozialistischen  Dienstverwei* 
gerer  mitrechnet.  Auch  die  schriftliche  Propaganda  geht  hier  gut.  Für  die  Ver* 
teilung  eines  Flugblattes  „Soldaten,  laßt  euch  nicht  länger  drillen!"  bekam 
Johansen  zwei  Monate  Gefängnisstrafe.  Vier  andere  Kameraden  wurden  bei 
einem  Neudruck  dieses  Flugblattes  zu  je  sechs  Monaten  verurteilt.  Bei  einem 
dritten  Druck  von  10  000  Exemplaren  konnte  die  Polizei  niemand  fangen.  Eine 
vierte  Auflage  von  30  000  Stück  folgte.  Zwei  Blätter  „Revolt"  und  „Alarm", 
machen  fortwährend  antimilitaristische  Propaganda.  Viele  öffentliche  Versamm* 
lungen  pflegen  gut  zu  gelingen,  trotz  aller  Gefängnisstrafen. 

Nachricht  von  Frau  Roland  Holst. 

Giesen  las  eine  Postkarte  vor,  worin  Frau  Roland  Holst  bedauerte,  daß  sie 
aus  Gesundheitsrücksichten  absagen  mußte.  Gerne  hätte  *  sie  im  Kreise  der 
Geistesgenossen  verweilt.  Sie  hofft,  daß  der  Kongreß  der  antimilitaristischen 
Bewegung  neuen  Schwung  verleihen  wird. 

Telegramm  an  Kaspers. 

Eckhard  schlägt  in  erster  Linie  vor,  dem  Kameraden  Kaspers,  Redakteur 
des  Blattes  „De  Arbeider",  der  stets  kampfbereit  für  den  antikapitalistischen 
Antimilitarismus  auf  seinem  Posten  steht  und  krankheitshalber  nicht  anwesend 
sein  kann,  zu  seinem  Jubiläum  ein  Sympathietelegramm  zu  senden.  In  diesem 
Sinne  wurde  beschlossen. 

Finanzen. 

Sodann  spricht  Eckhard  über  die  Finanzen,  die  die  Grundlage  aller  Arbeit 
sein  müssen.  Darum  erbittet  er  für  diesen  sachlichen  Teil  alle  Aufmerksam* 
keit.  Wir  haben  freudig  gearbeitet,  um  den  Kongreß  vorzubereiten,  aber  die 
Finanzen  war  eine  Qual.  Oftmals  wußten  wir  weder  aus  noch  ein.  Zuweilen 
mußte  sogar  ein  scharf  abgefaßter  Brief  an  manche  Ortsgruppen  des  I.A.M.V. 
gerichtet  werden.  Man  hatte  nun  einmal  A  gesagt  und  konnte  dabei  nicht  stehen 
bleiben.  Der  J.A.M.V.  hat  schließlich  an  Pflichtbeiträgen,  wenn  auch  mit 
äußerster  Anstrengung,  2675,55  Gulden  zusammengebracht.  Die  übrigen  7150,90 
Gulden  kamen  von  anderen  Seiten.  Will  ein  I.A.M.*Bureau  Erfolg  haben,  dann  muß 
das  Geld  dafür  auch  von  mehreren  Organisationen  aufgebracht  werden.  Nächstes 
Jahr  sind  10  310  Gulden  erforderlich;  dies  kann  der  J.A.M.V.  nicht  allein  er* 
schwingen,  ebensowenig  alle  holländischen  Organisationen,  die  etwa  beitreten 
werden,  zusammen.  Die  anderen  Länder,  die  bisher  zusammen  nur  44,75  Gulden 
beigesteuert  haben,  müssen  mithelfen.  Berücksichtigen  wir,  daß  die  Niederlande 
in  den  drei  dem  Kongreß  vorausgegangenen  Jahren  von  Arbeitslosigkeit,  Streiks 
und  Aussperrungen  heimgesucht  wurden,  und  daß  große  Summen  für  die 
Dienstverweigerungsbewegung  verwendet  wurden,  dann  können  wir  dankbar  sein. 
Auch  freut  es  uns  besonders,  daß  die  holländischen  Syndikalisten  tatkräftig 
helfen;  denn  allein  die  organisierten  Kopf*  und  Handarbeiter  können  ja  den  Krieg 
unmöglich  machen.  Redner  sagt  den  Kameraden  Schermerhorn,  De  Jong  und 
Giesen  besonderen  Dank  für  ihre  wirksame  und  uneigennützige  Hilfe;  auch 
Akkermann  erwähnt  er  hierbei.  Jedoch:  der  Kassenabschluß  zeigt  einen  Bestand 
von  867,83  Gulden;  aber  wir  haben  1  500  Gulden  von  der  Unterstützungskasse  der 
Dienstverweigerer  geliehen.  Es  ist  die  Pflicht  eines  jeden,  der  diesen  Kongreß  ge* 
fordert  hat,  mit  zu  sorgen,  daß  diese  Schuld  beglichen  wird. 

32 


Zum  Schluß  richtet  Eckhard  die  Aufmerksamkeit  der  Anwesenden  auf  das 
Budget  des  eventuellen  I.A.M.*Bureaus.  Alles  ist  so  nüchtern  wie  möglich  an> 
gelegt.  Man  brauchte  aber  nicht  jedes  Jahr  einen  Kongreß  einzuberufen;  das 
könnte  zum  Beispiel  ein  Jahr  ums  andere  geschehen,  was  1750  Gulden  Ersparnis 
ausmachen  würde.  Redner  dankt  dem  Kameraden  H.  Fransberger  für  seine  sach* 
verständige  Hilfe  betreffs  der  Rechnungsablage.  Er  teilt  weiter  mit,  daß  das 
Budget  des  I.A.M.B.  später  behandelt  werden  soll,  und  zwar  von  den  Vertretern 
der  Organisationen,  die  zusammen  das  endgültige  I.A.M.B.  errichten  werden. 

Hierauf  wurde  der  Bericht  des  Kassierers  gutgeheißen. 

Gründung  des  I.A.M.B. 

De  Jong  sagt,  daß  der  Plan  zur  Errichtung  des  I.A.M.B.  nach  Beratung  mit 
den  holländischen  Syndikalisten  und  dem  Landesausschuß  des  I.A.M.V.  ent* 
standen  ist.  Er  wiederholt  die  drei  Zwecke  des  Bureaus  und  betont  nochmals,  daß 
es  besonders  die  Aufgabe  der  Arbeiterklasse  ist,  den  Krieg  durch  allgemeine 
Dienstverweigerung  und  allgemeinen  Arbeitsstreik  zu  verhüten.  Die  Arbeiter* 
klasse  ist  für  diese  Aufgabe  noch  nicht  reif.  Sie  hat  sich  jedoch  zu  ihrer 
Mission  heranzuarbeiten,  und  dazu  braucht  sie  unter  anderem  eine  aus* 
gesprochene  internationale  antimilitaristische  Bewegung,  die  fortwährend  auf  die 
allgemeine  Arbeiterbewegung  einwirkt  und  Dienstverweigerung,  Einstellung  aller 
Kriegsproduktion  und  andere  wirtschaftliche  Kampfmittel  propagiert.  Die 
Arbeiterklasse  hat  die  Macht,  aber  die  revolutionäre  Idee  belebt  sie  noch  zu 
wenig.  Macht  und  Idee  sollten  zusammenkommen.  Dazu  hat  auch  die  anti* 
militaristische  Bewegung  mitzuwirken,  nicht  in  einseitig  theoretischer  Weise, 
sondern  durch  Aufstellung  praktischer  Ziele.  Die  von  uns  angegebene  Aufgabe 
erlaubt  Bewegungseinheit  und  Zusammenwirkung  für  alle  revolutionären  Organi* 
sationen:  syndikalistische,  anarchistische,  freiheitliche,  Gruppen  der  Dritten 
Internationale,  Frauen*  und  Jugendbewegungen  usw.  Dazu  war  folgender  Ent* 
wurf  abgefaßt:  „Das  Internationale  Anti*Militaristische  Bureau,  zusammengesetzt 
aus  Organisationen  antikapitalistischer  Tendenz,  hat  die  Aufgabe,  den  Militaris* 
mus  international  zu  bekämpfen,  um  die  Unterdrückung  der  Arbeiterklasse  und 
den  Krieg  unmöglich  zu  machen.  Es  ist  bestrebt,  in  den  Arbeitern  das  Bewußt* 
sein  ihrer  entscheidenden  wirtschaftlichen  Macht  zu  verstärken  und  propagiert 
allgemeinen  Streik  und  allgemeine  Dienstverweigerung.  Es  agitiert  für  sofortige 
Einstellung  aller  Kriegsproduktion.  Es  wirkt  darauf  hin,  die  Heere  und  Flotten 
unzuverlässig  zu  machen  und  erweist  der  persönlichen  Dienstverweigerung  seine 
Anerkennung.  Es  widersetzt  sich  jedem  Versuch,  ein  Proletariat,  das  das  kapita* 
listische  Joch  abgeschüttelt  hat,  wiederum  zu  unterwerfen." 

Wastiaux  spricht  als  Ueberzeugung  der  französischen  Kameraden  aus,  daß 
die  Prinzipienerklärung  des  I.A.M.B.  absolut  antikapitalistischer,  aber  auch  zu* 
gleich,  wenn  möglich,  positiv  revolutionärer  Art  sein  soll. 

Frau  Stöcker  empfiehlt,  bei  der  Aufstellung  des  Zwecks  des  Bureaus,  der  Natur 
dieser  Organisation  gemäß,  den  Kampf  gegen  den  Krieg  überhaupt  in  erste  Reihe 
zu  stellen  und  darum  zu  lesen:  „um  den  Krieg  und  die  Unterdrückung  der 
Arbeiterklasse  unmöglich  zu  machen".  Anstatt  „antikapitalistisch  antimilita* 
ristisch"  will  sie  auch  sagen:  „revolutionär*antimilitaristisch". 

