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International An ti -Militarist
Congress, Hague, 1921
Bericht über den Internationalen
Anti-Militaristischen Kongress
im Haag, 1921
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1931
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BERICHT
ÜBER DEN
INTERNATIONALEN
ANTI-MILIT ARKTISCHEN
KONGRESS
IM HAAG 1921
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HERAUSGEGEBEN VOM INTERNATIONALEN ANTI*
MILITARISTISCHEN BUREAU GEGEN KRIEG UND REAKTION
IM HAAG (HOLLAND).
SEKRETÄR JOS. GIESEN, HEERENWEG 14 BRECHT (HOLLAND)
DEUTSCHE AUSGABE IM VERLAG FRI TER, BERLIN O 34,
KOPERNIKUSjSTRAS.
DEMONSTRATIVER TEIL
Empfang.
Am Sonnabend, den 26. März 1921, um 4 Uhr nachmittags, kamen Abgeord*
nete, Kongreßmitglieder und Gäste in dem mit frischem Grün und roten Fahnen
geschmückten großen Saal des Volkshauses (Volksgebouw) im Haag zusammen.
Nachdem Erfrischungen umhergereicht worden waren, betrat N. J. C.
Schermerhorn (aus Nieuwe Niedorp, Holland) die Tribüne, um die Erschienenen
im Namen des Holländischen Landesverbandes des Internationalen AntüMilU
taristischen Vereins) (I.A.M.V.) zu begrüßen. Er verlas ein Telegramm vom
Hauptvorstand der Bauarbeiterföderation und richtete nacheinander im Fran«
zösischen, Englischen und Deutschen eine Ansprache an die Gäste aus anderen
Ländern. Wir kommen hier zusammen, sagte er, nicht um ein Fest zu feiern,
sondern um zu arbeiten, damit die Völker zu neuem antimilitaristischen Kampf
erwachen.
Henri Huchet (aus Paris) begrüßte den Kongreß im Namen der französi-
sehen Kameraden. Er hat mit dem Bürgerlichen Pazifismus' gebrochen. Sein
Platz ist nicht auf dem Kongreß jener Bewegung in Paris, sondern hier auf dem
Kongreß der antikapitalistischen Antimilitaristen.
G. W. Meyer (aus Bremen) hatte in britischer Gefangenschaft die eng»
lischen Dienstverweigerer kennengelernt. Er ist für ihre Grundsätze gewonnen
und überträgt deren Ausführung jetzt nach Deutschland. Er brachte den hollän«
dischen Dienstverweigerern seine Anerkennung dar.
B. Lansink jr. (aus Amsterdam), Vorsitzender des Niederländischen Ar*
beitersekretariats, begrüßte den Kongreß im Namen der holländischen syndi*
kaustischen Bewegung.
Eröffnung.
Des Abends um etwa 8 Uhr eröffnete B. de Ligt (aus Katwijk aan Zee,
Holland) die Sitzung. Im Jahre 1904, führte er aus, wurde auf Anregung von
F. Domela Nieuwenhuis der I.A.M.V. gegründet unter der Losung: „Keinen
Mann und keinen Pfennig für den Militarismus". Von Anfang an betrachtete
man die militärische Frage als eine gesellschaftliche und erweckte in erster Linie
die Arbeiter, besonder» die Gewerkschaften, zum Kampfe gegen den Militarist
mus, den man als notwendige Begleiterscheinung des Kapitalismus erkannte.
In anderen Ländern mißglückte vorläufig der I.A.M.V. Ucberall erschlaffte der
antimilitaristische Kampf. Man glaubte an eine Periode friedlicher gesellschaft*
licher Entwicklung. Die internationale Sozialdemokratie paßte sich den bür*
gerlichen Verhältnissen an. Sie bildete ein selbstgenügsames Proletariat heran,
»ir Zeit, da die Bourgeoisie immer unersättlicher wurde. In den Jahren 1891
und 1893 verleugnete sie bewußt ihren antimilitaristischen Standpunkt von 1868.
Domela Nieuwenhuis, der diesen Standpunkt aufrechterhielt, hatte infolgedessen
fortwährend Konflikte mit sozialdemokratischen Führern (Adler, Aveling,.
Liebknecht sr., Plechanow, Vaillant usw.). Ebenso folgten maanche Ans
archisten der Entwicklung des Kapitalismus zum Imperialismus. In den alten
Anschauungen lebend, wurden sie zu dem neuen gesellschaftlichen Kampfe un*
fähig. Im Jahre 1914 scharten sich manche ihrer Vertreter an die Seite des
kleinbürgerlichen Frankreichs, des imperialistischen Englands und des zaristi«
sehen Rußlands. In allen Ländern jedoch blieben Ausnahmen: Malatesta, Do*
mela Nieuwenhuis, Rosa Luxemburg, Liebknecht, Mehring, Pierre Ramus, Sa?
vigny usw. Und dann wirkte in Europa der Geist Tolstois nach, für den die
gesellschaftliche und also auch die militärische Frage zu allererst eine persön*
liehe Frage war. Besonders durch ihn wurde man sich dessen bewußt, daß
der Mensch die Umstände, in deren Mitte er selbst steht, zu überwinden hat,.
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Erst wenn er in Wechselwirkung damit der entscheidende Faktor geworden ist,
wird — sowohl zufolge Marx und Bakunin wie zufolge Tostoi — die wahrhafte
Menschheitsgeschichte begonnen sein. Infolge natürlicher und politischswirt*
schaftlicher Umstände war in England eine alte Ueberlieferung des Urchristen*
tums in Quäkern und andern lebendig geblieben. Diese und die neuere Ueber«
Jieferung des individualistischen Liberalismus ermöglichten dort eine mächtige
Dienstverweigerungsbewegung. Uebrigens hielten überall starke Persönlich«
keiten an ihrem revolutionären Grundsatz fest. Nach und nach erwachte so
überall im Proletariat eine Empörung, die jedoch nur in kapitalistisch später
entwickelten Ländern zum Ausbruch kommen konnte. Von diesen behauptete
sich allein Rußland gegen den weißen Terror.
Wir kommen jetzt zusammen: 1. um gegen den Imperialismus zu demon«
strieren; 2. um über die Gründung eines I.A.M.*Bureaus zu beraten; 3. um
grundsätzliche und praktische Fragen des I.A.M.V. zu besprechen.
In allererster Linie vereinigen wir uns gegen die Bourgeoisie. Möge das
Proletariat sich nicht mehr länger in ihrem Dienste zerfleischen! Man suche
durch gesellschaftliche und sittliche Umwälzung jedem drohenden Weltkrieg
zuvorzukommen!
Durch Paßverweigerung hat die holländische Obrigkeit den linken Flügel
des Kongresses stutzen wollen. Wir halten jedoch international Fühlung, und
den holländischen linken Flügel kann die Regierung doch nicht treffen.
Als antikapitalistische Antimilitaristen haben wir vor allen Dingen den
Russen zu helfen. In Politik, Strategie und Diplomatie haben sie viele Erfolge
errungen. Aber wirtschaftlich sind sie noch schwach, und auch moralisch noch
nicht allzu stark. Gewiß, es beginnt ein neuer Geist zu erwachen — was Kro«
potkin bezeugt — aber Krieg, Terror und Parteidiktatur können keinem Volke
zu wirtschaftlicher Selbständigkeit und kultureller Freiheit verhelfen, sondern
es nur verwildern. Doch wir hier im Westen sind die Hauptursache ihrer revo*
lutionären Entkräftung. Vernichten wir hier Krieg, Terror und Kapitalismus,
dann wird Rußland sich von selbst erholen.
Redner bedauerte, daß nur Angehörige der weißen Rasse an diesem Kon«
greß teilnehmen. Wir grüßen die farbigen Mitkämpfer und erwarten, daß sie
die antikapitalistische, antimilitaristische Weltbewegung mit neuem Schwung
verstärken.
Diese Rede wurde in Deutscher Sprache gehalten und von Teil zu Teil ins
Französische übersetzt. Jos. Giesert (aus Utrecht) übersetzte sie ins Englische.
Danach faßte De Ligt die Hauptsachen seiner Rede im Holländischen zu*
sammen und betonte, daß die holländische Regierung durch Paßverweigerung
an Leute wie Björklund und Pierre Ramus ihren mörderischen Charakter offen«
barte. (Begeisterter Beifall.) Auf seine Bitte erhob sich die Versammlung von
den Plätzen zu Ehren des Andenkens an F. Domela Nieuwenhuis, der während
seines ganzen Lebens zur Vorbereitung dieses Kongresses beigetragen hatte und
einer der wenigen war. die gleichsam in weißem Gewand durch die bedrängende
Finsternis gingen. Ihm haben wir zu folgen. Redner erklärte, daß man bei«
nahe mathematisch sicher beweisen kann, daß ein neuer Weltkrieg sich nähert,
wenn das Proletariat sich nicht dem Kapitalismus und Militarismus entzieht. Es
ist eine Bourgeoislüge, von „gelber Gefahr" zu sprechen; es gibt nur eine
Gefahr: die weiße Weltgefahr, den Imperialismus. Mit den farbigen Mitkämpfern
bilden wir ein Ganzes. Auch jetzt kämpfen wir mit ihnen weiter.
Berichte und Botschaften an den Kongreß.
Schermerhorn las eine Botschaft von den bulgarischen Tolstoianischen Anti*
militaristen vor, deren Verfasser Yanko Todorow ebenfalls durch Paßschwierig«
keiten verhindert war. Sie widersetzen sich jedem Kriege, sei er Angriffs«
oder Verteidigungskrieg, sowohl in revolutionären wie in kontrarevolutionären
Zeiten. Tausende Fälle von Dienstverweigerung kündigen das Nahen des
Tages an, wo der Krieg überhaupt aufgehoben sein wird.
Wilfred Wellock (aus London) erstattete Bericht über die englische anti*
militaristische Bewegung, die in den 10 000 Dienstverweigerern ihren Kernpunkt
fand. Dies ist die sittliche Grundlage, worauf eine neue Weltordnung gebaut
werden soll. Und diese ist notwendig; der Bourgeois«Pazifismus ist unhaltbar.
Antimilitarismus ist Antikapitalismus. Die englische antirailitaristische Tätige
keit steht im Begriff, sich in der Bewegung „Keinen Krieg mehr" (No More
War Movement) durchzusetzen.
Frietz Lieb (aus Zürich) sprach im Namen der Schweizer Jugend. Im Zu-
sammenhang mit den Dienstverweigerungen während des Krieges erwähnte er
Jules Humbert Droz, der ebenfalls wegen Paßschwierigkeiten nicht auf diesem
Kongreß anwesend war. Besonders die Jugend wehrt sich» in der Schweiz
kräftig.
Marcel Sauvage (aus Paris) sprach Worte der Versöhnung zu Franzosen
und Deutschen. Als der Krieg ausbrach, blieben unter Sozialisten und Christen
fast allein eine Gruppe Anarchisten ihrem Grundsatz treu. Sie hatten sich
um Sebastian Faure geschart. Die Zeitung „Le Libertaire" bekämpft kräftig
Krieg und Militarismus. Bei einem Aufstand im Heere 1907 trieben Maschinen*
gewehre die Soldaten auseinander. Unvergänglich ist der Ruhm der französi*
sehen Matrosen, die auf dem Schwarzen Meer sich weigerten, gegen die russi*
sehen Revolutionäre zu kämpfen. In Frankreich gibt es folgende antimilitaristi*
sehe und pazifistische Gruppen: 1. Bürgerliche, worunter der Frauenbund für
den Frieden; 2. sozialistische: Bourgeois*Sozialisten, Bolschewisten, syndika*
listische Jugend; 3. anarchistische: individualistisch und kommunistisch Gesinnte;,
4. religiöse: Christen, Okkultisten, Theosophen.
R. Morgan French (aus San Francisco, Kalifornien) war schon einmal mit
einer Abordnung amerikanischer Frauen nach Europa gekommen, um hier die
Männer zur Einstellung des Kampfes zu bewegen. Als stolze Amerikanerin hegte
sie volles Vertrauen auf Wilson. Nun aber erwartet sie nicht mehr das Min*
deste weder von ihm, noch von den Frauen, noch von Amerika. Einst das Land
der Freiheit, ist es jetzt so entartet, daß sogar verbannte und verjagte Revo»
lutionäre dort keine Ruhe mehr finden. Rednerin bekommt durch diesen Kons
greß wieder Hoffnung. Laßt uns nun die Bewunderung für ihn auch mit der
Tat bestätigen!
Weißer Terror in Ungarn.
Stefan Villyamy, der Ungarn vertreten sollte und dem es ebenfalls unmög*
lieh war, zu kommen, sandte folgenden Bericht über den weißen Terror in
Ungarn:
Der weiße Terror besteht hauptsächlich in individuellen Tätigkeiten. Genau
wie mittelalterliche Raubritter kaufen vermögende Leute Offiziere und Mann«
schaften auf, um plündernd mit ihnen durchs Land zu ziehen. Erst wurde alles,
was nur etwas mit Revolution zu tun gehabt hatte, ermordet. Danach wurde
unter denen, die sich nicht gerade für weißen Terror erklärten, ein Blutbad an*
gerichtet. Auch das Elend trieb viele als Henker in Horthys Dienst. Die
sogenannte „nationale Armee" ist jedoch ebensowenig zuverlässig wie seiner*
zeit die Offiziere des gewesenen habsburgischen Heeres für die Roten. Es ist
die fixe Idee des weißen Terrors, die Zeit des Mittelalters wieder heraufzubc*
schwören: Die bürgerlichen Freiheiten aufgehoben, die Macht der Kirche wieder*
hergestellt. Die Geißelstrafe ist wieder eingeführt worden und die schärfste
Zensur. Hierdurch sind die heutigen Herrscher mit dem früheren Fürsten*
hause wohl oder übel innig verbunden. Keine Naturwissenschaft, keine moderne
Kunst, keine Literatur darf mehr bestehen. Die anarchistischen und antimilu
taristdschen Gruppen hatten an der roten Diktatur nicht teilgenommen. Dennoch
nahmen die Terroristen alle Mitglieder anarchistischer und antimilitaristischcr
Gruppen gefangen und suchten sie durch unerhörte Folterungen zum Bestätigen
willkürlicher Beschuldigungen zu zwingen. Wer von ihnen noch mit dem Leben
davongekommen ist, kann man überhaupt nicht wissen. Furchtbar ist der weiße
Terror in seiner Spionage und Sabotage. Durch unaufhörliche Lügenartikel in
den Zeitungen betrügt man das Volk. Weiße Bürokraten nisten sich auf den
Büros der Arbeiter ein, um dort als kleine Tyrannen zu herrschen. In gleicher
Weise hatten sie sogar auf die Sowjetherrschaft großen Einfluß ausgeübt. Die
Massenhinrichtungen, Gefangennahmen und Internierungen sind bekannt. Man
fragt sich: Wie ist das alles möglich? Ganz einfach! Das ungarische Volk
erwartet Heil immer von andern, nie von sich selbst. So ist es jetzt wieder
Horthys Traum, sich als Söldner an die Entente zu verkaufen, um die Bol*
schewisten zu bekriegen, wie die Ungarn für die Habsburger gegen die Türken
Söldner waren. Kurzum, dieser weiße Terror zeigt deutlich den abenteuer*
liehen Charakter des Staates überhaupt: Er ist nichts anderes als eine Räuber*
Unternehmung. Was sich jetzt in Ungarn auswütet, ist die letzte Phase eines
tausendjährigen militärischen Machtmißbrauches, der sich in Raserei für sein
baldiges Ende rächt. Was gewesen ist, wird dadurch nicht ungeschehen ge*
macht. Was kommen muß, kann weißer Terror nicht verhindern.
Bericht über die antimilitaristische Bewegung in Oesterreich.
Von Pierre Ramus.
Trotzdem Oesterreich infolge seiner politischen Neuordnung sein altes
Militärsystem glücklich losgeworden ist, ist der Militarismus dennoch nicht tot,
sondern, sowohl im Rahmen des durch die Entente gestatteten Ausmaßes, wie
auch außerhalb desselben, als Söldnerarmee fortbestehend. Daß dies der Fall,
daran sind vor allen Dingen die Sozialdemokratie wie die „Kommunisten" schuld,
die den Fortbestand eines Müitärsystems begünstigen, weil sie darin einen
„Schutz der Republik" zu sehen vermeinen, zumindest einen Wall gegenüber
der Reaktion, dadurch, daß sie darnach getrachtet haben, ihre Parteianhänger zu
veranlassen, in die neue Armeeform einzutreten.
Leider haben die bisherigen Erfahrungen nur bewiesen, daß die neue Söldner*
armee ganz dasselbe gefügige Werkzeug in den Händen der herrschenden Macht*
haber ist, wie es das alte Militärsystem für die früheren Herrschaftselemente
gewesen ist.
Der Fortbestand eines Militärsystems hat auch den Fortbestand der Rüstungs*
und Munitionsindustrie bewirkt. Diese schafft und erzeugt in Oesterreich un*
ausgesetzt und mit Hochdruck für das Ausland und besonders die Gegenrevo*
tion, so daß Oesterreich das Exportland für Waffen und Munition par exel*
lence für die Gegenrevolution geworden ist.
Um so mehr ist dies der Fall, als die Arbeiterbewegung keine wirklich ent*
schiedene Stellung dagegen einnimmt. Anstatt die gesamte Einstellung der
Rüstungss und Munitionsindustrie zu bewirken, wurde diese Propaganda nicht
unterstützt, weil, wie Friedrich Adler sagte, dadurch Tausende Arbeiter arbeits*
los werden würden. Man begnügte sich mit der sogenannten Unterbindung des
Transports. Vom Arbeiterrat wurde ein entsprechendes Komitee eingesetzt, das
aber nur in ganz vereinzelten Fällen Erfolg zu verzeichnen hatte. In der über*
wiegenden Mehrheit von Fällen gelang der Transport auf dem Wege des Schleich*
handeis, der Bestechung, was schon dadurch bewiesen wird, daß der Arbeits*
betrieb in der Munitionsindustrie nicht vom Unternehmertum eingestellt wurde.
Solches wäre gewiß geschehen, wenn die Unterbindung des Transportes wirklich
wirksam und durchgreifend gewesen wäre.
Um in die österreichische Söldnerarmee der sogenannten „Wehrmacht" auf*
genommen zu werden, muß der Eintretende einen Eid schwören, ein Gelöbnis,
das ihn zur absoluten Befolgung der Disziplin verpflichtet, bei sonstiger schwerer
Bestrafung. Es ist interessant, daß diese ganze Militärordnung größtenteils und
unter der Regierungsperiode des sozialdemokratischen Staatssekretärs für Heer*
wesen, Dr. Julius Deutsch, ausgearbeitet wurde und zur gesetzlichen Annahme
gelangte. Während die Hinterbliebenen und Invaliden des Weltkrieges mit ge*
radezu lächerlichen, erbarmungswürdigen Pensionen abgefertigt worden sind,
wird den Angehörigen der neuen Söldnerarmee ein ziemlich gutes Einkommen
und Existenzniveau geboten, nur um ihren bedingungslosen Gehorsam im In*
teresse der Aufrechterhaltung des bestehenden kapitalistischen Systems ge*
sichert zu haben. Und obwohl es für das österreichische Volk ganz gleich*
gültig ist, ob Westungarn — als Geschenk des St. Germainer Friedensvertrages —
zu Oesterreich kommt oder nicht, wird diese Frage dennoch einmütig von allen
politischen Parteien als eine „wichtige" erklärt, und ihretwegen — in diesem Fail
unter dem Schutz der Entente — gewaltig mit dem Säbel geklirrt. Auch ist es
sicher, daß, wenn es wegen Westungarn zu einer kriegerischen Auseinander*
setzung käme, alle politischen Parteien einmütig vorgingen, zur „Befreiung" von
Westungarn würden sie Westungarn lieber verwüstet und verheert als bei
Ungarn geblieben sehenl
Gegen alle die vorgenannten Strömungen, Zustände und politischen Situa*
tionen machen als erklärte antimilitaristische Elemente nur drei Organisationen
Front und wenden sich gegen jene in ihrer Totalität. Es ist dies der Bund
herrschaftsloser Sozialisten, der unter den Arbeitern propagiert, der Bund der
geistig Tätigen, dessen Propaganda sich vornehmlich und fast nur auf die Ins
tellektuellen erstreckt und der Versöhnungsbund, der vom christlich*religiösen
Standpunkt aus wirkt. Außer diesen Gruppen ist keine Organisation vor*
handen, die wirklich antimilitaristisch aufträte oder sich betätigte. Als public
zistisches Organ des österreichischen Antimilitarismus erscheint regelmäßig nur
„Erkenntnis und Befreiung", Wochenschrift des herrschaftslosen Sozialismus, in
Wien. In allen, sehr häufigen und bei allen in* und ausländischen Anlässen ein*
berufenen Versammlungen wird der prinzipielle und absolute Antimilitarismus in
den Vordergrund gerückt. Die antimilitaristische Bewegung in Oesterreich trägt
den Stempel des Antipatriotismus, des Antinationalismus und der Verweigerung
des Waffen* und Militärdienstes in jeder Form und unter allen Staatsformen aus*
geprägt an sich.
Eingelaufene Briefe und Mitteilungen.
Sonntag morgen erstattete Giesen Bericht über die Kongreßteilnehmer und
teilte mit, daß mehrere Abgeordnete, zusammen ungefähr 25, infolge Paß*
Schwierigkeiten und dgl. nicht anwesend sein konnten. Von folgenden Personen
und Organisationen waren Briefe eingelaufen: Ausschuß für anarchistische Be*
Ziehungen in Barcelona, Mondo*Paco (Weltfrieden) in Wien, Kinema*Kreuzzug
in New York, Magnus Schwantje in Berlin, Dänischer Landesverband des
Internationalen Frauenbundes für Frieden und Freiheit, Stefan Villyamy in
Ungarn, Freie Arbeiter*Union (Syndikalisten) Deutschlands, Ortsgruppe der Syn*
dikalisten in Wiesbaden, Friedensbund von Kindern in Kopenhagen, Maurice
Wullens (Redakteur von „Les Humbles") in Paris, Louis Bertoni im Namen
der Schweizer Anarchisten und revolutionären Syndikalisten, Bund der geistig
Tätigen (Franz Kobler) in Wien, Räte syndikalistischer Arbeiter (C. L. Raim*
bault) in Paris, Arbeiter*Ido*Klub in Kopenhagen, Exekutiv*Ausschuß des Inter*
nationalen Frauenbundes für Frieden und Freiheit in Genf, Oertliches Arbeits*
Sekretariat in Amsterdam, Niederländische Federation von Arbeiter*Esperan=
tisten. Freier Jugendverband der Niederlande, Friedensverein in Manchester.
L. J. Bott (Catholic Friends) in England, Nicht*Kombattantenverein in London,
und andere.
Dienstverweigerungsmanifest von Frauen.
Ein von Alice Park (in Palo Alto, Kalifornien) eingesandtes Dienstver*
weigerungsmanifest wird vorgelesen. Zufolge eines Beschlusses des Frauenkon*
gresses 1919, keinen Krieg mehr auf irgendwelche Weise zu unterstützen, son*
dem ihr! nötigenfalls durch internationalen Frauenstreik unmöglich zu machen,
ruft man darin die Frauen und Mütter aller Länder auf, durch ihre Unterschrift
zu erklären, daß sie allen organisierten Mord als menschenunwürdig betrachten
und an keinerlei unmittelbarer oder mittelbarer Kriegsarbeit teilnehmen werden.
Biologische Bedeutung des Krieges.
Der Vorsitz wurde Dr. Helene Stöcker (aus Berlin) übertragen.
Prof. G. F. Nicolai (aus Berlin) führte über die biologische Bedeutung des
Krieges folgendes aus: Es hat keinen Zweck, den Krieg einfach zu verneinen.
