BERICHTE
ÜBER DIE
VERHANDLUNGEN
DER KÖNIGLICH SÄCHSISCHEN
GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN
ZU LEIPZIG
PHILOLOGISCH-HISTORISCHE KLASSE:
EINUNDSECHZIGSTER BAND.
1909.
MIT EINER TAFEL.
vir
LEIPZIG
BEI B. G. TEÜBNER,
A5
182,
-62
INHALT.
Heft Seite
I Richard Meister, Beiträge zur griechischen Epigraphik und
Dialektologie VII. Zwei kyprische Inschriften. Mit einer Tafel 3
II Wilhelm Heinrich Röscher, Die Tessarakontaden und Tessara-
kontadenlehren der Griechen und anderer Völker. Ein Bei-
trag zur vergleichenden Religionswissenschaft, Volkskunde
und Zahlenmystik sowie zur Geschichte der Medizin und
Biologie '?
III Georg Heinrici, Nekrolog auf Max Heinze, gesprochen in der
öffentlichen Gesamtsitzung beider Klassen am 14. November 1909 209
Verzeichnis der Mitglieder der Königlich Sächsischen Gesellschaft
der Wissenschaften
Verzeichnis der eingegangenen Schriften VII
SITZUNG VOM 30. JANUAR 1909.
Für den Jubiläumsband melden Abhandlungen an
Herr Partsch über Des Aristoteles Buch „Über das Steigen des
NTil",
Herr Sirvers Zur Technik der Wortstellung in den Kddaliedern,
Herr Leskien Zur Kritik des altkirchenslavischen Codex Supra-
sliensis.
SITZUNG VOM 1. MAI 1909.
Herr Heinze jun. kündigt für die „Berichte" eine Abhandlung über
Tertullians Apologeticuni an.
HeiT Meister spricht über zwei neue kyprische Inschriften, für die
„Berichte".
Herr Wilcken meldet für den Jubelband eine Abhandlung über den
Alexandrinischen Antisemitismus an.
Es wird beschlossen, für den Druck eines Buches des Herrn
Professor Eulenburg über die Universität Leipzig bis zu 1500 Mark
aus der Mende - Stiftung zu bewilligen.
GEMEINSAME SITZUNG BEIDER KLASSEN
AM 24. MAI 1909.
In der öffentlichen Sitzung hielt Herr Schmarsow einen Vor-
trag über einen Gründer des Barockstiles, für die „Abhandlungen".
In einer darauffolgenden nichtöffentlichen Sitzung wurden Herr
Geheimer Kirchenrat Professor D. Dr. Heinrici und Herr Professor
Dr. Stumme zu ordentlichen Mitgliedern der philologisch-historischen
Klasse gewählt.
Phil .-bist Klasse 1909. Bd. LXI.
SITZUNG VOM i. MAI 1909.
Beiträge zur griechischen Epigraphik und
Dialektologie VII.
Zwei kyprische Inschriften.
Von
Richard Meister.
Mit einer Tafel.
Die beiden kyprischen Inschriften, die ich im Folgenden
behandle, sind bei den Ausgrabungen, die 1890 aus den Mit-
teln des Cyprus Exploration Fund von den Herren J. Arthur
R. Munro und H. A. Tubbs veranstaltet worden sind, ge-
funden worden. Die erste von ihnen (Tafel I, nr. 1. 2.) steht
auf einem roh behauenen Stein, der die Form eines kurzen
vierseitigen Pfeilers hat. Er wurde in einem Feld in der
Gegend von Salamis entdeckt. Jetzt befindet er sich im Bri-
tischen Museum. Er ist ca. 37 cm hoch, ca. 21 cm breit und
ca. 12 cm dick, und trägt auf drei Seiten kyprische Zeichen.
Abgebildet ist die Inschrift von Tubbs, Journal of Hellenic
Studies 12 [1891] S. 192 nr. 46. Ich besitze einen wohlgelun-
genen Papierabklatsch durch die Freundlichkeit des Herrn
Arthur H. Smith und außerdem Photographien der drei be-
schriebenen Seiten des Steins, die Herr F. Anderson im Bri-
tischen Museum für mich hat herstellen lassen. Beiden Herren
spreche ich für ihre bereitwillige Unterstützung meinen ver-
bindlichsten Dank aus. Auf Tafel I habe ich die Photogra-
phien kopieren lassen (nr. 1) und das von Tubbs a. 0. ge-
gebene Faksimile hinzugefügt (nr. 2).
Richard Meister:
Die Zeichen hat Herr Tubbs a. 0. so gedeutet:
nr o'
se'
se'
?
si'
mi'
ci-
to-
si-
be-
sä
n\- s%-
?
r'r se-
Über die Lesung der Inschrift urteilt er: 'we have the Option
of reading t'rora right to left, or vice versa, or ßovötQocpriSov.
Unfortunately no way produces a satisfactory result and I
can only suggest that the fourth face was inscribed, that the
record commences with it and runs all round the stone from
left to right. The result will be something to this effect:
f\ %0B [IL Tb)
EVQIS?
%a]g pi ke'[
] GiaGcc [ . . .
The last line is probably part of an aorist.'
Richtig ist daran, daß die Inschrift von links nach rechts
o-eht. Richtig ist ferner, daß sich die Zeilen um den Stein
herumziehen. Aber nur um drei Seiten des Steins; die vierte,
die keine Schriftspuren zeigt, ist auch niemals beschrieben
o-ewesen. Von den Zeichen hat Herr Tubbs mehrere falsch
gedeutet. Außer den von ihm angegebenen Zeichen ist nach
der Photographie und dem Abklatsch in der vierten Zeile am
Anfang der dritten Seite der Rest eines ka- zu erkennen. Ich
o-ebe wie üblich die deutlichen Zeichen in kursiver, die un-
deutlichen in stehender Schrift wieder.
ni' ka~
po# se-
ka-
Die untere Hälfte der dritten Seite ist durch Bruch und Ab-
splitterung so beschädigt, daß außer dem ka' am Anfang der
ka'
ri' no-
to-
te-
o' se'
ka
c
mr
ke~
ka-
a-
sa
Beiträge zur griechischen Epiuraphik u. Dialektologie VII. 5
vierten Zeile kein Zeichen mehr erkenntlich ist; verloren ge-
gangen sind in der dritten Zeile 2 oder 3 Zeichen, in der
vierten 1 oder 2 Zeichen. Ich umschreibe und ergänze:
Xuqlvco tö Ntxd{y)-
&eog xä%6g
f][ii xs^vsfbg]
xä äöxa[cpog].
Die Eigennamen lehren nichts Neues. XuQivog ist allgemein
bekannt. Nixciv%-t]g ist bei Fick-Bechtel S. 61 aus Kos be-
legt; der erste Bestandteil Nixa- ist in Kypros häufig (vgl.
NixoxX&rjg Palaipaphos GDI. 40 [Hoffm. 105]; Verf., Gr. Dial.
II 179 nr. 3611 [102]; nr. $6h [101], Nixoläfco Verf., Gr. Dial. II
S. IX [178], NCxcc Marion- Arsinoe Verf., Gr. Dial. II 176 nr.
25n [87], Nixa- ebd. 178 nr. 25aa); der zweite Bestandteil
-dvd-rjg ist für den Fundort Salamis durch den Namen des
salaminischen Königs Euanthes belegt. Der Gebrauch der
ersten Person, in der der xünog sich selbst als Eigentum des
XccQlvog bezeichnet, ist epigraphisch wohl bekannt und in
Kypros ganz besonders heimisch. Die Weihgeschenke sagen,
daß sie das Eigentum des Gottes sind (Chytroi GDI. 1 [59];
2 [60]; 3 [61]; 4 [62]; Verf., Gr. Dial. II 168 nr. i4a [65];
nr. 1415 [66]; 169 nr. 14° [67]); die Grabsteine sprechen ge-
wöhnlich in der ersten Person, z. B.: cich bin (der Grabstein)
des Timovanax' (s. die Inschrift auf S. 8); Skarabäen (Sala-
mis GDI. 128 [131]), Vasen (Verf., Gr. Dial. II S. IX [178])
erklären, daß sie dem und dem gehören, usw. x&xog ent-
spricht etymologisch dem deutschen Wort Hufe und bedeutet
ursprünglich ein Grundstück, auch wenn es nicht mit Nutz-
oder Zierpflanzen bebaut sondern ganz unbepfianzt ist, z. B.
bei Pindar Ol. 3, 24 den leeren baumlosen Platz in Olympia,
der den Kampfspielen dienen sollte (aXX ov xalä öevÖQS
ifrallev %&>Qog ev ßdööaig KqovCov üeXozog' xovxav edo$ev
yvuvbg uvtä xänog 6£,siaig v7tccxoveusv avycclg äsXiov). Diese
ursprüngliche Bedeutung Hufe hat der kyprische Dialekt fest-
gehalten. In der großen Inschrift von Edalion werden drei
6 Richard Meister:
Grundstücke dem Arzt Onasilos und seinen Brüdern vom
König Onasikypros und der Stadtgemeinde von Edalion über-
wiesen anstatt der Bezahlung für geleistete Dienste. Sie
werden mit den Wörtern %&Qog Z. 8 und Z. 18 == %a Z. 24 und
x&itog Z. 20 bezeichnet, die keine wesentlich verschiedene Be-
deutung haben; denn dasselbe Grundstück, das Z. 18 %6)Qog
heißt, wird Z. 24 als £a angeführt und alle drei werden Z. 30
als t,ai xäg x&Jtoi zusammengefaßt. Lehrreich für die Be-
deutung des Wortes zänog ist der Relativsatz Z. 2 1 . Die
ganze Stelle lautet so: rj ögjxol vv ßaöiXzvg xccg ä 71x6hg
'OvaöCXcot, .... xäg rb{y) xänov xbv t(v) £i[i(fi)idog ccqovqcci,
tö difelfreyLig 6 'AQjxavsvg r\%E alfa, xb(v) tioe%6^evov
rtbg IIccöccyÖQccv xbv 'OvccöccyÖQctv xäg xä xqe%vi)cc xä ejii6(v)xcc
itd(v)xa £%sv TcavcovCcog vfaug t,äv axsMjcc C6(v)tcc. Die üb-
liche Umschreibung xb(v) ^Ji^sid-s^tg . . i}%s ahFo(y) wider-
spricht den Regeln der kyprischen Silbenschrift, nach denen
schließendes -v nur bei enger Zusammengehörigkeit mit dem
folgenden Worte unausgedrückt bleibt, während hier zwischen
dem Relativpronomen und dem folgenden Eigennamen tdifeC&e-
[iig keine Zusammengehörigkeit stattfindet und mit alfa der Satz
abschließt. Zu umschreiben ist vielmehr xcö &X\Fca und
das sind Genetive. Die Bedenken Hoffmanns wegen des
Gebrauchs von Genetivformen auf -ra in der Inschrift neben
solchen auf -cov hat schon Solmsen, Untersuchungen zur gr.
Laut- und Verslehre S. 1 10 Anm. zerstreut. Es fragt sich ledig-
lich, wie diese überlieferten Genetivformeu syntaktisch aufzu-
fassen sind. Einen früheren Erklärungsversuch (Gr. Dial. II
153 f.) aufgebend erkläre ich xä als partitiven, von r)%e ab-
hängigen Genetiv, dem das Prädikatsnomen uXS-a in gleichem
Kasus folgt: xä Ji^sCdsfiig . . y}%£ äkfa 'den (zum Teil) Divei-
themis als Garten hatte'; in rj%e xäncs 'er hatte von der Hufe
(einen Teil)' oder (er hatte die Hufe (zum Teil)' liegt der-
selbe Gebrauch des adverbalen partitiven Genetivs vor wie in
TtiVElV XOV OtVOV, XE^lVEll' T^g J^£, Ictßslv XOV 6XQCCX0V, TlKÖ-
6Eiv akog, e%eiv iiavxLxijg Te%vr)g usw. (vgl. Ki'tiner-Gerth
I 345); un(i die Anfügung des Prädikatsnomens im Genetiv
Beiträge zur griechischen Epigraphen u. Dialektolokik VII. 7
ist in reo i]%£ uXtco genau dieselbe wie z. B. in 6ov hv%ov
fpi'Xov. Es hatte also von der betreffenden, zum Königsland
gehörigen und dem Onasilos überwiesenen Hufe Diveithemis,
der sie wahrscheinlich bis dahin in Pacht gehabt hatte, einen
Teil durch Bearbeitung und Bepflanzung zum Garten gemacht
und als Garten bewirtschaftet, wodurch der Wert dieses Teils
der Hufe gestiegen war. Daß kyprisch ciXJ-ov gleich dem
attischen xrptog 'Garten' bedeutet, lehrt uns die Hesychglosse
äXova' jcTJjrot, zu der bereits Ruhnken das der folgenden
Glosse in der Handschrift fälschlich beigefügte Ethnikon
Kvtlqiol richtig bezogen hatte. Über die Etymologie von
ahfov und über das lautliche Verhältnis von kypr. uXfov und
äXovov zu hom. aXa^f)^ und att. aXag vgl. Solmsen, Unter-
suchungen S. 109 ff.; Brugmann, Grdr. II2 1, 211. Die be-
handelte Stelle der edalischen Bronzetafel lehrt uns aber auch
den Schluß unserer Steininschrift, so wie ich ihn nach den
erhaltenen Resten ergänze, richtig verstehen. Diveithemis
hatte eine Hufe Königsland gepachtet und einen Teil von ihr
zum Garten gemacht. Ob er für die zur Meliorisierung des
Grundstücks gemachten Aufwendungen und für seine Ein-
setzung von Bäumen, Reben, Pflanzen bei Lösung des Pacht-
vertrages Anspruch auf Entschädigung, Abkauf oder Rück-
nahme erheben konnte, wissen wir nicht, da wir den Wort-
laut des Vertrags, den er mit König und Gemeinde von Eda-
lion geschlossen hatte, nicht kennen; es wurde aber trotz der
Knappheit des Urkundenstils doch für wichtig gehalten zu
konstatieren, daß der xütcoc, (xsvsfbg y.ä aöxacpog) zwar das
Eigentum des Königs und der Gemeinde, die Umwandlung
eines Teils desselben in einen Garten aber das Werk des
Diveithemis gewesen war. Ahnliche Verhältnisse haben viel-
leicht zur Setzung unseres Steins und zur Hinzufügung der
zur genaueren Bestimmung dienenden Adjektiva xelvefbg] xa
äöxu[(pos] geführt. Wenn Charinos sein leeres und unkulti-
viertes Areal verpachtet, der Pächter es aber kultiviert und
zum Nutzland gemacht hatte, so konnte es in beider Interesse
liegen, die Tatsache nicht in Vergessenheit geraten zu lassen,
8 Richard Meister:
daß der x&nog zwar das Eigentum des Charinos war, dieses
Eigentumsrecht sich aber nur auf den xüTtog xevefbg xä
äöxacpog bezog. — Mit der Form xä cund' in xä a<3xa\<pog]
vgl. xä ä(v)rC Edalion GDI. 6o5 [Hoffm. 135].
Die zweite Inschrift (Tafel I, nr. 3) fand Herr J. Arthur
R. Munro in einem der zahlreichen Gräber bei dem heutigen
Orte Poli tis Chrysochou an der Stelle der alten Stadt Marion,
der Ptolemaios II zu Ehren seiner Gattin und Schwester den
Namen Arsinoe gab. Veröffentlicht ist sie mit einem Faksi-
mile im Journal of Hellenic Studies 12 [1891] S. 320 von
ihrem Entdecker, dem ich auch einen Papierabklatsch und
eine Photographie nach einem gefärbten Abklatsch verdanke.
Sie befindet sich jetzt ebenfalls im Britischen Museum.
Herr Munro hat a. 0. die Inschrift so umschrieben:
ti' mo' va' na' ko~ to' se1 to' ü' ma~ ?• ?■ e' mi'
Ti^ioJ-dvaxrog reo Tipa . . . r^it.
Die angegebenen Zeichen sind alle richtig gelesen; über-
sehen ist nur der Strichdivisor vor rjui, den der Abklatsch
erkennen läßt. Die zwei Zeichen, an deren Stelle Herr Munro
Fragezeichen gesetzt hat, sind ganz zweifellos se~ w. Daß
das zweite ein w ist, hat auch Herr Munro sofort erkannt;
er glaubte aber von dieser Lesung aus grammatischen Gründen
absehen zu müssen. Von dem ersten Zeichen sagt er, es
könne sem oder Jce' sein; aber Abklatsch, Photographie und
Faksimile zeigen ein sicheres se-; lee' ist ausgeschlossen.
Meine Lesung se' w hat jetzt auch Herr Munro brieflich als
richtig anerkannt. Wir stehen also der Tatsache gegenüber,
daß hier ein Genetiv ti' nw sß' w Ttnäöev (oder -rjv) auf
dem Stein überliefert ist und haben uns nach der Erklärung
dieser Form umzusehn.
Ich meine, es liegt in ihr der Genetiv eines Kurznamens
Ti^iäörjg1) vor, der sich den bekannten vom Namensstamm
Ti^iäö- TifiäöL- abgeleiteten Kurznamen wie Ti^iaöicov TtfirjöCag
1) Da eine Regel über die Betonung dieser Kurznainen auf -r}(g)
nicht bekannt ist, so lasse ich sie ohne Akzentbezeichnuug.
Beiträge zur griechischen Epigraphik u. Dialektologie VII. o
Ttfiijöiog (Fick-Bechtel 268) anreiht, gebildet mit dem For-
mans -7]- wie z. B. kyprisch &aXr]g Vase aus Ketion in der
New- Yorker Cesnola-Sammlung Hall, Journal of the American
Oriental Society 11 [1885] S. 236 nr. 14 [Hoffm. 126], lesbisch
4irjs, Zarjg, Je(3%i]g, Nnigri (Alkaios 1 44), böotisch 0aXXet und
0aXXsig, <PiXXei und ®oXXsig, Mevvei und Meveig, TltcoiXXei,
und nrcoiXXeig, ionisch QocXrjg, I2vfh}g, \4Qi6x\]g usw. Diese
Kurznamen auf -rj(g) stehen selbständig und unabhängig neben
den Kurznamen auf -äg, wie z. B. Mijväg, Myrgäg, 'Exaräg,
ZcoTtäg, <dätiäg, Ilvfrag, zlrj^ioöd-äg, 'EQpoyäg usw. Das -?;- der
einen ist nicht etwa 'ionisch', das -ä- der andern nicht etwa
fäolisch-dorisch', denn sie sind in den äolischen und dorischen
Dialekten ebenso beide nebeneinander üblich wie in den ioni-
schen Dialekten. So stehen z. B. in der Inschrift von Erythrä
GDI. 5692 nebeneinander !AQiörrjg a 5. 21, (piXiöxrig a 13 und
'Exaxäg a 23. 42, MrjTQäg b 8, ÜQ^äg b 1 1, Zconäg c 27. Im
ionischen Dialekt perispomeniert man die Kurznamen auf -vg
gewöhnlich, so wie nach Herodian II 859, 17 die auf -äg peri-
spomeniert wurden, und man erklärt diese wie jene Endung
gewöhnlich für kontrahiert aus der längeren Endung -sCäg.
So heißt es z. B. bei Fick-Bechtel, Personennamen S. 25:
'Aus nag wird g'ag, ionisch stjg und dies attisch zu äg, ionisch
zu i\g kontrahiert, so daß also Reihen wie Ja^sCccg, ziafisag
ionisch Jr^ierig, zJrjfiäg ionisch z/f^t% entstehen, ein Vorgang,
der so häufig ist, daß es nicht nötig ist, weitere Beispiele zu
häufen.' Darnach würden z. B. in der eben angeführten ery-
thräischen Inschrift die Namen ' AQi<5xy)g und Q>iXi<5vt]g ionisch
und die Namen f Exaräg, MrjtQäg, ÜQ^ßg, Zanäg attisch sein,
obwohl TlQyfeüg im Stamm ionisches ij hat, in der thasischen
Inschrift GDI. 5469 würden die Namen dr^g und <PiXrr]g
ionisch, die Namen 'Hgöcg und Ilvfrccg attisch sein usw. Aber
wenn man auch zugeben wollte, daß im ionischen Dialekte
die Kurznamenendung -77g aus -stäg (: -säg : -srjg : -fjg) durch
Kontraktion entstanden sei, wie soll man dieselbe Kurz-
namenendung in anderen Dialekten erklären, in denen die
Annahme einer Kontraktion von -sä- zu -?;- durch die Dialekt-
io Eichard Meister:
regeln ausgeschlossen ist? Arkadische Kurznanien wie n.avr\g
(Lusoi, Osten- . Jahresh. 4, 77 ff. nr. 1 2), kyprische wie &altjg(s. o.),
lesbische wie Ai^g (z. B. Mytil. IG. XII 2, 35 bt5), thessalische wie
Mevvsig (Pharsalos IG. IX 2, 234^), böotische wie &alleig (The-
ben IG. VII 2 466J oder ®akXet (Tanagra IG. VII 538I2) können
ihr -rj- (: -ei-) nicht durch Kontraktion aus -sä- erhalten haben,
wenn sich auch z. ß. neben dem arkadischen Namen Ilavrjg
ein megarischer Tlavsag (Megara GDI. 3025^), neben dem thes-
salischen Msvvsig ein thessalischer Mevveag (Krannon IG. IX
2> 5*763) nachweisen läßt. Die in allen fünf äolischen Dia-
lekten vorkommenden, nach einem uralten Typus gebildeten
Kurznamen auf -rj(g) lassen sich nicht als kontrahiert sondern
lediglich als -7/-Stämme auffassen, wie das für die böotischen
Kurznamen auf -si bereits Bechtel (GGN. 1886, S. 378;
Fick-Bechtel, Personennamen S. 2^) ausgesprochen hat.
Können wir aber die ionischen von ihnen trennen, wie dies
Bechtel tut? Können wir sagen, kyprisch (faltig und böo-
tisch (Etallsig (OaHa) sind -^-Stämme, aber ionisch Saliqg
ist aus *®uX£iäg: *0aXsag: *©aXs7jg kontrahiert? Ist es
nicht derselbe Name, der in den drei Dialekten vorliegt, im
Böotischen mit der bei diesen Kurznamen so häufigen Kon-
sonantengemination? Gibt es irgend einen Grund, der uns
nötigte, ion. Scdrjg für kontrahiert zu halten? Ich wüßte
keinen zu nennen. Bei Herodot kommen ja Namen auf -srjg
vor: 'AQLötsrjg, üvd'srjg, Kivsrjg, KeXetjg, aber auch bei ihm
nur ©alfig, ©alrjv, &akf\ (Hoffmann, Griech. Dial. III 471).
Die ionischen Inschriften aber kennen solche Namen auf -srjg
ebensowenig wie die ionischen Lyriker, Fritsch korrigiert
sie in seiner Herodotausgabe, Hoffmann a. 0. bezweifelt
wenigstens ihre Existenz im ionischen Dialekt. Und selbst
wenn die Herodotüberlieferung Glauben verdienen sollte und
ionische Namen auf -drjg existierten, so würde aus ihrer
Existenz ebensowenig gefolgert werden dürfen, daß z. ß. &aXr]g
aus *@aXsrjg oder 'AQiGtrjg aus LdQiöterjg durch Kontraktion
entstanden wäre, wie aus der Existenz des megarischen
Namens Ilavsag gefolgert werden durfte, daß der arkadische
Beiträge zur griechischen Epigraphik u. Dialektologie VII. i i
Namen Tlcivyg aus fluvs'ag kontrahiert sei. Man darf also
nicht behaupten: cDie Betonung <PiXtvvf}g wird durch OiXiv-
vtag in Halasarna (GDI. 3706 III?) gefordert' (BECHTEL zu
GDI. 5496). Es entsprechen vielmehr die ionischen Kurz-
namen auf -tvvrjg und -aXXr]g wie 0LXivvrig (Milet GDI. 5496^),
Ilvd-ivvrjg (ixl Ilvfi-ivveco Münzlegende von Abdera GDI.
5644, 21), MtxaXfajg (Thasos GDI. 5482 a12) den äolischen
Kurznamen auf -tj (: -sc) und -yg (: -sig), wie böot. Mevvei,
jElsvvsi, &alla und ®aXXeig, KsyctXXei und KeyaXXsig, /Ztco-
i'XXei und Iltco'CXXtLg, KvdiXXtt, EiQcoi'XXei, thessal. Mtvveig
usw., und der milesische Name OtXivvi]g verhält sich zu dem
halasarnischen ffriXivvwg genau so wie thess. Mevvetg
zu thess. Mevveag, arkad. Ilccvijg zu megar. Tlavtag usw.
Wenn ein Deszendenzverhältnis zwischen diesen beiden For-
mantien auf -i](g) und -säg überhaupt besteht, so kann nur
das zweite durch Weiterbildung mit dem -ä-Formans aus dem
ersten hervorgegangen, also Mevveäg aus Mevvrj, Isjsvvdäg aus
Eewr}, <biXX£üg aus 0iXXrj entstanden sein. — Ich bin mit
Bechtel (GGA. 1886, S. 3 7 8 f.) und anderen der Meinung,
daß sich nicht nur innerhalb der Kurznamen auf -rj(_g) Reste
alter e-Stämme (Brugmann, Grdr. II2, 1,2 20 ff.) erhalten haben,
sondern daß wir auch noch aus anderen Spuren in den grie-
chischen Dialekten alte e-Stämme erschließen können. In Ar-
kadien sind es z. B. die Formen: yovlg Gottesurteil von Man-
tineia Bull, de corr. hell. 16 [1892], S. 569fr. [J. BAUNACK, Be-
richte der Sachs. Ges. d. Wiss. 1893, S. 94 f.; B. Keil, GGN.
*895, S. 37of.], Z. 26. 30. 36; Akk. JhsqIv Tempelrecht von
Alea Bull, de corr. hell. 13 [1889], S. 281 ff. [Solmsen. Inscr.
sei.2 1], Z. 1 ; [CjeQqg Tegea Bull, de corr. hell. 17 [1893], S. 17
nr. 21 Z 15 i£Q7jg Tegea GDI. 1231 [Hoffm. 33], B33, Cj. ,9. -0;
ygatprig Tegea GDI. 1230 [Hoffm. 32 |, Z. 7; in arkadischen
Inschriften, die bereits die achäiscb-dorische Koine zeigen:
[y]Qct(pr]g Tegea GDI. 1236, ictQr]g Tegea GDI. 1235. In Ky-
pros: iJ£Qr]g Neu-Paphos GDI. 33 [Hoffm. 100]. Im epischen
Dialekt: 'Agr^ Akk.'AQrjv E 909, Hesiod Schild 59. 333. 425.
457, Dat. "Aq\\ (Var. Aqsl) E 757. 0 112. 431, Gen. "Iqlco
12 Richard Meister:
Archil. 48; Akk. ßgaß-qv Epigramm bei Demosth. de cor. p.
289, 4 (ßQdßyv alle Handschriften, ßgaßr) die Herausgeber
seit Schneider). Früher (Gr. Dial. II 110. 272) war ich der
Meinung, diese Nomina auf -rjg seien Neubildungen (vgl.
Brugmänn, Gr. Gr.3 185) nach Analogie der £<?-Stämme, aber
dieser Erklärung fügen sich nicht die Akkusative auf -rjv, wie
huQev, ßQaßtjv, 'AQy\v. Ferner treffen wir auch in Ableitungen
diese ^-Stämme an, wie z. B. den Stamm UQrj-, lesb. ion! tyr}-
in dem lesbischen Iq^tevsl Eresos IG. XII 2, 527, Z. 45 u. ö.
und in der Hesychglosse Iq^teqw Ieqeicc, ■9-urtg, die M. Schmidt
nach Musurus in die ionische Form iQrjre^Qci korrigiert hat,
während sie ohne Veränderung als lesbisch für iQrjtsQ^cc
mit vereinfachter Geminatenschreibung (Verf., Gr. Dial. 1 137 ff.)
aufzufassen ist.
Aber ich habe nicht die Absicht eine Untersuchung der
im Griechischen überhaupt noch vorhandenen Reste alter
e- Stämme anzustellen. Auch das Schicksal der Kurznamen
auf -rj(g) und ihren Übergang in andere Deklinationsklassen
will ich hier nicht verfolgen. Daß ich die böotischen auf
-ei(g) nicht mehr (wie in den Berichten 1 904, S. 3 1 f.) mit
J. Schmidt und Kretschmer als alte ^-Stämme betrachte,
habe ich schon bemerkt. Mir kam es nur darauf an zu
zeigen, daß die ionischen Kurznamen auf -rjg: &ccXrjg, Ilvd-r}g,
'Jxsöxrjg, 'AQitixrig usw. ebenso mit dem Formans -rj- gebildet
sind, wie die in den übrigen, vor allem in den äolischen
Dialekten vorkommenden Kurznamen auf -r\ (sl) und -rjg
(-£ig) wie z. B. böot. SaXXsi und GccXXeig, thessal. Mevveig,
lesb. z/ttjg, arkad. Ilavrjg, kypr. Ti^iäörjg. Und wie die
Bildung von kypr. Ti^iäörjg zu vergleichen ist mit der z. B.
von ion. 'jQiötrjg, so scheint auch die Flexion von kypr.
Tt^iäörjg Tl^luösv (oder -rjv) vergleichbar der von "ÄQiötrjg
'Aqlöxev Erythrä GDI. 5692 a Z. 21, (AxEörrjg) lAxaötev ebd.
b Z. 35, (Ilv&rjg) Ilv&sv ebd. c Z. 35, Smyrna GDI. 5OI025,
(&aXrjg) QctXev Smyrna ebd. 26. Leider lassen die kyprischen
Zeichen ti' ma~ se~ w die Frage offen, ob der Genetiv Ti^iüöev
oder TL[iä6)jv gelautet hat. Da nun bei den Genetiven der
Beiträge zur griechischen Epigraphik u. Dialektologie VII. 1 3
männlichen -«-Stämme auf -av aus -uo im kyprischen (wie im
arkadischen und pamphyli sehen) Dialekt dieselbe Ungewißheit
iubetreff der Messung des -a- besteht, so haben wir, wie es
scheint, kein Mittel, um sicher zu entscheiden, ob die männ-
lichen -17-Stämme wie Tifiääiqg in der kyprischen Genetiv-
endung ihr stammhaftes -tj- vor folgendem Vokal verkürzt
(* Ti{iüöto) oder erhalten (* Tinäöijo) haben. * Ti^iüöso (oder
-7}o) ist mit derselben Verdumpfung des schließenden -o zu
Tt^äöav (oder -yv) geworden wie die Genetivendung der
männlichen -«-Stämme zu -av (oder -av) geworden ist.
Druckfertig erklart 18. VI. 1909.]
Tafel 1.
i. Inschrift aus Salamis nach der Photographie.
k
'HS
Inschrift aus Salamis nach dem Faksimile in dem Journal
of Hellenic Studies XII i 12.
W» Y.YÜ'pFfTWM^
5. Grabinschrift aus Marion-Arsinoe uach dem Faksimile
in dem Journal of Hellenic Studios XII
Phü.-hist. Kl. 1 . Bd. LXI.
'5
SITZUNG VOM 10. JULI 1909.
Herr Heinrici meldet für den Jubelband eine Abhandlung über die
patristischen Aporien an.
Es wird beschlossen, die muhammedanische Enzyklopädie für
weitere drei Jahre mit jährlich 500 Mark aus dem Klassenfonds,
ein Werk des Herrn Stieda über die deutsche Fayence - Industrie
im 18. Jahrh. aus der Meude-Stiftung mit 2000 Mark, zu verteilen
auf die Jahre 19 10 und 191 1, zu unterstützen.
SITZUNG VOM 1. MAI 1909.
Phil.-hUt. Klasse 1909. Bd. LX!
DIE TESSARAKONTADEN UND
TESSARAKONTADENLEHREN DEE
GRIECHEN UND ANDERES VÖLKER
EIN BEITRAG ZUR VERGLEICHENDEN RELIGIONS-
WISSENSCHAFT, VOLKSKUNDE UND ZAHLENMYSTIK
SOWIE ZUR GESCHICHTE DER MEDIZIN
UND BIOLOGIE
VON
WILHELM HEINRICH RÖSCHER
HEFT II DES 61. BANDES DER BERICHTE
DER PHILOLOGISCH-HISTORISCHEN KLASSE DER KÖNIGLICH SÄCHSISCHEN
GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG
'Nihil humani a me alienum puto.'
fEs sind viele . . . biblische Stellen des alten wie
des neuen Bundes, letztere wohl meistens be-
wußte Nachahmungen der ersteren, durch die
Annahme zu erklären, die in ihnen vorkommende
Zahl 40 sei eine unbestimmte Vielheit. Wie
aber die 40 zu dieser Rolle kam, und zwar in
ältester Zeit kam, denn es sind gerade die ältesten
Bibelstellen, welche ein unbestimmtes 40 benutzen,
das ist heute nicht bekannt.'
Cantok, Vorles. über Gesch. d. Mathematik.3 (1907) I S. 34.
MEINEN VEREHRTEN UND BEWÄHRTEN FREUNDEN
Dr KONRAD SEELIGER
KOL. SACHS. GEH. SCHULRAT, KOMTHÜR USW.
N. G. POLITIS
REKTOR DER UNIVERSITÄT ATHEN
VORSITZENDEM DER GESELLSCH. F. HELLEN. VOLKSKUNDE IN ATEM USW.
UND
D. De AUGUST WUENSCHE
PROF. EM. IN DRESDEN
ZUGEEIGNET
21
Vorwort.
Über Aufgabe und Methode der nachstehenden Abhandlung
(= Abh. II) über 'die Tessarakontaden und Tessarakontaden-
lehren der Griechen und anderer Völker', die zu der un-
mittelbar vorausgegangenen Studie über fdie Zahl 40 im
Glauben, Brauch und Schrifttum der Semiten' (= Abh. I)
die notwendige Fortsetzung und Ergänzung bilde!, habe ich
mich bereits im Vorwort zu der letzteren zur Genüge aus-
gesprochen. Ich wiederhole hier, daß ich nach Vollendung
meiner enneadischen und hebdomadischen Studien1), bei denen
ich fortwährend aufzahlreiche bedeutungsvolle Tessarakontaden2)
stieß, schließlich den Wunsch und das Bedürfnis empfand,
mit Hilfe der bei meinen früheren Arbeiten ausgebildeten
Methode nunmehr auch hinsichtlich der Vierzig möglichst
abschließende Ergebnisse zu gewinnen und mir vor allem
über den Umfang ihres Herrschaftsgebietes sowie über die
eigentlichen Gründe ihrer so hervorragenden Bedeutung klar
zu werden. Nachdem ich nun zu diesem Zwecke eine ge-
nügende Fülle von einschlägigem Material aus den Literaturen
1) Vgl. Die entiead. u. hebd. Fristen und Wochen der ältesten
Griechen 1903; Die Sieben- und Neunzahl im Kultus und Mythus der
Griechen 1904; Die Hebdomadenlehren der griech. Philosophen und
Arzte, ein Beitrag z. Geschichte der Philosophie u. Medizin 1906; Enne-
adische Studien 1907.
2.) Schon hier mache ich darauf aufmerksam, daß die griechische
40 viel seltener, als man bisher angenommen hat, den Charakter einer
rRundzahl' trägt; in der Regel und von Haus aus ist sie ebenso wie
die 7, die 9, die 10 und 12 zu den ganz bestimmten Zahlen zu rechnen.
Auch die sonstigen 'Rundzablen' sind, soviel ich sehe, ursprünglich
ganz bestimmte Zahlen gewesen, und erst allmählich, hauptsächlich
durch häufigen Gebrauch, zu rRundzahlen' geworden.
22 W. H. Röscher:
der Semiten, Griechen und anderer Völker gesammelt und
geordnet hatte, ergab sich zunächst eine so auffallende Über-
einstimmung der wichtigsten semitischen Stämme (Israeliten,
Araber, Babylonier, Mandäer) hinsichtlich ihrer Tessara-
kontaden untereinander, daß daraus mit ziemlicher Sicherheit
auf gemeinsame bereits in der Periode der semitischen Ur-
sprache gebildete Anschauungen you der Zahl Vierzig und
ihrer Bedeutung geschlossen werden durfte. Als die wichtigsten
Punkte, in denen sich diese Übereinstimmung äußert, hebe
ich folgende hervor.3)
Bei allen uns genauer bekannten semitischen Stämmen
hatte die Zahl 40 von jeher religiöse Bedeutung. Diese
zeigt sich vor allem in der ganz natürlich aus der 4otägi*>;en
oder öwöchigen Dauer der Lochien zu erklärenden 4otägigen
Unreinigkeitsfrist der Wöchnerinnen (nach erfolgter
Entbindung), die sich nicht bloß bei den Israeliten (Abh. I
S. 10 f.), sondern auch bei den den Babyloniern so nahe-
stehenden Mandäern (Abh. I S. g)4) und bei den Arabern
sowie anderen islamischen Völkern (Abh. I S. 27 f.) nachweisen
läßt. Im engsten Zusammenhange damit steht die Berechnung
der überall 280 = 7 x 40 oder 40 x 7 Tage währenden
Normalschwangerschaft nach Tessarakontaden oder Vierzig-
tagfristen, sowie die Anschauung, daß die 40 tägige Frist für
die Entwicklung der Embryonen im Mutterleibe maß-
gebend sei. Wir begegnen dieser Anschauung bei den Israelitin
3) Da es mir durch den Charakter unserer Festschrift zum soojähr.
Jubiläum der Leipziger Universität untersagt war, den mir für meine
Abhandlung über die 40 bei den Semiten gewährten Raum zu über-
schreiten, so benutze ich die hier gebotene Gelegenheit gern dazu,
nunmehr die Hauptresultate meiner bisherigen Vergleichungen der
semitischen Tessarakontaden kurz anzugeben.
4) Ich bin der festen Überzeugung, daß bei weiteren Ausgrabungen
und Entzifferungen assyrischer Literaturdenkmäler sich auch für die
Babylonier eine 40 tägige Unreinigkeitsfrist der Wöchnerinnen heraus-
stellen wird, da ja sonst deren Tessarakontaden mit denen der übrigen
Semiten eine so merkwürdige Übereinstimmung verraten (vgl. Abh. I
S. 5 ff.)-
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 23
(Abb. I S. 13 f.) und Arabern (S. 2g) und dürfen sie im Hin-
blick auf ihre Natürlichkeit und weite Verbreitung (z. B. auch
bei den Griechen!) mit großer Wahrscheinlichkeit auch bei
den Babyloniern und übrigen Semiten voraussetzen.
Eine zweite ebenfalls uralte Unreinigkeitsfrist von 40 Tagen
(Trauerfrist) wird noch heute von den Mandäern (Abh. I
S. 9), den Arabern sowie zahlreichen anderen islamischen
Stämmen (Abh. I S. 31 f.) beim Tode eines Familien-
ffliedes beobachtet. Vielleicht ist auch bei den Juden noch
eine Spur davon erhalten (s. Midrasch Beresch. Rabba zu
Genes. 50, 4; vgl. Abh. I S. 15 f.).
Mit diesen beiden Unreinigkeitsfristen wieder hängt sicher
auf das innigste zusammen eine ebenfalls 4otägige Frist für
Fasten, Bußen (Sühne) und Strafen, welche sich nicht
bloß bei den Babyloniern (I S. 7) sondern auch bei den Juden
(I S. 16 f.) und Arabern (Abh. I S. 33 ff.) nachweisen läßt.
Sogar in die Volksmedizin der Juden (Abh. I S. 15)
und Araber (S. 30), sowie in die Hygiene und Diätetik der
letzteren ist die Vierzigtagefrist eingedrungen, was sich ver-
hältnismäßig leicht aus der namentlich bei den Babyloniern
ausgebildeten Anschauung erklärt, daß die Zahl 40 ein ccQi&uög
taXeLog sei, d. h. einen gewissen Abschluß oder eine gewisse
Vollendung (kissatum), Reinheit, Sühne, Wiederherstellung
normaler Verhältnisse, bewirke (Abh. I S. 7).
Wenn im arabisch -syrischen Kalender von 40 Wind-,
liegen- und Wintertagen die Rede ist (I S. 34m), die —
ähnlich wie bei den Griechen — auch von den Arabern meist
mit gewissen für die Einteilung des Jahres und die Ab-
Grenzum? der Jahreszeiten bedeutungsvollen Phasen der Ple-
jaden in Zusammenhang gebracht werden, so liegt es nahe,
dabei einerseits an die 4otägige Unsichtbarkeit dieses so
wichtigen Sternbildes, anderseits an die 4otägige Sintflut der
jüdischen Legende (I S. 17) und an das 4otägige Wüten der
bösen Dämonen (= Plejaclen?) zu denken, von dem gewisse
astrologische Texte der Babylonier reden (I S. 8).
24 W. H. Roscheu:
Wie ferner aus den 7- und gtägigen Tagfristen die heb-
domadischen und enneadischen Jahrfristen entstanden sind5),
so ist auch aus der Frist von 40 Tagen die von 40 Jahren
hervorgegangen. Wir finden eine solche bei allen uns be-
DO O
kannten semitischen Stämmen, den Babyloniern (S. 7), Mandäern
(S. 9), den Israeliten (S. 18 ff.), Aithiopiern, Phöniziern (S. 20)
und Arabern (S. 40 ff.), vorzugsweise in der Bedeutung von
einer yavaa (oder coc^iij) und können zugleich die Beobachtung
machen, daß fast sämtliche genannten Völker eine höchste
normale Lebensdauer von 3x40= 120 Jahren annehmen.6)
Solche ysvsuC von je 40 Jahren spielen in der Sagengeschichte
der Babylonier (I S. 7) und Juden (S. 22 ff.), sowie in der
Eschatologie des Islams (I S. 34 u. 41 f.) eine große Rolle
und liegen offenbar auch der mandäischen Lehre vom Welt-
jahre (S. 9) zugrunde.
Zuletzt gedenke ich noch der zahlreichen anderweitigen
Tessarakontaden, d. h. Gruppen von 40 Personen, Opfer-
tieren usw., hinsichtlich deren namentlich zwischen den Juden,
Arabern und Mandäern vielfache Übereinstimmung herrscht.
Sogar in das Strafrecht der Juden wie der Araber ist die
Tessarakontade eingedrungen, beiden Völkern gilt die Ver-
urteilung des Delinquenten zu 40 Hieben als die üblichste
Leibesstrafe. Es ist wahrscheinlich, daß ursprünglich jeder
Hieb gewissermaßen Äquivalent eines Büß- oder Fastentages
sein sollte (S. 25 u. 45).
Soviel über die Hauptpunkte, in denen sich die Gleich-
heit oder Ähnlichkeit der wohl größtenteils aus der semitischen
Urzeit stammenden tessarakontadischen Anschauungen bei
allen uns genauer bekannten semitischen Stämmen offenbart.
5) Vgl. Ennead. u. hebdomad. Fristen u. Wochen d. ältesten
Griechen S. 19. 32. 33. 39. 60. Ennead. Studien 21 f. S. auch Abh. I
S. 18. 21. Anm. 36. S. 34. 45.
6) Nur für die Babylonier ist, soviel ich weiß, bis jetzt diese
Anschauung nicht nachgewiesen worden, doch kann die so vorhandene
Lücke jeden Augenblick durch eine neue Ausgrabung oder Entzifferung
von Literaturdenkmälern ausgefüllt werden. S. unt. die Nachträge.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 25
So merkwürdig und bedeutsam aber diese vielfache Überein-
stimmung auch sein mag, noch viel merkwürdiger und be-
deutsamer scheint mir die große Ähnlichkeit, ja heinahe Iden-
tität der criechischen Tessarakontaden mit den semitischen
zu sein, welche das Hauptergebnis der nachstehenden Unter-
suchung bildet. Die Übereinstimmung erstreckt sich bisweilen
auch auf so geringfügige Einzelheiten, daß man hie und da
bei den Griechen sogar an direkte Entlehnung von den
Semiten oder umgekehrt zu denken versucht sein könnte.7)
Gewiß werden die modernen Tanbabylonisten' auch hier ge-
neigt sein, ohne weiteres alle Übereinstimmungen in den
tessarakontadischen Anschauungen zwischen Semiten und Nicht-
semiten auf den von ihnen überall vorausgesetzten allmächtigen
Einfluß der uralten babylonischen Kultur zurückzuführen.
Zur Lösung der Frage, ob diese Tendenz auch hinsichtlich
der Tessarakontaden berechtigt ist oder nicht, möchte die
nachstehende Untersuchung einen un verächtlichen Beitrag
liefern. Wie mir scheint, sind in unserem Falle im ganzen die
Annahmen der 'Völkergedankentheorie' im Sinne von Bastian
ungleich wahrscheinlicher als die der Panbabylonisten, wenn
ich auch nicht gänzlich in Abrede stellen will, daß hie und
da die Nichtsemiten und namentlich die Griechen von den
Semiten einzelne Tessarakontaden entlehnt haben mögen. Und
zwar läßt sich der Beweis, daß wenigstens die Griechen in
dieser Beziehung im wesentlichen selbständig, d. h. unabhängig
von den Semiten, sind, m. E. auf doppelte Weise führen: näm-
lich durch die Beobachtung erstens, daß auch bei den Griechen
ebenso wie bei den Semiten die sämtlichen Tessarakontaden
7) Ich denke z. B. an die Legenden von den 40 vertrautesten
Jüngern des Pythagoras (Ennead. Stud. S. 52) und von dessen 40tägigem
Fasten (s. unt. Kap. III.), womit man die in Abk. IS. 16. 24. 33. 43 f.
gesammelten Belege vergleichen möge, ferner an die griechische Satzung,
daß keine Wöchnerin innerhalb der ersten 40 Tage einen Tempel be-
treten durfte (unt. S. 28 ff. mit Abh. I S. 11 u. 28), endlich an die bei
Juden und Griechen gleicherweise vorkommende Lehre (Abh. I S. 14
und 29), daß die Gestalt des Embryo 40 Tage nach der Zeugung voll-
endet sei, usw.
2ö W. H. Röscher:
im letzten Grunde auf allgemein menschliche Verhältnisse
und Erfahrungen (z. B. die 4otägigen Lochien, die 7 X 40
Tage dauernde Schwangerschaft, die 4otägige Unsichtbarkeit
der Plejaden, die 40jährige ysvad usw.) sich zurückführen
lassen, und zweitens, daß genau dieselben Anschauungen sich
auch bei solchen Völkern finden, die wahrscheinlich oder
nachweislich mit den Babyloniern niemals in direkte oder
indirekte Beziehungen getreten sind, z. B. bei den Litauern,
Preußen, Liren, den schamanischem Kult huldigenden Turk-
völkern Sibiriens, ferner den Bewohnern der Aleuten, endlich
bei den Ureinwohnern (Puebloindianern, Brasilianern, Karaiben,
Kaliforniern) Amerikas. Mit den Tessarakontaden dieser und
noch anderer Völker (z. B. der Armenier, Kurden, Perser,
Inder, Ägypter, Germanen etc.) beschäftigt sich zu dem ge-
dachten Zwecke der letzte Abschnitt meiner Untersuchung,
den ich als einen nicht bedeutungslosen Teil des Ganzen die
geneigten Leser nicht gänzlich zu übersehen bitten möchte.
Soviel über die Hauptgesichtspunkte, welche die nach-
stehende Untersuchung mit der unmittelbar vorhergehenden
Arbeit über die 40 bei den Semiten verbinden. Es sei mir
zum Schluß noch verstattet in aller Kürze auf diejenigen Er-
gebnisse hinzuweisen, welche ganz speziell die Kultur und
Literatur der Griechen betreffen. Als solche hebe ich zunächst
hervor die Erkenntnis, daß die Tessarakontaden und nament-
lich die Vierzigtagfristen auch der Griechen uralt und au-
tochthon sind, wie nicht bloß mehrere Kulte und Mythen
(Kap. I), sondern namentlich auch zahlreiche und größtenteils
uralte Bauern- und Wetterregeln beweisen (Kap. III).
Der schwierigste und zugleich umfangreichste Abschnitt
(Kap. V) ist den Tessarakontaden und Tessarakontadenlehren
des'Hippokrates' gewidmet. Das wichtigste Resultat der hier
geführten Untersuchungen ist die Erkenntnis: a), daß die
ältesten und ursprünglichsten Tessarakontaden auf den ver-
meintlichen oder wirklichen Selbstbeobachtungen der
Schwangeren und Wöchnerinnen beruhen, die vielleicht
in einem verlorenen hippokratischen Traktate n. TeßßccQa-
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 27
xovrddav, einem Seitenstück zu der Schrift it. eßdouudcovH)}
behandelt waren; b) daß von da aus allmählich die tessara-
kontadischen Fristen in die Pathologie und Therapie zunächst
der Frauen und Kinder und sodann der Männer, d. h. in die
Lehre von den kritischen Tagen in Krankheiten, ein-
gedrungen sind. Dieses allmähliche Vordringen und Weiter-
wuchern der tessarakontadischen ltfitgai xgCaifioL läßt sich
noch ziemlich deutlich beobachten, insofern sie in der Lehre
der fknidischen' Bücher von den kritischen Tasren
noch absolut fehlen9), dagegen in den entsprechenden Theorien
der 'echthippokratischen' Schriften zum ersten Male auf-
tauchen und schließlich immer zahlreicher werden, namentlich
in Buch I und III der Epidemien. Was endlich die bei den
griechischen Philosophen vorkommenden Tessarakontaden
anlangt, so beruhen dieselben fast durchweg nicht auf deren
eigenen Spekulationen sondern vielmehr auf alten biologischen
und medizinischen Anschauungen des griechischen Volkes10);
man gewinnt auch hier wieder entschieden den Eindruck,
daß die Zahlentheorie der Pythagoreer genau genommen nicht
eines der ersten sondern vielmehr eines der letzten Glieder
einer langen in unvordenkliche Urzeit zurückreichenden Kette
bildete.
8) S. Röscher, Hebdomadenlehren S. 44.fi". Übrigens darf das ganze
5. Kapitel als ein vorläufiger Versuch betrachtet werden, das verloren
gegangene Buch %. rtaaaQaKovTccScov einigermaßen zu rekonstruieren.
Vgl. jedoch auch Ilberg in den Nachträgen und Berichtigungen zu
dieser Abhandlung.
9) Vgl. Tabelle I in Abschn. C des 5. Kapitels, wo die Reihen
der in den fknidischen' Büchern vorkommenden kritischen Tage an-
gegeben sind. Daß einzelne Tessarakontaden auch schon in den
'Knidia' erscheinen, habe ich in Abschnitt De des genannten Kapitels
nachgewiesen.
10) Vgl. Hebdomadenlehren S. 4.
28 W. H. Röscher:
I.
Die Tessarakontaden im Kultus und Mythus der Griechen.
a) Die 4otägigen Unreinigkeitsfristen am Anfang
und Ende der Schwangerschaft. — Nichts ist für das
hohe Alter und die Ursprünglichkeit der griechischen Tessara-
kontaden bezeichnender als der Umstand, daß sie bereits in
dem großenteils streng konservativen und altertümlichen
Kultus der Griechen eine ganz ähnliche Rolle spielen wie
die Enneaden und Hebdomaden. Und wie wir die religiöse
Bedeutung der Sieben- und der Neunzahl im letzten Grunde
aus der Heiligkeit der sieben- und neuntägigen Frist hervor-
gehen sahen, so dürfen wir auch mit größter Wahrscheinlich-
keit annehmen, daß sich die Tessarakontaden des griechischen
Kultus und Mythus samt und sonders gleichfalls aus den
uralten, bei den meisten Völkern des Altertums wie der Gegen-
wart nachweisbaren Vierzigtagefristen entwickelt haben. Unter
diesen aber macht keine den Eindruck größerer Ursprünglich-
keit und Altertümlichkeit als die, welche sich auf die Dauer
der Unreinheit der Wöchnerinnen nach vollzogener
Entbindung bezieht, denen das Betreten eines Heiligtums
erst nach Ablauf einer Frist von 40 Tagen oder am 40. Tage
nach der Entbindung gestattet war. Das hier anzuführende
Hauptzeugnis findet sich bei dem wahrscheinlich aus Varro
schöpfenden Censorinus (de die nat. 11,7) und lautet:
„Quare [d. h. weil nach der pythagoreischen Lehre vom
partus major der Embryo nach seiner Zeugung 40 Tage
braucht, um menschliche Gestalt anzunehmen] in Graecia
dies habent quadragensimos insignes. namque praegnans
ante diem quadragensimum [doch wohl nach der Hochzeit
und Empfängnis] non prodit in fanum et post partum
quadraginta diebus pleraeque fetae graviores sunt nee san-
guinem interdum continent, et parvoli ferme per hos [fere]
morbidi sine risu nee sine periculo sunt.11) Ob quam causam,
11) Nach Ploss, D. Kind in Brauch u. Sitte d. Völker 1876 I
S. 46 ist noch heute im christlichen Volke die Vorstellung ziemlich
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 29
cum is dies praeterit, diem festum solent agitare, quod
tempus appellant ts66sQaxo6ralov.u
Das, worauf es uns hier in erster Linie ankommt, ist
die Tatsache, daß wie die Wöchnerinnen der Semiten, ins-
besondere der Juden, eine durch die Dauer der Lochien be-
dingte Unreinigkeitsfrist von 40 Tagen beobachten müssen,
nach deren Ablauf sie sich wieder an dem Verkehr mit den
übrigen Menschen sowie am Gottesdienste im Tempel beteiligen
dürfen12), so auch die griechischen Frauen nach ihrer Ent-
bindung sich 40 Tage lang als unrein zu betrachten und
das Betreten des Heiligtums strengstens zu vermeiden hatten.
Der Abschluß dieser Frist wurde bei den Juden 13) und
Griechen14) gleichermaßen durch ein im Tempel dargebrachtes
Dank- und Reinigungsopfer festlich begangen. Eine höchst
erfreuliche Bestätigung des obigen bisher ganz isoliert da-
stehenden Zeugnisses des Censorinus liefert uns übrigens eine
erst vor kurzem ausgegrabene Inschrift des 1. bis 2. vor-
christlichen Jahrhunderts von Eresos auf Lesbos, aus der
deutlich hervorgeht, daß auch hier die Wöchnerin (d tsxöxoLöa)
entweder 40 oder 10 Tage lang für unrein galt und deshalb
vom Tempelbereich ausgeschlossen war.15) Ob die neu-
allgemein, daß das Kind 'wenigstens bis zur Taufe [die spätestens bis
zum Ende der 6. Wocbe zu erfolgen hat], nicht nur in persönlicher
Gefahr und Anfechtung schwebt, sondern auch gewissermaßen einen
Reinigungsprozeß durchmachen muß'.
12) Vgl. 3 Mos. 12,1 f. und dazu Abh. I S. ioff.; vgl. I S. 3 (Man-
däer) u. S. 27 f. (Araber etc.).
*3) Vgl. 3 Mos. 12, 6ff. Luc. 2, 22ff. Joseph, antt. 3, 11, 5.
14) Ebenso wie ich faßt die Stelle des Censorinus auf Schoemann,
Griech. Alt.2 II S. 537 u. 350, der an ein entweder am häuslichen
Altar oder in (vor) einem Tempel (etwa der Artemis) dargebrachtes
Dank- und Reinigungsopfer denkt.
15) Vgl. Prott-Ziehen, Leges Graec. sacrae II, 1 p. 303 fr. nr. 117:
. . . d6T£l%r)[v] svßeßsag || . . . . anb y&v xüdsog ISiat || 7t(Qi^.svv]avtag
ccfisgatg «ixoöf anb de || ccXXotqIJw cctiiQocig rgslg Xosaaä^evov || cc%b ös . .
]ätco cc^iigaig dtxw cctirocv Sa || rccv tst6]%oig otv ajx^ais rfffffepä-
Hovrcc || &nb dh . . ]rco cc^qccig rpstg" ccüzccv Sh || räv x]st6y.oigccv
ce^igaig 8iv.ce. Hierzu bemerkt Ziehen p. 305 : „duo puerperia distin-
30 W. H. Röscher:
griechische Sitte, die priesterliche Weihe des Kindes und
der Mutter am 40. Tage nach der Entbindung (bis dahin
sind sie unrein!) vorzunehmen, mehr auf althellenischem oder
auf jüdisch-christlichem Kultus beruht(PLOSS-BARTELS, D.Weib5
II S. 353. Ploss, D. Kind I, 164 nach C. Wachsmuth), läßt
sich einstweilen schwer entscheiden.
Ferner lernen wir aus unserer Censorinusstelle, daß die
religiöse Bedeutung der Vierzigtagefrist in Althellas keineswegs
auf die Wöchnerinnen oder Entbundenen beschränkt war,
sondern schon unmittelbar nach derEmpfängnis (oder Hochzeit?)
sich geltend machte; denn es heißt ja ausdrücklich: namque
praegnans ante diem quadragensimum non prodit in
fanum16). Daß hier die fpraegnans' im Gegensatz zu den un-
mittelbar darauf folgenden ffetae post partum' steht und dem-
nach zu *ante diem XL.' ein Begriff wie cpost conceptionem' oder
fpost nuptias' zu ergänzen ist, dürfte aus dem ganzen Zusammen-
hange klar hervorgehen. Censorinus selbst oder seine Quelle
(Varro?) möchte diese eigentümliche Satzung, die den griechi-
schen Frauen 40 Tage lang nach vollzogener Hochzeit oder
guuntur, sed nomina eoruru deleta sunt et eo difficiliora ad restituen-
dum, quia quot litterae initio versuum perieriiit, certo non iam explo-
rari potest. Aeque atque in reliquis eiusdem generis legibus abortum
a prospero partu distingui et per se veri simillimum est et spatio qua-
draginta dierum lustrali confirmatur [vgl. unten S. 33 Anm. 20 ff.], sed
reliquiis -c'ctco et -reo quoniodo is sensus elici possit, non magis quam
Kijetschrner] et Paton videou. — Mir scheint es so gut wie sicher, daß
hier die kürzere Unreinigkeitsfrist von 10 Tagen der kürzeren Schwanger-
schaftsdauer bei freiwilligem oder unfreiwilligem abortus, die längere
von 40 Tagen dagegen der normalen Schwangerschaft von circa 280 =
7x40 Tagen (vgl. den partus major und minor der Pythagoreer b. Cen-
sorin. 11, 1 ff.) entspricht.
16) Bei dieser Gelegenheit mache ich darauf aufmerksam, daß
sich ein einigermaßen ähnlicher Brauch hie und da in Deutschland
findet, wo bekanntlich vielfach die Sechswochenfrist an Stelle der
40-Tagefrist getreten ist. So ist es in Westfalen verpönt, daß Neu-
vermählte vor Ablauf von 6 Wochen das Elternhaus besuchen;
Arch. d. Vereins f. rhein. u. westfäl. Volkskunde 4 S. 198. Ich ver-
danke diese Notiz P. Saktori in Dortmund.
Dih Tessarakontadbn der Griechen und anderer Völker. 3 1
Schwängerung das Betreten der Tempel untersagte, auf die
vielfach bezeugte17), offenbar auf dem Glauben und der Selbst-
beobachtung der Schwangeren beruhende Anschauung zurück-
führen, daß sich in den ersten 40 Tagen nach erfolgter
Konzeption die Gestalt des Embryo zu entwickeln pflege
(vgl. Censor. a. a. O.ut ibi [in partu minore] quinque et triginta
diebus infans membratur, ita hie [in partu majore] pro portione
diebus fere XL). Im Gegensatze dazu verweist R. HlRZEL
(Sachs. Ber. 1885 S. 43 A. 3) zum Verständnis dieser Vierzig-
tagefrist gewiß mit Recht auf Aristoteles de hist. an. 7, 3, 2,
wo die Behauptung ausgesprochen wird, daß die xct&cc()6£ig
der Schwangeren auch nach erfolgter Empfängnis noch
40 Tage lang fortdauern, sobald es sich um einen Embryo
männlichen Geschlechts handele. Es dürfte sich also die 4otägige
Frist in diesem Falle ganz einfach aus der allgemein ver-
breiteten Ansicht von der befleckenden und schädigenden
Wirkung des Menstrualblutes (s. Feazer, The golden bough2
III 222 ff.) erklären lassen. Hirzel hätte hinzufügen können,
daß Aristoteles in Übereinstimmung mit manchen Ärzten, die
dabei offenbar auf den Selbstbeobachtungen der Schwangeren
17) Vgl. einstweilen meine Ennead. Studien S. 80 f. 841". 105 und
Abb. IS. 14; vgl. auch S. 29. Diese jüdiseb-grieebische Vorstellung
ist später aueb in die cbristlicbe Dogmatik eingedrungen. Vgl.
A. Dorner, Lehre von Cbristi Person u. Werk II S. 192: 'Analog mit
der Meinung der armenischen Monophysiten ist die Lehre mancher
Abyssinier im 5./6. Jahrh., daß überhaupt die menschliche Seele sich
nicht erst mit dem Leibe entwickele, sondern vom 40. Tage an voll-
kommen und fertig in den Leib eintrete. Schon Xenaias (um 500)
hat das wie bei allen Menschen so auch bei Christus angenommen'.
Luthardt, Kompendium der Dogmatik § 40 („Der Mensch"): Der Crea-
tianismus, biblisch und durch viele Kirchenväter gestützt (z. B. Clemens
Alexandr. ovqocvo&sv Tt^ntsrai r\ tyvxrj), ist herrschend in der röm.-
kathol. Kirche, auch bei den meisten reformierten Theologen, mit
der näheren Bestimmung, daß die Seele am 40. Tage sich mit dem
Leibe vereinige: durch diese Vereinigung werde sie sündhaft. Hase,
Hutterus red. §79. Calvins Institutionen deutsch 1887 S. 89L 92. in.
Pesch, Welträtsel I, 738. 753f. Häring, Dogmatik (1906) S. 257. Ich
verdanke alle diese Zitate meinem Freund E. Höhne. Hipp, de vi. 1,7.
Phil.-hist. Klassf 1909. Bd. LXI. 3
3*
W. H. Röscher:
fußen, fortfährt: xal [isxä xovg xöxovg d'ai xa&<xQ6etg
ßovkovxai xbv avxbv uqi&uov (= 40!) anoÖidovai xovxov
... ix£tä de xr\v <5vllrp\>iv xal rag ri^igag tag elgr^ivag
(= 40) ovxexi xaxä yv6iv, a/U' dg rovg na6xovg XQB%exai
xal yivexai yäka. . . . 'Eni (iev x&v aQQtvav, 63g e%l xb nokv,
hv xä dt&ö (i&Xlov negl xäg xexxaQaxovxa yivexai r\
xlvrfiig ... Kalovvxai Ö'ixQvöeig [iev al {ie%Qi xäv iizxa
7][i£()G)V öiacp&OQai, exxqg)6(ioI ö'ai l^XQi xäv xexxagdxovxa,
xal -xlelöxa diacp&eiQexai xäv xvrjfidxav ev xavxaig xalg
i)a£Qaig. Tb [ilv ovv uqqev oxav £%sk&rj xexxuQaxoöxaiov
. . . 8ia%elxai xe xal a.(pavit,exai x. x. L Wir werden uns mit
den hier von Aristoteles aufgezählten Tessarakontaden genauer
in einem andern Zusammenhange, in dem von der Bedeutung
der Vierzigtagefrist für die Embryologie und Gynäkologie der
Alten die Rede sein wird, zu beschäftigen haben: hier kommt
es mir allein auf die Feststellung der Tatsache an, daß die
schwangeren Frauen und Wöchnerinnen in Althellas auf Grund
von wirklichen oder vermeintlichen Selbstbeobachtungen und,
auf diesen wieder fußend, die antiken Arzte und Biologen
fast allgemein der Ansicht waren, daß die tessarakontadischen
Fristen vor allem bei Schwangerschaften und Entbindungen
von größter und maßgebendster Bedeutung seien. Für das
hohe Alter und die weite Verbreitung dieser Ansicht gibt es
aber keinen schlagenderen Beweis als die merkwürdige Rolle,
welche die Vierzigtagefrist im religiösen Kult der antiken
Frauen, wie es scheint seit unvordenklicher Zeit, gespielt hat.
Ahnliches oder geradezu Gleiches läßt sich auch bei den
Semiten und vielen anderen Völkern18) nachweisen.
Damit ist aber die Bedeutung der tessarakontadischen
Tagfrist im religiösen Leben der Griechinnen noch keineswegs
erschöpft, denn in mehreren inschriftlich bezeugten Kulten
finden wir die Bestimmung, daß auch nach unfreiwilligen
oder künstlich herbeigeführten19) Früh- und Totgeburten
18) Vgl. Abh. IS. 14 u. 29 und unten Kap. VIII.
19) Welche dieser beiden Möglichkeiten man im einzelnen Falle
anzunehmen hat, ist nicht leicht zu entscheiden, doch denke ich bei
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 33
((p&OQEicc, (p&OQul, 8xtqiü6[ioi, dtocq)&OQa(, exQvöecg: 8. ob. S. 32)
die Entbundenen ebenfalls eine 40tägige Unreinigkeitsfrist
beobachten und während derselben das Betreten heiliger
Stätten unterlassen mußten. Derartige Satzungen kennen
wir aus Lindos20), Sunion21), Ptoleraais22) und vielleicht auch,
den (p&oQHa, tp&ogai, ^xrpwc/tot unserer Inschriften lieber an natür-
lichen als an künstlichen und verbrecherischen abortns. Vgl. jedoch auch
Plut. tuend. Ban. praec. 22 : uxoXugxoi yvvuixEg ixßoXioig %gü)\LEvui xca
(p&ogiot g. Apocalyps. Pseudopaul. p. 60 : avxai sIgiv ai ydsigacat
tavxug xui xu ßgscpt] avxcav unoxxsivaGai und vor allem im fEide des
Hippokrates' die Worte: ovSh yvvuixl ntocbv y&ogiov dwoco.
20) Lindos: Prott-Ziehen, Leges Graec. sacrae II, 1 nr. 148 p. 364:
= Dittenberger, Syll.* 567 (aus der Zeit Hadrians): 'Ay' wv %q[t]] na(g)-
«>[a]t [d.i. nagUvaC] alaicog \\ (st)g xb iffpJöV . . . anb cpuxfjg ^(isgcbv y' \\
anb aiysiov 7jf/f. y' anb xvgov i)[i£. u'- |j anb qparopafcüv] riya. ii'[=tsaca-
gdxovxu]' || ano xr/öovg [otxjfi'ou rjfts . ft' [= xsgguqüxovxo]. — Man be-
achte, daß hier, wie auch sonst oft, die Unreinigkeitsfrist bei Früh-
und Totgeburten dieselbe Dauer hat wie beim Tode eines Familien-
gliedes.
21) Sunion: Prott-Ziehen a. a. 0. II, i nr. 49 p. 149 (2. — 3. Jahrh.
nach Chr.): OZäv&og Avxiog . . . xu&aögvauxo ieg[bv Mrjrög] Tvgdv-
vov . . . xul [iirjQ'ivcc] uxä&ugxov ngoGäyav xa&aoi&o&co ds änb
G(x)6g6cov v.a\l %otgicov] || xu[l y\vvai%6s' . ■ • Kai ix xäv yvvuixiwv diu
snxu t]usqwv XovGaaivT]v x[ara] || xicpaXu blGnogtvsGftai uv&rni£gov. xul
ccnb vsxgov diu ruitgäv d[exa] xul anb qp&ogäg i^sgäv xsxxagdxovxu . . .
Hier beträgt die Unreinigkeitsfrist nach einem Todesfälle nur 10 Tage,
d. h. eine attische Woche von 10 Tagen.
22) Ptolemais: Prott-Ziehen a. a. 0. II, 2 nr. 201 u. Rev. arch.
1883 I p. 181 v. 5 u. 10: ixxgcoG^iov ft'(= xsGGugdxovxu). Ich ver-
danke Ziehen folgende genauere Angaben darüber. fDie Inschrift Leges
Sacrae 201 stammt aus Ägypten, aus Menchieh d. i. d. alte Ptolemais.
Sie wurde publiziert von E. Miller, Rev. arch. 1883 I p. 181, ich
habe eine Kollation von Bissing benutzt. Über die Zeit der Inschrift
habe ich keine Angaben, auch Bissing bemerkt über die Schrift nichts
weiter. Doch gehört sie nach einigen Buchstabenformen zu urteilen
(A) in hellenistische Zeit. Es ist eine Reinigungsinschrift ähnlich wie
Leg. Sacr. 148; sie beginnt:
Tovg elGiövzag hlg r[ö isgbv
ccyvsvstv xuxd [xu] vnoxB[iu,£va
anb nd&ovg täiov xul . . .
rtiLtgag £ ANATIAAA?
3*
34 W. H. Röscher:
wenn nicht unsere sondern Ziehens Annahme das Richtige
treffen sollte (s. ob. S. 29 A. 15), aus Eresos.23)
b) Die 4otägige Unreinigkeits- und Trauerfrist
bei Todesfällen. — Bereits in Abh. I S. 15 f. (vgl. auch
S. g und 30 f.l habe ich auf den merkwürdigen Parallelismus,
welcher zwischen den Geburt und Tod betreffenden An-
schauungen und Bräuchen der Juden, Mandäer und Araber
herrscht, hingewiesen und ihn vorzugsweise aus der ursemitischen
Idee einer ebenso durch die Entbindung wie durch die Be-
rührung eines Leichnams bewirkten Befleckung oder Un-
reinigkeit der betroffenen Personen erklärt. Von diesem
Gesichtspunkte aus versteht man leicht die völlig gleiche
Dauer der Unreinigkeitsfrist, welche bei den semitischen
Stämmen von jeher, wie es scheint, in beiden Fällen 40 Tage
beträgt. Es ist nun für uns von hohem Interesse wahrzunehmen,
daß sich genau dieselbe Grundanschauung und dieselbe Dauer
der Unreinigkeitsfrist bei Todesfällen, offenbar ganz un-
abhängig von den Semiten, aber aus denselben Gründen wie
bei diesen, auch bei den Griechen wiederfindet. Zunächst
berufe ich mich dafür, daß die Griechen selbst Geburt und
Tod wegen der durch beides bewirkten Unreinigkeit für durch-
aus parallele Erscheinungen hielten, auf folgende Zeugnisse.24)
5 X. £xTQ(OG{L0V OVv(y)
TSTOHviccg xccl Tßfqpovö/][s
xal iuv i%^V' l^'
Z. 10 folgt aber sicher: an i-nrgway.ov p ebenso sicher Z. 8:
ccnb yvvaixög ß' und Z. 13: änb Kccrufi^vimv f (I so nach Bissing,
nicht E wie Milleb nach Maspero).
Das übrige ist leider z. T. recht zweifelhaft'.
23) Eresos auf Lesbos: Prott-Ziehen II, 1 nr. 117 p. 303 (2. bis
1. Jahr, vor Chr.); s. ob. Anm. 15. Hier dauert die Unreinigkeit nach
dem Tode eines Verwandten 20, eines Nichtverwandten 3, nach einer
besonderen Art der Entbindung (nach Ziehen der normalen) 10, nach
einer andern desgleichen (nach Ziehen e. abortus) 40 Tage.
24) Prott-Ziehen a. a. 0. II, 1 p. 151 ; p. 3°5, x6; p- 365 , 5-
Immisch zu Theophr. char. 16, 9, Rohde, Psyche s II, 72, 1. Vgl. jetzt
auch die zum tieferen Verständnis des Parallelismus von Geburt und
Tod höchst förderlichen Gedanken des uns leider so frühzeitig ent-
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 3 5
Eurip. Iph. Taur. 373f. sagt Iphigeneia von der Artemis, deren
Priesteriu sie ist:
rjTig ßgorcöv {itv rjv xig aiprjxca cpövov
rj xcä Xo%eCag r\ vsxqov ftiytj %£Qotv
ßapcdv änsCgyei, f.iv6ccQov ibg riyov[isvrj.
Ähnlich heißt es in der Charakteristik des deiöiöaCucov bei
Theophrast (char. 16, 9), es gehöre zu dessen Eigentümlich-
keiten ovxs tniß)]vai pvijuuxi ovx im vsxqov out' fad leyjo
ikd-elv id-elfjöai, offenbar, weil er sich vor der durch beides
bewirkten Unreinigkeit oder Ansteckung fürchtet. Vgl. ferner
Porphyr, de abst. 4, 16: eti iöi]g \ib\iiavxai x6 xe Xe%ovg
aipaöftai •aal xb ^vr^ecöCav und vor allein die berühmte
nach Thukyd. 3, 104 für die heilige vor jeder Verunreinigung
durch Geburten und Todesfälle zu bewahrende Insel Delos
geltende Satzung: yn]xs evaxofrvriöxeiv iv xy vr\<5co ntfxs
ivxCxxeiv.
Das Hauptzeugnis für die 40tägige Unreinigkeits- und
Trauerfrist bei den Griechen verdanken wir dem Berichte
des Firmicus Maternus (de errore prof. rel. cap. 27 ed. Bursian
Lips. 1856 fol. 2 7b = p.39) über einen eigentümlichen sizilischen
Ritus im Kult der Persephone: cIn Proserpinae sacris caesa
arbor in effigiem virginis formamque componitur et cum
intra civitatem fuerit inlata quadraginta noctibus plangitur,
quadragesima vero nocte comburitur.' Kombiniert man
mit dieser Schilderung das, was derselbe Firmicus cap. 7
p. 10 ff. Bu. in einer euhemeristisch zugestutzten, höchst wahr-
scheinlich aus Euhemeros stammenden25) Legende über die
Demeter -Korafeste von Enna und Syrakus berichtet, so ist
es so gut wie sicher, daß wir auch den cap. 27 geschilderten
Brauch nach Sizilien zu versetzen haben. Daß es sich aber
in diesem Falle entschieden um einen Trauerritus handelt,
geht einerseits aus dem 'plangitur' und 'comburitur' deutlich
hervor, anderseits wird es durch mehrere auf Leichenfeier
ri8senen A. Dieterich in seinem geistvollen Buche „Mutter Erde".
Leipz. 1905.
25) R. Förster, D. Raub u d. Rückkehr d. Persephone S. 98.
36 W. H. Röscher:
und Bestattung deutende Ausdrücke, die Firmicus a. a. 0.
von der Feier zu Enna gebraucht, bestätigt.26) Man hat also
nach den Worten des Firmicus anzunehmen, daß zu Enna
und Syrakus ein Fest zum Gedächtnis des mythischen Kora-
raubes gefeiert wurde, das alle bei menschlichen' Todesfällen
üblichen Trauerriten zur Darstellung brachte. Wie dort so
dauerte auch hier die Trauerzeit 40 Tage (Nächte), und die
Feier endete mit der feierlichen Verbrennung des die Kora
darstellenden Holzbildes (t,6uvov) in der Nacht des 40. Tages.
Ein weiteres höchst wertvolles Zeugnis dafür, daß in
der Tat der vierzigste Tag nach dem Tode eines Familien-
gliedes in Althellas eine wichtige Rolle spielte, und ähnlich
wie noch heute bei vielen christlichen und islamischen Völkern
(s. Abh. I S. 57 f.), gewissermaßen den Abschluß der eigentlichen
Trauerperiode bildete, liefert uns der längere später noch aus-
führlich zu besprechende Passus eines r grutfntos' , den uns
Jo. Lydus de mens. 4, 21 = p. 172 Roether = p. 84, 14 ff.
Wuensch überliefert hat. Es handelt sich hier um den Nach-
weis der großen Bedeutung, welche die 3-, 9- und4otägigen
Fristen für die Biologie des homo sapiens, d. h. für die Ent-
wicklung des Kindes im Mutterleibe und unmittelbar nach der
Geburt, sowie für den Verfall des menschlichen Leibes
nach dem Tode27), haben. In letzterer Beziehung heißt es:
26) Vgl. c. 7 p. 10 Bu.: Imitatur ordinem funeris a Cerere
Hennensi muliere mors filiae [= Proserpinae] consecrata. — ib.
p. 12: Syracusani... raptum virginis [ = ProserpinaeJ conservant
et mitigantes dolorem matris pompam miseri funeris excolunt
honore templorum. — Vgl. auch fol. ob 13: Lugete Liberum, lugete
Proserpinam, lugete Attin, lugete Osyrin . . . Nolo me per tumulos
eorum favillasque ducatis.
27) Nirgends, soviel ich weiß, tritt dieser Parallelismus von Ge-
burt und Tod deutlicher hervor als in der im wesentlichen grie-
chischen Sage vom Vogel Phoinix, bei dem Geburt und Tod ge-
wissermaßen zusammenfallen. Von ihm behauptet der Scholiast zu
Lucan 6, 680 : exstruit sibi rogum voluntarium et combusta de cine-
ribus suis post quadraginta dies resurgit. Diese 40 Tage bedeuten
für den Phoinix also die Frist, innerhalb deren der alte Leib vergeht
und zugleich der neue Körper entsteht.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 37
Tslevxrjeavxog yovv avftQioitov, eizl fiev xf\g XQCxqg [t)fi£Qag \
cckloiovxca TtavxsXäg *«< tr\v tTtCyvaöiv xyg ötyemg öiaitoklvat
TÖ 6ätua' S7il de xfjg avvdxrjg diaggsi 6v{i7tav, £xi 6ot,ota£vr]g
avxä xf]g xagölug- i%\ dh xfjg x£6Gagaxo6xfig xal avxrt
övvaitoXlvxai xä ■jtuvxC. öiä xovxo xQlxr\v ivvdfnv xal
xeööccQaxoöxijv eitl xäv xs&vrjxöxav cpvXäxxovGLv ol
tvuyllovxeg avxolg, xy\g xe noxs 6v6xd<5£ag xi\g x£ pex'
ixst'vrjv inidoGsag xal xb dij TteQag xfjg avalvöeag iitt-
(ILflVrjßXÖflSVOL.
Hinsichtlich der in diesem Abschnitte enthaltenen viel-
fachen Anklänge an die Philosophumena der Pythagoreer,
des Empedokles, Xenokrates, Aristoteles und der Stoiker ver-
weise ich auf meine 'Enneadischen Studien' S. 104 ff. Wenn
Rohde (in dem Zusatz zur Vorrede zu s. Kleinen Sehr. I p. XI
Anm. a. Ende) in betreff der Quelle des Jo. Lydus bemerkt:
„Der von ihm benutzte Autor muß jedenfalls ein Christ
gewesen sein, denn im Interesse der 'christlichen Wissenschaft'
ist diese ganze physiologische Gelehrsamkeit ... so gruppiert,
daß sie zur Erklärung der spezifisch christlichen Gedächtnis-
feiern am 3., 9. und 40. Tage nach dem Tode dienen konnte;
in heidnischem Brauche kam wenigstens der 40. Tag als
Totenerinnerungstag nicht vor", so kann ich ihm im Hinblick
auf das oben besprochene Zeugnis des Firmicus und die
gleich anzuführenden Inschriften aus Lindos und Eresos (s.
Anm. 15 u. 20) unmöglich beistimmen.28) Vielmehr scheint im
Gegensatz zu Rohdes Annahme das umgekehrte Verhältnis
vorzuliegen, daß nämlich die christliche Totenfeier am 40. Tage29)
28) Vgl. auch Ennead. Studien S. 105 Anm. 158.
29) Vgl. Rohde, Kl. Sehr. I Vorr. S. X A. i: fEs bestand in der
altchristlichen Kirche die Sitte, der fromm Verstorbenen in besondern
Feiern zu gedenken am 3., 9. und 40. Tage nach ihrem Hinscheiden.
Es erwähnen diese Sitte, unter manchen von Du Canje s. v. tqitcc
(p. 1612), Aügüsti, Handb. d. christl. Archaeol. HI p. 309, Rheinwald,
D. kircbl. Archaeologie p. 390 angeführten Schriftstellern der alten und
späterhin namentlich der griechisch-katholischen (NB!) Kirche, schon
die Constitutiones apostolorum VIII, 42 p. 276, 3 ff. ed. Lagarde; und
es scheint, daß wenigstens in der griechischen (NB!) Kirche diese
38 W. H. Röscher:
aus dem altgriechischen Totenkult in den christlichen
übergegangen ist, zumal da im Alten Testament sicher und
öfter nur von 7- oder 3otägigen30) Trauerfristen die Rede
ist, während der 40. Tag als Endpunkt der Trauer nur einmal
und noch dazu in nicht ganz einwandfreier Weise bezeugt
wird (Abb. I S. 42). Sollte freilich jemals eine altjüdische
Trauerfrist von 40 Tagen sicher festgestellt werden können,
so würde natürlich auch diese hier wesentlich mit in Betracht
zu ziehen sein. Endlich läßt sich für die 40tägige Un-
reinio-keits- und Trauerfrist der Griechen ein Satz aus der oben
Ö
Anm. 20 mitgeteilten Inschrift von Lindos aus Hadrianischer
Zeit anführen, der besagt: anb wjdovs [o£x]elov i\pd. j^'.31)
Sitte nie in Vergessenheit geraten ist: in Griechenland soll sie
noch gegenwärtig bestehen (s. C. Wachsmuth, D. alte Griechenland im
neuen p. 122).' Im Folgenden hält Rohde selbst es für wahrschein-
lich, daß die Feier des 3. und neunten Tages 'einfach aus dem von
ihm schon Acta I p. 28 erwähnten heidnischen Gebrauche herüber-
genommen sei', zumal da der hl. Augustin die Feier des 9. Tages, als
aus dem heidnisch-römischen novemdial entsprungen, geradezu ver-
werfe (vgl. Rheinwald a. a. 0.): um so unbegreiflicher ist es nun, daß
R. die Feier des 40. Tages nicht gleichfalls aus dem heidnischen Kult
ableiten, sondern als einen spezifisch christlichen auffassen will. —
Übrigens spielt die 4otägige Trauerfrist auch bei den Mandäern (Abh. I
S. 9), den Arabern, Türken, Tartaren und anderen islamischen Völkern
eine nicht unbedeutende Rolle (s. Abh. I S. 31 ff.).
30) Hierzu gibt es übrigens aus dem Gebiete des griechischen
Totenkults eine auffallende Parallele: ich meine die Feier der Nshvcicc
und Tgiav.ädss am 30. Tage; vgl. darüber jetzt Wünsch im 27. Suppl.-
Bd. der Fleckeisenschen Jahrb. f. cl. Philol. (1902) S. 120 u. A. 1.
Rohde, Psyche2 I, 233 f. A. 3 f.
31) Ein zweites Zeugnis für dieselbe Sache liegt vor in der von
L. Cohn (Breslauer philol. Abh. II 2 S. 71) aus dem Cod. Par. suppl.
gr. 676 veröffentlichten nuQoiyiia 'Tag iv "Aidov Tgia-Adöug' etc., wo
Wünsch (a. a. 0. S. 119 ff.) nach meiner Überzeugung mit großer
Wahrscheinlichkeit liest: o&?v xai äcpiÖQV^iaTa ' TLv.ärrtg 7tQog raig rgiö-
rToig iarl xoa xa vby.voiu TQiaxddi ayzttxi. tu yag t taaaQKKOöTaia
[Hss. vtw^iaTu] ovx ap^afa, ä>s <&avodrtiiog [Hss. IJccvdriitog]. Wie es
scheint, hatte also der bekannte Atthidograph Phauodemos (4. Jahrh.)
die attischen tnooccQunoGtata als Totenfeier für jünger erklärt als
die Feiern am 3., 9., 30. Tage. Natürlich folgt daraus nichts für das
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 39
Wenn es dagegen in der Inschrift aus Eresos (s. ob. Anm. 15)
heißt: utco phv xudeog löia [7ttQm.£vv\uvTag <x[ieQaig eixoöt,
so ist in diesem Falle die 2otägige Unreinigkeitsfrist wohl
unzweifelhaft, wie auch sonst oft (s. u.), aus der Halbierung
der alten Frist von 40 Tagen und nicht umgekehrt zu er-
klären, wie sich denn ja auch bei den Semiten zahlreiche
eikadische Fristen und Bestimmungen nachweisen lassen, die
sicherlich durch Halbierung uralter Tessarakontaden entstanden
sind (Abh. I S. 22; 23; 43; 44). Liegt es ja doch in der Natur
der Sache, daß diejenigen, denen die 40 tägige Frist zu lang
und unbequem erschien, sie auf die Hälfte herabsetzten.
Ahnliche Beobachtungen hinsichtlich der Ausdehnung oder
Verkürzung von Trauerfristen kann man auch heutzutage
noch häufig machen.
Bei der engen Verbindung ferner, die zwischen dem
Totenkult und der Sitte der Devotion besteht, müssen wir
in diesem Zusammenhang auch auf die eigentümliche Rolle
hinweisen, welche die 40 tägige Frist in dem von Wünsch
(Dens. tab. Att. nr. 99) veröffentlichten und im 27. Suppl. Bd.
der Jahrb. f. cl. Philol. 1 902 S. 1 2 1 f. besprochenen Verfluchungs-
täf eichen aus dem 3. od. 2. Jahrh. vor Chr. spielt. Hier wird
der Verwünschte den Göttern der Unterwelt geweiht (datfiovi
X&ovi'a xal t/) %frovia [d. i. Hekate] aal xolg %d-ovtocg tcüöl
7is[i7ta öojqov v. 1), rsie sollen das Geschenk sobald als möglich
annehmen' (ri)v xu%C<5T)tv v. 10); zum Schluß kommt noch die
Bitte an die deöxörca z$6viot xal BTaxvvßtoi^ den Fluch
wirken zu lassen [i£%Qi i^sgäv t6ttuquxovtu32). Be-
reits Wünsch selbst (a. a. 0.) hat mit Recht daraus geschlossen,
daß der 40. Tag (tu T£66uQazo6xalu) schon zu der Zeit, da
diese Verwünschung aufgeschrieben wurde (also im 3. — 2. Jahrh.
Alter des Brauches im allgemeinen oder in andern griechischen Land-
schaften. Hier könnten die rsaaccga-Aoexulu sehr wohl uralt sein.
32) Hinsichtlich solcher Befristung des Fluches verweise ich auf
Wünsch im Archiv f. Rel.-Wiss. 12 11909) S. 44f, wo Beispiele wie
£i(7cu ijusQcbv nsvxs xa%v xa%v und ijör} ta%v xa%v ivxög tj^.£qwv knxä
zu finden sind.
40 W. H. Röscher:
vor Chr.), eine 'infernale' Bedeutung gehabt und mit Tod
und Grab in Beziehung gestanden haben müsse.33)
Nur zögernd wage ich hier zum Schlüsse noch auf ein
wunderliches und wegen seiner bedenklichen Provenienz zweifel-
haftes Zeugnis des „Fälschers" Fulgentius aufmerksam zu machen,
das trotz alledem in diesem Zusammenhange eine gewisse
Beachtung beanspruchen darf. Es findet sich in der Expositio
sermonum antiquorum p. 38g f. ed. Gerlach et Roth = p. 113,
19 ff. Helm und lautet:
Quid sint suggrundaria. Priori tempore suggrundaria
antiqui dicebant sepulchra infantium, qui necdum qua-
draginta dies implessent, quia nee busta dici poterant
(quia ossa, quae comburerentur, non erant) nee tanta immanitas
cadaveris, quae locum tumisceret. Unde et Rutilius Geminus
in Astyanaetis tragoedia ait: melius suggrundarium miser
quaesieris, quam sepulchrum.
Mag man immerhin bei der im ganzen höchst zweifel-
haften Glaubwürdigkeit des Fulgentius auch diese Glosse für
eine Fälschung erklären, so viel scheint sicher, daß auch der
Fälschung in diesem Falle eine gewisse Bedeutung zukommt,
weil es undenkbar erscheint, daß Fulgentius seinen Lügen
nicht wenigstens eine wirkliche Tatsache oder Volksanschauung
zugrunde gelegt haben sollte. Für eine solche wirkliche Tat-
sache halte ich die Bedeutung der 40 tägigen Frist im Leben
der neugeborenen Kinder, der wir schon oben begegnet sind.
Denn auch (Varro? b.) Censorinus (11, 7) bezeugt: post par-
tum quadraginta diebus . . . parvoli ferme morbidi
sine risu nee sine periculo sunt. Vgl. dazu auch Aristot.
de an. h. 7, 10: xä de Ttcaöla, oxccv yevcovxai, xcbv xsxxccqk-
xovxa TjiiSQäv iyQtjyoQÖra fisv ovxe yelä ovxs öaxQvei und
Plin. n. h. 7, 3: At hercule risus praecox ille . . . ante quadra-
gesimum diem nulli datur. Ich gestehe offen, daß jene
merkwürdige und, wie man nunmehr wohl allgemein zugestehen
wird, auf echtantiker Anschauung beruhende Notiz des Ful-
33) Ich verdanke den Hinweis auf dieses Defixionstäfelchen Herrn
Prof. 0. Höfer (Dresden).
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 41
gentius mir seinen ganzen Bericht über das schwerlich von ihm
erfundene Wort fsuggrundaria' doch im Lichte einer gewissen
Glaubwürdigkeit erscheinen läßt, wozu noch kommt, daß noch
heute in Deutschland sowie in England ungetaufte (d. h. vor
Ablauf der Sechswochenfrist gestorbene) Kinder unter
der Dachtraufe34) der Kirche begraben werden (vgl. Liebrecht
Z. Volkskunde S. 351 f. Wuttke, D. Volksaberglaube § 762).
Ich freue mich nachträglich konstatieren zu können, daß auch
A. Dieterichs (Mutter Erde S. 2 1 A. 2) Auffassung der Ful-
gentiusstelle im wesentlichen mit der mejnigen übereinstimmt.
Dieterich weist a. a. 0. auch auf den von den römischen Schrift-
stellern (z. B. Juv. 15, 140. Plin.n.h. 7,72) für die Römer und auch
sonst mehrfach bezeugten Brauch hin, Kinder von besonders
zartem Alter nicht zu verbrennen, sondern zu begraben, 'damit
sie in vorbeigehende Weiber eingehen und so wiedergeboren
werden könnten.' Man erinnere sich zum Verständnis der
von Fulgentius betonten 4otägigen Frist der eigentümlichen
Bedeutung, welche dieselbe Frist für die Entwicklung der
Embryonen haben sollte, insofern nach dem Glauben der an-
tiken Frauen die Gestaltung der Leibesfrucht und deren erste
Bewegung im Mutterleibe nicht vor dem 40. Tage stattfand.
c) Die 40 jährigen Fristen des griechischen Kultus
und Mythus. — In Abh. I ist gezeigt worden, daß die meisten
uns genauer bekannten semitischen Völker, die Babylonier
(S. 7 f.), die Mandäer (S. 9), die Israeliten (S. 1 8 ff.), die Araber
(S. 39 f.) die körperliche und geistige Reife (ax^yf) des Mannes
in das 40. Lebensjahr verlegten und demnach 40jährige
ysveuC annahmen, die also bis in die semitische Urzeit zurück-
zureichen scheinen. Ferner gelten bei den genannten Völkern
34) Vgl. Gloss. Philox. = Corp. gloss. Latin, ed. Goetz II p. 36, 24
VI p. 505: Grunda, Gziyj], xoä tb virhg xbv nvlfcöva l£,i%ov, ib. II
P' 467, 51 : vnößrsyov grunda suggurunda. ib. V p. 459, 13: Grunda
tectum super [hjostium. — Daß man solcbe vor Vollendung der Sechs-
wochenfrist gestorbene (ungetaufte) Kinder in Deutschland und Eng-
land gerade unter der Dachtraufe der Kirche bestattete, erklärt sich
wohl aus der Absicht den Ungetauften nachträglich noch die Wohl-
tat einer Art Taufe mit 'himmlischem' Wasser zu Teil werden zu lassen.
42 W. H. Röscher:
und außerdem noch bei den Phöniziern und Aithiopiern (S. 20)
als höchste normale Lebensdauer 120 Jahre oder die
Summe von 3 yevsaC. Es ist nun sehr merkwürdig zu sehen,
daß dieselben Fristen von 40 und 120 (= 3 x 40) Jahren
genau in denselben Bedeutungen sich auch im griechischen
Kultus und Mythus nachweisen lassen. Was zunächst den
Kultus betrifft, so gedenke ich hier vor allem jener Bestimmung
der bekannten Mysterienschrift von Andania, daß die Zehn-
männer, welche die dortige Feier zu leiten hatten, über
40 Jahre alt sein sollten, gewiß aus keinem anderen Grunde
als weil man damals glaubte, daß sie erst dann die volle ux{itf
des Geistes und Körpers erlangt hätten.35) Bekannt ist ferner
das hohe Alter des Nestor, dem bereits in den homerischen
Gedichten, wie schon längst Bredow und R. Hirzel erkannt
haben, eine Lebensdauer von 3 X 40 = 120 Jahren (= tqsls
ysveuC) zugeschrieben wird.36) Genau dasselbe gilt von
Sarpedon, von dem Apollodor 3, 1, 2, 3 berichtet: avra
dCdcoßL Zevg enl tQslg ysvsäg tfiv. Höchst wahrscheinlich
schöpfte Apollodor diese Nachricht aus einem alten Epos.
Ebenfalls aus einem solchen dürfte Ovids Erzählung von
Aison, dem Vater Iasons, stammen, von dem es Met. 7, 292 f.
heißt:
Membraque luxuriant. Aeson miratur et olim
Ante quater denos hunc se reminiscitur annos.
35) Vgl. Sylloge Inscr. Gr. ed. Dittenberger * 653. Nilsson, Griech.
Feste 338.
36) "Vgl. IL A 250: reo S'i]ir) Svo \lIv ysvsai fiegonoav kv-
&Qm7iwv || %q>&iccd- , ol Ttgöa&sv &[itt Todcpev fjdh yivovxo || iv TIvXm 7)ya&irj,
tisrci Sh zQixäroiGiv ävaßßsv. Od. 7 245 : tqis yctQ Stj (iiv tpaöiv avü-
t,ct6d-cu yivt' avägwv, || w? z£ pot, aftccvaros ivddXXsrai si6ogdc<a&ca. Un-
richtig bemerken die Schotten a. a. 0. r] yuo ysvau X' [== 30] hr\ tysi:
Zotiv ovv ißöo^r]y.ovrccsr^g. Ebenso erklären wohl die meisten
neueren Herausgeber. Im Gegensatz zu diesen fassen die ysvsu in
diesem Falle als einen Zeitraum von 40 Jahren: Bredow, Unters, üb.
einzelne Gegenstände d. alt. Gesch. I 114 und R. Hirzel, Sachs. Ber.
1885 S. 22 f. u. 32. Vgl. auch Röscher, Ennead. Stud. S. 25 A. 37 u.
S. 41A. 65.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 43
Daraus folgt, daß Aison bei seiner Verjüngung durch die
Zauberkunst Medeas 80 Jahre alt war, sich also plötzlich
um 40 Jahre verjüngt, d. h. ins blühendste Mannesalter von
40 Jahren zurückversetzt fühlte. Da der Mythus ihn nach
seiner Verjüngung gewiß noch eine längere Reihe von Jahren
(= 1 ysveä?) leben ließ, so dürfen wir wohl mit Sicherheit
annehmen, daß man ihm genau dieselbe Lebensdauer wie dem
Nestor und Sarpedon zugeschrieben hat, obwohl das nirgends, so-
viel ich weiß, ausdrücklich berichtet wird. Eine noch viel höhere
Lebensdauer schrieb die griechische Sage dem Teiresias37),
dem Orpheus38) und der Sibylle von Erythrai89) zu.
Von allen dreien fabelte man, sie hätten 9 ytveaC gelebt, also
die dreifache Lebensdauer des Nestor40), Sarpedon und Aison,
erreicht. Auch in diesen Fällen ist es das Nächstliegende
37) Tzetz. z. Lyk. 682: tpaßlv ccvxbv [Teiresias] knxk ysvsäg
£fiocci, uXXoi Sh ivvea.
38) Suid. s. v. ' Ogcpsvg .... ßiwvcci de ysvsug ivvia, oi de 1a
[?£'?] qpaci'v. Vgl. dazu Ennead. Studien S. 40 A. 64.
39) Phlegon n. [icacooßicov VI (= Frg. Hist. Gr. III p. 610 1>):
<dtu xovxov xov %qti6[iov ccno8£Ly.vvtai ivvicc [Hss. u. Müller a. a. 0.
6£x.cc\ ysvsag avzi]v [d. Erythr. Sibylle] xar' äv&omnovg ytyovivai . . .
Ti]v Ss ysvsccv ZlißvXXcc i6xoqh ixäv iv.oi.xov Siv.a iv xa> %qj]Gim£ xä>
nQog ' Pcoiiaiovg jrfpt xwv ultavitov ftscogicöv, a ' Poofiaiot (isnovltigia v.cc-
Xovai. Kurz zuvor heißt es von der Lebensdauer der Sibylle: ißimasv hr\
oXiyov anodiovxcc xtbv %iXiv>v, was sich mit Stxa. ysvzcti. = 1 100 txr\ gar-
nicht, wohl aber sehr leicht mit ivvtec ysvscd = 990 Jahre sowie mit
den sonst vorkommenden Belegen für 9 ysvsai vereinigen läßt. Vgl.
meine Eebdomadenlehren S. 203. Ursprünglich handelt es sich wohl
auch bei der Sibylle von Erythrai um 9 yeveai zu je 40 Jahren;
spiiter haben die Römer, die ysvsd und saeculum gleichsetzten, 9 eae-
cula = 990 Jahre daraus gemacht. Vgl. Ennead. Studien S. 4iA. 65.
40) Nicht undenkbar erscheint, daß man auch dem Nestor eine
Lebensdauer von 9 ysvsctl zugeschrieben hat. Man könnte das folgern
aus dem ftrisaeclisenex' des Laevius (b. Gell. N. A. 19, 7) und dem
xgiytQüJv de» Adespoton Anth. Gr. 7, 144, 2; vgl. 157, 4. Da das
höchste normale Lebensalter bei Semiten und Griechen sonst 3 x 40
= 120 Jahre betrug, so kann man unter einem trisaeclisenex und
xgiyigcov einen Mann verstehen, der die dreifache Lebensdauer (9x40
= 360 Jahre) hatte.
44 W. H. Röscher:
und Wahrscheinlichste eine yeved von 40 Jahren anzunehmen.
Die Gründe, die dafür sprechen, sind folgende:
1) Die Annahme einer yevF.ä von 40 Jahren beseitigt
den sonst entstehenden Widerspruch mit den wahrschein-
lich derselben Epoche angehörenden Sagen von Nestor, Sar-
pedon und Aison, denen allen, wie wir sahen, eine typische
Lebensdauer von 120 = 3x40 Jahren zugeschrieben wird.
2) Eine ysvsd von 40 Jahren läßt sich mit Sicherheit
auch in den Gedichten Hesiods, also im alten Epos der
Griechen, nachweisen (s. d. folgende Kapitel!).
3) 9 ysveccC zu je 40 Jahren ergeben 360 Jahre; 360 aber
ist eine höchst bedeutungsvolle Zahl, insofern 360 Jahre ganz
genau der Summe der Tage des Sonnen Jahres entsprechen.41)
Dies deutet wieder auf ein uraltes Großjahr ((isyag ivcuvrög)
von 360 Jahren, für dessen einstige Existenz sich namentlich
auch die allgemeine Beobachtung geltend machen läßt, daß
die meisten Großjahre, welche die populäre Chronologie
kennt, nach Analogie kleinerer Zeitabschnitte (gewöhnliche
Jahre, yaveaC, Monate, Wochen etc.) gebildet sind.42)
41) Vgl. meine Darlegungen in den „Ennead. Studien1' S. 41 f.
42) Man denke z. ß. an die Jahrwochen = Großjahre der Israeliten,
die nach Analogie der 7tägigen Woche gebildet sind (s. meine Ennead.
u. hebdom. Fristen S. 32), an die 40jährige Straf- und Sühnfrist der
Juden, die sicherlich aus der 40tägigen entstanden ist (Abh. I S. 21 f.),
an die tessarakontadisch gebildete, 4000 Jahre (ä 4000 Monate, ä Monat
4000 Tage!) betragende Hukubperiode der Araber (Abh. I S. 42), vor allem
aber an das aus 120 aägoi von Jahren, d. h. aus 120x3600 = 432000 ge-
wöhnlichen Jahren bestehende Weltjahr der Babylonier, dem das noch
zehnmal größere der Inder entspricht (s. Abh. I S. 7 Anm. 4 u. Gdjzel,
Hdb. d. Chronol. I 337 f., vgl. 89. 399. Lepsiüs, D. Chronol. d. Ägypter
p. 3 etc.). Dem orphischen Weltjahr von 12x1000000 Jahren oder
der orphischen Dodekaeteris von 12 Großjahren (ä 1 000000 gewöhnl.
Jahre) liegt offenbar das gewöhnliche aus 12 Monaten bestehende Nor-
maljahr zugrunde (s. Ennead. Studien S. 169). — Wie endlich die
40jährige ysvsä der 4otägigen Frist, so entspricht die 30jährige ysvsdc
des Heraklit etc. (Ennead. Stud. A. 65) der 30tägigen, d. h. dem
Monat von 30 Tagen. — Vgl. auch das Weltjahr der Mandäer von
480000= 12000x40 Jahren (Abh. 1 S. 9).
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 45
d) Sonstige tessarakontadische Bestimmungen,
die aus den Vierzigtagfristen hervorgegangen wären, lassen
sich — soweit meine Kenntnis reicht - bisher auf dem Ge-
biete des griechischen Kultus und Mythus nicht nachweisen.
Vielleicht gelingt es aber anderen solche Bestimmungen, die, wie
die semitischen Analogien zu lehren scheinen (s. Abb.. I S. 6. 9.
24fr. 43 ff.), wahrscheinlich vorhanden waren, doch noch im
Laufe der Zeit ausfindig zu machen.43)
IL
Die Tessarakontaden der homerischen nnd hesiodischen
Gedichte.
a) Die 4otägigen Fristen. — Deutliche tessarakonta-
dische Tagfristen habe ich bis jetzt im Bereiche der home-
rischen Gedichte nicht ausfindig machen können, wohl aber
gibt es eine sozusagen latente Vierzigtagefrist in der
Odyssee. Ich denke an die bekannte, namentlich von Faesi
in seiner Einleitung zur Odyssees S. XXXV ausführlich erörterte
'Reihenfolge der Tage, auf welche sich die eigentliche Hand-
lung der Odyssee — natürlich mit Ausschluß der Episoden
— erstreckt. Diese ganze Tagefolge beträgt nur 40 Tage,
und von diesen sind wieder nur 15 durch Ereignisse gehörig
ausgefüllt, 4 vergehen über der Erbauung des Flosses, 20 auf
der Fahrt von Ogygia nach Scheria44), und der letzte Tag
43) Ob die 40 Thespiaden (Herakleiden), die nach Apollod.
bibl. 2, 7, 6, 1 Thespios auf einen Befehl des Herakles hin nach Sar-
dinien gesandt haben soll, und die wahrscheinlich als Ktiarai von
40 Bardischen Städten anzusehen sind, auf einem griechischen oder
einem semitischen (karthagischen) Mythus beruhen, ist zweifelhaft.
Vgl. Diod. 4, 29, wo berichtet wird, es seien 41 (?) gewesen. Vgl. auch
meine Abhdlg. über die Sieben- u. Neunzahl im Kultus u. Mythus d.
Griechen S. 42 A. 102.
44) Auch diese Frist von 20 Tagen scheint bedeutungsvoll zu
sein. Es wird später gezeigt werden, daß viele vigesimale Fristen
sich als natürliche Halbierungen von Tessarakontaden darstellen; s. auch
oben S. 39 u. Anm. 15; unt. S. 47; 55 f.
46 W. H. Röscher:
des Aufenthaltes auf Scheria ist auch beinahe ganz leer an
Handlung' (vgl. Faesi a. a. 0., wo auch eine ausführliche
Übersicht über den Inhalt der einzelnen Tage gegeben wird).
Selbstverständlich läßt sich nicht mit absoluter Sicherheit
entscheiden, ob wir es in diesem Falle mit einer „zufälligen"
oder einer beabsichtigten, d. h. bedeutungsvollen, Tessarakon-
tade zu tun haben, doch scheinen mir für die letztere Alter-
native wenigstens zwei beachtenswerte Gründe zu sprechen.
Erstens erinnere ich an die Tatsache, daß die tessarakon-
tadischen Tag- und Jahrfristen in den hesiodischen Gedichten
eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen, und zweitens an die
Beobachtung, daß auch in der Ilias, wenn man von der
1 1 Tage in Anspruch nehmenden Wehklage um Hektor und
dessen Bestattung absieht (£1 784 — 804), die eigentliche Hand-
lung des Epos bis zur Auslieferung des Leichnams Hektors
(inclusive!) ebenfalls genau 40 Tage umfaßt. 4V) Eine so
weitgehende Übereinstimmung der beiden homerischen Gedichte
aber in einem solchen Punkte für einen reinen Zufall zu er-
klären, scheint mir bei der sonstigen Bedeutung der tessara-
kontadischen Fristen im Kultus und in den hesiodischen Ge-
dichten kaum zulässig, zumal wenn man bedenkt, daß gerade
den Vierzig-Tag- und -Jahrfristen, vielfach eine 'kritische' Be-
deutung oder, mit andern Worten, die Wirkung zugeschrieben
wird, eine gewisse Entwicklung zum endgültigen Abschluß
(rsleicoöig)46) zu bringen: ein für die Vierzig höchst charakte-
ristischer Zug, der nicht bloß bei den Semiten (s. Abh. I
S. 7. 13. 18. 3Q f.) sondern namentlich auch auf dem Gebiete
der griechischen Medizin und Biologie ganz deutlich hervor-
tritt. Wie genau die alten Epiker in den Erzählungen mythischer
Ereignisse auf typische Fristbestimmungen zu achten pflegten,
das beweisen zur Genüge die 9 Jahre dauernden Kämpfe vor
45) Vgl. die Einleitung zur Ilias von Faesi-Franke I5 S. XXXI ff.
46) Ahnlich schrieben die Babylonier der Zahl 40 die Wirkung
zu, eine gewisse 'Vollendung' herbeizuführen, indem sie sie ebenso wie
die Sieben als 'kiäsatum' d. i. Gesamtheit, Universum, Fülle, Menge
bezeichneten; vgl. Abh. I S. 5.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 47
Ilion, sowie der 10 jährige Krieg der Götter und Titanen47),
von dem die hesiodische Theogonie zu berichten weiß.
Ferner begegnen uns in den homerischen Gedichten
mehrere 2otägige (eikadische) Fristen, die höchstwahr-
scheinlich durch Halbierung der tessarakontadischen Tag-
frist entstanden sind. So wird wiederholt hervorgehoben, daß
die Fahrt des Odvsseus von Ogygia bis Scheria genau 20 Tage
in Anspruch genommen habe48), und Oineus soll den Belle-
rophon 20 Tage lang bewirtet haben:
II. Z 216: Oivsvg yccQ noxs dlog ä^iv^iova BsXlsQocpovrnv
i,Eivid' svl [isydQOHStv ssCxoötv y]fiar SQv^ocg.
Wer etwa geneigt sein sollte, in diesem Falle nicht an
eine Halbierung der tessarakontadischen Frist sondern an eine
Verdoppelung der dekadischen zu denken, den möchte ich vor
allem auf meine Darlegungen in den Ennead. u. hebdomad.
Fristen u. Wochen d. alt. Griech. S. 8 ff. hinweisen. Hier ist
gezeigt worden, wie selten und zweifelhaft die dekadischen
Fristen des älteren Epos sind.49) Überhaupt gehören die
meisten von ihnen erst der historischen Zeit an und scheinen
sich vorzugsweise von Attika aus verbreitet zu haben (a. a. 0.
S. 12; vgl. Sieben- u. Neunzahl S. 7 9 f.). Außerdem berufe
ich mich auf das uns von Plinius N.H. 23, 1,42 in lateinischer
Form überlieferte Fragment (nr. 21 Göttl. = 194 Kinkel) aus
'Hesiods' Opera magna (Meydka sgya):
cMeracis potionibus per viginti dies ante canis ortum
totidemque postea suadet Hesiodus uti.'
47) Vgl. Ennead. u. hebd. Fristen S. 9 u. Ennead. Studien S. 20 f.
48) Od. s 33 sagt Zens zu Hermes:
&XX' 0 y iitl G%s§Lr\s noJ.votGu.ov itrjuaxcc itaG%<av
rjficcrL % sIkogtöj 2%hQlr\v igißcoXov i%oizo.
Od. £ 170 sagt Od. zu Nausikaa:
%&i?;bg isixoGtä) cpvyov f)(iati oi'voitcc itövrov.
49) Sogar Od. 7 391 ist mir als Zeugnis für die Dekade zweifel-
haft geworden, seitdem ich aus dem Scholion z. d. St. ersehen habe,
daß neben kvdsxäxm iviccvrä) auch iv daxärm i. gelesen wurde, was
doch eine enoieadische Frist bedeuten würde. Letztere Lesung würde
Phil.-hist. Klasse 1909. Bd. LXI. 4
48 W. H. Röscher:
Genau derselbe 'Rat' wird erteilt in dem von Chamaileon
bei Athenaeus II 220 aufgezeichneten %Q7}6(ibg Ilv&ixög (vgl.
Lobeck, Aglaopb. p. 1085), in dem uns vielleicht der Wort-
laut der Maydla £Qya z. T. noch erhalten geblieben ist:
EixoGi tag tcqo xvvbg xal slxoöi tag fistejtSLta
Olxcj ivl 6y.i£Q(p AiovvG(p %Qf[<5^ai Irjtgtp.*'0)
Ähnliche Halbierungen dekadischer und hebdomadischer Fristen
lassen sich übrigens auch bei anderen wichtigen Jahrpunkten,
z. B. den Sonnenwenden, nachweisen. Vgl. z. B. Aristot. h. an.
5, 9: 'H de dXxvcov tixtsu nsQi tgoitäg tag %£i[X£Qivdg. öib
xal xalovvtai, otav svdisival ysvcovtav al tQOJtal, 'AXxvovsiai
fjfieQai, Biitä [ilv 7t qo tQonäv, STitä Öh [istä tQ07cdg, xa&d-
7CEQ xal Uiiiavtdrjg knotrfisv [fr. 12B.]: f£lg bnötav %£1[is'qiov
xatd iir\va 7tivv<5xr\ || Ztvg apata tEOGaga xal dexa x. t. A.51)
Colum. 2, 8: Sic enim servant prudentes agricolae, ut XV diebus
prius quam conficiatur bruma totidemque post eam con-
fectam neque arent neque vitem aut arborem putent. Plin.
N. H. 8,205: Diebus decem circa brumam [also wohl V
ante, V post brumam] statim dentatos [sues] nasci Nigidius
tradit. Da Nigidius bekanntlich ein begeisterter Anhänger
der pythagoreischen Philosophie war, so liegt die Ver-
auch trefflich zu der echt antiken Anschauung (vgl. z. B. Hör. ca. 4, 11, 1)
stimmen, daß 9 jähriger Wein besonders edel und wohlschmeckend sei.
50) Vgl. zum Verständnis der Sache auch die ebenfalls von
Athenaeus a. a. 0. mitgeteilten Zeugnisse des Alkaios, Eupolis und
Mnesitheos. Vgl. Alk. fr. 39 ßergk2: Tsyys arsv^ovag oivcp- xb yccq
cccxqov nsQLTsXlezcti, || cc ö'wga %aliixa' Ttävxa dh Siipai6' vnb %ccv-
(iccrog . . . . vvv dh yvvcciv.sg iiiccqwxuxcci (vgl. Hesiod. tgy. 586!), [|
Kitxoi d'ävÖQSg, iitu v.a.1 xfqpaÄar v.a\ yöva 2JtiQiog a£si. — fr. 40:
niva>y.£v, xb yaQ aaxgov 71£qixsX7.sxul. — Eupol. fr. II 491 Mein.
IlivfLv yug avxbv IlQcoxayOQccg ixeXev , ivcc || 7Tqo xov xvvbg xbv itvfviiov'
h.'/.vxov cf-OQfj. — 'Hippokrates' tc. diuiz ö|. II p. 54 Kühn sagt vom
Weine: xcc dh nccx' %vxsqov [also gegen Durchfall, Cholera etc.] %u.i
Ilu/.Iov 6v7j'(7£t, ])v uKQaxeoxsQog fj. — Eine ähnliche Halbierung der
Tessarakontade findet sich auch b. Aristobulos (Strab. 15, 692), sowie
bei den Bewobnern der Aleuten (Ploss, D. Kind H S. 262).
51) Mebr in meinen 'Ennead. v. hebdom. Fristen u. Wochen
S. 44 Anm. 143, wo Plin. N. H. 18, 231 nachzutragen ist.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 49
mutung nahe, daß diese Notiz aus pythagoreischer Quelle
stammt.
Das aller wichtigste Zeugnis aber für die Vierzigtagefrist
aus dem Bereiche des alten Epos enthalten folgende Verse
aus den hesiodischen SQyu:
v. 383 ff. nkiycddav 'Axlaytviav snixeXlonevdav
aQ^söd-' ä[itJTOi', ccqoxoio de övoofisvdcov.
cc'C d' tfxot, vvxxag xe xai rjnaxa xsööaQdxovxu
xtXQvcpaxcci, ccvxig ds xsQirtko[.iEvov evcavxov
cpuivovxai xä ttQibxa %aQa<5öopL&voio 6lÖ)\qov.
Indem ich mir im Hinblick auf die außerordentliche Wichtig-
keit dieser Stelle eine ausführlichere Erörterung ausdrücklich
vorbehalte, möchte ich mich in diesem Zusammenhang damit
begnügen, nur auf folgendes hinzuweisen. Was die Dauer
der Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit der Plejaden für die
Breite von Athen und die Zeit Hesiods, also etwa 800
v. Chr., betrifft, so verdanke ich dem besten Kenner dieser
Dinge, Herrn Prof. Ginzel, dem Neubearbeiter des Idelerschen
Handbuches der Chronologie, folgende dem bald erscheinenden
2. Bande seines Werkes entlehnte Notizen.
1) Im Januar gehen die Plejaden mittags und vor-
mittags auf und sind abends anfänglich bis gegen Mitternacht
und Mitte Februar noch bis ioh abends sichtbar.
2) Im März rücken die Aufgänge der PI. auf 8 — yh
morgens, die Untergänge auf */29 — 1/21°h abends; die PI.
werden also immer weniger lange (nur abends noch) sichtbar.
3) Am 4. April kann man zum letzten Mal die PI. bei
Sonnenuntergang sehen (heliakischer Untergang).
4) Im Mai gehen sie immer noch nicht zeitig genug vor
der Sonne auf und im Lauf des Nachmittages schon unter,
so daß sie unsichtbar bleiben, bis
5) am 20. Mai, wo sie zum ersten Mal wieder in der
Morgendämmerung erscheinen (4. April bis 20. Mai =
46 Tage Zwischenzeit).
6) Im Juni rücken die Aufgänge mehr und mehr vor
die Sonnenaufgänge; die Untergänge finden am Mittag statt.
4*
50 W. H. Röscher:
7) Anfang Juli werden die Aufgänge der PI. wieder vor
Mitternacht allmählich sichtbar; die Untergänge liegen noch
in den Tagesstunden.
8) Im August findet der Aufgang etwa 2h nach Sonnen-
untergang statt.
9) Die Aufgangszeit der PI. nähert sich im September
— Oktober der Sonnenuntergangszeit. Der letzte Aufgang
ist noch sichtbar am 24. September (akronychischer Auf-
gang). Dann rücken die Aufgänge in die Nachmittagsstunden.
10) Die Aufgänge liegen im Oktober — November —
Dezember in den Tagesstunden (nachmittags und mittags);
nur die Untergänge werden allmählich in den Morgenstunden
besser sichtbar. Am 2. November tritt zum ersten Mal
bei Morgendämmerung der Untergang der PI. deutlich
hervor (kosmischer Untergang). Ungünstig gewesene
Zeit der Sichtbarkeit also vom 24. Septbr. bis 2.Novbr.
= 39 Tage (natürlich nur in bezug auf die Untergänge
der PL).
11) Im Dezember sind die PI. schon wieder bis 3h resp.
2h nachts (Untergänge!) sichtbar.
Aus weiteren mir in Tabellenform von Ginzel gütigst
mitgeteilten Berechnungen der Auf- und Untergänge der PL
(= 7] Tauri) für den 34. 38. 42. und 46. Breitengrad und für
die Jahre 500, 300, 100 vor Chr. geht ferner mit unum-
stößlicher Sicherheit hervor-, daß eine 4otägige Unsicht-
barkeit der PL eigentlich nur für die südlichen
Parallelen gilt, für die nördlicheren aber, z.B. schon
für Rom, bereits 50 Tage beträgt, daß wir also die r^iaxa
xEööaQttKovxa, Hesiods nicht als eine genaue, sondern nur als
eine ungefähre Fristbestimmuno- aufzufassen haben, die viel-
leicht mit besonderer Rücksicht auf die in den südlichsten
Teilen des Mittelmeeres verkehrenden griechischen Schiffer
gewählt war.51b) Wahrscheinlich hat zu der Annahme eines
5 1 b) Umgekehrt scheint es sich zu verhalten mit der Angabe des
trefflichen arabischen Kosmographen Kazwini, daß die Unsichtbarkeit
der PI. 50 Tage dauere. Schon in Abh. I S. 36 Anm. 67 habe ich ver-
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 51
4otägigen Verschwindens des Gestirns auch die oben (unter 10)
hervorgehobene genau 39 Tage umfassende 'ungünstige' Periode
der Sichtbarkeit der Plejaden-Untergänge vom 24. Septbr. bis
2. Novbr.), die dem Winter und der Bestellung der Äcker
unmittelbar vorausgeht, wesentlich mit beigetragen.52)
Von ganz besonderem Interesse für uns ist sodann die
Tatsache, daß die semitischen Vorstellungen von den Plejaden
in höchst auffallender Weise mit den ältesten griechischen
übereinstimmen.58) So werden die Phasen dieses Gestirns —
ganz ähnlich wie von den Griechen54) — auch von den
Arabern zur Einteilung des Jahres und Abgrenzung der
Jahreszeiten benutzt; insbesondere bezeichnet auch in Syrien
und Arabien der Frühaufgang der Plejaden im Mai den Be-
ginn der Hitze, des Sommers, der Ernte; ihr Frühuntergang
im November den Anfang der Kälte, des Winters und der
winterlichen Niederschläge (s. Abh. I S. 35 ff.).55) Als Höhe-
mutet, daß Kazwini bei seiner Angabe, wenn sie richtig überliefert ist,
weniger die speziellen Verhältnisse Arabiens, Ägyptens und Syriens
als die für den arabischen Seefahrer in Betracht kommenden des
gesamten Mictelmeeres im Auge gehabt habe. Vgl. übrigens hin-
sichtlich der vielfachen Abweichungen der antiken Kaiendarien in-
betreff solcher Fristangaben die schon von Plin. h. n. 18, 212 f. und
312 etc. ausgesprochenen Klagen.
52) Vgl. auch A. Mommsen, Delphika S. 48 f. und A. Jekemias, D.
Alter d. babyl. Astronomie S. 8 ff.
53) Man hüte sich aber, aus dieser Übereinstimmung auf eine
Abhängigkeit der Griechen von den Semiten (Babyloniern) in diesem
Punkte zu schließen. Daß die ältesten Griechen auch selbständig zu
ihrer Ansicht von der Bedeutung der Plejaden gelangen konnten, lehrt
das Beispiel mehrerer ostasiatischer und amerikanischer z. T. wilder
oder halbwilder Stämme, welche dieselbe oder eine ganz ähnliche Auf-
fassung von den Plejaden haben (Ginzei. , Handb. d. math. u. techn.
Chronol. I S. 59 Anm. 1 u. 2).
54) Theophr. de sign. 6: Ji^oTOfitt xbv iviccvxbv it?.sidg tf Svo^ievr]
5tai avareXXovaa. Auch in dem von Fredrich Hippokrat. Unters. S. 224 ff.
besprochenen „hippokrat." Kalender bilden die Auf- und Untergänge
der PI. die wichtigsten Jahrpunkte.
55) Vgl. auch Sprengers Abhandlung über den Kalender der
Araber vor Mohammed in Zeitschr. d. D. Morgenl. Ges. 1859 (XIII)
52
W. H. Röscher:
punkt des arabisch-syrischen Winters gelten dem berühmten
arabischen Kosmographen Kazwini die '40 Tage der Kälte',
welche am 14. känün elawwal (= Dezember) beginnen und
bis zum 22. känün et' t'äni (= Januar) dauern (Abh. I S. 35
nebst Anm. 66). Auch diese Kälteperiode setzt Kazwini in
eine deutliche Beziehung zu den Plejaden, indem er sagt: „Der
Aufgang der PI. erfolgt am 1 3 . ajär (Mai) und ihr Untergang
am 13. tis'rin elähar (November). Sie werden im Anfang der
Nacht im Osten sichtbar bei Beginn der Kälte, dann rücken
sie in jeder Nacht höher auf, bis sie endlich zugleich mit
Sonnenuntergang in der Mitte des Himmels stehen, und zu
dieser Zeit ist die Kälte am strengsten. Darauf sinken sie
wieder von der Mitte des Himmels herab und nähern sich in
jeder Nacht mehr dem westlichen Horizont, bis zugleich mit
ihnen der Neumond erscheint. Dann verziehen sie eine Weile
und sind nun etwas über 50 [40?] Nächte unsichtbar; dieses
Unsichtbarsein nennt man ihren istisrär (Sich verbergen) ; darauf
erscheinen sie in der Morgendämmerung im Osten bei großer
Hitze" usw.56) Weiter heißt es bei Kazwini ron den Plejaden:
„Sie sind das beste aller Frühlingsgestirne, weil ihr Regen
zu einer Zeit eintritt, wo die Erde an Wasser Mangel leidet."
Wir ersehen daraus, daß nicht bloß der Regen des Spät-
herbstes und Winters57), sondern auch die besonders heiß-
S. 162: „Die Plejaden sind eine Glückskonstellation und werden auf
ihrem ganzen Laufe viel beobachtet, und auf die meisten Positionen
die sie einnehmen, sind Gedächtnisverse gemacht worden. Mohammed
schwört bei den sich senkenden PL in dem Qoran 53 („Bei dem Sterne,
der da untergeht, euer Gefährte (Moh.) irret nicht etc)."
56) Auch Hesiod bringt die Sommerhitze mit einer gewissen Phase
der Plejaden in Verbindung £pya 571 f . : cell' onoz' ccv cpsgioixog anb
X&ovbg cc[i cpvrcc ßaivt] || IlXri'CdSag cpsvycov . . . mgy iv a^.rjzov, ors r'
T}iXio$ %q6u KaQ(pei.
57) Wie in Arabien und Syrien (s. Abh. I S. 36 A. 66), so sind
auch in Hellas starke Niederschläge für den mit dem Frühuntergang
der PI. beginnenden Winter charakteristisch. Dies ist der um die
Saatzeit eintretende bfißgog oitaQtvög Hesiods (^gya 674), von dem es
heißt: ftrjdf [tivtiv oivöv rs viov xui onwQLvbv b\ißqov, || kccI £6<fift>v'
iniovtu, N6tol6 ts dsivug ccTqxag, || o'ffr' Üqivs &dXa66ccv öftapTTj'eorg Jtbg
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 53
ersehnten Güsse des Frühlings58) mit gewissen Phasen der
Plejaden in Verbindung gebracht werden. Nun besagt aber
ein arabisches Sprichwort: „Das Aufstellen eines das Wein-
trinken untersagenden Gebotes istbesser als4oTageRegen"59),
woraus doch mit ziemlicher Deutlichkeit erhellt, daß in dem
so heißen und trockenen Klima von Syrien und Arabien im
Frühling ebenso wie im Winter je 40 Regentage, d. h. Tage,
an denen größere oder geringere Mengen von Niederschlägen
erfolgen, sehr erwünscht sind. Genau denselben Wunsch hegt
auch der griechische Bauer für seine Saaten während der
Zeit, wo diese der Ernte entgegenreifen58): das sind aber die
40 Tage, während deren die Plejaden unsichtbar sind,
nach deren Ablauf sofort der Schnitt des Getreides nach Hesiod
zu beginnen hat (vgl. Jo. Lyd. de ost. ed. Wa. p. 185, 15: ev de
rV lY' [= 5- April] Evdö^a itlsiddsg axQÖvvxoi dvvovGi
. . . vstbg yCveTai. Zli]aoKQit<p xÄsuddeg XQVTtTovtai d{ia
i]Ma avl<3%ovxi xal äcpecvelg yivovxai vvxxag T£66aQccxovrcc
[d. i. vom 5/I V bis 15/V]). Es liegt demnach außerordentlich
öfißga || Ttollw, örtcoQivä, %aXs-xbv de re növxov t&rßsv. Vgl. ferner
Asklepiades b. Brunck, Anal. I p. 215, 23: Nvg [tu-Hgr] neu %£iu.oc, \1i6r\v
8 ini nXsiddcc Svvsi, Kuyco ticcq 7tQ0&vQ0ig v£i66o\iai vo^isvog.
fHippokr. ' imSruu&v a' =111 p. 382 Kühn: 'Ev Qäoco qi&ivoTtwQov
7t£gl Igyul£qit]v Y.al vitb Illri'iccda vdccxct noXXd, |w£#tor, (laXO-axu cbg
iv vorioiOL, %EL(icbv vöriog. Mehr b. A. Mommsen, Griech. Jahreszeiten I
— II S. 82 u. 86 nebst Anm. *. Neumann -Paetsch, Physik. Geogr. v.
Griechenl. S. 70.
58) Daß auch im Frühling den Griechen der Zeit Hesiods aus-
giebige Regengüsse sehr erwünscht waren, bezeugt Hesiod iqycc 486 ff:
rj^iog 5idxxv| yioxxvgeL ögvbg iv nsxdXoici || xottqwxov, xignsi xe ßgoxovg
in uthLqovcc yaiav || xf^Log Zsvg voi xgixcp rjn-an, firjd' anolrjyoi,
[iijx &q' vnsgßdXXcov ßobg onXrjv \Lr\x' ccnoXelncov ... 491 ... priSe ße
Xri&oi || \L7)x' lag yiyvö^svov noXibv {irifr mgiog ö^ißgog. Vgl. außerdem
A. Mommsen, Griech. Jahreszeiten I — II S. 36 und 20 ff., wo neugriechische
Bauernregeln angeführt sind, die sich ebenfalls auf den erwünschten
Frühlingsregen des März und April beziehen. Vor dem Eintritt der
Frühlingsregen wünscht sich freilich der neugriechische Bauer 40 tägige
Trockenheit (A. Mommsen a. a. 0. S. 21 ; Abh. I S. 37 Anm. 72).
59) Abh. I S. 36 Anm. 70.
54 W. H. Röscher:
nahe, auch die durch ununterbrochenen 4otägigen Regen be-
wirkte Sintflut der jüdischen Sage sowie den ebenfalls
4otägigen Samenregen der islamischen Eschatologie
(s. Abh. I S. 37 Anm. 74) mit den typischen 40 Regentagen
der Syrer und Araber sowie mit den Plejaden als „Regengestirn"
in Zusammenhang zu bringen, wie das tatsächlich in einer
Legende des Talmud (Berach. 58b u. 59*) geschehen ist, wo
ausdrücklich gesagt wird, die Plejaden seien das Sternbild,
aus dem Gott 2 Sterne herausgenommen habe, um aus den
so entstandenen Öffnungen den Regen der Sintflut hervor-
strömen zu lassen (Abh. I S. 18 Anm. 26)60).
b) Tessarakontadische Jahrfristen. — Von der 3
Menschenalter (yevsaC) zu je 40 Jahren, also im ganzen
1 20 Jahre, umfassenden Lebensdauer des homerischen Nestor
ist schon oben die Rede gewesen.61) Daß es sich wirklich
in diesem Falle um eine yevsd von 40 Jahren handelt, oder
mit andern Worten, daß im Zeitalter des älteren Epos, ebenso
wie nach semitischer Anschauung (s. Abh. I), eine ysvsd genau
40 Jahre umfaßte, ersehen wir am deutlichsten aus Hesiods
eQya k. fj{i. v. 436 ff., wo die Reife (cwpj) der Pflugochsen auf
9 Jahre (ßös svvasxriQco), die des Pflügers aber (v. 441 ff.)
auf 40 Jahre bestimmt wird:
toig d'ccpa rEööaQaxovrastrig ccl^rjbg anotxo
clqtov dsirtvrjGccg tstQdtQvepov, öntdßXco^ov,
60) Ich wage nicht zu entscheiden, ob das in dem astrologischen
Texte K. 1551 (vgl. Zimmern b. Schrader, D. Keilinschr. u. d. A.Test.8
389 u. 459) erwähnte 40tägige "Wüten der bösen Dämonen (d. i.
nach Zimmern und Winckler der Plejaden) auf die 4otägige Sintflut
oder ein anderes Phänomen, z. B. das 40 tägige Wehen der vom Schiffer
gefürchteten Etesien (s. unt.), zu beziehen ist. Auch lasse ich es
dahingestellt sein, ob die dem „Wassergotte" Ea geheiligte Zahl 40
(Abh. I S. 6) aus der 40 tägigen Regenperiode erklärt werden darf oder
einen anderen Grund hat.
61) Bei dieser Gelegenheit sei daraufhingewiesen, daß auch Holz-
schnitte des 16. Jahrh. 12 Altersstufen zu je 10 Jahren darstellen.
Daraus erhellt, daß man auch damals eine normale Lebensdauer von
rund 120 Jahren angenommen hat. Vgl. Ztschr. d. Vereins f. Volksk. XV
(1905) 409.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 55
ög sgyov fisksrcöv l&eidv x uvkax eXccvvoi,
lir^Bti namaivav ued-' d^Xixag^ «AA' e'jcl £Qy<p
d-vpbv e%(Qv' xov ö'ovtl vscoxeQog alXog dfxeivcov
öTieQuata dcc66aö&ca xal istiöitOQirjv cckia6%ca.
xovQotSQog yaQ dvijQ [isfr' o^irjXLxag £7ixoCr]xcu.
Zu demselben Resultate gelangen wir, sobald wir Hesiod
fr. 163 Göttl. = 207 Kinkel genauer ins Auge fassen:
ivvecc xol t,cbsc ysvsäg Xccxsqv^cc xoqcovi]
ccvöqcov rjßcovxcov' eXcccpog ds xs xsxQaxÖQcovog'
xQSig ö: tXdcpovg 6 xdpa| yrjQdöxexca, avxäg 6 (poivi%
ivvecc xovg xoQaxag' öixa di^(iEig roi>g cpoCvtxag
vv{icpca tv7iX6xuiioi, xovQca Aiog ulyiö%oio.
Schon Hikzel (a. a. 0. S. 36 t'.) hat darauf hingewiesen,
daß unter allen Ansätzen für die ysvsd derjenige von 40 Jahren
hier bei weitem die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat.62)
Dazu kommt noch, daß er mit der eben angeführten dx^irj
von 40 Jahrer. in den hesiodischen sQycc (v. 441) und der
3 x 40 = 1 20 jährigen Lebensdauer des Nestor und anderer
Helden (s. ob. S. 42 f.) im schönsten Einklang steht; auch ist
es von vornherein sehr wenig wahrscheinlich, daß im Zeit-
alter des Homer und Hesiod verschiedene Annahmen hin-
sichtlich der Dauer einer ysvsd existierten.63)
Auch ein paar 20jährige Fristen kommen in den
homerischen Gedichten vor, die sich mit ziemlicher Wahr-
scheinlichkeit als Halbierungen der tessarakontadischen
Jahrfrist erklären lassen. So sagt II. Sl 765 Helena in der
Totenklage um Hektor:
rjdr] yäg vvv [101 xoö' eeixoöxbv sxog eöxiv,
«| ov xsldsv eßrjV xal ifirjg d7ceXr]Xvd-u xdxQtjg.
62) Vgl. auch Ennead. Stud. S. 24 ff. u. 41 f.
63) In diesen Zusammenhang gehört wohl auch die den Schlaf
des Epimenides betreffende Notiz des Pausanias 1, 14, 4: 6 de vitvos
ov 7Tq6tsqov ccvrjxzv avTOv 7TQLV t] oi t s 6 0 a q a xo Gz 6 v ixog yeviG&cci
xcc&svdovxi. Hiernach sollte also Epimenides ein volles Menschenalter
in seiner Höhle schlafend zugebracht haben. Nach Suidas s. v. 'Etil^v.
freilich dauerte sein Schlaf 60 Jahre also 1 l/a yivsai zu je 40 Jahren
od. 2 ysvsui zu je 30 Jahren.
$6 W. H. Röscher:
Mit diesen der Helena in den Mund gelegten Worten will
also der Dichter dieser Episode andeuten, daß zwischen dem
Raube der Helena und dem Ende des trojanischen Krieges 20 Jahre,
die Hälfte eines vollen Menschenalters, liegen, eine chrono-
logische Angabe, von der zwar in der Ilias sonst nicht die
Rede ist, die aber doch, hauptsächlich unter dem Gesichtspunkte
der typischen ysvsd von 40 Jahren betrachtet, eine gewisse
Bedeutung beanspruchen darf.64) In Abh. I S. 23 u. 43 ist
gezeigt worden, daß auch von den Juden und Arabern die
20- Jahrfrist als Hälfte des Menschenalters betrachtet und ge-
braucht wird.
Eine zweite in den homerischen Gedichten oft hervor-
gehobene 20 jährige Frist bezieht sich auf die Abwesenheit
des Odysseus von Ithaka, wohin der Held erst nach 10 jährigen
Kämpfen und 10 jährigen Irrfahrten zurückkehrt.65) Es liegt
nahe anzunehmen, daß der Dichter gerade diese Frist wählte,
um das Leid des göttlichen Dulders als ein solches, das ein
volles halbes Menschenalter währte, hinzustellen und somit
um so deutlicher hervortreten zu lassen.
Auch in den verloren gegangenen Epen scheinen mehrere
64) Schon im Altertum hat diese Zeitangabe Kopfzerbrechen ver-
ursacht und verschiedene Erklärungen hervorgerufen. Die Schol. zu
Sl 765 und Eustath. z. d. St. behaupten, in diesem Falle seien zu den
10 Jahren des Kampfes vor Troja noch weitere (vorausgegangene)
10 Jahre, während deren die Rüstung und Sammlung (6TQutoXoyia) des
Heeres und der Flotte Agamemnons stattgefunden hätte, hinzuzuzählen.
Die apollodorische Epitoma Vat. p. 193 ed. Wagner (vgl. dessen Kom-
mentar p. 188) erklärt dagegen: vTroargsipccvtcov ovv twv 'EXXtjvcov rors
Xiysxoci rbv ii6Xf\iov siKOGccsrij ysvtß&ca- fisro: yä$ ti]v*EXtvr]g ccQnayijv
l-TSi dswigm tovg"EXXrr]vag TtuQaß-Aivaßayiivovg 6tQ(xtsvsß&ca, avcc%G>Qrj-
ßuvrag de ccnb MvßLag slg "EXXäSu psTa hr\ 6v.ra> slg "Jgyog iisxacxQcc-
(pivtag iX&elv slg AvXidcc. Durch diese Verlängerung des trojanischen
Krieges um 10 Jahre gewann man zugleich, wieTmuEMER (Pergamon 144 fr.)
erkannt hat, ein Motiv, das die Beteiligung des Neoptolemos am Kampfe
vor Troja als möglich erscheinen ließ.
65) Vgl. Od. n 206 (Odyss. sagt zu Telemach): Tta&cov v.av.a, tioXXu
d' aXrj&sig, \\ i\Xv&ov sly.oßrä hs'i ig ■nargiöcc yoclccv. Vgl. q 327. t 222
U. 484. (f 208. O) 322. ß I75. 1/) 102.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 57
20- Jahrfristen vorgekommen zu sein. Wir schließen das aus
solchen Stellen wie Apollod. bibl. 2,4, 11,3: öTQutevadusvog
de 'EQyivog iscl ®rjßccg utüvag ovx bliyovg £6%£i6axo yL£d?
öqxcov oitcog iii^,nco6i,v ccvxtii &rtßalot daö^ibv snl si'xoölv £xtj,
xaxä hog ixaxbv ßovg' ib. 3, 5, 57 5: aiged-elg ovv Avxog
7toA.£[iaQxog xmb @i]ßccLcov £7it%-aro vfi dvvaöxtlcc, xal ßa6iXev6ag
£xrj £ l'x 061 yovsvd-elg v%b Z,rßov aal 'Af.i(piovog &viq<jK£i
di aixiav xr]vÖ£.
c) Sonstige tessarakontadische Bestimmungen.
Schon Hirzel (a. a. 0. S. 5 2 f.) hat die merkwürdige Tatsache
hervorgehoben, cdaß [im Schiffskatalog der Ilias] von den
29 Abteilungen der griechischen Flotte nicht weniger als 10
aus je 40 Schiffen bestehen, wozu noch 2 zu je 80 [v. 568
u. 652] kommen, während die übrigen [17] sich auf die ver-
schiedensten Zahlen [3, 7, 9, 11, 12, 22, 30, 50, 60, 90, 100]
verteilen, so daß keine der letzteren sich mehr als dreimal
wiederholt und auch dies nur bei zweien, der 30 und 50,
stattfindet.' Er meint mit Recht, obgleich im Schiffskatalog
die Zahlenangaben eine gewisse Rücksicht auf geographische
und historische Verhältnisse verrieten66), so sei doch der
Phantasie und Willkür immer noch ein weiter Spielraum ge-
blieben. Wenn daher gerade hier die 40 vor allen anderen
Zahlen bevorzugt werde, so erlaube dies einen sehr wahr-
scheinlichen Schluß darauf, daß bereits von den homerischen
Sängern die besondere Bedeutung dieser Zahl vollkommen
anerkannt gewesen sei. Unterstützen läßt sich diese Annahme
Hirzels durch den Hinweis darauf, daß die Tessarakontade
auch für die Zahl der Bemannung der homerischen Schiffe
66) So hängen sicherlich die 90 (= 9 x 10) Schiffe Nestors (B 602)
mit dem enneadischen Opfer von 9x9 Stieren zusammen , das Nestor
darbringt, als er den Besuch Telemachs empfängt (Od. y 5 ff.). Das
erklärt sich aber einfach aus dem Umstände, daß das Reich Nestors
eine Enneapolis war (s. Sieben- und Neunzahl S. 62 f. Ennead.
Studien S. 31). Ebenso erklären sich die 9 (= 3x3) Schiffe der Rhodier
(B 654fr.) aus den 3 Stämmen der Rhodier (Ennead. Stud. S. 33 f.),
deren jeder 3 Schiffe stellte, usw.
c8 W. H. Röscher:
D
maßgebend war. Denn aus B 509 f. ersehen wir, daß jedes
der 50 boiotischen Fahrzeuge mit 3x40= 120 Mann (nach
Thuk. 1, 10, 4 lauter ccbxeQexai) besetzt waren; und das nach
II. A 309 von Agamemnon nach Chryse abgesandte Schiff
zählte ebenso wie die Reisejacht des Telemachos (a 280) und
das Fahrzeug des Odysseus (t 322: eEixoöOQog) 20 (also eine
halbe Tessarakontade!) Ruderer. Nach diesen Analogien wird
es jedermann begreiflich finden, wenn wir die Vermutung
aussprechen, daß auch die übrigen in den homerischen Ge-
dichten vorkommenden Gruppen von je 20 Personen sich als
halbe Tessarakontaden auffassen lassen. Ich meine die
20 schönen Troerinnen, die Agamemnon (II. I 139 u. 281)
dem Achilles überlassen will und die 20 Gegner von der
Art Hektors, die Patroklos, wie er sterbend rühmt, erschlagen
hätte, wenn nicht Hektor durch Zeus und Apollon unterstützt
worden wäre (II. 77 847). Den seekundigen Griechen der älte-
sten Zeit war der Anblick eines mit 20(40?) oder 120 Ruderern
besetzten Schiffes ein so gewohnter, daß sie unwillkürlich die
Zahl 20 zu einer typischen machten und auch auf alle mög-
lichen anderen Verhältnisse übertrugen.
III.
Die 4otägige Frist in zahlreichen alten Bauern-
und Wetterregeln.
Wir haben oben (S. 48 f.) zwei von 'Hesiod' in die sQya
x. ij{iSQca und MeyüXu eQya aufgenommene uralte Bauern-
regeln kennen gelernt, die dem Landmann vorschreiben, wie er
sich während oder unmittelbar nach einer an den Aufgang ent-
weder des Seirios oder der Plejaden angeknüpften tessara-
kontadischen Tagfrist zu verhalten habe. Ähnliche uralte
Bauern- und Wetterregeln figurieren ja noch heute in zahl-
reichen Volkskalendern.67) Wenn sich nun in der nach-
67) Besonders häufig finden sich derartige an bestimmte Kalender-
tage angeknüpfte Vierzigtagfristen in deutschen Volks- und Bauern-
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 59
hesiodischen Literatur eine ziemliche Anzahl gleichartiger,
ebenfalls von tessarakontadischen Fristen handelnder Bauern-
Winzer-, Jäger- und Fischerregeln findet, so dürfen wir wohl
mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, daß sie demselben
Kreise wirklicher oder vermeintlicher Erfahrungen entstammen,
wie die beiden oben besprochenen hesiodischen, und demnach
ziemlich eben so alt sind wie diese.
Bei weitem die meisten der hier in Betracht kommenden
Regeln zeigen die tessarakontadische Frist geknüpft an den
Aufgang des Seirios und geben an, wie man sich während
der 40 heißesten Tage des Sommers verhalten solle, oder was
man während dieser Zeit zu erwarten habe. Die von mir
gesammelten Zeugnisse sind folgende.
1) Plin. 14, 85: protropum68) . . . mustum . . . protinus dif-
fusum in lagenis suis defervere passi, postea in Sole quadra-
ginta diebus torrent aestatis secutae ipso Canis ortu.
2) Plin. 14, 113: Fit vinum et ex aqua ac melle tantum.
Quinquennio ad hoc servari caelestem iubent; alii pruden-
regeln. Ich führe folgendes an. 'Wie am Petritage (22./II.) das Wetter
ist, so bleibt es noch 40 Tage' (Eichsfeld: Wuttke, Deutscher Volks-
abergl.2 § 96). — 'Wenn es an Medardi (8./VI.) regnet, so regnet es
40 Tage' (Schi. Ndtl. ebenda § 101). — fWie die Witterung am Matthias-
tage (2 5. /IL) ist, so bleibt sie 40 Tage' (Bartsch, Mecklenb. Sagen 2
s- 253)- — 'Wenn es Maria Verkündigung friert, so friert es 40 Tage
hintereinander' (Ruberow, Am Urquell 6 S. 15). — fEs folgen 40 Tage
Regen, wenn es an Maria Heimsuchung (2./ VI.) regnet'. (Bartsch
a. a. 0. 2 S. 293 (1461). Man beachte die wunderbare Übereinstimmung
mit den 40 Wind-, Regen- und Winter- (Kälte-) tagen der Semiten!
(Abh. I S. 4. 18 nebst Anm. 26; S. 34 f.).
68) Vgl. Athen. 1, 30b. Mvrilr\valoi xbv jcag' avxoig ylvxvv olvov
TiQÖ§Qoy.ov kuIovoiv, aXloi Sh TtQÖtQOTtov. ib. 2, 45e. — Hesych. ngö-
TQOTTog- olvog xig, xov ylsvnovg xb 71q6%v(icc. Geopon. 6, 16 u. Niklas
zu der St. Mehr b. Schmidt zu Hesych. a. a. 0. u. Magerstedt, D. Wein-
bau d. Römer S. 185 f. — Bei dieser Gelegenheit mache ich auch auf
eine den Wein betreffende vigesimale Jahr fr ist aufmerksam, die
sich bei Plinius n. h. 14, 57 findet: nee alia res maius incrementum
sentit ad vicesimum annum [quam vinum] maiusve ab eo dispendium,
non proficiente pretio.
6o W. H. Röscher:
tiores statim ad tertias partes decoquunt et tertiam mellis
veteris adiieiunt, deinde quadraginta diebus Canis ortu
in sole habent . . . Hoc vocatur hydromeli.69)
3) Ib. 14, 100: Ficticiorum primum fit ex ipso vino, quod
vocant adynamon hoc modo: Albi musti sextarii viginti, aquae
diniidium, fervent . . . alii marinae sextarios decem, tantundem
pluviae, in sole quadraginta diebus torrent.70)
4) Nocb heute beobachten die griechischen Winzer nach
A. Mommsen, Griech. Jahreszeiten I — II S. 63 bei der Be-
reitung des Weines eine 4otägige Frist. Es heißt dort:
„Im August [also in den 'Hundstagen'] beginnen die grie-
chischen Weinernten, und wo man die Trauben nicht erst
aussonnt, werden sie gleich ausgetreten und der Most auf-
gefangen, daß er circa 40 Tage gähre (s. Mittelzeiten p. 10
u. 12)." '
5) Plin. n. h. 33, 109: Alii [spumam argenti, argyritin]
in lana Candida cum faba [coquunt], donec lanam non deni-
gret. Tunc salem fossilem adiiciunt, subinde aqua mutata,
siccantque diebus quadraginta calidissimis aestatis.
Die gleiche Zeit meint wohl auch das Rezept zur Bereitung
des QÖdivov ilaiov bei Dioskor. m. m. 1, 53: evioi de avra
jiova rä Qoda frläöavtEg xcci rjhdöavtsg ivcc7ioßQS%ovCi, ra
hlaiop . . . xal rjlid^ovrsg inl ^e'pag p' u%ql TQitrjg i[ißQO%f}s
ovrcog ä%oxi\fBvxai.
Um dieselbe Zeit des Siriusaufgangs, also in der heißesten
Periode des Sommers, wehen die Etesien, nach der ver-
69) Vgl. Pallad. 8, 7: [De hydromelli]. Inchoantibus cani-
cularibus diebus aquam puram pridie sumis ex fönte . . . Tunc
XL diebus ac noctibus patieris esse sub caelo.
70) Vielleicht hängt mit dieser für den Winzer wichtigen Vierzig-
tagefrist auch eine weitere tessarakontadische Bestimmung zusammen,
von der Cato r. r. 23 in dem Abschnitt von der Bereitung des Weines
redet: Face ad vindemiam, quae opus sunt . . . Si opus erit, defrutum
indito in mustum, de musto lixivo coctum, partem quadragesimam
addito defruti. — Vgl. auch Plin. n. h. 17, 202: intervallum iustum
arborum [die zum Ziehen der Weinstöcke benutzt werden], si aretur
solum, quadrageni pedes in terga frontemque, in latera viceni.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 6i
breitetsten und populärsten Anschauung 40 Tage lang an-
genehme Kühlung bringend.
6) Apoll. Rh. Arg. 2, 516 fr.
i][iog $' ovoavö&sv Mtvcotdag scpXsys vfjöovg
2JsCgiog, ov <$' l%\ örjQov srtv dxog svvcct'xrjöiv,
xfßiog xovy ^_AqiGxaloi>\ sxdXsöüuv lymioövvaig Exdxoio
Xoipov <xÄeZ,7]xfjQ(x. Xiittv d' öys itaxobg scpsx^ifj
&&i'rjv, sv dh Käip xaxsvdööaxo^ Xabv dystoag
523 LSod t' SV SQQs£,£V SV OVQSÖIV aGXSQL XSLVCö
2JsiqCcj avx<p xs Kgovidy AU. xolo d' s'xrjxi
ycüccv S7tifyv%ov6iv sx^öCai ix Atbg avoui
rjftcitß xs66aodxovxa.
Hierzu bemerkt der Scholiast: xccg xav sx^ölcjv avEfiav
rj^'Qag oi [iev xsööaQaxovxcc, dXXot Ös xsvxrjxovxd cpaötv,
cog Ti[io6&svrjg. Das Gleiche bezeugt auch Galenos XVII A
S. 387 f.71) und der Kalender des Klaudios Thuskos, abgedruckt
in Wachsmuths Ausgabe des Jo. Laur. Lydus de ostentis
P- x37; l5- ['IovXiog] xa . xf] nob tß' xaXsvdav anb xavxrjg xrjg
rjpsQag oi 'sxr\6lai 6vv xcci xolg äXXoig ävspoig sn\ xsüGccod-
xovxa ij^SQag12) tive'ovöiv. Ebenda unter ir\' heißt es: xal
71) &BQ[ioxdxr\g dh xov &toovg cogag ovar\g xijv xov xvvbg iitizoXijv
yive6&cci avfißaivet. %QÖvog S' ißxlv ovxog ijilsqwv xs6öagdxovxa . . .
nQO dt xovxov iinxoXfig oxtcü c%sdbv i]^Qccg oi ßogsocL Ttvtov6t-v, ovg tcqo-
$pou,ovg xulovßi. dvoi dh [isxd xr\v iitLtoXr}v i]\iiqaig oi avxoi ßootai,
ivaxcc&äg nviovGiv rj^EQo: ig x£G6ccQdv.ovxa, ovg ixrfilag sioiQ'ccai nalslv.
72) Vgl. auch Plin. n. h. 2, 123: Ardentissimo . . . aestatia tempore
exoritur Caniculae sidus . . . Huius exortum diebus octo fernie aqui-
lones antecedunt, quos prodromos appellant. Post biduum autem exortus
iidem aquilones constantius perflant XXXX [nicht XXX; vgl. Boeckh,
Kl. Sehr. III, 396] diebus, quos Etesias appellant. Vgl. dazu Lydus
de ost. p. 330, 14 W.ä — Auch der ägyptische Kalender zählte 40 Etesien-
tage: Jo. Lyd. ed. W.1 p. 253 u. 203, Hipparch dagegen nur 39 (ib.
p. 257 u. 253). Mehr bei Boeckr a. a. 0. 396 ff. u. Rehm im Artikel
fEtesiai' b. Pauly-Wissowa VI, 1 p. 714. Einer gütigen Zuschrift Bolls
entnehme ich die Notiz: „Eben finde ich bei der Korrektur von Cata-
logus- [astron. gr.] Bogen: Paris. 2419 f. 33 vff. als Schluß eines Kapitels:
usxa xrjv inixoXvv xov Kvvbg tj^sqcüv ja'; weiter weiß ich nur, daß
von ßqovxui und SialXayai av^cov die Rede ist." Diese Notiz kann
62 W. H. Röscher:
6 [isv nvav öq&qov avL6%£L, ol de irrjöiai, hTtixdvov6iv.
Das Zeugnis des Ptolemaios (ebenda p. 253 unter x£', Monat
'Eniyl) lautet: MrjTQodcoQip xal Evxt^ovt aal ^iXCnncp
irrjöCm nvsovöi xccl Ö7taQag aQ%^. Kui6uqi TtQÖÖQo^iOL itveov-
0iV — %rj\ coQa id' %vav InixelXsi . . . %&' . . . AiyvTCtCoig
itrjöicu13) ccq%ovt(u.
Dem Grenzgebiete zwischen Bauernregeln (Landwirtschaft)
und Medizin (Volksmedizin, Tierarzeneikunde) gehören folgende
Zeugnisse an:
7) Plin. n. h. 16, 246 (von der Mistel): hyphear [= genus
visci] ad saginanda pecora utilius: vitia modo purgat prirno,
dein pinguefacit, quae suffecere purgationi. Quibus sit aliqua
tabes intus negant durare. Ea medendi ratio aestatis qua-
dragenis diebus.
8) Plin. n. h. 8, 152: Rabies canum Sirio ardente74)
homini pestifera, ut diximus, ita morsis letali aquae metu.
Quapropter obviam itur per XXX<X> eos dies, gallinaceo
maxime fimo immixto canum cibis, aut si praevenerit morbus,
veratro. Daß hier nicht XXX sondern CXXXX eos dies' zu
lesen ist, scheint mir aus den vorhergehenden 7 Zeugnissen
zur Genüge hervorzugehen.75) Vgl. auch ib. 2, 107: caniculae
sich kaum auf etwas anderes als auf die 4otägigen Etesien beziehen,
an deren Schluß oft ßgovrcd und avspoi iisxaTtijttovrsg eintreten: Jo.
Lyd. de ost. ed. W.1 p. 203 f.
73) I. Goldzihek verdanke ich die Notiz, daß noch heute die
Ägypter von 40 Windtagen reden, unter denen höchstwahrscheinlich
die 40 Tage der Etesien zu verstehen sind.
74) Um dieselbe Zeit sind nach Gal. VIII, 132! Kühn auch die
Giftschlangen besonders gefährlich und bissig.
75) Derselbe Fehler scheint vorzuliegen Plin. n. h. 11, 36: Alterum
genus est mellis aestivi, quod ideo vocatur coqcüov, a tempestivitate
praecipua, ipso Sirio exsplendescente, post solstitium, diebus tri-
cenis fere. Auch hier ist wohl diebus XXXX zu lesen. Vgl. auch
ebenda § 37: Quod si servetur hoc [mel] Sirio exoriente... non alia
euavitas visque mortalium malis a morte vocandis quam divini nectaris
fiat. ib. 30: Venit hoc [mel] ex aere et maxime siderum exortu, prae-
cipueque ipso Sirio exsplendescente fit, nee omnino prius Vergi-
liarum exortu, sublucanis temporibus. Alle diese Notizen beruhen
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 63
exortu accendi Solis vapores quis ignorat? . . . canes qui-
dera toto eo spatio [d. h. in den 40 Hundstagen; s. ib. 2,
123, Anm. 72 u. Anra. 75] maxime in rabiem agi non est
dubium. Alex. Aphrod. probl. I, 76 (p. 24 Ideler): nvsg
de <pcc6iv xal xbv xvvcc xo äötQov 6vfißdlX£6&ai natu tcvcc
UTtOQQOMXV TOVTOig [t. XVÖl] JtpÖg XY\V XvöÖUV.
9) Nur mit Vorbehalt darf hier das bei Galen, in Hippocr.
de aere etc. VI 202 , 23 Chartier in lateinischer Sprache er-
haltene merkwürdige Bruchstück des Anaxagoras (= fr. 20
Diels) aufgeführt werden, weil es sachlich sehr bedeutende
Bedenken erweckt. Es lautet: De hoc autem [d. h. über Auf-
und Untergang der Gestirne] multa retulit Anaxagoras in-
quiens, cane ascendente messem, descendente vero terrae
cultum homines exordiri subditque canem76) XL diebus
totidemque noctibus occultari. Der Übersetzer Galens
fährt dann fort: Verum est autem canem his XL diebus
dumtaxat abscondi; dein vero vesperi non numquam circa
solis occasum quandoque vero per duas vel tres horas post
eius occasum manifestus efficitur: apparebit autem post aequi-
noctium memoratum. si autem sol occidat obscuriorque nox
extiterit, perspicua visione apparebit; totoque die ab occiden-
tali horizonte occultabitur. transacto autem aequinoctio debili
visione apparebit, dein occidet nee ullo modo videbitur, quando-
quidem oeeidit cum solis ocasu antequam ad perfeetam ob-
scuritatem nox devenerit. non apparet autem, priusquam nox
ad obscuritatem accedat, ob exilem quandam stellam quae
inter ipsum ac visus radios interponitur. cuius occasione in
multis ex XL noctibus, quemadmodum doctissimus retulit
Anaxagoras, non apparet nee detegitur. is enini nulluni sidus
wahrscheinlich auf uralten Anschauungen der antiken Imker. Auch
Plin. h. n. 9, 125 „purpurae latent sicut murices circa canis ortuna"
ist wohl nicht „tricenis" sondern „quadragenis (XXXX) diebus'1 zu
lesen. Vgl. auch ib. 133: capi eas post canis orturn . . . utilissimum.
76) Es fragt ßich, ob hier unter dem „Hunde" das ganze nach
Ps.-Eratosth. catast. 33 nicht weniger als 20 Sterne umfassende Stern-
bild oder nur der fSeirios' zu verstehen ist.
Phil.-kist. Klasse 1909. Bd. LXI. 5
64 W. H. Röscher:
hac quidem ratione se habere affirmat, excepto Arcturo sidere
nimiruin proxime ipso cane minore" [so Chartier!].
Leider bin ich auf astronomischem Gebiete so wenig zu
Hause, daß ich es nicht unternehmen darf, die sehr bedeutenden
sachlichen Schwierigkeiten der vorstehenden Sätze zu heben.
Diese bestehen, wenn ich recht sehe, vorzugsweise in dem
Gegensatz, in dem die Berechnungen der neueren Astronomie
zu den Behauptungen des Anaxagoras und Galenos stehen.
Einer der ausgezeichnetsten Fachkenner auf diesem Gebiete,
Ginzel in Berlin, hat mir nämlich auf meine Bitte, mir über
die Sichtbarkeits- und Unsichtbarkeitsphasen des Seirios etwa
zur Zeit Hesiods (800 vor Chr.) und für die Breite Athens
Genaueres mitzuteilen, folgendes geantwortet77):
„Ähnlich wie die Plejaden [s. ob. S. 49 f] verhalten sich die
Sichtbarkeitsverhältnisse des Seirios (800 v. Chr. Athen). —
Im Dezember kulminiert S. um Mitternacht. Im Januar geht
er gegen 6h abends auf und ist Ende Februar bis zum Unter-
gang (ih morgens) sichtbar. Der akronychische Aufgang
(== letzter sichtb. Aufgang abends) findet am 2. Januar statt.
— Im März und April rücken die Aufgänge in den Mittag-,
am 2. Mai findet der heliak. Untergang statt. Seirios
wird unsichtbar, weil er nach der Sonne auf- und vor der
Sonne untergeht; am 28. Juli wird er wieder sichtbar
(heliak. Aufgang). Seine Unsichtbarkeit dauert also vom
2. Mai bis 28. Juli = 88 Tage. — Im August finden die
Aufgänge vor Sonnenaufgang, die Untergänge um Mittag
statt. Im Okt.-Novbr.-Dezbr. erfolgen die Aufgänge vor
Mitternacht resp. schon in den Abendstunden; die Unter-
gänge fallen in den Tag; am 22. Novbr. findet der kosmische
Untergang (erster Untergang am Morgen) statt."
Ich muß es, wie gesagt, Astronomen von Fach überlassen,
diesen offenbaren Widerspruch zwischen 'Anaxagoras' und den
modernen Berechnungen richtig zu beurteilen oder zu beheben.
Das, worauf es mir hier ankommt, ist der auffallende Paral-
77) Vgl. auch Boeckh, Kl. Sehr. III S. 368 fr
Die Tessakakon iaden der Griechen und anderer Völker. 65
lelismus, der nach den Angaben des Anaxagoras und Galenos
zwischen der Unsichtbarkeitsphase der Plejaden und der
des Seirios besteht: in beiden Fällen soll die Unsichtbarkeit
40 Tage dauern und beider Gestirne Aufgang soll das Signal
zum Beginn der Ernte, ihr Untergang das Zeichen zum Be-
ginn des Pflügens geben. Mögen aber diese Annahmen richtig
oder falsch sein, in jedem Falle ersehen wir aus jenem Satze
des Anaxagoras (vorausgesetzt daß er richtig überliefert ist) 77b)
abermals die große Bedeutung, welche auch die ältere grie-
chische Naturphilosophie der tessarakontadischen Tagfrist zu-
geschrieben hat.
Eine zweite Reihe ähnlicher Regeln zeigt die tessara-
kontadische Tagfrist mit den Solstitien verknüpft, und zwar
handelt es sich dabei bald um das Wetter (Wind), bald um
das Gedeihen der Bäume und des Getreides, bald um die
Tiere des Landmanns und des Jägers. Auch hier wieder
dürfen wir mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß wir
es im Grunde mit uralten Anschauungen oder Erfahrungen
des griechischen Volkes zu tun haben.
10) Theophr. de causs. pl. 5, 12,4: nval öe xä nvsvyiaxa
tä dnoxaiovxa tcsql ye xovg natu xyjv 'Ehkäöa rönovg änb
dv6(.icov aöTiEQ 6 'OlvyiTilag 6 tioicöv äXlo&L xs xal sv XaXxtdi
xbv xalovyiEVOv xav&{i6v . . . f] 6' cÖqoc xrjg %vor\g pdliöxä
TCojg tcsqI xQOitäg [= bruma!] viib rag xtxxagäxovxa' xöxa
yuQ xal 6 driQ öXcog rjwxQbxaxog. Hier hat Theophrast ganz
offenbar die Beobachtungen der euböischen Landleute ver-
wertet (vgl auch Neumann-Paetsch, Physik. Geogr. v. Griech.
107 nebst Anm. i).78)
77b) Ist vielleicht statt XL rbis XL' zu lesen?
78) Auch bist. pl. 4, 14, 11 wird hervorgehoben, daß der Olympias
tii-HQÖv kqö TQOTtwv 1) [LSTtt rgonag %£tu£Qivüg wehe und die Bäume aus-
dörre oder versenge (aitoxäsi); dann heißt es weiter: iyivsxo Ss ngo-
tsqov noXld-Aig i\8r] xcci in 'AQ%Lmtov öi izdv xiXTUQa-AOvza oq.o-
ögog, vgl. Plin. n. h. 17, 232. Vielleicht liegt auch hier eine volks-
tümliche Zahlenmystik vor: die 40tägige Frist kann sehr wohl in
diesem Falle die 40jährige erzeugt haben.
5*
66 W. H. Röscher:
ii) Genau dasselbe, was Theophrast von den Baum-
pflanzungen Euboias berichtet, gilt auch von denjenigen in
Pontos und Phrygien nach Plin. n. h. 17, 233: Aliae [arbores]
in septentrionalibus, ut Ponto, Phrygia, frigore aut gelu
laborant, si post brumam continuavere XL diebus.
12) Sicher hängt mit dieser landläufigen Anschauung von
der 40 tägigen Frist der größten Kälte um die Zeit der Winter-
sonnenwende auch der von Plin. n. h. 18, 204 als 'allgemein-
gültig' ausgesprochene Satz zusammen: Inter omnes . . .
convenit, circa brumam serendum non esse, magno argu-
mento, quoniam hiberna semina, cum ante brumam sata
sint, septimo die erumpant, si post brumam vix quadra-
gesimo.79) Dasselbe sagt auch schon Varro r. r. 1, 34, i; vgl.
darüber meine 'Hebdomadenlehren' S. 37 A. 57. S. 103. S. 150.
13) Nur eine Beobachtung der antiken Gänsezüchter gibt
Plinius (10, 162) wieder, wenn er behauptet: Anseres in aqua
coeunt, pariunt vere, aut si bruma coivere, post solstitium,
quadraginta [diebus] prope.
1 4) Genau dieselbe Frist kehrt wieder in der Beobachtung
der griechischen Bienenzüchter, die uns Aristoteles (an. h. 9,
40, 14) mit den Worten überliefert: 'Ev de xolg Ev&rjvovöi
xäv 6\ny]v(bv ezIeCtcel 6 yovog [novog?] xäv ^ishxxäv tisqI
xExxa.Qä,x.ov%? i][i6Qocs fiövov xäg u£xä %Ei^EQiväg XQoitag.
15) Ebenso wollten die antiken Jäger und Hirten nach
Aristot. h. an. 8, 17, 1 beobachtet haben: Tb d' eltt%i<5xov
(pokel [i] aQxxog] tteqI XExxaQÜy.ovxf y[i£Qocg. xovxav Ös
dlg iiitxä Xeyovöiv ev alg ovdlv xlveixcu, ev öe xalg Ttlsioöi
xalg fisxä xavxa cpcolet \iev, xivEixai öe xal sysCgExca. Vgl.
auch Plin. n. h. 8, 126: mares [ursi] quadragenis diebus
latent. Daß hier die 40 Tage um die bruma oder nach dieser
79) Bereits Hirzel a. a. 0. S. 45, 2 hat mit Recht behauptet, schon
der Umstand, daß sich hier der Einfluß der 40 mit dem der 7 kreuze,
beweise, daß es sich hier um bedeutungsvolle Zahlen (Fristen) handelt.
Vgl. auch Theophr. c. pl. 3, 23, 1, nach dem es 7 Tage nach dem Unter-
gang der (40 Tage garnicht oder schlecht sichtbaren) Plejaden (s. ob.)
zu regnen pflegt, und ob. Aristot. Nr. 15.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 67
gemeint sind, geht sowohl aus dem ganzen Zusammenhange80)
als auch aus den Beobachtungen neuerer Naturforscher deut-
lich hervor.
16) Endlich führe ich hier noch die von Geminos p. 25°
Petavius in bezug auf beide Sonnenwenden mitgeteilte,
wahrscheinlich ebenfalls uralte und volkstümliche, Beobachtung
an: al . . . 7taQav^yJ6SLg xäv ijusQüv xai rdv vvxxäv ovx elöiv
iv nä<5i xolg fccodioig i'tfca, aXlä tcsqI fiev xä XQOTttxä öiqusla
(itxQcci navxsXüg xai avenaiG^rixot yivovxai' coöxs 6%s8bv ty
jj{iSQug xexxagdxovxa xb avxb uey&frog xäv i]ti£Qäv xai
T(bv vvxxiöv Öucusvsiv.
17) Ferner spielt die tessarakontadische Tagfrist auch im
Anschluß an das Frühlingsäquinoktium eine Rolle in der
Ölbaumzucht. Vgl. Plin. n. h. 17, 127: Olivetum diebus XV
ante aequinoctium vernum incipito putare. Ex eo die
diebus XL recte putabis = Cato r. r. 44.
18) Ebenso wie die 40 Tage nach dem Frühlingsäqui-
noktium für das Beschneiden, so waren die 40 Tage nach
dem Herbstäquinoktium für das Pflanzen der Ölbäume
maßgebend. Vgl. Plin. h. n. 17, 128 f.: Italia quidem nunc
vere maxime serit [oleas]. Sed si et auctumno libeat, post
aequinoctium XL diebus ad Vergiliarum occasum quatuor
soli dies sunt, quibus seri noceat.
Bei einer weiteren Reihe von tessarakontadischen Tag-
fristen fehlt zwar die Beziehung auf einen bestimmten Jahr-
punkt, dennoch aber haben wir allen Grund sie mit hier auf-
zuführen, weil sie fast durchweg dem Gesichtskreise des Land-
manns entstammen und dessen Erfahrungen auf dem Gebiete
des Getreidebaus und der Tierzucht wiedergeben.
19) Theophr. hist. pl. 8, 2, 6: aexä de xi\v anv.vftrfiiv
ädQvvovrca xai xslsiovvxai TtvQog uev xai XQifrr\ xsxxaga-
80) Vgl. ebenda die Worte: öxi uhv ovv cpcolovaiv al äyQiai ägnTot,
cpavsQOv ioxiv notsgov 6h diu ipv%og 1) 81 a'ü.r\v alxiav äfiqpKJ^rjTf trat. . . .
17 äs ftr\lua Kai n'xra nsgl xovxov xbv v.aigbv [= xgonug jjftftspt-
vug] xai cpalsi sag ccv i^äysiv coqu y xovg 6-Avpvovg' xovxo Ss noist xov
fagog rtsgi xqlxov ^.fjva anb xqotzcov.