Hooyberg  erklärt,  daß  man  hinsichtlich  der  Grundlage  schon  mit  den  an* 
wesenden  Vertretern  anderer  Länder  Besprechungen  gehabt  hat.  Dies  und  das 
soeben  Gesagte  veranlassen  ihn,  jetzt  die  Abstimmung  über  folgende  Formel  zu 
beantragen: 

„Das  Internationale  Anti*Militaristische  Bureau  gegen  Krieg  und  Reaktion, 

zusammengesetzt  aus  revolutionär*antimilitaristischen  Organisationen,  hat  den 

Zweck,  den  Militarismus  zu  bekämpfen,  um  den  Krieg  und  die  Unterdrückung 

der  Arbeiterklasse  unmöglich   zu   machen." 

Boeke  fragt  an,  was  unter  „revolutionär*antimilitaristisch"  zu  verstehen  ist, 

und  ob  sich  aus  den  Worten  „revolutionär*antimilitaristisch"  ergibt,  daß  man  die 

rote  Gewalt  verwirft. 

Wellock  wünscht  die  Sache  vom  englischen  Gesichtspunkt  aus  zu  betrachten. 
In  England  liegen  die  Verhältnisse  ganz  anders.  Man  kennt  jetzt  wieder  keinen 
Dienstzwang  mehr,  und  niemand  wird  dort  den  Antimilitarismus  mit  der  Haltung 

33 


der  Dritten  Internationale  in  Zusammenhang  bringen.  Redner  selbst  vertritt  die 
Nie-MehrsKriegsBewegung,  und  keiner  seiner  englischen  Gesinnungsfreunde 
könnte  daran  denken,  sich  in  dieser  Aktion  zum  Beispiel  mit  Gewaltskommunisten 
zu  vertragen.  Doch  hält  er  die  Möglichkeit  nicht  für  ausgeschlossen,  in  loser  Be= 
ziehung  mit  dem  I.A.M.B.  zusammenzuwirken.  Am  liebsten  läse  er:  ,,.  .  .  um 
durch  friedliche  Mittel  (paeifie  means)  die  Gesellschaft  von  dem  Krieg  und  die 
Arbeiterklasse  von  der  Unterdrückung  zu  befreien". 

Im  Namen  des  Schweizer  Kameraden  Fritz  Lieb,  der  schon  abreisen  mußte, 
teilt  der  Vorsitzende  mit,  daß  er  zu  den  Gruppen  der  äußersten  Linken  in  der 
Dritten  Internationale  gehört.  Auch  ihm  ist  die  Bezeichnung  „antikapitalistisch* 
antimilitaristisch"  nicht  genügend;  er  will  das  erste  Wort  durch  „revolutionär" 
ersetzen.  Er  meint,  daß  die  Linke  der  Dritten  Internationale  sehr  bestimmt 
imstande  sein  wird,  mit  Anarchisten  und  Syndikalisten  gegen  Krieg,  Terror  und 
Intervention  zusammenzuwirken  und  hofft,  daß  der  Kongreß  sich  aufs  äußerste 
anstrengen 'wird,  damit  dies  ermöglicht  bleibt. 

F.  Cordes  (aus  Dortmund)  spricht  im  Namen  der  anarchistischen  Jugend 
Rheinlands  und  Westfalens,  die  gegen  jeden  militaristischen  Massenmord  ist  und 
die  sich  keinesfalls  der  Aktion  dieses  Büros  anschließen  kann,  wenn  ihr  keine 
freie  Beitragsregelung  gestattet  wird.  Er  meint,  daß  jede  wirklich  revolutionäre 
Bewegung  Unterstützung  verdient.  Ob  jemand  ein  Gewehr  auf  die  Schulter 
nimmt,  muß  er  mit  sich  selbst  ausmachen;  aber  man  hat  kein  Recht,  andere  in 
dieser  Hinsicht  zu  zwingen.  Redner  hat  in  der  deutschen  revolutionären  Be* 
wegung  viele  gesehen,  die  grundsätzlich  kämpften,  aber  auch  andere,  denen  es 
nur  ums  Plündern  zu  tun  war,  oder  die  weglaufen  wollten,  als  sie  nicht  zeitig  ihr 
Essen  empfingen.  Es  fehlt  oft  an  Idealismus  und  Hingebung.  Redner  weiß  aus 
Erfahrung,  daß  die  Anwendung  von  Mordgewalt  keine  große  Kunst  ist.  Es  ist 
jedoch  für  revolutionäre  Bewegungen  immerhin  gefährlich,  sich  fortwährend  auf 
systematische  Propaganda  und  Organisation  von  Gewalt  zu  verlegen.  Der  Dienst 
erfordert  Kadavergehorsam,  und  dafür  gibt  Redner  sich  nicht  her.  Man  muß 
neue  revolutionäre  Begeisterung  hervorrufen.  Redner  liest  Flugblätter  vor,  worin 
die  deutschen  revolutionären  Antimilitaristen  sich  an  das  Volk  wenden. 

Fletcher  ist  als  Antimilitarist  und  Antikapitalist  der  Meinung,  daß  nicht 
allein  die  sogenannte  arbeitende  Klasse  vom  jetzigen  Gesellschaftssystem  und 
vom  Kriege  befreit  werden  muß,  sondern  auch  Körper  und  Geist  der  Bürger. 

In  der  Abendsitzung  erklärt  De  Jong  im  Namen  des  Kongreßausschusses,  die 
Anträge  Wastiaux,  Stöcker  und  Hooyberg  anzunehmen.  Auf  die  Frage  von  Boekc: 
„Was  ist  revolutionär?"  antwortet  er,  daß  Revolution  nicht  mit  Gewalt  identisch 
ist.  Revolutionär  ist  „umwälzungsgesinnt".  An  Stelle  der  kapitalistischen  Welt. 
wo  des  Gewinnes  halber  produziert  wird  und  die  Kapitalisten  die  Produktion  be- 
herrschen, wollen  wir  eine  sozialistische,  wo  der  Bedürfnisse  halber  produziert 
wird  und  die  Erzeuger  die  Produktion  beherrschen.  Wenn  auch  jetzt  und  wahr* 
scheinlich  auch  in  Zukunft  bei  Revolutionen  meistens  Gewalt  angewendet  wird, 
bleibt  dies  doch  Nebensache.  Uebrigens  haben  sich  auf  allerlei  Gebieten  schon 
Revolutionen  gewaltlos  vollzogen.  Finden  infolge  unserer  Propaganda  für  all? 
gemeine  Dienstverweigerung,  allgemeinen  Streik  usw.  gewalttätige  Zusammen? 
stoße  statt,  so  fällt  die  Verantwortlichkeit  dafür  zu  allererst  auf  die  Vertreter  der 
alten  Gewalt,  auf  die  Bourgeoisie,  und  keinesfalls  auf  diejenigen,  die  als  Revo- 
lution die  grundsätzliche  Aenderung  des  Gesellschaftssystems  propagieren.  In* 
sofern  die  Absolutisten  Antimilitaristen  sind  und  auch  in  ihrer  Weise  nach  einer 
Gemeinschaft  ohne  Klassengegensätze  und  Ausbeutung  streben,  haben  sie,  wie 
Redner  meint,  keinen  Grund,  sich  gegen  das  Wort  „revolutionär"  zu  sträuben. 
Den  roten  Militarismus  verteidigt  das  Bureau  als  solches  in  keiner  Hinsicht;  es 
verteidigt  nicht  einmal  die  Gewalt,  und  noch  weniger  macht  es  Propaganda  dafür. 
Ebensowenig  ist  es  jedoch  die  Aufgabe  des  I.A.M.B.,  besonders  gegen  rote  Heere 
usw.  zu  agitieren.  Wenn  wir  auch  nicht  mit  der  Dritten  Internationale  lieb= 
äugeln,  so  haben  wir  doch  als  Bureau  eine  bestimmte  Aufgabe,  die  sich  direkt 
gegen  die  jetzigen  imperialistischen  Machthaber  richtet.  Was  England  betrifft,  ist 
dort  seit  1914  der  Militarismus  nicht  weniger  vorherrschend  als  anderwärts,  wozu 
sich  dann  noch  der  Marinismus  hinzugesellt.  Die  englische  antimilitaristische 
Bewegung  hat  nur  Sinn,  wenn  sie  sich  tatsächlich  auch  antikapitalistisch,  revo* 
lutionär  äußert.  Wenn  Wellock  für  friedliche  Mittel  ist  und  Jan  Rink  (aus  Soest. 
Holland)  durch  Zwischenruf  fragt,  was  man  unter  „friedlichen  Mitteln"  versteht, 

34 


so  sagt  De  Jong:  Das  Bureau  gibt  selbst  friedliche  Mittel  an:  persönliche  Dienst« 
Verweigerung,  allgemeine  Dienstverweigerung,  sofortige  Einstellung  aller  Kriegs* 
Produktion,  das  Pflegen  einer  antimilitaristischen  Stimmung  in  Heer  und  Marine 
und  als  das  entscheidende  Mittel:  den  allgemeinen  Streik.  Alle  diese  Mittel  sind 
friedlich.  Schließlich  ist  wirtschaftlicher  Streik  das  große  revolutionäre  Mittel 
gegen  den  Krieg. 

P.  Eidering  (aus  Rotterdam)  und  Boeke  fragen,  inwieweit  bereits  ein  I.A.M.B. 
besteht.  De  Jong  antwortet  darauf,  daß  in  erster  Linie  der  holländische  I.A.M.V. 
im  Jahre  1917  eine  Kommission  zur  Vorbereitung  des  Kongresses  ernannte.  Diese 
wurde  im  Laufe  der  Zeit  einigermaßen  abgeändert.  Im  August  1920  berief  sie 
eine  internationale  Vorkonferenz  nach  dem  Haag  ein,  wo  die  anwesenden  Käme; 
raden  ein  Bureau  errichteten,  das  die  Aufgabe  hatte:  1.  den  jetzigen  Kongreß  weiter 
vorzubereiten  (und  in  diesem  Sinne  blieb  man  also  Vorbereitungskommission); 
2.  als  Konzentrationspunkt  internationalen  antimilitaristischen  Kampfes  zu 
wirken,  aber  dann  hauptsächlich  als  Mittelpunkt  der  belgischen,  dänischen,  fran* 
zösischen,  holländischen  und  eventuell  anderer  Landesverbände  des  I.A.M.V. 
Jetzt  ist  es  jedoch  beabsichtigt,  daß  der  I.A.M.V.  als  Internationale  für  sich 
organisiert  ist  (hierüber  wird  er  dieser  Tage  noch  beraten);  doch  daneben  ein  ge* 
räumigeres  Organisationsganzes  mit  engerem  Ziel  gegründet  wird.  Das  jetzige 
Bureau  hat  daher  einen  durchaus  vorläufigen  Charakter. 