Beim Ausbruch des Weltkrieges scheiterte sowohl die Internationale der So*
zialdemokratie wie auch die der Wissenschaft der Sozialdemokratie wie auch
die der Wissenschaft und Religion. Moralgebote verfehlen ihre Wirkung, so
lange sie noch nicht tief in der menschlichen Natur verankert sind. Um den
Krieg mit Erfolg zu bekämpfen, muß man ihn erst biologisch verstehen, das
heißt, ihn aus der Natur der Kriegführenden erklären. Weiß man einmal, unter
welchen Bedingungen Kriege notwendig entstehen, dann kann man sie leicht
überwinden, indem man diese Bedingungen aufhebt. Einst waren Kriege der
Menschheit nützlich. Jetzt sind sie es nur für eine kleine wertlose Minderheit
und sind deshalb für die Allgemeinheit schädlich. Die Trennung der Menschen
in Rassen und Völker erscheint uns jetzt als zufällige widernatürliche Folge des
früheren Mangels an zweckmäßigen Umgangsmitteln. Nationale Selbständigkeit
hat heutzutage nur noch traditionellen und kulturellen Wert; vom Gesichts*
punkte der Lebensentwicklung hat sie keinen Wert mehr. Naturwissenschaft*
lieh kann man beweisen, daß das menschliche Geschlecht eins ist, und daß es
nur eine menschliche Rasse gibt. Gelingt es nun, der Menschheit diese These
ins Herz zu prägen, dann ist hiermit die naturwissenschaftliche Grundlage ge*
schaffen, um mit Beibehaltung der Kulturwerte der einzelnen Völker einen
Bund freier Nationen zu bilden, worin die Menschheit, befreit von den fort«
währenden Hindernissen der gegenseitigen Vernichtungskriege, mit beispielloser
Energie ihren lebensfördernden Kampf aufnehmen kann gegen alles, was kein
Menschenantlitz trägt (Tiere, Krankheiten und Naturkräfte) und kommende
Geschlechter ungeahntem Glück entgegenführen wird. Entweder muß der
Gedanke, der diese Zusammenkunft beseelt, Tatsache werden, oder das alte
Europa wird untergehen.
Bericht des Niederländischen Landesverbandes.
Im Namen des holländischen Landesverbandes des I.A.M.V. bedauerte
M. de Boer (aus Amsterdam), daß der Charakter des Vereins seit 1904 noch so
wenig international war, hoffte aber, daß man von nun an von einem Inter;
nationalen Antimilitaristischen Verein sprechen könne. Der holländische
Landesverband des I.A.M.V. zählt 80 Ortsgruppen und einige tausend Mitglieder
und hat seit Jahren eine rege Tätigkeit entfaltet. Zehntausende Flugschriften
und Broschüren wurden verbreitet. Das Organ „De Wapens Neder" (Die
Waffen nieder) erscheint monatlich in einer Auflage von ungefähr 18 000
Exemplaren. Redner betonte die Bedeutung des von 1200 Personen unterzeich;
neten Dienstverweigerungsmanifestes. 600 Mann verweigerten den Militär*
dienst; 65 000 Gulden wurden als Unterstützung an die Familien der Bedürf*
tigen unter ihnen ausbezahlt. Der I.A.M.V. hat immer in allgemeinen revolu;
tionären Aktionen mitgewirkt und unterstützte die Bewegung, welche die in?
dischen Kolonien von Holland abzulösen sucht. Wenn jetzt in der hollän;
dischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Antimiltarismus stärker wird,
so ist dies nicht zum mindesten dem mittelbaren Einfluß des Vereins zu
verdanken.
Telegramme von und an Frau F. Domela Nieuwenhuis.
Sonntag mittag eröffnete De Ligt die Versammlung mit der Mitteilung, daß
von Frau F. Domela Nieuwenhuis ein Telegramm eingelaufen war, worin sie
ihre Sympathie und Kameradschaft bezeugte. Der Kongreß beschloß hierauf,
mit einem Grußtelegramm zu antworten.
Die sittlichen Folgen des Krieges.
Der Vorsitz wurde nun Ernest H. Fletcher (aus Bilthoven, Holland) über;
tragen.
Wilfred Wellock (aus London) spricht über die sittlichen Folgen des Krieges.
Es ist ein großer Unterschied zwischen den primitiven Völkern, die mit Stolz
die Schädel und Ohren ihrer erschlagenen Feinde zeigen, und dem jetzigen
Menschen, der sich dessen schämt, was er im Kriege geleistet hat. Dies zeigt
das Wachsen des sittlichen Bewußtseins. Einst wurde alles von der Frage nach
Nahrung und Lebensgewißheit beherrscht. Besonders unter ungünstigen Natur;
umständen fühlten Stämme und Völker sich verpflichtet, einander in wildem
Kampf ums Dasein gewalttätig zu massakrieren. Noch ganz von der Natur
umgeben, lebte man nach den Grundsätzen dieser Natur. Der Krieg war not;
wendig und wurde als sittlich empfunden. Die Einheit des Blutes, den Zu;
sammenhang miteinander erlebte m^p religiös in seinen Göttern. Der eigene
Gott war lanqe Zeit der gute Gott, in dessen Namen man freimütig Fremde
tötete. Infolge der Entwicklung von Technik und Verkehr nahm die Pro;
duktion zu und wuchs die menschliche Persönlichkeit. Dies äußerte sich u. a.
in religiösen Konflikten. Auch hatte man wegen seines Gottesdienstes ums
Dasein gekämpft (Religionskriege) und das organisierte Menschentöten als eine
sittliche Notwendigkeit erfahren. Gleich wie mit wissenschaftlicher Entwick;
lung die Naturbeherrschung zunimmt, wächst mit religiöser Entwicklung die Ver;
träglichkeit. Man lernt einsehen, daß der Mensch ein geistiges Wesen ist und
betrachtet schließlich Töten als die größte Sünde. Unter dem Kapitalismus wird
diese Anschauung jedoch nicht anerkannt: eine kleine Gruppe von Großkapita;
listen beherrscht die Produktion so, daß die große Masse nicht mehr ihre Bedurft
nisse befriedigen kann. Im imperialistischen Kriege werden die Menschen gegen*
einander aufgepeitscht und die sogenannten Feinde als Barbaren hingestellt. Der
entstehende sittliche Streit wird unterdrückt. Dies ist die tiefste Ursache der
heutigen Entsittlichung: Man denke an die Zustände in Irland, Indien, Mesopo*
tamien, Arabien usw.; man denke an die Demoralisation in England selbst und
in allen kapitalistischen Ländern: Gewinnsucht, Unsittlichkeit und Geschlechts«
krankheiten wüten; es gibt keine Achtung vor dem Leben mehr. Während
England und Amerika zum Kriege rüsten, kommt das ganze Gesellschaftswesen
unter die Herrschaft einer immer kleineren Anzahl Menschen. Es erscheint nicht
wenig Zivilisation nötig, um gute Sklaven heranzubilden. Der Empörung der
Indier zollte Redner Beifall. Was Rußland betrifft, werden wir erst ein Recht
haben, es zu kritisieren, wenn wir hier mehr und besseres leisten. Mit Vernunft
und Geist haben wir einen neuen Weg zu bahnen. Berufen wir uns auf Gewalt
und niedrige Instinkte, so werden wir selbst niedrig. Jedoch kann man sich auch
auf das Höchste berufen. Mit dem Geiste fühlen wir uns stärker als mit den
Muskeln. Neue Erziehung ist erforderlich, kräftige Propaganda, starke Organi*
sation, um zu verhindern, daß die Menschheit in Barbarei zurückfällt. Unser
Gegner ist sehr mächtig, aber wir glauben an neue psychologische Möglichkeiten.
Krieg und Militarismus.
Marius Hanoi (aus Paris), der infolge Krankheit am Kommen verhindert war,
hatte seine Rede über Krieg und Militarismus niedergeschrieben, damit sie
auf dem Kongreß von Henri Delecourt vorgelesen werden sollte. Ohne Paß
unterwegs nach dem Haag, wurde diesem in Antwerpen die Weiterreise unmög-
lich. Trotzdem gelang es ihm, uns Hanots Rede durch einen der Kameraden
überbringen zu lassen. Wir entnehmen daraus folgendes:
/. Militarismus vor dem Kriege. — Es liegt im Interesse der kleinen Gruppe
von Herrschern und Regierern, den Krieg lebendig zu erhalten und den Völker;
haß zu schüren. Doch werden nach einigen Jahrhunderten die Haßgefühle der
Franzosen und Deutschen den Menschen lächerlich erscheinen. Man wird be-
greifen, daß man, anstatt sich gegen Mitmenschen zu wenden, lieber Elend, Un*
wissenheit, Krankheiten und Unfälle als Feinde bekämpfen sollte (Charles Richet).
Seit 1871 wurde in Frankreich der Vergeltungsgedanke in Hinsicht auf Deutsch*
land systematisch genährt, u. a. von Deroulede und Barres. Man nahm den drei»
jährigen Dienstzwang an, wie sehr er auch Deutschland reizen mußte; man ver*
bündete sich mit dem autokratischen Rußland. Die auf Frieden hinzielende
Politik von Caillaux (Agadir*Frage) wurde zur Seite gestoßen und gegen An*
schauungen im Geiste Millerands eingetauscht. In Frankreich wütete wüster
Chauvinismus und für die Kolonien schien „Krieg" dasselbe wie „Zivilisation"
zu bedeuten. Dies alles förderte den Militarismus. Im übrigen wurden die
Heere auch gegen den Feind im eigenen Lande angewendet. Wie früher Fürst,
Priester und Kriegsmann, entscheiden jetzt Industrieller, Kaufmann und Kriegs*
gewinnler.
//. Militarismus während des Krieges. — Im August 1914 zogen auch die
Franzosen in den Krieg, irregeleitet von den offiziellen Sozialisten, von den Lei*
tern der Confederation Generale du Travail, voa der bürgerlichen und sozial*
demokratischen Presse. Endlich drang es jedoch zu ihnen durch, daß nicht
Deutschland, sondern alle kapitalistischen Länder für den Krieg verantwortlich
waren. Zweimal schlugen die Herrscher ein Friedensangebot ab. Seitdem war
es klar, daß die Soldaten nicht ihr Vaterland, sondern den Kapitalismus vertei*
digten. Welchen Nutzen zog das französische Volk aus der Landesverteidigung?
Verwüstete Städte und Dörfer 3 720
Gänzlich zerstörte Häuser 310 209
Verwüstete Fabriken 11 506
Teilweise zerstörte Häuser ....... 313 675
Obdachlose Personen 2 712 000
Zerstörte Brücken und Viadukte .... 4 785
Verlorengegangenes Vieh 20 000 000
Französische Tote 1500 000
Französische Verstümmelte 274 000
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///. Militarismus nach dem Kriege. Man behauptete, daß Frankreich für
die Vernichtung des Militarismus und für die Freiheit kämpfte. Der Genfer
Friedensvertrag lehrt jedoch etwas anderes. Keine der moralischen Verpflich*
tungen, die man während des Krieges übernommen hatte, erfüllte man. Säbel und
Kommisstiefci regieren. Man unternimmt militärische Expeditionen nach Ruß*
land, Mesopotamien, Cilicien, Syrien, Polen und Marokko. Frankreich steht hinter
Denikin, Koltschak, Wrangel und Pilsudski. Der Rhein wird besetzt, das Ruhr*
becken bedroht. Militärischer Dienstzwang von 18 Monaten bis zu 3 Jahren
wird eingeführt, die Freiheit des Denkens unterdrückt! Nur die Revolution kann
uns retten. Antikapitalistischer Antimilitarismus muß auf alle mögliche Weise
propagiert werden, besonders im Zusammenwirken mit deutschen Kameraden.
Laßt uns unaufhörlich kämpfen und uns nicht als besiegt ergeben.
Militarismus und Klassenkampf.
Da Henriette Roland Holst - van der Schalk (aus Zundert, Holland)
verhindert war, bat man ihren Parteigenossen, den Kommunisten J. Brommert jr.
(aus Enschede, Holland), ihre Thesen vorzutragen. Dieser erklärte sich hierzu
bereit und ebenfalls geneigt, diesbezügliche Fragen und Bemerkungen zu beant*
worten.
Henriette Roland Holst führte aus, daß in der jetzigen gesellschaftlichen
Phase der Militarismus gebraucht wird: 1. um die Interessengegensätze der
Herrscher auszukämpfen und unterdrückte Völker auszubeuten; 2. um das
Proletariat in eignen und anderen Ländern unterdrückt zu halten; 3. um Länder,
wo das Proletariat mit der Erfüllung seiner historischen Aufgabe einen An«
fang macht, möglichst zu vernichten. Dies muß als ein zusammenhängendes
Ganzes bekämpft werden. Der Charakter dieses Kampfes hat sich nach den
augenblicklichen Umständen zu richten. Besonders Sabotage, Arbeits* und
Dienstverweigerung erfüllen darin eine bedeutende Rolle. Hierzu muß fort«
fahrend und international antimilitaristische Propaganda geführt werden. Man
wende sich nicht nur an die Soldaten, sondern schon an die Jugend, besonders
auf dem Lande. Man verstehe unter Militarismus nicht nur Milizheere, sondern
auch die Organisation von Bürgerwehren, Polizei, Grenzwache usw. Diese sind
jedoch für die antimilitaristische Propaganda so gut wie unzugänglich. In
revolutionären Uebergangszeiten werden sie im Dienst der herrschenden Klassen
stehen. Diese werden außerdem Eingeborene, Kolonialtruppen usw. gegen das
Proletariat anwenden. Dieses hat daher in erster Linie von der Bourgeoisie
und ihren Trabanten Entwaffnung zu fordern. Jedoch kann diese Entwaff*
nung nur durchgeführt werden, wenn das Proletariat bewaffnet ist. Nach
dieser Auffassung sind rote Heere antimilitaristische Einrichtungen, Werkzeuge
zur Befreiung arbeitender Massen. Die hier und da und endlich überall ent*
stehenden roten Heere werden schließlich das internationale rote Heer der
Revolutionäre bilden. Für Imperalisten ist Gewalt erstes Hilfsmittel. Die
tierische Grausamkeit der bürgerlichen Klasse kann und will das Proletariat in
seiner revolutionären Vorstellung nicht zum Beispiel nehmen. Im allgemeinen
handhabt das Proletariat die Gewalt mit Widerwillen. Seine wichtigsten Mittel
sind Propaganda und Ueberzeugung. Wenn auch proletarische Revolution ohne
Gewalt unmöglich ist, so ist es doch unsere Pflicht, Gewalt und Blutvergießen
möglichst zu beschränken. —
Bei dem hierauf folgenden ausführlichen Gedankenaustausch erklärte
Brommert, daß seiner Meinung nach die Gewalt nur ein sehr bedeutender
NebenfaktoT ist. Hauptsache ist die Geisteskraft des revolutionären Proleta*
riats. Im äußersten Notfalle muß seiner Meinung nach das Proletariat seine
Zuflucht zu allen Mitteln nehmen. Es handelt sich nicht darum, ob ein Mittel
gut oder schlecht ist, sondern nur, ob es zweckmäßig ist. Redner meint, daß
in kommunistischen Gemeinschaften, die Gewaltmittel für ihre Aufrechterhaltung
und Organisation anwenden, auch für die sogenannten Absolutisten Raum ist.
Sie könnten sich nämlich mit dem wirtschaftlichen Aufbau der neuen Gesell*
schaft beschäftigen. Unter gewissen Umständen wäre es jedoch, wie Brommert
meinte, sehr gut möglich, daß auch gegen sie mit Gewalt vorgegangen wird.
Es gibt kein höheres Ziel als das allgemeine Glück der Menschheit, und hier«
für müssen unbedenklich alle nötigen Mittel gebraucht werden,
u
Zusammenwirken mit den unterdrückten farbigen Rassen.
Hiernach sollte Dr. Armin T. Wegner sprechen, der aber auch wieder durch
Paßschwierigkeiten verhindert war, wie sich im letzten Augenblick heraus*
stellte. Seinen uns zugesandten Thesen entnehmen wir folgendes:
Der Antimilitarismus hat das Ziel, die Völker von den Leiden des Krieges
und von kapitalistischer Unterdrückung zu befreien. Militarismus und Kapita*
lismus (Gewalt und Habsucht) sind die beiden wesentlichen Kennzeichen der
Zivilisation des modernen Europas. Jedoch sind diese fürchterlichen Trieb*
federn bei keiner Gelegenheit so ungeschminkt zum Ausdruck gekommen, wie
in der Stellung Europas gegenüber den orientalischen Völkern. Darum kann
der Kampf für die Aufhebung ihrer Herrschaft nur dann zu segensreichem
Ende führen, wenn er in engster Verbindung mit den kolonisierten Völkern aus*
gefochten wird. 1. Die Länder des Orients mit ihren großen wirtschaftlichen
und Kunstschätzen bieten der kapitalistischen Habsucht die stärkste Ver*
lockung. Darum hat Europa immer versucht, sich mit rücksichtsloser Ge*
walt dieser Länder zu bemächtigen. Die meisten Kriege der letzten Jahr?
hunderte sind Handels* oder Kolonialkriege gewesen, die im Besitz orientalischer
Länder ihren Ursprung fanden, oder Kriege zur Eroberung solcher Länder oder
auch Kriege, die Länder des Okzidents wegen ihrer Kolonien führten (eng*
lischer Krieg in Indien, Frankreichs Krieg in Afrika, spanisch* holländische
Kolonialkriege usw.). 2. Da die unterworfenen Völker des Orients sich jedes*
mal aus ihrer unnatürlichen wirtschaftlichen und politischen Unterdrückung
zu befreien suchen, führt dies wieder zu neuen Kriegen, Aufständen und Revolu*
tionen (Indien, Aegypten, Deutsch*Südwestafrika, China usw.). 3. Europa hat
durch die mechanisierenden, geisttötenden Mittel seiner Wirtschaftspolitik und
Frondienste schon viele Völker des Orients zu gleichen Maßregeln gezwungen
und mit denselben Gewaltideen vergiftet. Hierzu bieten das beste Beispiel die
Japaner, die man schon aus diesem Grunde die Preußen des Orients genannt
hat Diesen Prozeß nun, die Militarisierung des Orients, gilt es aufzuhalten.
Der Kampf gegen den Militarismus kann nur dann erfolgreich sein, wenn er in
allen Ländern zugleich geführt wird. Hierzu gehören vor allem auch die Länder
des Südens und des Ostens, denn der größte Teil der Erdoberfläche liegt im
Orient. Allein 900 Millionen Menschen wohnen in Asien. 5. In ihren orientali*
sehen Kolonien besitzen die europäischen Mächte große Menschenvorräte, die
sie gewissenlos ohne Erbarmen zu Heeresbildung und Krieg verwenden, ohne
sich selbst dabei in Gefahr zu begeben. Die Engländer gebrauchen so die
Indier, die Franzosen die Afrikaner. Darum gilt es, die Eingeborenen zu dem
Bewußtsein zu bringen, daß sie mißbraucht werden, damit sie sich in eignem
Interesse bei neuer Pressung dem Kriegsdienste für die Ziele Europas wider*
setzen. 6. Die kapitalistischen Staaten des Okzidents bilden einen geschlossenen
Ring von Weltunternehmern, kraft dessen sie die immer mehr verarmten Völker
des Orients als Fabrikstagelöhner rastlos arbeiten lassen. Diesen Kordon muß
man durch Zusammenschluß aller besitzlosen Völker des Orients zersprengen.
7. Der Orient ist die Wiege des Friedensdienstes und aller friedliebenden
Religionen (Taoismus, Buddhismus, Christentum, Bahaismus). Es ist deshalb
anzunehmen, daß der Friedensgedanke auch heute in den orientalischen Völkern
starke Unterstützung finden wird (Tagore). Wenn es noch ein Mittel gibt, um
die unerhörte Mechanisierung der Welt aufzuhalten und den Unter*
gang des Okzidents zu verhindern, so ist dies vielleicht allein noch in dem
unerschöpflichen Brunnquell der orientalischen Seele zu suchen.
Das Los der grundsätzlichen Dienstverweigerer in Rußland.
Am Sonntag abend las K. Boeke (aus Bilthoven, Holland) den Bericht von
Wladimir Tschertkoff (in Helsingfors) vor, der wegen Paßschwierigkeiten nicht
anwesend sein konnte. Tschertkoff betont die große Bedeutung der Propaganda
Tolstois für die Dienstverweigerung. Die Zahl der Dienstverweigerer ist unmög*
lieh anzugeben. Es sind 837 Fälle von Dienstverweigerung aus absolutistischen
Gründen bekanntgeworden, die zwischen 1914 und 1916 vorkamen. Die diesen
Leuten auferlegten Strafen waren außergewöhnlich schwer. Unter der vor*
läufigen Regierung Kerenskis wurde allen gefangenen Dienstverweigerern
Amnestie verliehen. Als die Sowjetrepublik gerade errichtet worden war, ent*
12
ließ man alle Dienstverweigerer. Doch das wurde bald anders. In manchen
Bezirken warfen die örtlichen Militärbehörden sie ins Gefängnis, in andern
wurden sie zur Arbeit gezwungen, die an Stelle des Militärdienstes trat. Wieder
anderwärts wurden sie als Verräter des Sozialismus betrachtet und als Fahnen<
flüchtige hingerichtet. Im Herbst 1918 traten verschiedene religiöse Gruppen
und Sekten, wie Baptisten, Mennoniten, Adventisten und der Moskauer Toi«
stoianische Verein für wirkliche Freiheit zu einem Kongreß zusammen und
wandten sich mit einer Eingabe um Gewissensfreiheit auch betreffs des Kriegs«
dienstes an die Sowrjetregierung. Die Antwort hierauf war das Dekret des
Rates der Volkskommissare vom 4. Januar 1919: 1. Personen, die aus religiösen
Gründen den Dienst verweigern, können sich beim Volksgericht melden mit
der Bitte, während ihrer Dienstperiode selbstvertretende Arbeit zu leisten, zum
Beispiel im Dienste des Roten Kreuzes, in den Hospitälern gegen ansteckende
Krankheiten usw., nach eigner Wahl. 2. Zur Beurteilung jedes Falles erbittet
das Volksgericht ein Gutachten vom Moskauer Vereinigten Rat Religiöser Ge«
meinschaften und Gruppen. Dieser hat glaubhaft zu machen, daß der Be=
treffende aufrichtig und ehrlich handelt und eine religiöse Anschauung vertritt,
die keinen Militärdienst erlaubt. 3. Ausnahmsweise hat dieser Rat das Recht,
nach einstimmigem Beschluß den Vorstand des Allrussischen Zentralen Exekutiv«
Ausschusses zu ersuchen, gewisse respektable Persönlichkeiten gewisser religiöser
Anschauungen ohne irgendwelche stellvertretende Arbeit vollständig vom
Militärdienste zu entheben. — Dieses Dekret wrurde jedoch bei weitem nicht
überall ausgeführt. In mehreren Bezirken, zum Beispiel Wladimir, Smolensk.
Samara und anderen, verfolgte man die Dienstverweigerer weiter und warf sie
ins Gefängnis. Hörte der Vereinigte Rat von einem solchen Falle, so wendete
man sich sofort an die Behörden. Diese griffen ein, und das Urteil wurde, wenn
möglich, widerrufen. Viele haben dem ihr Leben zu verdanken. Oefters
kümmerten sich jedoch die Ortsbehörden nicht um die Schritte der Zentral«
gewalt. So wurden zum Beispiel in Smolensk 7 grundsätzliche Dienstver«
•seigerer erschossen. Einmal sandten Behörden einen Dienstverweigerer zu
Koltschaks Heer, damit er dessen Zucht untergrabe. Weiter wiesen manche Dienst«
verweigere- die Vermittlung des Rates zurück, weil sie meinten, nur mit eignen
Geisteswaffen kämpfen zu müssen. Einige Mitglieder des Vereinigten Rates,
darunter auch Tschertkoffs Vater, halten ihre Tätigkeit mehr und mehr für
unmöglich. Sie «lauben weder imstande zu sein, noch das Recht zu haben, über
anderer Leute Ueberzeugung und Gewissen zu urteilen. Tscherkoffs Brief
endigte mit einem Auszug aus einem Brief, den ein grundsätzlicher Dienst«
Verweigerer vor dem Augenblick seiner Erschießung geschrieben hatte.
Antimilitarismus, Frauen und Erziehung.
Der Vorsitz wurde nun dem Kameraden Fritz Lieb faus Zürich) übertragen.
