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Full text of "Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaft zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse"

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, 


BERICHTE 


A6 

B4.-I2, 

Wy^ERHANDLUNGEN 


ÜBER  DIE 


DER  KÖNIGLICH  SÄCHSISCHEN 


GESELLSCHAFT  DER  WISSENSCHAFTEN 


ZU  LEIPZIG. 


PHILOLOGISCH- HISTORISCHE  CLASSE. 


<  860. 


I.  II. 


MIT  9  TAFELN. 


LEIPZIG 
BKI     S.    H1RZEL. 

I8G0. 


1  4.  FEBRUAR. 

Vorgelegt  wurde  ein  von  Herrn  Stark  eingesandter  Aufsatz 
über  Antiken  in  dem  Museum  Meermanno-Westreenianum  im  Haag. 

Bei  einem  Besuche  der  Kunstsammlungen  und  gelehrten 
Anstallen  Hollands  Ende  August  1858  fand  ich  im  Haag  leider 
die  in  der  königlichen  Bibliothek  befindliche  ausgezeichnete 
Münz- und  Gemmensammlung  durch  einen  bedeutenden  Umbau, 
der  in  dein  Gebäude  vorgenommen  wurde,  ganz  unzugäng- 
lich, aber  die  überaus  grosse  Freundlichkeit  und  Gefälligkeil  des 
Vorstandes  der  königl.  Bibliothek,  des  Herrn  Holtrop,  dessen 
Verdienste  um  die  Geschichte  des  Drucks  und  Holzschnittes  wie 
dessen  umfassende  literarhistorischen  Kenntnisse  allgemein  be- 
kannt sind,  verschaffte  mir  den  Eintritt  in  eine,  soviel  ich  weiss, 
dem  archäologischen  Publikum1]  bisher  gänzlich  unbekannt  geblie- 
bene Sammlung,  die  von  einem  reichen  Privatmann,  dem  Baron 
Westreenen,  in  langen  Jahren  auf  vielfachen  Beisen  gesam- 
melt, aber  ebenso  sehr  auch  den  Augen  seiner  nächsten  Freunde 
entzogen,  nach  dem  Tode'des  Besitzers  mit  einem  grossen  Paläste 
und  bedeutenden  Geldmitteln  als  Vermächtniss  in  den  Besitz  des 
Staates  übergegangen  ist.  Auch  jetzt  noch  fehlt  es  nicht  an  wun- 
derlichen Bestimmungen,  wie  z.  B.  dass  die  Sammlung  nur  zwei 
Donnerstage  in  jedem  Monat  dem  Publikum  zugänglich  ist,  dass 
sie  trotz  der  bedeutenden  Geldmittel  nicht  vermehrt  weiden  soll 
u.  dergl.  Was  innerhalb  der  einmal  gezogenen  Gränzen  aber  zur 
würdigen  Anordnung  und  Nutzbarmachung  der  Sammlung  im 
Interesse derWissenschaft  gethan  werden  kann,  geschieht  gewiss 
unter  der  jetzigen  Verwaltung,   an    deren  Spitze  Herr   Holtrop 

4)  Für  das  grössere  Kunstpublikum  in  Deutschland  ist  eine  kurze  Bespre- 
chung der  Sammlung  im  deutschen  Kunstblatt  1854,  n.42  vonV.  in  Amsterdam 
erschienen,  lieber  die  darin  befindlichen  Manuscripte  mit  Miniaturen,  die 
Holzschnitte  und  Kupferstiche  hat  G.  F.  Waagen  einen  eingehenden  Bericht 
gegeben  in  derselben  Zeitschrift  Jahrgang  1852  No.  28.  29.  30.  31. 

ISfiO.  1 


2     

sieht.  Ein  wissenschaftlicher  Katalog  und  Publikationen  der 
wichtigsten  Gegenstände  möchten  dabei  zunächst  ins  Auge  zu 
fassen  sein.  Bedauern  inuss  man  freilich,  dass  in  Holland  ausser 
dem  würdigen  und  thätigen  Vorsteher  des  Leydener  Reichs- 
museums keine  einzige  wissenschaftliche  Kraft  den  antiken 
Kunststudien  zugewandt  ist ,  dass  auf  keiner  der  in  streng 
philologischer  Beziehung  so  tüchtig  ausgestatteten  Universitäten 
auch  nur  eine  Vorlesung  über  Archäologie  gehalten,  geschweige 
eine  methodische  Anleitung  zum  Studium  der  antiken  Denkmäler 
gegeben  wird. 

Einstweilen  erlaube  ich  mir  die  archäologischen  Notizen, 
die  ich  mir  bei  einem  einmaligen  Besuche  gemacht  habe,  kurz 
mitzutheilen  und  dann  vier  anziehende  Denkmäler,  deren  Zeich- 
nung auf  meine  Bitte  Herr  Iloltrop  von  einem  sehr  geschickten 
Künstler  ausführen  liess ,  zu  veröffentlichen  und  eingehend  zu 
besprechen.  Die  treffliche  Ausführung  derselben  verpflichtet 
uns  gegen  dem  Künstler,  Herrn  Nyhoff,  wie  die  Liberalität 
und  rasche  Fürsorge  dabei  gegen  Herrn  Iloltrop  zum  lebhaftesten 
Danke. 

Kapitel  I.    Archäologischer  Gesammtbestand  der  Sammlung. 

Es  giebt  kaum  einen  Zweig  künstlerischer  Technik  und  eine 
kunstgeschichtliche  Periode,  die  in  den  mannigfaltigen  Räumen 
des  Palais  Westreenen  nicht  vertreten  wäre:  von  kleinen  ägyp- 
tischen Anticaglien  zu  griechisch-römischen  Marmorwerken,  Bron- 
zen, antiken  Thongefässen,  Münzen,  zu  b\zantinischen  Gemälden, 
Gemälden  der  altilalienischen  wie  der  nordischen  Schulen  ,  zu 
Siegeln,  Münzen  und  Medaillen,  zu  kleinen  Werken  in  Bronze 
und  Marmor  der  ersten  Benaissance,  des  Bococo,  wie  der  Neu- 
zeit, dann  vor  allem  zu  dem  kostbaren  Schatze  im  Bibliothek- 
saal an  Miniaturen  der  Flandrischen  Schule,  besonders  jenem 
ganz  bewundernswerthen  für  Karl  V.  von  Frankreich  von  Jan 
von  Brügge  1371  gemalten  Miniaturcodex  einer  französischen 
Bibel,  an  ersten  Drucken,  an  Prachtdrucken,  an  ältesten  Holz- 
schnitten und  Kupferstichen,  wandert  man  mit  immer  neuer 
Ueberraschung.  Verteilen  wir  etwas  länger  im  Zimmer  der  An- 
tiken, so  fallen  uns  zunächst  einige  freistehende  Köpfe,  Statu- 
etten, Aschenbehälter  auf.  Ein  kleiner  Herkules  in  Marmor, 
ruhig  stehend,  mit  dem  Löwenfell  über  den  linken  Arm  geschla- 
gen, in  der  Boehlen  die  Keule  nach  unten  angelehnt,  ein  mann- 


3      

lieber  Kopf  von  rosso  antico ,  fälschlich  als  ein  römischer 
Porlraitkopf  bezeichnet,  während  er  vielmehr  ein  jugendlicher 
Idealkopf  ist,  ein  Li  via  köpf,  zwei  spätrömische  Kaiserköpfe 
begegnen  uns  hier.  An  einer  Ascbenkiste  zieht  sich  rechts  und 
links  von  der  Inschrift  und  an  beiden  Seiten  ein  Blumen-  und 
Fruchtkranz  hin;  vorn  zeigen  sich  dabei  zwei  pickende  Vögel. 
Die  Inschrift  lautet : 

D.    M. 
ATER1AE  SAJBINAE 
V X O  R  I  P  I  /ETAT  E E  T  C  A  STIT  ATE 
'IN  COMP  AR  ABI  LI 
VIX.  ANNOSXLV 
CLODIVSMOERENS 
POS. 

Zwei  Schränke  sind  mit  Anticaglien  der  verschiedensten 
Art  angefüllt,  besonders  kleinen  Bronzen ,  unter  denen  manche 
Fälschung  sich  befindet,  Mercur  wie  meist  in  derartigen  Samm- 
lungen am  Rhein  eine  grosse  Bolle  spielt,  Terracotten,  kleinen 
Gefässen  aus  rother  Erde,  wie  sie  so  massenhaft  in  Holland  selbst, 
so  im  Forum  Hadriani  gefunden  werden,  kleinen  Gläsern,  ein- 
zelnen Marmorfragmenten,  Mosaiktheilchen.  Als  das  Bedeutendste 
und  wahrhaft  Anziehende  zeigten  sich  mir  bei  näherer  Musterung 
sofort  das  Fragment  einer  Marmorstatuetle  und  die  zwei  Beliefs, 
deren  Beschreibung  un'd  Erklärung  uns  unten  naher  beschäf- 
tigen soll.  Alle  jenen  kleinen  Bronzen  werden  weit  übertreffen 
an  Kunstwerth  durch  einen  grossen  Bronzegriff,  wie  es 
scheint  eines  Spiegels,  oder  Halter  überhaupt,  den  Herr  Hol- 
trop  mitRechtin  einer  brieflichen  Mitlheilung  »d'un  modele  par- 
fait,  un  chef  d'oeuvre«  nennt.  Auch  diesen  können  wir  in  einer 
Zeichnung  vorlegen  und  einer  genauem  archäologischen  Unter- 
suchung unterwerfen. 

Wie  ist  man  erstaunt,  in  einem  eigenen  Schranke  dieses 
Zimmers  endlich  einer  ganzen  Reibe  von  Gegenständen  zu  be- 
gegnen, die  uns  nach  der  vorherrschenden  Menge  von  Werken 
römischer  Technik  mittleren  Werlhes  nun  in  eine  ganz  grie- 
chische Kunstwelt  einführt  und  worunter  Stücke  erlesenster  Art 
sich  befinden  1    Ich  meine  die  Reihe  Vasen  aus  der  Sammlung 


Canino,  von  derder  grössteTheil  nach  München,  einiges  auch  nach 
Leyden,  gekommen  ist.  Auch  in  dervollsländigslen  Uebersiehtder 
Schicksale  der  Vasen  und  ihrer  gegenwärtigen  Besitzer  bei  Jahn 
(Beschreibung  d.  Vasensammlung  d.  König  Ludwig.  München  1854. 
Einleitung  p.  XVIII.  XIX.)  finden  wir  von  der  Existenz  solcher 
hier  nichts  erwähnt2).  Wir  begegnen  Beispielen  aller  Stilgattun- 
gen von  der  ältesten  Gattung  von  Gefässen  mit  hellem,  gelbem, 
auch  weissem  Grunde  und  braunen  sowie  violetten  Figuren  (A) 
zu  dem  strengen  Stile  schwarzer  Figuren  auf  hellem ,  ja  auch 
weissem  Grunde  (B),  dann  zu  der  Mehrzahl  edelsten  Stiles  mit 
hellrothen  Figuren  auf  schwarzem  Grunde  und  glänzendstem 
Firniss  (C),  endlich  zu  Beispielen  der  flüchtigen  jüngeren  Zeich- 
nung (D).  Folgende  sind  die  Gefässe,  über  die  ich  mir  bei  im- 
merhin rascher  Durchsicht  Notizen  gemacht  habe. 

A.  Die  älteste  Gattung  ist  durch  eine  grosse  zweihenklige 
Amphora  glänzend  vertreten.  Drei  Reihen  von  Thieren  umge- 
ben den  unteren  Theil  des  Gefässbauches  :  Leoparden  ,  Sirenen 
und  Stiere,  darüber  Leoparden  und  Böcke,  Esel  und  Schwäne. 
Der  obere  Theil  des  Gefässkörpers  zeigt  eine  Hauptdarstellung 
und  eine  unbedeutendere  der  Rückseite.  Herakles  mit  Löwen- 
feil  angethan  und  mit  Schwert  bewaffnet  greift  nach  Deianira, 
die  auf  dem  Rücken  des  auf  die  Vorderfüsse  niedergesunkenen 
Kentauren  Nessos  sitzt;  davor  befinden  sich  drei  weibliche  und 
eine  männliche  Gestalt,  hinter  Herakles  eine  weibliche  und  zwei 
männliche  Gestallen.  Auf  der  Rückseite  ist  eine  erotische 
Scene  gebildet:  7  nackte  Gestalten  in  begehrlichen  Stellungen. 
Dabei  finden  sich  auf  der  Vorderseite  folgende  wie  es  scheint 
bedeutungslose  Inschriften  : 

NOE*OA  NOIr/  NOAOI  SOTVT  TO^C  1ZOALCH 
TVOFCOL  und  auf  der  Rückseite  TOTVOL  TOTOI 
TVODIO    EIOF    HOOI. 


2)  Durch  0.  Jahns  Güte  erhielt  ich  folgende  katalogische  Arbeiten  über 
die  Vasenfunde  und  Sammlung  des  Prinzen  von  Canino:  Museum  etrusque 
de  Luc.  Bonap.  prince  de  Canino.  Viterbe  1  829 ;  Descript.  d'une  collect. 
de  vases  peints  etc.  par  J.  de  Witte.  Paris  1837;  Reserve  etrusque,  Londres 
■1838;  Notice  d'une  collection  de  vases  peints  tirös  des  fouilles  faites  etc.  par 
feu  le  prince  de  Canino,  Paris  1843  und  1845.  Es  ist  mir  jedoch  nicht  ge- 
lungen, in  denselben  die  hier  beschriebenen  Stücke  mit  Evidenz  nachzuwei- 
sen, sowie  es  bei  dieser  vorläufigen  Beschreibung  durchaus  nicht  gerathen 
schien,  sie  mit  den  vielfach  sich  darbietenden  Parallelen  zu  beschweren. 


Der  Hais  des  Gelasses  isl  mit  einer  doppelten  Palmetlen- 
stellung  in  der  an  das  assyrische  Ornament  erinnernden  Form 
verziert. 

B.  Zur  Gattung  mit  schwarzen  Figuren  auf  hellem  Grunde 
gehört  2.  eine  grosse  zweihenklige  Amphora  mit  zwei  grossen 
Darstellungen,  Verzierung  am  Hals  und  am  Fusse.  Herakles, 
mit  Löwenfell  und  Schwert  bewaffnet,  weit  ausschreitend,  hält 
in  der  Rechten  die  Keule  gehoben  ,  mit  der  Linken  fasst  er  den 
Helmbusch  einer  auf  ein  Knie  Gesunkenen  Amazone,  die 
Speer,  Schild  und  Schwert  hat.  Hinter  ihr  schreiten  eilig  zwei 
Amazonen  mit  gezogenen  Schwertern  herbei,  hinter  Herakles 
eilt  eine  Amazone  mit  Bogen  und  Köcher  und  hoher  asiatischer 
Kopfbedeckung  herzu.  Die  Hinterseile  weist  eine  der  bekannten 
Abschiedsscenen  junger  Helden  :  zwei  stehen  sich  einander  ge- 
genüber, sich  die  Hand  reichend;  der  junge  Mann  mit  Helm, 
Schild  und  Beinschienen  ausgerüstet;  das  Zeichen  des  Schildes 
sind  drei  Kugeln.  Daneben  zwei  Greise,  deren  einem  ein  Knabe 
etwas  darreicht. 

3.  Ein  grosses  tassenförmiges  Gefäss  (oxvcpog)  ebenfalls 
mit  Ileraklesdarslellung :  Herakles,  gegenüber  einer  Ama- 
zone, zu  den  Seiten  Iolaos  und  eine  andere  Amazone. 

i.  Grosser  Lekylhos :  Herakles  würgt  ein  in  Schlangen- 
gestalt ausgehendes  Ungeheuer  mit  bartigem  Kopf  (Triton). 

5.  Eine  zweihenkligeAmphora  mit  schwarzen  und  violetten 
Figuren  auf  weissem  Grunde  (vgl.  über  diese  Gattung  Jahn 
Einleitung  p.  LXXIII).  Ein  bärtiger  Dionysos  sitzt  auf  dem 
Pfühl  eines  Bettes  mit  darüber  sich  rankendem  Weinstock;  vor 
ihm  kniet  ein  bärtiger  Satyr,  die  rechte  Hand  erhebend,  wie 
erschreckt.  Hinler  ihm  eilt  ein  Viergespann  mit  Wagenlenker 
fort.  Weinstöcke  schliessen  das  Ganze. 

6.  ZweihenkligeAmphora:  bärtiger  Dionysos  mit  Füll- 
horn, zwei  scherzende  Satyrn  zur  Seite,  der  eine  fort-  der  an- 
dere herbeieilend.  Die  Rückseite  zeict  drei  Krieger,  zwei  mit 
Schilden  bewaffnet ,  ruhig  stehend;  Schildzeichen  drei  Kugeln 
und  Hintertheil  eines  Thieres. 

7.  Kleine  zweihenklige  Amphora,  hellgelb  mit  bräunlich 
schwarzen  Figuren  flüchtiger  Zeichnung:  Sitzender  bärtiger 
Dionysos  mit  Epheubekränzung,  ein  Panther  und  ein  zweiler 
hinter  ihm,  daneben  ein  nackter  bärtiger  Satyr,  vor  dem  eine 
bekleidete  weibliche  Gestalt  forteilt. 


8.  Kleines  schlankes  zweihenkliges  Gefäss  mit  flüchtiger 
Zeichnung:  eine  Frau  weist  einen  Satyr  ab,  während  ein 
anderer  begehrlicher  ihr  sich  naht,  Weinranken  darüber;  zu  bei- 
den Seiten  ein  Schwan.  Rückseite:  eine  jugendliche  Gestalt  mit 
Köcher,  phrygischer  Mütze ,  Speer,  zwischen  zwei  beschildeten 
Kriegern,  deren  Zeichen  ein  schwarzes  Kreuz  und  drei  Kugeln 
sind. 

C.  Gefässe  mit  rothen  Figuren  auf  schwarzem  Grunde  edel- 
sten Stiles. 

9.  Zweihenklige  Amphora:  einem  jugendlichen  Krieger 
reicht  eine  weibliche  Gesta  lt  eine  Schale,  eine  andere  weib- 
liche Gestalt  die  Hand. 

10.  Dreihenklige  Hydria  trefflichen  Stiles.  Um  den  Hals  eine 
Verzierung  von  Ranken  und  Palmetten,  unten  ein  Mäanderband. 
Von  oben  schwebt  ein  Eros  herab,  rechtshin  eilt  ein  Mädchen 
in  ärmellosem  Chiton  fort. 

M.  Grosse  dreihenklige  Hydria  mit  Astragalenband  oben, 
Blätterverzierung  unten.  Ein  grosses  fein  ausgeführtes  Schiff  mit 
ausgespanntem  Segel,  Augen  am  hohen  Hinterbord,  schwimmt  auf 
Meereswellen  von  springenden  Delphinen  umgeben;  ein  Steuer- 
mann, zwei  Paare  sich  gegenübersitzender  Ruderer  und  eine 
sechste  Gestalt  (Schiffsherr  oder  y^levOTtjg)  befinden  sich 
darin.  Folgende  Buchstaben  befinden  sich  dabei:    ICONIV;. 

12.  Zweihenkliger  bauchiger  Krater  mit  Palmetten  und 
Olivenkranz  oben,  unten  Wellen  als  Verzierung.  Zwei  Paare  von 
je  einem  Mädchen  und  nacktem  Jün gl  ing  sind  in  der  Mitte 
dargestellt:  bei  dem  einen  Paar  reicht  die  weibliche  Gestalt 
eine  Taube,  der  Jüngling  einen  Apfel,  bei  dem  anderen  reicht 
jene  einen  Ball,  dieser,  der  in  der  anderen  Hand  einen  Stab  hält, 
eine  Schale.  Eine  reizende  Darstellung  von  gegenseitiger  Liebes- 
werbung. 

13.  Grosser  Krater  in  der  vaso  a  campana  genannten  Form 
mit  prachtvollen  Doppelhenkeln.  Ein  Epheukranz  umgiebt  den 
oberen  äusseren  Rand.  Die  Vorderseite  zeigt  einen  Eros,  ge- 
flügelt, mit  Bekränzung  und  Bindenkopfschmuck,  der  Epheu- 
und  Olivenzweig  haltend  an  eine  Frau  herantritt,  welche  mit 
Schmuckkästchen  und  Spiegel  davon  eilt.  Den  Bevers  bilden 
zwei  stehende  Mantelfiguren  mit  runden  und  kaslenartigen 
Gegenständen  in  den  Händen. 


14.  Zweihenklige  Schale  mit  Fuss  (Kylix).  Innendarstellung 
von  einem  Epheukranz  umgehen  :  ein  nackter  geflügelter  Eros 
mit  weihlichem  Kopfschmuck,  einen  Kranz  haltend,  sitzt  auf 
einem  Felsen;  zwei  Tänien  hängen  zur  Seite.  An  der  Aussen- 
seite  zeigen  sich  zwei  sitzende  Frauen  Kästchen,  und  Binde 
hallend. 

15.  Zweihenklige  Kylix  mit  trefflichem  Firniss.  Innen  er- 
scheint ein  nackter  Jüngling  im  Begriff  sich  zu  rüsten,  ein 
Band  umgiebt  sein  Haar,  er  ist  mit  beiden  Händen  beschäftigt 
sich  eine  Beinschiene  anzulegen,  die  andere  liegt  daneben,  dane- 
ben lehnt  Schild,  Speer,  Schwert  und  Schwertgehänge.  An  der 
Aussenseite  rüsten  sich  sechs  Krieger,  der  eine  mit  Schwert, 
der  andere  mit  Helm,  der  dritte  mit  Schild  (Schlange  als  Zei- 
chen), der  vierte  mit  Speer  und  Schild  (Ochsenkopf  als  Zeichen), 
der  fünfte  mit  Beinschienen,  der  sechste  mit  Schild  (Seepolyp  als 
Zeichen). 

16.  Grosser  Lekythos:  zwischen  Banken  und  grossen  Pal- 
metten vorn  eine  weibliche  Gestalt  mit  Schwan  auf  dem 
Schoos  sitzend,  über  der  ein  runder  flacher  Gegenstand  aufge- 
hängt ist;  ihr  in  dem  Bücken  ein  nackter  Jüngling,  die 
rechte  Hand  zurück  an  einen  Stab  angelegt;  hinten  eine  weib- 
liche Gestalt  mit  Spiegel  und  Gefäss. 

17.  Lekythos  mit  Darstellung  eines  Adlers. 

D.  Gefässe  mit  hellgelben  Figuren  in  flüchtigem  Stile  und 
Gefässe  mit  Beliefverzierung. 

18.  Einhenkliges  offenes  Gefäss  (xva&og  oder  xotvlrj) :  zwi- 
schen sehr  reichen  Palmetten  und  Banken  sind  zwei  jugendliche 
Köpfe  flüchtig  gezeichnet. 

19.  20.  Zwei  grosse  schwarze  Kannen  [zrQoxovg)  mit  Belief 
von  Epheuranken ,  Beihen  von  Bären,  Hirschen,  wieder  Bären 
und  dazwischen  gestellte  spitze  Blätterreihen. 

21.  Stierköpfiges  Bhyton. 

Kap.  II.  Plastische  Denkmäler  aus  dem  Museum  Meermanno- 

Westreenianum. 

§1- 
Hermes  Kriophoros,  ein  Spiegelhalter  von  Bronze.  Tafel  I. 

Fassen  wir  zuerst  die  tektonische  Anordnung  dieser  im 
Ganzen  26Ccntim.  hohen,  wohl  erhaltenen  Bronze  auf,  so  zerfällt 


8     : 

das  Ganze  in  vier  Haupttheile:  zunächst  in  einen  nach  unten  als 
freiendend  charakterisirten  knopfartigen  Körper,  bestehend  in 
einem  nach  unten  gerichteten  Widderkopf  mit  hervorstehenden 
gewundenen  Hörnern,  zweitens  in  einer  schlanken,  nach  oben  in 
zwei  Arme  sich  theilenden,  als  zum  Umfassen  und  zugleich  Halten 
nach  oben  bestimmt  charakterisirten  Haupltheil,  künstlerisch 
durchgebildet  als  nackte  hochgezogene,  die  beiden  Arme  stützend 
zu  den  Seiten  des  Kopfes  erhebende  männliche  Gestalt.  Drit- 
tens schliesst  das  Ganze  ein  breiter,  durchbrochener  getragener 
Gegenstand,  bestehend  zunächst  in  einem  horizontal  auf  de*m 
Kopfe  des  Trägers  vermittelst  eines  durch  den  Eierstab  charak- 
terisirten Polsters  aufruhenden  Tragbalken  ,  der  an  beiden  En- 
den in  eine  leichte  Volute  ausgeht.  Auf  diesem  liegen  sich  den 
Rücken  zukehrend  zwei  Widder  mit  gewundenen  Hörnern,  die 
Vorderbeine  eingeschlagen ,  die  Hinterbeine  rittlings  an  den 
Seiten  angelegt.  Diese  Widder  sind  selbst  mit  ihren  Häuptern 
wieder  Träger  eines  schmäleren  Kastens ,  der  an  beiden  Seiten 
aufwärts  und  auswärts  wenig  sich  biegt  und  als  einfache  dorische 
bekrönende  Kranzleisle  gebildet  ist;  auch  er  hängt  mit  den 
unteren  Tragbalken  durch  ein  schmales  Mitteltheil  zusammen, 
das  durch  ein  aufrechtstehendes  herzförmiges  Blatt  verdeckt 
wird.  Wer  erkennt  hier  nicht  die  tektonisch  freie  Behandlung 
des  architektonischen  in  Hauptbalken,  Fries,  Kranzgesims  zer- 
fallenden Gebälkes?  Ueber  der  Mitte  der  oberen  Leiste  erhebt 
sich  endlich  viertens  eine  breite  nicht  tief  gegliederte  Palmette. 
Die  ganze  Anordnung  des  oberen  Theiles  weist  darauf  hin,  dass 
er  selbst  bestimmt  ist  einen  grösseren  runden,  eingebogenen, 
aber  selbständigen  Körper  aufzunehmen,  der  durch  Nägel  oder 
Löthen  hinter  jener  Palmelle  befestigt  war. 

Mit  dieser  teklonischen  strengen  und  wohl  durchdachten, 
aber  ebenso  mannigfaltigen  Anordnung  stimmt  der  plastische 
strenge  Charakter  der  Thier-  und  vor  allem  der  Menschenbil- 
dung. Wir  sehen,  wie  bereits  erwähnt,  eine  nackte,  gestreckte 
männliche  Gestalt  im  jugendlichen,  aber  ganz  entwickelten 
Alter,  dem  des  griechischen  Epheben,  vor  uns,  die  Füsse  neben 
einander  auf  die  Vorderballen  gestellt,  Unter-  und  Oberschenkel 
stark,  sehnig,  nicht  fleischig,  kräftig  gestreckt;  die  Weichen 
scharf  markirt,  sowie  die  Linien  zu  den  Schamtheilen ,  die  in 
zierliche  Locken  gelegte  Haare  umgeben ;  der  Unterleib  ist 
eingezogen  und  schmächtig,    darüber  erhebt  sich  eine  breite, 


—      9     

kräftige,  gewölbte  Brust  mit  scharfer  Umzeichnung  der  beiden 
Brusttheile.  Die  zu  dem  Oberarm  führenden  Muskeln  sind  durch 
die  nach  beiden  Seiten  in  gleicher  Fläche  gehobenen  Arme  stark 
angespannt.  Die  Ellenbogen  bilden  einen  rechten  Winkel,  indem 
die  Unterarme  zu  beiden  Seiten  des  Kopfes  sich  etwas  schräg 
der  zu  tragenden  Last  zurichten ;  nur  die  innern  Ballen  der  tra- 
genden Hände  sind  sichtbar.  Ein  starker  Hals  trägt  den  ganz 
streng  nach  vorn  geradeaus  gerichteten  Kopf.  Das  Gesicht  zeigt 
unten  ein  langes  Oval ,  die  obere  Stirnrundung  ist  mehr  breit 
und  gedrückt.  Die  scharfen,  fast  eckigen  Linien,  die  Stirn  und 
Augenhölung  begränzen ,  die  etwas  schräg  einwärts  gestellten, 
langgezogenen  Augen,  der  geschlossene  Mund,  das  markirte 
Kinn  sind  ebenso  sehr  Beweise  des  strengen  allgriechischen 
Stiles,  als  uns  in  der  edeln  langen  Nase,  der  Kleinheit  des  Mun- 
des, dem  Lebensvollen  der  Lippen,  der  feinen  Rundung  von 
Wangen  und  Unterkinn  die  Idealität  griechischer  Kunst  über- 
haupt entgegentritt.  Um  den  Kopf  ist  einer  flachen  Perrücke 
ähnlich  das  Haar  in  zierliche  parallele,  senkrecht  auf  die  Stirne 
gerichtete  Locken  gelegt,  zu  beiden  Seiten  des  Untergesichts 
und  des  Halses  fällt  auf  die  Schulter  das  Hinterhaar  als  einheit- 
liche Masse  mit  parallelen  Lagen  herab. 

Fragen  wir  zuerst  nach  der  unmittelbaren  Bestimmung 
dieses  tektonischen  Gegenstandes,  so  ist  zunächst,  wie  wir  bei 
der  Beschreibung  im  Einzelnen  sahen,  das  Ganze  als  Halter  oder 
Träger  eines  grösseren,  rundlichen  Gegenstandes  sicher.  Es  fragt 
sich  nun  zunächst:  gehört  es  zu  einem  Gegenstande,  der  auf  dem 
Boden  seinen  Stützpunkt  hat,  diente  dieser  als  Fuss,  als  Stütze 
desselben,  als  einer  allein  oder  einer  unter  mehreren?  also,  haben 
wir  den  Träger  zu  einem  Dreifuss  etwa  oder  einem  Candelaber 
oder  Thronsitz  oder  dem  Fussgestell  eines  dieser  Gegenstände 
oder  eines  Beckens,  wie  menschliche  Gestalten  so  vielfach  und 
gerade  so  mannigfaltig  in  der  Zeit  des  strengen  Stiles  gebildet 
wurden,  wofür  es  uns  an  Beispielen  aus  etrurischen  Gräbern  wie 
Pompeji  und  Herculaneum  nicht  fehlt?  Zunächst  müssen  wir 
sagen,  die  ganze  Bildung  ist  der  Art,  dass  wir  uns  nicht,  wie 
so  vielfach  bei  Candelabern,  mehrere  Stücke  der  Art  übereinan- 
der angebracht  denken  können  ,  und  doch  wieder  ist  die  Höhe 
so  beschränkt,  dass  immerhin  ein  derartiger  Träger  für  einen 
vom  Boden  sich  erhebenden  Gegenstand  zu  klein  wäre,  und 
andrerseits  ist  der  Gegenstand  so  rund  und  voll  ausgearbeitet, 


1 0 

so  reich  ausgeführt,  dass  er  nicht  als  an  einein  blossen Fussgestell 
angebracht  gedacht  werden  kann.  Es  bliebe  also  nur  ein  Ge- 
genstand übrig,  der  bestimmt  war ,  auf  einer  Tischplatte  erst 
aufgestellt  zu  werden.  Dem  aber  widerspricht  das  untere  Ende, 
der  Widderkopf,  weil  er  das  Aufsetzen  auf  dem  Boden  oder 
einer  Basis  unmöglich  macht.  Wer  irgend  mit  griechischer 
Tektonik  bekannt  ist,  weiss,  dass  zu  der  Gliederung  des  zum 
Aufsetzen  bestimmten  Theiles  ein  alter  Techniker  nie  den  Kopf 
eines  Thieres,  sondern  nur  die  Risse  desselben,  also  Klauen 
aller  Art,  auch  wohl  Menschenbeine,  etwa  auch  ein  ganzes,  an 
der  Erde  kriechendes  Thier,  wie  Schildkröte,  Schnecke  anwen- 
det, dass  der  Kopf  durchaus  als  ein  nach  oben  Endendes  oder 
frei  Herausragendes,   Hängendes  und  mit  vollem  Recht  gebildet 

wird. 

Wir  können  also  hier  nur  an  einen  Träger  eines  Gegenstan- 
des denken,  der  Halter  ist  oder  Griff,  bestimmt  in  der  mensch- 
lichen Hand  frei  gehoben  zu  werden. 

Es  könnte  also  ein  Halter  sein  zu  einer  Waffe,  einem  son- 
stigen Instrument,   zu  einer  Schale,   endlich  einem  Toileltenge- 
räth.   Zu  einem  Schwert-  oder  Messergriff  eignet  es  sich  wegen 
seiner  Grösse,   Gestrecklheit  und  den  oberen  sehr  breiten,  zur 
Aufnahme  eines  noch  breiteren  und  rundlichen  Gegenstandes  ein- 
gerichteten Theiles  nicht.  Was  Schalen  mit  Griffen,  Schöpflöffel, 
siebartige  Löffel  betrifft,  so  sind  die  Halter  der  letzteren  dem 
leichten,  beweglichen  Gebrauche  gemäss  durchaus  schlanker  und 
einfacher  gehalten;   die  Zahl  der  ersteren    ist  unter  den  Monu- 
menten gegenüber  der   einfach    runden   Form    der  Opferschale 
(patera)  ausserordentlich  klein  und  dabei  der  Stiel  immer  gleich- 
massig  kurz,  dick  mitTliierkopfenden:  so  auf  einem  späteren  Bas- 
relief zu  Pisa  bei  Inghirami  Monum.  elruschi  Ser.VI.  No.  3,  so  ein 
thönernes  von  Caylus  publicirtes  Gefäss  (Inghirami  a.  a.  0.  Ser.VI. 
N.5),  so  ein  bronzenes  Gefäss  aus  Pompeji  (Roux  und  Barre  Hercul. 
und  Pompeji  VI.  Taf.  69);  es  ist  die  Form  unsers  Tiegels.  Was  aber 
die  von  Gerhard  (Etrusk.  Spiegel  S.  82.  Anm.  80.  S.  91.92.95) 
für    Schalen    oder    Schüsseln    erklärten    Denkmäler    mit    den 
kunstreichen  unserem  Denkmale  entsprechenden  Griffen  betrifft, 
so  werden  wir  sie  weiter  unten  durchaus  als  Spiegel  erwiesen 
finden,  eine  Bezeichnung,  von  der  Gerhard  für  diese  Specialfälle 
nicht  hätte  abgehen  sollen.    Ich  will  hier  schon  auf  eines  auf- 
merksam machen:   schwerlich  würde  ein  Grieche  eine  mensch- 


1 1    

Jiche  Ianejseslreckte  tragende  Gestalt  benutzt  haben  für  ein  In- 
strumenl,  das  gerade  horizontal  getragen  wird,  wie  ein  derarti- 
ger Napf  mit  Stiel ;  für  einen  Thierkörper  ist  das  natürlich  nicht 
unpassend. 

Alles  vereinigt  sich  zur  Annahme  des  Griffes  eines  Spie- 
gels oder  Spiegelbehälters,  indem  wir  dabei  die  antiken 
runden  Metallspiegel  im  Auge  haben.  Dass  jene  Spiegelbehältor 
oder  Spiegelhalter  als  OTooyyvla  XocpEia  bereits  durch  Aristo- 
phanes  (Nub.  74G)  wohlbekannt  sind,  dass  Exemplare  mit  Bän- 
dern (Gerhard  Etr.  Spiegel,  Taf.  XX),  ausgezeichnet  mit  Zeich- 
nungen im  Innern,  mit  Reliefs  auf  den  convexen  Seiten,  erhallen 
sind,  brauche  ich  wohl  kaum  zu  erwähnen.  Sind  an  den  ge- 
wöhnlichen kleinen  Exemplaren  von  Spiegeln  die  Stiele  einfach 
und  in  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  der  Scheibe  gearbeitet 
(Gerhard  a.  a.  0.  Taf.  XXII — XXX),  so  können  wir  eine  ganze 
Scala  reicherer  Ausschmückung  verfolgen:  zunächst  endet  der 
Stiel  in  Thierköpfe  von  Rehen,  Stieren,  Widdern  (Gerhard  Taf. 
XXIV,  1—4.  6—10.  13—15.  XXIV,  10.  12.  43—19),  der 
Uebergang  in  die  Mündung  des  Spiegels  oder  des  Anheftepunktes 
wird  mit  Blumen,  Palmetten,  Köpfen  in  Relief,  ganzen  kleinen 
Gruppen  in  Relief  oder  Zeichnung  geschmückt,  ein  Querstock 
tritt  ein  in  Voluten  endend  (Gerhard  a.  a.  0.  Taf.  XXV — XXIX). 
Einen  merkwürdigen  Uebergang  bildet  endlich  ein  Silberspiegel 
mit  Griff,  an  dem  eine  stehende  nackte  männliche  Gestalt  mit 
Stab  in  Relief  sich  befindet  (Inghirami  Mon.  etruschi  VI.  tav. 
C.  2.  N.  3). 

Wenden  wir  uns  nun  zu  ganzen  Statuetten,  deren  Ver- 
bindung mit  einem  Spiegel  oder  Spiegelbehälter  unzweifelhaft 
ist,  so  begegnen  uns  hier  weibliche,  männliche  und  mannweib- 
liche Gestalten  ;  die  zweiten  bieten  für  uns  das  grösste  Interesse, 
da  sie  die  schlagendsten  Analogien  zu  unserem  Denkmal  an  die 
Hand  geben.  Ist  die  bekannte  und  publicirte  Zahl  nicht  gross, 
so  ist  daraus  auf  die  Seltenheit  solcher  Bildungen  auch  im  Alter- 
thum  kein  Schluss  zu  machen,  da  unter  der  grossen  Zahl  von 
kleinen  Bronzestatuen,  die  irgendwie  als  tragend  mit  gehobenem 
Arm.  oder  mit  Aufsalz,  oben  schliessender  Palmette,  oder  Blu- 
men bezeichnet  sind,  auch  Spiegelhaller  sich  belinden  werden; 
so  wird  dies  von  einer  nackten  Venusstaluette  mit  Blatt  oben 
in  der  Dresdener  Sammlung  (llellner  Bildw.  d.  kön.  Anlikens. 
in  Dresden  1856.  S.  93)  schon  angenommen.  Von  weiblichen 


12     

Statuetten  haben  wir  bei  Gerhard  etrusk.  Spiegel  Taf.  CXVII 
und  CXXXVIII  (Micali  Mon.  p.  serv.  alla  stör.  etc.  t.  L.3)  zwei 
interessante  Beispiele,  dort  eine  weibliche  nackte  Gestalt  mit 
Schmuck  um  Hals  und  Arm,  den  rechten  Arm  gehoben  im  rech- 
ten Winkel  zu  dem  breiten  Kopfaufsatz  oder  Polster,  welches 
die  Spiegelrundung  trägt,  in  der  Venus  und  Amor  als  Ein- 
zeichnung  sich  finden,  in  massiger,  fast  plumper  Arbeit,  hier 
eine  bekleidete  weibliche  Gestalt  in  streng  derber,  nicht  idealer 
Tracht,  den  linken  Arm  eingestemmt,  den  rechten  nach  oben 
zur  Haltung  des  Polsters  gehoben,  sichtlich  eine  Dienerin  dar- 
stellend; über  ihr  befindet  sich  dann  ein  concaver  Spiegelbebäl- 
ter  mit  Relief  im  Innern;  der  Stil  ist  besser,  sorgfältiger,  als  bei 
der  ersten  Gestalt. 

Mit  dem  Spiegel  noch  verbunden  ist  in  Pompeji  als  Griff 
ein  Hermaphrodit  gefunden,  in  Stellung  und  unterer  Bildung 
der  von  uns  publicirten  Gestalt  entsprechend,  auf  einem  Wid- 
derkopf stehend ,  die  gehobenen  beiden  Arme  tragen  aber  nicht 
unmittelbar;  vom  Kopf  fällt  nach  hinten  ein  Schleier  herab 
(Roux  und  Barre,  Herculanum  und  Pompeji  VI.  Ser.  3  t.  91). 

Von  noch  grösserem  Interesse  sind  für  uns  die  ganz  männ- 
lichen, hier  in  Betracht  kommenden  Gestalten  ,  welche  sich 
auch  durch  den  mehr  oder  weniger  festgehaltenen  archaischen 
Stil  unserem  Denkmale  nähern.  Es  kommen  hier  in  Betracht 
zwei  bei  Gerhard  (Etr.  Spiegel  Taf.  XXX  und  Taf.  LX)  abgebil- 
dete Gegenstände,  ferner  ein  Denkmal  aus  Pompeji  (Roux  und 
Barre  VI.  Serv.  3.  Taf.  91;  Overbeck,  Pompeji  S.  323),  ferner 
ein  bereits  bei  la  Chausse  (Mus.  Roman.  II,  22),  dann  bei  Creuzer 
(Symbolik  und  Mythologie  III.  Heft  3.  n.  9,  Aufl.  3)  publicirter 
Spiegel  mit  Griff,  endlich  die  borgianische  Erzfigur  mit  der  In- 
schrift An  I O  V  M  (Sutina) ,  ebenfalls  von  Gerhard  S.  89.  Note  1 3 1 
erwähnt,  wie  es  scheint,  noch  nicht  edirt.  Die  Bildung  der  ju- 
gendlichen nackten  Gestalt,  die  Stellung  der  Füsse,  die  Hebung 
der  Arme  scheint  bei  allen  dieselbe  zu  sein.  Nur  bei  dem  vor- 
letzten Denkmal  ist  der  rechte  Arm  gehoben  zum  Tragen  ,  der 
linke  dagegen  ruhig  an  der  Seite  hängend  und  einen  Zipfel  der 
auf  der  Schulter  und  hier  sichtbar  werdenden  Chlamys  fassend. 
Ueber  die  Details  kann  ich  nur  bei  den  drei  eisten  Denkmälern 
genau  berichten  und  sie  bieten  gerade  für  uns  das  höchste  In- 
teresse. Der  auf  Tafel  LX  bei  Gerhard  ,  vorher  von  Inghirami 
Mon.  Etr.   Serv.  VI.   law  O.  publicirle,    aus  Etrurien  nahe  bei 


13     

Canino  stammende  Spiegelbehalter  mit  Griff  zeigt  wesentlich 
unsere  Gestalt  mit  Widderkopf  tragender  Gestalt,  einen  Aufsatz 
mit  zwei  ruhenden  Widdern  und  einem  Blatt  in  der  Mitte,  dar- 
über erheben  sich  zwei'  löffelartige  Flügel  zur  bessern  Unter- 
stützung des  runden,  ausgehölten  oberen  Theiles;  wie  die  ganze 
Gestalt  roher,  ungeschickter  gebildet  ist,  z.  B.  auch  die  Hände, 
die  hinter  das  zu  Traciende  eeleet  sind,  so  tritt  dies  an  dem  obe- 
ren  Aufsalz  besonders  hervor;  keine  Voluten,  kein  zierliches 
Blatt,  kein  zierlich  geschweifter  Oberbalken  mit  hoher  Palmette. 
Das  Bund  oder  der  gehölte  schalenartige  Diskus  ist  im  Innern 
ciselirt  und  zeigt  den  Hermesstab  und  am  Bande  wechselnde 
Widder  und  Pfauen;  die  convexe  Bückseite  ist  ganz  glatt ;  gut 
erhalten  ist  die  schnabelartige  Ausbiegung  des  Diskus,  falschlich 
auch  von  Gerhard  als  ein  Ausguss  gefasst,  vielmehr  zur 
Aufnahme  des  kurzen  Stiles  des  hineinzulegenden  Spiegels 
bestimmt. 

Weitaus    reicher   als   das    eben   betrachtete  Denkmal    und 
unseres  ist  der  Spiegelhalter  mit  Griff  auf  Taf.  XXX  bei  Gerhard, 
campanischen  Ursprunges,  gebildet,    aber   durchaus   nicht  ge- 
schmackvoller, vielmehr  überreich.  Die  männliche  nackteGestall 
steht  hier  nicht  auf  einem  Thierkopf  oder  Thier,, sondern  einer 
Mischgestalt,  weiblich,  unbekleidet,  mit  ausgebreiteten  Flügeln 
und  nach  unten  in  einen  zur  umgekehrten  Palmette  stilisiiien 
Schweif  ausgehend.    Das  obere  Stück  über  dem  Kopf  zeigt  in 
seiner  Mitte  nicht  allein  zwei  Widder,   sondern  diese  mit  einer 
unter  und  an  ihnen  sich  bähenden,  schwebenden  Gestalt,  wobei 
man  sofort  des  Schafbockes  mitOdysseus  bei  Polyphem  sich  er- 
innern wird.  Der  untere  Tragbalken  ist  zu  zwei  Blüthenfüllhör- 
nern  geworden,  der  obere  schliesst  mit  bärtigen  Köpfen.    Der 
obere  Diskus  hat  für  uns  hier  durch  die  Doppelseiligkeit  seines 
Belief-  und  Ciselirungschmuckes,   durch  das  doppelt  Convexe, 
endlich  durch  die  an   der  Hauptseite   hervortretenden   kleinen 
Halter,   in   Palmelten  umgekehrte  Blüthenstengel ,  drei  Bosetten 
Interesse,    Dinge,    die  für  eine  Patera  vollständig  sinnlos  sind, 
aber  deutlich  den  Zweck  zeigen ,    einen  gewölbten  Spiegel   auf 
der  Hauptseite  hinter  die  Halter  aufzulegen. 