Wellock  erkennt  an,  daß  man  schließlich  in  England  unter  demselben  Impe« 
rialismus  lebt  wie  anderwärts;  aber  infolge  einer  anderen  Geschichte  betrachtet 
man  dort  die  Dinge  anders.  Was  ihn  selbst  betrifft,  so  ist  er  revolutionär.  Der 
absolute  Pazifist  ist  der  Revolutionär  im  höchsten  Grade  und  kämpft  mit  neuen 
Kräften,  woran  viele  noch  nicht  einmal  glauben.  Er  vertritt  eine  Bewegung,  die 
in  ganz  anderer  Weise  als  die  Dritte  Internationale  eine  neue  Welt  errichten  will. 
Dennoch  verurteilt  er  die  Dritte  Internationale  nicht  sondern  bewundert  er 
manche  ihrer  Vertreter.  Wer  jedoch  den  Militarismus  als  Mittel  gebraucht,  wird 
selbst  davon  befallen.  Dies  ist  eine  wesentliche  Gefahr,  die  man  auch  schon  unter 
den  Kommunisten  beobachten  kann.  Mit  allgemeinem  Streik  möge  etwas  zu 
erreichen  sein;  doch  will  Redner  diesen  an  sich  nicht  verkündigen;  für  ihn  handelt 
es  sich  zuerst  um  eine  neue  Stimmung  im  Volke,  wodurch  man  dann  die  heutigen 
Mißstände,  wie  Krieg  und  dergleichen  nicht  mehr  will.  „Pazifistische  Mittel" 
drückt  etwas  Positives  aus.  Ruft  dieser  Ausdruck  bei  anderen  Mißverständnis 
hervor,  so  ist  es  am  besten,  hier  die  Prinzipienerklärung  nach  eigener  Auffassung 
zu  formulieren,  wonach  die  Absolutisten  beurteilen  werden,  ob  und  inwiefern  sie 
mit  dem  Bureau  zusammenwirken  können. 

Hooyberg  führt  aus,  daß  wir  weder  unsere  revolutionäre  Zielstellung  noch 
das  Mittel  des  Generalstreiks  aufgeben  dürfen.  Wer  damit  nicht  einverstanden 
ist,  könnte  vielleicht  in  loser  Beziehung  mitwirken. 

Auf  eine  Frage  von  Eldeving  erklärt  De  Jong,  daß  der  Kongreßausschuß  den 
Abänderungsantrag  „friedliche  Mittel"  nicht  annehmen  kann.  Unsere  Mittel  sind 
grundsätzlich  friedlich;  setzen  wir  jedoch  dieses  Wort  hinzu,  so  würde  dieses  das 
Mißverständnis  hervorrufen,  als  wenn  das  Bureau  als  solches  nur  Absolutisten 
verträte.  Uebrigens  wiederholt  er,  daß  wir  nicht  nur  keine  Gewalt  propagieren, 
sondern  auch  nicht  einmal  verteidigen.  Ferner  stehen  nun  einmal  die  meisten 
hier  vertretenen  Organisationen  nicht  auf  dem  Standpunkt,  daß  sie  das  Anwenden 
oder  Verwerfen  der  Gewalt  als  Prüfstein  betrachten,  so  z.  B.  der  I.A.M.V.  Wir 
verbinden  uns  hier  föderativ  zu  einem  ausgesprochenen  Zweck,  der  so  genau  b&= 
schrieben  werden  muß,  daß  man  ohne  irgendwelches  Mißverständnis  sofort  positiv 
weiß,  was  wir  wollen. 

Snyders  (aus  Amsterdam)  sagt,  daß  er  die  Föderation  von  SoziaLAnarchisten 
vertritt,  die  sich  gegen  Krieg,  Militarismus  und  Gewalt  richtet.  Wird  uns  jedoch 
die  Gewalt  von  anderen  aufgezwungen,  so  entscheidet  seiner  Meinung  nach  die 
Lage,  worin  er  sich  befindet,  über  seine  Kampfmittel.  Ergibt  sich  denn  etwa  hier* 
aus,  daß  man  die  systematische  Gewaltsanwendung  fortwährend  propagieren  muß. 
wie  dies  in  kommunistischen  Kreisen  geschieht?  Nein!  Wären  wir  in  einer 
Lage  wie  in  Rußland,  dann  würde  Redner  zur  Verteidigung  der  Revolution  sich 
der  Gewalt  bedienen. 

35 


Frau  Blom  (aus  Nieuwe  Niedrop,  Holland)  wünscht  einen  Unterschied  zu 
machen  zwischen  dem  kapitalistischen  Militarismus  und  den  gewalttätigen  Kampf* 
methoden  der  Dritten  Internationale.  Sie  meint,  daß  von  Menschenhänden  her= 
gestellte  Waffen  die  schlechtest  denkbaren  Mittel  sind  für  irgendwelchen  Kampf. 
Sie  hat  wenig  Sympathie  für  Propaganda  zugunsten  des  roten  Heeres,  erkennt 
aber  die  große  historische  und  moralische  Bedeutung  eines  aus  Arbeitern  be* 
stehenden  Heeres  im  Kampfe  gegen  ein  auch  aus  Arbeitern  bestehendes,  aber  von 
der  Bourgeoisie  gebrauchtes  Heer.  Sie  hofft,  daß  auch  die  Absolutisten  solche 
revolutionären  Kämpfer  schätzen  werden.  Wer  Menschen  dazu  anregt,  bewaffnet 
für  eine  neue  Gesellschaft  zu  kämpfen,  leistet  ein  großes  Werk.  Wer  das  „Du 
sollst  nicht  töten"  in  sich  aufnimmt  und  anwenden  kann,  leistet  vielleicht  ein 
noch  größeres  Werk.  Rednerin  hofft,  da  das  Bureau  auch  Anhängern  der  Dritten 
Internationale  Gelegenheit  zum  Zusammenwirken  gibt,  daß  diese  auch  als  auf= 
richtige  Revolutionäre  gewürdigt  werden. 

Frau  C.  Kolthek'T immer  (aus  dem  Haag)  fragt,  ob  es  auch  Sache  des  Bureaus 
ist,  gegen  die  Propaganda,  die  zum  Beispiel  die  Holländische  Kommunistische 
Partei  auf  dem  Lande  für  das  rote  Heer  macht,  zu  agitieren. 

De  Jong  antwortete,  daß  dies  von  der  Aufgabe  des  Bureaus  ausgeschlossen  ist. 
Man  kann  dies  mittels  anderer  Vereine  tun  oder  nötigenfalls  durch  eine  besonders 
zu  diesem  Zwecke  zu  gründende  Organisation.  Dies  ist  jetzt  nicht  an  der  Tages* 
Ordnung.  Der  Frau  Blom  antwortet  er,  daß  wir  uns  mit  Gewissensprüfung  nicht 
einlassen,  sondern  alle,  die  sich  mit  unserem  Ziel  einverstanden  erklären,  gerne  als 
Mitkämpfer  anerkennen.  Wohl  müssen  wir  davon  überzeugt  sein,  daß  wir  es  mit 
ehrlichen  Kameraden  zu  tun  haben,  aber  das  wird  die  Praxis  lehren. 

Prinzipienerklärung  des  l.A.M.B. 

Schließlich  wurde  die  Formulierung  WastiauxsStöcker^Hooyberg  einstimmig 
angenommen   und  lautet   die  Prinzipienerklärung   des   I.A.M.B.   folgendermaßen: 

„Das  Internationale  Anti*Militaristische  Büro  gegen  Krieg  und  Reaktion, 
zusammengesetzt  aus  revolutionär?antimilitaristischen  Organisationen,  hat  die 
Aufgabe,  den  Militarismus  international  zu  bekämpfen,  um  den  Krieg  und  die 
Unterdrückung  der  Arbeiterklasse  unmöglich  zu  machen." 

Inzwischen  hatte  der  Kommunist  Brommert  folgende  schriftliche  Frage 
gestellt:  „Gilt  die  jetzt  angenommene  Prinzipienerklärung  für  immer,  und  wenn 
nicht,  gibt  es  dann  die  Freiheit,  im  Rahmen  des  Bureaus  Propaganda  zu  machen, 
um  eine  Abänderung  für  den  nächsten  Kongreß  vorzubereiten?" 

De  Ligt  antwortet,  daß  in  dieser  Hinsicht  zwei  Methoden  möglich  sind.  Man 
kann,  wie  der  Kommunist  Lieb,  den  Inhalt  der  jetzigen  Prinzipienerklärung  an* 
nehmen,  sich  darum  dem  Bureau  anschließen  und  dann  mit  uns  zusammenwirken. 
Solche  Kameraden  empfangen  wir  gerne.  Sie  stärken  in  der  revolutionären  Be= 
wegung  das,  wofür  wir  überhaupt  kämpfen.  Es  ist  jedoch  erforderlich,  daß  man 
dann  aufrichtig  mit  der  gemeinsam  festgestellten  Grundlage  des  Bureaus  einver* 
standen  ist.  Ist  man  dies  dagegen  nicht,  und  tritt  man  dennoch  dem  Bureau  bei  in 
der  Absicht,  die  Grundlage  möglichst  bald  zu  ändern,  so  ist  dies  nicht  aufrichtig 
und  etwas  ganz  anderes,  als  wenn  man  zuerst  zusammen  von  einer  bestimmten 
Formel  ausginge  und  im  Laufe  der  Zeit  entdeckte,  daß  sie  Aenderung  erfordert. 
Das  Institut  l.A.M.B.  ist  auf  internationale  Praxis  gegen  den  imperialistischen 
Militarismus  gerichtet.  Alle,  die  die  Prinzipienerklärung  unterschreiben  können, 
mögen  sich  darin  vereinigen.  Aber  kann  man  sie  nicht  unterschreiben,  so  sei  man 
charaktervoll  genug,  ihm  fernzubleiben. 