Dr. Helene Stöcker (aus Berlin) begrüßte den Kongreß als Mitglied des Haupt«
Vorstandes des Deutschen Bundes der Kriegsdienstgegner und als Vertreterin
des Internationalen Frauenbundes für Frieden und Freiheit. Die Frau, fuhr sie
fort, die durch den Weltkrieg aufs greulichste beleidigt worden ist. hat ganz
besonders die Aufgabe, eine Weltanschauung und eine Gesellschaftsordnung
zu bekämpfen, die Krieg und blutige Gewalt verherrlicht. Ein Teil der Frauen
ist sich dieser hohen Aufgabe bewußt. Neben der männlichen Xeigung nach
Herrschaft ist es notwendig, im öffentlichen Leben auf die wreihliche N'eigung
nach Milde ("die natürlich nicht nur an d^s weibliche Geschlecht gebunden ist)
/u ihrem Rechte kommen zu lassen. Es liegt im Wesen der Frau als Geberin
des Lebens, daß sie alle Mittel verteidigt, die dem Leben, der Kultur und dem
Frieden dienen, und daß sie sich allen Bestrebungen widersetzt, die in «ewalt«
ti'tiger Richtung führen und damit Tod und Verderben verewigen. Als Hüterin
des Lebens muß sie vor dem Kriege als einer Gefahr für das Menschengeschlecht
warnen und Lebenserhaltung und Achtung vor dem Leben als Grundsätze der
Weiblichkeit und Mutterschaft zum Siege führen. Schon der Jugend muß klar«
gemacht werden, daß Krieg überhaupt, rieht nur der sogenannte Eroberungs*
krieg, das große Verbrechen ist. wofür schließlich alle diejenigen mitveranrwort«
lieh zu machen sind, die an das sittliche Recht der Xotwehr glauben. Solange
die ganze Welt den Verteidigungskrieg als gerechtfertigt betrachtet, hat man
kein Recht, diejenigen als Verbrecher zu behandeln, die dieser Auffassung
13
gemäß ihre Pflicht taten, aber zufällig zu den besiegten Völkern gehören. Klare
Erkenntnis des verhängnisvollen Selbstbetruges, daß mörderische Notwehr er«
laubt wäre, muß bereits in den empfänglichen Boden der Kinderseele gepflanzt
werden. Die Lehre vom Heere als einem Notwehrmittel muß man eben so
gründlich abschwören wie die Eroberungsgeliiste. Dies muß allen inkonsequenten
Pazifisten, allen Sozialdemokraten und bürgerlichen Friedensfreunden bei»
gebracht werden. Schon Nietzsche sagte, daß ein Volk endlich lernen sollte,
freiwillig das eigene Schwert zu zerbrechen. Hätte es das Vorurteil des Vcr*
teidigungskrieges nicht gegeben, dann wäre der Weltkrieg nie ausgebrochen oder
hätte wenigstens nicht solchen Umfang angenommen. In Zukunft muß jedem
Menschen von der Jugend an beigebracht werden, daß niemand an der teuf«
lischen Barbarei des Krieges, einerlei unter welchem Vorwand, teilnehmen darf.
Besonders die Frau hat einzusehen, daß das unantastbare Recht jedes Menschen,
der geboren wurde, das Leben selbst ist. Das Christentum hat uns den Wert
der menschlichen Persönlichkeit gelehrt. Hieraus ergibt sich, daß nicht allein
der Kapitalismus, sondern auch die falsche Erziehung bekämpft werden muß.
als hätte der Staat das Recht, frei über Leben und Tod seiner Bürger zu ver*
fügen. Weder die Sozialisten der Zweiten Internationale, noch die der Mos*
kauer, haben dies genügend in sich aufgenommen. Wenn man schon die wirt*
schaftliche Ausbeutung des Lebens brandmarkt, wieviel mehr dann die fürchter*
lichste Ausbeutungsform, die mittels des Krieges das Leben selbst raubt. Das
so wenige dies erst einsehen, kommt hauptsächlich von falscher Erziehung. Die
Anerkennung der Heiligkeit menschlichen Lebens kann «Hein die Grundlage
einer neuen Gesellschaft bilden. Notwendig ist es, freie Bahn zu schaffen für
einen Geist von Liebe, Erkenntnis und gegenseitiger Hilfsbereitschaft.
Lichtbilder.
Danach zeigte der frühere Offizier G. W. Meyer (aus Bremen) eine Reihe
Lichtbilder, die den verstümmelnden und lebenzerstörenden Charakter des
Krieges mit erschütternder Deutlichkeit demonstrierten. „Vergeßt nicht", riet
er auf Englisch, Esperanto und Französisch den Anwesenden zu, „daß es
Menschen sind wie wir, Väter und Söhne!"
Militarismus, Kommunismus und Antimilitarismus.
Nun folgte Vorlesung der ausführlichen Rede von Pierre Ramus (Rudolf
Großmann aus Wien), der wegen Paßschwierigkeiten dem offiziellen Teil des
Kongresses nicht beiwohnen konnte, jedoch im Haag anwesend war. Seiner
Meinung nach war der Zweck gesellschaftlicher Bewaffnung durch irgendwelchen
Häuptling, Fürst, Präsident oder Sowjetdiktator nie die Sicherung gesellschaft*
liehen Interesses, sondern diente stets zur Aufrechterhaltung der Machtstellung
derjenigen, die für das autoritätsgläubige Volk das Interesse der Gemeinschaft
verkörperten. Wußte eine neue Gruppe durch bewaffnete Minderheiten die alten
Herrscher zur Seite zu werfen, dann entartete sie bald zu neuen Machthabern,
Und das Volk, das durch Kirche und Schule und öffentliche Meinung und sitt*
liehe Theorien bearbeitet worden war, erkannte die neue Macht als Staat an.
Welche Form dieser Militarismus auch immer annimmt, ob Volksmiliz, Wehr*
pflicht, Söldnerheere, er kann nie die Grundlage gemeinschaftlichen Interesses
sein und stellt sich immer als Mittel der Herrschaft, Gewalt und Ausbeutung
heraus, was im Weltkrieg klar zutage trat. Jeder Staat, auch der einer prole*
tarischen Sowjetdiktatur, hat Militär nötig und muß daher denselben Grundsatz
eiserner Disziplin und Gewalt anwenden, wie die imperialistischen Staaten. Der
Zusammenbruch Rußlands, Oesterreich*Ungarns und Deutschlands bewies, daß
der Militarismus die Grundlage von Staat und Volksausbeutung ist. Leider
lebte der Gedanke eines positiven und aktiven Antimilitarismus so gut wie nicht
im Proletariat, und seine Leiter, ganz unter dem Einfluß der Theorien von 1793,
schufen einen neuen Militarismus und befestigten so die Staatsmacht. Dennoch
hat der Weltkrieg den Kapitalismus angetastet und seinen Zusammenbruch in
Möglichkeit gestellt. Wenn nun das Proletariat nur einsehen würde, daß jeder
Krieg allein dem Interesse von Kapital, Besitz und Regierung dienen kann.
Einziger Ausweg ist Anrimilitarisierung der Gesellschaft. Der Militarismus
ist die Waffe des Staates, die sich dem Lebensgrundsatze des eigenen Volkes und
14
der ganzen Menschheit entgegenstellt. Er ermöglicht dem Staate die Beschützung
des Eigentumsmonopols, entzieht der Gesellschaft einen großen Teil der Pro*
duktionskräfte und vergeudet menschüche Arbeit zur Waffen» und Munitions*
fabrikation. In diesem Lichte gesehen, ist der Militarismus der Kern der sozialen
Frage. Antimilitarisierung der Gesellschaft bedeutet Vorbereitung und Ueber*
gang zur Aufhebung aller gesellschaftlichen Monopole, d. h. zum Kommunismus,
der ebenso wirtschaftlich wie zweckmäßig ist. Antimilitarismus ist die Grund*
läge zum Kommunismus, und Aufhebung des Monopols bedeutet Entfernung
aller Herrschaft. Das wesentliche Ziel von allem Antimilitarismus ist kommu*
nistische Anarchie. Aktiver und passiver Antimilitarismus ist jetzt der einzige
Ausweg. Der Antimilitarist widmet sich diesem, abgesehen davon, ob die
Gesellschaft sein Ziel schon jetzt erreichen kann. Er verweigert Eid und Militär-
dienst und ist unbedingter Antipatriot. Alle Probleme der Diplomatie, alle
Kolonial? und Wirtschaftsfragen sind nur im Geiste des antimilitaristischen Korn*
munismus zu lösen. Es ist die Kulturaufgabe des Antimilitaristen, der Mensch*
heit vorbildlich zu beweisen, daß die Sache der Freiheit und des Rechts nie auf
mörderische Weise aufrechterhalten werden kann. Hieraus ergibt sich Verzicht*
leistung auf alle Verteidigung, einschließlich der eines sogenannten kommunisti*
sehen Staates. Geschieht dieser Verzicht nicht, so gerät das Volk nicht allein in
Abhängigkeit von allerlei wirtschaftlichen und politischen Machthabern, sondern
wird auch von einem Geiste des neuen Militarismus vergiftet. Die Verherr*
lichung des roten Heeres bringt das Proletariat in den Wahn, daß auch Mili*
tarismus und Krieg Befreiungsmittel für den Klassenkampf seien. Während der
Glaube an besiegende Kraft von Waffengewalt, Militarismus und Krieg schon
lange widerlegt ist, wird er künstlich im Proletariat lebendig erhalten. Infolgedessen
werden alle ethischen und kulturellen proletarischen Interessen auf das mili*
taristische Niveau hinabgedrückt. Die marxistische Auffassung betreffs der
Bewaffnung des Proletariats muß daher verwirrend wirken und einen grundsätz*
lieh reaktionären Geist erwecken. Das Proletariat überhaupt ist keine gleich*
geartete Masse; es hat nur wenige revolutionäre Kerne: allgemeine Bewaffnung
des Proletariats bedeutet deshalb, daß kulturell rückständige Massen befähigt
werden, sich revolutionären Minderheiten entgegenzustellen. Bewaffnung einer
Elitegruppe aus dem Proletariat führt zu willkürlicher Diktatur von Söldnern
oder Parteimachthabern, deren Zuverlässigkeit nicht verbürgt ist. Uebrigens
läßt man unter der Losung, das Proletariat bewaffnen zu wollen, die stets zu*
nehmende und stets mehr verschlingende Waffen* und Munitionserzeugung der
Bourgeoisie fortdauern. Unverfrorenheit, strategische Kenntnis und militärische
Erfahrung sind nun einmal an der Seite der Reaktion. Man blicke nur nach
Mitteleuropa. Dort steht jetzt das revolutionäre Proletariat fast unbewaffnet
einer stark bewaffneten Reaktion gegenüber, die die große Masse des rück*
ständigen Volkes in seinem Dienst hat. Der anarchistische Kommunismus
fordert, daß der Militarismus als Machtzentrale des Staates und Hüter aller
Monopole durch Dienstverweigerung und revolutionär*wirtschaftlichen Kampf
so bald wie möglich aufgehoben werde. Eine neue Jugend* und Volkserziehung
ist erforderlich. Während einer Revolution ist es die Aufgabe der anarcho*
kommunistischen Antimilitaristen, die vollständige Aufhebung aller Militär*
Organisationen zu fordern. Sie erfüllen damit die Aufgabe der Revolution selbst:
Aufhebung von Autorität und Kapitalismus: Entfernung von allem, was ver*
hindert, daß aus der Erde sich freie Kräfte in harmonischem Zusammenspiel ent*
wickeln. Bestände eine in solchem Geiste lebende anarcho*kommunistische Ge*
meinschaft, so würde sie wahrscheinlich militärisch angegriffen. Sie hätte dann
die Aufgabe, der Menschheit zu zeigen, daß man sich noch auf andere Weise
verteidigen kann. Erstens durch Vernichtung des Spukgedankens „Feind".
Findet ein Einfall statt, so wird diesem nicht militärisch widerstanden. Je mehr
dann der sogenannte Feind durchdringt und sich über das Land verbreitet, desto
mehr er seine militärische Macht, die naturgemäß zentralistisch ist, verliert.
Zweifellos würde solche Kampfweise auch Opfer kosten. Wie unendlich groß
Ist jedoch die Anzahl der Opfer, die die verwüstende Gewalt des jesuitischen
Militarismus fordert! Ohne Opfer, ohne zähen, unaufhörlichen Kampf wird die
Menschheit nie zur Befreiung gelangen. Es handelt sich nur darum, was hier
wirklich zweckmäßig ist. Schließlich befindet sich das Proletariat auf dem
Gebiete der Gewalt unter den ungünstigsten Umständen. Dies ist das Sonder*
15
gebiet der Bourgeoisie. Auf antimilitaristischem sozialwirtschaftlichem Gebiet
ist es gerade umgekehrt: hier ist die Bourgeoisie vollständig vom Proletariat ab-
hängig. Sie kann die Industrie nicht militarisieren, wenn das bewußtgewordenc
Volk es nicht will. Von diesem Gesichtspunkte aus enthält der Antimilitarismus
die wesentlichen Methoden der sozialen Revolution in sich. Er ergibt sich als
die Revolution in Permanenz: die fortwährende Umwälzung.
Telegramme.
Am Montag eröffnete J. van Langen (aus Kopenhagen) die Sitzung und er»
teilte Jos. Giesen das Wort zur Vorlesung eingelaufener Telegramme. Aus MeL
bourne, Australien: „Die Australische Friedenskonferenz sendet brüderliche
Grüße". Aus Wien: „Solidarischen Gruß von den konsequenten Antimili*
taristen Rudolf Hacker, Konrad Hofer, Ignaz Holzreyter, Ernst Hübl, Robert
Hynek, Ernst Kerpen, Anton Kulich, Karl F. Kocmata, Moritz Likier, Otto
Lustig, J. Magerer, Ben Mandl, Josef Mottitscha, Johan Podany." Aus Amster*
dam, vom Niederländischen Verein Unabhängiger Typographen: „Unsere besten
Wünsche für das Wohlgelingen dieses Kongresses".
Protest gegen Paßverweigerimg usw.
Da sich endgültig herausgestellt hatte, daß auch Armin T. Wegner, der über
Antimilitarismus, Kolonien und Orient sprechen, und Rudolf Rocker, der Milü
tarismus und Kapitalismus behandeln sollte, wegen Paßschwierigkeiten nicht an*
wesend sein konnten, schlug Jos. Giesen dem Kongreß folgende Protestresolution
vor, die unter großer Begeisterung angenommen wurde:
„Der Internationale Antimilitaristische Kongreß im Haag 1921 protestiert
gegen den offenen und geheimen Widerstand der Regierungen, Behörden und
Polizeiorgane, die u. a. folgenden Personen Pässe verweigerten: R. Großmann
(Pierre Ramus), C. J. Björklund, Armin T. Wegner, Jules Humbert Droz, Rudolf
Rocker und anderen Änarcho*Sozialisten, radikalen Pazifisten, Antimilitaristen
der Dritten Internationale und Syndikalisten. Der Kongreß freut sich jedoch
über die Tatsache, daß hierdurch der revolutionärsantimilitaristische Charakter
des Kongresses dargetan ist, und daß sich hieraus deutlich die Notwendigkeit
schärfster antimilitaristischer Aktion ergibt für die Völker, die das Neue und
das Gute wollen.
Antimilitarismus und Gewerkschaftsbewegung.
Zur Vorlesung gelangt nun die Rede von C. J. Björklund (aus Stockholm),
der den offiziellen Sitzungen des Kongresses nicht beiwohnen, sondern nur seinen
Vortrag über Antimilitarismus und Gewerkschaftsbewegung soeben dem Kon*
greß*Sekretär überreichen konnte. Im Namen der Neu«Sozialistischen Partei
dankte Björklund für die Einladung zum Reden und führte aus, daß der mili-
tärische Apparat noch immer den herrschenden Klassen und Parteien dient, um
mit roher Gewalt Arbeiter, die sich befreien wollen, zu unterdrücken. Darum
haben besonders die Gewerkschaften als Arbeiterorganisationen eine praktische
iintimilitaristische Aufgabe. Sie haben den Kampf der direkten Aktion zu führen.
Das heißt nicht Mord und Totschlag oder unmoralische Politik, sondern eine
Aktion höchster kultureller und sittlicher Werte, sich ergebend aus der Forderung
von Frieden und Gerechtigkeit. Ueberall wird das Militär gegen die Arbeiter
verwendet. So sandte König Oskar II. im Jahre 1879 tausend Soldaten mit
50 000 scharfen Patronen und 6 Geschützen gegen streikende Arbeiter in SundsvaJ.
Aehnliche Maßregeln nahmen die schwedischen Herrscher in den Jahren 1890.
1891, 1892, 1898, ^1900, 1903, 1906, 1908, 1909 während des Generalstreiks, 1917
gegen die Hungerdemonstrationen, 1921. Dasselbe sieht man in allen Ländern,
besonders in Frankreich und Spanien, aber auch in angeblich demokratischen
Ländern, wie Schweiz und Norwegen. Als man jedoch 1903 in Norwegen einen
Walfischfängeraufruhr blutig niederschlagen wollte, weigerten sich die Soldaten
zu schießen und trat einer von ihnen aus den Reihen auf den Hauptmann zu mit
den Worten: „Es ist Ihre Sache zu befehlen, aber unsere Sache, zu gehorchen
oder nicht". Sogar im „freien" Amerika ermordet man Hunderte Arbeiter,
ebenso wie in Deutschland, Rußland usw. Die Arbeiterorganisationen haben sich
daher mit der militärischen Frage zu befassen. Je eher man den Militarismus
16
angreift, desto besser, sonst kommt man mit seinen iMaßnahmen zu spät, und es
fließt unnötigerweise Arbeiterblut. Dies gilt auch für kommende Revolutionen.
In Schweden wird dies von den Gewerkschaftlern eingesehen, obwohl noch lange
nicht praktisch verwertet. Dennoch haben bereits die Elektriker und Typo*
graphen beschlossen, alle Arbeit für den Militarismus zu boykottieren. Be*
sonders muß direkte Aktion geführt werden: sofort weigere man sich, Waffen*
zeug und Heeresbedarf herzustellen, Kasernen zu bauen usw., Waffen, Munition
und Soldaten zu transportieren; denn dadurch ignoriert man die ganze militärische
Mordmaschine. Gegen den Krieg selbst wende man Generalstreik an. Da ein
Teil der Arbeiter sich immer wieder als Soldaten gegen das Proletariat hergibt,
ist es nötig, zu sorgen, daß das Verhältnis zwischen Arbeitern und Soldaten das
möglichst beste sei. Neue Erkenntnis und neue Gesinnung muß in ihnen er«
weckt werden. Militärischer Gehorsam muß als schwerstes Verbrechen dar«
gestellt werden. Die Gewerkschaft muß durch Versammlungen, festliche Zu*
sammenkünfte, Flugblätter usw. mit den Militärkameraden in fortwährender
Fühlung bleiben. Ejn neuer Wille muß sich weigern, tote Gewehre, Kanonen usw.
zu handhaben. Die Gewerkschaften müssen alle Aktionen gegen das Militärs
System unaufhaltsam unterstützen. Boykott, Blockade und Generalstreik müssen
den Krieg brechen. Die Gewerkschaften sollen auch allen persönlichen Wider«
stand gegen das Militärsystem unterstützen und die Dienstverweigerung fördern.
Nach dem Elend des Weltkrieges dringt bei den Arbeitern das Bewußtsein durch,
daß gesellschaftliche Massenaktion dem Kriege und Militarismus ein Ende machen
muß. Der Beschluß der Ersten Internationale von 1868 und die Auffassung von
Domela Nieuwenhuis 1891 und 1893 wirken fort, ebenso was Keir Hardie und
Vaillant 1910 zu Kopenhagen vorschlugen. Die Amsterdamer Gewerkschafts«
Internationale beginnt dies anzuerkennen. Es ist unsere Aufgabe, zu sorgen,
daß die Methode der direkten Aktion überall angenommen und praktisch an«
gewendet wird.
Praxis des Antimilitarismus.
Albert de Jong (aus dem Haag) behandelte dieses Thema etwa folgenderweise:
Der Kern des Militarismus ist ein System von roher Gewalt und Disziplin zur
Ausübung wirtschaftlicher Unterdrückung. In einer Gemeinschaft sozial gleich*
berechtigter Individuen wäre ein militärisches System undenkbar. Es bildet
jedoch einen wesentlichen und unentbehrlichen Bestandteil der heutigen Gesell*
schaft. Und diese kennzeichnet sich nicht allein durch Kriegselend, sondern, als
fortwährender Krieg aller gegen alle (Klassen* und Konkurrenzkampf), erfordert
sie auch in sogenannter Friedenszeit tausend und aber tausend Opfer der
Armut. Es gibt auch Schlachtfelder wirtschaftlichen Elends (Tuberkulose,
Wohnungsnot). Redner gibt dem Tod auf dem Schlachtfelde den Vorzug gegen*
über dem Leben in Sorge, Elend und Krankheit, das tausende Proletarierkinder
führen. Obendrein wird die Industrie immer mehr militarisiert und das Pro*
duktionsvermögen zur Herstellung von Mord* und Heeresmaterial angewendet.
Es besteht eine fortwährende Wechselwirkung zwischen Kapitalismus und Mili*
tarismus. Da der Militarismus den Hauptpfeiler der Klassengesellschaft darstellt,
bildet der Antimilitarismus einen notwendigen Bestandteil des proletarischen
Klassenkampfes. In erster Linie hat darum die Arbeiterklasse die Pflicht, gegen
Krieg und Militarismus zu kämpfen, 1. weil ihr direktes Interesse dies erfordert,
2. weil sie in sich die Macht trägt, nicht allein um in einem gegebenen Augen*
blick durch Generalstreik und Massendienstverweigerung den Militarismus zu
stürzen, sondern auch, um eine Gesellschaft zu errichten, worin für rohe Gewalt
kein Raum mehr ist. Man darf nicht, wie der alte Liebknecht, die Bourgeoisie
allein für den Krieg verantwortlich machen. Denn für sie ist der Krieg eine
Selbstverständlichkeit; sie muß Krieg führen infolge des jetzigen Wirtschafts*
Systems, infolge ihres Interesses usw. Für das Proletariat gilt dies alles nicht.
Eine besondere antimilitaristische Weltbewegung ist erforderlich, um diese Er*
kenntnis bei den Arbeitern wachzurufen und außerdem, um Propaganda zu
machen in dem Teil der Bevölkerung, der außerhalb der Gewerkschaftsbewegung
steht. Zwanzig Jahrhunderte Christentum haben bewiesen, daß man mit Ver*
Weisung auf das Gute und Erhabene allein nichts erreicht. Wir haben vorläufig
vom Interesse der Arbeiter auszugehen. Der Kapitalismus ist bankerott; sein
Verfall nimmt immer mehr zu; immer mehr Lohnsklaven erwachen zu Menschen,
17
was zu einem sieh immer mehr verschärfenden Klassenkampf Veranlassung gibt.
Dieser Klassenkampf muß zur Revolution führen und hat auch in manchen Gegen«
den schon dahin geführt. Ueberdies droht neuer Weltkrieg. Es handelt sich also
um Krieg oder Revolution. Sache der Arbeiter ist es, zu sorgen, daß vor
etwaigem neuen Weltkrieg die Revolution kommt, um auf diese Weise die
Menschheit vor den Schrecken des neuen Krieges zu behüten, um die Revolution
möglichst zu internationalisieren, und um die Revolution auf ein möglichst hohes
Niveau zu stellen: ihre Resultate dürfen nicht durch die Entartung des Prole«
tariats verdorben werden, und der Aufbau der neuen Gesellschaft darf nicht
durch erneute Erschöpfung der Vorräte, Lahmlegung der Produktion usw. ver«
hindert werden. Bei eventueller Revolution wird das Heer in drei Teile zerfallen:
diejenigen, die nicht weiterkämpfen, weil sie es bisher nur gezwungen taten, die«
jenigen, die sich auf die Seite der Revolution stellen und diejenigen, die die
Partei der reaktionären Gewalt ergreifen. Die Antimilitarismen haben den
Militarismus und die Heeresdisziplin derart zu untergraben, daß die beiden ersten
Teile möglichst groß und der dritte möglichst klein werden. Es geht für Anti«
militaristen nicht an, gegenüber der Gewalt der Bourgeoisie revolutionäre Gewalt
zu propagieren, wenn man auch überzeugt ist, daß eine eventuelle Revolution
nicht ohne Gewalt vor sich gehen wird. Der autoritäre Kommunismus möge
Propaganda für das rote Heer machen, weil er seiner Art gemäß den Militarismus
nicht entbehren kann. Wir Anarchisten propagieren diese Kampfmittel nicht.