Andere  Eigentümlichkeiten  bietet  das  Bronzedenkmal  aus 
Pompeji.  Offenbar  ist  hier  die  tragende  Gestalt  freier,  anmulhiger, 
beweglicher  gebildet  als  unsere  Bronze ,  so  in  dem  gebogenen 
linken  Bein,   in  den  auf  den  Fingerspitzen  tragenden  Händen; 


1 4     

iiuch  der  den  noch  ganz  erhaltenen,  glatten  Rundspiegel  tragende 
Querbalken  ist  nun  zum  schönen  einfachen  Volutencapitelle  ge- 
worden. Während  aber  der  weitere  Aufsatz  mit  Widdern  und 
oberer  Kranzleiste  fehlt,  ist  hier  dagegen  das  untere  Ende  rei- 
cher durchgebildet  und  zwar  zu  dem  bestimmten  Zwecke 
des  Aufsteilens.  Es  steht  daher  jene  Gestalt  auf  einer  Schild- 
kröte mit  hohen  Füssen,  diese  selbst  wieder  auf  einem  kleinen 
von  drei  Thierklauen  getragenen  Diskus.  Also  hier  finden  sich 
gerade  jene  Elemente  für  feste  Basis,  die  wir  bei  unserem  Denk- 
male und  den  sonst  beschriebenen  vermissen.  Die  bei  Creuzer 
a.  a.O.  publicirte  Bronze  mit  Spiegel  trägt  ebenfalls  einen  leich- 
ten anmuthigen  Charakter.  Das  linke  Bein  ist  zurückgestellt, 
die  Biegung  der  Arme  ist  graciös,  ebenso  das  reich  herabfallende 
Haupthaar  frei  gebildet.  Der  Kopf  tragt  mit  schmälstem  Polster 
den  Spiegelrand,  die  Füsse  stehen  auf  einer  Platte,  unter  der 
wohl  auch  ein  eigentlicher  Fuss  sich  befand. 

Nach  alledem  kann  an  der  Einreihung  unseres  Monumentes 
in  Bezug  auf  Bestimmung,  auf  tektonische  Anlage  kein  Zweifel 
mehr  sein  und  wir  haben  dabei  bereits  interessante  Variationen 
derselben  Grundidee  gefunden.  Die  Betrachtung  dieser  parallelen 
Denkmäler  führt  uns  aber  unmittelbar  weiter  zu  der  letzten, 
bisher  noch  nicht  aufgeworfenen  Frage,  der  nach  der  idealen, 
mythologischen  Deutung  des  Gegenstandes.  Ist  man 
auchoftin  der  Aufsuchung  mythologischer,  besonders  tiefsinniger 
und  dunkler  Bedeutungen  bei  Gegenständen,  die  rein  der  künst- 
lerischen Technik  und  dann  der  Sitte  des  äusseren  Lebens  ange- 
hören, viel  zu  weit,  ja  bis  zum  Absurden  gegangen,  so  tritt  doch 
in  jeder  griechischen  künstlerischen  Darstellung  älterer  und 
guter  Zeit,  die  eine  menschliche  Handlung  zum  Mittelpunkt  hat, 
uns  eiue  ideale  Typik  entgegen,  die  auf  einer  mythologischen, 
allgemein  bekannten  und  wellläufigen  Vorstellung  beruht.  Auch 
hier  haben  wir  nach  ihr  zu  fragen  und  sie  lässt  sich  nicht  lange 
suchen.  Der  Gedanke  an  einen  Atlas,  der  am  nächsten  liegt, 
muss  bei  näherer  Vergleichung  der  bekannten  Atlasbildungen, 
wie  sie  z.  B.  bei  Wieseler  Denkmäler  alter  Kunst  II  Taf.  64  zu- 
sammengestellt sind,  wie  sie  bei  Basen  von  Candelabern  z.  B. 
Musee  Napol.  T.  IV.  pl.  17  sich  zeigen,  dem  ganz  entsprechend 
an  dem  Postament  im  kleinen  Theater  zu  Pompeji  (Overb.  Pom- 
peji S.  132.  Note  MO),  ganz  abgewiesen  werden;  er  erscheint 
alt,  bärtig,  in  der  heftigsten  Anstrengung,  mit  gebogenen  Knien, 


—     1 5     

Gebeultem  Nacken,  mit  dem  Ausdruck  des  Duldens:  von  alledem 
ist  in  unserer  schlanken,  elastischen,  jugendlichen  Gestalt  nichts 
zu  finden.  Auch  die  jugendlicheren  Beispiele  von  Atlanten  oder 
Telamonen  (Vitr.  VI.  10)  an  der  inneren  Attika  des  Tempels  des 
Zeus  zu  Agrigent  (Müller  Denkm.  alt.  K.  I.,  Taf.  20.  N.  102) 
sowie  in  dem  Tepidarium  der  älteren  Bäder  zu  Pompeji  (Over- 
beck  Pomp.  S.  166.  Fig.  132)  mit  ihren  tief  nach  hinten  mühsam 
gebogenen  Armen  und  vorstehenden  Ellenbogen,  mit  der  gewal- 
tigen Anstrengung  der  ganzen  Figur,  mit  ihren  gigantischen , 
dabei  in  Pompeji  mit  einem  Schurze  bekleideten  Gliedern  können 
uns  zurVergleichung  und  Erklärung  nicht  genügen.  Dazu  kommt 
die  so  markirte  Verbindung  hier  mit  dem  Widder,  als  getrage- 
nem Gegenstand  und  auch  als  stützendem  ;  bei  einem  anderen 
Denkmal  mit  der  Schildkröte  als  Unterlage. 

Die  ganze  Körperbildung  der  Figur  ist  durchaus  die  des 
Hermes,  des  eben  gereiften  Jünglings,  des  Epheben,  in  der 
jüngeren,  in  den  homerischen  Stellen  (Od.  X,  279.  II.  XXIV, 
347.  348)  bereits  sich  zeigenden  Auffassung;  ebenso  entspricht 
ihm  durchaus  die  ovale,  volle  und  reife  Bundung  des  Gesichtes, 
die  Bildung  des  Mundes,  wie  der  geöffneten  Augen.  Nur  muss 
uns  Eins  auffallen:  die  Haarbildung  mit  der  lang  auf  die 
Schulter  herabfallenden  Ilaarmasse,  während  die  jüngere  pla- 
stische Kunst  ihn  streng  als  Epheben  mit  rund  abgeschnittenen 
Ilaaren  zeigt.  Dagegen  ist  es  bekannt,  dass  die  ältere  Hermes- 
bildung, die  ihn  vor  allem  als  Keryken  fasst,  wie  einen  Keilbart, 
so  auch  oben  um  den  Kopp  zierlich  gelegtes  Haar  und  lange  auf 
die  Schultern  herabfallende  einzelne  Haarflechten  hat.  Ist  damit 
die  allgemeine  Begründung  auch  gegeben  ,  so  ist  unsre  Haarbe- 
handlung von  jener  in  Köpfen  und  Statuen  vielfach  nachweis- 
baren doch  wesentlich  verschieden  ,  sie  entspricht  dagegen  ge- 
nau der  Haarbehandlung  archaischer  Apollostatuen  ,  am  alier- 
strengsten  der  des  Apollo  von  Tenea  (Overbeck  Gesch.  d  gr. 
Plast.  I,  Taf.  7).  Wir  müssen  also  sagen,  dass  unsere  Hermes- 
gestalt im  Haar  mit  den  ältesten  apollinischen  übereinstimme. 
Was  weiter  die  Stellung  des  Körpers  betrifft,  so  stimmt  sie  in 
auffallendster  und  erfreulichster  Weise  mit  älteren  Hermesse-1- 
stalten  überein ;  ganz  dieselbe',  gans  en  face  dem  Beschauer 
gegenüber  gerichtete,  gleichsam  militärisch  fertigeStellung  findet 
sich  an  dem  Hermes  der  Ära  Borghese  (Denkm.  alt.  K.  I 
Tafel  X;  2),  ganz  dieselbe  an  der  Marmorstatue  der  Sammlung 


■ IG      

Pembroke  des  Hermes  Kriophoros  (D.  A.  K.  II,  T.  29.  n.  321. 
0 verbeck  Gesch.  d.  gr.  Plast.  I,  S.  161),  wie  auf  der  Münze 
von  Tanagra,  die  die  Statue  des  Kaiamis  daselbst  (Paus.  IX,  22. 2) 
ohoeZweifel  uns  vorführt  (Gerh.  Denkm.  u.  Forsch. 1849,  Taf.  IX, 
n.  12).  Wichtig  ist  dabei  noch,  was  z.  B.  Overbeck  ganz  über- 
sehen, dass  jene  Münze  den  Hermes  uns  ganz  nackt  und  jugend- 
lich darstellt,  nicht  mit  dem  hinten  herabhängenden  Mantel  und 
Flügelschuhen,  was  auch  schon  aus  der  Stelle  des  Pausanias  und 
der  dort  geschilderten  Sitte  in  Bezug  auf  den  iyrjßtov  tb  sldog 
adlliOTog  zu  vermuthen  war.  Jugendlich  auch  als  ecptjßog  mit 
nvvrj,  mit  dem  Bock  unter  dem  Arm,  in  Chlamys,  der  Strigilis 
in  der  Beeilten  ist  Hermes  in  einer  Tanagräischen  Terracotte  ge- 
bildet, worin  Conze  den  dort  ausser  dem  Kriophoros  verehrten 
rtQÖfiaxog  erkennt  (Annal.  Inst,  archeol.  1858.  p.  347.  tav. 
d'agg.  0.);  eine  Strigilis,  nicht  blos  einen  Zipfel  der  Chlamys 
zu  erkennen,  dazu  giebt  wenigstens  die  Zeichnung  nicht  hinrei- 
chenden Anlass. 

Wir  sind  hier  bereits  aber  auch  an  dem  Punkt  angelangt, 
wo  die  ihierischen  Symbole  und  das  Motiv  des  Tragens 
uns  an  unserer  Bronze  unmittelbar  klar  werden,  ebenso  wie  die 
Schildkröte  an  dem  pompejanischen  Spiegelgriffe.  Wie  der  Wid- 
der als  Symbol  der  Heerde  überhaupt  und  des  Weidelebens,  der 
Zeusun"   des  Beichtbums,  des  strömenden  Bebens  und  Sesens,  des 
Sühnopfers  alle  Seiten  fast  in  der  Natur  des  Hermes  berührt,  nur 
nichtdie  musikalische  und  dieSeite  derKlugheit,  dieinderSchild 
kröte  sich  offenbart,   so  hat  die  bildende  Kunst  ihn  in  verschie- 
denster Motivirung  zum  Hermes  gestellt,    ruhig  liegend  neben, 
auch  unter  dem  auf  ihm   dann  sitzenden,  ja  reitenden  Hermes, 
an  seine  Hand  springend,  neben  ihm  stehend,  endlich  unter  dem 
Arm  und  vor  allem  auf  der  Schulter  dieses  guten  Hirten  getra- 
gen ;     auch    der    blosse  Widderkopf  erscheint  bei   Hermes   als 
Opferanrichter.  Hier  erscheint  er  doppelt,  die  Unterlage  bietend 
als  Opferthierkopf,   aber  vor  allem  getragen  von  dem  Gott.  Und 
so  ist  die  Gestalt  des  Hermes  als  die  des  Kriophoros  wohl  zu 
bezeichnen.   Es  darf  uns  dabei  das,  was  das  tektonische  Gesetz 
forderte,  der  Tragbalken ,   wie  die  Verdoppelung  nicht  stören, 
ebensowenig  haben  wir  darin  eine  besondere  Bedeutung  zu  su- 
chen.   Aber,  was  jene  apollinische  Haarbildung  betrifft,  so  dür- 
fen  wir  auf  die  innere   Zusammengehörigkeit  und  brüderliche 
Stellung  beider  Gottheilen  ,   speciell  des  Hermes  Kriophoros  als 


17 

Heerden-  und  Sühngottes  zu  dem  Apollo  Karneios  hinweisen,  die 
statuarisch  im  Hain  Karnasion  bei  Stenyklaros  ausgesprochen 
war  (Paus.  IV,  33,  5).  Mit  Recht  nennt  Creuzer  (Symbol,  und 
Mythol.  III,  S.  841)  die  von  uns  oben  näher  bezeichnete,  bei 
ihm  publicirte  Gestalt  geradezu  Apolloähnlich,  obgleich  auch 
da  an  einen  Hermes  mit  Chlamys  über  der  Schulter  zu  den- 
ken ist. 

Ist  es  nun,  ganz  allgemein  betrachtet,  ein  sehr  erfreulicher 
und  sinniger  Gedanke,  eine  kräftige  svelte  Ji'inglingsgestalt, 
die  den  Widder  seiner  Heerde  mit  gewandten  Armen  gefasst 
hoch  trägt,  zu  einem  Träger  und  Halter  eines  Gegenstandes  in 
schöner  Frauenhand  zu  machen,  so  giebt  die  mythologische  Be- 
deutung  uns  noch  einen  ganzen  Reichthum  feiner  Beziehungen; 
wissen  wir  doch,  wie  der  Spiegel  besonders  der  Aphrodite  zu- 
eignet, um  ihre  Reize  zu  entfallen  und  zu  gewinnen,  wie  er  als 
ein  sehr  beliebter  Gegenstand  des  Geschenks  und  Erwerbs  in 
Handel  und  Wandel  galt  und  wie  nahe  der  Führer  der  Chariten, 
der  in  blühendster  Anmuth  (%ccQi£Ozdrr]  rjßrj)  stehende,  Anmuth 
gebende,  überall  vermittelnde,  selbst  neckisch  lüsterne  Götter- 
jünglihg  zur  Aphrodite  steht  und  wie  er  anderseits  im  Widder 
Reichthum  gewährend  {noXvQQrjviog),  Handel  und  Wandel  in 
beweglicher  Habe  vorstehend  auch  wohl  die  Schmucksachen 
der  Damen  mit  sich  führt. 

Somit  ist  der  Kreis  der  Betrachtungen  dieser  schönen  Bronze 
wesentlich  erschöpft  und  sie  aber  auch  in  die  treffendsten  Bezie- 
hungen gebracht.  Fragen  Avir  schliesslich  noch  nach  der  Ent- 
stehungszeit oder  richtiger  nach  der  Stilgatlung ,  in  der  sie 
gearbeitet  ist,  so  dürfen  wir  wohl  sagen,  es  ist  vielleicht  absicht- 
lich die  streng  archaische  Stilgrundlage  festgehalten,  aber  dar- 
über bereits  die  Anmuth  und  Schönheit  des  eben  freiwerden- 
den Stiles  gegossen  und  wir  haben,  was  die  ganze  Körperbil- 
dung betrifft,  vielleicht  mehr  Recht  an  jene  Ephebengestalt  des 
Hermes  von  Kaiamis  zu  Tanagra  zu  erinnern,  als  es  in  dieser 
Beziehung  Overbeck  für  jene  Statue  der  Sammlung  Pembroke 
in  Anspruch  nahm.  Und  so  können  wir  sagen,  wie  sie  an  Grösse 
alle  andern  zum  Vergleich  von  uns  hervorgezogenen  Statuet- 
ten, die  als  Griff  von  Spiegeln  oder  Spiegelbehältern  dienten, 
übertrifft,  so  nimmt  sie  in  diesem  Kreise  durch  ihren  Stil  eine 
ebenso  hervorragende  Stellung  ein  zwischen  den  Werken  roh 
altertümlicher,  ungeschickler  Technik  und  den  andern  Werken 

4860.  2 


18      

'einer    auf    das    Anmulhige    oder    Schmuekreiche    gerichteten 
Kunst. 

§2.   Verlassene  Ariadne,   wachend  und  schlafend. 

Taf.  II.  Torso  einer  weibliehen  Statue  von  Marmor  im  Haag. 
Taf.  III.  Marmorstatue  des  grossherz.  Antiquarium  in  Mannheim. 

Der  auf  Taf.  II.  in  der  Grösse  des  Originals  abgebildete 
kleine  Marmorlorso  Übt  auf  den  aufmerksamen  Beschauer  einen 
eigentümlichen ...Reiz  aus.  Der  Eindruck,  den  er  mir  an  Ort 
und  Stelle  versteckt  unter  einer  Masse  mittelmässigerAnticaglien 
machte,  hat  sich  dann  bei  vielfacher  Beschäfttauna  mit  der  treff- 
liehen  Zeichnung  nur  noch  gesteigert  und  individualisirt. 

Wir  sehen  vor  uns  einen  jugendlichen  weiblichen  Oberkör- 
per, von  dem  Beginn  des  Unterleibes  nur  erhalten;  ebenso  ist 
der  rechte  Arm  unmittelbar  unter  dem  Ellenbogen  abgebrochen; 
die  Nasenspitze  ist  verletzt,  abgestumpft,  sonst  Kopf,  Körper 
und  linker  Arm  wohl  erhalten.  Die  Bückseite  ist  weniger  aus- 
gearbeitet, zwischenArm  und  Körper  sind  noch  Theile  von  einem 
dazwischen  befindlichen  Körper,  Stein  oder  Gewand  sichtbar, 
daher  das  Ganze  auch  in  der  Aufstellung  für  die  Vorderansicht 
berechnet  war.  Die  Haltung  des  Körpers  ist  eine  sleilschräge, 
nach  der  linken  Seile  gesenkte,  so  dass  man  unmittelbar  erkennt, 
die  ganze  Gestalt  ist  an  einen  festen  Körper  hinten  gelehnt  oder 
steil  sitzend  und  hat  zugleich  in  ihrem  oberen  Theil  einen  zwei- 
ten Stützpunkt  ausserhalb  der  Körperlinie  selbst.  Der  letztere 
ist  gegeben  in  dem  Ellenbogen  des  linken  Armes,  der  unter 
einem  weniger  als  halbrechten  Winkel  gesenkt  ist  und  auf  einem 
festen  Gegenstand  aufruhte.  Der  Unterarm  ist  senkrecht,  ja 
etwas  rückwärts  gebeugt,  gehoben,  um  in  der  hohlen  Hand  das 
Haupt  zu  stützen,  so  dass  seine  innere  Seite  uns  entgegentritt. 
Der  rechte  Arm  ist  eng  anliegend,  ruhend  gesenkt,  scheint  mit 
der  Hand  etwas  nach  vorn  gewendet  gewesen  zu  sein.  Ist  schon 
der  schlanke  Hals  etwas  mehr  als  der  Oberkörper  nach  links 
gesenkt ,  so  ist  dieses  noch  bedeutend  mehr  der  Fall  mit  dem 
Kopf,  der  zugleich  mehr  rückwärts  geneigt  ist,  so  dass  dieKinn- 
parlieen  auch  in  ihrer  Unleransicht  hervortreten;  er  ruht  mit 
dem  vollen  Haar  seiner  linken  Seite  in  der  stützenden  Hand. 

Haben  wir  uns  die  einfachen  Grundverbältnisse  der  ganzen 
Körperlage  vergegenwärtigt,   so  können  wir  nun  um  so  schärfer 


1 9 

die  Formen  seihst  und  den  in  ihnen  liegenden  Ausdruck 
fassen.  Die  Formen  des  Oberleibes  sind  durchaus  jugendlich  zart 
und  doch  voll  behandelt;  die  Brüste  treten  wohlgerundet  und 
doch  jungfräulich  spitz  hervor,  trefflich  sind  die  Falten  des  Flei- 
sches nahe  der  Achsel,  mit  ausserordentlicher  Feinheit  Halsgrube 
und  die  Partieen  über  den  Schlüsselbeinen  zu  der  auf  der  rech- 
ten Seite  wegen  der  Biegung  nach  links  weit  geschwungenen 
Linie,  die  vom  Hals  über  die  Schulter  führt,  behandelt.  Die 
Schullern  schliessen  sich  eng,  leicht  gerundet  an  den  Rumpf  an, 
die  Arme  entsprechen  durchaus  dem  Jugendlichen  und  doch 
Fleischigen  des  Körpers.  Am  schlanken  Hals  treten  durch  die 
Senkung  leichte  Falten  auf  der  linken  Seite  hervor,  während  an 
der  rechten  eine  straffere  Linie  die  gespannte  Muskellage ,  die 
hinter  das  Ohr  führt,  zeigt.  Wenden  wir  uns  zu  dem  Kopf,  so 
wird  die  ovale  Gesichtsform  durch  das  reiche  rund  angelegte, 
wellige  Haupthaar  erweitert.  Das  Haar  einfach  in  der  Mitte  ge- 
scheitelt liegt  am  Hinterhaupt  verhältnissmässig  glatt  an,  ein 
starkes  Band  hat  die  vordere  Masse  gefesselt,  aber  doch  treten 
sie  in  Fülle  über  Stirn  und  an  den  Wangen  bis  hinab  an  den 
Nacken  als  welliger  Bausch  hervor. 

Die  die  Stirn  umzeichnende  Linie  ist  in  leichten  Biegungen 
von  den  Haarwurzeln  überwuchert.  Die  Stirn  ist  massig  hoch 
und  wohl  gewölbt.  Besonders  charakteristisch  ist  die  scharf  ge- 
zeichnete Augenlinie  und  das  Auge  mit  seiner  Umgebung.  Hier 
spricht  sich  die  innere  Stimmung  auf  das  Lebendigste  aus.  Jene, 
leicht  geschwungen,  erscheint  in  den  Winkeln  an  der  Nasenwurzel 
in  merklicher  Biegung  aufgezogen  und  giebt  uns  den  Eindruck 
tiefer  Bekümmerniss.  Die  Augen,  dadurch  tiefer  beschattet,  sind 
selbst  etwas  lang  gezogen  und  unter  den  Augenlidern  wie  an 
der  unteren  Seite  sind  die  Thränendrüsen  gefüllt,  die  Augen 
bekommen  dadurch  einen  schwimmenden  Ausdruck  und  doch 
sind  sie  noch  trocken,  noch  fast  gewaltsam  geöffnet.  Die  Nasen- 
linie ist  scharf  und  edel,  der  Steg  schmal ,  die  Nasenlöcher  sind 
breiter  geöffnet,  wie  dies  bei  starker  innerer  Bewegung  sich 
findet.  Der  feine  kleine  Mund  ist  etwas  geöffnet,  in  der  mehr 
hervortretenden  Unterlippe,  wie  den  zuckenden  Mundwinkeln 
ist  sinnliches  Verlangen  und  Schmerz  eigentümlich  gepaart. 
Das  kleine  zierliche  Kinn  tritt  hervor  in  der  vollen  gerundeten 
Linie  des  Untergesichtes,  dessen  Anblick,  wie  wir  oben  sahen, 
uns  durch  die  Lage  des  Kopfes  vollständiger  gegeben  ist.    Die 

2* 


20 

Wangenpartieen  sind  jugendlich  voll ,  von  der  edelsten  Linie 
umschlossen.  Das  feingebildete  kleine  Ohr  ist  vor  dem  hinterge- 
strichenen welligen  Haar  wohl  sichtbar. 

Fassen  wir  das  Ganze  also  zusammen  ,  so  haben  wir  eine 
an  höheren,  wahrscheinlich  felsigen  Hintergrund  halbsitzend  ge- 
lehnte jugendliche  weibliche  Gestalt  vor  uns ,  den  Kopf  in  den 
linken  Arm  gestützt,  mit  dem  Ausdrucke  sinnender  Bekümmer- 
niss,  aber  zugleich  lässt  die  ganzliche,  sichtlich  momentane, 
nicht  habituelle  Enlblössung  des  jugendlich  reizenden  Oberkör- 
pers —  für  den  Unterkörper  ist  eine  Gewandung,  die  von  oben 
herabgesunken  ist  auf  das  Unterlager,  zu  vermuthen  und  das 
Haar  ist  geordnet  und  zusammengehalten  —  uns  auf  eine  für 
das  sinnliche  Leben,  für  Liebessehnen  oder  schwärmerische, 
alle  Fesseln  der  Convention  lösende  Erregung  empfängliche  und 
davon  gerade  jetzt  mit  ergriffene,  aber  durchaus  edle  Natur 
schliessen. 

Sehen  wir  uns  zunächst  in  den  mythologischen  Idealkreisen 
um  in  die  wir  unsere  Statue  versetzen  könnten,  so  werden  wir 
in  dem  Statuenbereich  an  Nymphen  des  Ortes  oder  der  Quellen, 
bei  denen  derartige  Entblössung  des  Oberkörpers  sowie  Ruhen 
am  Fels  vielfältigst  bezeugt  ist,  verwiesen  werden;  an  eine  rein 
dem  Meerleben  angehörige  Gestall  zu  denken,  daran  hindert  uns 
doch  die  Ordnung  des  Haares  und  tlie  nicht  eigentlich  flüssige 
Behandlung  der  ganzen  Gestalt.  Aber  dabei  können  wir  nicht 
stehen  bleiben;  das  ethisch-pathetische  Element  übt  gerade 
in  der  Gestalt  seine  Anziehungskraft  aus:  hier  ist  es  aber  wie- 
der nicht  der  specifisch  aphrodisische  Kreis,  in  die  wir  sie  ver- 
setzen könnten,  wenn  wir  sie  als  Begleiterin  der  Aphrodite  etwa 
fassen  wollten,  es  kommt  jenes  Schwärmerische,  einer  Stimmung 
mit  ganzer  Seele  sich  Hingebende  hinzu,  das  der  Grieche  im 
bakchischen  Kreise  so  wunderbar  reich  durchgebildet  hat.  Es 
ist  eine  edle  bakchische  Gestalt,  in  Liebesschmerz  und  Sehn- 
sucht durch  ein  besonderes  Ereigniss  verstärkt,  zugleich  an  eine 
felsiae  Lokalität  geknüpft.  Wir  werden  somit  unmittelbar  zum 
Mythus  der  Ariadne  hingeführt. 

Ehe  wir  uns  zur  allseitigen  Vergleichung  unseres  Marmors 
mit  den  Darstellungen  der  Ariadne  wenden,  freut  es  mich,  zuvor 
noch  eine  zweite  ebenso  anziehende  Antike  zum  ersten  Male 
publiciren  zu  können,  die  uns  bei  ganz  entgegengesetzter  Moti- 
virung  doch  die  interessantesten  Parallelen  bietet  und  zu  der- 


21      

selben  mythologischen  Gestalt  augenscheinlich  führt.  In  dem 
Grossherz.  Antiquarium  zu  Mannheim  und  zwar  in  dem  grossen 
sehr  verödeten  Bibliotheksaale  befindet  sich  neben  der  interes- 
santen Reihe  etruskischer  Aschenkisten  ein  kleines  Marmorwerk 
von  2  Fuss  Länge  und  entsprechender  Breite ,  mit  ungleicher, 
geschwundener  Grundfläche  und  einer  zwischen  Hautrelief  und 
freier  Bildung  schwankenden  Darstellung.  Obgleich  in  dem 
Katalog  der  Sammlung  von  Gräff  (11,39,  S.16)  unter  den  Sculp- 
luren  von  meist  geringem  Kunstwerlh  mit  wenig  Worten  abge- 
fertigt erregt  es  durch  das  dargestellte  Objekt  wie  den  eigen- 
tümlichen Fluss  der  Behandlung,  durch  den  Hauch  griechischer 
Kunst,  der  darüber  ausgegossen,  bei  jedem  aufmerksamen  Be- 
obachter das  lebhafteste  Interesse  und  jeder  neue  Besuch  in  der 
Sammlung  steigert  den  Zauber,  der  immer  wieder  zu  diesem 
Marmor  hinfuhrt.  Die  auf  Taf.  III.  veröffentlichte  Zeichnung,  von 
Fratrel  in  Mannheim  gefertigt,  giebt  den  Charakter  des  Monu- 
mentes treu  wieder.  Lieber  die  Herkunft  desselben  scheint  nichts 
Näheres  bekannt;  entweder  gehört  es  bereits  dem  alten  seit 
Smetius  gesammelten  Vorralh  an  oder,  was  mir  wahrschein- 
licher, es  ist  vom  Kurfürst  Karl  Theodor  in  Rom  1774  nebst 
jenen  Aschenkisten  erworben. 

Eine  weibliche  Gestall  auf  den  Boden  gestreckt  ist  in  tiefen 
Schlummer  gesunken.  Die  Unterlage  ist  Fels,  über  den  aber  ein 
Theil  des  Obergewandes  schützend  gebreitet  ist.  An  der  Seile 
sind  Wellen  des  Meeres  angedeutet,  aus  denen  Delphinköpfe  her- 
vorschauen. Die  Grundlage  des  Kopfes  wie  der  Füsse  ist  etwas 
erhöht,  der  Marmor  in  derMitte  eingesenkt,  wodurch  der  Eindruck 
des  in  sich  ruhig  Abgeschlossenen  noch  gesteigert  wird.  Eine 
jugendliche  volle,  wesentlich  bekleidete  Gestalt  sehen  wir  vor 
uns  ruhen,  den  rechten  Fuss  über  den  eingebogenen  linken  Fuss 
gelegt,  mit  dem  rechten  Knie  einen  stumpfen  Winkel  bildend. 
Der  rechte  Arm  ist  zur  Seite  gehoben  und  rückwärts  in  den 
Nacken  gelegt  mit  scharf  herausstehendem  Ellenbogen,  der  linke 
Arm  liegt  leicht  gebogen  ruhend  an  der  Seile,  mit  der  Hand  auf 
einem  Stück  Gewand.  Der  Kopf  isi  nach  hinten  etwas  gesenkt, 
ein  wenig  nach  links  gewendet.  Reiches  feingewelltes  Haar  uni- 
giebt  das  Haupt  und  fällt  auf  die  Schuller;  ein  Kranz  von  Epheu- 
blättern  und  Epheubliithenbüseheln  zieht  sich  durch  dasselbe 
hin.  Das  volle,  mehr  rundliche  Gesicht  mit  breiter,  fein  gewölbter 
Stirne,   die  geschlossenen  Augen,    der  eigen  geschlossene  Mund, 


22 

das  zierliche,  durch  die  Lage  mehr  hervortretende  Kinn,  hat 
mannigfache  Verletzungen  an  der  Oberfläche,  besonders  Ab- 
stumpfung erfahren.  Der  rechte  Oberarm  ist  mit  einer  Spange 
geziert.  Die  linke  Schulter  und  der  Obertheil  der  linken  Brust 
ist  durch  das  herabgesunkene  Untergewand  entblösst.  Der  linke 
Unterarm  wie  die  Hand  zeigt  sich  als  aus  mehreren  gebrochenen 
Theilen  ergänzt.  Das  ärmellose  Unler»ewand  oder  Chiton,  über 
der  rechten  Schuller  befestigt  und  wie  gesagt,  von  der  linken 
Schulter  herabgeglitten,  auf  der  rechten  Brust  in  schönen  Falten 
aufgehalten,  lässt  die  edeln  Körperformen  der  vollen  und  doch 
ganz  jugendlichen  Brust,  der  Weichen  und  des  Unterleibes  mit 
eingesenktem  Nabel ,  durch  die  zarten  Faltenhebungen  durch- 
leuchten. Das  Obergewand,  um  den  Oberkörper  und  Kopf 
schützend  als  Unterlage  sich  ziehend,  ist  in  starken  Fallenmas- 
sen über  den  Unterkörper  gebauscht  und  deckt  dann  mehr  ge- 
streckt die  unteren  Glieder.  Die  Füsse  selbst  treten  nackt  ohne 
Beschuhung  aus  dem  Gewände  heraus;  an  dem  rechten  Fuss 
ist  die  grosse  Zehe  abgebrochen,  an  dem  linken  sind  alle  ver- 
slümmelt. 

In  der  Gesammtmotivirung  tritt  jenes  feine  von  Griechen 
so  streng  geübte  Gleichgewicht  der  schräg  gegenüberliegenden 
Theile  sehr  wohl  heraus.  Aber  vor  allen  ist  der  Grundgedanke 
tief  und  glücklich  gefasst:  ein  Schlaf  am  Meeresstrande  unter 
der  Musik  der  Wellen,  ein  Heben  und  Sinken  im  Traumleben 
einer  weiblichen,  Liebe  erfülllen,  schwärmerischen  Natur  mitten 
in  der  Gefahr,  in  der  grössten  Vereinsamung.  Auch  hier  können 
wir  nicht  einfach  bei  einer  Nymphe,  bei  einer  schon  äusserlich 
durch  den  Epheu  bezeichneten  bakchanlischen  Nymphe  stehen 
bleiben,  nein  wir  werden  weiter  zu  einer  individuelleren  Auf- 
fassung geführt,  zu  Ariadne.  Sollen  wir  schliesslich  über  die 
ursprüngliche  Aufstellung  dieses  anziehenden  Marmors  etwas 
sagen  ,  so  erscheint  uns  durchaus  wahrscheinlich  ihn  sich  auf 
einer  Basis  über  einem  Quell,  in  einer  Grotte,  jedenfalls  an  ein- 
samer schattiger  Stelle  an  fliessendem  Wasser  zu  denken. 

Unter  den  so  ausserordentlich  zahlreichen  Modifikationen 
des  im  Alterthum  in  aller  Mund  seienden,  von  Homer  bis  Nonnos 
besungenen  und  erzählten  Mythus  von  Ariadne  auf  Naxos3)  tre- 


3)  Hom  Odyss.  XI,  321-325;  Hes.  Theos.  94  f.;  Pherekyd.  in  Schol. 
Hom.  Od.  1.  !.;  Eur.  Hippo).  339;  Apoll.  Rhod.  Arg.  III,  997—1007  mit 
Scholien;  1097 — 1101;  1107;  Arat.  Phaenom.  71;  Anal.  Brunck.  ed.  Jacobs 


23     

tcn  für  die  künstlerische,  zunächst  plastische  Durchbildung 
wenige  sehr  bestimmte,  herrschende  Hauptmotive  in  den  Vor- 
dergund4).  Lassen  wir  das  älteste  bezeugte  Bild  der  Ariadne 
neben  Theseus  auf  dem  Kasten  des  Kypselos  (Paus.  V,  -19,  1), 
wo  uns  der  Kranz  als  ihr  Symbol  gegenüber  seiner  Leier  aller- 
dings interessant  ist,  ferner  die  Vasenbilder  und  Spiegelzeich- 
nungen  und  zwar  in  grosser  Seltenheit  bei  Seite,  von  denen 
jene  uns  Ariadne  neben  Dionysos  gegenüber  Theseus  und  Athene 
zeigen  (Gerhard  etr.  u.  kamp.  Vasenb.  Taf.  56,  dazu  Jahn  arch. 
Beitr.  S.  277  und  jetzt  Gerhard  über  die  Antheslerien  S.  200, 
Note  75),  diese  Ariadne  von  Artemis,  also  nach  homerischem  Be- 
richt, fortgeführt  (Gerhard  etr.  Spiegel  Taf.  87,  dazu  ders.  in  den 
Monatsber.  Berl.  Akad.  d.  W.  1859  Juli,  S.  510)  aufweisen, 
auch  mit  Dionysos  und  Semele  gruppiren  (Gerhard  Semele  und 
Ariadne  1859,  Taf.  I,  II).  Sehen  wir  andererseits  ab  von  dem 
hochzeitlichen  Zug  von  Dionysos  und  Ariadne  und  ihrem  legog 
yd/nog  in  der  Epheugrotte  zu  Naxos ,  die  einzeln  treffliche  Va- 
senbilder in  bestimmtester  Weise  auch  mit  Inschriften  uns  vor- 
führen (Millingen  Anc.  uned.  monum.  IL  pl.  26,  Müller-Wieseler 
D.A.K.IL  Taf.  36.  n.424),  die  auf  den  Sarkophagreliefs  jedoch 


III,  p.  215.  n.  304;  Satyr,  bei  Theoph.  ad  Autol.  II,  p.  94;  Diod.  V,  51; 
Plut.  Thes.  c.  20;  Paus.  1.  20.  8,  22.  5,  II.  23.  8,  V.  19.  1,  IX.  40.  2, 
X.29.2;  Philostr.  Imagg.  1.  15;  Luc.  deor.  conc.  3;  Athen.  VII.  296,  XIII. 
557,  XV.  689;  Long.  Pastor.  IV.  3;  Charit.  1.  6,  III.  5,  VIII.  1 ;  Nonn.  Dionys. 
XXV.110.XLVII.  265-470,  XL V III.  530  ff.  970  ff.;  Stepb.Byz.  s.  v.  Jorovaia; 
Hesych.  s.  v.  'AQiSr\kav\  Suid's.  v.  *A%iädvr\\  Plolem.  Heph.  in  Mythogr. 
gr.  p.191  ed.  Westerm.;  Catull.  LX1V.  50—268;  Ovid.  Heroid.10;  Metam. 
VIII.  175  ff.;  Fast.  III.  459— 516;  Prop.  El.  I.  3.  1  ff.;  Hygin.  f.  43;  P.A.  II,  5. 
4)  Für  archäologische  Uebersicht  und  Behandlung  der  auf  Ariadne 
bezüglichen  Monumente  war  zuerst  Böttiger  archäol.  Mus.  Heft  I.  1801 
S.  36  ff.  thätig,  wichtig  dann  der  Aufsatz  von  Jacobs  zuletzt  in  verm.  Sehr 
V.  S.  405-444,  vergl.  dazu  Welcker  alte  Denkm.  I.  S.  448  ff.  Der  Versuch 
von  Raoul  Röchelte  Monum.  ined.  d'antiqu.  figuree  I.  p.  1  ff.  die  meisten 
der  hierher  gehörigen  Monumente  auf  Peleus  und  Thetis  zu  beziehen  war 
zum  grössern  Theil  ein  verunglückter,  ist  auch  von  ihm  selbst  beschrankt 
worden  in  Choix  de  peintures  etc.  Paris  1846  p.  3 1 ,  49,  in  welchem  Werk 
zugleich  Texte  p.  27-58.  301  ff.  eine  Classification  der  Denkmäler  gegeben 
ist.  Die  vollständigste  Behandlung  der  Denkmäler  ist  gegeben  von  O.  Jahn 
archäol.  Beitr.  S.  251-300,  spcciell  für  die  Situation  der  Ariadne  auf  Naxos 
S.  280  ff.  Daneben  vgl.  die  Ergänzungen  von  Welcker  zu  Müller  Archäol. 
§  384.  4.  5.   Ueber  neuhinzugekommene  Denkmäler  wird  im  Text  die  Redo 


sein. 


__     24     

den  allgemeineren  Charakter  eines  bakchischen  Festzuges  an- 
nehmen. Also  diesen  immerhin  interessanten  und  mannigfal- 
tigen, aber  für  die  plastische  Kunst  wie  die  grössere  Malerei 
ganz  zurücktretenden  Motiven  der  Darstellung  gegenüber  handelt 
es  sich  vor  allen  um  die  zwei  Situationen  der  auf  der  Felseninsel 
am  Meeresstrand  schlafenden  oder  der  erwachten,  voll 
Bekümmerniss  vom  Felsensitz  aus  in  die  Ferne  schauenden 
Ariadne.  Dort  gilt  es  entweder  den  Moment,  wo  Theseus  Ariadne 
verlässt ,  oder  den,  wo  Bakchos  mit  seinem  Gefolge  an  die  zur 
Gottesbraut  Erkorene  herantritt,  oder  beide  Vorgänge  werden 
als  gleichzeitig  gedacht;  so  zeigte  es  das  berühmte  Gemälde  im 
Dionysosheiligthume  zu  Athen  (Paus.  I.  20.  2)  und  das  angeb- 
lich in  der  Halle  von  Neapolis  befindliche  (Philostr.  I,  15).  Dass 
drittens  auch  der  Uebergang  aus  dem  Schlaf  in  das  Erwachen, 
das  Entdecken  des  Verlassenseins  zur  Darstellung  kam  ,  ist  zu 
erwarten  und  wird  durch  Denkmäler  bestätigt;  jedoch  gehören 
diese  Darstellungen  streng  genommen  zur  zweiten  Hauptsilua- 
tion.  Wir  können  diese  Doppelheit  auf  die  religiöse  Grund- 
anschauung von  Ariadne  auf  Naxos  zurückführen  ;  wir  wissen, 
dass  ihr  daselbst  als  Göttin,  als  von  Dionysos  Entführten  und 
ihm  dann  Vermählten  ein  fröhliches  Fest  gefeiert  ward,  dass  da- 
gegen der  Aphrodite  als  der  von  Gram  über  des  Theseus  Ver- 
lassung Gepeinigten  und  in  diesem  Gram  gestorbenen  Opfer 
mit  düsterer  Trauer  (dvoiccc  rzev&si  tlvI  v.al  OTvyvöti]ti 
(iäfiiyfiivai)  dargebracht  wurden  (Flut.  V.  Thes.  c.  20).  Dass 
die  Liebe  zu  Theseus  als  ein  Vergehen  gegen  die  bereits  mit  dem 
Gotte  bestehende  Verbindung  betrachtet  wurde  nach  kretischer 
Sage,    hat  Preller  kürzlich  nachgewiesen  (Archäol.  Zeit.  4  855. 

S.  13  ff.). 

Für  unsern  Zweck,  die  bestimmte  und  allseitig  begründete 
Einreihung  unserer  zwei  Statuen  in  die  Beihe  der  Ariadnebil- 
dungen  und  zwar  nach  eben  diesem  Gegensatze  der  schlafenden 
und  wachenden  Ariadne,  haben  wir  daher  die  Denkmäler  dieser 
zwei  Hauptgattungen  und  zwar  zunächst  die  Auffassung  der 
Ariadne  selbst  darin  näher  zu  mustern.  Die  Situation  der  schla- 
fenden Ariadne  liegt  uns  in  einer  reichen  Anzahl  zum  Theil 
auch  ausgezeichneter  Werke  von  Statuen,  Beliefs,  Münzen,  ge- 
schnittenen Steinen,  Wandgemälden  und  zwar  mit  interessan- 
ten Variationen  des  Grundthemas  vor  und  ist  auch  für  andere 
analoge  Mvthen,  wie  Mars  und  Ilia  in  römischer  Zeit,  verwandt 


25     

worden  (vergl.  z.  B.  Gerhard  A.  Bildw.  CXVIII.  1  —  3)  als  ein 
sehr  beliebtes  mythologisches  Motiv  für  die  Darstellung  des  Todes 
geliebter  Frauen.  Ich  suche  hier  die  mir  bekannten  sichern  Denk- 
mäler mit  Hinweis  auf  die  ganz  verwandten  auf,  mit  Dank  darin 
den  oben  angeführten  Arbeiten  von  Raoul  Rochette  und  Jahn 
mich  anschliessend  und  auf  ihnen  weiter  fortbauend. 
A.  Von  Statuen  in  Marmor  steht  oben  an: 

1)  Die  berühmte  sog.  Cleopatra  im  Vatikan  Mus.  Pio  Clem.ll. 
44.  Mus.  Napol'.  H.  8.  Clarac  IV.  pl.  689.  n.  1622.  Müller- 
Wieseler  D.  A.  K.  II.  n.  418,  dazu  vergl.  0.  Jahn  Archäol. 
Beitr.  S.  296. 

2)  Wiederholung  derselben  in  villa  Medici  nur  gekannt  aus 
Winkelmann  W.  VI.  1 .  p.  222. 

3)  Wiederholung  derselben,  früher  in  Palast  Odescalchi  in  Rom, 
dann  in  Aranjuez  bei  Madrid  Winkelm.  W.  VII.  p.  217  f.; 
Mus  Odesc.  I.  p.  23;  II.  p.  46  nach  Raoul  Roch.  Choix  de 
peint.  p.  31.  2. 

4)  Wiederholung  im  Collegio  Romano  nach  Raoul  Roch.  p.  31 .  2. 

5)  Statue  im  Vatikan,  als  schlafende  Bakchantin  bezeichnet, 
mit  derselben  Motivirung  der  Arme,  der  Füsse,  des  Gewan- 
des, der  entblössten  Brust,  des  Felslagers,  ein  Wassergefäss 
dabei  ergänzt  vergl.  Mus.  Pio  Clem.  III.  pl.  104;  Clarac. 
IV.  pl.  703.  n.  1669. 

6)  Statue  in  Galerie  Pembroke  mit  der  vollkommen  gleichen 
Motivirung;  das  Gesicht  scheint  portraitartig;  interessant  die 
Muscheln,  Eidechsen,  Seevögel  am  Felslager.  S.  Clarac.  IV. 
pl.  750.  n.  1829.  C.' 

7)  Statue,  als  schlafende  Nymphe  bezeichnet,  im  Louvre,  der 
rechte  Arm  über  den  Kopf  gelegt,  der  linke  ruht  ruhig  zur 
Seite;  Füsse  übergelegt;  Untergewand  langfaltig,  bedeckt 
beide  Brüste;  Arme  nackt,  Obergewand  fast  ganz  herabge- 
sunken.  S.  Clarac  III.  pl.  324.  n.  1666. 

8)  Statue  in  Galerie  L  a  n  d  s  d  o  w  n  e  mit  gfeicher  Motivirung 
der  Arme,  bekränztem  Kopf,  von  dem  breite  Bänder  herab- 
hängen, aber  fast  ganz  enlblösstem  Korper.  S.  Clarac  IV. 
pl.  750.  n.  1829.  A". 