Brommert  erbittet  das  Wort  in  persönlicher  Sache.  In  der  von  ihm  ge* 
stellten  Frage  steht  keinerlei  Unaufrichtigkeit.  Im  allgemeinen  ist  er  mit  Zweck 
und  Mitteln  einverstanden;  aber  er  könnte  mit  der  vorgefaßten  Absicht  beitreten, 
die  Bewegung  besonders  seinem  eigenen  Ziel  entsprechend  zu  machen. 

De  Ligt  antwortet,  daß  in  Brommerts  Auffassung  etwas  Aufrichtiges  und 
etwas  Unaufrichtiges  ist.  Vor  ersterem  hat  er  Respekt.  Man  kann  von  einer 
aufrichtigen  Unaufrichtigkeit  sprechen.  Brommert  und  die  Seinen  erkennen  an, 
r1aß  ihre  Praxis  in   der  Richtung  dos  Jesuitismus  gebt.     Menschen,  die  mit  den 

36 


besten  Absichten  selche  Wege  verfolgen,  pflegen  eine  Rechtschaffenheit  wie  der 
Großinquisitor,  den  Dostojewski  in  treffender  Weise  dargestellt  hat.  Man  hat 
kein  Recht,  dem  Bureau  beizutreten,  wenn  man  in  diesem  Augenblick  nicht  uns 
zweideutig  mit  der  soeben  als  Ausdruck  der  allgemeinen  Auffassung  festgestellten 
Formel  einverstanden  ist. 

Vierte  geheime  Sitzung. 

Von  Mittwoch  abends  11  Uhr  bis  Donnerstag  morgens  6X>  Uhr  waren  in  ge= 
heimer  Sitzung  versammelt:  French,  Adamas,  Gerard,  Van  Langen,  Stöcker. 
Fletcher,  Wellock,  Haussard,  Sauvage,  Wastiaux,  Ramus,  Björklund,  Eckhard, 
Giesen,  De  Jong,  Kaastra,  De  Ligt,  Schermerhorn  und  einige  andere. 

Antimilitarisiische  Kampfmittel. 

Die  in  der  dritten  geheimen  Sitzung  von  den  Franzosen  angegebenen  Kampf» 
mittel  werden  im  Prinzip  angenommen.  Ferner  hält  man  für  erforderlich:  Er* 
wecken  von  Erkenntnis  betreffs  des  kapitalistischen  Systems  und  der  Zusammen* 
hänge  zwischen  Kapitalismus  und  Krieg;  Revolutionieren  der  Gesinnung;  Kampf 
für  eine  gänzlich  andere  Erziehung,  wie  Ferrer  und  Domela  Nieuwenhuis  sie  pro* 
pagierten;  Aktion  für  Gewissensfreiheit  auch  hinsichtlich  des  Kriegsdienstes;  Vers 
breitung  von  Flugschriften,  die  zu  Taten  anregen;  Propaganda  gegen  Eintritt  in 
Bürgerwehr,  freiwilligen  Landsturm,  Kolonialheere  usw.;  wirtschaftlichen  Boykott; 
allgemeinen  Streik.  Man  wird  hiervon  möglichst  anzuwenden  suchen,  was  die 
Umstände  erfordern  und  die  Kräfte  gestatten. 

Finanzen. 

Eckhard  legt  nochmals  dar,  daß  die  holländische  Bewegung  auf  die  Dauer 
unmöglich  allein  in  der  Lage  sein  kann,  das  gesamte  Wirken  des  Bureaus  finanziell 
zu  tragen.  Er  erbittet  die  Mitwirkung  aller  Gruppen  und  Kameraden  der  anderen 
Länder,  die  sich  anschließen  und  die  Arbeit  unterstützen  wollen.  Das  Bureau 
arbeitet  so  sparsam  wie  möglich;  jedoch  unsere  Verwaltungskräfte  müssen  bezahlt 
werden  können,  und  Kosten  von  Drucksachen  und  Porti  sind  sehr  hoch. 

Seine  Worte  finden  allgemeine  Zustimmung,  und  verschiedene  ausländische 
Kameraden  versprechen,  zu  tun,  was  sie  können.  Nicht  allein  wird  es  nötig  sein, 
daß  die  zutretenden  Organisationen  in  bestimmter  Weise  regelmäßig  beitragen, 
sondern  manche  meinen,  daß  man  auch  durch  Einberufen  besonderer  Versamm* 
lungen,  Kollekten  usw.  das  Einkommen  des  Bureaus  steigern  kann.  Man  beauftragt 
Eckhard,  in  angemessener  Weise  eine  finanzielle  Grundlage  festzustellen,  unter 
Berücksichtigung  der  Valuta  der  verschiedenen  Länder  usw.  Allgemein  pflichtet 
man  der  Ansicht  des  Kassierers  bei,  daß  in  Erwartung  regelmäßiger  Beitrags* 
ablieferungen  eine  einmalige  Beitragserhebung  zur  Deckung  der  Gründungskosten 
unvermeidlich  ist. 

Kontakt  mit  dem  Orient. 

Ferner  wurden  in  dieser  Versammlung  Maßregeln  ergriffen  zugunsten  eines 
Zusammenwirkens  zwischen  Antimilitaristen  des  Orients  und  des  Okzidents.  Man 
beschloß,  in  der  Aufstellung  des  Zwecks  des  Bureaus  die  Einheit  der  allgemein* 
menschlichen  Aktion  zum  Ausdruck  zu  bringen,  indem  man  seinen  Kampf  auch 
gegen  die  militärische  Unterdrückung  und  wirtschaftliche  Ausbeutung  der  farbi= 
gen  Rassen  richtete. 

Zweck  des  I.A.M.B. 

Am  Donnerstag,  den  31.  März,  mittags,  eröffnet  De  Ligt  die  öffentliche  Kon* 
greßversammlung  und  stellt  die  Aufgabendefinition  des  I.A.M.B.  zur  Diskussion. 
Im  Entwurf  ist  sie  aufgesetzt  wie  folgt: 

„Es  ist  bestrebt,  in  den  Arbeitern  das  Bewußtsein  ihrer  entscheidenden 
wirtschaftlichen  Macht  zu  verstärken  und  propagiert  allgemeinen  Streik  und 
allgemeine  Dienstverweigerung. 

Es  agitiert  für  sofortige  Einstellung  aller  Kriegsproduktion. 
Es  wirkt  darauf  hin,  die  Heere  unzuverlässig  zu  machen  und  erweist  der 
persönlichen  Dienstverweigerung  seine  Anerkennung. 

Es  widersetzt  sich  jedem  Versuch,  ein  Proletariat,  das  das  kapitalistische 
Joch  abgeschüttelt  hat,  wiederum  zu  unterwerfen." 

37 


Kampfmittel. 

Scherrrierhorn  bedauert,  daß  in  dieser  Erklärung  nicht  auch  die  Sabotage  ais 
Kampfmittel  genannt  wird,  nicht  im  Sinne  der  Vernichtung  menschlichen  Lebens, 
sondern  im  Sinne  einfacher  Zerstörung  von  Kriegsmitteln:  Unbrauchbarmachung 
von  Telephon,  Telegraph,  Eisenbahnmaterial  usw.  Wenn  nun  einmal  viele  nicht 
den  Mut  haben,  offen  und  unbedingt  mit  dem  Militarismus  zu  brechen,  so  haben 
doch  auch  sie  das  Recht,  nach  ihren  Kräften  möglichst  zweckmäßig  zu  kämpfen. 
Und  außerdem  kann  der  einzelne,  der  Held,  viel  leisten:  der  Maschinist  kann 
seine  Maschine  unbrauchbar  machen  usw. 

Kaastra  weist  darauf  hin,  daß  den  Soldaten  im  Manöver  gelehrt  wird,  die 
Schlösser  von  den  Gewehren  ihrer  Gegenpartei  abzunehmen.  In  dieser  Hinsicht 
können  wir  nicht  zu  viel  von  unseren  Gegnern  lernen. 

Giesen  erkennt  den  Wert  und  die  Bedeutung  der  Sabotage  an.  Jedoch  hält 
er  sie  besonders  in  wirtschaftlicher  Hinsicht  für  ein  schwaches  Mittel.  So  ist  es 
zum  Beispiel  in  Munitionsfabriken  geradezu  unmöglich,  schlechte  Munition  her* 
zustellen,  da  hier  die  Arbeitskontrolle  sehr  scharf  ist,  oft  das  Taylorsystem  an« 
gewendet  wird  usw.  Als  eins  der  Kampfmittel  haben  wir  die  Sabotage  anzu* 
nehmen,  und  sie  kann  außergewöhnlichen  Wert  besitzen  zur  Zerrüttung  des 
Verkehrs.  Wenn  man  nur  nicht  zu  viel  Gewicht  darauf  legt  und  demzufolge 
nötigere  direkte  Aktion  unterläßt.  Wenn  man  den  Blick  zu  sehr  auf  die  Sabotage 
richtete,  wäre  es  möglich,  daß  man  sich  nur  zu  leicht  dem  militaristischen  Pro* 
duktionssystems  ergäbe  und  infolgedessen  in  kritischen  Augenblicken  nicht  im* 
stände  wäre,  sich  dem  Willen  der  Imperialisten  zu  entziehen. 

De  Ligt  bemerkt,  daß  es  erwünscht  ist,  jetzt  nicht  ausführlich  über  einzelne 
Kampfmittel  zu  sprechen.  Es  handelt  sich  hier  um  eine  möglichst  allgemein  ge* 
haltene  Aufgabendefinition.  Wird  diese  als  Grundlage  vom  Kongreß  gutgeheißen, 
so  wird  im  Zusammenhang  damit  die  gesamte  Taktik  ausgearbeitet.  In  kleinem 
Kreise  hat  man  ja  schon  über  die  Kampfmittel  Gedanken  ausgetauscht.  Alle  an? 
gegebenen  Mittel  sollen  bekannt  gemacht  werden,  und  man  wird  sie  den  Um« 
ständen  und  Kräften  gemäß  anwenden. 