Wir sehen zwei Gruppen von Menschen vor uns: eine kleine Gruppe, die Inter«
esse am Militarismus hat, und eine große Gruppe, die wir vom Gegenteil über«
zeugen müssen. Gegenüber der Einführung des Berufssoldatensystems sind
kräftige Propaganda und Anwendung sofortiger Einstellung «militärischer Pro«
duktion die einzigen Mittel, um die öffentliche Meinung zu erobern und die
Arbeiterklasse zu Generalstreik und Massendienstverweigerung im Kriegsfalle
zu erziehen. Empfehlenswert ist weiter zweckmäßige Sabotage. Keine Tat
untergräbt den Autoritätsgedanken so sehr wie persönliche Dienstverweigerung
In Rußland hat die Revolution sich in militärischer Richtung entwickelt, was eine
Anzahl Revolutionäre außerhalb Rußlands bewegt, ihre Kraft nicht in anti«
militaristischem, sondern in rot«militaristischem Kampfe zu suchen. Man ver«
gesse nie, daß die Entwicklung in Rußland zum Teil eine Folge des Verhaltens
des westeuropäischen Proletariats ist. Ebensowenig lasse man außer acht, daß
die Kommunisten der Dritten Internationale alte Sozialdemokraten sind, und ein
großer Teil von ihnen verantwortlich zu machen ist für die fatalen Folgen von
parlamentarischer Politik und Parteisozialismus. Jedenfalls haben hier alle Re«
volutionäre sich gegen die Entente zu wenden; sie machte die Rheingegend zu
einer Operationsbasis für ein gewaltiges Heer, das auch gegen Rußland und
gegen in Mitteleuropa entstehende Revolutionen angewendet werden könnte.
Hieraus ergibt sich jedoch für Redner keine Annahme der Parteidiktatur der
autoritären Kommunisten. Wenn ein autoritärer Kommunist sagt: das Prole?
tariat entscheidet über dies oder jenes, so entscheidet er, der Kommunist, der
Diktator, darüber. Aber wenn ein freiheitlicher Kommunist sagt: Ich entscheide
darüber, dann entscheidet das Proletariat. Das Volk hat sein Los in die eigene
Hand zu nehmen. Als Arbeiter in erster Linie, und nicht als Soldaten, haben
die Proletarier in sich die Macht, den Kapitalismus zu brechen. Erforderlich
ist Zusammenwirken aller revolutionären Antimilitaristen, die in enger Fühlung
mit der Gewerkschaftsbewegung eine energisch handelnde Bewegung zu bilden
haben, die an allen Punkten den Militarismus in seinem Wesen angreift, die anti*
militaristischen Aktionen in der ganzen Welt sich 'konzentrieren läßt und sie
überall bekanntmacht, und auf diese Weise die Revolution beschleunigt, den
Krieg vereitelt und dem Proletariat in Rußland und anderwärts seine Selbst«
bestimmung verbürgt.
Antimilitarismus und Gewerkschaftsbewegung.
B. Lansink ;'.-., Vorsitzender des Niederländischen Arbeitersekretariats in
Amsterdam, führte hierüber etwa folgendes aus: Das Wesen des Militarismus
ist nicht allein in Kaserne und Heer, sondern auch in allen Organen der kapita«
listischen Gesellschaft festzustellen, auch im Produktionssystem. Das ganze
Wirtschaftsleben ist davon durchzogen. Es ist unrichtig, die Mißstände des
Kapitalismus allein den Kapitalisten zuzuschreiben. Der Unterschied zwischen
18
Kapitalist und Arbeiter besteht oft nur darin, daß ersterer Kapital besitzt und
letzterer es entbehrt, wohingegen beider Gesinnung genau dieselbe ist. Wir
müssen daher auch persönlich Sozialisten werden. Der Geist des Kapitalismus
und der des Militarismus sind im Wesen eins; nur äußert sich im Heere stärker
als in der Fabrik die Tatsache, daß ein Mensch über den anderen herrscht und
die Untergebenen für eigene Taten nicht verantwortlich sind. Antimilitaristische
Propaganda genügt deswegen nicht, wenn sie ausschließlich gegen den in Heer
und Flotte verkörperten militaristischen Apparat gerichtet wird. Militarismus
ist sogar im heutigen Unterrichtswesen anzutreffen. Das Wesen des Militarismus
besteht nicht darin, daß man etwas Unangenehmes tun muß, sondern daß man
Dinge tun muß, die dem eigenen menschlichen Wesen zuwider sind, und daß man
in einen Automat verwandelt wird. In einer wirklich sozialistischen Gesellschaft
kann so etwas nicht bestehen. Kapitalismus und Militarismus sind eins und
müssen bekämpft werden durch sozialistische Erziehung der Arbeiterklasse, die
in jetziger Zeit am Militarismus ebenso schuldig ist wie die Bourgeoisie. Es
handelt sich also darum, die wirtschaftliche Organisation der Arbeit in den anti*
militaristischen Kampf hineinzuziehen und zugleich jeden einzelnen Arbeiter
individuell zum Sozialisten heranzubilden. Die Arbeiter sollen keine schwarze
oder rote Geistlichkeit für sich denken lassen, sondern selbst denken. Sie müssen
zu der Einsicht kommen, daß sie nur die Güter herstellen dürfen, die der
materiellen und geistigen Erhebung der menschlichen Gemeinschaft nützlich
oder dienstbar scheinen. Diese Erkenntnis bricht sich Bahn, was auch hervor*
geht aus der Resolution der Metallarbeiter in Deutschland, die sich für Ver*
•Weigerung der Herstellung von Kriegsmaterial aussprachen. Die Gewerkschafts*
bewegung hat auch einen neuen Geist unter dem Volk wachzurufen. Dies kann
nicht mit Gewehren geschehen; hiermit vernichtet man die Arbeiterhirne nur,
ohne sie revolutionieren zu können. Von diesem Gesichtspunkte aus lese man:
„Die revolutionäre Massenaktion" von Henriette Roland Holst. Der Sozialismus
ist nicht allein ein Kampf um etwas mehr materielle Güter, sondern ein Kampf
zur Umwälzung der Geister. Das ausschlaggebende Moment in diesem Kampfe
muß die direkte Aktion sein, während man seine weiteren Maßnahmen dem Ver*
halten der gegnerischen Partei anzupassen hat. Da die kapitalistische Klasse in
revolutionären Perioden nicht davor zurückschrecken wird, die Befreiungs*
versuche des Proletariats möglichst gewalttätig niederzuschlagen, meint Redner,
daß die Gewerkschaftsbewegung die Gewalt als Kampfmittel nicht ganz ver*
werfen kann, doch betont hiergegen, daß revolutionäre, wirtschaftliche, direkte
Aktion den Ausschlag geben muß, und zwar gegen den Geist, der sowohl Kapi*
talismus als Militarismus beseelt, und für eine neue, menschenwürdige
Gesellschaft.
Große Volksversammlung.
Am Montag mittag fand mit glänzendem Erfolg eine Versammlung unter
freiem Himmel statt, die vom Vorsitzenden des I.A.M.V., Landesverband Nieder*
lande, M. de Boer (aus Amsterdam), eröffnet wurde.
Gruß an gefangene Kameraden.
Auf Antrag von Rocrda wurde folgende Resolution gefaßt:
„Der Internationale Anti*Militaristische Kongreß grüßt die tausende Käme*
raden in Gefangenschaft wegen Widerstandsleistung und Dienstverweigerung,
überhaupt wegen ihres Mutes zur ausdauernden Arbeit an der Verwirklichung
einer Gesellschaft, die des Namens einer Menschengesellschaft würdig ist."
Brief aus Spanien.
Marcel Sauvage las den Brief vor, den das Spanische Komitee für Anar*
chistische Beziehungen an den Internationalen AntkMilitaristischen Kongreß ge«
richtet hatte.
Die spanischen Kameraden hatten beabsichtigt, Abgeordnete zum Kongreß
zu senden; der erste, der hierzu ausersehen war, wurde von der spanischen
Polizei ermordet, der zweite ins Gefängnis geworfen; der dritte sah sich außer*
stände, die streng bewachten Pyrenäen zu überschreiten.
19
Nach brüderlichem Gruß an den Kongreß erzählen die spanischen Kame=
raden, wie schwer ihre Aufgabe ist im Kampfe um eine Welt der Freiheit. Keine
Tyrannei der Vergangenheit oder Gegenwart, noch die spanische Inquisition
zur Zeit Torquemadas, noch das Auftreten Albas in Flandern, noch die Strenge
des Zarenregimes, übertrifft die wüste Grausamkeit des jetzigen spanischen
Terrors. In Spanien herrscht eine in sogenannten „juntas de defensa" (Ver*
teidigungsräten) organisierte militärische Gruppe, die sogar der Regierung ihren
Willen aufzwingt. Ihre politischen Diener, wie Dato, errichteten eine eiserne
Diktatur, hoben alle konstitutionellen Bürgschaften auf. verletzten alle Gesetze
und eröffneten eine höllische Jagd auf alle vorwärtsstrebenden Elemente, be*
sonders auf die revolutionären Syndikalisten. Allein in Barcelona wurden in
zehn Tagen ungefähr tausend Revolutionäre verhaftet. Als die Gefängnisse
überfüllt waren, ketteten die Behörden jedesmal 15, 20 oder 30 Kameraden an*
einander und jagten sie mit berittenen Gendarmen wochen* und monatelang
über die Landstraßen Spaniens, von einem Gefängnis zum andern, täglich 30
bis 40 Kilometer weit. Die Leiden dieser Kameraden waren gering, verglichen
mit dem, was andere auszuhalten hatten. Man prügelte sie mit Stöcken, Säbeln
und Gewehrkolben, man zerriß ihre Geschlechtsteile, so daß viele vor Elend
umkamen. Manche wurden gezwungen, auf ein unbeschriebenes Blatt Papier
ihre Unterschriften zu setzen, worüber dann die Machthaber eine Erklärung
schrieben, wonach dde Unterzeichner sich der greulichsten Dinge zu be*
schuldigen schienen. Hierauf erfolgte dann Verurteilung zu lebenslänglicher
Zuchthausstrafe oder Erschießung. Trotzdem ging die revolutionäre Bewegung,
weiter. Dann bildete die Regierung Banden aus Räubern un'd Kupplern, die ohne
irgendwelchen Prozeß ungestraft revolutionäre Syndikalisten töteten, während:
man ständig verhaftete Kameraden ermordete, unter dem Vorwand, daß sie zu
flüchten versuchten. Heldenmütig halten unsere Geistesfreunde dagegen stand.
Infolgedessen brechen im Heere Aufstände aus und sind Offiziere durch ihre
Soldaten hingerichtet worden. Aus diesem Gesichtspunkte ist auch die Hin*
richtung Datos zu verstehen. Die internationale Bourgeoispresse und auch ein
großer Teil der Presse der reformistischen Sozialdemokraten gibt von all diesem
eine falsche Darstellung. Darum bitten wir euren Kongreß, unsere Stimme
weiterzutragen und diese Tatsachen ins Weltall hinauszurufen. Wir Anarchisten
kämpfen Schulter an Schulter mit unseren syndikalistischen Kameraden. Vier
der unsrigen haben den Trauerzug der Toten eröffnet. Erstaunt und betrübt
sehen wir die Gleichgültigkeit, womit die Arbeiterorganisationen und die
intellektuellen Gruppen die Barbareien, die der spanische Staat täglich verviel*
fältigt, ruhig mit ansehen. Diese mangelnde internationale Solidarität bildet
einen bedauernswürdigen Kontrast zu der straffen Einheit aller Regierungen*
aller Bourgeoisien und aller reaktionären Mächte. Trotz allem nehmen wir voll*
ständig an dem Kongreß teil und sind wir bereit, mit euch für einen praktischen
Kampf gegen den Militarismus zusammenzuwirken. Unserer Meinung nach
muß dae erste und zweckmäßigste Aufgabe sein, sofort alle Quellen, woraus der
Militarismus sich ernährt, zu verstopfen, und vor allen Dingen unsere Pro*
paganda zu steigern, um die Vorurteile des Patriotismus aus dem Gehirn des
Volkes auszurotten.
Resolution gegen den spanischen Terror.
Auf Antrag der französischen Kameraden beschloß die Volksversammlung,
an den spanischen Ministerpräsident sofort einen Brief folgenden Inhalts zu
richten:
„Der Internationale AntkMilitaristische Kongreß im Haag vom 26. bis
31. März 1921 ist aufs schmerzlichste getroffen von der niederträchtigen kapi*
talistischsreaktionären Inquisition, die nun Spanien bluten läßt und deren Opfer
unsere Brüder, Arbeiter und Bauern dieser Halbinsel sind. Er richtet sich an die
spanische Regierung, besonders an König Alfons und den Präsidenten des spani*
sehen Ministerrates, um seine tiefste Entrüstung darüber auszudrücken. Mit
Entsetzen und revolutionärem Zorn haben die internationalen Abgeordneten
von den vielfältigen Ermordungen gehört. Der Kongreß hat beschlossen, diesen
Protest zu bestätigen, indem er mit Unterstützung der Arbeitermassen in allen
Ländern die spanischen Erzeugnisse boykottiert."
\0
Unter begeisterter Teilnahme der Anwesenden führten nach De Boer,
Roorda und Sauvage das Wort: Stöcker, Wellock, Wichers (von der Femi*
nistischen Partei in den Niederlanden), Wastiaux, Lieb, Nicolai, Cordes, der
Esperantist Eyers, der Idist IJzerdraat, French und Giesen.
Antimilitarismus und Christentum.
Am Montag abend erteilte Schermerhorn das Wort an Pfarrer Henri Huchet
aus Paris, der erklärte, keiner politischen Partei anzugehören, sondern die Frei*
heit im Geiste Christi zu lieben. Er wies darauf hin, wie in geradem Gegen*
satz zu den pazifistischen Ueberlieferungen des Urchristentums die offiziellen
Vertreter der katholischen und protestantischen Kirchen jetzt Krieg und Mili*
Zarismus verherrlichen. Schon zur Zeit Konstantins hatte die Kirche mit dem
Staat eine Vernunftehe geschlossen. Während ursprünglich der Christ, wenn
er getauft wurde, mit dem ganzen Körper ins Wasser getaucht wurde als
Symbol gänzlicher Erneuerung, hielt er in späterer Zeit während der Taufe den
einen Arm, womit er die Waffe führen sollte, vorsichtig über die lebenerneuernde
Flut. Eine abscheuliche Entartung bewirkte, daß infolge der zäsaristischen
Neigungen der Kirche der Geist der offiziellen Christen immer mehr jesuitisch
und militaristisch wurde. Schließlich verehrten die Gläubigen einen Christus,
der wie in einem Flugzeug in den Wolken schwebte. Jedoch der Geist Christi
muß auf Erden kommen. Mit dem Evangelium der Freiheit und des Friedens
sollte praktisch Ernst gemacht werden. Nicht in der Kirche, sondern hier
können die Gläubigen finden, was sie brauchen und was Christus uns lehrt.
Antimilitarismus und Freidenkertum.
Danach sprach B. Reyndorp aus dem Haag über Antimilitarismus und Frei*
denkertum. Die konsequenten Freidenker, führte er aus, die nicht nur gegen
-geistige und moralische Ueberherrschung kämpfen, sondern auch nach Ver*
wirklichung von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit streben, müssen not-
wendigerweise auch Antimilitaristen sein. Obschon der Weltkrieg vielen die
Augen geöffnet hat für die Tatsache, daß die Raub*, Mord« und Herrschsucht
der Machthaber von Geistlichen als „von Gott gewollt" verteidigt wird, und
sie mit Abscheu dagegen erfüllt hat, vereinigen die Klerikalen sich jetzt wieder
aufs neue international als eine geschlossene schwarze Macht, die die lebens*
feindlichen Zwangs« und Wahnvorstellungen, Aberglaube, Unwissenheit, Milita*
rismus und Ausbeutung aufs neue fördert und verstärkt. Gegen diese bar«
barische Verschwörung müssen die Freidenker sich international zusammen*
schließen. Jede gesellschaftliche Einrichtung ist gleichsam die Verkörperung
bestimmter Gedanken und Gefühle, und mit Recht hat daher Keir Hardie auch
den Militarismus „einen Geisteszustand" genannt. Dessen Träger sind die
Antipoden des vernünftigen Menschen, dessen Kräfte die Freidenker als An*
hänger der Evolutionslehre zu freier und völliger Entwicklung bringen und auf
diese Weise an der edelsten Kulturauslese mitwirken wollen. Der Militarismus
Avirkt jedoch, wie Haeckel einmal schrieb, doch später verschwieg, aselektiv,
und führt die Rasse zur Entartung. Die körperlich und geistig am besten
entwickelten Personen entzieht er periodisch der produktiven Arbeit, vergeudet
sie in der Kriegszeit millionenhaft und überläßt dann den Schwachen und Ent*
arteten die Fortpflanzung der Rasse. Allzuviele Freidenker waren lange
Zeit in demselben Wahn befangen wie die Reformisten und die meisten mo*
dernen Soziologen, die meinten, der Gewaltstaat würde sich durch demokratische
Reformen langsam zu einer vernunftgemäßen Gesellschaft entwickeln, bis es
im Jahre 1914 plötzlich schien, als sei der Urstaat aus den Zeiten der Bar*
bared wieder auferstanden. Treffend sagt Müller*Lyer, daß solch ein Staat sich
nur durch seinen Umfang von einer gewöhnlichen Räuberbande unterscheidet,
aber dieselben Grundsätze und dieselbe Taktik verfolgt. Für die konsequenten
Freidenker, die schon vor dem Weltkriege freiheitliche Revolutionäre und So*
zialisten waren, war alles, was da geschah, eine empirische Betätigung der
Wahrheit ihrer Ueberzeugung, daß wahrhafter. Friede erst durch den Friedens*
willen und die Friedenstat der Völker, d. h. dar arbeitenden und denkenden
Massen selbst, kommen kann. Die besten Freidenker, sagte Redner, waren
daher auch immer zugleich Antimilitaristen und Revolutionäre. Die An*
21
erkennung der Einheit des freien Gedankens und des Antimilitarismus ergibt
sich deutlich aus der Weise, wie Schermerhorn auf dem Kongreß des Nieder*
ländischen Freidenkervereins .,De Dageraad" (Der Tagesanbruch) 1915 den Zu?
sammenhang zwischen beiden darstellte. Auf Anregung des Redners faßte der
„Dageraad"*Kongreß von 1916 einen Beschluß, der ebenso, wie der 1905 zu
Paris gefaßte Beschluß von Domela Nieuwenhuis, auf den unbedingten Gegen*
satz zwischen freiem Gedanken und Militarismus hinwies, und der mit der Er*
klärung endigte, daß der Niederländische Freidenkerverein für die Folge den
Kampf gegen den Militarismus aufnehmen werde und sich dabei der intcllektu*
eilen Mittel bedienen wird, die ihm als philosophischen und ethischen Verein zur
Verfügung stehen. Obwohl man nicht so konsequent war wie die Freidenker
in Paris, die erklärten, daß nur die Formel „Keinen Mann und keinen Pfennig
für den Müitarismus" das Uebel an der Wurzel angreift, war es doch ein
Schritt vorwärts zum rechten Ziel. Antimilitarismus und Freidenkertum bleiben
natürliche Verbündete, denn dies ist die erste Bedingung für die Verwirklichung
des Ideals, das Antimilitaristen und Freidenker beide verfolgen: der freie
Mensch in freier Gesellschaft.
Nachdem Boeke noch den militaristischen Charakter des kirchlichen, be*
sonders des katholischen Glaubens, betont hatte; Neel Kist ihre Freude über
die Anwesenheit vieler Frauen und Mütter auf diesem Kongreß ausgedrückt
und zum Kampfe gegen den in Krieg und Frieden entsittlichenden Kapitalismus
aufgefordert hatte, hielt Schermerhorn eine Schlußrede. Er erklärte sich dank*
bar für die aufgeweckte Stimmung, die den demonstrativen Teil des Kongresses
ausgezeichnet hatte, und bezeugte allen, die zu dem Gelingen, der sehr zahlreich
besuchten Versammlungen beigetragen hatten, seinen herzlichsten Dank.
22
ORGANISATORISCHER TEIL
I.
INTERNATIONALES
ANTI = MILITARISTISCHES BUREAU
Vertretene Organisationen.
Folgende Organisationen waren vertreten: Internationaler Frauenbund für
Frieden und Freiheit und die Friedensvereine der Frauen in den Vereinigten
Staaten Amerikas durch Rose Morgan French; I. A. M. V. Landesverband
Belgien durch Adamas und Les Gerard; Landesorganisation Konsequenter Anti*
Militaristen Dänemarks (I. A. M. V. Landeisverband Dänemark) durch J. van
Langen; Anarchistische Jugend Rheinlands und Westfalens durch F. Cordes;
Bund der Kriegsdienstgegner (Deutschland) durch G. W. Meyer und Dr. Helene
Stöcker; Bund „Neues Vaterland", Deutscher Friedensverein (Ortsgruppe Berlin)
und Internationaler Frauenbund für Frieden (Deutscher Landesverband) durch
Dr. Helene Stöcker; Nie*mehr*Krieg*Bewegung (No More War Movement)
durch Wilfred Wellock; Anarchistische Konföderation von Paris durch
L. Haussard; Christliche Friedensbewegung Frankreichs durch Pfarrer H. Huchef;
Schriftstellergewerkschaft Frankreichs durch Marcel Sauvage; Anarchistische
Gruppen Nordfrankreichs, Syndikalistische Jugend und Bund der Dienst-
verweigerer (I. A. M. V. Landesverband Frankreich) durch L. Wastiaux;
I.A.M.V. Landesverband Niederlande durch J. Hooyberg und L. Bot jr.; Nieder*
ländisches Arbeiter*Sekretariat durch ß. Lansink jr.; Bund herrschaftsloser So«
zialisten in Oesterreich durch Pierre Ramus, Neusozialistische Partei Schwedens
durch C. J. Björklund; Kommunistische Jugend der Schweiz durch Fritz Lieb;
Internationale Absolutisten durch C. Boeke, H. P. Eyers und Ernest Fletcher.
Ferner Landes* und Ortsorganisationen aus den Niederlanden, wie: Bund
Religiöser Anarcho * Kommunisten (Freie Kommunisten), Freie Sozialisten,
SoziakAnarchisten, Freidenkerverein „De Dageraad", Feministische Partei, Gut*
templer, Sozialistische Partei, Revolutionäre Frauenverbände, Metallarbeiter,
Putzfrauen, Stukkateure, Schneider, Gemeindearbeiter usw.
Nicht anwesend.
Wegen Paßschwierigkeiten konnten unter anderen nicht anwesend sein:
Janko Todorov (Bulgarische Tolstoianer): H. Delecourt (I.A.M.V. Landes*
verband Frankreich); Wladimir T scher tkoff (Russische Religiöse freie Gemein*
Schäften); Jul. Humbert Droz (Welsch = Schweizer Sozialistische Jugend);
J. Moyses (Wiener Versöhnungsbund); Jean Simon (Schweizer Christliche
Sozialisten).
Marius Hanoi, Schriftführer des französischen I. A.M. V., kürzlich nach zehn
Monaten Untersuchungshaft von gerichtlicher Verfolgung enthoben, konnte
wegen Krankheit nicht kommen.
Die Abgeordneten der Anarchistischen Konfederation in Spanien konnten
infolge des in ihrem Lande wütenden Terrors nicht anwesend sein.
Bis zuletzt hoffte man vergeblich auf das Kommen von Dr. Armin T. Wegner.
der über „Antimilitarismus, Kolonien und Orient" reden sollte, und von Rudolf
Rocker, der „Militarismus und Kapitalismus" behandeln und die deutschen
Syndikalisten vertreten sollte. Auch diese schienen durch Paßschwierigkeiten
verhindert zu sein.
Einige deutsche Arbeiter*Abgeordnete wurden am Tage vor dem Kongreß
in Bilthoven bei Utrecht, Holland, verhaftet, bis nach Ostern gefangen gehalten
und dann über die Grenze transportiert.
Linn A. E. Gabe sollte die Mexikanische Kommunistische Partei und das
Komitee für freien Handel mit Rußland auf dem Kongreß vertreten. In seiner
Monatsschrift „Gates International Monthly" schrieb er im März 1921, daß er
verhindert ist, an dem Kongreß teilzunehmen und darum einen auf dem Kongreß
vorzulesenden Bericht über die Lage in Mexiko eingesandt hat. Diesen Bericht
hat der Schriftführer jedoch bisher nicht empfangen.
24
Ohne Paß anwesend.