Weiter  können  wir  hier  in  der  Besprechung  verwandter 
Darstellungen  schlafender  Nymphen  nicht  gehen:  die  beiden 
Armmotive,  die  in  der  Vatikanischen  Stalue  sieh  vereinigt  geigen, 
schwinden  nun  ;   der  eine  Arm  liegt  meist  an,  der  rechte  ist  zur 


26 

Seite  auf  den  Fels  gelegt  oder  schrägüber  auf  die  linke  Schulter. 
Die  Lage  selbst  meist  flach  oder  mit  Wnssergefäss.  Man  vergl. 
die  Vatikanischen  Statuen  bei  Glarac  IV.  pl.  703.  n.  1668.  Mus. 
Pio  Clem.  III.  pl.  43  und  Clarac  IV.  pl.  752.  n.  1826,  ferner  in 
Gal.  Giustiniani  Clarac  IV.  pl.  703.  n.  1667,  ferner  in  Samm- 
lung Landsdovvne  Clarac  IV.  pl.  750.  n.  1829.  A  und  D. 

B.  Reliefs: 

a)  die  nicht  zu  Sarkophagen  gehören  : 

1 )  Relief  am  Fussgestell  einer  in  Megara  gefundenen  Statue  des 
Rakchos,  nach  England  gebracht:  die  schlafende  Ariadne 
allein  dargestellt  S.  Hughes  Travels  in  Silicy  Greece  and 
Alban.  I.  p.  224. 

2)  Fragment  eines  Terracoltareliefs  aus  Athen;  von  Ariadne 
nur  die  Füsse  mit  Gewand  erhalten.  S.  Bröndsted  Voyage  II. 
p.  276.  pl.  60.  Müller-Wieseler  D.  A.  K.  II.  T.36.  n.421. 

3)  Marmorrelief  aus  Villa  Hadriani  bei  Tivoli,  j.  im  Vatikan: 

Ariadne  schlafend,  Theseus  verlassend ,  Dionysos  heran- 
tretend, dabei  Ortsgottheit.  S.  de  Fabris  inlorno  ad  uno 
bassiril.  ant.  rappres.  Arianne  etc.  Roma  1845.  4. 

ß)  Sarkophagreliefs,   zunächst  Vorderseiten  : 

4)  Sarkophag  aus  Villa  Borghese  im  Louvre  Clarac  II.  pl.  132. 
n.  150. 

5)  Sarkophag   aus    Rordeaux   im  Louvre   Miliin  Voyage    All. 

pl.  77;  Clarac  IL  pl.  127.  n.  148. 

6)  Sarkophag  aus  Villa  Orta  im  Vatikan  Mus.  Pio-Clem.  V.  8; 
Miliin  Gal.  mylh.241;   Creuzer-Guignaut  t.  CXX.  n.  452. 

7)  Sarkophag  im  Vatikan  s.  Gerhard  Ant.  Bildw.  Taf.  HO.  2. 

8)  Sarkophag  in  Bolsena  s.  Gerhard  Ant.  Bildw.   Taf.  112.  3. 

9)  10)  Zwei  Sarkophage,  früher  im  Pal.  Mattei,  ungenau  ge- 
zeichnet in  Mon.  Matteiana  III.  7.  1  und  2. 

11)  Sarkophag  in  Pal.  Giustiniani  s.  Gal.  Giustin.  IL  84. 
Nebenseiten  mit  einfacherer  Darstellung  von  wenig  Personen  : 

12)  Relief  an  Villa  Medici  (V.  di  Francia):   Ariadne  wendet  dem 

Beschauer  den  Rücken  zu.  S.  Mon.  ined.  d.  inst,  archeol.  III. 
18.  1.  Daher  auch  Zoega  Bassir.  IL  78.  mit  Raoul  Rochette 
vielleicht  hierher  zu  ziehen  ist. 

13)  Relief  im  Vatikan  s.  Mus.  Pio-Clem.  IL  t.  13.  5. 

1  4)  Relief  im  Campo  santo  zu  Pisa  s.  Lasinio  sculture  di  Campo 
santo  1 18. 


27 

4,5)  Relief  an  einem  Sarkophag  im  Hofe  der  Sophienkirche  zu 
Constantinopel :  Ariadne  schlafend  und  Tbeseus  sie  ver- 
lassend mit  drei  Gefährten.  Das  angebliche  grosse  Ruder  am 
Schiff  ist  Schiffstreppe.  S.  Archäol.  Zeit.  1857.  Taf.  C.  2. 
S.  34  ff. 
16 — 19)  Heber  die  Sarkophagreliefs  in  Palaste  Altemps  (Mus. 
Pio-Clem.t.  IV.p.58a),  im  Casino  Rospigliosi,  im  Palast 
Colonna  (Zoega  Rassiril.  II.  p.  206),  in  Neapel  (Raoul 
RochetteChoixdepeint.p.  51.)  sind  wir  nicht  näher  unter- 
richtet. 

Als  ganz  verwandte  Situationen  haben  wir  die  vom  Satyr 
belauschte  schlafende  Gestalt  auf  dem  bakchischen  Relief  in 
Neapel  (Gerhard  Ant.  Rildw.  Taf.  Hl.  2;  Müller-Wieseler  D. 
A.  K.  II.  n.  548)  wie  einzelne  Scenen  der  Art  auf  Aschenkisten 
(Raoul  Rochette  Mon.  ined.  Xa.  n.  1.  2.  3.)  zu  betrachten. 

C.  Von  Münzen  kommt  die  von  Jacobs  zuerst  mit  Glück 
verglichene  Rronzemünze  derPerinthier  unter  Alexander  Severus 
in  Betracht,  s.  jetzt  die  beste  Abbildung  in  Müller-Wieseler  D. 
A.  K.  II.  Taf.  35.  n.  417. 

D>  Von  geschnittenen  Steinen  kenne  ich  nur  zwei  Floren- 
tiner, s.  Mus.  Florent.  II.  91.  1;  93.  3  und  den  Cameo  aus  Man- 
tua,  der  nach  England  gekommen  ist,  s.  Mus.  Worslej.  6. 1 .  Aul 
die  dieser  Darstellung  durchaus  verwandte  Behandlung  belausch- 
ter Hermaphroditen  auf  geschnittenen  Steinen  werden  wir  wei- 
ter unten  noch  zu  reden  kommen. 

E.  Für  die  malerische  Darstellung  des  Ariadnemythus 
sind  Herculaneum  und  Pompeji  ausserordentlich  ergiebig  gewesen, 
ein  Beweis  für  die  grosse  Beliebtheit  dieses  Stoffes  in  griechisch- 
römischer Zeit  und  speciell  dieser  Motive  der  schlafenden  wie  der 
erwachten  Ariadne.  Das  erstere  ist  dargestellt  in  folgenden 
Denkmälern  : 

1)  Pompejanisches  Wandgemälde  bei  Zahn  neuenldeckte 
Wandgem.  21;  Gell  Pompejana  II.  49:  Theseus  verlässt 
zögernd  die  schlafende  Ariadne. 

2)  Ein  1842  in  Pompeji  entdecktes  Bild:  Bacchus  allein  ge- 
genüber der  schlafenden  Ariadne;  diese  halb  entblösst.  S. 
Bullet.  Napol.  XI.  p.  67. 

3)  Länger  bekannt  ein  Gemälde  aus  Herculaneum  Pitt.  d'Ercol. 
II.  16  (damit  identisch  Mus.  Borb.  XIII.  7).  Dionysos  in 
reicher  Begleitung  vor  Ariadne,  die  unter  einem  zwischen 


28     — 

Bäumen  ausgespannten  Tuch  auf  einem  Teppich  auf  der 
Erde  ruht. 

4)  Gemälde  in  Pompeji  im  Jahre  1833  aufgedeckt.  Eigenthüm- 
iich,  dass  Ariadne  mit  dem  Haupte  im  Schoose  einer  reich 
bekleideten  Flligelgestalt  ruht.  Ueber  diese  als  Hypnos  vgl. 
0.  Jahn  a.  a.  0.  S.  291  f.  S.  Zahn  Ornam.  II.  60  und  51, 
Raoul  Rochette  Choix  de  peinl.  3;  Müller-Wieseler  D.  A. 
K.  II.  Taf.  36.  n.  420. 

5)  Zu  vergleichen  ist  jedenfalls  die  ganz  gleiche  Hauptgruppe 
eines  viel  besprochenen,  jetzt  meist  als  Zephyros  und  Chloris 
erklärten  Wandgemäldes:  Ariadne  ruht  auch  hier  gelehnt 
an  den  Schoos  einer  sitzenden  Flügelgestalt;  in  der  Arm- 
bewegung unterscheidet  sie  sich  nur  von  N.  3  (Raoul  Ro- 
chette Mon.  ined.  9.  Zahn  Ornam.  I.  13.  Müller-Wieseler 
D.  A.  K.  I.  Taf.  73.  n.  424).  Wieseler  erklärt  es  für  Ariadne 
und  Oneiros;  dagegen  ist  doch  wohl  zu  erinnern,  dass  in 
dem  herabschwebenden  Jüngling  nicht  blos  der  Vorbote 
des  göttlichen  Bräutigams,  sondern  dieser  selbst  zu  erken- 
nen ist. 

6)  7)  Von  Mosaiken  kenne  ich  nur  aus  Jahns  (a.  a.  0  S.293) 
Anführung  das  Mosaik  in  der  Schweiz  bei  Schmidt  Recueil 
rJ'antiquiles  de  la  Suisse  I.  4,  sowie  die  Erwähnung  eines 
andern  bei  Caylus  Rec.  d'antiquit.  II.  p.  399. 

Diesem  Reichthum  von  Darstellungen  der  schlafenden  Ariadne 
gegenüber  tritt  die  wachende,  bekümmert  sitzende 
Ariadne  allerdings  in  viel  sparsameren  Beispielen  auf.  Aber  doch 
weisen  diese  Beispiele  auf  ausgezeichnete  Originalcompositionen 
hin  ,  eine  für  die  Plastik  und  eine  wesentlich  für  die  Malerei. 
Statuarische  Werke  kennen  wir  bis  jetzt  drei: 

1)  Die  Dresdner  als  sog.  Agrippina  berühmte  Statue  aus 
der  Sammlung  Chigi  bei  Becker  August.  Taf.  17,  Hettner, 
Bildw.  d.  Antikens.  zu  Dresden  S.  87—89.  n.  380;  über 
die  sie  betreffende  Literatur  0.  Jahn  a.  a.  0.  S.  282  ff., 
dazu  noch  E.  Braun  Bullet,  inslit.  archeol.  1853.  p.  34. 

2)  Statue  auf  der  Treppe  des  Palastes  Giusliniani  in  Born  s. 
Gal.  Giuslin.  Taf.  112,  dazu  E.  Wo] ff  in  Bullet.  1831. 
p.  65  (f.  und  E.  Braun  a.  a.  0. 

3)  Statue  in  Venedig  im  Palast  Pisani  bei  Genera]  Nusient, 
noch  nicht  gezeichnet,  besprochen  von  E.  Wulff  a.  a.  0. 


29     - 

Als  interessante  Bestätigung  der  Bezeichnung  dieser  Statuen 
als  Ariadne  dient 

4)   Das  Bild  der  sitzenden  Ariadne  auf  dem  Salzburger  Mo- 
saik fussboden  bei  Creuzer  Abbild,  z.  Symbol.   Taf.  LV, 
dazu  Böttiger  kl.  Sehr.  II.  S.  284  ff.  und  BaoulRoch.  Choix 
de  peint.  p.  33.  7a. 
Ein  wesentlich  verschiedenes  Motiv  ergeben  die  Pompeja- 
nischen  Wandgemälde,  ein  Motiv  der  eben  erwachten,  ihrer 
Verlassung    erst   bewusst   werdenden  Ariadne;    es  bildet  den 
Uebergang  von  dem  ersten  zu  dem  eben  betrachteten  zweiten. 
Wir  finden  sie  daher  noch  auf  ihrem  Lager,  aber  aus  dem  Liegen 
zum  Sitzen  sich  erhebend  mit  dem  aufgestemmten  einen  Arm.  In 
fünf  Denkmälern  (Pitt,  d'  Ercol.  IL  14.  15;  V.  26;   Mus.  Borb. 
VIII.  4.  5;   Roux  und  Barre  Hercul.  u.  Pompeji.  Ser.  IL  Taf.  32. 
34.  35.  106.  109,   vergl.  dazu  Jahn  a.  a.  0.  S.  284-86)  ist  ihre 
Beziehung  zu  dem  abgesegelten  Theseus  allein  sichtbar;  in  einem 
sechsten    (Baoul  Boch.  Choix  de  peint.  6)    ist    bereits   Dionysos 
mit  Gefolge  ihr  genaht. 

Fassen  wir  nun  in  den  Schriftstellen  der  Alten,  besonders 
der  römischen  Dichter,  die  dabei  wohl  auf  alexandrinische 
Vorbilder  gestützt  uns  ausgezeichnete  Schilderungen  der  Ariadne 
in  ihren  Situationen  undGemülhsstimmungen  aufNaxos  gegeben 
haben,  und  in  den  Denkmälern  die  gemeinsamen  und  bezeich- 
nenden Züge  auf  und  vergleichen  damit  unsere  Statue.  Es  han- 
delt sich  dabei  vor  allem  um  L  i  egen  und  Sitzen,  um  Ent- 
blössung  und  Bek  leid  u,ng,  um  Motivirung  der  A  r  nie,  des 
Kopfes,  um  Haarbehandlung  und  Schmuck,  um  Aus- 
druck des  Gesichtes.  Als  xccd-evdovoa  war  Ariadne  im  Diony- 
sosheiligthum  zu  Athen  gemalt  (Paus.  I.  20.  2);  ebenso  unter 
einer  Reihe  bakchischer  Mythen  in  einem  Dionysosheiligthum 
auf  Lesbos  (Long.  IV.  3).  Philostralos  (Jm.  I.  15)  weist  hin  ig 
rry  erci  Ttuv  netQÖJv  (juq  ev  f.iaXc(y.(5  xsitcci  tt5  vtcvio.  Der 
Dichterder  Anthologieschildert  eine  berühmte  Statue  der  Ariadne: 
ov  ßqoroQ  6  yhomug  o'iav  de  oe  Bd/.xog  sQaooag  elöev 
vtceq  ntTQCcg  l'^sos  Y.e/.Xi(.iivav .  Eine  solche  hat  im  Sinne  Prop. 
(El.  I.  3.  1),  wenn  er  beginnt:  cjualis  Thesea  jaeuit  cedente 
carina  languida  desertis  Cnosia  litoribus  und  fortfährt :  talis  visa 
mihi  möllern  spirare  quietem  Cynthia  noncerlis  nixa  caput  mani- 
bus.  Die  im  Brautgewand,  auf  goldenem  Paradebelte  ausgestellte 
Kallirrhoe  wird  von  allen  verglichen  einer  schlafenden  Ariadne 


30     

CAQtadvr]  v.a&ev öovorj)  bei  Chariton  (II.  3  vergl.  auch  VIII.  1). 
Nach  Ovid  (Heroid.  X.  10)  bewegt  sie  auf  dem  torus  semi- 
supina  die  Hände  und  springt  dann  vom  Lager  auf;  nachNonnos 
(Dionys.  XLYII.  269.  283.295.511)  ist  sie  \nvtöovoa  krcalyia- 
XoIolVj  ist  VTrvalerj,  rtagä  növrcp  yJ/Mrai,  anb  ipa/nad-o7o 
wacht  sie  auf.  Also  schlafend  wird  sie  durchaus  gedacht  am 
Strande  des  Meeres,  rückwärts  gelehnt  an  den  Felsen  auf  einem 
durch  Decken,  Kissen,  auch  Fell,  oder  blos  das  herabgesunkene 
Gewand  gebildeten  Lager.  Dem  entsprechen  wesentlich  die 
Denkmäler  aller  Art,  so  dass  das  Motiv  des  Liegens  und  das  des 
gelehnt  Sitzens  beim  Schlafe  sich  merkwürdig  verschmilzt,  ein 
Felsstück,  ja  ein  Felsensitz  mit  Lehne  (Cameo  des  Herz,  von 
Mantua,  j.  im  Mus.  Worslej.  IL  1),  endlich  das  Bein  des  Schlaf- 
gottes oder  der  Nacht  dabei  ausser  dem  Fels  als  Stützpunkt 
dient  (Wandgemälde  aus  Pomp,  bei  Zahn  Schönst.  Ornam.I.  Taf. 
13.  bei  Müller-Wieseler  D.  A.  K.  I.  n.  424.  IL  n.  420).  Für 
das  gänzliche  Liegen  im  Schlaf  auf  Felsboden  am  Meeresufer 
haben  wir  in  plastischen  Denkmälern  eine  Bezeichnung  in  Wel- 
len und  Seethieren,  so  an  unserer  Mannheimer  Statue,  wie  an 
der  Statue  der  Galerie  Pembroke  (Clarac  pl.  750.  n.  1829.  c), 
die  überhaupt  sich  am  allernächsten  stehen.  Das  Motiv  des 
Schlafens  ist  dabei  durchgängig  in  den  übereinander  gelegten 
Füssen  gegeben. 

Fragen  wir  weiter  nach  der  Motivirung  der  Arme  und  des 
Kopfes  der  Schlafenden,  so  haben  wir  nur  eine  ausführliche 
literarische  Andeutung  darüber  bei  Philostratos  (Im.  I.  15):  da 
wird  die  Biegung  des  Nackens,  die  zarte  Halsgrube,  die  allen 
sichtbare  Achseihölung  des  rechten  Armes,  dagegen  das  Auf- 
ruhen der  linken  Hand  auf  dem  Gewand,  um  es  vor  dem  Wind 
zu  sichern,  uns  geschildert;  wir  sehen  also,  der  rechte  Arm  war 
über  den  Kopf  zurückgewendet,  der  linke  Arm  lag  an.  Bei 
Properz  (a.  a.  0.)  haben  wir  den  kurzen  aber  treffenden  Aus- 
druck non  certis  nixa  caput  manibus,  das  Haupt  gestützt  an  die 
nicht  sicheren  Hände,  den  die  Denkmäler  genau  erklären.  Jahn 
weist  treffend  a.  a.  O.  S.  288  auf  den  Ausdruck  eines  Epigram- 
mes  hin  (Anthol.  Pal.  V.  275.  1):  xetro  7ttQi  y.QÖta<pov  nrj%vv 
kXi^af.iivri.  Jenes  Motiv  des  über  den  Kopf  zurück  geboge- 
nen Armes,  wie  er  aus  der  Naturbeobachtung  eines  von 
Träumen  beunruhigten  Schlafes  entnommen  ist,  findet  sich  bei 
allen  Darstellungen  der  schlafenden  Ariadne,  sehr  prägnant  auch 


31      - — - 

bei  der  Mannheimer  Statue,  auf  dem  Relief  in  Constanlinopel 
bei  dem  linken  Arme.  EineAusnahme  macht  gerade  jenes  Wand- 
gemälde (D.  A.  K.  I.  n.  424),  das  man  meist  Chloris  und  Zephyr 
benannt  hat.  In  jenem  Wandgemälde  hängt  der  rechte  Arm  in 
einer  Biegung  leicht  über  dem  Knie  der  stützenden  Gestalt  herab. 
Was  den  linken  Arm  betrifft,  so  ist  das  von  Philostratos  ange- 
gebene Motiv  nicht  das  gewöhnliche,  aber  für  unseren  Torso 
wichtige;  jenes  eben  erwähnte  Wandgemälde  zeigt  genau  das- 
selbe, dagegen  ein  anderes  (Raoul  Roch.  Choix  depeint.  3.  D.  A.  K. 
II.  n.  420)  den  linkenArm  leicht  über  dem  Knie  hängen  lässt,  wie 
im  andern  der  rechte  Arm.  Dasselbe  weist  unsere  Statue  in  der 
Mannheimer  Sammlung,  wie  die  erwähnte  der  Galerie  Pem- 
broke;  bei  der  schlafenden  Ariadne  des  sinnlich  wilden  Baccha- 
nalreliefs in  Neapel  (Gerh.  A.  Bildw.  Taf.  CXI.  Müller-Wieseler 
D.  A.  K.  II.  n.  548)  ist  der  linke  Arm  mehr  senkrecht  vom  Lager 
herabgesunken.  Sonst  ist  eine  andere  Bewegung  die  herrschende, 
die  ebenfalls  uns  hier  speciell  interessirt;  nämlich  der  linke  mit 
dem  Ellenbogen  aufruhende  Arm  stützt  den  Kopf  durch  die  hin- 
aufreichende Hand.  Hierbei  ergeben  sich  mannigfache  kleine 
Modifikationen,  je  nach  der  steileren  oder  flacheren  Lage,  je 
nachdem  wirklich  der  Kopf  darauf  sich  stützt  oder  leise  nur  be- 
rührt wird,  je  nachdem  die  Hand  mehr  vor-  oder  zurückgelegt 
ist,  die  hohle  Fläche  geöffnet  ist  oder  die  Hand  geschlossen  ist. 
Unserer  Statue  entspricht  hierin  die  Ariadne  auf  der  Münze  der 
Perinlhier  am  meisten.  Auch  der  Kopf  ist  verschieden  gesenkt, 
nach  rechts  und  links,  mely  zu  dem  übergeschlagenen  Arm  oder 
zu  dem  stützenden.  Es  ist  keine  Frage ,  dass  diese  Motivirung 
des  linken  Armes  auch  geistig  ein  neues  Moment  in  die  Dar- 
stellung bringt;  sie  ist  ja  nicht  Ausdruck  des  Schlafes,  wie 
das  Herabhängen  des  Armes,  das  ruhige  Aufliegen,  wie  das 
über  den  Kopf  Zurückwenden,  nein  sie  gehört  dem  ernsten,  sor- 
genvollen Nachdenken,  dem  in  sich  und  seinen  Gedanken  Versun- 
kensein an.  Und  so  erhalten  wir  den  bestimmten  Eindruck,  als 
ob  diesem  Schlafe  der  Ariadne  bereits  solcheZustände  vorausge- 
gangen sind,  als  ob  sie  über  diesen  Sorgen  und  Denken  eingeschla- 
fen ist  oder  im  Traume  sie  durchlebt.  Und  so  kann  wenigstens 
in  einzelnen  Darstellungen  diese  Auffassung  der  schlafenden  Ari- 
adne, vor  der  Dionysos  erscheint,  von  der  schlafend  vom  Tlie- 
seus  verlassenen  als  durch  den  wachen  Zustand  des  Suchens 
und  tiefer  Bekümmerniss  getrennt  gedacht  werden.    Wir  haben 


32     - 

aber  dabei  für  die  vergleichende  Erkenntniss  unserer  beiden 
Bildwerke  in  der  Motivirung  der  Arme  schlagende  Analogien 
gewonnen  und  zwar  vollständig  für  die  Mannheimer  Statue,  für 
die  Haager,  insofern  tiefe  Bekümmerniss,  nicht  zugleich  Schlaf 
in  ihr  ausgeprägt  werden  sollte. 

Auch  die  Betrachtung  der  Gewandung  oder  ihres  Man- 
gels wird  uns  bei  der  Vergleichung  jener  Denkmälergruppe 
nicht  unfruchtbar  bleiben.  Die  literarischen  Zeugnisse  geben 
uns  hier  auch  nur  wenige,  aber  nicht  unwichtige  Andeutungen. 
Philostratos  (Im.  I.  15)  schildert  uns  in  den  Worten  yvuva 
/.tev  ig  6f.tcpcclov  ozegvcc  zccvza,  öegr]  de  vnzla  v.ai  aTcaXrj 
cpdgvy^,  (.lao^aXig  de  rj  de^ia  cpavegct  näoi'  fj  de  ezega  %ei(> 
eTtUeixcu  zfj  %kcdvfl  f.irj  alo%vvrj  zi  6  ccvSfiog  anschaulich  die 
Situation;  der  Oberkörper  ist  also  ganz  entblösst,  sodass  Brust, 
Nacken,  Achsel,  Halsgrube,  Arme  in  ihrer  ganzen  Schönheit  her- 
vortreten, dagegen  der  Unterkörper  von  dem  wollenen  Oberge- 
wande,der  %Xatva,  bedeckt  und  durch  die  darauf  liegende  Hand 
noch  geschützt  war,  eines  Untergewandes,  %izwv,  wird  gar  nicht 
gedacht.  Nonnos  (Dionys.  XI.  VII.  281,  286)  weist  auf  die  Be- 
kleidung der  schlafenden  Ariadne  entschieden  hin  ;  der  Gott  fragt 
nach  dem  Namen  der  schönen  Schläferin:  ist  sie  Charis  etwa? 
doch  wer  bekleidete  in  Naxos  die  unbekleidete  Charis?  (zig 
Xcxqiv  e%Xalvtooev  av£i[.iovcc,  also  auch  hier  eine  yXcava)  ist  sie 
Thelis  am  Meeresufer?  aber  die  rosige  Gestalt  ist  nicht  entbiösst 
(älV  ov  yvf-ivbv  ejei  godösv  difiag).  Er  kann  an  Artemis  und 
Athene  denken.  Es  scheint  daraus  hervorzugehen,  dass  das  Ge- 
wand die  Gestalt  wesentlich  bedeckte.  Wir  finden  hier  bereits 
die  doppelle  Auffassung  angedeutet,  die  in  den  Denkmälern 
neben  einander  zu  Tage  tritt:  volle  Bekleidung  und  Zu- 
rückschieben des  Gewandes  bis  zu  den  unteren  Theilen. 
Die  Denkmäler  selbst  weisen  verschiedene  Stufen  bei  bei- 
den auf  und  bringen  zugleich  in  die  theilweise  oder  fast  gänz- 
liche Entblössung  ein  dramatisches  Moment  hinein,  indem  durch 
einen  Eros  oder  einen  Pan  oder  beide  das  Gewand  gehoben  und 
weggezogen  wird.  Die  volle  Bekleidung  mit  Chiton  und  dem 
grossen,  als  Schlafdecke  herumgezogenen  Himation  weist  doch 
schon  in  dem  von  der  linken  Schulter  herabgesunkenen  Theil 
des  Chiton,  wie  auf  dem  Belief  (D.  A.  K.  II.  p.  548),  der  Statue 
der  Galerie  Pembroke  (Clarac  pl.  750.  n.  1829.  c.)  und  an 
unserer  Mannheimer  Statue,   und  noch  mehr  in  dem  Freilassen 


33     

und  sich  Hervordrängen   beider  Brüste,    sodass   nur  auf  einer 
Schulter  der  Chiton  noch  befestigt  ist,   wie  bei  der  berühmten 
Statue  des  Vatikan  und  ihrem  Vorbild  auf  der  Münze  der  Perin- 
thier   und   in    dem   von  Fabris  bekannt  gemachten  Relief  des 
Vatikan  auf  die  aphrodisische  und  bakchische  Natur  der  Schla- 
fenden hin.  Dem  gegenüber  steht  jene  bereits  erwähnte  wesent- 
liche Entblössung  des  Körpers  oft  über  das  von  Philostratos  er- 
wähnte Mass  weit  hinaus  durch  Wegziehen  des  ringsum  herab- 
fallenden Himation  ,   wobei  ein  Chiton  überhaupt  nicht  voraus- 
gesetzt wird;  sie  ist  in  den  Sarkophagreliefs  und  Wandgemälden 
die  gewöhnliche  Auffassung.    In  dem  Relief  zu  Conslantinopel 
ist  die  Entblössung  eine  bis  über  die  Scham  herabgehende;  in- 
teressant ist  hier  die  gespannte  Umhüllung  des  stützenden  lin- 
ken Armes.  Wichtig  für  uns  ist  es  aber,  dass  auf  der  Salzburger 
Mosaik  (Creuzer  Taf.  LV.  1;   Guigniaut  IV.  tav.  I99b.   vgl.  dazu 
Böttiger  kl.  Schrift.  II.  S.  284—291)  Ariadne  auch  in  den  zwei 
Momenten ,    wo    sie  Theseus  den  Faden   übergiebt   und    dann 
wo  sie  zur  Flucht  in  das  Schiff  geführt  wird,  mit  ganz  entblöss- 
tem  Oberkörper  dargestellt  wird,  indem  die  Flügel  des  Chiton 
von  den  Schultern  herabgefallen  und  über  einen  Gürtel  sichtlich 
umgeschlagen  sind;   auch  das  Himation,  welches  bei  einer  Dar- 
stellung allein  erscheint,    hängt   nur  über  einer  Schulter  und 
nach  hinten  herab.  Hier  sehen  wir  also  nicht  in  Folge  eines  be- 
sonderen Aktes  neckischen  lüsternen  Humors,  sondern  gleich- 
sam zur  Natur  der  Ariadne  gehörig  die  Entblössung  des  Ober- 
leibes.   Auch  auf  die  Bes'chuhung  müssen  wir  unser  Augen- 
merk richten  ;  auf  Sarkophagreliefs  und  in  der  berühmten  Vati- 
kanschen  Statue  erscheint  sie  regelmässig,    dagegen    fehlt  sie 
meist   auf  den  Wandgemälden   und   auch   unsere  Mannheimer 
Statue  prägt  in  der  Entblössung  der  Füsse  den  Charakter  einer 
Nymphe  am  Wasser  schärfer  aus. 

Was  endlich  die  Behandlung  des  Haares  und  etwaigen 
Schmuck  betrifft,  so  herrscht  hierin  allerdings  bedeutende 
Mannigfaltigkeit,  indem  jenes  bald  ringsum  wohlgeordnet  ist, 
bald  einzelne  Locken  nach  hinten  oder  zur  Seite  herabfallen,  auch 
in  ein  Netz  eingebunden,  aber  vor  allem  mit  einer  Bekränzung 
durchzogen  ist,  dieses  besonders  als  Armbänder  an  Oberarm 
oder  Handwurzel,  als  Knöchelumfassung  der  Füsse,  als  Hals- 
schmuck sich  zeigt,  aber  auch  gänzlich  fehlen  kann,  wie  auf 
dem  geschnittenen  Stein  (D.  A.  K.  II.  Taf.  35.  n.  419).  Nur  das 

1860.  3 


34     

ist  entschieden  zu  sagen  :  das  Haar  ist  ein  durchaus  welliges, 
mehr  rund  um  den  Kopf  aufgefasst  und  meist  von  breitem  Band, 
wo  diese  Details  wie  an  der  vatikanischen  Statue  genau  hervor- 
treten, gebunden;  alles  entschiedene  Vergleichungspunkte  mit 
unseren  zwei  Denkmälern.  An  der  Mannheimer  Statue  ist  die 
Armspange  am  Oberarm  wie  der  bacchische  Schmuck  des  Epheu- 
kranzes  besonders  bezeichnend. 

lieber  die  Behandlung  des  Körpers  selbst,  dann  speciell 
die  Bildung  des  Gesichtes  bei  den  Darstellungen  der  schlafenden 
Ariadne  im  Vergleich  zu  unseren  beiden  Statuen,  bedarf  es,  inso- 
weit bei  den  vielen  hierher  gehörigen  Denkmälern  von  einer 
künstlerischen  Durchbildung  die  Rede  sein  kann ,  hier  keiner 
besonderen  Auseinandersetzung.  Da  springt  das  Genieinsame, 
volle  Jugendlichkeit,  nicht  schon  Fülle  selbst,  aber  Anlage  dazu, 
Adel  der  Gesichtsformen  ,  besonders  der  Stirn,  und  sinnliche 
Empfänglichkeit,  endlich  der  Zauber  einer  schwärmerisch  ange- 
legten Natur,  einer  allerdings  in  Schlummer  gewiegten  Schwer- 
muth  sofort  heraus. 

So  können  wir  uns  von  der  für  uns  hier  speciell  in  dem 
Mannheimer  Marmor  repräsentirten,  überhaupt  am  meisten  aus- 
gebildeten Classe  der  schlafenden  Ariadnen  zu  der  zweiten,  der 
erwachenden  und  vor  allem  der  wachenden,  verlassen 
sich  fühlenden  Ariadne  wenden.  Hier  kommt  uns  für  deren 
künstlerische  Auffassung  eine  sehr  bedeutsame  und  hochpoetische 
Schilderung  des  Catull  im  epithalamium  Pelei  et  Thetidis  zu  Hülfe 
(c.  LXV.  50 — 265),  an  die  sich  dann  entschieden  bewusst  Ovid 
(Heroid.  ep.  X;  Metam.  VIII.  175  ff.;  Fast.  III.  459—516)  an- 
schliesst.  Catull  beschreibt  uns  eine  kostbare  Decke  von  Purpur, 
die  das  pulvinar  geniale,  das  Hochzeitlager  von  Peleus  und  The- 
tis  in  Mitle  des  von  Gold  und  Elfenbein  strahlenden  Palastes 
bedeckte;  in  diese  sind  alterthümliche  Gestalten  gestickt  und 
darin  mit  wunderbarer  Kunst  Heroengeschichten  dargestellt. 
Dargestellt  war  die  verlassene  Ariadne  am  felsigen  Ufer  aus- 
schauend, das  fliehende  Schiff  des  Tbeseus  und  weiter  die 
Scene  des  vom  Fels  sich  stürzenden  Aegeus  und  von  der  anderen 
Seite  bereits  der  blühende  Jacchos  mit  dem  ganzen  Thiasos  von 
Satyrn,  Silenen,  Mänaden.  Wir  sehen  hier  V.  52—70  Ariadne 
vom  Schlafe  aufgeschreckt  allein  am  Meeresstrande  blickend  auf 
das  Meer  mit  dem  eilenden  Schiff;  sie  blickt  hinaus  mit  düster- 
traurigen Augen  (moestis  ocellis),  wie  das  Steinbild  einer 


35     

Bacchantin  (saxea  ut  effigies  bacchantis),  im  Herzen  voll  auf- 
und  niedervvogender  Sorgen;  nicht  hält  sie  zurück  am  blonden 
Haarscheitel  die  feingewebte  Mitra,  das  Kopftuch,  nicht  hat  sie 
die  Brust  umhüllt  vom  leichten  Gewand  (levi  amictu),  nicht  um- 
bunden  die  milchgebenden  Brüste  mit  zartem  Brustband  (strophio), 
all  dieses  ist  vom  Körper  herabgesunken,  zerstreut,  vor  den 
Füssen  und  es  spielen  daran  die  SalzOuthen.  Der  Dichter  fasst 
das  Bild  noch  einmal  zusammen  in  die  Worte: 

sed  neque  tum  mitrae  neque  tum  fluitanlis  amictus 
illa  vicem  curans  toto  ex  te  pectore  Theseu 
toto  animo  tota  pendebat  perdita  menle. 
Ariadne  ist  bereits  (V.  124—131)  auf  steile  Höhen  gestie- 
gen, ist  an  die  entgegenlaufenden  Wogen  des  Meeres  geeilt,   das 
Gewand  hebend  von  der  entblössten  Wade,  sie  hat  ihre  letzten 
Klagen  ausgestossen ,   mit  thränennassem  Antlitz  in  Schluchzen 
ausbrechend;  nun  blickt  sie  nur  hin  auf  das  Meer  (250),  tief  in 
das  Herz  verwundet,  tausend  Sorgen  innerlich  bewegend.  Wahr- 
lich eine  Schilderung,  die  uns  ganz  und  gar  an  die  uns  vorliegende 
saxea  effigies  bacchantis  mahnt  in  der  einzelsten  körperlichen  Moti- 
virung,  die  uns  tief  einführt  in  den  Seelenausdruck  des  Antlitzes  1 
Sehen  wir  noch  weiter  zu,  was  sonst  aus  den  Schriftstellern 
für  diese  Situation  der  Ariadne  zu  gewinnen  ist.    Ovid,  wie  ich 
schon  erwähnt,  unter  entschiedenem  Einfluss  des  Gatull,  schildert 
uns  Ep.  X,  wie  Ariadne  unter  Mondenschein  aufgeschreckt  vom 
Lager  zuerst  rathlos  hin  und  her  eilt  am  Ufer,  Theseus  rufend, 
wie  sie  dann  auf  einen  Berg  mit  wenig  Gebüsch  und  hängendem, 
vom  Wasser  angefressenen  Felsslück  auf  die  Spitze  hinaufsteigt, 
das  weite  Meer  mit  ihren  Augen  ermisst  und  nachdem  alle  Worte, 
alle  Zeichen  vergeblich  gewesen,  weint. 
Der  Dichter  fährt  dann  fort : 

aut  ego  diöüsis  erravi  sola  capillis 
qualis  ab  Ogygio  concita  Baccha  deo 
aut  mare  prospiciens  in  saxo  frigida  sedi 
quamque  lapis  sedes,  tarn  lapis  ipsa  fui. 
Auch  hier  wird  sie  alsBakche  charakterisirt,  hier  sie  sitzend 
auf  Steinsitz  ,    selbst  fast  zum  unbeweglichen  Stein  geworden, 
frostig,  weil  entblösst  in  kalter  Nacht  geschildert.    Noch  einmal 
später  nennt   sie  V.  136    der  Dichter  haerentem  scopulo.    Die 
ganze  Scene  wiederholt  sich  ähnlich    bei   dem  Dichter  in  den 
Fasten  (III    459—516),  als  Ariadne  von  Bakchos  sich  verlassen 

3* 


—      36      

und  über  der  irdischen  pellex  vergessen  glaubt,  infolge  dessen 
sie  als  Libera  mit  ihm  zum  Himmel  emporsteigt. 

Der  späteste  Dichter  des  Ariadnemythus  Nonnos  (XLVII. 
295  ff.)  lässt  Ariadne  erwachen  als  eine  övoi/^aoog,  liisst  sie  am 
Ufer  suchen,  klagen  wie  die  Halkyonen,  sie  scheint  eine  odvgo- 
(.iivrt  l4cpQoöizrj,  sie  ist  im  Leiden  nur  noch  schöner  [cpaeivorigi; 
y.cti  ev  cckyeot'  '/.oll  jj.iv  dvitj  dxvv/.i€vi]v  "/.öoiu^oe  313.  31 5),  sie  ist 
eine  klagende  Ariadne  [xivvoofievt]  419,  xivvorjv  dvoeQtoTa  MG) . 

Für  die  auf  dem  Felsen  sitzende  Ariadne  haben  wir  in 
Polygnot  den  ersten  malerischen  Darsteller ,  den  wir  kennen; 
in  seiner  Nekyia  in  der  Lesche  zu  Delphi  (Paus.  X,  29.  2)  war 
unmittelbar  neben  der  den  Strick  vergeblich  drehenden  Gestalt 
des  Oknos  mit  dem  Esel  dargestellt  Ariadne  :  xd&rpat  <<£»'  ini 
7T€TQ(xg,  ooä  de  ig  rt)v  dÖ£?.(prjv  (Dcdögav  —  auooov(.itvr>v  otofxa 
iv  osiQä  — .  Die  Nähe  des  Oknos  wie  dann  der  hinaus  auf  die 
Schwester,  die  Nachfolgerin  in  der  Liebe  des  Theseus  und  selbst 
so  unglücklich  darin,  gerichtete  Blick  weist  uns  darauf  hin,  wie 
hier  in  der  Unterwelt  Ariadne  als  die  in  getäuschter,  hoffnungs- 
loser Liebe  ganz  umfangene,  versunkene  dargestellt  war.  Die 
Schilderung  des  Catull,  sahen  wir,  bezog  sich  auf  einen  Pracht- 
teppich mit  der  Darstellung  der  auf  dem  Felsen  sitzenden  Ariadne 
und  wies  zugleich  aber  hin  auf  eine  bekannte  dem  Leser  vor 
Augen  schwebende  Statue  einer  in  gleicher  Motivirung  darge- 
stellten Bakchantin.  Somit  haben  wir  also  aus  den  literarischen 
Quellen  nicht  allein  für  die  Situationen  der  schlafenden,  sondern 
auch  der  verlassen  sitzenden,  kummervoll  ausschauenden  Ariadne 
Zeugnisse  ihrer  malerischen  wie  plastischen  Bildung  aus  guter 
alter  Zeil. 

Unter  den  Denkmälern  beginnen  wir  mit  jenen  5  Ge- 
mälden aus  Pompeji,  die  uns  den  Uebergangsmoment  aus  Schlaf 
in  Erwachen,  aus  Ruhe  in  die  tiefste  Bekümmerniss  der  Verein- 
samung darstellen.  DieMotivirun"der  Ariadne  selbst  ist  bei  aller 
Verschiedenheit  in  den  übrigen  Theilen  des  Gemäldes,  bei  gänz- 
licher Einsamkeit,  bei  Anwesenheit  des  Eros  allein  oder  mit  der  als 
Hypnos  meist  gefassten  weiblichen  Flügelgestalt  eine  wesentlich 
gleiche.  Der  aufgerichtete  Oberkörper  durchaus  entblösst,  der 
linke  Arm  mit  der  flachen  Hand  auf  die  Erde  gestemmt,  der 
rechte  Arm  meist  halb  gehoben  und  den  Gewandzipfel  ergrei- 
fend, doch  auch  die  rechte  Hand  bis  an  den  Mund  gehoben;  der 
Kopf  gehoben  und  etwas  gewendet,   das  Auge  in  die  Ferne  ge- 


37     

richtet,  der  Ausdruck  des  Gesichtes  in  einem  Bild  (Bouxu.  Barre 
Ser.  II.  t.  109)  bis  zur  äussersten  Trauer  gesteigert,  das  Haar 
wellig,  ja  lockig,  aber  verschiedenartig  behandelt,  so  in  ein 
Netz  gefasst,  in  kurzen  Locken  herabfallend,  aber  auch  vollstän- 
dig gelöst,  herabrollend.  In  Bezug  auf  Schmuck,  sieht  man,  hat 
mannigfache  Freiheit  geherrscht;  wenn  auch  ein  oder  mehrere 
Armbänder  gewöhnlich  sind,  so  wechseln  auch  diese,  noch  we- 
niger constant  ist  der  Halsschmuck  oder  über  die  Brust  uekreuzte 
Bänder. 

Haben  wir  in  diesen  Darstellungen  die  auf  dem  Lager  eben 
sich  erhebende,  aufsitzende  Ariadne  mit  dem  Ausdruck  des 
schmerzvollen  Staunens  kennen  gelernt,  so  giebt  uns  das  Salz- 
burger Mosaik  ein  sicheres  allerdings  spätrömisches  Beispiel  der 
verlassen  sitzenden  Heroine.  Sie  sitzt  auf  einem  Felssilz, 
das  linke  Bein  über  das  rechte  geschlagen;  der  linke  Arm  ruht 
auf  dem  linken  Oberschenkel,  der  rechte  Ellenbogen  ist  gehoben 
und  die  Hand  stützt  das  Kinn  des  etwas  nach  links  gewende- 
ten Gesichtes,  also  eine  sehr  den  Körper  zusammendrängende 
Motivirung.  Das  Gewand  deckt  nur  einen  Theil  der  Beine  noch, 
fällt  aber  hinten  über  eine  nicht  sichtbare  Steinlehne  noch  von 
oben  mit  einem  Zipfel  herab.  An  Ober-  und  Unterarmen,  wie 
an  den  Fussknöcheln  fehlt  ein  Schmuck  der  Spangen  nicht,  das 
Haar  ist  bekränzt. 

