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Full text of "Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der Konigl.Preuss.Akademie der Wissenschaften zu Berlin"

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Monatsberichte 


der 


Königlichen 
Preufs. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


‘Aus dem Jahre 1859. 


Mit 6 Tafeln. 
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=& Berlin. 
Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie 


der Wissenschaften. 


1860. 


In Commission in Ferd. Diimmler’s Verlags-Buchhandlung. 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preufs. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat Januar 1859. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Ehrenberg. 


3. Januar. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Rie[s las über den Nebenstrom im Zweige 
einer elektrischen Schlielsung. 
' Bei der Untersuchung des Entladungsstromes der leydener 
Batterie in einem in Zweige gespaltenen Schlielsungsbogen hatte 
ich gefunden, dafs das Gesetz der Stromtheilung, das an der Er- 
wärmung der Zweige erkannt wurde, nur dann in den Ver- 
i suchen rein ausgesprochen ist, wenn die Zweige nicht lang und 
ihre Leitungswerthe nicht allzu verschieden sind. Wurde diese 
Beschränkung der Versuche nicht inne gehalten, so traten merk- 
liche Störungen des Gesetzes ein, die sich durch die, auch sonst 
_ plausible, Annahme erklären lielsen, dafs in jedem Zweige durch 
den darin flielsenden Zweigstrom ein Nebenstrom erregt werde, 
‚der auf den Zweigstrom zurückwirke. Als diese Annahme durch 
‚die beobachtete Rückwirkung des in einem Nebendrathe erreg- 
ten Nebenstromes auf den Hauptstrom gestützt wurde (Pogg. 
Annal. 83. 326) konnte sie als indirekt bewiesen gelten, zumal 
da die dagegen erhobenen Einwendungen theils auf einem Mifs- 
verständnisse beruhend, theils als nicht stichhaltig erschienen. 
Dennoch lohnt es immer der Mühe, den indirekten Beweis durch 
 [1859.] 4 


3 


2 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


einen direkten zu ersetzen, zu welchem ich vor Kurzem zufällig 
geführt wurde; ich fand in einem Zweige einen kräftigen Ne- 
benstrom, den ich nicht erwartet hatte, weil ich an einem ein- 
fachen Schliefsungsdrathe zu beobachten glaubte. Ich will zur 
Einleitung diesen Versuch beschreiben, der sich zwar nicht zu 
genauen Bestimmungen eignet, aber durch die Leichtigkeit seiner 
Anstellung empfiehlt. 

Die Rückwirkung des Nebenstromes auf den Hauptstrom hat 
das Eigenthümliche, dafs sie unmerklich ist bei sehr starkem, wie 
bei sehr schwachem Nebenstrome, und ihre grölste Stärke er- 
reicht bei einem bestimmten Werthe des Nebenstromes. Um 
diese merkwürdige Erscheinung an der leydener Batterie aufzu- 
zeigen, bedarf man mindestens 3 einzelner Beobachtungen bei 
gleicher Ladung der Batterie, daher 12 und mehr Minuten Zeit, 
und einer messenden Vorrichtung zum Laden. Ich wünschte, 
die Erscheinung in kürzerer Zeit und ohne wiederholte Ladung 
aufzuzeigen und benutzte dazu einen elektromagnetischen In- 
ductionsapparat, durch den, nach Koosens Versuchen, eine ley- 
dener Flasche beliebig schnell nach einander geladen werden 
kann. Von dem einen Ende der Inductionsrolle wurde ein Drath 
zum Knopfe einer Flasche geführt (Belegung 1% Quadratfufs, 
Glasdicke % Lin.), das andere Ende durch einen Drath mit einem 
isolirten Metallteller verbunden. Die Flasche wurde auf den 
Teller gestellt und so in die Inductionsschlielsung eingeschaltet; 
in dieser Schlielsung liefs ich keine oder eine äulserst geringe 
Unterbrechung. Geht nämlich der Inductionsstrom mit Funken 
über, so wird zwar die Ladung der Flasche verstärkt, die in 
gleicher Zeit zur Benutzung gewonnene Elektricitätsmenge aber 
in grölserem Maalse verringert. Die Flasche erhielt eine Schlie- 
fsung durch dicken Kupferdrath, von dem 53 Fufs zu einer ebe- 
nen Spirale gewunden waren; auflserdem befand sich in der 
Schliefsung ein mälsig empfindliches elektrisches Thermometer 
und eine Lücke von 0,1 Linie. Diese Unterbrechung ist, wie 
man sogleich sieht, nöthig, damit die Wirkung der Flasche merk- 
lich werden kann. Als der Inductionsapparat durch ein Grove- 
sches Element erregt war, erhielt ich, ohne Hülfe der Flasche, 
am Thermometer eine Erwärmung von 4 bis 6, mit derselben, 
von 50 bis 60 Linien. Nachdem der Stand der Flüssigkeit 


vom 3. Januar 1859. 3 


im Thermometer ziemlich constant geworden war, wurde der 
Kupferspirale eine ganz gleiche Spirale in 2 Linien Entfernung 
parallel gegenüber gestellt. So lange die Enden dieser Neben- 
spirale frei blieben, war keine Änderung im Stande des Ther- 
mometers zu merken; wurden sie hingegen durch einen dün- 
nen 8% Fuls langen Platindrath verbunden, so trat eine Ver- 
minderung der Wärme im Thermometer ein, und zugleich er- 
fuhr der in der Unterbrechung übergehende Entladungsfunke 
eine merkliche Schwächung seines Glanzes. Dies war ganz über- 
einstimmend mit meinen früheren Versuchen an der leydener 
Batterie; aber im Widerspruche damit erschien die Erwärmung 
bedeutend gröfser, wenn die Nebenspirale durch einen kurzen 
Kupferdrath, als wenn sie nicht geschlossen war. Am auffal- 
lendsten erhält man diese Verschiedenheit der Erwärmung, wenn 
man die Nebenspirale zuerst mit dem Platindrathe schlielst und 
die Flüssigkeit im Thermometer einen festen Stand. erreichen 
läfst, dann die Nebenspirale öffnet, wobei die Flüssigkeit weiter 
sinkt, und zuletzt durch den Kupferdrath schlielst, wonach sie, 
da hier die stärkste Erwärmung eintritt, ihren tiefsten Stand er- 
reicht. Den Grund der Abweichung dieser Beobachtung von 
den früher an der Batterie erhaltenen suchte ich darin, dafs 
nicht in der einfachen Schliefsung einer leydener Flasche, son- 
dern in dem Zweige einer Schlielsung beobachtet worden war, 
_ und dals die beiden Zweige sehr verschieden von einander wa- 
ren. Während nämlich der Zweig, in dem sich Thermometer 
b und Spirale befand, etwa 57 Fuls mals und gröfstentheils aus 
 dickem Kupferdrathe bestand, besals der andere Zweig (den die 
& Inductionsrolle bildete) eine Länge von angeblich 14000 Fuls 
® und bestand aus “, Millimeter dickem Kupferdrathe. Die folgen- 
_ den Versuche an der leydener Batterie setzten die Richtigkeit 
dieses Grundes und das Vorhandensein eines Nebenstromes im 
Zweige ganz aulser Zweifel. 
Der Schlielsungsbogen einer Batterie enthielt, aufser den 
_ wesentlichen Stücken aus dickem Messing, auf einer Holzscheibe 
von 1 Fufs Durchmesser eine ebene Spirale, aus 53 Fuls eines 
% Linie dicken Kupferdrathes gewunden, und den Platindrath 
des Thermometers (19', Zoll lang 0,057 Linie dick). Jener 
Hauptspirale stand die gleiche Nebenspirale in 2 Linien Entfer- 
1* 


4 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


nung gegenüber, deren Enden entweder frei blieben, oder durch 
Kupferdrath (102 Zoll lang % Linie dick), oder durch dünnen 
Platindrath (8% Fufs lang 0,052 Linie dick) mit einander ver- 
bunden wurden. Je nach diesen Schliefsungen der Nebenspirale 
wurden im Hauptdrathe die folgenden Erwärmungen beobachtet. 


I. 
Die Nebenspirale 
in 3 Flaschen d. Platindrath 
Elektricitätsmenge Per Eller geschlossen 
Erwärmung im Hauptdrathe 
8 19,8 20, 7,2 
10 30,7 31, 10,4 
12 42,8 43,3 14,6 
Einheit d. Ladung 0,91 0,92 0,32 


Der Hauptstrom, für die in Einer Flasche angehäufte Elek- 
tricitätsmenge 1 berechnet, betrug im Mittel 91 bei ungeschlos- 
sener Nebenspirale, und würde ebenso gefunden werden, wenn 
diese Spirale ganz entfernt wäre. Der Strom blieb fast unge- 
ändert, als die Nebenspirale durch den Kupferdrath vollkonmen 
geschlossen, also der darin circulirende Nebenstrom zu seiner 
grölsten Stärke gebracht war. Als hingegen der Nebenstrom 
durch die Schliefsung mit dem Platindrathe geschwächt wurde, 
war seine Rückwirkung auf den Hauptstrom so grols, dafs die- 
ser auf 32, also fast das Drittel seines Werthes sank. Wäre 
der Platindrath von bedeutend grölserer Länge genommen wor- 
den, so würde der Hauptstrom sich seinem Werthe bei unge- 
schlossener oder vollkommen geschlossener Nebenspirale wieder 
genähert, und ihn bei einer gewissen Länge des Drathes er- 
reicht haben. Von diesem merkwürdigen Wechsel der Stärke 
des Hauptstromes bei Schlielsung einer Nebenspirale ist niemals 
eine Ausnahme bemerkt worden in der grolsen Zahl von Ver- 
suchen, die ich darüber veröffentlicht, und in der bei Weitem 
gröfseren, die ich darüber angestellt habe, und nur die quanti- 
tativen Verhältnisse der Stromstärke und der zur Schlielsung der 
Nebenspirale nöthigen Drathlängen variirten nach der jedesma- 
ligen Anordnung des Apparates. 


vom 3. Januar 1859. 5 


Es wurden zwei Punkte des Schliefsungsbogens, zwischen 
welchen das Thermometer und die Kupferspirale lagen, durch 
einen 100,7 Fuls langen 0,057 Linie dicken Platindrath mit ein- 
ander verbunden, der, was hier nicht weiter zu beachten ist, 
auf einem Rahmen im Zickzack ausgespannt war. Es war also, 
statt des früheren einfachen, ein verzweigter Schliefsungsbogen 
gebildet, in dessen Einem Zweige, der Kupferzweig heilsen mag, 
die Spirale und das Thermometer lagen, und dessen andern Zweig 
der lange Platindrath bildete. Aus 3 Beobachtungen des Ther- 
mometers berechnet, ergab sich für den Strom im Kupferzweige 
bei entfernter Nebenspirale der Werth 29 (siehe Reihe II.), also 
viel geringer als im einfachen Schlielsungsbogen. Dals dieser 
geringe Werth nicht der durch den Kupferzweig gegangenen 
Elektricitätsmenge entsprach, war sogleich klar, wenn nicht das 
bewährte Gesetz der Stromtheilung gänzlich illusorisch sein 
sollte. Nach diesem Gesetze mulste sich die entladene Elektri- 
eitätsmenge zwischen beide Zweige im Verhältnisse ihrer Lei- 
tungswerthe theilen, konnte also im Kupferzweige nur we- 
nig geringer sein, als im einfachen Bogen, wo sie die Er- 
wärmung 91 hervorgebracht hatte; wozu noch kommt, dafs 
die Zeit, in welcher die ganze in der Batterie angehäufte 
Elektricitätsmenge entladen wurde, im  verzweigten Bogen 
kürzer sein sollte, als im einfachen. Besals der Strom im 
Kupferzweige wirklich die Elektricitätsmenge, die ihm das Ge- 
setz zutheilte, so konnte die geringe Stromstärke durch einen 
Nebenstrom verursacht sein, den der Strom des Kupferzwei- 
ges in eben diesem Zweige erregt hatte. Da dieser Neben- 
strom in grolser Nähe des Zweigstromes erregt war und durch 

den schlechtleitenden Platinzweig seinen Kreislauf vollendete, so 

folgte die dadurch bewirkte Schwächung des Stromes im Kupfer- 

zweige nach dem Beispiele der Reibe I. Für das Vorhanden- 
- sein eines Nebenstromes gibt es aber ein untrügliches, von Fa- 
raday entdecktes, Prüfungsmittel. Legt man dem Drathe, in 
dem ein Nebenstrom vermuthet wird, einen Drath parallel nalıe, 
der metallisch zum Kreise geschlossen ist, so nimmt der Neben- 
strom jedenfalls an Stärke ab. War also die Schwäche der Er- 
wärmung im Kupferzweige Folge eines darin erregten Neben- 
stromes, so mulste diese Erwärmung verstärkt werden durch 


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6 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Nahelegung eines, dem Zweige parallelen, zum Kreise geschlos- 
senen Drathes. Im Kupferzweige befand sich die ebene Kupfer- 
spirale, der in 2 Linien Entfernung eine gleiche Spirale mit 
jener parallelen Windungen gegenübergestellt, und durch einen 
kurzen Kupferdrath geschlossen wurde. Je nachdem die Spirale 
offen oder geschlossen war, erhielt ich im Kupferzweige die fol- 
genden Erwärmungen. 


IL 
Die Nebenspirale 
in 3 Flaschen offen | geschlossen 

Elektricitätsmenge; | ER a SOFT 
Erwärmung im Kupferzweige 

8 6,6 13,6 

10 9,3 19,4 

12 13541 28,4 

Einheit d. Ladung 0,29 0,60 


Der Zweigstrom im Kupferzweige, der bei ungeschlossener 
oder ganz entfernter Nebenspirale den Werth 29 besafs, ist 
durch die Nähe der geschlossenen Nebenspirale bis 60, also dem 
doppelten Werthe, gestiegen. Bei einem andern Versuche, wo 
der Platinzweig durch 535 Fuls eines spiralförmigen % Linie 
dicken Kupferdrathes und durch einen fast 3 Fufs langen 0,037 
Linie dicken Platindrath verlängert war, erhielt ich im Kupfer- 
zweige folgende Erwärmungen. 


II. 
Die Nebenspirale 
in 3 Flaschen offen | geschlossen 

Prektrisıtitämätde"]r "FE re Tree 
Erwärmung im Kupferzweige 

8 7,3 15,7 

10 10,7 24,3 

12 14,4 33,3 

Einheit d. Ladung 0,32 0,72 


Der Zweigstrom im Kupferzweige ist durch Schlielsung der 
Nebenspirale mit einem kurzen Kupferdrathe im Verhältnisse 32 


vom 3. Januar 1859. 7 


zu 72 verstärkt worden. Durch jede der beiden Versuchsreihen 
ist der vollständige Beweis gegeben, dals im Kupferzweige neben 
dem Zweigstrome ein Nebenstrom vorhanden war. Auch im 
Platinzweige wird ein Nebenstrom erregt, ist aber, des ihn er- 
regenden schwachen Zweigstromes wegen, nur schwach, wie die 
folgenden Versuche zeigen. Die ebene Kupferspirale und das 
Thermometer wurden aus dem Kupferzweige entfernt und durch 
einen 50 Fuls langen Kupferdrath ersetzt; die Kupferspirale und 
ein äufserst empfindliches Thermometer wurden in den Platin- 
zweig eingeschaltet. Dennoch mulsten stärkere Ladungen der 
Batterie angewendet werden. 


IV. 
Die Nebenspirale 
in 3 Flaschen offen | geschlossen 

Blektirchätsmenge rien. 1 2 ee 
Erwärmung im Platinzweige 

12 4,1 3,0 

16 ii 9,3 

20 11,6 13,9 

Einheit d. Ladung 0,087 0,10 


Der Zweigstrom im Platinzweige ist durch Schlielsung der 
Nebenspirale mit kurzem Kupferdrathe im Verhältnisse 87 zu 
400 gestärkt worden, wodurch der Nebenstrom im Platinzweige 
erkannt wird. Durch diese Versuche ist der Satz erwiesen: In 
jedem Zweige des Schlielsungsbogens der leydener 
Batterie wird durch den darin flielsenden Entla- 
dungsstrom ein Nebenstrom erregt. 

Die Nebenspirale, welche das Mittel zur Erkennung des Ne- 
benstromes abgab, durfte nicht gleichgültig gewählt sein. Sie 
, mulste aus gutleitendem Drathe bestehen, und durch einen gut- 
leitenden Drath geschlossen sein, denn nur unter dieser Bedin- 
gung bleibt die Spirale ohne direkten Einfluls auf den Haupt- 
‚strom, wie Reihe I. gezeigt hat. Enthält die Nebenleitung, sei 
es in dem der Hauptleitung parallelen, oder in einem andern 
3 Theile, einen weniger vollkommenen Leiter, so tritt die Rück- 
$ wirkung auf den Hauptstrom ein, von der in Reihe I. ein Bei- 


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8 Sitzung der physikalisch-maihematischen Klasse 


spiel gegeben wurde. Dies zeigen die folgenden Beobachtungen, 
die bei derselben Anordnung der Zweige, wie Reihe II, im Ku- 
pferzweige angestellt worden sind. Die Nebenspirale bestand 
zwar aus dickem Kupferdrathe, wurde aber durch verschiedene 
Längen Platindrath geschlossen. (Der Vollständigkeit wegen be- 
merke ich, dafs die zweite Schlielsung bestand: aus 17% Fufs 
eines 0,052 und 4%, Fuls eines 0,047 Linie dicken Platindraths. 
Die letzte Drathlänge ist 5,2 Fufs eines Drathes der ersten 
Dicke gleichwerthig.) 


V. 
Nebenspirale geschlossen durch 


Platindrath 0,052 dick 
8% Fuls 122,7 Fuls lang 


in 3 Flaschen 
Elektricitätsmenge 


Erwärmung im Kupferzweige 


8 6,3 4,6 

10 8,8 6,3 

12 12,2 8,6 
Einheit d. Ladung 0,27 0,19 


Der Zweigstrom, der bei frei liegendem Zweige den Werth 
29 besals und durch Nahestellung einer vollkommen geschlosse- 
nen Nebenschliefsung zu 60 verstärkt wurde (Reihe Il.), ist hier 
durch unvollkommen leitende Nebenschliefsungen bis 27 und 19 
geschwächt worden. Diese entgegengesetzte Wirkung von Ne- 
benschlielsungen stimmt mit den Versuchen überein, die ich 
über die Wirkung zweier Nebenströme auf einander veröffent- 
licht habe (Pogg. Ann. 83. 321. Elektricitätslehre $. 865) und die 
unter Annahme einer unmittelbaren und einer mittelbaren Wir- 
kung der Nebenschliefsung auf den Nebenstrom erklärt wurden. 

Die beiden in den Zweigen eines Schlielsungsbogens nach- 
gewiesenen Nebenströme verfolgen eine entgegengesetzte Rich- 
tung in demselben Ringe, der durch beide Zweige gebildet wird, 


beschränken sich also gegenseitig. Hieraus folgt, dals der Ne- 


benstrom jedes Zweiges auf den Zweigstrom des andern Zwei- 
ges in entgegengesetzter Weise wirkt, wie auf den Zweigstrom, 
der ihn erregt hat. Die Zweigströme, die in den vorgetragenen 


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vom 3. Januar 1859. 9 


Versuchen durch Aufhebung ihrer eigenen Nebenströme verstärkt 
wurden, werden geschwächt durch Aufhebung der fremden Ne- 
benströme. Ich brachte in jeden der beiden Zweige eine Ku- 
pferspirale mit ihrer Nebenspirale und ein "Thermometer, und 
fand, dafs die gutleitende Schliefsung der Nebenspirale eines 
Zweiges die Erwärmung im andern Zweige bedeutend schwächte. 
Dies genügt, die grolse Verwickelung zu zeigen, welche die 
Wirkungen der Zweigströme erfahren müssen, wenn man mit 
ihnen zugleich zu kräfligen von einander verschiedenen Neben- 
strömen Anlafls gibt. So zusammengesetzte Wirkungen können 
nur ein geringes Interesse in Anspruch nehmen, selbst wenn es 
möglich wäre, sie einfachen Gesetzen unterzuordnen. Deshalb 
habe ich bei den Versuchen über die Stromtheilung kurze Zweige 
von nicht allzu verschiedenem Leitungswerthe gebraucht, wo- 
durch die Nebenströme schwach und von einander nicht zu ver- 
schieden wurden, und es gelang mir, das einfache Gesetz der 
Stromtheilung aus den Versuchen abzuleiten. 

Ich würde hier schlielsen, wenn ich nicht befürchtete, dafs 
der für die Nebenströme in den Zweigen gegebene Beweis des- 
halb für nicht allgemein gültig angesehen werden könnte, weil 
ich dazu überall spiralförmig aufgewundene Dräthe gebraucht 
habe. Obgleich nämlich seit lange Versuche vorliegen, die das 
Gegentheil beweisen, wird noch immer in Abhandlungen und 
Lehrbüchern angegeben, dals zur Erregung eines Nebenstromes 
in der’ Masse des Stromleiters, entfernte Theile dieses Leiters 
einander parallel nahe gebracht, also Spiraldräthe gebraucht wer- 
den müssen. Dies ist nicht richtig. Die Spiralform des Strom- 
leiters ist ein sehr bequemes Mittel, mit einer gegebenen Drath- 
länge einen möglichst starken Nebenstrom im Stromleiter zu er- 
halten, weil der in jeder Windung vorhandene Hauptstrom nicht 
nur auf diese Windung erregend wirkt, sondern -auch auf alle 
naheliegenden Windungen. Aber zur Erregung überhaupt ist 
die Spiralform nicht nöthig. Wie dies von Faraday an unterbro- 
ehenen voltaischen Strömen aufgezeigt worden ist (exper. resear. 9! 
series), werden die folgenden Versuche es für den Entladungs- 
strom der leydener Batterie beweisen. Es läfst sich jeder Ver-. 
such dieser Abhandlung auch ohne Spiralen anstellen, nur we- 
niger bequem und weniger schlagend. Ein mit Guttapercha be- 


10 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


kleideter Telegraphendrath (Kupfer 50 Fufs lang $ Linie dick, 
mit der Hülle 13% Linie dick) war in einem möglichst weiten 
Bogen auf dem Fufsboden ausgebreitet, und wurde an der Stelle 
der bisher gebrauchten ebenen Spirale, in den Kupferzweig des 
Schliefsungsbogens eingeschaltet. Neben diesen Drath wurde ein 
gleicher 50 Fuls langer Telegraphendrath gelegt, und mit Schnü- 
ren an ihm festgebunden, der zur Prüfung auf den Nebenstrom 
bestimmt war. Der Kupferzweig enthielt also, aufser dem Ther- 
mometer, nur einen Kupferdrath, dessen entfernte Theile weder 
parallel, noch einander nahe lagen. Der Platinzweig war, wie 
früher, 100,7 Fufs lang 0,057 Linie dick. Es wurden die Er- 
wärmungen am Thermometer beobachtet, je nachdem die Enden 
des Nebendrathes, der vom Zweigdrathe durch eine 1% Linie 
dicke Guttapercha-Schicht getrennt war, entweder frei blieben, 
oder durch einen 10% Zoll langen 9%, Linie dicken Kupferdrath, 
oder endlich durch einen 22,7 Fufs langen 0,052 Linie dicken 
Platindrath mit einander verbunden waren. Ich gebe die ein- 
zelnen, zweimal angestellten Beobachtungen. 


VI. 
Der Nebendrath 
durch Platin 
in 3 Flaschen Elektricitäts- offen durch Kupfer |, voschlossen 
menge 
Erwärmung im Kupferzweige 

8 16 15,7 118,8 19,3 11 11,2 
10 24,2 24,829 29,3116,7 16,9 
42 34 34,241,4 41,023 23,1 

Einheit der Ladung 0,73 0,87 0,50 


Der Zweigstrom, der bei frei liegendem Zweige den Werth 
73 hatte, ist bis 87 gestärkt worden durch einen danebenliegen- 
den geschlossenen gutleitenden Drath. Es war also unzweifel- 
haft bei den Versuchen der ersten Columne im Zweigdrathe ein 
Nebenstrom vorhanden, der den Zweigstrom schwächte und in 
der zweiten Columne izum Theil aufgehoben war. Dafs dieser 
Nebenstrom bier viel schwächer war, als bei den Versuchen mit 
der Spirale (Reihe II.), geht nicht nur aus der hier geringeren 


vom 3. Januar 1859. 11 


Verstärkung des Zweigstromes hervor, sondern schon aus den 
Erwärmungen bei freiliegendem Zweige. Der Werth nämlich des 
Zweigsiromes unter dieser Bedingung war dort 29, hier ist er 
73, Werthe, deren Unterschied sich nicht aus den etwas ver- 
schiedenen Dimensionen der Spirale (53 Fuls von # Linie Dicke) 
und des Telegraphendraths (50 Fufs bei & Linie Dicke) herlei- 
ten läfst. Die Schwächung des Zweigstromes durch den unvoll- 
kommen leitenden Nebendrath, die in der dritten Columne er- 
scheint, ist nicbt viel geringer, als in den Versuchen mit der Spi- 
rale (Reihe V.), woraus folgt, dafs diese Schwächung nicht auf 
der theilweisen Wiederherstellung des Nebenstromes im Zweige, 
sondern auf einer direkten Wirkung des Stromes im Neben- 
drathe auf den Strom im Zweigdrathe beruht, was auch schon 
für sich klar ist. Der oben aufgestellte Satz wird durch den 
folgenden bekräftigt: In einem geraden, wie in einem 
spiralförmigen, Zweige des Schlielsungsbogens der 
Batterie wird durch den darin flieflsenden Strom ein 
Nebenstrom erregt. 

Die an Zweigen erhaltenen Resultate lassen sich auf den 
einfachen Schliefsungsbogen ausdehnen, wodurch eine allgemein 
gültige einfache Regel gewonnen wird. Es ist gezeigt worden 
dals in jedem Zweige, er sei gestaltet wie er wolle, ein Neben- 
strom erregt wird, der eine auffallende Stärke erreicht, wenn 
entfernte Theile des Zweiges einander parallel nahe gebracht 
sind. Auch im einfachen Schliefsungsdrathe der Batterie wird 
ein Nebenstrom erregt, wenn entfernte Theile des Drathes pa- 
rallel einander nahe gelegt werden (Pogg. Annal. 81. 428 Elek- 
trieitätslehre $. 856). Der Strom war, selbst unter den gün- 
stigsten Bedingungen, äufserst schwach, aber es läfst sich mit 
Sicherheit erwarten, dals er auch bei einem gerade ausgespann- 
ten Drathe merklich sein werde, wenn man sich überaus grolser 
Längen bedient. Es folgt daraus eine einfache Regel, die so- 
wol für den Hauptstrom der leydener Batterie wie für jeden an- 
dern Strom kurzer Dauer, also auch für Inductionsströme jeder 
Art und jedes Ursprungs gültig ist: In jedem Leiter eines 
Stromes kurzer Dauer wird ein Nebenstrom erregt, 
der stets zu einer merklichen Stärke gelangt im 
Falle, dafs der Leiter dem Nebenstrome gestattet, 


12 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


einen Kreislauf zu vollenden, oder dafs entfernte 
Theile des Leiters zu einander in Wirkungsnähe ge- 
bracht worden sind. 

Bei der Wirkung eines Stromes kurzer Dauer ist auch die 
seines Nebenstromes zu berücksichtigen; doch genügt es, bei 
Anwendung nicht zu langer Schlielsungsdräthe, den Nebenstrom 
nur zu beachten, wenn einer der beiden angegebenen Fälle 
stattfindet. Hieraus folgt, dafs im einfachen Schliefsungsdrathe 
der Batterie der Nebenstrom von Einfluls ist, wenn der Drath 
U- oder N-Formen enthält (zu den letzteren gehören die Spi- 
ralen), in Zweigdräthen und in Nebenschlielsungen auch ohne 
diese Bedingung. Welche Änderungen durch den Nebenstrom 
in dem ihn erregenden Strome hervorgebracht werden, der mit 
jenem in demselben Drathe fliefst, habe ich früher ausführlich 
angegeben (Pogg. Annal. 81.431 B. 83. 327 Elektricitätslehre 
$. 856. 884— 894). Die entgegengesetzte Änderung des erre- 
genden Stromes, je nachdem sein Leiter die U- oder N-Form 
besals, hat dabei gelehrt, dafs jedem, durch einen Strom von 
kurzer Dauer erregten Nebenstrome eine bestimmte Richtung 
beigelegt werden muls. 


Hr. H. Rose las über das Stickstoffniob. 

Wird Ammoniakgas üher Niobsäure beim starken Roth- 
glühen geleitet, so wird dieselbe unter Bildung von Wasser in 
Stickstoffniob verwandelt. Es ist aber schwer, die ganze Menge 
der Säure auf diese Weise zu zersetzen; das erhaltene Pro- 
dukt, welches ein Pulver von schwarzer Farbe ist, enthält noch 
mehr oder weniger Niobsäure. Dessen ungeachtet leitet es sehr 
gut die Elektricität, zeigt indessen keinen metallischen Glanz. 
Mit Kalibydrat geschmolzen entwickelt es viel Ammoniakgas, 
und beim Zutritt der Luft verbrennt es mit lebhaftem Glanze 
zu Niobsäure. 

Wird die Niobsäure in einem Strome von Cyangas erhitzt, 
so wird sie schnell zersetzt. Die erhaltene Verbindung ist ein 
dunkelschwarzes Pulver, das die Elektricität sehr gut leitet, aber 


um. 


vom 3. Januar 1859. 13 


aulser Stickstoff auch noch Kohlenstoff enthält, aber weit weni- 
ger, als um mit dem Stickstoff Cyan zu bilden. 

Am reinsten erhält man das Stickstoffniob, wenn man Niob- 
chlorid in Ammoniakgas erhitzt. Es entstehen dann unter Bil- 
dung von Chlorammonium schwarze Rinden von Stickstoffniob, 
die man durch Behandlung mit Wasser von allem Salmiak rei- 
nigen kann. Es ist ein sehr dunkelschwarzes Pulver, das von 
Salpetersäure und selbst von Königswasser fast gar nicht ange- 
griffen wird, aber leicht unter Entwicklung von rothen Däm- 
pfen von einer Mengung von Salpetersäure und von Fluorwas- 
serstoffsäure. 


Hr. H. Rose berichtete über eine Arbeit des Hrn. Heintz 
über zwei neue Derivate der Zuckersäure. 

Das eine desselben ist das Saccharamid, welches ent- 
steht, wenn man durch die Lösung des Zuckersäureäthers in 
Äther, welche zwar Alkohol, aber kein Wasser enthalten darf, 
trocknes Ammoniakgas leitet. Es entsteht ein Niederschlag, der 
hauptsächlich aus dem Saccharamid besteht, aber auch zucker- 
saures Ammoniak enthält, weil es unmöglich ist, bei dieser Ope- 
peration jede Spur von Wasser zu vermeiden. Durch Auswa- _ 
schen des mit Äther gewaschenen Niederschlags mit kaltem Was- 
ser erhält man das Saccharamid rein als ein weilses amorphes 
Pulver, welches rothes Lackmuspapier im feuchten Zustande 
schwach bläut, sich in lauwarmem Wasser unverändert löst und 
beim Erkalten der Lösung herauskrystallisirt. Löst man es in 
kochendem Wasser, so geht es in zuckersaures Ammoniak über. 
In Äther löst sich das Saccharamid nicht. Dagegen nimmt ko- 
chender Alkohol etwas davon auf, wovon sich beim Erkalten 
ein Theil in kleinen Krystallchen absondert. Beim Erhitzen 
färbt sich das Saccharamid gelb, braun, endlich schwarz, den 
Geruch verbrennender stickstoffhaltiger Substanzen verbreitend. 
Die zurückbleibende Kohle verbrennt endlich in der Glühhitze 
ohne Rückstand. Kalihydrat entwickelt in der Kälte und lang- 


sam Ammoniak aus dem Saccharamid, in der Hitze schneller. 
- Säuren wandeln es dagegen sofort in das Ammoniaksalz der an- 


14 Sitzung der phys.-math. Klasse vom 3. Januar 1859. 


gewendeten Säure und Zuckersäure um. Die Analysen des Sac- 
choramids führen zu der empirischen Formel C°H°' NO*®. Hr. 
Heintz hält es für am wahrscheinlichsten, dafs die rationelle 

v E U MA Dde: = 200 6 DE 2 ü 
Formel dieses Körpers N: ist, dals er also ein 
Ammoniak ist, in welchem zwei Äquivalente Wasserstoff durch 
das zwei basische Saccharyl (C'? H° O'?), das dritte durch Am- 
monium vertreten sind. 

Das zweite neue Derivat der Zuckersäure ist eine Verbin- 
dung von zuckersaurem Bleioxyd mit Chlorblei, 
welche erhalten wird, wenn man den Niederschlag, den ein lös- 
liches neutrales zuckersaures Salz in Chlorbleilösung erzeugt, 
in einer grolsen Menge einer kochenden Chlorbleilösung, die so 
viel Wasser auf so wenig Chlorblei enthält, dafs letzteres auch 
beim Erkalten der Lösung sich nicht abscheiden kann, auflöst, 
und die filtrirte Flüssigkeit erkalten lälst. Es scheiden sich kleine 
Krystallblättchen aus, die in kaltem Wasser fast unlöslich sind, 
in kochendem sich nur wenig leichter lösen, dagegen von ver- 
dünnter Salpetersäure ziemlich leicht gelöst werden. Nach dem 
Trocknen besteht die Verbindung aus einem weilsen, perlmut- 
terglänzenden Pulver, das in der Hitze sich bräunt und schwärzt 
und endlich zur Abscheidung von metallischem Blei Anlafs giebt. 
Sie enthält kein Krystallwasser und ihre Zusammensetzung kann 
durch die Formel (C'?#° O''+-2PbO) + 2PbEl ausgedrückt 
werden. 


Hr. Dove gab eine Mittheilung über die jährlichen 
Veränderungen der Temperatur des Meerwassers un- 
ter den Tropen. 


Hr. Peters berichtete über ein neues Flugbeutel- 
thier, Petaurus (Belideus), aus dem südlichen Theile 
von Neubolland. 

Petaurus (Belideus) notatus n. sp.; canus, subtus pallidior; 
rostro brevi fusco; stria a rostro ad regionem sacralem decur- 


Gesammtsitzung vom 6. Januar 1859. 15 


rente, auriculis, regione orbitali, superficie patagii superiore ni- 
gris; macula infra et post auriculam, margine patagii taeniaque 
supracaudali albidis; cauda villosa, disticha, nigra, apice nivea. 

Longit. a rostri apice ad caudae basin 0,150; caudae 0,160 
(e. pil. 0,173); antibrachii 0,031, man. c. dig. 0,0215; cruris 
0,032; ped. c. dig. 0,027. 

Das einzige Exemplar, welches der Beschreihung zu Grunde 
liegt, ist noch jung, indem die hinteren beiden grofsen Back- 
zähne zwar vorhanden, aber sowohl oben wie unten noch nicht 
zum Durchbruch gekommen sind. Die Zahl der Backzähne ist 
übrigens, wie bei den anderen Arten, oben und unten 7, von denen 
3 falsche, 4 wahre Backzähne sind. Das zoologische Museum 
hat dieses Thier von Hrn. Krefft gekauft, der dasselbe in den 
nördlichen gebirgigen Gegenden von Victoria in Neuholland er- 
legt hat. 


6. Januar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Homeyer las über die Genealogie der Hand- 
schriften des Sachsenspiegels. 


Hr. Gerhard berichtete über 2 neue entdeckte grie- 
chische Inschriften und über das Museo Campana. 

41. Ein zu Athen neulich aufgefundener Inschriftstein von 
36 Zeilen enthält das für Oxythemis, den aus Plutarch und 
Athenäus bekannten Schmeichler und Unterhändler des Deme- 
trios Poliorketes, ausgestellte Ehren-Decret. Diese Mittheilung 
wird Hrn. von Velsen verdankt. 

2. Aus Messenien sind neuerdings zwei zusammengehö- 
tige Steinplatten bekannt geworden, deren aus 100 Zeilen be- 
- stehende Inschrift (exoterische) Satzungen des aus Pausanias be- 
_ kannten Mysteriendienstes im Karnasischen Hain un- 
ı weit Oechalia enthalten; dieser Inhalt berührt aulser den Prie- 
stern und Eingeweihten hauptsächlich einen gewissen Mnesistra- 
 tos, welcher den Festzug und den heiligen Quell zu beaufsich- 


16 Gesammtsitzung 


tigen hatte. Die Inschrift zerfällt in einzelne Abschnitte, denen 
die Überschriften regt ieouv za iepäv. magadorıos. srehbavav. si- 
MATT MU. Ogx0s yYUvaızovonov. NoumaSs. cozavav. drosrmouvruv. 
Seßdohogwr. mer Tv dapogwv., ferner (auf der zweiten Platte): 
(regt) adıznuarur. megt ruv #(Ae)mrovru Ev TW iegw. megi TAGS 
zguves. Syravpou(?) zarerzeu(is). iegöu Ösimvou. ayogäs. CD) 
Üdaros. arsimunros za Aovrgod. wuverıos avechop&s verangestellt 
sind. Ein vorläufiger Abdruck derselben ist in der Athenischen 
Zeitung ‘O ®irdrargıs, im November vor. .J., erfolgt und durch 
Hrn. G. Papasliotis hierher gesandt worden. 

3. Aus Rom ist ein Quartband gedruckter Verzeichnisse. 
des Museo Campana uns zugegangen. Derselbe enthält zwar 
weder Abbildungen, noch ausführliche Beschreibungen, wohl 
aber gedrängte Notizen einer Sammlung antiker Kunstschätze, 
welche durch Umfang, Auswahl und Wichtigkeit ihres Inhalts 
alle früheren Sammlungen antiken Kunstbesitzes weit übertrifft. 
Ein ins Einzelne gehender Bericht über die wesentlichsten Ge- 
genstände und Ergebnisse dieser Sammlung soll in der bei G. 
Reimer erscheinenden „Archäologischen Zeitung” erfolgen, deren 
neuestes Quartalheft (October bis December 1358) auch einen 
Abdruck der oben gedachten Inschriftsteine enthält. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
den vorgelegt: 
Bulletin de la societe imperiale des naturalistes de Moscou. Tome XXXI, 
no. 3. Moscou 1838. 8. 
Proceedings of the Royal Geographical Society of London. Vol. II. 
London 1858. 8. 
46. Publication des literarischen Vereins in Stuttgart. (12. Jahrgangs, 
1858, 1. Publication.) Stutigart 1858. 8. 
Annales de chımie et de physique. Tome 54. Cahier 4. Paris 1858. 8. 
Revue archeologique. 15° annee, Livr. 9. Paris 1858. 8. 
Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen. Band 6, Lief. 4, 
Berlin 1858. A. 
Jahresbericht der Wetterauer Gesellschaft für die gesammte Naturkunde. 
Hanau 1858. 8. 
Roulez, Discours sur les moeurs electorales de Rome. Gand 1858. 8. 
La Rondinella. Anno IV, no. 35. Napoli 1858. folio. 


vom 13. Januar 1859. 17 


Förstemann, Altdeutsches Namenbuch. Band I, Lieferung‘8. 9. Nord- 
hausen 1858. 4. Mit Schreiben des Hrn. Verfassers,? d.:d. Berlin 
29. Dez. 1858. 

Preller, Aömische Mythologie. Berlin 1858. 8. Im Namen des Hrn. 
Verfassers überreicht von Hrn. Trendelenburzg. 

Mutanabbii Carmina cum commentario Wähedi, ed. Fr. Dieterici. 
Fasc. II. Berolini 1858. 4. Mit Schreiben des Hrn. Herausge- 
bers, d. d. Berlin 16. Dez. 1858. 

Kiepert, Neuer Handatlas über alle Theile der Erde. Heft 5— 8. 
Berlin 1858. fol. obl. Überreicht durch den Hrn. Herausgeber. 

Il nuovo Cimento. Tomo VIII, October. Pisa 1858. 8. 


Rücksichtlich der durch Hrn. Bibliothekar Holtrop im 
Haag eingetroffenen Eröffnung, dals die Versendung von Büchern 
und Manuscripten der dortigen Königl. Bibliothek für die Zwecke 
der Mitglieder der Akademie durch das Königl. Ministerium autho- 
risirt sei, wurde ein Dank an denselben beschlossen. 

Bescheinigungen für Empfang der Abhandlungen waren ein- 
gegangen von der Pariser Akademie für den Jahrgang 1857 der 
Abhandlungen und von der Akademie zu Boston in Massachu- 

 setts für die Abhandlungen von 1856 und 1857, so wie für die 
Monatsberichte von Januar 1857 bis August 1858. 


43. Januar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Petermann las über die arabische Chronik des 
 Samaritaners Abu’l Fath. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 

Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Jahrgang 5. Nürnberg 
w 1858. 4. 

Bibliotheca indica, ed. Roer. No. 140. 142—145. Calcutta 1858. 8. 
i Proceedings of the Hoyal Society of Edinburgh. Vol. IV, no. 48. Edin- 
burgh 1858. 8. 

— [1859.] 2 


18 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Journal of the Asialic Society of Bengal. no. 264 und 267. Calcutta 
41858. 8. 
Abhandlungen der naturhistorischen Gesellschaft zu Nürnberg. Heft 2. 
Nürnberg 1358. 8. 
Berliner astronomisches Jahrbuch für 1861. Berlin 1858. 8. 
Academiae Jenensi saeculia lerlia gratulalur Academia scienliarum Petro- 
politana. Petropoli 1858. gr. 4. 
Tomaschek, Deutsches Recht in Österreich. Wien 1859. 8 Mit 
Begleitschreiben des Hrn. Ritter von Chlumecky, d.d. Brünn 
6. Jan. 1859. 
Corenwinder, ZAecherches sur lassimilation du carbone par les 
feuilles des vegelaur. Paris 1858. 8. 
H. Martin, Appendice ajoute au livre de la vue future. Paris 1858. 8. 
Chapitres IX et AX du livre II de lintroduction arithme- 
tique de Nicomaque de Gerase. Rome 1858. 8. 
Sur quatre personnages appelles Thrasylie. Rome 1858. 8, 


Aufserdem war eine dankende Empfangsanzeige der Asiatie 
society of Calcutta vom 8. Juli v. J. für die übersandten Ab- 
handlungen von 1856 und die Monatsberichte von 1857 einge- 
gangen. 

Eine von Hrn. Encke übergebene Abhandlung des Padre 
Secchi in Rom, betitelt Osservazioni della Cometa Donati 
fatte al Osservatorio del Collegio Romano 1858, wurde auf des- 
sen Wunsch der Königl. Sternwarte überlassen. 


47. Januar. Sitzung der philosophisch-hi- 


storischen Klasse. 


Hr. Weber las über das Dagakumära-Caritam 
die Fahrten der zehn Prinzen. 

Wilson, dem wir die erste Herausgabe des Dagakumära 
(London 1846) verdanken (eine spätere erschien in Calcutta1350), 
berichtet in seiner Vorrede, dafs Dandin, der Verf. desselben, 
von der Tradition in die Zeit des Königs Bhoja (nach Lassen’s 


vom 17. Januar 1859. 49 


neuster Berechnung 997 — 1053 s.-Ind. Alt. III, 544. 1169) gesetzt 
werde. Da damit der leizte Abschnitt (die Geschichte des Figruze) in 
Widerspruch steht, der von Fürsten aus dem Bhojavanga, Ge- 
schlecht des Bhoja, handelt, also des Bhoja Zeit als der Vergan- 
genheit angehörig bezeichnet, so ist Wilson nicht abgeneigt, 
denselben, zumal er auch stylistisch vor den übrigen sich 
markirt, als eine spätere Zuthat zu betrachten: oder wenn man 
dies nicht wolle, müsse man das Werk als unter den unmittel- 
baren Nachfolgern Broja’s Ende des 11ten, Anfang des 12ien 
Jahrhunderts abgefalst betrachten. In der Tbat ist der noch 
vollständig von mohammedanischer Zerstörungssucht verschonte 
Zustand Indiens — und zwar gerade auch des westlichen Indiens 
— der uns in dem Werke entgegeniritt, die völlig einheimische 
Gruppirung desselben in einer spätern Zeit wohl kaum als li- 
terarisch möglich zu denken: die Yavana (Moslims) ‚werden 
nur als Kaufleute, nie als Krieger erwähnt. Insbesondere aber 
ist es auch die mehrfache Erwähnung der Buddbisten, einesKlosters 
derselben in Campä und buddbhist. wandernder Schwestern ebendas., 
wie in Yalabhi und Madhurd '), welche ein späteresDatum kaum 
zulälst. Aus dem reichen Schatze von Königsnamen der ver- 
schiedensten Landstricbe Indiens -— Mälava, Magadha, Videha, 
Läta, Anga, Wäränasi, Crävasti, Dämaliptä (Suhma), Kalinga, 
Fidarbha, Acmaka, Vänaväsi, Kuntala, Murala, Ricika, Konkana, 
 Sägikya, Mähishmati — lälst sich leider nicht der geringste bi- 
[ storische Anhaltspunkt entnehmen, da die Namen jener Fürsten 
_ wohl sämmtlich rein erfunden sind *), und der einzige etwaige hi- 
storische Kern des Ganzen die Erinnerung an Kämpfe zwischen 
Ben beiden rivalisirenden Staaten des Westens und Ostens, Mä- 
laca und Magadha, zu sein scheint. — Aufser den, wahrschein- 


fl 
4 


2 ') Letztere beiden Stellen gehören indels allerdings den wohl aus 
früheren Darstellungen entlehnten Erzählungen des Mitragupta an, würden 
also für die Zeit des Dagak. selbst nicht beweiskräftig sein. 

*) Vgl. Lassen Indische Alterth. II, 850. Lassen nimmt davon (pag. 
855. 56,) nur die Angaben über die Königsfamilie von Vidarbha aus, für 
elche er „das Zeugnils des Dichters Dandin als zulässig bezeichnet”, ohne 
ndefs anzugeben, welche Gründe ihn dazu bewegen. Diese Angaben sind 
brigens gerade in dem letzten Abschnitte enthalten, der möglicher Weise 
$. jedoch pag. 21. not. 5) von einem andern Verf. herrührt. 

2* 


20 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


lich früheren Darstellungen entlehnten, vier Erzählungen des 
Mitragupta mag eben der ganze Inhalt des Werkes seine Erfin- 
dung der Phantasie des Verfassers verdanken, natürlich unbescha- 
del, dafs er auch darin einzelne Züge wie z.B. bei der Geschichte 
des Pramati anderswoher entlehnt hat. Anspielungen auf an- 
dere Erzählungen finden sich hie und da zerstreut (z. B. Bezugs der 
Yäsavadattä): die bedeutsamste von Allen ist die Anspielung (pag. 
118) auf die Geschichte des Kämapäla in seinen beiden früheren Ge- 
burten als Caunaka und Cüdraka '), welche als völlig bekannt 
vorausgesetzt wird. Die Erfindungsgabe des Verfassers ist übri- 
gens trotz aller Kühnheit doch hie und da etwas einförmig: An- 
nahme der Gestalt des getödteten Feindes durch den Mörder fin- 
den wir uns zweimal, bei Upahäravarman und Mantragupta, 
unterirdische Gänge dreimal, bei Apahäravarman, Arthapäla und 
Pigruta, ebenso Ergreifung durch die Schaarwache und Liebe 
auf ein Bildnils oder einen Traum hin mehrmals als Mittel zur 
Lösung oder Schürzung des Knotens aufgetischt. Das Bild der 
Gesellschaft, welches sich vor unsern Blicken aufrollt, ist kein 
sehr schmeichelhaftes: besonders auffällig ist die Fertigkeit im 
gemeinen Diebstahl, welche mehrere der Helden zeigen (so be- 
sonders Apahäravarman), und Betrügereien aller Art, die zur 
Erlargung eines Mädchens oder dgl. als vollständig in der Ord- 
nung erscheinen. Neben der tiefsten Versunkenheit des Volkes 
in Aberglauben aller Art erscheinen die zehn Prinzen als voll- 
ständig frei davon, keinen Gott und keinen Teufel fürchtend. 
Daher kommt ihr Erfolg. Wenn der Dichter aulser dem Zweck 
der Unterhaltung noch einen andern vor Augen gehabt haben 
sollte, so könnte es, wie bei Le Sage im Gil Blas und Diable 
boiteux, nur der sein, zu zeigen, dafs Muth und Klugheit in 
allen Gefahren den Erfolg sichern: nur müsse man eben 
über die albernen abergläubischen Vorstellungen der Menge völ- 
lig erhaben sein, sie dagegen vollständig zum eignen Vortheil 
auszunutzen wissen. Im Übrigen fehlt es den Helden und son- 
stigen Personen auch nicht an guten Eigenschaften, unter denen 
besonders unverbrüchliche Treue der Freunde und Liebenden 


*) Anders in der Ködambari, wo Candramas, Candräpida, Cüdraka, 


während hier Caunaka, Cüdraka, Kämapdla, die identische Person in drei 


Existenzen sind. 


vom 17. Januar 1859. 24 


gegen einander, der Diener gegen ihre Herrschaft, insbesondere 
der Ammen und Zofen gegen ihre Pflegebefoblenen hervorste- 
chend sind. Für die Pflege der Gerichtsbarkeit, öffentlichen 
Sicherheit (durch die nächtlichen Schaarwachen), wie überhaupt das 
öffentliche und private Leben der Hindu finden sich höchst in- 
teressante Darstellungen und Winke. Von besonderem Inter- 
esse ist z. B. die lange Darstellung in der Geschichte des Apa- 
häravarman von der Erziehung eines zur öffentlichen Tänzerin 
bestimmten Mädchens, von den Mitteln und Kunstgriffen, durch 
welche dgl. Schönen bei ihrem ersten öffentlichen Auftreten sich 
Erfolg (eine Claque, und Bestechung der Kritik) zu sichern pfleg- 
ten, so wie die ausführliche Beschreibung verschiedener Spiele, 
wie des Würfelspiels, Hahnengefechts, Ballspiels u. dgl. 

Was aber dem Dagakumäracaritam in unsern Augen eine 
ganz besondere Bedeutung verleiht, ist der Umstand, dafs es als das 
erste Werk seiner Art, das rein in Prosa geschrieben ist, auf- 
tritt. Dafls die Yäsavadathä des Subandhu und die Kä- 
dambari des Bäna ihrem Style nach entschieden später sein 
müssen, liegt auf der Hand '), und es ist somit Wilson’s der 
Tradition folgende Annahme von der Abfassung des Dagakumära 
zu Bhoja’s oder bald nach dessen Zeit, wohl eher dahin zu mo- 
dificiren, dafs wir das Werk (und zwar dann unter Abtrennung des 
letzten Abschnittes) noch vor Bhoja’s Zeit, oder wenigstens in die 
erste Zeit desselben setzen, da von jenen beiden Werken feststeht, 
dals sie an seinem Hofe oder resp. bald nach seinem Tode verfalst 
wurden. Daübrigens der Inhalt des Dagakumära darauf abazielt, 

die schlielsliche Besiegung einesMä/ava-Königs durch einen Magadha- 
König darzustellen, so ist eigentlich gar nicht abzusehen, wie es 
'an Bhoja’s, des Mälava-Königs Hofe abgefalst sein könne’), für 


*) Vgl. meine Analysen in Z. der D. M. G. VII, 582 £f. VIIT, 530 ff. 
°) Auch erscheint der Name des Dandin nicht unter den Namen der 
Dichter, die im Bhojaprabandha aufgezählt werden. — Woher mag Wilson 
überhaupt seine Angabe: „tradition affirms the contemporary existence of 
 Dandin and Bhoja Deva” haben? — Wir kennen übrigens jetzt aus In- 
schriften auch zwei bedeutend ältere Bhoja, im achten Jahrhundert, s. Las- 
sen III, 827. 1169. Sollte der Ahojavanga p. 180,9. 200,11 etwa auf 
diese sich beziehen? Dann brauchte der letzte Abschnitt gar nicht erst 
4 abgetrennt zu werden. 


22 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


den dieser Inhalt ja eine grobe Beleidigung gewesen sein würde! 
Es liegt die Vermuthung nicht fern, dafs der Umstand, dafs 
uns Aufang und Ende des Werkes fehlen, biemit in Zusammen- 
hang stehe, und der Verlust dieser beiden Theile als eine 
auf Befehl Broja’s des Mälava-Königs erfolgte Verstümmelung, 
resp. Vernichtung anzusehen sei? Dann müfste sich indels die 
Vernichtung noch weiter erstreckt haben, da ja die Besiegung 
des Mälava-Vicekönigs wenigstens gerade noch in dem ersten 
Abschnitte des Werkes selbst erzählt wird! Es müssen also 
wohl andere Gründe jene Verstümmelung herbeigeführt haben. 
Im Übrigen ist der Verlust kein beträchtlicher, da das uns als Ein- 
leitung, zum Ersatze der ursprünglichen, gebotene Stück (trotz 
einzelner Widersprüche, in denen es sich mit dem Inhalt des 
Werkes selbst befindet) in der Hauptsache jedenfalls den Inhalt 
der verlornen genuinen Einleitung enthält, auch wesentlich in 
demselben Style abgefalst ist. Das Ende freilich, wenn auch dem 
Inhalt nach leicht zu ergänzen, ist in der That völlig verloren. 
Die folgende Analyse ist zunächst bestimmt, auf das bei uns 
noch ziemlich unbekannt gebliebene Werk des Dandin auch in 
weiteren Kreisen aufmerksam zu mächen und im Allgemeinen 
darüber zu orientiren. Vergleichungen mit abendländischen Er- 
zählungen anzustellen, habe ich mir einstweilen versagt. 


Räjahansa, König von Magadha (Süd-Behar), ward durch‘ 
Mänasära König von Mälava mit Krieg überzogen, und floh be- 
siegt in den Findhya-Wald, wo ihm seine Gemahlin den Adja- 
oähana gebar. Der Prinz ward mit neun verschiedenen Kna- 
ben gleichen Alters erzogen, die sich in zum Theil höchst 
wundersamer Weise in dem Zufluchtsort des Räjahansa zusam- 
mengefunden hatten. Sieben derselben waren die Söhne von 
Ministern desselben, zwei die Kinder seines in seinen  Un- 
fall verwickelten und des Thrones ebenfalls verlustig gegangenen 
Freundes, des Königs von Fideha (Nord-Behar). Nachdem ihre 
Erziehung mit dem sechszehnten Jahre vollendet, gehen sie alle 
zehn zusammen in die Welt. Räjavähana trennt sich heimlich von 
den Ändern, um einem seinen Schutz erbittenden Brähmanen bei- 
zustehen. Das Wiederfinden der Freunde, die sich trennen um 


vom 17. Januar 1859. 23 


ihn zu suchen, und die Erzählung dessen, was ihnen begegnet, 
bildet den Iuhalt des Werkes. 

Der Erste, der mit Räjavähana wieder zusanımentriflt, in 
einem Lustgarten nämlich, wo derselbe ausruht, ist Somadatta, 
der mit einem stattlichen Zuge herbeikömmt und, seinen Prinzen 
erkennend, alsbald aus seiner Sänfte steigt, und freudig herbei- 
eilend seine Fülse umfalst. Sornadatta hat mit Hilfe von Die- 
ben, zu denen er unschuldiger Weise ins Gefängnils geworfen 
war, dem König von Läta (Aapızy) Mattakäla viel Schaden zu- 
gefügt, ihn zuletzt im Kampfe getödtet, und sich so die Füma- 
locanä, Tochter des Yiraketu Königs von Pätali, zur Gemahlin 
erworben, die ihr Vater wider seinen Willen Jenem hatte als 
Braut überlassen müssen. Er befindet sich auf dem Wege zu 
dem Mahäkäla-Tempel des Civa, wohin er mit seiner Gattin zu 
pilgern gedachte, um über des Prinzen Geschick Beruhigung zu 
‚erhalten. — Während noch Beide durch ‘das Wiederfinden be- 
glückt sind, kommt auch noch ein anderer der zehn Genossen, 
Pushpodbhava hinzu, der hocherfreut bewillkommnet wird und 
seine Geschichte dann ebenfalls erzählt. Im kühlen Schatten 
am Fufse eines Berges gelagert, hatte er einen Mann aufgefangen, 
der sich, den Tod suchend, von der Höhe desselben stürzte, und sich 
dann als sein Vater Ra/nodbhava ergab: derselbe hatte nämlich vor- 
mals, als Kaufmann herumschweifend und von der Käla-Yavana- 
Insel (p. 28, ult.) eine Kaufmannstochter heimführend, mit dieser 
seiner schwangeren Gattin Schiffbruch gelitten, dieselbe dabei 
verloren, und war nun nach 16jährigem vergeblichem Suchen zu 
jener That der Verzweiflung geführt worden. In ähnlicher 
Weise rettete Pushpodbhava auch unmittelbar darauf eben diese 
seine Mutter, die damals durch ihre Dienerin gerettet worden 


war und, nachdem sie den Verlust ihres Gatten und ihres durch 


’ 


| Schuld der Dienerin damals bald nach ihrer Rettung verlorenen 


 Sobnes 16 Jahre lang ertragen hatte, jetzt eben sich in das Feuer 


4 

j 
b 
’ 


_ stürzen wollte, um ihre Leiden zu enden. Er führte darauf 


seine wiedervereinigten Eltern mit einer Caravane nach Ujjayıns, 
wo ihm Bandhupäla, der Vater eines ‚Freundes, durch Augurien 
über Röjavähana’s Geschick Auskunft verspricht (p. 31). Dort 
verliebte er sich in die Kaufmannstochter Bälacandrikä, die durch 


24 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


die Bewerbungen des grausamen Däruvarman, eines Schwester- 
sohnes des Mänasära und zweiten Statthalters in Ujjayini, ver- 
folgt ward. Auf Pushpodbhava’s Rath gab sie vor, dals ein 
böser Dämon (Yaxa) sie zu Zeiten besessen halte, und dals sie 
nur dem gehören wolle, der denselben zu vertreiben im Stande 
sei. Da Däruwvarman sich hierdurch nicht abschrecken liefs, 
sondern auf seinem Begehr bestand, begleitet Pushpodbhava, als 
erste Dienerin des Mädchens verkleidet, dasselbe zu dem Ge- 
mache des Fürsten hin und tödtet ihn daselbst mit Faustschlägen 
und Fufstritten. Sein Tod wird von dem schon vorher auf den 
Ausgang neugierigen Volke dem bösen Yaxa zugeschrieben, und 
als eigene Schuld des Fürsten angesehen. Pushpodbhava, der 
in seiner Verkleidung ohne Verdacht zu erregen entkommt, hei- 
rathete wenige Tage darauf die Bälacandrikä. Auf die Anwei- 
sung des Bandhupäla, der ihm für heute das Wiederfinden des 
Räjavähana vorhergesagt, hat er sich hieher aufgemacht, und 
nimmt nun den Prinzen, der den Somadatta zu seiner Mahäkdla- 
Pilgerfahrt entläfst, bei sich inseinem Hause in Avantikä(d.1.Ujj.) auf, 
denselben für einen geschickten Brähmana ausgebend.—Da sieht 
denn der Prinz einstmals in einem Garten die Avantisundari, 
Tochter seines väterlichen Feindes, des Mänasära, und Beide 
werden von der flammendsten Liebe zu einander ergriffen, in- 
dem die Erinnerung in ihnen erwacht, dafs sie bereits in einer 
früheren Existenz einander zugehört haben. Die Ankunft ihrer 
Mutter trennt das kaum begonnene Gespräch. Bälacandrikä 
aber dient dem vor Liebessehnsucht verschmachtenden Paare als 
gegenseitige Liebesbotin. Ein Zaubermeister, den der Prinz 
von ungefähr, in jenem Garten herumstreifend, antrifft, bietet 
ihm seine Dienste an, und verspricht ihm für den nächsten Tag 
bereits Vereinigung mit seiner Geliebten. Mit grofsem Pompe 
zieht derselbe dann vor des Königs °) Palast und erbietet sich, 
nachdem er viele andere Kunststücke gezeigt, ihm die Hoch- 
zeit seiner Tochter (p. 47,7) mit einem jungen Prinzen vor- 
zuführen. WVährend alle Zuschauer dies für ein Gaukelstück, 
wie die bisherigen halten, findet dann die Vermählung der Bei- 


°) Damit ist Mänasära gemeint, der, obwohl er nicht mehr regiert, 
doch noch den Titel Mälavendra führt. 


vom 17. Januar 1859. 25 


den, gemäls vorher getroffenen Verabredungen, wirklich vor den 
Augen des ganzen Hofes statt, und während die übrigen Zau- 
bergestalten zerflielsen, gelangt der Prinz unentdeckt mit sei- 
nem Liebcehen in das Frauengemach, wo er sie zunächst mit 
wundersamen Erzählungen ergötzt. 

Hiermit schlielst die den fehlenden Anfang des Werkes zu 
ersetzen bestimmte Einleitung. Das Werk selbst beginnt nun 
wie folgt. 

Die Prinzessin drückt ihr Entzücken über seine Erzählungen 
aus, und belohnt ihn mit dem Einzigen, was sie dafür bieten könne, 
dem Kufs ihrer Lippen und dem vollsten Ausdruck ihrer Liebe. 
Beim Erwachen findet sie die Fülse des Prinzen durch eine sil- 
berne Kette umstrickt. Im Schreck hierüber schreit sie laut 
auf, und in der dadurch im Harem entstandenen Aufregung drin- 
gen die Wächter herein, sehen den Prinzen, und melden es dem 
König Candavarman. Der kommt sofort herbei, erkennt in dem 
Prinzen den Freund des Pushpodbhava, welches Letztern Frau den 
Tod seines Bruders Däruvarman verschuldet hatte, und beschliefst 
ihn pfäblen zu lassen. DerEinspruch beider Eltern derPrinzessin, 
des alten Mänasära, der die Regierung bereits lange niederge- 
legt hatte, und der Mahädevi, denen Beiden der Prinz seiner 
Schönheit wegen als Schwiegersohn willkommen ist, nöthigt in- 
dels den Candavarman, der eben nur Vicekönig ist, we- 

 nigstens zum Aufschub, und zum Einholen bestimmter Befehle 
_ von dem regierenden Könige Darpasära (dem Bruder der Prin- 
_ zessin), der sich gerade auf einer Bulsfahrt abwesend befindet. 
 Räjavähana wird mittlerweile auf Befehl des Candavarman in 
_ einen Käfig gesperrt, und darin auf einem Kriegszuge gegen den 
- König von Anga, Sinhavarman, der dem Cand. seine Tochter dm- 
 dälikä nicht zur Frau geben will, mitgeschleppt. Der Anga- 
_ König wird bei einem Ausfall (aus Campä) gefangen genommen: 
die Hand seiner Tochter soll ihm das Leben retten. Zugleich 
kommt von Darpasära der Befehl, den gefangenen Galan seiner 
Schwester ohne Rücksicht auf die Bitten des kindischen Vaters 


sichten, und sie selbst nebst ihrem jüngeren Bruder Kir- 


> 


26 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


!isära einzusperren. Als dem gemäls am andern Morgen Rä- 
javähana vorgeführt wird, um einem wütlıenden Elephanten zum 
Zerstampfen vorgeworfen zu werden, löst sich plötzlich die sil- 
berne Kette von seinen Fülsen, nimmt die Gestalt einer schönen Fee 
(Apsaras) an, die sich verneigend ihm das Wunder der Verwand- 
lung also erklärt. „Ihr Halsband sei ihr einst, als sie in den 
Lüften mit einem Flamingo spielte, entglitten und einem bülsenden 
Einsiedler auf den Kopf gefallen, durch dessen Fluch sie dann 
für eine bestimmte Zeit zurKette geworden, und so in den Besitz 
eines Geistes(Fidyidhara) gekommen sei. Dieser nun, dem Darpa- 
sära seine Schwester als Braut zugesagt hatte, habe damals, als 
dieselbe mit dem Prinzen das Lager getheilt, dies erschaut und zur 
Rache ihm die Fülse mit der Kette gebunden. _ Jetzt aber sei 
ihr Fluch zu Ende, und sie stehe zu seinen Diensten.” Der 
Prinz entläfst sie hocherfreut, indem er ihr aufträgt, sein Lieb- 
chen zu trösten. Da erhebt sich plöszlich ein Tumult: Canda- 
varman sei im Beginn der Hochzeitsfeierlichkeiten von einem 
Fremden erschlagen worden, der mit gewaltiger Wuth um sich 
hauend den Palast mit Leichen fülle. Der Prinz benutzt die 
Verwirrung, stölst den Wächter des wüthenden Elephanten, der 
ihn zu zerstampfen bestimmt war, von demselben herunter, 
schwingt sich selbst hinauf und eilt damit dem Palast zu, wo er 
den kühnen Mann, der die That gethan, ‚mit lauter Stimme 
aufruft sich zu ihm zu Hüchten. Es geschieht, und derselbe 'er- 
giebt sich als des Prinzen Freund Apahäravarman. Beide ver- 
theidigen sich nun tapfer gegen die Diener deserschlagenen Fürsten, 
bis ihnen die plötzliche Ankunft fremder Schaaren Hülle bringt, 
welche sichalsdie Truppen ergeben, die dem Anga-Könige von Sei- 
ten der Herrscher von Yideha, Väränasi, Grävasti, Dämaliptä, 
Kalinga und Yidarbha, unter der Aufübrung der übrigen Freunde 
des Prinzen, zur Hülfe gegen den Mälava-Fürsten geschickt wor- 
den waren. Der Anga-König wird natürlich sofort. befreit. 
Die Wiedervereinigung aller Freunde erregt den gröfsten Ju- 
bel, und jeder erzäblt nun der Reibe nach, wie es ihm er- 
gangen sei. Zunächst Apahäravarman, der Königssohn von 
Videha. 


vom 17. Januar 1859. 27 


Cap. II. Derselbe war damals, nach dem Verschwinden des 
Räjavähana, diesen suchend im Anga-Lande umhergeirrt, und 
daselbst zu einem in hohem Rufe der Weisheit stehenden Einsiedler 
Mariei in der Nähe von Campä gepilgert, um Auskunft von ihm 
zu erhalten. Den fand er aber seinerseits in bitterer Noth, in 
die er durch die Hetäre Köämamanjar? gerathen war, welche in 
Folge einer Wette, ihn mit ihren Liebesnetzen bestricken zu 
können, dies in der listigsten Weise durchgeführt, und nachlem 
sie ihn berückt, mit Spott und Hohn wieder heinigeschickt hatte, 
Bei ihm übernachtet habend, trifft er am andern Morgen vor 
der Stadt ein zweites Opfer der Fallstricke der Hetäre in hellen Thrä- 
nen, eines reichen Kaufmanns Sohn nämlich, Firipaka genannt (von 
seiner Häfslichkeit), der nach dem Verlust seines ganzen Ver- 
mögens, das er an sie verschwendet, buddbistischer Mönch ge- 
worden war, sich aber nach dem brähmanischen Glauben seiner 
Väter zurücksehnte. Nachdem er ihn durch das Versprechen, 
dals die Hetäre ihm all das Seine wieder herausgeben werde, 
getröstet hat, begiebt er sich in die Stadt, gewinnt daselbst in 
einem Würfelspielhaus einem bochmüthigen Spieler 16000 Dinära 
ab, und erwirbt sich durch Verschenkung der Hälfte des Ge- 
winnstes Kubm und Freunde. In der Nacht macht er sich, 
nach allen Regeln des Diebeshandwerkes (wie sie von Karnisuta 
p- 78, 12 gelehrt sind) ausgerüstet, auf, um durch einen Einbruch 
sich noch mehr Reichthümer zu verschaffen. Unterwegs trifft er 
‚auf ein schönes, junges Mädchen, die von ihm angeredet sich 
als eine Kaufmannstochter Kulapälikä zu erkennen giebt, die zu 
ihrem Geliebten flieht, dem Dhanamitra, dem sie früher von 
_ ihrem Vater versprochen war, der aber arm geworden ist, wes- 
halb sie jetzt einen Andern, den reichen Arthapati 'heirathen 
soll. Der Prinz 'erbietet sich mitleidsvoll sie ihrem Geliebten 
zuzuführen. Die Schaarwache, welche gerade herbeikommt, 
wird getäuscht, indem er sich als eben von einer Schlange ge- 
stochen todt stellt und das Mädchen sich für seine trostlose Gat- 
tin ausgiebt. So der Gefahr der Festnehmung durch die 
Wache entronnen, gelangen sie glücklich zu Dhanamitra, der 
„durch den Edelmuth des Prinzen gerührt sich ihm in inniger 
Be undschaft zu eigen giebt. Nachdem sie berathschlagt, was 


 - 
«2 


28 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


zu thun sei, bringen sie zunächst das Mädchen wieder heim, rau- 
ben mit ihrer Hülfe das Haus ihres Vaters aus, und verstecken 
die Beute. Mit der Schaarwache zusammentreffend besteigen 
sie einen Elephanten, der am Wege schlummerte, werfen den 
Treiber berunter, schlagen die Angriffe der Wache zurück, be- 
schädigen darauf durch das wüthende Thier das Haus des Artha- 
pati, lassen sich in einem Wäldchen, die Zweige der Bäume 
ergreifend, von demselben herunter, und legen sich, heimgekehrt 
in Dhanamitra’s Haus, daselbst zur Ruhe. Die Hochzeit der 
Kulapälikä wird so zunächst um einen Monat verschoben. 
Auf die Anweisung des Prinzen begiebt sich Dhanamitra so- 
dann zum Könige mit einem ledernen Säckel”), der ihm in dem 
Walde von einem Bülser geschenkt worden sei, als er sich eben 
aus Verzweiflung über den Verlust seiner Braut habe das Leben 
nehmen wollen, und der in den Händen von Kaufleuten oder 
Hetären die Kraft besitzen solle, alle Morgen mit Gold gefüllt 
zu sein, vorausgesetzt, dals dieselben vorher all ihr Besitzihum 
verlheilt, das unrechimälsig Erworbene dem wahren Eigenthü- 
mer zurückgegeben, das rechtmälsig Erworbene an die Gölter 
und Brähmanen verschenkt hätten. Der König sichert ihm für 
den Besitz seinen Schutz zu. Dhanamitra beginnt sein früheres 
freigebiges Leben und füllt nächtlich den Säckel mit dem ge- 
stohlenen Gute. Als der Vater der Kulapälikä davon hört, dals 
Dhanamitra wieder reich geworden sei, kommt er von selbst, 
ihm seine Tochter wieder anzubieten.—Da geschah es, dals in 
diesen Tagen ARädgamanjari, die jüngere Schwester der Hetäre 
Kämamanjari, zum ersten Male vor dem Publikum im Concert 
und Tanz auftrat. Der Prinz verliebt sich in sie zum Hinsie- 
chen, und da sie fest entschlossen ist nur um Liebe, nicht um 
Geld, und zwar nur als Gattin sich hinzugeben, die Ihrigen da- 
gegen nur für Gold ihre Einwilligung dazu ertheilen wollen, 
erreicht er Beides, indem er ihnen durch Vermittlung einer bud- 
dhistischen Bettelschwester (79, 11) den Glücks -Säckel zu steh- 
len verspricht, und anch, mit Wissen des Dhanamitra, wirklich 
übergiebt. Er läfst zugleich durch einen in seinem Solde ste- 


”) Vgl. des Fortunatus Glückssäckel: doch ist hier die Darstellung in 
so fern witziger, als die Kraft des Säckels hier als eine nur erlogene er- 
scheint. 


\ 


vom 17. Januar 1859. 29 


henden Freund des Arthapati den Dhanamitra gröblich belei- 
digen, und auf dessen Klage steckt dann der König den Artha- 
pati ins Gelängnils, um für die Schmähungen Jenes, der sich 
auf des Prinzen Befehl aus dem Staube gemacht hat, einzustehen. 
Die Hetäre sodann, in dem Eifer den Glückssäckel recht bald 
zu probiren, giebt nicht nur, um den Vorbedingungen dazu zu 
genügen, dem Yirüpaka all das Seine zurück, der nun zu dem 
brahmanischen Glauben zurückkehrt, sondern theilt auch all das 
Ihrige in der auffallendsten Weise aus. Auf des Prinzen An- 
ordnung geht Dhanamitra zum König, und theilt ihm seinen 
Verdacht mit, dals sie eben wohl in dem Besitze seines Säckels 
sein möge, da sie, die bisher so geizig, auf einmal so verschwen- 
derisch geworden sei. Sie wird darauf mit ihrer Mutter ein- 
gezogen, und giebt auf den Rath des Prinzen den Arthapati als 
denjenigen an, der ihr den Säckel geschenkt habe: derselbe 
wird darauf, da er ohnehin schon in schlechtem Rufe steht, zum 
Tode verurtheilt, auf Dhanarnitra’s Bitten indels vom Körige 
nur mit Einziehung seines Eigenthums und Verbannung bestraft. 
Einen Theil seines Vermögens erhält die Hetäre, die den Säckel 
herausgeben mufs, vom Könige zum Ersatz für das, wie er 
meint, im Glauben an den rechtmäfsigen Besitz des Säckels von ihr 
verschwendete eigene Vermögen. Hierauf endlich findet die 
Hochzeit des Dhanamitra statt. — Bei allem Glücke, welches nun 
auch Apahäravarman im Besitze seiner Rägamanjari genofs, 
setzte er doch seine Diebeskunst in einem solchen Grade in 
_ Thätigkeit, dafs, wie es heilst, „‚die früher reich waren nun an 
den Tbüren Derer betielten, welche früher arm, durch die von 
ihm gestohlenen und wieder verschleuderten Reichthümer reich ge- 
worden waren”. Bei einem dgl. nächtlichen Ausgange ward 
er aber von der Schaarwache nach tapferem Widerstande ver- 
A wundet und gefangen. Um nicht auch die Seinigen in sein Un- 
glück zu reilsen, bricht er, kurz entschlossen, in Gegenwart der 
Wache, gegen eine treue Dienerin Crigälikä, die ihm gefolgt 
war, in die bittersten Schmähungen gegen dieselben aus, als ob 
sie ihn betrogen und verrathen hätten, und er nun aus Rache 
dem Dhanamitra den Säckel und der Rägamanjari ihre Juwelen 
‚gestohlen habe. Die schlaue Dienerin geht darauf ein und 


30 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


weils durch ibr Klagen ihn scheinbar zu erweichen, so wie von 
der Wache zu erlangen, dafs er ihr ins Ohr den Platz nennen darf, 
wo er die gestohlenen Juwelen versteckt habe, was er natürlich 
aber zu andern Aufträgen benutzt. Im Gefängnifse dann von dessen 
Aufseher Käntaka, einem jungen, eitlen Laffen, mit achtzehn 
Torturen bedroht, wenn er den Säckel nicht herausgebe, stellt 
er sich fortwährend als vom bittersten Hals gegen Dhanamitra 
erfüllt und weigert sich dessen. Letzterer wendet sich mittler- 
weile, durch Grigälikä unterrichtet, an den König, und bittet 
ihm, in Anbetracht bisheriger Freundschaft für den Übelthäter, 
um Verschonung desselben mit weiterer Strafe, falls er nur den 
Säckel wieder herausgäbe: Crigälikä aber vermittelt gleichzeitig, 
den weiteren Aufträgen gemäls, die ihr der Prinz gegeben, um 
für alle Fälle möglichst sicher zu gehn, zwischen Rädgamanjarf 
und der Tochter des Königs, Ambälikä, durch reiche Geschenke 
an deren Wärterin, ein inniges Freundschaftsbündnils. Es ge- 
lingt ihr sodann, durch verschiedene Listen, in Käntaka den 
Glauben zu erwecken, dafs die Königstochter in ihn verliebt und 
er zur Thronfolge bestimmt sei; er möge sich doch durch einen 
unterirdischen Gang den Weg zu ihrem Gemache bahnen. Als 
er bereitwillig darauf eingeht, und ihr den Dieb des Säckels 
als denjenigen nennt, den er zum Aushöblen des Ganges ver- 
wenden wolle, räth sie ihm, denselben nach gethaner Arbeit bei 
Seite zu schaffen, um des Geheimnisses sicher zu sein. Er 
sendet sie dann selbst ab, um mit dem Apahäravarman Verab- 
redung zu treffen, den sie nun dabei von Allem unterrichtet, 
was sie gethan hat. Seiner Fesseln entledigt, macht sich der- 
selbe bald ans Werk, das ihm trefflich gelingt, tödtet darauf den 
Käntaka, der ihn, gegen den geleisteten Schwur ihn frei zu 
lassen, wieder in Bande schlagen will, mit dessen eigenem 
Schwerte, und beschliefst nun den Gang für sich selbst zu 
einer Beraubung des Harems zu benutzen. Der Anblick der 
auf ihrem Lager schlummernden Königstochter vertreibt ihm 
aber, daselbst angelangt, alle dgl. Gedanken und erfüllt sein 
Herz mit Sehnsucht nach ihrem Besitze. Der Gefahr wegen, die 
eine Überraschung der unvorbereiteten Jungfrau mit sich führen 
würde, weils er sich indels doch so weit zu bezähmen, dals er 


vom 17. Januar 1859. 7 al 


nur ein Bildnils ihrer selbst, wie sie auf dem Lager ruht, und 
das seinige, wie er zu ihren Füfsen gesunken bittend die Hände 
faltet, nebst einem seine Liebe schildernden Spruche auf ein da 
be6ndliches Pastell malte. Durch den Gang ins Gefängnils 
zurückgekehrt, unterrichtete er einen Mitgefangenen daselbst, 
 Sinhaghosha, von dem Plane und dem Tode des Käntaka, und 
verliels dann dasselbe nebst der Crigälikä, trifft aber sogleich 
auf die Schaarwache, der er nur dadurch entgeht, dals er sich 
verrückt stellt, während €. sich als seine Mutter ausgebend die 
Wächter ihn zu fahen bittet. So entkommen Beide ohne Ver- 
dacht zu erregen, er indem er fortrennt, sie indem sie ibm 
wehklagend nachläuft, und gelangen so zur Rägamanjari, die 
er für die lange Trennung und Angst durch seine Liebkosungen 
den Rest der Nacht entschädigt, am Morgen erst sich zu Dha- 
namitra begebend. Sinhaghosha wird am andern Tage von 
dem Könige, dem er den ruchlosen Plan des dabei umgekommenen 
Käniaka mittheilt, an dessen Stelle zum Gefängnilsaufseber ge- 
macht, und verstattet nun dem Apahäravarman vermittelst des 
Ganges häufigen nächtlichen Zugang zu der in Folge des Bildes in 
Liebe zu Diesem erglühten Königstochter. Bald darauf begann die 
Belagerung der Stadt durch Cundavarman, deren Verlauf und 
Ende wir bereits kennen. Als dieser Fürst eben im Begriff 
war die zitternde Hand der 4mbälikd, dem Atharcana -Ritus 
(91, 13) gemäls, vor dem Feuer als Zeugen zu erfassen, erschlug 
‚ihn Apahäravarman, trug die erschreckte Maid durch das Ge- 
x dränge rasch fort in den Harem, unter dem Schutze des Dhana- 
4 miira, der mit Begleitern in der Nähe war, und leistete ‘dann, 
_ wie wir gesehen, dem ihm Hülfe verheilsenden Rufe des Räjavä- 
_ hana Folge. 
R Cap. III. Der zweite, der seine Geschichte erzählt, ist 
BRehärasarman, des Vorigen Bruder. Er war, auf seinem Su- 
chen, nach seines Vaters Reich Yideha gekommen. In einem 
Tempel von Mithilä von einer alten Bülserin freundlich aufge- 
nommen frägt er theilnehmend nach dem Grunde ihrer Thrä- 
nen. Sie erzählt ihm dann das‘ harte Geschick sei- 
mer eignen Eltern, (des Prahäravarman :und der Priyam- 
vadd), welche von dem jetzigen Könige Yikatavarman, dem 
‚Sohne des Samhäravarman, ältesten Bruders des Prahäravar- 


> 


32 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


man, schon seit 16 Jahren im Gefängnils gehalten wurden, 
nachdem sich derselbe zur Zeit von des Letztern Besuch bei 
Räjahansa, inFolge von deren Niederlage durch den Mälava-König, 
nebst seinen Brüdern des Thrones bemächtigt hatte. Die Alte 
selbst und ihre Tochter waren die Wärterinnen der beiden jun- 
gen Prinzen gewesen, die damals auf der Rückkehr von Magadha, 
als Prahäravarman sich um Hülfe gegen seine Bruderssöhne 
an seinen Schwestersohn, den König von Suhma, wenden wollte, 
bei einem Überfall durch Räuber im Walde verloren gegangen 
waren. Der Prinz giebt sich ihr zu erkennen; die Freude der 
Alten, wie ihrer Tochter Pushkarikä, welche Tags darauf zu- 
fällig dazu kommt, ist überaus innig. Letztere dient jetzt als 
Zofe bei Kalpasundari, der schönen Gemahlin des Yikafavarman, 
Tochter des Fürsten von Kärnarüpa (Kulindavarman). Der 
Prinz, der entschlossen ist, den Usurpator zu vernichten und 
seine Eltern zu befreien, weist zunächst die Zofe an, den be- 
reits vorhandenen Groll der Königin gegen ihren häfßslichen, 
untreuen und bösen Gemahl auf jede Weise zu schüren, damit 
sie sich für möglichst beklagenswerth halte. Als dies einige 
Tage hindurch geschehen, sendet er durch die Alte der Königin 
sein Bildnils, durch welches diese von heftiger Liebe zu ihm 
erfafst wird. Sie erzählt dabei der Alten, wie sie von ihren 
Eltern, die mit dem alten Yideha-König Prahäravarman und 
seiner Gattin in engster Freundschaft gelebt, ursprünglich für 
deren Sohn zur Gattin bestimmt gewesen sei, und dafs sie ihren 
jetzigen Gatten nie geliebt habe, jetzt aber von Liebe zu dem 
jungen Fremden ergriffen ihn förmlich hasse. Noch denselben 
Tag begehrte sie eine Zusammenkunft mit demselben zu haben. 
Der Prinz hatzwar nun einige Gewissensbisse wegen des Ehebruches, 
aber theils der Gedanke an seine Eltern theils ein zienilich alberner 
Traum beschwichtigt dieselben. Nach den genauen Beschreibungen 
der Örtlichkeit, die ihm die Alte giebt, und mit Hülfe eines für ihn 
zum Überspringen der Gräben bereit gelegten Springstocks ge- 
langt er glücklich in den Garten des Harems und an das zum 
Stelldichein bestimmte Lusthäuschen. Die durch seine Liebe 
beglückte Königin ist Morgens beim Scheiden ganz untröstlich, 
und ergreift freudig den Plan, den er ihr vorlegt, ihren Gatten 


vom 17. Januar 1859. 33 


aus dem Wege zu räumen und sich selbst an seine Stelle zu 
setzen. Demgemäls zeigt sie nämlich Jenem das Bildnifs des 
Upah., das sie durch die Alte erhalten, unter dem Vorwande, 
dals eine weise Frau ihr ein Mittel gesagt habe den König 
umzugestalten und diesem schönen Bildnilse gleich zu machen: 
nachdem nämlich die Priester vorher dem Atharva-Ritus gemäls 
verschiedene Opfer gebracht, müsse sie in der Nacht ganz allein 
an einem einsamen Orte des Gartens bestimmte Opfer von Aloe, 
Sandel, Kampfer, kostbaren Gewändern vollziehen, und werde 
dann durch einen mystischen Spruch zunächst selbst dem Bild- 
nils ähnlich werden: darauf solle sie eine Glocke läuten, der 
dadurch herbeigerufene Gatte solle ihr zuerst alle seine Geheim- 
nisse verkünden, und sodann mit geschlossnen Augen sie um- 
armen, worauf die Gestalt des Bildnisses auf ihn übergehen, sie 
selbst aber ihre frühere Gestalt erhalten werde. Der König 
geht bereitwillig hierauf ein, im Einverständnils mit seinen Mi- 
nistern. Der Ruf des bevorstehenden Ereignisses erregt im 
ganzen Volke allgemeine Erwartung. Zur näher noch verab- 
redeten Zeit schleicht sich Upah. in das Lusthäuschen: die Kö- 
nigin erscheint in opfergemälser Pracht, theilt ihm mit, was sie 
so eben noch, seinem Rathe gemäfs, mit dem König gesprochen, 
und er geht nun statt ihrer an die Opferstelle, wo er die Glocke 
zieht. Der König, auf dies Zeichen herbeikommend, schöpft 
zwar zunächst einigen Verdacht, als er ihn sieht: da der Prinz 
jedoch den Gegenstand, von dem die Königin noch so eben 
mit dem König gesprochen, wieder berührt, das Versprechen 
nämlich, fortab ihr treu zu bleiben, so glaubt der König in der 
That mit der dem Spruche gemäls verwandelten Königin zu 
‚sprechen, theilt ihr alle seine nur ihm und den betreffenden 
Dienern bekannten Staatsgeheimnisse °) mit und empfängt so- 
‚dann mit geschlossenen Augen den 'Todesstreich. Der Prinz 
rschneidet die Glieder und verbrennt sie in dem lodernden 
euer zu Asche. Darauf berubigt er die doch etwas in Angst 
gerathene Königin, und begiebt sich an ihrer Hand in den Ha- 


®) z. B. den beabsichtigten Betrug eines Yavana - Kaufmanns Namens 
hanati um den wahren Preis eines Diamanten, den er feil hat (111, 8). 


- [1859.] 3 


34 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


rem, unter die versammelten Frauen, die ihn erstaunt begrüfsen. 
Durch die Kenntnifs aller der bösen Absichten des Königs wird 
andern Tages jeder Zweifel der Minister an der Identität der 
Person beseitigt. Mit dem neuen Körper hat er, wie er sagt, 
auch neue Gesinnungen angenommen und giebt den früheren 


durchweg gerade entgegengesetzte Befehle: insbesondere läfst 


er sofort seine Eltern aus dem Gefängnils befreien, statt sie zu 
vergiften, wie früher bereits beschlossen war, und übergiebt sei- 
nem Vater wieder die Regierung. Die alte WVärterin unter- 
richtet die Eltern von dem wahren Sachverhalt. Der Prinz 
wird von seinem beglückten Vater zum yuvaräjan (Kronprinz) 
geweiht, und zieht dem Anga-Könige Sinhavarman, als altem 
Freunde seines Vaters, dessen Briefe die ihm von dem Mälava- 
Fürsten drohende Gefahr melden, zu Hülfe. 

Cap. IV. Es folgt die Geschichte des Arthapäla. Der- 
selbe war bei seinem Suchen nach dem Prinzen nach Yäränasi, 
der Kägi-Stadt, gelangt, wo er bei der heiligen Badestelle Mani- 
karnikä den Tempel des Avimuktewvara umwandelnd auf einen 
riesenhaften, starken Mann trifft, der sich in Thränen ganz auf- 
löst. Mitleidig fragt er ihn nach dem Grunde seines Schmer- 
zes. Das Schicksal seines Wohlthäters, des Ministers Käma- 
päla, ist es, wie derselbe nun ausführlich berichtet, das ihn so 
bekümmert. „Er selbst heifse Pürnabhadra und habe sich die 
Gunst des Kämapäla durch den tapfern Muth erworben, mit 
dem er einen wilden Elephanten eingeschüchtert habe, der be- 
stimmt war ihn zur Strafe für begangne Diebstähle zu zertreten. 
Kämapdla habe als Zeuge davon ihm nicht nur das Leben, son- 
dern auch seine Freundschaft geschenkt, und ihm als Zeichen 
der letztern einst seine früheren Schicksale erzählt. „,„Er sei 
ein jüngerer Bruder eines der Minister des Magadha - Königs, 
habe aus Lust zu lockerem Leben Kusumapura verlassen, sei 
dann nach Färänas? gekommen, und daselbst mit Käntimati, 
der Tochter des Königs Candasinha, in ein Liebesverhältnils ge- 
treten. Ein Sohn, die Frucht desselben, der wie todtgeboren 
kam, sei um Entdeckung zu verhüten, auf dem Leichenacker 
ausgesetzt worden: die damit beauftragte Frau aber sei heim- 
kehrend von der Schaarwache gefalst worden und habe das Ge- 


| vom 17. Januär 1859. 35 


_ heimnils, so wie seinen eignen Aufenthaltsort verrathen. Man 
habe ihn gebunden und zum Richtplatz geführt. Als der Nach- 
richter schon das Schwert erhoben, seien ihm plötzlich die Bande 
entfallen, er habe jenem das Schwert entrissen, sich damit Bahn 
gemacht und sei entkommen. Im Walde lange herumirrend, 
sei er auf eine himmlische Jungfrau gestofsen, die sich ihm ehr- 
erbielig verneigt und als Tärävali, Tochter des Yaxa-Fürsten 
Manibhadra zu erkennen gegeben habe. Einst von einem Be- 
suche der Zopamudrä, Frau des Agastya, vom Malaya- Berge 
heimkehrend, habe sie in der Nähe von Yäränas’ auf dem Lei- 
chenacker einen kleinen Knaben ausgesetzt gefunden. Die müt- 
terliche Zärtlichkeit, die sie sogleich für denselben gefühlt, und 
die sie veranlafst, ihn mit sich zu nehmen, habe ihr der 
(Oberkönig der Yaxa, Kuvera) Herr von Alakä dadurch er- 
klärt, dafs sie in einer frühern Geburt dessen leibliche Mutter 
und unter dem Namen A’ryadäsi Frau seines damals Cüdraka ge- 
nannten Vaters Kämapäla gewesen, während er jetzt Sohn des- 


selben von der Käntimat? (damals Pinayavati) sei. Sie habe 
den Knaben darauf Kwvera’s Rathe gemäls zur Einsiedelei des 
vertriebenen Magadha-Königs Räjahansa gebracht, um mit des- 
sen Sohne Räjavahana aufgezogen zu werden — dieser Knabe 
ist eben Arthapäla selbst — und sei nun jetzt herbeigekommen, ihm 
(Kämapäla) in seiner Noth Hülfe zu bringen. Nachdem er 
einige Tage mit ihr in himmlischen Freuden zugebracht, habe 
er sie um ihren Beistand gegen Candasinha gebeten, sei von 
ihr des Nachts in dessen Schlafgemach geführt worden, -habe 
denselben das Schwert in der Hand geweckt, sich ihm zu er- 
kennen gegeben, und Verzeihung resp. Straflosigkeit für seine 
Schuld gefordert. Der König in der Todesfurcht habe dies zu- 
gesagt, ihm die Känztimati? zur Gemahlin und Antheil an der 
Regierung versprochen, und am andern Morgen auch sein Wort 
‚gehalten. Täräval! habe dann die Küäntimat! über das Ge- 
schick ihres ausgesetzten Söhnchens beruhigt, und so lebe er 
enn nun jetzt mit Beiden und noch drei andern, ebenfalls auch 
bereits in jener frühern Geburt gehabten, Frauen vereint in ru- 
higem Glücke.”” Bald nach dieser Erzählung Kä4mapala’s sei 
der Schwiegervater desselben gestorben, nachdem dessen älterer 
3°* 


1 RE 


36 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Sohn Candaghosha in Folge zu reichen Genusses der Liebes- 
freuden ihm schon vorausgegangen war. Küämapäla habe dann 
seinen damals kaum fünfjährigen jüngeren Schwager, Sinhaghosha, 
auf den Thron gehoben, für ihn regierend. Der aber habe jetzt, 
von Feinden des Köämapäla zur Furcht aufgestachelt, eine zeit- 
weilige durch grundlose Eifersucht herbeigeführte Abwesenheit 
der denselben sonst schützenden Tärävali benutzt, um ihn in 
Bande zu schlagen, und habe den Befehl gegeben, ihm beide 
Augen auszustechen. Der Kummer hierüber presse ihm diese. 
Thränen aus.” Arihapäla giebt sich nun dem Pürnabhadra als 
Sohn des Kämapäla zu erkennen. Eine giftige Schlange, die 
sich in demselben Augenblicke zeigt, und die er mit Hülfe sei- 
ner Formelkenntnils sich zueigen macht, beschlielst er zur Rettung 
seines Vaters zu verwenden. Er trägt daher dem Pürnabhadra 
auf, seine Mutter von dem was er vorhabe und was demgemäls 
von ihr zu thun sei in Kenntnils zu setzen. Als nun Käma- 
päla von einer grolsen Masse Volkes umgeben herbeigeführt 
wird, um seine Strafe für die ihm Schuld gegebenen Anschläge 
auf das Leben des Königs zu erleiden, und der Nachrichter eben 
nach dreimaliger lauter Verkündung des Urtheils sich anschickt 
dasselbe zu vollziehen, wirft Arthapäla jene Schlange auf seinen 
Vater, stillt aber sogleich die Wirkungen des Giltes durch seine 
Formeln, so dafs derselbe nur scheinbar leblos daliegt, während 
der Nachrichter von der Schlange ebenfalls gebissen wirklich stirbt. 
Käntimati, mitllerweile von Pürnabhadra unterrichtet, eilt her- 
bei, und erlangt von dem Könige die Erlaubnils sich mit ihrem Ge- 
mahle zu verbrennen, und zu dem Zwecke denselben mit sich 
nach Hause zu nehmen. Daselbst von seinem Sohne durch die 
Formel dafür alsbald in das Leben zurückgeführt, beschliefst X4- 
mapäla seine Freunde zusammenzurufen und mit ihrer Hülfe 
sich in seinem festgebauten Hause zur Wehre zu setzen. Wäh- 
rend diese dann glücklich alle Angriffe des Königs Sinhaghosha 
zurückschlagen, bahnt sich Arthapäl/a einen unterirdischen Gang 
zu dessen Schlafgemach. Er gelangt dabei unter der Erde zu 
einem Örte, wo er ein wunderschönes Mädchen von ihren 
Frauen umgeben findet. Es ist dies Manikarnikä, nachgeborne 
Tochter des Candaghosha, die ihr Grofsvater Candasinha zur 


vom 17. Januar 1859. 37 


Gemahlin des Darpasära, Königs von Mälava, bestimmt hatte 
und deshalb, durch das Beispiel seiner Tochter Käntimati ge- 
witzigt, um eine anderweitige Neigung von ihrer Seite zu ver- 
hüten, in diesen unterirdischen weiten Gemächern, die mit 
allem Luxus und Annehmlichkeiten für hundert Jahre aus- 
reichend ausgestattet waren, aufziehen lies. Zwölf Jahre 
waren schon seitdem verflossen. Die Amme, die dies dem Ar- 
thapäla, der sich ihr genannt hat, erzählt, fügt hinzu, dals die 
eigne Mutter des Mädchens dasselbe, während es noch in ihrem 
Schoofse befindlich war, im Spiel an seine Mutter als Gattin 
für ihn, der gleichfalls noch nicht geboren war, verwettet 
"habe. Mit Hülfe der Amme gelangte Arthapäla darauf durch 
den Eingang der Höhle in das Schlafgemach des schlummern- 
den Königs, und schleppte ihn gebunden mit sich durch die Höhle 
und den Gang in das Haus seines Vaters: hier ward er dann 
gefangen gehalten, während Kämapäla die Regierung über- 
nahm, Arthapäla sich mit der Manikarnikä vermählte, und dar- 
auf dem Sinhavarman zu Hülfe zog. Die Vereinigung mit 
Räjavähana trägt dem Sinhaghosha jetzt, dem Wunsche der 
Küäntimati wie des Arthapäla gemäls, seine Befreiung ein. 

Cap. V.?) Der nächste, der seine Geschichte erzählt, ist 
Pramati. Derseibe war nach der Trennung von seinen Ge- 
nossen in den Findhya-Wald gelangt, hatte sich da unter einen 
Baum gelagert, sich dem Schutze der Gottheit desselben mit 
einem frommen Gebete empfohlen und war dann eingeschlum- 
‚mert. Im Traume fühlte er sich emporgehoben und sah sich, 
‚die Augen öffnend, in einem zauberhaften Gemach an der Seite 
einer vom Mondlicht übergossenen schlafenden Jungfrau von 
wunderherrlicher Schönheit ruhen: aus Furcht sie zu erschrecken 
"wagt er nicht sie zu berühren und eine Bewegung derselben be- 
merkend stellt er sich schlafend. Sie erwacht wirklich, be- 
trachtet staunend und entzückt ihren Lagergenossen, sinkt aber 
bald wieder in den Schlaf zurück. Ebenso er selbst. Am 
Morgen erwachend findet er sich früstelnd unter dem Baum im 
Walde. WVährend er noch über das was er gesehen nachsinnt, 
6 


r °) Vgl. Vetälapancavingati XVII. 


38 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


erscheint eine himmlische Frau, die ihn zärtlich umarmt, und 
ihm das Räthsel löst. Es ist seine eigne Mutter Tärävali, die 
Tochter des Yara-Königs Manibhadra, die nachdem sie seinen 
Vater Kämapäla !°) auf geringfügigen Anlals hin in eifersüch- 
tigem Zorne (er hatte sie mit dem Namen der Käüntimati ange- 
redet! p. 120, 16) verlassen hatte, zur Strafe dafür ein Jabr lang 
von einem bösen Geiste besessen ward. Die Zeit war jetzt um, 
und sie war im Begriff zu ihrem Gemahl zurückzukehren. Vor- 
her aber hatte sie noch dem Feste des Tryambaka in Grävasti 
beiwohnen und den dazu herbeikommenden Göttern und Ver- 
wandten ihre Verehrung abstatten wollen. Am vorigen Abend 
hatte sie dann, hier vorbeikommend, das Gebet des Pramati 
gehört, und um ihn vor Ungemach des Nachts über zu schützen, 
bis sie vom Feste zurückkomme, ihn im Schlafe zu der schlum- 
mernden Navamälika, Tochter des Dharmavardhana Königs von 
Grävasti gebracht. Zurückgekehrt von der Feier habe sie nun- 
mehr erst, wo ihr Geist ganz von dem Fluche gereinigt war, 
ihn als ihren eignen Sohn erkannt, und zugleich gesehen, wie 
er sowohl als die Maid aus Schüchternbeit und Scham sich ge- 
genseitig schlummernd gestellt hätten. Sie habe ihn dann 
wieder wirklich in Schlaf versenkt, und hieher zurück gebracht, 
und müsse ihn jetzt, zu seinem Vater eilend, seinem eignen 
Witz und Geschick überlassen. Nach zärtlichem Abschiede ver- 
schwindet sie. Pramati aber, von Liebe verzehrt, macht sich 
auf nach Grävasti. Unterwegs erwirbt er sich als Zuschauer bei 
einem Hahnenkampfe die Freundschaft eines alten Brähmana da- 
durch, dals er die höhere Tüchtigkeit des Hahnes desselben 
zwar sogleich lächelnd gegen ihn bemerkt, aber den Andern 
gegenüber verschweigt. Der Alte beherbergt ihn freundlich 


1°) In der Einleitung (9, 21) wird dessen Vetter Sumati als Vater des 
Pramati genannt und von seiner Mutter ist dort gar nicht die Rede! — Es 
fehlt übrigens hier jegliche Andeutung von Seiten der Zörävali, wann sie 
den Pramati geboren, und weshalb sie ihn nicht bei sich erzogen habe, 
Sie nennt sich hier (wie auch in der Einleitung p. 14, 21 geschieht) Mut-_ 
ter des Arthapäla, während sie duch in der jetzigen Existenz (118,8) nur 
seine Stiefmutter ist (‚vgl. dazu dvaimätura p. 116, 10. 194, 17 Bruder von 
einer zweitenFrau des Vaters). Nach deın Plural vo zu urtheilen (p. 133, 13), 
muls sie noch mehr Söhne haben, als diese Beiden. Oder ist v4m zu lesen? 


vom 17. Januar 1859. 39 


die Nacht über. Am andern Morgen in G@rävast? ankommend 
legt sich Pramati, vom Gehn ermüdet, in einer Laube des äu- 
fseren Lustwaldes um auszuruhen nieder: da tritt ein Mädchen 
an ihn heran mit einem Bilde in der Hand, das sie staunend 
mit ihm vergleicht. Navamälikä hat nämlich das Porträt des 
im Traume gesehnen Jünglings gemalt, und ihre Zofe ausge- 
schickt nach dem Original dafür zu suchen. Pramati giebt sich 
dann als solches zu erkennen, indem er das Bild der Prinzessin 
daneben malt, und die übrigen Umstände des beiderseitigen 
nächtlichen Erblickens erzählte. Er schickt darauf die Zofe zu- 
rück, mit der Botschaft, dals er in Kurzem selbst bei der Prin- 
zessin erscheinen werde, und wendet sich dann mit seinem 
Plane dafür an jenen alten Brähmanen. Dem zu Folge führt ihn 
dieser als seine Tochter verkleidet darauf vor den König, mit der 
Bitte ihm, der jetzt seinen künftigen Schwiegersohn zu holen 
gehe, dieselbe für die Zeit seiner Abwesenheit zu bewahren, 
indem er keinen andern Ausweg wisse, denn erwachsene Mäd- 
chen seien, besonders wenn die Mutter todt sei, überaus schwer 
zu hüten. Der König geht freundlich darauf ein, und giebt 
das Mädchen seiner Tochter zur Gespielin. Einen Monat spä- 
ter bei einem Badewallfahrtsfest des Harems taucht Pramati in 
der Gangä unter, und schwimmt unter dem Wasser bis zu 
einem verabredeten Platz, wo der Alte mit männlicher Kleidung 


auf ibn wartet. Der Mädchenputz wird bei Seite gelegt: und 
der Alte tritt nun mit Pramati als seinem mitgebrachten Schwie- 
gersohne vor den König, seine Tochter zurück zu fordern. Der 
Harem ist mittlerweile durch das Ertrinken derselben in der 
grölsten Aufregung, die Prinzessin ganz aulser sich, und der 
König nun dem Alten gegenüber in der schlimmsten Verlegenbeit. 
Schon ist Letztrer im Begriff, sich selbst vor des Königs Pa- 
last auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen, da weißs ihn Die- 
‚ser noch zu besänftigen, indem er ihm zum Ersatz für die ver- 
lorne Tochter die eigne Tochter für den Schwiegersohn zur Ge- 
mahlin giebt, und zugleich diesem auch die Regierung überträgt. 
So hatte Pramati alle seine Wünsche erreicht: im weitern 
_ Verlaufe zog er dann nach Camp um dem Sinhavarman bei- 


zustehen. 


2 


40 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Cap. VI. Mitragupta kommt nun zur Erzählung seiner 
Fata. Er war im Lande der Suhma im äufsern Lustgarten der 
Stadt Dämaliptä zu einem grolsen Feste gekommen. Von 
einem in einer abgelegenen Laube seinen Kummer mit einer 
Laute zerstreuenden Jünglinge erfuhr er die Veranlassung des 
Festes, wie seiner Traurigkeit. Der Suhma-König Tungadhan- 
van hatte dereinst durch die Gunst der Göttin Findhyaväsini 
zwei Kinder erhalten, einen Sohn Bhimadhanvan und eine Toch- 
ter Kandukävati, unter der Bedingung, dals Jener dem Gemahl 
Dieser unterthan sein solle, — dafs ferner sie von ihrem siebenten 
Jahre ab allmonatlich am Tage wo der Mond in der Station der 
Krittikäs steht, durch einen mit Ballspiel verbundenen Tanz die 
Göttin ehren solle, bis sie einen passenden Gatten finden werde, — 
und dafs endlich die Wahl ihres Gatten ihr völlig frei stehen 
solle: das Fest aber solle den Namen „‚‚das Ballfest” führen. 
Dieses Fest nun stehe heute bevor. Er selbst sei mit der 
Milchschwester der Prinzessin, Candrasenä, vertraut, die aber 
seit einigen Tagen von dem Prinzen (Bhimadhanvan) bestürmt 
werde. Das sei der Grund seiner Zurückgezogenheit und 
Trauer. Kaum war er zu Ende, da kam das Mädchen selbst 
herbei, ihrem Kogadäsa — so heilst der Jüngling — ihre Zärt- 
lichkeit und Treue zu versichern, indem sie sich bereit erklärt 
mit ihm zu fliehen wohin er wolle, wenn es nöthig werde. Sie 
fordert dann Beide auf, ihrer nahenden Gebieterin, zu der sie 
zurückeilt, bei ihrem öffentlichen Ballspiel zuzuschauen Mitra- 
gupla entbrennt bei ihrem Anblicke sogleich vom Feuer der 
Leidenschaft, und sein Anblick erweckt auch in ihr gleiche Glu- 
ihen. Am Abend nach dem ausführlich geschilderten Ballspiele 
kommt Candrasenä mit der Nachricht davon zu Kogadäsa, um 
ihn damit zu erfreuen, denn wenn Mitragupta somit, wie es die 
Aussicht hat, König werde, könne Bhimadhanvan unmöglich 
sie selbst dem Kogudäsa, Mitragupta’s Freunde, entreilsen. 
Eine Spionin des Prinzen hat aber alles dies gehört. Mitra- 
gupta wird deshalb auf seinen Befehl im Schlafe überfal- 
len, gefesselt, und ins Meer geworfen. Eine Planke, auf die 
er von ungefähr stöfst, schützt ihn vor dem Untergange: er 
treibt damit am Morgen einem Yavana-Schiffe (p. 147, 15) zu, 


u 


vom 17. Januar 1859. 41 


das unter Anführung eines gewissen Rämeshu Trauben 11) führte. 
Dasselbe ward bald darauf durch ein gröfseres und von vielen 
kleinen Booten unigebenes Schiff angegriffen, und die Yavana wa- 
ren nahe daran zu unterliegen. Da erbot sich Mitragupta, wenn 
man ihm nur seine Fesseln lösen wolle, ihnen zu helfen. Er 
enterte auch alsbald das feindliche Schiff, und nahm den An- 
führer lebendig gefangen. Es war Bhimadhanvan, der nun in 
dieselben Fesseln geschlagen ward, die Mitragupta so eben noch 
getragen hatte. Das Schiff aber ward durch einen ungünstigen 
Wind, der sich plötzlich erhob, weitfort nach einer Insel ver- 
schlagen: man legt an, um Wasser und Früchte einzunehmen. 
Auch Mitragupta steigt ans Land, wandert auf einem Berge da- 
selbst umher, sich der köstlichen Gegend erfreuend, und badet 
sich in einem Teiche. Da stürzt plötzlich ein gewaltiger Räxasa 
auf ihn zu, und droht ihn zu fressen, wenn er ihm nicht vier 
Fragen beantworte. Mitragupta steht ihm kaltblütig zur Rede 
und bekräftigt seine Antworten durch vier Erzählungen, die als 
Beleg für ihre Richtigkeit dienen sollen (p. 150—65). Der 
Räxasa ist dadurch boch erfreut: in demselben Augenblick rich- 
ien von der Luft herunterfallende Perlen die Augen Beider in 
die Höhe; sie erblicken einen andern Räxasa, der ein sich sträu- 
bendes Mädchen mit sich fortschleppt. Mitragupta ruft ihm 
erzürnt zu, die Unthat zu lassen, kann aber, da er ohne Waffen 
und des Fliegens unkundig ist, nichts weiter thun. Ihm zu 
Liebe aber erhebt sich drohend der erste Rä.xasa und nöthigt 
den Räuber, seinen Raub aus der Luft herabfallen zu lassen. 
Mitragupta fängt denselben unversehrt in seinen Armen auf, 
während die beiden Aiäxasa sich gegenseitig im Kampfe vernich- 
ten. Als der Prinz darauf das vor Schreck bewulstlose Mäd- 
chen an dem blumigen Ufer des Teiches niederlälst, erkennt er 
zu seinem Entzücken seine geliebte Kandukävati. Zum Be- 
_ wulstsein gebracht durch seine Liebkosungen erzählt sie ihm, 


br 1) dräxd, ob etwa entstanden aus g&£? Das Wort findet sich vier- 
_ mal im ganapätha zu Pänini: nämlich zu IV, 3, 167 drärdh =dräräyäh 
& phaläni. VI, 2, 88 dräräprasthah. 134 drärä als zweites Glied eines Com- 
N positums. VIII, 2, 9 drärämant. Die drei ersten süfra gehören zu denen, 


- die im bhäshya nicht erklärt sind. 
c 


42 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


wie sie auf die Nachricht davon, dafs ihr Bruder ihn habe ins 
Meer werfen lassen, sich von Hause weggestohlen habe um ihr 
Leben zu enden. Da sei ihr plötzlich der Räxasa mit Liebes- 
anträgen genaht und habe sie trotz ihres Sträubens entführt. 
Mitragupta führt sie nun zum Schiffe, auf welchem sie mit gün- 
stigem Winde bald nach Dämaliptä gelangen. Daselbst finden 
sie das Volk in der grölsten Bestürzung, demn der alte König 
hat sich aus Kummer über den Verlust seiner beiden Kinder mit 
seiner Frau und vielem Gefolge an dem Ufer der Gangä nieder- 
gelassen, entschlossen durch Hunger das Leben zu enden. Mi- 
Zragupta wird natürlich auf das freudigste als Erretter begrülst, 
und als Schwiegersohn und Mitregent angenommen, während 
Candrasenä mit Kogadäsa vereinigt wird. Als Anführer der 
Hülfstruppen für Sinhavarman hat Mitragupta nun auch das 
hohe Glück mit seinem Prinzen wieder vereinigt zu werden, 
Cap. VIL. Es folgt Mantragupta. Nach dem Kalinga- 
Lande gekommen, hatte er sich in einem Walde vor der Stadt, 
in der Nähe eines Platzes, der zur Leichenverbrennung diente, 
zur Nachtruhe gelegt. Bevor er noch einschlafen konnte, über- 
hörte er das Gespräch eines Geisterpärleins, die den Wunsch 
ausdrücken, dals die Herrschaft des bösen Zaubrers, dem sie die- 
nen müssen, und der sie nie zum Genufse ihrer Freuden kommen 
lasse, bald ein Ende finden möge, Neugierig gemacht geht er 
dem Klang der Stimmen vorsichtig nach, und erblickt den Zau- 
brer, der mit Todtenknochen behängt, mit Todtenasche be- 
schmiert, mit blitzförmig um ihn fliegendem Haarputz ge- 
schmückt, mit der linken Hand Sesam und weilse Senfkörner 
ins Feuer streut. Der dienstbare Geist schafft aul seinen Be- 
fehl die Kanakalekhä, Tochter des Kalinga-Königs Kardana 
herbei, und der Zaubrer ist eben im Begriff dem weinenden, 
wehklagenden Mädchen, das er am Schopfe falst, mit seinem 
scharfgewetzten Messer das Haupt abzuschlagen: Ja entreilßst 
ihm Mantragupta das Messer und schlägt ihm selbst den Kopf 
damit ab, den er darauf in den hohlen Stamm eines nahen Bau- 
mes hineinwirft. Der Geist, seiner Erlösung von dem harten 
Dienst froh, preist die That und bietet sich als Diener an. 
Mantragupta weist bescheiden Lob wie Dienste zurück, und 


vom 17. Januar 1859. 43 


wünscht von ihm nur, dafs er das zitternde Mädchen wieder in ihr 
Gemach zurückschaffen möge. Mit gebrochner Stimme aber Nleht 
ihn die Maid an, sie nicht, nachdem er so eben ihr Leben ge- 
rettet, aufs Neue dem Tode, durch Liebesgram nämlich, preis- 
zugeben, sondern mit ihr zu kommen: der Verschwiegenheit und 
Treue ihrer Zofen sei sie sicher. Durch diese Worte selbst 
von Verlangen erfalsi, befahl er dem Geiste, zugleich mit der 
Prinzessin auch ihn in den Harem zu bringen, und verlebte, da- 
selbst verborgen, im Verein mit derselben selige Tage. Als darauf 
einst in der heilsen Jahreszeit der Kalinga-König mit seinem 
Harem und ganzem Gefolge in einen an der Meeresküste gele- 
genen Wald zog, wo das Sprützen der Wogen ans Gestade 
Kühlung versprach, ward er mitien im Spiel, Tanz und Gesang 
durch die Flotte des Andhra-Fürsten Jayasinha überfallen, und 
mit seinem ganzen Hofstaat gefangen weggeführt. Mantragupta, 
der im Harem zurückgeblieben, will ganz verzweifeln, schöpft 
aber bald neue Hoffnung, als er durch einen vom Andhra-Lande 
kommenden Brähmanen hört, dals Jayasinha allerdings um die 
Prinzessin freie, dieselbe sei aber von einem Yaxa besessen, 
der keinen andern Mann zu ihr lasse, und der König suche da- 
her einen Zauberer, den Geist zu bannen. Er holt nun den 
damals versteckten magischen Haarputz des erschlagenen Zau- 
bermeisters hervor, nimmt auch im Übrigen die Tracht eines 
Solchen, so wie Schüler an, die seinen Ruhm verbreiten. So 
zieht er nach dem Andhra-Lande, wo der König sich alsbald an 
ihn um Hülfe wendet. Der wie er vorgiebt grofsen Schwierig- 
keit des Unternehment wegen, bedingt er sich drei Tage zuVor- 
bereitungen aus, welche er benutzt um des Nachts eine in Ver- 
bindung mit dem Ufer eines Teiches stehende versteckte Höhle 
zu graben. Nach Ablauf der dreitägigen Frist weist er sodann 
den König an, sich in der folgenden Nacht bei Fackelschein in 
_ jenem von ihm nunmehr durch Sprüche geweihten Teiche, der 
_ mit Wachen zu umstellen sei, unterzutauchen und auf dem Bo- 
den desselben so gut es gehe sich niederzulegen. Die Wachen 
_ würden ein leises Geräusch hören und wenn dieses vorbei sei, 
F werde der König mit einer neuen, schönen Gestalt aus dem 
_ Teiche hervorgehen, vor welcher jener böse Geist, der die 


7 


44 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Prinzessin besessen halte, sofort weichen werde. Er verab- 
schiedet sich zugleich, da er nicht länger, als bereits geschehn, 
an einem Orte weilen dürfe und zieht fort. In der Nacht ver- 
birgt er sich sodann in jener Höhle, zieht den König, der seinen 
Anordnungen gemäls in den Teich hineinsteigt, unter dem Was- 
ser in dieselbe hinein, tödtet ihn, verbirgt den Leichnam in 
der Höhle, und steigt sodann selbst statt seiner aus dem Wasser 
hervor, von den über das Wunder der Gestaltveränderung er- 
staunten Wachen freudig begrülst werdend.. Am Morgen ver- 
kündet er auf dem Throne sitzend, seine Verwandlung als einen 
Beweis der brihmanischen Seherkraft, vor dem das Haupt aller 
Ungläubigen sich in Scham verneigen müsse, und befieblt den 
brähmanischen Göttern Civa, Yarma und Brahman alle Ehre zu 
erweisen,!?) sowie reiche Geschenke zu vertheilen. Durch 
eine Zofe seiner Geliebten, die er von ungefähr sieht, }älst er 
dieselbe von Allem was geschehn unterrichten, wird entzückt 
von ihr aufgenommen, befreit ihren Vater von seinen Fesseln, 
und übergiebt demselben die Regierung auch über das Andhra- 
Reich, worauf er von ihm dem Sinhavarman zu Hülfe ge- 
schickt wird. 

Cap. VII. Die letzte Geschichte die des Yigruza ist nicht 
vollständig. Derselbe hatte im Findhya-Walde auf die Bitte 
eines achtjährigen von Hunger und Durst gequälten Knaben den 
in einen Brunnen gefallenen alten Begleiter desselben daraus ge- 
rettet, und Beide mit Früchten und Wasser gelabt. Der Greis 
berichtet ihm ihr Geschick. „Punyavarman, aus dem Bhoja- 
Geschlechte, der weise König von Yidarbha hatte seinem Sohne 
Anantavarman ein schönes Reich hinterlassen. Die guten Rath- 
schläge seiner Minister macht ein Spötter zu nichte, alle die 
verlachend, welche das in der Hand befindliche Gute nicht ge- 
nössen, wegen der Fata Morgana der Belohnungen, welche 
man ihnen für jene Entsagung in dem Leben nach dem Tode 
verheilse: oder welche sich durch ungemessene Verheilsungen 
irdischen Erfolges unter die Zuchtruthe weiser Gaukler und Be- 
trüger begäben, welche den ganzen Tag eines Fürsten nach be- 


1?) Wohl im Gegensatz gegen seinen, etwa buddhistischen ? Vorgänger. 


vom 17. Januar 1859. 45 


stimmten Geschäften ordneten, ihn mit Mifstrauen aller Art er- 
füllten und dabei doch nur das Füllen ihres Bauchs und Säckels 
im Auge hätten: er möge lieber sein Leben genielsen und sich an 
den Freuden, die ihm so reichlich geboten seien, ergötzen (p. 
481— 85). Diesen lockeren Rathschlägen des Finärabhadra 
kam bald ein Ankömmling, Candrapälita, der verbannte Sohn 
des Indrapälita, Ministers des Agmaka-Königs, weiter zu Hülfe, 
dessen Liederlichkeit den König völlig verstrickte. Jagd, Wür- 
felspiel, Liebeslust, 'Trunk, Härte in Wort und That, Raub frem- 
den Eigenthums — Alles fand in ihm einen beredten Verthei- 
diger (p. 189— 90) und er dafür am König einen eifrigen Schü- 
ler. Dem Beispiel des Königs folgten seine Diener, schranken- 
los alle Gelüste befriedigend und das Land aussaugend. Die 
Einnahmen begannen zu versiegen, die Ausgaben aber stiegen 
fortwährend. Das ganze Reich gerieth in Verwirrung. Die 
Frauen des Harems vergalsen in ihrer Liederlichkeit alle Sitte. 
Überall Streit, Unterdrückung der Schwachen, Raub und Elend 
(p- 191 —2). Auch die Vasallen und Nachbarn empörten sich 
nun, zunächst Bhänwarman, Herr von Fänaväsi, auf Antreiben 
des Fasantabhänu, Königs von Agmaka. Anantavarman 208 
von Letztrem und andern Vasallen begleitet gegen Jenen aus, an 
dem Ufer der Narmadd sich lagernd. Durch die Schändung 
der Xmätalorvagi, einer Tänzerin eines seiner Vasallen, des 
Kuntala-Fürsten Avantideva, erregte er daselbst in Letzterm sol- 
chen Groll, dals es dem Yasantabhänu gelang, denselben nebst 
vier andern Vasallen, Firasena Herrn von Murala, Ekavira 
Herrn von Ricika, Kurmäragupta Herrn von Konkana und Nä- 
gapäla Herrn von Sägikya, zu einer Verschwörung zu vereinigen. 
Tags darauf in der Schlacht wandten sie ihre Waffen, statt ge- 
gen den Yänaväsi-Fürsten, gegen Anantavarman selbst, der so 
seinen Tod fand. JYasantabhänu dann, obwohl an Macht der 
geringere, wulste es weiter so einzurichten, dals seine Genossen 
_ über die Beute in Streit geriethen, sich gegenseitig vernichteten, 
_ und er so dieselbe allein davontrug, dem Bhänuvarman einen 
Y Antheil daran gewährend. Es unterwarf sich darauf das ganze 
Reich des Anantavarman. Der alte treue Minister Fasuraxita 
 reltete indels den Sohn Bhäskaravarman — eben den Knaben 


f 


46 Sitzung der plulosophisch-historischen Klasse 


hier — so wie dessen dreizehnjährige Schwester Manjuoädini 
und deren Mutter YFasundharä, starb aber bald darauf aus Gram. 
Andere Freunde führten dann die Geflüchteten nach Mähish- 
mat! zu Mitravarman!?), einem Stiefbruder des Anantavar- 
man. Dieser aber machte der Königin unpassende Anträge und 
beschlofs, zurückgewiesen, aus Rache ihren Sohn zu tödten. 
Aus Furcht davor übergab sie denselben ihm selbst, dem Greise, 
ihrem treuen Diener zur Flucht, mit der Hoffnung später ihnen 
folgen zu können, wenn sie an einen sichern Ort gelangt wä- 
‘ren. So seien sie hier in den Wald gekommen und er bitte 
nun für den Knaben um seinen Schutz und Beistand.” Fieruta 
giebt sich ihnen, nachdem er nach der Herkunft der Fasundharä 
gefragt, als ein Verwandter derselben zu erkennen, da seines 
Vaters Mutter die Schwester ihrer Mutter gewesen sei!*) und 
verheilst ihnen seine Hülfe zur Wiedervertreibung des Acmaka- 
Fürsten. Durch das Fleisch eines Rehs, welches er schiefst, 
kräftigt er sodann zunächst die beiden Flüchtlinge wie sich 
selbst, und gewinnt dabei durch seine Geschicklichkeit in Zer- 
legung und Zubereitung des Rehs die bewundernde Zuneigung 
eines Kiräta, mit dessen Bogen er das Thier geschossen hat. 
Nach Neuigkeiten aus Mähishmat? gefragt berichtet derselbe, 
dals er erst heute da gewesen sei um Tigerfelle zu verkaufen: 
die Stadt sei freudig erregt, weil die Ankunft des (Mälava-Prin- 
zen) Pracandavarman, jüngeren Bruders des Candavarman, be- 
vorstehe, der um die Manjueädin?!?) freien wolle. Yigruta 
schickt in Folge dieser Angaben den Greis an die Königin mit 
Nachricht und Grufs von ihm selbst und verschiedenen Bot- 
schaften und Rathschlägen. Demgemäls giebt sie zunächst vor, 
dals ihr Sohn im Walde von einer Tigerin zerrissen worden 
sei, und erklärt sich sodann gegen Mitravarman bereit nunmehr 
seine Wünsche zu erfüllen. Als er ihr hocherfreut naht, schlägt 


13) Wilson hat hier und sonst ’mifrav., d. i. Amitrav., s. indels 201, 4. 

1%) Der Grolfsvater des Vigruta wird hier Sindhudatta (p. 195, 14) 
während in der Einleitung Padmodbhava genannt (p. 3, 9). 

15) Die hier (196, 8) Tochter des Mitravarman heilst! statt: des Anan- 
tavarman! Auch die Calcutt. Edit. hat so. 


vom 17. Januar 1859. 47 


sie ihn aber mit einem Kranze, den sie in Wasser getaucht, 
worin sich ein ihr von Figruta geschicktes starkes Gilt (Yatsa- 
näbha genannt) befindet, an Kopf und Brust, indem sie ausruft: 
„möge dieser Schlag für dich ein Schwertschlag sein, so wahr 
ich meinem Gatten die Treue bewahrt halte”. Da er sofort 
todt niederfällt, ihre Tochter aber, welcher sie den nochmals in das 
Wasser, dem nun freilich ein ebenfalls von Yigruta gesandtes 
Gegengift beigemischt ist, getauchten Kranz um den Hals hängt, 
unverletzt bleibt, so gilt dies Ereignils als ein Zeichen der Wahr- 
haftigkeit ihrer Galtentreue, ohne dals Jemand Arges vermuthet, 
und das Volk jauchzt ihr freudig entgegen. Sie schickt darauf 
an Pracandavarman eine Aufforderung, die Tochter und mit 
ihr das Reich in Besitz zu nehmen, beruft aber heinlich eine 
Versammlung der angesehensten Bürger und Minister, denen 
sie anvertraut, dals die Göttin Findhyaväsin! ihr heute im 
Traume erschienen sei und verkündet habe, dafs am vierten Tage 
von heute ab Pracandavarman sterben werde, am fünften Tage 
aber aus ihrem an der Revä gelegenen Tempel, nachdem man 
ihn untersucht, leer gefunden und verschlossen habe, der junge 
Prinz — den sie selbst in Gestalt einer Tigerin geraubt habe, 
um ihn seinen Feinden zu entrücken — in Begleitung eines 
Brähmanenjünglings hervorgehen werde, welcher letztre das 
Reich einstweilen verwalten und die Manjuweädin? als Gemahlin 
erhalten solle: sie bittet, das Geheimnils treu zu bewahren, 
sich aber vorbereitet zu halten. Yicruta als Bettelbruder ver- 
kleidet bringt ihr den Knaben in gleichem Gewande, um ihr die 
Freude des Wiedersehens zu machen, um die Manjueädini zu 
‚sehen, und sich in der Stadt die nöthige Ortskenntnils zu ver- 
schaffen. Darauf legt er das Gewand eines Gauklers an, mischt 
‚sich unter die den Pracandavarman mit ihren Spielen erfreuen- 
den Tausendkünstler, zeigt verschiedene Kunststücke der Art, 
und weils bei einem Messerspiele einen Wurf so geschickt auf 
den zwanzig Bogen weit entfernten Fürsten zu richten, dafs 
‚derselbe sofort todt niederfällt. Mit dem Ausruf „Fasanzabhänu 


r e!6) noch 1000 Jahre” entspringt er, den Verdacht des Mor- 


8 16) jivät, eine archaistische Conjunctivform: „vivat!”. 


E 


48 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


des dadurch auf den Agmaka-Fürsten als Anstifter lenkend, und 
nimmt im Walde wieder die Büfsertracht an, sich mit dem Kna- 
ben versteckt hallend. Am andern Tage geschieht in der an- 
gegebenen Weise die Durchsuchung des Tempels durch die 
Königin und ihr Gefolge. Derselbe wird leer befunden und 
geschlossen. Jigruta aber hat sich in einer Höhlung, die er 
unter dem Götterbilde gemacht hat, mit dem Knaben versteckt, 
hebt dasselbe in die Höbe, stellt es wieder richtig auf, und 
öffnet nun, Beide in reicher Kleidung, den Tempel von innen, 
dem Volke draufsen verkündend, was die Königin bereits vorher 
als ihr Traumgesicht erzählt hatte. Das Volk, überrascht und 
erstaunt, pries ihn als den Schützer des Bhoja- Geschlechtes 
(p- 200, 11): der Knabe erhielt von dem Schulze der Göttin den 
Namen A’ryäputra (p. 200, 17) und Alles geschah, wie Figruta 
angeordnet hatte. Derselbe übernahm die Regierung und rich- 
tete sein Bestreben dahin, in möglichst staatskunstgemäfser Weise 
den Kampf gegen den Agmaka-Fürsten vorzubereiten, und zwar 
zunächst die Minister des Mitravarman, insbesondere den Arya- 
ketu, der wie die Königin aus dem Kogala-Lande stammte, zu 
gewinnen, was ihm denn auch bald gelang. 

Hiermit bricht das Werk ab. Es fehlt somit theils der 
Schlufs der Erzählung des Yigruta, ‚das Gelingen seiner Pläne 
gegen den Agmaka-Fürsten nämlich, theils aber auch die zur 
Vollendung des Rahmens nöthige Rückführung des ARäjahansa 
auf seinen ihm dereinst durch den König von Mälava, welches 
Reiches Macht jetzt gebrochen, entrissenen Thron von Magadha. 

Ich schliefse hier noch die vier Erzählungen des Mitragupta 
an, welche ich oben (p. 41), um den Zusammenhang nicht zu 
unterbrechen, ausgelassen habe. Es liegt die Vermuthung nicht 
fern, dafs dieselben ihrem Inhalte nach ein von dem Verfasser 
vorgefundenes Gut sind. 

Die vier Fragen und Antworten lauten: was ist grausam? 
Frauenherz! was ist einem Hausbesitzer lieb und zu nutz? sei- 
nes Weibes Tugenden! was ist Liebe? Entschlossenheit! was 
überwindet Schwierigkeiten? Klugheit! Beispiel dafür sind die 
Geschichten der Dhüumini, Gomini, Nimbavati, Nitambavati, 


vom 17. Januar 1859. 49 


4)17) Im Lande Trigarta waren drei Brüder, wohlha- 
bende Hausbesitzer, mit Namen Dhanaka, Dhänyaka, Dhan- 
yaka. In Folge eines zwölfjährigen Regenmangels entstand 
eine arge Hungersnoth, in der die drei Brüder all ihr Hab und 
Gut, Vieh, Dienerschaft, Kinder, die Frauen des ältesten und 
mittlern Bruders der Reihe nach verzehrten. Nur Dhdimini, die 
Gemahlin des jüngsten war noch übrig, und sollte am andern 
Tage verspeist werden. Dhanyaka aber, ihr Gemahl, entfloh, 
da er sie zärtlich liebte, mit ihr über Nacht, und gewann, die 
bald vom Wege Ermüdete tragend, den Wald. Mit dem eignen 
Fleisch und Blut stillte er ihren Hunger und Durst, und traf 
nach einiger Zeit, sie immer weiter tragend, auf einen Mann, 
der mit abgeschnittenen Beinen, Händen, Ohren und Nase auf 
dem Erdboden zuckend dalag. Mitleidig nahm er auch ihn auf 
dieSchulter und liefs sich dann mit den Beiden in einem Theil des 
Waldes nieder, der reich an Wurzeln und Wild war und in dem er 
eine Laubhütte für sie zurecht machte. Er verband dem Ver- 
stümmelten die Wunden und pflegte ihn so gut, dafs er wieder 
stark und kräftig ward. Einst ging er wieder aus, um Wild 
zu suchen, da nahte sich Drumin? dem Krüppel mit Anträgen, 
die er zwar zurückwies, dann aber doch von ihr zu erfüllen 
gezwungen ward. Als Dhanyaka darauf heimkehrte und Was- 
ser wünschte, warf sie ihm, Kopfschmerzen vorgebend, den 
Schöpfeimer mit dem Seil zu, damit er sich selbst aus dem Brun- 
nen Wasser hole, schlich ihm dann nach und stürzte den zum 
‚Schöpfen sich Bückenden kopfüber in das Wasser hinab. Den 
Krüppel aber nahm sie auf die Schulter, zog mit ihm als ihrem 
Gatten von Land zu Land und gewann sich durch ihre ver- 
meintliche Gattentreue Ruhm und Ehren. So wohnte sie einst, 
hochgeehrt von dem Könige, in Avanti. Da sah sie den Dhan- 
Yaka, den Kaufleute beim Wasserschöpfen gerettet hatten, rief 
„das ist der Bösewicht, der meinen Gatten so verstümmelt 
hat,” und veranlalste so den König, denselben zum Tode zu 
rtheilen. Zur Hinrichtung geführt werdend, rief Dhan- 
a, dals seine Strafe eine gerechte sei, wenn auch der, den 


° *7) Vgl. Pancatantra IV, 5 pag. 220—22. ed. Kosegarten. 
[1859.] 4 


50 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


er angeblich verstümmelt habe, dahin aussagen werde. Der 
Richter liefs den Krüppel berbeiholen, der sich nun weinend 
dem Dhanyaka zu Fülsen warf, und Alles der Wahrheit ge- 
mäfs erzählte. Das böse Weib ward darauf auf Befehl des 
Königs verstümmelt und den Hunden zum Frals vorgeworfen, 
Dhanyaka dagegen gelangte zu hohen Ehren. 

2) In der Stadt Känc? im Lande der Dravida war ein rei- 
cher Kaufmannssohn Namens Caktikumära, der, ı8 Jahr alt, weil 
er sah, dafs weder die Unbeweibten noch die, welche kein 
gutes Weib hätten, sich wohl befänden, ein passendes Weib zu 
suchen als Wahrsager verkleidet umherzog. Als Solchem 
brachte man ihm überall die Mädchen, um ihnen ihr Geschick 
zu weissagen, herzu. Wo er dann eine mit guten Anzeichen 
Begabte, von gleicher Kaste traf, frug er sie, ob sie ihm mit 
einem Reismaafse, das er bei sich trug, ein gutes Essen kochen 
könne. Verlacht und verspottet pilgerte er so von Haus zu Haus. 
Einst aber sah er im Lande der Ciovi, die auf dem rechten Ufer der X&4- 
veri wohnen, ein junges Mädchen, Gomin? mit Namen, welche deren 
Amme ihm zubrachte, und deren Körper in allen seinen Gliedern 
passende Verhältnisse und alle Glückszeichen (sehr ausführlich 
beschrieben) zeigte, so dals sein Herz sich sogleich zu ihr hin- 
gezogen fühlte. Er beschlofs aber doch, auch ihr erst seine 
Frage vorzulegen. Das Mädchen ging sofort darauf ein, und 
es wird nun in sehr ausführlicher Weise beschrieben, wie sie 
das Essen herstellte, und ihn bewirthete. Entzückt machte er 
sie zu seiner Frau, und auch als solche fuhr sie fort, auf das 
Trefflichste für ihn zu sorgen, sein Hauswesen unermüdlich zu 
pflegen und durch stete Freundlichkeit — auch gegen eine zweite 
Frau, die er sich noch dazu nahm — ihre ganze Umgebung für 
sich zu gewinnen, so dafs er durch ihre Tugenden sich im aller- 
höchsten Grade beglückt fühlte. 

3:18) In Yalabhi, im Lande der Sauräshtra, war ein rei- 
cher Schiffsherr, Grihagupta, der seine Tochter Rainavat? an 
einen Kaufmannssohn Balabhadra aus Madhumati verheirathete. 
Die junge Frau setzte demselben aus jungfräulicher Scham, als 


"*) Vgl. Shakespeare’s Ende gut, Alles gut. 


vom 17. Januar 1859. 51 


sie allein waren, im Dunkel der Nacht, so heftigen Widerstand 
entgegen, dafs seine Liebe zu ihr in bittern Hals umschlug, 
und er, obwohl er sie noch gar nicht ordentlich gesehen, doch 
sich gar nicht weiter mit ihr zu befassen beschlofßs. Die Ver- 
lassene ward nun von den Ihrigen und andern Leuten hart ge- 
tadelt, und ihr Name spottweise in Nimbavati !?) umgeändert. 
Nach einiger Zeit bitire Reue empfindend, sah sie eine alte 
wandernde Schwester, die ihr mütterlich zugeihan war, und 
klagte ihr heimlich, nach dem Grunde ihres Kummers befragt, 
unter Thränen ihre Noth, wie sogar ihre eigne Mutter sie ver- 
achte und wie sie nahe daran sei, vor Gram ihrem Leben ein 
Ende zu machen: den geheimen Grund ihres Unglücks aber 
werde sie doch nie vor andern Ohren kund thun. Die Alte 
verspricht ihr, selbst zu Thränen gerührt, ihre Hülfe, wenn sie 
irgend ein Mittel wisse, ihren Gatten wieder zu gewinnen: und 
richtet das wirklich ihrer Anweisung gemäfs in folgender Weise 
aus. Kanakavati!, die Tochter des Nachbarn, eines reichen 
Kaufmanns, Nidhipatidatta, war mit Ratnavati innig befreundet. 
Zu ihr begiebt sich dieselbe, um reich geschmückt auf ihrem 
Söller Ball zu spielen. Da wulste die Alte ihren Gatten gerade 
bei dem Hause vorüber zu führen, und Rainavat? warf den Ball 
nach ihm. Die Alte nahm ihn und reichte ihm denselben, in- 
dem sie sagte, dals Kanakavati, die Tochter des reichen Kauf- 
manns und Freundin der Ratnavari, die ihm dieserwegen sehr 
grolle, es sei, die den Ball geworfen habe: er möge ihn ihr 
nur wieder zuwerfen. So entspann sich ein Liebesverhältnifs, 
welches damit endete, dals Balabhadra, in dem Glauben es sei 
'Kanakavati, seine Gattin bei Nacht entführte und mit ihr, reich 
‚mit Juwelen versehen, in die Fremde zog. Die Nachforschungen 
‚der Verwandten nach den Beiden beschwichtigte die Alte damit, 
 dals sie vorgab, Balabhadra habe gegen sie Reue über seine 
grundlose Verstolsung der Ratnavati ausgesprochen, und werde 
wohl mit ihr fortgezogen sein. Aatnavati aber nahm unter- 
_ wegs eine Dienerin an zum Tragen der Sachen. So gelangten 
sie nach Ähetakapura, wo Balabhadra durch seine Klugheit im 


r 


19) zimba, Melia Azadiracta, mit säuerlichen Früchten. 


4* 


52 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Handel sich bald ansehnlichen Reichthum erwarb. Jene Die- 
nerin nun bekam einst wegen ihrer Faulheit, Unzuverlässigkeit 
und Widerspenstigkeit Schelte und Prügel, und rächte sich da- 
für durch den Verrath des Geheimnisses, welches sie in der 
Zeit ihrer Gunst erfahren hatte, soweit sie es kannte. Der 
Polizeiverweser, der etwas babsüchtig war, wandte sich sofort 
an die Stadtältesten mit dem Antrage dem Jungfrauenräuber, der 
die Tochter des Nidhipatidatta gestohlen habe, sein Eigenthum 
zu konfisciren. Balabhadra gerieth darob in gewaltigen 
Schrecken: da rieth ihm seine Gattin zu sagen, dals sie gar 
nicht Kanakavati, die Tochter des Nidhipatidatta, sondern sein 
ehlich angetrautes Weib Aaznavati, Tochter des Grihagupta, sei: 
wenn man es nicht glauben wolle, möge man die Verwandten 
zur Entscheidung kommen lassen. Grihagupta kam denn auch 
bald, Balabhadra ward zu seinem grolsen Erstaunen den wah- 
ren Sachverhalt inne und blieb fortab seiner Gattin innig zu- 
gelhan. 

4)2°) In der Stadt Madhurä im Lande der Gürasena lebte 
ein dem Spiel und den Weibern ergebner Bursch, der, weil 
seine Faust seinen Freunden bei Schlägereien stets zu Dienste 
stand, den Namen Kalahakaniaka (Kampfzacken) erhalten hatte. 
Der sah einst in der Hand eines fremden Malers ein weibliches 
Bildnifs, das ihn sogleich mit der flammendsten Liebe erfüllte. 
Er errieth aus ihren Zügen und der Haltung ihrer Glieder, dals 
sie die Gattin irgend eines nicht besonders kräftigen alten 
Kaufmanns sein möge. So war es auch. Der Maler nannte 
sie ihm als Nizambavati, Gemahlin des Anantakirti in der Avanti- 
Stadt Ujjayin’. Unverzüglich machte er sich nun als Wahr- 
sager verkleidet auf, sie zu sehen und betrat, um Allmosen bet- 
telnd, ihr Haus. Ihr Anblick entflammte seine Leidenschaft 
noch mehr, und er sann darauf, wie er sie gewinnen könnte. 
Auf seine Bitte erhielt er von den Stadtältesten das Amt, den 
Leichenverbrennungsacker zu bewachen. Mit von da genom- 


?°) Vgl. Vetäla Pancavingatil. — Ausführlich übersetzt findet sich 
diese Erzählung in C. v. Holtei’s Sammlung „Für den Friedhof der 
evangelischen Gemeinde in Graz” 1857. 


vom 17. Januar 1859. 53 


menen Leichentüchern gewann er eine alte wandernde Schwe- 
ster, Arhantikä, die er als Liebesbotin an Niz. schickte. Er 
ward aber abgewiesen. Auf sein Anstiften ging dieselbe indels 
nochmals zu ihr hin, that so als ob sie sie nur hätte auf die 
Probe stellen wollen, und versprach ihr zum Lohne für ihre 
Gattentreue einen Sohn zu verschaffen. Ihr Gatte sei bisher 
unfruchtbar gewesen, weil irgend ein böser Zauber sie gebannt 
halte: wenn sie aber heute Nacht in das (Kloster-)Wäldchen 
kommen wolle, werde sie einen Spruchkundigen treffen, auf 
dessen Hand sie ihren Fuls setzen möge, um ihn von demselben 
besprechen zu lassen: mit diesem Fulse müsse sie dann später 
ihren sich ihr nahenden Gemahl vor die Brust stolsen, wo- 
durch derselbe einen kräftigen Sohn zu zeugen in den Stand 
gesetzt werden würde. Nitambavat/ liels sich bethören und 
kam. Kalahakantaka aber, der vorher durch die Alte in das 
Wäldchen eingelassen war, und sie da erwartete, zog ihr von 
dem Fufse, den sie ihm reichte, die eine goldne Spange ab, 
ritzte sie mit einem Messer in den Schenkel und lief eilig da- 
von. Ihre eigne Thorheit und die böse Alte verwünschend, 
wusch Nitambavat? zunächst ihre Wunde in dem Tempelteiche 
aus, verband sie, nahm auch die andere Spange ab, und hielt 
sich drei oder vier Tage in der Einsamkeit, ihr Lager hütend. 
Jener Schelm indessen wandte sich mit der geraubten Spange, 
um sie zu verkaufen, an Anantakirti selbst. Dieser erkannte 
dieselbe sofort als die seiner Frau, und fuhr ihn hart an, woher 
er sie habe. Er blieb dabei, dafs er das nur vor versammelter 
Gilde sagen könne. Der Kaufmann liels seiner Gattin ihre 
Spangen abfordern, und erhielt von ihr nur die eine, die sie 
noch hatte, indem sie ihm schämig und verwirrt sagen liels: die 
andre habe sie neulich Abends im Wäldchen verloren, und noch 
nicht wiederfinden können. Vor versammelter Gilde sagte dann 
Kalahakantaka aus, er habe neulich Nachts bei seinem Amt als 


- Hüter des Leichenackers, das er auch bei Nacht ausübe, eine 


schöne Frau einen halbverbrannten Leichnam von dem Holz- 


EEE 


kan 


I EEE 


stolse zerren sehn, sei darauf zugesprungen, habe sie gepackt, 
und sie zufällig mit seinem Messer etwas an dem einen Schen- 
kel geritzt: sie sei ihm aber mit Zurücklassung der einen Spange 


54 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


entflohen. Die Versammlung war nach einiger Überlegung ein- 
stimmig der Ansicht, dals Nitambavati sonach eine Hexe (Cö- 
kini) sei, die sich von Todtenfleisch näbre. Von ihrem Gat- 
ten deshalb verstofsen, ward sie des Nachts, als sie sich auf 
jenem Leichenacker aus Verzweiflung erhängen wollte, von 
Kalahakantaka betroffen. Er fiel ihr zu Fülsen, sagte ihr, dals 
er allein aus leidenschaftlichem Verlangen nach ihrem Besitze 
alles dies angestellt habe, dals er nur in ihr seine einzige Wonne 
finde, und brachte es durch seine Schmeicheleien und Betheue- 
rungen wirklich dahin, dafs sie, die eben keine andere Wahl 
weiter hatte, ihm verzieh und sich ihm zu eigen gab. 


Es folgt ein Verzeichnils der mitgetheilten Eigennamen. 


rn Pe; 


EWR TEN 


Agastya 35. 

Anga 25 — 27. 
Anantakirti 52. 53. 
Anantavarman I— 16. 
Andhra 43. 14. 
Apahäravarman 26—31. 
Armitravarman (?) 46. 
Ambälikä 25. 30. 31. 
Arthapati 27 — 29. 
Arthapäla 31 — 38. 
Arhantikä 53. 

Alakä 35. 

Avanti 24 (Pntika). 49. 52. 
Avantideva 45. 
Avantisundari 24. 
Avimuktegvara 3). 
Acmaka 145 — 48. 
Aryaketu AS. 
Aryadäsi 35. 
A’ryäputra 18. 
Indrapälita 45. 
Ujjayini 23. 52. 


Upahäravarman 31 — 34. 
Ekavira 15. 

Ricika 45. 
Kanakalekhä 12. 
Kanakavati 51. 52. 
Kandukävati 10— 12. 
Karnisuta 27. 
Kardana 12. 
Kalahakantaka 52 — 54. 
Kalinga 26. 42. 43. 
Kalindavarman 32, 
Kalpasundar! 32. 
Käncl 50. 

Käntaka 30. 31. 
Käntimati 34— 38. 
Kämapäla 31— 38. 
Kaämamanjari 27 — 29. 
Kämarüpa 32. 
Kälayavana 23. 
Käver? 50. 

Kägi 34. 

Kirtisära 25. 26. 


Kuntala 115. 
Kumäragupta 15. 
Kulapälikä 27. 23. 
Kusumapura 34. 
Konkana 15. 
Kocadäsa 0. 42. 
Kogala 48. 
Xmätalorvagt 45. 
Khanati 33. 
Khetakapura 51. 
Gangä 12. 
Grihagupta 50. 52. 
Gomin? 48. 50. 
Candaghosha 36. 
Candavarman 25. 46. 
Candasinha 34 — 36. 
Candrapälita 45. 
Candrasenä 40. 42. 
|  Campä 25. 27. 
Jayasinha 43. 
Tärävali 34 — 33. 
Tungadhanvan 40. 
Trigarta 49. 
Tryambaka 38. 
Darpasära 26. 37. 


Därwarman 24. 25. 
 Dravida 50. 
 Dranaka 49. 


% 


_ Dhanamitra 27 —31. 


E Dhanyaka 49. 


Dämaliptä 26. 40. 42. 


vom 17. Januar 1859. 


Nitambavati 48. 52 — 51. 
Nidhipatidatta 51. 52. 
Nimbavati 48. 51. 
Padmodbhava 46. 
Pätali 23. 
Punyavarman Al. 
Pushkarikä 32. 
Pushpodbhava 23— 25. 
Pürnabhadra 34. 36. 
Pracandavarman 46, 47. 
Pramati 37 — 39. 
Prahäravarman 31. 32. 
Priyamvadä 31. 
Bandhupala 23. 
Balabhadra 50 — 52. 
Bälacandrikä 23. 
Bhänuvarman 45, 
Bhäskaravarman 45. 
Bhimadhanvan 40, 4. 
Bhoja 44. 48. 
Magadha 22. 33. 48. 
Manjuvädin? 46 — 48. 
Manikarnikä 36. 37. 
Manikarnikä, Ort 34. 
Manibhadra 35. 38. 
Mattakäla 23. 
Madhumat? 50. 
Madhurä 52. 
Mantragupta 42. 43. 
Marici 27. 

Malaya 35. 

Mahäkäla 23. 24. 
Mahädevi 25. 
Mänasära 21. 24. 25. 
Mälava 22. 26. 32. 48. 
Mähishmati 46. 
Mitragupta 410 —42. 


56 


Mitravarman 46, 
Mithilä 31. 

Murala 45. 

Yavana 33. 40. 4. 
(Käla-)Yavana 23, 
Ratnavati 50 — 52. 
Ratnodbhava 23. 
Rägamanjari 23 —31. 
Räjavähana 22—26. 
Räjahansa 22. 32. 48. 
Rämeshu 41. 

Reä 47. 

Läta 23. 

Lopamudrä 35. 
Valabhi 50. 
Vasantabhänu 45. 47. 
Vasundharä 46. 
Vasuruxita 45. 
Vänaväst 45. 
Fämalocanä 23. 
Färänas! 26. 34. 
Fikatavarman 31. 32. 
Vidarbha 26. 44. 
Wideha 22. 26. 31. 32. 


Gesammtsitzung 


Finayavati 35. 
Vindhya 22. 37. 44. 
Findhyaväsin? 40. AT. 
Pirüpaka 27. 29. 
Vigruta 44. 48. 
Fihärabhadra 45. 
Viraketu 23. 
Firasena 5. 
Gaktikumära 50. 
Civi 50. 

Cüdraka 35. 
Gürasena 52. 
Origälikä 29 — 31. 
Grävasti 26. 38. 39. 
Samhäravarman 31. 
Säcikya 45. 
Sinhaghosha 31. 


Sinhaghosha, ein andrer 36. m 


Sinhavarman 25. 
Sindhudatta 46. 
Sumati 33. 
Suhma 32. 40. 
Somadatta 23. 24. 
Sauräshtra 50. 


20. Januar. Gesammtsitzung der Akademie, 


Hr. du Bois-Reymond las: Fortgesetzte Unter- 
suchungen über das Verhalten des Muskelstromes 


bei der Zusammenziehung. 


Hr.:H. Rose trug alsdann eine Mittheilung des correspon- 
direnden Mitgliedes der Akademie, Hrn. Hofmann in London, 
„zur Kenntnifs der Phosphorbasen” vor. 


vom 20. Januar 1859. 57 


Phosphorhaltige Harnstoffe. 


Die Existenz einer Gruppe wohlcharakterisirter Diamine: 


A, 
B, N; 
G; 


ellte die Bildung ähnlicher Körper in der Phosphor-, Arsen - 
ind Antimon-Reihe in Aussicht: 


A, A, A: 
B,ıP, B; UAs, B, VSb, 
07 €; SE 


s war sogar nicht unwahrscheinlich, dafs sich gemischte Ver- 
indungen 


A, A, A, 
B,inp Bz UNAs B, UPAs 
C c, c, 


erden erzeugen lassen. 

Im Verlauf einer Untersuchung über die Polyammoniake 
ind Verwaudtes bin ich auf einige Verbindungen gestolsen, 
elche der letzten Gruppe angehören. 

Unterwirft man Sulphocyanphenyl der Einwirkung des Tri- 
thylphosphins, so erhitzt sich die Mischung zum Sieden, und 
starrt beim Erkalten zu einer harten Krystallmasse. Aus siedendem 
ither schielst der neue Körper in langen, prachtvollen, orange- 
gelben Nadeln an, die in Wasser nnlöslich, in Alkohol aufser- 
srdentlich leicht löslich sind. Die Krystalle schmelzen bei 61°. 
Jber ihren Schmelzpunkt erhitzt, zersetzen sie sich in mannig- 
Itige Produkte, unter denen schon jetzt das Bisulphid der 
hosphorbase genannt zu werden verdient. Der neue Körper 
st sich leicht selbst in den verdünntesten Säuren; es entste- 
ei krystallisirbare Salze von vollendeter Schönheit, aus deren 
Lösung auf Zusatz eines Alkali’s die ursprüngliche Substanz wieder 
usgeschieden wird. Dieses Verhalten charakterisirt die neue Ver- 
bindung als organische Base. 


58 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Die Analyse derselben hat zu der Formel: 
GC, H,, NPS, 
geführt; sie entsteht daher einfach durch Vereinigung gleicher 
Äquivalente der Composanten. 
C‚,H,NS,+C.H,;,P=C,,H,,NPS, 
Sulphocyanphenyl Triäthylphosphin Neuer Körper 
Sowohl der Bildungsweise als auch den chemischen Eigen- 
schaften nach, gehört dieser Körper in die Gruppe substituirter 


Harnstoffe. 
Betrachtet man den Harnstoff als ein Diamin 


(C, 0;)” 
H. h N. 
H, 


so gäbe die Formel 


(GC, 5,)” 
(C, H,); } NP 
(C, H,)(€C,: H,) 


ein Bild des neuen Körpers, d. h. er liefse sich als Harnstoff 
betrachten, dessen Sauerstoff durch Schwefel, dessen Wasserstoff 
theilweise durch Äthyl und theilweise durch Phenyl vertreten 
ist, während für die Hälfte des Stickstoffs Phosphor substi- 
tuirt ist. t 
Die Bildung dieser Verbindung bietet einiges theoretisches 
Interesse, indem sie die Existenz von Harnstoffen beweist, in 
denen der ganze Wasserstolfgehalt substituirt ist, deren Vor- 
handensein man bisher bezweifelt hat. Auch beansprucht sie 
einige Beachtung als Beispiel der aufserordentlichen Persistenz 
des Harnstoff-Typus, der sich hier, einer beinahe bis zur Spitze 
getriebenen Substitution gegenüber, unverändert erhalten hat. 
Die Salze des neuen Harnstoffs, — dem ich keinen Na- 
men zu geben wage, — sind leicht krystallisirbar und lassen sich 
daher ohne Schwierigkeit in reinem Zustande gewinnen. Sie 
sind übrigens wie die Harnstoffsalze im Allgemeinen von nur 
geringer Beständigkeit und zersetzen sich unter manichfaltigen 


vom 20. Januar 1859. 59 


' Einflüssen, in denen sich die Base oder ihre Composanten oder 
selbst weitere Zersetzungsprodukte ausscheiden. 


Ich habe die Formel des neuen Harnstoffs durch die Ana- 


' Iyse einiger seiner Verbindungen controlirt. Das chlorwasser- 
; stoffsaure Salz, das bromwasserstoffsaure und das Platinsalz zei- 


3 


gen die gewöhnliche Constitution. 


Chlorwasserstoffsaures Salz C,, H,., NPS, HCl 
Bromwasserstoffsaures Salz C,, H,. NPS, HBr 
Platinsalz C,; H,, NPS, HCIPıt CI, 


Noch verdient bemerkt zu werden, dafs sich der neue Harn- 


‚stoff leicht mit Jodmethyl und Jodäthyl vereinigt. Die Methyl- 


verbindung krystallisirt in langen goldglänzenden Nadeln. 
C,;, H,. NPS,, C,H, J 


In das entsprechende Chlorür verwandelt, liefert die Me- 


ihylverbindung auf Zusatz von Platinchlorid einen in orange- 
gelben Nadeln krystallisirten Niederschlag. 


C,; H,. NPS,, C,H, Cl, Pt Cl,. 
Bei der Behandlung mit Silberoxyd verwandelt sich die Jod- 


verbindung in eine Flüssigkeit von stark alkalischer Reaction, in 
der wir das Oxydhydrat eines Diamin-Phosphonium’s 


[C: H; ((C, 5)” (C,H,), (C,, H,) Sun 0, 


annehmen dürfen. Diese Base aber ist von sehr geringer Be- 


ständigkeit, fast im Augenblick ihrer Abscheidung spaltet sie 
sich in Sulphocyanphenyl und das Oxydhydrat des Methyltri- 


äthylphosphoniums. 

Das Sulphocyanphenyl ist nicht die einzige Schwefeleyan- 
verbindung, welche sich durch das Triäthylphosphin in einen 
Nitrophosphorharnstoff verwandelt. Sulphocyanallyl (Senföl) wirkt 
mit grolser Heftigkeit auf Triäthylphosphin. Nach einigen Ta- 
gen setzt die dunkel gewordene Mischung grolse wohlausgebil- 
dete aber gefärbte Krystalle ab, die ich noch nicht analysirt 
habe, die sich aber unzweideutig als eine der vorherbeschriebe- 
nen analoge Verbindung charakterisiren, in der Allyl an die 
Stelle des Phenyl’s getreten ist. 


60 Gesammtsitzung 


Ich habe auch das Verhalten des Sulphocyanphenyl’s gegen 
das Triäthylarsen geprüft. Allein mit der Phosphorbase vergli- 
chen ist das Arsen ein träger Körper. Nichtsdestoweniger setzt 
die Mischung nach Verlauf von einigen Tagen Krystalle ab, 
welche wahrscheinlich den analogen Nitroarsenharnstoff darstellen. 


Hr. Weber gab Nachträge zu seiner Ausgabe (18/49) des 
ersten Buches des Üatapatha Brähmana. 

Bei meinem letzten Aufenthalte in England im Herbst v. J. 
nahm ich die Gelegenheit wahr, die in Oxford befindlichen ac- 
centuirten Handschriften dieses Buches M (Mill 121). B und G 
(Bodley. Wilson 363 und 364) neu zu vergleichen. Es ist das- 
selbe (nebst einem Theile des dreizehnten) das einzige der vier- 
zehn Bücher des betreffenden Brähmana, bei dessen Ausgabe 


mir keine hiesigen Handschriften zu Gebote standen und bei 
dem ich daher blos auf meine im Jahre 1847 gemachte Abschrift, 
resp. Collation der eben genannten Mss. beschränkt war. Die 
neue Collation nun hat mir eine Reihe nicht unwesentlicher 
Verbesserungen ergeben, die ich nebst sonstigen dgl., insbeson- 
dere einigen durch Deuterologie im Druck ausgefallenen Stellen, 
wie folgt mittheile '): 


pag. 1,5 Malta. — Zul. AASTA.— 4, 
ASTIEATZITET. — 21 ZITAT? bleibt besser, gegen Sä- 
Far (und pag. 181.131). — 6,2% dgI.— Se 
12,9. 14 aba) ZEM°, 3. pers. Dual. Conjunct, — 9, 21 
RAT Haas ITIT°. — 11, 17-21 der Accent von ST- 


<attet ist nicht zu ändern wie pag. 1191 vorgeschlagen: mit 


1) Den Accent bemerke ich nur da, wo er fehlt oder zu verbessern 
ist. — Vgl. übrigens auch Edit. pag. 134. 1191. 


vom 20. Januar 1859. 61 


AT (= AI) beginnt der Nachsatz. — 12, 4 TEATKAT- 
salat. — 14,22 Agtar Aare Ta. — 15, 08 
MEIST. — 16,9 ZIRUTTT IETER; daruna als 
oxytonon in BC, (vgl. XII, 4, 4,9;) als paroxytonon in M. — 
4 RFaReT M pr. m. BC. (vgl. VIL,5, 2,32.) THFIRAT M 
En. 1r earat gut AITgTerTeTeET =- 
EIRATTIATE AT EATATET. — 18,0 STTHTETTeT SA- 
ab A ars ATagpeeTg Ta AT 
AUT. — 20, 9u. 12 AITARTA. — 24,4 das erste KTeIt 
hrs streichen: == ı 27,;20 ATSTTATTET. — 28, ı6 IIA- 
m. ganıa fort: _ 29, 0 Matstarra 
zT RITA AaTtsTaa-.— sl FIZEN ara. 
® 33, 1.2 Nat MBC, d.i. Far; EN 
ie Edit. — 34,21 Ab & EA AT ist richtig (MBC), nicht 


in gar zu ändern wie pag. 134 vermuthet. — 35, 11 [STITTL- 
at (MBC) bleibt besser, gegen Säyana. — 17 ats Estzaj 
ara. 096, 9 ZErAT mit BC. gegen M. — 37,4 °- 
Ara“ — 10 HAT AAIT BC. (& fehle M). — 
40, 13 TAT & HACU° bleibt so, mit MBC.Säy. — 41,15 


62 Gesammtsitzung 
SSTITSIETLETTFTET. — 42,19 FAT nach AIRSITT ist zu 
streichen. — 44, ı7 STATT. — 45,7 ARTE MBC, 
wohl aber besser mit Säyana wie Edit. — 21 GA at. — 46, | 
16 ATATATRA- — 47, 5 AIR — 53, 22 STIER. | 
— 55, 10. 11 ZAQTTEITTET nach FEZIET: und TEITER ist zu 
streichen. — 20 | & aaa. 5624 TO it niche m 
FOIIET zu ändern (wie pag. 1191 vermuthet), 5. hat zu blei- @ 
ben. — 57, 15 AIAHTE. — 58,2 aba 18-1 
— 9 AIFTTEPTET". — 00, 2 AITOT TERRI®. Auf pag. gt 
ierig IT vermuthet. — 5 u. 9 °ATEOTATSTTATEIT AerN 
at get at SsaTatler ea ae at 
get at SsaTatler as ASTam.— 62,2 Alf 
Cab DILEIDE — 63,22 3 wc. ZUM). — 65, | 
ATATTSEITFT. — 6 FERTTATSaTAHTTeT MSc ist wohl beizu- 
behalten. — 21 HAIATAArT°. — 67, 21 ART C sec. 
I er FT Cr. ” er 68, 17 "IE? (BC. 
Ja m). —- 9omzead.— 70, sur Fr- 
alail-. — 9 FAT. — 74,12 STGEAT.— 16 
TFTErT° ohne Accent MBC, wohl aber ER: 72, 3 AT- 


vom 20. Januar 1859. 63 
Mattet MBC (V X) gegen Säyana (V ITT).— 73,15 
Aa Sa. — 74,6 ana A.— 76,3 BC 
lesen PıratgzaTa (Säy. ZITISTITTT), M. aber wie Edit. 
— 5 TARTaZRRd. — 1A MAT. — 20 Se 
C sec. ci pr. m. Be, wie Kalk ng 77, ı ATSITet- 
ed. — 78, 10 eat AMT. — 1 Raten 
AT. — 15 HARTE. — 22 SETTAT ASTA Cpr:m. 
ASTTstet 1 EISTTATTETS TEN 


fc. AT m. — RB. fehlt von pag. 81,11 bis 87,16). — 2ı 
afe: aa. — 85, 16 DIT a TR. — 86,4 
IA AIaIRG. — 80,4 RT AT. 90,5 Parmiifer 
AR Tarıleremb Tert TARTTle Are. — 93, 16 
Aa. - 94, 20 °TAT MAST.— 95, 19 SERTTEI 


IT. — 


Ich benutze diese Gelegenheit um einen unangenehmen Fehler 


in meiner Ausgabe der Yäjas. Samhitä zu verbessern, wo XV, 58 


nach SITTIT zu lesen ist [I SATTE 1 EITErT 


Meine Übersetzung der Fäj. S., für deren lange Verzögerung ich 
in der That um specielle Nachsicht bitten mufs, wird mir zu einer 
Retractatio verschiedener anderer Stellen Veranlassung geben. 


— 


64 Gesammtsitzung 


Hr. Dove theilte eine Bemerkung mit über die Tem- 
peraturgegensätze dieses Winters auf dem Gebiete 
des preulsischen Staates. 

Während häufig eine sehr lange Zeit hindurch die Polar- 
und Äquatorialströme in ihren uferlosen Betten ihre Richtung 
unveränder beibehalten, so dals, während in einem bestimmten 
Gebiete intensive Kälte herrscht auf einem daneben liegenden 
ebenso eine ungewöhnliche Milde ununterbrochen sich zeigt, 
kommen wiederum Jahre vor, und das jetzige ist ein auffallen- 
des Beispiel davon, in welchen die Ströme schnell ihre Stelle 
verändern, so dafs an demselben Orte die Temperatur häufig auf 
und ab schwankt, während wenn man gleichzeitig ein gröfseres 
Beobachtungsgebiet ins Auge falst verschiedene Stellen dessel- 
ben in der Art ihre Rollen mit einander vertauschen, dafs das 
jetzt zu warme nun das zu kalte wird und umgekehrt. Als Be- 
leg dafür mögen die mittleren Temperaturen der fünftägigen 
Zeiträume vom 22.—?26. November und 17.—21. December 
dienen, die im Folgenden zusammengestellt sind. Positive Zah- 
len bezeichnen um wie viel die mittlere Wärme (Reaumur) im 
Jahr 1858 das zehnjährige Mittel desselben Zeitraums übertraf, 
negative um wie viel es darunter herabsank. 


22.— 26. Nov. 17.— 21. Dec. 


Memel — 0.43 — 7.44 
Tilsit — 3.20 — 7.49 
Arys — 453 — 7.44 
Königsberg — 4.16 — 754 
Hela — 2.19 — 5.95 
Danzig — 2.41 — 683 
Schönberg —., 335 — 7.85 
Conitz — al — 7.26 
Bromberg — 5.32 — 7.94 
Posen — 3.40 — 7.08 
Ratibor — 5.86 — 6.55 
Breslau — 5.34 — 633 
Zechen — 4.20 — 7.18 
Görlitz — 5.69 — 215 
Frankfurt a. O0. — 4.02 — 4.66 
Cöslin — 3.03 — 6.49 


Stettin — m — 5.23 


vom 20. Januar 1859. 65 


22.— 26. Nov. 17. — 21. Dec. 


Hinrichshagen — 2.37 — 39 
Salzwedel — 2.82 — 121 
Berlin — 313 — 2.80 
Torgau — 4.73 — 1.33 
Erfurt — 855 0.10 
Heiligenstadt — 5.17 — 0.17 
Gütersloh — 3.00 0.77 
Paderborn — 3.30 1.24 
Cleve — 4.00 0.71 
Cöln — 658 0.26 
Boppard — 3.88 0.13 
Kreuznach — 824 — 0.45 
Neunkirchen — 3.76 1.19 
Trier — 6.13 0.66 


Im November haben die nördlichen Gegenden fast ihre 
rmale Wärme, aber mit der Entfernung von der Ostsee stei- 


ee 


ert sich die Temperaturerniedrigung immer mehr nach Süden 
ind erhält ihr relatives Maximum in Erfurt und Kreuznach an der 
südlichen Grenze unsres Beobachtungsgebietes. Im December 
ingegen ist die grölste relative Abkühlung in Ostpreulsen, wo 
ie vorher die kleinste war und nimmt so schnell nach Westen 
hin ab, dafs schon in Erfurt die Grenze des kalten Gebietes 
u ist, und das Rheinland bereits im warmen Strome liegt. 

ei so schnellem Wechsel kann natürlich keine dauernde Kälte 
hervortreten, die als Gegensatz zu Europa sich nun in Nord- 
amerika zeigt, wo im Staate New-York am 7. Januar 1859 die 
Kälte — 30° R. betrug, während wie mir Lieutnant Bluhm aus 
Erzerum schreibt in Kleinasien der Winter ein ungewöhnlich 


‚milder ist, 


i An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
on vorgelegt: 
3 Ei uemorie dell’ J. R. Istituto veneto. Tomo V. Venezia 1855. 4. 
 4tti dell’ J. R. Istituto veneto. T’omo I, no. 8-10. Tomo III, no. 9. 
% 10. Venezia 1855—58. 8. 
" Atti delle adunanze dell’ J. R. Istituto veneto. Tomo VI. Venezia 
1855. 8. 
[1859.] 5 


! 


66 Gesammtsitzung vam 20. Januar 1859. 3 


Verhandlungen und Mittheilungen des siebenbürgischen Vereins für Natur- 
wissenschaften zu Hermannstadt. Jahrgang 8. und 9, no. 1—6. 
Hermannstadt 1857— 1858. 8. 

Mittheilungen der k. k. Geographischen Gesellschaft. 1. Jahrgang, Heft 
2. 1. Jahrgang, Heft 1.2. Wien 1857—1858. 4. Mit Schrei- 
ben des ersten Sekretars der Gesellschaft, Hrn. Foetterle, vom 
27. Dez. 1858. 

Monumenti ed Annali pubblicati dal Instituto di corrispondenza archeolo- 
gica nel 1856. Lipsia (1858). folio. 

Bulletino dell’ Instituto di corrispondenza archeologica per l’anno 1856. 
Lipsia (1858). 8. 

Neues Jahrbuch der Pharmacie. Band 10. Speyer 1853. 8, 

Prouhet, Notice sur la vie et les travaux de Mr. Charles Sturm. Paris 
1856. 8. 

Memorie dell’ J. R. Istituto lombardo di scienze, lettere ed arti. Vol. VII, 
fasc. II. Milano 1858. 4. 

Alberi, Prima applicazione del pendolo all’ orologio. Firenze 1858. 4. 

Sammlung der russischen Reichsgesetze. Fortsetzung. Band 1. Pe- 
tersburg 1858. 8. Mit Ministerialreseript vom 17. Jan. 1859. 


Alsdann kamen zum Vortrag: 

1) ein Rescript des vorgeordneten K. Ministeriums, d. d. 
15. Januar dieses Jahres, welches die dem Dr. Philipp Wirt- 
gen in Coblenz von der Akademie zur Fortführung seiner Be- 
arbeitung einer Flora der Rheinprovinz bewilligten 300 Rthlr. 
genehmigt; 

Ferner 2) ein gleiches Rescript vom 14. Januar, welches 
die zur Ausführung des Registerbandes zum Aristoteles dem Prof. 
Bonitz in Wien von der Akademie zur Verfügung gestellten 
200 Rthlr. genehmigt; 

3) Eine Einladung des Dresdener Gewerbe- Vereins, d. d. 
8. Januar, zur Theilnahme bei der Feier des 25jährigen Be- 
stehens desselben, welche dadurch zur Kenntnils der daran Theil 
zu nehmenden beabsichtigenden Mitglieder gebracht wurde; 

4) Eine Empfangsbescheinigung der Naturforschenden Ge- 
sellschaft zu Danzig, d. d. 14. Januar, für die Abhandlungen von 
1857 und die Monatsberichte vom September 1857 bis Juni 
1858; 


Öffentliche Sitzung vom 27. Januar 1859, 67 


5) Ein an Hrn. Ehrenberg adressirtes von ihm überge- 
benes Danksagungsschreiben des Hrn. Ed. de Verneuil in Pa- 
ris, d. d. 17. Januar, für seine Ernennung zum correspondiren- 
den Mitgliede der Akademie. 


‚27. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier 
| des Geburtstags Friedrichs des 
Grolsen. 
# Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar, Hr. Trende- 
Tenburg, eröffnete die Sitzung mit einem Vortrage: Frie- 
drich der Grolse und sein Staatsminister Freiherr 
won Zedlitz, eine Skizze aus dem preulsischen Unter- 
Tichtswesen. 
Auf diese Darstellung, welehe unten abgedruckt ist, folgte 
den Statuten gemäls der Bericht über die Personalveränderungen 
in der Akademie seit der öffentlichen Sitzung am 28. Jan. v. J. 
{ Aus dem engern Kreise der ordentlichen Mitglieder schie- 
den durch den Tod Hr. Johannes Müller am 28. April 1858 
and Hr. Theodor Panofka am 20. Juni 1858. 
An auswärtigen Mitgliedern verlor die Akademie Sir Ro- 
bert Brown in London am 10. Juni 1858, Hrn. Friedrich 
euzer in Heidelberg am 16. Febr. 1858, ferner das Ehren- 
aitglied Hrn. C.J. Temminck in Leiden am 30, Januar 1858, 
an korrespondirenden Mitgliedern in der physikalisch - mathemati- 
schen Klasse Hın. Karl tzustav Mosander in Stockholm am 
15. Oct. 1858, in der philosophisch-historischen Klasse Hrn. Jo- 
eph Chmel in Wien am 28. Nov. 1858 und Hro. Giovanni 
sirolamo Orti Manara in Verona. 

Dagegen ergänzte sich die Akademie durch die Walıl des 
n. Theodor Mommsen, bisherigen korrespondirenden Mit- 
liedes in Breslau, zum ordentlichen Mitgliede der philosophisch- 
istorischen Klasse, der Hrn. Friedrich von Thiersch in 
lünchen und Franz Neumann in Königsberg, bisheriger Cor- 
espondenten, zu auswärtigen Mitgliedern, des Radscha Radha- 
£ anla Deva in Calcutta zum Ehrenmitgliede, der Hrn. Her- 


5 
: 5 


b 


mann Abich in St. Petersburg, Michel Chasles in Paris, 
Edcuard de Verneuil in Paris zu korrespondirenden Mit- 
gliedern in der physikalisch-mathematischen Klasse, der Hrn. Pe- 
ter von Chlumecky in Brünn, Philippe Le Bas in Paris, 
GeorgRosen in Jerusalem, Anton Schiefner in St. Peters- 
burg, Aloys Sprenger in Heidelberg, Andreas Upström in 
Upsala, Natalis de Wailly in Paris zu korrespondirenden 
Mitgliedern in der philosophisch-historischen Klasse. 


68 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Hr. Homeyer schlofs die Feier mit einem Vortrag über 
die Genealogie der Handschriften des Sachsenspie | 
gels. 

Er legte zunächst die Bedeutung derartiger Untersuchun- 
gen für die deutschen Rechtsbücher überhaupt, als Vorarbeiten 
zu deren Herausgabe dar, und gab dann eine Übersicht der Klas- 
sen, Ordnungen und Gruppen, in welche die Texte des Sachsen- 
spiegels nach dessen Entwicklungsgang sich scheiden lassen. 


31. Januar. Sitzung derphysikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. du Bois-Reymond las über die Abhängigkeit 
der Grölse der secundär-elektromotorischen Wir- 
kung innerlich polarisirbarer Körper von deren Di- 
mensionen. 

Die wichtige Rolle, welche die innere Polarisation bei ge- 
wissen thierisch-elektrischen Erscheinungen spielt, hat mich 
veranlalst, dieselbe noch nach mehreren Richtungen weiter zu 
verfolgen, als dies in meiner ersten Mittheilung darüber ') ge- 
schehen ist. Unter anderen ward es mir wünschenswerth, eine 
deutliche Vorstellung davon zu erlangen, wie die Dimensionen 


1) Diese Berichte, 4. August 1856. S. 450, — Moleschott’s Un- 
tersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere. 1858. Bd. IV. 
S. 158. 


vom 31. Januar 1859. 69 


des innerlich polarisirbaren Körpers auf die Stärke der secundär- 
elektromotorischen Wirkung einfliefsen. Offenbar muls das Ver- 
hältnils ein sehr verwickeltes sein, insofern nämlich der Wider- 
stand der innerlich polarisirbaren Körper stets ein grolser im 
Vergleich zu dem der Säule und des Multiplicators ist, die ur- 
sprüngliche und die secundäre Stromstärke folglich schon in die- 
ser Weise von den Malsen jenes Körpers abhängen; zweitens 
bei wachsendem Querschnitt des innerlich polarisirbaren Körpers 
die Dichte des gleich stark gedachten ursprünglichen Stromes 
darin abnimmt, die secundär elektromotorische Kraft aber unzwei- 
felhaft nicht mit der ursprünglichen Stromstärke, sondern viel- 
mehr mit dieser Dichte nach irgend einem Gesetze wächst. 
Um einigermalsen die Folgen dieser verschiedenen Abhän- 
gigkeiten zu übersehen, wollen wir gewisse einfache Voraus- 
seizungen machen, wodurch wir in Stand gesetzt werden, uns 
der Rechnung zu bedienen. 

= Es heilse nämlich 

3 E die elektromotorische Kraft der Säule, die den ursprüng- 
lichen Strom liefert; 

S der Widerstand des Säulenkreises gemessen bis zum in- 
erlich polarisirbaren Körper; 

M der Widerstand des Multiplicatorkreises ebenso gemessen; 
q der Querschnitt jenes prismatisch gedachten Körpers; 

L die Länge desselben gemessen zwischen den den Grund- 
Hächen des Prisma’s angelegten Endbäuschen des Säulenkreises; 
) mL, worin m eine Constante <1, seine Länge gemessen 
zwischen den Keilbäuschen des Multiplicatorkreises; 

3 & der Widerstand desselben für die Einheit der Länge und 
des Querschnittes; 

endlich z die Dauer der Schliefsung des ursprünglichen 


Stromes. 
_ Die Stärke des ursprünglichen Stromes wird sein 
- E 
’ IT = ———. I 
in SS cL ® 
z} 


"Wir wollen annehmen, die im durchströmten Körper im Augen- 
blick der Öffnung des Säulen- und Schliefsung des Multiplicator- 


70 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


kreises (die als gleichzeitig betrachtet werden) gegenwärtige u 1 
im letzteren Kreise wirksame Summe E’ secundär - elektromotori- 
scher Kräfte sei 1. der Dauer des ursprünglichen Stromes, 2. sei- 
ner Dichte, beides zwischen gewissen Grenzen, 3. der Länge der 
in’s Auge gefalsten Strecke mZ einfach proportional. Da die 
Dichte = dem Quotienten aus dem Querschnitt in die Strom- 
stärke, so wird also E’ dem Querschnitt, innerhalb gewisser 
Grenzen, umgekehrt proportional sein. 

Dies scheint ganz unverfänglich, doch ist zweierlei dazu zu 
bemerken. Erstens muls man sich den innerlich polarisirbaren 
Körper von sehr gestreckter Gestalt denken, damit man ohne 
merklichen Fehler E’ der Strecke mZ proportional setzen könne, 
weil nämlich die Ableitung zum Multiplicatorkreise nicht von 
den Grundflächen des Prisma’s aus, sondern mittelst der Keil- 
bäusche geschieht, in welche sich die Stromescurven hineinbie- 
gen müssen, so dals ein Theil der zunächst den Ableitungsstel- 
len ihren Sitz habenden elektromotorischen Kräfte nicht zur 
Wirkung kommt. Für's Zweite sind Gründe vorhanden anzu- 
nehmen, dafs die in einem (uerschnittselement erzeugte secun- 
där-elektromotorische Kraft im Multiplicatorkreise nur mit einem 
Theile wirkt, welcher nicht unabhängig ist von dem Querschnitt 
des innerlich polarisirten Körpers, von seiner Länge, und vom 
Widerstande des Multiplicatorkreises. 

Sieht man von diesen Umständen ab, so hat man also 


v 
I ‘ 
E=-—n.t.— .ml. 
gq i 
Setzt man hierin für Z dessen Werth aus (I), so erhält man | 
5 E mL \ 
= n.tı —— 0. — 
g + cL q f 
q j 


Unter der schon erwähnten Voraussetzung einer sehr gestreck- 
ten Gestalt des innerlich polarisirbaren Körpers ist der Wider- 
stand desselben zwischen den Keilbäuschen ohne merklichen Feh- 
ler zu setzen 


moL 


7 


vom 31. Januar 1859. 71 


Es ergiebt sich folglich für die im ersten Augenblick der Schlie- 
fsung des Multiplicatorkreises stattfindende Stromstärke der Aus- 
druck 
E mL 
S+ oL gg = Yizo 
Baruk arn 


Wie man sieht, kommen in diesem Ausdruck die Dimensionen 


I!’ =—n.t. 


(I) 


‚des polarisirbaren Körpers Z und g nur zusammen und zwar 
dergestalt verbunden vor, dals sie den Widerstand des Körpers 
angeben, insofern derselbe von den Dimensionen abhängt. Lielse 
man daher Zund g in gleichem Verhältnils sich verändern, so dals 


L 
—_r= const., 
7 
so würde die im ersten Augenblick stattfindende secundär - elek- 
tromotorische Wirkung dieselbe bleiben, welches auch der Werth 
von Z und q wäre. 
Ein Ergebnils, welches auch ohne Rechnung einleuchtet. 
Bleibt nämlich der Widerstand des innerlich polarisirbaren Kör- 
(pers unverändert, so bleibt dies auch die Stärke des ursprüng- 
lichen Stromes, und ebenso der Widerstand des secundären Krei- 
ses, d. h. des Kreises, der aus jenem Körper und dem Multipli- 
catorkreise besteht. In dem Mafse, wie der Querschnitt wächst, 
nimmt freilich, bei sich gleich bleibender Stärke des ursprüng- 
lichen Stromes, die Dichte dieses Stromes im Querschnitt und 
“folglich die secundär-elektromotorische Kraft im Längenelemente 
ab. Allein da in demselben Malse die Länge wachsen soll, so 
bleibt schliefslich E’, die Summe der secundär-elektromotorischen 
Kräfte, constant, und bei sich gleichbleibendem Widerstande des 
secundären Kreises also auch die Stärke der secundär-elektrömo- 
törischen Wirkung im ersten Augenblick. 
Denken wir uns nunmehr r veränderlich und untersuchen 
die Function 7’=f (r), so zeigt sich, dals dieselbe für r=0 und 
r=00 verschwindet und dazwischen ein Maximum hat für 


wenn also $=M und m = 1, für 


72 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


oL 
err=—=S=M, 
q 


oder für den Fall, dafs der Widerstand des innerlich polarisir- 
baren Körpers gleich ist dem des Säulen- und dem des Multi- 
plicatorkreises. Geben wir $S und M ihre allgemeine Bedeutung 
wieder, denken uns g beständig, und nur Z veränderlich, so fin- 
det ein Maximum statt für 


Umgekehrt bei beständigem Z und veränderlichem g für 


m 


su a) 


a—aE 
Bemerkenswerth ist noch, was sich ereignet, wenn man 
sich denkt, dafs der Widerstand des Säulen- sowohl als des Mul- 
tiplicatorkreises verschwindet gegen den des innerlich polarisir- 
baren Leiters, und umgekehrt. In beiden Fällen hört die Func- 
tion Z’=f(r) auf, ein Maximum zu besitzen. Im ersten Fall 
nämlich wird sie 
ntE 
I’=—-, 


Q 
e°.r 


im zweiten 

‚ mntE.r 

I = Zu RL (IV) 
Die Stärke der secundär-elektromotorischen Wirkung wird also 
im ersten Falle dem Widerstand des polarisirbaren Leiters, so- 
fern er von dessen Dimensionen abhängt, umgekehrt, im zwei- 
ten gerade proportional sein. 

Es wäre nun von hohem Interesse gewesen, die wichtig- 
sten unter diesen Schlüssen durch den Versuch zu prüfen, theils 
um die Gestaltung des Phänomens unter den fraglichen Um- 
ständen wirklich zu erkennen, theils um sich von dem Mals von 
Wahrheit und Irrthum in den gemachten Voraussetzungen zu 
überzeugen. Dies würde indessen für's Erste erfordert haben, 
dafs diese Versuche in messende umgewandelt würden, wozu die 
Beseitigung der Polarisation der Platinenden des Multiplicator- 


vom 31. Januar 1859. 73 


kreises und die Anwendung eines wirklichen galvanometrischen 
Melswerkzeuges, statt des Multiplicators für den Nervenstrom, 
oder Graduirung des letzteren, vor Allem nöthig geworden wä- 
ren. Für’s Zweite ist aber noch zu beachten, dafs der Ausdruck 
(IT) die Stärke der secundär -elektromotorischen Wirkung unter 
den gemachten Voraussetzungen genau nur im ersten Augenblick 
nach der als gleichzeitig betrachteten Öffnung des Säulen- und 
Schlielsung des Multiplicatorkreises darstellt. Zur Bewährung 
dieser Formel und der daraus abgeleiteten Schlüsse könnte folg- 
licb nur geschritten werden mit Hülfe der von Hrn. Poggen- 
dorff für das Studium der secundär--elektromotorischen Erschei- 
nungen empfohlenen und zwar äufserst schnell bewegten Wippe, 
etwa in der Gestalt, die Hr. Siemens derselben ertheilt hat.?) 
Obschon ich nun dies Alles für nicht unausführbar hielt, so 
würde es doch auf alle Fälle ein so weit aussehendes Unterneh- 
men geworden sein, dals ich vor der Hand davon abstehen zu 
müssen glaubte. Ich habe mich damit begnügt, von jenen Schlüs- 
‚sen solche durch den Versuch zu bestätigen, welche dazu keine 
eigentlichen Malsbestimmungen erfordern, wobei ich also aufser 
Acht lassen durfte erstens, dals die bei Schliefsung des Multi- 
| plieator- nach Öffnung des Säulenkreises erfolgende Summe se- 
eundär-elektromotorischer Wirkungen auf die Nadel der Gröfse 
_ der im ersten Augenblick stattfindenden secundär- elektromotori- 
‚schen Kraft möglicherweise nicht einfach proportional ist; und 
zweitens, dals wenn auch diese Proportionalität stattfände, der 
Ausschlag der Nadel doch nicht entfernterweise ein getreues 
Mals jener Summe liefert. Sogar von solchen Prüfungen habe 
ich übrigens nur den allerkleinsten, wenn auch wichtigsten 
Theil bisher anzustellen vermocht. 


Il. — = const. 


Ein Punkt, der zunächst zur experimentellen Bestätigung 
einlud, war das oben der Formel (II) entnommene Ergebnifs, 
dafs die Grölse der secundär-elektromotorischen Wirkung von 


?) Vgl. Poggendorff’s Annalen der Physik und Chemie. 1844. 
Bd.LXI. S. 586; — 1857. Bd. CHI. S. 70, 


74 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


der Länge und dem Querschnitt ganz unabhängig sei, wenn 
nur das Verbältnils beider beständig bleibe. 


Ich liefs von einem geschickten Tischler aus demselben 
Stück Weilsbüchenholz fünf Paar Stäbe von verschiedener Gröfse 


schneiden, an denen diese Bedingung möglichst genau erfüllt 
war. Dieselben besalsen nämlich (in rheinischen Zollen) fol- 
gende Malse: 


| I | 10 | II. | IV | V 

Lä nge | qr | gr | ar | dr 6" 
2 x ai En x zu % ” x a =” x % % ” x Ei 

Querschnitt | _ ı 2 3 an ar 6 
—an =,0 = 40 =40 =,0 


Diese Stäbe wurden in destillirtem Wasser gesotten, bis 


sie untersanken und anzunehmen war, dafs sie alle auf allen 
Punkten gleichmäfsig damit durchtränkt seien. Die Stäbe wur- 
den, bei den folgenden Versuchen, um ihnen den ursprünglichen 


Strom zuzuleiten, mit ihren beiden Enden zwischen die Zulei- 


tungsbäusche der Säule eingeklemmt. Die Enden waren, wie 


ich es häufig bei diesen Versuchen ihue, um das Eindringen des 
Kupfersalzes zu verhindern, mit Schildern aus Modellirthon be- 


kleidet. Der Modellirthon ist zwar selbst innerlich polarisirbar, ?) 


indessen verschwinden die secundär-elektromotorischen Wirkun- 
gen, deren er fähig ist, gegen die des Holzes sogar bei gleichen 


Dimensionen; vollends mulste dies hier der Fall sein, wo die 


Dicke der Thonschilder gegen die Länge der Stäbe, mit Aus- 


nahme vielleicht des kürzesten, kaum in Betracht kam. 


Die grölstmögliche Dünne der Schilder war übrigens noch 


durch eine andere Betrachtung geboten. Durch die Einführung 
derselben in den Säulenkreis geht der erste Factor des Nenners 
in (II) über in 


ZEN WEGE, 
SS — + — 
q q 


wo r den eigenthümlichen Widerstand des Thons, A die Dicke | 
des Thonschildes bezeichnen. Da in dem hinzugetretenen Gliede 


®) S. diese Berichte, 4. Aug. 1856. S. 455. 


vom 31. Januar 1859. 75 


der Querschnitt des innerlich polarisirbaren Körpers nicht mehr 
mit der Länge zusammen in der Art vorkommt, dafs dadurch 
der Widerstand jenes Körpers ausgedrückt wird, insofern er von 
den Dimensionen abhängt, so würde, wenn dieses Glied einen 
grolsen Einfluls ausübte, die Schlufsfolge, auf deren Bestätigung 
im Versuch es hier abgesehen ist, in ihren Vordersätzen unter- 
graben werden. Es muls also darauf geachtet werden, dafs 
27% :g möglichst klein sei, was, da r durch die Natur der Dinge 
und g durch den angewandten Stab gegeben sind, nur dadurch 
geschehen kann, dals man % möglichst klein, d. h. die Thon- 
schilder möglichst dünn nimmt. 

Um die secundär-elektromotorische Wirkung von den 
Stäben abzuleiten, wurden denselben die mit doppelten Ei- 
weilshäutchen bekleideten Schneiden der Keilbäusche angelegt; 
wenn die Stäbe nicht quadratisch waren, der einen breiten Seite, 
allen aber an zwei im Voraus bezeichneten, von ihren beiden 
Enden gleich weit entfernten und zwar so gewählten Stellen, 
dsm=%. 

Einige Vorversuche lehrten, dafs, um am Multiplicator für 
‚den Nervenstrom einen Ausschlag von passender Gröfse durch 
die secundär-elektromotorische Wirkung dieser Stäbe zu erhal- 


_ ten, der Durchgang des Stromes von zehn Grove’schen Ele- 


menten während eines gewissen durch das Uhrwerk‘) abge- 
messenen Bruchtheils einer Secunde genügte, dessen ahsoluten 
Werth ich noch nicht kenne und daher vorläufig mit ' ‚„” bezeichne. 
Diese Anordnung wurde beibehalten, da anzunehmen war, dafs 
der Widerstand der mit destillirtem Wasser getränkten Stäbe 
noch immer grols genug war im Vergleich zu dem der zehn- 
gliederigen Grove’schen Säule, damit nicht eine Annäherung 
an den durch (IV) ausgedrückten Zustand stattfinde, während es 
aus Gründen, die ich hier noch nicht erörtern mag, zweckmälsig 
schien, die Schlielsung des Säulenkreises möglichst kurz dauern 
zu lassen. 

Die Stärke des ursprünglichen Stromes, die begreiflich mit 
allen Stäben dieselbe sein mulste, wurde durch den Ausschlag 


*) S. diese Berichte, 17. Juli 1856. S. 395. 


76 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


bestimmt, den derselbe an einer Tangentenbussole mit Spiegel- 
ablesung hervorbrachte. Der Spiegel schwang so viel schneller 
als das Nadelpaar des Multiplicators für den Nervenstrom, dafs 
es keine Schwierigkeit hatte, zuerst den Ausschlag durch den 
ursprünglichen Strom, dann den durch die secundär-elektromo- 
torische Wirkung zu beobachten. 

Es wurden nun nach einander, jedoch ohne in Bezug auf 
die absolute Grölse der Stäbe irgend eine Ordnung zu beob- 
achten, mit jedem der beiden zu einem Paar gehöriger Stäbe 
vier Versuche angestellt. Bei zweien ging der Strom in der 
einen, bei den beiden anderen in der anderen Richtung, durch 
die Stäbe. Die Zahlen in der folgenden Tabelle sind demnach 
Mittel aus acht Ablesungen. Die Zahlen in der mit U bezeich- 
neten wagerechten Reihe sind die Ausschläge durch den ursprüng- 
lichen Strom, die in der mit $S bezeichneten die durch die se- 
cundär-elektromotorische Wirkung. 


Be Ba Pi ee ni 
| het ee 
8 A| 5er are] 


Die Zahlen der zweiten Reihe stimmen zwar nicht besonders, in- 
dem die unter II und III eine etwas grolse Abweichung vom 
Mittel zeigen. Da aber die Zahlen der ersten Reihe in dem- 
selben Sinne abweichen, so ist klar, dafs in diesen Fällen, aus 
irgend einem Grunde, das Product aus Stärke in Dauer des ur- 
sprünglichen Stromes beziehlich gröfser oder kleiner war als sonst. 
Erwägt man, dafs während die absoluten Dimensionen der Stäbe 
so aulserordentlich wachsen, die Zahlen, welche die ungefähre 
Gröfse der secundären Wirkung bemessen, sich beinahe gleich 
bleiben, und höchstens spurweise eine Abnahme nach der Rich- 
tung der wachsenden absoluten Dimensionen erkennen lassen ; 
nimmt man hiezu die zahlreichen Fehlerquellen, als da sind ver- 
schiedene Leitungsfähigkeit und Polarisirbarkeit des Holzes, ra- 
scheres Austrocknen der Stäbe von kleinerem Querschnitt, ver- 
schiedene Leitungsfähigkeit und Dicke der Thonschilder, ver- 


vom 31. Januar 1859. 77 


schiedene Dauer der Schliefsung des Säulenkreises (da das Uhr- 
werk bei so kurzen Zeiträumen etwas weniger verläfslich arbei- 
tet), verschiedenes Anlegen der Keilbäusche, Austrocknen der 
Eiweilshäutchen und Eindringen des Salzes in dieselben, u. d. m.: 
so gelangt man zu dem Schlusse, dals das theoretisch vorherge- 
sehene Gesetz sich im Versuch hinreichend bewährt habe um 
annehmen zu können, dafs es nicht allzuweit von der Wahrheit 
abweiche. In diesem Schlusse wird man noch bestärkt durch 
die Wahrnehmung, zu der uns alsbald Gelegenheit werden wird, 
wie rasch und gesetzmälsig die secundär-elektromotorischen Wir- 
kungen sich verändern, sobald nicht blofs die absoluten, sondern 
‚auch die relativen Dimensionen des innerlich polarisirbaren Kör- 
pers sich verändern. 


4 


U. Maximum in Bezug auf Z. 


5 Demnächst versuchte ich nämlich jetzt, das durch die 
rechnung verkündigte Maximum der secundär-elektromotorischen 
Wirkung in Bezug auf den Leitungswiderstand des innerlich po- 
larisirbaren Körpers, sofern er durch die Dimensionen bestimmt 
wird, nachzuweisen, und zwar zuerst indem ich, bei beständigem 

Querschnitt, allein die Länge wachsen liels. Zu diesem Zweck 
brachte ich auf der einen schmalen Seite der in der vorigen 
Versuchsreihe mit V bezeichneten, 6” = 156.9”” langen, mit 
destillittem Wasser getränkten weilsbüchenen Stäbe, eine will- 
riche Theilung an, deren Grade beiläufig sehr nahe = 2”” 


ren. Der Stab wurde mit dem einen Ende eingeklemmt, so 

dafs er wagerecht frei schwebte. An die eine seiner dabei senk- 
Bet: gestellten breiten Seitenflächen wurden die mit doppelten 
_ Eiweilshäutchen bekleideten Keilbäusche des Säulenkreises, an die 
andere, jenen genau gegenüber, die des Multiplicatorkreises ge- 

legt, so dals also m hier =1 war. Der ursprüngliche Strom 

wurde von nur fünf Grove’schen Elementen geliefert. Die 
R "Dauer der Durehströmung war auch hier nur an A ”. Ich gebe 
Sie Zahlen einer Versuchsreihe, in Mitteln aus zwei Beobach- 
ingen mit verschiedener Richtung des ursprünglichen Stromes. 


78 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


| ®o | 
en ee 1 rt 
15 | 3 | 392 | 262 | 24 | 350 | 22.0 
20 | + | 342 | 320 | 23 | 31.7 | 305 
35| 5 | 355 | 305 | 2 | 275 | 317 
soo | 6 | 237 | 30.0 | 2ı | 220 | 30.2 

BR ee 
40] 8] 19:74] 29.2] 19° | 19:20] 26:5 
5 | 9 7167], 260 7 18 RT 
50 | 10 | 160 | 255 | 17 | 155 | 242 
u BET IT DIEET I De EI 
se 1 RP er ra 

EITIOH TORE ae RK AU RR TR RR rt 


In dieser Tabelle zeigt die erste Columne (Z) die zwischen 
den beiden Paaren von Querbäuschen begriffenen Längen des 
feuchten Holzstabes in Graden jener willkürlichen Theilung an; 
die zweite und fünfte (No.) enthalten die Nummern der Ver- 
suche; die mit $S und U bezeichneten haben dieselbe Bedeutung 
wie in der vorigen Tabelle. Beim Verfolgen der Versuchsnum- 
mern bemerkt man dals ich zuerst Z von 5 bis auf 80° wach- 
sen und dann wieder bis auf 5° sinken liels. Dies hatte zum 
Zweck die Veränderungen der verschiedenen Theile der Vor- 
richtung, die während der mehrere Stunden langen Dauer des 
Versuches nicht wohl zu vermeiden waren, unschädlich zu ma- 
chen. Man sieht, dafs unserer Vorhersicht gemäls, ein Maximum 
der secundär-elektromotorischen Wirkung in Bezug auf die Länge 
des innerlich polarisirbaren feuchten Leiters wirklich stattfindet. 
Dasselbe liegt zwischen den Längen 20° und 35°. Die Aus- 
schläge schwanken hier so wenig, dafs ihre Unterschiede inner- 
halb der Grenzen bleiben, zwischen denen sie sich auch ohne 
Veränderung der Länge zeigen würden, wenn die Keilbäusche 


vom 31. Januar 1859. 79 


mehrmals entfernt und wieder hinangeschoben worden wären, 
Jenseits des Maximums nimmt die secundär- elektromotorische 
"Wirkung weit langsamer ab, als sie diesseits desselben anstieg. 

Ähnliche Versuche wit gleichem Erfolg, wenn auch nicht 
so wohl ausgesprochener Gesetzmälsigkeit der Zahlen, habe ich 
auch noch mit dem oben $. 76 mit III bezeichneten Stäbepaar 
angestellt. 


III. Maximum in Bezug auf g. 


4 Nunmehr handelte es sich darum, das Dasein eines Maxi- 
mums auch in Bezug auf g, bei beständig gehaltenem Z, nach- 
zuweisen. Dies hatte sehr viel grölsere Schwierigkeiten. Erstens 
giebt er keineArt den Querschnitt des innerlich polarisirbaren feuch- 


ten Leiters mit solcher Leichtigkeit zu verändern, wie die beim Ver- 


‚such in Betracht kommende Länge desselben, und zweitens wird 
‚der Vergröfserung des Querschnittes durch die Malse der Bäusche 
‚sehr bald eine nicht zu überschreitende Grenze gesetzt, wenn 
nicht ganz andere Einrichtungen nöthig werden sollen. 

Zuerst schnitt ich aus grolsen Kartoffeln Prismen von un- 
gefähr 40°” Länge und möglichst grolsem Querschnitt, klemmte 
‚sie, an ihren Grundflächen mit möglichst dünnen Thonschildern 
‚versehen, zwischen die Zuleitungsbäusche der Säule ein, und legte 
ihnen die mit doppelten Eiweilshäutchen bekleideten Keilbäusche 
des Multiplicatorkreises an. Es zeigte sich, dals bei 1” langer 
Dauer des ursprünglichen Stromes dreilsig Grove’sche Glieder 
nothwendig waren, um am Multiplicator für den Nervenstrom 
eine secundär-elektromotorische Wirkuug von passender Stärke 
zu erzeugen. Ich spaltete nun das Prisma der Länge nach, be- 
obachtete abermals die secundär-elektromotorische Wirkung, und 
so fort, bis ich das Prisma auf einen ganz dünnen Streifen des 
Kartoffelgewebes zurückgeführt hatte. Allein nur in seltenen 
Fällen gab sich, und auch nicht ganz überzeugend, anfangs eine 
Verstärkung, und erst später eine Schwächung der Wirkung in 
Folge der Verdünnung des Prisma’s kund. Nur das zeigte sich 
allerdings, dals von einer gewissen Grenze an die Wirkungen 
mit weiter wachsender Dicke nicht mehr merklich zunehmen. 
Unter der Voraussetzung, dals ein Maximum wirklich vorhanden 
und die Formel (III) richtig sei, war es deutlich, dafs dasselbe 


80 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


in diesen Versuchen nicht erreicht werden konnte, weil die 
Bäusche sowohl, als die Kartoffeln, vermöge ihrer absoluten Dir 
mensionen, nicht die Anwendung eines Prisma’s von solchem 
Querschnitt erlaubten, dafs die in (III) ausgesprochene Bedin- 
gung erfüllt würde. Es konnte aber, von den im Zähler ste- 
henden Factoren dieses Ausdrucks, & naturgemäls nicht verklei- 
nert werden, Z aber deshalb nicht, weil alsdann die Gesetze 
der linearen Stromvertheilung auch nicht mehr annähernd an- 
wendbar gewesen wären, und weil dadurch die secundär-elektro- 
motorische Wirkung selber zu sehr geschwächt worden wäre. 
Aus demselben Grunde kann die Verkleinerung von m nicht 
viel helfen, die ich übrigens fruchtlos bis zum= % trieb. 

Eben so unglücklich war ich mit aus Thon gekneteten 
Stäben von verschiedenem Querschnitt, und mit balkenförmigen 
Fliefspapierbäuschen, die mit destillirttem Wasser getränkt waren, 
und von denen ich Schicht um Schicht ablöste um ihren Quer- 
schnitt allmälig zu verkleinern. Indessen führte mich dieser 
letziere Versuch auf den Gedanken der Methode, mit deren Hülfe 
es mir zuletzt doch gelang, das Maximum der secundär- elektro- 
motorischen Wirkung auch in Bezug auf den Querschnitt dar- 
zuthun. 

Es war nämlich klar, dals es sich darum handelte, einen in- 
nerlich polarisirbaren Körper von geringerem eigenthümlichen 
Widerstande zu haben, als Kartoffelgewebe, Thon, Fliefs- 
papier mit Wasser getränkt. Ein solcher ist das mit einer 
Salzlösung getränkte Holz, welches sich damit noch immer, 
obschon bei weitem nicht so stark wie mit Wasser, kräftiger 
secundär - elektromotorischer Wirkungen fähig zeigt.) Die An- 
wendung des Holzes bot aber eine doppelte Schwierigkeit. Er- 
stens die, es vollkommen gleichmälsig mit der so schwer darin 
eindringenden Salzlösung zu tränken, zweitens die, dals man 
nicht weils, wie man den Querschnitt nach Belieben veränder- 
lich machen könne. Denn daran, ein feuchtes Holzprisma etwa 
zu spalten oder mit der Säge allmälig zu verkleinern, war aus 
vielerlei Gründen nicht zu denken. 


5) $. diese Berichte, 4. Aug. 1856, S. 456. 


vom Januar 1859. °\. 81 


Ich half mir folgendermafsen. Aus Birkenfournier liefs ich 
eine hinlängliche Anzahl Streifen von 6” Länge, %” Breite und 
#5 Dicke schneiden. Einen Theil davon sott ich in gesättigter 
Kochsalzlösung bis sie darin untersanken. Auf die in passenden 
Abstand gerückten Zuleitungsbäusche der Säule legte ich nun 
zuerst einen Streifen mit seinen beiden Enden flach auf, gegen 
Verunreinigung mit dem Kupfersalz durch ein Thonschild geschützt. 


An die eine Kante des Streifens schob ich, in geringer Entfer- 
nung von dessen Enden, die Keilbäusche des Multiplicatorkreises, 
hier natürlich ohne Eiweilshäutchen, da ja der Streifen gleich- 
falls mit Kochsalzlösung getränkt war. Nachdem die secundär- 
elektromotorische Wirkung unter diesen Umständen bestimmt 
‘war, legte ich auf den ersten Streifen einen zweiten, auf diesen 
einen dritten, und so fort nach Bedürfnils, indem ich Sorge 
trug, dals die Kante der Streifen stets in genaue Berührung mit 
den Schneiden der Keilbäusche kam. Die Säule mulste, bei '/,” 
dauerndem Dorchgang des Stromes, dreilsiggliederig genommen 
werden. Die secundäre Wirkung wurde wie bisher am Multipli- 
eator für den Nervenstrom, die ursprüngliche an der Spiegel- 
"bussole beobachtet. In der folgenden Tabelle, deren Zahlen das 
Mittel aus vier Ablesungen bei verschiedener Richtung des ur- 

sprünglichen Stromes, und bei wachsender und abnehmender 
Anzahl der Streifen sind, bedeuten die obersten Zahlen die An- 
‚zahl der angewandten Foubnfersttsifen. 


F Pate Tn2< Ira, "Bu 8 
# U 12771331 |42.0 |44.1|44.5 | 45.0 |465 
h‘ 50167 ‚4.07 41.0, 28 5 9,0]>,? 


Bei 6, vollends bei 8 Streifen fand nur noch eine ungewisse 
gr secundär-elektromotorischer Wirkung statt. 

9 Da, bei verschwindendem Querschnitt des innerlich polari- 
‚sirbaren Körpers, die secundär-elektromotorische Wirkung noth- 
wendig gleichfalls verschwinden muls, so ist durch diese Ver- 
‚suchsreihe nunmehr ein Maximum jener Wirkung auch in Bezug 
auf den Querschnitt erwiesen, wenn gleich die derselben ent- 


‚sprechenden Zahlen von 1 bis 2 Streifen nur unbedeutend 
wachsen. 


[1859.] 6 


» 


82 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Besser spricht sich das Gesetz in folgender Versuchsreihe 
aus, welche mit ähnlichen Streifen angestellt wurde, die ich aber, 
statt in Kochsalzlösung, in schwefelsaurer Kupferoxydlösung ge- 
sotten hatte. Hier fielen die Thonschilder zwischen den Strei- | 
fen und den Säulenbäuschen fort, hingegen ward es nöthig, die 
Keilbäusche mit mehreren Lagen Flielspapier zu bekleiden, von 
denen die innersten mit Kochsalzlösung, die äulsersten mit schwe- 
felsaurer Kupferoxydlösung getränkt waren. Die secundär- elek- 
tromotorische Wirkung war so sehr viel gröfser®), dafs es 
genügte, fünf Grove’sche Glieder ’/,” lang einwirken zu las- 
sen, aulserdem aber die Empfindlichkeit des Multiplicators für 
den Nervenstrom noch bedeutend gemälsigt werden mufste. Die 
Zahlen in der mit % bezeichneten senkrechten Spalte sind mit 
einem der Länge nach in zwei gleich breite Hälften zerschlitz- 
ten Fournierstreifen gewonnen. 


"Bude Sa ua a De Aa RE se DE a bi Fi 
"DO 118.2 19.6 147.3 | 60.6 | 67.2] 65.7 | 68.2 | 67.0 156.3 
Ss ] 10.7 | 19.6 | 22.6 | 19.0 11.7 |11.0| 7.7 | 55 | 3.0 


Das Dasein eines Maximums in Bezug auf den Querschnitt 
ist hienach nicht zu bezweifeln. Befremdend ist jedoch, dafs 
mit der Kupferlösung das Maximum wie mit der Salzlösung be- 
reits bei zwei Dicken erreicht wurde. Nach Formel (IIl) hätte 
man erwarten sollen, dals, wegen des grölseren r und des klei- 
neren SM, das dem Maximum entsprechende g mit der Kupfer- 
lösung grölser hätte sein müssen. Dagegen ist es aber doch 
eingetroffen, dals mit den mit Salzlösungen getränkten Holz- 
streifen das Maximum bei einem viel geringeren Querschnitt 
erreicht wurde, als mit den mit destillirtem Wasser getränk- 
ten Flielspapierbäuschen, dem Thon und den aus Kartoffeln ge- 
schnittenen Prismen. 

Diese Versuche beweisen somit hinlänglich streng Folgendes: 
Die Stärke der secundär-elektromotorischen Wirkung innerlich pola- 
risirbarer Körper ist eine Function des Widerstandes dieser Kör- 
per, sofern derselbe durch die Dimensionen bestimmt wird. 
Diese Function besitzt ein Maximum, welches bei beständiger 


°) S. diese Berichte, 4. Aug. 1856. S. 460. 


vom 31. Januar 1859. 83 


I 

| "Länge und wachsendem eigenthümlichen Widerstande der inner- 
lich polarisirbaren Körper in Bezug aufg weiter hinausrückt. Bei 
weiter wachsendem Querschnitt verschwindet die secundär- elek- 
| tromotorische Wirkung. 

Diese Ergebnisse stimmen mit der obigen Theorie überein, 
und sind zum Theil eigenthümlich genug, um es wahrscheinlich 
zu machen, dafs diese Übereinstimmung nicht auf einem blofsen 
"Zufall beruhe. 

Weiter bin ich in dieser Richtung nicht fortgeschritten. 

‚Das Bisherige genügte für meine Zwecke, und diese Prüfungen 

stellten sich doch auch bei dieser lockeren Art der Behandlung 

als viel zu schwierig heraus, als dals es sich für mich der Mühe ver- 

lohnt hätte, damit weiter fortzufahren. Es däucht mir aber hier 

ein schönes Feld für weitere Bestrebungen in scharf messendem 
Sinne offen zu stehen. 


* Hr. Klotzsch theilte hierauf Beobachtungen des Hrn. Dr. 
er 


5 M. Traube in Ratibor über dieRespiration der Pflanzen 
mit. 
F Das Keimen der Pflanzensaamen geht bekanntlich nur bei 
rn Gegenwart von Wasser und Sauerstoff vor sich, der hierbei in 
B> ‚ein gleiches Volum Kohlensäure verwandelt wird. Dieser Oxy- 
 dationsprozels ' ) findet aber nicht nur statt, bis das Würzelchen 
ausgetreten ist, sondern setzt sich auch fort, wenn man die ge- 
 keimten Saamen unter Abschluls des Knie sich weiter 
zu bleichenden Pflänzchen entwickeln läßst. 
3 Der Keim wächst hier auf Kosten der in den Saamenlappen 
_ aufgehäuften Vorräthe, wie daraus hervorgeht, dafs sein Wachs- 
 thum aufhört, sobald man die Cotyledonen abtrennt. 
$ Aus Gründen, deren Darlegung mich hier zu weit führen 
würde, war es mir wahrscheinlich, dals der während des Wachs- 
ihums im Dunkeln aufgenommene Sauerstoff nicht von den 
_ Saamenlappen, sondern von dem sich entwickelnden 
‚Keim aufgenommen werde. Ich machte deshalb nachste- 
_hende Versuche, die alle, aus später leicht ersichtlichen Grün- 


‘) Statt Oxydation, eip Ausdruck, der bisher nur im anorganischen 
Reiche Anwendung fand, könnte man füglich Umwandlung sagen. Kl. 


6° 


84 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


den, unter Abschlufs des Sonnenlichts vorgenommen 
werden mulsten. 


Übt der Sauerstoff einen Einflufs auf die Saa- 
menlappen aus? 


Versuch 1. 


Die Cotyledonen eines Erbsenpflänzchens, dessen Stengel 
in der Dunkelheit eine Länge von 2% Zoll erreicht hatte, wur- ] 
den in ausgekochtes, luftfreies, mit einer Ölschicht bedecktes 
Wasser mit sammt den Wurzeln eingetaucht, während der Keim 
frei in die Luft hinausragte. 

Innerhalb 36 Stunden war der Keim um 1%, Zoll gewach- 
sen, trotzdem die Cotyledonen in diesem Versuch keinen Sauer- 
stoff aufnehmen konnten. Andere Erbsenpflänzchen, die in 
Erde unter gewöhnlichen Verhältnissen vegetirten, wuchsen nicht 
schneller. 


Versuch 2. 


Einem Erbsenpflänzchen, dessen Stengel in der Dunkelheit 
eine Länge von 3 Zoll erreicht hatte, wurde ein Keimblatt ab- 
getrennt, um das andere desto bequemer dick mit Collodium be- 
streichen und der Einwirkung des Sauerstoffs gänzlich entziehen 
zu können. Darauf wurde das Pflänzchen wieder in feuchte 
Erde gesetzt, doch so, dafs das Keimblatt 2 Linien über dem 
Erdboden völlig unbedeckt schwebte, damit die Flüssigkeit in der 
Erde den Collodiumüberzug nicht lockerte. 

Nach 24 Stunden war das Pflänzchen im Dunkeln um 1 Zoll, 
nach weiteren 48 Stunden um weitere 2% Zoll gewachsen. Als 
der Versuch dann beendigt wurde, zeigte sich der Collodium- 
überzug noch fest anhaftend. 

Der nämliche Versuch wurde mehrere Male mit demselben 
Erfolg wiederholt. 

Aus diesen beiden Versuchen ergiebt sich, dafs der Oxy- 
dationsproze[ls?) bei dem Keimen der Pflanzen nicht 
in den Cotyledonen vor sich geht. 


?) Vergleiche umstehende Bemerkung. 


vom 31. Januar 1859. 85 


Eine gelegentliche Bemerkung des so genauen Beobachters 
Saussure scheint diesem Experiment zu widersprechen. Er 
theilt (Saussure, deutsche Übersetzung, S. 10) mit, „dafs, 
„wenn man Saamen der Bufbohnen in Wasser keimen läfst, die 
„Pflanze, welche herauskommt, nicht anders gedeihen kann, als 
„so lange ihre Saamenlappen über der Oberfläche des Wassers 
„bleiben.” 

Es kann sich aber der Einfluls des Sauerstoffs hier ebenso 
‚gut auf das junge Pflänzchen direkt beziehen, welches unmittel- 
bar nach dem Keimen noch lange nicht die Länge der Saamen- 

Slappen erreicht hat, mithin in jenem Fall ebenfalls noch unter 
_ Wasser befindlich ist. 


—_— 


N) 
4 Übt der Sauerstoff auf den Keim einen Einfluls 
aus? 


4 Versuch 3. 


0 Kartoffelkeime, die eben heraustraten, von % bis 4 Linie 
Länge, wurden mit Collodium betupft. Nach einigen Stunden 
bereits waren sie zu dünnen, trocknen Resten zusammengetrock- 
net. Bestrich man aber nicht den Keim selbst, sondern nur die 
Kartoffel in der Umgebung der Augen, in dem Umkreis von 2 
bis 3 Linien mit Collodium, se trocknete der Keim nicht ein, 
sondern wuchs freudig fort. 
Nicht blofs ein Überzug von Collodium tödtete den Keim, 
schon das dicke Bestreichen mit einer Mischung von Öl mit 
ie hemmte sofort die Entwicklung eines schon 1% 
Zoll langen Kartoffel-Ausläufer. 
3 Bestrich man die eine Seite eines 2 Zoll langen Keims der 
mie nach mit Ölfirnils, so wuchs nur die andere Seite und 


ae 


während das junge Pflänzchen sonst lothrecht in die Höhe wuchs, 
bog sich hier bei weiterer Entwicklung die Terminalknospe 
_ nach unten. 

0 Beiläufig erwähnt, beweist die Thatsache, dafs auch in völ- 
liger Dunkelheit die Pflanzen lothrecht in die Höhe wach- 
sen, dals dieses Phänomen nicht, wie man glaubt, mit der Ein- 
wirkung des Sonnenlichts in irgend einer Beziehung steht, son- 
dern auf ganz andern Ursachen beruht. 


86 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Versuch 4. 

Eine Kartoffel hatte in der Dunkelheit in feuchter Erde 
einen 6 Zoll langen Stolo getrieben, der mit zahlreichen Wur- 
zelfasern in der Erde befestigt war. Ohne die Lage der Kar- 
toffel und der Wurzelfasern zu ändern, wurde der Keim in 
eine, mit dem untern offenen Ende in Quecksilber tauchende 
Glasröhre hineingebogen, die mit atmosphärischer Luft gefüllt 
und durch das Quecksilber gesperrt war. In zwanzig Stunden 
war der in die Röhre frei hineinragende Theil des Keims um 
1 Zoll gewachsen. Hierauf wurde reines Wasserstoffgas hinein- 
geleitet, um jede Spur atmosphärischer Luft hinauszutreiben. 
Nach 37 Stunden hatte sich die Knospe des Stolo auch nicht 
um eine Spur verlängert. Herausgenommen zeigte sich die Ter- 
minalknospe und der angrenzende Stolo-Theil bis zur Länge von 
1 Zoll gänzlich verwelkt. Der untere Theil des Ausläufers war 
gesund geblieben und trieb späterhin aus einem Blattwinkel eine 
neue Knospe. | 

Zwei andere Versuche der nämlichen Art gaben das näm- 
liche Resultat. Übrigens verminderte sich in diesen Versuchen 
regelmälsig das Volum der Atmosphäre in der Glasröhre, weil 
durch Diffusion längs des in Quecksilber eintauchenden Stengel- 
theils ein Theil Wasserstoff austrat und durch eine kleine Menge 
atmosphärischer Luft ersetzt wurde. 


Versuch 53. 


Mit Erbsenpflänzchen gelang der Versuch in dieser Weise 
nicht, weil sie die Abwesenheit des Sauerstoffs länger ertragen 
können und die durch Diffusion langsam eindringende Luft ge- 
nügt, ihr Wachsthum zu unterhalten. 

Hier mulste, nachdem durch Versuch 1. festgestellt war, 
dals Cotyledonen und Wurzel auch unter Abschluls des Sauer- 
stoffs functioniren, die ganze Pflanze in eine Atmosphäre von 
reinem Wasserstoff gebracht werden. 

5 Erbsenpflänzchen wurden aus der Erde herausgenommen 
und in ein unten offenes, mit lufifreiem Wasser gefülltes Glas- 
rohr hineingebracht, das dann durch Quecksilber abgesperrt 
wurde. Hierauf trieb man durch reines WVasserstoffgas das 


vom 31. Januar 1859. 87 


Wasser bis auf einen kleinen Theil aus, der zur Ernährung der 
Pflanzen nöthig war und nur die Wurzeln bedeckte. 

Innerhalb 47 Stunden hatten sich sämmtliche Pflanzen im 
Dunkeln auch nicht um eine Spur verlängert. Herausgenommen 
zeigten sie sich gänzlich verwelkt. In den letzten 17 Stunden 
des Versuchs vergröfserte sich das bis dahin constante Volum 
des eingeschlossenen Gases, durch Kohlensäureentwicklung in 
Folge eingetretener Fäulniß. 

In einem anderen, in der nämlichen Weise mit einem ein- 
zigen Erbsenpflänzchen angestellten Versuch, der 44 Stunden 
dauerte, blieb das Volum der Atmosphäre immer das nämliche. 
Zu Ende des Versuchs zeigte sich die Terminalknospe mit dem 
angrenzenden Stengeltheil verwelkt, dagegen der untere Theil 
gesund, und als die Pflanze in Erde gesetzt wurde, trieb sie 
‚nach einigen Tagen eine Seitenknospe aus einem Blattwinkel. 
In einem Controllversuch, angestellt in der nämlichen Art 
it 5 Erbsenpflänzchen mit der einzigen Abänderung, dals die 
Atmosphäre nicht aus Wasserstoff, sondern atmosphärischer Luft 
estand, waren die Erbsenpflänzchen auch nach 48 Stunden 
och vollkommen gesund und um 1 bis 1%, Zoll gewachsen. 
feuchte Erde gesetzt, vegetirten sie sämmtlich freudig weiter. 


Versuch 6. 


Um zu ermitteln, ob in den vorhergehenden Versuchen der 
Wasserstoff an sich dem Wachsthum der Pflanzen schädlich ge- 
vesen sei, oder nur die Abwesenheit des Sauerstoffs, wurde ein 
“ Dunkeln gewachsenes Erbsenpflänzchen in ein mit den offe- 
nen Ende in Wasser tauchendes Glasrohr gebracht, das ein 
asgemisch aus gleichen 'Theilen Wasserstoff und atmosphäri- 
cher Luft enthielt. Innerhalb 28 Stunden war das Pflänzchen 
m 1 Zoll gewachsen und blieb vollkommen gesund. 


Versuch 7. 


Ein im Dunkeln gewachsenes Erbsenpflänzchen wurde in 


asrohr gebracht, so dals es gänzlich in Wasser getaucht war. 
ich 24 Stunden war noch keine Spur eines Wachsthums bemerk- 
bar, und herausgenommen, zeigte sich der Terminaltheil des 


s mit gewöhnlichem, nicht ausgekochtem Wasser gefülltes 


88 Sitzung der physikalisch-malhematischen Klasse 


Stengels in der Länge von circa 1 Zoll mit der Knospe schlafüä 
und verwelkt. Der untere Stengeltheil war elastisch und gesund. 8 

Aus allen diesen Versuchen geht hervor, dafs der Keim 
bei Abhaltung des Sauerstoffs keine Spur eines 
Wachsthums zeigt, und zunächst der Terminaltheil 
des Stengels mit der Knospe, später erst bei länger 
fortgesetztem Versuch und beginnender Fäulnils, 
die ganze Pflanze verwelkt. 

Dafs immer nur der Terminaltheil des Stengels verwelkte, { 


nicht aber die unteren Theile desselben, wenn die voranstehen- 
den Versuche nicht zu lange fortgesetzt wurden, führte mich 


auf folgende Experimente: 


Versuch 8. 


Alle Theile eines im Dunkeln gewachsenen Erbsenpflänz- 
chens durften mit Collodium bestrichen werden, ohne dals ihr 
* Aussehen verändert, oder das Wachsthum der Pflanze im Ge- 
ringsten behindert wurde, nur nicht der Terminaltheil des Sten- 
gels in einer Länge von ungefähr einem Zoll. Sobald dieser 
oberste Theil des Stengels einen Überzug von Collodium er- 
hielt, hörte das Wachsthum sofort auf, und der Theil selbst 
trocknete zusammen. Die Knospe war für immer todt, und erst 
nach einiger Zeit brach an einer andern Stelle in einem Blatt- 
winkel eine Seitenknospe aus. 


Hieraus geht hervor, dafs nur der dicht unterhalb der 
Terminalknospe befindliche Stengeltheil in einer 
Länge von einem Zoll des Sauerstoffs nothwendig 


bedarf. 


= Versuch 9. 


Es wurden auf ein im Dunkeln gewachsenes Erbsenpflänz- 
chen der Länge nach feine blaue Querstriche (aus einer Mi- 
schung von Öl, feingeriebener Kreide und Indigo) in gleichen 
Entfernungen von einander aufgetragen. Die Pflänzchen selbst 
waren an ein Stäbchen befestigt, an dem ebenfalls Behufs der 
Vergleichung eine solche Theilung angebracht war. 


vom 31. Januar 1859. 89 


Durch Beobachtung der Auseinanderschiebung der Quer- 
‚striche während des Wachsthums ergab es sich, dafs das Wachs- 
thum der Erbsenpflanzen immer nur in dem Terminaltheil des 
Stengels in einer Länge von 10—1?2 Linien vor sich geht. 
Denkt man sich diese 10—12 Linien in 3 Theile getheilt, so 
ist in dem obersten und untersten Dritttheil (dicht unter der 
Knospe und 7 bis 12 Linien davon entfernt) das Wachsthum 
‚allemal langsamer als in dem mittleren Drittbeil, wo die Aus- 
einanderschiebung am Stärksten ist. Alle übrigen Theile des 
‚Stengels, die in irgend einem Moment weiter als 10 bis 12 Li- 
nien von dem Anbheftiungspunkt der Terminalknospe entfernt 
sind, wachsen nicht mehr und sind vollkommen entwickelt. 


Aus Versuch 8 und 9 geht hervor, dals nur derjenige 
"heil desStengels, der im Wachsen begriffen ist, zur 
ornahme dieses Lebensprozesses des Sauerstoffs 
bedarf, d. h. der Sauerstoff ist unentbehrlich zur Or- 
ganisation. 
In den Keimblättern findet keine Oxydation?) statt, eben- 
sowenig in den unteren Theilen des Stengels. In den Cotyle- 
donen werden ohne Zutritt des Sauerstoffs durch chemische 
ozesse die Nahrungsstoffe gelöst, gehen durch den unteren 
Theil des Stengels ohne weitere Veränderung hindurch, um in 
der Nähe und dicht unter der Terminalknospe durch den Zutritt 
des Sauerstoffs wahrscheinlich in Zellenmasse verwandelt zu werden. 
Über die Bedeutung des Sauerstoffs für die Wur- 
\ zeln. 
| Ein in ihrer Entwicklung scheinbar abweichendes Verhal- 
| ten zeigen die Würzelchen des Erbsenkeims. 
Während der Stengel sofort aufhört zu wachsen und bald 
zu Grunde geht, wenn er mit Wasser, selbst lufthaltigem, um- 
geben ist (Versuch 7), besitzen die Würzelchen die Fähigkeit, 
‚sich darin, wenngleich nur langsam, zu verlängern. In ausge- 
chtem, unter Öl erkaltetem Wasser hört ihre Entwickelung 
vollständig auf; sie behalten aber dann immer noch eine Zeit 


” *) Vergleiche vorstehende Bemerkung. 


90 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


lang die Fähigkeit, Wasser aufzusaugen und in den Keim über- 
zuführen, bis sie endlich faulen. Auf dieser Fähigkeit der Wür- 
zelchen, den Luftgehalt des Wassers zu ihrer Entwicklung zu 
verwenden, beruht die Eigenthümlichkeit der Saamen mancher 
Landpflanzen, z. B. der Erbsen und Bohnen, auch unter Was- 
ser keimen zu können. 

Übergielst man einen Haufen Erbsen in einem Becherglas 
mit so viel Wasser, dals sie selbst nach dem Quellen damit be- 
deckt sind, so keimen sie fast alle, aber die Würzelchen der 
oberen Erbsen sind auffallend länger, als die der untern, welche 
nach Durchbrechung der Saamenhäute aus Mangel an Sauerstoff 
gänzlich in ihrer Entwicklung stehen bleiben. Die Plumula 
wächst unter Wasser gar nicht und bleibt zwischen den Saa- 
menlappen versteckt. 

Am Reichlichsten entwickeln sich die Wurzelfasern der Land- 
pflanzen in einer lockern, nicht wirklich nassen, sondern nur 
feuchten Erde, die der Luft möglichst freien Zugang gestattet, 
und hauptsächlich darauf beziehen sich die mühsamen, mechani- 
schen Arbeiten des Ackerbaus und wahrscheinlich auch der grofse 
Nutzen der Drainage. Als ich einmal bereits gekeimte Erbsen 
in nasse, fast schlammige Gartenerde setzte, und unter Pappbe- 
deckung vor Zutritt des Lichtes bewahrte, war ich erstaunt, 
auch selbst nach 11 Tagen nur ein höchst unbedeutendes Wachs- 
thum bei ihnen wahrzunehmen. Bei näherer Nachforschung er- 
gab sich als Ursache dieser Erscheinung, dals die Erde sich bei 
gehemmter Verdunstung zu dicken feuchten Klumpen zusammen- 
geballt, die Erbsen fest eingeschlossen und ihre Würzelchen 
meist völlig erstickt hatte. In lockere, feuchte Erde gebracht, 
trieben die Erbsen bald neue Würzelchen und vegetirten im 
Dunkeln freudig fort. | 

Man hat behauptet, dafs der Sauerstoff beim Keimen den 
Anstofs zur chemischen Bewegung für die in den Saamen ent- 
haltenen Proteinstoffe abgebe und sie zu Fermenten umbilde, 
die nachher zu weiteren chemischen Veränderungen die Veran- 
lassung geben. 

Wir haben aber gesehen, dafs der Sauerstoff nicht blols im 
Anfang des Keimens, sondern auch weiterhin nothwendig ist, 


vom 31. Januar 1859. 91 


dafs in jedem Moment, wo der Sauerstoff entzogen wird, auch 
sofort jede Organisation aufhört. Wir haben es also hier nicht 
mit einem Gährungs-, sondern mit einem wirklichen Verwe- 
sungsprozels, mit der andauernden Umwandlung eines Bestand- 
theils des Keims zu ibun, ähnlich, wie in der Kssigbildung, wo 
in jedem Moment der zutretende Sauerstoff durch ein Verwe- 
sungsferment auf den Alkohol übertragen wird, und, sobald man 
den Sauerstoff abhält, sofort auch die Essigbildung aufhört. 
Welcher Bestandtheil aber ist es, der beim Keimen oxy- 
dirt wird? ®) 

Die Hauptbestandtheile der Erbsencotyledonen sind Legu- 
min und Stärkemehl, die durch chemische Prozesse in der Kei- 
mung ersteres zu Eiweils, letzteres zu einem löslichen Kohle- 
‚hydrat gelöst werden, um als solche durch die unteren Theile 
üe Stengels zu den Terminaltheilen zu gelangen. Das Eiweils 

den wir auch nachher als solches wieder, das lösliche Kohle- 
Bydrat aber ist in Cellulose übergeführt worden.?’) Es kann 
keinem Zweifel unterliegen, dals die Cellulose das während der 
Organisation sich bildende Oxydationsprodukt eines löslichen 
Kohlehydrats ist. 
»- Nach welchem Schema auch dieser Verwesungsprozels vor 
sich gehen möge, immer mufs neben einer dem Volum des ver- 
zehrten Sauerstoffs gleichen Menge Kohlensäure gleichzeitig auch 
Wasser und Sauerstoff im Verhältnifs des Wassers austreten, 
wie folgendes Schema deutlich macht: 

2(C,zH,, O,;)d.h. 2At. Traubenzucker + 4 O=12 (CO,) 
#+14(H0) +C,;H,. 0,0. (1 At. Cellulose). 

In der Tbat ist nach den Versuchen Saussure’s das Vo- 
lum der gebildeten Koblensäure immer dem des verzehrten Säuer- 
stoffs gleich und nach Boussingault treten während der Kei- 
” *) Vergleiche vorstehende Bemerkung. 

°) Es ist nicht bewiesen, dafs sich Legumin in Eiweils verwandelt. 
Stärkemehl soll in ein lösliches Kohlehydrat übergehen, worunter Trau- 
benzucker zu verstehen. Die Umwandlung der letzteren in Cellulose, 
| Kohlensäure und Wasser durch einen Oxydationsprozels ist eine Hypo- 
these des Hrn, Verfassers und sollte nach den bisherigen Erfahrungen um- 
gekehrt eher die Bildung von Traubenzucker aus Cellulose vorauszusetzen 
, sein. Rulsbg. 


BL . 


92 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


mung neben Kohlenstoff auch Wasser- und Sauerstoff aus, so 
dals die Saamen durch das Keimen relativ nicht kohlenstoffärmer 
werden. 


Der chemische Proze[s der Organisation, der 
Zellenbildung, ist also nichts Anderes, als die Oxy- 
dation eines löslichen Koblenhydrats zu Cellulose, 
dem wichtigsten unlöslichen Bestandtheil der Pflan- 
zen.®) l 

Mit diesem Ergebnils meiner Versuche stimmen eine grofse- 
Anzahl bisher unverstandener und deshalb unbeachtet gebliebener 
Versuche Saussure’s überein. 

Dieser Forscher beobachtete, dals ohne Zutritt von Sauer- 
stoff Zweig-Knospen im Frühjahr, ebenso, wie Blüthen-Knospen, 
nicht zum Aufbrechen gelangen können; sie sind in sauerstoff- 
freiem Gase wie gelähmt. Nur beim Zutritt von Sauerstoff ent- 
wickeln sie sich und verwandeln dieses Gas ebenso, wie es bei 
der Keimung geschieht, in ein gleiches Volum Kohlensäure. 

Ein ähnliches Verhalten zeigen auch die schon entwickel- 
teren, grünen Pflanzen. Diese starben in Saussure’s Ver- 
suchen in reinem Stick- oder Wasserstoff nach einigen Tagen, 
wenn sie im Schatten vegetirten. Dem Sonnenlicht ausgesetzt, 
fristeten sie, freilich meist schmachtend, ihr Leben längere Zeit, 
weil sie im Sonnenlicht etwas Sauerstoff aus sich selbst ent- 
-wickelten. Nur die langsam wachsenden Sumpfpflanzen hielten 
sich eine unbegrenzte Zeit in Wasser- und Stickstoff und wuch- 
sen darin, weil der von ihnen im Sonnenlicht entwickelte Sauer- 
stoff zu ihrer Vegetation genügte. Wurde aber in dem Reci- 
pienten, in dem sie sich befanden, eine Mischung von Eisenfeile 
und Schwefel aufgehängt, die jenen Sauerstoff absorbirte, so 
hörte jede Spur des Wachsthums auf. 

Es ist unzweifelhaft, dals auch der von den grünen Pflan- 
zentheilen aufgenommene Sauerstoff ebenso, wie bei der Kei- 
mung, selbst im Sonnenlicht, in Kohlensäure verwandel 
wird. Hier aber, wo sie sich sofort zersetzt, ist ihre Nachwei 
sung unmöglich. Dies ist die Ursache, dals man die Bedeutun 
des Sauerstoffs für die Pflanzen so lange verkannte. Dals i 


°) Vergleiche umstehende Bemerkung. 


vom 31. Januar 1859. 93 


der Dunkelheit die grünen Pflanzentheile den aufgenommenen 
Sauerstoff in Kohlensäure verwandeln, hat man bekanntlich schon 
längst wahrgenommen. 

j Sonach gilt das Gesetz, dals der Sauerstoff zum 
Wachsthum, zur Zellenbildung nothwendig sei, 
nicht blols für den Keimungsakt, sondern für jedes 
Stadium der Entwicklung bei den Pflanzen. 


t _—— 


Kurzer Überblick. 


4) Die Pflanzen nehmen nicht blos während der Keimung, 
sondern zu jeder Zeit ihrer Entwicklung, selbst im Sonnenlicht 
(Saussure), Sauerstoff auf. 

2) Die Aufnahme von Sauerstoff ist für ihre Entwicklung 
durchaus nöthig; wird ihnen dies Gas entzogen, so hören sie 
auf zu wachsen und gehen bald zu Grunde. 
; 3) Bekanntlich wird der von den Pflanzen in der Dunkel- 
eit aufgenommene Sauerstoff immer in Kohlensäure verwandelt. 
Es geschieht dies unstreitig auch im Sonnenlicht; nur ist hier 
e Kohlensäure nicht nachzuweisen, da sie von den grünen 
Pflanzen sofort wieder zersetzt wird. 
| 4) Bezeichnen wir bei den Thieren denjenigen zur Erhal- 
tung ihres Lebens nothwendigen Akt mit Respiration, 
der in der Aufnahme von Sauerstoff und Abgabe von Kohlen- 
‚säure besteht, so besitzen alle Pflanzen (ganz aulser Zusam- 
‚menhang mit ihrer Fähigkeit, durch ihre grünen Theile die Koh- 
lensäure zu zersetzen) eine Respiration, gleich den Thie- 
ren. Die Respiration ist ein für die Erhaltung der 
Lebensthätigkeit aller Organismen nothwendiger 
Akt. 
5) Die Pflanzen besitzen kein besonderes Respirationsorgan. 
Es respiriren ausschlielslich und immer nur diejenigen Theile, 
die in der Entwicklung begriffen sind, und zwar vorübergehend 
nur so lange, als sie wachsen. Es sind dies bei jungen Pflan- 
zen immer nur die Terminaltheile der Knospen. 

6) Das wichtigste Produkt der Respiration bei den Pflan- 

zen ist die Cellulose, die durch Oxydation eines in allen 


94 Sitzung der phys.-math. Klasse vom 31. Januar 1859. 


Pflanzensäften nachweisbaren Kohlehydrats, des Dextrins, Tra 
benzuckers u. s. w. entsteht. ?) 
7) Die vornehmste Funktion der Respiration bei den Pflan- 
zen ist die von der Cellulosebildung abhängige Organisatio 
des Nahrungssaftes. Die Zellenbildung ist deshalb völlig 
unabhängig vom Sonnenlicht. Die Pflanzen wachsen, wie die 
Thiere, auch in der Dunkelheit. 
8) Die lothrechte Richtung des Wachsthums der jungen 
Pflanzen steht ebenfalls in keiner Beziehung zum Sonnenlicht. 


g 


”) Vergl. vorstehende Bemerkung. 


Ö ; 


Nachtrag. 


Friederich der Grofse und sein Staatsminister 
Freiherr von Zedlitz. 


Eine Skizze ans dem preulsischen Unterrichtswesen. 


Me ortrag zur Feier von Friederichs des Grolsen Geburtstag am 27. Jan. 1859. 


3 Von Hrn. Trendelenburg. 


» 
% 


. 


"Ein froher Tag führt uns heute zusammen. Im Begriff, 
n vaterländischer Erinnerung das Gedächtnils Friederichs des 
Grolsen zu feiern, grüfst uns wie ein helles Zeichen der Zukunft 
die Kunde, dafs ein Sprols des Königshauses geboren ist, der, 
so Gott der Herr will, bestimmt ist, einst Preulsens Geschichte 
weiter zu tragen. 
{ Indem wir, dankbar aufblickend, die freudige Bewegung un- 
“sers Königshauses und unsers Vaterlandes mitempfinden und ihre 
E Wünsche theilen, wenden wir, von Hoffnungen der Zu- 
kunft belebt, gern unser Auge zu dem Polarstern der preufsi- 
schen Geschichte, zu Friederich dem Grofsen. 

Wenn die erste Hälfte von König Friederichs des Zweiten 
Regierung vornehmlich durch kriegerische Thaten bezeichnet ist, 
‚so gehört die zweite unter dem Schutz des schlagfertigen Arms 


r vielseitigen Entwickelung des gesicherten Reiches an. Kaum 
ruhte die blutige Arbeit des Krieges, kaum hatten heldenmüthige 
Kämpfe einen ruhmreichen Frieden erworben, so beginnen die 
rastlosen Bestrebungen des Königs von Neuem, nach Er Rich- 
tungen die Kraft des Landes und des Volkes menschlich auszu- 
bilden. Erst beide Seiten zusammen vollenden sein grofses Bild. 
Die letzte ist stiller und geräuschloser als die erste. An dem 
_ ehernen Denkmal, auf welchem Friederich, von den "Tugenden 


96 Nachtrag. 


getragen, über den Genossen seines Lorbeers als der gebietende 
König erscheint, bringt uns nur die Rückseite unter dem Zei- | 
chen des Palmenzweiges die tiefsinnigen schaffenden Männer vor 
Augen, welche uns den grolsen Inhalt der Friedensjahre dar- N 
stellen, die Gesetzgebung und Verwaltung, die Wissenschaft und #' 
Kunst. Ein Name, der an dieser Seite des Denkmals, unter den | 
Gestalten von Schlabrendorff und Finkenstein neben den W 
Namen von Cocceji, Herzberg, Domhardt seine würdige 
Stelle fände, möge uns heute beschäftigen. Denn es liegt dem 
Beruf der Akademie nahe, in dankbarer Erinnerung die ec 
haltige, aber dennoch leichter vergessene Thätigkeit von Män 
nern zu erneuen, welche Preulsen geistig anbauien. m 

Dieser Name heilst Zedlitz. Den Freiherrn Karl Abra- } 
ham von Zedlitz Leipe') batte Friederich früh hervorgezos 
gen und im Jahr 1770 zu dem Minister sich erwählt, welcher 
seine Absichten auf Erziehung und Bildung ins Werk setzte. 
Wie in Friederichs (Seneralen Funken seines Heldengeistes er- 
scheinen, so erscheint in einem solchen Minister eine Fortsetzung. F 
seiner regierenden Gedanken, eine ausführende Hand seines # 
Geistes. 
An den Namen Zedlitz möge es heute erlaubt sein Rn 
Skizze aus dem preulsischen Unterrichtswesen anzuknüpfen. | 

Friederich der Grolse verfalste im December 1769 einen ® 
Brief „über die Erziehung” mit besonderer Rücksicht auf Preu- 
fsen?). Schon mehrere Male hatte er über Fragen der Erzie- 
hung und zwar für besondere Zwecke gehandelt, wie z. B. 1751 
in der Anweisung an den Major Borcke,°) den Erzieher sei- 
nes Neffen, des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm II, und 
4765 in der Anweisung für die Leitung der neu angelegten 
Ritterakademie in Berlin*). Der Brief über die Erziehung er- 
schien im Jahre 1770 und der König übersandte ihn an den 
Minister von Münchhausen mit dem Befehl, den Inhalt bei 
den Universitäten zu berücksichtigen. Schon im Januar des 
nächsten Jahres trat der Freiherr von Zedlitz in das Depar- 
tement der lutherischen Kirchen- und Schulsachen ein und der 
Brief über die Erziehung bezeichnet uns des Königs Absichten 
zu der Zeit, da er Zedlitz an die Spitze des Unterrichtswe- 


sens stellte. 


Anhang. 97 


Dem König schwebt in diesem Briefe das Beispiel der grie- 
bischen und römischen Erziehung vor, welche eine Fülle gro- 
(ser Männer hervorgebracht. In den Gymnasien vermilst er, 
dals die Schüler nicht gewöhnt werden selbst zu denken und 
nicht früh ihr eigenes Urtheil üben. In demselben Sinn for- 
dert er, dafs die Universitäten, statt nur das Gedächtnils der 
ugend zu füllen, die wichtigste Seite, den Gebrauch des Ver- 
tandes ausbilden; und in demselben Sinn tadelt er, dafs die Stu- 
lirenden keine eigenen Aufsätze schreiben. Selbst im weibli- 
hen Unterricht hebt er die Nothwendigkeit hervor, die Ver- 
nunft mehr zu entwickeln. Allenthalben ist das Selbstdenken, 
das Selbsturtheilen, des Königs erster Gesichtspunkt. Schon in 
Anweisung an den Erzieher seines Neffen findet sich der 
usdruck: „es genügt nicht, ihm die Geschichte wie einem Pa- 
pagei beizubringen”. 

fl Der König wirft in dem Briefe auf die Universitäten einen 
scharfen Blick. Obwohl Halle und Frankfurt a. O. so gute 
Lehrer hätten, als die Zeit sie darbiete, so bemerke man doch, 
dals dort nicht mehr das Studium der griechischen und lateini- 
schen Sprache so im Schwange sei, wie vordem. Es scheine, 
dals diese guten Deutschen, der tiefen Gelehrsamkeit, welche 
ie ehemals besalsen, überdrüssig, gegenwärtig mit dem minde- 
stens Aufwand berühmt werden wollen; sie hätten das Beispiel 
tiner benachbarten Nation, welche sich begnüge liebenswürdig 
zu sein und sie würden immer oberflächlicher. Der König ta- 
delt die Professoren, die zufrieden sind Collegienleser zu sein, 
and vermilst die persönliche Unterweisung. Selbst in den Stoff 
des Unterrichts läfst er sich ein. In der Medicin empfielt er, 
statt des Systems von Hoffmann oder eines obscuren Arztes, 
ie Werke Boerhave’s und in der Astronomie und Geometrie 
ewton, in der Philosophie lobt er Thomasius und statt 
Christian Wolfs Lehre, in welcher die Monaden und die 
ästabilirte Harmonie so abgeschmackt und unverständlich seien, 
‚als die substantiellen Formen des Aristoteles, dringt er auf ein 
Studium Locke’s. Später vermilst der König in der Schrift 
‚über die deutsche Litteratur ?) auf den Universitäten eine allge- 
‚meine Methode der Wissenschaften, da die gute Methode doch 
nur Eine sei. 

[1859.] 7 


98 Anhang. 


Der König klagt ferner in dem Briefe über die weichliche” 
Erziehung im Adel, namentlich in dem reichen Theile desselben; 


Erziehung. Es dürfe in den Ämtern die Geburt nicht über das 
Verdienst siegen. Wo das geschähe, würde die Regierung die’ 
traurigsten Folgen erfahren. Der König betont hier diesen Ge- 
danken, wie einst in der Anweisung an den Erzieher seines Nef- 
fen, der lernen soll, dafs alle Menschen gleich sind und dals die 
Geburt, die nicht durch Verdienst gestützt wird, ein Hirnge-' 
spinnst ist‘). Indem er auf die richtige Erziehung dringt, setzt 
er im Briefe hinzu: „Kurz, ich bin überzeugt, dals man aus dem 
Menschen machen kann, was man will.” Gegen das Vorurtheil, 
als ob Kunst und Wissenschaften die Sitten verweichlichten, erklärt 
er sich entschieden. „Alles,” sagt er, „was den Geist erhellt, 
alles was den Kreis der Kenntnisse erweitert, erhebt die Seele 
statt sie herabzustimmen.” Auch für den Stand des Offziers 
fordert er gründlichere Bildung. Nach dem Vorbild der römi- 
schen Gesetze will der König eine strengere väterliche Erzie- 
hung und daher eine Ausdehnung der väterlichen Gewalt bis 
ins 26ste Lebensjahr des Sohnes. 7 

Schliefslich will er eine Veredelung der weiblichen Erzie- 
hung, und tadelt scharf die höheren Stände, welche ihre Töch- 
ter nur dazu erziehen, dafs sie gefallen. i 

In diesem Sinne verbreitet sich der Brief über den höhern 
Unterricht und die Erziehung in den höhern Ständen. An dem 
Volksunterricht und der christlichen Erziehung geht er schwei- 
gend vorüber. x 

Für den allgemeinen Sinn dieser kleinen Schrift ist es am 
bezeichnendsten, dals die Übung des eigenen Urtheils, der An 
bau des schliefsenden Verstandes, kurz das Selbstdenken als die 
Seele des Unterrichts betrachtet wird. In demselben Sinne fin- 
det sich noch in dem berühmten Schreiben des Königs an den 
Etatsminister Freiherrn von Zedlitz vom 3. September 1779 
über den Unterricht der Jugend wiederholt der Ausdruck 7): 
„Wer zum besten raisonniren kann, wird immer zum weitesteu 
kommen, besser als der, der nur falsche Schlüsse zieht.” Im 


Anhang. 99 


Jegensatz gegen die gedächtnilsmälsige Überlieferung eines un- 
verstandenen Stofles, gegen die blinde Gewöhnung angelernter 
Vorstellungen, gegen die Geistesträgheit der Schüler, wie der 
Lehrer, hatte diese Stimme, welche den alten Unterricht auf- 
ttelte, eine erweckende Macht. Zedlitz stimmt mit dieser 
Forderung überein und sie wird ein Grundgedanke seiner Wirk- 
'samkeit. Er sucht Lehrer, die einer bessern Methode mächtig 
sien und andere Lehrer zu einer bessern Methode anleiten kön- 
en und versteht unter dieser besseren Methode eine solche, 
welche selbstzudenken lehrt. So schreibt er noch im Jahre 1783 
‚Dr. Freylinghausen®), damals Direktor der frankischen 
S\ tungen, da es sich um die Ernennung eines Inspektors am 
Pädagogium handelt, in einem uns abschriftlich vorliegenden 
Briefe: „Es ist wohl nichts Unleugbareres, als dafs die Kinder 
gar nicht zum Selbstdenken gewöhnt werden. Das geschieht 
t beim Religionsunterricht, wo blols heilige Worte und 
Sprüche ins Gedächtnils gezwungen werden, ohne an Sinn und 
Verstand zu denken. Es geschieht auch nicht beim Sprachun- 
richt, wo man nur auf Vocabeln sieht und der Schüler 
echterdings nichts von den exponirten Sachen versteht. Dies 
finde ich leider in den meisten Schulen so, wo auch die frömm- 
ten und gelehrtesten Leute unterrichten, denen es sonst gewils 
wahre Religion und um wahre Kenntnils der Alten zu thun 
i Das Hindernils aber besteht in dem Mangel richtiger zweck- 
mälsiger Methode.” Wir sehen hier die didaktische Fortsetzung 
Bestrebungen, welche damals mit einem neuen und schönen, 
mit einem noch unvernutzten und noch unbefleckten Namen 
Aufklärung hielsen, an welchen die kräftigsten Geister der Na- 
wie an einer Angelegenheit der Menschheit Theil nahmen. 
Im Jabre 1784 beantwortete Kant in der Berliner Monats- 
schrift die dort aufgeworfene Frage: was ist Aufklärung?) an 
welcher sich gleichzeitig Mendelssohn versucht hatte, und 
hob seinen Aufsatz mit der Antwort an: „Aufklärung ist der 
Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündig- 
keit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes 
\obne Leitung eines Andern zu bedienen. Selbst verschuldet ist 
\diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Man- 
‚gel des Verstandes, sondern der Entschliefsung und des Muthes 
7. 


100 Anhang. 


en 


liegt, sich seiner ohne Leituug eines Andern zu bedienen. San 
pere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu 
bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.” Die bes- 
sere Methode, für welche Zedlitz im Sinne seines Königs Or- 
gane suchte, ging, bewulst oder unbewulst, auf dies Ziel der 
Mündigkeit hin. So erscheint das didaktische Streben in einem 
grölsern Zusammenhang. 

Kant hat Recht, wenn er in demselben Aufsatz auf Friede- 
rich den Grofsen mit den Worten deutet: „Ich höre von allen 
Seiten rufen: räsonnirt nicht! Der Offizier sagt: räsonnirt nicht, 
sondern exercirt! Der Finanzrath: räsonnirt nicht, sondern be- 
zahlt! Der Geistliche: räsonnirt nicht, sondern glaubt! Nur 
ein einziger Herr in der Welt sagt: räsonnirt, so viel Ihr 
wollt und worüber Ihr wollt, aber gehorcht!” Kant hätte 
noch mehr sagen können. Dieser Herr wollte sogar, dafs als 
denkende Wesen die Menschen raisonniren lernten; und 
stellte seinem Minister die Aufgabe es lehren zu lassen. 

Die Methode, welche sich auf das eigene Urtheil und das 
eigene Denken der Studirenden stützt, hat auf der Universität, 
auf welcher nach dem wissenschaftlichen Ziele Forschen und 
Lehren und selbst Lernen und Mitforschen Hand in Hand gehen 
müssen, unbestrittene Geltung. Nur über den Weg, wie sich 
die Forderung erfüllen lasse, wird man getheilter Meinung sein. 
Zedlitz handelte im Sinne des Briefes über die Erziehung, 
wenn er im Jahre 1772 bei der Revision des Königsberger 
Lectionskatalogs Examinatorien vermilst und aufgiebt,‘°) und 
noch im Jahre 1785 an der Universität Halle zufolge ihrer Ak- 
ten durch eine Verordnung Examinatorien einzuführen ver- 
sucht, '') welche, wenn nicht mit allen, doch mit den Haupt- 
collegien sollen verbunden werden. Der Bericht der Universität 
sagte voraus, dals nach der Erfahrung sich die Studirenden nur 


sehr schwach betheiligen würden. 

Sicherer als dieses zweifelhafte Mittel für den grolsen Zweck, 
war die Anregung, welche Zedlitz den philosophischen Studien 
auf den Universitäten zu geben suchte. Es bezeichnet die Höhe 
seines Geistes, dals er selbst an den letzten Fragen des Wis- 
sens rege und thätig Theil nahm; und schon früh bewegt er 
sich in dieser Richtung. Als er in Halle Rechtswissenschaft 


Anhang. 101 


studirte, sah Friederich der Grolse den jungen Schlesier 
voll glücklicher Anlage. Damals hatte wahrscheinlich der König 
das Gespräch über Locke, dessen er in dem Briefe über die 
Erziehung nicht ohne einigen Spott erwähnt, '?) und zwar mit 
Professor Meier, der blols an seinen Baumgarten gewöhnt 
war; er befahl ihm über Locke zu lesen. Das Collegium fand 
nur 4 Zuhörer, aber unter diesen war auf des Königs Antrieb 
der jugendliche von Zedlitz. Später, da er schon Minister 
ist, sehen wir ihn in einer wissenschaftlichen Beziehung zu 
Kant und zwar schon zu einer Zeit, da Kant noch nicht seine 
Kritik der reinen Vernunft herausgegeben hatte und sein Name 
noch unbekannter war.'?) Dr. Herz, ein Lieblingsschüler 
Kant’ s, hatte zu Berlin im Jahre 1777 vor einem gemischten 
Publikum Vorlesungen über Logik und Einleitung in die ge- 
sammte Philosophie eröffnet und der Staatsminister von Zed- 
litz war einer seiner aufmerksamsten Zuhörer. Im folgenden 
hre studirt er die physische Geographie nach einem in Kant’s 
Vorlesungen entstandenen Hefte und bittet Kant in einem eigen- 
Bändigen Briefe mit sichtlichem Verlangen, ihm ein sorgfältiger 
| nachgeschriebenes zu verschaffen. 
Es ist das Rescript merkwürdig, das Zedlitz unter dem 
2. Dec. 1775 an die ost-preulsische Regierung erläfst, um die 
Universität Königsberg zu Fortschritten anzuregen. Es heilst darin 
unter Anderem: „Da unsere landesväterliche Absicht dahin ge- 
| het, dals auf unsern Universitäten die Köpfe der Studirenden 
nicht mit nahrungslosen Subtilitäten verdüstert, sondern aufge- 
‚heitert und durch die Philosophie besonders zur Annahme und 
Anwendung wahrhaft nützlicher Begriffe fähig gemacht werden 
sollen, so sehen wir ungern, dals auf dortiger Universität die 
Crusianische Philosophie, über deren Unwerth die erleuchtetsten 
Gelehrten längst eins sind, noch gelehrt wird.” Es wird ferner 
rauf gedrungen, dals sich die Professoren der Weitläuftigkeit 
‚enthalten, da der gedachteste Vortrag allemal der kürzste sei, 
und dals sie z. B. die Pandektenlehre und das Lehnrecht in 
nem Halbjahr lesen. Endlich wird die Aufsicht über die 
Sitten der Studirenden eingeschärft, und es wird gehofft, dafs 
von den Studirenden eigentlich gelehrte und unzweideutige Pro- 
ben des Fleilses sichtbar werden. So legt der Minister an die 


102 Anhang. 5 
1 
Universitäten das Maafs an, das ihrem eigenen Wesen inne- 
wohnt, das Maafs des wissenschaftlichen Fortschrittes und treibt 
sie mit ihrem eigenen Geiste, dem Geist der Wissenschaft, 
vorwärts. j 

Ein eigenhändiger Brief an Kant vom 28. Mai 1778 zeigt 
des Ministers freudigen Eifer für die Wirksamkeit seiner Uni- 
versitäten und den tieferen Blick, mit welchem er ihre Lehrer 
würdigte. 

Es war Meier in Halle verstorben, der, ein Schüler 
Baumgartens, zu den berühmtesten Wolfianern gehörte, 
Zedlitz berief Kant. Durch eine ablehnende Antwort über 
rascht, schrieb er ıhm unter Anderm: 

„Ich kann meinen Wunsch, Sie nach Halle zu ziehen, nicht 
aufgeben. Es ist zu schlimm, dafs Ihre Denkungsart mit Ihrem 
Amte so genau übereinkommt. — Wirklich, so lobenswürdig 
dies an sich ist, so schlimm dünkt es mir, dals Sie mit so vie- 
lem philosophischen Kaltsinne eine so calculatorisch richtige 
Verbesserung ausschlagen. Und doch wiederhole ich den An- 


trag — — und bilte Sie zu erwägen, dals ich jetzt mit nicht 
ungegründeter Hoffnung eines guten Erfolges daran arbeite, 
Halle so empor zu bringen, als es jemals gewesen ist.” Der A 
Minister nennt nun einige vorzügliche Männer, wie z. B. Ka r- 
sten, Meckel, und sagt: „Die theologische Fakultät ist bes- 
ser besetzt als irgendwo in Europa, und sollte einer der All 
tagsmänner abgehen, so bole ich mir den Herrn Griesbach 
wieder.” Indem er Kant an die Pflicht erinnert, in einem weitern 
Zirkel gemeinnützige Kenntnisse und Licht auszubreiten, sagt 
er gegen den Schluls: „Erwägen Sie, dafs die in Halle studi- 
renden 1000 bis 1200 Studenten ein Recht haben, von Ihnen 
Unterweisung zu fordern, deren Unterlassung ich nicht verant- 
worlen möchte.” 

Als Kant zufrieden und sich beschränkend der alten Wirk- 
samkeit in Königsberg, seiner Vaterstadt, treu blieb: ehrte der 
Minister Kant’s beharrliche Gesinnung und machte wiederholt 
die Universität auf den Schatz aufmerksam, welchen sie in Kant 
und dessen Lehrthätigkeit besitze. So erkannte Zedlitz sei- 


Anhang. 103 


nen Mann, ehe noch, wie ein Jahrzehend später, Kant’s Ruhm 
durch Deutschland ging. Es würdigte der Minister den im 
Stillen die Reform der deutschen Philosophie vorbereitenden 


"Kant mit tieferem Blick, als damals unsere gelehrte Körper- 
schaft, welche ihn erst im Jahr 1786 zum Mitgliede der Aka- 
") demie erwählte. 