Trotz aller Regierungsmaßnahmen gelang es unter anderen den Kameraden
Adamas und Lea Gerard aus Belgien, Haussard aus Frankreich, Pierre Ramus
aus Oesterreich, Björklund aus Schweden, während des Kongresses im Haag
anwesend zu sein.
Polizei.
Der Kongreß wurde von holländischen und ausländischen Polizeispionen
umschwärmt. Dank der ausgezeichneten Hilfe mehrerer holländischer Käme?
raden waren sie jedoch nicht imstande, dem Kongreß auch nur im geringsten
zu schaden. Alles verlief dem Charakter und den Absichten der internationalen
Zusammenkunft entsprechend. Alle paßlosen Kameraden sind wieder wohl*
beharten nach Hause gekommen.
Erste geheime Sitzung.
Am Freitag, den 25. März, waren Pierre Ramus und Lea Gerard bereits im
Haag. Bald kamen auch andere Paßlose. De Ligt, De Jong, Eckhard, Giesen
und Schermerhorn hielten mit ihnen von Anfang an fortwährend Fühlung.
Infolgedessen waren sie von dem Verlauf des offiziellen Teiles des Kongresses
völlig unterrichtet. Auch wurden nachts vorläufige Besprechungen abgehalten.
Während am Montag nachmittag die große Volksversammlung die Aufmerksam*
keit der Polizei in Anspruch nahm, fand die erste geheime Sitzung statt. An*
wesend waren Adamas, Lea Gerard, Van Langen, Haussard, Ramus, Björklund,
Eckhard, De Jong, De Ligt, Schermerhorn und einige andere Kameraden. In
erster Linie wurde die Errichtung eines internationalen antimilitaristischen
Bureaus erwogen. Augenscheinlich war man sich darüber einig, daß nicht nur
Bestehen und Entwicklung eines eigentlichen internationalen antimilitaristischen
Vereins erwünscht war, sondern daß die ganze internationale antikapita*
listische und antimilitaristische Bewegung sich in einem Bureau konzentrieren
müsse, woran auch nicht rein antimilitaristische Vereine und andere aus*
gesprochen revolutionär * antimilitaristische Organisationen als der I.A.M.V.
teilnehmen könnten. Dieses Bureau würde ein praktisches Ziel haben: den Kampf
gegen Krieg, Terror und gegen Intervention in Ländern, die dabei sind, sich
revolutionär zu befreien. Es könnte genannt werden: Internationales Anti*
Militaristisches Bureau gegen Krieg und Reaktion. Besonders die Belgier,
Franzosen und Holländer forderten, daß auch der Charakter dieses Bureaus aus*
gesprochen antikapiltalistisch sei. Weiter wurden von französischer und hol*
ländischer Seite verschiedene antimilitaristische Kampfmittel angedeutet, wovon
noch später die Rede sein wird.
Zweite geheime Sitzung.
Am Dienstag morgen hatten sich versammelt: French. Adamas, Gerard,
Van Langen, Meyer, Nicolai, Stöcker, Haussard, Huchet, Sauvage, Wastiaux,
Eyers, Fletcher, Ramus, Björklund, Boeke, De Boon, Eckhardt, De Jong, De Ligt.
Harinck, Schermerhorn und einige andere. Form und Aufgabe des Bureaus
wurden näher besprochen. Von belgischer, französischer, deutscher und hol*
ländischer Seite wurde wiederum Nachdruck darauf gelegt, daß ein zu errich*
tendes I.A.M.B. ausgesprochen antikapitalistisch sein müßte. Die Tätigkeit des
Bureaus sollte von revolutionär*sozialistischen Organisationen und Gruppen ge*
tragen sein.
Eröffnung des organisatorischen Teils.
Am Dienstag mittag eröffnete Schermerhorn den organisatorischen Teil des
Kongresses, der für das Publikum zugänglich war. Er sprach die Erwartung
aus, daß auch der zweite Teil dieser Zusammenkunft im Zeichen gegenseitiger
Wertschätzung und Kameradschaft stehen möge.
25
Weitere eingelaufene Briefe.
Giesen teilte <ien Inhalt eines Schreibens mit, worin der Vorstand der
Anarchistischen Konföderation Nordspaniens dem Kongreß seine Sympathie
bezeugt und erklärt, zu ständigem Zusammenwirken bereit zu sein. Ferner
übermittelte er Grüße vom Freireligiösen Bund der Ueberkonfessionellen aus
Oesterreich und vom örtlichen Arbeitersekretariat in Groningen, Holland.
Bericht des Schriftführers.
Ais Schriftführer des vorläufigen I. A. M. B. erstattete Jos. Giesen folgen*
den Bericht: Nach dem Weltkriege knüpften wir mit 22 Ländern in 5 Erdteilen
Verbindungen an. Mehrmals blieben diese lose (wie mit Argentinien und
Aegypten) oder waren sie schwer aufrecht zu erhalten (wie mit Spanien
und Rußland). Schon inniger wurden die Beziehungen zu Australien, Neu*
Seeland, Mexiko, Bulgarien und Finnland. In Europa geht es gut. Neue
Landesverbände des I. A. M. V. entstanden in Belgien, Dänemark und Frank*
reich. Das vorläufige I. A. M. B., das auf den im August 1920 im Haag ab*
gehaltenen geheimen Konferenzen von belgischen, dänischen, deutschen und
französischen Kameraden ernannt worden war, versandte Manifeste, die von den
Kameraden international veröffentlicht wurden. Von den vielen Blättern, die
uns unterstützten, verdient „Erkenntnis und Befreiung" von Pierre Ramus be*
sondere Erwähnung. Wir stehen in Verbindung mit 1. rein antimilitaristischen
Organisationen (z. B. die Landesverbände des I. A. M. V., Vereine ehemaliger
Kriegsteilnehmer, Nie*mehr*Krieg*Bewegung); 2. Gewerkschaften (Nieder*
ländisches Arbeitersekretariat, Syndikalisten in Dänemark, Deutschland und
Frankreich, französische syndikalistische Jugend usw.); 3. Frauen* und Jugend*
vereinen (Frauenbund für Frieden und Freiheit, mit Sitz in Genf, Holländische
Feministische Partei, verschiedene revolutionärssozialistische Frauenorganisa*
tionen, Freie Jugend in Deutschland, Oesterreich, Schweiz usw.); 4. politisch*wirt*
schaftlichen Organisationen weiterer Tendenz (Bund herrschaftsloser Sozialisten
in Oesterreich; Sozialistische Partei, freikommunistische und anarchistische
Organisationen und Gruppen in den Niederlanden; Anarcho*Sozialisten in
Schweden usw.); 5. besonderen Vereinen (Vegetariervereine, humanitäre Or*
ganisationen, Freidenkergruppen usw.). Redner hofft, daß dieser Kongreß dazu
beitragen werde, alle diese und ähnliche Organisationen zu gesteigerter, ge*
meinsamer Tätigkeit zu bringen.
Revolutionärer Antimilitarismus in Frankreich.
An Stelle des Schriftführers des I. A. M. V. Landesverband Frankreich,
Marius Hanoi, der infolge Krankheit verhindert ist zu kommen, verliest Luden
Wastiaux (aus Roubaix) einen von /. Gir ardin aufgestellten Bericht über Frank*
reich. Die Syndikalistische Jugend wurde im Jahre 1904 errichtet. Trotz Ver*
folgungen, Gefängnisstrafen usw. entfaltete sie rege Tätigkeit. Man gründete
einen Verständigungsausschuß, um die antimilitaristische Arbeit der Jugend*
liehen zu zentralisieren. Durch Versammlungen, Flugblätter, Broschüren und
Demonstrationen verbreitete man seine Grundsätze. Als der Krieg ausbrach,
blieb man seinem Antimilitarismus treu. Die Herausgabe des „Cri des Jeunes"
(Ruf der Jugendlichen) verbot die französische Obrigkeit. Da ließ man ihn in
Portugal drucken und verbreitete ihn im geheimen. 1916 und 1917 wurden
Kerngruppen von Kameraden gebildet, die bis ins Heer hinein Worte des
Friedens propagierten. Zahlreiche Flugschriften wurden unter den Truppen ver*
breitet. Mehrere Kameraden gerieten wegen antimilitaristischer und pazifisti*
scher Propaganda ins Gefängnis. Durch Vermittlung des „Ausschusses zur
Wiederaufnahme internationaler Beziehungen" erklärte man sich mit den Kien*
thaler und Zimmerwalder Konferenzen einverstanden. Im Jahre 1919 enthüllte
man den Arbeitern in zahlreichen Volksversammlungen das verhängnisvolle
Verhalten ihrer Leiter. Gemeinschaftlich mit der anarchistischen Jugend er*
richtete man einen antimilitaristischen Aktionsausschuß. Gegen Ende 1919
gründete man auf Anregung der Kameraden Leon Prouvost und Bonvallet und
nach Beratung mit dem „Verständigungsausschuß" einen französischen Landes*
verband des I.A.M.V., genannt „Ligue des Refractaires" (Bund der Dienst*
Verweigerer). Nur die anarchistische Jugend und einige ehemalige Kriegsteil*
26
nehmer nahmen das Programm an. Die großen sozialistischen Organisationen;
ließen den Aufruf unbeantwortet. Infolge der Haltung der Regierung propagiert
man jetzt im geheimen. Die Syndikalistische Jugend steht auf anderem Stand?
punkt als der Bund ehemaliger Kriegsteilnehmer und die sogenannten kommu*
nistischen Jugendorganisationen, die die Leute nicht zur Dienstverweigerung
veranlassen, sondern zum Eintritt in das kapitalistische Heer, um auf diese
Weise durch Propagieren und Exerzieren ein rotes Heer vorzubereiten.
Wastiaux verlas ferner verschiedene antimilitaristische Flugschriften
des französischen Landesverbandes des I. A. M. V., der Syndikalistischen
Jugend usw.
Auf Wunsch Schermerhorns berichtete Wastiaux hierauf noch einiges über
die Tätigkeit der nordfranzösischen Gruppe der anarchistischen Kommunisten,
woran er selbst teilgenommen hatte. Sie hielt mit den revolutionären Syndikat
listen enge Fühlung. Unermüdlich wirkte im Kohlenbecken des Bezirks Pas de
Calais Kamerad Broutchoux, der im Jahre 1907 den anarchistischen und anti;
militaristischen Kongreß in Holland besucht hatte. Man untergrub den rnili*
tärischen Geist der Soldaten, die gegen streikende Arbeiter nach den Zechen*
gebieten gesandt wurden. Im Norden erschienen die antimilitaristischen
Organe „Le Combat" und „Le Cri du Peuple". Man brachte den unmoralischen
Charakter des Heeres ans Tageslicht, ebenso die Greuel, die in den Militär*
gefängnissen in Französisch*Afrika getrieben wurden. Dies erregte hohe&
Interesse bei der Bevölkerung, wovon viele infolge ihrer Gemütsstimmung mit
den militärischen Strafmaßregeln Bekanntschaft gemacht hatten. Die Käme?
raden, die derart in revolutionärssyndikalistischem Sinne wirkten, wurden vom
Parlament aus von den offiziellen Sozialisten angegriffen. Im Jahre 1914 er?
schien „La Defense Sociale". Da kam das große Verbrechen des Weltkrieges.
60 Haftbefehle wurden für Nordfrankreich erlassen. Die meisten Kameraden
entkamen. 11 Widerspenstige wurden gefangen noch Paris gebracht. „Le
Combat" wurde wegen kriegsgegnerischer Artikel verfolgt. Dagegen begann
die offizielle sozialistische Presse eine Kampagne, wonach Deutschland ein zu
vernichtendes Karthago war. Die deutsche miiltärische Besetzung vom 9. Oktober
1914 bis zum 19. November 1918 rechtfertigte in keiner Hinsicht den Haß, den
die Arbeiterbevölkerung Nordfrankreichs der deutschen Nation entgegen-
bringen könnte. Tausende deutsche Soldaten zogen durch Roubaix und waren
dort einquartiert. Ihr einfaches und korrektes Betragen unterschied sich günstig
von der Anmaßung der Offiziere und Polizeibeamten, die die Bevölkerung
terrorisierten. Auch während der deutschen Besetzung suchten die Anti*
militaristen gegen den Strom zu schwimmen. 1915 begannen einige Käme*
radinnen eine pazifistische Propaganda; sie wurden beschuldigt, im deutschen
Spionagedienst zu stehen, und ihr Vorhaben mißglückte. Am 18. März 1916
gab es in Roubaix einen Hungeraufruhr. Brave französische Bürger, biedere
Händler und deutsche Kommandanten waren sich darüber einig, daß die Brot*
losen gestraft werden mußten, weil sie versucht hatten, sich den Vorrats*
schrank der Kriegsgewinnler anzueignen. Im Mai, Juni und Juli 1918 beriefen
die nordfranzösischen Kameraden geheime antimilitaristische Versammlungen
ein und verteilten Flugschriften. Ueber die Fronten hinweg war man bestrebt,
den Pazifisten der ganzen Welt seine Sympathie zu offenbaren. Man ver*
breitete Broschüren von Domela Nieuwenhuis, Kropotkin und Malatesta. Seit
dem Waffenstillstand führt man einen energischen Kampf gegen die milita*
ristische Geisteskrankheit des siegenden Frankreichs. Dabei muß man sieb,
fortwährend den angeblich sozialistischen Führern entgegenstellen.
Die dänischen Nahrungsverweigerer.
J. van Langen, Abgeordneter der dänischen konsequenten Dienstverweigerer
(Landesverband Dänemark des I.A.M.V.) erzählt, wie diese verhältnismäßig
kleine Gruppe großen moralischen Einfluß ausübt. Man verweigert den
Militärdienst und kämpft sich danach durch Nahrungsverweigerung aus dem
Gefängnis frei. Auch weigerte man sich, dafür an die Stelle tretenden bürgere
liehen Dienst zu verrichten, da man dies als Streikbrecherarbeit betrachtete. Der
sozialdemokratische Minister Stauning wendete auf die grundsätzlichen Dienst?
Verweigerer unerbittlich das harte Gesetz an, obwohl er sich Antimilitarist
nannte. In Hinsicht auf die militärische Frage stehen die dänischen Svndika*
li
listen auf verschiedenen Standpunkten. Immerhin muß der antimilitaristische
Kampf hauptsächlich mit wirtschaftlichen Mitteln geführt werden. Ein Teil der
früheren grundsätzlichen Dienstverwcigerer ist jetzt auch für Eintritt in das
kapitalistische Heer, um auf diese Weise ein rotes Heer vorzubereiten. Redner
hält es für einen falschen Weg, daß Revolutionäre sich derart dem Militärzwang
und den Militärvorschriften unterwerfen wollen. Möge Erfahrung sie eines
besseren belehren und in die Reihen der Kämpfer zurückführen! Wenn man
auch meint, zu gewissen Zeiten Gewalt anwenden zu müssen, so mache man
doch Unterschiede. In kleinen Ländern wie Dänemark, Schweden, Norwegen,
Holland, Belgien kann die Revolution nicht aufkommen; das geschieht
anderswo. Und dann werden die kleineren Länder in den großen Strom mit*
gerissen. Darum ist das Bilden sogenannter roter Heere in derartigen Ländern
sowieso vorläufig vollständig überflüssig. Kommt die Revolution, so haben
dde Arbeiter zu wissen, wro sie stehen müssen. Je mehr sie sich ihrer Wirtschaft?
liehen Bedeutung bewußt werden, desto kräftiger wird ihr revolutionärer
Kampf sein.
Wirken des Niederländischen I.A.M.V.
Ueber die Tätigkeit des I.A.M.V. seit 1904 teilt Hooyberg noch verschiedene
Einzelheiten mit. Bei jeder Truppenaushebung verteilte man Flugblätter und
Broschüren. Gegen den Plan zur Vergrößerung der holländischen Flotte wurde
grundsätzlich Stellung genommen. Mehrmals eiferte man gegen Anwerbung für
das Kolonialheer, so, indem man auf den Werbeplakaten den Kopf eines abge?
bildeten Soldaten mit einem Totenkopf überklebte. Ueberall in Holland wurden
zu Weihnachten besondere Friedensversammlungen einberufen. Hunderttausende
gummierte Etiketten wurden verbreitet, die verschiedene Mottos trugen; so zur
Zeit der Eröffnung des Haager Friedenspalastes: „Den Krieg humanisieren, heißt
den Teufel humanisieren." Oefters geriet man mit der Justiz in Konflikt. Domela
Nieuwenhuis, Schermerhorn und andere warnten vor dem drohenden Weltkrieg.
1914 setzte man die antimilitaristische Tätigkeit wirksam fort. Auch organi?
sierte man eine Dienstverweigerungsbewegung gegen den militärischen Uebungs?
zwang. Viele Mitglieder des I.A.M.V. beteiligten sich an der bereits von De Boer
erwähnten Dienstverwreigerungsbe\vegung. Im Mai 1917 entschloß man sich,
die Munitionsherstellung besonders zu bekämpfen, und stellte man Arbeitsvers
Weigerung im Dienste des Militarismus auf eine Linie mit grundsätzlicher Dienst;
Verweigerung. Im Dezember 1917 beschloß man, auch Verweigerer des Zivil?
kriegsdienstes als Militärdienstverweigerer zu betrachten. Der I.A.M.V. wuchs
von 500 zu 3000 Mitgliedern an. Jedes Jahr verbreitet man zu Tausenden einen
Soldatenalmanach. Bei inländischen Unruhen hält man die Soldaten vom Schießen
auf das Volk zurück. Der I.A.M.V. wirkte auch kräftig in allgemeinen revolu?
tionären Aktionen und suchte dann vor allen Dingen Fühlung mit der Gewerk?
Schaftsbewegung.
Mittelbar übte der Verein auch Einfluß auf noch nicht politisch verseuchte
Mitglieder der sozialdemokratischen Arbeiterpartei aus, die soeben einen kleinen
Schritt in unserer Richtung wagte. Seit 1917 arbeitete der I.A.M.V. für den jetzt
stattfindenden Kongreß.
Antimilitarismus in Belgien.
Da die anwesenden belgischen Kameraden offiziell als abwesend gelten, er?
stattet De Jong, der öfters für den I.A.M.V. Belgien bereist hatte, an ihrer Stelle
Bericht. Belgien ist das Schlachtfeld Europas. Leider kann keiner der belgischen
Kameraden hier bezeugen, was man durchgemacht hat. Was uns an Belgien aufs
fällt, ist der Kampf zwischen Flamen und Wallonen; das ist mehr als ein Sprachen*
kämpf. Man kann die Flamen mit den Iren vergleichen. Die sozialistische Be?
wegung in Belgien ist von opportunistischer Art. Die flämischen früheren Kriegs?
teilnehmer sind Antimilitaristen, weil sie einsehen, daß sie im Dienste eines
Imperialismus gebraucht werden, der sich schließlich als der französische Im?
perialismus herausstellt. Man ist des Krieges überdrüssig, doch ist die Erkennt?
nis so gering, daß man, anstatt völlige Entwaffnung und Wehrpflichtabschaffung
TKi fordern, für einen halbjährigen Dienst eintritt. Erfreulicherweise wirkt jetzt
der I.A.M.V. für „keinen Mann und keinen Pfennig". Sein Schriftführer Hermann
28
van de Reeck wurde bei einer revolutionären Bewegung von einem stumpfsinnigen
Diener der Obrigkeit getötet. Inzwischen unterstützten auch andere Kämpfer,
wie Stroobants, Leo Gerard, de Swert und Adamas unsere Bewegung. Es gibt
^etzt Ortsgruppen in Brüssel, Antwerpen, Löwen, Ostende, Ninove, Mecheln
und Diest. Wallonische und flämische Revolutionäre wirken darin einträchtig
zusammen. Als Schermerhorn in Belgien umherzog, um unsere Ideen zu ver»
künden, erfuhr er eine schändliche Beleidigung von dem sozialdemokratischen
Minister Vandervelde. Unter aller Kritik ist das Verhalten der uns feindlichen
Presse.
Antrag über ein internationales antimilitaristisches Bureau.
Schermerhorn erteilte De Jong das Wort. Dieser weist in seinen Mitteilungen
über zu behandelnde Punkte darauf hin, daß das Bureau das Bestehen zweier
Körperschaften erforderlich erachtet: 1. eine internationale Organisation anti*
militaristischer Vereine im Sinne des I.A.M.V., 2. ein Bureau, wozu auch die*
jenigen antimilitaristisch gesinnten Vereine beitreten können, die noch allerlei
andere Ziele verfolgen (zum Beispiel syndikalistische, politisch*wirtschaftliche,
humanitäre Organisationen, Frauen* und Jugendbewegung). Dieses letztere richtete
sich dann besonders gegen drohenden Krieg, weißen Terror und Intervention
gegenüber dem revolutionär auftretenden Proletariat.
Stellung zu den Absolutisten.
Ferner teilte Redner mit, daß in Bilthoven (Holland) bereits vor diesem
Kongreß eine Gruppe Absolutisten zusammengetreten ist, die beschlossen hat,
sich nicht separat zu organisieren, wenn der I.A.M.V. ihre Anschauungen teilt.
Es ist gewiß, daß der I.A.M.V. als solcher sich nicht auf absolut gewaltlosen
Standpunkt stellen wird. Hieraus ergibt sich für die Absolutisten das Recht, sich
auf Grund einer eigenen Prinzipienerklärung zu organisieren. Entschließt man
sich jedoch jetzt zur Errichtung eines IA.M.*Bureaus, so hoffen wir, daß sie dazu
beitreten und mit uns zusammenwirken im Kampf gegen drohenden Weltkrieg
usw. Hierzu können übrigens alle Revolutionäre zusammenwirken, von den
Anhängern der Dritten Internationale an bis zu Quäkern und Tolstoianern.
Dritte geheime Sitzung.
Vom Dienstag, den 29. März, abends 8 Uhr, bis Mittwoch, den 30. März,
morgens um 5 Uhr, waren folgende Kongreßteilnehmer versammelt: French,
Adamas, Gerard, Van Langen, Meyer, Nicolai, Stöcker, Eyers, Fletcher, Wellock,
Haussard, Sauvage, Wastiaux, Ramus, Björklund, Lieb, Boeke, de Boon, Bot,
Eckhard, Giesen, J. Harinck, T. Harinck, Hooyberg, De Jong, Kaastra, De L/gf„
Schermerhorn und einige andere.
Antimilitaristische Kampfmittel.
Von französischer Seite hob man hervor, daß ein I.A.M.B. von durchaus
praktischer Arbeit erforderlich ist. Man bemühe sich, Desertationsbureaus zu er*
richten; man gebe politische Dokumente heraus, die die herrschende Klasse ent*
larven; man erwäge die Sabotage als Kampfmittel; man führe Pressekampagnen;
man veranlasse Boykott von Gewerkschaften, deren Mitglieder Kriegsarbeit
leisten; man mache besonders unter den Frauen Propaganda; durch Flugblätter
rege man persönliche Dienstverweigerung an; man wende sich direkt schriftlich
an die imperialistischen Regierungen; man nehme eine Weltsprache an.
Art des Bureaus.
Sodann prüfte man, welche Form das Internationale Anti*Militaristische Bureau
annehmen sollte, und ob auch dieses einen ausgesprochen antikapitalistischen
Charakter brauchte. Von österreichischer und absolutistischer Seite hielt man
letzteres nicht für unbedingt erforderlich. Von belgischer, deutscher, hollän*
discher und schweizerischer Seite bestand man ganz entschieden darauf, daß das
Bureau sowohl theoretisch wie praktisch Kapitalismus und Militarismus im Zusam*
menhang bekämpfen sollte. Besonders in Deutschland hat es sich ja gezeigt,
29
■daß antimilitaristische Vereine ohne ausgesprochen antikapitalistischen Charak«
ter immer wieder verbürgerlichten und manchmal in Händen neuer Kriegsmächte
zu willenlosen Werkzeugen wurden. Es wäre erwünscht, daß der antipatriotische
Charakter des Bureaus auch für jedermann direkt augenscheinlich würde. Von
österreichischer Seite bemerkte man, daß doch Quäker und andere religiöse Sek*
ten, wovon viele Mitglieder keine Antikapitalisten sind, durch persönliche Dienst«
Verweigerung in der Kriegszeit einen wirksamen Kampf gegen den Krieg führten.
Es wäre unrichtig, solchen Gruppen das Zusammenwirken mit dem Bureau unmög«
lieh zu machen. Im allgemeinen stimmte man schließlich mit der Auffassung
überein, daß die Tätigkeit des I.A.M.B. einen ausgesprochen antikapitalistischen
Charakter besitzen sollte.