Wastiaux  teilt  nun  öffentlich  mit,  welche  Kampfmittel  die  französische  Abs 
Ordnung  vor  allen  Dingen  für  erforderlich  hält.  Er  wünscht  ferner,  daß  das  Büro 
an  die  verschiedenen  Regierungen  Noten  richten  soll,  um  Revision  der  Prozesse 
gegen  Dienstverweigerer  zu  fordern. 

De  Ligt  fragt,  ob  die  Versammlung  es  gutheißt,  daß  allen  Angaben  von 
Kampfmitteln,  die  eventuell  zugetretene  Gruppen  machen,  der  allgemeinen  Ten* 
denz  des  Bureaus  entsprechend,  nach  Möglichkeit  Rechnung  getragen  wird. 

Der  Kongreß  ist  damit  einverstanden. 

Kampf  gegen  militärische  Unterdrückung  und  wirtschaftliche  Ausbeutung 

der  farbigen  Völker. 

Gemäß  den  in  dieser  Nacht  abgehaltenen  Besprechungen  fragt  De  Ligt,  ob 
die  Anwesenden  dem  Vorschlag  beistimmen,  daß  man  der  Prinzipienerklärung 
einen  Absatz  hinzufügt,  worin  als  vierte  Aufgabe  des  I.A.M.B.  angegeben  wird: 
Kampf  gegen  militärische  Unterdrückung  und  wirtschaftliche  Ausbeutung  der 
farbigen  Rassen. 

Der  Kongreß  ist  damit  einverstanden  und  nimmt  definitiv  folgendes  an  als: 

Prinzipienerklärung  und   Aufgabendefinition  des  Internationalen   AntU 
Militaristischen  Bureaus  gegen  Krieg  und  Reaktion. 

Das  Internationale  AntuMilitaristische  Bureau  gegen  Krieg  und  Reaktion,  zu- 
sammengesetzt aus  revolutionär:antimilitaristischen  Organisationen,  hat  den 
Zweck,  den  Militarismus  international  zu  bekämpfen,  um  den  Krieg  und  die 
Unterdrückung  der  Arbeiterklasse  unmöglich  zu  machen. 

Es  ist  bestrebt,  in  den  Arbeitern  das  Bewußtsein  ihrer  entscheidenden  wirt= 
schaftlichen  Macht  zu  verstärken. 

38 


Es  propagiert  die  sofortige  Einstellung  aller  Kriegsproduktion. 

Es  fördert  die  Desorganisierung  der  Heere  und  Flotten  und  erweist  dem 
jenigen,  die  persönlich  den  Militärdienst  verweigern,  seine  Anerkennung. 

Es  widersetzt  sich  jedem  Versuch,  ein  Proletariat,  das  das  kapitalistische  Joch 
abgeschüttelt  hat,  mittels  Intervention  wieder  zu  unterwerfen. 

Es  wendet  sich  gegen  jede  militärische  Unterdrückung  und  wirtschaftliche 
Ausbeutung  der  farbigen  Rassen  und  erstrebt  größtmögliche  Einigkeit  unter  dem 
revolutionären  Proletariat  von  Nord  und  Süd,  Ost  und  West. 

Organisation  des  I.A.M.B. 

Auf  der  Tagesordnung  ist  nun  folgender  Antrag: 
„Das  Internationale  Anti*Militaristische  Bureau  wird  zusammengesetzt  aus 
Organisationen,  die  in  revolutionär*antimilitaristischem  Geiste  miteinander 
tätig  zu  sein  wünschen.  Die  dem  Bureau  beigetretenen  Organisationen  jedes  ein^ 
zelnen  Landes  verbinden  sich  zu  einem  zusammenwirkenden  Körper.  Diese 
Landesgruppen  ernennen  mindestens  je  einen  Abgeordneten  für  das  Inter* 
nationale  AntisMilitaristische  Bureau.  Die  Gesamtheit  der  Abgeordneten,  als 
I.A.M.B.  versammelt,  bezeichnet  ein  Land,  wo  der  Exekutivausschuß  des 
I.A.M.B.  seinen  Sitz  haben  soll.  Der  Exekutivausschuß  wird  gebildet  von  Mit* 
gliedern  verschiedener  angeschlossener  Organisationen,  von  denen  eine  be= 
stimmte  Anzahl  auf  Antrag  des  Internationalen  Anti^Militaristischen  Vereins 
ernannt  wird." 

Der  Kongreß  nimmt  dies  einstimmig  an.  Das  I.A.M.B.  wird  seinen  Sitz  in 
Holland  haben. 

Finanzen. 

Eckhard  betont  nachdrücklich,  daß  aus  der  Praxis  nichts  werden  kann,  wenn 
man  einseitig  an  das  Ideal  denkt.  Vom  Standpunkt  des  Kassierers  aus  haben  die 
Finanzen  die  Grundlage  zu  bilden.  Allzuoft  hat  man  dies  in  der  sozialistischen  Be- 
wegung vergessen.  Vorläufig  brauchen  wir  jährlich  ungefähr  10  000  Gulden.  Was 
jeder  bezahlen  muß,  hängt  von  der  Sympathie  ab,  die  man  antrifft,  und  von  den 
Organisationen,  die  sich  anmelden,  und  von  deren  Mitgliederzahl.  Von  der 
Unterstützungskasse  der  Dienstverweigerer  haben  wir  1500  Gulden  geliehen.  Dies 
ist  eine  Ehrenschuld.  Redner  schlägt  vor,  daß  alle  sich  anmeldenden  Organa 
sationen  einen  bestimmten  Betrag  pro  Mitglied  bezahlen. 

De  Ligt  teilt  mit,  daß  die  Kameraden  aus  anderen  Ländern  bereits  über  diese 
Sache  unterrichtet  sind  und  im  großen  und  ganzen  hiermit  einverstanden  sind.  Er 
begrüßt  Lansink,  den  Vorsitzenden  des  Niederländischen  Arbeiter*Sekretariats, 
der  soeben  zurückgekehrt  ist.  Da  der  Plan  zu  dem  I.A.M.B.  im  Einvernehmen  mit 
den  Vertretern  des  N.A.S.  aufgestellt  ist  und  jetzt  allgemeinen  Beifall  findet,  und 
da  bereits  verschiedene  ausländische  Organisationen  ihre  Mitwirkung  in  Aussicht 
gestellt  haben,  erwartet  Redner,  daß  auch  das  N.A.S.  dem  Bureau  beitreten  wird, 
und  zwar  nicht  in  der  Weise,  daß  Vorstände  oder  Leiter  hier  Beschlüsse  fassen, 
sondern  er  ist  davon  überzeugt,  daß  im  Lande  eines  Domela  Nieuwenhuis  die 
revolutionären  Arbeiter  selbst  kundtun  werden,  daß  sie  mit  uns  zusammenwirken 
wollen.  Er  wünscht,  daß  die  Holländer  derart  arbeiten,  daß  sie  die  Ausländer 
begeistern. 

Eckhard  führt  aus,  daß  man  von  kleinen  Gruppen  in  Holland  25  Cent  pro 
Mitglied  erbitten  könnte.  Für  größere  Organisationen  könnte  in  gegenseitigem  Ein* 
vernehmen  ein  verhältnismäßig  kleinerer  Betrag  festgestellt  werden. 

Lansink  ist  hiermit  einverstanden. 

Der  Kongreß  nimmt  diese  Entwürfe  einstimmig  an. 

PropagandamitteL 

Boeke  erklärt  es  für  erwünscht,  den  Auffassungen  des  französischen  Landes; 
Verbandes  des  I.A.M.V.  entsprechend  1.  eine  antimilitaristische  Zeitschrift  in 
Französisch,  Deutsch,  Englisch  und  seinetwegen  auch  am  liebsten  in  einer  Welt? 
hilfssprache    herauszugeben;    2.    internationale    Bulletins    herauszugeben;    3.    ge* 

39 


meinschaftliche  internationale  Demonstrationen  an  demselben  Tage  zu  veran« 
stalten;  4.  große  Volksversammlungen  mit  ausländischen  Rednern  abzuhalten; 
5.  internationale  Pressekampagnen  über  bestimmte  Tatsachen  sowohl  in  sich 
interessierenden  wie  in  eigenen  Organen  zu  führen. 

Der  Kongreß  stimmt  diesen  Vorschlägen  im  Prinzip  bei.  Von  den  Finanzen 
wird  es  abhängen,  wieviel  man  hiervon  praktisch  ausführen  kann. 

Welthilfssprache. 

Schermerhorn  stellt  fest,  daß  dieser  Kongreß  uns  wieder  aufs  neue  gelehrt 
hat,  daß  eine  Welthilfssprache  für  Revolutionäre  erforderlich  ist.  Je  mehr  Länder 
und  Völker  unsere  Bewegung  umfaßt,  desto  unentbehrlicher  wird  sie  sich  zeigen. 
Kr  beantragt  deshalb  folgende  Resolution,  die  einstimmig  angenommen  wird: 

„Der  Internationale  AntisMilitaristische  Kongreß,  der  die  Schwierigkeiten, 
die  sich  aus  der  Sprachenverschiedenheit  und  »Vielheit  ergeben,  erfahren  hat, 
nimmt  die  Weltsprache  für  alle  internationale  Beziehungen  der  Antimilita* 
risten  an; 

betrachtet  hierbei  als  die  Weltsprache  die  Dialekte  Esperanto  und  Ido,  die 
beide  auf  dem  gemeinsamen  Grundsatze  der  größten  Internationalität  ge<= 
gründet  und  dadurch  jeder  für  sich  den  Anhängern  des  andern  verständlich 
sind; 

ermutigt  die  Antimilitaristen  aller  Länder,  einen  dieser  Dialekte  zu  er* 
lernen  und  öffnet  damit  die  Tür  zu  weiterer  Entwicklung,  und  freier  Ver* 
einheitlichung  der  Weltsprache." 

Abschied  Schermerhorns. 