Das befriedigende Einverständnils mit der Universität Halle, 
| dessen der Brief an Kant gedenkt, dauerte nicht lange. Die 


| Händel des Dr. Bahrdt thaten darin einen Rißs. Dr. Bahrdt, 


| der auf Betrieb des Weihbischofs zu Worms wegen unchrist- 
| licher Lehre vom Reichshofrath geächtet war, kam im Mai 1779 


| plötzlich nach Halle, um dort zu lesen. In Erfurt hatte er als 
Professor der Philosophie den heterodoxen Zeitgeist für sich 
| 


ausgebeutet; in Graubünden und in Heidesheim war er als zwei- 
ter Basedow aufgetreten, aber hatte dabei gemeine Zwecke ver- 
folgt. In seiner Übersetzung des neuen Testaments, welche 
er unter dem Namen der neusten Offenbarungen Gottes heraus- 
| gegeben, hatte er die christlichen Worte getilgt, z. B. Sünde 
‚ in Verdorbenheit der Grundsätze, Evangelium in Merkwürdig- 
keiten aus dem Leben Jesu oder in den Ausdruck der liebens- 
'würdigsten Religion verwandelt, und das Tiefe ins Flache ge- 
zogen. Überhaupt verwusch er das Christenthum in eine des 
| Aberglaubens entledigte gemeinnützige Moral des Lebensgenusses. 
\ Die ‚Übersetzung des neuen Testaments und seine Schrift: die 
‚ Lehre von der Person und dem Amte des Erlösers, waren 
‚Gegenstand der Anklage geworden. Bahrdt war verurtheilt 
' entweder zu widerrufen oder das Reich zu meiden. Seiner 
Stelle als General-Superintendent in Dürkheim entsetzt, irrte er 
‚ umher. Leichtfertig in seinem Lebenswandel, unruhig in sei- 
nem Wesen, gewandt Aufsehen zu machen und das grolse Pu- 
blikum für seine Gedanken zu erregen, begabt, aber balb ge- 
lehrt, konnte er der Universität Halle nicht genehm sein. _ Sie 
betrachtete ihn als einen Mann, dessen Berührung die Jugend 
‚anstecke und wünschte ihn entfernt zu sehen. In diesem Sinne 
berichtete der Senat.'‘) Des Ministers Bescheid war scharf 
und abfällig. Dem Dr. Bahrdt, der, nicht ohne sein Vor- 
wissen nach Halle gekommen war, gestaltete er philosophische, 


—_ 
104 Anhang. 


nur nicht theologische Vorlesungen zu "halten. Indem er der 


Universität Intoleranz, Sectirerei und Verfolgungsgeist vor- 
warf, '?) stach er mit diesen Worten insbesondere in das Herz 
des würdigen Semler, der in Halle in einer dem Grübeln und 4 
Frömmeln abgeneigten Zeit denkende und forschende Geistliche 
bildete. Der Minister hiels sogar in einem eigenen Briefe 
Bahrdt in Halle willkommen. '°) „Ich freue mich ,” schreibt 
er, „dals Sie doch Einen Zufluchtsort in Deutschland haben fin- 
den können, und dals dieses gerade in unsern glücklichen Staa- 
ten ist.” Er hat für Bahrdt eine innere Neigung. Gern 
würde er ihn als Lehrer an einem Seminar anstellen, aber er 
scheut doch, wie er an einen vertrauten Mann schreibt, '") die 
„Klerisei” vorsätzlich dagegen aufzubringen. ‚Ich halte es für 
Pflicht,” sagt er, „das Fersenstechen des Aberglaubens nicht zu 
achten, wenn ich den Weg über die Schlangs nehmen muls; 
allein wenn ich vorbeigehen und doch an Ort und Stelle kom- 
men kann, warum soll ich da das Beest erst zischen machen? es 
ist ja doch eine Teufels- Musik.” Wiederholt nimmt er sich 
Babrdts gegen die Universität an, obgleich es der theologischen 
Fakultät wohl anstand, sich von dieser zweifelhaften Bundesge- 
nossenschaft ihres eigenen Freisinns loszusagen und ernste Kri- 
tik von flacher oder frivoler Negation zu unterscheiden. An 
die philosophische Fakultät, welche den Vorlesungen Bahrdt’s 
über Quintilian und dem Disputatorium Hindernisse entgegen- 
stellt, schreibt der Minister im Namen des Königs 30. October 
4779'°): „Unser Ober-Curatorium will nicht hoffen, dafs Ihr 
von dem sehr unrühmlichen Parteigeist der theologischen Fa- 
kultät seid angesteckt worden. Daher Ihr auch von dergleichen 
für Unsere Zeiten so unschicklichem Fanatismo abzustehen be- 
fehliget werdet.” Des Ministers Liebe für Bahrdt war doch“ 
verschwendet. Vergebens ermahnt er ihn in einem Brief durch 
ein vorsichtigeres Leben den Schein abzuthun, '”) „‚dals die freie 
Denkungsart mehr aus den Begierden des Herzens als aus der 
Überzeugung des Verstandes entsprossen sei.” „Bei Ihrer Ge- 
sinnung,” fragt er ihn, °°) „wollen Sie Jugendlehrer, Erzieher 
bilden?” Zuletzt wurde das Maals voll. Als Bahrdt in Halle 
eine Weinwirthschaft für Studirende eröffnet, oder, wie es in 


Anhang. 105 


dem Reskript heifst, *') als Dr. Bahrdt ein neues Erwerbungs- 
mittel dadurch ausfindig macht, dals er eine Freimaurerloge an- 
gelegt hat und darin junge Leute für nicht unbeträchtliche Re- 
ceptionsgebühren aufnimmt, befielt Zedlitz dem Unfug zu 
steuern. Dies geschah indessen schon unter der folgenden Re- 
gierung im Sept. 1787. 

Der Cultusminister, der dem leichtfertigen Dr. Bahrdt 
Jahre lang die ruhige Wirksamkeit der theologischen Fakul- 
tät preisgab, welche er kurz zuvor die beste in Europa 
genannt hatte, verhält sich ungefähr, wie der philosophi- 
sche König, der auf den Verfasser des Buchs „der Mensch 
eine Maschine,” der auf einen La Metrie eine Lobschrift 
schrieb und in ihm nur den Verfolgten sah. Doch darf man 
bei der Emerson einen politischen Grund nicht übersehen, 
den Zedlitz auch in dem Bericht an den König berührt. Der 
Reichshofrath hatte die Verbannung verfügt. Die Protestanten 
mulsten ihm das Recht bestreiten, sich um das zu kümmern, was 
sie als Protestanten thaten, und über evangelische Bücher zu 
urtheilen und sie zu verdammen, so lange sie das Corpus Evan- 
_ gelicorum nicht verdammt. Daher ziemte sichs wenigstens, 
über dem von einem solchen Übergriff Betroffenen die preufsi- 
sche Hand zu halten.””) Auf keinen Fall wird man in diesen 
"hallischen Vorfällen die eiserne Consequenz vermissen, mit der 
Friederichs Regierung, der es galt, Duldung und Glaubensfrei- 


heit dem Staate einzuprägen, vor keiner Folge zurückwich. 

gi Wie Zedlitz, der Minister Friederichs des Zweiten 
die Theologie auffalste, ist aus Bahrdts Sache zur Genüge er- 
sichtlich... Wo er Theologen beruft, beruft er sie im Sinne 
„vernünftiger” Theologie, aber er jücht die wissenschaftlich be- 
gründenden Vertreter, wie er sich z. B. um Schröckh, Dö- 
derlein, Rosenmüller bemüht. Immer stellt er die philo- 
hische und allgemein wissenschaftliche Bildung als die be- 
stimmenden Mächte der Cultur voran. Da er bei Döder- 
lein’s Berufung nicht gleich gewähren kann, was gewünscht 
wird, schreibt er an Nicolai, den Vermittler in dieser Sache *°): 
„in einem Lande wo man Sulzere, Lamberts, Mendels- 
sone, Eberharde, Engels hat, da muls man doch auch 


106 Anhang. 


nach ein bischen vernünftiger Theologie nicht so lecker thu 
als wenn man in seinem Leben noch keine gespürt hätte.” 

Keinen Theil der \WVissenschaften versäumte er; vielmehr 
kannte er den Werth aller. So stellte er z. B. in Königsberg, 
Kraus an, der für die Lehre von der Staatswirthschaft wich- 
tig wurde, den Physiker Reusch, den Chemiker Hagen; nach 
Halle berief er Johann Reinhold Forster, Kooks Be 
gleiter auf der Weltumseglung, Friederich August Wolf 
für Duisburg richtete er seine Absichten auf Heeren.”*) R 

Im September 1779 sprach der König ausführlich mit dem 
Freiberrn von Zedlitz über den Unterricht in den Schulen, 
Der dabei gegenwärtige Geheime Cabinetsrath Stellter mulste 
den Inhalt der Unterredung nachschreiben und in die Form 
eines Schreibens an den Minister bringen.°’) Zedlitz führt 
alsbald mehreres aus, was der König angedeutet hat; und es ist 
schön zu sehen, wie der Minister sich auch in den Gegenständen 
der Gymnasien mit eigener Lust bewegt. So lernt er z. BE. 
noch Griechisch. Mit seinem Secretair, dem spätern Bibliothe- 
kar Biester, liest er die Klassiker und begleitet die gemein- 
same Lectüre mit feinen Bemerkungen und treffenden Sacher- 
klärungen; er nimmt Studien der Mathematik und Mechanik auf 
und urtheilt z. B. über eine herausgekommene „Vorbereitung 
zur Geometrie für Kinder” richtiger als der Philolog Christian 
Gottfried Schütz, damals Inspector am theologischen Se- 
minar in Halle.’°) Allenthalben bat er sein Augenmerk auf 
die anregende Methode gerichtet; allenthalben sucht er sich die 
rechten Männer, Schütz, Meierotto, Niemeyer, Gedike, 
und sieht ihr Werk wie das seine an. So schliefst er z. B. 
einen Brief an Schütz unter dem 7. Mai 1776 mit den Wor- 
ten”’): „Leben Sie wohl und bedenken Sie, dals man sich 
durch nichts dem grofsen Geist, dem Schöpfer der Welt, mehr 
nahet, als wenn man Menschen besser und zum allgemeinen End- 
zweck brauchbarer macht. Lassen Sie uns stolz sein, dals wir 
zu so einem Amt berufen sind, und wir wollen nicht mülsige 
Hände in den Schools legen.” i 

So suchte der Minister vom Mittelpunkte aus die Kräfte zu 
beleben, aber nicht in falscher Centralisirung zu beschränken. 


Anhang. 107 


\Die Lehrer empfanden es. „So vortreffliche Gesinnungen,” 
schreibt Schütz, „würden auch den kältesten und unthätigsten 
Arbeiter haben zur lebhaftesten Betriebsamkeit entflammen müs- 
sen.” Überhaupt suchte Zedlitz die rechten Männer und mit 
ihnen in das Eigenthümliche ihrer Aufgabe und in den Werth 
ihres Berufs tief eingehend, steigerte er ihre Kraft und liels sie 
freudig empfinden, dals ihre Thätigkeit nicht versäumt und nicht 
vergessen sei. So setzte sich des Königs scharf abgerissener 
Befehl, dessen Ton auch wol des Ministers Verfügungen an- 
\schlagen, den Einzelnen gegenüber in eine warm und mild be- 
lebende Kraft um. 
= Wenn der König die Einkünfte für die grölsten Zwecke des 
Staats haushälterisch zusammenbielt, so war der Minister des Un- 
terrichts durch knappe Mittel in seinen besten Entwürfen allent- 
halben beengt. In Halle griff er dazu, den neuen Bau der Bi- 
bliothek selbst den Gehalten der Professoren abzusparen.”*) In 
solcher Lage waren Übelstände unvermeidlich. Milsgriffe der 
Einzelnen glich der Minister würdig und schonend aus, trotz der 
begangenen Fehler die Verdienste der Männer anerkennend, ihre 
bessere Seite anregend und ihre Thätigkeit aufmunternd. Es 
iebt davon ein in der Autographensammlung der hiesigen Bi- 
"bliothek aufbewahrter Briefwechsel des Ministers mit einem sei- 
ner Zeit nicht unberühmten Professor der Rechte in Halle ein 
‚schönes Zeugnils. 
BE Zedlitz wulste, dafs auch Höheres als Geld die Gelehrten 
\ an Preußsen fesselte. So schreibt er an Frdr. Aug. Wolf, 
‚den Philologen, als er ihn nach Halle beruft, ihm aber äufserlich 
ur eine schmale Lage bieten kann ’’): „Sie legen es mir da- 
‚durch zur doppelten Pflicht auf für ihr besseres Fortkommen in 
| Balle zu sorgen, wo doch Freiheit im Denken, Zusammenflufs 
Be Männer und Zulauf von Zuhörern Sie auch einiger- 
malsen entschädigen wird.” 


| 
EL, In jenem aus der mündlichen Anweisung entstandenen 


\ „Schreiben des Königs an den Etatsminister Freiberrn von Zed- 
litz” bilden die auctores classic den Kern der Schule und zwar 
‚die griechischen so gut als die lateinischen. Die in unsern Ta- 
\ gen oft verhandelte Frage, ob Latein oder kein Latein in den 


108 Anhang. 


höhern Bürgerschulen, durchschneidet der König mit den Wor- 
ten: „Lateinisch müssen die jungen Leute auch absolut lernen, 
davon gehe Ich nicht ab; es muls nur darauf raffinirt werden 
auf die leichteste und beste Methode, wie es den jungen Leuten 
am leichtesten beizubringen; wenn sie auch Kaufleute werden, 
oder sich zu was anderm widmen, wie es auf das Genie immer 
ankommt, so ist ihnen das doch allezeit nützlich und kommt 
schon eine Zeit, wo sie es anwenden mögen.” Der König ver- 
gilst indessen nicht hinzuzusetzen: „Eine gute deutsche Gramma- 
tik, die die beste ist, mufs auch bei den Schulen gebraucht wer- 
den, es sei nun die Gottsched’sche oder eine andere, die zum 
besten ist” Dies kurze Wort des Königs, das einen Zweifel 
an der noch im Jahre 1776 wieder aufgelegten Grundlegung 
einer deutschen Sprachkunst von Gottsched zu enthalten schien, 
blieb nicht müfsig. Der Minister wandte sich an Adelung, 
der seit 1774 sein grolses Wörterbuch der hochdeutschen Mund- 
art herauszugeben begonnen hatte; und es erschien schon im 
Jahre 1781 „Johann Christoph Adelungs deutsche Sprachlehre. 
Zum Gebrauche der Schulen in den Königl. preulsischen Lan- 
den.” Die Widmung spricht den Dank dem Minister aus, der 
durch die Ausführung des würdigen Gedankens, die deutsche 
Sprache auf deutschen Schulen grammatisch zu lehren und zu 
lernen auch der Sprachkenntnifs neue und fruchtbare Aussichten 
verschafft habe. Das Buch blieb bis in das zweite Jahrzehend 
unsres Jahrhunderts in den Schulen. 

In jenem Schreiben liegt dem König besonders der Unter- 
richt in der Rhetorik und Logik am Herzen, auf welchen er 
wiederholt zurückkommt. Für die Rhetorik empfielt er den 
Quintilian und dessen Methode. ,‚Zum Unterricht in der Lo- 
gik,” setzt er hinzu, „ist die beste im Deutschen von Wolf; 
solche ist wohl ein bischen weitläuftig, aber man kann sie abre- 
giren.” „Im Joachimsthal und in den andern grolsen Schulen 
muls die Logik durchgehends gründlich gelehret werden, auch 
in den Schulen der kleinen Städte, damit ein jeder lernt einen 
vernünftigen Schluls machen in seinen Sachen; das muls sein.” 
Ferner sagt der König im Widerspruch mit dem, was neuerlich 
in Frankreich und auch wol sonst ins Werk gesetzt wird: „und 


Anhang. 109 


was die Philosophie betrifft, die mufs von keinem Geistlichen 
‚gelehret werden, sondern von Weltlichen, sonsten ist es ebenso, 


I s. w. In demselben Sinne hatte Friederich der Grolse 
im Jahre 1765 in seiner „Anweisung für die Leitung der Ritter- 
akademie in Berlin” die philosophischen Cursen genau bestimmt. 
\Für die Gymnasien blieb der Wille des Königs nicht ohne 
Frucht. Engel, der Verfasser des Philosophen für die Welt, 
\gab im Jahre 1780 seinen „Versuch einer Methode die Vernunft- 
‚lehre aus platonischen Dialogen zu entwickeln” heraus, in wel- 
‚chem er den Menon des Plato zum Grunde legt, damit die Schü- 
‚ler selbst die Begriffe abstrahiren und sich selbst die Wissen- 
"schaft unter Anleitung des Lehrers gleichsam erfinden. Das 
Buch ist dem Freiherrn von Zedlitz zugeschrieben, auf dessen 
Frage, wie Philologie und wissenschaftlicher Unterricht zu ver- 
einigen, es entstanden ist. Es war übrigens nichts Neues, was 
der König wollte. Luther hatte mitMelanchthon in demEnt- 
wurf der lateinischen Schule den Unterricht in der Dialektik 
und Rhetorik angeordnet. Melanchthon hatte dafür ein Lehr- 
buch verfalst. Philologen, wie Facciolati und Gelsner, 
" Ernesti und Wyttenbach, hatten andere geschrieben. Der 
| alt überlieferte Gegenstand erhielt nur durch des Königs Ansehn 
| und durch Engels Arbeit einen neuen Antrieb und setzte sich 
auf den preulsischen Gymnasien in der philosophischen Propä- 
' deutik fort, welche nur erst seit etlichen Jahren äufserst be- 
schränkt und jetzt fast im Verschwinden begriffen ist. Für die 
| philosophische Bildung gehen dadurch eingeschulte Elemente 
verloren und für die Universitätsvorträge die Anknüpfung an 
‚sichere Vorbegriffe. Ja, der König behauptet in jenem Schrei- 
| ben: „Die jungen Leute lernen in den Schulen alles desto leich- 
ter; denn wenn sie nachher auf Universitäten sind, so lernen 
| sie davon nichts, wenn sie es nicht aus der Schule schon mit 
\ dahin bringen.” 

Aus Meierotto’s Leben ’°) ist ersichtlich, wie eifrig und 
| | genau Zedlitz alle Anordnungen des Königs in dem ihm unter- 
U gebenen Joachimsthalschen Gymnasium auszuführen bemüht war, 
und wie einsichtig der König selbst in einer Unterredung mit 


110 Anhang. 


Meierotto, dem Rector des Joachimsthalschen Gymnasiums, 
den Erfolgen, namentlich im Unterricht der Rhetorik, nach- 
forschte. Fi 

Es war ein richtiger Griff des Ministers, die neuen Schul, 1 
bücher nicht von methodisch geübten Fachlehrern, sondern viel- 
mehr von Forschern und Meistern, wie Adelung und Engel, 
schreiben zu lassen. f 

Obwohl der Akademie nicht vorgeordnet, denn damals stand 
sie unmittelbar unter dem König, hatte der Minister von Zed- 
litz für ihre Arbeiten Theilnahme bewiesen. Sie wählte im 
Jahre 1776 den wissenschaftlichen, um den öffentlichen Unter- 
richt verdienten Mann zum Ehrenmitgliede. Der König bestä- 
tigte die Wahl mit besonderer Befriedigung und Zedlitz hielt 
beim Eintritt einen französischen Vortrag „über den Patriotis- 
mus als Gegenstand der Erziehung in den monarchischen Staa 
ten.” Es geht durch den Vortrag, der die Vaterlandsliebe des 
Volkes in die Hand der Geistlichen und Lehrer legt, eine Wärme 
durch, welche den Verfasser doppelt ehrt, da er Staatsmann ist, 
Vieles, z. B. eine besondere Liebe für das Nützliche, verleugnet 
darin den Geist des Tages nicht. Es fehlt eine tiefere Auffas- 
sung der Geschichte, welche doch mit dem Thema verwandt ist, 
und am Schluls wird in dieser Beziehung nur das Beispiel und 
die Geschichte des grolsen Königs als ein Hebel der Vaterlands- 
liebe hervorgehoben. Wo der Verfasser die Triebfeder der 
Monarchie bespricht, weist er mit Recht Montesquieu’s halben 
Gedanken zurück, der sie nur in der Ehre sieht, und verlangt 
statt ihrer Tugend, Gehorsam und Dankbarkeit, indem er die 
Gesinnung in der gerechten Monarchie des Selbstregenten von 
der Sklavenfurcht des Despotismus unterscheidet. 

In die Zeit, da Zedlitz an der Spitze des preulsischen Un- 
terrichtswesens stand, fällt die pädagogische Bewegung, welche 
von Basedow ausging. Es war der Grundgedanke, dals aut 
unserm ganzen Unterricht der Schulstaub früherer Jahrhunderte 
liege und der Unterricht noch die Farbe des Mönchthums trage. 
Alles arbeite darin der Natur entgegen. Es müsse diejenige 
Erziehungsmethode in Schwang kommen, die weislich aus der 
Natur selbst gezogen sei. Die Verstandesbildung sei die Haup 


Anhang. 111 


ache, denn auch der Weg zum Herzen gehe durch den Kopf. . 
ie Gedächtnißsbildung mache leicht dumm; das Sprachstudium 
ei nur für die Sache da. Des Wissenswürdigen sei so viel ge- 
orden, dals alles Überflüssige weggeschafft werden müsse, um 


atz für das Nothwendige zu gewinnen. Zu dem Überflüssi- 
gen gehören die todten Sprachen, die im Leben so wenig An- 
wendung finden. Man solle das Latein lernen, wie eine neue 
Sprache. Auf Realien komme es an. Alles Lernen müsse vom 
Anschaulichen ausgehen; es müsse so leicht als möglich gemacht 
werden, damit die Kinder nach Lust und spielend lernen. Ge- 
gen die Weichlichkeit der Zeit bedürfe es der Abhärtung und 
der Gymnastik. Bis ins 1öte Jahr solle der Knabe nur als 
Weltbürger behandelt werden. Der Mensch sei von Natur gut; 
Gott liebe Alle als Allvater; die Kinder lieben auch von Natur 
die Menschen; sie sollen daher zu Menschenfreunden und Welt- 
bürgern erzogen werden. Daran schlielst sich Basedow’s allge- 
meine Gottesverehrung, seine natürliche Religion, seine deisti- 
sche Poesie an. Für diese Gedanken errichtet er das Philan- 
thropinum in Dessau im Jahre 1774 und verfalst er sein Ele- 
mentarwerk mit 100 Kupfertafeln. Für diese Gedanken ruft 
caow in stürmischem Eifer die Theilnahme Deutschlands 
wach und fordert zur Beisteuer auf. Die bedeutendsten Män- 
ner horchen mit Vertrauen dieser Stimme. Kant RAPEPR das 
Unternehmen; Lessing lobt das Philanthropinum; * *) Euler 
unterschreibt das günstige Zeugnils der Petersburger Akademie.” °) 
Ein neuer Tag sollte der Jugend und durch die Jugend der 
Welt anbrechen. 

Es waren die Gedanken der Zeit und sie stimmten mit dem, 
was Zedlitz suchte. Er förderte sie seines Theils. In sei- 
nem Vortrag bei der Aufnahme in die Akademie pries er Base- 
dow’s Elementarwerk. 

© Mit Wahrem war Falsches gemischt, und das Wahre, das 
gegen den Mechanismus des alten Unterrichts ging, war so blen- 
' dend ausgeführt, dals man vor dem Schein, den es warf, das 
Falsche im Grunde des Wesens nicht sah. Aber es konnte 
 micht fehlen, dafs das Flache und Falsche eine taube Saat er- 
zeugte. Es war unmöglich, dafs eine gute Erziehung, welche 


112 Anhang. 


immer die Stille sucht, vor den Augen Europa’s konnte getrie- 


ben werden. Es war verkannt, dafs weder Verstandesbildung 
anders erworben wird, als durch Arbeit am gediegenen Stoff, i 
noch Wille und Gesinnung je aus blofser Verstandesbildung 
herstammen. Es war undenkbar, dals es ohne Mathematik und 


ohne Klassiker eine echte Bildung solle geben können. Es war 


unsinnig zu glauben, dafs die natürliche Religion, ein Abhub des 


Verstandes, das Gemüth des Kindes solle ergreifen oder gar 


die tiefen Anschauungen des geschichtlichen Christenthums solle 


ersetzen können, 


Die schärfste Kritik erfuhr der gegen die Theologie gerich- 


tete Satz, dals der Mensch von Natur gut sei, durch Friederich 
den Grofsen, der, ohne es zu wissen und zu wollen, gegen 


diesen Gedanken französischen Ursprungs dem Dogma zu Hülfe 


kam. Der König fragte einmal den von ihm hochgeschätzten 


Sultzer, dem er die Leitung der Schulanstalten in Schlesien 


aufgetragen hatte, wie es damit gehe. Sultzer antwortete: 


seitdem man auf dem Grundsatz, dals der Mensch von Natur gut 
sei, fortgebaut habe, fange es an besser zu gehen. „Ach,” er- 


wiederte der König, im Widerspruch mit dieser gutmüthigen, 
schwachherzigen Pädagogik, „Ihr kennt nicht genug diese ver- 


. . ER 4 
wünschte Race, welcher wir angehören.” °*) 


Männer, welche tiefer blickten und schärfer sahen, wie 


Schlözer und Plank,-durchschauten das Luftige und Grols- 


sprecherische des Plans. Auch der Philolog Schütz, von dem 
Minister zur Untersuchung der Sache nach Dessau gesandt, hatte 


gleich Anfangs ungünstig berichtet. Das Philanthropinum zer- 
fel bald und Basedow verkam. Aber die Anregungen, die es 
gegeben hatte, dauerten fort; wir messen sie an Namen von 


Männern wie Salzmann, Campe, Rudolf Zacharias 
Becker, und selbst Dohm, welche alle durch das Philanthro- 


pin durchgegangen waren, und sich auf ihre Weise praktisch 


eine Bahn brachen. Es war indessen schwerlich der richtige 
Gedanke, eine solche Pädagogik, in ihrer Richtung eudämoni- 
stisch, in ihren Mitteln Aaach, als Theorie an die Universität Halle 


zu verpflanzen. Der Minister berief Trapp aus dem Philan- 


thropinum als Professor der Pädagogik. Milsstände zeigten sich 


RE RLEET 


Anhang. 113 


bald. Ihm fehlte, was ihm auf einer Universität Halt geben 
konnte, gründliche Wissenschaft. Wo die Methode als die 
Form nicht zugleich aus dem tiefer erfalsten Inhalt herauswächst, 
wird sie leer; und auf eine blofse Methode läfst sich so wenig 
eine Professur gründen, als auf ein Schema. Der Minister stellte 
Trapp an die Spitze des Erziehungsinstitutes, das er zur Pflanz- 
schule geschickter, methodisch gebildeter Lehrer errichtet hatte. 
Der Plan desselben war von basedowschen Gedanken durchzo- 
gen, aber die Ausführung war gründlicher und wissenschaftlicher, 
da der Minister für die Leitung Männer, wie Karsten, Eber- 
hard, Sprengel gewonnen hatte. Vergebens suchte Trapp 
durch eine Ansprache „über das Hallische Erziehungsinstitut” 
‚eine gröfsere Theilnahme der Eltern zu erregen.’’) Das In- 
stitut hatte keinen längern Bestand. Als Trapp im December 
1782 seine Entlassung begehrt, um nach Holstein, in seine Hei- 
mat, zurückzukehren, berichtet der Minister an den König: „ich 
halte dafür, dafs sein Verlust nicht unersetzlich ist,” und fügt 
hinzu, dals er wegen der Stelle mit einem geschickten Mann im 
Hannoverschen fast schon richtig sei. Dieser Mann war Frdr. 
Aug. Wolf, dessen Berufung für die Entwicklung der philo- 
logischen Studien in Deutschland solche Bedeutung gewann. °°) 

Seit alter Zeit war die Sorge für die Volksschule eine in 
Preufsens Regierung überkommene Angelegenheit. Durch die 
‚Reformation war der Gedanke der allgemeinen Schulpflicht 
‚durchgedrungen. In dem Bereich der katholischen Kirche war 
bis ins vorige Jahrhundert nur stolsweise etwas für den Volks- 
unterricht geschehen. Im protestantischen Deutschland hatten 
insbesondere die von dem edeln und frommen A. H. Franke 
ausgehenden pietistischen Bewegungen die Bestrebungen für den 
"Volksunterricht neu beseelt. In Berlin war mit der von dieser 
‘Seite gegründeten Realschule ein Lehrerseminar verbunden. Un- 
‚ter König Friederich Wilhelm I. hatten die sogenannten prin- 
eipia regulativa die Schulen eng an die Kirchen angeschlossen 
und die Schullehrer den Predigern zur Aufsicht und Unterwei- 
sung untergeben. Noch im August 1763 nach eben beendigtem 
‚siebenjährigen Kriege erliels der rs das wichtige General- 

[1859.] 8 


114 Anhang. 


Landschul-Reglement, das indessen aus Mangel an Mitteln nicht z 
durchgeführt wurde. & 
Im katholischen Schlesien wurden um diese Zeit die ersten 
katholischen Volksschulen geschaffen. Es war das Verdienst des 
Abts und Prälaten von Felbiger, der im Jahre 1762 im 
Stillen, aber mit höherer Erlaubnils, einige katholische junge 
Männer zum Besuche des lutherischen Seminars nach Berlin 
sandte. Der damals in Schlesien dirigirende Minister vonSchla- 
brendorf unterstützte diese Bestrebungen und es kamen schon 
bereits am Ende des Jahres 1765 katholische Schullehrerseminare 
in Schlesien zu Stande und Friederich der Grofse unter- 
zeichnete am 3. November 1765 das von Felbiger ausgear- 
beitete Landschulreglement für die Römisch-Katholischen in 
Städten und Dörfern des souveränen Herzogihums Schlesien 
und der Grafschaft Glatz. So blühte in Friederichs Schle- 
sien der katholische Volksunterricht auf und das schöne Beispiel 
leuchtete weithin. Denn die Kaiserin Maria Theresia berief 
1774 denselben Abt von Felbiger, um die Reform des öster- 
reichischen Schulwesens in seine Hände zu legen.’ ’) 
Inzwischen bildete sich in der Mark zu einer neuen Gestal- 
tung der Volksschule ein anderer Mittelpunkt; es war eine Er- 
scheinung von hervorragender Eigenthümlichkeit. Auf Rekahn 
bei Brandenburg sals seit Jahrhunderten die Familie von Ro- 
chow. Ein Sprols derselben, Friederich Eberhard von 
Rochow, der die Schlachten von Lowositz und Prag mitge- 
fochten und verwundet den Abschied genommen hatte, Domherr 
am Dome zu Halberstadt, empfand mit dem verwahrlosten Volk 
Erbarmen und legte muthig Hand ans Werk, indem er die Schu- 
len zu Rekahn und Gethin freigebig erneuerte und geistig pflegte, 
1772 seinen „Versuch eines Schulbuchs für die Kinder der 
Landleute” und ein Lesebuch „der Bauernfreund” schrieb, spä- 
ter unter dem Namen des von Rochowschen Kinderfreundes oft 
herausgegeben, und in seinem Lehrer Bruhns den rechten Ar- 
beiter in dem Weinberge seiner Schulen suchte und fand. Ihn 
trieb christlicher Sinn. Er wünschte zu Schullehrern Candi- 
daten der 'Theologie und verlangte von ihnen die Gesinnung 
eines Missionars, ohne welche die Lehrer Miethlinge bleiben 


! 


Anhang. 115 


würden. Dabei traute er der Aufklärung des Verstandes unbe- 
schränkt und dachte sie in keinem Gegensatz gegen die eigent- 
liche Bestimmung des Landvolks. °°) Tiefer gegründet und 
sich weiser beschränkend, nachhaltiger und ruhiger als Basedow 
war er doch von Basedow’s Richtung mitergriffen und sandte 
Lehrer zur Ausbildung nach Dessau. Seine Schulen wurden 
Muster. Man unternahm Reisen nach Rekahn, wie z. B. der 
Geograph Büsching that, der die seine beschrieb. Aus vielen 
Gegenden Deutschlands wurden Lehrer hingesandt und selbst 
über Deutschland hinaus weckte Rochow’s Beispiel Nacheife- 
zung. Der katholische Abt von Felbiger setzte sich mit ihm 
wie mit einem Genossen gleichen Strebens in Verbindung und 
‚seine Briefe an Herrn von Rochow sind ein schönes Zeugnils, 
wie man damals für das gemeinsame Ziel der Volkserziehung 
über die Kluft der Kirchen hinüber einander die Hand reichte.’ ?) 
Der Freiherr von Zedlitz sah in ihm den Mann, der ihm, 
wie er sich ausdrückte, zur Beförderung der grolsen Absichten 
des besten Königs in der Verbesserung des Unterrichts der Land- 
jugend kräftige Beihülfe gewähren könne. „Dals ein Domberr,” 
so schreibt er ihm unter dem 17. Januar 1773, „für Bauerkinder 
Lelirbücher schreibt, ist selbst in unserm aufgeklärten Jahrhun- 
‚dert eine Seltenheit, die dadurch noch einen höhern Werth er- 
hält, dals Kühnheit und guter Erfolg bei diesem Unternehmen 
gleich grols sind. Heil, Lob und Ehre also dem vortrefflichen 
Manne, den nur die Rücksicht auf die Allgemeinheit des Nutzens, 
welcher gestiftet werden kann, zu solchen Unternehmungen an- 
treiben konnte.” *°) 

= Wir sehen nun beide Männer Hand in Hand gehen. Ihr 
‚an Einzelheiten reicher, von gleichem Streben getragener Brief- 
‚wechsel giebt dazu sprechende Belege. Zu zwei verschiedenen 
“Malen im Jahre 1774 und 1779 kommt der Minister nach Re- 
kahn, um die Schulen selbst zu sehen und selbst zu prüfen. Im 
‚Briefwechsel mit Herrn von Rochow kommen die Hindernisse 
zur Sprache, die ihm bei der Ausführung, namentlich auch bei 
‚dem Könige, aufstolsen. Wie Friederich gern seine Akade- 
miker aus Frankreich oder der Schweiz berief, so war es ein bei 
ihm wiederkehrender Gedanke, Schulmeister aus Sachsen zu ho- 

s® 


116 Anhang. f 
% 


len. Es war merkwürdig wie Friederich noch im sieben- 
jährigen Kriege, drei Tage vor dem Hubertsburger Friedenschlufs, 
von Leipzig aus plötzlich die Nachricht geschickt hatte, dafs er 
acht Schulbalter in Sachsen angenommen habe, mit dem Befehl, 
vier in Hinterpommern und vier in der Kurmark anzustellen, 
Von Neuem war davon die Rede. Der Minister wünscht es 
nicht und auch Rochow widerräth es. Der Dialekt mache 
die Sachsen den Landleuten unverständlich und am Ende hätten 
sie doch immer keine patriotische Wärme für unsern Staat. 
Dies Mal unterblieb die Sache.‘ ') 

Im Jahr 1779 kreuzte eine andere Gefahr alle Hoffnung. 
zur Verbesserung der Landschulen. Der König befahl dem 
Minister, die Invaliden, welche sich zu Schulmeistern schick- 
ten, anzustellen, ‚‚denn,” schrieb er, „die Leute meritiren 
untergebracht zu werden, indem sie ihr Leben und Gesund- 
heit für das Vaterland gewaget haben.” Freiherr von Zed- 
litz schreibt darüber an von Rochow im Jahr 1781:*?) 
„Fast muls ich auf die Aufnahme der Landschulen ganz Ver- 
zicht thun; der König bleibt bei der Idee, dafs die Invaliden zu 
Schulmeistern genommen werden sollen. Er vermengt die Bil 
ligkeit, verdiente Leute zu belohnen, mit der Pflicht, brauchbare 
Menschen zu bilden. Ich habe selbst in einzelnen Fällen mit 
meinen Vorstellungen nichts ausrichten können.” Büsching 
nennt das Jahrhundert Friederichs des Grolsen nach dieser Sei 
das Jahrhundert der Invaliden. 

Mit Herrn von Rochow bespricht der Minister die Ein- 
richtung von Musterschulen, Seminarien und Armenschulen. 


Das Armenwesen lag sehr darnieder; das Betieln war eine 
Landplage geworden. Auf des Königs Befehl nahm der Mi- 
nister von Zedlitz im Jahr 1775 die Sache für alle Provinzen 
in die Hand und führte insbesondere den Grundsatz durch, dafs 
sich jede Gemeine ihrer Armen annehme.‘’) Um selbst mit 
dem Beispiel einer Armenschule voranzugehen, falst er den Plan 
eine der Berliner Armenschulen in eigene Aufsicht zu nehmen. 
Er lälst einen Lehrer in Rekahn bilden, und errichtet vor dem 
Königsthor in der Nachbarschaft seines Hauses eine Schule, wo- 
hin die um ihn herum wohnenden Handwerker und Ackerbürger, 


Anhang. 117 


"und zwar die Armen unentgeltlich, ihre Kinder schicken. Er 
' lälst seinen eigenen Sohn diese Schule besuchen.‘ *) 

So sehen wir den rastlos strebenden Minister mitten in den 
Wissenschaften und wieder bei den Schulbüchern und bei der 
' Bildung von Lehrern; mitten in den Universitäten und Gymna- 
sien und selbst persönlich in der eigenen Armenschule. Nichts 
ist ihm zu klein, Alles beseelt er; Kleines und Grolses begreift 
er in den Einen Gesichtspunkt des allgemein Nützlichen. 

DesNützlichen,desBrauchbaren. Dalser diesen Begriff 
' nicht platt, sondern höher falste, dafür bürgt seine philosophische 
| Liebe, seine edlere staatsmännische Weise. Aber dennoch lag 
darin die Grenze seines Geistes, wie überhaupt der Zeit, welche 
' Friederich ausgeprägt halte. 

Wir erwähnen dabei nur Eine Mafsregel, welche den Unter- 
\ richt, unser eigentliches Thema, nur berührt. 

Zedlitz hatte als Chef des geistlichen Departements und 
als Präsident des Ober-Consistoriums wesentlichen Antheil an 
‚ der Einführung eines neuen Gesangbuches.'”) Es war in sei- 
nem Sinne, dafs Männer wie Ditrich und Teller, neue Lie- 
der auswählten und alte verbesserten. Klopstock hatte an 


den alten einst Ähnliches versucht. Allein wie es überhaupt 
| eine milsliche Sache ist, eine ursprüngliche Poesie mit nachge- 
| kommenen Empfindungen zu verändern, so ist es am schwie- 
rigsten Lieder umzumodeln, in welchen einst die Kirche ihre 
Gefühle wiederfand und an welchen von Geschlecht zu Ge- 
schlecht die lieb gewordene Erweckung frommer Empfindungen 
hängt. Am wenigsten war aber die nüchterne Ansicht der 
Zeit, die verständige Ansicht der Theologie zu solchen vorgeb- 
lichen Verbesserungen der Lieder berufen. Es konnte nicht 
fehlen, dals das Ursprüngliche verwischt und das Eigenthümliche 
ins farblose Allgemeine gezogen wurde, wodurch sich ebenso 
‚sehr die Kirche als die Poesie für beschädigt halten konnte. Im 
Vertrauen dafs der König ein solches vernünftigeres Gesangbuch 
billigen werde, war es nicht für nöthig erachtet, seine Geneh- 
migung vorher einzuholen. Ohne eine solche wurde im Jahr 
1780 das „Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch in den 
"Königlich preufsischen Landen” bekannt gemacht und die Ein- 


118 Anhang. 7 


führung in alle lutherischen Kirchen des Landes befohlen. Viele 

Gemeinden widerseizten sich, und der König, von mehreren 

Seiten angerufen, erliels im Januar 1781 im Sinne der von ihm 

vertretenen Toleranz den Bescheid: „obwol das neue Gesang- 

buch verständlicher, vernünftiger und dem wahren Gottesdienst 

angemessener sei, so solle kein Zwang geschehen, sondern jeder 

Glaube hierunter ganz freie Hände haben und behalten” Wenn 

er eigenhändig hinzusetzte: „Ein jeder kann bei mir glauben, | 
was er will, wenn er nur ehrlich ist. Was die Gesangbücher 

angeht, so stehet einem jeden frei zu singen: „Nun ruhen alle 
Wälder” und dergleichen dummes und thörichtes Zeug mehr:” 

so ihut dieser Seitenblick dem schönen Liede Paul Gerhardts 

so wenig Eintrag, als den alten deutschen Gedichten das Urtheil, 

das der König im Jahre 1782 an den Herausgeber Myller als 

Dank für die Einsendung schrieb: „die Gedichte seien keinen 

Schufls Pulver werth.” Aber wichtiger ist es zu bemerken, wie 

die consequente Durchführung eines grolsen Grundsatzes, des 

Königs Anerkennung der Glaubensfreiheit, das wieder gut 

machte, was die eigene einseitige Richtung, welche in des Mi- 

nisters Verfahren zu Tage kam, gefehlt hatte. 

Dem Minister von Zedlitz war aufser dem geistlichen De- 
partement die Criminaljustiz anvertraut. Es war darin das Ziel 
seiner unablässigen Arbeit, die Sorgfalt in Verhütung der Ver- 
brechen, die Menschlichkeit in Behandlung der Gefangenen, die 
weise Milde in Zuerkennung der Strafen immer weiter zu ver- 
breiten.‘ °) 

Aus diesem Gebiet seiner Thätigkeit heben wir nur Eins 
heraus, weil es den Mann bezeiehnet. In dem merkwürdigen 
Ereignils des Müller- Arnoldschen Prozesses hatte der König, 
schlecht berichtet, den falschen Verdacht geschöpft, dals die Ge- 
richte, vor welchen nach seinem Willen der Bauer dem Prinzen 
gleich sein sollte, einen Edelmann gegen den klagenden Müller 
begünstigt und das Recht gekränkt hätten, und ward aus Eifer 
für die Gerechtigkeit ungerecht. Schon hatte er den Grols- 
kanzler von Fürst unwillig entlassen und drei Kammergerichts- 
räthe verhaftet; und gab nun dem Minister von Zedlitz den 
Befehl, gegen die drei schuldigen Kammergerichtsräthe auf Kas- 


4 


Anhang. 119 


sation und Festungsstrafe und gegen den Präsidenten der neu- 
märkischen Regierung auf Amtsentsetzung zu erkennen. In der 
Ördre fügte der König die Drohung hinzu: wenn dies nicht mit 
aller Strenge geschehe, werde der Freiherr von Zedlitz sowol 
als auch das Criminal- Collegium es mit Sr. Majestät zu thun 
kriegen. Indessen ergab die Untersuchung, dafs in der Sache 
kein Richter parteilich verfahren war. Vergebens suchte der 
"Minister den König durch einen Bericht des Criminalsenats zu 
überzeugen. Der König sah darin nur den Eigensinn der Rich- 
ter, welche unter einander gegen ihn durchstechen wollten. 
Keine Wegenvorstellung fruchtete. Da hatte Zedlitz den 
Muth, dem Könige zu antworten, dals er nicht wider sein Ge- 
"wissen und seine Überzeugung handeln könne. Er schrieb: '”) 
„Ich habe Ew. Königl. Majestät Gnade jederzeit als das gröfste 
Glück meines Lebens vor Augen gehabt und mich eifrigst be- 
müht, solche zu verdienen; ich würde mich aber derselben für 
‚unwürdig erkennen, wenn ich eine Handlung gegen meine Über- 
zeugung vornehmen könnte. Aus den von mir und auch vom 
Criminalsenat angezeigten Gründen werden Ew. Königl. Ma- 
 jestät zu erwägen geruhen, dafs ich aulser Stande bin, ein con- 
‚demnatorisches Urtbeil wider die in der Arnoldschen Sache ar- 
retirten Justizbeamten abzufassen.” Darauf erliels der König 
‚die verurtheilende Kabinetsordre. ,„WVenn sie also nicht spre- 
chen wollen, so thue ich es und spreche das Urtheil” — „Übri- 
‚gens,” so schlols der Bescheid, „will Ich Euch noch sagen, 
wie es Mir lieb ist, dals Ich Euch bei dieser Gelegenheit so ken- 
‚nen lernen, und werde nun schon sehen, was Ich weiter mit 
"Euch mache. Wornach Ihr Euch also richten könnt.” Durch 
des Ministers Standhaftigkeit blieb die ungerechte Verurtheilung 
ein Befehl, aber wurde kein preufsisches Rechtserkenntnifs. 
_ Trotz der Drohung blieb Zedlitz bei dem König in Achtung 
— ein seltenes Zeugnils für beide. 

9 Es ist eine Freude zu sehen, dafs Friederichs Zeit nicht 
blos auf dem Schlachtfelde Männer hervorbrachte. 

A Dieser Zug sittlicher Kraft und sittlichen Grundes vollendet 
das Bild des für Menschen und Menschenbildung unermüdlich 
thätigen, alle Lebensbeziehungen menschlich und edel auflassen- 


120 Anhang. 3 
den Mannes. Selbst in Friederich des Grofsen Lichte 
verbleicht ein solcher Stern nicht. 

Begleiten wir Zedlitz noch einige Augenblicke in die fol- 
gende Regierung hinüber. 

Es lag in dem Gang der Dinge, dafs ein kirchlicher Rück- 
schlag erfolgte und bald auch den Minister traf. Veranlassungen 
zu einer solchen Gegenbewegung sind uns auch in dieser Skizze 
des Unterrichtswesens begegnet. Das Historische in den Con- 
fessionen war gekränkt, das Positive zurückgestellt, und was 
darauf gebauet war, fühlte sich unsicher. Friederich hatte 
auch die Religion, wie davon das an Zedlitz erlassene Schrei- 
ben einen Beweis enthält, in’s blofs Nützliche gezogen; und in- 
dem seine Staatskunst den Staat als Ganzes, den Staat als Person 
hoch hob, wie kaum je vor ihm geschehen, falste sie die Men- 
schen eigentlich nur als Kräfte an diesem Ganzen und an dieser 
Person des Staats, als Kräfte, welche benutzt und abgenutzt wer- 
den, und nicht als Menschen, die in sich selbst Werth haben. 
Es bleibt die schöne Wirkung der Kirche, in welcher, so lange 
sie ihrem Beruf treu ist, der einzelne Mensch nimmer einen 
blofsen Marktpreis hat, einer solchen Staatsansicht, welche am 
Ende die Menschen nur als Stoff des Staats betrachtet, die Wage 
zu halten, indem sie als geistige Macht den Werth wahrt, wel- 
cher dem allgemeinen Staat entgegengesetzt ist, den Werth des 
Menschen als Einzelnen, in welchem sie das Unvergängliche 
sucht, des Menschen als Person in sich. Von dieser Seite 
konnte eine Gegenströmung sogar heilsam wirken. Aber, 
schlimm genug; sie erfolgte nicht mit geistigen Mitteln, son- 
dern mit den Künsten der Finsternifs. Zedlitz wich im Jahre 
1788 einem Wöllner. 

Ehe er es that, binterliels er noch Eine Einrichtung, welche 
für Preufsens Entwickelung wichtig wurde. Im Unterrichts- 
wesen war die wissenschaftliche und bürgerliche Seite längst so 
gewachsen, dafs sie über den Kreis der Theologie und über die 
Bildung und Vorbildung der Theologen hinausging. Die Con- 
sistorien konnten von ihrem Standpunkt das Ganze nicht mehr 
übersehn. Darin lag die innere Nothwendigkeit, das Schul- 
wesen vom geistlichen Stande mehr zu trennen. Zedlitz hatte 


Pr 


| 


Anhang. 121 


den selbstständigen Fortschritt des Unterrichtswesens im Auge, 
da er den Plan erdachte, ein Oberschulcollegium als unabhängige 
oberste Behörde neben das Consistorium zu stellen. König 
Friederich Wilhelm Il. vollzog diesen Entwurf, bald nach- 
dem er den Thron bestiegen.“ *) 

Es konnte nicht fehlen, dafs die 18jährige Wirksamkeit eines 
solchen Ministers auf Preufsen einen Eindruck machte, zwar 
‚einen einseitigen, aber bedeutenden. 

Es wäre ein Beitrag zur vaterländischen Geschichte, Zed- 
litzens zerstreute Briefe zu sammeln, ungedruckten nachzu- 
spüren, die Acten zu durchforschen, und aus diesen Quellen ein 
vollständiges Bild seines Wesens und Wirkens darzustellen. Wir 
wünschen dieser Aufgabe eine würdige Lösung. 

Inzwischen hat Kant ihm ein Denkmal gestiftet, das mit 
-der „‚Kritik der reinen Vernunft” von Jahrhundert zu Jahrhun- 
dert dauern wir. Kant widmete sie ihm und in der Zueig- 
mung schreibt er unter Anderm, auf Zedlitz, den philosophi- 
‚schen Staatsmann hinblickend, mit philosophischem Bewulstsein, 
leise, aber deutlich: „Wen das speculative Leben vergnügt, dem 
ist, unter mälsigen Wünschen, der Beifall eines aufgeklärten, 
‚gültigen Richters eine kräftige Aufmunterung zu Bemühungen, 
‚deren Nutzen grols, ob zwar entfernt ist, und daher von ge- 


meinen Augen gänzlich verkannt wird.” 


Als hierauf nach den Statuten eine Übersicht der Personal- 
veränderungen in der Akademie der Wissenschaften seit der 
öffentlichen Sitzung am 28. Januar 1858 gegeben wurde, ver- 
weilte der Vortrag bei dem Verlust des Herrn Johannes 
Müller mit folgenden Worten: 

Sein wissenschaftliches Gedächtnis ist anderweitig von be- 


‚rufenen Männern, und in dieser Akademie am Leibniztage durch 


einen ausführlichen Vortrag des Hrn. du Bois-Reymond, be- 
gangen worden. Nur wenige Worte mögen dem entfernter 
‚Stehenden von seinem Standort erlaubt sein; denn niemand geht 


gern an einer Erscheinung von solcher Bedeutung stumm vorüber. 


Je riesenhafter die Erfahrungswissenschaften in sich wach- 


‘sen und je mehr sie sich aus diesem Grunde in einzelne neben 


122 Anhang. 


AN 


einander liegende Gebiete theilen, je mehr indessen dadurch 
auch das allgemeine Studium in Besonderheiten zu zerfallen droht: 
desto höher steht ein umfassender Geist da, wie Joh. Müller 
war. Der Logik der Thatsachen zugethan führt er die Theorie 
bis zu den Anknüpfungspunkten der philosophischen Betrachtung. 
Sein beobachtendes Auge fesselt ihn an die Erscheinung und 
sein sinnender Geist zieht ihn in die Tiefe. Seine Physiologie, 
reich an Thatsachen und Zergliederungen, führt das Leben bis 
in die Regionen, in welchen es auf metaphysischen Voraussetzun- 
gen ruht, und dann wieder bis dahin, wo es, wie in der Seelen- 
lehre, in die Vorhalle des Eihischen eintritt, oder, wie in den 
Sinnen, das Ästhetische bedingt. In Johannes Müller war 
das philosophische Studium ein wesentliches Bildungselement sei- 
nes Geistes. Was er als Naturforscher war, war er nicht trotz 
der Philosophie, sondern von ihr milgetragen, wie z. B. in sei- 
nem bleibenden Werke, der Physiologie des Gesichtssinnes. 
Den platonischen Constructionen der modernen Naturphilosophie | 
hing er nur vorübergehend an, aber er war und blieb ein aristo- 
telischer Geist, aristotelisch in der Strenge der Methode, in der 
analytischen Schärfe, aristotelisch in der die Welt der Tbat- 
sachen durchsuchenden, sichtenden Beobachtung und in der 
Weite seines wissenschaftlichen Horizontes, aristotelisch endlich 
in der Auffassung der Principien. Umsonst hatte er nicht sein 
Lebelang den Aristoteles lieb. So erschien er dem, der die 
Weise seines Geistes wahrnahm und sich klar machte, so er- 
schien er, wem es auch sonst nicht gegeben war, ihm in die 
Fülle und den Reichthum seiner speciellen Anschauungen und 
Forschungen zu folgen, in seine Untersuchungen über Sinne 
und Reflexbewegungen, über Blut und Chondrin, über Genita- 
lien und Drüsen, Knochenstruktur und Geschwürbildungen, 
über Fische und fossile Thiere, über Pentacrinus und Asteroide, 
über Polyeystinen und Echinodermen , in Untersuchungen, 
welche sich so weit erstreckten, als das grolse Gebiet des 
thierischen Lebens. Wo er untersuchte, entdeckte er. Wer 
ihm bis an den äulsersten Rand seiner Untersuchungen nach- 
ging, bewunderte oft, wie sicher er sich auf einem ihm schein- 
bar fremden Gebiete bewegte, sei es in den philosophischen 


Anhang. 123 


Begriffen seiner Physiologie, sei es bei litterarischen oder philolo- 
gischen Fragen, wie z. B.in der Abhandlung von dem glatten Hai des 
Aristoteles, den er durchArn. Peters Hülfe wieder entdeckte, oder 
in dem Vortrag über die Fische, welche Töne von sich geben, in 
Aristoteles Thiergeschichte. Seine geistige Grölse ruhte auf männ- 
licher Kraft. Kein scheu zurückgezogener Gelehrter stand er 
in der Stunde der Gefahr seinen Mann. So begegnete er als 
Rector, da die unruhigen Wogen des Jahres 1848 hoch durch 
die Universität schlugen, vielfach dem Andrang mit entschlosse- 
nem Muth. So rettete er in grausem Schilfbruch sein Leben 
schwimmend aus den Wellen. In beider Beziehung gilt von 
ihm das Wort des Dichters: „sacois tranguillus in undis.” Noch 
in den Jahren der Kraft brach plötzlich der starke Mann. Er 


starb früh, aber er hatte ein ganzes Leben gelebt, ein volles Le- 


ben der Erfahrung und des Gedankens, ein schaffendes Leben 


der Wissenschaft, ein erprobtes Leben männlicher Krafi. In 


Joh. Müller schied uns ein klassischer Mann. 


i ‘) Karl Abraham Freiherr von Zedlitz, geboren am 4. Ja- 
nuar 1731 zu Schwarzwalde bei Landshut in Schlesien, gestorben 18. März 


4793 zu Kapsdorf bei Schweidnitz auf seinem Landsitze. Vgl. über ihn 


Berlinische Monatsschrift. Junius 1793. 8.537 ff. Schlich- 
tegroll Nekrolog. 1793. 2ter Band. S. 301 ff. Lowe Bildnisse jetzt 
lebender Berliner Gelehrten 1806 unter Biester, $S.16ff. Karl Wil- 
helm Cosmar der Königl. Preulsische und Churfürstliche wirklich Ge- 
heime Staatsrath. Berlin 1805, in dem vom Klaprotlı beigegebenen Ver- 
zeichnils der wirklichen Geheimen Staatsräthe. $. 452 f. Für die fol- 
gende Skizze hat der Verfasser Mittheilungen aus der Autographensamm- 


Jung der hiesigen K. Bibliothek, aus den Universitätsakten und dem Wai- 


senhausarchiv in Halle, aus dem Briefwechsei Nicolai’s und die ihm wohl- 
wollend gestattete Einsicht einiger betreffenden Akten im hiesigen Königl. 
Staatsarchiv dankbar zu erwähnen. 

N Lettre sur education. Werke. 1848. 1X. S. 113 ff. 

°) Instruetion au Major Borche. IX. 8.35 ff. 

*) Instruclion pour la direelion de l’academie des nobles ü Berlin. 1X. 


5.75 ft. 


°) De la literature Allemande. WU. S. 100, 
6) Werke. IX. S.39. 
7) Werke. XXVIl.3. S. 256 vgl. S. 253. 


124 Anhang. 5 


s 
*) Nach einem Briefe vom 24. Oct. 1783, mit mehreren andern im 


Waisenhausarchiv zu Halle. 3 
°) Kants Werke. Herausgegeben von Karl Rosenkranz und Friedr. 
Wilh. Schubert. 1838. VIl.a. 8.145. S. 147. . 


°) Reskript vom 23. Mai 1772. Im Königl. Staatsarchiv. 

**) Reskript vom 10. Nov. 1785. Akten der Universität Halle. 

2) Werke. IX. S. 119. 

"°) Friedr. Wilh. Schubert. Immanuel Kants Biographie zum 
grolsen Theil nach handschriftlichen Nachrichten 1842 in Kants Werken. 
XI. S.58ff. Es mag hier beiläufig bemerkt werden, dafs Friederich 
der Grolse schon im Jahre 1750 den allgemeinen Zustand der deutschen 
Universitäten ins Auge falste und auf einen Beschluls des Reichstags hin- 
wirken wollte, um die Sitten der Studirenden zu heben. Der Eılals an 
den Minister von Podewils, eine Instruction am Reichstage auszuarbeiten, 
ist vom 13. März 1750. ImK. Staatsarchiv. 

1%) Aus den Akten des Archivs der Universität Halle. 

"°) Vgl. Christian Gottfried Schütz. Geschichte des Erzie- 
hungsinstituts bei dem theologischen Seminarium zu Halle an Herrn Kir- 
chenrat Stroth zu Gotha zur Apologie des Herrn D. Semler. Jena 1781. 
S. 100 ff. Semlers Lebensbeschreibung von ihm selbst abgefalst. Er- 
ster Theil. Halle 1781. Vorrede. 

6) Briefe angesehener Gelehrten, Staatsmänner und anderer an den 
berühmten Märtyrer, D. Karl Friederich Bahrdt. 2ter Theil. Leip- 
zig 1798. S. 67. 

17) In einem Briefe an den Domherrn von Rochow, s. dessen Litte- 
rarische Correspondenz mit verstorbenen Gelehrten. Berlin 1799. S. 203. 

1°) Aus den Akten des K. Staatsarchivs. 

1°) Briefe an Bahrdt. 2. Thl. 1798. S. 67. 

2°) A.H. Niemeyer. Leben Nösselts. 1809. S. 36. 

?1) Aus den Akten des Universitätsarchivs zu Halle. Reskript vom 
16. Sept. 1787. 

22) Schloezer Briefwechsel. 1779. V. No. XXIX. S. 332 ff. VI. 
No. XXXIL S.82. Dieser politische Grund geht namentlich auch aus 
dem Bericht des Ministers von Zedlitz an den König vom 24. Decbr. 1779 
hervor, welcher sich in Dr. Bahrdt’s Angelegenheit im Königl. Staatsarchiv 
befindet. Darin heilst es unter Anderm: „Da es meine Pflicht ist, alle 
Art von Gelehrten in Ew. K. Majestät Lande zu ziehen, so muls ich be- 
kennen, dals ich den Bahrdt nach Halle habe kommen lassen, weil ich 
eines Theils überzeugt bin, dals der Kais. Reichshofrath in protestantischen 
Religionssachen nıcht juge competent ist, und weil der Bahrdt ein beson- 
ders in der Litteratur und Rhetorie geschickter Mann ist. Ich lasse ihn 
aber dort Rhetoric nach dem Quintilian und über die Orientalische Spra- 


| 


Anhang. 425 


chen lesen, und keine Theologie, damit nicht etwa orthodoxe Eltern abge- 
halten werden, ihre Söhne nach Halle zu schicken.” Der Bericht schlielst: 
„Bahrdt hat von Ew. Majestät keinen Gehalt, sondern ich nebst einigen 
meiner Bekannten haben ihm auf zwei Jahre eine jährliche Einnahme von 
400 Rihlr. aus unsern Mitteln ausgesetzt.” Der König erklärt sich einver- 
standen. Die Rhetorik nach Quintilian ist sein alter Lieblingsgedanke. 
Wenn Bahrdt später den Tacitus übersetzt, so entspricht auch dies der 
Absicht des Königs, dafs die griechischen und lateinischen Klassiker sol- 
len ins Deutsche übertragen werden. Seine Antwort auf die Einsendung 
des Tacitus vom 19. Jan. 1781 s. Briefe an Bahrdt. 2. Thl. 1798. S. 252, 
vgl. S. 247. 

23) In einem ungedruckten Briefe vom 24. Juni 1777 im Besitz des 
Hrn. Parthey. 

?%) Letzteres nach den Akten des K. Staatsarchivs. Der Minister 
präsentirt unter dem 20. April 1786 Mag. Heeren für eine philosophische 
Professur in Duisburg und schreibt „ist ein guter Schüler Heyne’s und ein 
denkender Kopf, hat aber noch nichts geschrieben. Sein erstes Werk 
wird eine kleine Abhandlung sein, die im nächsten Stück der Berliner Mo- 
natsschrift gedruckt wird und die dies Urtheil von ihm bestätigen wird.” 

_ Die Beziehungen des Ministers von Zedlitz zu Kraus s. in dessen Leben 
von Johannes Voigt in Chr. Jac. Kraus vermischten Schriften. 8. Th. 
74819. z. B. S. 76. S. 117. 
= 25) Werke. XXV.3, S. 251 ff. 
?°) Christian Gottfried Schütz Geschichte des Erziehungsin- 
- stituts bei dem theologischen Seminar zu Halle. Jena 1781. S. 65. S. 70. 
27) Ebendaselbst S. 26. 
2°) Johann Christian Förster Übersicht der Geschichte der 
Universität zu Halle in ihrem ersten Jahrhundert. Halle 1794. S. 206. 
°?°) In einem Briefe der Autographensammlung der hiesigen K. Bi- 
bliothek vom 19. Juli 1783. 
?°) Brunn Versuch einer Lebensbeschreibung Meierotto’s. Berlin 
4802. S.189 ff. S. 265 ff. 
?') Sur le patriolisme considere comme objel d’education dans les etats 
_ monarchiques. Discours de reception prononce dans l’academie des sciences 
et belles lettres. Berlin 1777. 
??) Lessings Werke. X. S. 259. 
°°) K. von Raumer Geschichte der Pädagogik ff. I. 1843. S. 


269 it. 5. 278. 


j **) Kant in der Anthropologie. Werke von Rosenkranz. VII. b. 
8.275. Sultzer hatte im Jahr 1768 herausgegeben: Vorübungen zur Er- 
? weckung der Aufmerksamkeit und des Nachdenkens. 1768. Thl. 3 u. 4. 
4781. Der dritte Theil ist noch 1825 in einer neuen Auflage erschienen. 


126 Anhang. 


35) Chr, Gottfried Schütz a.a.0. $. 21 ff. über das Philan- 
thropin. Ebendaselbst S. 137 ff. S. 145 ff. über Trapp. Der Minister 
schrieb im Jahre 1777 plan d’une pepiniere de pedagogues et de gouver- 
neurs etablie a Halle. Die Schrift, insbesondere für den König bestimmt, 
wurde nur in wenigen Exemplaren abgedruckt (Schütz $. 53), und es ist 
trotz mannigfaltiger Nachfragen nicht gelungen, sie in Berlin, Halle oder s 
Königsberg aufzutreiben, Indessen findet sich im K. Staatsarchiv „Plan 
des auf Befehl und unter höherer Aufsicht Sr. Excellenz des Hrn. Gehei- 
men Staatsministers und Ober- Curators der K. Universität Freiherrn von 
Zedlitz in Halle errichteten K. Erziehungsinstituts. Halle am 15. April 
1780,” unterzeichnet Wenceslaus Jo. Gust. Karsten. Joh. Aug. Eberhard. 
Matthias Chr. Sprengel. 3 

36) Aus einem Aktenstück im K. Staatsarchiv. Den Brief an Wolf 
vom 419. Juli 1783 schlielst der Minister mit einem Wunsch, den Wolf 
wahr machte. „Leben Sie nun ganz Ihrer Wissenschaft, — —, und helfen f 
Sie den einen Vorwurf, der noch immer Halle traf, abwälzen, dafs man 
dort keine Philologen bildet.” In der Autographensammlung der hiesigen 
K. Bibliothek. ® 

?7) Dr. H. Heppe Geschichte des deutschen Volksschulwesens. I, j% 
1858! 48.77 £f.-S. 105 fE. 

38) Friederich Eberhard von Rochow litterarische Corre- 
spondenz mit verstorbenen Gelehrten. Berlin 1799. S. 178 ff. 

39) Ebendaselbst S. 241 ff. ; 

40) Ebendaselbst $. 115 ff. Der Briefwechsel zwischen beiden Män- 
nern geht vom 17. Januar 1773 bis 2. November 1787. 

*'1) Ebendaselbst S. 218. 

4?) Ebendaselbst S. 213. 

43) Fbendaselbst S. 168 ff. j 

#44) Ebendaselbst $. 198 ff. S. 208 f. vgl. Berliner Monatsschrift A 
1787. Aug. S. 113 £. j 

#5) Christian Wilhelm von Dohm Denkwürdigkeiten meiner 
Zeit. S. 258 ff. J. D. E. Preuls Friederich der Grolse. 1833, II. 
S. 221 ff. 

#°) Berliner Monatsschrift. 1793. XXI S. 540. 

#7) 31, December 1779. J. D. E. Preu[s Friederich der Grolse. 
1833. II. S. 405. 

4°) Das Gesetz unter dem 22. Febr. 1787 bei Mylius S$. 618 vgl. 
der dem Könige vorgelegte Plan von Zedlitz: Vorschläge zur Verbesse- 
zung des Schulwesens in den Königl. Landen, in der Berlinischen Monats- 


schrift 1787. Aug. S. 96 ff. 


Y 
“ 
% 


—IENS— 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
‚der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat Februar 1859. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Ehrenberg. 


HV 


3. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Peters las eine Abhandlung über die Chiropte- 
Tengattung Nyctophilus, von der hier ein kuzer Auszug 
‚mitgetheilt wird. 

Nach einer von Nyezophilus Geoffroyi Leach durch ihre 
beträchtlichere Gröfse und auch durch die Färbung verschiedenen 
‚Art, N. australis P., wurde eine genauere Darstellung des Äufse- 
ren dieser Tbiergattung gegeben und die Resultate der Unter- 
‚suchungen über die bisher unbekannten inneren Theile, das 
‚Skelet und die Eingeweide, mitgetheilt. Es wurde hiernach die 
Angabe von Leach, nach welcher die Zahl der unteren Schneide- 
zähne sechs ist, bestätigt, währendTemminck an dem Leach’schen 
‚Originalexemplar nur 4 hatte finden können. Die Zahl der un- 
‚teren Backzähne ist dagegen nicht vier, wie bisher von allen 
‚Autoren angegeben worden, sondern fünf, so dafs die Gebils- 

3.11.4—1 1.1.3 

Korn bei dieser Gattung folgende ist: 321 6 123° 30. 
‚Im Bau des Schädels, des Skelets und der Eingeweide zeigt diese 
Gattung die grölste Übereinstimmung mit den eigentlichen 
Vespertilionen und steht daher diesen viel näher als den Nyete- 
ris oder Rhinolophus, mit denen man sie bisher für nahe ver- 
wandt hielt. 


- [1859.] 9 


128 Gesamnitsitzung 


Hr. Barth, Correspondent der philosophisch- historischen 


Klasse, las hierauf: Versuch einer eingehenden Erklä- 
rung der Felssculpturen von Boghaskoei im alten 


Kappadocien. 
Ich will hier eine eingehende Erklärung einer der merk- 


würdigsten bildlichen Darstellungen des Alterthums versuchen, 


die bis jetzt, als aus ihrem natürlichen Zusammenhange heraus- 
gerissen, unverstanden und bedeutungslos geblieben ist, während 
sie dazu dient, grofse geschichtliche Verhältnisse einer Zeit zu 
beleben und uns anschaulich vor die Augen zu führen, über die 


wir sonst nur sehr sparsame historische Urkunden besitzen. Ich 


meine die Felssculpturen von Boghäskoei, „dem Dorfe des Eng- 


passes”, einer Ortschaft im nordwestlichen gebirgigen Theile 


von Kappadocien, östlich vom Halys „unter dem (richtiger 
„etwas westlich vom) Meridian von Sinope”, zar« Iıwwzyv, wie 
Herodot sich ausdrückt,') demjenigen Theile dieser einst ausge- 
dehnten, ursprünglich syrischen, Landschaft, der dem Berichte 
desselben lebensvollen Geschichtsschreibers zufolge, bei den Grie- 


chen Pteria hiefs. Ich habe anderswo gezeigt, dafs Pteria nicht 


der Name einer Stadt, sondern einer Landschaft war und es ist 
meine Ansicht, die erst durch die Entdeckung von einheimisch 
kappadoeischen oder assyrischen Inschriften ihre weitere Bestä- 
tigung finden kann, dals die Landschaft diesen Namen von dem 
Umstande hatte, weil ein Doppeladler ihr Symbol war, der Dop- 
peladler, der eine hervorragende Stelle an dem Portale des Tem- 
pels oder vielmehr des Palastes des benachbarten Ueyük ein- 
nimmt und der auch in der hier zu erklärenden Sculptur an sei- 
ner Stelle höchst bezeichnungsvoll auftritt. 

In dieser Hauptstadt von Pteria — denn als solche erweist 
sich die gewaltige Ruinenstätte von Boghaskoei — haben wir 
auf das Bestimmteste die Gränzfeste des medisch - assyrischen 
Reiches auf der grolsen Stralse von Phrygien über eine leicht 
furtbare Stelle des Halys auf das mit dem Siegesdenkmal über 
die Skythen geschmückte Zela und Amasia zu erkennen, die lange Zeit 
hindurch die Grenze des grolsen mesopotamischen Reiches gegen die 
vorder-asiatischen Reiche, zuerst Phrygien, dann Lydien, schirmte. 


!) ll. c. 76. 


vom 3. Februar 1859. 129 


Aber ich will hier nicht von den grofsartigen Befestigungen 
reden, welche schon allein diese Stadt zu einer der interessan- 
| testen Ruinenstätten Klein-Asiens machen, auch nieht von dem 


' Tempel oder vielmehr Palast, dessen ganzer merkwürdiger Grund- 


dem Grundplane des Nord- West-Palastes von Nineve ?) zeigt, 
' sondern ich wil! diese Verhältnisse nur andeuten, um die grolse 
' Bedeutung dieser Stadt zu zeigen, die nach den unzweidentig- 
sten, ihren mit der grölsten Sorgfalt ausgeführten eyclopischen 
Bauten aufgeprägten Merkmalen mit Einem Schlage der Zerstö- 
rung anheimfiel und dies ist mach der klaren von Herodot uns 
| gegebenen Beschreibung des Feldzuges des Kroisos eben der 
\ Zeitpunkt, als dieser letzte Iydische Herrscher auf die siegsge- 
' wohnte Tüchtigkeit seiner Heerschaaren bauend das auf den 
Trümmern des medisch-assyrischen Reiches mit neuer Ju- 
gendkraft aufwachsende persische Reich auf eigenem Terrain 
angriff. 


E Wir lassen nun diese, die nach Osten und Süd-Osten, nach 


\ Armenien und nach Cilieien führenden Engpässe beherrschende, 
hohen, zackigen Felsmassen ringsum geschützte und von 


lich zur Seite hinter uns und wie wir am Abhange der Felsen 
nach N. uns hiowinden, viele steile, von der Hand des Men- 
‚ sehen bearbeitete Felsmassen umgehend kommen wir nach etwas 
| weniger als einer halben deutschen Meile zu jenen von Hrn. 
| Texier aufgefundenen Felssculpturen, deren Erklärung ich hier 
versuchen will. 

Sehon die angegebene Lage, weit aulserhalb der Stadt, 
| zeigt wol zur Genüge, dals wir hier keine Darstellung eines 
Gegenstandes des täglichen Lebens der Bewohner haben, weder 
‚ aus dem religiösen, noch aus dem bürgerlichen Ideen -Kreise. 
| War es ein religiöser Gegenstand, so war dazu der einzig 
' geeignete Platz die Tempel der Stadt, war es sonst ein ge- 
' wöhnlicher Umstand, der anschaulich dargestellt werden sollte, 
so hätte man sicherlich eine andere passendere Stätte des 


*) Layard Monuments first series pl. 100 plan II; Nineveh and its 
remains. 
9° 


st gleichwie von Natur wunderbar befestigte Gränzstadt öst- > 


kn 


130 Gesammtsitzung j 
d 
Stadtweichbildes selbst gewählt und nicht diese rauben, nur mit 
Mühe leidlich regelmäßig abzuglättenden Wände einer zackigen, | 
dem Wetter ausgesetzten Felsmasse. In der That ist dieser 
Abhang der Felshöhen keineswegs ein geeigneter Tanzplatz, um 
auch nur einen religiösen Tanz, wie die Sakäen, dort aufzufüh- 
ren. Das nämlich war Texier’s spätere Idee, nachdem er seine 
Vermuthung, dafs die Amazonen hier dargestellt seien, als völlig 
unhaltbar bei Seite hatte werfen müssen. 

Alles zusammengenommen ist es ganz augenscheinlich, dafs 
in diesem Relief, dem Feinde so wie Wind und Wetter ausge- 
setzt, ein Ereignils verewigt werden sollte, das ungewöhnlich war, | 
das etwas Aulserordentliches betraf und das mächtig in das Le- 
ben dieser Gränzstädter eingriff. Schon diese Rücksicht also. 
bestimmt uns, auch wenn wir in diesen merkwürdigen Sculptu- 
ren eine Menge göttlicher Symbole dargestellt finden, sie nicht 
als den Inbegriff der Göttlichkeit selbst zu fassen, sondern sie 
zur Verherrlichung menschlicher, d. h. fürstlicher Wesen ange- 
wandt zu erklären. Nichts ist gewöhnlicher, als solche Ver- 
herrlichungen in assyrischen wie ägyptischen Darstellungen, ja 
wir finden in den ersteren nach den von Layard so schön 
illustrirtten Denkmälern von Nineve die schlagendsten Analogien 
für fast alle einzelnen Verhältnisse unserer Darstellung; so um 
das gleich hier vorweg zu nehmen, da es den allgemeinen Cha- 
rakter und die Bedeutung derselben betrifft, sehen wir 2 Flügel- 
figuren, ganz wie sie bei uns als Beschützungsgenien des Ver- 
trages erscheinen, auf einer Darstellung hinter zwei Fürsten, die 
sich für eine religiöse Ceremonie vorbereiten ?). / 

Wir wollen nun den Gesammtcharakter dieser Sculptur ins 
Auge fassen. Ich will nur noch bemerken, dals die Hauptgruppe 
die ungleichen, nur wenig behauenen und abgeglätteten Wände 
einer nach S. S. W. sich öffnenden Felseinbucht schmückt. 
Gleich beim ersten Anblick der Darstellung wird einem Jeden 
klar, dafs er hier ein Zusammentreffen zweier Parteien vor. 
sich hat, deren Charakter als ganz verschieden auf’s deutlich- 
ste bezeichnet ist, sowohl in Tracht, als auch allem Anscheine 


?) Layard, Monuments of Nineveh, first series pl. 25. Vgl. pl. 39 A 
und pl. 20. 


vom 3. Februar 1859. 131 


nach in Geschlecht. Das war selbst Texier’s erster Eindruck. 
Die Verschiedenheit der Rasse verkannte auch gleich beim ersten 
Besuch der vortreffliche Hamilton nicht, aber ihm blieb die 
nähere Beziehung unklar*), eben so drängte sich Herrn Carl 
Ritter’) die historische Bedeutung des Gegenstandes auf das 
Anschauligste auf, aber da ihm in Texier’s Zeichnung manches 
Bedeutungsvolle in falscher Darstellung vorlag, konnte er die 
rechte Beziebung nicht erfassen. 
Von beiden Seiten rücken die Figuren nach dem Mittel- 
punkt zu auf, die der linken Prozession von SW. und W. her- 
anziehend in reichem, zahlreich gegliederten und stark charakte- 
risirten Aufzuge von 33 Personen, wenn wir in dem Aufzuge 
selbst zwei Figuren einschlielsen wollen, die vom Künstler auf 
die deutlichste und handgreiflichste Art als nicht eigentlich zum 
Zuge gehörig bezeichnet sind; auf der Rechten von Osten her- 
ankommend, die Hauptfiguren eingerechnet, ein anderer kürzerer 
Zug von 17 Personen, alle, mit Ausnahme einer einzigen Ge- 
lt, von anscheinend weiblichem Charakter. 

Dies ist der Gegenstand der Hauptsculptur, hoch vom Fels- 
N hang hinabschauend über die schöne reiche Thalebene eines 
em Halys von Osten zuflielsenden Bergwassers; aufser ihr aber ha- 
n wir theils auf anderen abgesonderten Flächen derselben gro- 
Ben Felsnische, theils in einem dahinter künstlich ausgesprengten 
oder wenigstens erweiterten Felsspalt andere einzelne Figuren, 
die zum Theil nur grölsere Darstellungen einiger schon in der 
ion erscheinender Persönlichkeiten zu sein scheinen, an- 
dererseits aber auch wol verschieden sind. In diesen Figuren der 
hinteren Felskluft zumal, die zum Theil noch halb verschüttet 
waren, hat Texier in seiner Zeichnung grolse Versehen gemacht, 
die ich durch weitere Ausgrabung so glücklich war, berichtigen zu 


1 


*) Hamilton sagt hierüber, Theil I. S. 394 der engl. Ausgabe seiner 

N esearches in Asia Minor — it is possible, that in the figure with the flo- 

Be rubes we may recognise the king of Persia and in the other the king 

Lydia with his attendants, Lyeiöne and Phrygians, for their headdress 

esembles the wellknown Phrygian bonnet und p. 395 sagt er — the allu- 

n to the battle between Croesus and Cyrus is a remarkable fact in con- 
Bikion with the basrelief which J have just described. 


2 
®) Erdkunde von Klein-Asien I. S. 363. — 


Deep 


132 Gesammtsitzung 


können, so dafs auch diese Darstellungen ungleich gröfseres 
und zwar entschieden historisches Interesse erhalten. 

Es ist nicht unmöglich — um bier der Erklärung vor- 
zugreifen — dafs wir in der Figur des Streiters dieser hin- 
teren Felskluft, der die weibliche Figur unter seinem linken 
Arm hält, eine Wiederholung der eigentlichen Hauptperson vor 
uns haben, wenn wir als solche den der Tochter des Alyattes 
vermählten Astyages ansehn wollen; denn dieser hat auf der Haupt- 
sculptur eine etwas untergeordnete Stellung erhalten. Es ist nämlich 
wol zu beachten, dals von allen männlichen Hauptfiguren der grolsen 
Seulptur nur die jünger erscheinende männliche Figur hinter der 
weiblichen als unbärtig erscheint. Dagegen ist unbärtig in der 
hintern Nische auch jene eigenthümliche, grotesk componirte Fi- 
gur no. 5. unter meinen Skizzen, die sich durch 6—7 Zoll hohes 
Relief und äufserst scharf markirte Züge auszeichnet, die bei Texier 
aber durchausunrichtig dargestellt ist. Wir wollen dabei nicht aus 
dem Auge verlieren, dafs auch der Krieger in Karabel unbärtig ist. 

Aulserdem aber haben wir in dieser Hinternische auch eine, eine 
Schlachtordnung von 12 mit Sichelschwertern bewaffneten Strei- 
tern darstellende Felsplatte, von der Texier nur die hervor- 
ragenden Mützen oder Helme sah, die aber nun, ausgegraben, in 
ihrem ganz frischen, von Wind und Wetter noch nicht ange- 
griffenen Gepräge, wovon in no. 7. meiner Skizzen eine Probe 
gegeben ist, die wichtigste Urkunde zur nationalen Beziehung 
dieser höchst merkwürdigen Darstellungen geben. Überhaupt 
mufs man von weiteren Ausgrabungen oder vielmehr von einer 
gänzlichen Bloslegung dieser hinteren Felskluft noch interes- 
sante Resultate erwarten. 

Wenn wir nun nachforschen, welch’ eine historische Bege- 
benheit hier wol dargestellt sein möge — denn dals wir etwas 
Historisches hier vor uns haben, deutet Lage und der in nationaler 
Verschiedenheit ausgeprägte bestimmte Charakter auf das Deutlich- 
ste an, so haben wir nach den auf uns gekommenen Bruchstücken der 
Geschichte besonders zwei Ereignisse hier zu berücksichtigen, die 
als auf diese Gegend auf das Entschiedenste sich beziehend vor 
uns treten. Wirhaben nämlich einmal den Feldzug des Krösos und 
an ihn dachte Hamilton. Der letzte lydische Herrscher aber griff 
nur zerstörend und verwüstend in diese Gegend ein — eure ev 


vom 3. Februar 1859. 133 


av Hregiuw TnV wor zu vdonmodisuro, Eile Ö2 zul rag meozidas 
auris maras, Zvgtous TE ouÖEV Ecvras airious avasrarousämoinee, 
wie Herodot sich ausdrückt — so dals er die ganze kappado- 
eische, von Assyrern und Medern bisher geschonte Nationalität 
vernichtete; er weilte kurze Zeit und mulste bald sein Heil im 
Rückzug suchen. An diesen Feldzug können wir zur Erklärung 
unserer Darstellung nicht denken. Wenn wir nun weiter zu- 
rückgehn, so haben wir den mächtigen, siegreichen Vater 
des Kroisos, den Erbauer jenes grolsartigen Grabmales im Thale 
des Hermos, den Alyattes, der in der ersten Hälfte seiner Re- 
gierung 6 Jahre mit dem medischen Cyaxares Krieg führte und 
zuletzt Friede mit ihm schlofs auf eine Weise, die höchst bedeut- 
sam in das damalige Völker- und Staatenleben Vorder: Asiens eingriff. 
Beide Mächte waren sich einander gewachsen und die Vortbeile, 
die eine von ihnen errang, wurden bald durch die der anderen 
aufgewogen und Schauplatz dieses langen Kampfes war natürlich 
in’s Besondere Pteria, die feste Gränzlandschaft von Kappado- 
cien, der westlichsten medischen Provinz, mit ihrer Gränzfeste, 
dem Felsenneste von Boghaskoei. 

Während die Völker so im sechsten Jahre mit einander kämpf- 
ten, ereignete es sich, dafs mitten in der Schlacht eine Sonnen- 
finsternils eintrat, dals die Kämpfenden vor Schreck Einhalt thaten 
und besonders auf Zureden des kilikischen Fürsten (Syennesis) und 

des babylonischen Fürsten Labynetos oder vielmehr Nabopalassar, 
‚Friede schlossen. Ja, der. Friede ward durch eine Heirath be- 
‚siegelt und des Alyattes Tochter ward dem Sohne des medischen 
Herrschers zur Frau gegeben. Aber ich will die ganze Stelle 
des Herodot°) hier wörtlich anführen, weil sie Umstände und 
Einzelheiten enthält, die ich für die Erklärung unsrer Darstel- 
lung von der grölsten Bedeutung halte, weil dadurch alles Ein- 
zelne derselben ein wunderbares Licht gewinnt. 

> Merd de ralre — morsuos reis Audaisı zaı roirı Mydaoı Eye- 
yersz em Ersm Meute, Ev Hoisı mordazıs ev oi Midoı FoUs Avdous 
eulansav, morAazıs de 0oi Audor roüg Mydous' Ev de zul vuRrFoMe 
Yılnı Tıve Emomrerro. Arebegousı de ad Em Ioys Tov mOr.SIAOh FW 
Earu Ersi sumßorns yavopızvng Funyvsıze WITE TÜS maxıns Fuvs- 


®) 1.1. ce. 74. 


134 + Gesammtsitzung 


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ETOMTOAUV. «» AAvarreo Yyap EYVWTRV dovvaısyv Iuyarspr Agvyvı 


> ne R ’ ’ y \ N a Ü 
Asruayei TW Kuafagew mad — Oozıa de moereı TaÜTE Ta 
0] ’ Yy \ \ 7 H 

EQvew ranep re EAAyves, zur moos rovrose — das Folgende ist, 


nun von der grölsten Wichtigkeit — Zrsav roüs Boayiovas. 
emıramwvra Es Tyv Smox,goriyv TO aina dvarsiyouss 
array ıw v. h 

Hier haben wir eine Begebenheit, die fast in allen Bezie-- 
hungen sich auf die bildliche Darstellung, die wunderbarer Weise 
bei dem Untergang so vieler Literaturschätze auf den Felsen 
dieser Wildnils auf uns gekommen ist, auf das Innigste beziehn. 
läfst und sie im Ganzen und Einzelnen vollständig erklärt, und 
so wird denn dieser Fels zu einem wirklichen Schrift- oder Ur- 
kundenstein, einer Yäsili-kaya, wie die Osmanli mit vollem Recht 
diese Felsurkunde kappadocischer Geschichte benennen, so gut 
wie das Grab des Midas als Schriftstein von Alt-Phrygien. Nun 
nämlich erklärt sich vollständig die eigenthümliche Steliung. die- 
ser Sculptur; nun sehen wir ein, warum dieses Kunstwerk nicht 
im Schutze der Stadtmauern geborgen, sondern hier draulsen 
frei auf der Felswand stehen mufste, zum grolsen Nachtheil des 
späten Forschers. Aber, denken wir uns die beiden Kriegsheere, 
verschiedene Völkerschaften der beiden mächtigen Reiche um- 
fassend, die den langen Kampf geführt hatten und endlich auf 
so wunderbare Weise in Frieden auseinander gegangen waren. 
Wie konnte man das fremde Streitheer und den ehrgeizigen 
kriegslustigen Lyder in die so wichtige Gränzfeste einlassen? 
Aber hier in der Thalebene war Platz für beide Heere; in ihrem 
Angesichte konnten die Friedens- und Heiraths-Ceremonien voll- 
zogen werden und hier oben am Felsabhang, wo die Herrscher 
den Frieden geschlossen, hier ward auch das denselben verewi- 
gende Denkmal in den Fels gehauen und so erklärt sich denn 
vollends die Grausamkeit, mit der Kroisos, der seine Schwester 
und Astyages an der neuen persischen Dynastie rächen wollte, 


vom 3. Februar 1859. 135 


gegen Pteria und seine Bewohner verfuhr, besonders gegen diese 
Hauptfeste selbst. Aber ganz ebenso, wie die Gesammtbezie- 
hung dieser feierlichen Handlung nun ihre Erklärung erhält, er- 
klärt sich auch das Einzelne. So erklärt sich die Mannichfaltig- 
keit hervorragender Figuren, so erklärt sich die Prozession allem 
Anscheine nach weiblicher Figuren, deren die Hauptanzahl die 
Zither zu schlagen scheinen ’), so erklärt sich die in kleinerem 
Maalsstabe als Königsprinz der weiblichen Figur zur Seite und 
auf gleichem Symbol — Leopard oder Tiger, nicht Löwe — 
wie sie stehende Streiter, so erklärt sich der Aufzug der Krie- 
ger meist ohne Waffen, während selbst solche Figuren, welche 
in ihrer Rechten die Waffe führen, in der Linken beständig das 
als Lebens- und Friedenzeichen allgemein anerkannte Henkel- 
‚kreuz tragen, nur in verschiedener Mannichfaltigkeit der Darstel- 
Jung; so aber auch die beiden, von Priestern getragenen, Schaa- 
len — Texier’s Zeichnung gibt ungenau die eine Schaale 
als Sichelmesser; die Henkelschaale auch in der Hand dieser Fi- 


gur ist vollkommen deutlich — so die am Ellbogen der männ- 
lichen Hauptfigur, ihrer ganzen mittleren Stellung im Hauptbilde 
mach entschieden die Hauptperson der ganzen Darstellung, und 
am Ellbogen des der weiblichen Figur und durch das Symbol, 
anf er steht, mit ihr in enger geistiger Beziehung darge- 
stellten jungen männlichen Streiters und zwar nur an diesen 
beiden Figuren angebrachten, eigenthümlichen Vorrichtung, 
meiner Ansicht nach einer Bandage oder eines rückgebogenen 
Instrumentes zum Aderlals für den heiligen von Herodot er- 
"wähnten Bluttrunk zur Befestigung des Vertrages — Ereav roÜs 
Beuyxiovas erıranwvran. 

So aber erhält nun auch seine grofsartige Bedeutung 
ganz besonders die eine wunderbare Gruppe, die bisher völ- 
lig unverstanden als höchst störend und abgeschmaäckt er- 
scheinen mulste, ich meine jene beiden, die gesammte Prozession 
‚unterbrechenden, thierisch aussehenden Figuren, die in Texier’s 
Zeichnung scheinen, als ob sie eine Art Boot trügen und wirk- 
lich von ibm selbst sonderbarer Weise als die Marine vertre- 
u 

b ?) Diese Figuren haben am meisten gelitten und somit ist nicht Alles 
deutlich. Darüber Näheres in der Beschreibung der einzelnen Figuren, 


136 Gesammtsitzung 


tend, von anderen Erklärern als Spafsmacher angesehen werden. 4 
Keine dieser beiden Erklärungen kann dem aufmerksamen Be- R 
obachter, der sich in dieses reiche Bild ganz hineinlebt, irgend- F 
wie genügen. Der Künstler hat mit Allem, was ihm auf der 
ihm angewiesenen, schmalen Felsbande mit seinen geringen 
Hilfsmitteln zu Gebote stand, sich auf das Eifrigste bemüht, dem 
Beschauer einen Wink zu geben, dals er hier einen nicht direkt 
zur Prozession gehörigen Gegenstand vor sich habe. Nicht allein 
hat er diese Figuren ganz allein von allen hier erscheinenden 
mit vollem ®), eigenthümlich breiten Antlitz dem Beschauer zu- 
gewandt, nicht allein bat. er ihnen besonders durch die Ohren 
ein unmenschliches, dämonisches Aussehn gegeben, sondern er 
hat sie auf eine besondere Grundlage gestellt, einen nach der 
Linken, d. h. nach West, wo die Sonne untergeht, hinabglei- 
tenden Waagbalken, der aus der Grundlinie, worauf die ande- 
ren Figuren dieser Felsbande stehen, auf das Absichtlichste voll- 
kommen herausgeschnitten ist. Nun aber tragen diese beiden 
Figuren nicht ein Boot, noch irgend ein derartiges Gefäls, son- 
dern zwei mondviertelartige Scheiben über einander und 
ich babe nicht den geringsten Zweifel, dafs der Künstler hier 
die Sonnenfinsternils vorstellen wollte, und was man immer über 
das Unbeholfene einer solchen Darstellung sagen mag, jedenfalls 
ist sie nicht unbeholfener als die Darstellung der Wand und des 
Mondes in Shakespeare’s Pyramus und Thisbe und sie findet 
ihre Analogie in den assyrischen und ägyptischen Darstellungen, 
wo Flüsse, Berge und andere Naturerscheinungen auf ähnliche 


®) Es ist in dieser Beziehung von der allergröfsten Bedeutung 
und schon allein ein schlagender Beweis, dals hier ein Gegenstand aus der 
Natur dargestellt ist, dafs unter allen Sculpturen in Nineveh eine „full- 
face figure” nur in solchen Fällen vorkummt, während alles Andere im 
Profil erscheint. S. die fullface figure bei Layard, Monuments, first series 
pl. 50,7. Diese Figur mit Ziege auf dem rechten Arm, einer Blume in der 
linken Hand ist nach meiner Ansıcht entschieden der Frühlingsgott. Die 
Darstellung bildet einen Theil des Gewandschmuckes einer Flügelfigur. 
Ganz übereinstimmend dann mit unserer Darstellung ist die Gestalt des 
Typhon mit der Flügelkugel auf einem Cylinder bei Layard, Nineveh 
and Babylon p- 607. — Auch die fullface figure von Arban, ebenda p. 279, 
ist entschieden keine menschliche Figur, sondern stellt wahrscheinlich den 
Kriegsgott dar. Ganz dieselbe Erscheinung finden wir in Botta’s Darstellungen. 


vom 3. Februar 1859. 137 


Weise mitten inne erscheinen; nur müssen wir bedenken, wie 
ungleich schwieriger hier der darzustellende Gegenstand und wie 
beschränkt der Raum war. Gleich beim ersten Anblick dieser 
Gruppe drang sich mir unwillkürlich der Eindruck auf, dals bier 
eine dämonische Naturgewalt oder ein Naturphänomen darge- 
stellt sei, aber den Augenblick waren mir die Verhältnisse der 
Alyattesgeschichte und der Sonnenfinsternils, nicht gegenwärtig, 
aber so wie ich die Stelle des Herodot aäufınerksam wieder 
durchlas, blieb mir nicht der geringste Zweifel, und ich hoffe, 
dals meine Erklärung auch anderen aufmerksamen Beobachtern 
sich bewähren wird. 

Diese berühmte, angeblich von Thales vorhergesagte Son- 
nenfinsternils wärd von den meisten Gelehrten neuerer Zeit auf 
den 10. Sept. 610 a. Chr. gesetzt; ganz neuerdings aber haben 
die Astronomen Hind, Airey und besonders Herr Zech sich 
in Übereinstimmung mit Plinius für den 28. Mai 584 erklärt.?) 
In Beziehung auf die zu erklärende Sculptur kann es ganz gleich- 
gültig sein, ob das Ereignils ein Paar Jahre früher oder später 
eintrat. Denn auch nach Hrn. Zech’s Berechnung würde die 
Curve der centralen Sonnenverfinsterung mit einem Gürtel von 


etwa 40 D. G. Meilen das ganze mittlere Halysthal umfalst ha- 


ben und wenn auch dieses denkwürdige Naturereignils sich nicht 
gerade in der nächsten Umgebung der Hauptgränzfeste kund 
that, war es natürlich, dals der Gegenstand zugleich mit der 
Feier seiner Ceremonie hier seine Darstellung fand. 

Ehe ich nun zu einer besonderen Beschreibung der einzelnen 
Figuren unsrer Darstellung übergehe, willich noch ein Paar allge- 
meine Bemerkungen machen. Ich erwarte und weils bestimmt, dafs 
einigen jener Zeit kund'gen Gelehrten der ganze Stil jener Sculptu- 
ren älter erscheint, als das Ende des 7ten oder der Anfang des 6sten 
vorchristlichen Jahrhunderts und dafs sie demzufolge diese Sculptu- 
ren eher auf die Zeit der assyrischen als der medischen Her- 
schaft zurückführen möchten. In Hinsicht des Stiles aber haben 
wir für diese Zeiten, besonders in einer Provinziallandschaft, wie 
das halb barbarische Kappadocien, kein bestimmtes Kriterium, 
um zwischen einem oder zwei Jahrhunderten zu entscheiden; 


°) S. Bosanquet, fall of Nineveh p. 14. Dr. J. Zech’s Astrono- 
mische Untersuchungen über Sonnen- und Mondfinsternisse 1853. 


‚138 Gesammtsitzung 


in dieser von den Hauptkulturplätzen der damaligen vorherr- 
schenden Staaten, wie vom Meere gleichweit entfernt abgelege- 
nen Provinz, deren Künstler doch wol diese Gelegenheitssculp- R 
turen ausführten, mufste der ältere Stil sich länger erhalten, als 
in den Hauptstädten Nineve, dann Egbatana, und deshalb dürfen 
wir uns keineswegs wundern, hier nicht den glänzenden Pomp 
königlicher Figuren zu sehen, wie sie besonders in Nineve er- 
scheinen. Vielleicht oder wahrscheinlich brachten es die Meder, 
die im Allgemeinen freilich den Pomp der Assyrer annahmen, 
darin nie so weit'°). Allerdings ist nicht zu läugnen, dafs die 
vereinzelte Felssculptur von-Karab&@l bei Niniphi, so weit die dort 
vom Wetter sehr mitgenommene Sculptur einen besondren Cha- 
rakter des Stiles erkennen läfst, manche Analogien mit eini- 
gen, besonders den Hauptfiguren unserer Darstellung zeigt; die 
Kopfbedeckung hat sehr viel Ähnliches, das Wams ist nicht 
sehr verschieden, aber erstlich ist der Streiter von Karabel 
unbärtig und könnte also mit einiger Wahrscheinlichkeit nur 
mit einer der Figuren in der hinteren Felskluft identificirt 
werden und dann findet sich ein sehr grolser Unterschied 
in der Bewaflnung, der wol allein schon genügen kann, einen 
Zwischenraum von Jahrhunderten zwischen beiden Darstellungen 
anzuzeigen, obgleich die genaue Zeit der schon von Herodot 
di. II. c. 106) erwähnten, aber fälschlich dem ägyptischen Se- 
sostris beigelegten Sculptur bei Nimphi durchaus nicht feststeht. 
Denn, während die letztere Figur neben der charakteristerischen, 
auch in unserer Darstellung stets wiederkehrenden, Klein- Asien 
und den Saken eigenthümlichen, Gürtelstreitaxt, der sägaris, 
einen Bogen trägt, sehen wir uns hier bei Boghaskoei umsonst 
nach einer einzigen Darstellung einer solchen Waffe um und 
finden dafür nur Sichelschwerter, gerade Schwerter und ganz 
besonders Keulen. Die Keule ist bei der Frage der Identifica- 
tion der Hauptfigur allerdings nicht ohne Bedeutung; denn 
Manche möchten in Zweifel ziehen, ob die Lyder sich dieser 


10) Wegen besonderen königlichen Schmuckes will ich nur erwähnen, 
dafs auf der Hauptsculptur keine derHauptpersonen Ohrringe trägt, dagegen 
die beiden Figuren in der hinteren Felskluft solchen Schmuck haben. 
Übrigens haben selbst auf den Sculpturen von Nineve die Könige derglei- 
chen nicht immer. So z. B. Layard, first series pl. 13. 


vom 3. Februar 1859. 139 


Waffe je bedient hätten, aber mit Sicherheit in Abrede zu 
‚stellen ist es gewils nicht. Man muls eben berücksichtigen, 
welch grofse Veränderung in Kleidung und Bewaffnung Jahr- 
hunderte hervorbringen, sehen wir doch schon in den Sculptu- 
ren von Nineve, auch abgesehen von verschiedenen Waffengat- 
tungen grolse Verschiedenheit, abhängig vom Fortgange der Zeit. 
Ja wir finden in eben jenen Sculpturen im Fortschritte der Zeit 
eine ganz evidente und unläugbare Annäherung an unsere Sculptu- 
ren, nicht allein, wenn wir die hohen, schlankeren Figuren und 
die stets höher werdenden Spitzmützen auf den Sculpturen von 
‚Kuyundjik mit den kurzen stammigen Figuren und den niedrigen 
Hauben auf den ältern Sculpturen von Nimrod vergleichen, son- 
dern ganz besonders gerade mit Bezug auf die Keulen. Denn 
hier finden wir als Umstand von der allerhöchsten Bedeutung 
zur annähernden chronologischen Bestimmung unserer Felsspdpl 
turen, dals die Keule so wie die Streitaxt auf den assyrischen 
ne: zum ersten Mal in den Kriegsdarstellungen 

es Enkel’s Sennacherib’s erscheinen, der vielleicht eben 


r letzte König von Nineve war, also ein Zeitgenosse des Cya- 
res, jedenfalls aber nur um wenige Jahre früher war.'') Die 
üngsten Sculpturen von Kuyundjik steigen eben ganz bis in die 
it des Cyaxares herab. Eben solche Keulen tragen die Assy- 
rer in dem ein Jahrhundert später unternommenen Heereszuge 
des Xerzes.'”) Wenn dagegen in jenem Feldzuge Perser und 
_ Meder eine sehr verschiedene Kleidung tragen und auch wieder 
als besondere Waffe Bogen und Pfeil führen, so hindert dieser 
Umstand gar nicht, dals die Meder nicht um 600 a. €. die 
ehr assyrische Bewaffnung der Keulen und kurzen Schwerter 
gehabt haben sollten. Ja wir lernen ausdrücklich aus Hero- 
tl. I. c. 73, dals die Meder eben zur Zeit des Cyaxares des 
genschiefsens ziemlich unkundig waren. Mit den assyrischen 
ulpturen, so weit sie mir sowohl aus Anschauung der in Lon- 
naufgestellten Schätze, als aus Layard’s und Bott a’s Pracht- 
ken bekannt sind, stimmen auch nicht die hier dargestellten fast 
rchweg geschnäbelten Schuhe überein; solche Fufsbekleidung 
u —— 
SE ‘) S.Layard, Nineveh and Babylon p. 451. 
'?) Herodot |. VII ce. 61, 62. 


& 

& 
3 
® 


140 Gesammtsitzung 


erscheint im Gegentheil auf jenen Sculpturen nie bei Assy- 
rern, sondern nur in ähnlicher Weise bei unterworfenen Völ- 
kerschaften, wie auf Tafel 40 der ersten Folge von La- 
yard’s Monumenten und auf dem Obelisken, Tafel 53. Da- 
gegen wissen wir ausdrücklich, dals die Lyder solche Schuhe 
trugen und es ist nun von hoher Bedeutung, dals auch die 
Figur von Karabel ganz genau solche Schuhe trägt. Auf der 
anderen Seite scheinen die Waffenröcke Ärmel gehabt zu haben, 
also ganz und gar den zıIwves Yeızıdwroi bei Herodot zu ent- 
sprechen. Dagegen würden wir hier in der rüstigen kräftigen 
Zeit des medischen Reiches bei den eigentlichen Streitern von 
selbst noch nicht die weiten Pumphosen oder dve£vgiöss erwar- | 
ten, die wir in der späteren verweichlichten Zeit im persischen 
Heere finden; wir finden sie daher in unserer Darstellung nur 
bei priesterlichen Figuren. Ich habe schon oben bemerkt, dals 
auf der Hauptdarstellung alle männlichen Hauptfiguren mit Aus- 
nahme der kleineren Figur zur Rechten bärtig sind; dagegen sind 
aber alle gewöhnlichen Streiter unbärtig und das ist ein gewaltiger 
Unterschied im Vergleich mit den älteren assyrischen Sculpturen, 
wo nur Eunuchen unbärtig erscheinen; nur in den jüngsten Sculp- 
turen ist das auch bei Kriegern der Fall. Die drei bärtigen Fi- 
guren unserer Darstellung, die Texier Stratagen nennt, werde 
ich als einem höheren Range angehörig darthun. 

Gewils erscheint bei meiner Erklärung der Iydische Fürst 
mit seinem Hause als besonders hervorragend, wenn wir näm- 
lich die die Mitte des Bildes einnehmende männliche Figur für 
Alyattes und die ihm gegenüberstehende weibliche für seine Toch- 
ter nehmen. Darauf aber bestehe ich keineswegs, obgleich es mir 
wahrscheinlich scheint; diese Identification wäre noch sicherer, wenn 
die beiden Figuren, auf denen dieser Streiter steht, wirklich in 
solcher Klarheit erhalten wären, wie Texier sie gezeichnet hat; 
denn dann könnte man sie füglich nur als die Repräsentanten 
des unterworfenen Phrygiens und demgemäls den auf sie treten- 
den Eroberer nur für den Lyder erklären, aber, wie ich das näher 
weiter unten ausführen werde, haben diese Figuren sehr gelit- 
ten. Man könnte sonst meinetwegen diese Figur auch für 
Kyaxares nehmen, aber wenn wir daran festhalten, dafs die klei- 
nere männliche Figur hinter der weiblichen aller Wabhrschein- 


u LLDLLLLUULLLLUULUU LUD ee EEE EEE 


vom 3. Feöruar 1859. 141 


lichkeit nach dessen Sohn ist, ist es keineswegs wahrschein- 
lich, dafs der Vater auch in so hervorragender Stellung erschei- 
nen sollte. Jedenfalls ist so viel wol sicher, dals in dem ganzen 
von Herodot beschriebenen Kampfe der Lyder mit seinen da- 
mals durch Tapferkeit und Waffenkunst vor allen asiatischen Völ- 
kern ausgezeichneten Heerschaaren nicht im Nachtheile war und 
es war neben dem Rachegefühl gegen Pieria, wo seine Schwe- 
ster dem vom persischen Emporkömmling entthronten Meder 
vermählt worden war, wol besonders auf eine solche Erinnerung, 
dals sein Sohn Kroisos sich stützte, als er gegen Cyrus kübn 
die Offensive ergriff und ohne Schonung verheerend und vernich- 
tend in Kappadocien eindrang. 

Zwei der zur Linken folgenden Figuren erkläre ich für den 
kilikischen und babylonischen Fürsten. Nun stehen allerdings 
‚gerade zwei sehr hervorragende Figuren hart hinter der männ- 
lichen Hauptfigur, nur geschieden von ihr durch einen Platz, 
wo der Fels besonders rauh ist und eine dieser beiden Figuren 
ist meiner Ansicht nach entschieden der Syennesis von Kilikien, wol 
die erste besonders kriegerisch aussehende, die auf den Berg- 
höhen steht. Die nächst folgende, gleichfalls auf zwei Berg- 
‚böben stehende, Figur ist aber wol nicht mit dem Babylonier 
zu identifieiren, sondern mit einem anderen Fürsten, der sich 
in jenem Kriege besonders hervorthat. Dagegen ist mit einer 
‚der beiden, von Herodot so hervorragend erwähnten, Persön- 
lichkeiten meines Erachtens die letzte Figur auf dem zweiten Felde 
zur Linken, die durch eine besondere Abbildung in vergröfser- 
tem Maalsstabe verewigte Figur, n. I unter meinen Skizzen, zu 
identificiren. Diese Figur habe ich besonders gezeichnet, da sie 
als ausnahmsweise trefflich erhalten grolses Interesse verdient 


and weil Texier’s Zeichnung mangelhaft ist. So, um das 


gleich hier voraus zu nehmen, erscheint der Charakter dieser 
Figur allerdings durch die geflügelte Kugel oder das geflügelte 
Rad, das sie in der Prozession auf dem Haupte, auf der Einzel- 
vorstellung mit der phallischen Ausschmückung in der rechten 
Hand trägt, als durch göttliche Weihe besonders geheiligt, zu- 
‚mal wenn wir bedenken, dafs dies Symbol auf der Hauptvor- 
stellung nur bei ihr erscheint und stellt der bidens in ihrer 


142 Gesammtsitzung 


Rechten sie als einen Friedensstifter dar '?), aufserdem aber führt 
sie, was Texier ganz und gar übersehn, in der Einzeldarstel- 
lung eine Gürtelaxt und erscheint damit entschieden als Mann 
und Fürst und scheint mir demnach in diesem dreifachen Cha- 
rakter als unter dem besondren Schutz der Gottheit stehend, 
als Friedensstifter und endlich als Fürst, mit dem Friedensstifter, | 
dem klugen Priesterfürsten von Babylon identificirt werden zu 
müssen. 

Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen gehe ich zu einer 
besonderen Beschreibung der einzelnen Figuren über. Hier 
mufs ich mit Jedem beklagen, dals Texier in der Beschreibung 
seiner bildlichen Darstellung gar nichts über die gröfsere oder 
geringere Deutlichkeit des im Einzelnen Erhaltenen sagt, so dafs 
man in einigen Fällen nicht weils, ob vor 20 Jahren, wo er 
diese Zeichnungen machte, Einiges was jetzt verlöscht, wirklich 
noch deutlich zu erkennen war, oder ob er es aus seiner Phan- 
tasie ergänzt hat. Ich berücksichtige die Anordnung in Hrn. Rit- 
ter’s reducirtem Maalsstabe (Erdkunde Klein-Asiens 1. TafelI.u.II.), 
daTexier’sPrachtwerk(Deseription de !’AsieMineure)wolWenigen 
zu Gebote steht. Ich wiederhole zuerst, dals das ganze Bild nach $, 
20° W. schauet. Die Gröfse der Hauptfigur ist kolossal, die hintere 
zur Rechten ziemlich von natürlicher Gröfse, die auf der nächstfol- 
genden Tafel nach W. etwa 3 Fuls hoch. Die dann folgenden 
und die auf der gegenüberstehenden Wand etwa 2 Fufs. 

1. Ich fange mit der Hauptfigur der ganzen Darstellung 
an. Dies ist seiner Stellung, gerade in der Mitte der Haupt- 
wand der Nische, zufolge, die Kolossalfıgur des nach Ost ge- 
wandten Streiters. Seiner ganzen Erscheinung nach tritt er 
auf als ein Eroberer der westlichen Länder. Dies würde noch 
viel klarer sein, wenn das Piedestal, worauf er steht, noch deut- 
lich zu erkennen wäre. Das ist aber wenigstens jetzt durchaus 
nicht mehr der Fall und ich sowohl wie mein Begleiter, 
Hr. Mordtmann, waren zuerst der Ansicht, dals auch diese 
Unterlage einen Fels vorstelle, der nur in diesem Falle durch 
einen Sperberkopf besonders ausgezeichnet sei, aber ich machte 


1?) Zu diesem bidens vergl. Layard Monuments, first series 
pl. 39A. 


vom 3. Februar 1859. 143 


dann meinen Begleiter, der auf dem Sperberkopf bestand, darauf 
aufmerksam, dafs der Umrifs der Arme an beiden Figuren, ge- 
nau so, wie Texier sie giebt, nicht zu verkennen sei und sie 
doch entschieden als wirkliche Menschen in vorgebeugter Stel- 
lung mit vorgebogener phrygischer Mütze bezeichne. Leider 
war die Beleuchtung nicht klar und ich halte es daher für 
möglich, dafs Texier vom Bart und den Besonderheiten der 


Gewandung wirklich mehr erkannt hat, als jetzt zu erkennen ist. 
Jedenfalls würden künftige Reisende wohl thun, diesen Figuren 
ganz besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, da, wie ich oben 
bemerkt, ihre Darstellung von der grölsten Bedeutung für die 
Identification der von ihnen getragenen Figur ist. 

Die kolossale, auf diesem Untersatz stehende, männliche Ge- 
stalt nun mit nicht sehr adlerförmiger Nase und ziemlich langem 
Bart, trägt eine sehr hohe, geschmückte Spitzmütze, wie sie über- 
haupt bei allen männlichen Figuren auf diesem Bilde am häufig- 
en ist. Sie hat vorne, wo sie das Antlitz berührt, die basi- 
skenähnliche, jedoch nicht immer auf dieselbe Weise darge- 
tellte Krümmung. Ich habe jedoch, um das gleich hier zu be- 
erken, weder an dieser Hauptfigur, noch an den anderen Fi- 
guren, welche diese Mütze tragen, den in Texier’s Zeichnung 
‚erscheinenden unteren Besatz mit auf den Nacken fallender Kappe 


ennen können; dagegen ist ein solcher Untertheil völlig klar 
i der in meiner Skizze no. 2. vorgestellten Figur. 

Die Figur 1. trägt ferner eine eng an den Leib schlielsende, 
ürtete, die Zeichnung der Brust stark anzeigende Tunika, 
em Anscheine nach, wie das bei anderen Figuren vollkommen 
aulser allem Zweifel steht, mit langen Ärmeln. Die Beine schei- 
nen unbedeckt, aber die Fülse haben die höchst bedeutsame, 
in diesem Falle gerade überaus stark geschnäbelte, Schuhbeklei- 
dung, bei der man jedoch in keinem Falle sieht, wie hoch 
sie am Bein hinaufreichte. An dem rechten Ellbogen ist eine 
hakenförmige Vorkehrung, von der ich schon oben gespro- 
chen habe. 

7 Als Waffen trägt diese Figur ein Doppelbeil, die in Klein- 
Asien recht heimische sagaris, an der linken Seite, in der rech- 
‚ten Hand eine Keule an die Schulter angelehnt und in der Lin- 
Iken, wie es scheint, die crux ansata in einer Lotosblume. 

\ [1859.] 10 


£ 


; 


144 -  Gesammtsitzung 


Was Texier als Einhorn zur Seite dieser männlichen, wie 
zur Seite der gegenüberstehenden weiblichen Figur a 
hat, war mir unmöglich genau zu erkennen. 

2. Hinter dieser Figur nach W. folgt nun nach einem an- 
sehnlichen Zwischenraum, der wahrscheinlich, wenn der Fels 
hier nicht stark gelitten hatte, noch einen anderen Gegenstand 
zeigte, in um ein Drittheil kleinerem Maalsstab, ein bärtiger Krie- 
ger, auf zwei bergähnlichen hohen Aufsprüngen stehend mit nach 
oben etwas verschieden geformter Spitzmütze, ähnlichem Wams- 
und Schuhen. Er trägt keine Streitaxt im Gurt, führt aber in 
der Rechten gleichfalls eine Keule und in der Linken ein Attribut, 
das ich nicht mit Texier als gerades zweischneidiges Schwert 
erkennen konnte. Jedenfalls ist auch bei ihm der friedliche Cha- 
rakter durch die vor seiner Mütze sichtbare Lotosblume deut- 
lich angezeigt. 

3. Hinter dieser Figur folgt nun eine andere, gleichfalls bär- 
tige, männliche Figur von gleicher Gröfse und gleichfalls auf 
Bergen stehend, aber sonst sehr verschieden angethan. Sie trägt 
nämlich über dem kurzen Wams ein nur hinten bis auf die 
halbe Seite vorschlagendes Gewand, das vielleicht mit einem vom 
linken Ellbogen herabhangenden Stoff zusammenhangt. Nun 
habe ich bei einer genauen Durchmusterung der von Layard 
gegebenen reichen assyrischen Bildwerke mich überzeugt, dals 
diese Art Gewandung, wie wir sie hier vor uns sehen, nur von 
Figuren übermenschlichen Ranges getragen wird. Sie erscheint 
nie bei gewöhnlichen menschlichen Figuren, sondern fast nur 
immer bei Flügelfiguren, z. B. first series pl. 25, 35, 36, 37, 
38, 44 n. 1,47 n. 4,50 n. 2,4 und 5; second series pl. 3 n. 5. 
Eben so gekleidet erscheint der Fischgott I. series pl. 50 n.7 
und die Figur pl. 49 n. 4 halb Greif, halb Mensch. Die Figur 
pl. 47 n. 2 ist allerdings ungeflügelt, aber doch überirdisch. 
Ganz dieselbe Erscheinung läfst sich in Botta’s Darstellungen 
verfolgen. Wir können hieraus wol mit Recht den Schlufßs 
ziehen, dals wir auch bier in der so bekleideten Figur keinen 
gewöhnlichen weltlichen Fürsten zu sehen haben. Die Figu 
trägt im Übrigen eine Spitzmütze und die Schnabelschuhe, schein 
aber in den beiden halbvorgestreckten Händen nichts zu halten. 

Ich will nun zuerst die auf der Haupttafel der Darstel 


vom 3. Februar 1859. 145 


lung den so eben beschriebenen gegenüberstehenden Figuren be- 

' schreiben, damit wir diese Gruppe vollständig vor uns haben. 
4. Der königlichen Mittelfigur gegenüber also steht eine ganz 
und gar verschieden aussehende Gestalt, von durchaus friedlichem, 
‚allem Anscheine nach weiblichen Charakter, im Übrigen aber in 


‚ verhältnifsmälsiger Grölse. Wir wollen sie nicht von vornherein 
als weiblich bezeichnen, aber ihre Züge haben allem Anscheine 
‚nach etwas Weibliches. Anstalt der Spitzmütze trägt sie eine Mütze 
‘in Form einer Mauerkrone mit einem gabelförmigen Schmuck — 
‘ wahrscheinlich dem oben erwähnten bidens, also eine Diminutiv- 
‚darstellung des von ihr in der Hand geführten Stabes — in den 
‚abgetheilten Feldern. Anstatt des Bartes hat sie lang auf die Schul- 
tern herabwallendes Haar — wenn man dies nicht für einen 
 zurückgeschlagenen Schleier halten will. Wenigstens würde 
die letztere Annahme leichter erklären, wie diese breiten Streifen, 
wie das bei einigen der nachfolgenden Figuren ganz deutlich der Fall 
ist, hinten im Gürtel befestigt sein können, was doch bei Haar- 
Jöcken unnatürlich ist. Die Figur trägt ein mit langen Ärmeln 
wersehenes und um den Leib gegürtetes volles Gewand, das bis 
auf die Fülse herabreicht, weniger stark geschnäbelte Schuhe, 
in den Ohren mälsig grofse Ohrringe, in der rechten Hand 
einen langen krückenähnlichen Stab, das heifst, den schon mehr- 
fach erwähnten bidens, in der Linken die Lebensblume oder 
-erux ansata in der Lotosblume. Das von Texier angegebene EKin- 
"horn: zu ihrer Rechten konnte ich nicht erkennen, ebensowenig 
wie das gegenüberstehende. Es kann etwas ganz Anderes sein. 
"Sie steht auf einem Thier, das Texier wol fälschlich für einen 
Löwen gehalten hat, da es nichts mit einem solchen gemein 
‚hat; gewils Wenige, die dies hochbeinige Thier mit der kurzen 
‚stämmigen Löwenfigur an dem von Texier selbst in den Rui- 
von Boghaskoei aufgefundenen Löwenthron vergleichen, werden 
‚dies Thier für einen Löwen halten. Es ist wol sicher ein 
'Leoparde, der im Orient, besonders in Persien, in Sculpturen 
‚eine keineswegs seltene Erscheinung ist. Eben so wenig sind 
die beiden 'Thiere, worauf zwei Figuren auf der Felssculptur zu 
"Bavian stehen, Löwen (Layard M. second series 51), aber aller- 
dings haben sie eben so wenig Ähnlichkeit mit unseren Thieren. 
Dals, wie Texier meint, durch die höheren Berghöhen unter 
101° 


146 Gesammtsitzung 


den Hinterfülsen dieses Thieres angezeigt werden soll, dafs 
vom Gebirge herabkommt, ist möglich. 2 

5. Hinter dieser Figur im oberen Felde, getrennt von ihr 
durch ein in menschliches Untertheil auslaufendes Lebenssymbo 
folgt eine männliche Figur, die ungeachtet ihrer kleineren Ver. 
hältnisse durch das ganz ähnliche Thier, worauf sie mit der vor. 
hergehenden steht, augenscheinlich in jeder Weise aufs Engs 
mit ihr zusammengeordnet gedacht werden soll. Der einzig 
Unterschied besteht darin, dafs dieser Leopard auf zwei, ansta 
auf vier Felshöhen steht, und ist wol ganz ohne Bedeutung. 

Diese Figur trägt eine sehr hohe Spitzmütze. Ich rathe je 
doch späteren Reisenden, die Mützen aller dieser Figuren noc 
einmal genau zu untersuchen, ob einige nicht vorgebogen sin 
und somit den phrygischen sich mehr annähern. 

Sie trägt die einfache gegürtete Tunika und hoch umg 
krämpte Schuhe. Als Waffen führt sie eine eigenthümliche drei 
schneidige, sehr lange Streitaxt in ihrer Linken, einen auf de 
Kopf des Leoparden gestützten umgekehrten Krummstab in ih 
rer Rechten und kurze sagaris im Gürtel, aber auf der rechte 
Seite. An dem linken Ellbogen dieses männlichen Streiters fin- 
det man nun, wie oben bemerkt, einen ähnlichen Haken, wie a 
der Hauptfigur links. 

Dann folgen, dieses Hauptbild rechts abschlielsend: 

6. u. 7. zwei Figuren, die wir nothwendig zusammen ne 
men müssen, weil sie fast ganz gleich angethan sind und a 
einem und demselben Untersatz stehen. 

Dieser Untersatz ist von aulserordentlicher Bedeutung fü 
das Verständnils des Bildes. Es ist der Pterische Doppeladler i 
ganz genau derselben Darstellung, wie wir ihn im inneren Por 
tal des alt-assyrischen Gebäudes im benachbarten Ueyük finde 
und auch offenbar mit jeder Klaue auf einer Maus ruhend 
das Thier in Ueyük ist entschieden nicht ein Haase, was ma 
sonst voraussetzen sollte — wovon wir hier nur den ÖOberthei 
gewahren, während das interessante Attribut zu Ueyük gan 
deutlich ist. 

Beide Figuren 6. u. 7. haben noch kleinere Verhältnisse, al 
die vorhergehende männliche, haben sonst aber ganz dieselbe Tracht, 
wie die der ihnen voranschreitenden Hauptfigur; ein langes, um de 


vom 3. Februar 1859. 147 


Leib gegürtetes und unten gefaltetes Gewand mit langen Är- 
meln, eine Thurmkrone, lange Haarlocke oder Schleier, dieselbe 
Art Schuhe und auch Ohrringe; nur in Hinsicht dessen, was sie 
in der Hand halten, scheinen sie etwas verschieden; die erste die- 
ser beiden Figuren nämlich hat in der Rechten, wie es scheint, 
einen etwas gekrümmten Stab, während, was sie in der Linken 
hält, ganz undeutlich ist; die hintere scheint den geraden Stab 
mit noch einem Blatt oder sonst etwas in der Linken, in der 
Rechten eine Blume zu halten. 
Ich will nun erst die rechte oder östliche Seite der Fels- 
nische beschreiben, da sie weniger Figuren enthält und also leicht 
abzumachen ist. 
8-10. (bei Ritter Tafel II. no. 6). In einer kleinen Ein- 
biegung der Felswand folgt eine sehr schöne Gruppe von drei 
‚weiblichen Figuren, d. h. Figuren in ähnlicher Tracht wie die 
drei zur Rechten in der Hauptgruppe; sie haben aber leider 
‚sehr gelitten, zumal die Attribute, die sie in ihrer Hand tragen. 
Nur das sieht man klar, dafs es oben in eine crux ansata en- 
nde, aber mannichfaltig gegliederte Stäbe waren. Die Thurm- 
ützen scheinen verschiedenen Zierrath zu haben. 
4 11—20. Zehn äbnliche Figuren, aber in Gestalt, Haltung, 
Ausführung und Attributen als jenen drei vorhergehenden unter- 
ordnet vom Künstler angezeigt. Auch sind sie dadurch ausge- 
E: dals ihr rechter Arm auf einer breiten, bis an den Boden 


reichenden und vorn concav ausgeschnittenen Unterlage ruht, 


ie ich für ein musikalisches, harfenähnliches Instrument halte, 
wenigstens ist es gewils kein Stab; allerdings könnte es auffal- 
lend scheinen, dals sie das Instrument in der rechten Hand 
halten, aber das möchte durch seine Schwere bedingt sein und 


"auch auf den Sculpturen von Nineve sehen wir etwas Ähnliches. 
Vgl. Layard, Monuments second series pl. 48,2, auch 49. 


Wollten wir diese Frauen oder Mädchen als Lydierinnen ansehen, 
en ihrerinnen ihrer Prinzessin, die bei dieser Gelegenheit 
vielleicht den entsprechenden Jünglingen auf der andern Seite 
 vermählt wurden, so könnten wir diese Darstellung auf das Ver- 
enst der Lyder im Cytherspiel beziehen. Der Faltenwurf am 
unteren Theile des Gewandes scheint bei einigen dieser Figu- 


148 Gesammtsitzung 


ren etwas verschieden zu sein, aber diese Figuren haben sehr 
gelitten. } 

Hiermit schliefst diese Seite der Prozession ab. Denn die 
grolse von Texier Padischah genannte Figur an einer wieder 
nach N. gekehrten Seite dieser Felswand steht allein und bildet 
ein Bild für sich. ; 

Ich gehe daher nun zur Beschreibung der Prozession auf 
der gegenüberstehenden Felswand über. 

21—26. Hier haben wir auf der zunächst folgenden, nord & 
nordöstlich gewendeten Felstafel einie sehr bedeutsame Gruppe (bei ? 
Ritter Tafel I. n. 4) von sechs Figuren, alle in entschieden 
ausgeprägter, würdiger Haltung einer feierlichen Prozession und 
von sehr schöner Ausführung. 

Voran schreitet eine würdige bärtige Mannesgestalt in lan- 
gem, ganz einfach gehaltenen Gewand, wenn dee. untere Theil 
nicht vielleicht Pumphosen darstellt; der Oberkörper ist doch 
wol bekleidet. Vom Ellbogen des linken Armes scheint ein of- { 
fener Mantel herunterzuhangen. Gegenwärtig kann man nicht 
erkennen, ob die Gestalt in den vorgestreckten Händen etwas hält. ; 
Sie hat keine Ohrringe. a 

23. Ihr folgt eine ganz deutlich ausgeprägte Flügelfigur. 
In der Zeichnung Texier’s können die von jeder der beiden 
Schultern emporreichenden Flügel mehr gewaltige Köcher vorzu- 
stellen scheinen, aber so viel ich sah — s. Skizze n. I — haben 
sie davon nichts, sondern sind viel weniger steif und sind durch- 
aus flügelartig gehalten. Auch ist der Obertheil des rechten 
Flügels abgebrochen. Dabei sind die eigenthümlichen, abwärts 
gehenden Falten des Hintergewandes sehr deutlich. Diese höchst 
bedeutsame Figur, die den inneren Bezug unserer Darstellung 
auf Friedensvertrag am anschaulichsten personificirt, trägt eben- 
falls die Spitzmütze, dann ein allem Anschein nach am vorge- 
streckten linken Bein ganz eng anschliefsendes, stark horizontal 
gestreiftes, Untergewand und darüber ein vorn bis über die 
Taille reichendes und über dem Leib in einer Spitze ausge- 
hendes Wams, das sich hinten in einem Ausschnitt bis auf die 
Fersen hinabzieht und mit dem Untergewand in einer steifen 
Spitze nach hinten ausläuft. Dabei aber scheint auch diese Figur 
‚noch überdies eine Art Mantel zu tragen, dessen linke Seite vom 


vom 3. Februar 1859. 149 


linken Ellbogen herabhängt. Die Figur ist unbärtig, und ist 
wol als weiblich zu fassen, entsprechend dem weiter zurück 
nachfolgenden männlichen Flügelgenius; denn so erscheinen 
diese Figuren auf den Monumenten von Nineve beiderlei Ge- 
schlechts, first series pl. 5, 7 u. 7a. Sonst könnte man die Figur 23. 
ihrer hohen Gestalt nach als männlich fassen, da die dem Anschein 
nach als Frauen angedeuteten Personen hier im Durchschnitt 
kleineren, gedrungeneren Wuchses sind. Von dem Ohrringe 
konnte ich nichts erkennen. 

24 u. 25. Folgen zwei, zur Erklärung der Sculptur gleich- 
falls sehr wichtige, Figuren in sehr verschiedenem Aufzug und 
mit Attributen, die sie vor allen übrigen auszeichnen. Es sind 
kurze unbärtige Figuren, auf dem Kopfe eine einem einfachen Helm 
ähnliche Bedeckung mit einem an der Brust eng anliegenden, 
am Halse ausgeschnittenen und unter dem Gurt in starken, re- 
gelmäfsigen Falten herabhangenden Gewande, die linke Hand 
halb erhoben, aber ohne dem Anschein nach etwas zu fassen, 
die Rechte mit kleiner Einbiegung berabgesenkt, mit einem Arm- 
ring geschmückt — wenn dies nicht der stark markirte Saum 
des Ärmels ist, und ein mit einer Handhabe versehenes, rundes 
Instrument haltend, das nach der dem Beschauer zugekehrten 
Wölbung wol sicher eine Schaale ist. Jedenfalls ist bei beiden 
Figuren dies Instrument ganz dasselbe und Texier’s Sichel bei 
der einen ist vollkommen falsch. Ich halte diese beiden Schaalen 
zum Auffangen des Blutes bei dem heiligen Aderlafs und zum Blut- 
trank, zur Befestigung des Friedensschwures bestimmt und halte die 
‚beiden Figuren für babylonische Priester. Die Fülse sind bei 
‚diesen beiden Figuren nicht erkennbar. Kein Obrschmuck.. 

. 26. Folgt nun das männliche Widerspiel der ersten Flügel- 
figur, ausgezeichnet durch Bart und eine im oberen Theil mit eigen- 
Ahümlichen Vorsprüngen verzierte Spitzmütze, die aber noch ganz 
‚genaue Untersuchung erfordert. Als Gewand hat sie nichts als 
eine um den Leib gegürtete Tunika; denn bei ihr scheint der unter 
‚dem linken Arm bis auf den Boden herabreichende Streifen ein 
‚Stab zu sein. Schuhe stark geschnäbelt, keine Ohrringe. 

h 27. Folgt eine noch interessantere Figur, die uns bestimmt 
zu zeigen scheint, dals wir es hier mit ganz historischen Per- 
sonen zu ihun haben. Es ist eine sehr kurze, unbärtige Figur 


450 Gesammisitzung 


mit runder, haubenartiger Kopfbedeckung, vielleicht mit Nacken- 
bedeckung, wenn diese scheinbare Verlängerung nicht das Haar ist, 
einem, dem Anscheine nach, den rechten Arm mit Ärmel be- 
deckenden, sehr groben Gewand, das über der linken Schulter 
offen ist, den linken Arm frei läfst und auch auf der ganzen 
linken Seite aufgeschlitzt ist. Auf der Kopfhaube trägt sie die ge- 
flügelte Kugel in sehr scharfer Abzeichnung, in der linken Hand 
trägt sie ein mit drei Querstäben versehenes Lebenszeichen und 
in der Rechten einen nach unten herabhängenden stark gewun- 
denen lituus oder vielmehr bidens. Diese Figur nun ist, wie 
schon jeder der beiden früheren Betrachter erkannte, in der 
Hauptcharakteristik genau dieselbe, wie die grolse allein ste- 
hende, auf einem nach N. gekehrten Felde der gegenüber lie- 
genden Felswand dargestellte, die mit ihrer Glasur vortrefflich 
erhalten ist und von der ich eine besondere Zeichnung machte, 
n. 2, weil Texier, wie schon oben angegeben, Verschiedenes 
weniger richtig dargestellt hat, sowohl im Stile des Ganzen, als 
auch in einzelnen Attributen, wie er denn die sagaris ganz über- 
sah. Hier auf dieser grolsen Darstellung steht die Figur auf 
zwei Berghöhen, die ganz wie die Berge auf den assyrischen 
Sculpturen gearbeitet sind. (Vgl. Layard Monuments second 
series 29, 31 und oft.) Ihr Gewand und ihre Kopfbekieidung ist 
ganz dieselbe, wie auf der grölseren Gruppe, nur dafs der rechte 
Arm hier unbekleidet, der linke dagegen bekleidet ist. Hier 
trägt sie in der Linken den gewundenen bidens und in der Rech- 
ten die mit wohl phallischen Symbolen und einem Idol der Na- 
turgöttin geschmückte Flügelkugel. Nur die Schuhe sind auf 
der grolsen Darstellung nicht so stark geschnäbelt, wie in der 
Gesammtdarstellung. 

28—37. Folgt nun eine andere Tafel '*), wenn recht ver- 
standen, kaum minder interessant und wichtig, mit neun Figuren, 
wovon sieben allerdings eine geringere Bedeutung haben, zwei aber 
vielleicht das allergrölste Interesse in der ganzen Sculptur in 


'*) Bei Ritter ist diese Tafel verstellt, denn die Gruppe 3b auf 
Tafel II. sollte der mit 3a bezeichneten vorhergehen; so sind die beiden 
Kobolde ganz aus ihrer richtigen Stellung hinausgeschoben. 


vom 3. Februar 1859. 151 


Anspruch nehmen. Die Tafel nämlich wird durch eine höchst 
‚merkwürdige Darstellung in zwei Gruppen getheilt, indem nach 
den ersten vier Figuren die schon oben besprochene, ganz und 
gar abgesonderte Gruppe (32. 33.) folgt, die auf den ersten Anblick 
einen wunderbaren Eindruck macht, die aber, sobald wir das 


‚ganze Bild in seiner rechten historischen Bedeutung fassen, seine 
volle, lebendige Erklärung erhält. Ganz so sehen wir auf den 
assyrischen Sculpturen mitten zwischen den historischen Dar- 
stellungen Naturgegenstände dargestellt, Flüsse mit ihren Fischen, 
Gebirge mit ihren Thieren oder Waldungen. Was haben wir 
bier? Wahrlich nicht eine Gruppe Schauspieler, die eine Tanz- 
gesellschaft belustigen sollen. Alles hat einen höchst ernsten, 
feierlichen Charakter; auch hat der Künstler auf dem kleinen 
lde, das ihm gegeben war und mit den rohen Kunstmitteln, 
lie ihm zu Gebote standen, sehr sinnreich angedeutet, dals die 
ppe gar nicht innig mit der Reihenfolge der Darstellung ver- 
Bochten und dals das hier Dargestellte keineswegs sich auf Er- 
den bewegt, kurz dals es ein Naturphänomen ist, das hier dar- 
gestellt werden soll. Es sind zwei Kobolde, halb Mensch halb 
lämon mit einem dem Beschauer zugekehrten, wahrhaft mas- 
ken- und mondartigen breiten Gesicht — mit kurzen spitzen Ohren 
berhalb der Schläfen — stehend auf einem nach links abge- 
en, an der Seite gespaltenen, in der Mitte aber geeinigten, 
dicken Wagbalken, und zwei über einander stehende Scheiben- 
usschnitte tragend. Denn das ist vollkommen deutlich, dals es 
cht ein breites, einem Boote ähnliches Gefäls ist, wie Texier 
aeint, sondern es sind vollkommen deutlich zwei Scheiben über- 
einander. Kurz, es ist eine kindische Darstellungsweise der sehon 
dem Alterthum klaren, von Ennius mit der anschaulichen Phrase 
li luna obstitit” dargestellten Erklärungsweise der Sonnenfin-. 
ils. Dafür, dals auch diese so ganz überirdischen, un- 
chlichen Gestalten das gewöhnliche kurze Wams der übrigen 
guren tragen, haben wir unzählige Analogien aus Nineve und 
f es dazu keiner besonderen Erklärung. Den zopfartigen 
abang, der bei Texier von dem Rücken unter dem rechten 
hervorhangt, konnte ich nicht deutlich erkennen und habe 
‚ihn deshalb auf meiner Skizze n. 4. fortgelassen. 


152 Gesammtsitzung 


Ich gehe nun zur speziellen Beschreibung der vier ersten Fi- 
guren auf dieser Tafel über. Auch hier kehrt dasselbe Prinzip, 
wie überall in dieser Darstellung wieder, dafs die Figuren einen 
kriegerischen mit einem friedlichen Charakter vereinigen. / 

28. 29. Zunächst kommen zwei Krieger, unbärtig, mit Spitz- 
mütze, kurzem Wams, Schnabelschuhen, krummem Schwert nach 
Texier, oder wahrscheinlicher einer gekrümmten leichten Keule, 
in der Rechten, und die Linke ohne Attribut vorgestreckt. f 

30. Folgt dann eine durch ihren Kopfschmuck — eine ein- | 
fache Helmhaube — sich den Figuren 27. und 2. unter meinen 
Skizzen anschlielsende Figur, mit kurzem Wams und in der vor- 
gestreckten linken Hand das zweifach gejochte Lebenssymbol tra- 
gend, in der Rechten nichts. 

31. Ein Streiter wie 28 und 29, aber in der halb erhobe- 
nen Linken das einfach gejochte Lebenssymbol tragend. 

Hinter der, die Sonnenfinsternils personificirenden, Gruppe 
nun kommen folgende drei Figuren: 

34. Eine durch ihre hohe Gestalt hervorragende Figur. 
Vielleicht war das blos die Folge der hier sich erweiternden 
Felstafel; unbärtig, mit Spitzmütze, Schnabelschuhen, in der Lin- 
ken mit sehr lang gestrecktem Lebenszeichen oder vielleicht Feldzei- 
chen— denn es hat allerdings etwas Ähnlichkeit mit den auf den 
assyrischen Sculpturen auf den Streitwagen aufgesteckten Feld- 
zeichen — in der Rechten eine Keule. 

35. Ähnliche Figur, mit noch länger gestrecktem Symbol 
in der Linken, in der Rechten ein Sichelschwert, das wir sonst 
in dieser Hauptdarstellung gar nicht finden, wovon wir dagegen nun 
in der in der hintern Felskluft zu Tage getretenen, so schön er- 
haltenen Schlachtlinie ein vollkommenes Schaubild haben. 

36. Besonders kleine und jugendlich aussehende Gestalt, un- 
bärtig, mit Spitzmütze, Tunika und Schnabelschuhen; sie hält in 
keiner der halb vorgestreckten Hände etwas. 

37—45. Nun folgt eine andere Tafel mit 9 auch sehr 
verschiedenen Figuren: 

37. u. 38. Zwei Streiter, unbärtig, mit Spitzmütze, kurzem 
Wams, Keule in der Rechten, in der Linken kurzem Lebens- 
symbol. 


vom 3. Februar 1859. 153 


39. Recht interessante Figur, die bei Texier nicht genau 
dargestellt ist und wovon ich deshalb eine Skizze gebe n. 3, 
da sie zur wahren Erklärung dieser Darstellung Bedeutendes ent- 
hält. Vor Allem zeichnet diese Figur aus seine ganz eigen- 
thümliche, nach vorwärts gebogene Spitzmütze mit weit vor- 
reichender Zunge daran; sonst trägt auch sie die Tunika. Aber 
ihre Haltung wird durch die beiden halb vorgestreckten Arme 
sehr verändert und dadurch tritt die Schulter sehr stark hervor. 
Sie hält in den so vereinigten Händen ganz augenscheinlich 
einen Stab und scheint mit der rechten Hand auf ein Blatt zu 
zeigen und zwar zu schreiben, ganz ähnlich wie wir das auf 
den assyrischen Sculpturen sehen. Dies wäre von der gröfsten 
Bedeutung, da man nur zu viel Werth darauf gelegt hat, dals hier 
gar keine Schrift dargestellt sei. Das ist, glaube ich, mehr zufällig, 
als grundsätzlich; ja die Spuren einer cartouchenähnlichen Schrift- 
tafel mit dem Reste einer Inschrift ist noch ganz deutlich an 
der gegenüberstehenden Felswand und ich habe keinen Zweifel, 
dafs man bei weiterer Nachforschung und etwa einer Ausgra- 
bung noch Inschriften finden wird. — Die Stellung der Hände 
bei Texier und was die Figur darin hält, ist ganz falsch. 
40. Folgt eine jünger aussehende Figur mit gewöhnlicher 
Spitzmütze, Tunika, Keule in der Rechten, dagegen in der halb 
vorgestreckten Linken nichts. 

41. 42. Zwei Erwachsene aber unbärtig, beide mit vor- 
gebogener Spitzmütze, Tunika und vielleicht einem Mantel, 
obgleich das vom linken Ellbogen herabhangende mehr einem 
Stabe ähnlich sieht. Texier’s Darstellung ist ungenau. 
43. Gewöhnliche Spitzmütze, Tunika, Keule in der Rech- 
ten, in der Linken nichts. 

44. 45. Zwei sehr stattlich und feierlich aussehende bärtige 

Figuren mit gebogener Spitzmütze, einem unterhalb des Gürtels 
stark schräglinig nach hinten gestreiften nicht sehr langem Gewand, 
das jedoch die Beine durchsehen läfst, wenn der untere Theil 
nicht die weiten Pumphosen darstellt, beide Arme halb vorge- 
streckt und ein einmal gejochtes Lebenssymbol tragend. Wahr- 
seheinlich sind diese beiden bedeutsamen Figuren phrygische 
Priester von Pessinus. 


154 Gesammtsitzung 


46—49. Eine nach $. gekehrte Ecktafel der Felswand mit 
vier Figuren. 

46. Ein bartloser Mann in Spitzmütze und Wams — ich 
glaube, dals Texier’s kurzes Wams nicht genau ist; in den 
Händen trägt er nichts. 

47.48. u. 49. Drei einander ziemlich ähnliche Figuren, obai 
gleich an Gröfse, wol nur des Steins wegen, etwas nach hinten ab- ö 
nehmend, (bei Ritter II, 2); bärtig, gerade Spitzmütze, sehr starke 
Schnabelschuhe und über dem kurzen Wams nach hinten vor- 
liegendes und halb an den Seiten bedeckendes Obergewand, über 


dessen religiöse Bedeutung ich schon oben gesprochen habe. 


a 


Jedenfalls dürfen wir diese Personen in diesem ganz unkriegeri- 
schen Gewand auf das Entschiedenste nicht für Strategen hal- 
ten, wie Texier gethan. Ohne Zweifel vertreten sie hier ein ü 
anderes, religiöses, Prinzip. % 

49—60. Eine weniger interessante Tafel, die den Abschlafs | 5 
der ganzen Darstellung bildet, in dem Gesammitbilde völlig un- 


tergeordneten Ranges, deren Gegenstand aber, weil er dem die ; 
Felsnische betretenden Besucher zuerst in die Augen fällt, durch 
die Tänzern ähnliche Stellung der Figuren wol hauptsächlich 


» 
% 


bei Texier die Meinung begründet hat, dals hier ein Tanz, 


die Sakäen, dargestellt werden solle. Alle Figuren sind unbär- 
tig und in derselben Stellung, indem sie den linken Fuls stark nic 
dersetzen und sich darauf stützen, den rechten dagegen in die 
Höhe ziehen und nur mit der Zehe aufsetzen, zum Lauf oder 
Angriff. Diese Stellung ist vollkommen dieselbe, wie in dem, 
Relief in der hinteren Felsspalte, von dem ich gleich spre- 
chen werde und wo die Krieger kurze Schwerter tragen in der 
Rechten, in der Linken aber dem Anscheine nach nichts fassen, 
aber doch wol denSchild halten sollen. Auf unserem Relief habe 
ich nur 12 Figuren erkennen können und ich glaube, dafs es 
nur stets so viel waren, wiewohl eine Rücksicht auf gleiche An- 
zahl dieser männlichen Figuren mit den entsprechenden weibli- 
chen auf der gegenüberstehenden Felswand nicht unpassend, 
scheint. Auch auf dem anderen Relief der hinteren Felsspalte 
erscheinen 12 Figuren. Übrigens sind auf unserer Tafel die 
beiden ersten Personen von den übrigen durch einen Zwischen- 


zu 


vom 3. Februar 1859. 155 


raum geschieden. Ihre Tracht übrigens ist ganz dieselbe, ge- 
rade Spitzmütze, kurzes Wams und Schnabelschuhe. 
3 Ehe ich nun nach Beschreibung der Hauptdarstellung der 
"Yasili-kaya von Boghäskoei die Sculpturen der hinteren, ziemlich 
‚parallel mit der grolsen Nische laufenden Felsspalte beschreibe, 
'muls ich noch einer Figur Erwähnung thun, die ziemlich am 
Eingange jener Kluft steht. Von dieser habe ich auch eine 
"Skizze gemacht, die bedeutend von Texier’s abweicht und die 
Figur keineswegs als einen Kobold, sondern als einen gewöhn- 
lichen Krieger erscheinen läfst, der nur eine eigenthümliche 
eopfbödeckung trägt; da ich bei im Kagetiblick Texier’s 
"Zeichnung nicht vor mir hatte und nicht Alles genau control- 
lirte, will ich meine Skizze nicht mittheilen. Es kommt auch auf 
diese Figur wenig an. Um so mehr Gewicht aber hat eine, 
leider fast völlig ausgelöschte, Kartousche an dieser selben Fels- 
"wand, deren Inneres nur so viel erkennen läfst, dafs sie keine 
"BHieroglyphen enthielt, sondern den Buchstaben der kurzen In- 
‚schrift von Ueyük ähnliche Charaktere. 
Ich gehe nun zur schmalen hinteren Felsspalte über, in die 
an jetzt über Felsblöcke von S. hineinsteigt. Diese Felsspalte 
ist jetzt im untern Theile verschüttet, und, wie erst in diesem 
Jahre ein anderer, mir unbekannter, ich glaube, deutscher Rei- 
sender das höchst interessante Relief mit den 12 Kriegern auf- 
gedeckt hat und ich selbst den untern Theil der von Texier 
f Mylitta gehaltenen und der anderen eigenthümlichen Fi- 
r aufgegraben habe, so verspricht diese Nische noch ande- 
ren Fund, zumal in Bezug auf die beiden, im unteren Theile 
Br sich entsprechenden Felswände angebrachten, halbrunden Ni- 
schen, um zu untersuchen, ob sie in irgend einem Zusammen- 
E. mit den Darstellungen stehen. 


e des Hereintretenden auf sich zieht, ist die in 6—7 Zoll hohem 

ief gearbeitete und im oberen Theile vortrefllich erhaltene, son- 
derbare Gestalt n. 5. meiner Skizzen, deren überaus scharfes 
Gepräge Texier in seiner Zeichnung ganz entstellt bat (bei Rit- 
ter Il, 9). Auch hat er den absonderlichen Charakter der Fi- 
gur dadurch noch bedeutend erhöht, dals er auch an der lin- 
ken Schulter einen Löwenkopf angebracht hat, wovon das Re- 


» Die hervorragendste Figur in dieser Nische, die gleich die 


156 Gesammitsitzung ; | 


lief nichts zeigt, obgleich die äufsere, abschliefsende Linie d 
Schulter und der Arm, ‘nicht mehr deutlich zu erkennen sind; 
er hat wol etwas in der Hand gehalten. Sonderbar bleibt die 


Figur immer, aber die beiden, zwischen den Beinen herabhani 
genden, Fetzen erklären wol den Löwenkopf auf der Schulter 
für ein als Wams verarbeitetes Löwenfell. Die Beine sind 
aber ganz unnatürlich mit dem Leib verbunden; dagegen sind. 
die Fülse ganz menschlich, wie ich nach der Ausgrabung mich | 
überzeugte. Da ich die ganze Figur mals, kann kein Zweifel 
über das Verhältnils der einzelnen Theile sein. Im Ganzen 
macht diese Figur scheinbar den Eindruck höheren Alters, als 
das Relief in der grolsen Nische, auch kann die Figur nicht 
füglich mit irgend einer der in jenen erscheinenden identifcirt 
werden. Die scharfe Adlernase weist sie wol entschieden 
dem Osten, wol Assyrien zu und das bartlose Kinn unter- 
scheidet sie merklich von der andern Darstellung, die Spitz- 
mütze ist hoch, nicht mit dem gewöhnlichen basiliskenartigen 
Ansatz an der Vorderseite, sondern mit einer nach unten ein- 
wärts gebogenen Krümmung; sie hat keine Nackenkappe. In 
dem Ohre sieht man einen grolsen Ohrring. Über den Lö- 
wenkopf habe ich gesprochen. 

Auch die andere, in kleineren, der Natur sich anschlieflsen- 
den Verhältnissen gezeichnete Figur, die Texier nach dem von 
ihm allein gesehenen oberen Theile für eine Mylitta hielt (Rit- 
ter II. n. 10), zeichnet sich aus durch ihr bartloses Kinn und 
könnte also allein wol mit dem jungen, hinter der weiblichen 
Figur auf dem Hauptbilde stehenden Streiter identifhcirt werden 
Diese Figur, deren Profil weniger deutlich ist, aber entschiede 
nicht sehr scharfe Züge hat, trägt eine überaus hohe, eigen 
thümlich geschmückte, eher breite als spitze Mütze, ein unte 
dem Gurt faltenreich herabhangendes Gewand, hat keine Waffı 
aufser der sonderbar vom Gurt abstehenden Doppelaxt un 
schliefst mit seinem linken Arm eine jugendlich aussehend 
weibliche Figur an sich, ihre rechte Hand mit seiner linken hal 
tend, worin er aulserdem einen langen Stab zu haben scheint 
während er auf seiner vorgestreckten Rechten eine kleine, an. 
scheinend männliche, Figur mit kurzem Wams trägt; dies Attri 


vom 3. Februar 1859. 157 


"ibut aber ist nicht deutlich genug erhalten, um bestimmt seine 
‚edeutung auszusprechen. Die weibliche Figur nun trägt ein 
\nges im untern Theile faltenreiches Gewand, in das sie, ähn- 
ch der Figur des Babyloniers, ihren linken Arm aufgewickelt 
at; in ihrer Linken hält sie einen krummen Stab, vielleicht 
inen bidens; ihr Haar hängt lang herab und wird von einer 
inde gehalten; die Fülse beider Figuren sind noch mit Stei- 
n verschüttet. Hinter der Mütze der männlichen Figur nun 
hlielst sich eine mit den Flügeln weit sich ausspannende 
ellügelte Kugel an mit ähnlichen herabhangenden oder stützen- 
en Symbolen, wie bei Figur 2. meiner Skizzen. Die Säulen 
it ihren breiten phrygischen oder assyrischen Voluten — denn 
ch auf assyrischen Denkmälern kommen sie schon vor — sind 
ich hier ganz deutlich. Seine Skizze n. 6. 
Ich will nun noch zum Schlulse ein Paar Worte sagen, über 
is vortrefflich erhaltene Relief mit den zwölf Streitern, das erst 
or Kurzem blosgelegt, mit jugendlicher Frische dem Beschauer 
ntgegen lacht. Ich habe in der Skizzenprebe n. 7. auch die Maalse 
egeben. Besonders bemerkenswerth ist hier das scharf mit fast 
ageienartig gebogener Adlernase vorspringende Profil, die 
jersetzte Gestalt und vor Allem das dem ägyptischen sich 
nschlielsende Sichelschwert, das sie entschieden in der Rechten 
lien — ich sage das ausdrücklich, weil man auf den ersten 
ick meinen könnte, sie hielten es in der Linken. — Sie tra- 
er ein mit Ärmeln versehenes kurzes Wams, breite, in ihrer na- 
ü lichen Weiche sich umbiegende, aber nicht, wie es scheint, 
ünstlich geschnäbelte Schuhe und eine spitze Mütze mit Rand 
nd stark ausgedrückter Hakenspitze. 
E Hiermit beschlielse ich die Beschreibung dieser so höchst 
erkwürdigen Sculpturen, auf die ich hoffe die Aufmerksamkeit 
ftiger Forscher noch mehr gelenkt zu haben. Unzweifelhaft 
ben wir in dieser Umgegend noch reiche geschichtliche und 


‚chäologische Ausbeute zu erwarten. 


158 Gesammtsitzung - H 
a 


Hr. Weber las über ein indisches Würfel- Orakel, 
im Anschlufs an die zunächst folgenden Mittheilungen des cor- 
respondirenden Mitgliedes der Akademie, Hrn. A. 5 chi e FAR 
in Petersburg vom 10. und vom 21. Januar. 

„Als ich kürzlich für meinen Collegen Stephani, der sich 
mit einer archäologischen Arbeit über den Strahlenkranz be- 
schäftigt, in demselben Bande des Tandjur (123ster Band der 
sitra), dem ich Pimalapragnottaramälä entlehnt habe und in 
welchem auch verschiedene Schriften über Anfertigung von 
Buddhabildern sich befinden, nach dem Strahlenkranze suchte, 
stiels ich auf einige Dinge, die Ihnen recht interessant sein 
dürften. Aus den „Monaisberichten” ersehe ich, dafs Sie vedi- 
sche Texte über Omina und Portenta besprochen haben. Hieran 
anknüpfend nenne ich zuerst das dem Nägärjuna zugeschriebene 
Werk Pratityasamutpädanädmacakra. Es zerfällt in zwölf Ab- 
schnitte. Um den mittleren Wintermonat angelangen werden 
die zwölf ersten Tage des Monats mit den Namen der zwölf 
nidäna bezeichnet, und zwar wird dabei mit avidyä angefangen: 
der 13te Tag ist — 3, der 14te — 4, der löte—=5. Die 
weilse Hälfte des Monats hat für ihre 15 Tage dieselbe Bezeich- 
nung als die schwarze. Für jeden Tag wird angegeben, was er 
für die Geburt u. s. w. bedeute. Die zwölf Capitel behandelns 
4) Geburt. 2) Unternehmung. 3) Ausgang. 4) Diebstahl, 
5) Krankheit. 6) Augenzucken. 7) Töne. 8) Schlucken. 9) 
Hunger. 40) Fulszucken. 11) Fulsknacken. 12) Gedanken. 
Diese Schrift umfaflst etwa nur zehn Blätter. — Siebenfach stär- 
ker ist dagegen eine andere Schrift mit dem corrumpirten Titel 
yudhajasarnavaitantraräjasvarodayanädma „das Hervorgehen der 
Buchstaben, genannt der den Kampf besiegende Tanzra- König” 
nach der tibetischen Übersetzung: es zerfällt in zehn Abschnitte, 
— Eine dritte Schrift hat keinen Sanskrittitel: der tibetische 
lautet in seiner Übersetzung also: die von dem mahämuni und 
rishi Vasudeva (!) gelehrte Weisheit (oder gewiesene Gelehr- 
samkeit) in 24 Abschnitten. Es werden darin Vorbedeutungen 
behandelt 1) der Sonne und des Mondes, 2) der Sterne, 3) der 
Sternschnuppen, 4) Regenbogen, 5) Donner und Blitz, 6) Zei- 
chen in der Luft, 7) aulserhalb entstehende Zeichen u. s. w. 


vom 3. Februar 1859. 159 


Das 23ste Capitel hehandelt die Bedeutung des Erdbebens, und 
ist durch die Aufzählung der einzelnen Gegenden und Länder 
sehr interessant. Dieses Werk umfalst etwa 36 Blätter. — Nur 
zwei Blätter stark ist eine kleine Schrift, welche den corrupten 
Titel Aäkajariti führt, was wohl nichts anders als käkarutam sein 
wird: der tibetische Titel besagt „Bedeutung des Rabenge- 
schreis” (genauer, „der Rabensprache”). Es werden die Raben 
in vier Kasten getheilt. Die rothaugigen sind die Xarriya, die 
Flügelreibenden die Yaigya, die Fischgestalt-habenden(?) die 
Cüdra: die Bezeichnung der Brähmana ist mir nicht klar: es 
kann heilsen „die mit karsha’s wohnenden.” Ich vermuthe hier- 
bei ein Mifsverständnils mit Aärshnya, Schwärze, so dafs die 
schwärzesten Raben die Brähmana wären: ebenso glaube ich 
die „Fischgestalthabenden” durch Verwechslung von maisya mit 
maisara entstanden. Dgl. Übersetzungsfehler bietet die tibeti- 
‚sche Übersetzung z. B. des Amarakosha in Masse dar, wie ich 
‚solches in dem kleinen Aufsatz über die logischen und gramma- 
tischen Werke im Tandjur p. 17 durch mehrere Beispiele er- 
härtet habe. Doch könnte freilich auch etwas Sachliches, das 
‚wir nicht kennen, noch auf andere Dinge führen. Darauf kommt 
die Bedeutung des Geschreis nach den vier yäma’s und den 
Weltgegenden wie es von dem Hausherrn wahrgenommen wird. 
Dann folgen die Bedeutungen des Rabengeschrei’s, die man auf 
dem Wege wahrnimmt. Am interessantesten ist jedoch die 
Vorbedeutung nach dem Orte, wo sie ihr Nest bauen. Bauen 
sie es an einem Zweige auf der Ostseite des Baumes, so kommt 
ein gutes Jahr und Regen; bauen sie es auf der Südseite, so 
verdirbt das Getreide. Dies stimmt zu dem Glauben der Land- 
leute anderer Gegenden. Auch die einzelnen Töne haben ihre 
Bedeutung: kaka, ghaga, tata, dada. Sieht man ein schlechtes 
Zeichen, so muls man dem Raben ein Streuopfer bringen, ihn 
namentlich durch Froschfleisch erfreuen. Einzelnes aus dem 
Schriftchen dürfte Kuhn besonders interessiren: z. B. setzt sich 
auf dem Wege ein Rabe auf das Haupt oder die Hauptbedeckung 


und giebt er einen Ton von sich, so deutet dies auf den Tod. 


Ergreift der Rabe einen rothen Faden, setzt er sich auf das 
[155).] 11 


® 


160 Gesammtsitzung 


Dach des Hauses, und giebt einen Ton von sich, so wird das 
Haus abbrennen. — An pägäkevali (Verz. ‘der Berl. Handsch. 
No. 901) schliefst sich eine Schrift an mit dem Titel kevals, 
was im Tibetischen durch „Loos-Rechnung” wiedergegeben wird. 
Es werden in der 14ten Nacht des ersten Frühlingsmonats, in 
der zweiten Nachtwoche, nördlich oder östlich von den Wur- 
zeln des Gändilya-Baumes (Aegle Marmelos) drei vierseitige 
Würfel geschnitten und mit den Buchstaben a ya va da be- 
zeichnet. Es giebt dies 64 Fälle. Wie der einleitende Gloka 
besagt, ist diese Schrift hervorgegangen aus der Schule des im 
endlosen Norden, im Pärgika-Lande nördlich von Nepäl gebo- 
renen Mahämuni Cri Raudhe (sic). — Ihnen sind diese Dinge 
wohl alle schon in den von Ihnen beschriebenen Handschriften 
vorgekommen. Möglicher Weise weichen aber die bei den 
Buddhisten in Geltung befindlichen Werke von denen der brah- 
manischen Literatur mehr oder weniger ab. — Als ich den 
Lama Gambojew neulich fragte, ob er solche Werke, die es 
mit Vorbedeutungen zu ihun hätten, aus eigener Anschauung 
kenne, antwortete er mir lächelnd „Ob ich sie kenne! Habe ich 
doch so manche Einnahme durch dieselben gehabt.” Natürlich - 
giebt der Lama dem fragenden Laien auf Grund solcher Werke 
die nöthigen Antworten und wagt es nicht, auf eigene Faust 
etwas vorzulügen. Die zum Handgebrauch nöthigen Werke be- 
finden sich in einer tibetischen Sammlung, die den Titel: der 
weilse Yaidürya führt. — Endlich habe ich noch einige Werke 
zu erwähnen, welche die Zeichen des Menschen behandeln, so- 
wohl der Männer als der Frauen. Sie werden einem Samudra 
zugeschrieben. Es ist mir heute jedoch nicht möglich, Ihnen 
dieselben genauer zu charakterisiren.” 

Im Anschlufs hieran erinnere ich zunächst für die zuletzt 
genannten Werke an den von mir in der Z. der D.M. G.X, 
500 besprochenen, in meinem Besitz befindlichen Calcuttaer Druck 
eines chiromantischen Lehrbuchs sämudrikam (über dieses Wort 
s. Wilson s. v.) und für das käkarutam an Cap. 94 der Yäräht 
Samhitä und an Cap. XII.') von des Yasantaräja Cäkunam ; speciell 


') Dieses letztere Stück (181 vv.) stimmt in Inhalt und 
Reihenfolge ziemlich genau zu dem tibetischen Texte, enthält 


vom 3. Februar 1859. 161 


dagegen wende ich mich zu den höchst dankenswerthen Angaben 
über das keval? genannte Werk, durch welche ich zu einer 
näheren Untersuchung der betreffenden Handschrift unsrer hie- 
sigen Sammlung (Chambers 286) veranlafst ward und nunmehr 
die in meinem Verzeichnils der letziern davon gegebene unzurei- 
ehende und zum Theil irrthümliche Nachricht berichtigen kann. 
Das Werkchen führt den Titel pägaka-kevali, d. i. 
„Würfel-Orakel”.') Es besteht angeblich, nach der Zäh- 
lung in der Handschrift selbst, aus 184 vv.: doch sind es in 
der That deren nur 183, da die Zahl 113 bei der Zählung der 


2. B. auch die bei Yaräha Mihira noch fehlende Eintheilung der 
käka nach den vier Kasten, nur dafs hier auch noch eine fünfte 
hinzutritt, die der antyaja, Paria. Die betreffenden Verse lau- 
ten, wie folgt: 
\ ye brähmanäh xatriyavaisyagüdräh 
, käkäd bhavanty antyajapancamäs te \ 
( varnäkritibhyäm rishibhäshitäbhyäm 
e sadä ’bhiyuktair abhilaxaniydh U2U 
[7 dbrihatpramäno gurudirghatundo 
hi dridhasvarah krishnavapuh sa viprah | 
” pingäxaniläsyavimicravarnah 
& syät zatriyo rüxaravo ’ticdrah U3U 
a äpändunilah sitanilacancur 

ndtyantarüxärafitar ca vaigyah | 
bhasmachavir bhürikakäragabdah 
r cüdrah kricängag capalo ’tirüxah W4U 
virixasixmäsyatanur vicanko 

yah kamdharäm dirghataräm bibharti \ 
sthiräravah sthairyasametabuddhih 

käko ’ntyajätih khalu pancamo ’tra N5U 
Schiefner’s Vermuthung in Bezug auf kärshnya wird hiedurch 
bestätigt: in Bezug auf matsya oder matsara dagegen findet sich 
‚hier keine Lösung. 
| u! ') So übersetze ich das Wort kevalt, welches eigentlich 
wohl „ausschliefsliche Kenntnifs” bedeutet, und wozu vidyä zu 
ergänzen sein wird, vgl. v. 4. kevalajnäna. 

1° 


162 Gesammtsitzung. 


Verse übersprungen ist. Den Inhalt bildet die Antwort auf die 
Fragen, die man an die Würfel gerichtet denkt. Diese müssen 
wie oben als drei an der Zahl und als vierseitig (pyramidenför- 
mig) resp. gleichseitig und je mit 1. 2. 3. 4. (statt mit a ya va 
da) bezeichnet gedacht werden: denn es werden hier ebenfalls 
64 Fälle unterschieden: und zwar indem die Zahl der Augen 
eines jeden Wurfs stets sowohl in Ziffern ') voran gestellt, als 
auch noch aufserdem in dem ersten Hemistich der dazu gehö- 
rigen, durchschnittlich je drei, Verse in Worten ausgedrückt 
wird. An Stelle der obigen Angaben über die Zeit und die 
Weise des Orakels giebt hier der sehr verderbte dritte Vers lei- 
der nur höchst unvollkommene Auskunft. Danach findet zunächst 
an einem Sonnabend eine Weihung der Würfel”) statt: am Sonn- 
tage dann schüttet der Fragende selbst die Würfel auf ein reines 
Tuch, und eine Jungfrau, kumäri,’) verkündet ihm die Bedeu- 
tung des Wurfes. Oder sollte kumär? etwa hier nicht diese 
Bedeutung haben, sondern Name der Durgä sein? Dafür spricht 
allerdings zunächst der zweite Vers, in welchem diese Göttin in 
der That unter verschiedenen Namen direkt aufgefordert wird, 
eilig herbeizukommen und die Wahrheit zu verkünden. Dann 
mülste inde[s v. 3. ganz anders restituirt werden, als mir mög- 
lich gewesen ist, da bei dem jetzigen Texte die kumär? entschie- 
den als die Leiterin der ganzen CGeremonie erscheint, was von 
der Göttin undenkbar ist. Es ist daher die Jungfrau einfach 
wohl nur als die Repräsentantin der Göttin zu fassen; und in 
der That ist auch nur unter einer solchen Voraussetznng die für 
Indien ganz ungebräuchliche Verwendung eines Mädchens für 
einen dgl. Zweck erklärlic. Weshalb gerade Durgäö als die 
Orakelspenderin gilt, erhellt leicht, wenn man sich an die bei 


') Dies sind die Zahlen 111 —444, die ich in meinem Ver- 
zeichnils ganz falsch verstanden habe. 

?) pägaka, a dice, particularly the long sort used in playing 
Chaupai. Wilson. 

?) Kumäri a young girl, one from 10 to 12 years old, a 
virgin or in the Zanzras any virgin to the age of 16, or as long 
as menstruation has not commenced. Wilson. 


vom 3. Februar 1859. 163 


_ Bhartrihari (11I, 43), in den Puräna etc. mehrfach erwähnte 
Vorstellung erinnert, wonach das Geschick der Einzelnen von 
einem Würfelspiel zwischen ihr und ihrem Gemahle Civa her- 

geleitet wird. So werden denn auch im Innern des Werkchens diese 

Beiden vielfach genannt (so mahädeva 4. devadeva 7. 39. bhavänt 

97. candikä 98. devi 62, und zwar als kuladevi 55. 87. 98. 123. 

 gotradevi 82): aufserdem erscheinen nur noch die mätaras 153. 

und kuladevän 74. 157, so wie devakuläni 62. — Aulser durch 

vw. 3. wird uns nur noch durch die der Bedeutung jedes Wur- 
fes vorhergehende kurze Bezeichnung desselben einige Aufklä- 
rung über den Vorgang selbst. Den Beginn macht stets die 

Angabe der drei Würfelseiten, welche aufgefallen sind, in der 

betreffenden Reihenfolge. Also z. B. „eins zuerst, drei in der 

Mitte, vier am Ende”. Die Würfel werden nämlich nach ein- 
‚ander geworfen, nicht gleichzeitig, und zwar ist diejenige Seite, 
‚mit welcher der Würfel auf dem Boden liegt, die entscheidende. 
Eins wird durchweg durch padam, „a mark, a spot” Wil- 
son, gegeben (nur einmal mascul., in v. 140. padau): Zwei 

"durch doikam, fünfmal (von den 48 Malen) als Mascul. (90. 92. 
94. 116. 154): Drei durch zrikam, siebenmal Mascul. (10. 68. 
4116. 133.138. 169.177): Vier durch catuskkam, welches 13 Mal 
= Mascul. (40. 48. 60. 84. 92. 94. 133. 138. 143. 171. 173. 
475. 177) und sechs Mal als femin. (71. 129. 148. 151. 158. 
| 466) erscheint. Einmal, in v. 179., wird die Vierzahl durch 
wvrishabha ausgedrückt. Auf die Zahlen folgt in der Regel noch 
‚eine weitere auf den Wurf bezügliche Angabe, die in vielfacher 
Weise differirt. Am häufigsten, achtmal (23. 29. 42. 53. 56. 
75. 97. 122) erscheinen die Worte „dundubhih patitä tava, 
ist deine d. gefallen,” wo dundubhi, als mascul. „a sort of large 
keitle drum” Wilson, offenbar eine von dem Rasseln der Würfel 
‚entlehnte Metonymie ist und zwar für den Wurf selbst, nicht den 
"einzelnen Würfel (fem. „a die or dice” Wilson): ähnlich wie v. 
138 gakat? (gakate Cod.) „a cart” vom Wagengerassel, (anders 
4163). Viermal (17. 50. 102. 125) findet sich „pägake patitam 
(patitas v. 17.) taca”, wo ich pägakaih lesen möchte, da ich für 
pägaka (masc.) bei Amara und Hemacandra nur die Bedeutung 

‚ Würfel” selbst, nicht die von „Würfelbrett”, die für pägake 


164 Gesammtsitzung g 
allein passen würde, finde. Aus „patitä tava karnikä” v. 13. 
scheint sich die Kreide als das Material der Würfel zu ergeben? 
DieWörter kartar?,Scheere” v.7., vishakartari,„Giltscheere” 
v. 109., märjan? „a brush, a broom” v. 169. bedeuten einen un- 
glücklichen, alles Glück abschneidenden, wegkehrenden Wurf. 
Die Angabe „cincineh grinu tat phalam” „der Klirrenden hör 
diese Frucht” v. 10. bezieht sich auf das Klirren (vgl. kinkint) 
und „mathaneh g. t. ph.” v. 34. auf das Schütteln des Wurtesl 
Zu beiden Wörtern, wie zu den übrigen Femininis, die sich auf 
die Bedeutung des Wurfes beziehen, wie bahulä 84. 113. tripadi 
416 (die Bedeutung unklar), saphalä 119. 171. mälin? 129. vämd 
177 (? däyä Cod.)., ist wohl dundudhi zu ergänzen? oder etwa 


patr! (v. 63.) „a letter, a written document or address” Wil- 
son, welches den Wurf als einen an das Schicksal geschriebe- 
nen Brief bezeichnet? In letzterem Sinne ist auch „praeno ’yam 
patitas taca” v. 71. (vgl. v. 127.) zu verstehen, als „Frage an das 
Schicksal”, und entweder dieses Wort, oder preshyah „Bote” 
v. 154.), besser indels wohl einfach ayah „Wurf” (s. v. 36, dya 
463.) zu den verschiedenen Masculinen, die sich sämmtlich auf 
die Bedeutung des Wurfes beziehen, zu suppliren: also zu 
vämah (? väsah Cod.) v.20., gobhanah 5., bhadrah 26. 60., 
kütah 68. 78. 148. 173. Das Wort vrishah, Stier, wird vier- 
mal v. 48. 88. 94. 175 zur Bezeichnung eines Wurfes verwen- 
det, das letzte Mal bei einem Unglückverheifsenden. Als die 
besten aller Würfe erscheinen 1.3.4. mit dem ausdrücklichen 
Beinamen viyaja, Sieg v. 36., und der umgekehrte Wurf 4. 3.1., 
mit dem Beinamen gakatam „Wagen” v.163, wohl davon ge- 
nannt, dals er mit Glück beladen ist. — Übrigens hat sich das 
Schrifichen die Popularität sehr leicht gemacht, indem es Glück 
und Unglück nicht, wie von Rechtswegen der Fall sein sollte, 
gleichmäfsig vertheilt, sondern dem Unglück nur ein Viertel der 
Würfe zuweist, und auch bei diesen sucht es noch häufig guten 
Rath zu geben, wie man dem Unglück entgehen, und schliefslie 
doch noch glücklich werden könne. Die schlimmen Würfe sind 
der Reihe nach die folgenden 1.1.2. — 1.3.3. — 2.2.2. — 
2.2.3. — 2.3.2. — 2.3.3. — 3.2.1. — 3.3.2. — 3.4.3. — 
4.1.1. — 4.1.2. — 4.2.2. — 4.3.3. — 4.4.1. — 4.4.2. — 


vom 3. Februar 1859. 165 


4.4.3.; :— gemischt, resp. tröstend mit Hülfe aus Noth, sind 
1.1.3. — 2.2.1. — 2.2.4. — 2.3.4 — 3.1.3. — 3.2.2. — 
3.2.4. — 4.1.1. — 4.1.2. — 4.2.2. — 4.3.3. Der Inhalt 
der Verheilsungen oder Drohungen selbst ist sehr allgemeiner 
Art, bezieht sich auf Glück in allerlei Unternehmungen, Erlan- 
gung von Reichthum und Würden, Gewinnung einer Jungfrau, 
Hochzeit, Geburt eines Sohnes, Wiedersehen von Freunden und 
‚Verwandten, glücklicher Heimkehr von einer Reise, Genesung 
von Krankheit, Wiedererlangung verlorner Gegenstände u, dgl. 
mehr. Im Ganzen herrscht grolse Einförmigkeit, und finden 
"sich viele Wiederholungen, bisweilen sogar (besonders gegen das 
Ende hin) ganze Verse (so 146b. 147. und 151b. 152., ebenso 
4605. 167b., 164b. 166b. u. A. m.). Einen eigenthümlichen 
‚Charakter tragen die Wahrzeichen (adhijnänam), welche durch- 
weg für die Richtigkeit der Prophezeihung angeführt werden, 
und sich theils auf geheime Schäden am Körper des Fragenden 
dr 12. 16. 96. 121. 139), theils auf die Richtung seiner Ge- 
danken in diesem Augenblicke, theils auf Träume, die er haben 
% ird, oder sonstige Ereignisse, die bereits stattgefunden haben 
ale noch stattfinden werden, z. B. Streit mit der Mutter, der 

rau u. dgl. beziehen. Mehrfach wird auch ein bestimmter 
Termin für das Eintreffen der Vorhersagung gesetzt (15. 41. 
"87. 149.). 


Als Verfasser wird am Schlufs ein Weiser Namens Par 


Er 
von der Sekte der Jaina angegeben, und überhaupt die ganze 
- Kenntnils auf die Jainarishi zurückgeführt. Im Innern des 
Werkes ist nichts, was auf einen dgl. Ursprung hinwiese, wenn 
Dicht etwa der mehrfache Gebrauch von nirväna v. 38. 56. 95, 
freilich nur in seiner abgeblafstesten Bedeutung: Gemüthsruhe, 
so wie der Umstand, dafs der einleitende erste Vers die W ahr- 
heit verherrlicht, und erst der zweite Vers an die Durgä sich 
wendet. Dagegen findet sich, wie bereits bemerkt, Vieles darin, 
was den Verfasser entschieden als einen Givaiten kennzeichnet. 
Nun bei einem Jaina läfst sich ja Beides vereinigt denken: fin- 
den ; ja doch auch zwischen den buddhistischen und den giaiti- 
schen Sekten so viele Berührungen statt. Da wir, Schief- 
‚ner’s Mittheilungen nach, entschieden eine Schrift ziemlich 


166 Gesammtsitzung 


desselben Inhaltes in tibetischer Übersetzung bei den Buddhisten 
finden, so halte ich es im Verein mit der eignen Angabe unsers _ 
Textes für wahrscheinlich, dafs das Werkchen eben ursprünglich 
von einem Buddhisten herrührte, wie wir ja die Buddhisten 
jetzt immer mehr als sehr wesentliche Träger des indischen 
Aberglaubens, in Bezug auf Zauberei und all dgl. kennen ler- 
nen. Der Name Garga ist in der astrologischen und abergläu- 
bischen Literatur bekannt genug, ohne indels für die Abfassungs- Fi 
zeit etwas Bestimmtes zu ergeben. — Ganz von dem Bemerk- 
ten abgesehen, sprechen übrigens für eine gewisse Alterthüm- 
lichkeit unsers vorliegenden Textes noch einige andere, innere 
wie äulsere Gründe. Zunächst nämlich datirt die Handschrift 
einer bhäshä-Übersetzung davon, die sich in unsrer Chambers- 
schen Sammlung (nro. 723) findet, bereits aus dem Jahre samvat 
1761 d. i. 4D. 1705 her. Eigentlich ist es indels weniger eine 
direkte Übersetzung, als vielmehr eine abgekürzte Bearbeitung 
unseres Textes, dem sie sich in den wesentlichen Punkten durch- 
aus anschliefst, wie sie auch zu 1.1.2. sich ausdrücklich als Gar- 


gäcäryakrita angiebt (die Unterschrift am Schlufs hat irrthüm- # 


lich Gangäcärya). Der Schreiber hat dem Texte eine Schach- 
brettförmige Vertbeilung aller 64 Würfe vorausgeschickt, die ich 
nicht unterlassen will zur bessern Anschaulichkeit hiermit mit- 
zutheilen. 


1.1.1. |1.1.2. | 1.1.3. 1.1.4. |1.2.1. |1.2.2. |1.2.3. 11.2.4. 

1.3.1. |1.3.2. |1.3.3. |1.3.4. 1.4.1: |1.4.2. 11.4.3. 1.4.4. 

2.1.1. 2.1.2. |2.1.3. 72.1.4. 2.2.1. |2.2.2. |2.2.3. 12228 
2.3.1. |2.3.2. | 2.3.3. j2.3.4. |2.4.1.|2.4.2. 2.4.3. |2.4.4. 

8.4.4. |3.1.2.|3.1.3. 13.1.4. |3.2.1.]3.2.2. 13.2.3.) 32,2 

3.3.1. |3.3.2. | 3.3.3. | 3.3.4. |3.4.1. | 3.4.2. |3.4.3. | 3.4.4. 
"4.1.1. |4.1.2. |4.1.3. |4.1.4.|4.2.1.|4.2.2.|4:2.3. |4.2.4 

4.3.1. |4.3.2. |4.3.3. |4.3.4. |4.4.1. |4.4.2. |4.4.3. |4.4.4. 


Sodann aber hat auch die Sprache unseres Werkchens man- 
ches Eigene und zum Theil wenigstens für ein gewisses Alter 
Sprechende. Dahin gehört der Ausdruck horäjnäna v. 6., 


vom 3. Februar 1859. 167 


welcher — horä ist bekanntlich aus dem griechischen oa ent- 
standen — an die ältere (jätaka-)Periode der Astrologie, ge- 
genüber der späteren (täjaka-)Epoche, anschlielst. Eigenthüm- 
lich sind die Masculina mitrah 169. und devatän 65., so wie die 
Neutra sarnägamam 21., yogaxemam 159. und draoyaläbham 
132., falls diese letztern drei nicht etwa einfach Fehler des Schrei- 
bers sind. Irregulär ist gävam 52. für gäm, girodaram 121. für 
gira-udaram, kärayya 3(wenn ich richtig so restituirt habe). Ein 
seltenes Wort ist ägraha 112., ebenso sind präcya 100. in der 
Bedeutung von präcina, griyäm Gen. Plur. 44. 69., niräpa 62. 
"bemerkenswerth: auch sanmäna 17. 20. 113. 115. ist sonst 
nicht gerade häufig. Statt kufumba findet sich durchweg 
(wie in den Atharvaparigishta) kutamba 24. 43. 85. 100. 122.: 
ebenso (freilich nur einmal) u2saka 145. statt uisuka. Ganz 
eigenthümlich ist das neugebildete zriziyatam 155. für tritiyam. 
Durch das Metrum (resp. die euphonischen Regeln) geschützt ist 
dya 163. statt aya. Ebenso fordert das Metrum, dals wir svu- 
‚janaih 24. (und 18.?), nagaram 77., und catushkam 88. zweisil- 
‚big, so wie gocitavyam 128. dreisilbig lesen. — Endlich ist auch 
die leider nicht datirte Handschrift des Werkchens für ein gewis- 
‚ses Alter zeugend, insofern sie theils vielfach noch selbst die ältere 
Bezeichnungsweise von e und o, durch den Strich nämlich vor 
dem Consonanten, statt des Striches darüber, beibehalten hat, 
theils aber auch an andern Stellen durch irrthümliche Heranziehung 
dieses Striches (als #) zu dem vorhergehenden Consonanten (so 
36.), oder im Gegentheil durch irrthümliche Verbindung von 
4 (als e) mit folgendem Consonauten (so 5.) bekundet, dafs 
ihr eignes Original noch völlig die alte Bezeichnungsweise hatte, 
und zu ihrer Zeit eben durch das Schwanken zwischen dieser und 
‚der neuen Methode Unsicherheit herrschte. Sie muls also jeden- 
falls wohl mindestens noch aus dem 16ten Jahrhundert stammen, 
also circa 300 Jahr alt sein. Von Eigenheiten der Schrift darin ist 
sonst noch die vielfache Vertauschung von zh mit gh zu erwähnen, 
insbesondere aber die höchst sonderbare Form, welche das kA 
in dem Wort duhkha hat, wo es nämlich überall (ausgenommen 
v. 117. in dukha und v. 164. in duhkha, wo, ebenso wie durch- 
weg in sukha, richtiges k% steht) unter Auslassung des vorher- 


168 Gesammtsitzung 


gehenden visarga als rk erscheint, daher z. B. in v.170. auch 
geradezu durakena mit lingualem n geschrieben wird. Im Übri- 
gen ist die Schrift gut und kräftig, jedoch im Ganzen nicht sehr , 
sorgfältig, insofern nämlich aulser vielen andern Fehlern, die | 
ich stets in der Note angemerkt habe, vielfach auch ganze Sil- 
ben ausgelassen sind, ohne dals der Schreiber es gemerkt hat: 
hie und da hat er jedoch selbst dafür die entsprechende Lücke 


gelassen. Wo ich es vermochte, habe ich dgl. conjecturell (in 


Parenthese) ergänzt. Doch ist mir dies nicht immer geglückt: 
auch finden sich sonst noch einige Stellen, wo ich mir keinen 
rechten Rath gewufst babe, siehe die vv. 3. 86. 87.131. 132. 165. 

Ich hoffe, dafs die folgende Mittheilung des Textes nicht 


unwillkommen sein wird. 


satyena dhäryate prithvi satyena tapate ravih | 

salyena väyavo vänti sarvam satye pratishzhitam UA 

om') namo bhagavate küshmämdini sarvakäryaprasä- 1 
dhini ?) I 

sarvanimittaprakägini ehi 2°) tvara 2 varade 2 hali') 2 d 
mätangini’) satyam brühi 2 svähä 121 

ganau grihabalim °) datvä päcakädhiväsanäm kritvä”) ravi- 
väre®) kumäri’) I 

pageäs '9) gueipaftake päcakafälanam kärayya'') te' ?) gu- 
bhäcubhara vaktı 31 

mahädevam namaskritya kevalajnänabhäskaram | 

vaxye ’ham gurunädishfarn jneyarn yatnäd gubhägubham 14 

1.1.1. padarn padam (padam) caiva patitah'”) gobhanas tava I | 
gubham ca drigyate tatra sarvära(m)bheshu' *) cintitam N5N 


') Für v. 2. u. 3. vermag ich kein Metrum herzustellen. 
?) bhagavate kü'ni sar°dhinia I °) Die 2 nach diesen Wörtern 
bedeutet, dafs dieselben zu wiederholen sind. *) hali als 
ein Beiname der Durgä ist mir unbekannt; ist es etwa Feminin 
zu hara? etwa um an den Würfelnamen hali anzuknüpfen? 
°) gini °) gümhalimkä 7) krivä °) yära °) märi 
ohne |! '9) pägcät "') ? käräpya: für kärayitvä? 
Is yıte 1 '?) patite '°) sarvarebhe, e in der alten Weise. 


vom 3. Februar 1859. 169 


samgräme cärthaläbhe ca vyavahäre samägame | 
gobhanarn caiva vaktavyarı horäjnänasya cintakair ') 16H 
4.1.2. padarn padam dvikam caiva patilä ta(va) kartari ’) I 
devadevam prapadyasva ) kä(r)yam anyad vicintaya 7 
tvarn käkolükagridhräng ca maxikämagakäns tathä I 
tailäbhyaktarn tathä svapne krishnasarpam ca pagyası 81 
xudrabhävag ca te citte päpam kritvä na gämyatı | 
tatah päpakriyäyogän nä ’rthasiddhis*) taväpyate 119 
1.1.3. padamm padam trikag cä’nte cineineh’) erinu tat phalam | 
sthäne tathärthaläbhe ca cintä svajanasarngame ULON 
elat sa(r)vam avighnena tvam lapsyasi na samgayah 1 
vyäti(ta)s te’) ’gubhah kälah klegavattä °) ca te gatä N11 
kathayämi bhavaccitte cihnam pratyayakäranam I 
vibhävaya vapuh samyak yat kuxau vranam asti te 1121 
1.1 4. padam ’) padam catushkarz ca patitä tava karnikä I 
kulavriddhikari hy eshä kalyänarı samupastbitam 134 
bhümiläbho ’rthaläbhac ca sa(m)ba(n)dhakaranäni ca | 
priyasya'°) darcanam caiva putraläbhag ca drisyate 1A 
mäsatrayena te läbhar sarvo ’py esha bhavishyati I 
kuru bhakti(m) pareshäm ca kuladeväng ca püjaya 151 
idam ca te hy abhijnänam vämahaste ’sti te vranam | 
daxinena pradegena mandalarn tilakänkitam 116 
1.2.1. padarn dvikam padam cä’nte pägake patitas tava I 
äsit te bhütapürvarz tu sanmänam pürvajeshv api 1471 
sthänaläbhaz svajanair '') sa(m)yogag eintitas tvayä I 
dhyätä sampattir arthasya'*)bandhupushfig ca pusbkaläl18U 
etat sarvam avighnena bhavishyati sukhävaham I 
idarz ca te hy abhijnänam svapne draxyasi kunjarän MI 
1.2.2. padam dvikam dvikam caiva vämo'°) ’yam patitas tava | 
vittasyärthayase läbharn sthänam sanmäna(m) eva ca 112011 
samägamarm taveshzänäm bhavishyati na samgayah | 


') eintake *) kattarı °) pupa. *) rghasadvis 

®) nih °) lipsasi nam gagayah ?) sti °) ? klesasitä 

?) pade '9%) vriyasya '') ein axara fehlt, ob svajanaik 
saha? und zwar svajanaiı zweisilbig wie 24. 1£) arghasya 


13) ? yäso 


170 Gesammtsitzung 


mäsena nästi päpam (te), kalyäna(m) samupasthitam 211 
sa(m)siddhir sarvakäryänäm drigyate tava samprati | 
aträö’rthe cihnam etat te’) mäträ yat kalaho ’jani 11221 
1.2.3. padarn dvikam trikam cä’(n)te dundubhiz patitä tava | 
käryäntarasya cä’rthasya sarvasiddhir na sammgayak 112311 
kufambavriddhir striläbhar svajanair saha bhavishyati”) | 
na samdehag ciräd ish/adravyasyä ’rtha(sya)cägamar’) 1241 
idam ca te hy abhijnänam kalahas te ’bhavad gribe I 
strinimittä taväsic ca*) cintä "ta pa(n)came dine 112511 
1.2.4. padam dvikam catushkam ca bhadro’yam patitas”) tava | 
bandhünärm samgamo’tag ca xipram eva bhavishyati 12611 
sukritam cästi te sädhu naxatram ca gubhä grahä I 
sarve kämä bhavishyanti te bhaväniprasädatar°) 1271 
idamn ca te hy abhijnänarn bändhavair parimucyase | 
tathedam api jäniyä? svapne draxyasi pärthiva(zr) 1281 
1.3.1. padarn trikam padam cä’nte drigyate tava dundubhip I 
sarvabhadräni jäyante läbhag ca vijayo mahän I12911 
putradäreshu te vriddhi(r) drigyate nätra sarıgaya | 
sthänarn ca dravyaläbhag ca hridayasya ca nirvritih I3ON 
yac ca nash/am vinashfam vä tad api präpsyasi dhruvam | 
idam ca'te hy abhijnänamn svapne pagyasi parvatän I3111 
1.3.2. padam trikam dvikam cäpi du(n)dubhiz patitä tava | 
yat tvayä cintlitazı käryazn tat te xipram bhavishyati 113211 
svapne ca svastriyä särdham pritis te’) sarvacobhanä | 
mä vishädaparo bhüyä manovänchäm ca lapsyase 113311 
1.3.3. padam trikam trikam caiva mathaneh°) grinu tat phalam | 
arthanägag”) ca te hy äsid vyädhig cäpi garirajah 113411 
taväsid bandhanarz cä’pi, präptavän pränasamgayam | 
idam gurutaram käryam kashzenaiva bhavishyati 1351 
1.3.4.padam pürvarn trikam madhye catushkarz cä’vasänikam' °) | 
ayo’yam'') vijayo näma, tasya vaxyämi cintitam 13611 


') etatre 2) shyatim a) Orädish/asyacägamah erste 
Hand. Dies ist das einzige Mal wo von zweiter Hand dgl. 
Lücken ergänzt sind. *) siccä °) yamyä palitas °) dat- 
tah 7) tisne °) maghaneh ?) argha Hy: edel 
vasäninyun '') Ayäyam 


vom 3. Februar 1859. 171 


räjänam mantrinam cäpi desam uddicya kamcana') 
decäntaragatä cintä (ta)va cetasi vartate’) 11371 
paräjayamn’) ca gatrünäm läbham nirvänam eva ca | 
präpsyasi tvazı kramät sarvam manasä yad vicintitam I13811 
nägag ca tava nästy eva xinam päpam atah param | 
devadevam prapadyasva tata% siddhir bhavishyati 11391 

4.4.1. padam ädau catushkag ca padazn caivävasänikam*) I 
abhiyogas tvayä dhyäto vyavasäye na samgayah 114011 
sarvapidävinirmuktai präps(y)ase mangalarz dhruvam | 
saptame divase tubhyam itaf: greyo bhavishyati 11441 

1.4.2. padam ädau catushkarn ca dvikamn caivä ’vasänıkam | 
dundubhiz patitä tena tava dhänyam dhanam griham 11421 
bändhavänärn tathä’rthäya tava cintä ca vartate | 
kuzambavriddhip kalyänamı samgamah svajanair saha 114311 
bhavishyati na sarmdeho nashzamm ca lapsyase”) dhruvam | 
räjagriyäm ca te vriddhir kalyänam sarvasiddhayar 144 
idazn ca te hy abhijnänarn kalahas te ’bhavad grihe I 
strinimittä ca te cintä svanimittä’pi vartate 114511 

4.4.3. padam pürvam catushkam ca trika(m) caivä ’vasänikam | 
gaktyä nimittasujnänam°) cintitärthasamägamah 114611 
upasthitamm ca kalyänarı kanyälabhag ca dricyate | 
abhijnänam idam yatra svapne grämäntaram gatar 114711 

' 4.4.4. pada(m) pürvam catushkau’) dvau vrisho ’ya(m pa)tito 

’dhunä I 
sa(m)pattir sarvakäryänäm dhanadhänyasamägamar 114811 
yas tvayä°) cintitag cä’rthak sa ca sarvo bhavishyati I 
svapne drax(y)asi devam ca nigäyäm nätra samgayah 114911 

2.1.1. dvikam pada(m) dvayam caiva pägake patitam (ta)va I 
mahäkäryam idaz citte dharmärtharr cintitam tvayä 1501 
bhavishyati sukham nityam priyabandhusamägamaa | 
idam ca te hy abhijnänarn yat pacyasi nirantaram 15111 
parvatärohanarz svapne varapushpaphaläni ca | 


') kimcana *) cintä väcatasimrvattate io) parajayarn 
 #) catushvacca adam caivanäsıkam °)Jabhyase °)su”nna 
gca p 24 m, 
"mit Lücke für ein axara. 7) shko °) yaltvaya 


172 Gesammitsitzung 


ava(t)sä(m)vä savatsämm vä gävam draxyasi')hrisbfabhäk 115211 
2.1.2. dvikam padarn dvikam cä’nte patitä tava dundubhia I 

grihe vriddhir prajäläbho mitrair saha samägamah 15311 

kulavriddhir vivähena hiranyazn sarvasampadan I 

bhavishyati tavä ’trä’rthe cihnam gosvapnadarganam 115411 

praväsagamanar» citte yat käryamn cintitam tvayä | 

kuladevim prapadyasva tatah siddhir bhavishyati?) 115511 
2.1.3. dvikam pada(m) trikazn cä’nte dundubhir patitä (ta)va | 

dvipade vartate cintä hridi nirvänakäranam l156ll 

tasya läbho’sti mäsena bandhuvargasamägaman | 

mätaram pitaram caiva bhrätaramm ca sutam tathä 15711 

garirena tathärogyam manasä cintitarn tvayä | 

pürvajän püjaya xipraz’) püjyasthäneshu samsthitän 1581 

etena vihitenä’rtha% sampürnas te bhavishyati I 

idam ca te hy abhijnänan rätrau (sva)strisamägamah 11591 
2.1.4. dvikam padam catushkag ca‘) bhadro’yam patitas tava | 

nimittarn drigyate hy atra yädrigam tädrigam grina 116011 

yat te nashfam vä (’pa)hritam — —?) tad aparena tu | 

tathä düragatasyä’pı läbho ’pi tava dricyate NN64111 

adya svapne°) tvayä drishzä’) devi devakuläni ca | 

nadyo jätä niräpäg ca svajanaiı saha samgamah 16211 
2.21. dvika(m) dvayamı padam cä’'nte patri ’"yam patitä tava | 

idam tritiyakazn varsharn klieyase nä’sti te sukham 116311 

tvam cintayase kalyänarı hridaye cärthasamgamam | 

vigishzasthänacintäbhyäm tava cittam caläcalam 116411 

xinäni tava dupkhäni°) kalyänarn samupasthitam I 

idam ca te hy abhijnänam svapne draxyasi devatän 116511 
2.2.2. dvikatraye ’tra patite virodhah svajanaik saha I 

* amitraih saha sambandho mitraih saha viparyayah l166I1 

yä ca te manasac cintä hridaye parivartate | 

idam gurntaram käryam äyäso yatra drieyate 116711 
2,2.3. dvikadvayazz trikag cä’nte küzo ’yam patitas tava | 

idänim agubhe kärye tava cintä ca vartate I16811 


') dvaxyasi *) {in °) ? kripra *) kamcca 
53 2 axara fehlen noch, ohne Lücke dafür. ‘) svapnarn 
7) drishtvä. °) durakäni 


vom 3. Februar 1859. 173 


parärthe vyavahäras te nästi punyarn tavä') ’dhunä I 
drieyate na griyäm läbho vyavasäyena te’'dhunä 116911 
tat tyaja prakrityam anya — — °) sarvam vicintaya | 
idarn ca te hy abhijnänarn svapne pacyasi durdinam 170 
2.24. dvikam dvikam catushkä’nte pragno’)’yam patitas’) tava | 
paradärakalaträrthe”) cintä te hridi vartäte 171 
bhavato 'trä’cirenaiva nirvedag cägamishyati | 
paritäpag ca te bhävi präyacah”) kalahas tathä 117211 
atikrä(n)lä ca te pidä kalyinam samupasthitam’) | 
E pragäntäni ca päpäni durkhadäni°) sadaiva te 17311 
gurubhaktir ato nityarn kuladeväng ca püjaya | 
einlitam manasä sarvam yena te saphalam bhavet 117411 
2.31.dvikam trikam padam cä’nte patitä dundubhis tava | 
apatyadhanasampattir”) xipram eva bhavishyati'°) 17511 
2) nägo nä’sti tadaträ’rthe käryam etan mahäphalam I 
idam ca te hy abhijnänarn strinimitte kathä kritä 117611 
H draxyase cushkavrixam ca svapne günyagrihäni ca | 
nagaram janapadarı BAn yet gushkäni'") ca saränsi ca 77 
2.32. dvikam trikam dvayam cä ’nte küzo’ yam patilas tava | 
i därunamn eintitam karma na ca greyo vilokyate 117811 
1% käryasiddhig ca te nästi sukharn cätra na drieyate | 
tava'”) cihnam ihä’rthe tu svapne mahishadarganam 117911 
>>: dvikam trikadvayarn cä’nte dundubhir patitä tava | 
acintyam käranam kimcid ekam utpadyate tava I18011 
parakäryagatä() cintä(m) karoshi tvam na samgayah | 
tathä te därunam citlam anarthag cintitas tvayä' ’) 811 
kura käryäntararr kimeit pürvacıntäm parityaja | 
gotradevim prapadyasva tatah greyo bhavishyati 18211 
aträ’rthe cihnam etat te vidhäya kalaham grihe I 
0 #ato bahir vinirgatya tvam ekah gayitä nigi' ') 831 
23.4. dvikam trikam catushkag ca bahulä patitä tava | 
a 2: 
u") tab ?) ? zwei axara fehlen, ohne Lücke dafür. 
Le B praclo *) patibhas °) kalaarthe °) präyasak 
7) sthitä °) durakadani. Ob durkhini ca zu lesen? °) dha- 
n: '°) shyamti '') gushkäni '?) taba '?) anar- 
thamc cintita svayazr '*) gayitonicih 


174 Gesammtsitzung L 
bahünän siddhir arthänän siddhir xipram bhavishyati 118411 
see muhyase tvam muhur muhu ') | 
mä bhaishir”) nä’sti te päpamn xipram moxo bhavishyati 118511 
Begpee °) draxyasi sim tvarn ca mahisham*) caiva pacyasi \ 
jale?) prataramänam“) ca svapne ”) Jabdhvä prabudhyası 118611 
utlirno durkliakäntäram”) mahä(m)budhis tavä’dhunä | 
ärädhaya gucibhaktir pramodät kuladevatäm 118711 

2.4.1. dvikam catushkam padam caiva”) vrisho’yam patitas tava | 

ä'°) gamane tathä I18811 

cintitam präpsyasi e) xiprazn sthänavriddhirm ca lapsyase' y l 


pänigrähena Ba te kanyäyä 


idarn ca te hy abhijnänam maithunärthe kathä kritä 1891 
2.4.2. dvikar pürvam catushkam ca dvikam caivä ’vasänikam | 
cirapraväsitänäm' ’) tu sarngamag cintita(s) tvayä 1190 
ya(t)ivam cintayase sthänarz gobhanam tan na sarngayah | 
cintitas tu tvayä — — In) vinägah kim tu kasya eit I911l 
2.4.3. dvikag catushkas tritayam'°) patitär kramaco yadi I 
vyädhidurkhavimoxag' °)catadäte sa(m)mukbarz sukhamI1921l 
präpya pracintitärtharn ca'”) vinivzittim upadravät | 
adhvano gamanäd eva tava läbhas tu dricyate 119311 
2.4.4. dvikah pürvamn catushkau' °) dvau vrisho’yam patitas tava | 
yat te hridi gatazn kizncid udvegas tatra drieyate 119411 
upasthitar» ca kalyünarn hbridi nirvänakärana(m) | 
yävat siddhir idänimte tatah greyo bhavisbyati 19511 
idarn ca te hy abhijnänamı guhyarn te tilakänkitam | 
tatah sarvamı idarn satyarı yan mayä gaditarz tava 19611 
3.1.1. trikam padam padarı cä’nte dundubbhiä patitä tava | 
sthänaläbhe ’sti te cintä tathä ’dhvagamanam prati 11971 
atikräntäni vighnäni sukhara te samupasthitam | 


') ttam mukuh *) bheshir °) svapna 
par: °) jala °) nämlich mahisham? 7) svapna n 
®) duraka. — ? „eine grofse Fluth überschwemmt deinen Schmer. 
zenswald.”— Oder ob: °tärän mahäbuddhis tvam adhunä? °) ein 


Silbe zuviel! 9) kanyäpyä '') eintatam präpyas 
?) yriddhicca lipsyase ‘?) sicitänäm '?) zwei axar 
fehlen, ohne Lücke dafür. '°) trinayam '°) dura 
ech 


) pratimtitärthärz 2) shko 


| 
3 


3.1.2. 


3.1.3. 


3.1.4. 


H 


3.2.1. 


vom 3. Februar 1859. 175 


candikä kuladevi te täm ca püjaya nigcalar 119811 

trikam padarn dvikam caiva dundubhiz patitä tava | 

manorathäs tathä pürnä arthaläbhag ca drigyate 1199 

kufambavriddhir ärogyam bhavishyati tava kramät | 

präcyavyädhyupagamärtham' ) daivatärädhanarn kuru 1110011 

ya(t) tvam ärabhase karma tasya siddhir bhavishyati | 

svapne drax(y)asi gäm tvam ca hayän mattäng ca kunja- 
rän’) 1401 

trikam padarn trikamn cä’nte pägake patitarm tava | 

arthacintä ’sti te citte svabhävamärdave’) 111021 

vaira(m) kartuz2 na gaknoshi mitrair api na sevyase | 

tvamn sädhug ca mahärthag ca*)tato nacyati te dhanam 110311 

pagcät’) bhadräni drieyante dukkhacäntir‘) bhavishyati | 

aträ ’rthe tava cihnarn tu kalaho yad abhüd grihe 1110411 

trikam pürvam padam madhye catushkam cä’vasänikam | 

kalyänagunasampannä gaktir nipatitä tava’) I11O5NN 

nirvritim sarvasiddhira ca dhruvam eye hridi | 

tat te sarvam kramenaiva dharmabhäjo® ) bhavishyati 1110611 

manasä’pi na bhetavyazı gokam ca hridi mä kuru | 

kalyäragunasampannar2 mahäkäryam bhavishyati 11107 

tathä ca jnänam etat te suvrishtisasyasampadah”) I 

tagägini ca ramyäni swapne matsyäng ca pacyasi 11140811 

trikam Mika padam cä’nte patitä vishakartari | 

etasyäg‘ °)ca phalarz vacmi sävadhänarz tathä erinu' "JNLO9U 

svapne'”) pacyasi rätrau ca bahupräkäratoranam | 

gandharvanagaräkägyarn te ca tathävidhär' ?) 111101 

etan manovirägäya käryarn tava nirarthakam' *) I 

mäsam ekam mahäpäpam, anyam artharr vicintaya 1111111 

mahäduzkhäni'?) bhavato bhavishya(n)ti nripägrahät I 

atah sthänäntararn gacha gighrara yena hi jivasi 1111211 


räcya hier wohl = präcina former, ancient. ?) jarät 
pracy P f) J 


®) zwei axara fehlen ohne Lücke dafür. *) härthazcagca, 


‚doch ist des erste ca ausgestrichen. °) pagcäta °) duraka 
7) bhava °) dharmabhäjau. s. 52. °) sampadam 19) eta- 
'syac 

axara fehlen, ohne Lücke dafür. '*) tirarth®. ‘?) durakäni 


'') sätadhämna tayä 1?) syapnam 13) zwei 
e y pnaz 


[1859.] 12 


176 Gesammtsitzung 


3.2 2.trikam dvikadvayam caiva bahulä patitä tava') 
dravyasanmänanägena ”) tavodvega — — — tar’) NAA13yU 
atah pararn tu te bandhusamgamärogyavriddhayak I 
bhavisbyanti tathä dravyaläbhar kagcana sambhavi 1114411 
eintitä räjasanmänasiddhis tasyä’pi sat phalam I 
idamn ca te hy abhijnänam maithunärthe kathä kritä 111511 
3.2.3. triko dvikas trikag caiva tripadi patitä tava | 
saubhägyam kimeid astiha durkham”’)na tu kadäcana 1111611 
vairanäco’rthaläbhag ca priyair saha samägaman I 
sarvadurkhavimoxag°) ca dricyate tava mänava 1111711 
na cedam anyathä’) cintyazn vämä vahati cet°) tava I 
idam ca te hy abhijnänarn rätrau priyasamägamaa 1111811 
3.2.4. trikam dvikam catushkam ca saphalä patitä tava | 
grihe xetre ca vriddhig ca vyavahärena sa(m)padar 111911 
yat tvayä manasä dhyätan tat te sarvam bhavishyati I 
kimtu ko’pi tavodvegag cintägokag ca bhävy atha 11142011 
idam ca te hy abhijnänam sayranam ca girodaram”) | 
rätrau ca kalaharn kritvä tvam ekah cayitä'°) nigi 12 
3.3.1. trikamn trikam padam cä’nte dundubhin patitä tava | 
tena tvazn cintase' ') hyartharı kuzambagrihasampadar 1112211 
dhanavriddhir prajäläbho vastraläbhag ca gobhanan I 
kuladevim prapadyasva'”) tata% siddhir bhavishyatill12311 
avatsärn vä (savatsärn vä) sitä(m) yad vä sitetaräm | 
aträrthe cihnam etat te yad gäm svapne ca pagyası 112411 
3.3.2. trikadvayarz dvikam cänte pägake patitarn tava | 
durkhagilam'°”) ca te cittam tena sarpanti bändhavä 1112511 
ya(t) tvam cintayase käryam tasya nästi tavägamah | 
anyarn janapadarn gacha tatah präpsyasi vänchitam 1112611 
3.3.3. trikänämm tritayam yatra pragne patati nigcitam | 
manasa} prärthitär kämäR präpyante tatra sarvadä 1142711 


!) taca *) satmäna °) drei axara fehlen, ohne Lücke 
dafür. *) 114 Cod. — 113 fehlt in der Zählung, daher auch 
im Folgenden bis zum Schlufs die Zahlen des Cod. stets um eins 
zu hoch. °) durakam °) sarvadukha ”) caidama- 
nyavä °) ? cahati. Ob calati? WVer ist die vämä? °)ciras-udaram 
'9) gayito '') für cintayase. '?) dyastra '?) duraka 


vom 3. Februar 1859. 177 


na cocitavyarn') tvayä bhadra, syät tava pritir uttamä | 
; yat tvayä mänasarn dhyätam tat te sarvam bhavishyati 1112811 
3.3.4. trikau dvau ca catushkä te mälini patitä tava | 
vyavahäragatä cintä mitrabandhusamägamar 111291 
sarvadurkhavimoxag”) ca drieyate tava samprati | 
bhavishyati na samdehar saphalam tava cintitam 1113011 
3.4.1.trikam ädau catushkamı ca padarz caivä’vasänikam | 
u tatah süraparä’) cintä hridaye parivartate 1341 
bhavishyaty eva bhadrarz te mä vishädarn karishyasi I 
saukhyam ca dravyaläbhamn*) ca svajanaik pritir uttamä 1113211 
3.4.2. trikah pürvam catushkag ca dvikam caivä 'vasänikam | 
tat te parijanapritig cintä ca hridi vartate 1113311 
5 sthänavriddhih prajäläbho hridayasyä’pi nirvritir | 
yac ca nashfarn vinash/am vä tat te sarvam bhavishyati 134 
kalyänagunasampannä prajä läbhag ca drigyate | 
idam ca te hy abhijnänam svapne draxyasi pädapän 1113511 
3.4.3. trikarn caiva catushkarn ca trikarz caivä ’vasänikam | 
® kapafam caiva sambandham prati cintä ’sti te ’dbunä 1113611 
suciram tava kälo’yarn klicyamänasya yäsyati I 
gatasyägamanazn nä’sti bhadrarz kimein na drigyate 1113711 
3.4.4. trikah pürva(zr) catushkau dvau cakafi”) patitä tava | 
samastam gobhanam käryazn dhruvam ish/asamägamar 111381 
sarvadurkhavimoxag”) ca drieyate tava mänava | 
idam ca te hy abhijnänarn savranam yac ca te girah 1113911 
4.4.4. catushkam dvau padau prä(n)te patitä yatra dricyate | 
arthahänir vapuhpidä vibhramag ca punak-punaA 1114011 
äsid, 47) saptamanı varsham jäto ’py artho°) vinagyati | 
atikräntä ca te pidä mä vishädarn karishyasi 1114411 
atah param ca te bhadram dhanadhänyasamägaman | 
upastbitam ca kalyänam bandhubhig ca samägamar 1114211 
4.1.2. catusbkag ca padam madhye dvikam caivä ’vasänikam | 
strinimittä ca te cintä purushag cä’pi cintitar”) 1114311 


 —*) dreisilbig zu lesen. *) duraka °) ? ob etwa su- 
raparä? *) neutr. ! °) gakate °) duraka 7) äsi- 
d °) argho ?) cintatah 

12° 


178 Gesammtsitzung 


artharn pararate') kimceid yäcase na tu?) budhyase I 

viväde cä’rthaläbhe (ca) taväyäsag ca drigyate I1144Al 

na drieyate phaları ki(n)cid utsakatve’) krite tava | 

kimeit kälam pratixasva tata greyo bhavishyati 1114511 
4.1.3.catushkarn ca padam madhye dvikarn caivä ’vasänikam | 

artharn ci(n)tayase nünam pratishzhä drigyate tava 1114611 


praväsagamanam) te syäd ishjair saha samägamah I 
artharn ca präpsyasi dhyätam strinimitte kathä’)kritä 144710 
4.1.4. catushkädau®) padam madhye catushkarn cä’vasänıkam | 
daivänukülyata» sädhu küfo’) ’yam patitas tava 1114811 
dvipade vartate”) cintä tasya mäsena sambhava% | 
arthägamas tathä bandhusarıyogo mäsamätratap 1114911 
garire caivam ärogyam manasä cintitam punah | 
tatah sarvam idarn xipram saphaları te bhavishyati 1115011 
4.2.1. catushkädau dvikam madhye padam caivä ’vasänikam | 
artharn cintayase nünam pratishthä tava drigyate 45111 
praväsagamanam — (wie 147) 1115211 
etenäpy anumänena gubharz sarvarı bhavishyati I 
mätrinäm garanam gacha yena vighnam na jäyate 1115311 
4.2.2. catushkam ca dvikau’) dvau tu preshyo’yam patitas tava | 
cintä ca te prabhutvärthe däridram vartate grihe 1115411 
parakärye niyukto’si mrilyuzn mrigayase hridi | 
adya tritiyatarn varshara klieyase' °) nästi te sukham 1115511 
anyam'') cet kurushe käryam tac ca te (a)phalam bhavet B 
svapnazn pagyasi ghoram ca tasyä'rthenä’vabudhyase 115611 
goträcärarato ' *) nityarm kuladeväng ca ptijaya I 
gurüräm sevayä sarvä siddhi% sampatsyate tava 157 7 
4.2.3. catushkädau dvikam'”) madhye trikam'*) caivä ’vasänikam | 
tena te vijayo, läbhak, gatrünäm ca xayas'”) tathä 1115811 
dhanaläbho ’rthasampattih svajanaiı saha samgamah | 
yogaxemam'°) ca gäntig ca bhaishajyakaranäni ca 11591 


‘) argham pararäta °) nanu °) für utsukatve °) pra 
väsäg., doch ist das zweite ä getilgt. °) kaptä (kadhä in 152 
6) catushvädau ”)ktaro °) vartatte °) dviko '°) kligäs 


11) statt anyac! '”) gotrakcära '?) dvaika '*) traikan 
'?) ca ridayas '°) neutr.! 


vom 3. Februar 1859. 179 


gubharn samprati pacyämi päpam pratihatarz tava | 
yat tvarn cintayase käryam tat te sarvam bhavishyati 1116011 
4.2.4. catushkam ca dvikam madhye catushka(m) cä’vasänikam | 
udvegar sumahän') citte sa ca te vidyate ’dhunä 1116111 
käryarn gurutaram (kim)eid*) yat tvayä cintitamm’) hridi | 
tat sarvarn saphaları viddhi hridayäna(n)dakärana(m) 11621 
4.3.1. catushkädau trikam madhye pada(m) caivä ’vasänikam I 
esha äyapradhänas*) tu gakazam näma nämatah 1116311 
sthänäntaragatänäm tu bandhünä(m) ca samägamanh | 
xinäni tava duhkhäni kalyinam samupasthitam 1116411 
digyäträyäm dhanam präpya kugalenä’gamishyasi | 
parvatärohanazı svapne nagarı präsädam eva ca’) 1116511 
4.3.2. catushkädau trikarn madhye dvikam caivä ’vasänikam I 
zinäni tava (durkhäni) kalyänam samupasthitam I11661l 
sthänäntaramm gatä cintä, bhavitä tatsamägaman | 
yat tvam cintayase käryam tat te sarvam bhavishyati 116711 
yadartharn ca ivayä dhyätam praväsagamanam prati | 
tadartham api sampräpya kugalenägamishyasi 1116811 
. catushkarn ca trikau dvau ca märjani patitä tava | 
dhanam äsit prabhütam te°) miträ%’) puträg ca bändha- 
var 1116911 
tato duhkarma durkhena°) xinam etat tu sämpratam | 
ata eva manastushfir käryä creyo bhavishyati 1170 


rege 
ES 
[d°) 


A3A. catus trikam catushkag ca”) saphalä patitä tava | 

4 yac cintayasi maranam tac ca te n#sti sämpratam 1147411 
yat tvayä manasä dhyätam amukam me bhavishyati'°) I 
 tad bhavishyati kälena yat te manası samsthitam 1117211 
4.4.1. catushkau dvau padarz cä’nte küfo’yam patitas tava | 

E bandhunäcas tathä klegar pidä ca mahati hridi 1117311 

£: yasyedarn käryam etasya naxatrarn grahapiditam | 


° 


Pancaräträni paxam'') ca klicyase nästi te sukbam 1117411 
44.2. dvau catushkau dvikam cä’nte vrisho’yarn patitas tava | 


r samahän °) gurutaram ” 7 cid, Lücke für zwei (!) axara. 
) eitetam *) sollte esho 'yapr. heilsen! °)scil. ägamishyasi? 
‚oder lapsyase zu ergänzen? °) 7) mascul. ! °) du- 


rakena *) shkamgca '°) nämlich otiti '') parim 


180 Gesammtsilzung 


käryam ärabhase yatra yatnenä’pi na sidhyati 1117511 

äyäso nishphalo jätah sarvo ’pi prakritas tava | 

tasmät parityajan pürvam anyam arthamı vicintaya 1117611 
4.4.3. dvau catushkau trikag cä’nte väme’yam') patitä tava | 

käryam ärabhase yac ca kritayatnarz na sidhyati 11177 

pränän parärthe tyajasi sarvathaiva nirarthakam | 

anyam artharn vidhehy ägu tatra siddhir bhavishyati 17a 
4.4.4.vrishabhäg ca trayo yatra patitäh suvicaxanäh | 

yat tvarn cintayase nityam käryam ekarn punah punar 1117911 

yat tvam prärthayase xiprarm siddhis te samupasthitä | 

proshitägamanarn xipram putraläbhas tathaiva ca 1118011 

nashfasyä’rthasya sarvasya gighramm läbho bhavishyati | 

ekenaiva”) tu yämena tathaikadivasena ca’) 118111 

Jaina äsij jagadvandyo Garganämä mahämunin | 

tena svayarn') nigirne’yam satyä pägakakevali 1148211 

etaj jnänaza mahäjnänam Jainarshibhir’) udähritam | 

prakägyarn guddhagiläya kulinäya jitätmane 1118311 

iti gripägäkevali(!) samäptar (!) Il 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 

den vorgelegt: 
Annales de lobservatoire physique central de Russie. Annee 1855. Pe- 
tersbourg 1857. 4. 

Neue Denkschriften der allgemeinen Schweizerischen Gesellschaft für die 
gesammten Naturwissenschaften. Bd. 15. 16. Zürich 1857—58. 4, 

Atti dell’ Accademia de’ nuovi Lincei. Anno XI, Sessione 7. Roma 
1858. 4. 


Atti del! I. R. Istituto lombardo di scienze. Vol. I, Fasc. 11. Milano 
1858, 4. 

35. Jahresbericht der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur, 
Breslau 1858. 4. 

Jahrbuch der geologischen Reichsanstalt. 9. Jahrgang, n. 3. Wien 
1858. 4. 


') ? bäyeyam *) ekainaiva °) ? divasetanu 
*) staya °) jainashimbhir 


hi 


vom 3. Februar 1859. 181 


3 Würtembergische naturwissenschaftliche Jahreshefte. 15. Jahrgang, 
' Heft 1. 2. Stuttgart 1859. 8. 

Abhandlungen der naturwissenschaftlich - technischen Commission in Mün- 
Ni chen. München 1858. 8. 

b Mittheilungen der naturforschenden Gesellschaft in Bern. Bern 1856, 
} 1857. 8. 

Verhandlungen der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft. Ver- 
sammlung 41. 42. 1856. 1857. 8. 

 Mnemosyne. Vol. VIII. Pars 1. Lugd. 1859. 8. 

Revue archeologique. 15 me annee, Livr. 10. Paris 1859. 8. 
Bi Annales de chimie et de physique. Tome 45,no.1. Paris 1859. 8. 
 Murchison, Siluria. Third edition. London 1859. 8. 
de Rouge, Etude sur une stele egyptienne. Paris 1858. 8. 
u Lee, Engravings of the ganglia and nerves of the Uterus and heart. 
b London 1858. 4. 
Cornalia e Panceri, Osservazioni zoologico-anatomiche. Torino 

1858. 4. 
Reslhuber, Untersuchungen über den Druck der Luft. Linz 1858. 8. 
 Ephemeris archaeologica. no. 49, Athen 1858. 4. Mit Ministerial- 
> rescript vom 29. Jan. 1859. 
Oeuvres inedites de Maine de Biran, publiees par Ernest Naville. Tome 
4—3. Paris 1859. 8. Überreicht von Hrn. Trendelenburg. 

Diario di Francesco Capecelatro, contenente la storia delle cose auvenute 


Er ereewen 


nel reame di Napoli negli anni 1647 — 1650, messo a stampa dal 
Marchese Angelo Granito. Vol. 1—3. Napoli 1850— 1854. 8. 
Überreicht von Hrn. Gerhard. , 


Hr. Pertz bemerkte dazu: Dieses bedeutende Buch von einem 
d urch mehrere geschichtliche Werke bekannten Gelehrten des 17ten Jahr- 


"unter dem Namen des Masaniello bekannt ist. Dals ein solches Werk 
urch den Marchese Angelo Granito, Fürst von Belmonte, aus den 
andschriften zum Druck befördert worden, müsse als eine sehr er- 
nschte Bereicherung unserer geschichtlichen Quellen mit Dank aner- 
kannt werden. 


ums, d. d. 20. Jan. c., vorgetragen, welches die von der Aka- 
demie zur Anschaffung einer Glättpresse für die Druckerei be- 


lligten 470 Rthir. genehmigt. 


182 Gesammtsitzung 


Ferner wurde eine an die Akademie ergangene Einladung 


der K. Bayerischen Akademie der Wissenschaften, sich durch eine 
Deputation am 28. März an der Feier ihres 100 jährigen Stif- 


tungsfestes zu betheiligen, heut dadurch erledigt, dafs die, nach 
Beschlufs der Akademie, in jeder der beiden Klassen vorzuneh- 


menden Wahlen eines Deputirten erfolgt waren und somit die 
Hrn. Ehrenberg und Lepsius, jener für die physik.-mathem. 


dieser für die philos.-histor. Klasse, zu Deputirten erwählt wor- 
den waren. 


Die Academia pontifica zu Rom und die Schweizerische 
Gesellschaft für die gesammten Naturwissenschaften melden den 


E 


N 
d 


Empfang der Abhandlungen von 1855 und 1856, so wie der 4 


Monatsberichte von 1856 bis Aug. 1857. Die Naturforschende ö 


Gesellschaft zu Bern die der letzteren allein. 


10. Febr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Lepsius theilte einige Abschnitte mit aus einer Ab- 


handlung, welche folgende Punkte behandelt: 
1. Über die Einführung des Alexandrinischen Kalenders unter 
Augustus. i 
2. Wiederherstellung des zur Zeit der Ptolemäer aufgestellten 
Dionysischen Kalenders. 


3. Wiederherstellung des Eudoxischen Kalenders und Bemer- 
kungen über die Lage des Schaltjahrs in diesem und andern 


Parapagmen. 

4. Wiederherstellung der Parapegmen der Ägypter, des De- 
mokrit, Euktemon, Kallippus, Hipparch, Ptolemaeus, Caesar, 
Varro, Hygin, Columella, Plinius. 

5.Über die Jahres - und Tagesbestimmung der Eroberung 


Troias und das Verhältnifs des Kallippischen Cyklus zu .der- 


selben. 

Es kamen hiervon nur der zweite und dritte Punkt zum Vor- 
trag. Die Wiederherstellung des Dionysischen Kalenders wurde 
nach den Andeutungen, die schon in einer früheren Abhandlung 
gegeben worden waren, ausgeführt. Nach einer Übersicht der 


vom 40. Februar 1859. 183 


Beurtheilungen, welche frühere Gelehrte dem Dionysischen Ka- 
lender gewidmet hatten, wurden die vier Fragen näher erörtert, 
welche früher nicht beachtet worden waren, deren Beantwor- 
tung aber zum richtigen Verständnifs der alten Nachrichten über 
den Dionysischen Kalender unerläfslich ist, 1) mit welcher Ta- 
gesstunde Ptolemaeus den aegyptischen Tag beginnen liels, 
2) mit welcher Stunde der Dionysische Tag begann, 3) wie 
sich die überlieferten Dionysischen Daten zu den Juliani- 
schen Schaltjahren und 4) wie sie sich zu den Dionysi- 
schen Schaltjahren verhalten. 

Die erste Frage wurde dahin beantwortet, dals zwar die 
Aegypter im gewöhnlichen Leben den Tag mit dem Morgen be- 
_ gannen, ein astronomischer Gebrauch aber vorhanden war, nach 
welchem der Tag von Mitternacht an gezählt wurde, sich also 
gegen die Julianische Zählung nicht verschob. Diesen Gebrauch 
führt Plinius an und Ptolemaeus folgt ihm in seinen Datirungen, 
wenn diese sich auf die Hipparchische oder nachhipparchische 
Zeit bezogen. 

In Bezug auf den Dionysischen Tag wurde nachgewie- 
‘sen, dals dieser wie bei allen Griechen mit dem Abend be- 
_gann, sich also gegen den Aegyptischen Tag um 6 Stunden ver- 

schob. Die zu den Dionysischen Beobachtungsdaten gehörigen 

Lichttage, auf deren Ermittelung die Vergleichung der verschie- 
‚denen Kalender gerichtet sein muls, fallen daher im Alexandri- 
nischen und im Julianischen Kalender einen Tag später als die 
Tage der Beobachtungen, wenn diese am Abend vor Mitter- 
nacht angestellt wurden, bleiben aber dieselben, wenn sie Mor- 
gens nach Mitternacht angestellt wurden. 

Um das Verhältnifs der Julianischen und der Dionysischen 
Schaltjahre zu ermitteln, wurden die 7 Dionysischen Daten aus 
sehr verschiedenen Jahren auf die entsprechenden Jahre der er- 
sten Dionysischen Tetraeteride reducirt, welche vom Juni 285 
vor Chr. bis zum Juni 281 vor Chr. reichte. 

Die Einreihung der ägyptischen Daten in die einzelnen Jahre 
dieser Tetraeteride setzt es aulser Zweifel, dals die entspre- 
chenden Dionysischen Daten, wie sie jetzt gelesen werden, nur 
‚zwei Berichtigungen verlangen, indem der 25. Aigon in den 26., 
der 29. Hydron in den 21. zu verbessern ist; ferner, dals die 


184 Gesammtsitzung 


Monate 30tägig waren und ihnen 5, in den Schaltjahren 6 Epa- 
gomenen zugefügt wurden, endlich dals der Schalttag an das 
Ende des dritten Jahres der Dionysischen Tetraeteriden fiel. 
Der erste Lichttag des Dionysischen Kalenders fiel auf den 
27. Juni 285 vor Chr. Auf diesen Tag setzte Dionysius die 
Sommersonnenwende und den ersten Tag seines Krebsmonats. 
In jedem ersten Jahre der Dionysischen Tetraeteride fiel dann, 
nach Lichttagen gerechnet, der 10. Parthenon auf den 4. Sep- 
tember, der 22. Skorpion auf den 15. November, der 26. Aigon 
auf den 18. Januar. Im dritten Jahre fiel der 21. Hydron auf 
den 12. Februar, der 4. Tauron auf den 26. April. Dieses Jahr 
war das Dionysische Schaltjahr und der Schalttag fiel auf den 
27. Juni. Im vierten Jahre fiel daher der 1. Krebs auf den 
28. Juni, der 28. Leonton auf den 24. August. In dieses Jahr 
traf der Römische Schalttag, daher der 7. Didymon dem 29. Mai 
entsprach, und der nächste 1. Karkinon wieder auf den 27. Juni 
fiel. Mit dieser Wiederherstellung des Dionysischen Kalenders 
vereinigt sich Alles, was uns über denselben entweder direkt 
berichtet wird, oder von ihm aus andern Gründen als nothwen- 
dig vorausgesetzt werden muls. 

In Bezug auf den Eudoxischen Kalender ging der Vortra- 
gende von der Bemerkung des Hipparch aus, dals die Anfänge 
der Tbierzeichen nach seiner eigenen Eintheilung des Himmels 
den Mitten der Zeichen nach der Eintheilung des Eudoxus ent- 
sprachen. Es wird uns von Plinius berichtet, dals Eudoxus sein 
Jahr mit dem Aufgange des Sirius begann. Es wurde gezeigt, 
dals die Sommerwende zur Zeit des Eudoxus auf den 28. Juni 
fiel und daraus gefolgert, dals das Eudoxische Neujahr weder auf 
den 4. Alexandrinischen Mesori fallen konnte, auf welchen — weil 
auf diesen Tag der Siriusaufgang unter dem Parallel von Khodus 
und Knidus, des Eudoxus Heimath, traf, und Eudoxus auf densel- 
ben Tag nach Ptolemaeus den Anfang der Opora ansetzte — ldeler 
das Neujahr legen zu müssen geglaubt hatte, noch auf den 27.Krebs 
—= 23. Juli, auf welchen Eudoxus nach Geminus den Aufgang des Si- 
rius (nämlich wie zu vermuthen in Heliopolis) gesetzt hatte. Es 
wurde vielmehr nachgewiesen, dals Eudoxus sein Neujahr auf den 
ägyptischen Siriusaufgangstag, den 20,19. Juli gesetzt habe. An 
diesem Tage begann daher nach Eudoxus der Löwenmonat, wel- 


vom 40. Februar 1859. 185 


- cher ihm wie den alten Ägyptern der erste des Jahres war. Es 
ging daraus zugleich mit Nothwendigkeit hervor, dals Eudoxus am 
Ende seines Jahres, wie noch der später lebende Dionysius und 
ohne Zweifel vor ihm die Ägypter thaten, 5, in den Schaltjah- 
ren 6 Epagomenen zufügte und seine Monate 30 tägig waren. 


wohl die Ansätze des Eudoxischen Kalenders bei Hipparch als 


j 
; Es wurde hierauf gezeigt, wie nach dieser Konstruktion so- 
die übrigen Nachrichten der Alten über denselben zu erklären 


% 


sind, wie sich namentlich aufser den 15ten Graden für spätere 
Zeit auch die von Andern erwähnten 12ten Grade, so wie, durch 
_ die Anwendung des Hipparchischen Sonnenlaufs auf den Eu- 
- doxischen Kalender, auch die 8ten Grade, auf welche die Eu- 
 doxischen Kardinalpunkte nach Columella gefallen sein sollten, 
_ erklären. Endlich wurde auch die Angabe im Geminischen Ka- 
lender, dals die Eudoxische Winterwende auf den 4. Steinbock, 
die Frühlingsgleiche auf den 6. Widder, also 91 Tage später, 
gefallen sei, mit Berücksichtigung einer Verschiebung zweier 
 Geminischen Monatslängen gegen Hipparch, ganz im Einklange 
damit gefunden, dafs Eudoxus die Sommersonnenwende auf den 

28. Juni, Geminus aber, welcher mit dem Eudoxischen Jahresan- 
fang nichts zu thun hat, auf seinen oder des Kallippus 1. Krebs 


= 27. Juni ansetzte. 

Eine Vergleichung der Eudoxischen Episemasien im Gemi- 
nischen und Ptolemäischen Kalender hatte ferner gelehrt, dafs 
auch diese im Wesentlichen unter sich und mit der aufgestell- 


5 
men. Eine auf diese Erörterungen begründete Vergleichungs- 


_ ten Wiederherstellung des Eudoxischen Kalenders übereinstim- 


tafel des ursprünglichen und des übertragenen Eudoxischen Ka- 
lenders mit denen des Hipparch, des Ptolemäus, der Alexandri- 
ner, des Columella u. a. wurde vorgelegt. 

© Endlich wurde die Wahrscheinlichkeit zu begründen ge- 
sucht, dafs nicht nur der altägyptische, der Dionysische, der 
Alexandrinische und der ursprüngliche Julianische Kalender, son- 
dern auch der Eudoxische und alle übrigen bedeutenderen Ka- 
lender jener Zeit, mit Ausnahme des Augustischen jetzt vorzugs- 
weise Julianisch genannten Kalenders, den Schalttag der vier- 
: jährigen Periode sämmtlich in den Jahren zufügten, welche den 
_ Julianischen Schaltjahren vorausgehen, ohne Rücksicht auf die 


186 Gesammtsitzung 


verschiedenen Epochenjahre, auf welche die meisten dieser Ka- 
lender zurückgegangen zu sein scheinen. In dieser Voraus- 
setzung wurde zugleich eine Vermuthung über das Epochenjahr 
des Eudoxischen Kalenders aufgestellt und mit der Stelle des 
Plinius über den Anfang des Eudoxischen Lustrum in Verbin- 
dung gesetzt. 

Hr. Böckh bemerkte nach diesem Vortrage, dafs er sich 
in letzter Zeit gleichfalls eingehend mit den Kalendern des Dio- 
nysius und des Eudoxus beschäftigt habe und in Bezug auf die 
vorgelegte Wiederherstellung des Dionysischen Kalenders völlig mit 
Hrn. Lepsius übereinstimme, in Bezug auf die des Eudoxischen 
aber abweichender Ansicht sei, indem er in demselben weder 
das Vorhandensein von Epagomenen, noch den Beginn mit 
dem Ägyptischen Siriusaufgange am 20/19. Juli zugeben könne, 
vielmehr, gestützt auf eine dem Vorredner nicht zugänglich ge- 
wesene Quelle dem Eudoxus Zodiakalmonate von verschiedener, 
auch von Hipparch abweichender Länge zuschreiben und den 
Eudoxischen Jahresanfang auf den 21. Juli (vom Abend ab) le- 
gen müsse. 

Hierauf erwiderte Hr. Lepsius, dafs ihm namentlich die 
Hipparchischen Angaben jede andere Anordnung des ursprüng- 
lichen Eudoxischen Kalenders auszuschliefsen scheinen, dafs aber 
der Eudoxische Kalender, welcher, wie gezeigt worden, aus 
den Angaben des Geminischen Kalenders (4. Steinbock und 
6. Widder) hervorgehe, von ihm für einen abgeleiteten gehal- 
ten werde. r 


Hr. du Bois-Reymond legte eine vorläufige Mit- 
theilung über die chemische Reizung der Muskeln 
und Nerven von W. Kühne, d. d. Paris den 5. Februar 
1859, vor. 

Ein Muskel verfällt in Zuckungen, wenn sein Nerv der 
Einwirkung eines chemischen Körpers ausgesetzt wird, welcher 
in bestimmter Weise zerstörend auf die im normalen Zustande 
befindliche Substanz desselben wirkt. Nach der Untersuchung 
des Hrn. Eckhard sind dazu besonders geeignet: die Lösungen 


vom 10. Februar 1859. 187 


‚der Alkalien, die unorganischen Säuren, eine Anzahl neutraler 


Salze und gewisse organische Körper. Was sich ereignet, wenn 
dieselben Körper den Muskel direct treffen, ist unbekannt, und 
die nachfolgenden Versuche dürften daher geeignet sein, in die- 
ser Beziehung eine Lücke auszufüllen. Eine grofse Zahl chemi- 
scher Körper ergreift den Muskel der Art, dafs es unmöglich 
ist zu entscheiden, ob dem eingetretenen Zustande der Starre 
eine Zuckung vorausging, weshalb es in diesem Falle geboten 
ist, die Reizung nur an einem Theile der Muskelfaser vorzu- 
nehmen, während der von dem angewendeten Erreger unbe- 
rührt gebliebene Abschnitt beobachtet wird. Um dieser An- 
forderung zu genügen, bedienten wir uns des Muse. sartorius 
Cuv. des Frosches und zwar in der Art, dals wir den oberen 
Querschnitt dieses aus einer Vereinigung fast parallel neben ein- 
ander verlaufender Primitivbündel bestehenden Muskels, also 
Einen Theil sämmtlicher Fasern gleichzeitig, mit der zu unter- 
suchenden Flüssigkeit benetzten. Hat die letztere die Eigen- 


schaften eines Erregers, so antwortet der Muskel darauf mit 
einer einmaligen über seine ganze Länge verlaufenden Zuckung. 


2 
x 
’ 


ar 


Die so erhaltenen Resultate sind folgende: 

4. Während die Mineralsäuren z. B. die Salzsäure oder die 
Salpetersäure nur bei einem Gehalte von 20 bis mindestens 
41 Theilen der wasserfreien Säure in 100 Theilen Wasser 
in dem Nerven den Zuckung erregenden Vorgang auslösen, 
bewirken dieselben bei directer Application auf den fri- 
schen Querschnitt der Muskelfaser noch eine einmalige kräf- 
tige Zuckung, wenn ein Theil der Säure mit 1000 Thbeilen 
Wasser verdünnt angewendet wird. Destillirtes Wasser da- 
gegen erzeugt niemals Zuckung bei momentaner Berührung 
mit dem Muskelquerschnitt. 

2. Die Alkalien verhalten sich nahezu gleich gegen den Mus- 
kel wie gegen den Nerven, mit dem einzigen Unterschiede, 
dals durch eine wässrige Lösung derselben von 0,1° . leich- 
ter Zuckungen erhalten werden können, wenn man den 
Nerven als wenn man den Muskelquerschnitt damit benetzt. 
Lösungen von 0,2° , erzeugen aber jederzeit auch bei di- 
recter Reizung Muskelcontractionen. 


188 
3. 


Gesammitsitzung 


Das Ammoniak ist in keinem Concentrationszustande ein 
Erregungsmittel für den Nerven, während ‘der Muskel selbst 
noch die geringsten Spuren von Ammoniakdämpfen in der 
Atmosphäre mit erstaunlicher Sicherheit durch heftige Zuckun- 
gen anzeigt. Es kann nachgewiesen werden, dals alle 
Zuckungen, welche bisher nach Benutzung des Nerven mit 
Ammoniak beobachtet wurden, von der directen Einwirkung 
des flüchtigen Körpers auf den ungeschützten Muskel her- 
rührten. 


. Die Salze Chlornatrium, Chlorkalium und Chlorcalcium wir- 


ken in concentrirter Lösung zwar sowohl auf den Muskel 
als auf den Nerven, bei einer gewissen Grenze der Ver- 
dünnung aber zeigen sie sich nur noch bei der directen 
Muskelreizung wirksam. 

Die Metall-Salze wirken meist nur zerstörend auf den Ner- 
ven, ohne Zuckungen in den davon versorgten Muskeln zu 
erzeugen. So erregen Lösungen von neutralem und ba- 
sisch-essigsaurem Bleioxyd, so wie von Eisenchlorid oder 
schwefelsaurem Kupferoxyd, einerlei, welches auch ihre Con- 
centration sei, niemals vom Nerven aus Zuckung. Umge- 
kehrt verhalten sie sich bei directer Application auf den 
Muskel. Eine Lösung von CuO0S0? zeigt sich in diesem 
Falle selbst noch bei einem Gehalte von nur 4° „ wirk- 
sam. 

Aulserordentlich verschieden gegen beide Organe verhalten 
sich die organischen Säuren. Die Essigsäure wirkt nur sehr 
concentrirt angewandt auf den Nerven, ist aber als directer 
Reiz noch in grolser Verdünnung ein Erreger für den Mus- 
kel. Andere Säuren, wie z. B. die Oxalsäure, erzeugen nie- 
mals Zuckungen, bei keiner Art der Reizung. Säuren, 
welche, wie die Milchsäure in concentrirtem Zustande we- 
gen ihrer dickflüssigen Beschaffenheit verschiedene thierische 
Membranen mit merklich veränderter Geschwindigkeit durch- 
dringen, verhalten sich auch demgemäls verschieden zu dem 
mit zäher Flüssigkeit gefülltem Nervenrohre und zu dem der 
Imbibition äulserst fähigen Muskel. So erzeugt die con- 
centrirte Milchsäure niemals von dem Muskelquerschnitt aus 
Zuckung, die dagegen augenblicklich eintritt, wenn sie sei- 


vom 10. Feöruar 1859. 189 


men Nerven ergreift. Wird die Säure nur mit ihrem hal- 
ben Volum Wasser verdünnt, so verliert sie alle erregende 
Wirkung für den Nerven, beginnt aber nunmehr dieselbe 
auf den Muskel zu entfalten, so dals sie selbst noch in 
20facher Verdünnung als directer Muskelreiz betrachtet wer- 
den kann. 

7. Körper, welche einen nachweisbaren Einfluls auf die im 
E} Nerven enthaltenen Fette ausüben, wie das Glycerin, er- 
Be zeugen durch die Bahn des letzteren den heftigsten Teta- 
| nus. Nur das ganz concentrirte Glycerin, das für den Mus- 

kel ohne erregende Wirkung ist, zeigt diesen Erfolg; bei 

der Verdünnung desselben mit Wasser wiederholt sich die- 
r selbe Erscheinung, wie bei der Milchsäure, indem nur die 

verdünnteren Lösungen allein bei directer Reizung den 
er Muskel erregen. 

8. Einige Bestandtheile des Thierkörpers selbst, wie die Galle, 
4 oder das daraus dargestellte Alkalisalz der Glycocholsäure 

erregen Zuckungen bei der directen wie bei der indirecten 

H Muskelreizung. Der Nerv bedarf einer Lösung des gallen- 
4 sauren Natrons von mindestens 6 °/,, um dadurch in den 
i erregten Zustand zu verfallen, während Lösungen von 1°/, 
7 noch vom Muskelquerschnitt Zuckungen bewirken. 

5 9. Flüchtige organische Körper, wie der Alkohol, der Äther 
E und das Chloroform nähern sich bereits den völlig indifie- 
- renten Substanzen. Obgleich der Muskel sowohl, wie der 


Nerv sehr rasch ihre normalen Eigenschaften darin ein- 
F bülsen, gelingt es doch nur unter besonders günstigen Ver- 
= hältnissen Contractionen damit hervorzurufen. 


40. Kine grolse Zahl von Körpern, welche für das lebensvolle 
> Bestehen der beiden Organe keineswegs günstig sind, be- 
wirkt niemals Contractionen der Muskeln, einerlei ob sie 
direct oder indirect angewendet wurden. 

Bei den mitgetheilten Versuchen geschah die Wahl der che- 


u uskeln und Nerven kein Mittel an die Hand giebt, vorher auf 


gekehrt darf man aber jetzt wohl annehmen, dals die Muskeln 
und Nerven grade in ihrem physiologisch wesentlichsten Theile 


190 Gesammtsitzung vom 10. Februar 1859. 


auch eine sehr grofse chemische Verschiedenheit darbieten, welche 
eben in der grolsen Abweichung der Erfolge nach directer oder 
indirecter Erregung mittelst qualitativ verschiedener Reize ihren 
besten Ausdruck findet. Dieselbe Anschauung führt gleichzeitig 
zur Annahme einer selbständigen Reizbarkeit der Muskelfaser, 
welche vielleicht dadurch noch wahrscheinlicher gemacht werden 
kann, dafs die Erregbarkeit der mit Nerven untermischten con- 
tractilen Substanz gegenüber chemischen Reizen dieselbe bleibt, 
wenn der grölsere Theil aller motorischen Nerven durch Wu- 
rali leistungsunfähig gemacht wird. Alle für die directe che- 
mische Reizung aufgeführten Thatsachen gelten ebenfalls für die 
Muskeln solcher Frösche, welche mit Pfeilgift vollständig ver- 
giftet waren und bei denen jede Art der chemischen Einwirkung 
auf den Nerven für den Muskel gleichgültig blieb. Auch hier 
verliefen die Zuckungen, trotz der localen, auf den Querschnitt 
beschränkten Reizung, über die ganze Länge der Fasern. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Gelehrte Anzeigen. Band 47. München 1858. 4. 

Abhandlungen der historischen und malh.-physikalischen Klasse der Bay- 
rischen Akademie der Wissenschaften. München 1858. 4. 

Bischoff, Johannes Müller und sein Verhältnis zum jetzigen Stand- 
punkt der Physiologie. München 1858. 4. 

Neumann, Reisen des Johannes Schiltberger aus München in Europa, 
Asia und Africa. Nach der Heidelberger Handschrift. München 
1859. 

Die Ereignisse in Ostasien. (Augsburg 1859.) 8. 

Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde. Neue Folge. 
Band 1. 2. 3,1.2. Kronstadt 1853—1858. 8. 

Chronicon Fuchsio-Lupino- Oltardinum; ed. Trausch. Pars 1. 2, Co- 
ronae 1847—1848. 4. 

Hintz, Geschichte des Bisthums der griechisch-unirten Glaubensgenossen 
in Siebenbürgen. Hermannstadt 1850. 8. 

Bielz, Fauna der Wirbelthiere Siebenbürgens. Hermannstadt 1857. 8. 

Programme der Gymnasien zu Hermannstadt und Mühlbach. 1854—58, 
4. (Acht Stück.) 

American Journal of science. Vol. XXVI, no. 78. New Haven 185 8. 8 


Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 14. Februar 1859. 191 


Bulletin de scances de la socield vaudoise des sciences naturelles. Tome 
» & 

m V. Lausanne 1858. 8, 

Br Catalogue de la Bibliotheque de la societe des sciences naturelles. Lau- 
SM sanne 1858. 8. 

Bulletin de la societe geologique de France. Dez. 1858. Paris 1858. 8. 
d’Avezac, Les voyages d’Americ Vespuce. Paris 1858. 8. 


wi 
% = hu 


N 


Pictet, Essai sur quelques inseriptions en langue gauloise. Geneve 


E 1359. 8. 
R Angelini, Degli studi archeologici del P. Giampetro Secchi. Roma 
Pr 1858. 8. 


" Drach, On the Statistics of marriages in England. (London 1859.) 8, 
Bulletino archeologico napolitano. Anno VI, no. 1—16. Napoli 1857— 
1858. 8. 
 Plantamour, Observations astronomiques faites d lobservatoire de 
Geneve dans les annedes 1851—1852. Geneve 1853. 4. 
Itesume meteorologique de l’annee 1857. Geneve 1858. 8, 
Note sur la comete de Donati. (Geneve 1858.) 8. 


44. Februar. Sitzung der philosophisch-hi- 
storischen Klasse. 


Hr. Kiepert hielt einen Vortrag über die geographi- 
sche Stellung der nördlichen Länder in der phöni- 
kisch-hebräischen Erdkunde. 

4 Das durch die genealogisirende Form seiner Anordnung in 
der ganzen alten Schriftwelt einzige Verzeichnils von Länder- 
ind Völkernamen, welches, wie es scheint erst des letzten Be- 
arbeiters ordnende Hand an der Spitze der hebräischen Urge- 


_  *) Abgesehen von dem für seine Zeit bewunderswürdigen Bochart 
eigentlich nur Tuch (1838), wogegen Rückschritt zu früher mit Recht 


13 


192 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


für die geographische Seite der Untersuchung befriedigenden 
Ergebnisse gelangen. Für die Geschichte der Erdkunde aber h 
erhält, abgesehen von allen ethnographischen Speculationen, jenes 
Verzeichnils, welches uns den Umfang altsemitischer Länder- 
kenntnils für eine, dem Beginn griechischer Aufzeichnung weit 
vorausliegende Zeit vergegenwärtigt eine erhöhte Bedeutung durch 

die naheliegende und von den meisten neueren Exegeten ausge- | 
sprochene Vermuthung eines wenigstens theilweise phöniki- 
schen Ursprungs, wo nicht einer gänzlichen Entlehnung 
aus phönikischer Quelle?), so dals wir in diesem Documente 
und der Weise seiner Anordnung eines der wenigen bis auf uns 
gekommenen Fragmente der durch die Ungunst der Zeiten fast 
völlig untergegangenen Wissenschaft jenes merkwürdigen Cul- 
turvolkes, der Vorgänger und Lehrer der Griechen auf dem Felde 
praktischer Länderkunde zu erkennen hätten. Vielleicht gelingt 
es diese Vermuthung der Gewilsheit um ein grolses näher zu 
bringen durch den in den bisherigen Untersuchungen vermilsten 
Erweis einer streng geographischen Anordnung. Ist von vorn- 
herein zuzugeben dafs eine solche kaum denkbar wäre ohne das 
Hülfsmittel einer wenn auch noch so rohen, doch die ein- 
fachsten durch Erfahrung festgestellten geographischen Thatsachen 
im Bilde verauschaulichenden Kartenzeichnung, so berechtigt uns 
der zufällige Mangel bestimmter Zeugnifse durchaus nicht, einem 
schon in so früher Zeit ausgedehnte Seeschiffahrt betreibenden, 
durchaus praktisch erscheinenden Volke den frühen Gebrauch 
jenes nothwendigen Hülfsmittels abzusprechen, vielleicht, wie 
wir in folgendem darzuthun gedenken, nur wenige Jahrhunderte 


freilich weit überboten durch die unglaublichsten Verirrungen bei Sören- 
sen(1851)auf der hyperkritischen, wie bei Görres (1845) auf der aucto- 
ritätsgläubigen Seite. 

?) Auf ägyptische Weisheit zurückzugehen müssen natürlich 
aulser den älteren (Bochart, Michaelis u. A.) diejenigen vorziehen, die 
auch heut zu Tage von mosaischer Autorschaft träumen. Der das andere 
Extrem vertretende Anachronismus Sörensen’s der die vollständige 
Entlehnung aus fremder Quelle zugebend, eine solche in dem (um 
250 v. Chr. griechisch geschriebenen) Werke des Babyloniers Be- 
rosos zu finden glaubt, wird schwerlich einen Vertheidiger finden. 


vom 14. Februar 1859. 193 


_ früher, als wir bei den Griechen, auf diesem Felde sicher nicht 
‚den ersten Erfindern, den Gebrauch von Erdkarten finden.?) 
Vorzüglich wichtig jedoch bisher noch am wenigsten be- 
nutzt erscheint für beide Fragen: Ursprung wie Alter der 
_ Urkunde, die Ausmittelung der unter dem Namen Japhet als 
“nördlicher Erdgürtel zusammengefalsten, ungeachtet ihrer wieder- 
_ holten Erwähnung in Beziehung zu historischen Thatsachen bei 
den späteren Propheten schon früh aus der lebendigen Kennt- 
_ nils entschwundenen und daher milsverstandenen Ländernamen. 
Die Hauptgebiete des südwestlichen Asiens und nordöstlichen 
Africas (die Erdtheile Sem und Ham) nennt die alte Urkunde 
_ mit ihren uralten allgemein semitischen, im ganzen Orient wohl- 


Wie 


_ verstandenen, zum Theil auch zu den ersten arischen Eroberern, 
den Persern übergangenen und selbst den Griechen nicht ganz 
unbekannt gebliebenen Namen.*) Die diesen Hauptgebieten als 
zweite und sogar dritte Glieder untergeordneten kleineren Land- 
schaften oder Volksstäimme aber, in andren AT. Schriften kaum 
shi, entziehen sich bis auf wenige in griechischen oder ara- 
"bischen Quellen sicher erkennbare vielleicht auf immer jeder 
‚sichern Deutung und gewähren auch bei dem Mangel an Be- 
richten über die Völkergeschichte jener Gebiete keine histori- 


*) Zu dem auf beiliegender Karte enthaltenen Versuch einer unge- 
fähren Herstellung der alten phönikischen oder, wenn man lieber will, alt- 
semitischen Erdansicht bieten für den Westen und Norden allerdings die 
in folgendem zu besprechenden Stellen der Propheten aulser der Reihen- 
folge der sog. Völkertafel selbst die einzige Richtschnur; für den Osten 
und Süden ist nach dem Vorgange Bertheaus (die der Beschreibung des 
Paradieses zu Grunde liegenden geographischen Anschauungen, in den Göt- 
tinger Studien 1847), dessen Annahme allein unter allen einen befriedigenden 
Zusammenhang auch mit späteren orientalischen Erdansichten herstellt, eine 
Combination mit den vielleicht erst einer späteren Zeit angehörıgen An- 
gaben von Gen. c. II. versucht worden. 

*) Kusija, Mudraja, Pautija der Inschriften des Dareios = 
füs, Misraim, Püt des A. T. gegenüber Aiftonia, Alyumros (Meoronia 
us oriental. Quellen nur bei den Chronographen) Aıßyn; für A’nasan 
& = Powian bei Steph, Ardm ’Apauaioı = Bupoi bei Strabon; aber Lüd, 
Assür, ?Elam = Avdia, ’Acoupia, "Erunaks, letzteres wenigstens als Theil 
eben Kıociz und Zovssay. 

132 


194 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


schen Anhaltspunkte; nur der Mangel eines schon bei Jesaja 
vorkommenden allgemeinen Volksnamens wie ;4rab statt der 
ismaelitischen und jogtanitischen Stammnamen, so wie die Nicht- 
erwähnung von Paras(Persien, schon bei Ezechiel) und Bade, 
sind mit Recht schon von andern Erklärern als Beweise für ein 
höheres, der blühenden Zeit des Assyrerreiches näher stehendes 
Alter der Tafel geltend gemacht worden. 

Anderer Art sind die Schwierigkeiten welche uns bei Be- 
trachtung der nördlichen Reihe von 14 Namen (in der ge- 
nealogischen Form der Tafel 7 Söhnen und 3+ 4 Enkeln Ja- 
phets) entgegentreten; indem selbst unter den 7 Hauptnamen \ 
nur zwei — Madai und Javan — in ihrer historischen Be- 
deutung völlig unbestritten, zwei der Unterabtheilungen (die Ja- $ 
vansgeschlechter Tarsis' und Kiti/m) ihrem Sinne nach in 
andern Stellen des A. T. gesichert sind, nicht ohne dafs für - 
unser Capitel von manchen Erklärern eine Ausnahmsbedeutung 
hineininterpretirt wäre; von den übrigen zehn Namen sind aller- 
dings nur drei ame sion eva (Riphath, Rodanim, Tiras): 
wenn aber die übrigen auch in einzelnen prophetischen Stellen 
besonders bei Ezechiel wiederkehren, so werden sie nur allge- 
mein als nördliche Länder bezeichnet und bei dem Mangel ge- 
nau entsprechender Namen in der griechischen Länderkunde der 
specielleren Erklärung ein weiter Spielraum gelassen, der bereits 
seit alter Zeit möglichst benutzt worden ist, um mit den alt- 
überlieferten Namen den fortwährend erweiterten Kreis positi- 
ver Länderkunde möglichst auszufüllen. Finden wir dies Bestre- 
ben bei Josephus schon auf südasiatischem Boden, in der 
dann von allen folgenden jüdischen und christlichen Erklirern. 
angenommenen Verpflanzung der jogtanitischen Stämme aus 
Südarabien nach Indien,’) so bot der Norden und besonders das 


°) Veranlafst offenbar durch die Aufzählung von Ophir und H’avilah 
unter den jogtanischen Gebieten, nicht weniger aber auch durch das Streben, 
jenes äulserste östlicheWunderland, die Nachbarschaft des damals schon (ab- 
weichend von der Anschauung der Propheten) am Ostrande derErde gedach- 
ten Ausgangspunktes der Menschheit, des verlornen Eden, dem bevorzug- 
ten Geschlechte S’em’s zu sichern: daher in jüdischen Kosmographien, 
wie im Jubiläenbuche ganz Indien als östlicher Theil ZZlams im Ge- 
biete Sem’s untergebracht. 


vom 14. Februar 1859. 195 
| dem hebräischen Alterthum kaum in seinen südlichsten Umrissen 
zur unsichern Kunde gekommene Europa einen fast überflüssigen 

Raum um die dem lebendigen Volksgebrauch verloren gegange- 
nen unverstandenen Namen, als angebliche Urstämme der später 
in den Kreis der Culturwelt eingetretenen Nationen unterzu- 
bringen — ein unkritisches Verfahren, das von den Kirchenvä- 
tern und gelehrten Rabbinern weiter ausgebildet, leider auch 
jetzt noch nicht aufgegeben ist, wie u. a. der neueste ausschliefs- 
lich die Völkertafel behandelnde Commentar von Knobel (Gie- 
(sen 1850) beweist. Das zu diesem Zwecke mitunter schon von 
den Alten, weit umfangreicher aber von neueren Bearbeitern 
ausgebeutete Mittel, die Vergleichung oft nur scheinbar ähnli- 
‚cher Namen °), ist natürlich nicht allein das leichteste, sondern 
auch unzuverlässigste, und der Mifsbrauch desselben hat ebenso 
natürlich die verschiedenen Erklärer zu unglaublich weit ausein- 
‚anderliegenden, meist sich untereinander widersprechenden, dabei 
gleichwohl in einzelnen Fällen (Gomer, Riphath, Elisah) 
sich in der am wenigsten wahrscheinlichen Deutung vereinigen- 
den Ergebnissen geführt — die inneren Widersprüche solcher 
Erklärungen, die weitentlegene Länder (z. B. Gallien, ja Britan- 
nien) als bekannt voraussetzen, während sie weit näherliegende, 
"viel eher als gekannt vorauszusetzende (z. B. Italien und Sici- 
lien) in Verlegenheit um passende Namen ganz übergehen, sprin- 
gen am deutlichsten in die Augen wenn man sich die kleine von 
den Autoren selbst mit Unrecht vernachlässigte Mühe nimmt, 
‚sie der Karte einzuordnen. Zur Innehaltung einer geogra- 
phischen Reihenfolge aber hätte schon die Einsicht führen 
sollen, dals dasselbe Princip in der Tafel auch für die Aufzäh- 
zählung der semitischen und der hHamitischen Länder mals- 
‚gebend gewesen ist: dals die 5 Söhne Sems von ?Elam bis 


Aram im Grolsen und Ganzen eine Reihe von Osten nach 
F' 


% ©) Rein aus dem Gleichklang errathen und ohne alle Auctorität sind 
‚bei Josephus offenbar ’EXıc# = Aioreis, Mo06x = Malaxa, Oupceis = Tap- 

05, Pour — Bourns morauös ns Maupay Yuoas, T'’adepos = Baxrpıavoi, Mycds— 
= vielleicht auch ©ößrAos —="Ißnpes, Osias = Opärss, Zaußabk; = 
Aoraßapar, Anbafiöns=Xardaic, ebenso bei Synkellos OußaA=O®ersunrci, bei 
Hieronymus Caphthor=Cappadocia, im Jubiläenbuch Tiras=tyrsen. Meer. 


196 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Westen bilden®), hat schon Bochart richtig gesehen, — aber 
dieselbe Ordnung scheint auch für die vier hamitisch en Haupt- 
namen zu gelten, von denen K’na}an als Standpunkt des Verf. 
die Reihe schliefst, ohne dals, wie die geographische Nachbar- 
schaft erwarten liefse, Ägypten sich ihm unmittelbar anschlöfse, 
vielmehr bezeichnet die Stellung des äulsersten Westlandes Püz 
zwischen jenen beiden und die deutliche Beziehung des ersten 
Namens KXüs auf den äufsersten Südosten des Erdkreises (wo 
alle Söhne des Küs’, theils in Südarabien, theils in Indien zu 
suchen sind) wenigstens die Folge der ersten drei Namen als eine 
der semitischen Reihe parallele. Liefse sich eine analoge Folge 
der Aufzählung auch für die japhetischen Namen wahrschein- 
lich machen, so würde die Unbhaltbarkeit vieler bisherigen An- 
nahmen sofort einleuchten und die Erklärung in gewisse nicht 
zu überschreitende Grenzen eingeschlossen sein. Indels über- 
zeugt uns ein Blick auf die uns überlieferte Namenreihe: in ihrer 
genealogischen Form 


JS ArPEHFR:T 
a Tester _ \_______ „noeeuepiiiiiREEBNBEEBBEERBeT 
1 Gomer 2 Magög 3 Madai 4 Javan 5 Tubal 6 Mesehkh 7 Tiras 
a As’kenaz b.ltiphath c.Togarmah a.Elis’ah b.Tars“is‘ e.Kıttim d.D(R)odanim 


in deren 3 und 4 Hauptgliede wir die Ost- und Westgrenzen des 
den Bewohnern Kanaan’s bekannten Nordens: Medien und die 
griechischen Küstenländer (denen sich das äufserste WVestland 
Tarsis‘ —= Spanien unterordnet) unmittelbar nebeneinandergestellt 
finden, dafs hier keine so einfache Reihe, wie bei den Gebieten 
des mittleren und südlichen Erdgürtels vorliege’): eine solche 


°) Dals das in der That westlichste Land, Lüd, (Lydien) nicht am 
Schlufs der Reihe, sondern vor Aram (Syrien) steht, hat man mit der Ab- 
sicht eines geographischen Anschlusses an den Standpunkt des Verfassers, 
K’na3an, motivirt; es mag aber auch für die alte Erdanschauung weniger 
die westliche Ausdehnung Kleinasiens bestimmend gewesen sein, als 
dessen für die Schiffahrt wie für den Landverkehr von Phönikien aus in 
der That nördliche Lage, so dals der scheinbare Sprung von dem nord- 
östlichen LandeArphaks“ad nachdem nordwestlichen Züd sich verringert, 
wie dies in dem beigegebenen Kärtchen zu verdeutlichen versucht ist. 

”) Den einzigen Versuch, jenem scheinbaren Sprunge zum Trotz eine 
einfache, der semitischen Reihe parallele Folge von O. nach W. den ja- 


vom 14. Februar 4859. 197 


würde die den Bewohnern Kanaans durch alten Verkehr be- 
kannten Völker der näheren nördlichen Nachbarschaft, der arme- 
nischen und pontischen Gebirgsländer, die in der Tafel auf keine 
Weise übergangen sein konnten und in der That nach den 
wahrscheinlichsten bisherigen Erklärungen in den Gliedern 1c, 
5 und 6 enthalten sind, vielmehr ihrer wirklichen Lage ent- 
sprechend, zwischen 3 und 4 geordnet haben. In der That 
läfst sich jener scheinbare Sprung vom medischen Osten bis zum 
griechischen Westen nur durch die Annahme erklären, dals hier 
eine neue, von den ersten 3 Gliedern unabhängige Reihe der 
Aufzählung beginne, und dafs dies sich wirklich so verhalte, soll 
“durch Prüfung der einzelnen Ländernamen in geographischem 
Zusammenhange nachgewiesen werden.) 