Die  bisher  bekannten  Statuen  z.B.  die  Dresdener  Statue 
(Hettner  n.  386.  August.  Taf.  17,  wahrscheinlich  schon  abgebil- 
det bei  Cavalleri  ant.  stat.  urb.  Rom  t.  50),  die  in  Palazzo  Pisani 
im  Besitz  von  General  Nugent  zu  Venedig  (beschrieben  bei 
E.  Wolff  im  Bull.  1831.  p.  65),  die  auf  der  Treppe  des  Palastes 
Giustiniani  in  Born  (Gal.  Giust.  t.  112;  vgl.  dazu  Braun  in  Bull, 
instit.  archeol.  1853.  p.  34)  zeigen  sich  durch  ihre  Colossalität, 
durch  die  ganz  gleiche  Motivirung,  ja  endlich  auch  durch  ganz 
ähnliche  Verstümmelung  ajs  nahe  verwandt ,  sie  führen  jeden- 
falls auf  ein  Originalwerk  zurück.  Die  Trefflichkeit  der  Dres- 
dener Statue  ist  bekannt  und  wird  durch  die  völlige  Ungunst, 
mit  der  Overbeck  (die  archäol.  Samml.  d.  Univ.  Leipzig  S.  99) 
über  sie  urtheilt,  der  sie  unter  Hadrian  hinabschieben  will,  nicht 
geschmälert;  die  der  Venetianer,  wie  den  griechischen  Marmor 
rühmt  der  Bildhauer  Wolff  sehr.  Wir  sehen  in  allen  eine  sitzende 
weibliche  Gestalt  grossartigster  Körperbildung  vor  uns,  das 
Gewand  auf  den  Schoos  herabgesunken  und  die  unteren  Theile 


38     

umhüllend ,  den  einen  Zipfel  noch  um  den  linken  Unterarm  ge- 
schlagen. Das  rechte  höher  und  zugleich  zurückgesetzte  Bein 
giebt  der  ganzen  Gestalt  etwas  in  sich  Zurückgezogenes ,  fast 
Stolzes ;  es  bietet  den  Stützpunkt  für  den  freilich  bei  zwei  Sta- 
tuen ganz  neu  aber  richtig  ergänzten  rechten  Arm,  der  mit  dem 
Ellenbogen  aufruht  und  mit  der  Hand  an  die  Wange  reicht.  Der 
ganze  Oberkörper  ist  nach  rechts  ein- und  etwas  vorgebogen  ;  der 
linke  Arm  hängt  leicht  gebogen  herab,  unten  ein  Stück  Gewand 
tragend,  vielleicht  auch  einen  Gegenstand  in  der  Hand,  und  be- 
rührt so  die  gehäufte  Masse  des  herabgesunkenen  Gewandes  am 
Oberschenkel.  E.  Braun  (a.  a.  0.)  will  dem  linken  Arm  una 
viva  azione  geben,  die  entsteht  bei  dem  Anblick  eines  tragischen 
Vorganges,  er  behauptet,  an  der  Statue  Giustiniani  Hessen  die 
über  den  Rücken  hingehenden  Falten  keinen  Zweifel  daran. 
Aus  der  Ferne  sind  wir  nicht  im  Stande,  die  Richtigkeit  der 
Bemerkung  zu  beurtheilen ;  aber  diese  viva  azione  passt  zur 
Motivirung  des  rechten  Armes  nicht  recht.  Wenn  er  dabei  die 
ganze  Benennung  als  Ariadne  in  Frage  stellt,  so  kann  gegenüber 
den  innern  und  äussern  Gründen  für  solche  Bezeichnung  solcher 
allgemein  ausgesprochene  Zweifel  keine  Kraft  haben.  Die  antike 
Wendung  des  Hauptes  ist  nur  an  der  Venetianer  Statue  noch 
unmittelbar  erhalten,  an  den  zwei  andern  Exemplaren  ist  sie 
durch  einen  modernen  Halseinsatz  wesentlich  modificirt,  und 
wie  jeder  Beschauer  vor  der  Dresdener  Statue  empfinden  wird, 
über  die  antike  Intention  wie  die  anatomische  Anlage  hinaus  die 
Seitenbiegung  übertrieben  (Hettner  a.  a.O.  S.  89).  Mehr  einfach 
nach  vorn  gewendet  und  etwas  mehr  gesenkt  erhält  das  Haupt 
seine  richtige  Stellung.  Die  Gesichtsbildung  selbst  mit  dem  rund 
enganliegenden  welligen  Haar  ist  von  reifer  aphrodisischer 
Schönheit,  nur  mit  der  die  Augen  tiefer  beschattenden  Linie  des 
Stirnhaares,  mit  energischerem  Kinn ;  der  Ausdruck  im  Mund 
und  Augen  ein  gemässigter  trüber  Wehmuth  aber  edeln  Selbst- 
gefühls. 

Indem  wir  nun  hier  schliesslich  die  Stelle  unserer  kleinen 
Statue  im  Haag  anweisen,  können  wir  uns  freuen  im  Rückblick 
auf  die  ganze  Stufenreihe  von  Ariadnebildungen  ihre  speci- 
fischen  Züge  im  Einzelnen  in  allen  früheren  nachweisen  zu 
können,  aber  die  Verbindung  und  Gesammtbehandlung  in  einem 
plastischen  Werke  als  eine  bisher  noch  unbekannte  neu  hinzu- 
gewonnen zu  haben.   Sie  ruht  sichtlich  nicht  auf  einem  Original 


39     

mit  den  eben  betrachteten  Statuen ,  aber  sie  stimmt  in  ihrem 
pathetischeren  und  mehr  bakchischen  Charakter  viel  mehr  zu 
jener  von  Catull  uns  gegebenen  Schilderung,  bei  der  wir  bereits 
auf  sie  direkt  hinzuweisen  getrieben  waren-  Sie  steht  zugleich 
der  anderen  Classe  der  schlafenden  Ariadne  näher  in  dem  mehr 
Anlehnen  auf  einen  Felsensitz,  in  der  Senkung  des  Hauptes  in 
die  stützende  linke  Hand  ;  auch  der  rechte  gestreckte  Arm  hat 
schwerlich  noch  ein  Stück  Gewand  getragen ,  sondern  hat  wohl 
wie  willenlos  auf  dem  Schooss  oder  Schenkel  gelegen.  Eine 
Gewandung  hat  natürlich  den  Unterkörper  umgeben ,  ja  ich 
glaube,  dass  der  Bruch  der  Statue  gerade  an  dieser  Stelle  durch 
die  beginnende  Erhöhung  des  Gewandes  mit  gegeben  war.  Welche 
Liebe  und  welcher  Jammer  ist  aber  über  diesem  Antlitz  noch 
ausgegossen  !  In  all  dieser  Beziehung  können  wir  ihr  einen  indi- 
viduelleren Ariadnecharakter  noch  zuweisen ,  als  jenen  gross- 
artigeren Statuen. 

Ich  will  zum  Schluss  noch  auf  eine  Bestätigung  dieser  Ari- 
adneauffassung  aufmerksam  machen.  Es  ist  eine  vonBaoul  Boch 
(Choix  de  peint.  p.  52)  richtig  zuerst  erkannte  Thatsache,  dass 
ein  Hauptmotiv  in  der  Hermaphroditenauffassung,  das  des  schla- 
fenden, von  lüsternen  Satyrn  belauschten  und  entblössten,  ganz 
und  gar  der  Darstellung  der  schlafenden  Ariadne  nachgebildet 
ist.  Dass  die  ganz  vereinzelte  Darstellung  der  den  Bücken  keh- 
renden, liegenden  Ariadne  auf  dem  Belief  der  Villa  di  Francia  an 
diese  erinnert,  darauf  legen  wir  kein  Gewicht,  aber  man  ver- 
gleiche nur  den  geschnittenen  Stein  bei  Müller-Wieseler  D.  A. 
K.  II.  Taf.  56.  n.  715  mit  den  gewöhnlichen  Ariadnebildungen 
z.  B.  Taf. XXXVI.  n.  420  oder  mit  dem  Belief  in  Villa  Albani  bei 
Zoega  Bassiril.  II.  tav.  72.  Gleich  daneben  ist  eine  antike  Paste 
der  Berliner  Sammlung  abgebildet  n.  714  (Tölken  Erklär.  Verz. 
Kl.  III.  Ablh.  2.  n.  461),  die  einem  florentiner  Onyx  bei  Inghi- 
rami  (Ser.VI.  t.3.  n.  1)  ganz  zu  entsprechen  scheint.  Hier  sehen 
wir  eine  weibliche  Gestalt  gelehnt  auf  einem  Lager  sitzend  vor 
uns,  den  Kopf  zur  Linken  etwas  gewendet  und  auf  den  linken 
Arm  gestützt,  dessen  Ellenbogen  auf  einem  Pfühl  ruht,  der  rechte 
ist  zur  Seite  gesenkt  und  die  Hand  berührt  gerade  das  linke  Knie; 
das  Gewand  ist  ringsum  herabgesunken  und  deckt  nur  das  rechte 
Bein  und  den  unteren  Theil  des  linken,  um  so  gerade  die  männ- 
liche Natur  des  Unterkörpers  nicht  zu  verhüllen.  Ein  Amor  mit 
Blattfächer,    ein  anderer  mit  Syrinx,    ein  dritter  mit  Kithara 


40     

umgeben  ihn.  Ueber  das  Gesicht  ist  Schwermuth  ausgegossen, 
ein  Versunkensein  in  Liebe  und  Unbehagen.  Der  Oberkörper 
und  die  ganze  Motivirung  des  Kopfes  und  der  Arme  entsprechen 
durchaus  unserem  Werke,  aber  wir  erkennen  dort  sogleich  das 
Raffinirte  der  ganzen  Position  und  im  Gesichtsausdruck  den 
gewaltigen  Unterschied ,  dort  eine  tiefe  Erregung  einer  edeln 
durchaus  weiblichen  Natur,  hier  das  träumerische  Unbehagen 
eines  Androgynen.  Die  Nachbildung  dieser  Ariadnedarstellung 
auch  in  den  Hermaphroditen  ist  aber  für  uns  eine  interessante 
Bestätigung. 

Endlich  müssen  wir  hier  des  merkwürdigen  Thonreliefs  aus 
einem  bosporanischen  Grab  gedenken,  das  Aschik  (Bospor.  Alterth. 
3  Thl.  1848.  Odessa)  herausgegeben  und  Preller  in  Kiel.  Monat- 
schr.  1850.  S.  276  und  Gerhard  im  Arch.  Anz.  1850.  S.  198 
besprochen ;  die  auf  Felsensitz  mit  dem  Ausdruck  der  Müdig- 
keit sitzende  nackte  Gestalt,  umschlossen  von  dem  Mantel  einer 
das  Haupt  auf  ihre  Schulter  legenden  Gestalt  in  bakchischer 
Umgebung,  ist  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  Ariadne  mit  Nyx  ge- 
deutet, obgleich  die  Fackel  in  ihrer  Hand  für  sie  nicht  Analogien 
hat,  wenn  sie  auch  ihrem  bakchischen  Wesen  nahe  liegt. 

§.3.   Lehrende  Muse. 

Taf.  IV.     Ein    Relieffragment. 

Das  vorliegende  Relieffragment  griechischen  Marmors,  20 
Centim.  hoch,  17  C.  breit,  in  Villa  Hadriani  bei  Tivoli  gefunden 
und  1834  in  Tivoli  erworben,  trägt  in  der  zarten  und  doch  so 
bestimmten  Hebung  des  Basrelief,  in  dem  einfachen  Schwung 
der  Linien,  in  der  Reinheit  und  dem  Adel  der  Auffassung  des  Kör- 
pers das  volle  Gepräge  griechischer,  ja  attischer  Kunst  an  sich. 
Eine  jugendliche  weibliche  Gestalt  sitzt  für  den  Beschauer  von 
links  nach  rechts  gewandt  ruhig  auf  einem  für  uns  nicht  mehr 
näher  zu  bezeichnenden  Sitze  mit  Lehne,  beide  Oberarme  ähn- 
lich anliegend,  die  blossen  Unterarme  schräg  nach  vorn  in  Thä- 
tigkeit  gehoben.  Ein  enganschliessendes  Gewand  zeichnet  falten- 
los die  Linien  der  Brust  und  schliesst  sich  oben  um  den  Hals: 
über  den  rechten  allein  sichtbaren  Oberarm  fällt  ein  reich  gefäl- 
teltes Hemd  herab,  am  unteren  Ende  wenig  umgeschlagen,  wie 
es  scheint,  gehört  es  zu  dem  unter  jenem  wamsartigen  Gewand 
erst  befindlichen  linnenen  Chiton.  Das  Himation  fällt  hinten  an 
der  Lehne,  wie  es  scheint,  herab,   und  ist  reich  vorn  über  den 


41      

Schoos  geschlagen.  Von  den  beiden  Beinen  ist  nur  ein  Theil  der 
horizontalen  Oberschenkel  sichtbar.  Auf  einem  zarten,  schlanken 
Halse  sitzt  ein  sehr  fein  profilirter  Kopf,  wesentlich  horizontal 
gerichtet,  ruhig  einen  gegenüber  sich  befindlichen' Gegenstand 
anschauend.  Die  Nasenspitze  ist  verletzt,  seitlich  abgestossen. 
In  der  Stirn-  und  Nasenlinie,  dem  Augenwinkel,  Mund  und  Kinn 
ist  der  ganze  Reiz  einer  acht  griechischen  weiblichen  ,  jugend- 
lichen Gesichtsbildung  ausgeprägt.  Das  leicht  gewellte  Haar  ist 
einfach  geordnet;  Stirn-  und  Seitenhaare  sind  in  einen  breiten 
Streifen  zurückgenommen ,  das  Hinterhaar  als  Wulst  hinten 
zusammengefasst,  sodass  der  mittlere  Theil  des  Kopfes  glatt  und 
rund  sich  daraus  erhebt.  Besonderes  Interesse  erwecken  die  beiden 
Hände  in  ihrer  Motivirung.  Die  linke  Hand  ist  steil  gehoben  mit 
gehobenem  Daumen  und  Zeigefinger,  die  sich  aber  nicht  berühren, 
eingebogenen  drei  anderen  Fingern,  das  Innere  dem  Beschauer 
zukehrend.  Die  rechte  Hand  dagegen,  leider  in  ihren  Fingern 
bereits  verstümmelt  und  auch  sonst  abgeschabt,  mehr  schräg 
nach  vorn  gehoben  ,  hat  offenbar  einen  länglichen  Gegenstand 
umfasst  und  um  den  die  Finger  eingesenkt. 

Wird  man  auf  den  ersten  Anblick  auch  versucht  sein ,  ein 
Grabrelief  hierin  zu  sehen,  mit  der  sitzenden  Gestalt  der  Ster- 
benden, der  gegenüber  der  oder  die  Abschiednehmenden  zu 
denken  seien  (vgl.  z.  B.  D.  A.  K.  I.  Taf.  29.  n.  125.  126),  so 
muss  diese  Auffassung  doch  bei  irgend  näherem  Eingehen  vor- 
erst zurücktreten.  Zunächst  ist  es  schon  das  ganz  herabgesunkene 
Himation,  dasBedenken  erregt,  da  die  Verstorbene  sonst  wesent- 
lich mit  dem  über  das  Haupt  als  Schleier  gezogenen  und  von  der 
Hand  züchtig  gefassten  oder  doch  den  Oberkörper  umhüllenden 
Obergewand  gebildet  wird.  Dann  aber  sind  es  die  Handbewe- 
gungen, die  von  den  auf  Grabreliefs  gewöhnlichen  ganz  abwei- 
chen (man  vergl.  nur  die  Zusammenstellung  solcher  bei  Chirac 
Mus.  de  sculpt.II.pl.  152—7161)  und  uns  zu  anderer  Auffassung 
führen.  Der  Gestus  der  linken  Hand  ist  der  der  ruhigen,  beleh- 
renden, überzeugenden  Rede,  wie  er  wesentlich  wieder  bei  Sta- 
tuen des  Hermes  Logios  sich  findet  (z.  B.  D.  A.  K.  II.  Taf.  29.  n.318 
und  der  sogenannte  Germanicus  a.  a.  0. 1.  T.  50.  n.225),  auch 
bei  den  in  feierlicher  Anrufung  Gottheilen  sich  nahenden  Personen 
(Welcker  alte  Denkm.  Taf.  XIII.  25).  Mehrfach  kommt  er  z.  B. 
auf  der  Atlas-  und  Hesperidenvase  vor  (D.A.K.II.  Taf.  LXIV.  828), 
bei  Atlas,   Hermes,  einer  stehenden  Hesperide  mit  Kithara,  der 


_     42     

Eros  mit  Kranz  und  Binde  zueilt.  In  der  rechten  Hand  wird  man 
am  ersten  eine  Rolle,  einen  runden  Stab  suchen :   an  den  Griff 
eines  Spiegels  zu  denken,    verbietet  die  ganze  sonstige  Erschei- 
nung der  weiblichen  Gestalt.  So  wird  man  unwillkürlich  zu  dem 
Gedanken  einer  lehrenden  Muse  oder  einer  weiblichen,  im  Sinne 
einer  Muse  gedachten  Gestalt  geführt,   der  gegenüber  ein  hor- 
chender, von  ihr  empfangender  Dichter,  überhaupt  eine  männ- 
liche Person  sich  befand,   wie  Alkäos  gegenüber  der  sitzenden, 
in  dieMagadis  greifenden   Sappho  auf  dem  Terracottarelief  aus 
Smyrna(WelckeralteDenkm.II.Taf.XH.  20);  auch  ohne  Kithara 
erscheint,   nur  mit  der  Rolle,   Sappho  auf  einem  von  de  Witte 
(Gabin.  Durand  p.  160)  beschriebenen  Vasenbild  der  Sammlung 
Middleton.    Die  neuste  hierher  gehörige  Publikation  eines  Terra- 
cottareliefs  in  den  Annali  1858.  tav.  d'agg.  0  mit  Text  von  Welcker 
p.  42.  43  zeigt  uns  die  Dichterin  y.cct  s^oxrjv,  d.  i.  Sappho  sitzend 
auf  Fels  mit  herabgesunkenem  Gewand,  zurückgebeugtem  Haupt. 
Ihre  Linke  hält  die  /ndyadig  ganz  im  Motiv  der  Linken  unseres 
Reliefs,  die  Rechte  ist  zur  Seite  herabgesunken.   Unter  den  Mu- 
sen wird  es  sich    etwa    um   Mvrjf.ii]   oder  Kleio    oder  Kalliope 
handeln.  Wichtig  ist  die  volle  Entblössung  der  Unterarme  ja  über 
den  Ellenbogen  hinaus,   die  mit  Ausnahme  der  Melpomene  allen 
Musen  eigen   ist,    bei  einzelnen  auch  zur  Aermellosigkeit  sich 
steigert.  Ganz  unserem  Denkmal  ähnlich  ist  eine  als  Mnemosyne 
bezeichnete  Statue  aus  dem  Palast  Giustiniani  bei  Clarac  Mus. 
de  sculpt.III.pl.  497.  n.  971.  Die  gleiche  redende  Bewegung  der 
Finger  der  einen  Hand  finden  wir  bei  anderen  Musenstatuen,   so 
bei  Clarac  III.  pl.  534.  n.  1 122,  aber  wir  legen  wegen  der  Unsicher- 
heit in  der  Ergänzung  der  Hände  darauf  kein  Gewicht.    Jedoch 
ziehen  wir  es  entschieden  vor,   hier  eine  nur  im  Charakter  der 
lehrenden  Muse  bestimmte  Persönlichkeit  zu  sehen,  die  mit  einer 
andern  ihr  gegenübergestellten,  etwa  auf  einem  Stab  gestützten 
Persönlichkeit  in  lebendiger,  zunächst  von  ihr  ausgehender  Rede 
begriffen  ist.    Und  dies  würde  schliesslich  die  Möglichkeit,  das 
Ganze  als  Grabrelief  zu  betrachten,    nicht  ausschliessen,   wenn 
auch  die  Motivirung  von  den  gewöhnlichen  durchaus  abweicht. 
Wir  besitzen  hierzu  ein  schlagendes  Beispiel  in  dem  Grabrelief 
der  Claudia  Italia,    das  ihr  Gemahl  Hermias  ihr  geweiht,    aus 
Villa  Albani  nach  Paris  gekommen  (Winkelmann  Mon.  ined.  n.1 87, 
Clarac  Mus.  de  sculpt.  II.  pl.  147.  n.  330):  hier  sitzt  eine  weib- 
liche Gestalt  auf  dem  Thronsitz  mit  einer  Rolle  in  der  gehobenen 


• 43     

Rechten  und  die  Inschrift  nennt  sie :    näorjg  /nevexovaa  (xov- 
oiY.rjg. 

§  4.  Eros  mit  Vogel.  4 

Taf.  V.  Relieffragment.  Rr.  19  Centim.,  Höhe  \\  Centim. 

Während  uns  das  eben  betrachtete  Relief  in  Stil  und  Ge- 
genstand ganz  in  eine  acht  griechische  Zeit,  ja  in  attische  Kunst 
zurückversetzt,  weht  uns  aus  dem  hier  publicirten  Relieffrag- 
ment desselben  Fundortes  ein  ganz  anderer  Geist  an ,  der  Geist 
alexandrinisch-römischer  Periode,  gegenüber  dem  Ernst  und 
der  feinen  Reseelung  edler  ruhiger  Formen  ein  geistvolles,  le- 
bendiges Spiel  mit  mythologischen  Gedanken ,  dabei  eine  ge- 
wandte, in  kräftigen  Rewegungen,  flüssigen,  allgemein  bekann- 
ten Formen,  frei  sich  ergehende  Technik. 

Wir  sehen  den  Oberkörper  eines  geflügelten  Knaben  vor 
uns,  der  in  grosser  Rreitenentwickelung  sehr  geschickt  in  jener 
zum  Hautrelief  bereits  überführenden  Gattung  des  Rasreliefs  be- 
handelt ist,  wie  sie  in  den  Werken  der  jüngeren  attischen  Kunst 
zuerst  zur  Geltung  kommt.  In  lebendiger  Rewegung  strebt  der 
ganz  en  face  sich  zeigende  Körper  schräg  von  der  rechten  zur 
linken  Seite;  der  rechte  Oberarm  ist  gesenkt,  der  linke  schräg 
gehoben  und  daher  auch  die  linke  Rrustseite  in  vollster  Muskel- 
anspannung. Der  Kopf,  an  dessen  hinteren  Theil  die  linke  Hand 
gelegt  ist,  sodass  durch  den  linken  Arm  ein  spitzer  Winkel  ge- 
bildet ist,  wendet  sich  rückwärts  nach  einem  Gegenstand,  der 
auf  der  rechten  Hand  ruht,  die  bis  zur  Höhe  der  Schulter  etwa 
gehoben  ist,  sodass  ein  ähnlicher  nur  entgegengesetzt  liegender 
Winkel  durch  den  Ellenbogen  hier,  wie  am  linken  Arm  gebildet 
wird.  Dieser  ziemlich  grosse  Gegenstand  mag  für  den  ersten 
flüchtigen  Anblick  als  eine  Schaale  erscheinen,  wie  der  Besitzer 
selbst  in  einer  schriftlichen  Notiz  sich  geäussert  hat,  jedoch  dies 
ergiebt  sich  bei  irgend  näherer  Betrachtung  als  durchaus  falsch. 
Der  flache  Theil  der  scheinbaren  Schale  ist  eine  durch  Abschlagen 
eines  oberen  Theiles  entstandene  Fläche,  dagegen  nur  erhalten 
der  untere  geschütztere  Theil ,  um  den  die  Finger  sich  legen. 
Dieser  ist  nichts  weniger  als  gleichmässig  und  glatt  als  Aussen- 
seite  einer  Schale  gebildet,  im  Gegentheil  absichtlich  mehr 
schuppig  und  giebt  in  seiner  Gestalt  sehr  bestimmte  Anhalte- 
punkte  für  eine  richtigere  Auffassung;  ich  mache  auf  den  hals- 
artiüen  selbständiueu  Ansatz,  dem  Knaben  zugekehrt,  auf  die 


44     

breiteren  volleren  Theile  der  Mitte,   dann  wieder  auf  die  ent- 
schiedenere, ein  Hinterlheil  einleitende  Einbiegung  aufmerksam. 
Kurz,  wir  haben  hier  den  unteren  Theii  eines  grossen,   hühner- 
artigen, oder  Wasservogels,  der  in  der  Hand  des  Knaben  gehal- 
ten wird.  Wer  eine  monumentale  Bestätigung  wünscht  für  dies  in 
hohler  Hand  Tragen  eines  Vogels,    den   verweise   ich  auf  das 
Relief  bei  Clarac  Mus.  de  sculpt.  XII.  pl.  199.  n.  4,  wo  ein  Mann 
genau  mit  derselben  Handbewegung  einen  Vogel  vor  einem  Altar 
einer  Gottheit  darbringt.  Nun  wird  die  ganze  Situation  scharf  und 
klar:  der  auf  der  Hand  des  idealen  Kindes  sitzende,  verhältniss- 
mässig  grosse  Vogel  ist,  wahrscheinlich  geneckt,  dem  Kleinen  so 
zu  sagen  auf  den  Leib  gerückt;    in  grössterEile  wendet  sich  der 
Körper  von  der  gefährdeten  Seite  ab,   wie  der  Körper  des  Lao- 
koon  dem  drohenden  Schlangenstich  zu    entgehen  sucht;    der 
linke  Arm  ist  unwillkürlich  an  den  Kopf  gefahren,  ein  bei  den 
Griechen  sehr  treffend  und  sicher  angewendetes  Motiv  der  Hef- 
tigkeit, wie  der  Schlauheit,    die  rasch  sich  fasst,  so  bei  Kronos 
(Miliin  G.  M.  I.    I.,  Müller-Wieseler  D.  A.  K.  II.  Taf.  LXII.  804, 
Tölken  Erkl.  III.  1 .  n.  6.  7),  so  bei  den  in  die  Muschel  stossen- 
den  Tritonen,  heftig  blasenden  Windgöttern  (Mon.  ann.  bull.  inst, 
archeol.  1855.  t.  VIII.  IX.),   endlich  bei  forteilenden  Gestalten, 
soder  vor  Tityos  fluchtenden  Leto   (D.  A.  K.  II.  Taf.  XIII.  214b.). 
Und  wie  ist  in  dem  zurückgewendeten  Kindergesicht  in  treff- 
lichster Weise  die  Mischung  von  Besorgniss  und  Neckerei,    die 
weiss,  dass  es  nicht  so  gefährlich  ist,  gemischt!   So  ist  von  dem 
Künstler   ein    reizendes   Wechselspiel   in   der  ganzen  Situation 
ausgedrückt;   der  Moment  der  Angst,   des  Fliehens  wird  rasch 
genug  der  erneuten  liebkosenden  Neckerei  folgen. 

Dass  wir  den  geflügelten  Knaben  Eros  zu  nennen  haben, 
liegt  im  allgemeinen  Habitus  hinlänglich  begründet.  Der  Kopf, 
mit  seinem  das  Gesicht  umgebenden  Lockenbausch  ,  den  über 
der  Stirn  aufsteigenden  Locken,  wie  dem  Haarknoten  im  Nacken, 
dem  Kindesprofil,  wie  dem  keck  und  heiter  geöffneten  Auge,  dem 
Zu°  um  Wange  und  Mundwinkel ,  der  nackte  Körper,  die  wohl 
ausgeführten,  gehobenen  Flügel  zeichnen  ihn  uns  sehr  indivi- 
duell. Und  doch  haben  wir  in  dem  ganzen  Hergang  zunächst  nur 
ein  einfaches ,  dem  Kinderleben  entnommenes  Spiel,  dass  aber 
schliesslich  der  tieferen  Bedeutung  des  Eros  nicht  fremd  ist. 
Durch  K.  F.  Hermann  in  der  Abhandlung :  der  Knabe  mit  dem 
Vogel.  Göttingen  1847  und  durch  0.  Jahn  in  den  Berichten  der 


45     

K.  S.  Ges.  d.  W.  hist.-philol.  Gl.  1848.  S.41—  52  ist  die  reiche 
Zahl  hierher  gehöriger  Denkmäler  wissenschaftlich  zusammen- 
gestellt und  besprochen  worden  (man  vergl.  auch  die  grosse 
Reihe  bei  Clarac  Mus.  de  sculpt.  pl.  894.  C.  876.  877.  A.  898), 
ebenso  die  erotische  Beziehung  der  dabei  beliebten  Vogelgattun- 
gen, besonders  der  Wasservögel,  Gans  oder  Ente,  dass  ich  ein- 
fach auf  sie  hier  verweisen  kann.  In  dem  Text  zu  Raoul  Roch. 
Choix  de  peint.  p.  134  ist  neuerdings  die  Gruppe  von  einem 
Knaben  und  Mädchen,  als  Eros  und  Psyche  wohl  zu  bezeichnen, 
publicirt.  Das  Mädchen  im  langen  Aermelchiton  hält  vor  sich 
mit  beiden  Händen  einen  langhalsigen  Wasservogel,  nach  dessen 
Schnabel  spielend  und  neckend  die  linke  Hand  des  Knaben  greift, 
während  die  Rechte  vertraulich  auf  der  Schulter  des  Mädchens 
ruht.  Wie  gern  dieses  Motiv  zu  Grabreliefs  für  geliebte  Knaben 
verwendet  ward,  zeigt  auch  ein  ausLilaea  neuerdings  nach  Athen 
gekommenes  Denkmal  (Bull.  inst,  archeol.  1858.  p.  109).  Unser 
Relief  bietet  aber  eine  mir  wenigstens  durch  sonstige  Denkmäler 
noch  nicht  bekannte  glückliche  Steigerung  des  Spieles  mit  dem 
Vouel ,  wie  es  in  dem  Reizen  des  Thieres  durch  Entgegenhalten 
des  Fingers  zum  Picken  und  Anbeissen  in  Bronze  und  Marmor 
mehrfach  bekannt  ist  (Jahn  a.a.O.  S.  49  f.  dazu  die  Tafeln). 
Der  neckische,  lebendige,  vor  Schmerz  heftig  zurückschauernde 
Charakter  des  Eros  wandelt  gleichsam  die  idyllische  Situation 
in  eine  dramatische  Scene  um. 


10.  MÄRZ. 

Von  Herrn  Stark  wurde  folgender  Aufsatz  über  unedirte  Ve- 
nusstatuen und  das  Venusideal  seit  Praxiteles  vorgelegt1). 

Während  die  oberflächliche  Betrachtungsweise  unserer  mo- 
dernen Gesellschaft  wesentlich  nur  insoweit  an  einem  Kunst- 
werke Interesse  findet,  als  dieses  durch  Neuheit  oder  die  zeit- 
gemässen  Bezüge  des  Gegenstandes  sich  bemerklich  macht  und 
man  zu  einer  ruhigen,  eingehenden  Würdigung  der  eigentlich 
künstlerischen  Behandlung  gar  nicht  gelangt,  so  besitzt  die  an- 
tike Kunstwelt  darin  gerade  für  den  ernsten  geübten  Beobachter 
einen  so  unvergänglichen  Reiz  ,  dass  der  Ideenkreis  derselben 
sehr  umschränkt  und  verhältnissmässig  leicht  überschaubar  sich 
zeigt,  aber  in  demselben  alle  Richtungen  künstlerischer  Motivi- 
rung  durchgebildet  sind  und  hier  der  Betrachtung  eine  immer 
neue  Welt,  immer  neue  und  eigenthümliche  Variationen  Eines 
Grundthemas  geboten  werden.  Wir  sehen  an  der  Darstellung 
derselben  Grundideen,  wie  sie  die  griechische  Götter-  und  He- 
roenwelt enthält,  Jahrhunderte  hindurch  die  bedeutendsten 
Künstler  der  verschiedensten  Kunstschulen  arbeiten.  Ist  es  nun 
auch  wesentlich  Eine  künstlerische  Persönlichkeit,  durch  die 
endlich  das  Bild  der  Idee,  das  Ideal  mustergültig  festgestellt 
wird,  deren  Name  mit  diesem  Ideal  daher  unauflöslich  verbun- 
den erscheint,    so   lähmt   dieses  die  Lust  und  Kraft   folgender 


1)  Die  vorliegende  Abhandlung  war  zunächst  veranlasst  von  Seiten  des 
archäologischen  Instituts  in  Rom,  dem  drei  Zeichnungen  von  den  fünf  hier- 
bei publicirten  verdankt  werden.  Sie  war  als  einfache  Erklärung  derselben 
vor  2  Jahren  vollendet,  aber  die  römische  Censur  machte  die  Publikation 
von  entblössten  Venusstatuen  in  den  Schriften  des  Instituts  unmöglich.  Aus 
jener  schon  länger  ruhenden  Grundlage  ist  diese  nun  weit  umfassendere 
Abhandlung  erwachsen,  die  wenigstens  den  Gewinn  ganz  erneuerter  Be- 
trachtung eines  schon  einmal  in  engeren  Gränzen  durchgearbeiteten  Gegen- 
standes hat. 


47     

Künstler  noch  nicht  im  Mindesten  sich  auf  diesem  Gebiete  zu 
versuchen;  nein,  freudig  wird  nun  das  einmal  Gelungene  über- 
nommen ,  aber  mit  freiem  Sinne  in  dem  engeren  Bereiche  die 
so  vorgebildete  Kunstidee  immer  von  neuen  Gesichtspunkten 
beschaut  und  verkörpert. 

Bei  der  Lückenhaftigkeit  und  vielfachen  Unbestimmtheit 
unserer  historischen  Nachrichten  sind  wir  allerdings  meist  nicht 
im  Stande  diese  verschiedenen  Auffassungen  mit  Sicherheit  be- 
stimmten Künstlern  zuzuschreiben,  aber  die  Denkmälerkunde 
kann  und  muss  überhaupt  den  Stoff  für  die  kunsthistorische 
Fragstellung  vorbereiten  ,  sie  muss  die  uns  erhaltenen  Objekte 
scharf  nach  allen  Gesichtspunkten  betrachten  und  so  Gruppen 
von  Denkmälern  herausfinden,  die  nähere  oder  entferntere  Ver- 
wandtschaft und  Abhängigkeit  von  einander  bestimmen.  Auf 
solcher  Grundlage  wird  es  dann  leichter  werden  den  kunsthisto- 
rischeu  Faden,  der  durch  sie  durchläuft,  aufzufinden. 

Wenn  irgend  von  einem  Kunstideal ,  so  gilt  dies  von  dem 
der  Venus;  giebt  es  doch  keine  Göttergestalt,  die  in  der  jünge- 
ren griechischen  und  in  der  römischen  Zeit  —  und  an  diese  sind 
wir  mit  den  erhaltenen  Kunstwerken  zum  weitaus  grösslen 
Theile  gewiesen  —  eine  gleich  grosse  Verbreitung  und  bis  in 
das  Raffinirteste  gehende  Durchbildung  erfahren  hätte.  Trotz  der 
überaus  grossen  Zahl  der  ihr  angehörigen  statuarischen  Werke 
und  der  grossen  Berühmtheit  einiger  derselben  eröffnet  doch 
jeder  neue  Zuwachs  neue  Bezüge  und  fordert  zur  wiederholten 
Prüfung  und  Sichtung  des  vorhandenen  Reichthums  auf,  der 
selbst  dadurch  erst  recht  zum  wissenschaftlichen  Bewusstsein 
gelangt.  Indem  ich  im  Folgenden  eine  Reihe  von  vergleichenden 
Betrachtungen  an  die  Veröffentlichung  mehrerer,  noch  gar  nicht 
oder  nur  ungenügend  bekannt  gemachter  Statuen  anknüpfe, 
wird  die  Behandlung  dem  'oben  Ausgesprochenen  gemäss  vor 
allem  darauf  zu  zielen  haben  die  Stellung  dieser  Denkmäler  in 
bestimmten  Kreisen  von  Venusstatuen  "enau  zu  bezeichnen  und 
dadurch  schliesslich  auch  diese  als  Stufen  der  historischen  Ent- 
wicklung des  Venusideals  schärfer  nachzuweisen.  Wir  werden 
uns  dabei  neben  den  Müll  er -Wie  sei  ersehen  Denkmälern  der 
alten  Kunst  I.  Taf.  35.  40.  50.  II.  T.  24  —  27  vor  allem  auf  die 
reichste  Zusammenstellung  von  Venusstatuen  beziehen,  die  in 
Clarac  Musee  de  sculptureantique  et  moderne.  T.  III.  pl. 39-45; 


48 

T.  IV.  pl.  591—634.  D.  Texte  p.  68—142  in  buntester  Reihen- 
folge uns  vorgeführt  ist.  Immer  noch  entbehren  wir  einer  um- 
fassenden und  künstlerisch  wie  literarhistorisch  eingehenden 
Arbeit  über  das  Venusideal;  der  letzte  derartige  Versuch  ist 
von  Heyne  in  seinen  Antiquar.  Aufsätzen  I,  S.  115  ff.  gemacht, 
angegriffen  von  Voss  mythol.  Briefe  I,  S.  237  ff.  265  ff.,  aber 
gerade  da  dringend  der  Wunsch  einer  auf  vergleichender  An- 
schauung möglichst  aller  bekannten  Venusdarstellungen  begrün- 
deten Behandlung  ausgesprochen  worden.  Die  so  verdienstliche 
Abhandlung  von  Gerhard  über  Venus-Proserpina  (Hyperbor. 
röm.  Stud.  II,  S.  118  ff.)  und  über  Venusidole  (Abhdlg.  d. 
Berl.  Akad.  d.  W.  hist.-philol.  Kl.  1843.  S.  317  ff.)  beschäf- 
tigt sich  ausdrücklich  nur  mit  den  bekleideten  Cultusbildern 
derselben.  Dieweitschichligen  Recherches  sur  le  culte,  les  sym- 
boles,  les  attributs  et  les  monumens  figures  de  Venus  en  Orient 
et  en  Occident  par  Mr.  Felix  L  aj  a  rd.  1  837—1 848.  248  S.  in  4° 
und  Atlas  von  40  Blättern  geben  uns  allerdings  einzelne  interes- 
sante neue  Münztypen  und  kleinere  Figuren  ,  sind  aber  für  die 
archäologische  Behandlung  im  Text  ganz  unfruchtbar.  Die  best- 
geordnete und  reichhaltigste  Uebersicht  enthält  der  betreffende 
Artikel  in  Müllers  Handb.  d.  Archäol.  III.  Aufl.  S.  576  ff.,  ne- 
ben dem  man  auch  Prell ers  kurze  Darstellung  in  der  griech. 
Mythol.  I,  S.  234 — 36  gern  vergleicht,  während  der  in  Paulys 
Realencyclopädie  Th.  VI.  S.  2459  ff.  archäologisch  sehr  unge- 
nügend gearbeitet  ist.  Die  in  Italien  vorhandenen  Hauptstatuen 
der  Venus  behandelt  mit  feinem  Sinn  Burckhardt  in  seinem 
Cicerone  S.  448 — 454.  Für  die  Darstellungen  auf  Münzen  ist  der 
Artikel  bei  Rasche  (Lexic.  univ.  r.  numm.  T.  V.2.  p.  822 — 922) 
ebenso  reichhaltig,  als  wenig  übersichtlich. 

I.  Venus  mit  dem  Seeungeheuer. 
Die  Venusbildung  von  Praxiteles  zu  Kleomenes. 

Ich  beginne  mit  der  Marmorstatue  einer  nackten 
Venus  (Tafel  VI),  über  Lebensgrösse,  die  früher  im  Besitze  des 
Principe  di  Salerno  sich  befand.  Ueber  die  Ergänzungen  ist  mir 
leider  nichts  Näheres  bekannt,  doch  macht  kein  Theil  der  Ex- 
tremitäten der  Hauptmasse  gegenüber  einen  störenden  Eindruck 
der  Incongruenz.  Der  Kopf  des  daneben  befindlichen  Thieres 
wird  modern  sein,  aber  bedingt  durch  die  mit  dem  Rumpfe  des 


49     

Thieres  so  nahe  verbundenen  Füsse.  Wir  haben  eine  Venusgestalt 
vor  uns,  die  auf  den  ersten  Anblick  als  eine  der  mediceischen  des 
Kleomenes  von  Athen  verwandte  sich  kundgiebt.  Sie  ist  völlig 
unbekleidet,  auch  jede  Andeutung  eines  abgelegten  Gewandes 
ist  geschwunden.  Den  Stutzpunkt  derselben  bildet  wesentlich 
der  linke  völlig  platt  aufgesetzte  Fuss,  so  dass  das  linke  Bein  als 
das  straff  angestemmte  auch  eine  nur  leicht  wellenförmig  gebo- 
gene, wesentlich  gerade  Linie  bildet,  während  das  rechte  mit 
seinen  geschwungenen  grossen  Biegungen  in  einem  vollen  Ge- 
gensatze dazu  steht.  Das  rechte  Knie  ist  etwas  voraus  an  das 
linke  Knie  angeschoben,  so  dass  der  rechte  Oberschenkel  den 
Schooss  gleichsam  verschliesst.  Der  rechte  Fuss  berührt  nur 
mit  den  Zehen  und  Vorderballen  leicht  den  Boden.  Die  Linien, 
welche  von  den  Weichen  zu  den  Oberschenkeln  führen ,  sind 
weich  und  wohlgeschwungen.  Der  leicht  eingezogene  Unterleib 
macht  wie  der  ganze  Oberkörper  den  Eindruck  einer  reifen 
Frauennatur.  Auch  die  runden,  verbältnissmässig  vollen  Brüste 
stimmen  damit,  sowie  die  starke  Bildung  des  Halses.  Der  linke 
Arm  ,  in  der  Kugel  beweglich  hängend  ist  frei  gesenkt ,  um  die 
Scham  zu  decken;  der  rechte  Oberarm  schliesst  sich  dagegen 
eng  an  den  Oberkörper  an,  während  der  gehobene  Unterarm  die 
ganze  linke  Brust  deckt.  Die  vom  Halse  über  die  Schultern  gehen- 
den Linien  zeigen  eine  entschieden  kräftigere  und  breitere  Schul- 
terbildung als  die  mediceische  Venus.  Der  Kopf,  der  ein  Achtel 
der  ganzen  Höhe  der  Statue  bildet,  ist  stark  nach  der  linken 
Seile  gewendet,  so  dass  das  Profil  mit  der  linken  Schulter  und 
Arm  wesentlich  in  einer  Fläche  liegt.  Durch  diese  Biegung  ist 
natürlich  die  rechte  Halsseite  sehr  in  Spannung  versetzt.  Das 
Gesicht  ist  ein  durchaus  ideales,  in  grösseren  Formen  gebildet, 
■als  das  der  mediceischen.  Das  Auge  ist  gesenkt,  aber  voll  ge- 
öffnet; der  leicht  geöffnete  Mund,  das  Kinn  zeigt  nichts  von  dem 
verführerischen  Lächeln  oder  dem  Grübchen  der  Mediceerin,  der 
Gesammtausdruck  ist  ein  ernster.  Sehen  wir  uns  die  Haarbil- 
dung etwas  näher  an ,  so  ist  hier  Viererlei  zu  beachten :  die 
vorderen  das  Gesicht  umgebenden  Haare  sind  stark  gewellt  zu- 
rückgewandt und  im  Nacken  in  eine  volle  Masse  vereinigt,  welche 
breit  auf  den  Rücken  herabfällt ;  die  Vorderhaare  unmittelbar 
über  der  Stirn  sind  aber  auf  dem  Scheitel  des  Hauptes  zu  einem 
Krobylos  aufgebunden ,  während  die  übrigen  Haupthaare  fest 
anliegen  und  am  Hinterkopf  in  ein  Nest  oder  Haarwulst  zusam- 

4  860.  i 


50      

mengefasst  sind.    Von  einem  Schmucke  an  irgend  einem  Theile 
des  Körpers  findet  sich  keine  Spur. 

Ueberblicken  wir  noch  einmal  die  ganze  Statue ,  so  wird 
die  Gesammthaltung  als  eine  strengere  einheitlichere  gegenüber 
der  mediceischen  Venus  sich  kund  geben.  Welches  raffinirle 
Spiel  der  Bewegung,  Drehung,  Biegung  ist  dort  von  dem  Fuss 
bis  zum  Scheitel  ausgeprägt,  besonders  in  dem  Verhältniss  von 
Unter-  und  Oberkörper !  Wir  werden  unserer  Statue  gegenüber 
ihrer  Gesammthaltung  und  Körperbildung  nach  vielmehr  an  die 
capitolinische  Venus  erinnert. 

Noch  bleibt  uns  das  an  die  linke  Seite  sich  eng  anschlies- 
sende Thier  zu  besprechen:  es  ist  eine  in  einen  Fischschweif 
endende  Eidechsennatur  mit  einem  aufwärts  zur  Göttin  sich 
wendenden  Kopf.  Auf  einer  der  Windungen  sitzt  ein  kleiner 
Eros  von  der  Seite,  nicht  rittlings,  und  schaut  ebenfalls  zur 
Herrin  empor.  Die  ganze  Bewegung  des  Thieres  zeigt  uns  das 
in  der  unmittelbaren  Nähe  der  allmächtigen  Herrin  sich  schmei- 
chelnd anschmiegende,  friedlich  sich  biegende  Wasserunge- 
heuer. 

Somit  haben  wir  zunächst  uns  einfach  das  Angeschaute 
klar  zu  machen  gesucht:  der  Vergleich  mit  der  mediceischen 
Venus  als  der  weitaus  bekanntesten  in  dieser  Classe  von  Venus- 
statuen sollte  uns  nur  die  einzelnen  Motive  genauer  veranschau- 
lichen. Gehen  wir  nun  auf  eine  Classificirung  aus ,  so  werden 
dabei  folgende  Gesichtspunkte  in  Betracht  kommen :  völlige 
Nacktheit,  Motivirung  der  Arme  und  Hände,  sowie  der  unteren 
Extremitäten,  Haltung  des  Oberkörpers,  Stellung  des  Kopfes, 
Form  und  Ausdruck  des  Gesichtes,  Haarbehandlung,  sonstiger 
Schmuck,  das  Thierattribut  nach  Stellung,  Gattung  und  Art, 
Zuthat  und  Situation  der  Eroten  und  sonstige  Zugaben. 