Schermerhorn  muß  den  Kongreß  wegen  anderweitiger  Tätigkeit  verlassen. 
Diese  wunderbare  Zusammenkunft  hat  tiefen  Eindruck  auf  ihn  gemacht.  Er 
hat  ein  starkes  Gefühl  von  Einheit  und  Kameradschaft  erlebt.  Er  wird  den 
Geist  dieses  Kongresses  mit  in  seine  Arbeit  hinübernehmen  und  hofft,  daß  bald 
alle  wieder  ins  Leben  hinausgehen  werden,  um  für  das  Ideal  zu  kämpfen  und  zu 
leiden  und,  wenn's  sein  muß,  zu  fallen. 

Telegramm   an   die  Regierung   der   Vereinigten  Staaten   von   Amerika 
über  Eugene  Debs  und  andere. 
Dem  Wunsch   der  belgischen   und  französischen   Kameraden  entsprechend, 
schlägt   Giesen   vor,   folgendes   Telegramm    an   die    Regierung   der   Vereinigten 
Staaten  Amerikas   zu   senden,   was   begeistert   angenommen  wird: 

„Der  Internationale  AntisMilitaristische  Kongreß  im  Haag  sendet  seine 
besten  Grüße  an  Eugene  Debs  und  hofft,  daß  Amerika  bald  wieder  sein 
besseres  Selbst  zeigen  wird  durch  Freilassung  von  Debs  und  anderen  Käme* 
raden  aus  allen  Gefängnissen  der  Vereinigten  Staaten." 

Telegramm  zugunsten  der  französischen  Gefangenen. 
Ebenfalls  auf  Wunsch  jener  Kameraden  schlägt  .Giesen  vor,  folgendes  Tele* 
gramm  an  die  französische  Regierung  zu  senden,  was  wiederum  begeistert  an* 
genommen  wird: 

„Der  Internationale  Anti=Militaristische  Kongreß  im  Haag  bezeugt  allen 
Opfern  des  Militarismus  seine  Sympathie,  protestiert  gegen  die  Gefangen* 
haltung  von  Armand,  Badina,  Cottin,  Azarty,  der  Matrosen  des  Schwarzen 
Meeres,  der  Aufständischen  von  1917,  der  Deserteure  und  Ununterworfenen 
und  entschließt  sich,   für   ihre  Freilassung   zu   wirken." 

Entschließung  Haussard. 

Auf  Antrag  der  französischen  Kameraden,  von  denen  Haussard  vor  seiner 

Reise  nach  Holland  nochmals  den  Bericht  des  AntisMilitaristischen  Kongresses 

von   1907  in  sich  aufgenommen  hatte,  wird  eine  Entschließung  angenommen  im 

Sinne  der  Amsterdamer  Erklärung  der  französischen  Anarchisten  im  Jahre  1907: 

40 


„Der  Internationale  Anti*Militaristische  Kongreß,  kämpfend  für  vollständige 
Befreiung  der  Menschheit  und  gänzliche  Freiheit  der  Persönlichkeit,  erklärt  sich 
als  Feind  aller  bewaffneten  Gewalt  in  Händen  des  Staates:  Heer,  Gendarmerie, 
Polizei,   Bürgerwehr,   Justiz   usw. 

Er  ermuntert  die  Kameraden,  und  überhaupt  alle  nach  Freiheit  Strebenden, 
den  Militarismus  zu  bekämpfen  zur  radikalen  Vernichtung  aller  Unter* 
drückungsinstrumente,  und  zwar  nach  Maßgabe  ihrer  Veranlagung  und  ihrer 
Umstände  mit  allen  Mitteln,  wie  persönlicher  Aufstand,  individuelle  oder  ge* 
meinschaftliche  Dienstverweigerung,  aktiver  und  passiver  Ungehorsam  usw. 

Er  spricht  die  Erwartung  aus,  daß  alle  betroffenen  Völker  jede  Kriegs* 
erklärung  mit  Revolution  beantworten  werden  und  erklärt,  überzeugt  zu  sein, 
daß  in  dieser  Hinsicht  die  revolutionären  Antimilitaristen  das  Beispiel  zu 
geben  haben." 

Abschied  Wellocks. 

Nachdem  Boeke,  De  Jong,  Lansink,  Wastiaux  und  Wellock  noch  diskutiert 
haben,  auf  welche  Weise  Organisationen  dem  Bureau  beitreten  können,  und  man 
zu  dem  Schlüsse  gekommen  ist,  daß  die  angenommene  Prinzipienerklärung  und 
Organisationsmethode  Anarchisten,  Syndikalisten,  Kommunisten  der  Dritten 
Internationale  und  Absolutisten  in  die  Lage  setzt,  in  loyaler  Weise  zusammen* 
zuwirken,  erklärt  Wellock,  daß  es  ihn  gerührt  hat,  wie  hier  gekämpft  wird,  um 
aus  Idealen  Wirklichkeit  zu  machen.  Er  wird  in  England  tun,  was  er  kann,  um 
das  I.A.M.B.  bekannt  zu  machen  und  die  Organisationen,  die  sich  ihrer  Art 
nach  dafür  eignen,  zu  kräftiger  Mitwirkung  zu  veranlassen. 

Der  1.  August  als  Tag  der  Antimilitaristen. 

De  Jong  schlägt  vor,  jedes  Jahr  am  1.  August,  dem  Datum  des  Anfangs  des 
Westkrieges,  überall  große  internationale  Volksversammlungen  mit  Rednern  aus 
andern  Ländern  zu  veranstalten. 

Man  beschließt,  daß  der  1.  August  gleichsam  der  antimilitaristische  1.  Mai 
werden   soll. 

Standpunkt  hinsichtlich  reaktionärer  Freiwilligenheere  und  dergl. 

Anläßlich  des  Antrages  des  Landesverbandes  Dänemark  des  I.A.M.V.  be* 
treffend  Freiwilligenheere  und  entsprechend  den  Ausführungen  von  Frau  Roland 
Holst,  macht  De  Jong  den  Kongreß  darauf  aufmerksam,  daß  ein  besonderer 
Kampf  zu  führen  ist  gegen  Gendarmerie,  Polizeitruppen,  Bürgerwehr  usw.,  deren 
sich  die  reaktionären  Regierungen  immer  mehr  bedienen,  je  nachdem  das  söge* 
nannte  nationale  Volksheer  für  sie  unzuverlässig  wird.  Er  bittet  alle  Geistes* 
freunde  aus  allen  Ländern,  dem  Bureau  möglichst  viele  Berichte  darüber  einzu* 
senden,  damit  es  diese  international  verarbeiten  kann. 

Absolutisten. 

Boeke  teilt  mit,  daß  eine  Gruppe  Absolutisten  beschlossen  hat,  wenn  der 
I.A.M.V.  sich  nicht  auf  absolutistischen  Standpunkt  stellt,  sich  auf  Grund 
folgender  Formel  selbständig   zu   organisieren: 

„Krieg  ist  ein  Verbrechen  gegen  die  Menschheit:  wir  sind  daher  fest  ent* 
schlössen,  keinerlei  Krieg  zu  unterstützen  und  für  die  Beseitigung  aller  Kriegs* 
Ursachen  zu  kämpfen." 

De  Jong  antwortet,  daß  der  I.A.M.V.  als  solcher  gegen  den  Militarismus 
kämpft,  ohne  sich  darum  gegen  alle  Gewaltanwendung  oder  gegen  revolutio* 
nären  Selbstbefreiungskrieg  zu  wenden.  Wohl  kämpfen  auch  Absolutisten  inner* 
halb  des  I.A.M.V.  mit.  Für  ihr  eigenes  besonderes  Ziel  haben  sie  ohne  Zweifel 
Recht  auf  eine  eigene  besondere  Organisation.  Er  erwartet,  daß  also  die  Ab* 
solutisten  bald  ihren  Verein  für  sich  haben  werden.  Er  erkennt  es  an,  daß 
sie  gezeigt  haben,  keine  unnötige  Zersplitterung  zu  wollen.  Er  hofft,  daß  ihre 
Organisation  mit  dem  IA.M.B.  und  dem  I.A.M.V.  in  jeder  Hinsicht  kräftig  und 
kameradschaftlich   zusammenwirken    wird. 

41 


Dank  an  die  Kameraden. 

De  Ligt  erweist  der  Niederländischen  Arbeiterbewegung  Dank,  daß  sie  uns 
instand  gesetzt  hat,  während  der  letzten  2XA  Jahre  international  überall  bekannt 
zu  machen,  was  die  revolutionären  Antimilitaristen  wollen.  Was  1904,  1907,  1914 
und  1917  nur  wenig  näher  rückte,  beginnt  nun  Wirklichkeit  zu  werden.  Er  dankt 
den  Kameraden  aus  anderen  Ländern  für  ihre  Anwesenheit,  hauptsächlich  den 
Kameraden  ohne  Paß,  die  keine  Mühe  gescheut  haben  und  von  denen  sogar  einer 
sich  im  Kohlenraum  eines  Schiffes  verborgen  hatte  (Beifall).  Er  dankt  den  Dol« 
metschern  für  ihre  anstrengende  Arbeit  und  den  Haager  Kameraden,  die  sehr 
viel  Zeit  und  Mühe  aufgewendet  haben,  damit  alles  gut  von  statten  ging,  und 
hofft,  daß  die  Arbeit  von  allen  wirksam  und  beständig  fortschreiten  wird. 


42 


ORGANISATORISCHER  TEIL 

n 

INTERNATIONALER 
ANTI- MILITARISTISCHER  VEREIN 


Internationaler   Anti-Militaristischer    Verein   (I.A.M.V.). 

Am  Donnerstag,  den  31.  März,  abends,  und  den  ganzen  darauffolgenden  Frei* 
tag,  den  1.  April,  waren  versammelt:  Adamas  und  Gerard  (Landesverband  Bei« 
gien  des  I.A.M.V.),  Wastiaux  (Landesverband  Frankreich  des  I.A.M.V.),  Van 
Langen  (Landesverband  Dänemark  des  I.A.M.V.),  Stöcker  (Bund  der  Kriegsdienst* 
gegner,  Deutschland)  und  der  vorläufige  Vorstand  des  Internationalen  Anti* 
Militaristischen   Bureaus. 