Zweifellos, so erklärte man von holländischer Seite, haben verschiedene
Quäker und andere Religiöse einen bewundernswerten Kampf gegen den Krieg
geführt, doch man vergesse nie, daß Quäker und andere weniger oder mehr
ketzerische Gruppen tüchtig am Aufbau des Kapitalismus mitgeholfen haben
und, obwohl sie in manchen Hinsichten humanitäre Taten verrichteten, doch
gleichzeitig den Kapitalismus durch Handel und Gewerbe, meistens ohne Pro«
test, aufrecht erhielten. Erfreulicherweise gibt es jetzt unter den Quäkern schon
viele, die weiter sehen und verstehen, daß der sogenannte Friede ein fortwährender
Wirtschaftskrieg, ein mörderischer Klassenkampf ist, und daß sich dann in
kritischen x\ugenblicken der sogenannte Krieg als dessen typischer Ausbruch
darstellt. Wir leben jetzt in einer Periode, wo der Mensch nicht den Wirt«
Schaftsprozeß vernünftig beherrscht, sondern wo die Dinge^ den Menschen
beherrschen, wo der Tod das Leben, die Quantität die Qualität ver«
schlingt. Wie verdienstvoll der nicht geradezu antikapitalistisch ge*
sinnte Antimilitarismus der Tat an sich auch sein möge: wenn seine Anhän«
ger den Kapitalismus nicht anrühren oder ihn sogar praktisch und grundsätzlich
fördern, stehen sie kulturgeschichtlich weit zurück gegenüber revolutionären
Antikapitalisten, die sich, wenn auch in gewalttätigster Weise, im Kampfe für
eine neue Gesellschaft praktisch und grundsätzlich dem Kapitalismus entgegen«
stellen. Wenn man zwischen weniger oder mehr bürgerlich betontem
Antimilitarismus und dem revolutionären Proletariat zu wählen hätte,
so verdiente letzteres bei weitem den Vorzug, denn das revolutionäre
Proletariat überhaupt vertritt eine neue Zukunft, wohingegen im bürger«
liehen Antimilitarismus nur noch ein Rest der edelsten Kräfte aus der
Vergangenheit lebt. Von der radikalen antikapitalistischen Gesinnung der an«
wesenden Absolutisten sind wir jedoch alle überzeugt. Darum ist es zu erwar«
ten, daß man einander finden wird. Um andererseits jedoch zu verhüten, daß
der antikapitalistische Antimilitarismus des Bureaus auch nur einen Schein von
Aehnlichkeit mit dem Sozialpatriotismus zeigt, der sich jetzt auch solcher Aus«
drücke bedient und um die einseitig negative Fassung der entworfenen Prinzipien«
erklärung zu überwinden, wird vorgeschlagen, nicht von „antikapitalistischem
Antimilitarismus", sondern von „revolutionärem Antimilitarismus" zu sprechen.
Darin ist dann zugleich auch der absolut antikapitalistische Charakter des
I.A.M.B. ausgedrückt. Als Grundlage für das Bureau wurde schließlich folgende
Formel für annehmbar erklärt: „Das Internationale Anti«Militaristische Bureau
•gegen Krieg und Reaktion, zusammengesetzt aus revolutionär«antimilitaristischen
Organisationen, hat den Zweck, den Militarismus international zu bekämpfen,
um die Unterdrückung der Arbeiterklasse und den Krieg unmöglich zu machen."
Antimilitarismus für die ganze Menschheit.
Am Mittwoch, den 30. März, mittags, eröffnet De Ligt die Versammlung mit
der Mitteilung, daß der Kongreßausschuß einen Brief von einem sehr zuverlässi«
gen orientalischen Gesinnungsfreund erhalten hatte, woraus zu ersehen war, daß
in Holland verweilende farbige Mitmenschen aus Presseberichten über den Kon«
greß den Eindruck erhalten hatten, daß „international" für uns soviel wie „weiß"
bedeutete. Warum, fragte man, wurden nicht einmal die Thesen von Wegner
vorgelesen? Man weiß doch, wie sehr die orientalischen Völker unterdrückt
werden. Will man dem Kongreß nicht den Charakter eines okzidentalischen
Kongresses geben, dann hat man seine Aufmerksamkeit auch nach dem Orient
zu richten. — Hiergegen bemerkte De Ligt, daß er sich bereits in seiner Eröff«
30
nungsrede an die farbigen Rassen gewendet hatte, was man in „Nieuwe Rotters
damsche Courant", „Nieuws van den Dag" und anderen Zeitungen sehr deutlich
erwähnt findet. Redner wiederholte den Schluß seiner Eröffnungsrede. Ferner
hat der Kongreßausschuß versucht, Wegner als Redner nach dem Haag zu be«
kommen. Weder Wegner selbst, noch der vorbereitende Ausschuß hatten erwar«
tet, daß die holländische Regierung ihn im letzten Augenblick ausschließen
würde. Augenscheinlich wünscht sie die Kolonialfrage auf dem Kongreß nicht
behandelt zu sehen. Um Wegner dennoch sprechen zu lassen, und um die Ab*
sichten des Kongresses in klares Licht zu rücken, zitiert Redner Wegners „Bot«
schaft an Asien" („Die Tat", 1920), worin der Verfasser an die besten Kräfte
in den orientalischen Völkern appelliert, um die Welt vom okzidentalischen Ver«
derben zu erretten; er schildert darin das Kolonialsystem und das Elend, das
sich daraus für alle farbigen Völker ergibt, und er betont, daß wir Abendländer,
die wir den Ursprung unserer Zivilisation und Kultur dem Morgenland verdanken,
dies den Asiaten mit unserem abscheulichen Ausbeutungssystem vergelten.
Jedoch „die Sonne, die im Westen in Blut untergeht, wird einst hell im Osten
wieder aufgehen". De Ligt weist ferner darauf hin, daß der Niederländische
Landesverband des I.A.M.V. sich jahrelang bemüht hat, mit Indien in Verbin«
düng zu kommen. Dies ist jedoch nicht gelungen. So hat J. Harinck mit
Soewardi Berührung gesucht, als es noch nicht feststand, welche politische Rieh«
tung dieser einschlagen würde. Auch dies mißglückte. Redner selbst hat u. a.
von Sneevliet Adressen erhalten. Hierdurch und noch auf andere Weise hat
Giesen versucht, Fühlung mit dem Orient zu bekommen, ebenfalls ohne Erfolg.
Im Orient lebt ein begreifliches Mißtrauen. Vielleicht hat man unsere Briefe
für von der Polizei herrührend angesehen. Im allgemeinen erwarten wir von
den farbigen Völkern in revolutionärer Hinsicht viel, weil sie sich nicht wie
Europäer und Amerikaner allmählich dem sich immer ungünstiger entwickelnden
Kapitalismus anpassen konnten, sondern von diesem in seiner höchsten Entwick«
lungsform, als Imperialismus, plötzlich aufs heftigste angegriffen werden. Die
Urinstinkte unserer farbigen Mitmenschen empören sieh gegen unsere Dekadenz;
der kommunistische Gedanke bricht sich bei ihnen Bahn. Eigentlich ist die
Rassenfrage auch eine Klassenfrage. Alle Revolutionäre der ganzen Erde haben
sich vereint dem Weltimperialismus entgegenzustellen. Der Kongreßausschuß
freut sich daher, mitteilen zu können, daß es ihm vor kurzem gelungen ist, in
angemessener Weise mit der orientalischen revolutionären Bewegung in Beziehung
zu treten, wovon man noch Näheres erfahren wird.
Bericht Norwegen.
H. C. Eckhard (aus Hilversum, Holland) verliest einen von den Norwegischen
Neusozialisten W. Anderssen, Trygve, Aahervik und Nills Higgland in Kristiania
eingelaufenen Bericht: „In Norwegen gibt es ebenso wie anderwärts zwei Rieh«
tungen unter den Antimilitaristen: 1. Man meint in der Kaserne das Heer zer*
setzen zu können! 2. man ist für sofortige Dienstverweigerung. Viele verweigern
den Militärdienst aus religiösen, christlichen Gründen; sie werden leicht bestraft.
Andere, die zum Beispiel auf Grund „menschlicher" Gefühle den Dienst ver«
weigern, werden fürchterlich verfolgt. Erster Dienstverweigerer in Norwegen
war der bekannte Anarchist Kristoffel Haussteen (1880). Sein Wort war: „Nie«
man kann mich zwingen, gegen meine Ueberzeugung zu handeln." Er erfuhr
Hohn und Verfolgung, aber auch Nacheiferung. Ihm folgte der revolutionäre
Sozialist Karl Nummedal, dann der Sohn eines Obersten, Einar Li. Als Journalist
wußte dieser die Dienstverweigerungsfrage aktuell zu machen, und als Sozial«
demokrat weigerte er sich, was ihm neun Monate Gefängnisstrafe einbrachte.
Dies geschah im Jahre 1906, und 1907 folgten sieben Dienstverweigerer, 1908 vier,
1910 sechs, 1911 neun, 1912 vier, 1913 sieben, 1914 acht, 1915 sechs, 1916 zwölf,
1917 dreiundzwanzig. 1918 begann die Dienstverweigerung zu einer Massen«
bewegung anzuwachsen, besonders in NordsNorwegen, wo die Rekruten
beschlossen, militärischen Aufrufen nicht mehr Folge zu leisten. Dies
ging so weit, daß selbst die Regierung sich entschloß, die Aushebung acht
Monate aufzuschieben. Nach der Revolution in Rußland brachen die Sozial«
demokraten den Widerstand, indem sie vorschlugen, im Heere Agitation gegen
das Heer zu führen. Durch diese Haltung wurde die Dienstverweigerungs«
bewegung zersplittert. Doch die Solidarität dauerte fort. Als zum Beispiel die
31
Polizei in Sulitjelma einen Dienstverweigerer holen sollte, brach sofort General*
streik aus, und die Polizei mußte ohne den Dienstverweigerer abziehen. Darauf
sandte die Regierung ein Kriegsschiff mit Unteroffizieren und Kadetten, die elf
Dienstverweigerer des Nachts aus ihren Häusern holten; andere Dienstverweigerer
entwichen in die Berge. Am 28. Mai 1918 verweigerten neun Rekruten zugleich
den Dienst auf dem Exerzierplatz Gimlemsen, in Harstadt fünf. Von vielen Ort*
schaffen fand sich kein einziger Rekrut ein, Hunderte weigerten sich. In
Trondhjem drohten die Gewerkschaften mit Streik, als sich dort ein Dienst*
Verweigerer im Gefängnis befand. Im Jahre 1919 waren allein in Lynge 25 Dienst*
verWeigerungsfälle anhängig. Der Staatsanwalt teilte mit, daß es im Jahre 1920
nicht weniger als 137 Dienstverweigerer aus religiösen Gefühlen gab, welche
Anzahl man ruhig verdoppeln kann, wenn man die sozialistischen Dienstverwei*
gerer mitrechnet. Auch die schriftliche Propaganda geht hier gut. Für die Ver*
teilung eines Flugblattes „Soldaten, laßt euch nicht länger drillen!" bekam
Johansen zwei Monate Gefängnisstrafe. Vier andere Kameraden wurden bei
einem Neudruck dieses Flugblattes zu je sechs Monaten verurteilt. Bei einem
dritten Druck von 10 000 Exemplaren konnte die Polizei niemand fangen. Eine
vierte Auflage von 30 000 Stück folgte. Zwei Blätter „Revolt" und „Alarm",
machen fortwährend antimilitaristische Propaganda. Viele öffentliche Versamm*
lungen pflegen gut zu gelingen, trotz aller Gefängnisstrafen.
Nachricht von Frau Roland Holst.
Giesen las eine Postkarte vor, worin Frau Roland Holst bedauerte, daß sie
aus Gesundheitsrücksichten absagen mußte. Gerne hätte * sie im Kreise der
Geistesgenossen verweilt. Sie hofft, daß der Kongreß der antimilitaristischen
Bewegung neuen Schwung verleihen wird.
Telegramm an Kaspers.
Eckhard schlägt in erster Linie vor, dem Kameraden Kaspers, Redakteur
des Blattes „De Arbeider", der stets kampfbereit für den antikapitalistischen
Antimilitarismus auf seinem Posten steht und krankheitshalber nicht anwesend
sein kann, zu seinem Jubiläum ein Sympathietelegramm zu senden. In diesem
Sinne wurde beschlossen.
Finanzen.
Sodann spricht Eckhard über die Finanzen, die die Grundlage aller Arbeit
sein müssen. Darum erbittet er für diesen sachlichen Teil alle Aufmerksam*
keit. Wir haben freudig gearbeitet, um den Kongreß vorzubereiten, aber die
Finanzen war eine Qual. Oftmals wußten wir weder aus noch ein. Zuweilen
mußte sogar ein scharf abgefaßter Brief an manche Ortsgruppen des I.A.M.V.
gerichtet werden. Man hatte nun einmal A gesagt und konnte dabei nicht stehen
bleiben. Der J.A.M.V. hat schließlich an Pflichtbeiträgen, wenn auch mit
äußerster Anstrengung, 2675,55 Gulden zusammengebracht. Die übrigen 7150,90
Gulden kamen von anderen Seiten. Will ein I.A.M.*Bureau Erfolg haben, dann muß
das Geld dafür auch von mehreren Organisationen aufgebracht werden. Nächstes
Jahr sind 10 310 Gulden erforderlich; dies kann der J.A.M.V. nicht allein er*
schwingen, ebensowenig alle holländischen Organisationen, die etwa beitreten
werden, zusammen. Die anderen Länder, die bisher zusammen nur 44,75 Gulden
beigesteuert haben, müssen mithelfen. Berücksichtigen wir, daß die Niederlande
in den drei dem Kongreß vorausgegangenen Jahren von Arbeitslosigkeit, Streiks
und Aussperrungen heimgesucht wurden, und daß große Summen für die
Dienstverweigerungsbewegung verwendet wurden, dann können wir dankbar sein.
Auch freut es uns besonders, daß die holländischen Syndikalisten tatkräftig
helfen; denn allein die organisierten Kopf* und Handarbeiter können ja den Krieg
unmöglich machen. Redner sagt den Kameraden Schermerhorn, De Jong und
Giesen besonderen Dank für ihre wirksame und uneigennützige Hilfe; auch
Akkermann erwähnt er hierbei. Jedoch: der Kassenabschluß zeigt einen Bestand
von 867,83 Gulden; aber wir haben 1 500 Gulden von der Unterstützungskasse der
Dienstverweigerer geliehen. Es ist die Pflicht eines jeden, der diesen Kongreß ge*
fordert hat, mit zu sorgen, daß diese Schuld beglichen wird.
32
Zum Schluß richtet Eckhard die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf das
Budget des eventuellen I.A.M.*Bureaus. Alles ist so nüchtern wie möglich an>
gelegt. Man brauchte aber nicht jedes Jahr einen Kongreß einzuberufen; das
könnte zum Beispiel ein Jahr ums andere geschehen, was 1750 Gulden Ersparnis
ausmachen würde. Redner dankt dem Kameraden H. Fransberger für seine sach*
verständige Hilfe betreffs der Rechnungsablage. Er teilt weiter mit, daß das
Budget des I.A.M.B. später behandelt werden soll, und zwar von den Vertretern
der Organisationen, die zusammen das endgültige I.A.M.B. errichten werden.
Hierauf wurde der Bericht des Kassierers gutgeheißen.
Gründung des I.A.M.B.
De Jong sagt, daß der Plan zur Errichtung des I.A.M.B. nach Beratung mit
den holländischen Syndikalisten und dem Landesausschuß des I.A.M.V. ent*
standen ist. Er wiederholt die drei Zwecke des Bureaus und betont nochmals, daß
es besonders die Aufgabe der Arbeiterklasse ist, den Krieg durch allgemeine
Dienstverweigerung und allgemeinen Arbeitsstreik zu verhüten. Die Arbeiter*
klasse ist für diese Aufgabe noch nicht reif. Sie hat sich jedoch zu ihrer
Mission heranzuarbeiten, und dazu braucht sie unter anderem eine aus*
gesprochene internationale antimilitaristische Bewegung, die fortwährend auf die
allgemeine Arbeiterbewegung einwirkt und Dienstverweigerung, Einstellung aller
Kriegsproduktion und andere wirtschaftliche Kampfmittel propagiert. Die
Arbeiterklasse hat die Macht, aber die revolutionäre Idee belebt sie noch zu
wenig. Macht und Idee sollten zusammenkommen. Dazu hat auch die anti*
militaristische Bewegung mitzuwirken, nicht in einseitig theoretischer Weise,
sondern durch Aufstellung praktischer Ziele. Die von uns angegebene Aufgabe
erlaubt Bewegungseinheit und Zusammenwirkung für alle revolutionären Organi*
sationen: syndikalistische, anarchistische, freiheitliche, Gruppen der Dritten
Internationale, Frauen* und Jugendbewegungen usw. Dazu war folgender Ent*
wurf abgefaßt: „Das Internationale Anti*Militaristische Bureau, zusammengesetzt
aus Organisationen antikapitalistischer Tendenz, hat die Aufgabe, den Militaris*
mus international zu bekämpfen, um die Unterdrückung der Arbeiterklasse und
den Krieg unmöglich zu machen. Es ist bestrebt, in den Arbeitern das Bewußt*
sein ihrer entscheidenden wirtschaftlichen Macht zu verstärken und propagiert
allgemeinen Streik und allgemeine Dienstverweigerung. Es agitiert für sofortige
Einstellung aller Kriegsproduktion. Es wirkt darauf hin, die Heere und Flotten
unzuverlässig zu machen und erweist der persönlichen Dienstverweigerung seine
Anerkennung. Es widersetzt sich jedem Versuch, ein Proletariat, das das kapita*
listische Joch abgeschüttelt hat, wiederum zu unterwerfen."
Wastiaux spricht als Ueberzeugung der französischen Kameraden aus, daß
die Prinzipienerklärung des I.A.M.B. absolut antikapitalistischer, aber auch zu*
gleich, wenn möglich, positiv revolutionärer Art sein soll.
Frau Stöcker empfiehlt, bei der Aufstellung des Zwecks des Bureaus, der Natur
dieser Organisation gemäß, den Kampf gegen den Krieg überhaupt in erste Reihe
zu stellen und darum zu lesen: „um den Krieg und die Unterdrückung der
Arbeiterklasse unmöglich zu machen". Anstatt „antikapitalistisch antimilita*
ristisch" will sie auch sagen: „revolutionär*antimilitaristisch".
Hooyberg erklärt, daß man hinsichtlich der Grundlage schon mit den an*
wesenden Vertretern anderer Länder Besprechungen gehabt hat. Dies und das
soeben Gesagte veranlassen ihn, jetzt die Abstimmung über folgende Formel zu
beantragen:
„Das Internationale Anti*Militaristische Bureau gegen Krieg und Reaktion,
zusammengesetzt aus revolutionär*antimilitaristischen Organisationen, hat den
Zweck, den Militarismus zu bekämpfen, um den Krieg und die Unterdrückung
der Arbeiterklasse unmöglich zu machen."
Boeke fragt an, was unter „revolutionär*antimilitaristisch" zu verstehen ist,
und ob sich aus den Worten „revolutionär*antimilitaristisch" ergibt, daß man die
rote Gewalt verwirft.
Wellock wünscht die Sache vom englischen Gesichtspunkt aus zu betrachten.
In England liegen die Verhältnisse ganz anders. Man kennt jetzt wieder keinen
Dienstzwang mehr, und niemand wird dort den Antimilitarismus mit der Haltung
33
der Dritten Internationale in Zusammenhang bringen. Redner selbst vertritt die
Nie-MehrsKriegsBewegung, und keiner seiner englischen Gesinnungsfreunde
könnte daran denken, sich in dieser Aktion zum Beispiel mit Gewaltskommunisten
zu vertragen. Doch hält er die Möglichkeit nicht für ausgeschlossen, in loser Be=
ziehung mit dem I.A.M.B. zusammenzuwirken. Am liebsten läse er: ,,. . . um
durch friedliche Mittel (paeifie means) die Gesellschaft von dem Krieg und die
Arbeiterklasse von der Unterdrückung zu befreien".
Im Namen des Schweizer Kameraden Fritz Lieb, der schon abreisen mußte,
teilt der Vorsitzende mit, daß er zu den Gruppen der äußersten Linken in der
Dritten Internationale gehört. Auch ihm ist die Bezeichnung „antikapitalistisch*
antimilitaristisch" nicht genügend; er will das erste Wort durch „revolutionär"
ersetzen. Er meint, daß die Linke der Dritten Internationale sehr bestimmt
imstande sein wird, mit Anarchisten und Syndikalisten gegen Krieg, Terror und
Intervention zusammenzuwirken und hofft, daß der Kongreß sich aufs äußerste
anstrengen 'wird, damit dies ermöglicht bleibt.
F. Cordes (aus Dortmund) spricht im Namen der anarchistischen Jugend
Rheinlands und Westfalens, die gegen jeden militaristischen Massenmord ist und
die sich keinesfalls der Aktion dieses Büros anschließen kann, wenn ihr keine
freie Beitragsregelung gestattet wird. Er meint, daß jede wirklich revolutionäre
Bewegung Unterstützung verdient. Ob jemand ein Gewehr auf die Schulter
nimmt, muß er mit sich selbst ausmachen; aber man hat kein Recht, andere in
dieser Hinsicht zu zwingen. Redner hat in der deutschen revolutionären Be*
wegung viele gesehen, die grundsätzlich kämpften, aber auch andere, denen es
nur ums Plündern zu tun war, oder die weglaufen wollten, als sie nicht zeitig ihr
Essen empfingen. Es fehlt oft an Idealismus und Hingebung. Redner weiß aus
Erfahrung, daß die Anwendung von Mordgewalt keine große Kunst ist. Es ist
jedoch für revolutionäre Bewegungen immerhin gefährlich, sich fortwährend auf
systematische Propaganda und Organisation von Gewalt zu verlegen. Der Dienst
erfordert Kadavergehorsam, und dafür gibt Redner sich nicht her. Man muß
neue revolutionäre Begeisterung hervorrufen. Redner liest Flugblätter vor, worin
die deutschen revolutionären Antimilitaristen sich an das Volk wenden.
Fletcher ist als Antimilitarist und Antikapitalist der Meinung, daß nicht
allein die sogenannte arbeitende Klasse vom jetzigen Gesellschaftssystem und
vom Kriege befreit werden muß, sondern auch Körper und Geist der Bürger.
In der Abendsitzung erklärt De Jong im Namen des Kongreßausschusses, die
Anträge Wastiaux, Stöcker und Hooyberg anzunehmen. Auf die Frage von Boekc:
„Was ist revolutionär?" antwortet er, daß Revolution nicht mit Gewalt identisch
ist. Revolutionär ist „umwälzungsgesinnt". An Stelle der kapitalistischen Welt.
wo des Gewinnes halber produziert wird und die Kapitalisten die Produktion be-
herrschen, wollen wir eine sozialistische, wo der Bedürfnisse halber produziert
wird und die Erzeuger die Produktion beherrschen. Wenn auch jetzt und wahr*
scheinlich auch in Zukunft bei Revolutionen meistens Gewalt angewendet wird,
bleibt dies doch Nebensache. Uebrigens haben sich auf allerlei Gebieten schon
Revolutionen gewaltlos vollzogen. Finden infolge unserer Propaganda für all?
gemeine Dienstverweigerung, allgemeinen Streik usw. gewalttätige Zusammen?
stoße statt, so fällt die Verantwortlichkeit dafür zu allererst auf die Vertreter der
alten Gewalt, auf die Bourgeoisie, und keinesfalls auf diejenigen, die als Revo-
lution die grundsätzliche Aenderung des Gesellschaftssystems propagieren. In*
sofern die Absolutisten Antimilitaristen sind und auch in ihrer Weise nach einer
Gemeinschaft ohne Klassengegensätze und Ausbeutung streben, haben sie, wie
Redner meint, keinen Grund, sich gegen das Wort „revolutionär" zu sträuben.
Den roten Militarismus verteidigt das Bureau als solches in keiner Hinsicht; es
verteidigt nicht einmal die Gewalt, und noch weniger macht es Propaganda dafür.