_ phetischen Namen unterzuschieben, freilich durch das gewaltsame Mittel 
einer Verpflanzung der Meder in eine angeblich ältere europäische Hei- 
‚math zwischen Skythen und Griechen, also in Thrakien (möglicherweise 
bestimmt durch trügerische Namenanklänge wie die Maedi am Strymon 
_ oder Nakedonien) verdanken wir der systematisirenden Klügelei eines 

_ alexandrinischen Juden des 1. oder 2. Jahrh. v. Chr., des V£ der sog. klei- 
Genesis d. i. Ergänzungen zur Genesis aus jüdischen Traditionen ‚unter 
en: Namen des Jubiläenbuches in aethiopischer Übersetzuug mitgetheilt 
von Dillmann in Ewald’s Jahrb. f. bibl. Wiss. B. II, wo in Cap. VIII. 
a IX. (p. 251 fl) bei Gelegenheit der Vertheilung der Erde unter die No- 
_ achiden dıe olfenbare Beschreibung einer jüdischen Erdkarte mitgetheilt 
ist: merkwürdig anch dadurch dafs sie, abweichend von Josephus und als 
_ Vorgängerin der bei den spätern Kirchenvätern herrschenden Ansicht, die 
altsemitische Dreitheilung der Noachiden gleichsetzt mit den aus der grie- 
‚ehischen Erdkunde geläufig gewordenen drei Erdtheilen und demzufolge 
ausschlielslich Europa mit den Geschlechtern Japhets anfüllt. 

- *) Nur eine zufällige Begegnung mit dieser Annahme bietet die An- 

3 ‚ordnung Knubel’s, des einzigen unter den bisherigen Erklärern der diese 
_ Frage der geographischen Reihenfolge berührt und auf die von ihm her- 
"ausgefundene „Oekonomie der Völkertafel” als auf den vorzüglichsten 
Leitfaden seiner Ansetzungen grolses Gewicht legt — diese soll nämlich 
darin bestehen, dafs immer an erster Stelle die entferntesten Länder ge- 

mannt und die Reihen nach dem Standpunkte des Vf. selbst im Mittel- 

_ punkte der semitischen Welt hin verfolgt werden — gleichwohl ist er bei 
‚den Japhetiten genöthigt diese seine Regel zu verlassen und seinem eignen 
Postulat, wonach dieselben von Nordwesten nach Osten hin aufgezählt 


198 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Die Scheidelinie des semitischen und japhetischen Gebietes nach 
der Auffassung des Aufzeichners der Tafel wird im Allgemeinen 
durch die natürliche Grenze bezeichnet, welche die südlichsten 
Taurusketten durch ihre Erhebung aus den Tiefländern des Eu- 
phrat-Tigris-Gebietes, denen Aram, As’sür, ?Elam fast aus- 
schliefslich angehören, gegen die nördlichen Hochländer Klein- 
asiens, Armeniens und Mediens bilden. Überschritten wird jene, 
nach Westen durch das südliche Kleinasien sich fortsetzende Ge- 
birgsscheide eigentlich nur im äulsersten Westen durch die Auf- 
nahme Lydiens?), dessen Nennung an dieser Stelle, vielleicht 
seiner bis auf die Erhebung der Mermnaden-Dynastie nie ganz 
unterbrochenen politischen Verbindung mit dem assyrischen 
Reiche zuzuschreiben, jedenfalls dahin führt auch das ganze Süd- 
Küstenland der Halbinsel in seinem natürlichen Zusammenhange 
als Südabdachung des Taurus dem semitischen Gebiete zuzuwei- 
sen. Wenigstens findet sich unter den japhetischen Namen kei- 
ner, der sich mit irgend einiger Wahrscheinlichkeit auf einen 
der historischen Namen dieses Küstengebietes: Karien Lykien 


sein sollen, durch seine speciellen Erklärungen zu widersprechen, nach 
diesen ergeben sich vielmehr zwei im Grolsen und Ganzen parallele von 
West nach Ost gestreckte Reihen, eine nördliche (1—3) Mitteleuropa 
und das nördliche Vorderasien einnehmend, und eine südliche (4—7) für 
Südeuropa und wiederum einen (und zwar nördlichen) Theil Klein- 
asiens nebst dem Kaukasus, wobei aber gerade das 4. und 7. Glied in der 
Mitte der südlichen Reihe zu stehen kommen, 5 und 6 sich jedes dop- 
pelt, sowohl östlich als westlich anreihen! Solcher Mangel an Ordnung 
im ganzen wie im einzelnen, entstanden aus unkritischer Anwendung sei- 
nes falschen ethnographischen Princips in einer rein geographischen 
Frage darf auf die Bezeichnung „Oekonomie” schwerlich Anspruch ma- 
chen. 

°) Knobel, dem hierin Bunsen folgt, hält sich zwar durch die 
ganz unzuverlässigen Genealogien derspäteren Araber über die Abstammung’ 
der 3Amäliga von Laud und das zufällige Vorkommen des Namens Züd 
unter den ägyptischen Stämmen für berechtigt, das semitische Züd an die 
Südgrenze Palästina’s zu versetzen: dadurch aber würde die Stellung die- 
ses Namens vor Aram vollends ebenso unbegreiflich, wie das völlige Still- 
schweigen der historischen Zeugnisse, sowohl des A. T. als der Griechen, 
über diese angeblichen südlichen Lyder. 


vom 14. Februar 1859. 199 


'amphylien oder Kilikien beziehen lielse. Ebensowenig freilich 


_ vier „Söhne Arams”, mit Ausnahme des durch andere Stellen im 
Süden Syriens gesicherten ?U's sämmtlich «r«£ eigmiuzve, in Frage 
kommen können; dals einige dieser verschollenen Namen schon 
Alterthum im Norden gesucht wurden, zeigt die Erklärung 
von Geiher durch Karien bei Hieronymus, von 4‘ül durch 


u. den Namen der Semitenländer, von denen hier nur die 


Armenien bei Josephus; näher noch läge es an Kilikien zu 
denken, das man mit seiner schon in ältester Zeit von phöniki- 
‚schen Niederlassungen besetzten Küste'°) schwerlich als ganz 
 übergangen voraussetzen möchte und das durch seine geographi- 
che Lage, mit seinen nur durch mälsige Gebirgshöhen mit viel- 
fachen Pässen vom obern Syrien geschiedenen reichen Ebenen 
so völlig dem Zugange aramäischer Bevölkerung offen lag''). 


6 ebiet Arams die nördliche Grenze des uns historisch bekann- 
ten Syriens überschritt, und die südlicheren Thallandschaften in- 
merhalb des Tauros begriff, welche wir später zu Armenien 
gerechnet (d. h. in den Grenzen des armenischen Reiches ein- 
geschlossen) finden, mögen wir um so leichter zugeben, als 
wir diese Gebiete— die melitenische und sophenische Landschaft, 


Jahrh. n. Chr. nach den Zeugnissen armenischer und syrischer 
Schriftsteller" ?) von aramäisch redender Bevölkerung eingenom- 
men finden. 

Indessen haben wir noch ein bestimmteres Zeugnils für das 
Hinaufreichen des semitischen Gebietes auf die inneren Hoch- 


1°) Vgl. die gründlichen Nachweisungen von Movers im 2. Bande 
einer Geschichte der Phönizier. 

‘*) Für den nach sprachlichem Begriff semitischen Charakter des 

südlichen Kleinasiens bis nach Karien hin dient wenigstens das aramäische 
Wort für Gebirge in seiner Anwendung als Gebirgsname (Taöps = 10) 
ls vollgültiges Zeugnils. 
12) Mos. Choren.I, 22. II,7. III,5.6. Derselbe, oder wie es scheint 
elmehr sein syrischer Gewährsmann aus dem 2ten Jahrh. v. Chr., Mar 
Abas, bezieht den damals noch gebräuchlichen Namen des östlichen arme- 
nischen Tauros Sim, deutlich auf den Namen des Patriarchen S’em. 


200 ‚Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


länder, welche sogar den höchsten Theilen des Tauros nörd- 
lich im Rücken liegen und nur durch den Lauf ihrer Flüsse dem 
Tigrisgebiete angehören, in dem Namen Arphaks’ad, welchen 
die Tafel als mittelstes semitisches Gehiet unmittelbar an As’- 
sur anfügt. Während die Identität jenes Namens mit der von 
Ptolemäos innerhalb der Nordgrenze Assyriens angesetzten Land- 
schaft "Aggarayirıs bereits seit Bochart allgemein anerkannt ist, 
hat niemand bis jetzt'?) bemerkt, dals in der vor dem Eindrin- 
gen neuer Bevölkerungen und Benennungen so geschützten Al- 
penwelt Kurdistans jener uralte Name sich bis heut wenig ent- 
stellt erhalten hat: das Hochthal, welches der grofse Zäb in 
seinem obersten Laufe durchfliefst, bevor er die wilden Tief- 
schluchten des durch seine nestorianischen Bewohner und die 
ihnen gewidmeten Besuche englischer und amerikanischer Rei- 
senden neuerdings bekannter gewordenen Gebirges von Hakki- 
jariı nach Süden hindurchbricht, heilst bei den Armeniern seit 
alter Zeit'?) Aghbak (['qewlj), bei den heutigen kurdisch spre- 
chenden Bewohnern in mehr erweichter Form A/bäk (uh" 9ıys 
Die Lage dieser Gebirgslandschaft in 5—6000 Fuls Meereshöhe, 
zwischen mächtigen, mit ewigem Schnee bedeckten Alpenketten 
(also im Verhältnifs zum assyrischen Tieflande am Tigris etwa 
ähnlich der Lage des Engadin zum Pothale) schlielst doch wohl 
völlig die Möglichkeit aus, dafs sie in der Vorzeit den Sitz 
eines mächtigen Reiches gebildet habe, wie Ewald, geleitet 
durch die richtige Erwägung der politischen Bedeutung der vier 
übrigen Semitenstaaten, als malsgebend für ihre Nennung in er- 
ster Reihe in der Tafel, anzunehmen geneigt ist.'°) Vielmehr 


13) Auch nicht der gelehrte bahnbrechende Forscher auf dem Gebiete 
armenischer Alterthumskunde, Saint Martin, der irrig den griechischen 
Namen mit dem von den Armeniern Arruöstan genannten Theile Assy- 
riens identificirt. Mem. sur ’Armenie, Paris 1822, 1. p. 174. 

’*) Vgl.dieCitate aus Moses Chor. Johannes Katholikos und Thomas 
Ardzruni bei Ingiig’ean, Storagruthiun hin Haiastaneaits, (Beschreibung des 
alten Armeniens) Ven. 1822 p. 148. 206. 

15) Vgl. bei Ritter Erdk. IX, 641 ff. Jie Berichte englischer Rei- 
senden, die aulser dem Orientalisten Eli Smith allerdings den Namen 
sehr entstellen (Ali Baugh bei Monteith). 

1°) Gesch. d. V. Isr. I. p. 378. (2te Ausg.) 


vom 14. Februar 1859. 201 


tritt hinter jenen vieren das Land Arphaks’ad als ein vom Völ- 
kerverkehr abgelegenes engbegrenztes historisch bedeutungsloses 
so weit zurück (wie es denn auch ohne die zufällige Erwäh- 
nung bei dem einzigen Ptolemäos der vergleichenden Geogra- 
phie gänzlich entschwunden wäre), dals die Vermuthung nahe 
liegt, es sei der ursprünglichen Recension der Tafel, soweit diese 
etwa auf phönikischer oder aramäischer Quelle beruhte, über- 
haupt fremd und erst vom hebräischen Bearbeiter, den an diesen 
"Namen geknüpften Überlieferungen über die Urbeimath des eige- 
nen Stammes zu liebe an der passenden Stelle eingeschaltet worden. 


'y Jedenfalls ist für unsern Zweck die häge dieses Ge- 
"bietes als des nördlichsten unter den semitischen, tief in die 
den höchsten Taurusketten nördlich angelagerten Hochländer 
eingreifend, dadurch wichtig, dals dessen Kenntnils auch die Be- 
en mit dem unmittelbar angrenzenden Armenien vor- 
ssetzt, welches demnach unter den japhetischen Ländern nicht 


übergangen sein kann. Freilich weder unter seinem einheimi- 
schen Namen Haikh, noch unter demjenigen, welcher erst durch 


sein muls, — sondern unter einer alterthümlicheren, ihrer Com- 
position nach noch unerklärten Form: Togarmah.'’) Die 
sit Michaelis allgemein angenommene Gleichstellung dieses 


"Namens mit Armenien, vorzüglich begründet auf die in alter und 


neuer Zeit berühmte Pferde- und Maulthierzucht dieses Landes 
_ (und zwar vorzugsweise des westlichen zum Euphratgebiete ge- 


7) Dafs der Stamm tögin diesem Namen und in Kappadokia, altpers. 
Katpa-tuha (Kalpa=nn> in der Bed. Seite) identisch sein könne, mögen wir 
. Böttcher (Delagarde) z. Urgesch. d. Arm. Berlin 1854. p. 36 leicht zu- 
geben; ob aber auch mit ihm als voller Stamm fogor anzunehmen und 
nur ma als Ableitungssulfix nach armenischem Sprachgebrauch anzuer- 
‚kennen sei, erscheint um so fraglicher, als der Name schwerlich als einhei- 
‚mischer gelten darf, und es andererseits nahe liegt vielmehr in arma als 
weitem Theil des Compositums die Wurzel der syrischen, auch zu den 
Persern (Dareios Inschriften) übergegangenen Benennung Armina zu ver- 
muthen, zumal da selbst die von Mos. Chor. angeführte syrische Quelle 


Aa: 


liesen Namen mit Aram in ec; nur durch mythische Genea- 


P 


202 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


hörenden Theiles) verglichen mit Ezechiels Angabe der Ausfuhr 3 
dieser Thiere aus Togarmah nach Tyrus, scheint mir auch durch e 


die Volksgenealogie bei Moses Chor. mehr als man neuerdings | 


zuzugeben geneigt ist, gesichert. Die bei dem christlichen Au- 
tor des Äten Jahrh. natürlich der nationalen, auf die LXX be- 
gründeten Bibelübersetzung entlehnten Namensformen be- 
rechtigen noch keineswegs zu dem voreiligen Schlusse einer 
ebenso späten Entstehung des Stoffes der Erzählung, der 
Volksgenealogie, durch welche der Stammvater und Eponym der 
Nation, Haik, durch ZTRorgom auf Japhet zurückgeführt wird, '?) g 
vielmehr führt die von der biblischen durch Einschiebung eines 
Namens abweichende genealogische Reihenfolge (1,5: Japeth, 
— Gamer — Thiras — Thorgom) auf die Annahme einer frem- 
den Quelle, wohl keiner andern als des von dem ehrlichen aber 
unkritischen Armenier als Hauptquelle seiner Behandlung der 
Urgeschichte öfters angeführten dem ?ten Jahrh. v. C. angehö- 
rigen Syrers Mar Abas, so dals uns in dieser Version die äl- 
tere syrische Ansicht über die Ursprünge des armenischen 
Nachbarvolkes vorliegen dürfte. 

Hiermit wäre jedoch nur die südliche Grenze des Gebiete 


Togarmah als eines Nachbarlandes des obern Syriens am Eu- # 


phrat bestimmt, keineswegs dessen Ausdehnung nach Norden und 
Osten, welche wir keinen Grund haben derjenigen des ganzen 
Armeniens, wie wir es durch die geographischen und histori- 
schen Berichte der Griechen und der Armenier selbst kennen, 
gleichzustellen. Auch abgesehen von den späteren durch Erobe- 
rungen vorgerückten Grenzen des armenischen Reiches, bildete” 
das Land von vornherein ebensowenig ein historisches und eth- 
nisches Ganzes, als es eine natürliche geographische Einheit ist; 
vielmehr spricht sich die engere natürliche Verbindung zwischen 
den Hochebenen des östlichen Armeniens am Araxes und denen 
des nördlichen Mediens (4Azerdaig’an’s) gegenüber den enge- 
ren tieferen wärmeren Thallandschaften Westarmeniens am Euphrat 
auch in der Geschichte und dem Charakter der Bevölkerung aus, 
Herrschte auch dieselbe armenische Sprache, wie aus den zahl- 


15) „Aus dem Oopyaus der LXX in die armenische Stammsage ein- 
geschmuggelt” P. Böttcher a. a. O. 


” 


vom 14. Februar 1859. 203 


reich angeführten geographischen Namen hervorgeht, soweit die 
armenische Literatur hinaufreicht, im Westen und im Osten, am 
' Euphrat und am Araxes, so läfst doch für ältere Zeiten selbst 
die zu Gunsten der eignen Nationalität entstellte Tradition bei 
Moses Chor. (I. 30) in der Sage von der Ansiedelung angeblich 
unterworfener medischer Bevölkerung in der Araxeslandschaft 
Airarat die ursprüngliche ethnische Verschiedenheit noch deut- 
lich durchblicken und verleiht dadurch der Vermuthung eines 
Zusammenhanges jener Benennung mit dem Ariernamen '?) 
eine bisher unbeachtet gebliebene Stütze. Die Bedeutung A4i- 
rarat’s in der historisch beglaubigten Zeit des armenischen Rei- 
ches (mit der kurzen Unterbrechung der südlichen Ausdehnung 
des Reiches über Nord-Mesopotamien durch Tigranes) als beständi- 
ger politischer Mittelpunkt und Sitz der Könige hat den Sammler 
der nationalen Überlieferungen verführt, jener Hauptprovinz für die 
Urzeit des Volkes denselben Rang beizulegen und die alten Für- 
sten dieses Landes die er in seinen syrischen Quellen erwähnt 
fand als Könige des gesammten Armeniens darzustellen, doch 
"nicht ohne in dem Umstande, dals die besondere Niederlassung 
aik’s, des Urvaters der ganzen Nation, auf das südlichere Thal- 
ebiet des Ost-Euphrat-Armes beschränkt (I. 6), erst seinem Sohne 
rmenak die Besitznahme der Airarat-Landschaft zugeschrieben 
wird, die den nationalen Unterschied beider Gebiete festhaliewde 


| ältere Form der Sage noch durchleuchten zu lassen. Vollständig er- 
cheint denn auch die Trennung derselben in dem einzigen wirklich 
istorischen, weil gleichzeitigen Zeugnisse: in der durch Herodot 
aufbewahrten politischen Organisation des persischen Reiches 
Mnter Dareios, welche wie in so vielen Fällen nur alte histo- 
Fische Verhältnisse beibehielt, sind neben dem eigentlichen 
Armenien in der dreizehnten Satrapie, die Hauptvölker des spä- 
u Nord- und Ost-Armeniens, Saspiren und Alarodier 
-(d. i. Ararat) mit dem des späteren nordwestlichen Mediens 
 (Azerbaig’än), den Matianern, zu einer besonderen Pro- 


 yinz, der achtzehnten, vereinigt. Wenn daher das Land Ara- 


pen 


*°) Zuerst ausgesprochen von Benfey, in der freilich nicht durch- 
aus haltbaren Zurückführung auf skr. Ärjavarta (Monatsnamen alter 


Völker p- 197). 


204 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse y 


rat als ein besonderes, von Assyrien damals unabhängiges Reich 
(n>bnn Jerem. 51.27 ya neben Jes. 37.38, II. Reg. 19. 37) beon 
reits zur Zeit des Todes Sancherib’s (676 v. Chr.) genannt wird, 
so ist durch jenen keineswegs mit Togarmah gleich bedeutenden 
Namen, ebenso wie in der dem letzten Bearbeiter der Kosmogonie 
angehörigen Darstellung der Fluthsage, (Gen. VIII.) ein Fortschritt 
der Kenntnis des Nordlandes gegen die offenbar ältere Abfas- 
sung von Gen. X., in welcher das entferntere Ararat noch un- 
bekannt oder unter einem anderen Namen mitbegriffen ist, zu | 
erkennen. Für die geographische Bestimmung von Togarmah 

werden wir uns auf das westliche oder ursprüngliche Arme- | 
nien am Euphrat zu beschränken haben. 

Togarmah tritt in der Tafel nur als Sohn (Unterabthei- 
lung) des direkten Japhetiden Gomer auf, mit welchem „mäch- j 
tigen Volke des Nordens” es auch bei Ezech. 38. 6. unmittelbar 
verbunden erscheint: der naheliegende Schlufs auf geographische 
Nachbarschaft beider Gebiete hätte nun für das unbekannte Go- 
mer ein der bekannten Lage von Togarmah nicht zu fernes 
Land zu suchen geboten: statt dessen hat eine allzuwörtliche 
Auffassung des hyperbolischen (weil gerade zu dem, gegen Me- 
Xekh, Tubal u. a. südlicher gelegenen Togarmah gestellten) Aus- | 
drucks des Propheten „von den Enden des Nordens” (ysx ran), 
verbunden mit dem scheinbaren Gleichklange des Kimmerier- und 
Kymren-Namens die Erklärer seit Calmets Zeit?°) bis auf die 
neuesten in die entferntesten Regionen Nordeuropa’s verlockt, 
um damit der hebräischen Länderkunde ein unermelsliches freilich 
sehr unsicheres Feld zu gewinnen. Denn ist schon die Gleich- 
heit der Namen Kınuzgıos und Gomer (nach der masoretischen 
Punctation, Touegns bei Jos.) oder wie die LXX schreiben Ta,tg, \ 
keine vollkommene, so liegt eine völlige Homonymie weit näher 
in dem bei den älteren Armeniern, doch wohl in Foige alter 


*°) Josephus Taudp = Tararaı meint sicher nur die kleinasiatischen 
deren späte Einwanderung dem in der Geschichte wenig bewanderten jü- 
dischen Autor nicht erinnerlich war, kann also nicht als alte Ansicht für 
den europäischen Norden in Anspruch genommen werden; die, erste Be- 
ziehung auf ein Land nördlich vom Kaukasus finde ich in dem oben ange- 
führten jüdischen Jubiläenbuche, dann bei Sa’adia, der dafür Türken setzt. 


vom 14. Februar 1859. 205 


Bekanntschaft mit der einheimischen Benennung, gebräuchlichen 
Namen ihres westlichen Nachbarlandes Gamir, der erst bei den spä- 
‚teren durch das griechische (von den Persern entlehnte) Xappado- 
kia verdrängt wird?'); auf dieselbe Quelle müssen die von den 
Erklärern bisher ganz übersehenen Glossen beim Synkellos 
(p- 49 Par.) Tauig 2£ 00 Karmadezes, und des Kephalion beim 
armenischen Easchisns Gimmeros = Kappadokia, zurückgehen. 
In der That erwartet man in der Nähe Armeniens Kappado- 
kien in der Tafel bezeichnet, ein durch Kilikien in leichter und 
‚naher Verbindung mit Syrien und Phönikien stehendes Gebiet, 
welches durch seine weiten Hochebenen am obern Halys mit 
den gesegneten Thallandschaften am Fulse des Argaeos und der 
alten Hauptstadt Mazaka’?) weit mehr als selbst das rauhe ge- 
birgige enge Westarmenien von der Natur zum Sitze eines 
‚selbständigen Reichsgebietes bestimmt ist; dafs esin der That auch 
f vor den achaemenidischen Fürsten als ein solches, wenn auch seit 
Alters unter assyrischer Oberhoheit stehend, unter das medische 
and später von diesem an das persische Reich gekommen ist, 
dafür scheint seine selbständige Stellung in den officiellen Listen 
Reichsländer in Dareios Inschriften zu zeugen, wo es von 
allen kleinasiatischen Ländern allein auflser Jauna und Sparda 
(lonien und Lydien) namentlich aufgeführt wird. Es mag also 
älteres politisches Übergewicht über die Nachbarländer in Osten 
und Westen und dadurch bedingtes früheres Bekanntwerden im 
semitischen Süden, weit mehr als eine nur vorauszusetzende dem 
hebräischen oder phönikischen Autor aber sicher nicht bekannte 
Stammverwandtschaft die Aufführung Gomer’s in der ersten 
?!) So wird regelmäfsig bei Faustus Byz. (III, 12, 16, 17, IV, 3,4, 7) 
aria Hauptstadt des Landes der Gamirkh genannt. Diese Identität von 
‚Gomer und dem armenischen Gamir hatte ich ohne zu wissen, dals sie be- 
j its vorlängst in einem freilich seiner abenteuerlichen Hypothesen wegen 
jetzt mit Recht so gut als vergessenen Buche von G. Wahl (Altes und neues 
Vorderasien I, 27/1) ausgesprochen ist, vorlängst erkannt (vgl. m. Bibelatlas, 
Berlin 1845) was ich bemerke, weil neuerdings P. Böttcher a. a. ©. auf 
dieselbe Bemerkung gekommen ist. 

- ?*) Ihre Bedeutung in der einheimischen oder syrischen Überlieferung 
ei die ältere Zeit ist durch die Zurückführung ihres Namens auf einen dem 
testen armenischen Königshause angehörigen Fürsten Mz’a A bei Mos. Chor. 
angedeutet, den Josephus irrig mit dem Mes’ ekh der Genesis gleichsetzt. 


206 - Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Reihe der Japhetiden-Stämme und die Unterordnung der mög- 
licherweise erst später mit dem Südland in Verbindung getrete- 
nen Länder Togarmah und Askenaz veranlalst haben. Ja 
es wäre immerhin als in den Grenzen der Möglichkeit liegend zu- 
zugeben, dafs jenes anscheinende einstmalige politische Überge- 
wicht Kappadokiens eben der Periode der durch griechische 
Zeugnisse aus dem ®ten und 7ten Jahrh. bekannten Einfälle der 
Kimmerier im nördlichen Kleinasien angehörte, die eben so gut | 
wie ein halbes Jahrtausend später die Gallier und in der medi- 
schen Zeit die Saken und Matianer hier einen dauernden Wohn- 
sitz erworben und auch nach dem Erlöschen ihrer nationalen 
Existenz dem Lande ihren Namen in einer von der griechishen 
etwas abweichenden Form hinterlassen haben könnten. 

Den andern ‚Sohn Gomers”, As’kenaz nun gleichfalls im ® 
benachbarten Kleinasien zu suchen, darf die historische Erwäh- 
nung desselben (bei Jerem. 51. 27) als mit den Reichen Minni 
und Ararat am Kriege der Meder gegen Babel theilnebmend, 
wohl um so weniger hindern, als in jener Prophetie offenbar auf 
die Eroberung Babylons durch Kyros hingedeutet ist, die Theil- 
nahme kleinasiatischer Hülfstruppen nach dem Falle Lydiens also 
gar nichts befremdliches hat“ ?) und für die geographische Stel- 
lung aus jener Stelle, wegen der gänzlichen Ungewilsheit 
über das &reE eigyuzvov Minni nichts weiter zu gewinnen 
ist. Die schon von Bochart gemachte Gleichung mit dem 
Namen der Askanier?*), als des in älterer Zeit bekanntesten 
Stammes im nördlichen Phrygien empfiehlt sich jedenfalls durch 
geographische Wahrscheinlichkeit, da ein aus uralter bis in die 
historische Zeit der Mermnaden-Könige selbständig erhaltenes 
durch kunstvolle Industrie berühmtes Reich wie Phrygien in un- 
mittelbarer Nachbarschaft und steter Verkehrsberührung mit dem 


2°) Unter diesen Umständen mag die in der Kyropädie geradezu 
berichtete Führung phrygischer Truppen gegen Babylon immerhin zu 
dem mitbenutzten wirklich historischen Stoffe gehören. 

24) Der u.a. von Tuch gemachte Einwurf des Mangels der Endung 
von n:sox in der griechischen Form ist von P. Böttcher a. a. O. durch Hin- 
weisung auf das im Armenischen bekannte adjectivbildende Ableitungs- 
sufix —az beseitigt. 


vom 14. Februar 1859. 207 


Iydischen Küstenlande zu Tyrus kaum unbekannt sein konnte. 
Für den Ausdruck des Gegensatzes zu den semitischen Nach- 
barn, den Lydern, ist bei diesen Bewohnern des innern Hoch- 
'landes Kleinasiens auch auf die von den Alten übereinstimmend 
berichtete und durch Wörter und Mythen bestätigte enge Sprach- 
verwandtschaft zwischen Phrygien und Armenien mehr Gewicht 
zu legen, als ihr an sich betrachtet für die vorliegende Frage 
zukommen würde. 

Erkennen wir nun, die letzte Deutung als nicht unwahrschein- 
lich vorausgesetzt, in den vier bekannten Gliedern der ersten 


a 


japhetischen Reihe 1, 3 und a, c: 


* 1 Gomer 2 Magog 3 Madai 


N 


m — _ ———— 
a. As'kenaz b. Riphath c. Togarmah 


ein zweimaliges Fortschreiten von W.nach O., so liegt es nahe 
die noch nicht bekannten Mittelglieder 2 und 1b auch als geo- 
8 raphische Mittelglieder zu fassen und ihnen danach ihren Platz 
auf der Karte anzuweisen. Unter dieser Voraussetzung würde 
die dem Namen A’phath in der Tafel angewiesene Stelle neben 
den bereits besetzten inneren Gebieten Kleinasiens so natürlich 
auf das nördliche Küstenland Paphlagonien passen, dals man 


fast versucht ist, der durch keinerlei Analogie der Namen oder 
sonst bekannte historische Thatsachen veranlalsten, also wie man 
hliefsen muls auf irgend einer bestimmten Meldung eines uns 
verlornen Autors beruhenden Aussage des Josephus: "Pıpa Sys 
Fels Maprayovas wzrrev einige wenn auch schwache Autorität 
h eizulegen; sonst blieben in Kleinasien höchstens als anderwei- 
tig nicht bezeichnet die Gebiete am Nordfufse und innerhalb des 
Tauros (Pisidien, Lykaonien u. s. w.), die aber schwerlich als 
politisch hinreichend bedeutend und den Phönikern mehr als das 
nördliche Küstenland mit seinem alten Handelsmittelpunkte Si- 
nope®°) bekannt gelten dürfen. 

Sicherer möglich ist die Bestimmung des noch übrigen Na- 
| mens Magög, für den die in Ezechiels Schilderung begründete 
eihnographisch e Bedeutung als skythisches Reitervolk seit Jose- 
phus fast nicht angezweifelt worden ist, welcher aber auch eben- 


?°) Vgl. die Nachweisungen über dieses von Movers, Phönizier I, 375. 


[1859.] 14 


208 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


sogut wie die übrigen Namen einen geographischen Platz 
beanspruchen darf und denselben nach jener einfachen Reihen- 
folge zwischen Armenien, als östlichstem Theile der gomeriti- 
schen Familie, ‘und Medien verlangt. Hier würde sich in der 
That ohne einen solchen ausfüllenden Namen ein plötzlicher 
Sprung finden, insofern das Hochgebirgsland der Kurden und 
die östlich daran grenzenden Hochebenen um den östlichen der 
beiden grofsen Seen (das heutige Azerbaig’än) zwar unter den 
den spätern Perserkönigen und in der Folgezeit als Theil Me- 
diens angesehen und als älteste medische Eroberung schon frü- 


her mitunter politisch dazu gerechnet (in Herodotos im Pontos 
eingezogenen Berichten, IV, 44) doch nicht als ursprünglich oder 
ununterbrochen medischesLand gelten darf, da es in der persi- 
schen Staatspraxis von Medien gesondert, als besondere Satrapie 
unter dem Namen Maiiane mit Ararat verbunden war (oben 
p-203). Diese Matianer habe ich in einer früheren Untersuchung?°) 
als skythische zwischen die arischen oder arisirten Meder Kurden 
und Armenier eingedrängte Nomadenstämme nachgewiesen; ihr 
Name lautete, wie die Vergleichung der herodolischen Satra- 
pienliste mit dem kürzeren Verzeichnisse in der Grabinschrift des 
Dareios lehrt, altpersisch Ma<ija, welches selbst nur eine eth- 
nische Ableitung von dem aus Gedrosien und dem gegenüber- 
liegenden Arabien durch griechische Zeugnisse und die Inschrif- 
ten bekannten Volksnamen Maka zu sein scheint. Ich weils 
nicht ob man in dieser einfacheren Form auch die Wurzel des 
semitischen vielleicht erst mit dem nur aus Ezechiel bekannten 
Namen Gög?”) combinirten Magög vermuthen darf; aber auch 
ohne diese vielleicht täuschende Analogie in den Namen bei 
Übereinstimmung in dem nomadischen Volkscharakter bleibt der 
Platz wohl unbestritten, welchen wir Magog seiner Stellung in 
der Reihe nach, in einem durch seine Nachbarschaft mit Assüur 
und Arphaksad wohl noch früher als das entfernte Medien den 
Westsemiten bekannten Lande angewiesen haben. 


?6) Monatsber. 1857 p. 139. 

?7) Wenn nämlich wirklich Gog, worauf die Gogari (Plin. VI, 7. 
Twyapnın Strab. XI, 528. armen Gugarkh Mos. Chor. II, 8.) zwischen. 
Armenien und Iberien vielleicht führen dürften, mit Bunsen u.a. alsVolks- 
name anzuerkennen sein sollte. 


vom 14. Februar 1859. 209 


Die öfters angeführte Prophetie des Ezechiel über die zum 
Einbruch gegen das Land Isra@ls hin aus dem entfernten Nor- 
den herbeigerufenen Völker, als deren historische Veranlassung 
man wohl mit Recht den grolsen Skythenzug nach Palästina um 

620 v. C. angesehen hat, zeigt uns, gegenüber der Völkertafel, 
nicht allein eine räumlich erweiterte, sondern auch in Bezug 
auf die Lage genauere Kenntnils der nördlichen Völker. Jene 
in der Nennung des in der Tafel übergangenen unbekannten 
Namens Aos?®), diese in der Zusammenstellung mit zwei an- 
dern, in der Tafel an anderer Stelle stehendenVölkernamen: Tu- 
bal und Meseekh (Moroy, der LXX.) an deren Identität mit 
den Tibarenern (Ti@ago: nach Hekat.) und Moschern der Grie- 
‚chen??) wohl kein Zweifel mehr besteht; entscheidend scheint 
aulser der Analogie der Namen besonders die Angabe des Pro- 
'pheten über den Verkauf von Kupferwaaren und Sklaven an die 
Tyrier, noch heut zwei Hauptausfuhrartikeln der pontischen und 
kaukasischen Bergvölker. Dieser Lage entspricht nun auch die 

llung in der Mesekh und Tübdal bei Ezechiel (38.2.3. und 

1.) als Unterthanen des Königs von Magög erscheinen ?°): 
@s wird eine Zeit bezeichnet, in der aulser Ararat, welches noch 

ter den Persern mit den Matianern (Magog) verbunden er- 
scheint, auch die noch nördlicheren Gegenden bis zum Kauka- 


sus, der äulsersten Nordgrenze südsemitischer Erdkenntnils, dem- 
selben Barbarenreiche angehörig gelten; ebenso schlielst sich 
Ezech. 27. 13, an Zudal und Mes’ekh unmittelbar Togarmah 
an. Dals nun diese geographische Nähe, wie wir sie um 
600 v. Chr. bei dem Propheten angedeutet finden, dem Verfas- 
ser von Gen. X. noch nicht bekannt war, beweist klar die Rei- 


28) Den eben aus dieser Stelle die Araber als achten Sohn Jafet’s 

Omy i in die alte Genealogie eingeschmuggelt haben. 

#9) Meskhethi als einheimischer Landesname am obern Kur, Va- 
khouscht Descr. de la Georgie p.53. 71. 75. — Ob auch identisch mit dem 
Maskuth- Volke der armenischen Quellen ist aus sprachlichen Gründen 
noch zweifelhaft. 

— *°) Auf die Verbindung mit Gomer und Tögarmah (38. 6.) ist 
jn dieser Stelle wohl deshalb kein Gewicht zu legen, weil im vorangehen- 
den Verse auch Völker vom äufsersten damals bekannten Südrand der 
Erde: Päras, Küs, Püt genannt werden. 

14° 


210 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


henfolge der Namen in der Tafel, worin jene bei den Propheten 
wiederholt zusammengestellten Nachbarländer die ?te, te und 
6te Stelle einnehmen und durch ganz entfernte Erdstriche wie 
Madai und Javan von einander getrennt werden. — Der geo- 
graphische Grund dieser abweichenden Reihenfolge liegt offen- 
bar darin, dafs die 6 ersten Namen von Gomer bis Madai durch 
die von uns als wahrscheinlichste angenommene Deutung sich 
sämmtlich als Binnenländern angehörig erwiesen haben, wäh- 
rend Mesekh und Tubal ebenso gut wie Javan Küstenländer 
sind. Auch wenn man die weniger sicher durch Phrygien und 
Paphlagonien gedeuteten Länder As’kenaz und Riphath bis 
zur Nordküste der Halbinsel reichen läfst?”'), so mufste doch, 
selbst abgesehen von möglicher alter politischer Zusammengehö- 
rigkeit mit dem Lande Gomer, der Umstand dals jene Länder 
dem Handel und Verkehre des Südens früher auf dem Landwege 
durch Kleinasien bekannt geworden waren, für ihre Stellung in 
der Erdkarte entscheidend sein, während die rauhen schwer zu- 
gänglichen gegen das Binnenland hin noch heutiges Tages so 
scharf abgeschlossenen Gebirgsländer der Tibarener und Moscher 
in ältester Zeit kaum anders als von der Seeseite her und auch 
hier nur wegen der Kostbarkeit ihrer Produkte, des reichen Ku- 
pferertrages und der schönen Sklavinnen, aufgesucht und in Ty- 
rus bekannt wurden. Mit dieser oberflächlichen Kunde konnte 


aber nicht sofort eine Kenntnils ihrer wirklichen Lage verbun- 
den sein; bis genauer verzeichnete Periplen oder Verkehr zu 
Lande über Armenien die Gewilsbeit der im Verhältnils zu Ja- 
van östlicheren Lage jener Länder verschafite ??), lag es nahe 
sie nur als jenseit Javan’s, an dessen Küsten der Seeweg zu 
ihnen vorbeiführte, also im fernen Nordwesten gelegen zu 


®') Namentlich würde diese Annahme gefordert, wenn man nach 
Bocharts scharfsinniger Vermuthung den wegen der Umwandlung in Eu- 
Eeivos sicher nicht ursprünglich griechischen Namen des Iloyros "Afevos als 
eine Umdeutung einer vorauszusetzenden phönikischen Benennung „Meer 
von Askenaz”, nach dem Volke welches in alter Zeit die Zugänge zu 
demselben inne hatte, gelten lälst. 

?2) Hätte dieser Verkehr einer älteren Zeit angehört, so würden 
wir in Gen. X. Tubal uud Mes“ekh wohl nicht als Hauptabtheilungen Ja- 
phet’s, sondern etwa als Söhne Gomer’s oder Togarmah’s finden. 


vom 14. Februar 1859. 211 


denken. Dafs die Schiffahrt von Phönikien aus zu den Küsten 
Griechenlands westlich, durch das Inselmeer aufwärts aber im 
allgemeinen nördlich führte, konnte in Tyrus leicht bekannt 
sein; über die Richtung der Fahrt durch die weiter folgenden 
Meeresiheile mochte es an genaueren Nachweisen fehlen, dafs 
aber im Alterthum selbst griechische Kunde auch noch bis in 
späte sonst besser unterrichtete Zeit im allgemeinen mehr die 
nördliche, als die wirklich nordöstlich gehende Richtung 
der Linie durch Hellespontos Propontis und Bosporos ins Auge 
falste, lehrt ein Blick auf die Ptolemäische Karte. So konnte 
dann leicht das unvollkommen erkundete grolse nördliche Mee- 
resbecken, an dessen fernsten Küsten die Völker Tudal und 
 Mesekh wohnten, in Tyrus als ein in nördlicher oder gar nord- 
westlicher Richtung jenseit Javans sich fortseizendes angesehen und 
in diesem Sinne der Erdkarte eingefügt werden: derselben An- 
 schauung fügen sich nicht nur Erwähnungen, wie bei Ezech. 27. 13 
Javan, Tübal und Mesekh, und bei Pseudo Jes. 66. 19. Tarss, 
Pül, Lüd und die Bogenschützen, Tübal, Javan und die enifern- 
‚ten Inseln, unter lauter Gegenden des fernen Westens, — sondern 
diese Vorstellung hat auch offenbar bei den späteren Juden und 
‚Christen nachgewirkt in den Erklärungen der in der Folge unver- 
tändlich gewordenen Namen der pontischen Völker durch die 
er in weiterem Umfange erkundeten Länder des Westens: 
so bei Synkellos durch Thessalien und Illyrien, im Jubiläenbuche 
‚durch Italien und Spanien, während Hieronymus Tubal für das 
estliche Iberien nimmt, — lauter Nothbehelfe der Unwissen- 
eit, durch die Knobel’s auf dieselben Westländer hinausge- 
hende Hypothese um nichts wahrscheinlicher gemacht wird, 
Den wirklichen Umkreis der beginnenden phönikischen 
Kunde von den fernen Westländern bezeichnen, wie längst an- 
rkannt worden ist, die vier „Söhne Javan’s”. Noch keineswegs 
anerkannt aber ist, was uns doch in diesem besonderen Falle das 
ugnils des in Rede kommenden Volkes selbst, der Griechen, 
sehr erleichtert, die Unhalibarkeit der unserem Document 
untergelegten ethnographischen Tendenz. Sollten die Ja- 
ansöhne Elisah, Tarsis, Kitt/im, R(D)odanim wirklich, 
wie selbst Knobel und Bunsen noch annehmen, den Griechen 
verwandte Völker oder gar direkte hellenische Colonien bezeich- 


212 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


nen, dann freilich dürfte man Josephus nur auf scheinbarer Laut- 
ähnlichkeit beruhende Identificationen gelten lassen, wie ’Erıra 
= Aiorels und Ougreis = Tapros. Dals letztere Conjectur, nur 
unsicher bezeugten alten griechischen Niederlassungen zu liebe 


von Bunsen wieder aufgenommen, sogar etymologisch gar keinen 
Grund habe, hat bereits vor zwanzig Jahren Tuch aus der ab- 
weichenden Schreibung des Namens in den phönikischen Münz- 
legenden (An gegen wrwn) nachgewiesen. 

In der That kann Tars7s' an dieser Stelle nichts anderes 
bedeuten als in allen übrigen ziemlich derselben Zeit angehöri- 
gen historischen Erwähnungen des A. T.: das bereits seit dem 
11ten Jahrh., der Zeit der Gründung von Gadir, mit Tyrus in 
lebhaftem Handelsverkehr stehende, seiner reichen Silbergruben 
wegen aufgesuchte und im fernen Orient bald berühmt gewor- 


a 


dene äulserste Westland, dessen einheimischer Name Zurde- 
tania der auch durch das griechische Tagryssos bezeugten phö- 
nikischen Form Zarizis so ähnlich ist, dafs diese wohl mit 
Recht als blofse Semitisirung, nicht selbständig semitische Na- 
menbildung angesehen worden ist; eine Bemerkung, wodurch die 
Vermuthung einer ursprünglichen Beziehung des Namens auf 
näher gelegene östlichere Länder (z. B. Sicilien oder Nord- 
Africa, woran schon unter den Alten Hieronymus und Theodo- 
retus gedacht haben) und einer späteren Verrückung nach dem 
Westen abgeschnitten wird. 

Kittim = Kypros ist die zweite in ihrer Bedeutung durch 
andere Stellen des A. T., so wie durch Zeugnils griechischer 
Auctoren (unter denen das des gebornen Kypriers Epiphanios an | 
der Spitze) und der phönikischen Inschriften und Münzen ge- 
sicherte Identität; dals nun jener Name, obwohl der vordersten, 
den Küsten Syriens zunächstgelegenen, also auch früher oder 
doch eben so früh wie das eigentliche Hellas besuchten Insel 
des Westmeeres nicht als besonderes Hauptglied, sondern als 
Theil des ferneren Javan erscheint: statt dals man nach allen 
Analogien eine Übertragung des Kittier-Namens selbst auf die 
westlicheren Inseln und Küsten erwarten dürfte’?), diels kann 


®°) Doch konnte immer speciell aramäischer Sprachgebrauch eine 
solche Übertragung gekannt haben, nach der klaren Beziehung von Kittim 
auf ganz Griechenland im Daniel und Makkabäerbuche zu schlielsen. 


“. 


vom 14. Februar 1859. 213 


wohl nur durch eine frühere, der Schiffahrtsverbindung voran- 
gehende, also wohl auf dem Landwege, durch semitische Klein- 
asiaten (Karer und Lyder) vermittelte Kenntnils des bekanntlich 
im Gebrauche aller Asiaten die ganze Nation umfassenden Io- 
niernamens erklärt werden. 

Wenn die den Propheten geläufige Nennung von Inseln 
der Kittim in der Mehrzahl (oın> "n Jerem. 2. 10., Ezech. 
27.6) nicht blols poetische Redeweise ist, so kann damit nur 
dasselbe gemeint sein, was Epiphanios durch die Erklärung von 
XeSıcım als Kunsıo: zcı Podicı andeutet, während damit überein- 
stimmend die LXX Poöic: für das vierte Javangebiet Roda- 
nim°*) setzen: Rhodos als der Name der für phönikische 
Schiffahrt zunächstgelegenen Hauptinsel steht hier offenbar zur 
Bezeichnung der Inseln des aegäischen Meeres im allgemeinen, 
wie in derselben Bedeutung Kittim bei den Propheten und in 
der von Josephus benutzten, den 4ten Javanssohn ganz auslas- 
senden Redaction der Genesis. Damit wird der Name Javan 
in seiner besonderen Bedeutung auf das Festland beschränkt, 


en 


aber nicht, oder doch nicht allein, wie der nationale Gebrauch mit 
in that, auf das asiatische ’?), welches dem Phöniker wegen 
seiner geographischen Isolirung weit natürlicher blofs als Küste von 
Lüd erschienen wäre, sondern vielmehr auf das vor der homeri- 
“schen Zeit den Phönikern bereits se wohl bekannte europäi- 
‚sche. Es ist diels nöthig zu bemerken, da man letzteres, oder 


wem es auf schärfere geograpbische Unterscheidung ankam, we- 


stimmung, entweder an den Namen ’H%:s oder viel ungeschickter 
"an 'Erras oder Aiorıs sich anlehnend, in dem allein noch ‘übri- 
gen ersten Lande Javan’s E/is’ah, und eine Stütze dafür in dem 


?*) Die masoretische Lesart Dodanim muls diesem natürlichen Zu- 


sammenhange gegenüber zurückstehen; die Erklärungen dafür sind alle 


gleich schlecht, von le CGlerc’s Dodona bis auf die Dardaner, welche 


?°) Wie diejenigen meinen, welche wie Bunsen E. Curtius’ un- 
glückliche Hypothese von ursprünglicher ionischer Heimath in Kleinasien 
als erwiesen annehmen. 


214 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Ezech. 27.7. hat finden wollen. Dem gegenüber ist bereits von 
Michaelis erinnert worden, dafs in dieser Stelle gar nicht 
von dem Färbematerial, sondern von purpurgefärbten Stoffen 
die Rede ist, welche von den /nseln Elis’ah nach Tyros einge- 
führt werden, deren Fabrication also bei der Leichtigkeit des 
Transports der Farbe sehr wohl auch in andern Küstenländern 
des Mittelmeeres angenommen werden darf’°). Da nun die 
drei übrigen Javanssöhne im Gegensatze zu der ethnographi- 
schen Aufiassung der Neueren sich als phönikische Colonieländer 
ausgewiesen haben — Tartessus dauernd, Kypros Rhodos und 
die Nachbarinseln wenigstens vor und neben der griechischen 
Besitznahme — so liegt es nahe in Elisa gleichfalls ein Ge- 
biet phönikischer Ansiedelung zu suchen, und wenn die Ver- 
bindung der vier Namen durch die Copula zu zwei Gruppen im 
Texte der Genesis (a4 ars ww, mundn) überhaupt einen 
Sinn hat?’), so darf man dem zweiten Paare der benachbarten 
östlichen Gebiete Kypros und Rhodos, ein anderes geographisch 
verbundenes Paar gegenübergestellt, also neben dem westlichsten 
Tarsis ein näheres Küstenland westlich von Javan als Eii- 
sah genannt erwarten. Nun mulste es allerdings befremden, neben 
weniger bedeutenden Punkten phönikischer Ansiedelung die von 
diesem Volk von alter Zeit her besuchten und besiedelten beiden 
grolsen Inseln Kreta und Sicilien gänzlich übergangen zu 
finden; in den nur allgemein ohne Namensbezeichnung angefüg- 
ten „Inseln der Heiden” ?°) für die überdiefs noch manche an- 


”°) Auf den Ausdruck des Propheten mb "x lege ich darum kein 
Gewicht, weil die Beschränkung der Bedeutung von x auf den Begriff In- 
sel wenigstens durch die zwei jesajanischen Stellen (die übrigen angeführ- 
ten scheinen nicht entscheidend) aufgehoben wird; dann weil auch die 
Peloponnesos, wie schon im griechischen Namen, wohl als Insel bezeich- 
net werden durfte. 

°7) Diefs hat von allen Erklärern m. W. nur Knobel behauptet, 
aber der Sinn welchen er unterschiebt: die Bezeichnung zweier grolsen 
ethnographischen Gruppen (Aeoler und Tyrsener als angeblich pelasgi- 
scher, Karer und Dardaner als sogenannter lelegischer Stämme!) muthet 
dem hebräischen Aufzeichner künstliche Theorien zu, die weder ihm noch 
irgend einem Alten auch nur im Traume eingefallen wären. 

®®) y.5.0sumes, wo das mon» natürlich nicht, wie noch Knobel 


vom 14. Februar 1859. 215 


dere Inseln und bei erster Bekanntschaft ihnen gleich gerech- 
nete Halbinseln oder Küstenstrecken der italischen Meere zur 
Verfügung stehen, kann aber wenigstens eine derselben nicht 
einbegriffen sein. Denn Kreta, dessen Bekanntschaft freilich 
neben Rhodos selbstverständlich vorausgesetzt werden muls, fin- 
den wir in der That in der Tafel als Kaphtor’?) — aller- 
dings nicht als javanitisches oder überhaupt japhetisches, sondern 
als hamitisches, speziell zu Aegypten (Misraim) gerechnetes 
Land. Darf diese abweichende Stellung in der Reihenfolge der 
Länder um so mehr befremden, als sich für eine Verbindung mit 
Aegypten für jene Zeit keine historischen Gründe nachweisen 
lassen, so erklärt sie sich doch befriedigend durch eine geogra- 
phische Betrachtung. Verfolgen wir nämlich nach Anleitung der 
historisch überlieferten oder durch ihre Namen klar erwiesenen 
Küstenorte phönikischen Ursprungs die wahrscheinlichen Rich- 
tungen der Seefahrten jenes merkwürdigen Volkes, so zeigen sie 
uns keinerlei Berührung mit dem östlichen Theile des nordafri- 
eanischen Gestades: nicht nur die öde Syrtenküste war in älte- 
rer Zeit eine wegen ihrer Gefahren geflohene, auch im kyrenäi- 
schen Hochlande läfst manches auf frühere Verbindung mit 
Aegypten, nichts auf phönikische Gründungen schlielsen und in 
der That bot die Sterilität der ganzen Küste bis zum Nil hin 
nichts für ein Handelsvolk anziebendes. Dagegen mulste von 
Kypros als der ersten Station inmitten des Meeresbeckens die 
gewöhnliche Fahrt gen Westen sich an die auf Rhodos, Thera, 
Melos, Kythera und anderen Inseln, ja selbst auf einzelnen Kü- 
stenpunkten des Festlandes (Tyros in Lakonika, Megara) wohl- 
bezeugten Niederlassungen anknüpfen. Die diesem vielbesuch- 
ten Meerestheile südlich vorliegende grolse Insel Kreta selbst 
bietet mit ihrer reicher entwickelten städtevollen Nordseite weit 


meint, wegen der Analogie mit v.20. und 31.auf alle Japhetiten, sondern 
_ nur auf die 71 “2 bezogen werden darf, da es auch bei gering angeschla- 


—  gener Erdkenntnils dem Verf. kaum einfallen konnte, Insel- oder Küsten- 


_ bewohner z. B. von Medien oder Armenien herzuleilen. 

’°) Was nach früheren Andeutungen am vollständigsten wohl durch 
Ewald (Gesch. Isr. I. 330) erwiesen ist. Cappadocia bei Hieron. ist eine 
schlechte Etymologie, mit Unrecht von P. Böttcher wieder aufgenommen. 


216 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


mehr Beziehungen für Schiffahrtsverkehr als an der überwiegend 
steilen felsigen, weniger fruchtbaren und angebauten Südseite; 
vollends von dieser Südküste zur gegenüberliegenden Nordküste 
Africa’s hin das Meer zu durchschneiden war für die Phönikier 
gar keine Veranlassung. Blieb also dieser Meerestheil ganz un- 
erforscht und seine wirkliche Breitenerstreckung unbekannt, so 
lag es für die phönikische Erdkunde nahe, die bei den regel- 
mälsigen Westfahrten zur Linken oder südlich bleibende grolse 
Insel, welche sie Kaphtor benannten, im Gegensatz zu den 
nördlichen griechischen Inseln und Küsten dem südlichen Erd- 
gürtel, dem Antheile Z’am’s und speciell demjenigen Theile 
desselben, in dessen Nähe es der erste rohe Versuch einer Erd- 
karte bringen mulste, zuzurechnen *°). 

Von den Küsten von Hellas an können aber die kanaani- 
tischen Schiffer unmöglich das ganze mittlere und westliche 
Becken des Mittelmeeres bis nach Spanien hin durchschnitten 
haben, ohne die zwischen denselben so bestimmt trennenden 
Küstenvorsprünge in Norden und Süden zu treffen: der Verkehr 
in Tartessus setzt noibwendig die Kenntnils Siciliens und 
der Nordwestküste von Africa voraus. Letztere konnte in der 
phönikischen Erdkunde nur zur südlichen Zone, zu Ham ge- 
reehnet werden, sie wird durch den Namen von H’am’s Sohn 
Püt mit bezeichnet: wenn auch der Ursprung dieses Landes- 
oder zunächst Volksnamens in unmittelbarer Nähe Aegyptens zu 
suchen ist*'), mufs er doch beim Fortgange der Entdeckung, 
ebensogut wie Javan und Küs, um nur das nächstliegende zu | 
erwähnen, auf das Westland ausgedehnt worden sein. Dals aber 
ungeachtet dieser Ausdehnung dem Hamiten Pütz keine weitere Ge- 
nealogie gegeben wird, ist wohl als ein Beweis für die damals erst 


#0) Die bei dem Autor von Gen. X. vorauszusetzende ungefähre An- 
schauung dieser Ortsverhältnisse, einschlielslich der Auflösung des ganzen 
übermeerischen Westens in vereinzelte oder in Gruppen zusammenliegende 
Inseln habe ich gewagt in der beigefügten Kartenskizze zu verdeutlichen. 

41) Insofern der Name PT von den Aegyptern selbst zur Bezeich- 
nung ihrer westlichen libyschen Nachbarn gebraucht, als Pautija zu den 
Persern überging und das damit bezeichnete dem Dareios unterworfenen 
Lande doch schwerlich weiter westlich als das Kyrenäische Gebiet ge- 
reicht haben kann. 


vom 14. Februar 1859. 217 


beginnende, noch nicht durch zahlreiche Niederlassungen begrün- 
dete Bekanntschaft mit diesem Westlande anzusehen. 

Darf demnach Elisah nicht, wie Schulthels wollte (wohl 
nur wegen des Vorkommens des Namens in der Gründungssage 
der tyrischen Colonie) von Karthago verstanden werden, so 
bleibt geographisch betrachtet als natürlichste Deutung das sonst 
ganz vergessene Sicilien übrig, so dals die ganz vereinzelt 
stehende von Synkellos aufbewahrte Nachricht: ’Erıss« ci Xıze- 
2.0 wohl ebensogut wie seine bewährt gefundenen Meldungen über 
Gomer und Thorgoma auf eine zufällig benutzte gute alte Quelle 
zurückgehen mag. 

So bleibt uns nach Unterbringung der Geschlechter Javans 
in den sparsam erst vom Lichte des Orienis erhellten Gestade- 
ländern des europäischen Westens nur ein japhetisches Gebiet 
übrig: das an den Schlufs der ganzen Reihe, binter Tubal und 
Mes“ekh gestellte «r«E Asyousvor Tiras. Der in der alten Erd- 
anschauung vorausgesetzten Reihenfolge nach mülste man ein 
Küstenland und zwar ein fernes nordwestliches, besser wohl 
noch nördliches Land erwarten; denn ein Küstenland im We- 
sten würde, nicht anders wie Tarsis‘, Javan untergeordnet wor- 
den sein. Von den durch die bisher wahrscheinlich gemachten Schif- 
fahrtslinien der Phönikier nothwendig berührten Ländern finden 
wir nur die Nordküsten des aegaeischen Meeres bis zum Zu- 
gange zu Tubal und Mes’ekh, dem Bosporos, noch nicht be- 
stimmt bezeichnet, also Thrakien, welches kaum ganz unter dem 
Namen Javan mitbegriffen gedacht werden kann nnd das sämmt- 
liche alten Interpreten aulser dem Jubiläenbuche unter Tiras 
verstehen. Gegen diese vielleicht auch nur auf dem Namen be- 
ruhbende Gleichung ist der Mangel eines dem 7 des hebr. Na- 
mens entsprechenden Vocals in der griechischen Form von Tuch 
geltend gemacht, der Name aber den er selbst, übrigens für die- 
selbe geographische Beziehung, in Vorschlag bringt: Tugsrvoi 
bietet, selbst wenn man seine historische Bedeutung für das 
aegaeische Meer gelten lassen will*?), in seinem kurzen in den 


*?) An dieitalischen Tyrsener hat von den Alten nur der Verf. des 
_ Jubiläenbuches gedacht, während von den Neueren Knobel sie mit dem 
Javaniten Tars’is‘ zusammenbringen will. 


218 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


italischen Sprachen meist durch # ersetzten Stammvocal *?) die- 
selbe Schwierigkeit, welche auch die von Schulthefs und Häver- 
nick angegebene Vergleichung mit Tva«s nicht ganz beseitigt. 
Könnte die Übertragung des letztgenannten Flulsnamens etwa wegen 
eines daran gelegenen Emporions auf die angrenzenden pontischen 
Küstenländer im Munde der Phönikier wahrscheinlich gemacht wer- 
den, so wäre geographisch gegen diese Vermuthung am wenig- 
sten zu erinnern, da wir nach der Ordnung der Aufzählung hin- 
ter Tubal und Mes’ekh am Schlulse der ganzen Reihe eher ein 
noch entfernteres Küstenland des Pontos erwarten würden, 
als die thrakische Küste welche natürlicher zwischen Javan und 
Tubal ibren Platz gefunden haben würde. Auf die Einreihung 
von Tiras in die genealogische Reihe zwischen Gormer und Tor- 
gom (Togarmah) in der oben (p. 202.) angeführten Version der 
syrisch - armenischen Überlieferung bei Moses Chor. möchte ich 
weniger Gewicht legen, da sie der Anordnung der Genesis gänz- 
lich widersprechend Tiras zu einem Binnenlande machen würde, 
und sehr den Anschein hat, nur wegen der Nachbarschaft des 
Moscher-Namens, dessen geographische Bedeutung den armeni- 
schen Nachbarn sehr wohl bekannt war, eingeschwärzt zu sein. 
Ich mufs mich demnach bescheiden mit den kritischeren unter 
meinen Vorgängern die bestimmte Lage des Landes Tiras 
so lange für zweifelhaft anzusehen, bis etwa aus assyrischen Denk-. 
mälern oder sonst noch unbekannten Quellen ein eine passen- 
dere Vergleichung gestattender Landesnamen aufgefunden wird. 

Das gewonnene Resultat scheint aber auch so schon voll- 
kommen zu genügen zu dem Erweise 

1) dals die Abfassung der Tafel jedenfalls in die Zeit vor 
Ezechiel, wahrscheinlich vor die Gründung zahlreicher phöniki- 
scher Colonien in Nordafrica gehöre; 

2) dals für die Aufzählung der Tafel sowohl in den Haupt- 
als in den Unterabtheilungen wesentlich die geographische 
Reihefolge, aller Wahrscheinlichkeit nach im Anschlulse an eine 
rohe bildliche Darstellung des Erdkreises malsgebend gewesen ist; 


43) Turske (umbr.) Etrusci, Tusci; vielleicht auch durch @, wenn 
Tepxev, Tarquinii, Tarraco, Tarracina wirklich auf dieselbeWurzel zurück- 
zuführen sind. 


vom 14. Februar 1859. 219 


3) dafs insbesondere die Aufzählung der japhetischen Län- 
der dieser vorauszusetzenden geographischen Quelle entsprechend 
deutlich eine doppelte Reihe, zunächst eine binnenländische (öst- 
liche), dann eine küstenländische (westliche und zugleich nörd- 
lichere) erkennen lälst; 

4) dals mit dieser Erkenntnils alle ausschweifenden Ver- 
muthungen früherer Erklärer*) über Beziehungen der vorder- 
sten Namen (Gomer, As’kenaz, Riphath, Magog) auf die Völker 
des fernen Nordlandes namentlich Europa’s abgeschnitten, so- 
mit auch die Grenzen phönikischen Wissens in der älteren Zeit 
von dem Norden der Erde, selbst bei Zulassung des vielleicht 
in dem letzten Namen angedeuteten sehr unsicheren Blickes 
auf die Nordküste des Pontos, auf ein bescheideneres Mals 
zurückgeführt werden. Bleibt auch den Phönikiern der Ruhm, 
in den westlichen Küstenländern Europas und Africas den Grie- 
chen als Entdecker und Erforscher weit vorgeleuchtet zu haben, 
ja an den atlantischen Küsten von den begünstigteren Nachfol-. 
gern nicht entfernt erreicht worden zu sein, so darf anderseits 
den Griechen die zuerst die Nordküsten des Pontos erforscht 
und besiedelt haben, das Verdienst von dort aus die Kunde der 
osteuropäischen und nordasiatischen Völkerwelt der Wissenschaft 
erschlossen zu haben, auf keine Weise geschmälert werden. 

Welche Wahrscheinlichkeit endlich dem von besonnerer 
Kritik von jeher geforderten, hier wie ich glaube bestimmter 

durchgeführten geographischen Principe der Anordnung ge- 
_ genüber, die von den neuesten Erklärern Knobel und Bun- 
sen (in seinem Bibelwerke) wieder dem alten Verfasser unter- 
gelegte ethnographische Kenntnils für sich habe: welches 
Zutrauen namentlich eine Interpretation verdiene, wonach die 
noch keineswegs so sicher begründete neueste Ansicht einiger 
Sprachforscher über die ursprüngliche wurzelhafte Einheit ag- 
glutinirender turanischer und flectirender indogermanischer Spra- 
chen in der den Angaben der Genesis imputirten Stammver- 


#*) Nur der alte Bochart ist mit seinen Deutungen, freilich aus 
einem andern aber sehr vernünftigen Grunde: der auf dem Glauben an Mo- 
ses als Verfasser beruhenden Voraussetzung einer sehr eingeschränkten 
Erdkunde, auf dem von mir umschriebenen engeren Gebiete geblieben. 


220 Gesammtsitzung vom 17. Februar 1859. 


wandtschaft der Japhetiten wiedergefunden und die Reihefolge der- 
selben durch Rücksichtnahme auf jene beiden Sprachfamilien erklärt 
wird —(Gomer und Javan sollen nach B. die europäischen nördlichen 
und südlichen Indogermanen, das sonst allgemein für skythisch 
genommene Magog nebst Madai die asiatischen Arier, die drei 
letzten Namen aber, von denen Tiras kühn genug auf die Taur- 
vasa der indischen Quellen, angeblich die Türken, bezogen wird, 
die Turanier bezeichnen) — diels zu ermessen mag füglich dem 
Urtheil des Lesers überlassen bleiben, 


17. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 

Hr. Bufchmann las über feine [yftematifche Wort- 
tafel des athapaskilchen Sprachltamms und legte die 
W orttafel vor. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Notice of the Proceedings of the Royal Institution of Great Britain 
Part VII. London 1858. 8. 
Gelehrte Denkschriften der Universität Kasan. Jahrgang 1858. Kasan 


1858. 8. 
Sammlung gelehrter Aufsätze der Universität Kasan. Band 1. Kasan 
1850. 8 


Journal für Mathematik. Band 56, Heft 2. Berlin 1859. 4. 

Lamont, Untersuchungen über Richtung und Stärke des Erdmagnelis- 
mus. München 1858. 4. 

Voigtländer, Akademiker Prof. Petzval in Wien. Braunschweig 
1859. 8. 

Comptes rendus de !Academie des sciences, Tome 47, no. 23—26. 
Tome 48, no. 1—4. Paris 1859. 4. 


Überdiefs waren Empfangs-Anzeigen über die beiden neue- 
sten und letzten Sternkarten hora O0 und IX von Hrn. d’Ar- 
rest zu Copenhagen, d. d. 9. Febr., und von Hrn. Lichten- 


Gesammtsitzung vom 24. Februar 1859. 221 


berg zu Neunkirchen bei Saarbrücken, d. d. 10. Febr., einge- 
gangen. Ferner über die Monatsberichte von 1858 von der K. 
Societät der Wissenschaften zu Göttingen, d. d. 12. Febr., 
und über die zugesandten Abhandlungen und Monatsberichte 
von der Kaiserlicb Russischen Universität zu Kasan, d. d. 
12. Aug. 1858. 

Folgende von der Akademie beschlossene gröfsere Unter- 
stützungen für wissenschaftliche Zwecke waren durch Rescripte 
des vorgeordneten K. Ministeriums genehmigt worden: 

1. 150 Rthlr. zum öten Bande von Leibnizens mathematischen 
Schriften für Hrn. Prof. Gerhardt in Eisleben. 

2. Erhöhung der zum ?2ten Bande von Hrn. Dr. Förste- 
manns altdeutschen Namenbuche früher bewilligten Summe 
auf 200 Rthlr. 

3. 600 Rthlr. für die neuen Schriften der akademischen Drucke- 
rei zum Drucke des Corpus inscriptionum latinarum. 


24. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Riedel las über die Bestrebungen der Bran- 
denburgischen Kurfürsten zur Erlangung der Kö- 
nigswürde. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Transactions of the Cambridge Philosophical Society. Vol. X, Part 1. 
Cambridge 1858. A. 
Memoires de la sociele de physique de Geneve. Tome XIV, 2. Geneve 


1858. 4. 
Acta Academiae Naturae Curiosorum. Vol. XXVI, Pars IL, Bonnae 
1858. 4. 


Historia diplomatica Friderici Il. Preface et introduction. Paris 1859. 4. 

Hall, Palaeontology of New-Fork. Vol.I. Albany 1847. 4. 

Studer, Zröffnungsrede der 43. Versammlung schweizerischer Natur- 
forscher. Bern 1858. 8. 

Astronomische Nachrichten. Band 49. Altona 1859. 4. 


222 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Überdiefs waren eingegangen: 

4. Ein Dankschreiben der Societ@ de physique et d’histoire na- 
turelle de Geneve, d. d. Genf 20. Nov. 1858, für den Em- 
pfang der Abhandlungen der Akademie von 1856 und 1857, 
so wie für die Monatsberichte von Januar bis August 1857 
und vom Sept. 1857 bis Juni 1858. 

2. Ein gleiches des Hrn. Prof. Heis in Münster für die Stern- 
karten hora O und IX, d. d. 18. Febr. c. \ 


28. Febr. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Peters las eine Abhandlung: „Neue Beiträge zur 
Kenntnifs der Chiropteren”, aus welcher hier ein kurzer 
Auszug folgt. 

1. Rurnoroma Geoffroy. 

Es wurde von dieser Gattung bemerkt, dafs ihr die Spornen 
nicht fehlen, wie man angegeben hat, sondern dals dieselben nur 
knorpelig sind, und dals sie durch die Entwicklung ihrer Extre- 
mitäten, namentlich durch die Gestalt ihrer Fülse und durch das 
Vorhandensein von zwei knöchernen Fingergliedern am zweiten 
Vorderfinger, so wie durch die Bildung ihrer Zwischenkiefer sich 
unter allen Flederthieren mit spitzhöckerigen Backzähnen am 
nächsten den Pteropina anschlielst. 

Rhinopoma Lepsianum n. Sp., Supra dilute cinnamo- 
meum, subtus Aavidum; cranium regione interorbitali cordiformi, 
concava, intumescentiis anteorbitalibus nullis. 

Long. a rostri apice ad caudae basin 0,076; caudae 0,066; 
cap. 0,026; antibr. 0,070; crur. 0,026; exp. alar. 0,360. 

Diese Art, welche von Hrn. Lepsius am blauen Nil ent- 
deckt wurde, ist nicht allein durch viel beträchtlichere Grölse 
und andere Färbung, sondern auch durch eine andere Gestalt ° 
des Schädels von Ah. microphyllum verschieden. Bei letzterer 
ist der Schädel jederseits vor und über den Augenhöhlen durch 
eine bereits von Geoffroy beschriebene blasige Auftreibung aus- 


vom 28. Februar 1859. 2283 


gezeichnet, welche bei dieser neuen Art ganz fehlt. Auch ist 
das Foramem infraorbitale bei dieser letzteren viel gröfser und 
von länglicher Gestalt. 

2. Mecıverma Geoffroy. 

Die von Gray vorgeschlagene generische Trennung der 
afrikanischen Meg. Frons wird auch durch das Gebißs gerecht- 
fertigt, indem die asiatischen Arten, Meg. Lyra und Meg. 
Spasma (trifolium), noch einen kleinen bisher übersehenen 
oberen falschen Backzahn besitzen, so dals die Gebilsformel für 
dieselben folgende ist _ = : en Die Zwischenkiefer sind 
bisher verkannt worden; sie bestehen jederseits aus einer sehr schma- 
len aufsteigenden Knochenleiste, welche wie bei Nyeticejus u. a. 
mit dem vorderen Öberkieferrande sehr früh verwachsen ist. 

3. OTONYCTERIS nov. gen. 

ZweiExemplare dieser neuen Gattung befinden sich im zoologi- 
schen Museum, welche aus derSammlung derHrn.Hemprich und 
Ehrenberg stammen sollen. Sie hat durch den Bau der Oh- 
ren und des Obrdeckels die gröfste Ähnlichkeit mit der Gattung 
Plecotus und war unter diesem Namen auch aufgestellt; je- 
doch sind die Nasenlöcher nicht nach hinten erweitert, noch auf 
der oberen Seite gelegen, sondern sie sind einfach sichelför- 
mig und nach vorn gerichtet wie bei der Gattung Fespertilio. 
_ In der Gestalt des Schädels nähert sich diese Gattung am mei- 
sten den Nyczicejus und ebenso stimmt sie auch hinsichtlich der 
Gestalt und Zahl der Zähne ganz mit. Nycticejus: (planirostris 

a De Er: Vi VE Da u Te 
Pet.) überein: Er Rh We rräe 30. 

Otonycteris Hemprichii n. sp.; supra albescenti-brun- 
neus, subtus albus, alis dilute brunneis. 

Long. tota 0,110; cap. 0,025; aur. 0,030; tragi 0,015; 
caudae 0,045; antibr.. 0,058; exp. alar. 0,320. 

Ist diese Art übereinstimmend mit Gray’s Plecotus Christi? 
4. NrericzJvs. 

Hr. Graf Wilhelm von Schlieffen-Schlieffenberg 
hat unter anderen sehr werthvollen ägyptischen Naturalien auch 

eine kleine Fledermaus dem zoologischen Museum geschenkt, 

2 [1859.] 15 


ne De te 


= 


ee 


224 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


die ich der Grölse und Färbung nach für den von Cretzsch- 
mar in Rüppell’s Atlas Taf. 29. Fig. A. abgebildeten und 
pag. 94 beschriebenen Fespertilio marginatus gehalten ha- 
ben würde, wenn nicht ein genauer Kenner der Flederthiere, 
Hr. Professor Blasius in seiner vortreflichen „Naturge- 
schichte der Säugethiere Deutschlands” pag- 65 aus- 
drücklich bemerkt hätte, dals die Originalexemplare von Rüp- 
pell’s YFesp. marginatus durchaus mit Fesperus Kuhliü 
übereinstimmten. 

Das von dem Hrn. Grafen von Schlieffen in Cairo gefan- 
gene Thier zeigt in der Form der Schnauze, der Ohren und des Ohr- 
deckels eine sehr grofse Übereinstimmung mit Yesperus Kuh- 
lii Bl. Die Gebilsformel ist aber die von Nycticejus, nämlich 
Se 2 Bet en Es ist hier aber nicht etwa anzunehmen, dafs 
ein erster kleiner oberer Backzahn übersehen oder ein äulserer 
oberer Schneidezahn ausgefallen sei; es ist auch die Gestalt des 
einzigen ganz dicht an den oberen Eckzahn angedrängten obe- 
ren Schneidezahns eine andere als bei Fesperus, der Zwischen- 
kiefer zugleich, wie bei Nyeticejus, schmäler als bei den ..Ves- 
pertilionen mit 4 oberen Schneidezähnen. Auch der erste falsche 
untere Backzahn ist verhältnilsmäfsig sehr klein, so wie er sich 
bei den Nycz£icejus findet. 

Nycticejus Schlieffenii n. sp.; supra rufescens, subtus 
ex albo rufescens; alis fuscis. 

Long.- tota 0,075; cap. 0,015; aur. 0,013; tragi 0,005; 
caudae 0,032; antibr. 0,031; exp. alar. 0,200. 

5. Speerrkeiium Gervais. 

Hr. Gervais hat (Documents zoologiques pour servir A 
la monographie des Cheiropteres Sud-Americains, Paris 1856. 
Ato. pag. 51. Taf. 15. Fig. 3.) diese neue Gattung von Fleder- 
thieren aufgestellt und wegen der Zahl der Schneidezähne den 
Phyllostomen angereiht, obgleich sie weder ein Nasenblatt be- 
sitzt noch die Zwischenkiefer einen vorn geschlossenen Bogen 
bilden. 

Das zoologische Museum hat ein Exemplar einer Fleder- 
maus von Appun aus Puerto Cabello erhalten, welches, mit Aus- 
nahme der Unterkieferzähne in jeder Beziehung, in der Gestalt, 


vom 28. Februar 1859. 225. 


_ Gröfse, Färbung, Bildung der Ohren, der Nase, der Unterlippe, 
‚der Gliedmalsen, Flughäute, des Schädels, der Zahl und Bildung 
‚der einzelnen Zähne eine so vollkommene Übereinstimmung mit 


_ dem von Gervais beschriebenen Spectrellum macrourum 
zeigt, dafs ich glaube, die Annahme wagen zu dürfen, dafs das 
‚einzige von Hrn. Gervais untersuchte Exemplar in Beziehung 
auf die unteren Schneidezähne nicht ganz vollständig gewesen sei, 
um so mehr, da die Angaben, welche Hr. Gervais grade über 
diesen Punkt gegeben, etwas unbestimmt sind: „Les incisives sont 
 petites; celles de la mächoire inferieure sont rudimentaires, l’interne 
etant ä peine visible (Notre figure 3 a ne reproduit pas cette 
disposition avec assez d’exactitude. La m&me dent est caduque).” 
— — „La paire externe des incisives inferieures parait ir- 
regulierement trilobee.” — An unserm Exemplar befinden 
sich in dem Unterkiefer 6 deutlich dreilappige, quer zum Kie- 
errande gestellte Schneidezähne. Die Gebilsformel würde daher 


“7 Dahn & 
3.3 e ns m. = 38 sein und diese Gattung nicht den 


n 


Phyllostomen sondern den ächten Vespertilionen, zunächst dem 
yetiellus lepidus anzureiben sind. 

6. Arrızevs (Leach) Gervais. 

Artibeus vittatus n. sp.; supra fuscus, subtus pallidior, 
striis facialibus mediaque dorsali albis. 
| Long. ab occipite ad marg. pat. interf. 0,075; capit. 0,034; 
aur. 0,023; prosth. 0,0135; antibr. 0,060; crur. 0,022; pat. in- 
terf. 0,003. 
0 Puerto Cabello. Coll. Appun. 
Diese Art reiht sich in der Zeichnung dem A. lineatus 
und 4. personatus an, ist jedoch viel gröfser und auch durch 
das Nasenblatt verschieden, indem der untere Rand des Huf- 
eifens nicht frei hervorragt, sondern mit der Schnauze ohne Ab- 
satz verwachsen ist. 


15° 


226 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Hr. du Bois-Reymond legte eine Mittheilung des Hrn. 
Dr. W. Kühne über die selbständige Reizbarkeit der 
Muskelfaser, d. d. Paris 20. Febr. 1859, vor. 

Es darf angenommen werden, dals die grofse Zahl chemi- 
scher Körper, welche auf den Querschnitt eines lebenden Mus- 
kels applicirt Zuckungen erregt, und welche niemals bei Berüh- 
rung mit der motorischen Nervenfaser den gleichen Erfolg be- 
stimmt, erregend auf die Substanz des Muskels selbst wirkt. Die 
Annahme des Gegentheils bedingt zugleich die Vorstellung einer 
gänzlichen Verschiedenheit der einzelnen Theile eines Nerven, 
d. h. eines physikalischen und chemischen Unterschiedes der Ner- 
venstäimme und ihrer intramuscularen Endigungen. Um die 
Richtigkeit der einen oder der anderen dieser Voraussetzungen 
annähernd zu ermitteln, wurde schon in einer früheren Mitthei- 
lung gezeigt,') dafs die Vergiftung eines Thieres mit dem Pfeil- 
gifte ganz ohne Einfluls ist auf die Erregbarkeit der Muskeln 
gegenüber chemischen Einwirkungen, wodurch wir unserer Frage 
bereits um einen Schritt näher getreten zu sein glaubten. Bis 
heute ist allerdings erwiesen, dals das Curara zweifelsohne einen 
grolsen Theil der motorischen Nerven im Muskel selbst unwirk- 
sam macht; da wir aber nicht wissen, ob nicht grade die aller- 
äulsersten Spitzen derselben, also die für uns wesentlichsten 
Theile von dem Gifte verschont bleiben, so müssen wir uns 
nach einer anderen Methode umsehen, durch welche es mit grö- 
fserer Wahrscheinlichkeit gelingt, den ganzen intramuscularen 
Nerven bis an den Punkt, wo er aufhört Nerv zu sein, d.h. 
wo die der Contraction fähige Substanz beginnt, leistungsun- 
fähig, unerregbar für die bei der directen Muskelreizung ange- 
wendeten Reize zu machen. Als ein solches Mittel kennen wir 
den constanten Strom, welcher an irgend einer Stelle den mo- 
torischen Nerven durchflielsend, die Erregbarkeit desselben für 
alle zur Seite der positiven Elektrode gelegenen Punkte herab- 
setzt, sowohl für den Reiz von Stromesschwankungen, die eine 
gewisse Gröfse nicht übersteigen, als für den Einfluls erregend 
wirkender chemischer Agentien. Der Erfolg directer elektri- 
scher Reizung des Muskels unter diesen Umständen ist bekannt: 


°) Diese Berichte, 10. Febr. d. J. Vergl. oben S. 186. 


vom 28. Februar 1859. 227 


der Muskel bedarf eines stärkeren Stromes um in Zuckung zu 
verfallen nach Applicirung des constanten Stromes auf seinen 


_ Nerven, als vorher. 


Selbstverständlich kann der Versuch in dieser Form die 


_ Frage von der Muskelirritabilität nicht beantworten. Wir kön- 


nen wohl mit Sicherheit schlielsen, dafs der Nerv dem Einflusse 
des lähmenden Stromes in seiner ganzen Ausdehnung unterliegt, 
was allein schon den beobachteten Vorgang erklärt, wir wissen 


aber zur Zeit noch nicht, inwieweit die Erregbarkeit des Mus- 


kels selbst dabei verändert wird. Die chemische Reizung ist 
hier der geeignete Weg, den wir in folgender Weise ein- 
schlugen. 

Der Musculus sartorius Guy. des Frosches wurde isolirt, 


_ sein Nerv bis zu seinem Abgange vom Stamme des Ischiadicus 


herauspräparirt, dort abgeschnitten und das so erhaltene Präparat 
mit grölster Schonung aller Theile in einen passenden Apparat 
eingehängt, welcher so eingerichtet war, dafs der Nerv dicht vor 
seinem Eintritt in den Muskel die beiden Zinkelektroden einer 
kleinen viergliedrigen Grove’schen Kette überbrückte, während 
der Muskel selbst an seinem unteren sehnigen Zipfel durch eine 
Klemme gehalten mit dem entgegengesetzten Ende, seinem Ur- 
sprunge vom Os ilium, senkrecht herabbing. Schlufs der Kette 
in aufsteigender Richtung bedingt beim ganz frischen Muskel 
keine Zuckung, die Wirkung derselben zeigt sich aber sofort in 
seiner herabgesetzten Erregbarkeit, welche wir durch Schlielsung 
und Öffnung eines einfachen Daniell’schen Elements, das nach 
Einschaltung eines Rheochords als directer Muskelerreger ver- 
wendet wurde, constatirien. Nach Öffnung der Kette, deren 
Strom den Nerven durchflols, tritt eine Zuckung ein und damit 
ist der Vorversuch beendet. Jetzt wurde dicht über dem äu- 


- Ssersten herabhängenden Ende des Muskels ein Schnitt senkrecht 


auf die Richtung sämmtlicher Primitivbündel geführt und damit 
der Querschnitt aller Fasern gleichzeitig dem chemischen Reize 
zugänglich gemacht, Als erregende Körper wählen wir hier 
vorzugsweise diejenigen, von welchen schon früher gezeigt wurde, 
dals sie ausschlielslich bei directer Reizung, niemals vom Ner- 
venstamme aus Zuckungen erregen. 


228 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Bei gut erhaltenen, in allen Stücken erregbaren 


Muskeln haben wir nun ohne Ausnahme beobachtet, 
dafs Salzsäure in jeder Goncentration, bis zu einer 
tausendfachen Verdünnung mit Wasser hinab, die 
Lösungen der Alkalien, Lösungen vieler Metallsalze, 
des schwefelsauren Kupferoxyds bis zu einem Ge- 
halte von nur 4°',, die Lösungen der Chloralkalien, 
verdünntes Glycerin, so wie verdünnte Milchsäure 
und vieleandere unter jeden anderen Umständen eben- 
falls auf den Muskelquerschnitt erregend wirkende 
Körper, eine über die ganze Länge des Muskels ver- 
laufende Zuckung hervorrufen, selbst wenn der Nerv 
desselben der Wirkung des aufsteigenden constan- 
ten Stromes unterliegt. 

Vor und nach der Ausführung des chemischen Reizversu- 
ches zeigte der mit der elektrischen Reizung angestellte Con- 
trolversuch, dafs die Erregbarkeit des Muskels laut der Aussage 
unseres Rheochords dennoch gesunken war. Der constante 
Strom ist aulserdem ganz ohne Einfluls auf die durch die Dämpfe 
des Ammoniaks entstehenden Zuckungen und den darauf folgen- 
den Tetanus, ebenso wie auf die, durch längeres Verweilen in 
destillirttem Wasser, oder durch mechanische Mifshandlungen des 
Muskels erzeugten Contractionen. Die Erscheinungen bleiben 
ferner ganz dieselben, wenn man den Reiz an irgend einem an- 
deren unterhalb der Eintrittsstelle des Nerven gelegenen Orte des 
Muskels anbringt, und das Resultat bleibt unbeeinträchtigt, wenn 
das ober- oder unterhalb des Nerveneintritts gelegene Stück als 
unmittelbar betroffene Stelle beansprucht wird. Flüssigkeiten, 
welche sonst überhaupt niemals bei momentaner Berührung mit 
dem Muskelquerschnitt Zuckungen erregen, sind ebenfalls ohne 
Wirkung, wenn der Nerv des Präparats von dem constanten 
Strome durchflossen wird, einerlei welche Richtung man dem- 
selben gegeben. 

Da wir nun voraussetzen dürfen, dafs die Abnahme der Er- 
regbarkeit in den zur Seite der positiven Elektrode gelegenen 
Theilen des Nerven, sich überall, selbst auf die äufsersten Enden 
desselben innerhalb der Primitivbündel, erstreckte, so ziehen wir 
aus unseren Beobachtungen den Schluls, dafs der Muskel 


vom. 28. Februar 1859. 229 


ganz unabhängig von seinem motorischen Nerven, 
durch die angeführten chemischen Agentien erregt 
werden kann, und dals sich diese Erregung ganz so, 
wie in den Nervenfasern von Querschnitt zu Quer- 
7 schnitt fortzupflanzen vermag, selbst wenn der ur- 
sprüngliche Reiz von rein localer Natur war. 


Hr. Magnus theilte folgende Untersuchung des Hrn. Dr. 
R. Weber, Hülfslehrer am Königl. Gewerbe-Institut, mit: 
Der fünffach Chlorphosphor, welcher durch die Untersu- 
chungen der Hrn. Cahours und Gerhardt ein wichtiges 
Mittel geworden ist viele Chlorverbindungen organischer Radi- 
kale darzustellen, ist auch im Stande eine grolse Zahl anorgani- 
scher Verbindungen zu zersetzen und in Chlorverbindungen über- 
zuführen. 

| Sehr viele von den in der Natur vorkommenden und künst- 
lich erzeugten Oxyden oder deren Verbindungen, welche sehr 
energisch wirkenden Reagentien oft hartnäckig widerstehen, 
- lassen sich unter bestimmten Umständen durch den fünffach 
Chlorphosphor leicht so zersetzen, dals sie in Chlorverbindungen 
verwandelt werden. 

Diese Zersetzung wird dadurch erreicht, dafs man die Dämpfe 
des Chlorphosphors über das glühende Oxyd leitet. Die ein- 
fache Vorrichtung, welche hierfür angewandt wurde, besteht in 
einer 7—8 Zoll langen Röhre aus schwer schmelzbarem Glase, 
die an einem Ende zugeschmolzen und knieförmig gebogen ist. Der 
offene Schenkel des Rohrs wird von einer passenden Drathklemme 
horizontal gehalten und kann an der Stelle, wo das Oxyd sich 
‚befindet, durch eine Gaslampe beliebig stark erhitzt werden. Der 
Chlorphosphor wird zuvor in den kürzeren zugeschmolzenenSchenkel 
gebracht; durch Erwärmen desselben erzeugt man, sobald das Oxyd 
bis zum Glühen erhitzt worden ist, einen mälsig starken Dampf- 
strom. Die durch die Wechselwirkung erzeugten flüchtigen 
Produkte werden zum grofsen Theile in einem vorgelegten Rea- 
genzgläschen aufgefangen. 


230 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Kieselsäure im Zustande wie sie bei der Bereitung der Kie- 
selflulssäure erhalten, oder wie dieselbe bei Analysen von Si- 
licaten ausgeschieden wird, wurde, nachdem sie heftig geglühet 
worden, noch warm in das Rohr gebracht und bis zum Glühen er- 
hitzt. Alsdann wurden die Dämpfe des Chlorphosphors darüber 
geleitet. Es entstanden sofort weilse Nebel, welche zu einer 
farblosen Flüssigkeit in dem vorgelegten Glase sich verdichteten. 
In kurzer Zeit erhält man eine hinreichende Menge des Destil- 
lats, während die Kieselsäure sichtlich abnimmt. Die überge- 
gangene Flüssigkeit ist gewöhnlich durch etwas unveränderten 
fünffach Chlorpbosphor getrübt. Mit wenig Wasser gemischt 
erhitzt sich dieselbe nach wenigen Augenblicken sehr stark, es 
entweichen saure Dämpfe und es bildet sich die für die Kiesel- 
säure so charakteristische Gallerte, welche mit mehr Wasser in 
Berührung gebracht, sich nicht wieder auflöst. Mit der Isoli- 
rung des so gebildeten Chlorsiliciums ist der Verfasser noch be- 
schäftigt. 

Wird statt der höchst fein zertheilten Kieselsäure Quarz- 
pulver angewendet, so ist der Vorgang derselbe, nur erfolgt die 
Zersetzung wegen der kleineren Oberfläche langsamer. 

Die Glasröhren widerstehen selbst in starker Glühhitze der 
Einwirkung des Chlorids sehr gut, bei längerer Dauer des Ver- 
suchs wird indessen der Angriff merkbar. Es finden sich dann 
geringe Mengen von Chlorsilicium unter den Destillationspro- 
dukten, selbst wenn Körper in die Röhre gebracht worden wa- 
ren, welche keine Kieselsäure enthielten. 

Unter gleichen Umständen wurden mit der Titansäure Alüch- 
tige Chlorverbindungen erhalten, welche, wenn sie mit Vor- 
sicht in eine grölsere Menge von Wasser gebracht wurden, 
eine Lösung von Titantäure bildeten, in der durch Kochen ein 
starker Niederschlag entstand. 

Stark geglühete Zinnasche wird in der Glühhitze schnell 
zersetzt; das flüchtige Chlorid giebt sich sogleich durch den 
starken Dampf, der aus der Röhre strömt, zu erkennen. 

Interessant ist die Zersetzung der Thonerde. Möglichst 
sorgfältig bereitete, scharf geglühete Thonerde von schnee- 
weilser Farbe, wurden wie oben behandelt. Zunächst der glü- 
henden Stelle condensirte eine schwer flüchtige Verbindung von 


vom 28. Februar 1859. 231 


Chloralumium mit Chlorphosphor. Aufser dieser Verbindung 
sublimirte der unveränderte Chlorphosphor mit den durch die 
Oxydation desselben entstandenen flüssigen Produkten. 

Die Verbindung von fünffach Chlorphosphor mit dem Chlor- 
alumium ist von Hrn. Dr. Weber auch durch directe Verei- 
nigung beider Chloride erhalten worden. Dieselbe ist fast weils, 
leicht schmelzbar, und viel schwerer flüchtig als jedes der 
Chloride für sich. Hierauf gründet sich das Verfahren dieselbe 
vom Überschuls des Chlorphosphors zu befreien, der bei der 
Bereitung im Überschusse zugesetzt worden ist. Die geschmol- 
zene Masse erstarrt beim Erkalten krystallinisch. Ihre Zusam- 
_ mensetzung wurde durch zwei Versuche bestimmt, welche mit 
einander sehr gut übereinstimmen und zu der Formel: 


All; + PCI, 


führen. 

Diese Verbindung hat viel Ähnlichkeit mit den Verbindun- 
gen des Chloraluminiums mit Chlorselen und Chlortellur. 

Auch der Corund, späthiger von Miasc, liels sich zersetzen. 


> Das abgeschreckte Mineral wurde in einem Stahlmörser fein ge- 


pulvert. Die Zersetzung desselben erfolgte erst bei starker Glüh- 
hitze; im Übrigen aber waren die Erscheinungen dieselben wie 
bei der Thonerde. 

A Auch auf natürlich vorkommende Verbindungen von Oxyden 
ist dies Verfahren mit Erfolg angewendet worden. Viele der 
hierher gehörigen Mineralien werden nur durch andere, selbst 
die stärksten Reagentien schwer angegriffen. 

Titaneisen von Egersund wird als feines Pulver durch Phos- 
‚phorchlorid leicht aufgeschlossen. Bringt man den Theil der 
Glasröhre in welchem sich die Chloride von Eisen, Titan 
etc. abgesetzt haben, in eine hinreichende Menge Wasser, so 
erhält man eine fast klare Lösung in der durch Kochen ein star- 
ker Niederschlag entsteht. 

Hierauf möchte sich vielleicht ein Verfahren gründen las- 
sen, die Titansäure in andern Mineralien und Niederschlägen 
leicht aufzufinden. 

Die Mineralien der Spinellgruppe werden mehr oder weni- 
- ger leicht von Phosphorchlorid afficirt. Chromeisenstein von Unst 
[1859.] 16 


232 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


wird als feines Pulver leicht angegriffen, es entweicht dabei das 
flüchtige Chlorid des Eisens in Verbindung mit dem fünffach 
Chlorphosphor. 

Franklinit von Sparta in Amerika verhält sich ebenso. 

Das im Stahlmörser bereitete feine Pulver klarer, röthlicher 
Octaeder von Spinell von Ceylon ist ebenfalls bei Glühhitze 
durch den Dampf des Chlorphosphors zersetzt worden; die Zer- 
setzung erfolgt zwar nicht leicht, aber doch bildet sich bald 
eine hinreichende Menge des schwer Hüchtigen, Chloralumium 
enthaltenden, Destillats, das sich in Wasser vollständig löst und 
durch Ammoniak stark gefällt wird. 

Bis jetzt läfst sich noch nicht entscheiden ob die Zersetzung 
des Chromeisensteins eine vollständige ist; die fremden Ein- 
schlüsse des Minerals, die geringe Flüchtigkeit des Chromchlo- 
rids erschweren die Entscheidung dieser Frage, mit deren sorg- 
fältiger Prüfung der Verfasser noch beschäftigt ist. 

Leichter als jene Verbindungen werden einfache Oxyde auf- 
geschlossen, viele derselben zeigen sogar beim gelinden Er- 
hitzen im Dampfe des Chlorphosphors eine lebhafte Glüher- 
scheinung. 

Ein gerades 5—6 Zoll langes unten zugeschlossenes Glas- 
röhrchen genügt für diese Versuche. In das Rohr wird zu- 
nächst etwas Chlorphosphor gebracht, darauf das geglühete Oxyd. 
Mit einer kleinen Flamme erhitzt man zuerst dies und erzeugt 
dann Dämpfe des Chlorids. Sehr leicht und schön zeigt das 
Erglühen das Cadmiumoxyd, und fast ebenso die calcinirten Man- 
gan- und Kobaltoxyde. 

Ein besonders schönes Licht aber entwickelt die Magnesia. 
Selbst das verglimmte, unlösliche Chromoxyd erglühet stark, da- 
bei sublimirt violettes Chlorid. Beim Eisenoxyde, das gleich- 
falls erglüht, tritt das gebildete Eisenchlorid in Verbindung mit 
fünffach Chlorphosphor. 

Auch diese Verbindung ist direct durch Vereinigung beider 
Chloride erhalten worden; dieselbe ist braun gefärbt, leicht 
schmelzbar, und schwerer flüchtig als die Chloride für sich, ein 
Verhalten worauf sich, wie in der analogen Aluminiumverbin- 
dung, die Abscheidung des überschüssigen fünfach Chlorphos- 
phors gründet. 


vom 28. Feöruar 1859. 233 


Zwei übereinstimmende Analysen der Verbindung führen zu 
‚der Formel: 


ihr De, 


Bei minder stabilen Sauerstoffverbindungen erfolgt schon bei 
gewöhnlicher Temperatur die Zersetzung. 

Hierher gehört die Jodsäure. Ein Gemenge von arseniger 
Säure mit dem Chloride verwandelt sich nach kurzer Zeit, ohne 
äufsere Erwärmung, unter starker Erhitzung in eine farblose 
‚Flüssigkeit. Arsensäure entwickelt mit dem Chloride gelinde 
erwärmt Chlor. Molybdänsäure wird bei gewöhnlicher Tempe- 
ratur gebräunt etc. 

Der Einfluls des fünffach Chlorphosphors erstreckt sich auch 
auf viele Salze. Salpetersaures Silberosyd wird davon zerlegt; 
desgleichen chlorsaures Kali. 

Ferner wirkt dasselbe bei der Glühhitze zersetzend auf den 
Wolfram, auf Schwerspath, phosphorsaures Natron etc. 

Mit den hierher gehörigen Versuchen, sowohl die näheren 
Umstände der Zersetzung als auch die Zersetzungsprodukte be- 
treffend, ist Hr. Dr. Weber noch nicht zum Abschluls ge- 
kommen. 

Das Verhalten der Borsäure, womit derselbe gleichfalls be- 
schäftigt ist, hat noch zu keinem ganz sicheren Resultate ge- 
führt, da die Schmelzbarkeit der Borsäure die Untersuchung sehr 
erschwert. 

Die Ursache der erwähnten energischen Wirkungen des 
fünffach Chlorphosphors möchte wohl eine mehrfache sein. Zu- 
nächst kommt die überwiegende Verwandtschaft des Phosphors 
zum Sauerstoff in Betracht, ebenso die grolse Affinität des Chlors 
zu vielen Radicalen. 

Durch diese entsteht Phosphoroxychlorid, das sich, wenig- 
stens so weit es hat bis jetzt ermittelt werden können, stets 
‚unter den überdestillirenden Zersetzungsprodukten findet. Die- 
ser Körper entsteht nämlich auch auf directem Wege. Bloch 
fand schon, dafs die Dämpfe des Chlorids über wasserfreie Phos- 
phorsäure geleitet, von dieser aufgenommen wurden. Er hielt 
die entstandene Flüssigkeit für eine Verbindung aus gleichen 
Äquivalenten von Chlorid und Säure. 

16* 


234 Sitzung der phys.-math. Klasse vom 28. Februar 1859. 


Der Verfasser hat gefunden, dafs wenn wasserfrei Phos- 
phorsäure und Phosphorsuperchlorid im festen Zustande mit ein- 
ander gemengt, und gelinde erwärmt werden, eine farblose Flüs- 
sigkeit erhalten wird, deren Zusammensetzung nach zwei über- 
einstimmenden Analysen sehr genau mit der von Wurtz auf- 
gestellten Formel P€l,; O, des Oxychlorids übereinstimmt, wel- 
ches dieser bekanntlich nach einer ganz anderen, freilich weniger 
directen Weise erhalten hat, wie es überhaupt auf verschiedene 
Weisen dargestellt werden kann. Mit Rücksicht bierauf läfst 
sich wohl annehmen, dafs bei der Bereitung des Oxychlorids 
durch Destillation des Chlorphosphors mit Oxalsäure, krystalli- 
sirter Borsäure etc., zunächst aus einem Theile des Chlorphos- 
phors durch den Einfluls des mit der Säure verbundenen Was- 
sers Phosphorsäure gebildet wird, die sich dann mit dem übrigen 
Chlorid verbindet, in ähnlicher Weise wie dies auf directem 
Wege bei Anwendung von wasserfreier Phosphorsäure geschieht. 
Um mit dieser das Oxychlorid zu erhalten, thut man gut einen 
Überschufs derselben anzuwenden, da das überschüssige Chlorid 
sich leicht dem Oxychlorid beimengt. 


IND 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat März 1859. 


» Vorsitzender Sekretar: Hr. Ehrenberg. 


3. März. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Braun gab Nachträge zu seiner früheren Abhandlung 
über die Parthenogenesis bei Pflanzen, indem er insbe- 
sondere die Keimung von Caelebogyne, und die dieser Gat- 
tung häufig zukommende Polyembryonie beschrieb. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
‚den vorgelegt: 


Memorie dell I. R. Istituto veneto di scienze. Vol. VII, Parte 2. Vene- 
zia 1858. 4. 

Atti dell’ I. R. Istituto veneto di scienze. Tomo IV, Dispensa 1. 2. 3. 
Venezia 1858—59. 8. 

Annales des mines, Tome XIII, no. 3. Paris 1858. 8. Mit Rescript 
vom 23. Febr. 1859. 

Maury, Erplanations of sailing directions. Vol.I. Ed. VII. enlarged 
and improved. Washington 1858. 4. Mit Rescript vom 26. Fe- 
bruar 1859. 

Memoires de la societe des sciences naturelles de Strasbourg. Tome V, 
Livr. 1. Strasbourg 1858. 4. 

Revue archeologique. 15me annee, Livr. 14. Paris 1859. 8. 

Annuaire des cing departements de l’ancienne Normandie. Annee 25. 
Paris 1858. 8. 

Bulletin monumental, par M. de Caumont. Vol. XXIV. Paris 1858. 8. 

[1859.] 17 


236 Gesammtsitzung 


Catalogue of the collection of splendid manuscripts, formed by Guglielmo 
Libri. (London 1859.) 8. 

Flora batava. Aflevering 184. Amsterdam 1859. 4. 

Stanislas Julien, Aeponse mesurde 4 un libelle injurieuxr de Mr. Reinaud. 
Ed. II. (Paris 1859.) 8. 

Chr. Fr. Walther, Carmina latina duo. Petropoli 1858. 4. Mit 
Schreiben des Hrn. Verfassers, d. d. Petersburg 3. Febr. 1859. 


Hiernächst wurde ein Dankschreiben der Societe des sciences 
naturelles de Strasbourg, d. d. 24. Febr. 1859 für Empfang der 
Abhandlungen der physik.-mathem. Klasse vom Jahre 1856 und 
der Monatsberichte von 1856 bis Aug. 1857 vorgetragen. 


10. März. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Klotzsch las über Linn&’s natürliche Pflan- 
zenklasse Tricoccae des Berliner Herbarium’s im 
Allgemeinen und die natürliche Ordnung Euphor- 
biaceae insbesondere. (Auszug.) 

Carl von Linne, in seiner Philosophia botanica vom 
Jahre 1751,') versuchte nach einer natürlichen Methode, die er 
als fragmentarisch bezeichnet und welche der fernern Forschung 
empfohlen wird die Gattungen, welche ihm damals bekannt wa- 
ren, zu gruppiren. Eine dieser Gruppen nennt er Tricoccae, 
und obgleich sie, wie die Übrigen jeder Charakteristik entbehrt, 
so sieht man doch mit Bestimmtheit aus der Zusammenstellung 
der dahingezogenen Gattungen, was er meinte und. wollte und 
es kann darüber kein Zweifel sein, dals er sie in demselben 
Sinne, wie ich auffalste. 

Anton Lorenz von Jussieu substituirte für diese Gruppe 
im Jahre 1774?) den Namen Euphorbiae. 

t) Stockholmiae apud Godofr. Kiesewetter, p. 32, n. 47. 

*) Antonii Laurentii de Jussieu, Gen. plantarum secundum Ordines 
naturales disposita. Turici Helvetorum 1791, p. 423. 


vom 10. März 1859. 237 


Adrian von Jussieu schrieb im Jahre 1824 eine Mono- 
g aphie der Euphorbiaceen ’), eine sehr fleilsige und für die da- 
_ malige Zeit ausgezeichnete Arbeit, in welcher derselbe alles, was 
 Linn€ unter Trieoccae und Anton Lorenz von Jussieu 
unter Euphorbiae zusammenfalsten in sechs Sectionen vertheilt. 

Erste Seetion: Fruchtfächer 2-samig. Staubgefälse in be- 
 stimmter Zahl, unterhalb des centralen Pistillrudiment’s einge- 
fügt. Zweite Section: Fruchtfächer 2-samig. Staubgefälse 
in bestimmter Zahl das Centrum der Blüthe einnehmend. Dritte 
Section: Fruchtfächer einsamig. Blüthen gewöhnlich mit Blü- 
thenblättern versehen, in Bündel, Ähren, Trauben oder Rispen 
mit einer bestimmten oder unbestimmten Zahl Staubgefälse. 
Vierte Section: Fruchtfächer einsamig. Blätter blumenblatt- 


4. 


los, in zusammengehäuften Ähren, selten fast traubenartig. 
Fünfte Section: Fruchtfächer einsamig. Blüthen blumen- 


A BE 1 a TE 


blattlos mit einer bestimmten Zahl Staubgefälse, von grolsen 
Bracteen gestützt, welche in Ähren oder Kätzchen stehen, 
SechsteSection: Fruchtfächer einsamig. Blüthen blumenblatt- 
05, einhäusig, eingeschlossen, von einer allgemeinen Hülle umgrenzt. 
Bartling in Göttingen*), dem das grolse Verdienst ge- 
bührt, der erste gewesen zu sein, der auf die Wichtigkeit und 
die Unterschiede von Klassen und Ordnungen in der botanischen 
Systemkunde hinwies, erhob zwar die von Linn& aufgestellte 


Klasse, brachte aber sehr entfernt stehende Ordnungen, wie die 
Stackhauseae, Empetreae, Bruniaceae, Rhamneae, Aquifoliaceae, 
Pittosporeae, Celastrineae und andere hinzu. Er lieferte dadurch 
den Beweis, dals er den Sinn, den Linn& in seine Gruppe ge- 
gt, milsverstanden hatte. Eigentlich gehören nur die Euphor- 
biaceae, welche seine 217te Ordnung bilden, hierher. Die Ein- 
teilung folgt genau der von Adrian von Jussieu im Jahre 
24 vorgeschlagenen, indem seine Section A. Buxea, der er- 
sten Section von Jussieu, B. Phyliantha, der zweiten Section 
desselben Verfassers. C. Aicinea, der dritten Section. D. Aca- 


*) Adriano de Jussieu, de Euphorbiacearum generibus medieisque ea- 

zumdem viribus Tentamen. Paris, 1824. 

*) Fr. Th. Bartling, Ordines naturales plantarum. Gottingae, 1830. 
1% 


238 Gesammtsitzung 


Iyphea, der vierten Section. E. Hippomanea, der fünften Sec- 
tion und F. Euphorbiae, der sechsten Section des Adrian von 
Jussieu entspricht. f 

John Lindley, im Jahre 1832°), umfalst in seiner 88sten 
Ordnung Euphorbiaceae die ganze Klasse der Linn&’schen Zri- 
coccae. Vier Jahre später°) nimmt derselbe Verfasser eine Klas- 
seneintheilung an, die er mit dem Namen Verbindungen be- 
zeichnet, in welcher als vierte Allians seine Euphorbiales aufge- 
stellt und diagnosirt werden. Allein auch bier entspricht nur 
die Ordnung Euphorbdiaceae den Trricoceis und die übrigen hier- 
her gezogenen Ordnungen, wie Ernpetraceae, Stackhousiaceae, 
Foauquieraceae, Celastraceae, Hippocrateae, Trigonieae, Staphy- 
leaceae, Malpighiaceae und Erythroxylese müssen anderweitig 
untergebracht werden. 

Von Martius in München, einer der verdienstvollsten Bo- 
taniker und zugleich eines der ältesten correspondirenden Mit- 
glieder der hiesigen Akademie der Wissenschaften substituirt im 
Jahre 1835”) statt Klasse Cohors und statt der Tricoccae Coc- 
eiferae. Allein auch er bringt die Stockhausieae, welche zur 
Klasse der Rhamnanthen und die Ernpetreae, die zur Klasse der 
Diospyranthen gehören mit Unrecht hierher. 

Der zu früh für die Wissenschaft verstorbene Endlicher 
in Wien?) folgte Hrn. von Martius in Bezug auf den Um- 
fang der Klasse, und Adrian von Jussieu und Bartling in 
der Eintheilung der Euphorbiaceen, im Jahre 1839. 

Adolph Brongniart, der Stolz der französischen Bota- 
niker, der im Jahre 1843 ein kleines aber höchst gediegenes 
Werk?) über die systematische Eintheilung der Pflanzen publi- 
eirte, das seit jener Zeit mehrere Auflagen erlebte, falst die 
Klasse der Tricoecae im Sinne Linn&@’s, bezeichnet sie aber 
als Crozoninae und bringt, was allgemeine Billigung finden wird 
die Antidesmeen als Ordnung hinzu. 


°) Introduction to the natural System of Botany. London, 1832. 
°) Natural System of Botany. London, 1836. 
- ”) Conspectus Regni vegetabilis. Nürnberg, 1835. 
°) Endlicher, Genera plantarum secundum Ordines naturales dispo- 
sita. Vindobonae 1836— 1840, 
°) Ad. Brongniart, Enumeration des genres de plants. Paris, 1843. 


| N vom 10. März 1859. 239 


0. Grisebach'?) in Göttingen nennt das was Bartling 
und Endlicher Klasse und von Martius als Cohors bezeich- 
nen Nixus. In einer rühmlichen Weise hat er es versucht die 
" Unterschiede des Endosperms und Perisperms für die botanische 
 Systemkunde in Anwendung zu bringen. 

Dagegen ist ihm mit Unrecht von mehreren Seiten das 
_ Verdienst vindicirt worden, der erste gewesen zu sein, der die 
Gruppe der dicotylen apetalen Angiospermen unter den pleio- 
etalen Gewächsen dieser Pflanzenabtheilung vertheilt habe. Al- 
| "] ein dies war vor ihm von A. Brongniart bereits geschehen. 
uch er begeht den Fehler seinen Nixus, den er nach von 
Martius als Coceiferae bezeichnet mit sehr entfernt stehenden 
Ordnungen bereichert zu haben, indem er die Polygaleen, Tre- 
mandreen und die Trigoniaceen hinzubringt. 

Im Jahre 1841 '') brachte ich die Mutis’sche Gattung Pera, 
zu der sich noch einige andere Gattungen gesellten, hinzu. Ich 
bezeichnete diese Gruppe als Prosopidoclineae, die eine Annähe- 
zung zu den Myristicaceen zeigt und in der That von dem ver- 
storbenen Professor Kunth als dahin gehörig betrachtet wurde, 
in dem er ein Gewächs als Myristica orinocensis (Humb. Bonpl. 


et Kunth. Nova genera et species vol. VII), beschrieb, das mei- 


| 
| 


ser Gattung Schismatopera nicht unäbnlich sieht. 

Diese eigenthümliche Pflanzengruppe wurde sowohl von 
Endlicher (Gen. plant. Suppl. II. p. 78) als auch von Bent- 
am (Hooker’s Journal of Botany and Kew Garden Miscellany, 
vol. V, p. 1) anerkannt. Von ihr ist nicht bekannt, ob sie einen 
Milchsaft enthält. Sie gehört zu der Abtheilung mit einem Ei 
jedem Fache, ist dioecisch, enthält in ihren fruchtbaren Blü- 
then meist die Rudimente des zweiten Geschlechts und mehrere 
ihrer Blüthen, gewöhnlich in bestimmter Zahl, werden von einer 
kap zenförmigen Hülle eingeschlossen, die entweder an der einen 
Seite sich öffnet oder in zwei Klappen aufschlitzt. Aufserdem 
ist hier statt der Strophiola eine mantelförmige Samendecke, die 
h einahe die Hälfte des Samens einschliefst, vorhanden, und das 


 —  *°) Grisebach, Grundrils der systematischen Botanik. Göttingen, 
ost 
} **) Erichson, Archiv, v. VII, p. 178. 


240 Gesammtsitzung 


Endosperm kömmt in geringerer Menge vor als bei den übrigen 
Ordnungen, welche zur Klasse Trieoccae gehören. 

ZusEnde des vorigen Jahres, erschien eine gröfsere Arbeit 
über diesen Gegenstand von einem Franzosen Baillon'?), 
welche die ganze Lina@’sche Klasse Tricoccae umfalst und in 
der sich der Herr Verfasser über 1) Organographie, 2) Organo- 
genie, 3) geographische Verbreitung, 4) Verwandtschaften und 
5) über die Eintheilung in Tribus ausläfst; auch die Beschrei- 
bungen der Gattungen liefert; sogar in den meisten Fällen die 
dahin gehörenden ihm bekannten Arten citirt. Was die fran- 
zösische Literatur betrifft, die in diesem Werke niedergelegt 
ist, so habe ich sehr viel daraus gelernt. Es sind eine Anzahl 
Arbeiten darin aufgeführt, in denen man über die Systematik 
der Tricoccae kaum etwas vermuthen sollte. Die hierauf be- 
zügliche Literatur der Italiener, Engländer und Deutschen da- 
gegen ist nicht ohne Lücken. In Bezug auf Organographie, 
Organogenie und geographische Verbreitung, enthält die Arbeit 
viel Gutes. Zieht man jedoch in Betracht, dafs er das schöne 
und reichhaltige Material, welches das Mus&um d’Histoire natu- 
relle von Paris besitzt, mit dem das hiesige Herbarium in Tausch- 
verbindung steht und in welchem die meisten der von mir auf- 
gestellten neuen Gattungen sich in Originalexemplaren befinden, 
so begreift man kaum, wie es möglich war, dafs er was die 
Eintheilung der Tricoccae und die Feststellung der Gattungen 
betrifft, sich zu einem solchen Verkennen des wesentlichen vom 
unwesentlichen verleiten lassen konnte. Wir haben gesehen, 
wie bei Adrian von Jussieu die Klasse Tricoccae in 6 Ab- 
theilungen zerfällt. Hr. Baillon theilt sie in 14 gleichwer- 
thige Gruppen. Seine erste Serie entspricht der sechsten Ab- 
theilung von Adr. von Jussieu oder den Euphorbieen von 
Endlicher, nur dals er die Gattungen Dalechampia und An- 
thostema daraus entfernt. In Bezug auf erstere Gattung hat er 
recht, in Bezug auf Anthostema nicht. Er hat verkannt, was 
hier von und ohne Werth ist, er hat hier die richtige Deutung 
der Blüthenorgane milsgedeutet. Das Involucrum ist bei ihm 


‘?) M.H. Baillon, Etude generale du groupe des Euphorbiacees. Pa- 
ris, 1858. 


vom AO. März 1859. 241 


ein Kelch, der einhäusige Blüthenstand, der vom Involucrum ein- 
eschlossen wird eine Zwitterblüthe. Nur aus der unrichtigen 
eutung der Biüthenorgane von den Euphorbieen und Pedilan- 
theen wird es erklärlich, wie er Anthostema von den wahren 
| uphorbiaceen trennen konnte. Er vereinigt nämlich Antho- 
 stema, Dalenbertia, Algernonia, Ophthalmoblapton, Commia, Te- 
 fraplandra ınd Pachystemon als dielinisch-monöcische Gewächse 
in seiner nunten oder letzten Gruppe der Uniovulaten mit der 
_ Bezeichnung Anthostemideae, nur weil die männlichen Blüthen 
‘ blols ein Staubgefäls besitzen, während der eigentliche Un- 
erschied der echten Euphorbiaceen darin besteht, dals der Pe- 
dicellus nittelst einer geschlossenen Gliederung mit dem auf- 
sitzenden Staubgefäls verbunden ist. Dalechampia, die nicht in 
3 Untergattungen, wie Hr.:Baillon annimmt, sondern in zwei 
wirkliche Gattungen zerfällt, bringt er zwar zu seiner sechsten 
r btheilurg, die der vierten Section von Adrian von Jussieu 
und der Tribus Acalypheae von Endlicher entspricht, allein 
zieht auch Gattungen in diese Abtheilung, die nicht dahin 
gehören ınd von ihm nur dazu gerechnet werden, weil sie blu- 
menblattlo; sind, wie z. B. Cephalocroton (eine Crotonee). Seine 
zweite, drite und vierte Serie fällt mit Endlicher’s Tribus 
Crotoneae, die der dritten Abtheilung Adrian von Jussieu’s 
entspricht ınd nur eine Tribus der Acalyphaceen ist, über- 
- Die finfte Serie, die er aufstellt, ist nicht gleichwerthig 
den Trius verschiedener zur Klasse der Tricoecae gehören- 
der Familien, sondern bildet eine eigene Ordnung Peraceae. 
Seine sechste Gruppe, die er mit dem Buchstaben F. be- 
eichnet, gehirt mit einigen Ausnahmen den Acalypheen von 
dlicher oler der vierten Abtheilung von Adrian von 
Jussieu an, üe wie schon gesagt nur eine Tribus der Ord- 
nung Acalyphaceın ausmacht. Seine mit G. bezeichnete Gruppe 
mfalst Endlich:r’s Hippomaneen oder die fünfte Abtheilung 
von Adrian vonJussieu, die ebenfalls zur natürlichen Ord- 
hung der Acalypha@en gehört. Die Serie H. oder seine achte 
Gruppe gehört eberalls zu einer Tribus der Acalyphaceen (Cro- 
Die Serie '. mit Ausnahme von Anthostema zu den 
‚Hippomaneen. Mit de Serie J. beginnen die Biovulaten. Von 
ler SerieL. bis zur Seie M. sind die Buxeen und Pbyllantheen, 


242 Gesammtsitzung 


die zwei sehr unterscheidbare natürliche Familien bilden, bunt 
durcheinander geworfen. Die Serie N., die durch Callitriche L. 
vertreten werden soll, hat von Lindley I. c. einen angemesse- 
nern und passendern Platz erhalten. Nur in einer Beziehung, 
meine ich, hat er recht, dals er A. Brongniart folgt und die 
Antidesmeen mit einfächrigen, ein- und zweieiigen Truchtknoten 
der Klasse Tricoccae einverleibt. 

Mit der Eintheilung der Gruppen im Pflanzenreche hat es 
eben so gut seine Schwierigkeiten, wie mit der Feststellung von 
Gattungen und Arten. Jede neue Deutung der Organe, jede 
neue Entdeckung eröffnet eine neue Fernsicht. Schon die Ge- 
schichte der Systematik lehrt uns, wie so viele vergebliche Ver- 
suche gemacht wurden durchgreifende Kennzeichen aufindig zu 
machen, die als Leitfaden für das Auffinden der Gruppen dienen 
sollten. Bald wurde die Insertion der Staubgefälse benutzt, 
bald das Verwachsen des Kelches mit dem Fruchtknoten ein an- 
dermal die Zahl der Fruchtblätter, welche den Stempel bilden, 
hinwiederum die An- oder Abwesenheit des Endosptrms und 
Perisperms, auch wohl die Consistenz desselben oder die Form 
und Lage des Embryo’s. Wenngleich die eiweilslosn Samen 
im Gegensatz zu den eiweilshaltigen und die Beschaf£nheit des 
letztern bei den monocotylen Angiospermen sehr dur:hgreifende 
Kennzeichen liefern, so ist dies doch bei den dicotylen Angio- 
spermen keineswegs der Fall. In dieser Gruppe, die den gröfs- 
ten Theil aller phanerogamischen Gewächse enthält unterschei- 
det der Scharfblick zwar Gruppen, allein er milslätet zuweilen 
doch, namentlich wenn er das Studium der Ertwicklungsge- | 
schichte auf den Stand der Placenten, die Verkimmerung der 
Blüthenhülltheile und die Richtung des Würzelciens unberück- 
sichtigt läfst. 

Die Aufgabe des Systematikers ist nun de, dafs er die 
Gruppen so umfalst und feststellt, dals sie wider etwas fremd- 
artiges enthalten, noch etwas dazu gehöriges auslassen. Ferner 
ist es seine Aufgabe die festgestellten Gruppm nach dem Grade 
der Verwandtschaften zu ordnen. Einige Bispiele werden viel- 
leicht geeignet sein dies zu erläutern. Jie Klasse der Aran- 
then enthält in ihrem Samen einen EmIryo, der von einem 
mehligen Perisperm eingeschlossen wird. / Diesen Charakter fin- 


2 vom 10. März 1859. 243 


Er 


IE man nicht nur in den hierher gehörigen Ordnungen der 
 Aroideae, Typhaceae und den Pistiaceen wieder, sondern er wie- 
_ derholt sich auch bei den Gramineen und Cyperaceen, die der 
Klasse der Glumaceen und bei den Ordnungen der Restiaceen, 
_ Eriocauleen, Xyrideen, Commelynaceen und Juncaceen, die der 
Klasse Junciflorae angehören. Allein welchen Unterschied bie- 
4 et hier der Habitus und der Blüthen- und Fruchtbau. Eben so 
| ist es mit den Orchanthen, einer Pflanzenklasse, die es nur mit 
der Klasse der Fluvialen, gleichsam ausnahmsweise gemein hat 
es Eiweilses zu entbehren, das in der Mehrzahl der Monoco-. 
tyledonen vorhanden ist. Vergleicht man die zu den Orchanthen 
8 hörenden Ordnungen Orchideae, Cypripediaceae, Apostasiaceae 
und Burmanniaceae, so findet man nicht nur in den einfächri- 
gen Früchten mit drei Wandplacenten ein gemeinschaftliches 
Kennzeichen, welches die Klasse charakterisirt, sondern auch eine 
allende Übereinstimmung im Habitus, während bei den Flu- 
wie en ganz andere Verhältnisse malsgebend sind. 

Nicht anders ist es bei den Bicornes, welche zu den ga- 
mopetalen Dicotylen gehören und die Ericaceen, Siphonandra- 
 eeen, Menziesiaceen, Rhodoraceen, Clethraceen und die Hypo- 
h yaceen umfalst. Hier war ich gezwungen die Epacrideen, 
welche von den Systematikern dazu gezählt worden waren, we- 
gen der Centralplacenten, der abweichenden Pollenentwicklung 
j und den einfächrigen Staubbeuteln in die Nähe der Diospyraceen 
zu bringen, die Andromedeen und Arbuteen, welche sonst zu 
den Ericaceen zählten, mit den Vaccinieen zu verbinden. Die 
Clethraceen und Rhodoraceen als besondere Ordaungen aufzu- 
stellen, die Familie der Menziesiaceen zu begründen und die 
früher bestandenen Ordnungen Pyrolaceen und Monotropaceen 
zu vereinigen. Jetzt ist man sicher, in der Klasse der Bicornes 
e en Tisch zu besitzen. Ein analoges Beispiel liefern ferner 
. ie Leguminosen als Klasse, die den pleiopetalen Dieotylen ange- 
hören, von den meisten Systematikern als eine Ordnung be- 
£ achtet werden, während die wirklichen Ordnungen, die diese 
Klasse umfalst, nämlich die Papilionaceen, Caesalpiniaceen und 
en esiceen nur als 3 Tribus gelten. 

F Genau so steht es mit den Tricoccen. Nicht die Uniovu- 
laten und Bioyulaten begründen Familien, sondern dieselben sind 


244 Gesammtsitzung 


innerhalb dieser Abtheilungen enthalten. Wenn man auch als 
Charakter der Tricoccen der Frucht, die vorherrschend dreiknö- 
pfig und kapselartig ist, ihren Werth nicht versagen kann, 
denn beerenartige Früchte kommen zwar vor, gehören aber zu 
den Ausnahmen, so scheint mir doch die sehr entwickelte und 
bleibende Centralsäule der Frucht nicht nur eine wichtigere Rolle 
zu spielen, sondern sie hat auch den Vorzug die wirklichen Ver- 
. wandtschaften anzudeuten, die sie mit der Klasse Columniferae 
gemein hat. 

Vergleicht man die Tribus der Euphorbiaceen oder Tricoc- 
cen, welche Adr. von Jussieu darin feststellte und die bis 
auf Hrn. Baillon allgemeine Geltung hatten, so sieht man 
gleich, dafs dieselben in ihren Charakteren von ungleichem Werthe 
sind, denn die Tribus, welche den Euphorbiaceen Endlicher’s 
entspricht und wie schon gesagt nur eine nicht dazu gehörige 
Gattung (Dalechampia) enthält, welche zur Tribus Acalypheae 
der natürlichen Ordnung Acalyphaceae gehört, hat weder habi- 
tuell noch essentiell mit den übrigen Abtheilungen, die von 
Ad. von Jussieu aufgestellt wurden, etwas gemein, aufser den 
Charakter, den die Klasse bietet und dieselbe zusammenbält; 
demungeachtet bildet sie in ihrem eigentlichen Unterschiede 
ein Kennzeichen, das für die Begründung von Familien als ein 
normaler hingestellt zu werden verdient und nicht darin be- 
steht, dafs die männlichen Blüthen nur 1 Staubgefäls be- 
sitzen, sondern dafs viele männliche Blüthen und eine weib- 
liche von einer Hülle (Involucrem) eingeschlossen werden und 


insbesondere, dafs diese männlichen Blüthen, dre einen klei- - 


nen Blüthenstiel besitzen, mittelst einer geschlossenen Gliede- 
rung mit dem Staubgefäls verbunden sind. Eine nächste natür- 
liche Ordnung Peraceae von der eine Gattun$ schon von Mutis 
unter dem Namen Pera aufgestellt war und zu der in späterer 
Zeit noch drei Gattungen hinzukamen, zeigt auf der einen Seite 
den Übergang zur Tribus Crotoneae der Ordnung Acalyphaceen 
durch wesentliche und habituelle Kennzeichen, auf der anderen 
Seite eine Übereinstimmung mittelst des Involucrums zu der 
Ordnung der Euphorbiaceae, ferner durch das Auftreten der 
zweiten Geschlechter im verkümmerten Zustande in der norma- 
len männlichen und weiblichen Blüthe von Schismatopera und 


7 


vom A0. März 1859. 245 


# Spiria zu der natürlichen Ordnung Buxaceen, und zugleich eine 
habituelle Annäherung zu den Myristicaceen, wozu der verstor- 
_ storbene Professor Kunth, der sonst in der Begrenzung von 
natürlichen Ordnungen eine bewunderungswürdige Meisterschaft 
"bekundete, sie brachte. 

Die Sectionen 3, 4 und 5 der Uniovulaten Jussieu’s bil- 


ceen bezeichne und welche in drei Unterabtheiluugen zerfällt. 
ies sind die Hippomaneen, die Acalypheen und Crotoneen, 
welche zum Theil durch den Blüthenstand, theils durch die 
Knospenlage und zum Theil durch den Entwicklungsgrad der 
Blüthenhülltheile charakterisirt werden. 

Die biovulaten Jussieuschen Sectionen 1 und 2 sind wirk- 
liche Ordnungen und von diesem berühmten Manne in einer 
eise definirt, die Respect für dessen Scharfblick einflöfst, den 
er besals. Nur der Conformität wegen, welche in den Endun- 
‚gen der Namenbezeichnung den Unterschied angiebt, ob etwas 
| Klasse, Ordnung oder Familie, und Tribus ist, möchte ich für 
Endlicher’s Buxreae Buxaceae und für dessen Pryllantheae 
Phylianthaceae substituiren. 

Ferner gehören zur Klasse Tricoccae als natürliche Ordnung 
die Antidesmaceen, welche nur einen einfächrigen Fruchtknoten 
mit ein oder zwei hangenden Eichen besitzen. 

Die Klasse der T’rreoccar, welche durch hangende Eierchen, 


die entweder einzeln oder nebeneinander zu zweien in jedem 
Fach vorkommen, durch die Trennung der Geschlechter in den 
Blüthen und durch den geraden Embryo mit blattartigen Samen- 
lappen, der im Centrum eines ölig-Nleischigen Endosperms liegt, 
‚charakterisirt sind, umfalst demnach 6 Ordnungen. 


A. Eineiige. 
1) Euphorbiaceae. Eine zwei- bis siebentheilige Hülle 
schlielst eine weibliche und eine unbestimmte Zahl männlicher 
Blüthen ein. Die Hülle (Involuerum) ist regel- oder unregel- 
mälsig. Die männlichen Blüthen besitzen nur einen 2fächrigen 
‚Staubbeutel, der mit einem abfallenden Staubfaden versehen ist, 
und mittelst einer geschlossenen Gliederung dem bleibenden Blü- 
‚thenstielchen aufsitzt. Monoecische selten dioeeische Gewächse. 


246 Gesammtsitzung 


2) Peraceae. Eine kapuzenförmige Hülle (Involucrum), 
die entweder seitlich, oder über den ganzen Scheitel in zwei 
Klappen, oder auch so aufschlitzt, dafs sie einen zurückgeschla- 
genen Lappen bildet, schlielst eine bestimmte Anzahl einge- 
schlechtiger Blüthen ein. Nicht selten finden sich zwischen den 
männlichen die Rudimente der weiblichen Blüthen. Diöcische 
Bäume, deren Zweige, Blätter und Hüllen mit glänzenden Schül- 
fern bekleidet sind. 

3) Acalyphaceae. Blüthen ein- selten zweihäusig, ohne 
Hülle (Involucrum), mit oder ohne Blumenblätter. Kelch in den 
weiblichen Blüthen stets vorhanden. Staubgefälse meist in unbe- 
stimmter Zahl. Rudimente des zweiten Geschlechtes in den normal 
entwickelten Geschlechtsblüthen fehlend. Kräuter, Halbsträucher, 
Sträucher oder Bäume. 


Zwei- selten Eineiige. 


4) Buxaceae. Blüthen zwei- selten einhäusig ohne Hülle 
(Involucrum), stets mit den Rudimenten des zweiten Geschlechts. 
Blumenblätter vorhanden oder fehlend. Bäume oder Sträucher. 

5) Phyllanthaceae. Blüthen ein- selten zweihäusig ohne 
Hülle (Involucrum), stets ohne Rudimente des zweiten Geschlechts. 
Kelch vorhanden. Blumenblätter häufig fehlend. Kräuter und 
Sträucher oder Halbsträucher, selten Bäume. 

6) Antidesmaceae. Fruchtknoten einfächrig, ein- oder 
zweieiig. Bäume oder Sträucher, wozu auch die Gattung Ere- 
mocarpus Bentham gehört. 

Was nun die eigentlichen Euphorbiaceen betrifft, nicht die 
im Sinne der früheren Autoren, welche mit dieser Bezeichnung 
die ganze Klasse Trieoccae umfalsten, sondern die sonst als 
Tribus betrachtete Gruppe Euphorbieae, so habe ich die Bear- 
beitung derselben in Gemeinschaft mit meinem Freunde und Col- 
legen Hrn. Dr. Garcke ausgeführt. Unsere Untersuchungen ha- 
ben ergeben, dals der Familiencharakter in einem 2— 7spaltigen 
Involucrum besteht, welches eine weibliche Blüthe, umgeben von 
einer unbestimmten Zahl männlicher einschliefst. Die Stiele der 
männlichen Blüthen sind bleibend, durch eine Gliederung mit 
dem aufsitzenden einzelnen Staubgefäls verbunden. Sie zerfallen 
in drei Unterabtheilungen, die Euphorbieen mit regelmälsigem 


vom 10. März 1859. 247 


‚geradem Involuerum, deren Lappen an der Spitze oder dicht 
unter derselben mit drüsenartigen Organen versehen sind. Sie 
_ ermangeln des kelchartigen Bechers an der Gliederung der männ- 
lichen Blüthe, deren Stiel von einer Bracteole gestützt wird, wäh- 
rend die weibliche Blüthe häufig einen Kelch besitzt; ferner in die 
‚Unterabtheilung Peailantheae mit unregelmälsigem schuhähnlichem 
_ lippigem schiefem Involucrum, das an der Basis aufgeblasen ist 
_ und im Grunde desselben 2—6 Drüsen neben männlichen Blü- 
then in unbestimmter Zahl eine einzelne centrale weibliche 
_ Blüthe enthält. Die männlichen Blüthen sind ganz von der Be- 
_ schaffenheit derjenigen der vorigen Tribus, nur werden sie nicht, 
x ie dort von Bracteolen gestützt, sondern dieselben befinden 
‚sich in der Peripherie des Blüthenstandes und die weiblichen 
Blüthen kommen mit und ohne Kelch vor. Bei der dritten Tri- 
bus Anthostemeae findet sich innerhalb des zweilappigen Invo- 
lucrums, deren Abschnitte nach innen, im Grunde mit einer 
Drüse versehen sind eine verkürzte Ramification. Die männli- 
chen Blüthen sind an ihrer Gliederung mit einem becherförmi- 
gen gezahnten Kelche versehen, die Bracteolen, welche in den 
beiden vorhergehenden Tribus spreuartig waren, treten hier 
blattartig auf und finden sich zerstreut, während der Kelch der 
weiblichen Blüthe krugartig, gezahnt den ganzen Fruchtknoten 
einschlielst. 

Die Euphorbieen zerfallen wiederum in zwei Subtribus, 
das heilst in solche, welche mit einem bäutigen Limbus des In- 
volucrums versehen sind, an dessen innerer Basis der Saumlappen 
‚sich ein drüsenartiges Organ in mannigfaltiger Form vorfindet, 
A.Anisophyliae und in solche, deren Saumlappen des Involucrums 
unmittelbar von dem drüsenartigen Organ begrenzt werden. 
B. Titrymalae. 

A. Die Anisophyllae enthalten acht habituelliund essentiell 
h egründete Gattungen. 

1) Anisophyllum Haw. charakterisirt durch monöcische 
sehr selten diöcische Involucra, welche mit vier oder fünf äu- 
Äseren Lappen versehen sind, die an ihrer inneren Basis flache 
 drüsenartige Organe tragen und mit den dreieckigen getrennten 
sehr kleinen, nach innen gebogenen gefranzten Einschnitten ab- 
wechseln; äulserlich sind sie kenntlich, an den gegenständigen 


248 Gesammtsitzung 


schiefen Blättern mit zwischenständigen Nebenblättern. Von 
dieser Gattung besitzt das hiesige Herbarium 51 Arten, die aus 
America, Ostindien und Nordafrica stammen und in Südeuropa, 
den Südseeinseln und auf Timor nur wenige Vertreter haben. 

2) Alectoroctonum von Schlechtendal charakterisirt 
durch schüsselförmige Drüsen der äulsern Hülllappen, getrennte 
keilförmige zwischenständige Einschnitte, einen mit geschlossenen 
Gliedern versehenen Stengel und Zweige, gegenständigen zu zweien 
oder zu vier in einem WVirtel gestellten Blättern mit hinfäl- 
ligen zwischenständigen sehr kleinen Nebenblättern und ent- 
ständigen wiederholt zwei- bis dreigabeligen Trugdolden. Ame- 
ricanische Kräuter oder Sträucher. Von dieser Gattung sind 
bis jetzt 17 Arten bekannt, zu denen Euphorbia WVrightü Torr. 
et Gray, E. dilatata Torr. et Gray, E. sanguinea Hort. Ber., 
E. scandens H. B. Kth., E viridis Herb. Ruiz, E. petiolaris 
Sims, E. nudiflora Willd., E. cotinoides Miqg., A. Scotanum 
Schlechtdl., 4. ovatum Schlechtdl., 4. Yuvalyquahkuit! Schlechtdl. 
und A. cotinifolium Schlechtdl. gehören. 

3) Trichosterigma Kl. u. Gke. charakterisirt durch be- 
cherhüllenförmige Drüsen der äulseren, gewöhnlich ausgerande- 
ten oder gekerbten und gefärbten Hülllappen, welche in einem 
keilförmigen Polster bis zur Basis der Innenwandung des Invo- 
lucrums herablaufen, sitzende ausgerandete gezähnte getrennte 
zwischenständige innere Einschnitte und linienförmige Bracteolen, 
die oberwärts mit langen Wimperhaaren, unterwärts aber kahl 
sind. Äufserlich erkennt man diese Gattung an dem strauchar- 
tigen Wuchs, an den ungegliederten Stengeln und der Zweige, 
den abwechselnden Blättern, den fehlenden Nebenblättern, den 
hinfälligen beiden Bracteen des Involucrums und den winkel- 
ständigen abgekürzten Trugdolden. Es gehören hierher folgende 
vier mexicanische und californische Arten. Euphorbia fulgens 
Karwinski, Kl. (E. jaqguiniflora Hooker sen), E. californica Benth,, 
E. misera Benth. und E. Hındsiana Benth. 

4) Eumecanthus Kl. et Gke. charakterisirt durch die 
zwischenständigen Einschnitte des Involucrums, welche unter- 
wärts verwachsen und am Rande gefranzt sind, durch pfriemen- 
förmige kahle Bracteolen durch krautartige ungegliederte Stengel 
mit gabelförmigen Verästelungen und gegenständige nebenblatt- 


vom 10. März 1859. 249 


lose oberwärts in Wirtel gestellte Blätter. Zu dieser Gattung 
gehört Euphorbia ariensis U. B. Kth., Eumecanthus Benthamia- 
nus Kl. et Gke. (Euphorbia ariensis Benth. in pl. Hartw. nec 
MH. B. Kth.), Euph. arenaria H. B. Kth. nec Nuttall und Eupn. 
triphylia Hb. Willd. n. 9316. 

5) Tithymalopsis Kl. et Gke. charakterisirt durch die 
äulseren Lappen des Involucrums, welche verkehrteiförmig fast 
kreisrund, verhältnifsmälsig grols, weils gefärbt und an der in- 


durch die sehr kleinen zwischenständigen getrennten eiförmigen 
"gefranzten Einschnitte, durch krautartige oder verholzte unge- 
gliederte Stengel und Zweige, die an den Spitzen quirlförmig 
zertheilt sind, nebenblattlose abwechselnde Blätter und gipfel- 
Ständige zuweilen achselständige vielstrahlige Schirme, die von 
quirlförmigen Blättern gestützt sind. Hierher gehören Euphor- 
Dia corollata L. und eine vom Dr. Cabannis in Florida ge- 
sammelte Art Zirhymalopsis angustifolia Kl. et Gke. 

6) Dichrophyllum Kl. et Gke. charakterisirt durch sehr 
grolse Invelucra mit ebenfails sehr grolsen kreisrunden gefärbten 
eren Lappen und sehr kleinen zwischenständigen keilförmigen 
n der Spitze abgestutzten und gefranzten Einschnitten. Sten- 
gel und Zweige sind stielrund, oberwärts gabelig-verästeit. Die 
Blätter sind abwechselnd oder fast gegenständig, oberwärts sehr 
rängt und weils gerandet und haben pfriemliche abfällige 
Nebenblätter. Die Involucra sind entweder winkelständig und 
einzeln oder gipfelständig und gedrängt. Hierher gehören nur 
3 Arten. Euph. marginata H. B. Kth., Euph. bicolor Engelm. 
nd Gray und Euph. variegata Coll. Herb. Berlandier n. 1779. 
7) Leptopus Kl. et Gke. eine südamericanische Pflanzen- 
ttung mit äulserst dünnen stielrunden ungegliederten etwas 


tehenden abwechselnden langgestielten nebenblattlosen zarten Blät- 
ern, die nach oben gedrängt stehen und dann quirlfömig er- 
eheinen, sehr kleinen glockenförmigen Hüllen, die gewöhnlich 
n gipfelständige Trugdolden geordnet sind, tiefgespaltene äufsere 
Lappen und sehr kurze eingebogene zwischenständige Einschnitte 
ven. Es gehören hierher Euph. adiantoides Lam., Euph. ocy- 
oides L., und 4 neue Arten, Leptopus brasiliensis Kl. et Gke. 


250 Gesammtsitzung 


aus Brasilien, Zeptopus Poeppigii Kl. et Gke. aus Peru, Lepto- 
pus orinocensis Kl. et Gke. vom ÖOrinoco und Leptopus sego- 
viensis Kl. et Gke. aus Centralamerica. 

8) Adenopetalum Kl. et Gke. ist charakterisirt durch 
krautartige Arten mit ungegliederten stielrunden Stengeln und 
Zweigen, welche an den Verästelungen gestieite becherförmige 
Drüsen tragen, langgestielte zarte nebenblattlose-unterwärts ab- 
wechselnde-oberwärts gegenständige Blätter haben und sehr 
kleine Hüllen besitzen, die achsel- oder endständig geordnet sind, 


deren äulsere Hülllappen verkehrteiförmig an der inneren Basis 
mit schwärzlichen becherförmigen Drüsen und zwischenständigen 
und geschlitzten scharfgezahnten zarten Einschnitten versehen 
sind. Hierher gehören Euph. picta Jacquin (E. Humboldtü 
Willd.), Euph. sphaerorhiza Benth., E. graminea L. und 8 neue 
centralamericanische Arten, Adenopetalum pubescens, A. Hoff- 
manni, A. boerhaaviifolium, A. subsinualum, A. bracteatum, A. 
pubescens, A. Oerstedi, A. discolor und A. irasuense Kl. et Gke. 

B. Die Tizhymalae, deren äulsere Lappen des Involu- 
crums von dem drüsenartigen Organ begrenzt werden, enthalten 
7 Gattungen. 

1) Euphorbia L. Involucrum glockig, an der Spitze 
5—7spaltig, häutige zwischenständige Einschnitte eingebogen, 
tief gefranzt, äulsere Lappen in eine halbkreisrunde oder fast 
viereckige meist flache Drüse endigend. Bracteolen der männ- 
Blüthe unten breit, an der Spitze tief gefranzt. Cactusartige 
meist blattlose Gewächse mit eckigen Stämmen und Zweigen, 
deren Höcker gewöhnlich Stacheln tragen und auf den canari- 
schen Inseln, Ostindien, besonders aber in Südafrica zu Hause 
sind. 

Hierher gehören 1) E. offieinarum L., 2) E. erosa Willd., 
3) E. canariensis L., 4) E. grandidens Haw., 5) E. grandifolia 
Haw., 6) E. heptagona Willd., 7) E. polygona Haw., 8) E. 
Hystrix Willd. (Treissia Hystrix Haw.), 9) E. triacantha G. 
Ehrenb, 10) E. triaculeata Forsk., 11) E. nerüfolia L., 12) E. 
Nivulia Hamlt., 13) E. Caitimando W. EIl., 14) E. trigona 
Roxbg., 15) E. tortilis Rottl., 16) E. antiyquorum L., 17) E. 
mammillaris Willd., 18) E. coerulescens Haw., 19) E. angularis 
Kl. (Mossambique) und 20) E. adyssinica Räusch. 


h vom 10. März 1859. 251 


2 2) Medusea Kl. et Gke. (Medusea et Dactylanthes Haw.), 
_ Involucrum glockig oder kreiselförmig, an der Spitze 4— 5spal- 
tig, an der Basis von 2 gegenständigen Bracteen gestützt, äu- 
Ssere Lappen drüsenartig, auf den Innenflächen fein porös, an 
der Spitze kammförmig - eingeschnitten; zwischenständige Ein- 
schnitte aufrecht oder abstehend, an der Spitze fast abgestutzt 
a nd gewimpert. Bracteolen der männlichen Blüthen linearisch, 
bis zur Basis gefranzt. Fleischige cactusartige einfache oder ver- 
gelte unbewehrte capische Gewächse, die entweder blattlos oder 
unterwärts mit Schuppen und oberwärts beblättert sind. Hierzu 
zählen 1) M. tridentata Kl. et Gke. (E. tridentata Lam., E. ana- 
cantha Ait., M. anacanıha Haw.), 2) M. mojor Haw. (E. caput 


Z. 


Medusae « Ait.), 3) M. zuberculata Kl. et Gke., 4) M. globosa 
4 l. et Gke., 5) M. patula Kl. et Gke. (Dactylanthes patula 
Haw.), 6) M. hamata Kl. et Gke. (Dactylanthes hamata Haw.), 
M. procumbens Haw., 8) M. fructus pini Haw. und 9) M. 
tessellata Haw. 
3) ArthrothamnusKl.et Garcke, Involucra klein, von 
2 Bracteen gestützt, glockig, 5spaltig und diöcisch, äufsere Lap- 
pen drüsenartig, kreis- oder halbkreisrund, abstehend; zwischen- 
tändige Einschnitte eiförmig gespitzt, gewimpert, häutig und 
aufrecht. Capseln sitzend. Capische gabelförmig verästelte Sträu- 
cher, deren Hauptstamm ungegliedert, die Zweige aber gegen- 
ständig und gegliedert sind. Die Blätter schuppenförmig, gegen- 


ständig, sitzend, zu beiden Seiten mit einer Drüse versehen. 


Hierher zählen 8 Arten, 1) A. Tirucalli Kl. et Gke. (Eu- 
phorbia Tirucallı L.), 2) A. brachiatus Kl. et Gke. (E. brachiata 
B. Meyer), 3) 4. Burmanni Kl. et Gke. (E. Burmanni E. 


Ecklon, n. 23, 24 et 25), 6) A. scopiformis Kl. et Gke., 7) A. 
Bergü Kl. et Gke. und 8) A. cymosus Kl. et Gke. 

4) Tithymalus Scop. Involucra glocken -kreiselförmig, 
an der Spitze 4—5spaltig, Lappen drüsenartig, kreisrund oder 
jalbmondförmig- gehörnt; zwischenständige Einschnitte häutig, 
€ förmig, eingebogen. Bracteolen der männlichen Blüthen lan- 
zeitförmig, gewimpert. Kräuter, Sträucher oder Bäume, wehr- 
los, fast über den ganzen Erdball verbreitet, besonders aber in 
 [1859.] 18 


252 Gesammtsitzung 


den gemälsigten und warmen Gegenden der alten Welt zahl- 
reich vertreten. Blätter wechselnd, sehr selten gegenständig, 
gleichbreit, nebenblattlos, die den doldenartigen Blüthenstand ein- 
schlielfsenden in Quirlen. 

Diese Gattung zerfällt in zwei Sectionen: a 

a. Galorrheus Kl. et Gke. (Galorrheus Haw., Euphorb. 
sect. Tithymalus Koch). Drüsenlappen des Involucrums kreis- 
rund oder länglich mit 106 Arten. 

b. Esula Roeper (Esula Haw.), Drüsenlappen des Invo- 
lucrums halbmondförmig oder zweihörnig mit 115 Arten. 

5) Sterigmanthe Kl. et Gke. Cactusartige verästelte 
ungegliederte Gewächse mit afterblattständigen Stacheln und ab- 
wechselden häutigen Blättern. Involucra glockenförmig, von 2 
grolsen hochrothen bleibenden, an der Basis verwachsenen Brac- 
teen gestützt, an der Spitze öspaltig, äufsere Lappen dick, drü- 
senartig, verkehrt-eiförmig, an der Spitze abgestutzt und nieren- 
förmig ausgebogen, an der Basis verdünnt; zwischenständige Ein- 
schnitie gefärbt, fächerförmig, aufrecht, an der Spitze ungleich 
gezähnt. Die gegabelten Trugdolden sind gestielt und achsel- 
ständig. Hierher gehören 2 Arten, die auf den ost-africanischen 
Inseln einheimisch sind, nämlich Euphorbia Bojeri Hooker und 
E. splendens bojer ex Hooker. 

6) Euphorbiastrum Kl. et Gke. Ein verästeltes Kraut 
mit stielrundem ungegliedertem Stengel und Zweigen und ab- 
wechselnden langgestielten nebenblattlosen Blättern. Die Invo- 
lucra sind kreisellörmig, mit 5 äufseren Lappen, welche aufrecht, 
drüsenartig, verkehrt- eiförmig, auf der Innenseite mit sehr klei- 
nen sechsseitigen Poren versehen, an der Spitze abgestutzt und 
an der Basis verdünnt sind; die enischäisöindigbn Einschnitte 
sind häutig, keilförmig, an der Spitze abgestutzt und sechszühnig. 
Blüthenbüllen von rauschenden gegenständigen spatelförmigen 
stachelspitzigen gekielten Bracteen eingeschlossen, einzeln an den 
Enden der Zweige in den Winkeln der Blätter. Nur eine Spe- 
cies ist von dieser Gattung bekannt, Euphorbiastrum Hoffınan- 
nianum Kl. et Garcke, welche der Dr. Carl Hoffmann in 
Costarica entdeckte und an das hiesige Herbarium sandte. 

7) Poincettia Graham, Involucra glockenförmig, an der 
Spitze fünfspaltig, zwischenständige Einschnitte halbkreisrund, 


h vom 10. März 1859. 253 


Be äufserlich mit 1—Skraterförmigen Drüsen verse- 
. Minnliche Blüthen von franzenartig eingeschnittenen Brac- 
teolen gestützt. Nord- und südamericanische Kräuter oder Sträu- 
cher mit ungegliedertem Stengel und Zweigen, abwechselnden 
nebenblattlosen Blättern, gewöhnlich schöngefärbten Floralblät- 
tern und endständigen gedrängten Trugdolden. Hierzu zählen 
folgende Arten. 1) P. puicherrina Graliam, 2) P. geniculata 
Kl. et Gke. (E. geniculata Ortega), 3) P. pedunculata Kl. in 
Seemann’s Voy., 4) P. punicea Kl. et Gke. (E. punicea Sw.), 
3) P. frangularfolia Kl. et Gke. (E. frangulaefolia H. B. Kth.), 
6) P. Schiedeana Kl et Gke., 7) P. dentata Kl. et Gke. (E 
dentata Michx.), 8) P. Ruiziana Kl. et Gke., 9) P. zalapensis 
Kl. et Gke (E. xalapensis H. B. K.), 10) P. insulana Kl. et 
‚Gke. (Brasilia), 11) 2. Zancifolia Kl. et Gke. (E. lancifolia 


Schlechull), 12) P. Oerstediana Kl. et Gke. (Ins. St. Thomas), 


Morisoniana Kl. et Gke. (E. Morisoniana Kl. in Seemann’s Voy.), 
5) P. cyathophora Kl. et Gke. (E. cyathophora Murr.), 16) P. 
Pprunifolia Kl. et Gke. (E. prunifolia Jacq ), 17) P. Edwardsü 
Kl. et Gke. (E. cyathophora Edw. nec Murr.), 18) P. radians 
Kl. et Gke. (E. radians Benth.). 

Von der zweiten Tribus Pedilantheae, die sämmtlich ame- 
jeanischen Ursprungs sind, konnten nur 3 Gattungen unler- 


1) Pedilanthus Necker, charakterisirt durch die 4 Drü- 
a im Grunde des schuhförmigen Involuerums hat 8 Arten: 
1) P. tithymaloides Poit. (E. tithyrnaloides L., E. myrtifolia Lam., 
Crepidaria myrtifolia Lam., E. carinata Donn, E. canaliculata 
Lodd.), 2) P. padifolius Poit., 3) P. angustifulius Poit., 4) P. 
Parasiticus Boiss. (Hb. Pavon), 5) P. anacampseroides Kl. et Gke. 
E. anacampseroides Descourt.), 6) P. Oerstedii Kl. et Gke. (Cen- 
tralamerica), 7) P. aphylius Boiss. (Hb. Pavon) und 8) P. rezu- 
sus Benth. 
> 2) Hexadenia Kl. et Gke. Diese Gattung, welche an 
den 6 Drüsen kenntlich ist, welche sich im Grunde des Invo- 
ums befinden, wird nur durch eine von Bentham unter dem 
Namen Pedilanthus macrocarpus beschriebene, aus Californien 
stammende Art repräsentirt. 
18° 


254 Gesammtsitzung 


3) Diadenaria Kl. et Gke., die aus Neuspanien stammt, 
und sich durch grolse gegenständige hüllenartige Bracteen, die sich 
oft wiederholen, durch einen gabeligen Blüthenstand und 2 Drü- 
sen im Grunde des Involucrums unterscheidet, enthält 1) D. in- 
volucrata Kl. et Gke. (Hort. bot. Berol.), 2) D. psilocarpa Kl. 
et Gke. (Hb. Berol. et Hb. Boiss. sub Pedilantho tithymaloide 
Dill.) und 3) D. Pavonis Kl. et Gke. (Herb. Boiss.). 

Von den Anthostemeen, welche die dritte Tribus der Eu- 
phorbiaceen bilden und die nur die Gattung Anthostema ent- 
hält, von der 2 Arten bekannt sind, haben wir nur die vom Se- 
negal, aus dem Herbarium des Hrn. A. de Candolle zu unter- 
suchen Gelegenheit gehabt. 


Hierauf las Hr. J. Grimm über die göttin Tanfana. 
Neulich ist durch überraschenden fund zu Wien ein kleines, 
wahrscheinlich erst im zehnten jh. niedergeschriebenes, aber sei- 


nem inhalt nach offenbar unserm heidenthum angehöriges denk- 
mal zu tage gekommen und so eben im 29 band der sitzungsberichte 
der kaiserlichen akalemie von Zappert herausgegeben worden. 

an umfang zwar geringer als die zu Merseburg entdeckten heid- 
nischen sprüche darf es einen noch höheren werth in anspruch 
nehmen und wird die altdeutsche mythologie vielfach bereichern. 
es ist ein gesang zum einschläfern der kinder, gleichsam das vor- 
bild bis auf heute unter dem volk fortlebender, nur abgeschwäch- 
ter wiegenlieder, in einfacher, fast zu glatter darstellung. statt das 
ganze gedicht schon hier zu wiederholen und erläuterungen bei- 
zufügen, deren eine menge versucht werden könnte, hebe ich 
eine einzige, unter allen die wichtigste zeile aus, die uns einen 
seit Tacitus verschollenen götternamen plötzlich wieder vor au- 
gen führt. 

Der römische geschichtschreiber schildert im ersten buche 
seiner annalen cap. 50 den barbarischen, grausamen heerzug, 
welchen vom Niederrhein aus, im jahr 14 unsrer zeitrechnung, 
Germanicus mit Caecina gegen die Germanen dieses landstrichs 
unternahm, es müssen Bructeri und deren verbündete, etwa 
Tencteri, Usipetes und Marsi gewesen sein. die feinde drangen 


vom 10. März 1859. 255 


durch den Heisiwald '), die silva Caesia, vor, überfielen nachts 
die nach einem eben gefeierten fest, dessen kunde den Römer 
verrathen worden war, sorglos schlummernden Deutschen, mach- 
ten ohne schonung alles nieder und verheerten planmäszig die 
ganze gegend: non sexus, non aetas miserationem attulit, pro- 
fana simul et sacra et celeberrimum illis gentibus templum, quod 
Tanfanae vocabant, solo aequantur, sine’ vulnere milites, qui semi- 
somnos, inermos aut palantes ceciderant. Hier, nur dies einemal 
ist die göttin, deren tempel dem boden gleich gemacht wurde, 
genannt, in der allgemeinen schilderung der Germanen bleibt 
‚sie unerwähnt. 

Doch auch eine oft abgedruckte interamnatische inschrift ” 
enthält die worte “Tamfanae sacrum’, allein sie gilt für erlogen 
und von Ligorius, einem verrufenen fälscher ausgedacht, der den 
namen bei Tacitus gelesen und für seinen zweck verwendet ha- 
‚ben müste. ich überlasse andern zu entscheiden, ob der sonslige 
"inhalt der inschrift gebieterisch ihre unechtheit dargibt, wo dies 
nicht der fall ist, kann sie aus dem namen Tamfana nicht her- 
vorgehen. es hält schwer in solchen fällen einmal erhobnen ver- 
dacht zu tilgen und jeder ist gewohnt ihn dem andern nachzu- 
sprechen. mir scheint, inschriftenschmiede werden in ihrem ma- 
‚terial wahres und falsches untereinander vor sich gehabt haben, 
sonst wäre ihr unseliges handwerk gar nicht ergangen, und viele 
‚alte steine sind im verlauf der zeit abhanden gekommen, so dasz 
"nicht nachverglichen werden kann. übrigens weicht Tamfana 
von Tanfana bei Tacitus ab, aus der inschrift wäre immer zu 
lernen, dasz der name bestimmt auf eine götlin geht, nicht auf 
‚den tempel, von dem ihn einige ausleger verstehen wollten, und 
dasz der göttin cultus verbreiteter gewesen sein musz. Marcus 
Appulejus Paetulus decurio interamnensis konnte in Deutschland 
‚gewesen sein und irgend eine ursache haben der Tamfana noch 
in seiner heimat zu gedenken. denn genug beispiele begegnen, dasz 
die Römer gallischen und germanischen göttern tafeln weihten. 
Aber hiermit ist es für die entwerthung des alten namens 
noch nicht abgethan, Müllenhoff hat ihn auch unter die verderb- 


*) vgl. Bekkers jahrb. des deutschen rechts 1, 261. 
?) z. b. in de Wal monum. epigr. p. 188 no. 261. 


256 Gesammtsitzung 


ten namen bei Tacitus gestellt, erklärt also die an ihm versuchten 
etymologien im voraus für unmöglich. andere werden jetzt schon ge- 
neigt sein, das nunmehr auftauchende altdeutsche lied blosz dieses na- 
mens wegen anzuzweifeln, auch an weitern zweifelsgründen wird 
es nicht gebrechen. 

Ich meinestheils, mehr gestimmt an wahrheit als an trug zu glau- 
ben, halte den namen Tanfana für vollkommen echt und für ein 
wunderbares glück, dasz, während er bei allen deutschen volksstäm- 
men untergegangen war, ihm so unerwarlete bestätigung angedeiht. 

Das denkmal ist nicht in der mundart abgefaszt, welche ich 
die strenghochdeutsche nenne, sondern in einer weicheren west- 
lichen, die neben hochdeutscher aspiration auch noch die alte 
aspirata th in themo, wurgianthemo für strengahd. media und 
tenuis festhält. über das z in Zanfana werde ich mich gleich 
erklären. der dialect erscheint mir als ein solcher, wie er zur 
zeit des neunten, zehnten jahrhunderts im rheinischen Franken, 
also unfern von jenem uralten heiligihum der 'Tanfana könnte 
gesprochen worden sein. 

Vor allem sei nun eine neue deutung des namens vorgelegt. 
es kommt dabei auf das anlautende T und das inlautende NF 
an. überall wo die Römer im anlaut deutscher wörter T schrei- 
ben, liegt deutsches TH unter, so in Teutones, Teutoburgium, 
Tencteri, Tungri, folglich auch in Tanfana und dem entstellt 
aussehenden Tuisto, wo Lachmanns Tvisco = bimus gar nicht 
gebilligt werden kann, so wenig als Tivisco = caelestis. liesze 
sich die lesart zweier handschrilten Tristo zur gewisheit erhe- 
ben, so läge die erklärung Thristo, der kühne, starke in aller nähe, 
alts. entspricht thristi, ags. priste unserm heutigen dreist, das 
ahd. nicht verzeichnet wird, ältere abweichende bedeutungen blie- 
ben unausgeschlossen, wie sie sich für einen erdgebohrnen gott 
schicken. ja selbst das lat. tristis fiele hinzu, das nicht nur maestus, 
sondern aus severus, saevus aussagt. auch an goth. prafstjan 
trösten und die namen Thrafstila, mhd. volkes tröst liesze sich 
denken. dies alles hier nur beiläufig, ich habe es mit Tanfana zu thun. 

Deutsches NF oder MF ist doppelter art. entweder steht 
es zur seite gothischem NF, MF, z. b. in hanfs mancus, fimf 
quinque, die ahd, ebenso lauten müssen banf, finf; oder gothi- 
schem MP = ahd. MF, MPH. diese goth. MP haften auch alts. 


vom 10. März 1859. 257 


und ags., während in beiden letzteren mundarten vom goth. NF 
das N ausgestoszen und mit verlängertem vocal häf, fif gespro- 
chen wird. ein gothisch erfasztes Thanfana hätte ahd. zu lauten 
Danfana, alts. Thäfana (Thäbhana), ags. Thäfene. 

Nun fällt unmöglich Thanfana aus den gothischen, Danfana 
aus den hochdeutschen, Thäfana aus den altsächsischen quellen, 
die uns alle sparsam flieszen, gegenwärtig zu deuten. nur der 
reichere angelsächsische sprachvorrat geht uns willkommen zur 
hand. er allein überliefert ein auch im späteren englisch erloschenes 
verbum päfian, gepäflan, welches goth. panfjan, gapanfjan, ahd. 
denfan, gidenfan lauten würde, und consentire, juvare, favere 
aussagt. das substantivum päfa oder gehäfa bedeutet fautor, ad- 
jutor, ein entsprechendes femininum päfene würde aussagen fau- 
trix, adjutrix und wir sind unmittelbar zu Tanfana, dem namen 
einer holden, günstigen, gnädigen göttin gelangt, der in ahd, 
Danfana zu übersetzen wäre. auf bructerisch oder marsisch würde 
er nicht anders als Thanfana gelautet haben, das die Römer voll- 
kommen richtig durch 'Tanfana wiedergaben. MF wäre wol 
befugt, wie in fimf= finf, auch in Tamfana, Thamfana, Dam- 


fana einzutreten. 


Wie aber zu fassen ist die uns nunmehr überlieferte gestalt 
Zanfana? Z musz überall und nothwendig als fortgeschobne te- 
nuis betrachtet werden, alle unsere heutigen Z sind aus den T 
‚der frübern lautstufe herzuleiten, ihnen aber läszt sich die aspi- 
rata von Zanfana nicht gleichstellen, da sie nicht auf gelehrtem 


wege auf das lateinische Tanfana zurückzuführen sein wird, viel- 


‚mehr volksmäszig aus deutschem Thanfana selbst geworden sein 
musz, wahrscheinlich schon in sehr früher zeit. man erinnere 
sich aus Gregorius turonensis 5, 44, dasz bereits im sechsten 
jb. könig Chilperich Z für TH einführen wollte, und die lis- 
pelnde aussprache des griechischen ©, des altnordischen, angel- 
sächsischen und noch englischen TH nähert sich unmittelbar der 
des hochdeutschen Z. man erwäge, wie ich in meiner geschichte 
der deutschen sprache p. 395 anführe, dasz der nordische name 
Thorgils in alemannischen klöstern Zurgils geschrieben wurde, 
‚50 ein Z steht auch in Zanfana für Thanfana und die übrigen Z 
des wiegenliedes in läzan, feiziu, suoziu, unza sind anderer art, 
nemlich die gewöhnlichen aus T lautverschobnen. alle diese z 


258 Gesammtsitzung vom 40. März 1859. 


der handschrift haben eine ungewöhnliche auffallende gestalt. Z in 
Zanfana ist nicht verschoben, nur eine andere schreibung für Th, 
das in themo daneben auftritt. mir fiele wol unser bisher dunkles 
mhd. zäfen, ornare, comere ein, ob es für zanfen, gleich dem ags. 
päfjan stehn könnte? aber ein zanfen, zenfen und die bedeutung 
von consentire, favere wäre erst auf zu weisen. wie wenn der 
malbergische name des mittelfingers thaphano, taphano comis, fa- 
vens das gerade gegentheil vom späteren indecens, impudicus 
bei den alten Franken besagt hätte? 

Der vers im liede lautet: 

Zanfana sentit morgane feiziu scäf cleiniu, 

Zanfana sendet morgen fette kleine lämmer (den einschlafenden 
kindern), in dem hain um ihren sitz hatte die götlin schafe wei- 
den, sie ist, wie das wort selbst ausdrückt, hold und hilfreich 
(comis, favens, benigna), ihr name gemahnt an die gleiche bil- 
dung von Huldana, wenn so das Hludana einer andern berühm- 
ten steinschrift geändert werden mag, und von Berhtana, nach 
altfränkischer namensform; im verlauf der zeit kürzten sie sich 
in Holda und Berhta, nicht unmöglich, dasz Zanfana in Stempfe 
entstellt wurde, falls die späte überlieferung?) wirklich so lau- 
tete und nicht geradezu Zenfe darbietet. 

Fällt nun mit dieser auslegung der uralten, beglaubigten 
Tanfana eine früherhin versuchte nieder, nach welcher sie zu 
Vesta oder Hestia gehalten wurde? das könnte gerade noch 
neuen schein gewinnen, und auch einen altnordischen namen in 
den kreis der uutersuchung ziehen. ich will aber den günstigen 
eindruck, wie ihn das augenscheinliche und sichere macht, jetzt 
nicht verwischen dadurch dasz ich weiter greifende, anklingende, 
ihrer natur nach unentschiedne mythische und sprachliche ver- 
hältnisse beifüge. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 
Memorie dell’ I. R. Istituto lombardo di scienze. Vol. VII. Fasc. 8. Mi- 
lano 1859. 4. 
Maurokordato, Asoxiniov ieropiaev men Tüs pocainäs vonoberias. Athen 
186570. 10: 
Congres seientifique de France. 26me Session. Limoges 1859. 4. 


*) deutsche mythologie s. 256. 


Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 14. März 1859. 259 


Verhandlungen des naturhistorischen Vereins der preu/sischen Rheinlande. 
Jahrgang 14. 15. Bonn 1857. 8. 
Societe philomathique de Paris Proces verbaux de 1858. Paris 1858. 8. 
Proceedings of the Royal Geographical Society of London. London 
1859. 8. 
Journal of the Asiatic Society of Bengal. no. 268. Calcutta 1858. 4. 


Nachdem verschiedene minder erhebliche Geschäfts - Angele- 
genheiten erledigt waren, trat die hierzu einberufene Wahlver- 
sammlung in Thätigkeit und ernannte Hrn. Wurtz in Paris 


zum correspondirenden Mitgliede der Akademie im Fache der 
Chemie. 


B4 März. Sitzung der philosophisch-hi- 
iy storischen Klasse. 


Hr. Parthey las über die Erdansicht des Geogra- 
phen von Ravenna. 


| 
# 
Hr. Bekker trug zahlenverhältnisse vor, die er an 
dem Homerischen versbau beobachtet hat. 


gi 1% 
a In der ersten stelle des hexameters ist der daktylus häufiger 
als der spondeus. A hat (in den ausgaben vor meiner letzten) 
389 daktylische versanfänge gegen 222 spondeische, B 501 gegen 
376, T 316 gegen 145, A 324 gegen 220. woher dies über- 
gewicht des dreisylbigen fufses? allein daher dafs die Griechische 
sprache überhaupt mehr daktylische als spondeische elemente bie- 
‚tet. vorliebe zeigt sich eher für den spondeus. um den in die 
erste stelle zu bringen wird vorlieb genommen mit der schwäch- 
‚sten thesis, längen blos durch angehängtes v oder durch position 
einer muta mit g gebildet (Erriv Fo, EiTıv jaev, Ösigev ö2, upsev 
.ö8, mar AEv ÖeEıreor, m&sıw KumAuressı, Tolsıv Ö8, Towsw dt, @r- 


x m - Sy ' x m x 
Au Xen, FÜ ve on, arı de meöc9” immuv, NÖE Aolsen, moü ÖdE 


260 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


m 2 . . . 2 ’ 
vyös Ertyze), wird keine zusammenziehung gescheut (dasgwv, Seot- 
’ wo ’ ’ 
cv, AeEWuEroG, Fuzear, Yarzeor, Ödevögewv, #eodewv, STr,IEwv, UMEwv, 
AAN Euinev, ovz arovsı) und kein hiatus, weder in dem fulse selbst 
DW] a 6) 3 > BN, Ei P.\ EN N >» n ” m 
(n vö% 1 0,9 00,9% @AAov, 9 AUTOS, 9 VIOs, TU Ev, TW OU, Zeü 
u 
arrcı re Seor) noch gegen den folgenden fuls (dauvg &Iavarous, 
1% ” m - 69 m \ v. 
Yadı aAAorTıV, vu evSe, mEIoE WS, HEITIaı AAN , MrvasTar oUds, EAzEL 
3 ‚ > ’ m aa ıE 3 ’ Ey SER 325; m 
OU, guygsi Argos, ragßei ouods, TevGe aoayTas, ZuwTeu el, W Yonu 
u u: [73 Fu. ’ 67 E} 5 > \ 6 \ 
oUrw, Asvzor Ev, Immo auros, auroU Eis, QwoU auTap, anpol Ebe- 
gurau, üNoü ws). hat ein wort zwei formen, eine daktylische 
und eine spondeische, so kehrt es die spondeische hervor für 
. - . . ’ , 2 
die erste stelle. darin lesen wir nicht ayyeSı ro vbosı 
sondern, mit höchst wenigen ausnahmen, «yxou rnr00 vünbov, 
. N 7 . 7 . m ı 
nicht Yvıas sondern yvıc, nicht Yowı sondern How, nicht i4,Ivas 
sondern ix. Süs, nicht xsisssıw auporssns oder yersesıw dIavarycı 
IX,Zvs, nicht Aeizssıv arıborepn Aergeriv N 
sondern Weloese” aboreens und Weloess aIavarnrıw. ebenso 
D 3.3 ’ ’ a 4 . ’ ’ > 
Yepriv T ambapowvro und Xeasıv T 4rraegovro, nicht AEgETI 7 
> ’ ’ 7 > > 4 . 3 4 
ampacowvro oder xeıgert 7 Yomagovro. desgleichen &v ozersı, 
. > ’ EN - x . en 
nicht aber Zv omzesı, Züv zewfrw vyurı, nicht zevegrw. fer- 
. . . . y 7 . 7 
ner vom verbum im indicativ yszew size und nicht y72sev, 
BES u v ’ . m u ” ’ A $ J 
nö noet yreı MOLEL und nicht n [273 noeE Nree TOIEE. ©: tdevov, 
. er ” ’ ’ ’ 7 ’ ’ 
nicht zgevov. EI@ vWUR TIA® (bar und YMuv FToAawv ı(borrwv 
nirgend mit aufgelöstem & oder w. Öyouv, nicht aber, was dem 
. * \.« .. Vf .. . [3 
particip Öricwv entspräche, Örcov; für das particip selber steht 


EIN T HE 


- Nm . . ’ v e)7 ’ ’ on! 
P 65 Öysv. und im imperativ aygeı aureı Sure Quyoeı Tapseı 


Se e wm > BER fü u 2 er & 4 an g 
GIWELT wWYBEr RIQEıTW ur wrypee ALTEE NFEe TÜAQTEE AIVEET u= 


acer aigserw. infinitive auf sur, wie Qaarsıv Qwew, hat in der 


ersten stelle die Ilias 46, die Odyssee 44, auf enev, wie Öwss- 


zu veupenev, jene 4, diese 15. Ösıöw steht 11 mal in der ersten 
\ ( , .. 
stelle, deiöıe 1 mal (P 536), Öaivuvr 9 mal, eisvar 2 mal. über- 
all z6v S Zusler Ersıra, nirgend r0v Ö arausıler Ersıra, trotz 
{ 5 M 
. - N ’ ’ 
dem vielmaligen röv ö° dransıBensvos wgosedy und amapeıßero 
’ ’ 1 > > ’ x 3 ’ . 
Dwvyrev re. Bosz Ev Ileozwrn und oras &v mersosw, nicht 
. \ n 
aber vi Meozwrn und Eve uersorsw. endlich &v vyurı yAapvofrı, wo 
B LS, , sh 
vyuaiw Evi yAaıpugfse von dem sonstigen vjas Em yYAapvgas oder 
vias dv yAcıbvges gefordert schien. ähnlich &v v7 6° &Qdondrn 
u. „N 3 4 
für &v de 79 &ßdomern. 
solcher neigung zum spondeus bequemen sich denn auch, 
so leicht wie billig, manche an sich zweifelhafte formen, die 


vom 14. März 1859. 2361 


Ei. z. b. der dritten declination im Bann die meist drei- 
sylbig sind in handschriften und ausgaben, "Agsı arte yrgaı ) 
Ayyaı Azeı Eee waer = zarreı Aare advrsı mevSeı mr4 Ze 
o:Se oryIer vier?) grau ygureov müssen wir zweisylbig spre- 
"shen in Aavssov cu und xgursov Auyvov: warum sollen 
wir es anders sprechen in Ygurson ovd” und Rt Kt 
‚oder warum soll «pgsov öde or Ser und weeov Ö” Zv (A 282, Z 
116) nicht iosalagpheod sein für dwwsov we und dweonev (1 384 
388), für Smipsov evS@ (e 73), verzeor öv (M 268), moicov dog 
a 147), wzveov dhorsgon (1 155)? 

2 anhangsweise ein paar worte über die kürzen womit einige 
ster anzufangen scheinen. 

® d:« mit bald langem bald kurzem « (dız new drmidos 7rIe 
— za dia Swgrzos) steht in einer reihe mit dysv mgosSev 
{313 neben aygtou cv A106, ’Aszrymioö öVo B 731 neben 
"Aszıymıoo viov A194, avebroü neben avaVicv, Öirpıros neben dgyt- 
dur.os, Öroryevts neben Örorgebes, 7va erovraı N 103 neben Fra vavre 
8363, ravSy ws 9 595 neben Suuos iadv&y W600, Diov 7g0- 
S Trrou EEaramafcı, ieoet zer neben ieonv 
Eraroulyv, mEmIuyoV 7 imarıv ® 363 neben dvrosSev indrıv 
1262, frası B 283 neben Yrası B 211, zammesev &v zovim ne- 
” ben MavSyrav de zovin, aurag Ö wyvıe A 488 neben ’Ayuıdsüc ur- 


neben Eoya riov W705, For yzorl A696 neben rgi’nzcst #19. so wan- 
elbare quantität, auch an den übrigen vokalen unschwer nach- 
zuweisen, mag uns verwundern, muss aber unangetastet bleiben. 


fr E 


er hat neulich sußcrsıw geschrieben für sußorıe: mit glei- 
chem recht u man Ösı« schreiben, d. h. mit gleich täppi- 


17 


*) ia (und dira x£on o&ra), wie noch immer geschrieben wird, ist, 
bei der unbestrittenen kürze des , nicht verständiger als Teige oder dudd, 
yıpa ümo Ara wie teige uno Tpsw. 

*) für viea wird überall viöy eintreten können, wie es steht E 154, M 


8, 5 490. 


262 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


fast noch mehr als in dı« fällt das lang gebrauchte : in | 
pire auf (Bire zacsıyvyre), einmal weil es gar leicht zu umgehn 
war, durch aurozesıyvyre etwa oder & Pir aderpsıe oder 79a 
zedaAy oder dirrart nor yvwrWv, und also zeigt wie wenig be- 
denklich dergleichen abweichung von der gewöhnlichen aussprache 
dem sänger schien, sodann weil der darum nöthig gewordene 
circumflex das auge um so mehr befremdet je üblicher und noth- 
wendiger der acut ist, nothwendig schon darum weil sich diros 
zu DirroMeı verhält wie veuriros zu vevriAAone, ZuriAog moIziAog 
zu zWrAw ToiAw, aioros zu low, Yyoyyuras ErgoyıyVAog 
FrunVAos zu yoyyUurdm oreoyyuriw orwuvAronau?) ir schrei- 
ben und is sprechen heilst sich widersprechen ohne noth und 
ohne nutzen. 

ebenso steht es mit Adro (Aüro 8° «ywv) und Avro (Avro 
youvare, Auvro de yvie). 

imsıdy (X 379, X 2, 513, 3452, $ 25, w 482) kan ©r- 
msıdy werden, weil es einigermafsen ähnlich ist mit ommy Ömmore 
Ormws. aber Erirovos (u 423) hat auf langen anfangsvokal so 
viel anspruch wie aSavaros dFiayos axaparos dvicperos oder wie 
AmaSceıs und Yveuces, und yzirovos kan nicht gewagt scheinen 
neben Yriaros = Zmiwrrys. 


2. 


In der zweiten stelle tritt nach der arsis gewöhnlich eine 
cäsur ein, die trithemimeres, in A auf 611 verse 374 mal, in N 
auf 837 498 mal, in $ auf 586 385 mal; begleitet von der cä- 
sur des vierten fulses, der hephthemimeres, in A 178 mal, in N 
200 mal, in $ 223 mal. alle cäsuren aber fallen oft in die 
fuge von zusammensetzungen (die beiden genanten allein in N 
gegen 50 mal), wie denn zusammensetzungen dem verse überall 
nicht für festverwachsene einheiten gelten, am wenigsten verba 
mit angesetzten präpositionen; vielmehr wird da die präposition 


-— 


?) Ayyeros und daidaAa, ursprünglich &yy@Xos und duıdzAa, haben ihren 
accent verrückt wie sie substantive geworden, &yAdos (4y&Aas) wie es durch 
verschiebung der liquida gleiche endung bekommen mit dAuos xepwss xpa- 
vacs TRAAOS TAYaDS. 


vom 14. März 1859. 263 


wie ein für sich stehendes adverbium behandelt. darum dıarry- 
Tyv ägiravre ohne spur von augment. 

das syllabische augment geräth auch sonst häufig in colli- 
sion mit der cäsur. soll man schreiben Aao: de rziövavro oder 
8° Zrziövavso? Toü de #Aus Borßos ArorAuv oder 8° Exrve? sicher- 
lich geht die cäsur vor. wessen kein vers entrathen kan, und 
was sich in einem und demselben verse vier- bis fünfmal wie- 
derholt, ist wesentlicher als was für den sinn in den meisten 
fällen völlig gleichgültig bleibt, dem verse aber nur höchst sel- 
ten und gleichsam zufällig förderlich wird. verse wie A 596 
are dE made Be Euro yaızı zUreArcv oder # 58 aurag 
Ersı ira F Emarsame$ 7de moröros würden freilich ohne aug- 
ment übel fahren. auch y220 und » 27 (drpw Ev Toww, 0Sı 
Masyolszv arye "Ayaıo) dürfte man versucht sein 09° Eraryo= 
ev zu schreiben, und ö 243 und 330 03 Erasyere (0: wird 
apostrophirt B 572, A 217, 7 320, € 210, $ 512, #11 und 336, 
Fr 58), und y118 (eivasres yaz od zara barrousv) 20% Egdr- 
Toner. 


w. 3. 
In der dritten stelle scheiden sich die zwei reihen woraus 

E: hexameter besteht, eine daktylische und eine anapästische. 

e: grenze zwischen beiden zieht eine cäsur, die natürlichste 
nothwendigste eigenthümlichste von allen, hinreichend auch einen 
ma ern vers zum hexameter zu stempeln. der En- 
nianische z. 
” Ei pervortentes omnia circumcursant 
ist unleidlich, weil er, cäsurlos, in monotone und unverbundene 
"bälften, wenn man will, in zwei verse, auseinander bricht. die 
ähnlichen im Homer, wie 


3 9 Fenıs AvSgumuv merci | dvögwv He yuvaızav 
k' 1 134 
f vv de mer "AAzununv Idov | "Aupırguwvos aroırw 
f r 266, 


geben geringen anstols, weil sie durch die cäsur des dritten 
fulses, die deutliche bezeichnung des wechsels der rhythmen, 
in ungleich grolse und nach verschiedenen richtungen bewegte 
theile zerlegt werden. ein anderer vers des Ennius 


264 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


disperge hostes, distrahe, diduc, divide, differ 
hat recht viele verwandte unter den Homerischen, von A2 an 

oURopevyv n | muge ’Aymois | aaye EIyzev 
bis 2 801 

AEvavres de: 70 | rue mar ziov | aurap Emsıra, 
von «1 

avdsce 401 Evvere | koüce moAUTgoMoV | ds [ai TOor.E 
bis w 535 

navra 0’ &mı y,Iovı | winre Seas oma | Pwuysrasys 


BE EN I TE WE Kalrenn 


(wer suchen will, wird in E allein, auf 909 verse, 102 derartige 
finden, in O, auf 746, 82): aber während der Lateinische dichter 
seine drei paare von fülsen chne alles band neben einander schiebt, 
gliedert sie der Grieche auf das gefälligste mit hülfe der cäsur. 
ein so bedeutendes moment kan nicht oft entbehrt werden. 

auch zählen wir unter den 15694 versen der Ilias nur 185, 
unter den 12101 der Odysee nur 71 ohne cäsur im dritten 
fulse.*) wo aber die cäsur fehlt, fehlt sie in einem drei- oder 
mehrsylbigen wort, das eniweder zusammengesetzt ist oder name, 
eigener oder patronymischer, und wird ersetzt durch trithemi- 
meres oder hepbthemimeres, meist durch beide zusammen: 


4) A145 218 307 400 466 584, B 25 62 173 204 249 354 365 367 382° 
426 429 463 494 558 572 653 T14 852, T 71 80 92 148 200 250 271 
361, A 87 124 328 329 332 358 371 451, E 46 76 109 127 207 240 263 
313 323 584 628, Z 3 107 197, H 123 168 317 318 389 457, © 65 93° 
128 268 346 348 429, 173 78 145 2837 308 472 518 531 532 623 624, 
% 80 87 94 144 429 502 555, A 221 229 249 426 432 Ay4 511 660 662 
810, M 21 53, N 92 342 351 479 500 563 610 709 715, &42 47 273 307° 
390 425, O 18 339, II 27 155 219 224 251 282 291 343-416 535 608 
760, P 132 137 267 270 369 400 552 706 717 754, 3 41 44 46 312 407° 
447 567, T 38 4S 53 185 201 252 254 361, TV 160 237 457, ® 283, X 63 
415 258, F 118 159 225 231 237 250 261 295 316 362 395 423 525 
723 838 867 870 393, 2 256 449 623 624 665 718 782 791, y 79 202 
247 475, 8 224 280 343, « 341 418 423 440, T 200, n 66 120, 6 175 194 
369, ı 19 395 506 535, x 32 130 504, ? 60 92 97 383 405 473 520 595° 
617, u 223, v 166 375, £ 431, 0 37 323, ® 108 110 167 334 374 421, p 35 
55 134, « 46 65 83 135, r5 321 432, v 241 303 318 319, $ 75 224, 
x 164 242 267 270 277 284 294 400 499, w 155 214 270 542. 


vom 14. März 1859. 265 


bu FuegÖwAEov ds Mey unwEen, 
dtoyevss Ansgrı@ön, 
& Nesrog Nyrarıaöy. 
die cäsur ist übrigens penthemimeres oder im dritten tro- 

chäus, je nachdem sie die arsis abschneidet oder die thesis durch- 
schneidet. penthemimeres zählen wir in A, auf 611 verse, 298, 
in B auf 877 450, in T auf 461 231, in A auf 544 262, in E 
auf 909 454. beide, wie auch, nur in geringerem maasse, die tri- 
themimeres und die hephthemimeres, genielsen der freiheit von vers- 
enden, so dafs sie kürzen lang gebrauchen (egeos &:, Suyaregss E&) 
und den hiatus zulassen in allen seinen gestalten, langen vokal lang 
zer langem und vor kurzem vokal (mpodosuw eig, zguSar y0°, 
Ameiou Ayencı, zon KZADE kurzen vokal vor langer und vor 
Burzem (Ovris ? BreH y ovolse Odrw, Kıoar | Ernıca ws, iy,Suosvre arap, 
Eipavro Umorgonen). dem ee widersteht der apastnophr 
also nicht z&zv’ pays sondern rizv« Pays, nicht Ang nem son- 
dern ung “00H nicht «ur Exagn sondern «vure Kon, nicht 
Greisav 7 Emiov sondern oreisav re miov. 
Pi, 4. 

In der vierten stelle finden wir die cäsur nach der arsis, 
die hephthemimeres, in A auf 544 verse 305 mal, darunter 193 
mal im gefolge einer trithemimeres, in N auf 837 verse 443 mal, 
darunter 67 mal in der fuge von zusammensetzungen. höchst selten 
‚steht die Bephihemimeres als alleinige cäsur, wie Y 362 
a cd” au mavres ed’ Immo METTIYaS aeıgav. 
- bukolische cäsur haben in E von Y09 versen 561, in A von 

575, inN von 837 436, in X von 515 316, in « von 444 

a7, i in d von 847 512, in $ von 586 352, in = von 481 300. 
vor der bukolischen cäsur stehn daktylen in E 470 gegen 61 
Be: in A 478 gegen 97, in N 446 gegen 60, in X 258 
gegen 58, in @ 213 gegen 34, in 6 437 gegen 75, in S 238 
gegen 64, in = 230 gegen 70. all diese daktylen zu beschaffen 
haben die sänger mitunter zu wörtern und formen greifen müs- 
sen die in andern stellen selten oder nie vorkommen. so steht 

ür meorum und meoswmaıs re 19 TOOTWMUTE, H 212 nr dauageca 
so 0386 oesıw und 0 557 avderesw für olsss und duazrssc', 
135 und an 4 andern stellen &varzıd« für das doch auch übliche 
Avanzıv, 112 sgeor zovrov neben orgarov eupuv und oUsavov zü- 


266 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


’ ’ “ .. ’ 20 ’ 
evv, 7 208 zapyız für mageıci, anderwärts Evvyıe für Euve und 
er . . / 
auf ähnliche weise gedehnt iegyıov NrAyıov "Odvoyıov ormumıov 
morelyLov moesnrov yarzrıov, Airwäros ferner für Airwrds, deI- 
.. Im ‘ io. 7. ” .. RL 
ra (I 108) für aeSAous, Awgre für EAwER, Werwriov für Werwrrov, me- 
Awgız für meAng«, yeroıos und öworos für yeAotos und öluotos, mroAı- 
mogQıos für mroXF0590s, Frorouyvios für smorouyvos, dıdumaoves für dı- 
/ ” nA ’ 
Öumor,aovraros und veouraros neben aouros,daoweov neben Önporwev, 
und selbst gegen die gewöhnliche analogie sursrysov für evreiyea, 
se: 8 & % EINES 
’ .. ’ .. I A 3, ” ’ 
Öusmy£os für Suryy0v, evaaıIaos für EvasıI14os, ravöriıos für ravdy- 
N% 7% B g 1 i 
.. [4 1. ’ [2 ” 
105, @vostımov für avorrov, Paavraros für desworeros. der ziegenhirt 
heilst Melantheus im ausgang des verses, Melanthios in der vierten 
stelle, Deiphobos im ausgang Seosıöys (M 94), hier Seosizeros (8276), 
und geradeso Alkinoos (r 281, $ 256), während zu TyAsuay,ov 
beide epithete passen, Ssosıdex und Seosizerov (m 20, y 416), je 
nachdem ein vokal oder ein konsonant folgt. «Asiar« arsıparos 
3, . . / 
Haoyara Ösıidymoves EnArmovss övsiar® nur in dieser stelle. d«rrvog 
. \ . / 
X496, aber kein anderer casus von d«rrvs. auch nicht von Zryrvos öu- 
’ ! EAN 7 
orurruos Favusruos, noch von zöyrvos, das selber an 30 mal steht, 
. [4 ’ - . . [ . 
wie yyrroges 25 mal in dieser stelle, 2 mal in einer andern, 
r£oos 6 mal in dieser, sonst wrroos. era yYarzcov für A- 
layregos a Ianroos. © WartEov Ya 
’ ‚ r 7 Fe 
zeyv. Esoov € 402 neben Erscum p 347. von den beständigen 
beiwörtern scheinen viele wie festgebannt an diese stelle: «ya- 
’ E) ur as ’ > u > u 38 l 7 > ’ 
myVooa, AYaAAUTE, aynoxov, aeizia, emnvmove (38 mal), agyupe,@orimos, 
AFETTaAc, Yaır,0%,05; yuvaruaves, deipgover (mit Öalpgovos und dai- 
SR \ \ Pr ’ 
pgovran 50 mal), ÖLarrog0s, Öurasos, ÖUF@IANAOROS, Eugen, SUÖELEAoV,ZUFHO- 
mos,zerawvecee, zruros(11 mal), HaurUs, mertchgova, VRUFTIAAUTOL, VEHÄU- 
Öes, öAo0ıba0vos, WemvunsvoG, megınahAte, megunzEroV, MoÖyVEINoS, moAU- 
Bevdzos, morRUudgoVos, FaAaTidgovoS, unbiguyos (neben digvyes), Apvro- 
’ > . . 
mregov, Ypyroppanıs. an den verben wird alle contraction unterlassen: 
7 v . 

EmAss yocs Nges Ares, ameroosov Emyvsov #udoilmsov, mevoiweov (neben 
’ er 4 EEH a In . . 
Mevorve), 04oRAcov (neben OMOAA), Öse, Jeov, TEROLTER. Im passıyum 
avaiveaı veizecı ÖyAyseaı Emırerdsaı immalscı Außgeveaı Anden, 
ölecı, oder «ıdeo am ygo adeirso youvagso Araıso PIE) ööUDeo 

ed ’ > ’ I „ E ’ E) ‚ ’ . 

Ömigeo yweo, und Zyeivao Esirao INlao EAusao Euagvao (Deo. gewöhn- 
lich sind auch iterative: yeveszero Surarzero Ösıdiszero Ösgreszero Om 
OÄSHETO HNÖECHETO HIHÄYOHETO Min yEonero maveozeTo mw)Eszero. dritt 
personen auf araı oder «ro: Beßrnaro Beßoryaro Bıwaro yevorwro de 

’ m 
Omiaraı Öeduyaro eipuaro EAoiaro lÖor@To IxoIaTo KRrTELRTO MAY OLRTO [LE 
N [7 MAX, [ 


vom 14. März 1859. 267 


Ö Joiaro veoiaro mecboßyaro muSciero. aoriste im medium: 2@4rero und 
2övrsro mit ihren SERmapesikıs, Bırcaro doassaro Edyraro emraunsaro 


Een mejanvaro Ey we«ro yynzaro zarubaro miynraro OyKoero seldrsaro, 


maliges ueryseı. Öaiero heilst überall brante, aber (o 140) #920 
iero zerlegte. umgekehrt (u 297) Luwgers für BragerSe. 
nicht weniger lieben diese stelle infinitive auf yusvaı: annevar arme 
vi 1 dsyuevan Bruevar yoruevaı dar ever Öamn ever zanjpeven HaAr Even 
flasverı mewmjeven meu Sy ever moSyuevar Tagmyueven Ti Sy pevaı pı- 
rusvau bognevar. infinitive auf Zev hat hier die Ilias 116 gegen 52 
a ıf ei, die Odyssee 51 gegen 9. arausıßsro, nicht Ausißero. £xeV- 
Savov Eguzavov za IıSavov zarsdgaIov zaryAuSov MersziaTov viel- 
als, aüyagormcı aumvve döwronev 1 mal. 1 mal auch z&xreve 
ür zreivov (Z 164). noch mehr: A 243 (züne wsgsraÖy) wäre 
rermuthlich megisey passender, und @ 468 (0 ou esraoy Yurs nE- 
4) &srn oder &sryzsı. \b 413 erwartet man heens Tor, nicht 
jusQe, K.547 Eoizao’, nicht Zozores, 8 544 Öysıs, nicht Öyo- 
458 azoveıs, nicht &@zovere. A 478 könte dauassyr stehn 
ür Öanessera, X 419 aideseyr für eidersere, 8412 reunar- 
für zeunessere, 8 672 veuriAyr für vev BinNeras, x 328 
wen, für auslere, K70 roveunerS für vovewueSa: aber 
er daktylus ist vorgezogen trotz incorrectheit und biatus. der 
us bleibt auch unbeachtet $ 153 EgwasSa ei und w 466 Emı 
Ye Ersevovro, so wie, nach der alten und richtigen lesart, 
51 Ömger« apuporsonow. 


5. 


In der fünften stelle hat A 33 spondeen gegen 578 dakty- 
en, B 54 gegen 823, T' 20 gegen 441, A 32 gegen 512, E 38 
gen 871, Z 18 gegen 5il, H 17 gegen 465, © 30 gegen 
985, I 42 gegen 671, K 22 gegen 557, A 44 gegen 804, M 
7 gegen 454, N 33 gegen 804, 3 25 gegen 497, O 30 gegen 
- [1859.] 19 


268 Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 14. März 1859. 


716, 11 47 gegen 820, P 40 gegen 721, = 40 gegen 570, T 
20 gegen 404, 7 36 gegen 471, ® 25 gegen 586, X 22 gegen 
493, X 45 gegen 852, @ 41 gegen 763, « 24 gegen 420, ß 
16 gegen 418, y 21 gegen 475, ö 46 gegen 801, = 25 gegen 
468, 2 11 gegen 320, y 16 gegen 331, $ 25 gegen 562, ı 27 
gegen 539, x 25 gegen 549, ? 40 gegen 600, u 26 gegen 427, 
v 15 gegen 425, E 20 gegen 513, o 15 gegen 542, = 28 gegen 
481, 2 23 gegen 583, » 16 gegen 412, r 27 gegen 577, u 24 
gegen 370, $ 22 gegen 412, x, 25 gegen 476, L 18 gegen 
372, » 30 gegen 518. der spondeen sind aber ungefähr 50 noch 
weniger geworden seitdem iövie geschrieben wird für eiövi« und 
der diphthong aufgelöst in ev, in reis, in den patronymicis, in 
dgysupovrys und avögsıpovrys. der grund zu dieser letzten auf- 
lösung dürfte sein dafs, wenn für avdgopovrzs nicht dvögnpovrns 
(wie 2rabnBoros) sondern avögeupovrys beliebt wurde, dies nur ge- 
schah um vermittelst des aufgelösten diphthonges den spondeischen 
ausgang zu umgeln. 


6. 


Betrachten wir endlich in der sechsten und letzten stelle 
die versausgänge, so sehn wir z. b. in A auf ein einsylbiges 
wort 11 verse ausgehn, auf ein zweisylbiges 160, auf ein drei- 
sylbiges 270, auf ein viersylbiges 97; in I auf ein einsylbiges 
18, auf ein zweisylbiges 195, auf ein dreisylbiges 323, auf ein 
viersylbiges 132, auf ein fünfsylbiges 44, auf ein sechssylbiges 


4; in Y auf ein einsylbiges 12, auf ein zweisylbiges 175, auf N 


ein dreisylbiges 261, auf ein viersylbiges 91, auf ein fünfsylbi- 
ges 63, auf ein sechssylbiges 3, auf ein siebensylbiges 5°); in 
ı auf ein einsylbiges 6, auf ein zweisylbiges 216, auf ein drei- 
sylbiges 231, auf ein viersylbiges 84, auf ein fünfsylbiges 28, 
auf ein sechssylbiges 2; in ö auf ein dreisylbiges 320 von 847; 


in e 225 von 493. demnach machen die dreisylbigen ausgänge . 


überall nah an die hälfte der gesamten ausgänge, und die ge- 
wöhnlichsten wortfülse der zwei letzten stellen sind trochäus 
- 7 E77 
und bacchius, &Aye 2Iyzev, vorrov Eraipwr. 
5) duoazıcroroxsia, aararsıßousvoo, Terauuviddao, xaraönmoßopicai, &rro- 
4 
deiporoungn. 


“ 


Gesammtsitzung vom 17. März 1859. 269 


17. März. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Haupt las die zweite Hälfte seiner Abhandlung über 
den Apollonius von Tyrus. 


Hr. Peters gab Nachrichten von Hrn. Fedor Jagor, 
der auf eigne Kosten nach Östindien und den Philippinen ge- 
reist ist und von der Akademie mit Instructionen für das Sam- 
meln naturwissenschaftlicher Gegenstände versehen wurde. Der 
Reisende ist, nachdem er die Halbinsel Malacca, Borneo und 
Java besucht hat, nach Manila abgereist und hat -bereits sieben 
Kisten mit Naturalien an das K. zoologische Museum eingesandt,* 
worunter sich namentlich sehr schöne Korallen und viele wäh- 
rend der Seereise selbst gefischte pelagische Thiere befinden. 
Es wurde eine von demselben entdeckte neue Schlangengat- 
tung vorgelegt und zugleich eine Übersicht der von ihm 
gesammelten Schlangen gegeben. 

AGLYPHODONTA. 

. Python reticulatus Schneider. Sp. — Malacca. 
2. Xenopeltis unicolor Reinw. — Singapore (Princels Hill); 
diese Art ist, so viel ich weils, bisher nicht an diesem Fund- 


bei 


orte beobachtet worden. 

3. Dendrophis pictus Gm. Spec. — Saräwak. 

4. Simotes octolineatus Schneider Sp. — Singapore. 

9. Gonyosoma oxycephalum Reinw. Spec. — Malacca. 

6. Coluber hexahonotws Cantor. — Singapore. 

7. Amphiesma chrysargum Boie Sp. — Saräwak. 

8. Ophites subeinctus Boie Spec. — Singapore. 

GLYPHODONTA. 
9. Chrysopelia ornata Shaw. Spec. — Malacca; Saräwak. 
10. Triglyphodon dendrophilus Reinw. Sp. — Krebrong. 

11. Dryiophis prasinus Reinw. — Singapore; Labüan. 

12. Eurostus plumbeus Boie Sp. — Malacca. 
Weibchen mit entwickelten Embryonen. An einem Exem- 
plare ist an beiden Seiten das Frenalschild mit dem Nasale 
verschmolzen. 

13. Cerberus boaeformis Schneider Sp. — Pongoor. 

14. Hemiodontus leucobalia Schleg. Spec. — Pongoor. 

195 


270 Gesammisitzung 


Hropropıpsas nov. gen. 

Körper sehr lang, spindelförmig, in der Mitte zusammenge- 
drückt, mit kantigen Bauchrändern. Körperschuppen (19 Längs- 
reiben) rhombisch, glatt. Bauchschilder schmal. Analschild und 
Schwanzschilder doppelt. Kopf länglich abgerundet, von dem 
schmalen Halse deutlich abgesetzt. Augen sehr klein mit runder 
Pupille, nach oben gerichtet, von vier Schildern, 1 anteorbitale, 
1 postorbitale, 1 supraorbitale und 1 infraorbitale umgeben. Na- 
senlöcher sichelförmig, im hintern Drittheil der einfachen gro- 
[sen Nasenschilder gelegen. Internasalschild einfach. Zwei Prae- 
frontalschilder, 1 Frontale medium und dahinter zwei Scheitel- 
schilder. Ein Frenalschild. Vordere Oberkieferzähne mit Aus- 
nahme des vordersten kleinen gleich lang, hinter ihnen, durch 
einen Abstand getrennt, zwei längere Furchenzähne. 

Diese Gattung gehört zu der Familie der P/a2tyrhini in dem 
System von Dum&£rilund Bibron, steht in ihrer Kopfform dem 
HemiodontusleucobaliaSchleg. Sp.am nächsten, unterschei- 
det sich aber von ihm durch die vollständige Bewaffnung des Ober- 
kiefers, durch die Anwesenheit eines Frenalschildes und von ihm, 
so wie von allen verwandten Sülswasserschlangen leicht durch 
den sehr gestreckten Körper und den vollständigen Kreis von 
Orbitalschildern. 

15. Hydrodipsas elapiformis Pet. nov. sp. (s. Taf. Fig. 1.) 

Die Oberseite des Kopfes und des Rückens olivenbraun, 
oder vielmehr von breiten, mehr oder weniger zusammenllielsen- 
den Querflecken bedeckt, welche durch schmale unregelmälsige 
Querbinden getrennt werden; die ganze Unterseite gelblich. 
Die Form der Kopfschilder ist aus der beigefügten Tafel Fig. 1,a. 
b. zu ersehen. ÖOberkieferzähne 9 + 2, Unterkieferzähne 14, 
Gaumenzähne 8, Pterygoidalzähne 11 jederseits. Die Gestalt des 
Oberkiefergaumenapparats ist durch Fig. 1c. dargestellt. Die 
Körperschuppen liegen in 19, die des Schwanzes in 10 bis 12 


Längsreihen. Bauchschilder 270 + = Schwanzschilderpaare 62. 


Ganze Länge 1,140; Schwanz 0,165; Kopf 0,018; Höhe 
der Körpermitte 0,014; Breite ebenda 0,008. 
Fundort: Saräwak auf Borneo. 


vom 24. März 1859. 271 


| ELAPINA. 
16. Elaps furcatus Schneider. var. Cantoris. — Singapore. . 
17. Bungarus fasciatus Schneider. — Singapore. 
18. Naja tripudians Laur. var. nigra. — Saräwak. 
CROT ALINA. 
419. Tropidolaemus maculatus Gray. — Labuan. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Keller, Notices sur la navigation transatlantique des paquebots inter- 
oceaniques. Paris 1859. 8. (10 Exemplare.) 
Annales de chimie et de physique. Tome 45, nv. 2. Paris 1859. 8. 
Jahresbericht des physikalischen Vereins zu Frankfurt a. M. 1857—1858. 
Frankfurt a. M. 1859. 8. 
Journal für die reine und angewandte Mathematik. Band 56, Heft 3. 
Berlin 1859. 8. 


24. März. 
Hr. Kiepert las über die Handelsstrafse der Alten 
durch Central-Asien insbesondere nach Serica, als 


 Schlufs seiner im März v. J. gelesenen Abhandlung. 


Pin 
ur 


Gesammtsitzung der Akademie. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


2 „Bulletin de la societe de geographie. Tome 16. Paris 1858. 8. 

I The quarterly Journal of the chemical Society, no. 4. London 1859. 8. 
F Bulletin de la societe geologique de France. Tome XVI, no. 1—6. Pa- 
' ris 1859. 8. 


272 Gesammtsitzung 


Comptes rendus de l’Academie des sciences de France. "Tome 48, no, 5— 
8. Paris 1859. 4. : 

Joseph Balogh, De quadratura eirculi. Pestini 1858. 8. 

Il nuovo Cimento. Tomo IX. Gennajo e Febbrajo. Torino 1859. 8. 


Hierauf wurde die in früheren Sitzungen beschlossene und 
demgemäls Hrn. Lepsius zur Abfassung übertragene Glückwün- 
schungs-Schrift an die K. Bayerische Akademie in München für 
die hundertjährige Stiftungsfeier derselben am 28. März zur schliels- 
lichen Genehmigung vorgelegt und durch Unterschrift des Sekre- 
tariats vollzogen, deren Wortlaut folgender ist: 

„Die Akademie der Wissenschaften zu Berlin entspricht mit 
Dank und Freude der ehrenvollen Einladung der Deutschen 
Schwester-Akademie zu München, an dem bevorstehenden Ehren- 
tage ihrer Säkularfeier einen festlichen Antheil zu nehmen. Sie 
hat zwei ihrer Mitglieder abgeordnet, um sie in diesen der Er- 
innerung an die Gründung und das hundertjährige Gedeihen der 
Bayerischen Akademie geweihten Tagen zu vertreten und ihr 
den Ausdruck ihrer theilnehmenden Wünsche für ihre fernere 
frucht- und ruhmreiche Wirksamkeit zu überbringen. 

Es geht ein Zug nach geistiger Gemeinschaft durch das 
Reich der Wissenschaft, welcher im Wesen derselben begrün- 
det, von jeher die Männer, die ihr angehörten, über die Schran- 
ken der Länder und der Zeiten hinweggehoben und auf einem 
höheren Felde der Ehre zusammengeführt hat, eine Gemeinschaft, 
in welcher noch immer der Einzelne seine beste Kraft wie seine 
weise Beschränkung, und die Wissenschaft im Ganzen die Be- 
dingung ihrer höchsten Entwickelung findet. Es war dieser Zug, 
welcher im verflossenen Jahrhundert, dem Gründungsjahrhundert 
fast sämmtlicher Europäischer Akademieen, diese Festungen der 
Wissenschaft sich erbaute. Wenn diese neuen Schöpfungen an- 
fangs noch mit manchem Ungehörigen belastet waren, wenn sie 
noch längere Zeit hindurch in einer ihrer Bedeutung nicht wür- 
digen, ihre wahren Zwecke zuweilen geradezu aufhebenden Ab- 
hängigkeit gehalten wurden, so ist das jetzt, zum Ruhme der 
Zeiten, der Fürsten und Völker, besser geworden. Es ist den 
unermüdeten Anstrengungen der einsichtigsten und edelsten Män- 
ner, zumeist aber in Folge der eigenen inneren Erstarkung des 


‘vom 24. März 1859. 273 


wissenschaftlichen Lebens und des bewunderungswürdigen Auf- 
schwungs vieler einzelner Zweige derselben, gelungen, der Wis- 
senschaft und ihren wichtigsten Organen eine grölsere Selbstän- 
digkeit, eine freiere Bewegung und eine allgemeine Achtung, 
vornehmlich in unserm Deutschen Vaterlande, zu gewinnen. 

Auch die Geschichte der Bayerischen Akademie bietet ein 
Bild dieser Kämpfe und endlichen Siege innerhalb ihres ersten 
Säculums dar, auf welches sie, an der Grenzscheide des neuen 
angelangt, mit Befriedigung und gerechter Zuversicht in ihr fer- 
neres (sedeihen, zurückblicken wird. Es ist nicht eins der ge- 
ringsten Verdienste ihres jetzigen hochgefeierten Präsidenten, in 
diesem Sinne sowohl für die innere Kräftigung und gesteigerte 
Thätigkeit als für die öffentliche Anerkennung und eine der 
inneren Würde entsprechende äulsere Stellung der unter seinem 
Vorsitz blühenden Akademie unablässig mit edler Begeisterung, 
mit Mannesmuth, und mit entsprechendem reichen Erfolge ge- 
wirkt zu haben. Dem den höchsten geistigen Gütern ihres Vol- 
kes zugewandten, Kunst und Wissenschaft mit befreiender Kraft 
umfassenden Sinne der beiden jetzt lebenden erleuchteten Kö- 
nige Bayerns aber gebührt der Ruhm, diese Anstrengungen ge- 
würdigt und ihnen zum Siege verholfen zu haben. 

Mit der erweiterten Wirksamkeit und der freieren Selbst- 
bestimmung der Wissenschaft gewann auch ihr eingeborner Zug 
nach wetteifernder Gemeinsamkeit in der Arbeit, nach gegen- 
seitiger neidloser Förderung und einem darauf begründeten freu- 
digen Gemeingefühl eine neue Gestalt. Welcherlei erd- und 
weltumspannende Aufgaben heutzutage die Wissenschaft in Folge 
des allgemeinsten Zusammenwirkens und eines Alle wie Einen 
erfüllenden wissenschaftlichen Gemeinsinns sich gestellt hat, und 
zu stellen berechtigt war, bedarf nur der Andeutung. Es mag 
uns aber erlaubt sein, in dieser Beziehung und gerade an die- 
sem Orte, Eines Mannes Erwähnung zu thun, der seit einem 
halben Jahrhundert das würdigste Bindeglied zwischen den Aka- 
demieen von Berlin und München bildet, und von allen Zeit- 
genossen als der mächtigste Beförderer und edelste Träger die- 
ser universellen Richtung wissenschaftlicher Gemeinthätigkeit an- 
erkannt ist. Alexander von Humboldt, seit dem ersten 
Jahre dieses Jahrhunderts Mitglied der Berliner Akademie, hat 


“ 


274 Gesammtsitzung vom 24. März 1859. 


vor kurzem sein funfzigstes Jahr der Münchener Mitgliedschaft 
vollendet, zu der er bereits im Jahre 1808 berufen wurde. 
Gleichzeitig begann damals, erst in Benediktbeurn später in Mün- 
chen, die epochemachende Thätigkeit Fraunhofers, jenes 
hervorragenden Bayerischen Akademikers, welcher das mensch- 
liche Auge für die Erforschung des Kosmos geschärft und da- 
durch den Horizont seines Blickes wesentlich erweitert hat. 

Es ist nicht nöthig hier noch auf andere von den zahl- 
reichen Verbindungen und innigen Beziehungen zwischen den 
beiden Akademieen hinzuweisen, auf den öfteren Austausch be- 
deutender Männer, auf die, beiden Körperschaften gemieinsam an- 
gehörenden Mitglieder, auf die gegenseitige hohe Anerkennung 
ihrer wissenschaftlichen Leistungen, um den warmen Antheil zu 
erklären, welchen die Berliner Akademie an dem bevorstehenden 
Säcularfeste ihrer Münchener Genossin auszusprechen wünscht. 
Die allgemeinste Theilnahme, welche für diese Feier in Deutsch- 
land und über seine Grenzen hinaus zu erwarten ist, wird nur 
ein andrer Ausdruck desselben erfreulichen Gemeingeistes sein, 
welcher die wissenschaftliche Welt jetzt mehr als je erfüllt. 

Es ist für jedes höhere Streben heilsam, im Laufe seiner 
Entwickelung von Zeit zu Zeit auf den Ausgangspunkt zurück 
zu blicken, um sich des Zieles schärfer bewulst zu werden, und 
es ist würdig, an solchen Wendepunkten durch eine festliche 
Feier zur Erinnerung für spätere Geschlechter gleichsam nach 
altrömischer Sitte einen Säcularnagel einzuschlagen. Möge die- 
ser Clavus annaliıs, in die Wand des Münchener Minerventem- 
pels eingeschlagen, noch für lange Zeiten und viele folgende 
Saecula ein Wahrzeichen froher Rückerinnerung sein an die Ein- 
‚heit Deutscher Wissenschaft und Deutschen Geistes, deren sich 
unsre Zeit erfreut. Möge, was der Dichter einst am Römischen 
Säcularfeste von Phoebus, dem Gott des Lichtes und der Wahr- 
heit, erflehte, auch auf unsre Zeit angewendet, gelten: 

Remque Germanam Monacumque felix 
Alterum in lustrum meliusque semper 
Proroget aevum.” 

Ferner war ein Dankschreiben des Hrn. Fötterle, d. d. 

Wien 4. März c., für Empfang der Abhandlungen der philos.- 


Sitzung der phys.-math. Klasse vom 28. März 1859. 275 


‚hist. Klasse von Seiten der Geographischen Gesellschaft zu Wien 
eingegangen. 

Schliefslich zeigte Hr. Pertz an, dafs Hr. Benjamin 
Woodcroft im Namen des Patent Office in London für das 
von der Akademie überwiesene Gegengeschenk der akademischen 
Abhandlungen seinen Dank ausgesprochen habe. 


28. März. Sitzung der physikalisch-mathe- 
| matischen Klasse. 


Hr. Braun las: Beiträge zur Kenntnils zweier 
Sülswasser-Algen Pleurocladia und Pleurocarpus. 


u 


E Hr. Peters berichtete über die von Hrn. Dr. Hoffmann 
in Costa Rica gesammelten und an das Königl. zoologische Mu- 
 seum gesandten Schlangen. 


nr AGLYPHODONTA. 

4. Streptophorus Sebae D. B.') 

P' CoLOBOGNATHUS n. gen. 

$ Gestalt und Beschuppung ganz wie bei Geophis”), aber 


die Oberkiefer und Gaumbeine sind sehr kurz, so dafs das vor- 


#) Ich mufs bemerken, dafs die in dem Catalog der Reptilien des 
 zoologischen Museums von 1856 pag. 23 als Elapoides striolatus Tro- 
 schel und Haldea striatula Lin. Sp. bezeichneten und unter diesen Namen 
 vertauschten Schlangen nichts als Streptophorus Lansbergü Schleg. Sp. 
gen. eine Art, die, wie aus der Vergleichung einer grolsen Anzahl von 
emplaren hervorgeht,in der Beschuppung, namentlich auch in einigen Fäl- 

? Er, durch das Vorkommen von kleinen Präorbitalschildern, sehr variirt. 
5 ?) Geophis Wagler (Syst. der Amphibien pag. 194 u. 342) ist über- 
 einstimmend mit Ahabdosoma D.B. Sein Geophis chalybeus aus Mexico 
befindet sich in mehreren Exemplaren, von Deppe in Mexico gesammelt, 
in dem zoologischen Museum unter dem Namen Zlaps chalybeus. Ich habe 
‚seiner Beschreibung nur hinzuzufügen, dals 6 Oberlippenschilder vorhan- 
den sind, von denen das 3. und 4. ans Auge stolsen, dals das 5. sich, wie 


276 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


dere Drittheil des Mundes oben ganz glatt und zahnlos erscheint. 
Die Zähne sind sämmtlich fein und ungefurcht. Diese Gattung 
würde daher in dem System von Dume&ril und Bibron nicht 
zu den Calamarien, sondern zu den Leptognathen gehören. 
2. Colobognathus Hoffmanni n.sp. Oben schwarz, un- 
ten hellbraun, gelblich oder weils; bei den ganz jungen Thieren 
zieht sich die helle Färbung der Bauchseite in Form eines Hals- " 
bandes hinter den Scheitelschildern herum, welches bei den er- 
wachsenen Thieren verschwindet. Die Form der Kopfschilder 
und des Kiefergaumenbeinapparats ist aus der beifolgenden Zeich- 
nung (pag. 270 Tafel Fig. 2.) zu ersehen. 5 Ober-, 6 Unter- 
lippenschilder, 1 Temporalschild, 2 Kinnschilder; 1 sehr kleines 
oberes, und 1 oder 2 sehr kleine hintere Augenschilder. Die Kör- 
perschuppen bilden 15 Längsreihen. Es sind 127 Bauchschilder, 
ein einfaches Analschild und 33 Paar Schwanzschilder vorhanden. 
Ganze Länge 0,245; Kopf 0,010; Schwanz 0,042. 
3. HerpetodryasBoddaertiiSchlegel.—Einh. Name /uri. 
4. Herpetodryas Rappii Günther. | 
5. Spilotes melanurus Schleg. Sp. — Einh. Name sa- 
vanera, 
. SpilotesvariabilisMerremSp.—In CostaRica sehr selten. 
. Leptophis ahaetulla Linn& Sp. 
. Leptophis margaritifer Schleg. Sp. 


SCTIN 


. Liophis cobella Linn& Sp. 
HYpromorruvs nov. gen. 

Diese neue Gattung schliefst sich durch die Körperform zu- 
nächst an die Hormalopsidae mit ungefurchten hinteren Zähnen, 
Calopisma, Hypsirhina und Hydrops an, ist aber durch eigen- 
thümlichen Kieferbau, Bezahnung und Kopfschilder leicht zu un- 
terscheiden. Die Kiefer sind noch viel-schwächer als bei Zy- 
drops und von ganz anderer Gestalt (Taf. Fig. 3c); der Ober- 
kiefer ist gerade, nicht nach dem Lippenrande gebogen, mit un- 
gefurchten Zähnen bewaffnet; das Os transversum ist durch seine 
Länge ausgezeichnet; das Os palatinum ist nur vorn bezahnt und 


bei G.semidoliatus D.B. Spec. das 4.,mit dem Parietalschilde vereinigt, da- 
her nur 4 Temporalschild vorhanden ist und dafs die Körperschuppen 17 
Längsreihen bilden. Von den 8 Paar Unterlippenschildern stölst das erste 
Paar zusammen; hinter ihm folgen zwei Paar Kinnschilder. 


vom 28. März 1859. 277 


‚das Os pterygoideum ist zwar ganz bezahnt, bildet aber eine 
‚dünne spatelförmige Platte, welche hinten nahe ihrem Zahn- 
rande von einem Loch durchbohrt ist. Das einfache Nasen- 
schild erscheint eingedrückt und die ziemlich grofsen Nasenlöcher 
sind von ovaler Gestalt. Es sind zwei Internasalschilder, dage- 
gen nur ein einziges Präfrontalschild vorhanden. 
10.-Hydromorphus concolor n. sp. Das einzige Exemplar, 
ein Weibchen, ist oben dunkelgraubraun, die Körperseiten und die 
Unterseite sind heller, indem die Schuppen und Schilder hier zum 
Theil schmutzig gelb sind. Kopf wenig abgesetzt von dem Körper, 
der in der Mitte merklich dicker ist. Ein längliches an die Au- 
‚gen stolsendes Frenalschild, darüber ein kleines Praeorbitalschild. 
Zwei Postorbitalschilder. Sechs Oberlippenschilder, von denen 
das. dritte unten ans Auge stölst. Ein langes Temporalschild 
über dem vierten und fünften Oberlippenschild; zwei kürzere über- 
einander liegende hinter demselben. Neun Unterlippenschilder. 
Zwei Paar Kinnschilder. Die glatten Körperschuppen in 17, 
‘vor dem Schwanze in 15 Längsreihen. Bauchschilder 176, dar- 
unter 2 Paar doppelte Analschilder; 31 Schwanzschilderpaare. 
 Oberkieferzähne 14, Unterkieferzähne 14, Gaumenzähne 3, Pte- 
rygoidalzähne 14. 
»  Totallänge 0,850; Kopf 0,025; Schwanz 0,086. 
GLYPHODONTA. 
41. Homalocranium melanocephalum D. B. — Diese Art 
ist nicht auf Südamerika beschränkt, sondern kommt auch 
in Nordamerika vor, indem das Museum ein Exemplar be- 
sitzt, welches von Lieber in Südcarolina gesammelt ist. 
12. Oxybelis Catisbyi Schleg. Sp. 
3. Oxybelis aeneus Wagler. — Aus dem Candalarioge- 

birge und von Punta de arenas. 
} 414. Erythrolamprus venustissimus Wied. Sp. 

Dipsas annulata Linn Sp. — Einh. Name zoboba. 

% Himantodes cenchoa Linn& Sp. 
EN HYDROPHIDAE. 
17. Hydrophis bicolor Daud. — Aus dem Golfo dulce. 
gi ELAPINA. 
48. Elaps semipartitus D. B. 
19. Elaps eircinalis D. B. 


Er 


278 Sitzung der physikalisch-maihematischen Klasse 


CROTALINA. 
20. Bothrops bilineatus Wied. Sp. — Vom Vulkan von { 
Barbo. 
BOTHRIECHIS nov. gen. 
Eine Gattung, die zwischen Botkraps und Atropos steht, 
mit jener durch das grolse Supraorbitalschild, mit dieser durch h 
die Gröfse, Lage und Begrenzung der Thränengruben, durch den 
Mangel der Kiele an den Schuppen des Vorderkopfes übereinstimmt. 
(Taf. Fig.4.) Die übrigen Schuppen des Kopfes und des Körpers | 
sind mit Ausnahme der untersten oder der beiden untersten 
Reihen schwach gekielt. Die Schwanzschilder sind an drei mir 
vorliegenden Exemplaren sämmtlich einfach. 
21. Bothriechis nigroviridis n.sp. Oben grün und schwarz 
gesprenkelt, indem auf dem Rücken die meisten Schuppen am 
Rande schwarz, in der Mitte grün sind, so dals sich längs der 
Mitte des Rückens einige unterbrochene grüne Linien hinziehen, 
die Schuppen der Körperseiten dagegen so mit Schwarz ge- 
sprenkelt sind, dafs die Ränder und der Kiel grün erscheinen. 
Die Bauchschilder und Schwanzschilder sind grün mit schwarzen 
Rändern, letztere so wie die Schilder des Halses aufserdem mehr 
oder weniger schwarz gesprenkelt. Obere und untere Lippen- 
schilder jederseits zehn bis elf. Ein Paar grölsere Kinnschilder. 
Körperschuppen in neunzehn Längsreihen. Analschild ungetheilt. 
Bauchschilder 142 +1, Schwanzschilder 52. 
Totallänge 0,360; Kopf 0,030; Schwanz 0,102. 
m 0,344; „ 0,020; PR 0,080 
Von Hrn. Dr. Hoffmann am Vulcan von Barbo entdeckt. 


Hr. Dove las über die stereoskopische Darstel- 
lung eines durch einen Doppelspath binocular be- 
trachteten Typendrucks. 

In dem Berichte der Akademie 1858 S. 315 und Pogg. 
Ann. Bd. 104, S. 329 habe ich nachgewiesen, dals nur bei bino- 
cularer Betrachtung durch ein Kalkspathrhombo&der das eine Bild 
einer ebenen Zeichnung stark über das andere gehoben erscheint, 
bei monocularer hingegen beide in einer Ebene liegen. Da der 


vom 28. März 1859. 279 


‚Grund dieser Hebung in der verschiedenen Brechung des or- 
dentlichen und aulfserordentlichen Strahles zu suchen ist, so kam 
ich darauf, dafs sich die Erscheinung im Kalkspath stereoskopisch 
müsse wiedergeben lassen, wenn man die Doppelbrechung durch 
einen doppelten Typendruck darstellte, die verschiedene Bre- 
‚chung beider Strahlen durch eine Verschiebung der Doppelzeile 
gegen die erste Zeile. Die sechs obern Zeilen der diesem Hefte 
beigelegten Drucktafel 1 zeigen im Stereoskop betrachtet in einer 
‚auffallenden Weise diese Erscheinung, die letzte Zeile bezieht 
sich auf die nachfolgende Notiz. 

Wenn man in einem Stereoskop die für das rechte Auge 
entworfene Zeichnung mit der für das linke Auge entworfenen 
und umgekehrt diese mit jener vertauscht, so wird das convexe 
‚Relief ein concaves. Es ist klar, dals wenn man die Verwand- 
lung des einen in das andere, d. h. bei einer abgekürzten Pyra- 
mide das Durchgehen der Schnittfläche durch die Grundfläche 
‚anschaulich machen will, das Vertauschen in der Weise statt- 
finden mufs, dafs während der ganzen Zeit dieses Vertauschens 
beide Projectionen im Gesichtsfeld bleiben müssen. Man erhält 
 diels am einfachsten, wenn man eine Zeichnung, welche man 
mit dem einen blolsen Auge und zugleich mit dem andern durch 
ein Spiegelprisma betrachtet, um 180° in ihrer Ebene dreht. 
Ich habe dıiels im Berichte 1851 S. 249 und Pogg. Ann. 83, 
28.185 beschrieben. Will man dieses Prineip auf ein gewöhn- 
liches Linsen- oder Prismenstereoskop anwenden, so braucht man 
nur die beiden Zeichnungen auf drehbare gleiche Kreise zu be- 
festigen, und diese vermittelst eines sich kreuzenden Schnurlau- 
des in Drehung zu versetzen. Da die von mir angegebene Er- 
‚scheinung von vielen Physikern später dargestellt worden ist, so 
ist es möglich, dals diels auch auf diese Weise geschehen. Die 
letzte Modification ist, so viel ich weils, von Hrn. Halske 
(Pogg. Ann. Bd. 100, S. 657) veröffentlicht worden, welcher 
gezeigt hat, dals man vermittelst einer complicirten Ziehvorrich- 
‚tunn beider Bilder in einer der Verbindungslinie beider Augen 
parallelen Richtung diese Bewegung der Schnittfläche senkrecht 
auf die Ebene der Zeichnung erhält. Es ist aber leicht dasselbe 
vermittelst des Ziehens eines einzigen Bildes zu erhalten. Um 
davon eine Anschauung zu geben, habe ich auf der zweiten 


280 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Drucktafel die ersten Zeilen so abdrucken lassen, dafs nun die 
ungeraden Zeilen statt der geraden eingerückt sind. Die vorher 
im Stereoskop vertieften Zeilen erscheinen nun als die erhobenen. h 
Es ist klar, dals wenn man nun die Doppelzeilen auf einem | 
Schlitten beweglich macht, man die Bewegung senkrecht auf die 
Ebene des Druckes unmittelbar sichtbar macht. 

Da mit zunehmender Wärme die doppeltbrechende Kraft des | 
Kalkspathes abnimmt, indem die rhomboä@drische Form sich der 
Würfelform immer mehr nähert, so würde, wenn man diese 
Veränderung sehr weit fortsetzen könnte, der negativ doppelt- 
brechende Kalkspath nach dem Durchgang durch einfache Bre- 
chung sich in einer positiv doppeltbrechenden verwandeln, in- 
dem der auflserordentliche Strahl, welcher bei gewöhnlicher Tem- 
peratur eine geringere Brechung zeigt, dann den aufserordent- 
lichen in der Brechung übertreffen würde. Der eben beschrie- | 
bene letzte Versuch erläutert das, was sich in einem Kalkspath 
bei steigender Erwärmung in Beziehung auf die scheinbare Be- 
wegung des einen Bildes zeigen würde. 


Darauf las derselbe über Anwendung des Stereo- 
skops um einen Druck von seinem Nachdruck, über- 
haupt ein Original von seiner Gopie zu unterschei- 
den. 

Die erhebliche Erhöhung, in welcher in der gedruckten Bei- 
lage die Zeilen im Stereoskop über einander treten bei einer 
verhältnilsmälsig geringen Verschiebung der Zeilen gegen ein- 
ander in horizontaler Richtung, zeigt, dals hierdurch ein Mittel 
gegeben ist, die Verschiedenheit nicht identischer Drucke auf 
eine auffallende Weise sichtbar zu machen, denn es ist klar, dafs 
wenn die Zwischenräume der einzelnen Worte nicht absolut 
gleich sind, die bei Betrachtung mit blolsem Auge in einer 
Ebene liegenden Worte treppenartig über einander treten müs- 
sen. Die unterste Zeile beider Blätter ist aus derselben Schrift 
geseizt worden, ohne dals dem Setzer gesagt wurde, dals eine 
Verschiedenheit beabsichtigt werde und dennoch treten, obgleich 
die Verschiedenheit der Entfernung des zweiten und dritten 


vom 28. März 1859. 281 


Wortes mit blofsem Auge fast unmerklich, im Stereoskop alle drei 
Worte treppenartig übereinander, indem auf der ersten Tafel 
das erste Wort am tiefsten, das zweite höher, das dritte das 
höchste wird. Während der wiederholte Abdruck desselben 
Satzes daher alles in einer Ebene darstellt, wird jeder neue Satz 
ähnliche Verschiedenheiten zeigen, auch wenn er aus derselben 
Druckerei hervorgegangen ist und die grölste Sorgfalt eine Gleich- 
heit zu erhalten, angewendet worden ist. Ob also bei einer 
neuen Auflage nur der Titel neu, läfst sich leicht beurtheilen. 
Was vom Druck gesagt ist, gilt natürlich von jeder Copie über- 
haupt. Bei der Nachbildung von Papiergeld ist bisher das Cri- 
terium der Vergleichung, Abweichung in der Form gewesen, 
das hier gegebene Verfahren giebt eine viel schärfere Prüfung. 
Legt man nämlich ein Werthpapier und seine Copie neben ein- 
ander in das Stereoskop, so wird eine für das blolse Auge nicht 
‚sichtbare Differenz in dem Abstande der Worte sich sogleich 
auf die angegebene Weise durch ein Hervortreten aus der Ebene 
des Papiers merklich machen. Durch dieses Verfahren ist also 
ein einfaches und scharfes Mittel gegeben, eine Copie eines 
Druckes oder einer Zeichnung als solche zu erkennen. Die 
Veröffentlichung des Verfahrens hat allerdings den Nachtheil, 
‚dals denen, welche solche Copien anzufertigen beabsichtigen, zu- 
gleich die Mittel an die Hand gegeben werden, durch das Ste- 
E.. selbst zu prüfen, in wie fern sich die Copie dem Ori- 
ginal anschlielst, aber die Schwierigkeit diesem Hülfsmittel ge- 
‚genüber eine bis an Identität streifende Übereinstimmung zu 
erhalten ist so grols, dafs es eher als Abschreckungsmittel dienen 
kann, da die Hoffnung eine Täuschung zu erreichen, so sehr in 
die Ferne gerückt wird. 
D Wie gering nämlich der Unterschied des Abstandes zweier 
Worte oder Buchstaben zu sein brauche, um das Heraustreten 
‚derselben aus der Ebene der übrigen hervorzubringen, kann ge- 
messen werden, wenn man den in der vorigen Notiz ange- 
führten Schieber mit einer mikrometrischen Vorrichtung versieht. 
h Die Banknoten können entweder vermittelst einer Druck- 
‚platte angefertigt sein, oder wie es besonders bei verschiedenem 
Farbedruck der Fall ist, mit mehreren. Möglicher Weise kann, 
‚wenn die bereits mit der ersten Platte bedruckten Papiere, dem 


282 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


zweiten Druck unterworfen werden, in einzelnen Fällen die Lage 
des Papiers gegen die zweite Druckplatte eine etwas veränderte. 
sein. Es werden sich dann alle Buchstaben und Zeichen der 
einen Platte, über die Buchstaben oder Zeichen der andern er- 
heben. Diefs kann aber nicht stattfinden in Beziehung auf die 
Buchstaben und Zeichen derselben Platte, und dadurch giebt sich 
eben eine Fälschung zu erkennen, dals bei dieser innerhalb der- 
selben Platte solche Ausweichungen sich zeigen. Man wird in 
den beigegebenen Druckplatten viele solcher Ungleichheiten in 
den einzelnen Zeilen, eben so ein ungleiches Hervortreten der 
ganzen Zeilen wahrnehmen, welche dann vermieden worden wä- 
ren, wenn das auf der einen Seite stehende zuerst allein auf 
der einen Seite abgedruckt worden wäre, und dann auf der an- 
dern Seite dieselben Zeilen nur etwas gegen einander eingerückt 
angewendet worden wären. Nur in diesem Faile würde die im 
Kalkspath hervortretende Erscheinung treu wiedergegeben wor- 
den sein. 

Der Identität echter Werthpapiere, auch wenn bei der An- 
fertigung derselben nur eine Platte oder ein Druck mit Typen 
angewendet wurde, treten noch andere Hindernisse entgegen. 
Wir wollen dabei davon absehen, dals wenn bei Abnutzung einer 
Platte dafür eine neue substituirt wird, diese der ersten nicht 
mathematisch gleich sei, weil sich diese Schwierigkeit ja leicht 
dadurch beseitigen läfst, dals das mit einer zweiten Platte ge- 
druckte irgend wie als eine andre Serie bezeichnet wird und 
man dann eine Copie eben mit einem Original derselben Serie 
zu vergleichen hat. 

Eswas anders sind die Veränderungen, welche möglicher 
Weise bei Anwendung derselben Platte hervortreten können, 
Sie sind doppelter Art und können entstehen entweder durch 
Veränderungen des zu bedruckenden Materials oder durch Ver- 
änderungen der druckenden Platte. 

Da das zu bedruckende Material Papier ist, so sind die hier 
zu betrachtenden Einflüsse Feuchtigkeit und mechanische Deh- 
nung. 

Um den Einfluls der Feuchtigkeit zu erhalten, wurde fol- 
gender Versuch angestellt. Zwei ganz gleiche durch denselben 
Satz erhaltene Drucke wurden im Stereoskop neben einander 


vom 28. März 1859. 283 


gelegt, so dafs nur ein ebenes Bild gesehen wurde. Es wurde 
nun einer derselben befeuchtet und nun das trockne und be- 
feuchtete Blatt so betrachtet, dafs die Mitte fixirt wurde. Das 
Ganze erschien nun als eine continuirlich gekrümmte Fläche, 
‚die sich von der vertieften Mitte allmählich nach den erhöhten 
Rändern hin erhob. Sollte daher bei demselben Satz zwischen 
verschiedenen Exemplaren desselben eine Differenz entstanden 
sein, so läfst sich durch Befeuchten beider diese abgleichen. 

Der Einfluls einer ungleichen mechanischen Dehnung läfst 
sich auf ähnliche Weise untersuchen. Die zu vergleichenden 
Papiere werden an der Stelle, wo sie einander berühren, be- 
festigt und auf der andern Seite über eine Rolie gehend durch 
Gewichte gespannt. Am geeignetsten, um diese Wirkung an- 
schaulich zu machen, sind die bei Reduction durch photographi- 
‚sche Mittel erhaltener meteorologischer Aufzeichnungen in An- 
wendung kommenden mit einer aufgetragenen Längentheilung 
versehenen Streifen von Kautschuk. Ermittelt man für bestimmte 
"Spannungsgewichte die Grölse der eintretenden Veränderung, so 
übernimmt das Stereoskop wie im vorhergehenden Falle die Rolle 
‚eines Hygrometers, hier die einer Federwage. 
Was die Veränderungen der Druckplatten oder Stempel be- 
trifft, so können diese möglicher Weise nicht allein in einer 
Abnutzung bestehen, sondern auch in einer Ausdehnung der 
ganzen Masse. Da mir diese Prüfung anzustellen das dazu er- 
forderliche Material fehlte, so habe ich auf eine indirecte Weise 
‚die daraus folgenden Erscheinungen zu bestimmen gesucht.') 
Bekanntlich hat Baudrimont (Ann. de Ch. et de Phys. 60 
p-78) gefunden, dafs die durch denselben Drathzug gezogenen 
Dräthe, wenn sie von verschiedenen Metallen sind, verschiedene 
" Dicke haben, indem nämlich die Metalle verschieden elastisch 
sind, und sich vermöge dieser Elasticität, wenn sie aus demsel- 
ben Loch heraustreten, um ungleiche Gröfsen ausdehnen. Diese 
) Ausdehnung geht daraus hervor, dals kein Drath, aufser Gold- 
drath, durch dasselbe Loch, aus welchem er unmittelbar hervor- 
gegangen ist, ohne Kraftanwendung wieder durchgezogen werden 
Zr. ... 

*) Die hierher gehörigen Versuche wurden erst in der Sitzung vom 
44. April vorgezeigt. 

[1859.] 20 


284 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


kann. Silber erfordert die geringste Kraft, die durch die Ela- 
sticität bewirkte Ausdehnung dauert aber noch mehrere Wo- 
chen fort. $ 

Es war mir nun wahrscheinlich, dafs bei dem Prägen von 
Medaillen etwas ähnliches stattfinden werde, und dafs daher Me- 
daillen, welche in verschiedenen Metallen durch denselben Präg- N 
stempel erhalten sind, nicht gleich sein können, sondern, um 
mich so auszudrücken, in einem etwas verschiedenen Maalsstab 
ausgeführt sein werden. Am geeignetsten dazu sind Medaillen, 
in welchen das darauf geprägte in Beziehung auf den Rand sym- 
metrisch geordnet ist, wie z. B. bei der Pariser Ausstellungs- 
medaille, die Seite, in welcher um den französischen Adler in 
der Mitte, die Wappenschilder kreisförmig herumliegen. Ich 
legte ein in Silber und ein in Bronce ausgeführtes Exemplar in 
das Stereoskop. Man sieht nach einiger Zeit diese stereoskopisch 
combinirte Medaille, wenn man den Adler in der Mitte fixirt, 
in Form eines hohlen Schildes in der eigenthümlichen Farbe 
einer gleichsam dadurch entstehenden Legirung. Welchen Ein- 
fluls die bei dem Erstarren einer geschmolzenen Substanz ein- # 
tretende Ausdehnung oder Zusammenziehung auf einen Abguls, 
und die Temperatur des Schmelzpunktes auf den Stempel selbst @ 
habe, konnte ich noch nicht untersuchen, da die zu dieser Un- 
tersuchung erforderlichen Abgüsse mir noch nicht zur Hand sind, 
Ich werde in einer spätern Notiz die Ergebnisse derselben mit- 
theilen. 

Den Einfluls der Temperatur allein erhält man, wenn man 
zwei Medaillen von demselben Metall combinirt, zwischen denen 
ein constanter Temperatur-Unterschied stattfindet. Das Bezeich- 
nende aller dieser Veränderung ist die Continuität des Über- 
ganges, welche, wenn man die Mitte fixirt, eine Krümmung her- 
vorruft, hingegen ein continuirliches Erheben oder Zurücktreten, 
wenn man den Rand fixirt. Der Grund dieser Verschiedenheit 
leuchtet sogleich ein, wenn man im Stereoskop zwei Maalsstäbe 
mit einander ceombinirt, bei welchen der Abstand der Theil- 
striche des einen zwar nahe gleich aber nicht identisch mit den 
Abständen der Theilstriche des andern. Bringt man nämlich 
durch Fixiren eines bestimmten Striches beider Theilungen die- 
sen Strich der beiden Maalsstäbe zur Deckung, so. verhalten sich 


Stereoskopische Darstellung eines 


Stereoskopische Darstellung eines 


durch einen Doppelspath binocular 


durch einen Doppelspath binocular 
betrachteten Druckes. 
betrachteten Druckes. 


Stereoskopische Darstellung eines 


Stereoskopische Darstellung eines 
Stereoskopische Darstellung eines 
durch einen Doppelspath binocular 
durch einen Doppelspath binocular 
betrachteten Druckes. 
betrachteten Druckes. 


Stereoskopische Darstellung eines 


REN I Si 
- ne 


Stereoskopische Darstellung eines Stereoskopische Darstellung eines 


Stereoskopische Darstellung eines Stereoskopische Darstellung eines 


durch einen Doppelspath binocular durch einen Doppelspath binocular 


durch einen Doppelspath binocular durch einen Doppelspath binocular 
betrachteten Druckes. betrachteten Druckes. 


betrachteten Druckes. betrachteten Druckes. 


Stereoskopische Darstellung eines Stereoskopische Darstellung eines 


PRÜFUNG PRÜFUNG 
EINER EINER 
LÄNGEN- 
THEILUNG. 


LÄNGEN- 
THEILUNG. 


een 


a 


Er nn 


a N ue  z 


oe 


PRÜFUNG 


LÄNGEN- 


EINER 
THEILUNG. 


| 


s vom 28. März 1859. 285 
die Theilstriche beider Maafsstäbe wie ein Nöoniüs, bei welchem 
die Coincidenz an jenen Striche stattfindet. Liegt nut dieser 
‘Strich in der Mitte, so ist der Sinti der Abweichüng auf beiden 
Seiten desselben entgegengesetzt, liegt hingegen der Strich am 
Ende, so sind alle Abweichungen in demiselben Sinn. Im ersten 
Falle wird daher im Stereosköp eine Krümmüng sich zeigen, im 
zweiten ein contintüirliches Aufsteigen oder Heräbsteigen. Um 
davon eine Anschauung zu geben, habe ich atif der Drucktäfel 
3 und 4 die Worte „Prüfung einer Längentheilung” einmal 
ohne Zwischenräume zwischen den Buchstäben setzen lassen, 


dann mit Zwischenräumen. Fixirt män äuf dem ersten Blätte, 
\ 6 die weiter entfernten Buchstäben in dem rechten Felde ste- 
ben, längere Zeit den ersten Buchstaben P, so sieht man nach 
1 iger Zeit siämmtliche Buchstaben jeder Zeile in Einer fast auf 
Ebetie des Papiers senkrechten Richtung hinter einander tre- 
ten, während auf der vierten Tafel, wo die weiter von eins 
ähder abstehenden Buchstaben auf der linken Seite stehen, das 
Unmgekehirte eintritt, indem der erste Bachstabe jeder Zeile dann 
in der Reihe der hinterste wird. Falst man hingegen die mit- 
4 Isten Büchstaben ins Auge, s6 erscheinen diese am tiefsten und 
lie Erhebung zu beiden Seiten. Je geringer nun der Unter- 
ehied des Abstandes der einzelneh Zeichen in beiden Bildern 
f, desto mehr nimmt das er die Gestalt einer con- 
q ih uirlichen Krümmung an. 

z In den Berichten der Akaderhie 1841 p- 252 habe ich ges 


\ ken Relief äuch stattfindet, wenh man diese im Dünkelt 
aufgestellten Zeichnungen dürch den elektrischen Funken einer 
sich entlädenden Kleistischen Flasche beleuchtet, dessen Dauer 
Inöch Bet: Ei ee. Theil = Secunde An en Es ist 


idem Versuch hervor. Ich spannte zwei Saiten derselben 
Nammer so neben einander, dafs sie sich im Stereöskop genau 
Zu einem Bilde deckten. Es wurde nun von den beiden uni- 
ono tönenden Saiten, einmal die eine, dann die andere in hori- 
;ontaler Richtung in Schwingung versetzt,‘ während die zweite 
20° 


286 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Saite in Ruhe blieb. Hätte hier eine stereoskopische Combina- 
tion stattgefunden, so hätte eine Ossillation von scheinbar sehr 
vergrölserter Schwingungsweite in einer mehr oder minder loth- 
rechten Ebene sichtbar werden müssen. Diels war aber nicht 
der Fall, da die Augen diese schnell aufeinander folgenden Com- 
binationen nicht auszuführen vermochten. Man sieht nämlich 
die Schwingung so, als wenn man mit einem Auge die schwin- 
gende Saite allein betrachtet, indem das auf die ruhende fixirte 
Auge die Combination versagt. Da möglicher Weise bei die- 
sem Versuch die Schwingung der Saite nicht in einer horizon- 
talen Ebene erfolgte, so wurde der Versuch auf folgende Weise 
modificirt. Es wurden zwei gleiche Stimmgabeln so neben ein- 
ander eingeschraubt, dafs im Stereoskop die obern vierseitigen 
Endflächen derselben einander zu den Endflächen einer einzigen 
Stimmgabel deckten. Es wurde nun eine derselben zum Tönen 
gebracht, während die andre nicht tönte. Es wurde darauf eine 
grolse Stimmgabel so aufgestellt, dals die Endflächen beider Zin- 
ken sich zu einer deckten, und diese Stimmgabel durch Strei- 
chen ins Tönen versetzt. In beiden Fällen erschien kein Her- 
auf- und Herunterbewegen, die ÖOssillation erfolgte horizontal 
und in derselben unvergrölserten Weise, als wenn sie mit einem 
Auge beobachtet wurde, ein Beweis, dafs die stereoskopische 
Combination nicht erfolgt. Ich halte diesen Versuch für eine 
neuen Beleg gegen die, von mir durch den frübern Versuch wie ic 
glaube bereits widerlegten, physiologischen Theorie, dals wir au 
das Vorhandensein eines Körpers schlielsen, aus der Veränderun 
der Convergenzpunkte der Augenachsen, indem wir abwechselnd 
die nähern und entferntern Theile desselben ins Auge fassen. 

Wenn das vorher angegebene Verfahren auf diese Weis 
ein Mittel an die Hand giebt, Längentheilungen mit einande 
zu vergleichen, so findet bei Kreistheilungen natürlich immer nu 
der zweite Fall statt, denn es ist klar, dafs da der Umfang de 
Kreises ein gegebener, die Fehler der Theilung sich auf die Ar 
vertheilen müssen, dals die an einer Stelle zu grolsen Abständ 
durch zu kleine an einer andern Stelle compensirt werden müs 
sen. Die Theilstriche erheben sich dann an einer bestimmte 
Stelle über die Ebene der ganzen Theilung, und gehen dan 
unter dieselbe herab. Ist aber an einer bestimmten Stelle ei 


\ vom 28. März 1859. 287 


falscher Strich, so tritt dieser unabhängig weit heraus. Diefs 
ergab eine mit der gröfsten Sorgfalt angefertigte Copie einer 
durch eine genaue Kreistheilmaschine angefertigte Kreistheilung. 

Hier also, wie bei falschem Papiergeld, sind es bestimmte 
Fehler, das plötzliche Heraustreten bestimmter Buchstaben oder 
Worte, welche sogleich darauf aufmerksam machen, dals man es 
mit einer Nachbildung zu thun hat. Solche Unterschiede traten 
in einer sehr gut nachgemachten Banknote, welche ich zu prü- 
fen Gelegenheit uk auf den ersten Blick hervor. Es wird 
für den Staat dann zweckmälsig sein, wenn eine solche Note 
einmal als falsch erkannt ist, die Ergebnisse der stereoskopischen 
Analyse als untrüglichen Steckbrief zu veröffentlichen. Aller- 
dings kann man sagen, dafs die im Abstande der Zeichen be- 
gangenen Fehler sich auch durch feine mikrometrische Messun- 
gen müssen feststellen lassen, wer hat aber Zeit den Abstand 
aller einzelnen Buchstaben mikrometrisch zu messen, während das 
von mir angegebene Verfahren auf einen Blick die fehlerhafte 
Stelle erkennen läfst. 

Für den hier erläuterten Zweck giebt man dem Stereoskop 
‚entweder keinen Boden, um es unmittelbar auf die vergleichende 
‚Papiere zu stellen, oder man macht an der Stelle der vier loth- 
rechten dunklen Ränder der Tafel in den Boden Einschnitte, um 
längere Streifen der zu vergleichenden Schriften hindurchzuzie- 
hen und auf diese Weise verschiedene Stellen derselben nach 
E.. zu vergleichen. 

% Legt man die beiden ersten Drucktafeln gleichzeitig in ein ge- 
wöhnliches W heatstone’sches Spiegelstereoskop, die eine auf die 
linke Seite desselben, die andere auf die rechte, so sieht man 
Bis das alternirende Hervortreten der Doppelzeilen und 
zwar in der Weise, dals in dem einen der neben einander ste- 
henden Bilder die Zeilen die hervortretenden sind, welche in 
de andern zurücktreten, doch erscheinen hier die Buchstaben 
ao Wem diese zu lesen Schwierigkeit macht, kann in 
as Wheatstone’sche Spiegelstereoskop hineinsehen, mit dem 
mir angegebenen Prismenstereoskop (mit zwei Prismen (Pogg. 
Kan. Bd. 83, S. 186 No.4), für welches Moigno den Namen 
Stereoskop a reflexion totale, Wheatstone den Namen Pseu- 
doskop vorgeschlagen hat. Um bei grolsen Platten zunächst un- 


288 Gesammisitzung 


gleiche Stellen aufzufinden, muls man den Wheatstone’schen 
Spiegelstereoskop die Einrichtung geben, dals man darin Platten 
von beliebiger Grölse aufstellen kann, welches man dadurch 
leicht erhält, dafs die Spiegel nicht zwischen zwei Bretter be- 
festigt, sondern nur auf einem aufgestellt werden und für die 
einzulegenden Blätter nur die untere Rinne bleibt, während die 
obere wegläallt. Man kann zur Inversion der als Typen erschei- 
nenden Buchstaben mit einem solchen Stereoskop das Prismen- 
stereoskop dann ein für allemal verbinden. Handelt es sich da- 
rum, die Identität zweier Sätze derselben Worte in Typen, oder 
zweier Kupferplatten vor dem Abdruck zu prüfen, so wendet 
man dieses Stereoskop unmittelbar auf die neben einander ge- 
legten Platten an. Bei Anwendung des Spiegelstereoskops ist 
es zweckmälsig, vorn zwei Vergrölserungsgläser anzubringen. 

Nachdem die Wissenschaft in der Daguerotypie, Photogra- 
phie und Galvanoplastik so mächtige Mittel treuer Nachbildung 
geliefert bat, ist es wohl an der Zeit, dals sie einmal die ent- 
gegengesetzte Richtung verfolge, und auf die Auffindung von 
Methoden bedacht sei, das Narkgehilleie von seinem Original 
zu unterscheiden. 


31. März. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. du Bois-Reymond theilte die Ergebnisse einer Un- 
tersuchung über die angeblich saure Reaction des Mus- 
kelfleisches mit. 

Bekanntlich hat zuerst Berzelius selber im Jahr 1807 
beobachtet dals das Muskellleisch eine saure Reaction besitze, 
Für die Ursache derselben erklärte er den Gehalt des Fleisches 
an einer freien, nicht flüchtigen, organischen Säure, die er nach 
allen ıhm damals bekannten Merkmalen für einerlei mit der von 
Scheele aus der sauren Milch dargestellten Säure erkannte. Es 
ist noch in Aller Gedächtnils und braucht deshalb hier nicht 
weiter: ausgeführt zu werden, zu wie heftigen, Kämpfen zwischen 
ihm und Hrn. v. Liebig volle vierzig Jahre später die von die- 
sem wieder aufgenommene Erörterung über die Natur der Fleisch- 
säure führte. Hr. v. Liebig, der zuerst das Vorkommen der 


vom 31. März 1859. 289 


Milchsäure im thierischen Körper läugnete, ward bald darauf, bei 
Gelegenheit seiner so berühmt gewordenen Untersuchungen über 
das Fleisch, gleichsam der zweite Entdecker derselben in den 
Muskeln, deren saure Reaction er von saurem milchsaurem und 
saurem phosphorsaurem Alkali herleitet. Im Verfolg seiner Un- 
tersuchungen haben dann einerseits die Hrn. Engelhardt, 
Heintz und Strecker die Natur der Fleischmilchsäure genauer 
studirt und ihre Abweichungen von der gewöhnlichen Milchsäure 
festgestellt; andererseits die Hrn. Scherer und Wydler auch 
noch eine Anzahl flüchtiger Säuren aus dem Fleische gewonnen, 
endlich die Hrn. Lehmann und Siegmund die saure Reac- 
tion der von Hrn. v. Liebig nicht berücksichtigten glatten Muskeln 
beobachtet. In Frankreich vertheidigen neuerdings die Hrn. 
Valenciennes und Fr&emy die Meinung, die saure Reaction 
' des Muskelfleisches werde nur in einzelnen Fällen durch Milch- 
‚säure, gewöhnlich aber durch saures phosphorsaures Kali (KO, 
2HO, PO,) bedingt. 

Während so über die Natur der Säure, denen die Muskeln 
ihre Reaction verdanken, viel und lebhaft gestritten worden ist, 


B 


hat man stets stillschweigend angenommen, dals die ganze Menge 


‚derselben, die sich aus den Muskeln gewinnen läfst, äuch bereits 
im lebenden Körper darin vorhanden sei. So sehr verstand sich 
“dies, nach der Meinung der Chemiker, von selbst, dals sie es, 
wie es scheint, nicht für nothwendig hielten, sich durch den 
"Versuch am frisch getödteten Thiere davon zu überzeugen, und 
dafs einzelne dem entgegen lautende Stimmen, wie die der Hrn. En- 
‚derlin undv.Bibra, ganz unbeachtet blieben. Hr.v.Liebiggrün- 
_dete auf die Gegenwart der freien Milchsäure in den Muskeln, 
‚deren Menge er so hoch anschlägt, dals sie unter Umständen 
alles im Blut enthaltene Alkali zu sätligen vermöge, eine Reihe 
der kühnsten und weitaussehendsten Folgerungen. Unter anderen 
suchte er aus der elektrochemischen Wechselwirkung. der in den 
Muskelbündeln enthaltenen sauren und der in den Blut- und 
Lympbgefälsen' enthaltenen alkalischen Flüssigkeit durch das Sar-: 
‚kolenım und durch die Haargefälswände hindurch die Entstehung 
‚des Muskelstromes zu erklären. 
Unter diesen Umständen glaube ich, dafs’ es für die Che- 
 miker sowohl als für die Physiologen von einigem Interesse sein 


290 Gesammtsitzung 


wird, wenn ich zeige, dafs die ein halbes Jahrhundert lang von 
den Chemikern unangefochten behauptete Gegenwart freier 
Säure in den lebenden Muskeln für gewöhnlich nicht zu erwei- 
sen ist; dals zweifellos der bei weitem gröfste Theil der Säure, 
welche die Chemiker im angeblich frischen Fleisch erkannt ha- 
ben, erst zur Zeit der beginnenden Fäulnifs darin frei wird; 
endlich dafs nur in dem Falle, wo dauernde heftige Muskelan- 
strengung vorhergegangen ist, der noch leistungsfähige Muskel 
eine saure Reaction besitzt. 

Der Weg auf dem ich zu dieser Kenntnils gelangt bin, ist 
folgender. Nachdem ich im Sommer 1842 das Gesetz des Mus- 
kelstromes entdeckt hatte, bestand natürlich einer der ersten 
Versuche, die ich anstellte, darin, dafs ich untersuchte, ob 
nicht vielleicht der Längsschnitt und der künstliche Quer- 
schnitt des Muskels eine verschiedene Reaction darböten. Die 
Angaben der Chemiker über die saure Beschaffenheit des Fleisch- 
saftes waren mir wohl bekannt; ja ich hatte selber Gelegenheit 
gehabt, mich davon zu überzeugen bei einem von Hrn. Brücke 
im Laboratorium des Hrn. Mitscherlich angestellten Versuch, 
der zum Zweck hatte, zum Erweis der von Hrn. Brücke er- 
sonunenen Theorie der Todtenstarre eine freiwillig gerinnbare 
Flüssigkeit aus den Muskeln auszupressen. Einem Kaninchen 
wurde blutwarmes destillirtes Wasser so lange in die Bauchaorta 
gespritzt, bis es farblos aus der unteren Hohlvene wieder abflofs, 
und die blutleeren Beinmuskeln so warm und zuckend als mög- 
lich unter die Presse gebracht. Die stark röthlich gefärbte Flüs- 
sigkeit, welche dergestalt erhalten wurde, setzte freiwillig kein 
Gerinnsel ab, enthielt aber eine grolse Menge Eiweils und rea- 
girte stark sauer. Jetzt erwartete ich also, den künstlichen 
Querschnitt des Muskels sauer reagirend zu finden, woraus, im 
Verein mit der bekannten alkalischen Reaction der den natür- 
lichen Längsschnitt benetzenden Lymphe oder allgemeinen thie- 
rischen Feuchtigkeit, eine elektromotorische Wirkung nach dem 
Gesetze des Muskelstromes sich allenfalls würde haben ableiten 
lassen. Allein zu meinem nicht geringen Erstaunen zeigte der 
künstliche Querschnitt bei wiederholter Prüfung mittels Lak- 
muspapiers keine deutliche saure Reaction; und da ich damals an- 
dere Fragen in Fülle zu beantworten hatte, und andere Gründe 


vom 31. März 1859. 291 


genug mir zur Hand waren, aus denen hervorging, dafs ein blo- 

fser elektrochemischer Gegensatz von Längs- und Querschnitt 
nicht der Ursprung des Muskelstromes sein könne, so liels ich 
die Sache auf sich beruhen, indem ich mich bei der Vorstellung 
beruhigte, die aus den querdurchschnittenen Blut- und Lymph- 
gefälsen flielsende alkalische Flüssigkeit habe die Säure des 
Muskelquerschnitts gesättigt. 

Ich wurde erst wieder auf diesen Punkt zurückgeführt, als 
ich, acht Jahre später, mich mit dem von mir sogenannten par- 
elektronomischen Zustande der Muskeln beschäftigte. Ich habe 
damals dargethan, dafs am Querschnitt der Muskeln eine Schicht 
vorhanden ist, deren elektromotorische Kräfte denen des übrigen 
_Muskels entgegenwirken. Diese Schicht heilst die parelektronomi- 
‚sche Schicht. Je nach der verschiedenen Stufe ihrer Ausbildung 
ist der Muskel mit natürlichem Querschnitt schwach positiv wirk- 
sam, d. h. der Strom geht im Multiplicatorkreise vom Längs- 
schnitt zum Querschnitt, oder der Muskel ist unwirksam, oder 
“endlich gar er ist negativ wirksam. Sobald aber die elektromo- 
torischen Kräfte der parelektronomischen Schicht auf irgend eine 
Art aufser Spiel gebracht werden, sei’s dals man die Schicht 
“mechanisch entfernt, d. h. den künstlichen Querschnitt herstellt, 
'sei’s dafs man sie nur ihrer elektromotorischen Wirksamkeit auf 

_ ehemischem oder kaustischem Wege beraubt: wird der Muskel 
Yin gehörigen Maals positiv wirksam, der Muskelstrom tritt in der 
‚gewohnten Art hervor. Um eine Veränderung des Stromes zwischen 
Längsschnitt und natürlichem Querschnitt, gleichviel wie er gerade 
schäffen sei, in positivem Sinne hervorzurufen, genügt es also, 
den natürlichen Querschnitt des Muskels mit einer Flüssigkeit zu 
benetzen, welche die Muskelsubstanz chemisch angreift, gleich viel 
ob die Flüssigkeit leitend sei oder nicht, und gleichviel welche 
‚sonst ihre chemische Beschaffenheit sei. Die Veränderung des 
Stromes i im positiven Sinne, wie sie sich im ersten Augenblick 
"kund giebt, ist um so gröfser, je stärker die Flüssigkeit die Mus- 
‚kelsubstanz angreift, und je rascher sie dieselbe durchdringt. 
Aber auch die scheinbar am wenigsten differenten und der Dif- 
fusion fähigen Flüssigkeiten sind einer solchen Wirkung fähig. 
Man kann sich also der positiven Veränderung des Stromes beim 
Benetzen des Querschnittes mit einer Beten Flüssigkeit 


292 Gesammtsitzung 


gleichsam als eines neuen Reagens bedienen, um zu erfahren, 


ob die Muskelsubstanz davon angegriffen werde oder nicht. Ja 
ich bezweifle, dals es für die Angreifbarkeit der Muskelsubstanz 
durch eine gegebene Flüssigkeit ein empfindlicheres Merkmal 
gebe als das hier bezeichnete. Überflüssig ist es wohl zu er- 
wähnen, dals die positive Veränderung dann am leichtesten 
wahrnehmbar ist, wenn der Muskel, wegen der parelektro- | 
nomischen Schicht, nahe stromlos verharrt. Diese Bedingung 
findet sich meist an den Muskeln solcher Frösche erfüllt, die 
mindestens 24 Stunden auf 0° erkältet worden sind. 