Offenbar  ist  bei  unserer  Statue,  sowie  der  ganzen  Beihe, 
in  welche  sie  eintritt,  das  Grundmotiv  jener  unmittelbare  Aus- 
druck der  Weiblichkeit,  die  in  dem  Moment,  wo  sie  in  voller 
un  verhüllter  Schöne  {nav  xb  -/.dXlog  avrrjg  a/.aXvn%ov  ovöe- 
/.näg  eo&fJTOS  ö-^ntjovor^  y€yvf.iviotai  Luc.  Amor.  13)  sich 
zeigt,  sich  beschaut  fühlt,  unwillkürlich  sich  in  sich  zurückzieht, 
leicht  sich  zusammenbiegt,  mit  dem  vorgeschobenen,  gebogenen 
einen  Bein,  mit  der  Hand  das  Heiligthum  ihres  Leibes  deckt 
(ipsa  Venus,  quoties  velamina  ponil,  protegitur  laeva  semire- 
ducta  manu,   Ovid.  Art.  Am.  IL  613.  14)  und  so  gleichsam  als 


51 

eine  eben  geöffnete   und   doch   bei    leichtester  Berührung   sieh 
wieder  schliessende  Blülhe  erscheint.    Der  Moment  selbst  war 
durch  die  Beziehung  zum  Wasserleben,   zu  dem  Element,   dem 
die  Göttin  zuert  entstiegen,   dem  sie  im  Bade  immer  von  Neuem 
sich  anvertraut,  gegeben.    Dieses  Motiv  der  griechischen  Kunst, 
der  Kunstwelt  überhaupt  geschenkt  zu  haben  ,  ist  das  unver- 
gängliche Verdienst  des  Praxiteles2).    Leider    sind   wir  nur 
durch  eine  einzige  Stelle  von  der  Venus  nuda  des  Skopas  un- 
terrichtet, die  in  Rom  im  Tempel  des  Brutus  Cailaecus  d.  h.  des 
Mars   (gestiftet  132  v.  Chr.   von  D.  Jun.  Brutus)    aufgestellt  war 
und  die  der  Praxitelischen  an  Zeit  vorausging,  jeden  andern  Ort 
berühmt  gemacht  haben  würde,  in  Rom  bei  der  Fülle  der  Werke 
und  bei  dem  Drängen  und  Treiben  des  Geschäftslebens  weniger 
beobachtet  wurde   (Plin.  XXXVI.  26).     Wir  haben  aber  in  der 
Art,    wie  über  das  Werk  des  Praxiteles  berichtet  wird,  wohl 
einen  sichern  Beweis,   dass  sein  Motiv  nicht  schon  von  Skopas 
vorweg  genommen  sein  kann  und  dass  wir  bei  diesem  dem  Ge- 
wand noch  einen  grössern  Antheil  an  der  Gestalt  zuschreiben 
müssen.    Dazu  kommt,  dass  es  ein  Tempel  des  Mars  ist,  in  dem 
diese  Statue  geweiht  war.    Dürfen   wir  daraus  nicht  vielleicht 
entnehmen,   dass  wir  sie  als  Hqela,   als  siegreiche  gegenüber 
und  in  Beziehung  zu  dem  sitzenden,  von  Liebe,  wie  der  Mars 
Ludovici,  besiegten  Ares,  den  ja  auch  Skopas  gefertigt  und  mit 
dem  sie  sichtlich  zusammen  nach  Rom  gebracht  war,    gebildet 
zu  denken  haben?  Und  wohl  konnte  man  jene  Entblössung,  wie 
sie  in  der  Aphrodite  von  Melos  gegeben  ist,  als  ein  neues  Motiv 
des  Skopas   betrachten,    während   die  Aphrodite  Urania  eines 
Phidias  nur  vollbekleidet  zu  denken  ist.    Ueber  eine  dritte  Ve- 
nusstatue, die  Plinius  als  ebenbürtig  daneben  anführt  als  anti- 
quorum  digna  fama ,   die  in  Rom  im  Friedenstempel  vor  Vespa- 
sian  geweiht  war,  wissen  wir  nichts  Nähees;  es  geht  nur  aus  der 
Stelle  bei  Plinius  hervor v  dass  er  bei  ihr  zwischen  Praxiteles 
und  Skopas  zunächst  geschwankt  hat.     Doch  zurück  zur  Praxi- 
telischen Bildung.    Noch  war  mit  ihr  nicht  zugleich  die  völlige 
Beziehungslosigkeit  zu  aller  Gewandung  gegeben,  nein  wir  wis- 
sen vielmehr  aus  den  Knidischen  Münzen  (Müller  D.  A.  K.  1.  T.  35. 


2)  Brunn  Gesch.  d.  gr.  Künstler  I.  S.  346.  349  ff.  ;  Friederichs  Praxi- 
teles u.  die  Niobegruppe  S.  28  ff.,  dagegen  Brunn  im  Rhein.  Mus.  f.  Piniol. 
N.  F.  XI.  S.  167  ff.,  Overbeck  Gesch.  d.  gr.  Plast.  II,  S.  27  ff. 

4* 


52 

n.  146 ab),  wie,  wahrend  die  rechte  Hand  die  Scham  deckt 
(ttItjv  oocc  xjj  etSQCc  x€lQl  try  alöai  lelri&ötojg  imxQinrsiv 
Luc.  Am.  13),  die  linke  das  auf  das  Gefäss  niedergefallene  Ge- 
wand am  Zipfel  noch  emporhebt.  Also  hier  haben  wir  die  cor- 
respondirende  Bewegung  beider  Arme,  die  Deckung  der  Brüste, 
überhaupt  dieses  völlige  sich  Erschliessen  und  wieder  Zusam- 
menziehen noch  nicht,  sondern  noch  die  unmittelbare  Beziehung 
zu  dem  nicht  mehr  umhüllenden  Schutzmittel.  Auch  der  Bewe- 
gung der  Arme  gemäss  und  gemäss  der  Stellung  des  Gelasses 
mit  dem  Gewände  ist  der  linke  Fuss  gehoben  ,  der  rechte  ge- 
senkt. Wir  können  jetzt  auf  eine  nicht  kleine  Zahl  von  Copieen 
dieser  Knidischen  Aphrodite  im  Vatikan  (Clarac  n.  1366,  Müller 
D.  A.  K.  I.  T.  XXXV.  146  f.  ,  in  Villa  Torlonia  (Clarac  pl.  616. 
n.  1366c),  auf  die  Kolossalstalue  in  Villa  Ludovisi  (Beschreib. 
Borns  III.  12.  S.  588),  auf  sehr  beschädigte  und  restaurirte  Sta- 
tuen im  Vatikan  (Loggia  scoperta  s.  Beschreib.  Borns  II.  2.  S.194) 
und  im  Palast  Valentini  zu  Born  (a.  a.  0.  III.  3.  S.  156),  eine 
treffliche  in  München  (Clarac  pl.  618.  n.  1377),  sowie  eine  ganz 
übereinstimmende  Terracotta  aus  Tarsos  (Barker  Lares  and  Pe- 
nates  p.  193)  hinweisen.  Eine  vielfach  res«aurirte  Statue  in  Nea- 
pel (Clarac  pl.  606.  B.  n.  1343  c)  hebt  mit  der  Linken  das  Ge- 
wand nicht  von  einem  Gefäss,  sondern  von  dem  Stützpunkt  eines 
Delphins  ab,  also  eine  Verbindung  des  praxitelischen  Motivs  mit 
einer  Jüngern  Bildung. 

Von  dieser  einzig  berühmten  Bildung  des  Praxiteles  aus 
können  wir  zwei  Wege  der  Fortbildung  in  einer  grossen  Beihe 
ausgezeichneter  Statuen  verfolgen  ;  der  eine  ist  der  der  stärkeren 
Betonung  des  Verhältnisses  zum  Gewand,  der  andere  der 
gänzlichen  Ablösung  dieses  Verhältnisses  aus  dem  Grundmo- 
tiv. Wir  müssen  sagen,  diese  zweite  Bichtung  ist  wie  die  zahl- 
reicher verfolgte,  so  auch  die  der  mit  jenen  Grundgedanken  ge- 
gebenen Stimmung  entsprechendere.  Die  erstere  hat  aber  unter 
der  Hand  trefflicher  Künstler  eine  grosse  Zahl  neuer  und  anzie- 
hender Motive  entwickelt.  Bald  wird  nur  ein  Zipfel  des  auf 
einem  Gefäss  oder  Kästchen  ruhenden  Gewandes  von  der  linken 
die  Scham  deckenden  Hand  herübergezogen,  so  in  der  durch 
die  im  Palast  Chigi  befindlichen  Nachbildung  des  Menophantos 
uns  bekannten  Aphrodite  ev  TqcoccÖi  (Müller  D.A.K.  II.  n.  275; 
Ilandb.  d.  Archäol.  S.  580,  Welcker  Alte  Denkm.  I,  S.  447  —  48, 
Brunn  Gesch.  d.  griech.  Künstler  1,  S.  610),  von  der  ein  zweites 


53     

Beispiel  uns   noch  in  Paris  (Mus.  Napol.  \    t.  57;    Visconti  Op. 
var.  IV.  p.  487),  ein  drittes  im  Vatikan  begegnet  (Clarac  pl.  613. 
n    13G8).    Unter  Troas  ist  hier  mit  Plinius  (H.  N.  V.  33)  Alexan- 
dria in  Troas  zu  verstehen,  welches  durch  ovvoi/.iO(.iög  der  Um- 
gegend  durch  Antisonos  gegründet  ward  als  Antigonia  ,    dann 
Alexandria  umgenannt  und  von  Lysimachos  ausserordentlich  ge- 
fördert wurde,  später  wird  es  eine  änoi/.ia  cPtof.ialcov  und  gehört 
zu  den  ilkoyi(.iot  nöleig  (Strabo  XIII.  I,  vgl.  dazu  Zumpt  Com- 
ment.  epigr.  I.  p.  378).     Dass  Aphrodite  ,    die  Hauptgöttin  des 
troischen   Stammes  in  der  neuen  Gründung  neben  dem  durch 
die  Münzreihen  als  Hauptgott  erwiesenen  Apollo  Smintheus  vor 
allem  verehrt  ward  ,  ihre-Statue  von  ausgezeichneter  Künstler- 
hand gefertigt  dort  unter  Antigonos  oder  Lysimachos  aufgestellt, 
in  Rom  ,  das  die  Verwandtschaft  mit  Troas  so  lebhaft  betonte, 
nachgebildet  ward ,   das  ist  sehr  natürlich  wenn  auch  nicht  im 
Einzelnen  näher  nachweisbar.     Wir  haben  damit  aber  für  die 
Zeitbestimmung  dieser  Bildung,  welche  im  Anfang  der  Kaiserszeit 
eine  berühmte,  ausdrücklich  nachgeahmte  war,  ungefähre  Grän- 
zen,  zwischen  Ol.  116 — 124:  also  jedenfalls  gehört  sie  den  er- 
sten 50  Jahren  nach  der  Aufstellung  der  Knidischen  Venus. 

Mustern  wir  weiter  diese  Motive,  so  umschliesst  bald  das  Ge- 
wand in  einem  offenen,  fast  gebauschten  Bogen  die  Beine  und  wird 
von  der  Hand  über  der  Scham  festgehalten,  so  in  der  trefflichen 
Syrakusaner  Statue  (Clarac  pl.  608.  n.  1844  vgl.  dazu  Parthey 
Wander.  durch  Sicilien  I,  S.  177)  und  mehreren  ihr  darin  völ- 
lig entsprechenden  Exemplaren  z.  B.  in  Neapel  (Clarac  pl.  632.  G. 
D.4374A),  weniger  die  in  Villa  Albani  (a.a.O.  n.  1374);  dagegen 
eine  treffliche  kleine  Wiederholung  im  Braccio  nuovo  im  Vatikan 
Beschreib.  Roms  II.  2.  S.  93) ;  auf  eine  vor  dem  Braccio  nuovo 
macht  aufmerksam  Welcker  Rhein.  Mus.  IX.  S.  283,  die  wohl 
identisch  mit  der  weniger  guten  im  Vatikan,  die  berührt  ist  in 
der  Beschreib.  Roms II.  2.  S.  252  ;  auch  der  Unterkörper  der  Sta- 
tue im  Mus.Chiaramonti  bei  Clarac  pl.  610.  n.  1355  gehört  hier- 
her. Bald  bleibt  der  eine  Schenkel  noch  völlig  entblösst ,  wäh- 
rend über  den  anderen  das  Gewand  herabfällt,  so  in  einem  Torso 
des  Museums  zu  Leyden  (Janssen  griechische  etc.  monum.  n.  91), 
ebenfalls  einem  Torso  des  Vatikan  (Beschreib.  Roms  II.  2.  S.  3). 
so  in  einer  Statue  der  Villa  Albani  (a.a.O.  III-  2.  S.  477),  so  in 
einer  Statue  der  Sammlung  Torlonia  (Clarac  pl.  601.  n.1332C), 
deren  rechte  Hand  vor  die  Scham  den  einen  Zipfel  hält,  während 


54     

der  andere  über  den  Unterarm  gefallen  ist,   so  in  einer  kleinen 
im  Piräus  gefundenen  Marmorstatue,    im  Besitz    von  Rangabe, 
wo  der  andere  frei  herabhängende  Theil  des  Gewandes  Schleier- 
artig  hochgezogen  scheint  (Annal.  Instit.  archeol.XXI.  tav.  d'agg. 
L.  p.  165.  169).     Das  Gewand  schliesst  sich  enger  an  den  Kör- 
per an  und  umgiebt  ihn  bis  an  die  Oberschenkel  in  reichen  Fal- 
ten, so  in  einer  Neapolitaner  Statue   (Clarac  pl.  614.  n.  1360), 
einer  Oxforder  (Clarac  pl.  631.  D.  n.  1392.  D).   so  noch  in  drei 
anderen  Beispielen  ,    aus  Sammlung  Giustiniani ,    aus  Venedig 
und  Dresden,  (Clarac  pl.  606.  n.  1336.  1337.1338}.   Auch  dieses 
Motiv  wird  umgestaltet,    indem  der  eine  Zipfel  des  Gewandes 
von  der  einen  Hand  gehalten  wird,    60  dass  das  Gewand  sich 
öffnet,   oder  selbst  in  die  Höhe  geführt  wird,  so  in  einer  Statue 
im  Museo  Chiaramonti  (Clarac  pl.  614.  n.  1361),  in  einer  Statue 
einst   im  Besitz    von  Camuccini   (Clarac  pl.  614.  n.  1363).     Ja 
endlich  hängt  das  Gewand  nur  shawlartig  mit  den  Zipfeln  über 
den  Armen  und  lässt  die  Vorderseite  des  Körpers  gänzlich  un- 
bedeckt, so  in  zwei  Florentiner  Statuen  (Clarac  pl.  597.  n.  1305 
und  pl.  606.  n.  1335).    Im  vollsten  Gegensatz  zu  den  bisherigen 
Motiven  wird  endlich  das  Gewand  oder  Badetuch  durch  die  zu- 
sammengeneigten Kniee  zwischen  den  Beinen  festgehalten  und 
die  Hände  haben  selbst  gar  keine  Beziehungen  mehr  zu  ihm,   so 
in  zwei  oder  drei  Statuen  ,  einer  im  brittischen  Museum ,   und 
einer  pompejanischen  ,  der  eine  Zeichnung  Millins,   die  sonst  als 
drittes  Exemplar   gelten    müsste,    wahrscheinlich   identisch  ist 
(Clarac  pl.  625.  n. 1403.1  404,  Overbeck  Pompeji  S.370.  S.259  b). 
Bei  einem  Ueberblick  über  diese  überraschend  mannigfal- 
tige Reihe,   deren  Detail  wir  hier  nicht  weiter  verfolgen  wollen, 
werden  folgende  Bemerkungen    sich    unmittelbar   aufdrängen : 
das  Hauptmotiv  der  Praxitelischen  Aphrodite,   die  Deckung  der 
Scham  durch  die  rechte  Hand,  wechselt  hier  zwischen  der  rech- 
ten   und    linken  Hand;    das    andere  Hauptmotiv  der   Medicei- 
schen  Venus,  überhaupt  nachpraxitelischer  Bildung,   die  leichte 
Deckung  der  Brüste,  begegnet  uns  grossentheils  auch  in  diesen 
Statuen ,   vor  allem  schon  in  der  von  Troas ;  ferner  die  Kopfbe- 
wegung, Haarbehandlung,  die  Schmucksachen,  Thier-  und  son- 
stigen Attribute,   auch  die  beigefügten  Eroten  zeigen  wesentlich 
dieselben  Formen  ,   als  diese  an  den  ganz  entkleideten  Statuen 
uns  entgegentreten  werden,  ja  in  der  Auffassung  der  meist  ab- 
sichtlich mehr  öffnenden,   als  deckenden  Gewandung  zeigt  sich 


55     

ein  sehr  freies,  ja  sehr  raffinirtes  Spiel  des  Künstlergeistes,  der 
über  das  Gewand  nach  ästhetischen  Gesichtspunkten  frei  schal- 
tet. Niemand  wird  bei  solchem  Ueberblick  daran  denken  kön- 
nen, das  Grundmotiv  dieser  Statuen  über  Praxiteles  hinauf  einer 
keuscheren,  strengeren  Auffassung  zuschreiben  zu  wollen. 

Wenden  wir  uns  zu  der  andern  Entwickelung,  welche  von 
der  Praxitelischen  Aphrodite  zur  gänzlichen  Entfernung  aller 
Gewandbeziebung  führt,  so  haben  wir  sichtlich  die  erste  wich- 
tige,  auch  im  Alterthum  in  hoher  Geltung  stehende  Weiterbil- 
dung in  der  Ca  pitol  ini  seh  en  Venus.  Allerdings  könnte  man 
noch  eine  nähere  Zwischenstufe  in  einer  kolossalen  Statue*  der 
Sammlung  Torlonia  finden  (Clarac  pl.  616.  n.  1366  A),  an  wel- 
cher der  linke  Arm,  der  dort  bei  der  Knidischen  den  Gewand- 
zipfel emporhebt,  sich  hier  auf  das  über  einer  festen  Unterlage 
niedergelegte  Gewand  stützt ,  woneben  das  Badegefäss  steht, 
der  rechte  den  Schooss  deckt;  jedoch  sind  die  Beigaben  hier 
vollständig  modern  und  in  der  entschiedenen  Richtung  der  gan- 
zen Gestall,  die  auf  einen  äusseren  Stützpunkt  hinweist,  ist  ein 
ganz  anderes  allerdings  auch  in  Venusstatuen  mit  Glück  weiter 
verfolgtes,  aber  der  Praxitelischen  Venus  fremdes  Motiv  herein- 
gebracht. Dagegen  steht  eine  sehr  anmutbige,  jugendliche  Sta- 
tue in  Florenz  (Clarac  pl.  624.  n.  1388),  die  mit  der  Rechten 
den  Schooss  deckt,  die  Linke  nach  vorn  hebt,  mit  einer  Muschel 
ergänzt  ist,  das  Haar  einfach  um  den  Kopf  geordnet  und  nur  mit 
einem  Band  befestigt  hat,  ihr  zur  Seite  Salbgefäss  und  Gewand, 
entschieden  der  Knidischen  noch  näher. 

Die  Capitolinische  Venus  (Mus.  Napol.  I,  t.  56.  Vis- 
conti Opere  varie  IV.  t.1 1 .  p.  63 — 68.  Bouillon  Mus.  I.  1 0.  Müller- 
Wieseler  D.  A.  K.  II.  n.  278.  Braun  Ruinen  u.  Mus.  Roms  S. 
220 — 24),  zu  welcher  wir  zwölf  Wiederholungen  kennen,  noch 
eine  im  Capitol  (Clarac  pl.  626  B.  n.  1383  D),  eine  in  Villa  Ror- 
ghese  (Beschr.  Borns  HL  3.  S.  246),  vier  in  Neapel  (Clarac  pl. 
617.  n.  1371— 1373  incl.  ;  pl.  623.  n.  1393),  drei  in  Dresden 
(August.  Taf.  59.86;  Clarac  pl.  61  9.  n.1385;  pl.  624.  n.1389, 
vgl.  Hettner  Katalog  n.  239.  242;  Leplat  T.  58,  Hetlner  Katalog 
n.  354),  eine  im  brittischen  Museum  (Clarac  pl.  619.  n.  1389  A), 
eine  treffliche  in  Woburn  Abbey  ohne  Kopf  und  Arme  (Müller- 
Wieseler  D.  A.  K.  IL  Taf.  25.  n.  277),  eine  in  Petersburg  (Cla- 
rac pl.  617.  n.  1370),  wozu  jüngst  noch  ein  ausgezeichneter 
Fund,  wie  ich  höre,  in  Rom  auf  dem  Esquilin  gekommen  ist,  hat 


5G     

in  dem  Adel  der  Erscheinung,  in  der  Grösse  und  Fülle  der  Kör- 
performen ,  in  der  beabsichtigten  Erhöhung  des  Hauptes  durch 
den  Krobylos,  in  dem  Ausdrucke  des  Gesichtes  entschieden  eine 
nähere  Beziehung  zu  dem  Venusideal  des  Praxiteles  und  seiner 
Zeit ,  als  die  Venus  von  Medicis.  In  ihr  ist  die  Vermittelung 
zwischen  Gewand  und  Badegefäss  und  der  Person  bereits  auf- 
gegeben, aber  dieses  beides  schliesst  sich  für  das  Auge  eng  an 
die  Gestalt  durch  Nebenstellung  an  und  so  ist  für  die  Vorstel- 
lung diese  Beziehung  und  Erklärung  des  Motivs  noch  ganz  le- 
bendig. Ein  wichtiger  Schritt  war  nun  gethan  :  beide  Arme 
sindmun  völlig  frei,  beide  gehen  in  jenes  Praxitelische  Grund— 
motiv  der  nun  alles  Schutzes  entkleideten,  die  unverhüllte 
Schönheit  nur  durch  ein  schamhaftes  sich  in  sich  Zurückziehen 
deckenden  Weiblichkeit  ein  ;  nun  senkt  sich  die  linke  Hand  zur 
Scham,  die  rechte  hebt  sich  schützend  vor  die  Brust.  Auch  der 
Oberkörper  beugt  sich  jetzt  stärker  vor,  während  der  Unterleib 
noch  mehr  eingezogen  wird.  Auch  die  Motivirung  der  Füsse 
muss  sich  nun  ändern  :  nach  dem  so  selten  verletzten  Gesetze 
des  Chiasmus,  der  schrägen  Wechselwirkung  hebt  sich  der 
rechte  Fuss  leicht,  schiebt  sich  der  rechte  Oberschenkel  vor; 
im  linken  Bein  ruht  nun  der  Schwerpunkt  der  Gestalt.  Keine 
Spur  des  Schmuckes  zeigt  sich  am  Körper  der  dem  Bad  eben 
Entstiegenen.  Das  Haar  ist  über  dem  Scheitel  und  zwar  zu 
einem  hohen  Krobylos  aufgebunden,  ein  breites  Haarband  be- 
festigt die  reichen  Seitenhaare,  die  am  Hinterkopf  einfach  in 
einer  Schlinge  zusammengefassten  Haare  fallen  in  zwei  starken, 
sich  auflösenden  Haarsträngen  auf  den  Nacken  herab ;  sie  ma- 
chen entschieden  den  Eindruck,  dass  sie  in  dem  Wasserelement 
sich  eelöst  haben,   welches  die  Göttin  so  eben  verlassen  hat. 

Man  fühlt  sich  wohl  versucht  für  diese  herrliche  und  auf 
italischem  Boden  so  vielfach  in  Copieen  verbreitete  Bildung 
einen  Urheber  zu  suchen.  Wenn  es  erlaubt  ist  bei  dem  spärlich 
fragmentarischen  Zustande  unserer  Kunslnachrichten,  besonders 
dem  dürftigen  katalogartigen  Charakter  der  Berichte  des  Plinius 
über  die  Kunstwerke  in  Born  Vermuthungen  zu  äussern,  so  wird 
man  zunächst  an  ein  WTerk  des  Sohnes  und  Erbens  der  Kunst 
des  Praxiteles,  an  das  des  Kephisodot  denken  können,  wel- 
ches in  Born  in  Asinii  monimentis,  d.  h.  dem  Atrium  Libertatis 
mit  Bibliothek  auf  dem  Aventin  sich  zu  Plinius  Zeit  und  natür- 
lich seit  Asiniüs  Pollio  sich  befand  (Plin.  XXXVI.  S.  24).    Eine 


57     

andere  Stätte  berühmter  Venusstatuen  in  Rom  sind  bekanntlich 
die  Porticus  oder  monimenta  Octaviae,  eine  Gründung  des  Qu. 
Caecil.  Metellus  Macedonicus  (nach  149  v.  Chr.  vgl.  Becker  Rom. 
Alterth.  I,  S.  608  ff.)  mit  ihren  Tempeln  des  Jupiter  und  der 
Juno,  von  Werken  der  jüngeren  griechischen  Kunst  um  Ol.  195, 
aber  auch  älterer  geschmückt.  Hier  stand  eine  treffliche  Venus 
des  Phidias  (Plin.  XXXVI.  4.  § .  15),  hier  eine  des  Philiskos, 
hier  die  lavans  se  des  Daedalos  und  dabei  eine  stehende  Ve- 
nus des  Polycharmos  (Plin.  I.  1.  §.  35).  Man  wird  zunächst 
veranlasst  sein,  an  die  letztgenannte  Statue  zu  denken,  die  ent- 
schieden Beziehung  zum  Bad  gehabt  haben  muss,  nur  dass  sie 
stehend ,  nicht  kauernd  dargestellt  war.  Aber  ich  hoffe  im  Fol- 
genden für  diese  eine  bestimmte  Bildung  mit  grösster  Wahr- 
scheinlichkeit nachzuweisen.  So  könnte  für  die  capitolinische 
Venus  unter  diesen  Künstlern  nur  Philiskos  der  rhodische  Mei- 
ster in  Betracht  kommen. 

Sehen  wir  auf  griechischem  Boden  uns  um ,  wo  eine  be- 
rühmte Marmorstatue  einer  Aphrodite  Pontia  neben  Knidos  — 
und  eine  solche  ist  ja  die  knidische,  von  den  Knidiern  selbst 
Euploia  genannte  Aphrodite  (Paus.  I.  1.3)  —  erwähnt  wird, 
so  werden  wir  nach  Hermione  gewiesen,  deren  religiöser 
Kreis  so  eng  mit  dem  der  knidischen  Halbinsel  zusammenhängt. 
Pausanias  (II.  34.  10)  rühmt  aber  gerade  das  dortige  ayak^a 
Xev/.ov  Xt&ov,  was  ebenso  gross  als  wegen  der  künstlerischen 
Ausführung  schauenswerth  sei.  Eine  Bronzemünze  unter  Cara- 
calla  geschlagen  von  Hermione  zeigt,  wie  Mionnet  (Supplem.  IV. 
p.  262  f.)  angiebt  Venus  debout  avec  Cupidon ,  ob  ganz  unbe- 
kleidet, wird  nicht  bezeichnet,  dagegen  scheint  die  nackte  Ge- 
stalt, die  neben  Hermes  auf  Münzen  erscheint  oder  die  thro- 
nende ,  mit  dem  Steuerruder  in  der  Hand  bezeichnete  *Fyche 
der  Stadt  bekränzt,  nicht  wie  Rasche  (Lex.  r.  numm.  V.  2.  p.  882) 
meint,  eine  Aphrodite  zu  sein,  sondern  eine  männliche  Gestalt, 
etwa  der  Heros  Hermion.  Auch  der  marmorea  Venus  illa  ,  die 
die  Bewohner  von  Rhegion  um  keinen  Preis  hergeben  würden 
und  die  Cicero  neben  der  knidischen  Venus  als  ein  berühmtes 
Werk  einer  griechischen  Stadt  nennt  (Verr.  IV.  60.  135),  kann 
hier  gedacht  werden  ,  da  aller  Grund  ist  auch  hier  eine  Äyqo- 
dltrj  EiTiXoiu  oder  Ilovxia  zu  verstehen.  Doch  genug  der  Ver- 
muthungen. 

Wir  bemerken  übrigens,   dass  wir  die  capitolinische  Venus 


58     

nicht  als  das  Original  dieser  Bildung  hinstellen  und  alle  anderen 
als  Gopieen ,  sondern  als  das  hervorragendste,  besterhaltene, 
bekannteste  Exemplar  unter  vielen  Gopieen  eines  Originals.  Ihr 
Fundort  wird  in  der  Subura  angegeben  (Beschreib.  Roms  III.  2. 
S.  170);  wie  es  dabei  möglich  ist  auch  mit  Nibby  an  einen  Fund- 
ort am  Fusse  des  Pincio  in  der  Vigna  Naro  zu  denken  (a.  a  0. 
III.  2.  S.  567),  versiehe  ich  nicht. 

Der  weitere  grosse  Schritt  auf  dieser  Bahn  der  Darstellung 
der  nackten  Göttin  war  das  Badecefäss  und  Gewand  sänzlich 
wegzulassen  und  statt  dessen  nur  das  Element,  dem  sie  einst 
entstiegen  und  aus  dem  sie  gleichsam  immer  von  Neuem  gebo- 
ren wird,  allgemein  durch  ein  Geschöpf  zu  charakteristiren  ; 
war  doch  damit  in  den  Motiven  dieses  Geschöpfes,  in  seinen 
auch  sichtbar  heraustretenden  Beziehungen  zu  der  alles  Leben 
im  Meer,  im  Wasserreich  beherrschenden  Göttin  ein  neuer 
fruchtbarer  Gedanke  hereingebracht  —  ein  Gedanke  so  recht 
entsprechend  der  alexandiinischen  Epoche,  deren  Drang  nach 
allgemeineren ,  auf  verstandesmässigem  Wege  zu  erkennenden 
Beziehungen,  entschieden  an  unmittelbarer  Fasslichkeit,  an  in- 
dividueller Charakterisiruns  des  Momentes  weit  nachstehend 
jener  einfachen,  unmittelbaren  Darstellung  des  Bades.  Ja,  man 
konnte  nun  noch  weiter  gehen  und  das  vollendetste  Werk  dieser 
neuen  Klasse  von  Venusstatuen ,  die  Venus  des  Kleomenes 
von  Athen  zeigt  diesen  Schritt  und  die  hier  publicirte  Sta- 
tue steht  ihr  darin  besonders  nahe :  das  Geschöpf  des  Meeres 
zur  Seite  der  Göttin  erscheint  verbunden,  geleitet,  im  Dienst 
von  dem  scherzenden  Knaben  und  Begleiter  der  Venus,  von 
Eros  oder  sogar  mehreren  Eroten.  Es  ist  gleichsam  nun  ein 
zierliches  Epigramm  der  grösseren  Elegie  beigefügt  und  eine 
geistreiche  Pointe  darin  ausgesprochen. 

Keine  Bildung  der  Venus  ist  für  uns  in  einer  solchen  Fülle  von 
Wiederholungen ,  von  der  vollendetsten  bis  zur  flachsten  und 
handwerksmäßigen  Behandlung  vorhanden,  als  diese  der  voll- 
ständig gewandlosen,  Brust  und  Schoos  deckenden  ,  von  einem 
Seelhier  begleiteten  Göttin.  Halten  wir  von  einer  jetzt  wesent- 
lich feststehenden  Betrachtungsweise  der  mediceischen  Venus 
wie  sie  durch  Heyne,  Visconti  angebahnt,  durch  Levezow  in  sei- 
ner Schrift  (Ueber  die  Frage ,  ob  die  medic.  Venus  ein  Bild  der 
knidischen  sei?  Berlin  1808)  umsichtig  erweitert,  durch  Brunn 
(Gesch.  d.  gr.  Künstl.  I,  S.  522  f.)  und  Overbeck  (Gesch.  d.  gr. 


59     

Plastik  II7  S.  238  ff.)  zuletzt  scharf  ausgesprochen  ist.  eine  Rund- 
schau über  diese  Wiederholungen  !  An  eine  Vollständigkeit  da- 
bei kann  meinerseits  nicht  gedacht  werden ,  doch  ist  es  schon 
wichtig  sich  acht  und  zwanzig  Exemplare  möglichst  scharf  ne- 
ben einander  zu  vergegenwärtigen. 

1)  In  Rom  weist  der  Vatikan  zwei  Exemplare  auf ;  eines 
früher  im  Palast  Ruspoli  mit  Seeross  zur  Seite  (Clarac 
pl.  613.  n.  1369), 

2)  ein  zweites  mit  Delphin  um  einen  Stamm,  mit  Porträtge- 
sicht der  Manilia   (Clarac  pl.  623.  n.  1391). 

3)  4)  Zwei  im  Palast  Tori onia,  ein  Exemplar  mit  Baum- 
stamm zur  Seite  (Clarac  pl.  622.  n.  1383  C),  ein  zweites 
mit  modernem  Delphin  (Clarac  pl.  622.  n.  1383). 

5)  6)  Zwei  im  Palast  Giustiniani  (Clarac  pl.  623.  n. 
1392  A):  eins  mit  Delphin,  das  zweite  mit  Delphin  und 
Amor  (Clarac.pl.  632.  n.  1398  A). 

7)  In  Villa  Massimi  (Clarac  pl.  634  B.  n.  1386A:  die  Arme 
unrichtig  ergänzt;  Delphin  zur  Seite. 

8)  In  Villa  Pamfili  (Clarac  pl.626B.  n.  1401):  mit  porträt- 
artigem Kopf.    Wohlerhaltener  Delphin. 

9)  In  Villa  Borghese  (Beschreib.  Roms  III.  3.  S.  255)  :  Arme 
neu.    Delphin  mit  Amor. 

10)  Im  Palast  Valentini  aus  Gabii  (Beschreib.  Roms  III.  3. 
S.  156).    Gute  Arbeit,  aber  Kopf  und  Arme  neu. 

11)  Einst  bei  Cavaceppi  (Clarac  pl.  627.  n.  1412)  nach 
England  gekommen.  Delphin,  Stamm,  Amor  dabei. 

4  2)  13)  Zwei  Exemplare  in  Neapel  im  Museo  borbonico  (n. 
294  und  304)  :  das  eine  bei  Clarac  pl.  606  B.  n.  1379  A. 
mit  Delphin  und  Amor,  das  andere  Clarac  pl.  606  A. 
n.  1379  B.  mit  Delphin. 

14)  In  Florenz:  Armspangen  an  beiden  Armen ,  Amor  mit 
Fackel  zur  Seite  (Cla'rac  pl.  620.  n.  1386). 

15)  In  Venedig  in  der  Sammlung  von  S.  Marco:  Amor  auf 
Delphin  antik,  gut  gearbeitet  (Clarac  pl.  620.  n.  1382). 

v| e — .  4 9)  Vier  Statuen  in  Paris  im  Louvre:  eine  mit  Del- 
phin und  Amor  bei  Clarac  pl.  344.  n.  1398;  zweite  mit 
Delphin,  der  rechte  Arm  bis  unter  den  Ellenbogen  erhal- 
ten (Clarac  pl.  623.  n.  1392);  dritte  aus  Gabii  (Mon.  Gabin. 
pl.  30) ,  jetzt  im  Magazin  des  Louvre  (Clarac  pl.  622  B. 
n.  1383  E^  mit  Delphin  um  einen  Stamm  ;  vierte  aus  Villa 


60     

Borgbese  ebendaselbst  (Clarac  pl.  610.  n.  1316)  mit  Del- 
phin und  Amor;  der  rechte  Arm  über  den  Kopf  gelegt, 
linke  deckt  die  Scham,  gehört  also  im  strengsten  Sinne 

nicht  hierher. 

20)  In  Paris  bei  Brun et  (Clarac  pl.  620.  n.  1 380) :  mit  Arm- 
spange und  Diadem  .  Delphin  mit  Amor  und  Wellen  am 
Grunde. 

21)  Zeichnung  bei  Miliin,  wo  das  Werk  selbst?  (Clarac  pl. 
608.  n.  1346)  :   Delphin  und  Amor  zur  Seite. 

22)  23)  In  München  in  der  Glyptothek  n.  105  und  134  aus 
dem  Hause  Bevilacqua  in  Venua  (Clarac  pl.  618.  n.  1375. 
1376):  die  erstere  mit  linker  gehobener  Hand,  Delphin 
zur  Seite,  treffliche  Arbeit  von  parischem  Marmor,  bei  der 
zweiten  der  Delphin  modern. 

24)  In  Dresden  berühmte  Statue  aus  Sammlung  Albani  (Au- 
gust. Taf.  26  —  30;  Clarac  pl.  612.  n.  1358):  Beine  und 
Delphin  ergänzt. 

25)  Ebendaselbst  grosse  Statue  (6  F.)  aber  mittelmässige  Ar- 
beit (Clarac  pl.  620.  n.  1379;  Katalog  v.  Hase  n.  1 46; 
v.  Hettner  n.  108).    Delphin  und  Amor  neu. 

26)  In  England  in  der  Sammlung  Grey  (Clarac  pl.  622  B. 
n.  1394):  von  trefflicher  Arbeit  und  parischem  Marmor; 
mit  Armband;   zur  Seite  Baumslamm  mit  Eroten. 

27)  In  Oxford  (Clarac  pl.  634  D.  n.  1392  C):  jugendliche 
Porträtbildung;   7  F.  Höhe;   Delphin  zur  Seite. 

28)  In  Madrid  (Clarac  pl.  634  C.  n.  1392  B) :  von  trefflicher 
Arbeit  und  guter  Erhaltung;  Delphin. zur  Seite. 

Kann  man  in  jenem  oben  herausgehobenen  Charakter  grös- 
serer Allgemeinheit,  verstandesmässiger  und  an  das  Spiel  des 
Witzes  sireifenden  Ausdeutung  des  Attributes  wie  auch  einer 
freien,  nur  mit  sich  und  ihrem  Erscheinen  gleichsam  beschäftig- 
ten Situation  der  Göttin  den  Grund  für  die  grössere  Verbreitung 
gerade  dieser  Venusdarstellung  in  griechisch-römischer  und 
spätrömischer  Zeit  erkennen,  so  fühlt  man  sich  daneben  immer 
zur  Frage  gedrängt,  wie  die  specifische  römische  Porträtbehand- 
lung, die  uns  so  häufig  in  der  eben  bezeichneten  Beihe,  aber 
auch  in  verwandten  Darstellungen  einer  badenden  oder  dem 
Bade  entstiegenen  Venus  begegnet,  anzusehen  sei.  Es  ist  ja  sehr 
leicht  mit  alicemeinen  Gründen,  die  natürlich  existiren,  beson- 
ders  auch  mit  denen  der  Entsittlichung  der  Zeit  u.  dergl.  heran- 


61      

zukommen:  dies  genügt  aber  nicht,  um  diese  Auffassung  römi- 
scher angesehener  Frauen  zu  erklären.  Wir  müssen  hier  gewiss 
auf  römischen,  mit  der  ältesten  Venusverehrung  in  Rom  als 
Murcia,  die  dem  Bereiche  des  latinischen  Zuwachses  der  Bevöl- 
kerung angehört  und  wahrscheinlich  von  Lavinium  aus  einge- 
führt war  ,  verbundenen  Cultusgebrauch  zurückgehen  ,  der  von 
den  Matronen  ebensosehr  als  von  Libertinen  gehalten  wurde. 
Ovid  (Fast.  IV.  133  — 157)  berichtet  uns  bei  dem  ersten  April, 
dass  das  Marmorbild  der  Göttin  seines  Halsschmuckes  entkleidet 
und  ganz  gebadet  (tola  lavanda)  wurde,  dann  erst  der  Hals- 
schmuck neuumgelegt  und  sie  mit  Rosen  und  Blumen  sonst  be- 
schenkt wurde.  Demgemäss  badeten  an  einem  bestimmten  Ort 
sichtlich  im  Bereiche  des  Venusheiligthums  (sub  viridi  myrto)  in 
kaltem  Wasser  die  Frauen,  junge  und  alte,  posito  velamine  mit 
völliger  Enthüllung  unter  Gebeten  zur  Fortuna  virilis,  gemeinere 
später  sogar  in  den  Badestuben  der  Männer.  Dies  Bad  mit  Misch- 
trank und  Gebet  zur  Venus  schien  den  Matronen  Schönheit, 
Sitte  und  guten  Ruf  zu  erhalten.  So  war  es  gerade  der  Begriff 
der  pudicitia,  der  damit  sich  verband.  Die  hellenisirende  Le- 
gende Hess  Venus  am  Ufer  dem  Bade  entsteigen,  ihr  Haar  trock- 
nen, als  sie  von  Satyrn  belauscht  durch  ein  Myrtengebüsch  sich 
schützte  3) .  In  dieser  Auffassung  also  der  Macht  keuscher  Schön- 
heit in  der  Ehe,  die  nur  dem  Gemahl  sich  enthüllt,  haben  rö- 
mische Matronen  als  diese  Venus  sich  gern  darstellen  lassen,  sind 
ihre  Statuen  im  Bereiche  der  Columbarien  aufgestellt  worden. 

Ich  muss  hier  auf  einen  topographischen  Punkt  aufmerksam 
machen,  der  genauerer  Aufklärung  noch  bedarf.  Das  alte  Venus- 
heilisthum,  mit  dem  obke  Cultusbräuche  zusammenhalten,  be- 
fand  sich  bekanntlich  im  Thal  Murciae  oder  ad  Murcim  zwischen 
dem  Palalinus  und  den  weiten,  hintern  Abhängen  des  Aventin, 
am  südlichen  Ende  des  Circus  Maximus ;  dort  war  später  und 
sichtlich  im  Bereiche  der  grossen  heiligen  Stätte  ein  Tempel  der 
Venus  Verticordia  und  Obsequens  errichtet4).  Nun  gränzt  diese 
Stätte  unmittelbar  an  den  Platz  der  Piscina  publica,  des  ältesten 
Schwimmteiches  der  römischen  Bevölkerung,  in  Augusts  Zeit  als 


3)  Vgl.  noch  Plut.  Num.  19;  Verr.  Flaccus  bei  Macrob.  Sat.  I.  \±.  und 
Preller  röm.  Mythol.  S.  395;  Marquardt  Rom.  Allerth.  IV.  S.  320. 

4)  Die  Stellen  bei  Becker  röm.  Alterth.  I,  467  f.,  472;  vgl.  dazu  Prel- 
ler röm.  Mythol.  S.  393. 


62     

solcher  nicht  mehr  bestehend  und  in  dieser  Gegend  zwischen 
den  Antoninsthermen  und  dem  Tempel  der  Bona  Dea  wird  uns 
ein  Clivus  Delphini  in  dem  Curiosum  urbis  Romae  (Becker  r.Al- 
terth.  I,  S.  715,  dazu  S.  455)  oder  Signum  Delphini  erwähnt. 
Es  ist  gewiss  nicht  gesucht  diesen  Delphin  ,  der  hier  wohl  in 
Bronze  aufgestellt  war,  mit  dem  Venusheiligthum  und  zwar  einer 
dem  Meer  entstiegenen,  im  Meer  badenden  Venus  in  Verbindung 
zu  setzen  und  ebenso  die  Piscina  publica  als  die  Oerllicbkeit  zu 
bezeichnen,  wo  das  jährliche  Bad  der  Statue  der  Göttin  statt- 
fand. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  einer  vergleichenden  Betrachtung 
dieser  Reihe  von  Venusstatuen  ,  in  der  wir  unserem  Denkmal 
seinen  Platz  anzuweisen  haben. 

Unter  den  Seethieren  ist  der  Delphin  die  weitaus,  häufigste 
Beigabe  dieser  Venusstatuen.  Achtzehn  Statuen  im  Motiv  der 
mediceischen  können  wir  aufführen-  mit  diesem  wirklich  erhal- 
tenen Attribut ,  davon  eilf,  bei  denen  der  Delphin  allein  ohne 
weitere  Zugabe  erscheint,  während  die  übrigen  sieben  den 
Eros  hinzufügen ;  zwei  dagegen ,  von  denen  unsere  Venus  die 
eine  ist,  die  andere  früher  im  Palast  Ruspoli ,  jetzt  im  Vatican 
(Clarac  pl.  613.  n.  1369),  weisen  an  seiner  Stelle  eines  jener 
Seewunderthiere  auf,  die  aus  einzelnen  wirklichen  Anschauun- 
gen in  freier,  phantasievoller  Weise  herausgebildet  sind.  In  der 
oben  zuerst  besprochenen  Reihe  von  Statuen,  die  das  Praxite- 
lische  Motiv  mit  Gewandung  so  mannigfaltig  verknüpft  haben, 
ist  die  Zahl  jener  Attribute  des  Meerlebens  auch  eine  bedeu- 
tende ,  aber  als  ein  rechter  Beweis  der  grösseren  Raffinirtheit 
eines  guten  Theiles  derselben  ist  der  Delphin  nicht  so  die  herr- 
schende Form  ;  wir  haben  gegenüber  eilf  Exemplaren  mit  Del- 
phinen fünf  mit  anderen  Seeungeheuern.  Der  Delphin  war 
jedenfalls  eine  äusserst  glückliche  Beigabe  der  Göttin.  Wie  er 
bei  heiterem  Wetter ,  bei  ruhigem  Meer  im  übermüthigen  Spiel 
um  das  Schiff1  in  grosser  Menge  sich  tummelt  und  einen  Reigen- 
tanz führt5;,  wie  er  als  das  fürsorglichste  und  seine  Jungen  be- 
bendste Geschöpf,   das  wahren  Familiensinn  besitze,  den  Alten 


5)  Eur.  Hei.  1456  :  xoQttyi  rwr  xalh/öoiav  deXylvwv  brav  nvoaig  ni- 
Xayog  vrjve/uov  y.  Ueber  Symbolik  des  Delphin  vgl.  Creuzer  Symb.  u.  My- 
thol.  III.  S.  267—72.    Aufl.  III. 