Anläßlich  der  vom  vorläufigen  I.A.M.B.  im  Auftrage  der  geheimen  Vor« 
konferenz  im  August  1920  vorgeschlagenen  Prinzipienerklärung  hatte  der  Landes* 
verband  Belgien  Folgende  abgeänderte  Fassung  eingereicht: 

Belgischer  Antrag  betreffs  Prinzipienerklärung  l.A.M.V. 

„Indem  wir  unter  Militarismus  das  Erstreben  und  Anwenden  der  von  jeder 
Staatsmacht  unter  Gebrauch  von  Zwang  organisierten  Waffengewalt  verstehen, 
erkennen  wir  als  Antimilitaristen  alle  an,  die  sich  grundsätzlich  hiergegen  wenden 
und  ihm  sowohl  individuell  wie  in  Massen  möglichst  Abbruch  zu  tun  wünschen. 

Indem  der  l.A.M.V.  konstatiert,  daß  der  Militarismus  als  eine  notwendige 
Begleiterscheinung  aller  Staatsmacht  (hauptsächlich  als  Imperialismus)  in  Erschei* 
nung  tritt,  und  daß  das  jetzige  Gesellschaftssystem  kraft  seines  Raubgrundsatzes 
zu  organisiertem  Massenmord  führt  und  führen  muß,  erklärt  er,  daß  der  Anti* 
militarismus  antikapitalistisch  ist  und  daß  sein  Kampf  auf  Vernichtung  jeder 
Staatsmacht  gerichtet  ist. 

Jeder,  der  einen  grundsätzlichen  staatsgegnerischen  Kampf  gegen  den  Mili* 
tarismus  (Dienstzwang)  führen  will,  ist  in  unseren  Reihen  willkommen." 

Frau  Stöcker  erklärte,  daß  die  Möglichkeit  bestand,  daß  die  deutschen  Kriegs* 
dienstgegner  sich  dem  Büro  auf  Grund  folgender  Prinzipienerklärung  anschließen 
würden: 

Deutscher  Antrag  betreffs  Prinzipienerklärung  l.A.M.V. 

„Unter  Militarismus  verstehen  wir  die  Gesinnung,  die  organisierte  Menschen* 
tötung  als  erlaubtes  Mittel  für  politische  oder  gesellschaftliche  Ziele  betrachtet. 
Als  Antimilitaristen  erkennen  wir  darum  alle  an,  für  die  die  Heiligkeit  und 
Unantastbarkeit  des  menschlichen  Lebens  als  höchstes  Gesetz  menschlicher  Ge* 
meinschaft  gilt.  Aus  dieser  Erkenntnis  ergibt  sich  für  sie  die  Pflicht,  alles  zu  tun, 
um  sich  sowohl  persönlich  wie  in  Massen  der  Barbarei  organisierter  Massentötunß 
zu  widersetzen,  sowie  sich  zu  weigern,  an  der  Vorbereitung  von  Kriegstaten  teil* 
zunehmen.  Der  einzelne  hat  auch  gegenüber  Beschlüssen  des  Volksganzen  nicht 
nur  das  Recht,  sondern  die  Pflicht,  die  Teilnahme  an  Handlungen  zu  verweigern, 
die  das  Gewissen  für  unsittlich  erkennt,  und  für  die  Erkenntnis  der  Unsittlichkeit 
davon  in  der  Gesellschaft  zu  wirken. 

In  immer  weiteren  Kreisen  von  Männern  und  Frauen  aller  Länder  dies  Pflicht* 
gefühl  und  dies  Bewußtsein  der  Verantwortlichkeit  des  einzelnen  zu  erwecken, 
erscheint  uns  als  Hauptaufgabe  der  internationalen  Antimilitaristen.  Denn  dies 
ist  nicht  nur  eine  wirksame  Unterstützung  aller  Bemühungen,  den  Völkerfrieden 
durch  Verbesserung  der  Völkerorganisationen  zu  sichern,  Sondern  auch  die  Bedin* 
gung  für  ihren  bleibenden  Erfolg. 

Der  I.A.M.V.  stellt  fest,  daß  der  Militarismus  eine  notwendige  Begleiterschei* 
nung  des  internationalen  Kapitalismus  ist,  ein  System  zur  Ausbeutung  der  wirr* 

44 


schaftlich  Schwächeren,  das  zu  Gewalttätigkeit  als  letztem  Zwangsmittel  reizt» 
während  der  Kapitalismus  durch  seine  angreifende  Haltung  gegenüber  dem  nach 
Verwirklichung  schreitenden  Kommunismus  diesen  letzteren  zu  bewaffneter  Ver* 
teidigung  und  Annahme  des  militärischen  Systems  führt.  Darum  hält  der  I.A.M.V. 
es  auch  für  eine  unvermeidliche  Konsequenz  dieser  Erkenntnis,  daß  der  Anti* 
militarismus  auch  Antikapitalismus  in  sich  schließt. 

Da  die  ungerechte  Verteilung  des  Eigentums  in  ihrem  Ursprung  auf  die 
gewalttätige  Besitzergreifung  einzelner  von  der  allen  gemeinsamen  Erde  zurück* 
geführt  werden  muß,  und  da  diese  gewalttätige  Besitzergreifung  nur  durch  ge* 
waltsame  Verteidigung  aufrechterhalten  werden  kann  (d.  h.  da  die  bewaffnete 
Gewalt  sowohl  Ursache  wie  Folge  des  Kapitalismus  ist),  muß  diese  unrechtmäßige 
Verteilung  im  selben  Augenblick  verschwinden,  wo  mit  der  Abschaffung  der 
Gewalt  auch  die  Voraussetzung  dazu  wegfällt  Die  Abschaffung  des  Militarismus 
würde  darum  auch  die  Abschaffung  des  Kapitalismus  mit  sich  ziehen. 

Wenn  nun  auch  Militarismus  und  Kapitalismus  in  mancher  Hinsicht  parallele 
Erscheinungen  sind,  so  sind  sie  doch  nicht  vollkommen  gleich.  Die  Geschichte 
beweist,  daß  der  Militarismus  ein  Geisteszustand  von  Völkern  ist,  der  unter  ver* 
schiedenen  wirtschaftlichen  Formen  möglich  ist.  Auch  in  weiten  Kreisen  von 
Gegnern  des  Kapitalismus  fehlt  noch  die  Erkennung  der  Heiligkeit  des  mensch» 
liehen  Lebens  als  Grundsatz  jeder  höheren  Kultur.  Ihr  Gesichtspunkt  ist  wesent* 
lieh  auf  wirtschaftliche  Reformen  (Sozialdemokraten)  oder  revolutionäre  Umwäl* 
zungen  (Bolschewiki)  gerichtet.  Sie  sehen  in  der  organisierten  Menschentötung 
ein  Mittel,  das  unter  gewissen  Umständen  durch  das  Ziel  geheiligt  ist  und  sind 
daher  mindestens  gemäßigte  Militaristen. 

Der  I.A. MV.  stellt  daher  fest,  daß  es  neben  dem  Kapitalismus  vor  allen 
Dingen  eine  falsche  Staatsideologie  und  Gesellschaftswissenschaft  gibt,  woraus 
Militarismus  emporwuchert  Diese  Ideologie  vergißt,  daß  der  Staat,  die  Gesell* 
schaft  um  des  Menschen  willen  und  nicht  die  Menschen  um  des  Staates  willen 
bestehen.  Sie  macht  den  einzelnen  zum  Sklaven  des  Staates  und  schreckt  nicht 
davor  zurück,  ihm  das  ursprünglichste  seiner  Menschenrechte:  das  Recht  auf  das 
Bestehen  selbst,  abzusprechen.  Um  den  Militarismus  zu  überwinden,  ist  also 
die  Erkennung  des  Eigenwertes  der  menschüchen  Persönlichkeit,  der  menschlichen 
Seele,  unumgängliche  Bedingung.  Der  Staat,  die  Gesellschaft,  muß  bewußt  und 
ausdrücklich  dem  Dienst  des  menschlichen  Lebens  untergeordnet  werden.  Erst 
dann  wird  es  gelingen,  den  Militarismus,  das  Prinzip  der  Staatsallmacht,  die  Ver* 
sklavung  seiner  Untertanen  unter  seine  Zwecke,  zu  überwinden.  Aus  dieser 
Erkenntnis  ergibt  sich  die  völlige  Abweisung  des  halben,  inkonsequenten  bürgere 
liehen  Pazifismus,  sowie  des  Sozialpatriotismus,  die  sich  beide  bemühen,  die  Recht* 
fertigung  des  Kriegführens  unter  dem  Deckmantel  des  Erlaubtseins  des  Verteidi* 
gungskrieges  aufrechtzuerhalten.  In  Wirklichkeit  tragen  sie  dadurch,  wenn 
auch  unabsichtlich,  zum  Instandhalten  des  latenten  Kriegszustandes  auf  der  Welt 
mehr  bei  als  das  öffentliche  Bekennen,  daß  man  einen  Eroberungskrieg  bezweckt, 
zu  tun  vermochte.  Ebenso  ergibt  sich  daraus  die  Abweisung  der  bolschewistischen 
Methoden,  die  das  Ideal  der  klassenlosen  Gesellschaft  durch  militaristische  Mittel 
näherzubringen  meinten.  Jeder,  der,  ob  er  Anarchist,  christlicher  Sozialist,  Kom* 
munist,  Pazifist,  Anrimilitarist  oder  sonst  wie  heißt,  einen  grundsätzlichen  Kampf 
gegen  den  Militarismus  und  gegen  alle  Methoden  der  Ueberwältigung  durch  Staat 
und  Gesellschaft  oder  Wirtschaftsordnung,  allgemeinen  Dienstzwang  und  rotes 
Heer  führt,  ist  in  unseren  Reihen  herzlich  willkommen. 