Mit Hülfe dieses Prüfungsmittels fand ich bei einer Gele- 
genbheit, die hier nichts zur Sache thut, dals der künstliche 
Querschnitt eines Froschmuskels bei fortgesetzter Berührung die 
Substanz eines anderen Froschmuskels chemisch angreife. Die 
natürlichen Flächen des Muskels wie auch der durch Zerreilsen 
des Muskels in der Richtung seiner Fasern dargestellte künst- 
liche Längsschnitt thaten es nicht. Ich sah mich also zu dem 
Schlusse getrieben, dals entweder in den Muskelbündeln eine 
Flüssigkeit enthalten sei, die den Inhalt der Muskelbündel an- 
greife, was widersinnig ist, oder, dafs sich am künst!ichen Quer- 
schnitt im Laufe der Zeit eine solche Flüssigkeit bilde. Es ge- 
lang sofort, die letztere Ansicht dureh den Versuch zu. bestäti- 
gen. Dazu war nur nöthig, die ätzende Wirksamkeit eines fri- 
schen und eines schon seit einiger Zeit hergestellten Quer- 
schnittes miteinander zu vergleichen. Der ältere Querschnitt 
zeigte sich viel stärker ätzend als der frische. Die Bildung einer 
ätzenden Flüssigkeit am künstlichen Querschnitt war somit er- 
wiesen, und von hier aus ward es mir nicht schwer, den wah- 
ren Zusammenhang der Dinge und den Grund des Widerspruchs 
zu durchschauen, der so lange für mich zwischen jenen früheren 
Versuchen, in denen frische Froschmuskelquerschnitte mir neu- 
trale Reaction gaben, und der Lehre der Chemiker von der sau- 
ren Natur der Fleischflüssigkeit, geherrscht hatte. 

Ich überlegte mir, dals die Chemiker unter frischem Fleische 
insgemein wohl nur solches verstehen, welches noch gut zu 
essen ist. Dies ist aber nicht frisches Fleisch im Sinne der 
Physiologen. Die Physiologen nennen frisches Fleisch solches, 
welches; nach dem Tode, oder nach der Trennung vom lebenden 


vom 31. März 1859. 293 


Thiere ne im Besitze seiner Lebenseigenschaften verharrt, d. 
.h. welches noch zuckungsfähig ist, und elektromotorisch wirkt 
nach dem von mir aufgestelllen Gesetze. Man könnte diesen 
Zustand der Muskeln nach dem Vorbilde eines von Hrn. Flou- 
rens gebrauchten Ausdrucks der französischen Rechtspraxis den 
des Überlebens (l’etat de survie) nennen. Nur Fische und 
Frösche, und in einigen Gegenden Deutschlands die Hühner 
tragen ihre Muskeln im Zustande des Überlebens in den Koch- 
topf, Krebse bekanntlich sogar im Zustande des Lebens selbst. 
Das Fleisch anderer Thiere muls, um für uns genielsbar zu sein, 
erst eine Reihe von Veränderungen durchlaufen haben, die sich 
nach dem Tode freiwillig daran einstellen. Es muls aus dem 
Zustande des Überlebens in den der Todtienstarre übergegangen 
sein, wo es nicht mehr zuckungsfähig ist und seine elektromo- 
torische Wirksamkeit eingebülst bat. Aus dem Zustande der 
| Todtenstarre muls es sodann, durch Lösung derselben, in den 
er beginnenden Fäulnils übergetreten sein. Wir essen für ge- 
_ wöhnlich Fleisch im Zustande der gelösten Todtenstarre, der be- 
ginnenden Fäulnils. In der Küche heilst dies Fleisch noch fri- 
sches Fleisch. Beim Wilde lassen wir die Fäulnils sogar merk- 
lich werden. Nur Völkerschaften im Urzustande, wie die Hellenen 
Homer’s oder die Nordamerikanischen Hinterwäldler essen Fleisch 
im Zustande des Überlebens, frisches Fleisch im Sinne der Phy- 
siologen, in welchem ich fortan dies Beiwort ausschlielslich brau- 
chen werde. Der Grund unserer Sitte ist leicht einzusehen. 
Er liegt wohl weniger darin dafs Fleisch im Zustande des Über- 
lebens bei der Zubereitung doppelt todtenstarr wird, erstlich 
durch Gerinnung des flüssigen Muskelfaserstoffs, denn durch Ge- 
Annung des Eiweilses, als darin dals die Zähigkeit des Binde- 
gewebes, welches bei vielen Arten der Zubereitung nicht Zeit 
hat sich in Leim zu verwandeln, durch die He Fäulnils 
vermindert wird. 
Durch meine thierisch-elektrischen Versuche wulste ich, was 
sich ohnehin vom physiologischen Standpunkt aus leicht erklärt, 
fs eine dünne Schicht des Muskels am künstlichen Querschnitt 
2: kurzer Zeit abstirbt. So kam ich unvermeidlich auf den 
Gedanken, dals erst beim Absterben des Muskels, gleichviel ob 
es schnell oder langsam geschehe, die Säure in ihm frei werde. 


294 Gesammtsitzung 
. 


Diese Muthmalsung war offenbar geeignet, den oben bezeichne- 


ten Widerspruch zu versöhnen. Denn Hrn. v. Liebig’s feinge- 


hacktes Fleisch frischgetödteter Thiere war eben kein frisches 
Fleisch mehr in dem oben bestimmten Sinne. Gehacktes Fleisch 


sogar von Fröschen ist stets bereits todtenstarr. Auch die stärk- 


sten elektrischen Schläge bringen in dem Häcksel keine Spur 
von Bewegung mehr hervor. Bei jenem Versuch des Hrn. 
Brücke kamen die Kaninchenmuskeln zwar noch warm und 
zuckend unter die Presse. Allein sie wurden nach dem Aus- 
pressen todtenstarr vorgefunden, und aus demselben Grunde, aus 
dem die Abwesenheit eines freiwillig entstandenen Gerinnsels in 
der ausgeprelsten Flüssigkeit nichts gegen Hrn. Brücke’s Theo- 
rie der Todtenstarre bewies, aus demselben Grunde bewies auch 


die saure Reaction dieser Flüssigkeit nichts für die Gegenwart 


der Säure in den noch lebenden Muskeln. 


Um meine Muthmalsung zur Gewilsheit zu erheben, war 
nur nöthig, einen älteren, bereits ätzend gewordenen Querschnitt ; 
auf seine Reaction zu prüfen. Dieselbe ergab sich als lebhaft 


sauer; und so ward ich dazu geführt, der Aufklärung dieses Ge- 
genstandes weitere Bemühungen zu widmen. 


Die folgenden Versuche sind sämmtlich mit auf gewöhn- 


liche Art bereitetem, im Dunkeln über Kalihydrat aufbewahrtem 
Lakmuspapier angestellt, und zwar mit verschiedenen Proben, 


die ich theils der Güte befreundeter Chemiker verdankte, theils 
selbst dargestellt, theils gekauft hatte. Als die beste Vorkehrung, um 
die Reaction der Muskeln zu untersuchen, ist mir folgende erschienen. 


Auf einem gefirnilsten Brettchen aus Lindenholz wird eine Anzahl 
rother und blauer Lakmuspapierstreifen der Länge nach nebenein- 


ander in bunter Reihe mit Hülfe von Stechknöpfen so ausgespannt, 


dals je ein Streifen den folgenden mit dem Rande dachziegel- 
förmig deckt. Die Fläche, deren Reaction geprüft werden soll, 
prelst man gegen die Grenze zweier Streifen, so dals sie zur 
Hälfte einem rothen, zur Hälfte einem blauen Streifen anliegt. 
So hat man nicht allein den Vortheil, dafs man in einem Ver- 
such zwei Erfolge sogleich beobachtet; es wird auch das Urtheil 
über die Natur und den Grad einer z. B. auf blauem Gruude 
erzeugten Verfärbung durch den gegenwärtigen Eindruck des 
benachbarten Roth wesentlich unterstützt. 


F 
1 


& 


r 


BE 


2477 200 DE 


vom 31. März 1859. 295 


Es ist zweckmäfsig, sich bei der Untersuchung zunächst auf 
die Froschmuskeln zu beschränken, weil der langsame und durch 
die Temperatur leicht zu beherrschende Verlauf der Erscheinun- 
gen an denselben mancherlei zu beobachten gestattet, was an 
den Muskeln warmblütiger Thiere sich der Wahrnehmung ent- 
zieht. 
| Zuerst prüfte ich von Neuem mit aller Sorgfalt die Reac- 
tion der natürlichen, die Muskeln begrenzenden Flächen. Dabei 
kommt der Unterschied zwischen natürlichem Längs- und Quer- 
‘schnitt, der in der Lehre vom Muskelstrom eine Rolle spielt, 
natürlich nicht in Betracht. Dagegen kann ein Unterschied ge- 
macht werden zwischen der Fläche des Muskels, die in den 
_Lymphräumen frei zu Tage liegt, und selbstverständlich mit dem 
Lymphe und der inneren Hautfläche einerlei Reaction besitzt, 
und den Flächen, mit denen die Muskeln einander berühren, und 
die man durch künstliche Trennung der Muskeln entblöfsen muls. 
Letzteres geschieht am besten indem man den grolsen Unterschen- 
 kelstrecker vom Knie her aufbebt. Die Reaction beider Arten 
von Flächen ist ganz dieselbe, und, wie gesagt, einerlei mit der 


der Lymphe und der inneren Hautfläche, nämlich eine leicht 
“alkalische, der Art dals rothes Lakmuspapier erst nach längerem 
Verweilen in Berührung damit deutlich gebläut wird. 

i Ganz ebenso verhält sich der künstliche Längsschnitt der 
Muskeln, den ich auf die in meinen Untersuchungen beschrie- 
bene Art herstellte. 

—  Trocknet man die Muskeln, ehe man sie mit dem Lakmus- 
papier in Berührung bringt, ab, indem man sie zwischen Fliefs- 
papier knetet, so erhält man, wegen der Trockenheit der Ober- 
Bäche, gar keine Einwirkung mehr auf das Pigment. 

+ Schneidet man einen dergestalt abgetrockneten Muskel mit- 
telst einer gleichfalls sorgfältig abgewischten Scheere quer durch 
und prelst die frischen Querschnitte der beiden Hälften auf 
blaues und auf rothes Lakmuspapier, so ereignet sich folgendes. 
Auf dem rothen Papier entsteht sofort ein bläulicher Fleck, der 
sich bei längerem Verweilen des Querschnittes auf dem Papier 
entschieden blau ausnimmt. Auf dem blauen Papier entsteht 
meist erst etwas später ein ebenso entschiedener rother Fleck. 
Vergleicht man aber den scheinbar blauen Fleck auf rothem 


296 Gesammtsitzung 


Grunde mit dem scheinbar rothem auf blauem Gründe, so dafs 
Fleck an Fleck stölst, was eben am leichtesten so geschieht, 
dafs man den Muskelquerschnitt in der oben angegebenen Art 
halb auf einen rothen und halb auf einen blauen Streifen auf 
setzt, so zeigt sich, dals beide Flecke genau genommen von 
einerlei Farbe, nämlich violett sind, und dals der Anschein ihrer 
verschiedenen Farbe auf nichts beruhte, als auf dem Gegensatze 
des Grundes, auf dem man sie erblickt. Der Umstand, dafs der 
frische Muskelquerschnitt auf blauem Papier scheinbar eine deut= 
liche rothe Spur hinterlälst, mag manchen getäuscht haben, der, 
um sich von der angeblich sauren Reaction der frischen Muskeln 
zu überzeugen, die Prüfung nur auf diese Art vorgenommen hat, 
ohne zu ahnen, dafs er auf rothem Papier einen scheinbar eben 
so entschiedenen blauen Fleck erhalten haben würde. 

Um diese Art der Einwirkung des Müuskelquerschnittes auf 
das Pigment zu erklären, könnte man sich denselben zuerst vor- 
stellen gleichsam als eine Mosaik aus dem sauren Inhalt der Pri= 
mitivbündel einerseits, andererseits dem alkalischen Sarkolemma, 
Bindegewebe, Perimysium, den Blut- und Lymphgefälsen. ‚Auf 
rothem Grunde mülsten die zuletzt aufgezählten Gewebe blaue, 
auf blauem Grunde der saure Inhalt der Primitivbündel rothe 
Spuren hinterlassen, und so in beiden Fällen der Anschein eines 
violetten Fleckes entstehen. 

Abgesehen davon, dafs alsdann doch wohl der scheinbar 
rothe Fleck auf blauem Grunde deutlicher ausgeprägt sein 
mülste, während eher das Gegentheil zutrifft, zeigt die Lupe 
nichts von einer solchen Buntscheckigkeit des Muskelabdrucks; 
und es bedarf auch überhaupt dieser künstlichen Annahme nicht. 
Es ist in neuerer Zeit mehrmals beobachtet worden, dafs (phy- 
sikalisch) in sich gleichartige Flüssigkeiten, wie z. B. Harn, der- 
gestalt auf das blaue und auf das rothe Lakmuspigment wirken, 
dals sie jenes röthen, dieses bläuen. Man muls wohl in diesen 
Fällen die Reaction als neutral auffassen, obschon sie sich frei- 
lich anders darstellt als die neutrale Reaction z. B. destillirtem 
Wassers oder einer Lösung eines nach Aussage des Lakmus- 
papieres neutralen Salzes, welche keines von beiden Pigmenten 
verändern sollen. In wie weit hier wirklich etwas Besonderes 
vorliege, oder nur ein gradweiser Unterschied stattfinde von jenen 


vom 31. März 1859. 297 


leichten Verfärbungen, welche man auch mit Wasser, Alkohol, 
Neutralsalzlösungen zu beobachten Gelegenheit hat; ferner wie 
diese Art neutraler Reaction in Einklang zu bringen sei mit der 
gangbaren Theorie der Reaction auf das Lakmuspigment: dies zu 
"beurtheilen überlassen wir den Chemikern. Da sich aber, wie die 
Folge lehren wird, aus den frischen Muskeln auf verschiedenem 
Wege eine mit jener Art neutraler Reaction behaftete Flüssig- 
keit gewinnen lälst, ja da es mir einigemal begegnet ist, dals 
eine solche Flüssigkeit ohne weitere Bemühung in geringer 
Menge aus dem frischen Querschnitt sickerte, so braucht man 
wohl für die gleiche Reaction des Querschnittes nach einem an- 
‘deren Grunde, als nach der Gegenwart einer solchen Flüssigkeit 
in den Primitivbündeln, nicht mehr zu suchen, und wir dürfen 
demgemäls den Inhalt der frischen Primitivbündel fortan wohl 
als von neutraler Beschaffenheit hezeichnen. 

- Violettes Lakmuspapier wird denn auch in geeigneter Nu- 
ance durch den frischen Muskelquerschnitt gar nicht verändert. 
Übrigens ist nicht zu verkennen, dals, wenigstens an den Win- 
terfröschen, mit denen ich zuletzt diese Prüfungen angestellt 
habe, die Reaction des frischen Muskelquerschnittes sich mehr 
"zum Alkalischen hinneigt, so dafs die röthliche Färbung auf 
blauem Grunde nicht nur zu erscheinen zögert, sondern ganz 
"ausbleibt, oder doch nicht von Dauer ist. 

€ Wie dem auch sei, läfst man einen querdurchschnittenen 
Muskel vor dem Austrocknen geschützt bei mittlerer Temperatur 
liegen, und untersucht nach einiger Zeit die Reaction des Quer- 
schnittes von Neuem, so findet man, wie schon gesagt, dieselbe 
lebhaft sauer. Ein in einiger Entfernung von dem ersten ange- 
legter Querschnitt verhält sich aber noch neutral, wie der erste 
unmittelbar nach seiner Herstellung. Nach Ablauf einer neuen 
Frist erscheint auch dieser sauer; es kann aber gelingen, noch 
einen dritten Querschnitt neutral zu finden, u. s. £. 

» Wenn endlich der Muskel seine Leistungsfähigkeit einge- 
büfst hat und todtenstarr geworden ist, dann erst reagirt er auf 
jedem Querschnitt sofort sauer. Noch aber verhält sich der 
künstliche Längsschnitt alkalisch. Aber mit der Zeit’ wird das 
Alkali der übrigen Gewebe im Muskel durch die im Inne- 
ren der Bündel gebildete Säure übersättigt, und der Muskel 


298 Gesammtsitzung 


reagirt durch und durch sauer: er überfliefst von Säure, denn 
die Flüssigkeit, welche jetzt aus dem Querschnitt sickert, färbt das 
blaue Lakmuspapier fast zwiebelroth. Nun geht der Muskel 
rasch den weiteren Stadien der Fäulnils entgegen, welche es 
schlielslich mit sich bringt, dals der Querschnitt wieder von 
kohlensaurem Ammoniak alkalisch reagirt, ganz wie man ursprüng- j 
lich normal sauren Harn durch die Fäulnils alkalisch werden sieht. 

Die rothen Flecke, welche die todtenstarren Muskeln auf 
blauem Lakmuspapier machen, bleiben auch nach dem Trocknen 
sichtbar. Daraus dürfte zu schlielsen sein, dafs dieselben nicht 
allein, wie die Hrn. Valenciennes und Fr&emy wollen, von 
saurem phosphorsaurem Kali herrühren. Denn, wie Hr. Mit- 
scherlich bereits vor vielen Jahren gezeigt hat, die vom sau- 
ren phosphor- und arsensauren Kali auf blauem Lakmuspapier 
gemachten rothen Flecke verschwinden beim Trocknen, weil das 
Salz beim Krystallisiren die Säure wieder aufnimmt, welche das 
Lakmuspapier röthete. 

Über die Zeit, welche verfliefsen muls, damit diese ver- 
schiedenen Zustände des absterbenden Muskels sich bemerklich 
machen, läfst sich nichts bestimmtes sagen, weil der Verlauf 
der Erscheinungen von allen den zahlreichen Umständen abhängt, 
welche die Dauer der Muskelerregbarkeit nach dem Tode über- 
haupt bedingen. Einzelne ausgeschnittene Froschmuskeln bei 
einer Temperatur von etwa 0° aufbewahrt können sich noch 
am zehnten Tage lebhaft zusammenziehen, und demgemäls eine 
völlig neutrale Reaction besitzen. Bei mittlerer Temperatur da- 
gegen versagen sie meist schon am dritten Tage jede Spur von 
Zuckung, und werden bald darauf starr und sauer angetroffen. 
Verletzte Muskeln werden viel früher durch und durch sauer als 
nnversehrte, u. s. f. 

Aus diesen Versuchen folgt also bereits mit Bestimmtheit 
zweierlei. Erstens, dals in den Muskeln um die Zeit des Er- 
starrens Säure in ansehnlicher Menge frei wird, und zweitens, 
da wir den künstlichen Längsschnitt noch alkalisch fanden als 
schon der künstliche Querschnitt sauer reagirte, dals das Innere 
der Primitivbündel der Sitz dieser Säurebildung ist. 

Hingegen könnte man noch bezweifeln, ob wirklich im In- 
neren der frischen Muskelbündel noch gar keine freie Säure vor- 


vom 31. März 1859. 299 


handen sei, indem die Möglichkeit da sei, dafs dieselbe durch die 
alkalischen aus den Blut- und Lymphgefälsen stammenden Flüs- 
sigkeiten hätte verdeckt werden können. Um hierüber in’s Klare 
zu kommen, war es nöthig, die obigen Versuche mit Muskeln 
zu wiederholen, aus deren Gefälsen das Blut durch eine neu- 
trale Flüssigkeit war vertrieben worden. Ich wählte als solche 
eine verdünnte Rohrzuckerlösung (5 dem Gewichte nach) 
destillirttem Wasser, und entleerte, je nach der Grölse des 
Frosches, eine damit gefüllte Spritze von 47 CC. Inhalt zwei 
bis dreimal durch dessen Gefälssystem. Die Muskeln zuckten 
nicht beim Ausspritzen mit dieser Flüssigkeit, wie sie es bei An- 
wendung von destillirtem Wasser zu thun pflegen, und sie blie- 
ben fast eben so lange erregbar als Muskeln mit ihrem normalen 
Blutgehalt. Einen klar ausgesprochenen Unterschied zwischen der 
Reaction des Querschnittes mit Blut und mit Zuckerwasser er- 
füllter Muskeln konnte ich nicht wahrnehmen, obschon die Spur 
eines solchen, welche allenfalls vorhanden war, allerdings für 
eine etwas geringere Alkalescenz des Querschnittes sprach. Die- 
ses Ergebnils entspricht somit vollständig dem, zu welchem 
‚Hr. Kühne im vorigen Sommer in meinem Laboratorium ge- 
langte, als er Hrn. Brücke’s oben S. 290 beschriebenen Ver- 
such mit Frosch- statt mit Kaninchenmuskeln und mit Zucker- 
wasser statt mit destillirttem Wasser wiederholte. Er erhielt 
durch Auspressen des blutleeren Froschfleisches eine Flüssigkeit, 
welche, wie die Querschnitte der Muskein selbst, wahrscheinlich 
neutral reagirte, da sie rothes Lakmuspapier schwach blau, und 
das blaue Papier röthlich färbte.') 
En Aulser mit der Zuckerlösung habe ich ähnliche Versuche 
‚auch noch mit destillirtem Wasser angestellt. Die Erscheinungen 
im Einspritzen von destillirttem Wasser in die Muskeln sind 
lurch Job. Müller’s, Ed. Weber’s, G. v. Liebig’s und 
« Wittich’s Beobachtungen bekannt. Die Muskeln schwellen 
inter Zuckungen auf, werden ganz weils, ihre Leistungsfähig- 
‚keit ist sehr vermindert, und hat, wenn die eingespritzte Was- 
‚sermasse grols war, bald ein Ende. Indessen auch der Quer- 
0 
RR ') Allgemeine medicinische Central-Zeitung. Berlin, den 1. Sep- 
'tember 1858. 
 [1859.] 21 


x 


D 
Dr: 
« 


300 Gesammıtsitzung 


schnitt solcher Muskeln reagirt neutral; höchstens kann mar 


sagen, dals nach sehr. reichlicher Wassereinspritzung die Reac- 
tion sich etwas mehr zum Säuerlichen neigt. a 

Allein dergleichen Muskeln zeigen noch eine andere au 
fallende Erscheinung, deren jene Beobachter nicht gedacht haben. 
Bewahrt man nämlich nach Hindurchspritzen von etwa 200— 
300 CE. destillirten Wassers die hintere Hälfte eines Frosches in 


der Kälte auf, so lassen die Beinmuskeln allmälig einen ansehnlichen, 


K 
4 
* 
% 


wenn nicht den grölsten Theil des aufgenommenen Wassers in 
Gestalt einer trüben Flüssigkeit wieder fahren, von der man | 
leicht innerhalb der ersten 24 Stunden 2.5, innerhalb der fol- 
genden entsprechenden Zeitabschnitte über 1 CC., im Ganzen 
bis 6 CC. auffangen kann. Anfangs reagirt diese Flüssigkeit, 
ganz wie der frische Muskelquerschnitt, auf beide Lakmuspapiere. 
Sterben die Muskeln ab, so findet man die fortan ausgestolsene 
Flüssigkeit sauer; geben sie in Fäulnils über, so ändert sich die 
Reaction in die alkalische um. Zu jeder Zeit enthält die Flüs- 
sigkeit eine grolse Menge Muskeleiweils. Freiwillige Bildung 
eines Gerinnsels habe ich in derselben nicht beobachtet. Die 
aus den faulenden Muskeln stammende alkalische Flüssigkeit sieht 
gelblich aus und wimmelt von Vibrionen. Ob die Muskeln die 
Flüssigkeit auch durch ihre unversehrte Oberfläche, oder nur 
durch die durchschnittenen Gefälse ausstolsen, habe ich noch 
nicht durch den Versuch entschieden. 

So haben wir nunmehr drei Arten kennen gelernt, wie aus 
den Muskeln eine mit der Reaction des frischen Muskelquer- 
schnittes behaftete Flüssigkeit zu gewinnen sei. Eine solche Flüs- 
sigkeit sickert gelegentlich von selbst aus dem frischen Quer- 
schnitt, man kann dieselbe durch Auspressen mit Zuckerwasser 
ausgespritzter Muskeln darstellen, wie Hr. Kühne that, endlich 
die mit destillirtem Wasser strotzend angefüllten Muskeln geben 
sie in reichlichem Malse freiwillig von sich. 

Jetzt wird dem Schlusse, dals nicht nur, wie schon vor- 
her bewiesen wurde, der bei weitem gröfste Theil der in den 
abgestorbenen Muskeln enthaltenen Säure erst beim Erstarren 
in den Muskeln frei geworden ist, sondern dafs überhaupt 
in den frischen Muskeln gar keine durch die Reaction auf Lak- 
mus nachweisbare freie Säure vorhanden ist, — diesem Schlusse 


vom 31. März 1859. 301 


wird wohl nichts Erhebliches mehr entgegenstehen. Da auch 
Muskeln, welche statt Blut Zuckerwasser oder destillirtes Was- 
ser in ihren Gefälsen enthalten, auf dem Querschnitt neutral 
reagiren, so kann nicht mehr gesagt werden, dals das Alkali des 
Blutes die freie Säure des Muskelbündel-Inhaltes sättige; und da 
auf mehrfachem Wege das Dasein einer auf beide Lakmuspa- 
piere reagirenden Flüssigkeit im Muskel dargethan ist, so kann 
auch nicht mehr füglich daran gedacht werden, zur Erklärung 
der gleichen Reaction des Querschnittes des ausgespritzten Mus- 
kels an der an sich schon so bedenklichen Hypothese festhalten 
zu wollen, wonach der violette Fleck auf beiden Papieren aus 
blauen und rothen Flecken nach Art einer Mosaik sollte zusam- 
mengesetzt sein. Es kann vielmehr keine Frage mehr sein, 
dals die ganze in den abgestorbenen Muskeln von 
den Chemikern erkannte Säuremenge erst zur Zeit 
des Erstarrens innerhalb der Primitivmuskelbündel 
frei wird. 

Daraus, dals man die Schnittfläche eines querdurchschnitte- 
nen Muskels schon sauer findet zu einer Zeit, wo der übrige 
Muskel sich noch neutral verhält, könnte man zu schlielsen ge- 
neigt sein, die Säurebildung beruhe auf einer Oxydation, zu der 
‚sich an der Schnittlläche wegen der freigegebenen Berührung 
mit dem Sauerstoff der Luft vorzugsweise Gelegenheit finde. 
Der Versuch spricht aber gegen diese Auffassung, denn in der 
That beobachtet man ganz den nämlichen Verlauf der Erschei- 
nungen, wenn man die Muskeln unter Quecksilber durchschnei- 
det, so dals der Querschnitt derselben erst im Augenblick der 
Untersuchung in Berührung mit der Luft kommt, oder dieselben 
in der Guericke’schen Leere mit hinreichend viel Wasser auf- 
hebt, um sie vor dem Austrocknen zu schützen. Unverletzte 
Muskeln werden unter Quecksilber, unter Olivenöl, im luftleeren 
Raume ganz ebenso, nur vermuthlich, nämlich der beeinträchtigten 
Athmung halber, etwas früher sauer als an der freien Luft. 
Handelt es sich also bei der Säurung der Muskeln zur Zeit des 
Erstarrens um einen Oxydations- und nicht blols um einen Spal- 
tungsprocels oder sonstigen Wandel der Materie, so geschieht 
jedenfalls die Oxydation nicht auf Kosten des Sauerstoffes der 
atmosphärischen Luft. Die frühzeitige Säurung des in einem 

21° 


302 Gesammtsitzung 


Querschnitt blofsgelegten Muskelinneren ist auf Rechnung d “1 
durch die Verletzung, wir wissen freilich noch nicht wie, be-- 
dingten raschen Absterbens der von derselben zunächst betrof- 
fenen Theile des Muskels zu schieben. 

Es stellt sich nun begreiflicherweise der Wunsch ein, zwi- 
schen den beiden Erscheinungen der Erstarrung und der Säu- 
rung des absterbenden Muskels einen ferneren Zusammenhang 
aufzufinden. Nach den von Hrn. Kühne im vorigen Sommer 
in meinem Laboratorium angestellten Versuchen kann man die 
Richtigkeit der Brücke’schen Hypothese über die Entstehung 
der Todtenstarre nunmehr als ausgemacht ansehen. In der oben 
erwähnten Flüssigkeit nämlich, welche Hr. Kühne aus den mit 
Zuckerwasser ausgespritzten Muskeln prelste, und welche mit dem 
frischen Muskelquerschnitt gleiche Reaction besals, bildete sich 
zur Zeit, wo ausgespritzte und abgeschnittene Muskelstücke bei 
der zur Zeit der Versuche herrschenden Temperatur zu erstar- 
ren pflegtön, nämlich nach etwa vier Stunden, ein flockiges Ge- 
rinnsel. Zusatz von Wasser beschleunigte die Gerinnung, ge- 
rade wie ein in Wasser befindlicher Muskel nach kurzer Zeit 
erstarrt. Nach Bildung des Gerinnsels fing die Masse an, gleich 
einem todtenstarren Muskel, sauer zu reagiren. Die ausgeprels- 
ten Muskeln hingegen wurden nicht mehr ordentlich todtenstarr. 
Wenn auch diese Versuche erst als vorläufige zu betrachten sind, 
wird man sich fortan doch schwerlich weigern können, zuzuge- 
ben, dals die Todtenstarre durch die nach dem Tode eintretende 
freiwillige Gerinnung einer in den Muskeln aulserhalb der Ge- 
fälse enthaltenen eiweilsartigen Substanz zu erklären sei, die 
einstweilen Muskelfaserstoff heilsen mag, ohne dals damit ihre 
Einerleiheit mit dem Muskelfibrin Liebig’s, dem Syntonin 
Lehmann’s behauptet werden soll; und zwischen diesem Vor- 
gange und der, wie man so eben gesehen hat, auch noch au- 
[serhalb der Muskeln gleichzeitig damit eintretenden Säurung des 
Muskelsaftes, würde es also nunmehr unsere Aufgabe sein, eine 
ursächliche Verknüpfung aufzufassen. 

Dazu wird es zunächst dienlich sein, die Reihefolge in’s 
Auge zu fassen, in der die Erscheinungen auftreten. Es ist be- 
reits oben festgestellt worden, dals der Muskel, so lange er 
zuckungsfähig ist, und noch eine geraume Zeit darüber hinaus, 


vom 31. März 1859. 303 


‚neutral reagirt. Da der Anfang der Todtenstarre durch kein 
entscheidendes Merkmal bezeichnet ist, so lälst sich nicht mit 
gleicher Bestimmtheit behaupten, dafs die Säurung sich immer 
erst nach vollendeter Erstarrung bemerklich macht. Nichtsdesto- 
weniger halte ich dies für den ‘wahren Sachverhalt, wodurch also 
bereits gewissermalsen die Gerinnung des Muskelfaserstoffes als 
das ursprüngliche, die Säurung des Muskels als das secundäre 
Phänomen würde gekennzeichnet sein. 

Demnächst schien mir das Wichtigste, was hier zu thun 
war, die Entscheidung der Frage, ob die Säurung des Muskels 
stets und unter allen Umständen die Folge der Gerinnung des 
Muskelfaserstoffes sei, oder ob beide Vorgänge auch von einander 
getrennt vorkommen können. Zu diesem Zweck untersuchte ich 
also jetzt Muskeln, die unter verschiedenen Umständen ihre Lei- 
Stungsfähigkeit eingebüfst hatten und todtenstarr geworden wa- 
ren, nach der oben beschriebenen Methode auf die Reaction ihres 
künstlichen Querschnittes. 

In Wasser ') von mittlerer Tenipeiiseit (15°) werden die 
Muskeln bekanntlich sehr bald (binnen einer Stunde) todtenstarr, 
und dabei, wie ich gefunden habe, sauer. 

Ein über Schwefelsäure getrockneter und in Wasser wie- 
der aufgeweichter Muskel wird todtenstarr und sauer vorge- 
funden. 

Ein in Olivenöl bei einer Temperatur unter — 6°C. er- 
frorner Muskel wird nach dem Aufthauen todtenstarr und sauer 
vorgefunden. 

Ein fünf Minuten lang in Wasser von 45° eingetauchter 
Muskel wird todtenstarr und sauer vorgelunden. Man könnte mei- 
nen, dafs dies vielleicht weniger die Wirkung der Wärme, als des 
Wassers sei, welches wegen der durch die Wärme begünstigten 
Diffusion rascher in den Muskel eindringe, so dafs dieser Ver- 
such mit dem zusammenfalle, wo der Muskel längere Zeit in 
"Wasser von mittlerer Temperatur verweilt. Allein der Erfolg 
ist ganz derselbe, wenn statt des Wassers Quecksilber oder Oli- 
genöl von gleicher Temperatur angewendet werden. 

») Mit 


Wasser ist stets destillirtes Wasser gemeint. Das hiesige 
Brunnenwasser reagirt schwach alkalisch von doppelt kohlensaurem Kalk. 
Die angewandten Froschmuskeln waren stets die Wadenmuskeln. 


304 Gesammtsitzung 


In allen diesen Fällen also sehen wir, wie im Verlauf des 
natürlichen Absterbens des Muskels, die Erstarrung des Muskels 
von Säurung begleitet. Doch würde es voreilig sein, daraus den 
Schlufs zu ziehen, dafs diese Verknüpfung eine nothwendige sei. 
Sogleich die weitere Verfolgung der Einwirkung der Wärme auf 
die Muskeln wird uns ein Beispiel vom Gegentheil liefern. 

Sechs Muskeln, 4, B, C, D, E, F werden beziehlich fünf 
Minuten lang in Wasser von 45, 50, 55, 60, 75, 100° ge- 
taucht. Alle verlieren natürlich ihre Leistungsfähigkeit und wer- 
den todtenstarr, die den höheren Temperaturgraden ausgesetzten 
sogar doppelt todtenstarr, wegen der Gerinnung nicht nur des 
Muskelfaserstoffes, sondern auch des Muskeleiweilses.. Unter- 
sucht man die Reaction des Querschnittes dieser sechs Muskeln, 
so stölst man auf ein sehr unerwartetes Ergebnils. Muskel 
A reagirt, wie schon gesagt, entschieden sauer. Die Reaction 
von Muskel 3 und C ist zweifelhaft, die von 2 mehr säuerlich, 
die von C mehr neutral. Muskel D ist durchaus neutral, Mus- 
kel E neigt zum Alkalischen, und endlich Muskel F, der fünf 
Minuten in siedendem Wasser verweilt hat, reagirt ganz deut- 
lich alkalisch. 

Froschmuskeln, die einzeln der Siedhitze ausgesetzt waren, 
habe ich nie sauer werden sehen, wenn ich dieselben bei mitt- 
lerer Temperatur der Fäulnils überliels. 

Ganz dieselben Versuche habe ich, nur mit Auslassung ein- 
zelner Temperaturen, mit Öl und Quecksilber statt mit Wasser 
angestellt und im Wesentlichen ganz denselben Erfolg beob- 
achtet. 

Was mich dabei vornehmlich in Erstaunen setzte, war der 
Widerspruch, in dem diese Versuche zu stehen scheinen mit der 
bekannten Erfahrung Hrn. v. Liebig’s, wonach die Fleischflüssig-_ 
keiten der verschiedensten Thiere, obschon sie der Siedhitze aus- 
gesetzt waren, sauer reagiren. Als ich aber beim Schlächter ge- 
kauftes Rindfleisch, welches eine sehr starke saure Reaction be- 
sals, sodann freiwillig erstarrte und sauer gewordene Froschmus- | 
keln, endlich sogar Froschmuskeln, die durch fünf Minuten Auf- 
enthalt in 45° sauer gemacht worden waren, eine Viertelstunde 
lang kochte, blieben dieselben nach wie vor sauer. Es war also 
klar, dafs, wenn einmal die Muskeln sauer geworden sind, sie 


vom 31. März 1859. 305 


durch die Siedhitze nicht mehr ihre saure Reaction einbülsen, 
und daraus schien unmittelbar zu folgen, dafs die Muskeln € bis 
F in der obigen Versuchsreihe niemals sauer gewesen seien. 
Andere Versuche indels verbinderten mich zunächst auf diese 
Schlufsfolge einzugehen. Taucht man nämlich einen Muskel in 
siedendes Wasser, so ist es deutlich, dals alle seine Theile folg- 
weise simmtliche Grade von der ursprünglichen Temperatur bis 
zur Siedhitze durchlaufen werden. Zieht man den Muskel zu 
einer Zeit heraus, wo noch nicht alle seine Theite die Siedhitze 
erreicht haben, und untersucht man dann die Reaction seines 
Querschnittes, so wird, falls verschiedenen Temperaturen ver- 
schiedene Reactionen des Muskels entsprechen, der Abdruck des 
Muskels auf dem Lakmuspapier sich aus concentrischen Ringen 
von verschiedener Färbung zusammensetzen müssen, deren jeder, 
von aulsen nach innen fortschreitend, einer isothermen Schicht 
_ von geringerer Temperatur entspricht. Der Versuch bestätigte 
diese Voraussicht vollkommen. Tauchte ich nämlich einen Mus- 
kel vom Frosch nur wenige (4—6) Secunden hindurch in sie- 
_ dendes Wasser oder gleich warmes Quecksilber, so zeigte sich 
im Abdruck des Muskelquerschnittes auf Lakmuspapier ein ro- 
_ther Ring, der einen Hof von neutraler Reaction, wie sie dem 
frischen Muskel zukommt, umschlofs. Hielt ich den Muskel etwas 
länger, 6—9 Secunden, in der 100° warmen Flüssigkeit, so ent- 
stand nachher auf dem Papier ein fast gleichmälsig roth gefärb- 
ter Fleck, umgeben mit einem Saum von zweifelhafter, auf der 
Grenze von neutraler und alkalischer Reaction stehenden Fär- 
bung. Liefs ich den Muskel noch länger in der Siedhitze, so 
_ erschien der Saum immer breiter und deutlicher alkalisch, bis 
zuletzt, wozu gewöhnlich schon eine Minute Aufenthalt im sie- 
 denden Wasser ausreichte, der ganze Fleck, wie schon oben ge- 
sagt wurde, auf alkalische Beschaffenheit bindeutete. Genaue 
 Zeitbestimmungen lassen sich hier nicht füglich geben, da die 
Zeit, innerhalb welcher ein gegebener Punkt im Inneren des 
Muskels eine gegebene Temperatur erreicht, von mehreren zum 
Theil schwer zu bestimmenden Umständen abhängt, die es sich 
_ nicht verlohnen würde, methodisch durchzuprüfen; als da sind 
_ die ursprüngliche Temperatur des Muskels, seine Grölse, die 


306 Gesammtsitzung 


Natur des siedheifsen Mittels, seine Menge, die Wärmemenge die 
demselben in der Zeiteinheit zugeführt wird, u. d. m. 

Aus diesen Versuchen scheint sich, im Widerspruch mit dem 
Schluls, zu dem wir so eben gelangt waren, unwiderleglich zu 
ergeben, dafs allerdings die einzelnen Theile eines in siedendes 
Wasser getauchten Muskels verschiedene Reactionsarten durch- 
laufen, indem sie zuerst durch eine gewisse Reihe niedrigerer 
Temperaturen, etwa denen von 40—50°, sauer, durch eine Reihe 
darüber liegender aber wiederum neutral werden, um zuletzt aus 
der Siedhitze alkalisch hervorzutreten. Die höheren Tempera- 
turen, so scheint es nunmehr, müssen das Vermögen besitzen, 
die durch die niederen Temperaturen im Muskel entwickelte 
Säure auf irgend eine Art wieder zu vernichten. Dabei ist aber 
ganz unverständlich, wie es komme, dafs, während sie dies Ver- 
mögen in Bezug auf die Säure besitzen, die im Muskel durch 
ein paar Secunden langes Eintauchen in siedheilse Flüssigkeit ent- 
wickelt wird, sie dasselbe entbehren in Bezug auf die Säure, die 
entweder durch freiwilliges Absterben oder durch einen längeren 
Aufenthalt in einer Temperatur von 40—50° entsteht. 

Eine Möglichkeit, wie dies zu erklären gewesen wäre, war 
die, dafs die durch kurzes Eintauchen entwickelte Säure anderer 
Art als die durch langes Verweilen in der Wärme gebildete, 
nämlich flüchtiger Natur sei. Allein ich gab diesen Gedanken 
auf, nachdem ich beobachtet hatte, dafs Muskeln auch aus Öl 
und Quecksilber von 60—95° neutral bis alkalisch hervorgingen, 
ohne dals ich das Entweichen auch nur der kleinsten Blase hätte 
wahrnehmen können. 

Eine andere Art, jene Schwierigkeit zu heben, bestand da- 
rin, anzunehmen, dals die Menge der durch die säuernden Tem- 
peraturen, um mich so auszudrücken, entwickelten Säure bis zu. 
einer gewissen Grenze wachse mit der Zeit, während welcher 
der Muskel diesen Temperaturen ausgesetzt ist, so dals in dem 
nur wenige Secunden in siedheilse Flüssigkeit getauchten Mus- 
kel nur eine kleine, in dem längere Zeit auf 45° erwärmten 
Muskel eine verhältnilsmälsig bedeutende Säuremenge frei werde; 
dals sodann bei den höheren Temperaturen eine Entwickelung 
von Alkali, vielleicht von Ammoniak, stattfinde; endlich dafs die 
Menge dieses Alkali’s zwar zur Übersättigung der durch kurzes 


vom 31. März 1859. 307 


Eintauchen, nicht aber zur Sättigung der durch längeren Auf- 
enthalt in den säuernden Temperaturen entwickelten Säure hbin- 
reiche. 

Mit dieser Vorstellungsweise war es jedenfalls leicht in Ein- 
klang zu bringen, dals ein Muskel, der mit kaltem Wasser bei- 
gesetzt und mit demselben bis zur Siedhitze erwärmt wird, nicht 
alkalisch, sondern sauer gefunden wird; ebenso dals man eine 
grölsere Muskelmasse, wie z. B. die beiden noch im Becken ver- 
bundenen Oberschenkel eines Frosches wenigstens im Inneren 
sauer findet, auch wenn man sie plötzlich in siedheilse Flüssig- 
keit taucht und beliebig lange Zeit darin verweilen lälst, be- 
sonders aber, wenn die Menge der Flüssigkeit verhältnilsmälsig 
klein ist. Denn in beiden Fällen werden die einzelnen Theile 
des Muskelinneren länger auf den säuernden Temperaturen ver- 
‚weilen, als wenn eine kleinere Muskelmasse mit verhältnilsmälsig 
grölserer Oberfläche, wie ein einzelner Gastroknemius vom Frosche 
sie darbietet, plötzlich in die siedheilse Flüssigkeit getaucht wird, 
In jenen Fällen wird (stellte ich mir vor) zu viel Säure entwickelt, 
als dafs dieselbe durch das nachmals entwickelte Alkali übersät- 

tigt werden könnte. 

Was nun aber diese Entwicklung eines Alkali’s im Muskel 
durch die Siedhitze betrifft, so bemühte ich mich vergeblich eine 
_fernere Thatsache zur Stütze dieser Muthmalsung auszumitteln. 

Ammoniak konnte jenes Alkali keinenfalls sein, denn die blauen 
Flecke, die ein dergestalt alkalisch gemachter Muskel auf dem 
rothen Papier hinterlälst, sind bleibender Beschaffenheit, und als 
ich einen mit passend verdünnter Chlorwasserstoffsäure benetzten 
Glasstab über gekochtes und zerhacktes Froschlleisch bielt, ent- 
stand keine Spur von Salmiaknebeln. Da die Grenze der säuern- 
den Temperaturen und derjenigen, aus denen der Muskel neutral 
‚hervorgeht, auffallend genau zusammenfällt mit den Temperatu- 
ren, bei denen nach Berzelius das Albumin des Rindfleisches, 
nach Hrn. Groh& das der Froschmuskeln gerinnt, so versuchte 
ich, ob beim Kochen der oben beschriebenen eiweilshaltigen neu- 
„tral reagirenden Flüssigkeit, welche strotzend mit Wasser ange- 
füllte Froschmuskeln entleeren, oder beim Kochen von Rinder- 
blutserum, welches ich mit Chlorwasserstoffsäure neutralisirt 


308 Gesammtsitzung 


batte, Alkali frei werden würde; aber es gab sich keine Spur 
davon zu erkennen. 

Ferneres Nachdenken über die Sachlage deckte mir denn 
auch eine Lücke in meinen Versuchen auf, deren Ausfüllung als- 
bald zu einer anderen Auffassung derselben führte. Ich hatte 
nämlich versäumt mich davon zu überzeugen, ob ein durch we- 
nige Secunden langes Eintauchen in siedheilse Flüssigkeit gro- 
(sentheils sauer gewordener und als solcher erkannter Muskel, 
wenn er wieder in die Flüssigkeit gebracht und längere Zeit 
darin gelassen wird, auch wirklich wieder neutral oder gar al- 
kalisch wird. Freilich scheint sich dies von selbst zu verstehen; 
nichtsdestoweniger trifft es in Wirklichkeit nicht zu. Läfst man | 
einen Muskel dauernd in der siedheilsen Flüssigkeit, und unter- 
sucht nach einiger Zeit seine Reaction, so findet man dieselbe, 
wie gesagt, alkalisch. Zieht man ihn aber nach 4—6 Secunden 
heraus, untersucht seine Reaction, die man für einen ausgedehn- 
ten ring- oder kreisförmigen Theil des Querschnittes sauer fin- 
det, oder läfst man den Muskel auch blofs erkalten ohne diese 
Prüfung vorzunehmen, und taucht ihn dann wieder auf unbe- 
stimmte Zeit in die siedheilse Flüssigkeit, so wird er nie wieder 
neutral, geschweige alkalisch, sondern bleibt immerdar sauer. 

Hieraus geht hervor, dals es eine Täuschung war, wenn 
wir annahmen, der der Siedhitze ausgesetzte Muskel durchlaufe 
mit steigender Temperatur seines Inneren verschiedene Reac- 
tionsarten. In der That wird ein solcher Muskel zu keiner Zeit 
sauer. Damit ein Muskel sauer werde, ist es nöthig, dals seine 
einzelnen Theile eine gewisse nicht zu kurze Zeit auf den säu- 
ernden Temperaturen verweilen. Wird der Muskel in eine hin- 
längliche Masse siedheilser Flüssigkeit getaucht, so durchlaufen seine 
einzelnen Theile die säuernden Temperaturen zu schnell, als dals er 
sauer werden könnte. Zieht man aber den Muskel nach einer 
gewissen kurzen Frist heraus, so behält er, indem er an der 
Luft erkaltet, die säuernde Temperatur von 50—40° noch lange 
genug bei, um ausgesprochen sauer zu werden. 

Diese Ansicht von der Sache also versöhnt alle obigen Wi- 
dersprüche. Es würde nur übrig bleiben den Unterschied zu 
erklären, der, wie mir wenigstens hat scheinen wollen, obwaltet 
zwischen der Reaction einerseits von frischen rohen Muskeln 


vom 31. März 1859. . 309 


und solchen, die einige Zeit einer Temperatur von 50—70° aus- 
 geselzt waren, andererseits gesottener Muskeln. Die letzteren muls 
ich für alkalischer ansprechen. Im Vergleich zu den bei 50—70° 
erstarrten Muskeln ist dies nicht so schwer zu verstehen, da bei 
diesen Temperaturen immer noch eine gewisse Säuremenge frei 
werden mag. Sollte sich aber die grölsere Alkalescenz des ge- 
kochten Muskels im Vergleich zur Reaction des rohen frischen 
Muskels bestimmt herausstellen, so würde dies freilich weitere 
Aufklärung erheischen. Vielleicht rührt der wahrgenommene 
Unterschied nur von der auffallend grölseren Flüssigkeitsmenge 
her, welche der gekochte Muskel von sich giebt. 

Da uns dieser Punkt indessen minder nah betrifft, so 
überlasse ich die weitere Erörterung desselben Hrn. Kühne, 
den selbständig geführte Untersuchungen, wie ich aus brief- 
licher Mittheilung weils, zu der mit dem obigen Ergebnils 
 übereinstimmenden Vorstellung geführt haben, dals die‘ rasch 
einwirkende Siedhbitze den Muskel in seinem natürlichen Zu- 
stande, auch was seine Reaction betreffe, gleichsam con- 
servire, während gewisse niedere Temperaturen, wenn sie län- 
ger einwirken, dem Muskel die saure Reaction ertheilen. 
hf Wie dem auch sei, die Einwirkung der Siedhitze auf den 
Muskel bietet uns, wie man sieht, das erste Beispiel dar einer 
ohne Säurung des Muskels vor sich gehenden Gerinnung des 
Muskelfaserstoffes. Ein andere Art des Temperatureinflusses lie- 
fert aber sofort noch ein zweites. Bewahrt man nämlich ein- 
zelne Muskeln vom Frosch bei einer Temperatur von etwa 0° 
auf, so werden dieselben zu keiner Zeit deutlich sauer, sondern 
‚gehen unmittelbar aus der neutralen Reaction über in die alka- 
lische, welche der ausgesprochenen Fäulnils angehört. Allerdings 
kommt es vor, dals der Abdruck des Querschnittes. auf blauem 
"Grunde roth gesprenkelt erscheint; anderemale ereignet: sich 
das Sonderbare, dafs anfangs auf dem rothen Papier ein blauer, 
auf dem blauen Papier kein Fleck erscheint, dals aber beim 
Trocknen der erstere Fleck verschwindet, während auf dem 
blauen Papier ein rother Fleck hervortritt. Nie jedoch sieht 
man die dergestalt in der Kälte aufbewahrten Muskeln auch nur 
entfernterweise so von Säure überflielsen, wie solche, welche 
bei mittlerer Temperatur die Fäulnils durchmachen. 


310 * Gesammtsitzung 


Ebensowenig habe ich Muskeln sauer werden sehen, die ich 
in gesättigte Lösungen von Chlornatrium, salpetersaurem Kali, 
schwefelsaurem Natron und schwefelsaurer Magnesia gelegt hatte, 
während wenigstens das Syntonin aus seiner Lösung in ver- 
dünnter Chlorwasserstoffsäure durch Zusatz von Salzlösungen 
gefällt wird. Auch in absoluten Alkohol gelegte, nachher in 
Wasser aufgeweichte Muskeln habe ich nicht deutlich sauer ge- 
funden. 

Aus diesen Versuchen folgt somit wohl mit hinlänglicher 
Bestimmtheit, dafs das Freiwerden von Säure im Muskel keine 
nothwendige und unmittelbare Folge der Gerinnung des Mus- 
kelfaserstoffes sei, sondern dafs unter Umständen letztere aller- 
dings stattfinden könne, ohne erstere nach sich ziehen. Ehe 
wir aber über die Natur des Vorganges der Säurebildung im ab- 
sterbenden Muskel weitere Muthmafsungen äufsern, wird es 
zweckmälsig sein, zuerst noch durch die Untersuchung der Mus- 
keln anderer, insbesondere warmblütiger Thiere uns zu unter- 
richten, inwiefern das am Frosch beobachtete denn auch wirk- 
lich von allgemeiner Geltung sei. 

Unter den Fischen prüfte ich die Karausche (Cyprinus ca- 
rassius), den Schlei (Chrysitis tinea), den Hecht (Esox Zueius) 
und den Barsch (Perca fluviatilis) auf die Reaction des Quer- 
schnittes des von den lebenden Fischen abgeschnittenen Schwan- 
zes. Ich fand dieselbe alkalisch und erst später, der gewöhn- 
lichen Angabe entsprechend, sauer; wobei jedoch das Barsch- 
fleisch eine Ausnahme machte, welches ich in zwei Versuchen 
nicht deutlich sauer, sondern nur in der oben bezeichneten Art 
neutral werden sah, auch wenn ich dasselbe fünf Minuten lang 
in 45° warmes Wasser tauchte oder es unbestimmte Zeit lang 
in Wasser von mittlerer Temperatur liegen liels. 

Stücke aus dem grolsen Brustmuskel einer den Augenblick 
vorher geköpften Taube, eines mit Curara vergifteten Huhnes ge- 
schnitten, reagirten, die ersteren mehr alkalisch, die letzteren 
mehr neutral. Von Säure war auch hier an den frischen Mus- 
keln keine Spur bemerkbar, obschon dieselben nach eingetrete- 
ner Starre auf das deutlichste sauer gefunden wurden. In Be- 
zug auf die Wirkung der Wärme verdient bemerkt zu werden, 
dafs bei den Vogelmuskeln die Temperatur von 45°, die ja nur 


vom 31. März 1859. 311 


‚wenige Grade über der Blutwärme des Vogels liegt, zur Säu- 
rung des Muskels nicht ausreicht, sondern dals 50—55° C. dazu 
'erforderlich sind. Siedendes Wasser ertheilt dem Vogelfleisch 
die neutrale Reaction in der oben beschriebenen Art; wobei ich 
Sorge trug, nicht grölsere Stücke Muskelfleisch zu den Versu- 
chen anzuwenden, als solche welche etwa einem einzelnen Ga- 
'stroknemius des Frosches entsprachen, um sicher zu sein, dals 
‚das Verhältnils der Oberfläche zur Masse für das Eindringen der 
Wärme kein minder günstiges gewesen sei. 

Was die Säuger betrifft, so experimentirte ich im Schlacht- 
hause an Rind und Schwein, im Laboratorium an Hund, Kanin- 
‚chen und Meerschweinchen (Caviza Cobaya). Das Fleisch aller 
fand ich anfangs mehr oder weniger deutlich alkalisch, und oft 

erst nach Stunden trat die saure Reaclion hervor. Die Abwe- 
senheit der sauren Reaction an den frischen menschlichen Mus- 
_keln hat, wie ich aus brieflicher Mittheilung weils, mein Freund 
Hr. H. Bence Jones in London bei Gelegenheit einer Am- 
_ putalion beobachtet. 

In allen diesen Versuchen enthielten die Muskeln noch 
Blut. Ich unterliels aber nicht auch hier wie bei den Frosch- 
 muskeln noch den Beweis zu führen, dals die neutrale oder al- 
kalische Reaction des Muskelquerschnittes nicht etwa von einer 
Sättigung, beziehlich Übersättigung der in den Muskeln fertig 
gebildet enthaltenen Säure durch das Alkali des Blutes herrührte. 
In die Bauchaorta eines lebend geöffneten Kaninchens spritzte 
ich blutwarmes Zuckerwasser von den oben angegebenen Pro- 
eentgehalt, bis das Wasser farblos aus der unteren Hohlvene 
Nols; die Reaction der blutleeren Muskeln war aber von derje- 


 @igen mit Blut erfüllter Muskeln desselben Thieres kaum zu unter- 


‘scheiden. Mit solchem blutleeren Kaninchenfleisch wiederholte 
ich die an den Vogelmuskeln angestellten Versuche über den 
Einfluls der Wärme auf die Reaction der Muskeln. Fünf Mi- 
‚nulen lang in Wasser von 50° getauchtes Muskellleisch hatte 
eine saure Reaction angenommen; kleine Stücke in siedendes 
Wasser gehalten wurden dagegen nicht sauer, sondern nur neu- 
tral gefunden. 

Einen gleichbedeutenden Versuch mit dem am Kaninchen 
stellte ich am Hunde an, indem ich an dem durch Curara ge- 


312 Gesammtsitzung 


lähmten Thiere von der Arteria iliaca communis aus das eine Bein 
mit Zuckerwasser von mittlerer Temperatur ausspritzte. Beim Ent- 
leeren der zweiten und dritten Spritze(von 47 CC.Inbalt)entstanden 
leichte Zuckungen. Die Muskeln, obwohl blutleer, blieben noch 
deutlich roth gefärbt. Ihre Reaction war neutral in der ange- 
gebenen Art; auf violettem Papier machten sie gar keinen Ein- 
druck. Die mit Blut erfüllten Muskeln der anderen Seite reagirten 


ziemlich ausgesprochen alkalisch. 

Wie man sieht, haben uns unsere Beobachtungen an 
den Froschmuskeln nicht irre geführt. Man wird wohl jetzt 
den Schluls für gerechtfertigt halten, dals es in der Wirbel- | 
thierreihe keine quergestreiften Muskeln gebe, die im frischen 
Zustande saure Reaction besitzen. Auf die Muskeln wirbelloser 
Thiere habe ich meine Untersuchungen noch nicht ausgedehnt. 

Dagegen bin ich bemüht gewesen, mich über die Reaction 


der glatten Muskelfasern in’s Klare zu setzen. Die früheren An- 
gaben darüber widersprechen einander. Hr. Lehmann will den 
wässrigen Auszug aus der Muskelhaut des Schweinemagens und 
aus der mittleren Arterienhaut des Rindes schwach sauer, den 
aus der Zunica dartos ohne alle Reaction auf Pflanzenfarben ge- 
funden haben. Hr. Gustav Siegmund hat aus dem Uterus 
einer nach der künstlichen Frühgeburt im achten Monat der 
Schwangerschaft verstorbenen Frau Ameisensäure, Essigsäure und 
später noch, wie ich aus mündlicher Mittheilung weils, Milch- 
säure dargestellt. Hingegen Hr. M.S. Schultze giebt an, den 
wässrigen Auszug aus der mittleren Haut einer frischen Ochsen- 
aorta alkalisch gefunden zu haben. f 

Die unstreitig beste Gelegenheit, eine grofse und möglichst 
reine Ansammlung glatter Muskelfasern im völlig frischen Zu- 
stande zu beobachten, bietet der Muskelmagen der Vögel dar. 
Hr. Leydig betrachtet zwar die Faserzellen desselben als bereits 
einen Übergang bildend zu den quergestreiften Muskelbündeln. 
Um so auffallender wird es erscheinen, dafs ich vom frisch getöd- 
teten Thiere entnommene Stücke des Muskelmagens des Huhnes 
und der Taube mehrmals bei mittlerer Temperatur bis zur stinken- 
den Fäulnils verfolgt habe, ohne je eine Spur saurer Reaction 
wahrzunehmen. Die Reaction war anfangs schwach alkalisch, 
und blieb so bis zur Ammoniakentwicklung durch die Fäulnifs, 


vom 31. März 1859. 313 


wo sie deutlicher ward. Auch in Wasser von mittlerer Tem- 
peratur unbestimmte Zeit hindurch verweilend wurden Stücke 
vom Muskelmagen nicht sauer; ebensowenig in Wasser von den 
verschiedensten Temperaturen bis zur Siedhitze. Nicht minder 
habe ich die Muskelhaut des Dickdarms und die Aorta eines vor 
meinen Augen geschlachteten Ochsen alkalisch- reagirend gefun- 
den, und dieselbe Reaction fort und fort bis zur ausgesproche- 
nen Fäulnifs beobachtet. Auch der Darm des Schleies und das 
eontractile Gaumenorgan der Cyprinoiden haben mir keine saure 
Reaction geben wollen, obwohl eine solche wegen der darin 
enthaltenen quergestreiften Bündel zu erwarten war. Viel- 
leicht wurde dieselbe durch die alkalische Reaction der umge- 
‚benden Gewebe verdeckt. Ein zu dieser Untersuchung passen- 
‚der Uterus ist leider seit der Zeit, wo ich Veranlassung fand 
danach zu trachten, bis auf den heutigen Tag meinen Freunden 
den Hrn. Reichert und Virchow nicht vorgekommen. 

“ Für die Erklärung der von Hrn. Siegmund am Uterus 
‚gemachten Beobachtung wird sich uns weiter unten eine Aus- 
kunft bieten. Wie die Sachen stehen, mufs ich urtheilen, 
dals wenn die frühere Ansicht von der sauren Beschaffenheit 
‚der quergestreiften Fleischfaser in so fern unrichtig war, als 
diese Beschaffenheit sich erst in Folge einer Leichenverände- 
rung einstellt, die Lehre von der sauren Natur der glatten Mus- 
kelfaser nicht einmal so weit zutrifft, da diese Faser nach meinen 
Erfahrungen vielmehr zu keiner Zeit ihres Absterbens aufhört, 
alkalisch zu reagiren. 

- Bis hieher reichen meine Ermittelungen über die Reaction 
der ausgeruhten absterbenden Muskeln. Über die Entstehungs- 
weise der Säure in Folge des Erstarrens habe ich nichts beizu- 
‚bringen. Die Hrn. Lehmann und Schlofsberger halten es 
‚nicht für unmöglich, dals die Fleischmilchsäure ein Zersetzungs- 
product eiweilsartiger Körper sei. Hr. Schlofsberger be- 
‚merkt, dals, obschon der Scherer’sche Muskelzucker in Berüh- 
zung mit faulenden Eiweilskörpern, Fibrin und Casein, der Milch- 
säure-Gährung fähig scheine, dies doch kaum der Ursprung der 
Fleischmilchsäure sein könne, weil dazu die Menge des Inosits 
sogar im Herzen, wo er noch am reichlichsten vorkommt, eine 
viel zu kleine sei. Erwägt man, dafs die Säurung des Muskels 


314 Gesammtsitzung 


mend beschleunigt, durch Temperaturerniedrigung hingegen ge- 
hemmt, dafs sie durch Siedhitze, Alkohol, Salze gänzlich verhin- 
dert wird, so ist es freilich nicht leicht, sich der Vorstellung zu 
erwehren, dafs man es hier mit einem wahren Gährungsvorgange 
zu thun habe. Es ist aber jetzt an der Zeit, Kenntnils zu neh- 
men von einem weiteren Umstande, wodurch einestheils die bis- 
her aufgedeckten Thatsachen ganz ungemein an Bedeutung ge- 
winnen, anderentheils die Erklärungsweise derselben auf alle 
Fälle wesentlich bedingt werden dürfte. Dies ist die Eingangs 
schon erwähnte Säurung der noch leistungsfähigen 
Muskeln in Folge heftiger Anstrengungen. 

Ein Frosch werde so zugerichtet, dals nur noch die Wir- 
belsäule mit dem darin enthaltenen Rückenmarke, der Ischiadnerv 
und der zugehörige Gastroknemius übrig bleiben. Dieser werde 
mittelst des Schlittenmagnetelektromotors bis zur Erschöpfung te- 
tanisirt, indem man zuerst das Rückenmark, dann am Ischiad- 
nerven herabsteigend dessen einzelne Strecken, endlich den Mus- 
kel selber den Strömen ausseizt. Bei jeder neuen Strecke, die 
man in den Kreis einführt, beginnt man mit den schwächsten 
Strömen, welche noch Zuckung geben, und geht nicht eher zu 
einer neuen, tiefer gelegenen Strecke über, als bis auch die stärk- 
sten Schläge, die man vernünfligerweise anwenden kann, keine 
Zuckung mehr erzeugen. Untersucht man darauf die Reaction des 
Querschnittes eines dergestalt tetanisirten Muskels, so findet man die- 
selbe oft, wenigstens stellenweise, entschieden sauer; im schlimm- 
sten Falle wenigstens stets mehr zur sauren Reaction sich bin- 
neigend, als die des in Ruhe gebliebenen Gastroknemius der an- 
deren Seite, und zwar in viel zu auffallendem Grade, als dafs 
man den Unterschied auf die durch die Zusammenziehung etwa 
bedingte grölsere Blutleere des tetanisirten Muskels schieben 
könnte. Nach wenigen Minuten Ruhe übrigens ziehen sich die 
Bruchstücke des dergestalt bei seinen Lebzeiten gesäuerten Mus- 
kels wieder kräftig auf mälsig starke Reizung zusammen. 

Man kann gegen diesen Versuch denselben Einwand machen, 
dem Hr. Helmholtz bei seinen berühmten Versuchen über den 
chemischen Stoffverbrauch bei der Muskelaction dadurch zuvor- 


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durch Temperaturerhöhung innerhalb gewisser Grenzen ausneh- 


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vom 31. März 1859. 315 


kam, dafs er sich zum Tetanisiren reibungselektrischer Entladun- 
‚gen bediente, welche im Verhältnils zu ihrer elektrolytischen 
eine sehr bedeutende physiologische Wirkung besitzen; nämlich 
dals, da der Muskel selber zuletzt den Strömen ausgesetzt 
wurde, die Säurung desselben möglicherweise eine elektrolyti- 
sche Wirkung dieser Ströme, statt eine Folge der Zusammen- 
ziehungen sei. Indessen gelingt es, den Versuch mit wesent- 


‚ lich demselben Erfolg anzustellen, auch ohne die Schläge zuletzt 


den Muskel unmittelbar treffen zu lassen; nur dals alsdann 
die Säurung, wegen der geringeren Summe von Zusammen- 
ziehungen, die man vom Nerven aus zu erlangen vermag, auf 
‚einer niedrigeren Stufe stehen bleibt. 

Besser gelingt die Säurung des Muskels durch mittelbare Rei- 
‚zung am lebenden Frosch, und zwar in folgender Weise. Der Frosch 
"wird auf der von mir in meinen Untersuchungen beschriebenen 
„Vorrichtung zur Befestigung des lebenden Frosches” gefesselt, 
‚die Bauchaorta unterbunden, und der eine Ischiadnerv in der 
‚Kniekehle durchschnitten. Am Rücken bringt man in Schulter- 
und Lendengegend entweder die ebendaselbst beschriebenen Frosch- 
‚hautklemmen an, oder man verfährt in der gleichfalls dort bereits 
bezeichneten Art, nämlich indem man Streifen dünnen Zinkble- 
ches durch zwei Hautschlitze führt, die man in jenen beiden 


Gegenden, der Längsmittellinie gleichlaufend, in passendem Ab- 


‚stand von derselben angebracht hat. Die Zinkstreifen, an deren 
‚eines Ende ein Draht gelöthet ist, oder die Froschhautklemmen 
dienen als Elektroden der secundären Rolle des Schlittenmagnet- 
elektromotors. Das eine Ende der primären Rolle ist mit dem 
Pendel eines Mälzel’schen Metronoms verknüpft, das andere 
durch zwei Drähte mit dem Platin und mit dem Zink zweier 
‚kleinen Grove’schen Ketten. Das Zink und Platin dieser ste- 
‚hen in Verbindung mit zwei Quecksilbernäpfchen, und’ eine 
jederseits an dem Pendel angebrachte verquickte Spitze taucht 
jedesmal etwa eine Secunde lang in das eine oder das an- 
dere dieser Näpfchen, wenn das Pendel seine gröfste Ablen- 
kung erreicht hat. Man übersieht leicht, wie dadurch erreicht 
wird, dafs abwechselnd die eine und die andere der beiden 
entgegengesetzt angeordneten Ketten eine Secunde lang in 
den Kreis der primären Rolle eingeschaltet wird. So lange dies 
[1859.] 22 


316 Gesammtsitzung 


der Fall ist, spielt die Feder des Magnetelektromotors, und 
wird also das Rückenmark des Frosches in Zwischenräumen, wel. 
che der Schwingungsdauer des Pendels weniger einer Sccunde 
gleich sind, eine Secunde lang abwechselnd in der einen und in 
der anderen Richtung von den Öffnungsschlägen getroffen. Es 
geben sich, bei diesem Verfahren, mancherlei eigenthümliche 
Erscheinungen kund, auf die ich hier nicht näher eingehen 
will. Es genüge die Angabe, dafs, da die aufsteigenden Ströme 
bald unwirksam werden, die absteigenden aber leicht zwei Stun- 
den lang wirksam bleiben, bei 38.5 Schwingungen des Pendels 
in der Minute der Muskel mindestens 120 x 19.25 = 2310 mal eine 
Secunde, oder im Ganzen 38.5 Minuten lang, mit Erfolg mittel- 
bar tetanisirt wurde, was eine bei weitem grölsere Summe von 
Zusammenziehungen vorstellt, als sie bei einer anderen mir be 
kannten Art mittelbar zu tetanisiren erzielt wird. 

Versagt endlich der Muskel vom Rückenmark aus weitere 
Zuckungen, so wird er mit dem der anderen Seite, der gar nicht 
gezuckt hat, ausgeschnitten, wobei er die Durchschneidung des 
N. tibialis leicht noch mit Zuckung beantwortet, und die Re 
action seines Querschnittes geprüft. Man findet dieselbe meist 
deutlich sauer, während ich kaum zu sagen brauche, dafs de 
Querschnitt des anderen Muskels noch die übliche neutrale 
zum Alkalischen sich hinneigende Reaction zeigt. Dies Ergeb 
nils ist um so auffallender, als sich merkwürdigerweise stets de 
tetanisirte Muskel als der bei weitem blutreichere zeigt. Man 
kann den Frosch am Leben erhalten, um sich davon zu übe 
zeugen, wie er nach kurzer Zeit und, trotz der unterbundenen 
Bauchaorta, auch noch am folgenden Tage die Muskeln des 
gleichfalls tetanisirten Oberschenkels ganz gut beherrscht. 

Die Bauchaorta unterband ich bei diesen Versuchen in de 
Absicht zu verhindern, dals nicht das stets erneute alkalische 
Blut die in dem Muskel entwickelte Säure sättige, und etwa in 
Gestalt fleischmilchsauren Natron’s fortführe. Ich habe einige 
Versuche angestellt, welche zu beweisen scheinen, dafs diese 
Vorsicht nicht ganz überflüssig war. Als ich nämlich denselben 
Versuch ohne Unterbindung wiederholte, gab sich ein weit klei 
nerer Unterschied zwischen der Reaction des ruhigen und der des 
tetanisirten Muskels zu erkennen. Als ich sodann beide Nervei 


2 


iv vom 31. März 1859. 317 


unversehrt liefs, und statt der Aorta die eine A. iliaca communis 
unterband, zuckten die Muskeln der Seite, wo nicht unterbunden 
er, länger und stärker als die der anderen, und erschienen 
verhältnilsmäfsig blutleer. Nichtsdestoweniger gaben sie keine 
deutliche Zeichen der Säurung, während die Muskeln der ande- 
ren Seite , wo unterbunden war, obschon von Blute strotzend 
und folglich viel reicher an Alkali, entschieden sauer gefunden 
wurden. 
- Zerschneidet man einem Frosch, dessen Aorta unterbunden 
ward, den einen Ischiadnerven, vergiftet dann den Frosch mit 
Strychnin, und vergleicht die Reaction der beiden Gastrokne- 
mien, so findet man dieselbe auf beiden Seiten neutral, obschon 
lie des tetanisirten allerdings etwas mehr zum Sauren neigt. 
Der mangelhafte Erfolg dieses Versuches rührt wohl davon her, 
dals dabei die Summe der Zusammenziehungen eine zu kleine 
bleibt, als dals eine bemerkbare Spur von Säure im Muskel 
ifeehäuft werden könnte. 
780 bleibt also die Säurung des Muskels durch Tetanus beim 
Prosche stets eine ziemlich zarte Erscheinung, deren Nachweis mit 
eht geringen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Anders ist es 
eim Kaninchen. Hier gelingt auf das leichteste und sicherste 
er zuletzt beschriebene Versuch, dessen Ergebnifs am Frosch 
| 0 gut wie verneinend ist. Zerschneidet man einem Kaninchen 
jen Ischiadnerven der einen Seite, vergiftet dasselbe mit Strych- 
in, und schneidet unmittelbar nach oder besser noch wäh- 
rend dem letzten Krampfanfalle die Wadenmuskeln beider Sei- 
ten aus, so findet man die ruhigen neutral, die tetanisirten 
auf’s entschiedenste sauer, so dals blaues Lakmuspapier bei län- 
gerer Berührung mit deren Querschnitt zwiebelroth gefärbt wird. 
Ebenso verhalten sich alle anderen am Strychninkrampf bethei- 
ligten Skeletmuskeln. 
Ich weils nicht recht, warum derselbe Versuch am Hunde 
nen ebenso günstigen Erfolg liefert. Ich fand in mehreren Fäl- 
en die ruhigen Muskeln alkalisch, die tetanisirten neutral. Al- 
erdings also neigt die Reaction der letzteren mehr zum Sauren 
als die der ersteren, und vielleicht erscheint sie nur deshalb nicht 
auer, weil die Reaction der ruhigen Muskeln hier eine mehr ausge- 
22° 


* 
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« 


318 Gesammtsitzung 


sprochen alkalische ist, so dafs der Punkt, von dem aus die Mus- 
keln sich bei der Zusammenziehung der sauren Reaction nähern, 
im Hunde ein weiter davon entfernter ist, als im Kaninchen. 

Man kann diesem Versuch am Kaninchen noch eine an- 
dere Gestalt geben. Das Tbier wird auf dem Bauche lie 
gend festgebunden, in Schulter- und Lendengegend eine 
Hautfalte in die Höhe gehoben, mit dem Scalpell durch- 
stolsen, und auf dem zur Führung dienenden Scalpellstiel ein 
Streifen Zinkblech von etwa 15”" Breite hindurchgeführt, an 
dessen eines Ende ein Draht gelöthet ist. Damit bei Bewe- 
gungen des Thieres die Blechstreifen nicht wieder herausgleiten, 
knickt man das freie Ende derselben hakenförmig über die Haut- 
brücke um, unter der der Streifen fortgeht. Diese Art, der 
Wirbelsäule eines Kaninchens Elektroden anzulegen, möchte der 
von Hrn. Pflüger in seinem Buche über das Hemmungsnerven- 
system der Gedärme empfoblenen vorzuziehen sein. Die beiden 
Zinkstreifen werden mit den Enden der secundären Rolle des 
Magnetelektromotors verknüpft. Öffnet man, bei passendem Ab- 
stande beider Rollen, den Schlüssel, so verfällt das Thier in Te- 
tanus. Der Kopf wird zurückgebogen, die Pupille erweitert 
wegen Erregung der Ciliospinal- Gegend des Rückenmarkes, 
nicht selten schreit das Thier kläglich, endlich der ganze Körper 
geräth, wegen der Unterbrochenheit auch der scheinbar stetig- 
sten Muskelzusammenziehung, in ein so heftiges und rasches Zit-. 
tern, dals dadurch ein tiefer musikalischer Ton entsteht. Ich 
habe dies zuerst in den eben erwähnten Versuchen des Hrn. 
Pflüger zu beobachten Gelegenheit gehabt, als derselbe, um 
das von ihm im Rückenmark vorausgesetzte CGentralorgan der 
Nn. splanchnici zu reizen, Kaninchen in ähnlicher Art vom Rücken- 
mark aus tetanisirte. Musikalisch bestimmt habe ich jenen Ton 
nicht, es ist aber nicht zu bezweifeln, und gewils bemerkens- 
werth, dafs derselbe dem Ton des Magnetelektromotors bedeu- 
tend an Höhe nachsteht. Bei fortgesetztem Tetanisiren wird, 
unstreitig wegen des Krampfes der Athemmuskeln, das Blut des 
Kaninchens schwarz, und es kann leicht geschehen, dafs Einem 
das Thier unter der Hand stirbt. 

Ein Stück Muskel aus einem solchen Kaninchen ausgeschnit- 


| vom 31. März 1859. 319 
ten findet man sauer. Hat man auf der einen Seite den Ischiad- 
| nerven zerschnitten, so kann die neutrale Reaction der davon ver- 
‚ sorgten und in Ruhe gebliebenen Muskeln wie in-den vorigen Ver- 
suchen zur Controle dienen. Dies ist nun nichts weiter als eine 
‚ Bestätigung des mit Strychninvergiftung erhaltenen Ergebnisses. 
' Allein die neue Versuchsweise hat vor jener das voraus, dals 
man dabei das Thier am Leben erhalten kann, und so Gelegen- 
heit hat, eine Frage vom höchsten Interesse zu beantworten, 
nämlich die, was aus der in Folge des Tetanus im Muskel ent- 
wickelten Säure werde. Ich habe hierüber erst einen Versuch, 
aber mit recht günstigem Erfolge, angestellt. Nachdem ich näm- 
lich ein Kaninchen so lange und so stark tetanisirt hatte, als es 
möglich war ohne dasselbe zu tödten, schnitt ich ein Stück 
Muskelfleisch aus dem einen Oberschenkel aus, und fand 
dasselbe angegebenermalsen lebhaft sauer. Darauf wurde die 
Wunde zugenäht, und dem Kaninchen Ruhe gegönnt. Die er- 
sten zwei Stunden lag es in tiefster Ermattung auf der Seite, 
und war ganz kalt anzufühlen; dann erholte es sich allmälig, 
setzte sich auf und fing wieder an zu fressen. Nach etwa fünf 
‚Stunden wurde die Wunde wieder geöffnet, und ein neues 
‚Stück Muskelfleisch ausgeschnitten, welches sich nicht mehr 
F sauer verhielt. Abermals wurde die Wunde zugenäht, und das 


 Thier zu weiteren Versuchen aufgehoben. Ein paar Tage dar- 
auf prüfte ich an demselben vergiftete Pfeile der Jakuns (Min- 
_ tras) von Malacca, die mir Hr. Fedor Jagor von dort zuzu- 
senden die Güte gehabt hatte. Es erfolgte Tetanus und Tod, 
wie nach Strychninvergiftung. Ein drittes ausgeschnittenes Mus- 
kelstück erwies sich jetzt wieder deutlich sauer. Aus diesem 
Versuche ergiebt sich mit Gewilsheit, dafs wenige Stunden hin- 
reichen, um die auch im ungewöhnlichsten Malse in den Mus- 
‚keln durch Anstrengung erzeugte Säure unmerklich zu machen. 
Ich habe aber Grund anzunehmen, dals bei unversehrtem Kreis- 
auf ein sehr viel kleinerer Zeitraum, vielleicht schon von we- 
nigen Minuten, dazu ausreicht. 

Da das Herz während des Lebens unablässig eine gewaltige 
mechanische Arbeit leistet; da bereits anderweitige Spuren eines 
besonders regen Stoffwechsels darin gefunden wurden, als da 
sind Kreatin in ungewöhnlicher Menge, Inosit, Hypoxanthin; da, 


320 Gesammtsitzung h 


wie ich bemerkt habe, Braconnot’s Analyse des Ochsenher- 
zens von Berzelius’ Analyse anderer Muskeln desselben Thie- 
res hinsichtlich des Verhältnisses des alkoholischen und wässri- 
gen Auszuges in dem Sinne abweicht, wie es nach den Beob- 
achtungen des Hrn. Helmholtz zu erwarten stand; endlich da 
schon 1828 Hr. C. Aug. Sigm. Schultze das Herz unter 
allen Muskeln am stärksten sauer gefunden zu haben glaubte: 
so versuchte ich, ob vielleicht das noch leistungsfähige Herz 
eine saure Reaction geben würde. Beim Frosch, der Taube, 
dem Ochsen, Kaninchen und Meerschweinchen traf dies indels 
nicht zu. Nur dafs das Herz, trotz seiner grolsen Blutfülle, 
die ihm stets eine deutliche alkalische Reaction verlieh, frü- 
her als andere Muskeln sauer zu werden schien. Hr. Kühne 
schrieb mir aus Paris, er habe frische Herzen von Hunden und 
Katzen sauer gefunden, die Hr. Claude Bernard zu seinen 
Versuchen verwandt hatte. Ich dachte mir, dafs diese Herzen 
vielleicht deshalb sauer gewesen seien, weil sie während der 
Vivisection vor Angst und Wuth heftiger als sonst geklopft hat- 
ten. Ich zerschnitt also einem starken männlichen Kaninchen 
beide Vagi, um sein Herz in ungewöhnlich heftige Bewegung 
zu versetzen. Das Thier starb unter den gewöhnlichen Zufäl- 
len bereits nach 22 Stunden, als ich gerade anders heschäftigt 
war. Doch traf ich, als ich sehr kurze Zeit darauf die Brust- 
höhle öffnete, das Herz noch für mechanischen Reiz empfäng- 
lich an. Die Reaction desselben war aber die gewöhnliche ziem- 
lich ausgesprochen alkalische. 

Die rothen Flecken, welche durch Tetanus gesäuerte Mus- 
keln auf blauem Lakmuspapier machen, sind von dauernder Be- 
schaffenheit, und die Siedhitze vermag über die dergestalt in 
den Muskeln entwickelte Säure eben so wenig wie über die 
auf anderem Wege freigewordene (S. oben S. 308). Die saure 
Reaction der angestrengten Muskeln rührt folglich weder her 
von der nach Angabe der Hrn. Matteucci und Valentin 
reichlicher darin entwickelten Kohlensäure, noch von saurem phos- 
pborsaurem Kali. Dals Fleischmilchsäure die Ursache derselben 
sei, wird noch dadurch wahrscheinlich gemacht, dals Berzelius, 
wie er im Jahr 1841 Hrn. Lehmann in Schweden erzählt hat, 
aus den Muskeln geheizten Wildes eine auffallend grolse Menge 


vom 31. März 1859. 321 


ilchsäure erhielt, während die Muskeln partiell gelähmter Ex- 
| tremitäten ihm weniger als sonst davon zu enthalten schienen.') 
a Über die Entstehungsart der Fleischmilchsäure bei der Zu- 
sammenziehung wird es weise sein, sich zunächst jeder Muth- 
malsung zu enthalten. Nur die Widerlegung einer Ansicht dar- 
| über, welche vielleicht auftauchen könnte, halte ich für zweckmälsig. 

Wir haben oben den Beweis geführt, dals die Gerinnung 
des Muskelfaserstoffes unabhängig von der Säurung des Muskels 
stattfinden könne. Die gegenwärtigen Versuche scheinen nun 


könnte aber der Zweifel ausgesprochen werden, ob wirklich die 
äurung des Muskels durch Tetanus von der durch das Absterben, 


umgekehrt zu zeigen, dals die Säurung des Muskels ohne 
Gerinnung des Muskelfaserstoffes stattfinden könne. Es 


oder durch die Gerinnung des Muskelfaserstoffes, herbeigeführten 
ssentlich verschieden sei. Man könnte sagen, dals in Folge der 
heftigen Muskelanstrengung vielleicht ein Theil der Muskelbündel 
wirklich absterbe, todtenstarr und sauer werde, während ein an- 
lerer allerdings noch leistungsfähig sei. So komme der An- 
in der Säurung des noch lebenden Muskels zu Stande. Wenn 
an den Muskeln Ruhe gegönnt werde, löse das arterielle Blut 
ie Starre jener abgestorbenen Bündel und wiederbelebe sie, wie 
in den bekannten Versuchen der Hrn. Brown-Sequard und 
annius. 

" Diese Meinung ist unhaltbar. Erstens würde es irrig sein, 
ich die tetanisirten Muskeln, an denen wir saure Reaction nach- 
wiesen haben, in dem Mals erschöpft vorzustellen, dals einzelne 
mitiv- oder secundäre Bündel derselben mit sofortigem Absterben 
droht wären. Ich will nicht läugnen, dals sich dies im An- 
ang meiner Versuche ein- oder das anderemal zugetragen habe, 
7 !) Dies ist, wie mir Hr. Lehmann brieflich mitzutheilen die Güte 
jatte, der Ursprung der in sein Lehrbuch der physiologischen Chemie 
Bd. I. Leipzig 1850. S. 103 aufgenommenen Angabe, („Berzelius glaubt 
‚überzeugt zu haben, dafs ein Muskel desto mehr Milchsäure enthält, 
iehr er vorher angestrengt worden ist”) welche von dort vermuthlich 
m Hrn. Ludwig’s und Hrn. Schlolsberger’s Werke übergegangen 
St. Berzelius selber scheint jene Beobachtung nirgends veröffentlicht 


322 Gesammitsitzung 


besonders als ich dieselben noch allein am Frosch anstellte und 
zuletzt, um schlagendere Wirkungen zu erhalten, die Muskeln un- 
mittelbar reizte. Obschon auch hier, wie gesagt, sogar die 
zerschnittenen Muskeln nach kurzer Ruhe wieder leistungsfähig 
erschienen (S. oben $. 314). Allein bei mittelbarer Reizung‘ 
vom Rückenmark aus, sei’s durch den elektrischen Strom, sei’s 
durch Strychnin, ist wirklich von einer so gefahrdrohenden Er- 
schöpfung des Muskels selber die Rede nicht. Die sauer reagi- 
renden Muskeln z. B. eines durch Strychnin getödteten Kanin- 
chens zucken noch beim Durchschneiden des Nerven, vollends 
antworten sie noch leicht, kräftig, und, soweit sich dies beur- 
theilen lälst, in ganzer Ausdehnung auf jeden unmittelbar ange- 
brachten elektrischen, ja mechanischen Reiz. Solche Muskeln 
erschöpft zu nennen, würde in der That keinen Sinn haben, 
Übrigens ist der rothe Fleck, den der Querschnitt eines tetani- 
sirten Kaninchenmuskels auf blauem oder violettem Grunde macht, 
ganz einfarbig und frei von jeder Einmischung des Grundes, wie 
sie unstreitig stattfinden würde, wenn die saure Reaction nur 
einzelnen besonders angestrengten Muskelbündeln zukäme. 

Sollte hienach noch ein Zweifel sein daran, dafs die Säu- 
rung der tetanisirten Muskeln nicht auf diese Art erklärt wer- 
den könne, so würde derselbe vor einer neuerdings von Hrn. 
Kühne ermittelten wichtigen Thatsache weichen müssen. Hr. 
Kühne schreibt mir aus Paris vom 5. Februar d. J., es sei ihm 
gelungen sich auf das bestimmteste zu überzeugen, dals die Lö- 
sung der Todtenstarre durch das arterielle Blut in dem Versuch 
von Stannius und Brown-S&quard nur dann eintrete, wenn 
die Muskeln nicht bereits in Folge der Erstarrung sauer gewor- 
den seien. Damit verliert der hier bekämpfte Einwand gegen 
unsere Versuche vollends den Boden, da er gerade auf der Mög- 
lichkeit fulst, dals die in Folge übermäfsiger Anstrengung abge- 
storbenen, erstarrten und gesäuerten Bündel durch das arterielle 
Blut wiederbelebt würden. 

Die Beobachtung des Hrn. Kühne dürfte übrigens eine 
andere Muthmalsung ähnlicher Art in nicht minder bedenkli- 
chem Licht erscheinen lassen, zu der man jetzt hier leicht ge- 
führt wird. Sie besteht in der Umkehr der bekannten Ansicht, 
wonach die Todtenstarre eine letzte dauernde Zusammenziehung 


vom 31. März 1859. 323 


sein sollte. Es würde nämlich danach vielmehr jede Zusammen- 
ziehung mit einer Gerinnung einer gewissen Menge flüssigen 
Muskelfaserstoffes verknüpft sein, welche ihrerseits nicht ohne 
Säurebildung einherschreiten würde, wobei man noch der die Zu- 
sammenziehung begleitenden Temperaturerhöhung einen begünsti- 
genden Einfluls zuschreiben könnte, welche in den eigentlichen 
Heerden des Molecularvorganges ja eine viel beträchtlichere sein 
mag, als sie sich für die Gesammtheit der Muskelmasse darstellt. 
Auch diese Hypothese würde zuletzt nothwendig der Auflösbar- 
keit des bereits gesäuerten Gerinnsels durch das arterielle Blut 
bedürfen, und also, wenn man nicht noch weitere Vermuthun- 
gen hinzufügen will, gleichfalls durch jene Beobachtung besei- 
tigt sein. 

Leichter als von der Entstehung der Säure bei der Zusam- 
menziehung, wird man wohl dazu gelangen sich einen Begriff 
zu machen von den Schicksalen, denen die einmal gebildete 
Säure unterliegt. Wir haben gesehen, dals die Säure sehr bald 
wieder unmerklich wird. Das natürlichste ist wohl, sich zu den- 
ken, dafs das alkalische Blut dieselbe aus den Primitivbündeln in 
Gestalt fleischmilchsauren Natrons auswasche, während Kohlen- 
säure frei werde. Ob das fleischmilchsaure Natron im Blute zu 
kohlensaurem Natron und anderen Producten verbrannt werde, 
oder ob dasselbe als solches im Harn erscheinen könne, ist eine 
Frage, die zu weiteren Untersuchungen auffordert. Obschon von 
den Chemikern die Gegenwart milchsaurer Salze und freier Milch- 
säure im Harne heutzutage im Allgemeinen bezweifelt wird, 
ist es doch schwer, sich jetzt hier nicht zu erinnern, dafs 
einst Hr. Lehmann die Menge der von ihm als Milchsäure 
angesprochenen Substanz im Harn nach körperlichen Anstren- 
gungen vermehrt gefunden hatte. 

Der Säurung der Muskeln bei heftigen Krämpfen wegen ist 
es rathsam, wenn man bei warmblütigen Thieren sich von der 
neutralen, beziehlich alkalischen Reaction der ruhigen Muskeln 
überzeugen will, die T'hiere mit Curara zu vergiften. In der 
That gelang es mir nur durch diesen Kunstgriff, beim Huhne, 
welches geköpft erst nach unendlichem Gelflatter stirbt, die Mus- 
keln neutral zu finden, da sie sonst eine mehr oder weniger 


324 Gesammtsitzung 


entschieden säuerliche Reaction anzunehmen pflegen. Hierin liegt. 
ein neuer Erklärungsgrund dafür dals die Chemiker ‚über die 
Reaction der frischen Muskeln so lange haben können in Täu- 
schung befangen sein. Es ist denkbar dals dieser oder jener 
in der That Versuche am frischgetödteten Thier angestellt und 
die Muskeln, wegen der meist den Todeskampf begleitenden 
Krämpfe, sauer angetroffen habe. So ist es jetzt auch denkbar, 
dafs die von Hrn. Siegmund beobachtete saure Beschaffenheit. 
des Uterus-Auszuges von den Wehen herrührte, die vor dem 
Tode stattgefunden hatten. a 
Schliefslich würde uns übrig bleiben, einen Blick zu wer- 

fen auf Hrn. v. Liebig’s Hypothese über den Ursprung des 
Muskelstromes. Da die Muskeln, so lange sie einen elektri- 
schen Strom entwickeln, keine Säure in ihrem Inneren enthal- 
ten, so versteht es sich von selbst, dals in dem Sinne, wie Hr. 
v. Liebig es wollte, von seiner Hypothese die Rede nicht mehr. 
sein kann; um so mehr, als ich mich überzeugt habe, dafs’ 
Nerven und Muskeln eines mit Zuckerwasser ausgespritzten. 
Froschbeines alle gewohnten elektrischen Wirkungen zeigen. 
Nichtsdestoweniger knüpfen sich an eine genauere Erwägung 
dieses Gegenstandes mancherlei nicht unwichtige Fragen, die 
ich bei einer späteren Gelegenheit und in einer besonderen 
Abhandlung zu erörtern gedenke.') i 
L 

!) Die Literatur zur gegenwärtigen Abhandlung findet sich möglichst 
vollständig in meiner Habilitationsschrift: De Fibrae muscularis Reactione, 
ut Chemicis visa est, acida. Berolini. Prostat apud Georgium Rei- 
mer.1859, 4°. zusammengestellt. Einen Punkt daraus kann ich nicht umhin, 
auch an dieser Stelle noch zu besprechen. In der dritten Auflage seiner 
chemischen Briefe, Heidelberg 1851, $. 551, sagt Hr. v. Liebig: „Die 
„freie Säure der Fleischbrühe scheint erst in Folge einer Veränderung zw 
„entstehen, welche ausnehmend rasch nach dem Tode eintritt, oder durch” 
„das Kochen bewirkt wird; die Muskeln frisch getödteter 'Thiere, vor 
„dem Eintreten der Toodtenstarre, färben blaues Lakmuspapier nicht roth.” 
(Vergl. Chemische Briefe, vierte Auflage, Leipzig und Heidelberg 1859. 
Bd. II. S. 134; — Lehmann, Zoochemie u. s. w. 1858. $. 488.) Die- 
ser Ausspruch, welcher in so vollkommenem Widerspruch mit der Ansicht 
steht, die Hr. v. Liebig wenige Jahre zuvor fester als je begründet zw 


vom 31. März 1859. 325 


- Ferner hielt Hr. Klotzsch einen Vortrag über zwei 
Arne die Hr. Feodor Jagor eingesandt hat. 


B;, 


4 


8 Hr. Magnus machte die folgende Mittheilung, betreffend 
eine Untersuchung des Hrn. Dr. Rudolph Weber über: die 
... der Schwefelmetalle durch Chlorphos- 
hor. 

In einer früheren Mittheilung hat Hr. Dr. Weber die Ein- 
kung des fünffach Chlorphosphors auf die Sauerstoflverbin- 
ngen beschrieben, und gezeigt, dals sowohl eine grolse An- 


haben glaubte, und welcher deshalb in seinem Munde für diejenigen, die 
t Geschichte dieser Angelegenheit gefolgt waren, etwas sehr Überra- 
schendes haben mulste, wird durch Anführung keines Beobachters und keiner 
genen Erfahrung unterstützt. Hr. v. Liebig hat es somit mir über- 
sen, zu erzählen, wie er zu jener neuen Einsicht gelangt ist. Als 
in Freund, Hr. Georg v. Liebig, sich im Jahr 1850 in Berlin auf- 
It, theilte ich Ahyn, meine N über die neutrale Reasign der fri- 


® ebig, Vater 2 Sohn, in Gemeinschaft mit Hrn. T h. 1. Bischoff, ver 
iche an, durch die sie von der Richtigkeit meiner Behauptung überzeugt 
Ein Bericht darüber von Hın. Georg v. Liebig, vom 1. Mai 
851 gezeichnet, liegt mir vor. Ich hatte indessen schon am 20. Decem- 
ber 1850 der physikalischen Gesellschaft hieselbst eine Mittheilung ge- 
macht, in der ich zeigte, dals leistungsfähige Muskeln, sowohl im natür- 
| ch en Zustande, als nachdem sie mit Zuckerwasser ausgespritzt wurden, 
neutrale Reaction besitzen, und dals sie zur Zeit des Erstarrens, durch 
“ } itauchen in Jauwarmes Wasser, endlich durch anhaltende heftige Zu- 
S mmenziehungen sauer werden. Diese Mittheilung ist nicht gedruckt 
schienen, sondern gemäls den Statuten der Gesellschaft von den Hrn, 
Krönig und Wiedemann als Beamten derselben unterschrieben und 
un ersiegelt zu den Acten gelegt worden (Vergl. die Fortschritte der Phy- 
sik in den Jahren 1850 und 1851. Dargestellt von der physikalischen 
sellschaft zu Berlin. VI. und VII. Jahrgang. Redigirt von Dr. A 
(rönig und Prof. Dr. W. Beetz, Berlin 1855. S. VII). Dals Hr. y. 
I iebig nicht richtig vermuthet hat, die Säurung der Muskeln trete aus- 
mehmend rasch nach dem Tode ein, oder werde durch das Kochen 
irkt, ergiebt sich aus dem oben S. 298. 304 Gesagten. 


326 Gesammtsitzung 


zahl von einfachen Oxyden, selbst Kieselsäure, geglühete Thon- 
erde, Chromoxyd, als auch die verschiedensten Salze z. B. 
Schwerspath, phosphorsaure Baryterde, Wolfram bei Rothglüh- — 
hitze durch die Dämpfe des Chlorphosphors zerlegt werden. 
Bei diesen Einwirkungen wird ein Theil des Chlors vom Chlor- 
phosphor an das Radical des Oxydes übertragen, während der 
entsprechende Sauerstoff an die Stelle des Chlors tritt. Als 
Zersetzungsprodukte werden die den Oxyden entsprechenden 
Chlorverbindungen der Metalle und Phosphoroxychlorid ge- 
bildet. \ 
Der Verfasser hat sich seitdem mit der Einwirkung des 
Chlorphosphors auf die Schwefelmetalle beschäftigt, und sich bei 
diesen Versuchen wieder des in der früheren Mittheilung be- y 
schriebenen Apparates bedient. Es wurde das Verhalten einer 
Anzahl von natürlich vorkommenden und künstlich erhaltenen 
Schwefelverbindungen untersucht und gefunden, dafs die Zer- 
setzung derselben im Allgemeinen leichter als die der Oxyde 5 
und auch hier zuweilen unter Feuererscheinung erfolgt. 

Schwefelkies, Zinkblende, Schwefelwismuth, Realgar, Grau- 
spielsglanzerz, Bleiglanz werden sehr leicht und vollständig 
zerlegt. Letzterer zeigt das Glühphänomen sehr schön. Bei 
der Einwirkung des Chlorphosphors auf den Bleiglanz bildet sich 
zunächst ein braunroth gefärbtes Produkt, wohl eine Verbindung 
von Chlorblei mit Schwefelblei, welches durch längere Einwir- 
kung in reines Chlorblei übergeführt wird. Der Schwelfelkies 
liefert bei der Zersetzung nur flüchtige Produkte, so dals als 
Rückstand nur eine Spur von Gangart bleibt. Desgleichen wer- 
den Arsenikkies, Speilskobalt, Kobaltspeise, Rothgültigerz leicht 
zersetzt; letzteres hinterläfst reines Chlorsilber. Bournonit, 
Fahlerz etc. verhalten sich wie die übrigen Schwefelverbindun- 
gen. Die Arsenikmetalle wie Arsenikeisen, Kupfernickel wer- 
den schwieriger angegriffen. 

Bei diesen Zersetzungen werden wieder Chlormetalle und 
aulserdem ein flüssiges Produkt gebildet, welches Schwefel, Chlor. 
und Phosphor enthält. Letzteres läfst sich bei der Zerlegung 
des Bleiglanzes leicht isoliren; es ist eine gelbe ölige Flüssig- 
keit von stechendem Geruche, schwerer als Wasser, von dem 


vom 31. März 1859. 327 


sie sehr langsam unter Abscheidung von Schwefel zersetzt wird. 
Die Lösung enthält Salzsäure, Phosphorsäure und unterschwef- 
lichte Säure. Salpetersäure zersetzt die Verbindung und schei- 
det Schwefel aus, welcher aber noch etwas Chlor enthält, ein 
Umstand der die Analyse sehr erschwert. 

Der Verfasser zieht aus seinen Versuchen den Schlufs, dafs 
diese Flüssigkeit zum grölsten Theile aus einer Verbindung be- 
steht, welche dem Phosphoroxychlorid analog zusammengesetzt 
ist. Ein solches hat zuerst Serullas durch Einwirkung von 
Schwefelwasserstoff auf fünfach Chlorphosphor erhalten. Die 
Abscheidung des überschüssigen Chlorphosphors ist noch nicht 
vollständig geglückt. 

Der bei der Zersetzung der Schwefelverbindungen stattfin- 
dende Vorgang hat daher mit dem bei der Zersetzung der Oxyde gro- 
fse Ähnlichkeit. Der mit den Metallen verbundene Schwefel tritt 
nämlich wie der Sauerstoff der Oxyde an den Phosphor, während 
das Metall mit einem Theile des Chlors vom Chlorphosphor sich 
vereinigt. Aus der grolsen Verwandtschaft des Schwefels zum 
Phosphor und des Chlors zu den Metallen ist der hier stattfin- 
dende Prozels leicht erklärlich. 

Der Verfasser hat ferner durch directe Vereinigung von 
Chlorphosphor mit Schwefelphosphor eine Verbindung erhal- 
ten, welche nach der damit vorgenommenen Untersuchung aus 
PCI,S, besteht; also gleiche Zusammensetzung mit der von 
Serullas hat, und durch welche die angeführte Zersetzung der 
Schwefelmetalle ihre vollständige Bestätigung erhält. Wird näm- 


lich eine entsprechende Menge von fünffach Schwefelphosphor, 
| durch Zusammenschmelzen von Schwefel mit rothem Phosphor 
erhalten, mit fünffach Chlorphosphor in einem Glasröhrchen ge- 
‚linde erhitzt, die gebildete Flüssigkeit nach dem Erkalten- von 
em nicht gelösten Schwefelphosphor und den ausgeschiedenen Kry- 
stallen abgegossen und der Rückstand wieder erwärmt, so wird 
derselbe fast vollständig in eine ölige Flüssigkeit verwandelt, 
welche alle Eigenschaften der von Serullas beschriebenen Ver- 
Bindung zeigt. Reines Chloraluminium wird von derselben 
nicht geröthet, was die Abwesenheit von halb Chlorschwefel 
erweist. 


328 Gesammtsitzung 


Leitet man die Dämpfe von fünffach Chlorphosphor über 


erhitzten Schwefel, so wird eine Flüssigkeit erhalten „welche 


Chloraluminium stark röthet und wahrscheinlich ein Gemenge 
von halb Chlorschwefel mit der oben erwähnten Verbindung ist, 

Durch Einwirkung von fünffach Chlorphosphor auf Selen- 
blei hat der Verfasser neben Chlorblei eine röthliche Selen hal- 
tige Flüssigkeit erhalten, welche mit Wasser unter Abscheidung 
von Selen sich zersetzt. Die Lösung enthält neben andern Ver- 
bindungen auch Selenwasserstoff. ; 


Hr. Weber las über die Päli-Legende von der 
Entstehung des Säkya- und Koliya-Geschlechtes. 

Hr. V. Fausböll, der sich jetzt behufs Collationen für 
seine so höchst wünschenswerthe Ausgabe der Jätaka in Lon- 
don aufhält, sandte mir kürzlich das nachfolgende Stück aus 
Buddhaghosa’s Commentar zum Suttanipäta (dem fünften Ab- 
schnitt des Khuddanikäya), welches seines historisch-chronologi- 
schen Inbaltes wegen von Interesse ist. Die Abschrift ist aus 
einem Kopenhagener Codex (C), der mit ceylonesischer Schrift 
geschrieben ist (nro. XIX des Catal.), gemacht, und dann mit 
einem Londoner Codex (B) in der Bibliothek der asiatischen 
Gesellschaft, der in birmanischer Schrift den Suttanipäta eben-' 
falls nebst Commentar enthält, collationirt worden. Der erste 
Theil der Legende, der von der Entstehung des Säkya-Ge- 
schlechts handelt, ist bereits mehrfach bekannt, und zwar sowohl 
nach den Berichten der südlichen, wie der nördlichen Buddhi- 
sten: aus den Paö-Quellen nämlich durch Turnour, in seiner 
Einleitung zum Mahävansa pag. XXXV. XXXVL, und in seiner 
Abhandlung über den Dipavansa in J. As. Soc. Beng. Novem- 
ber 1838 VII, 925, so wie durch Hardy im Manual of Buddhism 
p- 126—133: und aus den tibetischen Quellen durch Csoma 
Körösi im Journal of the As. Soc. of Bengal August 1833 I, 
385 ff. (danach im Foe Koue Ki pag.214)und durch Schiefner tibet. 


ki, vom 31. März 1859. 329 


| Lebensbeschreibung des Buddha Gäkyamuni pag.2. Den zwei- 
ten Theil, der von der Entstehung der Koliya handelt, kennen 
‘wir aus Hardy Manual pag. 154—7: und den Schlufls, nämlich 
den Streit zwischen den Sükya und Koliya aus ibid. pag. 307 
und aus Fausböll’s Drammapadam pag. 351. Die Vergleichung 
dieser zum Theil sehr schwülstigen Berichte mit dem so ein- 
fachen, schlichten Originaltext, dem ich eine möglichst wörtliche 
"Übersetzung anschlielse, ist höchst instruktiv.— Aus Fausböll’s 
Briefe erlaube ich mir noch Folgendes mitzutheilen. Er schreibt 
u. A.: „Ich habe leider hier nicht so viele Paäi-Bücher gefun- 
‚den, wie ich gehofft hatte, und beklage namentlich, dals ich von ' 
dem Commentar zu denJätaka nurMahänäradakassapajätaka(56,7) 
im British Museum und 2!" 5!" nipäta im East India House 
funden habe. Meine Hoffnung steht nun nach Paris, wo sich 
leicht ein vollständiges Exemplar davon findet, oder wenig- 
s Stücke davon, da Burnouf’s Nachlassenschaft mehrere 
Jätaka enthält. Sollte ich ihn auch da nicht vollständig. erhal- 
ten, so mülste ich noch nach Ceylon und Siam gehen, da dieses 
Werk mir von der ganzen Päli-Literatur das interessanteste er- 
heint, wie es auch das umfangreichste ist. Es ist das Haupt- 
erk der Seelenwanderungslehre, enthält Vielerlei von historisch- 
Chronologischer Wichtigkeit, und ist von besonderer Bedeutung 
die mittelalterliche und neuere Volksliteratur; auch 
giebt es darin manche Stücke von hoher poetischer Schönheit. — 
 Suttanipäta, welches Werk in mehreren Hinsichten über dem 
) Dhammapadam steht, hoffe ich nach den beiden Handschriften 
" Teidlich genug herausgeben zu können. — Ich habe hier zuerst 
" Turnour’s und Gogerly’s Abhandlungen gesehen, die in 
openhagen nicht zu haben sind, Gogerly’s vielleicht über- 
haupt nicht, aufser in London. Es wäre höchst wünschens- 
U werth, sie separat herausgegeben zu sehen. Möchte doch Go- 
rly (der noch in Ceylon lebt) sich zu einer Sammlung sei- 
er verschiedenen Abhandlungen über Buddhismus entschlielsen, 
nd zugleich die von Turnour damit verbinden. Diese bei- 
en Männer sind durch ihre Kenmntnils des Päli in der That 
höchst ausgezeichnet. — Mein Freund Trenckner in Kopen- 
hagen ist jetzt mit einer Bearbeitung des Milindapanha beschäf- 


r 


330 Gesammtsitzung 


tigt. Ich sende ihm in diesen Tagen eine Handschrift davon, 
die Dr. Rost in Canterbury gehört, der die Güte hatte sie ihm 
zur Collation zu überlassen. Die Sprachformen in diesem Werke 
sind korrekter als in den meisten Päüi-Büchern; ich hoffe daher, 
dafs die Ausgabe desselben dazu dienen wird, einige noch schwe- 
bende Päli-Formen festzustellen.” 


Aus der paramatthajotikä zum sammäparibbäjaniyasutta im suttani- 
päta (II, 13). 

Pa’hamakappikänarn kira ranio Mahäsammatassa Rojo näma 
putto ahosi, Rojassa Fararojo näma, Vararojassa Kalyäno'), Ka- 
lyänassa Yarakalyäno, Varakalyinassa Mandhätä, Mandhätussa 
Varamandhätd, Varamandhätussa Upiake, Uposathassa Caro”), 
Carassa Upacaro, Upacarassa Maghädevo’ ), Maghädevaparam- 
parä*) caturäsitikhatliyasahassäni ahesum, tesam parato Zayo Ok- 
käkavamsd’ ) ahesum. Tatiya-Okkäkassa parica mahesiyo ahesum: 
Hattihä, Cittä, Jantu, Jälini®), Visäakhä ti, ekekissä parica panca 
itthisatäni pariväräni; sabbajezhäya cattäro puttä: Okkämukho'), 
Karakandu"), Hatthiniko”), Nipuro'°) ti, parica dhitaro: Piyä, 
Suppiya''), Änandä, Yijua'”), Fiitasenä‘°) Ui; evam sä nava 
putte labhitvä kälam akäsi. Atha räjä annam daharam abhirüpam 
en änetvä döyrocheslfkäne Aapesh säpi ekam'*) put- 


tam vijäyi, jätakumäram ' °) pancamadivase' °) alamkaritvä ranno 


1) Codex C schreibt stets kallyäno mit zwei |. a: 
Varo Varassa Upavaro Upavarassa. N B Magghädevo 
*) B Magghädevassa paramparä. °) B hat auch im Folgen- 


den Ukkäka. °) B Jälini, C Jälini, Turnour: Pälini. ”)B 
Ukkämukho, Hardy: Ulkämukha. Turnour hat Okkäkamukho, 
aber das Metrum zeigt, dafs man im Mahävamsa p. 9 Linie 3 zu 
lesen hat: Okkämukbo. °) B und Turnour: Karakando, Hardy: 
Kalanduka. °) C Hatthinukho, Turnour: Hatthineka, Hardy: 
Hastanika. ‘°) C Sinipüro, Hardy: Purasunika oder Sirini- 
Pers ‘") Sapiyä, Turnour. '?) Sanandä, Turnour. 
'3) B Vijivitasenä. '%) B säpi Jantunäma ekam. 


15) B jätam kumäram. '°) B panrcame divase. 


vom 31. März 1859. 331 


er räjä tuzzho mahesiyä') varam adäsi; sä nätakehi sad- 
| dhim mantetvä puttassa rajjamn yäci, räjä nassavasali mama puttä- 
| nam antaräyam icchasiti”) nädäsi; sä punappunam’) raho räjänam 
paritosetvä na mahäräja musävädo vayzatiti ') Adini’) vatvä yäcatı 
eva. Atha räjä putte ämantesi: aha tätä tumhäkarz kanizzham 
' Jantukumäram disvä tassa mätu sahasä varam adäsi, sä puttassa”) 
rajjam parinämetum’) icchati, tumhe mam’ accayena ägantyä 
naja käreyyäthä ti afhahi amaccehi saddhizz uyyojesi. Te bha- 
| ‚giniyo ädäya caturariginiyä senäya nagarä°) nikkhamizzsu. Ku- 
| ‚märä pitu accayena ägantvä’) rajjarn käressanti, gacchäma ne'°) 
| upazthahämä ti cintetvä bahü' '") manussä anubandhimsu' a). Pa- 
dhamadivase yojanamattä senä ahosi, dutiye'?) dviyojanamattä 
tatiye'‘) tiyojanamattä. Kumärä cintesum: mahä ayam bala- 
käyo'?), sa ce'°) mayarn kanci sämantaräjänam akkamitvä'”) ja- 
j napadam ganbissäma so’ ®) pi no na-ppahessati'”), kim paresam 
 Pifarm katvä laddharajjena, mahä Jambudipo, aranie nagaram”°) 
mäpessämä’') ti Himavantäbhimukhä agamamsu””) tattha naga- 
ramäpanokäsam” °) pariyesamänä. Himavati Kapilo näma gho- 
atapo täpaso pafivasati” °) pokkharanzitire mahäsäkavanasande”°), 
assa vasanokäram”°) gatä. So te disvä pucchitvä sabbam pa- 


") B tassä mahesiyä *) B icchasiti, C icchäsiti ),B 
punapunarz, C punappuna *) C vaddhatiti °) B ädini, 
€ äditi °) B putta 7) B parinämetum °) C narigarä 


)C accayenägantvä '%) Cno *') B bahu Ad 
inubandhisu, C anubandhinsu '°) B dutiyadivase AB 
tatiyadivase '?) B janakäyo, C balakäye '"°) sace (s. 


set) schreibe ich wie no ce in zwei Worten: sa ist Affırmativ- 
artikel, wohl wie in sakubbato Dhpd. v. 52. — (Dies sa ist das- 
selbe, das wir in den Brähmana so oft finden: vgl. mein Väjas. 
. spec. II, 90 und praef. p. 17. AW.) '7) B atikkamitvä 
"®) B sabbam '?) B nappahemäti *°) C narigaram 
") B mäpissämä ”?) B ägamamsu *°) C narigara 
#9) € pativasati *°) C mahäsäkasande, B mahäsäkavanasondo 
26) © vasanokäsa 7) anukammar °°) B bhümivajaya 
 [is59.] 23 


332 Gesammtsitzung 


näma vijjam jänäti yäya') asitihatthe äkäse ca hezrhä bhümiyan 
ca”) gunadose passati. Ath’ ekasmim padese sükaramigä siha- | 
vyagghädayo täsetvä’) paripätenti *), mandukamüsikä sap- 
pehi samnä senti). So te disvä: ayam bhümippadeso pu- 
thuviaggan°) ti tasmim padese assamam mäpesi. Tato so rä- 
jakumäre äha: sa ce mama nämena nagaram') karotha demi 
vo idam okäsan ti. Te tatbä pafijänimsu‘). Täpaso: imas- 
min okäse zhatvä candälaputto pi cakkavaltirz balena atise- 
titi”) vatvä assame ranio gharam mäpetvä nagaram'°) mäpethä 
ti tam okäsam datvä sayam avidüre pabbatapäde assamam katvä 
vasi. Tato kumärä tattha nagaram'°) mäpetvä Kapilassa vuttho- 
käse'') katattä'”) Kupilavatthun ti nämam äropetvä'’) tattha 
niväsarn kappesum. Atha amaccä: ime kumärä vayappattä yadi 
nesam pitä'*) santike bhaveyya so ävähaviväharz käreyya'?) idäni 
pana amhäkarn bhäro ti cintetvä kumärehi pi saddhiza mante- 
sum'°). Kumärä: amhäkam sadisä khattiyadhitaro na passäma tä- 
sam'’) pi bhagininarn tam'*) sadise khattiyakumäre jätisambhedar 
ca na karomä ti te jätisambhedabhayena jerthabbaginim' ?) mä- 
tutthäne zhapetvä avasesähi samväsamn kappesum. Tesam?°) pitä 
tarn pavattimn sutvä Sakyä”') ti udänamn udänesi” "). Ayam täva 
Sakyänazı uppatti. 

Vuttam pi’) c’etam Bhagavatä: Atha kho Ambatthardjä 
Okkäko amacce pärisajje” ) ämantesi: kahan?’) nu kho bho eta- 


‘) B fügt nach yäya hinzu uddham *) B herhä ca 
bhümiyari ca °) C näsetvä? *) B paripäzenti °)B 
säpenti. Sollte man nicht lesen: sappe samtäsenti? °)B 
pathavi, C puthuvi ?) C narigaram °) B pazijänisum 
°) B cakkavattibalena atiseyyo ti '?) C narigaram 2) 
vuttokäse '?) B kazaltä '?) C ärepetvä, B ursprüng- 
lich ebenso, aber korrigirt in äropetvä. '?) So beide Mss. 
'?) B kareyya '°) C sammannesum '7) B täsam 
'%) So beide Mss. Ob: na? '?) C seizharn bhagini, B jeffhabhagini 
°0) B tesam *') B Sakyä vata bho kumärä °”?) B fügt 
hinzu: taduppäya te sabbe pi yäva Suddhodano Sakyä näma jätä 
>) C vuttam cetam °*) C parisajje °°) B kaham 


s 
vr 
h 


s vom 31. März 1859. 333 
rali kumärä sammantiti'). Atthi deva Himavantapasse’) pok- 
kharaniyä tire mahäsäkasando ° ), tatth’ etarahi kumärä sam- 
manti * ), te jätisambhedabhayä ° ) sakähi ° ) bhaginihi saddhim 
sarıväsarn kappentiti. Atha kho Ambazrharäjä Okkäko ’ ) udä- 
nam udänesi: Sakyä ° ) vata bho räjakumärä ° ), paramasakyä ° ) 
vata bho kumärä ti, tadaggena ca pana Ambatthasakyä ”) pan- 
Aäyanti'°), so ca Sakyinam'') pubbapuriso ti. 
-  Tato nesarn jezthabhaginiyä kuz/harogo udapädi, kovizärapup- 
phasadisäni gattäni ahesum. Räjakumärä: imäya saddhimm ekato 
nisajjaf/hänabhojanädini karontänam'”) pi upari esa rogo' °) sam- 
kamatiti cintetvä uyyänakizakam'*) gacchantä viya tam yäne äro- 
petvä arannam pavisitvä'”) pokkharanim khanäpetvä tattha' °) 
kbädaniyabhojaniyena'”) saddhim pakkhipitvä'°) upari paficchä- 
detvä pamsum '”) datvä pakkamimsu”’). Tena ca samayena 
Rämo näma räjä kuztharogi orodhehi ca näfakehi ca jiguechiya- 
mäno tena sarnvegena jefthaputtassa rajjarm datvä arannam pavi- 
sitvä tattha pannasäları katvä”') mülaphaläni paribhuijanto na 
E. eva arogo’’) suvannavanno hutvä ito c’ ito ca vicaranto 
mahantarz susirarukkharz disvä tass’ abbhantare apzabahatthap nnd. 
En tam kofäpam(?)”*) sodhetvä dväran ca vätapänan””) ca 
itvä nissenime”°) bandhitvä tattha väsarm kappesi. So arigära- 


bb 

o 

I ') B sampantiti *) B Himavantapadesa °) B ma- 

häsäkasendo *) B sampanti °) B jätisam® “JR 

sakähi sakäbi 7) B ukkäko °) B Säkyä ?) B bho 

kumäri '°) C pamnäyanti '') B Säkyinam AB 

karontinam '?) päparogo ‘%) B uyyänakizam '’),B 
avisetvä 1a Ken tattha 2 B °bhojanehi 
“) B pakkhipetvä '?) B pamsu *°) B pakkamisum 


) C hat an Statt von pannasälam katvä nur patta (panna?) 
“) C ärogo: so oft in den Mss., und vielleicht ist es unrichtig, 
esin arogo zu ändern, da es möglicher Weise Adjectiv zu dem 
Substantiv arogo, — s. ärogya sein könnte. Oder ist das ä 


etwa Folge des Accentes \ Be in änubhävo? ?3) Beide Mss. 
n °ppamänam FR B kozhäsarm. S. unten ko/arukkha 
“R) vätäyanan? (AW.) *°) B niseni, C nissenim 


23* 


334 Gesammtsitzung “ 


kafähe aggim katvä rattim vissaran ca!) sunanto sayati. So 
asukasmirn padese siho saddam akäsi asukasmimm ca ” ) vyaggho ')) 
ti sallakkhetvä * ) pabhäte tatiha gantvä vighäsamamsarn ädäya 
pacitvä khädati. Ath’ ekadivasam so paccüsasamaye aggim jä- 
letvä ° ) nisidi, tena ca samayena tassä räjadhitäya gandham ghä- 
yitvä vyaggho ° ) tam padesarn khanitvä padarattare ”) vivaramı 
akäsi, tena vivarena vyaggharn disvä bhitä vissaram akäsi, so tar 
saddamn sutvä itthisaddo ° ) eso ti ca sallakkhetvä päto va tattha 
gantvä ko etthä °) ti äha, mätugämo sämiti, nikkhamähiti, na 
nikkhamämiti, kirnkäranan ti, khattiyakaninä ahan ti, evam sobbhe 
nikhätäpı mänam eva karoti, so sabbam pucchitvä: aham pi khat- 
tiyo ti'°) jätirm äcikkhitvä'")ehi'*) däni khire pakkhittasappi viya 
jäto ' 2) tı äha, sä: kutrharogini- mhi' +) sämi na'°) sakkä nikkha- 
mitun ti äha, so katakammo däni aham sakkä tikiechitun ti nisse- 
nim'°)datvä taz uddharitvä attano vasanazthänam' ”)netvä sayam- 
paribhuttabhesajjäni eva'°) datvä na cirass’ eva arogam'?) su- 
vannavannam akäsi, täya ca’°) saddhim samväsam kappesi, sä 
pathamasamväsen’”') eva gabbham ganhitvä dve putte vijäyi, 
puna pi dve ti””), evam soZasakkhattum vijäyi, evan”’) te dvat- 
timsa”*) bhätaro ahesum, te anupubbena vuddhippatte”°) pitä 
sabbasippäni sikkhäpesi. Ath’ ekadivasam eko Rämarannio naga- 
raväsi” °) pabbate” ’) ratanäni gavesanto tam”®) padesam ägato 
räjänam disvä annäsı, Jänäm’ aham deva tumhe ti cäha, kuto 
tvam ägato sili etena puftho nagarato” °) deyä ti äha, tato nam 


') B visaran ca *) C läßst ca aus. °) B byaggho 
®) B sallakkhitvä °) B aggi jalitvä °) B byaggho 
”) € padaratthare. Ich vermuthe, dafs wir lesen müssen: pa- 
darantare. ®) € icchisaddo °) B eso "2, C lälst 
ti aus. '') € äcikkhi '?) Beti "9, C jätan 
‘?) B kuttharogimhi '?) B na sämi '°) B niseni, C 
nisseni 17) C vasanazthäna, B vasanokäsam '°) C evam 
'?) Beide Mss. ärogam *°) B läfst ca aus. *') B pa- 
thama°, G pazama° °?) B pi °’) B evam EL 
dvattisa, C dvattizn °°) B yuddhipatte *°) C narigara 
7) B pappate, C sabbate °°) B tam pi 29) C mar 


garalo 


E 


* 


vom 31. März 1859. 335 


‚räjä sabbam pavattim pucchi. Evam tesu samullapiyamänesu ' ) 
te därakä ägamimsu °). So te disvä ime ke devä ti pucchi, 
puttä me bhane ti, imehi däni deva dvattimzsakumärehi parivuto 
vane kim karissasi ehi rajjam samanusäsä ti, alam bhane idh’ eva 
'sukban ti. So: laddham däni me kathäpäbhatan ° ) ti naga- 
ram ‘ ) gantvä rannio puttassa ärocesi ° ), ranno putto pitararn 
"änessämiti ° ) caturariginiyä senäya tatiha gantvä nänappakärebi 
‚pitaram yäci. So pi: alan ”) täta kumära idh’ eva sukhan ti 
ma°) iechi. Tato räjaputto: na däni räjä ägantum iechati 
hand’ assa idh’ eva nagararn ” ) mäpessämiti'?) cintetvä tam ko- 
Zarukkharı uddharitvä sararı katvä'') nagaram °) mäpetvä ko7a- 
-rukkharr apanetvä katattä' ?) Kotlanagaran ve) ti ca vyaggha- 
‚pathe' °) katattä Fyagghapajjan'’) ti cä ti dve nämäni äropetvä 
agamäsi. Tato vayappatte knmäre mätä änäpesi'*): tätä tum- 
(häkazı Kapilavatthuväsino Sakyä mätnlä'”) honti dhitaro nesam 
'garhathä ti. Te yam divasam khattiyakannäyo er, ga- 
-echanti tam divasam gantvä naditittham PATER °) nämäni 
‚sävetvä pauhira! ”) räjadhitaro gahetvä agamamsu'°). Sakyarä- 
jäno' ?) tam”°) sutvä: hotu bhane amhäkam nätakä evä”') ti 
Aunhi??) ahesurz. Ayam Koziyänarn uppatti. 

Evam tesam Säkiya-Koliyänam annamannam ävähaviväham 
' karontänam ägato vamso yäva Sihahanuräjä””) täva vitihärato 
ra Sihahanurarino pana panca puttä ahesum: Suddho- 
‚dano Amitodano”*) Dhotodano Sukkodano”°) Sukkhodano” °) ti. 
s 


=") € samulläpanesu *) C agamimsu °) B kathä- 
‚pätatan *) C nangaram °) C ärocetvä °) B äney- 
iti ”) B alam ®) B neva °) € narigaram 


°) C mäpemiti '') B läßst saram katvä aus. '?) B 
tattä ME byaggha° '*) C änäpesi 1°y"B 
kyamätuyä "°) B uparuddhityä 7) B wiederholt pat- 
thitä "°) B ägamamsu '?) B Säkyao *°) € läfst 
tan aus. *') B ete *?) B tunbi *?) So beide 
Mss. ?*) B amittodano ?°) C Sukko *°) B Suk- 
kodano: Sp. Hardy Manual p. 134 hat Ghatitodano, vergl. Tur- 
mour im Mahävansa Cap. 2. p. 9. (Der Text daselbst sagt, 


es seien 5 Söhne, nennt aber nur vier.) 


336 Gesammtsitzung 


Tesu Suddhodane rajjarn kärayamänesu tassa pajäpatiyä ' ) Mahä- 
mäyädeviyä kucchimhi püritapärami * ) mahäpuriso. Jätakanidäne 
vuitanayena Tusitapurä cavitvä pafisandhim gahetvä anupubbena. 
katamahäbhinikkhamano °) sammäsambodhirr *) abhisambujjhitvä 
pavattavaradhammacakko ’) yathänukkamam °) Kapilavatthum. 
gantvä Suddhodanamahäräjädayo ariyaphale patif/häpetvä’) jana- 
padacärikarn pakkamitvä puna pi aparena samayena paccägantvä 
pannarasahi bhikkhusatehi saddhim Kapilavatthusmim°) viharati 
Nigrodhäräme. Tattha viharante ca Bhagavati Säkiya-Kofiyänam 
udakan paficca kalaho ahosi, katham: tesam”) kira ubhinnam'°) 
pi Kapilapura-Ko/iyapuränam antare'') Rohini' *) näma nadi pa- 
vattati, sä kadäcı appodakä'°) hoti kadäci mahodakä'*), appoda- 
kakäle'’) seturn katvä Säkiyäpi Koziyäpi attano attano sassapäya- 
nattharı udakam änenti, tesarı manussä ekadivasam setum ka- 
rontä'°) annamannam bhandantä'’): are tumhäkam räjakulam | 
bhaginihi saddhim samväsarı kappesi kukkuzasonasigäläditiracchänä 
viya, tumhäkarz räjakulanz susirarukkhe väsam kappesi pisäcil-, 
likä'°) viyä ti, evarn jätivädena khumnsetvä attano attano räjünamz 
ärocesum, te kuddhä yuddhasajjä hutvä Rohininaditiram'”) sam- 
pattä, evan tam sägarasadisarn balam?°) azthäsi. Atha Bhagavä: 
rätakä kalaham karonti handa ne väremiti äkäsenägantvä’') dvin- 
nam senänam majjhe affhäsi””), tam pi”) ävajjitvä”*) Sävat- 
thito’?) ägato ti eke, fhatvä”° 
tam sutvä sabbe samvegappattä ävudhäni chadgeıvä”') Bhaga- 


) pana Attadandasuttam abhäsi, 


‘) B fügt hinzu Anjanaranio dhitäya ?) C mi 
°) B Onikkhamanena *) B sammäsambodhi °) B pa- 
vattitaO TR yathänukkamena Ey patizhapetvä 
®) B °vatthumhi °) B nesam '‘°%,B ubhinnam 
"') B samanantare '?) B Rohini '?) C appodikä 
1%) C madikä '?) C appodika® '6) B karonto, C 
karontamn '7) B annamannam wudakam ganhantä are 
"?) B pisäcizikä '?) B Rohininaditiram ”°) B evam 
vihargasadisam balam *') B äkäsena gantvä > B 
dvinnar senämajjhe äkäse azhäsi *°) GC lälst tam pi aus, 


**) B ävajjetvä °°) B ävathito kira *°) B zhatvä ca 
> B chatetyä 


vom 31. März 1859. 337 


 vantarı namassamänä a//hamsu mahagghan ca äsanam panniape- 
sum, Bhagavä oruyha pannaltäsane nisiditvä kuzhärihattho ' ) pu- 
riso ti ädikarn Phandanajätakarı vandämı tar kunjarä ti ädıkam 
Lazukikajätakarn 

sammodamänä gacchanti jälam ädäya pakkhino 

yadä te vivadissanti ° ) tadä ehinti me vasanı ti 

imam Vaftakajätakari ca kathetvä puna tesam cirakälappavattamm 
Aätibhävarı dassento imam mahävamsam kathesi. Te pubbe pi 
kira mayam nätakä evä ti ativiya 3.) pasidimsu. 


„Von den dem ersten kalpa angehörigen (Königen) hatte 
König Mahäsammata einen Sohn Namens Aoja: dessen Sohn 
war Fararoja: dessen Sohn Kalyäna: dessen Sohn Yarakalyäna: 
dessen Sohn Mandhäta(r): dessen Sohn Yaramandhäta(r): des- 
sen Sohn Uposatha‘): dessen Sohn Cara: dessen Sohn Upa- 
cara: dessen Sohn’) Moghädeva. Des Maghädeva Nachkom- 
menschaft waren 84,000 Fürsten. Darunter waren im Verlauf 
drei Okkäka-°)Stämme. Der dritte Okkäka’) hatte fünf Frauen 
Hatthä, Cittä, Jantu, Jälini, Vicäkhä, und jede derselben 500 
Frauen als Zofen. Die älteste Gemahlin hatte vier Söhne Ok- 
kämukha, Karakandu, Hatthinika, Nipura, und fünf Töchter 
Piyä, Suppiyä, Änandä, Vijitä, Pijitasenä: nachdem sie diese 


‘) B kudhäri® *) B vicarissanti °) C ativa 
%) Uposatha fehlt im Mahävansa Cap. 2. — Die Angaben aus 
dem Dipavansa bei Turnour J. As. Soc. Beng. 1838 p. 925 dif- 
feriren hievon, indem auf Varakalyäna daselbst Uposatha, dann 
Mandhäta, darauf Cara, Upacara folgen. Wieder anders bei 
Hardy p. 126. °) Im Mahävansa 1. c. stehen zwischen 
Upacara und Makhädeva (so daselbst) noch mehrere andere Na- 
men. Ebenso im Dipavansa bei Turnour a. a. O. p. 926 und 
bei Hardy p 128. 129. °) Aus Ixväku, mit Wechsel von 
1 in u (vgl. usu für ishu, ebenso im Zend, Mithra-Yesht $ 24): 
und von u in o (vgl. Okkämukha)? oder besser wohl aus Aix-- 
väka. — Der Mahävansa weils nichts von drei Okkäkastämmen: 
‚5. indels Hardy p. 130 und Csoma Körösi a. a. O. ”) Am- 
bartharäjan mit Namen, s. im Verlauf. Hardy hat blos Amba. 


338 Gesammtsitzung 


neun Kinder erhalten hatte, starb sie. Da führte der König, 
eine andere feine‘), schöne Königstochter heim und machte sie 
zu seiner ersten Gemahlin. Auch sie gebar ihm einen Sohn. 
Am fünften Tage zeigte man dem Könige den neugebornen Kna- 
ben geschmückt. Der König erfreut gab seiner Gemahlin eine 
Wahlgabe. Nachdem sie sich mit ihren Verwandten berathen 
hatte, erbat sie für ihren Sohn die Herrschaft. Der König aber 
gewährte ihr dies nicht, sagend: „du böses Weib’), wün- 
schest meiner Söhne Verderben ’)!” Sie aber ging wie- 
derholentlich im Geheimen, den König umschmeichelnd, mit 
ihren Bitten vor, indem sie sagte: „ein grolser König darf. sei- 
nem Wort nicht untreu werden” u. dgl. Da rief der König 
seine Söhne zusammen: „Kinder! ich habe, als ich den jüng- 
sten von Euch, den Knaben Jantu, sah, seiner Mutter übereilt 
eine Wahlgabe gegeben: sie wünscht das Reich ihrem Sohn 
übertragen zu sehen. Ihr mögt denn nach meinem Tode zu- 
rückkehrend die Herrschaft antreten.” Damit verstiels er sie, 
ihnen acht seiner Räthe beigebend. Sie aber verlielsen, ihre 
Schwestern mit sich nehmend, in Begleitung eines viergliedri- 
gen Heeres die Stadt‘). Viele Leute schlossen sich ihnen an, 


') dahara, klein, zart, fein. *) nassavasali = nagya: 
vrishali. Turnour: thou outcast! Hardy: lowcast woman. 
°) antaräyam könnte auch blos Ausschlielsung bedeuten. *) Un- 
ser Text nennt den Namen dieser Stadt nicht. Nach Turnour 
a.a. O. p. 925 (the Okkäka-family quitting Bäränasi founded 
Kapilavatthu) und Hardy p. 131 ist es Benares. Der Dipavansa 
selbst indels führt bei Turnour a. a. O. p. 927 Okkäka, Okkäka- 
mukha, Nipura als 16ten 17ten 18ten König in einer Reihe von. 
Fürsten auf, die sämmtlich bereits in Kapilavatthu residirten, 
während die ihnen vorhergehende Linie in Benares herrschte. - 
— Die Tibetischen Quellen nennen (s. Csoma Körösi a. a. O.) 
als den Ausgangspunkt des Cäkya-Geschlechtes ,Potala (Gru 
-hdsin, the harbour) the ancient Potala or the modern Tatta at 
the mouth of the Indus.” Über den wahrscheinlichen Grund der 
Wahl dieses Ortes s. das von mir in den Akad. Vorles. über ind.Lit. 
Gesch. p. 249 not. Bemerkte. — Der Name Ambazztharäjan übri- 


vom 31. März 1859. 339 


indem sie sich überlegten: „nach des Vaters Tode werden die 
Prinzen zurückkehrend die Herrschaft antreten: lalst uns gehen, 
uns ihnen‘) anzuschliefsen.” Am ersten Tage war das Heer 
ein yojanam grols’), am zweiten Tage zwei, am dritten drei. 
Die Prinzen hielten Rath: „‚dieser Heereskörper ist grols. 
Wenn wir irgend einen Nachbar-König überfallend sein Reich 
nehmen wollen, wird er uns nicht zurückschlagen (können), 
Was soll uns aber ein Reich erlangt durch Beeinträchtigung 


8 
Anderer? der Jambudoipa ist grols: lalst uns im Walde eine 


Stadt erbauen.” So zogen sie denn nach dem Himavant zu, 
“ 


daselbst einen Platz zur Errichtung einer Stadt suchend. Am 


Himavant wohnte ein Bülser von gewaltiger Bulskraft, Namens 
Kapila, am Ufer eines Seees, das von einem Walde grofser 
Säka-Bäume umringt war’). Zu dessen Wohnort kamen sie. 
Sie erblickend frug er wer sie seien, und nachdem er ihre ganze 
Geschichte gehört, fühlte erMitleid mit ihnen. Er hatte die Kunst 
ne, welche drummajäla heilst'), vermöge deren er auf 80 Hand 
1 Weite oben in derLuft und unten in der Erde Vorzüge und Mängel 
erschaute. So war da ein Platz gewesen, auf welchem dieSchweine 
und die Rehe Löwen, Tiger u. dgl. in Schrecken zu setzen 
und in die Flucht zu schlagen pflegten; ebenso machten es da- 
selbst die Frösche und Mäuse mit den Schlangen. Als er diese 
(dies thun) gesehn, hatte er in der Überzeugung: „dieser Land- 
fleck hier ist die Spitze der Erde,” daselbst seine Einsiedelei 
ingelegt. Er sprach nun zu den Prinzen: „wenn ihr die Stadt 
nach mir nennen wollt, so gebe ich Euch diesen Platz.” Sie 
versprachen es ihm. Der Bülser fügte darauf hinzu: „auf die- 


gens führt auf die (damals vielleicht noch nördlicher sitzen- 

den ?) ’Außarraı an der Tapti jenseits des Vindhya (oder 
A . . 

ne — enän. *) „this multitude marched 

One yojana only” Turnour. „‚the retinue of the princes extended 

Bi . A 7 

sixteen miles” Hardy. °) sanda — sändra. >) bhomi- 


em auf die Luft bezüglichen indrajäla, die die Erde wie ein Netz 
fassenden Zauberkünste ? 


340 Gesammtsitzung 


sem Platze sich befindend würde sogar ein Candäla-Sohn einem 
(Cakravartin) WVeltherrscher an Kraft überlegen sein‘). Baut 
zuerst des Königs Haus in der Einsiedelei, danach die andere 
Stadt”: darauf räumte er ihnen den Platz ein, und machte sich 
selbst nicht weit davon am Fufse des Berges eine Einsiedelei, 
wo er wohnte. Die Prinzen bauten darauf daselbst die Stadt, 
gaben ihr, weil sie auf dem von Kapila ihnen genannten Platze 
ihr Ziel erreicht hatten’), den Namen Kapilavatthu und schlu- 
gen darin ihren Wohnsitz auf. Es überlegten nun die (mitge- 
gebenen) Räthe: „diese Prinzen sind in das Jünglingsalter ein- 
getreten. Wenn ihr Vater in der Nähe wäre, würde er ihr 
Heimführen und ihre Hochzeit besorgen. Jetzt aber ist das 
unsere Sorge”: sie sprachen darauf hievon mit den Prinzen, 
Die Prinzen waren der Ansicht: „wir sehen nicht unser wür- 
dige Fürstentöchter, noch für unsere Schwestern deren würdige 
Fürstensöhne. Geschlechtserniedrigung’) aber gehen wir nicht 
ein.” Aus Furcht somit vor Erniedrigung ihres Geschlechtes 
setzten sie die älteste Schwester als ihre Mutter ein, und wohn- 
ten den übrigen Schwestern bei. Als ihr Vater von diesem 
ihrem Vorgehen hörte sprach er (erfreut) den Spruch: „Fähig 
(sakyä) fürwahr sind meine Prinzen.” Dies ist die Entstehung 
der Sakya (des Cäkya- Geschlechtes). Von da ab sind bis zu 
Suddhodana Alle Sakya genannt worden*).” 

Auch Folgendes erzäblte Bhagavant’): 

Ambattharäjan, der Okkäka, frug einst seine beisitzenden 
Räthe: „wie mögen wohl jetzt die Prinzen sich befinden °)!” 
Sie antworteten: „es ist, o Herr, an der Seite des Himavant 
am Ufer eines Sees ein Wald von grolsen Süka-Bäumen’); dort 


!) atiseti — atigete vgl. atigaya, atigäyana etc. ?) ka- 
tattä, wohl kritärthär? der Ausfall der Aspiration ist indels auf- 
fällig. °) sambheda im Sinne von sarnkara. *) Soweit Turnour 
Mahäv. praef. p. XXXVI. °) Es folgt ein anderer kurzer Be- 
richt des Bisherigen. °) cgrämyanti eig. „zu leiden haben”, 
ein Ausdruck des Mitleids von Seiten des reuigen Vaters. ’) da 
auch hier wieder die Säka(Cäka)-Bäume (Tectona grandis) ge- 


vom 31. März 1859. 34al 


befinden sich jetzt die Prinzen: aus Furcht vor Erniedrigung 
des Geschlechtes wohnen sie ihren eignen Schwestern bei.” Da 
sprach Ambattharäjan, der Okkäka, den Spruch: „Fähig für- 
wahr sind die Prinzen!” Seitdem sind sie als die Ambattha- 
sakya (fähigen Ambattha) bekannt, und dies ist der Ursprung (?) 
der Sakya. 

Da traf sich’s, dafs ihre älteste Schwester am Aussatz er- 
krankte: ihre Glieder glichen den Blumen des kovidära - Bau- 
mes'). Die Prinzen überlegten sich: „Wenn wir mit Dieser 
zusammen an einem Orte Lager, Aufenthalt, Essen u. s. w. thei- 
len, so wird diese böse Krankheit auch auf uns übergehen.” 
Sie hoben sie daher auf den Wagen, als ob sie zu einem Spiel 
im Freien zögen, und als sie in den Wald gekommen, gruben 
sie eine grofse Höhlung”), thaten sie, mit Nahrung und Speise 
verseben, hinein, deckten die Grube oben zu, indem sie Erde 
‚darauf häuften, und gingen davon. Zu derselben Zeit war auch 
ein König’) Namens Räma vom Aussatz befallen worden, der, 

da seine Frauen und Verwandten sich vor ihm scheuten, im 
Kummer darüber seinem ältesten Sohn das Reich überliefs, und 
in den Wald zog. Er baute sich da eine Hütte von Laub, 
_ mährte sich von Wurzeln und Früchten und ward dadurch in 
"Kurzem wieder gesund und von klarer Farbe‘) Im Walde 
"hin und her streifend sah er einen grofsen hohlen Baum’): er 
reinigte die sechszehn Hand grofse Höhlung°) im Innern des- 
selben, machte eine Thür und ein Luftloch (Fenster) hinein, 


nannt werden, liegt die Vermuthung nahe, dafs der Ursprung 
des Namens Sakya (Gäkya) mit ihnen in Verbindung -stehe. 
*) Nach Wilson ist kovidära eine Art Ebenholz, Bauhinia va- 
riegata: „her whole body became white like the flower of the 
_ mountain ebony” Hardy. °) eig. einen Lotusteich! °) „king 
‚of Benares” Hardy, was aber nicht zu der früheren Angabe (auf 
‚p-131) palst, wonach König Amba in Benares herrschte. *) suvar- 
navarnah, von goldener Farbe „pure as a statue of gold” Hardy. 
?) susira, sushira. °) Statt kofäpam und kofhäsam vermuthe 
ich ko/aram. 


342 Gesammtsitzung 


band eine Leiter an, und schlug darin seine Wohnung auf. In y 
einer Kohlenpfanne machte er sich Feuer und lag in der Nacht 

nach den Tönen (der Tbiere) lauschend da. „An dem') Platze h 
hat ein Löwe gebrüllt, an dem‘) ein Tiger” das sich merkend 
ging er am Morgen dahin, nahm das (von diesen) beim Frals 
übriggelassene Fleisch an sich, kochte es und nährte sich damit. 
So sals er eines Tages gegen Morgen da, nachdem er sein 
Feuer angezündet hatte. Da geschah es, dals ein Tiger die 
Witterung der Königstochter bekam, und den Platz aufgrabend 
ein Loch in ihre Höhle machte. Als sie den Tiger durch das 
Loch erblickte, stiels sie erschreckt ein Geschrei aus. Der 
Prinz hörte die Stimme und da er sie als die Stimme eines 
Weibes erkannte, ging er am Morgen dahin. „Wer ist hier?” 
sprach er. „Ich bin ein Weib”), Herr!” „So komm heraus.” 
„Nein, ich komme nicht.” ,„Warum?” „Ich bin ein Fürsten- 
kind.” So, obwohl in einer Höhle’) vergraben, wahrte sie doch 
ihren Stolz. Da frug er sie nach Allem, sagte ihr dann: „auch 
ich bin ein Fürst,” nannte ihr sein Geschlecht und sprach: 
„komm nur! ich bin geworden, wie die Butter (sarpis), die auf 
der Milch schwimmt‘).” Da sagte sie: „ich bin krank am Aus- 
satz, Herr! ich kann nicht herauskommen.” Erfreut’) antwor- 
tete er nun: „ich bin im Stande, dich zu heilen°),” reichte ihr 
die Leiter, zog sie heraus, führte sie nach semer Wohnung, gab 
ihr die Heilkräuter, die er selbst gegessen hatte, machte sie in 
Kurzem gesund und von klarer Farbe, und wohnte ihr dann 
bei. Von der ersten Beiwohnung ward sie schwanger und 
gebar ihm zwei Söhne, ebenso das zweite Mal, und so sechszehn 


‘) asukasmim, von asuka, einer Weiterbildung vom Nomin. 


asu (asau). ) mätugäma, eig. Mutterschaar, dann entspre- 
chend dem antahpura, Frauenzimmer, Yvvaırzcıov auch für ein 
einzelnes Weib gebraucht. °) sobbhe, cvabhre. *)d.i. 


so leicht, so leichten Muthes, so froh. „our meeting together 
is like that of the waters of the rain and the river” Hardy. 
°) So ist katakammo wohl zu fassen. °) sakko zu lesen? 
tikicch für cikicech, eine höchst interessante Form. 


4 


vom 31. März 1859. 343 


Male. So waren es denn zweiunddreilsig Brüder, die der Vater 
der Reihe nach wie sie verständig wurden, in allen Fertigkeiten 
unterrichtete. Eines Tages kam ein Bewohner der Stadt des 
Königs Räma, der auf dem Berge Edelsteine suchte, nach jenem 
Orte, sah den König, erkannte ihn und sprach: „ich erkenne 
dich, hoher Herr')!” ,„Woher kommst du?” von ihm befragt, 
antwortete er „aus der Stadt, hoher Herr!” Da frug ihn der 
König, wie Alles stünde. Während sie so zusammen sprachen, 
kamen die Knaben’) herzu. Sie sehend frug Jener „wer sind 
diese?” „Meine Söhne, Freund ’)!” ,O hoher Herr! was 
willst du, umgeben von diesen 32 Prinzen, im Walde machen! 
komm doch! und verwalte dein Reich!” „Genug damit, Freund! 
Hier allein ist mir wohl.” Jener aber: „jetzt habe ich ein wah- 
res Geschenk’) von einer Nachricht gewonnen” also denkend, 
ging in die Stadt zurück und enthüllte (berichtete) dem Sohne 
‚des Königs. Dieser machte sich mit einem viergliedrigen Heere 
auf dorthin, um seinen Vater zurückzuführen, und bestürmte 
denselben auf alle Weise mit seinen Bitten. Der Vater aber: 
„genug mein lieber Sohn! Hier allein ist mir wohl” also spre- 
chend willigte nicht ein. Da dachte der Königssohn: „der Kö- 
nig will nun einmal nicht zurückkehren. Wohlan’), so will 
ich ihm hier eine Stadt bauen.” So liefs er denn den kola- 
Baum °) herausnehmen, einen Teich graben und eine Stadt 
bauen, gab derselben die beiden Namen Kofanagara und Fyag- 


} ') deva, eig. „Gott!” die höfische Anrede für den König. 
?) däraka Kind, und dära (däris) Frau gehen wohl auf V dar 
„spalten” zurück, in dem Sinne, den dies Verbum sonst nur in 
_ Verbindung mit Praeposition ä hat: „sich abarbeiten, mühen, 
‚sorgen, bekümmern um etwas”: bedeuten also eigentlich wohl 


as Sorge, Mühe macht, Pflege braucht”, ähnlich also wie 


b äryä, bhritya. *) bhane Voc. von bhani „der Einem zu- 

spricht, Freund”? oder wie? *) präbhrita a present, an of- 

ferin to a deity or sovereign, Wilson. °) handa, ge- 
5 5 58 


‚schwächt aus hanta, eigentlich Schlachtruf, resp. plur. Imper. 
„schlagt todt,” dann überhaupt Ausruf der Freude, Ermunterung. 
M) the kolom tree, Nauclea cordifolia, Hardy. 


344 Gesammtsitzung 


ghapajja, weil sie durch Hinwegräumung des Xo?a-Baumes und 
dem Pfade des Tigers folgend ihr Ziel erreicht hatten, und zog 
heim. — Als darauf die Prinzen das Jünglingsalter erreicht hat- 


ten, sprach zu ihnen die Mutter: „Kinder! die in Kapilavatthu 


wohnenden Sakya sind eure mütterlichen Oheime! Suchet ihre 
Töchter zu erhalten.” So machten sie sich denn eines Tages, 
als die jungen Fürstinnen zum Spiel nach dem Flusse gingen, 
auf, bemächtigten sich des Flufsufers, riefen ihre Namen aus, 
traten vor, nahmen die Königstöchter und zogen mit ihnen 
heim. Die Sakya-Könige, als sie es hörten, dachten: „lalst es 
sein! wohlan'): es sind ja unsere Verwandten,” und waren still. 
Dies ist die Entstehung der Koliya. — 

Von den in dieser Weise gegenseitig Heimführung und 
Hochzeit übenden Säkiya und Koliya pflanzte sich das Ge- 
schlecht bis auf Sihahanu fort, wie (anderswo) ausführlich zu ler- 
nen ist. König Sihahanu aber hatie fünf Söhne: Suddhodana, 
Amitodana, Dhotodana, Sukkodana, Sukkhodana. Dieselben 
liefsen die Herrschaft bei Suddhodana. Der Schools von des- 
sen erster Gemahlin Mahämäyädeei, Tochter des Königs Anjana, 
ist es, in welchen der vollendete hohe Mann”), in der im Jätaka- 
nidäna beschriebenen Weise aus der Stadt der Tushita - Götter 
herabkommend ’), sich eiuliefs; ordnungsgemäls ihn verlassen 
habend, erreichte er die volle Erkenntnils, setzte das Rad des 
guten Gesetzes in Bewegung, kam als es die Reihe war nach 
Kapilavatthu zurück, setzte den grolsen König Suddhodana etc. 
in die Frucht der Edlen ein, zog wieder aus um in den Ländern 
umherzuwandeln, kehrte zu einer andern Zeit wieder zurück und 
wohnte mit 1500 dhikkhu in Kapilavatthu im Nigrodha-Haine. 


Als nun damals der Bhagavant daselbst sich aufhielt*), entstand 


zwischen den Säkiya und Koliya ein Streit über Wasser. Wie 
geschah das? Zwischen den beiden Städten Kapilapura uud 
Koliyapura nämlich ist ein Fluls Namens Rokini”): der hat 


') bhane, wörtlich: „o Freund”? ”) Buddha nämlich. 
°) cavitvä, Veyu, gcu. *) s. Dhammapada p. 351. 
Hardy Manual p. 307. °) Hardy I. c.: the Rohini is said 


by Klaproth to come from the mountains of Nepaul, and after 
uniting with the Mahänada, to fall into tbeRapty, near Goruckpur. 


‘ 


vom 31. März 1859. 345 


manchmal wenig Wasser, manchmal viel. Wenn wenig Was- 
ser ist, pflegen die Säkiya wie die Koliya sich das Wasser zur 
Berieselung ihrer Felder durch Anlegung von Kanal-Rinnen zu 
verschaffen. Eines Tages, als ihre Leute dabei beschäftigt wa- 
ren, und einander das Wasser wegnahmen'), schimpften sie sich 
mit ihrer Herkunft: „Euer Königshaus hat den eigenen Schwe- 
stern beigewohnt, wie Hunde, Schweine”), Schakale u. dgl. Ge- 
thier”: „Euer Königshaus hat in einem hohlen Baume gewohnt, 
wie die Fledermäuse’),” und meldeten es dann ihren Königen. 
Erzürnt rüsteten') sie sich zum Kampfe, und zogen nach dem 
Ufer der Rohini. Ihr Heer war einem Vogelschwarme gleich’). 
Da kam Bhagavant: „meine Verwandten streiten sich: wohlan 
ich will sie davon zurückhalten” also denkend, durch die Luft 
herbei, stellte sich zwischen die beiden Heere — Einige sagen, 
er kam von Süvazthi, weil man ihn holen liels°) — und recitirte 
(so,inderLuft)stehend das Aztadandasutta (von denen, welche den 
Stock heben, Sutzanipäta 4,15). Dieses gehört habend, warfen Alle 
von Bewegung ergriffen ihre Waffen nieder’), verneigten sich 


dem Bhagavant, und lielsen ihm einen kostbaren Sitz zurecht 
machen. Bhagavant stieg herab, nahm auf dem dargebotenen Sitze 
j Platz, recitirte das Phandanajätaka (48,2) welches beginnt „ein 
- Mann, der eine Axt in der Hand hat,” sodann das Zatukikajätaka 


(36, 7), welches beginnt: „ich preise den, o Elephanten!” und 
das Yattakajätaka (40, 9): 

„wenn einig, fliegen freudevoll mit dem Netze die Vögel fort: 
wenn aber sie uneins werden, dann kommen sie in meine 

Macht°).” 

 ') oder nach C. „und sich einander aufzogen” (s. V bhag). 
?) sona? „like pigs and dogs.” Hardy. ?) pigäcillikä? „like 
bats” Hardy. *) sajjä, eigentlich sajyä, deren Bogensehne ge- 


‚spannt ist. °) oder nach C: einem Meere. °) ävaj- 


jitvä ist wohl Gerundium Passivi (des Causativs ?) von V vraj, mitä. 
vw) chaddetvä, V chard vomere. °) Dieser Vers, somit das 
betreffende Jätaka, basirt offenbar auf derselben Geschichte, die 
wir im zweiten Buche des Pancatantra (wie im Eingange des 
Hitopadega) vorfinden: vgl. ibid. v. 10 und Hitop. I. v. 37, wel- 
che beiden Verse zusammen ein getreues Abbild unsers Verses 


346 Gesammtsitzung vom 31. März 1859. 


Darauf setzte er ihnen ihre aus alter Zeit stammende Verwandt- 
schaft auseinander, und erzählte ihnen ihren hohen Stammbaum. 
Sie aber: „von Alters her sind wir Verwandte” also erkennend 
nun überaus friedlich wurden”. — - . 


Hr. Braun legte alsdann vor: Florae Columbiae ter- 
rarumque adjacentium specimina selecta, edidit Her- 
mannus Karsten, fasciculus I, Berolini apud Dümmlerum 1858 
mit begleitenden Bemerkungen über das Werk im Allgemeinen 
und die in demselben dargestellten neuen Pflanzenarten im Ein- 


zelnen. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
den vorgelegt: ” 


Revue archeologiqgue. 15 m® annee. Livr. 12. Paris 1859. 8. 
Proceedings of the Royal Geographical Society of London. London 


1859. 8. . 

Mulder, Scheikundige Verhandelingen. Deelll, Stuk 1. Rotterdam 
1858. 8. 

Nicolucci, Delle razze umane saggio etnologieo. Vol. 1.2. Napoli 
1858. 8. 


v. Kokscharow, Materialien zur Mineralogie Rufslands. 3. Band. 
Petersburg 1858. 8. 

Robert Schmidt, Theoretisch-praktischer Lehrgang der A.xonometrie. 
Leipzig 1859. 8. mit Atlas in folio. Mit Schreiben des Hrn. Ver- 
fassers, d. d. Berlin 24. März 1859. J 


hier geben. Es erhalten hierdurch Fausböll’s Worte (s. oben 
p- 329) über die Bedeutung der Jätaka für die mittelalterliche 
und neuere Volksliteratur gleich einen praktischen Beleg, wobei 
ich im Übrigen auf das schon im dritten Bande der Indischen 
Studien p. 356—61 von mir darüber Bemerkte verweisen kann, 


—NIENS— 


Bericht 


über die 


| zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


\ im Monat April 1859. 
b 

E Vorsitzender Sekretar: Hr. Ehrenberg. 
A — 


7. April. Gesammtsitzung der Akademie. 
Hr. Ewald las über die jurassischen Bildungen der 
Provinz Sachsen. 


u In einer früheren Mittheilung wurden die untersten 
\ Lia 


s-Bildungen des zwischen Magdeburg und dem Harz ge- 
enen Theils der Provinz Sachsen besprochen. In Vergleich 
it diesen, die ausgedehnte Gebirgsmassen zusammensetzen, 
treten alle übrigen jurassischen Gesteine des genann- 
ten Landstrichs, welche den Gegenstand der folgenden Erör- 
/ terungen bilden, nur untergeordnet auf. Indessen sind auch sie 
sorgfältig zu beachten, wenn es sich um den Bau und die 
Entstehungsweise des östlichsten Theils der subhercynischen Hü- 
\ gel handelt. - 

7 Was von jurassischen Gesteinen, die jünger sind als der 
| unterste Lias, in der Provinz Sachsen vorhanden ist, ordnet sich 
umlich zu sechs Gruppen von Vorkommnissen zusammen, von 
(denen jede einen durch die orographischen Verhältnisse des Lan- 
f des scharf begrenzten Bezirk einnimmt. Diese sechs Gruppen 
von Vorkommnissen sollen einzeln betrachtet werden, indem mit 


17 T1s59,] 24 


348 Gesammtsitzung 


Erste Gruppe. — Dieselbe ist in der grolsen, zwischen 
dem Harz einerseits und dem Fallstein, Huy und Hakel anderer- 
seits sich einsenkenden , nach Westen geöffneten, nach Osten 
aber durch das Plateau von Aschersleben geschlossenen Bucht 
enthalten, welche man als die Halberstädter Bucht be 
zeichnen kann, und welche ihren allgemeinen Umrissen nach be- 
reits vorhanden war, als die jurassischen Gesteine sich absetzten. 
Diese treten in einem schmalen Streifen am nördlichen Rande 
der Bucht zu Tage; der südliche am Harz entlang laufende 
Rand hat bekanntlich, so weit er der Provinz Sachsen angehört, 
also westlich bis an die Ecker, keine Spur davon aufzuweisen. 

Auch im nördlichen Rande finden sich jurassische Gesteine, 
wenn man von dem Vorkommen derselben bei Hornburg, wo 
die Bucht sich öffnet, absieht, nur zwischen Halberstadt und 
Hoym. Es waren von hier bisher nur Gesteine des unter- 
sten Lias bekannt, welche bei Halberstadt jene reiche durch 
Dunker in den Paläontographica Vol. I. beschriebene fossile 
Fauna geliefert haben. Von Halberstadt aus lälst sich der un- 
terste Lias bis über Dittfurth hinaus auf das rechte Ufer der 
Bode verfolgen. Schon in Dittfurth selbst finden sich im Han- 
genden desselben Thone, welche wahrscheinlich jüngeren juras- 
sischen Bildungen angehören, indels ‚zu wenig aufgeschlossen 
sind, um sich mit Sicherheit bestimmen zu lassen. Geht man 
aber, das in dieser Gegend herrschende Streichen der Gesteine 
inne haltend, weiter nach Osten, so gelangt man südlich von 
Hoym am linken Ufer der Selke auf mächtigere Thonmassen, 
deren organischer Inhalt keinen Zweifel darüber läfst, dafs es die 
Schichten des Ammonites opalinus sind. In der That 
hat sich hier in neuester Zeit nicht allein der Ammonites opa- 
linus selbst, sondern auch der dieses Niveau bezeichnende Am- 
monites torulosus, so wie ein Belemnit, der dem zripartitus am 
nächsten verwandt ist, vorgefunden. Auch die Erhaltung der 
Schalen mit ihrer opalisirenden Oberfläche ist ganz dieselbe, die 
sich an anderen Orten in diesem Niveau so häufig zeigt. 

Betrachtet man die Thone des Ammonites opalinus als zum 
braunen Jura gehörig, so ist das Vorkommen bei Hoym das ein- 
zige bis jetzt bekannte von braunem Jura in der Provinz Sach- 
sen. Verbindet man sie jedoch, wofür gewichtigere Gründe 


7 


vom 7. April 1859. 349 


"| sprechen, mit dem Lias, so ergiebt sich, da von den Bildungen 
| zwischen den Schichten des Ammonites opalinus und dem weilsen 
Jura in der Provinz Sachsen noch keine Spur entdeckt worden 
ist, dals der braune Jura daselbst in seiner Gesammtheit noch 
\ vermilst wird, während der Lias sich in um so grölserer Mannig- 
faltigkeit entwickelt zeigt. 

Ebenfalls noch zur ersten Gruppe jurassischer Vorkomm- 
nisse gehören die Lias-Gesteine, welche das zwischen Langen- 
' stein und Badeborn mitten aus der Halberstädter Bucht sich er- 
hebende Quedlinburger Gebirge darbietet. In dem auf der 
linken Seite der Bode gelegenen Theile dieses Gebirges bildet der 
Lias, wie sich trotz seiner spärlichen Aufschlüsse nachweisen 
lälst, von dem in der Erhebungsaxe entblöfsten Keuper gegen 

die Stadt Quedlinburg hin ein regelmälsig aus dem Liegenden 
“ins Hangende fortschreitendes Profil; er umzieht ferner diesen 
Keuper auf dessen nördlicher, zum Theil auch auf dessen süd- 
licher Seite. Aufser dem untersten Lias finden sich hier die 
Arieten- Gesteine mit Ammonites Bucklandi und Gryphäa ar- 
euata und beide Abtheilungen des mittleren Lias, sowohl die 
untere, durch zahlreiche Belemniten und Ammonites capricornus 
charakterisirt, als auch die obere, letztere in Form von Thonen 
| ‚mit Ammonites costatus. — In dem auf der rechten Seite der 
ı, Bode liegenden Theile des Quedlinburger Gebirges sind jurassi- 
| sche Bildungen, die jünger sind, als der unterste Lias, nur in 
einem sehr schmalen Bande, das an der Südseite des Sewecken- 
| berges entlang zieht, zu beobachten. Aus diesem Bande sind 
seit längerer Zeit Arieten-Gesteine und beide Abtheilungen des 
| mittleren Lias bekannt. Hierzu sind nun aber zwei Glieder des 
oberen Lias hinzuzufügen, und zwar das untere Glied dessel- 
ben oder das Schichtensystem der Posidonienschiefer und das 
\ obere oder das Schichtensystem des Ammonites radians und ju- 
rensis, von denen sich das erstere im ganzen Bereich der Pro- 
Ü vinz Sachsen nur noch im Allerthale, das letztere aber über- 
haupt noch an keinem anderen Punkte dieser Provinz mit Sicher- 
‚ heit hat nachweisen lassen. 

Der Posidonienschiefer ist hier nicht in Form von 
«| bituminösen Mergelschiefern entwickelt, sondern von  hel- 
len Kalkschiefern, die man ihrer petrographischen Beschaf- 

DRS 


350 Gesammtsitzung 
A 
fenheit nach schwer als diesem geognostischen Niveau ange- 
hörend erkennen würde, die jedoch eine Reihe charakteri= 
stischer Versteinerungen desselben enthalten. Posidonien sind 
darin zwar noch nicht gefunden worden, wohl aber Ammonites“ 
communis und serpentinus, so wie in grolser Menge Avicula 
substriata und Jnoceramus dubius, damit zusammen stellenweise 
zahlreiche Zähne und Schuppen von Ganoid-Fischen. 

Das jüngere Glied des oberen Lias zeigt sich hier in 
Form von grauen kalkigen Mergeln, welche mit Thonen in Ver- 
bindung vorkommen und von organischen Resten namentlich den 
Ammonites radians geliefert haben. 

Es sind also überhaupt in der Halberstädter Bucht aufser 
dem durch Ammonites psilonotus und Ostrea irregularis charak- 
terisirten untersten Lias folgende jurassische Schichtensysteme 
entwickelt: 

4) der Arietenlias, 
2) der untere Theil des mittleren Lias, durch zahlreichl 

Belemniten und Ammonites capricornus bezeichnet, 

3) der obere Theil des mittleren Lias, den Arnmonites costa- 
zus und amaltheus enthaltend, 

4) der untere Theil des oberen Lias (das Äquivalent der Po- 
sidonienschiefer), 

5) der obere Theil des oberen Lias (das Schichtensystem des 

Ammonites radians und jurensis), j 

6) der untere Theil des obersten Lias (die Thone des Am- 
monites opalinus). 
Zweite Gruppe. — Der zweiten Gruppe von jurassischen 
Gesteinen, welche jünger sind als der unterste Lias, gehören 
die Arietengesteine und die durch Hrn. von Strombeck be- 
obachteten mittleren Liasbildungen auf dem kleinen aber ausge- 
zeichneten Plateau von Pabstdorf an, das seiner Hauptmasse nach 
aus unterstem Lias besteht. Es kann nicht zweifelhaft sein, dafs 
diese Liasgesteine sich einst in dem inneren östlichen Winkel der 
Bucht abgesetzt haben, welche sich noch jetzt zwischen Fallstein 
und Huy einerseits, und Asse und Heeseberg andererseits verfol- 
gen läfst, gleich der von Halberstadt nach Westen geöffnet ist und 
als Bucht von Pabstdorf bezeichnet werden kann. Wenn den- 
noch der Lias von Pabstdorf, statt den Boden dieser Bucht zu bilden, 


u e- wit we 


vom 7. April 1859. 351 


‚als Plateau über seine Nachbarschaft hervorragt, so hat dies 
jedenfalls nur in der Zerstörbarkeit der ihn umgebenden Keu- 
permergel seinen Grund. 

In derselben Bucht liegen ferner die jurassischen Vorkomm- 
nisse von Rohrsheim, welche ursprünglich mit denen von Pabst- 
dorf in Zusammenhang gestanden haben und gleich jenen über 

unterstem Lias die Arieten-Gesteine und den mittleren Lias be- 
| obachten lassen. 

| Westlich von Rohrsheim tbeilen sich diese Gesteine über 
| Tage in zwei Arme, von denen der eine am Nordflügel, der an- 
| dere am Südflügel der Bucht bis zu ihrer Ausmündung in die 
| grofse Braunschweigische Ebene entlang zieht. Zwischen bei- 
den Lias- Armen dringt die Kreideformation von Westen nach 
ı Osten vor. ’ 

Dritte Gruppe. — Zur dritten Gruppe der zu betrach- 
tenden Lias-Vorkommnisse gehört auf preulsischem Gebiet die 
Lias-Masse von Ohrsleben. Dieselbe hat sich ursprünglich in 
einer dritten westlich geöffneten Bucht abgesetzt, welche süd- 
lich von der Asse und dem Heeseberg, nördlich vom Elm be- 
grenzt wird und als Bucht von Ohrsleben bezeichnet wer- 
‚den möge. Gegenwärtig tritt der Lias von Obrsleben nichts 
desto weniger wie der von Pabstdorf in Form eines Plateaus auf. 
' Dieses Plateau hatte bisher aufser dem untersten Lias nur noch 
\ Arietengesteine geliefert, enthält indels, wie sich neuerlich ge- 
zeigt hat, gleich der Pabstdorfer Gegend auch den mittleren Lias. 
Man überschreitet denselben, wenn man sich von dem Hötens- 
lebener Vorwerk nach Norden wendet. Die daselbst allerdings 
nur schwach entblöfsten Thone mit Thoneisensteingeoden bewei- 
‚sen schon allein durch die vielen Belemniten, die sie enthalten, 
\ dafs sie keiner älteren Abtheilung des Lias angehören können. 
Weiter westlich theilt sich auch der Lias von Ohrsleben in zwei 
"Arme zwischen denen die Kreideformation aus der Gegend von 


\ Braunschweig her gegen ‚Osten vordringt. 

ı = Während auf diese Weise die Liasmasse von ÖOhrsleben mit 
der von Pabstdorf im Allgemeinen sehr grolse Ähnlichkeit dar- 
bietet, unterscheidet sie sich von derselben dadurch, dafs sie 
| nicht gleich jener das östliche Ende der Bucht darstellt, der sie 
| angehört. Im Gegentheil setzt sie nach Osten unter dem Ter- 


352 Gesammisitzung 


tiärgebirge der grofsen Helmstädter Braunkohlenmulde fort, um 
sogar noch jenseits derselben in einem kleinen Bezirke bei Wars- 
leben zum Vorschein zu kommen. Von den daselbst auftre- 
tenden Thonen war es lange zweifelhaft, welcher Abtheilung 
des Lias sie angehören, bis vor Kurzem feste Gesteine darin 
aufgefunden worden sind, welche nicht allein petrographisch mit 
dem mittleren Lias der dortigen Gegenden vollständig überein- 
stimmen, sondern auch neben zahlreichen Belemniten einen Theil 
der am Rautenberge bei Schöppenstedt vorkommenden Ammo- 
niten-Arten enthalten. Hier endet mit dem mittleren Lias zu- 
gleich auch der Arieten-Lias der Ohrslebener Bucht, und ein nur 
wenig weiter östlich, nämlich zwischen Üplingen und Becken- 
dorf, liegender Punkt, wo Arieten-Gestein zu Tage tritt, gehört 
entschieden schon dieser Bucht nicht mehr an. 

Vierte Gruppe. — Während die drei bisher betrachte- 
ten Gruppen jurassischer Vorkommnisse in der Längsausdehnung 
der sie einschlielsenden Buchten eine dem nördlichen Harzrande 
parallele, d. h. eine westnordwestliche Richtung hervortreten 
lassen, folgen jetzt drei andere, in denen sich diese Richtung 
mit der des Magdeburger paläozoischen Gebirges d. h. mit einer 
nordwestlichen bis nordnordwestlichen vertauscht. 

Die erste dieser drei letzteren Gruppen besteht aus den 
Arieten-Gesteinen, welche sich auf dem durch untersten Lias 
gebildeten Plateau zwischen der Helmstädter Braunkohlenmulde 
und dem oberen Allerthale vorfinden. 

Bei den mannigfachen Analogien, welche dieses Plateau mit 
denen von Pabstdorf und Ohrsleben darbietet, wird man nicht 
anstehen, ihm einen ähnlichen Ursprung und eine ähnliche Be- 
deutung wie jenen zuzuschreiben und anzunehmen, dafs auch 
seine Gesteine sich ursprünglich auf dem Grunde einer Bucht 
abgesetzt haben, selbst wenn die Ränder dieser letzteren nicht 
mehr genau nachzuweisen sind. 

Den bedeutendsten Bestandtheil in dieser vierten Gruppe 
macht der seit langer Zeit durch den Eisenreichthum seiner 
Sandsteine und Oolithe bekannte Arietenlias von Sommerschen- 
burg aus, nach welchem man die ganze Gruppe benennen kann. 
Südöstlich von dem Vorkommen bei Sommerschenburg selbst 


o 
folgen nach kurzer Unterbrechung die ähnlichen bei Badeleben, 


vom 7. April 1859. x 353 


so wie das erst vor Kurzem aufgefundene bereits oben erwähnte 
zwischen Üplingen und Beckendorf, welches das südliche Ende 
der Gruppe bezeichnet. Nordwestlich von Sommerschenburg 
folgen wiederum eine gröfsere und einige kleinere Massen des- 
selben Gesteins, welche die Verbindung mit entsprechenden 
Braunschweigischen Vorkommnissen, namentlich mit denen am 
Helmstädter Gesundbrunnen und beim Kloster Marienthal ver- 
mitteln. Dorthin, nach Nordwest, war die Bucht, die den Som- 
merschenburger Arieten-Lias aufgenommen hat, während des Ab- 
satzes dieses. letzteren jedenfalls geöffnet. An ihrem südlichen 
Ende, zwischen Üplingen und Beckendorf, wo nur ein schma- 
ler Sattel von unterstem Liassandstein die Sommerschenburger 
Arietengesteine von den Ohrslebenern trennt, war sie zwar wäh- 
rend der Bildung des untersten Lias wahrscheinlich noch mit 
der Ohrslebener Bucht in Verbindung, während der Bildung des 
_ Arietenlias aber gegen dieselbe geschlossen. Dem mittleren Lias 
scheint sie überhaupt schon nicht mehr zugänglich gewesen zu 
sein, da sich noch keine Spur desselben in Gesellschaft der zur 
Sommerschenburger Gruppe gehörenden Arietengesteine gefun- 
den hat. 
Fünfte Gruppe. — Wenn man sich von dem seiner 
Hauptmasse nach aus unterstem Liassandstein bestehenden Pla- 
_ teau, welches die Sommerschenburger Arietengesteine trägt, nach 
Osten wendet, so gelangt man in das obere Allerthal. Der 
gröfste Theil dieses Thales ist lange für eine einfache Keuper- 
niederung zwischen dem Muschelkalk der rechten und dem Lias- 
plateau der linken Allerseite gehalten worden. Erst neuerlich 
hat sich gezeigt, dals das obere Allerthal aulser dem Keuper eine 
Mannigfaltigkeit von jüngeren Flötzgebirgsarten aufzuweisen hat 
und eine Verwickelung des geognostischen Baues darbietet, wel- | 
che die Annahme einer sehr zusammengesetzten Entstehungs- 
weise für dasselbe nothwendig macht. Es muls in der That an- 
_ genommen werden, dals die Vorgänge, welche den Muschelkalk 
der rechten Allerseite stellenweise zu einer Steilbeit von 60 bis 
70° aufgerichtet und die Veranlassung zu einer starken Ein- 
senkung an der Stelle des jetzigen Allerthals gegeben ha- 
ben, bereits in oder gleich nach der Triasperiode eingetreten 
_ und später mehrfach wiedergekehrt sind, während sich zugleich 


354 Gesammtsitzung 


die jüngeren Flötzformationen in die vorhandene Einsenkung 
einlagerten. Nur so kann die auffallende Erscheinung erklärt 
werden, dafs hier die jüngeren Flötzgebirgsarten häufig mit Über- 
springung von Formationen fast unterschiedslos bald auf dem 
einen bald auf dem anderen älteren Gestein angetroffen werden. 

Aufser verschiedenen inselartig über dem Keuper des Thal- 
grundes sich erhebenden Massen von unterstem Liassandstein, 
die getrennt von dem grolsen Liasplateau der linken Allerseite 
sich auf beide Ufer des Flusses vertheilen, sind von jurassischen 
Gesteinen folgende aus dem oberen Allerihale anzuführen. 

In dem Theile des Thales, welcher zwischen Walbeck und 
dem Durchbruch der Aller durch den Muschelkalk von Wefer- 
lingen enthalten ist, findet sich an der Westseite einer jener 
mitten aus der Keuperniederung aufsteigenden Massen von unter- 
stem Liassandstein das Arietengestein und wenig weiter west- 
lich der mittlere Lias entwickelt, ohne dals sich bei der Spär- 
lichkeit der Aufschlüsse mit Sicherheit beurtheilen lälst, ob die 
drei genannten Bildungen gleichartig gelagert sind und einer un- 
gestörten Schichtenfolge angehören. Der mittlere Lias besteht 
hier aus Thonen, deren Alter lange zweifelhaft war, bis der 
Ammonites capricornus darin aufgefunden worden ist. — In dem- 
selben Theile des Allerthals ist aulserdem der obere Lias und 
zwar der Posidonienschiefer an zwei Punkten entwickelt; der 
eine dieser Punkte, der an der Stralse von Weferlingen nach 
Helmstädt nahe der Braunschweigischen Gränze liegt, und an 
dem der Posidonienschiefer mit dem Keuper in unmittelbare 
Berührung tritt, ist bereits auf der von Strombeckschen Karte 
des Herzogthums Braunschweig angegeben; der andere Punkt ist 
neuerlich dem Orte Walbeck gegenüber am linken Ufer der 
Aller ermittelt worden, wo sich ungemein bituminöse Mergel-- 
schiefer mit Ammonites communis und serpentinus nahe unter 
der Oberfläche gezeigt haben. 

In dem zwischen Walbeck und Belsdorf liegenden Theile 
des Allerthals sind vor Kurzem zwei Vorkommnisse eines juras- 
sischen Gesteins entdeckt worden, welches in den bisher be- 
trachteten Bezirken der Provinz Sachsen vollständig zu fehlen 
scheint. Es ist der Coralrag des weilsen Jura. Dieser ist un- 
mittelbar bei Bendorf und nordwestlich von Belsdorf am soge- 


vom 7. April 1859. - 355 


nannten Landgraben zu beobachten. An beiden Orten ist er 
zum Theil als ein grauer krystallinischer Dolomit, zum Theil als 
ein grauer dichter Kalk entwickelt, welcher die charakteristischen 
Bestandtheile der Korallen-Facies dieses geognostischen Niveaus, 
nämlich Nerineen, Sternkorallen und zahlreiche Apiocrinitenstiele 
liefert. Bei Belsdorf steht in der Nähe des Coralrags der Keu- 
per an, ohne dals sich zwischen beiden andere Formationen 
vorfinden; es scheint sich daher auch hier die oben ausgespro- 
chene Ansicht über die Unregelmäfsigkeit der Lagerungsverhält- 
nisse im oberen Allerthale zu bestätigen. 

In dem oberhalb Belsdorf folgenden Theile dieses Thales 
ist westlich von Wefensleben wiederum der mittlere Lias mit 
zahlreichen Belemniten und der Posidonienschiefer mit Posido- 
nien, Avicula substriata und Ammonites communis vorhanden. 
Noch weiter südlich haben sich jurassische Gesteine, welche jün- 
ger sind als der unterste Lias, nicht entdecken lassen; nichts 
desto weniger ist es wahrscheinlich, dafs die dem Allerthal an- 
gehörende Gruppe von Vorkommnissen dieser Gesteine, so wie 
die Einsenkung, welche zur Aufnahme derselben gedient hat, 
erst zwischen Ummendorf und Seehausen ihren südlichen Ab- 
schluls gefunden hat. Geöffnet war aber auch diese Einsen- 
kung jedenfalls nach Nordwesten und zwar vermittelst des braun- 
- schweigischen durch Hrn. von Strombeck aufs Genaueste er- 
forschten Thals von Querenhorst, mit dessen Gesteinen die hier 
betrachteten die grölste Übereinstimmung zeigen. 

Beiläufig sei hier hinzugefügt, dafs die Einsenkung des oberen 
Allerthals aufser den jurassischen Bildungen auch solche der Kreide- 
periode in sich aufgenommen hat, wie sich daraus ergiebt, dals 
sich bei Moorsleben auf dem rechten Ufer der Aller Trümmerge- 
steine gefunden haben, welche den am Nordrande des Harzes vor- 
kommenden, der weilsen Kreide im Alter nahestehenden, vollstän- 
dig gleichen, und wie jene den Pecten quadricostatus und Belem- 
nitellen geliefert haben. 

Sechste Gruppe. — Die sechste Gruppe, die man auch 
als eine Abzweigung oder Fortsetzung der fünften ansehen kann, 
die hier aber abgesondert betrachtet werden soll, ist bis jetzt 
erst durch ein ihr angehöriges Vorkommen bekannt, welches 
indefs besonderes Interesse dadurch gewährt, dals es sich nicht 


356 Gesammtsitzung 


fern von Magdeburg in einem Bezirke gefunden hat, in welchem 
man noch weniger als im oberen Allerthale jüngere Flötzfor- 
mationen als die Triasbildungen vorauszusetzen geneigt war. Es 
ist hier zwischen den Dörfern Wellen und Grofs- Rodensleben 
wiederum der Coralrag vorhanden, mit denselben Dolomiten, 
denselben Nerineen und Korallen wie im Allerthale.e Man 
wird nicht anstehen, an dieses Vorkommen die Annahme zu 
knüpfen, dals der Coralrag der Gegend von Magdeburg bei sei- 
ner vollkommenen Übereinstimmung mit dem an der Aller sich 
auch in unmittelbarem Zusammenhange mit demselben, d. h. in 
einer Einsenkung, die mit dem Allerthale in Verbindung stand, 
abgelagert hat. Bei der Ermittelung, wie dieser Zusammenhang 
gedacht werden müsse, ist zunächst zu berücksichtigen, dafs das 
grolse das Magdeburger Gebirge südlich umziehende Muschel- 
kalkband, nachdem es die Aller südlich bis Aller-Ingersleben be- 
gleitet hat, bei letzterem Orte den Fluls verläfst und sich nach 
Erxleben hinzieht. Die Muschelkalkmassen zwischen Aller-In- 
gersleben und Ovelgünne können nicht als zu diesem Bande ge- 
hörig, sondern nur als in sich abgeschlossene inselartige Berge 
betrachtet werden. Erst bei Seehausen und Gr. Wanzleben er- 
weist sich der Muschelkalk von Neuem als ein Theil des grolsen 
zusammenhangenden Bandes. Nimmt man nun an, dals dasselbe 
sich von Seehausen aus um den Dreilebener bunten Sand- 
stein herum nach Süden bis über Grols-Rodensleben hinaus, von 
da aber nach Norden gegen Erxleben wendet, wo es wieder 
über Tage beobachtbar ist, so wird dadurch eine von Mu- 
schelkalk umzogene nach Süden geschlossene Bucht gegeben, 
welche zwischen den oben erwähnten inselartigen Muschel- 
kalkbergen mit dem oberen Allerthal in Verbindung steht. 
Da es gelingt, den Keuper zwischen diesen Bergen hindurch in 
die vorausgesetzte Bucht zu verfolgen, so wird man nach Auf- 
findung des weilsen Jura westlich von Magdeburg kein Beden- 
ken tragen, anzunehmen, dals mit dem Keuper zugleich sich, 
auch die jüngeren Flötzformationen vom Allerthale aus dahin 
verbreitet haben. 


In den vorstehenden Betrachtungen ist angenommen worden, 
dafs die jurassischen Gesteine der Provinz Sachsen sich in eine 


vom 7. April 1859. 397 


Anzahl nach West und Nordwest geöffneter, nach Ost und Süd- 
ost geschlossener Buchten abgelagert haben, welche Theile des 
grolsen zwischen Magdeburg und dem Harze enthaltenen sub- 
hereynischen Goifs bildeten und schon während der Juraperiode 
‚ihren allgemeinen Umrissen nach vorhanden waren, wenn sie 
auch später mannigfache Veränderungen erlitten haben. Dals die 
Art, wie die jurassischen Gesteine hier auftreten, nur so, und 
nicht durch theilweise Zerstörung einer grolsen zusammenhängen- 
den Juradecke erklärt werden kann, geht schon aus dem Um- 
stande hervor, dafs mehrere der angenommenen Buchten durch 
ihre ganze Erstreckung, namentlich in dem Vorhandensein und Feh- 
len von Formationsgliedern, Erscheinungen darbieten, die sich in 
den benachbarten Buchten nicht wiederfinden. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinenwesen. VII. Band, Heft 1. 
Berlin 1859. 4. 
Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft. 13. Band, 
Heft 1. 2. Leipzig 1859. 8. 
Abhandlungen zur Kunde des Morgenlandes. 1. Band. Leipzig 1859. 8. 
The American Journal of science and arts, no. 79. New-Haven 1859. 8. 
 Annals of the Lyceum of natural history of New-York. Vol. VI. New- 
York 1858. 8. 
‚ Memoirs of the Literary and Philosophical Society of Manchester. Vol. 
XV, part 1. London 1858. 8. 
Bulletin de la sociele geologique de France. Fevrier. Paris 1859. 8. 
Atti dell’ Istituto lombardo di scienze. Vol. I, fasc. 12, Milano 1859, 4. 
6. Jahresbericht des Germanischen Nationalmuseums. Nürnberg 1859. 4. 
Dalton, New System of Chemistry. Manchester 1810—1842. 8. 
—_— - Meteorological Observations and Essais. Second edition. 
Manchester 1834. 8, 
On the phosphates and arseniates. London 1840—42, $, 
Reichardt, Die Theorie der Wärme. Jena 1857. 8. 
Hausmann, Über die Krystallformen des Cordierits, Göttingen 
1859. 4. 
Berthelot, Zecherches sur le soufre. (Paris 1859) 8, 
Scheerer, Über den Traversellit. Leipzig 1858. 8. 
Tonzi, Sulla eruzione solforosa avvenuta 28—30 Oct. 1858. Roma 
1858. 4. 


358 Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 11. April 1859. 


Hiernächst wurden auf Antrag der physik.-mathem. Klasse 
die Hrn. Georg Gabriel Stokes in London und Moritz 
Jacobi in St. Petersburg in Rulsland zu correspondirenden Mit- 
gliedern der Akademie im Fache der Physik gewählt. 

Ferner kamen zum Vortag: 

1) Ein Rückschreiben des vorgeordneten K. Ministeriums, d.d. 
31. März, welches die von der Akademie bewilligte Unter- 
stützung der Herausgabe der Leibnizischen mathematischen 
Schriften durch Herrn Dr. Gerhardt mit 150 Rthlr. ge- 
nehmigt. 

2) Ein gleichartiges zweites Ministerial-Schreiben von gleichem 
Tage, welches die von der Akademie beschlossene Veraus- | 
gabung von 600 Rthlr. pro 1859 zu neuen Typen der 
Druckerei für das Corpus inscriptionum latinarum geneh- 
migt. 

3) Ein Dankschreiben des Lyceum of natural history of New- 
York, d. d. 30. Januar 1858, für die Abhandlungen der 
physik.-mathem. Klasse der Akademie 1854, 1 Suppl. 1855, 
und die Monatsberichte von Juli bis December 1855, Ja- 
nuar bis December 1856. 

4) Ein gleiches Schreiben vom 21. Januar 1859 über Em- 
pfang derselben Abhandlungen von 1856 und der Monats- 
berichte von Januar bis August 1857. 

5) Ein Schreiben des Hrn. Wilh. Weitling in New-York, 
welches die von ihm verfalste Druckschrift: „Der bewe- 
gende Urstoff in seinen kosmoelektromagnetischen Wirkun- 
gen” betrifft und deren Inhalt anzeigt. 


11. April. Sitzung der philosophisch-hi- 
storischen Klasse. 


Hr. Mommsen las über die griechisch-asiatischen 
Münzwährungen und ihr Verhältnils zum römischen 
Gelde. 


Gesammtsitzung vom 14. April 1859. 359 


14. April. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Rammelsberg las über die Oxyde des Cers und 
die gelben und rothen Sulfate seines Oxydoxyduls. 

Die gelben und rothen Salze des Cers, welche von Hisin- 
ger und Berzelius für Ceroxydsalze gehalten wurden, sind bis 
jetzt wenig untersucht worden. Mosander hatte zwar schon 
nach seiner Entdeckung des Lanthans und Didyms ein Ceroxyd- 
oxydul angenommen, Andere aber glaubten reines Geroxyd dar- 
gestellt zu haben, wie denn namentlich Hermann jene gefärb- 
ten Salze geradezu für Ceroxydverbindungen hielt, sie analysirte, 
die Oxydationsstufe des Cers, welche ihre Basis bildet, jedoch 
nicht weiter prüfte. Erst Marignac hat ihre wahre Natur als 
Doppelsalze von Ceroxyd und Oxydul erkannt, ihre Zusammen- 
setzung jedoch kaum untersucht. Das Atomgewicht des Cers 
ist von Beringer, Hermann und neuerlich von Jegel nahe 
übereinstimmend zu 575—576 bestimmt worden. Marignac 
hatte 591, Kjerulf, in Folge unrichtiger Arbeit, 727 angege- 
ben. Meine eigenen Versuche ergeben in naher Übereinstim- 
mung mit den zuvor genannten fast 576, so dals es am pas- 
sendsten scheint, die Zahl 575 (46, wenn H= ı) als Atomge- 
wicht des Cers zu betrachten. 
| Cer lälst sich von Lanthan und Didym vollständig befreien, 
wenn man nach dem Verfahren von Hermann basisch schwe- 
felsaures Ceroxydoxydul durch Wasser fällt, und aus diesem Nie- 
derschlage alle übrigen Verbindungen darstellt. 
i Ceroxydul, Ce, erhält man durch Erhitzen von kohlen- 
saurem oder oxalsaurem Ceroxydul in einem Strom von ganz 
lufifreiem Wasserstoffgas. Es ist ein graublaues Pulver, wel- 
‚ches sich an der Luft sogleich unter starker Erhitzung in gelb- 
lichweilses Oxydoxydul verwandelt. Sein Hydrat ist weils, färbt 
sich aber an der Luft gelb, und verwandelt sich in ein Gemenge 
(von kohlensaurem Ceroxydul und von Ceroxydoxyduihydrat. 
“ Ceroxydoxydul, Ce Ce, wird durch Glühen von kohlen- 
Saurem, oxalsaurem oder salpetersaurem Ceroxydul erhalten. .Es 
ist gelblichweils mit einem Stich ins Röthliche, färbt sich in 
‚der Hitze vorübergehend gelb und löst sich nur in ziemlich con- 
eentrirter Schwefelsäure zu einer gelbrothen Flüssigkeit auf. In 


360 Gesammtsitzung 


Wasserstoffgas wird es zu Oxydul reducirt. Aber weder durch 
Erhitzen in Sauerstoff, noch durch Schmelzen mit chlorsaurem 
Kali oder Kalihydrat kann es höher oxydirt werden. Sein Hy- 
drat, welches 3 At. Wasser enthält, entsteht durch Einleiten 
von Chlor in eine Auflösung von Kalihydrat, in welcher Cer- 
oxydulhydrat vertheilt ist. 

Aus der gelbrothen Auflösung des Ceroxydoxyduls in Schwe- 
felsäure erhält man zwei Salze: 

A. Ein braunrothes oder gelbrothes, in sechs- 
gliedrigen Kıystallen (a:c=0,4231:1) nach der Formel | 
3Ce$+ Ce 5?) + 18 aq zusammengesetzt. Es zersetzt sich 
in Wasser unter Abscheidung eines schwefelgelben basischen 
Salzes, giebt mit Kalihydrat einen Püthlichgraneng Niederschlag, 
3Ce-+ Ce, der sich an der Luft gelb färbt und in Ce Ce ver- 
wandelt, aber auch etwas Kohlensäure anzieht. 

B. Ein gelbes undeutlich krystallinisches Salz, welches 
nur 5 soviel schwefelsaures Ceroxydul enthält, (CeS+LleS’ ) 
+ 8agq, und sich gegen Wasser wie A verhält. 

Basisch schwefelsaures CGeroxydoxydul entsteht 
aus den beiden oben erwähnten durch Zersetzung in Wasser, 
Es ist ein hellgelber Niederschlag (von Mosander entdeckt, 
von Hermann zur Darstellung der reinen Cersalze angewandt, 
von ihm und von Marignac untersucht). Es besteht aus 2 At. 
Ceroxydoxydul, 3 At. Schwefelsäure und 6 At. Wasser, was 
man durch (2 CeS + Ce? 5) ii “ aq. oder weniger gut durch 


In ER Glühhitze hinterlassen ee drei Salze reines 
Ceroxydoxydul. 

Wird eine Auflösung des schwefelsauren Ceroxyd- 
oxyduls (A) mit einer solchen von schwefelsaurem Kali 
vermischt, so entsteht ein gelber krystallinischer Niederschlag. 
Allein je nach der Menge der Salze, der Temperatur und Con- 
centration entstehen Fällungen, aus denen von 36 bis 27 pC. 
Ceroxydoxydul, und von 17 bis 24 pC. Kali erhalten werden. 
Es sind offenbar häufig Gemenge von mindestens zwei Verbin- 
dungen. Ich glaube aus meinen Analysen schliefsen zu dürfen, 
dafs die kaliärmste, cerreichste Fällung auf 1 At. des Cersal- 
zes 3 At. schwefelsaures Kali und 6 At. Wasser enthält, und 


4 


dafs die kalireichsten eine solche Verbindung mit der doppelten 
Menge, d. h. mit 6 At. schwefelsaurem Kali, enthalten, wiewohl 


vom 14. April 1859. 361 


letztere nur mit der ersten gemengt erhalten wurde. Zugleich 
scheint es mir, dafs man diese Niederschläge wohl besser als 
isomorphe Mischungen zweier Doppelsalze betrachtet, d. h. die 
"Verbindung mit 3 At. schwefelsaurem Kali, 


als 


und die andere 

6KS+(3CeS+LeS?) + Gag 
als 

2 Ki Be ae 
ee Ceroxydoxydul-Ammoniak ent- 
steht in gleicher Art. Aber neben dem krystallinisch-körnigen 
sn dessen ps der Formel 


u 088 


| oder 


PIFEBETT 


entspricht, bilden ar sehr schöne grolse orangerothe Krystalle, 
welche nach den Messungen von Schabus und von mir zwei- und 
eingliedrig sind(a:b:c = 0,8144 : 1 : 0,6877; Winkel der schie- 
fen Axen = 83° 29). Sie sind sehr vollkommen spaltbar und 
trichromatisch. In Wasser lösen sie sich leicht auf. Ihre Zu- 
sammensetzung ist R 


..u 00. 


I9ÄmS + (CeS + 2Ce S°) + 12 aq., 
Bi wohl besser 


f EN Vorl 
? 5 > 

} ( 5 Ce 

F Beim Glühen geben sie reines Ceroxydoxydul. 

Eine Reihe von Analysen hat mir für den Cerit die For- 


362 Gesammtsitzung 


Ce, La, Di)? 
Ca! Si + ag 
Fe 
gegeben. Zersetzt man ihn durch Chlorwasserstoffsäure, so ent- 
hält die Kieselsäure noch eine grolse Menge jener Basen, und, 
was bemerkenswerth ist, es steht in diesem Theil das Lanthan- 


und Didymoxyd in einem viel grölseren Verhältnils zum Ceroxy- 
dul als in der chlorwasserstoffsauren Auflösung. . 


Derselbe las hierauf über den Magnoferrit vom Ve- 
suv und die Bildung des Magneteisens und ähnlicher 
Verbindungen durch Sublimation. 

In einer am 15. Juli v. J. der Akademie vorgetragenen Ab- 
handlung habe ich angeführt, dafs die bisher für Eisenglanz ge- 
haltenen regulären Octaeder aus den Fumarolen der Eruption 
des Vesuvs vom Jahre 1855 eine Verbindung von Magnesia und 
Eisenoxyd sind, und neben Eisenglanz sich auch zu anderen Zei- 
ten dort gebildet haben. Als ich Anfangs September v. J. in 
Hrn. Ehrenbergs Gesellschaft den Vesuv besuchte, waren au- 
(ser zahlreichen kleinen Lavaströmen auch mehrere Fumarolen 
von hoher Temperatur in Thätigkeit, allein es liels sich keine 
Spur von Eisenglanz, wohl aber Kochsalz an ihnen wahrnehmen, 
was auch mit den Erfahrungen der Hrn. Guiscardi und Pal- 
mieri übereinstimmt. -Dagegen theilte mir Hr. Scacchi eine 
grölsere Quantität jener Krystalle mit, welche ich seitdem zur 
Wiederholung meiner älteren Versuche benutzt habe. Eine frak- 
tionirte Behandlung des Puivers unter Wasser mit dem Magnet 
gab das Resultat, dals die einzelnen Portionen unter sich so- 
wohl wie mit den früher untersuchten nahe dasselbe Verhältnifs 
der Bestandtheile liefern, d. h. 14—16 pC. Magnesia. Das nie- 
drigste spec. Gew. = 4,568 ergab die erste Portion. 

Diese Constanz der Mischung macht es sehr wenig wahr- 
scheinlich, dafs die Krystalle eigentlich Mg Fe seien (20 Mg und 
80 Fe), und ich halte an der früher ausgesprochenen Ansicht 
fest, dafs sie aus Mg? Fe* bestehen, und dafs überhaupt Verbin- 
dungen R" &° isomorph seien, eine Ansicht, welche durch meine 


Versuche am Franklinit eine wesentliche Stütze erhält, inso- 
fern in diesem zur Spinellgruppe gehörigen Mineral, welches aus 
den Oxyden von Eisen, Mangan und Zink besteht, 5 At. der 
‚Metalle gegen 6 Atome Sauerstoff enthalten sind, wonach es 
R’R ist'). 
Bekanntlich erhält man durch Zusammenschmelzen von Ei- 
senvitriol und Kochsalz Eisenoxyd. Hält man den Zutritt der 
Luft ab, und behandelt die Masse unter Wasser mit dem Magnet, 
‚so folgt demselben ein Theil in Form eines schwarzen Pulvers, 
welches grolsentheils Magneteisen ist. 
Erhitzt man Eisenchlorür zum Glühen und leitet Wasser- 
dämpfe und Luft darüber, so entsteht ein schwarzes Sublimat, 
welches reines Fe Fe ist. 
Unterwirft man ein Gemenge von Eisenchlorür und Chlor- 
 magnesium dieser Operation, so erhält man ein Sublimat von 
gleichem Aussehen, welches immer nahe dieselbe Zusammen- 
BE hat, nämlich 16—18 pC. Magnesia, 13 —14 Eisenoxy- 
dul, 67—69 Eisenoxyd, und sehr wohl als eine Verbindung 
R bes betrachtet werden kann. 
A Hieraus folgt, dafs Magneteisen und überhaupt Verbindun- 
gen R= B° auf gleiche Art wie Eisenoxyd als Sublimate ent- 
"stehen können, und in dieser Weise hat sich offenbar die octae- 
- drische Verbindung am Vesuy erzeugt, für welche ich den Na- 


vom 14. April 1859. 363 


men Magnoferrit in Vorschlag zu bringen mir erlaube. 
u: 


Hierauf legte Hr. Encke das zweite und dritte Heft von 
rn. Argelander’s Sternkarte in Gegenwart des Hrn. Ver- 
fassers als Geschenk vor, und Hr. Argelander gab selbst eine 
rläuterung über denPlan und dasFortschreiten sei- 
nes grolsen Sternkarten-Werkes. 


*) Speciell 


- [1859.] 25 


364 Gesammtsitzung 


Hr. Dove las über die Anwendung mit Silber be- 
legter Gläser als Blendgläser. 

Die Schwächung des Lichtes intensiver Lichtquellen wird 
in der Regel durch farbige Gläser hervorgerufen, welche die 
verschiedenen Theile des Spectrums ungleich absorbiren und da- 
her das geschwächte Licht in einer bestimmten Färbung zeigen, 
welche sich bei manchen der Homogeneität nähert. So wün- 
schenswerth dies für bestimmte optische Versuche ist, so wird 
doch bei anderen Versuchen gerade das Entgegengesetzte ver- 
langt. Man hat daher vielfach polarisirende Vorrichtungen an- 
gewendet, um das Sonnenlicht so zu schwächen, dals man ohne 
Nachtheil hineinblicken kann, und dals es dabei weils bleibt. 
Eine Mittelstufe zwischen beiden stellen die Metalle dar. Da 
man es in seiner Gewalt hat, das Silber, über Platin habe ich 
keine Beobachtungen gemacht, in Lagen von verschiedener Mäch- 
tigkeit auf Glasplatten zu fixiren, so erhält man dadurch Blend- % 
gläser von jedem beliebigen Grad der Schwächung, die zugleich 
als Spiegel angewendet werden können und insofern wohl zu 
empfehlen sind, da die blaue Färbung, die sie geben, für weilse 
Objecte keinen störenden Eindruck macht. 


Alsdann gab der Vorsitzende eine kurze Nachricht vom 
glücklichen und glänzenden Verlauf der am 28. März erfolgten 
einhundertjährigen Stiftungsfeier der K. Bayerischen Akademie 
_ der Wissenschaften in München, gedachte der ehrenden Aufnahme 
der von hier gesendeten Deputirten und überbrachte den ihnen 
vom Vorstande jener Akademie ausgesprochnen Dank für die er- 
wiesene Theilnahme zurück. Es wurden hierbei die durch den@ 
Präsidenten der Münchener Akademie, Hrn. v. Thiersch, an 
die Berliner Akademie mit kurzem Begleitschreiben übersandten, 
vorgelegten Monumenta saecularia, einschlielslich eines geo-# 
graphischen, die allmälige Entdeckung Amerika’s betreffenden, 
Pracht- Atlas dankbarst empfangen. 


vom 14. April 1859. 365 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 
Monumenta saecularia. Herausgegeben von der Königlich Bayerischen 


Akademie der Wissenschaften. München 1859. 4. und Atlas in 
folio. 

Rapporto generale della pubblica esposizione dei prodotti naturali e in- 
dustriali della Toscana. Firenze 1858. 8. Mit Schreiben des 
Hrn. Corridi, d. d. Florenz 1. Juni 1858. 

Conte Conestabile, /scrizione etrusche e efrusco-laline in monumenti. 
Firenze 1858. 4. con tavole. 

Favre, Memoire sur les terrains liasique et Keuperien de la Savoie. 
Geneve 1859. 4. 

Memoires de la societe des sciences naturelles de Cherbourg. Paris 
1858. 8. 


Annales de chimie et de physique. Tome 45, Mars. Paris 1859. 8. 


Gervais, Discours prononce aux funerailles de Mr. Gergonne. Mont- 
pellier 1859. 4. 

Atlas des nördlichen gestirnten Himmels, entworfen auf der Kgl. Stern- 
warte zu Bonn. 3. und 4. Lieferung. Bonn 1858. folio. Über- 
reicht von Hrn. Argelander. 


Aufserdem kamen zum Vortrag: 

41) Ein Schreiben des Dekans der Fakultät der Wissenschaften 

B bei der Akademie zu Montpellier, Hrn. Paul Gervais, 
d. d.-8. April c., welches den am 4. ejusd. erfolgten Tod 
des Correspondenten unserer physik.-mathem. Klasse des 
Hrn. Joseph Diez Gergonne anzeigt. 

2) Ein Schreiben der Kaiserl. Französ. Gesellschaft der Natur- 
wissenschaften zu Cherbourg, d. d. 1. Sept. 1858, welches 
den Empfang der Monatsberichte von 1854 bis 1857 dan- 
kend anmeldet. 


ee u" 


ni 


25* 


Bericht 


über die 


r Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
er Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


j zu Berlin 
im Monat Mai 1859. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Trendelenburg. 


. Mai. Sitzung der physikalisch -mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Klotzsch las über die Aristolochiaceen des 


erliner Herbariums. 


. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Kummer las den zweiten Theil der Abhandlung: 
er die allgemeinen Reciprocitätsgesetze unter den 
esten und Nichtresten der Potenzen, deren Grad 
ne Primzahl ist, als Fortsetzung der in der Sitzung. vom 
- Februar vorgetragenen Abhandlung. 


f # 


Hr. H. Rose legte eine Abhandlung des Hrn. A. W. 
ofmann, Correspondenten der Akademie, „zur Theorie 
er Polyammoniake” vor. 

[1859.] 26 


368 Gesammtsitzung 


Phosphorreihe. 

Bei der weiteren Ausführung einer Untersuchung über die 
mehrsäurigen Stickstoffbasen, die mich seit längerer Zeit be- 
schäftigt, bin ich auf höchst complicirte Reactionen gestolsen, 
deren Entwirrung durch die Anzahl und Analogie der gebildeten 
Produkte unerquicklich erschwert ist. Um den Faden der Theo- 
rie nicht zu verlieren, habe ich für den Augenblick die Stick- 
stoffreihe verlassen und mich mit den Phosphorbasen, zumal dem 
Triäthylphosphin beschäftigt, dessen rasche und scharfe Reactio-W 
nen zugänglichere Resultate versprachen. 
Das Triäthylphosphin hat meine Erwartungen nicht ge-) 
täuscht. Die Reactionen dieses bemerkenswerthen Körpers sind4 
in der That so glatt, die Charaktere der Verbindungen, die sich 
in ihnen bilden, so ausgebildet und scharf gezeichnet, dals ein 
eingehendes Studium derselben nicht fehlen kann die Theorie 
der polyatomen Basen in allgemeinerer Weise zu präcisiren. 


Einwirkung des Aethylendibromürs auf das 
Triäthylphosphin. 

Bei gewöhnlicher Temperatur wirken die beiden. Körper nu 
langsam aufeinander ein, allein schon bei gelindem Erwärmen 
findet eine lebhafte Reaction statt und die durchsichtige Mi- b 
schung erstarrt schnell zur blendend weilsen Krystallmasse. 

In Folge secundärer Reactionen ist die Zusammensetzungff 
dieser Krystallmasse nicht selten complicirt. Gleichwohl habe 


ich mich durch geeignete Behandlung überzeugt, dafs sie stets 
— obwohl in wechselnden Mengeverhältnissen — zwei Haupt- 
produkte enthält, für welche sich — wenn man anders Sesqui. 
pedalia verba vermeiden will — nur schwierig geeignete Be 
nennungen finden lassen. Ich will sie vor der Hand als ein-Y 
atomiges und zweiatomiges Salz unterscheiden. 

Die Zusammensetzung dieser beiden Salze ist in folgenden 
Formeln gegeben. 


Einatomiges Salz. 
Ge H,>sPBr;=(C, H,)z P+C, H, Br; 
= {(C, H,); (C, H, Br) P} Br 


vom 5. Mai 1859. 369 


Zweiatomiges Salz. 
C,; H;, P, Br, =2$(C, H,), P$+C,H,Br, 
={(C, H,), (C, H,)”P;}” Br, 
Aus diesen Formeln erhellt dafs das Äthylendibromür je 


" nach den Umständen fähig ist ein oder zwei Triäthylphosphin- 
Moleküle zu fixiren. Im ersten Falle bildet sich ein einatomiges 


Bromür entsprechend einem Ägq. Chlorammonium, im zweiten 
J Falle wird ein zweiatomiges Bromür erzeugt, dessen Molekül 
zwei Ägq. Salmiak repräsentirt. 


r Einatomiges Salz. 

Es bildet sich, obwohl nie in allzugrofser Menge, wenn 
man Triäthylphosphin mit einem Überschuls von Äthylendibro- 
mür behandelt. Drei oder vier Krystallisationen aus absolutem 
Alkohol liefern die neue Substanz im Zustand vollkommener 
Reinheit. Sie krystallisirt in grolsen prachtvollen, farblosen Oc- 
taedern von aulserordentlicher Löslichkeit in Wasser; in abso- 
lutem Alkohol sind sie etwas weniger löslich, unlöslich in Äther. 
pi Silbersalze greifen nur die Hälfte des in dem neuen Kör- 
per enthaltenen Bromes an. Behandlung mit Chlorsilber z. B. 
liefert ein entsprechendes Chlorür, das noch ein Äq. Brom zu- 
'rückbehält. 

4 C,sH,;,PBrCl={(C, H,); (C, H, Br) Pt Cl. 
Zusatz von Platinchlorid zu der Lösung dieses Chlorürs schlägt 
i ein ziemlich schwer lösliches Doppelsalz nieder, das aus Wasser 
in langen wohlausgebildeten Prismen krystallisirt, welche 


416 H,; PBr Cl, Pt Cl, =$(C, H,); (C, H, Br) p? Cl, Pt Gl, 


"enthalten. 

Durch die Einwirkung des Silberoxyds erleidet das einato- 
ige Bromür eine bemerkenswerthe Umbildung. Der ganze 
omgehalt tritt aus und es entsteht eineLösung von stark alka- 
scher Reaction, welche einer Base von der Zusammensetzung 


C,;H,,PO,= IC, H,), (€; H, 2» "No, 


26° 


370 Gesammtsitzung 


Ich habe die Natur dieser Verbindung durch die Analyse 
des Jodürs und des Platinsalzes fixirt. 

Das Jodür ist äufserst löslich in Wasser und in Alkohel, 
unlöslich in Äther; aus der Alkohollösung wird es von Äther 
in mikroskopischen Prismen gefällt, welche 


C,H, P0,J= $(C, H;), (C,H, O,) pr J 


enthalten. 
Das Platinsalz krystallisirt in grofsen dunkelrothen Octae- 
dern von der Formel 


Re Ho PO, Cl, Pt Cl, = IC, H;), (C, H, 0,)P C, Pt Cl, 


— 


Zweiatomiges Salz. 


Die alkoholische Mutterlauge des einatomigen Salzes enthält 
stets eine beträchtliche Menge der zweiatomigen Verbindung. 
Allein das geeignetste Verfahren, diese Substanz im Zustand der 
Reinheit zu erhalten, besteht in der Behandlung des einatomi- 
gen Salzes mit einem Überschuls von Triäthylphosphin. 


C,;„H,,PBr,+C,.H,,P=(,,;,H;,,P, Br, 


Das einatomige Bromür fixirt demnach ganz einfach ein 
additionelles Triäthylphospbin- Molekül, wodurch es in ein wah- 
res Diphosphonium-Dibromür verwandelt wird, welches zwei 
Molekülen Salmiak entspricht. 


C.,H;,P,;,Br, = IC, H,), (C; H,)”P,}”Br, 


Das zweiatomige Bronfür verliert unter dem Einfluls von 
Silbersalzen seinen ganzen Bromgehalt, indem sich eine Reih 
wohlcharakterisirter, krystallisirbarer, zweiatomiger Verbindungen 
bildet. Die Einwirkung des Silberoxyds auf das neue Dibromü 
liefert die freie Base. Es ist dies eine äulserst kaustische Ver. 
bindung von grolser Löslichkeit und staunenswerther Stabilität. 

Sie enthält: 


C;;H36 Pr 0,= (C,H), (Cs de O0, 
2 


und entspricht mithin zwei Wassermolekülen. 


vom 5. Mai 1859. | 371 


Ich habe die Zusammensetzung der zweiatomigen Salzreihe 
vorzugsweise durch die Analyse eines prachtvollen Dijodürs so- 
wie des Platin- und Goldsalzes festgestellt. 

. Das Jodür wird leicht durch Sättigung der freien Base mit 
Jodwasserstoffsäure erhalten. Dies Salz ist das charakteristisch- 
ste Glied der Reihe. Es krystallisirt in langen weilsen Nadeln 
von vollendeter Schönheit. Mäfsig löslich in Wasser, schwer- 
löslich in absolutem Alkohol, unlöslich in Äther bietet das Jo- 
dür alle Bedingungen zur leichten Reindarstellung. Es enthält: 


C,.H3,P,J,={f(C,H,), (C, H,)”P,}” 3, 


Das Platinsalz ist ein blafsstrohgelber, krystallinischer Nie- 
derschlag,; fast unlöslich in Wasser, aber löslich in siedender 
concentrirter Chlorwasserstoffsäure. Aus dieser Lösung scheidet 
es sich beim Erkalten in schönen Prismen ab, welche 


Ca Hssp, 4.’ Pr Os 
= I(C, H,), (C, H,)”P,?” Cl,, 2 Pt Cl, 


enthalten. 
Das entsprechende Goldsalz krystallisirt in mikroskopischen 
goldglänzenden Nadeln. 


C,H; , Prakt Aniet, 
=!(C, H,),(C, HH)” D,?” @l,,:2yAujdl, 


Die Umwandlung des einatomigen Salzes in das zweiato- 
mige hat mich zu einigen Versuchen geführt, welche die Con- 
struction der zweiatomigen Verbindungen noch schlagender ver- 
anschaulicht. 

Das einatomige Bromüf 


$(C, H,), (C, H, Br) P$ Br 


_ wird von dem Ammoniak und den Stickstoffbasen 
lebhaft angegriffen. 


Versetzt man die alkalische Lösung dieses Bromürs mit einer 


_ Alkohollösung von Ammoniak, so giebt sich die chemische Ac- 
tion alsbald durch lebhafte Wärmeentwicklung zu erkennen. Die 


Lösung enthält nunmehr ein Dibromür, dessen Metall neben dem 


 zweiatomigen Ätbylen zur Hälfte aus Ammoniak und zur Hälfte 


aus Triäthylphosphin besteht. 


372 Gesammtsitzung 


IC, H,), (C,H, Br) PBr+H,N. 
=$H, (C, H,), (C, H,)’P NS” Br, 
Es ist dies ein Phosphammoniumdibromür zwei Molekülen 
Salmiak entsprechend; indem zwei Äq. Wasserstoff durch Äthy- 
len und drei Äq. Wasserstoff durch Äthyl ersetzt sind. 
Durch Behandlung mit Silberoxyd verwandelt sich das neue 
Bromür in eine stark kaustische äufserst stabile Verbindung 


H,(C, H,). (C, H,)” PN?” 
$ 3 #445), en 27 H. Yo, 


welche alle Eigenschaften der Kalilauge zeigt. 


Die freie Base mit Jodwasserstoffsäure oder Chlorwasser- 


stoffsäure gesättigt liefert das entsprechende Dijodür und Di- 
chlorür. Letzteres giebt mit Platinchlorid einen hellgelben Nie- 
derschlag, der sich aus Wasser umkrystallisiren läfst und 
enthält. 

Ich habe denselben Versuch mit Äthylamin und mit Tri- 
methylamin wiederholt. Man beobachtet genau dieselben Er- 
scheinungen. 

Es bilden sich die Dibromüre: 

{H, (C, H,), (C, H,)’PN}” Br, und 
{(C2 H,), (C, H,), (C, H,)’PN$”Br; 
und durch Behandlung derselben mit Silberoxyd die kaustischen 
Verbindungen: 


{H,(C, H,), (C, u! O, und 
C;,H,), (C,H,), (C, H,)’ PN” 
&C, H,), (C, H,), (C, H,) = or 


Die Chlorüre dieser beiden letzten Basen bilden schöne 
Platinsalze, die in langen feinen hochgelben Nadeln krystallisiren. 
Durch ihre Analyse war es leicht die Natur der beschriebenen 
"Phosphammonium-Verbindungen zu präcisiren. Sie enthalten 


$H, (C, H,), (C, H,)’PN$”Cl,, 2PtCl, und 
{(C, H,), (C, H,), (C, H,)”PN}” Cl,, 2PtQl, 


vom 5. Mai 1859. 373 


Die Bildung der beschriebenen "Verbindungen liefert den 
Schlüssel zum Verständnils der Diammoniumbasen. Analoge Un- 
tersuchungen in der Stickstoffreihe und namentlich Versuche 
über die Diammoniake, mit denen ich beschäftigt bin, werden, 
hoffe ich, das Bild vervollständigen. Übrigens treten schon jetzt 
die Beziehungen der neuen Körper zu den zweiatomigen Alko- 
holen in bestimmten Umrissen hervor. 


n Intermediärer Bromwasserstoff- 
Athylen-Alkohol. Bromwasserstoffäther. Äther. 
H (C,H,)” 0, „PT 
(C,H 118: Os H }B2 (C,H,) I: 
Erstes einatomiges Zweiatomiges 
Einatomige Base. Bromür. Bromür. 
{P(C,H,), Hr o, tP(C,H,),(C.H,Br)jBr (P(C,H,), 
(C,H,)” O, (C,H,)” F 
j P(C,H,) Br 
Zweites einatomiges Gemischtes zwei- 
Zweiatomige Base. Bromür. atomiges Komtur 
HPCH,),H}], {PCCH,),H} Jo,  (PCC.H,), 
Ho: (C.H,) (C,H,)” \Br 
: P(C,H,), Eh „ |Br 
Gemischte zweiatomige Gemischtes zwei- 
Base. atomiges Bromür, 
-{P(C,H,), H} P(C,H,), 
. (C,H, )" 08 (C,H,)" 5, 
IN(C;H;), H} z N(C,H,) ai 


Hr. Dove theilte einen experimentellen Beweis mit, dafs 
die Tartinischen Töne nicht subjectiv sondern ob- 
jeetiv sind. 

Im Bericht der Akademie 1857 p. 291 habe ich Versuche 
beschrieben, aus welchen entschieden hervorgeht, dafs wenn ein 
Ohr längere Zeit einen Ton von bestimmter Höhe gehört hat, 


374 Gesammtsitzung 


es für das Vernehmen desselben unempfindlicher geworden ist, 
als das andere, welches diesen Ton nicht gehört hat, so dals, 
wenn dann vor beiden Ohren derselbe Ton gleichzeitig erregt 
wird, nur der gehört wird, welcher vor dem Öhre erregt wird, 
welches ihn vorher nicht gehört hatte. In dieser Beziebung 
schlielst sich also das Verhalten des Ohres ganz an das des Au- 
ges an, dessen Unempfindlichwerden für einen lange gebotenen 
Farbeneindruck eben die subjective complementare Färbung einer 
nachher betrachteten weilsen Fläche veraulalst. Eben so wenig 


wie aber diese Abstumpfung für einen bestimmten Farbenein- | | 


druck sich auf die Wahrnehmbarkeit einer anderen Farbe erstreckt, 
so ist dies auch bei dem Ohr der Fall. Modificirt man nämlich 
den mit zwei unisono tönenden Stimmgabeln angestellten Ver- 
such in der Weise, dafs die vor das rechte und linke Ohr ge- 
haltenen Stimmgabeln verschiedene Töne geben, so hört man, 
wenn man die eine so um ihre Achse dreht, dafs sie durch die 
4 Interferenzstellen hindurchgeht, nicht wie bei unisono tönenden 
Gabeln abwechselnd die eine und die andere, sondern die eine 
und dann beide. 

Die stereoskopischen Erscheinungen zeigen, dals Lichtein- 
drücke, welche auf den Netzhäuten beider Augen verschiedene 
Bilder hervorrufen, sich combiniren und durch die von mir im 
Bericht 1841 p. 251 beschriebenen Versuche ist dies auch defi- 
nitiv für die Combination verschiedener Farbeneindrücke ent- 
schieden worden. Es schien mir nun interessant die Frage zu 
beantworten, ob auch für das Ohr dies gültig sei, d. h. ob ver- 
schiedene Erregungszustände beider Ohren einzeln dem Gehirn zu- 
geführt sich in denselben zu einer Resultante -verbinden lassen. 
Der angestellte Versuch entschied dagegen. Von zwei eine reine 
Quinte gebenden Stimmgabeln wurde die eine vor das rechte 
Ohr gehalten, die andere vor das linke. Der als tiefere Oktave 
aus der Combination beider Schwingungssysteme "entstehende 
Tartinische Ton wurde nicht gehört, aber sehr deutlich, wenn 
beide Stimmgabeln vor demselben Ohr standen. Obgleich also 
die gleichen oder nahe gleichen Eindrücke sich combiniren, wie 
daraus hervorgeht, dals man die Schwebungen Stölse gebender 
Stimmgabeln hört, wenn die eine vor dem einen, die andere 


vom 5. Mai 1859. 375 


_ vor dem andern Ohr steht, so findet dies doch nicht statt wenn 
die grölsere Anzahl derselben sich zu einem neuen Ton combi- 
| niren soll. Der Tartinische Ton ist daher objectiv nicht sub- 
 jectiv. 


we 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 


"schreiben wurden vorgelegt: 


Atti dell’ I. R. Istituto veneto di scienze. Tomo IV, Dispensa 4.5. Ve- 
nezia 1859. 8. 

Bulletin de la societe imperiale des naturalistes de Moscou. Annee 1858, 
no. 4. Moscou 1858. 8. 


 Siebenter Bericht der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heil- 


kunde. Gielsen 1859. 8. 

Traite d’optique physique, par M.F. Billet. Tome 1.2. Paris 1858 
—1859. 8. Mit Schreiben des Hrn, Verfassers, d. d. Dijon 
41. April 1859. 

Mittheilungen des historischen Vereins für Steiermark. Heft 8. Gratz 
1858. 8. 

S. W. Fallou, An english-Hindustani Law and Commercial Dictionary. 
Calcutta 1853. 8. 

The Atlantis, no. III. London 1859. 8. 

Mnemosyne. Vol. VIII, Pars 2. Lugd. Bat. 1859. 8. 

Maury, Sailing Directions. Ed. VIll, PartI. Washington 1858. 4. 
Mit Rescript des vorgeordneten Kgl. Ministeriums vom 30. April 
1859. 


Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg. 


Band 14, Heft 3. Würzburg 1858. 8. 


Sullivan, On the influence which the physical geography .... exert 


uporsthe languages etc. s.l.eta. 8. 
Rudolf Wolf, Mittheilungen über die Sonnenflecken. no. 7.8. (Bern 
1858) 8. 


- Jahrbuch der Geologischen Reichsanstalt. Jahrgang 9, no. 4, Wien 


1858. 8. 


Klein, /nscriptiones latinae provinciarum Hassiae transrhenanarum. Mo- 


guntii 1858. 4. 


Memoire sur quelgues inscriplions mediomatriciennes. (Metz 
1858.) 8. 


Die Bedeutung der Humanitätsstudien für den Fortschritt. 


376 Gesammtsitzung 


Mainz 1858. 8. Mit Schreiben des Hrn. Verfassers, d. d. Mainz 
14. April 1859. 

Leibniz, Mathematische Schriften, herausgegeben von Gerhardt. 
Band 4. Halle 1859. 8. 


Hr. H. Abich in Tiflis nimmt unter dem 2. März d. J. 
die Wahl zum correspondirenden Mitgliede der physikalisch- 


mathematischen Klasse dankend an. 


12. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. 


Bei der Eröffnung der Sitzung gedachte der vorsitzende 
Sekretar des doppelten schweren Verlustes, welchen die Aka- 
demie in letzter Woche durch den Tod des Hrn. Dirichlet 
in Göttingen am 5. und des Hrn. Alexander von Hum- 
boldt am 6. Mai erlitten. 


Hr. Borchardt las über ein die Elimination be- 
treffendes Problem. 

Wenn man die Resultante der Elimination zwischen zwei 
algebraischen Gleichungen mit einer Unbekannten aufsucht, so 
pflegt man die ganzen Funktionen, welche die linken Seiten der 
Gleichungen bilden, als durch die Werthe ihrer Coefficienten 
gegeben vorauszusetzen. Diese Art der Bestimmung ganzer 
Funktionen ist als diejenige Specialisirung der Interpolation an- 
zusehen, die dem Zusammenfallen sämmtlicher Argumente, für 
welche die Funktionswerthe gegeben sind, entspricht. Aber man 
weils, dafs jedes Zusammenfallen mehrerer Argumente in der 
Theorie der Interpolation, anstatt die Resultate zu vereinfachen, 
sie verwickelter macht, und die leicht übersichtliche Gesetzmä- 
[sigkeit der Ausdrücke stört. 

Es war daher ein glücklicher Gedanke, der von Hrn. Ro- 
senhain herrührt, die Resultante der Elimination zwischen zwei 
Gleichungen p=0 und Yz=0 nicht durch die Coefficienten 


P. vom 12. Mai 1859. 317 


von. dz und &z sondern durch die Werthe darzustellen, welche 
‚diese Funktionen für gegebene Argumente annehmen. Das von 
demselben im 30sten Bande des mathematischen Journals veröf- 
_ fentlichte Ergebnils ist von um so grölserer Bedeutung, als sich 
die nämliche Art der Darstellung auf eine ganze Reihe anderer 
Ausdrücke ausdehnen läfst und namentlich auf diejenigen, welche 


sich bei der Entwicklung des Quotienten = in einen Ketten- 
bruch ergeben. 

Aber die Rosenhainsche Darstellung erfordert, dafs man 
die Werthe der Funktionen z, Yz für eine Reihe von Argu- 
menten kenne, deren Anzahl der Summe der Ordnungen von 
$z und %z gleich ist, also in dem Fall, in welchem beide Funk- 
tionen 'von der nien Ordnung sind, für 2n verschiedene Argu- 


ente. Diese 2n a sind also nicht von einander 
unabhängig, sondern n—1 derselben durch die übrigen n-+1 
bestimmt. Die Rosenhainsche Formel kann daher nicht dazu 
gebraucht werden, die Resultante der Elimination darzustellen, 
wenn jede der Funktionen $z, Yz interpolatorisch gegeben ist. 
Auf diesen Fall bezieht sich die gegenwärtige Untersuchung, sie 
beschäftigt sich mit der Lösung folgender Aufgabe: 


4 Die beiden Funktionen $z und \bz, jede n!e" Grades, 
r sind durch die "Werthe gegeben, die sie für z=«,, 
4 en es «@, annehmen. Durch diese zweimal rn +1 
Funktionswerthe soll die Resultante der Elimination zwi- 


schen den Gleichungen = 0, )z = ausgedrückt werden. 


"In dem hier vorliegenden Fall giebt die, sogenannte abge- 
kürzte Bezoutsche Eliminationsmethode die Resultante durch 
die Coefficienten ausgedrückt. Nach der übersichtlichen von 
Hrn. Cayley gegebenen Darstellungsweise des anzuwendenden 
Verfahrens hat man den Quotienten 


pzly — or lx 
y—x 


F (x, y)= 


zu bilden und nach Potenzen von x und y zu ordnen. Ist 
a; a g- 


das allgemeine Glied desselben, so ist die Determinante D der 


378 Gesammtsitzung 


Coeffhicienten a,; (wo sowohl ; als %k die Zahlen o bis ni 
durchlaufen) die Resultante der Elimination zwischen den Glei- 
chungen dz=0, Yz=0. 
Vermittelst bekannter Determinantensätze läfst sich die De- 
terminante D so transformiren, dafs sie, anstatt durch die Coef- 
ficienten a,;; , durch besondere Werthe der Funktion F(x,y) 
dargestellt wird. Bezeichnet man mit F(x;,, y;) diese besonde- 
ren Werthe (wo sowohl :i als % die Zahlen 1 bis rn durchlaufen), 
mit D' die Determinante derselben und mit A(x,, &3,....%,) 
das Produkt aller Differenzen der Argumente &,, &3....% 
(jede Differenz so genommen, dals ein Argument mit kleinerem 
Index von einem mit grölserem abgezogen wird) so hat man') 
Dei ee nn Se 
N ER N 
In dem Fall der vorliegenden Aufgabe sind die Werthe von 
px und Yx für ea & ....%„ gegeben. Unter Einfüh- 
rung der Funktion 


1) Es lälst sich beiläufig bemerken, dafs in der Transformation (1) zu- 
gleich eine unmittelbare Verification der abgekürzten Bezoutschen EIi- 
minationsmethode liegt. Diese Verification ergiebt sich, indem man die bei- 
den Reihen von Argumenten 7,, 22 .... Zn und YmYr=**+./n mit den 
Wurzeln ß,, ß2 ....®8„ der Gleichung $r=0 zusammenfallen lälst. 
Unter dieser Annahme wird | 


pe=B(«—B,) (@B2)....(@—B,) 


Yx u Fe vB; r 1 
px z fe PR; z—ß; 
in Lß, 1 1 


F(a,y)=—- "uch Ach SB; er: Be 
also 
F(ß,,B,)=— WB; WR; 
F(ß; 9 Pr =0 


wenn i von k verschieden ist. Die allgemeine Transformation (1) giebt da- 
her, so angewendet, für D, abgesehen vom Zeichen, den Ausdruck: 


B’NBıNVB2.... VB, 


was die bekannte Eulersche Form der Eliminationsresultante ist. ’ 


’ 


vom 12. Mai 1859. 379 


Je =(2—0,)(2&—a,)....(2—e,) 


werden also die interpolatorischen Darstellungen von dx und Yx 


Rn a 
m u 17 x 0; i=0 fe; x—0; 
und daher 
zYyy— Yx 
Fay-FI IE 
y—x 
a — 0% fx "fr 
RR \ Er PARAT 
Ka fa; for (pe; Ya; da, ba; BE x—d; Y-uJ- &r 


wo über alle Combinationen zweier verschiedenen Gröfsen a,, 
&; zu summiren ist. 
Hieraus ergiebt sich für =«,, y=«a; oder a=a,,y=a,, 
wenn i von k verschieden ist: 
pe; Ya, — da; Ya, 
Fe; ya) Fi, a)=ı— 22, 
Gr: 0; 
dagegegen für =y=a;: 
34 
a; de; Var — dba; ba; 
Fa,,,)=— st. day babe 


far Rp — 0 


wo sich die Summe nach k über alle von : verschiedenen Werthe 


erstreckt. Es ist daher 
F(a;, «;) an Fa; , 0), 
I; fe; F Ss; for 


Führt man für je‘ zwei von einander verschiedene Zahlen i, k 
aus der Reihe 0 bis n die Bezeichnung ein: 


Baar be dar. 
Varta (2; —e; ) en (2) 


und setzt ferner 


Wi) =— GE), (3) 


wo nach k wiederum über ‘alle von z verschiedenen Zahlen aus 
der Reihe 0 bis n zu summiren ist, so wird demnach schliefs- 


lich: 


380 Gesammtsitzung 


F(a;,,)= fa; fa; .(ik) 

F(a,u,)=f'u fo .(i) 3 

Man bilde nun das System der (n +1)” Gröfsen (ik), 
nämlich 

(00) (01) (02). ...... (0n) 

(0), Kt), (12):E 2, (1n) 

(4) 2a) (2) 2... (2n) 


(no) (HR) I) 
ein System, welches erstens ein symmetrisches ist, so dafs (ik) 
= (ki), und welches ferner nach Gleichung (3) die Eigenschaft 
besitzt, dals je n-+1 in einer Horizontal- oder Verticalreihe 
stehenden Elemente die Summe Null haben, so dals: 


G@) + (tl) + ....FÜ)+....+(in)=0. 
Hieraus folgt zunächst, dafs die Determinante n + 1“ Ord- 


nung R aus dem ganzen mit (4) bezeichneten System ver- 
schwindet. Es folgt überdies, dals die sämmtlichen Unterdeter- 


R 
minanten erster Ordnung von ZA, die Grölsen . einander 
ı 
SR a BAR IR e s 
gleich sind. Man betrachte z.B. 300) d. h. die Determinante 


desjenigen Systems, welches aus (4) hervorgeht, wenn die erste 
Horizontal- und die erste Verticalreihe fortgelassen wird, und 
das mit (5) bezeichnet werden möge. In dem System (5) ist 
irgend ein Element der ersten Verticalreihe (i1), wofür man die 


Summe 

—- Sc) HE) + (3) + .... + (in)! 
setzen kann. Wegen der übrigen Verticalreihen ist es erlaubt, 
in dieser Summe die Glieder (2), (3) ..... (in) fortzulassen, 
ohne dals sich der Werth der Determinante ändert, n bleibt 
also sich selbst gleich, wenn man für jedes Element (i1) seiner 
ersten Verticalreihe — (i0) setzt, d. h. es ist 


OR” ROBe 
d(00)  9K01) 


vom 12. Mai 1859. 381 


Ähnliches gilt, wenn man für die Indices 0, 1 zwei belie- 
bige Indices setzt, und es sind demnach sämmtliche Unterdeter- 


oR 
(ik) 


einander gleich. Diesen gemeinschaftlichen Werth der Unter- 
‚determinanten, welcher mit A’ bezeichnet werde, braucht man 
nur mit dem Quadrat des Produkts aus allen Differenzen der 
Argumente &oy &ıy +... @, zu multipliciren, um die Elimina- 
tionsresultante D zu erhalten. 

In der That, man setze in der 'Transformationsformel (1) 


ey me, mm... m mn 
ergiebt sich 
3 =+F(e,, BiYPtie. 8:)= 4 Aral 


$Aaı, Dias tal diese &)%°. 


Ar gt Z+()(2).... (nn) 


der, indem man mit (fx) =(a,;— &0)? (es — 0)? ...(&,— x)? 
"oben und unten multiplicirt, 


oR 
D= SA(ao, BR zeibcaie @)t? 500) 
=$A(a, %; altern) @.)t? re 
Setzt man der Kürze ‚halber 


a=(a, —a0) (a2 —00) -.-- (m —a,_4), (6) 


D=uR. 


Den gemeinschaftlichen Werth AR’ der Unterdeterminanten 
. : Eine) 2/5) Ar 1 

on RA, mit (—1)” multiplicirt und in die 77 Elemente (ik) 
gedrückt, wo i,k zwei Zahlen aus der Reihe 0 bis n sind 
nd ?<%, bezeichne man mit (,1,....n)=S, so dals 


(— 1)" n- CN =, et.) (7) 


382 Gesammtsitzung 


Um die algebraische Zusammensetzung dieses Ausdrucks S 
kennen zu lernen, mufs man auf das früher betrachtete System 
(5) zurückgehen, welches aus (4) durch Fortlassung der ersten 


Horizontal- und der ersten Verticalreihe hervorging. Nimmt 


man in (5) jedes Element mit entgegengesetztem Zeichen und 
drückt die Elemente — (ii) der Diagonale durch die übrigen 
aus, so geht (5) in das folgende System (8) über: 


(10) + (MD) + ...+ (in), — (BD)... ..0.. — (1n) 

— (21), (20)+ (21)-+(23) +... + (2n),- .. — (2n) 

(8) (1) ==H(32]. se Aa VE — (3n) 
27 — (n?2) 22.2... (0) +... + (nn—1) 


dessen Determinante $ —__ ist. 

Die den Index 0 enthaltenden Elemente kommen in (8) 
jedes nur einmal vor und zwar in den Diagonalgliedern. So 
findet sich (01) nur im ersten Gliede der ersten Horizontalreihe. 
Geht man von (8) wiederum zu einem neuen System (9) 
durch Fortlassung der ersten Horizontal- und der ersten Ver- 
ticalreihe über und bezeichnet mit $’ die Determinante von (9), 
so ist daher (01). S’ der Complex der Terme von S, die (01) ent- 
halten. In (9) kommen die Indices 0 und 1 nur in den Diago- 
nalgliedern vor, folglich nur in den Verbindungen 


(20) + (21), (30) + (31), ..- »- (n0) + (nt). 


Es ist daher zur Bestimmung der Determinante $S’ von (9) 


hinreichend, ibren Werth in dem besonderen Fall zu kennen, 


wo die Elemente (20), (30)... . (n0) sämmtlich verschwinden, da 
sich aus demselben der allgemeine Werth von 8’ ergiebt, wenn 
man an die Stelle von (21), (31)... .. (ri) die Summen (20)-+ (21), 
(30) + (@1), » + - » (R0)+ (nt), oder, kürzer symbolisch ausgedrückt, 
an die Stelle des Index ı das Aggregat der beiden Indices 0+1 
setzt. In jenem besonderen Fall aber, wo (20), (30) . . . . (n0) ver- 
schwinden, geht (9) in ein System über, welches, um eine Ord- 
nung niedriger als das System (8), sich ebenso auf die Indices 


ee ee 


vom 12. Mai 1859. 383 


1, 2,....n bezieht, wie jenes auf die Indices 0, 1,....n, des- 
sen Determinante daher = (1, ,....n) ist. Folglich wird 


| _=(+, 3% 3....n) 

unter welcher aa Bezeichnung der Ausdruck zu ver- 
‚ehen ist, in den (1,2,....n) übergeht, wenn an die Stelle 
‚von jedem Element (iR) die Summe (0%) + (1k) tritt.) Man 


hat also den für die hier betrachteten Ausdrücke fundamentalen 


Satz, dals in 


s= (0, 1,2... 45) 
B.: Coefficient von (ot) der Ausdruck 


(GE 2ckın) 
ist. 

Durch wiederholte Anwendung hiervon findet man weiter, 
dals in 


al, a 2 
das Produkt (01) (02).... (0), wo ?<n ist, zum Coefficienten 
den Ausdruck 


((+1+...: +, i+l,....n) 


hat, welche symbolische Bezeichnung in analogem Sinn, wie die 
frühere, zu verstehen ist. Für i=n erhält man als Coeffhicien- 
ten des Produkts (01) (02) .“. ... (0n) die Einheit. 

Aus vorstehendem Ergebnils lälst sich eine Entwicklung 
von S nach den Produkten der Elemente (0:1), (02) .... (0r) 
bilden. Dieselbe besteht, da Glieder, die von allen diesen n 
Elementen unabhängig sind, nicht vorkommen, °) aus einer ersten 
Klasse von Ausdrücken, deren jeder nur eins dieser Elemente 
als Faktor enthält, aus einer zweiten Klasse von Ausdrücken, 
deren jeder ein Produkt von zweien dieser Elemente als Faktor 
enthält u. s. w. Schreibt man von jeder Klasse nur einen re- 


2) Hier ist A eine der Zahlen 2, 3,....n. 

?®) Denn wenn man die Elemente (o:), (02)....(or) alle zugleich 
erschwinden lälst, so geht (8) in ein dem (4) ähnliches System über, des- 
Determinante verschwindet. 


[1859.] 27 


384 Gesammtsitzung 


präsentirenden Ausdruck nieder, also von der %'n Klasse den fol- 


genden: 


(01) (02)... . (0%) Cy, 


wo C, von den Elementen (01), (02). ... (02) unabhängig ist, 
so ergiebt sich als Werth von C, der von dem Index 0 freie | 


Theil des Ausdrucks (+1+....+% k+1,....n), d.h. 
CG,=(1+2+....+%,k-+1,....n) 


wenn k<.n, und 
= 
so dals man für $ die Entwicklung hat: 


(0, 1,.£ 3-R) 


= 3(M).f1, 2,....n) 
+2(0) (2) (+3, 3,....n) 
+.. 


en. en A k-h,....n) 
+.... 
+ (01) (02)... . (0r) 


Diese Entwicklung ist ausreichend, um die Ausdrücke S für I 
alle Ordnungen zu bilden. Man hat nur nöthig, von der nie- I 
drigsten Ordnung anfangend stufenweise zu den höheren aufzu- 


steigen und erhält 
(%, 1) = (01) 
(% 1,2)= (01) (12) + (01) (02) 
= (01) (02) + (10) (12) + (0) (2) 


Die der bisherigen Untersuchung zu Grunde liegenden und 


jetzt zusammenzustellenden Eigenschaften der Ausdrücke S, wel- 


che zur Herleitung der obigen Entwicklung nothwendig waren 4 
und für die vollständige Bestimmung jener Ausdrücke hinrei- 


chen, sind die folgenden: 


1. $=(0,1,....r) ist ein Ausdruck nt“ Ordnung der 


Elemente (01), (02)....(0r), (12) etc., welcher bei Vertau- 
schung von je zwei Indices ungeändert bleibt. 


n.ntHi1 


EEE 


j vom 12. Mai 1859. 385 


2. Der Coeffhicient des Produkts (01) (02).... (on) in S ist 
= 1. 

3. Es kommt in S kein Glied vor, das von einem der Indices 
z. B. von 0 frei wäre. 

4. Der Coeffhicient von (01) in S ist der Ausdruck 


(+1, 2,....n). 

Hierauf sich stützend ist man im Stande nachzuweisen, dafs 
die Ausdrücke S einem einfachen Bildungsgesetz folgen. Um 
dasselbe kurz in Worte fassen zu können, ist es zweckmäfsig, 
vorher eine Unterscheidung in Beziehung auf Produkte aus einer 

ns = 1 
beliebigen Anzahl der en Elemente (01), (02).... (0), (12) 
etc. einzuführen. Wenn ein solches Produkt eine Reihe von Ele- 
menten enthält, welche dergestalt im Kreise angeordnet werden 
können, dals jedes Element einen Index mit dem vorhergehenden 
Element und den anderen mit dem folgenden gemein hat, d. h. 
eine Elementenreihe von der Art der folgenden: 


(ik) (ki) 

(iR) (Kl) (1) 

(ik) (kl) (Im) (mi) 

u. 5 w. 
so soll das Produkt ein cyclisches genannt werden, wonicht, 
ein nicht-cyclisches. Dies vorausgesetzt, so wird die Bil- 
"dungsweise des Ausdrucks S in folgendem Satz ausgesprochen: 

Der Ausdruck 


(-" D 
m EZ 
wo D die Eliminationsresultante der beiden Gleichungen 


n'e Grades 9=0, Vz=0, und » das Quadrat des Pro- 


a 


A e 
dukts aus allen Differenzen der Argumente &o, & 5 »..- &, 
> . n.n—+i 
2 läfst sich durch die are Elemente 
s 
. 


, be; Ya, — Pa; Ye; 

2 1 er 

| 2) (A) Var 

a 


386 Gesammtsitzung 


darstellen, wo ;, k zwei von einander verschiedene Zahlen 
aus der Reihe 0, t,....n, und fe=(z—«,)(z—& ,)....(2_@,); sO 
dargestellt ist er gleich der Summe aller nicht- 


. . E B . 1 
eyclischen Produkte, die aus je n jener in 


Elemente (ik) gebildet werden können. 


Zum Beweise des Satzes bezeichne man die Summe dieser 
nicht-cyclischen Produkte mit 


4.(05 1,12, .darm). 


Dafs dieselbe die unter 1. und 2. aufgeführten Eigenschaf- 
ten besitzt, ist einleuchtend. i 


Um an der Summe 4 die Eigenschaft 3. nachzuweisen, ist 
zu zeigen, dals wenn man den Index 0 ausschlielst, also n Indi- 


ces und Z Elemente übrig behält, aus diesen ein nicht- 
cyclisches Produkt von n Elementen zu bilden unmöglich ist. 
Diese Unmöglichkeit wird für n Indices 1,2....n bewiesen, in- 
dem dieselbe, wenn m<.n ist, für m Indices und Produkte aus 
m Elementen vorausgesetzt wird. 

Angenommen, für n Indices gebe es ein nicht- cyclisches” 
Produkt von n Elementen und dasselbe enthalte den Faktor (12), 
so muls es jeden der Indices 1,2 noch einmal enthalten, denn 
käme der Index 2 nicht noch einmal vor, so wäre das übrig 
bleibende Produkt ein nicht cyclisches n— 1!" Ordnung der n—A 
Indices 1,3,4....r gegen die Voraussetzung. In dem betrach- 
teten Gliede kommt also der Index 2 noch einmal vor, und zwar 
nicht in der Combination (21) (denn sonst wäre der Cyclus 1 2° 
geschlossen), also in einer neuen Combinalion, etwa durch das 
Element (23). Aus denselben Gründen kommt: jetzt der Index 3 
noch einmal vor und zwar nicht in der Combination (32) oder! 
(31), (denn sonst wäre der Cyclus 23 oder der Cyclus 123 ge- 
schlossen), also in einer neuen Conibination, etwa durch das 
Element (34). Indem man auf dieselbe Weise fortfährt, erhält 
man ein Produkt von n—1 Faktoren, welches abgesehen von 
der Ordnung der Indices die Form 


vom 12. Mai 1859. 387 


(12) (33) ....(n—1n) 


hat, und wie man jetzt auch den nten hinzuzufügenden Faktor 


_ wählen möge, so wird durch denselben immer ein Cyclus ge- 
schlossen. 
Für n=2, wo es nur das eine Element (12) giebt, ist die 
- Unmöglichkeit eines nicht- cyclischen Produkts zweier Elemente 
; augenscheinlich, folglich gilt dieselbe nach obigem Beweise all- 
) ‚gemein, d. h. wie man auch aus den Im Elementen 
(12), (13)... (in), (23) etc. ein Produkt von n Elementen 
bilden möge, so ist dasselbe immer ein cyclisches. 
 Biermit ist die Eigenschaft 3. an der Summe 4 nachgewiesen. 
.Es bleibt jetzt noch zu zeigen, dafs die Summe 4 auch die 
Eigenschaft 4. besitzt. Der in (01) multiplicirte Theil von 


r 
Ad hr, eu) 


sei 
F (01) B(0,1,....n), 

wo kein Glied in B das Element (01) noch einmal enthalten 
darf, weil sonst der Cyclus 01 geschlossen wäre. 
+ Jedes Glied von 3 wird eine Anzahl von Elementen (0) 
und eine Anzahl von Elementen (1%) enthalten. Dals beide An- 
zahlen gleichzeitig verschwinden, ist nach dem vorhin Bewiese- 
men unmöglich. Zwei Elemente (0%) und (1i) können nicht in 
demselben Gliede von B vereinigt sein, weil sonst der Cyclus 
 01i geschlossen wäre. Man betrachte ‚irgend ein Produkt von 


n Elementen, unter welchen (01) und (%) aber nicht (1) sei. 
An die Stelle von (05) werde (1:) gesetzt, und das neue Produkt 
heilse dem ursprünglichen zugeordnet, so leuchtet ein, dals zwei 
zugeordnete Produkte zugleich cyclisch und zugleich nieht- cy- 
clisch sind. Hieraus folgt, dafs der Ausdruck B die Elemente 
(0), (1) nur in der Verbindung (0) + (1) enthält, wo z eine der 
Zahlen 2,3,....r bedeutet. Der von dem Index o unabhängige 
Theil des Ausdrucks 2 ist aber offenbar nichts Anderes als 


All, nun), 


folglich ist nach dem so eben Erwiesenen 


B(,1,...n)=A(0+1,23,3,....n) 


388 Gesammitsitzung 


d. h. die Summe A besitzt die Eigenschaft 4. Hiermit ist die 
Identität der Ausdrücke S und der Summen nicht-cyclischer Pro- 
dukte 4 vollständig dargethan. 


Es möge noch schliefslich angedeutet werden, wie sich mit 
Hülfe der oben gegebenen Entwicklung des Ausdrucks S auch 
die Gliederzahl desselben bestimmen läfst. Man vermehre in S 
sowie in der Entwicklung von 8 jeden Index um i und setze 
alsdann an die Stelle des Index z das Aggregat 0+1+....+5 
welches der Kürze halber mit i’ bezeichnet werde. Der Aus- I 
druck 

(@’,dö+1,....i+n) 
in welchen jetzt $ übergeht, heilse 7, seine Gliederzahl r, so ist 
r=(ii+H1) iH-n+1)"". 

In der That, die Entwicklung von 7', d. h. diejenige, in welche # 


die frühere Entwicklung von S übergegangen ist, enthält Aus- F 


drücke, welche dem Z ähnlich gebildet sind, für welche aber 
die Zahlen :, n durch andere ersetzt sind und zwar n überall 
durch kleinere. Indem man im Fall solcher Ausdrücke, die einem 
kleineren an die Stelle von n gesetzten Werthe entsprechen, die 
Formel für r als gültig voraussetzt, zeigt es sich, dals sie auch 
für 7 selbst gilt. Für n=1 giebt aber die Formel den richti- 
gen Werth r=i-+1, also ist sie allgemein gültig. 

Für /=0 geht 7T in $ über und r in die Gliederzahl & 
von S, welche durch die Formel 


e=(n +1)""' 
bestimmt ist. 


Hr. Peters legte eine neue Schlange aus der Familie der 
Uropeltacea, Plectrurus ceylonicus vor und fügte einige 
Notizen über die hieher gehörigen Arten des K. zoologischen 
Museums hinzu. 

Pleetrurus ceylonicus n. sp.; scuto rostrali ad fronto- 
nasalia extenso, supraorbitalibus nullis; squamis corporis per se- 
ries longitudinales 18 dispositis; abdominalibus 154, subcaudali- 


vom 12. Mai 1859. 389 


bus 9; umbrinus vel violaceofuscus, Aavido adspersus, taenia la- 
terali flavida irregulari. 
Long. tota 0,193; cap. 0,007; caud. 0,0075; crass. corp. 0,006. 
— Ceylon. 

Das K. zoologische Museum besitzt aufserdem noch fol- 


® 
y 


gende Uropeltacea: 

1. Rhinophis oxyrhynchus Hemprich; die beiden Ori- 
ginalexemplare, nach welchen Schneider seinen Typhlops 
oxyrhynchus beschrieben hat, aus der Bloch’schen Samm- 
lung. 

2. Rhinophis homolepis Hemprich. 

Diese beiden Arten, welche mir mit den beiden von Ke- 
laart (Ann. Mag. Nat. hist. 2. ser. XIII. p. 28) unter der 
Gattung Dapatnaya beschriebenen Arten übereinzustimmen 
scheinen, sind von Hemprich in seinem „Grundrils der 
Naturgeschichte”, Berlin 1820. pag. 119 ohne weitere Be- 
schreibung aufgeführt und ist es mir nicht möglich gewesen, 
irgend eine andere Stelle zu finden, wo die Gassung Rhino- 
phis von Hemprich aufgestellt wäre; in den „Verhandlungen 
der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin I.2.”, wel- 
che von Wagler, J. Müller u. A. citirt werden, findet sich 
nichts darüber. — Von Graf von Borck. 

3. Rhinophis punctata Müller. Diese Artist, wie Du- 
me&ril und Bibron bereits richtig erkannt haben, übereinstim- 
mend mit Schlegels Pseudotyphlops oxyrhynchus (Abbil- 
‚dungen Taf. 12.), wovon ich mich durch Vergleichung mit den 
Resten des im hiesigen anatomischen Museum befindlichen Mül- 
lerschen Originalexemplars überzeugt habe. — Durch Graf von 
Borck. 

R 4. Rhinophis philippinus J. Müller, Dum£ril et 
Bibron, Erpetologie generale Bd. 7. pag. 154. — Ein Exem- 
plar durch Hrn. Nietner aus Ceylon, welches beweist, dals 
diese Art eine eben so weite geographische Verbreitung hat wie 
Typhlops braminus. 

x 5. Rhinophis Blythii Kelaart,Ann. Mag. Nat. hist. 2. ser. 
vol. XIII. pag. 26. Ein schadhaftes Exemplar aus Ceylon. 


390. Gesammtsitzung vom 12. Mai 1859. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Comptes rendus de l’Academie des sciences. Tome 48, no. 9—15. Pa- / 
ris 1859. 4. 

Glasnik. Vol.X. Belgrad 1858. 8. 

Monumenta saecularia. Herausgegeben von der Kgl. Bayerischen Aka- 
demie der Wissenschaften. München 1859. 4. 

v. Martins, Zrinnerung an Mitglieder der phys.-math. Klasse der Kgl. 
Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München 1859. 4. 

v. Maurer, Zede bei der hundertjährigen Sliflungsfeier der K. Bayeri- 
schen Akademie der Wissenschaften. München 1859. 4. 

Almanach der Kgl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften für das 
Jahr 1859. 8. 

P.v. Chlumecky, Des Rathsherrn Georg Ludwig Chronik von Brünn. 
Brünn 1859. 8. 

The quarterly Journal of the geological Society. Vol. XV, Part 1. 2. 
London 1859. 8. 

Address delivered at the anniversary meeling of the geological Society of 
London. London 1858. 8. { 

Clausius, Die Potentialfunction und das Potential. _ Leipzig 1859. 8. 

Reichert, Der Bau des menschlichen Gehirns. 1. Abtheilung. Leip- 
zig 1859. 8. 

Claparede, De la formation et de la fecondation des oeufs chez les 
vers nemalodes. Geneve 1859. 4. 

Claparede et Lachmann, Etudes sur les infusoires et les rhizo- 
podes. Livr.1. Geneve 1859. 4. i 

Max Schultze, Zur Kenntnifs der elektrischen Organe der Fische. 
2. Abth. Halle 1859. 4. 


Schlielslich vernahm die Akademie voll Theilnahme ein 
Schreiben ihres correspondirenden Mitgliedes, Hrn. Haidinger ; 
in Wien, vom 9. d. M., in welchem derselbe die Trauer um 
Alexander von Humboldt in warmen Worten ausdrückt. 


Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 16. Mai 1859. 391 


16. Mai. Sitzung der philosophisch -hi- 
storischen Klasse. 


Hr. Ranke las über den Fortgang der spanischen 
- Kolonien in Süd-Amerika nach der Eroberung. 


Hr. Bekker sprach über den Homerischen gebrauch 
u U [77 Ps} a! 
von or: und ö:rr, 0 re und öre, 2I2er%w und Saw. 
J * ” u 4 
or: ist das neulrum nicht von os rıs sondern von örız: 
EEesca$ örıs cm 917 
N 
mn [7 wur u 
Ezivov orısS Mo0L LerTev ar ETTETO e OR 
4 u .. ® J . 
orıs aber, aus os, wofür ja auch © gesagt wird 
(8 pw Eu pgovenn Byoenr A:73 
«a 
zaı Suany." 0 yaa yv oi, anuwrsre 2 460), 
und 7:5 zusammengewachsen zeigt seinen ursprung in der be- 
deutung, die gewöhnlich nicht auf einen bestimten einzelnen 
geht, sondern nah anstreift an & rıs 
(dvSgwmous swurdov, Orıs Emiogaov cussen T 279, T-260 
@rROS Orıs TomÜre Ye deln E49, «47, 4, 315 
erıs P2 emc wurd” layron & 32 
Orıs siptas eiraepieyraı mA0, 0188, m 228, v 188, 4,415, 66 
drıs Ümoyeipios ern 0447 
orıs oix arsysı = 307); 
und seine selbständigkeit und einheit zeigt es theils in der de- 
elination, welche die erste sylbe unberührt lässt 
4 9 
(erev z Ley gnlatvos 2.0 o 421 


= 


>.\ J WW. 
YlaEDV orEWw gwoyrı zar w ARTATETVUGARRTW [0] 664 


örwa #008 Tunes Te zereV4 SI 204 
J 4 4 x m eu 
oOTswv TE Tor Rat Yaıav IAYTAL z 39 
N 1 2) zart > IE 
YMEv Orzoısıv 2Udos Umeprepov eyyvarıcn 
18° Erwas uwisnn O491—2), 
theils in der verdoppelung des consonanten ') 


*) die verdoppelung hat £r: gemein mit öroios und &röcos, formen die 
vielleicht aus 55 zog und ös roc£s entstanden sind und ähnliche adverbien 
gebildet haben, örws statt #5 ws und örov statt o) mau. 


392 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


(örrı »e eins A294 
örrı voroys A 543 
Orrteo ce %oy a 124 
Erreo Yorigwv e 121). 
den endvokal kan örı so wenig elidiren wie r!: mit dem ı ginge 
die verständlichkeit verloren. 
anfangs pronomen wird orı oder örrı oft als conjunction ge- 
braucht 
(ip orı oi sus sim m 131 
yıyınsaw 0° orı morAor Ev aüru daire riSevrau o 269 
Y ouy, &rıs Orr Yuvarzas avarzıdag Hmegomsvsıs E 349 
cida yag Orte zuz0r EV Emoryovran morsnoo A 408), 
und pflegt dann an seinen ursprung zu erinnern durch anleh- 
nung an ein demonstrativum 
(oVde 70 ode — orrı mar ou Ödyvaıs E 406—7), 
gerade wie die gleichbedeutenden ovvez« und #s 
(zoressanevn 70 Ye Suao 
ouvez ey Aavaoısı su 68 Towers aenysıs z 191 
ereivmv MvrToua WE arudmAov ev "Agyeroısıv &geEev I 646), 
und im widerspruch mit der orthographischen unterscheidung 
beider bedeutungen, die auge und verstand mit ö, rrı oder ö rrı 
erfreut, wie wenn guod das pronomen anders geschrieben würde 
als guod die conjunction, oder che anders als che, que als que, 
that als that. das ginge ja an trotz der einsylbigkeit: unter- 
scheiden wir doch das und dals. 
beide bedeutungen vereinigt auch das einfache ° 
(Kurapevr d ci ou rı ISarusın — Oiveis Seev 1534 
ya 6° ’Oduseis 6 ol ou rı T2%os zarazaiarov y2Iev A439 
obz dies 6 pe — Barev Alzs O0 248 
und mit voraufgehendem demonstralivum oder nomen 
Aslursers yag 70 YyE Tma&vTES ° 401 yegaes Eoygraı arm A 120 
Tov mowiv d sa ou rı — ÖtEerm "Avdgonayn AAUrE Teuyen 
P 207 
yuwn SAlas — Eorya Sewv, ö ber TAEYYY MRYNS imı under zei- 
“ gev Zevs 1119. 
vgl. E433, 1493, T 144 und 421, 8 771, 1 540, u 295 
und 375, v 340, g 545, r 543, $ 289, Y 220). 