68 W. H. Röscher:
y.oäxala pdliöxa91), naoaTchfilag de xal xicpt] xal xäkka xä
xoiavxa. xexxaoaxoöxalov de cpadi xal xbv xva^iov, cötixe
iv föaig ävd-elv xal xeketovö&aL. xä ö' äkka iv ekäxxoöLV
ika%t6xaig de 6 ioißiv&og, efaeo äitb xr\g öitooäg iv xexxaad-
y.ovxa xekeiovxai xalg ccxdöaig, cjöxeo xiveg (pccöiv . . . ol de
xeyiQOi xal xä 6rt6aua xal ol pekivoi xal okog xä fteoivä
6%edbv öuokoyelxai xäg xexxaQaxov^ i)[ieoag kaußdveiv.82)
Offenbar fallen die 40 Tage; in denen das abgeblühte Getreide
der Ernte entgegenreift, mit der oben besprochenen tessara-
kontadischen Frist, während deren die Plejaden unsichtbar
81) Hier sind unter itvgdg, hqi&i] usw. die Weizen-, Gerstenkörner usw.
zu verstehen, deren Entwicklung von der Getreideblüte an also 40 Tage
dauert. Nun beachte man, daß der Verf. des hippokratischen Traktates
n srtTcciiTJvov, nach dessen Theorie die Entwicklung des menschlichen
Fötus in 7 Tessarakontaden (oder 40 Hebdomaden) von Tagen vor sich
gebt, cap. 1 = VII p. 436 Littre sagt: '0%6xuv ovv ig xr\v &Q%r\v xfjg
xsXsimOiog %XQ"f] xavxrjv [rö fyßQvov], ääQvvonivov xov ifißgvov kcx.1 xt]V
iayjvv itovXv inidiSovxog iv xyj xeXsimeet, n&XXov . . . , ol vusvzg, iv olei
xi)v ccq%t]v ixoä<pr\, wöttsq xäv aGxcc%vcov, i£s%ccXa6ocv TtgÖGfrzv avuy-
y.ajdftfvot 7} xsXsicog i^adgvvd-fjvcci xbv xoxov %. x. X. Hier wird also wie
so oft das Kind mit dem Korn verglichen, und so dürfen wir schon hier
die Vermutung aussprechen, daß die beim Getreide beobachtete 40 tägige
Frist der Entwicklung seit uralter Zeit die Vorstellung der Schwangeren
mit erzeugt hat, daß auch die Entwicklung des Kindes im Mutterleibe
in tessarakontadischen Fristen sich vollziehe. Vgl. dazu außer der be-
kannten Schrift Mannhaedts rKind und Korn' jetzt auch A. Dieterich,
Mutter Erde S. ioiff.
82) Vgl. dazu auch den wohl z. T. aus Theophrast schöpfenden
Plin. n. h. 18, 5of. : Legumina diutius florent . . sed diutissime faba XL
diebus. ... Frumenta cum defloruere crassescunt maturanturque cum
plurimum diebus quadraginta, item faba, paucissimis cicer. Id
enim a sementi diebus XL perficitur. [Daher nennt noch heute der
Italiener die in 40 Tagen wachsende Zuckererbse f quarantano'.]
Milium et panicum et sesama et omnia aestiva XL diebus maturantur
a flore magna terrae caelique differentia. — Colum. 2, 12 p. 86 Bip. : omne
autem frumentum et ordeum, quidquid denique duplici semine est . . .
octo diebus deflorescit ac deinde grandescit diebus quadraginta,
quibus post Sorem ad maturitatem devenit. Kursus quae duplici semine
sunt, ut faba, pirum, lenticula, diebus XL florent simulque gran-
descunt.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 69
sind, zusammen (vgl. Ilberg im Lex. d. Mythol. 111 Sp. 2554
oben).83)
20) Theophr. hist. pl. 8, 2, 8: ev Mr\kto de xi d-av[icc6t,cb-
xeoov Xiyovöiv sv yäo xoiccxovxa r) xexxccQccxovxa i)[isQcug
GnaQEvxu &£qC£,ov6l.
21) Galen. XVIII A p. 469 Kühn: örjxavtovg nvoovg ol
öö^avxeg agiöxcc xi]v 'iTtTtoxodxovg e\v\yri6u<5%ui lz\iv elorjöftcL
<paöi TtQog avxov xovg Gfjxeg £67iccQ[ievovg, otcsq ol 'Axxlxol
xfjxeg 6vo[iä^ov6L . . . £'£ ov örjLica'vsö&cd (paßt xovg £v xa erst
xovxcji xovx(<5xl xuxä xb eccQ iönaQ^vovg dinrjVLccCovg xe xcd
xe66aQaxovd">]liEQOvg bvoiLtx^oiisvovg. Vgl. dazu Plin. n. h.
18, 70: Est et bimestre [triticum] circa Thraciae Aenum, quod
quadragesimo die, quam satum est, maturescit . . . Graeci
setanion vocant.
22) Varro r. r. 3, 7 p. 221 Bip.: Nihil columbis fecundius.
itaqne diebus quadragenis concipit et parit et incubat et
educat. Ebenso Florentin. in den Geopon. 14, 1, 3.84)
2^) Varro r. r. 2, 5 p. 183 Bip.: Maxime idoneum tempus
ad concipiendum [hier ist von Kühen die Rede] a delphini
exortu usque ad dies XL aut paulo plus, quae enim ita
conceperunt, temperatissimo anni tempore pariunt. vaccae
83) Auch 2otägige Fristen beobachtete man beim Getreidebau;
vgl. Plin. h. n. 18,254: segetes iterare. sarritur vero diebus viginti.
84) Hängt etwa mit dieser Vierzigtagefrist die weitere von Aristot.
h. an. 6, 4, 3 bezeugte Anschauung zusammen, daß die Lebensdauer
der (pccTtca 40 Jahre beträgt? Übrigens spielt auch die Hälfte der
Vierzigtagefrist nach Plinius im Leben der Tauben eine gewisse Rolle;
denn es heißt von ihnen (10, 159): excludunt vicesimo die, d. h. das
Brüten dauert bei ihnen 20 Tage. Dieselbe Brutfrist von 20 Tagen
gilt für die Vögel (/j ögvig, rb oqvsov) im allgemeinen nach „Hippocr."
■k. (pva. TtaiS. 30 = VH p. 536 Littre: v.al 6v.6vav 17 ögvig ai'a&T}Tcei xbv
vsooabv Y.ivrftiVTa ia-^vQ&g, xol.arpaecc i^si-sipsv v.al xccvtoc ^vaßalvei
ylvsa&cci iv si'xociv rjfieQjjai. Wenn bei Aristot. h. an. 6, 4, 3 gelesen
wird: x'iYXsi de -xal i] tisqi6x£qcc ccnovsoxTsrovaa näliv iv xgiäy.ov&'
rjfiBQcas, so fragt es sich, ob hier statt Ä (=30) nicht vielmehr ge-
schrieben werden muß M' (= 40).
70 W. H. Eoscher:
enim mensibus X sunt praegnantes. Dasselbe liest man Geopon.
17, 10, 3-85)
24) Sehr auffallend sind ferner die tessarakontadi sehen
und eikadischen Bestimmungen, welche nach Aristoteles
und Plinius in der Pferdezucht eine Rolle spielen. So be-
trägt nach Aristo! h. an. 5, 14, 6; 6,22,3 u. 5 die höchste
Lebensdauer der Pferde 40 Jahre; der meisten aber nur
18 — 20 Jahre (6, 22, 3). Die schönsten Fohlen wirft die Stute
bis zu 20 Jahren (5, 14, 6). Die Zahl der Zähne beträgt
beim Pferde 40 (6, 22, 2). Bis zum 40. Jahre kann die Stute
fruchtbar sein (5, 14, 6).86) Eine auf das Pferd und seine
Zucht bezügliche 40-Tagefrist habe ich freilich bisher nicht
auffinden können.
25) Ein wahrscheinlich uraltes Rezept der hundezüch-
tenden Hirten gegen die Hundswut (rabies) überliefert uns
Columella VIII, 12 p. 3io,f. Bip. (= Plin. h. n. 8, 153): Catu-
lorum caudas post diern quadragesimum, quam sint editi,
sie castrare conveniet. nervus est, qui per articulos spinae
prorepit usque ad ultimam partem caudae: is mordicus coni-
prehensus et aliquatenus eduetus abrumpitur. Quo facto neque
in longitudinem cauda foedum capit incrementum et — ut
plurimi pastores affirmant — rabies arcetur, letifer
morbus huic generi. Wie es scheint, haben in diesem Falle
zwei Momente zusammengewirkt, um die gedachte Tessara-
kontade zu erzeugen: erstens die Bedeutung, welche die Vierzig-
tagefrist für die neugeborenen Kinder hatte (Kap. V), und zwei-
tens die hervorragende Rolle, welche der 40. Tag von jeher
in der Medizin (Volksmedizin) gespielt hat (Kap. V). Auch
kommt hier sicherlich der Umstand mit in Betracht (s. ob.
85) Auch hier hat sich wieder eine vigesiniale Tagfrist ein-
gestellt; denn Plinius (n. h. 8, 177) behauptet von den Kühen: coneeptio
uno initu peragitur, quae si forte pererravit, vigesimum post diem
marem femina repetit. Unmittelbar nachher ist doch wohl nach Varro
u. Geopon. a. a. 0. zu lesen: Coitus a Delphini exortu a. d. pridie Non.
Januar, diebus XXXX (nicht XXX)!
86) Vgl. Plin. n. h. 8, 164: Gignunt [equae] annis omnibus usque
ad quadragesimum.
Die Tessarakontaden der Griechen ökd anderer Völker. 71
Nr. 8), daß die Tollwut der Hunde nach antiker Anschauung
gerade in den 40 heißesten Tagen (den 'Hundstagen') aus-
brechen sollte.
26) Sogar auf das Pichen der Weinfässer kurz vor der
Weinlese hat sich die tessarakontadische Frist erstreckt;
denn bei Columella 12, 18,4 heißt es: Dolia quoque et seriae
ceteraque vasa ante quadragesimum vindemiae diem pi-
canda sunt. In den Geoponica 3, 11, 3 ist freilich — wenn
die Lesung richtig ist — diese Frist, wie auch sonst häufig,
auf die Hälfte, 20 (x'?) Tage reduziert.
27) Auch die griechischen Fischer scheinen den Glauben
an die Bedeutung der Vierzigtagefrist geteilt zu haben; denn
Aristot. h. a. 6, 14, 4 heißt es von der Brut der yldvoi: "Eöxl
de ßgccövrccTTj fisv ix xav <päv i\ xtöv yXavtcov av%xfiig' Ötb
7tQ06£dQ£VSL Ö ÜQQTjV XCcl X £XX UQCiXOVX U Xttl 7t6VXrjXOVXCC
fjfiEQag, özvag pi] xaz£öd'Cr]xat 6 yovog vtco xäv 71uq<xxv%6v-
xcov 1%%-vdlojv. Almliches gilt nach den Beobachtungen der am
Pontos und an der Maiotis ansässigen Fischer vom Thunfisch
(7tr]lcc{ivg, xvßiov), der nach 40 Tagen aus dem Pontos in
die Maiotis zurückzukehren pflegt (Plin. n. h. 32 , 146: cybium,
ita vocatur concisa pelamys, quae post XL dies a Ponto in
Maeotin revertitur). Hierher scheint auch das zu gehören,
was Plinius (9, 125; s. ob. A. 75), wahrscheinlich ebenfalls auf
vermeintlichen Beobachtungen der Fischer (Purpurfischer)
fußend, über die 4o(?)tägige e Verborgenheit' der Purpur-
muscheln (purpurae u. murices) während der Hundstage sagt.
28) Den Beschluß dieser Reihe volkstümlicher Regeln
möge bilden die merkwürdige uns von Plinius n. h. 2 , 2 1 1
überlieferte Notiz: annotatum est in Lycia...semper a
terrae motu quadraginta dies serenos esse.87) Da Lykien
gleicherweise von Griechen wie von Lykiern bewohnt wurde
und Plinius sicher in diesem Falle aus einer griechischen
87) Nahe verwandt mit dieser Regel ist die von Plinius 2, 198
überlieferte vermeintliche Erfahrung: Desinunt . . . tremores [terrae],
cum ventus emersit, sin vero duravere, non ante quadraginta dies
sistuntur.
7 2 "W. H. Röscher:
Quelle geschöpft hat, so trage ich kein Bedeaken, die wunder-
liche Wetterregel, die der von Erdbeben so häufig heim-
gesuchten Landschaft entstammt, hier mit aufzuführen, zumal
da sie in zwei charakteristischen Merkmalen mit den meisten
der angeführten Zeugnissse übereinstimmt.
Die sämtlichen aufgeführten Sätze sind einander ziemlich
ähnlich oder geradezu gleichartig, indem sie die tessarakon-
tadische Tagfrist (einmal auch die Jahrfrist) regelmäßig mit
irgendeiner für den Bauern (Winzer, Imker, Tierzüchter), Fischer,
Jäger wichtigen Handlung oder Tatsache (Beobachtung, Er-
fahrung) verknüpft zeigen. In den meisten Fällen steht die
tessarakontadische Frist in Verbindung mit dem Auf- oder
Untergang oder dem Verschwinden eines seit unvordenklicher
Zeit bekannten und beobachteten Gestirns (des Seirios, der
Plejaden, einmal auch des Delphins) oder auch mit einem der
wichtigsten Jahrpunkte, d. h. den Sonnenwenden oder den
Äquinoktien. Mehrfach wird hervorgehoben, daß die 40tägige
Frist eine Vollendung und Reife {xalsiaötg) herbeiführe, was
an die von mir in Abh. I S. 5 ff. bereits hervorgehobene gleiche
Vorstellung der Semiten, besonders der Babylonier (40 = kissa-
tum = Vollendung, Universum usw.) erinnert. Dieser An-
schauung huldigt ganz besonders der griechische Bauer hin-
sichtlich der Reife der für ihn bei weitem wichtigsten Nutz-
pflanze, des Getreides (s. ob. Nr. 19 ff.), das genau in denselben
40 Tagen der Ernte entgegenreift, in denen das für Saat und
Ernte von jeher bedeutungsvollste Gestirn der Plejaden un-
sichtbar bleibt. Endlich dürfte wohl jeder unbefangene Leser
unserer obigen 28 Zeugnisse den Eindruck haben, daß die
meisten von ihnen uralte und volkstümliche Erfahrungen
und Beobachtungen enthalten, obwohl sie sich vielfach erst
bei späteren Schriftstellern finden, die aber offenbar hin-
sichtlich des Alters der zugrunde liegenden Erfahrungen mit
Homer und Hesiod auf gleicher Stufe stehen.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 73
IV.
Die Tessarakontaden in der ältesten Gesetzgebung und Politik
der Griechen, sowie in der Lehre und Tradition der Pythagoreer.
Zwar fehlen in der älteren Gesetzgebung der Griechen,
soweit sie mir bekannt ist, bis jetzt noch die Zeugnisse für
Vierzigtagfristen, wohl aber finden sich hier mehrere unzweifel-
hafte Jahrtessarakontaden, sowie einige wahrscheinlich als
deren Hälften anzusehende Zwanzigjahrfristen, die wir jetzt
kurz aufzählen und besprechen müssen. Und zwar scheinen
diese tessarakontadischen und halbtessarakontadischen Jahr-
fristen sämtlich auf der uralten, uns schon aus den vorher-
gehenden Abschnitten wohlbekannten, den Griechen und
Semiten gemeinsamen Vorstellung von einer mit dem 40. Le-
bensjahre sich vollendenden ccx^tj oder yevsd zu beruhen.
Daß in Athen, wohl mindestens seit Solon, ein Gesetz
bestand, demzufolge die Choregen für Knaben chöre das
40. Lebensjahr überschritten haben mußten, weil nur Männer
von diesem Alter die ihnen die nötige Auktorität gegenüber
der Jugend verbürgende öcoqQOGvvrj zu besitzen schienen, er-
fahren wir aus der Rede des Aischines gegen Timarchos
11 § 3 5 f.; vgl. 12 § 3988). Genau dasselbe Mindestalter
mußten aber auch nach Aristoteles tioXlt. 'A&yv. 42 die Vor-
steher der athenischen Ephebenschaft erreicht haben, weil nur
solche Männer, aus denen auch der aaffQoviöryjg und xo6fii]rrjg
gewählt wurde, nach Ansicht der Bürgerschaft die gehörige
Reife und Tüchtigkeit besaßen, um ihre Pflicht gegenüber
den Jünglingen erfüllen zu können.89) Auf Grund solcher
88) 'O yaQ vo wo&£tt]s [Solon?] xsXsvei .. xbv %oqr\ybv xbv fiiX-
Xovxcc xi)v ovaiccv xi]v iccvxov avaX'iGxiiv vniQ xsxxagdxovxa £xr\
ysyoj'oro: xovxo TtQazxsiv, Iv' ijdr] iv xf] GaxpQOvsGxdxy) uvxov tjXixmx
tbv, ovxcog ivxvy%dvrj xolg v^szigotg naiGiv.
89) Aristot. a. a. 0. 42 = p. 46, 12 ed. Wil. et K.: indv dh Soxi-
ILKGdäGiv ol Vcprißoi, ovXXsyivxeg oi nccxigsg ccvxäv . . aiQOvvrcci xgslg ix
xcbv cpvXsxebv xwv vntg xexxccqlxxovxcc £r7] ysyovöxwv ovg av rjy&vxai
ßsXxiGxovg sivai xai iniXT]8£ioTdxovg iTti^XiiG^ui xäv i<pr')ßa>v, ix Sh
xovxav 6 dfjiiüg tvcc xfjg cpvXf/g txÜGxr\g %£iQOXovti 6co(pgovtGxr]V xocl
y.ogilt]xt]v ix xcav alXcov 'A&rjvccicov ini ndvxccg.
74
W. H. Koscher:
Analogien verstehen wir auch leicht den Sinn der Anträge
des Pythodoros und der „Dreißig" vom Jahre 404, in die
Kollegien der XQÖßovXoi90) sowie der mit der Auswahl der
^Fünftausend' beauftragten Zehnmänner91) ebenfalls nur solche
Bürger zu wählen, die mindestens 40 Jahre zählten. Wie
aber hier das vierzigste Lebensjahr als der Beginn der höchsten
geistigen und moralischen Reife der Männer erscheint, die
zu Vorstehern und Leitern der männlichen Jugend berufen
waren, so war für die Reife der Epheben selbst das zwan-
zigste Lebensjahr von besonderer Bedeutung, insofern sie
erst nach dessen Vollendung in die eigentliche Bürgerwehr
aufgenommen und dadurch gewissermaßen für mündig erklärt
wurden.92) Eine ganz ähnliche Rolle spielte das zwanzigste
Lebensjahr (ebenso wie das vierzigste!) auch bei den Israeli-
ten, wie bereits in Abh. I S. 2 2 ff. gezeigt worden ist. Wir
gewinnen also auf Grund obiger Tatsachen den Eindruck, daß
in Athen seit alter Zeit eine sozusagen 'tessarakontadische'
Einteilung des normalen menschlichen Lebens von 80 Jahren,
wie es Solon (fr. 20 Bergk) im Gegensatz zu Mimnermos
(fr. 6 Bergk) als wünschenswert bezeichnet hatte93), bestand.
90) Aristot. a. a. 0. 29 = p. 32, 19: rtv Ss xb iprjcpißfia xov Hv&o-
öwqov roiövSs' rbv 6f]fiov tXeo&ai \i£xcc xäv 7ZQOv7tag%6vxcov dexa ngo-
ßovXcov äXXovg sihogi iv. x&v VTtho xixxa.QUY.ovxa folj ysyovoxcov . . .
91) Ebenda = p. 33, 23: kX&6&ai ds nul xfjg qivXfjg kxdoxrig dixu
ävSgag vtiIq xsxr aqä%ovxa %xr\ ysyovöxag, oixivsg y-ccxccXe^ovoi xovg
7tsvxa.v.ioxdLovg daoöavxsg v.a&' Uq&v xsXsiav. Hesych. s. v. [isofjXiJ--
CCTtO XCÖV X£CC<XQCtKOVXtt a'ag 7t£vxrj-/iovxa.
92) Aristot. a. a. 0. 42, 5 = p. 47, 10 -. äietzsX&övxcov dt xäv Sv-
slv ixäv [d. h. das 19. u. 20.] i']Sr] {isxcc xä>v ccXXcav slalv oi 't'cprjßoi,.
93) Solon fr. 20 (itgbg Mi(iv£Q^ov) : 'All' ei' (101 xccv vvv ixi nsiasai,
£|fÄ£ xovxo, jj firiSt iiiyaig' oxi 6sv Xäov ine(pQcc6äy.r^vy \\ -Aal (isxuTtohjOov,
Aiyvaaxädi), d>Ss 6' äetds' || 'Oydaxovxasxr} (loiqu xi%oi &a.växov.
Vgl. damit Mimn. fr. 6: Al yag ccxbq vovaav xs xcä ccQyaXitov iisXsScovav \\
i£,r)xovxa.£xr} poloa. xtjjoi &aväxov. — Daneben kannte und verwertete
Solon freilich auch noch eine hebdomadische Einteilung des Lebens
(fr. 27 Bergk), die wahrscheinlich den im älteren Apollonkult von
Delos üblichen Hepteteriden entspricht (s. meine Hebdomadenlehren
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 75
Die normale Lebensdauer von 80 Jahren zerfiel demnach zu-
nächst in zwei gleiche Teile von je 40 Jahren. Das 40. Jahr
galt für dasjenige, nach dessen Verlauf der Mann seine höchste
geistige, moralische und politische Reife erlangt. Die Zeit
vom 1. bis 40. Lebensjahre aber zerfiel wiederum in zwei
gleiche Hälften, die durch das 20. Jahr voneinander geschie-
den waren, nach dessen Verlauf die Jünglinge für reif erklärt
wurden. In ähnlicher Weise scheint man mehrfach auch die
Zeit vom 40. bis 80. Jahr geteilt zu haben. Hier bildete
wohl das 60. Jahr die Grenze, wie man aus der Bestimmung
schließen darf, daß die athenischen 'Schöffenrichter' (dLcarrjrccC)
mindestens 60 Jahr alt sein mußten.94) So erklärt sich zu-
gleich, wie es gekommen ist, daß manche eine ysvsä von nur
20 Jahren annahmen, wie uns eine wertvolle Notiz des
Hesychius bezeugt95): die ysvsä von 20 Jahren ist natürlich
aus der Halbierung der tessarakontadischen Jahrfrist ent-
standen.
Ungefähr dieselbe Einteilung des männlichen Lebens läßt
sich auch in Sparta nachweisen. Wie in Athen so traten
auch hier die schon vorher militärisch geübten Jünglinge
nach dem vollendeten 20. Lebensjahre in die 'Linie' ein und
hießen von da ab siQSvag d. h. xoqol rsleioi, wie aus Hesych
s. v. eIq^v hervorgeht.96) Sodann mußte jeder Spartiat
40 Jahre lang als sucpQovQog dienen, bis er als Mann von
S. 15 ff.). Xach der Hebdomadentheorie erreicht der Mann seine av.arj
mit dem 42. Lebensjahre. Vgl. Hibzel a. a. 0. 16, 1.
94) Aristot. a. a. 0. 53, 4 = p. 58, 6: 8iaixr\ra\ d' slaiv olg ccv
i£,r\y.06xbv hxog fj.
95) Hesych. s. v. ysvsä' ri]v öh ysvsccv ixpiotccvzcu iräv oi ^tiv x',
oi de -äs ', oi Sh X' .
96) Vgl. dazu auch Mülles, Dorier 2, 301, 7 u. Hesych. s. v. 1'gavss'
oi slqsvss. oi aQxovxsg ^itv.iwrat Adxavsg. Das Etym. M. 303, 37
und Schoemann Gr. Alt. 1, 264, 7 leiten das Wort von slgce = £v.y.X,t\-
ßla ab und meinen, daß es eigentlich den „Mündigen", d. h. den
zum Besuch der Versammlungen Berechtigten bedeute, wozu freilich
die Tatsache nicht recht stimmt, daß in Sparta das Recht, die Ver-
sammlungen zu besuchen, erst mit dem 30. Jahre begann; Plut. Lyk. 25.
yd W. H. Röscher:
60 Jahren für dienstfrei97) und für fähig erklärt wurde, Mit-
glied der ysQOvötcc zu werden.98)
Das gleiche tessarakontadische Prinzip bei der Einteilung
des menschlichen Lebens in yeveai oder i]foxlui sehen wir
endlich auch in der so vielfache dorische Elemente enthalten-
den Philosophie der Pythagoreer zur Geltung kommen99).
Das Hauptzeugnis verdanken wir dem von Pythagoras
handelnden Buch des Laertius Diogenes (8, 10); es lautet:
dicaQsiTca de xai [6 Ilvd:] xbv xov avd-gäitov ßCov ovxaq'
Ilaig elv.061 exea, vstjvCökos elxoöi, verplrig einoöi, ysQav
slxoöl. cd de riXacCav 7iQog rag coQag cade <3v[i[1£xqol' nalg
eccg, verjViöxog ftegog, vsr}vCr]g (p&lvotccqqov, ysycov xei^äv.100)
97) 'Vgl- Xen. Hell. 5, 4, 13: 'Ayr\6ilaog . . Xiyav oxi vtisq xsxxcc-
qcchovxcc acp' rj§r\s si'i], xecl wtsitSQ xolg alloig xolg xi\Xi%ovxoig ovk£xi
ccväyy.r} fi'rj xi)g iavxäv st,w oxoKxsvea&ai, ovxco &i] nccl ßaadsvöi xbv
avxbv voiiov övxa ccnsösUvvs. Vgl. Schoemann I, 280. Müller, Dorier
II, 231 f. Vgl. auch Xen. Hell. 6, 4, 17.
98) Plut. Lyk. 26. Müller Dor. II, 92, 4.
99) Ob der Nachricht von den indutiae Vejentibus datae in XL
annos bei Livius 2, 54 (= uvo%ui xec6aQccx.ovx<xsTsig bei Dion. Hai. 9,
36) und von den indutiae Volsiniensibus in XX annos datae (Liv. 5,
32, 5) die griechische Vorstellung von der 40jährigen ysvsä. oder
eine entsprechende echtrömische Anschauung zugrunde liegt, muß
bis auf weiteres unentschieden bleiben. Vielleicht gehören in diese
Reihe auch die auf Fabius Pictor zurückgehenden Notizen, daß die
Herrschaft der römischen Könige 240 = 6 x 40 J. gedauert habe (Schweg-
ler, Rom. G. 1, 780. 1 u. 807) und daß vom Sturze des Königtums bis
zur Alliaschlacht 120 = 3 x 40 Jahre verflossen seien; vgl. Hirzel
a. a. 0. S. 28. Man denkt dabei unwillkürlich an die 240 (= 6x40?)
Jahre, die zwischen dem zweiten Verschwinden des apollinisch-pytha-
goreischen Heiligen AriBteas in Prokonnesos und seinem abermaligen
Auftreten in Metapont liegen sollen (Herod. 4, 15 ; vgl. Hirzel S. 31).
100) Nebenbei mache ich darauf aufmerksam, daß die verschie-
denen Zahlen der g>q<xl (Jahreszeiten) mehrfach den verschiedenen Ein-
teilungen des menschlichen Lebens entsprechen: So z.B. die 4 agai der
Pythagoreer ihren 4 ijJUxtai; die 7 atQcu des merkwürdigen sehr alter-
tümliche Anschauungen enthaltenden hippokratischen Buches it. tßdo-
yiäSüiv den eben dort angenommenen 7 tjIikIcii (s. meine Hebdomaden-
lehren S. 48), die sämtlich auf einem hebdomadischen Prinzipe beruhen.
Diese Tatsachen berechtigen wohl zu der Vermutung, daß die mehr-
Die Tessarakontaden deh Griechen und anderer Völker. 77
Hiernach scheinen also die Pythagoreer, der von ihnen sta-
tuierten Vierzahl der Jahreszeiten entsprechend, 4 ysvsaC oder
ifiixCcci von je 20 Jahren angenommen zu haben, so daß wir
die Angabe des Hesychius, es hätten manche die ysved als
einen Zeitraum von 20 Jahren aufgefaßt, mit ziemlicher
Sicherheit u. a. auf Pythagoras und seine Schule beziehen
dürfen.
Diese Anschauung von der Bedeutung der tessarakonta-
dischen und halbtessarakontadischen Jahrfristen für die Ent-
wicklung des Mannes spiegelt sich ferner mit ziemlicher
Deutlichkeit in den Traditionen der Schule über ihren Meister
und Stifter wieder. Denn von Pythagoras wird berichtet, er
sei 40 Jahre alt nach Italien gekommen und als 80 jähriger
Greis gestorben, so daß er also 40 Jahre lang an der Spitze
seiner Schule gestanden habe. 101)
Endlich können wir — in erfreulichem Gegensatze zu
den in dieser Hinsicht lückenhaften Überlieferungen aus dem
Bereiche der älteren Gesetzgebung — mehrere unanfechtbare
Zeugnisse dafür beibringen, daß in den Theorien der Pytha-
goreer auch tessarakontadische Tagfristen bedeutungs-
voll waren. Und zwar sehen wir die Vierzigtagefrist vor
allem in den Anschauungen der Pythagoreer von der Ent-
wicklung der Embryonen eine ähnliche Rolle spielen, wie
in der griechischen Religion (s. ob. S. 2 8 ff.) und in den im
nächsten Kapitel ausführlich zu besprechenden Theorien der
ältesten griechischen Ärzte. Denn nach Alexander von Aphro-
disias b. Diog. Laert. 8, 29 soll Pythagoras in seiner Biologie
auch den Satz vorgetragen haben: nogcpova&ai . . tö [ihv
itqgjtov Ttayhv ev r}tiEQcag tfööaQdxovra, v.axa de rovg ttJj
fach bezeugte Annahme von 3 wpat mit den ysvsai oder t}7.ikLui von
je 25 oder 30 Jahren zusammenhängen könnte. So vermute ich endlich
auch, daß die 5 gradus aetatis Varros (b. Censorin. de die nat. 14, 2)
zu je 15 Jahren einer vielleicht noch irgendwo nachweisbaren Eintei-
lung des Jahres in 5 agai entsprochen haben. —
101) Aristoxenos fr. 4 bei Porph. vit. Pyth. § 9: yeyovorcc S' ixäv
rsacccgciKOvra, cpr}6lv 6 'Agiaro^. . . . rr]v slg 'IraXiav ä-nagöiv noir\-
cacQ-ai. Vgl. Diels im Rh. Mus. 31 S. 13 und Hirzel a. a. 0. S. 17.
78 W. H. Röscher:
aQ^oviag Xöyovg hv intä r) evvsa r\ dexa tö 7tlel6tov fii]öl
Tsksco&hv ttrtoxvttixsöfrca tö ßQscpog. In engem Zusammen-
hange damit steht die merkwürdige Lehre der Pythagoreer
vom partus major, die uns der wahrscheinlich aus Varro
schöpfende Censorinus de die nat. 11, 6 überliefert hat. Sie
lautet: Alter autem ille partus, qui major est, majori numero
continetur, septenario scilicet, quo tota vita humana finitur
itaque ut alterius partus origo in sex est diebus, post
quos semen in sanguinem vertitur, ita huius in septem; et ut
ibi quinque et triginta diebus infans membratur, ita hie
pro portione diebus fere quadraginta; quare in Graecia
dies habent quadragensimos insignes. namque praegnans
ante diem quadragensimum non prodit in fanum, et post
partum quadraginta diebus pleraeque fetae graviores sunt
nee sanguinem interdum continent, et parvoli ferme per hos
[fere] morbidi sine risu nee sine periculo sunt ob quam
causam, cum is dies [= quadragensimus] praeteriit, diem
festum solent agitare, quod tenipus appellant tsööeganoötalov.
hi igitur dies quadraginta per Septem illos initiales multi-
plicati fiunt dies ducenti octoginta, id est hebdomadae
quadraginta (vgl. dazu meine cHebdomadenlehren S. 34f.
u. ob. S. 2 8 ff.). Natürlich ist es ziemlich schwierig zu ent-
scheiden, wie weit in diesem von Censorinus oder Varro mit-
geteilten Zusammenhang die altpythagoreische Theorie reicht,
d. h. ob auch die mit cquare in Graecia' beginnenden Worte
aus altpythagoreischer Quelle stammen oder nicht; doch sehe
ich vorläufig gar keinen Grund, die hier gegebene Begrün-
dung nicht auch für altpythagoreisch zu halten, zumal da es
sich hier um Motive handelt, die teils der altgriechischen
Religion, teils der altgriechischen Medizin 102) entstammen und
sehr wohl schon von den ältesten Pythagoreern bei ihren
Theorien in Betracht gezogen werden konnten. In diesen
Zusammenhang gehört wohl auch, wie schon Hirzel (a. a. 0.
102) Vgl. auch Abh. I, S. 14 u. S. 27 ff., wo ähnliche Anschauun-
gen hinsichtlich der Bedeutung der tessarakontadischen Tagfrist für
Embryonen und Wöchnerinnen auch bei den Semiten besprochen sind.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 79
S. 49) gesehen hat, die höchstwahrscheinlich altpythagoreische
und zugleich orphische Anschauungen enthaltende Behauptung
des Herakleides Pontikos bei Jo. Lydus de mens. IV 29
p. 186 Roether [6 ds ' HqukXe18-yis cprjöCv] cog el xig rbv
xvccfiov ev xEvfj &yfar} sfißaXav ccjtoKQvtyEi xfj xötiqg) £nl
XEXXUQCKXOVXCC ItCCÖCCg IjtlEQttg slg OXJJIV äv&QCOTtOV 6E6aQXC3-
HEVOv (lEtaßaXövtcc xbv xvafiov EVQrjösi, thxI diä xovro rbv
7toirjt^v [d. i. Orpheus] (p&vaf
'Iööv tOL xväfiovg xe (payElv KEcpukäg xe xoxrjcov.
Wie aus den von Lobeck Aglaophamus p. 251 ge-
sammelten Zeugnissen hervorgeht, huldigten die Orphiker
wie die Pythagoreer den gleichen abergläubischen Vor-
stellungen hinsichtlich der Bohnen. Beiden Sekten galt
der Genuß dieser Pflanze für gottlos und verabscheuungs-
würdig, und zwar hauptsächlich deshalb, weil, wie auch aus
den Worten des Herakleides erhellt, zwischen den Bohnen,
den Eiern und den Embryonen von Menschen und Tieren
eine geheimnisvolle mystische Beziehung bestand. Diese
mystische Beziehung gipfelte, wie es scheint, in dem Glauben,
daß die Bohne ihrer eigentlichen Natur nach keine Pflanze,
sondern vielmehr eine Art Tier oder lebendes Wesen sei,
dessen Fleisch zu genießen in den Kreisen der Orphiker und
Pythagoreer ja streng verpönt war. Zu solchem Glauben hat,
abgesehen von der vermeintlichen Tatsache, daß die keimende
Bohne in einem bestimmten Stadium ihrer Entwicklung eine
gewisse Ähnlichkeit mit einem menschlichen Kopfe hat, na-
mentlich auch der Umstand beigetragen, daß jenes Stadium
in etwa 40 Tagen erreicht wird103). Nun spielt aber dieselbe
Frist auch bei der Entwicklung des Fötus im Mutterleibe
nicht bloß nach pythagoreischer (s. oben), sondern nach fast
103) Nebenbei erinnere ich an die merkwürdige Rolle, welche nach
Ov. Fast, 5, 436 ff. Varro b. Non. p. 135. Paul. Festi p. 87. Plin. n. h.
18, 119. Gell. 10, 15, 12 usw. (mehr b. Wissowa, Rel. u. Kult. d. Römer
189 f. u. 435, 9) die Bohne im Totenkult der Römer, sowie im Ritus
des Flamen Dialis spielt. — Vgl. auch das Verbot, Vitsbohnen wäh-
rend der Zwölften zu essen, im Hildesheimischen (Sahtori, Progr. v.
Dortmund, 1903, S. 95, 2).
Phil.-hiat. Klasse 1909. Bd. LXI. 6
80 W. H. Röscher:
allgemein griechischer Vorstellung (s. unten) eine große Rolle;
denn man glaubte, daß binnen 40 Tagen der Fötus mensch-
liche Gestalt annehme, ferner binnen 7X40 Tagen die nor-
male Geburt erfolge usw. Ebenso aber sollte nach dem
Glauben der griechischen Bauern, wie ihn uns Theophrast
überliefert hat (s. ob. S. 67 f. u. Anm. 81 f.), auch die Blüte und
Reife der Bohne in tessarakontadischen Fristen vor sich gehen
(tsxT ccQaKoGTcclov de (paßt xccl xbv xvccfiov, 6j6xs sv iöaig
avdslv nah xsleiovö&cct).10*) Der wichtigste Beweis aber für
die Bedeutung, welche die Pythagoreer in ihrer Lehre der
tessarakontadischen Tagfrist zuschrieben, liegt in dem Um-
stände, daß eine solche sogar in die Legende ihres Altmeisters
eingedrungen ist, denn es heißt bei Diog. L. 8, 40: cprjöi öh
/JixaCaQyog xbv nv&ayÖQav ano&avslv xaxacpvyovxa slg tb sv
MExanovxico Isqov xäv Movö&v xexxaQuxovxa rjtiSQccg
ä6ixrj6ccvxa (ebenso Porphyrios v. Pyth. 57 und Themist. or.
2$ p. 285B). Hierbei erinnere man sich, daß ein gleich
langes allerdings nicht zum Tode führendes Fasten auch Moses,
Elias, Jesus und anderen Gottesmännern zugeschrieben wurde
(Abb.. I S. 16 f.; vgl. auch S. 9 Anm. 8 u. S. 33), so daß die
Möglichkeit einer Übertragung des Motivs aus einer semi-
tischen Legende auf Pythagoras in der Zeit des Synkretismus
nicht ganz abzuweisen ist.
Ahnlich verhält es sich vielleicht mit der uns durch Di-
104) Schon Hibzel, a. a. 0. hat vermutungsweise eine ähnliche
Ansicht ausgesprochen und zu deren Bestätigung noch auf einen
zweiten Punkt aufmerksam gemacht. Er sagt : „Zur Rechtfertigung des
Bohnenverbots hatte nach Porphyr, de vita P\th. 44 Pythagoras auch
darauf hingewiesen, daß eine Bohne unter gewissen näher bezeichneten
Bedingungen in der Erde vergraben nach 90 Tagen entweder den
Kopf eines Kindes oder den Schamteil eines Weibes zeige. Warum
hier 90 Tage erfordert werden, wird, wenn wir bedenken, daß nach
dieser Zeit der Schamteil gerade eines Weibes entstehen soll, viel-
leicht dadurch klar, daß ebenso lange Zeit Aristoteles für die weib-
liche Frucht im Mutterleibe verlangte, damit dieselbe menschliche
Gestalt annehme." Vgl. dazu meine Ennead. Studien S. 81, wo meh-
rere Zeugnisse dafür angeführt sind, daß die ulvrißtg oder die xvTKaoa;
der Embryonen am 90. Tage nach der Konzeption erfolge.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 8i
kaiarch bei Porphyr, v. Pyth. 56 überlieferten Nachricht: xal
xbv IIv&ayÖQccv cpaöl xagetvai xfj imßovkT] . . . xäv de exal-
qov ä&QÖovg nsv xexxaqäxovxa iv olxia Xivog ftaQedoevov-
xug li]<p&rivui) xovg de 7tolXovg öxooädrjv ... diacp&aQijvai.10*)
Auch hierfür gibt es mehrere evidente Parallelen in jüdischen,
altchristlichen und islamischen Legenden und Traditionen:
man denke namentlich an die 40 ersten Jünger Muhammeds,
an die verschiedenen Gruppen von 40 christlichen und isla-
mischen Heiligen oder Märtyrern usw. (s. Abb.. I S. 24. S. 33 A.
62. S. 43. A. 82. S. 44. A. 83).
Auch in die mystisch-philosophischen Zahlenspekulationen
der Pythagoreer106) ist die 40 eingedrungen. Vgl. Plutarch de
an. proer. in Tim. 14: o£ yäg ebrö iiovädog [ie%Qi xäv dexa 6vv-
xids'Hsvoi [1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + 7 + 84-9+10=55]**
TrevxexaCdexa107), XQtycovov änbnevxädog' 6 de neoixxbg xbv xe6-
6aoäxovxa xaxä övvd-eöiv pev ex xäv dexaxQiäv xal xäv
xt,' yevvcb{ievov [13 + 27 = 40], olg xä tueX<pdovnsva ^exQovöiv
evörjfxcog ol [iafh]iiaTLXol diaöxyjuaxa, xb phv disöiv, xb de
xovov xaXovvxeg [vgl. Boeckh Philolaos S. 77]' xaxä xbv
xokkec7i?.c(6ut6fibv de xfj xf\g xsxoaxxvog dvväfiei ycvö^ievov
xäv yäo noäxav xeöaäoojv xafr' avxbv exdöxov xexoäxig A«u-
ßavo[isvov, yivexut xe66aqa xal rj\ xal iß' xal tg' xavxa xbv
p! 6vvxCd,ri6i [4 + 8 + 12 + 16 = 40]. 7teQii%ovxa xovg xäv
ßvfxcfcoviäv Xoyovg' xä iiev yäo ig' extxoixa xäv dexadvo etixiv,
xäv de rf dijrXdöia, xäv de xe66aQ(ov xexoaTiXäöia' xä de iß'
xäv bxxto /^lud/Ua, xäv de xeGöäocov xQixXdöLa' ovxoi ö' ol
Xoyoi xb diä xeöGäoav, xal tb diä Ttevxe, xal xb diä 7ta6äv*
xal xb dlg diä xaöäv neQie%ovö'iv. "l6og ye \lv\v eßxiv 6
xäv xeööaoäxovxa dvöl xexoayävoig xal dvöl xvßoig ö/toi)
Xa^ßavo^evoig' xb yäo ev xal xä xeööuQa xal xä öxxio
105) Vgl. auch Diog. L. 8, 39: ovtco dh v.ul xovg nXsiovg twv ivai-
Qav avtov dtacp&UQfjVcu, övTccg ngbg Tovg r strccgäiiovra.
106) Unter 'Pythagoreern' hat man hier zunächst und unzweifel-
haft die Neupythagoreer zu verstehen, doch darf man vielleicht die
betreffenden Spekulationen schon den Altpythagoreern zuschreiben.
107) Das hier Fehlende ergänzt Anatol. n. den.: s. u.
6*
82 W. H. Röscher:
xal xä x£' xvßot, xal XEXodyovoc p yivovxai övvxE&Evxsg
rr _j_ 4 -|- 8 -f- 2 7 =^ 40]. "SIöxe ztoXv xrjg IIv&ayoQLXTJg xijv
UXaxG)vixr\v XExqaxxvv xoixiXaxEQav eivai xr\ bia&eGu xal
rsXsioteQccv. S. auch Anatolios %. dsxädog bei Ast, Theolog.
arithmet. p. 63 f.: "Ext yiyovEV [1) ÖExäg] ex x&v noäxtov äatd--
[täv xftg XEXoaxxvog 6vv&£xav a\ ß\ y\ 8'. . — "Ext i] ÖExäg
aQi&[ibv ysvvä rbv £ xal v\ d-avfiuöxä TtEotEyovxv. xdXXrj'
jtq&xov [ibv yäo övvEöxrjxev ix xov diTiXaötov xal xov xot-
nXaöCov xäv xaxä xb s%rjg 6vvxe&ei[j.£vc3v, dfjtXaötov pthv a ß'
ö' »/' xccvxu da Eöxt u [1 -1-2-1-4 + 8=15], XQiitXaöiov de a
y &' xt,', KitEQ siöl XEööaodxovxa [1 -f 3 + 9 + 27 = 40]*
xavxu öh 6vvxt%£\i£va noiel xbv ve [15 -j- 40 = 55] x. x. X.
Endlich ist hier noch zu erwähnen, daß der in vielen
Punkten mit den Altpythagoreern sich berührende Enipe-
dokles (ebenso wie der ihm nahestehende Diokles v. Karystos),
hinsichtlich der Bedeutung der ersten Tessarakontade für die
Entwicklung der Embryonen im wesentlichen mit Tythago-
ras' übereinstimmt. Vgl. Oribasius 3, 78 (= Wellmann,
Fragm. d. griech. Arzte I S. 199 fr. nr. 175. DiELS, Vorso-
kratiker p. 176, 21 ff.): tj öh tcqcoxi] dia^tÖQcpcoötg xäv su-
ßovav öia<5r\iiulvEL Ttsoi xäg xEööaodxovxa i)^EQag' sag
uhv yäo evvecc i]{i£()G)v otov yoa[i[iaC xcvsg aljiaxdfdEtg vxo-
cpEQOvxaf TtEQt öh xäg öxxcoxaCÖExa ftoonßot GaoxäÖEtg xal
ivaÖT] xivä diaör'jfiaCvExai, xal 6(pvy^,bg ev avxotg EvotöxExat
6 xf\g xaoölag. tceqi Öh xäg TQEig ivvsdöag, cog cpr]6tv 6 /dio-
xXf\g, ev vytEvt [iv^coÖel yivExai cpavEQ&g dptvÖQog 6 xvnog
xfjg qd^Ecog xal 6 rrjg XEcpaXijg. tceqI Öe xäg xEööagag svvsäöag
boäxat itocbxov öiaxEXQiiiEvov bXov xb 6&na i) xb xeXevxoiov,
[itäg itQoGxs&sCötjg xExodöog , tceqI xrjv xsööaQaxovxdöa.
övfKpcovEl Öh xolg %Qovoig xfjg TtavxsXovg xäv Eußovav
ötaxoCösag xal 6 <pv6txbg 'EiiitEÖoxXfjg xaC cpifttv, öxi
&ä66ov ötapioQtpovxat xb äooEv xov d,tfXsos xaC xä ev xolg
ös£,to!g xcöv ev xolg Evcovvpoig. Genaueres über diese eigen-
tümliche Verbindung von enneadischen und tessarakontadi-
schen Fristen bei Diokles von Karystos und Empedokles s. in
meinen *Ennead. Studien' S. 52f. u. S. 73f. Anm. 110.
Die Tessarakontaden dek Griechen und anderer Völker. 83
V.
Die Tessarakontaden und Tessarakontadenlehren des
'Hippokrates'.
Schon mehrfach ist in den vorhergehenden Abschnitten,
namentlich in Kap. I S. 3 1 f., auf die Bedeutung der Tessara-
kontaden für die altgriechische Medizin im weitesten Umfange
(Pathologie, Therapie, Embryologie, Gynäkologie, also auch
für die Biologie) gelegentlich hingewiesen worden. Nunmehr
sind wir im Laufe unserer nach streng historischen Gesichts-
punkten fortschreitenden Untersuchung bis unmittelbar an den
Beginn desjenigen Zeitalters angelangt, dem die Mehrzahl der
im 'Corpus Hippocrateum' vereinigten Schriften sehr ver-
schiedenen Charakters und Ursprungs 107b) angehört, und haben
jetzt zu untersuchen, welche Stellung hier die Vierzigzahl
unter den übrigen in dieser Literatur vorkommenden be-
deutungsvollen Zahlen einnimmt, um daraus sowohl für den
Ursprung der Tessarakontaden als auch für deren Geschichte
die nötigen Schlüsse zu ziehen. Und zwar fühle ich mich
zu dieser Untersuchung um so mehr verpflichtet, da ich das
Problem der 'hippokratischen' Tessarakontaden bereits in den
„Hebdomadenlehren" und den „Enneadischen Studien'' mehr-
fach berührt und auf dessen Wichtigkeit für die hippokrati-
schen Lehren von den 'kritischen Tagen', von der Schwanger-
schaft und von der Entwicklung der Embryonen beiläufig
hingewiesen habe. So habe ich bereits in den cHebdomaden-
lebren' S. 56 Anm. 95 bemerkt, daß nach meinen Zählungen,
die übrigens damals nur ungefähre, nicht absolute Genauigkeit
beanspruchten, die Zahl der im Corpus Hippocrateum vor-
kommenden hebdomadischen Fristen und Bestimmungen
mindestens 250 betrage, und daß die nächstgrößte Ziffer von
den tessarakontadischen Fristen, die übrigens sehr oft in
Verbindung mit den dekadischen Zahlen 20, 60, 80, 120 auf-
107 b) Vgl. 'Hebdomadenlehren' S. 56 ff.
84 W. H. Röscher:
treten, erreicht werde, nämlich circa 74. 108) Das numerische
Verhältnis der Tessarakontaden zu den Hebdomaden bei
'Hippokrates' ist demnach merkwürdigerweise so ziemlich das-
selbe wie bei den Semiten, insbesondere in den heiligen
Schriften der Israeliten, wo ebenfalls die Vierzig an Bedeutung
und Häufigkeit des Vorkommens nur von der Siebenzahl
übertroffen wird (Abh. I S. 10 ff.), eine Tatsache, die allein
schon mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auf eine gewisse
Gleichheit der zugrunde liegenden Anschauungen beider Völker
hindeutet. Und in den 'Enneadischen Studien' S. 83 ff. habe
ich im Hinblick auf die S. 80 f. gegebenen tabellarischen
Übersichten ganz kurz auf die bedeutsame Rolle aufmerksam
gemacht, welche neben der 7 und 9 auch die 40 in der Lehre
von der Entwicklung der Embryonen und von der Schwanger-
schaftsdauer ebenso wie in der Theorie von den kritischen
Tagen in Krankheiten gespielt hat. Es muß also meinem
dort gegebenen Versprechen gemäß nunmehr meine Aufgabe
sein, einerseits den Umfang und die Grenzen des Gebrauchs
der Tessarakontaden bei 'Hippokrates' genauer festzustellen,
andrerseits die für die Geschichte der antiken Medizin sowie
für die der Vierzigzahl im allgemeinen nicht ganz unwichtige
Frage zu lösen, wie denn eigentlich jene, die übrigen Zahlen
mit Ausnahme der Sieben bei weitem überragende Bedeutung
der Tessarakontaden in der hippokratischen Medizin zu er-
klären sei.
Wie mir scheint, werden wir die beiden soeben ange-
deuteten Ziele am besten und leichtesten dann erreichen, wenn
wir diesmal die für uns in Betracht kommenden Schriften
nicht wie dies in den cHebdomadenlehren' und den eEnnea-
dischen Studien' wesentlich vom literarhistorisch -kritischen
Standpunkte aus geschehen ist, nach ihrem Ursprünge in
fknidische', cechthippokratische' usw. einteilen, sondern ledig-
108) Noch Genaueres lehren die in den 'Hebdoniadenlehren' mit-
geteilten Tubellen, die eine Statistik der in den verschiedenen Klassen
der Hippocratea (Knidia, Echthippokratiscbe Bücher, n. i^tiö. a und /
etc.) vorkommenden Zahlen darbieten; s. a. a. 0. S. 58 f. 66. 72 ff. 83.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 85
lieh nach ihrem Inhalt gruppieren, weil wir so am besten
die Frage nach dem eigentlichen Ursprung der Tessarakon-
taden in der Medizin der Griechen lösen zu können glauben.
Wir beginnen daher unsere Untersuchung der hippokratischen
Tessarakontaden mit einer Betrachtung derjenigen Bücher, die
sich auf Gynäkologie und Embryologie beziehen.
A. Die Tessarakontaden in der Gynäkologie und Embryologie
des 'Hippokrates'.
Den besten Einblick in Wesen und Ursprung der tessara-
kontadischen Fristen, soweit sie sich auf Gynäkologie und
Embryologie beziehen, gewähren uns die beiden ursprünglich
wohl ein einheitliches Buch bildenden, bald dem Hippokrates
selbst, bald seinem Schwiegersohne Polybos zugeschriebenen
Traktate tisqI £7Crain]vov und 71. oxr a^irjvov109), die wir nun-
mehr einer genaueren Betrachtung unterwerfen müssen. Welche
Rolle hier die Tessarakontadenlehre spielt, zeigt sich schon
beim ersten Blick in dem mehr äußerlichen Umstände, daß
die Ausdrücke rsööaQaxovrdg, reööagdxovra ^/ii'peu, reööccQa-
xovftriiUQov (-og) in den beiden Traktaten trotz ihres geringen
Umfangs (nur 12 Seiten griech. Textes bei Littre!) nicht we-
niger als 24 mal vorkommen; eine noch viel größere Bedeu-
109) Vgl. Littres Ausgabe I p. 363, 3 u. VQ p. 432; Clem. Alex.
Strom. 6 p. 683b Sylb. : cpaai ök -accI xb fyßgvov unccQxL<g£6&cci rtgbg
KKQlßSKXV (.ITjVi XÖ> £XTft>, XOVxioxiV SHttXOV j]^SQ<xg %a.l 6y8or\Y.OVXU TtQOg
rolg Svo xcü fj^ißsi [= % Sonnenjahr v. 365 Tagen!], mg iaxoQtl
UöXvßog uhv 6 IctTQÖg iv xa> nsgl ö-Axaiirfvcov, vgl. n. iitrayi. 1 = VII
p. 436 Littre; in it. 6v.xa[i. fehlt eine solche Notiz. — Plut. plac. phil.
V, 18, 5 JJoXvßog k%axbv oySorj-Aovxa 8vo v.u\ iq\ii6v i\\iiqag yivso&cu
slg xa y6vi[icc slvcci yäg ih,äy.r\vov 6x1 v.cd xbv rjXiov cenb xgonäv iv
xoGovxcp xqqvg) 7tccQayiv£6&cu' Xiyeo&ca 8h iTixa^,r]viaiovg diu xccg iXXsi-
novaag Tjtiigccg xovxov x. \xr\vbg iv xä £' itQOoXanßdveo&cci, xu d' okxcc-
lLT\vialu ybi] gjjv. Ebenso Galen XIX p. S3Z &.; vgl- Diels, Doxogr.
p. 428. — Damit steht freilich in Widerspruch die Notiz b. Plut. a. a. 0.
5, 18,3: UöXvßog, 4ioy.Xfig, ol ,E^iteiQLv.ol -Aal xbv bySoov ^,f]va i'aaai
yövifioi', axovwxsQOv 8i nag .... ysysvfjO&ca 8h noXXovg OKxa^ir]viaiovg
avSgag.
86 W. H. Röscher:
tung gewinnen freilich in unseren Augen diese Tessarakon-
taden, wenn wir die das genannte Buch beherrschende Tessara-
kontadenlehre als Ganzes genauer ins Auge fassen und erkennen,
daß dieselbe keineswegs von dem Verfasser selbst erfunden,
sondern offenbar viel älter ist und auf einer in Griechenland
von jeher ziemlich allgemeinen Anschauung der schwange-
ren Frauen beruht. Um dies zu voller Klarheit zu bringen,
müssen wir auf die den beiden Traktaten zugrunde liegende
Tendenz sowie auf ihren eigentlichen Inhalt etwas genauer
eingehen.
Wie schon aus den für die beiden Traktate gewählten
Überschriften (unter denen sie bereits im Altertum zitiert
werden), tc. STtra^iiqvov und n. oxra^vov, erhellt, kommt es
dem Verfasser vor allem auf den Beweis der vermeintlichen
Tatsache an, daß die im siebenten Schwangerschaftsmonate
geborenen Kinder im beschränkten Sinne lebensfähig seien,
die im achten Monate Geborenen dagegen gar nicht. Um
diesen Beweis zu führen, sieht sich der Verfasser genötigt,
genauer auf einzelne Stadien der Entwicklung der Em-
bryonen im Mutterleibe und zugleich auf das körperliche
Befinden der Mütter während derselben einzugehen. Dabei
gesteht er an mehreren Stellen ganz offen, daß seine medi-
zinischen Anschauungen in dieser Frage ganz wesentlich auf
denAussagen und Selbstbeobachtungen der schwange-
ren Frauen beruhen, insbesondere derjenigen, welche infolge
ihrer Zuverlässigkeit, Urteilsfähigkeit und Erfahrung Vertrauen
verdienten (al dh %qIvov6ui xcci xa vixr]tr]Qicc dtdovöac tcsqI
rovtov xov Xöyov ccsl eosovöi kcu (prjöovöi: n. stit. 4 = VII
p. 442 ob. Littre110).
110) Die anderen hier in Betracht kommenden Stellen sind: n. k%r.
3 = VU P- 44° L-: Xq&vtcci ds n&Gcu kv\ löym hsqI rovtov, cpual ycco
.... ib. 4 = p. 440 L. : %qj] dh ovk ccni6xi£iv tjjol yvvcci^l itsgi x&v
tokcov, Xiyovßt ycco itavxa [tccvtoc?] v.a.1 ahl Xsyovav Kai cclsl iosovaiv
oi) yäg <xv Tt8t,69siri6av oiSr' goyw oiSre löyco cell' ort. [ällo t; . ?] yvävai
[7]?] ro iv roloi gwiuxglv uvriav yivöfisvov <f>r\Gov6i 8s nai rovs
rgaiG(iovs itXsiarovg iv rfj rcQwrj} rsaoaQccKOvrädi. yiv£6&ca ... — 5 = VII
p. 444 L. : Ogcci Sh rüv yvvccixöjv %xsy.ov nokla nceidia y.o.1 ti ccvriav
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 87
Nun gibt es, wie der Verf. von 71. k^. cap. 9 = VII
p. 446 Littre selbst sagt, zur Bestimmung der einzelnen
Stadien in Krankheiten, in der Entwicklung des Menschen im
gesunden Zustande bis zu seinem Tode, sowie in Schwanger-
schaften vier verschiedene Maße: nämlich die Bemessung nach
Einzeltagen (xad-' i}(iBQas), nach Monaten (xccra [i^vag), nach
Tessarakontaden von Tagen (xarä TsööccQaxovTdöag T^ieg eav)
und nach Jahren und Jahresabschnitten (xcct iviavröv).111)
Hierzu kommen noch die teils in den übrigen hippokratischen
Büchern, teils in den Schriften von anderen älteren Ärzten
und Philosophen (z. B. bei Empedokles und Diokles von Ka-
rystos) mehrfach auftretenden Bestimmungen nach Hebdo-
maden und Enneaden. Wir haben uns hier, wo es uns zu-
nächst lediglich auf die Traktate tc. ETtrcc^irjvov und 71. bxtu-
li7]vov ankommt, nur mit den beiden Bestimmungen zarä
lifivaq und xccrä reaGaganovradag ij^isgecov zu beschäftigen,
die hier promiscue und bisweilen in synchronistischer Weise
nebeneinander gebraucht werden, offenbar hauptsächlich des-
i^yivtto %colbv iq xvylbv .... cprJGovßtv ini rovtsov tov ncciSiov xbv
öySoov fifjva ftulsnmxsQOV Siccyccyeiv 1) icp' av hsxov ovSsv xccxbv
iftOVTCBV.
m) Was bedeutet hier der Singular ■aar' ivtuvxöv, wo man doch
nach Analogie der vorausgehenden Ausdrücke %aQ-' rjutgag, piivag,
T£66<xQccxovTäöag zunächst xax' iviavxovg erwarten sollte? Der Singular
ist in diesem Falle wohl deshalb gewählt, einerseits weil keine
Schwangerschaft mehrere Jahre dauert, andrerseits mit Rücksicht darauf,
daß bei der Bemessung der Schwangerschaften zwar nicht ganze
Jahre, wohl aber öfters einzelne Abschnitte eines Jahres, z.B. ein
Halbjahr bei den iTtrd^rjvot (s. Hippokr. n. inxocyb. 1 = VII p. 436
L.; vgl. ob. Anm. 109), 8/4 Jahr = 274 Tage beim „partus major" der
Pythagoreer (nach Censorin. de die nat. n und Varro b. Gell. 3, 10,8),
in Betracht kommen (vgl. 'Hebdomadenlehren' S. 34 f. u. Anm. 51).
Auch die Tatsache, daß die Fristen von 90 u. 45 Tagen in den em-
bryologischen Theorien der alten Ärzte eine solche Rolle spielen (vgl.
Ennead. Studien S. 81 unter Y.Lvr\6ig) hängt wohl größtenteils mit dem
Umstand zusammen, daß 90 Tage genau das Viertel, 45 Tage das
Achtel eines Jahres von 360 Tagen darstellen (90 x 4 = 360 :
91 x 4 = 364!)
88 W. H. Röscher:
halb, weil sie auch in den vom Verfasser zugrunde gelegten
Aussagen der schwangeren Frauen die Hauptrolle spielten.
Ehe wir jedoch zu einer Aufzählung und Charakterisie-
rung der einzelnen von mir in synchronistischer Form geordneten
Stadien der Schwangerschaft und Embryonenentwicklung über-
o-ehen möchte ich noch auf einen Satz der Schrift tc. iura-
lirivov aufmerksam machen, der uns mit einer für unseren
Zweck nicht unwichtigen, soviel ich weiß, bisher nicht beachte-
ten Tatsache bekannt macht. Er lautet (s. Cap. IV p. 442 L.):
&a6l de xal [al yvvalxeg, al xqivov6ai xal xä vcxr^gia öi-
8ov6ai\ xovg tQOJöiiovg Ttleiöxovg iv rjj 7106x7] xe66aoaxov-
xdbi yCvsa&ca, xal tä dlla xä xaxayByoa\i^eva ev xy6L
xh66aQay.ovxu.6i xal ev xol6i [ir^lv exa6xoi6iv. Mit
diesen Worten wird doch wohl auf ein entweder von unserem
Autor selbst oder von einem andern Arzte verfaßtes Werk
hingewiesen , dessen Titel etwa Tteol Te66aoaxovxädcov xal
(tJ?) iiyväv sxd6zcav oder einfach tc. xe66aoaxovxäöcov lautete,
und welches eine genaue Charakteristik der in synchronistischer
Form nach Tessarakontaden und Monaten geordneten Stadien
der Schwangerschaft von gynäkologischen und embryologischen
Gesichtspunkten aus enthielt. Wir wollen im folgenden ver-
suchen, diese einzelnen Stadien auf Grund der beiden Traktate
71. s7txa[ii'ivov und öxxafirjvov unter tunlichster Hinzufügung
der übereinstimmenden Zeugnisse aus den übrigen Hippokra-
tika und sonstigen Autoren darzustellen.
1) Tessarakontade I = Tag I bis XL = Mon. I Tag 1
bis Mon. II Tag 10.
a) Gefährdung der Embryonen durch exov6ieg (bis
zum 7. Tage) und xqoo6^loC (= Gausses couches') während
dieser Zeit. — %. eTixa^i. 4 = VH p. 442 L.: <prJ6ov6i de xal
\at yvvatxeg~\ xovg xoa6uovg 7tlet6xovg ev xf] 71000x13 xe66u-
Qaxovxddi ylve6ftai. — ib. 9 = p. 446 f. L.: ai {iev ovv rjueoai,
e7ii6rni6xaraC el6lv ev xol6t 7ileC6xoi6tv al xe TtQOJxat xal al
(ßdouai, TtoXlal {iev Tieol vov6av, TioXXal de xal xol6iv eußgv-
016LV xoco6{i0i xe yäo yivovxai xal ol 7tkel6xoi xavxr]6v xr\6iv
rjutQrfiLvövond&xuL de xaxy\lixavxahxQv6ieg, all' ovxqco6uol'
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 89
al da dXXai t)fiEQai, oöat ivxbg xcbv x£6<3aQäxovxa, iitL6r]fioi
fisv ijööov, itoXXal de xqivovöiv . . . al de xEööaQaxovxddeg
itgcbxov (ihv xqCvovcjiv iitl xcbv i^ßQvcov ort d' äv viteQßdXXtj
rag xeööaQCiXövxa r)jXEQag tag itgcbxag, EXcpEvysi xovg xqco-
Gfiovg Eitl itavxbg yivo^iivovg' itXeovEg de ylvovxai iv xJj
itgaxrj xeööaQaxovxddi xqogjxoI tj ev xalg dXXatg iovöaig.
— Aristot. de an. bist. 7, 3, 4: xaXovvxai d' ey.ovöeig pev al
iie%Qi xcbv eitxä yj^tegcbv diacp&ogal, ixxgcoöfiol ö' aC Ht'%gi
xcbvxsxxagdxovxa, aal itXelGxa diacpfteigexai xibv xvr}n<xxcov
iv xavxaig xalg rj^iegatg. [Ebenso Galen. XVII A p. 445 Kühn.]
b) In diesen ersten 40 Tagen nach der Schwänge-
rung findet ferner die Gestaltung des Embryo statt.
it. eitxa^i. 9 = VII p. 450 L,: Tovde xov %govov [die ersten
40 Tage] itagaX&ovxog i6%vg6xEgd eöxt xä ifißgva xal dia-
xgivexai xafr' Exccöxa x(bv [ieXscov xb öcbua' xal xcbv fiev
ägöevav öcpodga diddrjXa yivexai itdvxa' xä de Q-iqXea, ig xov-
xov xov iQOVov [bis zum 40. Tage] 6a.Qy.eg cpalvovxai dito-
cpvöiag fiovvov e%ovöaL.n2) — it. Öudx. a 26 = VI p. 498 L:
diaxgivexai die xä {liXsa aua itdvxa xal avh,exai . . . xä ycev
ftäööov, xä de ßoadvxeoov . . . xä pev ovv ev xsööagdxovxa
tj ueqi]6lv t(S%ei itdvxa cpavegä, xä <3' ev dvo {.crjöl, xä d' ev
xqlöl, xä d' ev xexga^vcp [= 3 X 40 = 120 Tage]. —
it. xQOfpfjg 42 = IX p. 114L. wird die Entwicklung der Em-
bryonen in „strengogdoadischer Form" so angegeben: ig dCa-
y.gtGiv XEöödgaxovxa, ig pexä.ßaGiv bydo\\xovxa [= 2 X40],
ig Exitxcoöiv G[l' [= 240] (j^iegai). — Auch in der Embryo-
logie des 'Pythagoras' (s. ob. S. 7 7 f.) , des Empedokles
und des von diesem abhängigen Diokles von Karystos spielt
112) Etwas abweichend davon heißt es in dem Buche n. cpvß.
■ncaöiov 18 = VII p. 498f. L: hui yiyovsv i]8r\ itexiöiov xccl ig tovro
ucpixvisrai [s. das vorhergehende Kapitel!], rö {lsv &fjXv iv TBoactgä-
y-ovra rj^i£Qrtai xca ovo, to h<xxq6t<xtov, to ds ccqösv iv tqijJxovtcc r)(iEQj]-
Giv xo p,<xy.QÖzccTov, cos yap iitwtoXv fzvfißalvei iv rovtco reo %q6vco 1) oXlyio
yaiovi 7) oliyco nlalovi tccvtk dtccQ&QOvo&ca. Hier ist offenbar die
hebdomadische Zahl 42 (vgl. damit die Sechswochenfrist der Ger-
manen unt. Kap. VIII) an die Stelle der rundereu Tessarakontade ge-
treten (vgl. unt. S. 92 und Hippocr. n. cpva. n. 18 = VII p. S02f. Littre).
9o
W. H. Röscher:
neben der Enneade auch die Tessarakontade eine gewisse
Rolle (s. Ennead. Studien S. 52 f.) Vgl. Wellmann, Fragm.
d. griech. Ärzte I S. 199, fr. 175 aus Oribasius 3, 78 = Diels,
Vorsokr.1 p. 176, 21 ff.): rj de 7tQG)XY\ diaybooycoo'ig xäv
i[ißQvcov diaöriiLcdvEi itegl xäg x e<5 6 aq aKovx a r^ieqag . . .
neol de xäg xeööaoag evveddag bqaxai tcqcoxov d laKeKQi-
fie'vov öXov xb <3ü[icc ?] t6 xeXevxalov, (tiäg TtQoöxe&eCGrig
xexgddog, itegl xrjv xe66agaKovxdda.xlv) 6v[i(pavel de xolg
XQÖvoig xf\g itavxeXovg xcbv e^ißQvcov diaKoCöecog Kai 6
(pvöixbg 'Epitedoxlfig Kai cpr]6iv, ort &ä66ov dia^oqcpovxai
xb äooev xov frrjXeog Kai xa ev xolg de&olg xcbv ev xolg ev-
covv[ioig.n4:) Vgl. dazu auch Diokles (?) b. Vindicianus cap. 14 f.
Wellmann (a. a. 0. I S. 44 u. 218): Sed nguram hominis
infans accipit primo quadragesimo aliquando, aliquando et
trigesimo die, sicut ait Hippocrates in libro quadragesimo de
infantis natura (s. ob. Anm. 112 und unt. S. 92). — Aristot.
de an. hi. 7, 3, 4: xeol de xovxov xbv %qovov [negl xäg xeööa-
Qaxovxa] Kai Gil%exai xb Kvtj[ia' xbv ö' e^ingoG^ev avao-
&oov 6vve6xrjxe Koeobdeg ... Tb {iev ovv uoqev, öxav e't.eX&ri
xexxagaxoöxaZov, eäv {iev elg äXXo xi dcpfj xig, dia%eixaC
xe Kai dcpavi^exaf eäv d' elg t^v^gov vdcog, Gvviöxaxai olov
ev vfievi' xovxov de diaKVL6d,evxog^ tpaivexau xb e'fißovov xb
{leyed'og fjXCxov ^vq^lt]^ xcbv [leydXcov, xä xe fieXrj drjXa, xa
xe dXXa ndvxa Kai xb aldolov Kai oi b(p%~aX{ioi Ka&drteo eitl
xcbv äXXcov t,cooov iieyi6X0Lllb)' xb de Q-f\Xv, bxi [tev dv dia-
113) Man beachte hier den Ausdruck xsGGccoa-Aovxäg für TSGOccga-
kogxi) tjii£qu (vgl. XQn\%üg = 30. Tag, «txag = 20. Tag, elväg = 9. Tag,
xsxQccg = 4. Tag usw.).
114) Vgl. dazu Ennead. Studien S. 521". A. 85 u. A. 87.
115) Anders freilich nach der Hebdomadentheorie in 'Hipp.'
n. Gccqh. 19 = VIII p. 609 L : 'O ös c.iäv tGxi xov av&oänov tnxccrj-
HSQOg. FIqüxov (ihv inr\v ig xccg nrjxoccg sX&r] 6 yövog, iv hitxa T)iiSQf]-
glv ^%£i 6%6g<x 71sq icxlv £%siv xov Gm\iaxog. Nun folgt ein Beweis, der
mit dem it. cpvo. naiö. 13 = VII p. 490 L. gegebenen eine sehr große Ähn-
lichkeit hat, ja vielleicht mit ihm identisch ist: ein 6 Tage alter Foetus
zeigt, am 7. Tage ins Wasser geworfen, bereits eine gewisse Gliederung.
Vgl. dazu 'Hebdomadenlehren' S. 63 f.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 91
(p&ccQfj ivxog xäv xqiüv [irjvcöv, ddtdfyd-Qaxov, 63g inl xb tioIv,
(puCvExui' ort, d' av iitilaßr] xov x£xaQxov [iijvbg yCvsrai £6-
%i(j[i£vov xcci diä xa%£orv lcc[ißdv£L xi)v aXkrjv Ölccq^qcoöiv
[s. S. 89 n. diaix. a' 26]. — Jo. Lyd. de mens. 4, 21 = p. 84
Wuensch: Ol . . . xtjv cpvotxijv IöxoqCocv övyyQayovxig cpccöi,
07l£Q[lCC XT] [lyJTQtt XCCTCcßalA.6[l£VOV . . . £7ll . . . xfjg X£<56CCQCC-
xo6xf\g dg biptv tsXeIccv xcä diccrviKoöiv a7ioxsl£l6d'ai
xal anlag sinslv xilsiov dv&Q&iiov. — Auf Grund solcher
vermeintlicher Tatsachen spricht auch Philo (vit. Mos. 3, 5) von
einer x£<36ccQccxovxäg ^(poyovixcoxdxrj, iv ij dia7iXdxx£6-
&aC cpccGiv dvd'QcoTtov sv xä xfjg (pvö£cog iQyaöxyjQ^c), d. i. iv
xfj [irjxQa. Freilich läßt sich die von Philo gemeinte Tessara-
kontade auch noch anders deuten, insofern die Gesamtdauer
der Normalschwangerschaft genau 280 Tage, d. h. eine Tessara-
kontade von Hebdomaden (= 40 x 7), beträgt; vgl. jr. öuqx.
1 9 = VIII p. 6 1 2 L. x£66aQ£g Ö£xdÖ£g ißdo^iddcov i)ii£qccl döl
dLTjxööiccL dydorjxovxu und dazu fHebdomadenlehren' S. 63 f.
c) Um dieselbe Zeit, also etwa am 40. Tage nach
der Empfängnis, findet auch die erste Bewegung des
männlichen Kindes statt. — Aus dem Corpus Hippocrateum
weiß ich für diese Annahme kein Zeugnis beizubringen, wohl
aber aus Aristoteles und Plinius. Vgl. Aristot. de an. hist. 7,
3,3: 'Eni ti\v xäv aQQ£vcov, cog inl xb tioXv, iv xö Ö££,i<p
[lüXXov it£Qi xdg xsööccQdxovxa yiv£xav fj XLVi]ö~Lg, xäv da
frykeiäv iv xa aQi6x£Q<p tc£qI hv£vr['KOv&' r][i£Qug (vgl. Ennead.
Studien S. 80 f. nr. 13 unter xivr\<5ig, S. 81 nr. 17. 18. 23. 24. 25).
— Plin. n. h. 7, 41: Melior color marem ferenti et facilior
partus, motus in utero quadragesimo die. Contraria
omnia in altero sexu, ingestabile onus, crurum et inguinis
levis tumor, primus autem nonagesimo die motus.
d) Bis zum 40. oder 42. Tage nach der Empfängnis
dauern auch bei den Schwangeren die xu&dQöEig
noch fort. — Ein chippokratisches' Zeugnis für die reine
Tessarakontade von 40 Tagen habe ich in dieser Beziehung
nicht ausfindig machen können, wohl aber gibt es ein solches
für die „hebdomadische" d. h. auf einem Kompromiß zwischen
92 W. H. Röscher:
dem tessarakontadischen und hebdoniadischen Prinzip (s. ob.
Anm. 1 12) beruhende Tessarakontade von 42 (= 6x7) Tagen
in dem Buche x. cpvötog xatdCov 18 = VII p. 500 f. L.: AI
de xa&doöteg al ex xov xbxov [von ebenfalls 42 oder 30 Tagen;
s. ob.] xfjöt yvvat^t xovxeov etvexa yCvovxai, ort iv xöj xob
XOV XQÖVG) [1£%QL tSÖßaQCCKOVtCC 7}[ISQEG)V Xal OVO116) ixl
Xtj XOVÜT], ixl Ö£ X(p XOVQG) ^B%QV tQirßOVTCi rj(l6QEG)V iXd%tÖXOV
ai{iu xaxeQ%exat ixl xr[v av^rjv xa xatdttp, xb de dxb xovxov
xXelov iAS%Qt xexrj' dst dtj xrjv xd&aoö'iv aitodo&fivat iv xolöt
Xo%tot6t, xal e\tivat s^a xaxä Xöyov xav rjiieoeav. ... ib.
p. 504 L: MeXXa di] xb devxeoov vvv övo^tdt,etv öatpTjvtrjg
evexa' cpr][il ydo uvxa%odtdo6&at, ort iv xf]6t [irjXQrjötv ive-
ovörj xfj yovTj iXdytGxov alyta EQ%£xat dxb xrjg yvvaiv.bg ixt
xäg {irjxQccg &r\Xvv yovbv i%ovöi]g iv xeößaodxovxa xal
övolv rjueorjötv iv ya.Q xavxr\6t ÖtaQ&oovxat xä [isXea xCbv
xatdlav' [s. ob.] dxb de xovxov xov %qovov ixt xXelov 6Q%exat
xb ai[ia' xal ixt xa xovqg) xäXtv xaxä Xöyov xäv xoirjxovxa
rjueoecov ade e%et x. x. X. — Aristot. de an. bist. 7, 3, 2: at
de xa&doöetg (potxaGt xalg xXeCöxatg ext xtva %qövov övvetXrj-
cpvCatg, ixt aev xav ■d'YjXetav xotdxov& ruieoug udXtöxa, xeoi de
xexxagdxovxa ext xav dooevav. Kai ytexä xovg xöxovg
Ö' al xa&doöetg ßovXovxat xov avxbv dot&ytbv dxodtdovat
xovxov. Man beachte hier die auffallende Umkehrung der
Zahlen 40 (42) und 30 in bezug auf die männlichen und
weiblichen Embryonen im Gegensatz zu 'Hippokrates'; es liegt
nahe zu vermuten, daß bei Aristoteles eine Verderbnis vor-
liegt, die um so leichter eintreten konnte, da es sich ja im
codex archetypus vielleicht nur um die Verwechslung der
beiden Buchstaben ^'=30 und ^'=40 bandelte. Übrigens
scheint der Fehler recht alt zu sein, denn er findet sich schon
116) Entspricht vielleicht dieser 42tägigen Frist für die Ge-
staltung des männlichen Embryo die geistige ukuti mit 42 Jahren,
welche nach Solon fr. 27, 11 bei Männern einzutreten pflegt (zfj 6' ixry
\ißdo{idöt] iisqI nävTu v.aTdQrvivcii vöog avSgög)? Vgl. auch Hirzel,
a. a. 0. S. 13A. 1.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 93
in dem Aristoteleszitat bei Galen (XVII A p. 444 Kühn).117)
Wie alt und volkstümlich diese offenbar auf den vermeint-
lichen Erfahrungen der Schwangeren beruhende Anschauung
ist, erkennt man am besten aus der schon oben (S. 28 u. 78)
angeführten nunmehr aber zu vollstem Verständnis gebrachten
Notiz der Censorinus de die nat. 11, 7: infans membratur
[in partu majore secundum Pythagorain] diebus fere quadra-
ginta, quare in Graecia dies habent quadragensimos insignes.
namque praegnans ante diem quadragensimum non
prodit in fanum118), et post partum quadraginta diebus
pleraeque fetae graviores sunt nee sanguinem interdum
continent. Das 40 Tage nach der Empfängnis noch fließende
Menstrualblut galt für ebenso verunreinigend wie die ebenso
lange währenden Absonderungen der Lochien, und deshalb
waren die damit behafteten Frauen in beiden Fällen auf
40 Tage von den Heiligtümern ausgeschlossen. Eine Ansicht
aber, die eine höchstwahrscheinlich uralte sakrale Satzung
erzeugt hat, muß ebenfalls sehr alt und zugleich volkstümlich
gewesen sein.
2) Tessarakontade II = Tag XLI — LXXX = Mon. II
Tag 1 1 bis Mon. III Tag 20. Auf diese Tessarakontade, die
sonst keine ausdrückliche Erwähnung in den hippokratischen
Schriften gefunden hat, bezieht sich nur der Satz in it. eitxa-
inqvov cap. 9 = VII p. 450 L.: rovds xov %qovov [rfjg TtQdorrjg
117) Meine Vermutung, daß im Texte des Aristoteles ein Fehler
vorliegt, scheint mir auch deshalb begründet, weil wir ja oben (S. 901.)
gesehen haben, daß auch Aristoteles wie die meisten antiken Philo-
sophen und Arzte den männlichen Embryonen eine viel schnellere Ent-
wicklung zuschreibt als den weiblichen (vgl. Ennead. Stud. S. 5 2 f. u.
80 f. S. 73 A. nof.).
118) Zu dem bereits oben angegebenen Grunde kommt noch die
namentlich von Plinius h. n. 7, 41 hervorgehobene Tatsache, daß die
Schwangeren sich in der ersten Zeit nach der Empfängnis elend und
krank fühlen: a coneeptu deeimo die dolores capitis, oculorum verti-
gines tenebraeque, fastidium in eibis, redundatio stomachi indices sunt
hominis inchoati. Melior color marem ferenti et facilior partus,
motus in utero quadragesimo die.
94 W. H. Koscher:
T£66ccQttKOVTccdog] 7iecQ6A.d-6vTog 1<5ivq6x£qu iöxi xä efißQva xal
öiaxQLVEtat Haft' s'xaöxa xcov pskicov xb 6a [ia. — Ferner be-
zieht sich auf diese Periode offenbar der Satz aus ic. XQocpfjg
42 = IX 114L.: ig diÜKQLöcv (i' [=40], ig [isxußuöLv
%' [= 80], ig exxxcoötv 6(i' [= 240] (J]\ii^ai}^ aus denen
hervorgeht, daß die Gestaltung des Embryo nach 'strengogdo-
adischer' Anschauung auf den Anfang der zweiten Tessara-
kontade, die [lExdßccöig (der in den anderen a. a. 0. aufgeführten
Reihen [s. Ennead. Stud. S. 72] die %ivx\6ig und das jcqGoxov
cttfia entspricht) auf deren Schluß verlegt wurde, während
sonst (s. Ennead. Stud. S. 80 f.) die erste Bewegung des Kindes
vielfach auf den 60., 70., 90., 100., von Aristoteles aber (s. ob.)
bald auf den 40., bald auf den 90. Tag verlegt wurde.
3) Tessarakontade III =Tag LXXXI bis CXX = Mon. III
Tag 21 bis Mon. IV Tag 30.
4) Tessarakontade IV = Tag CXXI bis CLX = Mon. V
Tag 1 bis Mon. VI Tag 10.*
Auch diese beiden Tessarakontaden werden von cHippo-
krates' weder ausdrücklich genannt, noch charakterisiert.
Auch sonst spielen in der mir bekannten Literatur diese
beiden Perioden keine erwähnenswerte Rolle. Höchstens ver-
dient eine kleine auf den 4. Monat oder die 3. Tessarakontade
bezügliche Notiz bei Aristoteles und Plinius hier eine Erwäh-
nung, insofern aus ihr hervorgeht, daß manche die Schwan-
geren ebenso wie die Embryonen im 4. Monat für ebenso
gefährdet hielten wie im achten.119)
5) Tessarakontade V = Tag CLXI bis CC = Mon. VI
Tag 1 1 bis Mon. VII Tag 20. — Mit dieser Tessarakontade
119) Plin. n. h. 7, 40: In quo mensium uumero genitis (d. h. im 7.,
8., 9., 10., 11.) intra quadragesimum diem niaxinius labor, gravidis
autem quarto et octavo mense, letalesque in iis abortus. Aristot. de
an. h. 7, 4, 6: novovai S' ai yvvcäxsg ^läXioxa xbv \if]va xbv xixccqxov
y.kI xbv öydoov. Ich halte es für wahrscheinlich, daß auch der vierte
Monat ebenso wie der achte deshalb für bedenklich galt, weil die 4
ebenso wie die 8 als gerade Zahl für unglücklich gehalten wurde;
e. Ennead. Studien S. 71 u. Galen. XIX p. 454.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 95
fällt größtenteils der siebente Monat (= Tag CLXXXI— CCX)
zusammen, in dem nach n. BTtta^jvov 1 = VII p. 436 u. 2
p. 438 L. der in den vorhergehenden Perioden zu ziemlicher
Größe, Reife und Schwere gelangte Fötus seine Lage im
Mutterleibe verändert und sich nach unten senkt. So findet
eine wesentliche Veränderung ({iexcc%ojQi]<jig: cap. 3 =p. 438L.
oder iiexccßoXrj: ebenda) statt, die der Mutter und dem Kinde
für die folgende Periode, d. i. den 8. Monat oder die 6. Tessara-
kontade, mancherlei Beschwerden und Ubelbefinden verursacht.
Vgl. namentlich cap. 2 p. 438 L: Tcc de %oXXä x&v ipßovcov
xav sv xccvxi] tfi jjfoxiri xfj mrccfiyjvG}^ oxccv oi v^isvsg luXd.o'aö'i,
[i£Te%coQr]0£v es xb imei^av, xccl ivxavQ'a xt)v xoocpy]v Ttoiiexcu
und cap. 1 p. 436 L: 'Oxöxccv ovv ig x^v äQ%i\v xvjg xeXeiä6tog
eXd"r\ xavxrjv, ädovvojxivov xov ifißovov xal xi]v lö%vv novXv
intdidovxog iv xfj xeXe.icbö'eL iiaXXov rj iv xolöiv aXXotöt,
%q6voi6lv, oi viiiveg iv 0161 xi]v äop)v ixQcccprj^ aöTteo xav
a6xa%vcov, e\eyjccXu.6av Ttoööd-ev ävccyxut<S\Levoi r[ xeXeCcog e%cc-
ÖQvvd-r\va.i xbv xccqtcöv. Ähnlich äußert sich auch Aristot.
d. an. h. 7, 4, 1. Vgl. auch ob. S. 68 Anm. 81.
6) Tessarakontade VI = Tag CCI bis CCXL = Mon.VII
Tag 2 1 bis Mon. VIII Tag 30. — In dieser größtenteils mit
dem S.Monat (d.i. dem 211. — 240. Tag) zusammenfallenden
Tessarakontade galten nach cHippokrates' und vielen andern
Ärzten und Philosophen120) Mutter und Kind für ganz be-
sonders gefährdet, da beide unter den während der vorher-
gehenden Periode entstandenen Veränderungen zu leiden haben.
Vgl. 7t. ijixufi. 3 = VII p. 438 L: xä de TtoXXä xcov eußovcov
. . . xäg ^iev xeGöaQtxxovxcc fjLieoug xäg Tcocoxccg [nach der
(i£xu%(bQrlö'LS ig xb V7tei%ccv im 7. Monat: s. ob.] xovevvxu xä
[iev [täXXov xä de i)66ov, diä xijv {iexcißoXi]v v\v ix xäv %aQLG)v
xcjv &QeipdvxcQV (xexeßccXsxo^ xal ort xbv ö[icpuXbv eöjiccöe xal
fi£T£^c6()7j(?f, xal dtä xf[g ^nqxQbg xovg Ttovovg. Ol yäo viiiveg
xeivoLievoL xccl 6 dpcpaXbg öxccöfrelg oävvccg tcolssl xfj (iyjxql'
120) Vgl. Ennead. Stud. S. 70 f., insbesondere Anm. 107, wo auch
der verhältnismäßig wenigen Zeugnisse für die beschränkte Lebens-
fähigkeit der 8-mon. Embryonen gedacht ist.
Phil.-hist. Klasse 1909. Bd. LXI, 7
g6 W. H. Eoscher:
xui xb h[ißQvov ix xov nuXuiov ovvdt6[iov ixXv&ev ßuovxeoov
ylvexui' JtoXXui de xäv yvvuix&v xai iitmvQexuivovGi xovxeav
yivopevav, ul de xui utcöXXvvxui 6vv xoZGiv iußQvoiGiv.
Xqüvxui de %u6ui ivl Xoya Ttsoi xovxeov cputii yuo xovg
öydoovg x&v [irjväv xui %uXe%dixuxu cpeoeiv xug yuöxe'gug,
öod-cbg Xeyovöui. "Eöxi de oydoog (irjv ov [lövov 6 %o6vog
oi>xog [d. h. der 211. bis 240. Tag!], uXX' et xccl 7}^,eQug Xdßoi
utcö xe xov eßdopov [iqvbg [d. h. der 161. bis 200. Tag] xui
xov evvdxov [= 241. — 270. Tag!]. 'Akku xug x\yLeoug ov% b^iocag
ovxe XeyovGiv ovxe yivcoöxovöiv ul yvvulxeg' itXuvävxui yuo
diu xb xuxu xuvxb [irj ylveö&ui, uXX' bxe [iev unb xov ißdopov
^rtvbg nXeovug rjueoccg izaoö'yeve6&uL ig tug xeöGuodxovxu,
oxe de ujib xov ivvdxov. — ib. cap. 4 p. 442 L: ul de xqi-
vovöut xui xu vixqxrJQia didovöui Tteoi xovxeov xov Xöyov
ulei . . . (pi]6ovöi . . . xovg xoG)<5{iovg jtXelcxovg ev xfj xoäxr]
xe66aQuxovxädi [wohl nach der Empfängnis: s. ob. S. 88 f.]
ylveö&ui . . . bxuv de xcb £ßd6[i<p {irjvi neQiQQuyemöiv ol vue'veg
xui xb etißovov ^fTo^copTjtffl, vjteXaßov oi tcovol ol tzeqI xov nijvu
xbv bydoov yeveuXoyovpevoi xui iteoi xy)v exxrjv xeööuou-
xovxudu. In c. 5 = p. 444 L. wird ferner angeführt, daß alle
Frauen, die lahme oder blinde oder sonst unvollkommene Kin-
der geboren hätten, behaupteten, sich im achten Monat solcher
Schwangerschaften wesentlich unwohler gefühlt zu haben als
bei normalen Kindern, woraus folge, daß die nicht normal
geborenen Kinder infolge des Unwohlseins der Mutter während
des 8. Monats ebenfalls krank gewesen seien. Dann heißt es
weiter: r'Oöu d' uv x&v bxxu^iqviov e^ißQvojv [ir) öcpödou voörjai^
ccXXu xuxu (pvßiv ex xrjg [Lefrodov xuxottuftn'firii xug fiev
xeööuodxovxu ijfiEQug diexe'Xeöev uöfteveovxu xb nXelöxov
ev xfi [irjXQrj dLu xug uvüyxug xug TtooetQrjfievug^ iyivexo de
vyiuivovxu. "Oxi <T uv yevrjxut ev xf^cc xeööuodxovxu fftie-
Qrfii xuvxr\6iv, udvvuxov iteQLyeveö&aC voöiovxi yaQ uvxetp
erv ev t/J {irixorj emyivovxui ul {texaßoXai xui ul xuxoTtdd-eiui
ul [isxu xbv xöxov. Wir werden bald sehen, daß diese Ver-
änderungen und Leiden ebenfalls 40 Tage dauern. — Weitere
Erwähnungen der größtenteils mit dem 8. Monat zusammen-
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 97
fallenden sechsten Tessarakontade, auf deren wörtliche An-
führung wir hier verzichten können, finden sich noch cap. 7
am Ende p. 446 L. und cap. 9 p. 450 L. Von der Gefährdung
der Embryonen während des 8. Monats handelt natürlich auch
der Traktat 71. bxxa[irjVov = 452 ff. L.
7) Tessarakontade VII = Tag CCXLI bis CCLXXX -
Mon. IX Tag 1 1 bis Mon. X Tag 10. — In dieser Periode
lassen die Empfindungen des Ubelbefindens von Mutter und
Kind erheblich nach-, beide befinden sich also bedeutend
wohler. Vgl. tt. etcxccii. 4 = p. 442 L: xovxe'ov Ös xov %qovov
7t«Q£?^6vtog, öcfijtft {ie'XXel ev sivou, aC cpheytiovui elv&qöav
xal xov Eußovov xal xrjg firjXQog ... Kai xr\v ißööpi,r]vxE66aQcc-
xovxdda £vxavd? söxl xb tcXelöxov xov %qovov xä eußova ...
Kai xs<5ö*aQC(xovxcc xavxag cd yvvalxEg cpEoovöL xäg xeXev-
xaiag i)[itQCig evtcexe'öxsqov xäg yccöxsaag, s6% av 6p4u»y'(?rj xb
Efißovov ßxQEcpEöd'af [lExä dl xccvxcc eil xe coölvEg eIol xal 01
TtÖl'OC ETllXElVXai, £6x' av iXsv&EQCod'fj xov xe TCaidtov aal xov
VÖXEQOV.
So dauert denn die Normalschwangerschaft der gesunden
Frauen genau 7x40 = 280 Tage oder 7 Tessarakontaden,
eine Bestimmung, die noch heute in der Medizin Geltung hat,
und die um diesen Termin geborenen Kinder heißen dsxafirivoi.121)
Vgl. 71. bxra[i. 10 = p. 452 L: Tä dsxäprjva xaXEo^isva Xiyco ev
ETtxä XEöGaQaxov&^iiEQOböL12'2) {lüXXov XLHXEödac xal [ici-
121) Bei Yindicianus cap. 1 5 = Wellmanx, Fragm. d. griech. Ärzte
I S. 218 ist offenbar zu lesen: Qui autem quadragesimo die figuram
hominis acceperit, X[=decimo, nicht LX = nono!] mense intrante, decimo
die [also am 10. Tage des 10. Monats!] nascitur. septies multiplicabis
dies [40x7 = 280]: efficiuntur CCLXXX, qui fiunt menses novem
[dies X?]. S. auch Tythagoras' b. Censorin. c. 11.
122) Littre liest hier iv iura T£6ouQä■xov&, rjatQ-rjöi, was ich für
fehlerhaft halte. Entweder ist iv inru riaaaQccy.ovrdaiv r^tSQtav zu
lesen (s. etwas weiter unten!) oder das was ich gegeben habe. Vgl.
die analogen Ausdrücke 7} jtsvftrjUSQOs b. Dittenbergek Syll.1 p. 344, 9.
v.aru TtsvrarjiiSQov Hesych. s. v. i'ägai ßovXfj?. — v.arä 7t?vftrnLbQ0v Xen.
Hellen. 7, 1, 14. Aristot. 'A9. itol. 30. — tö Ss%ri[iSQOv Poll. I, 63. — i^rr
v.ov&ijusQov &n6cp&c(Qna fHipp.' imd. ß' = V p. 90 Littre. — xtaoaQu-
■novd~T]u.£Qos 7t. sjrrafi. 2 p. 438 L.
7*
g8 W. H. Röscher:
Xioxa TtQoöijxei exxQeyeö&ar xal xekecoxaxöv eöxtv ev xfjöt, xav-
tj]6l xeööaQaxovxdöiv [so C bei Littre] rjfieoiav. — ebenda
cap. 13 = p. 458 L: ol de dexdprjvoL xcov xöxcov xal evde-
xccprjvoi ix x&v eitxä xeööaQaxovxddav xov avxbv xobitov
yivovxai xal ix xov fjfiiäeog xov sviavxov ol eitxdurjvoi (vgl.
tieql enxaa. 1). — cap. 13 p. 460 L: aöxe ito XXdxig d oxe.lv entlaii-
ßdveiv xov evdexdxov [irjvbg xdg öydotfxovxa xal diaxoöCag'
xovxo ydo iöxuv enxä xeGGaoaxovxdd eg. — Vgl. auch
it. öagx. 19 — VIII 612 L: evvea de iiiqväv xal dexa rj^ieQ&v
[= 280] yövog yiyvexai xal £j] xal e%ei xov doi&[ibv dxQexea
ig xdg eßdopddag' xeööageg dexdÖeg eßdo{iddmv i^iegai eCöl
dir\xö6ia.i oydorjxovxa. Man beachte, daß der knidische
Verfasser hier nicht nach Tessarakontaden7 sondern nach
Hebdomaden rechnet!
8) Bisweilen findet sich auch die Annahme einer Tessara-
kontade VIII = Tag CCLXXXI bis Tag CCC od. CCCXX =
Mon. X Tag 1 1 bis Tag 30 od. Mon. XI Tag 20. — Spuren einer
solchen Auffassung verrät bereits die it. XQoepfjg cap. 42 = IX
p. 114 L. mitgeteilte „streng dekadische" Entwicklungsreihe
der dexdiMjvoi, welche lautet: itevxrjxovxa [= 5 X 10] ig
ldertv, ig itQ&xov dX^ia exaxbv (== 10 X 10), ig xelei6xr]xa
xQtaxöötai [= 30 x 10] (rj[ie()ai) . Ahnlich Gell. 3, 16, 1:
Multa opinio est . . . gigni hominem . . . saepiusnumero decimo
mense, eumque esse hominem gignendi summumfinem; decem
menses non inceptos, sed exactos. Im folgenden werden zum
Beweise dessen zwei Zeugnisse aus Plautus und Menander
angeführt; vgl. auch ebenda § 13, sowie Aristoteles de an. hi.
7, 4, 4: yivexai xal dexd\hr\va xb itkelöxov' eviai <5' ejttXa^i-
ßdvovöi xal xov evdexdxov {irjvog, woraus hervorgeht, daß
manche e^ißQva auch für evöexd^va galten; s. auch ob. it.
oxxap. 13 und Gell. 3, 16, 6 u. 12.
9) Damit ist aber die Reihe der für die Entwicklung der
Embryonen und den Zustand der Entbundenen in Betracht
kommenden Tessarakontaden noch nicht zu Ende: es gibt
noch eine neunte Frist von 40 od. 42 Tagen, die hier nicht
übersehen werden darf. Wir stellen hier zunächst
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 99
a) diejenigen Zeugnisse zusammen, nach denen die Lochien
der Wöchnerinen 40 oder 42 Tage dauern: it. q>vö. ncud.
18 = VII p. 500 L: 1) xd&ao6ig yCverai xfjöt yvvai^l pexä
xbv xöxov ag etcltcoXv ejcl {.uv xfj xovqt} r\aeQ^6i xsGöaod-
xovxa xal dvo ... iizl de x<p xovqg) ... rj(ieQi]öi xoidxovxa
(vgl. ob. S. 92) ... ccl de xa%-do6eig cd ex xov xöxov x\fii
ywaiQ xovxs'ov eivexa yivovxai oxi ev x<p ?ro6 xov %o6v(p
lie%Qi xeööaQaxovxa yiieoecov xal dvo exl xfj xovqtj, iitl
de xc5 xovoa [i£%Qt xgirjxovxa r][ieQecov eXd%i6xov alyLuxuxtQiexui
inl xr)v av%V{V x<fi jiaidCa' del Örj xijv xk&uqöiv dnoÖo^vai
sv xol6i Xo^Coiöi xal h%iivui h%o xaxä Xoyov r&v rj^ieoecov.
Ebenso der Verfasser des Buches tc. yvvaixeiav a 72 = VIII
p. 152 L. — Aristoteles an. hi. 7, 3, 2 (wo die betreffenden
Zahlen freilich verwechselt sind: s. ob. S. 92) dagegen (vgl.
auch ebenda 7, 10, 3)123) und die meisten andern Autoren
reden nicht von 42 (= 6x7), sondern nur von 40 Tagen;
vgl. Galen. XVII A 444 und (Varro? b.) Censorin. de die nat.
11, 7: post partum quadraginta diebus pleraeque fetae
graviores sunt nee sanguinem interdum continent. Mehr oben
S. 40 und in Abh. I S. 1 1 ff. u. 27 ff.
b) Aber auch eine gewisse Unvollkommenheit der neu-
geborenen Kinder, mögen sie nun sTtxd^vot oder evved[ir]vot
oder dexdiirjvoL sein, dauert in der Regel 40 Tage. Vgl. n.
£7ixa[i. 2 p. 436 f. L. von den e7txd^irjva: {iixod 'övxa {texaßofoj
lie%ovi iqiovxai xeov dXXcov xal xrtv xeG6aoaxov&rj[ieQOV
xaxoxad'eCrjv dvayxd^ovxat xaxoTta&eiv e£,eX&6vxa ex xf\g u^rprjg,
(i]y xal xß)v dexa^vciv TtoXXd dnoxxeivei. — ebenda 9 p. 450 L:
xqixr\ de [x£66aoaxovxdg] ev i] xd natdCa oxav yevrjxac xal
xaxo7Za&rj<5avxa, i}v Tteoicpvyri xdg xe<56aadxovxa yiieoag,
ecpdvr] l6%vovxa df\xa {idXXov xal cpaove'ovxa' xal yao xdg avydg
öoa 6aq)£6x£oov xal xov xjjoqpov dxovet noöö'd'ev [lij dvvdfieva
. . . ev xe . . . xolg v%vol6iv eovölv, e-u&eag £7ti]v ysvavxai,
123) Arist. an. h. 7, 10, 3: 'Eav 6h Hcc&äQOttg [isru rbv tokov iXccr-
tovs yivwvrai, y.a.1 oaav ^orov ccl Ttqwxca %al ftr} diari-X^acoGiv sig xccg
rföfiapexorta, io^vovßi re päXXov cd yvvcäxss xai GvXXdfißävovot
&ÜTTOV.
ioo W. H. Röscher:
yekävxa qxxCvexai xä itaiÖCu xal xXuiovxw eyorjyoQÖxcc
de avxo^iaxa ev&eag yekä xe xal xXccCel ngoöd-ev r\ xe6-
<5a.Qä%ovxa rjusQca yevotccxo' ov de yeka i^avö^evd xe Kai
eoe&L£6[ievcc tiqöö&sv tj avxbg 6 %Qovog ovxog yevtjxai' tt{l-
ßXvvovxai yctQ al dvvdpeig ev xalg fiv^riGi. — [Varro? b.]
Censorin. de die nat. 11, 7: post partum . . . parvoli ferme
per hos ^quadraginta dies^> morbidi sine risu nee sine peri-
culo sunt, ob quam causam, cum is dies [XL.] praeteriit, diem
festum solent agitare, quod tempus appellanttf ööe qccxoöxccZov
(s. ob. S. 28 ff.). — Aristot. de an. hi. 7, 10, 3: xä de TtaidCa öxccv
yevavxcu xcbv xexxccodxovTCc i)iieQ(bv eyoriyoQÖxa (iev ovxe yeXä
ovxe daxovei, vvkxoq 6' evioxe aficpa, ovde KVit,6^.eva xä noXXä
aiöd-dvexai. — Plin. n. h. 7,40: In quo mensium numero genitis
[also den im 7., 8., 9., 10. u. 11. Monat Geborenen; s. d. Vorher-
gehende!] intra quadragesimum diem maximus labor. —
Qvöixög b. Jo. Lyd. de mens. p. 84 Wünsch (vgl. Ennead. Stud.
104fr.): [iexä de xyjv xvrjötv . . . enl . . . zrjg xe6öaQaxo6xfjg
(xb ßoeyogy TtQoöXccfxßdveiv xb yeXaöXLxbv xal aQ%eö~&cci
ijtiyLväöxeiv xt)v (irjzeQcc. — Plin. n. h. 7, 3: At hercules risus
praecox ille et celerrimus ante quadragesimum diem nulli
datur.
In Abh. I S. 29 ist der merkwürdigen Tatsache gedacht,
daß sich bei gewissen islamischen Völkern, bei denen ebenso
wie bei den Juden und Arabern die 40 tägige Frist vielfache
Beziehungen zur Schwangerschaft hat (a. a. 0. S. 9. 11 ff. 276°.),
die Bedeutung dieser Frist nicht bloß auf die Zeit nach der
Entbindung, sondern sogar auf die Zeit unmittelbar vor
der Hochzeit und dem ersten Beischlaf bezieht, insofern
die künstliche Mästuno; der Bräute, die nur im Zustand der
Fettleibigkeit für schön gelten, 40 Tage vor der Hochzeit zu
beginnen pflegt. Etwas einigermaßen Ähnliches findet sich
auch bei den Griechen. Vgl. Dioskor. m. m. 3, 129 (n. KQaxecio-
yövov) : 'IßxoQElxai de v%6 xivtav 7) nööig xov naQ%ov yvvalxcc
ccQQevoxöxov Ttoieiv, edv xtg pexä xr\v xd&ccQöiv xcöv Kaxa-
lir\vlxov 71Q0 xov Tclrjöidöcci novr} vrjGxig xgig trjg jj^ieoag 6Xxi)v
XQicoßolov [isd-' vdaxog xvd&av ß' exl i\^eqag xeööccQdxovxcc.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker, ioi
coöccvTGjg ös xal 6 avi]Q nivita rag L'öccs f}li£QctS xai Ttkr\6ia-
^'tco. Ebenso Plin. n. h. 27, 62: Crataeogonon . . . nascitur in
opacis . . . quod si bibant ex vino ante coenam tribus obolis
in cyathis aquae totidem mulier ac vir ante conceptum
diebus quadraginta, virilis sexus partum futurum aiunt.
Est et alia crataeogonos, quae tkelygonos vocatur . . . Sunt qui
florem crataeogoni bibentes mulieres intra quadragesimum
diem concipere tradant.124a) Jedermann erkennt leicht, daß
auch die 4otägige Frist in diesem Falle uralt und volks-
tümlich sein muß, da es sich hier um ein uraltes Mittel der
griechischen Volksmedizin handelt.
B. Die hippokratischen Tessarakontaden in der Pathologie
und Therapie zunächst der Franen.
a) Tagfristen. Es liegt in der Natur der Sache, daß
die für die Schwangerschaft, die Dauer der Lochien und die
Entwicklung der Neugeborenen mb) von jeher nach dem Volks-
glauben wie nach der wissenschaftlichen Überzeugung der
ältesten griechischen Ärzte und Denker so maßgebende Vierzig-
tagefrist schon frühzeitig auf alle möglichen Krankheiten
zunächst der Frauen übertragen und somit für deren Patho-
logie und Therapie (ebenso wie für die der Kinder125)) wichtig
wurde.
124 a) Vgl. darüber Theophrast ed. Schneider vol. V p. 428.
124b) Aus der Bedeutung, welche die tessarakontadische Tagfrist
für die Entwicklung der Embryonen und der Neugeborenen unmittel-
bar nach der Geburt hat, erklärt sich offenbar der Aphorism. III, 28 = IV
p. 500 L. ausgesprochene Satz: xa de itlslaxcc xoTgi ?t<xi8Loi6 1 nä&soc
Y.QIV&TCCI, xä (ihv iv XEG6 ccqÜ'aovxcc TjixtQrjOi, xä ös iv inxk [ir}ol, xa.
ös iv snxä hsa, xa. ös rtQog xr\v ijßr\v itgoedyovoLv. Alle diese Fristen
erklären sich ganz natürlich aus der biologischen Entwicklung der
Kinder: in der ersten Zeit nach der Geburt stehen sie noch unter der
Herrschaft der Tessarakontade, dann geraten sie unter den Einfluß der
Siebenmonatsfrist, denn im siebenten Monat entstehen die ersten Zähne
(s. Hebdomadenl ehren S. 135), mit dem 7. Jahre wechseln sie die-
selben (a. a. 0. 15. 26. 27. A. 33. 32. 64. 100. 135 A. 195) usw.
125) Vgl. die vor. Anmerkung.
102 W. H. Röscher:
So treten uns die reintessarakontadischen Fristen, sowie
die von 20 und 60 Tagen mehrfach in den Berichten über
xqco<3[ioC, artocp&dQtittta, iTtixvrjpctxu und Gebärinutterleiden
ento-eo-en, wobei besonders zu beachten ist, daß bisweilen
hervorgehoben wird, die Angabe über die Zahl der Tage be-
ruhe gerade auf der Aussage der betreffenden Patientin.
Vgl. ijtidrjii. ß' = V p. 90 L. nr. 13: Tb S^7jxovd"^nEQov
a7töcp&ccQ[icc ccqösv xoxcov hv S7ii<5%E6£6iv vyiTjQÖv. — ebenda
nr. 18: ijtsl de exexev, Eixo6xair\ eovßa, ccvd'ig rilyrjöEv'
exexev ovv ccqöev. — ib. p. 88 nr. 8: eni xb ßelttov ijQ^axo
IVjqebiv TtSQL slxoöxijv r^isQ^V 6%eöov eyivExo ol tceqv yv-
vcuxelcov xuxccqq7]%iv. — Eitid. d' 6 == V p. 146 L.: i\
l4%eXcbov exxccCtj aTtEcpd-siQEv ... ccqöev de xal äXXo itgog tag
elxoöiv (caKHp&eiQUi) ecprj. — ETttd. d' 22 = V p. 162 L:
CC7l£Cp&£ LQBV E^XOrd'' J][lEQ(üV, CO g £<PV, • • • • '«HjAv.
ix id. e' 11 =V p. 212 L: TSööccQccxoöTfi de ^^e'qtj cctco xf\g
TtQtbrrjg £%83ts6s tb e%ixvr\[ia. — eicid. £' 97 = V p. 452 L:
Tfi ... firjtQL ... dicccp&oQTJg y£VO[i£V7]g ... didv^cov ix Ttxco-
[taxog, rot) [iev eteqov avxixa . . . Ü7ti]Xkuyi], xov dh exe'qov tj
71QÖXEQOV ij VÖXEQOV X £ 6 6 aQCiXOVX Ci i](l£Q£COV. • —
Nicht selten wird bei speziellen Frauenkrankheiten emp-
fohlen, gewisse therapeutische Maßregeln 40 Tage lang
anzuwenden, insbesondere 40 Tage lang Kuhmilch zu trinken.
Vgl. Tl. yvv. cpvö. 5 = VII p. 318 L: tjv dh (cd [ifixQuiy
TtavxajtaöLV ex xcov aldoicov extceöcoölv ... r(v ... a7to7t<xxfj6aL
-fo'Ajj, avax£i^Evy\ cltiotiuxeCxco, Ecog av X£66ccQctxovxa i)[i£Qca
TCuQEkd-coßLv. — ib. 1 4 = VII p. 334 L. bei Leukorrhoe:
k%r\v de xä xdxco xa&aQ&fj, ßoeiov ycika xivixco etil xeööcc-
Qaxovxa iftiEQccg. — ib. 38 = VII p. 382 L: rjv cd [ifjXQaL
TCQOg xäg xlEVQag xqoöxeöcoöl . . . yaXccxxoTtoxslv xb ßosiov
yäXa oxi xXeIöxov eqp' r){i£Qctg xEööaQcixovra.126) — ib. 52
= VII p. 394 L: rjv alfia i^ier] ex xöxov [ydXa] hexcctiitiCöxeiv
ßobg (lEkatvrjg aöixeovöav etcl 7][iEQug xEGGaQÜxovxa. — tc.
yvvcux. ß' 121 = VIII p. 264 L: aXlog oöog . . . hexetieixci de
I26) Dasselbe Rezept wird it. vova. ß' 51 = VII p. 80 L. auch
Patienten beiderlei Geschlechts bei cp&iaig vcotiäg empfohlen.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 103
Ttivstco ItcI xeööaocixovxa i)(ieQag ydXa ßobg &eqhöv x. x. X.
— ib. 1 29 = VIII p. 278 L: tjv ai iiYitQcu Ttobg xug TtXevodg
TCQOöTteöcoCt . . . yaXaxxoTtoxieiv ßöeiov ydXa cog TtXslöxov hnl
rjfiEQccg XEööccodxovxcc. — ib. et 78 = VIII p. 196 L: ?ji/
de ex xöxov aifia e^t'rj . . . avxi] tilvexo ydXcc övov, eTteixa
ßobg ... xeööaodxovxa ?//*. — ib. a 43 = VIII p. 102 L:
r\v de cdpu ex xöxov i^ieörj .. . TtiTttöxsiv ßobg ^leXaivrjg ydXcc
... ijuegag xe66aQiixovxa. — Bisweilen tritt in solchen und
ähnlichen Fällen auch die halbe Tessarakontade ein: vgl. z. B.
7t. yvvuix. qpvö. 101 = VII p. 416 L: rji> Ttcco&ivog Xiftirjörj
... dtdovat, ... e%\ ei'xoöcv yueaccg. — Mehrfach wird auch
bei sonstigen Krankheiten von Frauen hervorgehoben, daß am
20. , 40., 60., 80. Tage eine Besserung, eine Krisis oder der
Tod eingetreten sei. Vgl. z. B. it. eiiidi][i. d" 8 = V p. 148L:
aTte&ccvev eyyvg etxoötah]. — ib. 25 p. 170 L: Fwccixl
xttQi]ß<xQLxfi i6%vQcbg, xavxi] ixoCfti] tveqI elxoöxtfv. — ib. S3
p. 176 L: Tf] 'OkvyiTiiodcüQov Ttcxidtöxr} alfia ex xov de£,LOv,
xccl exQL&r] cbg Elxo6xaiy\. — 7t. BTtidrjfi. y = III p. 109 L:
etxodxfj 6(iixQcc 7teQii-ipv£,e ... x£ö~6ccQaxo6xf) ... STtexovcpLöe,
. . . e£,i]xo6xfj cd ßrjxeg . . . i£,eXi7tov, . . . öydorjxoöxfj ditExfavEv.
— 7t. enidr^i. e' 85 = V p. 252 L: v\ . . . Kovcovog &eod-
Ttaiva, ex xscpaXfjg odvvrjg aQ^ayLEvrig, e'xxo<3&ev eyivsxo' ßoi\y
xXav%\Lol TtovlkoC, bXiydxig fj6v%Lr]. IIsqI de xäg xeööaoa-
xovxcc exeXevxi]6e. — Fast ebenso 7t. eTtiÖ. % 90 = V p.
446 L. —
b) Jahrfristen. Solche kommen natürlich in viel ge-
ringerer Anzahl als die Tagfristen, schon bei „Hippokrates" und
zwar, wie es scheint, meist mit Beziehung auf beide Geschlechter
(eine Ausnahme siehe Ttoooo. ß' 41) vor. Vgl. 7t. cceqcov, vd.
x.x.X. 10 = II p. 48 L: 'Hi> de xb ftegog eTto^ißgov yevr\xai xccl
vöxlov xal xb iiexo7t(OQOv, j^ei^ava ävdyxt] voxeqov elvcct, xcd
xolöi (pXsyixaxCrjöi xcdxoiöi yEoaixEQOiöi x£66Ü.Qaxovxu execov
xavöovg yCyveö&UL elxög. — 7t. diaCt. a' 32 = VI p. 508 L: ol
fiev ovv xctvxrjv £%ovxsg xr\v cpvöiv vyiuivovxEg dtaxEX.EOvöi xov
Ttdvxcc iqovov [te^gi xeööccodxovxcc exeav, ol de xal [ie%QL
yriQca xov e6%dxov 6x6001 d' dv Xtjcpd-coöiv vTtb vov6r\\iax6g
104 W. H. Röscher :
nvog vjtSQ xeööagdxovxa exea ov [idlcc dTro&vrjöxovöiv. —
ib. p. 510 L: i)foxCcci Koog exea xs66aodxovxa voösoaC. —
dcpooiö^i. VI, 57 = IV p. 578 L: d%6iih]xxoL de \1dXi6xa yC-
vovxai r\kixi\] xfj ctTtb xeGGaodxovxa exsav d%Qig s\i\xov-
xa. — tio%l. 37 = IV p. 380 L: bliyoi de xovxscov nsoi e%rj-
y.ovxa exea hßloöav. — tiqoqqijx. ß' 41 = IX p. 70 L: Tb
de vöörjfia xovxo [Schmerzen in den Schultern und Armen;
s. LittreJ xolöiv dvdgdöi jCQOGylvsxai l6%vQÖxaxov xolöiv dnb
xsööagdxovxa exscov eg xä e^ijxovxa' xr)v i)hxCt]v de
xccvxt]v [idfoöxcc lö%iddeg ßidt,ovxai. — Bisweilen gedenkt
„Hippokrates" auch des Alters von 20 und 60 Jahren als
eines kritischen. Vgl. z. B. n. x. evxbg 7ta&. 43 = VII p. 274L:
avxrj i] vovöog [xvcpog] Xanßdveu TtQEößvxeoov eixoöaex sog'
bxöxav de Xdßr], r]v firj xax dqyag xov vo6rj[iaxog [xslexrj&fj,
ovx exleinei, tiqiv uv etxoöiv exea Ttuoel&t]. — tc.Isq.vovö.
10 = VI p. 380 L: 'Oxöxav de slxoölv exea nageXfri}, ovx
exv r) vovöog avxrj e%iXa\ißdvei, rjv fir) ex naidCov £,vvxgocpog
h]. — Aus diesen Anführungen erkennt man leicht, daß über-
all die bekannte auch von „Pythagoras" angenommene ysvsd
von 40 Jahren, die wieder in zwei Abschnitte von je 20 Jahren
zerfiel, zugrunde liegt.
Genau derselben Anschauung huldigen aber auch die bei-
den großen Philosophen, die dem Zeitalter kurz nach „Hippo-
krates" angehören, Pia ton und Aristoteles.
Hier ist vor allem eine Stelle aus Piatos Staat anzu-
führen127), wo als die Blüte (ax[nf) des Weibes oder als die
Zeit, wo die Frauen imstande sind, den für den Staat wün-
schenswertesten Nachwuchs zu gebären, die Periode vom
zwanzigsten bis zum vierzigsten Jahre bezeichnet wird.
Wahrscheinlich handelt es sich hier nicht um eine spezielle
Anschauung Piatos, sondern um eine von jeher weit verbrei-
tete Ansicht des griechischen Volkes, und zugleich der älteren
127) Plat. %. itoXix. 460 E: Aq' ovv aoi ^vvöo-asl ybixQiog %q6voq
ccxfLfjg xä fuoet %xr\ yvvuixl, avdgi ob xä XQidnovxa; Tu Ttolcc avtäv;
£qp7j. rvvuiY.1 (isv, r)v d1' iym, äg^a^ivri ccnb sltioaiixidog ptXQ1
T STTCCQUXOVTCcttlSog XIKXSIV T# TCÖlst.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 105
Ärzte und Biologen. Die hier mit Beziehung auf das Gebären
genannten 20 und 40 Jahre stehen höchstwahrscheinlich mit
den in der griechischen Embryologie und Gynäkologie (s. 0.)
so maßgebenden Zwanzig- und Vierzigtagfristen im engsten
Zusammenhang.
Bei Aristoteles de an. hist. 7, 5 finden wir folgende
wohl ebenfalls auf einer älteren weitverbreiteten Anschauung
von der Bedeutung der Tessarakontade für die Biologie des
weiblichen Geschlechts beruhende Lehre: navsxai . . . xalg
yvvca^i xalg [ihv TtlsCörcag xä xaxaixrjvia nsoi xExxaoäxovxa
exrt. Daß diese Ansicht auf das innigste mit der soeben be-
sprochenen Piatos verwandt ist, also wahrscheinlich aus der-
selben Urquelle stammt, bedarf wohl kaum der weiteren
Erörterung (vgl. auch Plin. n. h. 7, 61: major pars ("mulierum]
quadragesimo anno profluvium genitale sistit). — In den-
selben Zusammenhang gehört wohl auch de an. hist. 2, 4 (14):
<J?vovxai <T ol xsXevxcüol xolg ävd-Qaiioig yopccpioi [odovtsg]
ovg xaXovöi xoavxrigag tcsql xä s't'xoöiv sxi], xccl ävögäoi
v.al yvvait,iv. "Hör] de xiöi yvvai^i aal öydorjxovxa sxäv
ovöaig scpvöav yöficpLOL iv xolg sö%dxoig, tcövov Ttaaaöyßvxtg
sv xfj ävuxokf], aal ccvÖqccölv axJavrrag. Vgl. Plin. n. h. II, 166.
C. Der 40., 20., 60., 80., 120. Tag in der Lehre von den
kritischen Tagen.
In den unmittelbar vorhergehenden Abschnitten ist ge-
zeigt worden, welche Rolle von jeher nach allgemeiner Volks-
anschauung wie nach der z. T. darauf beruhenden Ansicht der
Arzte und Biologen die tessarakontadischen Tag- und Jahr-
fristen im Leben und der Entwicklung der Frauen und
Embryonen spielen; zugleich haben wir erkannt, daß schon
auf diesem Gebiete dem 40. Tag und dem 40. Jahre fast
durchweg eine gewisse kritische Bedeutung zukommt, inso-
fern das Wesen der xoCöig ja eben in einer 6%vQQonog iiexa-
ßokij (Galen. 9, 910 K. Aristoxenos b. Stob. I pr. 6 [p. 20, 1 W.]j
vgl. Hebdomadenlehren S. 16 A. 13) besteht, die immer am
io6 W. H. Röscher:
Schluß einer tessarakontadischen Periode von Tagen und Jah-
ren stattfindet. Hie und da haben wir auch schon den
40. Tag als Tag der xqCöls in Frauenkrankheiten kennen ge-
lernt (s. o. S. 102).
So kann es denn bei der allgemeinen Neigung der typischen
Zahlbegriffe, pflanzengleich über ihr ursprüngliches Bereich
hinauszuwuchern und so ihre Bedeutung zu erhöhen, durch-
aus nicht wundernehmen, wenn wir sehen, wie auch die ur-
sprünglich und hauptsächlich im Gebiete der Gynäkologie und
Embryologie heimische Tessarakontade über die Grenzen ihrer
alten Heimat hinauswächst und zuletzt in die namentlich von
der knidischen und koischen Schule ausgebildete Lehre von
den kritischen Tagen in allen möglichen Krankheiten (auch
der Männer!) eindringt.
Um nun diese letzte Entwicklungsstufe der Tessarakontade
auf medizinischem Gebiete genauer kennen und besser würdigen
zu können, müßten wir eigentlich sämtliche hierhergehörige
Zeugnisse der nach literarhistorisch-kritischen Gesichtspunkten
in die cknidische', die fechthippokratische' usw. Gruppe ge-
ordneten Bücher des Corpus Hippocrateum hier aufzählen,
eine freilich etwas weitschichtige Aufgabe, auf die wir hier
glücklicherweise verzichten zu dürfen glauben. Die hier
eigentlich von uns zu leistende Arbeit ist nämlich im wesent-
lichen bereits erledigt im 5. Kapitel meiner „Hebdoniaden-
lehren" S. 60 ff., wo nicht bloß die hauptsächlichsten Zeugnisse
für die Reihen der kritischen Tage bei Hippokrates wörtlich
angeführt, sondern auch die daraus gewonnenen statistischen
Resultate übersichtlich in Tabellenform zusammengestellt sind.
Ich habe also genau genommen nur nötig, die schon früher
entworfenen Tabellen mit einigen mittlerweile als nötig erkannten
Korrekturen nebst den für die Tessarakontaden in Betracht
kommenden Zeugnissen hier zu wiederholen und mit kurzen
Erläuterungen zu versehen (vgl. Tabelle I auf S. 107 und
Tabelle II auf S. 109).
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 107
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Das, was wir für unseren Zweck
aus der nebenstehenden Tabelle I
CO ^J OUi-^OJ tO !->
lernen, läßt sieh kurz in folgenden T ^ T T T
Sätzen zusammenfassen: <» « « « « o «*.
a) Wie man auf den ersten t" cT I" I" I" * | ®
Blick erkennt, fehlen unter den *i ^ "*N •*» "* j%
von den Knidiern statuierten kriti- tö "^ 0 *> -£ o £
sehen Tagen in Krankheiten die
«3 -3 -< <1 <J <! -<
Tessarakontaden und Halbtessara- HKKCSC Hm
1—1 1— ■ w
kontaden noch vollständig. Ja die V V V V *P ? I ?
Abneigung der 'Knidier' gegen die
reinen Tessarakontaden scheint sich
sogar auf die Gynäkologie und
Embryologie zu erstrecken; wenig-
stens gibt die für ^knidisch' geltende
Schrift 7C. (pv<5. Ttatd. [s. oben S. 92]
statt der sonst in diesem Bereiche
geltenden Zahl 40 die offenbar heb-
domadisch zu fassende 42 [= 6x7!]
als maßgebend an.
b) Dagegen überwiegen hier
noch bei weitem die hebdomadi-
schen Tage; namentlich gilt dies
von der merkwürdigen Schrift tieq!
ißÖo^ddcov, in der wir das älteste
und altertümlichste Buch des Hippo-
kratischen Corpus erkannt zu haben
glauben128). In acht Reihen kommen
die 7 nicht weniger als achtmal,
die 14 viermal, die übrigen Pro-
dukte der 7 siebenmal vor, so daß
unter im ganzen 39 (40) Zahlen die
Sieben nicht weniger als 19 mal
128) Vgl. meine „Hebdoniadeulehren
.d. griech. Philosophen u. Ärzte" S. 44 ff.
und „Ennead. Studien" S. 134 f.
<~n <oi <-n l/i I <-r> I
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CT\
108 W. H. Röscher:
erscheint, d. h. ungefähr 5O°/0 der Fälle ausmacht. Die nächst-
größte Rolle unter den kritischen Tagen spielen der neunte
(6 mal), der elfte (5 mal), der fünfte (5 mal), während der
dritte nur 3 mal, der vierte und achtzehnte (= 2 x o,te) nur
je 1 mal genannt wird. Doch kommt höchst wahrscheinlich
beim vierten wie beim achtzehnten deren sozusagen hebdo-
madischer Charakter in Betracht, insofern der vierte Tag die
Mitte der ersten Hebdomade, der 18. Tag die der dritten
darstellt.
c) Außerdem beachte man, eine wie geringe Bedeutung
in dieser Tabelle den geraden Zahlen (Jxqxioi) unter 10 zu-
kommt. Zur Erklärung dieses Umstandes s. meine Abhandlung
über eDie 7- und Q-Zahl im Kultus und Mythus der Griechen'
S. 93, sowie 'Hebdomadenlehren' S. 64 Anm. 108 und S. 207 f.129)
d) Ferner müssen wir feststellen, daß in den „knidischen"
Reihen innerhalb der Ziffern von 1 bis 14 vollständig fehlen
der 1., 2., 6., 8., 10., 12., 13. Tag, daß also als kritisch inner-
halb der Grenzen von 1 bis 14 nur die eine Hälfte der Tage,
und zwar größtenteils der durch ungerade Zahlen bezeichneten,
in Betracht kommt.
Die für unsere Zwecke aus Tabelle II (s. S. 109) hauptsäch-
lich in Betracht kommenden Zeugnisse sind dagegen folgende:
13) Aphorism. 3, 28 = IV p. 500 L: xä de itXelGxa xolöi
TtaidloLöi ticc&su xQLvexai, xä (ihv ev xeööccQaxovxa
i^ue'pfjtft, xä de iv eitxä ^ir]öC, xä de iv enxä exeöt,, xä de
7tQog xr\v rjßrjv TCQoöäyovöiv, d.h. in 14 Jahren (vgl.Sol.fr.
27, 3 Bergk). Diese Theorie ist wegen der Durchsichtigkeit
ihrer Motive von besonderer Bedeutung für uns; denn es unter-
liegt keinem Zweifel, daß die für die Krankheiten des
129) Hierzu füge ich jetzt noch den locus classicus aus -x. im,8i\u..
ß' VI, 8=Tp. 134 L: aTt6Xi]ipLS de toü vo6ri(iatog ovn uv yevoiro, ei ftr)
iv yoviiirj [= nsgioßf]] Tj^iegr], ovSe av &Q%i] yevoixo, i)v [ir] a y 6 v co [apri'or]
7j{i£q7] yiccl (ir}vl frei de yovifico ... 06cc Q'v^aKei a.väy%r\ yovifico t]^bqtj
xcci yoviyum [Lr\vl, ncä yoviiLto frei . . . xov aQi&(iov tqittj io%VQorätr\.
Es verlohnte sich wohl den Spuren dieser Triadenlehre bei „Hippo-
krates" nachzugehen. Vgl. auch den cpvßtKog b. Jo. Lyd. de mens,
p. 84 Wuensch.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 109
Kindesalters maßge-
benden Fristen von
40 Tagen, 7 Monaten,
7 Jahren und 14 Jah-
ren mit der Entwick-
lung der Kinder zuerst
im Mutterleibe und
unmittelbar nach der
Geburt (S. 88 ff. 99 f.)
und sodann hinsicht-
lich des Zahnens, des
Zahnwechsels und des
Beginns der Pubertät
(s. Solon a. a. 0.) aufs
innigste zusammen-
hängen.
5=11 p.
Prognost.
122 L: Ev-
Tcvoiav de %Qr] vo^ii^eiv
xüqxcc {isyäXqv dvvcc-
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XVQ8T016LV eGxi xul ev
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QTjGl XQlVeXCU.
1 4b) Prognost.
2o = II p. 168 L: Ol
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Qfiöi rbv (xqi&iiöv, fi|
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xccxotj&sö'xccxol xal hnl ö^^stav dsivoxaxav yiv6\i£voi xexccq-
xaioi xxsivovöi 7) 71q6öQ,ev. rH {iev ovv %qcaxx\ scpodog avx&v
ovxa [d.h. am 4: Wellmann, Frgm. I, 162 Anm. 4] xslsvxä-
r) ös devxEQi] [xsxoccg Galen. IX p. 870 K.] eg xi)v sßdö^rjv
TtEQidyw i] öe xqCxtj ig xr)v evÖexccxtjV 7) Öe xex<xqxt\ ig xr)v
XEööaQEöxaiÖExdxrjv 7) Öe TtifiTtxr] ig xt\v £7txuxaiÖ£Kux7]V 7)
öe e'xxtj eg xr)v sixoöxtjv . . . Ov övvaxca <3' okrjötv i]iieqt]6iv
ovÖev xovxcov ixQL&fiEiöd-at ScxQEXEwg' ovös yäg 6 iviavxög xs
xal 01 fifjvEg oh]6iv i){i£Qr]6i itEcpvxccöiv uql&heIö&ui. Mexcc
Öe xavxa iv x<p uvxcb xqqhg) xaxä xi)v ccvxi)v 7tQÖ6d-£6iv r)
flEV IZQCOXT] TtEQiOÖog XEÖÖUQGIV XCcl XQLCCXOVXCC J][lEQ£00V, 7) ÖE
öevxeqt] XE66aQK%ovxa tjueqecov, i] Öe xqCxtj eh,7]xovxa r][is-
qecdv. Demnach sind die beiden hier angedeuteten Reihen
kritischer Tage diese:
a) 4 7 ii 14 17 20,
b) 34 (= 2 X J7) 4° 6o-
Vergleichen wir nunmehr Tabelle I (Übersicht über die
kritischen Tage bei den 'Knidiern') mit Tabelle II (die krit.
Tage in den rechthippokratischen' Schriften mit Ausnahme
von Epidem. I u. III; s. unt.), so ergibt sich Folgendes (s.
'Hebdomadenlehren' S. 75):
a) Schon auf den ersten Blick fällt die weitgehende
Übereinstimmung der Aphorismen, des Prognostikons und
der Schrift %. öiaix. 6|. (Tabelle II) mit den Büchern der
Knidier (Tabelle I) auf. Aus einer Gesamtzahl von 47 kriti-
schen Tagen (Tabelle II) sind nicht weniger als 1 5 (d. h. circa
ein Drittel!) hebdomadisch (bei den Knidiern waren es
noch 19 von 39, also die Hälfte; die Enneade (9 u. 27) ist
in Tabelle II 5 mal (bei den Knidiern 6 mal), die 1 1 5 mal
(bei den Knidiern ebenso!), die 5 4- bis 5 -mal (bei den Knidiern
5 mal!) vertreten. Auch hinsichtlich der 3, die bei den Knidiern
3 mal vorkommt, ist der Unterschied ganz geringfügig (2 mal
in Tabelle II).
b) Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden
Gruppen besteht nur darin, daß einerseits die gerade Zahl 4,
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker, i i i
die bei den Knidiern nur einmal vorkommt, in den genannten
'echthippokratischen' Schriften 4 mal auftaucht und daß ander-
seits die 17 mit ihrer Verdoppelung, der 34, bei den Knidiern
absolut fehlt, während sie in Tabelle II nicht weniger als
5 mal erscheint; vor allem aber, was uns jetzt besonders
interessieren muß, daß hier zum erstenmal, wenn auch spärlich,
die Tessarakontade in Verbindung mit der 20 und 60
beobachtet wird, welche drei Ziffern unter den kritischen
Tagen der Knidier bisher fehlten. Auch mache ich darauf
aufmerksam, daß in Tabelle II ebenso wie in Tab. I die 10
vermißt wird, was doch wohl darauf schließen läßt,
daß die 20, 40 und 60 in Tab. II nicht als Vielfache
der Dekade aufzufassen sind.
Völlig anders verhalten sich dagegen die in den Büchern I
und III der Epidemien aufgeführten kritischen Tage sowohl
zu den übrigen cechthippokratischen' Büchern als auch zu den
'Knidiern'. Dies erhellt auf das deutlichste aus den beiden
Tabellen III u. IV (s. S. 1 1 2 u. 1 1 4 f.), von denen die erstere
(III) die in den genannten Büchern verzeichneten Tluralitiits-
fälle', die zweite (IV) die 'Einzelfälle' betrifft (s. Hebdomaden-
lehren S. 69 ff.).
Die für unsere Zwecke in Betracht kommenden Einzel-
zeugnisse sind folgende:
17) Epidem. I, 3 = I p. 183, 10 Kühlewein = II 612 L:
skqivs xovxcov 0161 xä ßoayyxaxa yCvotxo negl elxo6xr\v,
xolQi de TtlelöxoiöL vteol xe66aQ<xxoGxi]v, itoXXol6i de jreQi
xäg öydoijxovxcc.
Reihe: 20 40 80.
19) Epidem. I, 8 = 1 p. 187 Kühlew. = II, p. 626 L:
o'iGi xa ßgaxvxaxa yevoixo \ß%Qive\ tcbqI öydolixoöxrjv iovöi.
80.
22) Epidem. I, 18 = I p. 195, 9 Kühlew. = II p. 654 L:
exQive de [xolöt cpQsnx 1x016 l\ cog enl xb nokv evdexaxciiotGiv'
eöxc d' oiöi xal elxoöxaCoLöi.
Reihe: (7) 1 1 20.
Phil.-hist. Klasse 1909. Bd. LXI. 8
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Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker, i 13
28 — 31) Epidem. I, 21 =1 p. 198, 1 ff . Kühlew. = II
p. 664 L: e&vriöxov ÖE ol TtkilöxoL ExxaloL . . . 0161 öl xa %a-
qu tu (ota ysvoCaro exqlve . . . elttoöraCoiäi. ü'iöl d' exqlvev
sßÖonaCoLöL, ÖleIelkev ivvta, viiEöxQEcpEv, exqlvev ix xr\g vtlo-
ÖTQOCpYlS TEXaQXULOLÖL . . . OlÖL Ö' EXQLVEV ißÖO^lcdoLOLV^ dLt'kEL-
tiev £%' v7to6T()o(prj' ix de xftg vTtoöxQOcpfig exqlvev ißdo^uioLöi.
Reihe a: 6 — —
„ b: 20
„ c: — 7 20
„ d: — 7 20.
32 — 34) Epidem. I, 22 = 1 p. ig8, 170°. Kühlew. = II
666 f. L: xal exqlve xolöl •zXelGxolölv f| <zQxftg tizyLTtzuCoiGi,
öle'Xeitce xtööuQag, vitEöTQEcpsv, ex da xrjg vnoßxQotpf^ exqlve
na^TCxaCoiGi^ xb öv^tTtav XE66aQE6xaLÖEy.axaCoLg [5 -f- 4 -f- 5 = 1 4].
EXQLVE ÖE TiaidtOLÖiV OVXCO XOLÖL TiXeCöXOLÖLV . . . EGXL ÖE o'lÖLV
EXQLVEV EVÖEXUXUlOig, V7lOGXQO(fi] XEGGaQEGXULÖEXaxaCoLg, EXQLVE
XEkECOg slxOÖTTj. El ÖE XLVEg ETlEQQiyOVV TIEqI Tt)v slxOätijV,
XOVXOLGLV EXQIVE X EG G aQ aXOGX aLOLg.
Reihe a: 5 — 14 — —
„ b: — 11 — 20 —
„ c: — — — 20 40
35—36) Epidem. I, 26 = I p. 201 f. Kühlew. = II p. 678 L:
XCC ÖE 7CUQOt,VVÖ[lEVCC EV OCQXLlßGL XqCvEXUI EV LXQXLflÖLV. COV ÖE
OL XUQO^VGpol EV TIEQLGG^GLV , XQLVSXCCL EV 7l£QLGG?]GLV. "EGXL
öe %Qcoxrt TtSQiodog xcöv iv xT]Glv üqxCy\Gl xqlvövxov
o g rj 1 10 jc xo X \i § et gx
Xäv ÖE EV xfjÖL 71EQLGG]]GL XQLVOVTGJV XSQLoÖog
a y e £ & La lq xa xZ, Xa .
Reihe a: — — 4 6 8 10 14 20 24 30 40 60 80 120
» b: 1 3 -5-7-9-11 — 17-21-27-31
In Worte gefaßt läßt sich das Ergebnis von Tabelle III
und IV auf Grund einer Vergleichung mit Tabelle I und II
etwa so darstellen:
Schon auf den ersten Blick gewahren wir einen ge-
waltigen Unterschied zwischen den kritischen Tagen in Buch 1
ii4
W. H. Röscher:
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1 16 W. H. Röscher:
und III der Epidemien und denjenigen der in Tabelle I und II
berücksichtigten Schriften. Die hebdomadischen Tage (s.
unter 7, 14, 21) sind in Tabelle III und IV ganz bedeutend
reduziert (in Tab. III auf 8 unter 54, in Tab. IV genau
auf 9 unter 63 Fällen), sodaß ihre Zahl im Verhältnis zur
Gesamtheit nur noch ein Sechstel bis ein Siebentel be-
trägt. Noch geringer ist die Zahl der Enneaden (9, 27). Sie
beläuft sich in beiden Tabellen zusammengenommen nur noch
auf 5, so daß man von ihrem fast völligen Verschwinden
sprechen kann. Dagegen ist nunmehr die Zahl der deka-
dischen Tage, die bei den Knidiern (Tab. I) noch ganz
fehlten und in den Aphorismen und im Prognostikon nur
dreimal beobachtet wurden, in Tab. III und IV ganz erheb-
lich gestiegen, nämlich in Tabelle III und Tab. IV auf je 18,
zusammen also auf 36, sodaß sie nunmehr die übrigen kriti-
schen Tage an Häufigkeit bei weitem überwiegen, insofern sie
beinahe ein Drittel der Gesamtheit ausmachen. Insbesondere
kommt die 20 i4inal, die 40 6 mal, die 80 8 mal, die 120
3mal, dagegen die 10 nur 3mal vor. Dieser letztere Um-
stand in Verbindung mit der weiteren Tatsache, daß die 60
und 30 nur je einmal vorkommt, die 50, 70, 90, 100, 1 10
sogar absolut fehlen131), läßt doch wohl mit ziemlicher Sicher-
heit schließen, daß in unserer dekadischen Reihe (10 20 40
60 80 120) nicht die 10 sondern vielmehr entweder die 20
oder die 40 Grundzahl sein muß132), oder mit andern Worten,
131) Vgl. Galen. IX p. 817 Kühn: rav uhv ovv aXXcov x&v \isxu
X7\V TS06<XQCCX06TT]V TJtlSQCCV TsXtcüg %OLHSV 6 ' l7tTtOKQ(XTrig KttTacpQovslv.
k£,r\%o6tr]v dh ticcl oySorjv.oatijv v.al kKcctoerijv [? 120!] iv Xöyco
rl&erca. — Außerdem beachte man, welche Zahlen in allen Tabellen
(I— IV) fehlen. Es sind außer der 50, 70, 90, 100, 110 noch die 8, 12,
13, 15, 16, 22, 23, 25, 26, 29, 32, S3, 36 — 39- Diese Zahlen galten
also offenbar als areXitg, was von der 8 ausdrücklich bezeugt wird;
vgl. Enneadische Studien S. 71 u. Galen. XIX 454 K. Natürlich hängt
damit die Lehre von der Lebensunfähigkeit der 6xrdur}voi im Gegen-
satz zu den iitrdfirivoL, bvv£äyLr\voi, ötxccfirivoi auf das innigste zusammen.
132) Nach Galeu. n. xptff. rjingäv ß' = IX p. 865 u. 878 wäre in.
der Reihe 20 40 60 80 120 die 20 als Grundzahl anzusehen, nicht die
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker, i i 7
daß diese Reihe einen ausgesprochen tessarakontadischen
Charakter trägt, was ja auch nach dem, was in den früheren
Abschnitten dargelegt ist, durchaus nicht wunderbar erscheinen
kann. Bestätigt wird in. E. diese Annahme auch noch durch
eine genauere Betrachtung von Tabelle I und II, insofern in
beiden die 10 noch absolut fehlt und nur in Tab. II die 20,
40 und 60 je einmal vorkommt. Wir dürfen also mit großer
Wahrscheinlichkeit annehmen, daß der Verfasser von %. £%i-
diftt. a' und y' zu seiner Ansicht von der kritischen Bedeutung
des 20. , 40., 80., 120. Tages nicht bloß durch eigene Be-
obachtung von Krankheitsfällen sondern namentlich auch
durch die offenbar von ihm angenommene Lehre von der
Bedeutung der Tessarakontade in der Gynäkologie133) und
Embryologie gelangt ist. Unterstützt wird diese Vermutung
auch noch durch den gewichtigen Umstand, daß in den Krank-
10 oder 40. Er sagt p. 865: ^sydXrjv rivu Svvu^iiv b rfjg slxoßrfjg aoi&-
[ibg %X8L- rovrov yäg noXXanXcx6ia^O[Lf:Vov xrjv 6ySor\Y.oGrf\v oigtcsq v.cti
xf\v a' v.ccl xr\v i^r}y.0Gxfjv itccl xf]v sxccxoGxijv ti%0Gxi]v yivioQ'ai ßvfißi-
ßrjxsv ... ib. p. 878: xi)v rsGGaQav.oGxfjv v.al xi]v §' -acu xi]v n' v.ul xi]v
qh' iv. rfjg ilv.oGrfjg TioXXc<TtXuGia%,ou£vi]g yiv£G%ai ßvfißtßrjxs. xovxo
ovv avxb v.ai ovx äXXo yrrngißfia xeXsiag ißxl negiodov, i\xoi ßvvxed'eiiii-
vrjg asl xal TCoXXanXuGia^o^itvrjg avrfjg icp' kavrijv, aXXrjg ^.rjxiri dzlG&ai
TttQiodov. xal ai]v ovSsaiü xwv 7cqo rfjg slxoßtfjg vtcÜqxh xovxo. Übrigens
hat Galen bei seiner Annahme zweierlei übersehen: 1) daß die 20 auch
als halbe Tessarakontade gelten kann und 2) daß die tessarakonta-
dischen Fristen bei Hippokrates und sonst viel zahlreicher und ur-
sprünglicher sind als die vigesimalen. Ähnlich sind ja auch die 7-,
9-, und iotägigen Fristen und Wochen aus der 4- oder 3-Teilung des
28-, 27- und ßotägigen Monats hervorgegangen (s. meine Ennead. u.
hebdom. Fristen u. "Wochen d. alt. Griechen).
133) Dies scheint mir z. B. mit ziemlicher Sicherheit zu folgen
aus dem Krankenjournal der nach Epid. III/3' p. 234 f. Kühl. [Tab. IV
nr. 72] am 80. Tage verstorbenen Frau. Die lteihe der für diese
Patientin angegebenen Beobachtungstage lautet:
8. 11. 20. 27. 40. 60. 80t.
Ähnlich steht es mit dem Epidem. I s' 206 t'. beschriebenen Krankheits-
verlaufe der Wöchnerin (Frau des Epikrates). Die Reihe der Be-
obachtungstage nach der Entbindung ist diese:
2. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 14. 15. 16. 18. 20 21. 27. 31. 40. 80.
1 1 8 W. H. Röscher:
heitsberickten von Epidem. I und III die 20., 40., 60., 80.,
120. Tage keineswegs nur als kritische sondern häufig auch
als bloße Beobachtungstage registriert sind. Man erkennt
daraus deutlich, daß der Verfasser auf Grund irgend einer
Theorie Anlaß zu haben glaubte, gerade auf diese Tage seine
besondere Aufmerksamkeit zu richten.134) So bleibt uns denn
jetzt, um die Bedeutung der Tessarakontade für die Theorie
von den kritischen Tagen bei „Hippokrates" endgültig zu er-
ledigen, nur noch übrig, nunmehr auch die übrigen bisher
noch nicht gewürdigten hippokratischen Bücher in dieser
Hinsicht zu betrachten, um zu sehen, wie sich diese zu den
andern in Tabelle I — IV behandelten verhalten. Darüber gibt
Tabelle V (S. 1 1 9) genügende Auskunft.
Auf die wörtliche Wiedergabe der betreffenden Zeugnisse
glaube ich hier verzichten zu können, da es sich meist um
minder bedeutende Bücher des Corpus Hippocrateum, ja zum
Teil um bloße Kompilationen (71. xqlölcjv, tc. xqlgC[ig)v) han-
delt. Wer sie braucht, mag sie in den 'Hebdomadenlehren'
S. 7 8 ff. nachlesen. In Worte gefaßt läßt sich das Er-
gebnis von Tabelle V so darstellen (vgl. Hebdomadenlehren
S. 83):
Schon auf den ersten Blick leuchtet die innige Verwandt-
schaft, in der die in Tabelle V berücksichtigten Schriften mit
den in Tabelle II vereinigten „echthippokratischen" Büchern
stehen, ein, während sie dagegen sowohl von den ^Knidiern'
in Tabelle I als auch von n. £7iidrj[iLcöv a und y (Tabelle III
u. IV) in charakteristischen Punkten abweichen. Die Über-
einstimmung zwischen Tabelle II und V erstreckt sich einer-
seits auf die heb domadi sehen Tage (von denen auf eine
Gesamtzahl von 44 in Tabelle III nicht weniger als 15, in
Tabelle V auf eine Gesamtzahl von c. 99 ungefähr 36 — 37
kommen), sowie auf die tessarakontadischen (20, 40, 60),
deren es in Tabelle II nur 3 (= x/u — 1/15), in Tabelle V nur
134) Genau dieselbe Aufmerksamkeit hat der Verfasser auch den
ersten 6 oder 7 Krankheitstagen geschenkt, die ebenfalls besonders
häufig in seinen Journalen erscheinen.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker, i 19
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135) Vgl. dazu Tab. II Nr. i4b u. Hebdomadenlehren S. 81.
136) Vgl. 'Hebdomadenlehren' S. 82 Anm. 122.
120 W. H. Röscher:
13 (= y7 — yg) gibt. Reine Dekaden fehlen hier wie dort,
was darauf hinweist, daß die 20, 40, 60 nicht als Verviel-
fältigungen der 10 angesehen werden dürfen. Aber auch hin-
sichtlich der übrigen Zahlen weichen beide Tabellen nur un-
wesentlich voneinander ab, was ich im einzelnen nicht erst
ausführlich darzulegen brauche.
D. Die sonstigen Tessarakontaden der hippokratischen Bücher.
Um der wünschenswerten Vollständigkeit willen und um
die Frage der Tessarakoütaden bei 'Hippokrates' möglichst
abschließend zu erledigen, führen wir hier die noch übrigen
bisher unbesprochen gebliebenen Belege für 4otägige Fristen
auf, indem wir dabei nach Möglichkeit auch die wahrschein-
lich damit zusammenhängenden Fristen von 20, 60 und 80
Tagen mit berücksichtigen.
a) Eine Reihe von einschlägigen Zeugnissen findet sich
zunächst in den chirurgische Fragen behandelnden 4 Bü-
chern 7t. aypiöv, xax ' ltjtqsIov, %. ccQd-Qcov e{ißolfjg und
(lo^ktxög.
1) je. uy^cbv = II p. 60, 11 Kühlew.: xQaxvvexca de [idh-
6xa ßga^iovog ööxiov ev xeööccQÜxovra i)(isQr}6i.
2) Ebenda II p. 63 Kühlew.: vyissg dh xelecog ovxoi [de-
ren Fußgelenke verletzt sind] ylvovxcu iv xeööaQaxovxa
'ijfiEQtiöL [laliöra.
3) Ebenda II p. 70 Kühlew.: tjv [tev xoh{iä xaxaxelö&ai
[der am Unterschenkel Verletzte], ixavccl xeööccQaxovxa
4) Ebenda II p. 74 Kühlew.: ööxea dh xvrj[it]g xqclxvvs-
rcu ev xeööccQKXOvxa fftiEQriöiv, ijv ögfrag irjXQevrjxcu.
5) Ebenda II p. 98 KühleAV.: oXog phv xvxkog oöxeov,
t]v iv reööaQaxovxa 7}^bq)]6lv uTtoörf], xccXäg a%o6x?\6exai,
svia yag ig e^rjxovra i)[isQag acpixvelxai.
6) Ebenda II p. 66 Kühlew.: vyirjg d' av yevoixo [bei
Bruch des Fersenbeins] iv e%r\xovxa i]\iiQr\<5iv, d axgenioi.
7) Ebenda II p. 62 Kühlew.: vyiä de ylvexai [die meisten
Fußknochen] iv el'xoöi ijfiSQcug [läliöxu xelecog.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 121
8) Ebenda II p. 57, 2 Kühlew.: eccv %QV faudsdiöfrai iv
T016L vdofttj^iv, eöx av vtieq elxoGiv xj^itQag yevrjxai131).
9) xax ' lyrgetov II p. 42, 10 Kühlew.: ig de vdofryxccg
deds'vxa ... iäv ue%Qig ei'xoöL i]^sqeojv anb xov öCveog138).
10) %. ao&Qav iaßokfig II p. 187, 8 Kühlew.: xal rjv
uev alua üitoxTvör} xaxuQiug, xeöö-aQccxov&rjpeQov xyjv
fieXexrjv xal xx\v exideöLv noielöftcu xqtj- r\v de (irj nxvör} xb
ea.ua, ccQxel iv eixoöiv ^(id^yöLV i] fieXirrj äg etil xb %olv.
11 — 14) Vier weitere. 2otägige Fristen s. ebenda II p.
I39f 2°; P- l52, IO; P- 185, 9; p. 222} i7ff. Kühlew.
15) Ebenda II p. 222, 17 Kühlew.: Mtjqov fiev ovv
ööxe'ov^ ^ilco&ev ex xotovxov xqotiov, 6ydortxo6xuiov elöov
iyco dnoöxdv. t] [ie'vxol xvTJ{irj xovxa xä (xvQ-qgjtcg} xaxä xb
yövv äcpriQe^T} eixoöxaii] ... Kvrjurjg de bßxea ex xotovxov
iiekaöfiov ... e%*i]xo6xald «ot dneneöev. Vgl. Nr. 16.139)
16) uo%ltx6g II p. 265, 6 Kühlew.: (irjQov ößxe'ov ix
xotovxov a7ielv%-rt öydotjxoßtalov, t) de xvtjui] äcprjQefrri
eixo6xatrh xvrtiir]g de Ö6xea ... s^tjx 0 6 x al a aitetä&rj' s. o.
Nr. 15.140)
J37) Von dekadischen Fristen finden sich in n. aypcöv nur noch
eine 30tägige (p. 57, 3 K: iv yccQ TQiiJY.ovra adhara ttj6l av^ndarjai
■KQarvvsTai oGtia xa iv Ttr\%n xb iiclitav) und eine iotägige. Außer-
dem kommt hier noch die 3tägige Frist (11 mal) und die 7tägige
(7 mal) vor.
138) Von sonstigen Fristen dieses Buches notiere ich: eine 3tägige
und eine 7tägige.
139) Weitere Fristen in it. agdgcov iußolfjg sind:
4 iotägige: II p. 149, 15; 152, 8; 187, 4; 220, 5 Kühlew.
2 i4tägige: II p. 139, 19; 241, 14 Kühlew.
2 7tägige. — Am 4. Tag soll eine Verschlimmerung des Leidens
stattfinden (2 mal!). — Ob die iotägigen Fristen dieses Buches selb-
ständige Bedeutung haben, d. h. direkt den dekadischen Wochen der
historischen Zeit entsprechen, oder durch Halbierung der 20tägigen und
Viertelung der 40 Tagfristen entstanden sind, ist einstweilen schwer zu
sagen. Ich bin im Hinblick auf das fast völlige Fehlen der dekadischen
Frist in den übrigen chirurgischen Schriften sehr geneigt, die letztere
Alternative anzunehmen.
140) Weitere Fristen: 2tägige: U p. 249, 4 und 264, 1 Kühlew.
— Der 4. (und 5.) Tag gilt auch hier für bedenklich (2 mal!).
122 W. H. Röscher:
Wie man leicht erkennt, haben alle hier verzeichneten
20-, 40-, 60-, 80-Tagfristen einen ausgesprochen kritischen
Charakter, insofern an ihrem Ende stets eine Art xqiöis, d. h.
HexaßoXij (s. Hebdomadenlehren S. 16 Anm. 13), zur vollen
Heilung, stattfinden soll. Auch scheint für das Verständnis
der auch hier maßgebenden tessarakontadischen Fristen der im
Buche 71. xQocpfjg 43 = IX p. 116 L. deutlich ausgesprochene
Gedanke in Betracht zu kommen, daß es sich bei der Heilung
von Knochenbrüchen ebenso wie bei der Entwicklung der
Embryonen im Mutterleibe um eine xQocprj handele. Vgl.
a. a. 0. die Worte: 'Oöxeav xQoyi] ix xuxrfeiog, qlvi dlg
nevxe [= 10], yvä&co xal xXrjlöi xal TcXevgfjöi diTiXäöiai
[= 20], %r\%ei xQLTtXciöica [= 30], xvrj^ir] xal ßQa%Covi xe-
XQanXdöiai [= 40], {ir]Q<p TCevxaTtXdöiat [= 50]. Vgl.
ob. Nr. 15 u. 16.
Ziemlich dasselbe gilt aber auch
b) von den meisten der im Folgenden zu besprechenden
Tessarakontaden, die sich meist auf innere Krankheiten
beziehen.
Aus dem Prognostikon, den Aphorismen und den
Kcoaxal nQoyväöeig gehören (abgesehen von den schon oben
in Tabelle II S. 119 angeführten kritischen Tagen im engeren
Sinne) folgende Zeugnisse hierher:
1) I p. 94, 18 Kühlew.: ai de dXXai s^i7tvt]6£Lg ai TtXel-
6xcu Qiqyvvvxai, cd per elxoöxalai,, ai de xQi^xoöxalat^ al
de xs66aQaxov&Y]^,SQOi7 ai de TtQog xäg e^rjxovxa ij^iegag
dcpixveovxai.
2) Ebenda I p. 84, 8 Kühlew.: ei de viteQßdXXoi elxo<5iv
r)ti£Q<xg 0 xe TtvQexbg eypv ... ig dicmvrfiiv xqenexai.
3) Ebenda I p. 96, 15 Kühlew.: y\v (ihv 6 növog iv äg-
%f]<5i yCvrjxai .... ig xäg eixo6i ijfieQag 7iQ06de%e6&ai xi]v
fyrfeiv.
4) Ebenda I p. 105, 5 Kühlew.: iqv elxo6iv rjfiSQag 6
nvgexbg e%cov vneQßdXXr}, vitoöxenxetöai ... %QV svd-eag xu
71EQI XX\g U7l0GTÜ6l0g.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 123
4) Ebenda I p. 84, 19 Kühlew.: al da {fXSQßakXoi l£if-
xovxcc ijueoecg o xa nvgexbg 'iycov .... e^TCvov eöaßd-ai Grr
ILaCvei. m)
5) 'AyoQiöpol V, 15 — IV p. 535 L: Vxoöot kx TiXavoCxi-
öog euTivoi yivovxca, i\v ävecxad-ccod-aöiv hv xaßöuQaxovxu
rjiiegrfiiv, äff rjg av rj Qrj&g yevrjxcu, tcccvovxcci.
6) Ebenda VII 38 = IV p. 588 L: xcctccqqooi ol ig ttjv
ava xoiXirjv exTCveovxai av fjfiSQ7]6tv alxo6t,v.ur)
7) Kcoccxai Tcooyv. II 20, 383 = V p. 666 L: ol ax TcXavQt-
xixov eaicvoi yavöpavoi av xfjGi xeööccQdxovxcc r}fiSQ7]ßiv
ävuTCXvovöiv <x7ib XT\g (irfeiog.
8) Ebenda 396 = V p. 674 L: Qy'iy vvxat da xä Tclelöxa
rStv huTCvrttudxcjv, xä pbv alxoGxala, xä de xe66ccQaxo6xvu/.,
rä da Tcobg xäg e^rjxovxa. Oiöi [tev ovv 6 Tcövog hv ä.Qxfj
eyxaixai övvxovog ... Tcobg xäg el'xoötv r) 6vvxoiLcbxeQov tcqoö-
öayov xr)v qy^lv.
9) Ebenda 398 = V p. 674 L: Ölöl <5' av Tclevuovi,
cpvfiaxcc yCvexcu, xb tcvov uvdyovötv eg xaßöuQÜxovxa i]-
fieoag (isxä xijv Qffecv.
10) Ebenda 2, 15, 275 = V p. 644 L: xä iiaXftcLxä de
xccl ävaÖvva xcbv oidijfMxxcov ... xäg ... s^tjxovxa ... vneo-
ßäXXovxu, xov Tcvoexov iievovxog, ifMtvovTcu,. W3)
c) Auf derselben Stufe wie die eben angeführten meist
für 'echt hippokratisch' gehaltenen Bücher stehen in tessara-
kontadischer Beziehung auch die cknidi sehen' Schriften tc.
vovöov ß', y\ d' und tc. x&v avxbg Tcufi-üv.
/
141) Die weiteren in diesem Buche erscheinenden Fristen sind:
7tägige (3), Htägige (3), 3tägige (1), 9tägige (1), ntägige (1): ferner
7jährige (2), 14jährige (1), 30jährige (2), 35jährige (2). — In n. Siccit.
o|. ebenso wie in n. ag^airi? fytQ. fehlen alle tessarakontadischen und
halbtessarakontadischen Fristen.
142) Außerdem, abgesehen von den oben S. 109 verzeichneten
Reihen der kritischen Tage, einige Fristen von 3, 4, 7 Tagen, und je
eine von 14 und 6 Tagen. Dekadische Fristen fehlen!
143) Außerdem noch 4 Fristen von 20, eine von 30 Tagen, ferner
39 hebdomadische, 7 enneadische, 8 pentadische usw. Dekadische
fehlen !
124 W. H. Röscher:
•
i) 7i. vov<5. ß' i = VII p. 8 L: 'AußXvcoGöovöi de, öxav
ig xä iv xolGiv 6<p&akiiol6i cpXeßia eöeX&rj (pkey^ia . . . ovxog
iv xeööagdxovxa rj[iSQr]6i \idXi6xa vyidt,exat.
2) Ebenda 12 = VII p. 18 f. L: Novöoi al aito r>jg xe-
cpaXfjg yivö^evai . . . ovgiei xe äxövcog xal novXv xal Xevxbv
eg xäg elxoötv i)fiigag . . ., xccl ix x&v 6(p&aXucbv iöoQ&vxt
xXinxexai ol i] avytj... ovxog xeGöagaxoöxalog vyn)g %av-
xeXcog yCvexai.
3) Ebenda 12 = VII p. 22 L: enty de xe66agdxovxa
r}[ii(}eu diil&coöi, xad-töxaxat yäo ^idXiöxa i] vovöog iv xoöov-
X(p %QOV(p) . . . xdxco xad-ygov.
4) Ebenda 51 = VII p. 80 L: &&iöig vaxidg ... ßoetov
de ydXa dtdövat itiieiv xeööaodxovxa i)neoag. Vgl. oben
S. 102 f.
5) Ebenda 57 = VII p. 90 L: (Pv^ia iv x<p TtXev^iovi
. . . . Kad-aCoovxat de iv xeööaodxovxa i)[iriQr}6iv ay r\g
av Qccyfj.
6) Ebenda 64 = VII p. 98 L: üvoexog Xvyycodrjg . . .,
ißdojACCLog anoxtvrfixei' tjv de dexa rjfiegag vTteocpvyri, qcccov
yCvexaf elxoöxfj de rjfisQri i^TtvTöxexat . . . xa&aloexac de iv
xeGöaodxovxa rju£Q)j6i.
7) n. vovö. y 15 = VII p. 138 L: IleqiTtXev^ovi^ . . .
i] vovöog xa&Cßraxai iviccvöLtj, r\v [ti] iv xfjßt xe66 agdxovxa
i]ixeQri6L <37tevdav dvaydyt] xb Ttvov.
Außerdem finden sich in den 4 Büchern it. vovöcov gegen
70 hebdomadische, 18 enneadische, 24 triadische, 18 penta-
dische Fristen usw. Vgl. Hebdomadenlehren S. 5 8 f.
8) 7t. xäv ivxbg Ttu&av 6 = VII p. 182 L: ™Hv (pXey-
[iovi] iv 7tXev\xovi yivrjxai . . . TtoXXdxtg de xal (jvvaTto&vijö-
xei \y\ vovöog], r\v [it] iv xfjöc Ttocoxrjö'L ijitBQTjöt xeöGagd-
xovxcc a7to&üvr}.
9) Ebenda 9 = VII p. 188 L: *Hv iv 7tXevo(p tpvpcc
(pvrixai . . . Ilvtöxexai de \1dX16xa iv xeööaodxovxa rj{iiQr}6iv.
10) Ebenda 46 = VII p. 280 L: EiXebg aipaxixrig [=
'Scorbut'): Tttvixco de xal ßöeiov [ydXa] xr\v coqtjv, xeGGagd-
xovxa rniigag.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 125
11) Ebenda 18 =-= VII p. 212 L: 'Ana de vecpoCxidog etil-
la^ßdveL Tjde v\ vovöog [leydkr] xäv cpXeßäv xäv xoCXojv . . .
r)v 6trjQC^tj ... ig xi)v xvöxlv, TtooftcooEeL dpLcc xä ovqg) ai^iaxog
(iccXiGta xeööagdxovxa yj^isgag.
12) Ebenda 53 = VII p. 300 L: 'OnLö&öxovog ... r\ de
vovöog tcqogCgxel xb [laxQoxaxov ä'%QL xe6Gaodxovxa x\[ie-
qecoV r\v de xavxag dLUffvyt], vytaCvexat.
Von sonstigen häufigeren Fristen dieses Buches hebe ich
hervor: 18 hebdoniadische, 15 dekadische [Io = 4%?]; nur hier
zahlreich, 5 enneadische, 8 triadische. —
d) Aus den Büchern it. enidri^iäv ß\ d\ s\ g', £', über
deren Charakter ich auf Littres Auseinandersetzungen in
Bd. V seiner Ausgabe S. 3 ff. verweise, kommen noch folgende
Zeugnisse hinzu (s. auch oben S. 119):
13) n. imd. ß' 24 = IV p. 98 L: 'Hv öh xäv xvvuy%L-
xäv xä Tta&rjfiaxa xdde . . . i]v de xä [iev xä%i6xa Qrjt^ovtcc,
xu öh nXelGxa xal ig xEGGccQäxovxcc i)[iEQug tceql^el.
14) %. E7CLÖ. d' 3 = V p. 146 L: .. 6 Xcc?.xridoviog ...
Qrjy^iaxog tceql iiutpv öet,ibv odwa^iEvog, etcxvev ... v7CÖ%Xcoqov
... exql&t] xe<5(5u.Qe6%cadexdxri' tieqI de xE6Gaoaxo6xr\v iiQ&y]
tceql xä äxä ol ayupoxEQa . . .
15) 71. etclÖ. d' 25 = V p. 170 L: 'Avöql xavxä [xagrj-
ßaoLxbg tGj^vQäg . . . xuvGdtörtg v7io%6vdQLcc x. x. A.] itXijV eß-
dopr} exotdry VTtoGTth^vog^ ig xä uoLöxeoä^ oydortxo6xaC(p ...
16) 71. ETtid. c' 4, 5 = V p. 308 L: a) ev xfj xEcpalf]
ivifiexo, . . . ei%ev dXhjv aTtoöxuöLv, l'öag oxi böxeov e^ielkev
ä.7io6xi]<5E6&aL ' ä7t86xr] e%t]xo6xaio v.
17) Ebenda 7, 1 = V p. 330 L: Bf\%eg iqQ^uvxo tieqI
r(kiov xQOTtäg xäg lEL^iEQtvdg . . . tiqo lörjfieoLrjg avxLg vtce-
GxgecpE xovg TileCöxovg 63g etil xb tcovIv xE66aqaxoGxaiovg
ä%b xrtg dgi^g ...
18) 7t. ETiLd. £' 3 = V p. 370 L: O 'Eoaxoldov ... dv6-
evxEQLxbg eyevexo .... vtceq de xäg xqlijxovxcc ^ezql xäv
xe66txQdxovxc( v\xe ödvvrj Ttovkv inedidov xfjg yaöxQog x.x.X.
[p- 372] V de TiööLg xov yälaxxog etil xeGöaoäxovxa
r}ueoccg ävev. vdaxog. Vgl. ob. S. 102 f.
i2Ö W. H. Röscher:
19) ebenda 26 = Vp. 398 L: TS) 'Avxicpdvovg, %eiixö)vog,
älyrj^a nlevQov de^iov, ßrfe, TtvQexog . . . vtteq de rag
xeödaQaxovxa^ eyyvg olficu xcbv e^ijxovxa^ ocpd'ak^ibg ccql-
öxeobg hvcplGyd-i] {iera oldruiaxog dvev odvvijg . . . xal exelevrrjöe.
20) ebenda 47 =V p. 416L: Kleöyco ... oi'drj^ia ig yovv
dt^iöv [cScorbuf] ... 7t£Ql de et.rjxoo'xijv xaxeöxrj xd oldrtfiaxa
7100g xov devxegov iXXeßöoov povvov . . .
21) ebenda 58 = V p. 424 L: O161 ßr\%eg %et^5ivog . . .
7ia%ea xal Ttovkkä %qs[17Cto(ievol6i, Ttvoexoi emylvovxai, emeixiog
de %e\i%xaloi navovxaf aC ßy}%eg de neol xäg xe66aqdxovxa.
22) ebenda 59 — V p. 426 L: Xk^ti, let^iavog^ ex ßr\yJ,ov
i7ttdrjfiiov TtQoöyevöfievog Ttvoexbg STteXaßev 6|vg . . . fH &SQ{ir]
evxbg xav ei'xoöiv EnaXvv&r], xal diioyjoe^ieg TtaorjxoXovd'ovv
%ayeai, Qrj'idCag, ig xeööagdxovxa.
2$) ebenda 93 = V p. 450 L: Mexcavi, pexd ltkiq'Cddcßv
dvtiiv, nvoexog, nkevoov doiöxeQov bdvwi] [ie'xql xlrfcdog . . .
xqCxjj ScTib xov q)ao[idxov eggayi] xb tcvov, anb de xfjg aQ%r\g
xov aQQaöxi'iiiaxog xeööaQaxoöxf] ...
In den Büchern n. e%id. ß\ d\ g', die nach Littre V p. 3
den gleichen Chrakter und Ursprung haben, finden sich außer-
dem noch circa 13 2 o-Tagfristen, dagegen nur sehr wenige
1 o-Tagfristen (4): abermals wohl ein deutlicher Beweis, daß
auch hier den vigesimalen und tessarakontadischen Tagfristen
nicht die iotägige Woche zugrunde liegt. Dagegen sind in
den genannten 3 Büchern sehr häufig die hebdomadischen
Fristen (9 -}- 42 -(- 5 = 56!), während die enneadischen nur
schwach vertreten sind (13 — 14).
e) Ahnlich verhält es sich mit den ebenfalls eine be-
sondere Gruppe bildenden Büchern %. h%id. e' und %'. Hier
beträgt die Zahl der 20-Tagfristen (5 + 7 — ) I2> die der
1 o-Tagfristen nur (1 -f- 2 =) 3; die der hebdomadischen da-
gegen (15 -)- 49 =) 64; die der enneadischen (3 -f- 18 =) 21,
aus welchen Tatsachen doch mit ziemlicher Sicherheit ge-
schlossen werden darf, daß der oder die Verfasser hinsichtlich
der Fristenlehre ungefähr auf demselben Standpunkte stehen
wie die 'Knidier' (s. 'Hebdomadenlehren' S. 58 ff.).
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 127
Aus dem Traktat zt. xqi'glgjv, nach Littrk einer 'Kom-
pilation aus dem Prognostikon, den Epidemien, den Apho-
rismen und den Koischen Vorhersagungen', gehört hierher:
24) 7t. xqi6. 1 1 = IX p. 280 L: cpilest, ds xal eg faitvQtriv
ftEQiiGTaöftcu [6 xai)6og\ xal la^ißdvSL (idltöta rs66aQdxovxa
yuegccg xal h^r^iaXovxai . . . iäv dl fii] [led-Cr} avtbv i\ Xi%vQly\
sv talg rs66aQaxovta ijUSQaig, all' ä%&f] xal oövvr\ e%r}
tr\v xscpalijv . . . e'iuxdd'-rjQov avröv.
VI.
Die Tessarakontaden der späteren Ärzte.
Wir dürfen das wichtige und umfangreiche Kapitel über
die Vierzigtagefrist bei ' Hippokrates' nicht abschließen, ohne
noch einen Blick zu werfen auf das Nachleben der Tessara-
kontade bei den späteren Ärzten; denn nur so können wir
die Geschichte dieser Zahl bei den Griechen bis ans Ende
verfolgen. Ich bemerke ausdrücklich, daß es mir dabei auf
vollständige Sammlung des erreichbaren Zeugnismaterials durch-
aus nicht ankommt. Ich habe mich deshalb darauf beschränkt,
die Schriften des Scribonius Largus (ärztlichen Begleiters des
Claudius auf seinem Zuge nach Britannien 43 p. Chr.), des
Dioskorides (lebte unter Nero), Plinius d. Alteren, Galens und
des Marcellus Empiricus (unter Theodosius) mehr oder
weniger gründlich durchzusehen und die bei dieser Durchsicht
aufgefundenen Belege ähnlich wie die den Hippocratea ent-
nommenen in bestimmte Klassen einzuteilen. Manche der
hierhergehörigen Rezepte tragen übrigens, wie man leicht er-
kennt, den Stempel uralter der Volksmedizin entstammender
Heilkunde. Die erste jener Klassen mögen diejenigen Zeugnisse
bilden, welche sich
a) auf die Leiden, Zustände und Bedürfnisse der Frauen
und Kinder beziehen (s. ob. Kap. V S. 85 ff.).