Aufgabe:  1.  Die  Mitglieder  des  I.A.M.V.  stellen  sich  zur  Aufgabe:  ihren  Mit* 
menschen  den  dummen,  unsittlichen  und  barbarischen  Charakter  des  Militarismus» 
den  Zusammenhang  von  Kapitalismus,  einer  falschen  Staatsideologie  und  Gesell* 
Schaftswissenschaft  mit  dem  Militarismus  klarzumachen  und  sie  zum  Kampf  da* 
gegen  anzuregen;  2.  alle  diejenigen,  die  für  eine  menschenwürdige  Gesellschaft 
kämpfen,  worin  die  Heiligkeit  des  menschlichen  Lebens  selbstverständliche  Be* 
dingung  geworden  ist  und  worin  auch  Herstellung  und  Verteilung  vernünftig 
geordnet  sein  werden,  darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  sie,  wenn  sie  sich  direkt 
oder  indirekt  dem  Militarismus  zur  Verfügung  stellen,  mit  ihrem  Körper,  ihrer 
Seele  und  ihrem  Geist  selbst  das  Material  liefern  für  die  systematische  Ent* 
menschlichung,  die  die  notwendige  Voraussetzung  des  jetzigen  Gesellschafts* 
Systems  ist. 

45 


Der  I.A.M.V.  betont  die  Notwendigkeit  antimilitaristischer  Aktionen  der 
wirtschaftlichen  Kampforganisationen  der  Arbeiter,  neben  bewußter  Uebernahme 
persönlicher  Verantwortlichkeit  durch  den  einzelnen  für  die  Entwicklung  der 
Gesellschaft.  Nur  durch  die  Zusammenwirkung  allgemeiner  Militärdienstverwei* 
gerung  eines  jeden  und  der  allgemeinen  Arbeitsverweigerung  als  Ausdruck  des 
Gemeinschaftswillens  kann  die  Macht  des  Militarismus  und  seiner  Begleiterschei* 
nungen  gebrochen  werden. 

Die  konsequenten  Antimilitaristen  wollen  gründlich  mit  dem  Grundsatz 
brechen,  daß  Gewalt  nur  mit  Gewalt  überwunden  werden  kann.  Sie  wollen  der 
rohen  barbarischen  Form  der  blutigen  Gewalt  die  höhere  Form  des  sittlichen 
Mutes  und  der  geistigen  Waffen,  im  Notfalle  auch  passiven  Widerstand  entgegen* 
setzen.  Sie  wollen  die  Ziele  des  organisatorischen  Pazifismus:  durch  Völker« 
bund,  Schiedsgerichte  und  internationale  Organisationen  den  dauerhaften  Frieden 
näher  zu  bringen,  mit  ihrer  Arbeit  ergänzen.  Denn  sie  sind  überzeugt,  daß  alle 
Bemühungen,  eine  fruchtbare  Organisation  der  Völker  der  Erde  zu  bilden,  miß« 
lingen  werden,  solange  nicht  der  einzelne  die  moralische  Notwendigkeit  erkennt, 
jede  Teilnahme  an  organisierter  Menschentötung  zu  verweigern,  unter  welchen 
mittelheiligenden  Vorwänden  (Vaterlandsverteidigung,  Klassenkampf,  Notwehr) 
man  auch  suchen  möge,  sie  annehmbar  zu  machen." 


■ 
Prinzip  und  Aufgabe  des  I.A.M.V. 


Nach  ausführlichen  Besprechungen  kam  man  überein,  folgenden,  einiger* 
maßen  abgeänderten  Wortlaut  des  Entwurfs  der  Vorkonferenz  als  vorläufige 
Grundlage  für  den  I.A.M.V.  anzunehmen: 

Prinzip: 

Indem  wir  unter  Militarismus  das  Erstreben  und  Anwenden  von  Gewalt 
und  Menschenmord,  die  von  Staaten  oder  nach  Staatsmacht  strebenden 
Gruppen  organisiert  sind,  verstehen,  erkennen  wir  als  Antimilitaristen  alle  an, 
die  sich  diesem  System  grundsätzlich  entgegenstellen  und  ihm  sowohl  individuell 
wie  in  Massen  möglichst  Abbruch  zu  tun  wünschen. 

Indem  der  I.A.M.V.  konstatiert,  daß  der  Militarismus  eine  notwendige  Begleit: 
erscheinung  des  Kapitalismus  und  hauptsächlich  der  imperialistischen  Phase  des 
letzteren  ist  und  daß  das  jetzige  Gesellschaftssystem  kraft  seines  Raubgrundsatzes 
zu  organisiertem  Massenmord  führt  und  führen  muß  (während  der  Kapitalismus 
durch  seine  agressive  Haltung  gegenüber  dem  sich  verwirklichenden  Kommunist 
mus  diesen  zu  bewaffneter  Verteidigung  und  Annahme  des  militaristischen 
Systems  reizt),  hält  der  I.A.M.V.  es  für  erforderlich,  daß  der  Antimilitarismus 
Antikapitalismus  in  sich  schließt. 

Der  I.A.M.V.  stellt  fest,  daß  besonders  der  Glaube  an  den  Staat  bekämpft 
werden  muß,  der  durch  den  Militarismus  den  Menschen  zum  Sklaven  macht  und 
sogar  das  Recht  auf  das  Leben  angreift. 

Hieraus  ergibt  sich  die  absolute  Abweisung  sowohl  von  Bourgeoi&Pazifismus 
wie  von  SoziaUPatriotismus. 

Jeder,  der  (sei  es  als  Anarchist,  als  christlicher  Sozialist,  als  Kommunist  oder 
als  was  auch)  einen  prinzipiell  antikapitalistischen  Kampf  gegen  den  Militarismus 
führen  will,  ist  in  unseren  Reihen  willkommen. 

Aufgabe: 

Die  Mitglieder  des  I.A.M.V.  machen  es  sich  zur  Aufgabe: 

ihren  Mitmenschen  den  unvernünftigen  und  unsittlichen  Charakter  des  MilU 

tarismus  klarzumachen,  den  Zusammenhang  zwischen  Kapitalismus  und  Militarist 

mus  aufzudecken  und  zum  Kampf  dagegen  anzuregen. 

46 


alle  diejenigen,  die  für  eine  menschenwürdige  Gesellschaft  kämpfen,  worin 
Produktion  und  Verteilung  vernünftig  geordnet  sind,  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  daß  sie,  indem  sie  sich  direkt  oder  indirekt  dem  Kapitalismus  zum  Dienst 
stellen,  mit  ihrem  Körper,  ihrer  Seele  und  ihrem  Geiste  das  Material  liefern  für 
die  systematische  Entmenschlichung,  die  die  notwendige  Voraussetzung  des  jetzU 
gen  Wirtschaftssystems  bildet. 

Besonders  betonen  sie  die  Notwendigkeit  einer  antimilitaristischen  Aktion 
der  Gewerkschaften,  damit  durch  Zusammenwirkung  von  Generalstreik  und 
MassemDienstverweigerung  die  Macht  der  herrschenden  Klassen  möglichst  bald 
gebrochen  werde. 

Losung: 

Als  Ausdruck  der  allgemein  anerkannten  Auffassung,  daß  Militärdie»sts 
Verweigerung  mit  Verweigerung  sämtlicher  Kriegsproduktion  verknüpft  werden 
muß,  beschloß  man,  die  Losung  des  I.A.M.V.:  „Keinen  Mann,  keinen  Pfennig 
*ür  den  Militarismus",  abzuändern,  so  daß  sie  nunmehr  lautet: 

TEMEN  PFENNIG,  KEINE  ARBEIT,  KEINEN  MANN  FÜR 
DEN  MILITARISMUS! 


47 


Wir  empfehlen  den  Lesern  dieser  Broschüre: 

Bakunin,  Michael:  Gesammelte  Werke,  Band  I. 
Barwich,  Franz:  Die  Irrlehre  und  Wissenschaf tslosigkeit 

[des  Marxismus. 

—  Die  Arbeiterbörsen  des  Syndikalismus. 
Bergfeld,  Dr.  Ludwig:  Werde  sehend,  liebe  Schwester. 
Kater,  Fritz:  Die  Entwicklung  der  deutschen  Gewerkschafts* 

[bewegung. 
Dr.  Krasser:  Marseillaise  des  Christentums  und  Ceterum 

[censeo. 
Kropotkin,  Peter:   Landwirtschaft,  Industrie  und  Handwerk. 

—  Die  Eroberung  des  Brotes. 

—  Syndikalismus  und  Anarchismus. 

—  Die  Entwicklung  der  anarchistischen  Ideen. 

—  Gesetz  und  Autorität. 
Mackay,  J.  H.:  Sturm. 

Malatesta,  Errico:  Unter  Landarbeitern,  ein  Zwiegespräch. 
Nettlau,  Dr.  Max:  Verantwortlichkeit  und  Solidarität  im 

[Klassenkampf. 
Nieuwenhuis,  F.  Domela:  Francisco  Ferrer. 
Oerter,  Fritz:  Die  freie  Liebe. 

—  Was  wollen  die  Syndikalisten? 
Peter,  Karl:  Zersetzung  des  Weltkapitalismus. 

Reitzel,  Robert:  Des  „Armen  Teufels"  ges.  Werke,  in  Heften. 
Roche,  Karl:  Einheitslohn  und  Arbeitersolidarität. 
Rocker,  Rudolf:  Der  Bankerott  des  russ.  Staatskommunismus. 

—  Keine  Kriegswaffen  mehr. 

Rüssel,  Bertrand:  Kunst,  Wissenschaft  und  der  Sozialismus. 
Souchy,  Augustin:  Wie  lebt  der  Arbeiter  und  Bauer  in 

[Rußland. 
Tobler,  Dr.  Max:  Der  revolutionäre  Syndikalismus. 
Tolstoi,  Leo:  Rede  gegen  den  Krieg. 

—  Aufruf  an  die  Menschheit. 

Wegner,  Armin,  T.:  Der  Ankläger.    Aufrufe  zur  Revolution. 
Wehle,  Gerhard  F.:  Christentum,  Krieg  und  die  Zukunft. 
WitkopsRocker,  Milly :  Was  will  der  Syndikalist.  Frauenbund? 


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48 


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1931 
1921 
158 


International  Anti-Militarist 

Congress,    Hague,   1921 

Bericht  über  den 
Internationalen 

Anti-Militaristischen  Kongress 
im  Haag,    1921 


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