ä 
a 


Yon a übe 


vom 16. Mai 1859. 393 


daran hängt sich jenes noch wenig verstandene re, das der 
prosa nur in @re &rre olos re und üsse geblieben ist, bei Ho- 
mer aber auch den artikel (r« 7 «ra weg 229 und p 273), 
die pronomina &s oie orov ersuv (#39) ris, und viele partikeln 
begleitet (a2r«, au«e B 281 1519, «9 und aoc, Arag, al, yag, 


5 


de und ovde, eimep, eve, Emrei A 87, Y, %5 iva, zul, ara A218, 
nev, 6Iev, 6Sı, re, Ws und ws ei): 

Kworsvos 6 7 agıFoV ’Ayamv ovdev Erıras A 244 

yıyıwazuw 0 7 avanzıs &yv Seos E331 (vgl. © 251, P 623, 

E90 und 366, v 333). 

solches © rz zu verwechseln mit der zeitpartikel öre ist auch 
mir begegnet (A 412 und 518, 11 274 433 509, T 57) und liegt 
um so näher als die zeitpartikel mit oid« und pzwyuc: verbun- 
den wird wie curn mit memini: 

morrazı az 70 — azoure EÜYoMEUFS, or ehyrSe A 397 

ae eiöf yAauzumıs dr’ dv u margı nayırda © 406 

Nds Ev yap Ors meodbawv Aavaoısın duuvev, 

cd Ö2 vÜV Örs rous uw zudavı 3 71—2 
Y oUx 0irO ore Öeugo Tarıg res i2sro deuyw m 424 

Y oÜ 1atavn rs zeise zuryruSov wild. 
ja wer mit eis © zev vergleicht eis &re zev r 144 und das voll- 
ständige 2£ Erı roö öre 1106, auch &ws dere 9358 und zw y 
örs (1588, M 437, 8 374, 8 180 und 477, v 322, / 43) in die 
betrachtung zieht, dürfte zweifelhaft werden ob © re und re 
ursprünglich irgendwie verschieden gewesen. 

gewisser ist dals ° rs sein r nicht verdoppeln kan: was 

einige grammatiker einer liquida zugestanden (Eviumeyagoısı, 
0Swunrös, rosge), hat niemand je auf eine muta ausgedehnt. 
was ist dann aber örr in örr 2S:rcıv o 317? weder dr: ist es 


noch ö se, sondern eine unform, flugs zu beseitigen durch rück- 


kehr zu der vorwolfischen lesart örrı SeAcıev. die hat allerdings 
Aristarchs autorität gegen sich: aber Aristarch hätte schon A 277 
an dem monstrum Il4s:8/.Se2’ inne werden sollen dals seine an- 
nahme, Homer kenne nur 2S:%ew, nicht aber auch Serew, in 
dieser allgemeinheit unrichtig sei. das verbum kömt über 230 
mal vor, 80 mal in fällen wie arg &Sere, #garssıw EIeAsıs, wo 
die dreisylbigkeit unzweifelhaft ist, und 40 mal etwa mit der 


negation, oz 29eAsı, oöz 2SeRousn: niemand wird ouyı SFersı 
’ { % 


394 Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 16. Mai 1859. 


versuchen oder oUzL Serousy, da ja ody: unhomerisch ist, ovx: 
aber, das überhaupt nur 9 mal vorkömt, blos am ende eines 
satzes steht, elliptisch, nicht wie das tonlose oder proklitische 
oV angeschlossen an das folgende wort, 

Ye za ouzi B 238 300 349, K 445, «268, 8 632, 2 493 

I 7 ’ ’ 
y E E)] 2 \ Er; 
085 7 wirıos 06 ve zur ouzi O 137: 


I > ’ \ ER ! m 
TOAN ira Te za oumi Y 259.°) 


die so erwachsene mehrzahl, noch verstärkt durch 40maliges‘ 
4Serov neben 15maligem &Ss?ov, mag immerhin mals geben wo- 


. * (e®, ’ . * . CH Ar 
die wahl zwischen &Seru und S:rw beliebig scheint, is’ &Tere 
. . ’ ER > > ] a) en) 
(imperativ E 441), zavr' EIereı, ad EIersıc, 0° EIersıc, y EIe- 
at ge » »@! > at n 
Rom, 3 2IEAoıs, Fo EIEror, m 2 IeAsıc, © EIEAOvTe, ÖETUCIE EIE- 


?Aoıs, darf aber weder der grammatik noch der metrik zwang an- 


?) hätte sich eine so einfache bemerkung zu rechter zeit eingestellt, 
so wäre zu O 716 nicht der name Bentleys unnützlich gefuhrt worden, 
sondern in den text gesetzt, dort und II 762, ov r, und in die note zu 
II 762 *ou rı: ouxt. 

möge auf diesen anlass vergönt sein noch einige andre versehn mei- 
ner ausgabe zu berichtigen. es ist zu selzen ; 

band 1 s. 63 im columnentitel 4. und A für 3. und T A 50 
or für more K 346 #odeoow, für rcdecow* M 286 Fei- 
Auraı für FeAvaraı 454 al für 0 N 315 &dnv für @dyv 
N 501 nach xarepzs ein komma 3, 106 &ueivovss für dueiuoveg 
in der note zu A 315 x für xev zu M 239 E 267 für M 239 
zu N 149 = für zupynösy — zu N 174 1683 für hie — Odyssea 
zu N 759 ’Aöduovra für "Anduayre zu O (anfang) 1 für 2 und 
343 für 344 zu T 159 142 für I42 s.518 2.6v.u 
fehlt 359. vor Auurpov zu ® 172 lies nesoorayts: weosonaNts für 
nersomaAts : nercomayss zu X 328 isdaseyov für acbapayou 


zu # 22—3. 316 für 336 42. orepess für oreptus 68. 59 3 


für 20 91. copcs für voßos 215. 215 für 25 491, 
Kartipune: baro wöbov für baro wühov : uaripune band 2 s. 3 YIIO- 
EESEIS für TOOEZEIZ ß 409 iepn für iege n 195 pec- 
anyus für unsonyds #2 Aiöros für Alodos (und dazu als note 2, 44. 
Alöros Arcad. p. 56 6: Aloros) & 353 WAns für van ” 307 
öris für 6 is ") 314 AioAov für Alcao in der note zu & 
252 trmaracınoaca für Eraracınca zu ß 82 nach ovre cf. 3 246 
(wonach die note zu 92 wegfällt) zur 211 # für 

zu o 238. 190 für 101 371. Z für £ zu p 347. mapelva 
für rapelia 


2 ELITE I 


i 
4 


Gesammtsitzung vom 19. Mai 1859. 395 


thun, sondern muss z. b. @ss« SernrSx und epga Seiyrov und 


_ einige 40 ähnliche ausnahmen gestätten, wofern der Adonische 


vers, womit der bukolisch cädirte hexameter schlielst, oben (s. 


268) richtig schematisirt ist. 


er GELTEND ERLERNEN EL ETE 


19. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Mommsen las die Einleitung zu einer Aus- 
gabe der unter dem Namen der vaticanischen Frag- 
mente bekannten vorjustinianischen Rechtscompila- 
tion. 


Hr. du Bois-Reymond legte eine Mittheilung des Hrn. 
W. Kühne, betreffend die Endigungsweise der Nerven 
in den Muskeln und das doppelsinnige Leitungsver- 
mögen der motorischen Nervenfaser, d. d. Paris 3. Mai 
1859, vor. 

1) Die Anschauung, welche die Wirksamkeit directer Mus- 
kelreizung allein den intramuscularen Nerven zuschreibt, und 
welche dem Muskel selbst sowohl eine eigene Irritabilität, wie 
das den Nerven eigenthümliche Leitungsvermögen abspricht, ist 
zugleich mit der Voraussetzung verknüpft, dals der Muskel in 
allen seinen Punkten mit gleichen Mengen der reizbaren Ner- 
vensubstanz vermischt sei. Die Verfolgung der motorischen 
Nerven bis zu ihren letzten peripherischen Ausbreitungen ist 
darum auch von Interesse für die Irritabilitätsfrage, welche durch 
die nachstehenden Beobachtungen eine neue Entscheidung ge- 
winnen dürfte, 

Es ist schon von mehreren Histologen beobachtet, dals bei 
manchen wirbeilosen Thieren die breiten motorischen Nerven- 
fasern in das Innere der Muskelprimitivbündel eindringen, so 
dals der directe Contact zwischen den Nerven und der contrac- 
tilen Substanz mindestens als wahrscheinlich betrachtet werden 
muls. Eigene anatomische Untersuchungen haben mir gezeigt, 
dals auch bei Wirbelthieren, am Sartorius des Frosches, feste 
Verbindungen zwischen den Nerven und dem Sarkolemma nach- 
gewiesen werden können, wofern die Muskeln frisch und ohne 


396 Gesammtsitzung 


Druck bei starker Vergröfserung beschaut werden. Der Inhalt 
des Muskelrohres ist aber bei Wirbelthieren zu undurchsichtig 
um den Nerven jenseits des Sarkolemms weiter verfolgen zu 
können, und damit ‘liegt die Aufforderung nahe das Experiment 
zu Rathe zu ziehen, wo die optischen Hülfsmittel den Dienst 
versagen. 

Der Sartorius des Frosches erhält seinen sehr feinen Ner- 
ven etwa an der Mitte seines inneren Randes in der Art, dals 
derselbe sofort nach seinem Eintritt zwischen die Muskelbündel 
in zwei Theile zerfällt, welche in fast parallelen Zügen mit den 
Primitivbündeln nach zwei entgegengeseizten Enden, nach unten 
und oben, verlaufen. Die früher als wahre Nervenenden be- 
schriebenen Schlingen befinden sich an diesem Muskel nur hart 
hinter dem Hilus, so dals die geringe Anzahl dieser Vorrichtun- 
gen ausschliefslich als Plexusbildungen des Stammes zu betrach- 
ten sind. Jenseits derselben beginnen die einzelnen Nervenpri- 
mitivfasern sich gabelförmig zu theilen, um als secundäre oder 
auch tertiäre Ästchen an die contractile Substanz heranzutreten. 
So findet man das Verhalten bis nahe vor dem Ursprunge und 
dem Ansatze des Muskels, einige Millimeter vor diesem Über- 
gange der Muskelfasern in ihre beiden Endsehnen aber kann 
auch bei der gewissenhaftesten Durchmusterung jedes einzelnen 
Abschnittes keine Spur von Nervenelementen mehr nachgewie- - 
sen werden. 

Dennoch zuckt, wie bekannt, bei der Reizung des Nerven 
jedes Mal der ganze Muskel, und es ist von Interesse zu zeigen, 
dals der Nerv sogleich bei seinem Eintritt zur Herrschaft über _ 
die gröfste Zahl der Primitivbündel gelangt. Jedes noch so 
kleine Muskelstückchen, welches die Technik dem eintretenden 
Nerven anhaften zu lassen gestattet, geräth in Zuckungen, wenn 
der Stamm des ersteren gereizt wird, sei es elektrisch oder che- 
misch. Die wirksame Verbindung zwischen Nerv und Muskel 
ist also nicht ausschliefslich an die beiden Enden des Sartorius 
verlegt. 

Da der Muskel eine Combination von contractiler Masse 
und intramuscularer Nervensubstanz darstellt, so ist vorauszu- 
setzen, dals die Erregbarkeit dieses Ganzen der Summe der Er- 
regbarkeiten des Muskels selbst und des Nerven gleich sei, und es 


vom 19. Mai 1859. 397 


ist um so wahrscheinlicher dafs ein Muskel an Punkten, wo er 

_ viele Nerven enthält, reizbarer sei, als an solchen, wo er deren 
wenige oder gar keine besitzt, als kürzlich J. Rosenthal nach- 
gewiesen hat, dals die Erregbarkeit des Nerven beträchtlich grö- 
[ser als die des Muskels selbst ist. 

Die Methode um die Erregbarkeit verschiedener Punkte eines 
Muskels zu vergleichen ist sehr einfach; sie besteht darin, dafs 
derselbe mit zwei um einen stets gleichbleibenden Abstand von 
einander entfernten Elektroden berührt und mit dem Minimum 
der zur Zuckung grade hinreichenden Stromesstärke gereizt wird. 
In diesem Falle erreichen die Stromesschwankungen innerhalb 
des Organs nur an den Orten, welche die Verbiudungslinie zwi- 
schen den Elektroden bilden, denjenigen Werth, welcher zur 
Reizung genügt, alle übrigen Punkte werden zwar mit davon 
betroffen, die dort passirenden Stromescurven reichen aber nicht 
aus um Zuckung auszulösen. Der Muskel kann also ganz par- 
tiell gereizt werden. 

Zur Abstufung der Stromesstärke bediente ich mich der Ver- 
schiebung der secundären Rolle des Schlitten-Magnetelektromotors 
von du Bois-Reymond, im Falle die Reizung statt durch 
Inductionsschläge durch Schlielsung und Öffnung einer constan- 

_ ten Kette geschah, des zur Nebenschlielsung angeordneten Neu- 
mann’schen Rheochords. 

Beim Aufsetzen der um 3”” von einander entfernten durch 
zwei Platinspitzen gebildeten Elektroden zuckt jedes Mal nur das- 
jenige Muskelbündel, welches direct gereizt wurde, wenn die die 

Spitzen verbindende grade Linie parallel der Faserrichtung des 
Muskels liegt, und wenn die eben hinreichende Stromesstärke 
zur Reizung verwendet wird. Eine Ausnahme von diesem Falle 

n tritt nur ein, wenn die Elektroden zu beiden Seiten des &intre- 

_ tenden Nervenstämmchens liegen, oder wenn sie auf einer auch 
_ anatomisch nachweisbaren primären Nervenröhre ruhen. Die 
 grolse Mehrzabl aller so erhaltenen Zuckungen ist fibrillär, die 
_ einzelnen Muskelbündel zucken aber stets in ihrer ganzen Länge. 
Für den Fall, dals die Linie zwischen den Elektroden den gan- 

zen Stamm ni Nerven schneidet, erstreckt sich häufig die 
 Zuckung auch über den ganzen Muskel, im Falle, wo sie dage- 
gen nur den Verlauf eines dem Hauptstamme entsprungenen 


398 Gesammtsitzung 


Astes betrifft, breitet sich die Zuckung nur auf eine beschränkte 
Zahl von Muskelfasern aus, welche freilich an sehr wechselnden 
Orten in der Breite des Muskels liegen können. Niemals aber 
ergreift die Zuckung unter diesen Umständen alle Primitivbün- 
del, so dals nie eine gleichmälsige Verkürzung des ganzen Sar-, 
torius eintritt. 

Schon bei dieser Anlegungsweise der Elektroden zeigt sich, 
dafs an manchen Stellen des Muskels ein überaus geringer Reiz 
genügt um Zuckung hervorzurufen, während häufig bei einer 

ganz geringen Verschiebung der Elektroden derselhe Reiz nicht 

mehr ausreicht, sondern erst bei einer ganz beträchtlichen Ver- 
mehrung der Stromesstärke derselbe Erfolg wieder beobachtet 
werden kann. Viel auffallender tritt dies hervor, wenn der Mus- 
kel so über die Elektroden gebrückt wird, dafs alle seine Fasern 
in senkrechter Richtung über die feinen parallel zu einander 
stehenden Platindrähte laufen, so dals man durch Verschieben 
des Muskels von der Nerveneintrittsstelle an bis zu dem oberen 
oder unteren Ende hin alle Punkte nach einander zur unmittelbar 
betroffenen Stelle macht. Nahe der geometrischen Mitte ist die 
Erregbarkeit am grölsten, etwas weiter nach oben hin muls be- 
reits die Stromesstärke um ein Geringes vermehrt werden, und 
bei grolsen Exemplaren zeigt sich dann schlielslich * bei einer 
4—5""” betragenden Entfernung von dem kurzen oberen sehnigen 
Ursprunge an eine so plötzliche Abnahme der Erregbarkeit, dafs 
eine beträchtliche Verlängerung des Neusilberdrahts am Rheo- 
chord, oder eine starke Verkürzung des Abstandes zwischen den 
beiden beweglichen Drabtrollen des Inductionsapparats nöthig 
wird, um von diesen Theilen des Muskels aus Contractionen zu 
erzeugen. 

Die plötzliche Abnahme der Erregbarkeit des Sartorius nach 
dem Ende zu ist nicht bedingt durch Veränderungen in der Gröfse 
des Muskelquerschnitts, sie findet in gleicher Weise statt an dem 
unteren spitzen Ansatze des Muskels, dessen geringerer Quer- 
schnitt bei gleichbleibender Stromesstärke das Umgekehrte be- 
wirken mufste. Auch an diesem Ende des Muskels muls die 
Stromstärke im Vergleich zur Mitte vermehrt werden, wenn 
Zuckung eintreten soll. 2 


vom 19. Mai 1859. 399 


Der Grund der erörterten Erscheinung liegt darin, dafs der 
Sartorius nur in beschränkter Weise mit Nerven versehen ist. 
Die Summe der intramuscularen Nerven bleibt in allen zwischen 
© der Mitte und den Endpunkten angelegten Querschnitten nicht 

dieselbe. Indem der Nerv vom Gerabrospinalcentrum nach der 
F Peripherie hin an Erregbarkeit abnimmt, wird dieser Umstand 

wieder ausgeglichen durch die Vermehrung der Angriffspunkte, 


welche dem Reize mittelst der zahlreichen Nerventheilungen dar- 
geboten werden, so dals die Erregbarkeit der Combination von 
Muskel und Nerv für eine gewisse von der Nerveneintrittsstelle 
nicht allzu entfernte Strecke nahezu dieselbe bleibt. Einige Mi- 
y limeter vor den beiden Enden des Muskels aber haben die Ner- 
 venfasern ihr Ziel erreicht, das überschüssige Stück der Muskel- 
Brniinint empfängt den Nervenreiz ausschlielslich von der 
Mitte näher liegenden Punkten, wo die Nerven in wirksamer 
Verbindung mit der contractilen Substanz verknüpft sind. 
Der Beweis für diese Anschauung wird dadurch geliefert, 
dals, bei der Wegnahme des Nerven aus dem Muskel, letzterer 
in allen seinen Theilen gleich erregbar wird. Während ein auf- 
steigender constanter Strom den Nerven des Sartorius hart vor 
seinem Übergange in den Muskel durchllielst, nimmt die Erreg- 
- barkeit desselben in allen Punkten, welche zwischen der Mitte 


3 und dem Ende liegen, in beträchtlichem Grade ab, ausgenommen 


v in den einige Millimeter vor dem Ansatze und dem Ursprunge 
gelegenen Orten, auf welche der Elektrotonus des Nerven nicht 


den mindesten Einfluls auszuüben vermag. Bei Vergleichung 
der angewendeten Stromstärken zeigt sich dann, dafs der Reiz; 
welcher nach der Nervenlähmung auch für die sonst erregbar- 
sten Theile angewendet werden muls, übereinkommt mit dem 
inimum des Reizes, welcher grade von der oberen nervenlosen 
Ursprungsportion des Sartorius aus Zuckung erzeugt. 

Ein fernerer Beweis für das Fehlen der Nerven in den End- 
tücken des Muskels liegt darin, dafs gewisse chemische Verbin- 
ngen, welche nur auf den Nerven erregend wirken, nicht aber 
f die Muskelsubstanz selbst, bei directer Application an den 
uskelquerschnitt nur dann Zuckungen erregen, wenn an der 
Stelle grade Nerven eingebettet liegen. So giebt ein Sartorius, 
- [1859.] 28 


400 Gesammtsitzung 


der mit seinem am oberen breiten Ende angelegten Querschnitt 
in concentrirtes Glycerin getaucht wird, niemals Zuckungen, 
selbst nicht nach stundenlanger Berührung. Benetzt aber das 
Glycerin einen wenige Millimeter tiefer angelegten Querschnitt, 
so treten nach kurzer Frist Zuckungen ein, welche zuletzt in 
vollständigen Tetanus übergehen, der, wie an einem anderen Orte 
nachgewiesen, ausschlielslich der Reizung intramuscularer Nerven 
seinen Ursprung verdankt, da er durch aufsteigend im Nerven- 
stamm flielsende galvanische Ströme beliebig zurückgehalten wer- 
den kann. 

Jeder Reiz, welcher von den beiden hart vor den End- 
punkten des Sartorius angelegten Querschnitten aus Zuckungen 
erzeugt, ist darum ein Muskelreiz; indem an diesen Orten nur 
die reine contractile Substanz ohne alle Nervenelemente dem 
reizenden Einflusse unterliegt, wenn dieser local auf den Quer- 
schnitt beschränkt werden kann. 

2) Der Sartorius des Frosches bietet ein vortreffliches 
Object zur Demonstration der centripetalen Leitung der mo- 
torischen Nervenfasern.. Da der Nerv in der Mitte dieses 
Muskels eintritt, und von dort nach beiden Enden hin Zweige 
abgiebt, welche sich der Art spalten, dafs ein und dieselbe Ner- 
venröhre in zwei oder noch mehrere Äste zerfällt, welche ihrer- 
seits ganz verschiedene Muskelprimitivbündel versorgen, so ist 
es ohne weiteres klar, dals die doppelsinnige Leitung sofort er- 
wiesen wäre, wenn es gelänge das peripherische Ende eines se- 
cundären Astes für sich allein zu reizen. Der Nerv mülste bis 
zur Theilungsstelle den Reiz eben aufwärts leiten, damit der- 
selbe von dort wieder abwärts nach dem Muskel fortgepflanzt 
werden könne. 

Da es unmöglich ist eine einzelne Nervenprimitivfaser me- 
chanisch zu isoliren, so muls der folgende Versuch, der auf das- 
selbe hinauskommt, genügen. Ein grolser Sartorius wird mit 
seiner unteren spitzen Sehne so befestigt, dals das obere breite 
Ende nach unten hängt. Das herabhängende Stück wird, in einer 
Ausdehnung von 6—7”" Einflüssen ausgesetzt, welche die con- 
tractile Substanz zerstören, den intramuscularen Nerven aber erst 
nach längerer Zeit vernichten. Es ist möglich, wenngleich sehr 
schwierig, durch vorsichtiges Erwärmen in Öl von 40° C. oder 


vom 19. Mai 1859. 401 


rch Eintauchen in Salzsäure von 0,1°/, oder durch eine Lö- 
sung von Schwefelcyankalium von 1°/,, auch selbst durch blo- 
fses destillirtes Wasser, diesen Zustand herzustellen. Ist der 
Muskel bis zu der bezeichneten Stelle abgetödtet und trägt man 
nun Millimeter um Mil!imeter mit der Scheere von unten her 
ab, so dals ein Querschnitt immer dem anderen nachfolgt, so er- 
eignet es sich bisweilen, dals durch den Schnitt der Muskel in’s 
Zucken geräth, so aber, dafs die Contraction nicht von der 
Schnittstelle, sondern von der darüber liegenden Gränze be- 
ginnt, wo die zerstörte Muskelsubstanz an das noch erregbar 
erhaltene Stück stölst. Bei der Abwesenheit aller Nerven- 
schlingen in diesen Partieen des Muskels, leidet es keinen Zwei- 
fel, dals die Erregung einzelne der secundären Nervenästchen 
traf, von welchen sie bis zur Theilungsstelle aufwärts und 
von da abwärts in einen anderen kürzeren secundären Ast ge- 
leitet wurde. Der einmal durch die Scheere blosgelegte Quer- 
schnitt kann noch zu einem zweiten Reizversuche dienen, wel- 
cher passend durch Benetzung mit concentrirter Kalilauge aus- 
geführt wird. Dals nicht die todte Muskelsubstanz den Reiz 
 fortpflanzte, erhellt daraus, dafs die so entstehenden Zuckungen 
nur fibrillär sind, und zweitens daraus, dafs chemische Reize, 
welche nur die Muskelsubstanz erregen, nicht aber die Nerven, 
wie Salzsäure in mälsiger Verdünnung oder Lösungen von 
schwefelsaurem Kupferoxyd u. d.m., unter diesen Umständen nie- 
mals Zuckungen hervorrufen. 
L Da der Versuch in dieser Form sehr selten gelingt, so habe 
_ ich einen anderen bereit, der fast nie ohne Erfolg angestellt 
wird. Der eben so hergerichtete Sartorius wird in der Längs- 
richtung von unten her 6—7”” weit durch einen in der Mitte 
‚angelegten Schnitt in zwei Zipfel gespalten. Der eine Zipfel 
wird auf eine feste Unterlage gelegt, während der andere da- 
‚neben senkrecht herabhängt. Wird von dem letzteren nun ein 
Stück nach dem anderen durch mit der Scheere geführte Schnitte 
abgetragen, so zuckt der Muskel so lange nur in der Hälfte, in 
welche der Schnitt gefallen, als man noch nicht zu einer Höhe 
von 4—5”" 
man man auf diese Querschnitte applicirt, wie HEl von 0,1°/, 
28* 


vorgedrungen ist. Alle chemischen Reize, welche 


402 Gesammisitzung 


verdünnte Kalilauge, Lösungen von Metallsalzen u. s. w. rufen genau 
dieselbe Erscheinung hervor. So wie aber die Schnitte die an- 
gegebene Grenze überschreiten, zucken fast jedes Mal einige in 
der anderen Hälfte des Muskels befindliche Primitivbündel mit, 
was man sehr schön an dem daneben ruhenden Zipfel beobach- 
ten kann. Der Beweis, dafs auch hier das Zucken in der an- 
deren Muskelhälfte durch erregte Nervenfasern zu Stande gekom- 
men, liegt darin, dals nur solche Körper, welche den Nerven 
erregen, das Resultat herbeiführen, während die reinen Muskel- 
reize wirkungslos bleiben. Der nämliche Umstand weist auch 
den Verdacht zurück, dals die Erregung nur zu Stande gekom- 
men, indem die direct gereizte zuckende Muskelhälfte durch ihre 
negative Stromesschwankung auf den intramuscularen Nerven 
erst weiter zum Centrum hin gewirkt habe, so wie die noch 
viel unwahrscheinlichere Vermuthung, dals die secundäre Strom- 
schwankung der direct gereizten zuckenden Muskelbündel die 
nebenliegenden Fasern der anderen Hälfte ohne Beihülfe der Ner- 
ven zum Zucken gebracht habe. 

Für das Gelingen des Versuches ist es gleichgültig ob die 
innere oder die äulsere Hälfte des Sartorius gereizt wird. 


Hr. Peters legte eine neue Gattung und eine neue 
Art von Fröschen aus Caräcas vor. 

Ranvz4 nov. gen. In Gestalt, Bau der Gliedmalsen, der 
Schwimmhäute, des Ohrs, der Zunge, des Brustbeins und der 
Sacralwirbel ganz mit Aana übereinstimmend, aber verschieden 
durch den Zahnbau; die Zähpe des Oberkiefers sind so schwach 
und wenig zahlreich, dafs man sie erst bei genauer Untersuchung 
findet und am Gaumen fehlen sie ganz. 

Ranula Gollmerii n. sp. Schnauze vorn abgestutzt; 
Körper glatt, ohne deutliche Längswülste, dagegen eine stark 
hervorragende Falte, welche vom Auge dicht am obern und hin- 
tern Rande des Trommelfells verlaufend vor dem Oberarm bis 
zur Brust herabsteigt.- Augenlid hinten quergefaltet; Trom- 
melfell halb so grofs wie das Auge, Finger frei, Zehen mit fast 
vollständigen Schwimmbäuten versehen. Unter den Gelenken 


vom 419. Mai 1859. 403 


der Finger und Zehen starke Knötchen und ein einziger unter 
dem Metatarsus (der ersten Zehe). Choanen kaum so grols wie 


Die Zunge ist verlängert und zeigt hinten zwei ebenso lange 
 Fortsätze wie bei den gewöhnlichen Fröschen. Farbe oben 


 zusanimenfliefsenden Flecken; der Schnauzenrand, ein Fleck hin- 
ter den Augen, dunklere Flecke auf dem Rücken, auf der vor- 


_ deren Extremität, Querbinden auf den hinteren Extremitäten und 
armorirung am hintern Theil der Oberschenkel von schwarzer 
Farbe. 
R Ganze Länge 0,050; der vordern Extremität 0,028; der 
hintern Extremität 0,080 M. 
j Rana affinis n. sp. Dieser Frosch unterscheidet sich 
von unserer Rana temporaria, mit welcher er durch die 
Form des Körpers, der Extremitäten, des einfachen Tuberkels 
am Hacken übereinstimmt, durch die Abwesenheit des Tempo- 
ralfleckes und der Lage der beiden kleinen Gruppen der Vo- 
merzähne, welche nicht hinter der Linie der Choanen, sondern 
in der Mitte von diesen liegen. Er. ist vielleicht nur als eine 
 locale Varietät desselben zu betrachten. 

Körperlänge 0,063; vordere Extremität 0,040; hintere Ex- 
tremität 0,105. 

Beide Frösche stammen aus Caräcas, wo sie von Hrn. 
Gollmer gesammelt sind. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


FörstemannyAltdeutsches Namenbuch. Band 2. Nordhausen 1859, 
4. (2 Ex.) 

- Gerhard, Denkmäler, Forschungen und Berichte Lieferung 41. Ber- 
lin 1859. 4. 

Zeitschrift für Mathematik. Band 56, Heft 4. Berlin 1859. 4. (3 Ex.) 

b Mittheilungen der k. k. Geographischen Gesellschaft. 3. Jahrg., Heft 1. 

Wien 1859. gr. 3. 

Bulletin de la societe geologique de France. "Tome 16, feuilles 15—23. 

f Paris 1859. 8. 

The American Journal of science and arts. Vol. 27, no. 80. New- 
Haven 1859. 8. 


404 Gesammtsitzung vom 26. Mai 1859. 


Linati et Caggiati, Aecherches erperimentales sur les effets du cou 
rant electrique appliqud au nerf grand-sympathique. Parme 1859. 8. 

Officielle Berichte über die letzten Reisen und den Tod von Adolf Schlag- 
intweit in Turkistan. (Berlin 1859.) 4. 


Für die Mitglieder der Akademie waren Exemplare eines 
Gedichtes eingegangen Honori et memoriae viri excellentissimi 
illustrissimi Alexandri de Humboldt rerum naturae qua latissime 
patet maximi et elegantissimi sacerdotis, unterzeichnet Dresdae. 
Aug. Guil. Hedenus, und wurden mit Dank in Empfang ge- 
nommen. 


26. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Weber las über die Yajrasüci (Diamantnadel) 
des Acvaghosha. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
den vorgelegt: 


Monumenta Zollerana. 5.Band. . Berlin 1859. 4. 

Gedenkwaardigheden uit de Geschiedenis van Gelderland, door J. A. 
Nijhoff. Deel VI, Stuk 1. Arnhem 1859. 4. Mit Rescript des 
vorgeordneten Ministeriums vom 23. Mai 1859. 

Annales des mines. Tome 14, Livr. 4. Paris 1858. 8. Mit Rescript 
des vorgeordneten Ministeriums vom 17. Mai 1859. 

Paul Laurent, Z£udes Pphysiologiques sur les animalcules des infusions 
vegetales. Tome II. Paris 1858. 4. 

Adolphe Pictet, Les origines indo-europeennes. Partie 1. Paris 
1859. gr. 8. 

Bericht über die erste allgemeine Versammlung von Berg- und Hütten- 
männern zu Wien. \Vien 1859. gr. 8. 

Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg. Heft 8. Inns- 
bruck 1859. 8. 

Annales de chemie et de physique. Serie III. Tome 45. Paris 1859. 8. 


Sitzung der phys.-math. Klasse vom 30. Mai 1859. 405 


_ The Quarterly Journal of the chemical Society. Vol. XII, Part 1. Lon- 
don 1859. 8. 
Ati dell’ I. R. Istituto lombardo di scienze. Vol.I. Fasc. 13. 14. Mi- 
lano 1859. 4, 


30. Mai. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Beyrich las über das Vorkommen der Gonia- 
titen bei Brilon. 


— NEN 


A ei RER 
MENRUETE 


brnch rn 


WIRIR DET „ish B17S 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat Juni 1859. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Trendelenburg. 


9, Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Parthey las über die iberische Halbinsel der 
alten Geographen. 


Hr. H. Rose berichtete über die Resultate einer Untersu- 
hung des Hrm Heintz „über die Einwirkung des 
Chloracetyls auf oxalsaure und bernsteinsaure Salze 
nd des Succinylchlorids auf essigsaure Salze, so wie 
über die Ätherbernsteinsäure und ihre Salze.” 

Durch dieselbe wird die Angabe von Gerhardt und 
hiozza bestätigt, dafs unter Umständen, wobei Doppelanhy- 
ride ein- und zweibasischer Säuren entstehen könnten, nur Ge- 
mische von den Anhydriden der ein- und zweibasischen Säuren 
zeugt werden. Chloracetyl und entwässertes neutrales oxal- 
aures Kali oder Bleioxyd liefern Chlormetall, Essigsäureanhydrid 
d ein Gemisch von Kohlensäure und Koblenoxydgas. In die- 
sem Falle wird also nicht Oxalsäureanhydrid gebildet, sondern 


408 Gesammtsitzung 


den Gase. Mischt man dagegen vollkommen trockne bernstein- | 
saure Baryterde mit Chloracetyl, so bildet sich unter schwacher 
Wärmeentwicklung Bernsteinsäure- und Essigsäureanhydrid. In 
beiden Fällen wurde keine die Radikale beider Säuren enthal- 
tende Verbindung beobachtet. — Läfst man Succinylchlorid, das 
durch Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf Bernsteinsäure- 
bydrat nach der von Gerhardt und Chiozza gegebenen Vor- 
schrift von Hrn. Heintz dargestellt worden ist, und an dem 
derselbe die Beobachtung machte, dals es bei einer Temperatur 
von etwa 0° zu schönen tafel- oder blätterförmigen Krystallen 
gesteht, auf essigsaure Salze wirken, so geschieht die Zersetzung | 
und Bildung des Chlormetalls unter so heftiger Action, dafs sich 
Essigsäurehydrat und ein brauner Körper bildet, welcher letztere 
offenbar unter Wasserabgabe an das Essigsäureanhydrid, das sich 
bilden sollte, aus dem Bernsteinsäureanhydrid, in das das Succi- 
nylchlorid hätte übergehen sollen, entstanden ist. Mildert man 
die Reaction dadurch, dals man das essigsaure Salz mit wasser- 
freiem Äther schüttelt, ehe man das Succinylchlorid hinzufügt, 
so bildet sich neben Essigsäureanhydrid Bernsteinsäureanhydrid, 
nicht aber ein Doppelanhydrid der Radikale beider Säuren. 

Bei der Untersuchung der Umsetzungsprodukte, welche bei 
diesen Operationen gebildet werden, hatte Hr. Heintz das Es- 
sigsäureanhydrid nebst einer geringen Menge des Bernsteinsäure- 
anhydrids durch absoluten Ather extrahirt, und den Rückstand 
mit absolutem Alkohol ausgekocht. Beim Eindunsten dieser Lö- 
sung im Wasserbade blieb eine syrupartige Flüssigkeit, die auch 
in der Kälte nicht fest wurde, in Wasser leicht löslich war, da- 
her weder aus Bernsteinsäurehydrat, noch aus Bernsteinsäure- 
äther bestehen konnte. Hr. Heintz hat darin die Ätherbern- 
steinsäure aufgefunden. Diese Säure bildet sich in der That, 
wenn Bernsteinsäureanhydrid mit absolutem Alkohol im Wasser- 
bade längere Zeit erhitzt wird. Zugleich aber entsteht in der 
Regel auch Bernsteinsäureäther. Aus diesem kann die Ather- 
bernsteinsäure oder vielmehr ein Derivat derselben auch darge- 
stellt werden. Wenn man ihn z. B. mit der äquivalenten Menge 
Barythydrat und Wasser im Wasserbade so lange erhitzt, bis 
alles Wasser verdunstet ist, so entsteht die ätherbernsteinsaure 
Baryterde. i 


vom 9. Juni 1859. 409 
- Zur Darstellung der Ätherbernsteinsäure und ihrer Salze 


dient folgende Methode. Man erhitzt das Bernsteinsäureanhydrid, 
das in genügender Reinheit am leichtesten auf die Weise ge- 
wonnen wird, dals man es in einer geräumigen Retorte bei so 
gelinder Hitze, dafs fast nur Wasser überdestillirt, so lange 
kocht, als noch reichliche Mengen Wasser übergehen und dann 
den Rückstand in einen trocknen Kolben bei stärkerer Hitze 
‚übertreibt, im Kolben mit absolutem Alkohol mehrere Stunden 
im Wasserbade bis nur noch wenig Alkohol rückständig ist. 
Die erhaltene Lösung wird mit Wasser gemischt, der sich etwa 
‚abscheidende Bernsteinsäureäther mehrmals mit Wasser geschüt- 
telt, und die wässrigen Lösungen mit Barythydrat schwach über- 
sättigt. Der Überschufs des letzteren wird durch Kohlensäure 
‚entfernt, die Flüssigkeit im Wasserbade zur Trockne gebracht 
und mit absoluteın Alkohol extrabirt. Zur Abscheidung der letz- 
ten Spur bernsteinsauren Baryts fügt man etwas Ather hinzu, 
filtrirt und fällt dann den ätherbernsteinsauren Baryt mit Äther. 
"Ganz auf dieselbe Weise können die Verbindungen der Äther- 
bernsteinsäure mit Kali, Natron, Kalkerde erzeugt werden. Man 
wendet dann zur Sättigung der rohen Säure kohlensaures Kali 
oder Natron oder Kalkhydrat an. 

Die übrigen Salze der Ätherbernsteinsäure, so wie diese 
"Säure selbst, stellt Hr. Heintz aus dem Barytsalze durch Zer- 
setzung seiner wässrigen Lösung mit der entsprechenden schwe- 
_felsauren Verbindangen dar. Bei der Darstellung der letzteren 
f Bird für einen Überschuls des Barytsalzes gesorgt, die nicht fil- 
‚trirte Flüssigkeit unter der Luftipumpe zur Trockne gebracht und 
mit Äther extrahirt. Beim Verdunsten des Äthers bleibt die 
iur rein zurück. Zur Darstellung der Salze dagegen aus dem 

Barytsalze wendet man einen geringen Überschuls des schwefel- 
een Salzes an, dampft die Mischung ein, und zieht den Rück- 

nd mit absolutem Alkohol unter Zusatz von etwas Äther aus. 
En arch Verdunsten der Lösung erhält man die Salze der Äther- 
_ bernsteinsäure rein. Das Silbersalz kann durch Fällung eines 
ätherbernsteinsauren Salzes, das man in Wasser gelöst hat, mit- 
telst salpetersauren Silberoxyds gewonnen werden. 

Die Ätherbernsteinsäure ist eine farblose, nicht grade sehr 

diekflüssige, syrupartige Flüssigkeit, die sich in Wasser, Alkohol 
| 29° 


410 Gesammtsitzung 


und Äther in jedem Verhältnifs löst. In der Hitze zersetzt sie 
sich nicht. Sie ist vielmehr destillirbar, ohne sich wesentlich zu 
zersetzen. Durch Destillation einer Mischung gleicher Äquiva- 
lente des Hydrats und des Äthers der Bernsteinsäure kann sie 
nicht dargestellt werden. 

Von den Salzen der Ätherbernsteinsäure ist das Silbersalz 
schwer in Wasser und Alkohol löslich und nicht krystallisirbar. 
Dagegen lösen sich das Natron-, Kali-, Talkerde-, Kalkerde-, 
Baryterde-, Manganoxydul-, Zink- und Kupferoxydsalz leicht so- 
wohl in Wasser, als in Alkohol auf. Einige sind zerfliefslich 
und nicht krystallisirbar, wie namentlich das Kali-, Talkerde-, 
Kalkerde- und Manganoxydulsalz, die endlich zu gummiartigen, 
farblosen, durchsichtigen Massen erhbärten. In freilich unbe- 
stimmbaren Krystallen kann das Natron-, Baryterde-, Zink- und 
Kupferoxydsalz erhalten werden. Ersteres schielst bei der Fäl- 
lung der Alkohallösung durch Äther in langen sehr zarten Na- 
deln, das zweite bei derselben Operation in rhombischen Tafeln 
oder flachen prismatischen Krystallen an. Beide können auch 
durch langsames Verdunsten der wässrigen Lösung in Krystalle 
verwandelt werden. Das Zink- und Kupferoxydsalz hat Hr. 
Heintz nur auf diesem Wege in Krystallen erhalten können. 

Die Zusammensetzung der genannten Salze der Ätherbern- 
steinsäure kann durch die Formel ee: O* ausgedrückt 


den er Sa GE ehrt also die Formel Cr ORAye 
wer en, r aure SeliDs ge uhrt also dıe orme CH} . 


Die untersuchten Salze fand Hr. Heintz alle wasserfrei. 

Dafs man bisher die Ätherbernsteinsäure noch nicht darge- 
stellt hat, beruht auf dem Umstande, dafs sie nur durch Einwir- 
kung des Anhydrids der Bernsteinsäure auf absoluten Alkohol 
entsteht. Wird Bernsteinsäurebydrat in absolutem Alkohol ge- 
löst und im Wasserbade verdunstet, so bleibt eine feste Masse 
zurück, die aus Bernsteinsäurehydrat. besteht. 


vom 9. Juni 1859. 411 


Hr. W. Peters legte eine neue von Hrn. Jagor im at-. 
lantischen Meere gefangene Art der Gattung Leptocephalus 
vor und fügte Mittheilungen über einige andere neue Fi- 
sche des zoologischen Museums hinzu. 

41. Leptocephalus acutirostris n. sp. 

Körper zusammengedrückt, seine Höhe zur Länge wie 1:15. 
Der Kopf hat eine zugespitzte Schnauze. Das Oberkieferende 
ragt ein wenig hackenförmig nach unten gekrümmt über den 
Unterkiefer hervor. Das Auge liegt ein wenig weiter von der 
Schnauzenspitze als von der Kiemenöffnung entfernt hinter 
und über dem Mundwinkel. Die Kiefer tragen sowohl oben 
wie unten jederseits etwa 12 lange, grade, getrennt stehende 
Zähne. Das hintere Nasenloch liegt etwa um einen halben Durch- 
messer des Auges vor demselben. Die Rückenflosse ist um den 
vierten Theil länger als die Afterflosse; die Schwanzflosse nur 
4% Mm. lang und die sehr kleinen Brustflossen liegen unmittel- 
bar hinter den ziemlich breiten Kiemenöffnungen. — Der im 
| Übrigen farblose Körper zeigt eine schwarz punctirte Linie 
längs des Bauches und längs der Rückenflosse. 

Totallänge 0,198; Kopf 0,0066; Schnauze 0,003; Auge 
0,0012; Körperhöhe 0,013; Entfernung vom After bis zum 
- Schwanzende 0,023; Länge der Rückenflosse 0,029; Afterflosse 
0,022; Schwanzflösse 0,0012. 

4 Exemplare von Hrn. F. Jagor im atlantischen Meer ge- 
fangen. 

2. Scopelus Jagorii.n. sp. 

Körperhöhe zur Länge (ohne die Schwanzflosse) wie 1:5; die 
Länge des Kopfes ist etwas grölser als dieKörperhöhe. Augen mälsig 
grols, °, ihres Durchmessers von der Schnauzenspitze, 2—2% dessel- 
ben von dem hintern Rande des Kiemendeckels entfernt. Bauchflossen 
liegen in der Mitte zwischen dem Kiemendeckel und dem Anfange der 
ersten Rückenflosse. Diese letztere ist so lang wie die -Entfer- 
nung des Auges vom hinteren Rande des Kiemendeckels und über- 
ragt mit dem Ende den Anfang der 1% Mal längeren After- 
fosse. Die strahlenlose Fettflosse steht um mehr als die Länge 
ihrer Basis vor dem Ende der Afterflosse. Der After liegt um einen 
Augendurchmesser vor der Mitte des Körpers. Die grofsen 
Schuppen, deren 37 bis 38 in der Seitenlinie liegen, sind cy- 


412 Gesammtsitzung vom 9. Juni 1859. 


cloidisch; die Schuppen des Schwanzes sind kleiner. Farbe und 
Zeichnung wie bei anderen Arten. 

D. 10 (11). A. 20 (22). 

Im atlantischen Ocean unter dem 19° 10 N. B., 25° 22 W.L., 
26° 6 N. Br., 24° 7 W.L. und 22° 4S. Br., 23° 50 W. L. Gr. 
von Hrn. Jagor gefangen. 13 

3. Lutodira (Chanos) elongata n.sp. 

Körperhöhe zur Totallänge (mit der Schwanzflosse) wie 
1:5%; der Kopf %, länger als die Höhe des Körpers. In der 
Seitenlinie 90 Schuppen; 11 Reihen über und 13 unter dersel- 
ben. Farbe silberig. 


= 
BAT TE VAT: AZ ENT 
7 


Auf den Sandwichinseln von Deppe gesammelt. 

4. Sicyases fasciatus n. Sp- 

Kopf und Körper abwechselnd dunkelgrün und gelblich 
quergebändert. BRückenflosse über der Afterflosse und mit ihrem 
Anfange diese vorn überragend, um die Länge ihrer Basis von 
der Schwanzfllosse entfernt. Die grölsten Exemplare sind 50 
Millimeter lang. 

9,7: 8,0: 

Aus Puerto Gabello von Appun. 

9. Cotylis nigripinnis.n. sp. 

Naslöcher, Mund, Zähne, Kiemendeckelstachel, Flossenstrah- 
len wie bei C. Szannii, aber Rückenflosse länger. Oben 
hellbraun, mit der Lupe betrachtet, mit schwarzen Punkten 
besät, Rücken-, After- und Schwanzflosse schwarz. | 

P222.D.,411.7 A356, 

Ebendaher. 

6. Poecilia reticulata n. sp. 

Grünlichgelb mit einem schwarzen Netzwerk, dessen Ma- 
schen den Rändern der Schuppen parallel liegen, am Bauche sil- 
brig. Schuppen in 7 Längs- und in 27 Querreihen; obwohl 
einige derselben durchbohrt erscheinen, ist doch keine deutliche 
Seitenlinie zu sehen. Ganze Länge 39, Höhe 9, Länge des 
Kopfes 7 Millimeter. 

D. 8. A. 10. 

Caracas; in dem Guayre-Flusse von Gollmer gesammelt. 


Sitzung der philos.-hist. Klasse vom 20. Juni 1859. 413 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Verhandlungen der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien. 
8. Band. Wien 1858. 8. 

Verhandlungen der physik.-med. Gesellschaft in Würzburg. 9. Band. 
Heft 2. 3. Würzburg 1859. 8. 

Neues Lausitzisches Magazin. Band 35. Görlitz 1859. 8. 

Neues Jahrbuch für Pharmacie. 9. Band. Speyer 1858. 8. 

Alti dell’ imp. regio Istituto veneto di scienze. Tomo IV, Disp.'6. Ve- 
nezia 1859. 8, 

Annali dell’ Instituto di Corrispondenza archeologica. Vol. 30. Roma 
1858. 8. 

Bulletino dell’ Instituto di corrispondenza archeologica. Roma 1858. 8. 

Monumenti inediti. Vol. VI, Fasc. 2. Roma 1858. folio. 

Bulletin de la societe geologique de France. Tome XV, feuilles 43—51. 
Paris 1859. 8. 

Revue archeologique. 16m annee, Livr. 1.2. Paris 1859. 8. 

Proceedings of the Massachusetts historical Society in respect to the Me- 
mory of W. H. Prescott. Boston 1859. 8, 


20. Juni. Sitzung der philosophisch-hi- 
storischen Klasse. 


Hr. J. Grimm las über die göttin Freia. 

Kaum sonst in unserer heimischen mythologie, deren bröckel- 
hafte überlieferung genug dunkelheit und rätsel darbietet, ist 

‚ etwas schwieriger und seltsamer, als das auftreten zweier göt- 
tinnen, ‘die ähnlich klingende namen tragen, beide fast gleich 
grosze gewalt besitzen und dennoch verschiedne verhältisse kund 
zu geben scheinen. in der edda und bei den altnordischen dich- 
tern sind sie als Frigg und Freyja aufgeführt, in andern näher 
deutschen sagen heiszen sie Fricke, Frea und Fraue, um leisere 
abweichungen, auf die es minder ankommt, hier vorbei zu lassen. 
auch gehe ich jetzt nicht auf die etymologie dieser namen ein, 
die ich bereits anderweit behandelt habe. 

Frigg ist nun Odins gemahlin, die sich mit ihm in die her- 
schaft theilt und neben ihm den sitz hat, die geehrteste aller 
göllinnen. sie steht ihm gegenüber ungefähr wie Here dem 
Zeus, im Grimnismäl wählen sich beide, er und sie, ihre eignen 


414 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


schützlinge, auf die sie von Hlidscialf herab niederschauen und 
deren geschicke eben darum einen ganz verschiednen ausgang 
nehmen. Paulus Diaconus, indem er eine andere fabel erzählt, 
nennt die göttin Frea und ausdrücklich Wodans ehefrau, die als 
wiederum beide durch das himmelsfenster ihren blick auf die 
erde richten, listig mit verschiebung des betts von seiner stelle'), 
den Langobarden, ihren günstlingen den sieg zuzuwenden ver- 
steht. Freyja hingegen, die schönste der göttinnen, nach der 
wir bis auf heute den freitag, ahd. Friatac benennen und womit 
dies Veneris verdeutscht wurde, hätte eigentlich in hochdeut- 
scher mundart Frouwä, in gothischer Fraujö zu lauten, wie der 
Merseburger segenspruch wirklich Früä gewährt, aber auch ags. 
wurde derselbe tag Frigedäg ausgesprochen. sie ist schon dem 
worte nach liebesgöttin, von frijön, skr. pri amare und ihr ent- 
spricht der sl. name Prija. Freyr, ihr bruder, ist ihr in namen 
und macht gleich, er würde auf gothisch Frauja geheiszen haben 
und dieser ausdruck dauert als appellativum für den höchsten, 
göttlichen herrn, gerade wie ahd. Fröho, Frö, ags. Freä, wo- 
runter sich die heiden einen ihrer hehrsten götter dachten. 

Aus mehr denn einer stelle erhellt, dasz Frigg und Freyja 
als verschiedne göttliche wesen aufgefaszt wurden, Snorri, alle 
asinnen aufzählend, nennt Frigg als die erste, Freyja als die 
sechste; im Oegisdreckalied erhebt sich Frigg und nach ihr Freyja 
gegen Loki; zu Balders feierlichem leichenbrand kam Frigg mit 
Odin gefahren und dann Freyja auf ihrem besonderen wagen. 
Friggs wohnung hiesz Fensalir, Freyjas aber Folkvangr. 

Wenn aus diesem allem und noch aus andern zügen die 
verschiedenheit beider göttinnen satisam hervorleuchtet und es 
nothwendig erscheint, sie gesondert zu lassen, so vereinigen sich 
doch andere bedeutende umstände zu der ansicht, dasz ihnen 
ursprünglich nur eine und dieselbe gestalt unterliege. 

Vor allem ist nicht zu übersehen, da sich sonst das ge- 
schwisterpaar Freyr und Freyja, ungefähr wie Liber und Libera 
parallel laufen, dasz nicht auch der Frigg ein gleichnamiger 
männlicher gott zur seite steht. allerdings nennt uns Adam von 
Bremen einen solchen Fricco, der jedoch nichts anders sein kann 


*) Haupts zeitschrift 5, 2. 


vom 20. Juni 1859. 415 


‚als Frö oder Freyr selbst. ist demnach Fricco nur dialectische 
abweichung des namens Freyr, so wird auch Frigg gleichbedeu- 
tig scheinen mit Freyja, und die vermutung drängt sich auf, dasz 
namen und mythen lediglich nach zeit oder ort von einander 
gewichen seien. e 

Sehr auffallen musz es, dasz nach Grimnismäl 14 Odin sich 
mit Freyja in die gefallnen helden theilt, d. h. sie zu sich auf- 
nimmt, da es doch beinahe nothwendig wäre, dasz er dies zei- 
chen seiner macht zusammen mit seiner gemahlin Frigg ausübte. 
auch sagt man von sterbenden kriegern, dasz sie zu abend bei 
Odin oder bei Freyja gasten werden, niemals heiszt es bei Frigg, 
so dasz augenscheinlich Freyja es ist, der die rolle einer genos- 
sin Odins angewiesen war. 

Weiter, Frigg wird genannt Fiörgyns mar, tochter des 
Fiörgyn, eines alten naturgottes, der, wie sein name zu erken- 
nen gibt, die erde vorstellte; es ist vollkommen angemessen die 
göttermutter als erdgeborne zu fassen. Freyr und Freyja hin- 
gegen sind kinder des Niördr, den wir wiederum unserer Ner- 
thus, als terra mater, die auf altnordisch ebenfalls Fiörgyn hiesz, 
gleichstellen dürfen. beide Frigg und Freyja haben augen- 
scheinlich einen identischen vater, wie sollten sie nicht selbst 
identisch sein? 

Hierzu gesellt sich aber noch ein umstand, dem viel ab- 
geht, um gehörig ins licht zu treten. man weisz dasz ein un- 
terschied zwischen Asen und Vanen galt, zwei göttlichen stäm- 
men, die sich anfangs befeindeten, zuletzt aussöhnten und einig- 
ten. war vielleicht Frigg die asische, Freyja die vanische be- 
nennung einer ähnlichen göltin? es folgte daraus von selbst, 
dasz beiden, Asen und Vanen, auch eigenthümliche mythen von ihr 
zugestanden haben können. die sitze der Vanen sind schwer zu er- 
mitteln, doch sie müssen rückwärts der Asen, tiefer im Osten oder 
Südosten angenommen werden, die Asen hatten sich bereits west- 
lich fortbewegt. dürfte man den Gothen und andern im ver- 
folg hochdeutschen stämmmen vanischen cultus, den Niederdeut- 
schen und Scandinaven asischen beimessen? hier schlägt etwas 
anderes ein, worauf ich gewicht lege. Freyja führte auf ihren 
weiten zügen durch die welt, von denen ich gleich nachher 
reden werde, manigfache namen, unter andern auch den von 


416 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Vanadis, worin eine merkwürdige berührung mit der aus nach- 
richten der Griechen und Römer bekannten thrakischen Bendis 
vorbricht; dieser gegenstand will ausführlich besprochen sein, 
was ich mir auf ein andermal vorbehalte. hat jene verbreitung 
vanischer elemente irgend grund, so würde sich begreifen, warum 
bei Paulus Diaconus Frea, in noch lebenden niederdentschen 
volksagen aber frau Fricke und bei Adam von Bremen Fricco 
vorkommen, unter den Gothen blieb franja, wie schon gesagt, 
geläufige benennung des göttlichen herrn, selbst noch des christ- 
lichen, im östlichen Scandinavien sehen wir bei Schweden und 
Gothen Frö vorragen, während in Norwegen und Dänemark 
Thor und Odin überwogen; auch bei uns Hochdeutschen läszt 
die Straszburger formel den Frö dem Läzakere d. ı. Kerans = 
Ansker = speergott Wuotan voranstehen. 

Wir schreiten zu einem bedeutenderen, eingreifenderen ver- 
hältnis, das der entfalteten ansicht noch mehr vorschub leistet. 
oben wurde davon ausgegangen, dasz Frigg als Odins gemahlin 
erscheint, in den altnordischen sagen ist aber verschiedentlich 
und auf abweichende weise berichtet, dasz sie ihm untreue er- 
wies. Snorri in Ynglingasaga cap. 3 meldet, während Odins 
langer abwesenheit in fernen ländern sei das reich durch V& und 
Vilir, seine beiden brüder verwaltet worden und als man an 
seine rückkehr nicht mehr geglaubt habe, auch Frigg in den be- 
sitz der brüder übergegangen. bald darauf sei jedoch Odin heim 
gekommen und habe sich auch seiner Frau wieder bemächtigt. 
weniger schonend erzählt Saxo, unter dessen hand die alten my- 
then sich bereits vergröberten, aus dem Norden sei eine goldne 
bildseule Odins nach Byzanz übersandt worden, diesem bild aber 
habe Frigg durch schmiede das gold, um es für ihren schmuck 
zu verwenden, abziehen lassen und sich nachher einem ihrer 
vertrauten, dessen list jenes bild zerstört hatte, hingegeben. 
Odin, über seiner gemahlin treulosigkeit zürnend, sei auszer landes 
gewandert und habe sich den augen seines volkes eine zeitlang 
entzogen. hier also tritt Odin erst nach dem unfall seine reise 
an, während sie bei Snorri schon voraus eingetreten ist und erst der 
anlasz wird, dasz sich seine frau von ihm abwendet. in vielen 
anderen mythen ist Odin characteristisch als ein wandernder, zu den 
völkern kommender gott dargestellt. 


vom 20. Juni 1859. 417 


k* Weit genauer und ausführlicher lautet aber eine in Olafs 
_ Tryggvasons sage eingeschaltete nachricht von dem kostbaren 
schmuck Brisingamen, wobei alsogleich auffällt, dasz dem Odin 
nicht Frigg seine gemahlin, sondern Freyja als geliebte oder 
friedel, fridla zur seite steht. Freyja war die schönste aller wei- 


ber und wurde von Odin innig geliebt. eines tags war nun 


oO 
Freyja zu der thür eines unfern dem königshofe gelegnen fel- 
sens gekommen, in welchem kunstreich schmiedende zwerge 
hausten, in welchen leicht Saxos schmiede wieder zu erkennen 
sind. sie sah wie diese ein kostbares goldhalsband gefertigt hat- 
ten, das ihr in die augen stach. sie bot ihnen gold, silber und 
andere schätze dafür, welches die vier zwerge zwar ausschlugen, 
sich aber bereit erklärten ihr geschmeide abzutreten, wenn die 
Echöne frau bei jedem von ihnen, der reihe nach, eine nacht 
zubringen wolle. was sollte Freyja thun? ihr sinn war auf das 
kleinod versessen, sie willigte ein und als vier nächte verstri- 
chen waren, befand es sich in ihren händen. in den mythen 
aller völker ist die liebesgöttin leichifertig und wie Freyja mit 
- schmiedenden zwerge zu schaffen hat, war ja Aphrodite einem 
 schmiede vermählt. 

An Odins hof war ein über alle andere menschen. verschla- 
 gener, listiger mann, der in nordischer sage unter dem namen 
"Loki bekannt ist, und böses zu stiften die gröszte lust hatte. 

dieser brachte bald heraus, dasz Freyja das köstliche halsband 
erworben und was sie dafür gegeben hatte; er offenbarte alles 
dem Odin und erhielt von ihm den befehl, sich um jeden 
preis des halsbandes zu bemächtigen, und ihm nicht unter die 
augen zu kommen, bevor er den auftrag vollführt habe. die sache 
war nicht leicht, denn Freyja wohnte in einem schönen, fest 
_ verwahrten gemach, in das niemand, sobald die tbür verschlos- 
sen war, ohne ihren willen dringen konnte. Loki nahte sich 
b% der kammer, fand sie geschlossen und wuste nicht, wie er hin- 
ein kommen sollte. es war kaltes wetter und er begann zu 
Eiern; er verwandelte sich in eine fliege, flog an alle schlösser 
der kammer und fand nirgends ein loch; endlich spürte er einen 
engen risz aus, in den man knapp eine borste wie in ein nadel- 
öhr stechen mochte, darein schmiegte er sich und schlüpfte ins 
gemach. er schaute spähend um und sah, wie alles schlief, 


418 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Freyja mit dem band um ihren hals geschlungen im bette lag; 
da nahm er die gestalt eines Aohes an, setzte sich auf Freyjas 
wange und hackte ein, dasz sie erwachte, sich umdrehte und 
wieder einschlief. nun verwandelte sich Loki in seine natür- 
liche gestalt, löste der schlafenden das halsband ab, schlosz von 
innen die kammerthür auf, entkam mit seinem raub und trug ihn 
zu Odin. als Freyja frühmorgens aufwachte, die thür offen ste- 
hen und das gute halsband entwendet sah, errietli sie leicht, 
was geschehen war, gieng zu Odin und klagte über den dieb- 
stal. unter welchen bedingungen der könig es ihr zurückzuge- 
ben und mit ihr zu versöhnen sich bereit erklärte, berührt nicht 
meinen gegenwärtigen gesichtspunct, es müssen darüber, wie 
Fre,ja das ihr unentbehrliche, von Loki geraubte halsband wie- 
der erlangte, abweichende, groszentheils verlorne sagen umge- 
gangen sein, denn aus einer stelle in Skaldskaparmäl läszt sich 
entnehmen, dasz Heimdall mit Loki um das kleinod stritt und 
davon den beinamen menszkir, recuperator monilis, führte. wir 
erraten gar nicht mehr auf welchen grund hin Heimdall sich in 
den handel einzumengen berufen war. von einer freiwilligen 
verbannung und reise Odins ist hier nicht die mindeste spur. 

Wer verkennt, dasz in diesem bedeutsamen mythus Freyja 
vollkommen identisch erscheint mit Frigg in den vorausgehenden 
dürfligeren erzählungen? zwischen gemahlin und friedel tritt 
kein wesentlicher unterschied ein; man möchte wiederum an- 
nehmen, dasz auch hier die asische Frigg und vanische Freyja, 
die Vanadis, Vanagod einander vertreten. 

Damit nicht genug. Snorri wuste und meldet sowol in 
Gylfaginning cap. 35 als kürzer in Ynglinga saga cap. 13, dasz 
Freyja einen gemahl namens Odr hatte und mit ihm Hnoss und 
Gersemi zeugte, dasz er aber weit weg in fremde länder wan- 
derte, Freyja in thränen zerflosz und goldne zähren weinte, sie 
zog ihm nach um ihn aufzusuchen und führte unter unbekann- 
ten völkern mancherlei namen, die die edda nennt. das gold 
heiszt der dichter Freyjas weinen oder thräne. in dieser fabel 
ist von Odin gar keine rede, so wenig als von Frigg in der 
vorhin mitgetheilten, es wird verschwiegen, warum Odr frau und 
kinder verlassen und sich verbannt habe, eine vermeinte oder 
wirkliche untreue seiner frau musz die ursache gewesen sein; 


wi 
Y 
Ha 


vom 20. Juni 1859. 419 


"man sieht klar, dasz Friggs treulosigkeit und Odins exil zusam- 
menfallen mit dem, was hier von Freyja und Odr erzählt und 
durch den begütigenden zusatz ergänzt ist, dasz die vermuthlich 
untreu geglaubte gattin ihrem heiszgeliebten gemahl in den bann 
nachzieht, wie in den märchen geliebte ihren liebhaber unermüd- 
lich in der ferne aufsuchen. darf man nicht folgern, wenn Odr 
ein und derselbe ist mit Odin, dasz wiederum die Vanen den 
Odin einfacher Od nannten? 

Bisher habe ich fast lauter altnordische überlieferungen an- 
geführt und daraus einige gesichtspuncte zu leiten getrachtet, 
unter welchen sich bisher gangbare vorstellungen ändern und 
erweitern. nach deutschen, in unsrer heimat geborgenen götter- 
mythen hat bis noch nicht lange her niemand gefragt. seit man 
aufınerksam geworden ist, sind plötzlich, in lebendiger volkssage und 
in abergläubischen segensformeln, unleugbare spuren des heidni- 
schen Wuotancultus aufgetaucht, die bei unsern dem alterthum viel 
_ näheren dichtern des mittelalters zugescharrt liegen, nur in dem ein- 
zigen göttlichen Wunsch liesz sich ein gott wiedererkennen, wie der 
einäugige, breithutige manteltrüger selbst den eingang des alten 
Ludwigliedes noch erklären helfen musz. es scheint merkwür- 

dig, dasz bei Alemannen und Burgunden Wut für Wutan ge- 

braucht wurde und dasz Wuotans wilde jagd in Schwaben nicht 
anders als Wutesjagd heiszt; ich finde in den so eben herausge- 
kommnen mythen des volks in Österreich von Vernaleken s. 24, 
dasz man einen tölpel, der den hut tief in die stirne drückt, 
mit dem zurufe Wut! neckt. dies Wut statt Wutan entspricht 
genau dem eben behandelten Od statt Odin, denn das r in Odr 
drückt blosz den männlichen nominativ aus. 

Allein diese wahrnehmung will wenig gelten gegenüber einer 
bedeutsamen in Schönwerths reicher und werthvoller sammlung 2, 
312 —314 aufgezeichneten oberpfälzischen sage von Woud und 
Freid. das nördliche Deutschland weisz mancherlei zu erzählen 
von frau Fricke oder frau Frecke, der göttermutter, stellt sie 
‚doch nirgend als Wodens gemahlin auf. 

Es war einmal ein herscherpaar mit groszem gebiete, in der 
zauberkunst wol erfahren, selbst die elemente waren ihnen un- 
terthan. er hiesz Woud, sie Freid. der könig war ein gewal- 
tiger mann mit langem wallenden barte, sein auge so feurig 


420 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


blitzend, dasz menschen welche hinein blickten, darob erblinde- 
ten. gewöhnlich gieng er nackt, nur an der hüfte bekleidet, 
gehalten wurde das hüftkleid durch einen endlosen gürtel, an 
diesen gürtel war die herschergewalt gebunden: so lang er ihn 
trägt, herscht er, entwendet werden kann er ihm nicht, denn 
hüften und schulter sind so breit, dasz der gürtel sich nicht ab-, 
ziehen läszt. so oft Woud zum herschen gieng, hieng er einen 
mantel um, der ihn ganz einhüllte. 

Seine gemahlin war das schönste frauenbild, sie trug ein 
hüftenkleid gleich ihrem galten, aber die haare so reich und | 
lang, dasz sie sich darin ganz verhüllen konnte. Freid trank nur | 
wasser aus der quelle, Woud eine art wein. wenn sie sich 
bückte über der quelle, um mit der holen hand wasser zu schö- 
pfen, erglänzte ihr haar wie die sonne und ihr arm wie schnee. 

Sie wurde eifersüchtig, sie fürchtete dem feurigen gatten 
nicht zu genügen, in ihrer leidenschaft gieng sie zu kunstreichen 
zwergen. diese arbeiteten ihr einen halsgürtel, der die kraft 
hatte, dasz wer ihn trug alle herzen bezauberte und den gelieb- 
ten nie in seiner treue wanken liesz. duch muste sie sich den 
zwergen zum lohne ergeben. 

Mit dem schmucke angethan fesselte sie den gatten in liebe, 
bis er erfuhr um welchen preis sie das halsband erlangt hatte. 
da entwich er von ihr. als Freid am morgen im belte er- 
wachte, streckte sie die hand aus nach dem gatten. Woud war 
nicht da, sie fuhr mit der hand an den hals, das geschmeide 
fehlte. namenlos unglücklich machte sie der verlust des schmuckes 
erst recht in liebe zu Woud entbrennen. sie eilte dem flüch- 
tigen nach in viele länder lange jahre. wenn sie abends ermü- 
det von der fahrt sich niedersetzte, weinte sie in ihren schosz 
und jede thräne ward zu einer perle. 

Endlich als die zeit um war, traf Freid den Woud, klagte 
ihm ihr leid und wies auf die um ihn geweinten perlen, und er 
zählte die perlen und ihrer waren gerade so viel, als der stern- 
chen im halsgeschmeide. da ward er erweicht und reichte ihr 
zur versöhnung den schmuck. weit sei er umgewandert, aber 
keine habe er gefunden ihr gleich an schönheit, so habe er ihr 
die treue bewahrt. 


vom 20. Juni 1859 421 


Neulich besprach ich das vier göttinnen und den einäugigen 
herrn, d. i. Wuotan nennende schlummerlied, auch der spruch 
von Balders verrenktem fohlen enthält vier namen von göttin- 
nen, drei von göltern. starken glauben an die möglichkeit 
treuer fortpflanzung uralter überlieferung begehrt auch die aus- 
‚gehobene sage. wer überall zweifel einträgt, sich von jeder 
combination abwendet, ausgenommen die trockne, dürre, wird 
hier nichts sehen als ein plagiat aus der edda mit absichtlich 
versteckenden änderungen. ich bat den herausgeber, den schon 
die grosze fülle und ganze art und weise seiner sammlung gegen 
verdacht schützt, um einige nähere angaben über die entnahme 
eines so belangreichen überbleibsels aus dem munde des volks. 
er schrieb mir: die sage von Woud und Freid habe ich von 
meiner frau, die aus Neuenhammer gebürtig ist. eine alte kinds- 
magd aus dem orte, welche 24 jahre lang die kinder im herren- 
hause aulzog, war eine fundgrube von märchen und sagen und 
konnte den aufgewegkten mädchen nicht genug erzählen. das 
treue gedächtnis meiner frau bürgt mir dafür, dasz ich nur 
"wahrheit erhielt, so wie die art meines forschens, da ich mich 
"hüte in die leute hinein zu examinieren. auch habe ich zu wei- 
terer beruhigung mir öfter nach längern zwischenräumen diese 
sage wiederholen lasseu, die erzählung blieb stets dieselbe. wol 
hatte sie manches vergessen, wie die länder, welche Freid durch- 
zogen und die abenteuer, die sie auf der wanderung durchlebt. 
doch war ich schon des kleinen bruchstückes froh, ob ich es 
‚ergänzen oder sonst noch vorfinden werde, weisz ich nicht, die 
gegend von Neuenhammer ist jungfräulicher boden. 
% Neuenhammer liegt in der bairischen Oberpfalz, unweit der 
"böhmischen grenze, in abgeschiedner, stiller gegend, eine angabe 
der länder, welche vor alters die wandernde göttin durchschrit- 
ten hätte, müste sich seltsam ausnehmen. Freids begier nach 
‚dem geschmeide und wie sie es von den zwergen erwarb, konnte 
"hervorstechen und in der sage haften. wer aus der edda ent- 
wendet hätte, würde schwerlich des Loki und seiner verwand- 
dung in fliege und floh entraten haben, das sind ‚züge, die ein- 
‚mal feststehend sich nicht verwischen, mythol. s. 951 sind schon 
ähnliche hinzugehalten. dasz Freids schönheit, wenn sie sich 
‚mit der hand wasser schöpfte, leuchtete, gemahnt an die eddi- 


422 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


sche Gerdr, von deren armen luft, land und wasser glänzte, als 
sie aus dem haus gieng, die thür öfnete und schlosz, bei wel- 
chem anblick Freyr sich heftig in sie verliebte. was von Freys 
geliebter gilt, lenkt sich hier auf seine schwester. wie einfach er- 
scheint die angabe des wassertrankes für die göttin, des methes 
für den gott, denn melh wird unter dem zu verstehen sein was 
“eine art weins' heiszt. 

Noch bedeutsamer klingt dieser göttlichen wesen nacktge- 
hen, gerade wie Tacitus alle Germanen unbekleidet (intecti) er- 
scheinen läszt: nec alius feminis quam viris habitus, nudae bra- 
chia ac lacertos, sed et proxima pars pectoris patet; so weit 
zurück in die alte tracht versteigt sich kein dichter des mittel- 
alters mehr. doch der weite mantel hüllt anständig den her- 
scher und dieser mantel war sogar Wuotans kennzeichen. die 
göttin wird in ihr schönes, langes haar gehüllt, ganz wie das 
nackte Marienkind. groszes gewicht liegt auf dem gürtel Wouds 
um seine hüfte, unverkennbar der nordischen megingiörd, wie 
sie die edda dem Thor beilegt, wodurch seine göttliche macht 
(äsmegin) um das doppelte wächst. dergleichen krafterhöhende 
gürtel begegnen auch sonst in den dichtungen, in einem nor- 
wegischen märchen sieht ein knabe ein blaues band am wege 
liegen, das er aufhebt; sobald er es umgürtet hat, steigt seine 
macht augenblicklich so, dasz er felsen heben und niederstürzen 
kann. gleicht dieser gürtel, an den Wouds herschermacht ge- 
bunden ist, nicht des Zeus goldner kelte (seı25 Xoureiy), woran 
sich gölter und göttinnen hängen könnten, ohne dasz sie ver- 
möchten sie vom himmel nieder zu ziehen, mit der aber Zeus 
alle andern gölter, erde und meer emporzöge? wir haben zu 
dem gürtel ein griechisches ebenbild gefunden, Freyjas Brisin- 
gamen entspricht noch deutlicher der HEITOs imas morzıRoc, iM 
dem Aphrodites liebreiz enthalten ist und dessen sie eben so 
wenig entbehrt als Freyja, die nordische liebesgöttin, des hals- 
bandes. wenn diesen gürtel Aphrodite einmal der Here lieh, so 
hätte er auch von Freyja übergehen mögen auf Frigg, wie hier 
Here und Aphrodite berühren sich Frigg und Freyja, die wir an- 
deremal ganz zusammen fallen sehen. Beachtenswerth scheint, 
was Stalder 2,515. 516 angibt, dasz die Schweizerinnen ihr 
gürtelband “die freude nennen, Freyja heiszt hier Freid und 


vom 20. Juni 1859. 423 


unser freude reicht unmittelbar an frau, wie das skr. pri amare 
und exhilarare ausdrückt. perlen und thränen sind eine allbe- 
kannte vorstellung und vergleichung, die edda setzt an die stelle 
der perlen gold, in den märchen werden rosen, edelsteine und 
perlen gelacht oder geweint. 

Genug gesagt ist, um den ungemeinen werth einer aus tie- 
fer vorzeit nachhallenden sage hervorzuheben und glaublich zu 
machen, dasz auch in ihr vanische bestandtheile im gegensatz 
zu den asischen an den tag treten. 


Hr. Bekker gab noch einige beispiele von wörtern die 
bei Homer ein e zu anfang bald haben bald nicht 
haben. 

Aristarch las 094 oios zeivov Suuss für Zxeivov, "Ieric. 
soll das heilsen “wie die Ionier sprechen” und nicht “darum weil 
die Ionier so sprechen”, so nehmen wir die o 212 wiederkeh- 
rende und durch fälle wie 2171 za: yag zeivw und E70 zer 
Yag zeivos gestützte lesart, als willkomne bestätigung des s. 259 
—60 nachgewiesenen vorrechts des spondeus auf die erste stelle, 
gern an, geben die übereilten änderungen 3 262 £ 272 und 
&491 auf, und enthalten uns ähnlicher, wie oft sie sich auch 
anbieten die versglieder inniger mit einander zu verbinden und 
dadurch dem allzu üppigen wuchern der dreitheiligen verse 
(8. 264) zu steuern: vgl. A 266, E 604 und 648, 1312, M 348, 
N 232, = 250, 0148, Y 858, 290, & 177 und 199, % 116, 
8152 519 731 739, 2 166, ı 456, » 437, ?429, #106 und 258, 
„418, E42 153 156 283, 0181 und 361, = 376, g 110 243 
921, # 201, » 313. solches anerbieten wird überdies schon da- 
durch bedenklich dafs es meist den amphibrachys einführt oder 
anhäuft (z.b. A 418 und » 90 ara W ixewe Marısre), denje- 
nigen wortfuls der mit seiner unruhigen beweglichkeit, seinem 
Kurzathmigen aufhüpfen und umknicken, von allen am wenigsten 
palst in das sranıuWrarov za Oyamdssrarov ruv Kergwv. auch 
die bukolische cäsur führt öfters die zweisylbige form herbei: 

neiven TE ME Aeivov avuyas o 346 
sUas zur zewa duragwv 2 593. 
[1859.] 30 


424 Sitzung der ‚philosopkisch-historischen Klasse b 


dagegen am: schluss des hexameters steht nicht allein, was 
kaum zu vermeiden war, audıs Exswun &352, Ev Ezswg y 103, 
alu izeww 8 183, ö5 rıs &zeivou E 163, 06 zev Ersivmu m 322, zig 
#ev treive yA13, oios &xeivos A 653, Y meg &xeivov 8.819, Erw. 
Erewos 1 63, avrıaseins Exeivw a 147, Vreögnsrüges ezeivav 0 330, 
sondern auch örror Zxsivau» 1646 und op av 2zei9ı (nicht 
Obow #e ze, wie doch £ 124 Opec ze zeivr). wonach kein 
zweifel bleibt dafs % 188 sich reuye Ezeivo: gehört für rsuyse 
#ewo, & 212 und 5 112 E12 Exeivos für Zus #Eivos, u 265 Ba 
Eustvos für dxryraro zeivos. Yuarı zevw (B 37 und 482, 3 324, 
® 518) und sinerı zeivouv E 501 macht die im gebrauch aller dative 
des singulars dritter declination begründete ausnahme. 
die adverbien zeiI%ı zeiss z:1:Sev kommen nur zu anfang oder 
mitten im verse vor, adverbien und pronomen zusammen ungeg 
fähr 170 mal zweisylbig auf 30 mal dreisylbig. 
Wie: 2zswos zu zeiwvos, so verhält sich EvegIev zu veoYev. 
Evep>ev, steht sicher im ausgang 
aymavos EvsoQev A 252 
Swanzos EusgDev A 234 
Sosigusev EvegQev 1385 
und auch wohl, aus gleichem grunde mit ?zeivos, mitten im 
verse 
raw 8 EvsgQe N 75 
1rorupes ws 0 EvegIe 5.274 | 
udboSer aurag EvegTe 21,7 N 
Teumavn" ader EvepIev ı 385, v 
muss aber in der zweiten stelle, nach einem trochäus, der zwei- 
sylbigen. form weichen ; 
ToFTou vg" ’Alden - © 16, R 
um übereinzusiimmen. mit 
0. zer vegSev ? 301 und j 
Pr 2 vegregar 0 225; cf. = 204. 
sonst findet sich v£gSe noch zu anfang (A 535, I 347, x 500) 
und in der bukolischen cäsur (H 212, A 282, N 78, X 452, 
v 392). 
Auch vor manchem digamma erwartet ein zu und ab tre- 
tendes e noch seine regelung. 


% 


vom 20. Juni 1859. 425 


© es ist in der ordnung dafs neben Fsis«ro auch ZFeiraro 
vorkömmt, jenes in der ersten und fünften stelle (B 791 und 
$283'); 781, 2319, « 283, v 352, r 283; in der vierten nur 
einmal, N 191), dies in der vierten (1645, & 320, e 398 und 
442, 284 und 343, 5 295, 489) und wieder einmal in der 
zweiten (z 149, wo indess F&s«ro unverwehrt ist): denn die 
dreisylbige form in der vierten stelle würde den vers meist um 
seine hauptcäsur bringen, 

mavr® rı uoı Zara Sumov Feisao nuSyrasIar 
oder 

yiyvorae WS vu mou Umıv Feiraro »Egdıov eivaı, 
die viersylbige in der fünften um die bukolische cäsur, 
S 7077 age Toü EreersgSev Erav mreg" ) de adbıv. 
wohl aber befremdet !sırausvos neben sisawsvos, zumal sidouevos 
niemals esıdousvog lautei. es steht aber Esıramevog 
#77, 1B 22: TO Mıv ZeiTeeevos moorechuves 
I 720, P 326 585, V 82: rw nw Zsıralsvog mgosehn 


Di >34.241: Th 8° ag Zeısdusvos Yaryoy,os 
und Zeisanevy “ 

Bl B'795: To mv Eeiseriesun 

“ F 389, g 24: TH mw Esırameon. 


"wird da nicht ein ursprüngliches Fers&evos und Ferrepzvn wahr- 
scheinlich, das den’ voraufgehenden trochäus durch position zum 
spondens machte, während ihn, wer vom digamma nichts wuste, 
meinte durch den an &ir«s und Zeizosı üblichen vorschlag zum 
| daktylus ergänzen zu müssen, gerade wie y 472 dieselbe unkent- 
mis oivov Evowoyoeüvrss setzte für Foivov Fowoycsüvres, und A 3 
ie Evwvoyger für owoycer (A 598 und o 141). wo der 
falsche schein nicht statt fand, haben wir Ferrauevos ungestört: 
Auisı Feısauses M716 P73 8213, irmw Fesausvos T 224, 
Zrzvrogı Fersautvn E 785. 

eizorı selber verlangt der vers 17 mal (auch = 249, wo 
das verkant ist), aber nicht v 158, sondern da genügt 


F 


 _*) eisar’ iuer bedeutet offenbar nicht BA p’ iuer sondern fingit iter, il 
‚ft semblant d’aller, muss also dıgammirt werden. wiewohl auch eiszro 
und tefsaro ging das digamma zu haben scheint A 138, E 538, O 415 
und 544, P 518, » 524, als verwandt mit via? 


30* 


426 Gesammtsitzung 


ai nv Feinorı Batvov. 
&ixo0ı wird geschützt durch die bukolische cäsur B 510 und 748, 
N 260, 8 212, 8 669, «209 und 241, #208. Zeıizorröv steht 
3 mal, aber £ 170 lesen wir lieber %Iı$ös Feizosrw, W 102 und 
170 &A9oı Feizoszo. Zsızosers ist nöthig 1379. Esrorogaro kömt 
1 mal vor, &eızos&ßov 2 mal, nicht ohne den vorschlag. 


23. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Weierstrals las über eine neue Behandlungs- 
weise des Rotations-Problems. 


Hr. Dove las über die kalten Tage im diesjähri- 
gen Mai. 

In den Abhandlungen der Akademie 1856 p. 121 habe ich 
in einer „die Rückfälle der“Kälte im Mai” überschriebenen Ar- 
beit die Temperaturverhältnisse der in Deutschland unter dem 
Namen der gestrengen Herren und in Frankreich als trois saints 
de glace bekannten Tage näher untersucht. Es hat sich daraus 
ergeben, dafs die Erscheinung auf das mittlere Europa beschränkt 
ist, und auf diese Weise von nördlichen nach südlichen Gegen- 
den fortrückt, dals im nördlichen Deutschland der Mamertus, 
Pancratius und Servatius der 11. 12. 13. Mai besonders  ge- 
fürchtet sind, während schon im südlichen Deutschland der Bo- 
nifacius (der 14. Mai) an die Stelle des Mamertus tritt. Die 
nähere Betrachtung einzelner Fälle zeigte, dals die Erscheinung 
genau sich darstelle wie zu andern Zeiten eintretende Anoma- 
lien, nämlich als Rückwirkung eines lokal kalten Gebietes auf 
ein daneben liegendes stärker erwärmtes und man nur deswegen 
auf dieses Beispiel ein besondres Gewicht gelegt habe, weil es 
in die Zeit der Blüthenentwickelung fallend vorzugsweise für die 
Vegetation verderblich werde. Wenn das Fortrücken der Ab- 
kühlung über die Oberfläche der Erde von vorn herein eine 
kosmische Ursache wie das Entziehen der Sonnenstrahlen durch 
zwischentretende Sternschnuppen ausschlielse, so könne für das- 


vom 23. Juni 1859. 427 


selbe ebenso wenig die von Schnurrer in den Krankheiten des 
Menschengeschlechts vom 12. Mai 1706 erwähnte Verdunkelung _ 
als Beweis angeführt werden, da eine durch den Mond hervor- 
gerufene totale Sonnenfinsternils in sich selbst den Grund der 
Verdunkelung enthalte. Die terrestrische Ursache in dem Eis- 
gang der Dwina zu suchen sei ebenso ungerechtfertigt, da dieser 
im Mittel auf den 14. Mai falle und die Wirkung doch unmög- 
lich der Ursache vorausgehen könne. Selbst aber, wenn der Eis- 
gang auf die kalten Tage im mehrjährigen Mittel falle, könne in ihm 
nicht die Ursache gesucht werden, da es hier nicht auf mittlere 
Werthe ankomme, sondern auf die Frage, ob in den Jahren, 
wo die Abkühlung hervortritt, eben dieses Zusammentreffen 
stattfinde, wovon grade üas Gegentheil sich ergebe. 
Nach einem Winter von ungewöhnlicher Milde, in welchem 
die fünftägigen Wärmemittel sich drei volle Monate hindurch in 
den nordöstlichen Theilen des preufsischen Staates über ihrem 
‚mittleren Werth erhielten, war die Temperaturerniedrigung in 
diesem Jahr in dem angegebenen Zeitraum besonders auffallend. 
Es schien mir daher nicht unangemessen, die Beobachtungen der 
‚Stationen des preulsischen meteorologischen Instituts und die 
mir telegraphisch zugehenden Daten zusammenzustellen, um zu 
‚prüfen, ob auch in diesem Falle sich das Fortrückeu der Ab- 
kühlung über die Oberfläche der Erde nachweisen lasse. Das 
Ergebnils dieser Untersuchung ist folgendes: 
4. Überall tritt die Abkühlung mit nördlichen und östlichen 
= Winden ein. 
E 2. Ina Schweden und im nördlichen Rufsland (Stockholm, Pe- 
tersburg, Moscau) und auf dem Plateau von Westpreulsen 
> (Schönberg, Conitz, Bromberg) ist die gröfste Kälte. am 
- Mamertus den 11. Mai. 
%3. In Curland, Ostpreufsen und Pommern (von Dorpat über 
 Memel, Tilsit, Königsberg, Cöslin, Posen bis Putbus auf 
Rügen) am Pancratius den 12. Mai. 
4. In Schlesien, der Mark, Sachsen bis zum Harz ist der käl- 
teste Tag der Servatius, der 13. Mai. 
. In Westphalen und am Rhein der 14. Mai, Bonifacius. 
6. In Frankreich, wo die Erscheinung sich sehr abschwächt, 
der 15. und 16. Mai. 


428 Gesammtsitzung 


7. In Spanien und Portugal ist sie überhaupt nicht ersichtlich. 
Die folgende Tafel enthält die Belege. Die in Reaumur- 
schen Graden ausgedrückte Temperaturen sind für die preulsischen 
Stationen Tagesmittel, für die übrigen die Beobachtung um 7 Uhr 
Morgens. 
Pan- Ser- Boni- 


ls | 9 | ı wa Pe 1.43, a. lıs | ı6 


Stockholm 4.16] 5.54| 4.80] 1.20) — 4.16] 544| 8.80) 8.88 
Petersburg 2.48| 2.32] 2.40| 1.44) 2.84| 4.24] 6.32 6.48 8.40 
Moskau 1.68) 232] 3.04, 5.04| 3.04) 6.00) 8.48) 9.84 10.00 
Dorpat 2.85] 4.65| 6.80 6.65| 4.65| 6.00| 8.55 10.35.13.25 
Memel 61 | 78 | 77156 | 40 | 9.5 | 9.1 [10.4 |13.9 
„ Tilsit 5.96] 8.20) 8.40 5.90| 5.06] 9.23| 9.33|10.40/13.33 
Arys 7.40| 950|11.50| 5.50| 3.87| 7.47| 7.8710.17'13.07 
Königsberg 7.30|10.22|11.20| 4.97) 3.97| 8.75| 8.75) 9.8513.92 
Hela 6.43| 7.76) 7.70) 473) 4.40| 5.90| 6.73] 8.03 10.70 
Schönberg 7.57| 983| 8.30|.3.23] 333) 5.70) 5.97| 8.00,13.60 
Conitz 9 2011.30 9.97 4.43] 4.90) 5.63) 6.7310.07|13.87 
Bromberg 10.80|11.73)12 13| 5.60) 5.63] 6.43 "al pen 14.70 
Posen 104 |11.3 |11.2 | 5.7 | 55 | 5.9 s 115 14.7 
Cöslin 10 03111.80| 7.67| 5.37, 4.80| 5.47 ash, 1315.23 
Colberg 8.90) 9.70) 7.57| 6.23] 5 40| 5.40 ER 9.531 11.47 
Regenwalde 109 |12.1|89|52 | 45 |52 10.5 |15.0 
Putbus 9.80| 7.90] 8.07| 6.43) 5.60| 5.97! 8.23 9.67) 8.33 
Neu-Brandenb, [12 23|11.60|10.33| 6.23) 5.33| 5.00| 8.20 10 9013.67 
Hinrichshagen |10 9710.83) 9 07| 5.33| 4.30| 3.90| 6.97 10.07|12.90 
Potsdam 11.0 |ı1.0 |11.8 | 65 | 635| 4.0 | 85 | 8.2 13,15 
Berlin 12.17112.43|12.17; 6 37| 6.20) 4.87| 7.37) 95713.30 
Frankfurt a. O. |11.23|11.47|10.73| 5.33 5 43| 5.40| 7.60. 9.93|13.87 
Zechen 110.10110.80|11.60| 630 5.63 4.47) 7.0110.97|14.10 
Breslau l10.97|11.10|11.37| 7.30] 5.07| 4.10] 6.60| 163114 03 
Ratibor 12.1711 00|12:57| 7.73} 4.87) 3.27| 7.73)12.33]14.53 
Eichberg 10.7 | 92 |'97 |54 |42 | 20 | 4.7 | 84 |12.00 
Görlitz 9 87| 9.27|10.67| 5.77| 4.57) 3.37| 6.10| 8 47112 60 
Torgau 11.7014 29|11,00).7 30| 6.53| 4.77) 7.73| 8.70|12.47 
Salzwedel 12.10 12.83|10.53| 6.90| 7.17| 7.27| 7.80| 9.27|12.63 
Erfurt . _ 9.65.11.78[10.78| 6.67| 6.27).5.08| 6 38| 7.72] 9.68 
Mühlhausen 9 90110.43)11.93| 8.07| 7.43| 5 83] 6.13) 8 67|10.67 
Heiligenstadt |10.1310.00)10.13) 7.73] 6.43) 5.90| 5.60, 7.40/10.13 


Werningerode !10.83! 9.97'10.50, 6.43! 6.27! 5.00] 5.63| 6.90|10.23 


u 


vom 23. Juni 1869. 429 


: Pan- Ser- Boni- 
Mam. 


| 8 | 9 | raue ah De ala | 46 

Clausthal 1090| 7.77; 9.00] 4.10] 4.73| 3.73] 420] 6.20] 9.37 
Göttingen 10.93 SEEN 803) 7.90] 6.43] 6.33| 8.5710 49 
Hannover 1273| 913'10.46| 7.46 893| 7.06] 7.26| 8 8311143 
Lüneburg 13.1011.93|10.60 6.83| 6.47) 6.23) 833| 9.2012 33 
Ötterndorf 12.40) 8.27| 9.53] 847, 9.07) 8.0710 03|10.43) 9.90 
Gütersloh 1333| 8.93) 9.13] 845| 9 07| 8.43| 8.20| 9.10/10.87 
Paderborn 12.70| 8.90, 8 10) 7.77] 8.40] 7.33] 7.23| 8.70|10.87 
Lingen 1260| 8.16) 9.40] 820) 9.17) 8.03 9 73/10.27|11.43 
Emden 11.30| 946! 9.30] 8.16. 8.40] 7.80|10.26|10.1610 50 
Norderney 96)74|77186|78|79|88|93| 91 
Cleve 12.70) 797| 7.17| 9.20) 930] 867) 8.73] 9 67|10 67 
Creleld 1468| 9.22 8 77|10.89 11.1610.22] 9 6610 5511.76 
Cöln 1450)10:03, 993|10 93 10 60) 9:50| 8.03] 9.40)10.48 
Boppard 11.8510 15/10.05|11.32) 9 83| 7.82] 8.40) 9.03|10.82 
Neunkirchen 13 2011.03, 12 43|11.67, 9.00| 7.90) 7.00) 8.17) 9.43 
Trier 12.07 10.27 11.80 12.93 10 07| 8.47 s27) 8 6711 33 
Frankfurt a. M. |13.00|12.73 12.70|11.93| 9.90 “ 8.20| 9.93|11.87 
Strasburg 10.32)11.44| 9 92]11.84| 9.26) 8 96) 8.24] 7.60) 6.56 
Besancon 10 9611.84 11.52|13 92 11.04 9.28] 6.64| 656| 7.44 
Lyon 13.0412 24,13.20|13.84|13.60)12.08 10.00) 9.12|10.96 
Avignon 14.0113 36,14.56[14 be 10.32, 936| 9.68 
 Limoges 12.0014 08, 14.21) .9.68|13.36,16.00]10.48| 9.68, 8.32 
Montauban 10 21'12.00:12 00 9 60111.20 12.08 11.76 9.44 8.48 
Paris 1096| 6 00| 7.60| 904! 9.44 8.96] 8.24) 7.60 6.56 
Havre 9.60! 8.00] 8.08| 8.80| 968! 9.92] 8.50] 864 8.88 
Dunkirchen 7.04| 7.76] 7.60| 800) 792 7.92] 856 872) 9.36 
Brest ° 8.24| 9.12) 9.76) 9.36] 838 9.20) 944] 8.56 968 
Nap. Vendee 10.0010 4011024) 856 10 16 12.48] 896] 9.04 9.68 
Mezieres 1.84| 8:72|11.04|10.72 11.04|11.84| 9.44 7.92) 712 
Bayonne 10.88|11.68]12.72|12 sa 11:3613.44|11.36 12.24 
Madrid 12.56) 9.20 10.80 9.28) 7.68] 8.24| 7.60 
San Fernando 14.1613. 60.13 44 12.64|12.48112.48 12 48 
Lissabon 13.36,15.60|12 oolı 1.12|13.28]12.48 13.92 


Im Jahr 1835 habe ich in einem Aufsatz „über das Vor- 
handensein zweier Regenzeiten im südlichen Europa” (Pogg: 
Ann.>35 p. 375) nachzuweisen gesucht, dafs die grölste Menge 
des Niederschlags dort nicht allein im Herbst eintritt, wie es 


430 Gesammitsitzung 


bisher angenommen war, sondern dals dem Herbstmaximum ein 
Frühlingsmaximum entspricht. Um die Zeit der Nachtgleichen 
nämlich kommt die in der Nähe des Äquators aufsteigende und 
als oberer Passat nach den Polen zurückfliefsende Luft im süd- 
lichen Europa herab und veranlalst am Südabhange der Alpen 
die heftigsten Niederschläge. Diese Luft überströmt erst, wenn 
die Sonne in nördlichere Zeichen tritt, die Alpen und veran- 
lafst dann in Deutschland herabkommend unsere Sommerregen, 
während bei niedrigstem Sonnenstande die Regen an der Nord- 
küste von Afrika bis zu den Azoren und Canaren wahre Win- 
_terregen sind. Diese von oben herabkommenden feuchten Winde, 
welche Überschwemmungen veranlassend zu Anfang des jetzigen 
Krieges die Flulsübergänge so bedeutend erschwerten, gehen da- 
her unsern ersten kräftigen Regen unmittelbar voraus, ja kün- 
digen sie im eigentlichsten Sinne an. Wenn nun bei rasch 
zunehmender Wärme im Frühjahr die nördlichen Gegenden, 
welche sich noch nicht ihrer Schneedecke entledigt haben, da- 
durch in einen bedeutenden Gegensatz zu denen treten, wo dies 
früher geschehen und wo daher die Insolation nur auf direkte 
Erwärmung der Luft auf dem Festlande verwendet wird, so wird 
das Bestreben der Ausgleichung nördliche Ströme veranlassen, 
welche an ihrem weitern Vordringen nach Süd durch den ent- 
gegen wehenden Passat verhindert nun als abkühlende Ostwinde 
über das mittlere Europa strömen. Dies ist wahrscheinlich eine 
Hauptursache der grade im Frühjahr so häufig eintretenden 
Rückfälle, wenn auch, wie ich früher gezeigt habe, nicht alle 
auf diese Weise entstehen. In Amerika, wo zwischen den Al- 
leghanis und Rocky Mountains vom mexikanischen Meerbusen 
bis zum Polarmeer kein bedeutender von West nach Ost ge- 
richteter Quergürtel sich erhebt, ist für den Austausch nördli- 
cher und südlicher Ströme kein Hindernils vorhanden. Hier 
sind daher auffallende Sprünge in der Temperatur zu allen Jah- 
reszeiten, nicht überwiegend zu einer bestimmten, und hier fehlt 
auch der regelmäfsige Übergang der subtropischen Regen in die 
der gemälsigten Zone- mit einem ausgesprochenen Sommermaxi- 
mum des Niederschlags. 

Mit dem Mai sind die Einbiegungen der 'Temperaturcurven 
nicht beendigt, sie treten noch sehr entschieden im Juni hervor, 


vom 23. Juni 1859. 431 


ja sind dort sogar universeller Art als im Mai, werden aber we- 
niger beachtet, da bei uns die Abkühlung des Bodens selten bis 
zum Frostpunkt herabgeht. In den Tafeln der mittlern Tem- 
peraturen verschiedener Orte (Abhandl. der Berl. Akad. 1846 
p- 254) habe ich darauf aufmerksam gemacht und zugleich ihre 
Ursache nachgewiesen. „Solche Gegensätze als die Kühle des 
Sommers an den atlantischen Küsten und die hohe Temperatur 
der siberischen Steppen müssen sich gegenseitig auszugleichen 
suchen. Daher wird zu derselben Zeit, wo der SW.- Mousson 
über den NO. in Asien siegt, dessen Kraft durch Auflockerung 
vollkommen gebrochen ist, Europa von Nordwestwinden über- 
strömt, denn die kalte Luft des atlantischen Oceans findet 
in der nach Süden und Osten hin liegenden Wärme Anzie- 
hungspunkte, welchen sie in der Diagonalrichtung folgt. Daher 
greift in Europa das Seeklima im Sommer tiefer in den Conti- 
nent hinein als im Winter, denn nördlich von den Alpen er- 
reicht überall in den Sommermonaten die Regenmenge ihr Ma- 
ximum und bei dem Anblick der Temperaturcurven, welche die 
fünftägigen Mittel darstellen, fällt es sogleich in die Augen, dafs 
sie in den Sommermonaten wie abgestumpft erscheinen. Unser 
Sommer erfüllt nur ausnahmsweise die Erwartung, welche der 
Frühling erregt, ja selbst in den vieljährigen fünftägigen Mitteln 
von Paris, Carlsruhe, Berlin, Königsberg, Petersburg senken sich 
im Juni, noch ehe der höchste Sonnenstand erreicht ist die Cur- 
ven und beginnen nur träge ihr Wiederansteigen. Erst in Italien, 
welches bei höchstem Sonnenstande in den rückwärts verlänger- 
ten Passat aufgenommen ist, wo daher eine kurze regenlose Zeit 
diesen Sonnenstand bezeichnet, erhalten die Wärmecurven schär- 
fere Scheitel.” 

Da diese Kälte in die Zeit der Wollschur fällt, so hat sie 
bei den Landwirthen Norddeutschland den bezeichnenden Namen 
der Schaafkälte erhalten. 


432 Gesammtsitzung 


Hr. Weber legte eine Mittheilung des Dr. R. Rost 
in Canterbury vor, vom 18. Juni d. J., betreffend einige neue 
indische Drucke. 

„In diesen Tagen erhielt ich aus Benares eine Anzahl da- 
selbst erschienener Sanskrit-Werke, sämmtlich lithographirt, wo- 
von ich ein Verzeichnifs beilege.e Wer hatte bis jetzt eine 
Ahnung davon, dafs bereits seit 5 bis 6 Jahren gedruckte Aus- 
gaben von den unter No. 2. 4—8. 10 —15. genannten Werken 
existiren? Es lälst sich voraussetzen, dafs auch an andern Or- 
ten in Indien, ganz abgesehen von Calcutta und Benares, die 
Sanskrit- Pressen nicht unthätig gewesen sind, und gleichwohl, 
wie selten kommt es doch vor, dals sich einmal eine solche Cu- 
riosität nach Europa verirrt! Was die Präsidentschaft Madras 
betrifft, wo ja auch Sanskrit gedruckt wird, wenn auch meist in 
der augenverderbenden Te/uguschrift, so hat mir der neue Gou- 
verneur, Sir C. Trevelyan, versprochen dahin zu wirken, dafs 
von allen Büchern welche in der Präsidentschaft gedruckt wer- 
den, und zwar sowohl in Sanskrit als in den Volkssprachen und 
im Englischen, regelmäfsig Verzeichnisse angefertigt werden, 
damit man wenigstens erfährt, in welcher Richtung die einge- 
bornen Literati thätig sind. Die dadurch angestrebte Publicität 
kann nur ermuthigend und anregend auf die Letzteren einwirken. 
Vielleicht folgen dann auch die andern Präsidentschaften dem 
guten Beispiele.” 

1. Der Amarakosha, mit dem Commentar des Bhänuji 

Dixita. 1. 60 Bll. I. 130 Bll. Il. 58 Bll. Samvat 
1911. Die Unterschrift lautet: 7& grioaghelavamgod- 
bhavacrimahidharavishayädhipagrikirttisimhade- 
väjnayä_ eribhattojidixitätmajagribhänujidixitaviracıtäyam 
amaratikäyiäm vyäkhyäsudhäkhydyäm etc. Am Ende 
des 1. und 2. Buches steht mahipara anstatt mahi- 
dhara, und am Ende des 2. ist vor eri’kirttisimha 
eingefügt grimahäräjakumära. Baghela ist Name 
einer Räjputten-Familie und wohl richtigere Lesart als 
die ım Berliner Codex N. 792 befindliche. Gedruckt ist 
zwar an allen 3 Stellen ein 9, allein im Hindi WB. 


steht JIRT- 


IH. 


II. 


IV. 


VI. 


"IX. 


vom 23. Juni 1859. 433 


Muhürtacintämani des Gridaivajnaräma, Sohnes des 
Cridaivajnänanta, nebst dem Pramitäxarä genannten 
Commentare desselben Verfassers. 4120 Bll. Samvat 
1912. Enthält 13 Capitel, nämlich 1. Cubhägubhapraka- 
ranam, 57 vv.; 1I. Naxatrapr., 63 vv.; Ill. Samkräntipr., 
20 vv.; IV. Gocarapr., 19 vv.; V. Samskärapr., 60 vv.; 
VI. Pivähapr., 110 vv.; VII. Yadhüpravecapr., 3 vv.; 
VIII. Doirägamanapr., 4vv.; IX. Agnyädhänapr., 3 vv.; 
X. Räjäbhishekapr., 4 vv.; XI. Yäträpr., 112 vv.; XI. 
Grioästupr., 29 vv.; XII. Grihapravegapr., 7 ww. — 
Dann folgen noch die 3 Verse wie in Berl. No. 877., in 
verbessertem Texte. 

Yäjnavalkya nebst der Mitäxarä, letztere über und 
unter dem Texte. Samvat 1910. 1. 3 Bll. Index und 
56 Bl. 1. 8 Bll. Index und 91 Bll. III. 5 Bll. Index 
und 110 Bill. 

Der Laghugabdaratna genannte Commentar des Ha- 
ridixita, Enkels des Bhattojidixvita, zur Praudhama- 
noramä, nebst der Glosse, (Ratnaprakägikä ge- 
nannt) des Bhairavamırra, Sohnes des Bhavadevamigra. 
Samvat 1910. 291 Bll. Ersterer hat die Unterschrift: 
Iti crimaddixitabhattojipautradixitahariviracite praudha- 


manoramävyäükhyäne laghugabduratne kärakaprakaranam. 


. Des Crimahämahöpädhyäya gerirudradhara (räddha- 


viveka. Samvat 1912 67 Bl. 

Des Särngadhara, Solines des Cridämodara, Sam- 
hitä. Samvat 1912. 72 Bll. Der sehr fehlerhafte 
Text scheint mehr mit Berl. No. 935 als mit No. 936 
übereinzustimmen, weicht aber auch von ersterem noch 


vielfach ab. 


"Der Pretakalpa genannte Theil des Garudapuräna, 


in 35 Kapiteln. Samvat 1912. 49 Bll. 
Des Farähamihiräcärya Frihajjätaka nebst dem 


‚Commentare (Frihajjätakavivriti) des Bhattotpala. Sam- 


vat 1911. 4124 Bll. Viel correcterer Text als der in 
Berl. No. 857 gebotene. 
Das Mänavadharmagästram mit dem Commentare 


434 


XI. 


XH. 


XII. 


XIV. 


XV. 


Gesammtsitzung 


des Kullüka Bhatta. 268 Bll. und 10 Bl. Index. 
Ohne Jahreszahl und Druckort, aber auch zu Benares 
lithographirt, wie aus der Unterschrift zu Ende des sieci- 
patram: grikägioigvegvaräya namah, hervorgeht. 

No. 1—8 sind in halb folio, No. 9 in etwas breite- 
rem Format (beinahe wie folio), nach Art der Hand- 
schriften lithographirt. 


: deärädarga, von Cridatta. Samvat 1912. 2 Sei- 


ten Index und 127 Seiten in 8. Zur Vergleichung mit 
Berl. No. 1023 bemerke ich, dafs diese Ausgabe im 2. 
Verse ahorätragrito und nibandhibhih liest. 

Des Bhattakedära Frittaratnäkara, mit dem Com- 
mentare (setu) des Haribhäskara, Sohnes des Grimad 
äyäjibhatta (Berl. No. 810). Samvat 1913. 25 Bll. 
in hoch 8. 

Des Griganegadaivajna Jätakälankära, nebst kur- 
zem Commentare von Jayagopälapandita. 42 Bil. in 
hoch 8. Samvat 1915. Ein astrolog. Werkchen, in 7 
Capiteln: I. Samjnädhyäyah, 10 vv.; II. Bhäcdahy., 36 
vv.; III. Yogädhy., 34 vv.; IV. vishakanyäyogädhy., 4 
wv.; V. Yogajäyurdäyädhy., 22 vv.; VI. Fyatyayabhä- 
vädhy., 9 vv.; VII. Yamgädhy., 5 vv. Das erste Capitel 
schlielst: Aridyain pathyair gumphite süritoshe ’lankä- 
räkhye jätake manjule ’smim | samjnädhyäyah crigane- 
gena digbhir yuktah glokair ädimo ’yam pranitah; und 
ähnlich die übrigen. Voll Schreibfehler. 

Des Eripatibhatta (Berl. No. 865?) Jyotisharat- 
namälä, ein astrolog. Buch in 20 Capiteln, in verschie- 
denen Versarten. Samvat 1913. 31 Bil. in 8 cf. 
Mackenzie Coll. I, p. 128. 

Des Näräyana Bnatta (Mack. Coll. I, p. 127 No. 
XLI.?) Camatkäracintämani, nebst der Glosse 
(anvayärthadipikä) des Sudaivajnadharmegvara aus Mälva, 
ein astrolog. Werk über die Einflüsse der Planeten, in 
9 Capiteln von je 12 Strophen. Samvat 1913. 28 Bll. 
in 8. 

Ududäyapradipa (Astrologisch), 42 vv. in 4 Capi- 


vom 23. Juni 1859. 435 


teln (Samjnädhydya, Rädjayogädhy., Äyurdäyädhy., An- 
tardagädhy.) nebst Commentar — ud(d)yota— von Bhai- 
ravudattadaivajna. 8 47 PP- und 3 PP- Druckfehler- 
liste. Ohne Datum. u 
XVI. Der Meghadüta, mit dem Commentare des Mallinätha. 

132 Seiten und 4 S. Druckfehlerverzeichnifs. Ohne Da- 
tum. Bietet sowohl im Texte als im Commentare man- 
che Varianten zu der Calcuttaer Ausgabe. Samvat 1907. 

XV. DesCr/pushpadanta mahimnah stotram, in42 vv. 
mit Commentar. Samvat 1912. 16 Bll. 8. 

XVIII. Das Chandas, 8 Bil. in 8., welches ich nebst den 3 
vorhergehenden Nummern schon voriges Jahr aus Bena- 

©“. ,. - a 

res erhielt, habe ich nicht zur Hand. 

Von anderen selteneren Sanskritdrucken, die ich in der letz- 
ten Zeit erworben habe, bemerke ich noch eine, im J. 1829 zu 
Surat lithographirte Ausgabe der Särasvat?-'Grammatik, 
mit dem Titel: gr? süryapure amkitä anubhütisvaripäcäryakrita- 
särasvat! prakriyä. Angefügt ist die Dhätumanjari. Zusammen 
etwa 450 Seiten in 4. 

Adhikaranamälä, zum Fedänta gehörig, für die Tativa- 
bodhini sabhä herausgegeben von (riänandacandra vedäntavägica. 
Calc. gaka 1774. 8. Bis jetzt 9 Nummern. 

Die Bhagavadgitä mit (ankara’s bhäshya, der Glosse 
Änandagir?’s, dem Commentare Oridharasvämin’s und einer Ben- 
galischen Paraphrase. (Tattvabodhini! sabhä.) Calc. 1853 ff. 
folio, in 18 Heften. 

Eine Ausgabe des Prasthänabheda, Sanskrit mit ben- 
gal. Übersetzung, findet sich in der bengalischen Monatsschrift 
Sarvärthapürnacandra. Calc. 1856. No. 7, p. 217 ff. 


_ Hieran schlofs Hr. Weber eine entsprechende geschäftliche 
Mittheilung eingeborner indischer Buchhändler aus Calcutta (So- 
bhabazar, 22. Febr. 1858), die er den Hrrn. Williams and 
Norgate in London verdankt, an welche sie gerichtet ist. 

„We are preparing for you a detailed and copious list of the 
Sanscrit, Bengalee, Hindee, Pali and Pracrit books published in 


436 Gesammtsitzung. 


India. Meanwhile we send a short list. The prices we have 
set down are the prime costs at which we have been able to or 
can purchase them: we leave it to you to fixa ny fair rate of com- 
mission including the charges of transit etc. Should any of the 
Savans or Societies in Europe or America wish to purchase or 
get copied any mss. oriental works not hitherto published we 
shall gladly execute such orders as we have great facilities for it. 
We intend furnishing you with lists of the Sanscrit Ms. works 
in the libraries of private individuals and public institutions 
which we believe is felt a great desideratum of the scholars of 
Europe. If you find any Sanscrit work to be in great demand 
in your quarter of the world and you advice us to edit it, we 
shall be glad to publish it here with great available facility. The 
first number of our new edition of the Gabdakalpadruma and Räja 
Rädhäkänta Bahadoor’s Supplement to the old edition will be 
ready by the end of Mareh next. In the meantime we shall fur- 
nisb you with our prospectuses. 
We remain, Dear Gentlemen, Yours very truly 
Anandakrishna Bose') 
Amritalala mittre 
Sreenatha Ghose. 


1. Sanskrit. Rupee Anna 
4. bhazzikävya, 2 voll. Galc. 1828 pp. 511 — 3— ,„ — 
2. kirätärjuniya, .2-vell. oa sa eelmesımi 237 — 3, — 
3. gigupälabadha, 2 voll. „2. ..... „391 —6 — „— 
4) kayyaprakäsa, Lxyoll. cm, @ #50 10030 17 —2 — „— 
5. vedäntaparibhäshä . 2... 2.2.2... „ —12— 
Brlvedäniahrasdanleunud #n5 ie (lea 12338 — 2 — „— 
7. ätmatättvavivekat. 0% end 20% ... 97 1 ,„— 
8. dhätupäzba.. in 12mo. -»...... . 594, —41— 
9. gabdacaktiprakägikä ....2.....172 —- 1-8 — 
A aa een eine a 45 — „ —12 — 
11 mnmäpadidhiti -i,..::1 55% narleiasfimi aron 18-1 —8 — 
12. khandanakhandakhädya ..»....... 199 —2 — „— 
13. Blboalmlamanı ai, nctsds speige ihserge 83 — „ —12 — 


') ob auch Ghose? i. e. Ghosha. 


vom 23. Juni 1859. 437 


Rupee. Anna 

BE tattvakaumndi u. 5 2.4. pp 59 — „ —12 — 
15. vivädacintlämani . 2.0... .....13—- 2 — „— 
46. vyavabäratativädi.n a ou 00.0. F —2—-,„,— 
ara 10 0% Bun, dr Pre; ee 1 
48. golädhyiya 22. 2000. 1842 ..16 — 1 — „ — 
19. ganitädhyäya ».2....41842..309 - 2 —- 8 — 
20. xetratattvadipikäd . » 2 2 2 2.20.1685 — 2 — „ — 
21. raghuvanga with comm.. 2...» 6— „.— 
22. kumärasambhava \! . „icio PIETA 2-3 — 
23. meghadüta with comm. 2... 1—,— 
24. rägbavapändaviya.. cu... 4 „— 
25. mahäviracarita. ....%.. Bi 1-8 — 
26. dhanamjayavijaya 2... ..:.. 1—- „— 
Nıcabdärtharaltnaoahaiid Io-vailayal« „— 12 — 
retäkär dl sicher Bunde > oe 8 — 
29. rijupätha. orSt. Reader by I. C.V. devard Candra Vidyäsägara) 
prineo Sb Coll, na ns det +2. e0e ip. — 4 — 
2. ANITER 8 


3— , — 10 — 

We bave sent you as specimens two Nos. of ihe grimadbhäga- 
vata which (the text with the comm. of gridharasvämin) are being 
published by Nandakumärakaviratna:; 1 skandba completed, 8 Rs. 
— also 47 Nos. of the saryärthapürnacandrodaya, publd. ıby 
Abhayaaddy(!): they are translations from the Puränas'and other 
oriental works. 4 Annas the No. — also: vahyavastur sahitamänava- 
prakritir sambandhavichura (!) in 2 vols., being a very handsome 
and clever Bengalee translation of Combe’s constitution of man 
by the learned Editor of the Tattvabodhinipatrikä; Price 3 Rs. 

2. Bengali. 

upakramanikä or SanseritGrammar in Bengali, an elementary 
treatice by /gvara Candra Vidyäsägara Prineipal of the Calc. St. 
Coll. 8 Annas. 

kaumudi, a larger treatise by the same. 2 parts ä 8 Annas. 
3th pt. in the press. ; 

gakuntalä, a bengal translation, by the same. 12 Annas. 


438 Gesammtsitzung 


dagakumäracarita, dto by Girigacandra Vidyäratna Pro- 
fessor of Grammar St. Coll. 1 R. 

kädambari, dto by Täragankara. 1R.4A. 

venisamhäranäzraka, dto by Rämanäräyana Nyäyaratna. 
IR: 
annadämangala, annadämangalädi, vidyäsundara. Edited by 
LC.V. a 10A,1R.8A.,8A. from the original ms. of Bhära- 
tacandra in the possession of the Räja of Nudea. 

kulinakulasarvasva, a Drame exposing kulinism in Ben- 
gal by Rämanäräyana Nyäyaratna. 12 Annas. 

vidabhavibahanäzaka (vidhavävivähan.) a drame expo- 
sing the folly of not allowing Hindoo widows to remarry, by 
Umesacandramittr.. 1R. 4A. 

vidabhavibaha by I. GC. V. showing by citations from the 
texts of Parägara K the legality of Hindoo widows marriage. 1R. 

Antagonist pamphlets. — 

vetälapancavingati Edtd by I. c. ee 0% 

Elementary books for learning Bengali, viz. 
varnaparicaya 2 pts. ä 1%, Anna. — rijupäfha % Annas. — gigugixä 3 
pts 4 Annas. — bodhodaya, a Reader [ohne Preis]. — kathämälä, 
a translation of some of Esops fables by I. C. V. 4 Annas. — 
caritävali, by the same, 4 Annas. — nitibodha 5 A. — niticixä 
12 A. — Bengala Itihäsa, from the time of Hirajeddowlah by 
1.C.V. 8A. — jivanacarita, a translation of Chambers biogra- 
phy by 1.C.V. 8As. — Russellus, dto by Täragankara. 1 R. 
— sanskritaprastäva by I. C. V. 6A. — 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Abhandlungen der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft. 2. 
Bandes Lieferung 2. Frankfurt a. M. 1858. 4. 

Journal de l’ecole polytechnique. Tome XXI. Paris 1858. 4, 

The American Journal of science and arts. No. 81. New Haven 1859. 8. 

Annales de chimie et de physique. ‘ Tome 46, Live. 1. Paris 1859. 8. 

Memoires de la societe royale des antiquaires du Nord. 1836— 1837. 
Copenhagen 1838. 8. 

Oeuvres de Frederic le Grand. "Tome 12—15. Berlin 1849—1850. 4. 


vom 30. Juni 1859. 439 


Pertsch, Die persischen Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu 
Gotha. Wien 1859. 8. ’ 

Ahlquist, Zäran om Verbet i Mordvinskans Mokscha-Dialect. Hel- 
singfors 1859. 4. 

Studer, Einleitung in das Studium der Physik und Elemente der Mecha- 
nik. Bern 1859. 8. 

Brugsch, Histoire d’Egypte. Premiere partie. Leipzig 1859. 4. 
(Im Namen des Hrn. Verfassers überreicht von Hrn. Böckh.) 


Ein Rescript des vorgeordneten Hrn. Ministers Excellenz 
vom 18. d. M. genehmigt die Ausgabe von 200 Rthirn. aus den 
Fonds der Akademie, um die Herausgabe des zweiten Bandes 
des von Dr. Förstemann verfalsten altdeutschen Namenbuches 
zu unterstützen. 4 

Die Hrn. G. G. Stokes aus Cambridge und M. Jacobi 
in St. Petersburg nehmen ihre Wahl zum Correspondenten 
dankend an, jener in einem Briefe vom 18. d. M. an den 
Sekretar der Akademie, Hrn. Encke, dieser in einem an Hrn. 
Dove gerichteten. 


30, Juni. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. H. Rose las über die Niobsäure. 

Die Niobsäure (welche der Verf. früher Pelopsäure nannte) 
erhält man bis jetzt nur aus dem gelben Niobchlorid, so wie 
durch Rösten des Schwefelniobs und des Stickstoffniobs. In den 
in der Natur vorkommenden niobhaltigen Mineralien ist sie nicht 
enthalten. Sie hat die grölste Ähnlichkeit mit der Tantalsäure, 
und theilt auch mit derselben dieselbe atomistische Zusammen- 
setzung. Die Hauptunterschiede zwischen der Niobsäure und der 
Tantalsäure bestehen vorzüglich in der leichteren Reducirbar- 
keit der Niobsäure durch reducirende Mittel, in der geringeren 
Dichtigkeit, und dem geringeren Atomgewicht derselben, so 
wie auch darin, dafs die Niobsäure obgleich äufserst schwierig 


und nur unvollkommen in eine Säure mit geringerem Sauer- 
[1559.] 31 


440 Gesammtsitzung 


stoffgehalt verwandelt werden kann, was bei der Tantalsäure 
nicht der Fall ist.: Schmelzt man die Niobsäure mit saurem 
schwefelsaurem Kali, so wird sie in ihrer Zusammensetzung nicht 
verändert; löst man sie aber durch Schmelzen in saurem schwe- 
felsaurem Ammoniak zu einem klaren Syrup auf, so erleidet sie 
eine aber nur unvollkommne Reduction. 

Die Niobsäure ist bei gewöhnlicher Temperatur weils; bei 
erhöhter Temperatur nimmt sie aber eine gelbliche Farbe an. 

Wenn die Niobsäure mit starken Basen verbunden ist, so 
ist sie nach dem Glühen der Verbindungen ebenso schwer wie 
die Tantalsäure von den Basen zu befreien. Es geschieht dies 
auch, wie bei den tantalsauren Salzen durchs Schmelzen mit 
saurem schwefelsaurem Kalı. 

Die Niobsäure, welche man durch Zersetzung des Chlorids 
vermittelst Wassers erhält, ist von anderer Dichtigkeit als die, 
welche mit saurem schwefelsaurem Kali geschmelzt worden ist. 
Man erhält die Niobsäure aus dem Chloride von verschiedener 
Beschaffenheit, je nachdem man dasselbe plötzlich mit Wasser 
übergielst, oder wenn man dasselbe lange Zeit der Einwirkung 
der atmosphärischen Luft, oder vielmehr der Feuchtigkeit der- 
selben aussetzt, wodurch sehr allmälig Chlorwasserstoff aus dem- 
selben entwickelt wird. Im ersten Falle ist die Säure nach dem 
Glühen, welches mit einer Feuererscheinung begleitet ist, glasar- 
tig, im zweiten Falle aber krystallinisch. 

Die Niobsäure ist, wenn sie aus dem Chlorid dargestellt 
wird, in der geringen Menge der erzeugten Chlorwasserstoff- 
säure nicht ganz unlöslich, und Spuren derselben bleiben im 
Wasser gelöst, Aus der Lösung der niobsauren Alkalien: wird 
die Niobsäure durch Chlorwasserstoffsäure niedergeschlagen. Ge- 
schieht die Fällung bei gewöhnlicher Temperatur, und: hat man 
kein zu grolses Übermaals der Säure angewandt, so kann. die 
Fällung eine vollständige sein; wird ‚aber das niobsaure Alkali 
mit einem. Übermaals von Chlorwasserstoffsäure versetzt und da- 
mit gekocht, so. erhält man eine trübe Flüssigkeit, die aber 
durch einen Zusatz von Wasser eine. vollständig klare Lösung 
giebt. In dieser Lösung kann. verdünnte Schwefelsäure nur 
dann eine Fällung bewirken, wenn nicht. zu viel Chlorwasserstoff- 
säure. zugegen. ist. 


vom 30. Juni 1859. 441 


Salpetersäure verhält sich gegen die Lösungen der niob- 
sauren Alkalien ähnlich der Chlorwasserstoffsäure. 

Durch Phosphorsäure wird kein Niederschlag in der Lö- 
sung der niobsauren Alkalien erzeugt, wodurch sich die Niob- 
säure von der Tantalsäure unterscheidet. Arseniksäure be- 
wirkt ebenfalls keine Fällung, eben so Oxalsäure, Wein- 
steinsäure, Traubensäure und Citronensäure, wohl 
aber Essigsäure. Gyanwasserstoffsäure macht die Lö- 
sungen der niobsauren Alkalien nur opalisirend, bringt aber kei- 
nen Niederschlag hervor. Lösungen von Gallusgerbsäure 
und von Gallussäure, so wie Galläpfeltinetur erzeugen 
in den Lösungen der niobsauren Alkalien keine Fällungen; wenn 
man indessen dann Chlorwasserstoffsäure oder Schwefelsäure hin- 
zufügt, so wird ein oranienrother Niederschlag erzeugt. Er ent- 
steht (wie bei der Tantalsäure), wenn auch die Niobsäure durch 
ein Übermaals von Chlorwasserstoffsäure aufgelöst worden, oder 
wenn sie durch verdünnte Schwefelsäure oder durch Chlorwas- 
serstoffsäure als ein dicker weilser Niederschlag gefällt worden 
ist; dieser nimmt durch Hinzufügung der oben erwähnten Re- 
agentien dieselbe oranienrothe Farbe an. Hat man zu der Lö- 
sung der niobsauren Alkalien Oxalsäure, Weinsteinsäure, Trau- 
bensäure und Citronensäure hinzugefügt, so die Gallus- 
säuren keine Fällung hervor. 

Wird die Lösung der niobsauren Alkalien mit Chlorwasser- 
stoffsäure versetzt, und der grölste Theil der Niobsäure dadurch 
gefällt, so wird sie, wenn man’ metallisches Zink hineinlegt, 
während sich Wasserstoffgas entwickelt, erst graublau, dann blaw 
und endlich braun. Je mehr Chlorwasserstoffsäure hinzugefügt 
worden, und je rascher die Gasentwicklung vor sich geht, desto 
früher erscheint die Färbung. Nach längerer Zeit wird die aus- 
geschiedene blau oder braun gefärbte Säure wiederum weils. 
Durch verdünnte Schwefelsäure entsteht die blaue Farbe etwas 
langsamer, aber sie ist gewöhnlich reiner. Am sichersten blau 
erscheint sie bei Anwendung von (Chlorwasserstoffsäure mit 
einem Zusatz von verdünnter Schwefelsäure. Setzt man zu der 
blau gewordenen Niobsäure einen Überschuls von’ Ammoniak, 
so wird der Niederschlag braun mit einem‘ schwachen Stich ins 

=) Br 


442 Gesammtsitzung 


Röthliche. Durch den Zutritt der Luft wird der braune Nie- 
derschlag bald wiederum weils. 

Wie die Tantalsäure wird auch die Niobsäure von sehr 
verschiedenen Zuständen der Dichtigkeit erhalten. Das specifi- 
sche Gewicht der Säure, wenn sie mit saurem schwefelsaurem 
Kali geschmolzen worden, ist 6,140 bis 6,146, und kann auch 
noch von etwas minderer Dichtigkeit erhalten werden. Unter 
dem Mikroskop kann man keine krystallinische Structur darin 
wahrnehmen. Wurde diese Säure in einem Windofen einem 
dreistündigen Kohlenfeuer ausgesetzt, so erhielt sie eine Dich- 
tigkeit von 6,48. Wurde sie aber darauf in die stärkste Hitze 
des Gutofens der königlichen Porzellanfabrik gebracht, so be- 
stand sie bei der mikroskopischen Besichtigung aus kleinen Kry- 
stallen, und zeigte das specifische Gewicht 5,830. Die Dich- 
tigkeit der aus dem Chloride erhaltenen Säure ist nach einem 
schwachen Glühen 5,9 bis 5,98, bisweilen auch 5,706, aber auch 
6,236 bis 6,239. Die Dichtigkeit der Säure nimmt zu, wenn 
sie einem starken Rothglühen in einem Kohlenfeuer ausgesetzt 
wird und wird 6,088, bis 6,318 und 6,37; und sogar 6,416 und 
selbst 6,725. Letztere Dichtigkeit ist die höchste, welche der 
Verfasser bei der Niobsäure wahrgenommen hat. Wird diese 
Niobsäure der höchsten Temperatur des Porzellanofens ausge- 
setzt, so wird sie krystallinisch, wenn sie vorher amorph war, 
zeigt aber ein bedeutend niedrigeres specifisches Gewicht, und 
zwar bei den verschiedenen Versuchen ein sehr ähnliches, näm- 
lich 5,793 und 5,7887. Wurde eine Niobsäure einem Weils- 
glühen, durch ein Gebläse erzeugt, eine halbe Stunde ausgesetzt, 
so zeigte sie die noch niedrigere Dichtigkeit von 5,514 bis 
5,517, zeigte aber eine amorphe, und nur theilweise krystallini- 
sche Beschaffenheit. 

Bei allen diesen Versuchen veränderte sich das absolute Ge- 
wicht der Säure nicht. 

Wird eine Niobsäure vermittelst Schwefelkohlenstoffs in 
Schwefelniob verwandelt, und dieses durch Rösten wiederum zu 
Niobsäure oxydirt, so hat diese genau das absolute Gewicht der 
zuerst angewandten Säure, durchläuft aber verschiedene Zustände 
der Dichtigkeit je nach der verschiedenen Temperatur, die zu 
diesen Umwandlungen angewandt wurde. Eine aus dem Chlo- 


vom 30. Juni 1859. 443 


rid erhaltene Säure von dem specifischen Gewichte 6,175 er- 
hielt bei diesen verschiedenen Umwandlungen die Dichtigkeiten 
6,04; 5,683; 5,68; 5,869 und 5,732. 


Hr. du Bois-Reymond las über nicht polarisirbare 
Elektroden. 

Jedem, der der Entwickelung der Elektrophysiologie wäh- 
rend der letzten Jahrzehende gefolgt ist, sind die Schwierigkei- 
ten bekannt, welche die sogenannte Polarisation der Elektroden 
den elektrophysiologischen Untersuchungen in den Weg legt: 
sei's dals es sich darum handele, elektrische Ströme von den 
thierischen Theilen dergestalt in den Multiplicatorkreis abzulei- 
ten, dals ihre Stärke bestimmt werden kann, sei’s dals umge- 
kehrt Ströme von beständiger und gemessener Stärke den thie- 
rischen Theilen zugeführt werden sollen. 

Um so gröfseres Interesse mulste daher im Jahr 1854 Hrn. 
Jules Regnauld’s Angabe erwecken, dals es ihm gelungen 
sei, unpolarisirbare Elektroden dadurch herzustellen, dals er Platten 
aus reinem, mehrmals destillirtem Zink in reine, neutrale schwefel- 
saure Zinkoxydlösung von der Concentration tauchte, bei der sie das 
Maximum ihres Leitvermögens besitzt.') Die Unpolarisirbarkeit die- 


*) Nach Hrn. E. Becquerel theilen salpetersaures Kupfer und 
schwefelsaures Zinkoxyd, und vermuthlich die sehr löslichen oder gar 
zerllielslichen Salze überhaupt, die Eigenschaft der Schwefelsäure und 
einiger anderen Säuren, dafs das Leitvermögen ihrer wässerigen Lösungen 
bezogen auf den Procentgehalt ein Maximum zeigt. Das Leitvermögen 
einer gesättigten schwefelsauren Zinklösung von 1.4410 Dichte bei 14.°40 C. 
verhielt sich in Hrn. Becquerel’s Versuchen zu dem derselben Lösung, 
wenn sie bis zum doppelten und vierfachen Volum verdünnt wurde, 
::5.77: 7.43 :5.43. (Für Silber = 100 000 000. S. Annales de Chimie 
et de Physique etc. 1846. 3me Ser. t. XVII. p. 280 et suiv.; — p. 289°), 
Hr. Becquerel und Hr. Regnauld sagen nicht, bei welchem Grade der 
Verdünnung das Maximum stattfinde Hr. de la Rive aber, indem er 
Hın. Becquerel’s Beobachtungen anführt, giebt an, dals dies bei der 
Verdoppelung des Volums der gesättigten Lösung der Fall sei (Traite 
d’Electricite etc. t. II. Paris 1856. p. 56°). 


444 Gesammisitzung 


ser Combination erklärte Hr. Regnauld aus dem Umstande, „dafs, 
da die elektrolytischen Wirkungen darin die chemische Natur der 
Elektrodenplatten unverändert lassen, die von fremdartigen Ab- 
lagerungen herrührenden enigegengesetzten Spannungen sich 
nicht entwickeln können.” Er fügte hinzu dafs die Zinkplatten, 
nachdem sie einige Zeit in der Lösung verweilt hatten, (ob zum 
Kreise geschlossen, oder nicht, wird nicht gesagt) im Allgemei- 
nen gleichartig an seinem Multiplicator erschienen, der, wie man 
aus anderen Versuchen -schlielsen kann, eine hinreichende Em- 
pfindlichkeit für den Muskelstrom besals. Dennoch ward es, 
wie es scheint, manchmal nöthig, auf die Unschädlichmachung 
eines übrig bleibenden beständigen Unterschiedes der beiden 
Platten bedacht zu sein. Dies gelang Hrn. Regnauld, in seinen 
schätzbaren Versuchen über die absolute Stärke des Muskel- 
stromarmes im Multiplicator unter verschiedenen Umständen, 
beiläufig den ersten messenden Versuchen in diesem Gebiete, 
mit Hülfe einer in entgegengesetztem Sinne in den Kreis ein- 
geführten thermo&lektrischen Kupfer-Wismuth-Kette, deren eine 
Lötbstelle auf 0°, die andere auf der erforderlichen Temperatur 
erhalten wurde. ') 

Zwei Jahre darauf machte Hr. Matteucci ähnliche An- 
gaben. Er empfahl als ganz unpolarisirbare Combination Plat- 
ten aus destillirttem Zink, oder auch aus verquicktem gewalzten 
Zink in einer neutralen gesättigten schwefelsauren Zinkoxydlö- 
sung. Man bringe, sagt er, an dem einen Ende der Multiplica- 
tornadel eine Hemmung an, welche die Nadel verhindert, nach 
der einen Seite auszuschlagen, und sende durch den Multiplicator 
den Strom mehrerer nach Art einer Säule angeordneter Waden- 
muskeln vom Frosch in. der Richtung in der die Nadel gehemmt 
ist. Nach wenigen Augenblicken entferne man die Säule und 
schlielse den Kreis zwischen den Bäuschen, (die Hr. Matteucci 
nämlich jetzt nach meinem Vorgange anwendet). Dabei bleibe 
die Nadel völlig unbewegt, zum Zeichen, dafs keine Ladung 
stattgefunden habe.”) 

*) Comptes rendus etc. 15 Mai 1854. t. XXXVII. p. 891;* — /’In- 
stitut. vol. XXII. No. 1067. p. 206;* — Cosmos. Revue encyclopedique 
etc. par M. PAbbe Moigno. t.IV. p. 599.* 

*) Comptes rendus etc. 28 Juillet 18506. t. XLIN. p. 234;° — Ibid. 
4 Decembre. p. 1054;* — Institut. 1856. t. XXIV. No. 1178. p. 267.* 


vom 30. Juni 1859. 445 


Das Jahr darauf kam Hr. Matteucci auf diesen Gegen- 
stand zurück, indem er diesmal nur verquickte Zinkplatten in 
gesättigter schwefelsaurer Zinkoxydlösung oder Chlorcalcium- 
lösung als unpolarisirbare Combination empfahl. Dabei rühmte 
er namentlich die grolse beständige Ablenkung, die der Muskel- 
strom bei Ableitung mittels solcher Elektroden erzeuge. Mit 
Platinplatten in Kochsalzlösung als Elektroden bringt ein Ga- 
stroknemius oder halber Oberschenkel vom Frosch an dem Mul- 
tiplicator von 24000 Windungen, den er sich nach dem Vor- 
bilde des meinigen hat bauen lassen, einen Ausschlag von 30 
bis 40° hervor, der binnen wenigen Secunden nur 2—1° be- 
ständiger Ablenkung hinterläfst. Mit verquicktem Zink in Zink- 
lösung hingegen erhielt er, nachdem die Platten gleichartig ge- 
worden, einen Ausschlag von 90° und eine beständige Abien- 
kung von 70—80°, welche sehr langsam abnahm. Entfernte er 
den Muskel und brachte er, sobald die Nadel sich beruhigt 
hatte, (in Ermangelung eines Schliefsungsbausches) die Zulei- 
tungsbäusche zur Berührung, so gab sich keine Spur von La- 
dung kund.') 

Mir mufsten diese Angaben sehr bedenklich erscheinen. 
Zwar ist es von vorn herein nicht so unwahrscheinlich, dals 
Zink in Zinklösung eine sehr geringe Ladungsfähigkeit besitze. 
Allerdings nicht aus dem Grunde, aus dem Hr. Regnauld die 
vollkommene Unpolarisirbarkeit dieser Combination ableiten zu 
können meint. Hrn. Regnauld’s Betrachtung palst ebensogut 
auf jedes andere Metall in einer Lösung eines Salzes desselben 
Metalls, woraus sich letzteres gut galvanoplastisch niederschlägt, 
oder, wie man der Kürze halber sagen kann, auf alle galvano- 
plastischen Combinationen. In der That pflegt man auch an 
die Unpolarisirbarkeit solcher Combinationen ganz allgemein zu 
glauben?), und ich selber habe deshalb früher dieAnwendung von 
Kupferelektroden in schwefelsaurer Kupferoxydlösung, von Sil- 
berelektroden in Cyansilberkaliumlösung zur Ableitung der 


‘) Philosophical Transactions etc. For the Year 1857. P. 1. p. 131. 
132°. 

*) Vergl. z.B. E. Becquerel, Annales de Chimie et de Physique. 
3me Serie. 1846. t. XVII. p. 271°; — 1847. t. XX. p. 68°. 


446 Gesammisitzung 


thierisch - elektrischen Ströme vorgeschlagen.‘) Allein Hr. 
Helmholtz fand dafs diese Combinationen noch immer ein 
Maals von Polarisation zulassen, welches keine sicheren Strom- 
bestimmungen erlaubt.) Möglicherweise könnte nun beim Zink 
dieser Rest von Polarisation besonders klein ausfallen wegen der 
geringen Condensationsfähigkeit für Gase, welche die Ober- 
fläche der positiven Metalle besitzt. Demgemäfs hatte ich sel- 
ber schon bei verschiedenen Gelegenheiten, wo mir die Polari- 
sation besonders lästig war, die jetzt von Hrn. Regnauld‘ 
empfohlene Combination, Zink in schwefelsaurer Zinkoxydlösung, 
wirklich versucht, mit dem Unterschiede allerdings, dafs ich mich 
des im Handel vorkommenden Materials bediente. Ich verband 
die Zinkelektroden in Zinklösung erst mit einer Grove’schen 
Kette, dann durch eine Wippe plötzlich mit dem sogenannten 
Museums-Multiplicator, dessen Nadel 12” schlug. Es geschah, 
im Sinne negativer Ladung, ein Ausschlag bis auf 20°, wäh- 
rend bei Anwendung von Platin in Kochsalzlösung die Nadel 
an die Hemmung geworfen wurde’). Ich konnte mich demnach 
nicht bewogen finden, für gewöhnlich meine zwar höchst pola- 
risirbaren, aber auch der höchsten Gleichartigkeit fähigen Pla- 
tinelektroden gegen weniger polarisirbare, aber in Bezug auf 
Gleichartigkeit durchaus unzuverlässige Zinkelektroden zu ver- 
tauschen. 

Hr. Regnauld hatte sich freilich chemisch reinen Mate- 
rials bedient, zum Beweise der Unpolarisirbarkeit der von ihm 
empfohlenen Combihation aber keinen Versuch mitgetheilt. Was 
Hrn. Matteucci’s Angaben betrifft, so war es einmal a priori 
wohl sehr wenig wahrscheinlich, dals das verquickte Zink in 
Zinklösung unpolarisirbar sei, da man nicht begreift, wie die an 
der Oberfläche liegenden Quecksilbertheilchen nicht mit dem 
daran ausgeschiedenen Wasserstoff elektromotorisch wirken soll- 
ten. Wie sodann Zink in Chlorcalciumlösung eine. unpolarisir- 
bare Combination abgeben könne, ist gar nicht zu verstehen. 


‘) Untersuchungen über thierische Elektricität. Berlin 1848. Bd. I. 
S. 243. 

*) Untersuchungen u. s. w. Bd.1I. Abth. I. S. 149. 

®) Untersuchungen u. s. w. Bd. II. Abth. I. S. 409, 


" vom: 30: Juni 1859. 447 


Hrn. Matteucci’s Versuche endlich sind bei weitem nicht 
strenge genug, um darauf eine Behauptung von so grolser prak- 
tischer Wichtigkeit für den Fortschritt der Wissenschaft zu 
gründen, wie die des Daseins einer wirklich unpolarisirbaren 
Combination. Erstens besals sein Multiplicator, obschon von 
24000 Windungen, nur eine sehr mäfsige Empfindlichkeit. Bei 
uns führt ein mit Längs- und Querschnitt aufgelegter Ischiadnerv 
vom Frosch die Nadel eines solchen Multiplicators an die Hem- 
mung, und hält sie beständig auf 40—50°. Einen Ausschlag, 
wie Hr. Matteucci ihn an seinem Multiplicator von 24000 
Windungen bei Ableitung des Muskelstromes mit Zinkelektroden 
in Zinklösung erhält, bekomme ich an meinem alten Multipli- 
eator für den Muskelstrom von nur 4650 Windungen mit Pla- 
tinelektroden in Kochsalzlösung'). Dann aber ist an seiner 
Versuchsweise auszusetzen, dals während der Zeit, die nothwen- 
dig ist, um die Nadel auf Null zu bringen und den thierischen Erreger 
durch einen unwirksamen feuchten Leiter zu ersetzen, die wäh- 
rend der Dauer des Stromes vorhandene Polarisation bereits un- 
merklich geworden sein kann. Bei dem, übrigens vonHrn. Faraday 
herrührenden Kunsigriff”), die Nadel einseitig zu hemmen, wird 
zwar dieser Zeitverlust vermieden. Dafür tritt jedoch der Ver- 
dacht ein dafs die Nadel an der Hemmung geklebt, oder dals 
sich, in Folge des Abhebens der Glocke beim Anbringen der 
Hemmung, die Gleichgewichtslage der Nadel während des Ver- 
suches im Sinne des ursprünglichen Stromes verrückt habe, oder 
endlich dafs die Hemmung zu weit im Sinne der Ladung ver- 
schoben worden sei. 

Wie dem auch sei, ich durfte natürlich nicht anstehen, die 
Angaben der Hrn. Regnauld und Matteucci einer Prüfung 
von solcher Schärfe zu unterwerfen, wie die Bedeutung des Ge- 
genstandes sie erheischt. Ich theile in dem Folgenden das, wie ich 


!) Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1843. Bd. LVIII. S. 2; — Un- 
tersuchungen u. s. w. Bd. I. S. 464 ff.; — Bd. II. 1. Abth. S. 492. 

*) Experimental Researches in Electricity. Reprinted from the Phi- 
losophical Transactions. vol. I. Second Edition. London 1849. Series IX. 
Dec. 1834, p. 332. 333. No. 1087. p. 338. No. 1103.* „Blocking the 


needle”; — Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1835. Bd. XXXV. S. 428. 
436.* 


448 Gesammisitzung 


glaube, nicht unwichtige, jedenfalls überraschende Ergebnifs mei- 
ner Untersuchung mit. Ich bemerke übrigens hinsichtlich der Art, 
wie dieselbe geführt ist, dafs ich dabei weniger vom Standpunkte 
des Physikers ausging, der die Polarisation um ihrer selbst wil- 
len erforscht, als von dem des Elektrophysiologen, dem es zu- 
nächst nur darauf ankommt, sich für seine besonderen Zwecke 
gewisse Kenntnisse und Hülfsmittel zu verschaffen. Aus diesem 
Grunde wird man manche Frage, die sich hier zur Beantwer- 
tung darbot, unerledigt, ja unberührt finden. | 

Ich begann damit einige Vorversuche mit käuflichem Zink- 
draht in käuflicher Zinklösung') anzustellen. Die Drähte hatten | 
0.5”® Durchmesser, und wurden, damit sie ja gleichartig sein 
sollten, so geschnitten, dafs die beiden zum Eintauchen be- 
stimmten Enden im Draht aneinanderstielsen. Sie wurden ge- 
putzt, indem ich sie an dem zum Einklemmen bestimmten Ende 
mit einer Zange falste, und sie durch feines Sandpapier hin- 
durchzog, bis sie überall eine gleichmäfsig blanke Oberfläche 
zeigten. Dies liefs sich am leichtesten erkennen, indem ich das | 
freie Ende in Schwingungen versetzte. Sodann zog ich die 
Drähte so oft durch die Falten eines reinen Linnentuches bis 
sie keinen schwarzen Strich mehr hinterliefsen. In diesem Zu- 
stand eingetaucht, verhielten sie sich am Muskel- Multiplicator 
meist leidlich gleichartig. Am Nerven-Multiplicator hingegen 
war kaum etwas damit anzufangen. Es gehörte eine übermensch- 
liche Geduld dazu, um abzuwarten, dals die hier noch stets beträcht- 
licher Wirkungen fähigen und dabei im höchsten Grade wandel- 
baren Ungleichartigkeiten der Drähte einmal in einer glücklichen 
Stunde eine Beobachtung erlaubten. Die Nadel wurde dadurch bald 
auf dieser, bald auf jener Seite des Nullpunktes oft auf 20—25° be- 
ständiger Ablenkung gehalten, oder sie wanderte langsamer oder 
schneller über den Nullpunkt fort zwischen diesen Grenzen hin und 
her, so dals an Compensiren dieser der Gröfse und Richtung 
nach völlig unbeständigen Wirkungen durch eine in den Kreis 
eingeführte elektromotorische Kraft auch nicht füglich zu denken \ 


‘) Mit Zinklösung ist vor der Hand stets gesättigte schwefelsaure 
Zinkoxydlösung gemeint. Die käufliche Lösung ist die des Zincum sul- 
phuricum Pharm. Bor. (nicht des venale). 


vom 30. Juni 1859. 449 


war. Die geringste Erschütterung eines der beiden Drähte, 
auch wenn dabei die Benutzung neuer Punkte der Oberfläche 
vermieden war, machte den erschütterten Draht negativ gegen 
den anderen, wie mir schon von früherher bekannt war'). 
Überhaupt aber schien es, als ob hier das Geschlossenhalten der 
eingetauchten Drähte zum Kreise, wodurch ursprünglich un- 
gleichartige Platindrähte bald nahe oder ganz gleichartig werden, 


nicht nur wenig nutzte, was sich aus der vergleichweise 
geringen Ladungsfähigkeit erklärt, sondern sogar schädlich wirkte. 
Streifen von Zinkblech statt der Drähte angewandt erwiesen 
sich vollends als unbrauchbar. 

Was die Ladungsfähigkeit anlangt, so gelangen mir mit 
diesen Elektroden zwar sehr leicht ähnliche Proben wie die 
durch welche Hr. Matteucci die Unpolarisirbarkeit des destil- 
lirten oder verquickten Zinks in Zinklösung bewiesen zu haben 
glaubt. Also z. B. liels ich den Muskel 5’ lang die mit Zink- 
lösung getränkten, mit Eiweilshäutchen bekleideten Bäusche mit 
Längs- und Querschnitt berühren, hob ihn dann ab, brachte die 
Nadel mittelst des Beruhigungsstäbchens auf Null, was kaum län- 
ger dauert, als eine halbe Schwingung, und legte den Schlie- 
Ssungsbausch auf, so gab sich keine Spur von Ladung zu er- 
kennen. Man würde sich also für gewöhnlich, wenn es sich 
blofs darum handelte, die Ladung nicht zu sehen, zu Ver- 
suchen am Muskel-Multiplicator der käuflichen Zinkdrähte in 
käuflicher Zinklösung bedienen können. Dals aber dennoch diese 
Combination nicht unpolarisirbar sei, zeigte sich sofort, als ich 
die Zinkdrähte ein paar Secunden lang mit einer Grove’schen 
Kette, dann durch Umlegen einer Wippe schnell mit dem Mus- 
kel-Multiplicator verband. Jetzt erfolgte, wie es nach jenen äl- 
teren, oben S. 446 angeführten Versuchen nicht anders zu er- 
warten war, ein heftiger Ausschlag im Sinne negativer Ladung. 
Und es ward mir nicht schwer, denselben Erfolg auch mit Strömen 
von der Ordnung des Muskelstromes wahrnehmbar zu machen, 
indem ich der Wippe eine solche Einrichtung gab, dafs die 
Schlielsung des Multiplicatorkreises möglichst rasch auf die Öff- 
nung des Kettenkreises folgte. Die Ströme erzeugte ich theils 


*) S. diese Berichte, 1854, $. 296. 297. 


450 Gesammtsitzung 


mit Hülfe einer Säure-Alkali- Kette, da ich damals noch nicht 
auf die Anwendung des Princips der Nebenschliefsung zur Er-Ü 
zeugung passend abgestufter Ströme bei thierisch- elektrischen 
Versuchen verfallen war; theils diente mir dazu der Muskelstrom{i 
selber. Ich brachte nämlich zwischen den Ziukdrähten, als Ne- 
benschliefsung zum Multiplicator, noch eine metallische Leitungfi 
an, deren Widerstand gegen den des Multiplicators verschwand,fi 
so dafs die Nadel auf Null blieb. In dem Augenblick nachdem 
ich den Muskel entfernt hatte, öffnete eine eigenthümlich ge-# 
baute Wippe diese Nebenschliefsung und drückte unmittelbarf 
darauf den Schlielsungsbausch auf die Zuleitungsbäusche. Unterf} 
diesen Umständen erhielt ich am Nerven-Multiplicator eine zwarfi 
sehr kleine, aber deutliche Spur von Ladung. Man bemerktfj 
leicht, dals die zum Multiplicator angebrachte Nebenschlielsungf 
mir hier denselben Dienst leistete, wie Hrn. Matteucci diefi 
einseitige Hemmung der Multiplicatornadel, jedoch ohne diesel-fi 
ben Bedenken nach sich zu ziehen. 

Wurden noch schwächere Ströme angewandt, so gelang es) 
auch mit Hülfe dieser Vorkehrungen nicht, deutliche Spurenf 
negativer Polarisation wahrzunehmen. Hingegen gab sich, bei lange 
dauernder Schliefsung solcher Ströme, die sonderbare Erscheinung 
einer positiven Polarisation kund, welche schon früher von Hrn.f 
Beetz und Hrn. Martens an Eisen in verdünnter Schwefel-f 


säure und von mir selber an verquicktem Zink in Brunnenwas-fi 
ser beobachtet wurde'). So beständig war hier diese Erschei-Ä 
nung, dals ich zu der Vorstellung geführt wurde, die Polarisa-f} 
tion des Zinks in Zinklösung sei bei schwachen Strömen positiv,f 
über eine gewisse Stromstärke hinaus negativ. Die positive Po-f 
larisation bei schwachen Strömen würde erklären, warum bei 
dieser Combination das Geschlossenhalten der Elektroden zumf 
Kreise, statt die Gleichartigkeit zu befördern, dieselbe vielmehr | 
gefährde. Der ursprünglich vorhandene Strom würde sich sel- 
ber allmälig durch positive Polarisation verstärken, statt sichf 
durch negative Polarisation zu schwächen. 

Dadurch dafs ich unter denselben Umständen, wo Hrn. Mat- 
teucci reines und verquicktes Zink in Zinklösung keine Ladung 


t) Untersuchungen u. s. w. Bd. I. $. 236. 610. 


vom 30. Juni 1859. 451 


aben, auch mit unreinem keine erhielt, während ich unter 
esseren Bedingungen mit diesem letzteren allerdings Ladung 
eobachtete, mulste mir die angebliche Unpolarisirbarkeit des 
einen und des verquickten Zinkes natürlich doppelt verdächtig 
erden. Ich beharrte indels, der Wichtigkeit der Sache halber, 
n meinem Entschluls, derselben auf den Grund zu gehen; und 
lücklicherweise bot sich mir die Gelegenheit, dies auf einem 
iel vollkommneren Wege, als dem. bisher betretenen, zu ver- 
uchen. 

Durch die Güte meines Freundes Werner Siemens 
jtand mir nämlich die von diesem in Poggendorff’s An- 
alen u. s. w. 1857. Bd. CI. S.70 ff. beschriebene und 
af. I. Fig. 1—3 ebendaselbst abgebildete automatische Wippe 
‚u Gebot, welche für die Erforschung solcher Ladungserschei- 
ungen, die nach einer kurze Zeit dauernden Durchströmung 
ıinterbleiben, sehr geeignet ist, da sie Wirkungen wahrzuneh- 
en gestattet, welche ihrer Kleinheit halber bei einmaliger Ein- 
irkung auf die Nadel völlig spurlos vorübergehen. Ich mufs 
iese Wippe hier als bekannt voraussetzen. Der Plan, nach 
em ich verfuhr, war folgender. Der Schieber der Wippe sollte, 
dem er sich an die eine der Anschlagschrauben m’ und n’ 
. die angeführte Figur) anlegte, den urprünglichen Strom 
urch die auf ihre Ladungsfähigkeit zu prüfenden Elektroden 
indurchlassen. Indem er sich an die andere der beiden Schrau- 
en anlegte, sollte er der Ladung Gelegenheit zur Abglei- 
"hung im secundären Strome geben. Beide Kreise, der primäre 
d der secundäre, sollten gleichen Widerstand haben, und ver- 
leichbare Bussolen enthalten. Es sollten die beständigen Ab- 
kungen bestimmt werden, in denen die beiden Bussolnadeln 
halten würden durch die sich in gleichen, sehr kurzen Zwi- 
ehenräumen wiederholenden gleichen, sehr kurzen Stölse be- 
iehlich des secundären und des primären Stromes. Das Ver- 
tnils beider (auf eine und dieselbe Einheit zurückgeführter) 
blenkungen $S:P=« kann man als den Polarisationscoefficien- 
en der betreffenden Combination für die durch den Mechanis- 
us der Siemens’schen Wippe bedingten Zeitverhältnisse be- 
eichnen, und aus der Vergleichung der Polarisationscoäfficienten 


452 Gesammtsitzung 


verschiedener Combinationen einen Schlufs auf deren vergleich- 
weise Ladungsfähigkeit ziehen. 

Bei der Ausführung dieses Planes handelte es sich natür- 
lich zunächst darum, die Anwendung der beiden vergleichbaren 
Bussolen zu umgehen. Das Mittel dazu bestand darin, nur eine 
Bussole zu beobachten, diese aber abwechselnd in den secun- 
dären und primären Kreis einzuschalten. 

Als Bussole wendete ich die von Hrn. Wiedemann mit 
Hrn. W. Weber’s Stahlspiegel und dämpfender Kupferhülse 
versehene Lamont’sche Bussole') mit verschiebbaren Gewinden 
an, wie sie Hr. Sauerwald hierselbst in gewohnter Vollkom- 
menheit anfertigt. Die Entfernung der Scale vom Spiegel be- 
trug 2285””. Das Rollenpaar, dessen ich mich bediente, hat 
12000 Windungen eines ganz feinen Kupferdrahtes, und die Bus- 
sole zeigt mit demselben, wenn beide Rollen über der Kupfer- 
hülse zusammengeschoben sind, ohne dafs dem Spiegel etwas von 
seiner Richtkraft genommen wird, eine Empfindlichkeit, welche 
sich der des Nerven-Multiplicators nähert, indem dieser, zwei 
seiner Grade auf einen Scalentheil gerechnet, innerhalb der er- 
sten 55° allerdings die grölsere relative, und innerhalb der er- 
sten 65° die gröfsere absolute Empfindlichkeit besitzt, darüber 
hinaus jedoch der Bussole mehr und mehr nachsteht. Leider 
schwang der Spiegel etwas zu schnell, so dafs er die kleinen 
Unvollkommenheiten im Gange der Wippe nicht hinlänglich 
durch seine Trägheit ausglich, sondern bei starken Strömen in 
fortwährenden kleinen Schwankungen blieb, aus deren Beobach- 
tung auf die wahrscheinliche Gleichgewichtslage des Spiegels 
geschlossen werden mulste. 

Da die Bussole einen sehr bedeutenden Widerstand dar- 
bietet, so leuchtet ein, dals es nicht genügte, dieselbe einfach 
abwechselnd in beide Kreise einzuschalten. In dem Fall, dals 
die Bussole sich im primären Kreise befand, wäre der primäre 
Strom geschwächt, hingegen die Entladung der Elektroden: be- 
günstigt gewesen; im anderen Falle wäre der primäre Strom 
stärker gewesen, und der Polarisationsstrom hätte einen sehr 


*) Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1853. Bd. LXXX VII. S. 230;* 
— Bd. LXXXIX. S. 504. Anm. 


vom 30. Juni: 1859. 453 


N en Widerstand zu überwinden gehabt. Um diesem Übel- 
stande vorzubeugen, mals ich an einem Siemens-Halske’schen 
Rheostat, wie sich derselbe in dem oben angeführten Aufsatz 
des Hrn. Siemens S. 75 beschrieben, Taf. I. Fig. 4. ab- 
gebildet findet, mittels des Wheatstone’schen Stromnetzes 
einen Widerstand gleich dem der Bussole ab, und traf eine 
solche Anordnung, dafs jedesmal, wenn sich die Bussole in 
dem einen Kreise befand, dieser Widerstand, nämlich 80 Meilen 
Telegraphendraht, in den anderen Kreis eingeschaltet war. 


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454 Gesammtsitzung 


Die vorhergehende Figur ist bestimmt, eine Übersicht der 
Einrichtung des Versuches zu geben. Um sich darin zurecht- 
zufinden, sehe man zuerst von den punktirten einfachen Linien 
ab. Dieselben kommen erst später in Betracht. 

E,E' sind die auf ihre Ladungsfähigkeit zu prüfenden Elek- 
troden. %’ ist der Schieber der Siemens’schen Wippe, der 
während der Ruhe der Wippe durch die Feder wider den lei- 
tenden Anschlag m’ gedrückt wird, während des Ganges, unter dem 
abwechselnden Einflufs der Feder und des Elektromagnets, bald m’, 
baldden gegenüberliegenden, ebenfalls leitenden, Anschlag n’ trifft'), 
und beziehlich an jedem so lange liegen bleibt, bis der Hebel 
seinen Hub in der anderen Richtung nahe vollendet hat. 

B ist die Bussole, Ar der an Widerstand derselben gleiche 
Rheostat. Dist eine Daniell’sche oderGrove’sche Kette grö- 
[serer Art, für deren Beständigkeit stets die äulserste Sorgfalt getra- 
gen wurde. Von derselben wurde durch Nebenschliefsung der 
ursprüngliche Strom in folgender Art abgeleitet. NS ist ein 
gleich einer Claviersaite auf einem Brett ausgespannter Messing- 
draht von 1.75”” Durchmesser und beiläufig 1.6" Länge. Die- 
ser Draht heifst der Nebenschlielsungsdraht. Das Ende 
S des Nebenschlielsungsdrahtes steht durch einen Schlüssel S in 
Verbindung mit der Kette sowohl als mit den Elektroden. Hier 
also spaltet sich, bei geschlossenem Schlüssel $, wie man in der 
Figur sieht, der Strom, und geht zum Theil durch den Neben- 
schliefsungsdraht, zum Theil durch die Elektroden weiter. Auf 
dem Wege zu den Elektroden trifft er auf einen Pohl- 
schen Stromwender C,, der dem Stromzweig zwischen den Elek- 
troden die passende Richtung in Bezug auf eine schon beste- 
hende Ungleichartigkeit giebt, also z. B., wenn negative Polari- 
sation erwartet wird, die Richtung jener Ungleichartigkeit. In 
der Figur ist eine solche Lage der Wippe des Stromwenders 
angenommen, dals der Stromzweig geradesweges weiter zur Elek- 
trode E’ geht. Auch ist hier noch ein Schlüssel S, eingeschaltet, 
der jenen Stromzweig nach Belieben herstellt oder unterbricht. 


t) Die Bezeichnungen %, m’ und n’ sind der leichteren Vergleichung 
halber aus Hrn. Siemens Beschreibung seiner Wippe beibehalten. S.a. 
a. O. 


vom 30. Juni 1859. 455 


Aus den Elektroden kehrt der Stromzweig, nachdem er andere 
Theile der Vorrichtung durchlaufen hat, durch die Leitung «&yd 
zurück, um sich bei ö wieder mit dem Hauptstrome zu vereini- 


gen. Das Ende ö des Drahtes C,ö ist beweglich am Neben- 


schliefsungsdrahte, so dafs man zwischen S und Ö ein beliebiges 
Stück des Nebenschlielsungsdrahtes aufnehmen kann. Die Folge 
davon ist begreiflich, dals der Stromzweig zwischen den Elektroden 


_ verschiedene Stärke erlangt. Der Nebenschlielsungsdraht ist so 


gewählt, dals man mittels der Verschiebung von ö leicht Ströme 
von der Ordnung des Muskelstromes erzeugen kann. Beim Öffnen 
des Schlüssels S aber fällt die Nebenschlielsung ganz fort, und 
der Strom der Kette D gelangt ungeschwächt zu dem Elektro- 
denpaar. Selbst in diesem Falle aber, kann man annehmen, blei- 
ben die Widerstände des primären und des secundären Kreises 
einander hinlänglich gleich, da der Widerstand der Kette D 
gegen den der Bussole oder des Rheostats und der Ladungs- 
zelle nicht in Betracht kommt. 

€, und C, sind zwei Pohl’sche Stromwender ohne Kreuz, 
und, wie die ihre Wippen verbindende punktirte Doppellinie 
anzeigen soll, mit gekuppelten Wippen. Diese Anordnung ist 
derselben Dienste fähig, welche die neuerdings von Hrn. Wild 
beschriebene Wippe leistet '). Die Doppelwippe C, C; war es, 
die, wie man leicht versteht, wenn sie nach rechts in der Figur 
umgelegt war, den ursprünglichen Strom durch die Bussole und 
den secundären durch den Rheostat lies, wenn nach links, die 
umgekehrten Verbindungen herstellte. Der Stromwender mit 
Kreuz C, bewirkt, dals man abwechselnd die Contactstelle m’ 
in den Kreis des ursprünglichen, die n’ in den des secundären 
Stromes aufnehmen könne, und umgekehrt. S, ist ein Schlüssel, 
welcher in den den beiden Kreisen, dem primären und dem se- 
eundären, gemeinsamen Theil der Leitung eingeschaltet, in 
jedem Augenblick die Nichtveränderung des Nullpunktes zu con- 
troliren erlaubt. Endlich MM’ stellt den Elektromagnet der 


*) Die Neumann’sche Methode zur Bestimmung der Polarisation 
und des Übergangswiderstandes, nebst einer Modifikation derselben. Vier- 
teljahrsschrift der naturforschenden Gesellschaft in Zürich. 2. Jahrgang. 
0837. S. 213.* 

[1859.] 32 


-456 Gesammitsitzung 


Siemens’schen Wippe, G die zugehörige Gangkette, bestehend 
aus zwei Grove’schen Elementen grölserer Art, S; den Schlüs- 
sel vor, der die Wippe in Gang und in Ruhe setzt. 

Sendet man einen beständigen Strom durch die eine oder 
die andere der beiden Contactstellen m’ und n’ der im Gange 
begriffenen Siemens’schen Wippe, so bleibt ein gewisser 
Bruchtheil der Stromstärke übrig, den man als den Co£fficienten 
der bezüglichen Contactstelle bezeichnen kann. Die Wippe ar- 
beitet um so vollkommener, je gleicher und je gröfser zugleich 
die beiden Coeffhicienten sind. Im besten Zustande der Wippe 
unterscheiden sich die beiden Coäffhicienten um keinen in Be- 
tracht kommenden Bruchtheil ihrer Gröfse von einander, und 


zwar erreichen sie dabei den Werth von —. Es stellt sich 
2.6 


aber die Nothwendigkeit heraus, die Coefficienten mit Leichtig- 
keit öfter revidiren zu können, und kleine Veränderungen der- 
selben, die sich aus unbekannten Gründen dann und wann ein- 
finden, durch etwas veränderte Spannung der Federn (Vergl. 
die Beschreibung der Wippe a. a. O.) zu berichtigen. Zu die- 
ser Revision diente die in der Figur durch die punktirten einfachen 
Linien angedeutete Anordnung. C,,C,, C, sind Stromwender ohne 
* Kreuz. Die Wippen von C, und C, sind gekuppelt. Wird die 
Doppelwippe C, C, von E, E, £ nach D’, 5, = umsgelegt, 
und die Wippe des Stromwenders C, ausgehoben, so geht der 
von dem Nebenschlielsungsdraht abgeleitete Stromzweig statt 
durch die Elektroden E, E’ durch die Bussole, und, je nach der 
Lage der Wippe C,, durch die eine oder die andere Contact- 
stelle. War dieSiemens’sche Wippe gut im Stande, so durfte 
der Spiegel das Umlegen der Wippe C, nur durch ein Zucken 
nach der Ruhelage hin beantworten. 

Aulserdem wurden, zu grölserer Sicherheit, die Versuche 
stets so angestellt, dals jede Contactstelle einmal in den primä- 
ren und einmal in den secundären Kreis eingeschaltet wurde. 
Dies gab zwei Paar Ablesungen, £,, S,, und P,„ Sm» Da 
aber auch noch die Richtung des primären Stromes durch das 
Elektrodenpaar umgekehrt wurde, so setzte sich schliefslich jede 
Bestimmung des Polarisationsco@fficienten in dem oben S. 451 
angegebenen Sinne aus acht Ablesungen zusammen, welche den 


vom 30. Juni 1859. 457 


acht möglichen Combinationen der beiden Lagen der Doppel- 
wippe €, C,, der Wippe C,, und der €, entsprachen. 

Sollte die Polarisation nach längerer Dauer des ursprüng- 
lichen Stromes beobachtet werden, so brachte ich mittelst des 
Schlüssels $S, die Siemens’sche Wippe in Ruhe, und legte 
die Doppelwippe C, C,z nach oben, die Wippe C, aber nach 
unten in der Figur um, wodurch die Bussole und die Contact- 
stelle m’, gegen welche die Feder den Schieber drückt, in den 
secundären Kreis geriethen. Dann fixirte ich durch einen Keil 
den Hebel der Siemens’schen Wippe in der Lage, die ihm 
der Elektromagnet zu ertheilen strebt, und hielt so, bei geöff- 
netem secundären Kreise, den primären Kreis dauernd geschlos- 
sen. Wurde im gegebenen Augenblick der Keil fortgezogen, 
so fiel der Hebel, der Feder gehorchend, vom Magnet ab, gleich 
als wäre dieser durch Öffnen seiner Gangkette entmagnetet wor- 
den, nur, da kein magnetischer Rückstand den Fall verzögerte, 
noch geschwinder, und führte zuletzt mit grolser und stets 
gleicher Geschwindigkeit den Schieber in die Lage über, wo er 
den secundären Kreis schlols. Diese Beobachtungsweise der La- 
dung soll zum Unterschied von der erstbeschriebenen, zu der 
die Siemens’sche Wippe eigentlich allein bestimmt ist, die 
zweite heilsen. Als dritte endlich gelte die selten ange- 
wandte Versuchsweise, wobei die Ladung im primären Kreise selber 
nach Aufhören des ursprünglichen Stromes beobachtet wurde. 
Hiezu genügte es, bei ruhender Wippe und bei Gegenwart der 
Bussole im primären Kreise, im gegebenen Augenblick einen in 
dem Hauptkreis DNS der Keite selbst angebrachten Schlüssel 
zu öffnen. 

Bemerkt zu werden verdient noch, dals ich es zur Erleich- 
terung des Vergleiches der primären und secundären Wirkung 
bequem gefunden hatte, die Leitungen, wie es sich aus der Fi- 
gur ergiebt, so auzuordnen, dals negative Ladung im secundären 
_ Kreise den Spiegel in derselben Richtung ablenkte, wie der ur- 
sprüngliche Strom. 

Ich begann damit zuzusehen, wie sich die Ladung einiger 
in Ansehung ihrer Polarisirbarkeit bereits besser gekannten 
Combinationen an meiner Vorrichtung gestalten würde. Wo 
es nicht ausdrücklich anders bemerkt ist, hatten die auf ihre 

32° 


458 Gesammitsitzung 


Ladungsfähigkeit zu prüfenden Elektroden die Form von Dräh- 
ten von 0.5"" Durchmesser und tauchten bei 1°” Abstand von 
einander 2°” tief in die Flüssigkeit. 

(1) Platin in verdünnter Schwefelsäure (SO,H: 
HO::1:5 dem Volum nach). Die elektromagnetischen Wir- 
kungen des primären und des secundären Stromes ergaben sich 
als völlig gleich, so dafs rasches Umlegen der Doppelwippe 
C, C,, oder Vertauschen beider Wirkungen mit einander an der 


Bussole, sich im Fernrohr nur durch ein Zucken des Spiegels 


nach der Ruhelage hin bemerklich machte. « ($. oben S. 451) 
waralso hier=1. In Übereinstimmung damit sah man, bei der 
dritten Beobachtungsweise, den primären Strom beim Schlielsen 
des Schlüssels S, augenblicklich bis auf einen sehr kleinen Bruch- 
theil verschwinden, und beim Öffnen des im Hauptkreise befind- 
lichen Schlüssels, auch nach kürzester Frist, einen negativen 
Ausschlag von sehr nahe gleicher Gröflse mit dem primären er- 
folgen. Die Gleichheit der primären und secundären Wirkung 
hörte übrigens, wie sich nach den bekannten Gesetzen der Po- 
larisation erwarten liels, auf, wenn die Stärke des primären Stro- 
mes eine gewisse Grenze überschritt. Schon bei Anwendung 
eines einzigen, nicht durch Nebenschlielsung geschwächten Da- 
niell’s fing die primäre Wirkung zu überwiegen an; bei fünf 
Daniell’schen Gliedern war « nur noch etwa = %, wozu 
noch kommt, dafs jetzt der secundäre Kreis dem primären an 
Widerstand bedeutend nachstehen mulste. 

Platinplatten, die sich in 1°” Abstand 2 Quadratcentimeter 
benetzter Oberfläche zukehrten, zeigten ganz dieselben Erschei- 
nungen. 


und Platten. Ganz dieselben Erscheinungen. 

(3) Platin in rauchender Salpetersäure. Diese 
Combination gilt allgemein für unpolarisirbar, und ich selber 
habe früher einen Versuch beschrieben, der dies zu beweisen 
scheint. Die durch den Strom einer Grove’schen Kette, in 
deren Kreis Platinelektroden in rauchender Salpetersäure einge- 
schaltet waren, in beständiger Ablenkung gehaltene Nadel zeigte 


keinen merklichen positiven Ausschlag, als der Strom in dem 


Elektrodenpaar mittels einer Wippe so rasch wie möglich um- 


(2) Platin in gesättigter Kochsalzlösung. Drähte 


vom 30. Juni 1859. 459 


gekehrt wurde'); eine Beobachtungsweise der Ladungen, die 
wir im Gefolge der bereits früher aufgezählten hier beiläufig 
noch als die vierte bezeichnen können. Hr. Pflüger hat neuer- 
dings, bei Wiederholung dieses Versuches, unter denselben Um- 
ständen nur 1° Ausschlag beobachtet, wo Kupferelektroden in schwe- 
felsaurer Kupferoxydlösung 20° Ausschlag gaben. Indessen ist nicht 
zu übersehen erstens, dals bei dieser Versuchsweise die Empfindlich- 
keit der Nadel nothwendig vermindert ist, selbst wenn man sich, 
wie Hr. Pflüger that, in den empfindlichen Breiten der Thei- 
lung hält; zweitens, dals, in meinem Falle bestimmt, in Hrn. 
Pflüger’s Falle höchst wahrscheinlich, Elektroden von gröfserer 
Oberfläche angewendet wurden. Mit Drähten als Elektroden 
zeigt die Siemens’sche Wippe, dals diese Combination noch 
einen gewissen und zwar gar nicht so geringen Grad von La- 
dungsfähigkeit besitzt. Ich bemerke dals die Säure tief braun- 
roth gefärbt war, stark rauchte, und bei 26.9°C. 1.49 Dichte 
befals. Dennoch war mit Strömen von der Stärke des Muskel- 


1 . es . 1 
stromes «= —, mit ungeschwächtem Daniell = — Auch als 
33 37 


ganz einfach die oben S. 457 als zweite bezeichnete Ver- 
- suchsweise mit einem solchen Daniell und 2’ Durchströmung 
in's Werk gesetzt wurde, erfolgte ein Ausschlag von 40 Scalen- 
_ theilen. Da in dieser Combination der Wasserstoff an der ne- 
gativen Elektrode auf Kosten der Salpetersäure oxydirt wird, 
so hat man sich vermuthlich zu denken, dafs diese Pnlarisation 
von der elektromotorischen Wechselwirkung des Platins und 
des Sauerstoffs an der positiven Elektrode herrührt, welche das 
Platin noch negativer mache, als es schon durch die Berührung 
mit den hohen ÖOxydationsstufen des Stickstoffs wird. 

(4) Silber in gesättigter salpetersaurer Silber- 
oxydlösung. Auch diese für unpolarisirbar geltende Combi- 
nation lies an der Siemens’schen Wippe unter Umständen 
bedeutende Ladungen hervortreten, bot aber noch aulserdem 
eine sehr merkwürdige Erscheinung dar. Ich fand nämlich mit 


') Untersuchungen u. s. w. Bd. II. Abth. I. S. 379. 
?) Untersuchungen über die Physiologie des Elektrotonus. Berlin 
1859. S. 449. 450. . 


460 Gesammtsitzung 


.. 1 1 
Strömen von der Ordnung des Muskelstromes a= 1; -—: 


Az dep, 
ein Mals der Ladungsfähigkeit etwa so als ob gar keine Vor- 


kehrung zur Beseitigung der Ladung wäre getroffen wor- 
den. Hingegen mit ungeschwächtem Daniel ward « nur 


Fo u gefunden. Dies rührte nicht allein davon her, dafs 
die Stärke des Polarisationsstromes überhaupt langsamer wächst 
als die ursprüngliche Stromstärke. Sondern indem ich bei ar- 
beitender Wippe die secundäre Wirkung dauernd beobachtete, 
während ich die Länge der Nebenschliefsung zwischen S und ö | 
stetig wachsen liels, zeigte sich’s, dals die absolute Grölse der 
secundären Wirkung in Bezug auf die primäre Stromstärke ein 
Maximum habe. Ich ziehe vor mich jeder Äufserung über die 
muthmafsliche Ursache dieser Erscheinung zu enthalten, erlaube 
mir aber, dieselbe der Aufmerksamkeit derjenigen zu empfehlen, 
welche die Elektrolyse zum Gegenstand ihrer Untersuchungen 
machen. 

(5) Kupferdrähte in verdünnter Schwefelsäure von 
der unter (1) angegebenen Concentration waren zu ungleichartig, 
um einigermalsen genauere Beobachtungen zu gestatten. Als sie 
nur mit den Spitzen eintauchten, gelangen einige Ablesungen, 
wonach bei Strömen von der Ordnung des Muskelstromes « 


5 1 . =. 
hier etwa = — sein würde. 


1.5 

(6) Kupferelektroden inschwefelsaurer Kupferoxyd- 
lösung verhielten sich auch nur selten gleichartig genug für 
meinen Zweck. Es zeigte sich, dals mit dieser Combination die 
Polarisation für Ströme von der angegebenen Ordnung an der 
Siemens’schen Wippe fast unmerklich war. Sie ward erst 
melsbar, als die ganze Länge des Nebenschlielsungsdrahtes in 
den primären Kreis aufgenommen worden war. Unter diesen 
Umständen bestimmte ich & zu höchstens — Nicht. erheblich 


kleiner fiel & bei Anwendung eines ungeschwächten Daniell’s aus. 
Während demnach bei der oben S. 458 als vierten bezeichneten 
Beobachtungsweise Kupfer in Kupferlösung viel stärkere Ladung 
giebt, als Platin in Salpetersäure, übertrifft an der Siemens- 
schen Wippe die secundäre Wirkung der letzteren Combination 
die der ersteren um etwa das fünffache; ein Widerspruch zwi- 


vom 30. Juni 1859. 461 


schen den Ergebnissen beider Methoden, auf den wir unten 
werden zurückzukommen haben, der aber immerhin hier schon 
dienen kann zu zeigen, dals die gewöhnlichen Beobachtungswei- 
sen nicht ausreichen, wenn es sich darum handelt, einer Com- 
bination die Ladungsfähigkeit abzusprechen, sondern dals man 
in dieser Beziehung mindestens noch eine Vorrichtung nach Art 
der Siemens’schen Wippe zu befragen habe. 

(7) Käufliches Zink in käuflicher Zinklösung. In 
der That lehrt denn auch die Siemens’sche Wippe sofort, 
dals diese Combination nicht allein, den oben S. 449 berich- 
teten Erfahrungen scheinbar entgegen, durch Ströme von der 
Ordnung des Muskelstromes Ladung im gewöhnlichen, nega- 
tiven Sinn annimmt, sondern dafs diese Ladung sogar, unter 
übrigens gleichen Umständen, die des Kupfers in Kupferlösung 


ganz ungeheuer übertrifft. & nämlich ward hier, so genau als 


die Ungleichartigkeiten es gestatteten, zu 1, ZI, ja einmal 
5.5 3.3 


zu -— bestimmt. Mit dem Strome des ungeschwächten Da- 
2.3 


. 1 . . . . 
niel’s war « nur = —» also relativ sehr viel kleiner, je- 
19.3 


doch nicht, wie beim Silber in Silberlösung, auch absolut klei- 
ner als mit den schwachen Strömen. 

Es fragte sich nun natürlicherweise vor Allem wie es 
komme, dafs ich früher bei langer Schlielsung schwacher Ströme 
durch die Zinkelektroden positive, mit starken Strömen aber ne- 
gative Polarisation beobachtet habe. Die Wiederholung des 
Versuches an der Bussole, statt am Multiplicator, liefs ver- 
möge der geringen Schwingungsdauer des Spiegels einen Um- 
stand hervortreten, welcher den Schlüssel hierzu gab. Es zeigte 
sich nämlich, bei der zweiten Beobachtungsweise, zuerst stets ein 
kleiner negativer Ausschlag, von etwa einem Scalentheil, und 
dann erst wurde der Spiegel im Sinn der positiven Polarisation 
abgelenkt. Das unreine Zink in Zinklösung besitzt also wohl 
beide Arten von Polarisation zu gleicher Zeit, die gewöhnliche 
negative, und die unregelmälsige positive, so dafs man in Wahr- 
heit stets nur den Unterschied beider zu sehen bekommt. Die 
beiden Polarisationen befolgen aber in Bezug auf ihr Wachs- 
thum mit der Dauer des ursprünglichen Stromes und auf ihre 


462 Gesammtsitzung 


[2 


o £ L [4 7 Ach t W 


Abnahme nach dem Aufhören desselben ein verschiedenes Ge- 
setz, wie dies in der Figur vorgestellt ist. Die Abscissen 02 bedeu- 
ten die Zeiten, die ausgezogenen Curven gehören der negativen, 
die punktirten Curven der positiven Polarisation an. Die nega- 
tive Polarisation wächst mit der Dauer der Schlielsung bis zu einer 
gewissen Grenze rascher als die positive, nimmt aber auch nach 
Unterbrechung des primären Stromes schneller ab. Wird die- 
ser daher, wie es in der Siemens’schen Wippe der Fall ist, 
bereits nach sehr kurzer Zeit, z. B. bei z’, unterbrochen, so er- 
hält man eine durch den schraffirten Flächenraum ad!” gemes- 
sene, rein negative, secundäre Wirkung. Wird dagegen die 
Kette erst bei z”’ geöffnet, so fällt die secundäre Wirkung dop- 
pelsinnig aus, indem ein kleiner negativer Vorschlag, gemessen 
durch ede, der grölseren positiven Hauptwirkung vorangeht, die 
durch ez!Y z vorgestellt wird. Ja es scheint, obwohl es mir nicht 
gelang diesen Zustand künstlich herbeizuführen, dafs bei fortge- 
setzter Schlielsung eines Stromes von gewisser Schwäche die 
positive Polarisation die negative sogar an Grölse übertreffen 
kann, so dals die beiden Curven zuletzt einander schneiden. 
Man würde sonst nicht verstehen, wie Zinkelektroden in Zink- 
lösung durch Geschlossenstehen zur Kette ungleichartiger statt 
gleichartiger werden können. Aulserdem findet allem Anschein 
nach auch noch eine verschiedene Abhängigkeit der beiden Ar- 
ten von Polarisation von der Stärke des ursprünglichen Stromes 
statt, der Art, dafs die positive Polarisation viel langsamer mit 
der Stromstärke wächst. So wird es erklärlich, dafs bei gröfse- 
rer Stärke des ursprünglichen Stromes, bei Anwendung z. B. 
eines ungeschwächten Daniell’s, die positive Polarisation nicht 
beobachtet wird. Die unregelmäfsigen Wirkungen, welche nach 
Abgleichung der starken negativen Polarisation in diesem Falle 
meist hinterbleiben, gestatten keine sichere Aussage darüber, ob 


vom 30. Juni 1859. 463 


die positive Polarisation dabei noch spurweise wahrnehmbar sei 
oder nicht. 

Wie dem auch sei, hält man zunächst nur die Empfäng- 
lichkeit des unreinen Zinks in Zinklösung für die gewöhnliche, 
bei weitem wichtigere negative Ladung im Auge, so haben wir 
also gefunden, dafs diese Combination kaum weniger polarisirbar 
ist als Kupfer in verdünnter Schwefelsäure. Es ist danach wohl 
hinlänglich klar, dals Elektroden, welche, bei der gewöhnlichen 
Art der Untersuchung, wie sie von Hrn. Maiteucci in’s Werk 
gesetzt wurde, gar keine, und bei den oben von uns angewand- 
ten, schon etwas schärferen Prüfungen nur eine äulserst schwache 
Spur von Ladung wahrnehmen lassen, dennoch in sehr hohem 
Grade ladungsfähig sein können; und nicht minder klar, nach 
diesen Vorgängen, dals die Untersuchung über das dem reinen 
oder verquickten Zink in Zinklösung zukommende Mals von 
‚Polarisation völlig von vorn anzufangen habe. 

(8) Reines Zink in reiner Zinklösung. Das reine 
Zink, dessen ich mich bediente, hatte Hr. Apotheker Voigt die 
Güte gehabt, durch wiederholte Destillation darzustellen. Zu- 
letzt war dasselbe, was besser wäre vermieden worden, in einer 
eisernen Höllensteinform, obschon allerdings bei möglichst nie- 
driger Temperatur, in Stangen gegossen worden. Aus einem 
Theile dieser Stangen wurden in einer Form aus sogenanntem 
Blaustein (worin zinnerne Soldaten gegossen werden), später, da 
der Blaustein, obschon vorgewärmt, absplitterte, in einer Gypsform, 
Platten von 25”” Breite und 60”" Länge gegossen. Allein 
ich mulste auf den Gebrauch so grofser Platien verzichten, weil 
es schlechterdings unmöglich war, mit den Ungleichartigkeiten 
derselben fertig zu werden. Ich brach daher die an den Stan- 
gen haftenden flügelförmigen Lappen, welche sich durch das Ein- 
dringen des geschmolzenen Metalls zwischen beide Hälften der 
Form gebildet hatten, in schmale Leistchen, und schabte deren 
Oberfläche mit der scharfen Kante einer gesprungenen Glasscheibe 
rein. Diese möglichst reinen Zinkoberflächen tauchte ich in gesät- 
tigte reine schwefelsaure Zinkoxydlösung, die ich Hrn. Heinrich 
Rose verdankte. Auch so liefs die Gleichartigkeit viel zu wün- 
schen übrig, jedoch war sie genügend, um gute Beobachtungen 
an der Siemens’schen Wippe zu gestatten. Es zeigt sich aber, 


464 Gesammtsitzung 


mit Strömen von der Ordnung des Muskelstromes, negative Po- 
larisation eben so stark wie beim käuflichen Zinkdraht, welche 
eben so schnell als dort mit der wachsenden Stärke der Ströme 
abnahm. Mit den schwächsten Strömen nämlieh fand ich « 


— = mit den stärksten, die der Nebenschliefsungsdraht bei An- 


wendung eines Daniell’s zuliels, = -. mit dem ungeschwächten 
3. 


Strom des Daniell’s aber nur noch = — . Auch hier überzeugte 
78.3 5 


ich mich davon, dafs die absolute Grölse der secundären Wir- 
kung nicht, wie beim Silber, ein Maximum in Bezug auf die 
Stromstärke besitzt. 

Dagegen war bei dem reinen Zink im Gegensatz zum käuf- 
lichen keine deutliche Spur von positiver Polarisation zu bemer- 
ken. Bei der zweiten Beobachtungsweise gab sich nach langem 
Schlusse der primären Kette unter denselben Umständen, wo das 
unreine Zink die doppelsinnige Polarisation zeigt, nur eine leb- 
hafte und nachhaltige negative Wirkung kund. 

Es war danach klar, dafs die positive Polarisation nicht dem 
Zink selber, sondern einer Verunreinigung desselben angehöre, 
und zwar wahrscheinlich dem Eisen, da nämlich das Eisen bis- 
her das einzige bekannte Metall ist, welches positive Polarisation 
besitzt. Doch ist unter den Flüssigkeiten, in denen Hr. Beetz 
diese Erscheinung beobachtete, schwefelsaure Zinkoxydlösung 
nicht genannt, die zu prüfen er keinen Grund hatte. Ich ver- 
suchte deshalb wie sich Eisenelektroden in dieser Flüssigkeit 
verhalten. 

(9) Eisen in Zinklösung. Ich fand, dafs zwei Stücke 
Ilsenburger Eisendraht darin sehr gut gleichartig wurden; dals 
sie an der Siemens’schen Wippe, mit Strömen von der Ord- 


nung des Muskelstromes, starke negative Polarisation zeigten 


(= au, EB dals sie aber bei der zweiten Beobachtungs- 
1.7. :2.6 


weise nach langer Durchströmung genau wie das unreine Zink 
einen doppelsinnigen Ausschlag gaben, zuerst einen deutlichen 
negativen Vorschlag, dann eine lang anhaltende positive Wir- 
kung. 

Die chemische Analyse des unreinen Zinkdrahtes, die Hr. 
Heinrich Rose die Güte hatte, in seinem Laboratorium aus- 


vom 30. Juni 1859. 465 


führen zu lassen, wies denn auch in demselben eine gewisse 
Menge Eisen nach. Auch das destillirte Zink ward bei dersel- 
ben Gelegenheit nicht ganz frei von dieser Verunreinigung ge- 
funden, Möglich dals diese Verunreinigungen es waren, von 
welchen auch die negative Polarisation meines destillirten Zinks 
herrührte. Möglich dafs Hrn. Matteucci’s Zink einen Grad der 
Reinheit besafs, bei dem es auch an meinen Vorrichtungen keine 
negative Polarisation gezeigt haben würde. Indessen fehlt der 
chemische Beweis für jene Reinheit, so gut wie der physikali- 
sche für diese Nichtladungsfähigkeit, und was jene Möglichkei- 
ten in hohem Grade unwahrscheinlich macht, ist der Umstand, 
dafs sich in meinen Versuchen zwischen der Empfänglichkeit 
des käuflichen und der des gereinigten Zinks in Zinklösung für 
. die negative Ladung gar kein Unterschied ergeben hat. 

Wie dem auch sei, bei der ungemeinen Schwierigkeit, sich 
Zink in diesem Zustande vollkommenerReinheit zu verschaffen, würde 
den Elektrophysiologen mit dem Vorschlage des Hrn. Jules Re- 
gnauld nicht geholfen sein, da sie immer erst derSiemens’schen 
Wippe bedürfen würden, um sich zu überzeugen, dals ihre Zinkelek- 
troden nicht ladungsfähig seien, und es in dieser Ungewilsheit viel 
bequemer für sie sein würde, sich des käuflichen Kupfers in käuf- 
licher Kupferlösung zu bedienen, welche Combination, nach mei- 
nen Versuchen, eine ohne Vergleich kleinere Ladungsfähigkeit 
besitzt, als jedenfalls schon sehr sorgfältig gereinigtes Zink. 

Vielleicht würde die galvanoplastische Darstellung des Zinks 
ein Mittel abgeben, sich ein minder ladungsfähiges Metall zu 
verschaffen, als das meinige war. Ich habe keine Veranlassung 
mehr gehabt, diesen Versuch anzustellen, auch nicht mich um 
chemisch noch besser gereinigtes Zink zu bemühen, da die fol- 
genden Ergebnisse diese Bemühungen von dem präktischen 
Standpunkte aus, den ich erwähntermalsen hier einnahm, als 
überflüssig erscheinen liefsen. 

(10) Verquicktes Zink in Zinklösung. Ich ging nun 
nämlich auch noch, und zwar, wie ich schon oben S. 446 
andeutete, mit sehr geringen Erwartungen, an die Untersu- 
chung der Ladungsfähigkeit des verquickten Zinks in Zinklö- 
sung. Wie grols war mein Erstaunen, als ich zunächst fand, 
dals zwei beliebige Stücke Zink auf beliebige Art reichlich 


466 Gesammtsitzung 


verquickt, sich in Zinklösung nicht allein an der Bussole, son- 
dern sogar am Nerven-Multiplicator absolut gleichartig ver- 
hielten. Zuerst reinigte ich die Zinkdrähte oder -Bleche sorgfältig 
mit Sandpapier, verquickte sie mit reinem Quecksilber mittels che- 
misch reiner Schwefelsäure, und tauchte sie in die chemisch reine 
Zinklösung. Dann dreister werdend erkannte ich Schritt für Schritt, 
dals alle diese Vorsichtsmalsregeln unnütz seien, und dals zwei be- 
liebige Stücke ganz gemeinen Zinkbleches, wie es zuKlempnerarbei- 
ten gebraucht wird, mit altem schmierigen Quecksilber und roher 
Salzsäure verquickt, mit Wasser abgespült und mit Flielspapier 
abgetrocknet, sich in käuflicher Zinklösung bei einer benetzten 
Oberfläche von mehreren Quadratzollen nach wenigen Augen- 
blicken am Nerven-Multiplicator absolut gleichartig verhalten. 
So vollkommen ist diese Gleichartigkeit, dafs ich, ehe ich mich 
an den Anblick gewöhnt hatte, immer in Versuchung kam zu 
prüfen, ob denn auch der Kreis wirklich geschlossen sei, da beim 
Schliefsen und Öffnen desselben durchaus keine Spur von Bewe- 
gung, sei’s des Spiegels, sei’s der Nadel, bemerklich wurde, nicht 
anders als ob der Kreis entweder an einer zweiten Stelle 
offen oder rein metallisch gewesen wäre. Mit wie geringer 
Sorgfalt diese Gleichartigkeit erzielt werde, die das Beste weit 
hinter sich läfst, was nach meiner Vorschrift mit allem Fleifs 
zubereitete Platinelektroden leisten, geht wohl am deutlichsten 
aus folgendem Versuch hervor. Aus einer Daniell’schen Säule 
griff ich auf’s Gerathewohl zwei Zinkeylinder von beiläufig 33"” 
Durchmesser heraus, von denen, wie sich ergab, der eine schon 
mehrmals, der andere noch nicht gebraucht worden war, und 
tauchte dieselben, nachdem sie, um an dem gebrauchten Cylin- 
der etwa haftendes Kupfer zu entfernen, mit Wasser abgespült 
und mit Fliefspapier abgetrocknet worden waren, einander mög- 
lichst nahe 50"” tief in Zinklösung, wobei also die benetzte 
Oberfläche jedes Cylinders über 50 Quadratcentimeter betrug. 
Es erfolgte zwar im ersten Augenblick ein ziemlich starker Aus- 
schlag am Nerven-Multiplicator, sehr bald aber kam auch hier 
die Nadel absolut auf Null, und blieb daselbst, auch wenn der 
Kreis minutenlang geöffnet und dann wieder geschlossen wurde. 

Die Abgleichung dieser im Anfang vorhandenen Ungleich- 
artigkeiten berubt demnach, wie die Folge noch deutlicher leh- 


vom 30. Juni 1859. 467 


ren wird, nicht auf Polarisation, wie die Abgleichung der Pla- 
tinelektroden in Kochsalzlösung, welche bis zu einem gewis- 
sen Grade deshalb stets nur eine scheinbare ist. Die Ab- 
gleichung des etwa beim ersten Eintauchen sich kundgebenden 
Unterschiedes findet denn auch hier ebensowohl bei offenem. 
wie bei geschlossenem Kreise statt. Die so unbegreiflich leicht 
erreichte vollkommene Gleichartigkeit wird eben so leicht, ohne 
alle besonderen Vorsichtsmalsregeln, in’s Unbegrenzte erhalten. 
Zwar beobachtet man am Nerven-Multiplicator, wenn von zwei 
verquickten Zinkplatten die eine um die andere tiefer in die 
Zinklösung getaucht wird, jedesmal bei Benetzung neuer Punkte 
der einen Platte einen Ausschlag von wenigen Graden, der diese 
Platte als negativ gegen die andere anzeigt, und etwas stärker 
negativ wird von zweien verquickten Zinkelektroden, die man 
zwischen den mit Zinklösung benetzten Fingern beider Hände 
hält, diejenige, auf welche man einen Druck ausübt oder aus- 
üben läfst.') Dies ist aber auch Alles, was hier noch von 
den zahlreichen Umständen übrig ist, wodurch sonst gleichartige 
Elektroden ungleichartig werden. Man kann die eine der beiden 
Platten, nachdem sie einmal vollständig benetzt worden, an die 
Luft heben und wieder eintauchen, man kann sie in der Zink- 
lösung schütteln wie man will, sie zwischen den Lagen eines 
mit Zinklösung getränkten Bausches drücken ?): das Gleichge- 
wicht am Nerven-Multiplicator wird nicht gestört. Das Was- 
ser der Zinklösung verdunstet, Krystalle schielsen in der Flüssig- 
keit an den Platten an oder bekleiden dieselben über deren Spie- 
gel, und nach Wochen findet man die Platten in der zurückbleiben- 
den nichtleitenden Krystallmasse eingewachsen, ohne dafs während 
dieser ganzen Zeit die Nadel den Nullpunkt auch nur um einen Grad 
verlassen hätte. Diese, ich wiederhole es, jede Vorstellung über- 
steigende Gleichartigkeit findet in ganz gleicher Weise statt, ob 
die beiden Zinkplatten erst eben verquickt seien und die Tro- 
pfen flüssigen Amalgams noch daran herunterflielsen; ob sie seit 
Wochen in den krystallinischen Zustand übergegangen seien; end- 
lich gar, was wohl als das wunderbarste erscheint, ob die eine 


’) Vergl. diese Berichte, 1854. S. 288. 
*) Vergl. ebendaselbst, S. 293, 


468 Gesammtsitzung 


derselben sich in dem einen, die andere in dem anderen dieser 
Zustände befinde. 

Schon durch diese Eigenschaft einer unübertroffenen mit 
leichtester Mühe zu erzielenden und zu erhaltenden Gleichartig- 
keit würde diese Combination, wie ich nicht zu bemerken 
brauche, eine höchst werthvolle Bereicherung nicht blofs des 
elektrophysiologischen, sondern des galvanischen Apparates über- 
haupt sein. Allein meine Überraschung steigerte sich noch, als 
ich nun ferner fand, dafs die mit Hülfe der Siemens’schen 
Wippe bestimmte Ladungsfähigkeit dieser Combination in der That 
verschwindend klein, jedenfalls unvergleichlich kleiner sei, als die 
irgend einer anderen bisher bekannten Combination. Mit Strö- 
men von der Ordnung des Muskelstromes liels die Wippe keine 
Spur davon erkennen. Noch als bei verminderter Empfindlich- 
keit der Bussole und Anwendung eines ungeschwächten Da- 
niell’s, 2, P,, etwa 300 Scalentheile betrugen, waren S,, 
S,„, schleehterdings nicht wahrnehmbar, d. h. dieselben betrugen 
ganz gewils nicht 0.2, ja schwerlich 0.1 Scalentheil. Ich fahn- 
dete darauf mittels eines Verfahrens, bei dem mir auch eine so 
kleine Spur von Ladung nicht entgehen konnte, nämlich indem 
ich, bei arbeitender Wippe und geschlossenem secundären Kreise, 
in dem die Bussole befindlich war, das Auge am Fernrohr, den 
primären Kreis mittels des Schlüssels S, abwechselnd öffnete und 
schlofs, oder gar den primären Strom zwischen den Elektroden 
mittels des Stromwenders C, ab und zu umkehrte. Erst als ich 
die Nebenschliefsung fortliels, und mit beiden Rollen im Ab- 
stand von 0”” eine Grove’sche Kette grölserer Art als Quell 
des primären Stromes benutzte, erschien negative Ladung der 
Zinkdrähte in bestimmbarer Gröfse, nämlich etwa 1.2 Scalen- 
theil betragend. Die primäre entsprechende Wirkung, mit nur 
einer Rolle in 100°” Abstand beobachtet, während die andere 
an einer anderen Stelle des Kreises eingeschaltet war, betrug 
420 Scalentheile. Die Wirkung einer Rolle bei 100”” verhält 
zu der bei U”” Abstand ::1:26.85.. Daraus ergiebt sich 
Ir 1.2 DR 
726.8 X 120 .,'9370: 

Diese Zahl wird sich, für den vorliegenden Fall, nicht weit von 
der Wahrheit entfernen. Indessen soll sie vorzugsweise dazu 


[64 


vom 30. Juni 1859. 469 


dienen, eine Vorstellung von der Ordnung der Grölse zu geben, 
um die es sich hier handelt. Denn erstens lag aus mancherlei 
Gründen die Messung einer so kleinen Ablenkung an der Grenze 
meiner Beobachtungsmittel, zweitens schien der Werth von « 
Schwankungen unterworfen zu sein, da ich es einigemal nicht 
unbeträchtlich grölser (5955), anderemale aber auch wieder sehr 
viel kleiner gefunden habe, so dals die secundäre Wirkung der 
Grove’schen Kette bei voller Empfindlichkeit der Bussole ganz 
unmerklich war. Nimmt man an, dafs mir 0.2 Scalentheil secun- 
därer Wirkung entgangen seien, so konnte doch «& in diesen 
Fällen nicht viel gröfser als ‚oo sein. Ich glaube bereits mit 
Bestimmtheit sagen zu können, dafs diese Schwankungen von 
dem Zustande der verquickten Zinkfläche so abhangen, dafs die 
grölseren Werthe von « schon öfter gebrauchten, die kleinsten 
frisch, oder von Neuem verquiekten Drähten zukommen. 

Als die Drähte durch Platten ersetzt wurden, die einander 
6—7 Quadratcentimeter benetzter Oberfläche zukehrten, wurde 
die secundäre Wirkung, selbst mit ungeschwächtem Strom der 
Grove’schen Kette und bei voller Empfindlichkeit der Bussole, 
unter allen Umständen ganz unwahrnehmbar. 

Am Nerven -Multiplicator erfolgten mit den Drähten durch 
die secundäre Wirkung eines Daniell’s 4°, durch die zweier 7° 
beständiger Ablenkung. 

Bei Anwendung der zweiten Beobachtungsweise mit einem 
Daniell und 5’ Durchströmung erfolgten mit den Drähten an 
der Bussole bei voller Empfindlichkeit derselben etwa 5 Sca- 
lentheile Ausschlag im Sinne negativer Ladung. Mit den 
Platten betrug unter denselben Umständen der Ausschlag keinen 
ganzen Scalentheil, und als ich die Daniell’sche Kette durch 
eine fünfgliederige Grove’sche Säule ersetzte, auch nur 3.5 
 Scalentheile. Erst als aus dem primären Kreise der Widerstand. 
entfernt wurde, der darin zu dem Zweck angebracht war, den 
Gesammtwiderstand des primären und des secundären Kreises 
gleich zu machen (S. oben S. 452), wurden deutlichere Wir- 
kungen erhalten. 

Die Verquickung vernichtet also, kann man sagen, die be- 
deutende negative Ladungsfähigkeit des Zinks in Zinklösung. 
Aber auch die positive Ladungsfähigkeit dieser Combination 


470 Gesammisitzung 


ist dadurch beinahe gänzlich aufgehoben. Noch 15— 20’ lan- 
ger Durchströmung mit Strömen von der Ordnung des Mus- 
kelstromes erfolgte höchstens ein halber Scalentheil Ausschlag 
im positiven Sinne. 

(1) Verquicktes Zink in Chlorcalciumlösung. 
Ehe wir an diese Thatsachen weitere Folgerungen knüpfen, sol- 
len noch einige andere Punkte beleuchtet werden. Hr. Mat- 
teucci führt verquicktes Zink in Chlorcaleiumlösung als eine 
seinen Erfahrungen nach ebenso unpolarisirbare Combination wie 
das verquickte Zink in Zinklösung an. Es ist nicht leicht zu verste- 
hen, wie er zu diesem Ausspruch gelangt ist, der theoretisch nichts 
für sich hat, und von dessen Unrichtigkeit es leicht ist, sich im 
Versuch zu überzeugen. Erstens verhalten die verquickten Zink- 
elektroden in gesättigter Chlorcalciumlösung sich sehr schlecht 
gleichartig. Für’s zweite fand ich « für diese Combination mit 


primären Strömen von der Ordnung des Muskelstromes = B) 
4.1 


Drittens warf bei der zweiten Beobachtungsweise, nach wenigen 
Minuten Durchströmung mit dem Strom des ungeschwächten 
Daniell’s, die secundäre Wirkung das Bild der Scale aus dem Ge- 
sichtsfelde. Positive Polarisation war bei dieser Combination 
nicht wahrnehmbar. 

(12) Verquicktes Zink in Chlorzinklösung ver- 
hält sich dagegen nahe, aber, wie mir schien, doch nicht ganz 
so gleichartig wie in schwefelsaurer Zinkoxydlösung. Die Chlor- 
zinklösung enthielt noch ungelöstes Chlorzink, und stellte eine 
syrupöse Flüssigkeit von2.008 Dichte bei 27° C. dar. Die etwas 
geringere Gleichartigkeit rührt vielleicht daher, dals die Lösung 
sich an der Oberfläche durch Wasser verdünnt, welches sie aus 
der Atmosphäre anzieht. Jedenfalls scheint aber die Ladungsfähig- 
keit dieser Combination nicht grölser zu sein, als die des Zinks in 
der schwefelsauren Lösung, denn auch hier wurde an der Siemens- 
schen Wippe die Ladung erst merklich, als ich Drähte im pri- 
mären Kreise dem Strom eines ungeschwächten Daniell’s aus- 
setzte, und die secundäre Wirkung bei voller Empfindlichkeit 
der Bussole beobachtete. Auf dieselbe Art, wie dies oben 
S. 468 beschrieben wurde, bestimmte ich dabei « zu „iz; auf 
den Unterschied zwischen diesem Werthe, und dem in der 


vom 30. Juni 1859. 471 


schwefelsauren Lösung gewonnenen, ist natürlich nichts zu ge- 
ben. Auf positive Polarisation nach langer Schlielsung schwa- 
cher Ströme konnte hier wegen der geringeren Gleichartigkeit 
nicht mit derselben Schärfe wie bei der schwefelsauren Lösung 
geprüft werden; indessen kann davon höchstens eine ganz un- 
bedeutende Spur zugegen sein. Die gesättigte Chlorzinklösung lei- 
tete beiläufig nach meinen Versuchen dreimal schlechter als die 
schwefelsaure Lösung bei gleicher Temperatur. Verdünnung mit 
dem gleichen Volum Wassers erhöhte aber ihr Leitvermögen auf 
das Fünffache, so dals sie nun um zwei Drittel besser als die 
gesättigte, und auch noch um ein Drittel besser als die ebenso 
verdünnte schwefelsaure Lösung leitete. 

Diese Wahrnehmung ist geeignet, uns daran zu erinnern, 
dals Hr. Jules Regnauld das reiue Zink nicht in gesättigter, son- 
dern in so verdünnter Zinklösung als unpolarisirbar empfohlen 
hat, dals die Lösung das Maximum ihres Leitvermögens besitze 
(S. oben S. 443). Obschon, wie bemerkt, Hr. Regnauld seine 
Aussage durch keine Versuche gestützt hat, und obschon es 
höchst unwahrscheinlich war, dals die Verdünnung der Zink- 
lösung bis zu jener Grenze die Ladungsfähigkeit der Combina- 
tion aufheben solle, so habe ich doch nicht unterlassen, auch 
hierüber noch den Versuch zu befragen, indem ich Hrn. de la 
Rive’s Angabe zu Grunde legte, wonach das Maximum des 
Leitvermögens der Zinklösung bei Verdünnung derselben mit 
dem gleichen Volum Wassers eintritt. Ich prüfte demgemäls 
noch (13—16) reines Zink in reiner, käufliches, reines 
und verquicktes Zink in käuflicher Zinklösung von 
der angegebenen Verdünnung. Das verquickte Zink — 
es wurden in beiden Flüssigkeiten dieselben Drähte benutzt — 
lieferte ein etwas grölseres « als in der gesättigten Lösung. 
Dagegen fand ich allerdings, was sehr sonderbar ist, dafs mit 
dem reinen und käuflichen Zink in der verdünnten käuflichen 
Lösung « erheblich kleiner ausfiel, als unmittelbar vor und 
nachher mit denselben Elektroden in der gesättigten Lösung. 
Indessen blieb « hier noch immer bedeutend gröfser als mit Ku- 
pfer in Kupferlösung; und mit dem reinen Zink in der ver- 
dünnten reinen Lösung betrug es, bei schwachen Strömen, so- 


gar %. Der Widerspruch zwischen unseren Ergebnissen und 


[1859.] 33 


472 Gesammtsitzung 


der Behauptung des Hrn. Regnauld beruht also nicht darau 
dals wir uns bisher stets der gesättigten Zinklösung bedien 
haben. 

(19—24) Verquicktes Zink in verdünnter Schwe 
felsäure, inSerum von Pferdeblut, inBrunnenwasser un 
in destillirtem Wasser. Da ich früher gerade bei Anwen 
dung verquickter Zinkelektroden auf die räthselhafte Erschei 
nung positiver Ladung gestolsen war, so versuchte ich, um 
diese Beobachtung zu erneuern, noch die in der Aufschrifi 
genannten CGombinationen. Serum hatte ich unter die mit dem 
verquickten Zink zu prüfenden Flüssigkeiten aufgenommen, u 
zu erfahren, wie sich letzteres bei unmittelbarer Berührung mi 
den thierischen Theilen, z. B. beim Überbrücken zweier daraus 
gebildeten Elektroden mit einem Nerven, in Bezug auf Gleichartigkeit 
und Ladungsfähigkeit verhalten würde. Es zeigten sich in der ver- 
dünnten Schwefelsäure, dem Serum und dem Brunnenwasser 
aber so ungeheure Ungleichartigkeiten der verquickten Zink- 
drähte, und von solcher Unbeständigkeit zugleich, dafs jede 
feinere Beobachtung der Ladung dadurch unmöglich gemacht 
wurde. Bei der leisesten Erschütterung sah man die Scale pfeil- 
schnell im Gesichtsfelde hin und herschiefsen.*) In diesen drei 
Flüssigkeiten wurde deshalb nur die gewöhnliche oder negative 
Ladung beobachtet. Bei Brunnenwasser konnte auch kein an- 
nähernder Werth von « gewonnen werden. Bei der verdünn- 
ten Schwefelsäure gelang es einmal, & zu etwa io zu bestim- 
men. Sehr viel gröfser schien « im Serum zu sein, denn ich 
erhielt mit Strömen von der Ordnung des Muskelstromes Quo- 


1 . . . 
; — und bei der zweiten Beobachtungsweise 
3.6 


warf die secundäre Wirkung des ungeschwächten Daniell’s nach 
5° Durchströmung das Bild der Scale aus dem Gesichtsfelde. 
Ganz ähnliche Werthe von « lieferten Kupferdrähte im Pferde- 
serum; mit Platindrähten war « auch hier=1. Was nun 
die positive Ladung des verquickten Zinks betrifft, so nah- 
men im destillirten Wasser die Ungleichartigkeiten eine etwas 
mildere Gestalt an, und es zeigte sich mit einem Da- 


. . 1 
tıenten wıe — 
2.3 


‘) Verquicktes Zink in verdünnter Schwefelsäure wird nach Hrn. 
Poggendorff durchSchütteln negativ. Vergl. diese Berichte, 1854, S.297, 


vom 30. Juni 1859. 473 


niell an der Siemens’schen Wippe folgende merkwürdige Er- 
scheinung. Beim Schlielsen des Schlüssels $,, während die 
Bussole im secundären Kreis beobachtet wurde, entstand zuerst 
ein Ausschlag im Sinne negativer Ladung. Darauf fingen po- 
‘sitive Ladungen sich zu entwickeln an, dergestalt dals die se- 
cundäre Wirkung durch Null hindurch ihr Zeichen wechselte, wo- 
bei das sonst negative, hier positiv gewordene « zu etwa — be- 
stimmt wurde. Wurde dann 8, geöffnet, so nahm, trotz dem Auf- 
hören des primären Stromes, anfangs noch die positive secundäre 
Wirkung an Stärke zu; unstreitig, und io Übereinstimmung mit 
dem was wir oben S. 461 über die gleichzeitige positive und nega- 
tive Ladung des käuflichen Zinks in eben solcher Zinklösung ange- 
nommen haben, weil die schneller entstehende, aber auch schneller 
vergehende negative Ladung jetzt fortfiel, die sich während der 
Dauer des primären Stromes von der secundären Wirkung im 
positiven Sinne abgezogen hatte. Bei der zweiten Beobach- 
tungsweise wurde leicht sehr starke positive Ladung beob- 
achtet, die im Falle schwacher Ströme ganz rein zur Erschei- 
nung kam, während im Fall eines ungeschwächten Daniell’s dem 
positiven Hauptausschlage ein negativer Vorschlag vorausging. 

Wir kehren nun zum verquickten Zink in den Zinklösungen 
zurück. Zu der unschätzbaren Gleichartigkeit, die wir an diesen 
Combinationen zu rühmen gefunden haben; gesellt sich also, nach 
den Versuchen an der Siemens’schen Wippe, auch noch eine 
bei weitem geringere Ladungsfähigkeit, als die irgend einer an- 
deren bekannten Combination. Es ist leicht, sich von demsel- 
ben Ergebnils noch auf eine andere Art zu überzeugen, Man 
läfst zuerst den primären Strom im nämlichen Kreise nach ein- 
ander durch die Zinkzelle und durch die damit zu vergleichende 
Combination gehen, und setzt dann plötzlich die beiden letzte- 
ren einander im Multiplicatorkreise dergestalt entgegen, dals die 
Richtung des Ausschlages anzeigt, welcher von beiden Combi- 
nationen die grölsere secundär- elektromotorische Kraft zukomme. 
In Ermangelung der eigens von Hrn. Poggendorff hierzu an- 
gegebenen Wippe') gelingt dies leicht mittels einer Doppel- 

*) Annalen u. s. w. 1844. Bd. LX1. S. 612. 

33° 


474 Gesammtsitzung 


wippe, wie sie $. 453 in C, C,, C, €, angedeutet ist. Ich 
stellte dergestalt folgende Vergleiche an. 


(1) Verquickte Zinkdrähte in gesättigter käuf-f 
1 


licher schwefelsaurer Zink-, und Kupferdrähte in 
schwefelsaurer Kupferoxydlösung. Nachdem der Stromf 
eines ungeschwächten Daniell’s 1— 2’ hindurchgeschickt worden, 
erfolgte an der Bussole, bei voller Empfindlichkeit derselben, ein 
kräftiger Ausschlag im Sinne der negativen Ladung der Kupfer- 
zelle. Mit Strömen von der Ordnung des Muskelstromes sahl' 
ich anfänglich zu meinem nicht geringen Befremden einen klei- | 
nen Ausschlag (2—3 Scalentheile) im Sinne negativer Ladung 
der Zinkzelle erscheinen. Bei näherer Untersuchung zeigte sich ß 
indefs, dafs, wie es nach den oben S. 468. 469 beschriebenen 
Versuchen nicht anders sein konnte, die Polarisation der Zink=-} 
zelle schlechterdings unmerklich war, dals aber die Kupferzelle 
unter diesen Umständen eine geringe Spur positiver Polarisation 
besals, welche den Anschein überwiegender negativer Ladung 
der Zinkzelle bewirkt hatte. 

(2) Kupferzelle wie vorher, und reines Zink in 
gesättigter reiner schwefelsaurer Zinkoxydlösung. 
Mit Strömen von der Ordnung des Muskelstromes wurde nichts 
deutliches wahrgenommen, indem die Ungleichartigkeiten sich fei- 
neren Wahrnehmungen widersetzten. Mit dem Strom des un- 
geschwächten Daniell’s erfolgte ein ansehnlicher Ausschlag im y 
Sinne negativer Ladung der Zinkzelle. 

(3) Kupferzelle wie vorher, und Silberdrähte inf 
Silberlösung wie oben $.459. Bei schwachen Strömen hatf 
die Silberzelle ein sehr bedeutendes, bei starken die Kupferzellef! 
ein geringes Übergewicht. Nach den oben bestimmten Wer-I' 
then von « für die Silberzelle hätte Letzteres nicht der Fall sein 
sollen. 

(4) Kupferzelle wie vorher, und Platindrähte in 
rauchender Salpetersäure wie oben S. 458. Erfolg wiel! 
beim vorigen Versuch. Mit schwachen Strömen überwiegt die | 
Platin-Salpetersäure-, mit starken die Kupfer-Zelle. 

Wie man sieht, spricht auch diese Beobachtungsreihe dafür, 
dafs das verquickte Zink in Zinklösung die am wenigsten la- 


vom 30. Juni 1859. 475 


dungsfähige Combination sei. Was aber die beiden letzten 
Versuche betrifft, so giebt sich darin abermals ein Widerspruch 
kund, gleich dem bereits oben S. 460 bemerkten, zwischen dem 
Jan der Siemens’schen Wippe gewonnenen Ergebnils und dem 
|des gewöhnlichen Verfahrens, die Ladung durch Umlegen der 
PWippe eines Stromwenders zu beobachten. Auf doppelte Art 
kann man die Erklärung dieses Widerspruchs versuchen. 

Entweder nämlich braucht die Kupferladung längere Zeit, 
fum sich zu entwickeln, und dies ist der Grund, weshalb « an 
‚der Siemens’schen Wippe für das Kupfer kleiner ausfällt als 
für die beiden anderen Combinationen. Oder die Kupferladung 
ist nachhaltiger als die dieser letzteren, so dafs, wenn der Wech- 
sel der Verbindungen mittels der Wippe eines Siromwenders, 
d. h. verhältniftmälsig ziemlich langsam, geschieht, die Ladung 
‚des Silbers in Silberlösung, des Platins in Salpetersäure, schon 
Zeit gehabt hat sich zu zerstreuen, während sie zur Zeit, wo 
(die Siemens’sche Wippe den secundären Kreis nach Öffnung 
‚des primären schlielst, in der That die des Kupfers übertrifft. 
Beide Voraussetzungen lassen, ohne Hinzunahme weiterer Muth- 
malsungen, unerklärt, weshalb der Erfolg mit den schwachen 
Strömen ein verschiedener sei von dem mit den starken Strö- 
men beobachteten. 

Weder hierauf, noch auf die Frage, welche von beiden An- 
nahmen der Wirklichkeit entspreche, wollen wir indefs näher 
eingehen. Uns interessirt an dem in Rede stehenden Verhalten 
vorzugsweise das Licht, welches dasselbe auf den Werth der 
bisher von uns zur Bestimmung der Ladungsfähigkeit der Com- 
binationen angewandten Verfahrens zu werfen geeignet ist. Man 
sieht, dafs wir aus der Gröfse, in der die Ladung nach Aufhö- 
ren des primären Stromes erscheint, keinen sicheren Schlufs auf 
die Ladungsfähigkeit einer Combination machen können. Ein 
ähnliches Verhältnils, wie zwischen der Ladung der galvano- 
plastischen Kupfercombination und der des Platins in Salpeter- 
‚säure, könnte zwischen der des verquickten Zinks in Zinklösung, 
und der der galvanoplastischen Kupfercombination, stattfinden. 
Zwar schlielsen die bei der zweiten Beobachtungsweise und auch 
so eben bei der Entgegensetzung der Zink- und Kupferzelle 


476 Gesammisitzung 


nach längerer Durchströmung gemachten Wahrnehmungen die 
Möglichkeit aus, dafs das verquickte Zink in Zinklösung an der 
Siemens’schen Wippe deshalb ein so kleines « geliefert habe, 
weil die Polarisation desselben wegen der kurzen, durch den 
Gang der Wippe bedingten Schlielsung des primären Stromes 
nicht Zeit gehabt habe, sich zu entwickeln. Sehr wohl denk- 
bar wäre es dagegen wegen der geringeren Fähigkeit der positi- 
ven Metalle, Gase an ihrer Oberfläche zu verdichten (Vergl. oben 
S. 446), dafs die Ladung des verquickten Zinks in Zinklösung be- 
deutend flüchtiger wäre, als die des Kupfers in Kupferlösung, 
und dals darauf der erstaunlich kleine Werth von « bei erste- 
rem beruht habe. 

Mit einem Worte, den Curven, in denen während des 
Schlusses der primären Kette die Polarisation bis zu einer ge- 
wissen Grenze wächst, um nach Öffnung der Kette wieder ab- 
zufallen, sei’s dals der secundäre Kreis offen bleibe, oder nach 
kürzerer oder längerer Zeit geschlossen werde, diesen Gurven darf 
bei verschiedenen Combinationen gewils nicht ohne Weiteres 
ein gleiches Gesetz untergelegt werden. Ich kann nicht umhin, 
in der Nichtberücksichtigung dieses Umstandes einen gewichtigen 
Einwurf gegen den von Hrn. Wild (S. oben S. 455) veröf- 
fentlichen Vorschlag zur gesonderten Bestimmung der Polarisa- 
tion und des Übergangswiderstandes zu erblicken, wonach zuerst 
die durch Polarisation und Übergangswiderstand gemeinschaft- 
lich bewirkte Stromschwächung in eine Gleichung gebracht, 
und dann daraus die Polarisation mit Hülfe eines Werthes elimi- 
nirt werden soll, der aus Beobachtung derselben nach Öffnung 
des primären Kreises hervorgeht. Ich weils sehr wohl dafs die 
Polarisation nach dem Öffnen des primären Kreises, so lange der 
secundäre Kreis nicht geschlossen ist, bei weitem langsamer 
sinkt, als nachdem dies geschehen. Öffnet man den Hauptkreis 
einer Kette, in deren Nebenleitung, wie in unserer ersten Figur, 
Platinelektroden in verdünnter Schwefelsäure oder Kochsalzlösung 
eingeschaltet sind, auf wenige Augenblicke, wobei der secundäre 
Kreis geschlossen bleibt, und die Ladung sich abgleichen kann, so 
geht der durch die Ladung geschwächte Strom der Keite sofort 
wieder zeitweise bedeutend in die Höhe. Dies ist nicht der Fall, 


vom 30. Juni 1859. . 477 


mit anderen Worten, die Polarisation bleibt verhältnifsmäfsig un- 

verändert, wenn man statt des Hauptkreises die Nebenleitung selber 
eben so lange öffnet, weil nun der Ladung zwar wie vorher der sie 
auf steter Höhe erbaltende primäre Strom entzogen, allein diesmal 
keine Gelegenheit zur Abgleichung gegeben ist. Nichts desto- 
weniger muls ich darauf bestehen, dafs, bis nicht für jeden ein- 
zelnen Fall das Gegentheil erwiesen ist, keine andere Bestim- 
mung der Polarisation oder der Ladungsfähigkeit einer Combi- 
nation Vertrauen verdient, als solche die während der Dauer 
des primären Stromes in dessen Kreise selber gemacht, oder we- 
nigstens mit Hülfe von dergleichen Beobachtungen controlirt 
sind. 

Es bleibt uns also schliefslich übrig, auch noch auf diese 
Art die Unpolarisirbarkeit unserer Combination darzuthun. Ich 
hatte einen parallelepipedischen Trog aus gefirnilstem Eichen- 
holz, von 125"" Länge, 53"" Breite und 40”" Tiefe, in des- 
sen Wände und Boden, ehe dieselben zum Troge zusammenge- 
fügt wurden, in Ebenen senkrecht auf die Längsrichtung des 
Troges und in 15.6”" Abstand von einander, neun 5"" tiefe 
Sägeschnitte angebracht waren. Diese dienten dazu, Bleche 
aulzunehmen, welche sich alsdann als Zwischenplatten auf der 
Bahn eines den Trog der Länge nach durchflielsenden Stromes 
eingeschaltet fanden, indem die Leitung durch die im Falz um 
das Blech herum übrigbleibende capillare Flüssigkeitsschicht nicht 
in Betracht kam. Dieser Trog wurde 5""” hoch mit gesät- 
tigter schwefelsaurer Zinkoxydlösung gefüllt, und mit zwei 
verquickten Zinkblechen als Elektroden in den beiden äulser- 
sten Falzen, in den Kreis einer Grove’schen Kette und der 
Bussole gebracht. Während das Bild der Scale im Fernrohr 
beobachtet wurde, schob ich nach einander verquickte Zink- 
bleche auch in die sieben übrigen Falze.e. Da die Flüssig- 
keitssäule im Troge dabei nicht allein um 5"" verkürzt wurde 
(so viel betrug die Gesammtdicke der sieben Bleche, deren 
Widerstand vernachlässigt werden kann), sondern zugleich, 
wegen der durch die Bleche verdrängten Flüssigkeit, an 
Querschnitt zunahm, so nahm der Widerstand des Troges 


durch das Einsenken der sieben Bleche um m ab. Ich hatte 


478 Gesammtsitzung 


aber, hierauf rechnend, einen so bedeutenden metallischen 
Widerstand in den Kreis eingeführt, dafs eine Verkürzung des 
Troges um u wie sie die Folge des Versenkens der äulsersten, 
als Elektroden dienenden Bleche in zwei einander zunächst be- 
findliche Falze war, den Widerstand des Kreises nur um a das 
Kinsenken der sieben Bleche denselben folglich nur um 76% 
verminderte. Bei einer Ablenkung von 150 Scalentheilen mulste 
also die durch Verminderung des Widerstandes beim Einsen- 
ken der Bleche erzeugte Vermehrung der Stromstärke unter 
0.1 Scalentheil bleiben, und es hätte mir nicht entgehen können, 
wenn die sieben Bleche, deren jedes ein Elektrodenpaar von nur 
2.65 Quadratcentimeter Oberfläche vorstellte, durch eine der 
des primären Stromes entgegengesetzte elektromotorische Kraft, 


eine Verkleinerung der Ablenkung auch nur um 0.2, oder eine 


Schwächung des Stromes um Bl d. h. also jedes Blech eine 
Schwächung um etwa in hervorgebracht hätten. Ich konnte 


aber mit dem Strome der zwar nicht durch Nebenschlielsung, 
wohl aber durch die eingeführten Widerstände sehr geschwäch- 
ten Grove’schen Kette nichts der Art wahrnehmen. Mit sehr 
schwachen Strömen traten beim Einsenken und Herausnehmen 
jeder einzelnen Platte Spuren von Wirkung, bald in der einen, 
bald in der anderen Richtung auf, die aber sichtlich nicht auf 
Polarisation, sondern auf leichter Ungleichartigkeit der beiden 
Seiten der Platten beruhten. 

Da bei dieser Versuchsweise die Oberfläche der Elektroden, 
obschon im Vergleich zu der, die man in thierisch-elektrischen 
Versuchen anwenden kann, nur klein, mit Rücksicht auf den 
Zweck, die Ladungsfähigkeit zu prüfen, immerhin eine grolse 
zu nennen war, so änderte ich die Anordnung noch in folgender 
Art ab, wobei ich zwar. eine beliebig kleine Oberfläche, jedoch 
nur noch ein Elektrodenpaar anwenden konnte. 

In den Kreis einer zweigliederigen Grove’schen Säule und 
der Bussole wurden zwei verquickte Zinkbleche eingeschaltet, die 
in zwei Gefälse 4 und B mit derselben Zinklösung, wie oben, 
tauchten. 4 und B waren durch ein 250"" langes zweimal recht- 
winklich gebogenes, mit derselben Lösung gefülltes Thermometer- 
rohr verbunden. Neben B stand ein drittes ähnliches Gefäls C mit 


vom 30. Juni 1859. 479 


Zinklösung. In B und C tauchten verquickte Zinkdrähte von 
0.5”” Durchmesser 5"” tief, also mit einer Oberfläche von 
7—8 Quadratmillimetern, ein. Dieselben waren metallisch ver- 
bunden und stellten das plötzlich in den Kreis einzuführende 
Elektrodenpaar vor. Die Einführung geschah einfach so, dals 
das Thermometerrohr, während sein eines Ende in 4 stecken 
blieb, mit seinem anderen Ende aus B in C übertragen wurde. 
Natürlich verschwand unter diesen Umständen jeder andere Wi- 
derstand im Kreise, auch der etwaige Übergangswiderstand, 
gegen den des capillaren Flüssigkeitsfadens im Thermometer- 
rohr, und die Einführung des Gefälses € liefs demnach auch 
zuerst die Stromstärke durchaus unverändert. Jedoch durfte 
dabei das Rohr nicht mit den Fingern angefalst werden, 
sondern es ward nothwendig, es mittelst einer Handhabe zu be- 
wegen, weil die durch die Finger bewirkte geringe Tempera- 
turerhöhung des Rohres wegen des dadurch verminderten Wi- 
derstandes des Flüssigkeitsfadens sofort einen Ausschlag um meh- 
rere Scalentheile hervorbrachte, so dafs man sich einer solchen 
Vorrichtung als eines höchst empfindlichen Thermoskops bedie- 
nen könnte. Wenn aber C eine Zeit lang im Kreise gewesen 
war und dann plötzlich wieder durch Zurückführung des ent- 
sprechenden Endes des Thermometerrohrs nach 3 davon ausge- 
schlossen wurde, fand allerdings in einigen Fällen eine geringe 
Vermehrung der Stromstärke statt, die sich jedoch höchstens 
auf En belief. Mit frisch verquickten Drähten aber habe ich 
auch gesehen, dals bei über 200 Scalentheilen Ablenkung der 
Faden sich genau an derselben Stelle der Scale wieder einfand, 
die er mit dem Elektrodenpaar im Kreise zuletzt inne hatte, 
Die Stromstärke war in diesem Versuche trotz der bedeutenden 
elektromotorischen Kraft, wegen des ungeheuren Widerstandes, 
nicht viel grölser, als die des Muskelstromes. 

Mit Zinklösung, die mit einem gleichen Volum Wassers 
verdünnt worden war, gaben frisch verquickte Zinkdrähte, die 
in gesättigter Lösung keine Spur von Schwächung erzeugt hat- 
ten, etwa nn Stromabnahme. Dies scheint zwar mit dem zu 
stimmen, was wir an der Siemens’schen Wippe mit dem ver- 
quickten Zink in verdünnter Zinklösnng beobachtet haben (S. 


480 Gesammtsitzung 


oben S. 474), doch möchte ich vor der Hand nichts darauf geben. 
Wie dem auch sei, man sieht, dafs sich auf diesem Wege, wie 
mit der Siemens’schen Wippe, die Ladung des verquickten 
Zinks in schwefelsaurer Zinkoxydlösung im günstigsten Falle nur 
eben spurweise darthun lälst. 

Als aber die verquickten Zinkdrähte durch Elektroden aus 
reinem Zink ersetzt wurden, betrug die Stromschwächung mit 
der gesättigten Lösung er mit der verdünnten, gleichfalls in 
Übereinstimmung mit dem an der Siemens’schen Wippe Wahr- 
genommenen (S. oben S. 471), sogar >= 

Jetzt wiederholte ich dieselben Versuche, sowohl die eben 
beschriebenen, als den mit dem Trog voll Zwischenplatten, mit 
Kupferelektroden in Kupferlösung. Der Versuch im Troge 
konnte indels wegen der Ungleichartigkeiten der Platten nur 
mit so starken Strömen angestellt werden, dals gegen die den- 
selben zu Grunde liegende elektromotorische Kraft die jener 
Ungleichartigkeiten verschwand. Es ergab sich, dals bei dieser 
Art der Prüfung das Kupfer in Kupferlösung ungefähr dasselbe 
höchst geringe Mafs von Polarisirbarkeit zeigte, wie zuweilen 
das verquickte Zink in Zinklösung. Im Troge war die Polari- 
sation unwahrnehmbar, mit einem Paar Drabtelektroden betrug 
sie ungefähr - Es hat also, wenn man von den so eben er- 
wähnten Fällen absieht, wo das frisch verquickte Zink durchaus 
keine bemerkbare Stromschwächung bewirkte, in der That den 
Anschein, als ob an der Siemens’schen und an der Pog- 
gendorff’schen Wippe die Polarisation des Kupfers die des 
verquickten Zinks nur deshalb übertroffen habe, weil erstere 
minder flüchtig sei. Indessen ist es doch unmöglich, dals 
die elektromotorische Gegenkraft des Kupfers in Kupferlö- 
sung während der Dauer des primären Stromes nur etwa 
=r betrage, und nach dem Aufhören desselben an der Sie- 
mens’schen Wippe eine Wirkung erzeuge, der im Mittel eine 
elektromotorische Kraft von 5 wegen der sofort beginnenden 
Abgleichung anfangs also noch eine viel bedeutendere, zu Grunde 
liegen muls. Ich vermuthe deshalb, dals die oben S. 474 be- 
merkte positive Polarisation des Kupfers in Kupferlösung sich 
hier in der Weise eingemischt habe, dals die wahrgenommene 


vom 30. Juni 1859. 481 


Wirkung nur der Unterschied der negativen und der positiven 
Ladung war, während an der Siemens’schen Wippe, ganz 
wie es bei dem käuflichen Zink der Fall ist (S. oben S. 461. 
462), allein die negative Ladung zur Erscheinung kommt. 

Nach alledem kann keine Frage mehr sein, welcher Com- 
bination wir, um bei thierisch-elektrischen und bei Reizversu- 
chen die Polarisation zu vermeiden, den Vorzug zu geben haben 
werden. Von dem reinen Zink in Zinklösung kann begreiflich 
dabei die Rede nicht mehr sein. Was das Kupfer in Kupfer- 
lösung betrifft, so wird bei Anwendung grölserer Elektroden- 
flächen dessen Polarisation zwar auch unmerklich, bei kleineren 
hat sie sich uns, im geschlossenen primären Kreise, als von 
gleicher Ordnung mit der des nicht mehr ganz frisch verquickten 
Zinks gezeigt. Abgesehen indels von der Unsicherheit, die noch 
über diesem letzteren Ergebnils schwebt, versteht es sich doch 
von selbst, dals dem verquickten Zink in Zinklösung der Vorzug 
gebührt wegen jener wunderbaren Gleichartigkeit, wodurch sich 
diese Combination vor allen anderen auszeichnet. 

Wir baben uns bis jetzt ausschliefslich mit der Beseitigung 
der an der Grenze der metallischen Multiplieatorenden und der 
zuleitenden Flüssigkeit auftretenden elektromotorischen Gegen- 
kraft beschäftigt. Es könnte scheinen, als ob nun auch noch 
der Übergangswiderstand eine ebenso sorgfältige Berücksichti- 
gung verlange. Indessen ist zu erwägen, dals erstens der Über- 
gangswiderstand im Allgemeinen mit der Polarisation gleichen 
Schritt hält, so dafs beide gleichzeitig unmerklich werden dürf- 
ten; zweitens, dals dieser Widerstand gegen den der Muskeln, 
vollends der Nerven, der Eiweilshäutchen, der übrigen flüssigen 
Theile des Kreises, endlich des Multiplicatorgewindes, bei Reiz- 
versuchen der Pflüger’schen Eiweilsröhren '), nothwendig ver- 
schwinden müsse. 

Worauf die Gleichartigkeit des verquickten Zinks in Zink- 
lösung beruhe, weils ich nicht. Wo Hr. Faraday von dem 
von Kemp erfundenen und so wichtig gewordenen Kunst- 
griff handelt, die Zinkplatten der galvanischen Ketten durch 


‘) Untersuchungen über die Physiologie des Elektrotonus. Berlin 
1859. S. 98 ff* 


482 ; Gesarnmtsitzung 


Verquickung vor dem örtlichen Angriff der Säure zu schützen, 
sagt er: „It is probable that the mercury acts by bringing 
„the surface, in consequence of its fluidity, into one uni- 
„form condition, and preventing those differences in character 
„between one spot and another which are necessary for the 
„formation of the minute voltaic circuits referred to. If any 
„difference does exist at the first moment, with regard to the 
„proportion of zince and mercury, at one spot on the surface, 
„as compared with another, that spot having the least mercury 
„is first acted on, and, by solution of the zine, is soon placed 
„in the same condition as the other parts, and the whole plate 
„rendered superficially uniform.”') Diese sinnreiche Betrach- 
tung pafst aber schwerlich auf unseren Fall. Zugegeben, dals in 
den angewandten Zinklösungen jene Ausgleichung der mit 
verschiedenen Mengen Zinks und Quecksilbers behafteten Stel- 
len noch möglich sei, würde doch zu erinnern sein, dals 
gerade in verdünnter Schwefelsäure verquickte Zinkelektroden 
ungeheure Ungleichartigkeiten offenbaren; dafs man leicht an 
ihrer Oberfläche Ungleichartigkeiten mittels Jäger’s Verfahren 
(durch aufgelegtes, mit destillirttem Wasser befeuchtetes Lakmus- 
papier) entdecke;°) endlich dafs, wie oben S.467. 468 berichtet | 
wurde, verquickte Zinkplatten unter Umständen gleichartig er- 
scheinen, wo Zink und Quecksilber ganz gewils nicht gleichför- 
mig an ibrer Oberfläche vertheilt sind. Zwei Quecksilberkuppen 
unter verdünnter Schwefelsäure als Elektroden benutzt liefsen 
bedeutende Ungleichartigkeiten hervortreten. 

Ebensowenig weils ich über die Ursache der Unpolarisirbar- 
keit unserer Combination etwas beizubringen. Wie wenig zu 
erwarten dies Verhalten von vorn herein war, habe ich schon 
oben $. 446 angedeutet. Da es dennoch stattfindet, so muls 
man sich vielleicht denken, dafs die Quecksilbertheilchen als 
solche nicht mehr in elektromotorische Wechselwirkung mit dem 


1) Experimental Researches in Electricity. Beprinted from the Phi- 
losophical Transactions ete. London 1839, Vol. I. p. 304. Ser. VIM. 
1834. No. 1000;* — Poggendorff’s Annalen u. s. w. 1835. Bd. XXXV. 
S. 233.* 

?) Untersuchungen u. s. w. Bd.I. S. 613. 


vom 30. Juni 1859. 483 


Wasserstoff zu treten vermögen, sondern nur als Bestandtheile 
der Atomgruppen von Zinkamalgam. Quecksilber unter ver- 


dünnter Schwefelsäure gab an der Siemens’schen Wippe « 


— -_. Es ist also nicht daran zu denken, dafs die geringe La- 
1.3 


dungsfähigkeit des verquickten Zinks von der Flüssigkeit der 
Oberfläche herrühre, vollends nicht, da bereits krystallinisch ge- 
wordenes Amalgam dieselbe Eigenschaft zeigt. Verquicktes Zink 
verhält sich nach J. W. Ritter’s Entdeckung positiv gegen 
nicht verquicktes’), und mag deshalb mit Wasserstoff weniger 
stark elektromotorisch wirken. Wenn dies aber auch, was 
schwerlich der Fall ist, die Vernichtung der so bedeutenden ne- 
gativen Ladungsfähigkeit des rohen Zinks durch die Verquickung 
ausreichend erklärte, so bliebe doch noch immer das Räthsel 
übrig, wie auch die, an und für sich so geheimnifsvolle, positive 
_ Polarisirbarkeit zugleich ein Ende nehmen könne. 

Es ist klar, dals zum Verständnils dieser Vorgänge ein sehr 
viel eingehenderes Studium derselben erforderlich wäre. Es 
mülste die Polarisation jeder einzelnen Elektrode, die Abhängig- 
keit der Gleichartigkeit und Polarisation von der Concentra- 
tion der Lösung innerhalb weiterer Grenzen, der Einfluls 
_ der Verquickung auf Gleichartigkeit und Polarisation anderer 
Metalle und vieles Andere erforscht sein, ehe man daran 
denken könnte, hier zur Einsicht zu gelangen. Es lag, wie 
gesagt, nicht in meinem Plane, mich mit der Lösung solcher 
Aufgaben zu befassen, sondern ich durfte nunmehr durch Auf- 
findung einer unpolarirbaren und überdies von Natur gleicharti- 
gen Combination mein Ziel für erreicht, ja meine Wünsche für 
übertroffen halten. 

Die thierisch- elektrischen und die Reizversuche werden von 
nun an eine andere Gestalt annehmen. Jenes Heer von Schwie- 
rigkeiten, welches, wenigstens am Nerven-Multiplicator, stets 
noch aus Ungleichartigkeiten auch der am sorgfältigsten behan- 
delten Platinplatten erwächst, und gegen welches ich in frühe- 
rer Zeit so manchen qualvollen Tag vergeblich gestritten, hatte 


*) Gilbert’s Annalen der Physik. 1804. Bd. XVI. S. 303 ff.* 


484 Gesammtsitzung 


ich nun freilich schon längst dadurch zu besiegen gelernt, dafs 
ich den Multiplicatorkreis zur Nebenschliefsung einer Daniell- 
schen Kette in der Art machte, wie dies oben $. 453 für den die 
Elektroden enthaltenden Kreis vorgestellt ist, und jeder auftau- 


chenden Ungleichartigkeit sofort mit einer gleichen und enige- 


gengesetzten, dem Daniell mittels einer passenden Länge des 
Nebenschliefsungsdrahtes entlehnten, elektromotorischen Kraft be- 
gegnete. Allein viel besser wird es sein, ohne alle Vorberei- 
tung, Vorsichtsmafsregel und Hülfsvorrichtung, ohne Waschen, 
Ausglühen, Einhüllen in den Fliefspapiermantel, Firnissen, Ge- 
schlossenstehenlassen, Compensiren u. s. w., in jedem Augen- 
blick über völlig gleichartige und unter allen Umständen 
auch gleichartig bleibende Elektroden zu gebieten, die man sich 
noch dazu, da sie keinen in Betracht kommenden Geldwerth 
haben, in beliebiger Anzahl verschaffen kann. Man braucht die 
Zuleitungsgefälse nicht mehr zum Kreise geschlossen, ja nicht 
einmal mehr zusammengesetzt zu halten, sondern man hat nur 
dafür zu sorgen, dafs in der Zwischenzeit der Versuche die Lö- 
sung in den Bäuschen nicht krystallisire. Die ganze Vorrich- 
tung wird übrigens jetzt passend dahin abzuändern sein, dals die 
Zuleitungsgefälse selber aus Zink gegossen, auswendig lackirt, 
inwendig verquickt, zur Isolirung auf ein paar Glasstreifen ge- 
kittet, und unmittelbar mit der Klemmschraube zur Aufnahme 
der Multiplicatorenden versehen werden. Ich habe zur Anfer- 
tigung dieser neuen Zuleitungsgefälse bereits die Einleitung ge- 
troffen. 

Von dieser Seite also werden nun die bisher so be- 
schwerlichen thierisch - elektrischen Versuche plötzlich zu den 
leichtesten die es geben kann. Aber durch den Fortfall der Po- 
larisation in irgend in Betracht kommenden Mafsstabe wird 
jetzt zugleich eine Menge von Versuchen möglich gemacht, auf 
deren Ausführung man früher zu verzichten hatte, und eine 
Menge anderer nimmt eine einfachere Gestalt an, in der sich 
der den thierischen Erregern zukommende Antheil an der Er- 
scheinung klarer ausspricht als bisher. Der Vorschlag des Hrn. 
Beins, bei den thierisch- elektrischen Versuchen einen Depola- 
risator nach Art der von Hrn. Becquerel d. A. angegebenen 


vom 30. Juni 1859. 485 


anzuwenden '), ist nun überflüssig gemacht. Mit den absolut 
gleichartigen, unpolarisirbaren verquickten Zinkelektroden zur 
Ableitung; mit dem Princip der Nebenleitung zur Erzeugung 
‚auf’s Feinste abgestufter elektromotorischer Kräfte jeder Ord- 
nung; endlich mit der Spiegelbussole, die, bei gleicher Em- 
p6ndlichkeit mit dem Nerven - Multiplicator (S. oben S. 452) kei- 
ner schwierigen und vergänglichen Graduirung mehr bedarf: 
steht jetzt nichts mehr in diesem Gebiete der Ausführung mes- 
sender Versuche entgegen, und eine neue Bahn wichtiger Un- 
tersuchungen ist eröffnet. 

Die Erfahrung hat noch zu lehren, welcher Zinklösung bei 
den thierisch-elektrischen Versuchen der Vorzug zu geben sei. 
Die gesättigte Chlorzinklösung dürfte, wegen ihrer Wassergier, 
ihres geringen Leitvermögens, vorzüglich aber deshalb von vorn 
herein zu verwerfen sein, weil sie nach den Angaben des Hrn. 
F. Schulze in Rostock, und der Hrn. Barreswil und Ril- 
liet, auf die Cellulose der Bäusche ähnlich wie Schwefelsäure 
wirken, d. h. dieselbe auflösen würde. Ob nicht auch verdünnte 
Chlorzinklösung bei monateianger Berührung zuletzt die Con- 
sistenz des Papiers zu beeinträchtigen vermöge, "ist noch unbe- 
kannt. Jedenfalls richtet sich unter diesen Umständen die Auf- 
merksamkeit zunächst mehr auf die schwefelsaure Zinkoxydlösung, 
und es würde sich nur noch fragen, ob die gesättigte oder die 
mit dem gleichen Volum Wassers verdünnteLösung für den Ge- 
brauch die bessere sei. 

Für die Anwendung der letzteren würde sprechen, dals sie 
erstens die thierischen Theile minder heftig anätzen würde, und 
dals sie zweitens besser leitet. 


*) Verhandeling ever de Galvanische Polarisatie met betrekking tot 
de Leer der dierlijke Electriciteit, ete. Groningen 1858:* — Van Deen, 
Vergeliyking tusschen het door H. Beins uitgevonden werktuig tot on- 
derzoek van dierliyke Electriciteit en den tot hetzelfde doel gebezigden 
toestel van E. du Bois-Reymond,* (Separat- Abdruck.) — Vergl. Bec- 
querelin Annales de Chimie et de Physique. 3me Serie. 1854. t. XL. 
p- 389 et suiv.* 

*) Journal für praktische Chemie. 1852. Bd. LVI. S. 58.* 


486 Gesammtsitzung 


In der That erscheint das schlechte Leitvermögen der Zink- 
lösungen überhaupt’) hier zuerst als kein ganz ungewichtiger 
Übelstand. Zwar nicht so sehr wegen der dadurch bedingten 
Vermehrung des Widerstandes des Multiplicatorkreises.. Denn 
durch den Fortfall der Polarisation wird doch die Stärke wenig- 
stens der dauernden Wirkung der thierisch - elektrischen Ströme 
im Multiplicatorkreise sehr erhöht sein. Allein erstens kann man, 
wie ich gefunden habe, nun nicht mehr durch einen neben dem 
Muskel über die Zuleitungsbäusche gebrückten Schlielsungsbausch 
den Muskelstrom im Multiplicator zum Verschwinden bringen, 
oder, wie ich es nenne, abblenden, was in vielen Fällen ein| 
nützlicher Kunstgriff ist. Zweitens besitzt Fliefspapier mit 
Kupferlösung getränkt, wegen des geringen Leitungsvermögens 
derselben, ein gewisses, wenn auch sehr kleines Mals innerer 
Polarisirbarkeit.”) Unzweifelhaft wird ihm dasselbe auch mit 


den Zinklösungen zustehen. 
Inzwischen wird man sich, was das Abblenden des Stromes, 


betrifft, nunmehr dazu, anstatt des Schlielsungsbausches, einer ver- 
quickten Zinkplatte bedienen können. In Ansehung des zweiten 
Punktes ist nicht zu vergessen, dals, um am Nerven-Multiplica- 
tor Spuren der inneren Polarisation mit Kupferlösung getränkten 
Fliefspapieres wahrzunehmen, balkenförmige Bäusche von viel 
grölserer Länge und viel kleinerem Querschnitt als Zuleitungs- 
bäusche sie darbieten, °) dem Strom einer dreifsiggliederigen 
Grove’schen Säule ausgesetzt wurden. Die innere Polarisa- 
tion dürfte folglich hier unmerklich sein. Ohnehin wird man, 


'") Nach Hrn. E. Becquerel (S. oben S$. 4/3. Anm.) leitet nämlich 
gesältigte NaCl lösung besser als 


gesättigte Cu SOLlösUng. =. - = ann u 0 eu 
re m 2b ee er ee 
r ABER RCTN und HO @@ d. Vol.nach. . . . . 442 „ 
‚ER » m nn 3, 332,3 


” ” . 16. 38 „ 
(für Zu cl mit a meiner Rein s. an angeführten Bestim- 


mung). 


2) $. diese Berichte, 1856, S. 454. 
®) Diese Berichte, 1856, $. 402. 


vom 30. Juni 1859. 487 


bei Anwendung auch der mit verdünnter Zinklösung getränk- 
ten Bäusche, die gleichfalls innerlich polarisirbaren Eiweilshäut- 
chen nicht entbehren können. Sollen auch diese Spuren nicht 
dem thierischen Erreger angehörigen inneren Ladung aus dem 
Kreise verbannt werden, so bleibt nichts übrig, als eine Ein- 
richtung, ähnlich der von Hrn. Pflüger angegebenen Eiweils- 
röhren, die in ihrer jetzigen Gestalt für die Ableitung der 
thierisch - elektrischen Ströme einen viel zu grolsen Widerstand 
haben. Und selbst alsdann wird man noch nicht aller Ladung 
aulserhalb des thierischen Erregers ledig sein, da an der Grenze 
der Zinklösung und des Eiweilses unzweifelhaft eine, wenn auch 
ihrer Richtung und Gröfse.nach noch nicht erforschte, Polari- 
saticn stattfindet.’ 

Da nun zudem der Unterschied zwischen dem Leitvermögen 
der gesättigten und der verdünnten Lösung auch nur klein ist, 
so wird natürlich Alles darauf ankommen, ob die letztere gleich 
der ersteren dauernd und sicher den Vortheil der vollkommenen 
Gleichartigkeit der ableitenden Vorrichtung gewähre. Hierüber 
zu urtheilen bin ich nachm einen jetzigen Erfahrungen noch nicht 
im Stande. Thatsache ist nur, dafs von zwei verquickten Zink- 
platten, deren eine in gesättigte, die andere in verdünnter Lö- 
sung steht, während ein mit verdünnter Lösung gefülltes, mit 
Goldschlägerhaut überbundenes Schlielsungsrohr die Verbindung 
herstellt, die letztere sich so stark positiv gegen die erstere zeigt, 
dafs die Nadel des Nerven-Multiplicators dadurch dauernd an der 
Hemmung gehalten wird. Danach ist zu besorgen, dafs auch 
schon solche Unterschiede in der Concentration der in beiden 
Zuleitungsgefälsen enthaltenen Lösungen, wie sie sich im Laufe 
der Versuche einstellen können, bereits merklich elektromotorisch 
wirken dürften. In diesem Falle würde natürlich, trotz ihrem 
geringeren Leitvermögen, der gesättigten Lösung der Vorzug zu 
schenken sein, welche nur durch Verdünnung, wozu keine Ge- 
legenheit ist, nicht aber zur Verdunstung, ungleichartig werden 
kann. Jener Übelstand, der bei der gesättigten Kochsalzlösung 
so lästig fällt, nämlich das Effloresciren des Salzes,”) hat man 


1) S. diese Berichte, 1856, S. 395. 
*) Mit Kochsalz ist hier das käufliche Salz der K. Preufsischen Sali- 
nen gemeint, wie es vor der Erbohrung der Stassfurter Steinsalzlager im 


[1859.] 34 


488 Gesammtsitzung 


hier nicht zu fürchten, da einmal, wie bemerkt, nicht mehr nö- 
thig sein wird, die Vorrichtung dauernd zusammengesetzt zu 
halten, und da für's zweite die gesättigte schwefelsaure Zinkoxyd- 
lösung sehr viel weniger als die Kochsalzlösung efflorescirt. 


Hr. Kummer legte folgende von Hrn. Professor Dr. 
Reuschle in Stuttgart berechnete und ihm zugeschickte Ta- 
fel der aus fünften Einheitswurzeln zusammenge- 
setzten primären complexen Primfaktoren aller reel- 
len Primzahlen von der Form 5% +1, in der ersten 
Viertelmyriade vor. 

In dieser Tafel bezeichnet » eine Primzahl der Form 54 +1, 
« eine Wurzel der Gleichung 1+«a+a@e za’ +a'=ı, 
Ko)=e+a,a+0,a”+0,a’+ca,a* den complexen Prim- 
faktor des p, welchem die primäre Form gegeben ist, so dals er 
den beiden Bedingungen fa)— fi)=0, mod. (1—«)?, und 
KK) fe!) —fı)”=0, mod. 5, genügt. Die Congruenzwurzel, 


p—i 


zu welcher dieser complexe Primfaktor f(«) gehört, ist g ? , wo 
g eine primitive Wurzel von p ist, welche im ersten Tausend 
in Übereinstimmung mit dem Canon arithmeticus von Jacobi 
gewählt ist und darüber hinaus nach den zahlentheoretischen 
Tabellen von Hrn. Reuschle. Unter den unendlich vielen 
verschiedenen Formen, welche der primären complexen Zahl f(«) 
gegeben werden können, ist überall diejenige als die einfachste 
ausgewählt worden, für welche in der Gleichung f(«) f(«"') 
=4(b+.c.5V5) die beiden ganzen Zahlen 3 und c die klein- 
sten Werthe erhalten. 


de | f() | oral 


c 
11 2 — a+a’ + 2a® 13 1 
31 47 2— 0 — 30? +3r* 57 5 
41 6 —1-+22 +0? — ec" 17 1 
61 10 —2+32— a? +o* 37 u 
71 —) —1+30? + a? —.a* 28 2 


Handel vorkam. Hr. Prof. Funke hat mir mitgetheilt, dafs nach seinen 
Erfahrungen bei thierisch-elektrischen Versuchen, die nach meiner Vor- 
schrift angestellt wurden, chemisch reine Chlornatriumlösung jene lästige 
Erscheinung nicht zeigte. Wie sich Lösung des Stassfurter Steinsalzes in 
dieser Beziehung verhalte, weils ich noch nicht. 


vom 30. Juni 1859. 


(a) 


1—2& +20? + a* 

2— 0 +20? —20* 

1— 2a +0? — a? + 20° 

3— a? — 20? -+2«* 

—3 +22 +40? + a? —20* 
— 20 + 30? — 20? + 30° 

2 +2 +20? —20? — a" 

1-+ 30 — 40? +40? —3a* 

32 —30? a? 

2— 4e — 40? + a? + 60* 
3-08 +0? + 20° 
—3+ 30 — 30? + 4a 

1— 20 — 30? + a? +50* 
—1+2« +20? — 3a? + 20° 
—2— 0a +20? +30* 

— 2+20 + 20? — 30? + 20° 
— 1-52. — 30? ia? + 60° 
= a+40?— a? —u* 

4— 30 — 40? ua* 

4— 20 — a? +50? —un® 
— 4 +42 — 20? 2a? + a* 
—2— 32 +30? +40 

2+4a +30? — 30? — 4n* 
— a +50? — 4a? +20 
—3 +52 —50? +50? 
—4-F2e— 0? ro? +30? 

6—4r +20? +30? —ca* 
—5— 4a +40? +70? 

5-+a— a? — 30? 

— 32 +52? — 22° -po* 

—3+0-+60? Ha? —4a* 
3—a—4a? —2a? +5c* 
2+0 — 30? — 20? 4a 

4-50 +30? za? —a* 

4— 20 — 20? — 20? -+3a* 
1-10 — a? +5a’+a* 


127 


182 


107 


217 


442 
153 
102 


133 
113 
208 
252 
263 
157 
137 


128 


489 


»> 


= 
POSOSBEROVOOBSBPrRrAVGPRREHNGeEVN Mm 


> 


Gesammtsitzuug 


p 8 fe) 
1031 —2 3-a—44? ra’ ra? 
1051 10 {+32 +20? — 4a? 
1061 "2 |-2—-172— a? +50? + 60* 
1091 10 |-1—32? +40? + a«* 
1151 —10 6—6r +4? — a? —a* 
1171 40 28 +30? — 4a 
1181 10 |—3— 20 +20? +ie* 
1201 11 1442 — 20? — 30? a" 
1231 —? 2— 20 — 50? + 20? 4a? 
1291 10 I-6—a-+50? 6a? —3a? 
1301 410 |-4+2e +3e? +a* 
1321 13 1-78 — a? +50? +60* 
1361 3 5— 30 — 4a? +4c* 
1381 10 |—-2—2« +52? +20? —a* 
1451 2 1-28 — a? — 4a? +30" 
1471 —10 5— 50 +60? — 30? —20* 
1481 3 3— 22 +50? — 30? —a* 
1511 —10 |-5-+32 +38? — 70? +8«* 
1531 10 8— 62 +20? +50? — 7u* 
1571 10 3 + 20? + 0°? —50* 
1601 3 4452-50? —50* 
1621 10 s—52 + a? +20? — 20° 
1721 3 4. — 20? 50? +20 
1744 10 °|—-3— 32 — a? +60? +3a? 
1801 11 1-+302 — 30? +60? —50* 
1811 10 a— a? — 30? +50* 
1831 3 3-72 — 20? — a? +50° 
1861 10 3+ 302? — 4a? — «a* 
1871 —10 4-20 — 30? +20? —3a* 
1901 2 1+30 +20? + a? —5a* 
1931 2 |-2—-7e@ +70? +40* 
1951 —?2 1— 62 —66? 4a? + 9a* 
2011 —5 3— 20% + 4a? — 4a 
2081 3 2-0 + 20? —5a? -+3u* 
2111 — 10 8— 62 + a? +32? — 5" 
2131 2 3 +40? — 20? — 3a* 


vom 30. Juni 1859. 491 


p & | S(e) | b | c 
2141 10 | 4 +50 + 20? — 60? — in? 242 20 
2161 70 3+a@— 50? +40? — 20° 1437 9 
2221 10 |—-6-r2« +20? — 32? +7a*| 253 24 
2251 10 1+ 20 + 50? — 20? — 4a" 123 7 
2281 7 \-2+ 38 +50? +20? —6c| 193 15 
2311 —?) 5— 4a 4a? + 2a? —5u* 213 8, 
2341 10 4 a—6a? +70? —50* 317 27 
2351 —10 |-4—- 32 #50? +32? + «*® 148 10 
2371 10 \-1+64— a? — 20° 103 3 
2381 3 1-3-+52 +40? — 20? — 30° 457 11 
2411 10 4a—50? +? + 20° 113 5 
2441 6 7— a— 20? +70? —9a* 458 40 


Die Akademie wählte in derselben Sitzung die Hrn. Leon 
Renier in Paris, Ernest Renan in Paris, Georg Hein- 
rich Bernstein in Breslau, Heinrich von Sybel in Mün- 
chen, Eduard Böcking in Bonn und Wilhelm Giese- 
brecht in Königsberg zu correspondirenden Mitgliedern ihrer 
philosophisch - historischen Klasse. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 
v. Chlumecky, Die Landtafel des Markgrafthums Mähren. Lief. 
42—14. Brünn 1859. folio. 
Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen. 7. Band, Heft 2. 
Berlin 1859. 4. 
Memorie dell I. R. Istituto lombardo di scienze, lettere ed arti. Vol.VIII, 
Fasc. 1. Milano 1859. 4. 
Revue archeologique. 16"® annee, Livr. 3. Paris 1859. 8. 
Journal of the Asiatic Society of Bengal, no. 269. Calcutta 1859. 8. 
Bibliotheca indica, no. 141. Calcutta 1857. 8. 
Documents inedits sur Ühistoire de France. 
Recueil des lettres missives de Henri IV. Tome VII. 


492 Gesammtsitzung vom 30. Juni 1859. 


Lettres du Cardinal de Richelieu. Tome Ill. 
Negociations diplomatiques de la France avec la Toscane. Tome 
I. Paris 1858—1859. 4. 
Rapport 8.et 9.sur la situation des ecoles agrieoles de reforme. Bruxelles 
1857. 4. Mit Rescript des vorgeordneten Ministeriums vom 28. 
Juni 1859. 


—ni— 


Bericht 
über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat Juli 1859. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Trendelenburg. 


4. Juli. Sitzung der physikalisch - mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Ewald las über die fossile Fauna des Salzber- 
ges bei Quedlinburg. Erste Abtheilung. 


Hr. du Bois-Reymond legte eine Mittheilung des Hrn. 
Dr. W. Kühne über die gerinnbare Substanz der Mus- 
keln, d. d. Paris, am 14. Juni d. J., vor. 

Nach dem Erlöschen der Contractionsfähigkeit prägt sich 
bei den Muskeln aller Thiere eine Veränderung aus, welche seit 
Jahrhunderten bekannt ist und als Todtenstarre, rigor mortis, be- 
zeichnet wird. Die Muskeln der warmblütigen Thiere zeigen 
diese Erscheinung schon sehr bald nach dem Tode, ja eine ge- 
wisse Steifigkeit der Glieder ist unleugbar zu einer Zeit, wo 
die Muskeln noch einen beträchtlichen Grad von Erregbarkeit 
besitzen. Worin dieser Grad der Starre bestehe ist schwer 
zu sagen, sicher kann er, wie ich selbst bestätigen konnte, durch 
Einspritzen von arteriellem Blut in die Muskelgefälse beseitigt 
werden. Bei den kaltblütigen Thieren hat der Tod, oder bes- 
[1859.] 35 


494 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


ser ausgedrückt, die Aufhebung der Blutcirculation, ein gleiches 
Schwinden der Erregbarkeit, wie bei den Warmblütern, zur Folge; | 
so lange aber noch eine Spur von Erregbarkeit vorhanden ist, } 
tritt auch nicht die mindeste Veränderung in dem Cohäsions- 
zustande der contractilen Materie ein. Selbst nach dem Ver- 
lust der Erregbarkeit findet man die Muskeln der Frösche in 
einem Zustande, der durch Nichts von dem eines noch zucken- 
den Muskels verschieden ist. Sie sind dabei weich, durchsichtig, 
und reagiren alkalisch, gerade wie die noch erregbaren Muskeln, 
und in diesem Stadium scheint die contractile Masse in der That 
vollkommen flüssig zu sein. 