63     

erschien"),  wie  seine  Menschenfreundlichkeit  Lebende  und  auch 
Todte  an  das  Land  zu  bringen  in  einer  Reihe  von  Erzählungen 
gepriesen  ward7),  wie  er  als  ein  Thier  der  Venus,  ja  wohl  als 
gleicher  Herkunft  mit  der  Göttin,  betrachtet  ward8),  ja  bei  einem 
späteren  Dichter  Aphrodite  nach  ihrer  Geburt  nach  Kypros 
trägt9),  als  Liebesbote  in  Mythen  eine  Rolle  spielte10),  so  musste 
seine  Springlust "),  seine  grosse  Beweglichkeit,  die  ihn  selbst 
über  Schilfe  sich  erheben  lässt,  seine  Art  senkrecht  in  das  Meer 
hinabzuschiessen  ihn  ganz  besonders  eignen  als  Begleiter  der 
dem  Meere  entstiegenen  Göttin  auch  auf  das  Land  zu  folgen  und 
mit  dem  beweglichen  nach  oben  gerichteten  Schweife  dem  Auge 
einen  angenehmen  und  festen  Stützpunkt  neben  den  zierlichen 
und  fein  abgerundeten  unteren  Extremitäten  der  Göttin  zu  ge- 
ben. Meist  erscheint  er  daher  auch  ohne  alle  sonstige  Unter- 
stützung, was  für  den  mit  der  oben  bezeichneten  Natur  des 
Delphin  nicht  vertrauten  Beschauer  zuerst  etwas  wunderlich 
Gezwungenes  hat;  jedoch  in  vier  Statuen,  der  mediceischen 
(Clarac  pl.  612.  n.  1357),  einer  des  Louvre  (Clarac  pl.  622  B. 
n.  1383  E),  einer  vatikanischen  (Clarac  pl.  623.  n.  1391),  einer 
früher  bei  Cavaceppi  in  Rom  (Clarac  pl.  627.  n.  1412)  giebt  ein 
Baumstamm  dem  Delphin  einen  Halt  oder  dieser  windet  sich 
um  ihn,  in  drei  anderen  ,  so  einer  Zeichnung  Miilins  (Clarac  pl. 
6I0.  n.  1316),  der  Statue  bei  Brunet  in  Paris  (Clarac  pl.  620. 
n.1380),  der  in  der  Sammlung  S.  Marco  zu  Venedig  (Clarac  pl.620. 
n.  1382),  bietet  ein  Fels  einen  dem  Delphin  noch  entsprechen- 
deren Stützpunkt.  Dass  auf  dem  Felsboden  neben  dem  Delphin 
hie  und  da  auch  ein  Tintenfisch  oder  eine  Meerqualle  (Aurellia) 


6)  Ael.  H.  Anina.  V.  6:  tf.ilotxtiov  loIov  dtltfig.  X.  7:  6  ätkiflg  6  &fj- 
kvg  /ucc&iig  h/^ti  xctTii  rüg  yvruTxug  xui  &t]).c<£ti  tu ßofrfr)  nüvv  äfp&ovqi  xal 
7ToAAf<5  tw  yaXaxji  —  (fiXörixioi  xal  (fiXoarooyov  6  dtXylg  fwof  —  ötÄ<flg 
&rjXvg  (fiXortxtiörccjog  lg  tu  ta/mru  fw'w»'  iari. 

7)  Plin.  H.  N.  IX.  8.  8  —  10,  dazu  Welcker  Rh.  Mus.  N.  F.  I.  S.  392  ff. 

8)  Gell.  N.  A.  VII.  8  :  Delfinos  venereos  esse  et  amasios  non  modo 
historiae  veteres  sed  receiitiores  quoque  memoriae  declarant.  Delphin  ist, 
wie  der  no^intlog  ein  Uoog  t%0-vs\  der  no/uniXo?  dabei  als  Cwov  Ioiotixov 
ü>g  av  xcd  uvTog  ytyovaig  Ix  xov  ovQuvtov  ui[uuTog  «fia  rfj  ^AffooSiTij  be- 
zeichnet von  Athen.  VII.  p.  2S2. 

9)  Nonn.  Dionys.  XII.  434  fgg. 

10)  So  bei  Poseidon  und  Polyphem  nachgewiesen  von  0.  Jahn  Arch. 
Beitr.  S.  417.  Note  29. 

11)  Ael.  V.  H.  XIII.  12  :  oi-ÜTctiog  xu\  uXrixwTUTog  i^Ovoji'  6  Jehftg. 


64 

erscheint,  ja  wohl  auch  eine  Andeutung  von  Wellen,  ist  nicht 
auffallend,  so  bei  vier  Statuen,  einer  in  Neapel  (Clarac  pl.  606  B. 
n.  1379  A),  nach  einer  Zeichnung  von  Miliin,  unbekannt  wo? 
(Clarac  pl.  608.  1346),  einer  Statue  aus  Villa  Borghese,  in  den 
Magazinen  des  Louvre  (Clarac  pl.  610.  n.  1316).  Eine  sehr  in- 
teressante weitere  Umgestaltung  des  Baumstammes  finden  wir 
neben  der  trefflichen  Venus  der  Sammlung  Grey  in  England  (Cla- 
rac pl.  622  B.  n.  1394)  :  eine  geöffnete  Muschel  ruht  oben  darauf 
und  um  den  Stamm  rankt  sich  Weinrebe  und  Apfelzweig;  zwei 
Eroten  pflücken  Früchte  und  reichen  sie  dem  dritten  am  Boden. 
Hier  ist  die  Göttin  ihrer  Beziehung  zum  Wasser  als  Element  fast 
entkleidet;  aber  wo  sie  erscheint,  sich  enthüllt  am  Wasser- 
becken, da  blüht  es  und  reifen  die  Früchte  des  vegetativen  Le- 
bens, da  spielen  Eroten.  Eine  interessante  Verbindung  der  Sym- 
bole des  Wassers  und  des  vegetativen  Lebens  zeigt  uns  eine  aus 
Syrien  stammende  Bronze:  eine  nackte  Aphrodite  mit  langen 
Haaren,  also  wohl  für  oder  vom  Wasser  aufgelöst,  versilberten 
Augen ,  und  Diadem  ,  die  in  einer  Hand  einen  Apfel  hält ,  wäh- 
rend ein  Delphin  ihr  zur  Seite  gestellt  ist  (nach  Longperier  Arch. 
Anz.  1853.  S.  45). 

Jedoch  wir  haben  neben  unserer  Statue  gerade  nicht  mit 
dem  Delphin  es  zu  thun,  sondern  einem  der  mythischen  See- 
ungeheuer. Offenbar  liegt  hier  ein  beabsichtigter  Contrast  zu 
Grunde:  jene  ungeschlachten  xwta,  jene  Seepferde  (Clarac  pl. 
613.  n.  1369),  Seestiere  (Clarac  pl.  615.  n.  1364,  womit  man 
auch  den  Cameo  des  Glykon  vergleichen  kann  bei  Müller  D.  A. 
K.  I.  Taf.  46.  n.  175),  Seeschlangen  (Clarac  pl.  614.  n.  1363), 
fischschwänzigen  Eidechsen  (Clarac  pl.  614.  n.  1360),  hässlich 
und  furchtbar  zugleich,  haben  doch  Eines,  das  Element  mit  Ve- 
nus gemein  und  auch  sie  beugen  sich  unter  die  Macht  der  Schön- 
heit und  Liebe12).  Wie  berechnet  ist  gerade  in  unserer  Statue 
der  Gegensatz   dieses   geschwollenen  Leibes   mit  den  kurzan- 


12)  Vgl.  Engel  Kypros  II,  S.  2S8.  Auf  bithynischen  Städtemünzen  von 
Apamea,  Claudiopolis,  Prusa  wird  Aphrodite  auf  einem  Delphin,  auch  auf 
Hippokampen  sitzend,  oder  nackt  stehend  mit  Hippokampen  zur  Seite  dar- 
gestellt, vgl.  Mionnet  t.  V.  21  ff.  40.  48.  Supplem.  t.  V.  n.  40.  48.  61.  1311. 
1318.  1342;  ebenso  auf  Münzen  der  Bruttier  (Rasche  lex.  n.  10.  t.  Y.  2. 
p.  905;  Carelli  numm.  It.  vett.  t.  170.  n.  1  —5).  Auf  Hippokampen  er- 
scheint sie  auch  auf  einem  kleinen  Goldmedaillon  in  den  Antiquites  du  Bos- 
pore  Cimmerien.  pl.  XXIII.  B.  Als  Venus  können  wir  daher  auch  die  nackte 


Co     

gesetzten  plumpen  Füssen,  so  unmittelbar  neben  jenem  schlan- 
ken Bau  der  Beine,  neben  jener  gerade  so  bewunderten  Schön- 
heit der  Füsse  der  Göttin  !  Ob  der  Kopf  des  Thieres  sich  in  der 
Thal  so  hingebend  und  liebesehnsüchlig  nach  oben  gewendet, 
können  wir  nicht  bestimmen,  da  die  Ergänzungen  am  Thiere 
mir  nicht  genauer  bekannt  sind. 

Aber  ich  erwähnte  früher  bereits,  dass  wir  es  nicht  allein 
mit  der  Beifügung  eines  Thierattributes  zu  thun  hätten,  sondern 
mit  der  Beziehung  desselben  auf  ein  oder  zwei  Eroten.  Und 
gerade  unter  den  fünf  Beispielen  von  Seeungeheuern  weisen  vier 
eine  solche  Begleitung  auf,  während  die  Zahl  der  allein  erschei- 
nenden Delphine  noch  einmal  so  gross  fast  ist,  als  die  mit  Del- 
phinen verbundenen.  Wie  der  dem  Meere  entstiegenen  Aphro- 
dite sofort  Eros  als  Begleiter  im  Mythus  sich  gesellt  (Hes.  Theog. 
201  f.,  Ael.  H.  A.  XIV.  28),  so  wird  die  Macht  des  Eros  über 
die  ganze  Thierwelt,  wie  über  Götter  und  Menschen  geschildert: 
speciell  über  das  Meer  hin  {vneqTtövxLog  Soph.  Ant.  785)  schrei- 
tet er  als  Herr.  Was  ihm,  dem  gewaltigen,  schönen  Ttaiq  ur- 
sprünglich allein  zukam,  das  zerlheilt  sich  nun  in  geistreichem 
Spie!  auf  die  Fülle  jener  kleinen  Kindereroten  der  alexandrini- 
schen  Zeit,  war  doch  auch  in  der  bildenden  Kunst  neben  Eros 
Himeros  und  Polhos  durch  Skopas  dargestellt  worden  und  die 
Venusstatuen  zeigen  beide  den  früheren  einheitlichen  Eros  und 
die  Eroten  auf  Seegeschöpfen  neben  sich. 

Bei  weitem  die  grösste  Zahl  der  hierher  gehörigen  Denkmä- 
ler führt  uns  Eros  auf  dem  Delphin  reitend  vor,  wieApion  bei 
Dikäarchia  wirklich  einen  vom  Delphin  geliebten  Knaben  sah 
IrtTcrjdov  7t£Qiߣßrj-y.ÖTCc  (Gell.  N.  A.  VII.  8),  wie  auf  jenem,  in 
einem  anakreontischen  Gedicht  (41)  geschilderten  Diskus  um 
die  im  Meere  schwimmende  Venus  vneg  ccQyvQ(p  d*  ö%ovvzai 
eni  deXcpioLv  %OQEVT<x'ig  —  'Egog  "l/iiEQog  ysltovreg,  wie  antike 
Marmordisken ,  Geräthfüsse,  Tenaeottenreliefs ,  geschnittene 
Steine,  Mosaiken13)    solche    reitende  Eroten    mehrfach    zeigen. 


weibliche  Gestalt  bezeichnen,  die  in  einer  Gruppe  der  Villa  Albani  auf  einem 
Seepferd  sitzt  und  einen  Amor  halt;  zu  den  Füsseu  im  Marmor  Angabe 
von  Wellen  mit  Delphin  und  Seeschlangen  (Bes°nreib.  Roms  III.  2.  S.  527). 
13)  So  n.  25  unler  der  von  Welcker  -Wie  Denkm.  II.  S.  128.  131  auf- 
gezeichneten Reihe  solcher  Disken,  in  Berlin  befindlich,  so  n.  34  aus  dorn 
Museo  Borbonico.     Marmorfuss    mit   dieser   Darstellung   eines    senkrecht 

1860.  -  5 


66     

Auch  hierbei  giebt  es  verschiedene  Motive.    Am  häufigsten  reitet 
ein  Eros  auf  dem  abwärts  gerichteten  Delphin  ebenfalls  in  ab- 
wärts gehender  Richtung,   meist  mit  der  linken  Hand  sich  hal- 
tend,  die  rechte  wie  zum  Antreiben  gehoben,  seltener  beide 
Hände  in  der  Freude  der  Bewegung  gehoben,  so  Clarac  pl.  G0f>  H. 
n.  1379  A.;   pl.  615.  n.  1366;  pI.V>20.  n.  1379.   1383  A.;  pl. 
622.  n.  1383  A.;   pl.  632.  n.  1398  A.     Unter  den  zwei   Eroten 
des  Delphins  der  mediceisehen  Venus ,   die  auffallend  klein  ,  so 
recht  in  spielender  Phantasie  gebildet  sind,    erscheint  der  eine 
auf  dem  Vorderkörper  des  Delphines  reitend,  der  andere  schwingt 
sich  kletternd  zum   hoch  geschwungenen  Schwanz  hinauf.    Wie 
der  erstere  nun  zur  höchsten  Steigerung  der  Verbindung  von 
Delphin  und  Eros  in  dem  vorwärts  auf  dem  Delphin  liegen- 
den,   krampfhaft    das  Thier  mit  beiden  Händen  umfassenden 
Knaben  führt,  so  in  der  Gruppe  der  Sammlung  Grey   (Clarac 
pl.  628.  n.  1304A),  so  leitet  dieser  weiter  zu  jenen  Darstellun- 
gen, in  denen  der  reitende  Eros  mit  dem  Oberkörper  sich  vom 
Delphin  abwendet.     Einmal  in   einer  Statue  von  S.  Marco 
zu  Venedig  (Clarac  pl.  620.  n.  1382)   wendet  er  sich  auch  von 
der  Venus  wie  jubelnd  ab  und  dem   Beschauer  entgegen ;  die 
häufigere  und   jedenfalls  dem   inneren  Verhältnisse  mehr  ent- 
sprechende Situation  lässt  ihn  aufwärts  zu  seiner  Mutter  Kopf 
und  Hand  erheben,  also  dorthin  sich  wenden,   von  wo  er  jedes 
Gebot  erhält,  in  deren  Dienst  er  so  eben  das  Geschöpf  des  Mee- 
res zügelt. 

In  diese  Auffassung  gehört  auch  unsere  Statue  hinein,  wo 
Eros  nicht  reitend,  sondern  ruhig  si  tzen  d  auf  d  em  Delphin- 
schwanz erscheint,  aber  den  Kopf  nach  oben  zur  Venus  gewen- 
det hat.  Die  Beziehung  zur  Mutter  wird  aber  noch  viel  lebendiger 
ausgeprägt,  es  wird  ihr  zugleich  ein  sichtbares,  vermittelndes  Ob- 
jekt gegeben,  indem  Eros  stehend  auf  dem  Seegeschöpf  gebil- 
det ist,  nach  oben  sich  hebend  und  beschäftigt  etwas  hinauf  zu 


gestellten  Delphins,  der  zugleich  einen  Polypen  erfassl  aus  Eryllnä  in 
Smyrna  s.  Ar  eh.  Anz.  1S58.  S.  230.  Zu  den  Geramen  vgl.  Müller-Wieseler 
D.  A.  K.  IL  T.  53.  n.  4<»2  ;  Taf.  55.  n.  643  ;  die  interessante  Gemme  mit  In- 
schrift CVflLOI  zuletzt  C  J.  G.  n.  7309,  eine  andere  mit  Inschrift  01LUJ 
a.  a.  0.  n.  7360b;  dazu  Creu«u-  Symbol,  u.  Mylhol.  III,  S.  271.  Note.  Zu 
den  Mosaiken  ein  neues  Beispiel  aus  Ostia  s.  Monum.  ined.  d.  inst,  aicheol. 
1857.    Vol.  V.  t.  11 .    Zu  den  Terracotlen  vgl.  Cainpana  Op.  in  plast.  t. 


67     

reichen,  so  in  einer  Statue  aus  der  Sammlung  Camuccini  (Clarac 
pl.  614.  n.  1360),  wo  die  Unterlage  eine  Seeschlange  bildet  und 
die  sehr  bedeutenden  antiken  Theile  uns  den  weichen  Knaben- 
körper in  voller  Hebung  und  Spannung  zeigen,  um  mit  der  ge- 
streckten Rechten  etwas  nach  oben  zu  heben,  ob  gerade  eine 
Fackel,  wie  der  Ergänzer  gemeint  hat,  ist  schwer  zu  bestimmen. 
In  viel  reiferer,  grösserer  Gestalt  ist  der  Amor  gebildet,  welcher 
in  einem  Werke  der  Sammlung  Pamfili  (Clarac  pl.  626.  n.  1 363  Ä) 
leicht  und  elastisch  auf  den  Delphin  tritt,  mit  der  Rechten  nach 
oben  der  Göttin  einen  Gegenstand  (gewiss  keinen  Dolch,  wie 
ergänzt  ist,  wahrscheinlicher  eine  Fackel)  reicht,  während  der 
linke  Arm  gesenkt  ist  und  als  auf  einer  Fackel  ruhend  er- 
gänzt ist. 

Eine  interessante  Verbindung  dieses  Motivs,  den  Amor  auf 
den  Rücken  des  Seegeschöpfes  zu  stellen,  mit  dem  vielfach  und 
in  so  anziehender  Weise  gebildeten  Motiv  des  eine  Gans  oder 
einen  Schwan  in  seine  Arme  drückenden  Knaben1'*)  finden 
wir  endlich  bei  einer  Venusstatue  des  Museo  Borbonico  (Clarac 
pl.  614.  n.  1360):  ein  neues  Symbol  des  Wasserlebens,  aller- 
dings nicht  specifisch  des  Seelebens  und  zugleich  ein  der  Aphro- 
dite geheiligter  Vogel 15)  war  damit  dem  Eros  in  die  Arme  gege- 
ben. Ja  man  möchte  versucht  sein,  wie  überhaupt  die  mehr  als 
man  gewöhnlich  glaubt  zahlreichen  Darstellungen  des  Genrele- 
bens der  späteren  Kunst,  so  auch  dieses  schöne  Motiv  an  die 
Abschwächung  und  Verallgemeinerung  eines  mythologischen 
Motivs  zu  knüpfen  und  den  Eros  zur  Grundlage  jenes  Knaben 
mit  der  Gans  zu  machen. 

Auch  die  völlige  materielle  Lösung  von  Eros  und  Seethier 
ist  erfolgt,  so  dass  jener  auf  die  eine,  dieser  auf  die  andere  Seite 
der  Göttin  gestellt  wird  ,  wie  ein  Relieffragment  im  Vatikan  im 
Museo  Chiaramonti  uns  eine  Säulenhalle  mit  einer  solchen 
Gruppe  in  derselben  zeigt  (Beschreib.  Roms  III.  2.  S.  42).  Ja 
auch  hier  entwickelt  sich  ein  neues,  lebendiges  Motiv  in  einer 
interessanten    Darstellung    der    Sammlung    Giustiniani    (Clarac 


14)  Unter  den  von  Jahn  in  diesen  Berichten  (1848.  S.  41  ff.)  übersicht- 
lich geordneten  Denkmälern  entsprechen  genau  die  beiden  von  ihm  heraus- 
gegebenen Mannorstatuen  von  Athen  unserem  Beispiel. 

15,1  Vgl.  Gerhard  Mythologie  I,  S.  403  und  besonders  die  der  Aphro- 
dite entsprechend  gesetzte  (fakrjolg  bei  Arisloph    Av.  565. 


5* 


G8     

p|.  tilo.  n.  1364)  :  zur  Linken  der  in  den  Motiven  der  Arme  der 
Meiliceischen  wesentlich  entsprechenden  ,  aber  um  den  Unter- 
körper mit  Gewandung  bedeckten  Venus  bewegt  sich  ein  See- 
stier an  der  Erde,  den  Kopf  zur  Herrin  gewandt;  vor  ihm  ent- 
setzt sich  der  kleine  Amor,  er  steht  breit  zur  Rechten  der  Göttin, 
ängstlich  fasst  er  ihr  Gewand,  den  Kopf  auf  das  Ungeheuer  ge- 
richtet und  doch  zugleich  in  einer  Position,  die  einen  kämpf  fer- 
tigen Helden  verrathen  soll.  Gewiss  ein  geistreiches,  scherz- 
haftes Motiv,  aber  ganz  aus  dem  Mythus  in  das  Kindertreiben 
des  wirklichen  Lebens  hin'überführend  ! 

Kehren  wir  nach  diesem  Ueberblick  der  bisher  nur  allzu- 
sehr übersehenen  Beigaben  der  zur  Vergleich ung  herangezogenen 
Venusslaluen  ,  soweit  wir  dabei  auf  antiken  erhaltenen  Theilen 
fussen  konnten,  ich  denke  nicht  ohne  allgemeineren  Gewinn  zu 
unserer  Venusstatue  zurück.  Wir  haben  in  ihr  also  eine  Dar- 
stellung der  dem  Meere  entstiegenen  Göttin,  die  nicht  allein  in 
völlig  unverhüllter  Schöne  sich  zeigt  mit  der  Motivirung  beider 
Hände  zum  Schutze  von  Schooss  und  Brust,  sondern  deren  Um- 
gebung auch  nicht  mehr  an  eine  umzulegende  Hülle  erinnert. 
Ihr  hat  sich  nicht  der  gewöhnliche  Delphin,  sondern  ein  Seeun- 
geheuer als  dienendes  Geschöpf  des  Meeres  angeschlossen ,  der 
zugleich  durch  den  Eros  als  der  alles  überwältigenden  Macht 
der  Liebe  unterthan  bezeichnet  wird.  Die  Motivirung  der  obe- 
ren und  unteren  Extremitäten  ist  in  der  ganzen  Reihe 
der  hier  in  Betracht  kommenden  Statuen  eine  wesentlich  glei- 
che :  der  linke  Arm  gesenkt,  der  rechte  zur  Brust  erhoben,  der 
linke  Fuss  aufgesetzt,  der  rechte  leicht  gehoben.  Kleine  Schwan- 
kungen über  die  Lage  der  rechten  Hand,  die  meist  die  linke 
Brust  deckt,  höher  und  nieder,  weiter  links,  weiter  rechts  kom- 
men dabei  vor,  doch  sind  wir  in  dieser  Beziehung  so  viel  an 
Ergänzungen  gewiesen,  dass  es  bedenklich  ist  diese  Schwan- 
kungen näher  zu  bezeichnen.  Auch  unsere  Statue  sehört  durch- 
aus  dieser  herrschenden  Motivirung  an.  Entschiedene  Ausnah- 
men kennen  wir  dabei  nur  zwei  und  diese  beiden  sind  Werke 
in  kleinen  Dimensionen:  das  ist  die  Statue  der  Sammlung  Giu- 
stiniani  (Clarac  pl.  623.  n.  1392,  4  Palm.  4  Z.  hoch)  und  eine 
Münchner  schöne  Statuette  (Clarac  pl.  618.  n.  1375,  2  F.  2  Zoll 
hoch),  aber  da  weist  auch  entschieden  der  Absatz  des  rechten 
Armes  darauf  hin,  dass  er  nicht  zur  Deckung  der  Brust  ange- 
schlossen und  gebogen  war,  sondern  mehr  gerad  nach  der  Seite 


<;<)      

ausgestreckt1,  um  einen  Gegenstand  zu  halten;  bei  dieser  ist 
der  ünke  hier  in  Betracht  kommende  Arm  noch  deutlicher  in 
seiner  Richtung  erhalten  ;  dass  wir  allerdings  keinen  Apfel  in 
dieser  rechten  Hand  zu  denken  haben,  sondern  ein  Objekt,  wel- 
ches zur  starken  auf  die  linke  Schulter  bei  beiden  Gestalten 
herabfallenden  Haarmasse,  zu  der  Bewegung  der  das  Haar  fas- 
senden linken  Hand  bei  der  einen  derselben  passt,  höchst  wahr- 
scheinlich einen  Spiegel,  werden  wir  in  einer  der  folgenden  Un- 
tersuchungen erweisen.  Beide  Statuetten  unterscheiden  sich 
sonst  wesentlich  dadurch,  dass  die  Münchner  die  linke  Körper- 
seite leicht  gebogen  hat,  während  sie  bei  der  andern  Statue  in 
straffer  Linie  erscheint,  was  schon  auf  eine  Milderung  durch  den 
zur  Scham  gesenkten  linken  Arm  hinweist.  Bei  zwei  anderen 
nicht  eben  vorzüglichen  Statuen  des  Vatikan  (Clarac  pl.  613. 
n.  1369  und  623.  n.  1 391 )  sind  beide  Körperseiten  ziemlich 
gleichmässig  belastet  und  daher  eine  Hebung  des  einen  Fusses, 
dieses  sonst  nie  versäumte  Motiv,  kaum  wahrzunehmen. 

Unsere  Venusstatue  zeigt,  wie  unsere  obige  Beschreibung 
bereits  hervorhebt,  wesentlich  kräftigere,  vollere  Formen,  als 
die  Mediceische;  sie  steht  gleichsam  in  der  Mitte  zwischen  ihr 
und  der  Capitolinischen.  Die  Haltung  ihres  Oberkörpers  scheint 
wenigstens  der  Zeichnung  nach  Weniger  vorgebogen  ,  nach  vorn 
gewendet  als  bei  beiden,  also  dadurch  der  Knidischen  ähnlicher. 
Die  Spur  eines  Schmuckes  am  Körper,  zunächst  einer  oder 
zweier  Armbänder  (ipeklia),  Ohrringe  ist  nicht  vorhanden,  und 
auch  hierin  folgt  unsere  Statue  der  bei  weitem  grösseren  Zahl 
der  die  völlig  nackte  Göttin  darstellenden  Werke,  und  ist  hier- 
mit auch  der  wesentlichen  Bedeutung  der  Situation  ,  des  Enl- 
steigens  aus  dem  Meere  treuer  geblieben,  als  das  berühmteste 
Werk  dieser  Gattung,  die  Mediceische  Venus,  deren  Erscheinen 
dadurch  auch  einen  auflas  Gefallen  berechneteren  Charakter 
erhält.  Sechs  Statuen,  eine  im  Vatikan  (Clarac  pl.  613.  n.1369, 
wo  jedoch  der  ganze  Arm  modern  scheint),  zwei  in  Neapel  (Cla- 
rac pl.  606  A.  n.  1379  B.,  pl.  617.  n.  1373),  eine  Florentiner 
(Clarac  pl.  620.  n.  1381),  die  der  Sammlung  Grey  (Clarac  pl. 
622  B.  n.  1398),  stimmen  mit  der  Mediceischen  in  diesem 
Schmucke  des  Armbandes.  Viel  häufiger  un<i  mit  vollem  Becht 
kommt  dagegen  das  Armband  bei  Venusst.ituen  vor,  die  unmit- 
telbar mit  dem  Schmuck  ihres  Körpers  oder  doch  mit  der  Ge- 
wandung beschäftigt  sind. 


_ 70     

Die  Haltung  des  Kopfes  gehört  bei   den  Venusbildun- 
gen  zu  den  feinst  abgewogenen,  das  Wesen  der  Göttin  ausprä- 
genden Motiven.    Wie  ihr  Überhaupt  in  allen  Darstellungsformen 
das  feste ,  breit  und  ruhig  der  Welt  sich  Gegenüberstellen ,  die 
herbe,  in  sich  gesammelte  Jungfräulichkeit  fremd  ist ,  welches 
wir  an  den  Köpfen  der  Hera  und  Athene  finden,   so  musste  dies 
im  noch  besonderen  Grade  bei  ihrer  Auffassung  als  dem  Meer 
entstiegenes  Wesen  ,  als  das  völlig  wehr-  und  schutzlose,   aber 
durch  den  Zauber  der  Schönheit  und  Anmuth  allmächtige  Weib 
zur  Forderung  werden.     Und  in  der  That  werden  wir  unter  der 
Fülle  hierher  gehörieer  Venusstatuen  ein  volles  en  face  kaum 
finden,   immer  eine  leichte' Biegung  und  Senkung  des  Kopfes. 
Am  meisten  zeigt  sich  die  Vorderansicht  aber  auch  in  unange- 
nehmster Weise  in  jenen  Venusstatuen  mit  römischen  Porträt- 
köpfen, sollte  doch  hier  dem  Beschauer  gerade  dieses  römische 
Damengesicht  in  unverhohlener  Prätension  auf  einem  Venuskör- 
per sich  darstellen  z.  B.   bei  der  Manilia  als  Venus  (Clarac  pl. 
673.  n.  1391).     Im  Gegentheil  wird  die  Biegung  und  Senkung 
des  Kopfes  bei  der  kindischen  Venus  eine  Bewegung,  die  gleich- 
sam dem  Gewände  noch  folgt,  was  besonders  auf  der  knidischen 
Münze  sichtbar  ist,   nun  bei  der  oben  dargestellten  Steigerung 
und  Verallgemeinerung   des    Grundgedankens    eine   gesteigerte 
und  berechnete;  schon  die  capitolinische  Venus,  noch  viel  mehr 
die  mediceische  sind  dafür  Beweis,   die  letzlere  mit  dem  ent- 
schiedenen Ausdruck  des  sich  gefällig  Beschauenlassens.    Aber 
zwei  Arten  der  Drehung  des  Hauptes  kommen  hier  gleichmässig 
neben  einander  vor:  eine  Drehung  fast  völlig  nach  links,  so  dass 
das  Profil  des  Kopfes  dem  Beschauer  der  Vorderseite  sehr  scharf 
sich  zeigt,  wie  bei  unserer  Statue,  und  eine  leisere  Wendung  des 
Halses  nach  rechts  und  Senkung  des  Hauptes  nach  links.    Eine 
gesammte  Wendung  des  Kopfes  nach  rechts ,   während  die  Mo- 
tivirung    der   Hände    und  Füsse    der   der  Mediceiscben   Statue 
gleich  ist,    kenne   ich   nur  an  einer  Zeichnung  Millins  (CJarac 
pl.  608.  n.  1346). 

Form  und  Ausdruck  des  Gesichtes  lassen  uns  beim  er- 
sten Anblick  erkennen  ,  dass  wir  es  in  der  That  mit  einem  Ve- 
nusideal, nicht  mit  einer  als  Venus  behandelten  römischen  Dame, 
etwa  einer  Marciana  (Clarac  pl.  617.  n.  1371),  einer  Julia  Soae- 
mias  (Müller  D.  A.  K.  I.  T.if.  71.  n.  402)  zu  thun  h;iben.  Die 
fein  umzeichnete,  nicht  hoch  gewölbte  Stirn,  die  Lage  der  Augen, 


71 

die  Nase  besonders  mit  den  Zügen  an  den  Nasenflügeln  herab, 
der  geöffnete  Mund  mit  den  ein  wenig  herabgezogenen  Mund- 
winkeln, die  Linie  des  Kinnes,  die  Wangen  gehören  ganz  dieser 
Idealbildung  an.  Der  Ausdruck  des  Ganzen  besonders  der  Au- 
genpartieen  ist  ernster,  fast  an  Wehmuth  grunzend;  von  der 
feinen  Koketterie  des  Kopfes,  von  den  Grübchen  im  Kinn  haben 
wir  hier  nichts. 

Eine  besondere  Aufmerksamkeit  in  der  Verdcichunt*  der 
Venusstatuen  nehmen  die  Ilaare  und  deren  Schmuck  in  An- 
spruch. Bereits  in  der  Odyssee  (Hom.  Od.  VIII.  267  f.)  und  im 
homerischen  Hymnus  auf  Aphrodite  (V.  4  75.  287)  kommt  ihr 
der  Beiname  ivozscpavog  speciell  zu  und  andererseits  erklärt 
ein  spätrömischer  Dichter  (Auson.  Eclogar.) :  barba  Jovi,  crines 
Veneri  decor.  Wie  überhaupt  die  griechische  Kunst  in  der 
Ilaarbehandlung  der  verschiedenen  Götterideale  ihre  bewun- 
dernswerthe  Auffassung  der  Natur-  und  Lebensformen  für  Dar- 
stellung des  Geistigen  ,  des  Charakters  bewährt  hat,  so  hat  sie 
in  den  verschiedenen  Stadien  der  Venusbildung  gerade  im  Haar 
einen  ganzen  Reichthum  von  feinen  Unterschieden  entwickelt. 
Im  Anschluss  an  jenen  Ausdruck  evöritpctvog  haben  wir  für  die 
älteren  Venusbildungen,  wie  sie  auch  auf  den  Vasenzeichnungen 
wesentlich  sich  zeigen,  durchaus  eine  ozecpavi] ,  ein  niederes 
Diadem,  zuweilen  auch  ein  mit  Blülhen  ausgezacktes  als  vor- 
deren Kopfschmuck  auf  das  wohlgeordnete,  feingewellle  Haar 
gefugt  anzunehmen  ,  man  vergleiche  nur  die  bei  Müller  Ilandb. 
d.  Archäol.  S.  375.  Note  3  angeführten  Köpfe,  ebenso  den  der 
Venus  von  Capua  ,  auch  den  in  Citium  neuerdings  gefundenen 
schönen  Venuskopf  mit  Lücke  für  das  Diadem  (Rev.  archeol.  V. 
p.  652.  pl.  106) ,  und  man  wird  immer  versucht  sein  auch  der 
Venus  von  Melos  eine  solche,  aus  Metall  bestehende  Ergänzung 
zuzuschreiben,  die  Behandlung  des  Haares  vorn  weist  entschie- 
den darauf  hin.  Die  Haare  werden  dabei  hinten  sorgfällig  auf- 
genommen oder  in  eine  acpevdovrj  oder  y.eKQV(paXog  eingefasst, 
so  hat  auch  Aphrodite  der  Ära  Borghese  (Müller  D.  A.  K.  1 .  T.  1 2. 
n.  44)  neben  den  Ohrringen  (den  Xoßoi  im  Hymnus)  und  der 
GTSifävr]  die  Haare  hinten  hinauf  wohl  geordnet.  Mehr  bereits 
der  Sitte  des  Frauenlebens  überhaupt  schliesst  es  sich  an  wenn 
das  Haar  durch  ein  breites  Band  ,  eine  /hitqoc  ,  ein  auch  meh- 
reremal  umwickelt  ist  und  dasselbe  dann  auf  die  Schulter  etwa 
herabfällt,  doch  ist  auch  hier  an  die  breiten  Königsbinden  ,   die 


1-2     

dtadrj/itata    makedonischer    und    hellenistischer    Herrscher    zu 
erinnern.     Sobald  aber  in  der  Venusauffassung   die  Beziehung 
zum  Wasser,   zum  Meer  und  Bad  die  künstlerisch  beliebte  und 
fruchtbarste,    ja    der  Mittelpunkt    der  Kunstdarslellungen    fast 
wurde,   so  musste  nothwendig  die  Haarbehandlung  eine  andere 
werden.    Das  Haar  konnte  nun  und  ist  es  auch,  wie  wir  an  der 
zweiten  Statue,    deren  Publikation  hier  gegeben  wird,    näher 
sehen  werden,  in  seiner  Auflösung,  seinem  von  Wasser  triefen- 
den Zustande  zum  Mittelpunkt  einer  ganzen  Motivirung  werden. 
Jedoch  dies  war  nun  ein  und  für  die  Plastik  nicht  unbedenkli- 
cher Seitenweg  zum  vollen  Naturalismus ;  durchgehends  musste 
aber  nun  im  Haare  die  Beziehung   zur  Entkleidung  oder  neuen 
Schmückung  und   Anordnung   nach   dem    Entsteigen   aus  dem 
flüssigen   Element   angedeutet   werden.      Soweit  wir   über  die 
Praxitelische  Statue  nach  den  doch  immerhin  freieren  Nachbil- 
dungen urtheilen  können,    war  das  Haar  in  einfach  schlichter 
Weise  behandelt:   in  reicher  Fülle  waren  die  Vorderhaare  nach 
beiden  Seiten  in   wellige  Bauschen  oder  Scheitel  zusammenge- 
fasst,  ein  einfaches,  nicht  breites  Band,  also  ohne  arscpdvrj,  aber 
auch  keine  [.iItqcc  ,    hielt  sie  fest;   die  Haare  am  Hinlerkopf  wa- 
ren einfach  aufgebunden   und  durchgesteckt,   ihre  Enden  fie- 
len,  wie  einzelne  Statuen  zeigen,   leicht,  doch  nicht  lief  in  den 
Nacken  herab.    Hie  und  da  ist  diese  schlichtere  Behandlung  bei 
der  weitem  Entwicklung,  so  bei  einer  Dresdener  Statue  im  Mo- 
tiv der  Syrakusaner  Statue  (Clarac  pl.  608.  n.  1347)   noch  bei- 
behalten,  dagegen  die  jüngere,   durchaus  zur  Geltung  gekom- 
mene Auffassung  der  dem  Meer  entstiegenen  Venus  bedient  sich 
viel  reicherer  und  mehr  imponirenderer  Formen.  Jener  Wellen- 
scheitel bleibt  allerdings,  wird  nur  noch  voller,  auch  wohl  ge- 
lockerter, spätere  Mode  ersetzt  ihn  durch  künstliche  Locken- 
reihen, es  bleibt  das  ziemlich  breite  Haarband,  aber  dazu  kommt 
noch  eine  sehr  bezeichnende  Form,  die  des  Kr  ob  y  los.   Unmit- 
telbar über  dem  Scheitel  sind  die  obersten  Haarlocken  zurück- 
gebogen, aufgebauscht  und   zu  einer  mehr  oder  weniger  hohen 
Schleife  geworden,  also  ganz  entsprechend  der  jüngeren  Apollo- 
bildung.   Es  ist  dies  nichts  weniger  als  ein  beabsichtigter  Ar- 
chaismus, sondern  ein  jüngerer,   zur  Steigerung  des  erhabenen 
göttlichen  Charakters,  des  oyy.og  des  Kopfes  und  zur  Darstellung 
der  Ueberfülle  des  Haares  jugendlicher  Gestalten  gemachte  freie 
Umbildung  einer  älteren ,   für  jugendliches  Alter  noch  vielfach 


73 

beibehaltenen  Haarsitte.  Am  Hinterkopf  finden  wir  durehechends 
die  Haare  zunächst  in  einen  Knoten  oder  eine  Schleife  aufgenom- 
men ,  aber  hier  treten  nun  zwei  wesentlich  verschiedene  Be- 
handlungsweisen  auf,  recht  scharf  repräsentirt  durch  die  Capi- 
lolinische  und  Mediceische  Venus.  Dort  fallen  die  allerdings 
hinten  zunächst  hinaufgenommenen  Ilaare  in  zwei  starken,  ganz 
gelösten  Haarlocken  oder  Haarstrangen  weit  auf  den  Nacken 
herab ,  hier  sind  sorgfältig  und  künstlich  alle  Haare  hinten  auf- 
genommen und  in  ein  Nest  zusammengefasst.  Also  wieder  der 
Gegensatz  :  dort  noch  entschieden  die  dem  Wasser  entstiegene 
Göttin,  deren  prachtvolle  Haarfülle,  entsprechend  der  überhaupt 
kräftigeren,  grandioseren  Gestalt,  allerdings  in  Krobylos  und 
hinterem  Knoten  dem  Wesen  der  Göttin  gemäss  geordnet  ist, 
aber  doch  nach  Auflösung  gleichsam  drängt  und  das  Element, 
dem  sie  entstiegen  ist,  verrälh  ,  —  hier  mehr  die  zierliche,  in 
feinster  Harmonie  der  Theile  durchgebildete  Göttin  des  Liebrei- 
zes,  die  selbst  in  der  Situation  der  Entkleidung  nicht  den  be- 
rechneten Schmuck  des  Hauptes,  wie  der  Arme  vergessen  hat ! 

Das  Herabfallen  des  Haares  konnte  aber  noch  mehrfach 
motivirt  werden,  je  nachdem  es  in  starker  einheitlicher  Fülle 
hinten  auf  den  Nacken  herabfiel ,  wie  es  bei  unserer  Statue  der 
Fall  ist  und  sonst  z.  B.  Clarac  pl.  C06  B.  n.  1379  A.,  pl.  615. 
n.  1364.  1365.  4  366;  pl.  620.  n.  1382.,  oder  in  zwei  Stränge 
zeitheilt,  wie  bei  der  Gapitolinischen  ,  oder  was  wir  bei  acht 
Statuen  im  Motiv  der  Mediceischen  finden  und  was  stehendes 
Motiv  jener  Bildungen  ist,  die  das  über  die  Scham  geknotete 
Gewand  haben,  in  zwei  Locken  über  die  Schultern  nach  vorn 
herabwallte,  oder  es  fiel  endlich  nur  ein  starker  Haarstrang 
über  die  linke  Schulter  herab,  so  Clarac  pl.  617.  n.  1372;  pl 
618.  n.  1378;   pl.  623.  n.  1391. 

Somit  haben  wir  den  Kreislauf  der  Betrachtungen  und  Ver- 
gleichungen  vollendet,  durch  die  wir  uns  der  bestimmten  Stel- 
lung der  publicirten  Statue  bewusst  zu  werden  strebten.  Indem 
wir  daher  an  unser  oben  gegebenes  Besultat  anknüpfen,  wo- 
durch ihre  Stellung  nach  Grundmotiv,  Attribut,  Beziehung  zur 
Gewandung  bezeichnet  ward,  so  können  wir  jetzt  im  Bückblick 
auf  das  oben  Besprochene  sie  weiter  charakterisiren  als  eine 
nackte  Venusbildung,  die  in  ihrer  ganzen  Körpererscheinun»  die 
volleren,  reiferen  Formen  offenbart,  wie  sie  uns  die  capitolioische 
aufweist,  als  völlig  schmucklos,  im  Gesicht  idealisch,  der  feinen 


74     

Koketterie  der  Medieeerin  fremd  ,  in  der  Haarbehandlung  auch 
noch  die  Bezielmng  zur  Feuchtigkeit ,  zu  dem  Element,  dem  sie 
eben  entstiegen,  durch  die  in  den  Nacken  fallende  starke  Haar- 
locke ausprägend,  endlich  Herrschaft  Übend  über  das  sie  dienend 
begleitende  Meeresunaeheuer,  welches  den  scherzenden  Eroswil- 
lig  auf  seinem  Rücken  trägt.  Ich  hoffe  aber  auch,  dass  unsere 
Wanderung  durch  die  Venusstatuen,  die  mehr  und  weniger  von 
dem  Praxilelischen  Grundmotiv  aussehen,  die  Musterung  rechts 
und  links  nicht  ohne  bleibenden  Gewinn  für  die  Erkenntniss  der 
feinen  Nuancirungen  dieses  Ideals  für  die  fortgesetzte  Thätigkeit 
griechischer  Künstler  auf  diesem  scheinbar  beschränkten,  aber 
doch  so  überaus  reichen  und  anziehenden  Gebiet  auch  nach  der 
Zeil  der  srossen  Kunslblüthe  gewesen  ist. 


II.  Die  sich  die  Haare  ausdrückende  und  da  s  Haar 

ordnende  Venus. 

In  der  zweiten  hier  puhlicirten  Abbildung  einer  Venussla- 
lue  können  wir  zwar  kein  Ineditum  dem  Beschauer  und  Leser 
vorführen,  indem  wir  bereits  bei  Clarac  (pl.  600.  n.  1323)  eine 
kleine  aber  nicht  genügende  Abbildung  davon  finden  und  diese 
z.  B.  in  Oveibecks  Pompeji  auch  schon  übergegangen  ist  und 
ein  Gypsabguss  davon  existirt  z.  B.  als  ein  Geschenk  des  Gross- 
herzogs Karl  Alexander  seit  fünf  Jahren  in  der  archäologischen 
Sammlung  zu  Jena  (s.  Göltlingdasarchäol.  Mus.  zu  Jena.  Aufl.  III. 
1*854)  ;  aber  weder  war  jene  Zeichnung  eine  irgend  genügende 
zu  nennen,  noch  hat  diese  ganze  Bildung  bis  jetzt  eine  eingehende 
Besprechung  gefunden,  wozu  sie  so  sehr  veranlassen  muss.  Wir 
haben  eine  Marmor-,  keine  Bronzestatue  vor  uns,  wie  man  zu- 
erst wohl  meinen  möchte,  von  etwas  über  zwei  Fuss  Höhe,  aus 
Pompeji  stammend  und  in  dem  Museo  borbonico  aufgestellt,  mit 
himmelblauer  Bemalung  des  Gewandes.  Der  Totaleindruck  ist 
ein  sehr  befriedigender  und  fesselnder  mitten  unter  dem  Reich- 
thum  von  Bildungen,  die  das  Venusideal  aufzuweisen  hat.  Ein 
edler,  weihlicher  Körper  tritt  aus  der  Verhüllung  der  unteren 
Extremitäten  frei  heraus  und  entfaltet  durch  die  zu  den  gelösten 
Haaren  in  thätige  Beziehung  gesetzten  Arme  ein  reiches  Spiel 
der  Flächen  und  ihrer  Uebergänge  ;  dazu  herrscht  in  dem  ge- 
senkten Haupte  ein  ergreifender  Ausdruck  wehmüthigen  Ver- 


75     

«. 

sunkenseins.  Immer  von  Neuem  fühlt  sich  der  Beschauer  ange- 
zogen von  der  ganzen  Erscheinung,  wie  sie  seihst  durch  einen 
Zauber  gebannt  ist  an  einen  uns  nicht  sichtbaren  Gegenstand, 
dessen  Bild  allein  in  ihrem  Innern  herrscht:  es  gemahnt  uns  an 
jene  Stimmung,  die  Göthe  in  seinem  Fischerknaben  so  meister- 
haft geschildert  hat. 