Plin. n. h. 28, 77, 251 f. (in einem durchweg von gynä-
kologischen Dingen handelnden Abschnitt): Eiusdem animalis
(asini) fimuni, si recens imponatur, profluvia sanguinis mire
Phil.-hist. Klasse 1909. Bd. LXI. 9
128 W. H. Röscher:
sedare dicitur; nee non et cinis eiusdem fimi, qui et vulvae
prodest impositus. Equi spuma illita per dies quadraginta
priusquam primum nascantur pili, restinguuntur; item cornus
cervini decocto. — Ebenda 28, 50, 184: Frivolum videatur,
non tarnen omittendum propter desideria mulierum, talum
candidi iuvenci quadraginta diebus noctibusque, donec
resolvatur in liquorem 144), decoctum et illitum linteolo candorem
cutisque erugationem praestare. — Ebenda 34, n8f. Chalcitis]
vulvae quoque vitiis in vellere imponitur. Cum sueco vero
porri verendorum additur emplastris. Maceratur autem in
fictili ex aceto circumlito fimo diebus quadraginta. — Eben-
da 26, 94: Venerem in totum adimit, ut diximus, nymphaea
heraclia; eadem semel pota in quadraginta dies145). —
Ebenda 28,78,258 (in einem größeren durchweg von Kinder-
krankheiten handelnden Kapitel !) : Iecur asini, admixta modice
panace, instillatum in os, a comitialibus morbis et aliis in-
fantes tuetur, hoc quadraginta diebus fieri praeeipiunt
(vgl. ob. Kap. V S. 99).
b) Besonders zahlreich sind ferner, wie es scheint, die-
jenigen Zeugnisse, die sich auf Milz-, Leber- und Blasen-
leiden beziehen. Dioskor. m. m. 3, 141: ITsqI äöJiXrjvov] dvva-
\iiv de £%sl tä (pvXla ecTio&ö&evTa 6vv ö<-sl aal iiivöfieva
inl rj^iegag tsööccqkxovtcc öTtkrjvcc xrjxsiv == Plin. n. h. 27,
34: asplenum] huius foliorum in aceto decocto per dies
quadraginta poto lienem absumi aiunt. — Plin. 11. h. 20, 87
(de brassica): invenio et a podagra liberatos edendo eani
decoetaeque ius bibendo. hoc et cardiacis datum . . . item
144) Der Kalbsfuß soll offenbar binnen 40 Tagen verwesen. Dies
hängt zusammen mit der schon oben (S. 37) erwähnten und später
noch einmal zu erörternden uralten Volksvorstellung, daß zur voll-
ständigen Auflösung organischer Körper 40 Tage erforderlich seien.
x45) Vgl- damit Plin. 25, 75: Nymphaea nata traditur Nympha
zelotypia erga Herculem mortua [wohl ein Beweis des hohen Alters
dieses Hausmittels gegen Hysterie!]. Quare heracleon vocant aliqui . . .
ideoque eos, qui biberint eamXII [XL!] diebus, coitu genituraque privari.
Dioskor. m. m. 3, 138: aroviav xs iQyagsxai xov alSoiov Ttgog oliyag
tjueqccs, ei' Ttg ivötXsymg nlvoi' xö cevxb Ss noisi neu xb Gneq^ia. ito&ev.
Die Tessarakontadex der Griechen und anderer Völker. 12g
splenicis in vino albo per dies quadraginta. Geopon.
12, 17, 9 (Paxami): 'IxrsQLxovg da xal 67iXr]vixovg tni rj^tgag
TSööccQaxovra jitfr' olvov ksvxov ttivöfisvog 6 %vkbg avrfjg
[t. xQcc(ißr,g] dsQUitevsi. — Plin. n. h. 26, 76: Cissanthemus,
drachma bis die sumpta, in vini albi cyathis duobus per dies
quadraginta lienern dicitur paullatim emittere per urinam. —
Marceil. de medic. 22 , 30 = p. 228 Helmr. [ad epatis sive
iecoris vitia omnia]: Piperis albi grana quadraginta . . .
contere in unum ... — Ebenda 26, 10 = p. 255 Helmr: Ad
calculosos remedium utile sie: ... trita haec onmia aqua
colliguntur, fiunt pastilli lupini magnitudine, dantur ieiuno
ex aquae cyathis ternis per dies quadraginta. —
c) Endlich gibt es noch eine ziemliche Menge sehr ver-
schiedener Leiden und Gebrechen, bei denen die 4otägige
Frist oder eine andere tessarakontadische Bestimmung von
den späteren Ärzten beobachtet oder verordnet wurde, z. B.
bei övötcvouu, aGd-para, öq&oxvoiui, bei nervorum vitia ac
dolores, strumae, örty^ara, Zahnleiden, zur Pflege des Haares,
bei Augenschmerzen und überhaupt bei allen möglichen Leiden
und Gebrechen (vitia omnia). In einigen Fällen, wo es sich
um vollständige Auflösung (Verwesung) organischer Körper
handelt, begegnet uns auch hier wieder die bereits oben
(S. 37) besprochene Frist von 40 Tagen, die nach uraltem
Volksglauben erforderlich ist, um die völlige Auflösung oder
Verwesung herbeizuführen. Die von mir gesammelten Zeug-
nisse sind:
Dioskor. tc. svxoq. 39 = 11 p. 251 Spr: Jvönvoiag xccl
äG&HUTcc xal ÖQ&onvoCag chfpelsl . . . TiBQt'akv^ivov [_ a siel
i]ueQocg xs6<5u.Quxovxa 6vv oiva .. — Marceil. de med. 35,
7 = p. 359 Helmr: Acopum ad nervorum causas quod per
vindemiam componitur, antequam mustum defervescat sie:
Musti recentis congios V et olei Venafrani P. I, in his ma-
cerantur species, quae infra scriptae sunt ... id est: iris Illy-
ricae X XL, cyperi X XL, faeni graeci X XL, piperis nigri X XL,
xylobalsami X XL, calami odorati ... X LXXX [== 2 x 40!],
schoeni X LXXX [= 2 x 40!], saliuncae X LXXX [= 2 x 40!]
9*
130 W. H. Röscher:
... — Scribon. Larg. comp. med. 20, 80: Ad strumas bene
facit radix cucumeris silvatici . . . sed melius marini lepores
oleo vetere necati faciunt, in plumbea pyxide clusi, quam
diebus quadraginta diligenter alligatam oportet habere;
ebenso Marceil. de med. 15, 97 = p. 150 H. —
Dioskor. n.svnoQ.a' 116: Hxiy^iaxa öe ccI'qel . . . xä (pvXXu
fiavÖQayoQov xaQi%ev%,ivxa ev al^iri nal e7CL%Qi6iieva enl
rjfieQas xsöGccqccxovxcc ... —
Dioskor. it. evTtoQ.a' 71 =11 p. 129 Spr: Elg de xb ßgcbpcc
ivxL&e^ieva rj neQi%la666^ieva xa oöövxi cbcpelel xovg ööov-
xalyovvxocg . . . tcvqe&qov xuql%£V&£v övv ö|ft iitl r}[i£Qccg
xsötiaQaxovxa. —
Marcell. a. a. 0. 8, 125 p. 80 H: ad . . . oculorum dolores
. . . teruntur haec seorsum singula bene siccata, deinde in
unum collecta aceto consperguntur ac postea in ollam fictilem
novam coniciuntur cum ipso aceto, quam bene opertam in
equino stercore obrui oportet atque illic haberi per dies
quadraginta ... — Plin. n. h. 32, 67: Capillum denigrant
sanguisugae, quae in nigro vino diebus quadraginta compu-
truere = Marcell. a. a. 0. 7, 1 1 p. 53 H. — Marcell. 7, 15 =
p. 54 H: ad capillos inficiendos et confirmandos et specie
augendos . . . oninia haec in unum vas mittes et diebus
quadraginta sub divo positum iubebis cotidie per puerum
virginem commoveri, ita ut; si quando puer ipse defuerit,
signetur neque a quoquam nisi a puero alio virgine contin-
gatur (offenbar ein aus dem Volkaberglauben und der Volks-
medizin entstammendes sehr altes Rezept!). — Plin. n. h. 19,
43 [de laserpitio] : Post folia amissa caule ipso et homines
vescebantur decocto, asso elixoque, eorum quoque corpora
quadraginta primis diebus purgante a vitiis omnibus. —
d) Was endlich die Ansicht des Galenos von der Be-
deutung der 40-, 6o-; 80-, i2ot'ägigen Fristen betrifft, so steht
derselbe auch in dieser Beziehung ganz und gar auf dem
Standpunkte des cHippokrates'. Als besonders charakteristische
Belege dafür führe ich folgende an: n. xqloC[i. i)[1£qG)v a =
IX p. 816 K: e%ei de xal r\ Xd' [= 34] dvvcc[iiv a^iokoyov
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 131
xal xavxrtg exi {läXXov ij xeööaQaxoßxr]. — ebenda p. 817
K: di ye [iexä xr\v xe66aQaxoöxijv axaöia xeXeag eiölv
exXvzoi, ■xtxpeöi iiäXXov xal äiKxSxäGeöt tag XvGeig xCov voü)^-
u&T(ov r] ixxQLösöi noiovfievai. xCov (ihv ovv äXXcov t&v fiexä
trjv xeööaQaxoöxijv r^iigav xeXecog eoixev 6 'ImtoxQCCTYjg
xaxacpQovelv' e£,t]XO(jxijV de xal 6yöorixo6xi}v xal exa-
toötiJi' elxoöxijv ev X6y<p xl&exai. pexä de xavxag xäg yuev
sv enxä (iiföl) tag de ev enxä exeöt xgCveöftaC qp^tft, xäg d'
ag eoixev. ev dixxalg ex&v ißdo{iäöi xal XQixzaig [vgl. oben
Anm. 131]. An ein paar anderen Stellen derselben Bücher, die
schon oben [S. 116 f. Anm. 132] angeführt wurden [IX p. 865
u. 878], spricht Galen die, wie wir bereits gezeigt haben, un-
begründete Behauptung aus, daß die 40-, 60-, 80-, i2otägigen
Fristen des Hippokrates auf einer Vervielfältigung der 2otä-
gigen Frist beruhten, während nach meiner Meinung alle ge-
nannten Fristen, auch die 2otägige, erst aus der 4otägigen
teils durch Halbierung, teils durch Multiplikation entstanden
sind. Auch hinsichtlich der Tessarakontaden bei Schwanger-
schaften teilt Galen die Ansicht des Hippokrates: vgl. z. B.
XVII A p. 444 K.; ebenso hinsichtlich der 40tägigen Frist
bei Verletzungen der Gelenke (ügd'Qa) ; vgl. XVIII A 404 K.
Kap. VII.
Die Tessarakontaden des Piaton, Aristoteles, Theophrast usw..
sowie des <pvaixöq bei Jo. Lydus de mens. 4, 21.
In der nachsokratischen Philosophie spielt die Vierzigzahl
im ganzen keine besondere Rolle. Die allergeringste wohl bei
Piaton, der, wie wir schon oben (S. 104) sahen, der 40 jäh-
rigen Frist mehr für die äx^irj der Frauen, weniger für die
der Männer146), eine gewisse Bedeutung zuerkennt, indem er
146) Die einzige Ausnahme, die ich bisher bei Piaton gefunden,
bildet die Bestimmung in den Gesetzen (12 p. 950 D): vsartQO) ircbr
tsttccqcchovtu fx jj i^s6ta> anoSri^fiGca [iridci[.iy inqdctiiwg, fri rs ISia.
[it]dsvi, Srin-oda ö' Zarco %riQvt-iv 1} ngiaßsccag t) Kai xlgl d-scoQoig. — Den
Beginn der geistigen cbtfir; der Männer setzt PL in das 50. Lebensjahr
132 W. H. Röscher:
behauptet, daß das Weib nur in der Zeit vom 20. bis zum
40. Lebensjahre imstande sei, lebensfähige, kräftige oder für
den Staat brauchbare Kinder zur Welt zu bringen (jto/Ut.
p. 460 E), und den Frauen erst nach dem 40. Jahre gestatten
will, ein Amt (aQ%r'iv) zu bekleiden (Leg. 6 p. 785 B) und vor
Gericht als Zeugen oder Redner aufzutreten (Leg. 11 p. 93 7 A),
als Redner freilich auch nur unter der Voraussetzung, daß sie
unverheiratet {aravögoC) sind.
Etwas anders verhält sich Aristoteles zur Tessarakon-
tadenlehre. Er setzt zwar ähnlich wie Piaton die körperliche
axpiq des Mannes in das 30. bis 35., die geistige Reife ins
49. bis 50. Lebensjahr (Rhetor. 2, 14. Polit. 7, 14,6; vgl. Hirzel
a. a. 0. S. 8 Anm. 1 u. 2), aber er erkennt doch in Überein-
stimmung mit vielen älteren Ärzten und Biologen die Bedeu-
tung der 4otägigen Frist für die Fortdauer der Menstruation
nach geschehener Schwängerung, sowie für die erste Bewegung
und Formierung der männlichen Embryonen an (s. o. S. 89;
90; 92). Auch nach Aristoteles erfolgen die meisten sx-
tqg)6{ioC in der Zeit zwischen dem 7. und 40. Tage nach der
Empfängnis (s. o. S. 89J. Ferner vertritt auch er die Ansicht,
daß die neugeborenen Kinder während der ersten 40 Tage
nach der Geburt im wachen Zustande weder lachen noch
weinen (s. 0. S. 100). Was die a%\n,r\ des Weibes anbetrifft,
so huldigt A. genau derselben Anschauung wie Piaton (s. o.
S. 105). Die 20- und 80-jährige Frist ferner kommt für die
Bildung der Weisheitszähne in Betracht (s. 0. S. 105). Endlich
ist die Tessarakontade von Bedeutung für die Biologie ge-
wisser Tiere, z. B. der Bären, Pferde, Tauben und Bienen
(s. o. S. 66; 70 f.).
(nohr. 7 p. 540A; vgl. Leg. 6 p. 755A. 12 p. 946A. 951 C), ihre kör-
perliche in das 30. (tcoXlt. p. 460E. Leg. 4 p. 721A. 6 p. 772 D). Nach
Ttolix. 7 p. 537 D soll der künftige Regent 30 J. alt mit der Dialektik
bekannt gemacht und nach p. 539 E Befehlshaber werden usw. Aus
alledem scheint hervorzugehen, daß Piaton zu denjenigen gehört, welche
die ys vsä als einen Zeitraum von 30, nicht von 40, Jahren gefaßt haben.
Vgl. Ennead. Studien S. 41 Anm. 65.
Die Tessarakoxtaden der Griechen und anderer Völker. 133
Hinsichtlich des ebenso wie sein Lehrer Aristoteles von den
Beobachtungen und Erfahrungen des Volkes, insbesondere der
Landleute, abhängigen Theophrast s. o. S. 65 und 67 11.
Von weit größerem Interesse für uns ist das Bruchstück
eines philosophischen Zahlentheoretikers ((pvöixog) bei Jo.
Lydus de mens. 4, 21 = p. 172 R. = p. 84, 14 Wünsch,
wonach die drei Zahlen 3, 9 und 40 als die maßgebenden
sowohl bei der Entwicklung der Embryonen und Neugeborenen,
als auch bei der Verwesung der Leichname zu betrachten
sind. Es lautet: Ol [xav 'Pcoaatav ?] xr)v <pv6t,xr)v löxogiav
övyyodcpovxeg cpaöi,, 6%£Qiia xf] [ixjxoa xaxaßaXXöfievov evtl ijlsv
rr\g x q ix rjg yjueoag ukloLOvö&ai eig alfia, xal 7iQ(oxr]v dia^co-
yoacpeiv xrjv xaodiav, ijxig TiQaxtj [ihv diankäxxeö&ai, xeXevxata
de äno$vr\6xelv Xeyexaf ei yäo äoyi] äoid-yLcov 6 xgelg, ne-
gixxbg de e<5xiv ägcd-^ög, ccqcc xccl aQ%r) yeveöeag i% avxov.
im de xrjg ivväxrjg %x\yvvxai xal elg öäoxa xcä ^iveXovg
dvyyXoiovxai' e%l de xrjg xeöGccQccxoöxrjg eig bipiv xeXeiav
xal dtaxv7ta6tv ccTtoxeleiö&aL xal catX&g eiTcelv xeXetov av-
■&QC071OV. bfxoLcog xaxä ävaXoyiav xcov ijfiegav xal e%l (irjväv
etzI xov xqCxov [irjvbg eyxLvelö&ai i%6[ievov xfj u^rpa, exl de
xov evvaxov [it]vbg ttavxeXäg äTtaoxi^eö&aL xal nobg e£,odov
öTtevdeiv. xal el pev eöxi d'fjXv, xaxä xbv evvaxov (irjva, ei
de xoeixxoi\ xaxä xbv dexaxov äoyßiievov, dcä xb xbv uev
evvaxov äoid-pöv, d-ijXvv ovxa xal ZteXrjvrjg oixeiov, Ttobg xi]v
vXrjv ävacpegeö&ai, xbv de dexaxov navxeXeiov elvai xal dggeva.
&r\Xv de xal äggev yivexat xaxä xr)v xov dsguov enixgäxeiav
%Xeovä.tlovxog {ihv xov xaxä xb 6%ig\ia &EQ[iov, äxe tr\g Ttrj-
t,ea)g xayeiag yivo^ievrtg^ äggevovxai xe xal diaiiogcpovxat
rayicsg, eXaxxoviie'vyjg de xaxiöyyexat V7tb xr)g e7tiggof}g xal
xaxaycovi^o^ievov &r)XvvexaL, ßgädiov de Ttrjyvvuevov ßgädiov
xal iiOQcpovxat. oxi de äXrföi]g 6 Xöyog, xä [ihv aooeva xal
xav xeööaodxovxa rjaegäv evxbg hxxixgaöx6[ieva ^e^iog-
cpcj{ieva tcqotiCtcxei, xä de ftijXea xal uexä xäg xeööagäxovxa
rjpegag öagxiödrj xe xal ädiaxvTiaxa. \iexä de xi]v xvx\Giv hui
xrjg XQixrjg xey&ev ä7io67tagyavov6d-ai xb ßgeq>og cpaöiv, em
de xf\g evvdxijg lG%VQOTCoiei6&ai xal äcpijv v7io}ievei,v, Eid de
134 W. H. Röscher:
xijg XB66aQaxo6xf\g %Qoölapißdvaiv xb yelaöxtxov xul ccq-
Xeö&at, £itiyivG)<3X£Lv xrjv [irjxeQcc. — btiI de XTjg dvaöxot%SLcb-
öecog xovg löovg cpaölv aQi&povg av&ig &, v7to6XQocpfjg %aqa-
cpvXdxxstv xrjv (pvOtv, xccl dt av övvs'öxr^ di avxav ccvd-ig
avulvsö&ai. xelevxyjöavxog yovv av-frpcajrot', STtl ^isv xr\g xqi-
xi] g ixlloiovxai itavxeXcjg xccl xrjv eniyvcoöiv X7]g oipscog 81-
unolkvöi xb ö&^ia' 87cl öh xvjg hvvdx^g ÖiccqqsI <jv{i7tccv, sxt
<5cot,oiiEvi]g avxa xfjg xccQÖCag' S7il ös xfjg xeößctQccxoöxfjg
xccl ccvxrj GvvanoXlvxai xm nccvxl. ötä xovxo xqCxijv hvvd-
xr\v xccl xsö öccQUXoöxrjv eitl xäv xe&vrjxöxav cpvXdxxovöiv
ol ivayC^ovxsg avxolg [s.o. S. 37 f.], xfjg xi tcoxs dvöxdöeag xfjg
xs ju£t' ixeCvrjv ETCiÖoGsag xccl xb dfj niQccg xfjg dvaXvöscog
S7tl[llUVr}(Jx6{l6VOL.
Da ich über dieses merkwürdige Fragment eines unge-
nannten griechischen Philosophen, der wahrscheinlich der
peripatetischen Schule angehört, aber auch mancherlei An-
klänge an die älteren Pythagoreer, Empedokles, Diokles v.
Karystos, Xenokrates und die Stoiker zeigt, bereits in den
'Enneadischen Studien' S. 104 ausführlich gesprochen habe
(vgl. auch ob. S. 37), so beschränke ich mich hier auf folgende
Zusätze.
Hinsichtlich des merkwürdigen Parallelismus, der nach
unserem cpvöixog zwischen dem neunten Tage nach der
Zeugung, der Geburt und dem Tode des Menschen bestehen
soll147), verweise ich vor allem auf das nach Rohde, Psyche 2
S. 232 Anm. 2 u. 3 von der griechischen Totenfeier der
ivvccxcc abzuleitende 'novemdiale sacrum' der Römer, d. h.
den im häuslichen Gottesdienste regelmäßig am neunten Tage
nach einer Geburt oder nach einem Begräbnis, ebenso aber
auch in den außerordentlichen Fällen 'bestimmter Arten von
Prodigien (Steinregen) vorgenommenen Lustrationsritus'(WiSSO-
wa, Ilel. u. Kult. d. Römer, 328 f.).
Für die am Schlüsse unseres Bruchstücks ausgesprochene
Lebre ferner, daß die Auflösung (Verwesung) des menschlichen
J47) Vgl. auch die geistvollen und anregenden Ausführungen von
A. Dieterich, Mutter Erde S. 11. 15. 23fr. 276°. 30. 33. 38. 40. 45 ff.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker, i 3 5
Leibes in bestimmten Etappen von 3, 9 und 40 Tagen vor
sich gehe, linden sich zahlreiche Analogien bei andern Völkern,
über die in lichtvoller Weise v. NEGELEIN in seinem inter-
essanten fDie Reise der Seele ins Jenseits' betitelten Aufsatze
Ztschr. f. Volkskunde 1901 (XI) S. 17 ff. gehandelt hat. Hier
ist nachgewiesen worden, daß „die Stationen des zunehmenden
Verwesungsprozesses in dem schematisierenden Aberglauben
der Völker gewissermaßen an bestimmte Tage geknüpft werden,
die jene markieren sollen; vor allen gilt dies von dem 3., 7.,
9., und 40. Tage." „Auch die Zeit, in der man das 'Wieder-
kommen' des Toten für möglich hielt, ist hier wichtig: oft
sind es die ersten drei Tage, in Ostpreußen aber z. B. die
ersten 40 Tage. Die Zahlen schwanken auch hier zwischen
den angegebenen Grenzen (Wüttke, Deutscher Volksabergl.
§ 747 ff.). Ja man hat dieselben sogar religiös zu sank-
tionieren versucht: 40 Tage lang nach dem Tode, wie
Christus nach der Auferstehung, muß überhaupt jeder Ge-
storbene noch auf Erden wandeln; Wuttke a. a. 0. § 750."
(v. Negelein S. 19). — Im Folgenden führt v. Negelein den
Gebrauch der alten Preußen an, den Verwandten ihre Toten-
mahlzeiten am 3., 6., 9. und 40. Tage zu halten (S. 20),
während die Russen das Totenmahl am 9., 20. und 40. Tage
zu wiederholen pflegen usw.148) Auch bei den Semiten und
Muhammedanern herrschen ähnliche Anschauungen und Ge-
bräuche; vgl. Abh. I S. 31 ff. und Wolff, Muhammedan.
Eschatologie 7 6 ff. Sartori, Die Speisung der Toten. Dort-
mund 1903 S. 33 ff. u. 37.
Daß mit dem vierzigsten Tag nach dem Tode unter ge-
wissen Voraussetzungen der Verwesungsprozeß beendet sei,
war aber auch sonst eine verbreitete Vorstellung im griechischen
Altertum. Vgl. Plin. n. h. 36, 131: In Asso Troadis sarco-
phagus lapis fissili vena scinditur. Corpora defunetorum con-
dita in eo absumi constat intra XL. diem, exceptis dentibus.
Eius generis et in Lycia saxa sunt et in Oriente.
148) Weiterhin führt v. N. noch Parallelen aus Serbien, Bul-
garien, Bosnien usw. an.
136 W. H. Koscher:
Von den späteren Philosophen scheinen namentlich die Sto-
iker eine ysved (dx^irf) von 40 Jahren angenommen zu haben.
Wir dürfen das vor allem schließen aus zwei charakteristischen
Äußerungen des erlauchtesten aller Stoiker, nämlich des Kaisers
Marc Aurel in seinen Selbstgesprächen n, 1: xqöxov xtvä
6 TE66<XQCCX0VT0VTr]S, £CCV VOVV OTtOÖOVOVV £%§, TlCCVTCC XCC
ysyovöxcc xccl xd söofisvcc Scoqccxs xuxä to ö^iosideg und 7, 49:
xd TCQoysyovöra dvu&soQelv' tag xoöavxccg xcov ijysfioviäv
lietccßoÄdg. s^eöri xccl xd eööfisva TtQoscpoQÜv. 6[ioELdrj yä.Q
%dvxcog eötai, xccl ov% olov xs sxßrjvcci xov (jv&[iov x&v vvv
ysvo[ievcoV ö&ev xccl löov xb xsööccQdxovxcc exeöiv iöxoQrjöca
XOV dv&Q0J7CLVOV ßiOV TCO £7tl SX1] flVQLCC. xi yäo oipzi; — Im
Einklang damit steht die schon von Diels (Rh. Mus. 31
S. 1 2 ff.) und Hirzel (a. a. 0. S. 7 ff.) hervorgehobene Tat-
sache, daß der Chronograph Apollodor, der ebenfalls
Stoiker war, als die Zeit der Blüte eines Philosophen regel-
mäßig dessen 40. Lebensjahr anzusehen pflegte. Die Stoiker
scheinen sich demnach in dieser Beziehung einfach an die
uralte epische volkstümliche und zugleich im ganzen semi-
tischen Orient verbreitete (s. Abh. I) Auffassung der ysved
als eines Zeitraumes von 40 Jahren angeschlossen zu haben.
Dieselbe typische ysvsd von 40 Jahren scheint natürlich
auch vielen Angaben anderer Chronographen, Mytho-
graphen149), Historiker und Biographen zugrunde zu
149) Yon besonderem Interesse ist die von Hirzel S. 29 u. 34
besprochene Angabe des Vellejus (1, 2, 1) und Eusebius (Armen. 826),
daß die Apotheose des Herakles 120 (=3x40) Jahre vor der Hera-
kliden Wanderung erfolgt sei. Ha nun im Stammbaum der Herakliden
zwischen Herakles und den Führern der Wanderung Hyllos, Kleodaios
und Aristomachos stehen, cso sind auf diese 3 jene 120 Jahre zu ver-
teilen, und dies geschieht am einfachsten so, daß auf jeden von ihnen,
d. i. auf eine ysvsdc, 40 Jahre gerechnet werden. Hierzu stimmt weiter,
daß Herakles, dessen Apotheose nach dieser Rechnung, wenn wir in
der gewöhnlichen Weise Trojas Einnahme 80 [= 2 x 40] Jahre vor die
Wanderung setzen, 40 Jahre vor Trojas Einnahme fallen würde, der
Sage nach, als der Zeitgenosse von Priamos1 Vater Laomedon und der
Vater des vor Troja kämpfenden Tlepolemos, in die Generation vor
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 137
liegen, wie namentlich R. Hikzel in seiner schon oft zitierten
lesenswerten Abhandlung S. 9 ff. 1 2 ff . 17. 44 ff. 50 lichtvoll
nachgewiesen hat, sodaß ich hier darauf verzichten kann, auf
sämtliche in Betracht kommende Einzelheiten genauer ein-
zugehen. Ich begnüge mich mit dem Hinweis auf unhistorische
offenbar nur auf der typischen Bedeutung der yevecc von
40 Jahren beruhende Angaben wie die, daß im Alter von
40 Jahren Piaton nach Syrakus, Aristoteles zu Piaton ge-
kommen oder beim Tode Piatons 40 Jahre alt gewesen sei150),
oder daß bis zum 40. Jahre Kimon unter Vormundschaft ge-
standen habe und Epameinondas Privatmann geblieben sei,
ferner daß die Wirksamkeit des Protagoras, des Pythagoras,
des Astronomen Ptolemaios, die Regierung des Battos (Herod.
4, 159), der Schlaf des Epimenides (Paus. 1,43,3) 4° Jahre
gedauert habe usw. Ich konstatiere nur noch die merkwürdige
Übereinstimmung, die sich namentlich in betreff der letzten
Punkte auch hier wieder zwischen Semiten und Griechen
beobachten läßt (Abh. I S. 2 2 f. 40! 43).
VHI.
Die Zahl 40 im Glauben und Brauch verschiedener Völker
(mit Ausschluß der Semiten151) und Griechen152).)
A. Die den Griechen verwandten Völker.
Nachdem wir die bedeutende Rolle, welche die Zahl 40
bei den Semiten (s. Abh. I) und Griechen gespielt hat, genauer
dem Kriege gehört [Tatian ad Graec. 41 p. 173 D. Clem. AI. Str. I p.322 A
Sylb.] und daher auch so betrachtet die 40 Jahre als Ausdruck einer
ytvzcc erscheinen'.
150) Ein Nachklang solcher Philosophenlegenden ist es wohl, wenn
Lykinos und Hermotimos bei Luc. Hermot. 13 als TeGGaQaxovtovTtig
anfangen zu philosophieren.
151) S. Abh. I = Die Zahl 40 im Glauben, Brauch u. Schrifttum
d. Semiten.
152) S. ob. Kap. I— VII.
138 W. H. Röscher:
kennen gelernt und dabei eine wunderbare auf der Gleichheit
der zugrunde liegenden natürlichen Verhältnisse beruhende
Übereinstimmung in mehreren Punkten (s. o. S. 25) festgestellt
haben, gilt es jetzt, noch eine Reihe anderer mit den Griechen
teils verwandter teils nichtverwandter Völker des Altertums
wie der Gegenwart hinsichtlich ihrer Tessarakontaden in Be-
tracht zu ziehen, um zu sehen, ob sich hier die Zahl 40 in
denselben Bedeutungen wie bei den Griechen und Semiten
nachweisen läßt oder nicht. Dabei werde ich, um Zeit und
Raum zu sparen, im Folgenden möglichst summarisch zu ver-
fahren suchen und hauptsächlich bestrebt sein, die für uns
besonders wichtigen Übereinstimmungen mit den Semiten
und den Griechen schon durch die Reihenfolge der Zeugnis-
gruppen ("tessarakontadische Tag- und Jahrfristen' und 'sonstige
tessarakontadische Bestimmungen') deutlich hervortreten zu
lassen.
1. Die Perser. — Gegenwärtig gehört die große Mehrzahl
der Perser, abgesehen von den stark zusammengeschmolzenen
jetzt meist auf die Provinz Kerman beschränkten Parsi, dem
Islam an, so daß man geneigt sein könnte, sämtliche in
der Literatur der persischen Muhammedaner vorkommenden
Tessarakontaden auf den Einfluß des Islams und somit der
Semiten zurückzuführen (s. Abh. I S. 26 ff.). Daß diese An-
nahme jedoch starken Bedenken unterliegt, vielmehr oft ein
weit höheres Alter der persischen Tessarakontaden festzustellen
ist, ergibt schon die tatsächlich hervorragende Bedeutung der
Vierzigzahl in der Religion des Zoroaster, d. i. der Parsi, und
überhaupt in der altpersischen Literatur und Geschichte.
A) Tessarakontadische Tagfristen. — Von größter
Wichtigkeit für unseren Zweck ist hier vor allem die Tat-
sache, daß schon die alten Perser ebenso wie die Semiten
und Griechen 40tägige Fristen a) für die rituelle Unrein-
heit der Wöchnerinnen, b) für die Trauer beim Tode
eines Familiengliedes und c) für religiöses Fasten be-
obachteten.
Belege für a: Nach Spiegel, Erän. Altertumskunde III
Die Tessarakontaden der Griechen dnd anderer Völker. 139
69g gilt eine Wöchnerin bei den Parsen 41 Tage153) lano- für
unrein und erhält Speise und Trank auf dieselbe Weise [d. h.
abgesondert von den übrigen Familienangehörigen] wie eine
Menstruierende. Nach Verlauf der angegebenen Frist reinio-t
sie sich mit Rindsurin [Gomez] und Wasser, zieht ein neues
Kleid an und ist dann rein154). — b) Yezdegerd I trauert
40 Tage lang um seinen Vater und kleidet sein Heer in
Dunkelblau und Schwarz (Shähnäme 1587, 11 ; vgl. Spiegel,
Eran. Alt. III S. 705, der daraus mit Recht auf eine Trauer-
frist von 40 Tagen zu schließen scheint; s. auch P. Hörn,
Zahlen im Shähnäme in Straßburger Festschr. v. 1901 S. 100 f.).
— c) Das mit der tessarakontadischen Trauerfrist wahrscheinlich
eng zusammenhängende 40 tägige Fasten (s. Abh. I S. i6f. 33f.),
das im Shähnäme vorkommt, hält Horx a. a. 0. bereits für
sassanidisch, so daß man es nicht notwendig aus dem Islam
(Abh. I S. 33 f.) abzuleiten braucht155). — d) Aus dem Shähnäme
führt Hörn a. a. 0. noch an: 40 Tage betend (1 mal)156), dauert
eine Frist (2 mal), ein Fest (1 mal), ein Kampf (3 mal), reicht
Proviant (1 mal); 40 Tagereisen (schon im Avesta!)157).
J53) Vgl- dazu die an die Stelle der 40tägigen Frist getretene
41 tägige des Talmud und ähnliche um 1 vermehrte Zahlen (f 1001 Nacht'),
die ich in Abh. I S. 13 besprochen habe.
x54) Vgl. auch das von Ploss, Das Kind I 50 zitierte Buch von
Dosabhoy Franjee, The Parsees. London 1858, nach dem die Parsifrau
40 Tage in dem Gemache bleiben muß, wo sie ihre Niederkunft hatte;
dann erst darf sie wieder in der Familie erscheinen. — Nach Spiegel,
Avesta II S. XLIV bleibt die Frau, die ein totes Kind gebar, in der
ältesten Zeit 9 Tage, später 41 Tage abgesondert von den übrigen
Mazdayacnas, ebenso eine Wöchnerin (ebenda S. XLYI). S. auch
Vendidad Y, 136 f. Ploss-Bartels, D. Weib6 (1897) H S. 347 ff. Ploss,
D. Kind I S. 49 f.
155) Ich muß es dahingestellt sein lassen, ob Nork, Etymol.-symbol.
mytholog. Realwörterbuch IV S. 418 und II S. 18 mit Recht behauptet,
daß Zoroaster [ebenso wie Moses, Elias, Jesus: Abh. I S. 16] vor Beginn
seinerLehrtätigkeitein40tägiges Fasten in der Wüste beobachtet habe.
156) Vgl. Abh. I S. 39.
1 57) Vgl. Yt. 5,4 = Y. 65, 4 : „Die Kanäle und Abflüsse der Ardvisüra
Anahita sind 40 Tagereisen lang für einen wohlberittenen Mann"
140 W. H. Röscher:
B) Tessarakontadische Jahrfristen. — Ebenso wie
Moses, Saul, David, Salomo, Joas usw. (Abh. I S. 2 2 f.) je 40
Jahre die Israeliten regiert haben sollten, dauert auch die
Herrschaft des Kyaxares (Herod. 1, 106) und die des Hoseng
(Hörn a. a. 0.) 40 Jahre; von Minöcihr, Lohräsp, Gustäsp
wird im Shähnäme sogar gefabelt, daß sie 120 (= 3 x 40!)
Jahre regiert hätten (Hörn a. a. 0.; vgl. Abh. I S. ig f.). Älter
als 120 Jahre ist Säm (Hörn a. a. O.)158). Nach Hörn kommt
die Periode von 40 Jahren (als ysvsd?) bereits im Avesta
vor159), woraus doch wohl mit einer gewissen Wahrscheinlich-
keit gefolgert werden darf, daß das im Neupersischen vor-
kommende c Schwaben alter' von 40 Jahren ebenfalls aus ur-
alter Vorzeit stammt. Dafür spricht auch die Überlieferung
bei Flügel, Mani S. 85 u. 155 f., daß der aus Persien ge-
bürtige Stifter der Manichäersekte 40 Jahre lang die Welt
bereist haben sollte, bevor er seine Zusammenkunft mit Säbür
hatte. — Auch bei Hafis finden sich 40jährige Fristen (s.
dessen Diwan, übers, v. Hammer-Purgstall IS. 415u.IIS.178;
Hirzel a.a.O. S. 5 8 f. A. 3).
C) Sonstige Tessarakontaden. — 40 Personen tragen
in Kirman den Leichnam eines Parsi: Spiegel, Avesta II
S. XXXIV. Eran. Alt.-K. III, 702. — 40 Märtyrer erleiden am
10. März in Persien den Glaubenstod: Nork, D. Festkalender =
Scheible, D. Kloster VII S. 197. — Den 3x40=120 Mär-
tyrern, welche König Sapor im J. 342 tötete, ist der 6. April
als Gedächtnistag geweiht: Nork a.a.O. — 40 Sekel erhielten
nach Nehem. 5,15 die früheren persischen Statthalter von
Jerusalem, um damit Brot und Wein zu bestreiten. — Von
(Mitteilung Prof. Br. Lindners in Leipzig). Vgl. Spiegel, Avesta II
S. 193 = Yacna 64, 18.
158) Ich erinnere hierbei an die alte persische Schaltperiode von
120 Jahren; Ginzel, Hdb. d. Chronol. I S. 293 ff.
!59) Vgl. Yend. 2,41: „(in dem vara des Yima) halten sie für einen
Tag, was ein Jahr ist. Immer nach 40 Jahren wird von 2 Menschen
ein Menschenpaar geboren, Weib und Mann, und ebenso in den Tier-
gattungen" (Br. Lindner).
Dik Tessarakoxtaden der Grieche» und anderer Völker. 141
den persischen Strömen Gyndes und Araxes berichtet Herodot
1, 202: 6 de '4. noxapibg geet uh> ix Matirjv&v, ö&ev xsq ö
rvvd-rjg, rbv eg Tßg diwQvyjcg rag e£,Tqxovxä re xal TQiaxoßiug
[= g X 40 = 360!] 160) diekaße 6 KvQog, ötöpccai de e&Qevyerca
TedöaQccxovta. — Der Tausendfuß heißt bei den Persern
Tschihilpäi, d. i. Vierzigfuß; ähnlich auch bei den Arabern
(Abh. IS. 27) und Türken (HlEZEL a. a. 0. S. 41). - Ferner
führt Horx a. a. 0. aus dem Shahnäme und Karnaniak an:
40 Eunuchen, 40 Begleiter, 2 x 40 Söhne, 80 Sklavinnen,
80 Erschlagene, 80 Gesandte, 80 Vorposten, 4000, 40000 u.
400 000 Krieger, 40 000 Tote, 240 Teilkönige nach Alexander
d. Gr., 40 Kamele (3 mal!), 80 Elephanten, 40 000 Lastochsen,
40 Sänften, 40 Parasangen (2 mal), 120 Parasangen (1 mal),
einen Drachen und einen Lasso (2 mal) von je 80 Ellen. Im
Bundehesh 12,1 erscheint endlich eine Periode von 800 Jahren.
Weiteres bei Hüsing, Mythol. Bibl. II, 2 S. 1 86.
2. Die Armenier. — Ich verdanke die folgenden äußerst
wertvollen Notizen Herrn Prof. Finck in Berlin, dem Heraus-
geber der Zeitschr. f. arm. Philol. Derselbe schreibt mir: „Eine
Verwendung der Zahl 40 zur Bestimmung von Tag- und
Jahrfristen, zur Berechnung der Schwangerschaftsdauer sowie
zur Bestimmung der ax^it} kommt bei den Armeniern aller
Wahrscheinlichkeit nach nicht vor, wenigstens heute nicht
mehr. Dagegen kann allerdings konstatiert werden, daß eine
gewisse Vorliebe für den Gebrauch der 40 herrscht, daß die-
selbe nicht selten zur Angabe einer unbestimmten Menge dient,
besonders in der Verbindung mit 100, daß also z. B. k^arsun
hazar = 4000 nicht selten gesagt wird, wo nur von einer
großen Menge überhaupt die Rede ist. In diesem Zusammen-
hang verdient wohl auch der Ortsname kcarasni Erwähnung,
der ganz den Eindruck macht, eine Ableitung von kcarasun
= 40 zu sein und auffällig an den mehrfach vorkommenden
türkischen Ortsnamen kyrk sunar = 40 Quellen erinnert.
Weit verbreitet ist in Armenien die Einhaltung einer
160) Oder ist hier an 12x30, die Zahl der Tage eines Sonnen-
jahres zu denken?
142 W. H. Röscher:
4otägigen Unreinigkeits- und Trauerfrist161). So darf
beispielsweise im Kanton Varanda eine Frau innerhalb einer
Frist von 40 Tagen nach der Entbindung nicht ausgehen
(s. Azgagrakan Handes, 'Ethnographische Rundschau' II 149)
und sich auch nicht waschen (ebenda II 155). Nach Ablauf
der Frist wird dann die Wiege, darauf das Kind und endlich
auch die Wöchnerin hinausgetragen und der Sonne zugekehrt
(ebenda II 155). Ahnliches gilt für den Kanton Dschawachkh,
wo die Frau jedoch nach Ablauf der 40 Tage mit dem
Kinde die Kirche besuchen (vgl. Abhandlung I S. 10 f.) und
unter Gebeten 4omal das Knie beugen162) muß (ebenda
I 273). Dort herrscht ferner folgende Vorschrift. Nähert
sich innerhalb der 40 Tage ein Mann oder Tier während
der Nacht der Wöchnerin, oder wird während der Frist Fleisch
vorübergetragen, oder kommt während derselben eine in dem-
selben Hause wohnende Frau nieder, so hat die Mutter ihr
Kind hochzuhalten, um es vor Schaden zu bewahren (ebenda
I 272). — Nach dem Tode — so glaubt man in dem ge-
nannten Kanton — fliegt die Seele nach Jerusalem und
verweilt dort 40 Tage am heil. Grabe (ebenda I 317).
Im Kanton Bulanych gelten ähnliche Vorschriften. Als Be-
sonderheit mag noch erwähnt werden, daß dort, wie übrigens
auch im Kanton Dschawachkh, während der ersten 40 Tage
nach der Geburt kein Kleidungstück des Vaters auf das
Kind gelegt werden darf (ebenda V 12g u. I 273). 163) Der-
artiges ließe sich wohl auch noch für andere Gegenden nach-
weisen."
3. Bei den Jeziden in Mesopotamien, welche den Ar-
161) Nach Säktoki, Die Speisung der Toten, Progr. d. Gymn. zu
Dortmund 1903 S. 35 bringen die Armenier am Tage nach dem Be-
gräbnis, ferner am 7. und 40. Tage, sowie nach einem Jahre Speisen
und Getränke aufs Grab und essen dort.
162) Man beachte hier wieder die Entstehung weiterer tessara-
kontadischer Bestimmungen aus der 40 tag. Frist!
163) Dies geschieht wahrscheinlich deshalb, um den Vater nicht
durch Berührung mit dem noch unreinen Kinde beflecken zu lassen
(vgl. ob. den Brauch der Parsen etc.)
Die Tbssarakontaden der Griechen und anderer Völker. 143
meniern für Abtrünnige ihrer Kirche gelten und deren Religion
eine Mischung uralten Heidentunis mit christlichen und is-
lamischen Elementen darstellt, finden am 3. und 40. Tage
nach dem Tode Gedächtnisfeiern statt; Globus 73, 181. —
4. Auch in den Sagen der den Armeniern und Persern
ethnologisch, sprachlich und geographisch nahe stehenden
heutzutage islamischen Kurden, kommen zahlreiche Tessara-
kontaden 1 4otägige Fristen, 40 Feen, 40 Dienerinnen, 40 Gold-
stücke usw.) vor; vgl. Chalatianz, Kurdische Sagen in der
Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde XVI (1906) S. 402 ff. Einst-
weilen läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich hier
um autochthone oder muhammedanische Überlieferungen handelt.
5. Von den zum georgischen (südkaukasischen) Sprach-
stamme gehörigen aber ethnologisch für Iran i er geltenden
Imeretiern wird berichtet, daß sie am 40. Tage eine Toten-
klage, am 41. Tage eine Gedächtnisfeier und Abschiedsmahl
halten (Sartori a. a. 0. 32 u. 43). 164)
6. Von der Totenfeier der alten jetzt meist zu den
iranischen Völkern gerechneten Skythen berichtet Herodot
4, 73: ovxa iiev xovg ßaötXe'ag %Kitxov6t, xovg de dXXovg
Hxvftag, STieav uTCoftavcoöi, ■Jieow.yovöi oi ayyoxaxa %qo6y\-
xovxeg xaxu xovg cpCXovg ev cc(icc%t]6i xeipivovg, xav de exaöxog
vnodexöaevog evayjei xovg enoiievovg xai ta vexgco xävxav
7Zuquxl&eI xüv xai xolGi aXXoiöt [also Totenmahl!], ^[leoug
de xeööeouxovxa ovxa oi Iölüxul %EQiäyovxui^ eTtetxa ftäit-
xovxca. d-dipuvxeg de oi £xv&ccl xa^aiQovxat xq6tig> xoiäÖe
x. x. X. Diese „Reinigung" findet offenbar auch am 40. oder
41. Tage nach dem Tode des Betreffenden statt.
7. Die Inder. — Eine auffallend geringe Rolle spielt die
Tessarakontade in der ältesten indischen Literatur, namentlich
im Rgveda. E. Windisch verdanke ich darüber folgende
Mitteilung: „Rgveda I 126, 4: '40 rotglänzende Rosse des Dasa
oder des 10 Wagen besitzenden.' — II 18, 5: cmit 20, mit 30,
164) Die früher christlichen jetzt islamischen Abchasen im Kau-
kasus feiern ebenfalls das Gedächtnis der Toten am 40. Tage und
fasten bis zu diesem Tage in bezug auf Fleisch: Sartobi S. 35, 43 u. 59.
Phil.-hist. Klasse 1909. Bd. LXL 10
144 W. H. Röscher:
mit 40 falben Rossen fahrend komm hei* (o Indra)'. II 12, 11:
cder den (Wolkendämon) Sarnbara, der in den Bergen haust,
im 40. Herbste [= am Ende einer ysved von 40 Jahren?]
auffand' (Indra). — Das sind alle Stellen des Rgveda. — Im
Petersburger Wörterb. handeln auch nur 4 Zeilen von 40
und 3 von der vierzigste. — Nach Yäjiiavalkya III 33 soll
ein Mörder 40 Opfer von geschmolzener Butter opfern.165) —
Satapathabrähmana VII 3, 1, 27: Man kann den nördlichen
Feuerherd 40 Schritt lang machen. — Ebenda XIII, 6, 1, 2:
Die Upasadfeier mit der dlksä (Weihe) währt 40 Nächte. . .
In Stenzlers Wörterverzeichnis zu den Hausregeln (Grhyasütra)
kommt catvärimsat überhaupt nicht vor166), auch nicht im
Wortindex zu Apastamba's Dharmasütra (einer der ältesten
Recbtsquellen). Auch in Jollys Indischer Medizin (in
Bühlers Grundriß) bin ich in den von der Gynaekologie
handelnden §§ 39 m der 40 nicht begegnet." Trotz dieser
verhältnismäßig wenig zahlreichen Belege für das Vorkommen
der 40 als hieratischer Zahl in der ältesten Literatur möchte
ich aber doch sehr dringend vor einer Überschätzung dieser
Tatsache warnen, zumal da ja auch hier schon eine ysvscc von
40 Jahren, eine religiöse Feier, die 40 Nächte dauert, ein
Feuerherd von 40 Schritten Länge, 40 Sakramente erwähnt
werden. Steht es doch um die Bezeugung der 4otägigen
und 40 jährigen Frist in der ältesten Literatur der Inder noch
wesentlich besser als bei Homer (s. ob. S. 45 ff.), obwohl doch,
wie wir gesehen haben, auch schon die vorhomerischen Griechen
so gut wie sicher 40tägige und 40jährige Fristen (ysvsaC)
gekannt haben. Der Schluß ex silentio allein ist niemals
zwingend. Hierzu kommt noch eine ziemliche Menge weiterer
Zeugnisse, die z. T. auch schon recht alt sind oder sein
können. So deutet, wie mir scheint, auf eine alte rituelle
Unreinigkeitsfrist der Wöchnerinnen und Neuge-
165) Steht hier etwa die 40 in Beziehung zum Totenkult und
Trauerritus? S. unten !
166) Doch teilt mir Joh. Hertel gütigst mit, daß zwei Sütren die
40 als Zahl der samskära (= Sakramente) erwähnen [Röscher].
Die Tessarakontaden der Griechen i \i> anderes Völker. 145
borenen bei den Hindus die interessante Notiz bei PLOSS,
D. Kind I 162, daß unter den Hindus dem Kinde am 40. Tage
vom Hauspriester (Brahmanen?) der Name erteilt wird. Daß
dieselbe Frist auch für die Unreinigkeit bei Todes füllen
maßgebend ist, schließe ich aus der Mitteilung im Globus I
S.345, daß noch heute bei denNairs genannten nichtislamischen
Hindus der Malabarküste bis zum 41. Tage167) Leichen-
kuchen dem Verstorbenen dargebracht werden, sowie daß in
Nordmalabar die Familientrauer meist mit dem 41. Tage
aufhört, während sie im Süden gewöhnlich ein ganzes Jahr
dauert. Dem 'Ausland' von 1844 nr. 270 S. 1080 entnehme
ich die hierhergehörige Beobachtung eines neueren Reisende)):
„In dem medizinischen Hörsal [zu Punah] standen zwei junge
Leute (Bramanen) abseits und vermieden jede Berührung mit
ihren Nachbarn, weil einer ihrer Verwandten 100 Stunden
entfernt gestorben war und sie deshalb während 40 Tagen
für unrein galten/' Mit solchen Trauer- und Unreinigkeits-
fristen hängen, wie wir oben (S. 68) und Abh. I S. 7. 16 f. 33 ff.
gezeigt haben, auch die Fristen für asketisches Fasten
eng zusammen. Die 40jährige Askese eines Brahmanen
zu Taxila zur Zeit Alexanders des Gr. bezeugt aber ausdrücklich
Aristobul b. Strab. XV p. 714: xbv da övvcotccQcu us/ql xslovg
xcci iu£tccu(pic'«3cc6dlc<L xcci yitrad-iö&ai xrtv dCaixav ßvvövxa x<fi
ßttÖllH. 87tLX(,{lcö[lEVOV J' V%6 XLVCOV IsySCV (0$ £X7rATJOa3ö£t£
xa xexxccQccxovxcc exrj xfjc; aöxijöscoc; [= ytveccf] -'"J, et
VTts6%exo, 'AXi^avdgov de xoig %aiGiv ccvrov dovvat dcoQsdv. —
Auf eine indische ysved von 40 Jahren deutet wohl auch
die von Jolly (Zeitschr. d. deutsch. Morgenl. Ges. 60 (1906)
S. 459 f.) mitgeteilte Lehre der altindischen Arzte von der
Einteilung des normalen menschlichen Lebens. Danach zer-
fällt das Leben in 3 Hauptstufen: Kindheit, mittlere Lebens-
167) S. oben S. 139 u. Abh. I S. 13.
168) Vgl. damit das 40 jähr. Fasten des Zadok: Abh. I S. 17.
Nach Nokk, Etym.-symbol.-rnythol. Realwörterb. II S. 18 (unter 'Fasten')
soll sich auch Buddha durch ein 40 jähr. [?] Fasten auf sein Lehramt
vorbereitet haben.
10*
146 W. H. Röscher:
zeit und Alter. Personen unter 1 6 Jahren sind Kinder, deren
es wieder 3 Klassen gibt: milch trinkende, Milch und Reis
genießende und Reis genießende... Zwischen 16 und 70 Jahren
liegt das mittlere Alter; es zerfällt in die 4 Stufen der Ent-
wicklung, der Jugend, der vollen Reife und des Verfalls.
Die Entwickelung reicht [wie bei den Semiten; s. Abh. I S. 22]
bis zum 20. Jahre, die Jugend bis zum 30., die volle
Reife des Körpers, der Sinne, Kräfte und Fähigkeiten
bis zum 40., von da bis zum 70. tritt eine allmähliche Ab-
nahme ein. Nach dem 70. Jahre bezeichnet man einen Mann
als Greis. Vgl. ferner Valer. Max. 8, 13 Ext. 5: Aethiopes,
quos Herodotus [3, 22 f.; s. Abh. I S. 20] scribit centesimum
et vicesimum annum transgredi, et Indi, de quibus Ctesias
idem tradit, und Plinius n. h. 7, 28 f.: Ctesias [dicit] . . . contra
alios [im Gegensatz zu den Macrobii] quadragenos non ex-
cedere annos, iunctos Macrobiis, quorum feminae semelpariant;
idque et Agatharchides tradit . . . Feminas septimo aetatis
anno parere, senectam quadragesimo accidere. Ebenfalls
auf eine ysveä von 40 Jahren scheint zu führen die große
auf astronomischen Berechnungen beruhende Periode (Mahäyuga)
der Inder, welche die vollkommene Umwälzung aller Gestirne
zu einer gewissen Konjunktion der Sonne, des Mondes und
der Planeten herbeiführen soll. Sie besteht nach Lepsius,
Chrono! d. Ägypter S. 3 aus 4 kleineren Perioden, deren letzte
432000 Jahre umfaßt. 'Wir leben in diesem letzten Welt-
alter, welches kali yuga genannt wird und dessen Anfang
auf den 18. Febr. des Jahres 3120 vor Chr. fällt.' Wjndisch
dagegen bemerkt mir darüber : „Die Zahl 4 3 20 000 (nicht 43 2 000 !)
als die Zahl der Jahre eines Mahäyuga (Großperiode) kommt
so heraus: Ein M. besteht aus den 4 Yuga oder Zeitaltern,
von denen das 1. 4000, das 2. 3000, das 3. 2000, das 4. 1000
Jahre enthält. Dazu kommen noch für jedes 2 Dämmerungs-
zeiten von je 400, 300, 200, 100 Jahren. Das macht zu-
sammen 1 2 000 [= 3 x 4000] Jahre. Dies sind aber Götter-
jahre. Ein Göttertag macht 1 Menschenjahr aus. 12000
Die Tessarakontaden deb Gkh i m.\ i nd anderer Völker. 147
mal 360 ergibt die obige Zahl von Menschenjahren. m) —
71 mal dieser Kreislauf ist ein Manvantara (Mana- Periode),
14 Manvantaras sind 1 Tag Brahmas. So nach dem Anfang
des Harivamsa, eines großen epischen Werkes, das sich an
das Mahäbhärata anschließt," Diese Periode von 4320000
oder 432000 Jahren ist aber deshalb besonders interessant,
weil sie eine auffallende Übereinstimmung mit einer ähnlichen
Periode der Babylonier zeigt, auf die ich bereits in Abh. I
S. 7 f. Anm. 4 u. 6 aufmerksam gemacht habe. Nach Berossos
nämlich (fr. 4 ff. Müller) sollen die ältesten vor dem xata-
'yd.v<3iM)$ herrschenden Könige der Chaldäer zusammen 120
ökqol von Jahren, d. h. 120 x 3600 = 432 000 Jahre oder
mit andern Worten 10800 yevecä zu je 40 Jahren regiert
haben, so daß auf jeden der 10 Könige 1080 Jahre oder
27 (= 3x9) ysvsat zu je 40 Jahren entfallen. Endlich
dauert nach Censorinus 18, 11 auch das Weltjahr des fLinos'
und Heraklit 10 800 Jahre. Aber auch sonst sind die Zahlen
108 u. 1080 [1080 Tage = 40 periodische Monate zu 27 Tagen;
s. Ginzel in Klio I (1902) S. 352 f. A. 5 und Lehmann-Haupt,
Verhandl. d. Berl. anthropol. Ges. 1896 S. 447 und 108, vgl.
Ennead. Stud. S. 25. S. 41 A. 65 u. Philologus 1908 S. 158 ff.]
von Bedeutung und beruhen höchst wahrscheinlich auf der
Astrologie der Babylonier, die in uralter Zeit auch die der
Inder stark beeinflußt zu haben scheint. Es dürfte wohl der
Mühe wert sein, diesen Gedanken gelegentlich noch weiter
zu verfolgen.
8. Die Slawen. — Von den Slawen steht mir bis jetzt
nur für die Russen, Weißrussen, Rutenen (Huzulen), Serben
und Bulgaren einschlägiges Material zur Verfügung, dieses
aber beweist zur Genüge, daß auch bei diesen Stämmen die
4otägige Unreinigkeits- und Trauerfrist nach Entbindungen
und Todesfällen uralt und allgemein verbreitet war.
a) Die 4otägige Unreinheit der Wöchnerinnen.
Nach P. Bartels, Brauch und Glauben der weißrussischen
169) Vgl. auch Ginzel, Handb. d. Chronol. I 337 f.: vgl. S. 89 u. 399.
148 W. H. Röscher:
Landbevölkerung (Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde 1907 (XVII)
S. 167) ist die junge Mutter 40 Tage wegen Unreinheit (s.
S. 165) vom Kirchenbesuch ausgeschlossen; auch muß sich der
Mann so lange von ihr fern halten. — Üherhaupt gilt bei
den Russen ebenso wie bei den Rutenen und Serben die
Wöchnerin nach der Entbindung 40 Tage lang für unrein
(Ploss-Bartels, D. Weib in d. Natur- und Völkerkunde5 1,352.
Ploss, D. Kind 1 S. 53). Nach Peteowitsch b. Ploß-Bartels
a. a. 0. S. 358 wird in Serbien für Mutter und Kind auch
der böse Blick gefürchtet, und dies soll der Grund sein [?],
warum die Entbundene 40 Tage lang im Wochenbette ver-
harren muß. — Die Sitte der in Ostpreußen ansässigen, aus
Rußland stammenden Sekte der Philipponen, die Taufe in
der Regel 40 Tage nach der Geburt zu vollziehen (Globus 76,
S. 189), setzt wohl sicher die Annahme einer 4otägigen
Unreinheit von Mutter und Kind voraus.
b)Die 4otägigeTrauerfrist beiTodesfällen. — Stirbt
in Weißrußland eine Wöchnerin, so legt man wie bei allen
Toten 40 Tage lang ein Handtuch auf die Fensterbank und
stellt ein Gefäß mit Wasser169b) hin. Stirbt das Kindchen,
so bettet man ihm so lange die Wiege auf. War die tote
Mutter eine Zauberin, so besucht und nährt sie ihr Kind
6 Wochen170) lang (Bartels a. a. 0. 1907 (XVU) S. 170).
— Bei den Russen wiederholt sich das Totenmahl am 9.,
20. und 40, Tage nach dem Tode (Tylor, D. Anfänge d.
Kultur 2, 35. v. Negelein, Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde
1901 (XI) S. 20). Dazu stimmt der Glaube vieler russischer
Bauern, daß die Geister der Abgeschiedenen ihre alten Woh-
nungen während eines Zeitraums von 6 Wochen (= 40 od.
42 Tage?) immer wieder aufsuchen und daß sie dabei essen
und trinken und die Betrübnis der Trauernden überwachen
(Spencer, D. Prinzip, d. Sociologie 2,427. Sartori a. a. 0.
169b) Eine ähnliche Sitte der heutigen Kreter s. in Globus 65, 55
= Sartori in Z. f. Volksk. 18 (1908) S. 376. Vgl. auch unt. Anrn. 190 u. 193.
170) S. ob. S. 28 Anm. 11, S. 30 Anm. 16; 41. S. 89 A. 112. 150. 152.
Abh. I A. 12 u. Wuttke, D. Volksabergl.2 § 748.
Die Tessahakontaden der Griechen und anderes Völker. 14g
S. 43a). — In Bulgarien wird in manchen Häusern 40 Tage
lang früh und abends an die Stätte, wo der Tote gebettet
war, ein Stein gelegt und darauf eine Kerze angezündet.
Die Seele soll nämlich noch 40 Tage lang nach dem Tode
im Hause verweilen (v. Negelein a. a. 0. S. 2 1 , wo noch
Weiteres zu finden ist). Ähnlich in Serbien. Als der
Serbenfürst Milosch Obrenowitsch I. im Jahre 1860 <re-
storben war, stand auf dessen leerem Bette ein Öllicht, das
40 Tage lang fortzubrennen hatte (Rochiiolz, Deutscher
Glaube u. Brauch I, 196. v. Negelein a. a. 0. S. 20). Nach
v. Negelein ist wohl das Öllicht, wie zahlreiche Analogien
beweisen, ein 'direktes Substitut für den Toten'. — 40 Tace
und 40 Nächte währt nach dem Glauben der Ruteneu der
Weg der abgeschiedenen Seele zu Gott (Globus 67, S. 358).
Im Einklang damit steht die von Sartori in seiner lehrreichen
Abhandlung 'Die Speisung d. Toten', Dortmund 1903 S. 32 ff.
angeführte Sitte der Huzulen (Rutenen) in Ploska, nach
40 Tagen zu Ehren des Toten ein Totenmahl zu halten,
womit der Glaube zusammenhängen soll, daß die Seele so
lange umherirre und in die frühere Wohnung einkehre.
c) Tessarakontadische Jahrfristen. — Zwar fehlen
auch diese den Slawen nicht, jedoch scheinen sie viel seltener zu
sein als die Vierzigtagefristen. So heißt es in den Volksliedern
der Serben von Talvj I, S. 267, daß das Haupt des Helden
Lasar 40 Sommer liegen blieb, ehe es gefunden wurde, und
in Rußland gibt es die sprichwörtliche Redensart „Seit
40 Jahren gibt es kein Recht mehr" (Hikzel in den Berichten
d. Sachs. Ges. d. Wiss. 1885 S. 55). Daß es sich in beiden
Fällen um den Begriff eines Menschenalters (ysvsd) von
40 Jahren handelt, scheint mir auf der Hand zu liegen.
d) Sonstige Tessarakontaden. — Höchst merkwürdig
ist die von Mannhardt, Myth. Forschungen S. 355 angeführte
Sitte der Großrussen, das Ehebett des jungen Paares mit
großer Feierlichkeit aus 40 Garben von Roggen aufzubauen,
über die man das Bettuch spreitet. Ringsumher stellt man
Tonnen voll Weizen und Gerste auf, in welche man nachts
150 W. H. Röscher:
die Hoelizeitsfackeln steckt. Hier sollen die Roggengarben
und Tonnen voll Getreidekörner offenbar die eheliche Frucht-
barkeit und den damit zu erhoffenden Wohlstand bedeuten,
was besagt aber die Zahl 40? Ich habe nach längerem Nach-
denken auf Grund des von mir gesammelten Materials keine
befriedigendere Erklärung dafür finden können als die Be-
ziehung auf die 40 Wochen der mit der Hochzeitsnacht be-
ginnenden normalen Schwangerschaft der jungen Frau, die
man auf diese Weise gegen die mit Recht gefürchtete zu
frühe Entbindung zu sichern suchte. Weitere Beispiele für
sonstige Tessarakontaden bei den Russen und Serben führt
Hirzel a. a. 0. S. 55 ff. an (40 x 40 Kirchen in Moskau;
40 Lasten, 40 abgehauene Köpfe, Agraffe mit 40 Federn etc.
in serbischen Liedern usw.).
9. Die Germanen. — A) Tessarakontaclische Tag-
fristen. — a) Eine 40- oder 42 tägige, d. h. 6 wöchige, Un-
reinheit der Wöchnerinnen bezeugt für Deutschland Ploss,
D. Kind I, 44 m), der auch auf den bei uns üblichen Ausdruck
cSechswöchnerin' verweist. 'Ähnlich ist es mit dem Kinde,
welches wenigstens bis zur Taufe nicht nur in persönlicher
Gefahr und Anfechtung schwebt, sondern auch gewissermaßen
einen Reinigungsprozeß durchmachen muß' (ebenda S. 46;
vgl. oben S. 40 f., 99 f. u. Wuttke, D. Volksabergl. 2 § 581 ff.).
Auf die auch im Talmud (s. Abh. I S. 1 3 f.) sowie bei den Arabern
(Abh. I S. 29) und griechischen Ärzten (ob. S. 89) vorkommende
Vorstellung, daß die Formation des Embryo 40 Tage in An-
spruch nehme, deuten die später noch in einem andern Zu-
sammenhang zu besprechenden Schlußworte eines merkwür-
digen Abschnitts aus dem Liede auf den hl. Geist S. 348,
16 ff. hin: 'alsam der mennische in vierzech tagen wirt
gescafen'. In Westfalen besteht ferner nach Ztschr. d. Vereins
f. rhein. u. westfäl. Volksk. 4 S. 198 der merkwürdige, aber
ähnlich auch in Althellas (s. ob. S. 28) vorkommende Brauch,
daß Neuvermählte vor Ablauf von 6 Wochen das Elternhaus
171) S. anch Wuttke, D. Volksabergl.2 § 575 ff'.
Die Tessarakontadkn dkk ({kikcukn und anderes Völker. 151
(in Althellas den Tempel) nicht besuchen dürfen. Als Grund
davon dürfen wir vielleicht auch hier die nach der Empfängnis
am Hochzeitstage noch 40 Tage lang fortdauernde Menstrua-
tion172) und Unreinheit der jungen Frau, so lange der Fötus
noch gestaltlos gedacht wurde (s. ob. S. 31 u. S. 89 f.), annehmen.
b) In Ostpreußen herrscht der auch bei den Slawen (s.
ob. S. 148) und sonst weit verbreitete Glaube, daß 40 Tage
lang nach dem Tode jeder Gestorbene noch auf Erden
wandeln müsse, und manche Leute bilden sich ein, diese Seele
als nebelartige Gestalten zu sehen. Das jetzt christliche Volk
motiviert diese 40tägige Frist mit dem Hinweis auf die
40 Tage, welche Christus nach seiner Auferstehung noch auf
Erden zubrachte (Wuttke, D. Volksabergl.2 § 750; vgl.
v. Negelein in Ztschr. f. Volksk. 1901 (XI) S. 19), doch fragt
es sich, ob dies Motiv das ursprüngliche ist, und ob es sich in
diesem Falle nicht vielleicht eigentlich weniger um eine ger-
manische als um eine altpreußische oder litauische (s. unten!)
Vorstellung handelt. Einstweilen scheint mir aber auch alt-
germanischer Ursprung sehr wohl denkbar, da auch bei den
alten Deutschen die 40tägige Frist inbezug auf Sterben und
Tod vorkommt. Vgl. z. B. Procopius de bello Gothico 4,
20 =11 p. 561 ed. Bonnensis: 'EoiieylöxXog 6 täv Ovkqvcov
ßaöiXevg] £vv Ovkqvcov rolg Xoyi{icordroig ev %coqlco reo
IrtTtevöuevog oqvlv nva h%\ de'vdoov re xcc&rjuevrjv eiÖe xal
tcoXXu xoco^ovöav113). ehe de rrjg oovi&og rr\g cpcovi\g ^vveig
ehe üXXo pev xi E^ejaörd^ievog, ^vvelvai de rfjg öovL&og
Havrevo^ievrjg regarevUa^evog^ rolg TttiQovöLV ev&vg ecpaöxev
172) Welche Scheu man allgemein vor den sog. molae (nichtformier-
ten entarteten Embryonen) und vor dem Blute menstruierender Frauen
empfand, geht deutlich aus Plin. h. n. 7, 63 ff. u. anderen von Fuazer,
The golden bough III p. 232 ff. gesammelten Stellen hervor.
173) Man hat wohl an einen Raben oder eine Krähe (Eule? Elster?)
oder einen Kukuk zu denken, deren Schreien, Krächzen od. Rufen Tod
oder Unheil verkündet (vgl. Wuttke a. a. 0. § 274, 273, 280). Wenn
man im Frühjahr zum ersten Mal den Kukuk hört, so gibt die Zahl
seiner Töne die Jahre an, die man noch zu leben hat; er wird meist
in Reimsprüchen ausdrücklich gefragt (Wuttke § 280).
152 W. H. Röscher:
ag TS&vtj£,£T<XL tsGöccqccxovxcc rjfieQUig vßreQov. tovxo
yaQ avrä rijv tfjg oQvi&og drjlovv 7CQ06Qriöiv. Vgl. ebendort
p. 562: 6 aev . . . tfj tsööaQdJcoörfi, anb xfig TtQOQQrjöeag
rjfieQa voörjöccg rijv neiiQQo^Evriv avs7tlr]ösv. In einer unter-
fräokischen Sage bei Fries in Wolfs Zeitschr. für deutsche
Mythologie I S. 30 tritt an Stelle der Frist von 40 Tagen
wie auch sonst oft die von sechs Wochen oder 42 Tagen174),
obwohl nach Grimm, D. Rechtsalt.4 I 301 f. auch bisweilen
6 Wochen für 40 Tage gesagt wird. Sehr merkwürdig, aber
wohl sicher in diesen Zusammenhang gehörig ist das, was
St. Foix, der Zeitgenosse Ludwigs XIV., über einen uralten
noch zu seiner Zeit bestehenden Ritus beim Tode eines Königs
von Frankreich berichtet. Dieser Ritus fand in den 40 Tagen
vor dem Leichenbegängnis175) statt und war folgender.
Man stellte das Wachsbildnis des Königs zur Parade aus und
fuhr fort ihn bei Mahlzeiten zu bedienen, als ob er noch
am Leben wäre; die Diener deckten den Tisch und brachten
die Gerichte, der Haushofmeister übergab dem vornehmsten
Pair, der zugegen war, die Serviette, um sie dem König zu
präsentieren, ein Geistlicher segnete das Mahl, die Becken
mit Wasser wurden an den königlichen Lehnstuhl gesetzt,
die Getränke wurden in der gewohnten Weise serviert und
wie sonst das Dankgebet gesprochen, nur daß man noch das
„De profundis" hinzufügte (St. Foix, Oeuvres IV p. 147 f.
Tylor, D. Anfänge d. Kultur, übers, v. Spengel u. Poske II 34.
Sartori a. a. 0. 3a).
c) Auch mit dem den Begriffen der Unreinheit, der
Trauer, des Todes so nahe verwandten Begriffe der Buße
174) In andern ähnlichen Fällen erscheint die Frist von 3 oder 7
oder 9 Tagen; s. Wolfs Ztschr. a. a. 0. I S. 27. 28. 32 f. 63. Wdttke,
§ 109. — Weitere Beispiele für den Gebrauch der Zahl 42 führt Grimm,
D. Rechtsalt.4 I S. 301 f. an.
175) Während dieser 40 Tage sah man also den toten König noch
als einen Lebendigen an. Daneben gab es aber auch im deutschen
Erbrecht die Fiktion, daß der Tote nicht 40 sondern 30 Tage (= 1 Monat)
nach seinem Abscheiden noch lebe. Vgl. darüber Homeyer, D. Dreißigste
247 ff. und 256 ff. Saetobi a. a. 0. S. 58" A. 1.
Die Tessakakontaden der Griechen und anderer Völker. 153
(Strafe) und des Fastens verbunden tritt die 40 -Tagefrist
auf. Im Physiologus S. 88, 17 f. heißt es: fso si [diu natir|
eraltet ... so vastet si vierzich tage unde naht.' Da meines
Wissens in der zoologischen Literatur der Griechen und Römer
sich keine entsprechende Notiz findet, so liegt es nahe, hier
an eine echtdeutsche Vorstellung zu glauben. 4otägiges Fasten
kennen ja auch die Literaturen der Semiten (s. Abh. I S. 7.
16. 33) und der Griechen (s. ob. S. 80). Eine schwere mit
Fasten verbundene Buße, die von Seiten der Kirche dem
Mörder auferlegt wurde, lehrt uns das schon oben erwähnte
inhaltlich sehr interessante Loblied auf den hl. Geist S. 348,
16 ff. kennen:
fSwer gotes so verlaugenot
daz er sineme eben christene tut den tot
der hat sich selben erslagen.
so wir dei puoch hören sagen
so scal er vil harte gahen
vierzech tage enphaeu
mit der stole von dem phafen
alsam der mennische in vierzech tagen wirt gescafen.'
Da mir nur die ersten 3 Zeilen und die letzte vollkommen
verständlich waren, so habe ich mich, um auch zum Ver-
ständnis von Z. 4 — 6 zu gelangen, an einen der besten Kenner
des mittelalterlichen Kirchen- und Strafrechts, R. Sohm in
Leipzig, gewendet und mit freundlichster Bereitwilligkeit von
diesem folgende höchst dankenswerte Auskunft erhalten. „Zur
Erklärung der schwierigen Stelle trägt vielleicht bei: Regino,
libri duo de synodalibus causis (ed. Wasserschieben 1840)
lib. II c. 6 (p. 216): Ex concilio Triburiensi (a. 895). Si quis
. . . homicidium perpetraverit . . . talem poenitentiam debet
accipere: inprimis ut licentiam non habeat ecclesiam in-
trandi illos proximos XL dies, nudis pedibus incedat et
nullo vehiculo utatur, in laneis vestibus sit absque femora-
libus, arma non ferat et nihil sumat his XL diebus nisi
tantum panem et salem et puram bibat aquam et nullam
communionem cum ceteris Christianis neque cum alio poeui-
154 W. H. Röscher:
tente habeat in cibo et potu antequam XL dies adirnple-
antur et ex cibo quem sumit nullus alius manducet. — Auch
Ausschluß vom Geschlechtsverkehr, nee ad propriam uxorem
accedat nee cum aliquo homine doriniat, iuxta ecclesiam sit,
ante cuius januas peccata sua defleat diebus et noctibus et
non de loco ad locum pergat sed in uno loco his XL diebus
sit. — — completis XL diebus aqua lotus vestimenta et
calceamenta, quae a se abjeeerat, rursus sumat et capillum in-
eidat." Nach c. 7 — 9 mußte man noch 7 Jahre lang nach
Ablauf der 40 Tage in bestimmter Weise fasten. — Die
40 Tage Kirchenbann und öffentliche Buße habe ich nur in
dieser fränkischen Quelle gefunden. Die (außerfränkischen
aber auch in Frankreich verbreiteten) Bußbücher haben nur
Privatbußen. So das Poenitentiale Columbani c. 13 (Wasser-
schleben, Die Bußordnung der abendländischen Kirche 1851
S. 357): Der Mörder soll 3 Jahre waffenlos in der Ferne um-
herwandern und nur Brot und Wasser genießen, et post tres
annos revertatur in sua reddens vicem parentibus occisi pie-
tatis et officii, et sie post satisfactionem judicio sacerdotis
jungatur altario. Vgl. dazu E. Loening, Gesch. d. deutsch.
Kirchenrechts II (1878) S. 480."
„Ich halte also dafür, daß mit den „Büchern" Bußbücher,
bzw. Sammlungen von Kanon es betr. die Kirchenzucht (nach
Art der libri duo des Regino) gemeint sind (die Bibel ent-
hält nichts derartiges)176) und daß mit den 40 Tagen die
4otägige öffentliche Kirchenbuße (vgl. oben!) gemeint ist.
Die Buße soll ihm von den Pfaffen mit der Stola auferlegt
werden, d. h. der Priester soll dabei sein Amtsgewand tragen.
Während der 40 Tage gilt der Büßer nicht als Glied der
176) Es fragt sich, ob nicht doch vielleicht die mehrfach in der
Bibel und den Apokryphen (Pseudepigrapben) erwähnten mit Fasten
verbundenen Büß- und Trauerfristen (vgl. Abh. I S. 7 : Jona 3, 4 ff. Abb. I
S. 16 f. nebst Anm. 25; vgl. auch S. 21 f. Anm. 36) mit gemeint sein
können. — Man denke auch an die sehr alten Quadragesirnalfasten der
Christenheit vor Ostern und Weihnachten (s. Pfannenschmid , German.
Erntefeste S. 238 f. 515, der geneigt ist, diese Feste auf eine altheid-
nische Sitte der Germanen, Julfasten, zurückzuführen).
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 155
menschlichen Gemeinschaft: daher sein Ausschluß vom Ver-
kehr. Er ist ein Unmensch. Erst nach Ablauf der 40 Tage
wird er wieder ein Mensch, er kleidet sich wieder wie die
andern und schneidet sich das Haar, d. h. er wird anständig
frisiert und barbiert, 'wie der Mensch in 40 Tagen geschaffen
ward.' Für das letzte haben Sie ja schon die sehr interessante
Erklärung gegeben."177) — Von großer Bedeutung war die
4otägige Frist auch beim Heerbann. Vgl. darüber J. Grimm,
Deutsche Rechtsaltert.4 I 301 f., der mehrere Belege anführt,
aber gewiß irrt, wenn er die 40 als ( Vervierfachung der Zehn-
heit' oder gar als '3 X 13 = 39 + 1' (!) deuten möchte.
Vielleicht darf man auch die möglicherweise aus fränkischen
Überlieferungen stammende sog. Quarantaine-Le-Iioi in
diesen Zusammenhangs einreihen. Es ist darunter eine Ver-
Ordnung Philipp Augusts (11 80 — 1223) zu verstehen, der zu-
folge man eine Privatfehde (guerre privee) erst nach 40 Tagen
unternehmen durfte, um sich für eine Beleidigung zu rächen.
Während dieser Frist eröffnete ein königlicher Beamter ein
Verfahren gegen die Streitenden, das binnen 40 Tagen be-
endet sein mußte.178)
c) Über 4otägige Fristen in Wetterregeln s. Wuttkk,
D. Volksabergl.2 § 96 u. 101 und oben S. 59 Anm. 67.
B) Tessarakontadische Jahrfristen. Auch solche
kommen mehrfach vor. Ich berufe mich vor allem auf den
uralten Begriff des 'Schwabenalters', das mit dem 40. Lebens-
jahre beginnt, sodann auf das Epos Dietrichs Flucht 2109/10:
fdö er (Ortnit) in der fügende vart wol vierzic jär alt wart' . . .
und auf Wolfdietrich A: 25, 2 [der klusenaere im Walde]
was ouch da gesezzen mehr danne vierzic jär; vgl. Knopf,
177) S. oben S. 89. Der Sinn scheint also zu sein: Wie der Mensch
von der Zeugung an 40 Tage braucht, um im Mutterleibe Gestalt zu
gewinnen, so muß auch der zum Unmenschen gewordene Mörder 40 Tage
als solcher, d. h. ohne Gestalt und Schönheit, erscheinen und darf erst
nach Ablauf der 40 Tage, gewissermaßen als ein Wieder- und Neu-
geborener seine menschliche Gestalt wieder annehmen.
178) Vgl. Klöpper, Französ. Real-Lexikon II S. 481. 749. III. 228.
156 W. H. Eoscher:
Z. Gesch. d. typ. Zahlen in d. deutschen Lit. d. Mittelalt. Leipz.
Diss. v. 1902 S. 81 ff. Schon aus diesen Belegen, die sich
wohl erheblich vermehren lassen, gewinnt man den Eindruck
daß das 40. Lebensjahr auch den Germanen die Vollendung
der ax[iri und den Schluß einer ysvsd bedeutete.
C) Sonstige Tessarakontaden. — Vgl. außer den schon
von Knopf a. a. 0. S. 81 ff. gesammelten Belegen (40 Ritter,
40 Mannen, 40 kocken, 40 galeide, 40 turne) noch die in
Dänemark gegen Krämpfe und Fallsucht üblichen 40 Päonien-
kerne (Am Urquell 3 S. 4) sowie die 40 Paar Hölzchen, die
als Mittel gegen Kopfstiche dienen (Frischbier, Hexenspruch
u. Zauberbann S. 77; vgl. Toppen, Aberglauben a. Masuren
S. 24, wo statt dessen auch 3x27 = 81 kleine Stäbchen
angegeben werden). Ich verdanke diese Hinweise Sartori in
Dortmund. [Bei Shakespeare und Swift soll die 40 oft als
unbestimmte Rundzahl für cviele' vorkommen; Hirzel a. a. 0.
S. 54 &179)
10. Die Römer (vgl. Hirzel a. a. 0. S. 57 f.). — Die in
der römischen Literatur vorkommenden Tessarakontaden sind,
soweit sie aus griechischer Anschauung und Wissenschaft
stammen, schon früher, namentlich in Kap. III besprochen
worden. Auch bei den im Folgenden anzuführenden Zeug-
nissen für eine gewisse Bedeutung der Zahl 40 bei den Römern
ist es nicht unmöglich, daß sie griechischen Ursprungs sind,
doch scheint wenigstens die bereits in Kap. I zur Sprache
179) Ebenso auch im Altfranzösischen: Diez, Altroman. Sprach-
denkmale. Bonn 1846 S. 64 u. 165. — Bei dieser Gelegenheit bemerke
ich, daß es bei den Tessarakontaden im Altfranzösischen natürlich
immer fraglich ist, ob sie aus dem Altgermanischen (Fränkischen) oder
aus dem Keltischen stammen. Für eine altkeltische ysvsd von
40 Jahren spricht wenigstens das von Klöpper, Franz. Reallexikon III
228 unter fQuarante' erwähnte Märchen aus der Oberbretagne,
dessen Held sich auf die Wanderschaft begibt, nachdem er von seiner
Mutter 40 Jahre lang, d. h. bis zum Beginn des rSchwabenalters',
gesäugt worden ist. — Hinsichtlich der zahlreichen Tessarakontaden bei
Shakespeare verweise ich auf Schmidts Shakespearelexikon unter 'Forty'
und Hirzel a. a. 0. S. 59.
Die Tessakakun taden der Griechen und anderer Völker, i
.->,
gebrachte auf verstorbene Kinder unter 40 Tilgen bezügliche
Bestattungssitte des 'suggrundarmm', wenn sie wirklich,
wie Fulgentius behauptet, altrömisch ist, auf derselben An-
schauung von der 4ot;igigen Frist zu beruhen, der wir in der
Embryologie und Gynäkologie der Griechen und anderer Völker
begegnen. — Auf eine altrömische yav&ü von 40 Jahren
(oder eine axfirj mit dem 40. Lebensjahre) deutet ferner die
Notiz bei Plutarch (Numa 5) und Dionys. Hai. (a. R. 2, 58),
daß Numa mit 40 Jahren König geworden sei. Dionysios
fügt noch hinzu, daß dies das vernünftigste Lebensalter (rßixkc
cpQOvificoTätrj) sei, woraus wir mit fflRZEL a. a. 0. gewiß
schließen dürfen, daß die Urheber dieser Überlieferung die
geistige dx^irj in das 40. Lebensjahr gesetzt haben. Dazu
stimmt auch vollkommen die weitere Notiz bei Plut. a. a. 0. 2 1
(vgl. Dionys. 2, 76 ), daß Numa ein Alter von 80 Jahren erreicht
habe, eine Tradition, die lebhaft an die Legenden von Aro-an-
thonios ('Abb.. I S. 20), von Moses u. a. (I, 18 f.), von Saul, David,
Salomo usw. (22 f.), auch von Pythagoras180) (s. ob. Kap. IV
S. 77) erinnert. Ebenso darf man unbedenklich den oben
Anm. 99 erwähnten 40jährigen Waffenstillstand der Römer
mit den Vejentern (Liv. 2, 54, 1 u. Dion. Hai. 9, 36) und den
20jährigen mit den Volsiniensern (Liv. 5, 32, 5) auf eine
ganze (und eine halbe) altrömische yeveä von 40 (bez. 20)
Jahren beziehen.181) Ganz sicher setzt eine solche voraus die
Überlieferung bei Gellius (N. A. 3, 4; vgl. Marquardt, Privat-
leben d. R.1 II 200), daß die älteren Römer sich in der Regel
180) Zu dem Numa bekanntlich in nahen Beziehungen gestanden
haben soll: s. Schwegler, Rom. Gesch. I S. 560 f.
181) Gehören hierher auch die f Quadragennalia vota' auf
Münzen der späteren röm. Kaiser? Vgl. De Vit s. v. quadragennalis: ''Qua-
dragennalia vota, quae boni ominis causa nuncupabantur ob imperatorum
incolumitatem, ut scilicet ad quadragesimum imperii annuni, Deo
favente, pervenirent. Quare in numis Constantini iunioris et Constantii II
legere est: VOT XXX, MVLTIS XXXX, h. e. votis tricennalibus, multis
quadragennalibus.' — Wahrscheinlich hat man die 'vicena stipendia'
der römischen Soldaten unter Augustus (Tac. ann. 1, 36) als II
einer ysveä aufzufassen.
158 W. H. Koscher:
erst nach dem 40. Lebensjahre den Bart abnehmen (rasieren)
ließen. Ja sogar die Vorstellung eines höchsten Lebensalters
von 3X4 ysvsal oder 120 Jahren scheint den Römern und
überhaupt den Italikern ebensowenig wie den Semiten (Abh. X
S. 9. 19 f.) und Griechen (s. ob. S. 42) gefehlt zu haben, wie
aus der merkwürdigen ausonischen Sage von Mares 182) hervor-
geht, der Kentauren^ estalt gehabt und das höchste Alter er-
reicht haben sollte (7iQEößvxaxov yevbö&ai . . . ob xä psv e/t-
7too6&EV Xsyovöiv avd-od)7i<p öfiota183), xä xaröitiöd'sv öh "i'tttiov,
xal avxb de xovvopa slg xrjv 'Ekläöa ygaöiv i7t7to^ityrig182)
övvaxav Ael. V. H. 9, 16). Von diesem Mares erzählt Aelian
a. a. 0. weiter: [iv&oloyov6i de avxov xal ßiävac sxr\ xola xal
slxoöl xal ixaxov, xal ort, xolg cato&avcov sßia xolg. Dieser
Wortlaut muß verderbt sein, denn erstens ist die Zahl 123
sozusagen irrational und eine entsprechende Lebensdauer
wenigstens bei Griechen und Italikern sonst unerhört, zweitens
deutet, wie schon Hirzel a. a. 0. S. 27 A. 3 erkannt hat, das
xolg ocTtod-avcov ißico xglg auf eine Dreiteilung des Lebens
in Perioden von je 40 Jahren hin, wie wir sie schon mehr-
fach konstatiert haben (s. Abh. I S. 19 f. u. ob. S. 42 f.). Ich ver-
mute demnach, daß bei Aelian eine Textverderbnis vorliegt
und zu lesen ist: avxbv xal ßtävat yevr]1Si) xoia -Jj185) ext]
£1X06 1 xal txaxbv xal öxt xolg äno&avcov ißia xoCg, bei
welcher Lesung alle Bedenken wegfallen.
Bei den im mittelalterlichen Italien vorkommenden
Tessarakontaden läßt es sich natürlich schwer entscheiden,
182) Mares könnte verwandt sein mit keltisch marka = Pferd und
unserem Mähre (Fick, Indogerm. Wörterb.2 831).
183) Demnach dachte man sich den Mares in derselben Kentauren-
gestalt, die auf den ältesten Monumenten der Griechen erscheint (s.
Lex. d. Myth. E S. 1046 ff.).
184) ysvos würde also hier, wie auch sonst nicht selten, im Sinne
von ytvscc stehen. Vgl. Hom. Od. y 245 (von Nestor): tglg yäg ör] \x,iv
cpaotv avd£(X6&ai yivs' ccvdgwv.
185) Hinsichtlich der stehenden Verwechselung von r\ und ncti vgl.
Bast zu Gregor. Cor. p. 815; s. auch p. 384. 410. 419. 623. 717.
Die TeSSARAKONTADEN der Griechen i'nu anderer Völker. 159
ob sie auf christlichen186) oder auf altitalischen (römischen) oder
auf altgriechischen vielleicht schon im Altertum nach [talien
verpflanzten Anschauungen beruhen.
Als altitalisch und auf einer durch das Klima Italiens
(wie Griechenlands) bedingten ganz natürlichen Erfahrung
und Beobachtung beruhend könnte z. B. unbedenklich die
schon oben S. 68 A. 82 erwähnte Bezeichnung der Zucker
erbse als quarantano angesehen werden, weil in der Tat
auch nach griechischen Beobachtungen (s. oben S. 68) das
Wachsen und Reifen dieser Frucht 40 Tage dauert.
Dagegen ist es nicht ganz leicht über die Entstehung
der nach den Ansichten neuerer Forscher zuerst im Jahre 1374
zu Reggio (in der Emilia oder in Calabria?)187) eingeführten
Kontumaz (quarantina, quarantaine) von 40 Tagen klar
zu werden. In Abb. I S. 14 f. habe ich die Vermutung aus-
gesprochen, daß die Quarantaine mit der Ansicht der griechischen
Ärzte, insbesondere des Galen (z. B. 9 p. 81 6 f. K.), zusammen-
hänge, daß der 40. Tag eigentlich der letzte der xgCöi^ot
i'iUSQca bei Krankheiten sei (vgl. Abh. I S. 15).188) Andere
nehmen dagegen an, daß der Brauch auf einer Analogie mit
der 4otägigen Unreinheit der Wöchnerinnen nach mosaischem
186) Die altchristlichen Tessarakontaden verlangen eine besondere
Untersuchung, die ich hier nicht anstellen sondern nur anregen möchte.
Hierher gehören außer den in Abh. I S. 44 Anm. 83 angeführten Legen-
den von 40 Märtyrern und den 40 Bußtagen des fränkischen Mörders
(s. ob. S. 153) namentlich auch die 4otägigen Fasten vor Ostern und
"Weihnachten (quaresima; vgl. ob. S. 154 A. 176), die prieres de 40 heures
(ital. quarantore), die 40 stündige Ausstellung des Allerheiligsten nach
der Reihe in den verschiedenen Kirchen der Diözese und die dabei ge-
sprochenen Gebete. Vgl. auch franz. quarantaine im Sinne eines aus
40 Versen bestehenden oder 40 Tage hintereinander gesprochenen Ge-
betes (Sachs-Villatte) usw. u. ob. Anm. 17.
187) Vgl. z. B. Brockhaus' Konvers. -Lex.14 unter Quarantaine und
Dammer. Handwörterb. d. Gesundheitspflege 647.
188) Diese Ansicht der griech . Ärzte kann den Behörden von R e g g i 0 ,
Florenz. Mailand, Venedig leicht durch die medizin. Schule von Salerno
und weiterhin durch eine der medizin. Fakultäten von Bologna, Reggio,
Padua. Perugia. Florenz, Siena, Pisa, Modenausw. übermittelt worden sein.
Phil.-hist. Klasse 1909. Bd. LXI. 1 1
i6o W. H. Röscher:
[und griechischem] Gesetz beruhe (s. Abh. I S. iof.). Well-
hausen schreibt mir: „Die Quarantaine habe ich mit dem
40 tag. Fasten vor Ostern zusammengebracht, das vielleicht
mit dem 40t. Fasten Jesu bei der Versuchung zusammenhängt;
nach der altkirchlichen Annahme, daß er 1 Jahr gewirkt habe,
mußte sein Wirken, das mit Ostern schloß, auch mit Ostern
anfangen und also die Versuchung dicht vor Ostern fallen."
Ich muß leider aus Mangel an Material zur Zeit auf eine
Lösung dieser Fragen verzichten, behalte mir aber vor, ge-
legentlich darauf zurückzukommen. Nicht unmöglich wäre
wohl auch, daß in diesem Falle mehrere Momente zusammen
gewirkt hätten, um den Brauch der Quarantaine zu erzeugen.
Von sonstigen Tessarakontaden des italienischen Mittel-
alters erwähne ich hier den Rat der 40 (quarantia) in der
Republik Venedig und das ebenso genannte Richterkollegium
der Republik Florenz. Ich muß es dahin gestellt sein lassen,
ob die 40 Mitglieder der Academie francaise (les Immorteis),
sowie die 40 ordentlichen rmembres' der Academie des In-
scriptions, des Sciences morales et polit. und des Beaux Arts
irgendwie mit den ebengenannten italienischen Kollegien
zusammenhängen oder nicht.
11. DieNeugriechen, GräkowalachenundRumänen.
a) Unreinigkeitsfrist der Wöchnerinnen. Bei den
Neugriechen findet die priesterliche Weihe des neugeborenen
Kindes und der Mutter (bis dahin ist sie unrein) am 40. Tage
statt; Ploss, D. Kind I S. 164; vgl. oben S. 28 f., wo die Paral-
lelen aus Althellas angeführt sind. — Ahnliches gilt auch
von den Wöchnerinnen der Gräkowalachen nach Sajaktzis
in d. Ztschr. d. Vereins f. Volksk. IV (1894) S. 145: Das Haus,
in dem das Kind zur Welt kam, gilt als unrein. Deshalb
wird es beräuchert, mit Weihwasser besprengt, jeden Abend
40 Tage lang Räucherwerk angezündet und endlich gegen
Ende dieser Frist samt allen Möbeln gewaschen. — S. 140:
Bis zum 40. Tage darf in das Zimmer der Wöchnerin bei
Nacht ein brennendes Licht weder hineingetragen noch aus
ihm entfernt werden, weil die Dämonen durch das Licht der
Die Tessarakontaden der Griechen im. anderer Völker. 161
Muttermilch schaden könnten. — S. 146: Wenn in einer Woche
keine Milch sich zeigt, so ißt die Wöchnerin ein Weizen-
gebäck. Ein kleineres hängt man dem Kinde um die Hüfte;
nach dem 40. Tage wirft man es in irgend ein fließendes
Wasser, damit das Kind das Weinen ablege (vgl. ob. S. 100). —
S. 147: Bis zum 40. Tage darf die Mutter kein anderes Kind
stillen als ihr eigenes.189) —
b) Trauerfrist. „Nach der Bestattung begibt sich [in
Griechenland] das Leichengefolge in die Wohnung des Ver-
storbenen zurück, gleichsam als dessen letzte Gäste feiern sie
das Totenmahl. Daß man Speisen, Kuchen, Früchte am 3., 9.
und 40. Tage, im 3., 6. und 9. Monate nach dem Tode auf
das Grab niederzulegen pflegt, erinnert an die kindliche Vor-
stellung der Alten [s. ob. S. 37 f.], welche dem Toten ebenfalls
in jenen Tagen eine förmliche Mahlzeit bereiteten. . . Der
Naturalismus des Volks scheint während jener geheimnisvollen
40 Tage an einen näheren Zusammenhang des Verstorbenen
mit der Erde, die er verlassen, zu glauben-, denn 40 Tage
lang läßt man eine ewige Lampe in der Ecke des Sterbe-
zimmers brennen und 40 Tage lang stellt man ein mit Wasser
gefülltes Gefäß für den Verstorbenen an sein Grab" (K. Mendels-
sohn-Bartholdy, Gesch. Griechenlands I, 45).190) Bei den
Griechen auf Kalymnos wird das Essen der Kölyva- Kuchen
am 3., 9. und 40. Tage und wieder am Ende von 3, 6 und
9 Monaten und von 1 , 2 und 3 Jahren nach dem Tode
wiederholt.191) Im Anschluß an diesen Brauch herrscht noch
heute in ganz Griechenland der Glaube, daß die Seele noch
40 Tage nach dem Tode am Orte ihrer früheren Tätigkeit
189) Ich verdanke den Hinweis anf diese Zeugnisse Sartori in
Dortmund.
190) Vgl. auch C. Wachsmcth , D. alte Griechenland im neuen
5. 122 f. Hirzel a. a. 0. 56 f. u. ob. Anm. 170 u. unt. Anm. 193.
191) Hartland, The Legend of Perseus n, 288. Sartori a.a.O. S.3/\
Vgl. auch Sartori ebenda S. 4ia und Hermann-Blimxkr, Lehrb. d. griech.
Antiq. 4, 372 A. 1, nach dem die KoXXvßcov rrgoacpogä aufs Grab am 3.,
6. und 40. Tage und im 3., 6. und 9. Monat sowie am Jahrestag statt-
findet.
IÖ2 W. H. Röscher:
weile. Daher stellt man an vielen Orten diese Zeit hindurch
ein Glas Wasser in das Fenster oder in das Sterbezinimer,
damit die Seele ihren Durst lösche, in einigen Gegenden auch
etwas gekochten Weizen, aber nur auf 3 Tage als Nahrung
für sie.192) Nach Flachs (Rumänische Toten- und Hochzeits-
bräuche 61 f.; vgl. Sartori S. 37a) findet an manchen Orten
Rumäniens die Wiederholung des Leichenmahls am 3. und
9. Tage, nach 6 Wochen (= 40 od. 42 Tagen?)193), sowie
nach 1, 3, 7, 9 und 12 Jahren statt. Daß auch hier, wie so
oft, die Sechswochenfrist genau genommen der Vierzigtagefrist
gleichsteht, scheint mir aus einem merkwürdigen von Knortz
(Was ist Volkskunde? Altenburg 1900; vgl. Kahle in Z. f.
Volksk. XV (1905) S. 349) berichteten in Rumänien allgemein
verbreiteten Glauben hervorzugehen, daß in jedem Baudenkmal
ein Mensch eingemauert sei, dessen Geist (stahie) darin um-
gehe. „Heute noch pflegen die Maurer genannten Landes in
das Fundament eines Gebäudes ein Schilf band zu legen, womit
sie den Schatten eines Menschen gemessen haben. Jedem
an einem Neubau Vorübei'gehenden wird daher zugerufen:
cGib acht, man nimmt dir den Schatten'! Der Unglückliche
muß, wie man glaubt, 40 Tage danach sterben (s. ob.
Prokop. b. Goth. 4, 20, S. 151) und sich in eine Stahie verwan-
deln". Vgl. dazu den ebenda S. 365 aus Bulgarien ange-
führten Brauch, der ziemlich übereinstimmt.
Bei dieser religiösen Bedeutung, welche die 40-Tagefrist
für die heutigen Griechen ebenso wie für die ihnen kirchlich,
192) Barth, Neue Jahrbb. f. d. klass. Alt. 3 (1900), 180. Sartori S.43.
193) Die 6-Wochenfrist ist für Rumänien aucb nocb anderweitig
bezeugt. Beim rumänischen Landvolk Südungarns wird ein Mädchen
beauftragt, aus dem Brunnen des Sterbehauses oder eines benachbarten
Hauses Wasser in ein fremdes Haus 6 Wochen hindurch zu tragen.
Es soll zur Erquickung der Seele des Verstorbenen dienen (Globus 69,
197 f.). In der rumänischen Gemeinde Langendorf bei Mühlbach in
Siebenbürgen bringen die nächsten weiblichen Verwandten des Ver-
storbenen 6 Wochen lang täglich in der Morgendämmerung ihren
Freunden Wasser, damit der Tote nicht dürste (Globus 57, 30. Sartori
a. a. 0. 43Bb).
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 163
geschichtlich und geographisch so nahe stehenden Rumänen
(Walachen) hat, ist es ganz begreiflich, daß sie auch sonst
vielfach, z. ß. in Volksliedern, hier manchmal im Wechsel
mit der 44-Tagefrist (s. Abh. I S. 27 A. 49 u. 50 S. 33 A. 62),
erscheint (vgl. Hikzel a. a. 0. S. 50 f. A. 3). Da dieser \Y.. hs, I
von 40 und 44 namentlich bei islamischen Völkern konstatiert
ist, so darf man in solchen Fällen wohl sicher türkischen
Einfluß voraussetzen.
c) Sonstige Tessarakontaden. — Jahrtessarakon-
taden habe ich auf diesem Gebiete bisher (vielleicht zufällig !
nicht ausfindig machen können, wohl aber gibt es auch hier zahl-
reiche tessarakontadische Gruppen von Personen und Sachen,
sowie auffallend viele geographische und topographische
Tessarakontaden. Um mit letzteren zu beginnen, so erinnere
ich an die jetzt f Vierziggrotte' (Sarantavli) genannte korykische
Höhle am Parnaß, sowie an die nach ihren zahlreichen Win-
dungen und Furten genannten Flüsse Sarantapotamos (= Ke-
phissos, der, vom Kithairon herabkommend, die Ebene vom
Eleusis durchströmt, und = oberer Alpheios in Arkadien:
Bursian, Geogr. v. Griechenl. I 257 u. II 187 u. 188 A. i)194)
und Sarantaporos (== Titaresios in Thessalien: Bursiax I 57),
sowie an den jetzt Saranti genannten Hafen Böotiens hart an
der Grenze von Phokis bei Korsiai (Bursiax I, 243). Ferner
gedenke ich mehrerer schon von Hirzel (S. 51 u. 56) aus
v. Hahns u. B. Schmidts Sammlungen angeführten Märchen,
in denen von 40 Räubern, 40 Fliegen, 40 Draken, 40 Klaftern,
40 schönen Mädchen, 40 (44) Schalen usw. die Rede ist.
Natürlich ist es im einzelnen Falle stets schwer zu ent-
scheiden, ob die betreffende Tessarakontade der Xeugriechen
und Walachen autochthon d. h. bei den heutigen Bewohnern
Griechenlands aus altgriechischer oder aus altchristlicher oder
semitischer und türkischer Quelle geflossen ist, doch dürfte
194) Auch im Norden Euböas in der Nähe von Artemiaion und
den Ruinen von Kerinthos gibt es nach Isambert, Itiner. de l'Orient!
p. i96b einen Saranda-Potamo.
164 W. H. Röscher:
soviel feststehen, daß alle genannten Quellen zusammen ihren
Einfluß geäußert haben können.
Das letzte Glied in unserer Reihe der mit den Griechen
sprach- und stammverwandten Völker mögen bilden:
12) Die Litauer, Liven und Preußen — Von diesen
werden (nach Sartori a. a. 0. S. S331) Wiederholungen des
Totenmahles am 3., 6., 9. und 40. Tage nach der Bestattung
berichtet (Schwenck, Mythol. d. Slaven 304. Homeyer, D.
Dreißigste ioo,f. Globus 69, 375. Toppen, Abergl. a. Masuren
1 1 1 A. 3). Vielleicht darf man auch auf die alten Preußen
das beziehen, was wir oben (S. 151) über den noch heute in
Ostpreußen herrschenden Glauben gesagt haben, daß jeder
Gestorbene noch 40 Tage nach dem Tode auf Erden wandeln
müsse.
B: Die den Griechen nichtverwandten Völker (mit Ausschluß
der Semiten: s. Abh. I).
1) Die Ägypter. In den Hieroglyphentexten scheint
die Vierzig als typische oder heilige Zahl bis jetzt nicht nach-
gewiesen zu sein, wie mir ein so kompetenter Kenner wie
G. Steindorff versichert,195) doch finden sich in der Literatur
der Israeliten, Griechen und Römer einige Zeugnisse, die sich
nicht auf zufällige sondern bedeutungsvolle Tessarakontaden
beziehen lassen.
a) Unreinigkeitsfrist der Wöchnerinnen. — Aus
dem eigentlichen Altertum stehen mir dafür keine Zeugnisse
zur Verfügung, dagegen darf man vielleicht aus dem Umstände,
daß die höchst konservativen Kopten noch heute das Fest
der Namengebung bei einem Sohne nicht vor dem 40. Tage
zu feiern pflegen und daß die Unreinheit der Frauen in Kairo
meist 40 Tage dauert, den Schluß ziehen, daß diese Bräuche
195) Ich sehe ab von den 40 Schiffen voll Zedernholz, das der
König Snofru um 2800 vom Libanon kommen kommen läßt (Wilcken,
Jahrbb. f. kl. Alt. etc. 1906 S. 461); es handelt sich hier vielleicht um
eine zufällige Tessarakontade.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 165
bereits aus altägyptischer Zeit stammen (vgl. Abb. I 27 f. J 'i.< >>s.
D. Kind I S. 163 u. 248). Vgl. auch Abh. I S. 28 f., wo die
Beobachtung Klunzingeks angeführt ist, daß auch in Ober-
ägypten die Unreinheit der Wöchnerinnen erst mit dem
40. Tage aufhört, nach dessen Ablauf sie baden muß. Bei
dieser Gelegenheit läßt sie sich, wenn sie einen Knaben ge-
boren hat, 40 Becher Wassers über das Haupt ausgießen;
ist das Kind ein Mädchen, so genügen 30 Becher.
b) Trauerfrist. — 1 Mos. 50, 3: cDa balsamierten die
Arzte Israel (= Jakob) ein. Darüber vergingen 40 Tage,
denn diesen Zeitraum erfordert das Einbalsamieren. Die
Ägypter aber hielten ihm 70 Tage lang die Totenklage.' Vgl.
Herod. 2,86: ravrcc de Tcoir^avxeg taQL%evov6i ICtQtp XQvipameg
ftfiigag eßöo^Tqxovta x. r. k. Mit einer Trauerfrist von 40 Tagen
könnte auch zusammenhängen was der Scholiast zu Lucan.
6, 680 vom neuen Phönix erzählt, der nach 40 Tagen aus
der Asche des alten entstehen soll: Phoenix exstruit sibi rogum
voluntarium et combusta de cineribus suis post quadraginta
dies resurgit.
c) Sonstige 40-Tagfristen. — Von den ägyptischen
Natrongruben berichtet Plinius n. h. 31, 109: Hae (nitrariae)
madent quadraginta diebus continuis. — Nach dem kürzlich
gefundenen Kalender von Sais (Pap. Hibeh I nr. 27 S. 125 ff.;
vgl. Archiv f. Papyrusforschung IV 1 80) fällt der Beginn der
Nilschwelle mit dem Anfang der Etesien zusammen. Nun
erinnere man sich der schon von Thaies (wahrscheinlich
auf Grund ägyptischer Aussagen) aufgestellten Theorie
(Herod. 2, 20), nach der die Etesien als Ursache der Nil-
schwelle betrachtet wurden. Da nun die Etesien 40 Tage
wehen (s. ob.), so muß auch das höchste Steigen des Nils
ungefähr 40 Tage in Anspruch nehmen, was bei der Bedeutung,
die der Strom für Ägypten hat, leicht eine gewisse Heiligkeit
dieser Frist, die bisher freilich sonst nicht bezeugt ist, be-
wirken konnte. Vielleicht spricht für diese Annahme das
was Strab. 789 vom Nil bemerkt: xXeCovg de tstxaQoixovta
rilieQccg xov ftsQovg dta^ielvav ro vdcog üneift vTCÖßaöii'
i66 W. H. Röscher:
Xa^ißävsi xat oHyov. Diese Notiz, die sich offenbar auf den
Höchststand des Flusses bezieht, macht ganz den Eindruck,
als wenn sie polemischer Art und gegen solche Schriftsteller
gerichtet wäre, die die Dauer des Höchststandes nur auf
40 Tage (das Wehen der Etesien?) beschränkt wissen wollten.
d) Sonstige Tessarakontaden. — Vgl. Herod. 2, 148:
rrjs yavLTjg tsXsvtavrog xov XaßvQiv&ov eietai itvQcctilg
TSöGeQccxovtOQyviog, sv xfi t,aa [isydlcc iyysyXvjtrai. ■ —
Dem Handbuch der mathem. u. techn. Chronologie von Ginzel,
Bd. I S. 178 entnehme ich die Notiz, daß in Bitten und An-
rufungen der alten Ägypter 1 10- und 120- [= 3 X 40-] jährige
Zeitintervalle eine Rolle spielen. Vielleicht gelingt es anderen
noch weiteres Material namentlich aus Hieroglyphentexten
beizubringen.
2. Die finnisch-tatarischen Völker. — Heutzutage
gehören die meisten Glieder dieser Völkergruppe dem christ-
lichen oder mohammedanischen Bekenntnisse an: man könnte
daher auf den ersten Blick glauben, daß die gerade bei diesen
Völkern so zahlreichen Tessarakontaden auf christlichen
(russisch-orthodoxen) oder islamischen Einfluß zurückzuführen
seien. Daß ein solcher Schluß aber recht zweifelhaft und
bedenklich sein würde, geht aus der namentlich von Radloff
hinsichtlich der noch heute ihrem uralten heidnischen Schama-
nismus huldigenden Turkstämme Sibiriens gemachten Beob-
achtung hervor, daß gerade diese vom Islam und Christentum
noch wenig oder gar nicht berührten Völker neben der
Sieben- und Neunzahl auch der Tessarakontade (und zwar
größtenteils aus denselben Gründen wie die bisher besprochenen
Völker) eine große Bedeutung zuschreiben.
a) Zwar habe ich eine 4otägige Unreinigkeitsfrist
der Wöchnerinnen — vielleicht infolge der Lückenhaftigkeit
meiner Kenntnisse und Sammlungen — im Bereiche dieser
Völkergruppe bisher nicht konstatieren können, um so zahl-
reicher und bedeutungsvoller sind aber dafür
b) die Belege für die 4otägige Unreinigkeitsfrist
(Trauerfrist) infolge des Todes eines Verwandten.
Die Tessarakontaden dee Griechen und lnderep Völker. 167
Ich stelle an die Spitze der hierhergehörigen Zeugnisse die
Bemerkung Radloffs, Aus Sibirien II S. 52: cDie höchste
Kunst des Schamanen ist die sogenannte Reinigung der
Jurte. Diese geschieht am 40. Tage nach dein Tode eines
Fainiliengliedes.' Auf Grund dieser wichtigen Tatsache be-
urteile man folgende offenbar analogen Bräuche der mohamme-
danischen und christlichen Stammverwandten. Bei den os-
manischen Türken herrscht die Sitte, an Fremde und Arme
am 3., 7. und 40. Tage nach dem Leichenbegängnis Pfann-
kuchen zu versenden; zum Dank dafür verlangt man Gebete
für die Seele (Haktland, The legend of Perseus 2, 290.
SaRTORI, Progr. v. Dortmund 1903 S. 33;. — An denselben
Tagen feiern die Tscheremissen (= Wolgafinnen, jetzt
russische Christen mit vielen heidnischen Bräuchen), die
Wotjäken (ebenfalls Finnen) und Baschkiren (Globus
80, 153) sowie die Karginzen (v. Negelein, Z. f. Volksk. XIV
1904 S. 29; Katanoff S. 227)196) Gedächtnismahle, und bei
den beiden zuerst genannten Stämmen erhält der Tote seinen
Anteil (s. die Belege bei Saktori a, a. 0. S. 33*). Offenbar
hängt damit der Glaube der Wotjäken zusammen, daß die
Seele nach dem Tode, ohne ins Grab hinabzusteigen, 40 Tage
lang an den im Leben begangenen Orten herumirre (Am Ur-
quell 4 S. 160 u. 169. Sartori S. 32* A. 2). Die Tataren
von Kasan veranstalten zu Ehren des Verstorben am 4., 7.,
40. Tage sowie am Jahrestage des Todes ein Mittagsmahl
und verteilen 6 Wichen hindurch (= 42 Tage lang) Almosen
an die Armen (Abh. I S. 32), während die Gedächtnismahl-
zeiten der Abakantataren am Grabe des Verstorbenen auf
den 3., 20., 40. und 100. Tag fallen (Radloff, Aus Sibirien
1, 379f.). — Die Leichenmahlzeiten der Permier (russitizierte
Finnen) im Kreise Orlov, bei denen Wachskerzen brennen
und der Schatten des Verstorbenen feierlich aufgefordert wird,
196) Nach v. Negelein a. a. (>. wird bei den westchinesischen
Türken dem Volke am 3. und 40. Tage zu Ehren des Toten Speise
gespendet, und die Beltiren richten an denselben Tagen Totenmahl-
zeiten aus.
i68 W. H. Röscher:
am gemeinsamen Mahle sich zu beteiligen, finden am 3., 9.,
40. Tage nach dem Tode sowie am Jahrestage des Ablebens
statt (Globus 71, 372 f. u. Sartori 34b u. 35*). — Ähnlich
ist der Brauch der Kasak-Kirgisen im westlichen China,
bei denen ^im Verlauf von 40 Tagen auf dem Ehrenplatz
neben dem Feuer ein Ollämpchen brennt' (v. Negelein a. a. 0.)
c) Weitere tessarakontadische Tagfristen. — In
einem von Radloff, Aus Sibirien I S. 394 mitgeteilten Volks-
liede heißt es:
„Breitet aus sich da die Stahlstepp',
Die in 40 Tag' und Nächten197)
Kaum der Reiter kann passieren . . .
40 Tage, 40 Nächte läuft das gute Schimmelroß".
Auch den osmanischen Türken ist noch heute die
offizielle Frist von 40 Tagen ganz geläufig, vgl. Mendelssohn,
Gesch. Griechenl. i, 122. Hirzel a. a. 0. 41, 2. — Von einem
4otägigen Schlaf des 7 köpfigen Drachen ist in der Volks-
poesie der Osmanen die Rede; Radloff, Proben VIII Vor-
rede p. XVI. — Bei den Wotjäken besteht der Glaube, daß
der Blitz (Donnerstein, Donnerkeil) 40 Ellen tief in die Erde
hineinfahre und nach 40 Tagen wieder aus der Erde hervor-
komme (Am Urquell 4 S. 89 (39). Diese Notiz ist insofern
interessant, als sie beweist, daß auch hier wieder die tessara-
kontadische Frist primären Charakter trägt und weitere
Tessarakontaden erzeugt hat, nicht umgekehrt!
d) Tessarakontadische Jahrfristen. — Auf eine ysveä
von 40 Jahren deutet wohl der von Radloff, A. Sibirien II
S. 46 mitgeteilte Segensspruch: „40 Jahre soll er noch leben"
ebenso die Stelle in Bd. I der Proben d. Volkslit. d. türk. Stämme
Südsibiriens S. 19, wo jemand als 160 = 4 X 40 Jahre alt
bezeichnet wird. Vgl. auch ebenda II S. 97 und 99, wo eine
Frist von 40 Jahren erwähnt wird, usw.
e) Sonstige Tessarakontaden. — Sie sind sehr zahl-
reich und mannigfaltig und kommen massenhaft bei allen
J97) Vgl. dazu die arabischen Analogien in Abh. I S. 45.
Die Tessarakontaden dek Gkiechen und anderer Völker. 169
Stämmen dieser Völkergruppe vor. Ich notiere aus dem
Bereich der Osmanen die Bezeichnung des Skamander als
Kirk-Geous-Sou = ffluvius XL oculorum (Bredovii dissertat.
de Georg. Syncelli chron. vol. II p. 35), quod t'ons eius frigidus,
saxis obtectus, e colle humili per rimas innumeros escaturit'
und des Tausendfußes als Kyrk-ajaklv, d. i. Vierzigfuß
(Hirzel 41; vgl. Abb. I S. 27). — Die in der Nähe von
Adrianopel gelegene durch ihre vielen Kirchen bemerkens-
werte Stadt Kirk-Kilisse bedeutet wörtlich 'Vierzigkirchen'.
Man erkennt schon aus diesen Beispielen, die sich gewiß noch
vermehren lassen, den Charakter der 40 als Rund zahl. Aus
Radloffs Proben II gehören hierher folgende Belege:
40 Stuten (S. 99), 40 Elentiere (106)., 40 -flossig (105),
40 Mädchen, 40 goldene Tücher, 40 Lieder (107), 80 Mädchen
(108), 40 schneidige Stahllanzen (391), 40 Werst (104); aus I:
40 Schlitten (3 7 6), 40 Himmelsgegenden (396 f.), 40 Völker (398);
aus VIII: 40 Haare, 40 Seelen (Vorr. p. XVI) usw. Endlich
lautet ein ebenda p. III mitgeteiltes Sprichwort der Kirgisen:
fDer Fürst hat den Verstand von 40 Menschen'.
3. Die Ostasiaten. — Aus dem Gebiete Ostasiens sind
mir bis jetzt nur sehr wenige bedeutungsvolle oder typische
Tessarakontaden bekannt geworden, was aber durchaus nicht
ausschließt, daß auch hier die Zahl 40, namentlich die Vierzig-
tagefrist, eine bedeutende Rolle gespielt hat. Kenner der
chinesischen, japanischen usw. Literatur seien hiermit auf-
gefordert, meine dürftigen Kenntnisse und Sammlungen tun-
lichst zu ergänzen.
Von einem merkwürdigen Fall von 40 tag iger Couvade
(Männerkindbett) bei einem tibetanischen oder mongoli-
schen Stamme im Südwesten Chinas, in West-Yünnan be-
richtet Marco Polo. Der Mann legt sich zu Bett, nimmt
das neugeborene Kind zu sich und nährt es 40 Tage lang,
also solange als die Lochien dauern. Vgl. Ploss, D. Kind
I S. 129.
Nach Muhammed bin Ishäk's Filirist aKulan muß in
China jeder, der als Verwaltungsbeamter oder 'Emir' an-
170 W. H. Röscher:
gestellt sein will, 40 Jahr alt sein (Flügel, Ztschr. d. D.
Morgenl. Ges. 185g (XTII) S. 647). Dies läßt auf eine yspsu
von 40 Jahren bei den Chinesen schließen.
Auf den aleutischen, von einem Eskimo stamme be-
wohnten Inseln wurden Frauen und ältere Mädchen bei der
Menstruation jedesmal 7 Tage [so lange dauert jede Mond-
phase!]198) eingesperrt. Nach der ersten Menstruation fand
diese Absperrung zweimal, resp. 40 und 20 Tage lang, statt;
Ploss, D. Kind II S. 262. Vgl. Feazer, The golden bough2
III S. 222 ff.
4. Die amerikanischen Stämme. — Die Aleuten bilden
den Übergang von Ostasien nach Amerika, wo wir ebenfalls
Spuren von einer Tessarakontadenlehre nachweisen können.
Nach Charlevoix dauert die Unreinheit der kali-
fornischen Indianerinnen nach der Entbindung 40 Tage:
Ploss-Bartels, D. Weib5 II S. 351.
Bei den Puebloindianern gilt die Wöchnerin 30 Tage
lang für unrein, und dann kehrt der Gatte zu ihr zurück,
doch ziehen es einige vor, 36 (= 4x9?) bis 40 Tage zu
warten (Engelmann b. Ploss-Bartels a. a. 0. S. 362).
Bei den Karaiben, Brasilianern usw., die alle dem
Brauche der Couvade huldigen, fastet (nach Biet) der Vater
nach der Geburt eines Sohnes 6 Monate lang. Nach 40 Tagen
dieser strengen Fasten gibt er seinen Verwandten [nach Du
Tertre] ein Gastmahl, wobei an ihm ein besonderes Ceremoniell
vollzogen wird. Dann fastet er weiter: Ploss, D. Kind I
S. 134; Ploss-Bartels, D. Weib5 II S. 365. — Nach Labat
dauert bei den Karaiben das Fasten 30 — 40 Tage, findet aber
nur bei der Geburt des ersten Sohnes statt.
Die mexikanischen Feuergötter und Toten, die im
Sommer mit den Pflanzen geistern auf die Erde kommen,
werden von der Höhe einer Stange in die Unterwelt hinab-
198) Vgl. hinsichtlich des Zusammenhangs der Menstruation mit
dem Monde und seinen Phasen Röscher, Juno und Hera S. 19 ff. 38 f.,
Selene und Verwandtes 5 5 ff. 71 A. 274. Ebenso bei den Samoanern:
Globus 93 (1908) Sp. 251°.
Die Tessarakontadex der Griechen und anderer Völker. 171
gestürzt, aber nach 40 Tagen erscheinen sie wieder als Sterne
am Himmel (PreüSS in Jahrbb. f. d. klass. Alt. etc. 1 906 S. 183).—
Quetzalcoatl, der toltekische Gott des Reichtums und der
Kaufleute, wurde in Cholula verehrt in Gestalt eines 40 Tage
vor seinem Feste gekauften makellosen Sklaven, der ihn
40 Tage lang darzustellen hatte, wie der Gott selbst verehrt
und dann geopfert und gegessen wurde. Mehr über die 20-
und 40tägigen Fristen der Mexikaner und deren Kalender bei
Müller, Amerikan. Urrelig. 589 f. und bei Ginzel, Hdb. d.
Chronol. I S. 433 ff., wo unter anderem nachgewiesen wird, daß
hier die 4otägige Frist aus der 2otägigen, nicht aber umgekehrt,
entstanden ist.199) — Über eine 6 wöchige (42 = 6 x 7 Tao-e
umfassende?) Frist (Reise) zur Gewinnung des berauschenden
Peyotetranks bei den Stämmen der mexikanischen Sierra Madre
s. Preuss im Archiv f. Rel.-Wiss. XI S. 383. - - Auch 20- und
8otägige Fristen kannte der Totenkult der alten Mexikaner.
Über die vergrabene Aschenurne wurden 80 Tage lang Brot
und Wein gesetzt: Klemm, Allg. Kulturgesch. 5, 50. Motaijma
behauptet von den Mexikanern, sie kehrten nach dem Begräb-
nisse 20 Tage lang nach dem Grabe zurück und legten Speisen
und Rosen darauf; nach 80 Tagen machten sie es ebenso,
und so fort, immer von 80 zu 80 Tagen (Spencer, D. Princip.
d. Sociologie 1,196. Sartori a. a. 0. 40b). — Ich muß es
natürlich den Amerikanisten von Fach überlassen, zu ent-
scheiden, ob diese 20-, 40-, 80-tägigen Fristen der Mexikaner
ebenso zu beurteilen sind wie die meisten analogen Fristen
im Totenkult der anderen früher besprochenen Völker, oder
ob sie sich nicht auch ganz einfach aus den 2otägigen Mo-
naten des altmexikanischen Kalenders erklären lassen.
Es liegt mir selbstverständlich völlig fern, für meine
tessarakontadischen Materialsammlungen aus dem Gebiete der
'andern Völker' einen Anspruch auch nur auf relative Voll-
ständigkeit erheben zu wollen; ich bin vielmehr fest davon
199) Daraus folgt natürlich noch lange nicht, daß die 40tägige
Frist bei den Mexikanern nicht auch zugleich, wie hei anderen ameri-
kanischen Stämmen, mit den 4-Otägigen Lochien zusammenhängen könnte.
172 W. H. Röscher: Die Tessarakontaden der Griechen usw.
überzeugt, daß jeder, der nach mir sich entschließen sollte,
meine Sammlungen und Forschungen zu vervollständigen, mit
Leichtigkeit noch zahlreiche weitere Belege für die Bedeutung
der Vierzig bei allen möglichen Völkern der Welt wird bei-
bringen können. Ob es freilich einem solchen Sammler und
Forscher gelingen wird, durch Aufstellung neuer Prinzipien
die von mir hauptsächlich mit Hilfe einer detaillierten Unter-
suchung der semitischen und griechischen Tessarakontaden
gewonnene Grundlage zu zerstören oder auch nur zu erschüttern,
das zu entscheiden, muß ich der Zukunft überlassen. Doch
halte ich es von vorn herein für ziemlich unwahrscheinlich,
daß Resultate, die sich vornehmlich auf die Untersuchung
so gründlich und in so vielen Beziehungen bekannter Völker,
wie es die Griechen und Semiten sind, stützen, durch weniger
umfassende und weniger methodisch betriebene Sammlungen
und Forschungen auf dem Gebiete minder bekannter und
minder bedeutender Völker und Stämme umgestoßen werden
könnten. Ich erhoffe und erwarte vielmehr von einer weiteren
Ausdehnung gründlicher tessarakontadischer Studien auf noch
andere Völker in der Hauptsache eine Bestätigung der Grund-
sätze und Ergebnisse, zu denen wir auf den Gebieten der
Semiten und Griechen gelangt sind. Weisen ja doch, wie ich
gezeigt zu haben glaube, die meisten und bedeutsamsten der
mit der Vierzigzahl verknüpften Vorstellungen und Gebräuche
fast überall auf jene urgewaltigen Schicksalsmächte hin, die
zu allen Zeiten die Menschheit in ihrem Fühlen und Denken
am meisten bewegt haben: auf Geburt, Krankheit und
Tod, sowie auf das Wetter, von dem sich nicht nur der
Hirte und Jäger, der Fischer und Schiffer, sondern ebenso
auch der Ackerbauer von jeher im höchsten Maße abhängig
gefühlt haben.
173
Anhang.
Nachträge zu Abh. I: fDie Zahl 40 im Glauben, Brauch und
Schrifttum der Semiten.'
Seit der Vollendung meiner Studien über die Vierzigzahl bei
den Semiten haben sich mir mehrere z. T. nicht unwichtige Nach-
träge ergeben, die ich hiermit zur Vervollständigung des einschlägigen
Materials der Öffentlichkeit vorlegen möchte. Außerdem benutze
ich diese Gelegenheit, das hochinteressante Exzerpt BergsteäSzers
aus der arabischen Handschrift in Leipzig nr. 383 Völlers (s. Abh. I
S. 5) hier mitzuteilen, das sicher allen Arabisten willkommen sein wird.
Zu Kap. I (Die Babylonier) S. 7 füge ich hinzu die merk-
würdige Notiz des Censorinus de die nat. 18, 1 1 : Est praeterea annus
quem Aristoteles maximum potius quam magnum appellat, quem
solis et lunae vagarumque quinque stellarum orbes conhehmt, cum
ad idem Signum, ubi quondam simul fuerunt, una referuntur; cuius
anni hiemps summa est cataclysmos, quam nostri diluvionem
vocant, aestasautemecpyrosis, quod estmundiincendium.. .hunc ...
putavit annorum vertentium ... Heraclitus20") et Linus Xdccc.
Dieser Zahl von Sonnenjahren entspricht genau die Zahl von ysveai
zu je 40 Jahren, welche die Periode der vor dem y,ux ay.lv G^iöq
herrschenden Könige der Chaldäer nach Berossos fr. 4 ff. umfaßt,
so daß auf jeden der 10 Könige 1080 Jahre oder 27 (=3x9)
ysvsai zu je 40 Jahren entfallen. Die Zahl 1080 ist aber auch sonst
bedeutungsvoll (s. Abh.I S. 8 Anm. 6 u.Ennead. Stud. S.25. Lehmann-
Haupt, Verhandl. d. Berl. anthropol. Ges. 1896 S-447)201)- — Wenn
200) Da wir von Heraklit wissen, daß seine ysvscä 30 Jahre (nicht
40!) umfaßten (s. Ennead. Studien S. 41 Anm. 65), bo kommen auf ein
Weltjahr Heraklits 360 yevtai; 360 aber ist eine ebenfalls höchst be-
deutungsvolle Zahl gewesen. Wie groß die ysvscc des fLinos' gewesen,
ist bis jetzt noch unbekannt. •
201) Ebenso auch die ebenfalls enneadische Zahl 108. Vgl. Ennead.
Stud. Anm. 10 u. 34. Firm. Mat. Math. 2, 25 p. 74 ed. Kr.-Sk.: Mer-
curius si bene decreverit CVUI annos decernit. Philologus 1908 S. 158 ff.
zu Auson. ed. 18, iff. Man denke ferner an die 108 Freier der Pene-
lope Tt 247ff. , die 108 Weiber des Krischna, die 108 Schnüre (Fäden)
der Brahmanenschärpe, die 108 Köpfe Brahmas, die 108 Schriften
Buddhas etc. (Xork, Etym. mythol. Wörterb. 2, 354).
174 W. H. Röscher:
schon diese Tatsache auf 40jährige ysvsai auch bei den Babyloniern
schließen läßt, so werden wir in dieser Annahme noch mehr bestärkt
werden durch die Beobachtung, daß auch die unzweifelhaft mit
Babylonischer Astrologie zusammenhängenden 'Mathematiker' der
römischen Kaiserzeit ebenso wie die Juden, Mandäer, Phönizier und
Aithiopier eine höchste menschliche Lebensdauer von 120 = 3 X 40
Jahren annahmen. Vgl. Trebell. Pollio Claud. 2 : Doctissimi mathe-
maticorum centum et viginti annos homini ad vivendum datos
iudicant neque amplius cuiquam iactitant esse concessos, etiam illud
addentes, Mosen solum, dei, ut Judaeorum libri [?] locuntur,
familiärem, centum viginti quinque [55] annos vixisse 202) . . . Firm. Mat.
ed. Kroll -Skutsch I p. 74: (Quis deorum quot annos decernat): Sol
si bene decreverit, CXX annos decernit . . . Censor. de die nat. 17,4:
inter ipsos astrologos ... nequaquam etiam convenit ... alii ad
centum viginti annos [vitam] produci posse, quidam etiam ultra
crediderunt. — Vgl. auch Vopisc. Flor. 2. Tac. dial. de or. 17. Serv. z.
Verg. Aen. 4, 653. Lactant. inst. 2, 13. Arnob. 2, 94. — Zu S. 7 A. 5 :
Vgl. auch die Kalmückische Legende von den 80000 Lebensjahren
der ältesten riesenhaften Menschen. Dähnhardt, Natursag. I 244.
Endlich notiere ich noch aus dem Bereiche der altbabylonischen
Literatur folgende Tessarakontaden und Halbtessarakontaden, die
ich in der cKeilinschriffcl. Bibliothek' gefunden habe: Bd. V S. 251,
II: 40 Leute. — 251, 14: 40 Habiri; ebenso 24g, 47. Bd. I 199:
40 Wagen. — Bd. V, 1 5 1 : 400 Leute. — Bd. V, 1 03 nr. 4 1 : 20 Jahre
(Mal?), ebenso S. 103 nr. 41 u. 44. — 171 nr. 78, 42: 20 Joch (?)
Pferde. — S. 181 nr. 83, 67: 20 Leute. 185 nr. 85, 42: 20 Joch (?)
Pferde. S. 273, nr. 150, 18: 20 niru-Leute. S. 277 nr. 151, 15:
20 Leute etc. — Vgl. auch E. König, Stilistik etc. 55.
Zu Kap. III (Die Israeliten). S. 10 füge ich jetzt hinzu,
daß die so häufige Verbindung der Zahlen 7 und 40 in der Bibel
doch wohl auch mit der 40 X 7 oder 7 X 40= 280 Tage dauernden
Normalschwangerschaft zusammenhängen dürfte. — Zu S. 13 vgl.
man auch das, was I. Preuss im Hdb. d. Gesch. d. Mediz. v. Pusch-
mann I (1902) S. 115 über die Differenzierung der Embryonen am
41. oder 81. Tage nach jüdischer Lehre berichtet. Offenbar hängt
mit dem Glauben an die Vollendung der Embryonengestalt mit dem
40. Schwangerschaftstage auch die Empfehlung des Kaiserschnitts
vom 40. (od. 20.) Tage ab zum Zwecke des Baptismus abortivorum
sowie die Anwendung eigener cTaufspritzen' zusammen. Vgl.
darüber Höfler im Archiv f. Rel.-Wiss. XII (1909) S. 354, der
202) S. jedoch Abh. I S. 19. Woher stammt diese von der Bibel
abweichende Überlieferung?
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker.
sich dafür auf Knapp, Theologie u. Geburtshilfe, Prag 1908, und
F. E. Cangiamilla, Sacra Embryologia, edit, latin. 1764 beruft.
Verwandt mit diesem Glauben scheint wohl auch die Annahme der
Araber, daß junge Raben die 40 ersten Lebeustage weiß seien, dann
aber schwarz würden (Dähnharbt, Natursagea I, 286, 1), ein Glaube,
der stark an die anfängliche Weiße der neugeborenen Negerkind er
erinnert. - - S. 15 Anm. 2 1 kommt jetzt hinzu, daß nach Becker im
Arch. f. Rel.-Wiss. XI S. 387 die arabischen Beduinen noch heute
Kamelsharn, der ihnen als Apotropaion gegen den bösen Blick dient,
in die Wunde schmieren; vgl. auch inbetreff der Zauberkräfte des
Urins Strab. XVI p. 764.
Zu S. 16: Vgl. auch das40tägige (auch geschlechtliche) Fasten
Joachims im Protevangelium des Jacobus I, 4. — Das 40tägige
Fasten der (syrischen) Christen zur Feier des Geburtstages Christi
(s. ob. S. 1 54 u. 159) beginnt nach Kazwinis Kosmogr. übers, v. Ethe I
S. 154 am i7.Tis'rin et'tani oder elähar (November). — Im übrigen
warne ich ausdrücklich vor der hyper kritischen, auf die typische
Bedeutung der 40täg. Frist (für Büßen und Fasten) sich etwa stützen-
den Neigung, das 40 tag. Fasten Jesu für unhistorisch zu erklären.
Mir ist es vielmehr in hohem Grade wahrscheinlich, daß Jesus ab-
sichtlich nach dem Vorbilde des Moses und Elias ein 40tägiges
Fasten in der Steppe beobachtet hat. Auch Rabbi Simeon ben Jochai
fastete und betete 40 Tage und 40 Nächte hindurch nach Wünsche,
Aus Israels Lehrhallen III, 2, 156.
S. 17 trage ich nach, daß auch nach ungarischen und franzö-
sischen Sintflutsagen der Sintflutregen 40 Tage dauerte: Dähnhardt,
Natursagen I 243. 278.283. Nach der Tradition der Huzulen währt
der Bau der Arche Noahs 40 Jahre: ebenda 277, 3.
Zu S. 18 bemerkt mir A. Wünsche: „In talmudischer Zeit
scheinen 40 Jahre das erforderliche Alter gewesen zu sein, um das
Richteramt ausüben zu können. In dieser Beziehung heißt es Midrasch
Schemoth r. Par. 1 zu den Worten Ex. 2, 14: R, Jehuda sagt: Mose
war damals 20 Jahre alt. Da sprachen die Israeliten zu ihm: Du
bist noch nicht mündig, ein Oberster und Richter über uns zu sein,
weil man erst mit 40 Jahren zur Einsicht selansrt."
S. 20: Zu den Tessarakontaden der Phönizier rechne ich jetzt
auch die 80 (= 2 x 40) kyprischen Stammütter der Karthager
(Timaios? b. Justin. 18,5,4). Diese Zahl erklärt sich nach Meltzer
(Artikel Dido im Lex. d. Mythol. S. 10 1 7, 49 f.) aus einer "politischen
oder sakralen Einteilung innerhalb der Bürgerschaft Karthagos auf
Grund der Zahl 80." — Vgl. auch Strab. 833: [01 Kccqi^öövlol] ...
iv äip-riva xazeOxevccöavTO vavg iy.arbi' si'y.oöi [=3X40 oder
2 X 60?] Y.arucpQa,Kzovg. — Ebenda 831 (aus karthagischer oder
Phil.-hist. Klasse 1909. Bd. LXI. 12
176 W. H. Eoscher:
numidiscber Quelle?): öivdgov saxl ^slilaxov [in Mauretanien]
xbv ös xaQTibv. . . §iuxo6toyicax£zxuQa%ovxäiovv [240 = 6 X 40 oder
4 X 60?] aitoöiöcööi.
Übrigens seheinen nach der Mesainschrift auch die Moabiter
40jährige Fristen gekannt zu haben; vgl. König Stilistik etc.
S. 55 und Hitzig, D. Inschr. des Mesha. Heidelb. 1870 S. 15.
Zu S. 2 1 : Im Talmud Sabbat 1 52a heißt es: „Bis zum 40. Lebens-
jahr ist das Essen dem Körper vorteilhaft, aber von dieser Zeit
ist das Trinken vorteilhafter". Mitteilung H. Lewys in Mühlhausen.
Zu S. 23: 80 (=2x40) Jahre regierte Salomo nach Joseph,
ant. 8, 7, 8.
Zu S. 2$ Anm. 42: Gehören hierher auch die Angaben des
Josephus (ant. 8, 3, 1), daß der Salomonische Tempel 240 (=6x40)
Jahre nach der oi'xtßig von Tyros, oder 1440 (= 36 X 40) Jahre
nach der Sintflut, oder 1020 Jahre (= 25% ysvecd) nach der Ein-
wanderung Abrahams .in Kanaan erbaut sei? Vgl. Movers, Phönizier
H, 1, 138,88 u.S. 142 f.203)
Zu S. 24 am Ende füge hinzu: Strab. XVI p. 759: xovxcov
\x. IovSakov\ 6e xai 6 KccQ(ir}Xog vTvfJQ$£ nccl 6 ÖQVfA,6g' nui 6r] xcci
avdvÖQrjGev ovxog 6 xönog, loGxlv, xr\g TiXrjßiov K(hfii]g Iafiveiag xcä
xwv naxoiKi&v xcöv %v%X(o xexxccqag (iVQiädag bn\it,£G&ca (wohl
sicher Kundzahl aus jüdischer Quelle!)
Zu Kap. IV (Die Araber und einige andere islamische
Völker). — Zu S. 34 Mitte: 40000 Tore der Hölle kennt auch der
Talmud: Wünsche, Aus Israels Lehrballen III, 2, 236. — S. 34 a. E.
Auch die arabischen Jäger und Fischer richten sich nach dem Auf-
gang der Plejaden; vgl. Kazwini a. a. 0. S. 92 : „Die Jäger und Fischer
gehen auf Jagd und Fischfang aus vom Aufgang der Plejaden
an bis zum Aufgang der henfa (= y und £ in den Zwillingen), dann
wird es ihnen vor Magerkeit [des Wildes und der Fische] unmög-
lich. Es ist die Zeit der größten Hitze. Ihr Aufgang erfolgt am
22. haziran (Juni) und ihr Untergang am 22. känün elawwal (De-
cember)." Auch für die nordabyssinischen Nomaden sind die Ple-
jaden (Kema) bedeutungsvoll; Littmann im Arch. f. Rel.-Wiss. XI
302. 308 f. Vgl. auch Sprenger, Üb. d. Kalender d. Araber vor
Mohammed in Ztschr. d. D. Morgenl. Ges. XIII (1859) S. 162, sowie
Baba m. io6b u. Gen. r. 10, 6 = Monum. lud. 215.
Zu S. 36 Anm. 68: Nach A. Jeremias, D. Alte Testam. im
Lichte des alt. Orients2 S. 101 A. 3 gilt die Unsichtbarkeit der
Plejaden noch heute in Syrien als eine 40tägige (carbain) oder
203) Oder ist hier 240 als 4x60, 1440 als 24x60, 1020 als 17x60
zu deuten?
Die Tessarakontaden der Griechen und anderes Volker. 177
auch als eine SOtägige (hansin). Vgl. über solche Differenzen in
den Kalenderfristen Plin. h. n. 18, 212 und 312.
Zu S. 37 Anm. 71: Nach dem Kalender von Sais (Papyr.
Hibeh I nr. 27 S. 125 ff.; vgl. Archiv f. Papyrustbrschg. IV, 180
izrjöicu aq'/pvxca nvslv aal 0 7Zoxc<(.ibg [d. NilJ UQyerai ccvaßatvElv)
füllt das Wehen der Etesien mit dem Beginn der Nilschwelle zu-
sammen: Das erinnert an die schon auf Thaies zurückgeführte, von
Herod. 2, 20 bekämpfte Theorie, welche die Etesien als Ursache
der Nilschwelle betracbtet. S. auch oben Kap. VIII Bi S. 165,
wonach das Wehen der Etesien (40 — 50 Tage) dieselbe Dauer haben
soll wie das Anwachsen des Nils. Wahrscheinlich sind unter den
40 Windtagen der heutigen Ägypter, von denen Goldzther gehört zu
haben meint, die Tage der Etesien zu verstehen. Vgl. Cl. I'tolomaei
Apparit. b. Jo. Lydus de ost. ed. Wachsmuth p. 253 'Enttpl n&' . . .
Aiyvnxioig ixrt6ic(i ag^ovrca und p. 203 &co& y . . . Äiyvnxioig ixr\Qiai
nuvovxai. Zwischen dem 3. Thoth = 30. August und 29. Epiphi
= 22,. Juli liegen ziemlich 40 Tage. — Vgl. auch Gixzel, Handb.
d. math. u. techn. Chronol. I, 154: „Das ^Maximum der Nilflut tritt
[jetzt] ungefähr zwischen dem 20. bis 30. Septbr. ein, und die Flut-
höhe bleibt bis Anfang Novbr. [also ca. 40 Tage!] ziemlich dieselbe."
Hieran schließe ich das für meine Zwecke von G. Bergsträszer
gefertigte Exzerpt aus der arabischen Handschrift nr. 383 Völlers
der Leipziger Universitätsbibliothek.
Sams ad-din abu '1-Abbäs (Muhammad ibn1) Ahmad
ibn al-fImäd al-Akfahsi 2),
kitäb ad-darfa ilä macrifat al-a'däd al-wärida fi s-sarira
(Buch der Einführung in die Kenntnis der im Gesetz
vorkommenden Zahlen).
Arabische Handschrift der Leipziger Universitätsbibliothek Völlers
383 = DC 46; 349 Blätter; in leidlich deutlicher, wenn auch aller Yokal-
zeichen und vieler diakritischer Punkte ermangelnder (nur sehr wenige
Vokale und einige diakritische Punkte von zweiter Hand nachgetragen),
und auch sonst nicht ganz korrekter Schritt.
Der Abschnitt über 40 (fol. 250b — 256h) zerfällt, wie alle
Abschnitte des Werkes, in zwei Teile, deren erster = A (fol. 250b
— 255a) die Zahl im allgemeinen (d.h. nach der Erklärung im
1) Zum Namen vgl. Völlers.
2) So die Hs., welche Lesung gegen Häg. Hai. (der nicht, wie
Voi.lkks angibt, auch Akf., sondern Afk. hat) bestätigt wird durch die
Berliner Handschrift Jäküt, lex. geograph. ed. Wüstenfeld. I p. TTa J38)-
178 W. H. Röscher:
I. Abschn. (über die Brüche) fol. 5 a: ohne Beziehung auf „gesetz-
liche" Vorschriften) behandelt, während der zweite = B (fol. 255a
— 256b) Fragen des fikk erörtert. Der erste Teil besteht aus
einer Anzahl fortlaufend numerierter Kapitel, deren Anordnung kein
bestimmtes Prinzip zugrunde zu liegen scheint, abgesehen davon,
daß cap. 1 — 27 an Koranstellen, 28 — 34 aber und ebenso allerdings
auch 38 und 40 an Aussprüche Mubammeds anknüpfen, während die
übrigen von Lehrsätzen der Autoritäten des ältesten Islam ausgehen.
A.
1. Kor. 7, 138 [cf. 2, 48]3): Die Offenbarung Allahs an Müsä
(Moses) dauert 40 Nächte.
2. (251 a) Kor. 20, 42: Die erste Offenbarung Allahs an Moses
erfolgt „nach einer Festsetzung (festgesetztem Betrag = kadar)":
d.h. nach Ablauf von Moses' 40. Lebensjahr.4) Daran (251b) wird
angeschlossen die Überlieferung, Moses habe, nachdem er die Gesetzes-
tafeln zerbrochen, 40 Tage gefastet5); und die weitere, die Be-
rufung der Propheten erfolge nach vollendetem 40. Lebensjahr
(cf. Kor. 46, 14), was zwar eben auf Moses und auch Muhammed
zutreffe6), nicht aber auf rIsä (Jesus) (30 Jahre) und Jalvjä (Johannes
d. Täufer) (3 Jahre) (cf. Kor. 19, 13).
3. Die Kor. 8, 65 erwähnten (2 5 2 a) Anhäng er desPropheten
sollen, nach Bekehrung cUmar's, gerade 40 gewesen sein7).
4. Zwischen dem Gesicht Jüsuf 's (cf. Kor. 12, 4 — 6) und seiner
Erfüllung [Kor. 12, 100] liegen 40 Jahre. Nach anderen 80 ; oder
die 40 Jahre vielmehr zwischen dem Frevel der Brüder an Joseph
[Kor. 12, 15] und ihrem ersten Besuch in Ägypten (Kor. 12, 58).
5. Die von der [Zallha, Frau des Potiphar] eingeladenen Frauen
(Kor. 12, 31) sollen 40 gewesen sein.
6. Die Buße Dä'ud's (Davids) (Kor. 38, 2 3) dauert 40 Nächte8).
Hier werden noch andere Überlieferungen angeknüpft, darunter:
Adam und Eva fasten wegen des Verlustes des Paradieses 40 Tage
lang.9)
7. Die Absetzung Sulaimän's (Kor. 38, 33) (252 b) dauert
40 Tage.10)
3) In [ gebe ich eigene Ergänzungen (abgesehen von den
Suren und Versziffern der im Text angeführten Koranstellen, die nat.
auch von mir stammen).
4) Vgl. Abb. I S. 18 f. 5) Abh. I S. 16 f. 6) Abh. I S. 40.
7) Abh. I S. 43. 8) Abh. 1 S. i6f. Anm. 25 u. 33 f.
9) Vgl. Abh. I S. 9 Anm. 8. S. 17 Anm. 25. Dähnhardt, Natur-
eagen I, 228.
10) Vgl. Abh. I S. 17 Anm. 25. S. 33 u. 39. Dähnhardt a a. 0. 331.
Die Tessarakontaden der Griechen ond anderer Völker. 179
8. Der Antichrist (daggäl) wird 40 Jahre (nach andern
Tage) auf Erden weilen11) und dann von [dem von den Juden
nicht wirklich getöteten (Kor. 4, 155 f.), jetzt wiederkehrenden] Jesus
vernichtet werden, worauf dieser
9. 40 Jahre [d. h. bis zu seinem wirklichen Tod (cf. Kor. 4,
157)J die Erde beherrschen wird.
10. Die Juden wandern 40 Jahre in der Wüste.12)
11. Auf den Unglauben des Volkes gegenüber Nüh's (Noahs)
Predigt hin tritt 40- (nach anderen 90-) jährige Dürre und Auf-
hören der Geburten ein; aber auch dann ist Noahs Bußpredigt
(Kor. 71, 9 ff.; cf. auch 27) erfolglos, so daß die Strafe erfolgt.
12. Das Wasser der Sintflut (Kor. 11,45.54, n) übersteigt
die Spitzen der Berge um 40 (nach anderen 15) Ellen (253a)
und bedeckt die Erde 40 Tage lang.13)
13. Bei dem Steinregen [auf Sodom und Gomorra] (Kor. 11,
84- *5> 74) wartet ein Stein 40 Tage lang, bis der Mann, für den
er bestimmt war, den heiligen Bezirk verläßt, in dem er sich bis
dahin befand.14)
14. Der Umfang des Feuers Kor. 18, 28 [Feuer = när = Hölle]
beträgt auf jeder seiner vier Seiten 40 Jahresreisen15).
15. Der Graben Kor. 85, 4 ist 40 Ellen lang (nach anderen
sind es 7 Gräben von je 40 Ellen Länge).
16. Zwischen den beiden Posaunenstößen des jüngsten Gerichts
(Kor. 39, 68) vergehen 40 Jahre.16)
17« Zwischen der Bitte Moses [um Bestrafung Pharaos (Kor. 10,
88)] und ihrer Erfüllung (Kor. 10, 89) verfließen 40 Jahre.
18. Der Höllenwächter Mälik läßt die Verdammten 40 Jahre
warten, bis er ihnen auf ihre Bitte um Gnade (Kor. 43, 77) ab-
schlägig antwortet (auch andere Zahlen überliefert). (253b)17)
19. Wail in dem Verse „wail denen, die die Schrift mit ihren
Händen schreiben" Kor. 2, 73 [d. h. sie fälschen], ist ein Tal in der
Hölle, in das die Ungläubigen 40 Jahre lang hinabstürzen18) [in
Wirklichkeit ist wail Verhängnis, wehe!]: ihm entspricht der Feuer-
berg Safüd (Kor. 74, 17), auf den sie 40 (nach anderen 70) Jahre
lang hinaufsteigen müssen.
20. In der Hölle sind zur Strafe (Kor. 16, 90) ungeheure
Schlangen und Skorpione, deren Biß 40 Jahre lang schmerzt.19)
n) Abh. I S. 42. 12) Abh. I S. 21.
13) Abh. I S. lyf. u. 37 nebst Anm. 73 u. 74.
14) Abh. I S. 17 Anm. 25. 15) Vgl. Abh. I S. 34 u. 45 t'.
16) Vgl. Abh. I S. 34 u. 41 f.
17) Abh. I S. 34. 18) Abh. I S. 34. 19) Abh. I S. 34.
i8o W. H. Röscher:
21. Zwischen den beiden Aussprüchen des Pharao in Kor. 79,
25 (al-ülä und al-ähira, dem ersten, nämlich Kor. 28, 38, und dem
letzten, nämlich Kor. 79, 24) liegen 40 (nach anderen 20) Jahre.
(Eine andere Auslegung faßt [mit Recht] „Strafe der ähira und der
ülä" als „Strafe des Jenseits und des Diesseits").
22. Der Rauch, in den der Himmel am jüngsten Tag aufgehen
wird (Kor. 44, 9), wird die Erde 40 Tage lang bedecken.20)
23. Zwischen den beiden Posaunenstößen liegen 40 Jahre.21)
24. Innerhalb dieser 40jährigen Frist stirbt Iblis [der Satan;
cf. Kor. 17, 04 f-; 15, 35}
25. Die Erde wird beregnet werden von dem Wasser der
Lebewesen22) 40 Tage lang23).
26. Die Entwicklung des Fötus im Mutterleibe geht anfangs in
3 Perioden von je 40 Tagen vor sich24), nach deren erster er
geronnenes Blut, nach deren zweiter er ein Stück Fleisch ist [cf.
Kor. 22,5; auch 39, 8; 96, 2]; auf diese 3 Perioden (gleich vier
Monaten) folgt ein Zeitraum von 10 Tagen, in dem der Geist ein-
gehaucht wird [cf. Kor. 32, 8]. Dann ist die Existenz der Frucht
erkennbar.
27. (254a). Kain (Käbil) bereut (Kor. 5, 34), nachdem er den
Leichnam Abels (Häbll's) 40 Tage25) (nach anderen ein Jahr) mit
sich herumgetragen hat.
28. Der Tempel in Jerusalem (al-masgid al-aksä, d. h. die
fernste Moschee) ist 40 Jahre nach der Karba erbaut.26)
29. Es gibt 40 Arten edler Handlungsweise (hasla);
die höchste ist die unentgeltliche Überlassung einer Ziege zur Nutz-
nießung; zu den niedrigeren gehören Antworten auf den Gruß, Weg-
räumen von Steinen aus dem Wes^.
30. Mit 40 Jahren wird der Verstand vollständig; außer-
20) Abh. I S. 34.
21) Vgl. Abh. I S. 34 u. 41 f. und oben unter 16.
22) cf. Abschn. über 2, A Nr. 29 fol. 40a, 40b und 41a, wo be-
richtet wird, daß der 40tägige (nach anderen 40jährige) Regen von
dem dem Sperma ähnlichen Wasser eines unter dem Thron befindlichen
Meeres (cf. Kor. 52, 6) bewirkt, daß die durch den ersten Posaunenstoß
vernichteten Menschen wieder, wie die Pflanzen, wachsen.
23) [Dieser schwer verständliche Satz erinnert einerseits an die
eschatologische Vorstellung von dem 4otägigen Samenregen (s. Abh. I
S. 37 Anm. 74), anderseits an die 40 Regentage des arabisch-syrischen
Kalenders und der Sintflutsage (s. Abh. IS. 17 u. 37) Röscher].
24) Abh. I S. 13 Anm. 15. S. 14. S. 29.
25) Vgl. Abh. I S. 17 Anm. 25.
26) Abh. I S. 41.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 181
dem heilen in diesem Alter Wahnsinn, Elefantiasis und Aussatz
(für die höheren Altersstufen entsprechend höhere Vorteile;.27)
31. Es ist überliefert, daß der Prophet, befragt, in welcher Zeit
man den Koran durchlesen solle, 40 Tage angegeben28), aber auch
Verkürzung dieser Frist für möglich und verdienstlich erklärt habe.
32. (254b). Jeder Muslim soll wenigstens 40 Hadlte (Tra-
ditionen über Aussprüche Muhammeds) auswendig wissen, "''i [Die
zum größten Teil an diese Tradition anknüpfende Literatur der
arba'lnät, der Vierzigerbücher, aus der auch unser Autor au
dieser Stelle ein Werk zitiert, bespricht Hag. Hai. I p. 229 243
Nr. 370 — 442, mit einer allgemeinen Einleitung p. 229, Nr. 370]. 29)
33. Wenn jemand einem Wahrsager glaubt, wird sein Gebet
40 Tage lang nicht angenommen30).
34. Wer einen Blinden 40 Schritte weit fuhrt, kommt not-
wendig ins Paradies.
35- Gott ließ Adam nach seiner Erschaffung 40 Jahre vor
dem Tor des Paradieses liegen, ehe er ihn belebte und einließ.31)
36. Adam führt 40mal die Pilgerreise (hagg) von Indien
nach Mekka aus.
37. Eva gebiert 40mal, jedesmal einen Knaben und ein Mäd-
chen; nur Set wird allein geboren. — Adam stirbt erst, als er
40000 Nachkommen hat. 32)
38. Das Lesen des Koranverses „Preis Allah, dem Herrn der
Welten" (1, i; 6,45; 10, ii; 37, 187; 39,75; 40, 67) bewirkt, daß
die Strafe 40 Jahre lang aussetzt.83)
39- (255a). Maria (Marjam) bringt Jesus (cf. Kor. 19,28)
entweder sofort nach der Geburt, oder nach 40 Tagen zu ihrem
Volk.31)
40. Wenn beim jüngsten Gericht gute und schlechte Taten
eines Menschen sich aufwiegen, wird er auf dem Weg zum Para-
dies 40 Jahre lang festgehalten35), dann aber hineingelassen.
41. Der Mahdl wird 40 Jahre lang auf der Erde bleiben.36)
42. [Die zur Zeit des jüngsten Gerichts noch lebenden Un-
gläubigen] werden 40 Jahre lang schlafen (tot sein); nämlich die
Zeit zwischen den beiden Posaunenstößen (cf. Kor. 36, 52) [s. o.
nr. 16 u. 23]^).
27) Abb. I S. 40. 28) Abb. I S. 39.
29) Abb. I S. 42 Anm. 80. 30) Abb. I S. 34.
31) Abb. I S. 23. 29 u. Anm. 57. 40. 47A. 85.
32) Vgl. Weil, Bibl. Legenden d. Mus. 42.
33) Abb. I S. 34. 34) Vgl. Abb. I S. 10 f.
35) Vgl. Abh. I S. 34 u. 41 f. 36) Abh. I S. 40.
37) Vgl. Abh. I S. 34 u. 41 f.
182 W. H. Röscher:
B.
Der zweite Teil ist sachlich gegliedert nach dem üblichen
Einteiluiigsschema der Traditionssammlungen, wobei aber eine große
Anzahl der Kapitel, weil in ihnen 40 nicht vorkommt, unberück-
sichtigt bleibt. Die vorhandenen (im Original nicht numerierten)
sind folgende:
1. Der Anstand. Man soll das Entfernen der Körperhaare, das
Abschneiden der Nägel und das Beschneiden des Schnurrbartes nicht
länger als 40 Tage aufschieben.38)
2. Das Gebet. Besser 40 (Tage, Monate, Jahre: nicht sicher
überliefert) stehen bleiben, als vor einem Betenden vorübergehen.39)
3. Das öffentliche Gebet (in der Moschee). Wer an ihm
40 Tage teilnimmt, erhält eine doppelte Immunität gegen die
Hölle und gegen das Verfallen in Heuchelei.40)
4. Das Freitagsgebet. Dazu sollen wenigstens 40 volljährige,
freie, männliche, ansässige Muslims anwesend sein.
5. Die Leichenbegängnisse. I. (255b). Wer Schlimmes, das
er beim Waschen des Toten sieht, bedeckt (für sich behält), dem
verzeiht Allah 40mal. — 2. Wenn über dem Toten 40 Männer
beten, läßt Allah am jüngsten Tag ihre "Vermittelung zu seinen
Gunsten zu. — 3. Über den Tod eines Gläubigen weinen Himmel
und Erde 40 Tage lang.41) — 4. Wer die Bahre eines Toten trägt,
dem erläßt Allah 40 schwere Sünden.
6. Die Armen Steuer. Die niedrigste steuerbare Anzahl
von Schafen ist 40: davon muß eins abgegeben werden42).
7. Der Handel. 1. Der Besitz eines Ungläubigen fällt einem
Gläubigen zu in 40 Fällen, [die aufgezählt werden fol. 193a bis
195a]. — - 2. Wer 40 Nächte lang Nahrungsmittel bei sich auf-
bewahrt zu Spekulationszwecken, der hat mit Allah nichts zu tun
und Allah nichts mit ihm.43)
8. Die Urbarmachung von noch nicht an gebautem Boden. 1 . Der
Harim einer neu gegrabenen Zisterne (d. h. das Stück Land um sie
herum, das dem zufällt, der sie angelegt hat) beträgt 40 Ellen44)
(auch andere Zahlen überliefert). (256a). — 2. Der [in den in dieses
Kapitel gehörigen Traditionen eine Rolle spielende] Begriff der su-
raima: eine Herde von 10 bis 40 Kamelen.)
9- Das freiwillige Almosen [im Gegensatz zur Armen-
steuer, oben nr. 6]. 1. Ein Mann war 40 Jahre fromm, ließ sich
aber dann von einer Hure verführen und blieb mit ihr 7 Tage zu-
38) Abh. I S. 30. 39) Abb. I S. 39. 40) Abb. I S. 39-
41) Abh. I S. 31. 42) Abh. 1 S. 46. 43) Abb. I S. 39-
44) Abh. I S. 46.
Die Tessarakontaden deb Griechen und anderer Völker. 183
sammen: das überwog die 40 Jahre Gottesfurcht ' '). Dann aber
gab er einem Bettler einen Brotfladen: und das aberwog wieder die
7 Tage Gottlosigkeit. — 2. Ein Bettler, der 40 Dirhem besitzt, ist
als unverschämt zu betrachten [und darf abgewiesen werden
(cf. Kor. 2, 274).
10. Das Weinverbot. 1. (256b). 40 Geißelschlüge (oder
auch mehr, bis 80) als Strafe für Weintrinken.47) — 2. Das Gebet
eines Weintrinkers wird 40 Tage lang nicht angenommen. Is)
3. Das Aufstellen eines [hierher gehörigen] Verbotes in einem
Lande ist für seine Bewohner besser, als 40 Nächte Regen
11. Die Speisen. I. Das Fleisch von Tieren, die unreines Futter
fressen, ist nur dann gut, wenn sie vor der Schlachtung eine be-
stimmte Zeit rein gefüttert worden sind. Diese Zeit beträgt bei
einem Kamel 40 Tage.50) — 2) Wer 40 Tage Fleisch ißt, dessen
Herz wird hart; wer es 40 Tage unterläßt, dessen Konstitution wird
schlecht,51) — 3. Wer 40 Tage nur Reines ißt oder Allah auf-
richtig dient, dem erleuchtet Allah das Herz und läßt die Quellen
der Weisheit vom Herzen auf die Spitze der Zunge fließen.52)
GOTTHELF BeRGSTRÄSZER.
Nachträge zu Abu. II.
S. 35 füge jetzt hinzu das Fragment-475, N. 1 aus Euripides'
Kretern, das Wilamowitz (Berl. Klassikertexte V, 2 1907 S. 77
A. 1) so verbessert hat:
ttuXXewm d l'ycov ei\iara cpsvyco
yeveaiv re ßgoräv (jpvy&v ts Xvöivy
Kcd vEKQO&rjnatg [-Jtj/s Porph.] ov %Qi[mTÖfxevog xy\v i^v-yaiv
ßg&öiv ids6T(öv TteqpvXayfiai.
Zu S. 75. Alle 20 Jahre erfolgt zu Lipara (gegründet um
580 von Knidiern und Rhodiern) eine neue Landesaufteilung und
Verlegung der Landlose: Timaios b. Diod. 5, 9.
Zusätze Jon. Ilbergs.1)
Zu S. 30 A. 15: In der Inschrift von Eresos, auf die ich dem-
nächst in einem Artikel des Archivs für Religionswissenschaft XIII
45) Abh. I S. 41. 46) Abh. I S. 47. 47) Abh. I S. 45.
48) Abh. I S. 39. 49) Abh. I S. 36 Anm. 70.
50) Abh. I S. 30. 51) Abh. I S. 30. 52) Abh. I S. 30.
1) Mein Freund, Herr Prof. Jon. Ilberg in Leipzig, der ausgezeich-
nete Hippokratesforscher, dem die Korrekturbogen dieser Abhandlung
vorgelegen haben, hatte die Güte, mir brieflich obige höchst dankens-
werte Nachträge und Berichtigungen zur Verfügung zu stellen.
184 W. H. Röscher:
*Zur gynäkologischen Ethik der Griechen' zurückkommen werde,
vermuten Sie, wie Ziehen, m. E. ganz richtig die Erwähnung von
normaler Geburt und von Abortus; vielleicht ist analog dem anb
de xox[uxco Z. 5 in Z. 7 zu lesen dnb ös cp&aQ^xco2) ccfiigatg XQSig.
Daß die Reinigungsfrist im zweiten Falle kürzer ist als im ersten,
hängt damit zusammen, daß die physische Reinigung nach einer Fehl-
geburt ebenfalls schneller erfolgt als nach der normalen Entbindung.
Das steht Hippokr. IIsqI yvvai%tmv I 72 Bd. VIFE 152 L., ich setze
die in den Ausgaben verderbten Worte berichtigt her: %al xfov öia-
(p&eiQctöicov (diacp&aQELg icov -91, diacp&siQSiGEcov Vat. 276) xcc l'(ißQva
%axd Xoyov i) xä&aQGig yivexcci xovxcov xcov tj^sqscov (die vorher ge-
nannt sind), Kai inl xoiGi vsaxeqoLGi cp&aQuGiv eluGGovag j](iegag, inl
6e xolGl y£Quix£QOi(5i nXeovag. na&ijfiaxa de xa avxd £gxl tieqI ko%c£cov
(p&eiQaGy xe (so richtig Hss.) xb k'^ßgvov xal xExovGy, i)v /ttrj vr\niov
cp&siQr] xb nuidiov xxl. S. 128, 5 hat übrigens Littre gegen die
Vulgata diacpd-ctQSLöu richtig öiacp&eLiJaGa nach •9,C(= V) in seinen
Text gesetzt. Daß öiacp&eiQStv (wie dnocp&stQet.v in den Epidemien)
auch transitiv durchaus nicht c abtreiben' zu bedeuten braucht, ist
Ihnen übrigens bekannt.
Zu S. 33 Anm. 20: Eine Frage. Was bedeutet eigentlich auf
der Inschrift von Lindos dnb <pö-o$)ct[ft>v] ? Kommt das wirklich von
<P&oqucc? Wo ist dieses Wort belegt? Ich kenne keine Stelle.
Liegt hier etwa nur eine falsche Schreibung für y&OQlcov (seil.
cpccQfidxwv) vor? Freilich hat diese Annahme wegen des X etwas
Prekäres (vgl. Meisterhans3 S. 49; Croenert, Memoria Herculan.
S. 30). Oder ist cp&OQciov eine Nebenform zu cp&OQiov? Denn
etwas zu vermuten, was man zu sich nimmt, wie so ein Medikament,
liegt wegen der Worte cpuxrjg, edyeiov, xvqov nahe, die vorangehen.
Wenn in den Soranhss. dxoxstov steht für arojuoi», so ist das byzan-
tinische Schreibweise und nicht recht zu vergleichen; da wirkte schon
der Akzent verlängernd.
Zu S. 88 (vgl. S. 2 6 f.): Bedenken erregt mir Ihre Annahme,
es habe ein jetzt verlorenes Buch Tl. xeGGaQaxovxddcov gegeben. Ich
halte diese Ansicht nicht für ausreichend begründet, weil die älteren
Arzte ihre Bücher überhaupt nicht zu betiteln pflegten; man be-
nannte sie nach den Anfangsworten (im Corpus Hippocr. gibt es
dafür mehrere Beispiele), und die Zitiermethode innerhalb der ein-
zelnen Schriften ist, wie bei Herodot, abweichend von der genaueren
einer späteren Zeit wie der des Galenos. Bei Littre I 55 ff. steht
in den Anmerkungen eine Reihe solcher Zitate, die warnen können.
Oder hat es etwa besondere Bücher gegeben, betitelt 17. %qovlcou
2) oder qp^öpco? das Faksimile verbietet diese Ergänzung nicht.
Die Tessakakontaden per Griechen i ni> anderes Völker. 185
-nuxa Ttvevfiova voGrifiüxcov (IV 182 L.) usw.? Wie hat sich Littre
getäuscht, wenn er S. 56, 7 auf ein verlorenes Buch des Verf. von
Prorrh. II schließen zu dürfen meinte, während an der von ihm
herangezogenen Stelle nur auf die Schilderung der Augenkrankheiten
in den drei voran gehenden Kapiteln Prorrh. II 18 — 20
(IX 44 — 48 L.) verwiesen wird! Derlei könnte ich mehr geltend
machen. Aher fassen wir einmal den Passus in IIeql ETtxufiijvov
näher ins Auge und vergleichen wir Analogien: rä i't.hc va y.axu-
ysyQC<n(iiva iv vfjßi xeGGccqcckovxccGi v.cu iv xoIgl (irjalv iy.ÜGxoiGiv.
Mit Iv wird nicht selten im Corpus auf einzelne Paragraphen oder
auch Abschnitte verwiesen, vorwärts und rückwärts, auf noch Vor-
handenes oder auch nicht zu Verifizierendes. Als Beispiele, die
mir gerade zur Hand sind, führe ich an: 77. &y(i. III 448 L.: iv
sXkcüGlcüi' ft€Q£i stQ^asrai, 556: iv xrt y.cau Gcpvqbv iiudeGu eiQTjrau
77. vovg. ö VII 606: xaXXiov 8i poi tXcql xovxov dtdijXcoxcci iv r«
TteoinUvuoviy. 77. yvvcciK. a VIII 74: vnb nad"tq(idt(ov, d>v uorjcu iv
xfj vovGcp xy xu xctxaiAijvicc ... cccpteiGy, IIqoqq. ß IX 48: al 6s xoi-
GiEQi cog iv xoiGi nvQcxoiGiv eyQcctya, ovxco xccl ivdäds eyovGiv. Ich
glaube nun nicht etwa, daß an unsrer Stelle ytvsa&ca aus dem
Vorhergehenden nach yMxayeyQccpueva dem Sinne nach zu ergänzen
wäre, sondern übersetze: fund das andere was aufgezeichnet ist bei
Erwähnung der einzelnen Tessarakontaden und Monate'. Das kann
sich auf weiter vorausliegende verloren gegangene Stellen der-
selben Schrift beziehen (ist es denn irgendwie erwiesen, daß wir
sie vollständig haben? mir sieht sie nicht so aus) oder auf ein
anderes verlorenes Buch des Verf., worin die einzelnen xeGaccQccy.ov-
xädeg und (irjvsg aufgezählt oder erwähnt waren, oder endlich viel-
leicht gar auf andere Autoren. Was hindert z. B., auch an Kranken-
journale zu denken?3)
Zu S. 9 7 f.: Hipp. VII 452 Z. 6 v. u. steht in C iv xftGi noa-
xi]Gi X£GGciQÜ%ovxa tjueqijGi, ebenso (mit i)[ieqi]Gi.v) in dessen
Vorlage V. Es wird an der Stelle Bezug genommen auf S. 446, 1 f. ;
ich schreibe daher mit V: y,al aukiGxa 71qoG7}kelv iKtgitpeGd-ai.
Zu S. 102 : V 146 L. ergänzen Sie itQog xag eXy.oGiv (ccTXocp'dciQctL)
s'qpiy, ich würde, dem Notizenstil Rechnung tragend, nichts zufügen,
man versteht auch so.
3) Die Möglichkeit, daß die betr. Worte sich auf den verlorenen
Abschnitt desselben Buches oder auf das verloren ffecrangrene Werk
OD O
(unbekannten Titels) desselben oder eines anderen Verfassers bezielen
können, akzeptiere ich ohne weiteres und lasse somit nieine ursprüng-
liche Vermutung, es habe ein hippokratisches Buch mit dem Titel
77. xEßGao. existiert, dahingestellt sein. [Röscher.]
i86 W. H. Röscher:
Sonst vermag ich jetzt nur noch auf einige Sor an os stellen
aufmerksam zu machen, die Ihnen von Interesse sein werden.
Zu S. i 2 7 ff. : Die Periode beginnt txeqI xb xcGCccQEöxcudixaxov
Evog xaxcc xb tzIelGxov, hört auf ovvs xäjiov ix&v xe66ccquvlovxcc
jc. x. %X. ovxe ßgaöiov ixcöv nsvxiqxovxa . . Evicag . . xccl (ii%Qt x(bv
e^Tjnovxa TtaQa^ivei 7) YM&aQGig (I 4, 20). — Die Frauen sind
konzeptionsfähig änb TtsvvenaiösKasxovg i]Xixiag ecog XcGßaqa-
Kovxccexovg xaxcc xb nlsißxov Sor. I 9, 34 (S. 198, 22 R.). —
Die Amme darf nicht jünger als 20, nicht älter als 40 Jahre sein
(I 32, 88 in.).
Die %L66d tritt bei den Schwangeren gewöhnlich Ttegi ttjv
xz<S6<xQaxo<5xr\v i)fxiQav ein (I 15, 48).
Die Muttermilch ist gewöhnlich in den ersten 20 Tagen
schlecht (I 31, 87).