Wie ich in einer früheren Publication gezeigt habe, kann] 
die Banane zelkomuEn Auabllanzız von Ana Gewebe des] 


lemm herausgeprelst werden kann. Solche Flüssigkeiten sind 
entweder verdünntes Zuckerwasser oder schwache Salzlösungen, 
am besten Na€l Lösungen von 0,7—1°/,. Die so erhaltene Mi-[i 
schung coagulirt freiwillig, wie das Blutplasma und setzt um s 
reichlichere Gerinnsel ab, je weniger die Muskeln unter derf 
Presse selbst in den starren Zustand übergingen. Es ist nicht] 
absolut nöthig, dafs die Muskeln bei der Zurichtung der begin-| 
nenden Starre ganz entgehen, da dieselbe nicht auf einmal ein- 
tritt, so dals stets eine geringe Menge noch nicht coagulirte | 
Materie in die Prefsflüssigkeit übergeht. Diesem Umstande istf) 
es zu danken, dals selbst Hunde- und Kaninchenmuskeln, au 
denen das Blut durch einen Strom der Kochsalzlösung ausge- 
trieben worden, eine geringe Menge spontan coagulirender Flüs 
sigkeit liefern. 

Die Flüssigkeit aus den Muskeln der Frösche gerinnt seh 
langsam, während die der Warmblüter rascher coagulirt. Be 
einer Temperatur zwischen 0?” und 5° C. kann die Erstere übe 
eine Woche aufbewahrt werden, ohne zu gerinnen, kommt si 
dann in eine Zimmerwärme von + 15° C., so gerinnt sie rasch. 
Es ist bekannt, dafs sich die ausgeschnittenen Froschmuskeln 
ebenso verhalten, welche sich bei einer genau regulirten Tem 
peratur, die sich nicht erheblich von 0° entfernt, fast in’s Un 
begrenzte reizbar erhalten lassen. Der Einfluls der Wärme aul 


vom 4. Juli 1859. 495 


den Eintritt der Todtenstarre und die Gerinnung der künstlichen 
Muskelflüssigkeit ist augenscheinlich. Froschmuskeln werden je 
nach der Temperatur mehr oder minder rasch starr. In unmels- 
barer Zeit tritt aber die Starre ein bei einer Temperatur von 
40° C., und genau bei derselben Temperatur setzt die ausge- 
prelste Flüssigkeit dicke Flocken eines derben Gerinnsels ab. 
Wie der todtenstarre Froschmuskel reagirt auch der bei 40° C. 
starr gewordene Muskel sauer, die Flüssigkeit zeigt dagegen die- 
sen Reactionswechsel nur, wenn sie nicht filtrirt war; die fil- 
trirte Flüssigkeit bewahrt bei der Coagulation ihre alkalische 
Reaction, und wird erst beim längeren Stehen an der Luft sauer. 

Ein Muskel, welcher bei 40° C., sei es in Quecksilber, in 
Öl oder in Wasser, einmal starr geworden ist, kehrt durch kein 
physiologisches Mittel wieder aus diesem Zustande zurück, eben 
so wenig wie die einmal geronnene Flüssigkeit nicht wieder klar 
wird. Ein ganz frischer noch reizbarer Muskel einmal auf 40° C. 
erwärmt, hat seine Erregbarkeit für immer eingebülst, und auch 
darin stimmt die bei 40°C. erzeugte Starre mit der Todten- 
starre überein, dals das circulirende Blut den früheren Zustand 
nicht zu restituiren vermag. Niemals wird ein Froschmuskel 
wieder erregbar, wenn er durch Unterbindung seiner Arterien 
einmal unerregbar, starr, undurchsichtig und sauer geworden ist. 
Der Zutritt des Blutes nach der Lösung der Ligatur, den das 
Mikroskop in der Schwimrmhaut anzeigt, bringt zwar die alkali- 
sche Reaction allmählig wieder, die Reizbarkeit aber ist unwie- 
derbringlich verloren; ebenso wenn der Muskel durch Erwärmen 
des Beines eines lebenden Frosches auf 40° C. erstarrt war. 
Hier wurde die Blutcirculation gar nicht unterbrochen, und doch 
bleibt das Bein wochenlang starr. 

Die früheren Angaben über die Lösung der Todtenstarre 
durch das Blut beziehen sich auf den Grad der Starre, bei wel- 
chem die Muskeln noch reizbar sind, also auf die Warmblüter. 
Bei diesen liegt die Grenze in der sauren Reaction der Muskeln, 
und dem unzweifelhaften Verlust aller Erregbarkeit. Muskeln von 
Hunden und Kaninchen, welche bei 45° erst starr werden, wer- 
den durch keine Injection von arteriellem Blut wieder leistungs- 
fähig, wenn sie bis zu jener Temperatur erwärmt waren, oder 

35* 


496 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


durch den Abschnitt vom Blutkreislauf starr und sauer geworden 
waren. 

Mit den genannten Vorgängen ist die Reihe der der con- 
tractilen Materie eigenthümlichen Coagulationen noch nicht ab- 
geschlossen. Nur der frische noch nicht todtenstarre Muskel 
coagulirt bei 40°. Eine andere Coagulation, welche bisher als 
Wärmestarre beschrieben ist, und welche man ebenso wie die 
Todtenstarre lange Zeit für eine tetanische Contraction gehalten 
hat, tritt ein bei 45° C., und zwar sowohl bei einem reizbaren, 
wie bei einem starren und in Fäulnifs begriffenen Muskel. Was 
diese Zustände der Starre schon auf den ersten Blick von der 
Centraction unterscheiden läfst, das ist der Umstand, dals sie 
sich nicht über die erhitzte Stelle hinaus fortpflanzen. So kann 
man einen Froschmuskel, den man in Quecksilber von 40° C. 
todtenstarr gemacht hat, zur Hälfte, oder wo man will, durch 
Eintauchen in Öl von 45° C. aulserdem noch wärmestarr ma- 
chen. Der Zustand unterscheidet sich von der Todtenstarre da- 
durch, dafs der Muskel noch viel weilser, härter, und noch un- 
durchsichtiger wird, so dals sich die Grenze zwischen den durch 
40° und 45° veränderten Stellen sehr deutlich markirt. Um. die 
Behauptung, dafs auch dies eine Coagulation sei, zu beweisen, 
braucht man nur wiederum die Muskelflüssigkeit direct zu unter- / 
suchen. Nachdem dieselbe freiwillig geronnen ist, oder nach- 
dem man sie bei 40° hat gerinnen lassen, coagulirt der Rest 
nochmals bei 43° — nicht bei 45°, weil die Gerinnung des Ei- 
weilskörpers, um welchen es sich hier handelt, durch Salzlösun- 
gen weiter herabgesetzt wird. Aus jedem todtenstarren Frosch- 
muskel aber kann man durch Ausziehen mit destillirttem WVasser 
eine Flüssigkeit erhalten, welche constant bei 45° gerinnt. Hat) 
man die Flüssigkeit längere Zeit bei 45° erhalten, und filtrirt 
man nun von dem massenhaft angesammelten Gerinnsel ab, so 
bekommt man eine neue Lösung, welche erst bei 72° gerinnt. 
Die Zusammensetzung der contractilen Substanz ist also eine 
sehr complicirte, und ihre Untersuchung wohl eine würdige Auf- 
gabe der physiologischen Chemie. Wie bei der Todtenstarre 
die Temperaturen, welche sie plötzlich erzeugen, nicht für die 
Muskeln aller Thiere dieselben sind, so ist es auch bei der 
Wärmestarre. Hunde- und Kaninchen-Muskeln werden erst zwi- 


vom 4. Juli 1859. 497 


schen 49 und 50° wärmestarr, die der Taube erst bei 53° C. 
und genau so verhalten sich die Wasserauszüge dieser Muskeln, 
welche bei 50° resp. 53° reichliche Gerinnsel absetzen. 

Da die bei 40°? C. in den Froschmuskeln eintretende Starre 
der Blutcirculation nicht weicht, so braucht nur noch erwähnt 
zu werden, dafs directe Versuche dies auch für die bei 45° C. 
geronnenen Muskeln bestätigen. Die Angabe des Gegentheils 
ist um so sonderbarer, als grade die Wärme wenigstens unter 
50° sehr selten wirkliche Muskelcontractionen hervorruft. Mit 
Sicherheit kann ein Muskel nur zum Zucken gebracht werden, 
wenn sein Querschnitt sehr plötzlich auf 100°, womöglich noch 
höher erhitzt, oder der Muskel sonst an irgend einem Punkte 
völlig verbrannt wird. Mit eintretender Fäulnils beginnt die so- 
genannte Lösung der Todtenstarre. Faulende Froschmuskeln 
liefern beim Auspressen eine stark alkalische Flüssigkeit, welche 
beim vorsichtigen Ansäuern zum zweiten Male freiwillig gerin- 
nen kann. Dieselbe hat auch die Eigenschaft wieder bei 40° 
zu gerinnen, so wie sie vorsichtig mit Milchsäure neutralisirt 
wird. Ohne Säurezusatz wird die durch Filtration klar erhaltene 
Lösung bei 40° nur milchig. 

Wie es scheint, ist die Temperatur von 40° die unterste 
Gränze, bei welcher wirklich reizbare Muskeln plötzlich coagu- 
liren. Selbst der Stielmuskel der Vorticelien, der sich gegen 
elektrische und chemische Reize fast ebenso wie ein Froschmus- 
kel verhält, bleibt bei 38° C. z. B. noch lange reizbar. Sowie 
aber die Vorticellen in Wasser von 40° C. kommen, erstarren 
sie alle, und die Stiele rollen sich spiralig zusammen. Die Er- 
scheinungen sind dieselben bei Stielen mit abgerissenen Köpfen. 


bestehen scheinen, aus der bekannten Sarkode, haben nichts ge- 
meinsames mit der Muskelsubstanz. Amoeba diffluens bleibt ganz 
unbelästigt von den stärksten Inductionsschlägen, und setzt seine 


> Diejenigen Geschöpfe, welche nur aus contractiler Materie zu 
? 
f 


Bewegungen in verdünnter Salzsäure stundenlang fort. Dagegen 
coaguliren diese Thiere schon bei 35° C. plötzlich zu harten 
festen Kugeln. Ebenso sah ich die Flimmerzellen auf der Frosch- 
_ zunge bewegungslos werden zwischen 35 und 36° C. 


498 Öffentliche Sitzung 


7. Juli. Öffentliche Sitzung zur Feier des 
Leibniztages. 


Hr. Böckh eröffnete dieselbe als Vorsitzender mit der 
Gedächtnifsrede auf Leibniz in Verbindung mit einigen Wor- 
ten über A. v. Humboldt (s. die Beilage). 


Der akademischen Sitte gemäls, hielt demnächst Hr. Rei- 
chert als neu eingetretenes Mitglied der Akademie folgende An- 
trittsrede: 

Der heutige, für die Geschichte der Königlichen Akademie 
der Wissenschaften so denkwürdige Tag bietet mir die sehr er- 
wünschte Gelegenheit dar, der hohen Versammlung den innig- 
sten Dank für das Vertrauen auszusprechen, mit welchem sie 
mich durch die Allerhöchst bestätigte Wahl zu ihrem ordent- 
lichen Mitgliede beehrt hat. In dem eifrigsten Bestreben, die- 
sem so ehrenvollen Vertrauen zu entsprechen, wird mich die 
hohe Aufgabe der Akademie, selbst, es wird mich das erhebende 
Beispiel der hochgeehrten Kollegen, es soll mich endlich ein 
aufrichtiges und ausdauerndes Dankgefühl leiten und kräftigen. 
Dennoch kann ich und darf wohl auch nicht die natürlichen 
Empfindungen hier völlig unterdrücken wollen, welche in mei- 
ner Seele bei dem Gedanken sich unabweislich hervordrängen, 
dals ich mit meinen wissenschaftlichen Bestrebungen einem Kreise 
von Männern angehöre, die durch ihre hervorragenden Eigen- 
schaften und Leistungen schon Jahre lang meine höchste Be- 
wunderung erweckt haben, und dafs ich durch eine traurige Fü- 
gung des Geschickes in die Lage gebracht worden bin, gewis- 
sermalsen an die Stelle eines Mannes zu treten, der durch das 
seltene Ebenmaals seiner geistigen Begabung und durch die 
Erfolge seiner fast übermenschlichen, rastlosen Thätigkeit 25 Jahre 

hindurch eine Zierde der Akademie gewesen ist. Unter diesen 
| schwierigen Verhältnissen von der liebevollen Nachsicht der 
hochgeehrten Fachgenossen bei Beurtheilung meiner Leistungen 
überzeugt, darf ich zugleich daran festhalten, dals eine wichtige 
Aufgabe der Akademie darin bestehe, der Fortschrittsbewegung 


vom 7. Juli 1859. 499 


der Wissenschaften, ohne Beeinträchtigung der Einheit und 
wechselseitigen Harmonie im Ganzen, durch die besondere Pflege 
in bestimmten, durch den Gegenstand selbst dargebotenen Rich- 
tungen förderlich zu werden. 

Meine Forschungen haben bisher unablässig das Ziel ver- 
folgt, die thierische Form in ihrer Bildungsgeschichte aufzuneh- 
men und gesetzlich zu erläutern. Der Lösung dieser Aufgabe 
sind bestimmte Grenzen gezogen, und innerhalb derselben ist 
jeder Schritt auf der empirischen Grundlage mit grolser Vor- 
sicht zu bemessen, wofern den bedenklichsten Ausschweifungen 
vorgebeugt werden soll. Die morphologische Analyse ist zwar 
gegenwärtig mit Hilfe des Mikroskopes bis zu äulserst kleinen, 
räumlichen Verhältnissen vorgedrungen; sie hat auch durch die 
Entdeckung der elementaren, organischen Zelle einen bestimm- 
ten, festen Haltpunkt für ihre Forschungen gewonnen: allein 
jene letzten, elementaren Bildungsvorgänge in der organischen 
Materie, durch welche Flüssiges und Festes zugleich in die or- 
ganisirte Form übergeführt werden, sind der Beobachtung auch 
jetzt noch gänzlich unzugänglich geblieben. Alle Bemühungen 
unter Herbeiziehung allgemeiner Naturkräfte hier weiter vorzu- 
schreiten, haben nur dazu gedient, den Mangel an Erfahrungen 
und die Einseitigkeit des Urtheils unzweideutig herauszustellen. 

Hält man sich an die nächsten, sichtbaren Vorgänge bei der 
Bildung organisirter Formen mit nothwendiger Berücksichtigung 
des ganzen geschichtlichen Ablaufes derselben, so scheinen mir 
nach dem heutigen Stande der Wissenschaft besonders zwei da- 
bei betheiligte fundamentale Prozesse die Aufmerksamkeit des 
Morphologen in Anspruch zu nehmen: der Knospenzeugungs- 
prozels und der eigentliche Entwickelungsprozels. Die verschie- 
dene Natur dieser beiden Prozesse bringt es mit sich, dals auch 
ihre morphologischen Produkte einen wesentlich verschiedenen, 
morphologischen Charakter an sich tragen. Ein jeder Zeugungs- 
prozels führt in seinen Wirkungen zum Auftreten und zur Ver- 
mehrung gleichartiger, stammverwandter Körper. Der Knospen- 
zeugungsprozels produeirt dem entsprechend Aggregat-Ge- 
bilde gleichwerthiger Bestandtheile, die in bestimmten 
Richtungen, unter bestimmten Winkeln sich verbunden haben 
und vereinigt sind. Häufig zeigen diese Bestandtheile auch eine 


500 Öffentliche Sitzung 


gewisse Abwechselung, eine Variation in der Form; dennoch ist 
die typische Übereinstimmung niemals zu verkennen. Die auf 
diesem Wege entstandenen organisirten Körper tragen als Ag- 
gregate ihre Form mehr äulserlich zu Tage; sie erinnern durch 
ihren zierlichen, auffälligen Habitus oft aufserordentlich an die 
Aggregatkrystalle und haben auch wohl die eitle Hoffnung rege 
gemacht, die Krystallisation und den Bildungsprozels organisirter 
Formen auf dieselben Ursachen zurückführen zu können. — Der 
Entwickelungsprozels führt durch Sonderung eines indifferenten 
Keimes oder einer Anlage in ungleichwerthige Bestand- 
theile zur Bildung oder, wie man sagt, zum Aufbau morpho- 
logischer Systeme. Die Lagerungsweise und die räumlichen 
Verhältnisse dieser genetisch ungleichwerthig angelegten Be- 
standtheile eines auf die bezeichnete Weise entwickelten, orga- 
nisirten Körpers machen auf uns nicht den Eindruck eines Ag- 
gregales; wir sprechen grade hier von innerer Form, von 
Struktur und Textur; wir nehmen hier die Theile mit Berück- 
sichtigung der systematischen Gliederung als Haupttheile, als 
unter- oder beigeordnete Theile auf und zeigen die innige Ver- 
kettung und Verbindung derselben in dem geschlossenen syste- 
matischen Ganzen. Bei den Aggregatgebilden gehen wir von 
den, durch den Zeugungsprozels gegebenen Bestandtheilen aus 
und fügen dieselben dem Bildungsprozesse gemäls zu einem Gan- 
zen zusammen; bei einem morphologischen System müssen wir 
der Entwickelung gemäls von dem Ganzen ausgehen und analy- 
tisch durch die Haupt- und untergeordneten Bestandtheile bis 
zu den Endgliedern herabsteigen. 

Der angedeutete Unterschied in der Bildung und in dem 
Verhalten organisirter Formen hat bereits vor 90 Jahren die 
Aufmerksamkeit eines Forschers erregt, den man als Begründer 
einer wissenschaftlichen Auffassung in der Bildungsgeschichte or- 
ganischer Geschöpfe ansehen darf. C. F. Wolff zieht in der 
Einleitung zu seiner Bildungsgeschichte des Darmkanals im be- 
brüteten Hühnchen eine lehrreiche Parallele zwischen der Bil- 
dung und dem Wachsthum einer Pflanze, bei welcher ganz be- 
sonders der Knospenzeugungsprozels mitspricht, und der Bildung 
eines Hühnchens, in welchem sich auffälliger die Wirkungen 
des Entwickelungsprozesses zu erkennen geben. C. E, v. Bär 


vom 7. Juli 1859. 501 


unterschied in seiner Bildungsgeschichte des Hühnchens zwischen 
— wie er es nannte — Sonderungen des Keimes in ungleich- 
werthige und gleichwerthige Bestandtheile, woraus hervor- 
ging, dafs der Knospenzeugungsprozels selbst bei der Bildung 
eines Wirbelthieres, wenn auch mehr im Bereich der Organe, 
seinen Antheil habe. Es existirt wohl auch in der That kein 
thierisches Geschöpf, bei dessen Bildung neben dem Entwicke- 
lungsprozesse nicht auch der Knospenzeugungsprozels in irgend 
einer Weise mitgewirkt hätte. 

Die Bildungsgeschichte thierischer Geschöpfe darf es daher 
in gegenwärtiger Zeit als ihre erste und wichtigste Aufgabe be- 
trachten, die beiden bei jeder Bildung betheiligten fundamen- 
talen Prozesse einerseits nach ihrem Werthe und ihrer Bedeu- 
tung scharf auseinander zu halten, anderseits aber auch nachzu- 
weisen, wie dieselben bei der Bildung organisirter Formen zu- 
sammengreifen und dem fertigen Produkte den Stempel eines 
Entwickelungs- und eines Knospenzeugungs Produktes aufdrücken. 
In einzelnen Beispielen ist die Lösung dieser Aufgabe zum Theil 
wenigstens geglückt; in vielen andern Fällen dagegen, in sol- 
chen namentlich, wo das Wachsthum und der Knospenzeugungs- 
prozels im. Parenchym versteckt vorschreiten und sich nur in 
der Vergrölserung des Stammgebildes markiren, oder wo der 
Entwickelungsprozels an wenig gesonderten und undeutlichen 
Strukturen sich offenbart: da giebt es oft, für den Augenblick 
wenigstens, ganz unüberwindliche Hindernisse sowohl für die 
Beobachtung, als für die Demonstration; hier ist vielmehr Auf- 
gabe, sich jeder künstlichen Konstruktion zu enthalten und die 
Aufklärung entweder besseren Zeiten aufzubewahren oder in 
Übereinstimmung mit schon bekannten Bildungsvorgängen zu 
versuchen. Unter solchen Umständen konnten und können reelle 
Fortschritte auf diesem Gebiete nur selten errungen 'werden; 
wo dieselben aber bisher hervorgetreten sind, da haben sie mit 
einer überraschenden Tragweite auf das rationelle Verständnifs 
organisirter Formen für die specielle und vergleichende Anato- 
mie eingewirkt. Eine einzige, wahrheitsgetreue Ausbeute, welche 
uns die volle Freude des genetischen Wissens kennen lehrte 
und uns die verwickeltsten Formen auf dem Wege, wie sie ge- 
worden und aus dem einfachsten Zustande in die complicirte 


502 Öffentliche Sitzung 


Gestalt übergegangen waren, zur Anschauung brachte, eine 
solche Ausbeute mufs häufig den immerhin reichlichen Ersatz 
für langjährige Arbeiten gewähren und uns den hohen Werth 
von Forschungen nicht verkennen lassen, auf deren schlüpfrigen 
Boden so leicht und so oft Fehltritte gemacht werden. Möchte 
es mir gelingen, bei meinem Wirken unter Ihnen der Wissen- 
schaft möglichst oft solche gute, gesunde Früchte darzubieten! 


Hr. Ehrenberg, als Secretar der physikalisch - mathemati- 
schen Klasse, antwortete wie folgt: 

Die Akademie der Wissenschaften begrülst ihre seit dem 
gleichen Tage im vorigen Jahre neu eingetretenen Mitglieder 
jedesmal am Leibniz-Feste. So heilse ich Sie, Hr. Reichert, 
denn Namens der Gesammtakademie und insbesondere im Na- 
men der physikalisch-mathematischen Klasse, als Secretar der be- 
treffenden Abtheilung, heut öffentlich herzlich willkommen. Ihre 
Thätigkeit, verehrter Herr College, ist der Akademie längst er- 
probt. Schon vor langer Zeit hatte der am Tage Ihrer Wahl, 
die er mit zu vollziehen wünschte, am 10. März, zum letzten 
Male in diesem Saale nur für Sie gegenwärtige, heut wehmüthig 
gefeierte Heros der Naturforschung Alexander von Hum- 
boldt Ihren stillen erfolgreichen wissenschaftlichen Eifer er- 
kannt und sein Scharfblick, so wie seine alle jugendlichen An- 
strengungen zu ernster Pflege der Wissenschaft fördernde Güte 
führte Sie durch seinen Einfluls damals aus der rein praktischen 
in die ersehnte wissenschaftliche Richtung. Später, vor nun 
147 Jahren schon, 1842, dankten Sie ihm durch Lösung der 
schwierigen physiologischen Preisfrage der Akademie aus dem 
Jahr 1840, wobei Ihnen ein dem festgestellten ersten Preise, 
welcher dem Prof. L.W. Bischoff zufiel, gleicher, zweiter Preis 
aulsergewöhnlich zuerkannt wurde. Jetzt, nachdem Sie im For- 
schen und Lehren viel geübt, vom Königlichen Ministerium, nach 
dem Vorschlage der medicinischen Fakultät der hiesigen Univer- 
sität, für geeignet erachtet worden, an des verstorbenen Johan- 
nes Müller’s Stelle den anatomischen Anstalten der Univer- 
sität vorzustehen, hat sich die Akademie, nicht des zu verwal- 
tenden Amtes halber, sondern nur deshalb veranlalst gesehen, 
Sie in ihren Kreis aufzunehmen, weil aus Ihren zahlreichen äl- 


_ 


vom 7. Juli 1859. 503 


teren und immer mehr aus den neueren Arbeiten, seit nun 20 
Jahren, derselbe ruhig beobachtende und ruhig urtheilende that- 
kräftige frische Geist bervorleuchtet, welcher dem Gedeihen der 
objectiven Wissenschaft förderlich ist. Ihre das Ganze des 
Menschenorganismus beherrschenden und stets ins Auge fassen- 
den, mit Vorliebe aber besonders den ersten Entwickelungsver- 
hältnissen der einzelnen organischen Elemente und Systeme zu- 
gewendeten Forschungen werden nicht verfehlen den richtigen 
Pfad offen zu erhalten, welcher die neuen Generationen vor 
Abwegen bewahrt und auf kürzester Bahn dem Ziele zuführt, 
das, mit hohem Erfolg für die immer wachsende Erkenntnifs der 
Lebensgesetze lockend, noch in um so weiterer Ferne liegt, je 
mehr die Erforschungen des selbstständigen unsichtbaren Lebens 
die Feinheit der organischen zusammengesetzten Prozesse, — selbst 
durch die Gegner in ihrer Erkenntnils gefördert, — über das Ein- 
fache einer blolsen Zellbildung, die aus scheinbar Formlosem stets 
nur secundär hervortritt und stets vollständig individualisirt er- 
scheint, weit erhebt. 


Hierauf zeigte der Secretar der Akademie, Hr. Trende- 
lenburg, an: 

Am Leibniztage des Jahres 1856 stellte die Akademie der 
Wissenschaften auf das Jahr 1859 eine vollständige kritische 
Sammlung der aristotelischen Fragmente zur Preisaufgabe. Da 
Bewerbungsschriften nicht eingegangen sind, so erneuert sie sie 
heute mit folgenden Worten: 

In der philosophischen Litteratur giebt es noch immer eine 
Lücke, für deren Ausfüllung bis jetzt nur in einzelnen Richtun- 
gen der Anfang gemacht ist. Aus den verlorenen Schriften des 
Aristoteles finden sich im griechischen und römischen Alter- 
thum, insbesondere bei den Commentatoren, Nachrichten und 
Bruchstücke zerstreut, welche sorgfältig gesammelt, kritisch ge- 
sichtet und mit dem vorhandenen Aristoteles verglichen, geeignet 
sein werden, unsere Kenntnisse von Aristoteles zu erweitern und 
zur Geschichte der Philosophie und Litteratur einen wesent- 
lichen Beitrag zu liefern. Die Akademie stellt hiernach 


504 Öffentliche Sitzung 


eine vollständige kritische Sammlung der aristotelischen 
Fragmente 
als Preisaufgabe. 

Die Bruchstücke des Aristoteles und die Stellen, welche sich 
auf dessen verlorene Schriften beziehen, sollen aus dem griechi- 
schen und römischen Alterthum, insbesondere aus den Commen- 
tatoren, gesammelt, kritisch behandelt und, so weit sich An- 
knüpfungspunkte bieten, mit den vorhandenen aristotelischen 
Schriften verglichen werden. Was etwa noch die arabische und 
orientalische Litteratur für Aristoteles enthalten mag, bleibt für 
jetzt ausgeschlossen. Was bisher im Einzelnen für eine Samm- 
lung geschehen, ist zu benutzen und zu berücksichtigen. Die 
Anordnung der Fragmente wird dem Urtheil der Bearbeiter 
überlassen; aber es ist der Schrift ein doppeltes Register beizu- 
fügen, wovon das eine die Schriften und Stellen, aus welchen 
die Fragmente entnommen sind, genau aufführt, das andere die 
wichtigern Wörter und Gegenstände der Fragmente alphabetisch 
verzeichnet. Die Arbeit kann zwar nach Wahl der Bewerber 
in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache geschrieben 
werden, doch wird in diesem Falle eine lateinische Abfassung 
der Akademie erwünscht sein. 

Indem bei der Wichtigkeit der Sache die Akademie diese 
Preisfrage nunmehr erneuert, verdoppelt sie zugleich den Preis, 

Die ausschliefsende Frist für die Einsendung der dieser Auf- 
gabe gewidmeten Schriften ist der 1. März 1862. Jede Bewer- 
bungsschrift ist mit einem Motto zu versehen und dieses auf dem 
Äufsern des versiegelten Zettels, welcher den Namen des Ver- 
fassers enthält, zu wiederholen. Die Ertheilung des Preises von 
200 Dukaten geschieht in der öffentlichen Sitzung am Leibnizi- 
schen Jahrestage im Monat Juli des Jahres 1862. Überdies wird 
unter Bezug auf $ 67 der Statuten die philosophisch - historische 
Klasse, wenn die gekrönte Preisschrift sich zur Aufnahme in den 
noch rückständigen fünften Band der von ihr besorgten Ausgabe 
des Aristoteles eigenen sollte, nach näherer Verabredung mit dem 
Verfasser, Sorge tragen, dals dieser Beitrag noch angemessen 
honorirt werde. 


vom 7. Juli 1859. 505 


Hr. Ehrenberg schlols mit dem von dem Vorsitzenden 
angekündigten Vortrage zum Gedächtnils Alexander v. Hum- 
boldt’s. 

Im Glanze einer friedlich milden, bei dem Sinken immer 
grölser werdenden Abendsonne sei Alexander v. Humboldt 
von uns, als oft der dritten und vierten Generation seiner 
Zeitgenossen, geschieden. Es sei nicht zu viel, auch an dieser 
Stelle der Akademie der Wissenschaften sei es auszusprechen: 
eine neue Epoche der Erd- und Weltanschauung begann mit 
Alexander v. Humboldt’s Schriften. Es halle seine nicht 
pedantisch wissenschaftliche, nicht kalte, nicht rhetorisch ober- 
flächliche, seine im edlen tiefen Ernste der Forschung überzeu- 
gend belehrende, erfreuende, warme, den Menschen auf der Erde 
und im Weltraume gern heimisch wissende und doch über das 
Sinnliche erhebende, vorher nicht gekannte Sprache aus allen gei- 
stig gehobenen Völkern, aus allen Zonen der Erde wieder. Leicht 
sei es, auf das Gedächtnils solch eines Verstorbenen einen Hym- 
nus zu dichten. Schwer sei es, das weithin segensvolle gewal- 
tige Leben des Vollendeten, eingehend in die Vorbedingungen, 
die Besonderheiten und Verkettungen, die Vielseitigkeit dieses 
Wirkens in Übersicht zu bringen und das so vielseitig von den 
Zeitgenossen durchgefühlte Grofse, das über das Vergängliche 


hinaus — sofern der Menschengeist, wie die begründeter er- 
scheinenden Zeichen auch heut es allerdings aussprechen, ewig 
ist, — nothwendig ewig Fortwirkende seiner Erscheinung so 


darzustellen, dafs nicht das Vergängliche und Vergangene der- 
selben entmuthigend wirkt, sondern das Bleibende die mitleben- 
den und kommenden Generationen zu frischem Muthe freudig 
erhebt und zu rüstiger, beharrlicher Nacheiferung und Fortbil- 
dung entflammt. — Hieran schlols sich ein Überblick des gan- 
zen grolsen, ungewöhnlich vorbereiteten, thatenreichen und glän- 
zend fruchtreichen Lebens in chronologischer Folge, übergehend 
in die Gemüthssphäre des grofsen segenvollen Mannes. Als 
volltönendes Beispiel tiefen Gemüthes wurde des innigen zar- 
ten, fast schwärmerischen Freundschafts-Verhältnisses zwischen 
ihm und dem Berg-Akademisten Freiesleben, späteren Berg- 
Hauptmanns und Direktors der Freiberger Berg- Akademie bis 
in das späteste Alter, nach vorliegenden Urkunden, gedacht. 


506 Gesammtsitzung 


Den Schlufs bildete folgende Betrachtung: Ob die Vergleich- 
barmachung der beiden Erdhälften, ob die Entdeckung des Ge- 
setzes der Isothermen-Linien, ob die geographische Vertheilung 
der Pflanzen- Geschlechter, welche damit in Verbindung steht, 
oder der viel gepflegte tellurische Magnetismus, ob die grolsar- 
tigen Auffassungen der Klimatologie, welche schon bedeutende 
Fortentwicklung erhalten haben, ob die von ihm ausgegangene 
Übersicht und gegenseitige Bestimmung der Gebirgs- und Flufs- 
systeme der gesammten Erde und deren geographische Befestigung 
in Amerika und Asien, allesammt oder einzeln, künftig der Glanz- 
punkt bleiben werden, oder ob aus scheinbaren Nebendingen von 
Alexand.v.Humboldt’s Auffassungen sich künftig Bleibenderes 
entwickelt, ist nicht abzusehen. Bleibend aber für alle Zeiten ist 
das Beispiel”des edlen, aufopferungsfähigen Ernstes, der tiefen 
Gründlichkeit, welche sich in allen Arbeiten von Humboldts 
abspiegeln, der klaren Zusammenfassung zahlloser Naturerkennt- 
nisse in ein ansprechend übersichtliches, wieviel auch einst wei- 
ter zu entwickelndes Bild, und der enthusiastischen Liebe für den 
Zweck, welche aus jedem seiner so zahlreichen Werke hervor- 
blicken. — Mahnend und ermuthigend werde künftig die heut 
aufgestellte Büste in diesen Räumen wirken, und eine Hum- 
boldt-Stiftung im hohen Stil, welche heut zuerst zur Bekannt- 
machung gelangt, werde unter dem Schutze dieser Akademie 
hoffentlich fort und fort weiter segnend wirken. 


14. Juli. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. G. Rose las Bemerkungen über den Melaphyr 
und die dafür gehaltenen Gesteine vonlIlfeld am Harz. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 
Antiquarisk Tidshrift, 1852— 1854. Kjobnhavn 1854. 8. 
Proceedings of the Royal Geographical Society. Vol. II, no. 3. Lon- 
don 1859. 8 


vom 14. Juli 1859. 507 


Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, Band 47. 48, Stutt- 
gart 1859. 8. 

Proceedings of the Royal Society. Vol.IX, no. 32—34. London 1859. 8. 

Address of the President... of the Royal Society. London 1858. 8. 

Bulletin de la societe imperiale des naturalistes de Moscou. Tome XXXII, 
no. 1. Moscou 1859. 8. 

Journal für die reine und angewandte Mathematik. 57. Band, Heft 1. 
Berlin 1859. 4. 

Annales des mines. Tome XIV, Livr. 5. Paris 1859. 8. Mit Ministe- 

} rialrescript vom 9. Juli 1859. 

Ephemeris archaeologica. Fasc. 50. Athen 1858. 4. Mit Ministe- 

rialrescript vom 6. Juli 1859. 

Journal öf the Asiatie Society of Bengal. no. 90. Calcutta 1858. 8. 

Leopoldina. Amtliches Organ der K. Leop. Carol. Akademie der Natur- 
forscher. Heft 1. Jena 1859. 4. 

Philosophical Transactions. Vol. 148. London 1859. 4. 

Astronomical, magnetical and meteorological Observations, made at the 
Royal Observatory, Greenwich, in the year 1857. London 1859. 4. 

Smyth, Astronomical Experiment on the Peak of Teneriffe. London 


1858. 4. 

Clarke, Researches on the intimate Structure of the brain. London 
1858. 4. 

Ramchundra, A treatise on problems of Maxima and Minima. Lon- 
don 1859. 8. 


Kepler, Opera omnia. Vol. II, Pars 2. Francof. 1859. 8. 

Don V. Vazquek Queipo, Essai sur les systemes metriques et mone- 
taires des anciens peuples. Tome 1. 2. 3. Paris 1859. 8. Mit 
Schreiben des Hrn. Verfassers, Paris 15. Juni 1859. 

Kais. Russisches Gesetzbuch. Supplementband 2. Petersburg 1859. 8. 
Mit Ministerialrescript vom 4. Juli 1859, 

Rafn, Saga Jatvardar Konungs hins Helga. Kjöbenhavn 1852. 8. 

Grove, On the influence of light on the polarized Electrode, and On the 
Striae seen in the Electrical Discharge in Vacuo. London 1858, 8. 

Barone Vito d’Ondes Reggio, Sulla necessita della instaurazione de’ 


prineipü filosofici. Genova 1858. 8. Mit Ministerialrescript vom 
6. Juli 1859. 


508 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 
® 


18. Juni. Sitzung der philosophisch - hi- 
storischen Klasse. 


Hr. Gerhard gab Paralipomena zu seinen „etrus- 
kischen Spiegeln”. 

Die Zeichnungen etruskischer Metallspiegel, welche in mei- 
nem unter diesem Titel erschienenen Werke vereinigt sind, 
durften im Jahr 1845, als das gedachte Werk seinen damaligen 
Abschlufs erhielt, für einen Inbegriff der erheblichsten Denk- 
mäler jener für Kunst und Alterthum so überaus wichtigen Gat- 
tung antiker Kunstwerke gelten. Eine Vollständigkeit möglich- 
sten Umfangs liefs jedoch schon damals bei der Ungunst des 
Buchhandels sich nicht erreichen und kann meinem Werke noch 
ungleich weniger jetzt beigelegt werden, nachdem eine Reihe 
von Jahren den früheren Denkmälervorrath mit neuen Funden 
vermehrt hat. Während ich nun das ganze damalige Unterneh- 
men als unvollendet zu betrachten fortfuhr und in diesem Sinne 
sowohl mit Abfassung eines ausführlichen Textes als mit der 
Sammlung nachträglicher Zeichnungen beschäftigt blieb, haben 
die letzteren in einer Weise sich angehäuft, dals der Werth, 
den sie für einen künftigen Ergänzungsband in sich schlielsen, 
bereits gegenwärtig nach Umfang und Inhalt sich näher be- 
zeichnen lälst. 

Das mehr gedachte, mit Unterstützung der Akademie von 
mir ans Licht gestellie Werk „Etruskischer Spiegel” enthält auf 
seinen 240 Tafeln nächst den vorangestellten Zeichnungen my- 
stischer Cisten überhaupt 335 Spiegel mit eingegrabener Zeich- 
nung. Von diesen in zwei Bände vertheilten Zeichnungen sind 
431 dem dämonischen und mystischen Götterwesen, 79 den 
Gottheiten volksmälsiger Mythologie, 61 dem Herkules und son- 
stiger Heroensage, mit Ausnahme des Troischen Sagenkreises 
gewidmet, welchem letzteren die 64 Spiegel der vordern Hälfte 
des zweiten Bandes ausschliefslich angehören. ‘Alle diese Ab- 
theilungen haben einen beträchtlichen Zuwachs erhalten. Es 
sind überhaupt nahe an 500 unedirte Spiegel in das Verzeich- 
nils meiner Nachträge aufgenommen; begreiflicherweise steht nur 
ein Theil derer, von denen ich Kenntnils erhielt, mir in Zeich- 
nungen zu Gebote; seit meiner Entfernung von Rom war ich 


vom 18. Juli 1859. 509 


nicht mehr im Stande den oft sehr schwierigen Zutritt zur Er- 
langung von Abbildungen, sei es durch persönliche Gunst oder 
durch Ankauf der Originale mir zu verschaffen; nichts desto- 
weniger aber hat eine beträchtliche Anzahl von Zeichnungen, 
welche der Fortsetzung meines Werks dienen können, bei mir 
sich zusammengefunden. Was ich bievon zur Ansicht zu brin- 
gen im Stande bin, gehört in 37 Zeichnungen zur Abtheilung 
grolser Gottheiten; die Heroensage ist mit 51 neuer Zeichnun- 
gen vertreten, von denen 29 dem Troischen Sagenkreis ange- 
hören. Das dämonische und mystische Götterwesen der Dios- 
kuren, Fortunen, Kabiren u. s. w. läfst bei einer Fortsetzung 
meines Werks mit 28 Zeichnungen sich neu ausstatten, welche 
den publicirten Tafeln XXXI—LX unmittelbar sich einreihen, 
und durch 87 andere, welche in minder enger Verbindung sich 
ihnen anschliefsen. Aufserdem ist für Gegenstände des Alltags- 
lebens und Thiergestalten ein Vorrath von noch 33 Zeichnun- 
gen vorhanden. 


Es kann nicht fehlen, dafs so viele mein Werk ergän- 
zende Denkmäler, von denen überhaupt 237 auch in Abbildung 
vorliegen, mehr oder minder anziehend sei; doch ist auch der 
Inhalt derselben von mannichfach selbständigem Werth. Es 
ergiebt sich dies leicht aus einem Überblick der bildlichen Dar- 
stellungen und aus der beträchtlichen Anzahl von Inschriftspie- 
geln, von denen bis jetzt nur ein kleiner Theil durch das ar- 
chäologische Institut zur Veröffentlichung gelangt ist. Für jene 
zwiefache Beziehung des bildlichen sowohl als des schriftlichen 
Inhalts dürfte es zweckmälsig sein, hienächst ein Verzeichnifls 
sämmtlicher zu meiner Kenntnils gelangter etruskischer In- 
schriftspiegel zu geben, welche in meinem Werke sich noch 
nicht vorfinden. 


Diejenigen Artikel dieses Verzeichnisses, welche mir auch 
in Zeichnung vorliegen, sind mit * bezeichnet. 


1.*(zu Taf. LIX). Vier Gottheiten, mit den Inschriften 4piu, 
Menrfa, Turan, Laran; Spiegel des Herzogs von Luynes, als 
unverdächtige Replik des im Collegio Romano befindlichen Spie- 
gels meiner Tafel LIX, 2 beachtenswerth. 

[1859.] 36 


510 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


2. (zu Taf. LIX). Minerva, Venus und Dioskuren, Spiegel 
der Fejervaryschen Sammlung mit der Inschrift (P)ulru(ce) und 
Menle? 

3. (zu Taf. LIX). Dioskuren und Göttinnen mit den In- 
schriften Castur und Pultuce. Neu entdeckte Replik, im Bulle- 
tino 1859 p. 34 erwähnt. 

4.* (zu Taf. LIX). Minerva, Venus und die drei Brüder, 
Spiegel der Pizzati’schen Sammlung, mit den Inschriften Archae 
und Manrfra. Jetzt vermuthlich in Rufsland. 

5.* (zu Taf. LXVI). Minervens Geburt mit den In- 
schriften Zinia, Menrfa, Thalna, Uni, Lalan und Preale. Im 
Kgl. Museum zu Berlin. Durch Braun in den Annali dell’ Inst. 
XXI, tv. G. H. bekannt gemacht. 

6.* (zu Taf. LXXI). Vermuthlich Aurora zu Wagen mit 
einer etruskischen Inschrift, auf den Besitzer bezüglich, von etwa 
20 Buchstaben. Im Mus. Gregor. 1, 35, 2. 

7.* (desgl.) Eos und Tithonos mit den Inschriften: 
La(s)a, Tinthun, : Thesan, Memrun. Im Vescovato zu Chiusi. 
vgl. arch. Zeit. X, 160, XIV, 7i. Bull. dell’ Inst. 1857 p. 165. 
4859 p- 109. 

8. (zu Taf. LXXVI). Eos und Kephalos mit den In- 
schriften: Usil! und Uprius. Im Britt. Museum vgl. Arch, Ztg. 
VI, 331. Bull. 47, 117. 

9.* (zu Taf. LXXVM). Apoll und Artemis mit den 
Inschriften: Apulu und Arzumes, jetzt im hiesigen Kgl. Museum. 
Herausgegeben von Braun in der Schrift: Artemis Hymınia. 
Rom 1842. 

10. * (zu Taf. LXXXIV). Bacchus und Ariadne, von 
Semele und einem Satyr umgeben, mit den Inschriften: Sime, 
Areatha, Phuphluns und Sernla. Im Britt. Museum. 

11. (zu Taf. LXXXVI). Ariadnens Entführug durch 
Artemis; der Darstellung des Spiegels im Museum zu Bologna 
ähnlich, doch mit merkwürdigen Varianten. Ariadne heilst Evia. 
Aus der Sammlung des Hrn. de Meester erwähnt im römischen 
Bullettino 1859 p. 68. 

12. * (zu Taf. C). Bacchantin und Silen, mit den In- 
schriften: Munthuch und Chelfun. Spiegel des Hrn. de Mee- 
ster zu Rom. 


vom 18. Juli 1859. 511 


13. * (zu Taf. CX). Schmückung der Venus, mit den 
Inschriften: Zuran und Achvizr (?). Vermuthlich im Britt. Mu- 
seum. 

14. (zu Taf. CX). Venus auf dem Schwan mit der 
Inschrift Zuran. Im Mus. Campana n. 79, vgl. Bull. 1859 
p- 100. 

15. * (zu Taf. CXV). Der Göttinnen Streit um Ado- 
nis mit den Inschriften Zharmu, Euturpa, Eris, Alpnu Archaxe. 
Spiegel im Museum Gregorianum, abgeb. in Mon. dell’ Inst. 
II, 28. Mus. Gregor. I, 25. 

16. * (desgl.) Zweier Frauen Begegnung, vielleicht Ceres 
und Proserpina, in Umgebung zweier anderer Göttinnen, 
mit den Inschriften: Tipanu, Alpanu, Achufitr (?) und Thana. 
Im Kgl. Museum zu Berlin. 

17.* (zu Taf. CXXI). Perseus die sterbende Medusa bei den 
Haaren fassend, links Merkur sitzend; mit den Inschriften Prerse, 
Tarsu, Turms. Abgeb. in den Monumenti dell’ Inst. 1859 tav. 
XXIV, 2. 

18. * (zu Taf. CXXVII). Herkules und Jolaus mit 
den Inschriften: Zercle und Pilae. Spiegel des Hrn. de Meester. 

19. * (zu Taf. CXXXV). Herkules und Acheloos mit 
den Inschriften: Heracle und Achlae. Im Kgl. Museum zu 
Berlin. 

20. * (zu Taf. CXLVIU). Herkules im Olymp vor Ju- 
ppiter und Juno, mit den Inschriften: Herele, Tinia, ling Spie- 
gel si Herzogs von Luynes. 

. (zu Taf. CLXVI). Drei Kinder von Merkur, 
E.. und Venus gehalten, mit den Inschriften: Maris, 
Tusrnana, Maris Thalna und Maris Isminthias, ferner Menrfa, 
Turan, Laran, Amatutun und Turms. Beschrieben durch -Brunn 
im Bullettino dell’ Inst. 1858 p. 186 ff. 

22. (zu Taf. CLXXD). Orpheus und Lynkeus sind 
etruskisch auf einem Spiegel, welcher die Brunnenscene der Fi- 
coronischen Cista wiederholt, gelesen worden. Vgl. arch. Anz. 
1858 p. 161.* 

23.*(zu Taf. CLXXV). Kalydonische Helden mit 
den Inschriften: Pultuke, Melakre, Menle, Kastur. Abg. bei Ingh. 
Mon. Eir. II, 48. 

36* 


512 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


24.* (zu Taf. CLXXV). Meleager Atalanta Diana 
und Oeneus mit den Inschriften: Athal, Melacr und Artem. Im 
Brittischen Museum. 

25.* (zu Taf. CLXXVII). Das Schicksal des Am- 
phiaraus und Ajax von Lasa entrollt mit den Inschriften: 
Hamphiar, Lasa Aifas Hamphiare, Aifas. Im Brittischen Museum. 

26.* (zu Taf. CXCVIH). Paris, Helena und Mene- 
laos mit den Inschriften: Eline, Alexsantre und Menie. Spiegel 
des Herzogs von Luynes, in einem Probedruck durch die 
Güte des Hrn. Besitzers vorliegend. Vgl. Bull. 1848 p. 36. 

27. (zu Taf. CXCIX). Venus und Paris an Helenas 
Lager, welche das Kind Hermione hält. Mit den Beischriften 
Eline, Alachsantre, Ermania, Turan. vgl. Bull. dell’ Inst. 1859 
p: 25. 26. 

28. * (zu Taf. CCVI). Auf Paris und Helena gedeutet. 
Stark verletzter Spiegel im Museum Gregorianum 1,23. Mit 
den Inschriften Maris Turan (?) u. a. m. 

29.* (zu Taf. CCVII, 1). Drei Jünglinge und eine Frau 
mit den Inschriften Menle, Achmem, Elinei, Elchsntre, im Mas. 
zu Bologna; abgeb. bei Schiassi 2. 

30.*(zu CCXXI). Hektor und Ajax im Zweikampf 
mit den Inschriften: Aifas und Eetur. Im Britt. Museum. vgl. 
Braun im Bull. 1857 p. 139. 

31.* (zu Taf. CCXXVI). Peleus und Thetis mit den 
Inschriften: Thethis und Pele. Spiegel zu Perugia, von Vermi- 
glioli edirt 1846. 

32.* (zu Taf. CCXXVIID). Zweikampf. Mit der In- 
schrift Ein. WVermuthlich im Britt. Museum. 

33. * (zu Taf. CCXXIX). Philoctet und Machaon mit 
den Inschriften: Macha... und Phel.l.e. Im Museum zu Bo- 
logna bei Ingh. II, 39. 

34.* (zu Taf. CCXXXIN). Eos und Thetis vor Zeus 
mit den Inschriften: Menrfa, Thesan, Tinia, Thetis. Im Mus. 
Greg. 1, 31,1. 

35. (zu Taf. CCXXXII). Achill und Penthesilea. In- 
schriftspiegel im J. 1847 von Braun Bull. 1847 p. 139 erwähnt, 
vermuthlich im Britt. Museum. 


vom 18. Juli 1859. 513 


36. * Ulysses, Circe, und Elpenor mit Inschr. Uihxte, 
Cerca und Yelparun. Zeichnung aus dem epigraphischen Codex 
des Pighius in der Kgl. Bibliothek. 

Mit Darstellungen des Alltagslebens verknüpft, einer Gat- 
tung, welche in den zwei veröffentlichten Bänden meines Wer- 
kes noch nicht Platz gefunden hatte, sind folgende Inschriftspiegel: 

37. #* Siegsgöttin einen Athleten bekränzend mit In- 
schrift Miurin und etwa Lasa. 

38. * Jüngling mit Salbgefäls, Frau mit Cista mit 
den Inschriften Zruisii und Talitha. Spiegel des Kunsthändlers 
Basseggio. 

39. * Mädchen mit Napf, Jüngling mit Speer. Mit 
einer Inschrift von etwa 19 Buchstaben. Aus der Sammlung 
des Hrn. v. Palm in Bayern. 

In Anschluls an diese Spiegel mit etruskischer Schrift sind 
aus neueren Funden noch einige andere zu erwähnen, welche 
durch altlateinische Schrift sich auszeichnen. Es sind nament- 
‚lich die folgenden: 

40. (zu Taf. CXV). Venus und Proserpina, deren Streit 
um Adonis durch Zeus geschlichtet wird, mit den Inschriften 
Wenos, Diovem und Proserpnai. Abgeb. in den Monumenti dell’ 
Instituto 1859 tav. XXIV. 

41. (zu Taf. CLXXXIX). Venus und Amor, Victoria 
und etwa Paris, mit den Inschriften Yenos, Cudido, Vitoria, 
und Ri. Mon. dell’ Inst. 1859 tav. XXIV. 

42. Durch Abbildung noch nicht bekannt ist die Spiegel- 
zeichnung des Bellerophon mit der Inschrift Melerpanta. vgl. 
arch. Anz. 1859 S. 87.* 

Auch der flüchtigste Überblick dieses neuen Zuwachses an 
Inschriftspiegeln dürfte genügen den Reichthum ihres Inhalts zu 
verbürgen. Ohne in die Ausbeute einzugehen, die für etruski- 
sche Eigennamen darin sich darbietet, wird man verschiedene 
Götternamen in ihrer etruskischen Namensform daraus nach- 
weisen können. In Uni (5) sowohl als in Jnu (20) lälst Juno 
sich erkennen, Artemis ist nicht italisch sondern in griechischer 
Weise Artumes (9) Artem (24) benannt; in Archaxe (15) scheint 
Pluto, in Alpnu (15. vgl. Alpanu 16) Proserpina gemeint, wel- 
che Namen jedoch etymologisch noch zu begründen bleiben. 


514 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


Das Wort Maris, welches man früher mit Zaran verknüpft 
fand, giebt durch die ihm beigefügten Götternamen als eine dä- 
monische Bezeichnung in Art des genius sich kund, seit nicht 
blols Maris Turan (29) sondern durch einen neulichen Fund als 
Beiname drei göttlich gepflegter Kinder ein Maris Thalna zu- 
gleich mit den noch unerklärten Maris Tusrnana und Maris 
Jsminthias (21) sich gefunden haben. An gleichem Ort auf dem- 
selben Spiegel, der diese letzten Inschriften enthält, scheint in 
einer leicht bekleideten Figur die Inschrift 4natutun eine ama- 
thusische Venus zu bezeichnen, während dieselbe Göttin mit 
ihrer üblichen Inschrift Zuran tief verschleiert daneben er- 
scheint; räthselhaft, wie diese doppelt dargestellte und doppelt 
benannte Venus, sind auch die Namen der bei ihrer Schmückung 
betheiligten Frauen, Munthuch, welcher schon früher bekannte 
Name jetzt einer Bacchantin zugetheilt erscheint, (12. mit dem 
Silen Chelfun) und Achoizr (13. vgl. Achufitr 16). Von son- 
stigen gangbaren mythologischen Namen begegnet uns die etrus- 
kische Form Areatha (10) für Ariadne, Ermania (28) für Her- 
mione; von Heroen-Namen machen zunächst Achlae (19) für 
Acheloos, Tinthun (7) für Tithonos, Eczur (31) für Hektor sich 
bemerklich; Aifas der auf beiden letztren Spiegeln doch wohl 
nur denselben Namen des Ajax bezeichnen kann, bleibt neben 
einem Hamphiar benannten jungen Helden, durch die Schick- 
salsgöttin Zasa verbunden, ebenso seltsam, als neben dem mit 
Eos gesellten Tithonos ein bärtiger Mernrun (7) oder Memnon 
uns unverständlich bleibt. Überhaupt, bei Sichtung der Bilder 
noch mehr als bei erster Lesung der dann und wann ihnen bei- 
gelegten Schrift bleibt diese ganze Denkmälerklasse immer noch 
in der Mehrzahl der Fälle geeigneter Räthsel zu schürzen als 
zu lösen, daneben aber doch immer ergiebig genug, um ihr ein- 
gehendes Verständnils gern unverwandt weiter zu fördern. Mit 
den in obiger Liste zusammengestellten Inschriftspiegeln ist zwar 
der wichtigste Theil, aber doch nur ein Theil der zahlreichen 
Spiegelzeichnungen erwähnt, die im Zusammenhang der ihnen 
verwandten Kunstdenkmäler bisher noch nicht veröffentlicht wur- 
den. Für die Ausbeutung des bildlichen Inhalts bleibt mehr 
noch als der inschriftliche es erheischt, deren Herausgabe zu 
erwarten. Es ist dies zur Würdigung einzelner mythologischer 


vom 18. Juli 1859. 515 


Vorstellungen und ganz insbesondere der über’ Erwartung zahl- 
reichen dämonischen und Mysterien-Bilder ebenso nothwendig 
als schwierig; einiges für diesen Zweck wird vorerst sich errei- 
chen lassen, wenn mir der Vorsatz gelingt bei einer anderen 
Gelegenheit einen vorläufigen Überblick jenes bildlichen, wie 
. jetzt des eben erörterten inschriftlichen Inhalts zu geben. 


Hr. J. Grimm las über die göttin Bendis. 

Mit keinen andern barbaren wurden die Griechen vertrau- 
ter als mit den 'Thrakern, deren gebiet nicht nur zu land über 
Makedonien und Thessalien an sie reichte, sondern auch an sei- 
ner küste allenthalben von griechischen schiffen befahren werden 
konnte. zwar bei Homer sehen wir thrakische krieger den 
Achäern feindlich gegenüber auf seiten der Troer, doch in histo- 
rischer zeit erscheinen Thraker den Griechen zu felde nirgend 
gewachsen und durch langen verkehr so wie griechische nieder- 
lassungen in gewisse abhängigkeit gebracht, ohne dasz sie un- 
terjocht zu werden brauchten. denn kauf oder gefangenschaft 
führte haufen von Thrakern in unfreiheit zu den Griechen, die 
sie als knechte oder mägde ins haus nahmen und ihr gewerbe 
treiben lieszen; griechische kinder wurden thrakischen ammen an 
die treue brust gelegt und grabschriften verschweigen nicht den 
dank für die ein lebenlang geleisteten dienste; auch unter den 
hetären kann es an Thrakerinnen nicht gefehlt haben. 

Es ist eine noch unerwogne, aber unabweisbare annahme, 
dasz den Thrakern auch der gebrauch der schrift bekannt sein 
muste, sei sie ihnen erst durch die Griechen oder, was wahr- 
scheinlicher ist, auf anderm wege aus Asien zugeführt worden. 
phönicischen ursprung würde diese schrift, wenn wir sie- irgend 
kennten, so wenig als die griechische verleugnen, doch mag sie 
wol mit eigenthümlichen abweichungen versehen gewesen sein, 
die das thrakische idiom verlangte oder die sie im verkehr mit 
den Griechen überkam. wir dürfen auch schon wagen mit sol- 
chen verschiedenbeiten einzelne gestalten der buchstaben, wel- 
chen wir im gothischen und sarmatischen alphabet, so wie in 
unsern mehrfachen runen begegnen, in verbindung zu setzen; 


516 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


die unhemmbare ausbreitung der schrift in Europa wird neben 
den groszen straszen, die sie von den Griechen, Römern und 
vielleicht auch den Kelten her einschlug, noch ihre kleineren pfade 
und schlupfwinkel nordöstlich gehabt haben, und wer wollte in der 
geschichte der schrift ein so wichtiges, ausgedehntes volk, wie 
die Thraker waren, auszer berechnung lassen, oder an dem bestand 
thrakischer schrift überhaupt zweifeln? eine grosze zahl von kauf- 
leuten und knechten, die aus Griechenland heimkehrten, hätte 
sie ihnen zubringen müssen, falls sie nicht schon im gebrauch 
gewesen wäre, und schlossen nicht die Griechen mit einzelnen 
Thrakerstämmen oder städten bündnisse und verträge ab, oder 
hätten thrakische fürsten keine briefe geschrieben, keine antwor- 
ten empfangen? 

Die schrift ist hier nichts als ein beispiel, der verkehr zwi- 
schen Griechen und Thrakern musz von vielen seiten her leben- 
dig und regsam gewesen sein und nicht nur griechische einrich- 
tungen zu den Thrakern, sondern umgekehrt auch thrakische 
sitten und bräuche nach Griechenland geführt haben. Wozu 
wir heute erst nach und nach gelangen, duldung fremdes glau- 
bens in unsrer mitte, war den Griechen mehr von natur eigen 
und durch ihre verhältnisse zum ausland geboten. mit den Thra- 
ken wurde auch thrakischer gottesdienst in Griechenland be- 
kannt und nicht allein ungehindert geübt, es mögen auch Grie- 
chen, wenigstens an festen und gastmälern, die sie zu Athen 
nach thrakischer weise angestellt sahen, theil genommen haben. 
einzelne solcher bräuche, scheint es, mischten sich sodann in 
den cultus des Dionysos und der Artemis, welche man mit einer 
thrakischen göttin, von der ich hier näher handeln will, für eine 
und dieselbe hielt. 

Sie hiesz auf thrakisch, nach griechischer aussprache oder 
wie griechisches ohr den namen vernahm, B&vd:s, wozu man un- 
gezwungen den gen. B£vd.dos bildete, ganz nach analogie der 
ihr dem sinne nach entsprechenden "Agrenıs "Agremıdos. ich sehe 
keinen nöthigenden grund zu der von den grammatikern ver- 
langten änderung in Bevöts'), wodurch Bzvörs der analogie von 
"Agrenıs, “Igıs, "Isıs, @epis, oder um auch appellativa anzuführen, 


') Göttling doctr. acc. p. 275. 


vom 48. Juli 1859. DW, 


der von ärıs, Es u. s. w. entrückt würde, alle machen den 
gen. auf :dos, acc. auf ıw neben :ö«. ein tempel der göttin 
hiesz Bewöidsrov, ihr fest Bevördsı«. in Platons republik wird 
buch 1 p. 354 dem Sokratos von 'Thrasymachos zugerufen: 
raurte dv ca einriasrSw Ev rois Bevöidsioıs, bei den festen der 
Bendis bist du zu gaste gewesen, wiewol sich darunter auch 
Dionysien, bei welchen man bendidische bräuche einmischte, ver- 
stehen lassen. im Piraeus und in Munychia befand sich ein 
Bevördeıov, wie Xenophon Hellen. II. 4,11 berichtet, zur zeit 
des Theramenes und Thrasybulos (im j. 404 vor Chr.), und 
Strabo p. 471, mit bezug auf jene platonische stelle von den 
Bendideen, sagt: ’Adyvalcı Ö° WomsQ megi TE ar. PiroEevoüvres 
diareAoucw, oirw zaı megt ToUS Seols. mOoAAG ao rav Eevınıav 
izowv magsdebavro worte zur Erwmwönoneev.?) Das älteste zeug- 
nis von der göttin gewährt aber Kratinos, einer der frühsten 
griechischen comödiendichter, der von ol. 65,1 bis 89,2 = 
520— 431 vor Chr. lebte und ein, gleich seinen übrigen, ver- 
loren gegangnes stück unter dem titel Oggrr«: verfaszte. hätte 
es sich erhalten, so würde die ganze fabel aufschlüsse über diese 
gottheit, zumal im chorgesang der thrakischen frauen liefern, 
deren wir für immer verlustig bleiben. eine den namen Bendis 
bergende meldung ist daraus bei Hesych unter ö/Aoyy,ov bewahrt. 
ayv Bevdw oUrw Kowrivos Ev Oggrraıs 2xarerev. der glossator 
fügt hinzu: r7v yag veryuyv Bevdw zei "Apremw vouicous: und 
erklärt öiAoyy,os entweder aus beiden loszen, dem irdischen und 
himmlischen, die der göttin zustehen, Acyyn für A«yos genom- 
men, oder aus dem doppelten licht das ihr beiwohne, dem eig- 
nen und dem von der sonne empfangnen, wobei man an Auxvos 
zu denken hätte. keine dieser deutungen befriedigt, den buch- 
staben nach wäre ÖlAoyyos zweisperig und zwei spere wären 
für eine göttin wie Artemis, die nach dem wild wirft, schon 
gerecht. das wichtige und festzuhaltende ist die mondgöttin, 
die beiden spere müsten sich erst aus der näheren thrakischen vor- 
stellung ergeben. anderwärts hält Hesychius auch Hekate zur 
Bendis®), was sich mit der mondgöttin verträgt. ob die hand- 


?) vgl. Böckh staatshaush. der Athener 2 ausg. 1, 614. 
”) Meineke fragm. poet. com. ant. 1, 66. 


518 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


lung der kratinischen comödie in Thrakien, oder was wahr- 
scheinlicher ist, in Griechenland spielte, wissen wir nicht. Dasz 
es in Thrakien selbst Bendideien gab, läszt sich natürlich nicht 
in zweifel ziehen, Lukian im Ikaromenippos cap. 24 sagt aus- 
drücklich #&: r0 Bevdidsıov Eyevero Ev Oggzn und Livius 38, 41 
erwähnt, dasz die Römer beim zug des consul Cn. Manlius (189 
vor Chr.) durch Thrakıen daselbst ein templum Bendidium an- 
trafen. Dio Chrysostomus in seinem verlornen werke von den 
Geten hatte wahrscheinlich auch anlasz der Bendis und der Ben- 
didien zu gedenken; des lornandes auszüge weisen auf nichts 
dergleichen hin. anzuführen bleibt noch der vollkommen wie 
"Aorsmöwge, "Irıöwge, Bzodwga gebildete frauenname Bevördwge 
(corp. inser. no. 496). 

Was ist denn nun Bendis und wie schickt sich der name 
für eine mondgöttin? die Griechen hatten gar nicht den pe- 
dantischen eigensinn von heute, fremde wörter in deren ursprüng- 
licher form festzuhalten, sondern pflegten sie ihrer eignen 
sprache mundgerecht zu machen, zum beispiel gereiche der oft 
wiederkehrende thrakische Zırarzys, dessen ausgang sich der 
analogie von “Irmarzns, Mevarzys u. Ss. w. fügen muste und auf 
thrakisch sicher anders, wiewol ähnlich lautete, man dürfte wa- 
gen ihm den deutschen Sinduald zu vergleichen, besonders weil 
auch bei uns Sido und Sindo wechseln; Förstemann hätte also 
Sithaleus 1, 1106 statt 1110 sollen eintragen. ein wichtige- 
res beispiel solcher gräcisierung werde ich mir erlauben ein an- 
dermal an einem berühmteren ihrakischen namen vorzutragen. 
Bendis, sahen wir oben, erschien den Griechen als einfaches 
wort, dem die griech. bildung zutrat; den Thrakern selbst war 
es vermutlich ein zusammengesetztes, denn so scheinen sich 
"beide theile am leichtesten zu verständigen. der thrakische nom. 
mag gleich dem griechischen Bendis gelautet haben, der thrakische 
gen. entfernte sich unbedenklich von dem griechischen Bivöidos. 
von thrakischer sprache wissen wir nichts oder wenig, doch in 
den sinn thrakischer wörter darf man eindringen, sobald die 
vergleichung der übrigen indoeuropäischen zungen dazu berech- 
tigt, welchen die thrakische unbedenklich beizugesellen ist. 

Ob die Thraker selbst ben, ban oder vielleicht ven, van 
aussprachen, lasse ich dahin gestellt, man stöszt auch auf die 


| 


vom 18. Juli 1859. 519 


form M&vöıs für B£vöis*), dem griech. organ gieng gern frem- 
des V in B über, aus dem goth. namen Valisahareis machten 
sie BeAısagıos, Bavdarazıos bei Prokop drückt aus Vandalahari, 
dicht neben Ovis«vdos mit behaltnem V, und Dioskorides 3, 11 
schreibt das lateinische labrum Veneris A«ßgoyn Bevegıs. die 
wurzel dieses letzten lat. namens kommt hier gerade gele- 
gen. denn Venus Veneris besagt nichts als die schöne, hat mit 
venire und venilia kaum zu schaffen, wie uns venustus offenbar 
macht, ein auf verlornen positiv zurückleitender superlativ, wie 
augustus, angustus und andere mehr. venustus deckt sich also 
mit dem altnordischen superlativ veenstr pulcherrimus von veenn 
= vaeni pulcher; mit anderer steigerung auf um halten die Alt- 
sachsen ein wanom pulcher, wanami pulchritudo, nicht anders 
als wie die Gothen erst auhuma steigerten, dann auhumists, um- 
gedreht aber verfährt das lat. augustus und augustissimus. in den kel- 
tischen sprachen lebt bis auf heute das einfache adjectivum, ir. 
bean, ban leuchtend, weisz, welsch gwen schön oder weisz, sol- 
ches GW tritt in vielen wörtern, wie das goth. Q, dem lat. V 
zur seite. 

Noch wurde nicht nach dem zusammenhang mit dem san- 
skrit und griechischen gefragt. das sanskrit bietet vergleichen- 
den zwei, anscheinend von einander führende wege. von der 
wurzel van colere, venerari, amare leitet Bopp nicht nur Venus, 
sondern auch das ahd. winia freundin, wonne freude ab, ich 
weisz nicht ob venustus? doch die in venustus, vanstr vorhin 
wahrgenommene vorstellung des glanzes und der schönheit würde 
sich lieber auf bhä splendere zurückführen, und bhämi ist das 
griechische &$yui, paw, Baia leuchte, bhänu ist licht, glanz, 
bhänumat leuchtend, gr. dasıwos, bei Pindar daevvos, bavos ist 
hell. gleichheit mit alts. wanom, mit keltischen ban läszt sich 
nicht verkennen. zwischen skr.B und V ergeben sich genug über- 
gänge, schwieriger zwischen Bund BH. bhä und ®avcs zeigen langes 
a, peivw den diphthong, altn. veenn gleichfalls langes @, und dieselbe 
länge waltet im goth. vens spes, ahd. wän, nbd. wahn, so dasz 
eine "verschollne goth. wurzel sämtliche gestalten ausgliche. 
wahn ist offenbar teuschendes licht, wie spes aus species ver- 


*) Bekker anecd. gr. p. 1343. 


320 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


engt zu specio und speciosus fällt. das goth. vans, ahd. wan 
hat kurzes a, das lat. vanus langes. wie die kurzen und langen 
vocale umschlagen, gleichsam ihr rasches blut sich erschwert, so 
schlagen auch oft die bedeutungen um, die positive in eine ne- 
gative. vanus hört auf zu leuchten und wird eitel, leer, licht- 
los, dunkel, wie der wahn ein falscher, leerer schein ist, und 
unser bleich hervorgeht aus blicken, scheinen. wiederum em- 
pfängt unser adj. eitel, das ursprünglich glänzend aussagt, den 
umgedrehten sinn von leer und dunkel, bei eitler nacht heiszt 
bei dunkler (deutsches wörterbuch 3, 385), ganz wie die Angel- 
sachsen on vanre niht sagten, so dasz auch ihnen van aus der be- 
deutung hell in die von leer, dunkel übergetreten war. auf die 
Bendis würde der doppelsinn von wan zusehends passen und am 
ende liegt hierin die wahre deutung des öiAoyx,os, die göttin 
kann nach den phasen des mondes eine helle und dunkle sein. 

Schon mag unsers thrakischen namens erste silbe mit der 
bedeutung von weisz oder leuchtend durch das gesagte einiger- 
maszen gerechtfertigt sein, sie soll es noch besser werden, jetzt 
aber musz ich auch auf den zweiten theil der zusammensetzung 
mein auge richten. 

Ihn erschlieszt uns das alts. idis, ags. ides, ahd. itis (wo 
nicht idis, ides, itis), altn. dis, welche femina oder nympha, ein 
höheres weibliches wesen ausdrücken; unsere ulfilanischen bruch- 
stücke enthalten das wort nicht, könnten es aber in doppelter 
gestalt darbieten, in der von idizi oder eidizi, gebildet wie aqizi 
securis, jukuzi jugam und der gen. würde auf jös, dat. auf jai, 
acc. auf ja ausgehen. da nun dem goth. jukuzi genau skr. ju- 
gasja entspricht’), liesze sich flugs auf idhasja oder Edhasja ra- 
then, und &dha, @dhas lignum vergleichen, welchen sämtlich die 
wurzel indh leuchten, brennen zum grunde liegt, wohin auch 
unser ahd. eit feuer, ags. äd scheiterhaufe und unser heutiges 
adj. eitel, ahd. ital, ags. idel, leuchtend, später vanus, inanis fal- 
len, so dasz sehr eigenthümlich in dem zweiten theil der zu- 
sammensetzung Bendis sich wiederholte, was bereits in dem 
ersten enthalten wäre. Besonders zu erwägen bleibt aber die 
das letzte ı in länge ziehende aphaeresis am nord. dis für idis, 


°) Webers ind. studien 4, 1. 


vom 18. Juli 1859. 521 


idis, wie sie durch vergleichung ags. stellen mit altn. auszer 
allem zweifel steht und ihr gegenstück im eddischen Rigr für 
Irine findet. von nordischen sprachforschern wird dis femina, 
soror und dea ausgelegt. das goth. filudeisei ravovsyiz ist kaum 
heranzuziehen. wichtiger schiene schon die thrakische kürzung 
Bendis für Benedis? aus dem dreisilbigen wort könnten die 
Griechen ein zweisilbiges Bendis gemacht haben? ich erlaube 
mir hier wabrzunehmen, dasz in dem unter Ktesikles (olymp. 
111,3 = 334 vor Chr.) abgefaszten dermatikon, also in der 
der ältesten das thrakische wort gewährenden urkunde Bevadzwv 
gefunden wird), wo die besserung in Bsvöidewv auf der hand 
lag, da Fourmont leicht A für A verlas. es ist nicht zu glau- 
ben, dasz irgend Bevais gen. Bevaidos für Bivdıs Bevöldos vorge- 
kommen sei und letzteres sonst überall im sprachgebrauch ge- 
rechtfertigt. Das aber ergibt sich mit aller wahrscheinlichkeit, 
dasz Bendis die bedeutung der ‘schönen, leuchtenden frau’ in 
sich schlieszen müsse, wozu noch gehalten werden mag, dasz 
das altirische bandea, baudia göttin, z. b. bandea tened, dea 
ignis, Vesta ausdrückt (Zeusz 273) und in der irischen mytho- 
logie vorwaltend eine beansighe auftritt, was man durch 'weisze 
fee’ erklärt. 

Die vorgetragnen etymologien und anknüpfungen dürften 
sich nun zwar in mancherlei weise bestätigen, verengen und erweitern. 
lassen, würden aber dennoch geringen eindruck auf den hörer 
machen, träte nicht eine wirkliche thatsache aus den unmittel- 
baren bereich der deutschen sprachen hinzu und drückte ihnen 
den stempel auf. schon neulich in meinem aufsatze über Freyja 
wurde beigebracht, dasz diese göttin ihren entronnenen gemahl 
Od durch die länder aufsuchend unter fremden völkern mehrere 
namen führte und zumal Vanadis hiesz, wie Snorri in Gylfagin- 
ning ausdrücklich berichtet, doch Ynglingasaga cap. 13 beizu- 
fügen unterläszt. Skaldskaparmäl cap. 2U wiederholt sich Vana- 
dis und die gleichstellung mit Vanagod, sonst auch Vanabrüdr. 
Wer sieht nicht auf der stelle, dasz Bendis und Vanadis ein 
und dasselbe sind und dasz ein unter Griechen fünf jahrhunderte 
vor unsrer zeitrechnung geläufiger allmälich verschollener name 


°) Böckh staatshaush. 2, 120. 129. corp. inser. gr. no, 157. 


522 Sitzung der philosophisch-historischen Klasse 


auf einmal bei einem nordischen schriftsteller unsers dreizehnten 
Jahrhunderts wieder vernommen wird? so war auch Tanfana, 
ein andrer göttername, seit Tacitus meldung verloren, endlich 
als Zanfana neu aufgetaucht. unsere mythologie wird des ur- 
sprungs der götter aus erscheinungen der natur und des him- 
mels schon uneingedenk, allein nicht zu verbergen ist, dasz 
Freyja auf den mond, wie Freyr auf die sonne zurückgeben, 
Freyja ist wie Vanadis, Bendis, Artemis, Diana, Holda, Berhta 
eine mildleuchtende mondgöttin, und jagdgöttinnen, liebesgöt- 
tinnen begegnen einander. die den folgeschweren zusammen- 
hang zwischen Bendis und Vanadis in abrede stellen wollten, 
müsten auf die zagende ausflucht verfallen, dem Snorri sei der 
name Bendis irgendwie aus der griechischen literatur noch zu- 
geraunt und von ihm der nordischen Freyja überwiesen worden, 
ungefähr wie die oberpfälzische sage von Woud und Freid erst 
aus der edda entlehnt sei. 

Bendis folglich auch Vanadis deute ich schöne, leuchtende, 
weisze frau, wie es der bezug auf den mond nothwendig macht. 
den scandinavischen forschern hingegen ist Vanadis Vanorum 
nympha und Vana wird ihnen zum gen. pl. von Vanir, dies 
nicht ohne berechtigung, da in den mythen Aesir und Vanir als 
götterstämme in fruchtbarem gegensatz auftreten. ich habe neu- 
lich selbst gestrebt diesen gegensatz zu begründen und hervor- 
zuheben. zur unterlage des stammnamens Vanir dürfte man 
machen, dasz Niördr selbst auch Vanr genannt wird und Freyr 
sein sohn Vaningi, d. i. Waning, Wening, der von Wan ent- 
sprungene; mit gleichem recht hiesze Freyja Freys schwester 
Vanadis, Vanagod. diese namen gemahnen an eine bedeutsame 
und schwierige stelle bei Orpheus im eingang der Argonautica 
v. 15, als er von Eros, dem sohne der nacht redet: 

ev da Bavıra 
ÖmAoregoı #Angousı Beoroi- meiTos yap EbeuIy. 
im vorübergehen, ÖmXoregos gehört doch zu örAov, was immer 
Buttmann sage, und wie ör%ov zu üdeu, Upawvw, unser waffen, 
wäfan zu weben, den Angelsachsen ist wäflian blaterare, engl. 
wbiffle, kindisch, läppisch reden und wabern, webern scheint 
eine ähnliche bedeutung gehabt zu haben; nimmt man ÖmAöregos 
für vewregos, SmAcraros für vewreros, so könnte doch, wenigstens 


vom 18. Juli 1859. 523 


in manchen stellen, ein nebensinn darin gelegen sein, ich ent- 
scheide nicht ob in der hier vorliegenden. wir wollen einmal 
setzen, die örAöregc: seien ungriechisch, fremd redende menschen, 
so würde ®«vys gerade jenen nordischen namen Van, auch der 
beigefügten deutung aus paivo» nach, darstellen, deivo hielt ich 
ebenfalls vorhin zu Ben. nun schlägt noch etwas ein. blosz 
die griechische und altnordische poesie scheiden zwischen einer 
sprache der götter und menschen und tragen davon gelegentlich 
beispiele vor. war aber der griechische Eros einzelnen barbaren 
ein Phanes, so würde dies gerade im munde des thrakischen Or- 
pheus auf die Thraker und auf Bendis beziehungsvoll werden 
und Phanes ein thrakischer Banes sein, ein nordischer Vanr. 
bekanntlich stehn im eddischen Alvismäl anführungen aus der 
götter- und menschensprache und nicht allein schöpfen sie aus 
dem idiom der Asen und Vanen, sondern auch anderer stämme 
der menschen, riesen und zwerge. vanische benennungen sind 
überhaupt neune angegeben, die sämtlich auf V anlauten, wie 
die alliteration zu Vanir forderte; gleichergestalt haben die iöt- 
nischen aus derselben ursache meistens vocalischen anlaut. ist 
nun zu folgern,, dasz der dichter seinem reim zu gefallen will- 
kürlich anlaute mit V hervorgegriffen habe, um sie dadurch zu 
_ vanischen zu stempeln? das wäre doch voreilig geschlossen, es 
könnte ihm allerdings noch irgend eine kunde vanischen dialects 
überliefert gewesen sein, aus welcher er seine beispiele ent- 
nahm. näheres würde hier abführen. 

Waren nun in unsrer vorzeit irgend einmal Ansen und Va- 
nen wirkliche menschenstämme, die ihr geschlecht von einem 
göttlichen ahnherrn leiteten und benannten, so kann die leuch- 
tende frau, dieses ahnen gemahl und schwester, vielleicht auch 
Vanenfrau oder göttin geheiszen haben; nur in dem thrakischen 
Ben vor dis erscheint keine genitivflexion. geographische bestim- 
mungen werden hier äuszerst verführerisch und gefährlich. man 
legte Vanaheim (lappisch Fanas aimo) in den tiefen osten (ob. s.415), 
und faszte Tanais als Tanaqvisl = Vanagvisl. Skadi, eine rie- 
sentochter, die sich Niördr aus Thrymheim holte, wozu sonst 
Thrakien gehalten wird, hiesz Öndrdis, dea xylosolearum, die 
einen gegensatz zu Vanadis abgibt, so dasz mindestens theile 
von Thrakien andern, wo Bendis verehrt wurde, entgegen stehen 


524 Gesammtsitzung 


könnten. Vanir aber und Kvenir (ags. Cvenas) d. i. Finnen 
unterscheidet die altnordische sprache. es ist schwer, wenn den 
Vanen zu denken, auf welche sich noch weniger die namen Väi- 
nöla und Väinämöinen des finnischen epos beziehen können. 

Der einklang zwischen Bendis und Vanadis ist so auszer- 
ordentlich, dasz er sich wider alle zweifel auf den füszen erhalten 
und ein erhebliches zeugnis für den zusammenhang germanischer 
völker mit thrakischen abgeben wird. man stellt sich seltsam 
an bei unsrer ältesten geschichte und verfährt als sollten die | 
einzelnen völker immer da gestanden haben, wo Strabo, Taci- 
tus, Ptolemaeus ihrer gedenken; die unschätzbaren nachrichten 
dieser schriftsteller sind jederzeit sorgfältig zu erwägen, können 
aber über die noch früheren sitze solcher völker, über ihr länge- 
res oder kürzeres verweilen an bestimmten stellen und die an- 
lässe manigfacher verschiebungen weder allein noch überall ent- 
scheiden. es liegt uns meistentheils verschlossen, wann und wo 
die groszen massen indoeuropäischer stämme sich von einander | 
schieden, allein die forschung vermag eine unendliche menge 
von fällen ihrer annäherung so wie ihres abstandes zu sammeln, 
bis zuletzt aus der wachsenden fülle sprachlicher und mythischer 
stoffe allen diesen verhältnissen ungeahnte aufhellung bereitet 
ist. jeder neue funke des erkenntnisses taugt, und gilt auch mehr 
als alle löschanstalten einer sich dawider sträubenden verneinen- 


den critik. 


21. Juli. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Encke legte als die Fortsetzung der Abhandlungen 
über den Ponsschen Gometen, die achte Abhandlung über 
diesen Gegenstand vor, worin die Resultate der Beobachtungen 
während der beiden Erscheinungen 1855 und 1858 aufgeführt 
sind. 

Im Jahre 1855, in welchem nur vorläufige Jupiterstörungen 
zur Grundlage der Vorausberechnung gedient hatten, war die 
Abweichung des geocentrischen beobachteten Ortes von dem 


vom 21. Juli 1859. 525 


vorausberechneten, ungewöhnlich stark, sie stieg im Anfange bis 
auf 8 Bogenminuten. Es zeigte sich aber sogleich, dafs dieselbe 
nur von einer mit der Beobachtung nicht übereinstimmenden 
Durchgangszeit durch das Perihel herrührte, und die andern 
Elemente unverändert beibehalten werden konnten. Eine Ver- 
mehrung der mittleren Anomalie von + 163/44 oder die An- 
‚nahme, dals der Durchgang um 3 Stunden 39 Minuten früher 
hätte angesetzt werden müssen, stellte die Beobachtungen so gut 
wie völlig dar. Durch die Güte des Hrn. Airy war die Ephe- 
meride frühzeitig genug nach dem Vorgebirge der guten Hoff- 
nung hingelangt, um es möglich zu machen, dafs der Comet 
auf der dortigen für Cometenbeobachtungen jetzt trefflich aus- 
gestatteten Sternwarte, unter der Direktion des vorzüglichen 
englischen Astronomen Hrn. Maclear aufgefunden werden 
konnte. Eine sehr gute Reihe von Beobachtungen während der 
Tage 1855 Jul. 13 bis Aug. 16, gab als Endresultat drei sehr 
gute Normalörter. 


Normalörter für 1855. 


Mittl. Aequinoct. vom 1. Juli. 


0"M Berl. Zeit. ARE Dec. £ 
1855. Juli 17 144° 29 1371 + 5° 51’ 4977 
„30 169 30 42,9 — 9 39 50,6 


Aug. 12 196 34 6,7 — 22 54 14,5 


Im Jahre 1858 stimmte die an diese letzten Daten ange- 
schlossene, und durch vorläufige Jupiterstörungen hergeleitete 
Ephemeride, fast völlig mit der Beobachtung überein. Der Co- 
met war in Europa zu beobachten, und ward am eifrigsten auf 
der Berliner Sternwarte in den Tagen 1858 Aug. 7. bis Oct. 7. 
verfolgt. Aber auch andere europäische Beobachtungen in Cam- 
bridge (England), Wien und Kremsmünster, so wie auch zwei 
amerikanische in Washington, zeigten einen sehr befriedigenden 
Anschluls. Es konnten deshalb auch hier wieder mit grolser 
Sicherheit für 1858 drei Normalörter abgeleitet werden, für 
welche ich gefunden habe: 

[1859.] 37 


526 Gesammtsitzung 


Normalörter für 1858. 
Mittl. Aeq. Oct. 18,5. 


12"M Berl. Zeit. ARE Dec. £ 
1858 Aug. 13 69° 297 329 + 320 597 5.9 
Sept. 41 118 32 272 + 33 9 488 
Oct. 5 168 48 47,5 + 10 48 46,8 


Der Comet war immer ein verwaschener schwer zu beob- 
achtender Gegenstand. Nur ganz gegen das Ende der Erschei- 
nung, 17 Tage vor seinem Durchgange, schien er als ein Stern 
von etwa 6ter Grölse mit blolsen Augen erkennbar zu sein, 
wenn man die Richtung genau kannte. Drittebalb Monate vor 
dem Durchgange, bei seiner Auffindung, ward seine Sichtbarkeit 
etwa so wie die eines Sternes 13ter Gröfse geschätzt. Sie stieg 
in dem folgenden Monate bis zu der eines Sternes 8ter Grölse 
etwa. Der Durchmesser der Nebelhülle des Kopfes ward am 
2. September zu 1,2, am 9. zu 2 Bogenminuten geschätzt, am 
1. October gab eine Messung 0,5. 


Hierauf trug dasselbe Mitglied den Vorbericht zu den jetzt 
abgeschlossenen akademischen Sternkarten vor, worin eine ge-f 
schichtliche Übersicht des ersten Entwurfs und der späteren Aus- 
führung gegeben ist. Das nach dem ursprünglichen Plane jetzt 
beendigte Werk, zu welchem dieser Vorbericht, nebst den Ti- 
teln für die Kartensammlung und die 24 dazu gehörigen Cata- 
loge hinzukommt, wird künftig, nach den Bestimmungen derf 
Akademie, sowohl im Ganzen im Buchhandel zu haben sein, als 
auch im Einzelnen, jede Karte nebst Catalog besonders. 


Hr. Hagen legte im Anschlusse an die am 11. Novemberf 
1858 gehaltene Vorlesung, die Resultate der sämmtlichen Beob- 
achtungen vor, die zur Ermittelung der Fluth und Ebbe an der 
Preufsischen Ostsee-Küste bis zum Anfange dieses Jahres ange-f 
stellt sind. 


vom 28. Juli 1859. 527 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Comptes rendus de U’ Academie des sciences. 'Tume 48, no. 16—26. Pa- 


ris 1859. 4. 

Atti della Academia de’ Nuovi Lincei. Anno XI, Sessione 3. Roma 
1858. 4. 

Memoirs of the Geological Survey of India. Vol.I. Part 2. Calcutta 
1858. 8. 

Memorie dell’ I. R. Istituto veneto di scienze. Vol. VII, Parte 3. Venezia 
1859. 4. 

Atti dell’ I. R. Istituto veneto di scienze. 'Tomo IV, Dispensa 7. ib. 
1859. 8. 

Gerhard, Denkmäler, Forschungen und Berichte. Lieferung 42. Ber- 
lin 1859. 4. 


Es wurden die Schreiben des Hrn. E. Renan vom 14., 
des Hrn. L. Renier vom 17. und des Hrn. von Sybel vom 
+19. d. M. vorgelegt, in welchen sie die Wahl zu correspondi- 
renden Mitgliedern dankend annehmen. 

Die Herren Otto Hesse in Heidelberg und Japetus 
Steenstrup in Kopenhagen wurden zu correspondirenden Mit- 
‚gliedern in der physikalisch -mathematischen Klasse erwählt. 


28. Juli. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. H. Rose las über die niobsauren Salze. 

Die Niobsäure zeigt in ihrem Verhalten gegen Basen eine 
auffallende Ähnlichkeit mit der Tantalsäure. 

Mit dem Wasser bildet dieselbe ein Hydrat, dessen Zusam- 
mensetzung indessen nicht mit Leichtigkeit zu bestimmen ist. 
Wird dasselbe aus dem Chlorid durch Zersetzung mit Wasser 
erhalten, so zeigt es, wie das Tantalsäurehydrat beim Glühen 
eine starke Lichterscheinung. Wird indessen das Hydrat aus der 
Niobsäure erhalten, nachdem diese mit saurem schwefelsaurem 
Kali geschmolzen worden ist, so zeigt dasselbe beim Glühen 
keine Lichterscheinung. 

37° 


528 Gesammtsitzung 


Alle niobsauren Salze, welche als Base kein Alkali enthal- | 
ten, sind im Wasser unauflöslich, nur die niobsauren Alkalien sind 
löslich. Wird das niobsaure Kali durch Schmelzen der Niob- 
säure mit Kalihydrat erhalten, so ist es nicht möglich, es rein dar- 
zustellen, da es wie das tantalsaure Kali in jedem Verhältnils im 
Kalihydrat löslich ist, und sich nicht durch Krystallisation dar- 
stellen läfst. Auch durch Schmelzen der Niobsäure mit kohlen- 
saurem Kali läfst sich ein neutrales Kalisalz nicht rein darstellen. 

Die Auflösungen der Niobsäure in Kalihydrat, und nament- 
lich die in kohlensaurem Kali unterscheiden sich von den analogen 
Lösungen der Tantalsäure dadurch sehr wesentlich, dafs sie auch 
in verdünnten Lösungen sehr wenig durchs Kochen zersetzt wer- 
den, und nichts oder nur sehr wenig von einem unlöslichen sau- 
ren Kalisalze fallen lassen. Aus der Lösung des niobsauren 
Kalis wird durch einen Strom von Kohlensäuregas die Niobsäure 
als saures Salz von sehr voluminöser Beschaffenheit nur durch 
sehr langes Durchleiten gefüllt. 

Auf nassem Wege kann die Niobsäure die Kohlensäure aus, 
dem kohlensauren Kali nicht austreiben, wohl aber durchs Schmel- 
zen. Es bilden sich dabei Verbindungen von der Zusammen- 
setzung 6K-F5Nb und von 7K + 5Nb. Je länger man das 
Schmelzen fortsetzt, um so mehr wird Kohlensäure aus dem 
Alkali ausgetrieben. 

Das wichtigste der niobsauren Salze ist das niobsaure 
Natron. Man erhält es im neutralen Zustande auf eine ähn- 
liche Weise wie das tantalsaure Natron, indem man Niobsäure 
in schmelzendes Natronhydrat bringt, wobei eine starke Feuer- 
erscheinung sich zeigt. Die geschmolzene Masse wird mit Was- 

behandelt, wodurch zuerst nur das überschüssige Natron- 
hydrat aufgelöst wird, in welchem das niobsaure Natron eben 
so unauflöslich ist, wie das tantalsaure Natron; das neutrale Salz 
löst sich dann in reinem Wasser auf. In dem Salze ist der 
Sauerstoffgehalt des Natrons ein Viertel von dem der Säure; 
aulserdem enthält es wie das tantalsaure Natron 7 Atome Kry- 
‚stallwasser; krystallisirt aber auch bisweilen mit 5 Atomen Was- 
ser. Aulfser dem neutralen Salze erhält man durchs Zusammen- 
schmelzen der Niobsäure mit kohlensaurem Natron auch saure 
Salze; eben so auch, wenn man die Lösung des neutralen Salzes 


vom 28. Juli 1859. 529 


durch Kohlensäuregas zersetzt, was indessen äulserst langsam 
erfolgt. Schmelzt man gewogene Mengen von Niobsäure und 
von kohlensaurem Natron zusammen, so wird wenn beim Schmel- 
zen nicht eine zu starke Hitze angewendet wird, so viel Kohlen- 
säure verjagt, dals die Verbindung Na Nb entsteht; bei stärke- 
rer Hitze verflüchtigt sich indessen noch mehr Kohlensäure. 

Wird die Lösung des niobsauren Natrons mit Chlorammo- 
nium versetzt, so erfolgt sogleich ein Niederschlag, der indessen 
nur wenig Ammoniumoxyd enthält. Fügt man aber zu der Lösung 
ein neutrales Salz mit irgend einer nicht alkalischen Base, so 
erhält man Füllungen von neutralen niobsauren Salzen von einer 
ähnlichen Zusammensetzung wie sie das neutrale niobsaure Natron 
zeigt. Der Verfasser hat die neutralen Verbindungen der Niob- 
säure mit der Magnesia, mit dem Zinkoxyd, dem Silberoxyd, dem 
Quecksilberoxydul und dem Kupferoxyd untersucht, in welchen 
allen der Sauerstoff der Niobsäure ein Vierfaches von dem der 
Base ist. 


Hr. Reichert las über die Beschaffenheit der be- 
fruchteten Eichen von Meerschweinchen zur Zeit 
ihres Aufenthaltes in der Gebärmutter unmittelbar 
vor und nach der Einkapselung durch die Decidua. 

Th. Bischoff bildet in seiner Entwickelungsgeschichte des 
Meerschweinchens (Fig. 9— 16) Eichen dieser Thiere vom 5— 
6— ten Tage nach der Befruchtung ab, die durch ihre abnorme 
Beschaffenheit ihn veranlafst haben, Bildungsvorgänge während 
der Entwickelung der Meerschweinchen festzusetzen, welche sehr 
wesentlich von denen anderer Säugethiere, ja der Thiere über- 
haupt, abweichen. Der Verfasser fand, dafs die befruchteten Ei- 
chen der Meerschweinchen, in den Faloppischen Röhren, wie bei 
andern Säugethieren, den Furchungsprozels beginnen, was ich 
bestätigen kann; er beobachtete ferner, dafs dieselben etwa am 
Ende des vierten, oder am fünften Tage nach der Befruchtung 
in die Spitze der Gebärmutterhöhle eingedrungen waren und un- 
gefähr 12—16 Furchungskugeln enthielten. In der darauf fol- 
genden Zeit suchte er vergebens nach Eichen, die, wie bei an- 
dern Säugethieren im Furchungsprozels weiter fortgeschritten 


530 : Gesammtsitzung 


_ 


waren, oder in der Form der sogenannten Keimblase sich zu 
erkennen gaben. Er fand vielmehr Eichen, von welchen einige 
(Fig. 9.) in ihrer Form an die voraufgegangenen Zustände erin- 
nerten; sie besalsen eine sehr durchsichtige Zona pellucida, die 
im Verschwinden begriffen zu sein schien. Der Bildungsdotter 
jedoch, stellte eine formlose Masse, ohne Spur von Furchungs- 
kugeln, dar. Die übrigen von ibm für Eichen gehaltenen Kör- 
per wichen gänzlich von den früheren Zuständen ab; sie lielsen 
sich in keiner Weise mit den befruchteten Eichen anderer Säuge- 
thiere auf gleicher Entwickelungsstufe parallelisiren. Th. Bi- 
schoff sah sich in Folge dessen zu der Annahme veranlalst, 
dals sich der Bildungsdotter befruchteter Eichen des Meerschwein- 
chens, ohne den begonnenen Furchungsprozels zu vollenden, 
vielmehr von Neuem in eine formlose Masse verwandele, in wel- 
cher später bei Entwickelung embryonaler Anlagen Zellenbildung 
auftrete. 

Schon vor mehreren Jahren gelang es mir die befruchteten 
Eichen am Ende des siebenten Tages nach der Begattung in 
der von der Decidua gebildeten Kapsel aufzufinden. Sie i 
hatten die Form einer Kugel von etwa 5—z;P. L. im Durch- 
messer. Die Zona pellucida fehlte. Die Kugel war aus kern- 
haltigen Bildungsdotterzellen (45,— ;% P- L. im Durchmesser) zu- 
sammengesetzt und zeigte keine Höhle. Jede Zelle enthielt 
einige von den Fettkörperchen (etwa z,5,— 005 P- L. im Durch- 
messer), durch welche der Bildungsdotter reifer Eichen der 
Meerschweinchen ausgezeichnet ist; sie hatten nur im Allgemei- 
nen etwas an Grölse abgenommen. Auch die angegebene Grölse 
des ganzen Eichens ist nur wenig unterschieden von der Grölse 
des noch ungefurchten Bildungsdotters reifer Eier (4 — 5 P.L.). 
Die Beschaffenheit des Eichens entspricht dem Entwickelungszu- 
stande befruchteter Eichen anderer Säugethiereier, die etwa den 
Furchungsprozels beendet haben und zur Bildung embryonaler 
Anlagen übergehen; sie weicht aber gänzlich von den Eichen 
ab, die Th. Bischoff als voraufgehende Zustände beschrieben 
und gezeichnet hatte. 

So lag die Nothwendigkeit vor, die Eichen in der Gebär- 
mutter aufzusuchen, welche die wirklichen Zwischenstufen zwi- 
schen dem oben beschriebenen Eichen in der Decidua-Kapsel 


vom 28. Juli 1859. 531 


und den am fünften Tage in die Gebärmutterhöhle eingetretenen 
darlegten. Mehrere Jahre sind meine Bemühungen, dieselben 
aufzufinden, vergeblich gewesen. Das Auffinden der Eichen an 
der Spitze der Gebärmutterhöhle wird, unerachtet ihrer 
Kleinheit, dadurch unterstützt, dafs dieselben an dem bezeichne- 
ten Orte gruppirt und in der Zahl beisammen liegen, in welcher 
sie aus dem Eierstock ausgestolsen wurden. Sobald sie jedoch 
in der Gebärmutterhöhle sich ausbreiten und für die Einkapse- 
lung durch die Deeidua sich von- einander trennen, wird das 
Auffinden so schwierig, dals dasselbe, wie ich mich später über- 
_ zeugt habe, mehr vom Zufall abhängig gemacht ist. Das Eichen 
_ hat einschliefslich der Zona pellucida höchstens den Durchmesser 
von „P.L. Die Zona pellueida selbst ist so durchsichtig, dafs 
ihr Beitrag zur Vergröfserung des Eichens der Untersuchung 
nicht zu Gute kommt. Der Bildungsdotter besitzt einen Durch- 
messer von etwa 5 P.L. und ist überdies durch die mehr zer- 
streut liegenden Fettkörperchen nur im geringen Grade bei re- 
Nlectirtem Licht grau weislich getrübt, so dafs auch er das Auf- 
finden der Eichen wenig erleichtert. Dennoch war ich so 
glücklich mehre Male die schon im Uterus zerstreuten Eichen 
am sechsten und am Beginn des siebenten Tages nach der Be- 
fruchtung aufzufinden. Am sechsten Tage sind diese Eichen von 
denen, die eben in die Gebärmutterhöhle eingetreten sind, nur 
dadurch unterschieden, dafs der Furchungsprozels weiter vorge- 
schritten ist, und dafs die Zahl der Furchungskugeln sich ver- 
mehrt hat. Die Zona pellucida zeigte sich noch unverändert, 
äufserst durchsichtig, von fast gallertartiger Beschaffenheit; sie 
ist ziemlich leicht zerstörbar und reilst gewöhnlich in radiärer 
Richtung durch. Am siebenten Tage fand ich einmal ein Eichen 
an der Stelle der Gebärmutter, wo die Verdickung zur Bildung 
der Decidua-Kapsel bereits begonnen hatte. Dieses Eichen hatte 
nahezu die Beschaffenheit desjenigen, das ich oben aus der De- 
eidua-Kapsel selbst beschrieben habe; die Zona pellucida war 
bereits bis auf eine dünne Schicht verschwunden. Der Durch- 
messer betrug nahezu „;P.L. Unter den Furchungskugeln fan- 
den sich einige mit einem grölsern Durchmesser, als der oben 
angegebene der Bildungsdotterzellen. 


532 Gesammtsitzung vom 28.” Juli 1859. 


Hiernach kann ich nach meinen Untersuchungen einen we-} 
sentlichen Unterschied in den Bildungsvorgängen der befruchte- 
ten Meerschweineier vor dem Auftreten embryonaler# Anlagen 
von andern befruchteten Säugethiereiern nicht vorfinden. Eigen- 
thümlich ist aber den befruchteten Meerschweincheneiern, dafs 
der Ablauf des Furchungsprozesses den verhältnilsmälsig langen 
Zeitraum von fast sieben Tagen in Anspruch nimmt, und dals } 
die Fixirung derselben in der Gebärmutterhöhle vor Entwicke- 
lung der embryonalen Anlagen und vor Bildung der sogenannten 
Keimblase Statt hat. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
den vorgelegt: 


Bulletin de la societe geologique de France. Tome 16, feuilles 24 — 35. 
Paris 1859. 8. 

Mnemosyne. Vol. VII, Pars 3. Lugd. Bat. 1859. 8. 

Annales de chimie et de physique. Serie II. Tome 56. Paris 1859. 8., 

Maury, Sailing Directions. Ed. VIII, Vol. 2. Washington 1859. 4. 
Mit Rescript des vorgeordneten Kgl. Ministeriums vom 22. Juli 
1859. 

Heinrich Hanstein, Verbreitung und Wachsthum der Pflanzen in ihrem 
Verhältnisse zum Boden ete. Darmstadt 1859. 8. Mit Schreiben 
des Hrn. Verfassers, d. d. Zwingenberg an der Bergstralse 14. Juli 
1859. 


Hr. Böcking in Bonn nimmt unter dem 20. und Hr. 
Bernstein in Breslau unter dem 26. d. M. die Wahl zum 
correspondirenden Mitgliede in der philosophisch- historischen 
Klasse dankend an. 


Beilage. 533 


Beilage. 


Leibniz ist einer der wenigen Geister, die fast das ganze 
Gebiet des menschlichen Wissens umfaflst haben; in jeder Be- 
ziehung stellt er die Universalität des Erkennens dar. Er ist, 
wie ein Geschichtschreiber der neueren Philosophie sagt 
(K. Fischer Gesch. d. neueren Philos. Bd. II. S. 497), „den 
Systemen der Vergangenheit gegenüber der Universalphilosoph”, 
ohngefähr wie Platon die einseitigen Systeme der früheren inner- 
lich vereinigt bat, und er verband die vier grolsen Hauptrichtungen 
des Wissens, die Philosophie selbst, die Mathematik, die Natur- 
wissenschaften und die Geschichte und mannigfache Philologie, 
und erwies sich selbst in einigen praktischen Richtungen, in der 
Theologie und Rechtsgelehrsamkeit wirksam. Wer nun alles 
umfassen und überall einheimisch sein will, wird sich leicht zer- 
streuen, wenn er nicht fähig ist, seine ganze Kraft jederzeit auf den 
besonderen Gegenstand als einen selbständigen zu concentriren, 
und diese Kraft in einer durch den jedesmaligen innern oder 
äufseren Antrieb bestimmten Folge von dem Einen auf das An- 
dere mit Leichtigkeit zu übertragen, in allen Formen des Wissens 
aber das einheitliche Band zu erkennen, soweit auch die Gegen- 
stände auseinander zu liegen scheinen. Das verstand Leibniz, 
dem alle Gegensätze in der Harmonie aufgingen; er verstand es, 
um in seiner Sprache gleichnifsweise zu reden, alle selbstän- 
digen Monaden der Erkenntnifs in ununterbrochenen Übergängen 
zu einer harmonischen Welt des Wissens in sich zu verbinden. 
Um einen solchen Universalgeist zu fassen, mülste man einen 
ähnlichen Umfang des Wissens und eine ähnliche Allkraft des- 
selben besitzen; wir kleineren Geister, denen dies nicht vergönnt 
ist, sind daher nur darauf angewiesen, einzelne Seiten des grofsen 
Mannes zu betrachten: in seiner Ganzheit ist er ein Gegenstand 
nicht für Einen, sondern für eine ganze Akademie, und es ist oft 
genug gesagt, dals er allein eine ganze Akademie war. Unsere 
akademische Gesellschaft hat aulser des regierenden Königs Ma- 


534 Beilage. 


jestät sich zwei Männer, um in Hellenischer Weise zu sprechen, 
gleichsam zu ihren eponymen Heroen erwählt, oder diese sind ihr 
vielmehr geschichtlich gegeben und sie hatte dieselben nur that- 
sächlich anzuerkennen, Friedrich den Gro/[sen und Leibniz. 
Ihr Andenken feiern wir, nicht um dasselbe zu erhalten, wofür 
sie selber mehr als hinlänglich gesorgt haben, sondern zur eigenen 
Erbauung und zur Erinnerung, dals wir in ihrem Geiste zu wir- 
ken haben. Da die Gegenwart nur ein Augenblick ist, der ver- 
schwindet indem er eintritt, und da man für die Vergangenheit 
nicht wirken kann, so bezieht sich unser gesammtes Wirken auf 
die Zukunft, für deren Gestaltung jeder nach seiner Stellung und 
Kraft im Geiste jener thätig sein soll, ohne dafs man freilich, um 
von Friedrich dem Grofsen nicht zu reden, der mehr für 
Herrscher als für Gelehrte ein Vorbild ist, verlangen könnte, wir 
sollten Leibnizens Weg in gerader Linie verfolgen, nachdem die 
Entwickelung der Wissenschaft bereits andere Wege eingeschla- 
gen hat. Die Zukunft wurzelt aber in der Vergangenheit, und 
entwickelt was in dieser wie im Keime verborgen vorgebildet 
war; darum mufs zumal wer im Geiste Früherer wirken soll, den 
Blick auch in die Vergangenheit zurückwerfen und das Vergan- 
gene begreifen und beleuchten. Es giebt sogar Zeitpunkte und 
Zeiträume, wo gerade hierauf der forschende Geist besonders an- 
gewiesen ist. Es findet in der einen und der andern Wissen- 
schaft nach einer Reihe zusammenhängender Entwickelungen, nach- 
dem alle Formen oder Phasen derselben erschöpft scheinen, eine 
Ermüdung, Ermattung oder Stillstand statt, und dieser ladet von 
selbst zum Rückblick ein. Eine solche Ermattung, ein solcher 
Stillstand wird von vielen jetzt in der Philosophie gefunden; ob- 
gleich ich dies nicht für unbedingt wahr halte, so drängt sich 
doch allerdings nicht mehr System auf System, deren jedes nach- 
folgende das voraufgegangene überbietet und überstürzt, und ein 
Zeitpunkt der Art ist sehr geeignet für das Zurückschauen, damit 
man überdenke was dagewesen ist: wodurch immerhin auch 
neue zukünftige Entwickelungen vorbereitet oder veranlalst wer- 
den können. Es wird also in solcher Zeit die geschichtliche 
Darstellung des Früberen die Kräfte stark in Anspruch nehmen; 
wie gerade in der Geschichte der Philosophie in den neuesten 


Beilage. | 535 


Zeiten viel geleistet worden ist. Fällt nun der Rückblick auf 
universale Geister, so wird einer dafür nicht genügen; einer 
Akademie wird es eher gelingen können, das dazu erforderliche 
ins Werk zu setzen. Ich behaupte nicht, dafs durch das Sam- 
meln der Schriften solcher Heroen, wie ich sie bezeichnet habe, 
dem Bedürfnils sie ganz kennen und würdigen zu lernen ent- 
sprochen werde; aber die Sammlung ihrer Werke ist allerdings 
eine Hauptgrundlage der Befriedigung dieses Bedürfnisses, und 
daher einer Akademie wohl anständig. Als die älteste Akademie 
der Welt in dem jetzigen Sinne kann das Alexandrinische Mu- 
seum betrachtet werden; und waren auch nicht alle Gelehrte, 
welche um die frühere Litteratur sich damals verdient machten, 
Mitglieder jener königlichen Stiftung, so läfst sich doch nicht 
läugnen, dals das grolse Werk der Alexandriner, die Schöpfungen 
des Hellenischen Geistes, die bis dahin zerstreut waren, zu sam- 
meln und zu sichten, seinen Mittelpunkt in dem Museum hatte. 
Verehrt unsere Akademie Friedrich den Grolsen und Leibniz 
als ihre Heroen, so mag es folglich als nahe liegende Pflicht der- 
selben erscheinen, beider Geisteswerke möglichst vollständig und 
berichtigt der Welt zugänglich zu machen, und glücklich hat es sich 
durch ein Zusammentreffen günstiger Umstände gefügt, dals sie, wenn 
auch vorzüglich unter Mühwaltung eines ihr fremden dem Unter- 
nehmen gewachsenen Gelehrten, für Friedrichs des Grolsen 
Schriften dies bereits hat leisten können. Leibnizens Werke 
sind ohngefähr wie jene ungeachtet früherer Sammlungen noch 
nicht zu einem wohlgeordneten Körper zusammengestellt; und 
wie zu jenen in den Archiven, so ist zu diesen in der Königl. 
Bibliothek zu Hannover ein reicher Stoff vorhanden. Leibniz 
hat sehr wenig Zusammenhängendes selbst herausgegeben, von 
philosophischen Schriften nur ein grölseres Werk, die Theodicee: 
nicht allein seine Vielgeschäftigkeit und Theilung zwischen den 
verschiedenartigsten Gegenständen, sondern auch seine Genialität 
selbst führte ihn trotz der jedesmaligen Vertiefung in das Vor- 
liegende dahin, dafs er leicht von Einem zum Andern übersprang 
und meist nur Bruchstücke gab von dem, was allerdings in seinem 
Geist als Ganzes ausgebildet war: er hatte, wie er selber gegen 
jemand äulserte, Bücher im Gedanken und in der Macht (in idea 


536 Beilage. 


et in potestate), aber noch nicht auf das Papier hingeworfen. 
Seine Bekanntmachungen sind grofsentheils zufällig, das heilst 
durch gelegentliche Veranlassungen hervorgerufen, die ihn dann 
auch bestimmten, seine Grundgedanken bald in dieser bald in 
jener Form und mit veränderten Beziehungen anzudeuten oder 
auszuführen. Die Folgezeit war daher darauf angewiesen, nicht 


allein das vielfach zerstreute urkundlich zusammenzustellen, son- 


dern auch das von dem Meister in abgerissenen und nicht schul- 
mälsig gehaltenen Entwürfen dargebotene zu einem System 
auszubilden und zu einer Einheit zu gestalten, was auch mit 
Entwickelung nicht gezogener Folgen aus dem Prineip, mit Aus- 
tüllung von Lücken, mit Lösung oder Beseitigung von Wider- 
sprüchen, an welchen es bei jener Darstellungsweise kaum fehlen 
kann, nothwendig verbunden ist. „Zwei Menschenalter ,” sagt 
der neueste Geschichtschreiber seiner Philosophie (K. Fischer 
a. a. O. S. 26), „sind nicht im Stande, den umfassenden, gewal- 
tigen Inhalt in die gediegene Form des Systems zu fassen”; ja die 
zwei Menschenalter, die daran gesetzt worden, haben fast mehr 
daran verdorben als verbessert und aufgeklärt, und die Lösung 
der Aufgabe ist auf die Späteren übergegangen. Um jetzt 
bei der Sammlung der Werke stehen zu bleiben, so hat, um die 
kleineren Mittheilungen in Joach. Friedr. Feller’s Otium 
Hannoveranum nur beiläufig zu erwähnen, Rud. Erich Raspe 
im Jahre 1765 gesammelte philosophische Schriften des grolsen 
Mannes und darunter die bis dahin ungedruckten sehr wichtigen 
„Neuen Versuche über den menschlichen Verstand” herausgegeben; 
wenige Jahre später erschien die Gesammtausgabe der Leibnizi- 
schen Werke in sechs Quartbänden von Ludw. Dutens, in 
welcher die Raspe’sche Sammlung nicht benutzt ist. In dem 
laufenden Jahrhundert hat Guhrauer aulser anderen Verdiensten 
auf diesem Felde die Litteratur durch die Herausgabe der Leib- 
nizischen Deutschen Schriften bereichert (1838), und kurz darauf 
(1840) Erdmann die bei Raspe und Dutens gedruckten phi- 
losophischen Schriften mit Einschluls der Theodicee, welche von 
manchen vielmehr unter die theologischen gezählt worden, ver- 
einigt und 32 bis dahin ungedruckte Aufsätze aus den Hannö- 
verschen Handschriften hinzugefügt. Leibnizens grolses ge- 


d 
1 


Beilage. 537 


schichtliches Werk, Annales Imperii Occidentis Brunsvicenses, 
die durch viele Hände gegangen, ehe ihre Herausgabe zu Stande 
kam, hat endlich unser Mitglied Hr. Pertz in ihrer ächten Ge- 
stalt bekannt gemacht und zu demselben geschichtliche Aufsätze 
aus dem genannten Handschriftenschatz hinzugethan, andere schon 
gedruckte geschichtliche Werke aber mit Recht nicht wiederholt. 
Er hat hiermit in vier Octavbänden die erste, das Geschichtliche 
umfassende Folge ‚der Leibnizischen Schriften aus den Hannö- 
verschen Handschriften geliefert. Die dritte Folge dieser Samm- 
lung bilden die mathematischen Schriften, deren Herausgabe Hr. 
C. J. Gerhardt unternommen, jedoch noch nicht vollendet hat, 
bestehend aus vier Bänden des mathematischen Briefwechsels und 
aus einer zweiten die mathematischen Abhandlungen enthaltenden 
Abtheilung, von welcher bis jetzt nur der erste Band erschienen 
ist; die treffliche Arbeit des Hrn. Gerhardt ist auch der Aka- 
demie nicht fremd geblieben, vielmehr hat diese wiederholt durch 
Geldzuschüsse zu erkennen gegeben, dals sie ihres Berufes zur 
Herstellung der Leibnizischen Werke beizutragen nicht unein- 
gedenk sei. Auch der Anfang einer zweiten Folge, philosophi- 
sche Schriften enthaltend, ist gemacht durch die von C. L. Gro- 
tefend besorgte Ausgabe des Briefwechsels zwischen Leibniz, 
Arnauld und dem Landgrafen Ernst von Hessen -Rheinfels 
(1846). Obwohl nun das Pertzische Unternehmen, über 
dessen Plan eine öffentliche Erklärung nicht vorliegt, nicht alle 
Werke Leibnizens, auch die längst bekannten, in sich schliefsen 
dürfte, so scheint es doch geeignet, dals es nachträglich einen 
grölsern Umfang erhalte und sich zu einem akademischen aus- 
dehne, wobei immerhin offen bliebe, dies oder jenes auszulassen: 
es bedürfte aber hierzu noch einer theologischen, einer rechts- und 
staatswissenschaftlichen, einer philologischen und einer natur- 
wissenschaftlichen Abtheilung. Und obwohl von Leibnizens 
zahllosen Briefen die wichtigsten in diesen sieben Abtheilungen 
ihren Platz finden möchten, wie schon die angeführten Folgen 
des Pertzischen Unternehmens zeigen, so mülste doch noch ein 
achter epistolischer Theil hinzukommen, wie bei den Werken 
Friedrichs des Grolsen die Briefe einen bedeutenden Theil 
bilden. Wenn man aus dem Verzeichnils der Leibnizischen 


538 Beilage. 


Handschriften in der Königl. Bibliothek zu Hannover, wovon Hr. 
Pertz der Königl. Bibliothek hierselbst eine Abschrift einverleibt 
hat, erst einen vollen Begriff von Leibnizens Schriften erhält, 
so erregt vollends das von ebendemselben zur hiesigen Königl. 
Bibliothek gebrachte viel umfangreichere Verzeichnils des Leib- 
nizischen Briefwechsels unser Erstaunen; auch ist schon eine 
grofse Menge Leibnizischer Briefe bekannt gemacht, wovon ich 
mit Übergehung anderer beispielsweise nur die umfassende Samm- 
lung von Christian Kortholt (in vier Bänden, 1734— 1742), 
die in der Nova sylloge epistolarum varii argumenti (Nürnberg 
1760 ff.), Joh. Georg Heinr. Feder’s Commercii epistoliei 
Leibnitiani typis nondum eyvulgati selecta specimina (1805), und 
als eine besondere kleine Sammlung die von Wachsmuth bekannt 
gemachten vertraulichen Briefe an Christian Philipp nennen will; 
nicht unbedeutendes habe ich schon kurz vorher erwähnt. 

Ganz neuerlich hat es der Graf A. Foucher de Careil, 
ein Namensverwandter eines Leibnizischen Correspondenten, 
unternommen, für sich selbständig, mit Benutzung aller vor- 
handenen Hülfsmittel eine Gesammtausgabe der Leibnizischen 
Schriften herzustellen, und als Proben oder Ankündigungen, um 
seinem Unternehmen Theilnahme zu erwecken, bereits drei Bände 
herausgegeben, im J. 1854 eine früher ungedruckte Widerlegung 
des Spinoza, nebst einer eigenen Abhandlung des Herausgebers, 
in demselben Jahre ebenfalls ungedruckte Briefe und Werkchen, 
mit einer ausführlichen Einleitung (Lettres et opuscules inedits 
des Leibniz precedes d’une introduction), und 1857 neue der Art 
(Nouvelles lettres et opuscules inedits de Leibniz precedes d’une 
introduction). Der Herausgeber ist von Begeisternng für Leib- 
niz erfüllt und hat ernste Studien über seine Philosophie gemacht, 
wovon ich nur seine Abhandlung über das Leibnizische Welt- 
gesetz der Continuität herausheben will; aber weder er noch 
sonst ein Einzelner kann der Vollendung des Ganzen genügen, 
und es werden dafür überdies aulserordentliche Geldmittel erfor- 
dert. Dafs letztere, wenn ruhigere und glücklichere Zeiten wieder 
eintreten, zuflielsen würden, möchte ich kaum bezweifeln. Leib- 
niz hat aufser seinen Beziehungen zu Hannover in so bedeuten- 
der Verbindung mit dem Preulsichen Königshause und Staat und 


Ballagös 539 


mit dem Österreichischen Kaiserhause gestanden, dafs von diesen 
beiden ersten Deutschen Staaten eine Unterstützung nicht aus- 
bleiben würde. Hr. Foucher hat hierauf auch gerechnet. Um 
nur von Österreich zu reden, so hat er über den Nutzen einer 
Ausgabe der vollständigen Werke von Leibniz, in seiner Be- 
ziehung zur Geschichte Österreichs und zur Gründung einer Ge- 
sellschaft der Wissenschaften zu Wien, eine Denkschrift verfalst, 
welche Deutsch übersetzt in den Sitzungsberichten der Wiener 
Akademie (philos. hist. Kl. Bd. XXV. 21. Oct. 1857) mitgetheilt 
worden; und der Kaiserl. Rath Hr. Joseph Bergmann hat über 
Leibnizens Verhältnisse und Thätigkeit in Wien, wo er bekannt- 
lich auch die Monadologie schrieb, über seinen Betrieb der Grün- 
dung einer Akademie der Wissenschaften daselbst und seine Stel- 
lung als ernannter Reichshofrath das vollste Licht verbreitet 
(Sitzungsberichte Bd. XII. S. 539— 625, unter Beifügung von 
fünf ungedruckten Briefen an Carl Gust. Heraeus über die 
Gründung einer Akademie, Bd. XVI. S. 3—22. Bd. XXVI. 
S. 187—204). Wenn der GrafFoucher den von ihm vorbereite- 
ten Theil der Leibnizischen Werke, welcher sich auf die Ge- 
schichte Österreichs bezieht, auf fünf bis sechs Bände in Octav zu 
500—600 Seiten anschlägt, freilich mit Einrechnung auch solcher 
_ Theile, die weiter aussehend sind, wie die Irenica oder geistlichen 
Verhandlungen über die Vereinigung der Protestanten mit der 
Römischen Kirche, und die Deutsches Recht betreffenden Schriften, 
so läfst sich daraus ermessen, wie sehr auch die Österreichische 
Regierung zu der Unterstützung eines solchen Unternehmens 
veranlalst sei. WVerden aber auch die äulseren Schwierigkeiten 
überwunden, so bleiben viele innere die Arbeit selbst betreffende, 
namentlich für die Beurtheilung und Auswahl des zu benutzenden 
handschriftlichen Stoffes, worüber ich mir im Anschluß an das 
neuerlich geleistete, jedoch nur in Bezug auf die philosophischen 
Schriften, einige Bemerkungen erlaube. Nachdem vor kurzem 
Erdmann und Grotefend diesen Stoff ausgebeutet haben, dürfte 
so viel nicht mehr übrig sein, was unbestreitbar die Bekannt- 
machung verdiente, um das bereits bekannte zu vervollstän- 
digen. Allerdings müssen sich unter einer solchen Masse von 
Papieren und Zettelwerk auch kleinere Stücke finden, die zwar 


540 Beilage. 


nicht eben ganz neues, aber doch eine bestimmtere Fassung einer 
Lehre enthalten. Ein Beispiel hiervon giebt das kleine briefliche 
Stück de fato, welches Hr. Trendelenburg herausgegeben hat 
(vor dem Verzeichnils der Vorl. der Berl. Univ. Winter 18%, 
und in den hist. Beiträgen zur Philos. Bd. I. S. 189 ff.), weil, 
wie er bemerkt, Leibniz seiner Ansicht über Nothwendigkeit 
und Freiheit schwerlich irgendwo einen so gedrungenen und 
bündigen Ausdruck gegeben hat; und zwar nicht ohne sich am 
Schlulse mit gewohnter Vorsicht gegen eine weitere Verbreitung 
des Gesagten zu verwahren, weil auch das Richtigste nicht von 
jedem verstauden werde. Wenn solche Kleinigkeiten zur Ver- 
öffentlichung geeignet sind, so möchte ich dagegen selbst von 
umfangreicheren Stücken des Nachlasses nicht dasselbe behaupten. 
Mancher Schriftsteller macht Studien, die nur zur Vorbereitung 
dienen; sind diese nicht von ausgezeichneter Trefflichkeit, so muls 
man dieselben nicht ans Licht ziehen, zumal wenn die übrigen 
Werke des Verfassers bereits sehr vielfach und umfangreich sind. 
Leibniz hat den Platonischen Theaetet und Phaedon, letzteren 
im März 1676, also in seinem dreilsigsten Jahre, meist recht artig, 
abgekürzt ins Lateinische übertragen uud mit wenigen Anmer- 
kungen begleitet; dies mus man mit Foucher (Nouvelles lettres 
Introd. S. IX. ff.) als nicht unwichtig für seine Bildungsgeschichte 
ansehen, und kann daran allerlei Bemerkungen knüpfen, aber 
es genügt, wenn man die Urschrift als Zeugnils über seine Be- 
schäftigungen und als Reliquie aufbewahrt; diese Versuche in seine 
Werke aufzunehmen dürfte kaum mehr Veranlassung sein als für - 
seine Übersichten des Epiktetischen Eucheiridion, zweier Bücher 
des Boethius de consolatione philosophiae, einiger Bücher der Ethik 
des Spinoza und dergleichen. Solche Auszüge sind das. beste 
Mittel sich mit den Gedanken eines andern gründlich vertraut zu 
machen, und dienen nur dem eigenen Gebrauch, wie Aristoteles 
für sich und nicht für andere Auszüge aus Platons Staat und 
Gesetzen und Timaeos und aus den Archyteischen Schriften ge- 
macht hatte. Freilich kann ein nachgelassenes Schriftstück auch 
nur aus fremden Gedanken zusammengesetzt sein und doch die 
Form einer eigenen Arbeit haben; ein solches könnte noch am 
ersten den Werken einverleibt werden, da erst durch eine Unter- 


Beilage. 541 


‚suchung festgestellt werden muls, ob es die eigene Lehre des 
"Verfassers oder fremde enthalte, und da auch Umstände obwalten 
können, welche einer solchen Schrift einige Wichtigkeit geben. 
'So hat Erdmann aus Leibnizens Urschrift den Aufsatz de vita 
beata veröffentlicht, und dieser ist als Beweis benutzt worden, 
dals Leibniz in jungen Jahren den Lehren des Cartesius und 
Spinoza zugethan gewesen, oder durch deren Philosophie den 
Durchgang genommen habe; Hr. Trendelenburg (a. a. O. 
S. 192 ff.) hat aber einleuchtend nachgewiesen, dafs dieser Auf- 
‚satz lediglich aus Stellen des Cartesius mosaikartig zusammenge- 
‚setzt sei, und keinen Schluls auf Leibnizens eigene Ansichten er- 
laube. Dagegen sticht es allerdings seltsam ab, dafs Leibniz 
dieses Werkchen, wenigstens theilweise, in drei Sprachen ver- 
falst hat, also offenbar öfter darauf zurückgekommen ist, und 
wie Foucher (Lettres, Preface S. XVII) und Trendelenburg 
(a. a. ©. S. 230) bemerken, darauf ein Gewicht gelegt hat. Er 
scheint die kleine Arbeit, obgleich sie keine ihm eigene Gedanken 
enthielt, liebgewonnen zu haben; vielleicht wollte er sie verschie- 


denen Personen als ein Sittenbüchlein einhändigen, und wurde 
dadurch veranlafst sie auch Deutsch und Französisch zu verfassen. 
Die Abfassungen sind aber sehr verschieden. Die von Erd- 
mann im J. 1840 herausgegebene Lateinische ist sicherlich die 
erste und beste; es war davon, wie ich aus dem Verzeichnifs der 
Hannöverschen Handschriften sehe, die Urschrift und eine schlechte 
Abschrift vorhanden, jene ist aber zufolge einer Randbemerkung 
vom November 1843 in dem genannten Verzeichnils, an die K.K. 
Bibliothek zu Wien verschenkt worden. In dieser hat Guh- 
rauer ein Lateinisches Stück de vita beata gefunden, welches 
Foucher aus dessen Mittheilung bekannt gemacht hat (Lettres 
S. 243 f. vgl. Preface S. XVII); dasselbe ist, den ersten Satz ab- 
gerechnet, von dem Erdmannischen gänzlich verschieden, was 
schwer erklärlich ist, es mülste denn das Guhrauersche Bruchstück 
auf einem der zwei Zettel oder auf den beiden stehen, welche 
nach dem Hannöverschen Verzeichnils der verschenkten Urschrift 
beigelegt waren. Die Deutsche Bearbeitung, welche sich in der 
Bibliothek zu Hannover befindet, umfalst nicht das Ganze; es 
fehlt am Ende mehreres. Die Französische, betitelt „de la vie 


[1859.] 38 


542 Beilage. 


heureuse” ist in Hannover im Concept und in einer Reinschrift 
vorhanden und von Foucher herausgegeben (Lettres S. 241 £.); 
es ist nichts als eine freie Übersetzung der Einleitung, in welcher 
die drei Punkte bestimmt werden, die zur Glückseligkeit noth- 
wendig sind, Weisheit, Tugend, Seelenruhe; die Ausführung der 
drei Punkte fehlt und ist nur angekündigt; statt dessen findet man 
eine Ermahnung an den Leser, die ganz mit dem von mir voraus- 
gesetzten Zweck stimmt: „Aber die Worte werden unnütz sein, 
wenn der, welcher sie lesen wird, nicht alle die Aufmerksamkeit, | 
deren er fähig ist, dazu mitbringt, und wenn er nicht bei jedem 
Wort nachdenkt über das, was er bis jetzt gethan hat und was er 
in Zukunft thun soll. Dies ist das wahre Mittel davon Gewinn 
zu ziehen. Denn glaubt er dies lesen zu können wie eine flüchtige 
Rede, mehr gemacht zum Gefallen als zum Belehren, so wird es 
besser sein nicht in der Lesung fortzuschreiten, welche nur dazu 
dienen wird ihn schuldiger zu machen.” 

Ich habe es mir nicht versagen wollen, in dieser letzten 
kleinen Ausführung ein Beispiel von der Beschaffenheit des Nach-' 
lasses zu geben, die schon das philosophisch-kritische Geschäft 
eines Herausgebers sehr erschweren muls. Ein anderer Theil der | 
Arbeit ist von Foucher (Lettres, Introd. zu Anfang) sehr richtig 
bezeichnet worden. Es genügt nämlich nicht, Ungedrucktes be- 
kannt zu machen: es muls diesem auch sein wahrer Platz ange- 
wiesen werden, damit es zur Kenntnils des Systems beitrage; man 
mufs seine Beziehungen zu dem früher bekannten aufsuchen, ihm 
seinen Zweck, seine Function und Bestimmung in dem Ganzen an- 
weisen, um aus der Verbindung der neuen Urkunden der Leibnizi- 
schen Philosophie mit den alten wo möglich fruchtbare Ergebnisse 
zu gewinnen, wie es in Hrn. Trendelenburg’s Abhandlung über 
Leibnizens Entwurf einer allgemeinen Charakteristik (Schriften 
d. Akad. 1856, philos.-hist. Kl.) gethan ist. Leibniz selbst hat ja 
gesagt: „Qui me nonnisi ex editis novit, non novit”. Dies führt 
mich zu einer vor kurzem angeregten Erwägung, mit welcher ich 
diese Bemerkungen schlielsen will. Dafs Leibniz sein Zeitalter 
nicht für fähig hielt seine Ideen aufzunehmen, dafs er nicht immer 
ohne Zurückhaltung schrieb, dafs er fremde Vorstellungen den 
seinigen, bis auf einen gewissen Grad auch das Seinige fremden 


Beilage. 543 


anbequemte, dals er und er nicht allein, wie Schelling sagt, 
den Schein vermied, über eine gewisse Grenze in der Wissen- 
schaft hinauszugehen, die er dennoch wirklich überschritt, und 
aus Gründen, die der weise Mann in seinem Zeitalter finden 
mochte, manches nicht mit folgerichtiger Klarheit durchgeführt 
hat; davon.habe ich mich, zum Theil nach seinen eigenen Äufse- 
rungen oder entfernten Andeutungen längst überzeugt, und es 
ist auch trotz aller seiner Behutsamkeit seinen Zeitgenossen nicht 
verborgen geblieben. Hierbei konnten Unklarheiten und Wider- 
sprüche nicht ausbleiben; insbesondere stimmen einzelne hinge- 
worfene Äufserungen, die wenigstens mir tief speculativ scheinen, 
nicht vollkommen zu dem gewöhnlichen Ausdruck seiner Lehre. 
Daher könnte es nicht befremden, wenn man von seinem Nach- 
lafs noch unumwundenere Aufschlüsse über die höchsten und 
letzten Aufgaben des Philosophirens erwartete. In der That hat 
der geistreiche letzte Geschichtschreiber der Leibnizischen Phi- 
losophie auf die neuen Versuche über den menschlichen Verstand 
die Ansicht gegründet, auch bei Leibniz sei der in der Geschichte 
der Philosophie nicht immer mit Glück geltend gemachte Unterschied 
zwischen exoterischer und esoterischer Lehre in Anwendung zu 
bringen: er will in diesem sehr ausgearbeiteten, aber von Leib- 
niz selbst nicht veröffentlichten Werke, welches er zwölf Jahre 
vor seinem Tode geschrieben hatte, die esoterische Lehre finden. 
Fein und scharfsinnig unterscheidet derselbe die pädagogische 
oder didaktische Darstellungsweise, in welcher der Philosoph die 
Hauptwahrheiten seiner Lehre, gleichsam ihre Summe, den mei- 
sten falslich machen möchte, da ihre ersten und tiefsten Gedan- 
ken nur den wenigsten zugänglich waren, von der eigentlich 
wissenschaftlichen Darstellungsweise (Gesch. der neueren Philos. 
Bd. IL, S. 157, 159); wohin auch Lessing gewiesen hatte 
(s. Fischer S. 206 ff.): es liege in der Natur einer Philosophie, 
die zur Aufklärung eines Jahrhunderts bestimmt ist, dafs sie sich 
nach aulsen wende und den herrschenden Zeitvorstellungen ge- 
genüber unwillkürlich den exoterischen Charakter annehme 
(S. 164): Leibnizens natürliche Theologie vollende aus ächt spe- 
eulativen Gründen das System der Metaphysik, und übernehme 
zugleich die Rolle des Pädagogen, der die schwierigen Begriffe 


38* 


544 Beilage. 


dieser Metaphysik erläutere und ihre Entdeckungen dem gemeinen 
Verstande zugänglich mache; im Gewande dieser natürlichen 
Theologie, die seinen speculativen Begriffen für alle Fälle den 


exoterischen Ausdruck leihe, bewege er sich am leichtesten und 


bequemsten, und so oft er pädagogisch auftrete und die Summe 
seiner Speculation dem Zeitbewulstsein mittheile, erscheine er in 
dieser Gestalt (S. 164). Dafs dagegen in dem Vorwort zu den 
neuen Versuchen über den menschlichen Verstand die kleinen 
Vorstellungen es sind, wodurch er die Weltharmonie erklärt, ist 
unserem Geschichtschreiber des Schlüssel zu Leibnizens esoteri- 
schem Lehrgebäude (S. 503): während nämlich die Welthar- 
monie sonst unter den gebräuchlichen Religionsbegriffen zu er- 
scheinen liebe, werde sie hier aus der Natur oder dem natürlichen 
Stufengange der Dinge erklärt. Dies habe er aber seinem Zeit- 
alter nicht mittheilen wollen, mit dem er lieber pädagogisch als 
streng philosophisch verkehrte; die Welt, der er seine Lehre zu- 
gänglich machen wollte, habe leichter die vorherbestimmte Har- 
monie begriffen, die durch Gott, als die natürliche, die durch die 
kleinen Vorstellungen erklärt werde (S. 504, 514, 523 f£.). 
Wenn Foucher dagegen (Nouvelles lettres, Vorrede) bei seinem 
Aufenthalte in Hannover, wie er sagt, dieses Schattenbild einer 
Philosophie der Eingeweihten verschwinden sah bis auf die letzte 
Hülle, wenn er, je weiter er vordrang, Ordnung und Proportion, 
Schönheit und Eurythmie der Griechischen Formen, und eine 
grolse und gesunde Philosophie, die das Licht nicht scheut, wieder 
erscheinen sah, so stimme ich ihm darin bei, dafs man in Han- 
nover eine esoterische Philosophie Leibnizens nicht finden wird, 
Hrn. K. Fischer aber darin, dafs Leibniz unwillkürlich sich 


\ 


in eine exoterische Darstellungsweise hineinbequemt und hinein-. 
gewöhnt habe, ungeachtet er bis zu einem Punkte gelangt war, 


der jenseits der Grenze liegt, welche, wie Schelling sagt, zu 
überschreiten er nicht scheinen wollte. Doch ich breche ab, um 
einer andern heiligen Pflicht zu genügen, die der heutige Tag 
mir auferlegt. 

Als ich vor neun Jahren an dem Leibnizischen Jahrestage 
den Vorsitz in dieser Versammlung zu führen hatte, war mir der 
erfreuliche Auftrag zu theil geworden, in Verbindung mit dem 


Beilage. 545 


Vortrage zu Leibnizens Gedächtnils darauf hinzuweisen, dafs ein 
halbes Jahrhundert früher Alexander von Humboldt Mit- 
glied dieser Akademie geworden, und den Beschlufs zu verkünden, 
dafs sein Brustbild in Marmor in unserem Sitzungsaale aufgestellt 
werde, wo das Leibnizische seit langer Zeit steht, und zwar dann 
aufgestellt werde, wie ich sagte, „wann, was noch in weiter Ferne 
liegen möge, das allgemeine menschliche Loos ihn unsern Augen 
entrückt haben wird.” In Leibnizens Sinn, dem nichts für zu- 
fällig galt, mag ich es als eine besondere Fügung ansehen, dafs 
heute, an dem Tage, da diese Aufstellung vollzogen worden, mich 
die Reihe wieder getroffen hat die Sitzung der Akademie mit 
meinen Worten zu eröffnen. Dieser Augenblick ist ernster und 
trauriger: bei jenem früheren Anlafs konnte ich mit Hoffnung von 
ihm sprechen; jetzt haben wir diese Hoffnung zu Grabe getragen, 
und mit ihr viele andere. Es ist ein glänzendes Gestirn in der 
Welt des Geistes für diese Welt erloschen. Dennoch sind wir 
nicht berechtigt zu klagen. Wenn ein jugendlich blühendes 
Leben vor der Zeit hinwelkt, eine gewaltige Kraft inmitten des 
vollen Laufes nach einem grolsen Ziele zusammenbricht, auch 
wenn ein Mann wie unser Dirichlet, dessen einen Tag früher 
erfolgten Tod Humboldt, wenn er ihn noch erfahren hätte, 
bitter würde empfunden haben, zwar in reiferem Alter, aber im- 
mer doch frühzeitig hinweggerafft worden, mag die Wehklage 
ertönen. Alexander von Humboldt aber hat eine ruhmvolle 
Lebensbahn bis zu einer seltenen Grenze des Alters durch- 
messen: bei seinem Scheiden ergreift uns Wehmuth und Schmerz; 
aber wir müssen ihn glücklich preisen. Sein Leben war glick- 
selig durch Tugend und Erkenntnils, und nicht getrübt durch 
ungewöhnliches Milsgeschick. Mit überreichen Gaben des Geistes 
ausgestattet, einer unermüdlichen Thätigkeit und geistigen, früher 
auch körperlichen Anstrengungen gewachsen, niemals nachlassend 
oder ermattend, fast bis an sein Ende selbst die Nacht bis auf die 
nothwendigste Erholung der Arbeit widmend, für alles Edle und 
Gute nicht nur empfänglich sondern begeistert, nicht von Leiden- 
schaften gestört, hat er in seinen grolsen und mannigfachen 
Lebensrichtungen das Höchste erreicht, eine Stufe auf der man 
dem Sterblichen mit dem Dichter zurufen kann: „Trachte nicht 


546 Beilage. 


ein Gott zu werden”. Sein Weltruhm überragt selbst Leib- 
nizens Namen in dem Mafse, als in unserer Zeit der wissen- 
schaftliche Verkehr ausgedehnter geworden; unbestritten bleibt 
er in allgemeiner Anerkennung die erste wissenschaftliche Grölse 
seines Zeitalters. Doch wenn ich auch in Ergebenbheit, Ver- 
ehrung und Liebe zu ihm keinem nachstehe, und einen Blick in 
sein Gemüth gethan zu haben vielleicht mir anmalsen kann, bin 
ich dennoch weder befähigt noch berufen seine wissenschaftlichen 
Verdienste zu würdigen, wozu, für den heutigen Tag selbst, ein 
näberer Fachgenosse bestellt ist: und auch dem Kenner muls dies 
schwer werden. Je grölser der Mann, je länger und glänzender 
seine Laufbahn, desto unerreichbarer dem Wort seine Höhe. 
Ich der Laie erlaube mir über ihn als Mann der Wissenschaft 
nur dies eine Urtheil: wodurch er hervorragt, das sind nicht 
allein seine Reisen, durch die er entfernte Erdtheile zuerst in 
allen Beziehungen kennen gelehrt, nicht seine unzähligen beson- 
deren Forschungen auf dem Gebiete der Natur; es ist die grols- 
artige, allseitig umfassende, in der Fülle des Realen zugleich 
ideale Anschauung des Weltganzen, und nicht allein des Natür- 
lichen in demselben, sondern auch der Geschichte des mensch- 
lichen Geistes zunächst in seiner Beziehung zur Erkenntnils der 
Natur, aber auch weit über diese Beziehung hinaus in den meisten 
Zweigen der menschlichen Bildungsgeschichte, das umfänglichste 
erfahrungsmälsige Wissen verbunden mit der regsamsten Com- 
bination, durchdrungen vom Gedanken, belebt durch Kraft, Ge- 
wandtheit und Anmuth der Rede. Ein ungedrucktes genaues 
Verzeichnils seiner Schriften vom Jahre 1790 an, welches ich 
Gelegenheit gehabt einzusehen, drängt mir, gegenüber dem Ver- 
zeichnils der Leibnizischen, die Überzeugung auf, dals wir, wenn 
auch nicht in Rücksicht der Mannigfaltigkeit, doch in Rücksicht 
der Anzahl der Schriften eine Vergleichung Leibnizens und 
Alexanders von Humboldt, die auch in andern ohne mein Zuthun 
einleuchtenden Beziehungen manches mit einander gemein 
haben, nicht zu scheuen brauchen. Ebenso ist es an Alexander 
von Humboldt wie an Leibniz bewundernswerth, dafs er 
unter den bis an das Ende seines Lebens fortgesetzten Studien 
und unter den von seiner Stellung in der gelehrten und höheren 


Beilage. 547 


bürgerlichen, und zugleich in der höchsten Gesellschaft unzer- 
trennlichen Zerstreuungen den ausgebreitetsten geschäftlichen, 
wissenschaftlichen und freundschaftlichen Briefwechsel unterhielt. 
Seine Pflege der Wissenschaft ist ferner nicht blofs nach den 
eigenen, wenn auch noch so grolsen Leistungen in der Litteratur 
zu schätzen: ohne ein Amt zu bekleiden, welches ihm auf die 
Leitung der wissenschaftlichen Angelegenheiten einen unmittel- 
baren Einflufs gewährt hätte, bat er in freier, stets reger Wirk- 
samkeit durch sein Ansehen, durch Schutz, Rath und Empfehlung 
die Wissenschaft und ihre Vertreter gefördert. Ohne Staats- 
mann zu sein oder sein zu wollen, hat er die Thätigkeit des 
Staatsmannes und die Staatsklugheit geübt. Als ein vermitteln- 
des Band zwischen der Gelehrtenwelt und den höchsten Kreisen 
‚wird er für lange Zeiten unersetzlich sein. Ein Weltbürger im 
ausgedehntesten und edelsten Sinne des Wortes, war er zugleich 
ein Deutscher und ein Preulse; ein Freund der Freiheit und ein 
Mann des Volkes, der selbst im höchsten Alter die persönlichen 
Bürgerpflichten erfüllte, und wiederum hoch geachtet und geliebt 
von den edelsten Fürsten: wie unser erhabenes Königshaus und 
namentlich die drei Herrscher des laufenden Jahrhunderts ihn 
würdigten, wissen wir alle und steht mir nicht an näher zu be- 
zeichnen. Und überall und in allen Verhältnissen hat er das 
Woblwollen und die Liebe bewährt, die an seinem Sarge beredt 
anerkannt worden; wie allgemein sie anerkannt werde, dafür 
bürgt sein Leichenbegängnifs in merkwürdigem Gegensatze gegen 
das geleitlose des grolsen Leibniz, dem weder der Hof, wel- 
chem er eng verbunden gewesen, noch ein Diener der Kirche, 
für die er sich abgemüht, noch die Bewohner der Stadt, welcher 
er den Glanz der Wissenschaft verlieh, die letzte Ehre erwiesen 
haben. Hier aber hat die Liebe, die der Gefeierte für ‘seine 
Nächsten empfand, die rein menschliche Liebe, die mit der 
Ahnung der göttlichen Weltordnung seine Religion war, in den 
Herzen, denen er sie widmete, ihren Wiederklang gefunden, in 
welchem das Gekrächze der Raben gegen den göttlichen Aar 
des Zeus lautlos verhallt. Betrauert und vermifst ihn die den- 
kende und gebildete Welt des ganzen Erdkreises, und ist der 
gelehrten Welt mit seinem Scheiden ein Mittelpunkt hinweg- 


548 Beilage. 


gerückt; so haben wir, die Mitglieder dieser Gesellschaft, in wel- 
cher er mit Vorliebe seine Hauptstellung erkannte, an ihm einen 
theilnehmenden Freund, einen unverdrossenen und aufopfernden 


Berather und Helfer verloren: es ıst uns, wenn ich von meiner | 


Empfindung auf die Empfindungen meiner theuren akademischen 
Genossen zu schlielsen unzweifelhaft berechtigt bin, in ihm ein 
kräftigendes Lebenselement versiegt; ich wenigstens bin niemals 
von ihm weggegangen, ohne dafs ich mich gestärkt, erheitert, er- 
hoben gefühlt hätte. Indem wir nun sein Brusibild in der Nähe 
des Leibnizischen aufgestellt haben, dem kein anderes würdiger 
zur Seite steht, und zugleich damit das seines innigsten Freundes, 
des hochverdienten Leopold von Buch, der uns allen theuer 
war, ehren wir mehr uns als ihn, der nicht eine Büste in diesem 
düster überwölbten Saal, sondern ein Standbild unter dem freien 
und heitern Himmelsgewölbe des göttlichen Kosmos neben den 
Woblthätern des Deutschen und Preulsischen Vaterlandes verdient. 
Doch bedarf er keines sichtbaren Standbildes weder hier noch 
anderwärts, wo es ihm zur Ehre des Deutschen Namens schon 
zuerkannt ist: er hat in seinen Werken sich ein nie alterndes, 
Marmor und Erz überdauerndes Denkmal aufgerichtet; er lebt in 
unseren Herzen, und wird leben im Gedächtnils der gesammten 
Menschheit, die sich ihm, so hoffen wir, zum künftigen Gedeihen 
der Wissenschaft auch auf andere Weise dankbar erzeigen wird. 


—INENS— 


Bericht 
über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat August 1859. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Trendelenburg. 


1. August. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. H. Rose las über die Verbindungen des Unter- 
niobs mit Chlor und Fluor. 

Mit dem Namen Unterniob belegt der Verfasser die allo- 
tropische Modification des Niobs, die mit Sauerstoff sich zu 
einer metallischen Säure, der Unterniobsäure, verbindet, in wel- 
cher weniger Sauerstoff als in der Niobsäure enthalten ist; diese 
Säure kann aber auf keine Weise durch irgend ein Mittel der 
Oxydation in Niobsäure verwandelt werden. Nur sehr mittelbar 
kann diese Umänderung auf die Weise erfolgen, dafs man die 
Unterniobsäure in Niobchlorid verwandelt, aus welchem man 
durch Zersetzung vermittelst Wassers Niobsäure erhalten kann. 

Mit dem Chlor, Fluor und Schwefel bildet das Unterniob 
Verbindungen, welche der Unterniobsäure analog zusammenge- 
setzt sind, und sich durch diese verschiedene Zusammensetzung 
wesentlich von den Verbindungen des Niobs unterscheiden. 

Das Unterniobchlorid ist früher vom Verfasser unter 
dem Namen von Niobchlorid beschrieben worden. Die Zusam- 
mensetzung desselben wurde vermittelst Zersetzung durch Was- 
‚ser gefunden, indem die erzeugte Chlorwasserstoffsäure als Chlor- 

[1859.] 39 


550 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


silber, und die Unterniobsäure als solche bestimmt wurde. Ein 
Mittel aus zehn Versuchen ergab 48,21 Chlor und 61,33 Unter- 
niobsäure. 

Wird indessen das Unterniobchlorid in einer Atmosphäre 
von Schwefelwasserstoffgas erhitzt, so verwandelt es sich zwar 
unter Einwirkung von Chlorwasserstoffsäure in Unterschwefel- | 
niob; es erzeugt sich dabei aber immer etwas Wasser, dessen 
Bildung nicht wahrgenommen werden kann, wenn auf dieselbe 
Weise Tantal- und Niobchlorid zersetzt werden. Es ist daher | 
das Unterniobchlorid keine reine Chlorverbindung, sondern es, 
enthält etwas Sauerstoff, selbst wenn dasselbe mit der grölsten 
Achtsamkeit dargestellt worden ist. | 

Erhitzt man Unterniobchlorid daher in einer Atmosphäre 
von Schwefelkohlenstoff, so wird es schwarz, und es bildet sich 
etwas Unterschwefelniob, während Tantal- und Niobchlorid durch 
Schwefelkohlenstoffdampf nicht ‘zersetzt werden. Aber es ver- 
Nüüchtigt sich dabei weilses Unterniobchlorid mit den Dämpfen 
des Schwefelkohlenstoffs, während Unterschwefelniob zurückbleibt. 
Es ist dies ein Beweis, dafs es ein sauerstofffreies Unterniob-' 
chlorid giebt, dessen Darstellung jedenfalls mit Schwierigkeiten | 
verknüpft sein muls. 

Es wird später gezeigt werden, dafs der Sauerstoff der Un-}} 
terniobsäure, welche durch Zersetzung des Unterniobchlorids 
vermittelst Wassers entsteht, sich zu dem der Niobsäure wiel 
3:4 verhält. Das sauerstofffreie Unterniobchlorid mufs daher] 
im Hundert bestehen aus 

Niob 47,86 
Chlor 52,14 
100,0 
und seine Zusammensetzung wird durch Nb El? ausgedrückt. 

Das Hydrat der Unterniobsäure löst sich schon bei gewöhnli- 
cher Temperatur mit grofser Leichtigkeit in Fluorwasserstoff- 
säure auf, besonders wenn dieselbe rauchend ist. Die Lösungf! 
setzt aber keine Krystalle eines Fluorids ab. Erhitzt entwickel N 
sich aus derselben Fluorwasserstoffsäure, und behutsam zur Trock-f 
nils abgedampft, stöfst die trockne Masse beim stärkeren Erhitze 
und beim Glühen dicke weilse Dämpfe von Fluorid aus, und esf 
bleibt Unterniobsäure zurück. — Die geglühte Säure löst sich] 


vom 4. August 1859. 551 


zwar nicht in Fluorwasserstoffsäure auf; sie verbindet sich aber 
zum Theil mit derselben. Destillirtt man darauf das Ganze 
in einer Platinretorte, und leitet die Dämpfe in Wasser, so 
verflüchtigt sich nur Fluorwasserstoffsäure, und das Wasser ent- 
hält keine Unterniobsäure, auch wenn man in der Retorte das 
Ganze bis zur Trocknils destillitt. Wird aber geglühte Unter- 
niobsäure in einer Platinretorte mit Fluorwasserstoffsäure über- 
gossen, und setzt man dann concentrirte Schwefelsäure hinzu, 
so entwickeln sich schon ohne äufsere Erhitzung Dämpfe von 
Unterfluorniob. So wie aber das Ganze erhitzt wird, so hört 
die Entwicklung des Unterfluorniobs vollständig auf, und es 
destillirtt nur Fluorwasserstoffsäure über. Durch den Einflufs 
der Schwefelsäure wird also beim Erhitzen der Fluorid zersetzt. 
Es unterscheidet sich hierdurch die Unterniobsäure von der Kie- 
selsäure, indem Fluorkiesel durch concentrirte Schwefelsäure nicht 
zersetzt wird. 

Das Unterniobfluorid verbindet sich wie das Tantal- und 
Niobfluorid mit anderen Fluormetallen. Es sind nur die mit 
Fluorkalium und mit Fluornatrium dargestellt worden. 

Das Fluorkalium verbindet sich mit dem Unterniobfluorid 
zu der Verbindung 2& £ + Nb F?; welche indessen gewöhnlich 
mit Fluorkalium gemengt erhalten wurde. Das Fluornatrium bil- 
det die Verbindung Na& + NbF°’, welche indessen immer mit 
NaF + HF gemengt oder verbunden dargestellt wurde. 

Diese Verbindungen sind im Wasser löslich; die Lösungen 
 röthen das Lackmuspapier. Schwefelsäure bringt in ihnen keinen 
Niederschlag hervor; erst wenn die Lösung abgedampft und die 
| Schwefelsäure sich zu verflüchtigen anfängt, scheidet sich Unter- 
niobsäure aus. Wird die Verbindung des Unterniobfluorids mit 
Fluorkalium im Platinlöffel geschmolzen, so bleibt sie länger im 
geschmolzenen Zustand unzersetzt als die analoge Tantal- und 
Niobverbindungen; nach langer Zeit wird sie unschmelzbar und 
blau. Befeuchtetes Lackmuspapier wird dann von ihr gebläut. Die 
Verbindung mit Fluornatrium schmilzt nicht im Platinlöffel, und 
wird auch nicht blau. 


398 


552 Sitzung der phys.-math. Klasse vom 1. August 1859. 


Hr. Reichert las über das gleichzeitige Vorkom- 
men von Rippen und einem von diesen ganz getrenn- 
ten unteren Dornfortsatz am letzten Bauchwirbel 
bei Zates niloticus. 

Das gleichzeitige Vorkommen von Rippen und des Häma- 
physenbogens an einem Wirbel ist bei Fischen keine ungewöhn- 
liche Erscheinung, wie die Skelete von Scomberoiden, Sciaenoi- 
den, Chromiden, Clupeiden u. s. w. lehren. Hier überall ist es 
der rippentragende Fortsatz, welcher zugleich die Hämapophyse 
entsendet, die mit dem der anderen Seite zu dem subvertebra- 
len Bogen für die Aufnahme der Gefälse sich verbindet. Ge- 
wöhnlich fehlt dann an dem Hämapophysen-Bogen ein unterer 
Dornfortsatz, der erst am Schwanz sich hervorbildet. Aber 
auch die Fälle fehlen nicht, in welchen, wie z. B. bei Zeus 
faber, gleichzeitig der Hämapophysen-Canal mit dem Processus 
spinosus inferior und an demselben Bauchwirbel auch Rippen 
angetroffen werden. Die Rippen sind jedoch in den bisher be- 
kannten Beispielen an dem Processus spinosus inferior befestigt. 
Dieser Umstand, so wie das ganze Verhalten des rippentragen- 
den Fortsatzes mit der Rippe und dem Hämapophysen - Bogen 
beim Übergange zu den Schwanzwirbeln, wo sich nur der Hä- 
mapophysen-Bogen mit dem unteren Dornfortsatz vorfindet, hat 
in neuerer Zeit die vergleichenden Anatomen bestimmt, den 


unteren Dornfortsatz des Hämapophysen-Bogens so anzusehen, 
als ob derselbe aus einer theilweisen oder völligen Verschmel- 
zung der Rippen hervorgegangen sei. An dem Skelet des von 
Hrn. Ehrenberg und Hemprich dem Museum übergebenen 
Lates niloticus wird diese Ansicht, welche auch in der Bildung 
des Schwanzes bei Wirbelthier- Embryonen keine Stütze findet, 
widerlegt. Der letzte Bauchwirbel dieses Fisches zeigt einen 
rippentragenden Fortsatz, an welchem die letzte Rippe befestigt 
ist; er besitzt einen mit dem rippentragenden Fortsatz ver- 
schmolzenen Hämapophysen-Bogen, aus dessen Mitte, völlig ge- 
sondert von der Rippe, der Processus spinosus inferior abgeht. 
Die Coexistenz des Processus spinosus inferior und 
der Rippen an einem Wirbel unter Umständen, wel- 
che selbst die Vorstellung, als ob eine theilweise 
Fusion der Rippen bei der Bildung des Processus 


Gesammtsitzung vom 4. August 1859. 553 


spinosus inferior stattgefunden habe, nicht gestat- 
ten, liefert den völlig gesicherten Beweis, dafs der 
Processus spinosus inferior und die Rippen verschie- 
denartige Elemente des Wirbels darstellen. 

Der letzte Bauchwirbel des Zates niloticus lehrt zugleich, 
dals der die Rippe der Fische tragende Fortsatz und 
die Hämapophyse, aus deren Bogen der untere Dorn- 
fortsatz hervorgeht, zwar einen gemeinschaftlichen 
Ursprung am Wirbelkörper besitzen, aber nicht völ- 
lig gleichgestellt werden dürfen. 


4. August. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Ehrenberg las über neue massenhafte Poly- 
eystinen als Meeresgrund aus 13200 Fufs Tiefe bei 
Zankebar und legte die Zeichnungen und Präparate vieler neuen 
eigenthümlichen Formen aus diesen Tiefen vor. 


Hr. W. Peters theilte der Akademie die traurige Nach- 
richt mit, dals Dr. Carl Hoffmann am 11. Mai d. J. zu Pun- 
tarenas in Costa Rica gestorben sei. Derselbe hat sein Natura- 
lienkabinet dem hiesigen Museum testamentarisch vermacht, nach- 
dem er bereits früher sehr werthvolle Naturalien gesandt hatte, 
um der K. Akademie seine Dankbarkeit für die ihm und dem 
Dr. von Frantzius bei ihrer Abreise nach Costa Rica über- 
gebenen physikalischen Instrumente zu bezeigen. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 
Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft. Band XII, 
Heft 3. Leipzig 1859. 8. 
Revue archeologique. 16e Annee, Livrais. 4. Paris 1859. 8. 
Sars, M., og Th. Kjerulf, nyt Magazin for Naturvidenskaberne. Bind 
10. Hefte 4. Bind 11. Hefte 1. Christiania 1858. 8. 


554 Gesammisitzung 


Bjerknes, C. A., über die geometrische Repräsentation der Gleichungen 4 
zwischen 2 veränderlichen, reellen oder kompleren Gröfsen. Chri- f 
stiania 1859. 4. (Univers.-Progr.) 

Munch, P. A., Throndhjems Domkirke. M. Tegninger af H. E. Schir- 
mer. Christiania 1859. Fol. 

Die 3 vorangehenden mit Begleitschreiben des Hrn. Chr. Holst, 
d. d. Christiania 18. Juli 1859. 

Meilly, Ed. relation d’un voyage fait en Sicile et dans le midi de 
VItalie. Bruxelles 1859. 12, 

Seetzen, U. J., Reisen durch Syrien, Palästina, Phönicien u. s. w.‘ 
Band 4. Berlin 1859. 8. 


Die Akademie gedachte des Verlustes, welchen sie am 30. 
v. M. durch den Tod des Hrn. Dieterici, eines ihr treu zu- 
gethanen, thätigen und verdienten Mitgliedes, erlitten. 


11. August. Gesammtsitzung der Akademie. 
Hr. Ranke las über die Katastrophe Wallensteins. 


Hr. H. Rose theilte die Resultate einer Untersuchung des 
Hrn. Heintz über zwei neue Reihen organischer Säu- 
ren mit. 

Von der Thatsache ausgehend, dals, wenn das mono- 


4 2 
(© H x 10%) mit Wasser gekocht‘ 


chloressigsaure Kali 


wird, sich Chlorkalium und eine neue Säure bildet, die, wie R. 
Hoffmann '') vermuthete, von Kekul&?) aber behauptet wird, 
mit der von Strecker und Socoloff’) aus der Hippursäure 
erzeugten Glycolsäure identisch ist, hoffte Hr. Heintz bei An- 
wendung von Alkoholen an Stelle des Wassers neue Säurerei- 
hen gewinnen zu können. Derselbe kochte jedoch nicht etwa 


!) Annalen der Chemie u. Pharm. Bd. 102 S. 12.* 
*) Ebenda Bd. 105 S. 286.* 
?) Ebenda Bd. 80 S. 36.* 


vom 11. August 1859. 555 


Jirgend eins der Salze der Monochloressigsäure mit den Alkoho- 
lien, weil dieselben schwer wasserfrei dargestellt werden können, 
und daher die Gefahr vorhanden gewesen wäre, dals dieses Was- 
}ser und nicht der Alkohol in die Zersetzung eingehen möchte, 
in welchem Falle voraussichtlich nur Glycolsäure entstehen 
könnte, sondern er stellte die Natriumalkoholate dar, löste diese 
in dem entsprechenden Alkohol auf, und brachte nun auf zwei 
Äquivalente zur Darstellung des Alkoholats angewendeten Na- 
triums ein Äquivalent Monochloressigsäure hinzu. Die Mischung 
erhitzte sich sehr stark, und es bildete sich namentlich durch an- 
haltendes Erhitzen das gesammte Chlor der Monochloressigsäure 
in Chlornatrium um. Hr. Heintz hat so die Natriumverbin- 
dung des Methyl-, Äthyl-, Amyl- und Phenylalkohols diesem Zer- 
setzungsprozesse unterworfen und in allen Fällen dieselbe Re- 
action beobachtet. 

In der Hoffnung, mit Hülfe des Natriummethylats aus der 
Monochloressigsäure Milchsäure zu erhalten, hat Hr. Heintz 
die Produkte, welche sich bei der Einwirkung dieser Körper auf 
einander bilden, zuerst untersucht. Die dabei neben Chlorna- 
trium entstehende Säure hat allerdings die Zusammensetzung der 
Milchsäure, ist aber sowohl von der gewöhnlichen, als auch von 
der Paramilchsäure durchaus verschieden. Sie wird dadurch rein 
gewonnen, dals man nach möglichster Entfernung des Chlorna- 
triums durch Alkohol die wässrige Lösung des Natronsalzes mit 
schwefelsaurem Zinkoxyd eindampft, und das gebildete Zinksalz 
aus dem Rückstande durch Alkohol extrahirt. Dieses Zinksalz 
krystallisirt aus der wässrigen Lösung in ausgezeichnet schönen 
und grofsen Krystallen, deren Form näher zu untersuchen sich 
der Verfasser vorbehält. In Wasser sind sie leicht löslich. Die 
Zusammensetzung derselben ist genau gleich der des paramilch- 
sauren Zinkoxydes, welches jedoch bekanntlich nicht so schön 
krystallisirt. Sie wird durch die empirische Formel C° H’ 0° 
+ZnO-+2HO ausgedrückt. 

Aus diesem Salze gelingt es leicht die Säure selbst darzu- 
stellen. Die wässerige Lösung desselben kann nämlich durch 
Schwefelwasserstoffgas vollkommen vom Zink befreit werden. 
Die gewonnene Säure kann aber nicht von dem Wasser geson- 
dert werden, ohne selbst zum grolsen Theil verflüchtigt zu wer- 


556 Gesammtsitzung 


den. Destillirt man die Flüssigkeit, so steigert sich der Koch- 
punkt allmälig, bis er bei 198° C. constant wird. Nun destil- 
lirt eine nicht ganz dünnflüssige, aber doch nicht eigentlich 
syrupartige, farblose Flüssigkeit ab, welche einen sauren, der 
Essigsäure etwas ähnlichen Geruch besitzt, und deren Zusam- 
mensetzung, welche durch die Analysen ermittelt worden ist, 
durch die Formel C° H° O® auszudrücken ist. Dafs die Säure 
unverändert destillirbar ist, geht daraus hervor, dafs sowohl aus 
dem wässrigen Destillat, als auch aus der destillirten reinen 
Säure das schön krystallisirbare Zinksalz wieder hergestellt wer- 
den konnte. 

Sättigt man die Säure mit Baryt, so entsteht ein ebenfalls 
krystallisirbares Barytsalz, das noch leichter in Wasser löslich 
ist, als das Zinksalz, aber nicht, wie dieses, Krystallwasser auf- 
nimmt. Es besteht aus C°#? 0°’ +ba0. 

Diese Säure könnte ea Weise Methylglycolsäure sein, 


der die rationelle Formel a B,H }o' angehören würde. Dann 


mülste sich daraus, wenn sie mit überschüssigem, in Alkohol ge- 
lösten Natronhydrat gekocht würde, glycolsaures Natron bilden. 
Der Versuch lehrte aber, dals dem nicht so ist, dals vielmehr aus 
dem erhaltenen Natronsalz das schön krystallisirende Zinksalz 
mit Leichtigkeit wieder erhalten werden kann. Hr. Heintz 
hat dieses so wiedergewonnene Salz analysirt, und seine Zusam- 
mensetzung unverändert gefunden. 

Hiernach ist also das Methyl in der Verbindung innerhalb 
des Radikals enthalten, wie auch das Chlor in der Monochlor- 
essigsäure, an dessen Stelle aber bei der Bildung der neuen 
Säure 1 Äquiv. Methyl und 2 Äquiv. Sauerstoff getreten sind. 
Dieser Umstände willen ist es wohl kaum zu bezweifeln, dafs 
die Säure eine einbasische ist, wie die Monochloressigsäure. 
Dem entsprechend enthalten die beiden bis jetzt untersuchten 
Salze derselben auf sechs Äquivalente Kohlenstoff nur ein Äqui- 
valent Metall, während sie neutral reagiren. Das Barytsalz ver- 
ändert sogar nach einiger Zeit die rothe Farbe empfindlichen 
Lakmuspapiers in ein schwaches Blau. Hr. Heintz schlägt 


C5H>0% 9°)or) 


vor, diese Säure, deren rationelle Formel hiernach ( 


sein würde, Methoxacetsäure zu nennen. 


vom 11. August 1859. 557 


Da die Methoxacetsäure flüchtig ist, so vermuthete Hr. 
Heintz, dafs die aus den monochloressigsauren Salzen durch 
Kochen mit Wasser entstehende Säure auch flüchtig sein möchte. 
Der Versuch hat diese Vermuthung vollkommen bestätigt. Kocht 
man monochloressigsaures Natron anhaltend mit Wasser in einem 
Destillationsapparate, so geht ein saures Wasser über, das mit 
Baryt gesättigt durch Verdampfen ein krystallisirbares Salz lie- 
fert, welches die Zusammensetzung des glycolsauren Baryts be- 
sitzt, nämlich durch die empirische Formel C* #? 0°’ +BaO 
ausgedrückt werden kann. Da an der Glycolsäure die Eigen- 
schaft der Destillirbarkeit noch nicht beobachtet worden ist, und 
ebenso nicht angegeben ist, dals sie sauren Geruch besitzt, ob- 
gleich man sie durch Abdampfen ihrer Lösung dargestellt hat, 
so vermuthet Hr. Heintz, dafs die aus Hippursäure gewonnene 
Glycolsäure von der aus der Monochloressigsäure dargestellten 
verschieden ist, dals beide Säuren nur isomer sind. Er behält 
sich vor, diese Vermuthung durch weitere Versuche zur Gewils- 
heit zu erheben. Sollte sie sich bestätigen, so dürfte der Name 
Oxacetsäure der passendste für die letztere Säure sein. 

Behandelt man Natriumäthylat mit Monochloressigsäure, so 
ist die Einwirkung ebenfalls sehr heftig. Es bildet sich Chlor- 
natrium und ein in Alkohol lösliches Natronsalz einer organi- 
schen Säure, Äthoxacetsäure, aus welchem sich das Zinksalz 
erzeugen lälst, wie aus dem methoxacetsauren Natron. Dieses 
Salz in Krystalle zu verwandeln, gelang jedoch Hrn. Heintz 
nicht. Er hat es nur in Gestalt eines Syrups darstellen können. 
Er erzeugte daraus deshalb mittelst Schwefelwasserstoff die freie 
Säure, die wie die Methoxacetsäure mit den Wasserdämpfen flüch- 
tig ist, und einen ähnlichen Kochpunkt hat, wie diese Säure. 
Merkwürdiger Weise schien er niedriger zu sein, etwa bei 
190° C. zu liegen. Indessen ist der Versuch bis jetzt noch mit 
zu wenig Substanz ausgeführt worden, als dafs er entscheidend 
sein könnte. Aus dieser destillirten Säure stellte Hr. Heintz 
das Barytsalz dar, das jedoch erst, und zwar in nur sehr kleinen 
mikroskopischen Krystallen krystallisirte, als die Flüssigkeit einen 
dicken Syrup bildete, daher nicht durch Umkrystallisiren gerei- 
nigt werden konnte. Aus der Alkohollösung schlug sich das- 
selbe auf Zusatz von Äther in Form feiner, blättriger, perlmut- 


558 Gesammtsitzung 


terglänzender mikroskopischer Krystallchen nieder. Das so ge- 
wonnene Salz war aber nicht rein, denn es lieferte durch Glü- 
hen im Mittel 59,5 pC. kohlensauren Baryt, während das Baryt- 
salz der Säure C®H° O®, die sich gebildet haben mulste, nur 
57,43 pC. kohlensauren Baryt hinterlassen durfte. Hr. Heintz 
vermuthet, dals der zur Darstellung dieser Säure benutzte Al- 
.kohol nicht vollkommen wasserfrei war, und dafs deshalb etwas 
Oxacetsäure der Äthoxacetsäure beigemengt war. Die angege- 
benen Versuche lassen jedoch kaum noch einen Zweifel, dals 
diese letztere Säure bei dem angegebenen Versuche gebildet 
worden ist. Hr. Heintz ist im Begriff, in anderer Weise die 
Reindarstellung der Säure zu versuchen. 

Auch auf Natriumamylat wirkt die Monochloressigsäure leb- 
haft ein. Es bildet sich ebenfalls Chlornatrium und das Natron- 
salz einer gleichfalls mit den Wasserdämpfen flüchtigen Säure. 
Hr. Heintz suchte die neue Säure, die Amoxacetsäure auf 
dieselbe Weise zu reinigen, wie die Methoxacetsäure. Auf Zu- 
satz aber von schwefelsaurem Zinkoxyd zu der wässrigen Lösung 
des Natronsalzes fällt das Zinksalz als eine syrupartige Masse 
nieder, die mit Wasser, worin sie jedoch nur schwer, nicht un- 
löslich ist, gewaschen werden kann. 

Wird das in sehr verdünntem Alkohol gelöste Zinksalz 
durch Schwefelwasserstoff zersetzt, so entsteht die freie Säure, 
die auf Zusatz von noch mehr Wasser zum Theil gefällt wird. 
Sie ist eine ölartige Flüssigkeit, die bis jetzt noch nicht näher 
untersucht ist. Das aus der mit den Wasserdämpfen destillirten 
Säure gewonnene Barytsalz ist in Wasser nur schwer löslich, 
weshalb es leicht gereinigt werden kann. Doch ist es nicht aus 
der wässrigen Lösung krystallisirbar. Denn selbst beim freiwil- 
ligen Verdunsten seiner Lösung bleibt es als eine weiche kle- 
brige Masse zurück, die jedoch bei 100° C. getrocknet fest und 
zerreiblich wird. Die Analysen des amoxacetsauren Baryts führ- 
ten zu der Formel C'?H'?0° -+-BaO. Die Amoxacetsäure 
selbst kann daher durch G'* H'* 0% ausgedrückt werden. 

Läfst man Natriumphenylat auf Monochloressigsäure ein- 
wirken, so geschieht dieselbe Umsetzung, wie in den anderen 
Fällen. Das gebildete phenoxacetsaure Natron kann durch 
Schütteln mit Wasser und Verdunsten im Wasserbade von dem 


vom Al. August 1859. 359 


überschüssigen Phenylalkohol getrennt werden. Die wässerige 
Lösung dieses Salzes giebt mittelst Salzsäure einen ölartigen 
Niederschlag, der sich in einer grolsen Menge heilsen Wassers 
auflöst, und beim Erkalten dieser Lösung sich als ein Öl wieder 
ausscheidet. Filtrirt man aber die Flüssigkeit, wenn sie etwa 
20—25° C. hat und setzt man sie dann einer niederen Tempe- 
ratur aus, so scheiden sich daraus lange, flache und sehr dünne 
nadelförmige Krystalle aus, die auf dieselbe Weise umkrystalli- 
sirt werden können. Diese Krystalle schmelzen schon, wenn 
man sie der directen Sonnenwärme aussetzt, und sind destillirbar. 
Die Analysen der von Hrn. Heintz dargestellten Säure lehren, 
dafs dieselbe noch nicht rein war. Die gefundenen Zahlen lie- 
gen in der Mitte zwischen den Formeln C'® H°® 0° und 
C'°#'°0°. Hr. Heintz ist der Meinung, dafs sie aus einem 
Gemisch dieser zwei Säuren besteht. Bekanntlich ist der nicht- 
krystallirte, käufliche Phenylalkohol, der zu dem Versuche ver- 
wendet wurde, ein Gemisch von dem eigentlichen Phenylalkohol 
(C'?H° O0?) und dem Benzalkohol (C'*H? O°?). Aus erste- 
rem mufste durch die Monochloressigsäure die Phenoxacetsäure 
C'°H° 0°, aus letzterem die Benzoxacetsäure (C'® H'° 06) 
entstehen. Hr. Heintz ist im Begriff, Versuche anzustellen, 
um diese beiden Säuren von einander zu scheiden. 

Nach diesen Versuchen ist es keinem Zweifel unterworfen, 
dafs die Natriumverbindungen sämmtlicher Alkohole eine analoge 
Wirkung auf die Monochloressigsäure äufsern werden. So lie- 
fert die Reihe der Alkohole von der Formel C’H°+? O? Säu- 
ren von der Formel C’*+* H"+* O°, die Reihe der Alkohole von 
der Formel C°H°-° O? Säuren von der Formel C?+* H’-° 0%, 
Es ist aber sicher vorauszusetzen, dals auch alle übrigen alkohol- 
artigen Verbindungen in gleicher Weise behandelt die analoge 
Umsetzung erleiden und zur Bildung neuer Reihen von Säuren 
Anlafs geben werden. 

Selbst wenn man die Natronsalz@ organischer Säuren mit 
Monochloressigsäure erhitzt, bildet sich Chlornatrium. Ohne 
Zweifel entstehen daneben ebenfalls neue organische Körper, 
welche Hr. Heintz später zu studiren sich vorbehält. Bis jetzt 
hat er nur geschmolzenes essigsaures Natron auf Monochlores- 
sigsäure wirken lassen. Er hoffte auf diesem Wege Bernstein- 


560 Gesammtsitzung 


säure zu erhalten nach der Gleichung C* HB’E1O'-+(C'H’0O° 
+Na0)=EINa+C°H° 0°. Allein diese Säure hat er in 
den Produkten der Umsetzung nicht finden können, wohl aber 
Oxacetsäure. Er behält sich vor den Vorgang bei dieser Um- 
setzung so wie die physikalischen und chemischen Eigenschaften 
der entdeckten, neuen Körper genauer zu studiren. 


Hr. H. Rose theilte die Resultate einer Arbeit der Hrn. 
Heintz und Wislicenus über die Gänsegalle mit. Die 
einzigen bisher vorhandenen Untersuchungen derselben rühren 
von Tiedemann und Gmelin und von Marsson her, lassen 
aber die chemische Zusammensetzung ihrer wichtigsten organi- 
schen Bestandtheile noch vollständig im Dunkeln. 

Nach Abscheidung des in der Gallenflüssigkeit der Gänse 
enthaltenen Schleimes mit dem gröfsten Theile der Farbestoffe 
durch absoluten Alkohol, versetzten die Hrn. Heintz und Wis- 
licenus die alkoholische Lösung mit Äther. Durch diesen wer- 
den die Gallensalze pflasterartig gefällt, während Fette, und 
zwar Glyceride vorwiegend flüssiger Fettsäuren, und ein weilser 
in Nadeln krystallisirender, völlig neutraler, der Einwirkung von 
Kalilauge und Salzsäure gleich vollkommen widerstehender 
Körper gelöst bleiben. Letzterer tritt nur in sehr geringer 
Menge auf. 

Zur weiteren Reinigung des durch Äther gefällten gallen- 
sauren Salzes wurde dasselbe mehrmals mit einer concentrirten 
Glaubersalzlösung digerirt und gewaschen und nach dem Ver- 
dampfen im Wasserbade durch absoluten Alkohol ausgezogen. 
Durch wasserhaltigen Ather gefällt und längere Zeit sich selbst 
überlassen ging es in eine aus kleinen rhombischen, sehr zer- 
Niefslichen Tafeln bestehende Krystallmasse über, welche jetzt 
frei von Schwefelsäure, Chlor und Kali war. Sie bestand der 
Hauptsache nach aus dem Natronsalz der Taurochenocholsäure, 
war aber noch mit dem Salze anderer Säuren gemengt. Eine 
derselben wurde für sich erhalten, als der durch basisch essig- 
saures Bleioxyd in der wässrigen Lösung des Natronsalzes ent- 
standene Niederschlag durch Schwefelwasserstoff zerlegt, und die 


vom 11. August 1859. 561 


durch Abdampfen der von dem Schwefelblei abfiltrirten alkoho- 
lischen Lösung gewonnene feste Säure mit Wasser behandelt 
wurde. Die Taurochenocholsäure löst sich in demselben auf, 
während eine der Paracholsäure in Krystallform und Reactionen 
durchaus ähnliche weilse Masse zurückbleibt. Ob dieselbe mit 
der Paracholsäure aus der Ochsengalle identisch, oder der Gänse- 
galle eigenthümlich ist, konnte wegen Mangels an Material nicht 
ermittelt werden. 

Die auf oben beschriebene Weise dargestellte Taurocheno- 
cholsäure zersetzten die Hrn. Verf. durch Kochen mit einem 
grolsen Überschusse an Barythydrat und gewannen so als die 
beiden Hauptspaltungsprodukte Taurin und Chenocholal- 
säure, eine eigenthümliche, in Wasser und Äther unlösliche, 
schwer und dann nur in undeutlichen Formen krystallisirbare 
Säure, welche mit Kali ein in Wasser lösliches, mit den alkali- 
schen Erden und den Metalloxyden nur in Alkohol einigermalsen 
leicht lösliche Salze giebt. Das Barytsalz bildet, aus der alko- 
holischen Lösung durch Äther niedergeschlagen, nach einigem 
Stehen kleine glänzende Krystallnadeln, deren Analyse in Verei- 
nigung mit zwei Elementaranalysen der freien Chenocholalsäure 
für diese die Formel C,,#,,0, ergab. Die Chenocholalsäure 
ist danach der Hyocholalsäure homolog und unterscheidet sich 
von dieser durch ein Mehr von C,H.. 

Sobald sie wieder mit neuem Materiale in gröfseren Men- 
gen versehen sind, beabsichtigen die Hrn. Heintz und Wis- 
licenus die vorliegende Untersuchung von Neuem aufzunehmen 
und nach anderen Seiten hin auszudehnen. 


Hr. Pertz machte der Königl. Akademie folgende Mitthei- 
lungen: 

1) Die Denkschrift über den Versuch der Genuesen The- 
disius Doria und der Brüder Vivaldo zur Eröffnung des See- 
weges nach Östindien im Jahre 1291, welche ich der Akademie 
im verflossenen April mittheilte, hat auch aufserhalb Deutsch- 
lands, in England, Frankreich und natürlich am meisten in Ge- 
nua Aufmerksamkeit erregt. Der gelehrte und verdiente Ver- 


562 Gesammitsitzung 


fasser der Storia civile mercantile e letteraria dei Genouesi, Hr. 
Michel Giuseppe Canale in Genua, schrieb mir deshalb 
und benachrichtigte mich, dafs er in den Notariatsacten des 
Genuesischen Archivs unter anderen Schriftstücken, welche sich 
auf Thedisius Doria beziehen, eine Verhandlung vom 26. März 
1291 gefunden habe, worin der ihm zugehörigen beiden Gale- 
ren Erwähnung geschieht; die eine derselben hiels Sant Antonio, 
die andere Allegrancia. In einem zweiten Schriftstücke werden 
die verschiedenen Rheder der Galeere Allegrancia benannt. Hr. 
Canale macht dabei mit Recht bemerklich, dafs der Name Al- 
legrancia auch der einer der Canarischen Inseln sei. Es ist nämlich 
die nördlichste von Lanzeroto aus, zwar eine der kleinsten aber 
doch nicht die kleinste, und gerade diejenige, welche den von 
Norden her kommenden Seefahrern wahrscheinlich zuerst zu 
Gesicht kam. Es kann daher nicht bezweifelt werden, dafs sie 
ihren Namen von den Genuesischen Seefahrern im Jahre 1291 - 
erhielt, mithin diesen die Entdeckung der Canarischen Inseln 
nun mit Bestimmtheit zugeschrieben werden darf. Ich füge 
hinzu, dafs Lanzeroto dem in der Chronik des Doria erwähnten 
Gozzola gegenüber liegt. 

2) Bei meiner letzten Anwesenheit in London habe ich die 
Handschrift desGraniusLicinianus wieder angesehen. Die Blät- 
ter befinden sich in ungefähr demselben Zustande, wie ich sie 
im Jahr 1855 verliels, nur mit dem Unterschiede, dafs sie von 
der Syrischen Schrift gereinigt, und nach Sir Frederick Mad- 
dens Anordnung sorgfältig geebnet und geprelst sind. Hin 
und wieder zeigen sie die dem Pergament unschädlichen Spu- 
ren eines leichten kalkigten Anfluges, als Folge der An- 
wendung des Ammonium sulphuratum. Die über den Zustand 
der Blätter verbreiteten Gerüchte sind also, wie ich nach mei- 
ner Kenntnils der Wirkungen des chemischen Reagens stets 
überzeugt war und gesagt habe, leeres Gerede. Dagegen ist 
die durch den verewigten Ellis gemachte Erwartung, dafs 
noch weitere Blätter aufgefunden werden würden, unerfüllt 
geblieben, wenngleich weitere Erwerbungen aus dem Orient 
vielleicht künftig dazu führen können. 


vom 11. August 1859. 563 


Hr. Weber legte eine Mittheilung des Prof. W.D. Whit- 
ney in New-Haven, Connecticut, vor, vom 21. Juli, betreffend 
die in dem nächsten Bande (VI) des Journal of the Amer. 
Orient. Soc. zu erwartende Übersetzung des Süryasiddhänta. 

„Ich hoffe, dafs unser Werk ') sich als ein werthvoller 
Beitrag zu einem vollen Verständnils der indischen Astronomie 
erzeigen wird, werthvoller als irgend einer der bis jetzt erschie- 
nen ist. Sie werden bald selbst darüber urtheilen können, denn 
wir sind eben im Begriff die erste Hälfte (Cap. I—IM.) mit 
einigen andern Artikeln als den ersten Theil unsers sechsten 
Bandes zu publiciren. — Alle Ihre allgemeinen Schlüsse in 
Bezug auf den Ursprung der astronomischen Wissenschaft 
bei den Indern stehen sämmtlich fest. Ich kann mir nicht 
denken, dals fortab jemand etwa noch sollte zweifeln kön- 
nen, dals sie aus Griechenland stammt („/ do not see how 
any one can fail to acknowledge henceforth that it came 
from Greece”): aber sie ist auch vor-Ptolemäisch, oder aulser- 
Ptolemäisch. Ptolemaeus selbst — dies scheint mir sicher — 
hat nichts zu ihr beigetragen. Ich bin übrigens nicht gemeint, 
den Gegenstand der indischen Astronomie mit diesem Siddhänta 
fallen zu lassen. Ich besitze eine Handschrift der Cäkalya- 
Samhitä und ein oder zwei gedruckte Siddhäntas, und werde 
meine Untersuchungen von Zeit zu Zeit wieder aufnehmen. Zu- 
nächst indessen kommen meine Arbeiten über die Präticäkhya, 
Prof. Hall ist auf seiner Rückreise von Indien und wird in die- 
sem Monat erwartet. Er bringt mir eine accentuirte Hand- 
schrift der Taittiriya-Samhitä, und so hoffe ich das Taittiriya- 
Präticäkhya nach dem des Atharvan aufnehmen zu können. 
Was Prof. Hall für die Zukunft für Pläne hat, weils ich nicht, 
hoffe aber er bleibt bei uns in Amerika. In diesem Falle wür- 
den wir etwas von einer Schule der Indischen Philologie auch 
auf unserer Seite des Oceans haben können: jedenfalls bringt er, 
wie ich vermuthe, eine werthvolle Sammlung von Sanskrithand- 
schriften mit sich.” 


') Die Übersetzung rührt ursprünglich von einem amerik. Missionar, 
E. Burgess, her, hat indessen bei der Herausgabe eine wesentliche Um- 
formung erfahren müssen. A, Ne 


564 Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 15. August 1859. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 

Bartholomäus’ v. Sct. Aegidius Chronik von Prag. Herausg. v. C. Höf- 
ler. Prag 1859. 8. Mit Begleitschreiben des Hrn. Dr. W. R. 
Weitenweber, Secret. der K. Böhmischen Gesellschaft der Wis- 
senschaften, d. d. Prag 20. Juli 1859. 

Drian, Aime, Observations meteorologiques faites a 9 heures du malin 
a l’Observatoire de Lyon du 1. Dec. 1855 au 1. Dec. 1857. 3. 
Fournet, Nouvelles observations sur le bleuissement des astres. (Mem. 

presente A l’Acad. de Lyon, 5. Avril 1859.) 8. 

Resume des observations recueillies en 1858, dans le bassin de la Saone 
par les soins de la Commission hydrometrique de Lyon. 15e annee. 8. 

Lamont, J., Magnetische Untersuchungen in Word- Deutschland, Bel- 
gien, Holland, Dänemark. München 1859. 4. 

Mattucci C., e R. Piria, Z/ nuovo cimento. Giornale de fisica, di chi- 
mica e scienze affıni. Tom. 1X. 1859 Mai und Juni. 1. Heft. 


Der vorgeordnete Hr. Minister Excellenz genehmigt unter 
dem 8. d. M. eine Ausgabe von 120 Rthlr. für 10 Exemplare 
von der Schlufslieferung des White Yajurweda aus den Mitteln 


der Akademie. 


Die Akademie erwählte die Hrn. Charles Hermite in 
Paris, Riemann in Göttingen und Ro senhain in Königsberg 
zu correspondirenden Mitgliedern in der physikalisch - mathemati- 


schen Klasse. 


15. August. Sitzung der philosophisch-hi- 
storischen Klasse. 
Hr. W. Grimm las über eine Thierfabel bei Ba- 


brius. 


18. August. Gesammitsitzung der Akademie. 
Hr. J. Grimm las über das Alter. 


Gesammtsitzung vom 18. August 1859. 565 


Hr. Magnus theilte im Anschluls an einen früheren Be- 
richt vom 25. October 1847 über die von Hrn. H. Knoblauch 
entdeckte und in ihren Gesetzen verfolgte Beugung der 
Wärmestrahlen neuere Untersuchungen desselben Verfassers 
über die in abwechselnd warmen und weniger warmen Stellen 
sich darstellende Interferenz der Wärme mit. 

Hr. Knoblauch hat Gangunterschiede beobachtet, die auf 
vier verschiedene Weisen hervorgebracht waren. 


1. Gangunterschied durch ungleiche Wegeslängen 
in einem und demselben Medium. 


Die von einem Heliostaten reflectirten, durch einen Spalt 
‘von 4 bis 6 Millimetern Weite in ein finsteres Zimmer eintre- 
tenden, Sonnenstrahlen fielen in 2,3 Meter Abstand vom Fen- 
ster auf ein Glasgitter, hinter dem eine achromatische Glaslinse 
aufgestellt war. Wurde eine quadratische Thermosäule (deren 
vordere Öffnung durch Flügel enger oder weiter gemacht wer- 
den konnte) in ungefähr 0,5 Meter Entfernung von der Linse 
durch die auf solche Weise entstehenden Interferenz-Spectra 
hindurchgerückt, so zeigten sich, je nach der Feinheit des Git- 
ters, an dem mit der Säule verbundenen Multiplicator, Ablen- 
kungen von 2,15° bis 18,5%, wenn die Säule in das mittlere 
weilse Feld eintrat. Die Multiplicator-Nadel kehrte auf ihren 
Nullpunkt zurück, wenn sich das Thermoscop im schwarzen Strei- 
fen zur Rechten oder Linken dieser Mitte befand. Sie stellte 
sich aber wieder auf 0,6° bis 0,7°, sobald das Instrument auf der 
einen oder andern Seite in das nun folgende erste Farben- 
spectrum eingerückt wurde. Bei sehr feinen Gittern war auch 
die kältere Stelle zwischen dem ersten und zweiten Spectrum 
mit Sicherheit nachweisbar. 

Am reinsten war die Erscheinung bei fein geritzten Berg- 
krystall-Platten, hinter denen die Angabe des Thermomultiplica- 
tors für die weilse (2,5”” breite) Mitte 2°, im dunkeln (9,0 
breiten) Streifen neben derselben 0°, im ersten (8,5"” breiten) 
Spectrum 1,25°, im zweiten (1,25”” breiten) dunkeln Streifen 0° 
und im zweiten (15,0”” breiten) Spectrum 0,37° betrug. 

Die höchsten Intensitäten wurden erhalten, als der Verfas- 
ser, um die Absorption der durchstrahlten Medien möglichst zu 

[1859.] 40 


366 Gesammtsitzung 


vermindern, sowohl ein Steinsalzgitter als auch eine Steinsalz- 
linse zu den Versuchen anwandte. Bei einem solchen Gitter 
(welches 600 Linien auf den Zoll enthielt) betrug die Ablen- 
kung für die Mitte 31,0° und für das erste Spectrum 1,5°, 
welche beide durch eine kältere Stelle, der eine Ablenkung von 
0,3° entsprach, getrennt waren. Bei einem feineren Gitter wurde | 
für die Mitte eine Ablenkung ven 17,25° für das erste Spectrum 
von 3,5° beobachtet, zwischen beiden nur 0,5%. Die beim 
Steinsalz an den dunkeln Stellen bleibenden Ablenkungen rüh- 
ren von einer bei diesem Material unvermeidlichen Diffusion der 
Strahlen her. 

Da die angeführten Temperaturunterschiede auch dann nach- 
weisbar waren, wenn die Thermosäule beim Hindurchrücken 
eine gleiche Weite behielt oder selbst wenn sie in den dunkeln 
Stellen den Strahlen eine gröfsere Öffnung zukehrte als in den 
hellen, so sind jene Angaben sicher nicht zufälligen Nebenwir- 
kungen zuzuschreiben. 

Es war aus diesen Versuchen zugleich ein neuer Beleg für 
die Ausbreitung der Wärmestrahlen durch Beugung zu entneh- 
men. Denn während die sie einschlielsenden Grenzen ohne 
Gitter an dem Orte der Messung z. B. 2,5 Millimeter von ein- 
ander abstanden, waren, nach dem Einsetzen des Gitters, in 
einer Entfernung von 300 Millimetern auf jeder Seite von der 
Mitte, d. h. also an Stellen, die von einander um 600 Milli- 
meter entfernt waren, die äulsersten Wärmegrenzen noch nicht 
erreicht. 


2. Gangunterschied bei gleichen Wegeslängen in 
Folge des Durchgangs durch einen Körper von 
ungleicher Dicke. 


Nachdem Interferenz- Streifen dadurch dargestellt worden, 
dals an Stelle des Gitters ein Interferenz-Prisma und an Stelle 
der achromatischen oder Steinsalzlinse eine cylindrische Glas- 
linse in den Gang der Sonnenstrahlen eingeschaltet worden und 
auch in diesem Falle die Thermosäule aufs Entschiedenste die 
dunkeln Stellen von den benachbarten hellen durch eine Ablen- 
kung von 0,25° gegen 1,25° am Multiplicator unterschieden hatte, 


vom 18. August 1859. 667 


wurde ein etwas conischer Glasstreifen hinter dem Interferenz- 
prisma eingeschoben, dergestalt, dals die durch eine Hälfte des- 
selben hindurchgegangene Wärme eine andere Glasdicke als die 
durch die andere Hälfte des Prismas hindurchgelassene zu durch- 
strahlen hatte. Durch diesen Vorgang trat eine Verschiebung 
der Interferenzstreifen ein, welche sich am Thermomultiplicator 
entweder dadurch nachweisen liels, dafs die ursprünglich auf das 
Wärme-Maximum eingestellte Thermosäule beim Einschalten jenes 
Glases sofort eine Temperaturerniedrigung erlitt oder dadurch, 
dals die auf die kälteren Streifen eingestellte Säule, in Folge des 
Fortrückens dieser Streifen, eine Temperaturerhöhung anzeigte, 
welche letztere um so bezeichnender ist, als ihr durch die Ab- 
sorption des eingeschalteten Glases entgegengewirkt wird. Der 
Einfluls der ungleichen Dicke des durchstrahlten Glases ist also 
in Betreff der Interferenz ein solcher, dals dadurch Stellen käl- 
ter werden, welche sonst wärmer sein würden, und umgekehrt. 


3. Gangunterschied durch ungleiche Reflexionen. 


Werden, nach dem Prinzip der Darstellung Newton’scher 
Ringe, die Sonnenstrahlen von einem an der Unterfläche con- 
vexen Flintglase und einem darunter befindlichen Planglase, wel- 
ches zur Hälfte aus Flint-, zur andern aus Crown-Glas besteht, 
'zurückgeworfen, während zwischen ihnen eine Flüssigkeit einge- 
schaltet ist, welche, wie Nelkenöl, schwächer brechend als Flint-, 
aber stärker brechend als Crownglas ist, so gelangen die Strah- 
len in dem einen Falle aus der stärker brechenden Substanz zu 
der schwächer brechenden, dann aber wieder zu der stärker bre- 
chenden; während sie in dem andern Falle beide Male von dem 
stärker brechenden Medium auf das schwächer brechende treffen. 
Wird die Interferenz-Erscheinung, welche optisch sich so dar- 
stellt, dals dort ein Ringsystem mit schwarzer, hier ein Ring- 
system mit weilser Mitte erscheint, mittelst einer Linse auf 
einem Schirm objectiv gemacht, und tritt alsdann die Thermo- 
säule an die Stelle dieses Schirms, so findet man in dem einen 
Centrum die Temperatur so niedrig, dafs die Multiplicator-Nadel 
nur um 0,5° abgelenkt wird, in dem andern dagegen so hoch, 


dals eine Abweichung von 3° erfolgt. Ähnliches wie beim Nel- 
40* 


568 Gesammtsitzung 


kenöl zeigt sich bei Lorbeer-, Anis-, Calmus- und Cassia-Öl, 
wogegen bei Lavendel-, Bergamott-, Citronen-Öl u. s. w. wie 
bei Wasser oder Luft, weil ihr Brechungsverhältnifs auch schwä- 
cher als das des Crownglases ist, beide Centra eine gleich nie- 
drige Temperatur haben. 

Wird die Doppelplatte aus Flint- und Crownglas mit einer 
von gewöhnlichen Spaltungsflächen begrenzten, Kalkspathplatte 
vertauscht, so erhält man, unter Anwendung der erstgenannten 
Öle, deren Brechungsverhältnils zwischen dem der ordentlichen 
und aufserordentlichen Strahlen im Kalkspath liegt, auch zwei 
Gruppen von Interferenz-Erscheinungen, welche jedoch nur von 
einander zu trennen sind, indem man ein Nicol’sches Prisma 
zwischen dem Interferenz-Apparat und der Thermosäule ein- 
schaltet. In dem einen Falle wurde (der schwarzen Mitte ent- 
sprechend) eine Ablenkung von 0,25°, im andern (entsprechend 
der weilsen Mitte) eine Abweichung von 2,5” beobachtet, je 
nachdem der Hauptschnitt des Nicol’schen Prismas und der des 
Kalkspatbrhomboeders um 90° gekreuzt oder einander parallel ge- 
richtet waren. Das Centrum der Ringe hatte bei jeder Stel- 
lung des Nicols dieselbe niedrige Temperatur, wenn zwischen 
dem convexen Flintglase und dem Kalkspath eine derjenigen 
Substanzen eingeschaltet wurde, deren Brechungsverhältnifs ge- 
ringer als das der aulserordentlichen Strahlen im Kalkspath ist. 


4. Gangunterschied durch ungleiche Geschwindig- 
keit doppelt gebrochener Strahlen. 


Zur Darstellung geradliniger Streifen mittelst Doppelbre- 
chung im Polarisationsapparat eignen sich am besten zwei, den 
natürlichen Pyramidenflächen parallel geschnittene, Bergkrystall- 
platten, welche so über einander gelegt werden, dafs ihre Haupt- 
schnitte einen Winkel von 90° mit einander bilden und die 
zwischen einen Glassatz und Turmalin oder Glassatz und Nicol 
eingeschaltet werden. Eine Linse liefert diese Streifen objectiv 
auf einen auffangenden Schirm oder die Thermosäule. 

Von besonderem Interesse erschien es, auf diesem Gebiete 
auch die Qualität der aus der Interferenz hervorgehenden Wär- 
mefarben zu untersuchen. Diese darzustellen, wurde ein Gyps- 
blättchen zwischen zwei Nicol’schen Prismen (von 85”” Länge 


vom 18. August 1859. 569 


und 42”" Durchmesser) angebracht. Die Prüfung selbst ge- 
schah mittelst diathermaner Körper, z. B. farbiger Gläser, wel- 
che der Reihe nach vor der Thermosäule aufgestellt wurden. 
Die Beobachtung ergab, dals die durch den Polarisations-Apparat 
und Gyps hindurchgegangenen Wärmestrablen bei gleicher 
Quantität in verschiedenem Grade die Fähigkeit besitzen, eine 
und dieselbe diathermane Substanz zu durchdringen, je nachdem 
die Hauptschnitte des polarisirenden und analysirenden Nicols 
einander parallel oder rechtwinklig gekreuzt sind und dafs beide 
Strahlengruppen sich von derjenigen unterscheiden, die bei einer 
Neigung der Nicols von 45° gegen einander auftritt und welche 
den Übergang der einen Wärmefarbe in die ihr complementaire 


bildet. 


Hr. Ehrenberg machte hierauf eine Mittheilung über durch 
Hrn. Premierlieut.a. D. Siemens vermittelte und ihm mitgebrachte 
Proben des Tiefgrundes im Rothen Meere bis zu 
2766 Fuls Tiefe, welche der Commandeur des englischen 
Kriegsschiffs Cyclops, Capit. Pullen, mit wissenschaftlicher 
Sorgfalt bei seinen Tiefmessungen gehoben hat. Diese 10 später 
weiter zu analysirenden Proben haben bereits erkennen lassen, 
dals das, keinen Fluls aufnehmende, Rothe Meer durch drei Eigen- 
thümlichkeiten in seinem Tiefgrunde sehr ausgezeichnet ist. Es 
fehlen seinen Bodenverhältnissen, bei grolsem Reichthum an 
kalkschaligen kleinen Lebensformen die kieselschaligen Polygastern 
in sehr auffallender Weise, ferner fehlen in diesen Tiefen sehr 
auffallend noch alle Polycystinen, welche bei Zankebar erst in 
weit grölseren Tiefen im indischen Ocean überwiegend masse- 
bildend sind (s. S. 560) und am interessantesten dürfte der Reich- 
thum an meist mikroskopisch kleinen Mollusken oder Pteropoden 
der im vorigen Jahre hier begründeten Gattungen Brachyspira 
samt Pleurospira und an Dentalium sein, indem die ersteren zur 
Erläuterung der Petersburger untersilurischen Panderellen (s. Mo- 
natsber. 1858 p. 336) einen bemerkenswerthen Anhalt geben. 


570 Gesammtsitzung vom 18. August 1859. 


An eingegangenen Schriften nebst dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Württembergische naturwissenschaftliche Jahreshefte. Jahrg. 15. Heft 3. 
Stuttgart 1859. 8. Mit Begleitschreiben des Hrn. Prof. Dr. F 
Kraufs, d. d. Stuttgart 25. Juli 1859. 

The American Journal of science and arts by Silliman and Dand 
Vol. XXVIII. Second series. No. 82. July 1859. New Haven 
1859. 8. 

Corssen, W., Über Aussprache, Vohalismus und Betonung der Latei- 
nischen Sprache. Band 2. Leipzig 1859. 8. 

Lachlan, R., A paper and resolutions in advocacy of the establishment 
of a uniform system of meteorolog. observations Ihroughout the 
whole American continent. Cincinnati, O.: 1859. 8. 

Weber, A., The white Yajurveda. Part III. no. 6. 7. Berlin 1859. 4. 

van Kessenich, le baron J. A. H. Michiels, De la musique (suite). 
Biuuremonde 1859, 8. , 


Nachtrag. 


Die Aristolochiaceae 
des 
Berliner Herbariums 
von Fr. KLOTzscn. 
Mit den lithographirten Tafeln I. und I. 
(Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse vom 2. Mai 1859.) 


Zu Carl von Linn@’s Zeiten existirten nur die von Tourne- 
fort aufgestellten und von Linn, dem älteren, in Bezug auf die 
wesentlichen Unterscheidungskennzeichen genauer präcisirten bei- 
den Gattungen Asarum und Aristolochia, welche gegenwärtig 
die natürliche Ordnung oder Familie der Aristolochiaceen be- 
gründen. 

Erst Anfangs dieses Jahrhunderts kam die von Loureiro 
aufgestellte Gattung Bragantia, und kurze Zeit darauf die Gat- 
tung Thotlea durch Rottböll hinzu. 

Während nun die beiden zuletzt genannten Gattungen, we- 
nigstens für die erste Zeit, ohne Zuwachs an neuen Arten blie- 
ben, wurden die Gattungen Asarum und Aristolochia von Jahr 
zu Jahr artenreicher. 

Die Gattung Asarum, welche schon in ihrem habituellen 
Charakter sehr conform erscheint, überträgt denselben auch auf 
die wesentlichen Kennzeichen, die von Tournefort und Linne 
richtig erkannt und mit ziemlicher Genauigkeit in ihren Veröf- 
fentlichungen angegeben wurden. Darum kamen keine hetero- 
genen Arten hinein, und diese Gattung erhielt sich in ihrer ur- 
sprünglichen Integrität. 

Nicht so verhielt es sich mit der Gattung Aristolochia, die 
von Haus aus in den Unterscheidungsmerkmalen unausreichend 
charakterisirt war. Diese Gattung, welche gegenwärtig eine 
ganze Tribus der Aristolochiaceen umfalst, konnte zu einer Zeit, 
in welcher die Species nur nach der Blattform und nach der 
Inflorescenz unterschieden wurden, und die, wie ich gefunden 


572 Nachtrag. 


habe neben habitueller Übereinstimmung, sehr oft in den we- 
sentlichen Kennzeichen grolse Verschiedenheiten darbietet, kaum 
genau festgestellt werden; zumal, als man zu jener Zeit noch 
gar keine Idee von einer geographischen Verbreitung der Pflan- 
zen hatte, die erst später durch A. v. Humboldt in einer eben 
so genialen, als fruchibringenden Weise für die Systematik in’s 
Leben gerufen wurde. Schon zur Zeit des Linn& war die 
Gattung Aristolochia eine Sammelstätte von Arten, die verschie- 
denen Gattungen angehörten. Auf diesen Umstand machte zu- 
erst Rafinesque in seiner medical Flora, die im Jahre 1828 
in Philadelphia erschien, aufmerksam. Er sagt: die Gattung 
Aristolochia erfordert eine durchgreifende Umgestaltung. So 
wie sie jetzt dasteht, gleicht sie eher der Repraesentation einer 
Familie als der einer Gattung. Er trennt nur drei Gattungen 
ab, und bringt den Rest der Arten von Aristolochia in 2 Un- 
tergattungen, deren erstere er Glossula nennt und durch ein- 
lappige zungenförmige Blüthen charakterisirt. Die zweite Un- 
tergattung nennt er Pistolochia und charakterisirt sie durch 
eine 2-lippige oder rachenförmige Blüthe. Von den drei neu 
aufgestellten Gattungen bezeichnet Rafinesque die erste 
als Siphisia, durch einen regelmälsig dreilappigen Blüthensaum 
charakterisirt, zu der derselbe Aristolochia Sipho, A. tripteris 
und Ä. tomentosa zieht. Die zweite nennt er Endodeca, 
schreibt ihr 12 Staubgefälse zu, und zieht Aristolochia dode- 
candra, eine nirgends publicirte Art, und fraglich Bigelow’s 
A. Serpentaria hierher. Die dritte Gattung, zu der er Aristo- 
lochia pentandra Jacg. als Typusspecies citirt und die er Ei- 
nomeia nennt, charakterisirt er durch 5 Staubgefälse und eine 
fünffächrige Kapsel. 

Wenn der Werth eines geordneten Herbariums schon den 
Vortheil gewährt, dals er bei der Bestimmung von Gattungen und 
Arten, durch Vergleichung der Originalexemplare, in höchster 
Instanz entscheidet, so tritt dieser Vortheil, den grolse Samm- 
lungen bieten, noch deutlicher hervor, wenn es sich darum han- 
delt, dieselben für monographische Arbeiten zu benutzen, Hier 
gilt der Satz: je mehr und je vollständigeres Material, um so 
gründlichere und tiefere Einsicht ist dem aufmerksamen Beob- 
achter in die Gesetze der Natur gestattet. 


Nachtrag. 573 


° 

Wie im gegenwärtigen Falle, bei den Aristolochiaceen, 
ereignet es sich auch bei anderen Pflanzengruppen, dafs man 
vor der Bearbeitung keinerlei Anhalten dafür hat, welcher Cha- 
rakter beständig und welcher es nicht sein wird; denn nur die- 
jenigen Kennzeichen sind constant, welche sich als solche be- 
währen und um dies zu erfahren, ist es nöthig ein grölstmög- 
liches Material nach allen Richtungen und Beziehungen zu er- 
forschen. Hierdurch eben stellt sich das Wesentliche vor dem 
Unwesentlichen heraus und man wird überzeugt von dem, was 
man als Unterscheidungsmerkmale für die Classification benutzen 
oder unbenutzt lassen kann. Ebenso, welche Kennzeichen in 
erster, zweiter, dritter und vierter Reihe Anwendung finden. 
Nicht die Beschaffenheit des Pflanzentheiles oder Organes ist es, 
das für die Classification herangezogen zu werden verdient, son- 
dern lediglich die Beständigkeit desselben. 

Bei den Aristolochiaceen war weder die Entwicke- 
lungsgeschichte, noch der Werth der Organe, welcher die Clas- 
sification beeinflulst hinreichend erkannt und es mulste daher 
beides erst erforscht werden. 

Diese Entwickelungsgeschichte ergiebt nun, dals das, was 
man sonst als Perigonium bezeichnete ein wirklicher Kelch ist; 
denn derselbe tritt als äulserster Kreis bei der frühesten Ent- 
wickelung in Form von 3, 5 oder 6 gesonderten Hökern auf, 
welche den Staubgefälsen einzeln oder paarweise opponiren und 
erst später sich zu einer Röhre vereinigen; nachher erscheinen 
die Staubgefälse in einem zweiten Kreise und zuletzt entwickelt 
sich der hervorragende Theil des Stempels im dritten Kreise, 
welcher das Centrum einnimmt. 

Es stellt sich ferner heraus, dals wir es hier mit einer wirk- 
lich apetalen Ordnung, wie sie auch von Robert Brown schon 
bezeichnet wurde, zu ihun haben, die einen verwachsenen Frucht- 
knoten mit Wandplacenten besitzt, bei denen die Scheidewände, 
die ursprünglich nur Stiele der Wandplacenten waren, sich erst 
später zu einer 4—5—-6fächrigen Frucht vereinigen, unächte 
oder falsche sind. 

Als wichtigste Kennzeichen für die Begrenzung der Ari- 
stolochiaceen gelten diese Wandplacenten; die um- 
gewendeten Eichen; die gynandrischen Staubge- 


574 Nachtrag. 


fälse, welche sich nur ın den Gattungen Asarum und Hetero- 
tropa von dem Griffelsäulchen gleichsam zu sondern versuchen; 
die mit einem fleischigen Endosperm versehenen Sa- 
men, an deren Spitze der sehr kleine kurze Embryo 
liegt; ferner die apetalen Blüthen; die klappige Knos- 
penlage des Kelchsaumes und die nach aufsen auf- 
springenden Staubbeutel. 

Als Kennzeichen zweiten Ranges, welche zur Begrenzung 
der Tribus sich eignen, tritt die Beschaffenheit des Grif- 
els hervor, der entweder fest oder hohl ist; ferner 
die Narbe, welche entweder scheibenförmig, strah- 
ig und im Centrum geschlossen oder aus aufrecht- 
stehenden oder zusammenneigenden Lappen besteht, 
welche im Centrum eine Höhle bilden, die einen of- 
fenen Kanal in das Innere des Fruchtknotens ver- 
mittelt. 

Als Kennzeichen dritten Ranges zur Begrenzung von Sub- 
tribus kommen die Staubgefälse in Betracht, nament- 
lich in Bezug auf ihre Stellung, Anheftungsweise 
und auf das Zahlenverhältnils derselben zur Narbe 
und deren Abschnitte. 

Als Kennzeichen vierten Ranges zur Begrenzung der Gat- 
tungen ist das Zahlenverhältnils sämmtlicher wesent- 
licher Blüthenorgane malsgebend. Die Form des Kel- 
ches, die an Mannigfaltigkeit Alles übertrifft, was man inner- 
halb einer Familie beobachten kann, dient nur zur Begrenzung 
von Gattungssectionen. In Folge dieser Auseinandersetzung wird 
man in den Stand gesetzt den Werth der von Rafinesque 
aufgestellten neuen Gattungen und Untergattungen zu beur- 
theilen. 

Seine Gattung Siphisia würde keinen Anspruch auf die Be- 
gründung einer neuen Gattung besitzen, basirte sie, wie die 
Angabe lautet, lediglich auf dem regelmälsig dreilappigen Kelch- 
saum. Allein es treten zwei andere Momente hinzu, die nicht 
nur dafür sprechen, das der Rafınesquesche Name, sondern auch 
die Gattung selbst fortbestehen mufs. Der Name mufs bleiben, 
weil die von Rafinesque zu Sipkisia citirten drei Arten einen 
übereinstimmenden Geschlechtsapparat besitzen, der sich zur Be- 


Nachtrag. 575 


gründung einer Gattung eignet, ferner weil er beständig ist und 
sich auch bei einigen ostindischen Aristolochien, so wie bei einer 
nordamerikanischen Form, wenngleich mit anderer Kelchform 
und habituellen Abweichungen, wiederholt. 

Was Rafinesque unter seiner Gattung Endodeca ver- 
stand, ist eher zu vermuthen, als mit Bestimmtheit nachzuweisen. 
Einmal trifft der von Rafinesque gegebene Charakter, wo- 
nach sich 12 Staubgefälse bei Endodeca finden sollen, nicht zu; 
ja in der ganzen Aristolochieengruppe ist kein Dodecandrist an- 
zutreffen. Auf der anderen Seite ist nicht abzuleugnen, dafs es 
Zeichner sowohl, als Botaniker gegeben hat, und noch giebt, 
die es versuchten die vierklappigen Staubbeutel als zweifächrige 
Antheren, die dicht neben einander gestellt sind, darzustellen. 
Drittens kömmt hier in Betracht, dals die von ihm herangezo- 
gene Endodeca dodecandra eine durchaus unbekannte Pflanze ist 
und es frägt sich sehr, ob Aristolochia Serpentaria Bigelow 
von A. Serpentaria L. wirklich generische Unterschiede zeigt, 
auch ob er überhaupt berechtigt war, die Linn£ische Art zu sei- 
ner Untergattung Glossula und die Bigelow’sche Art, wenn schon 
nur fraglich zu Endodeca zu bringen. 

Vergleicht man die beiden Abbildungen der A. Serpentaria, 
welche Bigelow und Barton gegeben haben, so drängt sich 
einem die Wahrscheinlichkeit auf, dafs diese beiden Darstellun- 
gen verschiedenen Arten angehören, doch einen generischen Un- 
terschied vermag ich nicht zu entdecken. Aulserdem zeigt die 
Analyse des Geschlechtsapparates von Aristolochia Serpentaria, 
Endodeca Berlandieri und A. brevipes in Übereinstimmung mit 
den beiden besprochenen Abbildungen eine sechslappige Narbe, 
während bei Siphisia eine dreilappige Narbe charakteristisch ist. 

Ich habe mich in Folge dieser sorgsamen Erwägungen ver- 
anlalst gesehen, Endodeca auf diejenigen nordamerikanischen Ari- 
stolochiaarten zu beschränken, welche die Schlangenwurzel des 
Handels liefern und deren Artenzahl von Rafinesque auf ein 
halbes Dutzend veranschlagt wird, während ich auf der anderen 
Seite beflissen war den Gattungscharakter in jeder Beziehung zu 
befestigen. 

Aristolochia pentandra Jacg., auf Grund welcher Rafi- 
nesque seine Gattung Einomeia aufstellte, deren Namenstamm 


576 Nachtrag. 


zu enträthseln, mir nicht gelungen ist, besitzt in der Form des 
Kelches nichts auffälliges, das auf eine generische Verschieden- 
beit von der echten Aristolockia schlielsen läfst. Bei ihr ist 
aber die Fünfzahl der Geschlechtsorgane eine normale und con- 
stante, Nicht nur Aristolochia pentandra, sondern auch noch 
zwei andere, von mir hierher gezogene Arten, welche zum Theil 
aus Mexico, zum Theil aus Westindien stammen, besitzen eine 
5-lappige Narbe, 5 Staubbeutel, 5 Wandplacenten und eine 5- 
fächrige kurz birnenförmige Kapsel. Sie machen gegenwärtig 
die Gattung Einomeia Rafinesque aus. 

Was jedoch die Untergattungen Glossula und Pistolochia 
Rafinesque anlangt, die nach ihm durch eine einlippige oder 
zungenförmige, respective zweilippige oder rachenförmige Blüthe 
unterschieden werden, so verdienen dieselben den Rang einer 
Untergattung oder Section nicht. Erstens, weil Einomeia, eine 
anzuerkennende Gattung mit drei Arten es mit einer grolsen 
Zahl der echten Aristolochien gemein hat einlippige oder zungen- 
förmige Kelche zu besitzen; zweitens, weil die bei Pistolochia 
als Typusarten herangezogenen Species zwei gut unterscheid- 
baren Gattungen angehören. Aristolochia Serpentaria L. ist 
nämlich von der Gattung Endodeca nicht zu trennen und Ari- 
stolochia rigens und Ä. bilabiata gehören einer auf Südamerika 
beschränkten neuen Gattung an, deren 6 Narbenlappen mit ihren 
zurückgeschlagenen Rändern auf ihren Rücken sechs Staubbeutel 
tragen und deren Kelchbasis der Fruchtknotenspitze stets schräg, 
nie gerade inserirt ist, 

Von den zwei Gattungen Trichopus Gärtner und Trime- 
riza Lindl., welche Endlicher fraglich, Lindley aber mit 
Bestimmtheit zu den Aristolochiaceen zieht, haben Bennet und 
Endlicher später Trimeriza zur Gattung Bragantia Lour. 
gebracht. Trichopus hingegen mufs von den Aristolochiaceen 
ausgeschlossen und der Monocotyledonen - Ordnung Dioscoreae 
zugeführt werden. 

Der verstorbene Griffith, ein scharfer Kritiker und sorg- 
fältiger Beobachter, hatte ermittelt, dals die Gattung Bragantia, 
wie sie von Robert Brown, Bennet und Endlicher be- 
grenzt worden war, zwei Gattungen enthalte. Er stellte daher 
eine davon abgezweigte neue Gattung in den Ann. des sc. nat. 


Nachtrag. 977 


(3 Serie) vol. VII, p. 337 auf, die er Asipkonia nannte, hatte 
aber das Versehen begangen auf die von Loureiro aufgestellte 
Gattung Bragantia seine neue Gattung zu begründen, während 
er die abzuzweigende Gattung, die bis jetzt nur durch zwei 
Arten repräsentirt ist, als Bragantia bezeichnete. 

Aufser dem Material, welches mir das Berliner Herbarium 
bot, hatte ich noch einiges Interessante von dem Hrn. Professor 
Gustav Reichenbach aus Leipzig erhalten, dessen Untersu- 
chung nachstehende Resultate ergab. E 

Sämmtliche Aristolochiaceen zerfallen in zwei Tribus. Die 
erste Tribus Gleistostigmata, charakterisirt durch eine scheiben- 
oder strahlenförmige im Centrum geschlossene Narbe, einen 
walzenförmigen festen Griffel und freie Staubbeutel umfalst die 
Gattungen Asarum Tournef. mit 6 Arten, wovon vier Arten 
in Amerika, eine in Europa und eine im Himalaya zu Hause 
sind, Heterotropa Morren undDecaisne mit einer Species aus 
Japan, T’hottea Rottb. mit zwei Arten aus Ostindien, Bragantia 
Loureiro mit drei Arten aus Östindien und Cyelodiscus mit 
zwei Arten aus Java und Hinterindien. Die zweite Tribus Ari- 
stolochieae, charakterisirt durch eine drei-, fünf- oder sechslap- 
‚pige Narbe, welche im Centrum geöffnet ist, einen ausgehöhl- 
ten Griffel und 5—6 staubfadenlose Antheren, welche bei denen, 
die nur 3 Narbenlappen besitzen, je zu zweien mit dem Rücken 
derselben verwachsen oder da, wo sie in gleicher Anzahl mit den 
Narbenlappen auftreten, entweder einzeln mit den Narbenlappen 
oder unterhalb derselben mit dem Griffel verwachsen sind, enthalten 
die Gattungen Aristolochia L., Endodeca Rafin., Einomeia Ra- 
fin., Howardia Kl. (nec Weddel) und Siphisia Rafin. 

Aristolochia, wie sie nunmehr dasteht, hat ihre Antheren 
auf einem ringförmigen 6-gekerbten Gürtel, der sich unterhalb 
der 6 Narbenlappen befindet, befestigt, und zerfällt in zwei Un- 
tergattungen Podanthemum und Euaristolochia. Erstere hat un- 
terhalb der bauchigen Basis des Kelches einen verengten Fufs, 
der die Spitze des Fruchtknotens mützenförmig bedeckt. Von 
ihr sind mir 12 Arten bekannt, die in Ostindien zum gröfsten 
Theile, in einzelnen Arten aber auch auf den ostafrikanischen In- 
seln, den Sandwichinseln, den Philippinen, Japan und den nord- 
östlichen Theilen von Afrika ihre Heimath haben. Die zweite 


578 Nachtrag. 


Untergattung Euaristolochia, die unmittelbar mit ihrer ange- 
schwollenen Kelchbasis auf der Spitze des Fruchtknotens gerade 
aufsitzt, mulste, da sie sehr artenreich ist, wiederum in zwei 
Sectionen getrennt werden: nämlich in Oxyotus, den südeuro- 
päischen Aristolochien mit aufrechter Frucht und in Ancyelo- 
carpus mit einer nickenden Frucht, welche im Orient, Persien, 
Syrien, den griechischen Inseln, und vereinzelt in Algier und Si- 
cilien repräsentirt sind. 

Der Aristolochia zunächst steht die Gattung Endodeca Ra- 
fin., welche die Grenzen der vereinigten Staaten von Nordame- 
rika nicht überschreitet und sich nur durch den Mangel des 
Griffelgürtels, der die Antheren trägt, davon unterscheidet. 

Hieran reihet sich Siphisia Rafin., deren drei Narbenlap- 
pen auf dem Rücken zwei Staubbeutel tragen. Auch sie zer- 
fällt in vier Untergattungen, nämlich Eusiphisia, Nepenthesia, 
Pentodon und Brachycalyx. Erstere hat einen dreilappigen 
Kelchsaum und ist in Nordamerika zu Hause, die zweite, zu der 
Aristolochia saccata Wall. und noch zwei andere Arten gehö- 
ren, ist bis jetzt nur in Ostindien angetroffen worden, die dritte 
Untergattung, welche durch Aristolochia Thwaitesii Hooker re- 
präsentirt wird, ist auf der Insel Ceylon einheimisch und Bra- 
chycalyx, eine nordamerikanische Untergattung, die durch Ari- 
stolochia reticulata Nutt. vertreten ist. 

Einomeia Rafin., von der ich 3 Arten kenne, die zum 
Theil in Mexico, zum Theil auf den westindischen Inseln vor- 
kommen und die sich, wie bereits gesagt, durch eine 5-fächrige 
Frucht, eine 5-lappige Narbe und fünf Staubbeutel auszeichnet, 
bildet niedere windende Halbsträucher. 

Die artenreichste Gattung der Aristolochiaceen, welche sich 
lediglich auf Südamerika beschränkt, basirt ihre Unterscheidungs- | 
merkmale auf der schiefen Insertion des Kelchsaumes, an der man 
6 mehr oder weniger deutlich ausgesprochene zurückgebogene An- 
hängsel wahrnimmt, welche die Fruchtknotenspitze mützenförmig 
umfalst, ferner auf einer kreiselförmigen 6-lappigen Narbe, deren 
Lappen an den Spitzen zusammenneigen und deren seitliche 
Ränder zurückgeschlagen sind, auch auf dem Rücken, unterhalb 
ihrer Spitze je einen 2-fächrigen 4-klappigen linienförmigen 
Staubbeutel tragen. Die Formen des Kelches, welche in dieser 


Nachtrag. 579 


Gattung auftreten sind so mannigfach, dafs ich mich entschlie- 
fsen mulste 11 Sectionen zu bilden, welche dazu dienen werden 
das Auffinden der hierher gehörenden Arten zu erleichtern. 

Der Name Howardia, mit welchem ich die in Rede ste- 
hende Gattung belege, war zwar bereits von dem Dr. Wed- 
del im Jahre 1854 demselben berühmten englischen Quinologen, 
John Eliot Howard in London in einer abgezweigten Cin- 
choneengattung, die in den Annales des sc. nat. 4 Serie 1. pu- 
blieirt ist, gewidmet; da ich jedoch die Weddelsche Howardia 
schon ein volles Jahr früher in den Monatsberichten der Königl. 
Preufs. Ak. der W. am 15. August 1853 als Pogonopus be- 
‚schrieben hatte, gebot mir das Prioritätsrecht die Gattungsbe- 
zeichnung des Dr. Weddel einzuziehen, aber auch zugleich 
Bedacht zu nehmen den in jeder Hinsicht hochverehrten Hrn. 
Howard für die ihm von dem Dr. Weddel zugedachte Ehre 
zu entschädigen. 

Dies ist mir denn auch, wie ich glaube, gelungen; denn die 
Gattung, welche jetzt bestimmt ist seinen verdienstvollen Namen 
zu verewigen, enthält nicht nur sehr schöne Zierpflanzen, son- 
dern auch sehr wichtige Arzneien, und Hr. Howard ist nicht 
‚blos ein ausgezeichneter Quinolog, sondern auch ein tüchtiger 
Pharmacognost. 

Über die Arzneikräfte der aus dieser Familie hervorgehen- 
den Produkte haben Dr. Lindley und Hofrath von Martius 
durch die gegebenen Zusammenstellungen mich der Mühe über- 
hoben, näher darauf eingehen zu müssen. . 

Auch in Bezug auf die anatomische Structur des Stammes 
mehrerer Aristolochiaceen- Gattungen und Untergattungen, wel- 
cher der Jahresringe entbehrt und nicht selten lianenartig_ er- 
scheint, kann ich mich eines tieferen Eingehens enthalten, da 
es die Grenzen des mir vorgesteckten Zieles einer systematischen 
Aufklärung dieser Familie überschreiten würde. 

‚Aber in Bezug auf die Verwandtschaften der Aristolochia- 
.ceen und die Stellung betreffend, welche diese wohl begrenzte 
Familie im natürlichen System einnimmt, erlaube ich mir, nach- 
dem ich in kurzen Umrissen den geschichtlichen Gang, der bis- 
her leitend war, um sie in der Systematik unterzubringen einige 
Bemerkungen folgen zu lassen. 


580 Nachtrag. 


Anton Lorenz v. Jussieu (1791), bezeichnet die Gattun- 
gen Aristolochia, Asarum und Cytinus als eine besondere Ord- 
nung, die er Aristolochiae nennt und zu den apetalen Dicotylen 
bringt. 

Bartling (1830), der den Gattungen Ariszolochia und 
Asarum noch Bragantia Lour. und Thottea Rottb. nach dem 
Vorgange Robert Browns hinzufügt, bezeichnet diese Ordnung 
als Asarineae und vereinigt dieselbe mit den Balanophoreen, 
Cytineen und Tacceen zu seiner Klasse Aristolochiae. 


Lindley (1836) fügt noch die Gattungen Heterotropa 


Morr. und Decaisn., Hocquartia Dumort., Trimeriza Lindl. 
und Zrichopus Gaertn. (Trichopodium Lindl.) hinzu. Hoc- 
quartia ist aber von Siphisia Rafinesque nicht verschieden, 
Trimeriza nicht von Bragantia Lour. und Trichopus, wie ich 
bereits erwähnt habe, gehört zu den Dioscoreen, einer monoco- 
tylen Pflanzenfamilie. Zwar vergleicht er die Aristolochiaceen 
mit den Passifloraceen, Cucurbitaceen und Nepenthaceen, allein 
er ist vorsichtig genug, sie mit diesen genannten Ordnungen 
nicht in Verbindung zu bringen, noch darauf eine besondere 
Klasse zu gründen. 

Endlicher (1838), der die gründlichen Vorarbeiten R. 
Brown’s über diesen Gegenstand nicht genug würdigte, ob- 
wohl er denselben sonst aufrichtig verehrte, verfiel in den Feh- 
ler, die Aristolochiaceen und Nepentbaceen nur zu einer Klasse, 
die er Serpentariae nennt, zu verbinden. 

«A. Brongniart (1850) und Grisebach (1854) halten 
zwar im Gegensatz zur Jussieuschen Ansicht die Cytineen von 
den Aristolochiaceen auseinander und bilden aus diesen beiden 
Familien eine natürliche Klasse; allein sie sagen nicht, was sie 
unter Cytineen verstehen und welche Gattungen sie dahin zählen. 

Robert Brown, in seiner unübertroffenen Arbeit über 
Rafflesia zeigt, dals er tiefer in die Beurtheilung der Wesen- 
heiten, welche die Aristolochiaceen bedingen, vorgedrungen war, 
als sonst Jemand. Er, der erkannt hatte, dals Rafflesia und 
Cytinus, die in früherer Zeit als Cryptogamen, dann als Mono- 
cotyledonen, später als eine eigene gröfsere Abtheilung von 
Pflanzen gegolten hatten, wirkliche Dicotyledonen seien, war 
auch der erste, welcher auf die Verwandtschaft der Aristolochia- 


Nachtrag. 581 


ceen mit jenen beiden merkwürdigen Pflanzengattungen aufmerk- 
sam machte. 

Wenn nun auch in Bezug hierauf, in der neuesten Zeit, 
sich Irrthümer in die Wissenschaft geschlichen haben, so hat dies 
doch keinesweges seinen Grund darin, dals man im Stande wäre, 
diesem gröfsten aller Botaniker, auch nur den geringsten Fehler 
nachzuweisen, sondern darin, dals Gattungen, nur weil sie habi- 
tuell einige Ähnlichkeit mit Rafflesia und Cytinus zeigen, zu diesen 
Ordnungen gebracht wurden, von denen eine bedeutende Zahl 
nicht einmal zu den Angiospermen, sondern zu den Gymnosper- 
men gehört. 

Ferner hat Robert Brown beim Vergleich der Rafflesia 
und der Gattung Cytinus auch der Aristolochiaceen mit den 
Passifloraceen, Cucurbitaceen, Homalinaceen und Sterculia- 
ceen gedacht. Es könnte demnach scheinen, als habe er da- 
mit die citirten Ordnungen in den Bereich der Verwandtschaft 
der Aristolochiaceen ziehen wollen. Er thut dies aber nur 
in Bezug auf Nepenthes, Cytinus und Rafflesia, während er 
der Passifloraceen, Cucurbitaceen, Homalinaceen und Sterculiaceen 
ihrer eigenthümlichen Analogieen wegen, die sie mit den Ari- 
stolochiaceen äufserlich zeigen, blos erwähnt. 

Die innige Verwandtschaft der Aristolochiaceen mit Aaf- 
flesia und Cyiinus ist nach den schönen Beobachtungen von 
Robert Brown sicher und unbeschritten. Nicht minder darf 
man das von den Nepenthaceen behaupten, die in allen wichti- 
gen Kennzeichen, durch welche dieselben charakterisirt werden 
mit den Aristolochiaceen übereinstimmen, nur dals sie diöcisch 
sind und einen oberständigen Fruchtknoten besitzen. Bei der 
Gattung Heterotropa, einer echten Aristolochiacee, ist er aber 
ebenfalls beinahe oberständig. 

Die natürliche Klasse also, in welcher die Aristolochiaceen 
gemeinschaftlich mit den Nepenthaceen, den echten Cytineen und 
den wirklichen Rafflesiaceen Aufnahme finden, kann mit dem 
Namen Asaranthae bezeichnet und in die Nähe der Cucurbitaceen 
placirt werden. 


[1859.] Ai 


582 Nachtrag. 


ARISTOLOCHIACEAE Lindley. 


Char. emend. Flores hermaphroditi apetali. Calyeis tubus 
teres v. subangulatus, cum germine connatus, herbaceus, limbus 
superus v. subsuperus coloratus, interdum amplissimus, intus saepe 
pilosus v. ramentifer, nunc basi ventricosus v. incurvo-tubulosus, 
in ligulam obliquam productus v. regulari-trifidus v. ringenti- 
bilabiatus, germine stricto v. obliquo impositus, deciduus, laci- 
niis per aestivationem valvatis v. induplicatis. Stamina disco 
annulari, germinis apici imposito, v. cum styli v. cum stigmatis 
basi confluenti inserta, quinque, sex, octo v. plurima uni- v. ra- 
rissime biserialia; filamentis brevibus subinde inaequilongis ple- 
rumque nullis, liberis v. connatis; antheris extrorsis, biloculari- 
bus, connectivo v. in acumen producto superatis v. mutico v. 
annulları v. nullo, loculis appositis longitudinaliter dehiscenti- 
bus. Germen inferum, rarissime vertice breviter exserto semi- 


superum, sexloculare, rarius tri- v. quadri- v. quinqueloculare, 


placentis parietalibus deinde centro connatis et dissepimenta 
spuria formantibus. Ovula plurima, anatropa, simpliei- v. duplici 
serie inserta, adscendentia v. horizontalia. Stylus terminalis, 
brevissime columnaris, solidus v. fistulosus. Stigma discoideum, 
radiatum, centro clausum, v. erectum tri-quinque-sexlobum, cen- 
tro perforatum, lobis apice plus minus conniventibus. Fructus 
capsularis aut rarius baccatus subglobosus, oblongus, pyriformis 
aut interdum siliquaeformis, tri- quadri- quinque- sexlocularis 
spurio septicide dehiscens aut in quibusdam indehiscens. Semina 
in loculis plurima, rarissime abortu pauca v. subsolitaria, hori- 
zontalia sive adscendentia, subangulata; integumento membrana- 
ceo, dorso saepissime convexo, ventre excavato, ibique rhaphe 
carnosa v. suberoso-fungosa, hilum basilare cum chalaza apicali, 
interdum glandulosa conjungente, percursa. Embryo minutus, 
endospermi apice inclusus; cotyledonibus brevissimis, ante ger- 
minationem vix manifestis, radicula hilo proxima, infera. 

Herbae, saepius acaules, rbizomate repente v. tuberoso pe- 
rennantes, v. suffrutices aut frutices, non raro volubiles, ligno 
ezonato; caule simplici v. ramoso, tereti sive angulato, sulcato, 
nodoso -articulato, ad nodos saepe tumido. Folia alterna, pe- 
tiolo basi saepissime dilatato, semiamplexicauli, lamina circum- 


Nachtrag. 583 


scriptione admodum varia, plerumque cordata, penninervia v. pe- 
datinervia indivisa et integerrima, v. rarius pedatifida, saepissime 
reticulato nervosa; stipulae nullae v. interdum appositifoliae, squa- 
maeformes sive subfoliaceae. Flores in axillis foliorum solitarii v. 
interdum fasciculati, interdum racemosi, pedicellati. 


CONSPECTUS. 
I. CLEISTOSTIGMATA. 


Antherae liberae. Stylus solidus. Stigma discoideum v. ra- 
diatum, centro clausum. 


«@. AÄSARINEAE. 


Stamina alternatim minora. Calyx persistens. 

Limbus calycis urceolato-campanulatus, trifidus, lobis conni- 
ventibus; connectivis antherarum in acumen subulatum productis; 
filamentis liberis. ASARUM Tournef. 

Limbus calycis urceolatus, trifidus, lobis patenti-reflexis; 
connectivis antherarum brevibus conicis; filamentis brevissimis, 
basi in annulum connatis. HETEROTROPA Morr. et Decaisne. 


®. BRAGANTIEAE. 


Stamina subefilamentosa; antheris circa stylum verticillatis; 
stigmate discoideo, vertice plano v. verrucoso; germine pseudo- 
quadriloculari. Capsula quadrivalvis. 

Limbus calycis campanulatus, magnus, intus villosus; stami- 
nibus biserialibus; stigmate plano multiradiato; germine quadri- 
loculari. THOTTEA Rottb. 

Limbus calycis rotatus, tripartitus, parvus, intus pubescens; 
antheris circa stylum uniseriatim verticillatis; stigmate plano ver- 
rucoso; germine quadriloculari. BRAGANTIA Lour. 


%. ÜCYCLODISCINEAE. 


Stamina sex, filamentosa; filamentis basi monadelphis; stylo 
elongato cylindrico; stigmate trilobo, lobis oblongis. 

Limbus calycis profundo trilobus, fundo callo patelliformi 
instructus, lobis patentibus, intus glabris; lobis stigmatis erecto- 


divaricatis; germine quadriloculari. CxcLopıscus Klotzsch. 
41* 


584 Nachtrag. 


I. ARISTOLOCHIEAE. 


Antherae stylo v. stigmate adnatae. Stylus fistulosus. 
Stigma tri- quinque- v. sexlobatum, centro perforatum; lobis 
erectis, apice subconniventibus. 

Limbus calycis sublingulatus, apici germinis strieto imposi- 
tus; antheris sex, fasciae annulari sexcrenatae stylum circumdanti 
adnatis; stigmatis lobis sex; capsula pseudo-sexloculari polysperma. 

ARISTOLOCHIA Tournef. 

Limbus calycis tubulosus, superne ampliatus, recurvatus rin- 
genti-tridentatus, apici germinis stricto impositus; antheris sex, 
fascia annulari destitutis; stigmatis lobis sex; capsula pseudo-sex- 
loculari, polysperma. ENDODECA Rafin. 

Limbus calycis tubulosus, recurvatus, apice ringens v. pa- 
tenti-trilobus germini stricto impositus, antheris sex per paria 
lobisstigmatis adnatis; stigmatis lobis tribus lato-ovatis, apice conni- 
ventibus; capsula pseudo-sexloculari, polysperma. SIPHISIA Rafin. 

Limbus calycis tubuloso -lingulatus germini strieto imposi- 
tus; genitalibus pentameris. EınoMEIA Rafin. 

Limbus calycis variaeformis germini obliquo impositus; an- 
theris sex; stigmatis lobis sex erecto-conniventibus, margine re- 
flexis; capsula pseudo-sexloculari, polysperm.. HowaArnıa Kl. 


I. CLEISTOSTIGMATA. 


Antherae liberae. Stylus solidus. Stigma discoideum v. 
radiatum, tri-multilobum, centro clausum; lobis patentibus rarius 
erecto - divaricatis. 


a. AÄSARINEAE. 


Stamina 12, alternatim minora. Calyx persistens. 

I. Asarum Tournef. Calyx coloratus, urceolato-campanulatus, 
persistens, tubo cum ovario infero connato, fauce nuda, limbo tri- 
fido v. connivente y. patente, aestivatione valvato. Stamina 12, disco 
epigyno biseriatim inserta, libera, alternatim minora; antherae om- 
nes extrorsae, biloculares, connectivo subulato. ÖOvarium inferum 
sexloculare. Ovula adscendentia, plurima, anatropa, placentis sex 
parietalibus biseriatim affıxa. Stylus brevis, columnaris, solidus. 
Stigma sexlobum, centro clausum, expansum, lobis obtusis, emar- 


Nachtrag. 585 


ginatis. Capsula coriacea, calycis persistentis limbo superata, 
sexlocularis, (dissepimentis spuriis,) irregulariter dehiscens. Se- 
mina in loculis pauca, adscendentia, hince convexa, inde concava, 
rhaphe ventrali carnosa, in chalazam apicalem glandulosam desi- 
nente. Embryo in apice albuminis cartilaginei minimus; radi- 
eula infera. 

Herbae in America boreali, Europa et in montibus hima- 
laycis obviae, rhizomate repente perennantes; caulibus abbreviatis, 
basi squamosis, dichotomo-diphyllis; foliis cordato-reniformibus, 
solitariis v. geminatis; pedunculo in dichotomia unifloro; calyce 
coriaceo pubescente. 

a. Flores penduli. 

41. ASARUM HIMALAYCUM Hook. f. et Thoms. Mss. Caule 
repente gracili; foliis solitariis membranaceis suborbiculari- 
ovatis brevi acuminatis profunde cordatis longo petiolatis; 
Noribus pendulis; calycibus campanulatis trifidis, extus intus- 
que glabris, lobis brevi acutis reflexis; pedicellis erectis bre- 
vibus parce pilosis, apice villosis. 

Asarum himalaycum Hook. f. et 'Th. (Herb. Ind. or. 
Hook. f. et Thomson in Herb. Berol.) 

Folia 3—4 poll. longa, 14—3 poll. lata, supra sparsim 
puberula, subtus margineque adpresse articulato-pilosa. Pe- 
tioli 5—6 pollices longi, canescente pilosi. Calyx 8 lineas 
longus et 6 lineas in diametro. Pedicelli erecti, teretes, pol- 
licem longi, apice articulatim villosi. 

Hab. in montibus himalaycis (Sikkim) (Regio temp.) alt. 
9—12,000 ped. . Leg. J. D. Hooker f. 

b. Flores erecti. 

2. ASARUM ARIFOLIUM Mchx. Subglabrum; caule abbre- 
viato; foliis solitariis coriaceis subhastato-cordatis purpureo- 
maculatis glabris longo petiolatis, supra ad basin nervoso-pu- 
bescentibus; floribus erectis brevi-pedicellatis; calycibus tu- 
buloso-urceolatis glabris, limbi lobis ovatis obtusis apertis 
subobtusis. 

A. arifolium Mchx. Flora americ. I, p. 279. (A. virgi- 
nicum Walt., Flora carol. p. 143). 

Folia 15—2 poll. longa, 20 lineas—2 poll. inferne lata, 
deinde subtus pallido-sanguinea et undique glabra. Petioli 


986 


Nachtrag. 


demum glaberrimi 343—5 poll. longi. Calyx 7—8 lin. lon- 
gus, supra basin 3 lin. in diametro, limbi lobis 2 lin. lon- 
gis et latis. Pedicelli pollicares. 

Hab. in sylvis umbrosis Carolinae inf. 
A. virGinicum Mchx. Subglabrum; caule brevi adscen- 
dente; foliis coriaceis solitariis longo-petiolatis cordatis ro- 
tundato-ovatis submucronatis, basi evanescente nervoso - pu- 
bescentibus; petiolis semiteretibus, apice subpubescentibus; 
floribus erectis brevipedicellatis; calycibus campanulatis | 
tridentatis, extus intusque glabris, limbi dentibus brevibus 
obtusis patentibus. 

A. virginicum Mchx. Flora americ. I, p. 279. 

Folia 20 lin.—3 poll. longa et 18 lin.—2% poll. lata. Petioli 
2—5 poll. longi. Calyx 6 lin. longus, 4 lin. in diametro. 
Pedicelli 2—4 lin. longi. 

Hab. in sylvis umbrosis locis rupestribus Virginiae et 
Carolinae. 
A. GRANDIFLORUM Hort. Lodd. Subglabrum; caule elon- 
gato adscendente; folis geminatis subhastato-reniformibus 
membranaceis nervoso-puberulis; petiolis semiteretibus, supra 
puberulis; Aloribus extus intusque subtilissime puberulis erec- 
tis brevi-pedicellatis; magnis; calycibus tubuloso- campanu- 
latis brevi-trilobis, infra apicem subconstrictis, limbi lobis 
latissimis brevi-acutis erectis. 

A. grandiflorum Hort. Lodd. 

Folia 2%, poll. longa, ad basin 2% poll. lata. Petioli 
3% pollicares. Calyx pollicem longus, inferne 4 lin.-superne 
8 lin. in diametro. 

Hab. in Am. bor. (Specimen in horto Parisiensi excul- 
tum examinavi). 
A. Hookerı Fielding. Subpubescens; caule elongato re- 
pente glabro; foliis membranaceis geminatis lato - cordatis 
brevissime acutis, supra subtusque sparsim puberulis; petio- 
lis subtilissime pubescentibus longis; floribus erectis longius- 
culo pedicellatis; pedicellis subpubescentibus; calycibus elon- 
gatis urceolatis, basi inflatis, extus sparsim villosis trifidis, 
lobis ovato-oblongis subulato acuminatis; staminibus majori- 
bus tubum calycis aequantibus. 


Nachtrag. 587 


A. Hookeri Fielding Sertum plant. t. 32. (A. cana- 
dense var. @ Hooker Flora bor.-americ. II, p. 139). 

Folia 3%, poll. longa, 3% poll. lata. Petioli semipeda- 
les. Tubus calyeis 6 lin. longus, 4 lin. in diametro; lobi 
calycis 10 lin. longi, basi 3 lin. lati. Pedicelli 15—2 poll. 
longi. 

Hab. in America boreali-occidentali (Kinn, E. Belcher). 

6. A. CANADENSE Mchx. Pubescens; caule repente elongato 
glabrescente; foliis membranaceis geminatis cordato-renifor- 
mibus obtusissimis puberulis; petiolis longis robustis pu- 
bescentibus; floribus pedicellatis erectis; calycibus campa- 
nulatis trifidis, extus villosis, intus puberulis, laciniis ovato- 
acuminatis patenti-reflexis; pedicellis villosis. 

A. canadense Mchx. Flor. bor. americ. I, 279. Hoo- 
ker in Curt. bot. Mag. t. 2769. (A. carolinianum Walt. 

- Fl. carol. p. 143. A. latifolium Salisb. Prodr. p. 344). 

Folia 2—25 poll. longa, 3—5 poll. lata. Petioli 2—5 
poll. longi. Calycis tubus 6 lin. longus et in diametro, 
tobi 8 lin. longi et 3 lin. ad basin lati. Pedicelli sesqui- 
pollicares. 

Hab. in locis rupestribus umbrosis a Carolina usque ad 
Canadam. 

7. A. EUROPAEUM L. Pubescens; caule repente elongato pu- 
bescente; foliis carnosulis geminatis cordato -reniformibus 
pubescentibus; calycibus campanulato-urceolatis trihdis, ex- 
tus inferne villosis, superne pubescentibus, laciniis ovatis 
brevi acutissimis, apice subinflexis. 

Hab. in Europa, locis montosis. 

I. HETEROTROPA Morren et Decaisne. Calyx coloratus, 
urceolatus, trifidus, tubo magis inflato, intus foveolato-reticulato, 
basi cum ovario semisupero connato, fauce angustata, lobis cor- 
datis patenti-reflexis, aestivatione induplicatis. Stamina 12, disco 
perigyno ovarii parti liberae adnato inserta, sex exteriora (stig- 
matibus opposita); filamentis brevissimis, basi connatis; anthera- 
rum loculis lateralibus, connectivo submulico interposito sejun- 
etis; sex interiora alterna, filamentis subnullis, aniherarum locu- 
lis extrorsis, connectivo dorsali in acumen conicum producto 
contiguis. Ovarium semiinferum, pseudo-sexloculare ; ovula 


588 Nachtrag. 


plurima, parietalia, biserialia, adscendentia. Stigma stellatim ex- 
pansum, disciforme, profunde sexlobum, lobis subemarginatis ob- 
cordatis. Fructus ignotus. 

Herba japonica, habitu Asari; foliis binis profundo cordatis, 
obtusis, albo-maculatis; floribus axillaribus, solitariis v. geminis 
brevi-pedicellatis, folio abortivo bracteatis, intus sordide fuscis, 
faucis annulo albido. 

Heterotropa Morren et Decaisne, in Nouv. Ann. Soc. nat. 
v. II, p. 314. 

HETEROTROPA ASAROIDES Morren et Decaisnel. «. t. 
10, Graham, in Bot. Mag. t. 3746, Sir W. Hooker I. c. t. 4933. 
(Asarum virginicum Thunb. Fl. japon. p. 190, nec Mchx.). 

Hab. in Japonia. 

ß. BRAGANTIEAE. 

Stamina subefilamentosa; antheris circa stylum verticillatis; 
stigmate discoideo, vertice plano v. verrucoso; germine infero 
pseudo-quadriloculare. Capsula quadrivalvis. 

III. THoTTEA Rottb. (Char. emend.). Calycis tubus gracilis, 
tetragonus cum ovario adnatus, limbo supero campanulato -trifido 
colorato, aestivatione valvato. Stamina 16—40, circa stylum co- 
lumnarem biseriatim inserta; filamenta crassiuscula brevissima; 
antherae extrorsae, oblongae, biloculares, didymae. Stylus bre- 
vissimus, crassus; stigmate 6—12 lobo, centro clauso, lobis acu- 
tis, plus minusve longis, patentibus vel suberectis. Ovarium in- 
ferum, sublineare, cylindrico - quadrangulare, subhispidum, obso- 
lete 4-sulcum, utrinque attenuatum, quadrangulare; placenta 4, 
parietalia; ovula pauca, adscendentia, anatropa. Fructus siliquae- 
formis, utrinque attenuatus, subtortus, quadrangularis, quadri- 
valvis; valvis canaliculatis, extus carinato-costatis, leviter tortis, 
interjectis filamentis totidem repliformibus. Placenta carnosa 
4-gona, demum in centro libera. Semina pauca, oblongo-ovata, 
in concavitatibus placentae liberae seminidulantia,- pendula, uni- 
seriata, angulis placentae affıxa. Tegumentum exterius spon- 
gioso-cellulosum, superficie irregulari, interdum induratum, sub- 
osseum, superficie undulatum, brunneum, intus nitidum. Albu- 
men carnosum, copiosum, cavitati tegumenti interioris conforme. 
Embryo minimus, apicalis, ovatus, dicotyledoneus; radicula ver- 
sus hilum. 


Nachtrag. 589° 


Frutices Indiae orientalis erecti v. sarmentosi v. scanden- 
tes; caule flexuoso, articulato, ad nodos tumido; foliis magnis, 
alternis, estipulatis, brevipetiolatis, coriaceis v. chartaceis, pu- 
bescentibus v. glabris. Bracteae oblongo-lineares, subcarinatae. 
Flores amplissimi penduli ramosi v. dependentes subeymosi. 

Rottb. in Dansk. Vidensk. Selsk. Schrift. nye Saml. v. II, 
p- 230, t. 2. Griffith in Linnean Soc. Trans. v. XIX, p. 325, 
t. 36. (Lobbia Planchon, in Hooker, Lond. Journ. of Botany 
vol. VI p. 144. t. ID). 

1. THOTTEA GRANDIFLORARottb. Frutice erecto robusto, 
apice parce ramoso; ramulis pubescentibus, habitu anonaceo; 
foliis magnis coriaceis subdistichis oblongis v. obovato-oblongis 
obtuso acutis; racemis paucifloris ex axillis foliorum lapsorum 
nutantibus pubescenti-hirtis; limbo calycis maximo campanu- 
lato trifido membranaceo, extus hamoso-strigoso, intus vil- 
loso-arachnoideo; laciniis margine revolutis; germinibus dense 
hispidis. 

T. grandiflora Rottb. 1. c. Griffith |. e. 

Frutex 3—4 pedalis. Racemi 2—3 pollicares. Limbus 
calycis longitudine fere 5-pollicari, latitudine extrema 4-pol- 
licari. 

Hab. in sylvis Malaccae. 

2. T. DEPENDENS Kl. Frutice scandente sarmentoso glaber- 
rimo habitu piperaceo; foliis chartaceis oblongis attenuatis 
mucronulatis; spicis e sarmentis ad cicatrices veterum folio- 
rum dependentibus, vix bipollicaribus; rhachi compressa subdi- 
latata; limbo calycis urceolato-campanulato trifido glabro; ger- 
minibus subhispido-puberulis; stigmatis radiis sex subulatis sub- 
erectis. 

Lobbia dependens Planchon I. c. 

Folia 5—9 pollices longa et 15—2% pollices lata. Calyeis 
limbus pollicem longus, latitudine extrema unciali. 

Hab. in Singapore. 

IV. BRAGANTIA Lour. (Char. emend.). Calycis limbus parvus 
rotatus carnosus, basi planus trilobus, laciniis cordatis acutis, 
v. extus v. intus pubescentibus. Stamina 6—9, erecta, ciıca 
stylum columnarem uniseriatim inserta, triadelpha. Antherae sub- 
eflamentosae, biloculares, extrorsae, subcordatae, connectivo 


590 Nachtrag. 


magno, glanduloso-pubescenti; loculi distantes, lineares, longitu- 
dinaliter dehiscentes. Pollinis granula in aqua decidua. Stylus 
brevissimus columnaris. Stigma planum, verrucosum, discoideum, 
multi-lobatum. Ovarium cylindrico-tetraganum, 4-loculare, pu- 
bescenti-hirtum, loculis minutis cum angulis respondentibus; pla- 
centis cruciatim parietalibus, deinde in centro cohaerentibus; 
ovulis indefinite numerosis anatropis biseriatis minutis. Fructus 
siliquaeformis, 4-6-pollicaris, pendulus, subtorulosus, stipitatus, 
4-valvis, pubescenti-velutinus. Placenta 4-gona, ad parietes so- 
luta, in centro cohaerens. Semina vel valvis adhaerentia, vel 
inter angulos placentae fere immersa, saepe monile instar leviter 
cohaerentia, uniseriata, trigona, apice et basi et secus angulum 
tertium internum saepe membranaceo-alata, rugosa, papillosa, grisea. 
Tegumentum exterius crassiusculum, cerustaceum; superficies utra- 
que saltem rugosa; interius membranaceo-cellulosum, tenuissimum. 
Albumen carnosum. Embryo minutus, apicalis; radicula versus 
hilum. 

Frutices Indiae orientalis subscandentes piperiformes; ramis 
tumido -articulatis; foliis coriaceis alternis vel distiche subpaten- 
tibus vel pendulis estipulatis longiusculo-oblongis integerrimis 
acuminatis, basi obtusis vel cordatis, tri- quinduplinerviis, subtus 
plus minusve pubescentibus. Inflorescentia brevi cymoso-corym- 
bosa, axillaris vel terminalis; foribus spicatis vel racemosis in- 
conspicuis viridescentibus purpurascentibus vel livido -plumbeis, 
bracteatis. 

4. BRAGANTIA RACEMOSA Lour. Foliis lato-lanceolatis; spi- 
cis axillaribus, tubo calycis 9-sulcato; antheris 6. 

Griff. in Linn. Soc. Trans. XIX. p. 335. DB. racemosa 
Loureiro Flora cochinchinensis p. 508. 

Hab. in Cochinchina.' (Specimina non vidi). 

2.B. Waruıicuu Brown. Foliis elongato-oblongis acumi- 
natis, basi obtusis triplinerviis, supra nitidis glabris, subtus pu- 
berulis prominenti-nervosis; cymis brevibus axillarıbus hirsutis 
4—8 floris; limbo calycis subcampanulato purpureo, extus pu- 
berulo; bracteis .conduplicato-carinatis pubescentibus; staminibus 
9, triadelphis. 

B. Wallichii R. Br. in Wallich’s List n. 7415. Bennet, 
Plantae javanicae rar. v. I, p. 44. Trimeriza piperina Lindley, 


Nachtrag. 591 


(ex W. Arnott. et Bennet). Asiphonia Wallichii Griffith in 
Linn. Soc. Trans. v. XIX, p. 335. 

Folia 5—8 pollices longa, 14—18 lineas lata. Cymae se- 
mipoilicares. Limbus calycis 2 lin. longus, 2% lineas in diametro. 

Hab. in regionibus tropicis Indiae orientalis. 

3. B. CORYMBOSA Griffith. Subscandens; foliis oblongis 
acuminatissimis, basi subcordatis quinduplinerviis, subtus pubes- 
centibus; cymis terminalibus axillaribusque pubescentibus racemo- 
sis; floribus secundis; limbo calycis rotato dilatato, laciniis 3 
ovato-subcordatis brevi acutis, intus reticulatis, extus pubescen- 
tibus; bracteis linearibus setaceis minutis; staminibus 9. 

Asiphonia piperiformis Griff. in Linn. Soc. Trans. XIX, 
p- 333, t.37. Bragantia corymbosa Griffith 1. c. p. 335. 

Folia 5—6 poll. longa, 15—22 lin. lata. Cymae racemo- 
sae 27; pollicares. Calycis limbus 3% lineas in diametro. 

Hab. in provincia Malacca peninsulae Malayanae, ad margi- 
nes sylvarum primaevarum. 


Y- ÜCYCLODISCINEAE. 


Stamina 6, filamentosa, filamentis basi monadelphis. Stylus 
elongatus, eylindrieus; stigmate trilobo, lobis oblongis, obtusis, 
erecto-divaricatis, apice glanduloso-puberulis. Herbae vel suf- 
frutices. Folia ad apicem caulis 1—4 conferta. Spicae in infe- 
riori parte caulis laterales. 

V.Cxeronıscus Kl.) Calycis limbus campanulatus, trifidus, 
extus hispidus, intus nudus, atropurpureus, subcoriaceus, venosus, 
lobis triangularibus, aestivatione valvatis, in fundo processu pa- 
telliformi calloso auctus. Stamina 6; filamentis brevissimis, 
basi monadelphis cum stylı basi arcte connatis; antheris oblon- 
gis bilocularibus extrorsis connectivo interne adnato prominulo 
mucronulatis. Pollen parvum, laeve, subglobosum. Germen fii- 
forme, obsolete tetragonum, hispidum, pseudo-quadriloculare, lo- 
eulis pluriovulatis, ovulis anatropis primum parietalibus, deinde 
centralibus. Stylus cylindricus filamentis connatis parum lon- 
gior, apice in stigmata 3 divaricato-erecla linearia obtusa, apice 
glanduloso-puberula antheras superanfia divisus. Fructus sili- 


‘) Nomen e vocibus xux‘.og et Stexog compositum. 


592 Nachtrag. 


quaeformis, elongatus, angustus, tetragonus, pseudo - quadrilocu- 
laris; seminibus numerosis triquetris, utrinque sed praecique ad 
basin acutis, transversim sulcato-rugosis, serie simplici affıxis; 
testa crassiuscula fragilis; raphe per alterum seminis angulum 
ad chalazam parvam suborbicularem ducta; membrana interna 
tenuis; albumen semini conforme, copiosum, oleagineum; em- 
bryo minutus, cordato-emarginatus, prope hilum situs. 

Suffrutices javanicae et khasiyanae. Caules plures, basi de- 
cumbentes, subgeniculatim flexi, angulato-sulcati, hispidi. Folia 
ad apicem caulis 3—4, supremum longipetiolatum, inferiora 
brevipetiolata. Spicae in inferiori parte caulis laterales, erectae 
vel recurvatae, bracteatae. 

4. CYCLODISCUS TOMENTOSUS Kl. Foliis in summo caule 
duobus vel tribus, raro solitariis ovatis vel oblongo-ovatis vel sub- 
orbiculato-ovatis, brevissime mucronulatis, basi obtusis vel cor- 
datis, supra glabris laevibus, subtus tomentoso -puberulis promi- 
nente reticulatis; petiolis foliorum pubescentibus lateralium bre- 
vissimis, supremo longo; spicis in singulo caule 2—6, erectis 
hirsutis, dense bracteatis; bracteis persistentibus lineari-oblongis, 
extus hirsutis; floribus post anthesin deflexis. 

Ceramium tomentosum Blume Bijdr. p. 1134. Bragantia 
tomentosa Blume Enum. pl. jav. p. 82. Bennet, Plantae ja- 
vanicae rarior. p. 43. Griffith in Linnean Soc. Trans. v. XIX, 
p- 336. 

Suffrutex pedalis. Folia variabilia, tam 5 pollices longa et 
2 pollices lata, quam 4 poll. longa et 3 poll. lata. Spicae 2—3 
poll. longae. 

Hab. in Javae insula. (Blume, Horsfield, Zollinger sub 
n. 1075 ex herbario Gust. Reichenbach, Professor. Lipsiensis.) 

2. C. LATıFoLIuUs Kl. Foliis cordatis vel cordato-oblongis; 
spieis subrecurvis; limbi calycis laciniis dorso trinerviis. Griff. 

Trichopus? piperifolius Wallich sine descriptione. Bra- 
gantia latifolia Lindl., in Bot. Register new Series vol. V ad t.1543. 
Bragantia Khasiyana Griffith, in Linnean Soc. Trans. XIX, 
p- 336. 