Ebensowenig ist es jedoch die Aufgabe des I.A.M.B., besonders gegen rote Heere
usw. zu agitieren. Wenn wir auch nicht mit der Dritten Internationale lieb=
äugeln, so haben wir doch als Bureau eine bestimmte Aufgabe, die sich direkt
gegen die jetzigen imperialistischen Machthaber richtet. Was England betrifft, ist
dort seit 1914 der Militarismus nicht weniger vorherrschend als anderwärts, wozu
sich dann noch der Marinismus hinzugesellt. Die englische antimilitaristische
Bewegung hat nur Sinn, wenn sie sich tatsächlich auch antikapitalistisch, revo*
lutionär äußert. Wenn Wellock für friedliche Mittel ist und Jan Rink (aus Soest.
Holland) durch Zwischenruf fragt, was man unter „friedlichen Mitteln" versteht,
34
so sagt De Jong: Das Bureau gibt selbst friedliche Mittel an: persönliche Dienst«
Verweigerung, allgemeine Dienstverweigerung, sofortige Einstellung aller Kriegs*
Produktion, das Pflegen einer antimilitaristischen Stimmung in Heer und Marine
und als das entscheidende Mittel: den allgemeinen Streik. Alle diese Mittel sind
friedlich. Schließlich ist wirtschaftlicher Streik das große revolutionäre Mittel
gegen den Krieg.
P. Eidering (aus Rotterdam) und Boeke fragen, inwieweit bereits ein I.A.M.B.
besteht. De Jong antwortet darauf, daß in erster Linie der holländische I.A.M.V.
im Jahre 1917 eine Kommission zur Vorbereitung des Kongresses ernannte. Diese
wurde im Laufe der Zeit einigermaßen abgeändert. Im August 1920 berief sie
eine internationale Vorkonferenz nach dem Haag ein, wo die anwesenden Käme;
raden ein Bureau errichteten, das die Aufgabe hatte: 1. den jetzigen Kongreß weiter
vorzubereiten (und in diesem Sinne blieb man also Vorbereitungskommission);
2. als Konzentrationspunkt internationalen antimilitaristischen Kampfes zu
wirken, aber dann hauptsächlich als Mittelpunkt der belgischen, dänischen, fran*
zösischen, holländischen und eventuell anderer Landesverbände des I.A.M.V.
Jetzt ist es jedoch beabsichtigt, daß der I.A.M.V. als Internationale für sich
organisiert ist (hierüber wird er dieser Tage noch beraten); doch daneben ein ge*
räumigeres Organisationsganzes mit engerem Ziel gegründet wird. Das jetzige
Bureau hat daher einen durchaus vorläufigen Charakter.
Wellock erkennt an, daß man schließlich in England unter demselben Impe«
rialismus lebt wie anderwärts; aber infolge einer anderen Geschichte betrachtet
man dort die Dinge anders. Was ihn selbst betrifft, so ist er revolutionär. Der
absolute Pazifist ist der Revolutionär im höchsten Grade und kämpft mit neuen
Kräften, woran viele noch nicht einmal glauben. Er vertritt eine Bewegung, die
in ganz anderer Weise als die Dritte Internationale eine neue Welt errichten will.
Dennoch verurteilt er die Dritte Internationale nicht sondern bewundert er
manche ihrer Vertreter. Wer jedoch den Militarismus als Mittel gebraucht, wird
selbst davon befallen. Dies ist eine wesentliche Gefahr, die man auch schon unter
den Kommunisten beobachten kann. Mit allgemeinem Streik möge etwas zu
erreichen sein; doch will Redner diesen an sich nicht verkündigen; für ihn handelt
es sich zuerst um eine neue Stimmung im Volke, wodurch man dann die heutigen
Mißstände, wie Krieg und dergleichen nicht mehr will. „Pazifistische Mittel"
drückt etwas Positives aus. Ruft dieser Ausdruck bei anderen Mißverständnis
hervor, so ist es am besten, hier die Prinzipienerklärung nach eigener Auffassung
zu formulieren, wonach die Absolutisten beurteilen werden, ob und inwiefern sie
mit dem Bureau zusammenwirken können.
Hooyberg führt aus, daß wir weder unsere revolutionäre Zielstellung noch
das Mittel des Generalstreiks aufgeben dürfen. Wer damit nicht einverstanden
ist, könnte vielleicht in loser Beziehung mitwirken.
Auf eine Frage von Eldeving erklärt De Jong, daß der Kongreßausschuß den
Abänderungsantrag „friedliche Mittel" nicht annehmen kann. Unsere Mittel sind
grundsätzlich friedlich; setzen wir jedoch dieses Wort hinzu, so würde dieses das
Mißverständnis hervorrufen, als wenn das Bureau als solches nur Absolutisten
verträte. Uebrigens wiederholt er, daß wir nicht nur keine Gewalt propagieren,
sondern auch nicht einmal verteidigen. Ferner stehen nun einmal die meisten
hier vertretenen Organisationen nicht auf dem Standpunkt, daß sie das Anwenden
oder Verwerfen der Gewalt als Prüfstein betrachten, so z. B. der I.A.M.V. Wir
verbinden uns hier föderativ zu einem ausgesprochenen Zweck, der so genau b&=
schrieben werden muß, daß man ohne irgendwelches Mißverständnis sofort positiv
weiß, was wir wollen.
Snyders (aus Amsterdam) sagt, daß er die Föderation von SoziaLAnarchisten
vertritt, die sich gegen Krieg, Militarismus und Gewalt richtet. Wird uns jedoch
die Gewalt von anderen aufgezwungen, so entscheidet seiner Meinung nach die
Lage, worin er sich befindet, über seine Kampfmittel. Ergibt sich denn etwa hier*
aus, daß man die systematische Gewaltsanwendung fortwährend propagieren muß.
wie dies in kommunistischen Kreisen geschieht? Nein! Wären wir in einer
Lage wie in Rußland, dann würde Redner zur Verteidigung der Revolution sich
der Gewalt bedienen.
35
Frau Blom (aus Nieuwe Niedrop, Holland) wünscht einen Unterschied zu
machen zwischen dem kapitalistischen Militarismus und den gewalttätigen Kampf*
methoden der Dritten Internationale. Sie meint, daß von Menschenhänden her=
gestellte Waffen die schlechtest denkbaren Mittel sind für irgendwelchen Kampf.
Sie hat wenig Sympathie für Propaganda zugunsten des roten Heeres, erkennt
aber die große historische und moralische Bedeutung eines aus Arbeitern be*
stehenden Heeres im Kampfe gegen ein auch aus Arbeitern bestehendes, aber von
der Bourgeoisie gebrauchtes Heer. Sie hofft, daß auch die Absolutisten solche
revolutionären Kämpfer schätzen werden. Wer Menschen dazu anregt, bewaffnet
für eine neue Gesellschaft zu kämpfen, leistet ein großes Werk. Wer das „Du
sollst nicht töten" in sich aufnimmt und anwenden kann, leistet vielleicht ein
noch größeres Werk. Rednerin hofft, da das Bureau auch Anhängern der Dritten
Internationale Gelegenheit zum Zusammenwirken gibt, daß diese auch als auf=
richtige Revolutionäre gewürdigt werden.
Frau C. Kolthek'T immer (aus dem Haag) fragt, ob es auch Sache des Bureaus
ist, gegen die Propaganda, die zum Beispiel die Holländische Kommunistische
Partei auf dem Lande für das rote Heer macht, zu agitieren.
De Jong antwortete, daß dies von der Aufgabe des Bureaus ausgeschlossen ist.
Man kann dies mittels anderer Vereine tun oder nötigenfalls durch eine besonders
zu diesem Zwecke zu gründende Organisation. Dies ist jetzt nicht an der Tages*
Ordnung. Der Frau Blom antwortet er, daß wir uns mit Gewissensprüfung nicht
einlassen, sondern alle, die sich mit unserem Ziel einverstanden erklären, gerne als
Mitkämpfer anerkennen. Wohl müssen wir davon überzeugt sein, daß wir es mit
ehrlichen Kameraden zu tun haben, aber das wird die Praxis lehren.
Prinzipienerklärung des l.A.M.B.
Schließlich wurde die Formulierung WastiauxsStöcker^Hooyberg einstimmig
angenommen und lautet die Prinzipienerklärung des I.A.M.B. folgendermaßen:
„Das Internationale Anti*Militaristische Büro gegen Krieg und Reaktion,
zusammengesetzt aus revolutionär?antimilitaristischen Organisationen, hat die
Aufgabe, den Militarismus international zu bekämpfen, um den Krieg und die
Unterdrückung der Arbeiterklasse unmöglich zu machen."
Inzwischen hatte der Kommunist Brommert folgende schriftliche Frage
gestellt: „Gilt die jetzt angenommene Prinzipienerklärung für immer, und wenn
nicht, gibt es dann die Freiheit, im Rahmen des Bureaus Propaganda zu machen,
um eine Abänderung für den nächsten Kongreß vorzubereiten?"
De Ligt antwortet, daß in dieser Hinsicht zwei Methoden möglich sind. Man
kann, wie der Kommunist Lieb, den Inhalt der jetzigen Prinzipienerklärung an*
nehmen, sich darum dem Bureau anschließen und dann mit uns zusammenwirken.
Solche Kameraden empfangen wir gerne. Sie stärken in der revolutionären Be=
wegung das, wofür wir überhaupt kämpfen. Es ist jedoch erforderlich, daß man
dann aufrichtig mit der gemeinsam festgestellten Grundlage des Bureaus einver*
standen ist. Ist man dies dagegen nicht, und tritt man dennoch dem Bureau bei in
der Absicht, die Grundlage möglichst bald zu ändern, so ist dies nicht aufrichtig
und etwas ganz anderes, als wenn man zuerst zusammen von einer bestimmten
Formel ausginge und im Laufe der Zeit entdeckte, daß sie Aenderung erfordert.
Das Institut l.A.M.B. ist auf internationale Praxis gegen den imperialistischen
Militarismus gerichtet. Alle, die die Prinzipienerklärung unterschreiben können,
mögen sich darin vereinigen. Aber kann man sie nicht unterschreiben, so sei man
charaktervoll genug, ihm fernzubleiben.
Brommert erbittet das Wort in persönlicher Sache. In der von ihm ge*
stellten Frage steht keinerlei Unaufrichtigkeit. Im allgemeinen ist er mit Zweck
und Mitteln einverstanden; aber er könnte mit der vorgefaßten Absicht beitreten,
die Bewegung besonders seinem eigenen Ziel entsprechend zu machen.
De Ligt antwortet, daß in Brommerts Auffassung etwas Aufrichtiges und
etwas Unaufrichtiges ist. Vor ersterem hat er Respekt. Man kann von einer
aufrichtigen Unaufrichtigkeit sprechen. Brommert und die Seinen erkennen an,
r1aß ihre Praxis in der Richtung dos Jesuitismus gebt. Menschen, die mit den
36
besten Absichten selche Wege verfolgen, pflegen eine Rechtschaffenheit wie der
Großinquisitor, den Dostojewski in treffender Weise dargestellt hat. Man hat
kein Recht, dem Bureau beizutreten, wenn man in diesem Augenblick nicht uns
zweideutig mit der soeben als Ausdruck der allgemeinen Auffassung festgestellten
Formel einverstanden ist.
Vierte geheime Sitzung.
Von Mittwoch abends 11 Uhr bis Donnerstag morgens 6X> Uhr waren in ge=
heimer Sitzung versammelt: French, Adamas, Gerard, Van Langen, Stöcker.
Fletcher, Wellock, Haussard, Sauvage, Wastiaux, Ramus, Björklund, Eckhard,
Giesen, De Jong, Kaastra, De Ligt, Schermerhorn und einige andere.
Antimilitarisiische Kampfmittel.
Die in der dritten geheimen Sitzung von den Franzosen angegebenen Kampf»
mittel werden im Prinzip angenommen. Ferner hält man für erforderlich: Er*
wecken von Erkenntnis betreffs des kapitalistischen Systems und der Zusammen*
hänge zwischen Kapitalismus und Krieg; Revolutionieren der Gesinnung; Kampf
für eine gänzlich andere Erziehung, wie Ferrer und Domela Nieuwenhuis sie pro*
pagierten; Aktion für Gewissensfreiheit auch hinsichtlich des Kriegsdienstes; Vers
breitung von Flugschriften, die zu Taten anregen; Propaganda gegen Eintritt in
Bürgerwehr, freiwilligen Landsturm, Kolonialheere usw.; wirtschaftlichen Boykott;
allgemeinen Streik. Man wird hiervon möglichst anzuwenden suchen, was die
Umstände erfordern und die Kräfte gestatten.
Finanzen.
Eckhard legt nochmals dar, daß die holländische Bewegung auf die Dauer
unmöglich allein in der Lage sein kann, das gesamte Wirken des Bureaus finanziell
zu tragen. Er erbittet die Mitwirkung aller Gruppen und Kameraden der anderen
Länder, die sich anschließen und die Arbeit unterstützen wollen. Das Bureau
arbeitet so sparsam wie möglich; jedoch unsere Verwaltungskräfte müssen bezahlt
werden können, und Kosten von Drucksachen und Porti sind sehr hoch.
Seine Worte finden allgemeine Zustimmung, und verschiedene ausländische
Kameraden versprechen, zu tun, was sie können. Nicht allein wird es nötig sein,
daß die zutretenden Organisationen in bestimmter Weise regelmäßig beitragen,
sondern manche meinen, daß man auch durch Einberufen besonderer Versamm*
lungen, Kollekten usw. das Einkommen des Bureaus steigern kann. Man beauftragt
Eckhard, in angemessener Weise eine finanzielle Grundlage festzustellen, unter
Berücksichtigung der Valuta der verschiedenen Länder usw. Allgemein pflichtet
man der Ansicht des Kassierers bei, daß in Erwartung regelmäßiger Beitrags*
ablieferungen eine einmalige Beitragserhebung zur Deckung der Gründungskosten
unvermeidlich ist.
Kontakt mit dem Orient.
Ferner wurden in dieser Versammlung Maßregeln ergriffen zugunsten eines
Zusammenwirkens zwischen Antimilitaristen des Orients und des Okzidents. Man
beschloß, in der Aufstellung des Zwecks des Bureaus die Einheit der allgemein*
menschlichen Aktion zum Ausdruck zu bringen, indem man seinen Kampf auch
gegen die militärische Unterdrückung und wirtschaftliche Ausbeutung der farbi=
gen Rassen richtete.
Zweck des I.A.M.B.
Am Donnerstag, den 31. März, mittags, eröffnet De Ligt die öffentliche Kon*
greßversammlung und stellt die Aufgabendefinition des I.A.M.B. zur Diskussion.
Im Entwurf ist sie aufgesetzt wie folgt:
„Es ist bestrebt, in den Arbeitern das Bewußtsein ihrer entscheidenden
wirtschaftlichen Macht zu verstärken und propagiert allgemeinen Streik und
allgemeine Dienstverweigerung.
Es agitiert für sofortige Einstellung aller Kriegsproduktion.
Es wirkt darauf hin, die Heere unzuverlässig zu machen und erweist der
persönlichen Dienstverweigerung seine Anerkennung.
Es widersetzt sich jedem Versuch, ein Proletariat, das das kapitalistische
Joch abgeschüttelt hat, wiederum zu unterwerfen."
37
Kampfmittel.
Scherrrierhorn bedauert, daß in dieser Erklärung nicht auch die Sabotage ais
Kampfmittel genannt wird, nicht im Sinne der Vernichtung menschlichen Lebens,
sondern im Sinne einfacher Zerstörung von Kriegsmitteln: Unbrauchbarmachung
von Telephon, Telegraph, Eisenbahnmaterial usw. Wenn nun einmal viele nicht
den Mut haben, offen und unbedingt mit dem Militarismus zu brechen, so haben
doch auch sie das Recht, nach ihren Kräften möglichst zweckmäßig zu kämpfen.
Und außerdem kann der einzelne, der Held, viel leisten: der Maschinist kann
seine Maschine unbrauchbar machen usw.
Kaastra weist darauf hin, daß den Soldaten im Manöver gelehrt wird, die
Schlösser von den Gewehren ihrer Gegenpartei abzunehmen. In dieser Hinsicht
können wir nicht zu viel von unseren Gegnern lernen.
Giesen erkennt den Wert und die Bedeutung der Sabotage an. Jedoch hält
er sie besonders in wirtschaftlicher Hinsicht für ein schwaches Mittel. So ist es
zum Beispiel in Munitionsfabriken geradezu unmöglich, schlechte Munition her*
zustellen, da hier die Arbeitskontrolle sehr scharf ist, oft das Taylorsystem an«
gewendet wird usw. Als eins der Kampfmittel haben wir die Sabotage anzu*
nehmen, und sie kann außergewöhnlichen Wert besitzen zur Zerrüttung des
Verkehrs. Wenn man nur nicht zu viel Gewicht darauf legt und demzufolge
nötigere direkte Aktion unterläßt. Wenn man den Blick zu sehr auf die Sabotage
richtete, wäre es möglich, daß man sich nur zu leicht dem militaristischen Pro*
duktionssystems ergäbe und infolgedessen in kritischen Augenblicken nicht im*
stände wäre, sich dem Willen der Imperialisten zu entziehen.
De Ligt bemerkt, daß es erwünscht ist, jetzt nicht ausführlich über einzelne
Kampfmittel zu sprechen. Es handelt sich hier um eine möglichst allgemein ge*
haltene Aufgabendefinition. Wird diese als Grundlage vom Kongreß gutgeheißen,
so wird im Zusammenhang damit die gesamte Taktik ausgearbeitet. In kleinem
Kreise hat man ja schon über die Kampfmittel Gedanken ausgetauscht. Alle an?
gegebenen Mittel sollen bekannt gemacht werden, und man wird sie den Um«
ständen und Kräften gemäß anwenden.
Wastiaux teilt nun öffentlich mit, welche Kampfmittel die französische Abs
Ordnung vor allen Dingen für erforderlich hält. Er wünscht ferner, daß das Büro
an die verschiedenen Regierungen Noten richten soll, um Revision der Prozesse
gegen Dienstverweigerer zu fordern.
De Ligt fragt, ob die Versammlung es gutheißt, daß allen Angaben von
Kampfmitteln, die eventuell zugetretene Gruppen machen, der allgemeinen Ten*
denz des Bureaus entsprechend, nach Möglichkeit Rechnung getragen wird.
Der Kongreß ist damit einverstanden.
Kampf gegen militärische Unterdrückung und wirtschaftliche Ausbeutung
der farbigen Völker.
Gemäß den in dieser Nacht abgehaltenen Besprechungen fragt De Ligt, ob
die Anwesenden dem Vorschlag beistimmen, daß man der Prinzipienerklärung
einen Absatz hinzufügt, worin als vierte Aufgabe des I.A.M.B. angegeben wird:
Kampf gegen militärische Unterdrückung und wirtschaftliche Ausbeutung der
farbigen Rassen.
Der Kongreß ist damit einverstanden und nimmt definitiv folgendes an als:
Prinzipienerklärung und Aufgabendefinition des Internationalen AntU
Militaristischen Bureaus gegen Krieg und Reaktion.
Das Internationale AntuMilitaristische Bureau gegen Krieg und Reaktion, zu-
sammengesetzt aus revolutionär:antimilitaristischen Organisationen, hat den
Zweck, den Militarismus international zu bekämpfen, um den Krieg und die
Unterdrückung der Arbeiterklasse unmöglich zu machen.
Es ist bestrebt, in den Arbeitern das Bewußtsein ihrer entscheidenden wirt=
schaftlichen Macht zu verstärken.
38
Es propagiert die sofortige Einstellung aller Kriegsproduktion.
Es fördert die Desorganisierung der Heere und Flotten und erweist dem
jenigen, die persönlich den Militärdienst verweigern, seine Anerkennung.
Es widersetzt sich jedem Versuch, ein Proletariat, das das kapitalistische Joch
abgeschüttelt hat, mittels Intervention wieder zu unterwerfen.
Es wendet sich gegen jede militärische Unterdrückung und wirtschaftliche
Ausbeutung der farbigen Rassen und erstrebt größtmögliche Einigkeit unter dem
revolutionären Proletariat von Nord und Süd, Ost und West.
Organisation des I.A.M.B.
Auf der Tagesordnung ist nun folgender Antrag:
„Das Internationale Anti*Militaristische Bureau wird zusammengesetzt aus
Organisationen, die in revolutionär*antimilitaristischem Geiste miteinander
tätig zu sein wünschen. Die dem Bureau beigetretenen Organisationen jedes ein^
zelnen Landes verbinden sich zu einem zusammenwirkenden Körper. Diese
Landesgruppen ernennen mindestens je einen Abgeordneten für das Inter*
nationale AntisMilitaristische Bureau. Die Gesamtheit der Abgeordneten, als
I.A.M.B. versammelt, bezeichnet ein Land, wo der Exekutivausschuß des
I.A.M.B. seinen Sitz haben soll. Der Exekutivausschuß wird gebildet von Mit*
gliedern verschiedener angeschlossener Organisationen, von denen eine be=
stimmte Anzahl auf Antrag des Internationalen Anti^Militaristischen Vereins
ernannt wird."
Der Kongreß nimmt dies einstimmig an. Das I.A.M.B. wird seinen Sitz in
Holland haben.
Finanzen.
Eckhard betont nachdrücklich, daß aus der Praxis nichts werden kann, wenn
man einseitig an das Ideal denkt. Vom Standpunkt des Kassierers aus haben die
Finanzen die Grundlage zu bilden. Allzuoft hat man dies in der sozialistischen Be-
wegung vergessen. Vorläufig brauchen wir jährlich ungefähr 10 000 Gulden. Was
jeder bezahlen muß, hängt von der Sympathie ab, die man antrifft, und von den
Organisationen, die sich anmelden, und von deren Mitgliederzahl. Von der
Unterstützungskasse der Dienstverweigerer haben wir 1500 Gulden geliehen. Dies
ist eine Ehrenschuld. Redner schlägt vor, daß alle sich anmeldenden Organa
sationen einen bestimmten Betrag pro Mitglied bezahlen.
De Ligt teilt mit, daß die Kameraden aus anderen Ländern bereits über diese
Sache unterrichtet sind und im großen und ganzen hiermit einverstanden sind. Er
begrüßt Lansink, den Vorsitzenden des Niederländischen Arbeiter*Sekretariats,
der soeben zurückgekehrt ist. Da der Plan zu dem I.A.M.B. im Einvernehmen mit
den Vertretern des N.A.S. aufgestellt ist und jetzt allgemeinen Beifall findet, und
da bereits verschiedene ausländische Organisationen ihre Mitwirkung in Aussicht
gestellt haben, erwartet Redner, daß auch das N.A.S. dem Bureau beitreten wird,
und zwar nicht in der Weise, daß Vorstände oder Leiter hier Beschlüsse fassen,
sondern er ist davon überzeugt, daß im Lande eines Domela Nieuwenhuis die
revolutionären Arbeiter selbst kundtun werden, daß sie mit uns zusammenwirken
wollen. Er wünscht, daß die Holländer derart arbeiten, daß sie die Ausländer
begeistern.
Eckhard führt aus, daß man von kleinen Gruppen in Holland 25 Cent pro
Mitglied erbitten könnte. Für größere Organisationen könnte in gegenseitigem Ein*
vernehmen ein verhältnismäßig kleinerer Betrag festgestellt werden.
Lansink ist hiermit einverstanden.
Der Kongreß nimmt diese Entwürfe einstimmig an.
PropagandamitteL
Boeke erklärt es für erwünscht, den Auffassungen des französischen Landes;
Verbandes des I.A.M.V. entsprechend 1. eine antimilitaristische Zeitschrift in
Französisch, Deutsch, Englisch und seinetwegen auch am liebsten in einer Welt?
hilfssprache herauszugeben; 2. internationale Bulletins herauszugeben; 3. ge*
39
meinschaftliche internationale Demonstrationen an demselben Tage zu veran«
stalten; 4. große Volksversammlungen mit ausländischen Rednern abzuhalten;
5. internationale Pressekampagnen über bestimmte Tatsachen sowohl in sich
interessierenden wie in eigenen Organen zu führen.
Der Kongreß stimmt diesen Vorschlägen im Prinzip bei. Von den Finanzen
wird es abhängen, wieviel man hiervon praktisch ausführen kann.
Welthilfssprache.
Schermerhorn stellt fest, daß dieser Kongreß uns wieder aufs neue gelehrt
hat, daß eine Welthilfssprache für Revolutionäre erforderlich ist. Je mehr Länder
und Völker unsere Bewegung umfaßt, desto unentbehrlicher wird sie sich zeigen.