Die Amme darf in den ersten 40 Tagen nur Wasser trinken
(I 34, 95 S. 271, 5) — entsprechend der von Ihnen S. 99 f. be-
sprochenen Frist.
Er zählt die Schwangerschaftszeit nicht nach Tessarakontaden,
sondern nach [lijvsg, s. besonders I 16, 55. 56; der gefährliche
achte Monat heißt, xax' £vq>r)(Ai6(i6v, xovcpog (S. 222, 19).
Heptaden kommen bei Soran auch vor: die Frau darf 7 Tage
nach der Konzeption nicht baden (I 14, 46 S. 212, 18 R.); hep-
tadische Vorschriften für die Diät der Amme I 34, 95. (Auf die
von Soran iv txiqoig bekämpfte Siebenzabi der 7tu&t] xaxcc yivog
S. 301, 18 R. hab ich Sie schon früher aufmerksam gemacht.)
Die Zahl 30 vereinzelt I 19, 64 (S. 232, 20). — Ferner teile
ich Ihnen mit, daß ich jetzt überall auf ärztliche Tessarakontaden
stoße, seit Sie darauf aufmerksam gemacht haben. So heute zu-
fällig auf
1) Celsus IV 31 S. 158, 19 Dbg. (Gichtleiden); ich führe
die andern Celsusstellen nicht an, weil sie aus Hippokrates stammen
und daraus wohl alle schon bei Ihnen angeführt sind. Von IV 3 1
kenne ich die Quelle noch nicht.
2) Philumenos, De venenat. animal. 3,2 (S. 6,29 Wellm.):
die durch das Glüheisen hervorgerufenen Brandwunden dürfen sich
erst in 40 Tagen (fi?j xay^iov xcov xEGGaQccxovxa ijfxsQcöv) schließen;
vgl. 3, 5 S. 7, 7 W.
3) Derselbe 4,6 (S. 8, 4W.): Wasserscheu bricht meist 71eqI
xi]v xeaßaQccxoßrrjv rjfieQccv aus. (Stand schon bei Soran, aus dem
die Übersetzung des Cael. Aurelianus, Acut. morb. III 9, 100 vor-
liegt.
J. Ilberg.
Die Tessarakontaden der Griechen und inderer Völker. 187
Herrn Professor Ilberg- Leipzig verdank* ich noch folgende
weitere Zusätze zu Kap. VI S. 131 :
1. Ps.-C4alen Ilegi evkoolöt. I 2 (XIV 322 K. 1 Mittel
gegen Haarausfall xcaad-i^ievog iv evasQm owcoo iit\ fjfiiQag a —
Xqco. Dasselbe bei Tbeod. Priscian. Eup. 3, 7 (S. 8, 1 1) : ei in vase
fictili novo repones diebus XL sub divo . .
2. Vegetius, Mulom. II 47, 3 (S. 140, 10 Lommatzsch :
Es bandelt sieb um Knocbenbrüehe und deren Eeilung . . non a
tarnen permittis stare iumentuin, quam dies XI, praetereant. boc
autem tempus est, quo divulsa vel fraeta solidantur.
3. Mulomedicina Chironis 14 (S. 8, 12 Oder): quadri-
garios equos tarnen a die dispumationis (Aderlaß) minquam minus
quam XL0 die cursui et laboii committamus.
4. Ebd. 602 (S. 193, 17 Od.) die autem XU" ures (si equo
nervi in articulis laxaverint).
i88
A. Systematische Inhaltsübersicht
der Abhandlung (== Abh. I): Die Zahl 40 im Glauben,
Brauch und Schrifttum der Semiten.1) geite
Vorwort 3 — 5
Gegenwärtiger Stand der Frage. — R. Hirzels Lösungsver-
such. — Aufgabe ist, die eigentlichen Wurzeln der semi-
tischen Tessarakontaden bloßzulegen, als welche nur die
tessarakontadischen Tagfristen, nicht die Jahrfristen an-
gesehen werden können: S. 3 — 5.
Kap. I: Die Babylonier: 5— 8
Die 40 wurde durch das Prädikat kissatum = Gesamtheit,
Universum, Fülle, Menge ausgezeichnet, d. h. wie die 7
und 50 als „vollkommene Zahl" oder griechisch ausgedrückt
als uQi&LLog TEAetog od. rsXsacpOQog angesehen: S. 5 f. — Die
40 dem Wassergott Ea geheiligt: S. 6. — 40 Opfergaben
im Kult der Göttin Bau und des Bei zu Babel: S. 6 f. u.
Anm. 3. — 40tägige Trauer- und Fastenfrist zu Nineve:
S.7. — 40jährige ysvsal der Babylonier (?) S.7; vgl. S. 174. —
4otägiges Wüten der bösen Dämonen: S. 8.
Kap. IL Die Mandäer: 8—10
Auch die den Babyloniern ethnisch und religiös so nahe
stehenden Mandäer, welche noch heute in dem einstigen
Kultbezirk des Wassergottes Ea wohnen und einem eigen-
tümlichen Wasserkult huldigen, legen der 40 eine beson-
dere Bedeutung bei, indem sie ebenso wie die Juden und
viele andere Völker die Wöchnerin bis zum 40. Tage
nach der Niederkunft für unrein erklären und auch im
Totenkult an eine gewisse Bedeutung des 40. Tages
glauben: S. 8 f. — Außerdem nehmen sie eine ysvsä von
40 Jahren, eine höchste normale Lebensdauer von 120 = 3x40
und ein Weltjahr von 480000 = 12000 x 40 Jahren an:
S. 9 f.
1) Ich benutze diese Gelegenheit, um auch zu dieser Abhandlung,
welche genau genommen die Einleitung zu der vorstehenden bildet,
eine genaue systematische Übersicht, sowie ein alphabetisches Register
zu geben.
W. H. Röscher, Die Tessarakontaden der Griechen usw. 189
Seite
Kap. III: Die Israeliten: 10—26
Die 40 ist nächst der 7 die häutigste der typischen und
heiligen Zahlen im alten und neuen Testament ebenso wio
im Talmud: 8. 10.
a) Tessarakontadische Tagfristen: S. 10 — 18.
Die 40tägige Unreinheit der] Wöcherinnen nach
3 Mos. 12, I ff. und gleiche oder ähnliche Anschauungen
hinsichtlich der Entwicklung der Embryonen, der Pflan-
zen und Tiere usw. bei vielen verwandten und nicht-
verwandten Völkern, insbesondere auch den Griechen,
erklären sich höchst wahrscheinlich aus der 7 Tessara-
kontaden (= 7 x 40) von Tagen betragenden normalen
Schwangerschaft und zugleich aus den in der Regel
40 Tage (oder 6 Wochen) dauernden Lochien: S. 10 f. —
Auffallende Parallele aus dem Kultus der Griechen (nach
Censorin. d. n. 11, 7 etc.): S. 12. — Weitere damit zu-
sammenhängende Lehren und Satzungen des Talmud,
in denen ebenfalls 4otägige Fristen und andere tessa-
rakontadische Bestimmungen vorkommen: S. 13 f. und
Anin. 14. — Die 40tägige Frist in der jüdischen Volks-
medizin: S. 15. — 40 tägige Trauerfristen (?): S. 15 f. —
40tägige Fasten, Strafen und Bußen: S. 16 f. — Die 40 tä-
gige Sintflut erklärt sich aus der Beziehung der 40 zur
Sühne und Buße, vielleicht auch aus der 4otägigen Un-
sichtbarkeit des Regengestirns (der Plejaden): S. 17 f.
b) Tessarakontadische Jahrfristen: S. 18 — 24.
Wie die enneadischen und hebdomadisehen Jahrfristen
aus den entsprechenden Tagfristen, so sind auch die
Vierzigjahrfristen aus den tessarakontadischen Tagfristen
hervorgegangen: S. 18. — Sie dienen vorzugsweise zur
Bemessung der männlichen ä%[Lr\ und der yevaä; Beispiele
dafür: S. 18. — Die normale höchste Lebensdauer be-
trägt 3 ysveai zu je 40 Jahren oder 120 Jahre: Belege
dafür aus Bibel und Talmud: S. 19 f. — Phönizische und
äthiopische Parallelen dazu: S. 20 (u. S. 174). — Häufiges
Vorkommen der 40 jährigen Periode (yivsa) in den Legen-
den und historischen Berichten des A. T., oft mit der
Nebenbedeutung einer Sühn- und Straffrist: S. 21 f. —
Sonstige Vierzigjahrfristen: S. 22 f. — Mehrfach kommen
auch Fristen von 20, 80, 120, 400, 480 Jahren vor, die
sich deutlich als Hälften oder Vervielfältigungen der
Vierzigjahrfristen darstellen: S. 23 f. u. 174.
iqo W. H. Röscher:
Seite
c) Sonstige tessarakontadische Bestimmungen:
S. 24-26.
Einfache und vielfache Tessarakontaden von Personen:
S. 24. — Die 40 Hiebe des israelitischen Strafrechts; 40
Flüche. Die 40 in Maß- und Gewichtsbestimrnungen :
S. 25. — 40nial: S. 26. —
Kap. IV: Die Araber und die übrigen islamischen Völker: 26—48
Wenn auch die Zeugnisse sämtlich erst der Periode seit
Mohammed angehören und die Tessarakontaden der Ara-
ber zum Teil sicher oder wahrscheinlich dem Judentum
entstammen, läßt sich doch mit großer Wahrscheinlichkeit
annehmen, daß die Zahl 40 auch in Arabien von jeher für
typisch und bedeutungsvoll gegolten hat: S. 26 f.
a) Tessarakontadische Tagfristen: S. 27 — 39.
Allgemeines: S. 26 f. — Zeugnisse für die 40tägige Un-
reinheit der Wöchnerinnen bei den Arabern und anderen
islamischen Völkern: S. 27fr. — Volkstümliche Annahme
einer Entwicklung der Embryonen nach tessarakonta-
dischen Fristen und Zeugnisse dafür; künstliche Mästung
der südnubischen Bräute 40 Tage vor der Hochzeit be-
ginnend: S. 29. — Die gesetzliche Frist von 40 Tagen
(istibrä) beim Erwerb einer Sklavin: S. 30. — Die 40-
tägige Frist in der Volksmedizin, Hygiene und Diätetik
der Araber: S. 30. — 4otägige Trauerfristen: S. 31 f. —
Desgl. für Fasten, Bußen und Strafen: S. 33 f. — Die an
gewisse Phasen der Ple jaden geknüpften 40 Wind-,
Winter- und Regentage des arab.-syr. Kalenders: S. 34 fF.
■ — Tessarakontadische Tagfristen in arab. Sprichwörtern,
religiösen Geboten, Erzählungen etc.: S. 38 f.
b) Tessarakontadische Jahrfristen: S. 39 — 43.
Das 40. Lebensjahr gilt als das Jahr der ax(X7j des Man-
nes und folglich auch als das Schlußjahr der ysvsä:
S. 39 ff. — Die 40 -Jahrfristen in der Eschatologie der
Araber usw.: S. 41 ff.
c) Sonstige tessarakontadische Bestimmungen:
S. 43—48.
Tessarakontadische Gruppen von Personen (Jüngern Mu-
hammeds, Heiligen, Märtyrern usw.): S. 43 f. — Die 40
(80) Hiebe des islamischen Strafrechts: S. 45. — Tessa-
rakontadische Maßbestimmungen: S. 45 f. — Die is-
lamische Armensteuer ^beträgt ein Vierzigstel des Be-
sitzes etc.: S. 46 und Anm. 86.
Die Tessauaicontaden der Griechen und anderes Völker, iqi
B. Systematische Inhaltsübersicht
der Abhandlung (= Abh. II): Die Tessarakontaden und
Tessarakontadenlehren der Griechen und anderer Völker.
S<:itO
Vorwort: 21—27
Diese Abhandlung bildet die notwendige Ergänzung zu der
Studie über die Zahl 40 bei den Semiten, deren Haupt-
resultat in der Erkenntnis besteht, daß die meisten Tessara-
kontaden der wichtigsten semitischen Stämme (Babylonier,
Mandäer, Juden, Araber), z. B. die 40tägigen Unreinigkeits-
fristen der Wöchnerinnen nach der Entbindung, die Trauer-
frist beim Tode eines Verwandten usw., bereits der semi-
tischen Urzeit angehören: S. 21 — 24. Aufgabe der
neuen Studie ist es, die Tessarakontaden der Griechen
und anderer nichtsemitischen Völker zu sammeln und zu
untersuchen, wobei sich eine auffallende, weniger auf Ent-
lehnung als auf allgemein menschlichen, von den verschie-
denen Urvölkern selbständig gemachten Erfahrungen beru-
hende Gleichheit der griechischen und semitischen An-
schauungen von der Zahl 40 ergibt: S. 24 — 27.
Kap. I. : Die Tessarakontaden im Kultus und Mythus der
Griechen: 28 — 45
a) Die 4otägigen Unr einigkeitsfristen am Anfang
und Ende der Schwangerschaft: S. 28. - Bespre-
chung des wichtigen Hauptzeugnisses bei Censorinus d. n.
11, 7, das auffallend an die 3 Mos. 12, 1 ff. [s. Abh. I
S. 10 ff.) ausgesprochene Unreinigkeitsfrist von 40 Tagen
erinnert: S. 28 ff. — Ein weiteres Zeugnis liefert uns
eine kürzlich aufgefundene Inschrift von Eresos auf
Lesbos: S. 29. — Die neugriechische Sitte, die priester-
liche Weihe des Kindes und der Mutter am 40. Tage
nach der Geburt vorzunehmen: S. 30. — Ebenso bestand
auch für die neuvermählte Frau das Verbot, vor dem
40. Tage nach der Hochzeit den Tempel zu betreten.
Der Grund davon liegt in dem Umstände, daß (nach
Aristoteles u. a.) die eine gewisse Unreinheit bedingend"
Menstruation der Schwangeren noch 40 Tage nach der
Empfängnis fortzudauern pflegt: S. 30 f. — Auch nach
Früh- und Totgeburten gelten die Wöchnerinnen 40
Tage lang für unrein. Inschriftliche Zeugnisse dafür:
S. 32 f.
Phil. -bist. Klasse 1909. Bd. LXI. 13
192 . W. H. Röscher:
Seite
b) Die 4otägige Unreinigkeits- und Trauerfrist
bei Todesfällen: S. 34 — 41.
Die Vorstellungen von Geburt und Tod sind nahe mit-
einander verwandt: beide bewirken sowohl nach semi-
tischem wie nach griechischem Glauben eine 4otägige
Unreinheit: S. 34 f. — Hauptzeugnisse bei Firmicus Ma-
ternus de err. prof. rel. 27 : und Jo. Lyd. de mens. 4, 2 1 :
S. 35 ff. — Die 4otägige Frist in Devotionen und bei
Fulgent. Expos, serm. ant. p. 113, 19fr". Helm: S. 39ff. —
c) Die 40jährigen Fristen des griechischen Kultus
und Mythus: S. 41 — 45.
Wie die Semiten eine ay^iri mit 40 Jahren, sowie 40 jäh-
rige ytvscci und eine höchste Lebensdauer von
3 X 40 = 120 Jahren annahmen, so auch die Griechen.
Das Zeugnis der Mysterieninschrift von Andania; die
Mythen von Nestor, Sarpedon und Aison: S. 42 f. —
Die Mythen von der noch 3 mal längeren Lebensdauer
des Teiresias, Orpheus und der Sibylle von Erythrai:
S. 43 ff-
Kap. II: Die Tessarakontaden der homerischen und he-
siodischen Gedichte: 45—58
a) Die 4otägigen Fristen: S. 45ff.
Die 40 Tage aus dem Leben des Odysseus umfassende
Erzählung der Odyssee: S. 45. — Die 40 Tage der
Ilias: S. 46. — Die 2otägigen Fristen bei Homer und
Hesiod: S. 47 ff. — Die 40tägige Unsichtbarkeit der
Plejaden nach Hesiod: S. 49 ff. — Ähnliche Anschauungen
von den Plejaden finden sich auch bei den Semiten:
S. 51 ff
b) Tessarakontadische Jahrfristen: S. 54 — 58.
Die ä%iirj des Mannes tritt nach Hesiod (Jqya 436) im
40. Jahre ein; Hesiod fr. 163 G. : S. 54f. — 20jährige
Fristen bei Homer und anderen älteren Epikern: S. 55 ff.
c) Sonstige tessarakontadische Bestimmungen:
S. 57 f.
Die auffallend zahlreichen Tessarakontaden des Schiffs-
katalogs: S. 57 f. — Die Gruppen von 20, (40?) und
120 Personen bei Homer: S. 58. —
Kap. HI.: Die 40tägige Frist in zahlreichen alten Bauern-
und Wetterregeln: 58—72
Die von verschiedenen späteren Schriftstellern mitgeteilten
Bauern-, Fischer-, Schiffer-, Jäger- und Wetterregeln, die
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 193
40tägige Fristen enthalten, stehen an Alter und Bedeutung
der hesiodisclien Kegel von der 4otägigen Unsichtbarkeit
der Plejaden völlig gleich: S. 58 ff. — Sie lassen sieh ein-
teilen in solche, welche die 40tägige Frist a) mit dem
Aufgang des Seirios, b) mit den Solstitien, c) mit diu
Äquinoktien oder d) mit keinem bestimmten Jahrpunkt
verknüpft zeigen: S. 58 fr. —
Kap. IV: Die Tessarakontaden in der altern Gesetzgebung
und Politik, sowie in der Lehre und Tradition der
Pythagoreer: 73—82
Das athenische Gesetz, nach dem die Choregen für Knaben-
chöre mindestens 40 Jahre alt sein mußten, usw.: S. 73. —
Wie das 40. Lebensjahr für die Männer, so war das 20. für
die Epheben, das 60. und 80. für die Greise in Athen von
Bedeutung: S. 74. — Ahnliche oder gleiche Anschauungen
herrschten auch in Sparta, sowie bei den Pythagoreern, in
deren Theorien und Legenden auch 40tägige Fristen und
sonstige Tessarakontaden erscheinen: S. 75 f. — Die Tessa-
rakontaden des Empedokles und Diokles von Karystos:
S. 82. —
Kap. V: Die Tessarakontaden und Tessarakontadenlehren
des 'Hippokrates': 83—127
Allgemeines über die Tessarakontaden des 'Hippokrates'
und ihr Verhältnis zu dessen Hebdomaden und Enneaden.
Es gilt jetzt einerseits den Umfang und die Grenzen des
Gebrauchs der hippokratischen Tessarakontaden festzustellen,
anderseits deren vor allen anderen Zahlen (mit Ausnahme
der Sieben) hervorragende Bedeutung zu erklären: S. 83fr.
A. Die Tessarakontaden in der Gynäkologie und
Embryologie des 'Hippokrates1 S. 85 — 101.
Die Tessarakontaden der Traktate tzsqI i%xa^r\vov und
TT. öxTßftrji'ou. Die zahlreichen hier erscheinenden 40-
tägigen Fristen beruhen offenbar auf den wirklichen
oder vermeintlichen Erfahrungen der schwangeren Frauen
selbst: S. 85 ff. — Die Tendenz beider Traktate ist, die
Lebensfähigkeit der im 7. Schwangerschaftsmonate, im
Gegensatze zum 8., geborenen Kinder und zugleich die
einzelnen Stadien von deren Entwicklung nachzuweisen.
Diese Stadien werden hauptsächlich durch Monate und
Tessarakontaden (40tägige Fristen) bestimmt: S. 86.
— Das nach VII p. 442 L. leider verloren gegangene
hippokratische Werk %. rsaGccQaxovtüScov: S. 88. — Auf-
13*
194 W. H. Röscher:
zähluug und Charakteristik der einzelnen für die Gynä-
kologie und Embryologie des 'Hippokrates' in Betracht
kommenden Tessarakontaden : S. 88 — S. 101. —
i) Tessarakontade I = Tag I — XL = Monat I Tag i
bis Monat II Tag io: a) Gefährdung der Embryonen
durch iuQvcsig und tqcoc[ioI: S. 88 f. — b) In diesen
ersten 40 Tagen findet ferner die Gestaltung des Em-
bryo statt: Zeugnisse des 'Hippokrates', Diokles v. Ka-
rystos, Empedokles, Aristoteles usw.: S. 89fr. — c) Un-
gefähr am 40. Tage findet auch die erste Bewegung des
männlichen Embryo statt: Zeugnisse des Aristoteles und
Plinius: S. 91. — d) Bis zum 40. oder 42. Tage dauern
auch die ■K<x&ccQ6stg der Schwangeren fort: Zeugnisse des
Hippokrates, Aristoteles, Censorinus: S. 9ifi°. — 2 — 4)
Tessarakontade II — IV: S. 93 f. — 5) Tessarakontade V
= Tag CLXI bis CC = Mon. VI Tag 11 bis Mon. VII
Tag 20 : In dieser Periode verändert der Embryo seine
Lage und senkt sich nach unten: S. 95 f. — 6) Tessara-
kontade VI = Tag CCI bis CCXL = Mon. VII Tag 21
bis Mon. VIH Tag 30 : Gefährlichste Periode für Mutter
und Kind: Zeugnisse des Hippokrates: S. 95 f. — 7)
Tessarakontade VII = Tag CCXLI bis CCLXXX = Mo-
nat VHII Tag 1 bis Mon. X Tag 10 : Periode der nor-
malen Geburten: S. 97. — 8) Tessarakontade VIII =
Tag CCLXXXI bis Tag CCC od. CCCXX = Monat X
Tag 11 bis 30 oder bis Mon. XI Tag 20 : Zeugnisse des
'Hippokrates', Aristoteles, Gellius: S. 98. — 9) Endlich
wurde auch noch die unmittelbar auf die normale Ge-
burt folgende Zeit tessarakontadisch bemessen, insofern
man a) die Lochien als 42- oder 4otägig berechnete,
b) glaubte, daß die Neugeborenen während dieser Frist
besonders unvollkommen und gefährdet seien: S. 99 f.
— 10) Hier und da erstreckte sich die Bedeutung der
40tägigen Frist (wie bei den Arabern: Abb. I S. 29 f.)
sogar auf die Zeit vor der Empfängnis: S. 100 f. —
B. Die hippokratischen Tessarakontaden in der
Pathologie und Therapie der Frauen und Kinder:
S. 101 — 105. —
a) Tag fristen: Übertragung der tessarakontadischen
Tagfristen von der Embryologie auf die Pathologie und
Therapie zunächst der Frauen; Zeugnisse: S. 101 ff. —
b) Jahr fristen: Zeugnisse des 'Hippokrates', Piaton,
Aristoteles: S. 103 ff. —
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 195
Seite
C. Der 40., 20., 60., 80., 120. Tag in der hippokrat.
Lehre von den kritischen Tagen: S. 105 — S. 127.
Weitere Übertragung der tessarakontadiachen Tagfrist m
auch auf die Krankheiten der Männer: S. 105! — In
den Büchern der ' K n i d i e r ' f e h 1 e n in den Reihen der
kritischen Tage die tessarakontadischen noch vollstän-
dig, s. Tabelle I S. 107. — Sie tauchen zum ersten Male
auf erst in den 'echthippok ratischen' Büchern;
s. Tabelle II nebst Zeugnissen: S. 109 f. — Sie werden
zahlreicher in Buchl und III der Epidemien; s. Tabelle
III u. IV nebst Zeugnissen: S. 112 ff. -- Wahrscheinlich
ist in der durch die Zahlen 20, 40, 60, 80, 120 ge-
bildeten iieihe der kritischen Tage nicht die 10 sondern
die 40 als Grundzahl anzunehmen: S. 116. — Die tessa-
rakontadischen krit. Tage in den übrigen hippokrat.
Büchern nebst Tabelle V: S. 119 ff.
D. Die sonstigen Tessarakontaden der hippo-
kratischen Bücher: S. i2off.
a) Die Tessarakontaden der chirurgischen Bücher
7t. äytiüv, Kar' li]tqsiov, n. ag^Qcov i^vßoXfjg, ^io%Xi"a6v :
S. 120 f. —
b) Die auf innere Krankheiten bezüglichen Tessa-
rakontaden der rechthippokratischen' Bücher:
S. 122 f.
c) Die auf innere Krankheiten bezüglichen Tessarakon-
taden der fknidischen' Bücher it.vovaiov ß\y',d'
und 7t. räv ivtbg Ttuftüv: S. 123 f.
d) Die Bücher %. iniSr^iäv ß\ d', g' : S. 125 t'.
e) Die Bücher 7t. £itidT\\Li<öv s' und £': S. 126 f.
Kap. VT; Die Tessarakontaden der späteren Ärzte: . 127-131
vgl. Nachträge S. 186.
a) Die auf die Leiden, Zustände, Bedürfnisse der Frauen
und Kinder bezüglichen Tessarakontaden: S. 127 f.
b) Die auf Milz-, Leber- und Blasenleiden bezügl. Tessara-
kontaden: S. 128 f.
c) Sonstige Tessarakontaden: S. 129 f.
d) Galens Ansicht von der Bedeutung der tessarakonta-
dischen Fristen: S. 130t'.
Kap. VII: Die Tessarakontaden des Piaton, Aristoteles,
Theophrast etc. und des <pvoixöq bei Jo. Lydus de
mens. 4, 21: 131 — 137
Piaton, Aristoteles, Theophrast: S. 131 ff. — Die Zahlen-
196 W. H. Röscher:
Seite
lehre des qpixrntds bei Jo. Lydus de mens. 4,21: S. 133 ff.
Die tessarakontadischen ytvtcd der Stoiker, Chronographen,
Historiker und Biographen der späteren Zeit: S. 136 f.
Kap. VIII: Die Zahl 40 im Glauben und Brauch der an-
deren Tölker (mit Ausschluß der Semiten): .... 137—172
A. Die den Griechen verwandten Völker :S.i 37— 164.
1) Die Perser: S. 138fr.
a) Tessarakontad. Tagfristen (40 tägige Unreinigkeit
der Wöchnerinnen, Trauer und Fasten): S. 138 f.
b) Tessarakontad. Jahrfristen (40jährige ytvsai):
S. 140.
c) Sonstige Tessarakontaden: S. 170.
2) Die Armenier (40 tägige Unreinigkeits- und
Trauerfrist) : S. 141 f.
3) Die Jeziden (40 tägige Trauerfrist): S. 142 f.
4) Die Kurden: S. 143.
5) Die Imeretier (40tägige Trauerfrist): S. 143.
6) Die alten Skythen (40 tägige Trauerfrist nach
Herodot): S. 143.
7) Die Inder (Spuren von 4otägigen Unreinigkeits-
und Trauerfristen, sowie von 40jährigen yivsai etc.):
S. I43ff.
8) Die Slawen (40 tägige Unreinheit d. Wöchnerin-
nen, 40 tägige Trauerfrist, 40jährige ysvscd etc.):
S. 147 f.
9) Die Germanen (40 tägige oder 6 wöchige Unrein-
heit der Wöchnerinnen, 40 tägige Trauerfrist, 40-
tägiges Bußfasten im Kirchenrecht des Fränkischen
Reiches, 40 tägige Fristen in Wetterregeln, 40 jäh-
rige ysveai etc.): S. 150 ff.
10) Die Römer (Spuren einer 40tägigen Trauerfrist,
sowie einer ysvsä von 40 Jahren, 40 tägige Frist
(quarantana) etc. im mittelalterl. Italien: S. 156 ff.
11) Die Neugriechen, Gräkowalachen und Ru-
mänen (40 tägige Unreinheit der Wöchnerinnen,
Trauerfrist, sonstige Tessarakontaden): S. 160 ff.
12) Die Litauer, Liven und Preußen (40tägige
Trauerfrist): S. 164.
B. Die den Griechen nichtverwandten Völker:
S. 164 ff.
1) Die Ägypter (Spuren einer 40tägigen Unreinheit
der Wöchnerinnen? S. 164. Sonstige 40 tag. Fristen
etc.): S. 165 ff.
Die Tessarakontaden der Griechen und anderer Völker. 197
2) Die finnisch-tatarischen Völker (40'
Trauerfristen etc., 40 jähr, yivtai etc.) 8. 166 tf.
3) Die Ostasiaten (40tägige Couvaden, 40- (20-) tä-
gige Unreinigkeitsfristen der Weiber): S. iögf.
4) Die amerikanischen Stämme (40- (30- I
Unreinigkeitsfristen der Weiber, 4otägiges Fasten
der Männer bei der Geburt eines Sohnes, 20-, .;
80 tägige Fristen der Mexikaner) : S. 170 fr.
IX. Anhang: 172—187
Nachträge und Berichtigungen.
a) Zu Abh. I (Die Zahl 40 im Glauben, Brauch und
Schrifttum der Semiten): S. 173 ff.
cc) Zu Kap. I (Die Babylonier): S. 173 f.
ß) Zu Kap. III (Die Israeliten): S. 174.
y) Zu Kap. IV (Die Araber): S. 176 fr. Darin Berg-
sträszers Exzerpt aus der arab. Hdschr. nr. 383
Völlers der Leipziger Universitätsbibliothek: S. 177 ff.
b) Zu Abh. II (Die Tessarakontaden etc.): S. 183 fr.
X. Register: 188—206
I: Systematische Inhaltsübersicht von Abh. I: S. 188 ff.
II: — — — Abh. II: S. 191 ff.
III: Alphabetisches Register zu Abh. I u. H: S. 198 ff.
IV: Stellenregister zu Abh. I u. II: S. 205 f.
ig8
C. Alphabetisches Register.1)
Abessinische Kirche: I 11.20. II 31
A. 17.
Adamsage: I 9 A. 8. 11 A. 11. 17
A. 25. 22 A. 37. 29 A. 57. 4of.
Aequinoktien : II 67 fr.
Aigypter: II 164fr. 177.
Aison: II 42.
Aithiopier (= Abessinier) erreichen
ein Alter von 120 Jahren: I 20.
ccTtyLtj s. ysvsä u. Vierzig.
Altersstufen d. Inder: II 146.
Amerikan. Ureinwohner: II 170fr.
Antichrist: I 42. II 179.
Araber: I 26 ff. II 176 fr.
Arba'in: I 31. 42 A. 81. II 181.
Arganthonios wurde 120 (3x40)
Jahre alt: I 20.
Aristoteles' Tessarakontadenlehren :
II 132.
Armenier: II 31 A. 17. II 141 f.
Armensteuer des Islam: I 46. II 182.
Babylonier: I 5 ff. II 173 f.
Baptismus abortivorum: II 174.
Bauernregeln, griech. u. deutsche s) :
II 26. 58fr.
Beduinenwöchnerinnen: I 28.
Bohnenverbot der Orphiker und
Pythagoreer: II 79.
Brasilianer: I 27 A. 50. II 170.
Bußbücher (fränkische): II 154.
Calvins Ansicht von der Beseelung
d. Embryonen am 40. Tage: II 31.
A.17.
Christliche Tessarakontaden s. unter
Tessarakontaden.
Couvade,4otägige:l27 A. 50. II 169 f.
Crataeogonon: II 10 1.
Dekaden (selten) im Corpus Hippo-
crateum: II 111. 116. 120. 123.
A. 142 f. 125.
^Jsnäiirjvoi: II 98.
Ea Wassergott: I 6.
Eikadische Fristen s. Zwanzig und
unter Zahlen.
Einmauerung lebendiger Menschen:
II 162.
sügsvsg: U 75.
ingvoetg: II 32 f. 88 f.
i-nzQcoGfiol: DI 32 f.
Enneaden: I 3 f. 7. II 47 A. 49. 57
A. 66. 82. 87. 133. 135. 139 A. 154.
Vgl. auch unter Zahlen.
Enneapolis des Nestor: II 57.
Epheben 20 Jahre alt: II 74 f.
1) Eine vorgesetzte I bedeutet Abh. I = Die Zahl 40 im Glauben,
Brauch und Schrifttum der Semiten; eine II = Abh. II = Die Tessara-
kontaden etc. der Griechen u. a. Völker. Die bloße Zahl bezeichnet
die Seite, A. = Anmerkung.
2) Wie mir mein Freund P. Weizsäcker in Calw mitteilt, knüpft
sich an den Kalendertag der 40 Ritter (9. u. 10./III) in Schwaben die
Vorstellung, daß es, wenn es an diesem Tage regnet, 40 Tage so bleibt.
W. H. Röscher: Die Tessarakontaden der Griechen usw. i
99
89. A. 112. 90. A. 11 5. 91. 92.
A. 116. 10 1. A. 124 b. 107. 1 10. 116,
Il8. I24f. 186.
t*dfxaft/jf(u: [I 98.
Heraklit: II 173.
Hikbekperiode (= 80 Jahre) d. Ara-
ber: I 42.
rHippokrates' Fristenlehre: II 83 bis
127. S. auch Tessarakontaden,
Zahlen, Vierzig, Zwanzig, Heb-
domaden, Enneaden, Triaden.
Erythräische Sibylle: II 42.
Eskimos : s. Tessarakontaden.
Etesien wehen 40(50) Tage: I 37
A. 71 II 54 A. 60. 61 f. 165. 177.
Fasten, 40tägige: s. Vierzig.
Finnisch-tatarische Stämme: s. Tes-
sarakontaden.
Fristen, 5 tag., 7täg., 40tägige in
Devotionen : II 39 A. 32 ; vgl. II 48.
— 2otägige bei Homer etc. : II 47 f. ;
s. auch unter Zahlen und unter Hir/el, Rudolf: I 3.
Zwanzig. j Hukubperiode (= 4000 Jahre) der
— tessarakontadische, s. unter 40 Araber: I 42.
und unter Tessarakontaden.
Imeretier: II 143.
Geburt und Tod parallele Erschei- Inder: II 143 ff.
nungen: I 30t". II 34. 134. Israeliten: I 10 — 26. II 1741".; s. auch
ysvsaL von 20 Jahren: U 75. 76. 77. | Tessarakontaden und Vierzig.
Vgl. unter Zwanzig u. Halbierung. !
— — 40 Jahren: I 4. 9. 18 ff. 40 ff. Jahrfristen, aus Tagfristen hervor-
II 41 ff. 54ff 73ff. 75ff. 77. i36f. gegangen: I 4. 17. i8ff. 21. 34.
144. issff. 168. 173. A. 200. Vgl.
auch unter Vierzig.
yevog = ysvs ä (?): II 158 A. 184.
Germanen: II isoff. Vgl. auch unter
Tessarakontaden, Vierzig, Sechs-
wochenfrist.
II 24.
Jesu 40 tag. Fasten: I 16 II 175.
Jesus wird 40 Jahre auf Erden
herrschen (arabische Tradition):
II 179.
Jeziden: n 142 f.
Gesetzgebung, ältere der Griechen:
H 73 ff. I Kaiserschnitt: H 174.
Griechen s. Tessarakontaden und J Kalifornien I 27 A. 50. II 170.
Vierzig. Karaiben: I 27 A. 50. II 170.
Großjahre (Weltjahre): I 7. 9. 42. II Kazwini: I 3sff. H soff. A. 51b.
44 A. 42. II I46f. Vgl. Weltjahr,
grunda: II 41 A. 34.
Kind und Korn (Parallelismus): H
68 A. 81.
Kritische Tage in Krankheiten:
II 27. n 105 fr. 122. 159.
Kurden: n 143.
Halbierung v. Tessarakontaden etc.:
I 21. 22 f. 32. 39. 42. 43 f. II 39.
47- A. 49 a. E. 48. 55ff. 117.
A. 132. 170. S. auch unter Zahlen Langlebigkeit der Urmenschen: I 7
und Zwanzig. A. 4 u. 5. 46 A. 84.
Hebdomaden: I 3. 4. 7. 10. 12. j — des Moses etc.: I 19fr.; des Nes-
A. 23. A. 36. H 74. A. 93. 83. 87.I tor etc.: H 42f. 158. 174.
200
W. H. Röscher:
Lebensalter (coqcci, ijXtxUa,) entspre-
chen der Zahl der Jahreszeiten:
II 76 A. 100.
Litauer: II 164.
Liven: II 164.
Lochien (4otägig): I 4- 10. II 169.
Mahdi: I 40 II 181.
Malayen: I 28.
Mandäer: I 8 f.
Mares lebt 120 Jahre: II i58-
Maximal- u. Minimalzahlen: I 13.
Menstrualblut befleckt: II 93-
Menstruation: I 10. II 170 A. 198.
lLSzax(ßQr}Oi? (\L£tu§olr\) der Embry-
onen: n 95.
Moabiter: II 176.
Mongolen: II 169.
Moses: I 18 ff.; s. auch Vierzig und
Tessarakontaden.
Myriopus: I 27. 33. A.62. II 141. 169.
Namengebung (Fest): I A. 10.
Nestors hohes Alter: II 42-
Neugriechen: I A 13. II 160 f.
Nilschweüe: I 37- H l65- x77-
Panbabylonismus : I 5. II 25.
Perser: 1 26 A. 48. II 138 ff.
Phoinix (Vogel): II 163.
Phönizische Tessarakontaden: I 20.
II 175.
tp&OQsla, -cd etc.: II 33 A- *9- l84-
Piaton: II 131 f-
Plejaden: I 4. 18 A. 26. 35 ff. A.68.
II 23. 26. 49 ff. 65. 68 f. 176. Vgl.
auch Baba m. 106 b (= Monu-
menta Iudaica p. 215) und Gen. r.
10 b (ebenda), wonach die Plejaden
das Signal zur Aussaat und zur
Fruchtreife geben.
Preußen: II 164.
Pschawenwöchnerinnen : I 28.
Quadragennalia vota ['?]: II 157
A. 180.
Quarantaine: I 14 f. A. 19. II 159 t.
Le-Roi: II 155.
quarantano: II 68 A. 82. 159.
quarantia: II 160.
quarantore: II 159 A. 186.
Regengüsse (40 tag.) im Frühling u.
Herbst: I 36 A.68 u. 70. II 52 f.
Reinigungsbad der Frauen: I 12
A. 14. II 28.
Römer: II 156 ff.
1 Rumänien: II 160 ff.
i Rundzahlen: I 26. 47 A. 85 II 21
j A.2. 169.
' Sarant-avli, -apotomos, -aporos, Sa-
ranti: II 163.
j Sarpedon: II 42-
| Schwabenalter: II 155 f.
Schiffe homer. Zeit mit 20(40?) 120
Ruderern: II 58.
Schwangerschaftsdauer (normale) :
I 4. II 22. 91. 971"-
Schwangerschaftsstadien: I 13^ H
88 ff.
Sechswochenfrist : (= 40 od.42 Tage) :
I 9 A. 9. 11 A. 12. n 27 A, 50. 28
A. 11. 30 A. 16. 41. 89 A. 112. 92.
99. 150. 162. 171.
60. Lebensjahr: II 7 5 f.
Seirios: II 59 ff- 63 f.
Sibylle v. Erythrai: II 43-
Sin (Mondgott): I 6.
Sintflut, 4otägige: I i7f. 3^f- A. 7°-
U 54- 175-
Slawen: II i47ff-
Solstitien: II 6 5 ff.
Stoiker: II 136.
suggrundaria : II 40.
Taufspritze: II 174-
Teiresias: II 43-
Die Tessarakontaden der Griechen und \m>i ireb Völkee. 201
Tessarakontaden, s. auch Vierzig.
— der Babylonier: I 5ff. II 173 f.
— — Mandäer: I 8 f.
Israeliten: I 10 ff. II 174.
Araber: I 26 ff. II 176t-.
Moabiter: II 176.
— — Griechen: II 28 ff. — 137.
— des griech. Kultus und Mythus:
II 2 8 ff.
— des alt. griech. Epos: II 45 ff.
— in alten Bauern- und Wetter-
regeln: II 5 8 ff.
— in der alt. griech. Gesetzgebung:
II 73 ff.
— der Pythagoreer: II 76 ff.
— des Tüppokrates' : II 83—127.
II 184 f.
— der späteren Ärzte: II 127 ff. 18 . .
— des Piaton, Aristoteles, d. Stoiker :
II 131 ff
— der Perser: II 138 ff. ; vgl. I 26
A. 48.
— der Armenier: II 141 ff.
— der Kurden: II 143.
— der Imeretier: II 143.
— der Inder: II 143 ff.
— der Slawen: II 147 ff.
— der Germanen: II 150 ff.
— der Römer: II 156 ff.
— der Neugriechen , Graeco-Wa-
lachen, Rumänier: II 160 f.
— derLitauer,Liven, Preußen : II134.
— der Ägypter: II 164 f.
— der Finnen, Tataren, Türken: II
166 ff.
— der Mongolen und Chinesen: II
169 f.
Tessarakontaden der Kakiiims: 11
170.
— der Amerikaner: II i7off.
— der Moabiter: II 176.
— der christlichen Kirche: I 44
A. 83. II 31 A. 17. 37 f. A. 29. |i.
A. 34- 151- i53ff- 159 A. 186. [60.
174 f.
— der Pferdezucht er: II 70.
— halbierte s. Halbierung and
Zwanzig.
TSGOSQccxovrdQyvio*: II 166.
T£66iQKxoaratov : I 1 2. 1 1 29. 38 A. 3 1 .
Totenmahlzeiten am 40. Tage: I 32.
II 135 ff
Trauerfristen s. unter Vierzig.
Triadenlehre: II 108 A. 129. 133 f.
TQiytQcov (Nestor): II 43 A. 40.
trisaeclisenex (Nestor) : II 43 A. 40.
tQuo^oi: II 88.
rpotprj bei Knochenbrüchen: II 122.
Ungetaufte Kinder: II 41 A. 34.
Unreinheit bei Geburten, bei Todes-
fällen s. unter Vierzig.
— der Griechen dauert bis zum 1.,
3., 7., 10., 20., 40. Tage: II 29
A. 15. 33 A. 20—22.
Vierzig; s. auch Halbierung, Zwan-
zig und Tessarakontaden. l)
40tägige Dauer der Lochien und
Unreinigkeitsfrist der Wöchnerin-
nen: I 4. 9. iof. 12 A. 13. 27 t'.
II 22. 25 A. 7. 26. 28ff. 30. 31.
138! 141 f. 144- 147*'- I5°f. i6of.
164.
1) Ich habe hier nicht alle von mir gesammelten Einzeltessara-
kontaden aufzählen können, sondern mich auf die wichtigeren be-
schränken müssen, die ich möglichst nach ihrer Verwandtschaft und
Zusammengehörigkeit gruppiert habe. So gewinnt diese Übersicht, wie
ich hoffe, den Charakter einer Probe auf das Exempel.
2o:
W. H. Röscher:
40tägiger Aufenthalt von Heiden
verunreinigt die Häuser: I 14.
40 Becher (Seah) dienen zur Rei-
nigung der Wöchnerinnen I 12
A. 14. 28. II 165.
40 x 7 od. 7 x 40 Tage dauert
die Normalschwangerschaft: I 4.
II 22. 91. 97f. 150.
4otägige Stadien in der Entwick-
lung der Embryonen : I 13. 14.29.
II 31. 78. 87ff. II 174t'. 180.
40tägige Couvade: I 27 A. 50. H
169 f.
40 Tage nach der Hochzeit (Kon-
zeption) gilt die Griechin für un-
rein: I 12 A. 13. II 30.
40 Tage nach der Konzeption tritt
die Seele in den Embryo ein: H
31 A. 17.
40 Tage braucht der Embryo, um
Gestalt zu gewinnen: H 25 A. 7.
31. 77f. 80. 82. 150. 153.
40 Tage nach der Geburt empfängt
d. Kind d. Namen: I 10 A. 10,
oder wird getauft: I 11 A. 11.
40 Tage sind junge Raben weiß
(arab.): II 174.
40tägige Un Vollkommenheit der
Neugeborenen: H 99 f. ; vgl. II 40 f.
40 Tage vor der Hochzeit beginnt
die Mästung der Braut in Nubien :
I 29.
40 Tage vor der Konzeption be-
ginnt die Kur mit Krataiogonon :
n ioof.
40tägige Frist der istibrä b. d.
Arabern: I 30.
40 Roggengarben bei d. Hochzeiten
d. Russen: II 149 f.
40 Tage dauert d. Einbalsamieren
d. Ägypter: H 165.
4otägige Frist für Fasten u. Trauern
in Babylon: I 7. 17 A. 25.
40 Tage nach d. Tode wird die
Seele von Gott gerichtet (man-
däisch): I 9.
40 tag. Trauerfrist d. Juden (?): I
I 1 5 f . ; d. Mandäer: I 9; d. Ara-
ber etc.: I 31 f.; d. Perser II 139;
d. Armenier II 142; d. Jeziden
etc.: II 143; d. Skythen: n 143;
d. Inder: II 145; d. Slawen: H
148 f.; d. Germanen: H 152 ff.;
d. Neugriechen etc: II 161 ; d.
Turkvölker n i67f. ; d. Hellenen:
H34ff-
40 tag. Trauerkult in Sicilien: H
35 f-
4otägige Trauerfrist der altchristl.
Kirche: II 37 f. A. 29.
4otägige Frist für Fasten, Beten
und Strafen b. d. Juden: I 16 f.
A. 24. H 23. 17. ? b. d. Griechen:
H 34 ff.; b. den Arabern I 33!;
b.d. Deutschen (Franken): H 153 f.
40 Tage fastet Adam: I A. 8. II 178.
40tägiges Fasten des Pythagoras:
II 80; d. Babylonier: I 7; d. Ju-
den: I 16; d. Araber etc.: I 32f. ;
d. Perser II 139; d. Deutschen:
H 153 f. — 40jähriges Fasten: I
17 (jüdisch); H 145 (indisch).
40 Tage dauert Tod und Geburt
des Vogels Phoinix: II 36 A. 27.
165.
40 Tage dauert die Verwesung: H
128 A. 144. 129. 133 ff. 135.
40 tägige Frist in Devotionen : II 39.
40 Tage nach d. Tode weilt die
Seele noch auf Erden: II 135.
151. 161 f. 164.
40 Tage nach d. Tode weilt Christus
auf Erden: 18. 17 A. 25.
40 tägige Fristen in der Hygiene
und Diätetik d. Araber: I 30. II
182 f.
Die Tessauakontaden der Griechen im» am. 1.1:1.1: Völker. 2u\
4otägige Fristen in der Medizin
(Volksmedizin) d. Juden: I 15
A. 21; d. Araber I 30 ; d. Grie-
chen: II 105 — 131. 186; b. Frauen-
krankheiten: II 102 f.
4otügige Fristen in griech. Bauern-
u. Wetterregeln : II 47 f. 49 A. 72.
58 ff.; in deutschen Wetterregeln :
II 58 A. 67.
40 Tage sind die Plejaden unsicht-
bar: I 4. 6 A. 2. 8(?). 18 A. 26.
3 5 ff. II 23. 26. 49 f. 65. 68 f. 176.
Vgl. Plejaden.
40 [?] Tage ist der Seirios unsicht-
bar: II 63 ff.
40tägige Fristen geknüpft an die
Solstitien , Äquinoktien etc. : II
58-72.
40tägige Fristen in der Entwick-
lung des Getreides etc.: II 67 ff.
80.
40 Windtage (Etesien): I 4. 37 A.
71. 63. II 54 A. 60. 61 f. 63 A.
71. 165. 177.
40 Tage dauert die höchste Nil-
schwelle: II 165. 177.
40 Regentage I 18 A. 26. 36 A. 70.
II 52ff 183.
40 = Zahl d. babylon. Wassergottes
Ea: I 6. 8.
4otägige Sintflut: I14. 17 f. 37. II 179.
4otägiger Samenregen der islam.
Eschatologie: I 37 f. A. 74. II 180.
40 Kälte- u. Wintertage: I 35. II
52. 66.
40 heiße (Hunds-) Tage: II 59 ff.;
vgl. I 36.
40 tag. Fristen in arab. Sprichwör-
tern: I 38.
40 Tagereisen: II 139 A. 157 (per-
sisch); vgl. I 45 (arab.).
40tägige Entrückung des 40 jähr.
Seth: I 17 A. 25.
40-Tagefristen b. Homer (?): 11*45 ff.
40 Tage = 6 Wochen: s. Sechs-
wochenfrist.
40 Tage bewirken e. gewisse Voll-
endung (rslstorrig, kissatum): I 5 f.
7. 13 A. 15. 29. II 23. 67 fr. 88 ff.
99 f-
40-Tagefristen ursprünglicher als
40-Jabrfristen: I 4. 17. 18 f. 21 A.
36. 34. II 24.
40 Jahre bewirken e. äxfii] (yevsä) :
s. ysvsai.
2 x 40 = 80 Jahre normale Le-
bensdauer: II 74. 77.
3 X 40 = 120 Jahre höchste nor-
male Lebensdauer b. d. Juden
I 19 f. u. A. 29. A. 30. 20. A. 32;
b. d. Mandäern: I 9; b. Phöni-
ziern u. Aithiopiern: I 30 ; b. Grie-
chen: II 42 f. 55; vgl. 140; b. Ita-
likern: II 158: b. d. Rabyloniern:
II 174.
9 x 40 = 360 Jahre leben Teire-
sias, Orpheus, die erythr. Sibylle
xx. Nestor (?): II 43 u. A. 40.
40jähr. Fristen in histor. Erzählun-
gen etc. d. Juden: I 22 f.; d. Ara-
ber I 40 f. (in d. islam. Eschato-
tologie: I 41 f.); d. Perser: II 140;
d. Inder: IJ 144 f.; d. Slawen: II
149.
40jähr. Schlaf d. Epimenides: II 55
A. 63. 137.
40jähr. Dienst d. spartan. tucfoov-
QOl: II 75.
40jähr. Friede: II 76 A. 99. 157;
40jähr. Wüstenwanderung d. Ju-
den : I 2 1 f.
40 jähr. Frist in der Pferdezucht:
II 70.
40 Hiebe: I 13. 25 A. 45. 45. H 183.
40 Ellen (Bath etc.): I 12 A. 14.
25. 46 A. 84. II 168. 179. 182.
204
W. H. Röscher:
4o-Fuß = Myriopus: I 27.33 A. 62. ] 1
II 141. 169.
40 Jünger Mohammeds: 1 43; des
Pythagoras: II 25 A. 7. 81.
40 Märtyrer (Heilige): I 43 A. 81.
33 A. 62. 44 A. 82; II 140.
40 Schiffe: II 5 7 ff-
3 X 40 = 120 Ruderer: II 58.
40 wechselt mit 42 : s. Sechswochen-
frist.
40 wechselt mit 44: I 27 A. 50.
28 A. 53. II 163.
40mal: I 47 A. 85. II 181.
40 = Rundzahl: I 26. 47 A. 85.
II 21 A. 2. 169.
Vierzigbücher der Araber, Türken
etc.: I 42 A. 80.
Völkergedankentheorie Bastians: I
5. II 25.
Walachen s. Tessarakontaden.
Weltjahr d. Babylonier u. Inder:
I7 A. 4. II 146 f. 173; d. Mandäer:
I 9; desLinosu. Heraklit: II 147;
der Orphiker: II 44 A. 42; vgl.
Großjahre.
Wetterregeln d. Griechen: II 26.
58ff. ; d. Deutschen: II 59 A. 67.
155-
Xenaias' tessarakontadische Seelen-
lehre: II 31 A. 17.
Zahlen; vgl. auch unt. Tessara-
kontaden u. Vierzig.
I. Tessarakontaden u. Halbtessara-
kontaden; s. auch unter Zwanzig,
Vierzig etc.
10 = 40/4 (?): II 125.
20 = 40/2: s. Zwanzig.
40 s. Vierzig und Tessarakontaden.
80 = 2x40: I 11. 23. 24. 42. II 74f-
I05ff. 129. 131. 157. 171- I75f-
o = 3 x 40 (s. auch. unt. Vier-
zig): I 9- i9f- 23. 24. 45. II 24.
58. 131. 158. 166. 173.
240 = 6 x 40: I 9. II 176.
280 = 7 x 40: I 4. 12. II 22. 91.
98.
360 = 9 x 40: I 7- A. 4- 8 A. 6.
II 43 f. A. 40f. 147. 173 A. 200.
400 = 10 x 40: I 9. 23. 24. 25 A.
47-
480 = 12 x 40: I 23 f.
1080 = 27 x 40: I 8 A. 6. II 147.
173-
4000 =100x40: I 24. 25 A. 47.
II 44 A. 42. 146.
10800 == 270 x 40: II 147.
1 12000 = 300 x 40: II 146.
40000 = 1000 x 40: 1 24. 42. n
176.
120000 = 3000 X 40: I 25.
400000 = 10000 x 40: I 24.
432000 = 10800 x 40: I 7 A. 4.
480000 = 12000 x 40: I 9. II 44
A. 42.
4320000 = 108000 x 40: I 7. II
44 A. 42. 146 f.
12000000 = 300000 x 40: II 44
A. 42.
II. Enneaden (s. auch ob. unter
Enneaden) :
81: I 13. II 57 A. 66.
90: II 57 A. 66. 80 A. 104. 179.
108: II 147- 173 A. 201.
III. Hebdomaden (s. auch ob. unt.
Hebdomaden) :
7: I 5. 6 A. 1.
42: I 9 A. 12. II 74 A. 93. 92 A.
116. 99. 107: s. auch unter Sechs-
wochenfrist.
IV. Sonstige Zahlen:
4 u. 8 = Unglückszahlen: II 94
A. 119.
10: II 29 A. 15. in.
Die Tessarakoh taden der Griechen dnd anderer Völker. 205
A. 96. 76. 131.
II: I 6.
30: I 6. II 75
41: I 13.
44: 1 27 A. 50. 28 A. 53. II 163.
60: I 32. II 75f. i09tf. 131.
71 : I 13 A. 16.
110: II 43 A. 39. II 166.
iooi: I 1 3 ; vgl. Zugabzahlen.
Zahlen = Götter: I 6 A. 1.
bzahlen: 1 13 u. A. [6; -. auch
ob. unter 41. 71. 81. 1001.
Zwanzig .lalire = '/. ytvtä I 22 u.
A. 37- 21. 43- 45- II 55f. 59 A
68 74 f. 77. 157. 175; s. auch unter
Halbierung
Zwanzig Tage: II 70 A. 84. im H'
1 r
A. n:. 121.
Zwanzig linderer etc.
II 58.
D. Stellenregister zu Abhandlung I u. II.
Aelian. v. h. 9, 16: II 158.
Anutolius it. dsKafiog b. Ast, Theolog.
arithm. p. 63: II 82.
Anaxagoras, fr. 20 Diels: II 63 ff.
Apollod. bibl. 3, 1, 2, 3: II 42.
Apollon. Rbod. Arg. 2, 5 16 ff. : II 61.
Aristobulus b. Strab. 15 p. 714:
II 145.
Aristot. 'Ad-)]v. -xo7.lt. 42: II 73.
— de anim. bist. 6, 14. 4: II 71.
7, 3, 2: n 31t. II 92 f.
7, 3, 3= II 91-
7, 3, 4= II 89 f.
7, 5: H 105.
8, 17, i: II 66f.
— 9, 40, 14: II 66.
Cato r. r. 23 : II 60 A. 70.
Censorin. de die nat. 11, 7: I 12.
Et 28 f. II 40. II 78. n 93. II 100.
18, ii: II 173.
Cbamaileon b. Athen. II 22 e: II 48.
Codex arab. bibl. Lips. nr. 383
Vollere.: I 29 ff. II 177!}'.
Columella 8, 12: II 70.
— 12, 18, 4: II 71.
Corp. gloss. Lat. ed. Goetz II p.
36, 24 etc.: II 41 A. 34.
Ctesias b. Plin. h. n. 7, 28: II 146.
Defixion. tab. Att. nr. 99 ed.Wuensch :
II 39 f-
Dioscor. m. m. 3, 129: II ioof.
Ezechiel 4, 4: I 21 f. A. 36.
Firmicus Mat. de err. prof. rel.27:
II 35 f-
Fulgentius expos. serm. ant. p. 389 f.
ed. Gerl. et R. : II 40.
Galen. XVIII A. p. 469 K.: II 69.
Gell. N. A. 3, 16: U 98.
Geminus p. 25 c Petav.: II 67.
Heracl. Pont. b. Jo. Lyd. de mens.
4, 29: II 79.
Hesiod. %oyu 383 ff . : I 3 5 A. 65. II 49.
441 ff.: II 54f.
— frgm. 21 Göttl. = 194 Ki. : II 47 f.
— — 163 Göttl. = 207 Ki.: II 55.
Ilippocrat.' aphorism. 3, 28: II 101
A. 124b. II io8f.
— -jt. i-TTTcai. u. öxtccli. passim.:
II 85 ff.
— TT. 6-A.zafi. io: II 97 A. 122.
— 7t. rtOGccQccv.ovtüdcav [?]: II 26t'.
II 88. II 184 !'.
71. TQOCpfjC 42: II 94.
— 7t. cpvG. Ttaid. 18: II 92.
Hom. II. Sl 765: II 55 f. u. A. 64.
Joann. Lyd. de mens. 4, 2 1 p. 84 W. :
I 31 A.60. II 36f. II 9t. II I33f.
Jonas 3, 4: I 17 A. 25.
Kazwini Koamogr. übers, v. Etne"
I 90. 154. 156: I 35. II 17'..
2o6 W. H. Röscher: Die Tessarakontaden der Griechen usw.
Leges Graecor. sacrae ed. Prott-
Ziehen II, i nr. 49: II 33 A. 21.
— — — II, 1 nr. 117:
I A. 13. II 29 A. 15. II 39.
— — II. 1 nr. 148:
II 33 A. 20. II 39.
— — — — — — II, 2 nr. 201:
II 33 A. 22.
3. Mos. 12, iff.: I iof.
Philo vit. Mos. 3, 5: II 91.
Phlegon n. (layigoß. 6 = F. H. Gr.
EI p. 610b: II 43 A. 39.
Plat. jt. noliT. 460 E. : II 104 A. 127.
Plin. n. h. 2, 198: II 71 A. 86.
— 2, 211 : II 71 f.
8, 152: II 62.
8, 153: E 70.
— — — 10, 162: II 66.
11, 36: II 62 A. 75.
— 14, 85: II 59.
14, 100: II 60.
14, 113: n 59.
Plin. n. h. 16, 246: II 62.
— — — 17, 127: II 67.
— — — 17, 202: II 60.
17, 233: II 66.
18, 70: II 69.
18, 204: II 66.
— — — 27, 62 : II 101.
32, 146: II 71.
33, 109: II 60.
36, 131: II 135.
Plutarch. de an. proer. in Tim. 14:
II 81 f.
Porphyr, vit. Pyth. 56: II 81.
Schol. Lucan. 6, 680 : II 36 A. 27.
Strab. p. 789: II 165 f.
Theophr. c. pl. 5, 12, 4: II 65.
— h. pl. 8, 2, 6: II 67 f. II 80.
8, 2, 8: II 69.
Varro r. r. 2, 5: II 69 f.
3, 7= II 69.
Vindicianus cap. 15 ed. Wellm. : II
97 A. 121.
Druckfehler.
Abh. I S. 27 Z. 11 v. ob. lies: Myriopus statt Myriapus.
Druckfertig erklärt 16. X. 1909.]
ÖFFENTLICHE GESAMTSITZUNG
DER KÖNIGL. SÄCHSISCHEN GESELLSCHAFT DER
WISSENSCHAFTEN AM 14. NOVEMBER 1909.
Nach einer Ansprache des den Vorsitz führenden Sekretärs der
philologisch -historischen Klasse (s. Leipziger Zeitung vom 16. No-
vember 1909) hielt Herr Heinrici die Gedächtnisrede auf das am
17. September verstorbene Mitglied Max Heinze, und sprach Herr
Leskien über die Art, wie die slawischen Übersetzer griechischer
Werke im 9. und 10. Jahrh. diese wiedergegeben haben, beides für
die „Berichte". Es folgte noch ein Vortrag des Herrn Bruns aus
der mathematisch-physischen Klasse.
Fhil.-hist. Klasse 1909. Bd. LX I 14
Max Heiflze.
Von
Georg Heinrici.
Am Leibniztage gedenken wir der abgeschiedenen Mit-
glieder unserer Gesellschaft. Heute ist es Max Heinze, der
nach dem schweren Leiden, das er mit Seelenstärke und
Selbstbeherrschung getragen hat, am 17. September sanft
entschlafen ist, dessen Leben und Wirken wir uns venreeren-
wärtigen. Welch' eine klaffende Lücke sein Tod nicht nur
für unsere Hochschule und für seine Mitarbeiter zurückließ,
beweist die selten große und tiefe Teilnahme, die er wach
rief. Auch die nach Hunderten zählenden Beileidsbriefe hatten
sämtlich einen Grundton: was haben wir mit ihm verloren!
Und eben die Empfindung eines schwer ersetzlichen Verlustes
beherrschte die Abschiedsfeier an seinem Sarge; dies bezeugten
gleicherweise die ehrende Würdigung seitens des Dekans der
philosophischen Fakultät, die Freundesworte unseres Sekretärs
Windisch, der ergreifende Nachruf seines langjährigen Kol-
legen Wundt, die Dankesworte seiner Schüler, die um ihn als
zuverlässigen Freund und wohlwollenden Berater trauern. In
all diesen Kundgebungen trat nichts Konventionelles hervor:
sie kamen von Herzen und bezeugten, daß wir einen Mann
verloren haben, dessen Lebensarbeit eine tiefe Furche nicht
nur auf dem Acker seines Arbeitsgebietes, sondern auch in den
Herzen gezogen hat. Ja, viele und reiche Gaben vereinigte
er in sich. Er war ein förderlicher Lehrer, ein zielbewußter
Forscher, ein menschenkundiger Organisator. Mit nie ermüden-
der Freudigkeit lebte er den übernommenen Pflichten, indem
er nach seinem Worte handelte: „Der Philosoph hat es be-
14*
210 Georg Heinrici:
sonders nötig, mit dem praktischen Leben in Berührung zu
bleiben". Daher suchte denn auch das Amt den Mann. Viel
Kraft und Zeit hat er der Verwaltung der Universität gewid-
met, nicht nur als Rektor und Dekan, sondern auch als lang-
jähriges Mitglied des akademischen Senats, der Verwaltungs-
deputation und der Gestundungskommission, als Beisasse des
Universitätsgerichts, als director actorum der philosophischen
Fakultät, als Ephorus der Stipendiaten, als stellvertretender
Vorsitzender der Prüfungskommission für das höhere Lehr-
amt, als Direktor des Konvikts, als königlicher Kommissar
bei Abiturientenprüfungen. Dazu kam seine langjährige Tätig-
keit als Leiter des Professorenvereins, dessen Festen er Stim-
mung zu geben verstand, und als Ehrenvorsitzender des
Universitätssängervereins Paulus. Welch eine Arbeit war hier
zu bewältigen! Auch er konnte, wie einst der Apostel Paulus,
von sich sagen: „Zu dem allen kommt, daß ich täglich werde
angelaufen und trage Sorge für alle". Aber er trug diese
Sorge mit warmem Herzen, wie er auch für jeden, der ver-
trauensvoll zu ihm kam, ein ermutigendes Wort und, wo es
Not tat, eine offene Hand hatte. Dies muß besonders betont
werden, sein Wohltun in der Stille, seine Fürsorge auch für
die Armen. Ein Denkmal davon ist die Stiftung für arme
Handwerker in Saalfeld, wo sein Großvater als Büchsenmacher
gelebt hat.
„Werde was du bist" lautet ein Wort Pindars. Max
Heinze hat den tieferen Sinn desselben richtig verstanden,
indem er seine reichen Anlagen zu einem festen Charakter
herausbildete und die auseinanderstrebenden Kräfte seiner
Seele in sittliche Harmonie zwang. Denn was er gewesen
ist und was er geleistet hat, ist das Ergebnis mannhafter
Selbstzucht. Von Natur war er stolz und hochgemutet, voll
Selbstgefühl, leicht erregt, auch zu Schwermut geneigt. Was
ein Fehler werden kann, kann auch eine Tugend werden durch
den sittlichen Willen; so hat er sich eine kräftige, markante
Eigenart errungen. Sein warmes Herz machte ihn zum stets
hilfsbereiten Menschenfreunde und beseelte seine Freundes-
M w 1Ii;in/.i.. i i
treue. Seine Selbsterkenntnis und sein Scharfblick machte
ihn zum wohlwollenden Menschenkenner. Sein reicher Gri
erschloß sich den verschiedensten Interessen, literarischen,
ästhetischen, ohne sich selbst zu verlieren. Er diente den
Menschen und diente der Sache, die er fördern wollte. Sach-
lichkeit, Gelassenheit, neidlose Freude an allem Wertvollen
kennzeichnen sein Wirken. Daher ist seine Forscherarb. -\i
und sein praktisches Wirken nicht voneinander zu trennen.
Wer jene würdigen will, darf von diesem nicht absehen. Des-
halb vergegenwärtige ich uns vorerst die wichtigsten Stationen
seines Lebenswegs, ehe ich auf seine Leistungen für die
Wissenschaft eingehe.
Max Heinze ward geboren am 13. Dezember 1835 im
Pfarrhause des Sachsen -meiningischen Dorfes Prießnitz. Im
glücklichen Familienkreise verlebte er mit seinen vier Ge-
schwistern die ersten Jugendjahre unter den Augen der Eltern.
Sein Vater, der Kirchenrat Dr. theol. und phil. Heinze unter-
richtete ihn, bis er für die Tertia des Gymnasiums in Naum-
burg reif war. Seinen Dank und seine Verehrung hat ihm
der Sohn seinerzeit bezeugt durch die Widmung seines ersten
größeren Werkes Die Lehre vom Logos. Auf dem Gymna-
sium von Naumburg schloß er die erste Freundschaft für
das Leben mit Richard Förtsch, wie denn überhaupt jede
Station seines Lebenswegs durch stetig festgehaltene Freund-
schaften bezeichnet ist. Die Eindrücke des Vaterhauses be-
stimmten ihn, als er die Schule verließ, zum Studium der
Theologie, mit dem er aber von Anbeginn philologische In-
teressen verband. Er widmete sich diesem in Leipzig, Halle,
Erlangen und Tübingen, überall unter den Kommilitonen
durch Gaben und Tüchtigkeit die Aufmerksamkeit auf sich
lenkend. Unter seinen Lehrern waren ihm THOLUCK in Halle
und Baur in Tübingen die eindrucksvollsten. Aber innerlich
wandte er sich mehr und mehr den philologischen Arbeiten
und den philosophischen Problemen zu, und als er in Berlin
mit Adolph Trendelenburg in nahe persönliche Beziehung n
trat, reifte in ihm der Entschluß, seine Lebensarbeit ganz der
212 Georg Heinrich
Philologie und Philosophie zu widmen. Seine Doktorarbeit
Stoicorum de affectibus doctrina (Berlin 1860) war eine reife
Frucht der Anregungen, die er in den philosophischen Übungen
von Trendelenburg empfangen hatte.
Nach dem Abschlüsse der Universitätsstudien ward Heinze
Adjunkt an der Landes- und Fürstenschule Pforta, wo er in
angeregtem und freundschaftlichem Verkehr namentlich mit
seinen Mitadjunkten Kern und Volkmann glückliche Jahre
verlebte. Das wissenschaftliche Ansehen der Schule, an der
damals Peter, Koberstein, Steinhart wirkten, stand hoch.
Das wirkte auf Lehrer und Schüler anregend und fördernd
zurück. Unter den Schülern Heinzes befanden sich Fried-
rich Nietzsche, Emil Jungmann und Ulrich von Wilamo-
WITZ-MÖLLENDORF.
Schon im Jahre 1863 gab er seine Lehrtätigkeit in Pforta
auf, um das Amt eines Instruktors und dann des Erziehers
am oldenburgischen Hofe zu übernehmen. Der Erbgroßherzog
und dessen Bruder waren seine Schüler, die er bis zum
Jahre 1871 unterwiesen hat. Diese Vertrauensstellung hatte
Heinze zunächst der Empfehlung Trendelenburgs zu ver-
danken, und er hat sich in ihr in einer Weise bewährt, daß
ihm die achtungsvolle Neigung des Großherzogs und die
herzliche Verehrung seiner Schüler unentwegt treu geblieben
ist. Der jetzige Großherzog hat ihn noch in Leipzig öfter
besucht. Heinze trat in eine ihm neue Welt, in die er
bereits im Jahre 1864 seine jugendliche Gattin einführte. Der
Hof war geistig interessiert. Dem Großherzog ward es Be-
dürfnis, sich mit ihm über Lebensfragen und wissenschaftliche
Probleme zu unterhalten. Dessen Schwester, die Königin von
Griechenland, ließ sich von ihm Vorträge über die neuesten
Bewegungen in der Wissenschaft halten. Sehr wichtig wurde
ihm diese Zeit für die Erweiterung und Vertiefung seiner
Menschenkenntnis. Die Einseitigkeiten und Schranken des
Hoflebens blieben ihm nicht verborgen. Auch manchen
Gegendruck hatte er namentlich in den letzten Jahren seiner
dortigen Wirksamkeit zu erfahren, aber ohne daß sich ihm
Max Hi'.iw.k. 21
■>
das Vertrauen des Großherzogs und seiner Schüler minderte.
Zugleich erfreute er sich des jungen Glücks seiner Ehe and
des freundschaftlichen Verkehrs mit Kern, dem Gymnasial-
direktor, und dem späteren Staatsminister JANSEN.
Diese günstigen Lebensbedingungen förderten seine wissen
schaftlichen Bestrebungen, deren Frucht sein Werk über Die
Lehre vom Logos in der griechischen Philosophie (Oldenburg
1872) war. Es blieb sein Lieblingsbuch; war es ihm doch
auch zugleich ein Denkmal für die Interessengemeinschaft
mit seiner Gattin. Der Wert dieser Arbeit richtete die Auf-
merksamkeit der philosophischen Fakultät unserer Hochschule
auf ihn, die ihn für eine außerordentliche Professur vorschlug-
jedoch das Unterrichtsministerium ging auf den Vorsch!;^
nicht ein. Für Heinze bedeutete er trotzdem einen ent-
scheidenden Wendepunkt. Nun entschloß er sich endgültig,
die akademische Laufbahn einzuschlagen, und habilitierte sich
als Privatdozent eben an der Fakultät, die ihm bereits eine
Professur zugedacht hatte. Sie erließ ihm mit Rücksicht
darauf die üblichen Habilitationsleistunsen.
Der Entschluß zur Habilitation wurde ihm nicht leicht.
Stand er doch bereits in einem Alter, in dem der Regel nach
die feste Lebensstellung schon erreicht ist. Er verließ eine
einflußreiche Wirksamkeit, die ihm bedeutende Erlebnisse und
eine reiche Erfahrung eingetragen hatte, um unter den un-
sicheren Bedingungen des Privatdozententums ganz der \\ issen-
schaft zu leben. Andererseits kam ihm alles, was er erlebt
und erarbeitet hatte, zu gut. So hatte er denn auch sofort
beträchtliche Lehrerfolge, und schon nach zwei Jahren wurde
er, um Eucken zu ersetzen, als ordentlicher Professor der
Philosophie nach Basel berufen, von wo er nach zwei Semestern
als Nachfolger Julius Bergmanns nach Königsberg über-
siedelte, dort mehr gastweise ein Semester lehrend; denn im
Jahre 1875 trat er als Nachfolger von AHEENS auf den Platz,
auf dem er länger als ein Menschenalter hindurch gewirkt
hat. Das Studium Lipsiense nannte ihn von neuem, und jetzt
endgültig den seinen. Und unsere Hochschule hat in ihm
214 Georg Heinrici:
nicht nur den gewissenhaften Lehrer, den treuen Verwalter
zahlreicher akademischer Ämter, den Vertrauens werten Kollegen,
den fürsorglichen Freund der Studenten, sondern auch einen
Forscher und Förderer der Wissenschaft gewonnen.
Seine Forscherarbeit näher zu beleuchten, ist meine eigent-
liche Aufgabe in unserer Gesellschaft, der Heinze seit dem
Jahre 1877 angehört hat. Er eröffnete sie mit seiner Schrift
über die Affeläenlehre der Stoiker und hat sie beschlossen mit
der Abhandlung über die ethischen Werte bei Aristoteles, die
unsere Festschrift zum fünfhundertjährigen Jubiläum der Uni-
versität eröffnet. Überblickt man die Fülle seiner an Umfang
und Inhalt sehr verschiedenartigen Arbeiten, so ist der erste
Eindruck, daß es kaum möglich sein dürfte, ein geschlossenes
Bild von seinem Forschen zu entwerfen. Große zusammen-
fassende Werke, in denen er eine systematische Darlegung
seiner Philosophie gibt, hat er wohl geplant, aber nicht ver-
faßt. Dafür liegen überaus zahlreiche Einzelarbeiten vor, die
sich vorwiegend auf Probleme der griechischen Philosophie
beziehen, aber auch hervorstechende Punkte aus der neueren
Philosophie behandeln. Sie finden sich teils in den Abhand-
lungen unserer Gesellschaft, teils in Zeitschriften verschiedener
Art, wie Im neuen Reich, in der Vierteljahrsschrift für
wissenschaftliche Philosophie u. a. Dazu kommen die religions-
geschichtlichen Artikel in der Realenzyklopädie für protestan-
tische Theologie und die Philosophenbiographien in der Deut-
schen Biographie, zahlreiche Rezensionen und Übersichten.
Am ausgiebigsten endlich bewährt er seine Arbeitskraft in
seiner stetigen Mühewaltung für den Grundriß der Geschichte
der Philosophie von Überweg, den er von der fünften bis
zur neunten, beziehungsweise zehnten Auflage, nicht bloß be-
arbeitet, sondern zu einem neuen Werk umgestaltet hat.
Aber bei schärferem Zusehen treten in dieser Mannig-
faltigkeit klare und feste Grimdzüge und sicher ins Auge
gefaßte Arbeitsziele hervor. Einen doppelten Schwerpunkt
hat Heinzes wissenschaftliches Lebenswerk, das Interesse an
methodischer Bearbeitung der Begriffe und das Interesse an
Max Heinze.
2 '5
der Persönlichkeit der Forscher. Diese beiden Interessen suchen
und finden sich in seinen Arbeiten. Er geht mit scharfem
Blick und mit persönlichem Anteil dem l^beiiswea-e. wenn
ich so sagen darf, der philosophischen Begriffe nach, und er
sucht in der Darstellung des Lebensganges und des Verkehrs
der Philosophen nach den ideellen Momenten, die sie beseelen
und leiten. So gliedern sich denn in der Tat die zahlreichen
und verschiedenartigen Einzelarbeiten in wohl zusammen-
hängende Gruppen, und für sie alle gibt der Grundriß der
Geschichte der Philosophie das Fundament.
Im Vordergrunde stehen die oegriffsgeschicMlichen Unter-
suchungen. Die Hauptstücke aus dem Gebiete der griechischen
Philosophie, an welche die kleineren Abhandlungen sich an-
gliedern, sind die Geschichte des Logos in der griechischen
Philosophie (Oldenburg 1872) und die Studie über den Ka-
dämonismus in der griechischen Philosophie (I. Vorsokratiker.
Demokrit. Sokrates. Abhd. der phil.-hist. Kl. der K. S. Ges. der
Wiss. VIII, Nr. VI, 1883).
Die Geschichte des Logos zeichnet sich wie alle Arbeiten
Heinzes aus durch strenge Abgrenzung der Aufgabe. „Von
einer Logoslehre kann nur da die Rede sein, wo das Wort
einen bestimmten Begriff bezeichnet, wenn dieser auch einen
größeren Umfang hat." Das Ganze bleibt stets gegenwärtig,
die charakteristischen Einzelheiten werden mit sicherer Hand
herausgearbeitet. Am eingehendsten sind Heraklit, die Stoiker
und Philo behandelt, weniger gründlich die Neoplatoniker.
Die Einwirkung der Logoslehre auf das Christentum bleibt
außer Betracht. Was die Logosidee bedeute, zeigt die Tat-
sache, daß „der Logos von dem Aufdämmern des griechischen
Geisteslebens bis in die letzten Zeiten desselben" als Grund-
idee der Systeme behandelt worden ist. Als der Grundtrieb
aber, der die Entwickelung der Logosidee beherrscht, ergibt
sich der Kampf zwischen der rationalen Weltanschauung und
dem Mystizismus, der mit dem Siege des letzteren in der
griechischen Philosophie abschließt. Die bleibende Bedeutung
der Logosidee liegt in der Antithese gegen eine Wertuni:- des
2i6 Georg Heinrich
Naturzustandes als eines Spieles blinder Kräfte. Im Logos
eint sich Gedanke und Kraft. „Die Kraft ist Vernunft und
die Vernunft ist Kraft."
Diese Untersuchungen werden fortgeführt und ergänzt
in den Abhandlungen Zur Erkenntnislehre der Stoiker (Pro-
oramm der philosophischen Fakultät 1879/80), Über den vovg
des Anaxagoras (Berichte der K. S. G. derWiss. 1890 S. 1 — 45)
und über Neoplatonismus (Realenzyklopädie für prot. Theol.
XIII S. 772 — 784). In der ersten weist Heinze nach, wie in
der stoischen Gleichsetzung von cpvöig und löyog das Be-
streben sich zeige, die sensualistisch- empirische Methode der
Erkenntnis mit einer rationalen zu verbinden. Diese Ver-
bindung wurde nicht erreicht. Die Antinomie der Methoden
blieb unausgeglichen gleich den anderen Antinomien des
Stoizismus, seinem Optimismus in der Physik (beste Welt)
und seinem Pessimismus in der Ethik, seinem Sensualismus
und Panlogismus, seiner Teleologie und seinem Mechanismus.
In der zweiten Abhandlung versucht Heinze den Nachweis,
daß Anaxagoras in seiner Lehre der erste Theoretiker des
Dualismus zwischen Natur und Geist sei und somit Urheber
des philosophischen Theismus, woher er denn auch von den
Trägern des Staatskultus des Atheismus angeklagt sei. Er
gründe seine Philosophie auf das doppelte Axiom: 6{iov
Ttdvta. vovg ölexöo'^ös %v.vxu. In voller Selbständigkeit steht
der vovg der Materie, die an sich keine Gestaltungskraft hat,
gegenüber, sowie die Seele des Menschen dem Leibe. Er ist
nicht materiell, sondern reine Intelligenz, nicht bedingt, son-
dern alles von sich aus bewegend und nach seinen Zwecken
formend. Wie aber dies in der Wirklichkeit sich vollziehe,
darauf antwortet Anaxagoras nicht, ja er stellt überhaupt
die Frage nicht; denn bei den Naturvorgängen sucht er allein
nach den natürlichen Ursachen. Der Artikel über den Neu-
platonismus gibt eine gedrängte Übersicht über dessen Ent-
wickelung und Ausmündung in den Mystizismus. Unter
anderem Gesichtspunkt behandelt Heinze endlich die Welt-
anschauung der Griechen in der für weitere Kreise bestimm-
Max Heinze. 2 1 7
ten Abhandlung Antike)- Darwinismus (Im neuen Reich 1877
S. 521 — 533), in welcher er das merkwürdige Zusammentreffen
der Hylozoisten mit der Entwicklungslehre Darwins und die
übereinstimmende Tendenz auf Eliminierun<>- d'* Zweckbecniffs
darstellt. Auch für die gegenwärtig so Lebhafl erörterte
Rassenfrage findet er Ansätze in der griechischen Philosophie,
auf die er in der Abhandlung Die Rassenfragen hei Pluto und
Aristoteles (Monatsschrift für Soziologie. Februar 1909) kurz
eingeht.
Die ethischen Forschungen HEINZES haben zu ihrem Mittel-
punkt die umfassende, leider nicht vollendete Abhandlung
über den Eadümonismus der Griechen, in welcher er sich
Rechenschaft gibt über den Ursprung und die Ausbildung
ihrer Lebenslehre. Mit dem Begriffe der evdcciuovkc setze die
Ethik der Griechen ein, mit ihm schließe sie ab. Wie \u\<\
warum er sich wandele, soll aus der Geschichte nachgewiesen
werden. Zuerst wird der vieldeutige Begriff erörtert, dann
wird seinen Spuren bei den älteren Dichtern und Gnomikern
nachgegangen. Bei Hchddit finden sich die ersten Keime zu
einer philosophischen Ethik: iföog avd-Qäxco dal^cov. Bedeut-
samer sind die Ansätze Demolcrits , der als das höchste Gut
die Lust am Leben verkündigt, die aber sittlich zu regeln
sei, und als den wertvollsten Lebenserwerb die zu positiven
Lustgefühlen gesteigerte gleichmäßige Gemütsbeschaffenheit.
Durch seine Aufstellungen geht ein hedonistischer Zug. Die
Sophisten bringen neue Gesichtspunkte heran durch ihre Ten-
denz auf Umwertung aller Werte. Sie sind die Väter des
Individualismus: Ttdvrcov %QrjUcacov ilstqov uvd-Qcoxog (Prota-
goras), und zersetzen die Überlieferung, ohne sie zu ersetzen.
Ihre Negationen und Behauptungen weckten eine Gegen-
bewegung zur tieferen Begründung der Ethik, deren wich
tigster Träger Sökrates ist. Heinze schildert ihn nach Xeno-
phon, der, obwohl er Apologet sei, von sich aus nichts hinzu-
fügen will, während Plato den Sökrates zum Verkünder seiner
eigenen Philosophie mache. Nach den Denkwürdigkeiten des
Xenophon ist Sökrates Utilitarist mit der Tendenz, einen
218 Georg Heinrici:
absoluten Begriff des Guten zu gewinnen. Aber er bleibt im
Relativismus stecken. Die Glückseligkeit setzt er in das aus
Selbsterkenntnis und Bedürfnislosigkeit erblühende Glücks-
gefühl. Den kategorischen Imperativ der Pflicht kennt er nicht.
Diese Studien ergänzt und erweitert Heinze in dem
Vortrage über Prodikos von Keos (Berichte der K. S. G. der
Wiss. 1884 S. 315 — 335), in der Abhandlung über Ethische
Werte bei Aristoteles und in der akademischen Rede Über den
bleibenden Wert platonisch-aristotelischer Grundgedanken in der
Staatslehre (Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung
1885, Nr. 34). Dazu kommt das gediegene pfortenser Pro-
gramm Stoicorum ethica ad origines suas relata (Naumburg
1862). Unter Ablehnung der Überwertung Welckers charak-
terisiert er den Prodikos als impressionistischen Jugendbildner
ohne eigene Gedanken, der seinen Scharfsinn an der Syno-
nymik (diccCgsöLg ovoiicacov) übte. Dem Aristoteles weist er
seinen Platz unter den intellektualistischen Eudämonisten an.
Die evöai^ovCa ist demselben aber nur dann das höchste Gut,
wenn sie sich in der menschlichen Gemeinschaft, im Staate,
verwirklicht. So liegen die Schwerpunkte seines ethischen
Denkens in der sittlich verklärten Eigenliebe und der realisti-
schen Erfassung der Menschennatur nach ihrer komplizierten
Eigenart. Den bleibenden Wert der platonisch-aristotelischen
Grundgedanken in der Staatslehre findet er in der beiden
Philosophen eigenen organischen Anschauung von dem Ver-
hältnis des Rechts zur Sittlichkeit und in der Erkenntnis der
konkreten Bedürfnisse des Menschen. Hoch stehe diese An-
schauung über den mechanischen Staatstheorien von Hobbes und
Spinoza, die die Aufgabe des Staates setzen in die Beseitigung
des Kampfes aller gegen alle. Die stoische Ethik endlich
untersucht Heinze auf ihre in Frage gestellte Originalität
und weist in sorgfältiger Scheidung des Übernommenen und
des Neuen nach, daß der Vorwurf ungerecht sei, der Semit
Zeno habe nur neue Worte geprägt, aber die Gedanken ge-
stohlen. Eigengut der Stoa sei die Bestimmung des höchsten
Guts als Zusammenstimmen (biioXoyiu) mit sich selbst und
Max Hkinzk. 219
mit der (pvöcg, sodann ihre Affektenlehre und Psychologie,
endlich die These, daß die Selbstherrlichkeit und Selbstgenüg-
samkeit der Tugend allein die Glückseligkeit verbür
Der Kreis von Heinzks Arbeiten auf dem (icbiete der
neueren Philosophie ist weiter gezogen, aber weniger reich-
lich besetzt. Die hierher gehörige Hauptarbeit trägt mehr
philologischen Charakter; es ist die erstmalige kritische
Herausgabe der Vorlesungen Kants über Metaphysik aus drei
Semestern (Abhdl. der K. S. G. der Wiss. 1894). Sie wurde eine
Vorarbeit für die große Kantausgabe der Berliner Akademie
der Wissenschaften, welche ihm anläßlich dieses Werks <li"
Veröffentlichung der Vorlesungen Kants über Logik, Meta-
physik, theoretische Physik, Ethik, Naturrecht, natürliche
Theologie, Anthropologie und physische Geographie übertrug.
Heinze arbeitete mit neuem Material, das er aufgespürt hatte.
Es bestand aus schwer leserlichen Notizen, die Kant behufs
seiner Vorlesungen in das Kompendium Baumgaktexs, und
zwar in mehrere Exemplare desselben, eingetragen hatte.
Heinze hat mit quellenkritischer Sorgfalt diese Notizen unter
Benutzung der früheren ganz unzureichenden Ausgabe von
Pölitz (Kants Vorlesungen über Metaphysik 182 1) zu einem
wohlgefügten Ganzen in einer Weise zusammengeordnet, daß
sein Werk grundlegend für die Kantforschung geworden ist.
Er stellte darin fest, daß Kant seine originalen Gedanken in
seinen Schriften niederlegte, in seinen Vorlesungen aber das,
was als philosophische Tradition galt, den Zuhörern darbot,
und zwar mit dem Endzweck, „die Zuhörer moralisch und
religiös zu festigen: denn Moral und Religion sind die Haupt-
sache, auf die es bei allem Philosophieren ankommt".1)
Zu Heinzes Kantstudien zählt auch die Schrift 'Ernst
Plattier als Gegner Kants (Universitätsprogramm 1880), der
in der dritten Auflage seiner einst weit verbreiteten Aphoris-
men als „skeptischer Leibnizianer" in ernst zu nehmenden
Einwürfen wider die „dogmatische Kritik" Kants Stellung
1) Vgl. H. Vaihingers Rezension im Archiv für Geschichte der
Phüosophie VIII, S. 421.
220 Georg Heinrici:
nimmt. Auch die feinsinnige Abhandlung über den Idealis-
mus Fr. Alb. Langes (Vierteljahrsschrift für wissenschaftl.
Phil. I, 1877) darf in Verbindung damit genannt werden.
Die übrigen Schriften behandeln Stoffe aus der Philo-
sophie Descartes', Spinozas, Leibniz', meist ethische und reli-
giöse Probleme. Heinze untersucht die Sittenlehre Descartes'
(Habilitationsvortrag 1872), die weniger original sei, als dessen
Erkenntnislehre und Metaphysik, aber Spinozas Ethik wesent-
lich beeinflußt habe. Höchst fesselnd schildert er sodann den
wissenschaftlichen Austausch zwischen der Pfalzgräfin Elisa-
beth und Descartes (Raumers Historisches Taschenbuch 1886,
S. 256 — 304) auf Grund ihres Briefwechsels. Descartes wird
der Gewissensrat der Fürstin, einer begeisterten Anhängerin
seiner Philosophie, die ihr die Seelenruhe vermitteln soll. Oft
ist er in Verlegenheit, wie er ihre verständnisvollen und
scharfsinnigen Einwürfe erledigen könne. Warmherzig wird
Heinze der edlen Persönlichkeit Spinozas gerecht in seinem
Vortrage Zum Gedächtnis Spinozas (Im neuen Reich 1871
S. 337 — 35 0, uud lebendig vergegenwärtigt er den persön-
lichen Gedankenaustausch zwischen Spinoza und Leibniz, der
auf Leibniz' philosophisches Denken nicht ohne Einfluß ge-
glichen ist (Leibniz in seinem Verhältnis zu Spinoza. Im
neuen Reich 1875, S. 921 — 932).
In den zuletzt genannten Arbeiten tritt das Interesse an
der Persönlichkeit der Männer, mit deren Gedankenwelt er sich
beschäftigte, deutlich hervor. Ehe ich jedoch darauf weiter
eingehe, sind noch Heinzes Beiträge zur Religionsphilosophie
und zu den Prinzipienfragen der Weltanschauung, die gleich-
falls begriffsgeschichtlichen Inhalts sind, zu beleuchten. Sie
finden sich in der dritten Auflage der Realenzyklopädie für
protestantische Theologie und Kirche. Sie handeln über den
Emanatismus (V S. 329 — 336), den Evolutionismus (V S. 672
bis 681), das Naturgesetz (XIII S. 657 — 659), den Materialis-
mus (XII S. 414 — 424), den Pantheismus (XIV S. 627 — 641),
den Theismus (XIX S. 585 — 595) und die Religionsphilosophie
(XVI s. 597-630).
M \x Heikze.
Diese Artikel hängen untereinander eng zusammen. Die
ersten drei erörtern Grundbegriffe der Weltanschauungen. In
den Artikeln über Materialismus, Pantheismus und Thi
ruus wird wie mit parallelen Linien in einem Gange durch
die Geistesgescbichte aufgezeigt, welche Weltanschauungen
nebeneinander bestehen und miteinander ringen, und wie aie
trotz aller Gegensätze vielfach ineinander Übergehen und sich
gegenseitig bedingen. Die ausführliche Darstellung der Keli-
gionsphilosophie, eine kritische Geschichte dieser Disziplin,
faßt die in den vorhergenannten Arbeiten gewonnenen Ergeb-
nisse in einem übersichtlichen Gesamtbilde zusammen. Die
Verbindungslinien zwischen diesen Arbeiten und den be^riffs-
geschichtlichen Studien aus der Geschichte der Philosophie
stellt der schon erwähnte Artikel über den Neoplatcmismus
her, der ja ebenso als Religion wie als Philosophie wirksam
geworden ist.
Emanatismus und Evolutionismus bezeichnen zwei Grund-
anschauungen, die von den ältesten Versuchen an, über die
letzten Ursachen der Dinge sich zu orientieren, bis auf die
Gegenwart herrschen. Sie stehen zu einander wie feindliche
Blutsverwandte. In der Gegenwart hat der Evolutionismus
die Vorherrschaft. Der Emanatismus geht aus von der An-
nahme eines allumfassenden und allwirksamen Urprinzips, das
nicht in die Welt des Seienden aufgeht, sondern diese Welt
ans sich heraussetzt, und zwar so, daß, je weiter der Abstand
von dem Urprinzip ist, desto dürftiger und unvollkommener
die von ihm emanierten Wesenheiten sind. Der Evolutionis-
mus erkennt kein Urprinzip außerhalb des Seienden an. Die
Welt beurteilt er als eine stets sich bewegende und sich um-
wandelnde Größe. Dieser Prozeß wird entweder als mecha-
nischer, oder, weniger folgerecht, als teleologischer zu be-
greifen gesucht. Um eine Kopf und Gemüt befriedigende
Weltanschauuno- zu gewinnen, müssen Emanatismus und Evo-
lutionismus Frieden schließen. Ohne den Begriff der Ent-
wickelung kann der natürliche Gang der Dinge nicht ver-
standen werden, ohne Annahme eines schöpferischen Urprinzips
222 Georg Heinrici:
fehlt jeder feste Orientierungspunkt. Ob aber dieser Friede
jemals zustande kommt, das bleibt eine offene Frage.
In der Untersuchung des Begriffs Naturgesetz weist Heinze
dessen Unbestimmtheit nach. Was man so nenne, sind Ab-
straktionen aus der Beobachtung und Erfahrung; das Gebiet
der Erfahrung aber ist unbegrenzt. Der Beobachter ist deshalb
niemals fertig, und überraschende Entdeckungen können jeder-
zeit das was Naturgesetz genannt wurde als täuschende Formel
enthüllen. So behält Kant vielleicht darin Recht, daß der Mensch
auch Gesetzgeber der Natur sei auf Grund seiner apriorischen
Einsichten. Es ist in diesen Bestimmungen eben alles zweifelhaft.
Das Sicherste ist noch das Kausalitätsgesetz; aber auch dies ist
formal und versagt, wenn man das einzelne wirklich ableiten will.
Auf Grund des Evolutionismus hat sich der Materialis-
mus als Weltanschauung durchgesetzt, auf Grund des Emana-
tismus der Pantheismus und der Theismus.
Der Materialismus ist die älteste und einfachste, aber
auch die unvollkommenste Weltanschauung; denn sie begnügt
sich mit der Ableitung der Dinge aus dem Sichtbaren und
Greifbaren. Seine ältesten Formen liegen im Hylozoismus
der jonischen Naturphilosophen vor, die jüngsten in dem
Monismus von Ludwig Büchner und Ernst Haeckel. Wie ver-
schiedene Formen der Materialismus annehmen und wie ver-
schiedene Verbindungen er eingehen kann, beweist besonders
die glückliche Inkonsecpuenz der Stoiker, die als Metaphysiker
Materialisten sind, auch als Ethiker — nehmen sie doch auch
einen Affektenstoff und einen Tugendstoff an, — und trotz-
dem sind sie die eifrigsten Begründer einer teleologischen
Weltauffassung und auch die Bescbützer der Volksreligion.
Nach Helntzes Urteil bleibt der Materialismus ein heilsames
Korrektiv der Tendenz auf Begriffsdichtung und liefert die
handlichsten Methoden für die Naturforschung. Aber die
„Weltenrätsel" vermag er nicht zu lösen. Was man Materie
nennt, ist überhaupt ein letztlich unfaßbarer Begriff, und der
Übergang aus dem Materiellen in das Unsichtbare und Un-
greifbare des Gedankens bleibt verborgen.
M.w HniN/.i.. 223
Als Kunstwörter tauchen Pantheismus und Theismus zu-
erst in der englischen Aufklärungsbewegung auf. Den Pan-
theismus erzeugt das Streben nach einer einheitliches Welt-
anschauung; somit hat er monistische Elemente in sich. Die
Formel 'iv xal Ttäv und die Formel näv Q-ebg sind nur relativ
verschieden; aber die erste kann zum Atheismus führen, die
zweite in weltilüchtigen Mystizismus ausmünden. Herdklit ist
wohl der erste Pantheist, der konsequenteste aber ist Spinoza.
In den neueren philosophischen Systemen finden sich fast
ausnahmslos pantheistische Elemente, auch bei Fecitner und
Paulsen, und es gilt vom Pantheismus ebenso wie von dem
Entwickelungsbegriff, daß keine Weltanschauung ihrer ganz
entraten kann.
Das Kunstwort Theismus ist ein Beispiel für die Willkür
in der Bildung der Terminologie. Warum Deismus und
Theismus verschiedene Weltanschauungen kennzeichnen, ist
nur aus der Geschichte zu verstehen. Als der englische Deis-
mus sich mehr und mehr zur antichristlichen „Vernunft-
religion" entwickelt hatte, bezeichnete sich die ihn bekämpfende
Geistesrichtung als Theismus. Den Unterschied beider for-
muliert klassisch Kant: „Der Deist glaubt einen Gott, der
Theist einen lebendigen Gott." Der philosophische Theist
denkt grundsätzlich dualistisch, etwa wie Aristoteles, der christ-
liche Theist denkt vielmehr monistisch, indem er Gott als
„absolute Persönlichkeit" und als Weltschöpfer betrachtet.
Die christliche Mystik endlich öffnet die Tore weit dem Pan-
theismus. Hauptvertreter des Theismus sind Kant in seiner
praktischen Philosophie und unter den späteren Philosophen
der jüngere Fichte, Ulrici, Trendelenburg und Lotze.
Man kann es bedauern, daß Heinze die in diesen Ar-
tikeln niedergelegten Forschungen nicht zu einem System der
Religionsphilosophie verarbeitet hat, in welchem er sich etwa
den Platz neben Trendelenburg und Lotze frei gemacht
haben würde. Einen gewissen Ersatz dafür liefert seine aus-
führliche historische Darstellung der Religionsphilosophie. Er
unterscheidet in ihr zwei Richtungen, die einander entgegen-
Phil.-hist. Klasse 1909. Bd. LXI. 1 5
224 Georg Heinrici:
treten: entweder wird die Religion zum Gegenstande der
Philosophie gemacht, oder sie wird das Objekt psychologischer
Untersuchungen. Die evolutionistische Denkweise der Gegen-
wart arbeitet in der letzteren Richtung. Welche Bedeutung
aber der Religion im Geistesleben zukommt, werde durch
nichts einleuchtender, als durch Beachtung der Tatsache, daß
jede Philosophie, die nach den letzten Ursachen fragt und sie
nicht in dem „natürlichen Gange" der Dinge findet, irgendwie,
wenn auch in verschiedenem Grade, religiös bestimmt ist.
Dies weist Heinze nach, indem er das Hervortreten der
religiösen Probleme und ihre verschiedene Wertung von
Xenophanes ab bis auf Albrecht Bitschi, Ed. von Hartmann
und die „ethische Bewegung", die alle Religion für bankrott
erklären möchte, in klaren Umrissen schildert. Mit besonderer
Liebe hebt er Plato, die Stoiker, Herbart, Drobisch und Lotze
heraus und legt am Schlüsse auch, mehr wie das sonst
seine Weise ist, seine eigene Auffassung der Religion dar.
Die Religion ist ihm nicht bloß ein Gefühl, kraft dessen der
Mensch sich aus dem Zustande der inneren Unfreiheit zu
lösen sucht, indem er sich zu Gott erhebt; diese Erhebung
ist vielmehr ein Willensakt, der dem Wesen des Menschen
entspricht: Ttdvxsg de frecbv yux&ovö' uv&Qaitoi. Die Kraft
und Gesundheit der Religion kann weder ohne Sittlichkeit
bestehen, noch ohne intellektuelle Klarheit über ihren Inhalt.
Daher bezieht sich die Religion auf das ganze Seelenleben.
Sie ist die wirksamste Lebensmacht; denn sie errettet aus der
Seelennot und weist den Weg zur Erlösung. Die Idee der
Erlösung ist daher der Mittelpunkt der Religionsphilosophie.
In der Gewißheit der Erlösung ist, christlich zu reden, der
Gegensatz von Gesetz und Evangelium, von Sünde und Gnade
ausgeglichen. Die Vorstellungen von der Erlösung ändern
sich; das Wesen der Religion als Kraft inneren Glückes und
Bürgschaft für die Erlösung ändert sich nicht. Das philoso-
sophische Erkennen erzeugt diese Kraft nicht. Zwar muß
auch die wissenschaftliche Erkenntnis ein Unbedingtes setzen,
da es sonst nichts Bedingtes gäbe, aber dies Unbedingte bleibt
Max H hin zk.
kalt, es hat kein eigenes Leben. „So wird dem Glauben
anheimfallen, was die Erkenntnis nicht leisten kann, den
Glauben, dem nach Kant der Vorrang vor dem Wissen
bührt."
Die biographischen Arbeiten HEINZES, die sich meistens
in der „Deutschen Biographie'" finden, sind, so darf man wohl
sagen, Illustrationen zu seinen begriffsgeschichtlichen. Nur
eine liegt nicht im Rahmen der begriffsgeschichtlichen, die
Biographie des späten Scholastikers Joh. Versor, dessen trocken
schematisierende Kommentare zum Aristoteles sehr einfluß-
reich auf den Unterricht gewesen sind. Abgesehen davon
schildert Heinze das Leben und die Forschung von dem
Schweizer, dem späteren marburger Theologen. Daniel Wytten-
bach, der als Philologe und Humanist in den Geleisen der
Leibniz-Wolfschen Philosophie sich bewegte, aber in Plato
die eigentliche Quelle fand; sodann Thomas Wizenmann, den
frühverstorbenen Freund Joh. Heinrich Jacobis, den tief reli-
giösen Autodidakten, der zugleich ein scharfsinniger Kritiker
war. Dazu kommen die Hegelianer Joh. Ed. Erdmann, der
geistvolle, feinsinnige Historiker und Popularphilosoph, und
der Theolog Wilhelm Vatke, ein gelehrter Humanist, charakter-
voll, aber scheu und ungelenk, der seine Richtpunkte von
Hegel übernahm, aber als Bibelkritiker neue Bahnen eröffnete.
Einen selbständigen Platz weist Heinze dem Leipziger Philo-
sophen Christian Hermann Weiße zu, der im Gegensatz zu
Hegel einen ethischen Theismus mit mystischem Einschlag
vertritt, die Evangelienforschung als Kritiker von D. F. Strauß
mächtig fördert und die Ästhetik eigenartig begründet.
Sein höchstes Ziel war, das Christentum mit der modernen
Bildung zu versöhnen. Ein selbständiger Denker ist auch
der unruhige, gelehrte Joh. Jac. Wagner, einer der bedeutend-
sten unter den katholischen Philosophen, welche die Kirche
nicht dulden mochte. Er bemüht sich um eine mathematische
Methode für das Philosophieren. Ebenso originell ist der
schwerblütige Jacob Frohschammer, der in der schöpferischen
Phantasie das Weltprinzip erkannte und von ihr aus sein
'5*
22b Georg Heinrich
System aufbaute. Von Schleierinacher abhängig ist der stille,
sinnige Friedrich Vorländer, der sich später mehr und mehr
Hegel zuwandte, und Georg Weissenbom, der Interpret Schleier-
machers. Julius Frauenstaedt macht sich als Jünger Schopen-
hauers geltend. Von Herbartianern behandelt Heinze den
nüchternen Gustav Hartenstein und den Begründer unserer
Gesellschaft der Wissenschaften Moritz Wilhelm Drobisch,
dem er in seiner Gedächtnisrede (gehalten am 5. Dezember 1896)
eine warmherzige ausführliche Charakteristik widmet. „Streng
gegen sich selbst und gewissenhaft bis ins Kleinste, schien
er eine Verkörperung des kategorischen Imperativs zu sein",
so urteilt er über den Freund und Kollegen.
Einen weiteren Zug zu dem literarischen Porträt Heinzes
fügen seine Rezensionen im Literarischen Zentralblatt (seit
1873) hinzu und seine Übersichten über die auf die nacharisto-
telische Philosophie bezüglichen Arbeiten in Bursians Jahres-
bericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissen-
schaft (1873 I S. 187—210; 1874/75 HI S. 555—575; 1876/80
XXI S. 1—60; 1881/86 L S. 34—133)- Die Berichte sind
knapp, sachlich und wohlwollend gehalten. Die Leistungen
werden an ihrem Zwecke bemessen und, je nachdem dieser
erreicht ist, gewertet. Die mit M. H. gezeichneten Rezensionen
der siebziger und achtziger Jahre sind ein wesentlicher Be-
standteil der philosophischen Abteilung des literarischen
Zentralblatts. Bisweilen finden sich bis dreie in einer Nummer.
Auch sie beziehen sich vornämlich auf die alte Philosophie,
die Ethik und auf Schriften zur Weltanschauung. Die italieni-
sche Literatur wird mit herangezogen. Selten holt Heinze
weiter aus als es das zu besprechende Werk erfordert, wie
z. B. bei Pietro Ragniscos Storia critica delle categorie (1874),
in der er zugleich die in Italien unter Hegels Einfluß neu
belebte philosophische Arbeit beleuchtet. Wo Leichtfertigkeit,
Anmaßung, Flachheit und Einseitigkeit zu rügen sind, tut
er es sehr bestimmt, aber nicht in verletzender Form. So
bemerkt er zu der Schrift Hartsens über die Moral des Pessi-
mismus: „Wegen der aphoristischen Form entschuldigt sich
Max Hein/.k.
der Verfasser in der Vorrede selbst. Noch mehr einer Ent-
schuldigung hätten der etwas vulgäre Ton, in den er bis
weilen verfällt, und die mancherlei Verstöße gegen die deutsche
Grammatik bedurft."
Diese so mannigfachen, in unregelmäßiger Zeitfolge an
verschiedenen Stellen veröffentlichten Arbeiten, in denen dun-li
weg die gleichen Grundanschauungen und die gleichen wissen-
schaftlichen Interessen durchscheinen, und von denen man
sagen darf, daß ihr Verfasser jedesmal im kleinsten Punkte
die größeste Kraft sammelt, sind die Voraussetzungen und die
Begleiter seiner Neubearbeitung von Friedrich Überwegs Grund-
riß der Geschichte der Philosophie, für den er mehr als ein
Menschenalter hindurch seine Kraft eingesetzt hat.
Als Uberivegs Grundriß im Jahre 1863 zu erscheinen be-
gann, wurde das Buch für die philosophisch interessierten
Kreise der Jüngeren ein Ereignis. Solch ein Buch brauchten
wir, das nicht konstruierte, wie der damals allverbreitete Grund-
riß des Hegelianers Schwegler, sondern das den Philosophen
selbst das Wort gönnte und zugleich über die Literatur
orientierte. Das tat Überweg. Sein Ziel ist, „nicht späterer
Zeit entstammte Reflexion oder Spekulation über die Ge-
schichte, sondern die Geschichte selbst in treuem Miniatur-
bild darzustellen". „Nur Wesentliches, aber nach Möglichkeit
alles Wesentliche" will er geben. Mit der vierten Auflage
übernahm Heinze die Neubearbeitung des damals drei schlanke
Bände umfassenden Grundrisses. Das Gerüst läßt er unverändert
und schont Überwegs Arbeit zunächst so viel als er vermag.
Aber von Auflage zu Auflage begnügt er sich immer weniger
mit bloßem Ergänzen und Einordnen. Er gestaltet auch um,
gibt schärfere Charakteristiken und einleuchtendere Formu-
lierungen, verfolgt mit nie erlahmender Aufmerksamkeit und
Sorgfalt die neu zuwachsende Literatur und läßt keine neue
Erscheinung auf dem Gebiete der Philosophie unbeachtet,
namentlich wo Beiträge zur Metaphysik in Frage komnu-n.
Und um auch der philosophischen Bewegung des Auslandes
gerecht zu werden, die von der deutschen Philosophie ebenso
228 Georg Heinrici:
bestimmt ist, wie sie auf diese zurückwirkt, zieht er geeignete
Mitarbeiter heran. Den bescheidenen Titel „Grundriß" behält
er bei, trotzdem das Werk allmählich mehr als den doppelten
Umfang erreicht und auf vier starke Bände anwächst. Die
gewaltige Arbeit, die er dem Werke gewidmet hat, vermag
wohl am besten Karl Praechter zu beurteilen, der die zehnte
Auflage des ersten Bandes besorgt hat. Er sagt: „Die Durch-
arbeit des Buches hat mich die treue, von tief gründendem
Sachverständnis geleitete Sorge, die ihm Max Heinze so viele
Jahre hindurch gewidmet hat, von Seite zu Seite mehr
schätzen gelehrt." So ist der Grundriß in der Tat ein un-
entbehrliches Orientierungsbuch geworden, das bis auf die
neueste Zeit ein zuverlässiges, klares Bild von dem Sach-
stande gibt. Bewunderungswert ist die Kunst des Einordnens
der Stoffmassen, eindrucksvoll die Kunst, mit der in kraft-
vollen Strichen, schlicht und sicher die Eigenart der Philo-
sophen gezeichnet ist — jedem baut er sein Haus mit den
ihm zugehörigen Bausteinen — , wertvoll sind die kurzen
Charakteristiken bedeutender Schriften aus der Literatur. Kaum
einen Namen vermißt man. Nur Max Heinze hat für seine
Leistungen keinen Sonderplatz in dem Werke erhalten. Er
wollte nicht mehr sein als der treue Pfleger und der kritische
Hüter der philosophischen Überlieferung und der sorgfältige
und umsichtige Bearbeiter ihrer Grundbegriffe. Trendelen-
bürg sagt von seinen „Historischen Beiträgen zur Philo-
sophie:" „Mögen dieselben weder so historisch sein, daß sie
unphilosophisch, noch so philosophisch, daß sie unhistorisch
werden". Dieses Wort hätte Max Heinze auch auf seine
Arbeit anwenden können.
Mit eben der Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, mit der
er sich jeder übernommenen literarischen Aufgabe hingab,
widmete er sich der Lehrtätigkeit. Auch in seinen Vorlesungen
verzichtete er auf alles Blendwerk des Impressionismus. Sein
Vortrag war sachlich, eindringend, stoffreich und anschaulich;
charakteristische Tatsachen und Beispiele belebten ihn, ge-
legentlich auch eine humoristische Bemerkung. Der Kreis
Max Heinze. 229
der Vorlesungen blieb ein beschränkter. In regelmäßigen Ab-
ständen las er Logik oder Einführung in die Philosophie,
um seine Hörer zum philosophischen Denken zu erziehen und
ihnen Interesse für die GrundproMcmc des menschlichen
Wissens einzuflößen. In die Logik bezog er die Krkenntnis-
lehre mit ein. Dazu kam die Geschichte der Philosophie, die
er bisweilen in die Geschichte der alten und der neueren
Philosophie teilte, und die Psychologie, der er die Aufgahe
stellte, den Gehalt aller seelischen Erscheinungen und aller
inneren Erfahrungen zu untersuchen. So stellte er sie zwi-
schen die Physiologie und die Ethik. Seltener las er über
Ethik und Religionsphilosophie. In seinen Übungen, die er
später zum Seminar ausgestaltete, behandelte er mit Vorliebe
Schriften des Plato und Aristoteles, auch Kants, wobei er die
ethischen Fragen bevorzugte und zu begriffsgeschichtlichen
Untersuchungen anleitete. Viele Dissertationen sind aus diesen
Übungen erwachsen, wie Heinze denn überhaupt, was ihm
viele seiner Schüler dankbar bezeugen, ein Meister war in der
Auswahl angemessener Aufgaben für selbständige Arbeit der
Do O
Schüler. Für seine Denkweise ist es bezeichnend, daß er die
ihm oft angebotene Widmung solcher von ihm angeregten
und mit Interesse geförderten Arbeiten abzulehnen pflegte.
Über sein Verfahren im Seminar berichtet Dr. Grimm, der
Mitglied desselben gewesen ist, in seinem warm empfundenen
Nachruf (Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung Nr. 3 9,
25. IX. 1909): „Immer wieder bewies er, wie er an der selt-
samsten, manchmal herzlich schwachen Anfängerleistung das
gute Körnchen herauszufinden wußte, ermunternd und er-
leuchtend, während er dem Begabten und Geförderten die
steileren Wege aufwies und bahnte, die zu selbständiger For-
schung führen."
Alles in allem: in dem weitverzweigten Lebenswerk Max
Heixzes prägt sich ein Charakterkopf mit festen Zügen aus,
eine Grundanschauung, die bestimmt aber maßvoll sich geltend
macht, eine nie getrübte Sachlichkeit, eine wohlwollende
Würdigung abweichender Meinungen, wie sie die Frucht edler
230 Georg Heinrici:
Menschenkenntnis, kritischer Klarheit und umfassenden Wissens
ist. Mit besonderem Nachdruck richtet er seine Kraft auf
die Erhaltung der Geisteswerte der hellenischen Kultur. In
erster Linie fesseln ihn die ewigen Probleme der Weltanschau-
ung. Wie diese sich in den Köpfen der Denker regen,
formen und spiegeln, wie über Natur und Geist, Leib und
Seele, über das Wesen der Sittlichkeit und die Bedingungen
des Glücks, über das Wesen der Religion und ihre Erschei-
nungen geurteilt wird, dem geht er mit nie versagendem
Scharfsinn nach, unterstützt durch ein treues, zuverlässiges,
das Mannigfaltigste umspannendes Gedächtnis. Ohne ver-
schleiernde Harmonistik und schematisierende Eintragungen
weist er in den Gedankengängen, die er analysiert, die Sprünge,
Brüche und Widersprüche nach, aber nicht aus Lust an der
Skepsis, sondern um den Tatbestand sicher zu stellen. Alle
seine Untersuchungen kommen daher zu einem positiven Er-
gebnis; denn er hat ein scharfes Auge nicht nur für Schwä-
chen und Einseitigkeiten, sondern auch für das Probehaltige,
das Wertvolle, das Förderliche, und unterläßt es nie, seine
eigene Ansicht unzweideutig auszusprechen. Bewunderungs-
wert ist seine Kunst des Abwägens, wobei er mit sicheren,
bewußt den geschichtlichen Bedingungen entnommenen Maß-
stäben arbeitet. Nur ein Beispiel, seine Würdigung Nicolais
und der Aufklärung (Grundriß III, 10. Aufl., S. 242). „Sie hat
so lange wohltätig gewirkt, als noch vor allem die Reinigung
des Geistes von dem Schmutze des Aberglaubens und die Be-
freiung von Vorurteilen nottat, unzulänglich aber, seitdem der
Sieg über die traditionelle Unvernunft im wesentlichen bereits
errungen war und die positive Erfüllung des Geistes mit
edlem Gehalt zur Hauptaufgabe ward. Die Männer, welche
an dieser Aufgabe arbeiteten (Goethe, Schiller), haben gegen
die Angriffe, die er wider sie richtete, in einer Weise reagiert,
mit der das historische Urteil über Nicolai sich ebensowenig
identifizieren darf, wie etwa das historische Urteil über die
griechischen Sophisten mit der sokratisch-platonischen Polemik."
Für Heinzes eigene Überzeugungen aber ist seine BeMorrede
Max Bbinze. 231
wohl das wichtigste Dokument. Sie handelt „Über den sitt-
lichen Wert der Wissenschaft". Er kommt zu folffenden
Thesen auf Grund geschichtlicher Darlegung: Die Sittlichkeit
ist an das Wissen gebunden; denn zum sittlichen Charakter
gehört Konsequenz, und Konsequenz erfordert Grundsätze
Wissen jedoch ist nicht gleich Sittlichkeit, diese wird viel-
mehr durch den Willen zur Wahrheit erworben. Die rück-
sichtslose Liebe zur Wahrheit schafft die innere Freiheit
deren Anerkennung Luther durchgesetzt hat. „Die Freiheit
der Wissenschaft, das Recht der unbehinderten Forschung
ergibt sich aus der evangelischen Lehre von der Freiheit des
Christenmenschen, der zwar an Gottes Wort gebunden, aber
von anderen Rücksichten frei ist." In welchem Sinne Hkinzk
dies ausspricht, erhellt aus seiner Kritik des Evolutionismus:
„Man bedarf, um die Welt zu begreifen, eines Festen, Bleiben-
den, nicht Werdenden, das gedacht werden muß, aber nicht
widerspruchslos begrifflich gefaßt, nicht sicher, nicht allseitig
bestimmt werden kann." Und wie er hier die Grenzen des
Erkennbaren markiert, so schätzt er auch die eigene Arbeit
ein. Am Schlüsse des Vorworts zur Geschichte des Logos
sagt er: „Mancher würde aus dem von uns benutzten Material
häufig bestimmtere Schlüsse gezogen haben. Meiner In-
dividualität ist es entsprechender, da nur von Wahrscheinlich-
keiten zu reden, wo nicht jeder Zweifel beseitigt scheint."
Wie sich diese Gesinnung im Leben bewährt hat, das
bezeugt der weite Kreis der Freunde und der Schüler, die ihm
näher getreten sind. Wer freute sich nicht an ihm, wenn er
schnellen Schritts sinnend, wie nach innen gewandt, daher-
ging und dann seine Züge bei der Begegnung sich auf-
schlössen und die Augen, die so ernst unter der breit sich
auslegenden Stirn ausschauen konnten, freundlich, ja schalk-
haft aufblitzten, als wollten sie sagen: „Wer das Tiefste ge-
dacht, liebt das Lebendigste"? Ja das tat er, darum holte er
auch gerne im Freundeskreise aus dem nie erschöpften Schatz
seines Gedächtnisses viele charakteristische Geschichten hervor
und würzte damit die Geselligkeit. Und wie konnte er dann
2 32 Georg Heinrici:
so hell und fröhlich lachen. An einem treffenden Worte
fehlte es ihm nie. Auch hatte er den Mut, offen und ehrlich,
wenn es sein mußte, unangenehme Wahrheiten zu sagen. Ver-
band er doch männliche Offenheit und Zartheit der Empfin-
dung in seltener Eintracht. Als einmal ein alter Schüler, der
sich zu einem der modernen ßeligionsstifter entwickelt hatte,
zu ihm kam, um ihm seine neuen Offenbarungen mitzuteilen,
sagte er ihm, nachdem er ihm geduldig zugehört hatte: „Das
ist alles ganz schön. Aber nun müssen Sie noch hingehen
und sich kreuzigen lassen." Und wie zutreffend bemerkt er
bei der Schilderung einer kleinen Verstimmung zwischen
Herbart und Drobisch: „Wie es so zu geschehen pflegt, daß
von Seiten der Gründer wissenschaftlicher Richtungen im
Prinzip jede Abweichung den Anhängern frei stehen soll,
kommt aber eine solche faktisch vor, sie übel vermerkt wird."
Typisch für seine Sinnesart ist sein Verhältnis zu Friedrich
Nietzsche, dessen Lebensgang er von der Schulzeit in Pforta
ab teilnehmend, ja liebevoll verfolgt, und für den er als Gegen-
vormund in der Leidenszeit mitgesorgt hat, wie er denn auch
an seinem Grabe ihm ein have pia anima nachrief. Als er
dann von der Leichenfeier heimkehrte, verbrannte er die von
Nietzsche an ihn gerichteten Briefe. Er meinte der Nach-
welt den Einblick in die zerrissene Seele ersparen zu sollen.
Es ist gewiß merkwürdig: Unter allen, denen Nietzsche sich
erschloß, ist JIeinze der einzige, den er mit gleichmäßigem
Vertrauen behandelt und mit dem er niemals gebrochen hat.
In seinen Briefen registriert er alle Begegnungen mit ihm.
Den neuen Lehrer in Pforta erwartet er ungeduldig und freut
sich dann, von ihm eingeladen zu sein. Den Kollegen Heinze
in Basel nennt er „einen guten, tüchtigen, rücksichtsvollen
Menschen" und erwähnt dessen Antrittsvorlesung über „mecha-
nische und teleologische Weltanschauung". Von Heinze in
Leipzig schreibt er (an Gast 17. IV. 1884): „Er ist bei weitem
mein bester Fürsprecher in Universitätskreisen: er fällt damit
auf und setzt sich dem Argwohn aus. Ich habe ihn gern;
er ist eine sehr reinliche, wohlmeinende und gerade Art."
Max Hkinze. 231
Nietzsche hatte, nachdem er die Professur in Basel nieder-
gelegt, die Absicht, in Leipzig Vorlesungen zu halten l!i:i\xi
riet es ihm offen und ernst ab. Als dann Nietzsche sellist
nach Leipzig kommt, berichtet er von seiner Begegnung mit
Heinze: „Ich habe mit ihm im Rosental saure Milch v> r
zuckert und verzimmtet gegessen, realiter und symbolice"
(2. IX. 1886). Das „verzuckert und verzimmtet" bezieht sich
wohl auch auf Heinzes Frage: „Warum reden Sie im Zara-
thustra im biblischen Prophetenton, da Sie doch ein solcher
Bibelfeind geworden sind?" Nietzsche antwortet: „Das hängt
mir von meinem Elternhause her an und ist auch so ein-
drucksvoll."
In der Tat ist es ein einzigartiges Verhältnis zweier
durchaus konträrer Charaktere. Heinzes Zurückhaltung und
wohlwollendes Anerkennen, Nietzsches leidenschaftliches Vor-
wärtsstürmen; Heinzes Stetigkeit und Geschlossenheit, Nietz-
sches in den widersprechendsten Peripetien phosphoreszierende
Gedankensprünge; Heinzes aufgeschlossene Gleichmäßigkeit,
Nietzsches Mißtrauen und Reizbarkeit; Nietzsches sprühender
Haß gegen alle Ideen, die seinen Idealen widerstanden, Heinzes
liebevolles Aufspüren alles Wahl verwandten. Aber Heinz i:
ließ nicht von Nietzsche. Er verstand seine Größe ebenso
wie seine Schranken und seine Seelennot. In der meister-
haften Charakteristik, die er im „Grundriß" den philosophi-
schen Bestrebungen Nietzsches widmet, sagt er unter anderem :
„Seine Philosophie war Erlebnis." „Seine Schriften sind B<
kenntnisse." Leiden und Einsamkeit und Überschuß an ein-
seitiger Kraft, die sich von sich selbst befreien wollte, be-
lasten ihn, Schmerzen und Kämpfe verlangte seine Natur.
Seine Aphorismen sind elektrischen Entladungen vergleichbar.
„Für ihn gibt es keine Wahrheit außer ihm, keine in ihm.
Er sagt: Nichts ist wahr. Aber wertvoll bleibt trotz alledem,
abgesehen von allem Geistvollen und Schönen im einzelnen,
das Betonen des Rechts der kraftvollen, willensstarken, selb-
ständigen und freien Persönlichkeit gegenüber der jetzt so
beliebten Gleichmacherei."
234 Georg Heinrici: Max Heinze.
Heinze hat keine Schule gegründet — das lag seinem
Wesen und seinen Absichten fern — , aber er hat Generationen
von dankbaren Schülern an sich gekettet, die es im Verkehr
mit ihm erfahren haben, daß er einen eigenen besonderen
Ton für jeden hatte und jeden in seiner Eigenart würdigte.
Ein Denkmal dieser Tatsache ist die Festschrift, die ihm zum
siebzigsten Geburtstage von Freunden und Schülern gewidmet
worden ist (Philosophische Abhandlungen, Berlin 1906). Es
heißt in ihrem Vorwort: „Ihre Freunde und Schüler erinnern
sich gerne, was ihnen an Sympathie, Wohlwollen, an wissen-
schaftlicher Anregung und Belehrung von Ihnen zuteil ge-
worden. Es sind ihrer sehr viele, da Sie nicht müde wurden,
zu raten, zu helfen, zu fördern, zu erfreuen. Wir, die wenigen,
haben uns vereinigt, um Ihnen eine geistige Gabe dar-
zubringen als äußeres Zeichen unseres Dankes für das, was
wir von Ihnen empfangen haben . . . und wir machen uns zu-
gleich zu Sprechern jener vielen." Und gewiß, in Vergegen-
wärtigung dessen was er unserer Stadt, unserer Universität,
und unserer Gesellschaft gewesen ist, dürfen auch wir in
gleicher Dankbarkeit Max Heinzes gedenken.
Druckfertig erklärt iS. XII. 1909.]
Protektor der Königlich Sächsischen Gesellschaft der
Wissenschaften
SEINE MAJESTÄT DER KÖNIG.
Ehrenmitglied.
Seine Exzellenz der Staatsminister a. D.
Dr. Kurt Damm Paul v. Seydewitz.
Ordentliche einheimische Mitglieder der philologisch-
historischen Klasse.
Geheimer Rat Ernst Windisch in Leipzig, Sekretär der philol.-
histor. Klasse bis Ende des Jahres igio.
Geheimer Rat Hermann Lipsius in Leipzig, stellvertretender
Sekretär der philol.-histor. Klasse bis Ende des Jahres 1910.
Geheimer Hofrat Erich Bethe in Leipzig.
Geheimer Hofrat Adolf Birch-Hirschfeld in Leipzig.
Professor Erich Brandenburg in Leipzig.
Geheimer Hofrat Friedrich Karl Brugmavm in Leipzig.
Geheimer Hofrat Karl Bücher in Leipzig.
Professor Berthold Delbrück in Jena.
Professor August Fischer in Leipzig.
Geheimer Hofrat Georg Götz in Jena.
Geheimer Rat Albert Hauch in Leipzig.
Geheimer Kirchenrat Georg Heinrici in Leipzig.
Professor Bichard Heime in Leipzig.
Geheimer Hofrat Rudolf Hirzel in Jena.
Geheimer Hofrat Albert Köster in Leipzig.
Geheimer Hofrat Karl Lamprecht in Leipzig.
Geheimer Hofrat August LesMen in Leipzig.
Studienrat Bichard Meister in Leipzig.
iqio. a
II Mitglieder-Verzeichnis.
Geheimer Rat Ludwig Mitteis in Leipzig.
Professor Eugen Mogk in Leipzig.
Geheimer Regierungsrat Joseph Partscli in Leipzig.
Geheimer Oherschulrat Hermann Peter in Meißen.
Geheimer Hofrat Wilhelm Poscher in Dresden.
Geheimer Hofrat August Schmarsow in Leipzig.
Hofrat Theodor Schreiber in Leipzig.
Geheimer Hofrat Gerhard Seeliger in Leipzig.
Geheimer Hofrat Eduard Sievers in Leipzig.
Geheimer Rat Rudolph Sohm in Leipzig.
Professor Georg Steindorff in Leipzig.
Geheimer Hofrat Wilhelm Stieda in Leipzig.
Geheimer Hofrat Franz Studniczha in Leipzig.
Professor Hans Stumme in Leipzig.
Geheimer Hofrat Georg Treu in Dresden.
Professor Ulrich Wilcken in Leipzig.
Professor Heinrich Zimmern in Leipzig.
Frühere ordentliche einheimische, gegenwärtig auswärtige
Mitglieder der philologisch-historischen Klasse.
Geheimer Hofrat Lujo Brentano in München.
Geheimer Regierungsrat Friedrich Delitzsch in Berlin.
Geheimer Hofrat Friedrich Kluge in Freiburg i. B.
Geheimer Hofrat Friedrich Marx in Bonn.
Geheimer Hofrat Erich Marcks in Hamburg.
Ordentliche einheimische Mitglieder der mathematisch-
physischen Klasse.
Geheimer Rat Karl Chun in Leipzig, Sekretär der mathem.-phys.
Klasse bis Ende des Jahres 1 9 1 1 .
Geheimer Hofrat Otto Holder in Leipzig, stellvertretender Sekretär
der mathem.-phys. Klasse bis Ende des Jahres 1 9 1 1 .
Geheimer Hofrat Ernst Beckmann in Leipzig.
Geheimer Hofrat Wilhelm Biedermann in Jena.
Geheimer Medizinalrat Rudolf Böhm in Leipzig.
Geheimer Hofrat Heinrich Bruns in Leipzig.
M ITGLIEDEK -VERZEICHNIS. \U
Geheimer Rat Hermann Credner in Leipzig.
Professor Theodor Des Coudres in Leipzig.
Geheimer Hofrat Oskar Drude in Dresden.
Dr. Wilhelm Feddersen in Leipzig.
Professor Otto Fischer in Leipzig.
Geheimer Rat Paul Flechsig in Leipzig.
Geheimer Hofrat Wilhelm Hallwachs in Dresden.
Geheimer Hofrat Arthur Hantzsch in Leipzig.
Geheimer Rat Walter Hempel in Dresden.
Geheimer Rat Ewald Hering in Leipzig.
Geheimer Hofrat Ludwig Knorr in Jena.
Geheimer Hofrat Martin Krause in Dresden.
Professor Max Le Blanc in Leipzig.
Professor Robert 1 Alther in Dresden.
Geheimer Medizinalrat Felix Marchand in Leipzig.
Geheimer Hofrat Ernst von Meyer in Dresden.
Geheimer Rat Carl Neumann in Leipzig.
Wirklicher Staatsrat Arthur v. Oettingen in Leipzig.
Geheimer Hofrat Wilhelm Ostwald in Groß-Bothen.
Geheimer Rat Wilhelm Pfeffer in Leipzig.
Geheimer Medizinalrat Karl Bäbl in Leipzig.
Geheimer Hofrat Karl Hohn in Leipzig.
Professor Ernst Stahl in Jena.
Geheimer Hofrat Johannes TJiomae in Jena.
Geheimer Hofrat August Tbpler in Dresden.
Geheimer Hofrat Otto Wiener in Leipzig.
Geheimer Rat Wilhelm Wundt in Leipzig.
Außerordentliche Mitglieder der mathematisch-physischen
Klasse.
Professor Johannes Felix in Leipzig.
Professor Felix Hausdorff in Leipzig.
Professor Hans Held in Leipzig.
Professor Heinrich Liebmann in Leipzig.
Professor Max Siegfried in Leipzig.
Professor Hans Stohbe in Leipzig.
IV Mitglieder -Verzeichnis.
Frühere ordentliche einheimische, gegenwärtig auswärtige
Mitglieder der mathematisch-physischen Klasse.
Professor Friedrich Engel in Greifswald.
Geheimer Regierungsrat Felix Klein in Göttingen.
Geheimer Rat Ferdinand Zirkel in Bonn.
Archivar :
Ernst Robert Abendroth in Leipzig.
Verstorbene Mitglieder.
Ehrenmitglieder.
Falkenstein, Johann Paul von, 1882.
Gerber, Carl Friedrich von, 18 91.
Wieter sheim, Karl August Wilhelm Eduard von, 1865.
Philologisch-historische Klasse.
Albrecht, Eduard, 1876. Gebhardt, Oscar von, 1906.
Ammon, Christoph Friedrich von, Geizer, Heinrich, 1906.
1850. Gersdorf, Ernst Gotthelf, 1874.
Becker, Wilhelm Adolf, 1846. Göttling, Carl, 1869.
Berger, Hugo, 1904. Gutschmid, Hennann Alfred von,
Böhtlingk, Otto, 1904. 1887.
Brockhaus, Hermann, 1877. Hänel, Gustav, 1878.
Bursian, Conrad, 1883. Hand. Ferdinand, 1851.
Curtius, Georg, 1885. Hartenstein, Gustav, 1890.
Hroysen, Johann Gustav, 1884. Hasse, Friedrich Christian Au-
Ebers, Georg, 1898. gust, 1848.
Ebert, Adolf, 1890. Haupt, Moritz, 1874.
Fleckeisen, Alfred, 1899. Heinze, Max, 1909.
Fleischer, Heinr. Leberecht, 1888. Hermann. Gottfried, 1848.
Flügel, Gustav, 1870. Hultsch, Friedrich, 1906.
Franke, Friedrich, 187 1. Jacobs. Friedrich. 1847.
Gabelentz, Hans Conon von der, Jahn, Otto, 1869.
1874. Janitschek, Hubert. 1893.
Gabelentz, Hans Georg Conon Köhler. Beinhold, 1892.
w« der, 1893. £reM, Ludolf, 1901.
Mitglieder -Verzeichnis.
Lange, Ludwig, 1885.
Marquardt. Carl Joachim, 1882.
Maurenbrecher, Wilhelm, 1892.
Miaskowski, August von, 1899.
Mich eisen, Andreas Ludwig
Jacob, 1881.
Mommsen, Theodor, 1903.
Ntpperdey, Carl, 1875.
Noorden, Carl von, 1883.
Overbeck, Johannes Adolf. 1895.
Pertsch, Wilhelm, 1899.
Peschel, Oscar Ferdinand. 1875.
Preller, Ludwig. 1861.
Batsei, Friedrich, 1904.
EibbecJc. Otto. 1898.
Ritschi, Friedrich Wilhelm. 1876.
Rohde. Ericin. 1898.
Boscher, Wilhelm. 1 894.
7?m/7<?, Sophus. 1903.
Sauppe, Hermann, 1893.
Schleicher, August, 1868.
Schröder, "Eberhard, 1908.
Seidler, August, 18,51.
Seyffarfh, (instar. 1885.
Soo'w, Albert, 1899.
Springer. Anton. 1891.
/SYar/c, CW Bernhard, 1879.
Sfofc&e, Johann Ernst Otto, 1887.
YV//. Friedrich, 1867.
0:er/ . frw <//•/>// yl wgws/ . 1 85 1 .
Foi(//. Georg, 1891.
I'o/r/f, Moritz. 1905.
Wachsmuth, Gurt, 1905.
Wachsmuth. Wilhelm, 1866.
Wä'ldrr, Carl Georg von, 1880.
TFiesfenwaww, Anton. 1869.
Wttf/cer, Bichard Paul, 19 10.
Zarncke, Friedrich, 1891.
Mathematisch-physische Klasse.
J.b&e, Ernst, 1905.
d' Arrest, Heinrich, 1875.
Boltzcr. Heinrich Bichard, 1887.
Bezold, Ludwig Albert Wilhelm
von, 1868.
Braune, Christian Wilhelm, 1892.
Bruhns, Carl, 1881.
Carus, Carl Gustav, 1869.
Carus, Julius Victor, 1903.
Cohnheim, Jidius, 1884.
Döbereiner, Johann Wolfgang,
1849.
Drobisch, Moritz Wilhelm, 1896.
Erdmann, Otto Linnc, 1869.
Fechner, Gustav Theodor, 1887.
Funke, Otto, 1879.
Gegcnbaur, Carl, 1903.
Gemitz, Hans Bruno, 1900.
Hankel, Wilhelm Gottlieb, 1899.
Hansen, Peter Andreas, 1874.
Harnack. Axel, 1888.
ifis, Wilhelm, 1904.
Hofmeister, Wilhelm, 1877.
Huschke, Emil, 1858.
Knop, Johann August Ludwig
Wilhelm, 1891.
Kolbc, Hermann, 1884.
Krüger. Aäalbert, 1896.
Kunze, Gustav, 1 85 1 .
Lehmann, Carl Gotthelf, 1863.
fcartf, Rudolph, 1898.
i/e, Sophus, 1899.
/..'<<. /;- rnhard August von,
1854.
Ludwig Carl, 1895.
Marchand, Bichard Felix, 1850.
VI
Mitglieder -Verzeichnis.
Mayer, Adolf, 1908.
Mettenius, Georg, 1866.
Möbius, August Ferdinand, 1868.
Müller, Wilhelm, 1909.
Naumann, Carl Friedrich, 1873.
Pöppig, Eduard, 1868.
Reich, Ferdinand, 1882.
Richthofen, Ferdinand v., 1905.
Scheerer, TJieodor, 1875.
Scheibner, Wilhelm. 1908.
Schenk, August, 1891.
Schieiden, Matthias Jacob, 1881.
Schlömilch, Oscar, 1901.
Schmitt, Rudolf Wilhelm, 1898.
Schwägrichen , Christian Fried-
rich, 1853.
Seebeck, Ludwig Friedrich Wil-
helm August, 1849.
Stern, Samuel Friedrich Natha-
nael von, 1885.
Stohmann, Friedrich, 1897.
Volkmann. Alfred Wilhelm, 1877.
W?&er, Eduard Friedrich, 1 8 7 1 .
Weber, Ernst Heinrich, 1878.
Weber, Wilhelm, 1 8 9 1 .
Wiedemann, Gustav, 1899.
Winkler, Clemens, 1904.
Wislicenus, Johannes, 1902.
Zeuner, Gustav Anton, 1907.
Zöllner, Johann Carl Friedrich,
1882.
Leipzig, am 31. Dezember 1909.
VII
Verzeichnis
der bei der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften im Jahre 1909 eingegangenen Schriften.
1. Von gelehrten Gesellschaften, Universitäten und öffentlichen
Behörden herausgegebene und periodische Schriften.
Deutschland.
Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Aus d. J. 1908. Berlin d J.
Sitzungsberichte der Königl. Preuß. Akad. d. Wissensch. zu Berlin.
1908, No. 40 — 53. 1909, No. 1 — 39. ebd.
Politische Korrespondenz Friedrichs des Großen. Bd. 33. ebd. 1909.
Kekule von Stradowitz, Bronzestatuette eines kämpfenden Galliers in
den Kgl. Museen. 69. Programm zum Winckelniannsfeste der archäo-
logischen Gesellschaft zu Berlin, ebd. 1909.
Kaiserl. deutsches archäolog. Institut. Die antiken Vasen von der Akro-
polis zu Athen. Unter Mitwirkung von P. Hartwig, P. Wolters
und B. Zahn veröffentl. von Botho Graf. H. 1. Text u. Tafeln,
ebd. 1909.
Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrg. 41,
No. 19. Jahrg. 42, No. 1 — 16. Berlin 1908. 09.
Die Fortschritte der Physik im J. 1908. Dargestellt von der Physi-
kalischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrg. 64. Abt. 1 — 3. Braun-
schweig 1909.
Verhandlungen der deutschen physikalischen Gesellschaft. Jahrg. 10,
No. 22 — 24. Jahrg. 11, No. 1 — 22. Berlin 1908. 09.
Centralblatt für Physiologie. Unter Mitwirkung der Physiologischen
Gesellschaft zu Berlin herausgegeben. Bd. 22 (Jahrg. 1908),
No. 19 — 26a. Bd. 23 1 Jahrg. 1909), No. 1 — 18. — Bibliographia
physiologica. Ser. III. Bd. 4. No. 2 — 4. ebd. 1908. 09.
Abhandlungen der Kgl. Preuß. geolog. Landesanstalt N., F. H. 53. -
Potonie, H., Abbildungen und Beschreibungen fossiler Pflanzen-
reste der paläozoischen und mesozoischen Formationen. Lief. 6.
ebd. 1908. 09.
Jahrbuch der Kgl. Preuß. geolog. Landesanstalt und Bergakademie für
das Jahr 1905. Bd. 26. ebd. 1908.
Die Tätigkeit der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt im Jahre 1908.
S.-A. ebd.
VTEI Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Borrmann, R., Die Bauschule von Berlin. Rede in der Halle der Kgl. Tech-
nischen Hochschule, ebd. 1909.
Bonner Jahrbücher. Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im
Rheinlande. H. 117, HI. IV. Bonn 1908. 09.
Sechsundachtzigster Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vater-
ländische Kultur. 1908. Breslau 1909.
Deutsches meteorologisches Jahrbuch für 1904.U. 1905. Königreich Sachsen.
Dresden 1909.
Dekaden-Monatsberichte der Kgl. Sachs. Landes-Wetterwarte. Jahrg. 1 1
(1908). ebd. 1909.
Zeitschrift des k. sächsischen statistischen Bureaus Jahrg. 54, No. 2.
ebd. 1909.
Jahresbericht der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden.
Sitzungsber. 1908/09. München 1909.
Sitzungsberichte und Abhandlungen der naturwissenschaftlichen Gesell-
schaft Isis in Dresden. Jahrg. 1908, Jul. — Dez. 1909, Jan. — Juni.
Dresden d. J.
Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen an der Kgl. Sachs. Tech-
nischen Hochschule f. d. Sommersem. 1909 u. Wintersem. 1909/10. —
Bericht über die Kgl. Sachs. Technische Hochschule 1907/08 u. 1908/09.
ebd. 1908. 09.
Mitteilungen der Pollichia, eines naturwissenschaftlichen Vereins der
Rheinpfalz. No. 24, Jahrg. 65. Dürkheim a. d. H. 1908.
Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichtsvereins. Bd. 2 2. — Heyderhoff, Jul.,
Johann Friedrich Benzenberg, der erste Rheinische Liberale. Vereins-
geschenk des Düsseldorfer Geschichtsvereins. Düsseldorf 1909.
Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde von
Erfurt. H. 29. Erfurt 1908.
Sitzungsberichte der physikalisch-medizinischen Sozietät in Erlangen.
H. 39. 40. — Festschrift der phys.-med. Sozietät zur Feier ihres
100-jährig. Bestehens. Erlangen 1908. 09.
Abhandlungen hrg. von der Senckenbergischen naturforschenden Gesell-
schaft. Bd. 30,4. Frankfurt a. M. 1909.
Bericht über die Senckenbergische naturforschende Gesellschaft. 1909.
Jahresbericht des physikalischen Vereins zu Frankfurt a. M. für d.
Rechnungsjahr 1907/08. Ebd. 1909. — Der Neubau des physikalischen
Vereins und seine Eröffnungsfeier am n. Jan. 1908.
Programm der Kgl. Sachs. Bergakademie zu Freiberg f. d. J. 1909/10.
Freiberg 1909.
Jahrbuch für das Berg- und Hüttenwesen imKönigr. Sachsen auf d. J. 1909.
ebd. 1909.
Verzeichnis der Vorlesungen auf der Großherzogl. Hessischen Ludwigs-
Univers. zu Gießen. Sommer 1909, Winter 1 909/1 o; Personal-
bestand. Winter 1908/09. Sommer 1909. — Verzeichnis der laufenden
Zeitschriften der Universitätsbibliothek. Studienpläne, Satzungen
usw. — Eck, Sam., Über die Herkunft des Individualitätsgedankens
bei Schleiermacher (Progr.). — Leist, Alex., Kann die zivilistische
Rechtswissenschaft dem Staate nützen? (Akad. Rede). — 176 Disser-
tationen a. d. J. 1908/09.
Verzeichnis der eingegangenen Schbtj m •. IX
Bericht der Oberrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde.
N. F. mediz. Abt. Bd. 3. 4. Naturw. Abt. Bd. 2. (8.-A.) 1908.
NeuesLausitzischesMagazin Bd. 84. 85. Görlitz 1908.09. — Döhlcr. I\'i< h ,
Geschii hte der Rittergüter und Dörfer Lomnitz und Bohra. o. J. —
Scheibe, Werner, Die baugeschichtliche Entwickelung von Kamen/,
Görlitz 1909. — Streitz, Wilh., Friedrich von Uechtritz als drama-
tischer Dichter, ebd. 1909.
Abhandlungen der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu G ö 1 1 i n g e n.
N. F. Philologisch-historische Klasse. Bd. 11. No. 2 — 5. Math.-
phys. Klasse. Bd. 6. No. 4. Bd. 7. No. 3. Berlin 1908. 09.
Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu
Göttingen. Math.-phys. Kl. 1908, No. 4. 1909, No. 1.2. I'hilol.-
hist. Kl. 1909, No. 2. 3. — Geschäftliche Mitteilungen 1909, 11 1
Göttingen d. J.
Jahresbericht der Fürsten- und Landesschule zu Grimma über d.
Schuljahr 1908/09. Grimma 1909.
Nova Acta Academiae Caes. Leopoldino-Carol. Germanicae naturae
curiosorum. T. 88. 89. Halis 1908.
Leopoldina. Amtl. Org. d. Kais. Leopoldinisch-Carolinisch deutschen
Akad. der Naturforscher. H. 44, No. 12. H. 45, No. 1 — n.
Halle 1908. 09.
Zeitschrift für Naturwissenschaften. Organ des naturwiss. Vereins für
Sachsen und Thüringen (in Halle). Bd. 80. H. 3 — 6. Bd. 81.
H. 1 — 4. Stuttgart 1908. 09.
Mitteilungen der mathematischen Gesellschaft in Hamburg. Bd. 4.
H. 9. Leipzig 1909.
Jahresbericht der Hamburger Sternwarte für d. J. 1907. 08. — Astro-
nomische Abhandlungen der Hamburger Sternwarte. Bd. 1. Ham-
burg 1909.
Neue Heidelberger Jahrbücher. Hrg. vom hist.-philos. Verein zu
Heidelberg. Jg. 16. Heidelberg 1909.
Publikationen des astrophysikalischen Instituts Königstuhl-Heidelberg.
Bd. 3, No. 1 — 4. Karlsruhe 0. J.
Mitteilungen der Großherzoglichen Sternwarte zu Heidelberg. 13 — 18.
— Veröffentlichungen. Bd. 5. Leipzig und Karlsruhe 1909.
Verhandlungen des naturhist.-medizin. Vereins zu Heidelberg. N. F.
Bd. 8, H. 5. Bd. 9. 10. H. 1.2. Heidelberg 1908. 09.
Fridericiana. Großherz. Badische Technische Hochschule zu Karlsruhe.
Programm für 1909 10. — Festschrift zur Feier des 52. Geburt-'
des Großherzogs Friedrich H. — Ferdinand lledtenbacher. Bericht
über die Feier seines 100. Geburtstags. — Kratzer, A., Zur Ge-
schichte des Umkehrungsproblems der Integrale Rede). Karlsruhe 1 909.
29 Dissertationen a. d. J. 1908. 09.
Chronik d. Universität zu Kiel f. d. J. 1908/09. — Verzeichnis der
Vorlesungen. Winter 1908/09, Sommer 1909. — Kaufftnann, 1 . Zur
Textgeschichte des Opus imperfectum in Mattbaeum (Festscbrift).
Mint ms, G., Johann Gottlieb Fichte (Rede). — Schröder, E., Theo-
logie und Geschichte (Rede). — Derselbe, modernes Studententum
(Ansprache). — 101 Dissertationen aus d. J. 1908/09.
X Verzeichnis dek eingegangenen Schriften.
Wissenschaftliche Meeresuntersuchungen , hrg. von der Kommiss. f.
wissensch. Untersuchung d. deutschen Meere in Kiel und der
Biologischen Anstalt auf Helgoland. Im Auftrage des Königl.
Minist, für Landwirtschaft, Domänen usw. N. F. Abteilung Hel-
goland. Bd. 9. H. i. Abt. Kiel. Bd. 10. Erghft. Kiel und
Leipzig 1908. 09.
Schriften des naturwissenschaftlichen Vereins für Schleswig -Holstein.
Bd. 14, H. 1. Kiel 1908.
Schriften der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg.
Jahrg. 49 (1908). Königsberg 1909.
15. Jahresbericht des Instituts für rumänische Sprache. Linguistischer
Atlas des dacorumänischen Sprachgebietes. Lief. 9. Hrsg. von
H. Weigernd. Leipzig 1909.
Das städtische Gymnasium zu St. Nikolai in Leipzig. Bericht über das
Schuljahr 1908/09. — Kümmel, 0., Die Besiedelung des deutschen
Südostens vom Anfang des io. bis gegen Ende des 11. Jahrhunderts,
ebd. 1909.
Zeitschrift des Vereins für Lübeck. Geschichts- und Altertumskunde.
Bd. 11. H. 1. 2. Lübeck 1909.
Museum für Natur- und Heimatkunde zu Magdeburg. Abhandlungen
und Berichte. Bd. 1. Magdeburg 1906 — 08.
Zeitschrift des Vereins zur Erforschung der rheinischen Geschichte und
Altertümer. N. F. Jahrg. 4. Mainz 1909.
Jahresbericht der Fürsten- und Landesschule Meißen. 1908/09.
Meißen 1909.
Abhandlungen der mathem.-phys. Kl. d. k. bayer. Akad. d. Wiss. Suppl.
Bd. 1, Abt. 1—6. Bd. 24, Abt. 2. 3. München 1909.
Abhandlungen der bist. Kl. d. k. bayer. Akad. d. "Wiss. Bd. 24, Abt. 3.
ebd. 1909.
Abhandlungen der philos.-philolog. Kl. d. k. bayer. Akad. d. Wiss.
Bd. 23, Abt. 3. ebd. 1909.
Abhandlungen der k. bayer. Akad. d. Wiss. Philosoph. -philolog. und
historische Kl. Bd. 24, Abt. 3. Bd. 25, Abt. 1. ebd. 1909.
Almanach der k. bayer. Akad. d. Wiss. zum 150. Stiftungsfest 1909.
Sitzungsberichte der mathem.-phys. Kl. der k. bayer. Akad. d. Wiss.
zu München. 1908. H. 2. 1909, Abt. 1 — 14. ebd.
Sitzungsberichte der philos.-philol. u. histor. Kl. der k. bayer. Akad.
d. Wiss. zu München. 1908, 1909, Abh. 1 — 11. ebd.
48. u. 50. Plenarversammlung der historischen Kommission bei der Kgl.
Bayer. Akademie der Wissenschaften. Bericht des Sekretariats.
Heigel, K. Th. «., Die Münchener Akademie von 1759 bis 1909 (Fest-
rede). — Grauert, H. , Dante und die Idee des Weltfriedens (Fest-
rede). — Frutz, H., Der Anteil der geistlichen Ritterorden an dem
geistigen Leben ihrer Zeit (dgl.) ebd. 1909.
Catalogus codicum manuscriptorum Bibliothecae Reg. Monacensis.
T. 1. P. 5. ebd. 1909.
Die neuen Institute der Kgl. Technischen Hochschule zu München,
ebd. 1909.
\ BRZEIOHNIS DBB BINOEGANQBNBN ScHBIFTEH XI
Sitzungsberichte der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in
München. Bd. 24, H. 2. ebd. 1909.
Neue Annalen der Kgl. Sternwarte in München. Bd. 4. — Veröffent-
lichungen des Erdmagnetischen Observatoriums bei dei :• rn-
warte. H. 2. ebd. 1909.
Jahresbericht des Westfäli.schen Provinzialvereins f. Wiesensch. u. Kunst.
36.37. 1907/08. 1908/09. Münster 1908.09.
Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums. Jahrg. 1908. Hit. 1—4.
Nürnberg d. J.
Historische Monatsblätter für die Provinz Posen. Jahrg. 9, No. 1 — 12
Posen 1908.
Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen. Jahrg. 23.
ebd. 1908.
Veröffentlichung des Kgl. Preuß. Geodätischen Instituts (in Potsdam .
N. Folge No. 39. 40. Berlin 1909.
Centralbureau der internationalen Erdmessung. Neue Folge der Ver-
öffentlichungen. No. 17. 18. Berlin 1909.
Publikationen des Astrophysikalischen Observatoriums zu Potsdam
Bd. 15, St. 1. 2. Bd. 19, St. 1. 2. Bd. 20, St. 2—4. — Photo-
graphische Himmelskarte. Ergänz, u. Berichtig, zu Bd. 1—4. Pots-
dam 1906 — 09.
Annalen der Kaiserl. Universitäs-Sternwarte zu Straßburg. Bd. 3.
Karlsruhe 1909.
Mitteilungen des Vereins für Kunst u. Altertum in Ulm und Ober-
schwaben. H. 16. Ulm 1909.
Württembergische Vierteljahrsschrift für Landesgeschichte. Hern
von der Württembergischen Kommission f. Landesgeschichte. N. F.
Jahrg. 18 (1909). Stuttgart d. J.
Th ar an der forstliches Jahrbuch. Bd. 59, 1. Bd. 60 Berlin 1909.
Jahrbücher des Nassauischen Vereins f. Naturkunde. Jahrg. 62. Wies-
baden 1909.
Sitzungsberichte der physikal. - medizin. Gesellschaft zu Würzburg.
Jahrg. 1907, No 8. 1908, No. 1—5. Würzburg d. J.
Verhandlungen der physikal. -medizin. Gesellschaft zu Würzburg. N. F.
Bd. 40, No. 2 — 5. ebd. 1909.
Österreich-Ungarn.
Codex diplomaticus Regni Croatiae, Dalmatiae et Slavoniae. Vol. 6.
Zagreb (Agram) 1908.
Ljetopis Jugoslavenske Akademije znanosti i umjetnosti (Agram).
Svez. 23. 1908. ib. 1909.
Grada za povjest knizevnosti hrvatasko na svijet izdaje Jugoslav. Akadem.
znanosti i umjetnosti. Kn. 6. ib. 1909.
Rad Jugoslavenske Akademije znanosti i umjetnosti. Kn. 174—177.
ib. 1909.
ßjeenik hrvatskoga ili srpskoga jezika. Izd. Jngoslav. Akad. Svez. 27.
ib. 1909.
Mazuranic, V. Prinosi za hrvaski pravno-povjestni rjeenik. Svez. 2.
ib. 1909.
XII Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Vjesnik hrvatskoga arheoloskoga Drusstva. N. S. G-od. n. Sv. 2 — 4.
ib. 1909.
Vjesnik kr. hrvatsko-slavcrasko-dalmatinskog zemaljskog arkiva. God. 11.
Svez. 1. ib. 1909.
Zbornik za narodni zivot i obicaje juznih Slavena. Kn. 13, Svez. 2.
Kn. 14, Svez. 1. ib. 1909.
Zeitschrift des Mährischen Landesmuseums. Herausg. von der Mäh-
rischen Museumsgesellschaft (Deutsche Sektion). Bd. 9, H. 1. 2. —
Casopis Moravskeho musea zemskeho. Rocn. 9. Brunn 1909.
Magyar, tudom. Akademiai Almanach. 1909. Budapest d. J.
Mathematische und naturwissenschaftliche Berichte aus Ungarn. Mit
Unterstützung der Ungar. Akad. d. Wiss. herausg. Bd. 24. Leip-
zig 1909.
firtekezesek a nyelv-es-szeptudomänyok Köreböl. Kiadja a Magyar
tudom. Akad. Köt. 20, Sz. 8 — 10. Köt. 21, Sz. 1. Budapest 1908.09.
E.rtekeze"sek a Tärsadalmi Tudomänyok Köreböl. Köt. 13, Sz. 10.
Köt. 14, Sz. 1. 2. ib. 1909.
Ertekezdsek a Törte'neti Tudomänyok Köreböl. Köt. 22, Sz. 1 — 3.
ib. 1908.09.
Archaeologiai Ertesitö. A Magyar, tudom. Akad. arch. bizottsägänak
es av Orsz. Regeszeti s emb. Tärsulatnak Közlönye. Köt. 28,
Sz. 3 — 5. Köt. 29, Sz. 1. 2. ib. 1908. 09.
Mathematikai es termeszettudomänyi Ertesitö. Kiadja a Magyar tudom.
Akad. Köt. 26, Füz. 3 — 5. Köt. 27, Füz. 1. 2. ib. 1908. 09.
Mathematikai es termeszettudomänyi Közleme'nyek. Kiadja a Magyar
tudom. Akad. Köt. 30, Sz. 4. 5. ib. 1909.
Nyelvtudomänyi Közlemenyek. Kiadja a Magyar tudom. Akad. Köt. 38,
Füz. 1 — 4. ib. 1909.
Monumenta Hungariae historica. Köt. 34. ib. 1909.
Rapport sur les travaux de l'Academie Hongroise des sciences en 1908.
ib. 1909.
Editiones criticae scriptorum graecorum et romanorum a collegio philo-
logico classioo Acad. litt. Hungaricae publ. juris factae: Ciris,
Epyllion pseudocergilianum ed. Geyza Nemethy. ib. 1909.
Nyelvtudomäny. Köt. 2. Füz. 2. ib. 1908.
Török magyarkori törtenelmi Emlekek. Vol. 4. 1909.
Kalevala forditotta Vikar Bela. ib. 1909.
Bekefi Remij, A pesci egyetem. ib. 1909.
Kiss, Jstvan, A magyar helytartotanäcs. I. Ferdinand Koräban. ib. 1908.
Szädeczky Lajos, A szekely hatärörseg szervezese 1762 — 64-ben. ib. 1908.
Takäts Sändor, A magyar gyalogsäg megalakuläsa. ib. 1908.
Thaly Kälmän, De Saussure Czezärnak törökorszägi levelei. ib. 1909.
K.K.Franz-Josefs-Universität zu Czernowitz. Die feierliche Inaugu-
ration des Rektors f. d. Studienjahr 1908/09.
Mitteilungen des naturhistorischen Vereins für Steiermark. Bd. 45 (1908),
H. 1. 2. Graz 1909.
Beiträge zur Erforschung steirischer Geschichte. Jahrg. 36 (N. F. Jahrg. 4).
ebd. 1908.
Verzeichnis deb binoeoanoenen Schbiftj XIII
Zeitschrift des historischen Vereins für Steiermark. Jahrg. 6. 7. ebd
1908. 09.
Berichte des naturw.-mediz. Vereins in Innsbruck. Jahrg. 30. 31. m.
Beilage, ebd 1907. 08.
Anzeiger der Akademie d. Wissenschaften in Krakau. Math.-naturw.
Cl. 1908, No. 9 — 10. 1909, No. 1 — 8. Philol. Cl. 1908, No. 6—10.
1909, No. 1 — 6. Krakau d. J.
Katalog literatury naukowej polskiej. T. 8. 9, 1. 2. ib. 1909.
Rocznik Akademii mniejetnosci W Krakowie. Rok 1907/08. ib. 1908.
Rozprawy Akademii mniejetnosci. — Wydzial iilologiczny. T. 45.
(Ser. II. T. 30) — Wydzial. hiztor.-filozof. T. 50. 52. (Ser. II. T. 26.
27). ib. 190S. 09.
Sprawozdanie komisyi nzyograficznej. Tom. 42. ib. 1908.
Materialy anthropolog.-archeolog. i etnograticzne. T. 10. ib. 1908.
Abraham, TT., Jakob Strepa. ib. 1908.
Szelagoivski, Ad., Najstansze drogi z polskina wschod. ib. 1909.
Zapaloivicz, Hugo, Conspectus Florae Galiciae criticus. T. 2. ib. 1908.
Carniolia, Zeitschrift für Heimatkunde. Jahrg. 1, H. 1 — 4. Laibach 1908.
Izvestija Muzejskega drustva za Kranjsko. Letnik 18. V Ljubljani 1908.
Chronik der ukrainischen (ruthenischen) Sevcenko- Gesellschaft der
Wissenschaften. H. 33. 34. Lemberg 1908.
Sammelschrift der mathem -naturw.-ärztl. Sektion der Sevcenko-Gesell-
schaft. Bd. 12. ebd. 1908.
Kwartalnik etnograficzny „Lud". T. 15, zesz. 1 — 3. W Lwowie 1907. 08.
Bulletin de la Societe polonaise pour l'avancement des sciences. 1 — 8.
(1901 — 1908.) Lwow (Leopol).
Ceske Akademie Cisafe Frantiska Josefa. Almanach. Rocn. 19. V
Praze 1909.
Historicky Archiv. Cisl 30—34. ib. 1908.09.
Biblioteka Klassikü feckych a fimskych Cisl. 15 — 17. ib. 1908.09.
Filosofickä Biblioteka Rad. I. Cisl. 12. ib. 1908.
Bulletin international. Resume des travaux presentes. Classe des
sciences mathematiques, naturelles et de la medecine. Ann. 12. 13.
Prague 1907. 08.
Rozpravy ceske Akad. Tfida I. Cisl. 38. — Tfid. II. Rocn 17. Tfid. III.
Cisl. 23—28. ib. 1908. 09.
Sbirka Pramenü ku poznäni literärniho zivota. Skup. I, Rada II, Cisl. 7.
Skup. II. Cisl. 9. 12. 1908. 09.
Vcstnik cesk. Akad. Rocn. 17. ib. 1908.
Groh, Frant., Topografie starych Athen. Cast. 1. ib. 1909.
Ntmec, B., Anatomie a fisiologie rostlin. Cast. 2. ib. 1908.
Truhlcir, Ant., Rukovet k pisemnictvi humanistickemu. Svez. 1. ib. 1908.
Winter, Zikmund, Remeslinctvo a zivnosti XVI v ku v cechäch (152b
— 1630). ib. 1909.
Zibrt, Cenek, Bibliografie ceske historie. Dil 4- Svaz. 2. 3. ib. 1908. 09.
Zivot a pusobeni . . Arch. d. Josefa Hlavky. s. a.
XIV Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Jahresbericht der k. böhm. Gesellsch. d. Wissenschaften für das Jahr 1908.
Prag 1909.
Sitzungsberichte der k. böhm. Gesellschaft d. Wissenschaften. Math.-
naturw. Klasse Jahrg. 1908. ebd. 1909.
Archiv cesky cili stare pisemne pamätky Ceske i Moravske. Dil 26.
V Praze 1909.
Acta regum Bohemiae selecta phototypice expressa. Codicis diplomatici
Regni Bohemiae appendix. Ed. G. Friedrich. Fase. 1. Pragae 1908.
Mitteilungen aus dem Landesarchiv des Königr. Böhmen. Bd. 1. Prag 1908.
60. Bericht der Lese- und Redehalle der deutschen Studenten in Prag
über d. J. 1908. ebd. 1909.
Magnetische und meteorologische Beobachtungen an der k. k. Stern-
warte zu Prag im J. 1908. Jahrg. 69. ebd. 1909.
Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen.
Jahrg. 47, No. 1 — 4. ebd. 1908.
Lotos. Naturwiss. Zeitschrift, hrg. vom deutschen naturw.-mediz. Verein
für Böhmen „Lotos" in Prag. Jahrg. 5 (1855). Bd. 56 (1908). ebd.
Personalstand der k. k. C.-Ferd.-Universität. 1908/09.
Verhandlungen des Vereins für Natur- und Heilkunde zu Presburg.
N. F. H. 18. 19 (1906. 07). Presburg 1908. 09. — 1856— 1906.
Emlekmü kiadja a Pozsonyi orostermeszettudomäny egyesület.
Poszony 1907.
Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und der Herzegovina. Hrg.
vom Bosnisch -Hercegov. Landesmuseum. Bd. 11. Sarajevo 1909.
Bullettino di archeologia e storia dalmata. Anno 31, No. 1 — 12.
Spalato 1908.
Almanach der Kais. Akademie der Wissenschaften. Jahrg. 58. Wien
1908.
Anzeiger der Kais. Akademie der Wissenschaften. Math. -phys. Kl.
Jahrg. 45. No. 1 — 27. ebd. 1908.
Archiv für österreichische Geschichte. Herausg. von der zur Pflege
vaterländ. Geschichte aufgestellten Kommission der Kais. Akademie
d. Wissensch. Bd. 97, I. II. 99, I. H. ebd. 1908. 09.
Denkschriften der Kais. Akademie d. Wissensch. Mathem.-naturw. Kl.
Bd. 80. 81. 84. ebd. 1907 — 09. — Philos.-hist. Kl. Bd. 53, 1. 2.
ebd. 1908.
Fontes rerum Austriacarum. Österreichische Geschichtsquellen, hrg.
von der histor. Kommission der Kais. Akademie der Wissensch.
Abt. II. Bd. 61. 62. ebd. 1900.
Mitteilungen der Erdbeben-Kommission der kaiserl. Akad. d. Wissensch
N. F. No. 32 — 36. ebd. 1909.
Sitzungsberichte der Kaiserl. Akad. d. Wissensch. Math. - naturw. Kl.
Bd. 117 (1908) I, No. 5—10. IIa, No. 7—10. IP, No. 7—10. IE,
No. 6— 10. Bd. 118 (1909) I, No. 1—6. 11% No. 1—5. Hb, No. 1—7.
HI, No. 1. 2. — Philos.-histor. Kl. Bd. 158, Abb. 4. 6. Bd. 160,
Abh. 2—8. Bd. 161, Abh. 3—5. 7—9. Bd. 162, Abh. 1. Bd. 163,
Abb. 1. 2. — Register zu Bd. 151 — 160. ebd. 1908. 09.
Abhandlungen der k. k. zoologisch -botanischen Gesellschaft in Wien.
Bd. 4. H. 5. ebd. 1909.
Verzeichnis dbb EINGEGANGENEM ScHBlPTBN. XV
Verhandlungen der k. k. zoologiBch-botanißcheD Gesellschaft in Wien.
Bd. 58, H. 8 — 10. Bd. 59, H. 1—8. ebd. 1908. 09.
Verhandlungen der Österreich. GradmeSBungs- Kommission. Protokoll
über die am 29. Dezember 1908 abgehaltene Sitzung, ebd. 1908.
Die astronomisch-geodätischen Arbeiten des k. k. militärgeographischen
Instituts in Wien. Bd. 22. Budapest 1908.
Annalen des k. k. naturhistorischen Hofmuseums Bd. 22, No. 4. Bd. 23,
No. 1. 2. Wien 1908. 09.
Abhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt. Bd. 21, H. 1.
ebd. 1908.
Jahrbuch d. k. k. geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 58 (1908), H. 4.
Jahrg. 59 (1909), H. 1.2. ebd.
Verhandlungen d.k.k. geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1908, No. 15 — 18.
Jahrg. 1909, No. 1 — 9. ebd.
Mitteilungen der Sektion f. Naturkunde des Österreichischen Touristen-
Club. Jahrg. 20. ebd 1908.
Publikationen der v. KufTerschen Sternwarte, Bd. 6, Teil 6. ebd. 1909.
Belgien.
Academie Royale d'archeologie de Belgique. Bulletin. 1908, No. 5.
1909, No. 1. 2. Anvers.
Annuaire de l'Academie R. des sciences, des lettres et des beaux-arts
de Belgique. 1909 (Annee 75). — Notices biographiques et biblio-
graphiques concernant les membres, les correspondants et les asso-
cies. 5. ed. 1907 — 09. Bruxelles.
Academie Roy. de Belgique. Bulletin de la classe des sciences.
1908, No. 9 — 12. 1909, No. 1 — 8. — Bulletin de la classe des lettres
et des sciences morales et politiques et de la classe des beaux-arts.
1908, No. 9 — 12. 1909, No. 1—8. — Memoires. Classe des sciences.
Collect, in 8°. Tom. 2, Fase. 4. 5. Collect, in 40. Tom. 2, Fase. 1 — 3. —
Classe des lettres et des sciences morales et politiques. Collect, in
8°. Tom. 4, Fase. 2. Tom. 5, Fase. 1. Collect, in 40. Tom. 3.
ib. 1908. 09.
Analecta Bollandiana. T. 28, Fase. 1 — 4. ib. 1909.
Annales de la Societe entomologique de Belgique. Tom. 52. ib. 1908.
Memoires de la Societe entomologique de Belgique. 17. ib. 1909.
Bulletin de la Societe Roy. de Botanique de Belgique. Tom. 45.
Fase. 1 — 3. — Massart, J., Essai de Geographie botanique des
districts littoraux et alluviaux de la Belgique. ib. 1808.
Annales de la Societe Roy. zoologique et malacologique de Belgique.
Tom. 43. ib. 1908.
Annales de TObservatoire Roy. de Belgique. N. Ser. Annales astrono-
miques. Tom. 11, Fase. 2. — Physique du Globe. Tom. 4, Fase. 1.
ib. 1908.
Annuaire astronomique de l'Observatoire Roy. de Belgique pour 1909.
Jaarboek der Kon. Vlaamsche Academie voor taal- en letterkunde.
1890— 1905 07. 09. Gent.
Verslag en Mededeelingen der Kon. Vlaamsche Academie voor taal- en
letterkunde. 1887 — 1905. 07. 08. 09, Jan. — Nov.
XVI Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Biltris, A. N. H. und A. J. J. Vandervelde, Inleiding tot de studie der
analytische Scheikunde. ib. 1899.
Claes, D., Lijst van bij Kiliaan geboekte en in Zuid-Nederland voort-
levende woorden. ib. 1902.
Duyse, Prudens van, De Rederijkkamers in Nederland. D. 1. 2. ib.
1900. 02.
Eggen, J. L. M., De invloed door Zuid-Nederland op Nord-Nederland.
ib. 1908.
Flou, Carel de, Die bedudingbe naden sinne van Sunte Augustijns Regule.
ib. 1901.
Geurts, J., Bijdrage tot de geschiedenis van het rijm in de Nederland-
sche poezie. D. 1. 2. ib. 1904. 06.
Hennen van Merchtenens Cornicke van Brabant (1414). Uitg. door
Guido Gezelle. ib. 1896.
Jacobs, Josef, De verouderde woorden bij Kiliaan. ib. 1899. — Vorm-
leer van bet oudfriesch werkwoord. ib. 1900.
Leviiicus, Felix, De klank- en vormleer van het middelnederlandsch dia-
lect de St. Servatius- Legende van Heynrijck van Veldeken. ib. 1892.
Meert, Hippolyt, Het voornaamwoord du. ib. 1890. — Vormleer van de
taal van Runsbroec. ib. 1901.
Moerkerken, P. H. van, Over de verbinding der volzinnen in't Gotisch.
ib. 1888.
Neef, Emil de, Klank- & vormleer van het gedieht van den VH vroeden
van binnen Rome. ib. 1897.
Pauw, Napoleon de, Bouc van der Audiencie ... H. 1. 2. ib. 1901. 03.
— , MadelghijY kindsheit. ib. 1889.
— , Ypre jeghen Poperinghe. ib. 1899.
Boersch, Lod., Woordenbook op Alexanders geesten. ib. 1888.
Segers, Gust, Onze taal in het middelbaar onderwijs. ib. 1907.
Tack, P., Proeve van oudnederfrankische grammatica. ib. 1897.
Teirlingk, A., De behandeling der niet beklemde liesbreuken. ib. 1902.
— , Is., Zuid-oostvlandersch Idioticon. D. 1. ib. 1908.
Bijvoegsel aan de bijdrage tot een Hagelandsch Idioticon. ib. 1904.
Ulrix, Eug., De Germaansche dementen in de Romansche talen. ib. 1907.
Vandervelde, A. J. J., Repertorium van de geschriften over de voedings-
middelen. ib. 1000. 01.
La Cellule. Recueil de Cytologie et d'histologie generale. T. 25,
Fase. 1. Louvain 1909.
Bulgarien.
Godisnik na Sofiiskija Universitet. Annuaire de l'Universite de Sofia.
3 — 4. 1906/07. ib. 1908.
Dänemark.
Det Kong. Danske Videnskabernes Selskabs Skrifter. Hist. og philos.
Afd. 7. Raekke. Bd. 1, No. 3. Naturv. og math. Afd. 7. Rsekke
Bd. 5, No. 2. Bd. 6, No. 2—4. Bd. 7, No. 1. Bd. 8, No. 1—3.
Kjobenhavn 1908. 09.