Hab. in montibus Khasiyae. 


Nachtrag. 593 


UI. ARISTOLOCHIEAE. 


Stamina efilamentosa. Antherae stylo vel stigmatibus dorso 
adnatae. Stylus perbrevis, fistulosus. Stigma tri- quinque- vel 
sexlobum, centro perforatum, lobis erectis, apice subconniven- 
tibus. 


&. CALYCIS TUBUS CUM APICE- OVARII STRICTO IMPOSITUS. 


VI. ArıstoLocHIA Tournef. (Char. emend.). Calycis 
tubus cum germine connatus, limbo supero colorato, basi vel 
supra basin ventricoso tubuloso-lingulato siricto, vel tubuloso 
oblique-subringente incurvato, ad basin apodam, apici germinis 
ab ipso inarticulato stricto imposito vel stipato cum germinis 
apice clauso-articulato. Stylus brevissimus vagina annuliformi 
6-crenata cinctus. Stigma 6-lobum, lobis ovatis vel ovato-lan- 
ceolatis conniventibus margine planis. Antherae 6, biloculares 
quadrivalves, lato-oblongae, utrinque truncatae, connectivo annu- 
ları affıxae, circa stylum verticillatiim adnatae, crenis et lobis 
stigmatis oppositae. ÖOvarium inferum, oblongum, sexsulcatum, 
erectum vel pendulum, pseudo-sexloculare. Ovula plurima, ana- 
tropa, horizontalia, loculorum angulo parietali uniseriatim affıxa. 
Fructus capsularis, pyriformis, spurio-sexlocularis, pseudo-septi- 
cido-dehiscens, sexvalvis. Semina plurima, horizontalia; testa 
coriacea, membranaceo -marginata; raphe lata, fungoso -suberosa, 
infera, in chalazam apicalem impressam desinente. Embryo in 
apice axeos perispermii dense cornei minimus; radicula cen- 
tripeta. 

Herbae vel suffrutices erecti scandentes vel volubiles, in 
regionibus temperatis crescentes; foliis subintegerrimis, basi cor- 
datis; floribus axillaribus solitariis, rarissime aggregatis vel cy- 
moso-racemosis. 

a. EUARISTOLOCHIA, Calycis limbus stricetus vel incurva- 
tus, tubuloso-lingulatus vel tubulosus et apice obliquo-truncatus, 
subringens, basi sessili, cum apici germinis ab ipso exarticulato 
stricto impositus. 

aa. Oxyorus. Calyeis limbus strictus, lingulatus. 

1. A. BAETICA Linne, Species plant. p. 1363. 
Hab. ın Hispania et Creta. 


594 Nachtrag. 


2. A. pALLIDA Willd., Species plant. Tom. IV. Pars I. 
p- 162. 
Hab. in Italia et Croatia. 
3. A. PıstoLocuHıA Linne, Species plant. p. 1364. 
Hab. in Europa australi. 
4. A. LOnGA Linne, Species plant. p. 1364. 
Hab. in Europa australi. 
5. A. ROTUNDA Linne&, Spec. plant. p. 1364. 
Hab. in Europa australi. 
6. A. Cuemarıtıs Linne, Species plant. p. 1364. 
Hab. in Austria, Gallia, Tataria etc. 
bb. AncycLocArpus. Calycis limbus incurvatus, apice di- 
latatus, oblique truncatus, subringens. Flores axillares subpen- 
duli. Fructus deflexus. 
+ Caulis erectus, ramosus. 
7. A. AuchErii Jaubert et Spach, Illustr. plant. or. I, 
1.99. 
Hab. in Asia min. 
8. A. BILLARDIERI Jaubert et Spach, Illustr. plant. or. ], 
t. 100. 
Hab. in Syria. 
9. A. Oriwvierı Collegno, in Herb. de Candollei e Boiss., 
Diag. plant. or. fasc. V, p. 50. 
Hab. inter Bagdad et Kermanchah. 
40. A. AURICULARIA Boiss., Diagn. plant. or. fasc. V, p. 49. 
Hab. in Caria interiori. 
11. A. BoTTAE Jaubert et Spach, Illustr. plant. or. I, t. 98. 
Hab. in Armenia australi. 
42. A. TOURNEFORTU Jaub. et Spach, Illustr. plant. or. II, 
t. 128. 
Hab. in Asia minori. 
. 43. A. MACROGLOSSA Jaubert et Spach, Illustr. plant. or. II, 
t. 127. 
Hab. in Asia minori. 
44. A. MICROSTOMA Boiss. et Spruner, Diagn. pl. or. fasc. 
V, p. 50. 
Hab. in Atticae montibus, locis siccis lapidosis. 


16. 


47. 


18. 


=. 


20. 


21. 


22. 


23. 


24. 


Nachtrag. 595 


A. PAECILANTHA Boiss., Diagn. plant. or. Fasc. XH, 
p- 104. 
Hab. in Syria prope Damascum etc. 
A. SCABRIDA Boiss., Diagn. plant. or. Fasc. XII, p. 105. 
Hab. in Syria etc. 
A. ıBERICA Fischer et Meyer, Index sem. horti Petro- 
politani anno 1835, p. 30. 
Hab. in Cartalinia, Rossiae australis. 
A. HIRTA Linne£, Species plant. p. 1365. 
A. ponticola G. Ehrenberg Mss. 
Hab. in Syria. 
A. pontIcA Lamarck, Encycl. I, p. 253. 
Hab. in Ponto. 
A. CRETICA Lamarck, Encycl. I, p. 253. 
Hab. in Creta. 
A. BRUGUIEREI Jaubert et Spach, Illustr. plant. or. II, 
50429. 
Hab. in Persia et Assyria. 
++ Caulis volubilis vel scandens. 
A. GLAUCA Willd., Species plant. Tom. IV, Pars I, p. 
158. Desfont., Atl. 2, p. 324, t. 252. A. subglauca La- 
marck, Encycl. I, p. 254. 
Hab. in Hispania, Lusitania, Barbaria etc. 
A. SEMPERVIRENS Linn&, Species plant. p. 1363. 
Hab. in Creta Lusitania etc. 
A. ALTISSIMA Willd., Species plant. Tom. IV, Pars I, 
p- 158. Desf., Atl. 2, p. 324, t. 249. 
Hab. in Creta, Barbaria, Syria et Sicilia. _ 
b. PODANTHEMUM. Calycis limbus strietus, tubuloso-lin- 


gulatus, basi stipatus, apici germinis articulatim impositus. Flo- 
res axillares, solitarii vel ramosi v. cymosi, bracteis deciduis vel 
persistentibus suffulti. 


25. 


ARISTOLOCHIA INDICAL. Scandens; foliis obovatis glabris 
majoribus, basi lato-truncatis, apice rotundatis obtusis vel 
breviacutis; pedunculis brevibus cymosis axillaribus; sti- 
pite calycis angustissimo; calyce erecto, labio lanceolato 
obtuso tubo longiore; bracteis parvis ovato-lanceolatis acu- 
minatis concavis. 


596 Nachtrag. 


A. indica Linne, Flora zeylanica p. 323. | 

Folia 2—5 pollices longa, infra apicem pollicem — 35 
pollic., ad basin semipollicem — 2 pollices lata. Pe- 
tioli 3—6 lineas longi. Cymae peduneuli 3 lineas longi. 
Pedicelli 4 lin. longi. Calycis limbus bipollicaris. Fructus 
pyriformis, basi longi attenuatus. 

Hab. in India orientali. 

26. A. RoxBURGHIANA Kl. Volubilis; foliis ovato-oblongis 
acutis vel acuminatis, basi cordatis magnis; pedunculis axil- 
larıibus cymosis binis; pedicellis germinibusque puberulis; 
bracteis minutissimis ovatis acutis, extus hirsutis; calycis 
labio lanceolato acuto tubo longiore. 

A. indica var. £ Willd. Species plantarum Vol. IV, 
Pars I, p. 157. A. acuminata Roxburgh, R. Wight, Ic. 
plant. Ind. or. III, t. 771 nec Lamarck. Wäallich, Cata- 
logus n. 2704 a et n. 2705. 

Folia 4—6 poll. longa, versus basin 243—4 poll. lata, 
profunde cordata. Petioli 1—1% poll. longi. Cymae pe- 
dunculi semipollicares. Pedicelli 3—6 lineas longi. Brac- 
teae vix lineam longae. Calycis labium pollicem longum, 
tubus semipollicaris. Fructus pyriformis, bası longi atte- 


nuatus. 
Hab. ın India orientali. 

27. A. ACUMINATA Lamarck. Volubilis, glabra; foliis ovatis 
cordatis acuminatis; pedunculis geminis racemosis pauciflo- 
ris; pedicellis germinibus bracteisque undique glabris; brac- 
teis sessilibus submagnis lato-cordatis acutis; labio calycis 
oblongo obtuso mucronulato tubo longiore. 

Lamarck, Encyecl. I, p. 252. Willd. Species plant. Vol. | 
IV, Pars I, p. 252. 

Folia 3—5 poll. longa, 14—2% poll. lata. Petioli 
15—2 poll. longi. Aacemi 2 poll. longi, 2—5 flores, gla- | 
bri. Pedicelli 3—5 lin. longi. Bracteae 6 lin. longae, 5 
lineas latae. Calycis labium pollicem longum, tubus 9 lin. 
longus. 

Hab. in insula Mauritii. 

28. A. DEBILIS Sieb. et Zuccarini, Abhandl. d. math.-physik. 


Nachtrag. 597 


Klasse d. Königl. baierisch. Akad. der W. IV, 3, p. 197. 
Walpers, Repert. I, p. 594. 
Hab. in Japonia. 


. A. KarmprErı Willd., Species plant. vol. IV, pars I, 


p- 252. 
Hab. in Japonia. 


. A. LANCEOLATA R. Wight, Ic. plant. Ind. or. V, t. 1858. 


Hab. in India orientali. 


. A. HASTATA Jacquin. Volubilis, glabra; foliis oblongis 


obtusis vel subacutis hastato -Iyratis longiusculo petiolatis ; 
pedunculis axillaribus solitariis brevissimis unifloris; pedicello 
filiformi glabro, basi bractea minuta lato-lanceolata acumi- 
nata, utrinque glabra suffulto. 

A. hastata Jacquin, nec Kunth necNuttall. Aristolochia 
no. 2744, Zollinger, Plantae javanic. A. Jackü Steudel. 

Folia 2—5 poll. longa, ad basin 15,—3 poll., supra ba- 
sin 8—15 lin. lata. Pedunculi lineam longi. Pedicelli 3 
lin. longi. Fructus pyriformis, basi magis attenuatus. 

Hab. in Sumatra et Java. 


. A. TIMORENSIS Decaisne, Fl. timorensis p. 272. 


Hab. in Timor. 


. A. GaupıcHhaupu Kl. Volubilis, glabra; foliis lato - ovatis 


quinduplinerviis brevi cuspidatis, basi truncato -subcordatis ; 
peduneulis racemosis multifloris axillaribus solitariis; labio 
calycis elliptico acuto tubum aequante. 

Folia 4—5 pollices longa, 2—3 poll. lata. Petioli 
8—12 lin. longi. Racemi 6—8 flori. Bracteae sesquili- 
neam longae, apice recurvatae. Calycis labium 3— 4 lin. 
latum, 7—8 lin. longum. 

Hab. in insula Rawack. (Gaudichaud). 


. A. TAGALA Chamisso. Volubilis, glabra; foliis ovato- 


oblongis acuminatis auriculato-cordatis longi petiolatis triner- 
vis; racemis axillaribus solitariis pedunculatis multifloris ; 
pedicellis germinibus floribusque puberulis; bracteis minutis 
oblongis obtusis, intus glabris concavis, extus pubescentibus ; 
calycis labio lingulato obtuso longitudine tubi. 

Chamisso, in Schlechtendal’s Linnaea vol. VII, p. 207. 


[1859.] 42 


398 


39. 


36. 


37. 


38. 


Nachtrag. 


Folia 5 poll. longa, 2 poll. lata. Petioli sesquipollica- | 


res. Racemi bipollicares 10—20 flori. Bracteae lineam 
longae. Pedunculus 4 lin. longus. Calyx absque germine 
pollicem longus. 

Hab. in Luconia prope Tierram altam. (A.de Chamisso). 
A. BRACTEATA Retz. Suffruticosa, glabra, flexuosa, de- 
cumbens, inferne ramosa; foliis ovato-cordatis, margine cris- 
pato-crenatis, apice obtuso-rotundatis; floribus solitariis axil- 


laribus bracteatis; bracteis suborbicularibus cordatis pellu- 


cido-punctatis petiolulatis; calycis limbo ad faucem subauricu- 


lato, basi brevissime stipitato, labio oblongo brevi acuto tubo 
longiore. 

A. bracteata Retz. Observ. 5, p. 29, n. 80. 

Suffrutex 8—16 pollicaris. Folia in sicco conduplicata 
sesquipollices longa, basi 20 lin. lata. Petioli 8 lin. longi. 
Pedunculi vix lineam longi. Bracteae 3 lin. longae et latae. 
Pedicelli lineam dimidiam longi. Calyces 15 lin. longi. 


Hab. in Madras (Koenig, J. Hooker et Thomson). In 


Ceylon, (Thwaites, no. 2256). In Pondichery (Perrottet). 
A. BRACTEOLATA Lamarck, Encyel. I, p. 256. WVilld. 
Herb. no. 1780. 

Hab. in insula Mauritiı. 

A. ABYssInıcA Kl. Procumbens, glabra; foliis planis ova- 
tis obtusis hastato-cordatis, margine crenulatis, supra laete 
viridibus, subtus glaucis; bracteis reniformibus lato-rotun- 
datis in petiolulum attenuatis, margine obsolete denticulatis ; 
calycis limbo ad faucem ampliato recurvo, intus sparsim pu- 
berulo, labio oblongo mucronato, deinde margine revoluto 
tubo breviore. 

Folia 1,—2 pollices longa, ad basin 15— 20 lin. lata. 
Petioli 6—9 lineas longi. Peduneuli lineam longi. Pedi- 
celli 3 lin. longi. Calycis limbus 18 lin. latus.. Labium 10 
lin. longum et 3 lin, latum. 

Hab. in Togodele Habyssiniae (G. Ehrenberg). 

A. MAURORUM Linne&, Species plant. p. 1363. (A.crenata 
G. Ehrenberg, A. Kotschyi Hochstetter). 

Hab. in Syria (Tournefort), Arabia (G. Ehrenberg) et 

Nubia (Kotschy). 


Nachtrag. 599 


39. A. mıcropuyLLaA Willd. Volubilis, gracillima, pube- 
rula; foliis parvis ovatis cordatis acutiusculis vel obtusis; 
pedunculis axillaribus solitariis unifloris; pedicellis nullis 
bractea magna ovata obtusa munitis; germinibus brevi-villo- 
sis; calycis limbo tubuloso-lingulato, extus sparsim-, intus 
dense hispidulo, labio elongato obtuso tubo longiore. 

A. microphylla Willd., Enum. plant. horti bot. Ber. 
Suppl. p. 68. Herb. Willd. no. 17082. 

Folia 10—20 lin. longa, ad basin 10—12 lin. lata. Pe- 
tioli semipollicares.. Pedunculi 4 lin. longi. Bracteae 9 
lin. longae et 4 lin. latae. Limbus calycis 22 lin. longus. 

Hab. in India orientalı. 

40. A. PETERSIANA Kl. Fruticosa, volubilis, glaberrima; caule 
ramoso anguloso; foliis ovatis profundo cordatis obtusis vel 
acutis vel cuspidatis, margine obsoleto - crenulatis, supra sa- 
turato-viridibus, subtus glaucis; racemis in apice ramorum 
axillaribus solitariis 2—4 floris pedunculatis bracteatis; brac- 
teis magnis elliptieis mucronulatis, basi cordatis et lobis 
approximatis; calycis limbo tubuloso -lingulato, extus glabro 
longiusculo stipato, labio elongato -elliptico acuto, utrinque 
attenuato, intus sparsim puberulo tubum aequante. 

Frutex volubilis, ramosus, 4—6 pedalis. Caulis rami- 
que sulcato -angulati, crassitudine pennae anserinae ad pen- 
nam passerinam. Folia 2—2% poll. longa, ad basin 1—2 
poll. lata. Pedunculi 4—6 lin. longi. Pedicelli 3 lin. longi. 
Racemi bipollicares. Bracteae 6 lin. longae, 3 lin. latae. 
Limbus calycis 22 lin. longus. 

.j Hab. in Africa orientali, Rios de Sena, Tette. (W.Pe- 
ters). 

VII. EnpopecA Rafinesque. (Char. emend.) Caly- 
eis tubus cum germine connatus, limbo supero colorato tubuloso 
refracto, inferne ventricoso, apice ampliato ringente. Stylus bre- 
vissimus, annulo crenato destitutus. Stigma 6-lobum , lobis ova- 
tis subacutis conniventibus, margine planis. Antherae sex, bi- 
loculares, quadrivalves, circa stylum infra lobos stigmatis verticil- 
latim adnatae. Germen inferum, obovatum, 6-costatum , pseudo- 
sexloculare. Ovula plurima, anatropa, horizontalia, loculorum 

42° 


600 Nachtrag. 


angulo parietali biseriatim affıxa. Fructus capsularis, depressus, 

sexangularis, spurio-sexlocularis, pseudo septicido-dehiscens. Se- 

mina plurima, horizontalia, obovata, punctulata, nec membra- 
naceo-marginata. Embryo in apici axeos perispermii dense cor- 
nei minimus; radicula centripeta. 

Suffructices Americae borealis humiles subpubescentes; rhi- 
zomate repente brevi, apice gemmifero; radice fibrosa aromatica 
(apud medicos usus est); caulibus gracilibus flexuosis, inferne 
floriferis, superne foliosis; foliis membranaceis vel coriaceis, basi 
emarginatis; racemis ad basin caulis enatis unifloris, semper brac- 
teatis. 

Endodeca Rafınesque, Medical Flora of the united States I, 
p- 62. 

4. E. SERPENTARIA Rafin. Pedalis, erecta, ramosa; caule 
ramisque gracilibus striatis evanescente pilosulis, superne 
flexuosis; foliis subcoriaceis ovatis acutis cordatis trinerviis 
(sinu ampliato), utrinque sparsim pilosis, margine scabridis, 
supra saturato-viridibus, subtus pallidis; petiolis articulato- 
puberulis; racemis 1% pollicaribus unifloris 5— 6 bracteatis; 
bracteis ovatis cordatis acutis conduplicatis, extus intusque 
pubescentibus petiolatis; flore terminali nutante; calyeis 
limbo sordide rubro sparsim brevi piloso, labio bilobo; ger- 
mine brevi pubescenti-villoso. 

Endodeca Serpentaria Rafınesque, Medical Flora of the 
united States I, p. 62. (Aristolochia Serpentaria Bigelow, 
American medical Botany, 1817, I, t. 49). 

Folia 2—3 uncias longa, ad basin 15 lin.—2 poll. lata. 
Petioli superiores 3-lineares, inferiores 6-lineares.. KRacemi 
erecti sesquipollicares. Bracteae 2 lin. longae. Flores se- 
mipollicares. 

Hab. in America boreali. St. Louis, (G. Engelmann); 
Kentucky, (B. Matthes); Missouri, (Chas A. Geyer). 

2. E. Barronu Kl. Gracillima, bipedalis, flexuosa; caule vix 
ramoso evanescente puberulo; foliis tenui-membranaceis ha- 
stato - ovatis acuminatis polymorphis, margine utrinque spar- 
sim pilosis, supra laete viridibus, subtus pallidis, basi in pe- 
tiolum attenuatis; petiolis supra pubescentibus; racemis uni- 


Nachtrag. 601 


floris 2-pollicaribus erectis evanescenti pilosulis, versus api- 
cem pubescentibus remoto 3—4 bracteatis; bracteis oblongis 
acutis evanescenti puberulis, margine ciliatis ; floribus erectis 
violaceis sparsim pubescentibus; calycis labio subringente 
brevi tridentato. 

Aristolochia Serpentaria Barton, Medical Botany II, t. 28. 
Hayne, Arzneigewächse IX, t. 21. 

Foliorum forma valde varia, tam 3%, poll. longa et 14,— 
2 poll. lata, quam 35 poll. longa et 6—8 lin. lata. Petioli 
‚graciles flexuoso-patentes. Racemi pedunculi superne pubes- 
centes. Bracteae lineam longae. Flores semipollicares. 

Hab. in America boreali. 

3. E. PoLYRRHIZos Kl. Pedalis, puberula, superne denso 
foliosa; foliis hastato-lanceolatis longo-attenuatis minutissime 
sparsim et adpresso-pubescentibus, margine glabris, supra 
saturato-, subtus pallide-viridibus; petiolis brevibus pubescen- 
tibus; racemis erectis pubescentibus pollicaribus 4— 6 brac- 
teatis; bracteis ovatis sessilibus longiusculo - acuminatis, extus 
hirtis. 

Aristolochia polyrrhizos Plukn. t. 78, f. 1. A. hastata 
Nutt. nec Humb. Bonpl. Kunth. A. sagittata Mühlenberg. 
Folia 3 poll. longa, 4—7 lin. longa. Petioli 1—2 lin. 
longi. Bracteae 1!, lin. longae, semilineam ad basin latae. 
Hab. in Arkansas, (G. Engelmann). 

VIII. Sıpmısıa Rafinesque (Char. emend.) Calycis tu- 
bus cum germine connatus; limbo supero vario-inflexo; labio 
regulari vel ringente. Stylus brevissimus. Stigma trilobum, 
lobis lato-ovatis acutis, margine planis conniventibus. Antherae 
6, oblongae, utrinque truncatae, biloculares, quadrivalves, dorso 
lobis stigmatis per paria adnatae. Ovarium inferum, oblongum, 
6-costatum, pseudo-6 loculare. Ovula plurima, anatropa, hori- 
zontalia, pseudo-loculorum angulo parietali uniseriatim affıxa. 
Fructus capsularis elongatus spurio-sexlocularis, pseudo septicido- 
dehiscens. Semina plurima, horizontalia, compressa, subtrian- 
gulata. 

Frutices volubiles vel suffrutices humiles Americae borealis 
vel Indiae orientalis; foliis polymorphis subcoriaceis; floribus 


602 2 Nachtrag. 


extraaxillaribus solitariis aut racemosis ramealibus vel basilaribus, 
bracteatis vel ebracteatis. 

Siphisia Rafınesque, Medical Flora of the united States I, 
p- 62. 

a. Eusıpuisia. Limbus calycis longus, recurvatus. Labium 
regulare, patens, tridentatum vel trilobum. Frutices volubiles 
Americae borealis et centr. Flores rameales, solitarii, pedicellati. 

4. SIPHISIA TRIPTERIS Rafın. Volubilis, glabra; foliis ova- 
tis cordatis glabris; floribus parvis candidis; calycis tubo | 
angusto-trialato. 

Siphisia tripteris Rafın., Florula ludoviciana p. 24, Me- 
dical Flora I, p. 62. 

Caulis 10—20 pedalis. Folia 2 poll. longa et 15 lin. lata. 

Hab. in Louisiana. 

2. SIPHISIA TOMENTOSA Rafin. Volubilis, tomentoso-pubes- 
cens; caule evanescente pubescente; foliis magnis cordato- 
reniformibus latioribus quam longis obtusis, supra sparsim 
subtus denso pubescentibus; petiolis teretibus villoso -to- 
mentosis; pedicellis solitariis tomentosis ebracteatis; calycis 
limbo viridi trilobo, lobis intus flavidis. 

Siphisia tomentosa Rafınesque, Medical Flora I, p. 62. 
Aristolochia tomentosa Sims, in Curtis’s Botan. Magazine- 
t. 1369. 

Folia 3—6 poll. longa, 3,—7 poll. lata. Petioli 1—2 
pollices longi. Pedicelli pollicem longi. Calyx 2 pollices 
longus. Labium pollicem in diametro. 

Hab. in Missouri, (G. Engelmann). 

3. Sıpnısıa Sıpmo Rafin. Volubilis, glabra; foliis maxi- 
mis cordato-orbicularibus brevissime acutis, subtus sparsim 
puberulis; petiolis longis, basi tumidis; Aoribus solitariis 
longo pedicellatis; pedicellis infra medium bractea magna or- | 
bieulari-oblonga obtusa sessili munitis; ealyeis limbo viridi, 
labio orbieulari-tridentato, intus purpureo flavo-variegato. 

Siphisia Sipho Rafın., Medical Flora I, p. 62. (Aristo- | 
lochia Sipho Aiton, Hortus Kewensis III, p. 311. l’Herit. 
Stirp. 13, t. 7. A. macrophylla Lam. Encycl. I, p. 252. 

Hab. in montibus Aleghanis a Pensylvanıa ad Carolinam. 


Nachtrag. 603 


4. SıpHIsIA SERICEA Kl. 

Aristolochia sericeaBenth., Plantae Hartwegianae p. 81,n. 561. 

Hab. in Guatemala. (Hartweg). 

b. NEPENTHESIA. Limbus calyeis longus, reflexus, costatus. 
Labium ringens, obliquum, subpatens. Flores rameales race- 
mosi. Frutices volubiles Indiae or. 

5. SIPHISIA SACCATA Kl. Volubilis; caule ramoso ferrugineo- 
pubescente longissimo gracili; foliis ovato-cordatis vel lan- 
ceolato-cordatis magnis coriaceis, versus apicem attenuatis, 
supra deciduo-pilosis, subtus petiolisque pubescentibus; race- 
mis plurimis multifloris extraaxillaribus ferrugineo - pubescen- 
tibus ; bracteis obovatis obtusis, extus intusque ferrugineo- 
hirsutis; floribus praesertim in alabastro fusco -villosis; ger- 
minibus pallidofusco-pubescentibus inflexis. 

Aristolochia saccata Wallich, Plantae rariores II, 103. 
Ibid. Catalogue of indian plants n. 2707a. Graham, in Bot. 
Magazine t. 3640. 

Folia 6—15 poll. longa et 4—6 poll. lata vel 15 poll. 
longa et 4 poll. lata. Petioli 1—2 poll. longi. Racemi 
multiflori 15,—2 poll. longi. Flores 4—5 pollicares. Pe- 
dicelli 3—4 pollicares. Bracteae sesquilineares. 

Hab. in India or., Silhet, (Wallich); Khasiya, Sikkim, 
(Hooker f. et Thomson). 

6. SIPHISIA ANGUSTIFOLIA Kl. Volubilis; caule ramoso te- 
reti puberulo longissimo graeili; foliis elongatis acutis tripli- 
nerviis brevi-cordatis reticulato-nervosis, supra glabris, sub- 
tus nervoso-puberulis; racemis fusco-villosis. 

Aristolochia saccata, var. glabrata Herb. Ind. or. Hook. 
f. et Thomson. 

Folia 6—9 poll. longa et 2—3 poll. lata. Racemi 2 
poll. longi. 

Hab. in Khasiya Indiae orientalis (Hook. f. et Thomson). 

7. SIPHISIA PLATANIFOLIA Kl. Volubilis, glaberrima; caule 
gracili sulcato; foliis longo petiolatis cordatis palmatisectis, 
profundo trilaciniatis, lacinia media triloba, lateralibus bilo- 
bis, lobis acutissimis, supra laete viridibus, subtus glaucis, 
utrinque glaberrimis. E 

Aristolochia saccata? Hooker f. et Thomson, Herb. Ind. or. 


604 Nuchtrag. 


Folia 9 poll. longa, 8 poll. ad med. lata. Lacinia me- 

dia 7 poll. longa, ad basin 1% poll. lata, versus apicem 3% 

poll. lata. Laciniae laterales 5 poll. longae, 1%, poll. latae. 

Hab. in Khasıya Indiae or. (Hook. f. et Thomson). 

c. PEntopon. Limbus calycis longus, bis geniculato -in- 
curvus. Labium ringens, quinquedentatum. Suffrutex humilis 
Ind. or., basi floriferus, superne foliosus. Flores racemosi. Ra- 
cemi ad basin confluentes. Rhizoma tuberosum. 


8. SIPHISIA THWAITESU Kl. ZErecta, humilis; ramis veluti- 


nis; foliis oblongis cuneatis acutis versus basin longo -atte- 


nuatis, supra glabris, subtus sericeo-villosis; pedunculis sub- 


radicalibus; floribus racemosis oppositis; limbo calycis bis 
arcte geniculato -flexuoso; labio obliquo-truncato 5 dentato, 
intus copioso glanduloso-villoso. 

Aristolochia Thwaitesii W. Hooker, in Bot. Mag. 
t. 4918. 


Suffrutex 6—12 pollicaris.. Caulis pennae corvinae 


crassus. Folia 3 poll. longa, ad basin 2—3lineas, infra apicem 


12—14 lin. lata. Racemi ramosissimi, multiflori, basilares, 3 
poll. longi. Flores 23; poll. longi. 
Hab. in Ceylona (Thwaites). 

d. BRACHYCALYX. Limbus calycis oblongo-inflatus, apice 
constrictus. Labium ventricosum, obliquum, ringens, quinque- 
lobum. Suffrutex humilis, erectus Am. borealis. Caules inferne 
floriferi, superne foliosi. Spicae geminae, graciles, bracteatae, 
multiflorae. 

9. SIPHISIA RETICULATA Kl. Caule evanescente hirto humili; 
foliis coriaceis cordato-ovalıbus, inferioribus rotundatis, su- 
perioribus brevi acutis brevissime petiolatis, supra nervoso- 
puberulis, subtus magis prominenti-reticulatis pubescenti- 
nervosis, margine scabridis; spicis simplicibus geminis eva- 
nescenti-pubescentibus 8—10 floris; bracteis ovatis subcor- 
datis persistentibus acutis pubescentibus; pedicellis germini- 
busque pubescenti-villosis. 

Aristolochia reticulata Nuttall Mss. (Ex herb. Reichenb.) 
Suffrutex semipedem ad pedem altus. Folia 2—3 poll. 


Nachtrag. 605 


longa, 14—24 lin. lata. Petioli inferiores 2—3 lin. longi, 

supremus 6—8 lin. longus. Spicae 2—3 poll. longae. 

Bracteae 2—3 lin. longae, 1—1% lin. latae. Calycis limbus 

3—4 lin. longus. 

Hab. in Louisiana Americae borealis, (Nuttall, A. Gray). 
IX. EınoMEIA Rafin. (Charac. emend.) Calycis tubus cum 
ovario connatus; limbo supero tubuloso-lingulato, basi ventricoso 
germine stricto imposito; labio magis obliquo acuto exauriculato. 
Stylus brevissimus. Stigma tubulosum, elongatum, brevi quin- 
quelobum, lobis conniventibus acutis, margine subrecurvis. An- 
therae 5, biloculares, elongatae, utrinque obtusae, tubo stigmatis 
longitudinaliter adnatae, lobis stigmatis oppositae. Ovarium in- 
ferum, inferne attenuatum, pseudo-quinqueloculare. Ovula plu- 
rima, anatropa, horizontalia, pseudo-loculorum angulo parietali 
biseriatim affıxa. Capsula pseudo-quinquelocularis obovata, apice 
truncata, verlice usque ad basin pseudo-septicido-dehiscens. Se- 
mina plurima, triangularia, compressa, horizontalia. 

Frutieuli humiles ramosi subvolubiles mexicani vel in insulis 
Ind. occ. erescentes. Ramuli filiformes. Folia parva, plerumque 
basi cordata vel hastata. Flores axillares solitarii pedicellati. 
Pedicelli bractea muniti. 

1. EINOMEIA PENTANDRA Rafin. Volubilis, pubescens; caule 
retrorsum pubescente; foliis cordatis hastato-subtrilobis, su- 
pra evanescente puberulis, subtus nervoso-pubescentibus, 
lobis lateralibus divergentibus subrotundatis intermedio ob- 
tuso vel acuto duplo brevioribus; petiolis retrorsum pubes- 
centibus; floribus puberulis axillaribus solitariis, infra me- 
dium pedicelli bractea ovata cordata brevi petiolulata obtusa 
munitis; labio calycis recurvato ovato-lanceolato acuto tubo 
longiore. 

Einomeia pentandra Rafınesque, Medical Flora of the 
united States I, p. 62. (Aristolochia pentandra Linne, Spe- 

cies plant. 1361; Willdenow, Species plant. IV, P. J. p. 152, 

n. 5; Jacq., amer. p. 232, t. 147; Lamarck, Encyel. I, 

p- 252; Ramon de la Sagra, Flora cubana p. 194. Aristo- 

lochia hastata Humb. Bonpl. Kth., Nova gen. et spec. II, 

p- 117, no. 16.) 


606 


3. 


Nachtrag. 


Fructiculus sesquipedalis, ramosus. Rami tenues, dicho- 
tomi, 4—6 pollicares. Foliorum forma valde varıa, 6—18 
lin. longa, lobo medio 4—12 lin. longo, 4—8 lin. lato, 
lobis lateralibus 3—6 lin. longis et latis. Petioli 4—6 lin. 
longi. Pedicelli 4 lin. longi. Bracteae 3 lin. longae et 2 
lin. latae. Calycis limbus 9 lin. longus. 

Hab. in sylvis circa Havanam. 

EINOMEIA BERLANDIERI. Kl. Suffruticosa, ramosa, sub- 


pubescens; ramis tenuissimis suberectis pubescentibus; foliis 


subovato-oblongis obtusis vel acutis, basi angusto- cordatis, 
supra sparsim pubescentibus, subtus nervoso - pubescentibus; 
petiolis albido-pubescentibus; pedicellis infra apicem bractea 
ovato-lanceolata sessili, utrinque pubescente instructis; cap- 
sulis depressis puberulis, apice truncatis, basi subattenuatis. 

Berlandier, (1827), n. 203. 

Suffrutex pedalis. Rami semipedales. Folia inferiora 
cordato-subreniformia, 7 lin. longa, 5—6 lineas lata, supe- 
riora oblonga cordato-hastata, 6—18 lin. longa et 3—6 lin. 
lata. Petioli 3—4 lin. longi. Pedicelli 2% lin. longi. Brac- 
teae 1% lin. longae. 

Hab. in regno mexicano prope Tampico de Tamaulipas. 

(Berlandier). 
EINOMEIA BREVIPES Kl. Fruticulosa, ramosa, pubescens; 
ramulis filiformibus volubilibus pubescentibus; foliis parvis 
breviter petiolatis subreniformibus rotundatis, basi profunde 
cordatis subtilissime pubescentibus; fAloribus axillaribus soli- 
tariis pedicellatis; pedicellis apice bractea subrhomboidea 
obtusa semiamplexicauli conduplicata, extus pubescente mu- 
nitis; limbo calyeis hirtello incurvo, labio elongato obtuso 
tubum aequante. 

Aristolochia brevipes Bentham, Plantae Hartwegianae 
p- 15, n. 85. 

Fruticulus pedalis. Rami filiformes 9-pollicares. Folia 
9 lin. longa, 10 lin. lata. Petioli 3 lin. longi. Pedicelli 
1%, lin. longi. Bracteae 3 lin. longae, 2 lin. latae. Lim- 
bus calycis 7—9 lin. longus. 

Hab. in Mexico. (Hartweg). 


ı 


Nachtrag. 607 


£. CALYCIS TUBUS APICI OVARU OBLIQUO IMPOSITUS. 

X. HowardıA Kl. (nec Weddell). Calyx coloratus tubu- 
losus, tubo inferne cum ovario oblique connato, supra ovarium 
ventricoso, recto vel curvato, labio linugulato obliquo, vel recto, 
nunc ringente nunc bilabiato. Stylus brevis. Stigma elonga- 
tum, tubulosum, brevi sexlobum, lobis conniventibus acutis, mar- 
gine revolutis. Aniherae sex, biloculares, elongatae, utrinque 
obtusae, tubo stigmatis oppositae. Filamenta nulla. Ovarium 
inferum, elongatum, pseudo-sexloculare. Ovula plurima, ana- 
tropa, horizontalia, pseudo -loculorum angulo parietali biseriatim 
affıza. Capsula oblonga, pseudo -sexlocularis, sexvalvis, pseudo- 
seplicido-dehiscens. Semina numerosissima, compressa, margi- 
nata, triangularia, horizontalia. 

Fructices vel suffrutices Americae australis plerumque volu- 
biles. Foliorum forma valde varia, petiolata saepe stipulata. 
Stipulae persistentes vel deciduae. Flores axillares, solitarii, raro 
bractea muniti. 

a. Dipuarus. Calycis limbus magnus, ringens, bilabiatus. 
Folia subreniformia, longi petiolata. Stipulae magnae, foliaceae, 
amplexicaules, persistentes. Caulis volubilis. (Pistolochia Raf. 
‚et Endl. partim). 

1. HowARDIA RINGENS Kl. Glaberrima; foliis magnis reni- 
formibus rotundatis, supra laete-viridibus, subtus glaucescen- 
tibus; stipulis latissimis magnis rotundatis solitariis, basi cor- 
datis; calycis labio inferiore spathulato superiore lanceolato 
subduplo breviore. 

Aristolochia ringens Vahl, Symbolae IH, p. 99. A. 
grandiflora Vahl, (nec Swartz) Symbolae II, p. 94. t. 47. 
Herb. Wilid. n. 17058. 

Folia 3 poll. longa et 4% pollices lata. Petioli 1% poll. 
longi. Stipulae 9 lin. longae, 12—15 lin. latae. Limbus 
calycis 7 pollices longus. Labium superius 3 pollices lon- 
gum, inferne 4-apice 9 lin. latum. Labium inferius 5 polli- 
ces longum, in medio 16 lin. latum. 

Hab. ın insula Jamaica. 

2. HowarnıA HIANs Kl. Glaberrima; foliis magnis renifor- 
mibus cordatis, apice rotundatis vel brevissime acutis, supra 
saturate viridibus, subtus glaucescentibus rubro-venosis; brac- 


608 


Nachtrag. 


teis maximis amplexicaulibus cordatis, apice emarginatis; ca- 
Iycis labio inferiore orbiculato in pedem angustum brevi’ 
attenuato flavo-fusco, venoso-violaceo-fusco, superiore lan- 
ceolato acuto incurvo duplo breviore. 

Aristolochia hians Herb. Willd. n. 17059. 

Folia 3—5 poll. longa, 35—6 poll. longa. Petioli 1—2 
poll. longi. Stipulae pollicem longae, sesquipcllicem latae. 
Calycis limbus 9 poll. longus. Labium superius 6 pollices 
longum et 8 lin. inferne latum. Lamina labii inferioris 2 
pollices longa et 2% poll. lata. Pes laminae 15 lin. longus 
et 2 lin. latus. 

Hab. in Venezuela, (Moritz, E. Otto, H. Karsten, Goll- 

mer et Bredemeyer). 
HOoWARDIA BRASILIENSIS Kl. Glaberrima; foliis reniformi- 
cordatis rotundatis vel brevissime acutis, supra laete viridi- 
bus, subtus glaucescentibus; stipulis maximis cordato - ovatis 
obtusis glaucis amplexicaulibus; labio inferiore maximo, la- 
mina apicali orbiculari emarginata in pedem navicularem at- 
tenuata, superiore oblongo apiculato quadruplo breviore. 

Aristolochia brasiliensis Mart., Nova gen. et species I], 
p- 77. A. labiosa Ker, Bot. Reg. t. 689, Sims, Bot. Mag. 
t. 2545, excl. syn. 

Folia 3—4 poll. longa, 33—4% poll. lata. Petioli 3 poll. 
longi. Bracteae 15 lin. longae, pollicem latae. Limbus ca- 
lycis 8 pollices longus. Labium superius 15 lin. longum, 9| 
lin. latum. Lamina apicalis labii inferioris 4 poll. longa, 5 
poll. lata. Pes laminae 2% poll. longus et 15 lin. latus. 

Hab. in Brasilia. (Sello, Martius). In horto bot. Berol. 

anno i829 et 1830 excult. 
HOWARDIA GALEATA Kl. Glaberrima; foliis suborbicula- 
ribus cordato-reniformibus subobtusis; stipulis solitariis ro- 
tundatis cordatis amplexicaulibus; labio inferiore apicali am- 
plissimo emarginato, basi cordato pede angusto stipato, su- 
periore lanceolato acuto conduplicato paullulum breviore. 

Aristolochia galeata Martius, Nova gen. et species plant. 
I. p. 178. A.ringens Lk., Icones plant. select. p. 30. t. 13. 
A. labiata Willd. Herb. n. 17060. A. ornithocephala Hoo- 
ker, Bot. Mag. t. 4120. 


Nachtrag. 609 


Folia 3—5 poll. longa, 35—5% poll. lata. Petioli 14— 
25 poll. longi. Bracteae 15 lin. longae et 18 lin. latae. 
Limbus calycis 8 poll. longus. Labium superius 6 poll. lon- 
gum et 15 lin. latum. Lamina apicalis labii inferioris 3 poll. 
longa, 6 poll. lata. Pes laminae 2 poll. longus et 3 Iin. 
latus. 

Hab. in Brasilia prope Bahiam (Sieber, Sello, Martius, 

Luschnath, Gardner). 

5. HowARrDIA CYMBIFERA Kl. Glaberrima; foliis suborbicu- 
latis cordatis, rotundatis vel emarginatis, supra saturato-vi- 
ridibus, subtus glaueis; stipulis orbiculari-oblongis obtusis 
glaucis, basi cordatis amplexicaulibus; labio inferiore apice 
orbiculari-obovato in pedem angustum leviter attenuato, su- 
periore oblongo conduplicato apiculato magis recurvato paul- 
lulum longiore. 

Aristolochia cymbifera Martius, Nova gen. et species I, 

t. 49. A. orbiculata Arrabida, Flora flum. IX, t. 96. 

Folia 3—4 poll. longa, 4—5 poll. lata. Petioli 1—2 
poll. longi. Stipulae 1%; poll. longae, pollicem latae. Lim- 
bus calycis 7 poll. longus. Labium -superius 3 poll. lon- 
gum, 14 lin. latum. Lamina labii inferioris 2% poll. longa, 

3 poll. lata. Pes laminae 1% poll. longus et 5 lin. latus. 

Hab. in Brasilia. (Martius, Sello et Gaudichaud). 

b. STERIGMARIA. Calycis limbus maximus, unilabiatus, tubo 
sursum curvato longitudinaliter 6-sulcato, basi sexgibbo elongato- 
inflato, antice in tubum brevem attenuato, parte superiore as- 
surgente hinc saccato-globoso. Labium concavo-conchiforme, 
deinde planum, reticulato-venosum, integrum vel cordatum in 
‚caudam plus minus longam attenuatum. Frutices volubiles Ame- 
ricae australis. Folia cordata estipulata. Flores inodori, op- 
positifolii, infra germinem bractea persistente perfoliata muniti. 
6. HowARrDIA FOETENS Kl. Caule glabro; foliis lato-cor- 

datis acutis, subtus levissime pubescentibus glaucescentibus; 

bractea orbiculata; labio limbi calycis subplano longissime 
caudato. 

Aristolochia foetens Lindley, Bot. Reg. t. 1824. 

Hab. in insulis Indiae occidentalis, 


610 Nachtrag. 


7. HOWARDIA GIGANTEA Kl. Foliis cordatis acutis; bractea 
perforata acuta; ‘limbo calycis extus intusque glabro; labio 
brevi caudato. 

Aristolochia gigantea Martius, Nova gen. et species I, 

p- 75, t. 48, Hooker, Bot. Mag. t. 4221. 

Hab. in Bahia Brasiliae. 

8. HOoWARDIA GRANDIFLORA Kl. Foliis subpubescentibus 
lato-cordatis, apice attenuato - acutis; bractea perfoliata pu- 
bescente ovata, apice obtusa mucronulata, basi emarginata; 
calycis maximi tubo magis costato, extus reticulato - pubes- 
cente, limbo amplissimo cordato-ovato longissimo-caudato. 

Aristolochia grandiflora Swartz, Flora Indiae oce. II, 

p- 1566 (non Vahl), Hooker, Bot. Mag. t. 4368 et 4369. 

A. scandens etc. P. Browne, Jamaic. p. 329. A. Gigas 

Lindley, Bot. Reg. t. 60. 

Hab. in insulis Indiae occ. et in Guatemala. 

9. HowArDıa RuızıanAa Kl. Caule volubili nitido pallido- 
fusco; foliis lato- ovatis brevissime acuminatis, basi leviter 
cordatis, supra saturate-viridibus laevibus glabris subnitidis, 
subtus prominenti-nervosis glaucis puberulis; petiolis ro- 
bustis longis glabris. 

Herb. Ruizii n. 361. 

Folia subcoriacea 6 poll. longa et lata. Petioli 4 poll. 
longi et cerassitudine pennae corvinae. 

Hab. in Peruviae nemoribus ad Chicoplaya. (Ruiz et 
Pavon). 

c. ADENORACUS. Calycis limbus unilabiatus, tubuloso - lin- 
gulatus, supra germinem oblique inflatus, longitudinaliter 6-co- 
status in tubum subinfundibuliformem brevem, incurvum, apice 
ampliatum attenuatus. Labium lingulatum, deinde ad marginem 
reduplicatum, plerumque intus piloso-glandulosum in alabastro 
basi auriculatum. Frutices vel suffrutices volubile. Folia mem- 
branacea, cordata. Stipulae persistentes vel deciduae v. nullae. 
Flores axillares solitariı ebracteati. 

40. HoWwARDIA TRUNCATA Kl. Suffruticosa; caule striato; 
petiolis pedicellisque rufo-hirsutissimis; foliis ovato-cordatis 
obtusiusculis, sinu lobisque rotundatis, supra glaberrimis, 
subtus dense rufo-tomentosis; calyce hirsuto, limbo recur- 


Nachtrag. 611 


vato-infundibuliformi, labio elliptico, apice emarginato, in- 
tus glabro. 

Aristolochia truncata Fielding et Gardner, Sert. plant. 
t. 44. 

Suffrutex altus. Caulis gracilis tenuis. Folia estipulata 
3—4 poll. longa, ad basin 2 poll. lata. Petioli 9 lin. longi. 
Pedicelli pollicem longi. Calycis limbus 2% poll. longus. 
Labium pollicem longum et semipollicem latum. 


Hab. in Tarapoto Peruv. (Mathews n. 1308). 


. HowarDıA ANnGUIcıDA Kl. Glabra; caule volubili gracili 


striato; foliis submembranaceis ovato-cordatis brevissimo 
euspidatis, basi sinu profundo rotundato, inferioribus obtu- 
sis vel rotundatis, floralibus minimis; stipulis persistentibus 
cordato-rotundatis amplexicaulibus; pedicellis solitariis axil- 
laribus ebracteatis, versus apicem puberulis, flore nervoso- 
puberulo brevioribus; calycis limbo supra basin inflato re- 
liquo infundibuliformi, ore dilatato obliquo, labio angusto 
obtuso, basi dilatato patente, deinde margine reflexo tubo 
breviore. 

Aristolochia anguicida Jacquin, Amoen. p. 232, t. 144, 
Linne, Species plant. p. 1362, Humb. Bonpl. Kth., Nova 
genera et species plant. Am. II, p. 166. Hooker, Bot. 
Mag. t. 4361. Herb. Willd. n. 17061. 

Folia 2— 25 poll. longa, 15—2 poll. lata. Folia flo- 
ralia 8 lin. longa, 4 lin. lata. Petioli 3—1 poll. longi. 
Pedicelli 6—9 lin. longi. Calycis limbus 15—21 lin. lon- 
gus. Labium 8 lin. longum. 

Hab. in Carthagena, Nova Granata et in insulis Ind. 
occ. 

HOWARDIA DELTOIDEA Kl. 

Aristolochia deltoidea Humb. Bonpl.Kth., Nov. gen. et 
species I, p. 116, t. 112. Arist. subcordata Hb. Willd. 
n. 17064. 

Hab. in umbrosis fuminis Amazonum Peruviae. 
HOWARDIA BILABIATA Kl. 

Aristolochia bilabiata Linne, Systema pl. ed. Roemer IV, 
p- 57, Spec. plant. 1361. Swartz, Observ. p. 342, Willd., 
Spec. plant. IV, P. I, p. 154, Hb. Willd. n. 1756. 


612 


14. 


15. 


46. 


17. 


18. 


Nachtrag. 


Hab. in insulis Ind. occidentalis, locis aridis. 
HOWARDIA RUMICIFOLIA Kl. 

Aristolochia rumicifolia Martius, Nova gen. et species I, 
p- 79, t. 54. Aristolochia oblonga Arrab., Flora fluminensis 
BR}299. 

Hab. in Brasilia australi. 

HoWARDIA OBTUSATA Kl. 

Aristolochia obtusata Swartz, Prodr. p. 126, Flora ind. 
occid. III, p. 1565, Willd., Spec. plant. IV, P. I, p. 154. 
Aristolochia rugosa Lamarck, Enceycl. I, p. 250. 

Hab. in insulis caribaeis, ad Guadeloup, (Duchassaing). 
HOWARDIA FLUMINENSIS Kl. Volubilis, striata, piloso- 
setulosa; caule gracili striato petiolis pedicellis calycibusque 
setulosis; foliis profundo-cordatis ovato-oblongis attenuatis 
obtusiusculis, (sinu truncato), supra sparsim puberulis, subtus 
dense puberulis; floribus axillaribus solitariis; labio calycis 
oblongo obtusiusculo, intus glabro laevi tubum aequante. 

Aristolochia odoratissima Arrabida, Flora fluminensis IX, 
t. 97, (nec Linne). 

Folia membranacea, 4—5 poll. longa, 2—3 poll. lata. 
Petioli et pedicelli 15 poll. longi. Stipulae nullae. Ca- 
Iycis limbus bipollicaris. 

Hab. in Brasilia australi, (Sello). 

HowarDIA LANSBERGI Kl. Volubilis, striata, subglabra; 
foliis parvis ovato-oblongis acutissimis, profundo- cordatis, 
(sinu obtuso), supra saturato-viridibus glabris, subtus glau- 
cescentibus tomentoso-puberulis; petiolis glabris; stipulis 
nullis; floribus axillaribus solitariis ebracteatis reticulato- 
venosis longiusculo-pedicellatis glabris; calycis limbo basi 
globoso-inflato in tubum infundibuliformem attenuato, labio 
lingulato obtuso, inferne angusto, intus ad apicem sparsim 
hirto tube breviore. 

Folia 15—2 poll. longa, pollicem lata. Petioli et pe- 
dicelli pollicem longi. Calycis limbus 2% pollices longus. 
Labium 9 lin. longum. 

Hab. in Venezuela, (de Lansberg). 

HOoWARDIA PILOSA Kl. Volubilis, articulatim ochraceo- 
pilosa; caule herbaceo striato ; foliis estipulatis membranaceis 


22. 


Nachtrag. 613 


ovato-cordatis articulatim-setulosis, apice rotundatis, (sinu 
profundo-truncato), lobis rotundatis, supra glabris saturate 
viridibus, subtus ochraceis articulato - pubescentibus; petiolis 
pedicellis et germinibus articulato-setulosis. 

Aristolochia pilosa Hb. Willd. n. 17063. Humb. Bonpl. 
Kth., Nova gen. et species II, p. 116. t. 113. 

Folia 2—25 poll. longa, 15—18 lin. lata. Petioli 
-—% pollicem longi. Pedicelli pollicem longi. 

Hab. in America australi, prope Guayaquil regni Qui- 
tensis. 

HOWARDIA BARBATA Kl. 

Aristolochia barbata Jacquin, Icones rariores III, t. 608, 
Collect. III, p. 221. Willd., Species plant. IV, P. 1. p. 156, 
no. 18. 

Hab. ad Caracas, in locis humidis calidis. (E. Otto). 
HOWARDIA SURINAMENSIS Kl. 

Aristolochia surinamensis Willd., Spec. plant. IV, P. I, 
p. 151. A. trilobata Jacquin, Obs. I, p. 8. t. 3. nec Linne, 
nec Swartz. 

Hab. in Surinam. (Hostmann, n. 611). 

HoWARDIA PUBESCENS Kl. Fruticosa, volubilis; caule gra- 
eili striato sparsim articulato-piloso; foliis estipulatis cor- 
dato-ovatis obtusis v. brevissime acutis, supra saturato-viri- 
dibus sparsim pilosis, subtus flavido-viridibus dense puberu- 
lis, (sinu profundo-truncato), lobis rotundatis; petiolis pedi- 
cellisque parce setosis; limbo calycis tubuloso - lingulato, 
extus sparsim articulato - setuloso, ad basin inflato, in tubum 
inferne angustum, superne ampliatum attenuato; labio ovato- 
lanceolato acuto, intus ad apicem glanduloso-piloso. 

Aristolochia pubescens Willd. Herb. n. 17062. (Speci- 
men Hoffmannseggianum). 

Folia 15—25 poll. longa, 15 lin. — 1% poll. lata. Pe- 
tioli 3—1 poll. longi. Pedicelli 9 lin. longi. Calycis lim- 
bus 2 poll. longus; labium pollicem longum. 

Hab. ad Bahiam in Brasilia. (Sieber). 

HoWwARDIA SCHOMBURGKU Kl. Volubilis, suffruticosa, 
subglabra ; caule ramisque striatis glabris; foliis magnis mem- 


[1859.] 43 


614 


23. 


basi ventricosus, apice obliquo-apertus, primum suberectus, deind 


“ berulis; calycis limbo bilabiato, inferne globoso-inflato tu- 


Nachtrag. 


branaceis ovato-oblongis obtusiusculis, basi valde profundo 
hastato-cordatis, supra glabris saturato-viridibus, subtus 
pallidioribus puberulis, (sinu inter petiolum utrinque rotun- 
dato); petiolis glabris; pedicellis Aoribusque evanescente pu- 


buloso-lingulato, in alabastro ad faucem labio conduplicato 
opposito auriculato; labio superiori orbiculari, basi brevi at- 
tenuato, intus glanduloso-hirto, inferiore multiplo breviore 
ovato-obtuso. 

Aristolochia rumicifolia Richard Schomburgh in schedu- 
lis, nec Martius. 

Folia 4—5 poll. langa, 14—2 poll. lata. Lobi ad ba- 
sin foliorum pollicem longi, 10 lin. lati. Petioli et pedi- 
celli pollicares. Venter calycis 5 lineas in diametro; tubus| 
5 lin. longus. Labium superius 10 lin. longum, infra api- 
cem semipollicem latum,, inferius 4 lin. longum et ad basin 
3 lin. latum. 

Hab. in Guiana anglica.. Ad Piraram. (Richard Schom 
burgk sub no. 611). 

HOWARDIA COSTARICENSIS Kl. Suffruticosa, piloso - setu- 
losa; ramis striatis setulosis herbaceis; foliis ovato- cordatis 
acutis, supra laete viridibus glabris, subtus puberulis albi- 
cantibus margineque nervoso - setulosis; petiolis et pedicellis 
articulato -setulosis; limbo calycis tubuloso-lingulato, extusf 
setuloso; labio elongato obtuso intus fusco -maculato verru-| 
coso-piloso. 

Rhizoma subterraneum, fuscum, rugosum, crassitudingd 
pennae anserinae. Rami graciles subtorti. Folia tenui-f 
membranacea, 3—5 poll. longa, 143—3 poll. lata. Pe. 
tioli 1—2 poll. longi. Pedicelli pollicares.. Limbus caly-J 
cis 25 pollicaris. 

Hab. in America centrali, ad Costam-Ricam (Carolus Hoff. 
mann, Doct. med.) 

d. ANCYCLANTHEMUM. Calycis limbus incurvo-tubulosusf 


subinflexus, in alabastro subconduplicatus. Suffrutices Americad 


australis. Folia variiformia, plerumque estipulata, rarissime sti 
pulis persistentibus amplexicaulibus munita. 


Nachtrag. 615 


+ Folia stipulacea. 
24. Howarnıa Rasa Kl. 

Aristolochia Raja Martius, Nova gen. et spec. I, t. 52. 
Aristolochia reniformis Arrabida, Flora uminensis IX, t. 100. 

Hab. in Brasilia meridionali. (Rio Janeiro). 

++ Folia estipulata. 

25. HOWARDIA FRAGRANTISSIMA Kl. 

Aristolochia fragrantissima Ruiz et Pavon, Flora peruvy. 
et chilensis inedita. Lambert, Illustration of the genus Cin- 
chona p. 17 cum icone. Vulgo Contrayerba. 

Hab. in Peruviae nemoribus, in sylvis ad Pozuzo, Mon- 
zon, Chicoplaya, Tulumaya etc. 

26. Howarpıa MmaxımA Kl. 

Aristolochia maxima Jacquin, Hist. stirp. amer. p. 233, 
t. 146, Linne, Species plant. p. 1361, Willd., Species plant. 
IV, P. I, p. 153. 

Hab. in Nova Hispania ad S. Martham. 

7. HOoWARDIA ERIANTHA Kl. 

Aristolochia eriantha Martius, Nova gen. et species I, 
t. 53. 

Hab. in Brasilia. 

8. HOWARDIA CYNANCHIFOLIA Kl. 

Aristolochia eynanchifolia Martius, Nova gen. et spec. 
5,2: 51. 

Hab. in Brasilia. (Rio Janeiro). 

9. Howarnıa Cuamissonis Kl. Fruticosa, volubilis; caule 
ramisque teretibus leviter striatis evanescente piloso- setu- 
losis; foliis coriaceis laete viridibus ovatis brevissime acutis, 
supra glaberrimis, subtus prominenti-nervosis puberulis; pe- 
tiolis pedicellisque evanescenti-pilosis; limbo calyceis glabro 
magis inflexo, basi ampliato, in tubum sensim attenuato; la- 
bio longissimo acuminato, margine puberulo, intus atro-reti- 


culato glabro. 
Aristolochia maxima A. de Chamisso in Herb. Berol. 
nec Jacquin. 
Caulis crassitudine pennae columbinae. Folia 3—4% 
poll. longa, 15 lin. — 22 lin. lata. Petioli et pedicelli 
43* 


616 ; Nachtrag. 


15—2 poll. longi. Limbus calyeis 4% poll. longus, ad ba- 
sin pollicem in diametro. 
Hab. in Brasilia. (Sello sub n. 267). 

30. HowARDIA SELLOWIANA Kl. Suffruticosa, gracilis, gla- 
berrima, volubilis; caule herbaceo striato; foliis membrana- 
ceis oblongo-triangulatis acuminatis, basi subhastatis, lobis 
divaricatis rotundatis, utrinque glabris, subtus pallidioribus 
estipulatis; pedicellis gracilibus; limbo calycis glabro, magis 
inflexo, basi ampliato in tubum sensim attenuato; labio obli- 
que truncato obtuso, margine puberulo, intus atro-punctato 
sparsim hirto. 

Folia 3—4 poll. longa, 1%—25 poll. ad basin lata. 
Petioli —1 poll. longi. Pedicelli pollicares. Limbus ca- 
lycis 1% poll. longus, ad basin 4 lin. in diametro. 

Hab. in Montevideo? (Sello, sub no. d, 2475). 

e. STENANTHEMUM. Calycis limbus tubuloso-lingulatus, 
longissimus, angustatus, basi ventricosus; labio longo angustato, 
apice attenuato. Suffrutices brasilienses ramosissimi, pygmaei. | 
31. HOWARDIA LONGIFOLIA Kl. 

Aristolochia angustifolia var. longifolia Cham., in Lin- 
naea, VII, p. 211. t. V, Fig. 2, partim. 

Hab. in Brasilia meridionali. Rincon de gallinas ad ri- 
pas fluminis Rio negro. (Sello). 

32. HOWARDIA BREVIFOLIA Kl. 

Aristolochia angustifolia var. brevifolia Adalbert de Cha- 
misso, in de Schlechtendal’s Linnaea VII, p. 212. t. V, £ 
2, partim. 

Hab. in San Jose de Uruguay. (Sello). 

33. HOWARDIA SESSILIFOLIA Kl. Suffruticosa, scabrido-pube- 
rula; radice lignescente rubiginosa multicipiti; caulibus ra- 
misque tenuibus angulatis geniculatis scabrido - puberulis ; 
foliis quinduplinerviis, subtus prominentibus scabrido -pube- 
rulis oblongis rotundato-mucronatis, basi leviter cordatis 
brevissime petiolatis, supra glabris. 

Caules 9 poll. longi. Folia 2—3 poll. longa, 1—1% 
poll. lata. Petioli 1—2 lin. longi. 

Hab. in Brasilia. (Sello.) 


Nachtrag. 617 


34. HOoWARDIA EMARGINATA Kl. Suffruticosa, puberula; ra- 
dice multieipiti; caulibus subangulatis puberulis adscendenti- 
bus; foliis ovatis cordatis, apice rotundato-emarginatis, utrin- 
que puberulis, brevissime petiolatis; foribus axillaribus soli- 
tariis sessilibus, extus pubescentibus folio duplo longioribus; 
limbo calycis tubuloso-lingulato longitudinaliter nervoso, in- 
tus puberulo; labio angusto obtuso tubum aequante. 

Rami-6—8 poll. longi. Folia 9—14 lin. longa, 6—8 
lin. lata. Petioli 1—2 lin. longi. Calyces cum germine 
bipollicares. 

Hab. in Brasilia. (Sello). 

f. Scuısmotus. Calycis limbus ringens, supra ventrem am- 
pullaceum in tubum refractum attenuatus, labio obliquo subcom- 
presso, utrinque emarginato. Herbacea, volubilis, partim pube- 
rula. 

35. HoWARDIA SETIGERA Kl. 

Aristolochia setigera Poeppig, Syn. pl. Am. austr. Diar. 
73. Aristolochia chilensis Bridges in Bot. Register t. 1680. 

Hab. in argillosis et rupestribus, secus rivul. ad Val- 
paraiso. (Poeppig, sub n. 247, Cl. Gay, von Besser, A. 
Philippi et Gaudichaud). 

g. MacroTELus. Calycis limbus basi sexcalcaratus, ventri- 
eosus, in tubum cylindraceum infraetum attenuatus; labium cor- 
datum cuspidatum, lamina tubo multo breviori; cuspis filiformis 
torta calyce multoties longior. Caules volubiles. Folia trilo- 
bata. Stipulae solitariae caducae. 

36. HowARDIA TRIFIDA Kl. 

Aristolochia trifida Humb. Bonpl. Kth., Noya gen. et 
Spec. plant. II, p. 148, nec Lamarck. Aristolochia cara- 
casana Sprengel, Syst. veg. nec Kl. 

Hab. in Caracas, prope Portocabello. 

37. HOWARDIA MACROURA Kl. 

Aristolochia macroura Gomez, Acta Oliss. 1812, p. 77 
e Martius, Nov. gen. et species I, p. 79. Aristolochia caudata 
Booth, in Bot. Reg. t. 1453. Bot. Mag. t. 3769, nec Jacq. 

Hab. in Brasilia tropica et in Guiana angl. (Sello, Ri- 
chard Schomburgk). 

38. HOWARDIA TRILOBATA Kl. 


618 Nachtrag. 


Aristolochia trilobata Linne, Species plant. p. 1361. 
Swartz, Observ. p. 341, Willd., Spec. plant. IV, P. I, 
p- 151. Bot. Reg. t. 1399. Aristolochia trifida Lamarck, 
Encycl. II, p. 249. 

Hab. in insulis caribaeis. 

h. CYPHOMANTHEMUM. Calycis limbus subinfundibuliformi- 
lingulatus, basi ventricosus, deinde in tubum angustum, superne 
dilatatum transiens, labium oblongum, obtusum vel spathulatum, 
margine replicatum, saepissime intus muricatum, in alabastro ad 
faucem labio oppositam reflexo-appendiculato. Suffrutices volu- 
biles vel herbae erectae ex insulis caribaeis, regnis mexicanis 
chilensibus et caracasanis. 

39. HOWARDIA PELTATA Kl. 

Aristolochia peltata Linne, Spec. plant. p. 1361, Willd., 
Spec. plant. IV, P. I, p. 152, Herb. Willd. n. 17054. 

Hab. in St. Domingo, locis saxosis maritimis, (Brede- 
meyer). 

40. HOoWARDIA RENIFORMIS Kl. 

Aristolochia reniformis Willd., Species plant. IV, P. I, 
p. 153. Herb. Willd. n. 17055. Aristolochia peltata Swartz, 
Observationes p. 341, nec Linn£. 

Hab. in St. Domingo, (Swartz). 

41. HowaArDIA MACRADENIA Kl. 

Aristolochia Macradenia W. Hooker, in Bot. Mag. t. 
4467. 

Hab. in Mexico, ad Real del monte. 

42. HowarvıA Bripsgesu Kl. Herbacea, gracilis, ramosa, sub- 
flexuosa; caule striato glabro; foliis rotundatis cordato-reni- 
formibus in petiolum brevi attenuatis, supra saturato - viridi- 
bus glabris, subtus sparsim puberulis glaucescentibus; petio- 
lis glabris laminam foliorum aequantibus ; pedicellis brevibus 
glabris; limbo calycis longissimo glabro tubuloso-lingulato, 
ad faucem tubi appendice recurvato instructo; labio oblongo- 
lanceolato subacuto, extus intusque glabro tubo longiore. 

Caules 1—1% pedes longi. Folia pollicem longa, 1; — 
15 poll. lata. Calycis limbus 3 pollicaris. 

Hab. in Chili, (Bridges). 


N 


Nachtrag. 619 


PEDINocHILUs. Calycis limbus basi magis inflatus in 


tubum refractum attenuatus, labio in alabastro conduplicato semi- 
cordato, deinde plano horizontali. Frutices volubiles vel subvo- 
lubiles. Folia stipulata. Stipulae deciduae. Flores axillares so- 


litarii rarissime gemini ebracteati. 
43. HowARDIA PANDURATA Kl. 


44. 


45. 


46. 


47. 


48, 


Aristolochia pandurata Jacquin, Hort. Schoenbr. IV, t. 
497. A. panduriformis Willd., Spec. plant. IV, P. I, t. 152. 
Willd. Herb. n. 17053. A. Ottonis Klotzsch in Herb. Be- 
rolinensi. A. picta H. Karsten, Auswahl neuer und schön- 
blühender Gewächse Venezuela’s p. 24. t. 8. 

N.B. Radix Howardiae panduratae est Raiz de Mato 
incol. e Gollmer. 

Hab. in Venezuela, prope San Matheo, Valle del Ara- 
gua. (Jacquin, C. Moritz, E. Otto, H. Karsten, Gollmer). 
HOWARDIA BILOBATA Kl. 

Aristolochia bilobata Linne, Species plant. p. 1362, 
Swartz, Observationes p. 340. Willd., Species plant. IV, 
P. I, p. 151, Jacquin, Icon. pl. t. 188, Hb. Willd. n. 
17050. 

Hab. in Dominica. (Jacquemont, C. Ehrenberg, Balbis). 
HOWARDIA FOETIDA Kl. 

Aristolochia foetida Humb. Bonpl. Kth., Nova gen. et 
spec. pl. II, p. 116, t. 114. _ 

Hab. in umbrosis prope Ario Mexicanorum. 
HOWARDIA GEMINIFLORA Kl. 

Aristolochia geminiflora Humb. Bonpl. Kth., Nova ge- 
nera et spec. plant. II, p. 118, t. 117. Aristolochia bi- 
flora Hb. Willd. n. 17084. 

Hab. in Regno Novogranatensi prope Honda ad urbem 
Guaduas. 

HOoWARDIA GLAUCESCENS Kl. 

Aristolochia glaucescens Humb. Bonpl. Kth., 1. c. p. 117, 
N a RE 

Hab. in Regno Novogranatensi juxta St. Anam. 
HOWARDIA INFLATA Kl. 

Aristolochia inflata Humb. Bonpl. Kth., 1. c. p. 115, 
n. 2, t. 111. Aristolochia torta Hb. Willd. n. 1764. 


49. 


92. 


Nachtrag. 


Hab. in Regno Novogranatensi, ad ripam fluminis Mag- 
dalenae prope Honda. 
HOWARDIA TRIANGULARIS Kl. 

Aristolochia triangularis Cham., in Linnaea VII, p. 209. 
Hab. in Brasilia. (Sello, sub n. 429 et 3964 misit). 
HoWARDIA TAMNIFOLIA Kl. Volubilis, glaberrima, suf- 
fruticosa; caule glabro striato; foliis latissimis membrana- 
ceis brevi acuminatis leviter cordato-hastatis inpunctatis esti- | 
pulatis; labio calycis ad marginem glabro; germinibus 6- 
alatis. 

Ab Howardia triangulari differt: foliis brevi acuminatis 
inpunctatis,, germinibus sexalatis atque labii margine glabro. 

Folia 2—5 poll. longa et lata. Petioli 1—2 poll. longi. 
Pedicelli semipollicares. Capsulae pollicem longae, 5 lin. 
in diametro. 

Hab. in Brasilia. (Sello. sub n. 146 misit). 
HoWARDIA SMILACINA Kl. Fruticosa, parva, virgato -ra- 
mosissima, decumbens, subvolubilis; ramis glabris striatis; 
foliis minutissime pellucido - punctatis parvis cordato - ovatis 
acutis subcoriaceis estipulatis, supra saturato - viridibus gla- 
bris, subtus albido-flavescentibus puberulis, (sinu rotundato); 
petiolis glabris; limbo calyeis pedicello breviore, ad basin 
magis inflato, extus intusque glabro; capsula elliptica glabra. 

Fruticulus gracilis, 1—2 pedalis. Folia 1—1% poll. 
longa, 9—15 lin. lata. Petioli 3—5 lin. longi. Pedicelli 
semipollicares.. Limbus calycis sesquipollicaris. 

Hab. in Brasilia. (Sello, sub n. 1101 misit). 
HowArDIA BENTHAMU Kl. Volubilis, gracilis, glabra; 
caule striato; foliis cordato-ovatis brevissimo acutissimis, 
supra saturato-viridibus, subtus glaucescentibus, (sinu angu- 
sto obtuso); floribus submagnis in alabastro semicordatis 
acutis longiusculo pedicellatis; labio cordato tubo longiore. 

Aristolochia odoratissima Bentham, Plantae Hartwegia- 
nae p. 82, nec Linn£. 

Folia 2,—3 poll. longa, 143—1?, poll. lata. Petioli 
6—12 lin. longi. Pedicelli 1% poll. longi. Limbus calycis 
sesquipollicaris. 

Hab. in Guatemala. (Hartweg, sub n. 566 misit). 


93. 


Nachtrag. 621 


HowArpıaA HorrMAnNNI Kl. Fruticosa, volubilis, pubes- 
cens; caule striato pubescente; foliis angusto-oblongis brevi 
acutissimis, basi leviter cordatis v. truncatis, supra glabris, 
saturato -viridibus, subtus pallidis puberulis; petiolis brevi- 
bus pubescentibus; pedicellis calycibusque pubescenti-tomen- 
tosis; labio calycis tubum aequante cordato subrecurvo -mu- 
cronato. 

Folia 2—2% poll. longa, 8 lin. lata. Petioli 5 lin. 
longi. Pedicelli 1% pollicares. Calycis limbus supra ven- 


. trem valde refractus 2% poll. longus, ad basin 5 lin. in dia- 


94. 


59. 


metro. Calyeis labium 14 lin. longum, 10 lin. latum. 

Hab. in America centrali, ad Costam-Ricam (misit C. 

Hoffmann, Dr. med. sub n. 49). 
HowaArDıA GoLLMERL Kl. Volubilis, fruticosa; caule 
lignoso tereti striato brevissimo hirsuto; foliis oblongis cor- 
datis, apice rotundatis, obtusis vel emarginatis, utrinque 
evanescenti nervoso-puberulis ; petiolis brevibus fusco-pubes- 
centibus ; pedicellis germinibusque adpresso-puberulis; limbo 
calycis magno fusco-olivaceo, extus sparsim adpresso - pube- 
rulo, intus reticulato-glabro; labio cordato pubescente - mu- 
eronato. 

Folia 253—4 poll. longa, 1—2 poll. lata. Petioli 4—6 
lin. longi. Pedicelli semipollicares. Venter calycis limbi 
poll. longus et 9 lin. in diametro. Tubus brevissimus, in- 
fundibuliformis. Labium 17 poll. longum et pollicem latum. 

Hab. in Venezuela, Quebrada de Malcuta. (Gollmer). 
HOWARDIA CORDIGERA Kl. Volubilis, subglabra; caule 
striato evanescenti sparsissimoque pilosulo; foliis cordato- 
ovatis obtusis coriaceis, supra glabris, subtus puberulis, (sinu 
rotundato), lobis conniventibus; petiolis longis, apice spar- 
sim setulosis; pedicellis glabris; floribus viridibus solitariis 
magnis; tubo calycis extus intusque sparsim pilosulo labio 
cordato utrinque glabro breviore. 

Aristolochia cordigera Hb. Willd., n. 17066. 

Folia 3—4 poll. longa, 14—2 poll. lata. Petioli 1— 
15 poll. longi. Pedicelli 4—5 lin. longi. Calycis limbus 
25 poll. longus. Labium 1% poll. longum, 15 lin. latum. 
Tubus pollicem longus. 


622 Nachtrag. 


Hab. in Para Brasiliae. (Sieber). 

k. CERCANTHEMUM. Calycis limbus basi globoso-inflatus, in 
tubum rectum, apice subdilatatum attenuatus, labio ovato v. lan- 
ceolato filiformi-caudato, apice clavato. Frutices volubiles. Folia 
minutissimo pellucido - punctata estipulata profunde -cordata, lo- 
bis basalibus rotundatis, apicali emarginato v. obtuso; petiolus 
juxta marginem inferioris paginae subpeltatim insertus. 

56. HowarndıA EHRENBERGIANA Kl. 
Aristolochia Ehrenbergiana A. de Chamisso, in Linnaea | 
VII, p. 209. 
Hab. ın Hayti, prope urbem Port au Prince. (Carolus ' 
Ehrenbergius legit). 
57. HOWARDIA PUNCTATA Kl. 
Aristolochia punctata Lamarck, Encyclop. I, p. 251, 
Willd., Species plant. IV, P. I, p. 154, n. 12, Descour- 
tilz, Flore medicale des Antilles III, t. 225. 
Hab. in St. Domingo. 
58. HowarDIA CAUDATA Kl. 
Aristolochia caudata Jacquin, Hist. stirp. am. p. 233, 
t. 145, Swartz, Obs. p. 343, Desfontaine, Annal. mus. nat. 
Paris. II, p. 35, Willdenow, Spec. plant. IV, P. I, p. 154, 
nec Booth. 
Hab. in St. Domingo. (Balbis misit, sub n. 467). 

l. Brachvenmus. Calycis limbus basi magis inflatus, in 
tubum inflexum attenuatus. Labium cordato - subrotundatum ob- 
tusum, intus versus marginem glanduloso - fimbriatum. Herbae 
erectae simplices glabrae. Folia reniformia estipulata. Flores 
axillares, solitarüi. 

59. HOWARDIA FIMBRIATA Kl. 
Aristolochia fimbriata Cham., in Linnaea VII, p. 210, 
n. 6. A. ciliata Hooker, in Bot. Mag. t. 3756, A. ciliosa 
Bentham, in Maund’s Botanist t. 90. 
Hab in Montevideo. (Sello). 


Nachtrag. 623 


Erklärung der Abbildungen. 
Tafel I. 


1. Asarum europaeum L. Fig. a. eine Blüthe, von welcher der 
Kelchsaum und die hinteren Staubgefälse entfernt sind, 3 mal vergröfsert. 
(Die mit einem langen Connectiv, welches pfriemenförmig ist, ver- 
sehenen freien Staubgefälse sind in zwei Kreise geordnet, von denen die 
des äulseren Kreises kleiner, den Narbenlappen gegenüber stehen, während 
die grölseren, welche den inneren Kreis bilden, mit den Narbenlappen ab- 
wechseln). Fig. b. eine senkrecht durchschnittene Blüthe, an welcher die 
innere Organisation des Fruchtknotens während des Aufspringens der 
Staubbeutel gezeigt ist, 3 mal vergr. (Die Ränder der 6 Wandplacenten 
sind unterwärts verwachsen, oberwärts noch nicht znsammengetreten und 
lassen eine Höhlung sehen. Der querdurchschnittene Griffel besitzt keine 
Höhlung). Fig. c. 2 nach aufsen gewendete Staubgefälse des inneren und 

"äufseren Kreises, 6 mal vergr.. Fig. d. die Narbe von oben gesehen, 8 mal 

vergr.. Fig. e. ein Querschnitt des Fruchtknotens, vor dem Erblühen des 
Kelches, an welchem die Wandplacenten, welche später im Centrum zu- 
sammenstolsen und falsche Scheidewände bilden, so wie die Anheftung 
der gegenläufigen Eichen zu sehen ist, 4 mal vergr.. 

2. Heterotropa asaroides Morr. et Decaisne. Fig. a. eine 
Blüthe in natürlicher Grölse, von der ein Drittheil des beinahe oberstän- 
digen Kelches in senkrechter Richtung genommen ist, um die innere Be- 
schaffenheit derselben zu zeigen. Fig. b. der Geschlechtsapparat, nach 
Entfernung des Kelches, von der Seite gesehen, 3 mal vergr.. (Die mit 
einem kurzen kegelförmigen Connectiv versehenen Staubgefälse sind 
an der Basis in einen tellerförmigen Ring vereinigt und abwechselnd klei- 
ner, so dafs die kleinern den Narbenlappen gegenüber stehen und die grö- 
fseren mit denselben abwechseln). Fig. c. ein gröfseres und ein kleineres 
Staubgefäls, 6 mal vergr.. Fig. d. der Geschlechtsapparat senkrecht durch- 
schnitten, 3 mal vergr.. 

3. Thottea grandiflora Rottb.. Fig. a. Geschlechtsapparat von 
der Seite gesehen mit in 2 Reihen geordneten Staubgefälsen und einer 
scheibenförmigen vielstrahligen Narbe, i mal vergr.. Fig.b. derselbe von 


624 Nachtrag. 


oben gesehen, 2 mal vergr.. Fig. c. ein Staubgefäls mit zwei aufgesprun- 
genen Fächern von aufsen gesehen, 10 mal vergr.. Fig. d. eine Frucht 
nach dem Aufspringen, 20 mal verkleinert. Fig. e. ein der Länge nach 
durchschnittener Same, stark vergr.. 

4 Bragantia corymbosa Griffith. Fig. a. eine ausgespreitzte 
Blüthe mit dreilappigem Kelch und Geschlechtsapparat, von oben gesehen, 
6 mal vergr.. Fig. b. der Geschlechtsapparat mit einem Theile des Frucht- 
knotens, von der Seite gesehen, 16 mal vergr.. Fig. c. der Geschlechts- 
apparat von oben gesehen, 25 mal vergr.. Fig. d. ein Querdurchschnitt der 
Placenten, welche sich von der Wandung gelöst und im Centrum ver- # 
wachsen sind, stark vergr.. 

5. Cyelodiscus latifolius Kl. Fig. a. eine geöffnete Blüthe 
mit Fruchtknoten, von oben und von der Seite gesehen, 5 mal vergr.. 
Fig. b. der Geschlechtsapparat nebst dem oberen "Theile des Fruchtkno- 
tens, von der Seite gesehen, 6 mal vergr.. Fig. c. ein Staubgefäls von 
aulsen gesehen, 10 mal vergr.. Fig, d. der Geschlechtsapparat, von dem 
das vordere Staubgefäls entfernt ist, um den walzenförmigen Griffel zu 
zeigen, 25 mal vergr.. Fig. e. die Narbe von oben gesehen, 30 mal vergr.. 
Fig. f. eine Querschichte des Fruchtknotens, 10 mal vergr.. Fig. g. der 
Same, 16 mal vergr.. Fig. h. derselbe, bei gleicher Vergrölserung der Länge 
nach durchschnitten, 


Tafel II. 


6. Aristolochia (Podanthemum) Petersiana Kl. Fig. a. eine 
Blüthe mit Fruchtknoten, % Gröfse. Fig. b. der Geschlechtsapparat mit 6 
zusammengeneigten Narbenlappen, 6 Staubgefälsen, die auf einem ringför- 
migen mit 6 Kerbzähnen versehenen Connectiv aufsitzen und einem 
cylindrischen Fulse oder Anhang, der der Spitze des Fruchtknotens gerade 
aufgesetzt ist und dieselbe mützenförmig umgiebt, 8 mal vergr.. 

7. Aristolochia (Ancyclocarpus) altissima Desf. Fig. a. eine 
Blüthe mit Fruchtknoten, % Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat mit 
dem Fruchtknoten, 8 mal vergr.. Fig. c. ein nickender Fruchtknoten, % 
Vergröfserung. 

8. Aristolochia (Oxyotus) Clematitis L. Fig. a. eine Blüthe 
nebst Fruchtkneten, % Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat mit Frucht- 
knoten, 8 mal vergr.. 

9. Endodeca Bartonii Kl. Fig. a. eine Blüthe mit Fruchtkno- 
ten, % Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat nebst dem Fruchtknoten, 8 
mal vergr. (Unterhalb der Narben fehlt das ringförmige Connectiv). Fig. c. 
eine Querschichte des Fruchtknotens, an welcher die Wandplacenten, die 
später im Centrum verwachsen und falsche Scheidewände bilden, noch frei 
sind, 25 mal vergr.. 


Nachtrag. 625 


- 40. Siphisia (Eusiphisia) Sipho Rafın. Fig. a. eine Blüthe mit 
Fruchtknoten und Deckblatt, % Gröfse. Fig. 6. der Geschlechtsapparat 
nebst dem oberen Theile des Fruchtknotens, 12 mal vergr.. 

11. Siphisia (Nepenthesia) saccata Kl. Fig. a. eine Blüthe mit 
Fruchtknoten, % Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat mit dem Frucht- 
knoten, 8 mal vergr.. 

12. Siphisia (Pentodon) Thwaitesii Kl. Fig. a. eine Blüthe 
mit Fruchtknoten, %, Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat mit dem obe- 
ren Theile des Fruchtknotens, 15 mal vergr. 

13. Einomeia hastata Kl. Fig. a. eine Blüthe mit Fruchtkno- 
ten, natürliche Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat von der Seite ge- 
sehen, 15 mal vergr.. Fig. c. ein Längsdurchschnitt des Geschlechtsappa- 
rats, 15 mal vergr.. Fig. d. ein Querdurchschnitt des Geschlechtsapparats, 
15 mal vergr.. Fig. e. eine Querschichte des Fruchtknotens vor dem Öff- 
nen der Staubbeutel, 15 mal vergr.. Fig. f. eine reife Frucht, % Gröfse. 

44. Howardia (Dipharus) brasiliensis Kl. Fig. a. eine Blüthe 
mit dem oberen Theile des Fruchtknotens, 10fach verkleinert. Fig. b. der 
Geschlechtsapparat nebst der Basis des Kelches und der Spitze des Frucht- 
knotens, 15 mal vergr.. 

15. Howardia (Sterigmaria) gigantea Kl. Fig. a. die Spitze 
des Kelches, % Grölse. Fig. b. die Basis des Kelches nebst der Spitze des 
Fruchtknotens, % Grölse. Fig. c. der Geschlechtsapparat, 15 mal Vergr.. 

16. Howardia (Adenoracus) Lansbergii Kl. Fig. a. eine 
"Blüthe nebst Fruchtknoten, % Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat 

nebst der Spitze des Fruchtknotens, 15 mal vergr.. 

147. Howardia (Ancyclanthemum) Raja Kl. Fig. a. eine Blüthe 
mit dem Fruchtknoten, % Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat, 15 mal 
vergr.. 

18. Howardia (Stenanthemum) longifolia Kl. Fig. a. Blüthe 
und Fruchtknoten, % Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat, 15 mal 
vergr.. 

19. Howardia (Schismotus) setigera Kl. Fig. a. eine Blüthe 
mit Fruchtknoten, % Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat, 15 mal vergr.. 
20. Howardia (Macrotelus) macroura Kl. Fig. a. eine Blüthe 
_ mit Fruchtknoten, % Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat, 15 mal vergr. 

21. Howardia (Cyphomanthemum) peltata Kl. Fig. a. eine 
Blüthe mit Fruchtknoten, % Grösse. Fig. b. der Geschlechtsapparat, 15 
mal vergr.. 

22. Howardia (Pedinochilus) angularis Kl. Fig. a. eine nicht 
völlig erschlossene Blüthe mit Fruchtknoten, % Grölse. Fig. b. der Ge- 
schlechtsapparat, 15 mal vergr.. 


626 Nachtrag. 


23. Howardia (Cercanthemum) Ehrenbergiana Kl. Fig. a. 
eine Blüthe mit Fruchtknoten, % Gröfse. Fig. b. der Geschlechtsapparat, 
45 mal vergr.. 

24. Howardia (Brachychilus) fimbriata Kl. Fig. a. eine Blü- 
the mit Fruchtknoten, % Grölse. Fig. b. der Geschlechtsapparat, 15 mal 
vergr.. 


Nachtrag. 627 


Die Erdansicht des Geographen von Ravenna 


von G. PARTHEY. 
(Sitzung der philos.-histor. Klasse vom 14. März 1859.) 


In der Abhandlung über die unteritalischen Stralsenzüge 
(Berichte der K. S. Ges. der Wiss. 15. Febr. 1851) äufsert 
Hr. Mommsen p. 99, dafs der Kosmograph von Ravenna nach 
einer runden Erdkarte schreibe, und dafs seinem unbeholfenen 
Ausdrucke überall eine sehr klare Anschauung, wie die Peutin- 
gersche Tafel sie ihm keinesweges gewähren konnte, zu Grunde 
liege, so dals man im Allgemeinen ohne Schwierigkeit nach sei- 
nen Angaben eine Erdkarte herstellen könne. Dies ist nun auf 
einem von Hrn. Kiepert sehr sorgfältig gezeichneten Blatte 
geschehn, dals im verkleinerten Maafsstabe der jüngsten Ausgabe . 
des Ravennaten beigegeben werden soll. Die Ansicht der Län- 
der ist freilich arg genug verzerrt; allein man braucht nur, wie 
Hr. Kiepert bemerkt, die ganze Erdkarte um einen halben 
Quadranten nach Westen herumzudrehen; dann erhält man ein 
weit leidlicheres Bild, namentlich für die um das Mittelmeer ge- 
legenen Landstriche. Dafs aber eine solche hypothetische Ver- 
besserung im Ravennaten selbst nicht zu suchen sei, ergiebt sich 
aus seinen sehr bestimmten Angaben, die hier näher ins Auge 
zu fassen sind, und die uns ein lehrreiches Beispiel geben, wie 
im 7. Jahrh. n. C. die richtige Erdansicht der alteft Geogra- 
phen gänzlich verdunkelt war. 

Es ist dies aber kaum zu verwundern, wenn man in Be- 
tracht zieht, dafs etwa 100 Jahre vor dem Ravennaten der un- 
ter dem Namen des Kosmas Indopleustes bekannte Reisende, 
dem wir die Erhaltung der beiden Adulitanischen Inschriften 
verdanken, in seiner christlichen Topographie eine noch weit 


628 Nachtrag. 


abentheuerlichere Ansicht des ganzen Weltgebäudes aufgestellt 
bat. (Montfaucon nova coll. patrum t.2. p. 113— 345.) Dals 
diese nicht ohne Einfluls auf unseren Auctor gewesen sei, wird 
sich bei einer näheren Vergleichung beider zeigen. 

Der Ravennat denkt sich die Erde als eine Scheibe, deren 
Umkreis er in 24 Stunden, 12 Tag- und 12 Nachtstunden ein- 
theilt. Den 12 Tagstunden entsprechen 6 Winde, und eben so 
viele kommen auf die 12 Nachtstunden. Ihre Namen werden 
nicht angegeben. Sobald die Sonne im Osten über dem Lande 
der Inder aufgeht, so bescheint sie den ganzen Erdkreis, und 
wenn sie in der letzten Tagesstunde über dem Lande der Sco- 
ten im Westen steht, so erleuchtet sie noch das äulserste In- 
dien (1,4.). Dann taucht sie in den Ocean, und da geschieht 
es auf eine dem Auctor unbegreifliche Weise, dafs weder die 
Sonne im Wasser auslöscht, noch auch das Meer von der Hitze 
der Sonne ausgetrocknet wird. Dieser wunderbare Vorgang be- 
geistert ihn sogar zu einem Gedichte in vierfülsigen Jamben 
(1,9.) und er eifert gegen diejenigen Philosophen und klugen 
Leute, welche behaupten, dafs im nördlichen Theile der Erde 
hohe Berge stehn, hinter welchen die Sonne am Abend sich 
verbirgt, um am Morgen wieder hervorzulreten. 

Dies ist nun die Ansicht des Kosmas. Nach ihm ist die 
Erde im Norden und Westen höher als im Süden und Osten; 
daher heilsen die von Alexandrien aus nach Norden und We- 
sten Schiffenden avaßorzts, sursum tendentes; der Tigris und 
Euphrat, welche aus dem Norden, aus Persarmenien kommen, 
fliefsen daher schneller als der Nil, der aus den südlichen, tie- 
fer gelegenen Landstrichen kommend, za avw mou resy,wv, des- 
halb einen langsameren Lauf hat (p. 133). Jener nördliche Theil 
der Erde ist unbewohnt; wenn die Sonne hinter die hohen 
mauerartigen Berge tritt, so ist im bewohnten Theile Nacht 
(p- 189). 

Dagegen sagt der Ravennat dafs ja Niemand jene Berge 
mit Augen gesehn habe, dafs auch nichts davon in der heiligen 
Schrift vorkomme, und wenn die Gegner erwidern sollten, dafs 
auch von dem nächtlichen Durchgange der Sonne durch das 
Meer nichts in der Schrift stehe, so beseitigt der Ravennat die- 
sen Einwand durch Berufung auf Genesis 19,23, wo es heilst: 


Nachtrag. 629 


sol egressus est super terram et Loth ingressus est Segor. 
Wenn nämlich die Sonne über der Erde aufgeht, so muls sie 
aus der Tiefe kommen. Einen ferneren Beweis, dafs die Sonne 
des Nachts durch das Wasser gehe, findet der Ravennat darin, 
dals die Brunnen im Winter wärmer sind als im Sommer: denn 
während der Winternächte verweilt die Sonne länger im Was- 
ser, hat also mehr Zeit es zu erwärmen, als in den kürzeren 
Sommernächten. 

Die Vertheilung der Länder in die 24 Stunden beginnt im 
Osten mit Indien, und geht durch Süd, West und Nord wieder 
nach Osten zurück. Sie ist ungleichmäfsig, indem manche Stun- 
_ den sehr ausführlich andere nur kurz besprochen werden; es 
fehlen in dieser allgemeinen Übersicht Italien, Hellas, Klein- 
asien, Syrien und andre Länder, die später auf das genauste be- 
handelt sind. 

Offenbar müssen die Radien der 24 Sektoren sich auf einen 
Mittelpunkt beziehen, den Hr. Kiepert mit grolser Wahr- 
scheinlichkeit in Jerusalem angenommen hat. Zwar wird diese 
Stadt ohne nähere Bezeichnung unter den Orten Palästinas nur 
einmal genannt II, 14, doch ist ihre Bedeutung als Mittelpunkt 
der Erde schon bei Ezechiel angedeutet: ista est Jerusalem, in 
medio gentium posui eam, et in circuitu eius terras (Ezech. 5, 5 
vgl. 38,12). Nach einer Tradition, die sich hei Hieronymus, 
Epiphanius u. a. findet, ist Christus an derselben Stelle gekreu- 
zigt, wo Adam starb; daher sieht man auf so vielen bildlichen 
Darstellungen unter dem Kreuze Christi den Schädel Adams. 

Sonach erscheint die Annahme von Jerusalem als Mittel- 
punkt der Erde wohl gerechtfertigt, aber vergeblich haben wir 
uns bemüht, eine der unsrigen ähnliche Kreiseintheilung des Erd- 
umfanges bei andern Geographen aufzufinden; sie scheint dem 
Ravennaten oder einem seiner verlorenen Quellenschriftsteller 
eigenthümlich zu sein: Die homerischen Ausdrücke woos yW r’ 
verıov re und meös Sobov (Il. 12,239. 240. Od. 13, 240. 241) welche 
Vofs in seiner homerischen Welttafel auf eine südliche Tag- 
und eine nördliche Nachtseite bezog, die sehr leicht eine Ein- 
theilung in je 12 Stunden zulassen, werden jetzt mit mehr Recht 
von Osten und Westen verstanden. Die von der pythagorei- 
schen Schule zuerst erkannte Kugelgestalt der Erde, von Ari- 

[1859.] 44 


630 Nachtrag. 


stoteles mit grofser Bestimmtheit ausgesprochen, und von Pto- 
lemaeus überall zu Grunde gelegt, erhielt nach dem Vorbilde 
der Himmelskugel eine Eintheilung in 360 Grade; die 12 Tag- 
und Nachtstunden dienten nur als Zeitabschnitte für die Berech- 
nung; beim Ravennaten aber laufen sie wie die Zahlen eines 
Zifferblattes um die Erdperipherie herum, und bilden den Grund 
der Ländereintheilung. Bei Tage ist es nicht schwer, die Stun- 
den nach dem Stande der Sonne zu bestimmen, aber für die 
Nachtstunden glaubt der Verfasser eine besondere Rechtfertigung 
geben zu müssen. Es werde ihm Jemand einwenden, wenn 
keine Uhr, horologium, vorhanden, und die Nacht dunkel sei, 
so könne man nicht die Stunden und die darin gelegenen Län- 
der erkennen. Dagegen führt er an: es werde in der heiligen 
Schrift an mehreren Stellen die Mitternacht, media nox, ge- 
nannt; diese entspreche nach dem Urtheile der weisesten Män- 
ner der sechsten Nachtstunde, und so könne man von der ersten 
bis zur sechsten Nachtstunde, und von der sechsten bis zur 
zwölften fortzählen; ja er habe sogar in der Apostelgeschichte 
23,23 eine Erwähnung der dritten Nachtstunde gefunden; wem 
dies noch nicht genüge, der möge nur den Tagstunden die ent- 
sprechenden Nachtstunden gegenüberstellen, um die Richtigkeit 
jener Eintheilung zu erkennen. 

In ähnlicher unklarer Weise bewegen sich die Vorstellun- 
gen vom Ocean und vom Paradise, In Betreff des Oceans folgt 
der Verfasser der im Alterthume verbreiteten Ansicht, dals er 
die ganze Erde umflielse, jedoch mit der Beschränkung, dafs im 
äulsersten Osten, jenseits des Landes der Inder noch niemand 
den Ocean erreicht habe: denn wo bliebe sonst eine Stelle für 
das Paradis, das nach der heiligen Schrift im Osten sich be- 
fand? Er polemisirt (I, 5.) gegen gewisse Kosmographen, wel- 
che anderer Meinung sind, und man könnte leicht auf die Ver- 
muthung kommen, dafs hier wiederum Kosmas Indopleustes ge- 
meint sei. 

Dieser hält die Erde für ein Rechteck von ungefähr 400 
Tagereisen Länge und 200 Tagereisen Breite, jede zu 30 Mi- 
lien gerechnet; rings umher fliefst der Ocean, und jenseits des- 
selben liegt auf allen vier Seiten ein neues Land, welches als 
Fundament einer grolsen, das ganze Weltall überwölbenden 


Nachtrag. 631 


Mauer dient (p. 187). In dem. östlichen Theile dieses neuen 
Landes, also von der Erde durch den Ocean geschieden, liegt 
das Paradis. Der Ravennat verwirft die Möglichkeit, dals ein 
sündiger Mensch, wenn er auch noch so weit nach Osten gehe, 
das Paradis betreten könne: denn wo bliebe sonst das feurige 
Schwert, (gladius versatilis I, 7) welches bis zur Rückkehr Chri- 
sti am jüngsten Tage das Paradis bewacht? Kosmas dagegen 
behauptet, das Paradis sei nicht auf der Erde: denn da manche 
Menschen des Seidenhandels wegen bis nach Sina gingen, wa- 
rum sollten sie nicht auch eine Reise unternehmen, um sich 
das Paradis anzusehn? Der Ravennat setzt das Paradis an das 
Ufer des östlichen Oceans jenseit einer undurchdringlichen Wüste, 
die noch über das Land India Dimirica Evilat hinausreicht (I, 6). 
Er beruft sich dabei auf den heiligen Athanasius, nach welchem 
die gewürzreichsten Pflanzen im Osten wachsen, weil sie von 
_ den aus dem Paradise herüberwehenden Winden berührt wer- 
den. In Armenien könne das Paradis nicht gelegen haben, weil 
das Land viel zu kalt und bergig sei. Einige pseudocosmogra- 
phi hätten zwar behauptet, der Tigris und Euphrat, zwei von 
den Paradisesflüssen entsprängen in Armenien; dies sei aber 
nicht richtig, vielmehr kämen sie aus dem Paradise, flössen viele 
Milien unter der Erde fort, und träten in Armenien wieder her- 
vor (1, 8). Kosmas läfst alle 4 Paradisesflüsse den Ocean durch- 
schneiden (r0v ’Rzsavdv Ömrzwvovs:) und in die diesseilige Erde 
einflielsen (p. 149). 

Nach ihm wohnt Noah noch in der Nähe des Paradises, 
jenseits des Oceans, den die Arche bei der Sündflut wunder- 
barer Weise (r«gado&us) überschilft, und auf dem Berge Ara- 
rat landet (p. 131). Dies wagaöo&ws bezieht sich darauf, dals 
Kosmas den grolsen Ocean überhaupt gar nicht für beschiffbar 
hält wegen der Dicke der Luft, der Höhe der Wellen und der 
gewaltigen Ausdehnung, sondern nur die vier aus dem Ocean 
flielsenden Meerbusen 4) den Römischen 2) den Arabischen oder 
Erythräischen 3) den Persischen und 4) den Hyrkanischen oder 
das Kaspische Meer. Die drei ersten hat Kosmas selbst be- 
sucht, den grofsen Ocean aber nur in der Ferne gesehn. Denn 
als er einst nach Indien schiffte, traf er bei dem Orte Zingium 
(Zuyyıs age an der Ostküste von Afrika, Piol. 4,7. p. 301 

44® 


632 | Nachtrag. 


Wilb.) eine Menge Vögel, Namens soösrd« (oder soirp«) und 
die Luft wurde sehr schlecht; da merkten alle, sowohl die Schif-- f} 
fer als auch die Reisenden, dafs der Ocean in der Nähe sei und 
kehrten voll Schrecken um (p. 132). 

Der Ravennat kennt drei Erdtheile, Europa, Asien, Afrika, 
welche an die drei Söhne Noahs, Japhet, Sem, Cham vertheilt 
werden, und zwar zu gleichen Theilen. Er folgt hierin dem 
heiligen Epiphanius (V, 16) und bemerkt ausdrücklich (IH, 11), 
der Antheil Chams sei nicht kleiner als der der beiden andern 
Söhne, sondern nur heilser und trockner, weshalb weniger Orte 
darin vorkämen. Das Bestreben, die drei Erdtheile gleich zu 
machen, ist vielleicht mit ein Grund ihrer Verzerrung. 

Kosmas hat dieselbe Dreitheilung, ist aber noch specieller. 
Von den Söhnen Japhets erhält Madai das Land der Meder, Jo- 
van die Jonier, Elisa die Helladiken, Theras die 'Thraker. Von 
den Söhnen Chams erhält Chus (Kusch) die Aethioper, Mizraim 
die Aegypter. Von den Söhnen Sems erhält Elam die Elami- 
ten und Asur die Assyrier. 

Die Vertheilung der Länder in die 12 Tages- und 12 Nacht- 
stunden ist bei dem Ravennaten kürzlich folgende: 

In die erste Tagesstunde gehören die Inder, hinter denen 
gegen Osten eine undurchdringliche Wüste liegt. 8 

In der zweiten Tagesstunde liegt das Land der Perser, in 
welches aus dem Oceane der grofse Persische Meerbusen hin- 
einreicht. 

In der dritten das Land der Araber mit dem Arabischen 
Meerbusen, der auch das Rothe Meer genannt wird. 

Die vierte Tagesstunde nehmen die Aethioper ein „qui 
Aethiopes plerique dracone vescuntur, ut testatur psalmigraphus” 
(1, 2.). Es heilst nämlich im 73. Psalme v. 14: tu confregisti 
capita draconis, dedisti eum escam populis Aethiopum. In diese 
Abtheilung gehört auch noch der grofse See Nusaclis, welchen 
der Nil durchlliefst, so wie „spatiosa Aegyptus et Alexandria 
famosissima”. 

In der fünften Tagesstunde liegt Aethiopia Garamantium 
auch Asbyste genannt (III, 2) mit dem Flufse Ger, den Bergen 
Naubaboni, den Seen Licumedis und Augitta. Weiter unten 


Nachtrag. 633 


(III, 3) heilsen die Berge Nauvavon, die Seen Licum und Au- 
gita. Mehr nach der Mitte zu liegt Mauritania Cyrenensis. 

In der sechsten liegt Aethiopia Biboblatis mit dem See 
Tage und den Bergen Tuliatodi, oder (III, 5) Tagges und Tul- 
liatodi. Gegen die Mitte hin liegt Numidia und Mauritania 
Caesariensis. 

In der siebenten folgt Mauritania Perosis mit den Bergen 
Litri (ebenso III, 9) und gegen die Mitte Mauritania Tingitana. 

Die achte Tagstunde enthält Mauritania Egel mit brennen- 
den Bergen, zu denen weiter unten (III, 10) der mons Ethna 
gerechnet wird. Andere Berge heilsen Bracae, unten Praxe. 
Dann Mauritania Gaditana „‚quae barbaro modo Abrida dicitur”. 
Hier wurden die Wandalen vom Belisar in das Innere von 
Afrika gejagt, und kamen nie wieder zum Vorschein (ebenso 
II, 10). 

Nun geht der Verfasser über das fretum Septemgaditanum 
nach Europa hinüber, und setzt in die neunte Tagstunde das 
berühmte Land der Spanier. 

In die zehnte Tagstunde gehören Galletien oder Spaniae 
Vasconum patria, welche unten (IV, 41) Spanoguasconia ge- 
 mannt wird. 

In der eilften Tagstunde liegt das Land der Vasconen, wel- 
ches sonst Aquitanien hiels. 

In der zwölften Tagstunde liegt Britonum patria oder (IV, 
39) Britannia in paludibus, die heutige Bretagne, und dahinter 
im Ocean die grolse Insel Britannia, die man erst nach einer 
Schiffahrt von zwei Tagen und zwei Nächten mit günstigem 
Winde erreicht; ferner die Insel der Scoten, welche auch Yber- 
"nia heilst. 

Die erste Nachtstunde (IH, 1) umfalst das Vaterland der 
Germanen, das jetzt von den Franken beherrscht wird, und im 
Ocean ebenfalls die Insel Britannien. 

Die zweite Nachtstunde wiederum Germanien, das Land der 
Frixones und dahinter Inseln. 

Die dritte Nachtstunde das Land der Sachsen und dahinter 
Inseln. 

Die vierte Nachtstunde das Land der Northmannen, welches 


634 Nachtrag. 


auch Dania heilst; weiter nach der Mitte zu Datia, Gipidia und 
Ilyricus. 

Die fünfte Nachtstunde das Land der Scirdifriner und Re- 
refenner. 

Die sechste Nachtstunde das Land der Scythen, woher der 
Stamm der Sclaviner kömmt. 

Die siebente Nachtstunde das Land der Sarmaten. 

Die achte Nachtstunde das Land der Roxolaner; dahinter 
im Ocean die Insel Scanza, von der die Gothen und Dänen | 
ausgegangen sind. 

Die neunte Nachtstunde das Land der Amazonen, nachdem 
sie den Gaucasus verlassen; dahinter Dardania und die Mäoti- 
schen Sümpfe. 

Die zehnte Nachtstunde enthält eine grolse Wüste und das 
Volk der Gazer in dem alten Scythien. 

Die eilfte Nachtstunde die kaspischen Thore, den Caucasus 
und eine undurchdringliche Wüste. 

Die zwölfte Nachtstunde Albanien, so wie das Land der 
Hyrkaner und Parther, das an das Baktrianische Indien gränzt. 

Diese allgemeine Eintheilung wird aber bei der Beschrei- 
bung der einzelnen Länder nur für Asien und Afrika beibehal- 
ten, für Europa gilt eine andere Reihenfolge. Sie beginnt mit 
den Ländern am Schwarzen Meere, geht durch Thracien, Moe- 
sien, Macedonien nach Hellas hinab, dann durch Dacien, Illy- 
rien, Dalmatien nach Pannonien und Liburnien, dann von Fran- 
cia Rinensis durch Schwaben, Burgund, Septimanien nach Ita- 
lien, endlich von Guasconien und Spanoguasconien nach Spanien. 

Hierauf folgt (V, 1—14) eine sehr specielle Küstenfahrt um 
das Mittelländische Meer, von Porcheron Periplus genannt, die 
in 14 Abschnitten 837 Orte mit einem Abstande von zusammen 
44620 Milien namhaft macht. Ein ähnliches, aber weit kleine- 
res Verzeichnils der Küstenorte und Schiffstände von Rom bis 
Arelate findet sich hinter dem Itinerarium Antonini p. 498—508 
Wess. 

Zuletzt giebt der Ravennat mehrere sehr ausführliche Listen 
von Inseln in alle den verschiedenen Meeren. 

Es ist nicht zu läugnen, dals er seine Erdansichten in einem 
so mangelhaften Latein und auf eine so unklare Weise vorträgt, 


i 


dals es oft schwer wird, den Sinn seiner Perioden herauszufin- 
den; an manchen Stellen muls man hierauf ganz verzichten. 
Sollte deshalb Jemand der Meinung sein, dafs das ungefüge 
Werk nicht der Mühe einer graphischen Darstellung, am we- 


Nachtrag. 635 


'nigsten einer so eingehenden und gewissenhaften, wie Hr. Kie- 
pert sie ausgeführt, verlohne, der möge sich erinnern, dals 
misgeschaffene und verwahrloste Kinder von den Ältern und 
Erziehern mit um so grölserer Liebe behandelt werden. 


—N Ne 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


in den Monaten September und October 1859. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Encke. 


17. Oct. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Kummer las über die allgemeine Theorie der 
geradlinigen Strahlensysteme. 


20. Oct. Öffentliche Sitzung zur Feier des 
Geburtstags Sr. Maj. des Königs. 


Zur Einleitung wurde von Hrn. Haupt ein Vortrag gele- 
‘sen, den der durch einen Unfall am Vorsitz verhinderte Sekretar 
Hr. Encke verfalst hatte. Er lautet wie folgt: 

Wie schon seit längerer Zeit, so wird auch die heutige Feier 
getrübt durch den Hinblick auf das harte Leiden, was nach dem 
Rathschlusse der Vorsehung über des Königs Majestät unsern 
Allergnädigsten Herrn verhängt ist. Ein schweres, der mensch- 
lichen Wissenschaft fast unbesiegbar scheinendes Geschick ruht 
auf dem Haupte, auf welches sonst die Wissenschaft und Kunst 
als auf ihren eigentlichen Protektor, mehr noch wegen seiner 
tiefen Einsichten und vorherrschenden Neigung, als wegen sei- 
ner Machtstellung aufzusehen pflegten. Wir können nur mit 
seinem ganzen getreuen Volke uns zu der demüthigen Bitte ver- 
einigen, dals es dem Himmel gefallen möge, auf die Tage der 
ängstlichen Bekümmernils und tiefen Trauer doch auch wieder 
Tage des froheren Dankgefühls und eines freudigeren Aufschwungs 
folgen zu lassen, und der höheren Fürsorge vertrauen, welche 
so sichtbar sich darin gezeigt hat, dafs sie die Geschicke des 

[1859.] 45 


638 Öffentliche Sitzung 


Vaterlandes in die festen und sicheren Hände des erhabenen 
Prinzen Regenten übergehen liels, zu welchem das gesammte 
Volk mit dem ungetrübtesten Vertrauen aufsieht. 

Die Rückkehr Sr. Majestät aus den südlichen milderen Kli- 
maten fiel in eine Zeit, in welche die Akademie so eben durch 
den Tod Al. v. Humboldt’s den schwersten Verlust in ihren 
Mitgliedern erlitten hatte, der ihr zugefügt werden konnte. Das 
Band welches den Verewigten an seinen Königlichen Herrn 
knüpfte, war ein ungewöhnliches, gegründet auf die gegenseitige 
Ähnlichkeit in vielen Bestrebungen, Neigungen und Thätigkei- 
ten. Es war ein tiefer Schmerz bei A. v. Humboldt stets 
vorherrschend, über die durch die Umstände gebieterisch gefor- 
derte Abwesenheit des verehrten Monarchen, und ein ähnliches 
Schmerzgefühl wird des Königs Majestät nicht fremd geblieben 
sein, als er den vieljährigen Freund im edlen Sinne des Wortes 
nicht mehr vorfand. Die Erinnerung dieses Bandes tritt uns 
heute so ungesucht entgegen, dafs einige wenige Bemerkungen 
über unser verewigtes Mitglied hier wohl ihre Stelle finden kön- 
nen. Sie sollen nicht das Andenken verherrlichen, nicht den 
weiten Umfang seiner Thätigkeit durchlaufen, sondern nur auf 
einige wenige Punkte hindeuten, welche seine wissenschaftliche Thä- 
tigkeit und Verdienste um die Geographie in einem kleinen Theile 
Nord-Amerika’s bei seiner ersten grolsen Unternehmung der ame- 
rikanischen Reise betreffen. 

Bei der amerikanischen Reise Al. v. Humboldt’s kann 
man in der That bedauern, dafs sowohl der vollständige Gang 
derselben, als die eigenen Resultate, nicht so zusammengestellt 
sind, dals man mit vollständiger Übersicht das sogleich erkennen 
kann, was wir ihm verdanken, und fast möchte man glauben der 
Umstand, dafs die Reise nicht als ein in sich geschlossenes und 
vollendetes Ganze uns vorliegt, sondern als ein Werk bestehend 
aus einer grolsen, anziehenden, aber nicht von Humboldt allein 
aufgefundenen Anzahl von Thatsachen, in vielfachen umfassenden 
Untersuchungen zusammengestellt, und in den einzelnen Ab- 
schnitten doch noch nicht völlig ausgearbeitet, sei von dem grolsen 
Reisenden selbst empfunden worden. Er war niemals angenehm 
berührt, wenn im Gespräch der Wunsch nach einer allgemeinen 
Übersicht angedeutet ward. Die Wissenschaft hat davon keinen 


vom 20. October 1859. 639 


Nachtheil gehabt, die Reise hat eben so viel und noch mehr ge- 
wirkt und gefruchtet, in der Zusammenfassung der an ihre Er- 
fahrungen sich anknüpfenden Arbeiten der früheren Zeit. Wohl 
aber würde sein eignes Verdienst noch heller erkannt werden 
können, wenn das was ihm selbst und allein gebührt ohne Bei- 
mischung vorläge. Es gehörte zu seinem eigentlichen Wesen, 
und seiner staunenswerthen Gelehrsamkeit und Belesenheit, dafs 
er bei jedem Gegenstande mit welchem er sich beschäftigte, das 
ganze vorhandene Material in seine Gewalt zu bringen suchte, 
und da ihm Alles zugleich dann durch die bewunderungswürdige 
Stärke seines Gedächtnisses gegenwärtig blieb, so fand er über- 
all Anknüpfungspunkte mit verwandten Gegenständen, Verglei- 
ehungen mit seinen eigenen Resultaten, Prüfungen und Unter- 
stützungen für seine neuen Aufschlüsse, Ergänzungen bei ein- 
zelnen Punkten, die entweder von ihm nicht hatten aufgeklärt 
werden können, oder die bei dem übermälsigen Drange des vie- 
len Beachtungswürdigen, als minder wichtig früher von ihm bei 
Seite gelassen waren, und später bedeutender hervortraten. Der 
Wunsch nach Vollständigkeit überwältigte ihn so, dals er das 
von Andern Entlehnte, oder aus ihren Arbeiten Abgeleitete, 
nicht so scharf, von dem was ihm allein zu verdanken war, son- 
‚derte, als für die reine Anerkennung seiner Verdienste dem Le- 
ser wünschenswerth gewesen wäre. 

Diese Art der Redaktion und der Verarbeitung des über- 
reichen Materials, was Humboldt selbst gesammelt und von 
seinen Vorgängern überliefert erhalten hatte, ist auch von dem 
Gelehrten, unserm verstorbenen früheren Collegen Oltmans, 
festgehalten worden, welchem Humboldt die Zusammenstel- 
lung und Bearbeitung seiner geographischen Ortsbestimmungen 
übertragen hatte. Die vortrefllichen Oltmans’schen Untersu- 
chungen über die Geographie des neuen Continents, erlauben 
nur mit einiger Schwierigkeit das was als das reine Verdienst 
von Humboldt angesehen werden muls, strenge von dem zu 
trennen, was man schon vorher wulste oder später während der 
Bearbeitung erfahren hat. Aber gerade bei diesem Punkte war 
auch die Sonderung der Humboldtschen Arbeiten von den 
fremden nicht nur nicht nothwendig, sie würde nachtheilig ge- 
wesen sein. Der Zweck eine möglichst genaue Gestaltung der 

45* 


640 Öffentliche Sitzung 


bis dahin so unbekannten Gegenden zu ermitteln, verlangte di 
Verbindung alles Gegebenen, und wenn auch dadurch das un- 
mittelbare Verdienst Humboldt’s weniger hervortrat, so kannf 
man doch mit Recht behaupten, das was wir jetzt wissen ist 
aus der Reise hervorgegangen. Ein wichtiger Theil des neuen 
Continents ist durch Humboldt und Oltmans in Bezug au 
die geographischen Ortsbestimmungen so aufgeklärt worden, dals 
ein ganz neues Licht darüber verbreitet ist. Wenn früher bei 
dem Gebrauche von Längen und Breiten häufig nur die Karten 
zu Gebote standen, bei denen es ganz ungewils war worau 
ihre Angaben sich gründeten, so haben die Arbeiten von Hum- 
boldt und die Bearbeitung von Oltmans, theils eine grolse 
Masse von älterem Material, namentlich aus den unbekannten 
aber werthvollen spanischen Quellen zu Tage gefördert, theils 
die neueren Methoden und ihre Verarbeitung an einem muster-| 
haften Beispiele gezeigt, und neuen Antrieb geweckt auf diesem 
Wege fortzuschreiten. In der That ist dieses nicht das kleinste 
Verdienst was Humboldt sich dadurch um die Geographie des 
neuen Continents erworben hat. 

Die Wichtigkeit dieser neuen Bestimmungen stand Hum- 
boldt deutlich vor Augen, und wirklich ging er auf das Beste 
vorbereitet an seine Aufgabe. Er hatte nicht blofs in dem 
Gebrauche der Instrumente, die er mitgenommen, sorgfältig 
sich eingeübt. Er hatte sich auch in den Stand gesetzt, was 
bei weitem seltener geschieht, an Ort und Stelle sogleich, 
wenn auch nur vorläufig, die Resultate so weit ableiten zu 
können, als es einmal für das fernere Fortschreiten zu ent- 
fernteren Gegenden ihm nothwendig war, und ihm auf der Reise 
selbst die Gewilsheit geben konnte, dals ihm unbemerkt geblie- 
bene ungünstige Einflüsse, die Genauigkeit die er erreichen 
wollte, nicht beeinträchtigt hätten, dann aber auch dem künftigen 
Bearbeiter das so nothwendige Verständnils zu eröffnen oder zu 
erleichtern dienen konnte. Die Vorrede von ihm selbst zu dem 
Oltmans’schen Werke, giebt über die Gründlichkeit seiner f 
Vorbereitungen, so viele Andeutungen, dals sie von Jedem der 
ihm nacheifern will sorgfältig zu erwägen ist. Zuvörderst hebt 
er hervor, dals er es sich zur Pflicht gemacht habe, alle ange- 
stellten Beobachtungen ohne Ausnahme in sein Tagebuch einzu- 


TA 


vom 20. October 1859. 641 


tragen. Die kleinsten Umstände, welche auf die Genauigkeit der 
Messungen Einfluls haben konnten, wurden mit aufgezeichnet. 
Er setzt hinzu: Da ich oft zu besorgen hatte, dafs ich nie nach 
Europa zurückkehren würde, und meine astronomischen Beob- 
achtungen möglicher Weise erst nach meinem Tode erscheinen, 
so durfte ich nichts vernachlässigen, was Andere in den Stand 
setzen konnte, den Werth oder Unwerth der Resultate zu be- 
urtheilen. Es ist ergreifend, diese im Jahre 1809 gemachte 
Äufserung über die Grundsätze die er sich Anno 1799 zum Ge- 
setze gemacht und an welchen er unverbrüchlich festgehalten, 
bei einem Manne zu lesen, dem die gütige Natur gestattet hat, 
weit über das gewöhnliche menschliche Lebensziel hinaus, die 
geistige Thätigkeit zu bewahren, die bei dem Beginne seiner 
Laufbahn ihn auszeichnete. 

In der That aber hat die consequente Durchführung dieses 
Vorsatzes ihre vollen Früchte getragen. Wer die Erfahrung 
gemacht hat, wie viel selbst in ruhiger Lage dazu gehört, nach 
einer mit Anstrengung aller Aufinerksamkeit gemachten Beob- 
achtung nicht blofs der wesentlichsten, sondern auch der klein- 
sten Umstände sich bewulst zu bleiben, und die Mühe sich nicht 
verdrielsen zu lassen sie so aufzuzeichnen, dals sie später immer 
‚gegenwärtig bleiben, wird selbst beurtheilen können wie viel 
dazu gehört, unter den Zerstreuungen einer mühsamen Reise, 
und unter den Entbehrungen in unwirthbaren Gegenden, den 
einmal gefalsten Vorsatz durchzuführen. Nur die bewunderungs- 
werthe Leichtigkeit Humboldt’s in der mündlichen und schrift- 
lichen Mittheilung konnte das Ziel so erreichen. Die seltene 
Begabung in dieser Hinsicht, stets sich seiner augenblicklichen 
Thätigkeit klar bewulst zu sein, so klar dafs es ihm kaum Mühe 
zu machen schien, sogleich sie in ausgesprochenen Worten An- 
dern mitzutheilen, ist ihm bis in sein höchstes Alter vorzugs- 
‚weise eigen geblieben, und wie er von früher Zeit an sie besessen 
haben muls, so hat er sie durch fortwährende Übung gestärkt 
und vervollkommt, und die ungeschwächte Erhaltung seiner gei- 
stigen Kraft, bis in sein höchstes Alter, kann zum grofsen Theile 
dieser fortwährenden Übung unter allen entgegenstehenden Hin- 
dernissen zugeschrieben werden. Das ganz aulserordentliche Ge- 
dächtnils, was ihn bis zuletzt nicht verliels, war gewils durch 


642 Öffentliche Sitzung 


diese Einübung immer gestärkter geworden, und die ihm von 
der Natur verliehene Gabe in seinen Händen kein mülsiges Pfand 
geblieben. Selbst in der Aufbewahrung und Sammlung seine 


schriftlichen Notizen, zeigte sich diese hervorragende Eigenschaft. 
Unermüdlich wie er bis zuletzt blieb, die gesammelten Kennt- 
nisse durch schriftliche Aufzeichnungen bei sich festzuhalten, 
war es im höchsten Grade überraschend, mit welcher Leichtig-$ 
keit die im kleinen Raume zerstreute, und für den Zuschauer 
anscheinend regellos unter einander geworfene Notizenmasse, in 
seiner Nachsuchung sogleich sich ordnete und fast augenblick | 
lich sich zusammenfand. Nur allzuhäufig wird das hervorragendef 
Talent als eine Gabe der Natur allein angesehen. Man vergilstf 
ganz wie Anstrengung und Ausdauer, ununterbrochen und rast- 
los wirkend, die Naturgabe ausbilden muls und ausgebildet hat, 
wenn man plötzlich den grofsen Erfolg in die Augen treten sieht.f 

Mit dieser Eigenschaft war eine zweite verbunden, die 
Humboldt nicht erwähnt, die aber eng damit zusammen hängt 
und Dem der näher in das Einzelne eingeht sogleich sich dar- 
stellt, nämlich die ungemeine Gewissenhaftigkeit und Unbefan-f 
genheit, mit welcher Humboldt, ohne Rücksicht auf die grö- 
[sere oder geringere Übereinstimmung seiner Beobachtungenf 
unter sich, sie mittheilt. Schon bei dem ersten Studium des 
Oltmans’schen Werkes vor meiner Versetzung nach Berlin, 
lag sie mir klar vor Augen, und je mehr in neuerer Zeit zum 
Theil mit wegen der Güte der Instrumente, das Bestreben vor-f 
herrscht, nicht blofs gute Beobachtungen zu liefern, sondern 
auch solche die der Güte der Instrumente entsprechend, die 
eigne Geschicklichkeit durch ihre Übereinstimmung unter sich 
in gleicher Güte hervortreten lassen, desto höher muls man diese 
Humboldtsche Eigenschaft anschlagen. Um so mehr glaube 
ich sie erwähnen zu müssen, als hin und wieder die Bemerkung 
dals man jetzt einen höheren Maalsstab anlegen müsse, etwas 
der amerikanischen Reise zur Beeinträchtigung dienen könnte. 
Mit dem vollsten Rechte sagt Humboldt in der Vorrede zu 
dem Oltmans’schen Werke, dafs in den Wäldern von Süd-} 
amerika, unter dem Geschwirre der stechenden Mosquito’s, und 
einer nächtlichen Erleuchtung von brennenden Pechfackeln, ver- 
bunden mit der Schwierigkeit immer einen gutgelaunten und 


vom 20. October 1859. 643 


binlänglich geübten Gehülfen zu finden, der die unentbehrlichen 
Hülfsleistungen macht, nach einer ermüdenden Tagesreise von 8 
bis 12 Stunden, zugebracht auf dem Rücken eines unbequemen 
Maulthiers, oder eingezwängt in ein enges Schilfdach auf dem 
Kanoe, die Genauigkeit nicht erreicht werden kann, die er 
selbst später als für sich mit denselben Instrumenten erreichbar, 
auf der Pariser Sternwarte nachgewiesen hat. Aber um so ver- 
zeihlicher wäre die Weglassung von solchen Beobachtungen ge- 
wesen, welche einen grölseren unvermeidlichen Mangel zeigten. 
In der That findet man Reihen von der verschiedensten Güte, 
sehr schön und minder gut übereinstimmende. Alle aber sind 
so gegeben wie sie gemacht waren. Selbst solche wie z. B. 
eine Reihe von Mond-Abständen in Mexico, die Humboldt 


‚selbst für schlecht erklärt, und die in der That ein fehlerhaftes 


Resultat geben, sind nicht unterdrückt. Humboldt war sich 
bewulst welche Grenze der Genauigkeit für ihn erreicht werden 
konnte, und welche für seinen Zweck, der Bestimmung einer 
geographischen Länge oder Breite innerhalb einer gewissen An- 
zahl von Secunden, in Gegenden welche überhaupt noch jeder 
guten Bestimmung entbehrten, erreicht werden mulste. Jene 
suchte er jedesmal so viel die Umstände es gestatteten zu er- 


reichen, aber wenn er sie auch im Einzelnen nicht ganz er- 


reicht hatte, so hatte er die Überzeugung: dafs durch Vermeh- 
rung der Beobachtungen im Endresultate, wenn man nur alles 
Vorhandene zusammennimmt, sie ihm nicht entgangen sein könne, 
und liels sich nicht durch eine ungerechtfertigte Kritik ab- 
schrecken, jede seiner Leistungen mitzutheilen. Bei dieser ver- 
fuhr er so, dals er wenn irgend möglich durch Wiederholung 
mehrerer Tage eine Prüfung erhielt, ob sie genügend gesichert 
sei. Er sagt selbst: Es ist mir stets eine schmerzhafte Empfin- 


_ dung gewesen, einen Ort verlassen zu müssen an dem ich nur 


eine einzige Nacht beobachten konnte, und an welchem Culmi- 
nationen mehrerer Sterne nicht gehörig übereinstimmende Re- 
sultate gewährten. Die vollkomne Einsicht in diese beide Gren- 
zen spricht sich in der unbefangenen Mittheilung der Beobach- 
tungen in aller Vollständigkeit aus, und fast möchte man sagen, 
gerade die Verschiedenheit im Einzelnen, wo sie stattfindet, 
sichert den Bestimmungen den innern Werth, dafs sie wohl 


644 Öffentliche Sitzung 


später verbessert werden können, aber nirgends von der Wahr- 
heit irgend bedeutend abweichen. 

Dabei gereichte ihm eine Fertigkeit, die er ebenfalls sich 
angeeignet hatie, sehr zum Vortheil, dafs er nämlich sich in den 
Stand gesetzt hatte, die Resultate, wie schon oben erwähnt ist, 
wenigstens im Allgemeinen an Ort und Stelle sich ableiten zu 
können. In der Vorrede wird erwähnt, dals er selbst zwei 
Drittheile der Beobachtungen in Amerika vorläufig berechnet 
habe. Für die Sonnenhöhen war es zur Prüfung seines Chro- 
nometers unerlälslich. Aber selbst die schwierigere Berechnung 
der Monddistanzen hat er, allerdings nur gruppenweise, nach den 
Tafeln und nach Borda’s Methode in Amerika berechnet. Eine 
Anstrengung die um so höher anzuschlagen ist, als die Hülfs- 
mittel welche ihm die vorausberechneten Ephemeriden darboten, 
damals noch nicht die Bequemlichkeiten hatten wie die jetzigen 
neueren. Wie sehr durch diese vorläufige Bearbeitung der Be- 
obachtungen von Neuem die Zeit des Reisenden in Anspruch 
genommen werden mufste, braucht gewils nicht ausdrücklich 
hervorgehoben zu werden, aber dieser neue Beweis des hohen 
Ernstes, womit Humboldt seinen Zweck verfolgte, durfte um 
so weniger übergangen werden, je weniger gewöhnlich diese 
Zeitanwendung bei ihm bekannt geworden ist. 

Die Auswahl der Instrumente, welche er für die Reise be- 
stimmt hatte, zeugt von der gleichen Sorgfalt. Hiebei war Hr. 
von Zach wahrscheinlich sein Rathgeber, unter dessen Leitung 
er zuerst den Gebrauch derselben eingeübt hatte. Die Wid- 
mung des Oltmans’schen Werkes an diesen Astronomen und 
unsern grolsen Gauls, spricht den Dank von Humboldt da- 
für aus, dals Hr. v. Zach ihn aufgefordert hatte auch mit astro- 
nomischen Beobachtungen sich zu beschäftigen. Der Sextant 
war das Instrument, welches Hr. v. Zach mit dem gröfsten 
Eifer auf dem Continente eingeführt hatte, und eben dieses In- 
strument bildete auch den hauptsächlichsten Theil der Ausrü- 
stung von Humboldt, ein grölserer von Ramsden, ein klei- 
nerer von Troughton. So wie Humboldt gesteht, dals er 
viele der frohesten Stunden seines Lebens der Aufforderung von 
Zach verdankt, dals seine Neigung zur praktischen Astronomie 
seitdem mit jedem Jahre zugenommen, ja dals er vielleicht der- 


3 


’ 


f vom 20. October 1859. 645 


selben während seiner Reise mehr Zeit gewidmet, als er nach 
der Mannigfaltigkeit der übrigen Gegenstände hätte thun sollen; 
so blieb auch bis in sein höchstes Alter der Sextant sein Lieb- 

- lings-Instrument. In der That empfiehlt er auch ausdrücklich 
jedem Reisenden sich mit einem oder mehreren solchen auszu- 
rüsten. Ohne ihn würde er an den Ufern des Orinoko und 
Magdalena- Stromes wahrscheinlich nur zu sehr wenigen Resul- 
taten gelangt sein. Aber die Eigenschaften des Sextanten nur 
Abstände von 2 sichtbaren Punkten messen zu können führte 
eine neue und anstrengende Thätigkeit herbei, die hauptsächlich 
deshalb lästig war, weil sie bei der hohen Stellung der Sonne 
in den tropischen Gegenden, nächtliche Beobachtungen verlangte. 
Und dabei ist die Schwierigkeit der wirklichen Messung bei 
Sternen, zur Erreichung von Genauigkeit, beträchtlich gröfser 
als bei der Sonne. Alle diese Hindernisse wegen welcher Hum- 
boldt mit Recht den Wunsch ausspricht wo möglich eines 
Theiles der nächtlichen Beobachtungen überhoben zu sein, 
schreckten ihn nicht ab von dem Sextanten den häufigsten Ge- 
brauch zu machen, und einen kleinen Birdschen Quadranten, der 
einen Theil dieser Unbequemlichkeit nicht hat, aber dafür einige 
Einrichtungen verlangt, die wie z.B. die feste Aufstellung, sich 
auf Reisen weniger leicht erreichen lassen, nur seltener zu ge- 
brauchen. Es gehört zur richtigen Würdigung der Humboldt- 
schen Erfolge sich dieser erschwerenden Umstände bewulst zu 
sein. Am Tage fortwährende anderweitige Untersuchungen, und 
in der Nacht die mühsamen Vorbereitungen zum Gebrauche des 
Sextanten, verbunden mit allen den Nachtheilen, welche die 
nothwendige Erleuchtung in uneingerichteten Lokalen mit sich 
führt, sind Umstände deren Vereinigung jeden Andern von der 
unablässigen Verfolgung seines Zieles, wie Humboldt sie 
zeigte, abgeschreckt haben würden. 

Aber unermüdet suchte Humboldt Alles zu erreichen, was 
irgend dazu beitragen konnte seinen Bestimmungen Genauigkeit 
und Sicherheit zu verschaffen. Als ein glänzendes Beispiel kann _ 
man die Längenbestimmung von Cumana, dem ersten Orte, den 
er auf dem Continente von Südamerika betrat, anführen, wo er 
bei einem längeren Aufenthalte alle Methoden bei dieser schwie- 
rigen Festsetzung anwandte, welche die damalige Kenntnifs auf- 


646 Öffentliche Sitzung 


gefunden hatte, und so glücklich war auch solche Erscheinungen 
benutzen zu können, deren Herbeiführung nicht in seiner Macht 
stand, wie z. B. eine Sonnenfinsternils. Er bestimmte die Länge 
auf vier verschiedenen Wegen. Zuerst durch den Berthoud’schen 
Chronometer, einen für seine Zeit vorzüglichen, mit welchem er 
sich für die Reise ausgerüstet hatte. Er fand sie um ein Vier- 
tel einer geographischen Meile westlicher von Paris, als das End- 
resultat von Oltmans annimmt. Dann bestimmte er sie durch 
Distanzen des Mondes von dem Antares, nach welchen sie fast 
zwei geographische Meilen östlicher fiel. Als ein Beispiel der 
Anmerkungen, welche Humboldt seinen Beobachtungen bei- 
fügte, mögen hier noch seine Worte stehen: 7 aoüt. Ramsden. 
Nuit. Pour la longitude distances d’Antares ü la lune; obser- 
valion tres penible, a cause de la hauteur et de la grande clarte 
de la lune dans la zone torride. Les etoiles les plus brillantes 
sont ü peine visibles quand on les rapproche de la lune. Je 
crains que l’observation ne soit pas trop bonne. Es war dabei 
das eigne Urtheil von Humboldt, dafs er bei dieser ersten 
Längenbestimmung auf amerikanischem Boden, sich für einen in 
Mondabständen wenig geübten Beobachter hielt, wie Oltmans 
es anführt. Auf einem dritten Wege, durch Beobachtung von 
Jupiterstrabanten- Verfinsterungen, fand Humboldt aus seinen 
Beobachtungen die Länge noch keine halbe Meile westlicher als 
die endliche Annahme. Endlich bot sich noch die Beobachtung 
einer Sonnenfinsternils am 28. October 1799 dar, die aber, da 
eine correspondirende Beobachtung fehlte, von Oltmans nur 
mit den damaligen weniger guten Tafeln berechnet werden 
konnte. Er findet hiernach die Länge noch keine Meile öst- 
licher. Die neueste Connaissance des tems hat die Oltmans’sche 
Bestimmung als die sicherste aufgenommen, nämlich zu 66° 30’ 
westlich von Paris. Die Connaissance des tems von 1810, sechs 
Jahre nach der Beendigung der Humboldtschen Reise, giebt 67° 
35’ an, oder setzt Cumana um 16 geogr. Meilen weiter nach 
Westen. Allerdings darf hier nicht unerwähnt bleiben, dals 
spanische Karten, und die gerade um dieselbe Zeit ausgerüsteten 
spanischen Expeditionen, selbst einige englische Karten, die 
Länge bei weitem richtiger gaben. Aber gerade darin besteht 
ein Haupteinflulfs den die Humboldtsche Reise auf die Ortslage 


R 


vom 20. October 1859. 647 


in Amerika hatte. Sie gab nicht blofs an welche Länge und 
Breite er jedem Orte zutheilte, sondern veröffentlichte auch die 
Beobachtungen auf welche seine Annahme sich stützte, dabei 
erschlols sie die Schätze, welche die viel zu wenig bekannten 
vortrefllichen Arbeiten der Spanier in sich bargen, und indem 
sie in Humboldt’s Beobachtungen den festen Anhalts- und 
Schwerpunkt darbot, sammelten sich durch Humboldt’s Ver- 
bindungen die zerstreuten und verborgen gebliebenen Annahmen 
der andern verdienstvollen Geometer. Für diesen geographischen 
Abschnitt der Reise kann man in der That sagen, dals er gerade 
in eine Zeit fiel, die eines solchen festen Haltpunktes am mei- 
sten bedurfte, um die schon erworbenen Resultate nicht verlo- 
ren gehen, oder wenigstens nur den Wenigen bekannt werden 
zu lassen, welche ein spezielles Studium daraus machten. Schon 
im Jahre 1795 hatte die spanische Regierung, deren Verdienste 
um diesen Theil unserer Kenntnisse viel zu wenig bekannt sind, 
eine grölsere Expedition ausgerüstet. Durch sie kennen wir einen 
kleinen Abschnitt in der Gegend der Antillen. Bei der ange- 
wandten Sorgfalt haben sich wenige Aufnahmen einer glei- 
chen Genauigkeit zu erfreuen. Aber Krieg und Mangel an 
Geldmitteln haben diese für alle Nationen so wichtige Arbeit 
unterbrochen. 

Im Verlauf seiner weiteren Reise im Jahre 1801 traf Hum- 
boldt in Carthageno mit der ganzen Expedition von Fidalgo 
zusammen und wurde von demselben mit der gröfsten Zuvor- 
kommenheit empfangen. Sie verglichen Punkt für Punkt ihre 
Resultate mit einander, und waren höchst erfreut eine grofse 
Harmonie wahrzunehmen. Die Länge von Cumana ist seit den 
Jahren 1802 in den Karten des Deposito hydrografieo sehr 
nahe richtig angegeben, und an einer Stelle, wo Fidalgo’s aus- 
drücklich erwähnt wird, fällt die Annahme der Länge nur fast 
® Meile westlich von dem ÖOltmans’schen Resultate. Aber die 
Humboldtsche Bestimmung hat den grofsen Vortheil die Be- 
obachtungen nachzuweisen auf welchen sie sich gründet. Von 
seiner Zeit an kann man in allen guten gewöhnlichen Karten 
versichert sein, solche Verrückungen der Lage, wie sie noch 
nach den verschiedenen Angaben der früheren Annahmen mög- 
lich waren, nicht mehr anzutreffen. Humboldt hat die rich- 


648 Öffentliche Sitzung 


tigen Angaben über die Lage der Örter nicht blofs ermittelt, er 
hat sie auch so begründet, dals sie die allgemeinste Verbreitung 
erhalten haben. Ähnliche Untersuchungen von Humboldt 
kommen bei mehreren Hauptpunkten vor, ich will nur die Ha- 
vanna, Quito, welches um mehr als 12 Meilen falsch bestimmt 
war, Lima und Mexico erwähnen, deren Lage seit Oltmans’s 
Berechnungen durch Humboldt eine feste Grundlage erhalten 
hat, die, wenn sie auch Verbesserungen erfahren wird, doch 
durch Humboldts Werk mit einer vor ihm nicht gekannten 
Sicherheit angenommen wird. 

Humboldt giebt die Zahl seiner Ortsbestimmungen zu 
etwa 200 an. Um hierüber im Einzelnen eine Übersicht zu 
erhalten, werde ich mir erlauben, seine Reise nach den einzel- 
nen Abschnitten, in welche sie bei Oltmans getheilt ist, kurz 
durchzugehen, und bei jedem derselben die Ortsbestimmungen 
ihrer Anzahl nach anzugeben, von denen es gewils ist, dals 
Humboldt sie selbst gemacht hat. Es wird mir dazu eine Ab- 
schrift des Conspectus der Längen- und Breitenbestimmungen 
dienen, welche auf der Reise von Humboldt gemacht sind, 
und bei welchen die Stellen des Reisemanuscripts angegeben 
sind, wo die Beobachtungen sich finden, so wie die Zeiten, zu 
welchen sie angestellt sind. Das Manuscript rührt von Olt- 
mans’s eigener Hand her und ist im Besitze der hiesigen 
Sternwarte. Dals die Endbestimmungen nicht allein aus diesen 
Humboldtschen Beobachtungen abgeleitet sind, sondern auch 
andere zu Rathe gezogen, kann für den gegenwärtigen Zweck 
nichts ausmachen. Es wird auf diese Weise am sichersten über- 
sehen werden können, was Humboldt allein geleistet hat. 

Humboldt hielt sich in Spanien vom 3. Januar bis 5. Juni 
4799 auf. Beschäftigt mit den Zubereitungen zu seiner Reise, 
konnte er nur eine kleine Anzahl von Beobachtungen anstellen. 
Ein Theil aller Beobachtungen, die er in Madrid gemacht hatte, 
gingen durch einen nicht aufgeklärten Unfall zu Grunde. Am 
5. Juni schiffte er sich auf der spanischen Fregatte Pizarro in 
Corunna ein und erblickte am 13. Juli die hohen Küsten von 
Tabago und Cumana. 

In dem Conspectus von Oltmans werden aus dieser Zeit 


vom 20. October 1859. 649 


10 Ortsbestimmungen aufgeführt, unter welchen sich Teneriffa 
befindet. 1799 Januar bis Juli. 

Kurz nach der Erblickung der hohen Küste von Tabago 
und Cumana landete Humboldt am 16. Juli 1799 in diesem 
Hafen; bis in die Mitte des Novembers war er mit physikali- 
schen und astronomischen Beobachtungen beschäftigt, um zu- 
gleich den Gang seines Chronometers zu erforschen. Er machte 
in der Zwischenzeit vom 4. bis 23. September eine Reise in 
das Innere von Neu-Andalusien, kehrte nach Cumana zurück 
und schiffte sich am 18. November nach Caraccas ein, um von 
da in das Innere des Landes einzudringen. 

Der Oltmans’sche Conspectus führt aus dieser Zeit 1799 
Juli bis 1799 November die Anzahl von 12 Humbo!dtschen 
Ortsbestimmungen auf. 

Auf seiner Reise nach Caraccas bestimmte Humboldt 
einige der Inseln. Bis Anfang Februar’s 1800 mit physikali- 
schen und astronomischen Beobachtungen beschäftigt, trat er 
dann seine Reise in das Innere an. Die kleine Grenzfestung, 
San Carlos, gegen Brasilien war das südlichste Ziel dieser Reise. 
Von San Carlos de Negro fuhr er den Cassiquiari aufwärts, 
jenen mächtigen Arm, der den Orinoco mit dem Rio Negro 
und dem Amazonenfluls verbindet, er lief in den Orinoco ein, 
den er von Esmeralda an fast von seiner Quelle bis zu seinem 
Ausflusse, sich der Gewalt der Strömung überlassend, in 22 Ta- 
gen hinabfubr. Die theoretischen Zweifel, welche man gegen 
diese Verästelung des Orinoco mit dem Rio Negro und also 
mit dem Amazonenfluls aufgestellt hatte, wurden durch diese 
Reise vernichtet. 

Der Oltmans’sche Conspectus führt in dieser Zeit, wo Hum- 
boldt am Ende derselben noch auf kurze Zeit nach Cumana 
zurückgekehrt war, 1799 November bis 1800 November, 39 
Ortsbestimmungen auf. Seine Längenbestimmungen von San 
Carlos veränderte die frühere Aunahme um volle 2 Grade oder 
etwa 30 Meilen. — Seine Bestimmungen waren hier hauptsäch- 
lich auf den Lauf der grolsen Flüsse gerichtet. 

Auf der Fahrt von Cumana über Barcelona nach der Ha- 
vanna wurden mehrere wichtige Punkte, dann auch Havanna 
selbst bestimmt. Im Anfange des Jahres 1801 durchreiste er 


650 Öffentliche Sitzung 


einen Theil von Cuba, bestimmte mehrere Punkte im Innern 
und kehrte im Februar von 1801 nach Havanna zurück, um 
sich nach Cartagenas de Indias am Festlande von Südamerika 
einzuschiffen, auf welcher Reise er wiederum mehrere Punkte 
bestimmte. 

Der Oltmans’sche Prospectus führt in der Zeit, von 1800 
Ende November bis 1801 März, 30 Ortsbestimmungen auf. 

Bis zu diesem Zeitpunkte, also während zweier Jahre, geht 
der erzählende Reisebericht, der in 3 sehr starken Quartbänden 
von Humboldt selbst erschienen ist. Der letzte Band ist von 
1825 datirt. In den folgenden 3 Jahren der Reise konnte ich 
mich nur an die astronomischen Beobachtungen halten, deren 
Datum mit Sicherheit angab, an welchem Orte Humboldt sich 
jedesmal befand. 

Sein ursprünglicher Plan sich an Baudin’s Expedition anzu- 
schliefsen, um Neu-Holland und die Molukken zu untersuchen, 
mulste aufgegeben werden, weil Baudin Peru nicht berührte. 
Er wählte deshalb von der Ostküste Südamerikas nach der West- 
küste den Landweg. 

Er hielt sich noch eine Zeit lang in Santa Fe de Bogota 
auf und kam endlich nach vielen Beschwerlichkeiten im Januar 
1802 in Quito an. 

Der Oltmans’sche Conspectus führt in der Zeit, von 1801 
April bis 1802 Januar, 40 Ortsbestimmungen auf. 

In Quito bielt Humboldt sich vom 6. Januar 1802 bis 
zum 9. Juni 1802 auf. Mit geologischen und physikalischen 
Untersuchungen beschäftigt, vervielfältigte er seine astronomi- 
schen Beobachtungen indessen nicht so sehr, als er bei weniger 
Vertrauen auf die Arbeiten der Geometer die in der dortigen 
Gegend den_Grad am Äquator gemessen hatten, gethan haben 
würde. Oltmans’s Untersuchungen verändern sowohl nach 
Humboldt’s Bestimmungen, als nach den älteren, die Länge 
um mehr als 50 Begenminuten oder 12 geograph. Meilen. 

Im Juli 1802 verliels er Quito um die Länge von Lima, 
oder seines Hafens Callao, durch den bevorstehenden Merkurs- 
durchgang November 9. zu bestimmen; er bereiste dann die 
Cordilleren, in diese Zeit fällt die Besteigung des Chimborasso, 
und kam bei Truxillo wieder an die Küste des stillen Meeres 


vom 20. October 1859. 651 


herunter. Von da kehrte er nach Lima zurück und verliefs es 
am 25. December 1802. 

Der Öltmans’sche Conspectus weist für die Zeit vom Ja- 
nuar 1802 bis December 25. desselben Jahres 32 Humboldt- 
sche Ortsbestimmungen nach. 

Die Schiffahrt ging über Guayaquil nach dem berühm- 
ten Hafen von Acapulco, dem. Stapelplatze für die Ausfuhr 
der spanischen Handelsartikel nach den asiatischen Besitzungen 
der Spanier hin, wo er am Ende des Märzmonats landete. In 
der Zwischenzeit machte er von Guayaquil aus eine Landreise 
in das Innere des Landes. 

Der Oltmans’sche Conspectus führt aus der Zeit vom De- 
cember 25. 1802 bis zum März 1803 8 Ortsbestimmungen auf. 

Von dem März 1803 an war Humboldt mit den Unter- 
suchungen der dortigen Gegenden und Mexico’s bis zum Fe- 
bruar 1804 beschäftigt, wo er in Veracruz sich einschiffte und 
seine amerikanische Reise als geschlossen angesehen werden kann. 

Der Oltmans’sche Conspectus enthält aus dieser Zeit 30 
Ortbestimmungen von 1803 Ende März bis 1804 Februar, wo 
Humboldt mit Veracruz den Schauplatz seiner eigentlichen 
amerikanischen Reise verliels. Die Bestimmung von Mexico 
und die auf ungewöhnlichem Wege ausgeführte Verbindung 
von Mexico und Veracruz mögen hiebei die hervorragendsten 
Ermittelungen sein. 

Eine Anzahl weniger guter Bestimmungen, von denen 15 
mit dem Graphometer, einem Astrolabium ausgeführt sind, und 
andere nicht hinlänglich sicher bestimmter, sind aus diesem Ver- 
zeichnisse ausgeschlossen. Im Ganzen führt der Conspectus 
280 Bestimmungen auf, so dals bei den 201 eigenen Bestim- 
mungen also bei % dieser bekannt gewordenen Angaben, Hum- 
boldt mitgewirkt hat. Mehr als die Hälfte mögen ganz allein 
von ihm herrühren. 

Wenn man nach dieser flüchtigen und nackten Skizze der 
amerikanischen Reise die Resultate derselben übersieht, so tre- 
ten selbst bei diesem isolirten Fache, in dem Anfange der Hum- 
boldtschen Laufbahn, die vorragenden Eigenschaften hervor, 
welche auf seiner langen Lebenszeit auf eine bewunderungswerthe 
Art sich erhalten haben. Man kann in der That die amerikani- 


652 Öffentliche Sitzung 


sche Reise als den Anfang seiner glänzenden Laufbahn bezeich- 
nen. Früher (seine erste Schrift: üder einige Basalte am Rhein 
erschien im Jahre 1790) als Beamter des Bergwesens, als 
Mineralog und Botaniker beschäftigt, sind diese Arbeiten fast 
immer als vorbereitend für die Reise, und die auf derselben zu 
erforschenden vielfachen Gegenstände anzusehen. Verschieden 
davon sind seine vor der Reise erschienenen Versuche: Über 
die gereizte Muskel- und Nervenfaser, oder den Galanismus, 


nebst Vermuthungen über den chemischen Procefs des Lebens 


in der Thier- und Pflanzenwelt 2 Bde. 1797 —1799; in wel- 
chen nach dem Urtheile einiger Kenner sich eine vorzügliche 
Begabung zum Forscher, in dem dunkeln Gebiete der Natur- 


kräfte, hervortrat. Aber das eigentliche Lebens- und Wirkungs- 
gebiet eröffnete sich auf der amerikanischen Reise. Ganz abge- 


sehen von den so vielfachen Beschäftigungen mit so gut wie 
allen Naturwissenschaften während derselben, treten schon bei 
den geographischen Ortsbestimmungen alle die grolsen Eigen- 


schaften hervor, die seinen Namen so weit verbreitet und glän- 
zend hervorragend gemacht haben. Zuerst die bewunderungs- 


würdige Leichtigkeit, mit welcher Humboldt in ein neues 
Gebiet sich zurecht findet. Er hat wahrscheinlich nur sehr 
kurze Zeit auf seine Vorbereitungen in der praktischen Astro- 
nomie verwenden können, und doch sich eine Sicherheit in der 
Anwendung verschafft, die nicht blols die Zwecke, welche er 
auf seiner Reise verfolgte, vollkommen erreichen liefs, sondern 
selbst ihn in den Stand setzte, in der isolirten und für astrono- 
mische Hülfe so rathlosen Lage, in der er sich in Amerika be- 
fand, Irthümer, welche sich in den mitgenommenen Hülfsmit- 
teln zeigten, zu entdecken und nachzuweisen. Als ein glänzen- 
des Beispiel möchte ich eine Bemerkung aus dem Tagebuch 
(nach Oltmans) vom 1. Januar 1800 anführen. Humboldt 
klagt über die unbeständige Witterung in Caraccas, welche die 
für die Länge ihm so überaus wichtigen Ein- und Austritte der 
Jupiterstrabanten, manchmal nur 1% Minute vor ihrer Beobach- 
tung nicht zu sehen erlaubte. Er hatte 27 Nächte vergebens 
durchwacht. Am 4. Januar schreibt er in seinem Tagebuche. 
wir haben das neue Jahr mit einer Übereilung (Etourderie) an- 
gefangen. Wir wollten uns nach Galiego’s Wohnung am Fulse 


vom 20. October 1859. 653 


der Sillas begeben. Ungeachtet der uns bevorstehenden neun- 
zehnstündigen ermüdenden Fufsreise, beschlossen wir doch die 
drei Verfinsterungen des Jupiters zu beobachten, welche diese 
Nacht stattfinden sollten. Ich hatte die Zeit, wann sie statt- 
fanden, vorläufig für alle drei berechnet; ich durchwachte die 
Nacht, sah aber keine Austritte.. Bei dem Antritt an das Fern- 
robr sah ich schon 2 Trabanten, 4 Minuten später alle drei. 
Kurz nachher überzog sich der Himmel mit Wolken. Wie 
konnte ich drei Trabanten sehen, wenn von den vier Trabanten 
des Jupiters der vierte in den Schatten schon eingetreten sein 
mulste, und der erste noch im Schatten verborgen sein sollte? 
"Wenn man annehmen könnte, dals die Connaissance des tems, 
wonach ich die Zeit der Beobachtungen vorläufig berechnete, 
die Austritte statt in wahrer Sonnenzeit, in mittlerer angebe, 
so würde dann die Erscheinung aufgeklärt, und die Länge von 
Caraccas unter dieser gewagten Supposition 4" 40’ sein. Bei 
der Nachforschung fand Oltmans, dals Humboldt’s Erklä- 
rung die ganz richtige sei. Gegen die ausdrückliche Versiche- 
rung, dals die angegebenen Zeiten für wahre Zeit gelten soll- 
ten, waren sie nach mittlerer Zeit angesetzt. Es war aber diese 
Verwirrung nicht die einzige, die Humboldt auf seiner Reise 
entdeckte; in demselben Monate war auch einigemale die Zeit- 
gleichung mit verkehrtem Zeichen angesetzt. Humboldt be- 
merkt: man ziehe die Zeitgleichung ab von den Angaben der 
Connaissance des tems, so hat man die mittlere Zeit. Bei den 
richtigen Daten hätte man sie hinzusetzen müssen. 

Neben dieser Leichtigkeit sich in neue Fächer hineinzuar- 
beiten, tritt schon bei diesem Beispiele eine unermüdliche Thä- 
tigkeit hervor. Wenn nach den Tagesarbeiten für die verschie- 
denen Sammlungen, eine Reihe von 27 Nächten, und noch dazu 
vergeblich, durchwacht werden konnte, wenn keiner der 
Reiseabschnitte ohne eine mehr oder minder zahlreiche Ausbeute 

_ vorüber gelassen wird, eine Ausbeute, deren Reichhaltigkeit von 
den Umständen abhängt, ob es galt den Lauf grofser Flüsse 
durch einzelne Punkte zu bestimmen, wie bei dem Orinoco und 
Rio Negro, oder wenn eine längere Seereise nur Anfangs- und 
Endpunkte nebst einzelnen Zwischenstationen zu bestimmen er- 
laubte, wie in der Überfahrt von Südamerika nach Mexico, und 

[1859.] 46 


654 Öffentliche Sitzung 


wenn dieses geschieht bei einem Fache dessen Gegenstände we- 
nigstens nicht allzulange vor dem Beginne der Reise in den 
Kreis des zu Beobachtenden aufgenommen sind: so bedarf es 


nicht gerade der Anführungen von Zahlen, um bei den andern 


näher liegenden und leichtere Sammlungen von einzeinen Merk- 
würdigkeiten darbietenden Fächern, eine noch viel grölsere Aus- 
beute vorauszusetzen. 


Mit dieser unermüdlichen Thätigkeit verband sich bei den 


geographischen Ortsbestimmungen ein ungewöhnlicher grolsarti- 
ger Erfolg. Wenn man bedenkt, dafs ein Hafen an der Ost- 
küste von Südamerika Cumana, durch die Reise 16 Meilen 


mehr nach Ostgn, ein Hauptort an der Westküste Quito, fast. 


eben so viel nach Westen versetzt wurde, dafs also der Haupt- 
Umrils von Südamerika in wesentlichen Punkten, auch an der 
Küste, eine beträchtliche Verschiebung erlitt, die im Innern bei 


San Carlos z. B., auf das doppelte, auf 30 Meilen stieg: dals da- 
bei der Lauf der ungeheuren Ströme die diesen Theil Amerika’s ' 


durchschneiden, viel genauer erforscht, und in einzelnen Punk- 
ten bestimmt wurde, und selbst ihre Verbindung unter einander, 


nachdem man lange die Möglichkeit bezweifelt, festgestellt wurde: 


so sind diese grölseren Züge allein, ganz abgesehen von den ein- 


zelnen Berichtigungen, völlig hinreichend, um die Befriedigung 
erklären zu können, mit welcher Humboldt auf seine Reise 


zurücksehen konnte. Man pflegt wohl von dem Glücke zu spre- 


chen, wodurch die Gelegenheit zu grölseren, wichtigeren Er- 
forschungen dargeboten ist. Hier aber ward sie gegeben durch 
die sorgfältige Auswahl in der Richtung, die Humboldt ein- 
geschlagen hatte, so wie überhaupt nur höchst selten der blofse 
glückliche Zufall sich Dem darbietet, der ohne den tieferen Sinn 
für Forschung, sich auf dem gewöhnlichen Wege mehr forttrei- 
ben läfst, als selbst seine Laufbahn auswählt. Der Sinn eine 
solche Auswahl zu treffen, die auf grölsere weiter aussehende 
Unternehmungen gerichtet, den Geist in steter Spannung er- 
hält, ist Humboldt bis zu seinem Ende vorzüglich eigen ge- 
blieben, und hat ihn auch bei den Antrieben geleitet, welche 
von ihm auf Andere übergegangen sind. Selbst die vorherr- 
schende Neigung für die jugendlichen Kräfte die sich ihm zu- 
wandten, wenn sie auch manchmal nicht den Erfolg hatte, den 


vom U. October 1859. 655 


er sich davon versprach, war unstreitig mitbegründet in der Er- 
innerung dessen, was er in der vollen Kraft des Lebens, er war 
30 Jahre alt als er seine Reise antrat, zu leisten vermochte. 
Dabei nöthigten sowohl die Vorbereitungen zu dieser Reise, 
die nur durch ungewöhnliche Verkettung von günstigen Für- 
sprachen, bei einer bis dahin so wenig zu der Eröffnung eines 
freien Verkehrs mit den Colonien geneigten Regierung, ihm 
dem Protestanten, die so nöthige Erlaubnils und Unterstützung 
bei den Behörden gewähren konnte: als auch der stete unun- 
terbrochene Verkehr mit der Verwaltung in Amerika, fortwäh- 
rend ihn, die ihm eigenthümliche Begabung in der Behand- 
lung der ihn umgebenden Männer, geltend zu machen und in 
steter Übung zu erhalten. Nichts kann den Sinn für geselligen 
Verkehr und die Einwirkung welche er ausübt und empfängt, 
mehr verstärken als eine längere Reise, bei der die verschieden- 
sten Eindrücke in rascher Wechselfolge einander ablösend, die 
stete Berücksichtigung des vorgesetzten Zweckes erheischen, um 
die verschiedenartigsten Menschen für solche Pläne zu gewin- 
nen, von denen sie häufig nur sehr wenig klare Vorstellungen 
haben, und bei welchen die Empfänglichkeit dafür oft erst ganz 


neu geweckt werden muls. Seit der amerikanischen Reise war das 


Bedürfnils einer gesellschaftlichen Berührung, die sowohl ihn 
selbst anregte und häufig in seinen Forschungen förderte, als 
auch gröfsere Kreise für die Unternehmungen gewann, die er 
selbst auszuführen oder durch Andere ausgeführt zu sehen wünschte, 
ein wahrhaft unüberwindliches, dem er bis in sein höchstes 
Alter Opfer zu bringen bereit war, die selbst jugendliche Kräfte 
nicht hätten auf sich nehmen mögen. Was er durch die Ver- 
einigung dieser beiden Eigenschaften gewirkt hat, einmal durch 
die Wärme mit der er besonders jugendliche Talente aufnahm, 


in ihre Richtungen und Hoffnungen einging, und dann auch den 
ganz einzig in seiner Art dastehenden Einfluls benutzte, den die 


langjährige Verbindung mit den höchsten Kreisen ihm ver- 
schafft hatte: Wir Alle, die wir zu seinen Zeitgenossen, wenn 
auch nur am Abende seines Lebens gehört haben, haben es be- 
merken müssen, wenn wir vielleicht selbst an uns es nicht er- 


"probt haben, und die langeLebensdauer, welche der Himmel ihm 


vergönnte, hat ebenfalls das ihrige dazu gethan, um dieser Wirk- 
46* 


656 Öffentliche Sitzung 


samkeit eine so segensreiche und ausgebreitete werden zu lassen, 
wie in neuerer Zeit keinem Einzelnen je zu Theil geworden ist. 

Endlich kann hier nicht übergangen werden, dals der Sinn 
für genauere Annahmen, oder wenigstens für die besten unter denf 
neueren Annahmen, die ihm zu Gebote standen, welcher gerade 
durch die Ortsbestimmungen in ihm geweckt war, bis an das 
Ende seines Lebens ihn nicht verliefs. Unermüdlich und unter- 
stützt durch seine zahlreichen Verbindungen mit allen Gelehr-f 
ten, und mit einem feinen Takte versehen, der die zuverlässig- 
sten Autoritäten ihn richtig auswählen liels, sind die Angaben, 
die er in seinen spätesten Werken selbst niederlegte, immer so, 
dals man allerdings wohl zweifeln kann, ob man den Hypothe- 
sen, welche dabei von den Urhebern zum Grunde gelegt sind, f 
immer den Beifall schenken mag, den sie ihnen zu zollen sich } 
berechtigt glaubten. Nimmt man sie aber an, so wird fast ohne | 
Ausnahme, das was Humboldt als das Resultat angiebt, sof 
genau sein, dals man sich darauf als das wahre Endresultat‘$ 
verlassen kann. Die Peinlichkeit, welche Humboldt auf diese 
Ausfeilung seiner Schriften verwandte, wird von Jedem empfun- 
den sein, dem er das Vertrauen schenkte, ihn darin zu unter- 
stützen. Namentlich kann man dieses von dem letzten bewun- 
derungswürdigen Werke eines mehr als achtzigjährigen Mannes, 
von dem Kosmos sagen, in welchem die ganze Entwickelung 
der Humboldt’schen Natur sich wie in dem reinsten Spiegel 
darstellt. Die Höhe der Aufgabe, die er sich gestellt hatte, nach 
seinen eigenen Worten: „die Concentrirung unserer sinnlichen 
Anschauungen zu der Einheit eines Naturbegriffs” übersteigt, 
wie er selbst zugiebt, fast das Maafs, welches wir sowohl jetzt, 
als in Zukunft an unsere Wissenschaft anlegen dürfen. Unver- 
meidlich ist damit eine Auflösung in Einzelheiten verbunden, bei 
denen der Zusammenhang mit dem Ganzen nicht strenge nach- 
zuweisen sein möchte. Aber die Schönheit des Ausdrucks reilst 
den Leser hin, die Fülle der Gegenstände, welche ihm vorge- 
führt werden, überwältigt ihn. Er ahnet mehr als er sich nach- 
weisen könnte, dals ein Zusammenhang wohl stattfinden müsse, 
und folgt dem Verfasser in den einzelnen Angaben, welche er 
aus dem Schatze seiner Gelehrsamkeit darreicht, mit dem Ge- 
fühle, dafs wenn so Vieles schon aufgefunden worden, auch die 


vom 20. October 1859. 657 


Hoffnung immer weiter fortzuschreiten nicht aufgegeben werden 
darf. Dem ernsten Kenner wird ein Trieb zum tieferen Ein- 
dringen eingeimpft, der ihn über die enggestreckten Grenzen des 
vorliegenden Werkes hinaustreibt, und ihn nöthigt, in den ein- 
zelnen Bearbeitungen der Meister in den verschiedenen Fächern 
Befriedigung sich zu verschaffen. Der weniger tief eingehende 
Leser verläfst wenigstens das Werk mit dem Gefühle der Hoch- 
achtung, für das, was dem menschlichen Geiste zu erlangen 
möglich war. Beiden aber bietet Humboldt aus der überrei- 
chen Fülle seiner Gelehrsamkeit die besten Quellen dar, in wel- 
chen sie die weitere Ausführung finden können, und was na- 
mentlich die Zahlenangaben betrifft, so kann man mit Sicherheit 
darauf rechnen, dafs sie auf den besten und neuesten Autoritä- 
ten beruhen. Hier kann die Befriedigung aller Klassen, welche 
das Werk benutzen, als vollkommen und fest begründet ange- 
nommen werden. 

Eines aber findet sich bei den geographischen Ortsbestim- 
mungen eigenthümlich, wenngleich in den bisher berührten 
Punkten der Humboldtsche Geist in allen übrigen von ihm 
behandelten Naturwissenschaften auf dieselbe oder auf eine noch 
ausgeprägtere Weise sich zeigt, das ist: die Vorliebe mit wel- 
cher seit der amerikanischen Reise Humboldt die beobachtende 
Astronomie umfalste. Diese Neigung für dieselbe überwog in 
Vergleich mit den andern Wissenschaften, wenn man etwa die 
Geographie in ihren allgemeinen Übersichten ausnehmen möchte, 
so sehr, dals er noch im Jahre 1829 die Reise nach Sibirien, 
fast eben so ausgerüstet wie zu der amerikanischen Reise, un- 
ternahm und auch da noch ähnliche Erfolge erzielte. Mag man 
auch den Grund hauptsächlich darin suchen, dafs er bei’ den 
geographischen Ortsbestimmungen noch selbst thätig einwirken 
konnte und der Einfluls der amerikanischen Reise sich sonach 
auch hier am stärksten äufserte, so trugen doch noch andere 
Umstände dazu bei. Die Vorliebe für den kosmischen Ursprung 
‚der Sternschnuppen, deren Periodizität er zuerst durch die Com- 
bination der Erscheinung in Nordamerika mit der Überlieferung 
aus Cumana begründete: die Lebhaftigkeit mit welcher er sich 
mit der Frage, ob eine nebeligte Materie im Weltraume ver- 
breitet sei, oder Nebelmassen als Stoffe neuer Weltkörper sich 


658 Öffentliche Sitzung vom 20. October 1859. 


darin gebildet hätten: die Gelegenheit, welche die Astronomie ihm 
darbot, durch die Vermittelung grölserer Hülfsmittel wesentliche 
Fortschritte in ihr ermöglichen zu können: die verwandten Metho- 
den nach welchen in neuerer Zeit die magnetischen Beobachtungen 
angestellt werden: und die freudige Erinnerung an den Genuls, den 
diese Wissenschaft ihm gewährt hatte. So wie er die hiesige 
Sternwarte durch die Gnade des hochseligen Königs auf seinen 
erfolgreichen Antrag entstehen liels, so hatte er auch die Freude, 
wenn nicht direkt doch indirekt dazu beigetragen zu haben, 
dafs die Zahl der grölseren Fernröhre in Rufsland, in Preufsen 
selbst, und vor Allem in Amerika auf eine früher nie so ge- 
hoffte Zahl sich vermehrten, und die Nachricht von der An- 
lage eines solchen neuen Instituts regte bis zuletzt ihn immer 
noch zur lebhaftesten Theilnahme auf. Der Anblick des Do- 
nati'schen Kometen war sein Abschiedsgruls von der hiesigen 
Sternwarte. 

Sein Gedächtnils und das seines vertrauten Freundes L. 
v. Buch wird der Akademie nie fremd werden können. Aber 
dennoch war es der Akademie würdig auch sichtbar durch die 
aufgestellten Büsten es bei sich zu erhalten. 


Nachdem noch den Statuten gemäls über wissenschaftliche 
Arbeiten, welche gegenwärtig die Akademie beschäftigen, Nach- 
richt gegeben war, schlofs Hr. Ranke die Feier mit einem 
Vortrag über Wallensteins Katastrophe. 


27. Octbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Nachdem der vorsitzende Sekretar, Hr. Trendelenburg, 
des schweren Verlustes gedacht hatte, den die Akademie wäh- 
rend der Ferien (28. September) durch den Tod des Hrn. Karl 
Ritter erlitten, las 

Hr. Mitscherlich über die Metamorphie der Ge- 
steine durh erhöhte Temperatur. | 


RE 


Gesammtsitzung vom 27. October 1859. 659 


Aus brieflichen Mittheilungen des Hrn. Charles Newton, 
bisherigen britischen Viceconsuls zu Lesbos, an Hrn. Gerhard, 
wurden durch Letztern mehrere altgriechische Inschriften aus 
Milet zur Kenntnifs der Akademie gebracht. 

Die gedachten Inschriften sind statuarischen Werken aus 
der berühmten Reihe sitzender Götterbilder entnommen, welche 
auf der heiligen Stralse der Branchiden seit längerer Zeit im 
Allgemeinen von Reisenden beschrieben, nach Möglichkeit auch 
im Corpus Inscriptionum Graecarum (vergl. nr. 39. 2861) benutzt, 
neuerdings aber durch Hrn. Newton’s Fürsorge ins brittische 
Museum versetzt worden sind. Der frühen, der Zerstörung Mi- 
lets durch die Perser vorangehenden, Zeitbestimmung der gan- 
zen Tempelstrafse, mit welcher der Zusatz späterer Inschriften 
zwar nicht unverträglich ist, sind Schrift und Inhalt der uns 
mitgetheilten Inschriften gleich wohl entsprechend. Ihre Schrift- 
züge lagen in wohl ausgeführten Facsimiles vor, welche im Ap- 
parat des Corpus Inser. Gr. aufbewahrt werden sollen; den In- 
halt, aus welchem beim ersten Anblick berühmte Milesische Na- 
men wie Thales und Anaximander, ein Tyrann Chares, ein 
Künstler Terpsikles u. a. uns entgegentreten, geben wir hie- 
nächst in wörtlichem Abdruck des von Hrn. Newton an Hrn, 
Gerhard gerichteten Briefes; einige kritische Bemerkungen hat 
Hr. Meineke beigefügt. Der Brief an Hrn. Gerhard aus 
London 13. Aug. d. J. datirt, lautet wie folgt: 

„My dear Mr. Gerhard! Many years ago when I first had 
the pleasure of being introduced to you in the place du Car- 
roussel at Paris, you said to me in reference to the frize of 
the Mausoleum, then recently brought from Budrun, “Continuez 
vos recherches & Budrun’. 

The words sunk into my heart and from that day Iconcei- 
ved the idea often frustrated at length fulfilled of a pilgrimage 
to Halicarnassus in quest of the Mausoleum. I must thank you 
for the long notice of my Reports which you have given in 
the „Arch. Zeitung.” I am about to publish the remainder of 
three Reports which I will not fail to send you; in the mean 
time Birch has strongly urged me to publish without delay and 
in anticipation of more matured plans the archaic inscriptions 
discovered by me on the sacred way at Branchidae. I am not 


660 Gesammtsitzung 


fond of these hurried publications but I submit to Birch’s ar- 
guments in this case and send you herewith euclosed impres- 
sions in paper of the following inscriptions: 

(1) On the back of the archaic lion found with a sphinx 
in the sacred way 


TAAFAAMATATAAEANEBEEANOIOP OÖ) 
3B1A 013XI9IA3B3AIAM3ONO. 
KAIMAEIKABEKAIBFBEANAPOEKAI. 
AIQTHBTANI3AIDIIBANMAIAN3OIS 
MOARNI 


Ta ayakuara rade aveSerav oi (Mu?)- 
1 nn 3 > m, 

IP)wvos ') meides! Iraoy,eko! (Dorn 
\ m ’ 

#0: Hasızkas zaı “Hyysavöpos zat . 

cos?) zu Avaßksws? dezaryv ru "A- 
L 

zoAkuvs 


This inseription is very indistinet and difficult to read. In 
l. 2. I originally read “Aıdesıs, Aoyelo Oudys taking the letter 
before aıöss as a5 but M. Waddington reads it f}. Neither 
reading is satisfactory. In the fourth line Ava@ksws is evidently 
wrong, but I can offer nothing better. I tried to read "Ave- 
Eikzws, but there are not enough letters. — The name Thales 
may be that of the celebrated philosopher?’) of Miletus. The 
@® is not visible but there is a circular hollow wherea®@ may have 
been. Hegesander is very probably the father of Hekataeus of 
Miletus mentioned by Herodotus. The dyaruar« must refer 
to a number of statues or other votive offerings placed near 
the lion. 

(2) On a block of limestone about ten feet long 


t) wahrscheinlich oi "Op$wvogs. über diesen Namen siehe zu Theocrit 
p. 403. 

?) vielmehr xai ”Arıos 

®) das ist unmöglich, da der Vater des Thales von Milet Examias 
oder Examyas hiels. 


vom 27. October 1859. 661 


OIANAEIMANAPOTAIAESTOMANADO MAX ..... 
3BIVAATAABBIONANASIB .... 


e'a F ’ r DIS x 6} 4 ’ s 1 
[07 Avafımnavdso TRIdES Tom Avödgouey,(ov?) ) 


(av)eSerav. Emoimse Ö8 Tegızdas. 


On the opposite side of the stone near one end are the 
letters LYIWAITZ3 from the second line and at ihe other end 
the letters MANAPO from the first line. 

It is evident therefore that the stone is only the section 
of a base and that the same or a similar inscription was conti- 
nued from either extremity of the stone on the next stones 
erossing the joints. 

The object dedicated must have been designed to be seen 
on both sides. | 

The Anaximander mentioned in this inseription may be the 
celebrated philosopher of Miletus, the pupil of Thales. 

The name Terpsicles as an artist is new to me. 

(3) On the side of the chair of a seated figure in the 
Egyptain style: 


3H301X13T3 01331 YOIMII3HAAX 
ATAAMATOATOANNNOZ 


\ A ‚ 
Xaons ein 6 Kitsıos Tergiorns ?), ApX,0s. 
E] 4 2 
ayahua 70°?) "Amolkwvos 


Teichioessa was a place near Miletus mentioned in Thu- 
eydides VIII, 26. It paid tribute to Athens after the Persian war 
as appears by the list of tributaries published and found at 
Athens. Chares was probably one of the rugawo: on the we- 
stern coast of Asia minor of whom several are mentioned in 
Herodotus in the period immediately before the Persian war. 
I should place this inseription rather later than the two succee- 
ding ones; from B. C. 520 to 500. 


 ') vielmehr roö Mavdpoudxov [zixove]. Mavdpos mit seinen Zusam- 
mensetzungen ist ein ganz gewöhnlicher Name in Vorder-Asien. Mavdpc- 
Haxos ist neu. 
?) vielmehr Kiyrıog Terxtoveng (Teixıovcong) 


?) Tod 


662 Gesammtsitzung 


We can hardly suppose it to have been subsequent to the 
Persian war when the temple of Apollo at Branchidae was burnt 
by Xerxes or according to other authorities by Darius. "Ayarıa 
is evidently and here in its original sense something offered in 
adornment or honour of a deity. 

M. Birch has pointed out to me a passage C. I. I. 
p- 1018 n. 6731. which throws light on this use of the word. 


(4) On the rail of the chair of another seated figure in 


the sacred way 
E.. ?HMOZMEETTOIEN 
’E(zi)dnmos ne Emoiv') 


The termination &ro:ısv is new to me. 


(5) On the back of the chair of another seated figure 


NIKH 
TAAYKOY 


’ ’ 
Nizn Tiavzov 


This inscription from the form of the letters and the use 
of ihe dipthong ov instead of o appears to be of a later period 
than the statue on which it is placed. 

On the back of the chair of another figure are several 
lines of singular writing in which the word vizy occurs but I 
have not been able to decypher them. I should consider them 
to be later additions. 

I remain etc. 


Hr. du Bois-Reymond legte eine Mittheilung von Hrn. 
Prof. Kirchhoff über die Fraunhofer’schen Linien, 
d. d. Heidelberg, 20. October 1859, vor. ; 

Bei Gelegenheit einer noch nicht veröffentlichten, von 
Bunsen und mir in Gemeinschaft ausgeführten Untersuchung 
über die Spektren farbiger Flammen, durch welche es uns mög- 


1) vielmehr ’Ex£dpos pe &moteı 


vom 27. October 1859. 663 


lich geworden ist die qualitative Zusammensetzung complicirter 
Gemenge aus dem Anblick des Spektrums ihrer Löthrohrflamme 
zu erkennen, habe ich einige Beobachtungen gemacht, welche 
einen unerwarleten Aufschluls über den Ursprung der Fraun- 
hofer’schen Linien geben und zu Schlüssen berechtigen von die- 
sen auf die stoffliche Beschaffenheit der Atmosphäre der Sonne 
und vielleicht auch der helleren. Fixsterne. 

Fraunhofer hat bemerkt, dafs in dem Spektrum einer 
Kerzenflamme zwei helle Linien auftreten, die mit den beiden 
dunkeln Linien D des Sonnenspektrums zusammenfallen. Die- 
selben hellen Linien erhält man lichtstärker von einer Flamme, 
in die man Kochsalz gebracht hat. Ich entwarf ein Sonnen- 
spektrum und liels dabei die Sonnenstrahlen, bevor sie auf den 
Spalt fielen, durch eine kräftige Kochsalzflamme treten. War 
das Sonnenlicht hinreichend gedämpft, so erschienen an Stelle 
der beiden dunkeln Linien D zwei helle Linien; überstieg die 
Intensität jenes aber eine gewisse Grenze, so zeigten sich die 
beiden dunkeln Linien D in viel grölserer Deutlichkeit, als ohne 
die Anwesenheit der Kochsalzflamme. 

Das Spektrum des Drummond’schen Lichtes enthält der 
Regel nach die beiden hellen Natriumlinien, wenn die leuchtende 
Stelle des Kalkeylinders noch nicht lange der Glühhitze ausge- 
setzt war; bleibt der Kalkcylinder unverrückt, so werden diese 
Linien schwächer und verschwinden endlich ganz. Sind sie ver- 
schwunden oder nur schwach hervortretend, so bewirkt eine 
Alkoholfiamme, in die Kochsalz gebracht ist und die zwischen 
den Kalkcylinder und den Spalt gestellt wird, dafs an ihrer 
Stelle zwei dunkle Linien von ausgezeichneter Schärfe und Fein- 
heit sich zeigen, die in jeder Hinsicht mit den Linien D des 
Sonnenspektrums übereinstimmen. Es sind so die Linien D des 
Sonnenspektrums in einem Spektrum, in dem sie natürlich nicht 
vorkommen, künstlich hervorgerufen. 

Bringt man in die Flamme der Bunsen’schen Gaslampe 
"Chlorlithium, so zeigt das Spektrum derselben eine sehr helle 
scharf begrenzte Linie, die in der Mitte der Fraunhofer’schen 
Linien B und C liegt. Läfst man Sonnenstrahlen von mälsiger 
Intensität durch die Flamme auf den Spalt fallen, so sieht man 
an dem bezeichneten Orte die Linie hell auf dunklerem Grunde; 


664 Gesammtsitzung 


bei gröfserer Stärke des Sonnenlichtes aber tritt an ihrer Stelle 
eine dunkle Linie auf, die ganz denselben Charakter hat als die 
Fraunhofer’schen Linien. Entfernt man die Flamme, so ver- 
schwindet die Linie, so weit ich habe sehen können, vollständig. 

Ich schlielse aus diesen Beobachtungen, dafs farbige Flam- 
men, in deren Spektrum helle, scharfe Linien vorkommen, Strah- 
len von der Farbe dieser Linien, wenn dieselben durch sie hin- 
durchgehen, so schwächen, dafs an Stelle der hellen Linien dunkle 
auftreten, sobald hinter der Flamme eine Lichtquelle von hin- 
reichender Intensität angebracht wird, in deren Spektrum diese 
Linien sonst fehlen. Ich schliefse weiter, dals die dunkeln Li- 
nien des Sonnenspektrums, welche nicht durch die Erdatmo- 
sphäre hervorgerufen werden, durch die Anwesenheit derjenigen 
Stoffe in der glühenden Sonnenatmosphäre entstehen, welche in 
dem Spektrum einer Flamme helle Linien an demselben Orte 
erzeugen. Man darf annehmen, dafs die hellen mit D überein- 
stimmenden Linien im Spektrum einer Flamme stets von einem 
Natriumgehalte derselben herrühren; die dunkeln Linien D im 
Sonnenspektrum lassen daher schlielsen, dafs in der Sonnenat- 
mosphäre Natrium sich befindet. Brewster hat im Spektrum 
der Salpeterflamme helle Linien aufgefunden am Orte der 
Fraunhofer’schen Linien 4, a, B; diese Linien deuten auf einen 
Kaliumgehalt der Sonnenatmosphäre. Aus meiner Beobachtung, 
nach der dem rothen Lithiumstreifen keine dunkle Linie im Son- 
nenspektrum entspricht, würde mit Wahrscheinlichkeit folgen, 
dafs Lithium in der Atmosphäre der Sonne nicht oder doch nur 
in verhältnifsmäfsig geringer Menge vorkommt. 

Die Untersuchung der Spektren farbiger Flammen hat hier- 
nach ein neues und hohes Interesse gewonnen; ich werde ge- 
meinschaftlich mit Bunsen dieselbe so weit führen, als es un- 
sere Mittel gestatten. Dabei werden wir die durch meine Be- 
obachtungen festgestellte Schwächung der Lichtstrahlen in Flam- 
men weiter erforschen. Bei den Versuchen, die in dieser Rich- 
tung von uns bereits angestellt sind, hat sich schon eine That- 
sache ergeben, die uns von grofser Wichtigkeit zu sein scheint. 
Das Drummond’sche Licht erfordert, damit in ihm die Linien 
D dunkel hervortreten, eine Kochsalzflamme von niederer Tem- 
peratur. Die Flamme von wässrigem Alkohol ist hierzu ge- 


nn 


vom 27. October 1859. 665 


‚eignet, die Flamme der Bunsen’schen Gaslampe aber nicht. 


Bei der letzteren bewirkt die kleinste Menge von Kochsalz, so- 
bald sie überhaupt sich bemerklich macht, dals die hellen Na- 
triumlinien sich zeigen. Wir behalten es uns vor die Conse- 
quenzen zu entwickeln, die an diese Thatsache sich knüpfen 
lassen. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Documens inedits sur lhistoire de France: 
1. Negociations diplomatiques de la France avec la Toscane, par Abel 
Desjardin. 
2. Cartulaire de labbaye de St. Victor de Marseille par Mr. Guerara, 
Tome 1. 11. 
3. Memoires de Claude Haton (1533—1582) par Felix Bourquelot. 
Tome 1. II. 
4. Histoire de la guerre de Navarre en 1276 et 1277, par Francisque 
Michel. 
5. Lettres, Instructions diplomatiques et papiers d’etat du Cardinal de 
Richelieu, par M. Avenel. Tome Ill. 
6. Recueil des Lettres missives de Henri IV, par M. Berger de Aivrey. 
Tome VII. (1606—1610.) 
7. Memoires milituires relatifs d la succession d’Espagne sous Louis 
AIV. Tome X. 
Mit Ministerialresceript vom 20. August 1859. 
Baird, Mammals of North America. Philadelphia 1859. 4. 
Baird, Catalogue of North American birds. Washington 1858. 4. 
Batailhe, De l’alcool et des composes alcooliques en chirurgie. Paris 
1859. 8. 
Brockhaus, Die Sage von Nala und Damayanti. Leipzig 1859. 4. 
(Cavedoni) Nuovi studi intorno alle monete antiche di Atene. Modena 
1859. 8. 
Costa, Relazioni intorno alla malattia dominata ne’ bachi da seta. Na- 
poli 1859. 4. 
Gould, Aeply to the Statement of the Trustees of the Dudley Observa- 
tory. Albany 1859. 8. 
Defence of Dr. Gould by the scientific Council of the 
Dudley Observatory. Ed. Ill. Albany 1858. 8. 
DelGrosso, Miscellanea matematica. Napoli 1858. 8. 


666 Gesammtsitzung 


Heine, Die Heine-Brücke’sche Gefäfs-Strictur. Speyer 1859. 8. 

Kornhuber, Beitrag zur Kenntnifs der klimatischen Verhältnisse Pres- 
burgs. Programm. Presburg 1858. 4. 

Kreil, Anleitung zu den magnetischen Beobachtungen. 2te vermehrte 
Auflage. Wien 1858. 8. 

Lamont, Aesultate der an der Königlichen Sternwarte in München an- 
gestellten meteorologischen Beobachtungen. 3ter Supplementband. 
München 1859. 8. 

Jahresbericht der Kgl. Sternwarte in München für 1868. 
München 1859. 8. 

Lepsius, Denkmäler aus Ägypten und Nubien. Lieferung 75 —90. 
(Schluls.) Berlin 1859. folio max. (Mit Ministerialrescript vom 
41. Oct. 1859.) 

J. von Maerlant, Aymbybel. Deel 2. Brussel 1859. 8. 

Mahmoud Effendi, Memoire sur le calendrier arabe avant V’Isla- 
misme. (Bruxelles 1858.) 4. 

Minervini, Nuove scoperte nell’ antica Nersae. (Napuli 1859.) 4. 

Paic, Pasigraphie mittels arabischer Zahlzeichen. Semlin 1859. 8. 

Paine, The institutes of medicine. New York 1858. 8. 

Plana, Memoire sur le mouvement du centre de gravite d’un corps solide. 
Turin 1859. 4. 

Liber de rebus memorabilioribus, sive Chronicon Henrici de Hervor- 
dia, edidit Aug. Potthast. Gottingae 1859. 4. 

Poggendorff, Biographisch - literarisches Handwörterbuch zur Ge- 
schichte der exacten Wissenschaften. Band 1. Leipzig 1858—1859. 
8. Überreicht von dem Hrn. Verfasser. 

Profumo, De interiori sermonis organo. Parisiis 1859. 8. 

Prouhet, Notes sur quelques points d’analyse. (Paris 1859.) 8. 

Renan, Nouvelles considerations sur le caractere general des peuples 
semiliques. Paris 1859. 8. 

Sondhauss, Über die chemische Harmonika. Programm. Neilse 


1859. 4. 

Annales de l’observatoire royal de Bruxelles. Tome 14. Bruxelles 
1859. 4. 

Annuaire de l'observaloire royal de Bruxelles. Annee 26. Bruxelles 
1858. 8. 


Censo de la poblacion de Espaita, y Nomenclator de los pueblos de Es- 
paia. Madrid 1858. 2 voll. 4. 

Collection des Chroniques belges inedites. "Tome 6. Bruxelles 1859. 4. 

Observations of the Radeliffe Observatory. Vol. 18. Oxford 1959. 8. 

Observations at the United States Naval Observatory, Washington. 
Vol. V. Washington 1859. 4. 


N 


vom 27. October 1859. 667 


" Reports of explorations and surveys, to ascertain the route for a railroad 


Jrom the Missisippi River to the Pacific Ocean. Vol. IX. Washing- 
ton 1858. 4. 
Meteorologische Waarnemingen in Nederland, 1858. Utrecht 1859. A4. 
Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Basel. 11. Band, 
Heft 2.3. Basel 1859. 8. 
Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im Preufsischen 
Staate. VII. Band, Lieferung 3. Berlin 1859. 4. 
Estatutos de la sociedad de naluralistas neogranadinos. (Bogotä 
1859.) 8. (Mit Begleitschreiben d. d. Bogota 10. Aug. 1859.) 
Academie royale des sciences de Belgique : 
Memoires. Tome 31. Bruxelles 1859. 4. 
Memoires couronnes. Tome 29. ib. 1858. 4. 
Memoires couronnes, Collection in 8. Tome 8. ib. 1859. 8. 
Bulletins. Tome 4.5.6. ib. 1859. 8. 
Tables generales des tomes 1—31 des Bulletins. ib. 1858. 8. 
Annuaire. Annee 25. ib. 1859. 8. 
Memoirs of the American: Academy of arts and sciences. Vol. VI, Part 2. 
Cambridge and Boston 1859. 4. 
Det Kgl. Danske Videnskabernes Selskabs Skrifter. Bind IV, 2. V, 1. 
Kjobnhavn 1859. 4. 
Oversigt over ... Forhandlinger i aaret 1858. ib. (1859.) 8. 
Abhandlungen der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 
Band 6, Stück 3. 4. Leipzig 1859. 4. 
Berichte der Kgl Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Jahr- 
gang 1858. Leipzig (1859). 8. 
Mnemosyne. Appendix in Vol. I—VII. Lugd. Bat. 1859. 8. 
The Quarterly Journal of the geological Society. Vol. XV, Part 3. 
London 1859. 8. 
Proceedings of the Royal Society. Vol. X, no. 35. 36. London 1859. 8. 
Journal of the Royal Asiatic Society. Vol. XVII, Part 1. London 
1859. 8. 
Bulletin de la 'societe des naturalistes de Moscou. Annee 1859. I. UI. 
Moscou 1859. 8. 
Bulletin de la societe de geographie. Tome 17. Paris 1859. 8. 
Revue archeologique. 16me annee. Livr. 5—8. Paris 1859. 8. 
Comptes rendus de l’Academie des sciences. "Tome 49, no. 1—15. Pa- 
ris 1859. 4. 
Annales de chimie et de physique. Juli—September. Paris 1859. 8. 
Annales de l’observatoire physique central de Russie. Annee 1856. St. Pe- 
tersbourg 1858. 4. 


668 Gesammtsitzung vom 27. October 1859. 


Compte rendu de Vobservatoire physique central de Russie. Annee 1857. 
ib. 1858. 4. 
Journal of the Academy of natural sciences of Philadelphia. Vol. IV, 
Part 1. Philadelphia 1858. 4. 
Verhandlungen des Vereins für Naturkunde in Presburg. 3. Jahrgang, 
Heft 1. 2. Presburg 1858. 8. 
Atti dell’ Accademia de’ Nuovi Lincei. Anno XII. Sessione 1—3. 
Roma 1859. 4. 
Memorie dell I. R. Istituto veneto di scienze, lettere ed arti. Vol. VIU, 
Parte 1. Venezia 1859. 4. 
Atti dell I. R. Istituto veneto di scienze, leltere ed arti. 'Tomo IV, Dis- 
pensa 8. 9. Venezia 1859. 8. 
Smithsonian Contributions to Knowledge. Vol. X. Washington 1858. 4. 
Smithsonian Annual Report for the year 1857. Washington 1858. 8. 
Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien: 
Denkschriften. Phil.-hist. Klasse. Band 9. 
—_—  - Math.-phys. Klasse. Band 15. 16. 
Sitzungsberichte. Phil.-hist. Klasse 1858, no. 4—10. 1859, no. 1. 
Math.-phys. Klasse. 1858, no. 16—29. 1859, 


no. 1—9. 
Archiv östreichischer Geschichtsquellen. Band 20, 1. 2. und Band 21,1. 
Notizenblatt, Jahrgang 1858. Wien 1858—1859. 4. und 8. 
Mittheilungen der k. k. Geographischen Gesellschaft. 3. Jahrgang, 
Heft 2. Wien 1859. gr. 8. 
Jahrbuch der k. k. Geologischen Reichsanstalt. 10. Jahrgang, Heft 1. 
Wien 1359. gr. 8. 


Gautieret de la Rive, Aapport sur les travauz de la societe de phy- 
sique et d’histoire naturelle de Geneve. Geneve 1858—1859. 4. 

De la Rive, De l’Aurore boreale du 29”® Aoüt 1859. (Geneve 
1859.) 8. 

Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit. 1. Band. Zweite 
Auflage. Braunschweig 1860. 8. 


Hr. Ch. Hermite in Paris nimmt unter dem 19. Oct. 
die Wahl zum correspondirenden Mitgliede der Akademie dan- 
kend an. 

Die Akademie empfängt von der K. bayerischen Akademie 
der Wissenschaften eine Medaille auf die Jubelfeier derselben. 

Die Akademie empfängt mit begleitendem Schreiben des 
Hrn. J. M. Lafragua, Gesandten der mexikanischen Republik 


Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 31. October 1859. 669 


n den Höfen von Madrid und Paris vom 4. Oct. in einem 
txemplar das Dekret des in Veracruz residirenden Präsidenten 
er Republik, Don Benito Juarey über die von ihm ver- 
ügten Alexander von Humboldt in Mexico zu erweisenden 
hren. Namentlich soll seine Statue in Italien aus Marmor 
erfertigt und in der Bergwerksschule zu Mexico aufgestellt wer- 
en. Nach eiuem Artikel des Dekrets geschieht die Übersen- 
ung zur Aufbewahrung desselben in den Archiven der gelehr- 
en Gesellschaften, deren Mitglied der Verewigte gewesen. Das 
ekret wurde vorgelesen und die Niederlegung beschlossen. 


31. October. Sitzung der philosophisch-hi- 
storischen Klasse. 


Hr.Schott las über die estnische Sage vom Sohne 
Kalews und Reinthals deutsche Übersetzung der- 
selben. , 


NEN 


ri 859.] 47 


nn 


Bericht . 
über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat November 1859. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Encke. 


3. Nov. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Steiner las über einige allgemeine Bestim- 
mungsarten der Gurven und Flächen zweiter Ord- 
nung und daraus folgenden Sätzen. 


Hierauf trug Hr. Kummer folgende von Hrn. Riemann, 
Correspondenten der Akademie, mittelst eines an den Sekretar 
Hrn. Encke gerichteten Schreibens vom 19. October d. J. ein- 
gesandte Mittheilung „über die Anzahl der Primzahlen 
unter einer gegebenen Grölse” vor: 

Meinen Dank für die Auszeichnung, welche mir die Aka- 
demie durch die Aufnahme unter ihre Correspondenten hat zu 
Theil werden lassen, glaube ich am besten dadurch zu erken- 
nen zu geben, dafs ich von der hiedurch erhaltenen Erlaubnifs 
baldigst Gebrauch mache durch Mittheilung einer Untersuchung 
über die Häufigkeit der Primzahlen; ein Gegenstand, welcher 
durch das Interesse, welches Gauss und Dirichlet demselben 
längere Zeit geschenkt haben, einer solchen Mittheilung viel- 
leicht nicht ganz unwerth erscheint. 

Bei dieser Untersuchung diente mir als Ausgangspunkt die 
von Euler gemachte Bemerkung, dafs das Product 

1 1 
gucke er 


s 


p 
[1859.] As 


II 


672 Gesammtsitzung 


wenn für p alle Primzahlen, für n alle ganzen Zahlen gesetzt 
werden. Die Function der complexen Veränderlichen s, welche 
durch diese beiden Ausdrücke, so lange sie convergiren, darge- 
stellt wird, bezeichne ich durch £(s). Beide convergiren nur, 
so lange der reelle Theil von s grölser als 1 ist; es läfst sich 
indefs leicht ein immer gültig bleibender Ausdruck der Function 
finden. Durch Anwendung der Gleichung 


oo 
ex !dx —_ 16-1) 
() n" 


erhält man zunächst 


gt —ide 
I—1) &o) -/. ——- 


Betrachtet man nun das Integral 


(— x)’ ' dx 

ERTIRk 
von +00 bis +00 positiv um ein Gröfsengebiet erstreckt, 
welches den Werth 0, aber keinen andern Unstetigkeitswerth 
der Function unter dem Integralzeichen im Innern enthält, so 
ergiebt sich dieses leicht ‘als gleich 


a = 
_n7si ers i 
e Ye el 


vorausgesetzt, dafs in der vieldeutigen Function (— x)’ ' 
=e"")los(=) der Logarıthmus von —x so bestimmt worden 
ist, dals er für ein negatives x reell wird. Man hat daher 


2sinzs 120 IT, 


das Integral in der eben angegebenen Bedeutung verstanden. 

Diese Gleichung giebt nun den Werth der Function £(s) 
für jedes beliebige complexe s und zeigt, dafs sie einwerthig und 
für alle endlichen Werthe von s, aulser 1, endlich ist, so wie 
auch, dafs sie verschwindet, wenn s gleich einer negativen ge- 
raden Zahl ist. 

Wenn der reelle Theil von s negativ ist, kann das Inte- 
gral, statt positiv um das oben angegebene Grölsengebiet, auch 
negativ um das Grölsengebiet welches sämmtliche übrigen com- 


vom 3. November 1859. 673 


plexen Gröfsen enthält erstreckt werden, da das Integral durch 
Werthe mit unendlich grofsem Modul dann unendlich klein ist. 
Im Innern dieses Grölsengebiets aber wird die Function unter 
dem Integralzeichen nur unstetig, wenn x» gleich einem ganzen 
Vielfachen von #2 ri wird und das Integral ist daher gleich 
der Summe der Integrale negativ um diese Werthe genommen. 
Das Integral um den Werth n2ri aber it=(—n2mi)' -' (—2mi); 
man erhält daher 


2 sin rs U(s—1) S(s)= (2) En’'((-i)'' +71), 


also eine Relation zwischen £(s) und £(1—s), welche sich mit 
Benutzung bekannter Eigenschaften der Function II auch so 
ausdrücken lälst: 


N(&-1)#"78%(s) 
bleibt ungeändert, wenn s in 1—s verwandelt wird. 
Diese Eigenschaft der Function veranlalste mich statt II(s— 1) 


das Integral 1-1) in dem allgemeinen Gliede der Reihe 


ER e . 
32 — einzuführen, wodurch man einen sehr bequemen Ausdruck 
n 


der Function £(s) erhält. In der That hat man 


also, wenn man 


-1M8 


a Y(&) 
setzt, 


N (9 a7 &6) -/. EEE zu 


oder da 2 K) +1=a-? [2 VO+D (Jacobi. Fund. $. 184) 


3 


1-1) 7726) ” [. (dar dr +f. Yale 77a 


far Jar 
re 
= se +f Ya) (&? +x ) dx. 
48* 


674 Gesammtsitzung 


1 
Ich setze nun s—= = + 2i und 


MIC-NFTE)=ER), 


so dafs 
3 


Er E — (t+ If. x) = ® cos (+tlogx) dx 


oder auch 


3 
oo 2 ’ 1 
af. ur) x * cos (£tlog x) dx. 
1 dx 

Diese. Function ist für alle endlichen Werthe von z end- 
lich, und läfst sich nach Potenzen von z# in eine sehr schnell 
convergirende Reihe entwickeln. Da für einen Werth von s, dessen 
reeller Bestandtheil grölser als 1 ist, log L(s)=—* log(1—p”") 
endlich bleibt und von den Logarithmen der übrigen Factoren 
von &(£) dasselbe gilt, so kann die Function &(2) nur ver- 


schwinden, wenn der imaginäre Theil von z zwischen Zi und 
_ Zi liegt. Die Anzahl der Wurzeln von £()=0, deren 


reeller Theil zwischen 0 und 7’ liegt, ist etwa= log — = 
7 
denn das Integral falog£(2) positiv um den Inbegriff der 


- ei : 5 1 
Werthe von ? erstreckt, deren imaginärer Theil zwischen = ä 


1 ® Ä - 
und — 7 und deren reeller Theil zwischen 0 und 7 liegt, 


ist, (bis auf einen Bruchtheil von der Ordnung der Gröfse 
7° 
zgleich(Tlog,— — 7) i; dieses Integral aber ist gleich der An- 


zahl der in diesem Gebiet liegenden Wurzeln von E()=0, 
multiplicirt mit 2”i. Man findet nun in der That etwa so viel 
reelle Wurzeln innerhalb dieser Grenzen, und es ist sehr wahr- 
scheinlich, dafs alle Wurzeln reell sind. Hievon wäre allerdings 
ein strenger Beweis zu wünschen; ich habe indels die Aufsu- 
chung desselben, nach einigen flüchtigen vergeblichen Versuchen 
vorläufig bei Seite gelassen, da er für den nächsten Zweck mei- 
ner Untersuchung entbehrlich schien. 


vom 3. November 1859. 675 


Bezeichnet man durch « jede Wurzel der Gleichung E(«)=0, 
so kann man log &(2) durch 


> u E 
> log (1 Sa + log £(0) 
ausdrücken; denn da die Dichtigkeit der Wurzeln von der Gröfse 


- 2 z u 1 , 
2 mit Z nur wie log — wächst, so convergirt dieser Ausdruck 
5 27 3 5 


und wird für ein unendliches 2 nur unendlich wie z log 2; er un- 
terscheidet sich also von log &(2) um eine Function von zz, die 
für ein endliches 2 stetig und endlich bleibt und mit z dividirt 
für ein unendliches 2 unendlich klein wird. Dieser Unterschied 
ist folglich eine Constante, deren Werth durch Einsetzung von 
2=0 bestimmt werden kann. 

Mit diesen Hülfsmitteln läfst sich nun die Anzahl der Prim- 
zahlen, die kleiner als x sind, bestimmen. 

Es sei F(x), wenn x» nicht gerade einer Primzahl gleich 
ist, gleich dieser Anzahl, wenn aber x eine Primzahl ist, um 
4 grölser, so dals für ein x, bei welchem F(x) sich sprung- 
weise ändert, 

a 


Ersetzt man nun in 


log <($J=— 3 log 1-p")=3p" +, 2pP "527° 4 
p” durch S. zrde, pP - durch f u 
[4 
so erhält man 
1 oo 
085 Of f(@&) a" dr, 
Ss 1 


durch f(x) bezeichnet. 
Diese Gleichung ist gültig für jeden complexen Werth 
@-+-bi von s, wenn a>1. Wenn aber in diesem Umfange die 


8 (s) = f nos“ dlogx 


wenn man 


Gleichung 


676 Gesammtsitzung 


gilt, so kann man mit Hülfe des Fourier’schen Satzes die Func- 
tion A durch die Function g ausdrücken. Die Gleichung zer- 
fällt, wenn A(x) reell ist und 


g(a+bi)=g,(b) +ig; (b), 


in die beiden folgenden 
8, (6) = h(x) x” cos (blogx) dlogx, 
0 
16. 9=—i | na sin (dloga) ange, 
0 


Wenn man beide Gleichungen mit (cos (dlogy) 
+i sin (blogy))dd multiplicirt und von — oo bis oo inte- 
grirt, so erhält man in beiden auf der rechten Seite nach dem 
Fourier’schen Satze zAh(y)y”, also, wenn man beide Glei- 
chungen addirt und mit iy* multiplicirt 


a +01 
n)=f sor.as 


—_x; 


worin die Integration so auszuführen ist, dals der reelle Theil 
von s constant bleibt. 

Das Integral stellt für einen Werth von y, bei welchem 
eine sprungweise Änderung der Function A(y) stattfindet, den 
Mittelwerth aus den Werthen der Function % zu beiden Seiten 
des Sprunges dar. Bei der hier vorausgesetzten Bestimmungs- 
weise der Function f(x) besitzt diese dieselbe Eigenschaft, und 
man hat daher völlig allgemein 


+0 joa Öl(s 
ee log <(s) 


2ri a Escr iS, 


Vauds. 


Für log $ kann man nun den früher gefundenen Ausdruck 


2 


— logr—1log(«-1)-logll- la ) + log &(0) 


substituiren; die Integrale der einzelnen Glieder dieses Aus- 
drucks würden aber dann in’s Unendliche ausgedehnt nicht con- 
vergiren, weshalb es zweckmälsig ist, die Gleichung vorher 
durch partielle Integration in 


wu 


vom 3. November 1859. 677 


e+i ‚log &(s) 
1 s 
f)= zu nte fa Fake ds 


umzuformen. 


Da 
— log I- = lim (z, log (+) — — log m), für m=o, 
also 
am FH E 
— log te 0g(1+,,) 
en 
ds 4 ds 


so erhalten dann sämmtliche Glieder des Ausdrucks für f(x) mit 
Ausnahme von 


a +07 


1 1 1 a RS 
2ri log S — lgE0) « ds=log£(0) 


die Form 


a+Xi 1 Ss 
er 1 T. (leg (t-7)) 
2rilog x Bugs Tanın? mil, Jumieb- „I ER IE 


Nun ist aber 
a (— log (1 5)) 
aß R-HR 


und, wenn der reelle Theil von s grölser als der reelle Theil 


von £ ist, 


je nachdem der reelle Theil von ß negativ oder positiv ist. 
Man hat daher 


ders al ana ..ü, 
"ds 
eh a—ooi 


678 Gesammisitzung 


a+ocı 
1 1 s 
= — — !-—-loeoeli- —)xd 
2mi 5 5 ( ß I 
ao 
* B=4 
= —— dxz-F-const. im ersten 
log x 
oo 
und = —— dx-r- const. im zweiten Falle. 

R log x 


Im ersten Falle bestimmt sich die Integrationsconstante, 
wenn man den reellen Theil von 2 negativ unendlich werden 
lälst; im zweiten Falle erhält das Integral von 0 bis x um 2ri 
verschiedene Werthe, je nachdem die Integration durch com- 
plexe Werthe mit positiven oder negativen Arcus geschieht, und 
wird, auf jenem Wege genommen, unendlich klein, wenn der 
Coeffhicient von i in dem Werthe von £ positiv unendlich wird, 
auf letzterem aber, wenn dieser Coefficient negativ unendlich 


wird. Hieraus ergiebt sich, wie auf der linken Seite log 


zu bestimmen ist, damit die Integrationsconstante wegfällt. 
Durch Einsetzung dieser Werthe in den Ausdruck für f(x) 
erhält man 


S(x) Bee ) ae) 


a dx 
log £ (0 
fs. x? —1x ut 0850 


wenn in 3“ für « sämmtliche positiven (oder einen positiven 
reellen Theil enthaltenden) Wurzeln der Gleichung &(e)=, 
ihrer Gröfse nach geordnet, gesetzt werden. Es lälst sich, mit 
Hülfe einer genaueren Discussion der Function &, leicht zeigen, 
dals bei dieser Anordnung der Werth der Reihe 


S(liae*" )+Li (er ))logx 


mit dem Grenzwerth, gegen welchen 


a+bi 1 er 
d— Zlog(i+ = 9, 
1 Ss ao r 
re f —— u ds 
2rie a-bi ds 


vom 3. November 1859. 679 


bei unaufhörlichem Wachsen der Gröfßse 3 convergirt, überein- 
stimmt; durch veränderte Anordnung aber würde sie jeden be- 
liebigen reellen Werth erhalten können. 

Aus f(x) findet sich F(x) mittelst der durch Umkehrung 
der Relation 


r 
| 


f@)=£—F(«”) 


sich ergebenden Gleichung 
1 zur 
F@)= 3-1) I ya), 


worin für m der Reihe nach die durch kein Quadrat aufser 1 
theilbaren Zahlen zu setzen sind und %# die Anzahl der Prim- 
factoren von m bezeichnet, 

Beschränkt man X“ auf eine endliche Zahl von Gliedern, 
so giebt die Derivirte des Ausdrucks für /(x) oder, bis auf einen 


mit wachsendem x sehr schnell abnehmenden Theil, 
1 

I _ 3x0 Cos(eloga)art 

log x log x 


einen angenäherten Ausdruck für die Dichtigkeit der Prim- 
zahlen + der halben Dichtigkeit der Primzahlquadrate +- 


von der Dichtigkeit der Primzahlcuben u. s. w. von der 
Größse x. 
Die bekannte Näherungsformel F(x)=Li(x) ist also nur bis 
1 


auf Gröfsen von der Ordnung der Gröfßse x? richtig und giebt 
einen etwas zu grolsen Werth; denn die nicht periodischen 
Glieder in dem Ausdrucke von F(x) sind, von Gröfsen, die mit 
x nicht in’s Unendliche wachsen, abgesehen: 


1 


N rei tunanid 4 A oc 
2@)—- Le) - — Le ee KA ee A Ca) 


1 4 
m een 


In der That hat sich bei der von Gaufs und Gold- 
schmidt vorgenommenen und bis zu x = drei Millionen fortge- 
setzten Vergleichung von Zi(x) mit der Anzahl der Primzahlen 
unter x diese Anzahl schon vom ersten Hunderttausend an stets 


680 Gesammtsitzung 


kleiner als Zi(x) ergeben, und zwar wächst die Differenz unter f 
manchen Schwankungen allmählich mit x. Aber auch die von 
den periodischen Gliedern abhängige stellenweise Verdichtung 
und Verdünnung der Primzahlen hat schon bei den Zählungen 
die Aufmerksamkeit erregt, ohne dals jedoch hierin eine Ge- 
setzmälsigkeit bemerkt worden wäre. Bei einer etwaigen neuen 
Zählung würde es interessant sein, den Einfluls der einzelnen 
in dem Ausdrucke für die Dichtigkeit der Primzahlen enthalte- f 
nen periodischen Glieder zu verfolgen. Einen regelmäfsigeren 
Gang als F(x) würde die Function f(x) zeigen, welche sich 
schon im ersten Hundert sehr deutlich als mit Zi(x) + log & (0) 
im Mittel übereinstimmend erkennen läfst. 


Hr. Lepsius zeigte die Übergabe der letzten Lieferungen 
des Aegyptischen Denkmälerwerkes an, welches die Aka- | 
demie von Sr. Maj. dem Könige zum Geschenk erhalten hat. 

Diese 15 Lieferungen enthalten 150 Tafeln, und schliefsen 
nebst den zugehörigen Titeln, Inhaltsanzeigen und der Dedika- 
tion an Se. Maj. den König das ganze Werk, welches nach 
dem ursprünglichen Plane 900 Tafeln umfalst, ab. Diese letz- 
ten Lieferungen beginnen mit 8 geographischen Blättern, 
welche theils Generalkarten theils Specialkarten der Nilländer, 
der angränzenden Wüsten und der Halbinsel des Sinai enthal- 
ten. Das erste Blatt giebt zugleich eine farbige Übersicht der ver- 
schiedenen SprachstämmeAfrikas und im besonderen der Nillän- 
der. Die übrigen 25 Blätter der ersten Abtheilung enthalten farbige 
landschaftliche Ansichten bedeutender Denkmälerstätten grösten- 
theils aus Aethiopien. Es folgen 58 Blätter Aethiopischer Skul- 
pturen, mit Inschriften theils in hieroglyphischen Zeichen theils 
in einer eigenthümlichen äthiopischen bisher noch gänzlich un- 
bekannten Kursivschrift. Diese Denkmäler einer von der ägyp- 
tischen weit abgewichenen Kunst, vornehmlich aus den beiden 
Residenzen der altäthiopischen Dynastieen, der nördlicheren bei 
Berg Barkal, und der südlicheren auf der sogenannten Insel 
Mero@, wie bei Strabo das Land zwischen Nil und Astaboras 
(Atbara) genannt wird, erscheinen hier zum erstenmale in um- 


vom 3. November 1859. 681 


fassenden und treuen Abbildungen. Endlich enthält der XII. Band, 
der zweite der sechsten Abtheilung, auf 34 Blättern die Griechi- 
schen, Lateinischen, Koptischen und andern nicht ägypti- 
schen Inschriften. Die Griechischen, an Zahl 591, enthalten zahl- 
reiche Berichtigungen früher schon bekannter Inschriften und 
manches Neue; z. B. ein griechisches Akrostichon, welches 
durch eine demotische gleichfalls akrostichische Übersetzung be- 
merkenswerth ist. Ihnen schliefsen sich aus Abusimbel mehrere 
altphönizische, und 7 andere Inschriften an, welche in einer un- 
bekannten der altgriechischen nahverwandten Schrift geschrieben 
sind und vorläufig Karische Inschriften genannt worden sind. 
Eine andre unbekannte der koptischen nahe stehende Schrift 
findet sich auf einigen Denkmälern, welche am blauen Flusse 
auf dem Boden des alten Reiches Aloa gefunden wurden. Auch 
einige arabische und Ge’ez-Inschriften sind aufgenommen worden. 
Die letzten 24 Blätter enthalten eine Auswahl von hieratischen 
und demotischen Papyrus, auch Fragmente eines Papyrus in 
phönizischer Kursivschrift. 

Die Übersicht der vor 12 Jahren begonnenen und jetzt 
vollendeten sechs Abtheilungen der Denkmäler in zwölf 


_ Bänden, welche die von der Preulsischen Expedition in Zeich- 


nung, Abdruck oder Original mitgebrachten Denkmäler Aegyptens 
und Aethiopiens umfassen, ist folgende. 

Abtheilung I(BandI und II) 147 Blätter enthalten die geogra- 
phischen, topographischen undarchitektonischen Auf- 
nahmen nebst den farbigen Ansichten (56 Bl.) der bemerkens- 
werthesten Örtlichkeiten. Die Anordnung ist nach der örtlichen 
Folge von Norden nach Süden fortschreitend. Der erste Band 
enthält vornehmlich die Pyramidenfelder von Memphis, das La- 
byrinth im Fayüm, die Felsengräber von Benihassan und anderer 
mittelägyptischer Nekropolen, nebst den Ruinen und Tempeln 
von ElAmarna, Abydos und Dendera. Der zweite Band giebt 
die Situationspläne, Tempel und Felsengräber von Theben (20 Bl.) 
und schreitet dann fort zur ersten Katarakte über Esneh, El Kab, 
Silsilis, Ombos, Philae, nach Unternubien (Abusimbel, Dakkeh) und 
dem Klippenland jenseits der zweiten Katarakte von Wadi Halfa 
(Semneh, Sedeinga, Amära, Soleb), nach Dongola und Berg 
Barkal, wo die älteste äthiopische Residenz, die des Königs Ta- 


682 Gesammtsitzung 


harka (Tirhaka), das Herodotische Mero@, lag, und schliefst 
mit den Tempelruinen und Pyramiden des südlichen Meroe. 

Die folgenden 4 Abtheilungen sind chronologisch geordnet. 
Abtheilung II (Band IH und IV), enthält auf 154 Blättern die 
Darstellungen und hieroglyphischen Inschriften des Alten Reichs. 
Es wird hierdurch die nähere Kenntnils des ältesten ägyptischen 
Reichs, dessen Inhalt bis zur Preufsischen Expedition theils ver- 


kannt theils gänzlich unbekannt war, zum erstenmale aufge- # 


schlossen, so weit dies durch eine grolse Fülle von chronolo- 
gisch gruppirten bildlichen Darstellungen und hieroglyphischen 
Inschriften möglich ist. Diese Denkmäler, welche für alle Zei- 
ten die ältesten erforschbaren Zeugen menschlicher Civilisation 
und Kunstthätigkeit bleiben werden, bilden als solche vom all- 
gemein geschichtlichen Standpunkte aus den wichtigsten Theil 
des Werkes. Die Abbildungen sind grölstentheils aus den von 
der Expedition aufgegrabenen Grabkammern der Nekropolen von 
Memphis, von denen drei ganz abgetragen und dem Königlichen 
Museum einverleibt wurden, und aus den Felsengräbern von 
Mittelägypten, namentlich aus Benihassan, entnommen. 
Abtheilung III (Band V— VII) umfalst die Darstellungen 
des Neuen Reichs seit der Vertreibung der Hyksos in 507 Ta- 
feln. Es ist dies eine Auswahl des unerschöpflichen Reich- 
ihums wichtiger Überreste aus den Zeiten der siebzehnten bis 
zur dreilsigsten Manethonischen Dynastie und bis zur Eroberung 
Aegyptens durch Alexander den Grolsen. Der bei weitem 
grölste Theil dieser Denkmäler (Band V—VII) fällt unter die 
Herrschaft der vier mächtigen Thebanischen Dynastieen, unter 
die Amenophis und Tuthmosis, die Sethos und Ramses des 
47ten bis 12ten Jahrhunderts vor Christus, aus denen uns mehr 
erhalten ist, als aus allen früheren und späteren Epochen des 
ägyptischen Reiches zusammengenommen. Es war die Zeit der 
höchsten Blüthe in Leben, Kunst und aller geistigen Bewegung 
im Innern, so wie der grölsten weltgeschichtlichen Machtent- 
faltung nach aulsen, einerseits gegen die südlich angrenzenden 
Aethiopen andrerseits und hauptsächlich gegen den immer mäch- 
tiger werdenden Andrang der uralten Kulturvölker Asiens; es 
war die Zeit Josephs und Mosis, und der Schauplatz der grie- 
chischen Sagen von Sesostris und Danaus, Proteus und Rham- 


F 


psinit. Eine für die Religionsgeschichte sehr merkwürdige Epi- 
 sode, die des Königs Amenophis IV, welcher den ägyptischen 
Polyiheismus zu Gunsten des alleinigen Sonnenkultus während 


vom 3. November 1859. 683 


seiner Regierung verfolgl und mit Gewalt abgeschafft hatte, 
wird im VI. Bande aus den Felsengräbern der zu EI Amarna 
neuangelegten Residenz dieses Königs durch zahlreiche und be- 
lehrende Abbildungen ans Licht gezogen. 

Der achte Band führt von den Denkmälern der 21. und 22. 
Dynastie, in welcher letzteren die grolse Gestalt des Königs 
Scheschonk, des Eroberers von Jerusalem, hervortritt, erst 
zu den Aethiopen der 25. Dynastie, deren letzter Taharka 
bei seinem freiwilligen Zurückweichen aus Aegypten das erste 
äthiopische Reich, von dem wir monumentale Kunde haben, 
gründete, dann zu der 26. Dynastie der Psametiche und des Ama- 
sis, der letzten einheimischen Regenten, welche noch einmal eine 
Nachblüthe des Reichs herbeiführten, so weit sie sich auf äulsern 
Wohlstand und einen Überfluls an Reichthümern, den die neue 
Handelspolitik dieser griechenfreundlichen Pharaonen nach Aegyp- 
ten zog, gründen liels. Dann folgen noch einige Denkmäler der 
Persischen Herrschaft in Aegypten und der beiden letzten Ma- 

 nethonischen Dynastieen, die nur für kurze Zeit das Persische 

Joch noch einmal abzuschütteln vermochten, bis sie durch die 
zweite Persische, dann Macedonische Eroberung für immer un- 
ter fremde Herrscher sich beugen mulfsten. Der Band schliefst 
mit einer Ikonographie von hundert ägyptischen Bildnissen gröfs- 
tentheils von Pharaonen aus allen Zeiten des Reiches, welche 
nach Photographieen der besten Statuen und Basreliefs, die sich 
auf den ägyptischen Tempeln oder in den Europäischen Museen 
befinden, gearbeitet sind. 

A Abtheilung IV enthält auf 90 Blättern des neunten Bandes die 
Denkmäler der Ptolemäer und Römischen Kaiser. Die 
letzte durch einen Regentennamen chronologisch bestimmte hiero- 
glyphische Darstellung ist eine Opferhandlung des Kaisers Decius 
um 250 nach Christus. Sie schliefst eine Reihe von schrift- 

lichen und bildlichen Denkmälern, welche seit dem Ende der 
dritten Manethonischen Dynastie gegen 3400 Jahre in ununter- 
brochener Folge umfalst. 


684 Gesammtsitzung vom 3. November 1859. 


Abtheilung V (Band X), von welcher schon oben die Rede 
war, enthält die äthiopischen Denkmäler in chronologischer 
Gruppirung auf 75 Blättern. Von der VI. Abtheilung (Band 
XI und XI) sind in dem ersten Bande auf 69 Blättern zuerst die 
äthiopischen Cursivinschriften (70 an Zahl) mitgetheilt 
worden, die sich von der ersten Katarakte bis zu den Ruinen von 
Mero& zerstreut finden, dann die Sinaitischen Inschriften (167) 
bis Blatt 21; endlich aulser mehreren vereinzelten andrer Völker 
die hieratischen und demotischen (181) Inschriften. Von 
dem jetzt ausgegebenen Band XII, welcher die Griechischen und 
Lateinischen Inschriften enthält, ist schon gesprochen worden. 


Es ward dann beschlossen zur Schillerfeier am nächsten 
Donnerstage den 10. November eine öffentliche Sitzung statt 
der Plenarsitzung anzusetzen. Für den Vortrag in derselben 
ward Hr. Jacob Grimm gewählt. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Glasnick, Vol. XI. Belgrad 1859. 8. 

Memoires de la societe imperiale des sciences de Lille. Annee 1857. 
Lille 1858. 8. 

Bulletin de la societe geologique de France. Tome 16, feuilles 36—59. 
Paris 1859. 8. 

Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft. 13. Band, 
Heft 4. Leipzig 1859. 8. 

Mulder, Scheikundige Verhandelingen. II. Deel, Stuk 3. Rotterdam 
1859.78: 

Gerhard, Denkmäler, Forschungen und Berichte. Lieferung 43. Ber- 
lin 1859. 4. 

Fenicia, Canto sull’ principio e nobile scopo dell’ inclito ordine geroso- 
lomitano di S. Giovanni. Napoli 1859. 8. 

Freytag, Die heiligen Schriften des alten Testaments kritisch beleuch- 
tet. Potsdam 1859. 8. 

Zur Reform der Kirche. Potsdam 1857. 8. 

(———-) Septem epistolae apocalyplicae ad hodiernam ecclesiae 
evangelicae conditionem applicatae. Berol. 1850. 8. 

Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich. Band XII, Heft 
2-5. XII, Heft 1. 2. Zürich 1858—1859. 4. ' 


Öffentliche Sitzung vom 10. November 1859. 685 


Bericht no. 14. der antiquarischen Gesellschaft in Zürich. Zürich 1858. 4. 
Linder, De rerum dispositione apud Antiphontem et Andocidem oratores 
alticos commentalio., Upsaliae 1859. 8. 


10. Nov. Öffentliche Sitzung. 


Hr. Jacob Grimm bielt einen Vortrag über den Ge- 
genstand des Festes der Schillerfeier, welcher in un- 
sern Abhandlungen mitgetheilt werden wird. 


14. Nov. Sitzung der physikalisch-mathe- 


matischen Klasse. 


Hr. Ehrenberg machte zuerst eine Mittheilung über 
gelungene Versuche des Hrn. Beissel in Burtscheid 
bei Aachen, künstliche Kiesel-Steinkerne aus orga- 
nischen Kalkschalen darzustellen, wie sie die Natur 
vielfach bei sehr verschiedenen Organismen (Mollusken-, Echino- 
dermen-, Polythalamien-Schaalen u. s. w.) in den verschieden- 
‚sten geologischen Perioden der Felsschichten ausgeführt hat, 
welche dadurch, selbst nach dem Verschwinden der leichter ver- 
änderlichen Kalkschaalen, als Grünsand und feiner farbloser Kie- 
selsand oder als Kieselknollen und Kieselgeröll noch zu blei- 
benden Denkmälern der Entwicklungs - Verhältnisse ihrer Fels- 
schichten, das heifst der mehr oder weniger organischen Abkunft 
sonst unorganisch erscheinender Felsmassen werden. 

In folgendem Briefe an Hrn. Ehrenberg theiit Hr. Beis- 
sel seine Erfahrungen mit, auf deren bedeutendes Interesse Hr. 
Ehrenberg, nach bestätigender Ansicht der übersandten Präpa- 
rate, welche er gleichzeitig unter dem Mikroskop vorlegt, auf- 
merksam macht. 

Burtscheid den 2. Nov. 1859. 

Zugleich erhalten Sie ein Kästchen mit sechs Präparaten 
für durchfallendes Licht, enthaltend die künstlichen Steinkerne 
einiger grölsern Polythalamier, welche aus amorpher Kieselerde 
gefertigt wurden. Ich hatte bei meiner Bearbeitung der um 
Aachen vorkommenden Polythalamier lange versucht solche Stein- 


686 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


kerne anzufertigen, da mir dnrch Ihre Arbeiten deutlich gewor- 
den war, dafs sich durch diese Ausfüllung der innern Hohlräume, 
wie sie die Natur unter günstigen Verhältnissen zuweilen bil- 
det, oft mehr über die eigentliche Natur dieser kleinen Wesen 
aufdecken läfst, als durch die gelungensten Anschliffe. — End- 
lich habe ich denn auch, nach manchen vergeblichen Versuchen, 
ein ziemlich befriedigendes Resultat erhalten und es ist mir 
möglich gewesen von den meisten von mir gezeichneten Poly- 
thalamiern, auch die Steinkerne anzufertigen und abzubilden. 

Das Verfahren, welches ich bei der Anfertigung verfolgte, 
erlaube ich mir Ihnen hier im Einzelnen mitzutheilen, und da 
es vielleicht auch für andere Forscher beim Stndium dieser Or- 
ganismen von Interesse sein dürfte sich dieser Art des Präpa- 
rirens zu bedienen, so würden Sie mich verpflichten, wenn Sie 
dasselbe, im Fall es Ihren Beifall findet, bei Gelegenheit veröf- 
fentlichen wollten. 

Es müssen Schalen genommen werden, welche innen ganz 
hohl sind und zwar eine ziemlich beträchtliche Anzahl, etwa 
40—50, da man nicht bei jeder einzelnen Schale für das Ge- 
lingen der Steinkernbildung einstehen kann. Dieselben werden 
in Wasserglas gelegt, dem zur Sättigung Kieselgallerte im Über- 
schuls zugesetzt worden ist. Sie werden darin bis zur völligen 
Austreibung der Luftblasen gekocht, mit dem Pinsel herausge- 
nommen, einzeln auf eine Porcellanschale gelegt und mit Salmiak 
zur Fällung der Kieselerde übergossen. Nachdem man die 
Schalen einige Zeit darin gelassen, stölst man sie los, entfernt 
so viel immer möglich die Kruste aus Kieselerde, welche sich 
an der äufsern Oberfläche gebildet, setzt zu der Flüssigkeit, 
falls sie Ammoniak im Überschuls enthält, bis zur Neutralisi- 
rung vorsichtig Salzsäure zu und dampft ganz langsam ein. 
Dann werden die Schalen ausgesülst, getrocknet und schwach 
geglübt. So verfahre ich gewöhnlich drei mal; denn die mit 
einmal hineingebrachte Kieselerde bildet eine Kruste, welche 
nicht stark genug ist, um sich nach der Wegnahme der Schale 
durch Salzsäure zu erhalten. 

Darauf zerstöre ich die Schalen nach dem von Ihnen an- 
gegebenen Verfahren durch verdünnte Salzsäure. Nach der 
Auflösung der Schale wird das salzsaure Wasser abgehoben, 


vom 14. November 1859. 687 


die Steinkerne durch öfteres Dekantiren ausgesülst und nachdem 
auch dies Wasser mit dem Heber entfernt, rasch starker Alko- 
hol zugesetzt. (Würde man den Alkohol langsam zusetzen, so 
g mit dem 
Reste Wasser, die Steinkerne zerbrechen; würde man sie aus- 


würden, durch die entstehende Bewegung bei Mischun 


trocknen wollen, so würden sie zu feinem Pulver zerfallen.) 
Aus diesem Alkoholbade, in welchem die Steinkerne bis zur voll- 
ständigen Durchdringung stehen bleiben müssen, werden sie mit 
dem Pinsel in eine Lage verdünnten Balsams eingelegt, der auf 
dem Objectträger aufgeträufelt wurde, und rasch mit einem 
neuen Tropfen Harz bedeckt. 

Damit nun der Alkohol sich mit dem Harz verbinde und 
dann entweiche, muls man das Präparat eine längere Zeit einer 
mälsigen Hitze aussetzen. Schlielslich werden die Steinkerne 
ganz durchsichtig und man kann die Objecte mit dem Deckglas 
verschlielsen. 

Ich habe Ihnen nun in dem Kästchen zuerst 2 Präparate 
von Siderolina calcitrapoides gesandt, bei welchen Sie leicht 
sehen können, dals die ersten Kammern der Spirale folgen und 
dals aus allen Zellen ein sehr merkwürdiges System von Kanä- 
len zur Oberfläche führt, welches namentlich in den Spitzen 
stark entwickelt ist, die die Sternform bilden. Bei den Criszel- 
larien ist es neben der Überdeckung der ältern Kammern durch 
die jüngern, namentlich der eigenthümliche Verbindungskanal 
welcher Aufmerksamkeit verdient und an welchem auch im Stein- 
kerne überall die vom Mittelpunkte radienartig ausstrahlenden 
Spalten bemerkbar sind, die die Mündung einer grolsen Klasse 
von Polythalamien bilden, so lange das Thier nicht dieselben 
durchbrochen bat, um zum Bau einer neuen Kammer zu schrei- 
ten. Ich bitte Sie auch die hübschen Porenausfüllungen nicht 
übersehen zu wollen, welche sowohl bei den Rotalien der Kreide, 
als auch sehr fein bei denen aus dem Mittelmeer auf den Stein- 
kernen zu bemerken sind, wenn man den Fokalabstand etwas 
verschiebt. 

Die gelbe Farbe vieler dieser Steinkerne bin ich geneigt 
der fein zertheilten Kohle zuzuschreiben, welche nach Verdun- 
stung des Alkohols zurückbleibt; die runden Ausschnitte in den 
Ausfüllungen der Kammern, die man auch häufig bei den Poly- 

[1859.] 49 


688 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


thalamien im Feuerstein findet, scheinen mir Lücken in den 
Kieselschichten zu sein, welche entweder durch das Vorhanden- 
sein von Blasen beim Eindringen der Kiesellösung, oder wahr- | 
scheinlicher durch die Zusammenziehung der Kieselgallerte beim 
Austrocknen entstanden sind. 

Oft bleibt aber auch die ganze Schale der Form nach zu- 
rück, obgleich die Exemplare ‚zuletzt sogar eine längere Zeit mit 
kochender Salzsäure behandelt ‘wurden. Unter das Polariskop 
gebracht, leuchten diese Objecte zwar ganz schwach auf bei 
Verdunkelung des Gesichtsfeldes, keineswegs aber ist dies auch I} 
nur annähernd mit dem Farbenglanze zu vergleichen, den auch | 
die dünnsten Schliffe aus den Kalkschalen der Polyıhalamien 
zeigen. Ich nehme deshalb zwar das Zurückbleiben einer gan- 
zen Menge der schwerlöslichsten Kalksalze an, glaube jedoch 
nicht, dafs dieselbe hinreichend ist die Form der Schale zu er- 
halten. 

Ganz feine Anschliffe in der Richtung der Längsaxe und 
in einer darauf senkrechten, aus Schalen noch lebender und 
fossiler aequilateralen Helicostegier und Stichostegier gefertigt, 
überzeugten mich von dem Vorhandensein einer unzähligen 
Menge überaus feiner, unter sich paralleler und meist zu den 
Oberflächen der Schale senkrecht stehender Poren auch bei 
den Polythalamiern mit glasiger Schale, welche auf den ersten 
Blick keine Spur einer solchen Struktur vermuthen lassen. Ich 
habe selbst bei fossilen Schalen oft ganze Bündel dieser Kanäl- 
chen mit Luft erfüllt gesehen und zweifle daher nicht, dals wenn 
diese Poren unter günstigen Umständen leer geblieben sind, 
die Kiesellösung sie erfüllen und darin gefällt werden kann. 
Es ist klar, dafs in einem solchen Falle, auch nach Wegnahme 
der Kalksalze, die Schale erhalten zu sein scheint, obgleich in 
Wahrheit eine vollständige Umkehrung der Struktur stattgefun- 
den hat, indem die Hohlräume erfüllt worden sind, während das 
früher Solide den Hohlraum bildet. 

Ich habe Ihnen den Anschliff einer jetzt lebenden Yaginu- 
lina von Nizza beigefügt, an dem Sie sehr wohl mit einer 
500fachen Vergröfserung diese Poren erkennen können und ein 
Präparat von Frondicularia radiata d’Orbg. bei dem die Form 
der Schalen angeführter Weise erhalten blieb. Ignaz Beissel. 


vom 14. November 1859. 689 


Diese vorgelegten schön gelungenen Präparate der Verkie- 
selungen von leeren Polythalamien-Schaalen jetzt lebender Ar- 
ten durch Wasserglas lassen sich nach Hrn. Ehrenberg als 
solche ohne chemische Eingriffe dadurch sogleich bestätigen, 
dals sie durch farbig polarisirtes Licht farblos — einfach licht- 
brechend — erscheinen. Wo hie und da an den Präparaten 
sich farbige Spectra zeigen erkennt man, dafs noch Rückstände 
der ursprünglich cerystallinischen Kalkschale, deren Doppelbre- 
chung durch Hrn. Ehrenbergs Mittheilungen über das pola- 
risirte Licht 1848 und 1849 (S. Monatsberichte 1848 S. 238 
und 1849 S. 75) zuerst bekannt geworden, unverändert geblieben. 

Hrn. Beissel’s Versuche betreffen nicht die als schon er- 
ledigt anzusehende Frage, ob organische Substanz zur Verkie- 
selung (Silicification) der organischen Kalkschale oder ihrer Hohl- 
räume nölhig sei, wie es Leop. v. Buch 1828 (Abhandl. der 
Akademie S. 45) entschieden bejahend ausgesprochen hatte. 
Durch Hrn. Ehrenberg’s Beobachtungen an Kieselerfül- 
lungen leerer Kieselschalen von Bacillarien war schon 
1846 (S. Monatsberichte S. 165), noch weit ausführlicher aber 
durch die Beobachtungen desselben an den Grünsand -Steinker- 
nen 1855 (Abhandl. d. Akademie $. 87 und 101) diese Frage 
negativ erledigt worden. Gewöhnlich sind die Hohlräume der 
Polythalamien des Grünsandes in solcher ungeheurer Menge in 
den Grünsand-Mergeln als Steinkerne vorhanden, dals es un- 
denkbar ist, dals alle diese Formen, welche so leicht absterben 
und aufgelöst werden, auch in der Schreibkreide fast spurlos 
fehlen, durch die organische Substanz zur strotzenden Erfül- 
lung ihrer Hohlräume mit Eisensilicat gelangt seien. Auch sind 
in allen geologischen Verhältnissen weit vorherrschend nicht die 
Schalen verkieselt, obschon bei Austerschalen dies deutlich vor- 
kommt, vielmehr sind die Schalen fehlend und die Steinkerne 
betreffen nur die von der Schale entblölsten Hohlräume, wo- 
durch Turritellen wie freie Spiralen oder Pfropfenzieher, oder 
Rotalien als spirale freie Gliederketten erscheinen. 

Die künstliche Methode des Hrn. Beissel zeigt eine von 
den natürlichen Erscheinungen geologischer Steinkerne dadurch 
sehr verschiedene Wirkung, dafs bei derselben die Kalkschale 
vorzüglich silicificirt wird, während die Hohlräume es unvoll- 

4g* 


690 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


ständig werden. Es fragt sich daher, ob diese Schalen nur die 
amorphen Kieselerfüllungen der ähnlichen Zwischenräumchen der 
erystallinischen Kalktheilchen sind, welche dadurch dennoch die 
Form des Ganzen täuschend erhalten haben, oder ob das Was- 
serglas mit den crystallinischen Kalktheilchen der Schalen ein 
Kalksilicat gebildet hat. Jedenfalls ist die chemische Durch- 
dringung keine überall vollständige, da sich ein grofser Theil 
des Kalkes durch Säure wegnehmen lälst. So wird denn ein 
Theil der Schale durch amorphe Kieselsänre oder amorphes 
Kalksilicat ersetzt und für Salz- Säure unlöslich. Überdies 
füllen sich zuweilen auch die Hohlräume mit erhärtendem Was- 
serglas aus, welches eine mehr grünliche oder gelbliche Farbe 
hat und für den Charakter eines Kalksilicats weniger Anbalt 
bietet. 

Das besonders interessante, vielleicht viel entwickelnde die- 
ser Behandlungs- Methode scheint Hrn. Ebrenberg darin zu 
liegen, dafs sich in der Schalen-Structur Verhältnisse damit er- 
kennen lassen, die bisher ungeahnet waren, wie bei Siderolina 
caleitrapoides die Stacheln sich als Hüllen für starke Gefälssysteme 
ergeben und dafs es vielleicht künftig nicht mehr des mühsamen 
Aufsuchens der Structur-Erläuterung mikroskopischer Körper aus 
Grünsanden bedarf, vielmebr überall diese Methode auch bei 
den jetzt lebenden Formen, einer Injection gleich, sofort Erläu- 
terung geben wird. 


Derselbe sprach dann über eine secundäre rothe 
Färbung des thierischen Fettes durch die von ihm 
1848 als Monas prodigiosa bezeichnete Blutfärbung 
des Brodes. 

Die von mir im Jahre 1848 und 1849 mehrfach der Aka- 
demie vorgelegte und in ihrer wunderbaren, oft geistverwirrenden 
und als Völker- Wahnsinn erscheinenden, Geschichte erläuterte 
blutrethe Brodfärbung, welche schon die Soldaten Alexanders 
des Grolsen bei der Belagerung von Tyrus erschreckte und 
dann zur Erstürmung der Stadt ermuthigte (nach Diodor von 
Sizilien und Curtius Rofus), wurde von mir 1848 theils frisch 
theils auch später in getrockneten ganz wohl erhaltenen inten- 


vom 14. November 1859. 69 


siv gefärbten Proben vorgelegt, deren einfache Anfertigungs- 
Methode ich erläuterte. (S. Monatsberichte S. 350, letzteres 
S. 462.) 

Es sind seitdem 11 Jahre verflossen. Mehrere der damals 
vorgelegten Weilsbrod-Proben, auf welchen die Farbe am leb- 
haftesten erschien, lege ich jetzt wieder vor, um den Einflufs 
eines so langen Zeitraumes auf die Erscheinung anschaulich zu 
machen. Sie wurden damals, wenn sie eben in schönster Ent- 
wicklung waren, einfach am warmen Öfen oder Heerde rasch 
getrocknet. Ich habe diese Proben, nach Aufschrift des Da- 
tums ihrer Bereitung auf dieselben in zwei Blechbüchsen auf- 
bewahrt. In beide Blechbüchsen waren, wahrscheinlich durch 
das öftere Vorzeigen der Proben, Brodkäfer gekommen und 
haben die sämmtlichen Stücke sehr zerlöchert, so dafs einige 
zerfallen sind. Die lebhaft hlutrothe Farbe hat sich bei einigen 
Stücken unverändert erhalten, bei andern ist sie nur dunkler 
roth grworden. Die das Brod zerstörenden Brodkäfer (Anodium 
paniceum) sind durch die rothe Substanz nicht getödtet wor- 
den, haben aber die gefärbten Stellen des Brodes weniger zer- 
nagt als die Rückseite. Eingestreutes persisches Insektenpulver 
— Pyrethrum persicum — tödtete eine zeitlang viele Käfer, 
allein die spätere Brut entwickelte sich unaufhaltsam. Auch wie- 
derholtes starkes Dörren hat das spätere Wiedererscheinen le- 
bender Käfer nicht behindert. 

Einen anderen Versuch habe ich damals mit der blutfarbi- 
gen Substanz auf die Weise gemacht, dals sich die Einwirkung 
des Lichtes auf die getrocknete Masse herausstellen sollte, da 
man dieselbe sogar als schönen Farbestoff gepriesen hatte, Ich 
hatte daher verschiedene auf Weifsbrod, Leinwand und Oblate 
entwickelte Proben unter einer kleinen Glasglocke nur vor Staub 
und Insekten geschützt, dem Lichte aber zugänglich gelassen. 
Diese jetzt ebenfalls nach 11 Jahren wieder vorgelegten Proben 
sind theils so ganz farblos geworden, dafs die frühere Stelle der 
Farbe kaum erkannt wird, theils haben sie eine schmutzig gelb- 
liche und stumpf braune Farbe angenommen, welche keine Mi- 
schung von Roth anzeigt. 

Aulser diesem Resultat einer mehr als 10 jährigen Aufbe- 
wahrung, welche bei wohl verschlossenen Verhältnissen und 


692 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


Entziehung der Lichteinwirkung sich offenbar mit Erhaltung der 
Form und Farbe sehr viel länger fortsetzen lassen wird, halte } 
ich für bemerkenswerth, dafs die hie und da geäulserte Mei- 
nung, als sei die Erscheinung wohl ein Vorbote der asiatischen 
Cholera, ohne alle Begründung ist. Es ist kein Jahr vergangen, | 
ohne dafs ich in Berlin oder aus nahen Städten Proben dieser 
Erscheinung zugesandt erhalten habe. Auch in diesem für Ber- | 
lin cholerafreien Jahre, in dem wenigstens nur, wie es wohl 
niemals anders gewesen, sporadische Cholerafälle erschienen 
sind, habe ich aus mehreren von einander sehr entfernten Häu- 
sern auf gekochten Kartoffeln und gekochtem Fleische gleich- 
artige Blutfärbungen zugesandt erhalten und ich habe sie in 
dem sofort zu bezeichnenden Falle durch aus Frankfurt am Main 
zugesandtes Fleisch neu entwickelt. 

Die Anregung zu der heutigen Mittheilung über den Ge- 
genstand gab besonders ein Schreiben des Hrn. Dr. Adolph 
Schmidt aus Frankfurt a. M., welches vom 22. August datirt | 
ist und mir folgende Mityheilung machte: 

„In meiner Haushaltung wurde am 17. August Ochsen- 
fleisch gekocht, welches ganz frisch und gut war. Der Über- 
rest wurde auf einer irdenen Schüssel in den Keller gesetzt. 
Am anderen Morgen zeigten sich auf der untenliegenden Seite, 
sowohl auf dem Fleisch, wie auf Sehnen und Fett, intensiv 
rothe Flecken. Ich hoffte Ihre Monas prodigiosa zu finden, 
fand aber nur rothes Fett. Einzelne Muskelfasern waren röth- 
lich gefärbt, so dafs ich im Anfange glaubte dieses rothe Fett 
entstände in den Muskelfasern. Bei genauerer Untersuchung be- 
sonders auch der Sehnen und des Fettes fand sich aber, dafs 
diese Ansicht falsch war. Da weder ich noch meine Freunde 
in der Litteratur uns eines ähnlichen Falles entsinnen, hielt ich 
die Sache für wichtig genug, um sie Ihnen zu übersenden und 
hoffe nun, dafs sie noch in untersuchbarem Zustande zu Ihnen 
gelangt.” 

Mit dieser interessanten Nachricht sandte Hr. Dr. Schmidt 
3 luftdicht durch weilse Kittmasse verschlossene Präparate als 
Objecttäfelchen und auch frisches Fleisch. 

Die Erscheinung des rothen Fettes war sowohl in den Prä- 
paraten als am frischen durch den Transport etwas übelriechen- 


vom 14. November 1859. 693 


den Fleisch völlig deutlich und allerdings erschien auf den er- 


_ sten Anblick die rothe Färbung nur dem Fette angehörig und 


von der Monas prodigiosa verschieden zu sein. Die Fett-Inseln 
waren für das Mikroskop homogen, ohne jene feinen zittern- 
den Körnchen, welche das Blut-Prodigium, auch wenn es auf 
Fleisch erscheint, charakterisiren. 

Da ich bereits im Jahre 1849 die Erfahrung gemacht hatte, 
dals secundäre Färbungen durch die Purpur-Monade vorkommen, 
welche gleichzeitig vorhandenen Schimmel ungewöhnlich roth 
färben, oder auch ganze Amylumbälge des in Dextrin verwan- 
delten Brod-Amylums roth färben (s. Monatsber. 1849 S. 105), 
so nahm ich zu dessen Prüfung etwas von dem frischen Flei- 
sche und bestrich ein Stück Weilsbrod damit, welches ich vor- 
her rasch unter Wasser getaucht und sogleich wieder hervorge- 
hoben hatte, damit es sich zwar auflockere aber nicht allzu- 
feucht werde, Dies Brod setzte ich unter eine Glasglocke auf 
einen mit feuchtem Löschpapier belegten Teller an einen war- 
men Ort. Am andern Tage war die ganze Krume des Weils- 
brodes mit einer dichten Lage der purpurrothen lebenden Sub- 
stanz überzogen. 

So war denn kein Zweifel übrig, dals jenes rothe Fett eine 
secundäre rothe Färbung des Fettes durch Monas prodigiosa 
war, von welcher ja einige Lebensformen noch entwicklungs- 
kräftig vorhanden waren. 

Die luftdicht verkitteten Präparate haben jetzt, beim Druck 
der Abhandlung, ihre Farbe so sehr verloren, dals sie kaum noch 
zu sehen ist. 

Mehrere Schriftsteller haben sich neuerlich Mühe gegeben 
den Körper wieder unter den Algen in die Gattung Pälmella 
zu stellen, oder gar neue Genus-Namen bei den Algen damit 
zu begründen. Ich habe 1849 in den Monatsberichten S. 104 
mich schon mit solchen Gründen dagegen erklärt, dals es keiner 
neuen bedarf. Den polygastrischen Bau einer Monade habe ich 
weder früber ausdrücklich noch bis heut bei ihm erkannt und 
wiederhole nur, dals die von mir ihm gegebene Stellung in der 
Systematik noch immer eine zweifelhafte bleibt, weshalb ich vor 
einiger Zeit in der hiesigen Naturforschenden Gesellschaft den 
unentschiedenen Namen Zyria (Monas) prodigiosa vorzog. Den- 


694 Sitzung der physikalisch-mathematischen Klasse 


noch kann ich das beobachtete kleine Bewegungsorgan nicht 
aufser Acht lassen und da die Palmellen eine Hautbegrenzung 
haben und die scheinbar unbegrenzt gallerligen Sarcodermen 
festen Zusammenhang und keine zitternde Bewegung allein sie 
bildender Körnchen zeigen, so sehe ich mich veranlalst, es bei 
der früheren Ansicht zu belassen, bis innere Gründe durch stär- 
kere Instrumente zugänglich werden. 

Auch die lebende Substanz wurde in kräftiger tief blutfar- 1} 
biger Entwicklung wieder vorgezeigt und auf den stark cada- 
verösen animalischen Geruch beim Absterben aufmerksam ge- 
macht, während sie frisch entwickelt keinen unangenehmen Ge- 
ruch hat. 


Derselbe gab ferner einige vorläufige Mittheilungen über 
ein sehr massenhaftes bisher ungekanntes mikro- 
skopisches Leben in Schneelachen des Montblanc- 
Gipfels nach Dr. Pitschners Materialien. 


Hr. Kummer machte einige Mittheilungen über die fer- 
neren Arbeiten des Hrn. Prof. Dr. Reuschle in Stuttgart, 
betreffend die Zerlegung der Zahlen in ihre complexen Prim- 
faktoren, und legte folgende von demselben ausgearbeitete Tafel 
vor, welche die Zerfällung aller Primzahlen innerhalb 
des ersten Tausend in ihre aus siebenten Wurzeln 
der Einheit gebildeten complexen Primfaktoren giebt. 

4. Die Primzahlen » von der Form 7n-+-1 werden in 
sechs conjugirte complexe Primfaktoren zerfällt, welche aus den 
Wurzeln «, &°, «°, «*, «°, «° der Gleichung «’ =1ı gebildet 
sind. Es bezeichnet hier f(«) einen dieser complexen Primfaktoren 
in der primären Form und u, v,, 4;, 43, z,, u; die den Wurzeln «, 
a?,«?, @', «@’, «° entsprechenden Congruenzwurzeln, für welche die 


—)| 


primitive Wurzel 3, deren Per Potenz u congruent ist, nach 


dem Modul p, in Übereinstimmung mit dem Canon arithme- 
ticus von Jacobi gewählt ist. 


vom 14. 


967 


29| —5| 4 9 52 7| -6 
43 # “ —2| 21 ı6 4 
71 32) Ad 23] —6| 20 
13 —7 Ag 2383| 30 ı6 
m 2 „\ 16] 32| 64 
197] 6 | —83] —93 | —33 
zul] ug ” —67| —63) —12 | 58 
239 a a . 100) 24| 44 
Pius EN 59 —100| 79; 109 
337 —162, a au 9 u 52 
3 us un 125) 94 = 86 
\ 15 33] —5l| —36 —I7T 
a 2 3 3 4 
0 - -10 35 18) -5| 176 
463 165 —51| 34-177] 118) 230 
m 223| 240-105 | 138 
547, 9, si, 182 —-3) —27 Par 
617 Sl —62 us) 142)—209 '—166 
‚sl Ei re 269) 21 | 133 
> 14 307 5 21-219 —270 
673 ae m 229 | 117 
zol an 65-332 19 | 167 
783-151 Be se 328| 253 310 
a7 zn ee el | 6& 
7 2 124 400 —337| —20 | 389 

alt 

883 _176 71.—134' a RR 

au = a2 _ wm m 
_) 431 Aires 


Ei; —199 —74 


97 en 431 


Novernber 1859. 695 
| f(«) 

2+38 —- 0° +30? — 20" +40? 

= 2 4 5 6 

a2" HA" — 5% 


1+34° +@° +20" 30° 
24 +60? + 118° + 100? +50 
— Jede. Hi? Be? a? 

1-20?’ +58? +50° 

24 +60” +90° +70* +30? 

10 = 40° +30? #90° 5a? - 
A ei 
80° 

2-2” +30* a? +a° 

18 +4 — 124° — 140° — 50? +90° 
9. +118? #120 — 108" +2? + 18° 

17 + 120 #8? + 18° +50? 

6+50? —- a’ ra" +20° 

11-48 +90? +30? +80? 
-34* +20° 
2+20° +34° a +22 
8-+40° +20” +30* +34° 
1-92] Du: 0? +2? 
1+38 —- 0° +0* +20? 
10% + 118° + a* +50? +9@° 
&? +30 + 20° 30° 
10-508? +30? +6? + 150? + 17° 


3-40 +24? 5? +40? 


ı7@° 


5+50 -4@° 


6 tr re 
a 100° 21° 
1-+48 +50? us „ra? 


226 | 210 | 6+44 — 38° +40" 


2. Die Primzahlen » von der Form 7n — 1 werden in drei 


conjugirte complexe Primfaktoren zerfällt, welche aus den zwei- 


gliedrigen Perioden 


3 4 
y=a+ad, y,=a te‘, % 


=ua°? ra? 


gebildet sind; die diesen Perioden entsprechenden Wurzeln der 


Congruenz 


ryr —ıy —1 


welche mit u, w,, u, bezeichnet 


0, mod. p, 


sind, sind so geordnet, dals 


die absolut kleinste überall als die erste genommen ist; die 
complexen Primfaktoren f(«) sind in die primäre Form gesetzt. 


696 Sitzung der physikalisch- mathematischen Klasse 


p| 


13 
4 
83 
97 


3. Die Primzahlen p der Formen 7n +2 und 7/n-+4 wer- 
den in zwei conjugirte complexe Primfaktoren f(r) zerlegt, 
welche aus den dreigliedrigen Perioden 

yma+tea’ rer, 1, =’ ra Ha? 


gebildet sind; von den diesen Perioden entsprechenden Wurzeln 


zu le | 


u 7 —=6 
mA —Ul 14 


—22| — 112 133 
—63 | — 134 196 
—-8| —5 62 
el 221 | — 195 
111 144 247 
—63 204 | — 142 
80 292 | — 213 
20 224 | — 245 

41 | — 267 225 

— 137 | — 175 311 
100 262 | — 363 
179 221 | — 401 

— 125 | — 397 | — 318 
— 153 | — 224 376 
—-10| —8 98 
.105 15 — 221 


u und u, der Congruenz 


ist diejenige, welche positiv und kleiner als die Hälfte des Mo- 
duls ist, als die erste gewählt worden. 


y’+HyY+2Z=o, mod. p, 


I) 


3+Mg 
-1-MWı +Ma 
13 +79 
-4- Ma 
13-7 + Ma 
-8+7 3 
-35— 1 
647, —14Ng 
—11- Mg 
38 + 2194 
52 +359, — 281g 
3— 2 +79 
-30+149y— 2112 
-1+M a 
—-8+3y+ 2194 
_2+794 
- 242899, +Ma 
76 + 499 — 289 | 
59 — 359 +4 2 
33+219, — 149g 
13 +1, — 9, 
17+149, — 1492 
5—-M+1Ng 
5+7mM, - 14a 
—-8—- 791 +149g 
33 + 149 — 2194 
—4+1Y—- Ma 


vom 14. Novernber 1859. 697 


plulu | fm) I>lulu | fo 
2| o| -ı N ı1| 4| —-5)ı-%, 
3] 9) -m|3—-%, 5353| 141) -—513—- 
37 8 —=91I 1-4, 6 | 1) - 2) 1 + 
9| 2] -ı3Jı-, 1098| 9| —390|7—- 44 
1077| 8| -—9|9- 2%, 1377| 16| - 7 1 — 89, 
1493| 33) —35)9—- 4, 5| 69) -— 0] 11-2, 
1538| 3] -— 17-9, 1719| 53] —54|3+ 10%, 
191 | 19| -— 20 Jı +1 1993| 3) -—a4l5-9% 
23| 3900| -—3117—- 9 263 | 123 | — 124 | 15 — 29, 
37) 3] —84|15— 4 2771| 3] -—4lı + 1% 
331 | 156 | — 157 17-29, 3197| 4] -5]5+1M 
359 1128| — 1239 13-+ 14Y 39| 2] -—3|ı7 - Mm, 
373 | 154 |— 155 |5— 129, 431 | 41] —42 | 11— 109, 
401 | 152 | — 153 | 13 — 89 487 | 103 | — 104 5— 149, 


43 |157|- 158 3-14, | 557 [1331-1341 21 — 9, 
457| 85| —8615+164, | 571 |158|-—159|7 + 184 , 
499 | 151 |— 152 |13—- 104 | 599 | 129] — 13019 — 149 

51) #6] -alım—-ım | 6183| 19) —50| 13-124, 


569 | 178 | - 19 13 — 16 6, 
653 | 169 | - 170 |23— 4 683 |328| - 39 | 5 — My, 
709 | 106 | — 107 | 7 + 204 139 | 127] — 128 | 3 — © 

z5ı| 77) —78|19-104 | 809 | 150) - 157) 11 — 169, 


821 | 40] —4ı ]1 - 204, | 823 1229| — 230 | 7 — 189 
863 | 117) 118 |7 + 224, | so7|as8| —49|9 — 2, 
8771367 | 368 |19 -ım | 97) | -—8| 15 — 14 
99|36'—-327 |17—ı, | ı| 4| - | ı - 224, 
97| 3] —441ı +29 


4. Die Primzahlen » der Formen 7n-+3 und 7n +5, wel- 
che eine Zerlegung in complexe, aus siebenten Wurzeln der Ein- 
‚heit gebildete Faktoren nicht zulassen und darum auch in dieser 
‚compiexen Theorie Primzahlen sind, im ersten Tausend sind 
folgende: 
| a. p=17n-+3 
3, 17, 31, 59, 73, 101, 157, 199, 227, 24, 283, 311, 353, 367, 409, 479, 521, 

563, 577, 619, 647, 661, 773, 787, 829, 857, ul, 983, 997. 
| b p=7n+5 
5, 19, 47, 61, 89, 103, 131, 173, 229, 257, 271, 313, 333, 397, 439, 467, 509, 
523, 593, 607, 677, 691, 719, 733, 761, 859, 887, 929, 971. 


698 Sitzung der phys.-math. Klasse vom 14. November 1859. 


Hr. du Bois-Reymond legte eine Mittheilung des Hrn. 
v. Bezold, Professor in Jena, d. d. Berlin, 30. October, über 
die Einwirkung des Pfeilgiftes auf die motorischen 
Nerven, vor, welche auf Versuchen beruht, die Hr.v. Bezold 
im hiesigen physiologischen Laboratorium am Helmbholtz’schen 
Myographion angestellt hat. 

1. Durch die Einwirkung des Pfeilgiftes auf die motorischen 
Nerven des Frosches, wird die Geschwindigkeit, mit welcher die 
Erregung sich innerhalb derselben fortpflanzt, herabgesetzt. 

2. Diese Verlangsamung der Fortpflanzung durch den Ein- 
flufls des Giftes tritt sehr früh ein in den intramuscularen Ner- 
ven; bedeutend langsamer und später, und nur bei sehr grofsen 
Gaben des Giftes in den motorischen Nervenfasern der Stämme. 

3. Die durch den Einfluls des Pfeilgiftes erzeugte Vermin- 
derung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung wächst 
mit fortschreitender Vergiftung mehr und mehr; sie ist mit einer 
stetig zunehmenden Abschwächung der Erregung während der 
Fortpflanzung verbunden; sie geht endlich über in eine totale 
Unfähigkeit des Nerven, Erregungen, die innerhalb desselben 
stattfinden, fortzupflanzen. 

4. Als grölste Verminderung der Fortpflanzungsgeschwin- 
digkeit der Reizung im Nerven habe ich in bisherigen Versu- 
chen die Herabsetzung der Schnelligkeit, mit welcher der Reiz 
sich im Nischiadicus des Frosches bei 15° C. fortpflanzt, von 
26 Meter auf 5,5 Meter in der Secunde beobachtet. 

5. Der zeitliche Verlauf der Muskelverkürzung nach directer 
Erregung wird durch die Einwirkung des Pfeilgiftes nicht ge- 
ändert. 

6. Der zeitliche Verlauf der Muskelverkürzung nach Erre- 
gung des Nerven wird mit zunehmender Verlangsamung der 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit durch die Einwirkung des Pfeil- 
giftes bis um das doppelte verzögert. 


Gesammtsitzung vom 17. November 1859. 699 


17.Nov. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Haupt las Hrn. Gerhards Abhandlung „über die 
Metallspiegel der Etrusker.” Zweiter Theil. 

Diese Abhandlung ist bestimmt einer schon im Jahr 1838 
über denselben Gegenstand gehaltenen als deren zweiter Theil 
zur Fortsetzung und zum Abschluls zu dienen. In jener frühe- 
ren war eine Charakteristik der etruskischen Metallxpiegel auf 
Grund der Zeichnungen gegeben, aus denen des Verfassers Ge- 
sammtwerk „Etruskische Spiegel” (Berlin 1843 ff. 240 Tafeln 
in 2 Quartbänden) erwuchs; seitdem ist durch vorgerückte For- 
schung und durch erweiterten Apparat eine fernere Darlegung 
des jetzigen Materials sowohl als des neu gewonnenen Stand- 
punktes seiner Betrachtung nothwendig geworden. 