Kr beantragt deshalb folgende Resolution, die einstimmig angenommen wird:
„Der Internationale AntisMilitaristische Kongreß, der die Schwierigkeiten,
die sich aus der Sprachenverschiedenheit und »Vielheit ergeben, erfahren hat,
nimmt die Weltsprache für alle internationale Beziehungen der Antimilita*
risten an;
betrachtet hierbei als die Weltsprache die Dialekte Esperanto und Ido, die
beide auf dem gemeinsamen Grundsatze der größten Internationalität ge<=
gründet und dadurch jeder für sich den Anhängern des andern verständlich
sind;
ermutigt die Antimilitaristen aller Länder, einen dieser Dialekte zu er*
lernen und öffnet damit die Tür zu weiterer Entwicklung, und freier Ver*
einheitlichung der Weltsprache."
Abschied Schermerhorns.
Schermerhorn muß den Kongreß wegen anderweitiger Tätigkeit verlassen.
Diese wunderbare Zusammenkunft hat tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Er
hat ein starkes Gefühl von Einheit und Kameradschaft erlebt. Er wird den
Geist dieses Kongresses mit in seine Arbeit hinübernehmen und hofft, daß bald
alle wieder ins Leben hinausgehen werden, um für das Ideal zu kämpfen und zu
leiden und, wenn's sein muß, zu fallen.
Telegramm an die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
über Eugene Debs und andere.
Dem Wunsch der belgischen und französischen Kameraden entsprechend,
schlägt Giesen vor, folgendes Telegramm an die Regierung der Vereinigten
Staaten Amerikas zu senden, was begeistert angenommen wird:
„Der Internationale AntisMilitaristische Kongreß im Haag sendet seine
besten Grüße an Eugene Debs und hofft, daß Amerika bald wieder sein
besseres Selbst zeigen wird durch Freilassung von Debs und anderen Käme*
raden aus allen Gefängnissen der Vereinigten Staaten."
Telegramm zugunsten der französischen Gefangenen.
Ebenfalls auf Wunsch jener Kameraden schlägt .Giesen vor, folgendes Tele*
gramm an die französische Regierung zu senden, was wiederum begeistert an*
genommen wird:
„Der Internationale Anti=Militaristische Kongreß im Haag bezeugt allen
Opfern des Militarismus seine Sympathie, protestiert gegen die Gefangen*
haltung von Armand, Badina, Cottin, Azarty, der Matrosen des Schwarzen
Meeres, der Aufständischen von 1917, der Deserteure und Ununterworfenen
und entschließt sich, für ihre Freilassung zu wirken."
Entschließung Haussard.
Auf Antrag der französischen Kameraden, von denen Haussard vor seiner
Reise nach Holland nochmals den Bericht des AntisMilitaristischen Kongresses
von 1907 in sich aufgenommen hatte, wird eine Entschließung angenommen im
Sinne der Amsterdamer Erklärung der französischen Anarchisten im Jahre 1907:
40
„Der Internationale Anti*Militaristische Kongreß, kämpfend für vollständige
Befreiung der Menschheit und gänzliche Freiheit der Persönlichkeit, erklärt sich
als Feind aller bewaffneten Gewalt in Händen des Staates: Heer, Gendarmerie,
Polizei, Bürgerwehr, Justiz usw.
Er ermuntert die Kameraden, und überhaupt alle nach Freiheit Strebenden,
den Militarismus zu bekämpfen zur radikalen Vernichtung aller Unter*
drückungsinstrumente, und zwar nach Maßgabe ihrer Veranlagung und ihrer
Umstände mit allen Mitteln, wie persönlicher Aufstand, individuelle oder ge*
meinschaftliche Dienstverweigerung, aktiver und passiver Ungehorsam usw.
Er spricht die Erwartung aus, daß alle betroffenen Völker jede Kriegs*
erklärung mit Revolution beantworten werden und erklärt, überzeugt zu sein,
daß in dieser Hinsicht die revolutionären Antimilitaristen das Beispiel zu
geben haben."
Abschied Wellocks.
Nachdem Boeke, De Jong, Lansink, Wastiaux und Wellock noch diskutiert
haben, auf welche Weise Organisationen dem Bureau beitreten können, und man
zu dem Schlüsse gekommen ist, daß die angenommene Prinzipienerklärung und
Organisationsmethode Anarchisten, Syndikalisten, Kommunisten der Dritten
Internationale und Absolutisten in die Lage setzt, in loyaler Weise zusammen*
zuwirken, erklärt Wellock, daß es ihn gerührt hat, wie hier gekämpft wird, um
aus Idealen Wirklichkeit zu machen. Er wird in England tun, was er kann, um
das I.A.M.B. bekannt zu machen und die Organisationen, die sich ihrer Art
nach dafür eignen, zu kräftiger Mitwirkung zu veranlassen.
Der 1. August als Tag der Antimilitaristen.
De Jong schlägt vor, jedes Jahr am 1. August, dem Datum des Anfangs des
Westkrieges, überall große internationale Volksversammlungen mit Rednern aus
andern Ländern zu veranstalten.
Man beschließt, daß der 1. August gleichsam der antimilitaristische 1. Mai
werden soll.
Standpunkt hinsichtlich reaktionärer Freiwilligenheere und dergl.
Anläßlich des Antrages des Landesverbandes Dänemark des I.A.M.V. be*
treffend Freiwilligenheere und entsprechend den Ausführungen von Frau Roland
Holst, macht De Jong den Kongreß darauf aufmerksam, daß ein besonderer
Kampf zu führen ist gegen Gendarmerie, Polizeitruppen, Bürgerwehr usw., deren
sich die reaktionären Regierungen immer mehr bedienen, je nachdem das söge*
nannte nationale Volksheer für sie unzuverlässig wird. Er bittet alle Geistes*
freunde aus allen Ländern, dem Bureau möglichst viele Berichte darüber einzu*
senden, damit es diese international verarbeiten kann.
Absolutisten.
Boeke teilt mit, daß eine Gruppe Absolutisten beschlossen hat, wenn der
I.A.M.V. sich nicht auf absolutistischen Standpunkt stellt, sich auf Grund
folgender Formel selbständig zu organisieren:
„Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschheit: wir sind daher fest ent*
schlössen, keinerlei Krieg zu unterstützen und für die Beseitigung aller Kriegs*
Ursachen zu kämpfen."
De Jong antwortet, daß der I.A.M.V. als solcher gegen den Militarismus
kämpft, ohne sich darum gegen alle Gewaltanwendung oder gegen revolutio*
nären Selbstbefreiungskrieg zu wenden. Wohl kämpfen auch Absolutisten inner*
halb des I.A.M.V. mit. Für ihr eigenes besonderes Ziel haben sie ohne Zweifel
Recht auf eine eigene besondere Organisation. Er erwartet, daß also die Ab*
solutisten bald ihren Verein für sich haben werden. Er erkennt es an, daß
sie gezeigt haben, keine unnötige Zersplitterung zu wollen. Er hofft, daß ihre
Organisation mit dem IA.M.B. und dem I.A.M.V. in jeder Hinsicht kräftig und
kameradschaftlich zusammenwirken wird.
41
Dank an die Kameraden.
De Ligt erweist der Niederländischen Arbeiterbewegung Dank, daß sie uns
instand gesetzt hat, während der letzten 2XA Jahre international überall bekannt
zu machen, was die revolutionären Antimilitaristen wollen. Was 1904, 1907, 1914
und 1917 nur wenig näher rückte, beginnt nun Wirklichkeit zu werden. Er dankt
den Kameraden aus anderen Ländern für ihre Anwesenheit, hauptsächlich den
Kameraden ohne Paß, die keine Mühe gescheut haben und von denen sogar einer
sich im Kohlenraum eines Schiffes verborgen hatte (Beifall). Er dankt den Dol«
metschern für ihre anstrengende Arbeit und den Haager Kameraden, die sehr
viel Zeit und Mühe aufgewendet haben, damit alles gut von statten ging, und
hofft, daß die Arbeit von allen wirksam und beständig fortschreiten wird.
42
ORGANISATORISCHER TEIL
n
INTERNATIONALER
ANTI- MILITARISTISCHER VEREIN
Internationaler Anti-Militaristischer Verein (I.A.M.V.).
Am Donnerstag, den 31. März, abends, und den ganzen darauffolgenden Frei*
tag, den 1. April, waren versammelt: Adamas und Gerard (Landesverband Bei«
gien des I.A.M.V.), Wastiaux (Landesverband Frankreich des I.A.M.V.), Van
Langen (Landesverband Dänemark des I.A.M.V.), Stöcker (Bund der Kriegsdienst*
gegner, Deutschland) und der vorläufige Vorstand des Internationalen Anti*
Militaristischen Bureaus.
Anläßlich der vom vorläufigen I.A.M.B. im Auftrage der geheimen Vor«
konferenz im August 1920 vorgeschlagenen Prinzipienerklärung hatte der Landes*
verband Belgien Folgende abgeänderte Fassung eingereicht:
Belgischer Antrag betreffs Prinzipienerklärung l.A.M.V.
„Indem wir unter Militarismus das Erstreben und Anwenden der von jeder
Staatsmacht unter Gebrauch von Zwang organisierten Waffengewalt verstehen,
erkennen wir als Antimilitaristen alle an, die sich grundsätzlich hiergegen wenden
und ihm sowohl individuell wie in Massen möglichst Abbruch zu tun wünschen.
Indem der l.A.M.V. konstatiert, daß der Militarismus als eine notwendige
Begleiterscheinung aller Staatsmacht (hauptsächlich als Imperialismus) in Erschei*
nung tritt, und daß das jetzige Gesellschaftssystem kraft seines Raubgrundsatzes
zu organisiertem Massenmord führt und führen muß, erklärt er, daß der Anti*
militarismus antikapitalistisch ist und daß sein Kampf auf Vernichtung jeder
Staatsmacht gerichtet ist.
Jeder, der einen grundsätzlichen staatsgegnerischen Kampf gegen den Mili*
tarismus (Dienstzwang) führen will, ist in unseren Reihen willkommen."
Frau Stöcker erklärte, daß die Möglichkeit bestand, daß die deutschen Kriegs*
dienstgegner sich dem Büro auf Grund folgender Prinzipienerklärung anschließen
würden:
Deutscher Antrag betreffs Prinzipienerklärung l.A.M.V.
„Unter Militarismus verstehen wir die Gesinnung, die organisierte Menschen*
tötung als erlaubtes Mittel für politische oder gesellschaftliche Ziele betrachtet.
Als Antimilitaristen erkennen wir darum alle an, für die die Heiligkeit und
Unantastbarkeit des menschlichen Lebens als höchstes Gesetz menschlicher Ge*
meinschaft gilt. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich für sie die Pflicht, alles zu tun,
um sich sowohl persönlich wie in Massen der Barbarei organisierter Massentötunß
zu widersetzen, sowie sich zu weigern, an der Vorbereitung von Kriegstaten teil*
zunehmen. Der einzelne hat auch gegenüber Beschlüssen des Volksganzen nicht
nur das Recht, sondern die Pflicht, die Teilnahme an Handlungen zu verweigern,
die das Gewissen für unsittlich erkennt, und für die Erkenntnis der Unsittlichkeit
davon in der Gesellschaft zu wirken.
In immer weiteren Kreisen von Männern und Frauen aller Länder dies Pflicht*
gefühl und dies Bewußtsein der Verantwortlichkeit des einzelnen zu erwecken,
erscheint uns als Hauptaufgabe der internationalen Antimilitaristen. Denn dies
ist nicht nur eine wirksame Unterstützung aller Bemühungen, den Völkerfrieden
durch Verbesserung der Völkerorganisationen zu sichern, Sondern auch die Bedin*
gung für ihren bleibenden Erfolg.
Der I.A.M.V. stellt fest, daß der Militarismus eine notwendige Begleiterschei*
nung des internationalen Kapitalismus ist, ein System zur Ausbeutung der wirr*
44
schaftlich Schwächeren, das zu Gewalttätigkeit als letztem Zwangsmittel reizt»
während der Kapitalismus durch seine angreifende Haltung gegenüber dem nach
Verwirklichung schreitenden Kommunismus diesen letzteren zu bewaffneter Ver*
teidigung und Annahme des militärischen Systems führt. Darum hält der I.A.M.V.
es auch für eine unvermeidliche Konsequenz dieser Erkenntnis, daß der Anti*
militarismus auch Antikapitalismus in sich schließt.
Da die ungerechte Verteilung des Eigentums in ihrem Ursprung auf die
gewalttätige Besitzergreifung einzelner von der allen gemeinsamen Erde zurück*
geführt werden muß, und da diese gewalttätige Besitzergreifung nur durch ge*
waltsame Verteidigung aufrechterhalten werden kann (d. h. da die bewaffnete
Gewalt sowohl Ursache wie Folge des Kapitalismus ist), muß diese unrechtmäßige
Verteilung im selben Augenblick verschwinden, wo mit der Abschaffung der
Gewalt auch die Voraussetzung dazu wegfällt Die Abschaffung des Militarismus
würde darum auch die Abschaffung des Kapitalismus mit sich ziehen.
Wenn nun auch Militarismus und Kapitalismus in mancher Hinsicht parallele
Erscheinungen sind, so sind sie doch nicht vollkommen gleich. Die Geschichte
beweist, daß der Militarismus ein Geisteszustand von Völkern ist, der unter ver*
schiedenen wirtschaftlichen Formen möglich ist. Auch in weiten Kreisen von
Gegnern des Kapitalismus fehlt noch die Erkennung der Heiligkeit des mensch»
liehen Lebens als Grundsatz jeder höheren Kultur. Ihr Gesichtspunkt ist wesent*
lieh auf wirtschaftliche Reformen (Sozialdemokraten) oder revolutionäre Umwäl*
zungen (Bolschewiki) gerichtet. Sie sehen in der organisierten Menschentötung
ein Mittel, das unter gewissen Umständen durch das Ziel geheiligt ist und sind
daher mindestens gemäßigte Militaristen.
Der I.A. MV. stellt daher fest, daß es neben dem Kapitalismus vor allen
Dingen eine falsche Staatsideologie und Gesellschaftswissenschaft gibt, woraus
Militarismus emporwuchert Diese Ideologie vergißt, daß der Staat, die Gesell*
schaft um des Menschen willen und nicht die Menschen um des Staates willen
bestehen. Sie macht den einzelnen zum Sklaven des Staates und schreckt nicht
davor zurück, ihm das ursprünglichste seiner Menschenrechte: das Recht auf das
Bestehen selbst, abzusprechen. Um den Militarismus zu überwinden, ist also
die Erkennung des Eigenwertes der menschüchen Persönlichkeit, der menschlichen
Seele, unumgängliche Bedingung. Der Staat, die Gesellschaft, muß bewußt und
ausdrücklich dem Dienst des menschlichen Lebens untergeordnet werden. Erst
dann wird es gelingen, den Militarismus, das Prinzip der Staatsallmacht, die Ver*
sklavung seiner Untertanen unter seine Zwecke, zu überwinden. Aus dieser
Erkenntnis ergibt sich die völlige Abweisung des halben, inkonsequenten bürgere
liehen Pazifismus, sowie des Sozialpatriotismus, die sich beide bemühen, die Recht*
fertigung des Kriegführens unter dem Deckmantel des Erlaubtseins des Verteidi*
gungskrieges aufrechtzuerhalten. In Wirklichkeit tragen sie dadurch, wenn
auch unabsichtlich, zum Instandhalten des latenten Kriegszustandes auf der Welt
mehr bei als das öffentliche Bekennen, daß man einen Eroberungskrieg bezweckt,
zu tun vermochte. Ebenso ergibt sich daraus die Abweisung der bolschewistischen
Methoden, die das Ideal der klassenlosen Gesellschaft durch militaristische Mittel
näherzubringen meinten. Jeder, der, ob er Anarchist, christlicher Sozialist, Kom*
munist, Pazifist, Anrimilitarist oder sonst wie heißt, einen grundsätzlichen Kampf
gegen den Militarismus und gegen alle Methoden der Ueberwältigung durch Staat
und Gesellschaft oder Wirtschaftsordnung, allgemeinen Dienstzwang und rotes
Heer führt, ist in unseren Reihen herzlich willkommen.
Aufgabe: 1. Die Mitglieder des I.A.M.V. stellen sich zur Aufgabe: ihren Mit*
menschen den dummen, unsittlichen und barbarischen Charakter des Militarismus»
den Zusammenhang von Kapitalismus, einer falschen Staatsideologie und Gesell*
Schaftswissenschaft mit dem Militarismus klarzumachen und sie zum Kampf da*
gegen anzuregen; 2. alle diejenigen, die für eine menschenwürdige Gesellschaft
kämpfen, worin die Heiligkeit des menschlichen Lebens selbstverständliche Be*
dingung geworden ist und worin auch Herstellung und Verteilung vernünftig
geordnet sein werden, darauf aufmerksam zu machen, daß sie, wenn sie sich direkt
oder indirekt dem Militarismus zur Verfügung stellen, mit ihrem Körper, ihrer
Seele und ihrem Geist selbst das Material liefern für die systematische Ent*
menschlichung, die die notwendige Voraussetzung des jetzigen Gesellschafts*
Systems ist.
45
Der I.A.M.V. betont die Notwendigkeit antimilitaristischer Aktionen der
wirtschaftlichen Kampforganisationen der Arbeiter, neben bewußter Uebernahme
persönlicher Verantwortlichkeit durch den einzelnen für die Entwicklung der
Gesellschaft. Nur durch die Zusammenwirkung allgemeiner Militärdienstverwei*
gerung eines jeden und der allgemeinen Arbeitsverweigerung als Ausdruck des
Gemeinschaftswillens kann die Macht des Militarismus und seiner Begleiterschei*
nungen gebrochen werden.
Die konsequenten Antimilitaristen wollen gründlich mit dem Grundsatz
brechen, daß Gewalt nur mit Gewalt überwunden werden kann. Sie wollen der
rohen barbarischen Form der blutigen Gewalt die höhere Form des sittlichen
Mutes und der geistigen Waffen, im Notfalle auch passiven Widerstand entgegen*
setzen. Sie wollen die Ziele des organisatorischen Pazifismus: durch Völker«
bund, Schiedsgerichte und internationale Organisationen den dauerhaften Frieden
näher zu bringen, mit ihrer Arbeit ergänzen. Denn sie sind überzeugt, daß alle
Bemühungen, eine fruchtbare Organisation der Völker der Erde zu bilden, miß«
lingen werden, solange nicht der einzelne die moralische Notwendigkeit erkennt,
jede Teilnahme an organisierter Menschentötung zu verweigern, unter welchen
mittelheiligenden Vorwänden (Vaterlandsverteidigung, Klassenkampf, Notwehr)
man auch suchen möge, sie annehmbar zu machen."
■
Prinzip und Aufgabe des I.A.M.V.
Nach ausführlichen Besprechungen kam man überein, folgenden, einiger*
maßen abgeänderten Wortlaut des Entwurfs der Vorkonferenz als vorläufige
Grundlage für den I.A.M.V. anzunehmen:
Prinzip:
Indem wir unter Militarismus das Erstreben und Anwenden von Gewalt
und Menschenmord, die von Staaten oder nach Staatsmacht strebenden
Gruppen organisiert sind, verstehen, erkennen wir als Antimilitaristen alle an,
die sich diesem System grundsätzlich entgegenstellen und ihm sowohl individuell
wie in Massen möglichst Abbruch zu tun wünschen.
Indem der I.A.M.V. konstatiert, daß der Militarismus eine notwendige Begleit:
erscheinung des Kapitalismus und hauptsächlich der imperialistischen Phase des
letzteren ist und daß das jetzige Gesellschaftssystem kraft seines Raubgrundsatzes
zu organisiertem Massenmord führt und führen muß (während der Kapitalismus
durch seine agressive Haltung gegenüber dem sich verwirklichenden Kommunist
mus diesen zu bewaffneter Verteidigung und Annahme des militaristischen
Systems reizt), hält der I.A.M.V. es für erforderlich, daß der Antimilitarismus
Antikapitalismus in sich schließt.
Der I.A.M.V. stellt fest, daß besonders der Glaube an den Staat bekämpft
werden muß, der durch den Militarismus den Menschen zum Sklaven macht und
sogar das Recht auf das Leben angreift.
Hieraus ergibt sich die absolute Abweisung sowohl von Bourgeoi&Pazifismus
wie von SoziaUPatriotismus.
Jeder, der (sei es als Anarchist, als christlicher Sozialist, als Kommunist oder
als was auch) einen prinzipiell antikapitalistischen Kampf gegen den Militarismus
führen will, ist in unseren Reihen willkommen.
Aufgabe:
Die Mitglieder des I.A.M.V. machen es sich zur Aufgabe:
ihren Mitmenschen den unvernünftigen und unsittlichen Charakter des MilU
tarismus klarzumachen, den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Militarist
mus aufzudecken und zum Kampf dagegen anzuregen.
46
alle diejenigen, die für eine menschenwürdige Gesellschaft kämpfen, worin
Produktion und Verteilung vernünftig geordnet sind, darauf aufmerksam zu
machen, daß sie, indem sie sich direkt oder indirekt dem Kapitalismus zum Dienst
stellen, mit ihrem Körper, ihrer Seele und ihrem Geiste das Material liefern für
die systematische Entmenschlichung, die die notwendige Voraussetzung des jetzU
gen Wirtschaftssystems bildet.
Besonders betonen sie die Notwendigkeit einer antimilitaristischen Aktion
der Gewerkschaften, damit durch Zusammenwirkung von Generalstreik und
MassemDienstverweigerung die Macht der herrschenden Klassen möglichst bald
gebrochen werde.
Losung:
Als Ausdruck der allgemein anerkannten Auffassung, daß Militärdie»sts
Verweigerung mit Verweigerung sämtlicher Kriegsproduktion verknüpft werden
muß, beschloß man, die Losung des I.A.M.V.: „Keinen Mann, keinen Pfennig
*ür den Militarismus", abzuändern, so daß sie nunmehr lautet:
TEMEN PFENNIG, KEINE ARBEIT, KEINEN MANN FÜR
DEN MILITARISMUS!
47
Wir empfehlen den Lesern dieser Broschüre:
Bakunin, Michael: Gesammelte Werke, Band I.
Barwich, Franz: Die Irrlehre und Wissenschaf tslosigkeit
[des Marxismus.
— Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus.
Bergfeld, Dr. Ludwig: Werde sehend, liebe Schwester.
Kater, Fritz: Die Entwicklung der deutschen Gewerkschafts*
[bewegung.
Dr. Krasser: Marseillaise des Christentums und Ceterum
[censeo.
Kropotkin, Peter: Landwirtschaft, Industrie und Handwerk.
— Die Eroberung des Brotes.
— Syndikalismus und Anarchismus.
— Die Entwicklung der anarchistischen Ideen.
— Gesetz und Autorität.
Mackay, J. H.: Sturm.
Malatesta, Errico: Unter Landarbeitern, ein Zwiegespräch.
Nettlau, Dr. Max: Verantwortlichkeit und Solidarität im
[Klassenkampf.
Nieuwenhuis, F. Domela: Francisco Ferrer.
Oerter, Fritz: Die freie Liebe.
— Was wollen die Syndikalisten?
Peter, Karl: Zersetzung des Weltkapitalismus.
Reitzel, Robert: Des „Armen Teufels" ges. Werke, in Heften.
Roche, Karl: Einheitslohn und Arbeitersolidarität.
Rocker, Rudolf: Der Bankerott des russ. Staatskommunismus.
— Keine Kriegswaffen mehr.
Rüssel, Bertrand: Kunst, Wissenschaft und der Sozialismus.
Souchy, Augustin: Wie lebt der Arbeiter und Bauer in
[Rußland.
Tobler, Dr. Max: Der revolutionäre Syndikalismus.
Tolstoi, Leo: Rede gegen den Krieg.
— Aufruf an die Menschheit.
Wegner, Armin, T.: Der Ankläger. Aufrufe zur Revolution.
Wehle, Gerhard F.: Christentum, Krieg und die Zukunft.
WitkopsRocker, Milly : Was will der Syndikalist. Frauenbund?
1
I
48
<Ql BERUWS0.16. H^
JX
1931
1921
158
International Anti-Militarist
Congress, Hague, 1921
Bericht über den
Internationalen
Anti-Militaristischen Kongress
im Haag, 1921
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