Verzeichnis der eingegangenen Schriften. Wll
Oversigt over det Kong. Danske Videnscabernes Selskabs Forhandlin^rr
i aar. 1908, No. 4—6. 1909, No. 1—5. ib.
Conseil permanent international pour l'exploratiou de La mer. Bulletin
trimestriel. Annee 1906/07. Suppl. 1907/08. - Publicationa de cir-
constance. No. 43 — 47. — Bulletin statistique des p§ches mariti-
mes des pays du Nord de l'Europe. Vol. 3. — Rapport et Proces
verbaux des reunions. Vol. 7 — 11. — Listes planktoniques pour
l'annee 1907/08. Copenbague 1908. 09.
Actes de la XVe Congres internat. des Orientalistes. Session de Copen-
bague (1908). ib. 1909.
England.
Aberdeen University Studies. No. 31. 35. Aberdeen 1907.
Proceedings of tbe Cambridge Philosophical Society. Vol. 15, P. 1—3
Cambridge 1909.
Transactious of tbe Cambridge Philosophical Society. Vol. 20, No. 15. 16
Vol. 21, No. 7—9. ib. 1909.
Proceedings of the R. Irish Academy. Vol. 27. Sect. A, P. 10—12
Sect. B, P. 6— 11. Sect. C, P. 9—18. Dublin 1908. 09.
Tbe scientific Proceedings of tbe R. Dublin Society. Vol. 11, P. 29 — 32
Vol. 12, P. 1 — 23. ib. 1908. 09.
Economic Proceedings of the R. Dublin Society. Vol. 1, P. 13 — 16
ib. 1908. 09.
The scientific Transactions of the R. Dublin Society. Ser. II. Vol. 9,
No. 7—9. ib. 1908. 09.
Proceedings of the R. Society of Edinburgh. Vol. 29, No. 2—8.
Edinburgh 1909.
Transactions of the R. Society of Edinburgh. Vol. 46, P. 2. 3. ib. 1909.
Proceedings of the R. Physical Society. Vol. 17, P. 1. 5. 6. ib. 1909.
Transactions of the Edingburgh Geological Society. Vol. 9, P-3/4- ib. 1909-
Proceedings and Transactions of the Liverpool Biological Society.
Vol. 23. Liverpool 1909.
Proceedings of the Roy. Institution of G-reat Britain. Vol. 18, 3 (No.
101). London 1909.
Proceedings of the R. Society of London. Vol. 81—83. A. No. 55°— S60-
B. No. 544 — 552. Yearbook of the Royal Society. 1909.
Philosophical Transactions of the R, Society of London. Ser. A. Vol. 209,
p. 205—478. Vol. 210, p. 1—34. Ser. B. Vol. 200, p. 241 — 521. ib. 1909.
Memoire of the R. Astronomical Society. Vol. 57, P. 2. 3. and Append.n.
Vol. 58. 59, P. 1 — 3. ib. 1908. 09.
Proceedings of the London Mathematical Society. Ser. IT. Vol. 6, P. 7.
Vol. 7, P. 1—8. ib. 1908. 09.
Journal of the R. Microscopical Society, containing its Transactions
and Proceedings. 1909, No. 1 — 6. ib.
Memoirs and Proceedings of the Literary and Philosophical Society of
Manchester. Vol. 53, P. 1 — 3. Manchester 1908. 09.
Report of the Manchester Museum Owens College for 1908/09. — Notes.
No. 22. — Museum Haudbooks: E. Weiss, Chapters from the evolu-
tion of plants. ib. 1909.
1910. b
XVIII Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
The Victoria University of Manchester. Calendar. 1909/10. — Publica-
tions of the University of Manchester: Economic Series. No. 11. 12.
— Historical Series. No. 8. — Medical Series. No. n. 12. — Celtic
Series. No. 1. — English Series. No. 1. — The University of
Manchester Medical School. — A classified Catalogue of the works
on Architecture and the allied arts in the principal Libraries of
Manchester and Oxford. — Mather, Will, Education and duty.
Presendential Adress. ib. 1908. 09.
Frankreich
Annales des Facultes de Droit et des Lettres d'Aix. Droit. T. 2,
Nr. 1. 2. Lettres. T. 2. Aix 1908.
Proces-verbaux de la Societe des sciences physiques et naturelles de
Bordeaux. Annee 1907/08. Paris et Bordeaux 1907.
Memoires de la Spciete des sciences physiques et naturelles de Bordeaux.
Ser. VI. T. 4, coh. 1. 2. ib. 1908.
Bulletin de la Commission meteorologique du depart. de la Gironde
Annee 1907. Bordeaux 1908.
Memoires de la Societe nationale des sciences naturelles et mathematiques
de Cherbourg. T. 36 (Ser. IV, T. 6). Cherbourg 1906/7.
Memoires de FAcademie des sciences, belles-lettres et arts deClermont-
Ferrand. Ser.II. Fase. 7 — 17.20.21. Clermont-Ferrand 1894— 1909.
Bulletin historique et scientifique de l'Auvergne, publ. par FAcademie
des sciences, belles-lettres et arts de Clermont-Ferrand. Ser. II.
1897 — 1908.
Revue dAuvergne, publ. par la Societe des amis de l'Universite de
Clermont. Ann. 17(1900)— 25(1908).
Clermont-Ferrand et le Puy-de-Döme. Congres de l'Association francaise
pour l'avancement des sciences. 1908.
Annales de l'Universite de Lyon. N. S. Sciences. Medecine. Fase. 22. 24.
Droit, Lettres. Fase. 20. Paris et Lyon 1908.
Annales de la Faculte des sciences de Marseille. T. 17. Marseille 1909.
Academie des sciences et lettres de Montpellier: Bulletin mensual.
1909, Nr. 1 — 7. Montpellier.
Bulletin des seances de la societe des sciences de Nancy. Ser. in.
T. 9, Fase. 2 — 6. Paris et Nancy 1908.
Institut de France. Annuaire pour 1909. Paris.
Bulletin du Museum d'histoire naturelle. Annee 1908, No. 5 — 7. 1909,
No. 1. ib.
Annales de FEcole normale superieure. HI. Ser. T. 25, No. 11. 12.
T. 26, No. 1 — 8. ib. 1908. 09.
Bulletin de la Societe mathematique de France. T. 37, No. 3. 4. ib. 1909.
Bulletin de la Societe scientifique et medicale de l'Ouest. T. 17, No. 2. 4.
Rennes 1908.
Memoire de FAcademie des sciences, inscriptions et belles-lettres de
Toulouse. T. 7. 8. Toulouse 1907. 08.
Annales du midi. Revue de la France me'ridionale, fondee sous les
auspices de l'Universite de Toulouse. Ann. 20. No. 77 — 80 Ana. 21,
No. 87. ib. 1908. 09.
Verzeichnis der eingegangenen Schriften. XJX
Annales de la Faculte des sciences de Toulouse pour les sciences
mathematiques et les sciences physiques. Str. II. T. 10, Fase. 2. 3.
Paris et Toulouse 1908.
Bulletin de la Comnaission möte'orologique du Department de la Haute
Garonne. T. 2, Fase. 1 (1908). Toulouse.
Griechenland.
Ecole francaise d'Athenes. Bulletin de correspondance hellenique
[Athen]. Anne"e 26, 7—12. Ann. 33, 1 — 12. Paris 1909.
Mitteilungen des Kaiserl. Deutschen Archäologischen Instituts. Athe-
nische Abteilung. Bd. 34, H. 1 — 3. Athen 1909.
'A&r\vä. Hvyyga^a tcsqioSl-aov xfjg iv kftr\vcüg 'E7Cioxr}(iovixfjg 'ExcuQeiag.
T. 20, No. 4. T. 21, No. 1—3. ib. 1908. 09.
'Efrvinbv nuvsTtLGtrjuiov, Tä xorra xrjv IlQvxccvsiav Tlgvxavsvaavxog v.axu
xö k%u8r\u.iciY.bv hog 1906 — 07. — BtßXiod-rjxrj xfjg iv k^vaig im-
6XT[\Loviy.T\g hatgi-iccg. — 'EmaxTi^ovi-nr] insxrjgig. I* 1906/07. —
Teaat qcc/.o vtaeregig tf]g ■na.!frr\y£eLug K. Z. Kovxov. ib. 1907 — 09.
Holland.
Jaarboek van de Kon. Akad. v. Wetenschappen gevestigd te Amsterdam
voor 1908. Amsterdam 1909.
Verhandelingen d. Kon. Akad. v. Wetenschappen. Afdeel. Letterkunde.
II. Reeks. Deel 4, No. 3 (190 1). Deel 9, No. 2. 3. Deel 10, No. 2.
Afdeel. Naturkunde. Sect. I. Deel 10, No. 1. Sect. H. Deel 14,
No. 2—4. Deel 15, No. 1. ib. 1908. 09.
Verslagen en mededeelingen der Kon. Akad. van Wetenschappen. Afd.
Letterkunde. IV. Reeks^ Deel 9. ib. 1909.
Verslagen van de gewone vergaderingen der wis- en natuurkundige
afdeeling der Kon. Akad. v. Wetenschappen. Deel 17. I. n.
ib. 1908. 09.
Programma certaminis poetici ab Acad. Reg. discipl. Neerlandica ex
legato Boeufftiano indicti in annum 1910. — Sex carmiua magna
laude ornata. ib. 1909. Amstelodami 1908.
Revue semestrelle des publications mathematiques. T. 17, P. 1.2. ib. 1909.
Nieuw Archief voor Wiskunde. Uitg. door het Wiskundig Genootschap
te Amsterdam. 2. Reeks. Deel 8, St. 4. Deel 9, St. 1. — Wiskundige
opgaven. Deel 10, St. 7. ib. 1909.
Bibliotheek der Technische Hoogeschool te Delft. Lißt der periodiker.
2. uitgave. 1909. — 2 Proefschr. a. d. J 1908.
Archives neerlandaises des sciences exaetes et naturelles, publiees
par la Sociöte Hollandaise des sciences ä Harlem. Ser. II. T. 14.
Livr. 1 — 5. Harlem 1909.
Archives du Musee Teyler. St'r. H. Vol. 1 1 , P. 3. — Catalogue du
Cabinet numismatique de la Fondation Teyler. ib. 1909.
Handelingen en mededeelingen van de Maatschappij der Nederlandsche
Letterkunde te Leiden over het jaar 1908/09. Leiden.
Levensberigten der afgestorvene medeleden van de Maatschappij der
Nederlandsche Letterkunde te Leiden. Bijlage tot de Handelingen
van 1908/09.
b*
XX Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Tijdschrif voor Nederlandsche taal-en letterkunde. Uitgeg. vanwege
de Maatschapp. d. Nederl. Letterkunde. Deel 27, Afd. 3. 4. Deel 28,
Afd. 1. 2. ib. 1908. 09.
Nederlandsch kruidkundig Archief, Verslagen en mededeelingen der
Nederlandsche botanische Vereeniging [Leiden] Nijmegen 1908.
Recueil des travaux botaniques Neerlandais. Publ. par la Societe
botanique Neerlandaise. Vol. 5. Liv. 2 — 4. Vol. 6, Liv. 1. Nij-
megen 1909.
Verslag van den staat der Sterrenwacht te Leiden 1906 — 08. Leiden 1909.
Aanteekeningen van het verhandelde in de sectie-vergaderingen van
het Provinc. Utrechtscbe Genootschap van kunsten en wetensch.,
ter gelegenbeid van de algem. vergad., gehouden d. 1. Jun. 1909.
Verslag van het verhandelde in de algern. vergad. van het Provinc.
Utrechtscbe G-enootschap van kunsten en wetensch., gehouden
d. 1. Jun. 1909.
Comptes rendus des seances du 4. Congres internat. d'filectrologie et
de Radiologie medicales. Amsterdam 1908 (Societe Provinciale des
Arts et des Sciences d'Utrecht).
Bidragen en Mededeelingen van het Historisch Genootschap gevestigd
te Utrecht. Deel 30. Amsterdam 1909.
Werken van het Histor. Genootschap. gev. te Utrecht. Ser. III. 25. 26.
Amsterdam 1908. 09.
Onderzoekingen gedaan in het Physiol. Laboratorium d. Utrechtsche
Hoogeschool. V. Reeks. 10. Utrecht 1909.
Italien.
Bollettino delle pubblicazioni italiane ricevute per diritto di stampa.
No. 96 — 107. Firenze 1908. 09.
Atti e Rendiconti dell1 Accademia di scienze, lettere ed arti di Aci-
reale. Ser. III. Vol. 5. Acireale 1909.
Memoire della R. Accademia delle scienze del' Istituto di Bologna.
Clause di scienze fisiche. Ser. VI. T. 5 (1907/08). — Gasse di scienze
morali. Sezione di scienze giuridiche. T. 2, Fase. 2. Sez. di scienze
storico-filologiche T. 2, Fase. 2. Bologna 1909.
Rendiconto delle sessioni della R. Accademia delle scienze del Istituto
di Bologna. Classe di scienze fisiche. N. Sez. Vol. 12 (1907/08).
Classe d. scienze morali. Ser. I. Vol. 1, Fase. 2. Vol. 2, Fase. 1.
ib. 1908. 09.
Bollettino delle sedute della Accademia Gioenia di scienze naturali i-
Catania. Ser. II. Fase. 5 — 9. Catania 1909.
R. Istituto Lombardo di scienze e lettere. Rendiconti. Ser. II. Vol. 41,
Fase. 17 — 20. Vol. 42, Fase. 1 — 15. Milano 1907. 08.
Opere matematiche di Francesco Brioschi. T. 5. ib. 1909.
Raccolta Vinciana presso TArchivio storico del comune di Milano.
Fase. 5. ib. 1909.
Atti della Fondazione scientifica Cagnola. Vol. 22. ib. 1909.
Memorie della R. Accademia di scienze, lettere ed arti in Modena.
Ser. III. Vol. 7. Milano 1908.
Verzeichnis dbb eingkganoenem Schbiptbn. X\l
Societä Reale di Napoli. Rendiconto. della R. Accad. delle scienze fisiche
et matematiche. Ser. III. Vol. 14, Fase. 8—12. Vol. 15, Fubc. 1—7.
Napoli 1908. 09.
Atti e Meraorie della R. Accademia di scienze, lettere ed arti in Padova.
N. S. Vol. 23. 24. Padova 1907. 08.
Rendiconti del Circolo matematico di Palermo. T. 26, Fase 3 T. 27
F. 1. 3, - Suppl. Vol. 3, No. 5/6. Vol. 4- No. 1—2^ T'28, Fase. 1—3.'
Annuano biografico 1909. Indice delle Pubblicazioni I\'o. 2. Palermo
1908. 09.
Giornale di scienze naturali ed econoniiche, pubbl. p. cura della Societä
di scienze nat. ed econ. di Palermo. Vol. 26. 27. ib. 1909.
üniversitä di Perugia. Annali della Facoltä di Medicina. Vol. 5,
Fase. 1. Vol. 6, Fase. 1—4. Vol. 7, Fase. 1.2. Perugia 1907. 08.
Annali della R. Scuola normale superiore di Pisa. Scienze fisicln- e
matbematiche. Vol. 10. Filosotia e Filologia. Vol 21. Pisa 1908.
Atti della Societä Toscana di scienze naturali residente in Pisa. Memorie.
Vol. 24. ib. 1908.
Processi verbali della SocietäToscana di scienze naturali. Vol. 18, No. 1—4.
Atti della R. Accademia dei Lincei. Classe di scienze morali, storiche
e filologiche. Ser. V Memorie. Vol 14, Fase. 1. 2. Notizie degli
seavi. Vol. 5, Fase. 9—12. Vol. 6, Fase. 1—8. Rendiconti. Vol. 17
(1908), Fase. 7—12. Vol. 18 (1909), Fase. 1-3. — Classe di scienze
fisiebe, matematiche e naturali. Ser. V. Memorie. Vol. 7, Fase. 1 — 9.
Rendiconti. Vol. 18 (1908), II. Sem., Fase. 11. 12. Vol. 18 (1909)
[I. Sem.], Fase. 1 — 12 IL Sem., Fase. 1— 12. — Rendiconto dell'
adunanza solenne del 6. Giugn. 1909. Roma 1908. 09.
Studi i testi. 19. ib. (Tipografia Vaticana) 1908.
Mitteilungen des Kais. Deutschen Archäologischen Instituts. Römische
Abtheilung (Bollettino dell' Imp. Istituto Archeologico Germanico.
Sezione Romana). Bd. 23, H. 2—4. ebd. 1908.
Atti della R. Accademia dei Fisiocritici di Siena. Ser. V. Vol. 1,
No. 1 — 6. Siena 1909.
Atti della R. Accademia delle scienze di Torino. Vol. 44, Disp. 1 — 15.
Torino 1909.
Memorie della R. Accademia delle scienze di Torino. Ser. LT. T. 59.
ib. 1909.
Luxemburg.
Societe des naturalistes luxembourgeois. Bulletins mensuels. N. S.
Ann. 1. 2. Luxembourg 1907. 08.
Portugal.
übras sobre Mathematica do F. Gomes Teixeira. Vol. 2. 3. Por ordern
do Goberno Portugues. Coimbra 1906. 08.
Annaes scientificos da Academia poiitechnica do Porto. Vol. 3. No. 4.
Vol. 4, No. 1 — 4. Coimbra 1908. 09.
Rumänien.
Buletinul Societätii de seiinte fizice (Fizica, Chimia si Mineralogia)
din Bucuresci-Romänia. Anul 17, No. 5. 6. Anul 18, No. 1 — 4.
Bucuresci 1908. 09.
XXII Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Rußland.
Acta Bocietatis scientiarum Fennicae. T. 33 — 36. 37, No. 1. 5 — 7. — Finn-
ländische hydrographisch - biologische Untersuchungen. No. 1 — 5.
Helsingfors 1908. 09.
Bidrag tili kännedom af Finlands Natur och Folk, utg. af Finska
vetensk. Soc. H. 64. 65. ib. 1907. 08.
öfersigt at Finska Vetenskaps-Societetens Förhandlingar 48 — 50. 1905/06.
06/07. — Festschrift Herrn Prof. J. A. Palmen gewidm. Bd. 1. 2.
ebd. 1905 — 07.
Fennia. Bulletin de Ia Societe de Geographie de Finlande. 23 — 27
(1905 — 09). — Medelanden af Geograficka Föreningen i Finland.
8. (1907 — 09). — Statistik undersökning , af socialeconomiska för-
hällanden i Finlands landskommuner. Ar 1901. ib. 1908.
Meteorologisches Jahrbuch für Finland. Hsg. von der Meteorologischen
Zentralanstalt. Bd. 2 (1909).
Observations meteorologiques publ. par Tlnstitut meteorologique central
de la Societe des sciences de Finlande. £tat des glaces et des
neiges de Finland pendant l'hiver 1896/97, 97/98. ib. 1908.09.
Annales de rObservatoire physique central. 1905. Suppl. Irkoutsk 1908.
Bulletin de la Societe physico-mathematique de Kasan. Ser. II. T. 16,
No. 2. Kasan 1908.
Ucenyja zapiski Imp. Kasanskago Universiteta. T. 75, No. 12. T. 76,
No. 1 — 11. ib. 1908. 09. — 7 Dissertationen a. d. J. 1907/08.
Universitetskija Izvestija. God 47, No. 10 — 12. God 48, No. 1—8. 10.
Kiev 1906. 07.
Mitteilungen der Ukrainischen Gesellschaft der Wissenschaften. No. 2 — 5.
ib. 1908. 09.
Bulletin de la Societe Imper. des Naturalistes de Moscou. Annee 1907,
No. 4. 1908. No. 1. 2. Moscou d. J.
Ucenyja Zapiski Imp. Moskovskago Universiteta. Otdel jurid. Vyp. 32. 33.
— Otd. istor.-filol. Vyp. 38. 39. — Otd. estestvenno-istor. Vyp. 23 — 25.
ib. 1908. 09.
Beobachtungen, angestellt im Meteorologischen Observatorium der Kais.
Universität Moskau i. d. J. 1905 — 07. — Leyst, E , Meteorologische
Beobachtungen in Moskau (1907). S.-A. Derselbe, Luftelektrische
Beobachtungen im Ssamarkandschen Gebiet 1907. S.-A.
Bulletin de TAcademie Imperiale des sciences de St. Peter sbourg.
Ser. V. T. 25, No. 1—2. Se'r. VI. No. 1 — 18. St. Petersbourg 1907. 08.
Memoires de l'Academie Imperiale des sciences de St. Petersbourg. Classe
physico-mathematique. Ser. VTJI. Vol. 18, No. 7 — 13. Vol. 21, No. 3.
Vol. 23, No. 1 — 6. Classe historico-philologique. Ser. VIII. Vol. 8,
No. 10 — 12. ib. 1908. 09.
Academie Imper. des sciences. Comptes rendus des seances de la com-
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Arkiv för kemi, mineralogi och geologi, utg. af K. Sveuska Vetenskaps-
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Arkiv för mathematik, astronomi och fysik, utg. af* K. Svenska Vetens-
kaps-Akademien. Bd. 5. ib. 1909.
Arkiv för zoologi, utg. af K. Svenska Vetenskaps - Akademien. Bd. 5.
ib. 1909.
Kungl. Svenska Vetenskaps-Akademiens Handlingar. Ny Följd. Bd. 43,
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Kungl. Svensk. Vetenskaps Akademiens Arsbok för 1909. Uppsala.
Meddelanden frän K. Vetenskaps Academiens Nobelinstitut. Bd. 1,
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Gylden, Hugo, Traite analytique des orbites absolues des huit planetes
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Meteorologiska Jakttagelser i Sverige, utg. af Kungl. Svenska Vetens-
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Lefnadsteckningar öfver Kongl. Svenska Vetensk.-Akademiens efter är
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Antiquarist Tidskrift för Sverige, utg. af Kongl. Vitterhets Historie
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BERICHTE
ÜBER DIE
VERHANDLUNGEN
DER KÖNIGLICH SÄCHSISCHEN
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ZU LEIPZIG
PHILOLOGISCH-HISTORISCHE KLASSE.
ZWEIUNDSECHZIGSTER BAND.
1910.
MIT 3 TAFELN.
LEIPZIG
BEI B. G. TEÜBNER.
INHALT.
Seite
I F. H. Weissbach, Über die Inschriften des Darius Hystaspis von
Naks-i-Rustam ^
II Richard Meister, Beiträge zur griechischen Epigraphik und
Dialektologie VIII. Synoikievertrag aus dem arkadischen
ürchonienos 1 1
II Wilhelm Stieda, Zur Sächsischen Gelehrtengeschichte ....
V Ludwig Mitteis, Zur Lehre von den Libellen und der Prozeß-
einleitung nach den Papyri der früheren Kaiserzeit .... 61
V A. Leskien, Über Dialektmischung in der serbischen Volkspoesie 129
fl A. Fischer, Auflösung der Akkusativrektion des transitiven Verbs
durch die Präposition li im klassischen Arabisch 161
II A. Menzel, Protagoras als Gesetzgeber von Thurii 191
TQ Richard Meister, Beiträge zur griechischen Epigraphik und
Dialektologie IX. Kyprische Inschriften. Mit 3 Tafeln . . 233
£ Ludwig Mitteis, I. Über die privatrechtliche Bedeutung der
ägyptischen ßißlio&riY.r\ iyy.xi]6tcov. II. Zu der Stelle des
Ulpian D. 27, 10, 1 pr. III. Das Receptum nautarum in den
Papyrusurkunden 249
^ Richard Heinze, Tertullians Apologeticum 281
I Adolf Birch-Hirschfeld, Zum Gedächtnis an Richard Wülker 493
Verzeichnis der Mitglieder der Königlich Sächsischen Gesellschaft
der Wissenschaften 1
Verzeichnis der eingegangenen Schriften VII
SITZUNG VOM 18. DEZEMBER 1909.
Herr Mitteis trägt vor über die Prozeßleitung in ägyptischen Papyrus
Urkunden (für die „Berichte"),
Herr Leskien über die an das Indogermanische Institut der Uni-
versität gelangten litauischen Texte von Baranowski, die in
den „Abhandlungen" veröffentlicht werden sollen.
Herr Meister berichtet über seine Vorarbeiten zu dem Corpus Jn-
scriptionum Cypriarum und über einen Synoikie vertrag aus dem
arkadischen Orchomenos (für die „Berichte").
Herr Zimmern empfiehlt für die „Abhandlungen" eine Arbeit des
Herrn Professor Weissbach über die Inschriften des Darius
Hystaspis von Naks-i-Rustam, nebst einem Vorbericht für die
„Berichte".
Herr Stieda übergibt einen Beitrag zur sächsischen Gelehrten-
geschichte (für die „Berichte").
Das Stipendium aus der Springer-Stiftung wird im Betrag von
1000 M. Herrn Dr. Willy Becker in Erfurt zugesprochen.
Phil.-lnst. Klasse 1910. Bd. LXII.
Über die Inschriften
des Darins Hystaspis von Naks-i-Rustam.
Von
F. H. Weissbach.
Die Erforschung der Achämeniden-Inschriften hat seit
1907, dank den Arbeiten von L. W. King und R. C. Thompson,
einen großen Schritt vorwärts getan. Ihre Kollation der drei-
sprachigen Inschriften am Felsen von Bisutün hat eine große
Anzahl von Fehlern in den früheren Ausgaben berichtigt,
viele zweifelhafte oder überhaupt nicht gelesene Zeichen sicher
gestellt und dadurch weitere Fortschritte in der sprachlichen
Erklärung und sachlichen Verwertung ihrer Angaben ermög-
licht. Es sei hier nur an die Chronologie der ersten Regie-
rungsjahre des Darius Hystapis erinnert, deren frühere Be-
handlungen nur zu schwankenden Ergebnissen führen konnten,
die aber jetzt fast völlig gesichert ist.
Wiederholt habe ich auf die zweite wichtigste Aufgabe,
die die altpersische Wissenschaft nach der Erledigung von
Bisutün zu lösen hat, hingewiesen. Die genauere Erforschung
der Reliefs und Inschriften am Grabe des Darius ist eine
Notwendigkeit, die bei der fortdauernd drohenden Zerstörung
von Jahr zu Jahr dringender wird. Auch die nachfolgenden
Bemerkungen sind dazu bestimmt, das Interesse für diese
Aufgabe in den nächstbeteiligten Gelehrtenkreisen von neuem
wachzurufen. Da die achämenidischen Felsengräber allgemein
bekannt sind, beschränke ich mich hier darauf, das Allernot-
wendigste anzuführen.
Die tief in den Felsen eingehauenen Nischen haben die
Gestalt eines griechischen Kreuzes. Die Höhe der Nische des
Dariusgrabes ist 2i,Sm, die Breite etwas geringer. Der untere,
schmale Teil der Nische ist nicht weiter bearbeitet; die Wände
sind glatt. Der mittlere, breite Teil bietet das Aussehen der
4 F. H. Weissbach:
Fassade eines Hauses. 4 schlanke Säulen, in deren Mitte die
Eingangstür zur Grabkammer angebracht ist, tragen ein über-
ragendes Dach. Darüber ist die Nische wieder so schmal
wie unten, aber hier, im Gegensatz zu dem unteren Teil, mit
Reliefdarstellungen geschmückt. Unmittelbar über dem Dach
erblickt man die Seitenansicht von einer Art Thron mit kunst-
voll gedrechselten Beinen, der fast die Hälfte der Fläche ein-
nimmt und zu beiden Seiten nur einen schmalen Raum läßt.
Die Thronbeine sind in der Mitte durch einen Holm ver-
bunden; den Raum über und unter dem Holm füllen zwei
Reihen von je 1 4 nach rechts schreitenden Männern, die mit
hochgehobenen Händen die über ihnen befindlichen horizontalen
Teile des Thrones zu tragen scheinen. Rechts und links der
unteren Reihe, in den schmalen Räumen zwischen dem Thron
und dem Nischenrahmen, sind noch zwei ähnliche Figuren dar-
gestellt, deren Hände die Thronbeine von außen berühren. Oben
auf dem Thron steht links ein Podest von drei Stufen, auf
diesem der König Darius, gleich den Menschen unter ihm nach
rechts gewendet, die linke Hand auf den aufrecht gestellten
Bogen gestützt, die rechte anbetend erhoben. Vor ihm schwebt
in der Höhe das bekannte Symbol Ahuramazdas, hinter diesem
die Mondscheibe, zwischen beiden Göttersymbolen steht auf
dem Thron ein Altar. Auf dem Rahmen an den Rändern
der Nische stehen beiderseits je drei bewaffnete Leibwächter
des Königs übereinander, außerdem je 4 weitere Figuren ähn-
licher Art an den Seitenwänden der Nische.
Die eben beschriebenen Reliefs sind, von geringen Ab-
weichungen abgesehen, den meisten Achämeniden- Gräbern
eigentümlich. Was aber das Darius-Grab vor den übrigen
auszeichnet, das sind seine Keil-Inschriften. Diese Inschriften,
gleich den meisten anderen Achämeniden-Inschriften drei-
sprachig (altpersisch, elamisch und babylonisch), sind von
höchster Bedeutung, nicht nur in sprachlicher Hinsicht, son-
dern auch für die Deutung der Reliefdarstellungen. Es sind
dies folgende:
1. Eine große obere Insehrift (NRa), der ap. Text
Die Inschriften des Darius Hystaspis von Naks-i-Rusta
M
(60 Zeilen) links von der Figur des Königs, weiter links die
el. Übersetzung (48 ZZ.) und noch weiter links, auf der Seiten-
wand der Nische, die bab. Übersetzung (36ZZ.), mich Ab-
schriften Westergaards (1843) veröffentlicht.
2. Eine große untere Inschrift (NRb) von gleichem Um-
fang, am mittleren Teil der Fassade, zwischen den Säulen;
der ap. Text steht links, die Übersetzungen rechts von der
Tür. Sehr verwittert sind alle 3 Texte, am meisten der bab.
Westergaard hat nur vom ap. Text die ersten 1 5 ZZ. abge-
schrieben, Flandin & Coste einige ZZ. aus der Mitte, mit
zahlreichen Lücken und Fehlern.
3. Kleine Inschrift (NRc) über dem Lanzenträger auf
dem linken ßahmen der Nische, hinter dem Koni«-
4. Dgl. (NRd) unter dieser Figur, üher einem anderen
Leibwächter.
5. Dgl. (NRe), über der Figur des Mannes links von
der unteren Menschenreihe, der den Thron von außen berührt.
Diese 3 Inschriften wurden von einem englischen Reisenden
Tasker abgeschrieben und von Rawlinsox veröffentlicht.
Die Abschriften Westergaaeds und Taskers wurden
unter sehr schwierigen Umständen genommen; Westergaard
bediente sich eines Fernrohrs, mit dessen Hilfe er Zeichen
für Zeichen vom Erdboden aus abschrieb. Tasker ließ sich
mit Seilen emporziehen, sodaß er oben, direkt am Felsen
hängend, kopieren konnte. Die große Anstrengung, mit der
diese Arbeit verbunden war, zog ihm eine Krankheit zu, an
der er starb. Die Photographien in Stolzes Persepolis sind
sehr ungenügend. Nur für den ap. und den el. Teil der
großen oberen Inschrift gewährten sie einige Ausbeate, für
den ap. und den el. Teil der großen unteren Inschrift einige
Zeichen; die babylonischen Texte und die kleinen Inschriften
sind bei Stolze völlig unleserlich. So kann die große untere
Inschrift noch fast als unveröffentlicht gelten, zumal auch der
letzte Besucher A. V. W. Jackson (1903) in seinem Buche
Persia S. 298 Anm. 1 von ihr sagt: „The lower one (b) of
the two inscriptions is now almost illegible."
6 F. H. Weissbach:
Über die Bedeutung der Figuren an dem Thron ist man
sich schon seit Jahrzehnten, im allgemeinen wenigstens, klar.
Darius selbst sagt in seiner großen oberen Inschrift:
„Nach dem Willen Ahuramazdas (sind es) diese Länder, die
ich in Besitz nahm außer Persien. Ich wurde ihr Herrscher.
Sie brachten mir Tribut. Was ihnen von mir gesagt wurde,
das taten sie. Mein Gesetz ward gehalten: Medien, Uuaga
(Elam), Parthien, Areia, Baktrien, Sogdiana, Chorasmien,
Drangiana, Arachosien, Sattagydien, Gandara, Indien, die Sakä
haumauargä, die Sakä, welche spitze Helme tragen, Babylon,
Assyrien, Arabien, Ägypten, Armenien, Kappadokien, Sparda,
Ionien, die Sakä jenseits des Meeres, Skudra, die Ionier
takabarä, Putiia, Kusiia, Makiia, Karka." Und weiterhin:
„Wenn du nun denkst: „Wie vielfach waren jene Länder, die
König Darius besaß?" so blick die Bilder an, die den Thron
tragen, da wirst du erkennen" etc. Die „Thronträger" stellen
also die Völker dar, die König Darius besaß. Zum Überfluß
sagt auch die kleine Inschrift NRe ausdrücklich: „Dieser ist
ein Makiiä", also ein Repräsentant des Volkes, das der König
oben an vorletzter Stelle genannt hatte. Danach hatte be-
reits 1859 Oppert (Expedition en Mesopotamie 2, 192) die
Vermutung geäußert, daß ursprünglich jeder „Thron träger"
eine derartige kleine Inschrift gehabt habe. In der Tat konnte
1885 M. Dieulafoy (Revue arch. III. Serie 6, 2 24 ff.) melden,
daß seine beiden Mitarbeiter C. Babin und F. Houssay, die
das Dariusgrab mit Hilfe eines eigens konstruierten hohen
Gerüstes untersuchten, dabei 7 neue kleine Inschriften ent-
deckt hatten. Dieulafoy stellte die Veröffentlichung dieser
Inschriften in nahe Aussicht; sie sind jedoch bis heute nicht
erschienen.
Auf dem Internationalen Orientalisten-Kongreß zu Ham-
burg (1902) hielt F. C. Andreas einen Vortrag über die Völker-
liste des Darius in seiner Grabinschrift. Unter Vergleichung
der besser erhaltenen Figuren des vierten Grabes von Naks-
i-Rustam, das nach ihm (Verhandlungen des XIII. Interna-
tionalisten-Kongresses S. 96) „eine genaue Kopie des Darius-
Die Inschriften des Dauius HyStaspxs von NakI-i-Rustam. 7
grabes" ist und ihm „in einer prachtvollen, für alle wissen-
schaftlichen Zwecke brauchbaren Photographie des Herrn Dr.
F. Sarre" vorlag, gelang es ihm, jedes einzelne der Volker
zu identifizieren. Da die Zahl dieser Figuren gerad.-
30 (= 14 + 14 -f- 1 + 1) ist, in der Inschrift aber, außer
Persien, scheinbar nur 29 genannt sind, und Andreas von
der Ansicht ausging, daß (a. a. 0. 97) „der herrschende Stamm
der Perser . . . natürlich nicht unter den den Thron des
Darius tragenden Figuren der unterworfenen Völker zu suchen"
sei, schloß er, daß die Saka, haumauargä, die man vorher
ganz allgemein als ein Volk betrachtet hatte, in zwei Völker
zu zerlegen seien: Saka und Haumauargä.
Mit einer neuen Bearbeitung der Achämeniden-Inschriften
beschäftigt hielt ich es für geboten, alles zu tun, um neues,
brauchbareres Material zu erlangen. Zu meiner großen Freude
sind meine dahinzielenden Bemühungen nicht erfolglos ge-
blieben. Zunächst stellte mir H. Universitäts-Professor
Dr. Chn. BartholomÄ, jetzt in Heidelberg, das gesamte
Material an Photographien, das ihm sein Schüler, H. Privat-
dozent Dr. H. Reichelt in Gießen, aus Persien mitgebracht
hatte, in liberalster Weise zur Verfügung. Darunter befinden
sich nicht weniger als 5 Aufnahmen von Teilen des Darius-
Grabes. Hervorragend schön und klar ist die Aufnahme Nr. 1
mit der Figur des Darius und des Gottes Ahuramazda, dar-
unter die Thronträger I— IX, XXIX und XV— XXIII, und
an der Seite links die 3 Leibwächter. Der ap. und der el.
Text der großen oberen Inschrift (NRa) sind bis auf die tief
beschatteten beiden Anfangszeilen und die zerstörten Stellen
vollständig deutlich zu lesen, sodaß sich die Texte bis auf
ganz geringfügige Lücken in ihrer ursprünglichen Gestali
wiederherstellen lassen. Um mich nicht in Einzelheiten zu
verlieren, will ich nur hervorheben, daß die Photographie des
ap. Teiles ein bisher unbekanntes ap. Wort, die des el. aber
ein bisher unbekanntes el. Zeichen liefert, und ein anderes
bisher nur einmal belegtes zum zweiten Mal belegt. Die In-
schriften der beiden oberen Leibwächter (NRc und NRd) sind
8 F. H. Weissbach:
allerdings nur gerade noch zu sehen, aber nicht zu lesen.
Etwas klarer ist dagegen die Inschrift über dem XXIX. Thron-
träger (früher als NRe bezeichnet), während die Inschriften
der anderen Thronträger entweder gar nicht oder nur un-
deutlich sichtbar sind. Doch glaubte ich schon über III und IV
die Worte „Dies ist Uuaga (Elam)" und „Dies ist der Partaua
(Parther)" zu erkennen, ohne jedoch Sicherheit zu erlangen.
Nr. 2, eine Aufnahme der linken Seitenwand, bietet auch
den bab. Text der großen oberen Inschrift (NRa), zwar in
sehr kleinem Maße, aber doch für die Verbesserung einer
kleinen Anzahl Stellen hinreichend.
Nrr. 3 bis 5 sind Aufnahmen der großen unteren Inschrift
(NRb), die allerdings sehr stark, aber noch nicht ganz hoff-
nungslos verstümmelt ist. Von dem ap. Text sind in jeder
Zeile wenigstens ein paar Zeichen mit Sicherheit lesbar, ebenso
von den meisten Zeilen des el. Textes. Beim bab. Text sind
zwar einzelne Zeichen, aber kaum ein ganzes Wort zu deuten.
Auch diese Inschrift liefert einige neue ap. Wörter und Formen,
die uns um so willkommener sein müssen, je spärlicher die
anderen erhaltenen Reste der ap. Sprache sind.
Um Gewißheit über die kleinen Inschriften von NR zu
erhalten, wandte ich mich an M. F. Houssay, jetzt Professor
an der Sorbonne, und erhielt von ihm und durch seine freund-
liche Vermittelung auch von M. C. Babin, jetzt Ingenieur en
chef des ponts et chaussees in Rouen, mit zuvorkommender
Liebenswürdigkeit alles gewünschte Material zugesandt. Die
3 photographischen Aufnahmen bieten den bab. Text der
großen oberen Inschrift (NRa) größer und demgemäß auch
deutlicher als Bartholomä Nr. 2, ferner NRc und endlich
NRd in authentischer, fast völlig leserlicher Gestalt, wodurch
zahlreiche Konjekturen und Hypothesen, die mit Vorliebe an
diese beiden kleinen Inschriften geknüpft wurden, mit einem
Male ihre Erledigung finden. Außerdem erhielt ich von beiden
Herren ihre Kopien der 7 kleinen Inschriften, die sie entdeckt
hatten, und eine Skizze, aus der sich ergab, zu welchen Fi-
guren sie gehörten. Gleich die erste Inschrift über dem
Die Inschriften des Dabius Kystaspk von N\.s i-' g
Thronträger I lautet „Dies ist der Perser", die 3. und 4. aber,
wie ich bereits auf Bartholomä Nr. 1 zu Lesen geglaubl
hatte: „Dies ist Uuaga (Elam)", bezw. „Dies ist der Partlrer"
Damit war erwiesen, daß Andreas die ganze obere Reihe 1
Thronträger (I — XIV) falsch bestimmt hatte. Di» erste Figur
ist nicht der Meder, wie Andreas infolge einer irrigen Deu-
tung der Angaben der großen oberen Inschrift angenommen
hatte, sondern der Perser, und die Sakä haumauargä sind nichi
zwei verschiedene Völker, sondern ein einheitliches, wie
man von jeher angenommen hatte. Der Beweis für die Rich-
tigkeit dieser Behauptung läßt sich jetzt zum Überfluß auf
anderem Wege führen. Wären die Haumauargä ein besond*
Volk, so müßte ihr Name in der bab. Übersetzung von NRa,
gleich den anderen Völkernamen, das Länderdeterminativ vor
sich haben. Statt dessen finden wir aber in den Photogra-
phien einen einfachen senkrechten Keil.
Die 30 Thronträger bilden, um es kurz zu sagen, ein
eigenartiges ethnologisches Museum, dessen Wert um so höher
ist, als der Künstler sich offenbar mit Erfolg bemüht hat, die
charakteristischen Züge jedes Völkertypus in Gesichtsbildung,
Haar- und Barttracht, Kleidung und Bewaffnung möglichst
der Natur entsprechend herauszuarbeiten. Diese Völkertypen
unter Vergleichung der Darstellungen an den anderen Aehä-
rneniden-Gräbern eingehend zu beschreiben, liegt außerhalb
des Zieles, das ich mir gesteckt habe, ist vielmehr Aufgabe
des Archäologen, und von archäologischer Seite auch bereits
in Angriff' genommen. Ich muß mich damit begnügen,
Identifikation der einzelnen Figuren, die Andreas nur zum
Teil gelungen war, mit Hilfe des mir zur Verfügung gestellten
Materials zu sichern und, soweit nötig, zu berichtigen. Die
vollständige Transskription und Übersetzung der Inschriften,
nebst den Originalen (teils in Lichtdruck, teils in Autographie)
wird in den Abhandlungen der K. Sachs Gesellscha
Wissenschaften erscheinen.
Druckfei .10.]
/ö
\
I I
Beiträge zur griechischen Epigraphik und
Dialektologie VIII.
Synoikievertrag aus dem arkadischen Orchomenos.
Von
Richard Meisteb.
In dem kürzlich erschienenen 3. Heft des 34. Bandes (1909)
der Athenischen Mitteilungen veröffentlicht A. v. PREMERS i i.i.n
eine neue arkadische Inschrift, zu deren Lesung und Erklärung
die folgenden Bemerkungen einen Beitrag zu liefern bestimmt
sind. Sie steht auf drei Seiten eines schmalen viereckigen
Marmorpfeilers, der im Jahre 1906 im Bereiche der alten
Stadt Orchomenos gefunden, jetzt in dem Orte Levidi, einige
Stunden nordwestlich von Tripolis, aufbewahrt wird. Nach
dem Urteil des Herausgebers gehört sie etwa der Wende des
4. und 3. vorchristlichen Jahrhunderts an. Ich gebe zunächst
mit Wiederholung des vonHEBERDEY angefertigten Faksimiles1)
die Inschrift so, wie ich sie lese, mit Hinzufügung der Über-
setzung, und führe, wo ich von Premerstein abweiche, seine
Lesung am Schlüsse des Textes an. Da ich im folgend» mi
nur die Stellen ausführlicher bebandeln werde, an denen ich
mich im Gegensatze zu ihm befinde, fühle ich mich um so
mehr verpflichtet, gleich hier dankbar darauf hinzuweisen,
ein wie großes Verdienst sich der erste Herausgeber um die
Urkunde erworben hat. _ . , .. , ., „_N
Linke Nebenseite (B).
In^ikahnai
. 0 fj ux
. ÖvdlXCC i]VUL (frei)
1) Hierbei durften die Klischees der Athenischen Mitteilungen be-
nutzt werden, wofür ich der Direktion des Kaiserlich Deutschen Archäo-
logischen Instituts in Athen meinen verbindlichsten Dank ausspreche.
Phil.-Uiat. Klasse 1910. Bd. LXII. 2
Vorderseite (A).
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x]äv 'Aq^ccv, ov xbv 'Iv-
vjttXiOV xbv 'Aorjtt. (frei) 35
\
14 Richard Meister:
Abweichend liest Premeestein: A 1/2 [ivlfolnog. — 2/3 To[(ia]Sog.
— 6/7 sixs [rt] %wgiov. — 8/9 To^[äd]L. — 12/13 Tto\i[nag]. — 14/15
«[p^äv] irnfgriai. — 1 5 j r 6 [Kai oöa] #p7j'aTo:. — 19 ypca/jai^rjas. —
27 ralac^-at. Äai. — B 1 a7r[£]d[f xi\. — C 1/2 'l6l[Xa]og. — 3/4 äipsv[d]rjoav.
— 22/23 ccil}e[v]drj{ov.
Übersetzung.
A. c , die früheren Zuwanderer aber sollen Wohnsitze
in dem parzellierten Land durchs Los zugewiesen erhalten,
wie beide Gemeinden zusammen es beschlossen haben. Aber
in betreff der nach dem Jahre des Chairiadas Zuwandernden,
und wenn ein Grundstück strittig ist in dem parzellierten
Lande, sollen die Heraier entscheiden, auch die Streitsachen,
über die früher bereits geurteilt worden ist, insgesamt; auf
Bestellung aber soll während der nächsten drei Jahre ein
Ordner zum Rechtsspruche kommen. Und die Staatsschulden
sollen beide gemeinschaftlich tragen. Schriftliche Urkunden
sollen sie aufzeichnen und da niederlegen, wo es beiden zu-
sammen gut erscheinen wird. Denen, die nach dem Jahre
des Chairiadas ihre Schulden der Göttin noch nicht bezahlt
haben, sollen sie selbst nach Beschlußfassung betreffs der
Rückzahlung eine Frist festsetzen, und betreffs der Pacht-
zahlungen für das Land, das Mnasiteles verpachtet hat, in
gleicher Weise. Wer ein fremdes Weib geheiratet hat, dessen
Kinder '
B. ' — — — , so soll die Sache wieder vor Gericht ge-
bracht werden.'
C. e jeder von beiden Iolaos. Es schwuren die
Euaimnier folgendes: Ich will wahrlich ohne Falsch sein in
der Synoikie mit den Erchomeniern nach den Verträgen, bei
Zeus Ares, bei Athene Area, bei Enyalios Ares; und ich
werde niemals von den Erchomeniern wegziehen, bei Zeus
Ares, bei Athene Area, bei Enyalios Ares; und wenn ich dem
Schwur treu bleibe, soll mir alles Gute zu teil werden, wenn
ich aber meineidig bin, soll mich selbst und mein Geschlecht
Vernichtung treffen. Es schwuren die Erchomenier folgendes:
Ich will wahrlich ohne Falsch sein in der Synoikie mit den
Beiträge z. gbiechischen Epigeafhik D.Dialektologie VIII. 15
Euaiinniern nach den Verträgen, bei Zeus Ares, bei Athene
Area, bei Enyalios Ares; und ich werde niemals die Euaimnier
vertreiben, bei Zeus Ares, bei Athene Area, bei Enyalios Ares.'
Erklärung.
Alf. [int^foixog. Daß diese Ergänzung, die den Etaum-
verhältnissen durchaus entspricht, die dem Sinn*' nach passende
Bezeichnung gibt, wird aus dem folgenden ersichtlich werden.
2/3. rag to[iad)dog la%r\v. Pki:mi;i:sti;i\ (S. 2 ;'- ; 'Die
Bewohner einer Örtlichkeit Topdg waren anscheinend durch
Gewalt aus ihren Sitzen vertrieben worden und sollten min
wieder in diese zurückgeführt werden.' Aber lay^v bedeutet
nicht sein früheres Eigentum wieder erlangen, sondern durchs
Los etwas erhalten. Ich verstehe den Satz von der Ansiede-
lung der zuerst gekommenen Einwanderer, die nach gemein-
schaftlichem Beschlüsse der beiden Gemeinden Grundstücke
in der ä xo\iag (sc. ya) genannten Landmark von Orchomenos
durchs Los zugewiesen erhalten sollen. Premerstein möchte
Topdg als Eigennamen fassen (S. 248): 'Der Gedanke an einen
Terraineinschnitt, etwa ein schluchtartiges Tal, auf dessen Sohle
die hier in Betracht kommenden Grundstücke sich befunden
haben mochten, liegt nahe/ Ich vergleiche der Bildung des
Wo,rtes nach die ro^iäg (ya) mit der ögyäg (yrj) zwischen
Eleusis und Megara, der nediäg (yfj) in Attika usw., und er-
kläre die tofiäg (ya) von tsfiveiv 'zerschneiden, zerlegen' als
das in einzelne Grundstücke (ut'o/;, uegCÖeg. uolyci. xAfjgot
usw.) geteilte, parzellierte Land.
5n°. täv de eiti [X~\aiQid(d)uL, slre [x >',] ycogCov
du<piXk[o]yov Iv xal Tou[«d]t, xbg 'Hga^'c^- <)ic[d\i-
xdöai, xal tag d(xa[g r](fcg XQodedixa6fii-[v\(-:g Ttdvöag.
Premersteix übersetzt tCbv inl XaiQiddui: 'die von Chairiadas
herbeigeführten Händel' (S. 249), und läßt den Genetiv von z&g
dCxag abhängig sein. Dabei ist für etil c. dat. eiue weder im Arka-
dischen noch in anderen Dialekten nachweisbare Bedeutung an-
genommen und der Genetiv von dem Nomen, von dein er ;il>-
hänjncr sein soll, allzu weit setrennt. Außerdem ist von
i6 Richard Meister:
Händeln oder Parteikämpfen , die mit dem Synoikismos in
irgend welchem Zusammenhang gestanden hätten, in der In-
schrift nirgends die Rede. Ich erkläre r&v eitl Xuigiddai als
Genetiv des rSachbetreffs', wie er namentlich bei dixd&iv und
ähnlichen gerichtlichen Verben steht (vgl. Kühner- Gerth
i, 38of.; Brugmann, Kurze vgl. Gr. S. 438; J. undTh. Baunack,
Die Inschr. von Gortyn 85; K. Meister, Idg. F. 18, 1596°.).
Wie es gortynisch heißt: og xcc töv evsxvqöv dtxddiji, fwer in
betreff der Pfänder urteilt' GDI. 4999 II 12; xaTadixaxödxö
xö eXsv&eyö dexa öxaxsQccvg, xö doAö tzsvte 'er soll verurteilen
wegen des Freien zu 10 Stateren, wegen des Sklaven zu 5',
ebd. 4991 I 3, so hier: xcbv ml XaiQiddca (sc. ijuJ-oixav) rbg
'ÜQUEccg diadixdöcu fin betreff der nach dem (Jahre des) Chairiadas
(Zuwandernden) sollen die Heraier die Entscheidung treffen.
Daß Chairiadas der eponyme Beamte von Orchomenos in dem
laufenden Jahr des Vertragsabschlusses sein könne, hat bereits
Premerstein S. 249 erwogen, den Gedanken aber, da er zu
erheblichen Schwierigkeiten führe, wieder fallen lassen; 'ins-
besondere', meint er, f würde sich daraus die wenig wahr-
scheinliche Konsequenz ergeben, daß die in diesem Jahre
soeben erst abgeurteilten Prozesse sofort wieder einer Revision
unterzogen worden wären (10 — 12)'. Diese Schwierigkeit ist
jedoch nur durch die Annahme Premersteins geschaffen
worden, daß ixl XaiQiddcu in dem Sinne von attisch stcI
Xcagiddov rim Jahre des Chairiadas' stehe, während nichts
hindert nach der ganz bekannten und auch bei Datierungen
häufigen (R. Günther, Idg. F. 20, 114) Bedeutung von ml
c. dat.: 'nach, auf — folgend' zu übersetzen: rnach (dem
Jahre des) Chairiadas', wofür anderwärts fisxcc (neöu) c. acc.
steht (vgl. R. Günther a. a. 0. S. 127). Die itgöxegoi ml-
J-olxol sind bereits in Orchomenos; sie bestehen, wie aus der
angefügten Schwururkunde (C) hervorgeht, aus denEuaimniern;
über ihre Ansiedelung in dem parzellierten Land sind beide
Gemeinden, Orchomenier und Euaimnier, bereits einig. Von
ihnen werden unterschieden oC iitl Xaigiddai {mifotxoi),
Nachzügler, deren Zuzug zu erwarten steht, über deren Unter-
Beiträge z. griechischen Epigraphik u. Dialektologie VJLIi. 17
bringung man sich aber noch nicht geeinigt hat. Die in
Angriff genommene Verstärkung von Orchomenos ist also mit
der Aufnahme der xgÖTegoi stcIsolhoi nicht als erledigt ange-
sehen worden, sondern man hat die Heranziehung weiterer
sutÜoLXOi ins Auge gefaßt. So war es auch bei der Ver-
stärkung von Naupaktos zugegangen, über die wir durch die
bekannte Bronzeinschrift IG. IX 1, 334 unterrichtet sind. Sie
gibt den Vertrag wieder, den die Naupaktier mit den bypokne-
midischen Lokrern geschlossen haben, bestimmt aber zum
Schluß in einem Nachtrag, daß die mit den hypoknemidischen
Lokrern getroffenen Vereinbarungen in derselben Weise für
andere Ansiedler Geltung haben sollten, die mit Antiphatas aus
Chaleion gekommen wären. Diese inCfoixoi aus Chaleion
sind also später als die hypoknemidischen Lokrer in Naupaktos
eingetroffen, zu einer Zeit, als bereits die Ansiedelung der
Hypoknemidier in Naupaktos vollzogen und vertragsmäßig
erledigt war. In Orchomenos handelte es sich vielleicht um
die Frage, ob den nach diesem Jahre Zuwandernden auch noch
Grundstücke in der ro^iäg zur Verlosung angewiesen werden
könnten oder ob sie in andere Gegenden verwiesen werden
sollten. So wird z. B. in der aus dem 4. Jahrhundert v. Chr.
stammenden Inschrift (herausgegeben von BrüNSMID, Abhand-
lungen des arch.-epigr. Seminars d. Univ. Wien, Heft 13, S. 2 ff.)
über die Verteilung der Grundstücke unter die Kolonisten von
Kerkyra melaina, d. i. die illyrische Insel Kurzola, bestimmt,
daß die ersten Kolonisten ihre Grundstücke in der %(oqcc
e^edgetog, die ecpegTtovrsg aber, das sind die später zuwan-
dernden STtLFoixoi, die ihrigen in der %g3qcc äÖiaigexog, das ist
in dem nicht parzellierten Land, erhalten sollen. — Aber nicht
nur über die Unterbringung der nach dem Jahre des Chairi-
adas zuwandernden iirifoixoi, sollen die Heraier entscheiden,
sondern auch über Streitigkeiten, die bereits bei der Ansiede-
hing der früheren inlfoixoi in der rouag vorausgesehen
werden: eire [x rj] %cogCov (>:n(p(kl[o}yov iv rat Tou\o:d\t.
Premeksteix hat sits [xl\ yagiov xtL geschrieben, indem er
Ellipse des Verbums annimmt, weil für £t'r s[gtl\ der Kaum
18 Richard Meister.
nicht ausreiche. Da aber in dem Bedingungssatz ein in der
Zukunft wiederholt zu erwartender Fall angeführt wird, so
ist nicht der Indikativ, sondern der Konjunktiv zu ergänzen,
vgl. eI x' S7tl dc3{icc TtvQ E7Cotöi] Tempelrecht von Alea Solmsen,
Inscr. sei.2 i21. Die Annahme, daß jetzt bei der Ansiedelung
der STcCfoixoi in der xo^idg Streitigkeiten über einzelne Grund-
stücke entstehen würden, lag nahe, weil schon vorher über
die Eigentumsverhältnisse in diesem Landstrich gestritten
worden war; das Schiedsgericht soll aber in seinen Ent-
scheidungen an die früher gefällten Urteile nicht gebunden
sein, vielmehr sollen die früher bereits in diesen Sachen ge-
fällten Urteile alle noch einmal zur endgültigen Entscheidung
vor das Schiedsgericht gebracht werden (vgl. övdtjco: y)vcu B 2).
1 1/1 2 Ttgodedixccöuilv^ag. Über die durch die Schrei-
bung t ausgedrückte geschlossene Aussprache des arkadischen e,
die wir schon von der Präposition iv und den Formen änv-
dedo[iiv[og^ und tt7t£%oiiCvog aus dem Gottesurteil von Man-
tineia her kannten und die sich ebenfalls im kypriscken, aber
auch in anderen äolischen Dialekten nachweisen läßt, werde
ich in nächster Zeit bei Gelegenheit der Publikation einer
kypri sehen Sakralinschrift ausführlicher zu sprechen haben.
1 2 ff . 7tofi\ytat\ <5' £7iL/ysve6d'cu d[tcc] XQi'a fixea ccq-
[xvvo^v STtl fQtjßL. Premerstein liest: 7to(i[7tdg\ <3' STCiye-
veö&cu ä\tä] tqlcc ftxEa ä\jiiäv\ ETti^Qy'iöi und gibt als Sinn
an (S. 250), daß cdie Entsendung von Schiedsrichtern aus
Heraia durch 3 Jahre und zwar auf Antrag der Behörden
(offenbar von Orchomenos und Euaimon) stattfinden soll'.
Da nehme ich Anstoß an dem Ausdruck no^iTtäg EmyEviö^ai^
der im Sinne von öixaöxäg i%iyEvi<5\tai gebraucht sein soll,
an der Allgemeinheit des Ausdruckes ciQ%av und an der Be-
deutung 'Antrag', die für das Wort snCQQrjöLg angenommen
wird. Ich finde das Subjekt des Satzes in aQ\xvvo\v (oder
aQ[xvva]v). Nach dem Faksimile sind von diesem Worte
auf Z. 14 noch erhalten AF, darnach Raum für 2 Buchstaben,
auf Z. 15 Raum für 2 Buchstaben, dann n, so daß die Er-
gänzung Premersteins a\j)yüv\ auch dem Räume nicht ent-
Beiträge z. griechischen Ei-itii; \imiik u. Dialektologd VJLL1. 19
spricht. ÜQXvvog (ägxvvag) 'Ordner' ist die Bezeichnmig von
bestimmten Beamten, bisher uns bekannt aus Hesych: &Qtwog'
ecQ%(ov, Thuk. 0,47, 11: (öfivövTav) ev "AQyEi . . i) ßovMt xal
01 öydor'jxovra xal ol aoxvvat- Plutarch, Qu. Gr. I, 1 (Mor.
p. 291 F): (in Epitlauros nehmen nur 180 Männer an der Ver-
waltung des Staates teil) ex öe xovxcov fjoovvro ßovXevt dg,
ovg aQtvvovg exdXovv. Das Verbum clqxvev 'ordnen' liegt
arkadisch im Tempelrecht von Alea SoLMSEN8 i17 vor. Einer
dieser Beamten soll im Laufe der nächsten 3 Jahre nach
Orchomenos kommen 'auf Bestellung', d. h. so oft die Orclm-
menier nach einem schicken. — lici ^q^oi rzum Spruche', liier
'zum entscheidenden Beschlüsse'. Im Sinne von ipr^iGua
wird QfjGLg aus Krates zitiert: QrjGig' xb tn'^fiGua. oi<xag
K()art]g [FCG. ed. Meineke II 1, 251 nr. 16: 'nisi Cratetem
dicit grammaticum'; ed. Kock I 144 nr. 56] Phot.; vgl. auch
Hesych: Q>tßsig' vojxol^ döyfiaxcc. löyoi, Xi^Eig. iprt(pC(jauta.
I5ff. [Kai tk] iQTqaxa da^i66i\a x]oival cpEQijv [«^]-
(porsQog. Ich ziehe die Ergänzung [xccl | tu], die sich den
Raumverhältnissen, wie der Vergleich von Z. 16 zeigt, voll-
kommen gut anpaßt, der PREMERSTEixschen [xcd o\ecc] vor,
weil sie einfacher ist.
19 yo&tyavöag. Premersteix korrigiert: yoäij>ccv(T)ccg
mit der Erklärung (S. 251): 'Der Schreiber, dem irrigerweise
ein Begriff wie -xölig äiKpoxsQug als Subjekt vorschwebte, hat
die weibliche Form des Part. aor. gesetzt'. Die Erklärung ist
richtig: es liegt ein Wechsel der Begriffe 'Gemeinden' und
'Gemeindemitglieder' vor. Mag aber diese Entgleisung, für die
es auch in der Literatur genug Analogien gibt, vom Schreiber
herrühren oder vom Redaktor des Beschlusses — wir dürfen
sie nicht durch Korrektur beseitigen.
21 ff. [T]o££ ixi XaiQiccdcu x[ä] xqhjcctcc 6(pskXo\v6]i
tat %-eoI xeqI xbv [u7t]vdo6^ibv avxbg d[ic(]ßaXEv6u-
(iivog xqövov xa%u(5%-ai, xccl tceq\v xcc] fiL6d"(b[iata rag
yäg, [xuv] MvaöLxe?.rjg i[ii\6)Q-[(o\GF< xä xavxd. PREMER-
STEix vermutet (S. 246! 263! 1 im Zusammenhang mit seiner
oben erwähnten Auffassung von Z. 5/6, Chairiadas sei ein
I
20 Richard Meister:
Parteiführer gewesen, der mit einer Gruppe von Gleich-
gesinnten in den unruhigen Zeiten, die dem Synoikismos
vorangegangen wären, der Tempelkasse, um die Kosten des
von ihm geleiteten Partei kampfes zu bestreiten, ein Darlehen
entnommen habe, dessen Rückzahlung zur Zeit noch nicht
erfolgt sei. Ich bemerkte schon oben, daß i%l Xaigiadca
nicht heiße fauf Betreiben des Chairiadas' sondern 'nach (dem
Jahre des) Chairiadas' und daß ich weder hier noch an einer
anderen Stelle der Inschrift Andeutungen von Tarteikämpfen
und Gewaltakten' zu erkennen vermag. Den Leuten, die im
nächsten Jahre ihre Schulden an die Göttin noch nicht be-
zahlt haben, sollen sie selbst nach Beschlußfassung betreffs
der Rückzahlung eine Frist festsetzen, und ebenso betreffs
der Zahlungen des Pachtzinses für das Land, das Mnasiteles
verpachtet hat. Auf welcher Vertragsseite dabei die Schuld-
ner, auf welcher die Vertreter der Gläubiger zu suchen sind,
hat die Redaktion der Urkunde als für das Verständnis über-
flüssig weggelassen, und auch für uns ist die Entscheidung,
wenn wir uns die Situation beider Teile vergegenwärtigen,
nicht allzu schwer. Von den beiden den Vertrag schließen-
den Gemeinden waren die Orchomenier in ihren häuslichen
und wirtschaftlichen Verhältnissen ungestört geblieben. Die
Euaimnier dagegen hatten ihre Stadt verlassen und waren
nach Orchomenos gekommen, um hier, sobald der Synoikie-
vertrag mit den Orchomeniern abgeschlossen sein würde, Grund-
stücke zu erhalten, auf ihnen ihre Häuser zu bauen und ihre
wirtschaftlichen Einrichtungen zu treffen. Sie werden hierbei
beträchtlicher Geldmittel bedurft haben. Aus ihrer verlasse-
nen Stadt bezogen sie seit ihrem Wegzuge kein Einkommen
mehr und mußten doch für Nahrung und Unterkommen
sorgen. Als König Antigonos den Synoikismos von Lebedos
und Teos plante, wies er die Teier an (Dittenberger,
Syll.2 1 775), den einwandernden Lebediern, bis diese sich ihre
eigenen Häuser würden gebaut und eingerichtet haben, wofür
ein Zeitraum von 3 Jahren festgesetzt wurde (ebd.I4), Woh-
nungen zum provisorischen Unterkommen ayuö&C zur Ver-
Beiträge z. griechischen Epigraphik u. Dialektologie VIIL 21
fügung zu stellen und ihnen außerdem Bauholz unentgeltlich
zu liefern (ebd. ,6). Ob man sich den einwandernden Euaiin-
niern gegenüber in Orchomenos ebenso entgegenkommend
benommen hat, ist sehr zweifelhaft. In unserer Urkunde,
soweit sie erhalten ist, lesen wir nichts davon; dagegen wird
Z. 27fr. von einem Areal gesprochen, das Mnasiteles ver-
pachtet hatte, doch wohl an die einwandernden Euaimnier,
damit sie dort, bis der Vertrag abgeschlossen, ihre Grund-
stücke ihnen zugeteilt, ihre Häuser gebaut und ihre Wirt-
schaften in Stand gesetzt waren, ein provisorisches Unter-
kommen finden konnten. Geldmittel erforderte dann der Bau
der Häuser und die Einrichtung der Grundstücke, und da nicht
O 7
daran zu denken ist, daß nur die Wohlhabenden der Euaim-
nier an dem Synoikismos teilgenommen hätten, vielmehr die
Armen sicher in der Mehrzahl gewesen sind, so muß den un-
bemittelten Einwanderern zur Bestreitung dieser sofort an sie
herantretenden Ausgaben Beihilfe gewährt worden sein. Von
dieser vorauszusetzenden Situation aus wird uns der Sinn des
Abschnittes Z. 2 1 ff. verständlich. Den Euaimniern sind, so-
weit sie darum nachgesucht hatten, Darlehen von dem mit
dem Tempel der Göttin in Orchomenos verbundenen Bank-
institut gegeben und für provisorische Unterkunft ein Areal
verpachtet worden, wahrscheinlich infolge einer bereits in den
einleitenden Verhandlungen (vgl. A 3 ff.) getroffenen Verein-
barung. Wäre nun das Bankinstitut ein privates und das
Land, das Mnasiteles ihnen verpachtet hatte, Privatland ge-
wesen, so würden die Aerbindlichkeiten, die die Euaimnier
ihnen gegenüber eingegangen waren, in diesem Staatsvertrage
keinen Platz gefunden haben. Daß sie in ihm geregelt werden,
beweist allein schon, daß orchomenische Staatsinteressen bei
ihnen im Spiele waren. Das folgt auch aus einem zweiten
Grunde. Die mit ccvzög Z. 25 bezeichneten Leute, die als
Vertreter des orchomenischen Heiligtums den Schuldnern der
Göttin, die im nächsten Jahr noch nicht bezahlt haben, eine
Zahlungsfrist festsetzen sollen, können nur die Orchomenier
sein, und das dabei stehende d[tci\ßG)ksv6auCvog sagt, daß
22 Eichard Meister:
diese Festsetzung durch einen Ratsbeschluß zu geschehen
hatte. (Die Zeugnisse für eine ßovXrj in Orchomenos s. bei
Gr. Gilbert, Handbuch der griech. Staatsaltert. 2, 131). Dieses
Eintreten der Staatsgewalt für die Gläubiger ist aber wieder
nur denkbar, wenn es sich bei den Darlehen wie bei der
Verpachtung um Staatsgut handelte. Das ist auch wirklich
so, denn es handelt sich hier wie dort um Schuldner der
Göttin, um das Vermögen eines orchomenischen Staatsheilig-
tums. Im ersten Satze ist das in den Worten xolg . . öcpel-
Xovöc tat dsol klar ausgesprochen-, diese Worte gehören aber
ebenso zum zweiten Satz. Premerstein beginnt mit Kai
Z. 27 eine neue Periode. Ich ziehe vor keine große Inter-
punktion vor xccC zu setzen; denn die im zweiten Satze bei
xä tccvtcc zu ergänzenden Worte avrbg diaßcokevGa[iivog %q6-
vov rd^aö'&at sind ebenso mit dem Dativ tolg . . 6(p&llov6t
tat %-£ol zu verbinden wie dieselben Worte im ersten Satze.
Wenn der zweite Satz selbständig gemacht und aus der Ver-
bindung mit dem ersten gelöst werden sollte, so würde er so
lauten: Kai (tolg iitl Xuioictdui rä %Qy\ara bysllovöi rat
dsot) xsqI tä ^LLö&cö^iara rag yäg, räv Mvaöitel^g £[itö~&co6e,
y.a xavxu {avrbg dwßoaktvöapLivog %q6vov %v.%,a6%ai ). Das
Land also, das Mnasiteles den Euaimniern verpachtet hatte,
gehörte der Göttin: in welcher Eigenschaft er die Verpach-
tung vermittelt hatte, wissen wir nicht; jedenfalls hatte er die
Sache im Auftrag der Orchomenier in die Hand genommen.
Darlehen wie Pachtgut waren zunächst, wie es scheint, nur
bis zum Ablauf des Vertragsjahres erbeten und gewährt
worden, wahrscheinlich unter ausdrücklicher vorläufiger Er-
klärung, daß nach dem Vertrage die Orchomenier, zu denen
ja auch die Euaimnier infolge des Vertrages gehören würden,
durch Ratsbeschluß die Fristen festsetzen sollten, innerhalb
deren die Darlehen zurückzugeben und die Pachtgelder zu
zahlen wären.
C 1/2 'IoXlajog. Dieser Name, den Premersteln 76X-
[lu\og ergänzt, ist nach den sehr beachtenswerten Ausführungen
des Herausgebers (S. 2 66 f.) für die Beurteilung des histori-
Beiträge z. griechischen Epigraimiik. u. Dialektologie VIII. 2}
o
sehen Hintergrundes von Interesse. Um so mehr möchte ich
einige Bedenken gegen die Herstellung zur Sprache bringen.
In der Inschrift wird anlautendes Digamma stets geschrieben,
hier nur würde es vernachlässigt sein; die Grundform des
Namens ist ja FiöXccfog (vgl. FiCK-BBCHTEL 129). Wenn
freilich der Träger dieses Eigennamens ein Ausländer ist,
darf die unarkadische Form niemanden befremden. Ernst-
licheren Anstoß gewährt die Schreibung mit XX, die der
Herausgeber des Raumes wegen (S. 256. 266) annehmen zu
müssen glaubt. Er sagt, sie sei fauch sonst wohlbezeugt',
aber meines Wissens findet sie sich nur in den abgeleiteten
Kurznamen 'IoXXäg, 'IöXXrig, "loXXog, 'IoXXCöag u. a., der be-
kannten Kurznamenbildung entsprechend, nicht aber im Voll-
namen. Wäre die Schreibung mit XX hier sicher, so müßte
sie den 'orthographischen Fehlern' von der Art wie d-dXXuööa,
^JauudrQELog, l6%vQQog u. a. (Brugmann, Gr. Gr.3 S. 131) zu-
gerechnet werden, die durch Verlegung der Silben grenze in
den Konsonanten zu erklären sind. Aber sie ist nicht sicher.
Auf dem Faksimile sieht man erstens, daß die Buchstaben
dieses Eigennamens weiter voneinander abstehen, als es sonst
auf dieser Seite gewöhnlich ist, und zweitens, daß die Zeilen
auf dieser Seite nicht ganz gleichmäßig schließen, sondern die
einen etwas kürzer, die andern etwas länger sind. Es er-
scheint mir darnach die Annahme durchaus zulässig, daß in
der Lücke am Ende der Z. 1 nur noch der breit geschriebene
Buchstabe A gestanden hat.
3fT. ä%'£v[d]r}(o v a(v) xäv <5v£oi\vA\uv\ 22&. u^s[y\-
drico v uv xäv Gv^olijxCav. Mit diesen Worten beginnen
die Eide, die die Euaimnier und Orchomenier sich gegenseitig
schwören, ätpsvdtjco ist der voluntative Konjunktiv: fich will
ohne Falsch sein' und üv xäv övfoixiav heißt: cin der Synoikie'.
Pkemerstein allerdings verwirft die Auffassung von üv als
Präposition, weil dies 'notwendig wie eine zeitliche Befristung
der 6v£oixiu erscheinen würde, die ihrem Wesen nach und
wie in der Fortsetzung der Eidesformeln ausdrücklich betont
ist, auf immerwährende Zeit eingegangen wird' (S. 257). Aber
24 Richard Meister:
zeitlich ist der Ausdruck nicht, sondern räumlich oder zu-
ständlich. av xav övfoixiav bezeichnet die Ausdehnung über
den ganzen Zustand der Gvfoixia, über das ganze Rechts-
gebiet, in dem sie sich als övfoixoi befinden, und ätjjsvdt](0 . .
av xav övfoLXiccv ist nicht anders zu verstehen als etwa
xccvTss ÜQtöroi eovxeg ävä Gxquxov (N i i 7) oder aQiöxrjia
dcböovxeg x(p ä%LGJxdx<p ysvofisvtp ^Ekh'jvcov dvä xov %6le^iov
xovxov (Herodot 8, 123). Die Auffassung Premersteins, der
av als die Modalpartikel und xav övfotxiav als Objekts- oder
Inhaltsakkusativ deuten möchte, dürfte deshalb abzulehnen sein.
— Zu erledigen bleibt noch das v nach dipevdrjco. Nach der von
W. Schulze dem Herausgeber brieflich mitgeteilten Erklärung
(S. 258) 'ist aipevdijcov 1. Sing. Konj. zu dtysvdrjfii und ent-
spricht in der Stammbildung, wie sich's gehört, der 3. Sing.
xaxgi&ie des sog. Gottesurteils von Mantineia und der thessa-
lischen 3. Plur. xaxoixsiovvd't IG. IX 2, 514, in der Personal-
endung überraschend genug dem von Mahlow aus der Doppel-
heit der vedischen Koniunktivformen stdvä: stdväni mit Evi-
denz erschlossenen vorindischen Ausgange -an (idg. -öri),
das mit veränderter Funktion in der slav. 1. Sing. Ind. berq
fortlebt'. Die Entscheidung der Frage, ob wirklich -dn als idg.
Personalendung der 1. Sing. Konj. anzuerkennen ist, überlasse
ich anderen: auf griechischem Sprachgebiet ist von dieser
Konjunktivendung nicht die geringste Spur vorhanden. Ich
ziehe deshalb eine andere Erklärung vor, die sich auf griechi-
sche Formen stützen kann. Die Partikeln vs(\ vi) und vv, die
in den äolischen Demonstrativen övs (: ovi) und ovv (Verf.,
Idg. Forsch. 25, 312 ff.1)) als Affixe verwendet sind, dienen
1) In dem oben zitierten Aufsatz habe ich vi als eine altererbte
Schwesterform von vi und vv angesehen. Seitdem habe ich die Über-
zeugung gewonnen, daß die Form vi. in den Dialekten, in denen es
vorkommt (Arkadisch, Pamphylisch, Böotisch), infolge geschlossener
Aussprache des s aus der Form vi entstanden ist, genau so wie das
Verhältnis beider Formen in der den äolischen Dialekten nahe stehen-
den phrygischen Sprache ist. So schmilzt die griechische Dreiheit
vi, vi, vv und ovs, ovi, ovv auf die Zweibeit vi(:vi), vv und ovs(:ovi),
Beiträge /.. griechischen Epigraphs u. Dialkktologie VIII 25
auch zur Bekräftigung von Willenserklärungen und Auf-
forderungen. Das ist bei vv (vvv) ganz bekannt (KÜHNEE-
Gekth II ii8f), vgl. auch kyprisch: 7) övfävoi vv Edalion
GDI. 6o6 [HoFPM. 135], r) dcoxot vv ebd.16. Ebenso steht
(ve:)vC zur Verstärkung von Imperativen im Pamphyli sehen:
xcci vi öxvöqv xaxa^eg^odv Sillyon, Berichte der S. Ges. d.
Wiss. 1904, b. 12 ff. Z. 12, [x]at vi ^oixvnoXlg e%ixo Z. 14,
xai vi 6ccuadiiio <fK[icc[Lvodv~\ Z. 23, wie (ye:)vi in derselben
Weise auch im Phrygischen mit Imperativen verbunden vor-
kommt (Idg. Forsch. 25, 32of.). Diese Partikel vi war im
Arkadischen bisher nur in der Verbindung mit dem Pronomen
6 xo- bekannt, wie auch vv im Arkadischen bisher nur in
der Verbindung mit 6 xo-, im Ky prischen aber auch selb-
ständig vorliegt. Jetzt haben wir, wenn meine Erklärung
zutrifft, in aipsvdijco v' av xäv GvfoLxiav auch im Arkadi-
schen ein Beispiel des selbständigen Gebrauchs von vi ge-
funden, in dem es ebenso wie vi im Pamphylischen und wie
vv im Kyprischen zur Verstärkung einer Willenserklärung
dient: "ich will wahrlich ohne Falsch sein in der Synoikie'.
Die Elision von v(i) vergleicht sich der von ojtdO'(t) A 20.
Den Bemerkungen Premerstkixs über die dialektischen
Formen (2 60 ff.) habe ich kaum etwas hinzuzufügen, i&kccv-
voia C 30 bringt erfreulicherweise die urkundliche Bestätigung
der zuerst 1877 von K. Brugmann in Paul und Braunes
Beiträgen zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur
4,378 aufgestellten Ansicht, daß * bherohn = urgr. *cp£ooia
*(ptQocc (daraus wieder cptooia nach epsootg cpsooi usw.) die
Grundform für gr. (p8Qoi[ii sei. — Längst erwartet kommt
ferner arkadisch bv in bvdixoc B 2 zutage, so daß sich nun
genau wie im Kyprischen bv: vv als die echt dialektischen
ovv zusammen. — Zu dem einen in jenem Aufsatz nachgewiesenen
kyprischen Beispiele von vi kann ich jetzt ein zweites hinzufügen:
Athieuu GDI. 76 [Hoffm. 151] ist zu lesen: . . ävtd-rixs ta(v) J-siv.6va
tä(v)de vs 'An6[XX(üvi], wo sich vi an rä(v)ds ebenso zur Verstärkung
der Deixis anschließt wie arkadisch vi an rulSs in r(Y]f<?£ vi Tegea Bull,
de corr. hell. 25, 267 (vgl. Wilhelm, Ath. Mitt. 31, 22).
26 Richard Meister: Griech. Epigraphik u. Dialektologie VIII.
Formen der Präposition im Arkadischen erweisen — denn
nun schwindet doch wohl auch das letzte Bedenken gegen
den arkadischen Dialekt der Inschrift auf dem Kymbalon der
Kamo (Verf., Berichte 1896, S. 264). In dem neben ov auch
in dieser Inschrift auftretenden äv erkennt der Herausgeber
mit Recht ebenso wie in der Infinitivendung auf -tjv (A 3. 17)
und der Ersatzdehnung in d[icc]ßcoXsv6anLvog A 25/26 An-
zeichen der in den Dialekt eindringenden achäisch- dorischen
xoLvij. — Bemerkenswert sind auch einige neu erscheinende
Nominalbildungen. aTtvdoö^iög A 24/25 statt des gewöhnlichen
äxödoöig reiht sich den mit dem Formans -6(10- gebildeten
Wörtern, wie &söfiög, ß<x<5[i6g, 6£i<3{iög usw. an. iQr\axa
A 16. 25, von W. Schulze (S. 252) mit Recht aus ^Qr^axa
erklärt, läßt einen Nom. Sing. *iQy\J:aQ voraussetzen; man
wird die Gleichung ansetzen dürfen: *%Qf}J:ccQ %Qi^{f)atf!C',
XQfftia igr^iara = xxsccq xtsara (Pind. Nem. 7, 41 Schroeder)
aus *xrrjJ:aQ *xri]J:ara (wie cpQWQ aus cpQr}(J-)ccQ, %Q£og aus
XQrj^og usw. Wackernagel, KZ. 27, 264): xrfificc %tr\\x,axa.
Druckfertig erklärt 15. II. 1910.]
27
Zur Sächsischen Gelehrtengeschichte.
Von
Wilhelm Stieda.
Nachdem im Jahre 1727 auf Befehl des Königs Friedrich
Wilhelm I. in Halle und in Frankfurt a. 0. die ersten Pro-
fessuren für Ökonomie und Kameralwissenschaften gegründet
worden waren, entschlossen sich auch andere Universitäten
zu diesem Vorgehen. Sehr schnell erfolgte das indes nicht.
Der akademische Adreßkalender, der erstmalig für das Jahr
1754 ausgegeben wurde, weist für das Jahr 1755 nur drei
derartige Professuren nach. Doch waren seine Angaben un-
vollständig, denn um diese Zeit hatten in Deutschland außer
Halle und Frankfurt noch Göttingen und Rinteln, und in
Schweden Abo und Upsala Professoren dieser Fächer. An
allen englischen, französischen und holländischen Universitäten
waren zu jener Zeit kameralwissenschaftliche Lehrstühle noch
nicht üblich. Für das Jahr 1769/70 macht der genannte
Kalender in Deutschland erst 6 Hochschulen namhaft, die
solche Professuren ins Leben gerufen hatten, und nicht früher
als gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts war der Sieg des
neuen Lehrstuhls gesichert. Im Jahre 1798 haben von 36
Universitäten in Deutschland 23 Professuren für die ökono-
mischen und kameralistischen Fächer, die durch 32 Profes-
soren wahrgenommen wurden.1)
An diesem Umschwünge war auch die Universität Greifs-
wald beteiligt, die damals der Krone Schwedens gehörte.
1) Wilhelm Stieda, Die Nationalökonomie als t'niversitätswissen-
schaft, Leipzig 1906, S. 65 — 67, 107 — 108.
PhiL-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 3
28 Wilhelm Stieda:
Dort war im März 1791 der ordentliche Professor der theo-
retischen Philosophie Peter Ahlwardt gestorben, und es wurde
nun in der Fakultät angeregt, das vakante Katheder durch
einen Vertreter der Staats-, Finanz- und Kanieralwissenschaft
zu besetzen. Auch sollte der zu berufende Gelehrte die
Statistik ebenfalls in den Kreis seiner Vorlesungen hinein-
beziehen.
Nachdem man zuerst Professor Niemann in Kiel zu ge-
winnen versucht hatte, der auch „wegen seiner Kenntnisse
im Forstwesen" der Akademie erwünscht war, dieser jedoch
ablehnte, fiel die Wahl auf den außerordentlichen Professor
Georg Stumpf in Jena, ein früheres Mitglied der ökonomi-
schen Gesellschaft in Leipzig. Diesem war nur eine kurze
Wirksamkeit in Greifswald beschieden. Er konnte, da die
Berufungsangelegenheit ins Stocken geraten war, erst im
Jahre 1793 sein Lehramt antreten und starb bereits im Jahre
1798.1) Nun mußte aufs neue über einen Ersatz beraten
werden und, da der Fachmann fehlte, so erbot sich der Pro-
fessor der Geschichte Peter Möller2) Erkundigungen einzu-
ziehen. Er schrieb an eine Reihe seiner Fachkollegen und
Vertreter der Kameralwissenschaften und ersuchte sie um
Vorschläge. Viele wurden genannt, aber es war nicht leicht,
den Richtigen zu treffen. Denn die Kameralisten hatten, wie
Professor Franz aus Stuttgart schrieb, es zu gut, indem sie
sich alle, nachdem sie ihre Studien beendet, „so sanft zu
betten gewußt, daß es beynahe unmöglich wäre einen von
ihnen in seiner behaglichen Lage herauszuheben." Es gab
eben, wie Professor Assmann in Wittenberg in einem Briefe
an Professor Möller hervorhob, noch immer wenig deren,
„welche sich ganz besonders dem studio der Cameralwissen-
schaften widmeten", und es wurde daher schwer, im Beru-
fungsfalle „ganz zweckmäßig zu empfehlende Personen auf-
zufinden".
1) Stieda, a. a 0. S. 87—88.
2) Johann Georg Peter Möller, 1729 — 1807, Kosegarten, Gesch. d.
Univ. Greifswald, 1857, I- 5°5, Stieda, a. a. 0. S. 87.
Zun Sächsischen Gelehrtengeschichte. 29
•
Es wäre nicht ohne Interesse, sich den Verlauf der
Angelegenheit zu vergegenwärtigen. Doch würde es hier zu
weit führen, die Einzelheiten, die an einer anderen Stelle
ausführlich mitgeteilt sind1), zu wiederholen. Wohl aber
lohnt es sich der Mühe, dabei zu verweilen, daß auch zwei
sächsische Kameralisten zur Wahl standen: der Magister
Johann Christian Hotfinann in Leipzig und Johann Glottfried
Steinhäuser in Plauen. Die auf deren Bewerbung sich be-
ziehenden Schreiben haben sich in den Akten der philo-
sophischen Fakultät erhalten und werden nachstehend unter
Nr. 1 — 11 abgedruckt.
Der Magister Hoffmann wurde von Professor Leonhardi
in Leipzig, Steinhäuser von Professor Assmann in Witten-
berg empfohlen, dem sich der Kommissionsrat Riern in
Dresden anschloß.
Friedrich Gottlieb Leonhardi, um zunächst über die emp-
fehlenden Männer ein Wort zu sagen (1757 — 1814), hatte
sich nach absolvierten Studien in Wittenberg und Leipzig im
Jahre 1788 in Jena niedergelassen, dort zum Magister pro-
moviert und angefangen über Ökonomie und verwandte
Wissenschaften Vorlesungen zu halten. Als dann durch die
Berufung des Professors Leske nach Marburg in Leipzig eine
Vakanz eingetreten war, die man einige Zeit erledigt ließ,
siedelte er im Jahre 1790 nach Leipzig über, erlangte durch
Verteidigung einer Dissertation die Rechte eines Magistri
legen tis und erlebte alsbald die Freude, das freie Katheder
der Ökonomie als Ordinarius besteigen zu dürfen. Er hat
18 Jahre sein Amt verwalten können und galt als ein sehr
gelehrter Mann, dem eine gewisse Vielseitigkeit zu Gebote
stand, indem er auch über Geographie vortrug.2)
Christian Gottfried Assmann, 1755 — 1822, war nach
absolviertem Studium eine Zeitlang Hofmeister des Barons
von Gutschmid in Dresden gewesen, bekleidete dann seit 1782
die Stelle des Tertius an der Nikolaischule in Leipzig und
1) Stieda, a. a. 0. S. 86 — 96.
2) Stieda, a. a. 0. S. 313.
3*
30 Wilhelm Stieda:
•
war im Jahre darauf Magister der Philosophie geworden.
Er war geborner Leipziger. Er hatte das Glück, im Jahre
1785 auf den Lehrstuhl der Kameralwissenschaften nach
Wittenberg berufen zu werden. Dort war an Stelle des ver-
storbenen Professors der Mathematik es als zweckmäßig er-
achtet worden, die Mathematik durch einen Professor, nicht
wie bisher durch zwei, wahrnehmen zu lassen und dafür
einen ordentlichen Professor zu berufen, der die „zu so ver-
schiedenen Bedienungen und bürgerlichen Geschafften im
Staate unentbehrlichen oeconomischen und cameralischen
Wissenschaften" vortragen könne. Unter vier Vorgeschlagenen
wählte das Oberkonsistorium in Dresden Assmann, der indes
durch Schriften über ökonomische Fragen sich noch nicht
ausgezeichnet hatte. Er hat es auch in der Folge nicht ge-
tan, sondern sich mehr mit Poesien und prosaischen Auf-
sätzen, wie „Gemälde der Nacht", „Empfindungen eines An-
betenden", die nicht gerade mit den von ihm vertretenen
Fächern zusammenhingen, an die Öffentlichkeit gewagt.1)
Johann Riem in Dresden, 1739 — 1807, der die Kandi-
datur Steinhäuser zu unterstützen sich angelegen sein ließ,
war seit 1788 kurfürstlich sächsischer Kommissionsrat. Ge-
boren zu Frankenthal, wurde er Oberökonomiekommissar und
Lehrer der Bienenökonomie in Berlin, darauf seit 1776 kgl.
preußischer Oberinspektor aller schlesischen Bienenplantagen
zu Grünthal bei Breslau, seit 1777 fürstlich anhalt-plessischer
Amtsrat und Administrator der Amter Deutschweichsel und
Miserau zu Deutschweichsel bei Pleß in Oberschlesien. Dann
einige Zeit auf Reisen, war er im Jahre 1785 nach Sachsen
gekommen und bald darauf beständiger Sekretär der ökono-
mischen Gesellschaft geworden. Er scheint Verständnis genug
besessen zu haben, um Steinhäuser, der seiner ganzen Anlage
und Ausbildung nach offenbar zum akademischen Lehrer paßte,
als einer Professur würdig zu beurteilen. Doch gewinnt man
1) Panegyrici Magistr. Lips. auf der Leipziger Universitätsbiblio-
thek, Bericht für 1783, Stieda, a. a. 0. S. 74.
Zur Sächsischen Gelehrtengeschichte. ;•; i
nicht den Eindruck , daß er von der modernen Volkswirt-
schaftslehre die richtige Vorstellung hatte, die Steinhäuser
bei aller seiner Begabung schwerlich genügend hätte wahr-
nehmen können.
Unter den beiden Vorgeschlagenen war offenbar Stein-
häuser der geistig bedeutendere. Er ist denn auch heute noch
unvergessen, während es Mühe macht, etwas über die Persön-
lichkeit Hoffmanns zu ermitteln. •
Johann Gottfried Steinhäuser, 17G8 — 1825 x), entstammte
einer alten adligen Familie von Steinhäuser in der Schweiz
aus der Gegend am Zürchersee. Der Zweig der Familie,
der nach Plauen im Voigtlande ausgewandert war, ließ den
Geburtsadel fallen. Er hatte auf der Bergakademie zu Frei-
berg tüchtige mineralogische und bergmännische Kenntnisse
gesammelt, hatte dann in Wittenberg Philosophie und Rechts-
gelehrsamkeit, Mathematik, Physik und Geographie studiert
und kehrte im Jahre 1792 ins Vaterhaus zurück. Bald
darauf suchte er sich praktisch zu betätigen und zog nach
Frankfurt a. M., wo er einem Unternehmen, das „geschliffene
Manufacte aus grünem Jaspis" herstellte, vorstand. Doch
dieses Geschäft glückte so wenig als andere Pläne zum Be-
triebe von Fabriken sich realisieren ließen, und Steinhäuser
siedelte daher wieder nach Plauen über, wo er seinem Vater
als praktischer Jurist zur Seite zu stehen sich bemühte.
Doch sagte ihm diese Tätigkeit nicht zu und er wandte sich
lieber mathematischen und physikalischen Problemen zu. In
diese Zeit der Ungewißheit fällt seine Bewerbung um die
Professur der Kameralwissenschaften zu Greifswald, die für
ihn jedoch ungünstig verlief. Erst im Jahre 1806 wurde er
nach dem Tode von Professor Ebert in Wittenberg daselbst
als Ordinarius für Mathematik angestellt.
Professor Assmann lobte Steinhäuser als einen Mann
von „mannigfaltigen Kenntnissen und praktischen Geschick-
lichkeiten", der schon als Student die trefflichsten Fortschritte
1) Allgemeine Deutsche Biographie.
32 Wilhelm Stieda:
hätte erkennen lassen und auch mit dem Bergfach und Hütten-
wesen vertraut wäre (Nr. 7). Einem zweiten in derselben
Angelegenheit geschriebenen Briefe (Nr. 10) war ein neuer
Aufsatz Steinhäusers chemischen Charakters beigefügt sowie
von einer demnächst zu veröffentlichenden Abhandlung die
Rede, in der der Bewerber die Möglichkeit untersuchte, eine
internationale Maß- und Gewichtseinheit einzuführen. Herr
Kommissionsrat Riem legte großes Gewicht darauf, daß Stein-
häuser Mitglied der ökonomischen Gesellschaft in Leipzig
wäre. Er nannte die von ihm herausgegebenen Abhandlungen
lehrreich und nützlich uud empfahl den Kandidaten wegen
„seiner allgemeinen Kenntnisse und der physikalischen noch
insbesondere". (Nr. 9.) Steinhäuser selbst hob in seiner
lateinisch verfaßten Eingabe an die Philosophische Fakultät
in Greifswald hervor, daß die Kameralf ächer, für deren Vor-
trag er berufen werden sollte, ihn von Kindesbeinen an am
meisten gefesselt hätten. Steinhäuser verstand unter solchen,
der Auffassung der Zeit gemäß, eben seine naturwissenschaft-
lichen, chemischen und physikalischen Studien. Er erzählt
dann seine uns schon bekannten wechselnden Schicksale, die
ihn in der Praxis keinen rechten Boden hatten finden lassen,
und hofft, daß er an den Gestaden der Ostsee, wenn das Glück
ihm günstig sein sollte, seine Untersuchungen über den Mag-
netismus fortzusetzen Gelegenheit haben würde.
Es geht schon aus diesen eben besprochenen Briefen
hervor, daß die Begriffe des Kameralisten des 18. Jahrhunderts
und eines Nationalökonomen des 19. Jahrhunderts sich nicht
decken, obwohl der letztere aus dem ersteren hervorgegangen
ist. Man hielt die Kameralwissensehaft offenbar für eine
Naturwissenschaft und hielt den für geeignet zum Vortrag
ihrer Lehren, der Physik, Botanik, Zoologie usw. beherrschte.
Eine Bekanntschaft mit der von Adam Smith angebahnten
Richtung erachtete man in weiten Kreisen selbst 22 Jahre,
nachdem sein epochemachendes Buch erschienen war, noch
nicht für erforderlich. Der Lehrstuhl sollte einmal im wesent-
lichen dem Betriebe der Landwirtschaft dienen, die man durch
Zur Sächsischen Gelehrtenges» sichte. 33
anerkannte wissenschaftliche Grundsätze in den Naturwissen-
schaften zu fordern und zu entwickeln sich bestrebte. Ferner
aber hielt man es augenscheinlich für sehr nützlich, den künf
tigen Verwaltungsbeamten, da man nicht wußte, in welchem
Zweige der Verwaltung er einst praktisch tätig sein werde, mit
allen Naturwissenschaften vertraut zu machen. Er erwarb dann
Kenntnisse, die er irgendwie einmal hoffen konnte anzuwenden.
Steinhäuser besaß übrigens auch juristische Kenntnisse, war
indes in erster Linie naturwissenschaftlich gebildet. Als Pro-
fessor der Mathematik war er in Wittenberg gewiß in seinem
richtigen Fahrwasser.
In eben so hohem Grade war der andere Bewerber
Johann Christian Hoffmann Naturwissenschaftler. Geboren
im Jahre 1768 zu Schiettau unweit Lauchstädt, hatte er,
nachdem seine Eltern nach Leipzig übergesiedelt waren, die
Nikolaischule daselbst besucht und bezog im Jahre 1787 die
Universität Leipzig, um sich dem Studium der Jurisprudenz
zu widmen. Dann aber wandte er sich der Chemie zu und
erlangte im Jahre 1796 mit der Schrift „Erfahrungen und
Versuche für Künstler, Handwerker und Fabrikanten" den
Magistergrad der philosophischen Fakultät.1) Kurz vorher
oder nachher war er zum Ehrenmitgliede der ökonomischen
Gesellschaft in Leipzig gewählt worden und redigierte seit
1797 die Ökonomischen Hefte oder Sammlung von Nach
richten, Erfahrungen und Beobachtungen für den Stadt- und
Landwirt, die Professor Leonhardi im Jahre 1792 begründet
und aus Mangel an Zeit aufgegeben hatte.2) Leonhardi
hielt Hoffmann für den „rechten Mann unter allen unseren
durch Schriften bekannt gewordenen Ökonomen und Kame-
ralisten".3) Er erklärte ihn als einen ruhigen vorurteilsfreien
1) Panegyrici magistr. Lips. auf der Leipziger Universitätsbibliothek
Bericht vom 11. Februar 1796.
2) Die Ökonom. Hefte erschienen 1792 — 1808. Von 1797 — 1799
hatte Hofftnann die Redaktion.
3) jStikda, a. a. 0. S. 369/370. Brief an Professor Möller in
Greifswald.
34 Wilhelm Stieda:
Beobachter der Theorie und Praxis in der Ökonomie und
Kameralistik, für einen rechtschaffenen Mann von sanftem und
friedlichem Charakter, ungemein fleißig habe er bereits
„mehrere sehr praktische Abhandlungen in besonderer Rück-
sicht auf Manufacturen und Fabriken sowohl als auch auf
die Landwirtschaft" geschrieben. Daher war Leonhardi fest
überzeugt, daß er, wenn „er so glücklich sein sollte diese
Stelle zu erhalten, seinen Vorgänger sehr weit hinter sich
lassen und durch seinen theoretischen sowohl als praktischen
Unterricht den größten Nutzen stiften" würde.
Hoffmann scheint es im hohen Maße darum zu tun ge-
wesen zu sein die Professur zu erlangen. Nicht genug, daß
er wie üblich sich in lateinischer Sprache um die Stelle
bewarb , (Nr. i ) schickte er in der Zeit vom 2 1 . Juli bis
7. Oktober 1798 fünf Briefe an Professor Möller (Nr. 2, 3,
4, 6, 8), die ihn empfehlen sollten. Er erscheint in ihnen
als ein Mann von Gedanken, erfüllt von lebhaftem Interesse
für weitreichende Probleme und voll anregender Pläne für
die Praxis. Nur daß er von den Elementen der Wissenschaft
die Adam Smith angefangen hatte vorzutragen, gar nicht ge-
wußt zu haben scheint. Nichtsdestoweniger gefiel er in Greifs-
wald und hatte das Glück auf die Kandidatenliste gesetzt zu
werden. Vor ihm wurden allerdings zwei andere Gelehrte ge-
nannt, die in einer wesentlich von der seinigen verschiedenen
Richtung sich wissenschaftlich betätigt hatten, nämlich Crome
und Canzler.1) Für Hoffmann, der ungefähr 20 Schriften seiner
Meldung beigefügt hatte, machte die Fakultät geltend, daß
er gute Kenntnisse in Physik, technologischer Chemie und
anderen mit der Kameralistik verwandten Wissenschaften be-
saß. Auch im Fabrikwesen war er bewandert, hatte vornehme
russische Studenten unterrichtet und einen Ruf an die in
Dorpat neu zu errichtende Professur ausgeschlagen. Von
1) Crome 1753 — 1833 war Professor in Gießen. Vgl. Stieda a. a. 0.
S. 184 — 261. Canzler, 1764 — 181 1 war Professor in Göttingen. Vgl.
über ihn Kosegarten Gesch. der Univers. Greifswald S. 314, Stieda
a. a. 0. S. 92 ff.
Zur Sächsischen Gelehrtengeschichti 35
Eifer für seine Wissenschaft beseelt, galt er als ein Mann
von Tätigkeit, Fleiß und „Begierde sich hervorzuthun".1)
Im gründe standen somit die Aktien für Hoifmann nicht
schlecht. Es war schon vorgekommen, daß die an erster
Stelle Vorgeschlagenen den Ruf ablehnten, und so geschah
es auch in Greifswald. Crome, der längere Zeit auf seine
Antwort hatte warten lasseu, schrieb endlich ab. Aber auch
Hoffmann, ohne wie es scheint davon zu wissen, teilte am
23. April 1799 mit (Nr. 11), daß er auf weitere Berücksich-
tigung verziehte, da er Salinenverwalter zu Teuditz und
Kötzschau geworden war. Dieser Posten hatte ihn sehr an-
gezogen. Doch war es ihm aus Gründen der Wohlanständig-
keit zuerst nicht möglich gewesen sich um ihn zu bewerben,
da ein Freund von ihm es ebenfalls auf ihn abgesehen hatte.
Xachdem indes dieser bedeutet worden war, daß man ihn
jedenfalls nicht wählen würde, war für Hoffmann der Grund
hinfällig sich nicht zu bewerben. Und in der Praxis hatte
seine Bewerbung mehr Glück als an der wissenschaftlichen
Anstalt.
Was Hoffmann in der neuen Stellung, in die er, wie
es scheint sehr gerne einrückte, geleistet hat, entzieht sich
unserer Kenntnis. Auch sein Todesjahr melden die bekannten
Nachschlagewerke nicht.
Bei dem nun folgenden Abdruck der Briefe ist der Wort-
laut der Originale unverändert geblieben und nur hier und da
des besseren Verständnisses halber ein Interpunktionszeichen
eingefügt worden. Bei der Erläuterung der naturwissenschaft-
liehen Bemerkungen hat mich Herr Professor Dr. Luther in
Dresden unterstützt, dem ich dafür auch an dieser Stelle
herzlich danke. Ich habe seine Zusätze durch Hinzufügung
seines Namens kenntlich gemacht.
1) Stieda a. a. 0. S. 94|95-
36 Wilhelm Stieda:
1. Magister J. C. Hoffmann in Leipzig
bewirbt sich in Grreifswald um die Professur für
Kameralwissenschaften, 1798 Juli 21.
Akten d. phil. Fak. Greifswald S. 56 — 57.
Viri Magnifici, Amplissimi, Spectabiles,
Reverendi, Summa pietate prosequendi,
Pluribus abhinc annis in Academia quae Lipsiae floret,
non modo in eas disciplinas, quae oeconomicae et camerales
audiunt incubui, sed etiam scriptoribus recentioribus edoctus
chemiam et physicen lucem haud parvam illis litteris adfeiTe
posse, et has eo consilio colui ut pro tenui viriuni modulo
prodessem in posterum juventuti oeconomiae et cameralium
studiosae. Qua propter magisterium nee frustra ab amplissimo
Philosophorum ordine ut diploma probat petii et liuc usque
non modo plures juvenes academicos, sed et alios viros aetate
jam provectos ut R. J. Comitem de Orlow, L. Barones de
Loewenstern, qui per integrum annum hie vixerunt his in
diseiplinis diligenter erudivi. Sed non solum instituendo
verum et scribendo ut aliis prodessem operam dedi ideoque
plures varii argumenti libellos edendos curavi quorum sequen-
tes humillime transmissi nominandi Vestroque benevolo ju-
dicio subjiciendi erunt:
1. Oekonomische Hefte für den Stadt- und Landwirth.
2. Erfahrungen und Versuche für Künstler, Fabrikanten
und Handwerker, ites Bändchen Leipz. 1795. 2tes Bändchen
1 797 u. 3tes 1798 quae ulterior pars adhuc sub prelo.
3. Etwas über das Bley u. s. w. Leipz. 1797.
4. Chemische Farbenlehre. Von mir fortgesetzt. 3r Theil
Leipz. 1797, nee non
5. Nützliche Sachen für den lieben Bürgers- und Bauers-
mann. Leipz. 1796.
6. Einige Aufsätze in die Anzeigen der Leipz. ökon. Soc.
Michaelimesse 1796 Seite io7 Ostermesse 1 797 Seite 24. Denique
7. Viele Aufsätze in das Journal für Fabriken, Manuf. Handl.
u. Mode. Leipz. b. Voss sowie auch in den Allgem. litterar. Anz.
Zur Sächsischen Gelehrtengeschichte. 37
Jam vero quum nuperrime niorte b. Stumpfii professoris
in Vestra Academia bene meriti oeconomiac et cameralium
professio sit aperta Vos Viri Magniiici, Amplissimi, Reve-
rendi hisce litteris petitoriis decenter huinilliineque rogo: ut
in deferendo hoc munere Academico mei ratiouem habere
hancque oeconomiae et cameralium professionem clementissime
mihi demaudare velitis.
Voti mei si compos factus fuerim per omne vitae tem-
pus in eo praesertim elaborabo ut dignus summa hac niuni-
ficentia nee ulli concedam, ut Vos majori pietatis studio pro-
sequatur.
Lipsiae a. d. XXI m. Jul.
Joannes Christianus Hoffmann
Phil D. et lib. Art. Mag. nee non Soc. Oec. Lips. Sodalis.
2. Magister Johann Christian Hoffmann in Leipzig an
Professor Möller in Greifswald, 1798, Juli 21.
Akten d. phil. Pak. Greifswald S. 54/55.
Wohlgeborner
Hochzuverehrender Herr Professor und Decan!
Ew. Wohlgeb. werden gütigst verzeihen, dass ich Denen-
selben durch gegenwärtiges Schreiben so wie durch bei-
gehende Bittschrift an E. Hochlöbl. Fakultät zu Greifswalde
beschwerlich falle und Denenselben vielleicht einige kostbare
Augenblicke entziehe. — Ich bin von Geburt ein Sachse, gegen-
wärtig 30 Jahre alt, von sehr gesunder Constitution und
habe sowohl auf dem Gymnasium als auch nachher auf hie-
siger Leipziger Akademie studirt. Mein eigentlicher Plan
ging auf ökonomische und kameralistische Wissenschaften,
die ich aber auf Anrathen zugleich mit der Jurisprudenz ver-
binden musste, in welcher letzteren ich auch examinirt bin
und ein rühmliches Zeugniss erhalten habe. Allein die erst-
genannten Wissenschaften hatten mehrern Reiz für mich und
ich suchte sie nur noch mehr durch andere Hilfswissen-
schaften, wohin ich vorzüglich die Physik und Chemie rechne,
38 Wilhelm Stieda:
zu vervollkommnen. Diese letztere hat mich in der neuern
Zeit wegen des grossen Einflusses auf Oekonomie, Techno-
logie und Fabrikwesen vorzüglich gefesselt, und im Fall mich
das Schicksal nicht von Leipzig ruft, so gehört es in meinen
Plan nicht nur die gegenwärtig des Unterrichts wegen an-
gelegten kleinen Fabriknnstalten zu erweitern, sondern auch
noch andere grössere und wichtigere anzulegen, wohin ich
vorzüglich eine ganz neu erfundene Schwefelölfabrik, eine
Sodafabrik, eine Farbenfabrik, eine Kupfervitriolfabrik rechne.
Außerdem hoffe ich auch zu Errichtung eines technologischen
Erwerbsstudiums für junge Bürgers- und Kaufmannssöhne
unterstützt zu werden. Der Graf Orlow Chesmensky, welcher
seit länger als einem Jahre hier ist, hat seit dieser Zeit sich
meines Unterrichts täglich bedient, weil er bei der Rückkehr
in sein Vaterland allerlei Fabriken anlegen will. Auch der
Herr Baron von Löwenstern hat Privatissima bei mir gehabt
und mir seine Söhne sowohl als andere junge Liefländer
empfohlen. Letztere Vorlesungen sind aber durch die neuen
Ukase vernichtet worden. Eine mir angetragene Stelle auf
der neu zu errichtenden Universität Dörpat habe ich zwar
nicht gerade ausgeschlagen, würde sie aber als Verehrer der
Wissenschaften um keinen Preis aus bekannten Ursachen an-
nehmen. Bei meinem bisherigen Unterricht der Studierenden
bin ich von der gewöhnlichen Methode ganz abgewichen.
Gewöhnlich wähle ich ein etwas weitläuftigeres Compendium,
zeichne einen tabellarischen Plan vor mit Verweisung auf die
Seitenzahlen des Compendiums, lasse es vor der Stunde die
Zuhörer durchstudiren, richte alsdann meinen Vortrag ganz
kurz ein und bitte nun die Zuhörer mir nach Belieben das
zu eröffnen, was ihnen undeutlich geschienen, belehre ihre
Zweifel, beantworte ihre Fragen und, im Fall ich nicht ant-
worten kann, gestehe ich es offenherzig; weil ich es für
weniger schimpflich halte etwas nicht zu wissen als an-
maaßend zu seyn. Diese Methode scheint mir die Zuhörer
aufmerksamer zu halten und mehr Nutzen zu stiften als wenn
den Zuhörern Stillschweigen auferlegt ist.
Zur Sächsischen Gelehrtengeschiohte. 39
Durch sehr viele Aufsätze, die ich in das Journal für
Fabrik, Manufakturen, Handlung und Mode geliefert habe,
wurde ich früh mit litterarischen Arbeiten bekannt und habe
mehrere anonyme Schriften, z. B. eine über Lotleriewesen,
Telegraphie u. d. gl. geschrieben, die ich aber nicht der Mühe
werth halte anzuführen.
Von beifolgenden dürften nach meiner Meinung vielleicht
die Erfahrungen und Versuche pp. keinen gänzlichen Mangel
(sie!) verdienen oder Verachtung, weil ich mich bemühet habe
immer etwas neues zu liefern oder auch das neueste aus-
ländische zu benutzen, wenn es dem erwerbenden Publikum
vortheilhaft sein kann. In den von mir herausgegebenen und
noch fortdauernden ökonomischen Heften rühren größtenteils
die Abhandlungen von mir her, die keinen Autornahmen führen.
In den beigehenden Anz. der Ökonom. Societ. zu Leipzig
rühren auch die Aufsätze in den von 1796 Seite 10 und in
den von 97 Seite 24 von mir her.1)
Die Ausführung einer Menge neuer Ideen, die gegen-
wärtig noch nicht zur vollkommenen Keife gediehen, muß
ich bis auf Zeiten verschieben, wo ich mehr Müsse habe.
Hierher gehört: dass ich die electrische Materie von dem
reinen Feuer nicht verschieden halte2)-, dass die fixen Laugen-
salze zusammengesetzte Körper sind3); dass die sogenannte
Blausäure ein Unding4) ist; daß der zusammenziehende Stoff
der Pflanzen von den Laugensalzen wenig verschieden ist und
wahrscheinlich aus diesen und dem Kohlenstoffe bestehe;
u. s. weiter.
Noch verdient vielleicht einer Erwähnung, dass ich eine
neue Pendeluhr erfunden habe, die nur 4 Räder ohne Vor-
gelege hat, aber doch Sekunden, Minuten, Stunden, Datum
zeigt und 8 Tage lang bei dem einfachsten Mechanismus geht.
Auch denke ich über einer Uhr nach, die weder Zahn noch
Getriebe hat.5) Die erstere wird in einigen Tagen unter
meinen Augen von einem Künstler vollendet seyn und die
nähere Beschreibung wird dann in dem Journal für Fabrik
folgen. Beiläufig erwähne ich, dass auch ein anderer ganz
40 Wilhelm Stieda:
gleiches Vor- und Zunahniens6) in dem genannten Journal
eine erfundene Pumplampe7) beschrieben hat, mit dem ich
nicht zu verwechseln bin; er ist mein Freund. Weniger
halte ich auf die Erfindung eines neuen Butterfasses, wovon
das Modell vollendet und ehestens in den ökonomischen
Heften wird beschrieben werden.8)
Sie, verehrungswürdigster Mann, werden meine Schreib-
art verzeihen. Ich schreibe dieses nicht ganz ohne Gemüths-
bewegung und auch in der grössten Eile, weil Herr Prof.
Leonhardi mich erst gestern aufgefunden und aufmerksam
gemacht hat und ich gern heute die Berliner Post benutzen
wollte, wenn es demungeachtet nicht zu spät ist; ich bin
Deroselben Verzeihung gewiss, da ich Ihren vortrefflichen
und liebenswürdigen Charakter aus Zöllners Reisen auf der
Insel Rügen kenne.9)
Die beigelegten Specimina sollen davon zeigen, dass ich
vielleicht ein brauchbarer Mann werden kann. Doch dies
wird man nicht allein durch Gelehrsamkeit sondern durch
diese erst verbunden mit Liebenswürdigkeit des Charakters.
Wollte Gott! ich könnte auch davon Beweise bringen. So
viel glaube ich mit der grössten Gewissenhaftigkeit sagen zu
können: dass ich gesellig und friedfertig bin; ich kenne
keinen, der mein Feind ist, ich habe mehr gute Menschen
als böse gefunden, weil ich an Niemanden grosse Forderungen
mache: ich halte ursprünglich das Menschengeschlecht für
gut, ich glaube, dass Niemand bös handeln würde, sobald er
von der Bösartigkeit seiner Handlung überzeugt ist: ich um-
fasse alle Menschen mit Liebe. Herr Assessor Haubold10),
Herr Prof. Hindenburg, der liebenswürdigste Mann in Leip-
zig11), Herr Prof. Löser12), Herr Prof. Ek13), Herr M. Held,
Herr D. Ludwig14), Herr M. Wichmann15), der mein Lehrer
in der Staatswirthschaft ist, sind ohngefähr die Männer, denen
ich bekannt bin.
Meine ökonomischen Umstände sind in der besten Lage:
ich habe keine Schulden, weil ich nie das Herz gehabt habe
von Jemanden etwas zu borgen. Eine verehrungswürdige
Znt Säciisisciikn < iixr.m: i i :nGE8CHICH i k. 41
Dame, die mir mehrmals zur Errichtung einer grossen Fabrik
Vorschüsse angeboten, hat abschlägliche Antwort erhalten,
weil mir dies Unruhe machen würde. Diese Dame ist die
Madame Saalbach, Mutter des Herrn Assessor Haubold, bei
dem ich 4 Jahre lang ehedem Famulus gewesen. Wenn
meine Bittschrift nicht bereits zu spät einläuft und auch in
diesem Falle empfehle ich mich Ew. Wohlgeb. aufs beste:
und sollte ich das Glück haben Denenselben nicht zu mis-
fallen, so würde es unstreitig zur Erreichung meines Wun-
sches beitragen von Denenselben über die noch zu nehmenden
Massregeln belehrt zu werden. Herr Prof. Leonhardi wollte
ein Empfehlungsschreiben beilegen, worauf ich jedoch noch
einige Tage hätte warten müssen, weil er heute zu viel Ge-
DD /
schälte hat. Mit der schuldigen Ehrerbietung bitte Dieselben
O D
nochmals um Protektion und ersterbe mit der grössten Hoch-
achtung _, TTT 11 1
8 Ew. Wohlgeb.
ergebenst gehorsamster
Johann Christian Hoffmann.
Leipzig, d. 21. Julius 1798.
3. Magister J. Chr. Hoffmann in Leipzig an Professor
Möller in Greifswald, 1798, Juli 25.
Akten d. phil. Fak. Greifswald S. 66 — 67.
Wohlgeb orner
Hochzuverehrendster Herr Kammerrath und Professor,
Herr Prof. Leonhardi hat in der Meinung, daß ich meine
Bittschrift an die Hochl. phil. Fakultät zu Greifswald erst
mit der heutigen Berliner Post absenden würde, an Dieselben
mir ein Schreiben Übermacht. Ich ergreife diese Gelegenheit
dieselben nochmals ergebenst zu bitten mir zur Erreichung
meines Wunsches behilflich zu seyn. Es würde nur An-
massung seyn, wenn ich glaubte die entstandene Lücke so-
gleich ausfüllen zu können: aber mein ausserordentlicher
Thätigkeitstrieb, der Gott sey Dank, durch keine Leiden-
schaften gestört wird, soll künftighin allein dahin abzwecken
O ' D
42 Wilhelm Stieda:
das mir vorgesteckte Ziel zu erreichen und ein recht brauch-
barer Mann zu werden. Ich bin nicht wenig gerührt worden,
da ich in den Annalen der deutschen Universitäten von Mur-
sinna und Justi16) lass; daß auf der Akademie zu Greifswalde
sein- darauf gesehen wird junge Studirende vorzüglich auch
auf das aufmerksam zu machen, was Bezug auf Oekonomie,
Fabrikwesen, Handel und überhaupt auf Industrie hat. Dies
stimmt mit einem Theile meines längst entworfenen Plans
sehr überein und ich habe blos aus dieser Absicht Physik
und Chemie sehr fleissig getrieben. Dass letztere vorzüglich
grossen Einfluss auf Oekonomie und Fabrikwesen hat, habe
ich auch in der Vorrede zu Handbuch der Chemie zum
Selbstunterricht, Leipz. 1796 geäußert. Ich würde diese Schrift
mit übersendet haben; allein sie rührt nur vom ioten Bogen
an von mir her: ich unterzog mich dieser Arbeit nur aus
Freundschaft für den Verleger und den unglücklichen Ver-
fasser der ersten Hefte, der durch eine sonderbare Krankheit
alle Geisteskräfte, ja sogar sein Gedächtnis verloren hatte,
dass er mir nicht einmal seinen Plan detailliren konnte. Dess-
wegen konnte ich nicht mit Beifall arbeiten ohngeachtet eine
nicht ganz ungünstige Recension erschienen ist.
In den übersendeten Erfahrungen und Versuchen sind
ausser den wenigen franz. und englischen Uebersetzungen alle
Aufsätze eigenthümliche Arbeiten, die sich auf angestellte
Versuche gründen. Das dritte noch nicht völlig abgedruckte
Bändchen soll hoffentlich die erstem noch übertreffen: ich
habe eine den Bernstein betreffende, vielleicht nicht unwich-
tige Entdeckung gemacht, die darin besteht, daß er ganz
weich wie Gallerte wird ohne etwas an Farbe zu verlieren17);
welches nebst anderen in dem dritten Bändchen beschrieben
wird, und alles auf Vervollkommnung der Industrie gerichtet
ist. Auch nehme ich mir die Freiheit einen rohen Entwurf
von der Erfindung einer neuen Geräthschaft beizufügen, die
eben die Wirkung des Parker'schen Apparats hat, wohlfeil und
einfach ist und in Fabriken im Grossen leicht eingeführt werden
kann. Herr Prof. Hindenburg ist so gütig gewesen sie sehr zu
Zun Sächsischen GeltEhrtengeschichte. 43
billigen. Wäre ich so glücklich meinen Wunsch zu erreichen,
so würde mein ganzes Bestreben dabin gerichtet seyn, auf
nützliche Erweiterungen in der Fabrik Wissenschaft zu denken,
da ich in diesem Fache noch sehr glücklich zu seyn glaube.
Als Oekonomist versage ich zwar dem plivsiok ratischen
System meinen Beyfall nicht, glaube aber, daß ein heftiger
Lobredner desselben zu seyn mehr schädlich als nützlich ist.
Durch die ausserdem noch möglichen Verbesserungen iu der
Landwirtschaft durch Begünstigung und Verbesserung des
K'unstfleisses müssen erst die nöthigen Vorbereitungen ge-
macht werden. Wenn dann die dadurch vermehrte Volks-
menge alle hierbei interessierte Glieder des Staats zur aller-
höchsten Benutzung des Bodens zwingt, und wenn glück-
lichere Beispiele als bisher vorangegangen sind: dann werden
auch, worüber sich der Menschenfreund im voraus freut,
wohlthätige Vergleiche zu Staude kommen; da durch gewalt-
same und erschütternde Aufhebung hergebrachter Rechte nur
Verletzungen heiliger von beiden Seiten eingegangener Con-
trakte herbeigeführt werden.
Als vernünftiger Mann darf ich zwar gegenwärtig noch
nicht das geringste hoffen, zumal wenn mit mir zugleich
würdigere Competenten um die erledigte Stelle angesucht
haben. Meinen immer gegen andere geltend zu machen ge-
suchten Grundsätzen zufolge sollte ich auch ganz ruhig seyn;
aber das finde ich nicht: — Vielmehr schwebe ich in einer
bisweilen angenehmen bisweilen aber auch unangenehmen
Unruhe und ich setze mein Vertrauen allein auf die Vor-
sehung, die mich vielleicht, um recht nützlich werden zu
können, für diesen so ehrenvollen Posten unter einer so
glücklichen Regierung bestimmt hat. Möchte ich das Glück
haben Deroselben Gewogenheit würdig zu seyn! Ich verharre
mit aller Ehrfurcht Ew. Wohlgeboren
*Ö"
ergebenst gehorsamster
Johann Christian Hoffmann
wohnhaft in No. 1239.
Leipzig den 25. Juli 1798.
Phil.-hi3t. Klasse 1910. Bd. LXII. 4
44
Wilhelm Stieda:
4. Magister J. C. Hoffmann in Leipzig an Prof. Möller
in Greifswald, 1798, Aug. 29.
Akten d. phil. Fak. Greifswald S. 74.
Woklgeborner
Hochgeehrtester Herr Kamnierrath und Professor,
Durch die Ankündigung einer Beschreibung des Herrn
Super. D. Schlegels 18) von der Universität Greifswalde bin
ich von neuen aufs lebhafteste an diese Akademie und an
meine gegenwärtigen Verhältnisse erinnert worden: und ich
nehme mir die Freiheit Dieselben nochmals durch gegen-
wärtigen Brief zu belästigen: weil ich in meinem erstem
Schreiben einen Umstand übergangen zu haben glaube, der
vielleicht der wichtigste ist, auf den E. Hochlöbl. Fakultät
bei Besetzung der erledigten Lehrstelle sehen möchte. Ich
habe mich nemlich geprüft, welche Vorlesungen ich wohl zu
halten im Stande wäre, wenn die Vorsehung beschlossen
hätte, mir diesen Wirkungskreis anzuweisen und ich versichere
Ew. Wohlgeboren, dass die Richtigkeit nachstehender Angabe
mit meinem so laut geäusserten Wunsche in gleichem Ver-
hältnisse steht. Zu den Vorlesungen, denen ich mich schon
gegenwärtig unterziehen zu können glaube, gehören:
1. Das Ganze der Cameral Wissenschaften.
2. Reine Oekonomie, im allgemeinen sowohl als auch
über besondere Theile derselben.
3. Oekonomische Chemie im allgemeinen und dann auch
besonders a) über die Untersuchung und Zerlegung der
Ackererdarten mit Versuchen; b) Untersuchung der Luftarten
und ihres Einflusses auf das Wachsthum der Pflanzen; c) über
Gährung u. s. w.
4. Physiologie der Pflanzen.
5. Fabrik Wissenschaft im allgemeinen und dann vorzüg-
lich insbesondere über einzelne Theile derselben in practischen
Versuchen. Hierin glaubte ich den Studierenden sowohl als
auch andern, die Fabriken anlegen wollten, vorzüglich nütz-
lich seyn zu können.
Zur Sächsischen Gelehbtengeschichte. 45
6. Practische Mechanik, wenn ich zuvor die mir noch
fehlenden Instrumente und Modelle angeschafft habe.
7. Ueber einige lateinische Schriftsteller, z. B. über scrip-
tores rei rust., Plinii bist, natur. u. s. w.
Bedenke ich ferner, dass mein Thätigkeitstrieb mich
immer anspornt, so ist es gewiss, dass ich künftig auch noch
über andere verlangte Gegenstände Vorlesungen zu halten im
Stande wäre; z. B. über ökonomische Botanik, über technische
Botanik, worin ich jedoch selbst zuvor noch manche Lücken
auszufüllen hätte, welches aber bei den so vortreflichen
Hilfsmitteln in Greifswalde leicht zu bewerkstelligen wäre.
Im Gegentheil aber würde ich mich auch solcher Vorlesungen
enthalten, mit denen sich bereits andere geschicktere Männer
beschäftigten.
Ew. Wohlgeboren bitte nochmals um gütige Vorsprache
und verharre mit der geziemendsten Hochachtung und Dank-
verpflichtung Deroselben
ergebenster Verehrer
Johann Christian Hoffmann
wohnhaft in No. 1239.
Leipzig den 29. August 1798.
5. Bewerbung des Magister Joh. Gottfr. Steinhaeuser
in Plauen i. V. um die Professur der Kameralwissen-
schaften in Greifswald, 1798, Sept. 26.
Akten d. phil. Fak. Greifswald S. 117 — 119.
Viri Magnifici, Illustrissimi, Jure consultissimi, Experien-
tissimi Excellentissinii, Praenobilissimi, Amplissimi, Doc-
tissimi, Patroni atque Fautores summa pietate colendi!
Res humanae divino arbitrio si diriguntur non dubito
quin annuente Deo 0. M. factum sit, ut Patronus Vitebergae
mihi amicissimus literis eo quidem die, quo trigesimum aeta-
tis annum expleveratn, datis, rerum cameralium et Statisticae
Grypbiswaldae Professorem supremum nuper diem obiisse, me
certiorem redderet et qui defuneti in locum sufficerer, haud
4*
46 Wilhelm Stieda:
omnino indignum me judicans, ut de eo munere mihi confe-
rendo supplex Vos adirem, auctor mihi fieret.
Cui consilio eo lubentius obtempero, quod ipsum meis
cum votis studiisque quibus a puero fere incubui quam maxime
congruit. Exacto enim in gymnasio, quod Portae Saxonum
est, quinquennio cujus maximam partem alumnus tum elec-
toralis rebus mathematicis physicisque tribueram statim Fry-
bergam ejusdem Saxoniae adii ibique rerum metallicarum,
geognosiae et orictognosiae ediscendarum causa per biennium
non sine laude commoratus integrum fere, quod insecutum
est, quadriennium in Academia Vitebergensi Themidi simul
ac Uraniae consecravi.
Dehinc admodum juvenis molendinis in comitatu Nasso-
viensi trans Rhenum ad terendos lapides nobilioris generis
exstructis, optimis quidem auspiciis praefectus post tarnen
aliquod tempus expugnatis per Gallorum arma transrhenanis
regionibus inde profugatus tandem post lustratas ad Hel-
vetiorum usque fines metallifodinas artificumque et Fabrorum
officinas prorumpente et eis Rhenum nefando isto quod adhuc
vastatur Germaniam bello patriam redire coactus denique a
principe Saxonum Electore Serenissimo iis quibus praxin
juris in bis terris exercere publice licet itidemque Societati-
bus oeconomicae quae Lipsiae celebratur, ut et naturam per-
scrutanti nee non mineralogicae quae Jenae sunt adscriptus
ex tribus fere annis rebus tarn forensibus quam caineralibus
eam quam possum operam navo.
Conscripsi enim 1. traetatum de machina ad meliorem
tubi ferruminatorii usum a me inventa, typis ineusum in
opusculis societatis quam laudavi Lips. Anzeigen der Leipziger
Oekonomischen Societät. Michaelmesse 1792. 2. Dissertati-
unculam nova quaedam de magnete exhibentem, ibid. Oster-
messe 1794. 3. Descriptionem molendinorum ad terendas
gemmas eis et trans Rhenum exstruetorum ibid. conspicien-
dam 1797. 4. Descriptionem Saxorum in Variscia reperiun-
dorum generis quod Hornblendfelss appello ibidem indicatam
Mich. 1793. 5. Consilia camarae Elect. Sax. oblata de delenda
Zur Sächsischen Gelehrtengeschichte. 47
bonibyce phalaeua inonacha Saxonum sylvas vastuute. 6. Sy-
stema Saxorum geneticurn exhibitum societati quae Jenae est
physicae. Suininam denique pluribus ex annis operam inipendi
et adhuc impendo ut certam in usuin navigantium investigem
niethodum cornputandi acus magneticue tarn declinationem
quam inclinationein et inde gradus in man longitudinis in-
veniendi. Cujus lucubratiouis tenue equidem specimen quan-
tulum teinpus admisit ne plane Vobis ignotus videar map
pauique declinationum et inclinationuni his adjungo literis
Vestrae haec pauca indulgentiae subniisse commendans.
Quodsi mihi eontingat, ut doctissimo Vestro in consortio
quo doctior ipse evadam Balthici maris accola eo faciliorem
colligendi observationum de declinatione et inclinatione mag-
netis nauticarum copiam nanciscar occasionem Dto favente
eo me perventurum esse confido, ut subtilissima hac in re
praestem aliquid quod rebus nauticis prosit, Vestraque appro-
batione haud plane indignum videatur.
Tandem adjectis quisbusdam publicis de me testimoniis
si in rem Vestram videatur ut collegio Vestro beati Stumpfii
in locum adscribar idquod ut perficiatis summopere oro rogu-
que talem ut me praestem qualem desideratis et me decet
esse Deo adjuvante omni qua possim diligentia enitar.
Nominum Vestrorum
observantissimus cultor.
Dabam Plaviae Variscorum in terris Joannes Godofredus
Steinhaeuser Saxoniae super, die XXVI septbr. 1798.
6. Magister J. C. Hoffmann in Leipzig an Professor
Möller in Greifswald, 1798. Sept. 24.
Akten d. phil. Fak. Greifswald S. 82—83.
Wohlgeborner
Hochzuverehrendster Herr Kammerratb und Professor.
Wenn Ew. Wohlgeboren aufs neue mit einem unter-
thänigen Briefe beschweret werden, so schreiben Dieselben es
48 Wilhelm Stieda:
der ausgezeichnetsten Hochachtung und Dankbarkeit zu, womit
ich Denenselben für die bisherige Beförderung meines unter-
thänigen Gesuchs so sehr verpflichtet bin. Würde mir die
Vorsehung Ew. Wolgeboren fernere Fürsprache angedeihen
lassen und sollte wirklich der Ausgang meinen Wünschen
entsprechend seyn: so versichere ich Ew. Wohlgeboren, daß
ich durch mein künftiges Bestreben die gethanenen Ver-
sprechungen aufs möglichste rechtfertigen werde. Ich glaube
dies um desto gewisser deswegen versichern zu können, da
jene Aeusserungen nicht das Resultat eines augenblicklichen
Vorsatzes waren, sondern ich vielmehr für die Denselben nam-
haft gemachten Wissenschaften ganz und dergestalt lebe, daß
sie mir Beschäftigung, Ruhe, Erholung und alles sind. Die
Eingeschränktheit meiner bisherigen Lage hat mich freilich
gehindert manches auszuführen, was ich bei einer glück-
licheren Veränderung gewiss auszuführen verhoffe und wovon
sich ein praktischer Nutzen leicht absehen läßt. Zum Bei-
spiel: das Vitriolöl, dessen Consumtion so ungeheuer ist, wird
in Deutschland grösstentheils aus Eisen- Vitriol geschieden und
kostet jetzt das Pf. 9 Groschen. Vortheilhafter wird es aus
Schwefel bereitet.19) Nun liefern den neuern Versuchen zu-
folge acht Theile Schwefel achtzehn Theile Vitriolöl. Folg-
lich müsste das Produkt nicht theuerer seyn als der Schwefel,
wovon das Pf. 1 Gr. kömmt. Das ist es aber deswegen nicht,
weil man sich um die Verbrennung des Schwefels zu be-
fördern genöthiget sieht Salpeter zuzumischen. Ich bin schon
seit einigen Jahren im Besitz eines nur im kleinen von mir
ganz besonders angeordneten Apparats, worin ich ohne Sal-
peterzusatz vermittelst eines künstlichen Luftzugs den Schwefel
bis zur gänzlichen Zerstörung leicht brennend erhalte und die
mit Wasserdämpfen vereinigten Schwefeldämpfe so lange durch
angebrachte Glasgefäße leite, bis sie sich zu Schwefelsäure
verdichtet haben. Man kann auf diesem Wege das Vitriolöl
zu einem sehr geringen Preis erhalten und deswegen sich
einem reellen Nutzen davon versprechen, weil auch eine un-
zählbare Menge anderer Fabrikprodukte und Fabrikarbeiten,
Zur Sächsischen Gelehrtengeschichte. 49
z. B. Salmiak, künstliche Soda pp. wohlfeiler geliefert werden
können. Wahrscheinlich besitzt Schweden viel Schwefel20),
der auf diese Weise zweckmässiger benutzt und ein vorteil-
hafter Handel verschiedener Fabrikprodukte nach Kussland
und anderwärts eröfnet werden könnte. Doch ich wage es
nicht Ew. Wohlgeb. länger lästig zu fallen und bitte nur
nochmals um ferneres Wohlwollen unter der Versicherung,
dass hätte ich auch nicht das Glück Denenselben meine so
schuldige Danksagung mündlich abzustatten, ich demungeachtet
nie aufhören werde mit der grössten Hochachtung und Er-
gebenheit zu verharren
Ew. Wohlgeboren
ergebenst gehorsamster
Johann Christian Hoffmann.
Leipzig, d. 24. Septbr. 1798.
7. Prof. Assmann in Wittenberg an Prof. Möller in
Greifswald, 1798 Oktbr. 6.
Akten d. phil. Fak. Greifswald S. 127—128
Wohlgebohrner Hochgelehrter Herr
lnsonders hochzuverehrender Herr Cam ni errat h;
Ew. Wohlgeb. geehrtestes vom 6. Septbr. welches ich am
löten erhielt, würde ich gern eiliger beantwortet haben, wenn
ich nicht in Ermangelung solcher Subjekte, die mir nahe ge-
wesen wären, vielmehr die Empfehlung eines in der Ent-
fernung lebenden allen anderen vorzuziehen, aber doch dess-
halb ihm selbst erst Nachricht davon zu geben, für nöthig
gefunden hätte. So wenig es noch immer deren giebt, welche
sich ganz besonders dem studio der Cameralwissenschaften
widmen und so schwer es deshalb hält in einem solchen Falle
wie der gegenwärtige ist, wobey Ew. Wohlgeb. mich mit
Dero schmeichelhaftem Vertrauen beehren, ganz zweckmäßig
zu empfehlende Personen aufzufinden: so sehr freue ich mich
den Herrn Steinhaeusser, einen meiner gewesenen vorzüg-
50 Wilhelm Stieda:
lichsten Zuhörer zu solcher Absicht nennen zu dürfen. Ohn-
geachtet er sich in seiner bisherigen Geschäftslage durch
rnancherley Hindernisse abgehalten, noch nicht durch ge-
druckte Schriften so bekannt machen konnte als er es ver-
dient: so werden Ew. Wohlgeb. aus denen Bey lagen schon
sattsam von mehrern seiner mann ichfaltigen Kenntnisse und
praktischen Geschicklichkeiten sowohl in Beziehung auf Haupt-
und Hülfswissenschaften gefälligst zu urtheilen Gelegenheit
finden. Als er unsere Academie besuchte, hatte er schon
nicht nur die trefflichsten Vorschritte in naturgeschichtlichen,
physikalischen, geographischen, statistischen, mathematischen
etc. Wissenschaften gemacht sondern auch mehrere Jahre
hindurch den ganzen Cursum der Bergbau Wissenschaft und
des Hüttenwesens auf der Bergakademie zu Freyberg zu einem
neuen Gegenstande seines Studiums erwählt, auch mehrere
zweckmässige Reisen damit verbunden. Das Maschinenwesen
kennt er theoretisch und practisch, und hat sich, als er hier
war, mit mehr als einer Erfindung und eigenen Modellirung
darinne beschäftigt. — Ich will nichts mehr zu alle dem
vielleicht schon allzuwortreich gesagten hinzusetzen, um nicht
ohne Noth in den Schein der Partheylichkeit zu gerathen.
Wollen Ew. Wohlgeb. sein Ansuchen mit Geneigtheit
unterstützen, so bin ich mit seinem Bey tritt in solcher Hin-
sicht so frei Ihnen hierbey alles nöthig- und pflichtmäßig
erachtete zu übersenden. Ich fand diess zum Beyspiel in
Ansehung des bey liegenden Memorials für das beste, weil er
sich darinne, was besonders das Formale betrifft aus Mangel
der Bekanntschaft mit der Verfassung Ihrer Universität, nach
der Verfassung der unsrigen gerichtet hat. Im Falle also
eins und das andre hierinn versehen seyn sollte, werden es
Ew. Wohlgeb. schon geneigtest zu entschuldigen die Gewogen-
heit haben und auch anderweitige Nachsicht bestens befördern
und bewirken. Sollte meine ergebenste Empfehlung so glück-
lich seyn in geneigte Rücksieht zu gelangen, so wird es mir
ungemeine Freude gewähren Ew. Wohlgeb. Wunsch erfüllt
zu haben, so wie ich recht viele Gelegenheiten mir erbitte,
Zur Sächsischen Gelehrtenges« bi< hte. 51
wobey ich darlegen kann mit welcher vorzüglichen Hoch-
achtung ich zeitlebens verharren werde Ew. Wohlgeb.
ganz ergebenster und gehorsamster
C. G. Assmann.
Wittenberg am b. Oct. 1798.
8. Magister J. C. Hoffmann in Leipzig an Professor
Möller in Greifswald, 1798 Oktbr. 7.
Akten d. phil. Fak. Greifswald S. 129.
Wohlsrebomer Herr Kammerrath
Hochgeehrter Herr Professor,
Ew. Wohlgeboren haben die Gewogenheit gehabt mich
mit einer gütigen Zuschrift zu beehren, wofür ich von ganzer
Seele meinen lautersten und aufrichtigsten Dank ergebenst
abstatte. Zugleich nehme ich mir die Freiheit Denenselben
zu melden, daß ich auch vor 8 Tagen ein kurzes und er-
gebenstes Bittschreiben an Se. Excellenz dem Herrn Kanzler
und Generalgouverneur Freiherrn von Platen21) habe abgehen
lassen; ich habe nicht das Herz gehabt weder durch eine Er-
zählung meiner bisherigen litterärischen Bemühungen noch
auch durch eine alltägige Versicherung meines Diensteifers
im glücklichen Falle Sr. Excellenz beschwerlich zu fallen,
sondern habe meine Angelegenheiten einzig und allein Sr.
Excellenz hohen Gnade empfohlen. Zu dem nicht unbedeuten-
den Fehler den Herrn D. und Prof. Quistorp22) übergangen
zu haben, bin ich theils durch meine eigene Schuld theils
durch den Mangel eines sichern Führers verleitet worden.
Durch Deroselben gütige Nachricht sowohl als auch durch des
Herrn Prokanzlers und General- Superint. Herrn D. Schlegels
vortrefliche Beschreibung der Academie zu Greifswald bin
ich nun eines bessern belehrt. Ich ergreife diese itzige Ge-
legenheit Ew. Wohlgeboren nochmals ganz gehorsamst zu
bitten meinen Angelegenheiten durch Deroselben empfehlende
Fürsprache eine günstige Wrendung zu geben; so wie ich
auch recht innigst darum bitte Sr. Wohlgeboren dem Herrn
52 Wilhelm Stieda:
Prof. Muhrbeck23) aufs neue empfohlen zu werden, unter der
Versicherung, daß, falls der Himmel mich zu diesem ehren
vollen Posten bestimmt hätte, ich der Universität Ehre zu
machen mich aufs getreulichste bestreben werde. Ausser
dass ich das ganze der Kameralwissenschaften nach irgend
einem Leitfaden vorzutragen mich bemühen würde, würde ich
auch jedes Semester einige einzelne Gegenstände, die von
praktischen Nutzen seyn und Einfluß auf die Industrie haben
könnten, ausheben und außer den Studierenden jeden Wiß-
begierigen dazu einladen.
Mit der tiefsten Verehrung und dankbarlichster Ergeben-
heit kabe ich die Ehre zu seyn
Ew. Wohlgeboren
unterthänig gehorsamster
Johann Christian Hoifinann.
Leipzig d. 7. October 1798.
9. Kommissionsrat Johann Riem in Dresden an Pro-
fessor Möller in Greifswald, 1798, Dezbr. 5.
Akten d. phil. Fak. Greifs wald S. 125.
Wohlgebohrene Hochgelehrteste Herren;
Hochverehrteste Herren Professoren der Universität
Greifswalde!
Ew. Wohlgebohren sind mir zwar der Reihe nach in
Rücksicht des Namens bekant und so ich Ihnen auch nur dem
Namen nach wieder bekant. Allein Sie haben schon einmal
einen Mann zu Ihrem Professor der Oekonomie etc. berufen,
der ein Mitglied imser ökonomischen Societät in Sachsen
war, den verstorbenen Stumpf24), mit dem ich immer corre-
spondirte und nicht lange vor seinem Tode noch von ihm
mancherley Schönes von seiner Station vernahm.
Ich sollte wohl also denken, dass Ihnen nicht zuwider
wäre wieder einen Mann aus unserer Societät zu berufen, der
in vieler Hinsicht mit noch mehr Kenntnissen wie der Ver-
Zur Sächsischen Gelehrtenges* sichte. 5.S
storbene begabt ist. . Herr Steinhaeuser, der in Wittenberg
studirte und uns bald von seinen Lehrern zur Aufnahme eines
Mitglieds empfohlen ward, der auch bekant durch seinen lehr-
reichen und nützlichen Abhandlungen, die in unser Societät
Anzeigen und meiner Sammlung stehen, ist es, den ich zu
diesem Berufe seiner allgemeinen Kenntnisse und der physi-
kalischen noch insbesondere um so mehr empfehlen könnte
als er bey unserer Societät nicht nur praktische sondern auch
möglichst theoretische Kenntnisse abgelegt hat. Doch wofür
meine weitläufige Empfehlung, der Mann empfiehlt sich ganz
von selbst und so ist mir nichts übrig als auch mich Ihrer
Gewogenheit zu empfehlen, der ich in verehrungsvollster Ver-
ehrung beharre
Euer Wohlgebohren
ganz gehorsamster
Diener Johann Riem
Dresden d. 5 ten Decbr. 1798.
jo. Professor Assmann in Wittenberg an Professor
Möller in Greifswald, 1799, Janr. 2.
Akten d. phil. Fak. Greifswald S. 159/160.
Wohlgeb ohrner Hochgelahrter Herr
Hochzuverehrender Herr Kammerrath;
Wie ich wohl anfangs zweifelhaft war, ob ich Ew. Wohlgeb.
O/O
mit hier beygelegtem Schreiben des Herrn Commissionsrath
Riem, Secretairs unsere sächsischen Oeconomischen Societät
noch besonders incommodiren sollte: so fand ich dennoch
endlich für besser Ew. Wohlgeb. gütiges Vertrauen, welches
Dieselben in mich gesetzt hatten, auch in gegenwärtigem
Falle ganz zu dem Standpunkte zu machen, wovon ich in
meinem Thun ausginge. Ohne also bey mir selbst lange zu
untersuchen, wie viel oder wie wenig diese schriftliche Ver-
wendung des Herrn Commissionsrath Riem für den von mir
Ihnen zur Cameral- und Statistischen Professur vorgeschla-
54 Wilhelm Stieda:
genen Herrn Steinhaeusser nützen dürfte, bin ich so frey so
wie sie mir zugefertigt worden ist, solche Ihnen, wenn Sie
mir erlauben, mich so auszudrücken, blos im Vertrauen zu
überschicken. Ich überlasse es ganz Ew. Wohlgeb. zu ent-
scheiden und bey sich Selbst zu bestimmen, ob Sie für gut,
schicklich und Ihrer akademischen oder anderweitigen Ver-
fassung gemäs finden irgend einen Gebrauch von dieser
Handschrift zu machen oder ob Sie es für rathsam erachten,
dasselbe als einen blosen Privat-Brief bey Seite zu legen.
Verzeihen Ew. Wohlgeb. dass ich so umständlich hierbey
verfahre. Aber ich möchte doch ja gern auf keine Weise
Verstössen oder Anlass dazu gegeben haben; und es könnte
ja vielleicht dieses Schreiben des Herrn C. R. Riem so gut
und aufrichtig es gemeynt ist, so wahr das alles ist, was er
sagt, dennoch entweder in seiner Form und Einrichtung oder
sonst in irgend Etwas nicht passend, nicht zweckmäßig u.
dergl. seyn.
Seit der Zeit als ich an Ew. Wohlgeb. Herrn Stein-
haeussers Briefe und Aufsätze geschickt habe, ist von neuem
ein Aufsatz, eine Prüfung der Humboldischen Meynung über
die Magnet-Felsen, über den Einfluss des Sauerstoffgas auf
den Magnetismus, auch eine neue Entdeckung eines im Voigt-
lande befindlichen sehr starken Magnetfelsen, vom Herrn
Steinhaeusser in Scherers Journal der Chemie 3 tes Heft er-
schienen. — Eine andere Abhandlung über die Möglichkeit
unter allen gesitteten Völckern einerley Mass und Gewicht
einzuführen, wobey von ihm die Zeitsecunde als allgemeine
Einheit zum Grunde gelegt ist wird nächstens anderswo
erscheinen.25)
Unvermerkt ist mein Brief so weitläuftig geworden, ich
bitte deshalb recht sehr um Verzeihung. Mit vollkommenster
Hochachtung und Verehrung verharre ich
Ew. Wohlgeb.
gehorsamster und ergebenster
C. G. Assmann.
Wittenberg am 2. Januar 1799.
Zur Sächsischen Gelehrtengkschiohtb. 55
11. Magister .1. Ch. Hoffmann in Leipzig an Professor
Möller in Greifswahl, 1799, April 23.
Akten d. phil. Fak. Greifswald S. 166.
Wohlgeborner
Hochgeehrtester Herr Kammerrath und Professor,
Ehe ich noch von Ew. Wohlgeb. die Nachricht von
des H. R. R. Crorne, Hm M. Canzler und meiner Nomination
Nachricht erhielt, war hier in Leipzig der Salinen-Inspektor
der Salzbergwerke bey Teuditz und Kötzschau verstorben.
Genannte Salinen liegen vier Stunden von Leipzig und ge-
hören theils dem Landesherrn, theils einer Gewerkschaft, die
hier in den Messen in Beyseyn eines landesherrlichen Man-
datarii ihre Conferenzen hält. Um diese Stelle, so sehr sie
mir auch gefiel, konnte ich mich anfangs deshalb nicht be-
werben, weil ein naher Verwandter und Freund von mir
dieses schon gethan hatte, dem ich auf diese Weise nicht in
den Weg treten wollte. Genanntem Freunde war aber alle
Hoffnung zu Erreichung seines Zwecks benommen worden,
weswegen er mich kurz vor der Wahl aufmunterte diese
Stelle zu suchen. Ich musste dieses um so mehr thun, da
die Mitnomination des Herrn R. R. Crome mir vernünftiger
weise alle Aussichten zu der akademischen Lehrstelle nehmen
musste. Ohngeachtet nun schon das Inspektorat von den
meisten Interessenten einem andern zugesichert war oder
schien, so änderte sich doch bei meiner Meldung die Sache
augenblicklich. Die Wahl wurde verschoben und ich endlich
den 18. Febr. vorzüglich durch Unterstützung des churfürst-
lichen Herrn Mandatarii unanimiter erwählt. Ich bin äusserst
gerührt, wenn ich an die Schwierigkeiten denke, mit denen
meine Gönner bei der Durchsetzung meiner Wahl zu kämpfen
gehabt haben; ich geniesse ein so grosses und für mich so
schmeichelhaftes Zutrauen, dass man mich sogar von der
eigentlich zu leistenden Caution vor der Hand befreiet hat;
ja man hat mir sogar gleich anfangs den fixen Gehalt mit
100 Thalern vermehrt und die Zusage ertheilet nach Verlauf
56 Wilhelm Stieda:
eines Jahres meinen Gehalt noch zu erhöhen. Diese gütigen
Gesinnungen verpflichten mich zur grössten Dankbarkeit und
sind die Bewegungsgründe Ew. Wohlgeb. ergebenst zu bitten,
mich in dem an Se. Maj. zu machenden Berichte zu übergehen.
So ehrenvoll im glücklichen Falle ein akademischer Ruf mir
seyn müsste, so bin ich der vorausgeschickten Ursachen
wegen doch nicht im Stande meinen so thätigen Beförderen
mehr zu thun, die so viel auf mich halten und viel von mir
hoffen. Ueberdies habe ich mich auch neuerlich in einige
Fabrikmässige Entreprisen mit verschiedenen Herren einge-
lassen und überhaupt eine solche Einrichtung getroffen, von
der ich mich ohne beträchtlichen Schaden nicht wieder los-
machen könnte. Mein Wohnort ist übrigens auch künftighin
in Leipzig, und wenn Ew. Wohlgeb. der Herr Prof. Muhr-
beck oder auch ein anderes Mitglied der Universität in
Greifs wald irgend einmal hier etwas zu befehlen haben, so
stehe ich recht herzlich gern zu Diensten. Es wird mir die
grösste Freude machen Gelegenheit zu finden an Greifswald
denken zu können, welches ich mir so oft im Bilde vorge-
stellet habe, wo ich in meinen Gedanken bald an den Wik,
bald an den Hafen spazieren ging. Ich zweifle übrigens, ob
Herr R. R. Crome von Anfang es ernstlich gemeinet habe,
ich sehe es vielmehr für eine Finanzoperation an. Dass Ew.
Wohlgeb. gegenwärtige Antwort 4 Tage später erhalten als
ich wünschte, daran ist eine kurze Abwesenheit von Leipzig-
schuld, vermöge welcher ich den Brief später empfing. Dem
Herrn Prof. Muhrbeck, der mich unverdienterweise so sehr
begünstiget hat, bitte mich sehr zu empfehlen, so wie ich
auch sehnlich wünsche Ew. Wohlgeb. gütiges Andenken noch
fernerhin zu geniessen. Mit aller Denenselben schuldigen
Dankbarkeit und immerwährender Hochachtung verharre ich
zeitlebens
Ew. Wohlgeb.
ergebenster Diener
Johann Christian Hoffmann
Leipzig den 2$. April 1799.
Zur Sächsischen Gelehrtengeschichte. 57
Anmerkungen.
1) Die Anzeigen der churfürstlich Sächsischen Leipziger ökono-
mischen Societät, Michaelismesse 1796 enthalten S. 11 einen Aufsatz
„Etwas über die metallische Auflösung des Kupfers in Vitriolsäure"
und Michaelismesse 1797 S. 24 „Von Verwandlung des Eisenvitriole in
Kupfervitriol".
2) Über die Beziehung zwischen Elektrizität und Wärme sowie
Elektrizität und Licht lagen damals allerhand vage Hypothesen vor.
(Luther.)
3) Die fixen Laugensalze (gemeint sind wohl Soda und Pottasche)
sind tatsächlich zusammengesetzt, was damals doch schon bekannt ge-
wesen sein dürfte. Sollte dagegen der Briefschreiber an tixe Laugen
(Natron, Kali) gedacht haben, so wurde deren zusammengesetzte Natur
sicher von vielen schon in jener Zeit aus Analogiegründen vermutet.
Der direkte Nachweis dieser Natur und die Ausscheidung der ihnen
zugrunde liegenden Metalle (Kalium, Natrium) gelang erst Davy im
Jahre 1807. (Luther.)
4) Blausäure ist sicher kein Unding, sondern eine wohlcharakte-
risierte Verbindung. (Luthek )
5) Eine Uhr, die Sekunden, Minuten, Stunden und Daten zeigt,
braucht im Prinzip nicht mehr als 4 Räder zu haben. Sand- und
Wasseruhren usw. sind ohne Zahn und Getriebe. (Luthek.)
6) Es gab einen Mechaniker Johann Christian Hoffmann in Leip-
zig (1 757 — 1826), der schon vor dem Jahre 1807 einen Stuhl zum Weben
der hohlen Lampendochte erfunden hat, vgl. Karmarsch, Geschichte der
Technologie, 1872 S. 671. Auf ihn bezieht sich der Nachruf in Neuer
Nekrolog der Deutschen 4. Jahrg. (1826) S. 869.
7) Das Journal für Fabriken, das die Beschreibung der Pump-
lampe enthält, konnte nicht eingesehen werden. Die später viel be-
nutzten Carcellampen hatten einen durch Feder gedrückten Kolben,
der das Brennöl in den Brenner drückte. (Luther.)
8) Eine Beschreibung des Butterfasses habe ich in den Jahrgängen
1798 und 1799 der ökonomischen Hefte nicht gefunden.
9) Johann Fr. Zöllners Reisen durch Pommern, nach der Insel
Rügen usw. im Jahre 1795. Berlin 1797. Mir leider nicht zugänglich
gewesen.
10) Christian Gottlieb Haubold, Professor des sächsischen Rechts,
1766 — 1824. Em. Friedberg, Die Leipziger Juristenfakultät, ihre Dok-
toren und ihr Heim, 1909 S. 104, wo auch ein Bild von Haubold.
11) Karl Friedrich Hindenburg, Professor der Physik, 1741 — 1808.
12) Einen Professor Löser kann ich nicht nachweisen, vielleicht
verschrieben für Lösner, Professor der Philologie, 1734 — 1803.
58 Wilhelm Stieda:
13) Johann Georg Eck, 1745 — 1808, Allgemeine Deutsche Bio-
graphie.
14) Chr. Fr. Ludwig, Professor der Naturgesch. 1751 — 1823.
15) Magister der Philosophie Christian August Wichmann 1735
bis 1807.
16) In Mursinna und Justi Annalen der deutschen Universitäten
Jahrg. 1798 S. 205, heißt es von der Universität Greifswald, daß bei
der ganzen neuen Einrichtung besonders Rücksicht darauf genommen
sei, „dass nicht blos allein Gelehrte von Profession gezogen sondern
auch Jünglingen, welche sich den Landesgeschäften, dem Militärdienst,
der Landwirtschaft, dem Handel, der Schiffarth, den Künsten, den
Manufacturen und andern bürgerlichen Gewerben widmen wollen, zu
rechtschaffenen und brauchbaren Staatsbürgern gebildet werden ....
sowie in der philosophischen Fakultät die einzelnen Theile der Natur-
geschichte, Physik und Mathematik mit beständiger Rücksicht und
Anwendung auf die Oekonomie, Manufacturen und Fabriken, Künste
und Handwerke, Navigation und andere bürgerliche Gewerbe vorge-
tragen werden sollen."
17) Gemeint ist wohl die Quellung des Bernsteins in verschiede-
nen Flüssigkeiten oder vielleicht die Eigenschaft des Bernsteins in der
Wärme unter Druck formbar zu sein. Letztere Eigenschaft wird gegen-
wärtig zur Herstellung von künstlichem Bernstein oder „Preßbernstein1'
benutzt. (Gef. Mitteilung von Prof. Luther.)
18) Gottfried Schlegel, Professor der Theologie und Superinten-
dent in Greifswald, 1739 — 18 10. Kosegarten, Geschichte der Univer-
sität Greifswald, 1827, Bd. I, S. 310.
19) Die Gewinnung von Vitriolöl (d. h. konzentrierter Schwefel-
säure) durch direkte Verbrennung von Schwefel ohne Salpeter ist erst
in der letzten Zeit technisch ausführbar geworden (sogenanntes Kontakt-
verfahren). Der Salpeter befördert nicht bloß die Verbrennung des
Schwefels, sondern die Zersetzungsprodukte des Salpeters bewirken die
gewünschte Vereinigung der schwefligen Säure (die direkt beim Ver-
brennen des Schwefels entsteht) mit Sauerstoff und Wasser zu Schwefel-
säure. Es ist unwahrscheinlich, daß der Briefschreiber in seinem
Apparat irgend beträchtliche Mengen von Schwefelsäure gewinnen
konnte. Aus 8 Teilen Schwefelsäure erhält man etwa 24 Teile Vitriolöl
(gef. Mitteilung von Prof. Luther).
20) Diese Voraussetzung trifft nicht zu. Schweden ist kein
Lieferant von Schwefel, der vielmehr größtenteils aus Sizilien be-
zogen wird.
21) Generalgouverneur und Kanzler Philipp Julius Bernhard von
Platen in Greifswald, Mursinna und Justi, a. a. 0. S. 212.
Zur Sächsischen Gelehrtf,n<;ekchi(hte. 59
22) Johann Quistorp, Professor der Naturgeschichte und Ökonomie
in Greifswald, stirbt 1834 , Kosegarten, Geschichte der Universität
Greifswald, 1827 Band I, S. 305.
23) Johann Christoph Murbeck, ordentlicher Professor der Philo-
sophie in Greifswald, 1734 — 1805, Kosegarten, a. a. 0. Bd. I, S. 304.
24) Georg Stumpf, ordentlicher Professor der Kameralwissen-
schaften und der Ökonomie in Greifswald, 17^0 — 1798, Koskgarten,
a. a. 0. S. 313, Wilh. Stieda, Die Nationalökonomie als Universitäts-
wissenschaft, 1906 S. 79, 81, 87—88, 89, 107, 360, 364—366.
25) Die Idee der internationalen Einheiten ist im Jahre 1881
durch den Beschluß des internationalen Physiker-Kongresses verwirk-
licht worden. In der Wissenschaft gilt seit der Zeit das C.-G.- S.-
System (Centimeter-Gramm-Sekunden-System). Ob Steinhäusers Ge-
danke ganz originell war, darf bezweifelt werden, denn dem metrischen
System, das 1791 in Frankreich vorgeschlagen und 1799 eingeführt
wurde, liegt bereits die Idee der internationalen Anwendbarkeit zu-
grunde. Im Handel, Gewerbe und in der Technik ist ja inzwischen
das metrische System ebenfalls nahezu international geworden (gef.
Mitteilung von Prof. Luther). Scherers Journal der Chemie vermag
ich nicht nachzuweisen. A. N. Scherer gab 1800 — 1802, Jena, heraus
ein „Archiv der theoretischen Chemie". Doch kann dieses natürlich
hier nicht gemeint sein.
Druckfertig erklärt 7. III. 1910.]
Phü.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII.
feo
6i
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeßeinleitung
nach den Papyri der früheren Kaiserzeit.
Von
Ludwig Mitteis.
Inhaltsübersicht. Seite
Einleitung 62
I. Die Arten der Libelle und der sich daran anschließen-
den behördlichen Tätigkeiten in den drei ersten
Jahrhunderten 62
Erste Gruppe. § 1. Die Bitte an den Hekatontarchen um
Polizeischutz 63
Zweite Gruppe. § 2. Die Bitte um Ansetzung auf den xara-
%(OQion,6g 66
Dritte Gruppe. § 3. Ladungen auf den Konvent 67
§ 4. Verhältnis der xara^wptc/ios-Eingaben zu den Konvents-
ladungen 69
Vierte Gruppe. § 5. Bitte um Schutz durch den Strategen . 76
§ 6. Nochmals von den Konventsladungen 83
Fünfte Gruppe. § 7. Eingaben an den Präfekten. 1. Material.
2. Kompetenz. 3. Unterscheidung von 'Emaxolai und
'TTto^vrj^uza. Art der Überreichung der 'T?touvrJii<xTcc.
4. Prozessualischer Zweck der Eingaben an den Statt-
halter. 5. Erledigung derselben, Arten der v-xoyQucpaL 85
§ 8. Zusammenfassung 104
II. Libelle und Prozeßbeginn im vierten Jahrhundert.
§ 9. Einleitendes. I. Die Eingaben. Litisdenunziatio an den
Gegner und vTto^vi](iarcc an den Präfekten. IL Kautionspnicht
bei der Litisdenunziatio? III. Die Frist im Denunziationsver-
fahren. IV. Bestellung des Judex pedaneus. V. Beginn der
Verhandlung. Editio und impetratio actionis 106
Anhang. Die Richterbestellung 12 1
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 6
6 2 Ludwig Mitteis:
Der Gegenstand, um den es sich handelt, ist von mir
schon in einem früheren Stadium der Papyruspublikation
(1895) erörtert worden1); gegenwärtig beabsichtige ich eine
Revision des damals Gesagten, zu welcher das seither ver-
vielfältigte Material den Anlaß gibt. Eine abschließende
Darstellung freilich muß auch jetzt noch als Zukunftshoffnung
bezeichnet werden. In den nachfolgenden Ausführungen bleibt
übrigens die Lehre von der Gerichtsverfassung ausgeschlossen,
insbesondere auch die von der Konventsordnung; in dieser
Beziehung ist lediglich auf die vorzügliche Untersuchung von
Wilcken über den ägyptischen Konvent (Arch. f. Pap. F. 4,
366 fg.) zu verweisen.
Der wesentlichste Gegenstand der Betrachtung sollen die
auf Privatrechtsschutz gerichteten Libelle der früheren Kaiser-
zeit sein. Doch wird es zur Verdeutlichung beitragen, am
Schluß noch auf jene der nachdiokletianischen Zeit einen
Blick zu werfen. Wir besitzen aus dieser einige wertvolle
Stücke, deren Betrachtung auch eine ungefähre Vorstellung
von der Prozeßeinleitung als Ganzem gibt und um so inter-
essanter ist, als wir für die Einleitung der Prozeßverhand-
lung aus den drei ersten Jahrhunderten in den Papyri noch
gar keine direkten Beispiele haben.
I. Die Arten der Libelle und der sich daran anschließenden
behördlichen Tätigkeiten in den drei ersten Jahrhunderten.
Jede Untersuchung des ägyptischen Rechtshilfe Verfahrens
wird mit Notwendigkeit zuerst zu einer Betrachtung der an
die Behörden gerichteten Eingaben geführt. Es liegt das
daran, daß das einschlägige Material ganz überwiegend gerade
aus Eingaben besteht, neben denen die Amtskorrespondenzen,
Dekrete, gerichtlichen Protokolle bedeutend zurücktreten.
Dabei muß man sich nun durchaus davor hüten, jede Ein-
gabe, in welcher über ein verletztes Privatrecht Beschwerde
erhoben wird, als auf die Einleitung eines Zivilprozesses ge-
/ 1) Hermes, 30, 567 fg.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 63
richtet zu betrachten. Davor habe ich schon vorlängst ge-
warnt und vielmehr zwei scharf zu sondernde Hauptkategorien
unterschieden: Anzeigen, welche polizeiliche Intervention be-
zwecken und meist an den Hekatontarchen (Centurio) adressiert
sind, und Eingaben, die gerichtliches Verfahren anbahnen
sollen und dem Strategen oder übergeordneten Magistraten
überreicht werden. An dieser Einteilung, welche, soviel ich
sehe, allgemein angenommen ist, ist jedenfalls die Unter-
scheidung zwischen Polizeigesuchen und gerichtlichen Ein-
gaben richtig. Aber nach dem heute vorliegenden Urkunden-
stoff bedarf sie einer schärferen Ausarbeitung und im einzelnen
mehrfacher Korrektur.
Ich unterscheide im nachfolgenden fünf Typen von Ein-
gaben wegen Privatrechtsverletzungen — wo im nachstehenden
von Eingaben die Rede ist, sollen nur solche verstanden werden
und die zahlreichen verwaltungsrechtlichen Libelle als ausge-
schlossen gelten.
Erste Gruppe.
§ 1. Die Bitte au den Hekatontarchen um Polizeischutz.
Es ist das der Typus, den ich im Hermes 30, 568 — 569
als „zweite Gruppe" durch die damals bekannten Beispiele
illustriert habe. Gebeten wird um Vorführung des Gegners
und Koerzition desselben. Als weitaus häufigste Fassung des
Petitum führe ich neuerlich an:
,,[r'O]0-[fv o]u dvvccfievos xccd-rj6v%d%£iv ä[^]ia äx&fivcci1)
ccvTOvs iitC 6s XQog xr\v diovöav exs^odov." (BGU. 36.)
1) Den Ausdruck üföiivai beziehe ich dabei auf zwangsweise
Vorführung, nicht, mit Wenger, Rhist. Pap. St. 112 A. 4, auf Ladung
unter bloßer Androhung der Realzitation. "Wie wir nämlich — die im
folgenden zitierte Urkunde war Wenger noch unbekannt — jetzt deut-
lich sehen, ist das äyeiv diese letztere selbst; so in Lips. 32, 14/15 (erg.
von Wilcken): naga ßzQCiriöiTT] iisivcitaßav , fiöyig ri%&r\Gocv. So ist
auch in der byzantinischen Zeit die (hier häufige) Bitte um ccysiv (z. B.
Lond. 3 Nr. 1000 p. 250 1. 8) wörtlich zu verstehen; vgl. etwa Oxy. 6,
902 1. 7; P. Lips. Luv. Nr. 244 (unpubliziert) 1. 5: xaQ£xXr,ö-r}v -aoI ixlst-
Gd"r]v tig zf]v Sr\ao6iav alQKtrjv. Vgl. auch Bethmann-Hollweg , Ziv.-
Proz. 3, 250—1.
6*
64 Ludwig Mitteis:
Als weiteres Charakteristikum habe ich seinerzeit nam-
haft gemacht, daß der Adressat dieser Papyri der sxatov-
TccQxrjg (Centurio) ist, und habe daraus gefolgert, daß es sich
um Anzeigen bei der Polizeibehörde und Erbittung des Polizei-
schutzes handelt. Dies trifft unzweifelhaft zu; zu den damals
bekannten Stücken BGU. 4. 36. 98. 146. 157. 322 sind noch
viele mit gleicher Adresse hinzugekommen, wie BGU. 436
(unvollst.). 454. 515. 522 (unvollst.); Gen. 3. 16. 17 (auch der
Dekadarch genannt; unvollst.); Lond. 2 Nr. 342 *) (p. 173/4);
Amh. 78; wohl auch Teb. 334 (unvollst.). Auf die gleiche
Linie gehören aber natürlich auch Anzeigen, die an den Deka-
darchen gerichtet sind: Grenf. 1.472). Teb. 304 oder an den
£%i6xävr\g xav cpvXaxixäv Lond. 3 Nr. 12 18 (p. 130/1) (nicht
ohne weiteres auch Stücke mit fehlender Adresse, wie Faj. 107.
BGU. 778, Teb. 3325), wenn das Schlußpetit dem obigen
Stil entspricht. Den Schluß aus dem Petit allein verbietet
das unter a) zu sagende.) Endlich wohl wieder die Eingabe
bei Wessely, Specimina Tab. 11 Nr. 17.
Daneben gibt es allerdings noch einige Stücke von
zweifelhafter Art.
a) Einerseits kommt es vor, daß bei gleichem Petit wie
in den obigen Stücken die Adresse an den 6xQaxi]yög lautet.
So sagt BGU. 1036 1. 1: Aox,Qri\xi\<p K[s]qiccXsl 6xQaxt\yGii
'J()Gl(volxov) 'HgccxfaCdov) i.i£Qido{g) und 1. 29 fg: dib at,icb
aypf[vai avxovg £it£ 6£ OTtag xvya xr\g a[jrd] öov ÖLzavcodaöCag
(1. dcxaiodoöCag); derselbe Fall in BGU. 22. 759; Oxy. 2. 282;
Lond. 3 p. 135. 15; Teb. 331; vielleicht auch in Lond. 2 Nr. 445
(p. 166/7), uud gewiß ist auch das in der Einleitung zu
Amh. 125 mitgeteilte Stück an den 6xQaxr\y6g gerichtet ge-
wesen.4) Wilcken hat mit Rücksicht auf meine Einteilung
1) Wenn die Auflösung der ungewöhnlichen Sigle für sKarovrocQ^g
hier richtig ist; an irgendeinen Polizeibeamten ist übrigens sicher gedacht.
2) In 1. 16 1. a[%]&fjvcci für X[v]&fjvtxt., Wenger, Stellvert. 148.
3) Ob hier in 1. 1 statt E[. . .]»[. . .]at[. . . zu lesen ist 'E[kccto]v-
4) Nicht hierher dagegen Lond. 2 p. 16 1/2; das ist Amtskorrespondenz.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 65
der Eingaben zu seiner Transkription von BGU. 651 die Be-
merkung hinzugefügt, daß in BGU. 22 ein Irrtum vorliegt
und die Adresse an den Centurio zu schreiben war, was er
auch von BGU. 759 annimmt (Arch. 1. 176). Aber mittler-
weile hat sich die Zahl dieser Fälle auf fünf oder gar sechs
vermehrt, und an eine so häufige Verschreibung läßt sich
nicht wohl mehr glauben.
b) Anderseits kommt es vor, daß Gesuche an die Polizei
(£xatoi>TuQX>]g oder Ö£xadccQxt]g) nicht die bisher genannte,
sondern diejenige Schlußbitte haben, wie die alsbald als zweite
Gruppe zusammenzustellenden Eingaben an den Strategen;
d. h. es fehlt die Bitte um sofortige Vorführung (cc%&ftv(a)
und wird ersetzt durch die Bemerkung: E7tidldco{Li nobg xb
pevsLv ftot xov Xöyov nabg avxov o. ä., einmal sogar mit dem
Zusatz, die Sache solle auf den y.axu%cöQi6iiög gesetzt werden.
Letzteres findet sich in BGU. 651: OvccäsqCg) rfQ[iav<p (ixa-
tovtckqxv) • • - ö&ev i^tidCda^tt xdds xa ßißXcdicc elg xb hv
xa.xcL%coQi6n,co yevEG&cc^i) jrpög xb [isviv [ioi xbv Xoyov jrpög
xovg (pair]<3o[itvovg cdxtovg. Ohne Erwähnung des xccxa-
%coQi6^6g, aber sonst übereinstimmend Flor. 9.
c) Es kommt auch vor, daß in ein und derselben Sache
gleichzeitig an den ixaxovxäo%t]g und an den Strategen je eine
Eingabe gemacht wird. Dies findet sich außer in den Parallel-
stücken BGL1. 221 u. 222 noch in Teb. 333 und einem Papyrus,
von dem Grenfell und Hunt in der Einleitung zu Amh. 125
Mitteilung machen. Die letztgenannte Nummer, von der nur
die Schlußwendung, nicht die Adresse, erhalten und mitgeteilt
ist, besagt nämlich: eitidsötbxaiisv xa 'IovXicj Gxqccxlcöxt] xb
iöov xovds xov vno^vrj^iaxog- öib u^vo^vy^sv affirlvca xovg
ivxuXov^evovg t\n\C 6s nobg x^v x&v 6üv ßorjdscojv £%6n£&a(?)
xov ütdö*%£iv (? sie). Also ist die Eingabe in zwei gleichen
Exemplaren einerseits bei der Polizei (6xQaxt,axi]g), anderseits
bei einem anderen Funktionär eingereicht worden, und dieser
letztere ist sicher der öXQux^yög. Dieses zeigt wieder Teb.