Hinsichtlich des Materials konnte der Verfasser sich auf den 
erst neulich in einer Klassensitzung gegebenen und im akademi- 
schen Bericht (1859, Juli) ausgezogenen Vortrag berufen, der 
auf die Kenntnifs von mehr als 500 in dem Kupferwerk „Etrus- 
kische Spiegel” noch richt enthaltenen Zeichnungen sich grün- 
dete. Was aber die Würdigung und Erklärung so vieler 
schwieriger Denkmäler jener Kunstgattung betrifft, so war es 
dem Verfasser noch insbesondere zur Pflicht geworden darüber 
sich auszusprechen, seit eine im Jahre 1856 der Akademie zu- 
geeignete Abhandlung des Hrn. G@. Rathgeber zu Gotha einen 
Erklärungsversuch für 125 Spiegel geliefert hatte, deren Ver- 
ständnils dem Herausgeber des von der Akademie grolsmüthig 
unterstützten und im Allgemeinen zu lobenden Spiegelwerkes 
milslungen sei. Jener gelehrte und scharfsinnig vollführte Er- 
klärungsversuch hatte sich über alle bisher bekannten Spiegel 
desjenigen Inhalts verbreitet, den man im Gegensatz gangbarer 
mythologischer Darstellungen als hieratisch bezeichnen, mehr oder 
weniger auch auf vormaligen Geheimdienst beziehen und somit 
zu Aufrechthaltung der Annahme „mystischer Spiegel” ge- 
brauchen konnte. Eine diesem Sinn im Allgemeinen entspre- 
chende Abgrenzung ist auf Taf. 31—60 der „Etruskischen Spie- 
gel” befolgt: weibliche Flügelgestalten in einfacher sowohl als 
Doppelzahl, ferner die Brüderpaare der zwei Dioskuren und drei 
Kabiren, endlich gewisse typisch gewordene Gruppen, in denen 


700 Gesammtsitzung 


Minerva und Venus mit den Dioskuren verbunden sind, können 
als wesentlichster Inhalt ‘jener hieratischen Abtheilung bezeich- 
net werden, die mit ausgewählten Merkursbildern schliefst; noch 
andere, der letztgedachten Composition nah verwandte und in 
typischer Wiederholung häufige Spiegelzeichnungen blieben vor- 
läufig daraus entfernt, um nach Herausgabe der zwischen Mystik 
und Mythos schwankenden angeblichen Helenabilder darauf zu- 
rückzukommen. 

Früher als es zu verhoffen stand hat nun Hr. Rathgeber 
gerade von diesen schwierigsten Bildnereien Etruskischer Spie- 
gel den Mittelpunkt seiner für alle bisher unerklärten Spiegel 
durchgreifenden Erklärungsweise entnommen. Die vermeintliche 
Helena jener Gruppirungen betrachtet er als eine im Sinn der 
Kora und Libera neuerstandene Frühlingsgöttin, welche dem 
gleichfalls im Sinne der wieder erwachten Natur neubelebten 
dritten Kabiren als mystische Braut, den Theogamieen von Zeus 
und Hera oder von Dionysos und Kora vergleichbar, vermählt 
worden sei. Die Annahme einer solchen Mysteriengöttin ist an 
und für sich nicht abzuweisen, wie sie denn auch vom Heraus- 
geber der „Etruskischen Spiegel” nicht ausgeschlossen war; doch 
ist die Nachweisung derselben durchaus getrübt durch die phan- 
tastische Willkür, mit welcher Hr. Rathgeber seine erste 
Vermuthung weiter verfolgt und zu einem um Auskunft nirgend 
verlegenen System ausgebildet hat. Die hieratischen Spiegel- 
zeichnungen sind hier zu Belegen eines Mysteriendramas ge- 
worden, dessen transparentes Schaugepränge in einer vorberei- 
tenden Herbstfeier und einem dreitägigen Frühlingsfest die Wie- 
derkehr der verschwundenen Naturgöttin und ihrer Vermählung 
mit dem neubelebten Kabiren darstellen sollte. Die örtliche und 
geschichtliche Nachweisung solcher Feste wird mit Ausnahme 
weniger Andeutungen hiebei vermilst; statt dessen sind zur Er- 
klärung des Einzelnen Hypothesen befolgt, deren Berechtigung 
bezweifelt oder schlechthin verneint werden muls. Wenn Hr. 
Rathgeber vielfach annimmt und angeblich nachweist, die Un- 
terweltsgöttin Persephone kehre als Aphrodite oder als scenische 
Stellvertreterin dieser Göttin aus der Unterwelt erst ins Eiland 
der Seligen, dann von dort aus ins Reich des Tages zurück und 
werde von auf- und niederwärts reisenden Götterbotinnen dabei 


vom 17. November 1859. 701 


bedient, oder von dorther zurückgebracht, so ist die durchgän- 
gängige Willkür solcher Annahmen keines Beweises bedürftig, 
um so weniger wenn jene Götterbotinnen von Hrn. Rath- 
geber in den bekannten geflügelten Schicksalsgöttinnen gefun- 
den werden. 

In der vorliegenden Abhandlung ist nun ein neuer Versuch 
gewagt, die fraglichen hieratischen Spiegelbilder eingehender zu 
deuten, als neben dem nur bis Taf. 30 reichenden ausführlichen 
Text in der Inhaltsangabe der Kupfertafeln geschehen war. Was 
zuvörderst die weiblichen Flügelgestalten betrifft, die in mei- 
stens verzerrter Bildung in grolser Zahl auf Spiegeln von mei- 
stens geringer Grölse sich finden, so sind dieselben durch Grif- 
fel und Schreibgefäls dem Begriff einer Schicksalsgöttin, einer 
Fortuna oder Lasa, allzu sehr zugeeignet und mit anderen Gott- 
heiten allzuwenig gruppirt, als dafs sie der Deutung auf altes 
Mysterienwesen anheimfallen dürften, selbst wenn jetzt ein sehr 
vereinzeltes Beispiel eine solche Flügelgestalt mit dem Neben- 
werk einer mystischen Cista uns vorführt. Die auf Taf. 36 zu- 
sammengestellten Bilder einer geflügelten Pallas, die Hr. Rath- 

geber auf Unterweltsfahrten Minervas deutet, haben wir gleich- 
falls bis jetzt keinen Grund von der sonst genugsam verbürgten 
Gemeinschaft des Minerven- und Fortunenbegriffs abzulösen und 
ebensowenig bietet für uns die Doppelzahl geflügelter Frauen- 
gestalten, deren Begegnung auf unterweltlichen Reisestationen 
Hr. Rathgeber fabelt, zwingende Gründe, mehr als die 
auch sonst hinlänglich bekannte Verdoppelung der Fortunen und 
Lasen daraus zu entnehmen. Dals nun wenigstens für die auf 
Taf. XLII ff. folgenden Dioskuren die hieratische Geltung der 
ganzen Abtheilung zu einer mystischen gesteigert werden dürfe, 
geht aus dem augenfälligen Inhalt ihrer Darstellungen nirgend 
hervor, wird aber wahrscheinlich durch die unleugbare Ver- 
wandtschaft jener aus Sparta und Samothrake berühmten Brüder 
mit den kabirischen Drillingen lemnischen Dienstes. Einen Drei- 
verein dieser Brüder in den Gruppirungen anzuerkennen, die 
auf Taf. LV zusammengestellt sind, wird nicht nur dadurch uns 
nahe gelegt, weil kein ähnliches mythisches Brüderpaar dazu be- 
rechtigter ist, sondern auch dadurch, dals nach einer bekannten 
Stelle des Clemens (protr. p. 16) das Mysterium der drei Ka- 


702 Gesammtsitzung 


biren nach Tyrrhenien geflüchtet sein sollte, wie denn auch die 
drei Männerköpfe am Thor von Volterra (Micali, storia. tav VII) 
kaum anders als auf Kabiren sich deuten lassen. Zu weiterer 
Bestätigung dieser Annahme treten nun aber allerdings auch an- 
dere Gruppirungen unserer Spiegel hinzu. Dals die auf Taf. 
LVI, 1 und LVIII gegebenen Darstellungen dem Morde des 
dritten Kabiren durch seine zwei Brüder gelten ist leichter zu 


bezweifeln als zu widerlegen, zumal wenn auf Taf. LVH die 


satyresk behandelte Wiedererweckung des dritten durch Mer- 


kurs Zauberstab sich nicht wegleugnen lafst und ein noch un- 


edirtes Spiegelbild einen Jüngling in hephästischer Tracht von 
Göttinnen umtanzt uns vorführt. Sind aber jene beiden Spie- 
ge! wirklich auf die Kabirensage bezüglich, so tritt aus ihren 
Inschriften auch die Gleichsetzung der Dioskuren mit den zwei 
kabirischen Brudermördern ins Licht und diese auch sonst nach- 
weisliche Gleichsetzung dient dem in andern Spiegeln gesuchten 
Zusammenhang der Dioskuren mit der Kabirensage zur Unter- 
stützung. Man kann sich entschlielsen die wartende Stellung 
der Dioskuren auf ihre Erwartung der Wiederbelebung des 
dritten Bruders und manches Nebenwerk architektonischer oder 
sonstiger Art auf dessen Heroon oder auf mythische Auffassung 
seiner Wiedergeburt (das Aufsprossen aus einer Blume u. dgl. m.) 
mit Hrn. Rathgeber zu beziehen. Aus gleicher Erwartung 
läfst sich nächstdem auf Taf. LIX die mehrfach wiederholte 
Gruppirung der Dioskuren mit Minerva und Venus, denselben 
Göttinnen erklären, welche dem, wie es scheint, auf Taf. LVI, 1 
angedeuteten Brudermord in bedeutungsvoller Nähe zur Seite 
stehen. 

Wenn nun zu jener Wiedererweckung des dritten Kabiren 
sich auch die Theophanie einer Mysteriengöttin und deren 
Theogamie mit dem neuerstandenen Gotte, der mystischen 
Hochzeit von Dionysos mit Kora durchaus vergleichbar, ge- 
sellte, so darf die dem hieratischen Bilderkreis „Etruskischer 
Spiegel” bisher vorenthaltene Anreihung von Spiegelzeichnun- 
gen, in denen jene mystische Göttin die Hauptperson ist, nun- 
mehr zur Erweiterung dieses Bilderkreises mit grölserer Zuver- 
sicht nachgeholt werden. Den auf Taf. LIX gegebnen Grup- 
pirungen von Minerva und Venus mit den Dioskuren ist eine 


1 


= 


vom 17. Novernber 1859. 703 


seltnere Darstellung nah verwandt, in welcher beide Göttinnen 
mit den drei Brüdern, vermuthlich nach Wiederbelebung des 
dritten, vereinigt sind; ungleich häufiger aber und in demselben 
Sinn zu verstehen ist das in Dutzendarbeit oft wiederholte Bild 
einer zwischen drei Jünglinge gestellten Frau, in welcher man 
nun mit gröfserer Wahrscheinlichkeit die den drei Kabiren ge- 
sellte Mysteriengöttin vor ihrer Theogamie als die Gruppirung 
Helenas mit ihren Brüdern und einem ihrer Männer (vgl. Taf. 
CCV) oder mit noch andern Personen, (Helena mit Paris, Tan- 
talus und Ganymedes sahe Lenormant im Cabinet Durand 1965) 
erkennen wird. 

Die grolse Menge noch anderer Spiegelzeichnungen, welche 
den vorgedachten durch Inhalt sowohl als durch ihren meistens 
geringen Kunstwerth, wenn nicht durch geflissentlich rohe Ar- 
beit, entsprechen, bietet zum Theil uns Gruppirungen dar, in 
denen die neu belebte Mysteriengöttin von göttlichen oder prie- 
sterlichen Frauen umringt, oder auch von den Dioskuren umge- 
ben erscheint. Manches bisher auf Helena gedeutete Spiegel- 
bild kann in solcher Verbindung mit Wahrscheinlichkeit dem 
Ideenkreis der Mysterien zugesprochen werden, in welchem je- 


‚doch vielleicht auch Helena ihre Geltung hatte. Erwägt man, 


welch’ buntes Gewirr mythologischen Stoffes, der in den Kunst- 
werken Etruriens uns begegnet, in den Tyrrhenischen Küsten- 
strichen erzählt und in Wechselbezug gesetzt werden mulste, 
so wird es begreiflich, dals jene dem dritten Kabiren beigelegte 
Theogamie mit einer Göttin für die auch der lemnische Name 
Malache uns gegeben ist, von einer anderen mythischen Form 
begleitet wird, die nicht dem dritten Kabiren, sondern dem einen 
der zwei Dioskuren galt; in dieser Voraussetzung, die auf meh- 
reren Spiegelzeichnungen guten Schlages beruht, hätte Helena 
zugleich als Schwester und als Braut ihr Wiedersehen mit dem 
göttlichsten ihrer Brüder zu feiern gehabt. So vereinzelt und 
befremdlich eine solche Wendung des Helena-Mythos erscheint, 
so wenig scheint man dem Sagenkreis unsrer Spiegel sie ab- 
sprechen zu dürfen; Helena, mit deren Person Poesie und Kunst 
so vielfach spielten, war durch die häufigen Dioskurenbilder hier 
sehr nahe gelegt; durch ihre Entführung und Wiederkehr war 
sie der Mysteriengöttin vergleichbar und auch für die Fälle ge- 
[1859.] 50 


704 Gesammtsitzung 


eignet, in denen man vielleicht geneigt war, dem mystischen 
Bild statt der geheim gehaltenen Tempel-Sage eine Verkleidung | 
durch gangbare Namen anzupassen. Einige Inschriftspiegel, die 
Helenas Namen und Sagenkreis uns darbieten ohne bei näherer 
Betrachtung ihnen zu entsprechen, treten für jene Vermuthung 
bestätigend ein. | 

Die Häufung etruskischer Fabeleien über Kabiren und Dios- 
kuren neu zu bezeugen, zugleich aber auch den zwischen beiden 
gefundenen Zusammenhang kabirisch-samothrakischen Inhalts nach- | 
zuweisen, sind neuerdings zwei Inschriftspiegel gefunden wor- 
den, von denen der eine im Königl. Museum zu Berlin (Eitr. 
Spiegel Taf. CLXVI), der andre im Privatbesitz des Grafen 
Ravizza zu Orvieto sich befindet. Obwohl dieser letztere nur 
durch H. Brunns (Bull. dell’ Instituto 1858 p. 186 ss.) Be- 
schreibung bekannt ist, so ist dieselbe doch genügend als Ge- 
genstand jenes merkwürdigen Bildes die Geburt der drei Kabi- 
ren unter Merkurs, Minervens und Aphroditens Pflege zu be- 
zeichnen, welche letztere als Amathusische Göttin von einer 
verschleierten Venus, die Turan heilst, und vielleicht als lem- 
nische Mutter der Kabiren gedacht wird, unterschieden ist. Die 
räthselhaften, sämmtlich mit Maris beginnenden, Namen der drei 
Kinder scheinen verständlich, wenn Tusrnana den in Tyrrhe- 
nien wieder aufgelebten dritten Kabir, 7T’halna und Isminthias 
aber apollinische Gegensätze (vgl. Tha/lo und Smintheus) be- 
zeichnen, welche den Dioskurennamen Aplu und Zaran im Sinne 
solarischen und tellurischen Gegensatzes entsprechen. Eben die- 
selben Benennungen Thalna und Tusrnana kommen nun aber 
auch, mit dem vorgesetzten generischen Maris, als Namen der 
zwei Dioskuren auf jenem früher edirten hiesigen Spiegel vor, 
wo neben ihnen Minerva und Venus zwei Kinder pflegen, in 
denen man Söhne der Dioskuren erkennen wird. Es ergiebt 
sich hieraus als mythologische Fassung eines in Etrurien aner- | 
kannten und für unsre Spiegel benutzten kabirisch - samothraki- 
schen Göttersystems: 1. die Gleichsetzung der drei lemnischen 
Kabiren mit den samothrakischen zwei Dioskuren, oder auch die- 
ser letzteren mit den zwei mächtigeren Brüdern jenes Dreiver- 
eins; 2. Die ihnen beiden gegebene Benennung mit welcher, 
dem blühenden und dem Verderber Apoll entsprechend, ein Ge- 


vom 17. November 1859. 705 


gensatz solarischen und tellurischen Wechsellebens verträglich 
ist; 3. die auf- und niederwärts drängende Weise mythischer 
Genealogie, die den drei Kabiren das Bild ihrer Lemnischen 
Erdmutter, den Dioskuren aber die Persönlichkeit zweier Söhne 
zusetzte, wie auch Athen und Argos sie kannten. Die verhält- 
nilsmälsig geringe Wichtigkeit, welche der Griechischen Mytho- 
logie und ihrer Italischen Entwickelung aus so vereinzelten That- 
sachen erwächst, wird beachtenswerther, wenn man das Ver- 
ständnils dunkler etruskischer Kunstdenkmäler daraus zu begrün- 
den und für noch zahlreiche andere nutzbar zu machen im 
Stande ist. 


Hr. Braun las eine Mittheilung des Hrn. Dr. J. Han- 
stein über ein noch nicht bekanntes System schlauch- 
förmiger Gefälse im Parenchym der Blätter und des 
Stengels vieler Monocotylen vor. 

In einer Anzahl monocotyler Gattungen finden sich, meist 
in den äulseren Parenchymschichten nahe der Epidermis, gewisse 
langgestreckte Schläuche, die bald klaren Saft, bald aber auch 

_ Milchsaft oder Krystalle führen, und unter einander in regelmä- 
fsigem Zusammenhange stehen. Dieselben besitzen eine ziem- 
liche Verbreitung in verschiedenen Familien, und, wo sie sich fin- 
den, meist eine völlig gesetzmälsige Anordnung. Da ich ihrer 
‚nirgendwo in der Litteratur als eines zusammenhängenden Sy- 
 stems erwähnt finde '), erlaube ich mir der Königl. Akademie 
eine kurze Mittheilung darüber vorzulegen. 
Die Familien, in denen ich diese Organe bisher gefunden 
‚habe, sind die Zifiaceen, — und unter diesen besonders die 
| "Laucharten, — die Amnryllideen, Commelyneen, Aroideen und 
!) Meyen giebt (Phys. II. 386) die Milchsaftgefälse als bei den Li- 
liaceen allgemein vorkommend an, ohne dafs es scheint, dafs die hier be- 
sprochenen Organe dort gemeint seien. Karsten hat Schläuche mit 
"Gummi gefüllt in den Wurzeln der Palmen (Vegetationsorgane der Palmen 
p-59 u.a. a. O.) und Gerbsäure führend in Musa (Monatsberichte 1857 
p- 74), die aus Zellenreihen entstehen, doch nur vereinzelt, wahrge- 
nommen. 
50* 


706 Gesammtsitzung 


Pandaneen, und in den meisten Fällen, die ich beobachtet habe, 
treten sie als ausnehmend lange, sehr dünnwandige Röhren auf, die 
etwa in der zweiten bis vierten Zellschicht von aulsen, in senk- 
rechter Richtung und in ununterbrochenen Linien an einander 
stolsend, zwischen den Parenchymreihen verlaufen, und Stengel, 
Laubblätter und Zwiebelscheiden der ganzen Länge nach durch- 
ziehen. Seltener finden sie sich tiefer im Innern oder unmit- 
telbar unter der Epidermis. Sie endigen mit graden oder ge- | 
neigten Endflächen, mit denen sie sich fest aneinanderlegen. 

Wegen der Dünne ihrer Wände nehmen sie, von den be- | 
nachbarten Parenchym-Zellen bedrängt, häufig das Ansehen von 
Intercellular- Gängen an, und man kann sie beim ersten Anblick 
leicht für solche halten, zumal da ihre eigenen Wände mit den 
Nachbarzellen nur seltene und kleine Zwischenzellenräume bil- 
den, sich vielmehr diesen eng anzuschmiegen und genau in 
ihre Fugen einzudringen pflegen (Fig. 2, 3, 5). Auch nimmt 
man auf Schnitten bei ihrer grolsen Länge die quer laufenden 
Endwände nicht häufig wahr (Fig. 7). Dieser Umstand erklärt 
allein, wie Organe von so charakteristischer Bildung und so 
häufigem Vorkommen in theilweis so verbreiteten Pflanzen 
bisher haben übersehen werden können. Es sind jedoch diese 
- Röhren trotz der Ähnlichkeit nichts weniger als Intercellular- 
Gänge, sondern mit wahrer Zellhaut versehene und als selbstän- 
dige Zellgebilde deutlich individualisirte Schläuche. 

Dies zeigt sich nicht allein schon deutlich genug auf Quer- 
schnitt-Ansichteu aus Laubblättern (Fig. 4, 5), sondern es wird 
unzweifelhaft dadurch dargethan, dals sich durch die bekannten 
Macerations- Verfahren diese Organe alsbald isoliren und in ihrer 
selbständigen Gestalt betrachten lassen (Fig. 8, 9, 10). Oft ge- 
nügt ein Kochen in verdünnter Kali-Lösung von nur wenigen 
Sekunden, sie soweit von dem umgebenden Parenchym zu tren- 
nen, dafs man sie nun leicht mit der Nadel unter der Lupe 
völlig freilegen kann. 

In den Laubblättern (Fig. 4, 7) sind diese Gebilde am auf- 
fallendsten. Hier haben sie (s) ihre Stellung in oder dicht ne- 
ben dem Chlorophyll führenden Gewebe (pc), und verlaufen 
zwischen den Zellen desselben, mit denen sie in vielfacher und 
inniger Berührung stehen, und den lufterfüllten Zwischenräumen 


vom 17. November 1859. 707 


grade oder etwas geschlängelt in der Richtung der Längsaxe des 
Blattes, ohne — der Regel nach — seitlich mit einander in Berüh- 
rung zu treten. An der Blattspitze hören sie meist mit stum- 
pfen Enden auf. Abwärts dagegen setzen sie sich durch Blatt- 
stiel und Blattscheide bis in die Rinde des Stengels oder Zwie- 
belbodens fort. 

Im Stengel habe ich sie bisher bald nur in der grünen 
Rindenzellschicht, bald auch im Parenchym des Stengel- Inneren 
wahrgenommen; sie sind hier mit denen in den Blättern über- 
einstimmend. 

In den Zwiebelscheiden endlich, seien sie die unteren Theile 
der Laubblätter oder selbständige Blattgebilde, behaupten sie im 
Allgemeinen dieselbe Stellung und Anordnung, wie in jenen 
(Fig. 2, 3, 6, s.). Gegen die Basis jedoch beginnen sie plötz- 
lich seitliche Verbindungen mit einander einzugehen, und endi- 
gen beim Eintritt in den Stammtheil der Zwiebel (Zwiebelbo- 
den) indem sie sich in zahlreichen Anastomosen rings um die 
Blattbasis kranzartig vereinigen (Fig. 1.). Hier allein habe ich 
dann auch einzelne kurz verzweigte Schläuche gefunden, wäh- 
rend sie sonst überall einfach sind. Nirgends habe ich sie durch 
die Rindenschicht des Zwiebelstammes in die Gefälsbündel-Re- 
gion desselben hindurchdringen sehen; auch die Knoten gestreck- 
ter Stengel durchsetzen sie nicht. 

Zu dem Lauf der Gefäfsbündel (Fig. 3, 4, g5) steht die 
Vertheilung dieser Organe in keiner nothwendigen Beziehung; 
nur wie zufällig treten einzelne ihnen nahe, während die Mehr- 
- zahl in der peripherischen Parenchymzone in vielmal geringeren 
Abständen als die Gefäfsbündel gleichmälsig vertheilt ist. 

Der Inhalt der Schläuche ist in den meisten Fällen ein 
mehr oder weniger klarer Saft, in dem bald einzelne bald ge- 
häufte Nadelkrystalle befindlich sind (Fig. 10, r), die zuweilen 
fast den ganzen Raum erfüllen. In anderen Fällen fehlen diese 
jedoch (Fig 6, s), und in noch anderen ist der Saft mehr oder 
weniger körnig-schleimig oder durch echten Milchsaft (Fig. 1, 
2, 8) ersetzt. So verschieden aber der Inhalt erscheine, so ist 
doch die Bildung und Anordnung der Behälter im Allgemeinen 
die gleiche. 


708 Gesammtsitzung 


Über die mannigfaltigen Verschiedenheiten, die diese Or- 
gane in den einzelnen Gattungen bemerken lassen, sei mir nur 
Weniges anzudeuten gestattet. 

In der gemeinen Zwiebel, — Allium Cepa, — in A. fistu- 
losum (Fig: 1) und Ascalonicum und hin und wieder in anderen 
Arten führen die Schläuche innerhalb der Zwiebeln Milchsaft, 
der auf Schnitten zumal in der Nähe des Zwiebelbodens reich- 


lich hervorquillt, in Laubblättern und Schaften dagegen meist 


klare oder weniger trübe Flüssigkeit. In der Mehrzahl der ' 


Laucharten habe ich bisher auch in den Zwiebeln eigentlichen 
Milchsaft vermilst (Fig. 6, s). Krystalle scheinen sie in den- 
selben nirgends zu enthalten; dagegen treten diese (Fig. 6, k) 
in besonderer Vollkommenheit, wie bekannt, in einer Zellschicht 
dicht unter der Epidermis auf, neben welcher die Schläuche ver- 
laufen. Diese sind in den Zwiebeln kürzer, dicker aber dünn- 
wandiger als in den Blättern, und endigen bei dieser Gattung 
fast stets mit kolbigen Anschwellungen (Fig. 8, 9, g), deren 
Flächen, so weit sie einander berühren, in sehr charakteristi- 
scher Weise mit weiten auf einander treffenden Poren besetzt 
sind (Fig. 5, 6, 9), die den vereinigten Querwänden das An- 
sehen von Siebplatten verleihen. Auch auf allen seitlichen Be- 
rührungen der Schläuche treten diese Siebporen auf, nicht aber 
gegen Parenchymzellen. 

Zunächst an die Laucharten schlielsen sich die echten Ama- 
ryllideen, deren alle bisher untersuchten Gattungen, nämlich 
Amaryllis, Sprekelia, Crinum, Leucoium, Pancratium, Eucharis, 
Nareissus und Alstroemeria, völlig die gleichen Schlauchsysteme 
besitzen. Nur führen alle Nadelkrystalle darin (Fig. 10, r), 
z. B. die Narcissenzwiebeln in aufserordentlicher Menge; doch 
die Kolbenform der Enden nebst der Siebplattenbildung treten 
zurück. 

Unter den Liliaceen haben mir bisher Agapanthus, Orni- 
thogalum und Scilla krystallfübrende Schläuche gezeigt, welche 
jedoch zumal bei Scil/a mit ebenso ununterbrochenen Reihen 
langgezogener Zellen wechseln, die in ihrer Mitte je ein einzel- 
nes Raphidenbündel enthalten. Diese Bildung wird in den 
Zwiebeln der zwei letztgenannten und der verwandten Gattun- 
gen Muscari und Hyacinthus bemerkenswerther Weise die herr- 


vom 17. November 1859. 709 


schende, während zusammenhängende Schläuche. nicht mehr 
deutlich sind. Ja, es treten sogar bald neben diesen Reihen, 
bald allein, ohne dieselben, vereinzelte Schläuche oder schlauch- 
förmige Zellen mit Raphidenbündeln auf, die einen Übergang 
zu den gewöhnlichen bekannten parenchymatischen Raphiden- 
zellen vermitteln. Jedoch sind jene langen Zellreihen nach 
Stellung und Anordnung den zusammenhängenden Schläuchen 
völlig äquivalent, und wo sie vorkommen mit diesen zerstreu- 
ten kurzen Raphiden-Zellen um so weniger zu verwechseln, da 
sie sich oft mit ihnen zugleich vorfinden. 

In den Aroideen-Gattungen Monstera und Pothos habe ich 
die Schläuche im Stengel bald mit Krystallen bald mit milchich- 
tem Saft angetroffen. Doch reichen meine Beobachtungen hier 
noch nicht aus, um die genaueren Verhältnisse anzugeben; sie 
bilden jedoch wenigstens in den Blättern, wo sie oft durch 
einzelne Schlauchzellen ersetzt sind, keine fortlaufenden Reihen. 

Dagegen zeigt Pandanus amaryllidifolius(Hort. Ber.) Schläuche, 
die denen der Amaryllideen ähnlich sind, nur scheinen wenig oder 
keine Krystalle darin vorzukommen, die sich dafür theils nadel- 
förmig in einzelnen sehr grolsen, theils prismatisch in langen 
Reihen kleiner Parenchymzellen zeigen. Der Durchmesser der 
Schläuche ist hier sehr gering. In anderen Pandanen scheinen 
sie nur durch Bastzellen ersetzt zu sein, die sie auch in dieser 
Art begleiten. 

Eine ausgezeichnete Entwicklung endlich erreichen diese 
Organe in der Gattung Tradescantia (Fig. 11), wo sie unmit- 
telbar unter der Epidermis der Blätter, und in der Rinde und 
dem Markgewebe des Stengels vorkommen, doch auch bier nicht 
mit den Gefälsbündeln verbunden. 

In anderen Monocotylen-Familien, die ich mannigfach durch- 
sucht, ist es mir noch nicht gelungen, gleiche Bildungen nach- 
zuweisen. Da ich jedoch noch nicht Zeit genug darauf habe 
verwenden können, andrerseits dagegen die Verschiedenheit der 
Familientypen, in denen sie gefunden sind, auf noch weitere 
Verbreitung schlielsen lassen, so zweifle ich kaum, dals sie bei 
fernerer Durchforschung sich noch in vielen anderen Monoco- 
tylen vorfinden werden. In den Dicotylen habe ich noch nicht 
genug danach suchen könuen. 


710 Gesammtsitzung 


Von besonderer Wichtigkeit für die vergleichend phytoto- 
mische Natur der Schlauchgebilde mufste ihre Entstehung sein. 
In vielen Fällen sucht man ihre Anfänge vergeblich im zarten 
Urparenchym der jüngsten Blatthügel, deren gleichgestalteten 
Zellen man noch keine später verschiedene Bestimmung an- 
sehen kann, und man bleibt zweifelhaft, ob der Schlauch eine 
einzelne übermäfsig verlängerte Zelle, oder eine Verschmelzung 
mehrerer sei. Denn die dritte Auffassung, dafs dergleichen 
Dinge aus secundär umwandeten Intercellulargängen entstehen 


könnten, wie das vou einem unbekannten Verfasser (Bot. Zeit. 


1846. 267.) für die echten Milchsaftgefälse behauptet und auch 
von Schleiden angenommen, ist selbst für diese so schlecht 


begründet, dafs ich sie in Bezug auf die hier besprochenen so 


deutlichen Zellbildungen bei Seite lassen kann. 

Um so deutlicher jedoch läfst die Gattung T’radescantia 
die Entstehungsart der Schläuche beobachten. Hier finden sich 
aulser vollkommnen Schläuchen Reihen krystallfübrender Zellen. 
In sehr jungen Blättern und Stengelgliedern bemerkt man nun 
dergleichen Reihen (Fig. 11), deren unterste, jüngste Zellen sehr 
kurz und krystalllos sind. Nach oben treten allmählich kleine 
Raphidenbündel (r) darin auf, die Zellen selbst nehmen stetig 
an Grölse zu, ebenso die Krystallbündel. Endlich sieht man zu 
oberst die Nadelkrystalle die Zellen, in denen sie liegen, zum 
Theil überwachsen, die Querwände (g), welche erweicht schei- 
nen, durchbohren und zwischen die Nadeln der folgenden Zel- 
len, die ihrerseits dasselbe thun, gerathen. Schliefslich sind die 
scheidenden Querwände verschwunden, und die Raphiden zer- 
streuen sich in den langgestreckten Schläuchen. In dem jüng- 
sten Zustande der Blätter sind nur Zellenreihen bemerklich, da- 
gegen in den ausgewachsenen Blättern z. B. von Tr. Selloi 
nur zusammenhängende Schläuche, welche jedoch die Spuren der 
Verschmelzung noch erkennen lassen. Ähnlich in Zr. discolor. 
In Tr. zebrina lassen die alten Blätter noch sehr deutlich die 
Einzelzellen jeder Reihe unterscheiden, obgleich es auch hier 
erhellt, dafs sie keine festen Querwände mehr besitzen. Diese 
Erscheinungen lassen keinen Zweifel, dafs die Schläuche aus 
Zellenreihen, die durch Resorption der Scheidewände verschmel- 
zen, hervorgehen, mithin den Gefälsbildungen zuzurechnen sind. 


vom 17. November 1859. 711 


Und dafs diese Entstehung auch für die übrigen Gattungen die 
allgemeine sei, lälst sich nicht allein aus Analogie überhaupt, 
sondern augenscheinlich aus zahlreichen Übergangsstufen schlie- 
fsen, die sich in einzelnen Fällen, deren schon oben Erwähnung 
gethan, bei Amaryllideen und Liliaceen finden, wo völlig ver- 
schmolzene fertige Röhren neben Reihen noch deutlich geson- 
derter und allmählich verschmelzender Zellen vorkommen. Ähn- 
liches zeigen ja auch die echten Spiralgefälse. Es mögen daher 
diese Gebilde als „Schlauchgefäfse” bezeichnet werden. 

Durch die Entstehung aus Zellreihen und den darin vor- 
kommenden Milchsaft schliefsen sich nun diese Organe einerseits 
den echten Milchsaftgefälsen an, für die Schacht?) in Carica 
Papaya und anderen Pflanzen die gleiche Entwicklung nachge- 
wiesen hat. Andrerseits zeigt die den Allien eigenthümliche 
Form die auffallendste Ähnlichkeit mit den von Hartig und 
Mohl beobachteten Siebröhren. Diese nun sind wesentliche 
Theile des Bastsystems, und nicht minder hat Schacht durch 
Beobachtung vielfacher Übergänge die Zugehörigkeit der Milch- 
saftgefälse zu diesem System dargethan. Nimmt man hierzu den 
Umstand, dafs selbst echte verdickte Bastzellen nicht allein sehr 
oft nahe der Epidermis bald bündelweis, bald zerstreut, — in 
Pandanus und den Aroideen sogar zugleich mit den Schlauch- 
gefälsen — vorkommen, sondern ebenfalls oft aus Zellenreihen 
zu entstehen scheinen’), und dafs die Schlauchgefälse vom Pa- 
renchym selbst trotz einzelner Übergänge durch ihre aulseror- 
dentliche Länge, (die vermuthlich zuweilen Zolle beträgt) sehr 
verschieden sind, so scheint es mir nicht zweifelhaft, dafs die- 
selben als abgesondert vorgeschobene Glieder des Bastsystems 
zu betrachten sind, die zwischen eigentlichen Milchsaftgefälsen 
und Siebröhren die Mitte halten. Dadurch würde dann dies 
organische System, dessen Complication erst neuerdings durch 
v. Mohl und Hartig mehr ins Licht gestellt ist, aufs neue 
vermehrt. 

Andrerseits fiele damit zugleich ein Licht auf die etwanige 


?) Schacht, Monatsber. 1856 p. 515. 
°) Schacht, 1. ce. p. 526, Taf. II. Fig. 10. 11; cf. Karsten, Vege- 
tationsorgane der Palmen, p. 61 u. a. a. O., Taf. III. Fig. 2. 


712 Gesammtsitzung 


Function der Schlauchgefälse, insofern auch sie, wie das von 
den Siebröhren immer sicherer wird, zu den rückleitenden Ge- 
fälsen zu gehören scheinen. Auch läfst schon die Eigenthümlichkeit 
dieser langen dünnwandigen Kanäle, die weit durch die kurzen 
Chlorophyli-Zellen ziehen, kaum auf eine andere Thätigkeit, als 
auf die des Saftleitens schliefsen. Ob sie freilich den assimilir- 
ten Nahrungssaft selbst oder andere zu secernirende Flüssigkei- 
ten führen, läfst sich noch nicht feststellen. Die Abscheidung 
von Krystallen in ihnen und das Auftreten von Milchsaft in 
ihrem Basaltheil könnte für das Letzte sprechen. Doch finden 
sich ja auch die Krystalle in der Nebenzellschicht, während die 
Schläuche sich andrerseits zwischen die Stärke führenden Zellen 
der Zwiebeln drängen. Somit könnten die Krystalle ebenso- 
wohl als Sekrete betrachtet werden, die hier der plastische Nähr- 
saft auf seinem Wege zur Verbrauchsstätte bin ausgeschieden hat, 
bald in seinem eigenen Gefäls, bald daneben. Auch ist noch 
keineswegs gewils, ob nicht der Milchsaft selbst, wenn auch 
nicht grade der „Lebenssaft”, so doch ein Reserve - Nährstoff 
sein dürfte. 

Doch müssen hierüber erst fernere Beobachtungen ent- 
scheiden. Einstweilen wollen diese Mittheilungen nur der ana- 
tomischen Eigenthümlichkeit dieses Gefälssystems allgemeinere 
Beachtung zuwenden‘). 


Erklärung der Tafel. 


In allen Figuren bedeuten die Buchstaben: 
s. Schlauchgefälse. sz. Schlauchgefälsz ellen. 
q. Querwände derselben oder Spuren, wo diese gewesen. 


p: Parenchym, pe. desgl., Chlorophyll führend. 


*) Während des Druckes dieser Mittheilung habe ich als erstes Bei- 
spiel einer Schlauchgefälsbildung bei Dicotylen dieselbe in den Stengeln 
von Mirabilis Jalappa aufgefunden, wo neben vielen zerstreuten verschie- 
den gestalteten mit Raphiden völlig erfüllten Zellen, sich einzelneSchlauch- 
Gefälse finden, die aus mehreren dergleichen Schlauchzellen verschmolzen 
sind, aber nicht lange zusammenhängende Reihen bilden. Sie haben grolse 
Ähnlichkeit mit den bei den Aroideen vorkommenden, die oben angeführt 
sind, und im vollkommenen Zustande ausnehmend dünne Wände. 


vom 17. November 1859, 115 


i.  Intercellularräume. 

e. Epidermis. 

gb. Gefälsbündel. 

r. Raphiden, A. prismatische Krystalle. 
sp. Spaltöffnungen, a. Athemhöblen. 


Fig. 1. Aeulsere Schicht eines Stückes der Basis eines Zwiebelblattes 
von Allium fistulosum, durch Kochen in Kalilösung erweicht und 
von dem inneren Parenchym befreit, die Milchsaft führenden 
Schlauchgefälse im Zusammenhange zeigend, besonders die 
Netzverbindung derselben am Grunde. 

Fig. 2. Querschnitt eines jungen Zwiebelblattes mit zwei Milchsaft füh- 

renden Schlauchgefälsen aus Allium Ascalonicum. 

Fig.3. Querschnitt aus einem sehr jungen Blatt derselben Art, mit 

Schlauchgefälsen, in denen noch kein Milchsaft sichtbar ist. 

Fig. 4. Querschnitt der unteren Blattseite von Sprekelia formosissima. 

Fig. 5. Perspectivische Ansicht der siebartig porösen Querwände zwi- 

schen den Enden zweier Schlauchgefälse aus Allium Scorodo- 

Pprasum. 

Fig. 6. Flächen-Längsschnitt von der äufseren Seite eines Zwiebelblat- 
tes von Allium sphaerocephalum, mit dem "Theil einer Schlauch- 
gefälsreihe zwischen krystallführenden Parenchymzellen. 

Eig. 7. Flächen-Längsschnitt aus der unteren Seite eines Laubblattes 
von Allium Victorialis mit einem Schlauchgefäls. 

Fig. 8. Theil einer Milchsaft führenden Schlauchgefälsreihe aus der 

Zwiebel von Allium Ascalonicum, durch Kalilösung freigelegt, mit 


einigen anhängenden Parenchymzellen. 

Fig. 9. Dasselbe aus Allium Cepa; der Milchsaft ist in der Zeichnung 
weggelassen, weil er durch das Kali zu stark verändert war. 

Fig. 10. Stück eines durch Kalilösung freigelegten Krystalle führenden 
Schlauchgefälses aus dem Stengel von Alstroemeria edulis 
(Hort. Ber.); q. Ende desselben. 

Fig. 11. Junge Schlauchzellenreihe aus dem Inneren eines noch nicht 
entwickelten Stengelgliedes von Tradescantia Selloi, deren 
oberste Zellen im Begriff sind, zum Gefäls zu verschmelzen. 


Anm, Die vollständige Abhandlung wird mit einer grölseren Anzahl von 
Abbildungen anderweitig veröffentlicht werden. 


714 Gesammtsitzung 


Hr. Schott machte eine mitteilung über den kinder- 
mord in China. 

Nachdem viele Europäer bei ausmalung dieses missbrauchs 
elterlicher gewalt die farben offenbar zu dick aufgetragen, hat 
der unlängst verstorbene russische mönch Hyacinth Bitschu- 
rinski den missbrauch selbst beinahe vollständig geläugnet. Mit 
dem wolerworbenen rufe des würdigen mannes sich deckend, 
behaupten nun andere, der kindermord der Chinesen sei gera- 
dezu eine durch leichtgläubige reisende und dumme missionare 
verbreitete fabel. Wir tun jedenfalls am besten, wenn wir, 
alle europäischen zeugnisse, mögen sie nun für oder wider lau- 
ten, bei seite lassend, an die Chinesen selber unsere frage 
richten. Da bietet sich uns denn z. b. in einem sammelwerke, 


- Zn 7 z eu . 
betitelt He Et KH Ngän se teng (d. i. finsteren hau- 
ses leuchte), welches moralische abhandlungen oder tractate und 
tractätlein sehr verschiedner aber durchweg heidnischer verfasser 


enthält, ein solches erzeugniss mit der überschrift AK Yin % 


— RE 2 3 . = 
X Kidi ni niü wen d. i. ‘abmahnung vom ertränken der 


töchter‘, als dessen autor ein herr Kuei ung fu au Wu 
ling in C’ang te fu in der provinz Hu kuang genannt 
wird. Diese “abmahnung’ giebt uns nun allerlei aufschluss über 
die frage, insonderheit erfahren wir: 1) dass der kindermord 
nicht nur keineswegs eine fabel ist, sondern selbst im innern 
China ebenso wol, wie in den küstenstrichen practicirt wird, 
denn Hu kuang, wo der verfasser geboren war und sein leben 
zubrachte, ist eine binnenprovinz; 2) dass die praxis des ver- 
brechens auch in Yu kuang stark genug sein müsse, denn der 
verfasser sagt ausdrücklich, es seien ihm ‘unzählige fälle‘ vorge- 
kommen; 3) dass man die kinder gewöhnlich durch ertränken 
oder ersticken tödtet; von einer andern todesart ist wenig- 
stens nicht die rede'); 4) dass alle oder doch die ungeheuere 
mehrheit der getödteten kinder mädchen sind, da nicht bloss 


!) In der Arte China des Pater Gongalves, wo einmal (s. 292—93) 
gesprächsweise von einem Chinesen berichtet wird, dass seine ehefrau ir 


viertes töchterlein durch ersticken getödtet habe, steht das zeichen xt 


tu, welches eigentlich “verstopfen, verschliessen’ bedeutet. 
’ g P 


vom 17. November 1859. 715 


in der überschrift sondern auch im ganzen texte nur von mäd- 
chen die rede ist; endlich 5) dass sehr viele tractate über 
denselben gegenstand damals schon vorhanden waren '). Über 
die zeit der abfassung oder nur der herausgabe erhalten wir 
übrigens keinen aufschluss.. Der hauptinhalt lässt sich etwa so 
zusammenfassen: Vereinigung der geschlechter ist zur fortdauer 
der menschheit notwendig und doch wirken so viele ir gewalt- 
sam entgegen, indem sie ire weiblichen kinder tödten. Dies 
geschiht bald aus blossem überdruss, weil einer familie mehre 
oder viele töchter nach einander geboren sind, bald aus der 
faulen besorgniss sie nicht ernähren oder versorgen zu können. 
Aber kinder sind immer eine schickung und ein segen des him- 
mels, mögen sie söhne oder töchter sein, und keiner wähne er 
werde dafür dass er seine töchter getödtet hat, mit söhnen be- 
schenkt werden. Seine kinder umbringen ist gleichbedeutend 
mit einer auflehnung gegen die beschlüsse des himmels. Was 
die versorgung der töchter betrifft, so behauptet der verfasser 
kein beispiel zu wissen dass ein armes mädchen je ohne mann 
geblieben sei”). Dann hebt er hervor dass, wenn alle men- 
schen dem beispiel eines mörders seiner töchter folgten, die 
ganze menschheit bald aussterben müsse; wer aber auf den un- 
tergang der menschheit hinarbeite, den sollte der himmel bei 
zeiten vernichten. Dazu kommt dass niemand vorher wissen 
kann, ob er seinen töchtern nicht einst leben und wolergehen 
verdanken wird: welch ein schade wär’ es gewesen wenn man 
solche mädchen die ob irer geisteskraft, ires heldenmuts, irer 
edeln selbstaufopferung geschichtliche personen geworden, als 
kinder getödtet hätte, z. b. Mu lan, die statt ires vaters sich 
bewaffnete und dem heere folgte, 7/ jung, die mittelst einer 
von ir selbst verfassten schutzschrift iren (zum tode verurteil- 
ten) vater rettete, und manche andere deren ruhm auf ire 


') Diese bemerkung macht der herausgeber in einer note, worin er 
zugleich sagt, die arbeit des Äuei c’ung fu sei allen übrigen vorzuzihen. 

?) Wirklich mag dies in China viel seltner vorkomnien als bei uns, 
da dort (freilich mit gewissen einschränkungen) vielweiberei gestattet ist 
und der unvermögende Chinese seine töchter im schlimmsten falle als 
kebsweiber verschiedner grade unterbringen kann. 


716 Gesammtsitzung 


eltern zurückgestralt! Man berufe sich nicht auf das recht der 
eltern über leben und tod irer kinder, denn dieses recht kann 
den mord nicht beschönigen. Selbst raubtiere und die verach- 
tetsten insecten schonen ire brut, und soll der mensch dem 
tiere sich sittlich unterordnen? Warum auch unschuldige säug- 
linge für die unenthaltsamkeit irer eltern büssen lassen?!) — 
Endlich droht noch eine zugabe mit schwerer vergeltung in 
einem künftigen leben, einer vergeltung von welcher die stats- 
religion nichts weiss, die aber der unter dem volke verbreitete 
Buddhismus predigt. 

Um dieser “abmahnung’ höhere autorität zu geben, wird 
einleitend folgendes berichtet. Der verfasser wollte sein ma- 
nuscript in holztafeln schnitzen lassen, um es dann (wie über- 
haupt zu geschehen pflegt) durch abdrücke unter das volk zu 
bringen; da erkrankte plötzlich sein xylograph (besser xylo- 
glyphe) und so schlief die sache wieder ein. Aber der grosse 


genius X = en 21 Wen ang ti’ kiun, der schutz- 
patron aller gelehrten und schriftsteller, welcher von Kuei 
Cung fu’s vorhaben kenntniss genommen hatte, liess ihm 
durch einen freund bedeuten dass man etwas gutes nie 
halb tun dürfe, und ihm die vollendung der drucktafeln drin- 
gend ans herz legen. Als Kuei Cung fu demzufolge sein 
schon lange in einen kasten verwiesenes manuscript wieder her- 
vor holte, fand er zu seinem masslosen staunen dass Wen 
ang höchsteigenhändig (also mit unsichtbarer geisterhand) 
einiges hinzugesetzt hatte. Jetzt liess der irdische verfasser 
den text vollends in holz schnitzen und in vielen tausend ab- 
drücken verbreiten, wofür ihn der himmel nachmals durch eh- 
renvolle beförderung eines sohnes und eines enkels belohnte. 


1) In einer note erhält das der materie verfallene publicum folgenden 
ebenso wolgemeinten als sonderbaren rat: “Man enthalte sich in jedem mo- 
nat nur sieben tage seines weibes, und zwar die ersten sieben 
tage nach dem aufhören irer monatlichen unpässlichkeit. 
An den übrigen tagen ist die öffnung der bärmutier verschlossen und es 
findet keine empfängniss statt.’ 


wu 


vom 17. November 1859. 717 


Des vorgeordneten Herrn Ministers Exc. benachrichtigt die 
Akademie unter dem 9. November, dafs ihrem Antrage gemäls, dem 
Hrn. Prof. Rosenhain zu Königsberg, behufs der Herausgabe der 
von Hrn. Jacobi unserm verstorbenen Mitgliede hinterlassenen 
mathematischen Arbeiten, ein Urlaub für das Wintersemester 
18% ertheilt sei. Zugleich genehmigt derselbe den zu den Kosten 
der Reise nach Berlin und des Aufenthaltes hierselbst beantragten 
Beitrag von 300 Rthirn. aus den akademischen Fonds. 


Unser auswärtiges Mitglied Hr. Professor Welcker in 
Bonn feierte am 16. October sein Jubiläum. Die Akademie 
hatte ihm zu demselben das folgende Beglückwünschungsschrei- 
ben übersandt: 

„Bei der Feier des Tages, an welchem Sie, hochzuvereh- 
render Herr, vor funfzig Jahren in das Amt eines Professors 
der Alterthumskunde eintraten, kann die Akademie der Wissen- 
schaften es sich nicht versagen, Ihnen, als einem lieben Genos- 
sen, die wärmsten Glückwünsche darzubringen. Als die Aka- 
demie Sie gleichzeitig mit Friedrich Creuzer am 11. März 
1846 als auswärtiges Mitglied ihrer philosophisch-historischen 
Klasse in ihre Mitte aufnahm, wollte sie hiedurch ihre Aner- 
kennung des Wertbes und der Bedeutung aussprechen, welche 
Ihre vieljährige Wirksamkeit für die Entwickelung der Wissen- 
schaft gewonnen hatte. Diese Bedeutung vergegenwärtigt sich 
die Akademie bei der jetzigen Fesifeier. 

Es war Ihnen vergönnt gewesen, schon in der Jugend auf 
elassischem Boden zu weilen und unmittelbare Anschauung zu 
gewinnen von den Lebensbedingungen, unter welchen die alte 
Literatur und Kunst emporwuchs. In Rom, an Zoega’s Seite, 
hatten Sie die Reste antiker Kunst schauen und deuten gelernt; 
und die Sprache, welche in Wort und Bild der classische Geist 
zu uns redet, war Ihnen verständlich geworden. Die ersten 
Eindrücke waren für die Auffassung Ihrer Lebensaufgabe ent- 
scheidend. Die leere Form, die äulsere Schale konnte dem 
nicht genügen, der von dem Kern gekostet. Das innige Erfas- 
sen des Alterthums mit dem ganzen Gemüth, die Aufnahme der 
classischen Gebilde in die eigene Seele ist es, wodurch Sie in 


718 Gesammtsitzung 


Forschung und Lehre eine eigenthümliche heilsame Einwirkung 
auf die Entwickelung der Alterthumskunde ausgeübt haben. 
Stets jugendlichen Geistes der Jugend zugewendet, voll Liebe 
zur Wissenschaft wie zum Vaterlande, haben Sie die Blüte der 
Rheinischen Hochschule seit ihrem Beginn vier Jahrzehnde hin- 
durch gepflegt und gefördert, ihre wissenschaftlichen und Kunst- 
schätze bereichert und nutzbar gemacht, und gemeinsamen litte- 
rarischen Unternehmungen hingebend sich angeschlossen. In 
Ihren zahlreichen Schriften, möge es sich um antike Denkmäler 
handeln, die Sie mit feinem Kunstverständnils auslegten, oder 
um Epos, Lyrik und Drama, deren inneres Gesetz und organi- 
sche Gliederung Sie erforschten, oder um die griechische Göt- 
terlehre, welche Sie sinnvoll ergründeten und zusammenfafsten, 
immer ist es derselbe warme Lebensodem des classischen Alter- 
thums, von dem Sie durchdrungen auf Andere belebend und er- 
weckend einwirkten. Hohe sittliche Würde machte es Ihnen 
zum Bedürfnils, von Allem, was Sie für schön und edel erkannt, 
das Gemeine fern zu halten. So ward Ihnen die Ehrenrettung 
der griechischen Dichterin zur Herzenssache. 

In diesem Sinne gleich einem Zeitgenossen in Hellas und 
Rom lebend, denkend und fühlend, hatten Sie der Erkenntnifs 
und Lehre classischer Litteratur und Kunst schon ein Menschen- 
alter hindurch Ihre Kräfte gewidmet, als Sie in der Reife des 
Mannesalters Athen wie eine Heimat betraten und dort wie in 
Rom die Macht der lebendigen Eindrücke auf sich einwirken 
lielsen, zur schönsten Vollendung und Belebung der daheim ge- 
wonnenen Einsicht. Möge der Jugendhauch, der von jener Hei- 
mat des Schönen herweht, Sie noch lange erfrischen und er- 
heitern!” 

Es wurde heut die Antwort vorgelesen: 

„Nachdem die Königliche Akademie der Wissenschaften 
schon vor vielen Jahren mir die Ehre erwiesen hatte, mich als 
auswärtiges Mitglied in ihre Mitte aufzunehmen, mufste ich 
glauben auf die höchste Stufe der Anerkennung meiner wis- 
senschaftlichen Arbeiten erhoben zu sein. Anerkennung, aus- 
gesprochen oder nur empfunden, wie sie auch ohne gelflissent- 
liches Aufsammeln und Deuten ihrer Zeichen wohl immer ge- 
fühlt wird, ist wie ein gutes Klima für das wissenschaftliche 


vom 17. November 1859. 719 


Leben und Thun, da sie zu verfehlen wie drückende trübe Luft 
die geistige Thätigkeit und Regsamkeit niederhalten muls. Wel- 
chen Ki:druck daher jene nicht gewöhnliche höchste Auszeich- 
nung durch den Beschluls der Königlichen Akademie natürli- 
cherweise auf mich machen mufste, bedarf keiner Auseinander- 
setzung. Es ist mir zugleich seither ein grolser Genuls gewesen, 
mit denjenigen ihrer Mitglieder, die mir vorher schon ihre 
Freundschaft geschenkt hatten, fernerhin auch durch das colle- 
gialische Band verbunden zu sein, und durch dies auch mit 
denen welchen ich persönlich fern stand und die ich in An- 
sehung ihres wissenschaftlichen Ruhms und Verdienstes nur aus 
der Ferne, in patriotischem Stolz und nach dem wissenschaft- 
lichen Gerüchte, das zu Draulsenstehenden dringt, verehren 
konnte. Jetzo, da mir von wohlwollendsten Fachcollegen, mit 
einem ganz ungemeinen und für mich höchst rührenden Eifer 
ein Jubiläum veranstaltet wurde, hat auch die Königliche Aka- 
demie an diesem ihre Theilnahme in einer Weise gegönnt, wo- 
durch nicht blofs die frühere günstige Beurtheilung sanctionirt, 
sondern damit eine neue, noch höhere Ehrenerweisung ver- 
knüpft wird. Die Art womit dieselbe in ihrer Zuschrift meine 
Bestrebungen in Zusammenhang setzt, lälst mich ein wohlwol- 
lendes liebevolles Eingehen klar erkennen. Dies Wohlwollen 
ist ein Goldgrund, welcher eine lebhaftere Farbe des Ausdrucks 
nach sich zieht, und so vermag ich das harmonische Ganze un- 
beschämt hinzunehmen mit Freudigkeit und reinster und innigst 
ergebener Dankbarkeit. 
Bonn, 6. Nov. 1859. F. G. Welcker.” 


Hr. Prof. E. H. Weber in Leipzig spricht seinen Dank 
für seine Erwählung zum auswärtigen Mitgliede in einem Schrei- 
ben unter dem 12. November aus, welches heute vorgelegt 
wurde. Sowie in gleichem Sinne sich Hr. Kummer von Sei- 
ten des Hrn. Prof. Grunert äulsert für die Bewilligung des 
Monatsberichts. 

Hr. v. Olfers überreichte mehrere Exemplare seiner bei 
der Einweihung des Denkmals von Winkelmann zu Stendal 
gehaltenen Rede. 

[1859.] 51 


720 Gesammtsitzung 


Die Preisaufgabe der K. K. Akademie zu Wien: Würdi- 
gung Schillers in seinem Verhältnisse zur Wissenschaft, nament- 
lich zu ihren philosophischen und historischen Gebieten (Ein- 
sendungstermin der 10. November 1860), wird zur Kenninils 
der Akademie gebracht. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 
Atti dell’ Accademia pontificia de’ nuovi Lincei. Anno XII, Sessione 4. 
Roma 1859. 4. 
Mnemosyne. Vol. VII, Pars 4. Lugd. Bat. 1859. 8. 
Madras Journal of literature and science. Vol. IV, no. 7. Madras 


1859. 8. 

Monthly Notices of the Royal Astronomical Society. Vol. XVII. Lon- 
don 1859. 8. 

Memoirs of the Royal Astronomical Society. Vol. XXVI. London 
1859. 4. 


Revue archeologique. Annee 16, Livr. 9. Paris 1859. 8. 

Memoires de la societe royale des sciences de Liege. Vol. XIV. Liege 
1859. 8. 

Verhandlungen der physikalisch-medizinischen Gesellschaft in Würzburg. 
10. Band, Heft 1. Würzburg 1859. 8. 

Oeuvres de Schiller. Traduction nowvelle par Ad. Regnier. Tome 2. 
3. Paris 1859. 8. Ueberreicht von Hrn. A. Weber. 

Giambattista Massone, Prima relazione quinquennale dell’ Accademia 
medico-chirurgica di Genova. Genova 1859. 8. 

Henri Martin, Examen d’un probleme de Theodicee. Paris 1859, 8. 

Verzeichnifs der zur hundertjährigen Geburtstagsfeier Schiller's im Saale 
der Kgl. Akademie aufgestellten Bildnisse, Handschriften, Drucke 
und Erinnerungen. Berlin 1859. 8. 


24. Nov. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Dove las über die Darstellung der Wärme- 
Verbreitung der nördlichen Halbkugel der Erde, mit 
Vorlegung von dreizehn Isothermekarten in der Polarprojection. 


vom 24. November 1859. 721 


Hr. Jacob Grimm las über die lautumstellung. 

Die lautverschiebung, wie man weisz, hat es nur 
mit den stufen der stummen consonanten zu thun, deren grund- 
beschaffenheit dadurch nicht angegriffen wird: die laute jedes 
organs schieben sich wie auf den schienen einer bahn fort 
und erscheinen, nach fester regel, in bestimmter stellung 
hintereinander. flüssige laute kommen dabei in keinen betracht, 
sie können fehlen oder vorhanden sein, ohne auf das gesetz der 
schiebung einflusz zu äuszern. 

Nun erzeigt sich aber in den sprachen etwas anderes, da- 
von verschiednes, welches ich lautumstellung nennen will, 
wobei gerade liquidae die rolle spielen, indem sie sich selbst 
drehen oder um ihren angel andere laute drehen lassen. vor- 
zugsweise waltet hier das R, dessen flüssigkeit im sanskrit so- 
gar vocalische natur annimmt und zu RI wird, ar scheint sich 
erst in ir zu schwächen, dann in ri umzustellen. so sehen wir 
noch mhd. die partikel er zu re werden und in der mitte zahl- 
loser wörter ar und ra, er und re tauschen, bersten ist gleich- 
viel mit bresten, ags. irnan, arn mit rinnen, rann; Adarna mit 


Adrana; finnisches parmas, tabanus mit ahd. prämo, unserm 


 bremse; lit. pirmas mit lat. primus, goth. fruma; unser arm sl. 


ramo; unser erbe sl. rab; goth. haurds mit lat. crates; lat. ter- 


. . . . ’ . R, 
nus mit trınus, tertius mıt gr. Fgtros, unserm dritte; #agÖl, 


_goth. hairtö mit zgaöie; finn. varpuinen, ungr. vereb, sperling 


mit poln. wrobel; goth. vargs mit sl. vrag, skr. vrka und so 
weiter, ja die flexionen eines und desselben worts können um- 
gestellt werden, wie gr. ö:gzw in @ögezov. Da nun R und L 
sehr oft untereinander wechseln, wird man von selbst ähnliche 


‚metathesen auch bei L erwarten, wofür wiederum einige bei- 
‚spiele genügen, unser kalt ist sl. chlad, chtod; unser gold, goth. 


gulp sl. zlato; lat. calmen, unser holm sl. chlum; ahd. malz, 
zart, preusz. maldas, sl. mlad; Elbe, Albis sl. Labe; ahd. alpiz sl. 
labud; unser milch sl. mleko u. s. w. Schon seltner zeigt 


‚sich umgestelltes N. unser an wird im sl. zu na, man könnte 
‚denken, dem alten vollen ana sei das erste a abgefallen, doch 
‚dem ist nicht so. aus der alten negation ne entsprang mhd. en 


und das verneinende lat. in vor dem nomen, unser un musz 
gleichfalls auf ni zurückgehn, denn alle entsprechenden sl. no- 
Eh 


722 Gesammtsitzung 


mina haben das praefix ne, poln. nie. unser minne gleicht dem 
gr. porn, folglich unser goth. man, lat. memini dem gr. pvaouaı, 
minnen. umstellungen des M scheinen, was werkwürdig ist, gar 
nicht vorzukommen, also für am, im kein ma, mi. 

Die lautumstellung überrascht dann am meisten, wenn der 
anlaut mit dem auslaut wechselt und dadurch die ganze natur 
des worts verkehrt scheint. arm und ram, alb und lab fallen 
minder auf, weil der auslaut unverändert beharrt, dagegen würde 
mar für arm, bal für lab befremden und den sinn der ausdrücke 


verdunkeln. gleichwol liegt ein solcher tausch den sprachorga- 


nen an sich nicht fern, wie man unter dem volk gewahr wird, 
das ihm unverständliche ausländische wörter auf solche weise 
umzuwandeln pflegt, z. b. aus locomotiv mocolotiv macht. Wer 
nun bei der sprachvergleichung näher oder ferner verwandte 
sprachen zusammenhält, dem können und dürfen einzelne fälle 
solcher lautumstellungen nicht entgehen, ein jeder derselben ist 
gleichsam ein linksgemachter und verkehrter handschuh, der die 
natur des worts entstellt. 

Bekanntlich sind lat. forma und gr. #oody schon oft zu- 
sammengehalten worden und die heutigen etymologen lachen 
darüber. in der that läszt sich auch forma gar nicht aus mogdn 
herleiten, da es seine genügende abkunft aus fero hat; eher müste 
sich das wurzellose und undeutbare gr. wort bequemen, aus dem 
lat. forma oder dem ähnlich lautenden ausdruck eines andern uns 
jetzt nicht mehr bekannten idioms umgestellt zu sein. denn die 
umstellung selbst wird vollkommen durch ähnliche beispiele ge- 
rechtfertigt und braucht keine träumerei zu heiszen. 

Ich will ihr ein anderes, noch wenig bemerktes, aber auf- 
fallendes und unsere sprache unmittelbar betreffendes beispiel an die 
seite setzen. zwischen unserm erde, goth. airpa und dem lat. terra, 
keltischen tir tritt gleiche umstellung ein, sogar wird sie durch 
einstimmende lautverschiebung bestätigt, da lat. tenuis t in goth. 
aspirata th, hochdeutsche media übergehen musz, so dasz unserm 
erde ein lat. erta, keltisches irt vollkommen entspräche oder um- 
gekehrt dem lat. terra ein deutsches dera, das rr wird sich aus ri 
deuten. was sich für die deutung der wurzel aus diesen gleichun- 
gen entnehmen liesze, musz hier übergangen werden. 


vom 24. November 1859. 723 


Wie mag man lat. cornu, unser horn und sl. rog, lit. ra- 
gas unter einen hut bringen? die lautumstellung gibt mittel und 
weg an hand. einmal ist das n als späterer zusatz abzuschnei- 
den, cor, hor und rog, rag treten einander nahe, h ist lautver- 
schobenes c und auch sl. lit. g müssen dem lat. gutturallaut 
gleich sein, rog erscheint = gor = cor. 

Die lit. sprache verglichen mit unsrer deutschen gewährt 
andere, einleuchtende beispiele. lit. darbas, lett. darbs arbeit ist 
nichts anders als das umgestellte deutsche wort, goth. arbaips, 
sl. robota und die uralte berührung dieser drei zungen geht 
daraus klar hervor. robota, rabota scheint die wahre gleichung 
mit arbaip, wie sich rob, rab und arbja, erbe gegenüber stehn, 
das sl. t musz goth. th sein, die Littauer haben aus t ein d ge- 
macht, und es in den anlaut gestellt. darb und arbeit, arbt ver- 
halten sich ganz wie terra und erde, wie Mogbr, und forma. 

Das lit. darz’as, lett. dahrs, gen. dahrsa, ist unser garte, 
goth. gards, eigentlich eingeschlosznes grundstück, hof. z’ wird 
ausgesprochen wie franz. j, also gerade wie in jardin, also wäre 
darz’as = darjas, dargas, umgestellt aus gardas. die lit. sprache 
bewahrt neben darz’as auch noch das unumgestellte z’ardis in der 
“engeren bedeutung eines umzäunten ortes für rosse, wie wir 
rossgarten, stutgarten sagen. die gleichung darz’as und garte 
unterliegt keinem zweifel. 

Aus derselben wurzel des einschlieszens, umgebens, lat. 
cingere ist uns das wort gürtel, cingulum hervorgegangen, wel- 
chem wiederum das lit. dirz’as und dirz’elas, dirz’elis zur seite 
tritt. dadurch wird die von darz’as gegebne erklärung noch 
fester. darz’as und dirz’as sind die umgekehrten handschuhe. 

Hieran genüge vorläufig. solche umstellungen können frei- 
lich in der etymologie gemisbraucht werden, verrathen uns aber 
einen eignen trieb oder zug der sprache, dessen wir uns nicht 
entschlagen dürfen. 


Zufolge des in einem Schreiben des Hrn. Prof. Ritschl 
in Bonn vom 16. November ausgesprochenen Wunsches willigt 
die Akademie ein, dafs für die Bonner Universitäts- Druckerei 
Abgüsse der ihr zugehörigen Matrizen der griechischen und la- 


724 Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 28. Nov. 1859. 


teinischen Inschriften-Schrift, namentlich der in dem Corpus In- 
scriptionum Graecarum in Anwendung gekommenen gemacht 
werden. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Süls, Die Wohnsitze der Brachiopoden. Wien 1859. 8. 

Jeanjaquet, Phenomenes celestes resultant de la transmission succes- 
sive de la lumiere. Neuchatel 1859. 8. 

Revue archeologique. A6me annee, livr. 10. Paris 1859. 8. 

Transactions of the mining Institute of Victoria. Vol. 1. Melbourne 
4859. 8. Mit Schreiben des Hrn. Brache, d. d. Melbourne 
16. Juni 1859. 

Il nuovo Cimento. Tomo X, Juli— Sept. Pisa 1859. 8. 

Turazza, Teoria dinamica del calorico. Venezia 1859. 4. 

Heis, Observationes de splendore stellae Mirae Ceti ab anno 1840 ad, 
annum 1859 institutae. Monasterii 1859. 4. 

Bildliche Darstellung der zu Münster vom 1. Dez. 1857 bis 

30. Nov. 1858 angestellten meteorologischen Beobachtungen. Mün- 
ster 1859. 4. Mit Schreiben des Hrn. Verfassers vom 15. October 
1859. 

A.D. Bache, Maps published at the Office of the Coast Survey, no. 
1—13. Washington 1859. folio. 


28. Novbr. Sitzung der philosophisch-hi- 
storischen Klasse. 


Hr. Dirksen las: Römisch-rechtliche Nachweisun- 
gen in den Schriften der lateinischen Epistologra- 
phen, aus dem Zeitalter der christlichen Römischen 
Kaiser. 


—IN ES — 


Bericht 


über die 


zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen 
der Königl. Preuls. Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin 


im Monat December 1859. 


Vorsitzender Sekretar: Hr. Encke. 


1. Decbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Rammelsberg las über die Zusammensetzung 
einiger seltneren Mineralien des Vesuvs, und verband 
damit Bemerkungen über Isomorphie und Hetero- 
morphie bei Silicaten. 


Es wurden demnächst die Berichte über die während des 
Arbeitsjahrs vom November 1858 bis Ende October 1859 für 
das Corpus Inscriptionum Latinarum ausgeführten Vorarbeiten 
vorgelegt, nachdem dieselben der philosophisch-historischen Klasse 
bereits in der Sitzung vom 28. November vorgelegen hatten. — 


Die Hrn. Henzen und de Rossi — der durch eine Reise ver- 
zögerte Bericht des Letzteren war nachträglich ebenfalls noch 
eingegangen — berichteten über die in Rom während des an- 


gegebenen Zeitraums ausgeführten Arbeiten, die, nachdem die 
in den Museen vorhandenen Steine fast sämmtlich copirt wor- 
den sind, sich hauptsächlich auf den handschriftlichen Ap- 
parat wandten und zugleich bereits das gedruckte Material in 
Angriff nahmen. Die sehr umfassenden Inschriftenmanuscripte der 
Vaticana und Barberina sind ziemlich bis auf die Revision voll- 
endet; aufserdem wurden diejenigen der Chigiana, deren Be- 
nutzung der Fürst Chigi unter Vermittelung des Hrn. von 
Reumont bereits im vorigen Jahre gestattet hatte, durch 
[1859.] 52 


726 Gesammtsitzung 


die aufopfernde Thätigkeit des Bibliothekars derselben, Hrn. An- 
tonioFea, grolsentheils für das Corpus abgeschrieben. Von gro- 
[sem Interesse war ferner eine von Hrn. P. E. Visconti mit- 
getheilte ligorianische Handschrift, die der frühesten Periode 
dieser eigenthümlichen Inschriftenfabrik angehört und manche neue 
Aufschlüsse über dieselbe giebt, so wie die Zusammenbringung 
des freilich mehr massenhaften als inhaltsreichen handschriftlichen 
Apparats des Teofilo Gallaccini ven Siena, mit dem Hr. Rossi 
unter Anderm sich beschäftigt hat. — Hr. Mommsen erör- 
terte die besondren Umstände, die den Beginn des Druckes 
hinauszuschieben genöthigt hatten, indem er zugleich anzeigte, 
dafs die Hindernisse seit Kurzem überwunden seien und den er- 
sten Bogen im Correcturabzug vorlegte. — Die in der Lithographie 
vollendeten prisca monumenta Latinitatis waren bereits früher von 
Hrn. Ritschl eingesandt und der Akademie vorgelegt worden. 


Ein Schreiben des Hrn. Dr. Lucke, Arzt am Stadtkran- 
kenhause von Zütphen, meldet unter dem 28. November, dals 
er im Dienste der Königl. Niederländischen Regierung im An- 
fange des Jahres 1860 als Arzt nach den Holländischen Be- 
sitzungen an der Westküste von Afrika gehen werde, und 
wünscht Aufträge und Instructionen für naturwissenschaftliche 
Zwecke. Es wird der physikal.-mathematischen Klasse zugewie- 
sen, damit die Mitglieder derselben die dargebotene Gelegenheit 
benutzen können. 


An eingegangenen Schriften nebst Begleitschreiben wur- 
den vorgelegt: 

Leifert, Die heilige Ida. Münster 1859. °8. Mit Schreiben des Hrn. 
Verfassers, d. d. Ostinghausen 12. Nov. 1859. 

Freiherr von Gabelentz, Sprachwissenschaftliche Fragmente. Zweiter 
Theil, Heft 1. Leipzig 1859. 8. 

P. Vergilii Maronis Opera. Vol.I. Recensuit Otto Ribbeck. Lip- 
siae 1859. 8. 

Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde. Neue Folge. 3. 
Band, 3. Heft. Kronstadt 1859: 8. 


DRRe = 


vom 8. December 1859. 727 


Annales de ghimie et de physique. Octobre. Paris 1859. 8. 

Journal für reine und angewandte Mathematik. 57. Band, Heft 2. Ber- 
lin 1859. 4. 

Jahrbuch der K. K. Geologischen Reichsanstalt. 10. Jahrgang, no. 2, 
Wien 1859. 8. 

Hörnes, Die fossilen Mollusken des Tertiärbeckens von Wien. II. Band. 
Bivalven. Wien 1859. 4. 


8. Decbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Magnus las über die Veränderung der Flüs- 
sigkeit in der Nähe der Elektroden. 


Hr. Ehrenberg las über das Leuchten und über 
neue mikroskopische Leuchtthiere des Mittelmeeres. 
Im Jahre 1834 habe ich der Akademie eine ausführliche 
Geschichte und Übersicht des Meerleuchtens vorgetragen und 
derselben neue eigene Beobachtungen aus dem Mittelmeere bei 


Aegypten, aus dem rothen Meere, so wie der Nordsee und Ost- 


see, auch eigene Erfahrungen aus dem caspischen Meere hinzu- 
gefügt. Dieser Vortrag ist in den Abhandlungen der Akademie 
jenes Jahres gedruckt erschienen. Es ergaben sich aus meinen 
damaligen Ermittelungen 505 Arten lichtentwickelnder lebender 
Thierformen und 27 Arten leuchtender lebender Pflanzenformen. 
Zum Meeresleuchten wirkten 107 verschiedene Thierformen mit. 
Ich habe die seit diesen nun 25 Jahren erschienenen vielfachen 
späteren Nachrichten stets verfolgt und gesammelt und habe 
neuerlich Gelegenheit gesucht und gehabt, auf zwei Reisen nach 
Neapel und Triest neue Beobachtungen den früheren hinzuzu- 
fügen. Diese Beobachtungen erlaube ich mir mitzutheilen und 
das Neuhistorische in einem kurzen Auszuge im Wesentlichen 
zuzufügen. 

Im Allgemeinen und im Voraus kann ich bemerken, dafs 
die von mir vor 25 Jahren vorgelegten Resultate heut noch 
überall in ihrer Geltung sind. Das Meeresleuchten wird auch 
heut noch in seinen grolsen auffallenden Erscheinungen als von 

32r 


728 Gesammtsitzung 


Lebensformen und zwar von Thierformen bedingt angesehen und 
die physikalische oder chemische Vorstellung, obwohl hie und 
da noch in Anregung gekommen, hat auch bis heut in keinem 
einzigen Falle eine scharfe Begründung erhalten. Ja es hat sich 
immer mehr befestigt, dafs die anregendsten Lichterscheinungen 
im Meere, welche nicht vereinzelte Lichtfunken, sondern das 
Aufblitzen und wiederholte blendende Licht grofser Flächen be- 
treffen, ein Produkt fast oder ganz unsichtbar kleiner Organismen 
sind. Auch ist die Analogie der Lichtentwickelung bei diesen 
kleinsten Lebensformen, wie bei den grölseren, mit electrischen 
Entladungen, welche damals von mir hervorgehoben wurden, 
noch heut das wahrscheinlichste ursächliche Element. 

Vom historischen Nachtrage sei hier nur in Kürze erwähnt, 
dafs, obwohl die ältesten Nachrichten der vorchristlichen Zeiten 
in Fabeln und allgemeine Ausdrücke gehüllt sind, welche 1834 
ebenfalls berücksichtigt wurden, doch auch aus jener Zeit ; 
schon das massenhafte Licht unsichtbarer Formen als das auf- 
fallendere erscheint. Man hielt zwar nach Aelian im Alterthum 
das Meeresleuchten für die Tod bringende Aglaophotis - Pflanze, 
kannte aber nach Plinius schon das unschuldige Licht der Me- 
dusen (Pulmo marinus). Weit früher war man schon aufmerk- 
sam auf den Lichtschein der ganzen Meeresfläche oder das Auf- 
blitzen des Meeres gewesen. Schon Hesiods und Homers Ne- 
reide Maera hält Alexander von Humboldt neuerlich im 
zweiten Theil des Kosmos 1847 p. 104 für einen Ausdruck phos- 
phorischen Meeresleuchtens, wie Maig« auch den funkelnden 
Hundsstern bedeute. Auf die altgriechischen sonderbar harmo- 
nirenden Worte kaum und Aare, Meeresschaum und Leuch- 
ten, habe ich schon ehemals aufmerksam gemacht und Livius 
führt das grofsartige allgemeine Meeresleuchten schon aus vor- 
christlichen Zeiten unter den portentis mit den Worten an: 
mare arsit oder: littora crebris fulserunt ignibus. In diesen Fäl- 
len ist an Medusen nicht zu denken, vielmehr an häufiges Auf- 
blitzen der Flächen beim Luftzug oder beim Ruderschlag. Erst 
868 nach Christus ist von den arabischen Reisenden Wahab 
und Said auch aus dem chinesischen Meere dergleichen beob- 
achtet und berichtet worden. Dafs es bei der Entdeckung Ame- 
rikas so wenig zur Sprache gekommen sein sollte, war mir im- 


vom 8. December 1859. 729 


mer auffallend geblieben. Es liefs sich aber durch die damaligen 
Schiffe erklärlich finden, deren hoher Bord ungünstig für den 
Gesichtswinkel war und eine zu hohe Stellung gegen die Mee- 
resfläche gab, wie gewöhnlich auf den Schiffen die Erscheinung 
weniger imponirt als auf Ruderböten. Dennoch fand ich auch 
in Washington Irwings Geschichte jener Zeit, dafs es Colum- 
bus 1502 auf der vierten Entdeckungsreise bei Puerto bello im 
Isihmus von Panama angemerkt hat. Es heilst: Das Meer gohr 
zuweilen wie ein siedender Kessel, dazu lief es wieder in schaum- 
bedeckten Wogen zu Berge. Nachts glichen die tobenden Wel- 
len grolsen Flammen durch die leuchtenden Theilchen veranlafst, 
welche die Oberfläche des Wassers in diesen Seen und im gan- 
zen Lauf des Golfstromes bedecken. Geschichte d. Lebens und 
d. Reisen des Chr. Columbus, deutsch, Bd. 3. p. 208. 

Was nun die specielleren auf die lichtgebenden Bedingun- 
gen und Gegenstände im Mittelmeere gerichteten Beobachtungen 
anlangt, so sind erst seit 1672 dergleichen bekannt gemacht. 
Der Jesut Athanas. Kircher verwechselte noch 1640 in 
seinem Werke Ars magna lucis et umbrae das Leuchten der 
lebenden Thiere mit dem der todten und die von ihm aufge- 
zählten Thierarten sind meist ausdrücklich in der Fäulnils leuch- 
tend. Imperati 1672 und Boccone 1684 haben erst meh- 
rere lebende Leuchtthiere des adriatischen Meeres sorgfältiger 
bezeichnet, scheinen aber das Aufblitzen grofser Flächen des 
Meeres entweder nicht erfahren zu haben, oder als von ande- 
ren Ursachen abhängig angesehen zu haben. Die erste neuere 
Nachricht eines grofsen Meeres-Brandes, deren ähnliche offenbar 
in den ältesten historischen Zeiten als schwer zu sühnende Göt- 
terzeichen, portenta, vorgekommen waren, ist aus der Nähe des 
Mittelmeeres vom Jahre 1686 bei Cadix, also noch im atlanti- 
schen Meere, doch nahe beim Eingange ins Mittelmeer. Die 
Pariser Akademie der Wissenschaften bielt die ihr damals zuge- 
kommenen Nachrichten für eine Fabel, publicirte dieselben aber. 
Ein Resultat über die Ursachen dieser grolsen Erscheinung war, 
ungeachtet der 14tägigen Dauer derselben, nicht gewonnen wor- 
den. Man kann jetzt mit grofser Wahrscheinlichkeit daraus 
schlielsen, dals es lebende mikroskopische dicht gedrängte Leucht- 
Elemente waren. Damals beruhigte man sich wohl mit der 


730 Gesammtsitzung 


Vorstellung, es sei ein leuchtender todter Schleim von Fi- 
schen. , 

Ferrari und Messer di Bibbiena beobachteten den 
Wiederschein des Meeres im Finstern, wie sie es nannten, bei 
Lucca 1713. 

Vianelli und Nollet beobachteten leuchtende Nereiden 
bei Venedig 1749 und 1750. Beccari, Monti und Galeati 
machten 1724 wichtige und ausführliche Beobachtungen über 
das Leuchten der Pholaden im adriatischen Meere. Im Jahre 
1766 beobachtete Fougeroux de Bondaroy Leuchthiere bei 
Venedig, die er auf Fucus fand. Im Jahre 1785 sagt Joseph 
Meyer aus Prag, dals die Bewohner Venedigs das Leuchten des 
Meeres nach jedem ruhigen Tage erwarten. Er seihete das 
Wasser durch, was das Leuchten schwächte, hielt aber die Er- 
scheinung doch für Insolation. 

Spallanzani machte 1785 und 1793 viele Beobachtungen 
über Meeresleuchten aber nur von Medusen bei Genua und 
Messina. Viviani, Professor in Genua, und Ducluzeau von 
Montpellier machten 1805 neue Beobachtungen über das 
Leuchten im Ligustischen Meere und besonders der erstere hat 
14 bisher unbekannte Leuchtthiere erkannt, die jedoch sämmt- 
lich noch mit blofsem Auge zugänglich waren. Im Jahre 1810 
erwähnt Risso bei Nizza leuchtende Fische. Im Jahre 1821 
sah Rudolphi in Neapel nur todte Krebse und Scomber in der 
Luft leuchten. 

Zuerst 1828 spricht der überaus fleilsige und mannichfach 
verdiente Prof. Delle Chiaje in Neapel von leuchtenden In- 
fusorien im dortigen Golf, ohne dieselben namentlich zu be- 
zeichnen, und hält diese, weniger glücklich sogar für die Ver- 
anlassung des Leuchtens der Salpen, spricht auch vom eigenen 
Lichte der Pyrosomen und Bero@n. Kurz vorher 1826 und im 
selben Jahre waren Bory de St. Vincents gegnerische nicht 
mit binreichenden Beweisen unterstützte Streitigkeiten beson- 
ders gegen Peron in dem Dictionn. classique d’hist. nat. Art. 
Mer et Phosphorescence de la mer bekannt gemacht worden. 

Im Jahre 1830 sagt auch Tiedemann, dafs er im adria- 
tischen Meere leuchtende Infusorien gesehen, nennt aber eben- 
falls weder Arten noch Genera. Im Jahre 1836 sandte mir 


vom 8. December 1859. 731 


Dr. Foeke in Bremen eine briefliche Nachricht über seine 
Beobachtung des Leuchtens der Synchaeta baltica im Meere 
bei Venedig, eines von mir 1834 benannten Leucht-Räderthier- 
chens, wovon ich der Berliner Naturforschenden Gesellschaft 
damals Mittheilung machte, welche auch in dem 1838 erschie- | 
nenen Werke: Die Infusionsthierchen, aufgenommen ist. 

Im Jahre 1838 berichtete Dunal über die Phosphorescenz 
des Meeres bei Montpellier, ohne jedoch die Ursache specieller 
zu erläutern. Im Jahre 1841 erklärte auch Nicolucei das 
Meeres-Leuchten der lebenden Thiere bei Neapel für eine Wir- 
kung der Elektricität. Im gleichen Jahre bemerkt der Reisende 
in Afrika Hr. Russegger in seiner Reisebeschreibung, dals das 
Leuchten des adriatischen Meeres bei Triest ziemlich erwiesen 
thierischer Natur sei, es bedürfe aber dazu der Reibung. Diese 
Darstellung ist nur speculativer und relatorischer Art, da spe- 
cielle Beobachtungen nicht angezeigt werden. Dr. Well in 
Erlangen hat im Jahre 1844 mehrere leuchtende Crustaceen 
und Würmer aus Triest beschrieben und zuletzt hat Johannes 
Müller in der Berliner Naturforschenden Gesellschaft 1854 
und in den Monatsberichten der Akademie 1855 als Haupt- 
- Leuchtihierchen bei Messina die freie und encystirte Nocziluoa 
miliaris bezeichnet. 

Diels sind die wesentlichen mir zugänglich gewesenen bis- 
berigen Kenntnisse vom Meeresleuchten im Mittelmeer. 


Eigene Beobachtungen über das Meeresleuchten bei 
Neapel, Sorrento und Ischia. 

Als ich im vorigen Jahre 1858 auf einer Reise in das süd- 
liche Italien mich in Neapel befand, nahm ich im August und 
September die Gelegenheit wahr verschiedene Beobachtungen 
über das Meeresleuchten anzustellen. Leuchtete auch das Meer 
nicht immer bei jedem Ruderschlage oder in jedem Glase voll 
geschöpften Wassers, so waren doch einige mir dort vorge- 
kommene Leucht- Verhältnisse von der auffallendsten und herr- 
lichsten Art. In anderen und fast allen Fällen, wo ich Fucoi- 
den vom Meeresboden entnahm, waren einzelne hellleuchtende 
Lichtpunkte im Dunkeln wahrnehmbar, die oftmals freilich 
leicht übersehen worden wären. In Neapel selbst war 


732 Gesammtsitzung 


das Meer am 22. August so überraschend und in der gan- 
zen Zeit meines Aufenthaltes daselbst leuchtend, dafs es eine 
der anregendsten Erinnerungen meiner sämmtlichen Erfahrungen 
bildet und eine der freudigsten Ergötzungen meiner mich be- 
. gleitenden Familie war. Gleichzeitig erfreuten sich mit uns der 
Präsident desK. Kammergerichts Hr. v. Strampf, der viel geübte 
sehr eifrige mikroskopische Forscher Berlins, samt dessen Gemahlin, 
der Justizrath v. Tempelhoff und das Mitglied dieser Akademie 
Hr. Rammelsberg. Schon vom Ufer aus in den Promenaden 
der Stadt an der Santa Lucia erschien das Meer am späten Abend, 
während die feurige Lava in vieltheiligen Lichtmassen vom Ve- 
suv her glänzte, stellenweis zuweilen hell aufleuchtend und jeder 
Kahn, selbst in weiter Ferne, brachte durch das Rudern höchst 
intensive blitzende Erscheinungen hervor, wie sie mir freilich 
aus früheren Erfahrungen an anderen Örtlichkeiten bekannt wa- 
ren. Namentlich waren die Noctiluken-Schwärme in der Nord- 
see bei Ostende und Helgoland nahe vergleichbar, aber doch 
war mir die Erscheinung bei Neapel ausgedehnter und anre- 
gender als alle früher gesehenen. Ich wünschte die Ausdehnung 
des Meeres-Blitzens entfernter vom Ufer kennen zu lernen. Wir 
Fremden mietheten daher zusammen am Abend eine Fischerbarke 
und lielsen uns im Mondschein im Golf umherfahren bis nahe znr 
Punta di Posilippo. Das Resultat war, dafs auf der ganzen Linie 
unserer Fahrt dennoch das Meer leuchtend blieb, nur waren die 
Intensitäten verschieden nach verschiedenen Strichen. Jede Bewe- 
gung des Wassers mit dem Ruder, das Kielwasser des Kahnes, jede 
auch die sanfteste, kaum als Frietion in Rechnung zu bringende 
Bewegung des Wassers mit einem Stocke, jede Handbewegung 
gab sogleich Millionen Funken, die so dicht beisammen aufblitz- 
ten, dals sie in einen zusammenhängenden Feuerschein ver- 
schwammen. Ich hatte einen Schöpf- und Filtrir- Apparat als 
einen an einen ansehnlich zu verlängernden Messingstab ge- 
schrobenen Beutel von Leinwand mit mir genommen und fil- 
trirte damit geschöpftes Wasser an verschiedenen Punkten. Die 
Leuchtsubstanz concentrirte sich in dem Leinwandbeutel und das 
abflielsende Wasser war lichtlos. Diesen so concentrirten Leucht- 
stoff, welcher ohne Übertreibung allemal geschmolzenem glü- 
henden Metalle glich, nahm ich in kleinen Glasflaschen mit nach 


vom 8. December 1859. 733 


der Wohnung und stellte sofort in der Nacht noch die nöthi- 
gen ersten Untersuchungen mit 300maliger Vergrölserung an. 
Es ergab sich daraus, dafs die ganze grolse Erscheinung augen- 
scheinlich durch unberechenbar zahlreiche mikroskopische Tbier- 
chen der Gattung Peridinium gebildet wurde. Zwar gab es 
aulser diesen durcheinander rollenden Peridinien noch feinere un- 
bewegliche Körnchen und hie und da eine Navicula, allein die 
Peridinien waren offenbar überall da am massenhaftesten, wo die 
Lichtentwicklung im Wasser am stärksten war. Von massen- 
haften der Lichterscheinung adaequaten schleimigen Stoffen war 
nichts zu sehen. 

Offenbar waren diese Peridinien auch jene Leucht-Infuso- 
rien des Meeres, von welchen Delle Chiaje 1828 von Neapel 
berichtet hat, die er aber nicht speciell systematisch classifieirt 
und nicht benannt hat. Ich fand sie dem Glenodinium tabula- 
zum höchst ähnlich, von welchem ich 1838 Abbildungen gege- 
ben habe; zumal ich selbst, wie damals bemerkt, im Zweifel ge- 
blieben bin, ob der rothe innere Fleck des Glenodinium ein con- 
stantes Auge ist. Ich habe gleich gestaltete, gleich grolse, gleich 
getäfelte Körperchen zu verschiedenen Zeiten, stets im Süls- 
wasser, mit jenen ohne den Augenpunkt gesehen. Kein ein- 
ziges der zahllosen Exemplare, welche mir in Neapel unter dem 
Mikroskop vor Augen kamen, hatte einen Augenpunkt. 

Ich habe die Neapolitanische Meeres-Form daber als eine neue 
Art angesehen und sie Peridinium Splendor maris genannt, da wir 
sie gleichzeitig mit den feurigen Lavaströmen des damals thätigen 
Vesuvs im Golfe das weite Meer erleuchten sahen. Es dürfte 
auch wenig Zweifel übrig bleiben, dafs Tiedemanns Leucht- 
Infusorien des adriatischen Meeres, wenn diesen, wie es wahrschein- 
lich ist, eine eigene Beobachtung wirklich zum Grunde liegt, 
derselben Form angehören. Mir war ihre Erscheinung noch 
deshalb besonders merkwürdig, weil sich das fossile getäfelte, of- 
fenbar dem Meerwasser angehörige Peridinium pyrophorum der 
Feuersteine der Kreide bei Delitzsch nun an diese getäfelte jetzt - 
lebende Meeresform zunächst anlehnt. 

Ich darf auch nicht unbemerkt lassen, dafs vielleicht die 
von Johannes Müller 1854 und 1855 für encystirte Nocti- 
luken gehaltenen und erklärten Leuchtthierchen bei Messina doch 


734 Gesammitsitzung 


auch nur diese Peridinien gewesen sein könnten, indem die klei- 
nen grünlichen, braunen oder gelblichen Thierkörper sich in ihren 
erystallenen Schaalen frei bewegen und beim Druck durch 
Platzen der Schaalen aus diesen unbeschädigt frei hervortreten 
können, wie in Cysten eingeschlossene Thiere. Die crystall- 
hellen getäfelten Schaalen sind überaus durchsichtig, scheinen 
zwar, da sie brüchig und durch Säure nicht zerstörbar sind 
aus Kieselerde zu bestehen, könnten aber doch als häutige Hül- 
len betrachtet und unrichtig beurtheilt worden sein. 

Auf Glimmer zahlreich angetrocknete Exemplare des Peri- 
dinium konnten noch jetzt unter dem Mikroskop sammt den 
Zeichnungen der lebenden vorgelegt werden. 

Ich habe mich viel bemüht ein besonderes Leuchtorgan an 
den kleinen Thierchen zu entdecken, was aber nicht gelang. 
Unter dem Mikroskop entstand bei Reizung der im Tropfen 
befindlichen Formen durch Nadeln stets nur ein schwacher, nie- 
mals scharf umschriebener, heller fast bläulicher Schein, obschon 
das Funkeln dem blofsen Auge als helle gelbliche Lichtfunken 
erschien. Dals die einzelnen Thierchen jedes für sich auf- 
blitzen, oft aber beim Reiz kein Licht geben, blieb mir aulser 
Zweifel. 

Aufser diesen höchst wirkungsvollen Leuchtthierchen des 
Golfs von Neapel habe ich noch andere bei Sorrento und der 
Insel Ischia im Meere beobachtet. In Sorrento liefs ich mich 
mit einem Kahne am Ufer hinfahren, nahm selbst verschiedene 
Meeresalgen vom Grunde in Gläser und liels von Fischern der- 
gleichen herausholen. Das Meerwasser gab im Finstern nur 
wenig und nur schwache Lichtfunken. Einigemale schien mir 
deutlich an der Stelle des isolirten kleinen Funkens ein Proro- 
centrum zu liegen. In anderen Fällen erschien mir eine schei- 
benförmige Discoplea? den Lichtschein bewirkt zu haben, deren 
zahlreich vorhandene Exemplare aber meist nicht leuchteten. 
Die Discoplea? war eine jedenfalls von mir vorher nie gesehene 
neue Form und fand sich überaus zahlreich, ich nannte sie D. 
sorrentina. Das Prorocentrum ist mir zwar von Pr. micans ab- 
weichend, einer grölseren Cryptomonas ähnlicher erschienen, 
allein ich habe zu wenig Exemplare davon beobachten und keins 
fixiren können. 


vom 8. December 1859. 735 


Auf der Insel Ischia lies ich mir im August an einem 
stillen Abende ebenfalls in meinem Beisein Meeresalgen des 
Seegrundes in einem Eimer Wasser vom Strande holen und 
bemühte mich selbst das Meeresleuchten zu sehen. Die her- 
vorgebrachten Bewegungen des Meeres gaben aber keine deut- 
lichen Funken und beim Rudern der Fischer entstand kein Licht. 
Dennoch hatte ich in dem Eimer voll Wasser viele recht helle 
Lichtfunken. Beim Isoliren derselben fand sich allemal eine 
kleine schilderlose Annelide mit sehr langen seitlichen Cirrhen, 
die ich für Sylis eirrkigera zu halten geneigt war. Zu einer 
Abzeichnung und genaueren Bestimmung der Species fand sich 
nicht hinreichende nächtliche Kraft und Ruhe, nachdem der 
heilse Tag mit anstrengenden Excursionen vollbracht war. Das 
Licht funkelte an einzelnen getrennten Stellen und überzog zu- 
weilen allmälig das ganze Tbierchen. 

Ich überzeugte mich auf Ischia wie bei Sorrento, wieder, dafs 
das beim Stehen eines mit Fucoiden u. s. w. erfüllten Wassers sich 
bildende Häutchen der Oberfläche nicht leuchtet, während beim 
Bewegen und Umdrehen der Pflanzen die an denselben haften- 
den, oder auch nur unterhalb frei schwimmenden Leuchtihiere 
funkeln. Jenes Häutchen bestand aber aus lebenden Infusorien 
der Gattung Euplotes, aus Bursarien , Encheliden, vielen Bacil- 
larien und todten Tbierchen, auch aus erkennbaren aufgelösten 
organischen verschiedenen Stoffen. Am dritten Tage war kein 
Licht mehr in dem im Freien stehenden Wassereimer zu fin- 
den, der Geruch der absterbenden Meeres - Organismen zeigte 
aber deren wachsende Auflösung ohne Lichtentwick- 
lung an. 


Eigne Beobachtungen über das Leuchten im adriati- 
schen Meere bei Triest. 


Im September vorigen Jahres und vor 5 Jahren, 1854, 
ebenfalls im September, fand ich bei kurzem Aufenthalt in Ve- 
nedig das Meer an der Oberfläche, obwohl ich Abends spät in 
der Gondel fuhr und Wasser filtrirte, gar nicht leuchtend. Zu 
specielleren Nachforschungen in der Tiefe war damals keine 
Zeit. In diesem Jahre war ich in der Mitte Septembers in 
Triest. Auch hier war an der Oberfläche des Hafens kein 


736 Gesammtsitzung 


Lichtschein bemerkbar, obschon es an zersetzten Stoffen, auch | 
todten Fischen samt allem Abgange des Fischmarktes im Was- 
ser nicht fehlte. Ich habe an vielen zum Theil ruhigen, theils 
durch die Bora-Stürme ansehnlich bewegten Abenden, bei ho- 
hem und niederm Wasserstande das Wasser im Hafen ruhig 
prüfend beobachtet und auch filtrirt. Es gab weder auf der 
Fläche noch auf dem schäumenden Wellenkamme hellen Schein | 
und nur vereinzelte feine Lichtfunken. Durch Umhberfabren im | 
Boote mit Fangnetzen, Gläsern und Filtrir-Apparat habe ich 
alle Hafengegenden und die ruhigen Bassins oft untersucht. 
Immer blieb das Leuchten des geschöpften Wassers ein in ver- | 
hältnifsmälsig wenigen Funken vereinzeltes Phänomen. Zuweilen 
jedoch waren, wie am Bassin der Militair-Badeanstalt, deren mit 
Algen in gröfserer Zahl in die Gläser gebracht worden. Immer blieb 
es der Vereinzelung der Lichtpnnkte in dem Wasser halber eine f 
schwierige Aufgabe im Dunkeln das leuchtende Object selbst zu 


isoliren, was da wo viele sind nicht so schwierig ist. 

Sehr bald überzeugte ich mich nun, dafs stets in dem Was- f 
ser, worin Lichtfunken vorkamen, auch das Peridinium Tripos, 
dessen Leuchten Dr. Michaelis in Kiel entdeckt hat und das 
von mir scharf bestätigt worden, genau in derselben mir durch 
zahllose Formen bekannten Grölse und Gestalt vorkam, wie ich 
es 1838 in dem Infusorien-Werk charakterisirtt und so ver- 
grölsert abgebildet habe, dafs die Charaktere deutlich hervor- 
treten. Ebenso fand ich Prorocentrum micans stets in dem 
schwach funkelnden Wasser, aber immer selten zerstreut. So 
sah ich auch in einem beim Bewegen durch vereinzelte Licht- 
funken erhellten Wasser dem Peridinium Furc« und Fusus ver-A 
wandte Formen, deren Leuchtfähigkeit mir aus den frühern 
sehr genauen Untersuchungen 1844 aulser Zweifel war. Beil 
strengerer Prüfung der Formen und bei öfterer Wiederholung 
des Anblicks verschiedener Individuen wurde es mir jedoch im- 
mer wahrscheinlicher, dafs die beiden letzten Formen mit den 
früher Perid. Furca und Fusus von mir genannten Formen der 
Ostsee bei Kiel nicht völlig übereinstimmen und noch zwei] 
andere sehr abweichende, völlig unbekannte dreihörnige For- 
men, welche gleichzeitig in dem funkelnden Wasser waren, 


vom 8. December 1859. 737 


zeigten an, dals diese Örtlichkeit besondere Lokalformen ent- 
halte, welche genauer zu studiren waren. 

Ich babe mich nun bemüht von allen diesen Formen Prä- 
parate zu fertigen, die es mir bei der Rückkehr nach Berlin 
möglich machen sollten, sie mit den Formen anderer Meere, 
welche ich früher fixirt habe, direct zu vergleichen, was denn 
auch erreicht wordnn ist. Nur eine der Formen hat der Trans- 
port in Trümmer verwandelt. Die Mehrzahl kann wohler- 
halten vorgelegt werden und sie lassen sich nun ruhig weiter 
beurtheilen und vergleichen. 

Leuchtende Acalephen oder Krebse habe ich weder bei 
Neapel noch bei Triest in jener Jahreszeit gesehen. Nur auf 
der Überfahrt von Genua sah ich des Nachts oberhalb Livorno 
eine grolse mondähnliche vermuthliche Meduse als fulsgrolse 
Helligkeit im Meere. 

Auch in Triest habe ich keine Gelegenheit gehabt, faule 
Stoffe des Meerwassers, als leuchtende Haut der Oberfläche, oder 
als leuchtenden Grundschleim der Behälter zu beobachten. Wo 
die Untersuchung des Wassers am Tage kein lebendes Peridi- 
nium oder Prorocentrum der genannten Arten erkennen liels, 
war auch Abends kein Licht und wo es Lichtfunken gab fanden 
sich jene Peridinien. Übrigens wimmelte das lichtlose und licht- 
gebende Wasser gleichartig von Myriaden anderer Polygastern 
der Gattungen Paramecium, Bursaria, Enchelys, Kolpoda, beson- 
ders von Euplotes und Monas. Diese alle hatten keinen Antheil 
am Leuchten, obschon sie doch sich wohl von denselben Stof- 
fen wie jene nährten. 

Wenn auch die im Jahre 1854 publicirten zu den vorn 
erwähnten zuzufügenden Ansichten des Pariser Akademikers Hrn. 
Quatrefages über das Meeresleuchten, nach seinen mit Hrn. 
Edwards und Blanchard auf einer Reise nach Sicilien ge- 
machten Erfahrungen, eine grölsere Verschiedenheit der Ursachen 
desselben anzuerkennen geneigt sind, weil der Leuchtstoff der 
Pholaden, wie es mannichfach auch früher bestätigt ist, als 
Schleim zu Boden sinkend unter Wasser und in der Luft am 
Finger eine zeitlang fortleuchtet, so berührt dies doch weniger 
die Hauptfrage, die Frage nämlich, ob die ausgezeichneten con- 


738 Gesammtsıtzung 


creten Fälle des Aufblitzens grölserer Meeresflächen, des allsei- 
tigen Feuerscheines beim Rudern u. s. w. durch phosphoresci- 
renden todten Schleim auch nur einmal erwiesen worden sind, 
oder ob sie stets durch mikroskopisches Leben bedingt sind. 
Auch von jenen geübten mikroskopischen Forschern ist kein Fall 
des ausgebreiteten Meeresleuchtens als auf todtem Schleime be- 
ruhend bezeichnet und erwiesen worden, obschon die Fischer es 
ganz gewöhnlich der Wirkung des Fischschleims zuschreiben. ') 
Ich selbst habe nun, wie vor 25 Jahren, auch neuerlich, anstatt 
des todten Phosphors, nur dem elektrischen Funkeln vergleich- 
bare Thätigkeit jenes unsichtbar kleinen aber energischen Le- 
bens erkannt und bin auch neuerlich durch Beobachtung der 
Annulaten zu der früheren Ansicht hingezogen worden, dals das 
oft wiederholte Funkeln der Thierkörper den sie überziehenden 
von ihnen abgesonderten Schleim zu einem eine zeitlang unab- 
hängig fortdauernden Leuchten, das heilst vielleicht nur zu einem 
Erzittern zu bringen vermag. Von Wärme-Entwicklung beim 
Leuchten ergab das Gefühl der im concentrirtesten Meeres-Feuer 


befindlichen Hand nicht die geringste Spur. 


‚ Verzeichnifs der Leuchtthiere im Nachtrag. 


‘) Man vergleiche Quatrefages Souvenirs d’un naturaliste, Bd. II. 
p- 33. 1854. L’eau puisee dans un seau presenlait en coulant l’aspect du 
plomb fondu. Partout sur ce fond brillant d’une lumiere calme s’allu- 
maient et s’eteignaient, tour A tour, par myriades, d’eblouissantes etincelles 
verdätres, ou des globules de feu. Ces elincelles, ces globes, etaient au- 
tant de petits animaux des Crustaces, des Annelides, des Medusaires, — 
Der „fond brillant” waren wohl auch hier Peridinien. 

Wunderbar ist die extreme mit Volksbüchern verbreitete Meinung 
Carl Vogts (Ocean und Mittelmeer. Bd. Il. S. 63. 1848), dals man bes- 
ser thue, allen niederen Seethieren das Leuchten zuzugestehen und nur die 
Ausnahmen zu notiren. Sie leidet an zwei Schwächen. Erstlich ist der 
Ausdruck niedere Thiere für kleine Thiere, obwohl vor der Erkenntnils 
ihres Baues viel gebraucht, unzulässig und zweitens ist es der Wissen- 
schaft im Prinzip zuwider, eine Eigenschaft Körpern zuzuerkennen, die sie 
nicht nachweislich, selbst nicht wahrscheinlich haben. Leuchtende Mee- 
vesthiere lassen sich jetzt vielleicht 200 verzeichnen, nichtleuchtende aber 
mehr als 10000, Muscheln, Würmer, Polythalamien, Anthozoen u. s. w. 


vom 8. December 1859. 739 


Hr. Charles Newton, bisheriger brittischer Vice-Consul 
zu Lesbos, von wo aus er das brittische Museum mit der Aus- 
beute seiner in Halikarnass, Knidos und Milet (vgl. oben S. 659 
ff.) ') angestellten Grabungen bereichert hat, verweilte auf sei- 
ner Reise nach Rom, wo ihm das brittische Consulat übertra- 
gen ist, einige Tage in Berlin und wohnte, von Hrn. Gerhard 
eingeführt, dieser Sitzung bei. Drei Griechische Inschriften, 
herrührend aus den von Prinz Ghika neuerdings zu Samos 
veranstalteten Ausgrabungen, wurden von ihm in wohlausge- 
führten Papierabdrücken der Akademie überreicht und demnächst 
dem für die Nachträge des Corpus Inscriptionum Graecarum 
vorhandenen, dermalen von dem Professor Dr. Kirchhoff über- 
'wachten Apparat hinzugefügt. Durch Hrn. Kirchhoff’s Für- 


sorge sind die gedachten Inschriften sofort zu einer vorläufigen 
Bearbeitung gediehen, in welcher wir sie hienächst folgen lassen. 


4: 


Drei Papierabdrücke und eine Bleistiftzeichnung, aneinander- 
geklebt in der Reihenfolge, welche in dem unten folgenden Ab- 
drucke durch die übergesetzten Zahlen angedeutet worden ist. 
Die ziemlich regelmälsige, aber mit Schnörkeln verzierte Schrift 
zeigt auf allen vier Stücken denselben Charakter und ist augen- 
scheinlich von derselben Hand. Hr. Newton hat auf seinen 
Abdrücken die einzelnen Buchstaben mit Bleistift nachgezogen; 
da die Schrift nur ‘oberflächlich geritzt war und die Eindrücke 
deshalb sehr schwach ausgefallen sind, läfst sich in Folge dieser 
Manipulation in einzelnen zweifelhaften Fällen die Richtigkeit 
der gegebenen Zeichnung durch die ganz undeutlich gewordenen 
oder völlig verschwundenen Eindrücke nicht mehr controlliren. 
Umstehend folgt zunächst ein genauer Abdruck des Textes nach 
einer besseren Anordnung und eine Umschreibung und Ergän- 
zung desselben in der Minuskelschrift. 


‘) In dem auf diese Inschriften bezüglichen obigen Aufsatz ist $. 661 
Z.8 portion für section und S$. 662 in der Anmerkung "Exiönnos für 
’Ex:duos zu lesen. 


740 Gesammtsitzung 


III. 


OYPEA 
AMPOAAQDNIAHZ AIADBANOY 
AONIXAI 
ZDIAOZ ZDIAOY 
5 ZTAAIDI 
IDIAOZ ZADINOY 
KYANOYIQNOZTKAITAPATOY PINNOZ 
KATAMTAATHI 
NEQN AIQNOZ 
10 AKONTIAUI 
BIQN ZDIANOY 
TO=ZAI 
ANDZI8EOZE ANZISEOY ANEZANAP[EYZ] 
OMAOMAXIAI 
45 MENEKAHZ BIAOKPATOY 
®YPEAMAXIAI 
AIOFENHZ APXINOY 
AONIXDI 
IQDLIAOZ IQIAOY 
20 ZTAAINI 
TOINOE ZIQDIAOY 
MOZIAENNOZ 
KATANAATHI 
AHMAINETOZ AHMAINETOY 
25 AKONTIA2I 
HPAKAEIAHE HPAKAEIAOY 
TOZAI 


Z. 13. P hart am Rande des Abdruckes, EYZ mit Bleistift 
auf dem verbindenden Papierstreifen, vielleicht also nur Ergän- 
zung Hrn. Newton’s. 


vom 8. December 1859. 


TIOZ FOPFIOY 
OTAOMAXIAI 
30 MENEKAHZ BIAOKPATOY 
®YPEAMAXIAI 
AMOAARNIAHZAIABANOY 
AONIXDI 
IQIAOZ INIAOY 
35 ZTAAINI 
IRNIAOZ IRIAOY 


IV. ') 
MENEKAHZ 1 AOKP 


®ÖYPEAMA 

AMTOAARNIAHZ 
AONIX RI 
5 IQIAOZ [0 


AMNOAARNIAHZ 
NOE 


10 MHTPOAQNP 
BIRN 
EPMOFENHZ 

3 MENEKAHZ 


MENEKAHZ 
AOAIXRI 


2  ZIRIAOE IQINOY 


') Bleistiftzeichnung. 
[1859.] 


742 


25 


30 


39 


10 


Gesammtsitzung 


ZTAAINI 
ZIQDIAOZ IQDIAOY 
TAYPEQNOZ 
KATAMAAT 
MENEKAHZ GIAOKPA 
AKONTIQI 
MEPIFENHZ MEPITENO 
TOERI 
MENEKAHZ ®IAOKP 
OMAOMAXI 
MENEKAHZ ®1AOKP 
®OYPEAMAX 
ENTIFTONOZ ETIFTON 
AOAIXDI 
AHMAINETOZ AHMAIN 
ZTAAINI 
AMOAARNIAHZ AIABAN 


I: 
ATOAARNIAIZ AIABANOY 
OYPIAMAXIAI 
AMOAARNIAHTZ AIABANOY 


AONIXDI 
ZDIAOZ ZDIAOY 
ZTAAINI 
ZDIAOZ IRIAOY 
ANHMOYKAIKPONIONOZ 
KATAPAAT HI 
MENEZ®EYZ MENET®ENZT 
AKONTI AI 
EPTITONOZ EPITONOY 


TOZaI 


45 


20 


25 


30 


a 


vom 8. December 1859. 


MHTPOARPOZ AMOAANPANOY 


OPAOMAXIAI 
MENEKAHZ ®IAOKPATOY 
®YPEAMAXIAI 
MENEKAHZ ®B1AOKPATOY 
AONIXRI 
ZNIAOZ ZDIAOY 
ZTAAIDI 
ZNIAOZ ZDIAOY 
EMBOAIMOY 
KATAPAATHI 
BINRN ZDIAOY 
AKONTI.AI 
AMTATOYPIOZ MINNIQNOZ 
TOZ2I 
NEQN AIRNNOZ 
OMAOMAXI AI 
MENEKAHZ ®B1AOKPATOY 
®YPEAMAXIAI 
APIZTIMOZ ONAZANAPOY 
AONIXRI 
ZDIAOZ ZDIANOY 
ZTAAINI 
ZDNIAOZ ZDIAOY 
I. 
MENEKAHZ ®1 AOKPATOY 
&®YPEAMAXIAI 
MENEKAHZ BIAOKPATOY 
AONIXRI 


INIAOZ IQIAOY 
53* 


743 


744 Gesammitsitzung 


ZTAAINI 
INIAOZ ZQIAOY 
EMBOAIMOYTPITOY 
KATAFTAATHI 
10 AHMAINETOZ AHMAINETOY 
AKONTI2I 
AMOAARNIAHZ AIABANOY 
TOERI 
ANEZANAPOZ IEAIOY 
15 OMAOMAXTAI 
MENEKAHZ BIAOKPATOY 
®YPEAMAXIAI 
PNEPIFENHZTEPIITENOYEPEZIOZ 


AONIXLRI 
.20 ZDIANOZT ZDIAOY 
ZTAAINI 
ZDIAOZ ZDIAOY 
EMBOAIMOYTETAPTOY 
KATAPAATHI 
255 NERQN DSINNOZ 
AKONTIRI 
AAEZANAPOZ IZEOY 
IDENRI 
AHMAINETOZ : AHMAINETOY 
30 OPTAOMAXIAI 


MENEKAHZ BIAOKPATOY 
QOYPEAMAXIAI 
AMTOAAQNIAHZ AIABANOY 
AONIXRI 
35 ZDIAOZ ZDIAOY 
ZTAAINI 
ZDIAOZ ZRIAOY 


vom 8. December 1859. 


Erste Tafel (II). 


[Monatsname] . 
[zaremerrn]- 
[&zovriw]- 


[re&e]- 
[örrouexie]‘ 


orte) 


"ArorAwvidys Araıpavou 
Öorryw 
ZwiAog ZwiAovu 
’ 
aradın" 
Zwi.og ZwiAou 


> \ m 
Kuavolınvos zu) "Ararouguvos“ 


’ 
AATAaTaATq" 


Newv Alwvos 
arovriw" 

Biwv ZuiAovu 
vogu 

AwsiSsos AwsıSiou "AreZavdg(evc) 
Orronayia 

Mevezids PıAozgarou 
Dupeanayia" 

Aroyzvys "Aoxıwou 
doriyw" 

Zwirog Zwirov 
aradin" 

Zwi.06 Zwirov 

Tlosıdesivog* 

zaremarrn 

Anueiveros Aruawerou 
Arovrin 

“Hoazrsidys “HoazAsidou 


weh 


745 


746 


Gesammtsitzung 
SODACE rıos Topyiou 
ÖmAoneyId" 
Meveriys Piroxgarov 
Supeapexia' 
"ArorAwviöns Asapavou 
doriy,w" 
ZwiAog Zwirov 
orediw" 
ZunAog ZuiAov 


Zweite Tafel (IV). 


[Ayvawvos]‘ 
[kerererrn] 
[&#ovriw]‘ 
[r°&»] 
[örroRa Xi] 
Mevs#Ans Biroxg[«rov] 
Sugernal[xXie]' 
’ArorAuviöns [A:&pevov] 
dorryw" 
ZwiAos [Zwa]o[v] 
[srediw]: 
’Amorrwviöns [A:apavov] 
[AJSelsrng@vos]" 
[karararrn]" 
Myrgodwgos [AroAroBavov] 
[&#ovriw]" 
Biwv [Zwirou] 
[re] 
Bopoyeimeii.umast wen 2 0) Bar 
[6 mrouayie]' 
Mevs#Ays [Bıroxgarou] 


[Svgeaneyıe]' 


er 


vom 8. December 1859. 747 


" MevsrAfs [Biroxg«rov] 
Sorry w 
ZwiAos ZuiAou 
1: 
oradın 
ZuwiAog ZwiAou 
Tavpswvos* 
zarencar[n]- 
Meverrds ®iRoxg«[rovu] 
arovrin 
Ilszuyevrs Hegıyevo[u ’Epesios] 
roEu" 
( 
Mevezrys ®irozol[arov] 
örronnyile]' 
Mevezrds Pıroxs[erov] 
- FRE 
Sugsancey[iz] 
’Eriyovos "Erıyov[ov] 
doriyw* 
FI ’ 
Aruaiweros Aruaw]erov] 
aradım" 
’ArorAwviörs Arapav[ou] 


Dritte Tafel (I). 
[Karepaısvos]‘ 


[zerezarrn]" 
euere een et ae 
[&zovriw]: 


[r&o]' 


[örroueyxie]" 
’Arorrwviölr]s Arebavov 
Suele]euexie’ 
’AroAAuvidng Araıbavou 
doriyw* 
Zwiros ZwiAov 
sradıw“ 


ZuiAog ZwiAou 


748 Gesammtsitzung 


[Mjevsuov zu Kooi[a]vos 


Haramarın 

MevsorSeüs Mever$wus 
arovriw 

’Ertyovos ’Erıyovou 
row 

Myrgodwgos ’Arorr[o]pavov 
ÖmAouEy ta" 

MevezAfs BiAozgarov 
Supeauayia: 

Mevexrüs BiAoxparou 
dorixw* 

ZwiAos ZwiAou 
eradıw 

ZuwiAos ZwiAov 

zußoriuov 

zaramanry' 

Biwv ZwiAou 
dxovriw* 

"Arwrougios Mivviwvog 
roEyr 

Newv Alwvos 
OmAo Mryig 

MevszArs BiAozperov 
Supsapaxig* 

"Agiotunos ’Ovasavögou 
dorı“ Au 

ZwiAos ZwiAou 
eradiw" 

ZwiAos ZwiAovu 


Vierte Tafel (II). 
[Emßorruev Seursgou] 
[zarararrn]' 
[&#ovriw] 


“nn. a she . 2 ern e 


vom 8. December 1859. 749 


[ro] 
[örronexie]‘ 
MevezAns BiRozoarov 
Supsapayia' 
MevszAYs PiRozgarov 
doriyw" 
ZuıAos ZwiAou 
oradın" 
ZwiAos ZwiAov 
zußoAtaov Felrou" 
KaTamaATy" 
Ayueiveros Anpawerou 
drovriw" 
’ArorAwviörg Arabevov 
roßw 
"ArtEavögos Iraiov 
ÖmAoMay sg" 
Meverrns Biroxgerou 
Dupeapaxyig' 
Ilegeyzvns Heguyevou ’Eperios 
dorıyw 
Zwiros Zuidou 
oradın 
ZwiAos ZwiAov 
zußormov Tereigrou‘ 
zaramanıı 
Newv Atwvos 
Kxovriu 
"ArzEuvögos Ireou 
, 
roEw 
Ayuaiveros Aymawerou 
Ömropayia 
Mevs#rHs BiAozgarou 
Tupsauayig 
"AroArwvidns Arahavou 


doriy,w 


750 Gesammtsitzung 
Zuiros ZuwiAou 
oradın 
ZwiAos ZwrAou 


Es ist zunächst klar, dafs hier ein Verzeichnils vorliegt, 
welches die Vorkomnisse eines ganzen Jahres enthält. Obwohl 
nun die Tafeln sämmtlich oben, wie es scheint, in ziemlich glei- 
cher Höhe, abgebrochen sind und n. IV. bei N. auch am rechten | 
Rande sich als stark beschädigt darstelit, so genügen doch die 
vorkommenden Monatsnamen combinirt mit dem, was wir sonst 
von der Reihefolge derselben im Kalender ionischer Städte, na- 
mentlich aus den Inschriften von Kyzikos, wissen, um die Ord- 
nung zu bestimmen, in der sie neben einander aufgestellt waren 
und zu lesen sind. Zunächst ist klar, dafs II. in der That die 
Fortsetzung von I. bildet. Denn da wir auf jener Z. 23 Zußo- 
Alnov, auf dieser Z. 8 Zußorinou Tarrou und Z. 23 Zu ßormov TE- 
ragrov haben, so fehlt zwischen beiden der Zußormos deursgos 
und nur dieser, wodurch sich zugleich die Höhe des von II. 
oben verloren gegangenen Stückes bestimmt. Beide Tafeln zu- 
sammengehalten geben nunmehr aulser dem letzten Theile des 
Verzeichnisses eines zunächst unbekannten Monates, dessen erster 
Theil durch den Bruch des oberen Randes von I. verloren ge- 
gangen ist, die Listen der Monate Panemos, Kronion und vier 
sich an den letzteren anreibender Schaltmonate. Der Kronion 
war bisher nicht bekannt; dafs er der letzte Monat des Jahres, 
wenigstens bis zur Zeit der vorliegenden Inschrift, war, geht aus 
dem Umstande hervor, dals nach ihm eingeschaltet wird; denn 
wo man nicht, wie zu Athen, in der Mitte des Jahres nach 
dem Posideon einschaltete, kann dies nicht anders als am Ende 
des Jahres geschehen sein. Vor dem Panemos ging im Kalender 
der ionischen Staaten der Kalamaion her, wie aus der kyzikeni- 
schen Inschrift C. I. II. n. 3663 feststeht. Dieser Monat also 
war auf dem verloren gegangenen oberen Theile von I. genannt, 
und wiederum nur er, schon deshalb, weil es wahrscheinlich ist, 
dafs die Tafeln von gleichem Formate, wie nach der Breite, so 
auch nach der Höhe, gewesen sind. Von den beiden anderen 
Tafeln bietet III. aulser den Resten des Verzeichnisses eines 
vorhergehenden, unbekannten Monates die Listen der Monate 


vom 8. December 1859. 751 


Kyanopsion, Apaturion und Posideon, IV. aufser einem ähnlichen 
Reste oben die Listen des Anthesterion und Taureon. Hierdurch 
wird zunächst die Stellung des Taureon, welche bisher nicht 
bekanut war, bestimmt und zugleich ein Irrthum beseitigt, indem 
man früher einer täuschenden Analogie zu Liebe den Artemision 
vermuthungsweise hinter den Anthesterion zu stellen pflegte. 
Da nun zwischen dem Posideon und dem Anthesterion nur der 
eine Lenaion lag (Inschrift von Kyzikos n. 3665), so ist klar, 
dafs nicht nur IV. wirklich die Fortsetzung von III. ist, son- 
dern auch, dals durch den Bruch des oberen Randes von IV. 
eben nur die erste Hälfte des Verzeichnisses des Lenaion und 
weiter Nichts verloren gegangen ist. Es ist ferner klar, dafs 
IH. und IV. vor I. und Il. gehören und die noch fehlenden 
drei Monate vor den Kyanopsion fallen, folglich die Listen der- 
selben vor III. gestanden haben. Da auch diese Tafel im For- 
mate sich von den übrigen kaum unterschieden haben wird, so 
kann am Anfange derselben durch den Bruch nicht mehr als die 
Hälfte der Liste des letzten von denselben verloren sein, und 
die Listen der beiden übrigen müssen sammt dem einleitenden 
Texte, der den Listen nothwendig vorausgeschickt war, auf einer 
fünften, verloren gegangenen Tafel, der ersten der ganzen Reihe 
überhaupt, gestanden haben. 

Hieraus ergibt sich für den samischen Kalender, dafs bis 
zur Zeit unserer Urkunde das Jahr, wie in Athen, mit der Som- 
mersonnenwende begann, dals die Einschaltungen am Ende des 
Jahres und nicht in der Mitte erfolgten, und dafs die Monate 
der Samier in Übereinstimmung mit dem Kalender anderer ioni- 
scher Staaten in folgender Ordnung den attischen entsprachen: 


Athen. Samos 
Erna rs eame 201 zeuniuen 
D Maayerv 9 een” 
3. Bonögo Bader. 1 nn 
4. Ilvavalınv Kuavoıvv 
5. Mamezrnguv "Ararovgmv 
6. Iorsdcwv Tlosıdauv 
7. Tamm [Anvawv] 

R,, SA vIerrygev "AvSerryguwv 


752 Gesammitsitzung 


Athen. Samos. 
9. ’ErapyBorwv Tavpewv 
10. Movvuxuwv [Karaneızv] 
11. OnpynAmv IIevruos 
12. Szugopogıwv Koovıwv 


Einer der fehlenden Monate wird der ’Agrsuisiwv gewesen sein. 
Übrigens muls man in dieser Zeit in Samos mit der Zeitrech- | 
nung in arger Verwirrung gewesen sein, wenn man sich im 
Jahre der Inschrift genöthigt sah nicht weniger als vier volle 
Monate einzuschalten. ') 

Die Urkunde gehört, nach dem Charakter der Schrift und 
anderen Umständen zu schliefsen, der makedonischen Periode, 
dem dritten oder zweiten Jahrhunderte vor unserer Zeitrech- 
nung, an. Sie gibt ein Verzeichnils der Epheben, welche wäh- 
rend des Laufes eines bestimmten Jahres bei Gelegenheit der in 
der Regel monatlich veranstalteten Agonen in den Übungen, 
welche in den Kreis der gymnastischen Ausbildung nach dama- 
ligen Vorstellungen fielen, Preise davon getragen hatten. Wenn 
unter den Preisträgern zweimal (II, 17 und IV, 27) ein Ephe- 
sier und einmal (III, 13) ein Alexandriner erscheint, so sind diese 
als Ausländer zu betrachten, die durch irgend welche Umstände 
ihre Ausbildung in den Gymnasien von Samos zu suchen genö- 
thigt oder veranlalst waren. Die Gegenstände des gymnastischen 
Unterrichtes und der monatlichen Prüfungen, welche in fester 


1) Es hält freilich schwer zu glauben, dafs man es in irgend einem 
griechischen Staate je bis zu einem solchen Grade von Verwirrung habe 
kommen lassen; denn es würde dies voraussetzen, dals eine längere Reihe 
von Jahren hindurch jede Einschaltung unterlassen worden war. Ich halte 
daher eine Vermuthung für höchst beachtenswerth, welche Hr. Geheime- 
rath Boeckh mündlich gegen mich ausgesprochen hat, man habe zu Sa- 
mos gerade im Jahre unserer Urkunde, welches zufällig ein Schaltjahr ge- 
wesen, aulserordentlicher Weise noch drei Monate eingeschaltet, um auf 
den Anfang des makedonischen Jahres zu kommen (24. September), wel- 
chem sich in dieser Zeit die kleinasiatischen Staaten allgemein anbequemt 
zu haben scheinen. Hieraus würde sich zugleich erklären lassen, weshalb 
der erste der Schaltmonate einfach als &ußoXınog und nicht als ZußoAunog 
zpürog bezeichnet wird. 


vom 8. December 1859. 753 


und sich stets gleichbleibender Ordnung aufgezählt werden, wa- 
ren I. Übung im Gebrauche der Schulswaffen, und zwar a) der 
Wurfgeschütze, b) des Handbogens und c) des Wurfspeeres; 
I. Übungen im Gebrauche der Schutzwaffen und im Fechten 
mit ihnen, und zwar a) der gewöhnlichen Hoplitenrüstung (&r%c- 
M&xXie), b) des grolsen, Sugeos genannten, Phalangitenschildes 
(Sypeanayia); II. Übungen im Laufe und zwar a) dem Doli- 
chos, b) dem einfachen Stadion. — Neue Namenformen sind 
meines Wissens "Agisrıuos (I, 33) und Mwwwv (I, 27). Bemer- 
kenswerth ist die Schreibart ’Istov für "Irasov (11, 27). 


2. 


Papierabdruck. Die Buchstaben sind zwar auch hier mit 
Bleistift ziemlich derb nachgezogen, die Zeichen waren aber so 
tief gehauen, dafs die Eindrücke auf der Rückseite noch zum 
Theil deutlich hervortreten und eine Controlle möglich machen. 


OAHMOZOZAMINNFNAIONAOMETION 
FNAIOYYIONTOYAOOENTOZYTTOTHZ 
ZYNKAHTOYTTATPQNOZTNRIAHMQI 
YTTEPTETQRNKATATOIEPONTHZAPTEMIAOZ 
5 THZTAYPOTTOAOYAPETHZENEKEN 
THZEIZ EAYTON HPHI 


BIAOTEXNOZHPRIAOYETTOIEI 


- / m , 
‘Oo Ö7uos 6 Zanıwv Tvarov Aoneriov, 

’ 4 -» N.@/! 1 6 
Tvamoy vicv, Toü doSevros Umo TuS 

’ ’ Er , 

FUVAINTOoU Rargwvos FW On um 
e ’ n x x [3 x - > ’ 
Umsg TE FuV Aare Fo lepov TuS Aprenıdos 
- !. > Er 4 
Ts Tavoomorov, wgerns evexzev 


m E) € \ 7 
Trs eis eaurov Hon. 

’ ’ 
Biroreyvos') ‘Howdov Eroscı. 


& 
‘) In den bisherigen Verzeichnissen griechischer Künstler wird dieser 
Name vermilst. 


754 Gesammtsitzung 


Diese Inschrift stand auf der Basis einer Bildsäule, welche 
der Demos von Samos dem Gn. Domitius Gn. fil. errichtet 
batte und als deren Verfertiger sich am unteren Rande Philo- 
technos des Herodes Sohn zu erkennen gibt. Das Denkmal ge- 
hört offenbar der letzten Hälfte des zweiten, oder der ersten 
des ersten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung an; welcher 
aber von den Gn. Domitii Gn. fil., die aus dieser Zeit bekannt 
sind, unter dem hier genannten zu verstehen sei, vermag ich 
nicht zu sagen. Ebenso ist mir der genaue Sinn der Worte 
2.53 Umeg TuV ara TO iepov TuS "Agreudos Ti Tavgomorov') un- 
zugänglich. Gemeint scheint das Heiligthum der Artemis Tau- 
ropolos auf der benachbarten Insel Ikaros, welche sich wenig- 
stens zu Strabos Zeiten im Besitze der Samier befand (XIV, 639 
vuvi 1aEvros Asımavdgourav Eamıoı veuovrat Ta Tora Bosznmarwv 
egw). Vergl. a. a. O. Earı de mar "Apremıdos iepöv zaAoune- 


m ’ 
vov Tavpomorıov ev ry vnow (Ikaros). 


3. 


Mit Bleistift nachgezogener Papierabdruck. Die Schrift muls 
sehr flach gehauen gewesen oder die Oberfläche des Steines 
jetzt sehr angegriffen sein, da die Rückseite keine Spur von Ein- 
drücken zeigt, auflser denen, welche die scharfe Spitze des nicht 
diskret gehandhabten Bileistiftes hinterlassen hat. Eine Controlle 
der Lesart ist deshalb unmöglich; doch ist gewils, was auch 
nicht Wunder nehmen kann, dafs Hr. Newton sich mehrfach 
geirrt hat. Im folgenden Texte sind auch die Punkte gegeben, 
mit welchen Hr. Newton, freilich nicht consequent, die vor- 
handenen Lücken bezeichnet hat. 


(Den Text siehe auf der folgenden Seite.) 


„une rssY]ywvoere "Apgelr ons Kor:...0., 
[EXoenyolo[v maıd jur auryrars "ArzEavölgos]. 
ERRLR: ro[v, Kar ]asrearos Mae[vSiw]vos- 


*) Die Buchstaben PEPTETR (oder O; von dem folgenden N ist 
nur der rechte Schenkel noch sichtbar) KATA treten auf der Rückseite des 
Abdruckes deutlich hervor und verstatten kaum einen Zweifel an der Rich- 
tigkeit der Lesart. 


vom 8. December 1859. 


10 


15 


PATQ.NFTN NOOETEIAPXENO AIIKP. 

Ya: SBRENBAVAHTNMNEBAELRANZ „I 

TO: ”. FERIEIPATDEMERATE. :.NOE 
AAEE..APOXZ ANAPQANAYAH.TAIZ 
AMIZANAPONIKO . EEAKE ZT ALIKAAIAPRIO 


A EEAKEZTAEZ TPATD ARDNKAIKQM RD AQDN 
AIOZOITLOYZRZIBIOTZGBIANO EENOY ENIKA 
PAFQNAQNNEPFAIDTEKAMR2 AD NENZIBIOE 


B2:: 


.OT@RS BOSEIT,E 1 ARKHAA=. 

T.1.Ol..OY XOPH OYNTTAAQN 

AYAHTAIZNIFTOAAOZ APTEMQNOZT 
IENIAAOZZAT. ..YPOYEN IKAMIKO.... 
OZANAPNNAY.AHTAIZ BP I AOKAHE 
ZDOT 2 NOG23 ETHAINETOZ ZA ET.E-MIAOZ 
ENIK AETTAINETOZTPAFR AQD N KAIKNMR 
AN NETIFONOZA.ON O ZOE MZE.QDN 
.TIAOZ E N IKAETITO N OZ 


wv 
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> 
Evou’ Evina 


x 
’ 


> 
WV UA 
wv zu zwuw 


m 
- 


zvıza| Arzz| av looos® av 

>» 4 > :E dg E) dg 

[Avyölerıs "Avdocvizo[v]; ’EEazestäs Kadkı.... 
[viz]« "EEazerräs Teaywö 

[EoyJaios Oirov, EZwrißıos BiroE 

[rkaywssrv "Eoyalos, zuawonv Zurißıos. 


756 Gesammisitzung 


ER A]lyloJvoSire "Arzıeölrs "Orv]- 
[r]r:0[8%2]ov; [E]xoor[yJovv re[: ]Swv 
auryTais N:[z]oA@os "Agreuwvos, 
[M]sv[e]aos Zw[]vgov ävize [N]ıx0[A@]- 
05° avöguv würyrais BırozAns 
Surf: Jwvos, "Eraweros "Agremö[wgou]" 
dvine ’Eraiveros reaywöav zer zwpw- 
düv "Emiyovos ’A..ovos, OsuliJewv [Erex]- 
[7]r30s° Zvize ’Eriyovos. 


Diese choregischen Titel sind nach dem Charakter der Schrift 
im Allgemeinen und dem Fehlen des iota adscriptum im Beson- 
deren zu schliefsen in die Kaiserzeit und zwar in das erste Jahr- 
hundert oder den Anfang des zweiten unserer Zeitrechnung zu 
setzen. Zu Anfang von Z. 1 und 10 stand in der Lücke beide- 
male der Eponymos des Jahres, wie es scheint in der Formel 
mi roü Öeivos. Von den Namen sind einige Spuren erhalten, 
die indessen eine Ergänzung kaum zulassen. 


Hr. Kirchhoff schlofs seiner vorstehenden Bearbeitung der 
drei Samischen Inschriften noch eine durch Hrn. Samuel 
Sharpe neuerdings ihm mitgetheilte gleichfalls unedirte Inschrift | 
bei. Die Abschrift lautet folgendermalsen: | 


LINNE'OYATPAIANOY 
KAICAPOCCEPAETOY 
FEPMANIKOFYIOY 
CEPACTOYAIOTENHE 

5 ACTTACIOYTO : AIBIENOYC 
ETTOIHCENTO »CTTPOAON 
TOVIEPOYKNTO“OAITOYN 
TOYAWMATOCEYCEPINC 

XAPI: 


vom 8. December 1859. 757 


azu die Bemerkung: “Inscription built into a wall over‘a door 
of a ruined house in a village near Gezer in Samaria, copied 


| \by Joseph Bonomi. 
| 


L AKY erous A Toaıavou 
Kaisegos Beßarrov 
| Tepnavızov viou 
| Zeßasrov, Aroyevys 
Asrarıu rou dıßıevoug 
eroimTssv Tov emıloAov 
FOU LEg0U zu To morıBouv 


Tou Öw Maros, eureßsies 


KagıV. 


ehe first year of Trajan was 421 of Alexander’s death.’ Dies 


ist ein Irrthum, den folgende richtigere Lesart beseitigen wird: 


[Er] Ne[o]ova Toxıevoö 
Kaisagos 32:[P]e[r]r0V 
Tepgnavızoü viod 
3:[E]esroo [Al:oyevr[s] 
"Asrzasiou roü Arloy]evous 
Emoinsev Tov [ea 8]orov 
roü ieooü »[aı] 70...... 
tod [Od ]sueros evre[ß]:[e]s 
y 


AR. 


Für das verlesene Wort am Ende von Z.7 hat sich mir keine 
völlig einleuchtende Verbesserung oder Lesung bieten wollen. 


Das Bureau des longitudes in Paris zeigt den Empfang des 
‚Schlusses der Vorrede zu den akademischen Sternkarten dan- 
kend an. 


[1859.] 54 


758 Sitzung der phys.-math. Klasse vom 12. December 1859. 


An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Report of the 28. meeting of Ihe British Association for the advancement 
of science. London 1859. 8. 

Transactions of the zoological Society of London. Vol. IV, Part 5. 6. 
London 1858. 1859. 4. 

Proceedings of the zoological Society of London. 1857. 1858. 1859, 
Januar— March. London 1857—1359. 8. 

Münchner Gelehrte Anzeigen. Band 48. München 1859. 4. 

von Rudhart, Erinnerungen an Johann Georg von Lori. München 
1859. 4. 

von Chlumecky, Die Genesis der Corporations - Güter der Bauern- 
schaft. Brünn 1859. 8. 

Berliner Astronomisches Jahrbuch für 1862. Herausgegeben von J.F. 
Encke. Berlin 1859. 8. 


12. Decbr. Sitzung der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse. 


Hr. Weierstrals las eine Abhandlung: Beiträge zur 
Theorie der Gleichungen. 


Die Hrn. Braun und Peters werden sich mit dem Hrn. 


mn nn u 


——. 


Dr. Lucke in Folge seines Briefes vom 28. November (Sitzung 


vom 1. December) in Verbindung setzen. 


15. Decbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Ehrenberg las über die mit dem Proteus an- 
guinus (Hypochthon Laurenti) zusammenlebenden 
mikroskopischen Thierformen in den Bassins der 
Magdalenengrotte in Krain. 

Zu den gröfsten Merkwürdigkeiten der Lebensformen, wel- 
che die jetzigen Erdverhältnisse darbieten, gehören eine schon 


Gesammtsitzung vom 15. December 1859. 759 


beträchtliche Reihe von Thierformen, welche ganz allein in licht- 
losen unterirdischen Höhlen leben und sich durch höchst auf- 
‚fallende Besonderheiten ihres Baues sehr auszeichnen. 

Ich habe vor 3 Jahren in den Fortsetzungen des Textes 
‘zur Mikrogeologie Gelegenheit gehabt, den bekannten Verhält- 
nissen der grölseren derartigen Lebensformen auch ein Verzeich- 
‚nils der gleichzeitig an denselben Orten vorkommenden mikro- 
‚skopischen Formen aus der Mammuthshöhle von Kentucky in 
Nordamerika zuzufügen und habe das Verlangen nach Unter- 
‚suchung mehrerer, besonders auch der europäischen Höhlen, in 
‚denen jene grolsen, meist augenlosen Höhlenthiere leben, bisher 
‚nicht befriedigen können. Es lag sehr nahe zu vermuthen, dafs 
"in Verhältnissen, worin so wunderbare gröfsere Thierformen sich 
‚aufhalten und vermehren, wie der Proteus anguinus sammt ande- 
ren Wirbelthieren, und da allein in der Mammuthshöhle von 
Kentucky 12 verschiedene zum Theil ganz augenlose, zum 
"Theil mit sehr unvollkommenen Augen versehene gröfsere blinde 
-Thiere verzeichnet werden konnten, auch mikroskopische Le- 
bensformen besonderer Art, vielleicht in um so beträchtlicherer 
"Zahl, vorhanden sein möchten. 
Die zuletzt von Agassiz und Dr. Tellkampf erweiterte 
-Formen-Übersicht aus der Kentucky-Höhle, welche ich am an- 
‚geführten Orte 1856 übersichtlich zusammengestellt, betrug 2 
blinde Säugethiere, eine Fledermaus und eine Ratte, 2 blinde 
‚Fische, worunter eine Karpfen-Art, 2 krebsartige Tbiere, 2 Arach- 
"niden, 1 Orthopter, 1 Dipteren-Art, 2 Coleopteren, zusammen 
42 Formen, wozu noch 5 mikroskopische weiche Formen ka- 
men, welche Dr. Tellkampf am Orte beobachtet hatte. Von | 
demselben erhielt ich damals auch einen braungelben Schlamm 
der Mammuthshöhle, in welchem ich noch überdiels 15 andere, 
darunter 9 organisebe Formen feststellen konnte. Im Ganzen 


wurden von mir selbst 20 mikroskopische Formen verzeichnet, 
8 Polygastern, 5 Phytolitharien, 1 Steinkern einer Polythalamie, 
2 weiche Pflanzentbeile und 4 unorganische Formen. Die 16 
organischen Formen waren sämmtlich ohne auffallende Beson- 
_derheiten. Sie lielsen sich bekannten weit verbreiteten Gene- 
_ ribus und sogar solchen Arten anschlielsen. 

re 54* 


Go 


760 Gesammtsitzung 


Da nun auch über die Ernährung und ebenso über die 
Fortpflanzung des Proteus anguinus, jenes zuerst bekannt ge- 
wordenen augenlosen, Kiemen und Lungen zugleich führenden 
Salamanderartigen, sonderbar gespreizten, Geschöpfes noch immer 
Ungewilsheiten und Zweifel verschiedener Art obwalten, so habe 
ich aus diesen verschiedenen mir wichtig genug erschienenen 
Rücksichten im September dieses Jahres Gelegenheit genommen 


in der Gegend von Adelsberg in Krain, welche ich auf einer | 


Reise von Wien nach Triest und zurück berührte, einen kurzen 


Aufenthalt zu machen. Ich beschlofs, nicht sowohl die Adels- 


berger Grotte zu besuchen, welche jetzt sehr bequem zugäng- 
lich gemacht ist, aber keine Proteus-Formen beherbergt, als 
vielmehr jene den Proteus führende etwas entferntere und für 
den Besuch des Reise-Publikums nicht bequem gemachte Mag- 
dalenen-Grotte und die Lebensverhältnisse des wunderbaren Am- 
phibiums kennen zu lernen. 

Zwar sind schon und wie es scheint zuerst von Valvasor 
in dessen Werke, welches den Titel führt: Die Ehre des Her- 
zogthums Krain 1689, Nachrichten vom Proteus anguinus, ge- 


geben worden, der solche Thiere „eidechsenartige junge 


Lindwürmer” nennt, deren man ein Paar nach starkem Re- 
gen am Ursprunge des Bela-Baches eine Stunde von Oberlai- 
bach gefunden habe. Auch sind nach Steinbergs Nachrichten 


vom Zirknitzer See 1758 bei einer Überschwemmung der Ge- 
gend von Kleinhäusl im Jahre 1751 fünf Exemplare eines wei- 
[sen spannenlangen Fisches in der Unz gefangen worden, der 
4 Fülse, daran aber nur 4 Zehen hatte und dessen Schwanz 


ze 


dem einer Flufsruthe glich. Ferner wird in Schoenlebens. 
Beschreibung des Zirknitzer Sees auch von weilsen Fischen mit 


4 Fülsen berichtet. Hr. Schiner, welcher diese älteren Nach- 
richten in Dr. Adolph Schmidls Höhlenkunde des Karstes, 
Wien 1854, gesammelt hat, erwähnt dafs Michahelles vermu- 
ihet, Steinberg habe junge Mäuse oder Ratten vor sich gehabt.') 


’) Die Stelle in Steinbergs Werke von 1758 lautet p. 197: „Bei 
einer solchen Wasser-Ergielsung und dessen grolsen Ausbruch, hatim Jahre 
1751 Primus Sicherle einmals in dem Unziluls 5 unbekannte Fische in 
seinem Hamen gelangen, welche einer Spannen lang, von schneeweilser 
Haut und ihr Schwanz ist grölser als wie einer Ruthe ihrer gewesen, diese 
haben jeder 4 Fülse und an jedem derselben 4 Zöhen mit Nägeln gehabt 


vom 15. December 1859. 761 


Der erste Schriftsteller, welcher diese Höhlenthiere und 
zwar zuerst Proteus anguinus in wissenschaftlicher Form er- 
_ wähnt, ist der Naturforscher und Arzt Laurenti in seiner 
Synopsis Reptilium von 1768. Er hatte ein lebendes Exem- 
_ plar beim Grafen Hochenwarth zur Beschreibung, das 
unsicher aus einer Wasserlache oder einem See beim Klo- 
 ster Sittich stammte. Bis zum Jahre 1772 hat Scopoli, 
Professor der Botanik in Pavia, bei seinem Aufenthalt in Krain 
- mehrere Exemplare ebendaher zur Untersuchung gehabt und vom 
Jahre 1795 an wurden dergleichen durch den Baron Zois 
mehrfach lebend gesammelt und beobachtet. Ihre Aufbewahrung 
und Versendung mifsglückte jedoch. Nur Exemplare in Spiritus 
- konnten dem Director des Kaiserlichen Naturalien-Kabinets von 
 Schreibers bis 1801 zur Disposition gestellt werden, nach 
- welchen im letzteren Jahre von diesem eine Monographie ent- 
worfen worden ist, die in den Philosophical Transaction der 
Londoner Societät der Wissenschaften gedruckt erschien und 
zuerst die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese Thiere gelenkt 
hat. Hr. v. Schreibers hatte 5 Specimina erhalten, deren 
gröfstes 13 Zoll lang war. Über die Fortpflanzung und das 
Futter dieser Thiere blieb man im Zweifel. Nur hatte der 
Baron Zois bei einem lebenden Exemplare bemerkt, dafs eine 
grolse Menge kleiner lebender Muscheln der Gattung Helix im 
Glase waren, worin ein lebendes Exemplar einen Tag über ge- 
wesen war. Es frals aber weder diese noch andere Muscheln 
und starb bald. 

°  Cuvier erhielt durch Hrn. v. Schreibers ein Exemplar 
in Spiritus zur anatomischen Untersuchung und führte diese zur 
Vergleichung des ähnlich gebauten sonderbaren Acholotl aus, 
‚dessen Exemplare Alexander von Humboldt von Mexico 
nach Paris gebracht hatte. Cuviers Abhandlung findet sich 
4807 in dem Receuil des observations zoologiques von v. Hum- 
boldts Reise, behandelt besonders ausführlich vergleichend das 
Skelet und hat zuerst ausgebildete Eierstöcke mit Eiern nach- 
‚gewiesen, welche ein weibliches Individuum bezeichneten. Cu- 
"und als man sie aus dem Netze in das Schif gebracht, haben sie angefan- 
gen zu schreien und zu winseln” Das waren also keine Proteus. Val- 
vasors Volkssage vom Lindwurm in jenen Quellen hat auch Steinberg 


p- 209. Die dort häufigen Rutten Steinbergs, s. p. 207, sind Aal- 
- quappen, Gadus Lota. , 


763 Gesammisitzung 


vier sprach aus, dafs der Proteus keine Larve sein könne. In 
der Zwischenzeit hatte Hr. v. Schreibers einige dieser Thiere 


2 Jahre lang lebend erhalten ohne andere Nahrung als frisches ' 


Wasser. Er hielt diese Thiere für Albinos oder Cretins. Cu- 
vier fand auch diese Bezeichnung dahin zu beschränken, dals sie, 
wenn sie Albinos wären, wenigstens es von bis jetzt unbekann- 
ten Thierarten sein müfsten, da sie auf keine bekannte sonst 
palsten. 

Etwas später fand Rudolphi in Berlin bei einem anato- 
mirten Exemplare männliche Geschlechtsorgane, was Confi- 
gliachi anzeigt. 

Im Jahre 1816 war Configliachi, Professor der Phy- 
sik in Pavia, in Krain um diese Thiere zu studiren und er sagt 
in einer 1819 gemeinschaftlich mit Rusconi veröffentlichten 
Monographie, dafs sie sich jetzt nur in der Magdalenen - Grotte 
bei Adelsberg finden, in welcher sie von den Bauern gefischt 
werden, um sie als Seltenheit auf den Markt von Triest zu brin- 
gen, wo man sie für 2—3 Lire (Zwanziger) kaufe. Man hat 
sie gegen 1797 zuerst da gefunden. Der Botaniker Kitai- 
bel, Professor in Pesth, schrieb an Configliachi, dals auch 
in Brunnen in Croatien ihm zweimal bis 5 Zoll lange Thiere 
mit Kiemen vorgekommen, die er nur für Proteus halten könne. 
Solche Formen der Yelabich in Croatien hat neuerlich Hr. Fitzin- 
ger entschieden für Quappen der Salamandra maculosa erklärt. 
Die gröfsten von Configliachi beobachteten waren 12 Zoll, 
die kleinsten von Dr. Pockels beobachteten 4 Zoll lang. Erz- 
herzog Johann hatte in Steyermark eine eigene Grotte ausfüh- 


ren lassen, in der 8 Jahre lang dergleichen kräftig lebten. Rück- 


sichtlich der Nahrung giebt Configliachi an, dafs die Thiere 
Würmer, kleine Bivalven und kleine Schnecken fressen, dafs sie 
jedoch 2 Jahre lang ohne Nahrung leben können. Niemals hat 


er aber die Thiere fressen gesehen. Aus der spitzeren und 


stumpferen Schnautze und aus dem bald gekrümmten bald gera- 
den Darme schlols er auf 2 verschiedene Arten, blieb aber un- 
gewils und gab die Meinung auf, obschon die Nachrichten von 
Kitaibel auch auf verschiedene an verschiedenen Orten leben- 
der Arten schon hindeuteten. 


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vom 15. December 1859. 763 


Neuerlich hat besonders der verdiente Amphibiolog Dr. 
Fitzinger, Custos des Königl. Naturalien- Kabinets in Wien, 
4850 sich für die Anerkennung mehrerer Arten bestimmt ent- 
schieden, nachdem er allein 479 Exemplare, darunter 140 lebende 
von 11 verschiedenen Fundorten zu untersuchen Gelegenheit 
gehabt hat. Die gestrecktere oder verkürzte Form des Kopfes, 
die breitere und schmälere Schnautze, die hinter der Schnautze 
mehr oder weniger ausgebuchteten Seiten des Kopfes, die Form 
des Hautkammes des Schwanzes, besondere Bildung und Rich- 
tung der Kiemen, samt den verschiedenen Dimensionen der Kör- 
pertheile und verschiedenartige Färbung der Haut geben das An- 
halten für Artcharaktere, deren Beständigkeit in den verschie- 
denen Lokalitäten auffallend war. Solcher Lokalitäten sind bis- 
ber 31 bekannt worden, von denen der Director Freyer in 


‘Triest, der vieljährige Custos des zoologischen Museums zu 


Laibach, allein 19 Örtlichkeiten hinzugefügt hat. Die sämmt- 
lichen Örtlichkeiten der 7 Arten des Proteus oder Hypochthon 
nach Merrem beschränken sich ganz allein auf die Grolten Krains 
und Dalmatiens. Alle anderen angegebenen Fundorte sind als 
secundäre Aufenthaltsorte oder als irrige Bestimmungen erkannt 
worden. Die 7 Arten werden von Hrn. Fitzinger 

1. Hypochthon Zoisiü von Rupa, 


2 Schreibersii von Vir, 

8: Freyeri von Kumpole und Potiskavz, 

4. Haidingeri von der Kleinhäusler Grotte, 

5. Laurentii von der Magdalenen-Grotte, 

6. xanthostictus (chrysostictus Freyer) von Beden, 
7: Carrarae von Sigu und der Nareuta in Dalmatien 


genannt und charakterisirt. Wiener Akad. Sitzungsb. 291. 
Auch Dr. Freyer, welcher ebenfalls viele Hunderte die- 
ser Höhlenthiere lebend gesehen und anatomirt hal, ist, wie er 
mir mündlich mittheilte, damit einverstanden, dafs sie als ver- 
schiedene an verschiedenen Orten lebende Arten zu betrachten 
sind, deren Charaktere an in Weingeist aufbewahrten und durch 
Transport gedrückten Formen schwer wieder zu erkennen sind. 
Bei einer einzigen Überschwemmung sind in seiner Nähe ein- 
mal über 100 solcher Thiere auf den Wiesen in Lachen gefan- 


764 Gesammtsitzung 


gen worden, die ihm alle zur Untersuchung kamen und grofsen- 
theils in seinen Besitz übergingen. 

Auch der erste Monograph dieser Thiere, Hr. v. Schrei- 
bers, bei dem ich deren selbst schon 1820 beim Antritt mei- 
ner Reise nach Aegypten in Wien lebend sah, hat Hunderte 
derselben beobachtet und anatomisch untersucht, so wie auch 
Configliachi und Rusconi mit vielen Anderen grolse Men- 
gen dieser Thiere zergliedert haben. 

Dafs schon Cuvier bei seinem Exemplar aus den Quellen 
von Vir bei Kloster Sittich glänzende Haut-Pünktchen erkannte, 
welche sich an den Charakter des 4. xanthostietus anschlielsen, 
ergiebt sich aus seiner Abhandlung. 

Entwickelte Eierstöcke sind bei Weibchen schon öfter ge- 
sehen worden, aber reife Eier, oder lebend zu gebärende Junge 
hat man noch niemals in den Eileitern gefunden. Neuerlich 
hat Professor Hyrtl 1850 (S. Fitzinger p. 303) am Ende 
des Eileiters eines Weibchens eine Drüse gefunden, wie sie _ 
nur bei den eierlegenden nackten Amphibien und einigen Fi- 
schen vorkommen und ist daher der Meinung, dafs diese Thiere 
nicht lebendig gebären, sondern eierlegend sind. Director 
Freyer theilte mir mit, dafs man gesehen haben wolle, wie 
zwei sehr dünne, nur fingerlange Junge über Nacht todt neben 
einem älteren Exemplare im Wasser gelegen, worin man dieses 
isolirt hatte. Er bielt es für ausgebrochene Speise und meinte, 
die Alten frälsen wohl die Jungen. 

Die kleinen Muscheln, welche man ehemals als Helices 
und Lumache für die Speise des Proteus hielt, gehören nach 
Rofsmälslers und Freyers Bestimmung zur Gattung Cary- 
chium, von welcher Hr. Freyer 2 Arten unterscheidet, die in 
den Höhlen leben, aber selten sind. Die zuerst bekannt gewor- 
dene hat Rolsmälsler Car. spelaeum genannt. Die Führer 
nach der Grotte, von denen ich einen lebenden Proteus kaufte, 
kannten kein annehmbares Futter für die Tbiere, sondern em- 
pfablen nur vou Zeit zu Zeit Brunnenwasser zu erneuern. Der 
jetzige Kaufpreis war 5 Gulden (3% Rthlr.), ich kaufte jedoch 
für 3 Gulden (2 Rithlr.) ein Stück. 

Über die Verhältnisse der Grotte scheint mir Folgendes 
vorauszuschicken. 


vom 45. December 1859. 765 


Ich fuhr am 25. September mit der Eisenbahn von Triest 
bis in die Nähe von Adelsberg, nahm daselbst im Gasthofe zwei 
Führer mit Fackeln und ging mit diesen nach der etwas über 
eine Stunde entfernt im Walde liegenden, nur zu Fuls zu er- 
reichenden Grotte in der Nähe der kleinen St. Magdalenen-Ka- 
pelle. Ich hatte ein grölseres Fangnetz, eine Flasche zur Auf- 
nahme des Fanges und ein Thermometer bei mir, wie schon 
Professor Configliachi im Jahre 1816 sich ähnlich einge- 
richtet hatte. 

Die Richtung des Weges war von Adelsberg nordwestlich 
mit nur geringem Aufsteigen, links von der Chaussee abbiegend, 
im Walde hin. Der Eingang zur Grotte war eine trichterför- 
mige Einsenkung, deren südlichen Rand eine senkrechte Kalk- 
steinwand bildete, während im Norden, Osten und Westen der 
Trichterrand allmälig abfiel.e. An der senkrechten Felswand im 
Grunde des vielleicht 40 Fuls tiefen Trichters war die nach 
Norden sehende Mündung der Höhle so hoch, dafs man in ihr 
aufrecht stehen konnte. Im Jahre 1819 sollen 50 Stufen zu 
ihr hinab geführt haben, die nicht mehr deutlich sind. Eine 
eisige Kälte strömte aus ihr entgegen. Das Thermometer war 
leider unbrauchbar, da das Quecksilber getrennt war und sich 
nicht wieder vereinigte. Die obere Luft am Rande des Trich- 
ters mochte wohl dieselbe Temperatur von 12° Reaum. haben, 
welche Configliachi 1816 im August fand, aber die innere 
Kälte schien eine niedrigere als 9° R., was Gonfigliachi an- 
gegeben hat. Nach Schmidl hatte am 16. September 1850 
das Innere der Grotte, bei 11° äulserer Lufttemperatur, nur 5,6° 
und das Wasser 5,9. Nachdem am Eingange Feuer gemacht 
war und die Fackeln angezündet worden waren, wurde unver- 
züglich abwärts gestiegen. Der Abfall war sehr steil, schlüpfrig 


und auf grobem Geröll. Den Abfallswinkel taxire ich zwischen 


30 und 45°. Einer der Führer ging mit der Fackel voraus, der 
andere hielt mich am Arme und wir folgten langsam oft aus- 
gleitend auf dem thonigen schwarzen und nassen Boden. Bald 


hörte ich in der Tiefe das Rauschen eines Wassers. Die Füh- 


rer bezeichneten es als das der Poike, welche sich bei Adels- 


‚berg in die dortige, die sogenannte Adelsberger Grotte stürzt 


und unterirdisch westlich weiter zur Magdalenen-Grotte zu flie- 


766 Gesammitsitzung 


[sen scheint. Nachdem wir vielleicht 300 Fuls abwärts gestie- 
gen, ward das Tosen des Wassers immer stärker und schien 
bedeutend näher gerückt, doch war es offenbar noch in ansehn- 
licher Tiefe, welche die Fackeln nicht erleuchten konnten. 
Tiefer hinab zu gehen schien den Führern nicht rathsam. Wir 
bogen rechts, also westlich, ab und gelangten an eine Stelle, wo 
die Höhlendecke weniger hoch war und sich ein Wasserbassin 
von sehr klarem und ruhigem Wasser erkennen liels. Die 
Fackeln vermochten nicht die Ausdehnung zu überleuchten. 
Hier sollten sich die augenlosen Höhlenthiere aufhalten. Ich 
liefs das Wasser beleuchten, sah aber kein Thier. Die Führer 
erklärten, dafs es auch immer für sie nur ein Zufall sei, solche 
Thiere zu fangen. Sie gingen wohl zuweilen 4- bis 5mal in 
die Grotte. Alles Leuchtens ungeachtet lielsen sich auch keine 
anderen Lebensformen erkennen, besonders auch keine kleinen 
Muscheln, Würmer, Käfer, Spinnen, nach denen ich suchte. Der 
Grund des Wassers war ein sehr feiner schwarzgrauer Schlamm, ° 
welcher sich sehr leicht aufrühren liefs und das Wasser sogleich 
ganz trübte. Die Temperatur des Wassers war noch niedriger 
als die der Luft der Höhle, indem es die eingetauchte Hand 
noch mehr erkältete. 

Von da stiegen wir aufwärts zu einem wohl um 100 Fuls 
höher gelegenen zweiten Bassin, wo genau dieselben Verbält- 
nisse statlfanden. Es war ebenfalls eine ruhige sehr klare Was- 
serfläche mit schwärzlich thonigem Grunde, der in geringer Ent- 
fernung so tief wurde, dals er nicht beleuchtet werden konnte, 
auch zog sich das Wasser hinter überhangende und buchtige 
Felsen so weit fort, dals die Ausdehnung nicht zn beurtheilen 
war. Die Führer erklärten beide Wasser-Bassins für vielleicht 
stundenweit (?) ausgedehnte Flächen. Es gab noch aufser diesen 
beiden rechterseits in verschiedener Höhe vorhandenen Seen einen 
linkerseits gelegenen, zu dem ich mich der zu kalten Luft und 
Erhitzung beim Steigen halber nicht führen liefs, zumal auch 
hier der Fang eines Proteus als sehr unsicher geschildert wurde. 
Ich überzeugte mich nun noch durch die vorhandenen Schlamm- 
Ablagerungen, dafs das Wasser der Bassins vor Kurzem höher 
gestanden hatte als jetzt, mithin veränderlich war und die Füh- 
rer erklärten den jetzigen Wasserstand für einen noch ansehn- 


vom 15. December 1859. 767 


lich hohen, welcher bei weiterem Zurücktreten dem Besucher 
tiefer in die Seitenhöhlen einzudringen erlaube und dann auch 
leichter Gelegenheit zum Sehen und Fangen des Proteus gebe, 
dessen früher gefangene Exemplare sie mir bei der Rückkehr 
nach Adelsberg käuflich anboten. 

Ich nahm nun wie beim ersten Bassin so auch beim zwei- 
ten eine Probe des feinen Bodenschlammes aus dem Wasser und 
dem von diesem kürzlich verlassenen Boden und erstieg mühsam, 
von den Führern gestützt, den steilen schlüpfrigen Abhang zum 
Ausgang der Höhle. 

Der Eindruck dieser unterirdischen Wasserbassins in ver- 
schiedener Tiefe samt dem in noch gröfserer Tiefe rauschenden 
Flusse, welche Gesammittiefe Professor, Configliachi 1816 auf 
220 Klafter angeschlagen hatte, ist weder ihm noch mir mels- 
bar gewesen. Ich glaube nur etwa 300 Fuls tief eingedrungen 
zu sein und schätze den unten rauschenden Fluls für weniger 
tief als noch einmal so viel, da die Gewölbe das Getöse offen- 
bar verstärken. Sehr auffallend. und bisher nicht hervorgehoben 
erschien mir die Etagenbildung. Zwar ist auch von früheren 
Beobachtern, namentlich von Steinberg 1758 und Hacquet 
(Oryctographia carniolica 1768) schon bemerkt, dals zuweilen 3 
Höhleu, wie bei Lueg, über einander sind, jedoch sind diese 
Höhlen mehr als Erdstürze betrachtet worden. Mir blieb der 
Eindruck als sei das oberste Wasserbassin in etwa 200 Fuls 
Tiefe das früheste unterirdische Flufsbett (der Poike?) gewesen, 
welches durch einen Einsturz das Wasser in ein tieferes Bett 
entleert haben mag, aber selbst noch ausgedehnte Wasserbassins 
zurückbehalten bat, die von Zeit zu Zeit durch Tagesgewässer 
anschwellen und überflielsen, wobei denn der Prozeus mit sei- 
nen Genossen in die Poike und in die Wiesen und Seen der 


unteren Ländereien bei Sittich gelangt. Ebenso mag es in der 


f 


zweiten Etage wieder einen Durchbruch zum jetzigen Flufslauf 
gegeben haben. 

Ob aber das unten rauschende Wasser wirklich die Poike 
ist, darüber sind noch immer die Meinungen getheilt. In 
Schmidls neuester Höhlenkunde des Karstes von 1854 ist die 
Magdalenen-Grotte als ein in sich zurücklaufendes Höhlensystem 


_ abgeschlossen dargestellt, dessen Ausdehnung 260 Klafter be- 


768 Gesammitsitzung 


trägt. Die Tiefen sind auch hier nicht gemessen und die zum 
Messen der Höhe der Grotte mitgenommenen mit Wasserstoff- 
gas gefüllten Ballons waren nach p. 206 verdorben. Nach Graf 
Hochenwarts Werke Beiträge zur Naturgeschichte von Krain 
1838 p. 52 soll das Wasser in der Magdalenen-Grotte aus dem 
Zirknitzer See kommen und unter dem Flulsbette der Poike 
queerüber laufen (S. Schmidl p. 109). Nach Seite 110 in 
Schmidls Buche 1854 war die Magdalenen - Grotte seit 1814 
der ergiebigste Fundort für den Proteus. Nach Seite 109 ist 
das Wasser der Tiefe stagnirend, aber beim Hochwasser der 
Poike ist alles überschwemmt, die tieferen Parthieen sind häufig 
ungangbar, alle Gewölbe sind geschwärzt und die Tropfstein- 
gebilde unansebnlich. Das letztere konnte ich bestätigen. Im 
August 1819 wurde vom Rauschen des Poikeflusses, wie ich es 
selbst erfahren habe, in der Tiefe berichtet (Laibacher Zeitung 
1829 N. 73.) und dazu fügt doch Hr. Schmidl die zweifelnde 
Bemerkung: (sic) p. 110. Schon 1850 hatte Dr. Schmidl in 
den Sitzungsberichten der Wiener Akademie p. 470 das Flie- 
fsen des Wassers in der Tiefe geläugnet und die Poike als öst- 
lich davon im tieferen Niveau vorbeiströmend bezeichnet. Wie 
kann es dann aber beim Hochwasser der Poike überschwemmt 
sein? Wie kann es rauschen? Auch Steinberg hörte es. p. 203. 

Wenn das 1758, auch 1819 vom Erzherzog Ferdinand und 
seinen Begleitern gehörte Rauschen des unteren Flusses, wel- 
ches auch ich mit der grölsten Deutlichkeit und Heftigkeit in 
der Nähe 1859 gehört habe, nur periodisch ist und von dem 
höheren, mit. der Höhe einen bestimmten Abzugskanal errei- 
chenden Wasserstande der tiefer liegenden Poike abhängt, so 
würden die unteren, periodisch stagnirenden, Wasserbehälter eine 
dritte Etage über dem jetzigen Flusse bilden und also ein drit- 
tes ehemaliges Flufsbett sein, welches durch Einstürze in tie- 
fere Räume, in das jetzige vierte Flufsbett durchgebrochen ist. 
Man sieht hieraus, dafs die Magdalenen-Grotte auch heut nicht 
hinreichend gekannt ist und dals die hier niedergelegten neuen 
Erfahrungen nützliche Bestätigungen für bezweifelte auch allge- 
- meinere Verhältnisse derselben enthalten. 


} vom 15. December 1859. 769 
Resultat der Untersuchung des Schlammes in wel- 
chem der Proteus anguinus lebt und seine 
Nahrung findet. 


Hr. Director Freyer in Triest hat mir mündlich erzählt, 
dals der Proteus Frosch- und Krötenlaich, Regenwürmer, Kaul- 
_quappen und kleine Schnecken der Gattung Carychium fresse. 
Derselbe hat früher auch Paludina viridis genannt. Dr. 
Schiner, der fleilsige Bearbeiter der Höhlenfauna in Schmidls 
Werke von 1854, hat bei Hrn. Türck, der seit vielen Jahren 
lebende Olme in Wien hält, den Anblick eines Proteus- Mah- 
les genossen. Ein an ein Stäbchen befestigter lange geduldig 
dargereichter Regenwurm wurde hastig verschluckt, wieder aus- 
gespieen und wieder verschluckt (p. 246). Dennoch fragt man 
wohl, wie kommt es, dals man bisher nie einen Regenwurm und 
nur so selten Schnecken im Wasser dieser Thiere, auch niemals 
Froschlaich oder Kaulquappen fand? so dals man all diese ange- 
‚zeigten Nahrungsstoffe unmöglich für die natürlichen halten 
"kann. Zu dem kommt, dals, obwohl über Tausend dieser Thiere 
| bereits anatomirt worden sind, doch niemals ein bestimmter 
- Nahrungsstoff derselben zu bezeichnen gewesen ist. 
| Dagegen ist der Leib dieser biassen durchscheinenden 
_ Tbiere, wie ich mich selbst überzeugt habe, stets auf der Un- 
terseite bläulich wegen des durchscheinenden mit dunkeln Stof- 
fen erfüllten Darmes. 

Ich hatte daher von 3 Punkten Schlammproben mit mir ge- 
nommen und diese selbst von den passendsten Stellen aufge- 
nommen, welche ich theils zur Erläuterung der Nahrung des 
 Proteus dienlich, theils aber auch zur Erkenntnils der bisher 
ww ganz unbeachtet gebliebenen, in gleichen Verhältnissen mit 
Bir lebenden, mikroskopischen Organismen für geeignet hielt. 

Diese 3 Proben eines lehmartigen Schlammes, welcher beim 
Fackellichte schwärzlich, am Tageslichte aber schmutzig braun 
erschien, sind von mir nach der stets geübten Weise in kleinen 
nadelkopfgrolsen Theilchen auf Glimmer ausgebreitet, nachdem 
sie mit Canada-Balsam überzogen worden, in allen ihren Ato- 
men gemustert worden. Es haben sich aus je 20 solcher Ana- 
Iysen, mithin aus 60 von den drei Proben, allmälig 71 organische 


EP 


770 Gesammitsitzung 


Formen erkennen lassen, welche in dem dortigen Schlamm le- 
bend oder todt vorhanden sind. 

Das vorgelegte Verzeichnils enthält 42 Polygastern, 25 Phy- 
tolitharien, 4 weiche Pflanzentheile und 8 anorganische For- 
men. Die organischen Formen und Reste betragen mithin 71 
Arten und geben somit schon einigen Anhalt zur Vergleichung 
der amerikanischen Verhältnisse in der Mammuthshöhle von Ken- 
tucky, aus der nur 32, 16 organische mikroskopische Formen zu- 
gänglich waren, und den Höhlen von Krain, in denen bisher 
im Ganzen 23 Formen bekannt wurden, welche seit 1854 ver- 
zeichnet sind und deren Zahl bis jetzt nur um ein Carychium 
vermehrt worden ist, welches Hr. Director Freyer vom C, 
spelaeum Rolsmälslers für verschieden hält. 

Als besonders bemerkenswerth ist hervorzuheben, dafs die 
bei weitem überwiegende Formenzahl den jetzt lebenden so 
verwandt ist, dals ich sie mit besonderen Namen zu nennen 
keine Anregung fand. 

Die Hauptmasse des Festen des Schlickes ist ein unorgani- 
scher Sand von eckigen Quarztheiichen, als Trümmersand, mit 
vielem Glimmer und vereinzelten grünen Pyroxen-Krystall-Pris- 
men ähnlichen Krystallen. Überdies ist ein ansehnlicher Fheil aus 
weilslichen Rhombenkrystallen von Weitzenkorn oder Spindelform 
gebildet, welcher durch Säure mit Brausen verschwindet. Es ist 
kohlensaurer Kalk. Ebenso verhalten sich seltene kleine tellerför- 
mige Sternchen mit 7, 9 und 11 Strahlen. Ein feinster form- 
loser Mulm liegt dazwischen und scheint thoniger Natur zu sein. 

Die organischen Formen sind mehr vereinzelt in jene Masse 
eingebettet, doch so, dafs in jeder Nadelkopfgröfse der Substanz 
mehrere dieser Formen erkannt werden. 

Ziemlich zahlreich und in gröberen Verhältnissen sondern 
sich beim Schlemmen feine Holztheilchen ab, die sich oft unter 
dem Mikroskop als Fichtenholz durch ihre porösen Zellen be- 
stimmen lassen. Aber auch Dicotylen-Fragmente verschiedener 
Art sind erkennbar und schwimmen auf dem Wasser -Infusum 
des Schlammes. Leicht erkennbar und sehr bezeichnend für 
Fichten-Substanz ist auch der vorgekommene Fichten - Blüthen- 
staub. 


Zu pag. 771 


Verzeichnifs der Thiere und Pflanzen der Karst-Höhlen und Dalmatiens nach Dr, Fitzinger 
Dr. Schiner und Dr. Pokorny. : 
1.2 Tähsigeurze. 


Klasse. Name 


Mammalia Mininpterus Schreibersü Natterer 
Hypochthon Garrarae Fitz. 
Freyeri Fitz. 
Haidingeri Fitz. 
Laurentü Fitz. 
All Schreibersii Fitz. 
xanthostietus Fitz. (chry- 
sostictus Freyer) 


Zoisü 


Anophthalmus Schmidtii 
Sphodrus Schmidtüi Mill. 
Pristonychus elongatus De;. 


Homalota spelaea Erichs. 

Quedius fulgidus Erichs. 

Leptodirus Hochenwartii Schm. 1832 
(Stagobius Troglod. Schiödte) 

Adelops byssinus (Bathyscia) Schiödte 
montanus(Bathyscia)Schiödte 
Khevenmülleri Mill. 

Phalangopsis cavicola Kollar 

Phora aptina Sch. et Egg. 

nz Schmidtü Sch. et Egg. 


Coleoptera 


Insecta 


Orthopt. 
Diptera 


Thysanura Anurophorus stillicidii Schiödte 

Stalita taenaria Schiödte 

: Epeira fusca Walk. 

Arachnoiaee Blothrus spelaeus Schiödte 
Eschatocephalus gracilipes Frauenf. 
Polydesmus subterraneus Schm. 

Bi niopadz Lithobius spec. incerta Kollar 

Niphargus stygius Schiödte 

Tithanethes albus Schiödte 


I spelaeum Rolsmäsl. 


Crustacea 


Mollusca n. sp. Freyer 


Paludina viridis nach Freyer 


I. 


Agaricus (Mycena) myurus Hoffm. 
(Coprinus) petasiformisCorda 
Polyporus velutinus Fr. 


Pflanzen, nach 
Pilze 


Hymenomy- n =, 
2 E abietinus Fr. 
cetes 


Thelephora rubiginosa Schrad. 
sanguinolenta Alb. u. Sch. 
Typhula erythropus Fries 
Gasteromy- Is nigripes Fr. 
cetes Perichaena incarnata P. 


Dermatomyc. Hypoxylon vulgare Link 
Unyollkommene 
Formen. 
Ceratophora fribergensis v. Humb. (= 
Leuzites sepiaria Pers.!) 
Hymenomy- | Xylostroma candidum Pers.? (Mycelium 


cetes des Polyporus Faillantii F r.?) 
Mycelien von unbestimmten Agaricus- 
und Polyporus-Arten 
Gasteromy- (Stemonitis fusca Pers. als gelbes My- 
cetes { celium 
Hypha_ argentea Pers. wahrscheinlich 
das Mycelium eines Agaricus 
Ozonium auricomum Link. 
stuposum Pers. 
Hyphomy- ) Fibrillaria subterranea Pers. 
cetes « subcorticalis 


® subterranea 

y dichotoma 

ö verlicillata 

z setacea simplex 


ä i ind nach 
Diese sämmtlichen Pflanzen sınd na 

Proteus vergleichbaren, ausschliefslichen Höhlebrren 
achtet. Es sind meist unvollkommene Entwicklungen vo 


Ausschliefsl. Zufälli 
Höhlenthiere Kindringifage 


Ort (Troglobia) (71 roglophila) 


Lueger Höhle 

Sign u. Narenta, Dalmatien 
Kampole u. Potiskavz 
Kleinhäusler Grotte 


Magdalenen Grotte 
Vir 


Beden 
Rupa 
Lueg 
Lueg, Adelsb., Magdal. 
Lueg, Adelsb., Magdal. 
Lueg, Adelsb., Magdal. 
Lueg, Adelsb., Magdal. 


D 
„urn ı 


Adelsb., Magdal. 

Adelsb. 

Lueg 

Adelsb. 

Lueg, Adelsb., Maggal. n 

Adelsb. 

Lueg 

Adelsb. 

Adelsb., Magdal. 

Lueg 

Adelsb., Magdal. 

Adelsb, 

Adelsb. 

Adelsb. 

Lueg, Adelsb. 

Lueg, Adelsb., Magdal. 

Adelsb. (leere Schaalen) 
? 


D 
.meanmı 


? u 


Dr. Pockorny. 


Adelsb. - 
Lueg - 
Adelsb. - 
Adelsb. - 
Adelsb. = 
Adelsb. - 
Adelsb. - 
Lueg 5 
Adelsb. r 
Lueg, Adelsb. - 


PRruenaan m 


Lueg, Adelsb. = 1 


Adelsb. = 


Lueg, Adelsb. B 1 
Adelsb. - 1 


Lueg, Adelsb., Magdal. > 
Lueg, Adelsb., Magdal. = 
Lueg, Adelsb., Magdal. = 
Adelsb. = 
Lueg, Adelsb., Magdal, = 


meree 


19 


Dr. Pokorny’s vorsichtigem und offenbar richtigem Urtheil keine, dem 
Andere Pflanzen irgend einer Art sind aber nicht beob- 
der Oberfläche eingedrungener Samen und Keime. 


Summe aus den Karsthöhlen 51. 


Noch andere bis jetzt beobachtete meist augenlose oder schwachsichtige Höhlenthiere u. a. 


Klasse, 
Marnmalia 
Coleoptera 
Insecta 
Diptera 
Mammalia 
Pisces 


Crustacea K 


Il. Europ 


Name, 
Rhinolophus Hippocrepis 
Catops (Adelops?) TroglodytesSchmidt 
al. spec. Melly & 
Erichson 1844 
Adelops Schiödtei Kiesew. Entomolog. 
Zeitung 1850 
Aubei Kiesew. ibid. 
ovata Kiesew. ibid. 


Leptodirus angustatus Schmidt 


sericeus Schmidt 
n. sp. Schmidt 
Anophthalmus Scopolü Schmidt 
Billimekü Schmidt 
hirtus Schmidt 
Hacquetii Schmidt 
Nycteribia biarticulata Herm. auf Rhi- 
nolophus Hippocrepis 


I. 
Vespertilio? 
(a Rattus? 
Amblyopsis spelaeus Agassiz 
I 
pellucidus 


Entomostr. \Triura cavernicola Tellk. 
2 Phalungodes armata Tellk. 
Adrachnoidea 5 = 
Antrobia monmouthica Tellk. 
Orthoptera Phalangopsis longipes 
Diptera Anthomyia —? Tellk. 
Anophthalmus Tellkampfü Erichson 
Coleoptera 
Adelops hirtus Tellk. 
Biddulphia —? fossil? 
Bodo —? 
Chilomonas —? 
; Gallionella —? N3 
N rear 2 
Monas Kol/poda .o 
y aL| 
socialis R=} 
- o° 
Synedra Ulna Al 
Polythalam. Rothsand Steinkern fossil g 
Lithodontium curvatum = 
Phytoli- emarginatum &£ 
ae Lithostylidium oblongum o 
quadratum E 
© 
unidentatum = 
r Pflanzenhaar glatt einfach = 
Weiche Pflanzentheile { 8 5 
gegliedert = 
Krystallprismen grün (Pyroxen?) zZ 


Unorganische Formen 


weils (Quarz?) 
Krystallrhomben (kohlens. Kalk) 
Krystallkugeldrusen (kohlens. Kalk) 


Nord-Amerika 


5 Ausschliefslich 
Ort. stationär. Eindringling. 
Adelsberger Grotte - A 
Adelsberg 1 - 
Sicilien 4? - 
Pyrenäen 1 - 
Provence 1 - 
Bagneres de Luchon is = 
Voleja jama, Inner-Krain, Triest 1 - 
Goba dal Grotte, Unter-Krain 1 - 
Krainer Grotten 1 = 
Grotte bei Setz (Adelsb.) 1850 1 - 
Seleer Grotte bei Gottschee 1846 1 - 
Podleser u. Krimberger Grotte 1 - 
Krimberger Grotte 1 - 
Adelsb. > 
12 2 
1 = 
1 = 
1 o 
1 - 
4 u 
1 - 
1 = 
1 5 
1 - 
1 - 
1 = 
1 - 
1? - 
4? - 
1? - 
A - 
Mammuthshöhle bei Bowling- 1? = 
green in Kentucky 1? 3 
1? - 
1? - 
- 1 
- 1 
- 1 
- 1 
- 1 
- 1 
- 1 
- 1 
- 1 
- 1 
- 1 
- 1 
Ganze Summe 97. TEN a 


u vom 15. December 1859. 771 
% Was die 25 Phytolitharien anlangt, so sind es, mit Aus- 
nahme von nur 4 Arten, Gras-Kieseltheilchen und unter allen 
ist nur eine Form von den bekannten abweichend. Die 4 übri- 
gen sind Spongolithen und schlielsen sich ganz den Kieselnadeln 
der Flufsschwämme an. 

T Von den 42 meist kieselschaligen Polygastern haben sich 
nur 3 bis 4 als nicht auf schon bekannte Formen passend be- 
trachten lassen, 1 Arcella, 1 Difflugia und 2 Surirellae. Alles 
übrige schlielst sich den weit verbreiteten europäischen Wasser- 
gebilden so eng an, dals ich Bedenken zu tragen hatte, beson- 
dere Namen zu geben. 

So erweitert sich denn das aus der Kentucky-Höhle 1856 
durch die Höhle von Krain gewonnene Resultat in gleicher 
Weise, wonach die mit den Höblenthieren zusammen lebenden 
mikroskopischen massenhaften Formen keine so bedeutenden Ei- 
genthümlichkeiten zeigen, wie sie wohl erwartet worden sind. 
Da ich den hier vorgestellten Proteus der Magdalenen- 
‚Grotte lieber noch lebend beobachten als tödten wollte, so habe 
ich seinen Darım-Inhalt nicht innerhalb untersucht, ich fand aber 
im Glase dunkle schleimige Abgänge von ihm, in denen sich 
"mannichfache organische Reste gleicher Art erkennen lielsen. 
Es wird leicht sein, an in Spiritus aufbewahrten Exemplaren, dem 
bier gegebenen Verzeichnils gemäls, die Formen nun weiter zu 
bestimmen, die als Nahrung wirklich verwendet wurden, 

F: Wie weit die stets neu hinzutretenden Gewässer der Ober- 
Bäche das ganze Leben der unterirdischen, Prozeus führenden 
"Seen bedingen, oder gewisse Formen auch hier wiederkehrende 
Besonderheit zeigen, muls ferneren Untersuchungen vorbehalten 


Bleiben 


(Siehe beiliegende Tafel.) 


772 


Gesammtisitzung 


Die mikroskopischen Formen des Schlammgrundes 
in den Proteus-Bassins der Magdalenen-Grotte. 


Polygastern: 42. 
Amphora libyca 
ampla? 
Arcella Globulus 
hyalina (Enche- 


lis) 
Macrostoma? 
Cocconeis oblonga 
? 

Cocconema Arcus 
gracile 
lanceolatum 
p 


Difflugia? 
Eunotia amphioxys 
Zebra 
2 
Gallionella crenata 
procera 
Gloeonema paradoxum 
Gomphonema capitalum 
clavalum 
Meridion Pupula 
Navicula affınis 
amphioxys 
Gastrum 
gracilis 
Sigma 
Silicula? 
? 
Pinnularia borealis 
decurrens 
Tabellaria 
viridis? 
2 
Surirella biceps 
Librile 
Proteorum 
splendida? 
undata 


— 
— 


+ilı+iıtırrtrirrt iii HI Hrrl I I HH 


.. 


Probe Probe 
I 1l. 


| 
) 
el 


j 
++ 


| 
I +1+ 


BKEZZEEIEEN 
+ 


a en 


Probe 
II. 


11 121314h11213149 411213 


+ 


+ 


14 


un 


vom 15. December 1859. 773 


Probe Probe Probe 
I. I. II. 
1112131491 12]3]4] 1 |213|4 
Surirella ? ar zer 
‚eapat2==: 30H OR 
Synedra acuta era jan isn am da a ii 
Ulna + I+-+!+]+ +++ 


en 


119 | 511611112 101 4, 9 8] 819] 


Phytolitharien: 25. 
Lithodontium furcatum 
Platyodon 
rostratum 
Lithostylidium angulatum 
clavatum 
Clepsam- 
midium 
crenulatum 
cirrhosum 
denticula- 
tum 
Fusus 
irregulare 
laeve 
obliguum 
oblongum 
quadraturn 
rude 
serpenti- 
num 
Serra 
Trabecula 
triqueirum 
unidenta- 
tum 
Spongolithis acicularis 
amblyotyla 
Aratrum 
canalicula- 
ris 
Weiche Pflanzen- 
theile: 4. 
Fichten-Pollen 
Holzfasern 


[1859.] 


774 


Gesammtsitzung 


Probe 
I. 


EHEN ERENE) 


Fichten - Holzfasern, poröse 
Dicotyle Fragmente 


I 7177 4 21 8 
Summe des Organischen 71 [26122013520 


Unorganische For- 
men: 8. 
Grüne Krystallprismen 
Weilse Weitzenkorn -Kry- 
stalle (Kalk) ++ ++] 
Sterne Istrahlig (Kalk) 


+— +4 


7strahlig (Kalk) —_— + 

12strahlig (Kalk) —_——i+ 
Quarzsand +++ Hi+ 
Glimmer +++ +J+ 
Mulm (Thon?) ++ 


| 5| 41 71 4 


6| | 8) 4 51 81 6 


Probe 
II. 


1314 


Probs 
II. 


Fir AN ++ 


16112/16512113,17111 


+ [++ 
++ 44-4 ++ 
_———- 


a 
AH BR 


+++ ++ +h-|+ + 
a ara En 


Ganze Summe 79 ]31|16|27|17125j21116]20]1818,21]15 


Aus der letzteren Tabelle ergiebt sich dem Auge sogleich 
das vereinzelte oder vielfache Vorkommen aller Formen in den 
3 Proben des mitgebrachten Schlickes. Von jeder der Proben 


sind 20 Analysen gemacht und je 


5 
sultaten zusammengefalst worden, daher ist bei jeder Probe die 
1ste, 2te, Ste, 4te Fünfzahl der Analysen bezeichnet, 


zusammen 12 Reihen geben. 


5 Analysen sind in ihren Re- 


welche 
Einige Formen kommen in allen 
Reihen vor, andere nicht, das bezeichnet die Massenhaftigkeit 


dieses Bestandtheiles oder seine Geringfügigkeit, letztere beson- 


ders wenn er in nur einer Reihe angezeigt ist. 

Da es ebenso fehlerhaft ist gewisse ursprüngliche Formen 
der Höhlenbewohner, weil sie auch zu Tage vorkommen, als 
zufällige, auszuschlielsen, als dieselben unter den ursprünglichen 
deshalb anzuerkennen, weil sie in den Höhlen vorkommen, so 
ist es besser diese Erörterungen über die Ursprünglichkeit für 
das mikroskopische, schwieriger zu beurtheilende Leben, als noch 
nicht zur Entscheidung reif, zu vertagen, bis erst vielseitigere 


i vom 15. December 1859. 775 


Untersuchungen stattgefunden haben. Eine Coccionella oder 
einen anderen einzelnen, vielleicht auch an sich augenlosen, Kä- 
fer trägt man wohl leicht unbewulst an den Kleidern selbst erst 
mit in Höhlen, allein so massenhaft und übereinstimmend zahl- 
reiche Kieselschalen- Thierchen lassen sich in dieser Art nicht 
erläutern und ihre Augenlosigkeit ist dort wie hier. Da bleibt 
nur übrig, ihr Eindringen mit den Tagesgewässern als möglich 
anzuerkennen. 

Der Eingang zur Magdalenengrotte befindet sich aber in 
einer wasserlosen hochgelegenen Berggegend mit rauhen aber 
sanften Formen. Der Wassermangel bringt in der ganzen Ge- 
gend Mangel an Viehfutter und Kulturland hervor. Die Be- 
wobner sind meist Fuhrleute oder jetzt Eisenbahn - Arbeiter, die 
ihren Erwerb auf entfernten Stralsen suchen. Es hält schwer 
und scheint mir bis jetzt nicht nur bedenklich, sondern unmo- 
tivirt, alle diese Formen als durch die meteorischen Gewässer 
des RKegens, ohne alle Sumpfbildungen, zugeführt anzunehmen. 
Ich habe deshalb einige Aufmerksamkeit gleichzeitig auf die 
dortige Oberfläche verwendet und bin noch damit beschäftigt 
die gesammelten Materialien zu analysiren. Zu seiner Zeit werde 
ich diese Art von Controlle ebenfalls vorlegen, gleichviel wel- 
ches Resultat ausgesprochen werden kann. 

Sehr wünschenswerth wäre es, dals das physiologische auf- 
fallende Räthsel der Existenz so besonderer und so vieler ähn- 
lich lebender Thiere in den Höhlen des Österreichischen Kai- 
‚serstaates vielseitige fortdauernde Unterstützung im Lande fände, 
da die bisherigen höchst anerkennenswerthen Bemühungen sowohl 
des Hrn. Dr. Fitzinger, als auch der übrigen tbeilnehmenden 
Naturforscher, unterstützt durch die bereits stattgefundene Li- 
beralität der Regierung, schon so ausgezeichnet massenhafte 
neue Kenntnisse in dieser Beziehung zu Tage gefördert haben. 


Derselbe las ferner: über das mikroskopische Le- 
ben des Montblanc-Gipfels nach Dr. Pitschners Ma- 
terialien. 

Wenn auch zuweilen früher Schriftsteller ausgesprochen 
haben, dafs in dem abflielsenden kalten und trüben Gletscher- 
wasser der Alpen unbestimmte organische pflanzliche Theilchen 

55° 


776 Gesammtsitzung 


enthalten seien, so ist doch die Vorstellung von stationären Le- 
bensformen in den Gletschern und höchsten Schneeregionen 
jüngst erst zum Ausdruck gekommen. Erst seit dem Jahre 1848 
sind von mir Beobachtungen eines wirklichen selbstständigen 
Lebens der hohen Alpen sowohl, als der Gletscher nach eige- 
nen Untersuchungen im Berner Oberlande angestellt und reich- 
haltige Verzeichnisse nicht blofs von pflanzlichen Resten, son- 
dern von selbstständigen wirklich lebenden Organismen, sowohl 
Pflanzen als Thieren, 1849 der Akademie mitgetheilt worden | 
(S. Monatsbericht 1849 S. 287— 301). 

Durch die Hrn. DDr. Hermann und Adolph v. Schlag- 
intweit sind dann ferner im Jahre 1853 sehr dankenswerthe 
und umsichtig gesammelte Materialien aus den höchsten Punk- 
ten der Centralkette der europäischen Alpen, besonders des 
Monte Rosa zur Übersicht gekommen, welche ich der Akademie 
damals vorgelegt habe. S. Monatsbericht 1853 p. 315— 333. 
Ein Nachtrag dazu ist S. 531 gegeben. Im Jahre 1854 sind in 
der Mikrogeologie auf Tafel XXXV.B. die charakteristischen 
Formen des höchsten Alpenlebens abgebildet worden und im 
Jahre 1855 wurde im Monatsbericht p. 225 eine Mittheilung 
über das nach 4 Jahren noch fortdauernde, im Wasser wieder zu 
voller Thätigkeit zu bringende Leben der 1851 vom Monte 
Rosa aus 11138 Fuls Höhe entnommenen, trocken aufbewahrten 
Formen gemacht. 

Seitdem sind von den Hrn. DDr. Hermann, Adolph 
und Robert von Schlagintweit') jene Materialien aus bis 
20000 Fufs Höhe der hohen Pässe des Himalaya zugeführt wor- 
den, über deren reichen Lebensgebalt in den Abhandlungen der 
Akademie im vorigen Jahre, 1858, Bericht erstattet worden ist. 

Das mikroskopische Leben des Montblanc war bisher noch 
völlig unbekannt. 

Hr. Dr. philos. Pitschner, Lehrer an der Königl. Real- 
Schule, hat am 1. August dieses Jahres eine Besteigung des 
Montblane von Chamouny aus glücklich ausgeführt und Gele- 
genheit genommen für die Feststellung und Übersicht des sta- 
tionären, auch des kleinsten Lebens in mehr als 10000 Fufs Höhe 
Materialien zu sammeln. Die für die mikroskopischen Unter- 


‘) Irthümlich ist 1858 der dritte verdiente Reisende Rudolph v. 
Schlagintweit genannt. 


\ von 15. December 1859. 7A7 


_ suchungen passenden hat er mir zur Feststellung der Arten über- 
geben, aus denen sich denn auch ein über die Erwartung rei- 
ches Leben hat entwickeln lassen. 

Nach den Überschriften stammen die Materialien, welche 
ich erhielt, sämmtlich von dem Grand-Mulets-Felsen und ober- 

halb desselben bis zum obersten Gipfel des Montblanc her. 
Sie sind sämmtlich in festen Gläschen oder neuen Pappschäch- 
telchen, zwar nicht in der ursprünglichen Verpackung, aber doch 
in offenbar sauberer Behandlung mir zugekommen. Zwei Er- 
den aus den höchsten Regionen enthalten viel bunte Löschpapier- 
fasern, sind daher zuerst in grauem Löschpapier gesammelt wor- 
den, was beim Nachfragen auch bestätigt wurde. Die Höhen- 
Angaben sind von Hrn. Dr. Pitschner mitgetheilt. 

Ein unzweifelhaft interessantes Resultat ergaben sogleich 
die von mir angestellten Nachforschungen bei den geeigneteren 
Materialien, ob noch lebende Formen hier in Berlin wieder in 
volle Thätigkeit zu bringen wären. Es fanden sich deren bei 
allen Moosen, zumeist Callidina redieiva, welche schon nach 5 
Minuten unter Wasser zuweilen wieder ganz munter umherkroch 

_ und wirbelte. Auch Macrodiotus Hufelandü wurde so bald mit 


den Fülsen thätig. Die Callidina sexdentata fand sich nur in 


dem Lichen Nr. 19, aber zahlreich mit Callidina rediviva und 
wanderte auch nach wenigen Stunden schon kräftig umher. 
Von anderen Formen sah ich nur einmal ein einem Euplotes 
ähnliches Polygasztrieumn auf Moosresten langsam umherklettern, 
es schien aber noch nicht völlig entfaltet zu sein. Anguillulae 
lebten nicht wieder auf. Auch sah ich keine umherkriechenden 
‘ Bacillarien unter den vielen Tausenden, welche im Innern ganz 
wohl erhalten schieneu, indem sie ihre inneren braunen Platten 
in Frische und Glätte erkennen lielsen. Diese sämmtlichen un- 


_ ter Wasser wieder lebensthätig gewordenen Formen sind aus 


Materialien von den Grands Mulets, mithin nach Hrn, Pitsch- 
_ mers Angabe aus etwa 10000 Fuls Erhebung. 

Die Proben Nr. 1—6 sind von den Grand Mulets, aus gegen 
140000 bis 10300’ Höhe, nämlich 1—4 Moose und Flechten, 5 
eine Erde, 6 geschmolzener Schnee als Wasser mit trübem Bo- 
densatz. Die Nummern 7—9 sind geschmolzener Schnee vom 
Dome du Goute aus 10000—11000 Fufs Erhebung, Nr. 10 ist 


778 Gesammisitzung 


eben solches trübes Schneewasser vom Petit plateau aus 12000 
Fuls‘ Erhebung; Nr. 11—12 dergleichen vom Corridor aus 
12000—13000 Fuls Höhe; Nr. 14—17 sind von den Petits Mu- 
lets aus 14500 Fuls und zwar ist Nr. 15 geschmolzener Schnee 
vom höchsten Gipfel und Nr. 16 und 17 sind Erden aus Fels- 
spalten der Petits Mulets. Es betreffen also die sämmtlichen 
Materialien 1—5: Moose, Flechten und Erde, 6—15: Trübungen 
und Absätze geschmolzenen Schnees, 16—17: die höchsten Erd- | 
spuren. Die Proben des geschmolzenen Schnees sind theils künst- 
lich geschmolzen, theils aber aus trichterförmigen Vertiefungen 
der Schneefelder schon als trübes Wasser entnommen. Die 
letzteren sind die ganz überraschend reichen an lebensfähigen 
organischen Formen. 

Von den 17 Proben sind von 1—4 je 10, von 5 und 6 je 
5, von 7 sind 20, von 8—14 je 10, von 15 und 16 jeöund von 
17 wieder 10 Analysen gefertigt, in der Art, wie ich sie viel- 
fach angezeigt habe. Aus diesen 160 Analysen haben sich, bei 
300maliger Vergrölserung im Durchmesser, 85 Formen, darunter 
81 organische entwickeln lassen. Unter diesen Formen sind 53 
Polygastern, nämlich 44 Bacillarinen, 8 Arcellinen, 1 Desmi- 
diacee, ferner 14 Phytolitharien, darunter kein Spongolith, wenn 
nicht der Amphidiscus dahin gehört. Vielleicht aber beweist 
auch dieses Vorkommen, dals Amph. truncatus zu den Lithosty- 
lidien gehört, als Passatstaub-Element läfst er es jedoch im Zweifel. 
Ferner sind in der Formenzahl 2 lebende Räderthiere, 2 lebende 
Bärenthierchen, 2 Anguillulae, 7 weiche Pflanzentheile, darunter 
Fichtentheile und Farnsamen. Endlich sind Fasern gefärbter 
Wolle (Schaafwolle) dabei, die wohl aus dem zum Einpacken 
benutzten Löschpapier, oder durch den Luftstaub dahin gelangt 
sind. Anorganische Formen wurden 4 unterschieden, worunter 
keine Kalktheile sind, wohl aber granitischer Trümmersand. 

Die sämmtlichen Formen des geschmolzenen Schnees sind 
in einer Frische der Erhaltung ihrer organischen inneren Struc- 
tur, dafs an Luftstaub-Elemente dabei zu denken schwer, ja un- 
möglich wird, wenn man dieselben so unverrottet längere Zeit 
nach vielmaligem Ausfrieren und Aufthauen erhalten denken soll. 
Es sieht das alles dem frischen Leben sehr gleich. 


vom 15. December 1859. 779 


Allerdings sind viele der verzeichneten Formen den Passat- 
 staub-Formen gleich und es kann die Ablagerung der Phytolitharien 
nur als Staub erfolgen, aber niemals sahen die von mir so zahlreich 
untersuchten Passatstaub-Thierchen so frisch und niemals waren 


dieselben so überwiegend, wie hier im Alpenschnee. 
r Auffallend ist, dals bei dem grolsen Reichthum an verschie- 
ü denen Formen, sowohl an Arten als an Individuen, doch so we- 
_ nig, eigentlich vielmehr gar keine hochnordischen Charakter- 
‘ Formen (gesägte Eunotien, Biblarien u. s. w.) darunter sind. 

Höchst auffallend hat mich freilich die zahlreich in 10000 und 
- 44000 Fufs Höhe des Montblanc vorkommende .Disiphonia au- 
 stralis angeregt, welche ich bisher nur aus Kerguelens-Land in 
50° $.B. 88°O.L. des Süd-Oceans kannte und in der Mikrogeo- 
Ä logie seit 1854 auf Tafel 35.A. II. Fig. 7 publicirt habe. Sie 
H palst genau in Form und Grölse auf die Gestalt vom Montblanc. 
_ Die Difflugia assulata aus 14500 Fuls Höhe der Petits Mulets 
a ist eine elegante auffallende Form. Auch Synedra amphicoryna, 
ist neu und massenhaft. 


Höchstes Alpen-Leben des Montblanc in 10000’ bis 


r. 14500’ Höhe. 
' =-I-I-Ie-8-I-B-I-1-2-I 1-2 -2-IE-8-2- 
„ socoessscoscihhisiscsis!s|is ls Is 
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780 Gesammtsitzung 


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781 


vom 15. December 1859. 


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782 Gesammtsitzung 


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| 45 14,500 


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= 37 10,000’ 


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Räder- 
thiere: 2. 
Callidina 
rediviva +++-+[+ 
sexdentata | + 


-_ 
Q 
na 
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mi 
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Bärenthier- 
chen: 2. 
Macrobiotus 
Hufelandil ++ ++ 
Echiniscus 
Arctomys\+ 


" Nematoi- 
den: 2. 
Anguillula 
ecaudis ed 
longicauda Ei Saar —— 


theile: 1 
Pilus ornitho- 
rharmphus — EB LER ee) 


Parenchyma 
plant. phane- 
rog. | — — 
Pollen Pini |— —— A AR 
Ligni pinei | 
particula— ——— —ı— 


| 
| 
| 
| 
| 
+ 


| 
Weiche 
Pflanzen- 
Seminulum 

reniforme — — —|+ 

Lichen + 
Musciet fragm. 
Muse.\—+| ++ ——1—— | = ++ 


Thier- | 
hHaare.'1. 
Schafwolle ge- 
färbt (Lösch. 


Sum. d.Org. 1] 4| 3| 3) 6| IEITGPGFOTOFOTeT DPETET a1 


vom 15. Decernber 1859. 783 
3333/33 2|32|23|3312]3|3 313 
ss ss eilsis sis sis s > > Ss 
22217, Sa, x ol 1a le [a9 
ScsSsıolsSsIısISsIsISs|ı<- | ajals'ns = | | I 
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Unorgani-|1!2]3 41516 71819 |10j11]12]13]14]15)16117 
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men: 4. 
Grüne Kry- | 
stallprismen — — — — — — — — + 
Weilse Kry- | | | ag | 
stalltafeln os ee ——|+ 
Glimmer ou ae} er a a —+ ee +++ 
Quarzsand — ——  — — —  — [+] 1 1+ 


Ganze Sum. 85] 4 3 s e| I 014 Dee) IE 


| 


Hr. du Bois-Reymond legte eine Mittheilung von Hrn. 
_ Prof. Kirchhoff über den Zusammenhang zwischen 
_ Emission und Absorption von Licht und Wärme, d. 
d. Heidelberg, 11. December 1859, vor. 

Vor einigen Wochen habe ich die Ehre gehabt der, Aka- 


 demie eine Mittheilung über einige Beobachtungen zu machen, 


die mir namentlich deshalb von Interesse zu sein schienen, weil 
sie Schlüsse über die chemische Beschalfenheit der Sonnenatmo- 
_ sphäre ermöglichen. Von diesen Beobachtungen ausgehend bin 


ich jetzt durch eine sehr einfache theoretische Betrachtung zu 
einem allgemeinen Satze gelangt, der mir in vielfacher Bezie- 
hung von Wichtigkeit zu sein scheint, und den ich deshalb mir 
_ erlaube der Akademie vorzulegen. Er spricht eine Eigenschaft 
_ aller Körper aus, die sich auf die Emission und Absorption von 
- Wärme und Licht bezieht. 

‘ Wenn man in die nichtleuchtende Flamme der Bunsen- 
_ schen Lampe Chlornatrium oder Chlorlithium bringt, so erhält 
_ man einen glühenden Körper, welcher nur Licht von gewisser 
Wellenlänge aussendet und nur Licht von derselben Wellen- 
länge absorbirt. In dieser Weise läfst sich das Resultat der er- 
wähnten Beobachtungen aussprechen. Wie derselbe den dun- 


784 Gesammtsitzung 


keln Wärmestrahlen gegenüber in Beziehung auf Emission und 
Absorption sich verhält, weils man nicht; aber es erscheint als 
unbedenklich sich einen Körper als möglich vorzustellen, der 
von allen Wärmestrablen, den leuchtenden wie den dunkeln, 
nur Strahlen einer Wellenlänge aussendet und nur Strahlen 
derselben Wellenlänge absorbirt. Giebt man dieses zu und 
betrachtet überdies einen Spiegel, der alle Strahlen vollständig 
reflectirt, als möglich, so kann man aus den allgemeinen Grund- 
sätzen der mechanischen Wärmetheorie sehr leicht beweisen, 
dafs für Strahlen derselben Wellenlänge bei dersel- H 
ben Temperatur das Verhältnils des Emissionsver- 
mögens zum Absorptionsvermögen bei allen Kör- 
pern dasselbe ist. 

Man denke sich in Gestalt einer unbegrenzten Platte einen 
Körper C, der nur Strahlen von der Wellenlänge A aussendet 
und nur solche absorbirt; diesem gegenübergestellt sei ein Kör- 
per ce in Gestalt einer ähnlichen Platte, der Strahlen von allen 
möglichen Wellenlängen aussendet und absorbirt; die äulseren 
Flächen dieser Platten seien mit den vollkommnen Spiegem R 
und r bedeckt. Wenn in diesem Systeme die Gleichheit der 
Temperatur sich einmal hergestellt hat, so muls jeder der bei- 
den Körper dieselbe Temperatur behalten, also durch Absorption 
so viel Wärme aufnehmen, als er durch Ausstrahlung verliert. 
Nun betrachte man von den Strahlen, die c aussendet, zuerst 
diejenigen von einer Wellenlänge A, die verschieden von A ist. 
Auf diese Strahlen hat der Körper C keinen Einfluls; sie wer- 
den von dem Spiegel A so reflectirt, als ob € gar nicht vor- 
handen wäre, ein gewisser Theil von ihnen wird dann von e 
absorbirt, die übrigen gelangen zum zweiten Male an den Spie- 
gel A, werden von diesem abermals reflectirt, von c theilweise 
absorbirt u. s. f. Alle Strahlen von der Wellenlänge ?, die der 
Körper c aussendet, werden auf diese Weise nach und nach 
wieder von ihm aufgenommen. Da dieses für alle Werthe von 
? gilt, die verschieden von A sind, so erfordert die Unveränder- 
lichkeit der Temperatur des Körpers c, dals dieser von den 
Strahlen von der Wellenlänge A so viel absorbirt, als er selbst 
aussendet. Für diese Wellenlänge sei e das Emissionsvermögen, 
a das Absorptionsvermögen des Körpers c, E und 4 seien die 


vom 15. December 1859. 785 


entsprechenden Gröfsen für den Körper C. Von der Strahlenmenge 
E, die C aussendet, absorbirt dann c die Menge aE und wirft 
(1—a)E zurück; hiervon absorbirt C die Menge A(1—a)E und 
wirft ((—4) (1—a) E nach c zurück, welches davon a(1—A)(1—a) E 
absorbirt. Setzt man diese Betrachtung fort, so sieht man, dafs 
ce von E eine Strahlenmenge aufnimmt, die, wenn man der 
Kürze wegen 


(—A)(1!—a)=k 
setzt, 
=aE(i+k+k’+k’+..), 
d. h. 
rn aE 
ik 


ist. Von der Strahlenmenge e, die c selbst aussendet, absorbirt 
ec, wie eine ähnliche Überlegung zeigt, die Menge 
ali—A)e 
1—k 
Die Bedingung dafür, dafs die Temperatur von ec sich nicht än- 
dert, ist daher die Gleichung 


d.h. die Gleichung 


Zu derselben Gleichung gelangt man, wenn man die Bedingung 
dafür entwickelt, dals die Temperatur von C constant bleibt. 


- Denkt man sich den Körper ce durch einen andern ersetzt von 


derselben Temperatur, so findet man durch Wiederholung der 
angestellten Betrachtung denselben Werth für das Verhältnils 
des Emissionsvermögens zum Absorptionsvermögen dieses Kör- 
pers für die Strahlen derselben Wellenlänge A. Die Wellen- 
länge A und die Temperatur sind aber willkürlich. Es folgt 
also der Satz, dals für Strahlen derselben Wellenlänge bei der- 
selben Temperatur das Verhältnils des Emissionsvermögens zum 
Absorptionsvermögen bei allen Körpern dasselbe ist. 

Die Begriffe des Emissionsvermögens und des Absorptions- 
vermögens beziehen sich hierbei zunächst auf den Fall, dafs der 
Körper eine unbegrenzte Platte bildet, die auf der einen Seite 


786 Gesammitsitzung 


mit einem vollkommnen Spiegel belegt ist. Aber die Strahlen- 
menge, welche eine frei stehende Platte nach einer Seite hin 
aussendet, ist eben so grols als die Strahlenmenge, welche eine 
mit einem solchen Spiegel versehne Platte von der halben Dicke 
ausgiebt, und diese beiden Platten bringen eine gleiche Ab- 
sorption bei auffallenden Strablen hervor. Man kann hiernach 
bei dem ausgesprochenen Satze das Emissionsvermögen des Kör- 
pers auch definiren als die Strahlenmenge, die eine frei stehende, 
aus dem Körper gebildete, unbegrenzte Platte nach einer Seite 
hin aussendet, und das Absorptionsvermögen als die Strahlen- 
menge, welche dieselbe Platte absorbirt von der Einheit der 
Strahlenmenge, die sie trifft. 

Das allen Körpern gemeinsame Verhältnils des Emissions- 


. .. e . . * 
vermögens zum Absorptionsvermögen z Ist eine Function der 


Wellenlänge und der Temperatur. Bei niederen Temperaturen 
ist diese Function =0 für die Wellenlängen der sichtbaren 
Strahlen, von 0 verschieden für grölsere Werthe der Wellen- 
länge; bei höberen Temperaturen hat die Function auch für die 
Wellenlängen der sichtbaren Strahlen endliche Werthe. Bei 
derjenigen Temperatur, bei der die Function aufhört =0 zu 
sein für die Wellenlänge eines gewissen sichtbaren Strahls, fan- 
gen alle Körper an Licht von der Farbe dieses Strahls auszu- 
senden, mit Ausnahme derjenigen, welche für diese Farbe und 
diese Temperatur ein verschwindend kleines Absorptionsvermö- 
gen haben; je gröfser das Absorptionsvermögen ist, desto mehr 
Licht strahlt der Körper aus. Die Erfahrung, dafs die undurch- 
siebtigen Körper bei derselben Temperatur erglühen, die 
durchsichligen Gase hierzu aber eine viel höhere Temperatur 
erfordern, und dals die letzteren bei der nämlichen Temperatur 
immer schwächer leuchten als jene, findet bierin ihre Erklärung. 
Ferner folgt, dals, wenn ein glühendes Gas ein discontinuirli- 
ches Spectrum giebt, und man durch dasselbe Strahlen von hin- 
reichender Intensität gehen lälst, die an sich ein Spectrum ohne 
dunkle oder helle Streifen darbieten, dunkle Streifen an den 
Stellen des Spectrums auftreten müssen, an denen die hellen 
Streifen im Spectrum des glühenden Gases lagen. Der Weg, 
den ich in meiner früheren Mittheilung als geeignet zur chemi- 


vom 15. December 1859. 787 


schen Analyse der Sonnenatmosphäre bezeichnet habe, hat hier- 
durch seine theoretische Begründung erhalten. 

Ich benutze diese Gelegenheit, um einen Erfolg zu erwäh- 
nen, den ich auf diesem Wege seit meiner früheren Mittbeilung 
gewonnen zu haben meine. Nach den Untersuchungen von 
Wheatstone, Masson, Angström und Anderen weils man, 
dals im Spectrum eines elektrischen Funkens helle Linien sich 
zeigen, die von der Natur der Metalle abhängig sind, zwischen 
denen der Funke überspringt, und man kann annehmen, dals 
diese Linien übereinstimmen mit denjenigen, die in dem Spec- 
trum einer Flamme von sehr hoher Temperatur sich bilden wür- 
den, wenn man in diese dasselbe Metall in passender Form 
brächte. Ich habe den grünen Theil des Spectrums des elek- 
trischen Funkens zwischen Eisenelektroden untersucht und in 
diesem eine grolse Zahl von hellen Linien gefunden, die mit 
dunkeln Linien des Sonnenspectrums zu coincidiren scheinen. 
Bei einzelnen Linien ist die Coincidenz wohl kaum mit Sicher- 
heit zu constatiren; aber ich habe dieselbe bei vielen Grup- 
pen zu sehen geglaubt und zwar in der Weise, dafs den hel- 
leren Linien im Funkenspectrum die dunkleren im Sonnenspec- 


_ trum entsprachen; hieraus glaube ich schlielsen zu dürfen, dafs 


diese Coincidenzen nicht nur scheinbare waren. Wurde der 


_ Funke zwischen anderen Metallen, z. B. zwischen Kupferelek- 


EEE u EDER 


troden, gebildet, so fehlten diese hellen Linien. Ich balte mich 
für berechtigt, hieraus den Schluls zu ziehen, dafs unter den Be- 
standtheilen der glühenden Sonnenatmosphäre sich Eisen befin- 
det, einen Schlufs, der übrigens sehr nahe liegt, wenn man das 
häufige Vorkommen des Eisens in der Erde und in den Meteor- 
steinen bedenkt. Von den dunkeln Linien des Sonnenspectrums, 
die mit hellen des Eisenspectrums zusammenzufallen scheinen, 
kann ich mit Bezugnahme auf die von Fraunhofer gegebene 
Zeichnung des Sonnenspectrums nur wenige beschreiben; es ge- 
hören zu diesen die Linie E, einige weniger scharfe Linien dicht 
neben E nach dem violetten Ende des Spectrums hin und eine 
Linie, die zwischen den beiden nächsten der drei sehr ausge- 
zeichneten Linien sich befindet, die Fraunhofer bei 2 ge- 
zeichnet hat. 


788 Gesammtsitzung 


Sr. Excellenz der vorgeordnete Herr Minister genehmigt 
unter dem 8. December die Rest-Ausgaben zu dem Titel und 
der Vorrede der jetzt vollendeten akademischen Sternkarten mit | 
109 Rthlrn. 

Der Naturforschende Verein zu Riga zeigt dankend den 
Empfang der Monatsberichte von September 1858 bis Juni 1859 
an. Ebenso Hr. Lichtenberger den Empfang der Schluls- 
stücke von den akademischen Sternkarten. 1 

Der so eben vollendete Band der akademischen Abhandlun- 
gen für 1858 wird vorgelegt und seine Ausgabe in den Buch- 
handel beschlossen. 


- An eingegangenen Schriften wurden vorgelegt: 


Annales des mines, 1858, Livr. 6. 1859, Livr. 1. Paris 1859. 8. 
Correspondenzblatt des naturforschenden Vereins zu Riga. Jahrgang 10. 
Riga 1858. 8. 

Einladung zur Einweihungsfeier des Museums in Riga. Riga 1858. 4. 

Haidinger, Ansprache gehalten in der Geologischen Reichsanstalt in 
Wien. Wien 1859. gr. 8. 

Woldrich, Die Lagerungsverhältnisse des Wiener Sandsteins. (Wien 
1859.) gr. 8. 

Verhandlungen des naturhistorisch-med. Vereins in Heidelberg. Band 1. 
Heidelberg 1859. 8. 

Atti dell’ I. R. Istituto veneto. Tomo IV, Disp. 10. Venezia 1859. 8. 

Schultze, Observaliones de relinae structura penitiori. Bonnae 
1859. 4. 

Historia diplomatica Friderici I], auspicüs A. deLuynes. Vol. Paris 1859. 4. 


22. Decbr. Gesammtsitzung der Akademie. 


Hr. Schott las Etymologische Forschungen im 
Gebiete der Altaischen Sprachen. 


vom 22. December 1859. 789 


2 
j Hr. Dove gab folgende briefliche Mittheilung des General 
Sabine: 

Am 1. September 1859 war W. Corrington damit be- 
schäftigt, seine täglichen Beobachtungen über die Gestalt und 
Lage der Sonnenflecken anzustellen, als er plötzlich zu seinem 
Erstaunen ein intensiv glänzendes weilses Licht, viel heller als 
die Oberfläche der Sonne in der Mitte eines grofsen Fleckens 
"hervortreten sah, der seit mehreren Tagen allgemeine Aufmerk- 
samkeit auf sich gezogen hatte. Die Erscheinung hielt länger 
als fünf Minuten an, und nach ihrem Verschwinden erschien der 
Flecken unverändert. Dasselbe Phänomen wurde von Hrn. 
Hodgson in Highgate, einige Meilen von Redhill dem Obser- 
vatorium des Hrn. Corrington beobachtet. Beide Beobachter 
geben das Entstehen der Erscheinung übereinstimmend um 11° 
48”, das Verschwinden um 11" 23” mittlerer Greenwicher Zeit an. 
Als einige Tage später Hr. Corrington die photographische 
Aufzeichnung der magnetischen Apparate in Beziehung auf die 


drei magnetischen Elemente in Kew zu sehen Gelegenheit hatte, 
‚sah er in jedem derselben die Spuren einer sehr grolsen Stö- 


rung, so viel sich beurtheilen liefs, vollkommen gleichzeitig mit 
dem in der Photosphäre der Sonne gesehenen Phänomen. 


Der Vorsitzende erinnerte dann an den grolsen Verlust den 
die Akademie durch den am 16. December erfolgten Tod ihres 
vieljührigen Mitgliedes, Hrn. Wilhelm Grimm, erlitten hatte, 
Die grolse Mehrzahl der Mitglieder der Akademie hatte am vor- 
gestrigen Tage seiner Bestattung beigewohnt. 
v, Zu dem Schnitte und Gusse eines neuen Alphabets, wo- 
Be eine Handschrift der Vaticanischen Inschriften nachgebildet 
_ werden soll, um in einer Abhandiung des Hrn. Mommsen zu 
erscheinen, hat die Akademie die Summe von 200 Rthlrn. be- 
Drilligt. 


Yen 


 f1s59.] 56 


790 Gesammtsitzung vom 22. December 1859. 


An eingegangenen Schriften und dazu gehörigen Begleit- 
schreiben wurden vorgelegt: 


Wappäus, Über den Begriff und die statistische Bedeutung der mittleren 
Lebensdauer. Göttingen 1860. 4. Mit Schreiben des Hrn. Ver- 
fassers, d. d. Göttingen 13. December 1859. 

Hornay, Ursprung und Entwicklung der Sprache. Theil 1. 2. Ber- 
lin 1855—1860. 8. Mit Schreiben des Hrn. Verfassers. 

Caporale, Ricerche fisiche, stalistiche e topografiche dell’ agre Acer- 
rane. Napoli 1859. 8. Mit Schreiben des Hrn. Verfassers, d. 
d. Neapel 21. Sept. 1859. 

Carl Bötticher, Der Omphalos des Zeus zu Delphi. Berlin 1859. 4. 

Semele und Ariadne. Festprogramm der archäologischen Gesellschaft 
zu Berlin. Berlin 1859. 4. 

Anacreonte. Al chiarissimo F. T. Welcker strenna festosa offerta 
dall’ Instituto archeologico. Roma 1859. folio, 

American Journal of science and arts. no. 83, New Haven 1859. 8. 

Annales academici. 1855—1856. Lugd. Bat. 1859. 4. 


Nachtrag zu Hrn. Ehrenbergs Mittheilung 
vom 8. Dechr. 1859. 


Verzeichnils der Leuchtthierchen. 


Die sämmtlichen neuerlich beobachteten Leuchtformen des 


Mittelmeeres sind 10. 1. Peridinium Splendor Maris; 2. Perid. 
eugrammum; 3. Perid. Tripos; 4. Perid. Seta; 5. Perid. Candela- 
brum; 6. Perid. Trichoceros; 7. Cryptomonas Lima, zweifelhaft; 


8. Discoplea sorrentina, zweifelhaft; 9. Sylis cirrhigera? stark 
leuchtend, der systematische Name unsicher; 10. Medusa? 


ä. 


Kurze Diagnostik der neuen Formen. 


Perıpınıvm Splendor Maris. Testula ovata aut subglobosa 
ecorni, areolata, fragili, erystallina, cribrosa aut granulosa nec 
apiculata, sulci medii transversi marginibus elatis, duos 
dentes marginales laterales referentibus. Areolae ad sulcum 
utrinque 5 et frontales 3 minores. Diameter J;—”'; hinc 
sponte dividuum videtur. Minora specimina pulli alius ge- 
nerationis modi esse videntur. 

In mari neapolitano ad Neapolim splendidissimum Au- 
gusto. 
Parrrpintvm Trichoceros. Testula longissime tricorni, cor- 
pore parvo cornibus setaceis valde singularibus, pedicellari 
postremo recto truncato, frontalibus late recurvis obtusis, 
omnibus asperis, corpus sexies ad octies superantibus, fronte 
obliqua, sulco medio transverso fronteque parallelis, intestinis 
flavofuscis. j 

Longitudo corporis ovati aut subglobosi „;”, a pedi- 
cello ultra sexies, a brachiis ultra octies superatur. Tota 
longitudo u—%”. 

Tergesti in mari adriatico cum igniculis maris Sep- 
tembre. 


56° 


792 
3. 


Gesammtsitzung 


PeEriDinivm eugrammum. Testula Perid. Furcae et Perid. 
lineati habitu, magnitudine hoc majore, illud aequante, su- 
perficie longitudinaliter lineata, nec areolata, linearum inter- 
vallis cribrosis, apertura ampla sulco transverso a dorso 
media cincta. Corpus conicum sensim in cornu pedi- 
cellare rectumque attenuatur idque aequat. Cornua fron- 
talia recta corpore breviora inaequalia. Longitudo totius 
5. A Perid. lineato corpore magis elongato sensim atte- 
nuato differt, a Perid. Furca lineis venosis hic illic con- 
fluentibus 20—24 in ambitu recedit. 

Tergesti in mari adriatico scintillas exhibens Sep- 

tembre. 
Prrivınıvm Seta. Testula P. Fusi habitu, tenuiore, lon- 
giore, setacea, laevi, corpore fusiformi, medio parum turgido, 
antica ejus parte excisa, poslica sensim in cornu pedicellare 
attenuata. Cornua levius lunato-curvata aut recta, truncala, 
asperula, frontali saepe longiore. Longitudo totius ,—%”. 
Cornu frontale unicum rectum, saepe ter longius quam 
corpus. 

In mari scintillante Septembre ad Tergestum. 
Prerıvinıvm Candelabrum. Testula Perid. Furcae habitu 
simili, areolata, cribrosa, corpore valde dilatato depressoque 
in cornua fere subito abeunte, frontalibus cornibus et pedi- 
cellari rectis, illis acutis parallelis asperis inaequalibus, sulco 
transverso recto, fronte obliqua, apertura late sinuosa media 
parte sulco cincta, intestinis flavofuscis. Longitudo 75”, 
corporis turgidi longitudo 5,”, cornu frontalis majoris 
36 minoris 4o « Cornu pedicellare rectum corpus bis su- 
perat. 

Cum priori. 

DiscorEA sorrentina. Testula orbicuları disciformi laevi 
hyalina nec cellulosa nec granulosa, sed integerrima, inter- 
aneis virescente fuscis, spatio,medio rotundo late saepe hya- 
lino, interdum nucleolo medio virescente insigni. Inter- 
dum eliam duo talia spatia, aut etiam quaterna adsunt, ita 
ut rotae radios referranti. Nonnunquam radıorum illorum 
numerus ad 5 et 7 augetur. Diameter «—#". Involucrum 


96 60 
gelatinosum non deprehendi, id quod in toto genere non 


vom 8. December 1859. 793 


raro desideratur; Coscinodisci parvi speciem refert, aut Hya- 
lodisci socialem. 

In mari neapolitano ad Sorrentum Augusto valde fre- 
quens cum algis. 
Crrrromonas Lima. A. Testula fragili silicea ovata pun- 
ctis asperis raris obsita, flagello simplici, forma ovala, po- 
stica parte turgente rotundata, antica breviter sensim atte- 
nuata, leviter emarginata. Intestina flavofusca. Diameter 


Haec forma cum priori valde frequens, forsan eadem est, 
quam pro Prorocentro apud Sorrentum habui et fulgentem 
me obseryasse dubitanter censui. 


ED pie Tagen 


Namen - Register. 


 Abich, gewählt, 68. 376. 

_ Argelander, Plan u. Fortschreiten seines Sternkarten-Werkes, 363. 

Barth, Eingehende Erklär. d. Felssculpturen v. Boghaskoei im alten Kap- 
padocien, 128. 

Beissel, Darstell. künstl. Kieselsteinkerne aus organ. Kalkschalen, 685. 

 Bekker, Zahlenverhältnisse am homerischen Versbau, 259. — Üb. d. ho- 
merischen Gebrauch v. örı, re, 23w u. 871, 0 Te, HiAu, 391. — 
Üb. d. Wörter, die bei Homer bald ein e haben bald nicht, 423. 

Bernstein, gewählt, 491. 532. 

_ Beyrich, Vorkommen d. Goniatiten bei Brilon, 405, 

v. Bezold, Wirkung d. Pfeilgifts auf d. motor. Nerven, 698. 

Bo eckh, Seine Ansichten üb.d. Kalender des Eudoxus, 186.— Gedächtnils- 
rede auf Leibniz, u. Worte d. Erinnerung an Humboldt, 498. 533, 545. 


_ Boecking, gewählt, 491. 532. 
 Borchardt, Ein Problem die Elimination betreffend, 376. 


- Braun, Nachträge zur Parthenogenesis bei Pllanzen, 235. — Zur Kennt- 


nils zweier Sülswasseralgen, 275. 
Brown, R., gestorben, 67. 
Buschmann, Systemat. Worttafel des athapask. Fear 220. 
 Chasles, gewählt, 69. 


_ Chlumecky, gewählt, 68. 


Chmel, gestorben, 67. 
Corrington, Merkwürd. Lichterschein. in einem Sonnenfleck, 789. 
Creuzer, gestorben, 67. 


„ Dieterici, gestorben, 554. 


. 


Dirichlet, gestorben, 376. 
Dirksen, Röm. rechtl. Nachweise in d. Schriften d. latein. Epistologra- 
phen aus d. Zeit d. christl. röm. Kaiser, 724. 


. Dove, Jährl. Veränderung d. Temperatur des Meerwassers unter den Tro- 


pen, 14. — Temp eraturgegensätze im Winter 1858 im preuls. Staat 


796 Namen- Register. 


64. — Stereoskop. Darstellung eines durch einen Doppelspath bino_ 
cular betrachteten Typendrucks, 278. — Anwendung d. Stereoskops 
zur Unterscheidung eines Originals von seiner Copie, 280. — Anwen- 
dung mit Silber belegter Gläser als Blendgläser, 364. — Beweis, dals 
die Tartinischeu Töne objectiv sind, 373. — Die kalten Tage im Mai 
d. Jahres 1859, 426. — Darstell. d. Wärmeverbreitung in der nördl. 
Halbkugel, 720. 

Dubois-Reymond, Verhalten d. Muskelstroms bei d. Zusammenzie- 
hung, 56. — Abhängigk. d. Grölse der secundär- elektromotor. Wir- 
kung innerlich polarisirbarer Körper von deren Dimensionen, 68. — 
Üb. die angeblich saure Reaction d. Muskelfleisches, 288. — Üb. nicht # 
polarisirbare Elektroden, 443. 

Ehrenberg, Erwiderung auf Reichert’s Antrittsrede, 502. — Gedächtnifs- 
rede auf A. v. Humboldt, 505. — Neue massenhafte Polycystinen als 
Meeresgrund aus 13200 Fuls Tiefe bei Zankebar, 553. — Proben des 
Tiefgrundes im Rothen Meer, 569. — Färbung v. thier. Fett durch 
monas prodigiosa, 690. — Massenhaftes bisher unbekanntes mikro- 
skop. Leben in Schneelachen des Montblancgipfels, 694. 775. — Üb, 
d. Leuchten u. üb. neue mikroskop. Leuchtthiere d. Mittelmeers, 727. 
791. — Üb. die mit d. Proteus anguinus zusammen lebenden mikro- 
skop: Lebensformen in d. Bassins d. Magdalenengrotte, 758, 

Encke, Über d. Ponsschen Cometen, 524. — Bericht üb. d. akademisch. 
Sternkarten, 526. — A. v. Humboldt’s Verdienste um d. Geographie, 
638. 

Ewald, Die jurassischen Bildungen d. Provinz Sachsen, 347. — Fossile 
Fauna d. Salzberges bei Quedlinburg, 493. 

Gergonne, gestorben, 365. 

Gerhard, Zwei neue griech. Inschriften u. üb. d. Museo Campana, 15, — 
Paralipomena zu seinen etrusk. Spiegeln, 508. — Üb. d. Metallspiegel 
d. Etrusker, 699. 

Giesebrecht, gewählt, 491. 

Grimm, J, Über d. Göttin Tanfana, 254. — d. Göttin Freia, 413. — d. 
Göttin Bendis, 515. — Üb. d. Alter, 564. — Rede zur Schillerfeier, 
685. — Üb. d. Lautumstellung, 721, 

Grimm, W., Über eine Thierfabel bei Babrius, 564. — gestorben, 789. 

Hagen, Beobacht. v. Ebbe u. Fluth an d. Ostseeküste, 526. 

Hanstein, Neues System schlauchförm. Gefälse im Parenchym d. Blät- 
ter, 705. 

Haupt, Üb. d. Apollonius v. Tyrus, 269. 

Heintz, Saccharamid u. eine Verbind. v. zuckersaur, Blei mit Chlorblei, 
14. — Einwirk. d. Chloracetyls auf oxals. u. bernsteinsaure Salze, des 


Namen - Register. 797 


Suceinylchlorids auf essigsaure Salze, u. über Ätherbernsteinsäure u. 

ihre Salze, 407. — Zwei neue Reihen organ. Säuren, 554. 

Heintz u. Wislicenus, Üb. d. Gänsegalle, 560. 

_ Henzen, Bericht üb, d. für d. Corpus inscript. lat. im J. 1859 gelieferten 

’ Arbeiten, 725. 

_ Hermite, gewählt, 564. 668. 

Hesse, gewählt, 527. 

- Hoffmann, Carl, gestorben, 553. S. Peters. 

Hofmann, Zur Kenntnils d. Phosphorbasen, 56. — Zur Theorie d. Po- 
lyammoniake, 367. 

Homeyer, Genealogie der Handschriften d. Sachsenspiegels, 15. 68. 

_ v. Humboldt, gestorben, 376. 390. 404. — Gedächtnifsreden auf ihn, 

r 505. 545. — Seine Verdienste um d. Geographie, 638. — Errichtung 
seiner Statue in Mexico, 668. 

Jacobi, gewählt, 358. 439. 

_ Jagor, s. Klotzsch, Peters. 

Karsten, H., Florae columbiae specimina selecta, 346. 

- Kiepert, Geograph. Stellung der nördl. Länder in d. phönikisch - hebräi- 

u schen Erdkunde, 191. — Handelsstralse d. Alten durch Central-Asien, 

besonders nach Serica, 271. 

Kirchhoff, Über d. Fraunhoferschen Linien, 662. — Zusammenhang zw. 

: Emission u. Absorpt. v. Licht u. Wärme, 783. 

Klotzsch, Linne's natürl. Pflanzenklasse Tricoccae, besonders üb. d. Ord- 
| nung d. Euphorbiaceae, 236. — Üb. zwei v. F. Jagor eingesandte My- 
£ ristica- Arten, 325. — Die Aristolochiaceen d. Berliner Herbariums, 
| 367. 571. 

Knoblauch, Beugung d. Wärmestrahlen, 565. 

Kühne, Chemische Reizung d. Muskeln u. Nerven, 186. — Selbständige 
Reizbarkeit d. Muskelfaser, 226. — Endigungsweise d. Nerven in den 
Muskeln, u. d. doppelsinnige Leitungsvermögen der motorischen Ner- 
venfaser, 395. — Üb. d. gerinnbare Substanz d. Muskeln, 493. 

Kummer, Allgemeine Reciprocitätsgesetze unter d. Resten u. Nichtresten 
d. Potenzen, deren Grad eine Primzahl ist, 367. — Allgemeine Theo- 
rie d. gradlinigen Strahlensysteme, 637. 

Le Bas, gewählt, 68. 

'Lepsius, Chronolog. Untersuchungen üb. d. Kalender des Dionysius und 
Eudoxus, 182. — Glückwunsch an d. Akademie zu München zu ihrer 
hundertjähr. Stiftungsfeier, 272 (s. auch 364). — Erläuterungen zu sei- 
nem Werk üb. ägypt. Denkmäler, 680. 

Magnus, Veränderung d. Flüssigkeit in d. Nähe d. Elektroden, 727. 

'Manara, gestorben, 67. 


v 


798 Namen - Register. 


Mitscherlich, Metamorphose d. Gesteine durch erhöhte Temperatur, 
658. 

Mommsen, gewählt zum ordentlich. Mitgl., 67. — Einleit. zu einer Aus- 
gabe d. vaticanischen Fragmente, 395. 

Mosander, gestorben, 67. 

Müller, Joh., gestorben, 67. — Worte d. Erinnerung an ihn, 121. 

Neumann, gewählt, 67. 

Newton, Charles, Altgriechische Inschriften aus Milet, 659. — aus Sa- 
mos, 739. . 

Panofka, gestorben, 67. 

Parthey, Üb.d. Erdansicht des Geographen v. Ravenna, 259. 627. — 
Die iberische Halbinsel d. alten Geographen, 407. 

Pertz, Bemerk. zu d. Diario di Fr. Capecelatro, 181. — Bemerk. zur 
Denkschrift üb. d. Eröffnung d. Seeweges nach Ostindien, 561. — Üb, 
d. Handschrift des Granius Licinianus, 562. 

Petermann, Üb. d. arab. Chronik d. Samaritaners Abul Fath, 17. 

Peters, Petaurus, ein neues Flugbeutelthier aus d. südl. Neuholland, 14. 
— Üb. d. Chiropterengatt. Nyetophilus, 127. — Neue Beiträge zur 
Kenntnils d. Chiropteren, 222. — Bericht üb. die v. F. Jagor gesam- ı 
melten Schlangen, 269. — Üb. die v. Hoffmann in Costa Rica gesam- 
melten Schlangen, 275. — Üb. Plectrurus ceylonieus, eine neue Schlange 
u. verwandte, 388. — Eine neue Gattung u. Art v. Fröschen aus Car- 
racas, 402. — Üb. Zeptocephalus u. andere neue Fische d. Berliner 
Museums, 411. 

Radhakante Deva, gewählt, 67. 

Rammelsberg, Die Oxyde d. Cers u. die gelben u. rothen Sulfate seines 
Oxydoxyduls, 359. — Üb. d. Magnoferrit vom Vesuv u. d. Bildung 
d. Magneteisens u. ähnl. Verbindungen durch Sublimation, 362. — 
Zusammensetz. seltnerer Mineralien v. Vesuv u. Bemerk üb. Isomor- 
phie u. Heteromorphie bei Mineralien, 725. 

Ranke, Fortgang d. span. Colonien in Süd- Amerika nach d. Eroberung, 
391. — Üb.d. Katastrophe Wallensteins, 558. 658. 

Reichert, Antrittsrede, 498. — Beschaffenheit d. befruchteten Eichen v. 
Meerschweinchen unmittelbar vor u. nach d. Einkapselung durch d. 
Decidua, 529. — Gleichzeit. Vorkommen v. Rippen u. einem von die- 
sen ganz getrennten untern Dornfortsatz am letzten Bauchwirbel bei 
Lates niloticus, 552. 

Renan, gewählt, 491. 527. 

Renier, gewählt, 491. 527. 

Reuschle, Tafel der aus d. 5ten Einheitswurzeln zusammengeselzten 
primären complexen Primfaktoren aller reellen Primzahlen von der 
Form 54 +1 in d. ersten Viertelmyriade, 488. — Zeıfällung aller Prim- 


Namen - Register. 799 


zahlen innerhalb des ersten Tausend in ihre aus siebenten Wurzeln 
- der Einheit gebildeten complexen Primfaktoren, 694. 

Riedel, Bestrebungen d. brandenburg. Kurfürsten zur Erlangung d. Kö- 
-  „nigswürde, 221. 

Riemann, gewählt, 564. — Anzahl d. Primzahlen unter einer gegebnen 
Grölse, 671. 

Rie[s, Üb. d. Nebenstrom im Zweige einer elektr. Schlielsung, 1 
Ritter, gestorben, 658. 

Rose, G., Üb. d. Melaphyr u. die dafür gehaltenen Steine v. Ilfeld, 506. 
Rose, H, Üb. Stickstoffniob, 12. — Niobsäure, 439. — niobsaure Salze, 
527. — Verbind. des Unterniobs mit Chlor u. Fluor, 549, 

Rosen, gewählt, 68. 

Rosenhain, gewählt, 564. 

de Rossi, Bericht üb. d. für d. Corpus inscript. lat. im J. 1859 geliefer- 
ten Arbeiten, 725. 

Rost, Neue indische Drucke, 432. 

Schiefner, Indische Schriften üb. Vorbedeutungen, 158. — gewählt, 68. 
Schott, Üb. d. estnische Sage vom Sohn Kalews u. Reinthal’s deutsche 
Übersetz. derselben, 669. — Üb. d. Kindermord in China, 714. — 
Etymolog. Forschungen üb. altaische Sprachen, 788. 

Secchi, Beobacht,. üb. d. Donatischen Cometen in Rom, 18, 

Sharpe, Mittheil. einer unedirten griech. Inschrift aus Samaria, 756, 
Sprenger, gewählt, 68. 

"Steenstrup, gewählt, 527. 

"Steiner, Allgemeine Bestimmungsarten d. Curven u. Flächen zweiter 
Ordnnng u. daraus folgende Sätze, 671. 

Stokes, gewählt, 358. 439. 

vw. Sybel, gewählt, 491. 527. 

'Temminck, gestorben, 67. 

Thiersch, gewählt, 67. 

Traube, Untersuch. üb. Respiration d. Pflanzen, 83. 
Trendelenburg, Friedrich d. Gr. u. sein Minister Freiherr v. Zedlitz, 
& Rede am Jahrestag Friedrichs II, 67. 95. 

 Upström, gewählt, 68. 

5. Verneuil, Dank für d. Erwählung, 67. 68. 

de Wailly, gewählt, 68. 

Weber, Das Dagakumdra-Caritam, d. Fahrten d. zehn Prinzen, 18. — 
f Nachträge zu seiner Ausgabe des Catapatha Brähmana, 60. — Üb. ein 
% "indisches Würfelorakel, 161. — Die Pali-Legende v. d. Entstehung 
d. Säkya- u. Koliya-Geschlechts, 328. — Üb. d. Yajrasüci des Agva- 
R ghosha, 404. 


800 Namen- Register. 


Weber, E.H., Dank für seine Erwählung, 719. 

Weber, R., Zersetz. der Oxyde durch Fünffach- Chlorphosphor, 229, 
der Schwefelmetalle, 325, 

Weierstrals, Neue Behandlungsweise des Rotationsproblems, 426. 
Beiträge zur Theorie d. Gleichungen, 758. 

Welcker, Glückwunsch zu seinem Jubiläum u. Erwiderung, 717. 

Whitney, Bemerk. üb. sein Werk, 563. 

Wislicenus, s. Heintz. 

Wurtz, gewählt, 259. 


Sach -Register. 


bul Fath, arabische Chronik desselben, 17. 
egypten, Schlufs u. Inhalt d. Werkes ägyptischer Denkmäler v. Lep- 
sius, 680. 

etherbernsteinsäure u ihre Salze, 409. 

kademie zu München, Glückwunsch an dieselbe zu ihrer hundertjähr. 

-  Stiftungsfeier, 272. 364. S. Preisfragen. 

Akustik, s. Töne. 

lgen, Zur Kenntnifs v. Pleurocladia u. Pleurocarpus, 275. 

ltaische Sprachen; Etymolog. Forschungen darin, 788. 

Alter, üb. dasselbe, 564. 

Apollonius v. Tyrus, 269. 

Archäologie, s. Münzwährung, Mythologie, Etrusk. Spiegel. 

Aristolochiaceen d. Berliner Herbariums, 367. 571. 

Astronomie, Plan u. Fortschreiten v. Argelander’s Sternkartenwerk, 363, 
— Abschlufs.der akadem. Sternkarten, 526. S. Comet. 

Athapaskischer Sprachstamm, Worttafel dess., 220. 

Bast, s. Botanik. 

Bendis, Göttin, ihr Wesen, 515. 

Bleioxyd, zuckersaures, verbund. mit Chlorblei, 14. 

Blendgläser, Anwendung d. Silbers dazu, 364. 

Botanik, Einfluls d. Sauerstoffs auf d. Wachsthum u. d. Respiration d. 
Pflanzen, 83. — Parthenogenesis u. Polyembryonie bei Caelebogyne, 
235. — Neue schlauchförm. Gefälse im Parenchym d. Blätter u. d. 

" Stengels der Monocotylen, 705. — scheinen vorgeschobene Glieder d. 
Bastsystems, 711. — finden sich auch bei Mirabilis Jalappa, 712. S. 
Algen, Aristolochiaceen, Euphorbiaceen, Flora Columbiae, Myristica, 
Tricoccae. 

Caelebogyne, Parthenogenesis u. Polyembryonie derselben, 235. 

Cer, Oxyde dess., 359. — Gelbes u. rothes Sulfat seines Oxydoxyduls, 

360. 


802 Sach- Register. 


Chemie. S.Ätherbernsteinsäure, Bleioxyd, Cer, Chloracetyl, Chlorphos- 
phor, Magnoferrit, Polyammoniak, Zuckersäure. 

China, Kindermord daselbst keine Fabel, 714. 

Chiroptera, Beiträge zu d. Gattungen Artibeus, Megaderma, Nycticejus, 
Ötonycteris, Rhinopoma, Spectrellum, 222. 

“ Chloracetyl, Einwirk. auf oxals. u. bernsteinsaure Salze, 407. 

Chlorphosphor, fünffacher, zersetzt viele Oxyde u. verwandelt sie in 
Chlorverbindungen, 229. — Desgl. Schwefelmetalle, 325. 

Chronik, arabische d. Samaritaners Abul Fath, 17. 

Chronologie, Wiederherstell. der Kalender v. Dionysius u. Eudoxus, 
482. — Böckh’s Bemerk. dazu, 186. 

Comet, Beobacht. üb. den C. v. Donati in Rom, 18. — Beobacht. üb. den 
C. v. Pons 1355 u. 1858; 524. 

Ebbe u. Fluth an d. preuls. Ostseeküste, 526. 

Eichen, befruchtete, v. Meerschweinchen vor u. nach d. Einkapselung 
durch d. Decidua, 529, 

Elektricität, In jedem, geraden wie spiralförm. Zweig des Schlielsungs- 
bogen wird durch d. Entladungsstrom ein Nebenstrom erregt, 1. — 
Regel für d. Haupt- u. Nebenstrom, 11. 

Nachweis v. nicht polarisirbaren Elektroden, 443. — Veränder. 
d. Flüssigkeit in d. Nähe d. Elektroden, 727. S. Meeresleuchten. 

Verhalten d. Muskelstroms bei d. Zusammenzieh., 56. — Ab- 
hängigkeit d. Grölse der secundär-elektromotor. Wirkung innerlich 
polarisirbarer Körper v. ihren Dimensionen, 68; Ergebnils, 82. 

Estnische Sage vom Sohne Kalews u. Reinthal’s Übersetz. dersel- 
ben, 669. 

’ESEAw u. $SeRo, Gebrauch bei Homer, 391. — Andere Wörter die bei 
Homer bald ein e haben bald nicht, 423. 

Etruskische Spiegel, Paralipomena dazu, 508. 699. 

Euphorbiaceae, Systematik derselben, 2AT. 

Fabel, s. Thierfabel. 

Felssculpturen v. Boghaskoei in Kappadocien, Erklär. derselben, 128. 

Fische, Neue Arten aus den Gatt. Cotylis, Leptocephalus, Lutodira, Poe- 
cilia, Scopelus, Sieyases, 411. S. Lates niloticus. 

Florae Columbiae, specimina selecta edidit H. Karsten, 346. 

Fragmente, vatikanische, Einleit. zu einer Ausgabe derselben, 395. 

Fraunhofersche Linien, künstl Erzeugung der Linie D, 663.‘ 

Freia, Göttin, Wesen derselben, 413. 

Gänsegalle, Zerleg. derselben, 560. 

Geographie, Stellung d. nördl. Länder in d. phönikisch-hebräischen Erd- 
kunde, 191. — Erdansicht d. Geographen v. Ravenna, 259. 627. — 
Handelsstralse d. Alten durch Centralasien nach Serica, 271. — Die 


Sach - Register. 803 


iberische Halbinsel d. alten Geographen, 407. — Versuch zur Eröff- 
nung d. Seeweges nach Ostindien durch d. Genuesen Doria u, Gebrü- 
der Vivaldo, 561. 

Humboldt’s Verdienste um die Geogr., 638. 
eloeio, Jurassische Bildungen d. Provinz Silohecn, 347. — Vorkom- 
men d. Goniatiten bei Brilon, 405. — Fossile Fauna-d. Salzberges bei 
Quedlinburg, 493. — Metamorphose d. Gesteine durch erhöhte Tem- 


| 
| 


Tre 


peratur, 658. 

"Geschichte, Bestrebungen d. brandenburg. Kurfürsten zur Erlang. d. 
Königswürde, 221. — Fortgang d. span. Kolonien in Süd- Amerika 
nach d. Eroberung, 391. S. Wallenstein. 

Gesteine, s. Geologie. 
Goniatiten, Vorkommen bei Brilon, 405. 

"Granius Licinianus, Bemerk. zur Handschrift dess., 562. 

"Handelsstral[se d. Alten durch Centralasien nach Serica, 271. 

Handschriften, s. Granius, Sachsenspiegel. 

Harnstoff, phosphorhalt., 57. 

-Höhlenthiere, Übersicht der bekannten, 758. 

- Homer, Zahlenverhältnisse im Versbau bei H., 259. — Wörter die bei 
Homer bald ein e haben bald nicht, 391. 423. 

_ Hydrodipsas, neue Schlangengatt., 270. 

Hypochthon, s. Proteus. 

Iberische Halbinsel bei d. alten Geographen, 407. 

Indische Literatur, Üb. d. Dagakumära-Caritam, die Fahrten d. zehn 

L, Prinzen, 18. — Nachträge zu Weber’s Ausgabe des Catapatha 

% Brähmana, 60. — Neue ind. Schriften üb. Vorbedeutungen, 158. — 

7 Üb. d. ind. Würfelorakel, 161. — Die Päli-Legende v. d. Entstehung 

t des Säkya- u. Koliya-Geschlechts, 328. — Die Yajrasüci des Agva- 

h ghosha, 404. — Neue ind. Drucke, 432. — Ankündigung d. Übersetz. 

‚des Süryasiddhänta, 563. 
Inschriften, Zwei neuentdeckte griech. Inschr., 15. — Altgriech. Inschr. 
zu Milet, 659. — zu Samos, 739. — in Samaria, 757. — Eıklär. d. 

’ Felssculpturen v. Boghaskoei in Kappadocien, 128. — Bericht üb. die 

j für d. Corpus inscript. latinar. im J. 1859 gelieferten Arbeiten, 725. 

j Isomorphie, bei Silicaten, 725. 

Jurisprudenz, Römisch-rechtl. Nachweise in d. Schriften d. lat. Epi- 

1 stolographen aus d. ni der christl. röm. Kaiser, 724. S, Sachsen- 

hi spiegel. 

 Kalew, s. Estnische Sage. 

 Kindermord bei d. Chinesen keine Fabel, 714. 

Kolonien, spanische, Fortgang derselben nach d. Eroberung in Süd- 
Amerika, 391. 


804 Sach- Register. 


Kurfürsten, brandenburg., ihre Bestrebungen zur Erlangung d. Königs- 
würde, 221. 

Lates nilotieus, gleichzeit. Vorkommen v. Rippen u. einem davon ge- 
trennten untern Dornfortsatz am letzten Bauchwirbel, 552. 

Lautumstellung mit liquidis, 721. 

Licht, Zusammenhang zw. Emission u. Absorpt. v. L. u. Wärme, 783. 
S. Fraunhofersche Linien. 

Magneteisen, Bildung durch Sublimation, 363. 

Magnoferrit v. Vesuv, Zusammensetz., 362. 

Mathematik, Allgemeine Reciprocitätsgesetze unter d. Resten u. Nicht- 
resten d. Potenzen, deren Grad eine Primzahl ist, 367. — Ein Pro- 
blem die Interpolation betreff., 376. — Tafel der aus d. ten Ein- 
heitswurzeln zusammengesetzten primären complex. Primfaktoren 
aller reellen Primzahlen v.d. Form 5u+1 in d. ersten Viertelmyriade, 
488. — Anzahl d. Primzahlen unter einer gegebenen Gröfse, 671. — 
Zerfällung aller Primzahlen innerhalb des ersten Tausend in ihre aus 
siebenten Wurzeln d. Einheit gebildeten complexen Primfaktoren, 
694. — Zur Theorie d. Gleichungen, 758. 

Allgemeine Bestimmungsarten d. Curven u. Flächen zweiter Ord- 

nung u. daraus folgende Sätze, 671. 

Theorie d. gradlinigen Strahlensysteme, 637. S. Mechanik. 
Mechanik, Neue Behandlung des Rotationsproblenis, 426. 
Meerleuchten, Geschichte d. neueren Beobacht. darüber, 727. — Eh- 

renbergs Beob. bei Neapel, Sorrent u. Ischia, 731. — bei Triest, 
735.—Die meisten Leuchtthiere daselb.d. Gattung Peridinium angehörig, 
733. 736. — Zahlenverhältnifs d. leuchtenden u. nichtleuchtenden 
Meeresthiere, 738. — Verzeichnils sämmtl. neuerdings beobachteten 
Leuchtformen, 7 neue Arten, 791. 

Meerschweinchen, s. Eichen. 

Meerwasser, Jährl. Veränder. seiner Temperatur in d. Tropen, 14. 

Melaphyr u. die dafür gehalt. Steine v. Ilfeld, 506. 

Meteorologie, Temperaturgegensätze im Winter 1859 auf d. Gebiet d. 


preufs. Staates, 64. — Ausdehnung d. kalten Tage im Mai 1859 in 
Europa, 426. — Wärmeverbreit. auf d. nördl. Halbkugel, 720. S. 
Meerwasser. 


Mikroskopische Organismen, Massenhafte Polycystinen als Mee- 
resgrund aus 13200 Fuls Tiefe bei Zankebar, 553. — Proben d. Tief- 
grundes im Rothen Meer bis 2766 Fuls Tiefe, 569. — Künstl. Kiesel- 
steinkerne v. Polythalamien aus organ. Kalkschalen, 685. 

Rothe Färbung v. Thierfett durch Monas (Tyria) prodigiosa, 693. 
— Massenhaftes seither unbekanntes mikroskop. Leben in d. Schnee- 
lachen v. Gipfel des Montblanc, 694. 775. S. Meeresleuchten. 


Sach - Register. 805 


Mineralien, seltnere v. Vesuv, Zusammensetzung, 725. S. Magnet- 

eisen, Magnoferrit. 

onas (Tyria) prodigiosa, Ursache d. blutrothen Färbung v. Thierfett, 

690. 

München, s. Akademie. 

ge rungen, griech.-asiatische, ihr Verhältnilfs zum röm. Geld, 
358, 

Mu seo Campana, Verzeichnils dess., 16. 

Muskel, Reizung der M. durch chemische Mittel, 186. — Der M. kann 

unabhängig vom motor. Nerven durch chem. Mittel erregt werden, 

226. — Der lebende M. reagirt nicht sauer sondern erst bei beginnen- 

der Fäulnils, 288. — Eigenschaften d. gerinnbaren Substanz der M., 

493. 

Muskelstrom, s. Elektricität. 

Myristica, zwei neue v. F. Jagor eingesandte Arten, 325. 

ythologie, Üb..d. Göttin Tanfana, 254. — Freia, 413. — Bendis, 

515. 

Nerven, Reizung derselben durch chem. Mittel, 186. — Endigungsweise 
der N. in d. Muskeln u. doppelsinn. Leitungsvermögen d. motorischen 
Nervenfaser, 395. — Wirk. d. Pfeilgifts auf die motor. N., 698. 

Niob, Verbind. mit Stickstoff, 12. — Unterniob mit Chlor u. Fluor, 549. 

Niobsäure, Darstell. u. Eigenschaften, 439. — Die niobsaur, Salze 
527. £ 

Nyctophilus, Charakterist. d. Gattung, 127. 

Ostsee, Beobacht. üb. Ebbe u. Fluth, 526. 

“Orı, ö rı, öre, ö re, homerischer Gebrauch, 391. 

'arthenogenesis bei Pflanzen, 235. 

Peridinium, die meisten Leuchtthierchen bei Neapel und Triest dieser 
Gatt. angehörig, 733 (736). — 5 neue Arten, 792. 

Petaurus, Neues Flugbeutelthier aus d. südl. Neuholland, 14. 

Pfeilgift, s. Nerven. 

Phosphor, Phosphorhalt. Harnstoffe, 57. S. Chlorphosphor. 

Plectrurus ceylonicus, Neue Schlangenart, 388. 

Pleurocarpus u. Pleurocladia, Sülswasseralgen, 275. 

Polyammoniake, Theorie derselben, insbesondere d. Phosphorreihe, 
567. 

Preisfragen, Erneuerung d. Pr. betreffend d. Sammlung d. aristotelisch. 

Fragmente, 503. — Pr. der Wiener Akademie über Schiller, 720. 

Prosodie, Zahlenverhältnisse im homer. Versbau, 259. 

Proteus (Hypochthon) anguinus, Geschichte darüber, 758. — Arten 

[1859.] 57 f 

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806 Sach- Register. 


763. — Bestandtheile d. Schlammes, worin der P. ang. lebt u. sich 
ernährt, 769. 

Rana affınis, Neue Froschspecies aus Caracas, 403. 

Ranula Gollmerii, neue Froschgatt. aus Caracas, 402. 

Reden, Zur Feier des Jahrestags Friedr. II. üb. dessen Minister Freiherr 
v. Zedlitz, 67. — Zur Erinnerung an Joh. Müller, 121.—Böckh’s 
Gedächtnilsrede auf Leibniz, 498. 533. — Antriltsrede v. Reichert, 
498; Ehrenberg’s Erwiderung, 502. — Gedächtnilsrede auf Al. v. 
Humboldt, 505. — Zur Geburtstagsfeier Sr. Maj. d. Königs über 
Humboldt’s Verdienste um d. Geographie, 638. — Rede zur Schiller- 
feier, 684. 685. 

Rotationsproblem, Neue Behandlungsweise dess., 426. 

Rothes Meer, Proben aus d. Tiefe v. 2766 Fuls, 569. 

Saccharamid, Darstell., 13. 

Sachsenspiegel, Genealogie d. Handschriften desselben, 15. 68. 

Schlangen, Verzeichnils der v. F.Jagor für d. Berliner Museum ge- 
sammelten Schl., 269. — der v. Hoffmann in Costa Rica gesammel- 
ten Schl., 275. — Hydrodipsas, eine neue Gatt., 270. — Plectrurus 
ceylonicus u. ähnl. Arten d. Berliner Museums, 388. 

Schlauchgefälse im Parenchym d. Blätter u. Stengel vieler Monocoty- 
ledonen, 711. — in Mirabilis Jalappa, 712. 

Silber, Anwend. dess. zu Blendgläsern, 364. 

Silicate, Isomorphie u. Heteromorphie bei denselben, 725. 

Sonne, Bestandtheile ihrer Atmosphäre, 664. 787. — Auffallende Licht- 
erschein. in einem grolsen Sonnenfleck, 789. 

Spiegel, etruskische, Paralipomena dazu, 508. 

Sprachen, Worttafel d. Athapaskischen Sprachstammes, 220. — Etymo- 
log. Forschungen üb. Altaische Sprachen, 788. S. Indische Literatur, 
örı, Prosodie. | 

Stereoskop, stereoskop. Darstell. eines durch e. Doppelspath betrach- 
teten Typendrucks durch doppelten Typendruck, 278. — Anwendung 
des St. um ein Original v. seiner Copie zu unterscheiden, 280. 

Sternkarten, s. Astronomie. 

Stickstoffniob, Darstell., 12. 

Succinylehlorid, Einwirk. auf essigs. Salze, 408. 

Tanfana, Göttin, Wesen derselb., 254. 

Temperatur, s. Meteorologie. 

Thierfabel bei Babrius, 564. 

Töne, die tartinischen sind objectiv, nicht subjectiv, 373. 

Trieoccae, Systematik derselben, 236. 

Tyria, s. Monas. 

Vaticanische Fragmente, Einleitung zu ihrer Ausgabe, 395. 


Sach - Register. 807 


Wärme, Nachweis d. Interferenz derselb., 565. — Zusammenhang zw. 
Absorpt u. Emission v. Licht u. Wärme, 783, S, Meteorologie. 
- Wallenstein’s Katastrophe, 554. 658. 
Zoologie, Verzeichnils d. Thiere, welche in finstern Höhlen leben, 759. 
S. Fische, Hydrodipsas, Mikroskop. Organismen, Nyctophilus, Petau- 
‘ rus, Proteus, Rana, Ranula, Schlangen, Höhlenthiere, 
h Zuckersäure, Saccharamid sowie d. Verbind. v. zuckersaur. Bleioxyd 
| mit Chlorblei Derivate derselben, 13, 


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3.Hydromorphus concolor Pet.4 Bothriechis niöroviridis Pet 


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