Jedoch  treten  wir  nur  recht  nüchtern  an  die  Gestalt  heran: 
die  wissenschaftlich  treue  Aufnahme  wird  schliesslich  jenen 
Rindruck,  wenn  er  ein  wahrer  ist,  nicht  zerstören,  sondern 
nur  sicherer  begründen.  Die  Gestalt  ruht  wesentlich  auf  dem 
linken  Bein,  daher  auch  die  linke  Hüfte  herausgebogen  ist;  das 
rechte  Bein  ist  im  Kniee  leicht  eingebogen  und  der  Fuss  etwas 
zurückgesetzt.  Nur  wenig  mehr  als  die  Zehen  des  linken  Fusses 
sind  sichtbar,  wahrend  ein  reiches,  in  grosse  Falten  fallendes 
Gewand  alles  Uebrige  der  unteren  Extremitäten  verhüllt.  Die- 
ses ist  unmittelbar  unter  den  Hüften  um  die  Gestalt  fest  geschürzt, 
so  dass  man  den  vollen  Eindruck  hat :  es  ist  dies  keine  dauernde, 
nur  für  einen  kurzen  Buhepunkt,  für  die  Zeit  während  der  Ord- 
nung der  Haare  berechnete  und  zugleich  auch  nur  für  so  kurz 
haltbare  Verhüllung;  jede  weitere  Bewegung  mussle  sie  fallen 
lassen.  Ein  Knoten  unmittelbar  vor  der  Scham  hat  die  Zipfel 
des  oben  umgeschlagenen  Gewandes  verschlungen  und  diese 
fallen  nach  vorn  tief  herab,  wobei  zugleich  das  ganze  Gewand 
etwas  hinaufgezogen  ist  und  dadurch  breite  Falten  bildet.  In 
schräger  Wechselwirkung  mit  dem  Unterkörper  ist  die  linke 
Seite  des  Oberkörpers  gesenkt  und  etwas  eingebogen  ,  dagegen 
die  rechte  frei  entwickelt.  Der  linke  Arm  mit  gesenkter  Schul- 
ter  schliesst  sich  zuerst  dem  Körper  enger  an,  ist  dann  scharf 
im  Ellenbogen  gebogen  und  so  fasst  die  gehobene  Hand  über  der 
Schulter  das  reich  herabfallende  Haupthaar  des  rechts  gewen- 
deten und  zugleich  gesenkten  Hauptes.  Dagegen  erhebt  sich  der 
rechte  Arm  mehr  als  wagrecht  vom  Körper  ab  ,  um  dann  scharf 
zurückbiegend  mit  der  Hand  die  Ilaare  der  rechten  Seite  über 
dem  Hinterkopfe  zu  fassen.  Leib,  Brust,  die  Arme  sind  reif  aber 
sehr  fein  und  massvoll  gebildet.  Das  schräg  nach  rechts  gesenkte 
Gesicht  tritt  leicht  in  scharfem  Profil  hervor  und  zeigt  eine  sehr 
edele  Stirn,  höher  als  bei  den  meisten  Venusstatuen,  eine  scharfe 
Augenlinie  und  dadurch  sehr  wirkungsvolle  Beschattung  des 
Auges,  das  tiefer  Hegt  als  wir  es  z.  B.  bei  der  mediceischen  Ve- 
nus kennen. 


76 

Nase,  Mund  und  Kinn  sind  an  feinem  Schwung  ganz  einer 
Venus  würdig;  um  den  Mund  spielt  ein  leiser  Zug  des  Ernstes 
und  der  VVehmuth,  wie  die  Augen  vollständig  versenkt  sind  in 
einen  Anblick,  nicht  aber  fixirt  auf  einen  bestimmten  Punkt. 
Es  kann  gar  kein  Zweifel  sein  das  Wasser  selbst,  das  mütter- 
liche und  heimalhliche  Element  (maternis  aquis  Ov.  Tr.  II.  528) 
hat  es  der  ihr  Entstiegenen  angethan  ,  sie  kann  nicht  ablassen 
hineinzuschauen.  Ich  erinnere  daran  ,  wie  häufig  Venusstatuen 
an  dem  Ufer  des  Meeres  aufgestellt  wurden  (Anyte  bei  Brunck 
Anall.  ed.  Jacobs  I,  p.  198,  Antipater  Sidon.  ebendas.  II,  p.  21 
und  noch  das  Epigramm  III,  p.  205). 

Die  Haare  über  dem  Haupte  gescheitelt  sind  ohne  alle  Bande 
nach  beiden  Seiten  reich  herabgewallt,  aber  sie  tragen  durch- 
aus mehr  den  allgemeinen  Charakter  der  Venushaare,  jene  feine 
Welligkeit,  als  die  naturalistische  Bildung  eines  triefenden  Haa- 
res;  das  Letztere  tritt  nur  in  dem  langen  Ende  der  von  der 
Linken  gefassten  und  etwas  gehobenen  Haarmasse  hervor.  Es 
ist,  was  das  Gewand  auch  schon  bezeugt,  nicht  der  unmittel- 
bare Moment  des  dem  Wasser  Enlsteigens  gewählt,  sondern  ein 
späterer:  bereits  ist  vorläufig  das  Gewand  umgeknüpft,  die 
Haare  sind  nur  noch  an  den  Enden  voll  Feuchtigkeit  und  wäh- 
rend die  Göttin  sie  erfassend  drückt,  versinkt  sie  in  ein  sinnen- 
des Träumen,  mit  ihrem  Blicke  auf  dem  Wasserelement  ruhend. 
Der  Gedanke,  dass  die  Göttin  sich  erst  entkleide  zum  Bade,  ihre 
Haare  löse,  wie  diese  zwei  Momente  uns  bei  Phryne,  als  sie  an 
den  Eleusinien  und  den  Poseidonien  als  Aphrodite  erschien,  uns 
von  Alhenaeus  (XIII.  p.  590)  besonders  bezeichnet  werden: 
(X7C0Ti$6[.uvr]  Sal[.ictTL0t  yai  Ivoaoct  rag  xo/mg  ivtßcuve  zfj  9a- 
Xcctx^j  kann  wohl  kommen,  aber  ist  nicht  der  richtige. 

Sehen  wir  uns  um  nach  den  analogen  Bildungen,  die  Schrift- 
steilen  und  Denkmäler  uns  an  die  Hand  geben,  so  haben  wir  für 
jene  auf  ein  Zeugniss  für  eine  beruh  mle  Statue  der  Art  und 
dann  auf  das  berühmte  Bild  des  A  pell  es  uns  zu  berufen. 
Ovid  in  der  Ars  amandi  (III.  223)  führt,  um  die  Umwandlung  aus 
rohem,  oft  hässlichem  Stoff  in  eine  schöne  Form  durch  die  Kunst 
zu  beweisen,  unter  anderen  Beispielen  an: 

cum  fieret,  lapis  asper  erat,  nunc  nobile  signum 
nuda  Venus  madidas  exprimit  imbre  comas. 

Im  Vorhergehenden  sind  die  Werke  des  Myron  als  Beispiele 
für  Bronzewerke  angeführt,   dann  das  Beispiel  der  Steinschnei- 


77     

derei.  Es  ergiebt  sich  daraus,  dass  in  der  That  die  von  Ovid 
bezeichnete  Marmorstatue  als  ein  nobile  Signum,  als  ein  Meister- 
werk der  Marmorarbeit  den  Bronzen  eines  Myron  ebenbürtig  er- 
schien und  dass  es  in  Rom  seinen  Lesern  und  Leserinnen  gegen- 
wärtig war.  Dass  das  nunc  nicht  etwa  auf  die  Entstehung  in 
der  Zeit  des  Dichters  hinweist,  ergiebt  sich  einfach  daraus,  dass 
es  ebenso  vorher  heisst :  cjuae  nunc  nomen  habent  operosi 
stana  Mvronis.  Wir  können  von  vornherein  nicht  bestimmt  ent- 
scheiden,  ob  der  Ausdruck  nuda  auf  eine  gänzliche  Gewandlo- 
sigkeit,  oder  auf  eine  wesentliche  Entblössung  ,  wie  sie  unsere 
Statue  zeigt,  zu  beziehen  ist.  An  das  Erstere  wird  man  aller- 
dings bei  der  Thätigkeit  des  Ausdrückens  der  Haare  immer  eher 
denken  und  dies  im  Verlauf  unserer  Untersuchung  sich  bestä- 
tigen. Dass  das  madidas  imbre  comas  nicht  auf  den  vom  Him- 
mel strömenden  Regen  ,  sondern  die  Wassergüsse  und  Besprü- 
tzung  des  Meeres  zu  beziehen  ist,  versieht  sich  von  selbst. 
Entschieden  müssen  wir  aber  sagen  :  das  Motiv  des  Haaraus- 
drückens ist  original  in  der  Plastik  gebildet,  nicht  erst  aus  der 
Malerei  auf  die  Plastik,  wie  man  meist  meint,  übertragen  wor- 
den, wie  ein  derartiger  rückläufiger  Einfluss  von  Gemälden  auf 
die  Plastik  ein  sehr  später,  in  den  Sarkophagreliefs  z.  B.  her- 
vortretender ist. 

Das;esen  können  wir  annehmen,  dass  dasselbe  früher  im 
Relief  ausgeführt  ist  und  erst  später  in  freien  Statuen  gebil- 
det wurde.  So  hatte  ja  Phidias  am  Balhron  des  Zeusthro- 
nes zu  Olympia  die  Aphrodite  hervorgehend  aus  dem  Meere 
{ävLOvoav  ex  d-aXdöGTqg  Paus.  VIII.  3),  also  bereits  als  eineAna- 
dyomene  dargestellt,  empfangen  von  Eros  und  bekränzt  von 
Peitho. 

Die  Frage,  welchem  griechischen  Meister  dies  nobile  Signum, 
das  also  in  Rom  Ovid  und  seiner  Zeit  gegenwärtig  war,  ange- 
höre ,  können  wir,  glaube  ich,  bestimmter  beantworten,  als  es 
zuerst  möglich  scheint.  Wir  gehen  zunächst  scheinbar  willkür- 
lich aus  von  der  Stelle  im  Plinius  über  die  Statuen  im  Bereiche 
der  Porticus  Octaviae  und  der  zwei  von  ihnen  umgebenen  Tem- 
pel des  Jupiter  und  der  Juno  (XXXVI.  35):  dort  werden  nach 
einzeln  aufgeführten  Werken  des  Philiskos  aus  Rhodus,  des  Ti- 
marchides, dessen  Söhnen  Dionysios  und  Polykles,  des  Heliodo- 
ros  als  im  Jupilertempel  befindlich  genannt:   Venerein  lavantem 


78 

sese  Daedalus  at  stantem  Polycharmus16).  Dass  unter  der  sieh 
waschenden  Venus  die  im  Bade  kauernde  Venus  zu  verstehen 
sei,  im  Gegensatz  zu  einer  stehenden,  darüber  herrscht  heutzu- 
tage völlige  Uebereinstimmung.  Dass  die  stehende  Venus  des 
Polycharmus,  die  unmittelbar  daneben  genannt  wird,  ein  Ge- 
genstück dazu  bilde  und  nicht  sonst  eine  beliebige  vollbeklei- 
dete Venus  darstelle,  ergiebt  eben  die  enge  Zusammenstellung, 
während  andere  Venusstatuen  in  demselben  Bereich  vorher  ge- 
nannt sind.  Nun  aber  woher  stammen  diese  Werke  und  wel- 
cher Zeit  gehören  ihre  Künstler  an?  Wenn  auch  einiger  Zweifel 
in  Bezug  auf  die  Glieder  der  Familie  des  Polykles  besteht,  so  ist 
doch  sicher,  die  vorher  genannten  Künstler  gehören  der  Zeit  ge- 
gen Ol.  i'6'6,  der  grossen  Bauten  des  Melellus  Macedonicus  an. 
Wenn  es  auch  möglich  ist,  dass  die  Statuen  der  Juno  und  des 
Jupiter  von  den  Künstlern  speciell  für  diese  Tempel  gearbeitet 
sind,  obgleich  nichts  dazu  zwingt,  so  können  wir  mit  Bestimmt- 
heitsagen, das  symplegma  nobile  des  Heliodoros,  ebensowenig  als 
die  drei  Venusstatuen  des  Philiskos,  Daedalos,  Polycharmos  sind 
erst  in  Rom  und  für  diese  Anlagen  entstanden,  sondern  als  Sie- 
«esbeute  dorthin  eebracht  worden.  Urlichs  (Chrestom.  Plin. 
p.  386)  vermuthet,  dass  sie  aus  Kleinasien  oder  Rhodos  entführt 
seien.  Wer  ist  nun  Daedalus,  der  Meister  eines  in  vielen  und 
trefflichen  Wiederholungen  uns  bekannten  Werkes?  Urlichs  hält 
ihn  für  den  sikyonischen  Künstler  aus  der  Schule  des  Polykleitos, 
der  als  Sohn  des  Patrokles  jetzt  erwiesen  ist  und  dessen  zeitlich 
bestimmte  Werke  Ol.  95,  dann  Ol.  102  fallen.  Es  muss  dies 
der  zeitlichen  Stellung  der  hier  genannten  Künstler  gegenüber 
schon  Bedenken  erregen  ,  ebenso  sehr  aber  wegen  des  Stoffes 
und  vor  allem  des  dargestellten  Gegenstandes.  Jener  Daedalus 
ist  Erzbildner  (Plin.  XXXIV.  §.  76),  dabei  inter  ficlores  lauda- 
tus,  also  ein  trefflicher  Arbeiter  von  T  hon  werken,  Thonmo- 
dellen;  als  Marmorbildner  ist  er  dagegen  nirgends  erwähnt, 
ganz  entsprechend    dem  Charakter  der   Polykletischen  Schule. 


-16)  So  liest  Urlichs  in  der  Chrestomalhia  I'liniana  nach  dem  Vorgang 
von  Stcphani  im  Philol.  V.  \.  S.  178,  der  aber  adslanlem  hat.  Die  hand- 
schriftliche Lesart  des  cod.  Bamb.  :  se  sed  aedelsas  stantem,  woraus  in 
anderen  Mscr.  Daedahim,  ad  aedem  aliam  geworden  ist,  zeigt  die  volle 
Richtigkeit  des  Daedalus.  Wie  Sillig  trotzdem  in  seinem  Text  den  Namen 
beseitigen  und  lesen  konnte:  sed  et  aliam,  ist  unbegreiflich. 


- 79     

\V;is  er  gebildet,  sind  Lüufer,  Ringer,  Reiter,  sich  mit  der  Sni- 
gilis  Abschabende,  sind  im  Bereich  eines  grossen  Siegesweihge- 
schenkes   der  Tegeaten  Nike   und  Arkas  (Brunn  Gesell,  d.  er. 
Künstl.  S.  278  f.).     Glaubt  man  nun,    in    dem  Gedankenkreis 
dieser  Schule,  dieses  Künstlers  habe  es  liegen  können  eine  nur 
für  den  Marmor  gedachte,  nackte,  kauernde  Venus  im  Bade  dar- 
zustellen und  zwar  noch  ehe  Praxiteles  den  Zauber  der  Aphro- 
dite erst  vollständig  enthüllte/   Nein   gewiss  nicht:   im  Gegen- 
thcil,  diese  kauernde  Venus  kann  erst  nach  Praxiteles  und  im 
Bereiche   der  Jüngern   ionisch -attischen    oder   kleinasiatischen 
Schule  entstanden  sein.     Nun,    kennen  wir   keinen   jüngeren 
Daedalüs   der  in   dieser  Beziehung   in  Frage    käme?    Bis  jetzt 
scheint  es  noch  nicht,    aber  er  existirt  auf  das  Beste  bezeugt, 
nur  hat  man  seine  Werke  mit  denen  des  Sikyoniers  zusammen- 
geworfen, so  auch  Brunn  (a.  a.  0.  S.  279).  *Arrian  bei  Eusta- 
thios17)  berichtet  von  einem  Künstler  bei  den  Hithynen  ,   dessen 
Werk  in  Nikomedia    die   bewundernswerthe   Prachtstatue   des 
Zeus  Stratios  gewesen  sei.    Nikomedia  ist  aber  erst  von  Niko- 
medes  I.  gegründet  worden  mit  den  Bewohnern  des  von  Lysi- 
machos  giinzlich  zerstörten  Aslakos ,   die  aus  Megara  und  Athen 
stammten   (Strabo  XII.  4),    seitdem  er  im  J.  278  n.  Chr.   Herr 
von  Bithjnien  gegen  Zibölas  geworden  war.    Eusebios  giebl  die 
Gründung  der  Stadt  bei  264  v.  Chr.  an   (vgl.  Clinton  Fasti  Hel- 
len. III,  p.  4^0  —  130  über  die  bithynische  Dynastie).  Erst  nach 
dieser  Zeit  hat  also  ein  einheimischer  berühmter  Künstler  den 
Zeus  Stratios.  den  göttlichen  Erzeuger  des  Bithynos  (Steph.Byz. 
s.  v.  Biövvog),  für  die  Hauptstadt  Bithyniens  gebildet.   Demsel- 
ben wird  auch  ein  Werk,   eine  Artemis  Monogissene  zu  Mono- 
gissa  in  Karien  (Steph.Byz.  s.v.  MovöyLOoec)  zuzuschreiben  sein., 
wenn  nicht  dies  als  lögv/^ta  bezeichnete  Werk,  das  mit  dem  Na- 
men der  Stadt  (yioaa  karisch,  Stein)  in  Zusammenhang  gebracht 
wird,  von  dem  mythischen  Daedalos  abgeleitet  ward.    Dieser  Bi- 
thyner  ist  auch  der  Künstler  der  kauernden  Venus.   Dies  ergiebt 
sich  auf  das  Entschiedenste   aus    bilhvnischen   Städtemünzen, 


17)   Commentar.    in   Dionys.    I'erieg.    V.   793.    p.   25:2  cd.    Beinhardy: 
y.uliSriutovnyoi'  iure  iaroQtl  tiuihc  BiO-uvois dtitdaXov  xakovfievov,  o(-  ?Qyov 
Iv  Aixo/Jtid'tia  ytrt'aOc.i   üiu  uucsTor  ayctXfia  Ztqutiov  Jiög.     Die  Stelle 
fehlt  unter  den  Fragmenten  Arrians  in  der  Ausgabe  von  Diibner  und  Müller 
Paris  1846. 


80 

die  allein  das  Bild  der  kauernden  Venus  aufweisen:  so  zeigt 
eine  Münze  von  Nicaea  unter  Severus  Alexander  (Mionnet  Re- 
cueil  des  med.  Suppl.  V,  p.  135)  die  kauernde  Venus  milder 
einen  Hand  das  Haar  fassend,  umblickend  zu  dem  Spiegel,  den 
ein  Eros  ihr  entgegenhält,  während  ein  anderer  mit  Fackel  zur 
Seile  steht;  dieselbe  kauernde  Venus  erscheint  auf  einer  Münze 
von  Glaudiopolis  oder  Bithynion  mit  dem  Bild  der  Julia  Domna 
(Mionnet  Supplem.  V,  p.  21.  n.  11 1),  dieselbe  auf  einer  Münze  von 
Gangra  oder  Germanicopolis,  ebenso  unter  Julia  Domna,  wobei 
das  Stadtzeichen,  die  Ziege  an  Stelle  des  zweiten  Eros  getreten 
ist  (Mionnet  Supplem.  IV.  p.  566).  War  also  auch  das  Original 
des  Daedalos  in  Folge  der  Erbschaft  von  Nikomedes  IV.  im  J.  74 
v.  Chr.  oder  später  nach  Rom  gewandert,  die  Bithyner  haben 
das  Werk  ihres  Landsmannes  sichtlich  vervielfältigt  und  es  als 
Stolz  ihrer  Städte  besonders  zu  Ehren  der  Julia  Domna  auf  den 
Münzen  angebracht.  Nicaea  aber,  die  Metropolis  von  Bithynien, 
die  Gründung  des  Antigonos  und  Lysimachos,  scheint  die  Stätle, 
wo  das  Original  sich  befand,  gewesen  zu  sein. 

Ist  es  aber  nun  so  ganz  zufällig,  dass  wieder  eine  bilhv- 
nische  Stadt,  Prusa  ad  Olympum  es  ist,  welche  uns  unter  Julia 
Domna  auf  ihren  Münzen  eine  nackte  stehende  Venus,  ihr  Haar 
haltend,  zur  Seite  ein  oder  zwei  Hippokampen  zeigt  (Mionnet II. 
p.  480;  Suppl.  V.  p.  227.  n.  1311.  1342);  auch  die  nackte, 
mit  Händen  gefesselte  Androrneda  auf  einer  Münze  unter  Tra- 
jan  ebendaher  (a.  a.  0.  n.  1318)  möchte  wohl  eine  A'enus  in 
dieser  Situation  sein.  Derselbe  Typus  begegnet  uns  noch  einmal 
mit  einem  Delphin  zur  Seite  in  einer  Stadt  des  angränzenden 
Phrygiens,  in  La  odi  cea  (Mionnet  IL  p.  351 .  Suppl.  VII.  p.  578); 
zugleich  mit  einem  Spiegel  in  dem  diesem  benachbarten  Philo- 
melium  (Mionn.  Suppl.  VII,  p.  606). 

Nach  alledem  liegt  es  also  sehr  nahe,  dass  die  mit  der  er- 
weislich aus  Bithynien  stammenden  kauernden  Venus  des  Dae- 
dalus  zusammengenannte,  zu  ihr  als  stehend  in  einem  gewissen 
Gegensatz  innerhalb  eines  und  desselben  Hauptmotivs  gestellte 
Venus  des  Polycharmus  gleichzeitig  und  aus  derselben  Ge- 
gend nach  Rom  in  die  Porticus  Octaviae  oder  genauer  den  Jupi- 
tertempel darin  versetzt  sein  wird.  Und  dann  haben  wir  in  ihr 
das  nobile  Signum  des  Ovid,  die  nuda  Venus,  welche  madidas 
exprimit  imbre  comas.  Diese  Werke  sind  natürlich  nicht  be- 
reits unter  Metellus  nach  Rom  gekommen,    sondern,  wie  wir 


81      

schon  gesagt,  nach  der  römischen  Erbschaft  (74  n.  Chr.),  zur 
Zeit,  als  man  auch  mit  des  Praxiteles  Statuen  die  pc-rticus 
schmückte. 

Die  Anadyomene  des  Apelles,  dieses  von  Augustus  aus 
dem  Asklepiostempel  zu  Kos  nach  Rom  übergeführte  und  in  dem 
Tempel  des  Caesar  auf  dem  Forum  aufgestellte  Bild18),  welches 
daher  die  Dichter  der  augusteischen  Zeit  aus  eigener  Anschauung 
preisen  konnten19),  war  in  dem  Moment  des  Heraustretens  aus 
dem  Meere  (exeunlem  e  mari  Plin.  IL),  daher  in  völliger  Nackt- 
heit (nuda  Dione  pingitur  Ov.  Am.  I.  33),  ohne  alle  Beziehung 
zu  einem  Gewände  dargestellt;  wir  haben  sie  daher  auch  nicht 
mit  dem  unteren  Theile  des  Körpers  im  Wasser  geborgen, 
schwimmend  zu  fassen  ,  wie  dies  allerdings  auch  Darstellungen 
aufweisen ,  oder  auf  einer  Muschel  sitzend  emporgehoben  uns 
zu  denken.  Welch  glückliche  Aufgabe  für  den  Maler  in  einem 
solchen  den  ganzen  Glanz  und  feuchten  Schmelz  des  Wassers 
an  sich  tragenden  Körper  lag,  sieht  man  leicht  ein.  Ueber  wei- 
tere Details  der  Umgebung  erfahren  wir  nichts,  griechische  und 
lateinische  Dichter  wetteifern  immer  nur  darin  das  Motiv  der 
die  Haare  haltenden,  trocknenden,  ausdrückenden 
Hände  zu  schildern20). 

Geben  uns  diese  beiden  berühmten  Werke  genau  das  Motiv 
der  Handbewegung  und  Haarbildung  unserer  Statue,  dagegen 
nicht  das  Motiv  der  Gewandung,  so  finden  wir  das  letztere  in 
einer  Bronzeslatue,  die  im  Zeuxippos  zu  Byzanz  aufgestellt  war 
und  die  Christedoros  in  seiner  Ecphrasis  so  schildert : 
dnb  otsqvolo  di  yv^ivt] 
yoivEvo  ftsv,  cpaqog  de  avvrjyayev  avtvyi  f.irjQüjv, 


18)  Plin.  H.  N.  XXXV.  91;  Strabo  XIV.  2.  p.  657  und  dazu  Elster  Exe. 
Plinian.  pari.  II.  Heimst.  1852.  p.  6;  pari.  III,  p.  7,  sowie  Brunn  Gesch. 
d.  gr.  Künstler  II,  S.  204  f. 

19)  Ov.  Amor.  I.  33;  III.  400;  Trist.  II.  527;  ex  Ponto  IV.  1.  30;   Prop. 

El.  III.  9.  11. 

20)  ZvnfMtQTTTtiv  und  IxüXtfetv  («fQöv  anb  nXoxafiüv,  ßoargvxov  tx- 
mlt,iiv  aXa  Leon.  Tarent.  in  Brunck  Anall.  I,  p.  231.  n.  41,  Demokrit. 
1.  1.  II,  p.  260,  Antheias  1.  I.  T.  II,  p.  95,  Jul.  Aegypt.  11,  p.  500.  n.  32.  Sic- 
cat  digitis  capillos  Ov.  Trist.  II.  527  ;  aequoreo  madidas  premit  imbre  co- 
mas  Ex  Ponto  IV.  1.30;  humenti  suslinuisse  manu  Amor.  I.  33  ;  complexa 
manu  madidos  salis  aequore  crines  humidulis  spumas  strinuit  utraque  co- 
mis  Aus    Epigr.  106. 

1860.  -    6 


8? 

aber  ihr  Haar  ist  bereits  geordnet  und  in  eine  goldige  Haube  zu- 
sammengefasst : 

Xqvoeirj  7iXoy.af.udag  vnoGcpiy^aaa  y.aXv7tTQTj. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  erhaltenen  Kunstdenkmälern, 
welche  die  Göttin  mit  den  Händen  an  den  Haaren  beschäftigt 
zeigen,  so  theilen  auch  sie  sich  in  zwei  Reihen,  in  solche,  die 
völlige  Nacktheit  damit  verbinden,  also  jenem  nobile  signum 
wahrscheinlich  streng  folgen,  und  solche,  die  dabei  ein  über  die 
Schenkel  geknotetes  Gewand  zeigen ,  die  also  unserer  Statue 
am  nächsten  stehen.  In  beiden  Reihen  ist  wieder  entweder  der 
Ausdruck  des  Auspressens  der  Haare  oder  mehr  des  Haar- 
schmückens  gegeben ,  wobei  denn  auch  auf  Salben  eine  Rezie- 
hung  sich  hinzufügt,  das  Haar  schon  oft  theilweis  geordnet  ist 
und  daher  nur  die  eine  Hand  unmittelbar  mit  dem  Haar  sich 
beschäftigt.  Die  Zahl  der  hierher  gehörigen  kleinen  Rronzen  ist 
keine  geringe,  aber  ihre  nähere  Kenntniss  bis  jetzt  zu  mangel- 
haft, um  sie  genau  zu  classificiren.  Von  grösseren  Rronzen  und 
Marmorwerken  kann  ich  folgende  vergleichen. 

Reginnen  wir  mit  den  Gewandslatuen,   so  bietet  sich  uns 
in  dem  Museo  borbonico  eine  zierliche  Bronze  aus  Hercula- 
num    von    6  Zoll    5  Linien    zur   interessantesten    Vergleichung 
dar.   Sie  ist  bereits  abgebildet  in  den  Antichitä  di  Ercolano  t.  VI. 
Taf.  M.  n.  1,  zuletzt  bei  Roux  und  fearre  Herculan.   und  Pom- 
peji.   Deutsche  Ausg.  Th.  V.  Taf.  15.    Auf  einem  runden  Posta- 
ment steht  die  Figur ;   der  Schwerpunkt  lie^t.  auch  hier  in   dem 
linken  Fuss,  das  rechte  Bein  ist  leicht  gebogen  und  zurückge- 
setzt,  das  Gewand  etwas  unter  der  Scham  zusamtnengeknotet. 
An  dem  Oberkörper  ist  die  linke  Schulter  und  Arm  auch  gesenkt, 
die  rechte  gehoben   und  die  Rewegung  der  Arme  zu  den  Hanren 
eine  demgemässe.    Der  Kopf,    der  von  besonderer  Feinheit  und 
Zierlichkeit  ist,    hat  durchaus  nicht  die  starke  Senkung  unserer 
Statue,    ist    vielmehr    nur  leicht  nach  rechts  gebogen  und  der 
Ausdruck  der  Trauer  ihm  fremd.   Die  Haare  haben  gar  keine  fle- 
ziehung  mehr  zu  dem  Wasser,  sondern  sollen  nur  geordnet  oder 
geschmückt  werden ;  eine  arecpavrj  ziert  bereits  als  bester  Re- 
weis dafür  die  Stirne. 

Von  Marmorstatuen  kann  ich  zunächst  zwei  zur  Ver- 
gleichung heranziehen  :  einen  sehr  verstümmelten  Venustorso 
von  griechischem  Marmor  und  guter  Arbeit,  von  Albacini  ergänzt, 
im  Vatican  (Mus.  Chiaram.  I,  pl.  26;  Clarac  pl.  6!0.  n.  1356)  und 


83     — 

eine  früher  Gavaceppi  gehörige  auf  der  Ueberfahrt  nach  England 
untergegangene  Statue  (Clarac  pl.  599.  n.  1314).  Welcker  zu 
Müllers  Archäol.  §  377,  1.  erwähnt  eine  Wiederholung  im  Hin- 
terhofe des  Palastes  Borghese. 

Die  erste  Statue  entspricht  in  der  Molivirung  ihrer  antiken 
Theile  sehr  genau  unserer  Figur:  Schwerpunkt  im  linken  Fuss, 
linke  Hüfte  etwas  ausgebogen,  rechtes  Bein  etwas  zurückgesetzt 
und  leicht  eingebogen ;  die  Linien  der  rechten  Seite  des  Rum- 
pfes sehr  entwickelt,  der  Oberkörper  nach  links  eingebogen  und 
gesenkt.  Aber  der  ganze  rechte  Arm  vom  Deltoides  an  und  die 
Hälfte  der  linken  Brust,  sowie  linke  Schulter,  mit  Hals  und 
Arm  ist  neu ,  der  Kopf  ist  antik,  aber  ob  er  dabei  gefunden 
ward,  mir  nicht  bekannt.  In  der  Ergänzung  ist  der  rechte  Arm 
bedeutend  höher  gehoben,  als  derselbe  unserer  Statue  und  das 
Haarmotiv  auch  ein  etwas  anderes.  Jedenfalls  ist  dieser  Torso 
ein  sehr  schlagendes  Gegenstück  zu  unserem  Denkmal  und 
interessant,  da  er  in  seiner  Ergänzung  eine  Grösse  von  6  Pal- 
men 3  Zoll  hat ,  also  etwas  über  Lebensgrösse  ist.  Ich  nannte 
noch  eine  zweite  Statue,  die  man  zur  Vergleichung  heranzie- 
hen könnte,  aus  der  Sammlung  Cavaceppi,  jedoch  fehlen  mir 
über  sie  alle  Details  über  die  wahrscheinlichen  Ergänzungen. 
Auch  hier  ist  das  Gewand  unmittelbar  unter  den  Hüften  um- 
geknüpft  und  mit  dem  Knoten  vor  der  Scham  befestigt,  auch 
hier  dasselbe  Motiv  der  vorn  herabfallenden  Zipfel ,  auch  hier 
die  linke  Seite  des  Oberkörpers  eingebogen  ,  die  rechte  sehr 
entwickelt  und  der  Arm  gehoben.  Aber  wie  der  linke  Fuss, 
welcher  ganz  aus  dem  Gewand  heraustritt,  vielmehr  auf  die 
Zehen  gehoben  ist,  so  ist  auch  der  ganze  Oberkörper  mehr  nach 
vorn  übergebogen,  auch  der  Kopf  links  und  vorgewendet;  die 
Arme  sind  jetzt  so  motivirt,  dass  aus  der  gehobenen  rechten 
Hand  Flüssigkeit  in  die  vorgestreckte  linke  Hand  geträufelt  zu 
werden  scheint,  also  ein  Toilettenmotiv,  aber  ohne  direkte  Be- 
ziehung zum  Haar.  Inwieweit  dies  richtige  Ergänzung  genannt 
werden  darf,  ist  mir  unbekannt. 

Gehen  wir  nun  auf  die  andere  Reihe  von  Venusstatuen 
ein  ,  welche  jenes  Motiv  der  von  den  Händen  gefassten,  ausge- 
drückten Haare  mit  gänzlicher  Nacktheit  verbinden,  also 
darin  dem  nobile  Signum  sich  enger  anschliessen ,  so  nehmen 
zwei  Bronzen  unter  der  grösseren  Zahl  der  hier  und  da  er- 
wähnten kleinen   Bronzefiguren    der  Art  unser  Interesse  näher 

-    6* 


84     

in  Anspruch21):    eine  florentiner  (Gal.  reale  di  Fir.  S.  IV.  t.  2. 
pl.  89.  Clarac  pl.  626.  n.  1408)  und  eine  in  der  Saone  zu  Pon- 
tarlier  gefundene,   zuerst  im   Besitz  eines  Herrn  Laoarche  be- 
findliche (Miliin  Monum.  ined.  t.  II,  pl.  28.    Müller-Wieseler  D. 
A.  K.  II.   T.  26.  n.  284).    An  Grösse   stehen  sie   sich  ziemlich 
nahe ;   bei  der  florentiner  beträgt  sie   1  Palme  2  Zoll ,    bei  der 
französischen  9  Zoll  9  Linien  franz.  Mass.    Der  Stil  der  ersteren 
ist  entschieden  der  bessere,  anmuthigere.    Sie  entsprechen  sich 
vollständig  bis  auf  Gesicht,    Haarbehandlung  und  das  Detail  der 
Handbewegung.    Bei  beiden  wieder  das  Hauptgewicht  auf  dem 
linken  Fuss,   der  rechte  leicht  gehoben  und  zurückgesetzt,   die 
linke  Hüfte  sehr  ausgebogen,  dagegen  die  linke  Seite  des  Ober- 
körpers eingesenkt,   die  ganze  Vorderseite  breit  entwickelt,  in- 
dem die  Arme  möglichst  in  gleicher  Ebene  mit  dem  Körper  selbst 
heraustreten.    Der   rechte  Arm  ist  nicht  über  das  Wagrechte, 
wie  bei  der  von  uns  besprochenen  Statue,  hinausgehoben,  son- 
dern etwas  gesenkt,   beide  Unterarme  sind  natürlich  gehoben, 
die  rechte  Hand  zeigt  bei  der  einen  Figur  die  innere  Fläche,  bei 
der  andern  die  Rückseite.    Der  Kopf  hat  eine  leise  Biegung  und 
Senkung  nach  rechts,  der  Blick  ist  nicht  gesenkt,  sondern  in  die 
Ferne  gerichtet.    In  den  Haaren  zeigt  sich  ,  wie  wir  bemerkten, 
eine  wesentliche  Verschiedenheit.     Die  französische  Bronze  hat 
ein  ganz  naturalistisch  behandeltes  ,    triefendes,  daher  in  zwei 
Massen  compakt  herabfallendes  Haar ,    die   florentiner  dagegen 
sehr  leicht  und  freigebildete  Haarlocken,   die  aber  dennoch  die 
Beziehung  zum  Wasser  sehr  unverkennbar  zeigen.     Auch  das 
Gesicht  jener  ist  entschieden  porträtartig,  mit  einem  übermässig 
kleinen  Mund,    die  Pupillen  sind  scharf  angegeben,    während 
diese  durchaus  ideal  gehalten  ist;  jene  ist  römische  naturalisti- 
sche Arbeit,  auf  dieser  liegt  noch  der  Hauch  griechischer  Kunst. 
Eine  etwas  verschiedene ,  feinsinnigere  Motivirung  dessel- 
ben künstlerischen  Grundgedankens  giebt  uns  die  auf  Taf.  VIII. 
meines  Wissens  zuerst  veröffentlichte  Venusstatuette,    von  wel- 
cher ein  Gypsabguss  in  der  Heidelberger  Sammlung   von   mir 
vorgefunden  ward.    Das  Original  ist  entschieden  Bronze-    üeber 
ihren  Fundort,   sowie  jetzigen  Aufbewahrungsort  gelang  es  mir 
nicht  eine  bestimmte  Nachweisung  zu  erhalten.     In  Neapel ,  wo 

21)   So  sah  ich  in  der  Houbenschen  Sammlung  in  Xanten  eine  solche, 
10  Centim.  hoch  mit  Armspangen  an  den  beiden  gehobenen  Armen. 


_     85     

man  sie  zunächst  zu  suchen  geneigt  sein  wird,  erklärte  Miner- 
vini  auf  Prof.  Gerhards  freundliche  Vermittelung,  sie  sei  dort 
gänzlich  unbekannt.  Ihre  Höhe  beträgt  ohne  Basis  14  Centi- 
ineter.  Auf  einer  runden  Basis  steht  die  Göttin,  zur  Seite  ein 
mit  dem  abgelegten  Gewand  überdecktes  Gefäss ;  auf  dem  Bo- 
den zieht  sich  ein  Zipfel  des  Gewandes  noch  hin.  Der  rechte 
Fuss  bildet  hier  den  wesentlichen  Stützpunkt,  daher  auch  das 
rechte  Bein  angespannt  ist,  die  rechte  Hüfte  stärker  hervortritt, 
die  Weiche  mehr  eingesenkt  ist.  Der  linke  zurückgezogene  Fuss 
ruht  auf  den  Zehen,  das  linke  Bein  ist  leicht  gebogen  und  drängt 
sich  schützend  mit  dem  Oberschenkel  an  das  rechte  Bein  an. 
Die  Körperlinie  der  linken  Seite  ist  leichter  geschwungen  und 
mehr  entwickelt.  Der  Unterleib  ist  zart  behandelt,  die  Brüste 
voll  und  jugendlich  spitz.  Ueber  beide  fällt  das  gelöste,  feuchte 
Haar  in  grösseren  Strängen  von  dem  stark  nach  rechls  und  zu- 
gleich abwärts  geneigten  Haupte.  Beide  Arme  sind  mit  dem 
Haar  beschäftigt:  der  rechte  ist  höher  gehoben  und  greift  in  den 
gelösten  Haarbüschel,  der  als  Krobylos  geordnet  war,  der  linke 
wendet  sich  niedriger  an  die  Seite  des  Kopfes  und  greift  hier  in 
die  herabwallenden  Haare  herein.  Die  Haare  umschatten,  um- 
wallen tief  das  feine  ovale  Gesicht,  dessen  Blicke  mit  entschie- 
denster Wehmuth  schräg  nach  unten,  sichtlich  zum  feuchten 
Element  gerichtet  sind.  Man  kann  in  der  That  zuerst  hier  zwei- 
felhaft werden,  ob  es  sich  um  das  erste  neue  Ordnen  nach  dem 
Bade  oder  um  das  letzte  Lösen  vor  dem  Bade  handelt  ;  man 
wird  nach  sonstiger  Analogie  für  das  Erstere  sich  entscheiden. 

Von  Marmor  werken  kann  ich  zwei  dieser  Beihe  zunächst 
angehörige  zur  Vergleichung  heranziehen :  eine  Statue  der 
Sammlung  Torlonia  (Clarac  pl.  622  B.  n.  1408  A)  und  eine  der 
Villa  Pamfili  (Clarac  pl.  626  B.  n.  1383  F).  Die  erstere  (Höhe 
8  Palmen  7%  Zoll),  von  sehr  schmächtiger,  ja  dürftiger  Bildung 
des  Unterkörpers  gegenüber  dem  Oberkörper  ist  unterhalb  der 
Kniee  ergänzt,  aber  hat  dieselbe  Stellung,  die  vu'r  fast  durch- 
gehend gefunden,  mit  dem  Buhepunkt  im  linken  Fuss  und  der 
Biegung  des  rechten  Beines.  Nur  scheint  der  rechte  Oberschen- 
kel hier  im  natürlichen  Gefühl  der  Scham  weiter  vorgeschoben, 
als  wir  bisher  sahen.  Die  linke  Schulter  ist  wieder  gesenkt, 
ebenso  der  linke  Oberarm  ,  während  der  rechte  wagrecht  sich 
streckt.  Die  linke  Hand  ist  einfach  auf  die  in  reicher  Fülle  herab- 
fallende Haarmasse  gelegt,   die  rechte  hebt  die  Fülle  der  Haare 


V 


86     - — - 

daseien  in  die  Höhe.  Der  Kopf  fast  umschattet  durch  die  Mas- 
sen  des  gelösten  Haares  ist  stark  nach  der  linken  Seite  gesenkt 
und  hat  den  entschiedenen  Ausdruck  der  Wehmuth  ,  die  Züge 
haben  dabei  etwas  Individuelles,  was  schon  in  diesem  Aus- 
drucke leicht  gegeben  war.  Die  unteren  Enden  der  herabfallen- 
den Haarlocken  sind  ergänzt.  Von  dem  daneben  stehenden 
Delphin  ist  die  obere  Spitze  antik. 

Die  andere  Statue  von  kleinem  Massstabe  (3  P.  3  Zoll)  aus 
griechischem  Marmor  ist  in  ihren  unteren  Extremitäten  ober- 
halb der  Kniee  ergänzt ,  von  den  Armen  ist  der  rechte  am  Be- 
ginn des  Deltoides  ergänzt,  der  linke  am  Ende  desselben;  die 
Zuthat  des  Badegefässes  ist  modern  mit  der  ganzen  Basis.  Auch 
hier  gleiche  Motivirung  der  unteren  Theile,  der  Körper  selbst 
nur  wenig  nach  links  eingedrückt,  der  Kopf  etwas  rechts  ge- 
senkt mit  jugendlicher  Gesichtsbildung,  die  Haare  einfach  ge- 
scheitelt, feucht  und  daher  compakt,  ohne  besondere  Fülle.  Dass 
die  linke  Hand  das  Haar  gefasst,  geht  aus  den  erhaltenen  Thei- 
Jen  klar  hervor,  nicht  so  auf  der  rechten  Seite,  wo  eine  leichtere 
Haarlocke  auf  die  Schulter  herabfällt;  die  Rechte  hielt  also  viel- 
leicht einen  Toilettegegenstand. 

Wir  fügen  hier  noch  die  Erwähnung  einer  im  Palast  Co- 
lonna  in  Rom  stehenden  Venus  hinzu,  welche  als  mit  beiden 
Armen  das  Haar  fassend  bezeichnet  wird  ;  ob  sie  unterwärts 
bekleidet  ist,  oder  gänzlich  gewandlos,  davon  ist  mir  nichts  be- 
kannt (Beschreib.  Roms  III.  2.  S.  170). 

An  dieser  Stelle  muss  ich  auf  einen  trefflichen  Venustorso 
aufmerksam  machen,  der  auf  macedonischem  Boden,  im 
alten  B er oea  sich  findet  und  erst  kürzlich  von  Delacoulonche 
in  seinem  Memoire  sur  le  berceau  de  la  puissance  macedonienne 
des  bords  de  l'Haliacmon  et  ceux  de  l'Axius  in  der  Bevue  des 
societes  savantes  T.  V.  Juill.  1858.  p.  109  ff.  beschrieben  ist 
nebst  einer  kleinen  bildlichen  Skizze.  Er  gehört  mit  seinen  vorn 
über  die  Schullern  herabfallenden  Locken  in  diese  Beihe,  wenn 
auch  über  die  Bewegung  seiner  Arme,  ob  beide,  ob  einer  das 
Haar  fasste,  man  in  Zweifel  sein  muss.  Die  Worte  des  Beisen- 
den werden  am  besten  selbst  für  das  Werk  zeugen  (p.  115). 