333f 10 fg., wo gleichfalls die zweimalige Einreichung hervor-
gehoben wird; nur ist hier das erhaltene Exemplar das für
66 Ludwig Mitteis:
die Polizei bestimmte, von dem für den Strategen wird jedoch
berichtet. Anderseits aber ist hier die Fassung der Duplikate
nicht wie in Amh. 125 dem cfyfrTjvca-Stil gefolgt, sondern es
heißt: emdidani . . . 7100g xb [ievslv poi xbv Xöyov. Der Her-
gang ist in solchen Fällen eben der gewesen, daß der Ver-
letzte, um möglichst vollkommenen Schutzes teilhaftig zu
werden, wegen der ihm widerfahrenen Unbill gleichzeitig den
Gensdarmen und die höhere Gewalt des Gauvorstehers anrief,
wie denn in Gen. 74, 22 in anscheinend derselben Sache Ver-
handlungen vor beiden Funktionären erwähnt werden.
Wie war nun in solchen Fällen das Petit der Einsrabe
korrekterweise zu fassen? Lautet die Bitte an den öxqccxmo-
xr\g korrekterweise auf u%d-?ivcu, die an den Gxoax^yög auf
iv iy.axK%coQi6yico yeviö&ai ngbg xb \iivuv \ioi xbv Xöyov, und
ist es also nur irrtümliche Kontamination verschiedener
Kanzleistile, wenn in Teb. 333 der GxQaxtäxiqg um iisvslv
xbv Xöyov, in Amh. 125 der öxoaxiqyög um ayftr\vai ge-
beten wird?
Keineswegs, die Urkunden sind allemal in Ordnung; auch
in den Fällen, die ich unter a und b angeführt habe. Es
wird sich nämlich herausstellen, daß der Inhalt der Schluß-
bitte nicht sowohl durch die Behörde bestimmt ist, an welche
die Eingabe sich richtet, sondern durch den Sachverhalt,
welcher ihr zugrunde liegt. Darauf ist in §§ 4 und 5 zurück-
zukommen.
Zweite Gruppe.
§ 2. Die Bitte um Ansetzung auf den xarccxaiQiOfiöt;.
Die zweite Gruppe bilden Eingaben an den Strategen
mit der einfachen Bitte um Ansetzung auf den %axa%aQL6yiög
ohne irgend eine ausdrückliche Erwähnung des Conventus.
Die typische Formulierung des Petits ist hier etwa:
O&sv STtiöCdo^i uccl a%i£) ev %axa%coQiöiiä ysveöd-ca xovxo
xo ßtßXCdiov Ttobg xb tpavivxog xov üxoxorjxiog (isvslv pbov
xbv Xöyov (Grenf. 2, 61).
So oder ähnlich gefaßt sind: BGU. 2. 35. 45. 46. 72. 242.
Zur Lehke von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 67
321. 731 II; Gen. 28; Grenf. 2, 61; Lond. 2 Nr. 363 (p. 170);
Teb. 330 ; Faj. 108.
Unerwähnt bleiben bei dieser Zusammenstellung Gesuche,
die zwar an den Strategen gerichtet sind, aber wegen Zer-
störung das Schlußpetit nicht mehr mit Sicherheit erkennen
lassen (z. B. BGU. 467. Lond. 2 p. 174/5 u. a).
Wohl zu unterscheiden endlich von den hier genannten
sind solche vno fivij uax a an den Strategen, welche ein Be-
gehren um Schutz ohne Erwähnung des Kaxu%ioQi<Jtiög
enthalten, wie Faj. 296: öib enl 6e xr/v xaxa(pvyi]v Ttoirjöd-
pisvog cc^iCj idv 601 (pccivijxat, dvxilri^Ecag xv%elv TCQog xb
dvvcc6&ai us eiti^iveiv iv xr[ löCa duv&vvav (l.-vovxa) xä
dijuööia, oder Gen. 6: dt,iü, idv 601 dötyfo iir-xccxtuipaöfrcci xbv
IIsitvGiv, tva dvvifoG) ex xijg öfjg ßotföetag xofiiöaö&ca xo
idtov; Wessely specim. tab. 11 Nr. 20, 21: d%iG} . . . enavay-
otdöav xovg %QO£6xCoxag KTZUQEvöxXrjXÖv [iE %oir\<5ui v7t£Q xäv
cpÖQav- referiert wird von einer diesbezüglichen Verhandlung
vor dem Strategen in Wessely specim. tab. 1 1 Nr. 17 lin 13 fg.
Auf diese Gattung ist im § 5 näher einzugehen.
Ehe an die sachliche Beurteilung dieser Papyri heran-
getreten wird, soll nun gleich die schon äußerlich sich ab-
hebende dritte Gruppe genannt werden.
Dritte Gruppe.
§ 3. Ladungen anf den Konvent.
Adressat ist hier gleichfalls der öxQcixrflög, aber das Petit
lautet auf Zustellung eines Exemplars der Eingabe an den
Gegner, damit er auf dem Konvent erscheint; dieser ist hier
also als Ziel des Verfahrens ausdrücklich genannt. Die Bitte
um Ansetzung der Sache auf den xaxc<xaQiö[i6g kann dabei
vorkommen, aber auch, was die Regel bildet, fehlen.
Ich kenne von diesem Typus fünf Exemplare; nämlich
(in zeitlicher Folge geordnet)
BGU 226 Fajüm a° 99 p. C: ä£tw, xaxaxtoQiöftävxog itccgu
6oi> xovxov xov vrtofivrjuaxog, dvzlyQcccpov öl7 ivbg xtiv xeqI
68 Ludwig Mitteis:
6s vjtrjQExCyv yL£xado&f]vai, x<L Haxaßovxi öxag sidfj naotösöxaL
(l.-tfOm) avxbv . . . örav 6 xodxi6xog j}y£[iwv Uopittfiog IlXdv-
xag xov xov voixov ötaXoyiöfxbv itoif(tai %Qog xb tv%eiv [iE
XT\g vnb 0ov ßoy}&£i',ag.
Teb. 434 (desc.)a0 104, wahrscheinlich an den Strategen:
Trjg ßlag avtäv dso^it'vrjg xT]g xov xoaxiöxov fy/sfiövog dixaio-
ÖoöCag u£,ioviiev öv vnrjQbxov [isxccdo&fjv ai sxdöxco avxäv xb
iöov xovds xov VTtofiv^uaxog, oncog s%ovxsg iyyoaitxov \ßiä\-
öxoXijv aal nuQayyeXiav naoaylvovxai (l.-vcovxai) snl xb isoa-
xaxov xov xoaxiöxov r}y£[iövog ßf^ia itobg xb xvylv i)[iäg xäv
öixalcov. 2. Hd. *Aoxo%Qag Zlov^icovog v7tr]Q£xr]g ^lExaöidcoxa.
Lond. 2 n° 358 p. 172 circaa0 150 (Fajüm): cc^iCo xovxov xb
löov di vmqQETOV ti£xado&f]vai £xax£o<p ccvx&v iv sldäöt
7tKQ£6o[iivovg avxovg btii xb hocöxaxov xov i)y£[iövog ßrma oitov
iäv xov xov voyiov diccXoyiöfibv ?J dixaiodoöiav %oiy\xai
Hier ist zu bemerken, daß dieser Eingabe bereits eine Unter-
suchung der Sache vorangegangen war, worüber später.
Teb. 303 a0 176 — 180 (Tebtynis): d^iov^uv oV ivbg xCbv
jieql 0£ vnriQEXGiv TiaoayyEiXai ccvxa OTtcog Jiaoaxv%ri £ig xbv
Ist' ccya&c) yivö[i£vov diaXoyid^ibv i)itb xov Xafixooxdxov v\y£-
fiovog Tlaxxov\ix\iov Mdyvov.
Amh. 81 a° 247 (Hermupolis): dt,uo xovxa (Pap. xovxov)
x£X£v6cu TtaoayyEXiav dovvai \jtaod fjjg?] GxQaxrjyCag, itao£i-
vat xcci nQ06£ÖQ£V£iv xg> ßtjfiaxL xov XapxQOxdxov i\yL6)v t)y£-
uovog, sßt' äv xd -Kqbg avxbv t^xov^iBva xEoag Xdßtj, dXXä
xai 7tao£V£yx£iv avxbv xovg ßoq&ovg avxov usf.1)
Nicht auf die gleiche Linie gehört Oxy. 484, denn hier
scheint es sich um eine Zeugenladung zu handeln: iad
ZlCdvfiog 'Afiöixog diiöxaXxiv ycoi cog evsdoEvöavxi AiÖvpiov
vlbv avxov tcsqI 7ivaov, d$L(b ^Exaöodfjvat avxcß rw via
1) Ein besonders gearteter Fall der Parteiladung ist gegeben in
BGU. 614 (dazu unten S. 97): ein in Alexandrien garnisonierender
Soldat läßt die im Faijüui befindlichen Beklagten durch den &q%i8i-
xccetrig laden (u. z. zu diesem selbst). Die Zustellungen aus Alexandrien
in die tojtoi gehen eben anscheinend immer durch diesen Beamten,
wie wir namentlich bei den Zustellungen im Exekutiwerfahren sehen.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 6g
zJiSxmo) xovxov xov vzofivt'iuaxog ecvxiyoacpov, oncog t%cov
£yyoanxov xccoayysXiav 7ta.Quyevi]xca otcov iccv 6 XQuxtöxog
rjysiiav Avldiog 'HXiödoQog tx ccycc&ci xov vopbv öiaXoyCtyxca
rj dixcciodotfjj xcä XQOöxaQxfQr'fii] ^e%Qt xgCöeag Iva cpuvri xb
ysyovög. Dennoch ist der Papyrus als Parallelstück zum Be-
weis der bei den Konventsladungen platzgreifenden Konstanz
des Stils berücksichti genswert.
Hierbei ist terminologisch zu bemerken, daß drei dieser
Nummern, Amh. 81 und Teb. 303. 434 die bezweckte Zu-
stellung als naQccyysXCa oder naoayytXXEiv bezeichnen, ebenso
auch die Ladung des vlög in Oxy. 484 syyoaicxog xaoayysXla
genannt wird, so daß man sich versucht fühlt, auf Eingaben
dieser Art den Ausdruck nccoayysXia, der bekanntlich den
Parallelterminus zur lateinischen Litis Denunciatio darstellt,
anzuwenden.
§ 4. Verhältnis der ««T«xo>^i<?/t*ö^-Eingaben zu den Konventsladungen.
Unverkennbar ist es nun, daß die in § 3 entwickelte
Kategorie sich von der unter § 2 genannten (p. 66 fg.) inhalt-
lich sehr deutlich abhebt, u. z. durch die präzise Ladung auf
den Konvent; hier Konventsladung ohne Nennung des xata-
%(DQL6{i6g, dort xaxu%coQi6n6g ohne Nennung des Konvents.
Nur einmal ist die Erwähnung des xaxaxcooiö^ög, welche den
Papyri des § 2 eigentümlich ist, auch in einer Ladungsurkunde
zu finden, nämlich in BGU. 226 (oben S. 67), u. z. in den
Worten xccxc£%coQL6d-8vxog rovds xov vTio^ivr^axog und auf
Grund dieses Papyrus habe ich bei meiner älteren Abhandlung,
wo ich die reinen Ladungsstücke noch nicht kannte, un-
bedenklich bei allen übrigen xuxa%coQt6uög-\Jrkxmdeii ein in
ihnen enthaltenes stillschweigendes Ladungsbegehren sub-
intelligiert. Angesichts der neueren Urkunden aber möchte
ich doch zwischen beiden Gruppen grundsätzlich unterscheiden.
Es ist ja allerdings nicht zu übersehen: ein unüberbrück-
barer Gegensatz besteht zwischen ihnen an sich nicht. Denn
einerseits läßt sich bei den Konventsladungen die Ansetzuno-
auf eine durch den Strategen geführte Konventsliste (als
70 Ludwig Mitteis:
welche ich früher den %axa%GiQi6ii6s selbst ohne weiteres ge-
faßt hatte) leicht hinzudenken; anderseits könnte man an-
nehmen, daß auch dort, wo die Konventsladung fehlt und
nur um xaxa%c3QCt,Eiv gebeten wird, der Stratege doch eine
Zustellung an den Prozeßgegner vollzog und dieser von selbst
zu wissen hatte, daß er auf dem Konvent erscheinen müsse.
Mit anderen Worten, man könnte den ganzen Unterschied
bloß als einen solchen der Stilisierung fassen.
Indessen erheben sich dagegen doch beträchtliche Be-
denken.
Zunächst ließe sich eine immerhin so erhebliche Stil-
differenz doch nur annehmen, wenn die Stücke zeitlich oder
räumlich weit auseinanderlägen. Dies ist aber keineswegs
der Fall; von den fünf Konventsladungen sind vier aus dem
Fajüm und gehören der Zeit v. J. 99 — 180 an. Aus derselben
Zeit und Gegend aber stammen auch die jcaTt^epK^dg-Ein-
gaben; warum sollten nun einzelne Schreiber so weit von der
herkömmlichen Fassung dieser letzteren abgewichen sein,
wenn da nicht ein besonderer Zweck verfolgt wurde?
Dazu kommt aber noch, daß sich in die xaraxcoQiö^iös-
Urkunden doch nicht so ohne weiteres eine stillschweigende
Konventsladung hineinlegen läßt, als ich es ursprünglich ge-
tan hatte. Wäre es wirklich für jeden Bauer, der eine bloß
mit der Bitte um den xaraxojQiö^ös versehene Beschwerde
über sein Verhalten zugestellt bekommen hätte1), selbstver-
ständlich gewesen, daß er nun auf den nächsten Konvent zu
reisen hatte?
Nun ist es ja freilich an sich denkbar, daß eine derartige
Ladung erst vom Strategen verfügt, z. B. im Wege des In-
dorsats auf den Libell geschrieben wurde. Aber wahrscheinlich
ist es mir nicht. So wenig wir vom Kanzleibetrieb jener
Zeiten Genaueres wissen, so läßt sich doch eines ab und zu
beobachten: auch im ägyptischen Kognition sverfahren ist es
1) Durch den Conjunctivns irrationalis deute ich an, daß ich diese
Stücke überhaupt nicht für zur Zustellung bestimmt ansehe; vgl. unten
S. 75 g- E.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 7 I
eine sehr gewöhnliche Erscheinung, daß der Kläger die Prozeß-
handlungen vornimmt, der Magistrat nur autorisiert. In den
diaöToXixä des Mahnverfahrens ist es der Gläubiger, welcher
dem Schuldner das diaötoXixov übersendet und die damit ver-
bundenen Androhungen ausspricht, der Archidikastes beschränkt
sich bloß auf die Autorisation: 'rovrov tö l'6ov neradoftilra ,
und ebenso ist es der Gläubiger, welcher bei Pfändungen
'tbXevoZ rä Tr\g ivEyvQaöCag yQa^aara oder ^xarayQcccpSTai
t))v vrto%■'t]v,rtv, oder et[ißadEvsi>. Ebenso bitten die Gesuch-
steller in den auf p. 67 fg. zitierten Papyri meist um {i&tado-
&TJvai, BGU. 226, Lond. 2 p. 172, Teb. 434, Oxy. 484 und nur
zweimal Teb. 303, Amh. 81 um TcaQayysiXai und TtccQetyysXiav
dovvai, welches letztere demnach wohl nur ein ungenauer
Ausdruck ist; ja in BGU. 226 sehen wir sogar deutlich, daß
zwar der Zustellungsvermerk des vTtrjQarrjg auf dem Stück
steht, aber von einem Ladungsindorsat des Strategen ist keine
Spur vorhanden. Umsoweniger ist ein solches also in den
bloßen XKTccycöQi6{i6g-Gesuc\ien hinzuzudenken. Ich bin weit
entfernt, dies alles für ein ausnahmsloses Prinzip zu halten,
da das Kognitionsverfahren einer selbständigen Verfügung des
Magistrats jeden Spielraum läßt und Evokation durch den
Magistrat sicher nachweislich ist. Aber dann würde die
Partei auf solche antragen. Daß der Stratege eine von
der Partei gar nicht beantragte Tätigkeit entfalten sollte, ist
unglaublich.
Also hat die xttTa^opKJju.dg-Eingabe mit der Ladung nichts
zu tun. Darum auch nichts mit dem sizilischen fdicam scribere'
bei Cicero, womit ich sie früher parallelisiert habe ; als solches
könnte man höchstens die Ladung selbst bezeichnen, obwohl
nach den neueren Ptolemäerpapyri mir auch dies zweifelhaft
geworden ist. Welchen Zweck verfolgt also das xaTC(%coQi6u6g-
Gesuch?
Es bleibt zunächst der Zweck denkbar, den ich schon
früher (neben der Ladung) als einen ihr innewohnenden be-
zeichnet habe: nämlich daß die Sache auf die Liste der vor
dem Statthalter zu verhandelnden Angelegenheiten gesetzt
72 Ludwig Mitteis: t
wird; denn daß es eine solche gegeben haben wird, daß der
Statthalter nicht auf den Konvent kam, ohne die Zahl der zu
erwartenden Sachen irgendwie taxieren zu können, ist an sich
sehr wahrscheinlich. Der Zweck der Stücke könnte also von
jemand darin gesucht werden: als Begleitschriften — neben
einem selbständigen Ladungsakt — dieser Ladungssache den
Raum auf dem Konvent zu wahren.
Indessen habe ich gegenwärtig Bedenken, bei allen diesen
Stücken anzunehmen, daß Ansetzung auf die Konventsliste
der unmittelbare Zweck derselben war. Diese beruhen auf
folgenden Erwägungen.
a) Zunächst ist eigentlich in dem Wortlaut der Gesuche
davon nichts gelegen. Gewiß ist %araypqi6\i6g ein Verzeichnis:
muß es aber darum hier gerade das des Konvents sein? Es
konnte doch jedes Einlaufsregister des Strategen (wie jeder
anderen Behörde) so genannt werden und darum darf auch
an ein bloßes Eingangsverzeichnis der Gauverwaltung gedacht
werden.1) Warum wird nicht ausdrücklich gesagt, die Ein-
gabe solle für den künftigen diaXoyi6^i6g angemeldet werden?
Mehr noch, es wird eigentlich regelmäßig ein anderer
Zweck angegeben; es heißt nämlich nach a|iö ev xara^opK^urä
yevtG&ca gewöhnlich: ttqos rö ycsvEtv xbv Xöyov. Das
klingt aber weniger danach, daß der Antragsteller sich fürchtet
auf dem Konvent nicht zu Wort zu kommen, sondern ganz
allgemein danach — daß er fürchtet seinen Anspruch durch
Präklusion oder Verjährung zu verlieren. Und das führt auf
die Frage: Ist die Anmeldung zum aaraxaQiöfiög nicht eben
zu diesem Zweck vorgeschrieben? Wir wissen aus Flor. 61,
daß in Ägypten (wenngleich vielleicht nur unter den Pere-
grinen, um die es sich aber hier immer handelt) jede Forderung
in fünf bis zehn Jahren verjährte; für kleine Sachen delik-
i) So hat auch der ptolemäische Stratege sein Eingangsverzeichnis,
wie es in Ainh. 35, 35 fg. (an den 6xgaxi]yog) heißt: cct,iovnsv Gvvxä^ai
■Au%tt%(üQ'i,6cti 7j(iä>v xb V7t6{t,vr]ncc ■TtccQa gol iv £ß7]fio:ri<7fu5 (die Ausgabe
hat irrig «arß^ooptöfiM , wie das Faksimile zeigt) ngbs ttjv iao(i^vr}v
rjfilv .... •x.oLxä.Gxaciv.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 73
tischer Herkunft, wie sie in unsern Stücken meist in Frage
stehen, können noch kürzere Fristen bestanden haben — wa&
Wunder, wenn man das fürchtete? Nun ist freilich die An-
meldung beim Strategen keine Prozeßerhebung und daher
nach unseren Begriffen keine Unterbrechung der Verjährung
oder Rechtsausübung — aber kann nicht, gerade wenn es
sich um kurze Fristen handelt, sie als Mittel zur Erhaltung
des Anspruches vorgeschrieben gewesen sein? Ich will dies
freilich nicht geradezu behauptet haben; aber jedenfalls klingt
jene Wendung mehr nach einer Verwahrung zugunsten des
Anspruchs1), als nach Wahrnehmung bloßer Prozeßvorteile.
b) Dazu kommt weiter, daß in jenen Fällen, wo eine
Ladung des Beklagten auf den Konvent erfolgt, von xcitcc-
X(OQt6^i6g regelmäßig nicht die Rede ist. Nur einmal —
BGU. 226 — ist das Gegenteil der Fall; in allen übrigen
Fällen wird bloß geladen. Daraus schließe ich: die Ladungs-
sache wird auch ohne besonderes aar a^co qlö ^,6 g-Gesuch auf
den Konvent zugelassen, wenn die Ladung überhaupt durch
den Strategen erfolgt ist. Denn ein besonderes Gesuch um
Ansetzung auf diesen neben der Ladung wäre doch eine große
Umständlichkeit gewesen.
Nun kann man wohl sagen: die xarax(OQi6u6g-Gesuch.e
seien für Fälle der reinen Privatladung berechnet, d. h. der-
jenigen, die nicht auf dem Weg über den Strategen erfolgt,
von denen also der Strateg sonst nichts erfahren hätte. Denk-
bar, aber schon an sich wenig wahrscheinlich, da es viel ein-
facher und sicherer war, durch Vermittlung der Behörde zu
laden, daher die Privatladung selten gewesen sein wird,
während unsere Gesuche häufig sind. Tatsächlich ist sie in
keinem einzigen Fall bezeugt; vielleicht ist sie in Ägypten
überhaupt nicht vorgekommen. Dazu kommt aber noch eine
positive Beobachtung. Es ist nämlich
c) ein kaum mehr als Zufall zu deutender Umstand, daß
in der überwiegenden Mehrzahl aller y.arccxcoQLö^iög-
1) Vielleicht hoffte man auch auf behördliche Recherchen.
74 Ludwig Mitteis:
Fälle überhaupt jede Ladung ausgeschlossen oder
doch verfrüht war. Prüft man nämlich die Tatbestände
dieser Schriften im einzelnen, so findet man, daß unter 16
uns vorliegenden v,axaypQi6\i6g- Gesuchen nicht weniger als
achtmal konstatiert wird, der Gegner sei unbekannt, und
solle erst eruiert werden. (BGU. 35.46. 72.651.731u-, Lond. 2
p. 1705 Teb. 330; Faj. 108). In zwei weiteren Fällen ist
zwar nicht seine Person, wohl aber sein Aufenthalt unbekannt:
man muß ihn erst suchen (Gen. 28; Grenf. 2, 61). In einem
weiteren Stück (BGU. 45) scheint — bei einer Injurien-
beschwerde — erst die Größe des zu befürchtenden Schadens
abgewartet zu werden.1) In zwei anderen derartigen Ge-
suchen, BGU. 242, Oxy. 898, ist zwar der Täter und sein
Aufenthalt bekannt, aber hier kann an die Konventsladung
aus einem andern Grunde nicht gedacht werden. An die
xataxcoQLö^iog-Bitte reiht sich die weitere, der Strateg möge
selbst die Sache untersuchen (BGU.242 : [ßc^iü s]v aaxa%Gi\ßi6^a
xov]xo yeveö&at a[oc]ovöuC [xs [io]v ztgbg ccvxöv, [öjrcog iitl
xo]v QtjTOv ajzod[s i ]£o iv xf] [...]... fjpsQcc [avxbv zXstpajvra
■xlsiöxovg %a^Xovg xxX.2) So bleiben nur drei von sechzehn
Stücken (BGU. 2. 226. 321), wo bei bekannten Tätern und
fälligem Anspruch die Ansetzung auf den Y.axa%(aqi6\LÖg die
Konventsvormerkuns bedeuten könnte. Da aber selbst von
diesen eines (226) eine amtlich beurkundete Ladung zum Kon-
vent zeigt, ein zweites (221) von einem Parallelstück (Nr. 222)
begleitet ist, wo um Vorführung zum Gensdarmen gebeten
wird, ist zunächst ganz klar: An eine das xaxaxaQi6[i6g-Gesuch
begleitende rein private Ladung kann nicht gedacht werden.
Wir haben nun das Resultat: In fast allen Fällen ist
1) k|kb xovxov xb i'oov iv Kaxa^cogiß^ä ysvsa&cu ngbg xb [isviv \iui
xbv Xöyov 7tgbg avxovg, fi-rj ägcc av&Qa>7tiv6v xi xw viä fiou ßvfißi) i)
intQscc (1. inriQS tä) xig xolg ngoxigoig y£vi\xa.i . . . ; der Sohn des Antrag-
stellers ist verhauen worden und bettlägerig (1. 14); der Vater ist sich
noch nicht klar, ob ihm nicht etwas Menschliches widerfährt oder sonst
ein Schaden eintritt.
2) Text teilweise von Wilcken Arch. 4, 409. A. 2.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 75
nachweisbar, daß dem xar cc%o)q 16 pög-Gesuck keine Ladung auf
den Konvent parallel gegangen ist; umgekehrt, wo Ladungen
erfolgen, ist von x«T«;|j«(H<yuög-Gesuchen (mit einer Ausnahme,
BGU. 226) nichts zu bemerken. Wird da nicht der Zusammen-
hang derselben mit dem Konvent überhaupt sehr fraglich?
Es bliebe ja die letzte Möglichkeit: da der Täter meist als
unbekannt bezeichnet wird, habe man sich den Platz auf der
Konventsliste gerade für den Fall sichern wollen, daß man ihn
noch rechtzeitig ausfindig machte. Aber schon an sich ist
es viel wahrscheinlicher, daß mit dem xataxooQiG^ög hier
bloß die Akten des Strategen gemeint sind, und der obwal-
tende Zweck nur dahin geht, den Vorfall überhaupt der Be-
hörde zur Kenntnis zu bringen — möglicherweise mit dem
speziellen Zweck, sich die Klagfrist oifen zu halten.
Zur Gewißheit wird aber die Annahme, daß der xata-
%dQL6^6g mit der Konventsliste nichts zu tun hat, durch die
einfache Tatsache erhoben, daß er sich auch dort findet, wo
an die Konventsliste überhaupt nicht gedacht werden kann,
nämlich bei Anzeigen, die an den exarövrccQxog oder ähnliche
Organe der Ortspolizei gehen. So BGU. 651 (oben S. 65)
und ähnlich Flor. 9 (an den Dekadarchen); im letzteren Stück
ist zwar der xatccxcoQtö^ög nicht genannt, wohl aber die
charakteristische Wendung enthalten: iitidCdaiii — icgbg tö
[levstv fioi xbv Xoyov. Besonders lehrreich aber ist: in beiden
Stücken handelt es sich wieder um unbekannte Täter.
Die Sache scheint mir nun klar: Wo der Beschuldigte
unbekannt ist, kann eben nur eine allgemeine Anzeige des
Vorfalles (mit dem wünschenswerten Rechtsvorbehalt) erstattet
werden. Ob es dann der Centurio ist, dem man die Anzeige
macht, oder der Strateg, ist gleichgültig. Üblicher scheint
es gewesen zu sein, daß man die Denunziation an den
Strategen allein erstattete; denn solche Stücke gehen meist
an ihn. Aber der Charakter des xaraxaQiöfiog-Gtesuchs scheint
mir jetzt klargestellt zu werden. KaraxcoQtö^ög ist das Akten-
archiv jeder beliebigen Behörde, welche die Anzeige fad acta'
nehmen soll. Meist wird die Registrierung im xatccxaQi6[iög
76 Ludwig Mitteis:
dann angesucht, wenn man gegen den Täter vorläufig über-
haupt nicht vorgehen kann. Daneben wird sie auch in einigen
anderen Fällen genannt, aber nur als adminikulierende Maß-
regel. Zusammenhang mit dem Konvent ist nicht nachweisbar.
Vierte Gruppe.
§ 5. Bitte um Schutz durch den Strategen.
Neben den im vorigen Paragraphen besprochenen finden
sich noch andere Eingaben an den Strategen, welche einen
durchaus verschiedenen Stil der Schlußbitte aufweisen; sie
haben keine Erwähnung des xuta%G}QL6^6^} kein ^itgog tb
(jlevslv {ioi rbv X6yov\ sondern das direkte Ersuchen: der
Strateg soll wider den Gegner einschreiten.
Wir haben diese Stücke schon früher im Vorbeigehen
berühren müssen. Es finden sich darunter solche, welche
an die Hekatontarchen-Eingaben anklingen, nämlich den An-
trag auf cc%d-r}vcu des Beklagten enthalten: BGU. 22. 759. 1036;
Oxy. 2. 282; Lond. 3 p. 135 1. 15; vielleicht auch Lond. 2
p. 166/7; Teb. 331, und der in der Introd. zu Amh. 125 ge-
nannte Papyrus (oben S. 65). Daneben aber auch andere,
welche auf iiErazefi^ccdd'at bezüglich des Beklagten oder ähn-
liche Schutzhandlungen hinzielen (BGU. 467; Faj. 296; Gen. 6;
Oxy. 285. 898; Wessely, Specim. tab. 1 1 Nr. 20. 21; cf. tab. 1 1
Nr. 17 1. 13 fg.); vgl. oben S. 67.
Man hat wohl (vgl. oben S. 65) in einzelnen Fällen der
Art daran gedacht, es liege hier ein Mißgriff der Urkunden-
verfasser vor, und eigentlich hätten sie solche Stücke an den
izatovtccQXVS zu richten gehabt. Davon kann aber bei der
jetzt schon ziemlich großen Zahl solcher Eingaben keine
Rede mehr sein. Die Sache ist offenbar ganz in der Ord-
nung; die Gesuchsteller wollen wirklich an den Gauvorsteher
herantreten und von ihm Abhilfe erlangen.
Welcher Art war nun die Intervention des Gauvorstehers?
Ich habe, um sie zu bezeichnen, geflissentlich den Aus-
druck Entscheidung vermieden und bloß von Intervention
gesprochen. Denn entscheiden, wenigstens im Sinne des
Zur Lehre von den Libellen dnd der Prozeszeenleitung. 77
römischen Zivilprozesses, kann der Strateg aus eigener Macht
heraus, und sofern er nicht etwa vom Statthalter delegiert
ist, nichts. Wohl aher kann er kraft seiner doch immerhin
bestehenden obrigkeitlichen Autorität, mag sie auch nur der
eines Magistrates minor (im Sinne der republikanischen Zeit)
gleichkommen, wenigstens provisorisch Ordnung schaffen, oder
die Parteien zu einer Anerkennung oder einem Vergleich
drängen. So ist es, wo es sich um Störungen des öffent-
lichen Friedens handelt, seine polizeiliche, wo reines Zivilrecht
in Frage steht, ist es, wie ich schon an anderem Ort gesagt
habe, eine Art friedensrichterlicher Tätigkeit, die er zu ent-
falten vermag. In jener polizeilichen Tätigkeit ist sein Beruf
im Grunde mit dem des Centurionen der u.yß!tr(vai- Eingabe
nahe verwandt1); vielleicht daß von diesem mehr nur der
allernächste brachiale Schutz, von jenem eine mehr sachliche
Schlichtung erwartet worden ist — aber bindende Ent-
scheidung eiuer Rechtsfrage war die eine so wenig wie die
andere. So wird denn die Strategentätigkeit nicht anders
ausgesehen haben als die des Centurio, welche BGU. 908 so
deutlich erkennen läßt: die untere Behörde verweist die Par-
teien, wenn sie nicht parieren, an den Statthalter, und wird
dann höchstens ein Provisorium bis zum Konvent geschaffen
haben, um welches der Centurio 1. c. schließlich gebeten wird.
Nach BGU. 467 scheint in solchen Verhandlungen sogar die
Vertretung durch Sklaven möglich gewesen zu sein.
Die rein friedensrichterliche, unverbindliche Natur der
Strategentätigkeit wird in den Urkunden öfter dadurch ver-
dunkelt, daß auf das Verfahren vor dem Strategen Ausdrücke
angewendet werden, die eigentlich dem ordentlichen Prozeß
entsprechen. So ist in Oxy. 260, 8 fg. die Rede von einer
'eni xov öTQccrrjyov ccvxLy.axaöxaGig' • ebenso BGU. 168, 11;
Oxy. 71 I 10 '[letysiv avxbv tä yatjuccxa Etti xov öxgccxr,-
yrfiavxog 'Hgcavog' ; von einer xaxäxQLGig durch den Strategen
wird gesprochen bei Wessely, Specim. tab. 11 Nr. 17 1. 13. In
1) In Gen. 74, 22 scheinen beide Beamte gleichzeitig eingeschritten
zu sein.
1'iiiL-hist. Klaase 1910. Bd. LXII. 7
78 Ludwig Mitteis:
BGU. 467 hat gar der Strateg einen Offizial beauftragt, ent-
zogenes Gut zurückzu verschaffen. Nicht minder ist in BGU.
168, 17 von einer Entscheidung des Strategen die Rede:
7iaQadovs tftol xä dovkixä 6ä\iaxa sxs'Xsvösv aTCoxaxaöxa&'rjvaC
Hot xr\v svöoptvCuv xal x&v vjzccq%6vxcov avxiXaßiö&ai ju£.
Endlich in Par. 69 sehen wir aus seinen Amtstagebüchern,
daß er über Fragen der Verjährung und des Besitzes (Col.
C 15 — 28 D 11 — 24) Bescheid gibt.
Aber ein richtiger Prozeß ist hier nie gemeint.
Wir sehen das daraus, daß die Parteien die Entscheidung
des öxQaxYjyög gar nicht zu respektieren brauchen. Dann
wird an einen höheren Magistrat gegangen. So gerade in
BGU. 168; hier erzählt die Verletzte (den Ausdruck 'Kläger'
vermeide ich, eben weil kein Prozeß vorliegt), daß ihr Gegner
'iniyvovg xrjv xov Evdoct{iovog (sc. xov öTQccxrjyov) h%odov
ovx äitedaxev xr\y svdo^isvtav ovdh [ifjv itaoedcoxev xä v71ccq-
ypvxa xal ex xovxov iderjöEv fis xf] tiqoxbqu öov stciö^^llk
ivxv%slv 6ol diä ßt-ßlstdCcDv' usf.; d. h. kaum hatte der Strateg
den Rücken gekehrt, fing der Friedensstörer sein altes Spiel
an und nun muß (iderjösv) die Gestörte sich an den Epi-
strategen wenden (was der Epistrateg hier für eine Rolle
spielt, darüber s. unten); also war der Bescheid des Strategen
nicht vollstreckbar, wie auch der Schluß des Stückes ihn
nur in einer ganz untergeordneten Stellung {avant^inco xb
TCQ&yuu, 1. 25) finden läßt. Ebensowenig wird in BGU. 467
der Bescheid des Strategen respektiert. Ahnlich ist in Oxy. 7 1 I
nach der 'Belangung' vor dem Strategen, und obwohl dort
der Belangte 'überführt' wurde, doch noch ein Prozeß beim
Statthalter notwendig, weil die Rechtsverweigerung fortdauert.
Oxy. 97 hat avxixaxdöxccötg beim Strategen, wobei aber tö
t,Ylxrjfia vrt£Q£xs&7] STtl xov xqccxlöxov rjy£j.i6vcc. In BGU. 467
wird die rein polizeiliche Natur des Rückstellungsauftrags
dadurch erwiesen, daß das Gesuch um denselben nicht persön-
lich vom Berechtigten, sondern durch einen Sklaven desselben
gestellt worden war. In Par. 69 III 1. 26 (Wilcken, Philol.
53, 84) sagt der 6XQCixrjy6g' [Tb 2toäy]iiu %q(j&i> tov ^isC^ovog,
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 79
cf. 1. 28 — 30. Oxy. 260, wo von der ccvrixardavccöLg beim
Strategen auf den 'AQiidixuöxr'ig verwiesen wird, führe ich
nicht an, weil die Erwähnung des <xQ%idi7ca<5Trig auf Be-
sonderheiten im Verfahren hindeuten könnte; aber das Ge-
sagte, das noch durch viele beiläufige Äußerungen in den
Papyri illustriert wird, läßt überall die nur untergeordnete
provisorische Natur des Strategen Verfahrens erkennen.1) Wie
wenig insbesondere Ausdrücke wie f6 (ftQarrjyög szahsvötv
ernst zu nehmen sind, zeigt Straßb. 20, 67, wo in duatrj[. . . .
die Erwähnung eines Vergleichs stecken muß und doch von
einem xeXevsiv der Strategen die Rede ist; die Sache ist
also, worin Preisigke und Wilcken mir zustimmen, einfach
die, daß die Strategen einen Vergleichsvorschlag gemacht
haben und auch das heißt xslsvsiv.2)
Ich sagte früher zu BGU. 168: man geht vom Strategen
zum Epistrategen. Aber daraus ist natürlich nicht zu schließen,
daß etwa dieser Gerichtsbarkeit hat. Man darf auch seine
Stellung nicht so auffassen, wie ich es ursprünglich tat, daß
er irgendeine ständige Delegation vom Statthalter empfängt;
auch hiervon bin ich infolge der Vermehrung des Materials
schon seit vielen Jahren zurückgekommen. Vielmehr ist die
Intervention des Epistrategen juristisch genau so zu bewerten,
wie die des Strategen; im Grunde kann auch er immer nur
einen 'Versuch zur Güte' machen. Zwar wolle man das
nicht mißverstehen; so ganz platonisch ist die Meinungs-
äußerung weder beim einen noch beim anderen — Polizei-
maßregeln zur vorläufigen Repression kriminellen Unrechts
haben sie eben sicher alle ergriffen und ergreifen dürfen,
1) Vgl. auch Gen. 31, 15; BGU. 361 II 7 (xov ngäy^axog alvxov
övrog) — doch könnte namentlich im letzteren Fall der Strateg auch
als Kommissar des di-uccioSöxrjg in Funktion getreten sein, was auf ein
ganz anderes Blatt gehört (vgl. unten S. 122).
2) Vgl. für die Ptolemäische Zeit Petr. 2, 2 (2) 1. 3 : xsXsvelv im
Vergleichsvorverfahren vor dem titi6xcLxr\g xi)g y.6>yi7\g; gemeint ist dessen
Vergleichsversuch. Der Beklagte widerspricht der -neXivaig und der
iTticzäxr\g erklärt damit seine Tätigkeit für beendigt.
/
80 Ludwig Mitteis:
nur daß in diesen eine definitive Entscheidung einer Zivil-
rechtsfrage nie umschlossen sein konnte. Und da nun der
Epistrateg der Gauverwaltung übergeordnet ist, kommt es
leicht vor, daß man sich an seine höhere Autorität wendet,
wo die des Strategen zu versagen scheint, wie eben inBGU 168,
oder auch direkt, BGU. 195. 291. 462, Oxy. 70. 486, 8, voraus-
gesetzt, daß in diesen Stücken nicht schon früher der Strateg
angegangen worden war, wie ich denn überhaupt betone, daß
oft eine Eingabe sich anscheinend als die erste darstellt,
während sie nur eine Episode in einer längeren voraus-
gegangenen Entwicklung bildet — diese Tatsache, deren Un-
kenntnis in den Anfängen der Papyrusforschung das Urteil
öfter irregeführt hat, muß immer in Rechnung gestellt werden.
Wie wenig aber das Verfahren vor dem Epistrategen
auf das Prädikat der Endgültigkeit Anspruch hat, zeigt
gerade Oxy. 486: hier ist dieser angegangen, aber er sieht
sich bemüßigt die Sache an den Statthalter zu verweisen:
v7t£Qe&£TO to TiQüyiia inl xbv xqcctiötov rjyenövcc, 1. 8 — 9.
Auch Gen. 31 wird ebenso zu beurteilen sein, wenn
überhaupt, was ich allerdings nach 1.8 — 11 glaube, es sich
hier um einen Zivilrechtsstreit handelt: der Epistrateg ist
auf seiner Inspektionsreise (i7iiörj}iCa) um Schutz angegangen
worden und hat einen ^jcpiT^V gegeben, der auch eine xQLötg
gefällt hat. Aber der Gegner kümmert sich um dieselbe
nicht; wieder wird der Epistrateg angerufen. Das alles ist
eben sicher keine echte xqCöiq und wahrscheinlich mußte
auch hier, wenn die Autorität des Epistrategen nicht genügte,
zum Statthaltergericht gegangen werden. Vgl. noch Oxy. 70 *) —
in derselben Sache zwei Epistrategen hintereinander inter-
pelliert (cf. 1. 10 fg. mit 1. 1). Besonders deutlich noch Lond. 2
Nr. 358 (p. 172) 1. 15 fg.
Das Resultat, daß jede definitive Entscheidung nur in
der Hand des Präfekten liegt, wird auch durch direkte
Äußerungen in den Urkunden bestätigt; so heißt es in Lond. 2
1) Lies statt anoY.ura.6t aß iv in 1. 1 1 : { a.110 } Hccrccataaiv. L. 8 erg.
statt d[7]fioö]i.[?v]*Hr: d[rnio6]i.[(o]&£v.
Zur Lehre von den Libellen und der Proxi-.szkinleitung. 8i
p. 172, 16, nachdem der Epistrateg sich fruchtlos mit einer
Sache beschäftigt hat: xovös toi) ngayfiaxog öeoutvov xrjg tov
Xa^iTtQoxäxov yyfpövog . . . Öiayväascog; Oxy. 71 I 11 fg.: der
'Gegner', obwohl beim Strategen überführt, schätzt die
Klägeriu gering: daher bittet sie den Präfekten um even-
tuelles TtccQCixsuyd-rjvai inl xb <sbv ^eyuXlov (1. 20); Flor. 36
1-3%: Tc< xccqccvöhcqs . . . inl xäv xoncov xoX^uva ixp'
ovdsvbg ciXXov <xvaxÖ7ix£xcu, sl /*?) vnb [xijg 6fjg ni6oji]ovrJQov
dvÖQL'ag- Oxy. 486, 8: (6 tniöxQäxriyog) vmQ&sxo inl xbv
y.gdxLöxov y)y£ti6va; BGU. 195, 35. 226, 9; Teb. 434; vgl. auch
BGU. 164, 20 fg. u. a.
Lassen sich nun dafür, daß man in so vielen Fällen
zunächst an den Strategen allein ging, auch innere, in der
Natur der bezüglichen Eingaben liegende Gründe anführen?
Volle Gesetzmäßigkeit wird man ja da nicht erwarten dürfen,
denn die ländliche Praxis, mit der wir es hier meist zu tun
haben, unterscheidet nicht so genau und ist geneigt, mit
allen Dingen zunächst zum Landrat zu laufen. Aber im
ganzen läßt sich doch beobachten, daß es sich in den Strategen-
eingaben vorwiegend um Bagatellsachen handelt: Namentlich
in den y.ccxcc%cjQi6tu6g- Gesuchen, aber auch in anderen, sind
Diebstahl, Raufhändel, Feldbeschädigung an der Tagesord-
nung, Dinge, von denen man oft nicht weiß, ob Schaden-
ersatz oder Strafe gefordert wird, so daß, nebenbei bemerkt,
auch die Hoffnung, zwischen Zivil- und Strafsachen da jemals
unterscheiden zu können, immer geringer wird: hier läuft
alles durcheinander, und es ist nicht einmal unwahrscheinlich,
daß es auch beim Verfahren vor dem Statthalter selbst oft
ähnlich stand. In einzelnen Fällen handelt es sich freilich
deutlich um Zivilsachen, so Gen. 6. 28. 31 (Epistrateg); Grenf.
2, 61; Faj. 296 (Darlehen). Aber schon hier ist zu bemerken,
daß in zwei von diesen Fällen (Gen. 28; Faj. 296) eine direkte
Konventsladung wegen unbekannten Aufenthalts des Beklagten
nicht möglich war und in Gen. 28 der Strateg diesen gerade
erst eruieren soll, und außerdem wurde ja oben gesagt, daß
man gewiß mit allen möglichen Sachen an ihn gehen konnte.
82 Ludwig Mitteis:
Und andererseits ist nicht zu übersehen, daß die mit Kon-
ventsladung versehenen Stücke — so wenig ihre geringe
Zahl sichere Schlüsse zuläßt — doch einen anderen Charakter
haben; da ist Lond. 2 p. 172: Annullierung eines Schuldscheins;
BGU. 226: Vindikation von Erbschaftsstücken; Amh. 81: Be-
schwerde wegen Erpressung von zwei Talenten, und nur
Teb. 303 läßt mit der unbestimmten Angabe von ' axoTir\\ia%cC
die Art der Rechtssache nicht erkennen. Zu beachten ist
dabei, daß die beiden ersteren Stücke sagen, diese Sache be-
darf der Intervention des Statthalters (Lond. 2 p. 172, 16;
BGU. 226, 9). Es scheint also doch empfunden zu werden,
daß, was nicht Bagatellsache ist, besser direkt an diese In-
stanz gebracht wird.
Wenn also die bis jetzt behandelten Gesuche zunächst
nichts bezwecken als das Erscheinen und eine Verhandlung
vor dem Strategen, also von den eigentlichen Konventsladungen
zu scheiden sind, so ist nun noch die Frage zu erörtern, ob
diese Scheidung eine vollkommene ist, d. h. ob ein solches
Gesuch, wie es zunächst nur in die untere Instanz führt,
hierin auch seine Wirkung erschöpft. Man kann nämlich
fragen, ob nicht, wo der Belangte vor dem Strategen nicht
nachgibt, dieser die Sache ohne weiteres vor den Statthalter
leitet.
Die Praxis ist nicht mit Sicherheit festzustellen; doch
neige ich mehr zur Verneinung. Wir finden zwar mehrmals
ein vTCSQtCd-sö&aL iitl rbv i)y£tiovci (Oxy. 97, 14; BGU. 361
II 7; Lond. 2 p. 152 I 1 fg.; BGU. 87 11), aber dann liegt die
Sache meist so, daß der Prozeß beim Statthalter schon
rechtshängig ist und der Strateg (oder Epistrateg) nur als
dessen Mandatar Erhebungen mit den Parteien gepflogen hat.
1) Wahrscheinlich an den rjysfiwv gerichtet; ergänze vielleicht
1. 3 : "Eitdiu[og ovoxa&ug vtcbq xov dsivog . . £v£xv%6v~\ 601 Sia ßißXsidicav
Svo\lv und 1. 10 Kai VTteyQccipag \loi ovx[wg' "Evxv%s top 6XQaxr\yä, bg
iäv xi xäv £(iöjv {isqcöv dicddßrj, £% £y& ävan£(iil}Si]. 'Ev£rv%ov reo
oxQa[xt]yw . . . diu ßijßlidicov. "Og Sh vno[i[. . . £x£Xsv6E rjfiäg havöv dovvca]
XQoaxa[oxs]Qrjaiv aov [xm ßtj[iaxi..
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 8,5
Wo der Strateg ohne Delegatio verhandelt, wie in unseren
Fällen, kommt es zwar öfter vor, daß die Parteien wegen
Unzulänglichkeit seiner Kompetenz zum Statthalter gehen,
doch ist hier zumeist vom Kläger eine neue besondere Laduno-
zu diesem vollzogen worden. In einzelnen Fällen kommt es
allerdings auch vor, daß der verhandelnde Beamte den Par-
teien befiehlt, vor dem Statthalter zu erscheinen (Oxy. 486,
-28 — 3 1), auch können diesfällige Vadimonia abgeschlossen
werden (Oxy. 260)1), doch scheint das nicht die allgemeine
Regel gebildet zu haben.
§ 6. Nochmals von den Konventsladungen.
Nachdem so das Verhältnis der xaxcxcoQKjiiög-Emg&he
und der sonstigen Strategen-Libelle zur Konventsladung fest-
gestellt ist, bleibt noch über den Inhalt dieser letzteren einiges
zu sagen.
Daß sie wahrscheinlich eine vom Kläger ausgehende, vom
Strategen nur zugestellte und dadurch allerdings autorisierte,
nicht aber vom Strategen durch einen besonderen Befehl des
Erscheinens unterstützte ist, wurde schon bemerkt (S. 71).
Was hat nun der Belangte auf Grund der Ladung zu
tun? Betrachten wir den Wortlaut der oben mitgeteilten
Ladungsstücke, so geht er auf tcuqhvcu oder TtaoccxvxsZv, oxuv
ö XQttxiGxos fjyEfiGJV xov xov vopov dialoyiöubv xonjxcci.2)
Einmal, im 3. Jhd., Amh. 81 heißt es noch ausführlicher:
TtuQslvca xcd itQoGeÖQEvetv tcö ßrj^iaxi xov Xu^nQoxdxov huätv
iiysaovog, t<5x av xä ;tp6e avxbv ^xovybzva TtSQug Xccßrj, und
diese Verpflichtung des Belangten kehrt auch in einigen
anderen Stücken wieder, so in dem Gestellungsversprechen
Oxy. 260, der Prozeßvollmacht Oxy. 261, der Ladung eines
Zeugen Oxy. 484; vgl. auch Oxy. 59, 10 und BGU. 891 R 23,
wo es sich freilich nicht um einen Prozeß handelt. Die
1) Vgl. Wenger, Rhist. Pap. Stud. 64 fg. (a. A. bez. Oxy. 260 Lenel
Ed.2 417 A. 4).
2) Vgl. noch BGU. 871, 13 (wo zu ergänzen: Ttoo6y.u[Qr]sQriG(k >iv
cov [rä ßrjpcczi]; BGU. 1042, 6.
84 Ludwig Mitteis:
oieiche Tätigkeit des xqoöxuqtsqüv tw ßi']y.azi obliegt aber
auch der Klagepartei Oxy. 486, 9. Der Sachverhalt ist eben
so, wie ich ihn für die Zeit des 4. Jhd. in der Sav. Ztsch.
R. A. 27, 351 — 2 geschildert habe: da die Konventsladung
nicht auf einen bestimmten Tag lautet, sondern auf die Kon-
ventsperiode überhaupt, so haben die Parteien bei Beginn des
Konvents zu erscheinen und dann so lange dort zu bleiben,
bis ihre Sache aufgerufen und zu Ende verhandelt wird.
Diese Methode ist also durchgängig vom Beginn der Kaiser-
zeit bis in die byzantinische Zeit, wobei in der letzteren frei-
lich die Ordnung des Konvents wegfällt. Dieses beiderseitige
Warten kann aber recht lange dauern, weshalb in Oxy. 486 die
klägerische Partei bittet, sie wegen dringender Erntearbeiten
vorläufig zu entlassen und die Sache exl rovg TÖxovg zu dele-
gieren. Andererseits lassen wohl die Parteien, um nicht über-
sehen zu werden, ihr Erscheinen und die Verhandlungsbereit-
schaft amtlich feststellen {v7io^vi]^ati6d-T]vca tö övoju«, Wessely
specim. tab. 8, 11, 16); vgl. Wilcken Arch. 4, 409 — 10.
Unklar bleibt — ich habe das vorübergehend schon
oben (S. 72) betont — , ob und in welcher Weise der Statt-
halter von den auf dem Konvent zu erwartenden Sachen im
voraus informiert wurde. So lange ich den xara^aQiö^ös
der in § 4 besprochenen Gesuche für die Liste der Verhand-
lungssachen hielt, war diese Frage für mich beantwortet; seit
ich jenen anders auffasse, bekenne ich auf dieselbe keine
positive Antwort geben zu können. Doch mögen wohl die
Sachen, wo der Strateg eine TcaQwyyeMu zugestellt hatte
(oben § 3) von ihm verzeichnet und die Liste dem Statthalter
bei Beginn des Konvents unterbreitet worden sein.
Ebenso selbstverständlich als auch durch die Urkunden
bezeugt ist endlich, daß die Ladung vor den Statthalter außer
durch die hier besprochene private %a^ayyslia in den ersten
drei Jahrhunderten auch noch durch amtliche Zitation des
Statthalters selbst erfolgen konnte; die 'Evokation' ist nach
der heutigen — nunmehr vielleicht etwas zu modifizierenden —
Ansicht sogar die ordentliche Form der Ladung im Kognitions-
Zur Lehre von den Libellen ind der Prozeszeinleitung. 85
prozeß gewesen. In den Papyri der vordiokletianiscben Zeit
findet sich die Evokation durch hohe Beamte in Streitsachen
in Lond. 2 p. 155 1. 4 — 5: iypa^sv OveQyUkiavä xo5 öxquxo-
xtdäQxri nsfiiptci avxbv sxi xi)v xqiöiv (der Juridicus); Giss.
Inv. Nr. 137 [Arch. 5, 137] 1. 6 (der Archidikastes); gebeten
wird darum (beim Archidikastes) in Oxy. 281, 23 — 25; vgl.
auch Lond. 2 p. 149, 12 fg. In den beiden erstgenannten Stücken
erfolgt sie übrigens durch litterae ad magistratus (Yat.fr. 162).
Daß sie auch noch im beginnenden vierten Jahrhundert nach-
weisbar ist, wird unten erörtert werden (S. 109 fg.)
Aber jedenfalls hat neben dieser Evokation schon in den
ersten Jahrhunderten die von der Partei ausgehende und vom
Strategen nur übermittelte naqayytlla eine große Rolle ge-
spielt. Auch in den Schuldialogen aus dem dritten Jahr-
hundert, welche weiter unten zu zitieren sind, spielt die —
allerdings nicht durch Beamte, sondern durch Zeugen beur-
kundete — private Parangelia eine Rolle (S. 102).
Fünfte Gruppe.
§ 7. Eingaben an den Präfekten.
1. Eine letzte Kategorie der Eingaben bilden solche,
welche direkt an den Statthalter oder jurisdiktioneil gleich-
gestellte Beamte (s. u. S. 861 gerichtet sind. Solcher Eingaben
nun sind mehrere erhalten, wobei wir vorläufig natürlich nur
die aus den ersten drei Jahrhunderten herrührenden Stücke
in Betracht ziehen; die späteren bedürfen einer ganz anderen
Beurteilung. In der früheren Zeit aber finden wir solche in
Lond. 2 p. 168 und p. 172 1. 14; Amh. 81 1. 4. 5 — die Eingabe
ist hier allerdings nur vorübergehend erwähnt mit den Worten
■XQoaxfxayöxog xov lauxQoxdxov fjysfiövos: Oxy. 38 (liier fanden
hintereinander zwei solche Eingaben statt); BGU 327 (an den
öiuÖEyoaevos xä xuxä xr\v i{ys\ioviav), 648, vermutlich auch
Straßb. 41 18. Eine stanze Reihe solcher Eins;aben besreo-net
ferner in der 'Petition of Dionysia' Oxy. 237 V 6. 38; VI 12;
gelegentliche Erwähnungen kommen auch sonst vor. An den
dixcaodöxqs richtet sich BGU. 378. Nicht hierher gehören
86 Ludwig Mitteis:
Papyri wie BGU. 908, 16. 1085; vielleicht auch — wenn
nämlich überhaupt an den Statthalter gerichtet — Nr. 1805
Teb. 439, wo es sich um Verwaltungssachen handelt.
2. Die Libelle richten sich regelmäßig an den Statthalter,
-entsprechend der Tatsache, daß dieser der eigentliche und
alleinige Richter des Landes ist (oben S. 80). In einzelnen
Fällen kommt es zwar vor, daß man auch den Dikaiodotes
(BGU. 378. 1042, 5) und sogar den Archidikastes (Oxy. 281)
angeht; indessen kann dies nur innerhalb eines beschränkten
Kompetenzgebiets der Fall gewesen sein, welches diesen Be-
amten etwa als selbständige Domäne zukam und vermag am
Grundsatz nichts zu ändern. Namentlich darf man denselben
auch nicht wegen Oxy. 237 VI 6 — 7 in Zweifel ziehen. Denn
wenn dort die Statthalter verordnet haben: IIsqI Iökotixcöv
^ijtrjdsav STtiötoXäg eccvtoig /m) ygcicpsiv, so ist das nicht, wie
gemeint worden ist, dahin zu verstehen, daß Eingaben in
Privatprozessen nicht zum Praefectus, sondern zum Dikaiodotes
gehören. Die richtige Auffassung dieser Stelle, aufweiche sofort,
zurückzukommen sein wird, lautet ganz anders; aber auch ab-
gesehen davon geht die Zuständigkeit des Statthalters zur
Entscheidung von Privatprozessen heute auch für Ägypten
aus einer großen Anzahl von Stellen hervor, so daß hierüber
gar nicht gezweifelt werden kann.
3. Was nun diese Eingaben an den Statthalter (resp.
Dikaiodotes) anbelangt, so ist die richtige Beurteilung zu-
nächst bedingt durch die Erkenntnis eines bisher noch nicht
beobachteten Gegensatzes.
Sie zerfallen nämlich in zwei wichtige Klassen, in die
eTiKSroXctl und in die vTto^ivrjuara.
Der Begriff der eitiötokai tritt zunächst hervor in der
oben angeführten Stelle aus dem Edikt des Pomponius
Faustianus Oxy. 237 VI 7, in welchem er '%(£& o^ioiÖTrjta t&v
akkav ^ye^övoov'' den Provinzbewohnern einschärft ^tisqI idia-
Tizcbv tflxiqGscov eitiörolccg (ßavxa) \Lr\ yoaqpfiv'. Der Ton liegt
hier nicht auf eainrto (Pap.: 601), sondern auf miöxolul: es
ist die Form der Supplikation an den Statthalter, um welche
Zur Lehre von den Libellen und der Puozeszeinleitung. 87
es sich handelt. Er will nicht im außerordentlichen Weg
durch hniGxoXal angegangen werden, sondern im ordnungs-
mäßigen Wege, durch ein vjtöfivrificc.
Daß wir diesen Gegensatz bisher noch nicht erkannt
haben, beruht darauf, daß er — trotz seiner großen und offen-
bar für alle Provinzen gleichmäßig bestehenden Bedeutung —
in den Papyrusurkunden wenig scharf hervortritt. Nichts-
destoweniger ist er mit voller Sicherheit zu konstatieren.
Zunächst ist er selbst in den Papyri an einer Stelle ganz
deutlich erkennbar, nämlich in Straßb. 5 1. 6:
[<[>]&(X(jag xaxdcpvyov ml xb psys&og ™v XccyMooxäxov
&€odörov ^ysfiövog- evtxvypv öl vjto^vrjficcxav ov fiovov,
aXXä \x\al di tTtiöTolfig.1)
Aber auch in anderen Quellen tritt die lxi6xoXr\ als eine
besondere und wie wir gleich hinzufügen können, wenigstens
im gerichtlichen Verfahren zu perhorreszierende Art der An-
rufung des Statthalters hervor. Sehr deutliche Belege hier-
für bieten die moralisierenden Ausführungen, in denen Libanius
-die Mißstände in der Pro vinzial Verwaltung geißelt; Adv. assi-
dentes magistr. c. 11 (Förster 4 p. 11): ßXaßeoal dl xul al xCov
ovx acpixvoviitvav izuöxoXcd, xcd, vi] zJCu ys, xccl fisi&VGjg.
<o yccg ovx dcpLXvovvxca (xovxo <5' iaxl {.leys&og öpiucixog)^
xovxco xb utjdsvbg äxvxsiv siovöl. TlXiov yc<Q evioxs Övvaxat
yQafi[iaxüov dfövoov tioXXCov xccl iiaxoüv löycov iyyvdsv
Xsyo^iavav.
Ahulich äußert sich der Redner in der Oratio adv. Eustath.
c. 61 (Förster 4 p. 97): xov ydo vö{iov, xccd-' bv ovx e&öxc
xolg äXXoig elg xccg xCbv dqyövxcov xccxayayag ßccdC&iv i'jxovxög
rs xul xoccxovvxog xal xag siaödovg zcoXvovxog, xä (isv xav
üXXcov sx£lös yQCififiaxslcc xccfr' txdöxijv (ps'osxca rijv rtfiEoav,
yiyvofisvav dvxl xrjg yXdttrrjg xav yoccpfiäxcov.
Den Ausgangspunkt der Erörterung bildet beidemal die
1) Es hätte auch nichts zu sagen, wenn i>no[ivrJnccTu — Plural!
hier nicht im Sinn von Libellus — V7t6uvrjiia im Singular — gemeint
sein sollte, sondern im Sinn von „aktenmäßiger Verhandlung". Der
Gegensat/- bliebe immer bestehen.
88 Ludwig Mitteis:
zudringliche Bewerbung um nicht öffentliche mündliche
Rücksprache mit dem Statthalter. Schon diese tadelt der
Redner als nicht bloß lästig, sondern geradezu ungehörig, in-
dem die Leute sich an den Provinzialchef nicht bloß zu jeder
Stunde, sondern auch an jedem Ort, selbst wenn er sich in
seine Pri-vatgemächer (xcctccyayai) zurückgezogen hat, heran-
drängen. Wenn schon dies vom Gesetz verboten ist, so ist
die Überreichung von Epistolae um nichts besser, ja sogar
noch bedenklicher. — Wir sind hier in der Lage, den Redner
auch im ersteren Punkt zu kontrollieren und festzustellen,
daß seine Ausführungen wirklich nicht bloß phraseologisch
sind; denn es ist uns zweifach überliefert, daß die Aufsuchung
des Statthalters außer den gewöhnlichen Amtsstunden und
Amtslokalitäten wirklich verboten ist, C. Th. i, 16, 10 (a° 365):
Libellos iudicibus, postquam se receperint, vetamus offerri, ne
super alienis causis vel statu pronuntient quando ab officii
conspectu atque ab oculis publicis recesserint und ibid. 13
(a° 377) : Ne quis domum iudicis ordinarii postmeridiano tem-
pore ex occasione secreti ingredi familiariter affectet sqq.
Angesichts derartiger Verbote tritt das gleichartige Ein-
schreiten, das die ägyptischen Statthalter gegen die Über-
schüttung mit brieflichen Zusendungen entfalten, in klares
Licht; auch in diesem zweiten Punkt also hat Libanius zu-
treffend geschildert.
Es steht also außer Zweifel, daß zwischen der, wenigstens
in Privatprozessen, unzulässigen Epistola und dem legitimen
Libellus, v7t6pvr][ioc, ein scharfer Gegensatz besteht, wie ja
auch in der kaiserlichen Reichskanzlei unterschieden wird
zwischen dem Bureau ab epistolis und jenem a libellis. Die
Schwierigkeit liegt nun aber darin, den begrifflichen Unter-
schied präzise zu erfassen.
Es braucht wohl nicht erst bemerkt zu werden, daß er
nicht in der äußeren Form des Schriftstückes gelegen haben
kann; so sicher beide verschieden sind, indem die Epistel mit
6 dsiva tö ijys^iovi %(x,Iqeiv beginnt, das vnö^vrj^ia anfängt
mit den Worten: tc3 ijyeuovt xagä tov dstvog, so ist das
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 8g
doch ohne jede sachliche Bedeutung. Es muß vielmehr,
worauf alles Obige hindeutet, in der Art und Weise der Ein-
reichung etwas gelegen haben, was die Gattungen unterschied.
Ich habe in meiner ersten Abhandlung über die ägyptischen
Prozeßeingaben von 'Immediatgesuchen' gesprochen, welche
unzulässig erschienen und vom Statthalter zur regulären Vor-
bringung auf den Konvent verwiesen worden sein müssen,
und wenn ich damals auch die Distinktion von V7i6^vi]fia
und einöToh] nicht kannte — auch nicht kennen konnte —
und infolgedessen insofern zu weit gegangen bin, als ich
jede Eingabe an den Statthalter für ein tadelnswertes 'Imme-
diatgesuch' ansah, so liegt hierin doch ein, wie ich glaube,
richtiger Kern. Aber die genaue Feststellung der Begriffe
erfordert freilich noch mehr.
Es sind hauptsächlich zwei Gesichtspunkte, auf welche
hier zu achten sein wird.
Einerseits der Zeitpunkt, in welchem das Ansuchen statt-
findet. Zu gewissen Zeiten, welche also als Geschäftszeiten
(man denke an den römischen Rerum actus) gelten können,
ist der Statthalter für Privatangelegenheiten zu haben: wie
sich diese Zeiten in Ägypten ordnen, ist trotz Wilckens
Untersuchungen über den ägyptischen Provinzialkonvent noch
nicht ermittelt, aber daß es solche gegeben hat, kann nichts-
destoweniger, als eines Beweises nicht bedürftig, für fest-
stehend angenommen werden. Nehmen wir beispielsweise
an1), daß sie mit den Konventszeiten zusammenfielen, so
würde sich schon von diesem Gesichtspunkt aus ergeben, daß
eine außer der Konventszeit eingereichte Eingabe sich von
der rechtzeitig überreichten abhob.
Aber das zeitliche Moment allein kann nicht für aus-
schlaggebend erachtet werden. Das ergibt schon die Termi-
nologie; denn sie charakterisiert die Schriftstücke nicht, wie
man es andernfalls erwarten müßte, nach der Periode des
Eingangs, sondern nach einem die Form der Überreichung
i) Was ich wenigstens für Alexandrien für keineswegs selbst-
verständlich halte.
go Ludwig Mitteis:
betonenden Moment. Epistola ist der Name des Privatbriefsf
und es muß darum auch in der Natur dieser Eingaben ein
unoffizielles, amtswidriges Element gelegen haben.
Es ist dabei die Vorfrage zu stellen, wie eigentlich der
Libellus — unser V7cö[ivri[icc — dem Magistrat zugemittelt
wurde. Zwar versagen hier, soviel ich wenigstens zu sehen
vermag, die Quellen eine ganz eindeutige Antwort. Wir sind
nach unseren heutigen Anschauungen gewohnt, daß Eingaben
an die Behörden in deren Kanzlei eingereicht und von ihnen
schriftlich erledigt werden, so daß die Partei den erledigenden
Beamten regelmäßig gar nicht zu Gesicht bekommt.1) Nun
wird der römische Libell ja auch — abgesehen natürlich von
den Fällen, welche eine Causae cognitio pro tribunali er-
fordern — - durch Subscriptio oder Subnotatio erledigt; aber
man darf daraus nicht auch die Einlieferung desselben bei
der Kanzlei ableiten. So wenig wir vom Begriff der Sessio-
nes de piano, in welchen solche Sachen erledigt werden,
Näheres wissen, scheint es doch, daß auch hier die Parteien
persönlich erschienen und die Libelle zur Subnotation per-
sönlich überreichten.2) Das scheint mir zunächst daraus her-
vorzugehen, daß cper libellum' und cde piano' sich decken.
So ist in C. J. 6, 32, 2 von cadire rectorem provinciae vel
pro tribunali vel per libellum' die Rede, was unvollständig
wäre, wenn das Adire de piano nicht im per libellum eben
gemeint war; die gleiche Koinzidenz in D. 50, 1 7, 7 1 = 1, 16, g} 1
quaecunque causae cognitionem desiderent, per libellum ex-
pediri non possunt); C. J. 5, 71, 6. Der Gegensatz zwischen
1) In diesem Sinn drücken sich auch gelegentlich die heutigen
Gelehrten aus; z.B. Gkenfell-Hunt zu Teb. 335 Introd.: cThe document
was drawn up in the bureau of the official (the praefect), to whom
it was sent.'
2) Vgl. auch Suet. Octav. c. 53 : promiscuis salutationibus admitte-
bat et plebem, tanta comitate adeuntiuni desideria excipiens, ut quen-
dam ioco corripuerit, quod sie sibi libellum porrigere dubitaret, quasi
elephanto stipem. Suet. Domit. c. 17: Professusque conspirationis in-
dicium et ob hoc admissus, legente (sc. principe) traditum a se libellum
et attonito suffodit inguina.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 91
pro tribuuali und per libellum deckt sich m. E. vollkommen
mit dem sonst üblichen pro tribunali und de piano D. 37, 1, 3, 8;
38, 15, 2, 1; 48, 16, 1, 8 u. a. Mitunter wird auch direkt von
de piano libellos dare gesprochen (D. 48, 5, 12, 6; 27, 1, 13 10 —
%a{iüd'£v ßtßXtdia titiöovvui).
Daß das durch Vermittlung der Kanzlei geschehen konnte,
ist nirgends angedeutet; vielmehr wird die bei der Kanzlei
überreichte Erklärung, wenn sie ausnahmsweise überhaupt
zulässig ist, von jener an den Beamten unterschieden. So
werden bei der Excusatio tutorum, wenn weder Sessiones pro
tribunali noch de piano bestehen, also in den Ferien, zur
Wahrung der Frist libelli contestatorii eingereicht (Vat. fr. 156),
aber schon der besondere Name zeigt, daß das nicht die o-e-
CD 7 Q
wohnlichen Libelle sind, und so wird auch in D. 27, 1 13, 10
das [iciQTVQtö&ca eni {>7CO[ivr}[idtG)v von den %Knüd-Ev stciöo-
&£vrci ßißHdiu genau unterschieden. Man vergleiche auch
bezüglich der Überreichung des Appellationslibells D. 49, 4
1, 7 fg.: — si forte eius, a quo provocatur, copia non fuerit,
ut ei libelli dentur? . . . Adeundi autem facultatem semper
accipimus, si in publico sui copiam fecit; ceterum si non fecit,
an imputetur alicui, quod ad domum eius non venerit, quod-
que in hortos non accesserit et ulterius quod ad villam
suburbanam? . . . quare si in publico eius adeundi facultas
non fuit, melius dicetur, facultatem non fuisse adeundi. An
das einfache Auskunftsmittel, die Appellation in der Kanzlei
zu überreichen, wird gar nicht gedacht. — Lehrreich erscheint
mir auch Flor. 6. Da ist ein Gymnasiarch von Hermupolis
zum Dioiketes nach Alexandrien zitiert worden, um sich efeeren
eine Anklage zu verantworten, ist aber verhindert, rechtzeitig
zu erscheinen und bittet um Terminserstreckung. Wie läßt er
nun dieses aus der Ferne überreichte Gesuch dem Dioiketes
zukommen? 'ügog tijv ixidoöiv xov ßtßXtdCov,:' sagt er,
'ÖiSTCs^Lfdurjv Nix6di](i-ov ßovlsvtr)v yilov.' Wozu wäre diese
besondere Ernennung eines Bevollmächtigten notwendig, wenn
das Gesuch einfach in der Kanzlei abzugeben war? Da wäre
es ja ganz gleichgültig gewesen, wer diesen rein manuellen Akt
gz Ludwig Mitteis:
besorgte.1) Kaum irgendwo tritt die persönliche Überreichung
der Libelle deutlicher hervor, als in der, freilich nur als Kurio-
sum geltenden Erzählung des Libanius, advers. ingred. dorn,
magistr. 7 (Förster 4, 28): eig de xig axvyßiv [ihr, xvyziv dl
tm&viiäv aitodvvxog aTtodvg xb ßtßXiov elöeveyxiov xal \iikctv
xal xdlcc[iov diu yekaxog ovx a7tQaxxog KTtijXd-ev, cUA' sxcpsQav
äfia [öqgjxl ygä^axa. — Dem steht es auch nicht entgegen,
daß die Subskription der Magistrate, wie wir z. B. in BGU. 970
sehen, den Parteien durch Aushang zugänglich gemacht wird2);
d. h. das beweist nicht, daß der Libell auf dem Weg durch
die Kanzlei eingelaufen war. Sehen wir doch aus Vat. fr. 163,
daß Erledigungen von Eingaben, die nur pro tribunali
überreicht werden können, unter Umständen durch Subnotation
erfolgen, dieser Begriff also mit der öffentlichen Überreichung
in keinem Widerspruch steht. Daß dennoch die vnoyQacprj
erst durch Aushang zugestellt wird, beruht wohl darauf, daß
der Statthalter nicht über jede Sache sofort entscheiden
konnte, oft wird er sie also zunächst nur zum Studium ent-
gegengenommen haben; dazu kamen vielleicht auch manipu-
lative Gründe: die vTCoygcccpr') mußte erst in die Akten ein-
getragen werden, und darum sind Fälle, wie der bei Libanius,
wo der Statthalter im Bad unterzeichnet und dem Supplikanten
die Unterschrift gleich mitgibt, auch aus diesem Gesichts-
punkt monströs.
Gerade hierin dürfte nun der eigentliche Unterschied
des vTto^vrj^ia von der ini6xol.'Y\ liegen: Ersteres ist vermut-
lich nur das an Sitzungstagen (es genügt freilich sessio de
piano, außer wenn die Sache causae cognitio erfordert) dem
1) Wenn ferner in Amh. 72, 9 dem Statthalter eine Agnitio bono-
rum possessionis rüberschickt worden ist' (disneii'ipdiirjv), wird das nicht
Übersendung an die Kanzlei bedeuten, sondern Überreichung durch
einen (ad hoc beauftragten) Vertreter. — An die bekannten 'SiuTtsaraX-
\iivoi %Qog xt]v zov xQ^ccrißfiov xsXsicoGiv'' im Exekutivverfahren braucht
nur erinnert zu werden.
2) Dazu vgl. auch D. 49, 5, 4: ... dicit, se libellum principi de-
disse et sacrum rescriptum expectare, sowie die Proposition im Dekret
von Skaptoparene Bruns Fo. ' 1 p. 263.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitüng. 93
Magistrat zu eigenen Händen überreichte, letztere das ihm
DO *
bloß zugesendete Schriftstück. Es ist klar, daß daraus aucli
eine zeitliche Einschränkung der Überreichung von vtco^iv)]-
luira sich ergibt: sie können nur in der Geschäftszeit über-
reicht werden.1)
i) Es liegt nahe, diese Annahme an den Daten der erhaltenen
< triginalien der Eingaben nachprüfen zu wollen. Zunächst könnte man
die Frage aufwerfen, ob denn die vTtoavr'm,uta , wenn sie dem Statt-
halter persönlich überreicht wurden, überhaupt zu datieren waren;
denn es läßt sich sagen, daß dann der Tag der Niederschrift ganz,
gleichgültig war, und es nur auf den der Überreichung ankam. Tat-
sächlich finden sich jedoch Daten vor. Indessen ist es wohl nicht un-
erklärlich, daß man auch den zu überreichenden Libell oft schon an
dem Tag datierte, wo man ihn herstellte. Das widerspricht also der
persönlichen Überreichung nicht und kann gleichgültig genannt werden.
Umgekehrt ist es nicht gleichgültig, und wie mir scheint ein deut-
licher Hinweis auf die persönliche Einreichung, daß daneben auch un-
datierte Libelle vorkommen. Ein solcher ist z. B. Flor. 36, welcher
nur in 1. 31 das (lateinische) Datum der vnoyQatprj. aber keines der
Niederschrift enthält. Ebensowenig findet sich nebenbei bemerkt
jemals ein Vermerk der Einreichung in einer Kanzlei, und niemals stebt
(ein Punkt, auf dessen Berücksichtigung mich Wilcken freundlichst
hinwies) auf dem Verso eines vitouvr^icc eine Adresse, wie es bei den
iTticroXccl die Regel bildet.
Im übrigen ergibt eine Prüfung der Daten allerdings wenig Resul-
tate, teils weil von der ohnedies nur geringen Anzahl der zivilprozessualen
Eingaben nicht alle Stücke vollständig erhalten sind, teils auch weil
wir die Konventszeiten auch heute noch nur sehr unvollständig kennen
und meist auf allgemeine Vermutungen angewiesen sind. Dennoch
möchte ich eine Beobachtung nicht unterdrücken, zu der mich die
Untersuchung dieser Frage geführt hat, so verfrüht sie auch bei der
obigen Sachlage erscheinen mag. Wir wissen durch Wilcken, daß
der memphiti8che Konvent derzeit nur für die Zeit zwischen zweite
Hälfte des Januar bis zweite Hälfte April nachweisbar ist, und Wilckex
hat mit guten Gründen vermutet, daß dies seine regelmäßige Jahres-
zeit bildet. Damit würde es nun wohl verträglich sein, daß gerade
die sicheren ixiavolai, welche aus dem memphitischen Konventssprengfl
stammen, vom Monat Pachon datierten, in welchem nach allem, was
wir wissen, der Konvent schon vorbei war. Es sind das zwei Briefe,
welche laut des Dionysiapapyrus der Gymnasiarch Chairemon um Rück-
stellung seiner Tochter aus der ihm mißliebigen Ehe an zwei Präfekten
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXH. 8
94 Ludwig Mitteis:
4. Es ist nunmehr die Frage zu erörtern, welchen pro-
zessualischen Zweck die dem Statthalter überreichten Ein-
gaben verfolgten.
Da ist zunächst bezüglich der EiaGxoXcd zu bemerken,
daß von einem bestimmten prozessualischen Zweck nicht die
Rede sein kann, und zwar deshalb, weil sie überhaupt außer
der Ordnung sind. Die Partei konnte hier auf Erledigung
überhaupt nicht mit Bestimmtheit rechnen, sondern mußte
sich gefallen lassen, auf den Prozeßweg verwiesen zu werden.
Allerdings ist, wie wir später sehen werden, die Praxis mit-
unter eine mildere gewesen und hat der Präfekt sich auch
gerichtet hat; davon ist der eine (Oxy. 237 VI 15) an Longaeus Kufus
adressiert und von diesem subskribiert am 27. Pachon, also jedenfalls
auch in diesem Monat geschrieben; der andere trägt (1. 20) das Datum
Pachon ohne Tagesangabe. [Nur V 27 erscheint noch eine iniöToXri
vom Tybi 186. Ob damals der Konvent in Memphis noch nicht be-
gonnen hatte oder Chairemon aus anderen Gründen die Briefform -wählte,
muß dahingestellt bleiben.] — Andere Daten zeigen die Libelle; so ist
BGU. 327 (Faijüm a° 166) datiert vom 6. Pharmuthi; BGTJ. 378 (Faijüm)
gleichfalls noch vom Pharmuthi, wenngleich frühestens den 20. Wenn
die in BGU. 613 1. 9 — 25 erwähnte im Faijüm gefundene Eingabe
dort auch verfaßt ist, so ist auch für sie das Datum Pharmuthi 5
(1. 25) zu bemerken. [Daß auch die vitoiivrniata. Oxy. 71 (a° 303) und
Grenf. 2, 78 vom Phamenoth datiert sind, will, da sie schon der
nachdiokletianischen Zeit angehören, wenig besagen, obwohl möglicher-
weise die Gerichtszeiten nicht wesentlich verschoben worden sind.
Oxy. 3, 486, 18 fg. (vom Phaophi) ist in Alexandrien geschrieben, wo zwar
für diese Zeit kein Konvent bezeugt ist (Wilcken, Arch. 4, 420), aber
sessiones de piano gewiß zu allen Jahreszeiten stattgefunden haben.
Das gleiche gilt von der Eingabe, deren Eh-ledigung in BGTJ 614, 18
vom 30. Choiak stammt; der Petent diente in der alexandrinischen
Garnison, 1. 20.]
Ich betone nochmals, daß ich auf diese Zusammenstellung wenig
Gewicht lege, auch nicht verkenne, daß im Pharmuthi der memphitische
Konvent meist schon zu Ende geht — wenn nicht früher — ; aber die
Möglichkeit, daß das Datum hier überall mit einem solchen zusammen-
hängt, wollte ich betonen. Sollte sich übrigens in diesem Punkte
auch in Hinkunft keine Bestätigung ergeben, so würde der oben ge-
zeigte Gegensatz von iTti(sxolr\ und hno^vi^a dadurch natürlich nicht
beseitigt werden.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeini.icitung. 95
einer in dieser Form angebrachten Beschwerde angenommen;
aber das war jedenfalls bloße Konnivenz. Dieser Punkt muß
also ausscheiden.
Bezüglich der ordnungsmäßigen bjzo[ivtf[ictTCt dagegen ist
zunächst die Frage aufzuwerfen: Werden sie nur in ein-
seitigem Erscheinen des Klägers überreicht, oder kann ein
vTto^vr^cc um Rechtsschutz auch überreicht werden, wenn
der geladene Beklagte bereits zur Verhandlung erschienen ist?
Der letztere Gedanke liegt ja zunächst nicht nahe und
scheint auch dem Wesen der Mündlichkeit wenig zu ent-
sprechen. Und darum würde man die Überreichung des
V7t6{ivi]iicc im Beisein des Beklagten keinesfalls so zu ver-
stehen haben, daß sie die eigentliche Editio actionis ist, die
vielmehr mündlich erfolgen mußte, sondern höchstens so, daß
sie eine schriftliche Fixierung des — daneben immer not-
wendigen und allein maßgebenden — mündlichen Vortrages
enthält. Indessen ist meines Wissens kein Fall eines in der
Verhandlung überreichten Libells nachweisbar. Vielmehr
werden die bis jetzt vorhandenen als in einseitigem Erscheinen
überreichte aufzufassen sein.
Was nun den Zweck dieser betrifft, so hat zunächst
Baron1) ohne Kenntnis der Papyrusurkunden daran gedacht,
daß im Denunziationsprozeß der Litis denunciatio an den
Beklagten eine Anzeige des beabsichtigten Rechtsstreits an
den Magistrat parallel gehen mußte, und man könnte unsere
vTtoiLVTquatcc als diese Anzeige auffassen wollen. Aber so
ansprechend die Annahme ist, daß der Magistrat über die
auf dem Konvent zu erwartenden Sachen im vorhinein habe
informiert werden müssen, so ist sie doch weder bewiesen2)
noch ist bei unsern Libellen es wahrscheinlich, daß sie diesem
1) Abhandl. a. d. röm. Ziv.-Proz. 3, 34.
2) Für Vat. fr. 156, worauf Baron sich stützt, ist es vielleicht richtig,
daß hier der erste Libell an den Praetor eine bloße Anzeige enthält;
denn er kann u. U. durch libelli contestatorii ersetzt werden (1. c. i. f.).
Aber dort handelt es sich um Wahrung der fünfzigtägigen Exkusations-
frist, was eine genügende Erklärung des Libells enthält.
8*
96 Ludwig Mitteis:
Zwecke gedient haben. Denn niemals ist in ihnen von einer
beabsichtigten oder schon erfolgten Ladung die Rede. Wenn
ferner, wie oben gezeigt1), die vjto^vrj^ara aus dem Faijüm
bestenfalls nicht vor der Konventszeit datiert sind, so kamen
sie offenbar zu spät, und es wäre zum Zweck bloßer Informa-
tion viel praktischer gewesen, sie vor dem Konvent zu über-
reichen. — Ebensowenig ist mir wahrscheinlich, daß man mit
solchen Eingaben etwa erst die Erlaubnis zur Ladung des
Beklagten einholen wollte. Zwar gibt es einen Papyrus, wel-
cher bei der litis denunciatio eine Erlaubnis des Magistrats
tatsächlich namhaft macht, nämlich Amh. 81, wo jemand einem
anderen eine itccQccyysXi'cc zustellen läßt, TtQoöTStaxotog rov
y)yen6vog (1. 5)2); doch läßt sich aus diesem alleinstehenden
Fall nichts folgern, zumal keine andere TtaoccyyeXia auf Ahn-
liches anspielt. — Eine positive Antwort auf die an die
Spitze gestellte Frage scheint mir überhaupt bei unserem
heutigen Material noch nicht gegeben werden zu können; in
manchen Fällen mag mit dem Libell die Evokation des
Beklagten, welche jedenfalls sicherer wirkte, als die private
Litis denunciatio, bezweckt gewesen sein3), aber Bestimmtes
läßt sich nicht sagen.
5. Was die Erledigung der Eingaben betrifft, so läßt
sich für die sitiötoXaC ein allgemeiner Grundsatz nicht nach-
weisen. Der Statthalter ist zur sachlichen Behandlung, da
er sie verboten hat, jedenfalls nicht verpflichtet. Dennoch
finden wir gerade in Oxy. 257, daß er sie nicht zurückweist,
sondern dem Strategen — durch v%oyqa(fX[ oder besondere
siziGtoXrj — aufträgt, über die Sache Erhebungen anzustellen
(VI 15. 32; cf.V 6 — 8). Die statthalterliche Kognition ist eben
unbeschränkt und kann von allen Formen abstrahieren.
1) S. 93 A.i.
2) In Lips. 32, 9, wo einer eine Ladung vollzieht 'i£ ivHsXsvßEong
rov Kgaziatov iiuoxQarriyov'., könnte, weil ein Offizial des Epistrategen
interveniert, Evokation vorliegen.
3) In einem Libellus des 4. Jhd. wird um Evokation ausdrücklich
gebeten, Oxy. 71 I 20.
Zun Lehre von den Libellen und deu Prozeszeinleitung. 97
Bei den v^ofivyjßuru dagegen treten derzeit hauptsächlich
zwei Arten der Behandlung entgegen.
A. In zwei Fällen erteilt der Präfekt die vxoyQacprj: El'
n Öt'xtuov £%£ig, rovrco %Qi]6frai dvvccöcci. Das kommt vor
in BGU. 614, 18 — 19 sowie in Oxy. 237 V 37, wo wohl zu
lesen ist: [Olg ^X£r]£ ümmcCoiq %qy\<3&ui dvvaö&ui (= -öds).1)
Ich habe diese Subskription, die in ihrer Inhaltslosigkeit eigent-
lich befremdet, früher dahin gedeutet, daß damit „Immediat-
eingaben" auf den ordentlichen Rechtsweg (Konvent) ver-
wiesen werden. Hier ist jedenfalls schon die Fassung jetzt
insofern abzuändern, als auch die oben zitierten Libelle rich-
tige fistofivtfiiaxct gewesen sind (sie werden ßißXidta genannt,
Oxy. 237 Y 30, BGU. 614, 12, nicht stciötoAcu) und als man
ein in der ordentlichen Sitzung überreichtes vxöuinjuu nicht
zu den an sich unzulässigen Immediateingaben stellen darf;
außerdem halte ich jene Erklärung nicht mehr für absolut
geboten. Es kann richtig sein, daß in beiden Fällen eine
abnormale Verfügung begehrt war, bezüglich deren die Partei
stillschweigend ab- und auf das ordentliche Verfahren hin-
gewiesen wird; wenigstens in BGU. 6142) ist die Eingabe in
1) Wahrscheinlich hahen Mann und Frau gemeinsam eingereicht,
daher der Plural.
2) Die Auslegung dieses Papyrus bereitet freilich viel Schwierig-
keit: der Kläger wendet sich mit der imoyqcccpri des Statthalters an
den Archidikastes um Zustellung der Ladung an die Beklagten, weil
er wegen Militärdienstes nicht sig rovs roTtovg kommen kann (1. 20 ...
Dies ist wohl dahin auszulegen, daß gewöhnlich die Ladung durch die
Lokalbehörden besorgt wird und hier nur ausnahmsweise durch den
Archidikastes. Aber erstens: dieser verfügt nicht sofort die Ladung,
sondern sagt nur ' [acctprjs iotiv] (diese Ergänzung schlägt mir Wilcken
nach 1. 26 mündlich vor) i} xov X. rjys^övog vizoyQctcprj' ; erst auf ein
zweites Gesuch läßt er zustellen. War etwa das erste Gesuch nur eine
Anfrage, nicht mit den erforderlichen Exemplaren für den Gegner aus-
gestattet? Oder hatte der Mann nicht genügend betont, daß er aktiver
Soldat sei und darum nicht ins Faijüm reisen könne? Zweitens: im
zweiten Gesuch wird anscheinend geladen zum Archidikastes selbst,
nicht zum Statthalter. Wodurch die Kompetenz des ersteren begründet
sein sollte, wissen wir nicht. Zweifelhaft bleibt auch, ob die Beklagten
g8 Ludwig Mitteis:
Alexandrien übergeben, während die Beklagten zum memphi-
tischen Konventssprengel gehören, und daß man regelmäßig
die Parteien nicht aus ihrem Konventssprengel hinauszitierte,
zeigt BGU. 908, 16 — 20. Anderseits läßt sich aber auch
denken, daß der Statthalter nur deswegen so allgemein ver-
fügt, weil er ohne Erscheinen des Gegners das Verfahren
nicht einleiten kann und doch nicht geneigt ist eine Evokation
oder eine der sofort zu besprechenden Delegationen zu voll-
ziehen; dann würde er also der Sache einfach ihren Lauf
lassen und damit den Gesuchsteller stillschweigend zur privaten
Litisdenunciatio zwingen.
B. Ganz anders lautet die zweite Art von viioyQcccpttC, bei
welchen die Verweisung an einen Unterbeamten des Präfectus
stattfindet; sie beginnt immer mit evxv%£ (ra> dslvu). Dabei ist
nun aber, soweit die vjioyQuyt] wörtlich überliefert ist und nicht
bloß in Berichten über sie referiert wird (wie Straßb. 41, 18;
Lond. 2 p. 1 72 1. 18; BGU. 5 II 17. 87 1), wieder zu unterscheiden.
Entweder ist bloß die Verweisung ausgesprochen, ohne
beschränkenden Zusatz, die vxoyQucpTq besteht dann bloß in
drei bis vier Worten (außer dem Datum und anderen Zusätzen).
So in Oxy. 486, 37: [fiJ de vnoyQacpi] ovxa]s 'e%et' "Evxvye
tcö S7Ci6tQaxriy(p. So auch in BGU. 582, wo wir allerdings
nicht wissen, ob es sich um Privatprozeß handelt, weil bloß
die vTtoyQacprj erhalten ist.1) Auch die bloß referierten Ver-
weisungen in BGU. 5 II 17 (evxv%elv xco öXQax^ya) , und
Lond. 2 p. 1 7 2 1. 1 8 scheiueu, wenn in den Referaten nicht ge-
kürzt worden ist, ebenso lakonisch gewesen zu sein. Dem ist
es vielleicht gleichzustellen, wenn auf das evxvye noch der
Zusatz folgt cbg xä TZQoörjxovxcc zioir\<5eC wie in BGU. 256, 33 2),
beim Archidikastes in Alexandrien zu erscheinen hatten oder auf dem
Gaukonvent.
1) Auf freiwillige Gerichtsbarkeit bezüglich — übrigens revisions-
bedürftig — ist die vnoyQKcpri in BGU. 448.
2) So auch — jedoch verwaltungsrechtlich und vielleicht nicht
vom Statthalter sondern vom Epistrategen herrührend — BGU. 180, 28;
648,26; cf. 15 I 16. Vgl. Wenger, a. 0. 129 fg.
Zur Lehre von den Libellen und der Pkozeszeinleitung. 99
wo wohl zu lesen ist: [evxvxt ttä] kqutCötio \txi6xQax]ijyo)
\og XCC TlQOÖ)'l'/.Ov\xU XOUjÖfL.1)
C. Davon sind zu unterscheiden die Fälle, wo dem rtvxi<yj-
xco öelvi" noch ein den Umfang der Verweisung beschräu-
kender Zusatz beigefügt ist, wie c8g, luv xi xrjg ififjg du<-
yvaösag xatccXdßj}, &i tut avuxk^ai \ so die Verweisung
an den Strategen Oxy. 237 V 7, vgl. BGU. 1085, erg. vom
Herausgeber (letzteres Yerwaltungssache; die Person des
Delegierten nicht genannt); vielleicht auch BGU. 871, 10
(cf. 1. 11).
Unbenutzt muß das Indorsat auf Teb. 433 descr. bleiben,
welches lautet: dialruMpaxui tu£xat,v rjficbv 6 cxQccxqyög, weil
über den Inhalt der Eingabe von dem Herausgeber nichts
mitgeteilt ist.
Ich bemerke nun sofort, daß die unter C. bezeichnete, die
Tätigkeit des Beamten, an den verwiesen wird, beschränkende
vxoyQccquj den Fällen sehr nahe steht, wo eine gleiche be-
schränkende Verweisung vom Oberbeamten im Laufe einer
mündlichen Verhandlung angeordnet wird. Diese Fälle kommen
unten zur Sprache (S. 122) und von ihnen unterscheiden sich
die gegenwärtigen nur dadurch, daß die Verweisung hier eben
schon auf die Eingabe, ohne mündliche Verhandlung, ergeht.
In der Sache ist hier wie dort nur gemeint: der Unterbeamte
soll kommissarische Verhandlungen pflegen und (wenn ihm
nicht bei dieser Gelegenheit eine gütliche Vereinigung der
Parteien gelingt) die Akten vorlegen. Daß dies gar keine
wahre Delegation ist, liegt auf der Hand. Die Tätigkeit des
Unterbeamteu endigt hier vielmehr mit dem, worauf ich für
einen ähnlichen Fall (Delegation des Strategen durch den
Epistrategen) schon im Hermes 30, 581 hingewiesen habe: mit
der Aktenvorlage an den Oberbeamten, BGU. 168: Tä vy
1) Anders jedoch BGU. 648: %vrv%b x& azqarriym, bg rä iccvrro
^igo6i]-Kovra noir\6ti Hier ist durch das iavrä die Tätigkeit des Stra-
tegen auf ein Kommissariat beschränkt. Übrigens ist der Anfang des
Papyrus nicht erhalten, und wohl möglich, daß die Eingabe überhaupt
nicht an den Präfekten gerichtet ist, sondern au den Epistrategen.
ioo Ludwig Mitteis:
ixccTEQOv [itQovg ks%&£vxu, sagt dort der Strateg, toig-
vxo{iVTJ[ic«jt ecvslrjficp&rf. 'AvuzeuTtco ovv rö TCQäyua exi
xbv üQUTLörov a7ii6tQccTi]yov. Daß dabei jedenfalls der Dele-
gatar den Belangten zu evozieren hat, sei nur nebenbei
bemerkt.
Es ist aber sofort hervorzuheben, daß diese Betrauung
mit kommissarischen Erhebungen sich, soweit unser der-
zeitiges Material reicht, nur auf den Strategen bezieht, nie
auf den encörQcirrjyog. Und umgekehrt, wo die einfache vjto-
yQuyri — evrv%£ ohne beschränkenden Zusatz vorkommt,
geht sie in Zivilrechtssachen immer an den Epistrategen; denn
der m. W. einzige1) Fall, wo in dieser Weise an den Stra-
tegen verwiesen wird, ist nur in unverläßlichem Referat er-
halten und nicht einmal sicher auf eine Zivilreehtssache zu
beziehen.2) Allerdings ist die Zahl der überlieferten vno-
yQucpui noch keine große, so daß es bedenklich erscheint, aus
ihnen Induktionsschlüsse ziehen zu wollen.3; Dennoch ist die
Tatsache als solche der Feststellung und Beachtung nicht
unwert.
Welche Bedeutung aber hat nun die einfache vTtoyQccqrj
'"Evtvxs9 ohne Vorbehalt der statthalterlichen Definitiv-
entscheidung? Hat sie die weitere Wirkung, dem Mandatar
eine Entscheidungsgewalt zu übertragen? Oder gilt auch bei
ihr jener Vorbehalt der statthalteiiichen Reservatrechte als
selbstverständlich, so daß dem Mandatar nur eine vorbereitende
Tätigkeit und wie natürlich auch die Aufgabe zukäme, nach
Möglichkeit eine friedliche Beilegung herbeizuführen?
i) BGU. 5 II 17. In BGU. 180 liegt deutlich Verwaltungssache vor.
In BGU. 870, 11 ist der Inhalt der vnoygacpri nicht mehr festzustellen.
In BGU. 168,20 liegt bloße Delegation durch den Epistrategen vor,
die ganz anders zu beurteilen ist. Ebenso in Teb. 327, 38; 439 desc.
2) Daß von Teb. 433 Verso wegen der Unbestimmtheit des Stückes
abgesehen werden muß, wurde schon bemerkt. Wie Dr. Hunt mir
freundlichst mitteilt, hat das lateinische Rekto mit dem Verso keinen
Zusammenhang.
3) Dies auch mit Rücksicht auf die immerhin bestehende Mehr-
deutigkeit von BGU. 256, 33, s. oben S. 98/9.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. ioi
Die Urkunden1) geben darauf keine ganz bestimmte Ant-
wort. Aber der überwiegende Eindruck ist der, daß hier
Delegation der ganzen Verhandlung mit dem Recht der End-
entscheidung bezweckt ist. In Oxy. 486,37 ist solche im In-
dorsat ergangen und die Partei schildert ihre Bedeutung in
1. 12 dahin, sie sei an den Epistrategen verwiesen, um daselbst
'Gericht zu finden' {xQid-rjöo^ievr]), und bittet diesen, weil sie
am Konventsort, wo sie bis jetzt gewartet, nicht länger bleiben
kann, er möge ihr an ihrem Wohnort Recht sprechen (&u-
TQ£il>ca tus avuTCtevöcu xQL$i]6outvrtv vii6 6ov exi räv rojtcov).
Darauf wäre freilich noch nicht allzuviel GeAvicht zu legen; denn
daß die Gesuchstellerin den Epistrategen als wirklichen Richter
ansieht, beweist noch nicht unbedingt, daß er eine wahre
Definitivsentenz geben konnte.2) Ernster jedoch ist Straßb. 41,
1 8 fg. - wieder v%oyQU(pi\ des Statthalters mit V erweisung an den
Epistrategen: Darauf hat der Epistrateg eine Zustellung an
den Prozeßo-egner verordnet, die auch unter Zuziehung seines
Offizialen erfolgt ist; schließlich findet sich eine Verhandlung
vor einem nicht näher charakterisierten Hermanubis, der etwa
Strateg oder Centurio und möglicherweise vom Epistrategen
delegiert worden ist. Diese Verhandlung liest sich wie ein Ge-
richtsprotokoll: Anwälte sind anwesend, es wird von dixdöiuog
{rjfitQa) gesprochen, schließlich sagt anläßlich einer Termin-
verlegung jener Hermanubis: "wenn die Beklagte beim neuen
Termin nicht erscheint, werde ich erkennen, wie ich es für
gut finde' (1. 503)) und ordnet eine Kaution an, die am leich-
testen als Cautio judicatum solvi verstanden werden könnte.
1) Auch auf D. 1. 18. 8. 9 kann man sich nicht unbedingt stützen.
Denn wenn dort die Subscriptio des Kaisers 'Eum qui provinciae
praeest adire potes" (= ivxv%£) als eine Verweisung zur Entscheidung
gilt, so ist zu bedenken, daß der Praeses provinciae ja die ordentliche
Gerichtsbarkeit schon besitzt.
2,) Aber wahrscheinlich ist es docb in hohem Grade; denn zuerst
hatte er sich ja für inkompetent erklärt und wenn er nun neuerlich
als KQirrjg bezeichnet wird, ist wohl die Meinung, daß er jetzt durch
Delegation Kompetenz erlangt hat.
3 = Lips. 32, 14.
102 Ludwig Mittels:
Nun ist ja jenes Protokoll mit Vorsicht zu gebrauchen, weil
in der Mitte eine Kolumne fehlt; aber wenn, was ich für
wahrscheinlich halte, Hermanubis wirklich vom Epistrategen
delegiert war, hat man hier doch den Eindruck, daß aus jener
vnoyQafpiq schließlich eine Definitivsentenz erwachsen konnte.
Ins Gewicht fällt auch, daß in I 2 1 jene vTtoyoacpY) von einem
der Advokaten als dvaTio^Trrj bezeichnet wird. In BGU. 19
II 2 ist denn auch einmal von einer Sentenz eines Epistra-
tegen die Rede. Verstärkend kommt noch eine Stelle aus
den von Mommsen bei anderem Anlaß angezogenen Schul-
dialogen (vom Anfang des 3. Jahrh.)1) hinzu; dort ist zu sprach-
lichen Übungszwecken eine Konversation über einen bevor-
stehenden Prozeß vorgeführt: Kqixy'iqloV nobg xiva; Teobg xbv
xaiLiav] Ovx ixel. 'Allä Ttobg xbv dv&vjtaxov; ovd' exsl, alle:
TCQog xovg ao%ovxag i% vjroyQccq)fjg xov disttovxog xijv inccoiluv.
Danach soll bei den städtischen Magistraten (uQ%ovxsg) e|
v7ioyQU(prig des Statthalters ein Prozeß entstehen können, und
der weitere Verlauf dieses Verfahrens wird dort auch aufs
deutlichste so geschildert, daß man gar nicht bezweifeln kann,
es handelt sich um meritorische Entscheidung, nicht um
bloßes Kommissarium: rol xgixal . . . i^soccv ruilv Maxav xijv
GijfieQov . . ., dib ßovlofica <5ov itaoovxog jisqI xf\g dixrjg 6vv
xolg övvrjyÖQoeg öxei^aö^ai. — "Aya\i£v tjfislg Ttobg xbv tqk-
jts£ixt]v, laßaixsv TtaQ uvxov öijvccqlcc ixaxöv, düpsv dtxoloym
Tifiixco xcel xolg Gvvriyoooig xal reo voxixco, Xva öJiovdcciöxeoov
sxÖLxrjöaöLV i)[iäg\ Sodann wird der Beginn der Verhand-
lung erzählt: TlaQr}yyeilag avxa (sc. dem Beklagten); IJaQyyy-
yula. 'EiiccQxvQ07ioC)]6ag] , E^aQXVQOTCohjöa. "Exoifiog %6o:
"Etoi^iog sl^ii. Kai 6 ävxi'dixog hvxvytlv &eIel. Und zuletzt:
UuDTtrjV £%sxe, dxovöoj^isv xi]v axocpttöLV. "HxovGag oxi Ivi-
xrj6a[i£v, Fdte] — So wenig man in diesen zusammengewürfelten
Sprachbrocken eine authentische Quelle finden darf, so sind
sie doch im Zusammenhalt mit den sonstigen Indizien nicht
ganz zu ignorieren.
1) Bei Haupt, opusc. 2, 512.
Zun Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 103
Daß Delegation durch bloße vxoyQCMpy juristisch möglich
ist, kann denn auch nicht geleugnet werden; gewiß kann der
Statthalter seine Jurisdiktion, wie überhaupt und im ganzen,
so auch in der Form der VTioyQatpij für einen einzelnen Fall
delegieren. Ich würde die Frage überhaupt als zweifellos be-
handeln und kein Wort darüber verlieren, wenn nicht ein
spezieller Umstand Bedenken erregen könnte.
Es hat nämlich in Lond. 2 p. 172, 15 fg., wo eine v7toyQCi<p)\
auf *&wv%£lv t(5 £jii6TQccx7]y<p' vorlag, der Epistrateg die Sache
doch nicht finalisiert; die Partei wendet sich darum an den
Statthalter, 'weil die Sache seiner Entscheidung bedürfe'.
Daraus könnte man schließen, es habe an der Volldelegfation
gefehlt.
Aber sicher wäre der Schluß deshalb nicht, weil es denk-
bar ist, daß der Epistrateg sei es aus Ängstlichkeit sei es
aus Mißverständnis den Umfang seines Auftrags einschränkend
ausgelegt und die Sache ohne Notwendigkeit der statthalter-
lichen Entscheidung vorbehalten hätte. Ich würde diese Mos-
lichkeit nicht anzudeuten wagen, wenn es für solche Vor-
kommnisse nicht ein sicheres Quellenzeugnis gäbe, wonach
die Jurisdiktionsmandatare wirklich mitunter in der Hand-
habung ihres Mandats eine übergroße Vorsicht walten ließen.
J. J. 294 ergeht die Instruktion C. J. 3,3,3: Placet ut iudicibus,
si quos gravitas tua disceptatores dederit, insinues ut delegata
sibi negotia sententia determinent nee in his causis in qui-
bus pronuntiare debent et possunt, facultatem sibi remittendi
patere ad iudicium praesidale cognoscant sqq. Sollte in
Lond. 2 p. 172 ein Beispiel hierfür vorliegen?
Übrigens erhebt sich an diesem Punkt noch eine weitere
Schwierigkeit. In dem oben (S. 10 1) erwähnten P. Straßb. 41
hat der Epistrateg, also wie ich glaube der Delegatar, eine
Subdelegation vorgenommen. Denn der in dem Papyrus ver-
handelnde Beamte ist allem Anschein nach ein niederer als
der Epistrateg, an welchen die Delegation ergangen war.
Nun aber ist ein bekannter Grundsatz, daß die mandierte
Jurisdiktion nicht weiter mandiert worden kann: der Manda-
104 Ludwig Mitteis:
tar kann wohl im ordentlichen Verfahren einen Geschworneil
ernennen, denn dies ist keine Übertragung seiner Amtsgewalt,
nicht aber im Kognitionsverfahren einen iudex pedaneus. —
Indessen ist auch diese Schwierigkeit nicht für unüberwind-
lich zu betrachten; denn jene Regel konnte doch wohl durch
spezielle Ermächtigung zu Subdelegationen beseitigt werden1);
ja es kann hierüber sogar ein allgemeines Regulativ bestanden
haben, welches bei gewissen höheren Delegataren eine generelle
Ausnahme von der Regel schuf2), und es wäre bei der sicher
großen Anzahl von Verweisungen, welche an die Epistrategen
ergangen sind, auch praktisch nur begreiflich, wenn ihnen
die Weiterverweisung, gegen das abstrakte Prinzip, freigestellt
worden wäre.
§ 8. Zusammenfassung.
Mit diesen Andeutungen will ich die Libelle der vor-
diokletianischen Zeit verlassen. Werfen wir nun einen zu-
sammenfassenden Rückblick auf ihre verschiedenen Arten, so
lassen sie sich nunmehr folgendermaßen nach sachlichen
Gesichtspunkten gruppieren, wobei die nach der analytischen
Darstellung der vorigen Paragraphen scheinbar vorhandene
Vielgestaltigkeit" sich auf ziemlich einfache Verhältnisse redu-
zieren läßt. Es gibt
i. Eingaben behufs polizeilichen oder friedensrichter-
lichen Schutzes (§§ 2 und 5), gerichtet bald an die niedersten
Polizeiorgane (Hekatontarch u. a.), bald an den Strategen und
1) Daß der Epistrateg — und entsprechend in anderen Delegations-
fällen auch andere Beamte — außer der von der Partei ihm zu pro-
duzierenden vTtoygcKpri noch durch einen internen Dienstbefehl beauf-
tragt wurde, sich mit der Sache zu befassen, ist wohl glaublich und
entspräche dem Iussus iudicandi beim Geschworenen. 'ExigtoXcü ge-
nannt, finden sich solche Dienstanweisungen mehrfach, wenngleich in
anderer Anwendung; BGU. 245 II 4 — 5; Oxy. 237 VI 32, cf. 1. 15 u. a.
In BGU. 613, 4 bekommt der Delegatar von Amts wegen ein Exem-
plar des Libells mit der vnoyQccyri.
2) Auf diesen Gesichtspunkt hat mich Wlassak freundlichst brief-
lich aufmerksam gemacht.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 105
selbst Epistrategen. Sie führen nie zu einem Prozeß, außer
etwa indirekt, wenn der angegangene Beamte die Parteien
zum Erscheinen vor dem Präfekten anweist, was jedoch
selten zu geschehen scheint (S. 82/3).
2. Eingaben behufs Vormerkung der Streitsache im
y.aruxcoQiafiog, meist — aber nicht ausnahmslos (S. 75) —
an den Strategen gerichtet. Sie kommen besonders oft vor,
wo der Gesuchsteller den Anstifter eines Schadens oder die
Höhe des letzteren nicht kennt; und haben dann bloß eine
Protestation (vielleicht zum Ausschluß der Verjährung oder
behufs behördlicher Erhebungen) zum Zweck; in manchen
Fällen ist jedoch die xcctaxcoQLö^ög-Bitte auch mit einer Bitte
um Polizei- oder friedensrichterlichen Schutz, ja einmal selbst
mit einer Ladung verbunden.
3. Eingaben mit der Bitte, sie dem Gegner als Laduncr
auf den Konvent zuzustellen.
4. 'EtciöxoXuC und
5. v7to{iv)}iiccTcc an den Präfekten (resp. Juridicus, Erz-
richter).
Nur die Konventsladungen (Z. 3) und die vTtofivij^ata
an den Statthalter, Juridicus, vielleicht auch Archidikastes
(Z. 5) vermögen direkt zur Einleitung eines Prozesses (cog-
nitio extra ordinem) zu führen.
Wie nun diese zustande kommt, wäre zunächst zu unter-
suchen.
Hier aber ist zu bemerken, daß die Papyri der vor-
diokletianischen Zeit an diesem Punkt versagen. Das Wenige,
was wir darüber aus den Papyri zu ermitteln vermögen, be-
schränkt sich auf die Zeit des vierten Jahrhunderts. Dem-
gemäß wird von dieser Frage erst bei Betrachtung der
jüngeren Papyri die Rede sein können.
io6 Ludwig Mitteis:
IL Libelle und Prozeßbeginn im vierten Jahrhundert.
§ 9-
Ich wende mich nun zum Schluß zu den Prozeßpapyri
der nachdiokletianischen Zeit. Die maßgebenden Urkunden
sind Oxy. 67 und 71; Lips. 33 und 38; Grenf. 2, 78; Flor. 36;
Amh. 142; vgl. auch CPR. 19; Lond. 3 Nr. 971 (p. 128) und
CPR. 2S3, letztere beiden allerdings zunächst verwaltungs-
rechtlichen Inhaltes.
Das Charakteristische dieser Urkunden ist ein Doppeltes.
Erstens das Fehlen jeder Anspielung auf den Konvent, was
sicher damit zusammenhängt, daß dieser jetzt gänzlich unter-
gegangen ist und die Rechtsprechung am festen, nur mit-
unter gelegentlich von Amtsreisen verlegten Amtssitz des
Statthalters stattfindet. Zweitens ist Ägypten seit Diokletian
in Teilprovinzen zerlegt, und darum muß man in dieser Zeit
auch mit der Gerichtsbarkeit der Präsides (rtye^iövsg)1) der
Teilprovinzen rechnen. Ich sage jedoch nur 'auch'; denn
die Papyri zeigen, daß auch im vierten Jahrhundert der
exaQ%og Alyvnxov in der Ausübung der Gerichtsbarkeit über
das ganze Land nicht beschränkt ist. So sind in Oxy. 71 I
und II zwei (vielleicht sogar drei)2) gerichtliche Eingaben aus
Arsinoe aus dem Jahr 303 an ihn gerichtet, und daß das
keine bloßen Mißgriffe sind, zeigt Oxy. 1, 67 v. J. 338, wo
der Eparch wirklich für Oxyrhynchos einen Richter bestellt,
obwohl die Stadt in dieser Zeit zu Aegyptus Herculia gehört.3)
Anderseits wendet in Grenf. 2, 78 v. J. 307 der in der großen
Oase wohnende Beschwerdeführer sich an den diaörj^iörarog
1) 'Hytfimv steht jetzt im festen Gegensatz zum HxccQxog. Da in
Oxy. 1, 67 die Ergänzung [Alyvitzov] in 1. 4 durch ein Parallelexemplar
gesichert ist, bleibt außer der sehr verdächtigen Inschrift C. I. G-. 4772
(vgl. meine Bern, in Mel. Nicole 369) kein Beispiel eines ^aQ^og einer
Teilprovinz vorhanden.
2) Von der dritten machen nämlich die Hgg. nur die Andeutung:
'of a third petition the beginning of lines are left'.
3) Vgl. Gelzer, Studien zur byz. Verwaltung Ägyptens (1910) 3.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitüng. 107
ijYEficav Hutqio^ 'jQQiuvög, der schon nach dem Titel riye^itov
gewiß nur Praeses iThebaidis) gewesen ist1), und in den
übrigen Prozeßpapyri des vierten Jahrhunderts ist die Juris-
diktion desselben zweifellos. Es haben also die Präfekten
und fjysfiöveg eine konkurrierende Gerichtsbarkeit neben-
einander ausgeübt.
Da die Präsides an die Stelle der früheren Epistrategen
treten, so fehlt in dieser Zeit durchaus der Epistrateg, und
ist die so häufig stattfindende Anrufung dieses durch die
Parteien sowie seine Delegation durch den Statthalter hinweg-
gefallen. Sehr bald beginnen aber auch die Strategen zu
fehlen; auch dieses Amt wird jetzt beseitigt. Den Zeitpunkt,
in welchem dies geschehen ist, können wir freilich nicht
genau bestimmen; in Oxy. 71 I 18 v. J. 303 wird der Strateg
noch genannt.
I. Die Ladung zum Prozeß geschieht im vierten Jahr-
hundert, wie man auf Grund der Rechtsbücher allgemein
lehrt, durch die Litisdenunciatio, von der wir die Vorläufer
bereits im vorigen Abschnitt kennen gelernt haben. Es fragt
sich nun, inwiefern diese überkommenen geschichtlichen
Lehren durch die Papyri bestätigt werden.
1. Das vollkommenste, d. h. juristisch korrekteste Stück
dieser Zeit ist derzeit unzweifelhaft erhalten in Lips. 33 II
v. J. 368 2), einer in einer Prozeß Verhandlung verlesenen xeegay-
yeXCa f'| avd-£vrCag-: der Kläger erzählt, er habe schon früher
dem Beklagten die TtagayysUa (suo nomine) geschickt. Adressiert
ist dieselbe, wie man es von einer richtigen Denunciatio
erwartet, an die Gegenpartei {itUQayytXXa v^ilv), sie ist aber
überreicht beim Praeses (Thebaidis), der eine Subscriptio
daruntergesetzt hat, vielleicht (die Subscriptio ist unvoll-
kommen erhalten) die Denunciatio zu einer solchen ex auc-
toritate erhebend. Wie die Zustellung erfolgt ist, ersehen
wir nicht; nach den Gesetzen sollte sie amtlich beurkundet
1) Vgl. auch Gelzer a. 0.
2) Den Text mit allen Nachträgen s. jetzt bei Brlns-Gradenwitz
fo. 7 p. 413; nur ist hier 1. 22 'IöiSwgog statt 'IciSagov zu lesen.
108 Ludwig Mitteis:
sein. Jedenfalls stimmt dieser Papyrus mit unseren theore-
tischen Kenntnissen in allen Punkten überein.
2. Weniger durchsichtig ist die Übereinstimmung mit
den Denunziationsprinzipien bereits in Oxy. 67 v. J. 338, ob-
wohl auch dieses Stück sich mit denselben immerhin noch
vereinigen läßt.
Es enthält vier Bestandteile:
1. 1. 13 — 22 ist ein vtcö^vti^cc an den Praefectus Aegypti
um Rückverschaffung von Häusern des Klägers, welche die
Beklagten widerrechtlich besitzen (provinziale Vindikation).
Es wird gebeten, den Aetius, den TtQOTfohtavö^ievog von Oxy-
rhynchos, zum dixccötijg zu bestellen.
2. 1. 8 — 12. Auf jenes Stück hat der Präfekt eine Epi-
stola an den TrQOJioXirsvö^ievog gesetzt, worin er ihm die Zu-
stellung der 'xatcc vo^ovg naQayyElCai' und Bewerkstelligung
der tov dixaötrjQiov TtQoxäxaQ^ig befiehlt.
3. Mit dem so reskribierten Hypomnema ist der Kläger
an den Propoliteuomenos gegangen und hat ihn um Vollzug
des Befehls gebeten-, 1. 1 — 7.
4. Darauf hat dieser ein Exemplar des reskribierten
Hypomnema den Beklagten zustellen lassen; die Empfangs-
bestätigung derselben ist 1. 2^ — 24 erhalten.
Von Lips. 3^ unterscheidet sich die in 1. 13 — 22 über-
lieferte Schrift sehr deutlich dadurch, daß sie sich weder
selbst als naQwyyeUa bezeichnet, noch auch, wie es dem
Wesen einer solchen entsprechen würde, an den Prozeßgegner
gerichtet ist. Der Kläger hat vielmehr ein einfaches vtcö-
ILvrjucc an den Praefectus gerichtet und diesen um Rechts-
schutz gebeten. Wenn also so von einer TtaQuyyElCa in der
Eingabe nichts zu merken war, so muß man doch anderseits
sagen, daß der Präfekt diesen Fehler korrigiert und eine nag-
ccyyeXla aus ihr hergestellt hat. Er hat nämlich dem Kläger
ein Schreiben an den TCQOTtoXuEvo^Evog von Oxyrhynchos —
also litterae ad magistratus im Sinne von Vat. Fr. 162 —
mitgegeben, in welchem es heißt: . . . cpQovtiöov tag xaxä
vopovg avrovg (die Beklagten) 7taQayysUag VTtode^aö&ca
Zur Lehre von den Libellen und deb Prozeszeinleitung. 109
itoirjöca, h>vo[i6v t£ xvjico'd-i'jvai ryv xov ÖixuöxrjQCov tcqoxux-
uq^siv. Das heißt: der Magistrat soll eine Parangelia —
und als solche verwendet nun der Kläger sofort seine so
reskribierte Eingabe an den Magistrat an die Beklagten
zustellen und darauf die Prozeßeröffnung vollziehen lassen.
Im Endeffekt wird also auch hier eine richtige Litis-
denunciatio gehandhabt, wenngleich die Partei dabei erst
vom Präfekten auf den richtigen Weg geleitet wird; denn
ihr Libell ist ungeschickt und im alten Stil der an den Statt
halter gerichteten. Bitte um Rechtsschutz (vn6[iv)i[ia) der
früheren Jahrhunderte gefaßt, während in dieser Zeit nur
um Zustellung an den Beklagten gebeten werden sollte.1)
3. Je weiter wir jedoch an den Anfang des vierten Jahr-
hunderts zurückgehen, desto deutlicher wird der von der
eigentlichen Litisdenunciatio abweichende Stil der Prozeß-
schriften. Man sehe z. B. Oxy. 71 I v. J. 303: Bitte an den
Praefectus Aegypti um Rechtsschutz wegen eines Depositums.
1. 14 fg.: ä^iüj xal dsoiicu . . . xskevßcci, st 60t doxol, rj tw
GXQCcxrjyco )) d> eav öoxL^iäörjg^ tTZavayxcajd-fjvea xov 2J(bxav
[ist ivsyyQcov kri^scog . . . xrjv anodoöLV xoir'jOaö'&ca, 1] ccyvo
jiiovovvxa 7tuQCiJi£iicpd-fivcu £tiI xb dbv [isycctiov.
Also Bitte um Zwang mit pignoris capio, eventuell um
Evokation durch den Statthalter; und ebenso Flor. 36
v. J. 3 1 2 : STcavayxaöd-ijvat xhv ZaxaCova xrjv xov vlov yafie-
xr)v ccTioxaxuöxriöaL 1) drjlovoxi xivrjd,rjo'Excci sig xb tibv ä%occv-
xov Sixcy.6xi]OLov. Also wieder Bitte um Ladung.
4. Ahnlich Amh. 142 (4. Jhd.): [a|tö diu] v7ioyoacpr\g
1) Auch CPR. 233 v.J. 314 ließe sieb allenfalls so auffassen, wenu
er überhaupt zivilprozessualen Charakters sein sollte. Nach 1. 5/6 hat
hier der Praeses Thebaidis auf eine Eingabe subskribiert: 6 7tQca7r6cLTo<
rov näyov rfjg Gvvrj&ovg yscoQyiccg £%fO&c<i rovg aovg {i[io&coTug] hcctk-
vayuÜGEi [. . .]z> avroig tr]Qov[ievov si' xivcc»£vXoyov fyoisv — dabei könnte
Zustellung der Eingabe durch den Praepositus zum Zweck der Denun-
ziation vorausgesetzt sein. Doch wäre dies einerseits vollständig an-
haltlose Vermutung, und vor allem: es handelt sich wahrscheinlich
um polizeilichen Arbeitszwang gegen Feldarbeiter, so daß das Stück
keine prozessuale Bedeutung hat.
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 9
1 1 o Ludwig Mitteis :
xiXsvöcu tg) TtQounoöCxG) x&)v x&Gxqcov ijravayxäöai xovg
iyysyQa^i^evovg . . . axi (irjv (moxaxci<5xr\6a.L \ioi xovg cpooovg . . .
STi^yi öe uvxikiyovGiv, xovxovg 7tccQa7t£^d,dvxag [isivcu eig
tö 'a%Qcivx6v 6ov öixaöx^QiOv xxl. Bei diesem Papyrus ist
allerdings nicht festgestellt, in welches Jahr er fällt, sondern
nur die Zugehörigkeit zum vierten Jahrhundert. Aber er
gibt ein deutliches Pendant zu den vorigen.
5. Und nicht minder Grenf. 2, 78 v. J. 307 an den Präses
der Thebais (Vindikation der eigenen Kinder). Das Petit ist
nicht ganz erhalten, aber sicher der TtaoayyeUcc ebenso kon-
trär wie die Adresse an den Präfekten: es geht etwa auf
«|mö [xovg /if]^1) 7tQO£LQi]{i8vovg [iov Ttaldag xijg 7iuQuv6\ß.ov
q>vXa]x7jg ave&rjvca, xovg dh ävxidixovg £<jd' Ixccvolg [xeivTj&fivca
i%i 6E xxl.?
Nun ist die Frage, wie sich die Bitte um Evokation,
die hier — wenigstens in den drei ersten Stücken — sehr
deutlich gestellt wird, mit dem Denunziationsprinzip des vierten
Jahrhunderts vereinigt.
Die eine denkbare Lösung des Problems ist die: die
beiden unter Ziffer 1 und 2 genannten, dem Prinzip ent-
sprechenden Stücke sind jünger, nämlich von den Jahren 338
und 368. Die widersprechenden, soweit sie datiert sind,
stammen von 303, 307 und 312. Nun ist die erste sichere
Spur des obligatorischen Denunziationsprozesses v.J. 319,
nämlich C. Th. 2, 15, i.2) Es wäre denkbar, daß er erst nach
312, zwischen 312 und 319 obligatorisch geworden wäre.
Daneben gibt es jedoch noch die andere Möglichkeit,
daß die älteren Stücke rein zufälligerweise nicht den strengen
Stil der Zeit repräsentieren würden. Man muß ja «immerhin
damit rechnen, daß wir uns mit den Papyri weder in Rom
noch in Konstantinopel befinden und daß die ländlichen An-
1) rovg fisv Crönert in Wesselys Stud. 4, 89; statt x£ivr}&f]vai,
iiti 6s (Mitteis) hat C. Tt/xcopTjO'Tji'c«. Ich würde auch sonst stellenweise
anders ergänzen als Crönert.
2) Diese Stelle spricht nämlich bei der a° doli von einer necessitas
denuntiandi.
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitüng. i i i
walte oder Winkelschreiber in ägyptischen Mittelstädten
immerhin bei einem etwas unzeitgemäßen Stil stehen geblieben
sein könnten. Bedenkt man noch, daß die Grenze der reinen
Zivileingabe und der polizeilich oder kriminell gefärbten Auf-
sichtsbesehwerde oft eine recht schwimmende ist, so wäre es
auch möglich, den ganzen Stilgegensatz als ziemlich be-
deutungslos hinzustellen, zumal wir nicht ersehen, wie die
Eingaben vom Statthalter behandelt worden sind, d. h. ob
er dem Evokationsbegehren stattgegeben oder etwa gar auch
sie, ähnlich wie es in Oxy. 67 geschieht (S. 108) als litis denun-
ciationes behandelt hat. Es muß daher die Entscheiduno-
dieses Punktes der Zukunft vorbehalten bleiben.
Ein Papyrus endlich, der mit unseren Fragen überhaupt
nichts zu tun hat, ist CPR. 19: hier ist der Propoliteuomenos
von Hermupolis schon zum Iudex pedaneus bestellt gewesen
und hatte schon eine 'Gegenschrift' {avxEiti6räl\iaxa) vom
Beklagten empfangen, als die Klägerin das uns erhaltene Stück
verfaßte. Dieses gehört also zu einem Schriftenwechsel in
einem schon eingeleiteten Verfahren; wie dasselbe begonnen
hatte, ersehen wir daraus überhaupt nicht mehr.
Übrigens ist nicht zu übersehen, daß wir in den Papyri
auch sichere Evokationsfälle haben: P. Lips. lnv. Nr. 348,
publiziert von Wilcken Arch. 4, 467 und Nr. 36 (mit der Text-
revision von Wilcken Arch. 3, 564 und 4, 266). Hier erfolgt
die Evokation durch einen Offizial unter Entgegennahme einer
Cautio iudicio sisti. Ein Widerspruch zu den Rechtsbüchern
braucht jedoch in diesen Urkunden nicht gefunden zu werden.
Denn es ist nicht sicher, daß es sich um eine gewöhnliche
Ladung handelt; ja in lnv. 348 war die Sache schon ein Jahr
früher an den Statthalter gebracht worden. Man kann also,
wie ich schon in der Ausgabe der P. Lips. p. 1 1 6 bemerkt
habe, ganz wohl an Kontumazialladung denken, für welche
auch bisher schon die Möglichkeit von Evokationen ins Auge
gefaßt worden ist.1)
1) Vgl. Kipp, Litis denunciatio 296.
9*
112 Ludwig Mitteis :
Endlich ist noch Eines zu bemerken. Die dem Statt-
halter überreichte Eingabe, mag sie nun bloßes Hypomnema
mit Bitte um Evokation sein oder wahre Litis denuntiatio,
enthält natürlich immer eine Species facti; soweit daher ein
Exemplar dieser Eingabe dem Beklagten bei der Ladung zu-
gestellt wird (was ja für Lips. 33 und Oxy. 67 sicher ist),
erhält dieser damit auch die erste, d. h. außergerichtliche
Editio actionis, von welcher bekanntlich die spätere im Ver-
handlungstermin erfolgende Editio wohl zu unterscheiden ist
(unten S. 1 1 7). Jene außergerichtliche Edition ist besonders
schön erhalten in Lips. 33, woselbst sie einerseits den Klage-
grund, anderseits die vom Kläger gewählte Klagegattung um-
faßt.1) Es ist letzteres um so interessanter, als bekanntlich
manche Spuren darauf führen, daß der Kläger noch im
Justinianischen Prozeß den Namen der von ihm gewählten
Actio anzugeben pflegte.2) Von dieser Sitte hätten wir also
in Lips. 33 eine Anwendung überkommen, die aber darin eine
Besonderheit hat, als der Kläger hier nicht einen materiell-
rechtlichen Namen (dieser müßte im gegebenen Falle Here-
ditatis petitio lauten), sondern den prozeßrechtlichen 'extra-
ordinaria cognitio' verwendet; er sagt nämlich 7iagayyiXlc3
v^ilv . . . drjXojv xixXov^) per [töv?] etii xb xqlxov coro ßov-
kiq6BG3£ ayyQcccpov xaxQaug, aycoy^v de xrjv h%xQa \oq8i\ve\jl\
x[oy]vLXLÖV8[l.
Ob dies reiner Zufall ist, oder auf eine Zeit zurückdeutet,
wo man auf die im Kognitionalverfahren angestellten Klage-
ansprüche den ursprünglich ja nur auf die Formeln be-
rechneten Individualnamen nicht anwenden mochte, kann hier
nicht untersucht werden. Zu betonen ist jedoch, daß den
naQayyeXiav der vordiokletianischen Zeit eine gleiche Präzision
durchaus fehlt; der Tatbestand ist hier zwar erzählt, aber von
spezieller Betonung des (xixXoq> und der ^aytayri nirgends
1) Hierzu vgl. meine Ausf. in Sav. Z. 29, 471 fg.
2) Hierüber neuestens Bkugi im Centenario dello nascita di Mickele
Armari (Palermo 1910) 2. 284fg.
3) Hierzu vgl. Val. Fr. 156: titulum excusationis suae expromere.
Zun Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. i i 3
eine Spur zu finden. Vielleicht liegt dies nur daran, daß es
weniger kunstmäßig ausgearbeitete Schriften sind — auch im
vierten Jahrhundert ist ja Lips. 33 ein Unikum — ; wahrschein-
licher aber hat sich überhaupt die strengere Formalisierung
des Extraordinarverfahrens erst allmählich herausgebildet.
IL Als zweifelhaft wird es in der Prozeßliteratur auch
bezeichnet, ob an die Litis denunciatio sich eine Pflicht des
Beklagten zur Bestellung einer Cautio judicio sisti knüpfte.
An den Urkunden sehen wir folgendes. Bei der Litis denun-
ciatio ist bis jetzt nur Empfangsbestätigung des Beklagten,
Kautionsstellung dagegen nicht nachweisbar: In Oxy. 67 ist
vom Beklagten bloß der Empfang bestätigt. In Lips. 33 II 17
sagt der Kläger: a|tö exdo&fival fioi rt)v Gvvrj&r} vnoo^uicoöiv
xccl xarä xvq(uv JiQccx&fjVca ri]v dixi]v. Unter der vtto6i]hic36is
ist möglicherweise die Empfangsbestätigung des Beklagten zu
verstehen. Übrigens ist vielleicht auch eine amtliche Ver-
fügung — vTtoyQcccpr'j — gemeint, obwohl der Passus in einem
Schriftstück steht, das an die Beklagten adressiert ist; da die
Litis denunciatio durch den Präses zugestellt wird, hätte die
Erwähnung seiner Unterschrift immerhin einen Sinn. Wie
dem nun sei, nachweisbar ist also Kautionsstellung bei der
TtaQayyeXCa nicht.1) Daß sie deshalb ausgeschlossen ist, kann
man freilich auch nicht behaupten. Denn sie könnte neben
der Empfangsbestätigung in einem separaten Akt erfolgt sein.
— Daß die in einzelnen Fällen sicher bezeugten Gestellungs-
bürgschaften nicht auf Litisdenunziationen gehen müssen,
wurde bereits bemerkt (S. m).
III. Wenn wir so über den Hergang bei der Litis denun-
ciatio noch nicht genügend aufgeklärt sind, so haben wir doch
dafür wenigstens ein Beispiel, daß bei dem Verfahren dieser
Zeit eine gesetzliche Frist eine besondere Rolle spielt. Be-
1) Auch für die vordiokletianische Zeit liegt bis jetzt kein ent-
scheidendes Material vor (Oxy. 260 ist Vadimonium, bei einer Verhand-
lung vor dem Strategen gestellt). Doch kann bei der steten Möglichkeit
der Realzitation (vgl. Lips. 32 II 1. 14: tkxqu ctqcctiwti] ^isivärcocav, tioyig
i'lX&rfiav) das Bedürfnis danach auch nicht groß gewesen sein.
ii4 Ludwig Mitteis :
kannt ist nämlich die viernionatige Frist des Denunziations-
verfakrens, deren Bedeutung allerdings streitig ist. Ich glaube
sie jetzt dahin auffassen zu sollen, daß innerhalb vier Mo-
naten, gerechnet vermutlich von der Zustellung der Denun-
ciatio, die Verhandlung beginnen1) mußte. Das ist nicht
dahin zu verstehen, daß der letzte Tag des vierten Monats
als Termin galt, an dem allein sie eröffnet werden konnte;
vielmehr wird die Eröffnung schon innerhalb der Frist statt-
gefunden haben, wenn beide Parteien anwesend und der Richter
verhandlungsbereit war. Aber allerdings scheint es, daß vor
Ablauf der Frist gegen den noch nicht erschienenen Beklagten
ein Antrag auf Einleitung des Kontumazialverfahrens nicht
gestellt werden konnte, und darum werden tatsächlich meist
beide Teile erst am letzten Tage erschienen sein. Umgekehrt
aber mußte der Kläger an diesem Tag bei Ausbleiben des
Beklagten den Antrag auf Evokation stellen, widrigenfalls ei-
sernen Anspruch verlor und höchstens aus gerechten Gründen,
und nur noch einmal, durch Reparatio ternporuin zur Gut-
machung seines Versäumnisses zugelassen wurde. Durch
diese Vorschriften wurde i) den Parteien die Pflicht zu zweck-
losem Warten am Gerichtsort abgenommen, über welches
z. B. in Oxy. 486 die Klägerin sich beschwert; man brauchte
nur am letzten Tage der vier Monate anwesend zu sein;
2) wurde erreicht, daß der Beklagte nicht immer wieder zitiert
werden durfte; die Contumacia des Klägers wird gestraft.
Von diesem Verfahren haben wir eine Anwendung in
Lips. 33 II: die Beklagten haben durch verschiedene tiuqev-
Qtözig, d. h. wohl außergerichtliche Zahlungsversprechen den
Kläger dazu bestimmt, daß er trotz vollzogener Denunciatio
am letzten Tage der Viermonatsfrist — die hier allerdings
nur oi xqovoi genannt, aber jedenfalls gemeint ist — den
Antrag auf Evokation nicht stellte, obwohl die Beklagten
nicht erschienen, also der Zustand der (avaQ%og dCxif ein-
getreten war. Kläger erhielt darauf eine Reparatio temporum
1) Dies habe ich bereits Sav. Z. 27, 351 fg. ausgeführt.
Zun Lemke von den Libellen und dek Prozeszeinleitung. 115
(avavsaöis räv %q6v(ov), aber die Beklagten erschienen wieder
nicht, so daß neuerlich durch Dekret der Prozeß für ruvuQ%og
erklärt wurde. Jetzt aber stellte der Kläger sofort in der
(einseitigen) Verhandlung den Antrag, daß ihm eine Denun-
ciatio ex auctoritate gestattet wurde, und dem wurde statt-
gegeben.
IV. Ziemlich klar ersehen wir in den Papyri des 4. Jahr-
hunderts auch die Bestellung von Judices pedanei.
Besonders interessant ist hierbei der oben zitierte P. Oxy. 67,
welcher zeigt, daß um einen solchen nicht bloß schon in der
ersten Postulatio gebeten, sondern daß er auch auf diese hin
sofort bewilligt werden konnte. Die Regel des Kaisers Hadrian
(Callistr. D. 5. 1.47): observandum est, ne is iudex detur, quem
altera pars nominatim petat, scheint hierbei verletzt zu sein;
aber der erbetene Iudex ist der TCQOTtohrsvönsvog der Stadt,
und da dieser, wie wir gleich sehen werden, regelmäßig be-
stellt zu werden scheint, war hier das Petitum des Klägers
eine bloße Antezipation des Selbstverständlichen. Die Be-
stellung erfolgt in diesem Fall durch Epistola an den Iudex;
außerdem wird sie vollzogen entweder durch Dekret oder auch
durch vjcoyQaq)7}. Die dekretale Bestellung zerfällt wieder in
einseitige Datio nach freiem Beschluß des Statthalters, wofür
Lips. 38 I i. f. ein Beispiel gibt, oder auf Grund eines Vor-
schlages der Parteien, wofür m. W. zwar nur ein Beispiel aus
dem vierten Jahrhundert vorhanden ist, daB jedoch durch die
Parallelen aus der früheren Zeit eine größere Bedeutung er-
hält (Lond. 3 p. 120 unten S. 125).
Ständige Delegationen irgendwelcher Behörden kommen,
wie wir jetzt wohl mit Sicherheit behaupten können, nicht
vor. Wohl aber werden in dieser Zeit mit Vorliebe die
x<joxoliT8v6u.£voi oder tcoIltsvö^levoi der Bezirksmetropolen
als Iudices pedanei verwendet: denn wir haben dafür schon
drei Anwendungsfälle, Oxy. 67; Lips. 38 und CPR. 19, in
welch letzterem Fall die Delegateneigenschaft des Propoliteuo-
menos zwar nicht ausgesprochen, aber sicher anzunehmen ist.
V. Über den Gang der Verhandlung werden wir be-
1 1 6 Ludwig Mitteis :
sonders durch Lips. 38, wozu der von Collinet-Jouguet im
Arch. 1, 298 publizierte Papyrus Bouriant hinzutritt, unter-
richtet; in beiden Fällen findet diese vor dem Präses selbst
statt. Die Protokolle konstatieren zunächst, wer von den
Parteien und ihren Vertretern anwesend ist, eine Konstatierung,
die auffallenderweise in dem Papyrus Arch. 3, 340 fehlt, wenn
nicht in 1. 2 statt E[. .]a . [ . ]s zu lesen ist P[r]ae[s]s(entes).
Sodann wird in den nach dem Jahr 382 fallenden Papyri,
wenn für eine Partei ein Prozeßprokurator erschienen ist,
dessen Vollmacht verlesen und zu den Akten genommen;
das entspricht der dem genannten Jahr entstammenden Vor-
schrift C. Th. 2, 12, 3, mag übrigens schon früher üblich ge-
wesen sein. Darauf kommt es in Lips. 38 im Fall der Pro-
kuratur noch zur erforderlichen Prozeßkaution; in dem ge-
nannten Falle ist es die Cautio iudicatum solvi, da die Ver-
tretung auf der Beklagtenseite stattfindet.1) Die Kaution
wird dabei nicht für eine Actio judicati gegen den Proku-
rator gestellt, wie es dem klassischen Recht entsprechen
würde, sondern für eine solche gegen die vertretene Partei
selbst. Das hängt offenbar damit zusammen, daß zu dieser
Zeit der mit schriftlicher (wenn auch nur privatschriftlicher)
Vollmacht ausgerüstete Prokurator dem Cognitor gleichgestellt
wird.2) Die Kautionsbestellung hat dabei noch folgende
Eigentümlichkeiten: 1. hat das Versprechen nicht die obli-
gaten drei Klauseln des klassischen Rechts (recte rem defendi,
iudicatum solvi, de dolo malo), sondern es geht einfach auf
'iudicatum solvi' (ja XQL&rt6Öu8va xuraßakelv)', 2. es wird
zwar gestellt durch einen Bürgen, aber eine Grundstipulation
mit dem eigentlichen Kaventen (das wäre in Lips. 38 die Be-
klagte) fehlt; es liegt Bürgschaft für den Judikatsanspruch
als solchen, nicht für eine Stipulation über denselben vor3);
1) Dagegen wird in P. Bouriant bei schriftlicher Vollmacht des
kl ä gerischen Vertreters von diesem die Cautio ratam rem haberi
nicht mehr verlangt.
2) Vgl. meine Ausführungen in der Einl. zu Lips. 38.
3) Daß das auf den Einfluß der von Partsch, griech. Bürgsch. R it
Zub Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. i i ,
3. die Kaution wird nicht von der Gegenpartei abgenommen,
sondern vom Magistrat selbst; dies erklärt sich aus Ulp. D. 27,
7,4,3; 'fideiussores a tutoribus nominati, si praesentes fuerunt
et non contradixerunt et nomina sua referri in acta publica
passi sunt, aequum est perinde teneri ac si iure legitimo
stipulatio interposita fuisset', welche Stelle nicht mit Bon-
fante1) für interpoliert gehalten werden muß. Es liegt also
Cautio ad acta praesidis facta vor.
Nach den Regeln des klassischen Prozesses müßte es
nun zur Editio actionis kommen, auf welche, abgesehen von
etwaigen Komplikationen, die Actionis impetratio zu erfolgen
hätte. In der Tat liegt im P. Bouriant die Edition deutlich
vor: Nach Verlesung der Vollmacht sagt der klägerische An-
walt (1. 5 fg.): ät-iov^ev de xr\v nccgovöav . . tcxoGxrtvui xov
usQOvg xov duicpeoovxog xy ßorftovyievr} (folgt Spezifikation);
außerdem war auch in der verlesenen Vollmacht der Klage-
gegenstand verzeichnet gewesen, wie 1. 16 zeigt: fxäj xaxä
Ttjv svxoh)v artodöxa. Auch werden sofort die Urkunden
verlangt und vorgebracht, 1. 1 7, auf welche der Anspruch sich
stützt. Wie diese Edition das Reguläre ist, zeigt aber noch
besser Lips. 38 I 16 fg., indem der Statthalter erklärt:
"ETteLÖi] Mslixtog 6 xov vtbv inayovrcov ixiyjüv xötcov vtibq-
rCd-sxca xijv dCx^r . . ., ivTSv&ev ydr) acd nob ixöößecog xCbv
vxopvriiidxav ixcixsQa xä pegy [ t]cö •xolusvoiieva xrjg
\4vxivo£g)v öTiovdf, xyg ito7.ixi%y\g xd^stog jroo<7«£tbj'tf£T(M', d. h.
um den von der Klagepartei angestrebten Verzögerungen ein
Ende zu machen, wird noch vor der Editio actionis die
Sache an den Judex pedaneus verwiesen. Daraus sieht man,
wie die Edition als Grundlage der Verhandlung erscheint;
normalerweise würde der Statthalter sie noch in seiner Gegen-
wart vollziehen lassen und dann erst den Judex bestellen.
Das gilt freilich nur, wo er überhaupt zu verhandeln beginnt;
denn wo er den Prozeß schon auf die schriftliche Postulation
entwickelten griechischen Bürgschaftsideen zurückgehen wird, betont
dieser a. 0. S. 161 A.
1) II silenzio nella conclusione dei contratti fi9°7) P- 8.
1 1 8 Ludwig Mitteis :
hin delegiert, wie in Oxy. 67 (und in den S. 101 besprochenen
Fällen der Erledigung durch vTtoyQacpif), wird selbstverständ-
lich auch vor dem Pedaneus ediert worden sein.
An die Editio sollte sich die Inipetratio actionis schließen.
Darauf bezieht sich ein Passus in Lips. 38 (II 1 fg.). Hier
fehlt es an der Inipetratio, weil ja auch die Editio nicht vor
dem Magistrat erfolgt ist. Dies fühlen in gewissem Sinne
selbst die Parteien, indem die Beklagte sagt: El xivac, s%Ofiev
TtttQayQacpd^ ksXev0cctc3 6ov to ^leyaXslov ccvrbv1) ruvrag 6x0-
tcsIv. Infolge des summarischen Vorgangs fürchtet sie näm-
lich, daß ihre Einreden unter den Tisch fallen, während sie
bei ausgebildeter Instruktion die Möglichkeit hatte, auch
diese beim Statthalter vorzubringen und ihre Berücksichtigung
durch Dekret sichergestellt zu sehen; sie fürchtet also eine
praescriptio (oder richtiger replicatio) non impetratae ex-
ceptionis.
Ob diese Befürchtung eine berechtigte war, kann freilich
prima facie bezweifelt werden, und zwar deshalb, weil man
meinen sollte, wenn der Magistrat den Rechtsstreit einem
Judex pedaneus überträgt, habe er ihm gleichzeitig auch das
Recht übertragen, Actio und Exceptio zuzulassen, wie er es
für gut befindet. Und so scheint denn auch der Kläger
weniger ängstlich zu sein; er bittet nicht um ausdrückliche
Datio actionis.
Irgendeinen Grund muß aber die Besorgnis der Beklagten
in unserem Fall doch gehabt haben; denn wie käme sie
sonst darauf? Es führt uns dies zu einer kurzen Betrach-
tung über die Möglichkeiten bei der Inipetratio actionis im
Kognitionsverfahren.
Bekannt ist die Bestimmung von Theodosius und Va-
lentinian C. Th. 2, 3, 1 = C. J. 2, 57, 2 v. J. 428: Nulli pror-
sus non impetratae actionis in maiore vel minore iudicio
agendi (agenti Just.) opponatur exceptio, si aptam rei et
proposito negotio competentem eam esse constiterit. Man
1) Mit ccvvbv ist der Judex pedaneus gemeint.
Zur Lehue von den Libellen dnd der Prozeszeinleitung. 119
hat von jeher gemeint, daß danach ein Dekret, das die Actio
ausdrücklich zuließ, im nachklassischen Verfahren üblich gre-
wesen sein müsse.1) Ganz einfach ist jedoch diese Annahme
nicht, schon wegen der Worte fin maiore iudicio'.
Es ist nämlich nicht recht einzusehen, wie der Beklagte
in maiore iudicio, d. h. im Verfahren vor dem Jurisdiktions-
magistrat selbst, dazu kommen soll, einzuwenden, der Magi-
strat habe die Actio nicht zugelassen. Diese Einwendung
scheint ja völlig zwecklos, weil der Magistrat die Zulassung
natürlich in jedem Moment nachholen kann und nur der
ungesundeste Formalismus hier eine Präklusion annehmen
könnte. Darum scheint mir die Möglichkeit dieser Exceptio
in maiori iudicio nur so begriffen werden zu können, daß
man an einen Fall der Klag ander ung denkt. War es z. B.
(vgl. oben S. 112) üblich, bei der Edition den Gattungsnamen
der gewählten Klage namhaft zu machen, so konnte sehr
wohl daran gedacht werden, dem Kläger, der ursprünglich
etwa Actio mandati direeta verlautbart hatte und später
wegen Nichtigkeit des Mandats zur A° neg. gest. übergehen
wollte, entgegenzuhalten, dies sei nicht Gegenstand des an-
hängigen Rechtsstreites.2) Die Beseitigung der Exceptio
hätte dann den Sinn, daß die Klagänderung, wemi die res
dieselbe und die neue Klagform zum propositum negotium
passend ist, also die bloße Änderung der Klagegattung nicht
verboten ist.3)
Dieselbe Auffassung der Exceptio non impetratae actionis
ist natürlich auch für den Prozeß fin minore iudicio' mög-
lich. Hier läßt sich aber allerdings noch an ein Anderes
1) Völlig mißverstanden scheint freilich der Sinn der Bestimmung
in der westgotischen Interpretation des Gesetzes.
2) Daraus folgt, daß ich den Schluß auf die Kegelmäßigkeit eines
besonderen Impetrationsdekrets im iudicium maius nicht für zwingend
halte. Daß ea trotzdem üblich gewesen sein kann, läßt sich natür-
lich nicht a priori bestreiten.
3) Also z. B. Übergang von a° mandati zu a° neg. gest. bei im
wesentlichen unverändertem Tatbestand.
120 Ludwig Mitteis:
denken, nämlich daran, daß man vor dem Judex pedaneus
einwendete, vor dem Magistratus maior habe gar keine Editio
actionis stattgefunden, darum auch keine Impetratio.
Nun läßt sich freilich dagegen bemerken, was schon
oben (S. ii 8) gesagt wurde: Wenn der Maior einen Delegatar
bestellt, überträgt er ihm auch das Recht zur selbständigen
Datio actionis, die Einwendung sei also offensichtlich grund-
los. Und in der Tat, wenn die früher (S. 101) vertretene Ver-
mutung das Richtige trifft, daß die durch bloße vitoyQccfpi]
erfolgende Delegation des Statthalters an den Epistrategen
{evtv%e tc STtiörQanjyGj) eine wahre Judexbestellung enthält,
hätten die Statthalter in diesen Fällen die Exceptio nicht
befürchtet. Denn da die bloße vnoyQacpy] keine Entscheidung
pro tribunali enthält, fehlt es hier sicher an einer vom Statt-
halter bewilligten Actionis impetratio im technischen Sinn,
und doch ist diese vnoyQucp't] ganz alltäglich gegeben worden.
Wenn ich trotz dieser Erwägung es für möglich halte,
daß die Exe. non imp. act. auch in dem zuletzt bezeichneten
Sinn gebraucht worden ist, so bestimmt mich hierzu einer-
seits die Bemerkung in Lips. 38 I 16, wo der Statthalter es
besonders betont, daß er 'ijör] zcä tcqo ixdööscog xibv vtco-
^vrifidrcov'' den Propoliteuomenos zum Judex pedaneus be-
stelle, und anderseits die eine Partei daran die Bitte knüpft,
er möge ihre Einreden besonders formulieren. Dazu kommt
noch folgende Beobachtung: Wie ich schon an früherer Stelle
bemerkt habe, scheint es ursprünglich auch bloß bei hoch-
gestellten Delegataren üblich gewesen zu sein, ihnen
die Verhandlung mit der einfachen Subskription *£vtv%£ reo
Öelvi zu überreichen. Die niederen Beamten, wie Strategen
oder sonstige xqixocl, werden, das wird sich unten noch zeigen
(S. 123), ganz regelmäßig in einer Verhandlung pro tribu-
nali durch mündliches Dekret bestellt. Hier hat also vor
der Judicis datio stets eine wirkliche Editio und
Ordinatio actionis vor dem Statthalter stattgefunden.
Es hatte das wohl auch seinen guten Grund: die Fragen, ob
eine Zivilprozeßsache vorliegt, ob das Gericht zuständig ist,
Zur Lehre von den Libellen und der Prozeszeinlbitung. 121
ob die Parteien die Partei- und Prozeßfähigkeit besitzen und
gehörig vertreten sind, sind für den Prozeß von so fundamen-
taler Wichtigkeit, daß man ihre Entscheidung zwar einem
Epi Strategen, nicht aber einem doch ziemlich untergeordneten,
vielleicht auch nicht von rechtskundigen Assessoren beratenen
Beamten anvertrauen mochte. Diesem überließ man nur die
Entscheidung der bereits instruierten Sache.1)
Wenn das wirklich ständige Praxis gewesen sein sollte,
wäre es nicht unbegreiflich, daß man dann in Fällen, wo
ein Magistrat sich darüber hinaussetzte, an eine Exceptio
non impetratae actionis dachte. Man konnte sie etwa so
begründen: Da die Bestellung eines derartigen Judex peda-
neus hergebrachtermaßen erst nach der Edition vor dem Statt-
balter erfolge, könne es im gegebenen Fall, wo es an dieser
noch fehle, nicht die Meinung desselben gewesen sein, den
Unterbeamten zum eigentlichen Judex zu ernennen, sondern
dieser sei nur als Kommissar mit vorläufigen Erhebungen
betraut (S. 122). Wie zweifelhaft die Grenze zwischen solchem
bloßen Kommissariat und eigentlichem Richteramt mitunter
war, wurde ja schon bemerkt.
Anhang.
Zum Schlüsse will ich noch einige Worte über die vom
Präfekten (oder Dikaiodotes) bestellten Richter hinzufügen,
wobei ich zwischen den Papyri der früheren und späteren
Zeit nicht speziell unterscheide.
1) Auf diesen Gesichtspunkt gehen vielleicht auch die bekannten
und oft besprochenen formelartigen Instruktionen an diese Unterrichter
(Material bei Boulabd, les instructions ecrites 1906) zurück. Ihr Zweck
ist vermutlich, außer Zweifel zu setzen, daß und über welche Punkte
der Beamte bestellt ist; sie sind gleichzeitig formulierte Datio actionis. —
Das jüngste Beispiel davon findet sich in Oxy. 67 v.J. 338; im vollsten
Gegensatz dazu steht die ganze formlose Verweisung in Lips. 38
v. J. 391. Ob hier das Jahr 342 eine Grenze bildet, wo bekanntlich
alle 'Iuris formulae' abgeschatft werden (C. I. 2, 57, 1), wird wohl erst
die Zukunft lehren. — Übrigens ist schon die Quasi-Formel in Oxy. 67
nicht mehr pro tribunali erteilt worden.
i 2 2 Ludwig Mitteis :
Vorweg ist zu erinnern ■ — was ich schon bei früherem
Anlaß ausgeführt habe1) — daß man mit diesen nicht ver-
wechseln darf die zu bloß kommissarischen Erhebungen be-
stellten Unterbeamten, wo der Auftrag immer nur geht auf
's%srcc6ai nal ävaTtifitpcci' und von xqi'vhv und xQity]g nie die
Rede ist. Man vgl. P. Cattavi Verso II 4 fg.; III 20 fg.; V 20 fg.;
BGU. 245 II 2—4; 388 II 9; Straßb. 5, 18; Wessely Specini.
tab. 11 Nr. 18 (cf. Lond. 2 p 149); BGU. 613. i4(?); Oxy. 237
V 7 fg. wo etwa mit Gradenwitz zu lesen ist [vxeyQcal'w]
tc5 ßißXtidia' Ta ötQatrjya üiccqccv'ov, ög i^sraöag hav xi
tfjg £[ifjg 8iayvG)6s(oq xatccXdßri, h% eph avani^tpu^). Die
Bestellung kann bei solchen Kommissariaten nicht bloß in
der mündlichen Verhandlung pro tribunali, sondern auch
schon durch Subscriptio auf den einseitig überreichten Libell
geschehen3), wie in Oxy. 237 cit. Zu bemerken ist noch, daß
mit dieser niederen Tätigkeit niemals ein höherer Beamter,
namentlich auch nicht der Epistrateg, belastet wird, sondern
meist der Strateg.
Ebensowenig hat es natürlich mit Richterbestellung zu
tun, wenn Äoyo&hai gegeben werden. Das kommt oft vor,
BGU. 77, 10. 245, 5/6. 613, 40. 969 II 11. 1019, 7/8; Lond. 2
p. 153 1. 8; P. Cattavi Recto II 3. 9/1 o; Verso III 28/29. V 25/30;
wie die letztgenannten Stellen zeigen, gibt selbst der Strateg
mitunter loyod-stut. Diese sind aber bloße Rechnungsprüfer,
ihre Tätigkeit ist nur Begutachtung faktischer Verhältnisse.
Solche werden unter dem Namen arbitri (der allerdings auch
andere und richterliche Funktionen bezeichnet) auch in den
Rechtsbüchern oft erwähnt: D. 2, 8, 9; 49, 2, 2 arbitri ad fide-
1) Hermes 30, 581.
2) Durchaus anders lauten die in derselben Sache auf die sm-
erolai des Chairemon ergangenen Anschreiben des Präfekten an den
Strategen in VI 16, 32 — 35. Daß jedoch auch hier von Judexbestellung
keine Rede sein kann, zeigt schon der Umstand, daß bloße Erledigungen
brieflicher Gesuche vorliegen. Wie der Sachverhalt war, vermögen
wir im einzelnen nicht zu erkennen.
3) Ein Judex dagegen wird in dieser letzteren Form m. E. nur
bestellt, wenn es der Epistrateg sein soll (S. 100).
Zur Lehre von dem Libellen und deb Prozeszeinleitung. 123
iussores probandos; 14, 4, 7, 1 zur Vornahme der Tributio;
40, 1,5, 1 de rationibua excutiendis, cf. 35, 1, 50; 40, 5, 37; 40,
12, 43; vgl. auch C. J. 6, 47, 2, 2 (die Grenze gegenüber dem
richtenden Arbeiter ist freilich in den Digesten mitunter nicht
scharf gezogen).
Eigentliche Judexbestellung liegt nur dort vor, wo die
Richtergewalt verliehen wird.
Solches findet zunächst, wenn die oben (S. ioifg.) ange-
nommene Deutung der Delegation des Epistrategen (Sub-
scriptio: Ivxvys r« tTtiatQccTTJyo)) richtig ist, immer schon
durch diese Delegation statt. Juristisch ist der Epistrateg im
Kognitionsverfahren — das ja in Ägypten wohl das aus-
schließliche ist — bloß Judex pedaneus. Von andern Rich-
tern derart unterscheidet er sich in seiner bezüglichen Funktion
wohl nur dadurch, daß ihm (wie ich vermute, S. 104) das
ausnahmsweise Recht der Subdelegation überlassen wird und
noch durch ein zweites, mehr faktisches Moment: Wenn die
Delegation des Epistrategen wie ich glaube, regelmäßig durch
die auf den ersten Libell gesetzte Subnotation *Zvtv%s . . .' er-
folgt ist, so sind ihm die Sachen schon von ihrem frühesten
Entwicklungsstadium mandiert worden, so daß schon die
Editio actionis und Prüfung der Prozeßvoraussetzungen ihm
überlassen blieb.1) Das war zwar unzweifelhaft auch bei
andern Judices theoretisch möglich und ist im vierten Jahr-
hundert gelegentlich auch nachweisbar (Oxy. 67, teilweise
auch Lips. 38, oben S. 117); aber in der früheren Zeit scheint
bei dieser Kategorie von Unterrichtern der Statthalter regel-
mäßig die Instruktion des Prozesses selbst vollzogen zu haben.
Daß er z. B. einem Strategen einen Libell mit einfachem
evxv%e reo örQccrr^ö überweist, ohne den Vorbehalt, daß er
bloß kommissarisch untersuchen soll, kommt nicht vor.
Gehen wir nun, indem wir vom Epistrategen (und
Dikaiodotes) absehen, zu den übrigen Niederrichtern im be-
1) Dasselbe wird man wohl auch bei Delegationen an den dixcuo-
86tr\g — sofern dieselbe etwa noch über seine offizielle SpezialJuris-
diktion hinaus vorkam — annehmen dürfen.
124 Ludwig Mitteis:
sonderen über, so finden wir, daß ein solcher öfter mit der
Bezeichnung als xgixtjg oder xoixi]g xal fisötxrjg ernannt wird;
mitunter ist auch von dixccöxrjg die Rede. So wird in
BGU. 114 I 4/5 der 6xQccxrjybg xrjg xölsag als xQLtrjg gegeben;
in BGU. 19 finden wir vom Präfekten einen xQixijg 'Hqccx-
Xsidrjg, später, vielleicht nach dessen Tode, in derselben Sache
einen xoixijg Mevavdoog bestellt. Daß die xqlxcl in diesen
Papyri Judices pedanei sind, besagt schon ihr Name und wird
für BGU. 19 namentlich dadurch deutlich, daß der zweite von
den hier gegebenen sich an den Statthalter um Rechtsbelehrung
wendet und sie ihm auch erteilt wird, aber unter dem Vor-
behalt (sl fit]ösv ixotöi] [Ji£%Ql' tovrov'. Siehe ferner den ge-
wesenen Gymnasiarchen als xoixrjg in BGU. 592 II 2.1) Ebenso
scheinen die in Oxy. 37 und 38 urteilenden Strategen xoixal
zu sein; obwohl die Form ihrer Bestellung nicht ersichtlich
ist, wird sie doch auf Dekret beruhen, denn der eine (Oxy. 37,
II 8) spricht sein Urteil ' xaxä xa V7ib xov xvqlov f}y£[i6vog
xQL^■Evxa, und der andere *axoXov&ag xolg vitb xov rjye-
(lövog %Qo6xsxayiiivoig\ Wahrscheinlich ist auch in BGU. 136
eine xQtxrjg- Bestellung gemeint, obwohl der öxoccxrjyög hier
nicht xQiTijg genannt wird, sondern nur unter gewissen Vor-
aussetzungen xä TCQoötjxovxa tcolsIv soll. Zweifelhaft liegt
der Fall in BGÜ. 245 IL
Besonders zu bemerken ist, daß mitunter den Parteien
die Auswahl des Richters überlassen wird. Zu betonen ist
dabei, daß gerade in solchen Fällen derselbe xoixrjg nah {iseCxrjg
genannt wird.2)
1) Auch den Kobortenpräfekten Blaesius Marianus in CPR. 18
wird man hierher stellen können.
2) Partsch, die Schriftformel im röm. Provinzialproz. 66 hat an-
genommen, daß diese Auswahl der Parteien in den ersten Jahrhunderten
nur ausnahmsweise vorgekommen sei. Da aber zwei Fälle davon be-
zeugt sind (Lond. 2 p. 153 und Oxy. 653) halte ich den Vorgang auch
für diese Zeit nicht für so anomal. — Auch auf die Auswahl der
hoyoQ-txui ließ man den Parteien Einfluß, Cattavi Verso III 29; BGU.
969 II 12.
Zub Lehre von den Libellen und der Prozeszeinleitung. 125
Lond. 2 p. 153 1. 12 fg. (Auszug ans einem Verhandlungs-
protokoll des dt,adE%6ii£vog xbv dixaiodÖTrjv, Julianus, Mitte
des 2. Jahrh.): 'lovXiavbg (sc. 6 diadsybuevog tu xaxa tijv
dixaiodo6Ctci\ arg. BGU. 1019, 11 — 12)- 'Evd-dds dvv[axat tö
n-^r^Jua Tttoag e%elv. "EXeö&e ri'\rc:} ßovXsöd-s pi[ öizrjv . . .]
ve^tiov eIoj.ie'vov zlou\lxio\v xbv B^y]yriXS'v[(5u\vx[a xal\
'AyQixxeCvov (jvyxaxccfrefievov, 'lovXiavbg e'itcev zl[o^C\xwg
xid ueGixevöt, [v^]üv xal xqivsI, xal \t\rxbg \oe\y.wztvxs itt.it-
OCOV tt7CU<JTl6\t-)'l(TiO) Xb K>y] t | >/ 1 aci] diaXE^,o[. . .] . . ai.
An diesen iiEßixiqg xal xQitijQ /JouCxiog richtet sich dann
P. Catt. Verso; s. bes. I 1 — 4.
Auch BGU. 1019 bezieht sich anscheinend auf dieselbe
Angelegenheit.
Oxy. 653 (Verhandlungsprotokoll des Präfekten L. Volusius
Maecianus, circa 160 p.C): Maixiavbg Eins' (post alia) \TCva
ßovkE6%-s\ öixa6xi}v Xußsiv KQr]7tuvov Xiyovxog' X)v iäv 6v
dtög, Maixiavbg eixev ü %iXiaQ%og, bv hexutieuxeiv dixaiovfiEV.
Lond. 3 p. 129 1. 15, Protokoll eines übrigens unbekannten
Magistrats, allerdings Verwaltungssache; (Magistrat:) Tiva
ßovXExat dixu6xi}v. 77... (sc. eItie)' Tbv TtoaiTiöö'ixov xov
Ttdyov xbv xal anuixovvxa xa drjn\6(5u<. Magistrat: 'O noai-
Ttböixog xov xayov \leto%v xovxcov diaXrjinpExal xov öixaiov.
Welcher Art die Sprüche solcher xoixal xal uEtiCxai
waren, zeigt aber der Auszug aus dem Protokollbuch1) eines
— weiter nicht bekannten Aquila — der jedenfalls, worauf
das Protokollbuch schließen läßt, öfter als xoixrjg xal ^isGCxrjg
bestellt wurde und darum gewiß Beamter war. Wir gewinnen
wieder den Eindruck, daß es sich um eine Definitivsentenz
handelt. Er formuliert sie so (P. Reinach 44):
'E^ hv v\xov6a, axEyrjvd^v (äoovQug) ia äyoQaö&fjvai
Jiaoa KXavdiag u. s. f., (paCvovxai eIvui xotval zliovvöiov xal
'JxoXXavCov b{ioiag dh t« ßäpaxu (folgen die Namen) xoivä
eIvui avxcov cpaCvExai' b^ioCoog xdXavxov xb 8avi6%-EV . . . (paCvExai
xäv avx&v xoivbv alvai.
1) Solche Protokollbücher der Judices pedanei kommen öfter vor;
CPR. 18, 1; BGU. 969 I 1.
Phil.-hist. Klasse iqio. Bd. LXII. 10
126 Ludwig Mitteis: Zun Lehre von den Libellen usw.
Ein juristischer Gegensatz zwischen diesen von den Par-
teien vorgeschlagenen Richtern und den vom Statthalter ein-
seitig gegebenen besteht natürlich nicht. An sich läßt sich
vielleicht denken, daß bei Fragen, bei denen ein öffentliches
Interesse mitspielte, den Parteien keine Auswahl gelassen
wurde, wie denn auch später Diocletian für Statusfragen die
Bestellung von pedanei judices ganz verbietet (C. J. 3, 3, 2, 1)
und in diesem Sinn mag es beachtlich sein, daß in dem ein-
zigen Fall, wo wir nach dem Wunsch der Parteien sicher nicht
gefragt finden — BGU. 114 I 3 — es sich um die Gültig-
keit einer Soldatenehe zu handeln scheint. Aber natürlich
ist es auch für alle anderen Prozeßsachen der feste Grundsatz,
daß ein Rechtsanspruch der Parteien auf eigene Auswahl
im Kognitionsverfahren nie bestanden hat.
Eine Gestattung an die Parteien, auf die Person des
Judex pedaneus durch übereinstimmenden Vorschlag Einfluß
zu nehmen, kommt gelegentlich auch noch im Justinianischen
Recht vor (Bethmann-Hollweg Ziv. Proz. 3, 126, Belege
ebenda A. 51); dagegen sind die von Justinian in C. J. 2, 46,
3, 1; 2, 3, 29, 2; 3, 1. 14. 1, 16. 18 genannten Arbitri electi
nicht hierher zu stellen, sondern, wie WläSSAK mir freund-
lichst bemerkt, gewiß einzuschränken auf den Fall, wo die
Parteien den ihnen vom ordentlichen Richter gegebenen Judex
refüsiert haben (vgl. Bethmann-Hollweg a. 0. 184 — 185,
bes. A. 53), was sich in der Tat aus ihrer Zurücksetzung gegen
diesen (C. J. 2,46,3, 1) und der Reihenfolge der Aufzählung
in C. J. 2, 3, 29, 1 ergibt.
Druckfertig erklärt 10. IV. 1910.]
127
SITZUNG VOM 5- FEBRUAR 1910.
Herr Lipsius legt eine Arbeit von Professor Ilberg über die Über-
lieferung der Gynäkologie des Soranos von Ephesos vor (für die
Abhandlungen),
Herr Leskien trägt vor über die Dialektmischung in der serbischen
Volkspoesie,
Herr Fischer über die Auflösung der Akkusativrektion durch die
Präposition li im klassischen Arabisch (für die Berichte).
Es wurde für drei weitere Jahre ( 1 9 1 o — 191 2) beschlossen, das
Corpus Medicorum Graecorum mit jährlich 500 M. zu unterstützen.
Es wurde ferner beschlossen, den Druck der in Professor Bremer' s
Sammlung kurzer Grammatiken deutscher Mundarten erscheinenden
Arbeit über die obere Markgräfler Mundart mit 600 M. aus der
Mende- Stiftung zu unterstützen.
In der gemeinsamen Sitzung beider Klassen vom 2 1 . Februar 1 9 1 o
wurde Herr Johannes Volkelt zum ordentlichen Mitgliede der philo-
logisch-historischen Klasse gewählt.
Fhil.-hist. Klasse 1910. Bd. LX1I. 1 1
129
ÜberDialektmischung in der serbischen Volkspoesie.
Von
A. Leskien.
Wer mit den serbokroatischen Mundarten einigermaßen
vertraut ist, merkt beim Lesen serbischer Volkslieder auf
Schritt und Tritt, daß viele eine Mischung mundartlicher
Eigentümlichkeiten verschiedener Gegenden zeigen; er kann
die Erfahrung machen, daß ein ihm irgendwo erzähltes Märchen
den reinen Lokaldialekt bietet, dagegen ein ebenda mitgeteiltes
Lied eine Mischsprache. Schon Vuk hat sich in der Einleitung
seiner zweiten Sammlung serbischer Volkslieder (Narodne
srpske pjesme, Leipzig 1823 fg.) I S. XXXIV darüber aus-
gesprochen: „Wenn irgendein Lied aus der Hercegovina in
das Unterland kommt, wo man nicht hercegoviner Dialekt
spricht, so singen die Leute es dort nach ihrem Dialekt, z. B.
devojka deca leto" [nämlich statt djevojka oder devojka, djeca
oder deca, Ijeto Veto]] „aber etwas davon" [vom hercegoviner
Dialekt J „bleibt auch in vielen Wörtern, wo es nötig ist, daß
die volle Silbenzahl erreicht werde, z. B. lijepo, bijelo, vrijeme".
Gemeint ist mit den letzten Worten, daß die Umsetzung dieser
Wörter in die dem devojka entsprechende Form, also lepo,
belo, vreme, dem Vers eine Silbe kosten und ihn zerstören
würde, der Sänger also genötigt ist, die fremddialektische
Wortgestalt beizubehalten.
Ehe ich diese Bemerkung Vuks näher erläutere und
weiter führe, mache ich eine Einschaltung über die Mundarten
der Sprache, so weit ich sie hier brauchen will. Ich möchte
nämlich meine Abhandlung auch denen zugänglich machen,
130 A. Leskien:
die nicht serbisch verstehen, weil ich meine, die hier vor-
liegenden Erscheinungen können eine Analogie bilden zu
ähnlichen in der Volkspoesie andrer Völker. Je nach der
Behandlung des urslavischen, gewöhnlich mit e bezeichneten
e- Lauts, kann man die serbo- kroatisch Redenden in drei
Gruppen teilen: 1. Ekavci (Sing. Ekavac, d. h. E-sprecher):
e wird e, e wird e, z. B. dedt Großvater ded, svett Licht
svet1); 2. Jekavci (Jekavac, Je-sprecher): e wird je (nach r
in der Regel nur e, vor j i), e wird ije, djed, svljet] 3. Ikavci
(Ikavac, I- Sprecher): e wird *, e wird *; did svlt. In den
folgenden Erörterungen beschränke ich mich auf diesen in die
Augen fallenden und leicht merkbaren Unterschied, nehme
also auf andre dialektische Eigentümlichkeiten, auf Erhaltung
älterer Sprachformen in den Liedern und deren Mischung mit
neueren keine Rücksicht, weil das nur anschaulich gemacht
werden könnte unter Voraussetzung einer eingehenden Kenntnis
des Serbischen, seiner Mundarten und seiner Geschichte. Wenn
ich noch hinzufüge, daß der hier fast ausschließlich in Betracht
kommende Vers ein Zehnsilbler mit Zäsur nach der vierten
Silbe ist, wird man die folgenden Beispiele leicht verstehen.
Angenommen der Vers: on ne ide u bijelu crlivu (er ging
nicht in die weiße Kirche) stamme aus einer jekavischen
Gegend, wie denn die Form bijelu (= urspr. belq) das zu
ergeben scheint, so müssen die beiden darauffolgenden Verse
lauten :
vec 011 ide u to polje ravno
te on sije bjelicu psenicu
(sondern er geht auf das ebene Feld und sät weißen [buch-
stäblich: Weißling] Weizen). In Wirklichkeit (Vuk, Narodne
srpske pjesme II, Wien 1845, No. 3 V. 5 — 6) lauten sie:
vec on ide u to polje ravno,
te on seje belicu psenicu.
1) Die Akzentzeichen „ - , , bedeuten alle den Hochton des
Wortes, die für uns hier gleichgültigen Unterschiede sind solche der
Quantität (~ , gilt für lange Silben) und der Intonation (« ~ fallend,
v r steigend).
Über Dialektmischung in der serbischen Volkspoesie. 131
Daneben steht V. 4 als
on ne ide u bijelu crkvu,
d. b. also, in V. 6 sind statt der jekavischen Formen sije
bjelicu die ekavischen seje belicu eingesetzt, nach Vi KS Auf-
fassung, weil die mundartliche Gestalt dieser Wörter, da sie
so oder so die gleiche Silbenzahl haben, für den Vers gleich-
gültig ist, demnach in der ekavischen Gegend, in der das Lied
aus einer jekavischen gewandert sei, ohne weiteres seje statt
sije, belicu statt bjelicu gesungen werden konnte, während in
V. 4 bijelu stehen bleiben mußte, weil ekavisches belu (on ne
ide u belu crkvu) dem Vers eine Silbe geraubt und ihn damit
zerstört hätte.
Ein Vergleich, wie Vuk ihn zwischen jekavischer und
ekavischer Mundart anstellt, ist nun eben so gut möglich
zwischen ikavischer und ekavischer oder zwischen ikavischer
und jekavischer; z. B. die folgenden Verse eines Liedes aus
ikavischer Gegend:
da on vidi, draga dico rnoja,
da 1 istina sto zbori svitina
(damit er sehe, mein liebes Kind, ob es wahr ist, was die
Leute sagen) könnten ebenso gut ekavisch gesungen werden:
da on vidi, draga deco moja,
je 1 istina sto zbori svetina,
wie auch jekavisch:
da on vidi, drago djeco moja,
je 1 istina sto zbori svjetina.
Aber aus demselben Liede könnte der Vers:
beg im plina pravo podilio
(der Beg verteilte die Beute gerecht unter sie) wohl ins
Ekavische umgesetzt werden:
beg im plena pravo podelio,
aber nicht ins Jekavische:
beg im plijena pravo podijelio,
er bekäme dann zwei Silben zu viel und die Zäsur wäre nicht
da. Ginge also ein solches Lied in jekavische Gegend über,
132 A. Leskien:
müßte der dortige Sänger entweder die ikavischen Formen
beibehalten oder die Stelle ganz umdichten. Wenn nun in
einem sonst ikavischen Liede ein Vers mit jekavischen Wort-
formen vorkommt, z. B.:
hodi meni niz Bihac bijeli (ikav. bili)
(geh mir das weiße Bihac hinab), so wäre nach Vuks Auf-
fassung das so zustande gekommen, daß die einst jekavische
Gestalt des Liedes in ikavische umgesetzt wäre, wo der Vers
es erlaubte, dagegen jekavisch geblieben, wo der Vers wider-
sprach. Die Sache ist ja einleuchtend und bedarf keiner
weiteren Ausführung. Aber der von Vuk angenommene
Vorgang der Wanderung ist nur eine der Ursachen der Dialekt-
mischung in dieser Poesie; man kommt damit nicht aus.
Wenn es z. B. in demselben Liede, aus dem die oben ange-
führten Verse stammen, heißt:
kada pasa bilu Biscu side
(als der Pascha zum weißen Bihac hinabkam), oder
namah bilu knjigu napravio
(sogleich setzte er einen weißen Brief auf), so können diese
Verse — abgesehen von anderen Gründen — nicht aus
jekavischer Lautform umgesetzt sein, denn da ergäben sie
statt bilu ein bijelu und die Verse hätten eine Silbe zuviel,
der zweite keine Zäsur.
Die Vorgänge sind nicht so einfach, wie sie nach Vuks
kurzer Bemerkung erscheinen. Die Dialektmischung kann
auf dreierlei Art entstehen :
1. Durch Wanderung eines Liedes aus seinem ursprüng-
lichen Dialektgebiet (A) in ein andres (B) und Umsetzung
des Dialekts A in den Dialekt B, so weit der Vers es erlaubt,
oder umgekehrt.
2. Die Lieder können in einem Gebiet entstanden sein,
wo auch die tägliche Rede einen Mischdialekt darstellt.
3. Sänger, die selbst einer bestimmten Lokalmundart an-
gehören und nur diese sprechen, kennen und übernehmen
Lieder, die schon eine gemischte Sprache darbieten, und ahmen
diese Sprache, die dann also eine künstliche Dichtersprache
Über Dialektmischung in der serbischen Volkspoesie. 133
ist, nach, wobei sie selbst wieder Formen ihrer Lokalmundart
mit verwenden können.
Von dem ersten Punkt war schon genügend die Rede;
ich gehe jetzt auf die Punkte zwei und drei ein:
2. In der Gegend, in der ein Lied gedichtet ist und ver-
breitet wird, kann ein wirklich im täglichen Leben gesprochener
Mischdialekt herrschen. In der Sammlung von Luka Mar-
janovic (Hrvatske narodne pjesme, sto se pjevaju u Gornjoj
Krajini i u Turskoj Hrvatskoj I, Agram 1864) findet man
Lieder, die ein buntes Gemisch von ikavischer und jekavischer
Mundart zeigen, z. B. No. 1
V. 87 za bile se uhvatise ruke,
88 u bila se poljubise lica
(sie faßten sich an den weißen Händen, sie küßten sich in das
weiße Antlitz); jekavisch wäre bijela; daneben
93 i sjedose za sofru gotovu,
94 vino pili tri bijela dana
(und sie setzten sich an den bereiten Tisch, Wein tranken sie
drei weiße Tage), ikavisch wäre sidose, bila,
133 ti ne meci tudjeg za djevera
(du mach nicht einen Fremden zum Brautführer); in der
Wiederholung des Verses (170) steht ikavisch divera]
219 hazur nam je lijepa divojka
(bereit ist uns das schöne Mädchen),
229 povedose kicenu djevojku,
(sie führten her das geschmückte Mädchen), jekavisch wäre
lijepa djevojka, ik. lipa divojka, kicenu divojku. Marjanovic
bemerkt dazu im Vorwort S. II: „In der Gegend, aus der
alle diese Lieder sind1), spricht man stokavischen Dialekt,
aber zugleich gemischt ikavische und jekavische Mundart.
1) Es ist die sogen. Obere Grenze (Krajina) und das sogen.
Türkische Kroatien, namentlich die Gegend von Bihac an der Una,
anf bosnischem Gebiet, und westlich davon an der Grenze Kroatiens.
Leider hat der Sammler nicht die einzelnen Orte angegeben, aus denen
die Lieder stammen.
134 A. Leskien:
Im Tal von Bihac spricht man so, aber nur in dem Dorfe
Zavalje auf unsrer [d. h. österreichisch - kroatischer] Seite.
Weiter hinein nach Bosnien kann ich darüber nichts sichres
aussagen, aber auf unsrer Seite nahe bei Bihac und Zavalje
spricht man entweder rein ikavisch oder rein jekavisch. In
Bihad und Zavalje hört man [jekavisch] hijel (bio) bijeliti
pobijelio neben [ikavisch] büilica bililja [jekavisch wäre bjel-\
bjezati neben pöbici und pobiynuti [jek. -bjec'i, -bjegnuti], dijete
(in Bihac auch djete), djeca neben dica\ sreca srecan neben
nesrican, sljeme neben slime, sjediti sjesti [ikav. siditi sisti]
neben po-silo [jek. -sjelo], c'erati (eigentlich tjerati) neben
potirati und potira, vjera neben vira und neviran, und alles
das wird eins neben dem andern gesprocheu, aber Ikavisches
gibt es weit mehr. Was so in der täglichen Rede ist, muß
folglich auch in dem Liede sein, das in diesen Gegenden ge-
sungen wird; in ihm hört man dasselbe Wort bald mit i,
bald mit ije oder je."
Nimmt man diese Worte genau, so handelt es sich eigent-
lich uin drei Mundarten: i. reines Ikavisch, das ist die ur-
sprüngliche Mundart der Gegend; 2. reines Jekavisch, das
durch Einwanderung jekavisch Redender aus südlicheren
Gegenden dahin gekommen sein muß; 3. eine aus Ikavisch
und Jekavisch gemischte schwankende Sprechweise, die durch
Mischung der Altheimischen mit den Einwanderern entstanden
ist. Es ergibt sich von selbst, daß auch ein in einem ikavischen
Ort einheimischer Dichter oder Liedersänger bei der nahen
Nachbarschaft der eben genannten drei Sprechweisen den
jekavischen Dialekt und die Mischmundart oder Lieder aus
diesen kennen kann, und daß er nach der Bequemlichkeit für
den Vers bald die Formen der einen, bald der andern Mund-
art anwenden, also mischen kann. Man darf dann natürlich
aus der Sprache solcher Lieder keinen Schluß auf die tägliche
Rede des Sängers oder auf die Mundart des Ortes machen,
wo sie entstanden oder verbreitet sind.
Um mir eine genauere Vorstellung zu erwerben, wie es
eigentlich mit der Sprache der Lieder aus der Krajina steht
Über Dialekt.misciii inG in der serbischen Volkm-oksii:. 135
— ich kenne Land und Leute nicht aus eigner Erfahrung —
habe ich die große von der Matica Ilrvatska herausgegebene
Sammlung epischer Lieder vorgenommen (Hrvatske narodne
pjesme, skupila i izdala Malica Hrvatska. Junacke pjesme I,
Bde. 1 — 4, Agram 1896 — 99). Die Bände I, 3 u. 4 enthalten die
epischen Lieder muhammedanischer Sänger (d. h. islamitischer
Serben), zusammen 50 Lieder mit in runder Zahl 46000 Versen.
Aus dem Munde dreier Sänger stammen davon 45, und zwar 9
von Salko Vojnikovic (zusammen reichlich 8000 Verse), 13 von
Becir Islamovic (nahe an 12000 Verse), 2s von Mehmed
Kolakovic (in runder Zahl 19800 Verse), also fast 40000
Verszeilen sind von drei Sängern vorgetragen und nach ihrem
Vortrage aufgezeichnet. Die Sänger stammen aus dem schmalen
Grenzstrich, der sich etwas nördlich und südlich von Bihac
an der bosnisch -kroatischen Grenze hinzieht, und sie haben
nach ihrer Angabe ihren Liedervorrat von Leuten aus der-
selben Gegend überkommen. Außerdem ist der Inhalt der
Lieder der Art, daß ihre Entstehung auf die Krajina hinweist;
die Mundart der Gegend ist durchweg ikaviseh. Bei der Auf-
zeichnung (von 1886 an) waren die Sänger 60 — 70 Jahre alt.
Wir haben es also hier mit bestimmten Angaben über Ort
und Personen zu tun. Über die Herausgabe der Lieder und
die Behandlung der Sprache bei der Aufzeichnung macht der
Herausgeber Luka Marjanovic I, 3 S. LIV eine kurze Be-
merkung: [bei der Herausgabe der Lieder habe ich den Grund-
satz befolgt], „das Lied soll auch im Buche so sein, daß
sowohl sein Sänger wie auch ein Zuhörer aus Bosnien wird
sagen können, das Lied sei so geblieben, wie es bisher ge-
sungen und gehört worden ist. Bis in kleine und unbedeutende
Kleinigkeiten sind Anordnung, Sprache und sprachliche Eigen-
tümlichkeiten beibehalten worden, alles so wie wir es von
den Sängern empfangen und aufgezeichnet haben. Die Mund-
art dieser Lieder ist vorwiegend die ikavische, die jekavische
kämpft mit ihr. Auch die Formen sind vorwiegend alt, mit
ihnen kämpfen die neuen; auch das ist getreu aufgezeichnet
und so belassen."
136 A. Leskien:
Wie sieht nun eigentlich die Dialektmischung, ikavisch
mit jekavisch, in diesen Liedern aus? Zur Beantwortung der
Frage ziehe ich zunächst Lieder des Becir Islamovic" heran.
In dem Liede I, 4 No. 42 (703 Verse) kommen in runder
Zahl 160 Beispiele vor, wo die Möglichkeit eines Wechsels
zwischen * einerseits, je ije andrerseits gegeben war, aber 140
haben i\ achtmal kommt ije vor und zwar:
124 okreni, sine, Biscu bijelome
(wende dich, Sohn, zum weißen Bihac);
144 kad je saso Biscu bijelome
(als er herabgekommen war zum weißen Bihac; der nächste
Vers lautet: bilom dvoru Poprzenovica, zum weißen Gehöft
der Poprzenovic en) ;
172 on otisce iz bijela Bisca
(er eilte fort aus dem weißen Bihac; vgl. dazu 173 pa izidje
na Zavalje bilo, und ging hinaus auf das weiße Zavalje);
361 on pogleda pod klanac bijeli
(er schaute die weiße Schlucht hinunter);
435 i podaj mi hljeba bijeloga
(und gib mir weißes Brot; ikavisch wäre hliba biloga);
440 dva tri hljeba dade bijeloga
(zwei drei weiße Brote gab er);
448 a izvadi hljeba bijeloga
(und zog hervor weißes Brot).
Also siebenmal Formen des gleichen Wortes in formel-
haften Wendungen. Außerdem kommt nur vor:
439 dodade mu dvije boce vina
(gab ihm dazu zwei Flaschen Wein; ikavisch wäre dvi).
Stellt man dem gegenüber, daß 47 mal in diesem Liede l
vorkommt, wo jekavisch ije stehen würde, so wird man nicht
zweifeln, daß dem Sänger oder Verfasser des Liedes der Ge-
brauch der *)'e-Formen ganz ungeläufig ist, daß er sie anwendet
in Nachahmung formelhafter Ausdrücke aus ihm sonst be-
kannten Liedern. Um keinem Irrtum Raum zu geben, muß
ich noch bemerken, daß das häufige nije (ist nicht) neben
1. sg. nisam, 2. nisi, 1. pl. nismo usw. (jekav. nijesam usf.)
Über Dialektmischung in der .serbischen Volkspoesie. 137
nicht zu den //e-Formen gehört; es vertritt zwar altes ne(sfo),
ist aber nicht dessen Fortsetzung, sondern nach der Parallele
sam, si, je (ich bin, du bist, er ist) wurde zu ni-sam (= nestm)f
ni-si ein ni-je hinzugebildet. Ebenso kommt in jekavischen
Gegenden nisam, nisi, nismo usw. vor, das keine unmittelbare
Fortsetzung von nesim usw. ist (dafür steht jekavisch nijesam),
sondern hinzugebildet zu nije (= nc[sh~\).
Häufiger ist in diesem Liede e, je nach jekavischer Art, wo
man ikavisch i erwartet, 24 Beispiele (gegen 84 wo ikavisches
i steht), davon gdje (wo) 7 mal, pre- (Praepos.) %rred (Praep.)
preko 6 mal, vidjelica 4 mal, gen. hljeba 3 mal, sjede einmal,
ceraju (ikav. wäre tiraju) 1 mal; dazu könnte man noch das
hier zweimal vorkommende (auch sonst in diesen Liedern
nicht seltene) obi-dve (beide) rechnen, aber dve kommt ohne
Verbindung mit obi- nie vor und entspricht nicht altem dwe
(jekav. dvije, ekav. dve, ikav. dvi), sondern ist nach Analogie
des Nom.-acc. plur. (auf -e) der Nomina gebildet. Dem-
gegenüber vergleiche man, daß neben dem einmaligen sjede
(setzte sich) 13 mal in Formen der Verba sjediti sitzen,
sjesti sich setzen (so lauten sie jekavisch) das ikav. i steht,
neben einmaligem ceraju 9 mal Formen von tjerati in ikavischer
Gestalt als tirati- der gleiche Vers heißt 161: da ceraju
Popovic-Jovana, 189 da tiraju Popovic-Jovana (daß sie ver-
folgen den Jovan Popovic); neben den Beispielen von gdje
steht nigdi (nirgend) 353, und was charakteristisch ist, die
gleichgebildeten Ortsadverbien auf altes -de (jekav. -dje) kommen
in diesem Liede nur mit i vor: ondi, ovdi, tudi (8 mal).
Andre Lieder desselben Mannes ergeben gleichartige Ver-
hältnisse: in Lied I. 4 No. 32 (457 Verse) gäbe es 116 Ge-
legenheiten, jekavisches je und ije anzuwenden, tatsächlich
kommen zwei Beispiele von ije vor:
44 sisti (jekav. wäre sjesti) cemo pod cador bijeli
{setzen werden wir uns unter das weiße Zelt);
236 nego same dvije buljubase
(sondern allein zwei Buljubaschen) ; 9 mal daneben dvi.
Zehnmal erscheint je e, wo ikavisch i zu stehen hätte, davon
138 A. Leskien:
5 Fälle von pre- pred preko (daneben 3 vasA. priko); 1 mal njekom
(^irgend einem), vgl. die beiden Verse 384, 385:
niki nosi osicenu glavu
(jekav. wäre njeki nosi osjecenu glavu),
njekom strca krvca iz nidara
(jekav. njekom strca krvca iz njedara),
einer trägt das abgeschlagene Haupt, einem andern spritzt
das Blut aus dem Busen; einmal gdje neben dreimaligem
ovdi tudi\ zweimal Formen von tjerati: sacera 370, nac'era 376.
Es handelt sich, wie man sieht, um die wenigen gleichen
Wörter wie in dem erst besprochenen Liede.
Ferner I. 3 No. 12 (985 Verse); es gibt da 166 Gelegen-
heiten, wo jekavisches e je hätte stehen können statt der ikav.
Form mit i, benutzt sind davon 34, aber wieder in merk-
würdiger Weise: 10 mal gdje (dagegen ni-gdi 559, einmal ovdiT
3 mal tudi), 5 mal pred (3 mal prid), 8 mal pre- (4 mal pri-)f
einmal preko (2 mal prilio), 4 mal vjera mit seinen Formen und
zavjerio (5 mal vira), 1 mal bjezi (imper. lauf; dagegen 9 mal
Formen von bjeg- mit i), einmal sa-cero 68 (daneben 12 mal
tira-), einmal sjede (14 mal sid-); 1 mal nesreci (dagegen srica
2j 3, sritose 488, 863, sritemo 847). Von den Fällen mit pre-
ist einer belehrend:
1 1 2 obi s pobre hitre pregodile
(beide Wahlbrüder trafen eilig ein); das Verbum heißt in allen
Mundarten nur prigodiü und so auch in andern slavischen
Sprachen, die Zusammensetzung enthält die Präp. pri-} das i
ist also hier ursprünglich; der Sänger hat eben, da in seiner
täglichen Rede pri- (= pre -) mit pri- (= pri-) zusammenfällt,
ein altes pri- fälschlicher Weise durch pre- ersetzt.
Falsch ist wahrscheinlich auch umgesetzt
298, 350 sto se j krstu presegmdo svome
(die [der] bei ihrem [seinem] Kreuze geschworen hat), wenig-
stens ist das durchaus gebräuchliche Verbum in allen Mund-
arten pri-segnuti (mit altem pri-). Solche mißverständliche
Übertragungen in andre mundartliche Form werden wir unten
noch mehr finden. Ferner: 84 mal war in diesem Liede an
Über Dialektmischung in der serbischen Volkspoesie. 139
sich die Möglichkeit gegeben jekavisches ije zu brauchen (ikav. i),
tatsächlich kommt es fünfmal vor:
566 zakukase dvije kukavice
(es hüben an zu klagen zwei klagende Frauen [eig. Kukuke]);
790 djogat frei s desna 11a lijevo
(der Schimmel springt von rechts nach links). Die drei andern
Fälle sind verkehrte Umsetzungen eines jekavischen je (= e)
in ein nirgends mundartlich mögliches ije:
556 dok ja svoju spremim dijevojhu
(bis ich mein Mädchen reisefertig mache);
757 pa Zlatiji veli dijevojci
(dann sagt er zu dem Mädchen Zlatija);
893 a po njemu pade dijevojlca
(und nach ihm fiel das Mädchen). Das Wort lautet jekavisch
djevojka, ekavisch devojka und hatte altes e, kann demnach
in der Avirklich gesprochenen Mundart kein ije haben; in
unserm Liede steht 29 mal das dem Dialekt gemäße divojka.
Dem dijevojka werden wir noch bei einem andern Sänger
unsrer Sammlung begegnen; zunächst möchte ich erwähnen,
daß es einigemal auch in andern Liedersammlungen vorkommt,
so bei Vuk (Srpske nar. pj. I, v J. 1841) No. 342 V. 35: tere
prosi Mandu dijevojku (und er fordert das Mädchen Manda);
No. 730 V. 16: onoga cu biti dijevojka (dessen Mädchen will
ich sein); 25: kad vidila Mara dijevojka (als es sah das
Mädchen Mara); 36: to je majka Mare dijevojke (das ist die
Mutter des Mädchens Mara). Beide Lieder stammen aus Sinj
in Dalmatien und sind ikavisch, ich setze das erste vollständig
7 O
hierher, weil es mir darauf ankommt, auch an einem andern
Beispiel als an denen aus der Matica-Sammlung die Art dieser
Dialektmischungen zu. zeigen. Die in Betracht kommenden
Wörter sind kursiv gesetzt, in Klammer dabei die jeweilige
jekavische oder ikavische Gestalt des Wortes:
Dva se mlada iz mala gledala,
Ive jedno, a Jelina drugo.
Kad su dragi za ljubljenje bili,
onda Ive Jelini govori:
140
A. Leskien:
5 „0 Jelino, draga duso moja,
prosicu te, oces za me poci?"
A Jelina njemu govorila:
„0 Ivane, drazi od ociju,
ti me prosi, ja cu za te poci;
10 ma cu pitat mile moje majke,
oce li me majka dati za te".
Ide Jela dvoru bijelome (ik. bilome),
paka kaze miloj majki svojoj:
„0 starice, mila moja majko,
15 mene prosi Ire dite (jek. dijete) mlado;
oces li me dati za Ivana?"
Majka njojzi jeste govorila:
„Nut, ne luduj, Jelina divojlo (jek. djevojko);
tebe ce dat majka za boljega,
20 za boljega i bogatijega."
Ide Jela stadu u planinu,
kaz' Ivanu, sto je i kako je,
da joj ne da svoja mila majka.
Pak je njemu Jela govorila:
25 „Nut Ivane, moj dragi dragane,
prosi Mandu moju bratucedu,
od mene je i visa i lipsa (jek. ljepsa)
i hijelim (ik. bilim) ruvoin bogatija."
Na to njojzi Ive govorio:
30 „Muc', ne luduj, draga Jele moja;
nek je Manda i lipsa (jek. ljepsa) i visa
i hijelim (ik. bilim) ruvom bogatija,
kada nije mome srcu mila."
Pak on ide dvoru bijelome (ik. bilome)
35 tere prosi Mandu dijevojhi (jek. djevojku, ik. divojku).
prosio je i dadose mu je,
i kicene svate sakupio.
Idu svati po lipu divojku (jek. lijepu djevojku).
Kad su bili isprid (jek. ispred) bili (jek. bijeli[h]) dvora,
40 isprid (jek. ispred) dvora Jeline divojlce (jek. djevojke),
Über Dialektmischung in der serbischen Volkspoesie. 141
ali Jela na bilom (jek. bijelom) pendzeru
i ugleda svate Ivanove.
Pak je milu majku dozivala:
„Nut ti boru, moja mila majko,
45 da nie budes za Ivana dala,
sad bi ono moji svati bili."
Kad projdose svati mimo dvora,
zajauka gizdava divojka (jek. djevojka):
„Brzo k meni, mila majko moja,
50 vrlo me je sabolila (jek. -boljela) glava,
a od srca da dusa izajde;
daj ti meni od sanduka kljuce,
da ja sebi traziui likarije" (jek. ljekarije).
Privari (jek. prevari) se majka divojacJca (jek. djevojacka),
55 i dade joj kljuce od sanduka.
Ide ona gori u cardake,
paka najde dva zlatna gajtana,
pak se visa (jek. vjesa) kuli 0 pendzere.
Zove majka Jelenu divojku (jek. djevojku),
60 ali joj se Jela ne odziva.
Kad pogleda kuli uz pendzere,
al se mlada obisila (jek. objesila) Jela
od zalosti za SYOJim Ivanom.
Trci majka u kulu bijelu (ik. bilu),
65 ter prisica (jek. presijeca) dva zlatna gajtana;
pade Jela na crnu zemljicu.
Misli majka da je zanimila (jek. zanijemjela),
al se Jela s dusom razdilila (jek. razdijelila).
Kada vidi majka divojacJca (jek. djevojacka),
70 nacini joj lisena (jek. ljesena) nosila,
pak je nosi putu na raskrsce,
kud <5e proci svati Ivanovi.
Kad su tuda svati izodili,
inedju sobom oni govorili:
75 „Lipa (jek. lijepa) dana, milom bogu fala!
Kad sm' ovuda jucer proodili,
142 A. Leskien:
ovog greba ovdi (jek. ovdje) nije bilo."
Od srata se niko ne dosica (jek. dosjeca),
vec se siti (sjeti) Ive djuvegija,
so pak je njima tijo govorio;
„Ajte naprid (jek. naprijed), gospodo svatovi,
ovo je greb pobratima moga,
idem se zanj bogu pomoliti."
Osta Ive na grebu Jeline,
85 idu svati dvoru u naprida (jek. naprijeda). ,
AI s' od Ive niko ne dosica (jek. dosjeca),
vece Manda njegova divojka (jek. djevojka),
pak je ona tijo besidila (jek. besjedila):
„Nut divere (jek. djevere), zlatni moj prstene,
90 stid je mene na te i gledati,
kamo 1 nije s tobom oesiditi (jek. besjediti):
gdi (jek. gdje) je nama Ivan djuvegija?"
Onda svati natrag se vratili
i nadjose Ivana mladjana;
95 misle oni, da je sanimio (jek. zanijemio),
al se Ive s dusom razdilio (jek. razdijelio)
od zalosti za Jelinom svojom.
Tu mu lipi (jek. lijepi) grebak iskopase,
pored Jele Ivu ukopase,
100 kroz zemljicu ruke sastavise,
al u ruke rumenu jabuku,
nek se znade, da su dragi bili.
Maleno je vrime (jek. vrijeme) postojalo,
iz momka je zelen bor nikao;
105 iz divojke (jek. djevojke) vinova lozica,
i fata se boru za ogranke
ka' divojka (jek. djevojka) rnoniku oko vrata.
Mili boze, na daru ti fala!
Bog ubio i stara i mlada,
110 ko rastavlja dva mila i draga!
Von den 46 in Betracht kommenden Beispielen sind 5 in
jekavischer Form und in lauter formelhaften Wendungen:
Über Dialektmischung in der serbischen Volkspoesie. 143
dvoru bijelome 12, 34, u fotdu bijelu 64, bijelim rurom 28, t>2)
dazu noch das dialektisch überhaupt falsche dijevojJiU 35. Die
sonst in diesem Paukte rein ikavische Sprache des Liedes hat
diese //('-Formen also offenbar aus der poetischen Sprache
übernommen. Man kann nur fragen, ob die ikavische Laut-
form aus einer andern umgesetzt sei; das kann nicht sein aus
jekavischer, denn da wären, wie man sich durch die obigen
Einklammerungen überzeugen kann, 15 mal falsche Verse
herausgekommen; dagegen hätte das Lied ursprünglich ekavische
Gestalt gehabt haben können, denn statt des ikavischen i läßt
sich überall ohne Beeinträchtigung des Verses e einsetzen.
Es ist auch nicht unmöglich, daß das Lied einmal ekavisch
gewesen ist, denn ganz nahe stehende Varianten sind in dieser
Form verbreitet, aber auch ein solches müßte die jekavischen
Beimischungen mit ije schon gehabt haben.
Ich gehe jetzt über zu der Betrachtung der sämtlichen
Lieder des Salko Vojnikovic (9 mit 8000 Versen). Auch
hier zeigt die Gesamtheit, daß der Sänger seine ikavische
Mundart anwendet. Es stecken daneben in den Liedern je-
kavische Formen mit -ije-} aber wie sich zeigen wird, in ganz
eigner Weise:
I 3 No. 1 (1009 Verse):
470, 488 deder pravi bijela fermana
(so stelle aus den weißen Ferman);
498 a ne saljes bijela fermana
(und du schickst nicht einen weißen Ferman);
988 car mu dade bijela fermana
(der Sultan gab ihm einen weißen Ferman).
I 3 No. 4 (851 Verse):
250 pruzi njemu bijela fermana
(händigte ihm ein den weißen Ferman);
200 da j on snio bijela fermana
(daß er gebracht hat den weißen Ferman);
460 pa s mi dati bijela fermana
(und du wirst mir geben den weißen Ferman);
PhU.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 1 2
144 A. Leskien:
832? &33 dva Pu^ "bila prevelika crkva,
a tri puta bijela dzaniija
(zweimal eine weiße sehr große Kirche, und dreimal eine
weiße Moschee; jekavisch wäre 832 bijela, ikavisch privelika,
833 ikavisch bila).
I 3 No. 5 (1052 Verse):
296 deder pravi bijele fermane
(so stelle aus weiße Fermane);
308 de mi pravi bijele fermane (dasselbe);
SS 3 kad rasuo bijele fermane
(als er die weißen Fermane ausgesandt hatte).
I 3 No. 11 (639 Verse):
393 bila mu brada | a calma bijela
(weiß sein Bart und weiß der Turban), der Vers hat vor der
Zäsur eine überzählige Silbe, das mu könnte gestrichen werden
als entbehrlich; das erste „weiß" ist ikavisch, bila, das zweite
jekavisch, bijela).
372 — 375 gdje smo, pobro, kosti zanijcli,
ti da s vila pa da inias krila,
ne bi t pera tela iznijela,
vire m, pobro, na nasu Udvinu
(wohin wir, Bruder, die Gebeine vertragen haben, wärest du
eine Vila und hättest Flügel, nicht würden deine Flügel
[buchstäblich „Gefieder"] den Leichnam herausgetragen haben
bei meiner Treu, Bruder, zu unserm Udvina). Die Verse sind
ein Muster von Dialektmisch ung: gclje, zanijeli, iznijela jekavisch
(ikavisch wären gdi, zanili, iznila), tela, gen. von telo, ist
ekavisch (jek. üjelo, ikav. tilo). Das Glossar des Bandes macht
die Bemerkung, tilo komme nur in einem Liede des Islamovic
vor. Die ekavische Form ist, da diese Sänger sonst ekavi-
schen Dialekt nicht brauchen, sonderbar, ganz unnötig, da das
ikavische tilo durchaus in den Vers paßt. Vojnikovic hat
für telo eine ganz besondere Vorliebe; in seinem Liede I 3
No. 5 kommt es nicht weniger als 15 mal vor:
Über DiaiiEktmischung ix der serbischen Volkspoesie. 145
674, 675 a otisc'e telo Marusino,
telo pade u vodu Prominu
(und stieß weg den Leichnam der Mara, der Leichnam fiel in
das Prominagewässer);
722 a bacio telo Marusino
(und warf den Leichnam der Mara);
760, 761 da vadite iz vode ledene,
jedan telo Lehovkinje Mare
(daß ihr herausziehet aus dem kalten Wasser, einer den Leich-
nam der Lehovkinja Mara);
773 ovde vam je telo Marusino
(hier ist euch der Leichnam der Mara);
778 izvadise telo Marusino
(sie zogen heraus den Leichnam der Mara);
780 u djemiju telo povalili
(ins Schiff warfen sie den Leichnam);
781 a kod tela glavu Marusinu
(und bei dem Leichnam den Kopf der Mara);
784 ponesose telo Marusino
(brachten den Leichnam der Mara);
790 evo, care, tela Marusina
(hier, Sultan, der Leichnam der Mara);
846, 847 nek opere telo Marusino,
pa uz telo nek prisloni glavu
(daß er die Leiche der Mara wasche und an den Leichnam
den Kopf anfüge);
850, 851 on oprema telo Marusino,
uz telo joj glavu prislonise
(er richtete her den Leichnam der Mara, an die Leiche fügten
sie ihren Kopf) ;
864 iznili ste (jek. iznijeli) ste telo Marusino
(herausgetragen habt ihr den Leichnam der Mara). Wäre dem
Sänger oder Dichter etwa die jekavische Wortform tijelo ge-
läufig gewesen, so hätte er sie mit Leichtigkeit anbringen
können, z. B. 851 (wo das joj, = ihr, durchaus entbehrt
werden kann): uz tijelo | glavu prislonise. Man kann die Sache
12 *
146 A. Leskien:
kaum anders verstehen, als daß dem Dichter oder Sänger die
ekavische Form bekannt war, das Wort tilo vielleicht in seiner
täo-lichen Rede ihm nicht recht geläufig, und daß er telo als
eine Art poetischer Form angebracht hat.
I 3 No. 19 (10 17 Verse):
211 od bijela Hlivna kamenoga
(von dem weißen steinernen Hlivno);
892 odnese ga u Hlivno bijelo
(brachte ihn fort ins weiße Hlivno);
1008 pak je clite svijet prominio
(dann ist das Kind aus der Welt geschieden, wörtlich „hat
die Welt vertauscht"); rein ikavisch wäre svitj der ganze Vers
müßte jekavisch lauten: pak je dijete svijet promijenio, und hätte
dann 2 Silben zu viel; er enthält eine auch sonst wieder-
kehrende Formel.
I 3 No. 21 (499 Verse):
420 Soric dvije desnom i livakom
(Soric zwei [Pistolen] mit der rechten und der linken); das
einzige Beispiel, obwohl beinahe 50 mal an sich Gelegenheit
zur Anwendung von ije vorhanden war. Es hätte hier ebenso
gut stehen können statt des substantivischen livakom (jekav.
Ijevdkom zu Ijeväk Linkhändiger) und sogar passender Hjevom
in jekavischer Form; die Formel desnom i lijevom kommt
sonst vor, dieser Sänger hat sie aber vermieden.
I 3 No. 2T, (181 2 Verse):
902 uz bijelu Alaginu kulu
(hinauf zum weißen Turmhaus Alagas);
1392 bila mu bradu a calma bijela
(derselbe Vers wie oben S. 144);
64 nije 1 koji svijet prominio
(dieselbe Formel wie oben I 3 No. 19 V. 1008);
881 sve na njemu Tale popijeva,
otpiva mu Radojica mali
(immer singt auf ihm [dem Rosse] Tale, ihm antwortet im
Gesang der junge Radojica); im zweiten Verse wäre jekavisch
ot-pijeva.
Über Dialektmischunq in der serbischen Volkspoesie. 147
908 a sve Tale vice dijevojku
(und immer ruft Tale das Mädchen);
627 kad to cula lipa dijevojlca
(als das hörte das schöne Mädchen); dijevojJca ist, wie oben
bemerkt, dialektisch überall unmöglich; der letzte Vers ist um
so bemerkenswerter, als der Sänger mit zwei richtigen jekavi-
schen Formen Ujepa djeoojhx einen tadellosen Vers hätte liefern
können und damit mundartlich folgerichtige Formen; er hat
also keine Empfindung für die jekavische Mundart. Übrigens
gab es in dem Liede noch 172 Gelegenheiten zu -ije-,
I 4 No. 35 (334 Verse), kein ije, obwohl es mehr als
20 mal hätte vorkommen können.
I 4 No. 45 (966 Verse):
852 meni valja srijet prominiti
(ich muß aus der Welt scheiden);
965 dok je neue svijet prominila
(bis die Mutter aus der Welt geschieden ist); also dieselbe
Formel wie S. 146.
Es scheint mir völlig klar, daß die Dichter dieser Lieder
nicht in einem solchen Mischdialekt gedichtet haben, der
neben ikavischem i (= urspr. e) unterschiedslos oder in größerer
Ausdehnung eine jekavische Beimischung von ije hatte, sondern
daß sie formelhafte Wendungen, die sie einmal aus Volks-
liedern mit gemischten ikavischen und jekavi sehen Formen
gelernt hatten, weiter verwenden, auch wohl gelegentlich
weitere jekavische Formen, die ihnen von irgendwoher bekannt
sein konnten, einmischten, also eine künstliche Dichtersprache
brauchen. Wäre es anders, so wäre es völlia; unbegreiflich,
daß bei den vielen Hunderten von Möglichkeiten zur An-
wendung des jekavischen ije in den gesamten 8000 Versen
nur 24 Beispiele davon vorkommen, und von diesen 18 auf
zwei Wörter entfallen: 14 auf Formen des Wortes für „weiß",
bijela usw., 4 auf svijet] daß zweimal falsches dijcuojha steht.
Als nicht formelhafte Anwendungen bleiben nur 4: sanijeli,
iznijela, dvije, popijeva.
Die jekavischen Formen mit je (nach r nur e) = urspr. e
148 A. Leskien:
an Stelle der ikavischen * sind in allen Liedern weit häufiger.
Es wäre weitläufig und auch unnütz, alle daraufhin durch-
zugehen, ich begnüge mich mit einem (I 3 No. 23), das durch
seine Länge (181 2 Verse) eine Menge Möglichkeiten bietet,
und mit einem für diesen Sänger ungewöhnlich kurzen (I 4
No. 35 mit 334 Versen). Das letzte ist charakteristisch: je, e,
wo ikavisch i stehen sollte, kommt vor in der Präposition
pre- (4 mal), in gdje (wo, 1 mal), ovde (hier, 2 mal; darüber
s. u.), Gelegenheit zur Anwendung des je hätte es außerdem
34 mal gegeben. Damit vergleiche man das Lied I 3 No. 23
mit seinen 181 2 Versen: gdje (16 mal; 5 mal di = gdi, die ikav.
Form); onde ovde tude (zusammen 9 mal; 1 mal wird ovdje
geschrieben); pre- (6 mal; dagegen pri- 16 mal); pred (3 mal;
jarid 8 mal); alles andre sind verstreute Fälle: njesto 928;
bjezi bjezis 1441, 1446 (dagegen 5 mal Formen von bjegnuti
mit i); pri-cera 1592 (16 mal Uro-); ujela 996, 1291; Stjepa-
novoj Stjepane 415, 814 (12 mal Supern)] trebovati 746, 823
(5 mal tribovati und potriba)- vjeru 392 (9 mal vira und viran).
Wenn man sämtliche Lieder durchnimmt, so wiederholt sich
stets dieselbe Erscheinung: außerordentlich häufig ist gdje,
dagegen gdi (di) verhältnismäßig selten, sehr häufig onde
ovde tude1) (daneben ovdi ondi tudi)] sehr beliebt sind pre-
(neben sehr häufigen pri-) und pred (neben prid) ; alle andern
sind sporadische Fälle. Es ist nun sehr wohl möglich, daß
die Gruppe von Menschen, denen der Sänger angehört, wirk-
lich auch im täglichen Leben gdje, pre-, pred u. a. neben
gdi (di), pri-, prid usw. brauchen, dann ist die Mischung in
den Liedern ein Reflex der wirklich so geredeten Sprache.
Aber gegen manches habe ich Bedenken und den Verdacht,
daß der Sänger eine poetische Sprache reden, in seinen Vortrag
gewissermaßen etwas Vornehmeres oder Auffallendes hinein-
bringen will. Daß der Mann z. B. den Namen Stipan (Ste-
1) Diese Formen sind an sich unregelmäßig, jekavisch ist ovdje
usw., ikavisch ovdi; ovde onde tude sind ekavische Formen, oder, was
ich freilich bezweifle, gehen überhaupt nicht auf das Formans -de,
sondern auf -de {omde ov^de) zurück.
Über Dialektmischung in der serbischen- Volkspoesie. 149
phanus) im täglichen Leben in dieser Form braucht, ebenso
rira, scheint mir aus den oben gemachten Angaben hervor-
zugehen; es fällt ihm dann ein, gelegentlich vereinzelte Male
Stjepan und vjcra anzuwenden. Noch in andern Fällen scheint
mir eine solche Tendenz sichtbar: I 3 No. 23 V. 78, 89, 164
steht 3. sg. aor. Mi (wollte) = altem chtte- daneben kommt
vor V. 1496 cede, V. 704, 711 das pari praet. fem. cela, 202
msc. cio- das sind Formen der südlichsten serbischen Mund-
arten, in denen t mit einem aus urspr. e hervorgegangenen
j-Laut (tj) zu 6 wird, z. B. [Iijcela für htjela\ ikavisch würden
die Formen lauten lüde, idio, Idila. In dieselbe Kategorie
südlicher Formen gehört auch cerati (treiben) für tjerati
(== terati); ikavisch ist das ungemein häufig in den Liedern
gebrauchte tirati, und mir ist es nicht zweifelhaft, daß die
Sänger im täglichen Leben tirati sprachen.
Zur Bestätigung des Gesagten führe ich noch die Ver-
hältnisse aus Liedern des dritten der genannten Säno-er,
Mehmed Kolakovic, an. Das Lied I 3 No. 3 (655 Verse)
enthält 15 Beispiele von ije, aber alle dieselbe Formel mit
demselben Wort:
95, 96 saci meni Biseu bijclome,
da vas puscim iz BisVa bijela
([wollt ihr] zu mir kommen zum weißen Bihac, daß ich euch
entlasse aus dem weißen Bihac) ;
127 hod'te meni Biscu bijelomc
(geht mir zum weißen Bihac);
134 otiskose Ripcu bijelome
(sie eilten zum weißen Ripac);
178 otiskose Jajcu bijelome
(sie eilten zum weißen Jajce);
200 na Prisici kod Bisca bijela
(auf Prisika bei dem weißen Bihac);
230 i odose bijelu Glamocu
(und sie gingen zum weißen Glamoc);
254 ova j knjiga od Bisca bijela
(dieser Brief ist vom weißen Bihac);
150 A. Leskien:
356 u avliji pocl kulom bijelom
(im Hofe tinter dem weißen Turmhaus);
443 kad stigose Biscu bijelome
(als sie anlangten beim weißen Bihac);
461 gledat mejdan kod Bisea bijela
(zu beschauen den Kampfplatz beim weißen Bihac);
585 ode Drazic Biscu bijelome
(es zog Dragic zum weißen Bihac);
610 hajmo, Meho, Biscu bijelome
(gehen wir, Meho, zum weißen Bihac);
619 ode bane Biscu bijelome
(es zog der Ban zum weißen Bihac);
627 eno glave u Biscu bijelu
(da der Kopf im weißen Bihac).
Dazu ist zu bemerken, daß 19 mal daneben Formen des
Adjektivs „weiß" mit dem ikavischen i vorkommen, z. T. in
den gleichen Formeln wie oben; z. B.:
175 otiskose do Travniku bilu
(sie eilten zum weißen Travnik);
266 vi ne id'te Sarajevu bilu
(geht ihr nicht zum weißen Sarajevo);
300 svakom mucno bilu Biscu saci
(jedem ist es schwer zum weißen Bihac zu gehen);
591 kada Drazic bilom Biscu sadje
(als Drazic zum weißen Bihac hinabging).
Der Sänger braucht also die ihm aus Überlieferung be-
kannte unzähligemale vorkommende Formel „weiße Stadt" in
der jekavischen Form, wenn sie ihm für den Vers bequem
ist, sonst wendet er die ihm natürliche ikavische Gestalt der
Wörter an. Dieser Sänger hat nun eine weit größere Vor-
liebe für je, e (statt ikav. {)• in dem eben behandelten Liede
fast regelmäßig gdje, öfter £>re-, cerati, vjera-, in seinen andern
Liedern ebenso. Es kommt dabei ein völlig willkürliches
Gemisch heraus, so z. B. in dem Liede I 3 No. 6 (563 Verse)
neben divojka (21 mal) djevojka (6 mal), vier von dieser Form
Über Dialektmischung in der serbischen Volkspoesie. 151
im Bereich der Verse 218 — 240, an andern Stellen die gleichen
Verse oder gleichen Wendungen mit divqßa, vgl.
218 da ja lipih vidjam djevojdka
(daß ich die schönen Mädchen sehe);
221 eto tebe, eto divojaka
(da hast du, da die Mädchen);
25g stoji dreka lipih divojaka
(da erhebt sich Geschrei der schönen Mädchen);
237 dede vikni na svoju djevojlui
(nun rufe nach deinem Mädchen);
256 a za ruku povuee divojku
(und an der Hand zog er das Mädchen);
240 sto ce ona bena od djevojJce
265 sto ce ona bena od divojke
(was will diese Närrin von Mädchen).
Dazu kommt in diesem Liede nicht ein einziges -ije- vor,
obwohl 22 mal dazu Gelegenheit gewesen wäre, d. h. anstatt
ikav. I (= e) jekav. ije hätte verwendet werden können.
Behält man im Auge, daß die Sänger, die einem be-
stimmten Lokaldialekt angehören, aus dem Gesamtvorrat von
Liedern, den sie kennen, Wortformen, namentlich formelhafte
Wendungen in andrer als der ihnen einheimischen mundart-
lichen Gestalt entlehnen, so kann in solchen Fällen von einer
Dialektmischung auf Grundlage eines bereits so gesprochenen
Mischdialekts nicht die Rede sein, sondern der ursprüngliche
Dichter hat das Lied in seinem Dialekt gedichtet oder dem
Sänger ist es in einem bestimmten Dialekte überliefert worden,
er bedient sich aber der Freiheit einer in rerum natura nicht
vorhandenen Dichtersprache. Nun kann aber der Fall ein-
treten, daß ein in dieser Gestalt vorhandenes Lied aus dem
Dialektgebiet A in das von B wandert und so weit es möglich
ist in dessen Mundart umgesetzt wird; dann tritt eigentlich
eine dreifache Mischung ein: 1. Formen der Mundart B, in
die Formen von A umgesetzt werden konnten, soweit jene den
Vers nicht stören; 2. Formen der Mundart A, die nicht um-
gesetzt werden konnten, weil so der Vers zerstört wäre;
152 A. Leskien:
3. stehen gebliebene Entlehnungen aus andern Mundarten, die
schon in der ersten Fassung enthalten waren.
Auch das läßt sich an bestimmten Beispielen zeigen. Bei
Vuk I (v. J. 1841) behandeln die Lieder No. 343, 344, 345 den-
selben Gegenstand: eine Mutter zwingt ihren Sohn zur Heirat
mit einem ungeliebten Mädchen; in der Hochzeitsnacht stirbt
er vor Sehnsucht nach der verlassenen Geliebten; diese stirbt
ihm nach, als der Trauerzug bei ihrem Gehöft vorbeikommt.
Die Lieder sind ganz offenbar aus derselben Grundlage her-
vorgegangen und decken sich z. T. wörtlich; die beiden ersten
sind ekavisch, das dritte jekavisch. In No. 343 (101 Verse)
stehen 30 Fälle mit richtigem ekavischen e, wo jekavisch je e
(= e) stehen würde, 18 Fälle mit e (= e), wo es jekavisch
ije heißen müßte, einmal aber kommt eine Formel mit ije vor:
ne pust' glasa do bijela dana 40 (gib keine Nachricht bis
zum weißen Tage), dazu noch: kupajte nie djulom rumenijem
35, 61 (badet mich in rotem Rosen wasser). In No. 344
(126 Verse) haben 30 Fälle, wo jekavisch je, e stehen würde,
regelmäßig ekavisch e, 14, wo jekavisch ije nötig wäre, regel-
mäßig ekavisch e, nur daneben zweimal die Formel: suze
roni niz bijelo lice 28, 84 (Tränen vergießt sie das weiße
Antlitz hinab). Also der ekavische Sänger hat hier eine in
jekavischen Liedern natürliche und beliebte Formel übertragen;
genötigt war er dazu an sich nicht, vgl. V. 41: pak devojki
belo lice ljubi (dann dem Mädchen das weiße Antlitz küßt er).
Das dritte Lied No. 345 (etwas länger ausgesponnen, 230 Verse)
ist in der hier überlieferten Form jekavisch, aber es läßt sich
zeigen, daß es einst ekavisch gewesen ist. Dabei beweisen
die 44 Fälle, in denen je = altem e steht, nichts, denn die
sind normal, wenn etwa das Lied ursprünglich jekavische
Form hatte; aber es kommen 16 Fälle vor, wo jekavisch ije
stehen müßte (= altem e) und alle diese sind hier einsilbig
zu lesen, sonst geht der Vers nicht aus. Der Herausgeber
hilft sich hier mit der Schreibung 'je, also als wenn eine
Elision des i stattgefunden hätte. Nun kommt es tatsächlich
in jekavischen Liedern hie und da einmal vor, daß statt ije
Über Dialektmischung ix des serbischen Volkspoesie. 153
ein einsilbiges je steht, aber nie so wie hier. Setzt man hier
die richtigen ekavischen Formen ein, wie es unten in Klammern
geschieht, so sind alle Verse in Ordnung:
12 l'jepom (h'pom) Fatom Atlagica zlatom;
35 ajd' Omere, moje b'jelo (belo) perje;
40 vec on osta u b'jdome (belome) dvoru;
57 ustr'jelice (ustrelice) mog sina jedina;
73, 74 vadi majka svoju b'jelu (belu) dojku,
pa zakline svojom b'jelom (belom) dojkom:
103, 104 da ti pisem do dv'je (dve) do tri r'jeci (reci),
da te moja ne ob'jcdi (obedi) majka;
ein jekavischer Sänger, der spricht: do dvije do trije rijeci,
dbijcdi, konnte unmöglich solche Verse machen; dieselben Verse
lauten in dem ekavischen Liede No. 344 V. 61, 62:
da napisem do dve do tri reci,
da te moja ne obedi majka,
und so sind sie ursprünglich beschaffen gewesen, Dialekt und
Vers sind dann in Einklang.
151 kitite me cv'jecem (evecem) karannrjem
(vgl. damit 344 V. 65 nakiti me evecem svakojakim);
154, 170 pokraj b'jela < bela) Merimina dvora;
180 vrlo miri cv'je'e (evece) karanfilje;
191 od ljutice sva je prebl'jedüa (-bledila);
217 mrtvo tjelo (telo) na zemlju pustise;
225 malo vr'jeme (vreme) za tim postojalo.
Nun kommt dreimal in dem Liede wirklich ije vor:
108 ne pust' glasa do bijela dana
(der gleiche Vers ebenso 343 V. 40);
187 bas Fatimom Jijipom djevojkom;
208 pa izlazi pred hijeJe dvore.
Also die Sache liegt so: das Lied war von Haus aus ekavisch
mit einigen jekavischen Formeln, die -ije- enthalten. Diese
Mischung ist in eine jekavische Gegend gekommen oder von
einem jekavischen Sänger aufgenommen, die dem Jekavischen
154 A. Leskien:
gemäßen schon vorhandenen -ije- blieben dabei natürlich stehen,
die ekavischen e (= e) konnten ohne weiteres in je umgesetzt
werden, die ekavischen e (= e) aber nicht in ije, denn sonst
wären alle obengenannten Verse vernichtet worden. Wie nun
der Vortragende diese vom Herausgeber b'jela usw. geschriebenen
Formen gesprochen hat, ob biela mit diphthongischem ief
oder ob bjela mit Dehnung des e (solche Aussprache hat sich
unter besondern Umständen örtlich ausgebildet), läßt sich jetzt
nicht mehr ausmachen.
Vuk I No. 544 (übersetzt bei Talvj, Volkslieder der
Serben I S. 58), 555 sind zu einem großen Teil wörtlich
übereinstimmende Lieder in elfsilbigem Versmaß, Zäsur nach
der vierten Silbe. No. 555 ist ekavisch:
Obvila se bela loza vinova
oko grada oko bela Budima.
To ne bila bela loza vinova,
vec to bilo dvoje mili i dragi.
Oni su se u mladosti sastali,
a sada se u nevreme rastaju.
Jedno drugom na rastanku govori:
„Podji, drago, podji, srce, u napred,
ti ces naci jednu bascu gradjenu,
i u basci bokor ruze rumene.
Ti uzberi jedan strucak ruzice,
pa ga metni u nedarca do srca.
Kako vene onaj strucak ruzice,
'nako vene srce moje za tobom."
Ono drugo na rastanku govori:
„A ti podji malo, duso, u natrag,
ti ces naci jednu goru zelenu
i u gori bunar voda studena,
u bunaru jedna casa srebrna,
i u casi jedna gruda sne'zana.
Pa je metni u nedarca do srca;
kako kopni ona gruda snezana,
'nako kopni srce moje za toboin."
ÜBER DlALKKTMISCHUNG IN DES SERBISCHEN VoLKSPOESIE. 1 55
Damit vergleiche man No. 554, jekavisch:
Povila se b'jela loza vinova,
ispod b'jela ispod grada ßudima.
To ne bila b'jela loza vinova,
vec to bilo Vjepo Jovo i Mara.
Oni su se iz malena sledali,
iz malena do golema djcteta.
Kad bi vreme, da se mali sastanu,
rastavi ih kurva kueka Budimka;
ode Jovo i odigra alata,
osta Mara drzeci se za vrata.
Jovo Mari polazeci govori:
„S bogom ostaj, moja ruzo rumena!"
„„Poso s bogom, moj siv-zelen sokole!""
„Pred tobom su do tri göre zelene,
u jednoj je bunar voda studena,
u bunaru jedna casa srebrna,
i u casi jedna gruda snijega]
ti je uzmi, pa je metni u njedra,
pa kad prodjes jedno selo i drugo,
ti zagledaj sebi, duso, u njedra:
kako s' topi ona gruda snijega,
'nako s' topi srce moje za tobom."
Man sieht wieder die halbe Umsetzung ins Jeka-
vische: bei djeteta (ekav. deteta), njedra (ekav. nedra) macht
die eine oder die andre Lautgestalt für den Vers keinen
Unterschied, aber lepo, bela vreme konnten nicht zu lijepo,
bijela, vrijeme ohne Vernichtung der Verse umgestaltet werden.
Wo der Sänger es leicht hatte, mit einer andren Wendung
die ekavische , Forin durch eine jekavische zu ersetzen, hat er
es getan, daher statt des in Nr. 555 V. 19, 21 stehenden gruda
snezana (jekavisch wäre snjczana, = schneeiger Ball) einge-
setzt ist Nr. 5,54 V. 17, 21 gruda snijega (Ball des Schnees).
3. Die bisher behandelten Lieder gehören alle dem soo-e-
nannten stokavischen Mundartengebiet an, das abgesehen
von der behandelten Spaltung in eine ije- je-, eine e- und eine
156 A. Leskien:
«'-Gruppe sprachlich im wesentlichen gleichartig ist oder
wenigstens für unsern Zweck so angesehen werden kann. Aus
diesem Gebiet sind aber Lieder auch in das sogen, cakaviscke
(westliche) Dialektgebiet an der adriatischen Küste und
namentlich auf den dalmatinischen Inseln gewandert. Ich
will hier nur Rücksicht nehmen auf die Insel Lesina (slav.
Hvar, Far, d. i. das antike Pharos). Der Inseldialekt weicht
lautlich und formal stark von den stokaviscken Mundarten
ab; hier kommen wesentlich folgende Eigentümlichkeiten in
Betracht: 1 1 steht an Stelle von jekavischem ije je (wo diese
= e e sind), also die Mundart ist ikavisch; silbenauslautendes
l geht nicht in 0 über, z. B. pitai, nicht pitao), es wird aber
in gewissen Stellungen stumm, z. B. M sam (ich bin gewesen)
für Ml sam (stokav. bio sam) ; statt des r- Vokals steht ar (lang
är)} z. B. bardo (Berg) für brdo\ auslautendes m von Flexions-
formen wird n, z. B. san (ich bin) statt sam; dj (ß) wird j,
z. B. mlajahan (jung) für mladahan; Ij (d. h. T) wird j, z. B.
jubav (Liebe) aus l'ubav (ljubav); statt der Endungen des Pro-
nomens und bestimmten Adjektivs -oga, -omu wird gebraucht
-ega, -emu\ das neutrale Fragepronomen lautet da (stokavisch
sto)] die alten Formen des Dat., Instr., Loc. plur. sind erhalten,
es fehlt der Gen. plur. auf -ä; Aorist und Imperfektum sind
längst außer Gebrauch und ersetzt durch das umschriebene
Perfekt. Anzugeben ist noch, daß der zehnsilbige Vers im
Küstenland ursprünglich nicht heimisch war, sondern für das
epische Lied die 15- oder 1 6-silbige Langzeile.
Auf Lesina wurde mir vor etwa 20 Jahren von einem
dortigen Sammler ein größeres Heft der von ihm aus dem
Volksmunde im Jahre 1886 aufgezeichneten Lieder geschenkt.
Das Manuskript ist nicht redigiert. So weit es sich um
Lieder handelt, die festländische Sagenstoffe zum Gegenstand
haben, sind sie vom Festland herübergekommen, man hat aber
auf der Insel auch versucht, einheimische Ereignisse in dem-
selben Ton zu besingen. Die Sprache ist dann ein Gemisch
aus dem einheimischen Dialekt und zusammengerafftem Material
aus dem vom Festland übernommenen Liedervorrat, wo es für
Über Dialektmischi ng an der serbischen Volkspoesie. 157
Vers und poetischen Ausdruck wünschenswert schien. Davon
einige Beispiele; die für die Anschauung in Betracht kommenvn
Formen sind kursiv:
koji je je mladu sagtfbio,
likopal je kod Omera mlada.
Na junaku zelen bor uzrasal
(wer die junge getötet hat, hat sie begraben neben dem jungen
Omer. Auf dem Jüngling erwuchs eine grüne Fichte); sagubio
ist stokavisch, inseldialektisch Aväre sagubil; itlojxil, uzrasal
sind inseldialektisch, stokavisch wäre ukopao uzrasao. Das
Lied stammt vom Festlande.
„Projdte me se zarad boga, braco,
jer sein ubil pobratima moga."
Paka treec i do svoje kue'e,
isce robu i svoje obuce,
ono zlato, koje imadise,
paka svoga oca zagrlise:
„Ostan s bogon, cajko moj pridreigi,
ne cemo se vec nidar sastati;
jer san ubil pobratima moga."
Stari mu je cajko besielio usw.
(„Laßt mich um Gottes willen, Bruder, ich habe meinen Wahl-
bruder erschlagen." So laufend bis zu seinem Hause sucht
er seine Kleider und Schuhe, das Gold, das er hatte; dann
umarmte er seinen Vater: „Lebwohl, mein teurer Vater, wir
werden nie mehr zusammen kommen; ich habe meinen Wahl-
bruder erschlagen." Der alte Vater sprach zu ihm.) — Das
Lied behandelt einen auf der Insel vorgefallenen Todschlag
und ist dort verfaßt. Zu den einzelnen Formen: san ubil
(stokav. sam abio), bogon (stokav. -om), prielragi (jekav. wäre
predragi)] besielio ist stokavisch (inseldial. besidü). Das zagrlise
in V. 6 (er umarmte) ist eine falsch gebildete Form; es müßte
stehen 3 sg. aor. zagrli; der Sänger kann aber zwischen Aorist
und Imperfektum, die er beide in der gewöhnlichen Rede nie
braucht, nicht sicher scheiden, und hat der Aoristform die
Endung -se der 3 sg. imperf. angehängt.
158 A. Leskien:
Aus einem Spottlied auf ein Mädchen aus einem Dorf
der Insel, dort entstanden:
Od prozora i bijela dvora
sto se vidi sve je carna gora,
najlipsa su tvoja ravna poja.
ti c'es s njiman prohodati vrime
Selcaniman sviman priprovidil.
(Vom Fenster und vom weißen Gehöft was man sieht alles
schwarzer Wald; am schönsten sind deine ebenen Felder ....
Du wirst mit ihnen die Zeit verbringen .... Allen Selcanern
hat er erzählt). Zu den einzelnen Formen: bijela ist jekavisch,
als formelhafte Wendung aus jekavischen Liedern stammend,
vgl. dagegen die richtig ikavischen najlipsa (jekav. -Ijepsd),
vrime (jekav. vrijeme)] carna inseldialektisch für cma, poja
für polja^ njiman, Selcaniman, sviman sind so entstanden: auf
der Insel sind die Dative pluralis auf -ma (ßelcanima) über-
haupt nicht gebräuchlich, es müßte dort heißen njin (für
njim), Selcanin (für -nim), svin (für svim), die Formen auf
-ma kommen aber in den vom Festland eingewanderten Liedern
vor und man mag sie ja auch sonst von Leuten aus fest-
ländischen Dialekten hören, sie klingen aber ganz ungewohnt
und werden darum mit der inseldialektischen Dativendung -n
(statt -m) neu versehen.
Diesen Proben füge ich noch ein ganzes Lied hinzu; in
Klammer stehen neben den kursiv gedruckten dem Dialekt
entsprechenden Wörtern die Formen in jekavischer Mundart:
Mnoge tuge podnosin (-sim) nad tebe,
sve rad tebe rumenega (-noga) cvita (cvijeta),
rad hega (koga, kojega) cu ja priminut (preminut) svita
(svijeta).
Pravo mi je govorila majka:
5 mogla san (sam) ga virenikon (vjerenikom) zvati.
Za 'nu jubav (ljubav), Tm san s tobon liusal (koju sam
s tobom kusao),
Über DiAiiEKTMisciiuNc in des. serbischem Volkspoesie« 15g
ti me cini lipo (lijepo) pokopati,
da mi tilo (tijelo) u vodu ne pati.
Kada budes uz prozor hoditi
svojiman c'es drugan (svojima drugama) govoiiti:
10 Druge moje, ja san (sam) kriva dosti,
ondi (ondje) lezu moga draga kosti.
I s tin (tigern, auch Um) joj se dusicon (-com) dilio (jekav.
dijelio, inseldial. dilil).
Pak ga se je gorko naplakala,
pak su njega lipo (lijepo) pokopali,
ib da mu tilo (tijelo) u vodu ne päd.
Kad je mlada uz prozor hodila,
svojiman je drugan (svojima drugama) govorila:
Druge moje? ja san (sam) kriva dosti,
ovdi (ovdje) lezu moga draga kosti,
20 ovdi (ovdje) lezu; ne dvizu se vise.
Jedan mladic rad mene umire,
jedan mladic od mlajahna Uta (mladjahna ljeta),
radi meue rumenega cvita (-noga cvijeta).
Pravo meni govorila majka:
S5 mogla san (sam) ga virenikon (vjerenikom) zvati.
Zemja (zemlja) jubi (ljubi) a travica gardi (grdi);
ustan' mi se, moj mili i dragi;
ostaj dragi, pokojua ti dusa!
Man kauu gegen diese Proben aus Lesina natürlich ein-
wenden, daß sie von ungeschickten Dichtern verfaßt sind, die
zusammenraffen was sie finden. Aber Tatsache ist doch, daß
die Leute Gedichte epischer Form in zehnsilbigem Maß von
auswärts in einer ihnen fremden Mundart überkommen; sie
benutzen diese als die Sprache der Poesie und vermischen sie
unbefangen mit ihrem eignen Dialekt. Es könnte ganz wohl
ein begabter Volksdichter, der nicht lesen noch schreiben kann,
auftreten und in solcher Mischsprache ein vortreffliches Ge-
dicht verfassen.
Bei meiner Auseinandersetzung habe ich nur die aus
neuerer Zeit, dem 19. Jahrhundert, aufgezeichneten Lieder
Phil.-liist. Klasse 1910. Bd. I,XII. 13
i6o A. Leskien: Dialektmischung in d. serbischen Yolkspoesie.
herangezogen. Die behandelte Dialektniischung ist aber vor
Jahrhunderten nicht anders gewesen. Man begegnet ihr in
den vom 16. — 1 8. Jahrhundert aufgezeichneten epischen Liedern
in Langzeile (veröffentlicht von Miklosich, Beiträge zur
Kenntnis der slavischen Volkspoesie. I. Die Volksepik der
Kroaten, Denkschr. der Wiener Ak. phil.-hist. Kl. Bd. XIX,
1 8705 namentlich aber von Bogisic, Narodne pjesme iz starijih . .
zapisa I, Belgrad 1878). Ich will darauf nicht eingehen, da
das Resultat der Untersuchung dasselbe sein würde.
ürufkfertig erklärt n. J1J. iqio.]
i6i
Auflösung der Akkusativrektion
des transitiven Verbs durch die Präposition U
im klassischen Arabisch.
Von
A. Fischer.
Die arabischen Grammatiker haben für die in der Über-
schrift genannte Auflösung zwei verschiedene Exponenten
aufgestellt, das subyocjf „JJf „das sich parenthetisch (zwischen
Verb und direktes Objekt) einschiebende J" und das s?Jiid *Xf|
J**L*Jf „das zur Kräftigung des Regens dienende J". Das erste
liegt vor, wenn das mit J ausgedrückte direkte Objekt seinem
Verb nachfolgt (Beispiel: OojJ <^.3>b „ich schlug Zaid"),
das zweite, wenn es ihm vorangeht (Beispiel: ^,,0 jo J).1)
Als J~eL*Jf sijbd +$ begegnet uns der Exponent J statt des
Akkusativs (bzw. statt des Genet. object.) bekanntlich auch
bei verbalen Nomina (Beispiele: jüJ La- „an Liebe zu Gott"
C. * y *■ O s < w
Süra2, 160, aojo qjo LJ LiA*A* „bestätigend was vor ihm war'"
Süra 2, 91. 7,, 2. 5, 50 bis. 52 u. ö., *^Jü ^ sli ^-1 „Gott
mehr liebend als sich selbst" usf.2) Daß die einheimischen
1) Vgl. Murni, ed. Kairo 1302, I, |A., 7 ff. (= Lithogr. ifv, 17a".),
Muhit al-Muhlt sub J u. a.
2) S. z. B. Wright, Grauimar3 II, § 29. 31. ^. 34.
Phil.-hist. Klasse igio. Bd. LXLL 14
IÖ2 A. Fischer:
Philologen nicht auch das J des dem Verb nachfolgenden
Objekts zu der Rubrik des J^l*J5 ZiySxi ^^Ul gezogen, sondern
als &ö.x**Jf *^lii davon getrennt haben, erklärt sich aus
der äußerlichen Auffassung, die sie von der „Schwäche"
(sjuttb1)) der Rektionskraft eines Verbs haben. Eine solche
kann nämlich ihren Theorien zufolge nur eintreten, wenn ent-
weder das Verb seinem Objekt nachfolgt, oder wenn statt
eines Verbs nur ein Verbalnomen vorliegt2), nicht aber,
wenn eine eigentliche Verbal form ordnungsgemäß ihrem
Objekt vorangeht. Wo aber eine Schwächung der verbalen
Rektionskraft unmöglich ist, da kann selbstverständlich auch
nicht von ihrer Kräftigung durch J die Rede sein. Für uns
kann es sich natürlich in allen diesen Fällen nur um die
nämliche syntaktische Erscheinung handeln.3)
0 S. die nächste Anm. und z. B. noch Baidäul zu Sura 2, 143
(Jw«L*Jf ^fijt/hS), 7, 153 (Joi&n oä**=J), 12, 43 u. a. Wie gewöhnlich,
m 1
so bildet auch hier %yi den Gegensatz zu **Jl*j& (vgl. z.B. unten S. 165,
Anm. 6).
2) Vgl. z.B. Murni, Druck, I, IA1, Mitte: ^S>j S^y&Jl p9 . . ...
*$ i^Xlf £«*£>ij ^^> J^VJ »j^-bo L*i s^fijub Jw<Lc is+Bz} iJ^>oj^Jf
L5Aa£w ys^i J^jJI ^J> Lc^i jöjXj £ [Süra 7, 153] ^y&ß f&J
-pj| [Süra 2, 85] (t^ju> U (ibid. \*r , 2: Suc^fj jä-LäJI £♦£&■! ^j
[Süra 21, 78] ^Jv^Li ^XsU LZ. -3).
3) Übrigens ist die enge Zusammengehörigkeit der beiden p$
bis zu einem gewissen Grade auch den arabischen Grammatikern zum
Bewußtsein gekommen, denn sie erklären beide für (g>^e) 8J*.jI;
*\a/jxU „pleonastisch zur Verstärkung (des Sinnes) hinzutretend (hinzu-
gefügt)"; Murni I, ia., 7, Muhit a. a. 0., unten S. 165, Anm. 1 u. a.
Der Unterschied zwischen beiden verwischt sich ihnen auch gelegent-
lich: vgl. Murni I, iaP, 4 — 14 und dazu die Glossen.
Auflösung der Akkusati vkkktion des Transit. Verbs usw. 163
Bezüglich des SUöycxJI fX'i habe ich vor einiger Zeit
(ZDMG 63, 826) kurz behauptet, daß es sich nur sehr selten
finde und daß es, im Gegensatz zu dem entsprechenden Ob-
jektszeichen des Aramäischen, Äthiopischen und Syrisch-Ara-
bischen, nie mit einem das Objektsnomen antizipierenden
Objektsuffixe am Verb verbunden werde. Die nachstehenden
Ausführungen sollen den Beweis für diese Behauptungen er-
bringen, darüber hinaus aber die Auflösung der Akkusativ-
rektion des transitiven Verbs durch J in der arabischen Schrift-
spräche auch in sonstiger Beziehung beleuchten. Dabei wird
sich ergeben, daß die bisherigen Äußerungen von Semitisten
über diesen Gegenstand der Berichtigung oder doch der Er-
gänzung bedürfen. Es sind das hauptsächlich: „La preposition
J sert souvent ä joindre ä un verbe son complement indirect.
Souvent meme eile s'emploie pour joindre ä un verbe transitif
son complement direct, quand ce complement se trouve deplace,
afin, disent les grammairiens arabes, de fortifier l'influence du
verbe sur son complement J**l*Ji S^yixJ, influence diminuee par
(.909 c
ce deplacement. Exemple: ^^«j üj_yU **** ^ [sur- x 2 vers- 43]
si vous Interpreter cette vision" Sacy, Gramm, arabe2 I, § 1049,
3°, „Le complement d'un verbe transitif, et les deux comple-
mens d'un verbe doublement transitif, sont toujours ä l'accu-
satif .... Quand le complement objectif d'un verbe transitif
est place par inversion avant le verbe, on indique alors le plus
souvent le rapport par la preposition J. Exemple: ^jS ^
ü%j**3 lajjJJ si vous interpretez cette vision" ibid. II, § 216 l); —
•J must be used instead of the accusative, when the object
1) Vgl. dazu Fleischer, Kl. Sehr I, S. 594 und besonders 595, oben.
Daß Fleischer diese Regeln seines Lehrers der Hauptsache nach jeder-
zeit für richtig und einwandfrei gehalten hat, bestätigen auch seine
Bemerkungen zu Maqqarl I, vT., 20 und aPv, 8 (Kl. Sehr. II, S. 251
und 266; vgl. unten S. 168, Anm. 1 und 178 f.).
14*
164 A. Fischer:
of the nomen agentis is rhetorically transposed and placed
before it . . . . So also with the fmite verb, Ujjli *xjuf ^1
..,5.x*b" if ye can explain a dream" Wright, Grammar3 II,
§ 31, rem.; — „Als Präpos. des Ziels, nach dem eine Handlung
gerichtet ist, eignet sich J zur Auflösung des Akkusativs.
Geht der abhängige Kasus seinem Verbum voran, so ersetzt
J in allgemeinem Umriß die Vorstellung eines regierenden
Wortes, wie ^*f*-'i U_j^J ^uJ ^i 'wenn ihr das Traumgesicht1)
auslegen könnt' Kur. 12, 43. Aber auch bei nachstehendem
Kasus, z. B. ^-Jl~J o^Lo=- UxJLki fFantasieen lassen uns die
s- tu *
Selma erscheinen' Dlw. Zuh. 18, 5. Jol*;s=\J aJ^Li. A o*«o^
rindem er für seine Tanten Preise festsetzte' Hud. 143, 13
usw. Indes ist beim Verb. fin. J statt des Akk. nicht häufig
und seine hauptsächliche Verwendung vielmehr beim Ver-
balnomen" Reckendorf, Syntakt. Verhältnisse d. Arabischen
S. 254; — und „J zur Verdeutlichung des Objectsverhältnisses
ist im classischen Arabisch beim Verbum finitum sehr selten.
Kämil 487, 12 ff. wird es jedenfalls in zu weitem Umfange
erlaubt" Nöldeke, Zur Gramm, d. class. Arabisch § 46 (vgl.
auch Nöldeke, Mandäische Grammatik S. 390, Anm. 3).
Ich bin unserer Auflösung an den folgenden Stellen be-
gegnet:
(j^bw. ~L~.J für zu erwartendes (j^l*^. UXw-«) „Und du
hast über das Gebiet zwischen dem Uräq und Iatrib eine
Herrschaft ausgeübt, die Schutz verlieh dem muslimischen wie
dem (zu den Muslims) in einem Vertragsverhältnis stehenden
Untertanen"2) Murin I, I*., Suiüti, Sarh sauähid al-Murnl
1) Richtiger „Traumgesichte" (PL), vgl. Fleischer, Kl. Sehr. I,
S. 594-
2) Aus einem Lobgedicht des Ihn Maiiäda auf den Omajjaden
3Abd al-Uähid b. Sulaimän b. 3Abd al-Malik, Gouverneur Medinas.
Auflösukg der Akkusativrektion des Transit. Verbs usw. 165
i1v, 6 v.u., Muh. Bäqir, Gämi* as-sauähid s. ^^XJU., ^Ukbarl,
Komm. z. Mutanabbi, ed. Kairo 1287, II, fls, 13, Muhit s. J
und Howell, Grammar, Part III, p. 345; — 2. vJip.Lb q/> ^
^<>J) si (jLsjJ! (*■! 1 <^6 statt »j^Lö1)) „Wir sind die, denen
die Zeit dich vorenthielt"2) Mutanabbi, mit d. Komm. d.
Uahidi, ed. Diet., PaT, 6 v. u., Komm. d. HJkbari II, Ha, 10; —
3- V^^j La*? C**$ L* 3)BLu^ * vJ^M -^ 5' CLP" ^ J"^
(\i£5^-f L-g-f statt UULs) „Und wenn Trauer oder Weinen einen
Verstorbenen zurückbrächte, so würden wir ihn beweinen,
solange Ost- und Südwind wehen"4) Ibn al-Atlr, ed. Torn-
berg, X, 11, 8; —
(«LöxJU statt gLaxJI) „0 Haggäg, du wirst den Ungehorsamen
nicht gewähren, was sie wünschen, denn auch Gott gewährt
den Ungehorsamen nicht, was sie wünschen"5) Muini I, i/vr"6)
1) üähidi: wW'l^if äA^ &J ^ä c^ij (1. ^*a-) ^^ Qji Jus
2sJI >XJ J^ jü' ?J»ü/ (vgl. 3UkbarI). Die gezwungene Erklärung
des Ibn Fürga, des Kritikers des Ibn Ginni, der sJ im Sinne von
6 t
»Is*^* s*~£jJ verstanden wissen wollte („denen die Zeit dich für
sich selbst, d. h. um selbst dich zu besitzen, vorenthielt" ; vgl. beide
Kommentare), wird abzuweisen sein.
2) Erste Hälfte eines Verses des Mutanabbi.
3) So ist natürlich für bLolXj der Ausg. zu lesen.
4) Aus einer Elegie des Bahä' ad-daula Mansür b. Maziad al-
Asadi (f 479). — DaJ, ein direktes Objekt verlangt, so geht es nicht
an, ^JL^J etwa anders konstruieren zu wollen.
5) Aus einem Gedichte der Lailä al-Ahialiia auf al-Haggäg b. Iüsuf.
6) Der Vers erscheint hier in folgendem Zusammenhang: JL3
-C 0,
v^j^j: ^1 L^j^ rj^i ^$0^3** Jv*U. *» &ajäxJi +$ ö\ji % c^iLc ^
i66 A. Fischer:
(vgl. die Glossen dazu, ferner Sarh sauähid al-M. P.»f. und
GrämU as-sauähid s. TL»*.|), Ho well, Part III, p. 346 und
Aränl X, Af , 3 5— 5- J^J J*JI ^>s 8-NiJ i[ ^S> Uj (J*L$J
für v^k5>,) „Um einen (kurzen) Schlaf nur handelt es sich,
der deine Familie hohes Ansehen erben läßt"1) Kämil 1 vö; 1 1 - —
6. ,Mj-A^y. p&J f& qä^I „für die, die ihren Herrn fürchten"
-5 öA*: ^lj lX^-I_j Oj^a Q*^if Ü J0^ ^5^*^. ^j **[5-*ä* ^j*
-Ls^-I Jli J>i ^S LsyLlä £. aJytäJI jo*f J^ rXff ,^Üo
Jw«l*Jf «yÜ öLs^. oy^JI- (Zu der Äußerung des Ibn Mälik vgl.
die Bemerkung des ^Abd al-Hädi im Qasr al-mabnl 3alä hauäsi '1-Murni,
L c i wC
II, f.1: LäÜUijjLsÜ SJLc ^iLiJi^Ljj Joiäli Jt A=~f_j (.vXSj Ufj.)
Auf die Bildung dieser Regeln bat aber offenbar, wie aucb sonst so
oft bei den arab. Philologen, die grammatische Theorie bestimmender
eingewirkt als die Sprachempirie, und in Wirklichkeit wird J nach
doppelt transitiven Verben im Verhältnis nicht seltener gewesen sein
als nach einfach transitiven. Vgl. das nächste Beispiel oben im Text,
wo gleichfalls ein eigentlich doppelt transitives Verb mit J des einen
Objekts konstruiert ist, obschon ihm beide Objekte nachfolgen, und
c
beachte auch, daß außerhalb der klassischen Literatur gerade ^^-i
gar nicht selten nachfolgendes J pers. regiert (s. Dozy, Suppl. s. v.,
Maqqarl II, f.., 12, Baid. zu Süra 2, 57, Harlri, Maq^foP, 9 v. u.; oft
so 1001 Nacht, z. B. ed. Habicht II, vo, 7, ed. Kairo 13 n I, P, 20.
o. 24, sowie in der christlich-arab. Literatur, s. Graf, Sprachgebrauch
d. ältesten christl.-arab. Literatur S. 43, ult., 44, Z. 10 v. u.). In Texten
mit stark vulgarisierender Diktion begegnet diese Konstruktion oft
auch nach anderen doppelt transitiven Verben; vgl. A. Müller, Text
u. Sprachgebrauch von Ibn Abi Useibi'a S. 905 u. a.
1) Aus einem Gedichte des al-Mufaddal b. al-Muhallab (Omajja-
denzeit).
Auflösung der Akkus ativrektion des Transit. Verbs usw. 167
IH/ ^ll Ott.»
Sura 7, 153 (am Versende)1); — 7. ^j^J* Uj^-U |*>^ ^f „wenn
ihr Träume deuten könnt" Süra 12, 43 (am Versende)2); —
8. !u. jo ^jtyiAJ SJälj*« IÄ5> „Dort Suräqa studiert den Qorän"3)
Murni I, i*|J (vgl. wieder die Glossen dazu, ferner Sarh sauähid
al-M. C. und Gämp as-sauähid s. fu\S>)4j; —
1) Vgl. die Qorän-Kommentare (Tab. IX, föf. ; Kassäf, ed. Lees, 1,
1Pa.; Baidäui; Naisäbürl, am Rande des Tab., IX, f 1 u. a.) und Mural
I, im, 11. Auch im Qorän wird w-^N sonst mit Akk. konstruiert, vgl.
^y^j^ l£^j 2> 38. 16, 53.
2) Vgl. wieder die Qorän-Komrnentare , z. T. auch an den in
der vorigen Anm. genannten Stellen, ferner die Lexika s. <ac, Murni
I, im, 11, Kämil ivl, 5. fAv, 15, Mutanabbi, ed. Diet., PaT, ult., Komm.
des 3UkbarI II, JJ1\, 11, und oben S. 163 f.
3) Erste Hälfte eines Verses, dessen zweite Hälfte in zwei vonein-
ander völlig verschiedenen Fassungen zitiert wird. Nach der Glosse des
Muh. al-Amir zum Murni soll der Vers in der Hamäsa stehen, das ist
aber wohl ein Irrtum.
4) Zusammenhang im Murni: Li ^a S&Lä ö ^ »LsSJl Jlä Jö»
C-A ^|] \SJ> ^a jüt VjT jüLiL [Süra 2, 143] L&J^j^ N^s-j J-£J>
imLT ^i % t -iljJf -Ä-Läj *-Jj.+jw A^-f |*t\3j ^^fi J^LxJi SojJü t_>L
^j***2^ ^«^ H^j ^ö J-T J^ »III ^.*J! a!_3 [.Ij^^v.
--t -jwüiLM-j« ^.Jj.*A/fl ^.«y.AhJL Xf J-*>^p. (*»' l*ji^ Jv^y^J lvÄ>?
^ jyLf ! -f^tö. Darnach verträte also in dem Verse das Suffix von *^vjju
daB „absolute Objekt" Lv.O (wie in der Qorän-Stelle , nach der betr.
Lesung, das Suffix von LgjJ v* den Masdar &jJ_j-»'). Das ist natürlich
i68 A. Fischer:
c * s s
Und meine Seele, wenn sie eine andere (Stadt als Kairo)
bewohnt — fragt sie, o meine beiden Freunde, was sie da
(vor Schmerz) ganz auflöst"1) Ibn al-Färid, ed. Rusaid, Büläq
Unsinn; die beiden Suffixe beziehen sich -vielmehr auf jj'j^l bzw.
y g »>■. zurück, "wie im nächsten Beispiel oben im Text das Suffix des
ersten L5>^Lv auf _*«AJ. Vgl. darüber unten S. 181 f. — Dieselbe Aus-
druckweise in der christlich-arab. Literatur; vgl. bei Graf, Sprach-
gebrauch d. ältesten christl.-arab. Literatur S. 43 die Beispiele:
+5> A2&.S jJLxJi ..ja/L^-J (J-w-jJ' „Hat (Gott) nicht die Armen der Welt
erwählt...?" Jac. 2, 5, ^^U- aüjiA*J" ^jJ\ ^._j; SiLxJj „und achtet
die Langmut (Graf schlecht „Großmut") des Herrn für Heil" 2 Petr. 3, 15,
auch 85-Läli ^Jujub y$> ^wVU. „Und den, der schwach ist, nehmet an
euch" (Graf schlecht: „nehmet auf") ibid. 14, 1.
1) Die Antwort der Seele würde lauten: „Das Heimweh nach
Kairo". — Fleischer hat diesen Vers des Ibn al-Färid, der in der
Gestalt gJf ^iS*. (jf Lä>jAt ^_^***Jj aucn Maqqari I, vi"., 5 v. u.
vorkommt, in seinen Verbesserungen zu der Leidener Ausgabe dieses
1
Werkes (Kl. Sehr. U, S. 251) folgendermaßen interpretiert: „L^i-,
1. l^jAE., als vorausgehendes Object von ^*iS*n. Ebenso ist ^t**J,
mit dem J-«L*Jf Kay^ f^, vorausgehendes Object des ersten X*>,
und das diesem angehängte Suffix eine Begriffswiederholung desselben:
'Und mein Auge (Acc), wenn es auch ein anderes (Land als Aegypten)
bewohnt, 0 meine beiden Freunde, fragt es (mein Auge): es hat dasselbe
(Aegypten) nicht vergessen', d. h. so wird es euch durch seine Thränen
antworten, daß es Aegypten nicht vergessen hat". Seine Auslegung von
1$>X* Li scheitert aber, gleichviel ob man ^.x*Jj oder ^*Jal^ liest
(offenbar verdient letztere Lesart den Vorzug, denn der Ausdruck, daß
das Auge „einen Ort bewohne", erscheint recht hart), m. E. schon
daran, daß sie für das zweite LsXy* vielmehr Lgxiw, also das Femin.
der Verbalform, voraussetzt, ^äi und wohl auch ^as. finden sich
Auflösung der Akkusativrektion des Transit. Verbs usw. 169
1289, II, PH, 10 v.u.; 10. ^JLJJ f.J^-1) „Er hat dem
Herrscher seine Reverenz gemacht" Qa/Ailnl II; p|, ult. — und
11. jiyJjJL J^-^-jJ ^j-Jax^j „und sie verehren den Saturn und
die Venus" ibid. II, Hr, \J)
allerdings gelegentlich auch als Maskulina (vgl. zu y^^ii Qazuinl I, f.f,
19 ff. und Baidäui, ed. Fleischer, zu Süra 3, 140, ferner Lane s. v., be-
sonders S. 2827° f. ur,d dazu 3Abd al-Latlf, ed. Sacy, 538, 3 v. u., und
zu ^jac Iäqüt IV, 1v., 18. V, 455, wo das Wort wenigstens in der
Bedeutung „Quell" männlich konstruiert ist), aber daß ein Dichter wie
Ibn al-Färid in ein und demselben Verse ein Wort erst zweimal weiblich
und dann ganz unvermittelt ein drittes Mal männlich gebraucht haben
sollte, halte ich selbst bei so gekünstelten Wortspielen, wie sie uns
hier vorliegen, für ausgeschlossen. Bürini, der Kommentator des Ibn al-
Färid, erklärt dieses Xw mit v'^'i setzt es also gleich Xm „schmelzen,
auflösen" u. ä. Ich zweifle nicht, daß er recht hat, und verweise hin-
t-
sichtlich des metaphorischen Gebrauchs von ^v auf Muslim b. al-Ualid
Nr. If, 3: LjjJläJi L?U*^- olw !v3( und Dozy, Suppl. s. jL* , J-*, :
„ . . . on lit en parlant le l'amour: _j.>wLaO «J^^uf ^Jx....". 3Abd
al-Ranl an-Näbulusi, der zweite der von Rusaid in seine Ausgabe
aufgenommenen Kommentatoren unseres Dichters, paraphrasiert L&Xw L«
i t-
mit .AO* L^jXi ,.»C .AAäJI. ^l.A.w.üt. ».LdyJt L^J v_^^-.l c _£ ^1
Das wäre aber vielmehr LjwL* La oder L^^LwS Lo, während sowohl das
beabsichtigte Wortspiel als auch das Metrum L3UU». Lo verlangt.
1) So ist für i*-*^- der WüsrENFELDSchen Ausg. zu lesen („so daß
er sich bücken müsse um einzutreten, und sie würden dann sagen:
'Er hat dem Herrscher seine Reverenz gemacht'"). Vgl. zu (•Jo*- c. J
auch A. Müller a. a 0. 905.
2) Dagegen z. B. II, H., 19: W-U^U ^ JtJf 0j3äx±y Qazui-
nis Sprache zeichnet sich freilich so wenig durch Korrektheit aus, daß
er vielleicht besser hier überhaupt nicht zitiert werden sollte. Daß im
vulgarisierenden Arabisch die Aaflösung der Akkusativrektion des
Verbs durch J nicht selten ist, ist bereits mehrfach von andern kon-
statiert worden; vgl., abgesehen von A. Müller a. a. 0., Fleischer,
170 A. Fischer:
In Wendungen wie ^JojuJ ^sm (jJLiLäi „sie kämpften mit-
einander" liegt wohl gleichfalls Ersatz eines Akkusativs
Kl. Sehr. III, 386 (= ZDMG I, 157), Graf, Sprachgebrauch 43 f. und
auch Simon, Sieben Bücher Anatomie des Galen, Bd. I, XXVI. — Bei
Graf ist freilich auch hier, wie überall in seinem dem Plane nach
recht nützlichen, leider aber ohne die nötige Sprachkenntnis und ohne
die nötige Sorgfalt angefertigten Buche, der Weizen richtiger Angaben
mit einer Fülle von Spreu untermischt. Ganz auszuscheiden haben die
Beispiele S. 43, Z. 9: y^l "3 _£JU {-y$*i> „und nun sollten wir das Böse
nicht ertragen?", Z. 10 : c.»hjl sLiäL „und an sein Gericht wende ich
mich in Unterwerfung" (Grafs Übersetzung ungenau), Z. 23: \jS ^li
*ij*i "3 ^e^ (J"1^ ,iUnd wenn wir wegen einer Sache beten, so kennen
wir sie nicht" (Gr. übersetzt falsch: „wir beten um etwas, was wir
nicht kennen"), Z. 33 : Q.p.u\Jt j*jJ \SyZ i «.i^Xj* (sie Text statt ^L) rr^3*
I^Laus "3 „und nehmt nicht teil am Joche der Ungläubigen", S. 44, Z. 2:
XjJ -^V;-* o*j| „bist du an ein Weib gebunden", Z. 10 : ^5 t -jßj
^JLap. „es nützt zu nichts", Z. 14: -♦■».a.'^- ^a J. i\£» „Schaffe mir
Recht vor meinem Widersacher", Z. 15: LgJ jüxif „ich will ihr Recht
schaffen" und Z. 26: 5Ul£Jf sÄ-gJ st^Jo Ai-I J»/ (j^-J „Nicht ein
jeder faßt dieses Wort". Keins der betr. Verba ist, wenigstens in den
vorliegenden Anwendungen, von Haus aus transitiv, wennschon sie im
klass. Arabisch z. T. andere Konstruktionen zeigen als hier. Die übrigen
Beispiele enthalten eine Menge von größeren und kleineren Fehlern:
S. 43, 7 lies Oj-y^JLj st. v^jjjy^JL; Z. 8 1. c>ö _==- ( st. o*£^-i; Z. 12
1. ^-«iy~»UJ st. qjJj y^*JJ ; Z. 13 1. üwöjti st. Liuc; Z. 15 1. jJ>> Lxi-I
st. *^Ui»i; Z. i6f. übersetze _.«, si Ix* rnit „Langmut" st. mit „Groß-
mut"; Z. 19 f. stimmt das Zitat nicht; Z. 21 1. oULiuJ st. oii^^ui;
Z. 24 1. ^^yjtJj st. U_w-oJf«: Z. 25 1. i^Juio st. 8i\j&£; Z. 26 übers.
Oo=Ve| JkaJ\.^J Uli: „ich achte meinen Dienst für herrlich" st.: „ich
will meinem Amt Ehre machen"; Z.27f. übers. »j-Lili: „nehmet ihn an",
„lasset ihn gelten" st. „nehmet ihn auf" ; Z. 30 übers. jLw^iXJf ^j QjujAfiiUÜ
ljjwyJjs\j vi^J^.^: „setzt ihr da die zu Richtern ein, die in der Kirche
gering an Ansehen sind?" st.: „die Angesehensten in der Gemeinde,
die setzet zu Richtern"; Z. 31 f. 1. ^o>f st. _.f; S. 44, 3f. 1. Lönf st.
Us£. und |«-gJU st. ?J<+J* und übers.: „Gott hat am Leib Glieder ge-
setzt, jedes einzelne von ihnen" st.: „Gott hat einem jeden von euch
Auflösung der Akkusativrektion des Transit. Verbs usw. 171
(Luu, als abhängig von in (jjbLfij enthaltenem l^iiLä zu
denken) durch J vor.1) Freilich handelt es sich zweifellos
auch hier um späteres Arabisch2), denn klassisch sagt man
nur fjijl&i „sie kämpften miteinander" f^Mjlsra ,;sie stritten
miteinander1', ^jij^ »sie näherten sich einander", Lä^-Ijj
„sie rückten gegeneinander vor" usf., also ohne jedes L^»u
yiuu (ebenso in der VIII. Form mit reziproker Bedeutung nur
tj-boäl, U^oxi-i, lj*j&\, Ijä>OjI usf.).3) Auch könnte mög-
licherweise in diesen Wendungen das (j^*J +&h*i vielmehr auf-
einen Stachel ins Fleisch gegeben"; Z. 16 1. >£»ä*.o ^( ^JlxJi (.TX*p. ^5
^Jaiu^S J Leli „Die "Welt kann euch nicht hassen, mich aber haßt
sie" st. ^j^&uuj i Uli (sie!!) rjf\ ^ ; Z. 20 1. XLIII st. XLE ;
Z. 21 1. £y~+$ st. P^-~P. ^5 und XLVIII Jo. 18, . . 7 st.XLIIIJo. 18, . . 8;
Z. 23 1. Ui-j-Jj st. LäJw; Z. 25 übers. ^— if: „er verwarf als
schlecht" st. .,er erniedrigte" (Gr. hat wohl an JjLvf gedacht) und 1.
uVys^UJI st. »AjyoXJ; Z. 27 1. 11 st. io. Grafs Buch gehört zu den
liederlichsten, die die arabistische Literatur kennt.
1) Vgl. Wright, Grammar3 II, S. 287 CD, wo aber — entsprechend
unsern Darlegungen im Eingang dieser Abhandlung — der Exponent
J nicht. J^cLiJl s?j.&d +*$ , sondern ^bj^s> *"$ heißen sollte.
2) Wright gibt keinen Beleg, und auch ich habe aus der Literär-
sprache keinen zur Hand. Vgl. aber 1001 Nacht, ed. Habicht, I, |1,
3 v. u. (jäaaJ ^j.Aj.ütöe „nahe beieinander" (mit der im späteren Ara-
bisch so häufigen Auslassung des ersten (j^xa). — Im vulgarisierenden
Arabisch finden sich auch Fälle wie ^J^*.'J Llöju LüLw*Ji.i „und wir
küßten einander" und Uajw Luix/J La:f ^>Ai "3 „wir wollen einan-
der nicht mehr richten" (Graf, Sprachgebrauch S. 43, 13. 28), in denen
das Reziprozitätsverhältnis also nur durch (j^*J \j^*1 ausgedrückt,
deren J aber wohl ebenso zu beurteilen ist wie das von ^g.*iz*j (Jb'Läj
;jA*aJ 0. ä.
3) Wenige Beispiele statt vieler: Ibn Hisäm, ed. Wüstenfeld,
» ^ ' - - - -
ffP, 3 v. u.: ■J^x.* ^a *fi« LiOj j~Ldf ^JsJ\ß *5; Tabarl, Ann.
♦ m
I, hM, 9: UioiLi y^Ldf vjuz-\ß *3, ferner Iäqüt IV, f0, 12. f1,
ult., Arnold, Chrest. 88, pu. 89,6. 93, 5, Qorän 22,20. 26,96. 36,49 usf.
172 A. Fischer:
zufassen sein als analogische Verallgemeinerung des «^äta
(jä*J in Ausdrücken wie (jäjuJ *,g«h«a IjJlS „sie sagten zu-
einander"1), wo J eine ganz andere Funktion hat.
Noch fraglicher ist, ob das J hierhergehört, das nach dem
„Verwunderungsverb" (^:sri*xjf Jota) jJjtäf U gewöhnlich2) das
1) Hudail, ed. "Wellhausen, 1, 21, Ibn Hisäin, ed. Wüst., Pff, 13
und oft.
2) Aber doch nicht immer, es erscheint vielmehr dafür vereinzelt
/ s c » c 'S
auch der Akkusativ; vgl. ^.wNJf sUacf L« ,,wie spendet er den
Dirhem!" Ibn Ia3is uff, 7. Schon in dieser Beziehung ist also die
Regel irrig, die Reckendoef, Syntakt. Verhältnisse S. 345 (offenbar
unter dem Einflüsse von Sacy, Grammaire2 II, S. 22of.) gibt: „das Be-
wunderungsverbum zu einem den Akk. regierenden Verbum wird jedoch
statt mit letzterem Akk. mit der Präp. V °der J verbunden". Sie ist
aber weiter auch insofern irrig, als sie als Exponenten des Objektsver-
hältnisses bei der Verwunderungsform neben J auch uj nennt, denn <-j
vertritt hier nirgends das direkte Objekt, sondern erscheint stets nur
da, wo auch das der Verwunderungsform zugrunde liegende Verb mit
V> konstruiert wird. Vgl. die Beispiele bei Reckendokf und Sacy:
^ <. s s s so'S.
b\As. *jJti» ^»Aila e-uix:i Le „Wie gut weiß ich, weswegen ihr die
w s SS Cr &
Köpfe zusammensteckt!" Tabari, Ann. I, |a1o, 6 und /jpsnJL jöjtl L»
„wie gut kennt er das Recht!" (Sacy a. a. 0. II, 221, 1): die hier in
s s SS s
der Verwunderungsform auftretenden Verba >Jx. und Ox regieren
beide, wie gewöhnlich die Verba des Wissens, außer dem Akkus, auch
v-j ! V spielt also in dieser Beziehung bei der Verwunderungsform
keine andere Rolle als alle übrigen Präpositionen; vgl. Sacy a. a. 0.,
Z. 2: *3^i ^a »üuufj jA^ii i[ »äj^Jj LoaXÜ ^jS sJS.$j] in
<i s s s o 's. s s & £
«A^^stJI Ja «uöjä-L, Tabari, Ann. I, |a<]o, 9: q^ U*Hr* J^ bij-i-i l*
iw)jJi „wie fürchten wir für die Qurais von seiten der Araber!" usf.:
überall folgen hier auf die Verwunderungsformen die Präpositionen,
die zu den betreffenden Verben gehören. Möglich wäre höchstens, daß
man die Verba des Wissens in der Verwunderungsform statt mit dem
ihnen sonst zukommenden Akkus, bzw. dem diesen Akkus, vertretenden
Auflösung der Akkusativkektion des Transit. Verbs usw. 173
direkte Objekt bezeichnet. (Vgl. Fälle wie jj-*jJ I~\>j vy^' ^
c " 1«/ £
„wie schlägt Zaid den *Amr!" undyCJju^-l l« „wie liebt er
J vorzugsweise oder vielleicht sogar stets mit uj konstruiert hat. Ich
kann diese Frage mit dem mir zur Verfügung stehenden Material nicht
entscheiden.) Irrig ist auch der unmittelbar folgende Satz bei Kecken-
dorf: ,,Übrigens steht auch statt des ersten Akk. beim Perf. bisweilen
«-J , wie beim Imperativ stets", demzufolge also die Verwunderungsform
jsjjtil Ls auch in der Gestalt ao Jotil L« vorkäme. In Beispielen wie
,j£wO=\Jf iS T^-J* tM Lb f^\ l~* j^e schmählich wäre es von uns,
wenn wir zum Heere zurückkehrten!" Tabari, Ann. II, TT v, 8 (s. Recken-
doef s. 346,4), l^^-y ^y. (j^ v*^' ^^ ^.P"' ^ J*^* »meine
beiden Freunde, wie sehr geziemt es sich für einen Verständigen, daß
man ihn recht geduldig sehe!" und L«, -^j'Jocu ^1 Jc^JL q*w^s-I La
wJjo ^ji ?o — y-ii ,,wie schön ist es von einem Mann, die Wahrheit
zu sagen, und wie schmählich, zu lügen!" (vgl. dazu meine Bemerkungen
ZDMG 64, 157, Anm. 2), an die Reckendorf bei der Niederschrift
dieses Satzes offenbar gedacht hat, wird nämlich das v von jdxil l* ,
also das logische Subjekt der Verwunderungsform, nicht durch die Aus-
drücke mit <—> vertreten (Lb. wJJf ^5^0, Jo»-jiLj und zu), sondern
■durch die ,ji- Sätze (^-jj ^} steht im Sinne von Lx._^2>-^, ^jß ^f
•von 2^;». usf.). Das V *n u^i ^^ ^r^' ^ *8^ vielmehr das Vi
das gewöhnlich nach ^ß-^- ., passend, geeignet (zu), geziemend (für)"
und den verwandten Ableitungen der l/^^i- steht (J , das sich dafür
auch findet, erklärt sich wohl aus analogischer Angleichung von
30 ytfp»- an aJ , i^Li-, das sich freilich umgekehrt seinerseits auch an
y£j£* angeglichen hat, so daß man auch Jb . <i^^- sagte), und das v->
174 A. Fischer:
Bakr!" Murni I, ia., 6, *J cjuüu! L« und »J -JLÄiUi L „wie
hasse ich ihn!", v^JJ -il^f La „wie sehr begehre ich clie-
ses!" Sib. II, H1, :8, o^ytUi »^l L« „wie gern spendet er
Wohltaten!" Mufassal ifo, 4, ,c"~äjd »feudi. ^*^ ^^jl ^*
„wie tut es meinem Herzen weh und erfüllt es meine Seele
mit Zorn!" Tabarl, Ann. II, fif, 14, Reckendorf, Syntakt.
Verhältnisse S. 345, 3 v. u., und JUU »JlLfj «JJ ^j-JI yC-i L«
„wie liebt der Gläubige Gott und studiert er die Wissenschaft!"
Sacy, Grammaire2 II, S. 221, oben). Dieses „Verb" unserer
Grammatiken ist ja möglicherweise gar kein Verb, sondern,
wie bekanntlich schon die arab. Philologen kufischer Obser-
vanz behauptet1) und in neuerer Zeit namentlich Ewald,
Nöldeke, Wellhausen und Landberg zu beweisen gesucht
haben2), eine Art Elativ, also ein Nomen. Bei dieser Auf-
fassung würde aber das von ihm abhängige J nichts anderes
s y o ii
in J-^Jlo ^Aw-ss-i Lo und (so) Uo j-s-^i Lo ist eigentlich wohl als „an"
zu denken (wie es wohl auch nach ^j^- und nach dessen Synonymen
JL, jiJ*o»- , / y&>- und ryt^ ursprünglich „an", „haftend an" be-
deutet hat), falls nicht die Verbindungen ^.f 30 q—js-I La und La
^1 so ^as! 0. ä. analogisch nach den offenbar sehr häufigen Wen-
düngen q( jo v_5j^-I Lo, ^\ so j,J L«, ,-)( *o q*Ü L« usf. „wie passend,
geziemend war es für ibn, daß ..." gebildet worden sind, erstere auf
Grund der Verwandtschaft, letztere auf Grund des Kontrastes der Be-
griffe.
1) Kosut, Fünf Streitfragen S. 12, no. lo, Fleischer, Kl. Sehr. I,
S. 650 ff. u. a.
2) Ewald, Gramm, arab. II, 221 f., Nöldeke, Zur Gramm. § 73,
Wellhausen, ZDMG 55, 697 ff., Landberg, La langue arabe et ses dia-
lectes S. 5 5 f.
Auflösung der Akkusativrektion des Transit. Verbs üsw. 175
sein als das oben mehrfach erwähnte allbekannte J^l*J( Kp^&J +"$ ,
das so gern bei Noininibus mit Verbalkraffc, und darunter in-
sonderheit auch bei den Elativen1), den Akkusativ vertritt, und
würde demgemäß hier, wo nur von der Auflösung der Akku-
sativrektion nach dem Verbuni finitum die Rede sein soll,
auszuscheiden haben. Sollte diese Verwunderungsform aber
doch verbaler Natur sein, so würde natürlich die Verdeutlichung
ihres Objekts durch J auf das Streben zurückzuführen sein,
die in Fällen wie L«x. |jo- ^yä\ Va in dem Nebeneinander von
zwei Akkusati ven liegende Mehrdeutigkeit zu beseitigen.2)
1) Wkight, Graminar3 II, § 34: „Verbal adjectives of the form
Jotif , corresponding to our comparative and Superlative, when derived
from transitive verbs, take their object in the genitive with J, very
rarely in the accusative" (a. auch Fleischer zu Dozys Suppl. I, 654a, 6).
— Man beachte die völlige Übereinstimmung unserer Verwunderungs-
form und des Elativs in der Bezeichnung des direkten Objekts. Auch
diese, bisher noch nicht beachtete, Übereinstimmung legt den Gedanken
nahe, in ersterer gleichfalls eine Elativbildung zu sehen. Ferner läßt
sich noch als m. W. bisher unverwertete Stütze der nominalen Auf-
fassung von jJL«i( L« der gelegentliche Gebrauch von Li^li j*S- Lo und
Li^li -£ Lo an Stelle von li^li (j-^f) j-f^-^ Lo anführen; vgl. Lisän V,
fo., 4ff., Tag al-3arüs III, |11, 1 ff. 5 v.u., Lane s. ^jcs» IV und
Howell II, S. 237. Trotzdem muß es m. E. hinsichtlich der Natur der
Verwunderungsformen nach wie vor heißen „adhuc sub judice lis est",
solange der rocher de bronce der basrischen Auffassung, der verbale
o öS
Charakter von 30 J^*5f, noch unerschüttert ist.
2) Freilich hat das alte Arabisch ähnliche Mehrdeutigkeiten nicht
immer gescheut; vgl. Fälle wie \j*s. I^Xj; Jatl, JüUv^I f^>^f J^
u. a. (dagegen unterscheidet die Sprache z. B. auch zwischen üuöuatS
„er gab ihn mir" und ^j(*\ «Uacl »er gab mich ihm", s. Wright,
Grammar3 I, S. 104 C).
176 A. Fischer:
Betreffs des Halbverses des Aus b. Hagar (Nr. T|, ip):
X^u-i' ^jl u5r*^ üül? gj/ä:::"^> *n ^em Nöldeke, Zur Gramm.
S. 92, unten, das J von ^"3 wohl als Exponenten eines von
0-j'_5 CJ^-2""^' a^so Ton ^er Verwunderungsform (w) Jotif,
abhängigen direkten Objekts aufgefaßt hat, s. meinen Aufsatz
ZDMG 64, 154 ff.
Unsicher sind endlich noch zwei Fälle, wo verschiedene
arab. Gelehrte gleichfalls Ersatz der Akkusativrektion durch
<lie Konstruktion mit J annehmen, wo es sich aber wohl um
Verba handelt, bei denen diese Konstruktion guter, wenn auch
vielleicht geographisch beschränkter, Sprachgebrauch war, näm-
5 / s s / c s s c y
lieh erstens die Qoränstelle: <jäju *JJ oj>» uJ-^p- U* lS-^ J^
^j^I^jix^j ^ JsJf „Sprich: 'Vielleicht sitzt euch schon ein
Teil von dem, dessen Beschleunigung ihr wünscht, im Rücken'"
Süra 27, 74, und zweitens der dem Farazdaq in den Mund
gelegte Satz: *^.o Xflo sJ ci.\Xäi „Ich habe ihm bare 100 Dirhem
gezahlt" Tabarl, Tafsir IX, fl, 5.1) Bezüglich der ersteren
versichert allerdings Mubarrad zweimal im Kämil (|V1, 5.
fAv, 17):^* Li] ^( ^**& J3 ^i »Jy ^i (8,jj^ä*J| Jy^
j^Xij»,, und diese Deutung des J nach 00. als gjoh *^
herrscht, von Tabarl (IX, fl, 4) an, auch in den Qorän-
Kommentaren vor, aber der Murni erklärt ausdrücklich (I,
!*£•
2) Vgl. Mufassal ipf, 17: *j jdJf JLä BJ^ja [f^H] J53 "^J
*■& lJo. und oben S. 165, Anm. 1, auch Spitta, Gramm, d. arab. Vul-
gärdialectes von Aegypten S. 367, Anm. 1.
Auflösung der Akkusativrektion des Transit. Verbs usw. 177
vj| vy^l c*JU> *-*-*j cr*^ ^' ferner kann man im Lisän
al-^arab s. Jo; (XI, |V, 8 ff.) lesen: ^y~.c JJi J~=-j je jJ^-Sj
r^Ji .Tjtxa (jü lij^JtvJl ^2 *lä» «lyiJI JLäj ^xJ VjS JLä (jü
-üuJfj Silvio ,.«U( ayci Jö, JUS j»XJ Lio ^^*JI 0LT öj ^Jä-O
1 (*wL* j^rt ,^-t *-gJ <— JOjS ^(, und endlich begegnen auch in Qo-
y —
•• o ytjy y ^ %
rän-Kommentaren Stellen wie: f^UL ^JSjc^j Joe juw^ jl
Jlä q^o ^^-c Oö. . . . >Xi LiOj^i
y
OUJÜ* JUjuJL LcLav fjjyj * 2*-^Uö« ^y»£. q/0 LiOj Uli
•' X
fc/ y
.Atv, ^ Ijjjj ^^*p. (Kassäf zu Süra 27, 74). Und was ^Xfii
„(bar) zahlen" anlangt, so habe ich es in der Literatur aller-
dings nur mit doppeltem Akk. konstruiert gefunden2), aber
die Lexika verzeichnen daneben auch die Konstruktion mit
J, und wie wir soeben gesehen haben, war diese auch al-Farrä'
geläufig.3)
1) Vgl. Lank s. Oi)«, auch Abu Bakr as-Sigistani, Rarib al-Qur an
llv, 4 usf.
2) Hariri, Maq.2 nl, 2. o(*1, 6 und Dozy, Suppl. s. v.
3) Auch andere Verba regieren ja bald den Akkus, und bald J; vgl.
? s s OJi X s y O E
?os\js*.j und *J ^£>-j) *^»-, I „er (der Verkäufer) gab ihm (dem Käufer)
S / S 1 SS s
Übergewicht" (s. die Lexika), sj Xxi und »jXcl „er dankte ihm" (s.
wieder die Lexika und außerdem Hamäsa iof\ 5 v.u. mit Kommentar;
Phü.-hist. Klasse 1910. Bd. LXU. I 5
178 A. Fischer:
Ganz auszuscheiden haben m. E. die beiden Verse
Zuhair, Diwan Nr. ia, 01) und
J.jL»^Ü 20'b5Li- -i ö*a££ * J^>-£~~« ^Uj b$ f^g-o ab iXS.
Hudail, ed. Wellh., Nr. ifp, 13, die Reckendorf (s. oben
S. 164), und der Vers
Maqqari I, aN, 8, den Fleischer, Kl. Sehr. II, 266, hier-
hergezogen hat. Die Vershälften ^U-*J isj^JLs». Ludlkü* und
J.SLt^J jö^Li- Js c^-<t^ besagen nämlich nicht, wie Recken-
DORF will: „Fantasien lassen uns die Selma erscheinen" und:
„indem er für seine Tanten Preise festsetzte"2), sondern:
„Traumerscheinungen der Salmä kommen uns zu sehen (wie
hier sind freilich wohl eigentlich die zwei Konstruktionen auseinander-
zuhalten: ^^Ui I >y£ -£*£ und *-le** J^- Li^ii^X*i „jemand für et-
was danken4'; vgl. einerseits Süra 2, 147. 167. 27, 40. 29, 16. 31, 11. 13.
34, 14, neben 16, 115. 27, 19. 17, 20. 76, 22, Iäqüt IV, |., 19. o1P, 3i
Zuhair Nr. 10, Pv, und anderseits Kämil a., 8, Iäqüt IV, Pöo, 3, Sin-
debad par Machuel2 v, 1 und meine Chrestom. |P, 4), L^U| *-*"vj
und aJ Lgi». : „er gab sie ihm zur Frau" (neben andern Konstruk-
tionen; Lexika, Aräni VIII, nP, 11. 24, 1001 Nacht, Kairo 131 1, I, o, 6,
Abu-1-Mahäsin, ed. Juynboll, II, 1o, 3 f., Socin, Arab. Gramm.5 46*, 6
usf.), &3jXZ.z**\ und 2<J OjXiJUvf „er blickte zu ihm hinauf ", „erstaunte
es anu 0. ä. (Lexika, Hamäsa oof, 7, Iäqüt I, |0f-, 11, Schaade, Komm,
d. Suhaill u. d. Abu Darr zu d. Uhud-Gedichten 26, 8, Maqqari II, wP,
v. |f) u. a.
1) Findet sich auch Addäd 1P1, 4 v. u.
2) Besser Wellh.: „indem er den Preis für (den Verrat von) seiner
Mutter Schwestern festsetzte".
Auflösung der Akkusativrektion des Transit. Verbs usw. 179
ein Gläubiger nach einer Schuld sieht)"1) und: „indem er
über (den Stamm) seiner Tanten Auskunft gab2), Lohnes
wegen". Und wenn Fleischer in dem Verse bei Maqqari
\j*±. für |^a£ lesen will (s. Additions et Corrections zu Maqq.)
und dazu Kl. Sehr. a. a. 0. bemerkt: „Das Wortspiel mit
Oycüf in allgemeiner und o^y^-H m grarnmatischer Bedeu-
tung giebt den Sinn: fund der (durch den Tod des großen
Grammatikers eingetretene) Schicksalswechsel hat die Lehre
von dem Formenwechsel heruntergebracht'. Das J vor
^J-i^lS dient zur Verstärkung der Rectionskraft des nach-
gesetzten Zeitwortes", so übersieht er, daß o"-^Jf ebenso
gut wie Oyail „Schicksalswechsel" bedeuten kann3) und daß
neben y&jj\ (As.) „Syntax" wohl häufiger \J>yal] (As.) im Sinne
von „Formenlehre" erscheint als oiiyexJI (J^).4) Ich über-
— 7
1) Vgl. AUam's Komm, zu Zuh., ilv, 6: »i»\.£jc3 l_£i^5Lcs\i
» t - s
3JuILb3., die Lexx. zu *JU», die La. «t*JUaj (s. Lane s. v.) und die
Parallelen
TS OS IS SI.S » S • l/St^
Mufadd., ed. Thorb., Nr. 0, I und
» > s s 0 s 5 » G x,
aäfJwJ! jrfAll ^j U/ c^y^ * xUJ J*/ \JSJJo Lgju v^il^j
X > s s
Hudail, ed. Koseg. , Nr. va, 0 (s. Giese, Untersuchungen über die
s »
'Addäd 47 f., wo aber fälschlich vj>*if^j steht und wo 48, 1. 2 und
8. 10 „Gläubiger" und „Schuldner" ihre Plätze zu wechseln haben).
2) Vgl. o»-o V (und X) c. -ä „Erkundigungen einholen über",
„prüfen".
3) Vgl. Lane, Lex.
4) Vgl. außer Flügel, Gramm. Schulen 12 f., Ibn Ginnii de flexione
libellus ed. Hoberg, S. 2 und Muhit s. *Ayo einerseits Häggl Hai. IV,
S. 103, 3 neben VI, S. 313, 2, OyaJL y*?A\ ^i Kitäb Magmü) min
15*
180 A. Fischer:
setze den Halbvers ; unter Beibehaltung der Vokalisation
(jlt: „und die Lehre Toni Formenwechsel ist wegen des
Schicksalswechsels heruntergebracht worden".1)
Ich kann also, streng genommen, nur neun sichere Fälle
nennen, wo unser J im klassischen Arabisch erscheint.2) Dieses
Resultat gestaltet sich aber noch wesentlich ungünstiger, wenn
man beachtet, daß darunter auch nicht ein einziger völlig ein-
wandfrei ist. Sieben (Nr. i — 5. 8 und 9) gehören nämlich der
Poesie an und verdanken ihre Existenz zweifellos ausschließ-
lich dem Zwange des Metrums und Reims. Aber auch die
Prägung der beiden Qorän-Stellen (Nr. 6 und 7) hat sich offen-
bar unter dem Einflüsse eines rein äußerlichen Momentes voll-
zogen, insofern nämlich, als der Prophet die Verba ^y&j?. und
...5-oij für den Reim brauchte und daher genötigt war, sie
hinter ihre Objekte *^ und Ujj-H zu stellen, was ihn dann
weiter veranlaßt hat, deren Objektsverhältnis mittels der Prä-
position J schärfer zu verdeutlichen. Diesen Einfluß der
Stellung der Objekte ^ und l^JI vor dem sie regierenden
Verb auf ihre Umschreibung durch J3) haben auch schon
die arab. Qorän-Exegeten und Grammatiker erkannt; vgl. z. B.
muhimmät al-mutün (Kairo, Lithogr., 1321) irT, Titel der syr. Gram-
matik von Gabriel Cardahi: l^j-s^ &ftil*j**-Ji Oj^ ^ ^LXjt-^f und
Katalog d. arab. Werke d. Kair. vizekönigl. Bibl. IV, S. 1 ü. f., und
anderseits den Titel der Schrift von Suiüti: al-Farida fi-n-nahu ua-t-
tasrif ua-1-hatt (Brockelmann, Geschichte d. arab. Litt. II, S. 155,
Nr. 247).
1) Bei dieser Auffassung steht in unserm Halbverse der Haupt-
begriff ebenso an der Spitze, wie in den benachbarten Versen und
Halbversen.
2) Natürlich leugne ich nicht, daß sich noch mehr würden an-
führen lassen, sehr groß dürfte aber deren Zahl schwerlich 6ein.
3) S. darüber noch unten S. 184 f.
Auflösung der Akkusativrektion des Transit. Verbs usw. i 8 1
Tabari, Tafsir IX, fl, 3: ^1 ^ «^Jo >ä Li! f^h** Jl3j
p.Xff Jbioj ^^pM-^svi J.*4ii f.Jütj (ähnlicli fast sämtliche Qorän-
Kommentare zu den beiden Stellen). Natürlich hätte der
Prophet aber auch sagen können: ^y&*k +&s +$ qA-^J und
^j*«3 bj^Jl ^xjlT 0}. Vgl. Fälle wie aJiÄib Üb j^ f^JuT lä^ä
Sura 5, 74, am Versende, Uay» ^ ^ bj ay>&i lä* j Sura 33, 26,
Juä-I aJLff am Anfang des Mufassal, afciy ^.s^i .moUl Jö (mUrj,
IbnHisäm, ed.WüSTENF., 1r\, 9 usf.1) Übrigens mußte auch
in den Dichterstellen su^Jo ^lyüJ Sif^w (äjd und . . . _*^jLlL
l^X* die Stellung des Objekts vor dem Verb die Verwendung
1) Mißverständlich lautet bei Wright, Granimar3 II, § 31, rem.
der Satz : „(J must be used instead of the accusative, when the object
of the nomen agentis is rhetorically transposed and placed before it
). So also with the ftnite verb, ^j.-oij b. XI *xiJ ^f" (vgl. schon
oben S. i63f.). Diese Stelle ist übrigens m. W. die einzige bei We., die
sich mit der Stellung des Objekts vor dem Verb beschäftigt. Besser, aber
auch nicht ausreichend, in diesem Punkte Reckendorf, a.a.O., S. 118 f.
Am besten, wie oft, Sacy, Grammaire2 II, S. 202 ff. — Ist das seinem
Verb voraufgehende Objekt ein Personalpronomen, so wird es regel-
mäßig mittels bl ausgedrückt; vgl. Wright, am soeben zitierten Orte,
wo es aber statt „may" „must" heißen sollte, und die Qorän-Stellen
^jA**J üb! ^iJ jjf 2, 167. 16, 115. 41, 37, ^jjyjti tibi *ÄJt_f L
10, 29, ^JS^xi bbl fj.iU' lo 28, 63 und ^*0^+Jt?. l^iLf */bJ &^5ȣ>f
34, 39, sämtlich im Versausgang. (Dagegen wird das vor einem Nomen
mit Verbal kraft stehende pronominale Objekt mit J umschrieben;
Beispiele s. Wright a. a. 0., Reckendorf S. 254 f. u. a. — Im Dialekte
des Nedschd findet sich diese Ausdrucksweise auch vor dem Verb
selbst; vgl. mä gerij-ajidin lihin dag „die noch kein anderer geküßt
hatte als ich", Socin, Diwan aus Centralarabien Nr. 78, 2.)
182 A. Fischer:
von J wesentlich erleichtern. Daß hier das Objekt dann auch
noch durch das Suffix am Verb ausgedrückt ist, darf deshalb
» O / s 4
nicht auffallen, weil man auf gut Arabisch statt s^o^oljo-
nicht nur aoöyi? ^>j :, sondern auch »zijä ii>o: sagen konnte.
Freilich galt das Schema 20;^? u\>: im allgemeinen für besser
als 2U^6 fuXp : , aber gerade beim Imperativ, mit dem wir es
wenigstens in unserm zweiten Beispiele zu tun haben, bevor-
zugte man &>yb\ fJ^j vor »?fb\ 0^>j. Vgl. Sibauaih I, § pf
(= Sacy, Anthologie 100), Mufassal IT, 4 v. u. ff. und dazu
Ibn Ia^is i<Uff., Alfiia, Vers Po off., Käfiia, ed. Stambul 1234,
*f., Hizäna I, f riff., Sacy, Grammaire2 II, S. 202 ff, HowellI,
S. 202 ff. u. a. (auch Fälle wie «o.lö a^if J^J, s. nächste S., 5 v.u.).
Besonders schwer fällt ins Gewicht, daß keins der von
mir angeführten Beispiele unserer Auflösung der guten alten
erzählenden Prosa angehört. Sie dürfte also gerade der
Sprache, die wegen ihrer Natürlichkeit in verschiedener Be-
ziehung selbst höher als die der alten Beduinenpoesie gewertet
werden muß, im wesentlichen unbekannt gewesen sein.
Mit unserm Resultate scheint nun auffällig folgender Passus
des Kämil (fw, 12 ff.) zu kontrastieren: J^?. *ä {y*i . . . .
y
8iU?^i p"$ Lgi^ pX'f J^taJf »±*o ^ ('Jc^jiXm*^ ^JJf j Jjti ov^j
1) Fleischers Verbesserungsvorschläge zu diesem Passus (s. die
Critical Notes in Vol. II) sind unberechtigt, denn er ist durchaus in
Ordnung, abgesehen von den zwei Worten Jot&JI ^y^-lä Z. 14, für die
JjtöJl ^^Jb-Li oder JjuäJI i^j-^ui zu lesen sein wird. Sein Eingang
besagt: In dem zur Rede stehenden Verse hat der Dichter das Verb
o.§i, das sonst transitiv ist, mit At konstruiert. „Die Praeposition
aber, die sonst verwendet wird, wenn ein (eigentlich transitives) Verb
mit einer solchen verbunden wird, ist J" usf. Vgl. im übrigen zu dem
Passus S. ivl, 3 ff.
Auflösung der Akkusativrektion des Transit. Verbs usw. 183
o-**Ä-tj • • • • c^>yi ij*t ^y**J'j w-»yi _5^_j c^^ j^y jyt>
jtj J^ **UI JU» jLsuuwaiff ci'Lülfj J^j -Ko^» ^j'^j CT"^" l5*J**
w mm C » ^-»*C. , 1 u o £• »fci
m cutis
1)pfA>j_y$>l*i^ yi o^ (j^P. y ^*»*=- J^ bjUj- Nach diesem
Passus müßte nicht nur die Ausdrucksweise c^Sysb Js>J als
völlig einwandfrei gelten, sondern es wären selbst Fälle wie
AjsjJ ooyi gutes Arabisch. Mau beachte aber, daß sich
Mubarrad. diese Regeln ganz einseitig nach dem Qorän ge-
bildet hat, und zwar auf Grund von Stellen, die doch etwas
weniger mechanisch und äußerlich beurteilt sein wollen, als
es durch ihn geschieht. Vorsichtiger äußert sich Ibn 3Aqil
(ed. Diet. S. l^^, 2): j^y ^ llL3 u!(j [ ^yü r^Jf y]
Die Qorän-Kommentatoren erwähnen in der Regel nur die
Auflösung des dem Verb voraufgehenden Objekts durch
J als anerkannten Sprachgebrauch; vgl. Kassäf zu Süra 7, 153:
' * ' ^
CaJja3 vsi^J 4y*J CIJLT^3 ^_5J^ B_y5r'f? Un(^ ZU ^Üra 2; r43: «yJ*^jä
zw^Lö »^1 ^jij ooyä Jv^jJ v^jJLT Jj.*äJ( ,.vXSxJ r^Uf, Abu-1-
Barakät an-Nasafi, Tafsir (am Rande von Häzin's Tafsir),
TTT ' *" fi J
III, l\, Mitte: 0^ Ujj-Uj k?j^ ^j^- 4yi> un(^ Naisäbüri,
Tafsir (a. R. von Tabari's Tafsir), IX, f1, 14 v. u.: Vj£ü3
c
c^yb *ApjJ vaNiy^ OJij^" kjj^*8) ^nc^ endlich fehlt es nicht
1) Zu den letzten Worten vgl. schon oben S. 176, 5 v. u.
2) Vgl. auch oben S. 181, 1.
184 A. Fischer:
an Zeugen, die den Gebrauch von J statt des Akkus., zum
mindesten bei nachfolgendem Objekt, mit aller Schroffheit
verurteilen; Ibn Fürga, in Uähidi's Komm. z. Mutanabbi, IVr, 3:
und Tabarl, Tafsir IX, fo, pu.: s^» i *^y-ff J«^i ui-Ui-L
Vi^Xey'l ^Ä*^ ü£^J O^T-^U vt&*®} L5JtJt*^ ^^ ^>-^j |*^LXJf.
Als Resultat unserer Untersuchung ergibt sich also:
Die Auflösung der Akkusativrektion des Verbs durch J
scheint der Prosa des eigentlichen klassischen Arabisch ganz
zu fehlen. In der Poesie und im Qorän findet sie sich zwar,
aber nur sehr vereinzelt und stets nur unter einem gewissen
Zwang von Metrum oder Reim. Irrfmerhin nötigt ihr Vor-
kommen an diesen Stellen zu dem Schlüsse, daß sie mindestens
der alten Umgangssprache einigermaßen geläufig gewesen sein
muß.2) Die mir zur Verfügung stehenden Belege beweisen
nicht, daß sie bei voraufgehendem Objekt und nachfolgendem
Verb häufiger gewesen sei als bei der normalen Wortstellung
(also erst Verb und dann Objekt); zu dieser Annahme führen
aber mit Notwendigkeit die oben S. 181 und 183 mitgeteilten
Äußerungen der einheimischen Grammatiker und Qorän-Exe-
geten, auch wenn man deren Befangenheit gegenüber den
beiden Qorän-Stellen ^y&ß +&J +$> cß&U un(^ Ujj-U ^jJ ^1
1) Die erste Hälfte dieses Ausspruchs auch iu 3Ukban's Komm.
zu Mutanabbi, II, ("ja, 18, mit dem Zusatz: wyJa^vJj Jlä \SS*.
2) Von da aus ist sie dann mehr und mehr auch in die vulga-
risierende und nachklassische Literatursprache eingedrungen, wie na-
türlich auch in die neuere Umgangssprache übergegangen. In letzterer
scheint sie nicht gerade selten, aber auch keineswegs besonders häufig
zu sein; vgl. Socin, Diwan aus Centralarabien III, S. 233, Spitta,
Gramm, d. Yulgärdialectes von Aegypten S. 3671". und meine Marokk.
Sprichwörter S. 33 f.
Auflösung der Akkusativrektion des Transit. Verbs usw. 185
....ajü, wie gegenüber der grammatischen Theorie1) nach
Gebühr in Rechnung stellt. Es ist ja auch schon an sich
sehr wahrscheinlich, daß sich die Umschreibung mit J am
meisten da aufgedrängt hat, wo die Rektionskraft des Verbs
am wenigsten fühlbar war, d. h. eben — abgesehen etwa von
Fällen, wo sich längere Zwischenglieder zwischen Verb und
Akkusativ schoben — bei voraufgehendem Objekt.2) So ist
auch bei den Nomina agentis mit Akkusativrektion die Um-
schreibung des Objekts mit J nötig, wenn dieses seinem
Regens voraufgeht, dagegen nur zulässig oder, in gewissen
Fällen, höchstens bevorzugt, wenn es ihm nachfolgt.3) Geht
das mit J ausgedrückte Objekt seinem Verb voraus, so er-
scheint es gelegentlich noch einmal als Suffix am Verb
(Schema: K^yä &iß)- Dagegen scheint dieses pleonastische
»
Suffix bei der umgekehrten Wortfolge (Schema: j^jJ &üjä)
1) Nach der herrschenden Schulrneinung galt — aus dem oben
S. 162 erörterten Grunde — die Umschreibung des seinem Verb vorauf-
gehenden Objekts durch J als ^Lo, d.h. als bestimmten Regeln ent-
sprechend, dagegen die des nachfolgenden Objekts nur als cU«, d. h.
als nur empirisch gegeben.
2) Soweit diese Anschauung auch in der in der vorstehenden
Anm. erwähnten Schulmeinung zum Ausdruck kommt, ist gegen letztere
natürlich nichts einzuwenden. Falsch ist an ihr aber die Verkennung
der Tatsache, daß ein transitives Verb seine gewöhnliche Rektionskraft
auch bei nachfolgendem Objekte verlieren konnte. — Auch das christ-
liche Arabisch zeigt unsere Auflösung am häufigsten bei voraufgehen-
dem Objekt; vgl. Graf, Sprachgebrauch S. 42. (In den aramäischen Dia-
lekten und im Äthiopischen, wo bekanntlich b bzw. \ statt des Akkusativs
besonders beliebt ist, dürfte sich dieses allerdings bei nachfolgendem
Objekt ebenso häufig finden wie bei voraufgehendem. Aber hier ist
ja überall die Wortstellung so frei, daß sie, anders als im Arabischem
in Fällen wie dem vorliegenden nicht als Mittel oder auch nur Hilfs-
mittel des syntaktischen Ausdrucks dienen und daher auch nicht die
Darstellung des Objekts beeinflussen konnte.) — Man vgl. die Behand-
lung des seinem Verb voraufgehenden Objekts in den verschiedenen
indogermanischen Sprachen.
3) Vgl. z. B. Wright, Grammar3 II, § 31.
i86 A. Fischer:
völlig unbekannt gewesen zu sein.1) Wie die NN. i und 3
der von mir mitgeteilten Belege zeigen, erscheint im Ara-
bischen (im Gegensatz zum Aramäischen2)) das J des Objekts
auch beim indeterminierten Nomen.
Unsere Auflösung ist ihrem Kerne nach zweifellos gut-
arabisch. Das beweist schon ihr hohes Alter und vor allem
1) Anders bekanntlich im Aramäischen und Äthiopischen. Vgl.
auch 1 Chron. 5, 26: i"ttB53Q BÄia ^xnbl "Habl 'Tsniaob tab^l „und er
führte die Kubeniten, die Gaditen und den halben Stamm Manasse
hinweg1' und 2 Chron. 25, 10 : vb» xa~" i\rx -rtiafib sifTWast nbi'^l
D? jEX'O „Da sonderte Amasja die Heerschaar, die aus Ephraim zu ihm
gestoßen war, ab". (Die beiden Stellen Neh. 9,32: ^rixs^—.m rixb^n
^»S-babl .... Wirtb^ na^n^'b Wjb^i „das Ungemach, das uns be-
troffen hat, unsere Könige, unsere Obersten, unsere Priester .... und
dein ganzes Volk" und 2 Chron. 28, 15: blöiS-bsb, Diwans cnbqri „und
sie führten sie, soviele ihrer zum Gehen zu matt waren, auf Eseln", die
König, Lehrgebäude d. Hebr. II, 2, § 289 n gleichfalls hierherziehen
will, sind dagegen anders zu beurteilen, denn hier bilden nicht die
Suffixe "3 und C -\- den darauf folgenden Ausdrücken mit b die Objekte
zu nxSTa und •bnr, sondern die Suffixe allein bilden diese Objekte,
und die Ausdrücke mit b stellen sich appositioneil daneben, im .ersten
Falle in individualisierendem, im zweiten in einschränkendem Sinne.) —
Die heutigen arab. Dialekte kennen dieses Suffix m. W. weder im einen
noch im andern Falle, ausgenommen das Syrisch-Arabische, wo aber,
wie ich ZDMG 63, 825 f. ausgeführt habe, aramäischer Einfluß anzu-
nehmen ist.
2) S. Nöldeke, Syr. Gramm. § 288, Neusyr. Gramm. § 155, Man-
däische Gramm. § 270. Beiträge z. Kenntniss d. aram. Dialecte II
(ZDMG XXII, S. 443 ff.) § 42, und Margolis, Lehrbuch d. aram. Sprache
d. babyl. Talmuds § 61. Auch im Biblisch-Aramäischen fin-
det sich b nur beim determinierten Objekt, und das gleiche
gilt wohl vom späteren jüd.-paläst. Aramäisch. Kautzsch
(Gramm, d. Bibl.-Aram. S. 127 u. 151), Marti (Kurzgef. Gramm, d.
bibl.-aram. Sprache S. I07f.) und Dalman (Gramm, d. jüd.-paläst. Aram.*
S. 226, oben) haben diesen Umstand ganz übersehen, und Strack
(Gramm, d. Bibl.-Aram.4 § 70: „Zur Einführung des Objekts dient sehr
häufig b, besonders wenn das Obj. ein determiniertes persönliches ist")
ist in seiner Würdigung nicht genau genug. — Ich weiß nicht, ob im
Äthiopischen bloßes A (also ohne das pleonastische Suffix beim Verb)
auch indeterminierte Objekte einführen kann, möchte es aber glauben.
Auflösung der Akkusativrektion des Transit. Verbs usw. 187
die Parallele des J^l*Jf 'siytd ^ bei den Verbalnomina, das
wohl niemand für importiert halten wird; von diesem J zu dem
unsrigen bedurfte es natürlich keines allzu großen Schrittes1).
Nicht unmöglich wäre freilich, daß sie schon früh unter aramäi-
schen Einfluß geraten ist 2) ; immerhin bliebe bei dieser Annahme
verwunderlich, daß sich dann nicht auch das im Aramäischen3)
CS 1s »
so beliebte Schema 1^-9^ -öjJb (dem arab. v^y*<U bLu, »x*jb
JojJ entsprechen würde) schon im älteren Arabisch durch-
gesetzt hat.4) Das tatsächlich vorkommende Schema J^J
xxiyb, das sich allerdings gleichfalls im Aramäischen häufig
findet5), läßt sich, wie wir gesehen haben, als völlig orga-
nische Entwicklung aus dem gutarabischen xüyä iJs>: begreifen.
Man beachte noch, daß sich unsere Auflösung nicht allzu selten
auch im Hebräischen findet, und zwar wohl gleichfalls un-
abhängig vom Aramäischen6), sowie daß auch im Assy-
ungefähr gleichwertig mit ^y&S. *4*jl +$ (M^ÄU und U» J-f +&*? ^
s
^jkjk*. (vgl. z. B. Tabari, Tafsir IX, f «j, 2).
2) An aramäischen Einfluß würde sich natürlich auch bei Bagdad
denken lassen, wenn wirklich, wie Ibn Fürga behauptet (s. oben S. 184,4),
unsere Auflösung eine besondere dialektische Eigentümlichkeit dieser
Stadt gewesen ist. (Vgl. sonst zum Dialekte von Bagdad Freytag, Ein-
leitung in das Studium d. arab. Sprache S. 108, und besonders das
witzige Gedicht Iäqüt I, \\\.)
3) Eine Ausnahme bildet hier merkwürdigerweise das
Biblisch- Aramäische, in dem dieses Schema gänzlich fehlt.
4) Gegen stärkeren aramäischen Einfluß in früher Zeit spricht
doch auch der soeben konstatierte Unterschied, der hinsichtlich der
Determiniertheit des mit J ausgedrückten Objekts zwischen dem Ara-
s
maischen und dem Arabischen besteht.
5) Vgl. die zitierten Grammatiken.
6) Sie begegnet schon ziemlich früh (Exod. 32, 13 und Deut. 9, 27
nach "Ol, 2 Sam. 3,30 nach 5~n usf., vgl. König, Lehrgebäude H, 2,
1 88 A. Fischer: Auflösung der Akkusativrektion usw.
riscnen der Akkusativ gelegentlich1) mit der Dativpräposition
(ana) umschrieben wird. Es handelt sich hier also offenbar
um eine gemeinsemitische Erscheinung', deren Keime schon
im Ursemitischen liegen müssen.
Der allmähliche Schwund der Kasus-Endungen in der
Umgangssprache hat unsere Auflösung nicht veranlaßt, mußte
sie aber begreiflicherweise begünstigen.
§ 289, Gesenius-Kautzsch, Hebr. Gramm.27 § iiyn u. a. ; erst spät, in
Fällen wie den beiden oben S. 186, Anm. 1 aus der Chronik mitge-
teilten, wird aram. Einfluß anzunehmen sein) und kommt, wie im Ara-
bischen, auch beim indeterminierten Objekt vor (vgl. Jes. 61, i:
-s-n^rb irnrfe, Threni 4, 5: d^sol? n^xn, Dan. 11,38, 2 Chron.
5,11. 24, 12).
1) Delitzsch, Assyr. Gramm.2 § 180: ,, nicht selten", dagegen
Meissner, Kurzgef. assyr. Gramm. § 74c: „selten". Wer hat Recht?
Druckfertig erklärt 17. VI. 1910.]
i8g
SITZUNG VOM 30. APRIL 19 10.
Herr Mitteis legte eine Abhandlung von Professor Menzel in Wien
vor über Protagoras als Gesetzgeber von Tburii, für die „Be-
richte".
Herr Schmarsow kündigte eine Portsetzung seiner Studien über
Federigo Baroccis Zeichnungen an, für die „Abhandlungen".
Herr Fischer meldete an Randbemerkungen zu arabischen und
arabistischen Werken, Stück 1, für die „Berichte".
Herr Delbrück legte eine Arbeit vor über Germanische Syntax,
Teil 1 und 2, für die „Abhandlungen".
Die Klasse bewilligte Herrn Mitteis eine Unterstützung von
600 Mark zu der von ihm geplanten Sammlung von Interpolationen
in den Justinianischen Rechtsbüchern.
Phil.-hist. Klasso 1910. Bd. LXII. 16
i9i
Protagoras als Gesetzgeber von Thurii.
Von '
Dr. Adolf Menzel.
I. '
Den Ausgangspunkt unserer Untersuchung bildet die
Notiz bei Laert. Diog. IX, 50: ngorayoQug — '^ßö^gCr^g
xad"cc (prjöiv 'HQccxXsidrjg 6 Ilovxixbg ev rolg tceql vo^lcov bg
xal &ovQtovg vopovg yQccipcci (pyöiv avxöv.
Der Biograph der griechischen Philosophen bringt dem-
nach zwei Mitteilungen über Protagoras: einmal daß Abdera
seine Vaterstadt war, dann, daß er die Gesetze von Thurii
niedergeschrieben habe. Für beide Angaben zitiert er als
Quelle ein Werk des Pontikers Heraklides „von den Gesetzen."
Die erstere Angabe, die über die Heimat des Sophisten, wird
auch von anderen gewichtigen Gewährsmännern, vor allen
von Plato1) bestätigt; sie ist daher niemals ernstlich in Zweifel
gezogen worden.2) Anders steht es mit der Nachricht über
die Beteiligung von Protagoras an der Gesetzgebung der etwa
um 443 gegründeten Pflanzstadt Thurii. Diese Nachricht
steht vereinzelt; es scheinen ihr sogar andere Berichte zu
widersprechen.3)
1) Plato, Protag. 309 C, Staat X 600 C.
2) Vgl. Vitringa, de Protagorae vita et philosophia p. 14 ff.
3) Nach Diodor XII, 11 soll Thurii die Gesetze des Charondas er-
halten haben; bei Athen. XI, 508 A erscheint Zaleukos als Gesetzgeber.
Vgl. darüber Franz Hofmann, Beiträge zur griechischen und römischen
Rechtsgeschichte S. 93, 94. Für die Richtigkeit der Notiz des Laer-
tius haben sich neuestens, jedoch ohne nähere Begründung, erklärt
Rcd. Hirzel, Themis und Dike S. 382, Ed. Meyer, Gesch. d. Altert. IV,
§ 398.
16*
192 Adolf Menzel:
Allein es verdient dennoch die auf Heraklides gestützte
Mitteilung vollen Glauben. Indem wir dies darzulegen ver-
suchen, lassen wir es zunächst völlig dahingestellt, welche
Art von Gesetzgebung dabei gemeint ist, also ob es sich um
Verfassungsgesetze oder gewöhnliche Justizgesetze gehandelt
hat, ob eine Neuschöpfung oder eine bloße Gesetzesrevision
anzunehmen sei. Über diese Frage ist unseres Wissens bis-
her nicht gehandelt worden. Aber selbst die Vorfrage — die
Glaubwürdigkeit der Mitteilung von Heraklides — wurde wohl
noch kaum näher untersucht.
Wenn man von der Autorschaft jener Notiz gänzlich
absieht, kommt zunächst zur Erwägung, ob eine historische
Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß bei der Gründung von
Thurii unser Sophist für die Gesetzesredaktion herangezogen
worden sei. War es nicht einfacher, eines der in Unteritalien
geltenden Stadtrechte, etwa das von Katana oder Lokri zu
rezipieren? Wenn es sich bei der Schaffung von Thurii wirk-
lich nur um eine der üblichen Stadtgründungen gehandelt
hätte, würde es in der Tat mehr Wahrscheinlichkeit haben,
daß die Gesetze des Charondas oder Zaleukos von der neuen
Pfianzstadt angenommen worden wären. Allein der Fall war
doch von den gewöhnlichen Kolonisationen ganz verschieden.
Es handelte sich um ein Kolonialunternehmen im größten
Stile, welches, von Athen ausgehend, unter Beteiligung aller
griechischen Staaten ins Werk gesetzt werden sollte. Perikles
nahm sich der Sache mit dem größten Eifer an; er suchte
damit für Athen einen wichtigen Stützpunkt in Westgriechen-
land zu erreichen, zugleich aber den panhellenischen Gedan-
ken zu verwirklichen. Wenn sich nun auch Sparta offiziell
nicht beteiligte, so kamen doch aus dem Pelopones zahlreiche
Teilnehmer; auch Mittelgriechenland stellte eine ansehnliche
Kolonisten schar. x) Die Führung aber lag in den Händen
hervorragender Athener, unter welchen der Seher und Exeget
Lampon, ein persönlicher Freund des Perikles die wichtigste
i) S. die Darstellung bei Busolt, griech. Gesch. III, S. 518 ff.
Protagoras als Gesetzgeber von Thurii. 193
Rolle spielte. Der athenische Einfluß auf die Verfassung
der neugegründeten Kolonie tritt in den beiden uns von
Diodor (XII. n, 2 und 3) überlieferten Nachrichten hervor,
daß nämlich die Bürgerschaft, wie in Athen, in zehn Phylen
gegliedert wurde und daß eine demokratische Verfassung zur
Geltung kam.
Unter diesen Umständen war es wohl ausgeschlossen,
daß die neugeschaffene Stadt Thurii die alten Gesetze des
Charondas oder Zaleukos einfach rezipiert hätte. Denn wenn
dieselben auch mehr das Zivil- und Strafrecht zum Gegenstand
haben, als die Verfassung, so tragen sie doch einen höchst
konservativen Charakter an sich. So berichtet uns Diodor
(XII, 15, 2), daß nach den Gesetzen des Charondas, jeder, der
eine gesetzliche Neuerung einführen wollte, seinen Hals in
eine Schlinge legen mußte, bis sich das Volk über Annahme
oder Ablehnung des Antrags entschieden habe1), ferner
(XII, 17, 4) daß, wenn jemandem ein Auge ausgeschlagen
wurde, der Täter die gleiche Strafe erleiden sollte; also die
Talion in rohester Form. Es ist einfach undenkbar, daß in
einer unter Patronanz von Perikles gegründeten Kolonie solche
Sätze zur Geltung gelangt sind. Auch die privatrechtlichen
Vorschriften des Charondas mit ihrem Mißtrauen gegen den
Kreditverkehr2) paßten durchaus nicht auf eine lebhafte
Handelsstadt in der Mitte des fünften Jahrhunderts.
Wir müssen uns jedoch in dieser Frage nicht mit bloßen
Vermutungen begnügen. Wir können den direkten Beweis
dafür erbringen, daß es eine besondere Gesetzgebung der Stadt
Thurii gegeben hat, verschieden von den alten Satzungen des
Charondas und Zaleukos, eine Gesetzgebung, welche durch
ihre Originalität eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. In
dem Rechtslexikon von Theophrast, aus welchem uns Stobäus
1) Nach Demosthenes c. Timocrat. p. 744 galt dieser Satz in Lokri,
wäre demnach von Zaleukos aufgestellt worden.
2) Theophrast hei Stob. 44, 22 berichtet, daß nach den Gesetzen
des Charondas der Kaufvertrag Zug um Zug erfüllt werden mußte; ein
Klagerecht wird, falls kreditiert wurde, nicht gewährt.
IQ4 Adolf Menzel:
44, 22 ein großes Fragment „tibql öv^ßolaCav" erhalten hat,
wird an zwei Steilen der Gesetze Thuriis gedacht, und zwar
bei der Darstellung der Formalitäten des Kaufes von Liegen-
schaften und bei der Behandlung der Arrha. Diese zitierten
Gesetze „0ovqixoI" und „iv rolg &ovqCcovu werden aber aus-
drücklich unterschieden von den Gesetzen des XagävSag. Bei
der anerkannten Genauigkeit und Sachkunde des Theophrast
muß daher jeder Zweifel darüber schwinden, daß sich Thurii
auf diesem Gebiete besondere Gesetze gegeben hat. Wenn
nun weiter erwogen wird, daß Diodor etwa 400 Jahre, Athe-
näus etwa 500 Jahre nach der Gründung von Thurii gelebt
haben, so erscheinen die abweichenden Notizen dieser beiden
Schriftsteller, die sich überdies nicht durch besondere Zu-
verlässigkeit auszeichnen, völlig bedeutungslos.1)
Steht nun fest, daß Thurii eine selbständige Gesetzgebung
erhalten hat, wenn auch vielleicht in Anknüpfung an ältere
westgriechische Stadtrechte, so wäre nunmehr zu erwägen,
ob irgend welche Bedenken gegen die Nachricht geltend ge-
macht werden könnten, daß gerade Protagoras mit jener
Aufgabe betraut worden sei. Man hat darauf hingewiesen,
daß Protagoras ein „Fremder" gewesen sei und daß er von
den Späteren, insbesondere von Aristoteles unter den berühm-
ten Gesetzgebern nicht erwähnt werde. Allein bei der Neu-
gründung einer Stadt kann man doch von Einheimischen im
Gegensatze zu Fremden überhaupt nicht sprechen; der Fall
war übrigens in den griechischen Staaten kein seltener, daß
ein Auswärtiger zum Gesetzgeber berufen worden ist.2) Ferner
beweist aber das Stillschweigen des Aristoteles gar nichts;
seine Darstellung (Pol. II, 12) über berühmte Gesetzgeber ist
1) Gegen die Mitteilung von Diodor, daß sich die Thurier ihren
Mitbürger Charondas zum Gesetzgeber gewählt haben, kann überdies
einfach darauf verwiesen werden, daß Charondas zur Zeit der Gründung
Thuriis bereits 30 Jahre verstorben war; vgl. Th. Müller, de rebus
Thuriorum p. 43.
2) So gab z. B. der Korinther Philolaos Gesetze für die Theba-
ner, Aristoteles Polit. II, 12, 1274a 32 f.
Protagoras als Gesetzgeber von Thurii. 195
so lückenhaft und ungenau, daß die Echtheit dieser Partie
der politischen Lehrvorträge schon öfters angezweifelt wurde. l)
Dazu kommt noch, daß die Gesetze Thuriis häufigen Verän-
derungen unterlagen; schwere innere Krisen und wechsel-
volle äußere Schicksale dieser Kolonie waren kaum geeignet
den Namen ihres ersten Gesetzgebers der Nachwelt einzu-
prägen.
Wesentlich unterstützt wird die Nachricht von der gesetz-
geberischen Tätigkeit des Protagoras in Thurii durch die
Tatsache, daß der große Sophist mit dem leitenden Staats-
manne der Athener in freundschaftlichen Beziehungen stand.
Aus zwei Stellen bei Plutarch2) läßt sich ein inniger persön-
licher Verkehr der beiden Männer erschließen. Bei dem Ein-
flüsse nun, welchen Perikles auf die Gründung von Thurii
ausgeübt hat, ist es recht wahrscheinlich, daß er den von ihm
hochgeschätzten Sophisten als Legislator empfohlen hat. Da
es nun auch feststeht, daß sich Protagoras lange Zeit in Si-
zilien und Unteritalien aufgehalten hat3), so besteht geo-en
die innere Glaubwürdigkeit jener Notiz des Laertius kein
ernstes Bedenken.
Bisher wurde aber noch immer davon Abstand genommen,
den Autor jener Nachricht näher in Betracht zu ziehen.
Laertius zitiert als Quelle derselben das Werk des Politikers
Heraklides „von den Gesetzen". Dieser Autor ist einer der
hervorragendsten Schüler Piatos, der ihm für eine Zeit sogar
die Leitung der Akademie anvertraut hat.4) Unter seinen
zahlreichen Werken müssen die rechts- und staatswissenschaft-
lichen Schriften besonderes Ansehen genossen haben. Speziell
Cicero findet hier nicht genug Worte des Lobes für Hera-
klides5), wenn er auch gegen die theosophischen Lehren des
1) Vgl. Susemihl, Arist. Pol. I S. 258 Note 9 u. besonders v. Wi-
lamowitz, Aristoteles u. Athen I, S. 67.
2) Perikles c. 36 und Consol. ad Apoll, c. 33.
3) Plato, Hippias maj. 282 D.
4) Gompesz, griech. Denker III, S. 10 ff. 398.
5) Tuscul. V, 3, 8 („doctus imprimis"), de legg. III, 6, 14.
ig6 Adolf Menzel:
Politikers starke Bedenken äußert.1) Noch Plutarch hat das
Werk „von den Gesetzen" in seiner Lebensbeschreibung fleißig
benutzt und zitiert.2) Ein solcher Autor verdient den vollsten
Glauben, wenn er uns sagt, daß es Protagoras war, der die
Gesetze Thuriis abgefaßt hat.
IL
Nunmehr soll der Versuch gemacht werden, die Bedeu-
tung jenes „®ov(>Covg vö/xovg yQccilJcau festzustellen. Nach
dem Sprachgebrauche, der uns in der Politik des Aristoteles
vor Augen tritt, werden die eigentlichen Verfassungsgesetze
mit TioXirdu bezeichnet, wogegen die gewöhnlichen Gesetze
vo^LOi genannt werden; dementsprechend werden auch die
Gesetzgeber in solche geschieden, welche eine neue Ver-
fassung schufen und gewöhnliche Legislatoren.3) Falls man
diesen Sprachgebrauch für die Stelle des D. L. IX, 50 als
maßgebend ansehen würde, so wäre anzunehmen, daß Prota-
goras an der Redaktion der Verfassung von Thurii nicht be-
teiligt war, sondern nur an der Abfassung der Justizgesetze
(Privatrecht, Strafrecht, Prozeß). Wird hingegen der Aus-
druck „vd^ot" auf die gesamte Gesetzgebung mit Einschluß
der Verfassungsgesetze bezogen, so könnte Protagoras als
der Urheber gewisser, uns überlieferten, politischen Einrich-
tungen von Thurii angesehen werden.4) Die Staatslehre
unseres Sophisten5) würde dann vielleicht vom Standpunkte
der praktischen Politik eine interessante Beleuchtung erfahren.
Zunächst muß darauf verwiesen werden, daß dem ge-
1) De nat. deor. I, 13, 34; dazu Kriesche, Forschungen S. 325 ff.
2) Zusammenstellung der betreffenden Stellen bei Otto Voss, de
Heraclidis Pontici vita et scriptis 1896 p. 46, 47.
3) Vgl. vorläufig Pol. II, 12 1273 b; 1274b; wir kommen darauf
weiter unten zu sprechen.
4) So anscheinend Hirzel, Dike S. 582: „In diesem Sinne hat
Protagoras auch als politischer Gesetzgeber gewirkt." Eine nähere
Begründung wird jedoch nicht gegeben.
5) S. darüber meine Abhandlung in der „Zeitschrift für Politik",
Bd. in, S. 205 ff.
Protagoras als Gesetzgeber von Thurii. 197
meinen griechischen Sprachgebrauche jene Unterscheidung
des Aristoteles zwischen vöuoi und noXirUa fremd ist. Dies
zeigt sich in markanter Weise in der Periklesrede bei Thuky-
dides (II, 37): „Die Verfassung, in der wir leben, ahmt nicht
die Gesetze der Nachbarn nach (rovg rebv ■zsXag vöfiovg);
eher sind wir ein Vorbild für andere, als daß wir ihnen
etwas entlehnen. Sie führt den Namen Demokratie, weil die
Gewalt nicht auf wenigen beruht, sondern sich auf die Mehr-
heit der Bürger verteilt." Thukydides verbindet hier also
mit dem Ausdrucke vöfiOL den Sinn von Verfassungsgesetzen;
sie sind ihm identisch mit TtoXirsCa.
Aber auch bei Plato kann eine scharfe Scheidung von
„Verfassung" und „Gesetz" nicht festgestellt werden.1) Daß
insbesondere die Titel der beiden politischen Hauptwerke,
IlokixsCa, und N6[iOb, jene Scheidung nicht zum Ausdrucke
bringen, bedarf kaum eines Nachweises. Der Dialog „von
den Gesetzen" behandelt die Verfassungsprobleme mit großer
Ausführlichkeit, ja man kann sagen, eingehender als der
„Staat". Wenn Aristoteles in dieser Beziehung anderer An-
sicht ist2), so hat er sich hier, wie dies zuweilen auch sonst
bei der Darstellung der Staatslehre Piatos der Fall ist, einer
Ungenauigkeit schuldig gemacht.3) Damit soll natürlich nicht
geleugnet werden, daß Plato in bezug auf den Begriff des
Gesetzes tiefeindringende Untersuchungen angestellt und
namentlich die Unterscheidung von organisatorischen und
materiellen Gesetzen begründet hat.4) Dennoch kann nicht
behauptet werden, daß er die Verfassungsgesetze aus der
1) Anderer Meinung ist Zweig, die Lehre vom pouvoir constituant
1909, S. 7.
2) Pol. If, 3, 1265, I: »es sind in den Gesetzen (Piatos) das meiste
eben nur Gesetze und nur Weniges bezieht sich in ihnen auf die eigent-
liche Verfassung" (mgi ttJs icohtsiag). S. dagegen Susemihl Note 190
zu dieser Stelle.
3) So namentlich bei der Darstellung der Familien- und Güter-
gemeinschaft in Piatos Staat; vgl. Susemihl a. a. 0. Note 170 (Politik,
Bd. 2, S. 50).
4) Vgl. Rehm, Geschichte der Staatswissenschaft, S. 43 ff.
198 Adolf Menzel:
Gattung der Nö^iol ausscheidet und sie unter der Bezeich-
nung nolixeCa zusammenfaßt.1)
Dieser Sprachgebrauch findet sich erst bei Aristoteles.
Es ist wichtig, dies festzustellen, da ja der Pontiker Hera-
klides, dessen Notiz uns beschäftigt, aus der Schule Piatos
hervorgegangen ist. Wenn derselbe also von den „Gesetzen
Thuriis" berichtet, und zwar in einem Sammelwerke, welches
den Titel ^tieql vöpcov" geführt hat, so besteht demnach
keine Veranlassung, dabei an die von Aristoteles so genannten
Gesetze im engeren Sinne zu denken. Sein Sprachgebrauch
kann nicht maßgebend dafür sein, daß die Verfassungsgesetze
in jener Notiz ausgeschlossen erscheinen. Es wird übrigens
später noch dargelegt werden, daß wichtige Indizien anderer
Art jene Annahme widerlegen. Vorher soll aber noch die
Bedeutung jener Aristotelischen Unterscheidung von voiioi
und TtofotELa gewürdigt werden.
Diese Unterscheidung gelangt zunächst in folgender
Weise zum Ausdruck2): „Von Männern, die sich über Staats-
verfassung (%eqv irofaTsiag) äußern, haben sich manche nie-
mals praktisch mit Politik befaßt, sondern zeitlebens als
Privatleute gelebt; was von den Gedanken dieser aller be-
merkenswert ist, wurde im Vorhergehenden schon hinlänglich
erörtert. Manche aber nahmen selbst an der Staatsverwaltung
praktischen Anteil und sind Gesetzgeber (voilo&btui) teils für
ihre eigenen, teils für fremde Staaten gewesen und zwar so,
daß die einen von ihnen bloß Urheber von Gesetzen {ßyj^iv-
ovgyol vo^itov), die anderen aber auch von Verfassungen (xal
itolixdag) waren, wie namentlich Lykurg und Solon, denn
beide haben sowohl Gesetze als Verfassungen gegeben (vöfiovg
xal TtoXtreiag xccze6Ti]6uv).u Daran schließt Aristoteles Be-
1) Plato nennt vielmehr die organisatorischen Gesetze voho&sgIk
(Gesetze VI, 768a); es ist daher nicht zutreffend, auch durch keine
Stelle belegt, wenn Rehm a. a. 0. behauptet, daß in der Terminologie
Piatos Ttoltrsia. Kai v6\ioi so viel bedeute als Staatsverfassungs- und
Staatsverwaltungsrecht.
2) Arist. Pol. II, 12, 1273 b, 30 ff.
PllOTAGORAS ALS GESETZGEBER VON ThURII. IOQ
merkungen über die Gesetzgebung Solons, ferner über die
Gesetzgeber Zaleukos, Charondas, Philolaos ; sogar Phaleas und
Plato werden, auffallenderweise in diesem Zusammenhange,
kurz behandelt. Wichtig ist jedoch für unser Thema erst
wieder die Bemerkung über Drakon: „Auch von Drakon
existieren Gesetze; er gab sie aber für eine schon bestehende
Verfassung (xokiTsCcc v7iuQ%ovGri tovg vöpovg e&rjXEv)."1)
Zuniichst ist zu bemerken, daß Aristoteles die Urheber
von Verfassungen und die Kodifikatoren gewöhnlicher Gesetze
mit dem gleichen Worte „A^uo^a'rtu" bezeichnet; so hießen
demnach Lykurg, der nur Verfassungsgesetze schuf, Charon-
das, welchem nur Justizgesetze zugeschrieben werden, und
Solon, der beiderlei Arten von Gesetzen edierte, „Gesetz-
geber". Noch weniger ist aber jene Unterscheidung in der
Politie des Aristoteles folgerichtig durchgeführt. Das
siebente Kapitel beginnt die Darstellung der Reformen Solons
mit den Worten: „FtohreCav de xatEötrjßev xal vöfiovg e&iyxev
aXkovg.i<,t) Hier erscheint demnach das Gesetz als der weitere
Begriff, welcher auch die Verfassung einschließt. Die neuen
„Gesetze" wurden, so berichtet Aristoteles weiter, auf Holz-
pfeiler eingegraben und alle mußten schwören, die „Gesetze"
zu halten. Die Archonten verpflichteten sich zudem, falls sie
eines der „Gesetze" übertraten, den Göttern ein goldenes Bild
zu weihen. Dann heißt es: „Solon sicherte seinen Gesetzen
i) Im Gegensatze dazu berichtet Aristoteles, TLoX j&h, cap. 4
über eine Verfassungsänderung durch die Gesetze Drakons; er verlieh
allen Bürgern politische Rechte, welche imstande waren, ihre volle
militärische Ausrüstung selbst zu stellen. Wie dieser Widerspruch zu
lösen ist, ob Aristoteles seine Ansicht über die Gesetze Drakons be-
richtigt hat oder ob die Äußerung in der Politik überhaupt nicht von
ihm herrührt, kann hier dahingestellt bleiben. Für die Scheidung der
Begriffe „Gesetz" und „Verfassung" bei Aristoteles kommt es darauf
nicht an.
2) Unrichtig ist die Übersetzung von Kaibel und Kiessling:
„Eine Verfassung hat Solon dem Staate gegeben und sie auf neue
Gesetze gegründet." Zutreffend übersetzt Haussoullier: „II etablit
une Constitution et donna d'autres lois."
200 Adolf Menzel:
eine hundertjährige Gültigkeit und ordnete die Verfassung
in folgender Weise."1)
Indem wir auf gewisse Schwankungen und Inkonsequen-
zen im Sprachgebrauche des Aristoteles hinweisen, soll damit
durchaus nicht das hohe Verdienst geschmälert werden, das
sich der Stagirite durch die Unterscheidung zwischen der Ver-
fassung und den gewöhnlichen Gesetzen erworben hat.2)
Vom Standpunkte des griechischen Staatsrechtes hat diese
Unterscheidung allerdings nicht jene hohe Bedeutung, welche
ihr im modernen Staate innewohnt. Das attische Staatsrecht
— über die übrigen Verfassungen sind wir nur unvollkommen
unterrichtet — macht keinen Unterschied zwischen einem
Grundgesetz und einem gewöhnlichen Gesetze, weder hinsicht-
lich der Form yon Abänderungen, noch hinsichtlich des richter-
lichen Prüfungsrechtes. So findet insbesondere das interessante
Institut der „Klage wegen Gesetzwidrigkeit" (ygcccpi] itaga-
v6[icqv) 3) in gleicher Weise Anwendung, mag der angefochtene
Gesetzesantrag oder Volksbeschluß sich im Rahmen der Ver-
fassung bewegen oder eine Abänderung derselben bezwecken.
So berichtet uns z. B. Aristoteles in der Politie c. 29, daß die
Klage wegen Gesetzwidrigkeit ausdrücklich abgeschafft wurde4),
als man daran ging, die neue Verfassung, das Regiment der Vier-
hundert, auszuarbeiten; im cap. 40 wird die wieder zur Geltung
gebrachte ygcxpi] Tia^avö^ojv angewendet, um einen Antrag
zu Fall zu bringen, welcher nur eine konkrete Maßregel, die
Verleihung des Bürgerrechts an bestimmte Personen, betraf.5)
1) Auch hier gibt die Übersetzung von Kaibel und Kiessling
Anlaß zu Bedenken.
2) Hier ist Aristoteles ein Unterschied klar geworden, „der sonst
der hellenischen Sprache und entsprechend dem hellenischen Denken
ferne liegt" (v. Wilamowitz, Aristoteles und Athen, II S. 65).
3) Darüber vgl. Hermann - Thumsek, griech. Staatsaltertümer,
S. 53off. , Perrot, essai sur le droit publique d'Athenes, p. 164fr.
4) Wohl nur für den konkreten Fall der Verfassungsrevision.
5) Vgl. darüber meine Bemerkungen in den „Untersuchungen
zum Sokrates-Prozesse", S. 34 (Sitzungsbericht der phil.-hist. Kl. der
Wiener Akad. CXLV, Bd. 2).
PllOTAGORAS ALS GESETZGEBER VON TlIURII. 201
Die aristotelische Unterscheidung zwischen Gesetz und Ver-
fassung hat demnach nur einen theoretischen Wert; es ist
sogar zweifelhaft, ob sie in der späteren antiken Staatslehre
beibehalten wurde oder gar weiter ausgebildet worden ist.
Theophrast, der hervorragende Schüler des Stagiriten, hat
ein Werk negi vö^gdv geschrieben, welches nicht bloß die
Gesetze im engeren Sinne, sondern auch Verfassungs- und
Verwaltungsrecht enthält.1) Falls man daher auch Hera-
klides zu den Peripatetikern zählen wollte-), obwohl ihn
Cicero als ab eodem Piatone profectus bezeichnet3), so wäre
damit noch immer nicht dargetan, daß das Sammelwerk des
Pontikers sich auf die Gesetze im engeren Sinn (Justizgesetze)
beschränkt habe. Im Gegenteil läßt sich aus dem Umstände,
daß Cicero für die Lehre von den Magistraten Heraklides als
seinen Vorgänger bezeichnet, der Schluß ziehen, daß die „Ge-
setze"4) des Pontikers auch die Verfassungseinrichtungen be-
handelt haben.
Diese Annahme wird dadurch bekräftigt, daß die Zitie-
rung des Heraklides in Plutarchs Solon erkennen läßt, daß
eine Gesamtdarstellung der Gesetze (ohne Unterscheidung ihres
Inhaltes) nebst biographischen Notizen vorgelegen ist. Die
Nachricht über Solons Mutter (c. i) und über sein Fortleben
zur Zeit der Alleinherrschaft des Pisistratos (c. 32) wird aus-
drücklich auf den Pontiker gestützt. Von den Gesetzen Solons
0 Rehm, Geschichte der Staatsrechtswissenschaft, S. 67, Note 13:
„Aus der Gesamtheit der uns erhaltenen Fragmente zu schließen, be-
handelten die drei ersten Bücher die Lehre von den Prinzipien der
Gesetzgebung und den Gesetzesorganen usw."
2) Auf Grund von Laert. D. V, 86, in Widerspruch mit HI, 46.
Vgl. Schrader im „Philologus", Bd. 44, S. 2366°.
3) De legg. IH, 6, 14. Der daselbst auch erwähnte Diogenes
Stoicus hat gleichfalls ein Werk „volloi" geschrieben, Athen. XII, p. 526d.
4) Laert. D. V, 87 erwähnt allerdings noch eine andere Schrift
des Pontikers: „xsqI ccqxvsu- Allein dieses kleine Werk (ein Buch)
dürfte bloß eine kurze historisch -geographische Übersicht der „Re-
gierungen" (ein statistisches Handbüchlein) bedeutet haben. Ich schließe
das aus Laert. D. I, 94, wo über Regenten in Arkadien unter Berufung
auf 'üpaxtauhjs 6 IJovrixog iv tat tisq\ ccQ%f]S berichtet wird.
202 Adolf Menzel:
werden nacli derselben Quelle zitiert: Das Gesetz, wonach
die mit einer Buhlerin erzeugten Kinder keinen Unterhalts-
anspruch gegen den Vater besitzen (c. 22), und die Pflicht
des Staates, für die im Kriege Verwundeten zu sorgen (c. 31).
Es ist jedoch wahrscheinlich, daß Plutarch auch die übrigen,
in den Kapiteln 20, 22 — 24 aufgezählten Gesetze Solons dem
Werke des Heraklides entnommen hat.1) Dieselben sind
keineswegs Gesetze im engeren Sinne der aristotelischen Be-
griffsscheidung; sie betreffen auch das Verfassungs- und Ver-
waltungsrecht. Da ferner heute allgemein angenommen wird,
daß die unter dem Namen eines Heraklides überlieferten
Fragmente „tcsqI noXitdcav" nicht von unserem Pontiker
herrühren2) — es ist auch in dem Schriftenverzeichnis bei
Laertius Diogenes nicht enthalten — so kann aus der Exis-
tenz einer solchen Sammlung der Verfassungen nicht der
Schluß gezogen werden, daß das Werk „tisqi v6{iav" sich auf
die Justizgesetze beschränkt haben müsse. Dieses Werk des
Heraklides Pontikos hat demnach die Leistungen berühmter
Gesetzgeber ohne weitere Unterscheidung zur Darstellung ge-
bracht3); in ihrer Reihe erscheint auch Protagoras.
IH.
Es spricht eine große Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich
die gesetzgeberische Tätigkeit unseres Sophisten in erster
Linie auf die Gestaltung der Verfassung bezogen hat.
1) Bei 0. Voss, de Heraclidis Pontici vita et scriptis erscheinen
in der Tat jene Stellen aus Plutarch als fr. 16 — 20.
2) Schneidewin in seiner Ausgabe der Fragmente, Göttingen 1847
praefatio p. XLIIff. Christ, Geschichte der griech. Literatur, 3. Aufl.
S. 587, Berge, Literaturgeschichte IV, S. 507 nehmen an, daß der
Grammatiker Heraklides Lembos der Verfasser jener Kompüation ge-
wesen sei; so auch Busolt, griechische Geschichte, 2. Aufl. 1, S. 516,
Note 2, II, S. 55. Nur C. Müller, fragm. hist. graec. II S. 208 ff. hält
den Pontiker für den Verfasser der Politien.
3) So auch 0. Voss 1. c. p. 50 „Egisse eum de claris legumla-
toribus omnibus de Onomacrito, Zaleuco, Charonda, Hippodamo
Lycurgo etc."
Protagoras als Gesetzgeber von Thürii. 203
Während nämlich für die Justizgesetzgebung bereits vortreff-
liche Unterlagen in den Stadtrechten von Lokri, Rhegion
und anderen unteritalienischen Kolonien cregeben waren, fehlte
durchaus eine nachbarliche Konstitution, an welche die zu
schaffende demokratische Verfassung von Tburii hätte an-
knüpfen können; ringsherum gab es nur aristokratische oder
von Tyrannen beherrschte Gemeinwesen. Perikles aber mußte
das größte Gewicht darauf legen, daß in der neuen Kolonie
die Volksherrschaft gesichert werde; dies nicht etwa aus
theoretischer Liebhaberei, sondern aus dem praktischen Grunde,
weil nur unter dieser Voraussetzung Thurii als Stützpunkt
der attischen Politik in Westgriechenland behauptet werden
konnte. Ist es doch bekannt, daß die Gegnerschaft zwischen
den beiden führenden Staaten von Hellas sich nicht zuletzt
in dem aristokratischen und dem demokratischen Verfassuners-
prinzipe ausgedrückt hat; der Abfall von Athen und die Be-
seitigung der Volksherrschaft waren meist zusammenfallende
Ereignisse.