»G'est  pres  de  la  maison  d'un  Türe,  que  se  trouve  le  der- 
nier  fragment  le  plus  interessant.  C'esl  un  torse  de  femme  de 
grandeur  naturelle  d'un  lies  beau  style,  quoique  un  peu  maigre. 
Le  corps    est  completement  nu  :    les  seins  legerement   muliles 


—  87     — 

laissent  voir  toule  la  purele  de  leurs  conlours,  ils  ne  sont  pas 
tres  developpes.  G'est  une  jeune  fille  plutöt  qu'une  femuie,  ce 
n'est  pas  Ja  beaute  aecomplie,  mais  celte  gräce  delicate  qui  lutle 
et  qui  rivalise  avec  eile.  La  courbe  des  hanches,  le  modele  de 
la  poitrine  et  du  ventre  sont  d'une  grande  verite  et  d'une  grande 
souplesse.  Les  contours  du  dos  ont  dans  leurensemble  de  l'ele- 
gance  et  de  la  fermele.  Aux  boucles  de  cheveux,  qui  relombent 
de  chaque  cöte  sur  la  poitrine,  ä  la  suavite  ideale  du  corps  nu 
on  reconnoil  une  statue  de  Venus.  Le  mouvement  n'est  mal- 
heureusement  pas  assez  indique  pourqu'on  puisse  deviner  l'aclion 
de  la  deesse.  II  semble  pourtant,  qu'elle  les  relevait  et  peutetre 
qu'elle  les  portait  ä  sa  tete.  Elle  rappellerait  ainsi  la  Venus  Ana- 
dyomene  nue  comme  eile  sortant  de  la  mer  et  exprimant  Feau 
dont  sont  imbibes  ses  cheveux.  On  aimerait  ä  se  figurer  que  c'est 
lä  une  copie  de  la  Venus  peinte  par  Apelle.  Quoiqu'il  en  soit,  ce 
fragment  appartient  evidemment  ä  une  excellente  epoque,  il  date 
des  rois  de  Macedoine  —  c'est  le  plus  beau  monument  de  1'art 
antique  que  l'on  trouve  aujourd'hui  dans  la  Macedoine«. 

Dass  dieses  Motiv  der  entkleideten,  mit  beiden  Händen  das 
Haar  ausdrückenden  Göttin  auch  den  Terracottabildungen  nicht 
fremd  blieb,  war  natürlich.  Als  ein  Fragment  schönster  Art  wird 
uns  eine  aus  Syrien  gekommene  Terracotte  der  in  Paris  1852 
versteigerten  Sammlung  Peretie  bezeichnet  (Arch.  Anz.  1853. 
n.  60.  S.  403).  Auch  in  die  Reliefs  der  Sarkophage,  wo  uns 
die  Beziehung  zu  gestorbenen  Frauen  in  mythologischen ,  aus 
dem  Venusbereiche  entnommenen  Bildern  vergegenwärtigt  ward, 
ist  die  aufrechtstehende,  nackte,  das  Haar  ausdrückende  Göttin 
übergegangen  ,  womöglich  von  Tritonen  in  einer  Muschel  in  die 
Höhe  gehoben  (Raoul  Rochette  Choix  de  peint.  Texte  p.  301. 
n.  XVI). 

Wir  haben  oben  bereits  auf  eine  wesentliche  Modification 
der  Grundauffassung  der  mit  dem  Haar  beschäftigten  Venus  auf- 
merksam gemacht;  indem  wir  bisher  absichtlich  die  diese  Mo- 
dification dabei  zeigenden  Denkmäler  übergingen  ,  müssen  wir 
sie  nun  als  eine  den  andern  ganz  nahe  verwandte  und  doch  in 
sich  besondere  Denkmälergruppe  ins  Auge  fassen.  Das  Wesent- 
liche ist  also,  dass  aus  dem  Motiv  des  einfachen  Haarausdrückens 
der  dem  Bad  entstiegenen  Göttin  nun  das  des  Schmückens  und 
Ordnens,  besonders  auch  des  Salbens  hervorgeht  und  nur  eine 
Hand  mit  dem  Haar  in  Berührung  bleibt.    Es  ist  mir  durch  die 


88 

Güle  des  Herrn  Prof.  Gerbard  möglich  zu  dieser  Auflassung  auf 
Taf.  VII.  B  ein  kleines  interessantes  dahin  gehöriges  Denkmal 
zu  publiciren. 

In  den  Vordergrund  tritt  hier  eine  bekannte  Marmorstatue, 
die  auf  dem  Forum  Praenestinum  gefundene  spätrömische  Por- 
trätstatue in  einer  Venusbildung,  die  als  J u  1  i a  Soaeniias  von 
Visconti  erkannt  und  im  Vatikan  aufgestellt  ward  (Mus.  Pio  Cle- 
ment. II,  pl.  51.  Clarac  pl.  607.  n.  1339.  Müller  D.  Ä.  K.  I, 
Taf.  71.  n.  402).  Das  Gewandmotiv  ist  völlig  das  allgemeine 
dieser  Art  Statuen,  speciell  der  pompejaniscben,  von  deren  Be- 
trachtung wir  ausgingen,  dagegen  ist  der  Schwerpunkt  auf  die 
rechte  Seite  gelegt  und  das  linke  Bein  leicht  gebogen,  aber  doch 
weiter  vorgesetzt.  Der  starke,  wenig  erfreuliche  Oberkörper  ist 
fast  ganz  im  Gleichmass  beider  Seiten  gehalten ,  indem  beide 
Schultern  gleichmässig  gesenkt  sind.  Zwischen  ihnen  tritt  Hals 
und  Kopf  frei  heraus,  jener  etwas  nach  rechts  gewendet,  das 
Gesicht  etwas  links  gedreht,  aber  nicht  gesenkt.  Der  Kopf  ist 
verhältnissmässig  klein,  aber  durchaus  Porträt;  die  Haare  sind 
einfach  gescheitelt,  hinter  das  Ohr  gestrichen  und  fallen  dann 
zu  beiden  Seiten  mit  einer  langen  Locke  auf  die  Schultern  herab, 
aber  können  als  Perrücke  abgenommen  werden  bis  auf  die  En- 
den der  Locken ,  die  mit  dem  Körper  aus  einem  Stück  gebildet 
sind.  Nur  der  rechte  Arm  ist  wieder  nach  oben  gebogen  und 
fasst  eine  Locke,  der  linke  Arm  dagegen  ist  schräg  abwärts  ge- 
wandt und  mit  Becht  in  die  Hand  ein  Balsamar  gegeben.  Zur 
Seite  befindet  sich  ein  Delphin  mit  Amor. 

Von  einer  zweiten  Statue  im  Vatikan ,  im  Museo  Chiara- 
monti  (Mus.  Chiaram.  pl,  25.  Clarac  pl.  61 0.  n.1355)  kommt  nur 
der  Kopf  mit  seinem  reichen ,  von  einem  Band  durchflochtenen 
Haar  in  Betracht,  von  dem  eine  herabfallende  und  dann  gehobene 
Locke  auf  der  rechten  Seite  allerdings  eine  hebende  Hand  vor- 
aussetzt; schon  der  nackte  Oberkörper  mit  den  Armen  gehört 
nicht  dazu  nach  dem  Marmor,  am  wenigsten  der  Unterkörper 
mit  den  Extremitäten ,  der  ganz  der  oberen  Situation  fremd  ist 
und  dessen  wir  bei  Erwähnung  der  Syrakusaner  Statue  ge- 
dachten. 

Auf  ein  bedeutendes  statuarisches  Werk  dieser  Gattung 
weist  ein  geschnittener  Stein  bei  Lajard  (Becherches  etc.  pl. 
XIV  G.  n.  15)  entschieden  hin;  drei  weibliche  Gottheiten  er- 
scheinen hier  vereint,   die  assyrische  Hera  mit  hohem  Kopfauf- 


89     — 

satz ,  zwei  Stiere  zur  Seite,  Geisel  und  Aehre  in  der  Hand,  zur 
einen  Seite  Athene  Nikephoros,  zur  andern  Aphrodite,  mit  dem 
Gewand  um  die  Hüften  geschlagen  ,  mit  der  linken  Hand  die 
lange  Haarmasse  hebend  und  drückend ,  in  der  rechten  einen 
Gegenstand,  wohl  ein  Balsamar  vor  sich  haltend,  ein  Eros  reicht 
ihr  dabei  einen  Kranz  hinauf. 

In  diese  Reihe  gehört  endlich  das  kleine,  von  uns  auf 
Taf.  VH.  B.  veröffentlichte  Denkmal.  Die  mehrseilig  geschliffene 
goldene  Nadel,  ein  römischer  Damenschmuck,  wird  von  einem 
Thierkopf  (Löwe  oder  Luchs?)  bekrönt.  Auf  diesem  erhebt  sich 
die  mit  einem  Trochilus  gegliederte  Platte  mit  einer  etwas  über 
7  Gentim.  hohen  Figur.  Sie  selbst  in  einem  manierirten  Stil 
gebildet  steht  aufrecht  auf  beiden  Füssen;  der  linke  Fuss  ist 
gerade  aufgesetzt,  der  rechte  etwas  zurückgezogen  und  leise  ge- 
bogen. Ihr  Oberkörper  ist  völlig  entblösst  bis  auf  den  einen 
kurz  über  die  linke  Schuller  nach  vorn  übergeschlagenen  Zipfel 
des  Gewandes.  Dieses  zieht  sich  unter  den  Weichen  um  den 
Unterleib  mit  umgeschlagenem  oberem  Rand  herum  und  wird 
sichtlich  an  der  linken  hinteren  Seite  von  der  hier  angelegten 
linken  Hand  gehalten.  Die  Beine  in  regelmässigen  Falten  ziem- 
lich eng  umschliessend  fallt  das  Gewand  bis  auf  die  Füsse 
herab  und  stösst  hier  noch  schräg  sich  erweiternd  auf  den  Bo- 
den auf.  Von  den  Füssen  sind  nur  die  Spitzen  sichtbar.  Der 
Oberkörper  erhält  seine  Hauptmotivirung  durch  die  Hebung  des 
rechten  Armes,  der  mit  einer  Biegung  des  Ellenbogens  ziemlich 
im  rechten  Winkel  sich  zu  dem  Scheitel  des  etwas  vor-  und 
rechts  gebogenen  Kopfes  zurückwendet.  Die  Hand  fasst  hier 
über  der  Stirne  eine  starke  Haarlocke.  Sonst  erscheint  das  Haar 
einfach  zurückgestrichen.  Das  Gesicht  hat  scharfe  fast  porträt- 
artige Züge.  Man  wird  hier  auch  zunächst  an  ein  Ordnen  des 
Haares  überhaupt ,  weniger  an  ein  Ausdrücken  des  feuchten 
Ilaares  der  dem  Meere  entstiegenen  Göttin  denken.  Gewiss  ein 
passendes  Motiv  für  ein  zum  Befestigen  des  Haares  verwendetes 
Objekt. 

Dasselbe  Motiv,  die  Haarlocke  mit  der  einen  Hand  allein  zu 
fassen,  finden  wir  aber  auch  mit  gänzlicher  Nacktheit  ver- 
bunden. In  Leyden  sah  ich  in  der  kleinen  Gypsabgusssamm- 
lung  nach  Antiken  ,  welche  im  Gebäude  des  Reichsherbariums 
sich  befindet,  einen  interessanten  Gypsabguss ,  welcher  eine 
Uebergangslufe  von  den  eben  genannten  mit  Gewand  um  den 


90     

Unterkörper  bekleideten  Statuen  zur  Gewandlosigkeit  zeigt ; 
während  die  rechte  Hand  die  Haarlocke  fasst,  zieht  die  linke  das 
Gewand  vom  Bodengefäss  herüber  zum  Schoos,  also  in  der  Weise 
der  Venus  von  Troas.  Wo  das  Original  dazu  zu  finden,  konnte 
ich  nicht  erfahren.  Völlige  Nacktheit  zeigen  zwei  interes- 
sante wenn  auch  in  ihrer  Arbeit  nicht  besondere  Marmor- 
statuen, eine  in  München  (Clarac  pl.  618.  n.  1578)  und 
eine  früher  in  der  Sammlung  C  h  a  b  la  is  zu  Rom  (Clarac  pl.  626. 
n.  1406).  Jene  ist  klein  (2  F.  2  Z.) ;  in  der  grössten  Unbefan- 
genheil, ohne  alles  Bestreben  durch  eine  Kniebewegung  den 
Anstand  zu  wahren  steht  die  Göttin,  das  Haar  ist  in  einer  star- 
ken Masse  vom  Hinterkopf  zur  linken  Schulter  herübergefühlt 
und  wird  hier  von  der  Hand  gefasst ,  die  etwas  gesenkte  rechte 
Schulter  und  der  diese  Richtung  fortführende  rechte  Oberarm 
lässt  in  der  Hand  einen  Gegenstand  als  gehalten  vermuthen. 

Die  andere  Statue  von  grösseren  Dimensionen  (5  Palm.),  aber 
mittelmässiger  römischer  Arbeit  ist  durch  die  gute  Erhaltung  der 
verschiedenartigen  Zuthaten  interessant;  die  Häufung  derselben, 
die  uns  in  das  Badezimmer  einer  römischen  Dame  gleichsam 
einführt,  giebt  uns  zugleich  die  Endpunkte  an,  in  welche 
die  Ausbildung  dieser  Motive  bei  dem  Venusideal  führte.  Auch 
hier  eine  gleiche  völlige  Unbefangenheit  der  Situation,  der  rechte 
Fuss  ist  ziemlich  weit  zurückgesetzt,  der  Schwerpunkt  ruht  auf 
dem  linken  Fuss.  Der  rechte  Arm  hebt  leicht  die  über  die  Schul- 
ter fallende  reiche  Haarmasse,  der  linke  Arm  ist  mehr  gesenkt 
und  hält  ein  Balsamar.  Das  Haar  ist  vorn  bereits  wesentlich  ge- 
ordnet. Neben  ihr  befinden  sich  zwei  kleine  Eroten  ,  der  eine 
mit  beiden  Armen  ein  Schmuckkästchen  emporhaltend,  der  an- 
dere ein  grosses  Alabastron  hinaufreichend  ;  dazu  kommt  end- 
lich auch  das  Badegefäss  mit  dem  darüber  niedergelegten  Bade- 
tuch oder  Gewand. 

So  haben  wir  also  die  Durchbildung  eines  glücklichen  und 
bedeutsamen  Grundmotivs,  das  von  einem  bedeutenden  Künst- 
ler auch  in  der  Plastik  wie  von  Apelles  in  der  Malerei  aufgestellt 
war,  durch  statuarische  Werke  in  Bronze,  Marmor,  Thon  und 
edelem  Metall  nach  allen  Hauptbeziehungen,  zum  Bad,  zum 
Schmuck,  zum  Ankleiden,  in  idealer  und  porträtartiger  Auffas- 
sung verfolgt  und  kehren  zu  unserem  an  die  Spitze  gestellten 
Monument  zurück.  Ihr  näherer  Kreis  in  dem  weiteren  Bereich 
ist  ihr  zugleich  schon  angewiesen,  aber  sie  übertrifft  alle  anderen 


91 

besprochenen  Wecke  in  dem  Ausdruck,  der  schon  in  der  Bewe- 
gung des  Hauptes,  dann  aber  auf  dem  Gesicht  sich  ausprägt. 
Diese  Stimmung  sehnsüchtiger  Versenkung,  das  uns  am  Rand 
eines  strömenden,  immer  sich  erneuenden  Wassers  wohl  er- 
greift und  welches  mit  dem  Wesen  der  meerentstiegenen  Aphro- 
dite so  tief  zusammenhängt,  fehlt  einzelnen  der  genannten  Werke 
nicht  ganz,  z.  B.  der  Statue  im  Museo  Chiaramonli  oder  in  Villa 
Pamfili,  aber  keine  prägt  sie  so  lebendig  und  tief  aus,  wie  die- 
ses anziehende  Pompejanische  Werk.  Wo  die  Slatue  in  Pom- 
peji gefunden  ward,  ist  mir  nicht  bekannt,  aber  wir  werden 
kaum  irren  sie  uns  am  Rand  eines  Wasserbeckens  aufgestellt  zu 
denken. 

In  dieser  Senkung  des  Hauptes,  in  dem  Ausdrucke  der 
Wehmuth  erhalten  wir  ein  treffendes  Analogon  zu  dem  Torso 
der  sogenannten  Psyche  von  Neapel22),  die  ebenso  wie  die  be- 
rühmte Venus  victrix  im  Amphitheater  von  Capua  gefunden 
ward  und  gleiche  Behandlung  zeigt.  Der  Venuscharakter  dersel- 
ben ward  vom  Bildhauer  E.  Wolff  schon  vor  längerer  Zeit  rich- 
tig erkannt  (Bull.  d.  inst,  di  corr.  archeol.  1853.  p.  132),  aber  die 
Motivirung  der  stark  gesenkten  rechten  Schulter  und  des  Oberar- 
mes, der  gehobenen  linken  Schuller,  des  Gewandrestes  am  Rücken 
ist  noch  nicht  genau  ins  Auge  gefasst  worden.  Sie  weist  ent- 
schieden auf  die  Hebung  des  Gewandzipfels  mit  der  linken  Hand 
und  auf  die  Thätigkeit  der  rechten  Hand  an  dem  wahrscheinlich 
in  die  Höhe  gezogenen  rechten  Fusse  hin  und  führt  uns  so  in  den 
Kreis  von  Venusbildungen,  der  ebenfalls  aus  dem  Grundmotive  des 
dem  Bade  Entsliegenseins  entsprungen,  mit  reichen  Variationen 
durch  ausgezeichnete  Marmortorsen  z.  B.  in  London  (Clarac  pl. 
622  A.  n.  1406  C),  aus  Alexandria  in  Nimes  jetzt  (vgl.  mein 
Städteleben  Kunst  und  Alterthum  in  Frankr.  S.  595),  durch 
Bronzen  und  Terracotten  vertreten  ist  und  zu  einer  eigenen  Be- 
handlung einladet.  ' 


Jn 


III.    Venus  mit  dem  Spiegel. 

Wir  haben  bei  den  Untersuchungen,  die  an  die  zweite  Publi- 
kation einer  Venusbildung  sich  anschlössen  ,  den  Weg  von  dorn 

22)  Ob  die  von  Panofka  unmittelbar  vor  seinem  Tode  versprochene 
Erklärung  des  Psychetorso  durch  ein  pompejanisches  Wandgemälde  ver- 
öffentlicht ist,  ist  mir  unbekannt;  vgl.  Archäol.  Anz.  185S.  S.  183.  193. 


- 92     

einfachen  und  so  bedeutungsvollen  Motiv  des  Meerentsteigens 
und  der  ersten  daran  sich  schliessenden  Thätigkeil  des  Haarab- 
trocknens  zu  dem  des  sich  Schmückens,  des  sich  mit  einem  Ge- 
genstände der  Toilette  Befassens  in  den  Denkmälern  verfolgen 
können.  Zu  diesen  Gegenständen  gehört  vor  allem  der  Spiegel, 
das  Salbgefäss,  das  Schmuckkästchen,  dann  solche,  die  wirklich 
dem  Körper  angelegt  werden,  wie  die  Brustbinde,  schmuckende 
Binge  an  Arm  und  Bein  ,  Halsschmuck.  So  sehr  die  ergänzende 
Willkür  der  Bestauratoren  hier  oft  Ungehöriges  hinzugefügt,  so 
wichtig  sind  uns  die  wirklich  antiken  Beispiele  der  Erhaltung 
solcher  Gegenstände  und  die  durch  vergleichende  Betrachtung 
sich  ergebende  Sicherstellung  derjenigen  Motive  des  ganzen  Kör- 
pers, die  durch  das  Hallen,  sich  Befassen  mit  solchen  Gegen- 
ständen bedingt  werden.  In  dieser  Beziehung  bietet  uns  die  auf 
Taf.  IX.  publicirte  Bronze  ein  neues  und  interessantes  Bei- 
spiel dar.  Sie  befindet  sich  jetzt  im  Besitze  des  bisherigen  hol- 
ländischen Gesandten  in  Born  de  Meester  van  Bavestein  ,  stammt 
aus  dem  Königreich  Neapel,  wahrscheinlich  aus  Pompeji  und  die 
Zeichnung  giebt  die  Grösse  derselben23].  Ein  rechteckiges  be- 
deutend breiter  als  tiefes  Postament ,  auf  vier  Thierklauen  ru- 
hend trägt  die  aufrecht  stehende  Statue,  die  jedoch  nicht  ganz 
in  die  Mitte  der  Platte  gestellt  ist;  in  der  That  zeigt  sich  zur 
Bechten  derselben  noch  eine  Vertiefung,  worin  ein  anderer  klei- 
nerer Gegenstand  befestigt  war,  wahrscheinlicher  ein  Gefäss  mit 
Gewand  als  ein  Amor,  doch  ist  das  Letztere  auch  wohl  möglich. 
Die  völlig  unbekleidete  Gestalt  steht  ruhig  auf  beiden  Füssen, 
jedoch  so,  dass  der  linke  den  Hauplruhepunkt  bildet,  die  linke 
Hüfte  ein  wenig  mehr  ausgebogen  ist.  Das  rechte  Bein  ist  etwas 
gebogen  und  zurückgesetzt.  Die  Körperformen  sind  breit  und 
voll  zu  nennen,  doch  weniger  fein  durchgebildet.  Beide  Schul- 
tern sind  heruntergelassen  und  beide  Oberarme  senken  sich 
ähnlich  schräg  und  vom  Körper  abseits.  In  den  Unterarmen  tritt 
die  verschiedene  Motivirung  bestimmt  hervor  :  der  linke  ist  rück- 
wärts zur  Schulter  gebogen  und  die  Hand  deckt  dieselbe  für  den 
Beschauer,  da^e^en  der  rechte  Unterarm  streckt  sich  horizontal 
und  bildet  auf  seiner  inneren  Seite  den  Stützpunkt  zu  dem  in 
der  gehobenen  Hand  gehaltenen  Gegenstand,  welcher  sich  sofort 


23)   Vorgezeigt  und  besprochen  ward  sie  in  der  Sitzung  des  archäol. 
Institutes  am  12.  Febr.  1858,  s.  Aich.  Anz    <85S.  S.  179. 


93 

als  Handgriff  eines  Spiegels  zu  erkennen  gieht ;  noch  befindet 
sich  der  Anfang  zur  Rundung  daran.  Der  etwas  rechts  gewen- 
dete ,  aber  durchaus  nicht  gesenkte  Kopf  zeigt  eine  Porlrälbil- 
dung.  Das  Haar  ist  vollständig  und  sorgfältig  geordnet,  um  das 
Gesicht  zieht  sich  ein  breiter  Streif  künstlich  gemachter  Haar- 
wellen in  einen  Bausch  über  den  Ohren  endend,  wie  wir  solche 
bereits  an  pompejanischen  weiblichen  Statuen  finden ,  noch 
mehr  ihnen  in  späterer  römischer  Sitte  begegnen.  Darüber  er- 
hebt sich  ein  breites  und  hohes  Diadem.  Von  den  eng  anliegen- 
den Haaren  des  Hinterhauptes  fällt  ein  starker  Haarbüschel  auf 
die  linke  Schulter  herab,  während  das  Ende  eines  breiten  Haar- 
bandes auf  die  rechte  Schulter  sich  senkt.  Die  Göttin  oder  die 
als  Venus  dargestellte  römische  Dame  ist  also  dabei  im  Spie- 
gel die  eben  vollendete  Toilette  der  Haare  zu  überschauen ,  mit 
der  einen  Hand  bereit  dies  oder  jenes  daran  noch  leicht  zu  ver- 
ändern. 

Mag  auch  vielleicht  bei  dem  Spiegel,  diesem  feingewölb- 
ten, ehernen  Diskus  eine  dunkle  Erinnerung  an  das  eherne  Him- 
melsgewölbe im  Hintergrund  gelegen  haben  ,  zu  welchem  die 
Aphrodite  Urania  in  so  enger  Beziehung  stand  und  welches  bei 
ihr  oder  der  Aphrodite  Areia  in  der  Benutzung  des  Schildes  als 
Spiegel  einen  bestimmteren  Ausdruck  fand24),  so  ist  es  doch 
gewiss,  plastische  Künstler  und  vorher  die  Dichter  sind  nicht 
von  diesem  kosmischen  Gesichtspunkte  ausgegangen,  als  sie  der 
meerentstiegenen,  aus  dem  Wasser  geborenen  Göttin  die  Bezie- 
hung zum  Spiegel  gaben,  man  möchte  eher  dann  an  den  Spiegel 
des  Wassers  denken:  nein,  entschieden  war  es  der  Gedanke, 
dass  die  Göttin  alles  Liebreizes ,  aller  Anmuth  des  Naturlebens 
besonders  in  seiner  Krühlingspracht  sich  schmücke  in  jeglicher 
Beziehung  mit  Gewand,  Geschmeide  und  Kopfputz.  So  sind  es 
die  Chariten,  die  sie  baden,  salben  mit  ambrosischem  Oele 
(Hörn.  Od.  VIII.  364;  Hymfi.  in  Vener.  61  f.),  ja  sie  selbst,  die 
s'Coriqxxvoq  Kv&sqskx  reinigt  und  salbt  sich  das  Antlitz  mit 
ambrosischem  Schönheitsmittel  (Hom.  Od.  XVIII.  492  f.),  sie 
legt  an  die  von  den  Chariten  gefertigten ,  blumendurchdufteten 
Gewänder,  sie  flicht  sich  und  ihren  Dienerinnen  Kränze  sie  auf 
das  Haupt  zu  setzen  (Kypria  bei  Athen.  XV.  p.  682).  War 
nun    der  Spiegel   im    Leben  Bedürfniss   für    weiblichen  Anzug 


24)  Gerhard  gr.  Mythol.  I,  S.  403  ;  Preller  gr.  Mythol    I,  S.  217. 


94 

und  Schmuck,  die  Freude  der  Jungfrauen25)  geworden,  so  trat 
er  hothwendte  auch  ein  in  den  Bereich  der  sich  schmückenden 
Göttin.  So  haben  wir  ihn  bereits  in  der  Linken  der  züchtig  be- 
kleideten thronenden  Göttin,  »die  Apfel  und  Hase  als  Symbol 
noch  zeigt  und  vor  der  ein  Altar  mit  Früchten  emporflamml  auf 
dem  archaistischen  Relief  der  Villa  Albani  (Müller-Wieseler  D. 
A.  K.  II,  T.  24.  n.  257).  So  erscheint  der  Spiegel  so  oft  bei 
Aphrodite  aufgehängt ,  gehalten  von  ihr  oder  ihrer  Umgebung; 
erinnern  wir  nur  an  das  Vasenbild  freien  Stiles  (Millingen  uned. 
monum.I,  pl.  13.  D.  A.  K.  IL  T.26.  287),  wo  die  Göttin  sitzend 
in  zierlicher  Bekleidung  getragen  wird  von  zwei  Eroten  ,  den 
Spiegel  in  der  rechten  Hand,  ein  kleines  Gefäss  in  der  linken 
Hand,  oder  an  das  apulische  Vasenbild,  wo  Spiegel  und  Taube 
in  Aphroditehänden  sich  entsprechen  (Inghirami  Mon.  etc.  I.  42). 
Eine  ganz  bedeutende  Stufe  weiter  in  der  unmittelbaren  Um- 
setzung des  Lebens  der  Göttin  in  die  Sitte  und  Anschauung  der 
Gegenwart  und  zwar  des  in  den  sittlichen  Grundlagen  bereits 
gelockerten  Frauenlebens  war  es,  wenn  es  bei  Sophokles  in  sei- 
ner Kqioiq  heisst  (Athen.  XV.  p.  687  C) :  rrjv  (.tev  JtcpoodiTrjv 
fjdovrjv  riva  ovoav  öal/iiova  ^ivqo)  re  dXsiopo/^isvrjv  rraoccyei 
xai  v.axonTQLto(.i€vrivy  rrjv  d'  Ji&rjväv  (poövrjoiv  ovoav  xal  vovv, 
8Ti  tf  aQETtjv  eXaiq)  yQCO/nivt]v  xal  yv(.ivatof.iavrjV.  Hier  ist  das 
Y.cf.%omqiQEO^(xi  nicht  blos  den  Spiegel  fuhren,  sondern  sich 
gern  und  oft  darin  beschauen ,  damit  ein  eitles  und  verlocken- 
des Spiel  treiben.  Eine  weitere  Ausführung  ist  es  nun,  wenn 
Kallimachos  die  Göttin  schildert  (Lavacr.  Pall.  21)  :  Kvnqiq  de 
diavysa  %uXxbv  sXovoa  noXXdxt  xdv  avtdv  öig  f.me^rf/.a  v.o- 
f.iav.  In  diesem  Sinne  weihen  Hetären,  wie  Lais,  der  nie  altern- 
den Aphrodite  den  Spiegel  (Plato  und  Julian  Aegypt.  epigr.  in 
Anal.  gr.  ed.  Brunck  et  Jacobs  I,  p.  1  70.  n.  7;  II,  p.  494.  n.  3.  4). 
Die  Gegenüberstellung  zu  Eros  mit  Köcher  und  Pfeil  veranlasst 
daher  auch  den  Spiegel  der  Psyche  zu  geben  (0.  Jahn  arch. 
Beitr.  S.  164.  n.  113).  Aus  dieser  jüngeren  Anschauung  ist  es 
nun  auch  hervorgegangen,  wenn  Aphrodite  mit  dem  nur  den 
Unterkörper  verhüllenden  Gewand  oder  in  völliger  Nacktheit, 
ohne  irgend  des  Verhüllens  ihrer  Blosse  zu  gedenken,  mit  dem 
Spiegel  sich  beschäftigt,  um  den  Kopfputz  zu  ordnen  oder  den 
geordneten  zu  überschauen. 


25)   Xfjvaicc  <F  toonTQa  nuQ&tvoüv  xvQ'tus  Eur.  Troad.  1095. 


9,c; 

Unsere  Bronze  ist  nun,  so  weit  mir  bekannt,  fast  das  erste 
sichere  Beispiel  einer  solchen  statuarischen  Darstellung, 
wo  der  Spiegel  sich  noch  erhalten  hat.  Unter  den  Bronzen 
der  Sammlung  Hertz  in  London  wird  eine  Venus  in  den  Spiegel 
blickend  erwähnt,  doch  ohne  nähere  Angabe  der  Art  der  Erhal- 
tung (Archäol.  Anz.  1851 .  n.  35.  S.  117).  Auch  eine  sehr  merk- 
würdige massiv  silberne  Venusstatuette,  früher  im  Besitze 
von  Lajard  ,  abgebildet  in  desselben  Bechercbes  sur  le  culte  de 
Venus  pl.  XIX.  15,  zeigt  uns  die  Göttin  ganz  nackend,  stehend 
mit  leicht  gebogenem  linken  Fuss ,  den  linken  Arm  gestützt  auf 
ein  von  einem  Delphin  umwundenes  Ruder,  einen  Apfel  in  der 
Linken  haltend,  die  Bechte  schräg  gesenkt  und  nach  vorn  vor- 
gestreckt hielt  einen  abgebrochnen  Gegenstand ,  sicher  einen 
Spiegel. 

Auf  geschnittenen  Steinen  ist  die  Darstellung  einer 
nackten  ,  im  Spiegel  sich  beschauenden  und  das  Haar  ordnen- 
den Venus  wohl  bekannt,  z.  B.  auf  einem  Karneol  der  Dresdener 
Sammlung  (n.  57.  Hettner  Bildw.  S.  101).  Dagegen  möchte  un- 
ter Archäologen  kaum  beachtet  sein,  dass  unter  den  Glasge- 
fässen  mit  altchrisllichen  Darstellungen,  die  den  römischen 
Katakomben  entstammen,  uns  eine  durchaus  hierhergehörige 
Darstellung  mit  anmulhiger  Bildung  begegnet;  sie  findet  sich* 
bei  Perret  Calacombes  de  Rome  IV.  pl.  30.  n.  82.  Eine  nackte 
weibliche  Gestalt  mit  geordnetem  Kopfschmuck  steht  in  der 
Mitte,  sie  hält  mit  der  linken  Hand  ein  Gewand  oder  Badetuch 
vor  die  Scham,  während  die  Bechte  zur  Seile  ausgestreckt  einen- 
runden Gegenstand  zeigt,  Apfel  oder  richtiger  ein  rundes  Salb- 
gefäss.  Von  der  linken  Seite  eilt  ein  Eros  herbei,  einen  grossen 
Spiegel  ihr  entgegenhaltend  ,  von  der  andern  Seite  ein  zweiter 
Eros,  eine  Blume  emporhaltend,  die  noch  an  einer  hohen  Staude 
befindlich  ist.  Blumen  trennen  die  Gestalten  und  ein  einfacher 
Kranz  umgiebt  das  Ganze.    Die  Inschrift  lautet: 

PartheK)NOPE 
Fau]STINA  FILIA 
ZES 
ES 
Also  hier  noch  eine  unbefangene  Benutzung  einer  antiken  Dar- 
stellung weiblicher  Schönheit  und   Sitte    bei    einer  Mitgäbe  an 
eine  geliebte  Todte. 

Von  diesen  sichern   Beispielen  aus,    besonders    auch    von 


96     — — 

einem  statuarischen  Werke,  wie  unsere  Bronze  sind  wir  nun 
auch  berechtigt,  Statuen  der  Venus,  die  in  der  Motivirung  des 
ganzen  Körpers,  des  Haares,  vor  allem  des  einen  Armes  dersel- 
ben entsprechen,  den  Spiegel  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  als 
Attribut  in  die  Hand  zu  geben.  Ich  weise  z.  B.  auf  die  kleine 
Münchner  Statue  hin  (Clarac  pl.  618.  n.  4  378),  die  bereits  be- 
sprochen wurde;  ich  führe  eine  Marmorstatuelte  des  briltischen 
Museums  an  (Clarac  pl.  622  A.  n.  1406  A)  :  eine  Venus  steht 
zwischen  zwei  Muscheln,  so  scheint  es,  haltenden  Kindergestal- 
ten, Amor  und  Psyche,  nackt  bis  auf  eine  schräg  über  die  Schul- 
ter und  unter  der  linken  Brust  hinlaufenden  Binde,  ohne  mit 
einer  der  Hände  den  Anstand  zu  wahren ;  das  schräg  etwas  ab- 
gewandle  Gesicht,  das  sichtlich  einen  Gegenstand  beschaut,  die 
Bieeun"  des  linken  Armes  können  leicht  auf  Annahme  eines 
Spiegels  in  der  linken  Hand  führen. 

Immer  mehr  erweitert  sich  uns  so  der  Kreis  jener  jüngeren 
Venusbildungen,  in  denen  sie  nicht  mehr  als  die  schaumgeborne, 
dem  Meer  entstiegene ,  mit  dem  Zauber  der  reinen  Weiblichkeit 
alles  bezwingende,  alles  Unreine  von  sich  abhaltende  Göttin  er- 
scheint, sondern  als  ein  entkleidetes,  helärenhaftes ,  eifrig  mit 
ihrer  Toilette  beschäftigtes  Weib,  welchem  aller  Zauber  der  Be- 
fangenheit und  Schüchternheit  abgestreift  ist,  das  sich  nur  um- 
geben  weiss  von  Sklavinnen  oder  Mitbadenden  im  öffentlichen 
Bade.  Welcher  Abstand  liegt  zwischen  diesen  Bildungen  und 
der  Schöpfung  eines  Praxiteles!  Und  doch  hat  er  den  grossen 
Schritt  zuerst  gewagt,  von  der  Darstellung  der  Göttin  den  letz- 
ten Best  religiöser,  heiliger  Scheu  vor  einer  Himmelsmacht  ab- 
zustreifen und  sie  als  schutzloses  ,  hilfsbedürftiges  Weib  frei- 
lich in  ihrer  Beinheit,  in  ihrem  Zagen  zu  erfassen.  Schritt  für 
Schritt  ist  die  griechische  Kunst  der  alexandrinischen  Periode 
vor  allem,  dann  noch  der  der  ersten  römischen  Kaiserzeit  die- 
sem Wege  weiter  gefolgt  durch  alle  die  Nuancirungen  ,  die  das 
Grundmotiv  selbst,  die  der  Culturzustand ,  die  Sitte  der  Zeit  an 
die  Hand  gab,  aber  sie  ist  —  und  das  haben  die  obigen  Betrach- 
tungen schlagend  gelehrt  —  doch  in  ihren  Hauptbildungen  der 
idealen  Mitgabe  der  grossen  Kunslzeit  nicht  untreu  geworden. 
Erst  die  spätere  römische  Kaiserzeit  hat  von  diesen  Venusge- 
stalten allen  Duft  einer  höhern  Abkunft  abgestreift  und  doch 
vorzugsweise  nur  in  den  kleineren,  mehr  als  Schmuck  des  Hau- 
ses, der  Bäder  oder  auch  des  Grabgemaches  gebildeten  Werken. 


97 

So  war  es  auch  möglich,  dass  wir  Werke,  die  in  ihrer  Entste- 
hung ziemlich  in  einem  Zeiträume  von  fünf  Jahrhunderten  aus- 
einander liegen,  in  Vergleich  bringen  und  sie  von  einem  noch 
gemeinsamen  Standpunkt  aus  betrachten  konnten. 

Die  vorliegenden  Untersuchungen  umfassen  nicht  einmal 
das  ganze  Gebiet  derjenigen  Venusdarslellungen,  die  zum  Was- 
serleben, zum  Baden  und  sich  Schmücken  in  Beziehung  stehen  ; 
wir  haben  die  hier  noch  fehlenden  Denkmälergruppen  aber  an 
einzelnen  Punkten  näher  bezeichnet,  für  eine  Gruppe  Urheber 
und  Zeit  der  Bildung  zuerst  bestimmt.  Mögen  sie  wenigstens  als 
ein  Beitrag  zu  der  umfassenden  Aufgabe  einer  Monographie  über 
das  Venusideal  nicht  unfruchtbar  sjewesen  sein  ! 


Nachtrag  und   Berichtigung. 

Zu  S.  12  sind  nachzutragen  zwei  Griffe  mit  Spiegelbehäller ,  an  denen 
noch  die  Ringe  zum  Aufhangen  erhallen  sind,  publicirt  im  Museum 
Gregorianum  t.  XII.  n.  1.  1  a.  XIII.  n.  4.  1a.  Der  erste  1834  in  Vulci 
gefunden  zeigt  uns  eine  stehende  nackte  weibliche  Gestalt 
mit  zwei  Armspangen  und  Halskette  geschmückt;  in  der  linken  ge- 
hobenen Hand  hält  sie  einen  Spiegel,  die  rechte  ist  in  scharfem  Win- 
kel zum  Haare  geführt;  dieses  selbst  ist  hinten  hinauf  über  die  ver- 
bindende Klammer  gestrichen.  Die  ganze  Motivirung  der  Gestalt  mit 
leicht  gebogenem  rechtem  Bein  ist  schön  und  edel.  Also  hier  giebt 
uns  der  Griff  die  unmittelbare  Darstellung  des  Gebrauches. 

Der  zweite  Griff  aus  Chiusi  stammend,  in  Rom  im  Vatikan  be- 
findlich, wird  gebildet  von  einer  weiblichen  Fl  üge  I  ges  ta  1 1, 
hinten  bekleidet,  mit  vorn  ganz  geöffnetem  Gewand  um  den  Leib  ge- 
gürtet; die  linke  Hand  ist  zierlich  zur  Schulter  gehoben  ,  die  rechte 
an  die  Seite  gelehnt.  Armspangen,  Schuhe  und  geordnetes  Haar  feh- 
len nicht. 

Zu  S.  87  Z.  11  v.  u.  Auf  einem  Thonrelief  bei  Campana  Opere  in  plastic. 
t.  54.  befindet  sich  eine  stehende  nackte  Venus,  mit  beiden  Händen 
an  einer  herabfallenden  Locke  der  rechten  Seite  beschäftigt,  während 
ein  Eros  mit  Apfel  oder  Spiegel  ihr  entgegeneilt,  in  sehr  anmuthiger 
Bildung,  sichtlich  das  Nachbild  eines  statuarischen  Werkes. 

S.  8  Z.  17  v.  o.  I.  Leistens  für  Kastens. 
Auf  Taf.  VI    und  VII.  A.  ist  der  Zusatz   »%  nat.  Gr.«  zu  streichen. 


18  6  0. 


98 


Register  über  beide  Abhandlungen. 

Adler  p.  7. 

Amazonen  p.  5.  * 

Alexandria  Troas  p.  53. 

Aphrodite:    *A{*tia  p.  51  ;   EvnXoia  p.  57  ;    OvQavia  p.  51;   Jloi'jttt  p.  37. 

— feste  in  Rom  p.  61 . 
— Statuen 

A.  erwähnte  :   des  Daedalos  p.  57.  78. 
des  Kephisodotos  p.  56. 

—  Kleomenes  p.  58. 

—  Menophantos  p.  52. 

—  Phidias  p.  51 .  57. 

—  Philiskos  p.  57. 

—  Polycharmos  p.  57.  80. 

—  Praxiteles  p.  51 . 

—  Skopas  p.  51. 

in  Alexandria  Troas  p.  53.  54. 

—  Byzanz  p.  81 . 

—  Hermione  p.  57. 

—  Knidos  p.  51  . 

am  Meeresufer  p.  76. 

in  Rhegion  p.  57. 

in  Rom  ohne  Künstlernamen  p.  51. 
ß.  erhaltene : 

a.  in  Bronze  p.  64.  82.  83.  84.  95. 
1).    in  Gold  p.  89. 
c.   in  Marmor : 

in   Athen   p.  54. 

—  Beroea  p.  86. 

—  Dresden  p.  54.  58.  60.  72. 

—  England  ausser  London  p.  55.  60.  64.  69. 

—  Florenz  p.  54.  55    59.  63.  69. 

—  Leyden  p.  53.  89. 

—  London  p.  54.  55.  91.  96 

—  Madrid  p.  60. 

—  München  p.  52.  60.  68.  90.  96. 

—  Nimes  p.  91. 

—  Neapel  p.  48.  52.  53.  54.  55.  59.  63.  64.  69.  74. 

—  Paris:  im  Louvre  p.  53.  54.  59;  bei  Brunei  p.  60    63;   nach 

Millin  p.  54.  60.  63.  64. 

—  Petersburg  p.  55. 


99  — 

in  Rom  :    im  Vatican  p    52.  53.  54.  59.  62.  63.  67.  69.  82.  38 
—  Capitol  p.  55.  57.  58. 
Samml.  Albani  p.  53.  65.  94. 

—  Borghese  p.  55.  59.  83. 

—  Camuccini  p.  54.  67. 

—  Cavaceppi  p.  59.  63.  83 

—  Chablais  p.  90. 

—  Chigi  p.  52. 

—  Colonna  p.  86. 

—  Giustiniani  p.  54.  59    67    68. 

—  Ludovisi  p.  52. 

—  Massimi  p.  59. 

—  Pamfili  p.  59.  67.  85. 
Torlonia  p.  52.  53.  55    59    85 

—  Valentioi  p.  52.  59. 
in  Syrakus  p.  53. 

—  Venedig  p.  54.  59.  63.  66. 

d    in  Silber  p.  95. 

e.  Terracotten  p.  52.  87. 
Aphroditen-Köpfe  p.  71. 
—Reliefs  p.  65.  66.  67.  77.  87.  97. 

—  Glasgefäss  p.  95. 
— Münzen  p.  64. 

— Steine,  geschnittene  p.  88.  95. 
— Vasenbilder  p.  94. 
— Gemälde  p.  76.  81 . 
Apollo  Karneios  p.  1  7. 
Ariadne:    Mythus  p.  22.  23. 

—  Cultus  p.  24. 

— Darstellungen  erwähnte  p.  23    28.  34.  36. 

—  —  erhaltene : 

—  —  Gemälde  p.  24.  27  f.  29.  36    37. 

—  —  Münzen  p    27. 

^-         —  Reliefs  p.  24.  26.  40. 

—  —  Statuen  p.  25.  28  f.  37. 

—  Steine  geschnittene  p.  27.  39. 

—  —  Vasenbilcfer  p.  23. 
Atlanten  p.  14.  15. 

Bithynische  Städlemünzen  p.  64.  80  f. 
Daedalos  aus  Sikyon  p.  78.  79. 

—  —  Bithynien  p.  78.  79. 

Delphin  p.  61.  62.  63. 
Eroten  p.  6.  7.  44.  65.  66.  67. 
Erotische  Scenen  p.  4. 
Grabreliefs  p.  41.  42.  45. 
Griffe  an  Gefässen  p.  10. 

—    an  Spiegeln  p.  11  ff.  97. 
Herakles  p.  2.  4.  5. 


100 


Hermaphrodit  p.  12.  39. 
Hermes  Kriophoros  p.  15. 
—        des  Kalamis  p.  16. 
Inschriften  p.  3.  95. 
Kopf  männlicher  p.  3. 
Livia  p.  3. 
Monogissa  p.  79. 
Muse  p.  43. 
Nikaea  p    80. 
Nikomedia  p.  79. 
Phryne  p.  76. 
Prusa  p.  80. 
Psychetorso  p.  9t . 
Sappho  p.  42. 
Satyrn  p.  6. 
Schiff  p.  6. 

Vasen,  griechische  p.  4  -7. 
Wasservogel  p.  44.  67. 
Widder  p.  16. 
Zeus  Stratios  p.  79. 


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Stark,    über  Antiken  in  dem  Museum  Meermanno-Westreeuianum 

im  Haag 1 

Derselbe,  über  unedirte  Venusstatuen  und  das  Venusideal  seit  Pra- 
xiteles       46 


Druck  von  Breitkopf  und  Härtel  in  Leipzij