Wenn daher Protagoras, wie es wahrscheinlich ist, auf
Empfehlung des Perikles, mit der Ausarbeitung der Gesetze
von Thurii betraut wurde, so hatte er dabei offenbar die
Mission, eine Verfassung nach dem Muster Athens zu ent-
werfen. Damit stimmt vollkommen die Nachricht des Diodor1),
daß Thurii eine demokratische Verfassung angenommen und
sogar die attische Einteilung in zehn Philen rezipiert hat.2)
Wir sind jedoch in der Lage, festzustellen, daß unser Sophist
sich auf eine bloße Kopie nicht beschränkt hat, sondern be-
müht war, durch originelle Zutaten den Bau der demokra-
tischen Verfassung in Thurii zu sichern, Zutaten, welche in
Athen entbehrlich waren, aber durch die exponierte Lage
der Kolonie gerechtfertigt erscheinen. Dies läßt sich, aller-
dings nur indirekt, aus Mitteilungen von Aristoteles er-
schließen.
An zwei Stellen der Politik behandelt Aristoteles die
i)XII, 11, 3.
2) E. Szanto, die griechischen Phylen, S. 26.
204 Adolf Menzel:
Verfassungsgeschichte von Thurii.1) Zuerst VIII, 6, 1307 a,
2 7 ff.) berichtet er über eine politische und soziale Revolution,
durch welche die Vorherrschaft der Vornehmen beseitigt und
ihr übermäßiger Grundbesitz an das Volk übertragen wurde.
Bald darauf (VIII, 8? 1307 b, 7 ff.) schildert er die Umwand-
lung der herrschenden demokratischen Verfassung in eine
militärische Oligarchie. Da es Aristoteles hierbei unterläßt,
chronologische Daten anzugeben, so hat die historische Ver-
wertung seiner Notizen von jeher große Schwierigkeiten ge-
macht. Dies umsomehr, als der sonst für die Geschichte
Unteritaliens und Siziliens maßgebende Autor, Diodor, über jene
Ereignisse der inneren Geschichte Thuriis schweigt, während
er über die äußeren Konflikte dieser Kolonie, insbesondere
über die Kriege mit Nachbarstädten ausführlich berichtet.
Zunächst muß betont werden, daß es vollkommen ver-
fehlt wäre, aus der Stellung der beiden aristotelischen Mit-
teilungen einen Schluß auf die Zeitfolge der geschilderten
Verfassungs Wandlungen zu ziehen. Jene Mitteilungen dienen
nämlich nur dazu, um politische Lehrsätze zu illustrieren. In
der ersten Stelle handelt es sich für Aristoteles darum, ein
Beispiel dafür zu geben, wie sich die Aristokratie in eine
Demokratie umwandelt, wenn die Vornehmen das Prinzip der
relativen Gleichheit verletzen und die ärmeren Klassen wirt-
schaftlich unterdrücken. An der zweiten Stelle soll — eben-
falls an dem Beispiele Thuriis — gezeigt werden, wie ge-
fährlich es ist, ein scheinbar nebensächliches Stück der Ver-
fassung zu opfern, indem alsbald andere Teile der Verfassung
beseitigt werden und schließlich ihr ganzer Bau zusammen-
sinkt. Es waren also theoretische Gesichtspunkte dafür maß-
gebend, daß über die Verfassungsänderungen in Thurii gerade
in jener Reihenfolge berichtet wird, wie sie in der „Politik"
vorliegt.
1) Vgl. zum Folgenden Busolt, griech. Geschichte III, S. 533,
Note 4, Pappritz, Thurii, S. 51, Susemihl, Anm. 1602 — 1606 zu Aristot.
Polit., Gilbert, griech. Staatsaltertünier, II 2. Aufl. S. 244, Note 1, 344
Note 2.
Protagoras als Gesetzgeber von Thurii. 205
In der Tat kann darüber kaum ein Zweifel bestehen,
daß die geschichtliche Reihenfolge gerade die umgekehrte ge-
wesen ist. Wenn nämlich Aristoteles an der ersten Stelle
davon berichtet (1306a, 27), daß in Thurii ein hoher Census
für die Erlangung von Staatsämtern bestand, so kann das
unmöglich die ursprüngliche Verfassung gewesen sein, welche
Diodor als .ftolirsvaa örluoxQarixövu bezeichnet. Wohl aber
paßt diese Bezeichnung auf den Rechtszustand, welcher vor der
an der zweiten Stelle (1307 b, 8 ff.) geschilderten Wandlung ge-
geben war. Mithin wäre die historische Abfolge: Demokratie,
militärische Oligarchie, Aristokratie des Grundbesitzes, ge-
mäßigte Demokratie. Zu welcher Zeit diese Verfassungsände-
rungen vor sich gegangen sind, läßt sich nicht mit Sicherheit
feststellen. Eduard Meyer nimmt an, daß die demokratische
Verfassung Thuriis nur von kurzer Dauer gewesen und schon
um 434, 3, also 10 Jahre nach der Gründung, zugleich mit dem
Sturze der athenischen Partei beseitigt worden sei. Ich erlaube
jedoch, daß dieses Ereignis zwanzig Jahre später, nach dem
unglücklichen Ausgang der sizilischen Expedition, eingetreten
ist: stand doch Thurii, wie uns Thukvdides berichtet, noch
414 auf Seite Athens. Es können daher unmöglich schon 434
„die letzten Anhänger Athens die Stadt verlassen haben."1)
1) So Meyer, Gesch. d. Altertums IV, § 435. Derselbe erblickt
nämlich in der von Diodor Xu, 35 berichteten Entscheidung des del-
phischen Orakels über die Frage, wer als Gründer der Stadt zu gelten
habe, einen Bruch mit Athen. Indem jedoch das Orakel weder die An-
sprüche der Peloponesier noch jene der Athener anerkannte, sondern
Apollo selbst als Oikist hinstellte, nahm es im Parteikampfe eine ver-
mittelnde Stellung ein. Daß Herodot, ein ausgesprochener Parteigänger
Athens, Thurii schon 440 verließ (Meyer, § 399), beweist gar nichts;
dafür können die verschiedensten Gründe maßgebend gewesen sein.
Vom Redner Lysias wissen wir jedenfalls, daß er bis 411 in Thurii
geweilt hat. Die Stellen bei Thukydides, welche die enge Verbindung
mit Athen bezeugen, sind VI 104, VII 33, 35, 57. Danach haben die
athenischen Feldherren im Gebiete von Thurii Heeresmusterung ge-
halten und stellten die Thurier sogar Hilftstruppen. Es dürfte sich
daher die demokratische Verfassung, wenn auch vielleicht mit gewissen
Schwankungen, in Thurii bis 413 gehalten haben.
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXIL IJ
2o6 Adolf Menzel:
Für unsere Untersuchung ist übrigens diese chronologische
Streitfrage nicht von entscheidender Bedeutung. Uns handelt
es sich darum, den eigentümlichen Charakter der ursprüng-
lichen demokratischen Verfassung von Thurii herauszuheben,
wofür uns eben jener Bericht von Aristoteles die Unterlage
bildet. Dieselbe lautet:
Gvvißx] ds xovxo xal iiil xf^g ©ovqIcov 7toXixdag. vöfiov
ycco ovxog diu nsvte exav öXQaxrjyslv^ ysvö^isvoC xivsg tcoXe-
(llXOi XG)V VS(üX£QG3V XO.I %aQCC TC5 TtXrid'U [x6)V CpQOVQÖöv]
evdoxipiovvreg^ %ttxa<poovr\<5uvx£g xcbv iv roig itQuy '{laßt aal
vo[iC£,ovTsg Qadlcog xaxcc6%^6£Lv, xovxov xbv vöpov Xveiv sjis-
%£loy\6av Ttoäxov, äöx' s^slvai 6vv£%G)g xovg avxovg ßxQaxrj-
ysiv, oQoovxsg xbv dr[u,ov avxovg %Eiooxovr\6ovxa 7CQod"v{icog.
ot d' ETcl xovxgj x£xay\xivoi xav aoyßvxcov, ot xaXov^i£voi
öv^ißovXoi^ 6o{Lrjö'avx£g xö ozq&xov Evavxiovö&ai övvsjistöfrrjö'av
VTioXa^ißävovxeg xovxov xivijöavxag xbv vö{iov idösiv xi\v
äXXiqv noXixdav, vöxsqov de ßovX6\i£voi xcoXvetv aXXcov xlvov-
{isvav ovxexi TtXiov ijtoCovv ovdev, äXXä [UxeßaXsv fj xa%ig
%ä6a xf\g TCoXixEiag eig dvvaöxsCav x&v S7a%£iQr]ö'dvxG)v vecj-
X£olt,£lV.
Was zunächst den Text betrifft, so werden die einge-
klammerten Worte „xdv cpQovoibv", welche sich in der Tat
in einigen Handschriften nicht finden, von Susemihl und
Pappkitz gestrichen; wie ich glaube, mit Unrecht. Es würde
nämlich dann heißen, daß einige kriegstüchtige und bei der
Menge (dem Volke) beliebte jüngere Männer diejenigen Leute
verachteten, welche die Geschäfte führten. Es wäre aber
sonderbar, daß Männer, welche die aus dem Volke erlosten
oder gewählten Staatsorgane gering schätzen, bei demselben
Volke beliebt gewesen seien; der Demos hätte sich ja dann
selbst ins Gesicht geschlagen. Dagegen hat es einen guten
Sinn, wenn von Aristoteles berichtet wird, daß jene jüngeren
Offiziere bei der Mehrheit der Wachtruppen, naoä x<p nXiqd-et
xäv (pQovQ&v, beliebt gewesen sind.1) Mit Rücksicht auf die
i) Daß der Demos ihnen schließlich nachgab, war nicht die
Folge ihrer Beliebtheit, sondern ihrer Macht, welche dem Volke und
Protagoras als Gesetzgeber von Thurh. 207
stets drohenden Einfälle räuberischer Völkerschaften und die
häutigen Konflikte mit benachbarten Städten Unteritaliens
waren die Thurier genötigt, ein kleines stehendes Heer zu
halten. Daß diese (pQovpol nicht gerade demokratisch ge-
sinnt waren, ist selbstverständlich. Finden wir doch auch in
der anderen Stelle über die Verfassungskämpfe in Thurii
(Arist. Pol. 1307a, 2 7 ff) diese Besatzungstruppen als Stütze
der oligarchischen Partei hervorgehoben; sie werden von dem
kriegsgeübten Volke überwältigt und damit wird die Demo-
kratie wieder hergestellt (Örjfiog yvfivccö&slg ev rä Ttols^oy
r&v cpgovQäv eysvsro xQSirtav).
Von den Offizieren dieser Mannschaft ging auch der
erste Angriff auf die demokratische Verfassung aus. Es
wurde jedoch nicht ein Staatsstreich versucht, sondern der
verfassungsmäßige Weg eingeschlagen; offenbar fühlten sich
die Führer der Truppen nicht stark genug für einen Gewalt-
akt. Ihr Augenmerk war zunächst darauf gerichtet, eine
Bestimmung der Verfassung zu beseitigen, welche ihren ehr-
geizigen Bestrebungen besonders hinderlich war. Es bestand
nämlich in Thurii, so berichtet uns Aristoteles, ein Gesetz,
daß innerhalb fünf Jahren niemand von neuem die Würde
eines Strategen erlangen könne. Eine Änderung dieser Vor-
schrift konnte es ermöglichen, daß dieselben Offiziere un-
unterbrochen zu Strategen gewählt werden, wodurch sie die
Leitung des Staates in die Hand bekämen. Die Symbulen
(von denen alsbald die Rede sein wird) widersetzten sich zwar
anfangs dieser Gesetzesänderung, gaben aber schließlich in
der Hoffnung nach, daß die Neuerer sich damit zufrieden
geben und dis übrige Verfassung unangetastet lassen werden.
Als jedoch später auch andere Bestimmungen der Verfassung
angefochten wurden, bemühten sich die Symbulen vergeblich,
dies zu hindern; die ganze bestehende Verfassung ging in ein
oligarchisches Regiment jener Männer über, von welchen die
Neuerung ausgegangen war, d. h. der Truppenführer.
Beinen Organen Furcht einflößte: man denke an die griechische Offiziers-
liga unserer Tage.
17
*
208 Adolf Menzel:
IV.
Der Ausdruck „öviißovXoi" zur Bezeichnung eines staat-
lichen Organes findet sich nur noch in Sparta. Hier wurden
die den Feldherren bisweilen zur Kontrolle beigegebenen
Kommissäre Symbulen genannt.1) Es handelt sich hier nicht
um eine ständige Einrichtung, sondern um fallweise bestellte,
außerordentliche Funktionäre.2) Schon ein flüchtiger Blick
auf die aristotelische Notiz belehrt uns, daß die Institution
der 6v[ißovloL in der Verfassung von Thurii nicht die ge-
ringste Verwandtschaft mit den gleichnamigen spartanischen
Abgesandten besitzen. Es handelt sich vielmehr um ein
Staatsorgan, welches in den Prozeß der Gesetzgebung ent-
scheidend eingreifen konnte. Gegen den Willen der Sym-
bulen konnte in Thurii ein bestehendes Gesetz nicht auf-
gehoben oder abgeändert werden. So viel läßt sich aus der
Darstellung von Aristoteles mit Sicherheit ableiten. Schwieriger
ist es freilich, den staatsrechtlichen Charakter der Symbulen
im einzelnen näher zu charakterisieren. Um so größer ist
der Anreiz, in dieser Richtung eine Untersuchung anzustellen.
Bevor darauf eingegangen wird, mögen einige Bemerkun-
gen über den Gebrauch des Wortes ßv^ißovXot bei Plato
vorausgeschickt werden. Es läßt sich nämlich feststellen,
daß jenes Wort bei ihm nicht bloß in der allgemeinen Be-
deutung von „Ratgeber" verwendet wird, sondern schon eine
politische Färbung, eine Beziehung zur demokratischen Ver-
fassung besitzt. Sehr charakteristisch erscheint in dieser Be-
ziehung Protagoras p. 319b, c, d.
6qG> ovv, brav övXXsy&^isv eis tty ixxXrjöCccv , &7ieid<xv
[l£V 7t£Qi OtXoSo^liCCg XL ÖET} TtQO&.Ul XY\V TIÖXlV, XOVQ olxoÖÖ-
1) Über solche Fälle berichtet Thukydides II, 85, III, 69, V, 63.
Wenn ein Feldherr unglücklich operierte oder sich ohne Not mit dem
Gegner in Vertragsverhandlungen einließ, wurden ihm GvfißovXoi bei-
gegeben.
2) Erst um 418 scheinen sie sich zu einer ständigen Behörde aus-
gebildet zu haben, zu einer Art von Kriegsrat.
Protagoras als Gesetzgeber von Thurii. 209
fiovg [lexa^tii'jco^ivovg öv^ißovlovg %sqI xäv otxodo^rtixdx(ov^
bxav di xsol vavzir\yiag, xovg vavmtyovg, xal xulla Ttdvxa
C ovxag, 06a i)yovvxai (icc&rjtd xs xal öidaxxä sivac luv de
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ov% i]yovvxai öidaxxbv e'ivul.
Hier werden also die Redner und Antragsteller in der
Volksversammlung als Symbulen bezeichnet. Handelt es sich
um Beschlüsse über technische Fragen, so werden gewohn-
heitsmäßig nur Sachverständige als „Ratgeber" zugelassen.
In den eigentlich politischen Fragen lassen aber die Athener,
wie Sokrates bemerkt, jeden Bürger als Symbulen zu, als ob
die politische Tüchtigkeit allen von Natur innewohne. In
der sich darin schließenden bekannten Rede1) sucht Protagoras
es zu rechtfertigen, daß die Athener, wenn es sich um Be-
schlüsse über die Staatsverwaltung handelt, alle Bürger gleich
behandeln (Prot. 323a). Auch im Dialog Theätet werden die-
jenigen, welche als Redner die Volksbeschlüsse herbeiführen,
mit dem Worte „Ivußovloi" bezeichnet (p. 172a), gleich-
bedeutend mit den „weisen und guten Rednern, welche be-
1) S. darüber meine oben cap. II, Note 5 zitierte Abhandlung.
Es wird später gezeigt werden, daß Protagoras mit dieser demokrati-
schen Lehre keineswegs in Widerspruch geraten ist, wenn er die Ver-
fassung von Thurii etwas abweichend vom athenischen Vorbilde ge-
staltet haben sollte.
210 Adolf Menzel:
wirken, daß den Staaten das Gute anstatt des Schlechten ge-
recht zu sein scheine" (Theätet p. 167c).
Im Sinne Piatos sind nun freilich die „Ratgeber" jene
Redner, welche die Beschlüsse der Volksversammlung fak-
tisch beeinflussen, während die Symbulen in Thurii offenbar
eine juristische Funktion in dem legislativen Prozesse aus-
geübt haben. Allein trotz dieser erheblichen Differenz kann
aus der Gleichheit der Bezeichnung doch wohl der Schluß
gezogen werden, daß die av^ißovXoi, über welche Aristoteles
berichtet, Funktionäre waren, welche über einen in der
Ekklesia zu verhandelnden Gesetzesantrag ein Votum abzu-
geben hatten. Im attischen Staatsrechte bestehen nun drei
Institutionen, welche als Analogie für diese* Tätigkeit der
Symbulen herangezogen werden können: Der Rat der Fünf-
hundert als vorberatender Körper, die Behörde der Norno-
phylakes und jene der Thesmotheten. Eine kurze Betrach-
tung dieser Einrichtungen dürfte sich für das Verständnis
der aristotelischen Stelle als nützlich erweisen.
Es ist bekanntlich eine wichtige Aufgabe der attischen
ßovlrj, über die Gegenstände, welche der Beschlußfassung der
Volksversammlung zu unterziehen sind, eine Vorentscheidung,
das TtQoßovkevyia, zu treffen. Schon nach einem Gesetze
Solons1) konnte kein Gegenstand auf die Tagesordnung der
Ekklesia gestellt werden, über welchen nicht das Ratsgut-
achten vorlag und Aristoteles berichtet das Gleiche als geltendes
Recht.2) So lautet denn auch die Sanktionsformel der Volks-
beschlüsse vor Euklid: edo^s tF; ßovhfj xecl r<p drj{i<p.3) Dabei
konnte aber der Rat sich auch auf die formale Einbegleitung
eines Gesetzesantrags beschränken, ohne einen meritorischen
Antrag zu stellen; überhaupt war der materielle Inhalt der
Ratsentscheidung für das Volk nicht bindend; sie konnte, wie
sich aus den Inschriften ergibt, ganz oder teilweise abgeändert
1) Plutarch, Solon c. 19. 2) Staat der Athener, c. 45, 4.
3) S. darüber Haktel, Stadien z. att. Staatsrecht, S. 226, und für
die anderen griechischen Staaten Swoboda, griechische Volksbeschlüsse,
S. 36, 59, 74-
Protagoras als Gesetzgeber von Thurii. 2 1 1
werden.1) Das Probuleuma war also nur ein formales Er-
fordernis für die Behandlung eines Antrags in der Volksver-
sammlung. Ja es konnte der Rat von der Ekklesia direkt
beauftragt werden, sein Gutachten zu erstatten.8) Es ist daher
unzutreffend, wenn Perrot von einem Vetorechte der atti-
schen /Joimj) spricht3); ebensowenig kann das Institut der
sogenannten Vorsanktion4) in der modernen Monarchie als
Analogie herangezogen werden.
Die Funktion, welche nach Aristoteles die Symbulen in
Thurii besaßen, war eine tiefer greifende. Ohne ihre Zu-
stimmung konnte ein bestehendes Gesetz nicht aufgehoben
werden. Sie können schon deshalb nicht mit dem „Rate"
zusammenfallen, weil sie von Aristoteles als eine Regierungs-
behörde „aQxovTEs" bezeichnet werden. Einen solchen Be-
amtencharakter besaßen in der Tat die attischen „Gesetzes-
wächter". Leider sind wir über die Stellung dieser Nomo-
phylakes nur sehr ungenau unterrichtet.5) Eingeführt wurden
sie um die Mitte des fünften Jahrhunderts gelegentlich der
demokratischen Reform der Verfassung durch Ephialtes. Die
Nomophylakes übernahmen einen Teil der kontrollierenden
Funktionen des Areopags; Näheres ist uns über die Kom-
petenz derselben nicht bekannt. Am Ende des fünften Jahr-
hunderts wurden die „Gesetzeswächter" abgeschafft6); erst
1) Hermann-Thumseu, Staatsaltertümer, II, S. 481.
2) Hartel a. a. 0., S. 1830'.
3) „Si le Senat et les Thesniothetes ne se croyaient pas tenus
d'interposer leur veto . . ." Von einem Vetorechte kann man doch
nur sprechen, wenn ein bereits gefaßter Beschluß entkräftet wird.
4) D. i. die Ermächtigung zur Einbringung eines Gesetzentwurfes.
5) Vgl. darüber Perrot a. a. 0., p. 169 s"., Hermann -Thumser,
S. 518, Note 5, Ed. Meyer, Bd. III, § 318 A und Bd. 5, Vorrede, Lipsids,
das attische Recht, I, S. 35.
6) Das geht aus einem Papyrusblatt hervor, welches B. Keil 190 1
unter dem Titel „Anonymus Argentinensis" herausgegeben und kom-
mentiert hat, bes. S. 170. Meyer nimmt allerdings an, daß jene Notiz
von der Einsetzung der Nomophylakes unter der Herrschaft der 30 Ty-
rannen handle. Daß die Oligarchen Gesetzeswächter eingesetzt haben,
ist jedoch wenig wahrscheinlich.
212 Adolf Menzel:
die Verfassungsreform des Demetrios von Phaleron enthält
wieder diese Institution. Nach Philochoros1) hatten die Ge-
setzeswächter dafür zu sorgen, daß die Magistrate die Gesetze
einhalten; sie saßen im Rate und in der Volksversammlung
an der Seite der Proedren mit der Befugnis, Beschlüsse zu
verhindern, welche dem Staatswohle zuwiderlaufen. Ob auch
schon die älteren Nomophylakes des fünften Jahrhunderts
eine so wichtige Funktion besaßen, läßt sich nicht bestimmen;
auffallend ist es jedenfalls, daß Aristoteles sie mit keinem
Worte erwähnt; Demosthenes enthält gleichfalls keine An-
deutung über diese Institution. Dies schließt aber keines-
wegs aus, daß die Nomophylakes zur Zeit der Gründung
von Thurii (443) staatsrechtliche Bedeutung besessen haben
können.
Etwas genauer sind wir über die Thesmotheten2)
unterrichtet. Nach Aristoteles (Staat der Athener, cap. 8)
wurden die sechs letzten Archonten unter dem Namen der
Thesmotheten erst später eingeführt, nachdem in der ältesten
Zeit die drei ersten Archonten (König, Kriegsoberster und
Archon im engeren Sinne) allein die Regierung geführt haben.
Die Thesmotheten hatten die alten Rechtssatzungen aufzu-
schreiben und für den Gebrauch vor Gericht aufzubewahren.
Ausführlich werden sodann im 59. Kapitel ibre Funktionen
in dem zur Zeit des Aristoteles geltenden Rechte geschildert.
Dabei sind allerdings in erster Linie die umfassenden richter-
lichen Funktionen der Thesmotheten aufgezählt.3) Es finden
sich jedoch auch Andeutungen über ihren Einfluß auf die
Gesetzgebung, indem ihnen die Instruktion der Klagen, be-
treffend die Gesetzwidrigkeit oder die Unzweckmäßigkeit eines
Gesetzesantrages {ygucpäg Tca^avö^iav xccl v6{iav y.i] £7titrjdsLov
d-slvat) zugewiesen erscheint. Aus einzelnen Stellen der atti-
1) Zitiert im Lex. Rhet. Dobr. 674; s. Gkote, griech. Gesch.
deutsche Ausgabe, III, S. 286, Ltpsius, S. 36, Note 114.
2) Vgl. im allgemeinen Hirzel, Themis, S. 3 40 ff.
3) S. darüber jetzt J. H. Lipsics, das attische Recht, I, S. 68 ff.
PrOTAGORAS ALS GESETZGEBER VON ThURII. 2 17,
sehen Redner1) läßt sich schließen, daß das Gutachten der
Thesmotheten vorliegen mußte, bevor eine Gesetzesrevision
angenommen werden konnte.2) Zur Zeit des Perikles dürfte
ihr Einfluß jedenfalls bedeutend gewesen sein.
Da nun nach Aristoteles die Symbulen in Thurii die
gleiche Funktion besaßen, wie die Thesmotheten in Athen,
so haben wir es hier offenbar mit einer Rezeption des atti-
schen Staatsrechtes zu tun. Wesentlich gestützt wird diese
Annahme dadurch, daß die övfißovXoc als ccQxovtes*) bezeich-
net werden (Arist. Pol. 1307 b, 14) und zwar als solche Ar-
chonten, welche für jene Aufgabe (Xveiv xbv vöpov) bestellt
waren {kxl rovra rstayfiavoi). Da nun auch die Thesmo-
theten ein Kollegium von Archonten bedeuten, und zwar der
sechs letzten, so dürfte ein Zweifel über die Identität kaum
bestehen bleiben. Wenn daher die Symbulen von Oncken
als „Ratsherren" bezeichnet werden4), so ist das unzutreffend.
Freilich erhebt sich nunmehr die Frage, warum mit der Sache
nicht auch der Name rezipiert wurde, weshalb also die atti-
schen Thesmotheten in der Verfassung von Thurii anders
benannt wurden. Ich glaube dafür folgende Erklärung geben
zu können. Nirgends außer in Athen werden die Gesetze als
&£6uol bezeichnet; sowohl die Gesetze des Lykurg als die
des Zaleukos und Charondas heißen vouoc.5) Indem nun das
1) Demosth. XXIY 20, Aeschin. c. Ctesiph. 38.
2) So sagt denn auch Perkot p. 157 über die Thesmotheten:
,,11 est probable, que lorsqu'une proposition leur paraissait trop mani-
festement contraire ä tout l'esprit de la legislation Athenienne et aux
interets de l'Etat, ils avaient le droit de refuser leuxs assentiments et
d'arreter ainsi au debut toute Faffaire." Später drückt sich Perrot
dahin aus, daß die Thesmotheten ebenso wie die ßovli] ein Vetorecht
gegen Gesetzesanträge besessen haben.
3) Daß dieser Ausdruck im technischen Sinne zu nehmen ist,
ergibt sich daraus, daß Aristoteles in seiner Politik auch an anderen
Stellen die „Archonten" nicht in der allgemeinen Bedeutung von Be-
amten, sondern als höchste Regierungsorgane gebraucht, so 1401b, 25
(o ccq%ov) und 1306 a 28 (&q%ovtl uEGidioi).
4) Die Staatslehre des Aristoteles II, S. 243.
5) Hirzel, Dike S. 345.
214 Adolf Menzel:
Institut der Thesrnotheten *) an den nur aus der attischen
Geschichte verständlichen Ausdruck „&eö[iol" anknüpft, mußte
es bei seiner Verpflanzung in eine audere Verfassung seinen
Namen, für den außerhalb Athens das Verständnis fehlte,
ablegen. Warum gerade die Bezeichnung „Symbulen" ge-
wählt wurde, läßt sich natürlich schwer feststellen. Wenn
man erwägt, daß dieselben die Aufgabe hatten, das Volk in
bezug auf die Änderung der Gesetzgebung zu beraten, so hat
diese Nomenklatur nichts Auffälliges. Wie wir oben auf
Grund einer Stelle aus Piatos Protagoras gesehen haben,
wnrden die Redner und Antragsteller in der athenischen
Volksversammlung als 6vjxßovXoi bezeichnet. Warum sollten
nicht jene wichtigen Beamten diesen Namen erhalten, deren
Aufgabe es war, durch ihr Votum die Verhandlung von Ge-
setzesanträgen in der Ekklesia einzuleiten? Sie waren gleich-
sam die privilegierten Ratgeber des Volkes.
Bedeutet also diese Einrichtung keine wesentliche Ab-
weichung von dem athenischen Vorbilde der demokratischen
Verfassung, so Hegt allerdings eine Eigentümlichkeit der
Konstitution von Thurii in dem von Aristoteles überlieferten
Gesetze, daß ein Stratege erst nach fünf Jahren wieder wähl-
bar sei. In Athen konnten die Feldherren immer wieder ge-
wählt werden; Perikles bildet das typische historische Beispiel.
Ist es auf den ersten Blick nicht merkwürdig, daß die unter
der Patronanz des großen Staatsmannes gegründete Kolonie
jene verfassungsmäßige Schranke aufstellte"? Die Erklärung
ist nicht schwierig. Dem national einheitlichen, demokratisch
gesinnten Volke von Athen drohte keine Gefahr eines Um-
sturzes, wenn auch sein Vertrauensmann immer wieder mit
der Feldherrnwürde bekleidet wurde. In Westgriechenland
war ein günstiger Boden für Militärdiktatur und Oligarchie.
Eine verfassungsmäßige Schutzwehr dagegen bildete eben das
Verbot der Wiederwahl der Strategen, welches vermutlich
Protagoras bei der Abfassung der Konstitution von Thurii
i) „Drakon und Solon haben ihre historische Aufgabe als Tbes-
motheten gelöst." (Hirzel, S. 348).
PltOTAGORAS ALS GeSETZGEIIER VON TlIl'IUI. 2 15
aufgestellt hatte; hier konnte er vollkommen bewußt von dem
athenischen Muster abweichen, gerade im Interesse der Er-
haltung des Gleichheitsstaates. Wie Recht er hatte, beweist
gerade die Erzählung des Aristoteles.
V.
Neben den eigentlichen Verfassungsgesetzen besaß Thurii
eine Vorschrift von eminent sozialem Charakter; der in einer
Hand vereinigte Grundbesitz durfte ein gewisses Maximum nicht
überschreiten. Aristoteles berichtet nämlich, daß „die Vor-
nehmen wider das Gesetz den ganzen Grundbesitz an sich
gerissen hätten", daß aber mit dem Siege des Volkes über
die Oligarchen „diese genötigt wurden alles Land herauszu-
geben, welches sie zuviel besaßen". (Pol. 1307a, 30 — 35).
Obwohl nun dieses Agrargesetz erst bei der zweiten Ver-
fassungswandlung erwähnt wird — bei der Umwandlung der
Aristokratie in eine Demokratie — so ist doch nicht zu be-
zweifeln, daß jenes gegen den Latifundienbesitz gerichtete
Verbot bereits in der ersten, demokratischen Verfassung Thuriis
enthalten war. Haben doch die Oligarchen gewiß kein In-
teresse daran gehabt, eine solche Beschränkung einzuführen.
Sie scheinen aber eine ausdrückliche Aufhebung jenes Gesetzes
nicht bewerkstelligt zu haben; sonst könnte Aristoteles nicht
berichten, daß die Anhäufung des Grundbesitzes tcuqcc xbv
vöuov erfolgt sei; dies setzt wohl eine fortdauernde Geltung
voraus. Die herrschenden Aristokraten fühlten sich offenbar
mächtig genug, um das Gesetz faktisch außer Kraft zu setzen.
Als soziale Schutzwehr der Demokratie hatte demnach
schon die erste Verfassung von Thurii die Vorschrift enthal-
ten, daß der Grundbesitz ein gewisses Maß nicht überschreiten
dürfe. Ich vermute, daß Protagoras diese Anordnung der
Verfassung Solons entnommen hat. Bei Aristoteles (Pol. II,
4, 4, 1266b) ist nämlich zu lesen: ölöxl uav ovv e%£i xivcc
dvva^itv slg xi]v 7tolixixi]v xoivcoviuv 1) rrjg ovöiccg d[ial6xrjg,
xcä x&v 'xdkat xiveg (pcdvovxat öisyvor/ioxeg, oiov xccl HoXvtv
£VOaod~SX1]6SV.
2i6 Adolf Menzel:
Wir erfahren dabei freilich nicht, in welcher Weise das
Höchstmaß des zulässigen Grundbesitzes fixiert wurde, ob der
übersteigende Realbesitz expropriiert wurde oder nur eine
Frist zum freien Verkaufe desselben vom Gesetze angeordnet
war. Jedenfalls billigt der Stagirite diese und ähnliche auf
Erhaltung eines mittleren Grundbesitzes gerichteten Staats-
gesetze. Er sagt an einer anderen Stelle (Pol. VII, 2, 4, 1319a):
„ . . . dazu sind gewisse Gesetze zweckmäßig, wie sie voralters
bestanden, welche verordneten, daß entweder überhaupt nicht
erlaubt sein solle, über ein gewisses Maß hinaus Grundbesitz
zu haben oder doch innerhalb einer gewissen Nähe der Stadt
oder ihres Weichbildes, oder, wie dies in alter Zeit in vielen
Staaten Gesetz war, es verboten, die ursprünglich den Fami-
lien zugelosten Güter zu verkaufen" usw.
Daß übrigens das von Aristoteles angezogene Gesetz So-
Ions zur Zeit der großen Redner in Athen schon in Vergessen-
heit geraten war, sehen wir aus Demosth. XXIII, 208, p. 689.
Zur Zeit der Gründung von Thurii mag jedoch die Erinnerung
daran noch lebendig gewesen sein, so daß es nichts Auffälliges
hat, wenn es in der Verfassung der neuen Kolonie wieder
auftaucht.
Eine größere Selbständigkeit scheint die Privatrechts-
gesetzgebung von Thurii besessen zu haben. Wir sind aller-
dings nur über einige Fragen des Kauf kontraktes näher unter-
richtet, welche nach dem Berichte des Theophrast in dem
Sammelwerke von Stobäus (44, 22) eine eigenartige Regelung
erfahren haben. Mag auch manches den Handelsgewohnheiten
Unteritaliens entnommen sein, so zeigt sich hier Protagoras,
wenn er, wie wir annehmen, die Gesetze redigiert hat, als
schöpferischen Geist. Um dies zu würdigen, dürfte eine kurze
Darstellung des Berichtes von Theophrast zweckmäßig er-
scheinen.
Ich beschränke mich dabei selbstverständlich auf jene
Sätze des Fragmentes, welche die Gesetze von Thurii zitieren-
selbst diese eingeschränkte Aufgabe bietet genug Schwierig-
keiten. Die Beschaffenheit des Textes gibt verschiedenen
Protagoras als Gesetzgeber von Thurii. 217
Auslegungen Raum. Obwohl nun dieses wichtige Dokument
über das griechische Privatrecht in der Literatur die gebüh-
rende Beachtung gefunden hat — am gründlichsten hat davon
F. Hofmann1) gehandelt — so erscheinen doch noch manche
Zweifel nicht gelöst.
Zwei Materien des Kauf rechts sind es, für welche Theo-
phrast die Gesetze von Thurii heranzieht, die Norm über die
Publizität des Immobiliarkaufes und die Sätze über die
Arrha sowie über die Folgen eines Rücktritts vom ge-
schlossenen Vertrage; davon handeln der erste und der sechste
Paragraph des Fragmentes. Der erstere Text lautet (nach
Meineke): O'i iiev ovv vtio xr'jovxog xeXsvovöl TCoiXelv xal
7tQOX7]QVXX€tV EX TCXeLOVCJV 1)U£Q(ÖV, ol ÖS %Uq' <XQXfl tiVL, XOC-
&d7C(Q xal Iltxxaxog ztUQcc ßaötXsvßL xal itqvxdvEi. evtoi de
7iQoyod(pEiv Ttagä xf] aQx>j kqo r}ueQcov ^11) eXaxxov iq i^rjxovxa,
xaftdiXEQ 'A&rjvrfii, xal xov JtQid^Evov exaxo6x))v XL&EvaL xf\g
xitufjg, öncog ÖLa^KpLößrjxrjöai xe £%?] xal diayiaQxvQa6&ai xa
ßovXo^iEva, xal 6 dixaCag Eavy^iEvog yavsQog fj xa xsXei.
7ta$ä ds xiöl TtQOxrjQvxxELV xeXevovöl 7tQ0 xov xaxaxvQca&fjvaL
7tEv$ r^ioag GvvEyag, e£ xig iviöxaxai 1) avxixoiElxai xov
xxr\\iaxog r\ xrjg oixtug' coGavxag dh xal &11I xüv vxo&eöecov,
aöTtsQ xal iv xolg Kvt,ixr^väv '. ol de &ovoiaxol xa uhv
xoiavxa Ttdvxa ayaLgovöLv, ovd' iv dyooa 7iQo6xdxxov6iv,
&6TCEQ xäXXa, diöövat de xeXevovGl xoivf] x&tv ystxövav x&v
iyyvxdxco xqlgI vöaiGiid xi ßoayi) iivrjfirjg evexa xal uaoxv-
Qtag. dvayxalov dr\Xovöxi xolg {ihv xäg do%äg vitevd-vvovg
■jioleZv, xolg de xovg yeCxovag, iäv ^irj XdßaGiv i] dlg naoä
xov avxov Xdßcoötv i) eyovxeg ,u>) Xeycoöi xäv scov^uevcov.
1) Beiträge zur Geschichte des griechischen und römischen Rech-
tes, 1970 S. 46 f. 71 f. Seither hat Dareste eine gute französische
Übersetzung mit einigen Anmerkungen in der Revue de legislation
187 1 publiziert. Beste deutsche Ausgabe: Thalheim in K. E. Hermanns
Griech. Antiquitäten LI, 1, S. 146 ff; die Anmerkungen dazu sind dürf-
tig und nicht immer zutreffend. — An der Feststellung des Textes und
der philologischen Interpretation bei Hofmann hat Th. Gompertz einen
wesentlichen Anteil.
218 Adolf Menzel:
Der entscheidende Passus lautet demnach:
„Die Gesetze von Thurii sehen von alledem ab, bestimmen
auch nicht, daß unbewegliche Güter gleich anderen Waren1)
am öffentlichen Marktplatze verkauft werden müssen, sondern
sie fordern, daß den drei nächsten Nachbarn gemeinschaftlich
eine kleine Münze gegeben werde, zum Zwecke der Erinner-
ung und des Zeugnisses". Der Sinn des Wortes „gemein-
schaftlich" (xoivfj) ist bestritten. Hofmann2) versteht den
Ausdruck dahin, daß die Nachbarn zugleich anwesend sein
müssen; Thalheim3) dagegen bezieht jenes Wort auf Käufer
und Verkäufer; sie sollen zusammen jedem der Nachbarn eine
kleine Münze geben. Es ist jedoch nicht gut zu verstehen,
wie zwei Personen zugleich als Geber auftreten können. Im
weiteren Verlauf der Stelle wird auch in der Tat der Geber
in der Einzahl bezeichnet, und zwar wird der Verkäufer als
solcher genannt („Jtaoa xov avtov''1'). Auch hat es einen
guten Sinn, die Einheit des Aktes durch die gleichzeitige An-
wesenheit der Zeugen zu sichern; es genügt wohl, auf die
bekannten Rechtsvorschriften über die Form der Testamente
hinzuweisen.
Die drei Nachbarn sind aber nicht bloß Solennitätsper-
sonen, sondern sie tragen auch eine rechtliche Verantwortung
und nähern sich dadurch der Einrichtung der Kaufbürgen*).
Es heißt nämlich weiter bei Theophrast: „Natürlich müssen
die einen Gesetze die Behörden haftbar machen5), die ande-
ren G) die Nachbarn 7), wenn sie die Münze nicht angenommen
i) Daß dies die Bedeutung des Wortes „v>6ti8q xccXlau ist, hat
Gompekz bei Hofmann S. 8i, Note 20 dargelegt.
2) a. a. 0.
3) S. 147 Note 2, ebenso vorher Dareste p. 287: „obligent le vendeur
et l'acheteur ä se reunir pour donner — une petite piece de monnaie."
4) Vgl. darüber Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht S. 502,
Thalheim S. 89, Note 3.
5) Wenn nämlich der Verkauf bei der Behörde geschlossen wird.
6) Also speziell die Gesetze von Thurii.
7) Hofmann übersetzt: „Offenbar müssen die Parteien sich bald
an die Behörden, bald an die Nachbarn halten". Dies tadelt Thal-
Protagoras als Gesetzgeher von Thurii. 219
haben oder zweimal vou demselben angenommen haben oder
trotz des Empfanges den Käufer nicht nennen". Von diesen
drei Fällen einer Haftung der Nachbarn ist der erste und
dritte in seiner Bedeutung bestritten. Klar ist nur der zweite
Fall; die Nachbarn sind ersatzpflichtig, wenn sie in bezug
auf dasselbe Objekt von demselben Verkäufer zweimal ein
Erinnerungszeichen angenommen haben. Den ersten Fall
versteht Hofmann dahin, daß die Nachbarn einen Verkauf
bezeugen, ohne eine Münze erhalten zu haben.1) Allein ab-
gesehen von der Willkürlichkeit in der Ergänzung des
Textes hätte es wohl keines besonderen Rechtssatzes über
eine Ersatzpflicht bedurft, welche auf ein falsches Zeugnis
gegründet ist. Dagegen hat es einen guten Sinn, wenn die
Gesetze von Thurii den Satz aufgestellt haben, daß die Nach-
barn verpflichtet sind die Münze anzunehmen, um den Ab-
schluß des Kaufgeschäftes zu ermöglichen.2) Richtig über-
setzt daher Dakeste „s'ils refusent de recevoir"; eine solche
Weigerung macht sie ersatzpflichtig.
Der dritte Fall der Verantwortlichkeit ist gegeben l%ov-
tsg [Mi) Xeyaöi reo (bvovutvco. Falls diese, allerdings bestrittene
Lesart des Textes akzeptiert wird, bedeutet der Satz: die
Nachbarn sind ersatzpflichtig, wenn sie dem Käufer keine
Mitteilung (von dem etwa erfolgten Besitzwechsel) machen.3)
Liest man dagegen mit Dareste „töv uvcciisvov" oder mit
Gompertz „töv scovrjiievov", so träte die Verantwortlichkeit
ein, wenn die Nachbarn den Käufer nicht nennen wollen, d. h.
das Zeugnis verweigern, daß er die Sache gekauft habe.4)
Ich halte diese Auffassung der Stelle für die richtige, weil
heim S. 148 Note 1 mit den Worten, daß hier von einer gesetzlichen
Verpflichtung der Zeugen die Rede ist. Das meint wohl auch Hof-
mann. Wenn auch das Gesetz die Ersatzpflicht statuiert, so ist doch
ihre Geltendmachung den Parteien überlassen.
1) a. a. 0. S. 81.
2) Richtig Thalheim S. 148, Note 2.
3) So Thalheim S. 148, Note b.
4) Dareste übersetzt: „ou si ayant recu ils refusent d'indiquer
le nom de Tacheteur."
220 Adolf Menzel:
sie mit der vorher in den Worten „^1/77^5 evexcc tcal \iclqtv-
QLagei umschriebenen Bedeutung des Solennitätsaktes überein-
stimmt.1) Die Sicherung des Beweises erfordert die aus-
drückliche Statuierung der Zeugnispflicht; ihre Nichterfüllung
macht ersatzpflichtig.
Aus dem folgenden § 4 des Fragmentes ergibt sich, daß
der Formalakt der Münzenhingabe die Voraussetzung für den
Übergang des Eigentums bildete2); der obligatorische Kauf-
vertrag war schon gültig, sobald der Verkäufer das Angeld
(cc$(iaß6va) angenommen hat.3) „So etwa lautet das Gesetz
bei den meisten" fügt Theophrast hinzu.4) Damit kommen
wir zu dem überaus schwierigen Teil des Fragmentes, welcher
sich speziell mit der Institution der Arrha beschäftigt. Es
lautet5): § 6 iäv de Iccßcov uQQccßüvcc pi] depixat xr\v xi{ii]v
rj dovg (irj xarccßdXr} iv x<p coqiGiievo) %q6vg)' del yäg cbp^J-ifra,
xu&cc7i£Q ev xolg ®ovqlcov xbv pev aQQctß&va 7caQ<x%Qfma xi]v
de Tipijv avd-rjfisQÖv , ol de xal nletovg r^iegag xi&evxm xf\g
1) Thalheim meint allerdings a. a. 0.: Wichtiger, als daß sie den
Käufer nennen, ist daß sie dem Käufer die Mitteilung von dem etwa
erfolgten Besitzwechsei machen." Allein der Fall einer solchen Unter-
lassung ist identisch mit der früher erwähnten Verantwortlichkeit der
Nachbarn infolge der zweimaligen Annahme der Münze seitens des-
selben Verkäufers. Wissen sie nämlich, daß die Liegenschaft bereits
verkauft wurde, so dürfen sie nicht mitwirken, wenn derselbe Verkäu-
fer wieder auftritt. Es erscheint demnach eine besondere Mitteilung
an den neuen Käufer entbehrlich.
2) KvqIu tj &>vr\ v.ccl r, ngäßig stg (isv ■x.Tfjßiv otccv 17 tifir} So&jj
Kai r&y. x&v vo^icov noii]6ca6iv olov avccyQce<pi}v 7) oqkov 1) rolg ysi-
xo6i tÖ yiyvopsvov.
3) Über diese juristisch interessanteste Stelle des Fragmentes
Hofmann S. 102 ff.
4) Wir haben allen Grund anzunehmen, daß darunter auch die
Gesetze von Thurii fallen, daß also auch nach diesen der Kaufvertrag
erBt mit Hingabe der Arrha perfekt wurde. Doch ergibt sich eine
Schwierigkeit aus dem unten folgenden Satze 1), worauf ich noch zu
sprechen komme.
5) Ed. Meineke. Ich nehme den § 7 hinzu, welcher zwar nicht
mehr das Angeld betrifft, aber sachlich zusammenhängt.
Protagoras als Gesetzgeber von Thurii. 221
rtjui/g, o'i d* «TtÄibg oöag av by.oXoyr\6co6i' xb <5* emxliiiov
tXCiXtQCp, 710T6QOV TCO {leV 6X8Q7]6ig XOV aQQaßlOVOg] OVXCO yaQ
6%sdbv ol x aXkoi xtXevovöi xal 01 &ovQiaxoC' xcö de firj
de%o[i£vcp ixt 16 ig ödov av ajcodcoxai] xal yug xovxo ev xolg
©ovqlcov, 1} aviöog tyuiia' TioXXaxXaöla yäg 1) xiiu) xov d^ga
ßcovog' ext de xal ßXaTtxoix' dv b aTtodopevog dcpelg exaxe-
Qovg, eneidY] xig icp' fjfiBQav \iiav ogtöeiev ovxco yäo \1dX16x
evde^exai nao' ivCoig, dedixdöd-ai xeXevovöi xcö p)) de%oyievcp
vfjv xtiiijv. § 7 jcöxeoov de ecog av xofiLörjtca xvqiov elvai
xov xxijciccxog] ovxco yäo oC noXXol voiiod-exovöiv ij coaxeo
Xagcovdag xal IlXcacov, ovxoi yao naQa%Q)j[ia xeXevovöi di-
öövca xal Xaiißdveiv, eäv de xig Tiiöxevöt], icfj elvai dixtjv,
avxbv yäo alxiov elvai vfjg admCag. Aus diesem Berichte
ergibt sich zunächst mit Sicherheit, daß in den Gesetzen von
Thurii folgende Vorschriften enthalten waren:
1) Das Angeld ist sogleich beim Abschlüsse des Kauf-
vertrages zu entrichten.
2) Der Kaufpreis ist noch im Laufe desselben Tages zu
zahlen.
3) Unterläßt dies der Käufer, so verliert er das gegebene
Angeld.
4) Weigert sich der Verkäufer den Kaufpreis anzuneh-
men, so hat er eine Buße in der Höhe des Kaufpreises zu
entrichten, behält aber das Angeld.
Zweifelhaft ist es aber, ob den Gesetzen von Thurii
die Sätze entnommen sind.
5) Unter Umständen verliert der Verkäufer, der die An-
nahme der Kaufpreises verweigert, neben der Buße (in der
Höhe desselben) noch das erhaltene Angeld.
6) Es gibt (neben oder anstatt der Buße?) eine Klage
gegen den Verkäufer auf Erfüllung des Kaufvertrages.
Hofmann nimmt auf Grund einer von Gomperz vorsre-
schlagenen Textemendation allerdings an, daß sich auch diese
Sätze 5 und 6 auf Thurii beziehen. Die sachlichen Schwierig-
keiten werden aber damit, wie wir sehen werden, kaum be-
seitigt. Betrachten wir zunächst die ersten vier Normen.
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. l8
222 Adolf Menzel:
Ad i) Daß das Angeld sogleich zu entrichten ist (xbv fiev
aQQCcß&va itaQa%Q7]iia) ist eigentlich selbstverständlich, wenn der
Kauf erst mit der Hingabe der Arrha perfekt wird. Ja man
könnte sagen, daß diese Vorschrift keinen rechten Sinn hat;
entsteht doch vor Perfektion des Kaufes keinerlei Ver-
pflichtung. *)
Ad 2) Von Wichtigkeit ist die gesetzliche Fixierung der
Zahlungsfrist „trjv de ri^iijv avd-^^isQ6vu. Sie hat nicht etwa
bloß einen dispositiven Charakter, sie gilt nicht nur, wenn
die Parteien darüber nichts ausgemacht haben, sondern sie
besitzt, wie sich aus dem Gegensatze zum folgenden2) ergibt,
einen zwingenden Charakter. Eine solche absolute Vorschrift
über die Zahlungsfrist ist, wie Theophrast berichtet, auch in
anderen Gesetzgebungen ausgesprochen; die Eigentümlichkeit
von Thurii liegt in der Kürze; der Kaufpreis muß noch an
demselben Tage (des Kaufabschlusses) entrichtet werden.3)
Die Tendenz dieser Vorschrift ist gegen die Kreditierung
des Kaufpreises gerichtet. Nun lesen wir im letzten Para-
graphen des Fragmentes, daß nach den Gesetzen des Cha-
rondas und den Vorschlägen von Plato4) auch jener kurz-
fristige Kredit (von einem Tage) nicht zugelassen war; es
muß Zug um Zug erfüllt werden. Daraus ist zu entnehmen,
1) Die bisherigen Kommentatoren haben diese Schwierigkeit
nicht bemerkt.
2) „Andere (Gesetze) überlassen die Frist dem Übereinkommen
der Parteien."
3) „Andre setzen für die Zahlung des Kaufpreises mehrere
Tage an."
4) Es ist schon von anderen bemerkt worden, wie eigentümlich
Theophrast verfährt, indem er in seiner rechtsvergleichenden Darstel-
lung neben den geltenden Gesetzgebungen auch die gesetzgeberischen
Projekte Piatos heranzieht; gemeint ist de legg. XI, 915 D, E. „Bei
allem, was durch Kaufgeschäfte aus einer Hand in die andere über-
geht, ist es so zu halten, daß man an einem bestimmten Platze auf
dem Markte an jedermann seine Waren abgibt und sogleich die
bare Bezahlung dafür erhält. Dies darf nirgend anderswo ge-
schehen, auch kein Kauf oder Verkauf irgend eines Gegenstandes auf
spätere Zahlfrist abgeschlossen werden."
Protagoras als Gesetzgeber von Thurh. 223
daß Protagoras, als er die Gesetze des Charondas für Thurii
bearbeitet hat, eine Milderung eintreten ließ, ohne sich von
seiner Vorlage allzuweit zu entfernen.1) An Stelle der so-
fortigen Zahlung setzt er die Pflicht zur Entrichtung an
demselben Tage.2)
Ad 3) Der Zusammenhang, in dem sich dieser Satz vor-
findet, ist folgender: „Wenn aber der Empfänger der Arrha
den Preis nicht annimmt oder der Geber derselben in der
vorgeschriebenen Zeit ihn nicht erlegt, welche Strafe soll
den einen oder den anderen treffen? Etwa für den einen
(Käufer) der Verlust der Arrha; so entscheiden die meisten
Gesetze, darunter auch die von Thurii." Wir haben also hier
mit einem gemeingriechischen Rechtssatze, nicht mit einer
Spezialität der Gesetze von Thurii zu tun. Dabei ist aber
ein wichtiger Punkt unklar gelassen. Wirkt hier das Angeld
zugleich als Reugeld? Wenn ja, dann müßte sich der Ver-
käufer mit der Arrha begnügen, er könnte nicht noch auf
Zahlung des Kaufpreises klagen; er hätte auch nicht die Wahl
zwischen beiden Möglichkeiten.
Das ist in der Tat die richtige Auffassung jener Stelle.
Zwar erwähnt Theophrast später auch eine Klage aus dem
Kaufkontrakt, aber nur die Klage auf Annahme des Kauf-
preises und Übergabe der Ware; selbst diese Klage wird nur
in einigen Gesetzen (au Stelle der Klage auf Buße) zuge-
lassen.3) Darin gelangt zum Ausdrucke, daß es sich nicht
um gemeingriechisches Recht handelt. Gewöhnlich konnte
der Käufer gegen Verlust des Angeldes vom Geschäft zurück-
treten. Er verliert es aber auch, wenn er ohne Rücktritts-
absicht den Kaufpreis zur bestimmten Zeit nicht zahlt; unser
Fragment macht in dieser Beziehung keine Unterscheidung.
1) Dieser Zusammenhang ist bisher unbeachtet geblieben.
2) Nach einer Text-Emendation von Gomperz hätte Theophrast
diese Vorschrift mit den Worten kritisiert: „Und wer möchte auch die
Erfüllungsfrist gerade auf einen einzigen Tag beschränken?" (Hofmann,
S. 85). Darüber unten S. 226 bei Note 1.
3) „Ttap' ivioig ds8iKu6&ai ksXbvovol tw utj ds%ouev(p ttjv ri[iT}v."
18*
224 Adolf Menzel:
Ad 4) Eine Spezialität, welche Theophrast mißbilligt,
bildet hingegen die Vorschrift der Gesetze von Thurii, daß
der Verkäufer, welcher den Preis nicht annehmen (also vom
Verkaufe zurücktreten) will, dem Käufer eine Buße in der
Höhe des Kaufpreises entrichten muß.1) Dies setzt natürlich
voraus, daß der Käufer den Preis rechtzeitig, also noch am
Tage des Kaufabschlusses (oben ad 2) angeboten hat. Die
Zahlung dieser Buße (in der Höhe des Kaufpreises) befreit
aber den Verkäufer von der Lieferung; sie wirkt wie ein
Reugeld. Da er außerdem das Angeld behält, so besteht sein
effektiver Verlust in der verabredeten, um das Angeld ver-
minderten Kaufsumme. Das ist der Sinn des in Thurii
geltenden Rechtssatzes. 2)
Theophrast nennt diesen Verlust eine ungleiche Strafe
(avLöog ^rjfiCcc), denn der Kaufpreis sei vielmal mehr als die
Arrha. Er erblickt also in jener Vorschrift eine ungleiche
Behandlung der Kontrahenten. Der Käufer verliert bei Nicht-
erfüllung, bzw. Rücktritt nur das Angeld, der Verkäufer muß
hingegen den Kaufpreis, der ein Multiplum der Arrha be-
deutet, zahlen. Diese Kritik3) wird von Hofmann (S. 108)
als sehr zutreffend bezeichnet; ich kann das nicht finden.
Ungleichheit bedeutet noch nicht Unbilligkeit. Der Gesetz-
geber kann Gründe haben, den Verkäufer fester zu binden
1) Was bestimmten in dieser Frage die anderen griechischen
Gesetze? Manche Gesetze gewährten, wie eben gezeigt wurde, die Klage
auf Erfüllung des Vertrages; hier hat also der Verkäufer überhaupt
kein Recht des Rücktritts. Die Mehrzahl der Stadtrechte dürfte aber
einen ähnlichen Satz enthalten baben, wie ihn das römische Recht
aufstellt (Cod. Just. IV 21, 17): der Verkäufer muß das doppelte Angeld
erstatten.
2) Vielfache Mißverständnisse haben sich darangeknüpft; einzelne
Erklärer meinten, daß der Verkäufer die Sachen umsonst hergeben
müsse; andere glaubten gar, daß der Verkäufer die Sache zurückkaufen
müsse u. dgl. Es lohnt sich nicht, darauf näher einzugehen.
3) Wenn es überhaupt eine solche ist. Nach Dareste, p. 281,
konstatiert Theophrast einfach die Ungleichheit in der Behandlung der
Kontrahenten: „la peine est inegale, puisque les arrhes ne sont qu'une
fraction de prix."
Pkotagouas als Gesetzgeber von Thurii. 225
als den Käufer; kennt doch ersterer den wahren Wert der
verkauften Sache genauer als der Käufer. Es hat Gesetze
gegeben, welche dem Verkäufer überhaupt kein Rücktritts-
recht gewährten. Thurii gewährte ihm dies, allerdings gegen
ein großes Opfer.
Wir kommen nun zu den oben unter 5) und 6) an-
geführten Sätzen, von welchen ich — im Gegensatz zu Hof-
mann — annehme, daß sie nicht mehr auf die Gesetze von
Thurii unmittelbaren Bezug haben. Nach der Übersetzung
von Th Alheim lauten sie:
„Ferner aber kann der Verkäufer durch Verlust von
beiden (Angeld und Kaufpreis) geschädigt werden, wenn er
die Zahlungsfrist auf einen Tag beschränkt. Denn das ist
vielfach üblich. Bei einigen aber verordnen (die Gesetze,)
gegen den, der die Annahme des Kaufpreises verweigert, klag-
weise vorzugehen."1) Diese Übersetzung deckt sich mit den
durch die Handschriften überlieferten, nur in nebensächlichen
Punkten differierendem Text. Zwei Dinge bleiben jedoch
unklar. Warum soll der Verkäufer Angeld und Kaufpreis
gerade in dem Falle verlieren, als eine eintägige Zahlungsfrist
vereinbart war2)? Das Gesetz von Thurii konnte das nicht
augeordnet haben, da es ja die Erfüllungsfrist, wie oben ge-
zeigt wurde, der Disposition der Parteien entzieht.
1) Auf dasselbe kommt die Übertragung von Dareste hinaus:
„II y a meme des cas, oü la peine du vendeur peut etre plus forte
encore et oü il perdra ä la fois les arrhes et le prix, c'est celui, oü
le prix a ete stipule payable le jour meme. C'est en effet une dispo-
sition, qui se trouve dans la plupart des lois. Chez certains peuples,
au contraire, on donne une action contre le vendeur, qui refuse de
recevoir le prix." Der Unterschied von Thalheim liegt — abgesehen
von der größeren Ausführlichkeit — nur in der Wiedergabe der Worte:
„ot5ro> yccQ fiaÄicrr' ivät^t-Tai." Th. bezieht dieselben auf die Verab-
redung der Erfüllungszeit, D. auf die Disposition der Gesetze.
2) Thalheim meint freilich (S. 152, Note 2), daß der Verkäufer
eine strenge Ahndung verdiene, wenn er in so kurzer Zeit seinen Ent-
schluß ändert. Allein die Frist ist doch nicht kürzer, als nach dem
Gesetze von Thurii, nämlich 1 Tag.
2 26 Adolf Menzel:
Haben aber andere Gesetze eine solche Doppelstrafe an-
gedroht — so verstehen Thalheim und Dareste die Stelle
— dann ist ja jene strenge Behandlung des Verkäufers keine
Spezialität von Thurii. Als solche wird sie aber von Theo-
phrast vorher angeführt und mißbilligt. Der Tadel müßte
sich dann noch mehr gegen jene strengeren Vorschriften
richten, welche den Verlust von Arrha und Kaufpreis an-
drohen. Denn diese Vorschriften müßten doch das Minus,
nämlich die Buße in der Höhe des Kaufpreises für alle Fälle
angedroht haben, in welchen der Verkäufer zurücktritt; sonst
könnte Theophrast nicht von einem größeren Nachteil
sprechen, falls eine eintägige Zahlungsfrist stipuliert war.
Aber auch die Emendation von Gomperz und die sich
daran knüpfende Interpretation von Hofmann ergeben kein
befriedigendes Resultat. Nach diesem Vorschlage wird der
Satz: „iitsidiq ttg iqp' rj^idgav iiCav oqiösmv" entfernt und mit
der vorhergehenden Ausführung des Fragmentes über die
Bestimmung der Erfüllungsfrist verknüpft, wobei der Satz
als eine Frage aufgefaßt wird.1) Es schließt dann ovx ra un-
mittelbar an ixdtsQov an. Demnach würde es heißen: „Jar
der Verkäufer könnte noch härter getroffen werden, indem
er sogar beides (Arrha und Kaufpreis) verliert. Denn gerade
dieses kann am leichtesten eintreffen bei einigen, deren Recht
den die Annahme des Preises verweigernden Verkäufer ver-
urteilen läßt."
Nach Hofmann bedeute dies folgendes. Es kann nach
manchen Gesetzgebungen Strafe und Erfüllung begehrt werden.
Klagt nun hier der Käufer auf Einhaltung des Kontraktes,
so hat er nur den um die Arrha verminderten Kaufpreis zu
entrichten, erhält aber als Buße den ganzen Kaufpreis; das
ergibt infolge der Kompensation für den Verkäufer Verlust
von Preis und Arrha (S. 108). Abgesehen von der Kompli-
ziertheit dieser Konstruktion ergeben sich zwei schwere Be-
denken.
i) „Und wer möchte die Erfüllungsfrist gerade auf einen einzigen.
Tag beschränken?"
PltOTAGOKAS ALS GESETZGEBER VON ThüIUI. 2 27
A) Der ganze Sachverhalt soll nach Hofmann den Ge-
setzen von Tlmrii entnommen sein. Der Text spricht aber
von „einigen" tcuq' evCag, bei welchen dies vorkommen kann;
das bildet geradezu einen Gegensatz zu „iv xoig &ovqIov11'.
B) Erfüllungszwang und Strafe bilden im Texte offen-
sichtlich einen verschiedenen Tatbestand. Es wäre in der Tat
eine Absurdidät, wenn ein Gesetz bestimmt hätte, daß der
Verkäufer, welcher in mora gerät, den Kaufpreis als Buße
entrichten und überdies die Sache hergeben muß. Das ist
mehr als Tüftelei1), sondern geradezu Unsinn. Wenn wirk-
lich ein solches Gesetz existiert hätte, wäre es kaum jemals
zur Anwendung gekommen. Welcher Verkäufer würde von
einem Geschäfte zurücktreten, wenn ihm jene Nachteile drohen?
Ist daher die Erklärung von Hofmann unannehmbar,
so muß auf die oben dargelegte Auffassung von Thalheim
und Dareste zurückgegriffen werden. Die dort hervor-
gehobenen Bedenken bleiben allerdings bestehen; der Zwischen-
satz über die Stipulation der Zahlungsfrist bleibt dunkel.
Aber eine völlig befriedigende Interpretation wird sich bei
der Beschaffenheit des Textes wohl niemals finden lassen.
Exkurs.
Thaies und die Arrha.
Wachsmuth berichtet in seiner hellenischen Altertums-
kunde (2. Aufl. Bd. 2, S. 189J: „Erfinder des Angeldes wird
Thaies genannt." Eine Quellenangabe fehlt; vermutlich stützt
sich diese Behauptung auf eine Notiz bei Aristoteles, Politik
I, 4, 5, 1259a, welche von Cicero de div. I, 49, in wieder-
holt wird. „Hierher gehört die Geschichte von Thaies dem
Milesier. Es enthält dieselbe nämlich einen Kunstgriff, wie
man Reichtum erwirbt. Ihm freilich wird dieselbe wohl nur
beigelegt um seiner Weisheit willen, wohl aber schließt das
Verfahren eine allgemeine Regel in sich. Als man ihm'näm-
1) "Was Strabo den Gesetzen von Thurii vorwirft (VI, 260).
228 Adolf Menzel:
lieh, so wird erzählt, wegen seiner Armut vorhielt, daß die
Philosophie zu nichts nütze, da habe er, indem er vermöge
seiner astronomischen Kenntnisse eine reiche Olivenernte
voraussah, noch im Winter, da er sich gerade im Besitze
einiges Geldes befand, auf alle Ölpressen1) in Milet und Chios
Angeld (aggaßtivog) gegeben und sie für eine geringe Summe
gemietet, indem niemand ihn überbot. Als dann aber die
Erntezeit kam und jetzt viele solche Pressen zugleich und
schleunig gesucht wurden, habe er sie wieder vermietet, so
hoch er wollte und so viel Geld zusammengebracht und da-
mit gezeigt, daß es den Philosophen leicht sei reich zu wer-
den, wenn sie wollten, daß dies aber nicht der Gegenstand
ihres Strebens sei."
Es ist klar, daß in dieser Erzählung nicht die Verwen-
dung der Daraufgabe, sondern die monopolistische Beherrschung
des Marktes durch die kluge Voraussicht des kommenden
Bedarfes die Hauptrolle spielt. Das ergibt sich auch aus den
folgenden Zeilen, in welchen Aristoteles über einen anderen
Fall dieser Art berichtet, wonach einmal in Sizilien ein spe-
kulativer Kopf alles Eisen aus den Eisenhütten zusammen-
gekauft hatte und nun als alleiniger Verkäufer die Preise
diktieren konnte. Der Herrscher (Dionysius von Syrakus)
erlaubte ihm zwar, den so erzielten Gewinn mitzunehmen,
verbot ihm aber den längeren Aufenthalt in der Stadt, da
„er auf Einnahmsquellen verfallen sei, die sich mit seinen
eigenen — heute würden wir sagen, mit dem Gemeininteressen
— nicht vertragen."2)
i) So ist zu übersetzen auf Grund des richtigen Textes. Die
Version von Süsemihl (dem ich im übrigen folge), „allen ölarbeitern
Handgeld gegeben" ist abzulehnen, da die Arbeit des Pressens meist
durch Sklaven besorgt wurde, daher eine Dienstmiete unwahrschein-
lich ist.
2) Aristoteles fügt hinzu: Dieses Verfahren, sich durch einen
Kunstgriff den Alleinverkauf zu verschaffen, sollten die Staatsregenten
und Staatsmänner studieren, damit sie es für den oft so geldbedürfti-
gen Staat verwenden.
Protagoras als Gesetzgeber von Thurii. 22g
Trotzdem möchte ich der Erwähnung der Arrha in der
Erzählung über die Spekulation des Thaies eine gewisse Be-
deutung beilegen. Gewiß hat der Vater der Philosophie die-
ses Rechtsinstitut nicht erfunden. Wenn man aber erwägt,
daß „aQQccßävog" zweifellos dem semitischen Sprachschatze
entstammt1) und Thaies entweder selbst Phönikier war2) oder
doch aus einem phönikischen Geschlecht abstammte3), so
kann er es immerhin gewesen sein, der zur Verbreitung dieser
Einrichtung in der griechischen Handelswelt beigetragen hat.
Übrigens zeigt die Erzählung des Aristoteles die Arrha in
ihrer ursprünglichen Funktion als Sicherstellung; Thaies
gab Geld gewissermaßen als Pfund, um sich die Ölpressen
für bestimmte Zeit zu verschaffen.
1) Näheres bei Leonhard Art. arrha in Paulys Realencyclopädie
2. Aufl.
2) P. Schuster „Thaies ein Phönizier?" (Acta. phil. Lips. 1875
S. 326 fr.
3) Diog. Laert. I, 22.
18**
Druckfertig erklärt 13. VI. 1910.]
231
SITZUNG VOM 9. JULI 1910.
Herr Mitteis legte drei kleinere Untersuchungen vor (für die Be-
richte).
Herr Meister sprach über neue kyprische Inschriften (für die Be-
richte, in Verbindung mit dem am 30. April Vorgetragenen).
Herr Zimmern meldete eine Arbeit „Zur Herstellung der großen
babylonischen Götterliste" an (gleichfalls für die Berichte).
An Stelle des verstorbenen Professor E. Kautzsch wurde Herr
Stumme in das Kuratorium der SociN-Stiftuncr gewählt.
Phü.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 19
2 33
Beiträge zur griechischen Epigraphik und
Dialektologie IX.
Kyprische Inschriften.
Mit drei Tafeln.
Von
Richard Meister.
Inschrift von Athienu.
Kalksteinfragment, zusammengesetzt aus mehreren Bruch-
stücken, 0,18 br., 0,10 h., gefunden bei Athienu auf einem
7 / 7 7 7 O
Platz, den DE Vogue nach dem einheimischen Namen Agios
Jorgos für die Stätte des alten Golgoi erklärt hatte, eine Be-
zeichnung, die Cesnola angenommen, R. Neubauer ('Der
angebliche Aphroditetempel zu Golgoi' in den zu Ehren
Th. Mommsens Berlin 1877 herausgegebenen philologischen
Abhandlungen) abgelehnt hat. Bisher war nur die Inschrift
der Vorderseite des Steinfragments bekannt, in Faksimile ab-
gebildet von Cesnola, Cyprus, Tafei V [= Tafel CI der deut-
schen Übersetzung] nr. 24 und von M. Schmidt, Sammlung
kyprischer Inschriften, Tafel XIX nr. 7* (nach Brandis) und
nr. 7b mach Birch), in lateinischer Silbenumschrift wieder-
gegeben von Hall, Journal of the American Oriental Society
11 [1885], 225 nr. 86; einzelne Wörter sind von Deecke,
GDI. 86, von mir Gr. Dial. II 162 nr. 86 und von Hoffmann,
Gr. Dial. I 82 nr. 160 gelesen worden. Als ich Herrn Edward
Robinson, Acting Director of the Metropolitan Museum in
New York um Photographie und Abklatsch des Steines bat,
19*
234 Richard Meister:
teilte er mir freundlichst mit, daß auch die Rückseite des
Fragments eine Inschrift trägt und sandte mir in dankens-
werter Weise von beiden Seiten Abklatsche und Photographien,
nach denen die Abbildungen auf der hier beigegebenen Tafel
nr. I angefertigt worden sind. Ich gebe zunächst meine
Lesung, die griechische Umschrift und die Übersetzung; bei
der Vorderseite füge ich in der Anmerkung die abweichenden
Lesungen Halls hinzu. Geschrieben ist auf dem Stein von
rechts nach links ohne Setzung von Divisoren. Die deut-
lichen Zeichen habe ich auch hier kursiv, die undeutlichen
stehend drucken lassen.
Syllabartext.
Vorderseite,
i. Tce~ va' 20' vo' ne?" ta- mo- . ta?" mo?' - -
2. ta' po' ro' ve' rc nio' sa' ta' mo' se- ta' mo--
3. tw ra' vo' ne' 0' ri' ja' sa' ta' mo' se* ta' mo' - -
4. va' la' ha' nr o~ e~ Jco' — o' na' nw
5. a' po' ro' ti' si' o' se' e' ko' ||| ||| o' na'
6. a' (oder i?)* ta' no' c Tco' ||| ||| o' na' mo' . po' ri' sa' - -
Z. 1 Hall: Z.-e* wa' zo~ iool- ne?' * * ta?' nw * ta?- mo' . . . —
Z. 2. An siebenter Stelle liest Hall se- (statt sa'). — Z. 3. Das sechste
Zeichen liest Hall to' (statt ri'), weil er den untersten der Querstriche
nicht gesehen hat. — Z. 5. Am Schluß der Zeile hat Hall noch mo'
gelesen. — Z. 6. Das Zeichen an vorletzter Stelle liest Hall ta- (statt ri'),
weil er den obersten und untersten der drei Querstriche nicht be-
merkt hat.
Rückseite.
7, — Hl | 0- na- h
8. - ta' = o' na' H
9. te' sa' ta' = 0' na' H
10. te' sa' ta' \ . . . 0' na' X
11. va' mi?" te' sa' ta' ?• o' na' H
12. te' sa' ta' — }\\\ o' [na-] H
13. ml' te' sa' ta-
Beitrage z. griechischen Epigraphik u. Dialektologie IX. 235
Umschrift.
Vorderseite.
1. %£J-cc ^cofbv zJän6[s] zJa^io - -
2. X('i(fQo(v) fSQfKOÖCC z/tt/AO? z/tfJUO - -
3. d-x'Qufbv coqCjccöcc sdüpiog ZldflO - -
4. FuX%avio(ß) e'xco 1 ava po
5. lAcpQod(<5iog e%co g' avcc
6. "Aftavo{$) (?) s'^co g' d>va uo- ttoqiö - -
Rückseite.
7. -- lÖ' ava J-(Qrtxa).
8. [%-s6\ru "/ covä /(pijra).
9. &s<5tu "/ ava ^(qtjTcc).
10. xttGxä [Zahlzeichen] <bvä ffQ^xd).
11. saut %-e6xä [Zahlzeichen] covä S-{fiv^t£).
12. fteöxä iö' G>\ya\ J-^q^xu).
13. ul &£6xä [Zahlzeichen avu {(g^xu)].
Übersetzung.
Vorderseite.
1. Lebendiges (Wasser) ließ ich fließen, Danios, der Sohn
des Damo- -
2. Den Graben ließ ich ziehen, Danios, der Sohn des Damo- -
3. Den Türstein ließ ich als Grenze setzen, Damos, der Sohn
des Damo- -
4. Ich, Valchanios, habe 10 (Werteinheiten) erhalten
5. Ich, Aphrodisios, habe 6 (Werteinheiten) erhalten
6. Ich, Athanos, habe 6 (Werteinheiten) erhalten
Rückseite.
7. Der von verlangte Kaufpreis: 14, zugesagt.
8. Der von verlangte Kaufpreis: 20, zugesagt.
9. Der von verlangte Kaufpreis: 20, zugesagt.
10. Der von verlangte Kaufpreis: - -, zugesagt.
11. Der von -- -vamis verlangte Kaufpreis: - -, zugesagt.
12. Der von verlangte Kaufpreis: 14, zugesagt.
13. Der von -- -mis verlangte Kaufpreis: - -, zugesagt.
236 Richard Meister:
Kommentar.
Z. 1. %£-Pa. Die augmentlosen Aoristformen %eJ-a ficli
goß' 1 und fsgficoöcc 'ich zog' 2 gesellen sich zu dem aug-
mentlosen xaftiv 'sie legten nieder' in der kyprischen Sakral-
inschrift (Berl. Sitzungsber. 1910, 148 ff.) Z. 17 und weisen
auch diese Inschrift in die Gruppe der älteren kyprischen
Texte. Nach dem hier bezeugten Digamma der Aoristform
fflxefcc erscheint W. Schulzes (Qu. ep. 62 f., anders Brugmann,
Gr. Gr.3 276 f.) Trennung der Aoristbildung mit av (ß%evu)
Ton der mit s (ß%£cc) zutreffend.
^ttfov. Die Ergänzung von vöooq ist leicht; ist doch
bei %eg) das Objekt vöcqq so gewöhnlich, daß %£v^ia geradezu
mit vöoq (bei Hesych) wiedergegeben wird. Daß 'fließendes'
Wasser 'lebendig' genannt wird (im Gegensatz zu dem öturbv
oder 6tu6i\kov oder sGtbg vöcoq), kann ich zwar in der grie-
chischen Literatur nicht nachweisen; die dem Ausdruck zu-
grunde liegende Auffassung ist aber so natürlich und uns
wie anderen Völkern so selbstverständlich, daß es geradezu
auffallen müßte, wenn die Griechen sie nicht geteilt hätten.
Damos hat also eine Wasserleitung anlegen lassen.
A cc fiog zJuuo--. Von dem Vatersnamen ist der zweite
Teil zerstört: in Z. 2 hat das erste Zeichen des zweiten Teils
noch auf dem erhaltenen Stück des Steines gestanden, ist
aber jetzt unleserlich: beispielsweise: /ia\iog AapLo[vhc(o~\.
Die Beifügung des Vatersnamens zeigt, daß der Mann von
angesehener Familie war, kein Demiurg, wie sie mit einfachen
Eigennamen in Z. 4. 5. 6. 1 1. 13 genannt sind. Auch der
Inhalt von Z. 1 — 3 gibt keinen Arbeitsvertrag mit Werk-
leuten wie Z. 4 — 13, sondern nennt eine Stiftung (Z. 1), deren
zwei Hauptteile, Leitungsgraben und Steindammabschluß, in
Z. 2 und 3 angeführt werden.
Z. 2. TcccpQo(v) J-sQ^aöa. Bei enger Zusammengehörig-
keit mit einem folgenden konsonantisch anlautenden Worte
wird das schließende -(v) zuweilen auch am Ende von Sub-
stantiven weggelassen, vgl. Ttbg rb(y) göfoty) zb{v) Aqv\iiov
Beiträge z. griechischen Epigraphik r. Dialektologie IX. 237
Edalion GDI. 6oig [135]; hier ist die Zusammengehörigkeit
so eng, daß mau au eiu Kompositum (zuqiQofeQfi-, vgl.
TU(pQcbQv%og, TcccpQoßoJ.t'o), racpQoxoiea) denken würde, wenn
der Charakter der Verba auf -6<o (>"£p4uoo) nicht dagegen
spräche. fsQuöto 'ziehe' leite ich von einem Nomen *fsQfiog
'Riß' oder 'gerissen' ab, das von dem kyprischen fsgöa 'fege,
reiße' ^Kyprische Sakralinschrift Z. 16) gebildet ist {*^€q6~iiö-:
*. squö- = *tix£q6vu: ttiQvtc), wie von der gleichen Wurzel
lat. verro 'fege, ziehe', versus 'Furche', altnord. vqrr 'Furche'
(Curtius, Grdz.5 345, Walde 662). Hall hat das letzte
Zeichen dieser Verbalform verkannt, indem er ve' rc nw se~
statt ve~ re~ nw sa~ = seguaöa gelesen hat. Wie das Zeichen
se' in dieser Inschrift geschrieben wird, sieht man in Z. 3
an drittletzter Stelle und in Z. 5 an siebenter. Dagegen ent-
spricht das Zeichen, um das es sich hier handelt, durchaus
dem deutlichen sa' in Z. 3 an achter Stelle, links unter ihm.
sowie dem scf in Z. 6 an letzter Stelle: zwei Striche, die siel
innerhalb der beiden Schenkel des sa~ von ^tgucoöcc befinden,
sind ebenso wie andere mit ihnen parallel laufende Risse und
Spalten an dieser Stelle des Steins auf Verletzungen dureb
ein scharfes Instrument (vielleicht beim Ausgraben) zurück-
zuführen.
Z. 3. fi-vQccföv. Mit dem hier bezeugten ftvQäsog ver-
gleiche ich hom. &vQ£Ög, den gewaltigen 'Türstein', den der
Kyklop (t 240. 313. 340) vor seine Höhle setzt: hier ist es
der gewaltige, den Kanal wie eine Tür verschließende 'Stau-
damm' der Wasserleitung. Die kyprische Form zeigt, daß
die homerische auf * Q-voqfög zurückgeht.
agCjccöa von kypr. ojqucoo i agicc^a?), dem attisch öqivm
(Öqicc^co?) entsprechen würde. Wie öql^oj auf 'ögog, so geht
das hier zum ersten Male begegnende bgidco (öquk^co?). dem
sich das Adjektivum ögiatog zugesellt, auf einen Stamm oqic:-
zurück, der vielleicht einmal als Kollektiv *bouc 'Begrenzung",
die Gesamtheit der einzelnen opot 'Grenzsteine' bezeichnend,
existiert hat, später aber durch das Neutr. Plur. tä oqlcc, das
ebenso singularisch kollektiv 'die Grenze' bedeutet, verdrängt
238 Richard Meister:
und ersetzt worden ist, so daß dann öqiug) zu xä ÖQia stand,
wie ccjioivdco zu xä aitoivu, Is^äo^iai zu xä isqcc, cpecQiiaxdco
zu xä q)dQ[iaxa, usw. Mit ftvQufbv d>gCja6a cden Türstein
setzte ich als Grenze' vgl. der Konstruktion nach: 6xv\kag
ÖQi&öfrca 'Säulen als Grenzen für sich setzen' Xen. An. 7, 7, 13.
Daß Digamma in der Lautgruppe -q^- (urgr. öp^og: lesb.
oQQog, dor. cogog, ion. ovpog, att. oQog, vgl. G. Meyer, Gr.
Gr.3 S. 135) kyprisch nicht erhalten geblieben ist, wußten
wir bereits, vgl. kypr. kqu aQäxog aus ägfä- und kypr.
xdoQä aus k6q£ü (Verf., Ein Ostrakon, Sachs. Abhandlungen
27 [1909], 322).
7a. 4. Fa/l%ccvLo(g). Das auslautende -g ist vor dem an-
lautenden Vokal des folgenden Wortes vom Schreiber hier
und Z. 6 nach phonetischem Prinzip weggelassen, in Z. 5 nach
etymologischem Prinzip geschrieben worden (vgl. Verf., Gr.
Dial. II 252 f.; Hoffmann, Gr. Dial. I 204; Verf., Ein Ostrakon,
Sachs. Abhandlungen 27 [1909], 316 Anm. 1). Der Werk-
meister FaX%dvLo(g), der in dieser Zeile den Empfang seines
Arbeitslohnes quittiert, trägt einen vom Namen eines Gottes
abgeleiteten 'Dedikationsnamen', wie sein Kollege 'Aygodiöiog
in Z. 5. Bisher kannten wir den von den Griechen mit ihrem
Zeus identifizierten Gott Fstyavog1) nur aus Kreta: rsX%dvog
I d. i. FeX%avog) ' 6 Z,zvg nagä KqtjöCv Hes. ; FeX%avog auf
Münzen von Phaistos (Head, Hist. Num. 401; Svokonos,
Num. de la Crete anc. I 259 nr. 29 — 31), beigeschrieben einem
jugendlichen sitzenden Gotte mit einem Hahn in der Hand;
das Fest des Gottes wird BeX%dvia genannt in einer aus
römischer Zeit stammenden Inschrift aus Lyttos (Bull, de
corr. hell. 13, 61 nr. 6 Z. 3) und dieses Fest scheint auch in
einer alten gortynischen Inschrift (GDI. 4963 Z. 1) genannt
zu sein. Daß FsX%avog auch auf Kypros verehrt wurde, ist
nach dem hier vorkommenden von ihm abgeleiteten Eigen-
namen nicht ganz sicher, da FuX%äviog aus Kreta nach
1) Den Gott Felxavog haben bereits Fick in seiner Rezension des
ersten Bandes von 0. Hoffmanns Griech. Dial. (GGA. 1891, S. 2041".) und
Skias, 'E<p. aQx. 1893, Sp. 64 zur Erklärung dieser Stelle herangezogen.
Beitrage z. griechischen Epigraphik u. Dialektologie IX. 239
Kypros eingewandert oder der Name in Kypros irgendwie
eingedrungen sein könnte; es ist aber doch immerhin ziemlich
wahrscheinlich. Leider ist weder der Akzent von Fekiavog
bekannt — denn auf die Akzentuierung rek%Kvog bei Hesych
ist nichts zu geben — noch die Quantität des a. Heißt der
Gottesname Fil%ävog^ Ist das a in der ersten Silbe von
Fak%KVLo(s) durch Assimilation des tonlos gewordenen s an
das folgende betonte a zu erklären? Etymologisch wird
Fel%avog von Fick, Vgl. Wtb. I4 133. 552 und Walde, Et.
W'tb. 685 mit lat. Volcänus zusammengestellt, unter Heran-
ziehung von aßlat,' Xu^TtQ&g. Kvtiqioi Hes. (vg. M. Schmidts
größere Ausgabe 5, 48 zu 7, 31) mit ai. ulkd 'feurige Er-
scheinung, Meteor, Feuerbrand' verglichen und von idg. velqö
'glühe, leuchte' abgeleitet. Aber die Möglichkeit besteht, daß
der Gott FsX%avog bereits der vorgriechischen Bevölkerung
Kretas und Kiemasiens angehörte. Darf man an das in Etrurien
weitverbreitete Geschlecht der velya (W. Schulze, Zur Geschichte
der lat. Eigennamen 377 f.) hier erinnern?
Da die Zahlzeichen (vgl. Verf., Ein Ostrakon, Sachs.
Abhandlungen 27 [1909], 327 f.) ohne Wertangabe stehen, so
lassen sich die Summen, über deren Empfang in Z. 4 — 6
quittiert wird, nicht bestimmen. Die Arbeiten waren wahr-
scheinlich bei Anlegung der Wasserleitung geleistet worden.
G3vä- 'Kaufsumme, Preis', hier wie auf der Rückseite
wahrscheinlich Kaufpreis der Arbeit, also 'Arbeitslohn', <bvu
auf der Rückseite sechsmal, ohne Digamma, wie hom. covog
(bvs'ouca (Knös, De dig. 146; Leo Meyer, KZ. 2^, 53), gortyn.
ovav GDI. 4991, IX 7, ovlv V 47, ovEfr&at VI 4, öved-(&)ca
X 25/26, vgl. ai. vasna-, lat. venum, vendo (= veniimdo), veneo.
Das von Solmsex, KZ. 32, 2730". für den homerischen und
gortynischen, von J. Schmidt, KZ. 2>3, 455 ff. und Kretschmee,
Vaseninschr. 43 auch für den korinthischen Dialekt erschlossene
Lautgesetz, nach dem J1 im Wortanlaut vor co und o (aber
nicht vor ot) eher als vor anderen Vokalen geschwunden ist,
gilt demnach auch fürs Kyprische, was Solmsen a. 0. bereits
aus dem Adjektiv rtccvtoviog = Edalion GDI. 6oIO,2 [135] 'mit
240 Richard Meister:
ziemlicher Wahrscheinlichkeit' gefolgert hatte. 7tavcöviog hatte
ich bereits Gr. Dial. II 225 von cbvog abgeleitet, dies letztere
aber wegen seines digammalosen Anlauts, den ich damals noch
nicht richtig beurteilte, mit ovivr^it zusammengestellt; Hoff-
mann, Gr. Dial. I 156 erklärte Ttavcoviog aus ticcv- und oviog
'nützlich', also auch mit Heranziehung des Stammes von
6vlv7][il. Solmsen hat mit Recht (a. 0. 293) behauptet, daß
bei der Deutung von itaväviog bvivi]ai mit seiner Sippe über-
haupt nicht in Frage kommen könne, und daß nichts weiter
übrig bleibe, als an ävog nebst Zubehör anzuknüpfen; die
richtige Bedeutung des Adjektivs hat aber auch er nicht er-
kannt. Er erklärte (a. 0. 294) (^töpog) Ttavcoviog für (ein
Grundstück) 'mitsamt allen thvia, d. h. allen verkäuflichen
Erträgnissen', die überhaupt einmal darauf gedeihen sollten,
und bemerkte dazu: fWas die Art und Bedeutung der Kom-
position angeht, so ist sie prinzipiell übereinstimmend z. B.
mit TidvoTtkog örgurög Aesch. Sept. 59, %ävoQ^ot lifisvsg v 195,
xvxkog TtavasXrjvog Eur. Ion 1 1 55 u. v. a.' Aber ein ndvoitlog
ötQarög heißt nicht: ein Heer mitsamt allen Waffen, sondern:
ein ganz gerüstetes, also ein Hoplitenheer; Ttdvoo^iot hfisvsg
sind nicht: Häfen mitsamt allen Ankerplätzen, sondern: ganz
zum Ankern geeignete Häfen; der xvxXog %av6iky]vog ist nicht:
der Kreis mit dem ganzen Mond, sondern: der ganzmondige
Kreis, also: der Vollmondskreis. Und so kann auch %5>Qog
ztavcjviog nicht heißen: ein Grundstück mit allem Verkäuf-
lichen, sondern lediglich: ein ganz verkäufliches Grundstück,
also ein Grundstück, dessen Besitz nicht an gewisse Bedingungen
geknüpft und nicht mit Servituten belastet, sondern das völlig
freies, unbedingt veräußerliches Eigentum ist. So erklärt
das Wort auch Skias, 'Ecp. <xq%. 1893, Sp. 62. — Bei xav-
<bvLog ist .Fco- im Anlaut des zweiten Kompositionsgliedes
ebenso behandelt wie das anlautende bei <bvä-, während sonst
das inlautende lo- ^a- erhalten ist, vgl. dvQÜföv Z. 3 QÖfa
Ein Ostrakon a. 0. 1 5/6, II 6, frvfa ebd. IV 2, qö£o(v) GDI.
00i9 [l35~], xevsvfSjv GDI. 20 [70], oi'fai GDI. 6oI4 [135],
Hafoxk&ffis Verf., Gr. Dial. II 188 nr. i47dd [204], NixoMfa
Beiträge z. griechischen Epigkaphik r. Dialektologie IX. 241
Verf., Gr. Dial. II S. IX [178J, ®iUitufo$ Journ. of Hell, stud.
11 [1890], S. 63 nr. 5, älfo GDI. 6o9.I8.21 [135], vEsoöTcctug
GDI. 59. [134], ßccöilrjfog oft, usw. Nicht alle mit /o- (£00
anlauteuden zweiten Konipositionsglieder sind so wie -coviog
in Tiavcoviog behandelt worden. Ob das Digamnia in 'OvccöC
oQo(g) Athienu GDI. 75 [150] nach dem Lautgesetz wie ein
anlautendes geschwunden ist, läßt sich nicht sagen: in jüngeren
Inschriften ist inlautendes Digamma überhaupt oft ausgefallen
1 Verf., Gr. Dial. II 245 f., Hoffmann, Gr. Dial. I 1 94). Dagegen
ist es als inlautendes in Xtluo-.fo| qo) | Karpasia GDI. 143 [56],
Zco-foQco Kypr. Sakralinschrift, Berl. Sitzungsberichte 19 10,
S. 158 Z. 6, »yQu-folQü] Verf., Gr. Dial. H 190 nr. 147PP [215]
erhalten geblieben.
Z. 6 'Ad~avo(g) (?). Das erste Zeichen ist verstümmelt
und kann auch i' sein. Den beispielsweise eingesetzten
Namen "Afravog kann ich nicht belegen; vergleichbar würden
"A&avis Axfccviyog \4%ävav u. a. (Fick-Bechtel 46) sein.
Aber man könnte auch an eine Ableitung von den 'Lallnamen'
,Ax{x)a- oder 'Ada- (Kretschmek, Einl. 337 f. 349 f.) denken.
jio- X0QL6- -. Eine befriedigende Ergänzung dieser Stelle
ist mir nicht gelungen. Ein kleiner Horizontalstrich ist ein
wenig unterhalb der Lücke zwischen mo' und po' sichtbar.
Wenn dieser Strich nicht zufällig ist, wenn er zu dem zwischen
mo' und po' weggebrochenen Zeichen gehört hat — die Frage
kann vielleicht vor dem Original entschieden werden — dann
kann das Zeichen nicht r gewesen sein. Deshalb wage ich
nicht G>vcc(v) ^o[t] 7toQLö[xdv] cals den von mir erworbenen
Arbeitslohn' als Ergänzung vorzuschlagen. Gegen die Lesung
po' ri' scf [ta' ne'\ = ■JioQi6\xdv] würden die Schriftregeln
nicht sprechen. Die Lautgruppe -er- würde zaxä GvXlrfiiv
U'eschrieben sein wie in dem auf der Rückseite dieses Steins
oft wiederkehrenden Worte te' scc ta' = dsGrä, wie in J:a'
ra' si' ti- = yQdofti GDI. 68 [144], vgl. Verf., Idg. F. 4, 184
und in den von Hoffmann vorgeschlagenen Lesungen e' pe' sa'
ta' se' = txiöxaöe GDI. 41 LIQ6] und pa' sa' ha' sc = xüg
y.dg ebd.: in der Mehrzahl der Fälle ist die Lautgruppe 6 + Muta
242 Richard Meister:
Tcarä ötccötaötv geschrieben worden; es bestand über die Be-
handlung der Lautgruppe 6 -f- Muta unter den Grammatikern
auf Kypros dieselbe Zwiespältigkeit wie anderwärts (vgl. Verf.,
Idg.F. 4, 182 f.).
Die Lohntabelle der Rückseite bezieht sich vielleicht
auf dasselbe Bauunternehmen, von dem die Vorderseite handelt.
Die Angaben sind formuliert nach dem Schema: (ra ÖeIvl)
ftsöra Zahlzeichen avä /(p^ra) 'der von dem und dem in
der und der Höhe verlangte Kaufpreis — zugesagt', wobei
ich avd als den vom Arbeiter für die zu leistende Arbeit
verlangten Kaufpreis, also als den Arbeitslohn auffasse. Von
den im Dativ stehenden Eigennamen sind nur Z. 11 und 13
einzelne Zeichen erhalten; in Z. 1 1 könnte man an [©vj/a/n,
Dativ von ©vcc{iLg, denken.
d'Eöxd von #£tf"rdg = car^Tog, vgl. hom. ä%6&£6Tog 'un-
erwünscht' und xoXvd-eöTog Vielerwünscht'; ^Eqiio&eötos, böot.
&iöcps6rog GiocpstGTog = &£aCtrjtog (Fick-Bechtel i 45) ; %-e<3-
<5avzo' i^tjrrjöav; d,i(S6£6d,(Um ccIthv; &£6<56[iEVog' d£Ö^i£Vog,
^tov^iEvog, ix£t£vcov Hes.
/((njta). Am Schluß der Angabe des verlangten Arbeits-
lohnes steht Z. 10 das kyprische Syllabarzeichen I = ve', an
gleicher Stelle Z. 7. 8. 9. 11. 12 das phönizische Zeichen
H = väw. Ich vermute, daß beide Zeichen in gleichem Sinne
hier als Marke ausdrücken, daß der verlangte Arbeitslohn zu-
gesagt und der Zuschlag erfolgt ist. Mit avä fgrjtcc vgl.
uiöfrbg Qrtrög 3> 445, aQyvQiov Qrjrov Thuk. 2, 7, (jrjtbv tcqoö-
naov Polyb. 35, 2, 15, {Qrjrcc 'Zusage, Festsetzung' Edalion
GDI. 6o2g29 [135], ^QTjtcco^ai 'sage zu, setze fest' ebd.4.I4,
^E^QEfiEva 'Festsetzungen' Mykanai IG. VII 493.
Grabinschrift aus Marion-Arsinoe.
(Tafel II, 1.)
Steinplatte, ca. 0,23 1., ca. 0,12 br., aus einem größeren
Block herausgehauen, seit Anfang dieses Jahres im Cyprus
Museum. Einen Abklatsch schickte mir Herr Peristiani aus
Beiträge z. griechischen Epigraphik u. Dialektologie IX. 243
Nicosia im Auftrage des Herrn Eustathios Konstantmidis,
des Direktors des Museums, der mir auch die Erlaubnis die
Inschrift photographieren zu lassen und zu publizieren freund-
lichst erteilte. Schriftrichtung von r. nach 1.
tv nw Jccv nw se' e: mr Ti^ioya^iog rjui
o' tv nw for nw ne' 6 Tt^oda^av.
Mit dem noch nicht belegten Eigennamen Tiu6y<x}iog vgl.
Evyccuog, Evyd^av Fick-Beciitel 83. Über die kyprischen
Genetive Sing, auf -<ov vgl. Verf., Gr. Dial. II 256; Hoff-
mann, Gr. Dial. I 234; Hermann, Idg. F. 20 [1907], 354 — 358.
Inschriften aus Rantidi.
Die folgenden Steininschriften sind in der Gegend von
Rantidi ungefähr 5 km südöstlich von Kuklia jenseits des
Flusses Cha-Potiimi nicht weit vom Meere gefunden und von
Herrn Kleanthis Pieridis in Limassol im Juni ig 10 dem
Cyprus Museum geschenkt worden. Die ersten Mitteilungen
über sie erhielt ich durch Herrn Dr. Ohnefalsch-Richter, der
mehrere bei Herrn Kleanthis Pieridis in Limassol gesehen
Öv
hatte. Die Ermächtigung zur Publikation der Inschriften
verdanke ich den Herren Kleanthis Pieridis und Dr. Ohnefalsch-
Richter. Ohnefalsch-Richters Vermutung, daß in der Gegend
von Rantidi das älteste, später verlassene Paphos gelegen
habe, konnte ich insoweit bestätigen, als alle dort gefundenen
Syllabarinschriften sehr altertümlichen paphischen Schrift-
charakter zeigen, während Alphabetinschriften, soviel ich er-
fahren habe, dort überhaupt nicht gefunden worden sind; schon
die wenigen Inschriften, die bis jetzt dort aufgelesen wurden,
bezeugen, daß dort Aphrodite mit mannigfachen Beinamen
(uvCxatog nr. 2, fr^Tto^itä nr. 6), Apollon (nr. 3) und eine
mit (pilog ftiög bezeichnete Gottheit (nr. 4) einen Kult gehabt
haben, daß sich dort ein ganz altertümlicher Räucheraltar
(nr. 5) befunden hat, und daß dort neben den Kultplätzen
auch Grabanlagen (nr. 1) waren. Also ist in Rantidi nicht
etwa ein einzelnes re^isvog sondern ein großer Kulturplatz
244 Richard Meister:
entdeckt worden, der sich vielleicht als das älteste Paphos
erweisen wird.
i. Grabstein, ca. 0,58 L, ca. 0,32 br., aus größerem Block
herausgeschnitten. Photographie, Abklatsch und Kopie erhielt
ich im März 19 10 von Herrn Dr. Ohnefalsch -Richter, später
von Herrn Kleanthis Pieridis Abklatsch und Kopie. Nach
Ohnefalsch-Richters Photographie ist die Abbildung Tafel II, 2
hergestellt. Daß bei dem Herausschneiden der Inschrift jede
der beiden Zeilen links ein Zeichen verloren habe, wurde, als
ich die Tatsache Herrn Dr. Ohnefalsch-Richter brieflich mit-
geteilt hatte, diesem gegenüber von Herrn Pieridis bestätigt.
Die erste Zeile ist von 1. nach r., die zweite von r. nach 1.
geschrieben; es ist die erste Bustrophedoninschrift aus Kypros.
. mw Tie- re' te~ om . . [Ti~](ivxQET£o[g tö]
o' na: sa' Jcom ra~ w to~ tv . 'OvaawyÖQccv t<5 2Y|jt(a].
[Tt]avxQST£o[g] habe ich mit Rücksicht auf den Namen
des Großvaters (Tl[{icqJ) und wegen der Häufigkeit dieses kypri-
schen Namens ergänzt, vgl. TLaoxQ8t7]g Pyla GDI. 1 2 1 [Hoffm.
129]; Marion- Arsinoe Verf., Gr. Dial. II 174 nr. 25b [76]; 175
nr. 2511 [82]; 177 nr. 2^n [91]. Weniger wahrscheinlich würde
[<4a][ivxQsr£os sein: tifid spielt in der kyprischen Eigen-
namenbildung eine sehr große, däpog eine bescheidene Rolle.
— Mit der Verdumpfung von 6 zu ü im Stammauslaut von
[Tt]^iv-aQSt£o[g] vgl. dieselbe in %vvv-7ii6[ia Verf., Gr. Dial.
H 220. 227 und vo^iv-ßifa 'Weidekräuter' auf dem salamini-
schen Ostrakon, Sachs. Abhandlungen 2~j [1909], 322.
'OvaöccyÖQav. Der Name 'OvaöayÖQccg begegnet auch
in Marion -Arsinoe Verf., Gr. Dial. II 174 nr. 25® [79]; 175
nr. 2 5k [84]; 177 nr. 25' [91]; Journ. of Hell. stud. 11, 68 f.
nr. 13; 69 f. nr. 14 und in Edalion GDI. 6oi/s.aa [*35]-
Ti[[mq]. Der Name Tlpog begegnet auch in Marion-
Arsinoe Verf., Gr. Dial. II i76f. nr. 251 [90] und in den kypri-
schen Inschriften von Abydos ebd. 190 nr. 147" [2 17].
2. 'Urne' (zylindrische Basis?) fpour statue peut-etre.
Pierre calcaire tres dure, 1. 0,55, h. 0,21.' Herr Kleanthis
Beiträge z. griechischen Epigrai'hik u. Dialektologie IX. 245
Pieridis hat mir Abklatsch, Kopie und Beschreibung des
Steins geschickt. Von 1. nach r.
a' nv />«• to' ti' cv sc 'Avtxdtco fttüg.
fDer unbesiegbaren Göttin (wahrscheinlich Aphrodite) geweiht.'
Bemerkenswert ist die hier zum ersten Male im kypri-
schen Dialekt begegnende Femininform -iha; mit dem Bei-
namen ävCxcczog vgl. Antig. 800: c(iicc%og yuQ Einteiltet &ebg
l4(pQodtTcc und 781: %Qcog dvCxars ^äjav. Die Voranstellung
des Attributs wie z. B. in tat ITcccpCca 'AcpgoötTtu Chytroi
GDI. 1 [59].
3. 'Pierre calcaire, 1. 0,57, h. 0,23, carree.' Abklatsch,
Kopie und Beschreibung habe ich von Herrn Kleanthis Pie-
ridis erhalten. Von 1. nach r.
(7' po' lo' nv t'v mo' ti' cv ,A%6l.{X)Givt Ttytoftlu.
4. 'Urne d'une statue. Pierre calcaire, 1. 0,55, h. 0,30.'
Abklatsch, Kopie und Beschreibung habe ich von Herrn
Kleanthis Pieridis erhalten. Von 1. nach r.
pim Jo' se' ti' o' se' (PtXog fttog.
L bei* die Wortstellung vgl. oben zu nr. 2. Welcher Gott es
war, der mit dem Beinamen <PCXog bezeichnet wurde, ist un-
bekannt. Oth\6tog hieß Apollon im Didymaion bei Milet
(Preller-Robert I 283, 5; Wernicke bei Pauly-Wissowa
H 72), (btltog hieß Zeus z. B. in Athen (Preller -Robert
148, 2).
5. 'Tres dure pierre inscrite de deux cötes, longueur
0,43, largeur 0,35, epaisseur 0,27' Kleanthis Pieridis. Im
März 19 10 erhielt ich durch Herrn Dr. Ohnefalsch -Richter
Beschreibung und Kopie des Steins nebst Photographie und
Abklatsch der beiden beschriebenen Seiten, im Juni 19 10
Beschreibung, Kopie und Abklatsch von Herrn Kleanthis
Pieridis. Die Abbildung der beiden Seiten auf Tafel III sind
nach den Photographien Ohnefalsch-Richters hergestellt. Die
beiden beschriebenen Seiten des Blockes stoßen, wie man auf
Tafel III sieht, so aneinander, daß die Inschrift auf der 'Ober-
246 Richard Meister:
seite' des Blockes beginnt und auf der 'Vorderseite' weiter-
geht, von oben nach unten und von links nach rechts. Die
'Oberseite' ist oben gebrochen, die 'Vorderseite' unten; die
rechte und linke Kante ist von beiden Seiten erhalten.
Oberseite.
Jci' ra~ a
Vorderseite
yiQcca
a- r
V
te' tw
%zxv
tu- mv
&V[ll-
ja' ta*
JUTCC.
yiQua 'Ehrengaben' steht kyprisch (vgl. Kyprische Sakral-
inschrift, Berl. Sitzungsber. 19 10, 153 fr.) für yeQacc aus *yeQcc6cc,
ionisch ysQecc, attisch (Soph. El. 443, Eur. Phoen. 874) ysgü,
dorisch (Kos GDI. IV 543) ytQrj, hom. ysQu (verschieden er-
klärt von G. Meyer, Gr. Gr.3 464 und von J. Schmidt, Plural-
bild. 321 ff.); ftviLijatu 'zum Räuchern' von ftviiiccco 'räuchere',
d-vnMjTu 'Räucherwerk' Aretaeus p. 142, 7 Ermerins, vgl. xovg
ßa>{iovg rä)v ftscov d'vfiLtx^iaöLV y£QaQ\av] Inschriften von
Priene io8256.
ccl'd-srv 'wurde verbrannt' kyprisch für al&ero\ über -rv
für -ro Verf., Gr. Dial. II 220; Hoffmakn, Gr. Dial. I 168; das
Imperfektum steht von der aus der Vergangenheit bekannten,
in der Gegenwart noch fortdauernden Handlung (Kühxer-
Gerth I 145 f.).
Beispielsweise läßt sich die Inschrift so ergänzen: [rät
IIa | (pCjai | i(y)&a vv] | yiQuu \ cd'i&ETv \ d'v^iv'Jatd '[der Pa-
phia] wurden (von jeher) [hier] die zum Räuchern bestimmten
Ehrengaben verbrannt'. Der Block gehörte darnach zu einem
Räucheraltar. Am 6. April 19 10 schrieb mir Herr Dr. Ohne-
falsch-Richter, daß mit den Inschriften aus Rantidi auch zwei
Beiträge z. griechischen Epigraphik u. Dialektologie LX. 247
Brandopferschalen gefunden worden wären; sie seien aber,
ehe man es hätte hindern können, zerschlagen worden. Der
Räucheraltar der Aphrodite zu Paphos (ßcopbg d-vtfeig Hoin.
#363, ßaabg dvadris Hom. Hymn. 4, 59) war seit ältester
Zeit berühmt.
6. 'Pierre calcaire. Urne (peut-etre erige'e une statue),
long. 0,75, haut. 0,15, larg.? (je Tai fait couper).' Kleanthis
Pieridis. Abklatsch, Kopie und Beschreibung habe ich von
Herrn Kleanthis Pieridis erhalten. Von 1. nach r.
te' a~ ve' re~ po' pa~ @eä ir^xo^Ttcc.
cl)ie Göttin die den Frühling sendet' ist Aphrodite, vgl.
Pkkllek-Robert I 358 f.-, mit der Form .f^o- vgl. kyprisch
. /~,(h Ostrakon, Sachs. Abhandlungen 27 [1909], 322, (f)^Qog
Sappho 39, Alk. 45, (.fjtjo Alkman 76; S^q- als erstes Glied
im Kompositum wie z. B. nvg- in 7ivQCpÖQOg. Das Komposi-
tum hat als Beinamen der Göttin Femininmotion angenom-
men, wie z. B. das Kompositum evTCo^zog als Name der Ne-
reide EvjtöfiJtri (Hes. Theog. 261), wie Kvaoööxr] Kv^o&or]
(Hom. £ 39. 41) u. v. a.
Vier weitere von Steinen aus Rantidi genommene Ab-
klatsche, die ich gleichfalls Herrn Kleanthis Pieridis verdanke,
lege ich vor der Hand beiseite, da sich aus ihnen zu wenig
mit Sicherheit gewinnen läßt.
Druckfertig erklärt 25. VII. 1910.]
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII 20
Inschrift von Milien«.
Tafel I.
Vorderseite.
l
2
3
I
5
6
Rückseite.
.X'.i.
Phil.-bist. Kl. iqio. Bd I.MI
Tafel II
i. Grabinschrift aus Marion - Arsinoe.
n
., ■ ■;<-'■*'
:. Grabinschrift aus Rantidi.
^«.•^"•-v5*"
\ ;
c~v
•*:V
^ V X
\
, „A
«
. x
Phil -hist. Kl. tqio. Bd TAH.
[nschrift aus Etantidi,
i Hicrscit«1
Tiiful III.
Vorderseite.
lMlil.liicl K*l T . . . PI T X- I I
249
I.
Über die privatreclitliclie Bedeutung der ägyptischen
Von
Ludwig Mitteis.
F. Preisigke hat in seiner umfassenden Untersuchung
über das Girowesen im griechischen Ägypten es als ver-
fehlt bezeichnet, wenn man die ßißkiod-ijxt] syxnjöscov als
Grundbuch betrachtet, da sie vielmehr in Wahrheit nur
archivalische Funktionen ausübe und daher als Urkunden-
archiv diagnostiziert werden müsse.
Die von Preisigke angefochtene Bezeichnung der Biblio-
thek ist nach dem Erscheinen des Dionysiapapyrus (Oxy. 237)
von mir in Kurs gesetzt worden1) (Arch. f. Pap. Forsch. 1,
184 fg., anders noch Hermes 30, 601); sie wurde bis jetzt
noch niemals in Zweifel gezogen, und ich halte mich darum
auch für verpflichtet, sie gegen die energische Bestreitung,
welche ihr hiermit zum erstenmal zuteil wird, zu verteidigen.
Dies um so mehr, als der Angriff von Seite eines Gelehrten
ausgeht, dem wir in papyrologischen Fragen viele Belehrung
und Anregung: verdanken, dessen Urteil daher auf Berück-
sichtigung allen Anspruch hat. Je öfter und je lieber ich
mich mit Preisigke durchaus eines Sinnes weiß, desto mehr
sehe ich mich veranlaßt, in diesem Fall meine von der seinigen
nach wie vor durchaus abweichende Anschauung zu betonen.
1) Wenigstens indirekt; genauer gesagt bezeichnete ich die
Bibliothek als ein für private Zwecke mitfunktionierendes Steuerbuch,
welches eine dem modernen Grundbuchverkehr sich annähernde
Sicherheit gewährte. Daß die neueste Literatur den Ausdruck „Steuer-
buch" in ,, Grundbuch" verwandelt, ist ein den jüngsten Forschungen
von Lewald und Egeh zu verdankender Fortschritt.
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 21
250 Ludwig Mitteis:
Ehe ich auf das Einzelne eintrete, wird es wünschens-
wert sein, das Gebiet der Meinungsverschiedenheit genau ab-
zustecken. Denn nichts wäre unfruchtbarer, als über Worte
zu streiten; und diese Gefahr liegt sehr nahe, wenn es sich
um die Frage handelt, ob man eine bestimmte Institution
ein Grundbuch nennen könne oder nicht. Denn natürlich
steht es jedem von uns frei, sich einen bestimmten Begriff
von einem Grundbuch zu bilden und zu erklären, daß er nie
etwas so nennen werde, was diesem Begriff nicht entspricht,
oder umgekehrt, daß er alles, was einem bestimmten Minimal-
begriff noch entspricht, für ein Grundbuch halte. Ich brauche
denn auch kaum zu sagen, daß Preisigke weit entfernt ist,
diese subjektive Freiheit der Nomenklatur zu übersehen; er
bezeichnet es darum S. 289 nur als „zweckmäßig, die Be-
griffe Grundbuch und Grundbuchamt gänzlich fallen zu lassen,
um Mißverständnisse zu verhüten." Dies deswegen, weil, „um
das Wort Grundbuchamt anwenden zu können, die dienst-
lichen Aufgaben und Befugnisse der ßißliod"i]xrj iyxvrjGeav
wenigstens in den Hauptpunkten denjenigen Erforder-
nissen entsprechen müßten, die ein heutiges Grundbuchamt
erfüllt"; was aber nicht der Fall sei.
Wie der erste Satz zeigt, ist Preisigke sich vollkommen
klar darüber, daß es sich bei der Wahl der Terminologie nur
um eine Zweckmäßigkeitsfrage handelt. Etwas bedenklicher
klingt es schon, wenn weiterhin die Verwendung des Worts
Grundbuch nur dort für wünschenswert erklärt wird, wo
wenigstens in den Hauptpunkten den Erfordernissen des
heutigen Grundbuchs entsprochen wird. Ich gestehe, die
Zweckmäßigkeit einer solchen Beschränkung für die historische
Deduktion nicht recht einsehen zu können, und möchte eben
deshalb sofort hervorheben, daß m. W. keiner von uns Juristen
jemals behauptet hat, das ägyptische Bibliothekswesen habe
den Prinzipien des heutigen Grundbuchrechtes durchaus ent-
sprochen. Ich erinnere daran, daß ich von vornherein be-
tont habe, daß zwar „der leitende Gedanke des modernen
Grundbuchrechtes (jener der Publizität des Grundbesitzes) im
Pkivathechtl. Bedeutung der ägypt. ßißkio&^xi] iyKz^asmv. 251
Provinzialrecht schon erfaßt worden war: daß es aber eine
andere Frage ist, inwiefern diese Ideen auch juri-
stisch realisiert worden sind" (Arch. I, 184; 195 A. 15
196 A. 1).
In dieser Formulierung, und nur in ihr, ist die Behaup-
tung, der Grundbuehgedanke sei in Ägypten bekannt ge-
wesen, von uns Juristen ausgesprochen worden; an ihr aber
muß auch unbedingt festgehalten werden, und man wird den
Verhältnissen nicht gerecht, wenn man mit Preisigke die
Bibliothek zu einem bloßen Archiv zu degradieren sucht.
Dies soll nun im Einzelnen gezeigt werden.
Von Pkeisigkes Argumenten sind drei, welche er wohl
für die wesentlichsten hält, auf S. 285 sub 1 — 3 zusammen-
gestellt. Die Zusammenstellung erschöpft seine Beweisführung
nicht, und ich verdanke es der liebenswürdigen brieflichen
Auseinandersetzung, in welcher er mir gegenüber die Frage
nochmals erwogen hat, daß ich auch die ganze Reihe weiterer
an verschiedenen Stellen seines stoffreichen Buches verstreuten
Argumente mit Vollständigkeit übersehen kann. Ich werde
auch diese letzteren, wenigstens teilweise, in die Erörterung
einbeziehen, in der Hauptsache jedoch von der auf S. 285
gegebenen Zusammenstellung ausgehen.
1. Die Bibliothek verwahre, meint Preisigke, nicht nur
Besitzurkunden über Grund und Boden, sondern auch solche
über Mobilien und Besitzrechte jeder Art. (Nach S. 291
hinzuzufügen: es konnten auch Heiratsverträge und Mitgift-
bestellungen in ihr erliegen.) Darum sei sie in Wahrheit
ein Archiv.
Die Tatsachen sind richtig; die in den letzten zehn Jahren
erschienenen Publikationen haben es außer Zweifel gestellt,
daß die ßißfood-rjxr] iyxrrjöscov einen ganz verschiedenartigen
Inhalt hatte und die Bemerkung, daß die Notariate in der
%(oqu ihren ganzen Inhalt an aufgenommenen Urkunden perio-
disch an sie ablieferten, steht außer Zweifel. Aber wenn da-
nach die Bibliothek jedenfalls ein Zentralarchiv der Notariats-
urkunden im vofiög genannt werden kann; so ist doch keines-
21*
252 Ludwig Mitteis:
wegs abzusehen, warum sich mit dieser archivalischen Funktion
die Grundbuchsfunktion nicht vertragen haben sollte? So
geht denn die heute herrschende Ansicht eben dahin, daß das
Archiv ein Grundbuch in sich einschließt, und die Mög-
lichkeit einer solchen Organisation ist eine so naheliegende
und einleuchtende, daß dieses erste Bedenken Preisigkes
mir keinerlei Bedeutung zu besitzen scheint.
2. Je rascher man über diesen Punkt hinweggehen kann,
desto mehr fesselt der zweite. „Die Bibliothek verwahrt,
sagt Preisigke, nur diejenigen Besitzurkunden, welche ihr
überbracht werden, und legt keinen Wert darauf, daß der
Grund und Boden vollzählig durch die Besitzurkunden
nachgewiesen werde." Damit steht, außer anderen noch zu
erwähnenden, auch die kurz vorhergehende Bemerkung im
Zusammenhang, bei einem richtigen Grundbuch gelte der
Grundsatz, daß ein Besitzrecht am Grund und Boden erst
durch die Eintragung in das Grundbuch begründet
wird, was für die ßißXio&ijxi] nicht zutreffe.
Selbst wenn diese Behauptungen beide richtig wären,
würde damit noch nicht dargetan sein, daß die ßtßho&rjxt]
ein bloßes Archiv ist; denn das sofort zu erwähnende System
der dtaötQa^iata wäre damit nicht vereinbar: in diesem hebt
sich die Bibliothek jedenfalls über archivalische Funktionen
bezüglich jedes Grundstückes hinaus, das von demselben be-
troffen wird. Allerdings aber wäre, wenn die Eintragung auf
den dicc6TQ(ö[iccTa nur fakultativ wäre, richtig, daß wir nur
ein partielles Grundbuch vor uns hätten, d. h. ein solches,
welches bloß jene Grundstücke aufweist, deren Eigentümer
die Verbuchung auf dem ÖidörQa^a freiwillig veranlaßt
haben.
Nun ist aber nichts gewisser, als daß von Preisigkes
Aufstellungen nur die zweite (wenigstens teilweise) richtig
ist, nämlich die, daß der Erwerb der dinglichen Rechte an
Grundstücken in Ägypten nicht (unbedingt) die Eintragung
voraussetzte. Darauf komme ich unten zurück, wo ich sie
auch auf das richtige Maß zurückführen will. Lebhaften
Privathechtl. Bedeutung der ägypt. ßißkio&t'ixr} iyy.rrioecov. 253
Widerspruch fordert dagegen der Satz heraus, die Bibliothek
lege keinen Wert darauf, daß der Grund und Boden vollzählig
durch die Besitzurkunden nachgewiesen werde.
Um ihn zu widerlegen, genügt es, auf das Edikt des
Mettius Kufus zu verweisen: xelsvco ovv tiuvtuq xovg XTt'jTOQug
«Wog iirtvCov 6% caioyQÜipuö&La xi]v löCuv xxr\6iv usf. Es ist
nie bezweifelt worden, daß danach aller Grundbesitz in
den dLuöTQcouuTu verzeichnet werden soll, wofür auch die
früheren oder späteren General-u7CoyQU(pui weitere Bestäti-
gungen bringen. Der Zweck dieser äxoyQcctpccL ist aber, wie
ausdrücklich betont wird, die Vollständigkeit und Verläßlich-
keit der ÖLuarQbJuuxa^ denn man weiß, daß 'fitjrs tu öt^oölu
[ii]T6 tu IdicoTixu tt\v xuftrjxovöuv Xuußdveiv dtoCxrjöiv, diu
TÖ [IT) XU& OV BÖSL TQÖ710V aXOVO[i7}6&U.l, TU . . . 6lu6TQ03-
Hutu' (Oxy 237 VIII 28 — 30). Die Evidenz der Besitz-
verhältnisse ist also Aufgabe der von der Bibliothek
geführten d iuötqüilutu. Und diese öluötqcöuutu sind eben
Übersichtsblätter, nicht das von Pkeisigke so sehr be-
tonte „Fachwerk" — Übersichtsblätter, wie sie gerade das
Wesen des Grundbuchs, im Gegensatz zu einer bloßen Ur-
kundensammlung darstellen. Denn sie sind auch Übersichts-
blätter nicht bloß über die zu Gunsten eines Grundbesitzers
erliegenden Besitzurkunden, sondern auch über die Belastungen,
welche seine Grundstücke durch Rechte Dritter erfahren haben
(vgl. z. B. BGU 1072). Allerdings ist ja diese Evidenz nicht
so leicht zu gewinnen, wie beim heutigen Grundbuch, weil
das didöTQcouu nicht auf dem System der Realfolien auf-
gebaut ist, sondern auf dem der Personalfolien. Aber diese
Art der Anlage schließt den Begriff des Grundbuches her-
kömmlicherweise nicht aus.
Nun ist es ja selbstverständlich, daß alle diese Tatsachen
Pkeisigke sehr wohl bekannt sind. Wenn er sie hier an-
scheinend ignoriert, so war ich anfangs geneigt, das als eine
Ungenauigkeit der Ausdrucksweise zu betrachten und die
Behauptung 'daß der Grund und Boden in der ägyptischen
Bibliothek nicht vollständig verzeichnet ist' dahin umzudeuten;
254 Ludwig Mitteis:
in Wirklichkeit meine Preisigke nur; daß nicht jeder Er-
werb eines dinglichen Rechts im Grundbuch apparieren
müsse. Aber die Beweisführung, die er S. 287 für seine Be-
hauptung antritt, zeigt doch, daß er seine Aufstellung so
meint, wie sie klingt; denn er beruft sich darauf, daß in Her-
mupolis nach CPR 9 ein Haus durch Chirographum verkauft
wird und daß man das nur von einem Haus annehmen kann,
das nicht im Grundbuch eingetragen ist.
Zunächst kann ich diesen Beweis nicht gelten lassen:
warum soll nicht jemand ein eingetragenes Haus chirogra-
pharisch kaufen können? Jeder Jurist weiß, daß heutzutage
oft genug Grundstücke, die im Grundbuch stehen, zunächst
außerbücherlich veräußert werden ('ich erinnere an den eigens
hierauf zugeschnittenen § 7 Abs. 2 S. 2 des preuß. E.E.G.
5 3 1872, sowie an die umfangreiche Literatur, die der Punkt
z. B. im österreichischen Recht hervorgerufen hat, Strohal
zur Lehre vom Eigentum an Immobilien [1876] S. 60 — 91,
und aus der Praxis: österr. ob. Gh. [G.U.W.] 4, 1550; 5,2383).
Wem das nicht genügt, der sei speziell aus den Papyri z. B.
an BGU 50 erinnert, wo ein zweifellos in der ßißliod-r^/.ri
stehendes Haus chirographarisch verkauft worden ist. — Aber
auch wenn der Beweis gültig wäre, was würde daraus folgen?
Doch nur, daß die Vorschriften der Statthalter, wonach die
dbct6TQ(6nccTcc vollständig sein sollen, nicht ordentlich gehand-
habt worden sind, eine Möglichkeit, die ja, selbst wenn sie
zuträfe, gar keine Bedeutung hätte.
Steht es also fest, daß das Grundbuch objektiv alle
Grundstücke zu umfassen hat, so hat es weiter auch keine
Bedeutung, wenn es diese nur nach ungefährer Bezeichnung
und ohne katastrale Identifikation, d. h. ohne geometrisch
fundierte Orientierung und Angabe der Grenzen aufführt.
Gewiß sind ja hier die heutigen Grundbücher viel vollkomme-
ner, indem sie sich an die Flurkarte anlehnen, aus der man
Identität und Grenzen des Grundstücks kartographisch fest-
stellen kann. Aber abgesehen davon, daß die Frage, ob diese
Anlehnung eine Garantie für den physischen Bestand des
PllIVATKECHTL. BEDEUTUNG DER ÄGYPT. [h^ho%)]K1] iyKTl'jaeOiV. 255
Grundstücks enthält, auch heute noch streitig ist, so heweist
doch der Mangel solcher Anlehnung nur eine primitivere
Technik, ohne an dem Begriff der Sache etwas zu ändern;
und nebstbei: war der Fehler auch nur praktisch wirklich so
groß? Wurde die Verweisung auf die Flurkarte nicht viel-
fach dadurch ersetzt, daß die Kaufbriefe, die ja in der Biblio-
thek vorlagen, die Orientierung stets mit möglichster Genauig-
keit angaben? Ist die Sicherheit der Verweisung auf eine
Flurkarte, für deren Richtigkeit nicht garantiert wird, eine
so viel größere?
3. Objektiv, in bezug auf die Grundstücke, also ist die
Bibliothek vollständig. Eine andere und viel wichtigere Frage
ist die nach der subjektiven Vollständigkeit, d.h. danach,
ob die Bibliothek auch jeden subjektiv Berechtigten an den
Grundstücken aufweist. Die Frage spitzt sich darauf zu, ob
der Erwerb dinglicher Rechte an solchen durch die Eintra-
gung bedingt war. Genauer gesagt, der rechtsgeschäft-
liche Erwerb; denn daß der Erbe des eingetragenen Berech-
tigten das Recht des Erblassers erwarb, braucht nicht betont
zu werden.
Die so formulierte Frage ist aber, wie bekannt, keine
andere als die, ob das ägyptische Grundbuchrecht das soge-
nannte Eintragungsprinzip gekannt hat.
Man hat es bisher für unerschwinglich gehalten, auf diese
Frage bei dem heutigen Stand des Materials eine Antwort
geben zu wollen: sowohl über den Bestand des Eintragungs-
ais über die damit verwandte Frage nach dem Publizitäts-
prinzip, d. h. dem Schutz des gutgläubigen buchmäßigen Er-
werbers haben noch die jüngsten Bearbeitungen des ägyp-
tischen Bibliothekswesens sich ebenso reserviert geäußert als
ich es vor elf Jahren getan hatte. Und es mag ja auch
heute noch vorsichtig sein, bis zum Eintreffen ganz ausdrück-
licher Zeugnisse über diesen Punkt die Ars ignorandi zu üben.
Aber da Preisigkes Aufstellungen eine alsbaldige Äuße-
rung über die Gesamtanlage der Bibliothek geboten erscheinen
lassen, will ich es doch wagen, wenigstens mit einer Ver-
256 Ludwig Mitteis:
mutung aus der von den Juristen bisher beobachteten Re-
serve herauszutreten. Zu einer solchen gibt das in den letzten
Jahren veröffentlichte Material immerhin schon einen gewissen
Anhalt.
Und sie geht dahin, daß das Prinzip der ägyptischen
Bibliothek bezüglich Grundstücken ein ähnliches war, wie es>
das französische Recht im sogenannten Inskriptions- und
Transskriptionssystem aufgestellt hat.
Dieses — beruhend teils auf dem Code civil art. 2127 —
2i34fgg., teils auf dem Transskriptionsgesetz vom 23/3 1855.
— geht dahin, daß zwischen dem Rechtserwerb inter partes
und der Wirkung des Rechts gegenüber Dritten unter-
schieden wird.
Inter partes gilt — um nur von den wichtigsten Rechten,
Eigentum und Hypothek, zu sprechen — Eigentum übertragen,
Hypothek bestellt, sobald die Kontrahenten den Ubertragungs-
resp. Verpfändungsvertrag durch gültige (d. h. öffentliche) Ur-
kunde errichtet haben.1) Gegenüber dritten Personen jedoch
gilt das Recht erst als vorhanden, wenn die Transskription
resp. die Inskription in den Büchern der Hypothekenbewahrer
(Conservateurs des hypotheques) erfolgt ist. Daher kann der
Verkäufer nach der bloß beurkundeten, nicht transskribierten
Übertragung an A sein Eigentum noch an B veräußern und
dieser schließt den A aus, wenn er sich nur früher transskri-
bieren läßt, und ebenso kann der nicht inskribierte Hypothekar
1) Daß der Begriff des dinglichen Rechts inter partes einen Sinn
gibt, braucht kaum bemerkt zu werden. Er kann sich zeigen: beim
Eigentum teils in bezug auf den Gefahrübergang und die Ausschließung
bösgläubiger Dritterwerber, teils wohl auch darin, daß ein so ver-
äußertes Grundstück nicht in die Konkursmasse des Veräußerers ge-
hört; bei der Hypothek z.B. darin, daß es dem Hypothekar eine An-
zahl von Rechten gibt, die er sonst erst durch Einleitung der
Zwangsvollstreckung erwerben müßte. Natürlich brauchen nicht alle
diese Konsequenzen von jeder Rechtsordnung, die ein ähnliches Prin-
zip handhabt, gezogen zu werden, und ich lasse es sowohl für das
französische Recht wie für das ägyptische hier dahingestellt, welche
davon wirklich gezogen worden sind.
Pkivatrechtl. Bedeutung der ägypt. ßißlio&ifir) iyxrrjiseav. 257
gegen die Eigentumsnachfolger seine Hypothek nicht durch-
setzen und steht jedem inskribierten Hypothekar nach usw.
Vieles spricht dafür, daß auch der Einrichtung der ägyp-
tischen ßißXiofrijxr] eyxrrjßeav diese Bedeutung zukommt:
a) Zunächst erklärt es sich so, daß Grundstücksverfügun-
gen vorkommen und als in gewissen Grenzen wirkend er-
scheinen, welche sicher die Bibliothek nie berührt haben.
So vor allem die Verpfändung in Lips. 10: da hat Aurelius
Heron i. J. 178 durch ein Cheirographon sich einige Acker
chirographarisch verpfänden lassen und dieses Pfandrecht wird
noch sechzig Jahre später von seiner Tochter als gültig be-
trachtet und ausgeübt, obwohl das Cheirographon nicht ein-
mal der d^uoßicoöig in Alexandrien unterzogen worden war;
von der ßißfoo-d-)'txr( ist in dem ganzen Stück gar nicht die
Rede. — Aber auch sonst finden sich viele Grundstücksver-
fügungen, die durch einfache Cheirographa vor sich gegangen
sind-, nach der sehr dankenswerten Zusammenstellung bei
Eger, Grundbuchwesen 95 fg. zähle ich etwa zwanzig. Nun
ist ja nach dem neuestens vorliegenden Material, insbesondere
dem unten zu erörternden P. Giss. 19, nicht ganz auszu-
schließen, daß auch auf Grund bloßer i£lQ^YQa(fcc eme Trans-
oder Inskription in der Bibliothek erfolgen konnte; aber das
scheint mindestens nicht beliebt gewesen zu sein, da wir
solche meist auf di]pÖ6iOL %Qij^ari6^oC ruhen sehen, gele-
gentlich (BGU 50) zum Behuf der Transskription auch ein
XSiQoyQucpov in einen solchen eigens verwandelt wird. Es
ist darum sehr wahrscheinlich, daß auch in jenen Fällen die
Parteien die Transskription einfach unterlassen hatten, und daß
letzteres oft genug vorkam, sehen wir ja an den sofort (sub ß)
zu erwähnenden TtocQä&eöig-Gezucken, wo Leute Grundstücke
veräußern, obwohl sie selbst nicht ä^oysyga^^svoi. sind. Nun
könnte man freilich sagen, diese Verträge seien bloß obli-
gatorische Verkäufe gewesen; aber dieser Ausweg ist wieder
dadurch versperrt, daß wenigstens in der Kaiserzeit alle Kauf-
verträge ganz regelmäßig die Übertragung des ^xgurslv xal
DO Ö Ö ÖD S
xvQievtiv'' in sich schließen. Das läßt sich nun auch für
258 Ludwig Mitteis:
chirographarische Kaufverträge sehr wohl verstehen, wenn
man annimmt, daß damit inter partes wirklich schon der
Kauf als vollzogen, die Gefahr auf den Käufer übergegangen,
die Pflicht zur ßsßCaöig als begründet galt. Nur die Wir-
kung gegen Dritte ist vorläufig aufgeschoben.
ß) Andererseits erklärt sich von dem hier eingenommenen
Standpunkt mit einem Schlage eine bisher als rätselhaft an-
gesehene Klausel der sogenannten Ttagccd-eöig- Gesuche.1) In
diesen Gesuchen bitten nicht eingetragene Erwerber die
ßißliotpvlaxEg, von ihrem Erwerb schon vorläufig Kenntnis zu
nehmen (iiaQaftsivaL), die angedeutete Klausel aber geht dahin:
Wenn vor der TtccQdd'eö ig eme Übertragung oder Verpfändung des
Grundstücks durch die Bibliothek — „diu xov ßißlio-
yvlccxsLov" — diese charakteristischen Worte fehlen
niemals — erfolgt sein sollte, soll sie gültig bleiben; es ist
dann die definitive Eintragung des Erwerbers ausgeschlossen,
resp. wenn er Eigentum erworben hat und vorher ein Pfand-
recht durch die Bibliothek eingetragen worden war, bleibt
dieses bestehen.
Das ist genau das französische System: der nicht ein-
getragene Erwerb kann gegenüber dem früher transskribierten
oder inskribierten nicht aufkommen.
y) Der hier vermutete Parallelismus scheint mir auch
durch P. Giss. 19., den Egee Grundbuchwesen 68 publiziert
hat, nicht ausgeschlossen zu werden. Hier hat Psenpachoumis
von Apollonios ipiXol xöitoi durch Handschein gekauft; er er-
fährt, daß ein gewisser Petosiris ein von demselben Apollonios
ausgestelltes Verkaufs-^todypaqpov über dieselben Grundstücke
der Bibliothek apographiert habe und einem Dritten weiter
1) Bd. II 243; Class. Phil. 2; Gen. 44; Teb. 318; über dieselben
und den gegenwärtigen Stand der Lehre Lewald Grundb. R. 52 fg. ;
Eger, Grnndbuchsw. 131 fg. Um Mißverständnisse auszuschließen, be-
merke ich, daß die nicht eingetragenen Erwerber hier nicht bloß
chirographarisch erworben hatten, sondern durch Homologien, die je-
doch — und das ist eben das Entscheidende — der ßtßXiod-ijxri nicht
zur Eintragung bekannt gegeben waren.
Privatrechtl. Bedeutung der ägypt. ßißkiofrijxri tyxriiaewv. 259
verkaufen wolle und bittet um Inhibierung dieses Verkaufs
(was nebstbei bemerkt so aussieht, als ob Eintragungen auf
Grund eines isiQoyQccrpov doch nicht so ganz ausgeschlossen
gewesen wären, wie man bisher glaubte, s. S. 257). Die
Schwierigkeit liegt nun darin, daß hier der außerbücherliche
Erwerber «regen den bücherlichen auftreten will, während man
gerade das Gegenteil erwarten sollte. Aber andererseits zeigt
doch die Besorgnis, die Psenpachoumis vor dem Weiter-
verkauf hat, daß er gegen künftig einzutragenden Er-
werb nicht aufkommen zu können fürchtet, und darin liegt
doch nur wieder eine Bestätigung meiner Vermutung. Daß er
wenigstens gegen Petosiris selbst seine Sache nicht verloren
gibt, läßt sich vielleicht doch u. z. auf verschiedene Weise er-
klären; vielleicht hält er dessen Erwerbstitel für gefälscht
(so schon Eger 8g)1); vielleicht auch hoffte er gegen ihn
aufzukommen, weil er in Kenntnis des früheren Ankaufs
gekauft hatte.
4. Wenn demnach die ägyptische Bibliothek, wie ich
vermute, den französischen Inskriptions- und Transkriptions-
büchern in ihren juristischen Funktionen verwandt ist, so ist
schon hiernach neuerlich klar, wie weit sie über ein bloßes
Urkundenarchiv hinausgeht. Durch ihre objektive Vollständig-
keit und das Vorhandensein der diccöTQcaiiaTcc nähert sie sich
sogar, trotz des mangelnden Eintragungsprinzips, den Grund-
büchern des deutschen Rechts.
Ein sehr wesentlicher Unterschied von diesen ergibt sich
jedoch — abgesehen von formalen Unterschieden — darin,
daß das Recht in seiner Entstehung in Ägypten von der Ein-
tragung nicht absolut abhängig ist, daß also z. B. die nicht
eingetragene Hypothek doch gegenüber dem Verp fänder und
seinen Erben wirksam wird und nur ihre Wirksamkeit gegen
Dritte fehlt.
Auch ist zuzugeben, daß dieses System doch an einem
gewissen Widerspruch leidet: einerseits werden alle Grund-
1) Er bezeichnet dessen Kauf als co>? ysvöusvov ccvzä vitb tov
'AnolXwviov' ', also angeblich geschehen.
2 6o Ludwig Mitteis:
stücke eingetragen, andrerseits hat man keine Garantie dafür,
daß der als Eigentümer eingetragene es auch wirklich noch
ist. Mag auch der Dritte, der von ihm diu xov ßißXiocpvXuxCov
weiter erwirbt, nun gegen geheime Veräußerungen geschützt
sein, so wird doch von dem Vermögen und der Kreditfähig-
keit einer Person ein falsches Bild erzeugt, wenn sie noch
als freier Eigentümer zahlreicher Grundstücke im Grundbuch
steht, während sie diese vielleicht alle bereits unter der Hand
veräußert hat. Und mag auch dann der Gläubiger, wenn er
zur Zwangsvollstreckung in die Grundstücke schreitet, den
nicht eingetragenen Erwerber haben ignorieren können1), so
ist doch schon das ein Übelstand, daß er eben auf die Voll-
streckung gedrängt wird, weil der Schuldner keine paraten
Mittel in der Hand hat, während der Gläubiger ihm noch die
freie Verfügung über seinen Grundbesitz zutrauen durfte. Ob
es etwa auch damit zusammenhängt, daß man mit dem Zu-
stand der diaöTQcoficcTcc so oft unzufrieden war und so häufige
General- unoyQucpaC angeordnet wurden? Gewiß zwar läßt
sich die Erklärung hierfür auch in einfacher Nachlässigkeit
der Urkunds- und Grundbuchbehörden bei Handhabung des
bestehenden Systems selbst finden, zumal in dem Edikt des
Mettius Rufus direkt gesagt wird, daß sie die bestehenden
Vorschriften nicht immer befolgten. Aber ein viel größerer
Übelstand mußte darin liegen, daß buchmäßiger und tatsäch-
licher Besitz sich so oft nicht deckten, und es wäre sehr be-
greiflich, wenn man hier von Zeit zu Zeit den Parallelismus
wieder herzustellen suchte. So sagt denn auch das Edikt
des Mettius Rufus, alle Besitzer sollen sich eintragen lassen,
und wir haben keinen Grund, hier die chirographarischen
Erwerber auszunehmen. Nur bei den gesetzlichen Hypo-
theken und Verfangenschaften der Ehefrauen und Kinder wird
die Pflicht zur ajioyQcccpri auf die aus einem drnio6iog XQV'
Iiau6[iög herrührenden beschränkt, nicht auch bei den übrigen.
i) Inwieweit dies bei chirographarischen Gläubigern in
Ägypten der Fall war, wissen wir übrigens nicht.
Pkivatuechtl. Bedeutung der ägypt. ßißkto&i'y/.i) eyxviqaEow. 261
5. Das Gesagte scheint mir völlig hinreichend, um die
Behauptung zu eliminieren, die ßißfoo&rjxr} sei nicht Grund-
buch, sondern bloßes Archiv. Wie wollte man denn auch
mit dem ganzen komplizierten System der ■xoo6v.yysliai, exi-
Grdl^ara und vor allem der diaörQcb^iata die Reduktion auf
bloß archivalische Funktionen vereinigen? Namentlich die
letzteren sind ja doch ganz deutlich schon eine besondere
Anstalt, welche neben dem Urkundenarchiv besteht; sie sind
das Grundbuch im prägnanten, auch körperlichen Sinne; sie
sind ein objektiv vollständiges Grundbuch und auch ein solches,
auf welches sich, wenn die Urkunden nicht trügen, Dritte,
die im Vertrauen darauf und durch dasselbe erworben haben,
verlassen können.
Es erübrigt nun noch eine Anzahl adminikulierender
Argumente zu entkräften, auf welche Preisigke sich beruft.
a) Da wird zunächst (S. 285 fg.) daraufhingewiesen, daß
es auch XQoöuyyeUai bezüglich Sklaven gebe. Ich will die
Tatsache nicht in Zweifel ziehen, da sie mir gar nicht be-
fremdlich erscheint, obwohl sie sich nur auf einen unvoll-
ständig mitgeteilten und — bei der bekannten Unzugänglich-
keit der Wiener Sammlung — von niemand verifizierten
Papyrus E. R., ferner auf eine zwar an sich ansprechende,
aber doch durchaus konjekturale Ergänzung von Wessely-
Preisigke zu Lond. 2, p. 151 stützt (die Deutung von Oxy. 336
und 34g bei Preisigke 307 ist mir zweifelhaft). Aber was
folgt daraus? Nicht einmal das wäre damit bewiesen, daß
uie Sklaven auch aufs dCccGtQcona kamen, und wenn selbst!
Das würde doch nur zeigen, daß das Grundbuch nicht bloßes
Grundstücksbuch ist. Ist es darum weniger Grundbuch? Um-
fassen nicht auch unsere Grundbücher Fischerei- und Fähr-
gerechtigkeiten, Abbaurechte u. dgl.?
b) Daß (vgl. S. 490) die Grundstücke aller Komen, die
kein selbständiges yQarpslov haben, auf dem Diastroma der
Korne, die ein solches besitzt, durcheinanderstehen, ist nur
natürlich und eine einfache Konsequenz davon, daß das Prin-
zip der Personalfolien gilt, nicht das der Realfolien. Den
2 62 Ludwig Mitteis:
Grundbuchbezirk für diese Personalfolien bildet eben der
Sprengel jedes ygatpeiov; innerhalb dieses Bezirkes darf der
Name jedes Besitzers aber nur einmal vorkommen.
c) S. 40g betont Preisigke, daß in P. Oxy. 715 unter
einer caioyQtupri folgender Vermerk des ßißfoocpvlai, steht:
Kutane %(b(Qiitcc) adicai^QLTCjg) XLvö(yv(p) täv a%oyQu(<poii£V(öv)
usf. Hieraus, und auch aus anderen Subskriptionen auf utio-
YQucptd ergebe sich, daß die Bibliothek nur prüft, ob die
Einreichung nicht mit den im „Besitzamt" verbuchten Besitz-
verhältnissen im Widerspruch stehe, das Rechtsgebiet dagegen
ausschließt. „Dieser Standpunkt entspricht der grundlegenden
Aufgabe des Besitzamtes, lediglich ein Verwahramt für
Privaturkunden und die darin enthaltenen Besitzrechte zu
sein." Hierzu ist nur zu sagen, daß auch ein heutiges Grund-
buchamt die Rechtsgültigkeit der ihm überreichten Ein-
tragungsanträge nicht prüft und nicht prüfen kann. Darüber
hat ja der Richter im kontradiktorischen Verfahren zu ent-
scheiden, wenn die Sache streitig wird. Der Grundbuchs-
beamte prüft nur die formalen Voraussetzungen der Inta-
bulation: in diesem Sinne erfolgt jede Eintragung notwendig
(a^laxQLTas, oder 'yavövva der Parteien. Daß ersteres in
Oxy. 715 noch besonders gesagt wird, beruht wol darauf, daß
es sich um Erbschafts- äjcoyQcccpy] handelt und hier, wo die
Übertragung ohne den Willen des Vorbesitzers stattfindet, es
doppelt nahe liegt, zu betonen, daß die Frage der behaupteten
Erbberechtigung, also die Gültigkeit des Testaments oder die
Intestatberufung, sich jeder Prüfung entzieht. Bei Kaufver-
trägen steht ein gleicher Vorbehalt nur mitunter in der Kauf-
urkunde selbst, allerdings soviel ich sehe, erst seit Ende des
zweiten Jahrhunderts, worüber ich mir gelegentliche Unter-
suchung vorbehalte.
d) Endlich S. 37g betont Preisigke: Hätte es sich (beim
Edikt des Mettius Rufus) um Berichtigung der Grundbücher
gehandelt ... so wäre es zu deren Berichtigung doch das
Einfachste gewesen, die Dorfbücher zur Hand zu nehmen;
dann hätte man gar nicht nötig gehabt, mit den vielen
Privatrechtl. Bedeutung der ägypt. ßißkio&rj'/.n iy/.xifitwv. 263
Tausenden von tiTtoyQaqxxt sich abzuplagen". Auch hier muß
der Jurist daran erinnern, daß auch ein heutiges Grundbuch,
wenn es in Unordnung geraten ist, nicht einfach dadurch
hergestellt werden kann, daß man den Steuerkataster ab-
schreibt. Dies aus einem doppelten Grunde nicht. Erstens
ist der Steuerkataster für die Frage der Berechtigung an
den Grundstücken gar keine authentische Quelle; ob der, der
dort als Eigentümer eingetragen ist und danach dem Staat
haftet, es auch wirklich ist, das ist bestenfalls eine Frage
zwischen dem Staat und dem Steuerzahler, deren Beantwortung
andere Personen gar nichts angeht; auch haben gerade für
die ägyptischen Steuerkataster Lewald und Egek mit Recht
betont, daß durchaus nicht immer der Eigentümer auf das
Gut katastriert wird, sondern ebenso gut auch der Pächter.
Zweitens aber und vor allem: die Neuanlecmno; oder Be-
richtigung des Grundbuchs greift tief in die Rechtsverhältnisse
der Privaten ein; darum kann der Staat sie nicht durch
mechanische Abschreibertätigkeit seiner Lohnschreiber voll-
ziehen lassen, sondern muß vor allem die Beteiligten selbst
heranziehen: Darum muß, wer ein Grundstück hat, sich
melden oder geladen werden und seine Besitztitel vorlegen
(letzteres sagt Mettius Rufus ausdrücklich). Diese werden
nachgeprüft (sonst würde man ja die alten Fehler erneuern,
die man eben los werden will); und wenn, was häufig genug
ist und sozusagen mit zu den Zwecken des Berichtigungs-
verfahrens gehört, ein Eintragungsbegehren von einem Kon-
kurrenten bestritten wird, ist dafür zu sorgen, daß dessen
Rechte gewahrt bleiben.
Drockfertig erklärt 12. VHI. 1910.]
264
IL
Zu der Stelle des Ulpian D. 27. 10, lpr.
Von
Ludwig Mitteis.
Daß in dieser wichtigen, weil eine Grundlage der Lehre
von der Cura prodigi bildenden Stelle nicht der ganze Text
von Ulpian herrühren kann, hat man bereits wiederholt be-
merkt. Ich setze zunächst den Wortlaut hierher:
Ulp. I ad Sab.
Lege duodecim tabularum prodigo interdicitur bonorum
suorum administratio , quod moribus quidem ab initio intro-
ductum est. Sed solent hodie praetores vel praesides, si talem
hominem invenerint, qui neque tempus neque finem expen-
sarum habet, sed bona sua dilacerando et dissipando profudit,
curatorem ei dare exemplo furiosi: et tamdiu erunt ambo in
curatione, quamdiu vel furiosus sanitatem, vel ille sanos mores
receperit: quod si evenerit, ipso iure desinunt esse in pote-
state curatorum.
An zwei Punkten hat man hier bereits Interpolation an-
genommen. Zunächst im Satz Sed solent — exemplo furiosi;
manche wollten ihn wohl ganz für justinianisch ansehen, indem
sie darin eine vollständige Beseitigung der legitimen Cura er-
blickten, die mit Ulp. pr. 1 2 , i in Widerspruch stehe.1) Das
findet nun heute schwerlich jemand; aber wenigstens von 'si
talem — profu<(n>dit' wird auch jetzt noch von Kalb Juri-
stenlatein 79 A. 72) wegen des hier herrschenden emphatischen
Tons eine eingeschobene Phrase des Tribonian vermutet, und
das mag vielleicht zutreffen. Aber große sachliche Tragweite
kommt dieser Hypothese nicht zu.
1) Vgl. Glück 33, 170; Pochta Inst. § 229 Z. 2.
2) Zustimmend Kkügeb, Corp. Jur. Civ. Dig.11 ad h. 1.
Zu der Stelle des Ulpian D. 27, 10, 1 pr. 265
Sodann betrachtet man den Schlußsatz des Prooemium,
'quod si — curatorum' als nichtulpianisch1); gewiß mit Recht,
da durch die bloße Rückkehr zu den sani mores — ein prak-
tisch doch sehr unbestimmter Zeitpunkt — der Prodigus
nicht von selbst die Handlungsfähigkeit wieder erlangen
konnte; es muß jedenfalls eine dekretale Beseitigung der Cura
Platz gegriffen haben.
Nun glaube ich aber, daß mit der Feststellung dieser
Bedenken noch keineswegs alles getan ist, dessen die Stelle
bedarf. Für mich liegt ihre eigentliche Schwierigkeit in ihrem
Eingang: Lege duodecim tabularum prodigo interdicitur bono-
rum suorum administratio, quod moribus quidem ab initio
introductum est.
I. Diese Worte widerstreiten sowohl den Anforderungen
der Logik als auch dem, was wir sonst über die Prodigalitäts-
Cura vermuten.
a) Denn was den ersten Punkt betrifft, so ist es ein
unlösbarer Widerspruch zu sagen 'lege interdicitur — quod
moribus introductum est'. Faßt man freilich das lege in dem
Sinn auf: Durch das Gesetz (der Zwölftafeln) wird inter-
diziert — so ist es nicht gerade widersinnig zu sagen, der
Prodigus sei schon vor den zwölf Tafeln als geschäftsunfähig
betrachtet worden; aber wie konnte Ulpian davon etwas
wissen? In seinem Mund kann 'lege' nur den Sinn haben:
Auf Grund der Zwölftafeln wird (vom Prätor) interdiziert.
Dann aber ist der Widerspruch evident; denn da sich das
'quod — introductum est' auf den ganzen vorherigen Satz
bezieht, so würde es besagen: die Interdiktion auf Grund
des Gesetzes sei aufgekommen durch die Gewohnheit. Dieser
unleugbaren Unmöglichkeit könnte man nur entgehen durch
die Annahme, der Relativsatz beziehe sich bloß auf das
nackte Verbum interdicitur, was aller natürlichen Auffassung
widerstreiten dürfte.
b) Aber auch mit anderen Erscheinungen ist der Bericht
1) Vgl. Gibard, Manuel4 225 A. 2.
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 2 2
2 66 Ludwig Mitteis:
Ulpians schwer zu vereinigen. Betrachten wir diejenige Stelle,
welche neben dem Ulpiansausspruch die wichtigste und allem
Anschein nach von Interpolation frei ist *), nämlich Paul,
sent. 3, 4a; 7. Dort wird über die Interdiktionsformel des
Prätors folgendermaßen berichtet: „Moribus per praetorem
bonis interdicitur hoc modo: Quando tibi bona paterna avi-
taque nequitia tua disperdis liberosque tuos ad egestatem per-
ducis, ob eam rem tibi . . re commercioque interdico." Es
pflegt von den Historikern der Prodigalitätserklärung hervor-
gehoben zu werden, daß hiernach das Interdiktionsdekret die
Vergeudung bloß der bona paterna avitaque als Entmündigungs-
grund betont. Ich will mich auf die verschiedenen hierfür
beigebrachten Erklärungen hier nicht einlassen; aber ich möchte
hinzufügen, daß, wenn man die Formel irgendwie ernst nimmt,
auch der Wortrest „. . re" nicht auf das gesamte Vermögen
des Interdiktus bezogen werden kann, sondern nur auf das
(ab intestato) ererbte. Mag es auch fraglich sein, wie die
leider zweifelhaft überlieferte Stelle zu lesen ist: ea re oder
lare (? Hüschke) oder aere (?), jedenfalls deutet schon das
darauf folgende commercioque darauf, daß durch das ea re
(o. dgl.) die Interdiktion nur für eine gewisse Vermögens-
masse gegeben war: denn hätte sie sich schon kraft des
Wortes ea re auf das ganze Vermögen erstreckt, so wäre das
commercioque überflüssig.2)
Darnach hat die schon ausgesprochene Annahme eine
1) Daß ich das von den Paulinischen Sentenzen keineswegs all-
gemein annehme, habe ich schon röm. Priv. R. 1, 231 A. 32 gesagt und
behalte mir vor, wenigstens einen Teil der auffallendsten von den West-
goten angebrachten Interpolationen gelegentlich nachzuweisen.
2) Insbesondere darf man es nicht so erklären, daß es die Fähig-
keit zum Schuldenmachen und damit die Gefahr beseitigen sollte, daß
der Prodigus das in der Hand seiner Kuratoren befindliche Vermögen
der Exekution durch seine Gläubiger aussetzt. Diese Gefahr bestand
schon deshalb nicht, weil die zivile Vollstreckung Personalexekution
ist; die Vermögensexekution ist prätorisch, und daß der Prätor den
Gläubigern die Missio in bona gegen die Kuratoren verweigern mußte,
war bei Schulden des Prodigus auf alle Fälle selbstverständlich.
Zu der Stelle des Ulpian D. 27, 10, ipr. 267
gute Berechtigung, daß im Sinn des ursprünglichen, d. h. von
den Gesetzgebern der Zwölftafeln gewollten Rechts die Inter-
diktion sich nur auf das von den Vätern ererbte Vermögen
beschränkte, und damit stimmt genau auch die bekannte Regel
überein, daß einem libertus nach dem Gesetz nicht interdiziert
werden konnte (Ulp. 1 2, 3). Ist aber diese Annahme zutreffend,
so ist Ulpians Darstellung in 1. 1 cit. unrichtig, indem sie
doch das lege interdicere seiner Zeit als das den Zwölftafeln
Entsprechende hinstellt, d. h. die früheren umfänglichen Be-
schränkungenx) nicht hervorhebt, oder wie man es umgekehrt
ausdrücken kann, den Zwölftafeln eine Entziehung der 'bono-
rum suorum administratio' zuschreibt, während nicht das
ganze, sondern nur das von den Vätern ererbte Vermögen
im Gesetz genannt war. Wo Ulpian selbst redet, nämlich in
den Regulae, wird das auch nicht so gesagt, sondern heißt es
„in curatione iubet esse agnatorum"; wobei der Umfang der
Curatio nicht bezeichnet wird.
Man mag nun freilich sagen, daß die Geschichte der
Prodigalität zu tief verschleiert ist, als daß man hoffen könnte,
sie auf dem Wege dieser letzteren Hypothese zu erhellen.
Dies zugegeben, bleibt doch die Inkonzinnität des Berichtes
in 1. 1 cit. bestehen.
II. Dazu tritt aber noch ein weiteres. Es fällt nämlich
auf, daß das Wort 'moribus' dieser Stelle in dem Bericht
der Paulinischen Sentenzen über das Interdiktionsdekret
wiederkehrt, denn es heißt dort: cMoribus per praetorem
bonis interdicitur hoc modo'. Man fragt sich, wie die Juristen
dazu kommen, gerade an diesem Punkt das cmoribus' intro-
ductum zweimal zu betonen und ich glaube nicht, daß das
aus Zufall geschieht. Es muß im prätorischen Interdiktions-
dekret etwas enthalten gewesen sein, was über den Gesetzes-
wortlaut hinausging und auf die eigene Initiative des Prätors
hindeutete.
1) Ganz abgesehen von den noch zu seiner Zeit geltenden sub-
jektiven Beschränkungen der Interdiktion (Ulp. 12, 3).
22*
2 68 Ludwig Mitteis:
Man könnte das fragliche Element schon darin erblicken,
daß der Prätor überhaupt ein besonderes Dekret erließ. Es
ist nämlich denkbar, daß die Zwölftafeln ein solches nicht
Torschrieben, sondern bloß die Cura adgnatorum über den
Prodigus anordneten. Indessen will es nicht recht befriedigen,
daß man deshalb das prätorische Dekret als ein gesetzfrei
entstandenes bezeichnet haben sollte; denn stillschweigend
war doch schon damit, daß das Gesetz den Begriff des Pro-
digus aufstellte, eine Feststellung dieses Zustandes für jeden
einzelnen Fall vorausgesetzt. Man hätte sonst ebenso gut
auch alle Legisaktionen als moribus proditae eingeführt be-
zeichnen können, weil ihr Wortlaut doch auch nicht gesetz-
lich fixiert war; während doch bei der pignoris capio zwischen
jener, die lege, und jener die moribus stattfindet, scharf unter-
schieden worden ist.
Ich halte es darum, obzwar ich die Zulässigkeit jener
Erklärung nicht ganz ausschließen kann, für wahrscheinlicher,
daß im Inhalt der Interdiktionsformel selbst etwas enthalten
war, was über das Gesetz hinausging. Naheliegend ist die Ver-
mutung, daß dies gerade die Nennung des Commerciums war.
Wenn im Sinn des Gesetzes nur das vom Vater ererbte
Vermögen zu entziehen war, so lag in der Entziehung des
Commercium bezüglich des ganzen — auch selbst erworbe-
nen — Vermögens allerdings ein sehr deutliches 'moribus
introductum'. Daß der Prätor dieses schuf, bedarf wohl
keiner weiteren Erklärung.1)
i) Ablehnen dagegen würde ich einen dahingehenden Vorschlag,
das rmoribus' der Ulpian- und Paulusstelle auf das zu beziehen, was
Ubbelohde (in Grünhuts Ztsch. 4) die prätorische Prodigalität nennt,
nämlich darauf, daß, weil die Zwölftafeln nur den Ingenuus, qui ab in-
testato heres patris est factus betrafen, für alle übrigen Verschwender
der Prätor aus eigener Macht interdizierte. Gerade dieser, wenngleich
sehr wichtige, Fall ist sicher nicht gemeint. Das zeigt erstens der Wort-
laut des Dekrets: er nennt die bona paterna avitaque, hätte also auf
Libertini geradezu gar nicht gepaßt und wäre auch bei Ingenui heredes
instituti schlecht angebracht gewesen; denn das paterna avitaque
scheint gerade den familienmäßigen, also gesetzlichen Erbgang zu be-
Zu der Stelle des Ulpian D. 27, 10, ipr. 269
III. Ich ziehe nun aus dem vorhin Gesagten den Schluß.
Mein Ausgangspunkt war: Im Anfangssatz von D. 27, 10, 1 pr.
ist eine Unebenheit, und die Wiederkehr der Mores bei Paulus
verlangt eine Erklärung. Alles vereinigt sich, wenn man
annimmt, daß die Kompilatoren die Ulpianstelle
stark gekürzt haben.
Sie hypothetisch herzustellen ist ebenso leicht, als es
im Effekt wertlos ist. Man darf aber wenigstens die allge-
meine Vermutung aussprechen, daß Ulpian hier eine nähere
Auseinandersetzung über den ursprünglichen Inhalt der Zwölf-
tafeln und die dazu tretende amtsrechtliche Ergänzung ge-
geben hat. Mag er nun gesagt haben, daß das Gesetz die
Voraussetzungen der Verschwendung nicht fixiert hatte und
darum der Magistrat sein Interdikt interponierte, mag er er-
zählt haben, daß nur die bona paterna im Gesetz genannt
waren und darum der Prätor das Commercium der Interdik-
tion hinzufügte: immer gelangt man zu einer ausführlicheren
Darstellung dieser Lehre, welche einerseits im Sabinuskom-
mentar erwartet wird, anderseits auch den jetzt vorhandenen
Widerspruch der Diktion beseitigt und gleichzeitig mit dem
moribus interdicitur des Paulus den aufklärenden Zusammen-
hang herstellt.
tonen. Zweitens stimmt es nicht zur Ulpianstelle: denn von diesem
Fall hat Ulpian sicher erst im zweiten Satz gesprochen, dessen Ein-
gangsworte (sed solent hodie praetores vel praesides) nicht justinianisch
klingen, mag auch der Fortgang es sein; dieser zweite Satz dürfte dem
entsprochen haben, was Ulp. fr. 2 in § 3 ausführt. Natürlich muß dann
das Prooemium am Schluß einen Satz enthalten haben, der hierzu über-
leitete; d. h. nach den objektiven Beschränkungen der Interdictio lege,
die im Text bezeichnet sind, müssen noch die subjektiven erörtert ge-
wesen sein.
Druckfertig erklärt 12. VIII. 1910]
270
III.
Das Receptum nautarum in den Papyrusurkunden.
Von
Ludwig Mitteis.
Die folgenden Papyri enthalten mit einer — übrigens
unsicheren — Ausnahme sämtlich Recepta nautarum. Für
diesen Vertrag hat neuerdings Lusignani1) gezeigt, daß der
1) Studi sulla responsabilitä per custodia I. Modena 1902 bes.
p. 22 fg., welche nur in wenigen Exemplaren gedruckte Schrift außer-
halb Italiens nicht genügend bekannt geworden zu sein scheint. Eine
selbstverständliche Voraussetzung L.'s ist, daß er unter der Custodia
nichts anderes versteht wie gewöhnlicbe diligentia, und dies ist durch-
aus richtig. Die neuerdings wieder von Seckel (v. Custodia bei Heu-
maxn-Seckel) vertretene BARONSche Theorie , wonach die Pflicht zum
Cuatodiam-praestare in klassischer Zeit gleich Haftung für niederen
Zufall ist, scheint mir durch L.'s Ausführungen, zu denen noch die in
seinem Volumen II (Parma 1903) hinzukommen, endgültig beseitigt (die
bei Seckel-Heumann a. 0. angenommenen Textgestaltungen in den Di-
gesten sind meines Erachtens an manchen Stellen zu revidieren). Ich
füge insbesondere hinzu, daß eine scheinbare Stütze, welche man für
die BARONSche Theorie in der sogenannten Lex horreorum (CLL. 6, 4,
33747 = Bruns fo.7 Nr. 166) finden könnte, nur auf unrichtiger Er-
gänzung durch Mommsen beruht. Denn wenn man dort zu lesen pflegt
[Invectorum in haec horrea cu]stodia non praestabitur, so könnte das
allerdings nur bedeuten, daß damit die Gefahr des Horrearius abge-
lehnt werden soll. Da aber Gefahr regelmäßig periculum heißt, und
die supponierte gleiche Bedeutung von Custodia den richtig verstan-
denen Quellen nicht entspricht (ganz abgesehen davon, daß der Aus-
druck im besten Fall zweideutig gewesen wäre und das Publikum ab-
geschreckt hätte), muß eine andere Ergänzung gesucht werden. Ver-
mutlich war gesagt, daß für gewisse in den Speicher eingebrachte
Gegenstände der Horrearius jede Verantwortung ablehnt; also etwa:
Auri argentive cujstodia non praestabitur.
Das Receptum nautaium ix den Papyrisikkunden. 271
Prätor den Schiffer nur dann für jeden Transportverlust ver-
antwortlich macht, wenn er durch besondere Garantieabrede
'salvum fore recepit'; andernfalls haftet der Schiffer nach
klassischem Recht nur für diligentia in custodiendo und außer-
dem nach den Edikten furti adversus nautas ec. sowie damni
iuiuriae adversus nautas ec. für Diebstahl und Sachbeschädi-
gung, welche von seinem Personal, nicht auch welche von
dritten Personen (Mitreisenden u. a.) ausgehen. Die auch
ohne die Clausula csalvum fore' stattfindende Haftun«-
bis zur höheren Gewalt ist justinianisch, der Ausdruck
Vis maior gleichfalls. Zweck der nachstehenden Zeilen ist
zu zeigen, daß mit dieser auf sorgfältige Interpolationenkritik
gegründeten Lehre die in den Papyri erhaltenen Schiffs-Kecepta
gut übereinstimmen. Von den hier vorgelegten1) stammen
fünf aus der vorjustinianischen Zeit und haben zum Gegen-
stand den Schiffstransport (meist auf dem Nil) teils für private
(Nr. 4) teils für staatliche Rechnung: in ihnen findet sich
die Klausel, abzuliefern, öcbov xal äxaxovQyrjrov tat i/xavtov
xivdvva, einmal vielleicht xm e.ueö xivdvva (Lond. 2 p. 99),
was dasselbe besagt. Damit übernimmt der Schiffer die
Haftung für jedes menschliche Verschulden, also auch für
mangelhafte Beschaffenheit des Fahrzeugs, was in Lond. 3
p. 220 treffend bezeichnet wird als dxaxovQyrjtov ano vavti-
y.fjg xaxovQyiag. Ein Vorbehalt für Vis maior wird nicht
gemacht, wohl weil man diesen für selbstverständlich erach-
tete. Umgekehrt lautet die Fassung in einer von den Heraus-
gebern in das 6. — 7. Jahrhundert angesetzten und sicher nach-
justinianischen Urkunde: hier ist von salvum recipere keine
Rede mehr, dagegen der Vorbehalt der &eov ßCa (vis maior)
1) Es sind nicht alle in den Papyri enthaltenen; denn es kommt
noch in Betracht Flor. 75 (a° 380) und Goodsp. 14 (a° 343). In diesen
fehlt jede besondere Garantie für das Risiko der Fracht, so daß sie
für unsere Frage uninteressant sind, außer insofern sie zeigen, daß das
salvum fore recipere doch nicht ausnahmslos war, der Prätor also einen
guten Grund hatte, in seinem Edikt die Bedingung gerade dieser Zu-
sage für die strenge Haftung ex recepto zu formulieren.
272 Ludwig Mitteis:
gemacht, und dies mag wohl auf den Einfluß der justiniani-
schen Gesetzgebung zurückgehen.1)
Die Papyri sind schon von Ashburner, the Rhodian sea
law 1909, in einem gründlichen Kommentar zum pseudorho-
dischen Seerecht nach vielen Richtungen verwertet worden;.
aus dem dort Gesagten ergibt sich eine Reihe von Konkor-
danzen zwischen jenem Gesetz und der in diesen Papyri her-
vortretenden Praxis, z. B. der Angabe der Schiffsgröße, Schiffs-
bezeichnung u. a., cf. Ashburner p. CLIII, CLV, CLXXIX usw.
Die besondere Bedeutung jedoch, welche diese Urkunden für
die Geschichte der Haftung des Nauta insbesondere im Zu-
sammenhalt mit den Untersuchungen von Lusignani enthalten,
ist von Ashburner, der die Haftungslehre nicht behandelt,,
nicht gewürdigt worden. Aus diesem Grunde setze ich den
Wortlaut der Urkunden hierher, gleichzeitig mit einigen
Ergänzungsvorschlägen; ich glaube, daß durch dieselben die
Kontinuität, welche die Urkunden zeigen, in schärferes Licht
tritt, als es nach den Ausgaben der Editoren der Fall ist.
1. P. Grenf. 2, 108 a° p. C. 167.
Das Stück wird von den Herausgebern für einen Brief
erklärt; es ist offensichtlich ein Receptum, im Hinblick auf
tri<er)>archum 1. 10 kann man vielleicht an ein Receptum nau-
tarum denken, wobei es sich übrigens wohl um Seetransport
(nicht Nilschiffahrt) handelt. Die Bedeutung des Stückes
liegt nur in der hier vorkommenden Wendung sanas salvas
recepisse.
]rel[
r]ecepisse . [ ]sto[ ]n[.]
]a(m) denarios [ ]ngentos et [..,,.. c]entum
] guperari a[ ]rnaur[ ]alicla(m)
1. 2 ob cu]sto[dia? (M).
1) Der Ausdruck &sov ßlcc soll ja nach Gai D. 19. 2, 25, 6 alt-
griechisch sein; aber er hat hier wohl nur den einfachen Zufall be-
deutet.
Das Receptum nautarum in den Papyrusuhkunden. 273
5 Jpuratam et [ je barbari [. . . .]ei se fatum
[.] [.]m barbaricum [ | miserat mi[hij Cornelius
Germanus procurator raeus; quas has res intra scrip-
tas meas salbas sanas recepisse scripsi nonarum
Octobrium ad Puluinos ad statione Liburne fide^¥)>
10 interueniente Minucium Plotianum tri<er)archum
et Apuleium Nepotem scriba(rn) actum Fuluinos
nonis Octobris imp(eratore)" Uero' ter* et Umidio Quadrate*
consulatus
1. 6 [quem?] miserat (M). zu 1. 9/10 Wilcken Arch. 1, 373.
2. P. Lond. 2; No, 256 Recto (a) (p. 99) a. p. C. 14.
Abgesehen von meinen in den Anmerkungen zu 1. 10
und 18 angedeuteten Konjekturen scheint mir in 1. 16/17
durch Vergleichung der nachfolgenden Parallelstücke ein Fort-
schritt möglich zu sein. Statt uv[xäg . . . .]v6vn[. . . .] denke
ich etwa an to>[<s^c5 %L]vdvv[<p. Allerdings hat Herr Kenyon
auf meine Anfrage nach freundlicher Revision der Urkunde
~o
erklärt, einen bestimmten Vorschlag nicht verifizieren zu
können. Auch ist die Ergänzung wegen der noch nicht fest-
stehenden Bedeutung des darauffolgenden öly^a {ßsly^ia) viel-
leicht gewagt. Äußerstenfalls müßte daher dieses Stück aus-
geschieden werden.
[ ]av9[s] xvßeQvtfvqg öxaepr^g ört[io6Lug uyo[vö~\t]g
\{ccQrdßag) x] , r\g 7i[a]Qcc6r}uog Ißig, dicc £;n;rA[o]ü Hinzog ^Axiviog
[ ]iag aörjyov Xeyiiävog Öevteoag y.lxoötijg öTtCoag
[dsvr^eoag AxovöiXda 6itoX6y<p $r;iuo[o']ta) Av6i\x,<xyjL§-
5 [cov ß t& na\oä Aovxiov M[ci]oCov aneltvd-toov y.qitov Usßaötov
1. 1. ayova^g (die Tragfähigkeit betreffend): vgl. Lond. 3 p. 220, 2;
Amh. 138, 5.
1. 2. i7tm).[o]v Zi%rog 'Arlviog (1. Stxtov 'Axiviov) Grenfell-Hunt
zu Oxy. 276, 8; Wilcken Arch. 1, 145/6.
I.3. = y.a.1 8i-K06tfjg. — &6i]fiov ist verdächtig; man erwartet die
Angabe einer Charge. So auch Wilcken a. 0.
1. 5. -xp-rou muß Schreibfehler sein, vielleicht für xcci6aQog. Ttße-
giov st. ■KQttov halte ich an dieser Stelle wegen der Titelfolge und nach
dem Faksimile für ausgeschlossen.
274 Ludwig Mitteis:
[ ]og yaiQiv. '0^[oX\oy&> £vßeßXf}6[&]ca %agd öov enl xov zcc-
[xd IIxoleii\aiÖa \oqii\ov xov Aq6ivolx[ov] vouov ev 'Eßooyig
[fi'g /Jiov\v6(Cyov xal <J>tXoX6yov Xöyo}i dnb xtöv yevij^idxov
[tov a (exovg)] Tißeoiov KccCöaoog Usßaöxov dxoXovd'ag toi
10 [ ]ov caioöxöXa nvoov xoaxov [2r]v[p]t-
[axov xaföaXov dÖ\o\Xov d[iC£,ov xEx[o]öx[t\vevfisvov fis-
[toco dr^io\6Cco xaXxeoXoxcp x<p dvEvrjvay^sva v7t[o
[ ] • • • ,AX£[h,a]vdQsag tiqcoxov Uvqlccxov uQxdß\ocg
[%iXlcc\g E7ixaxoö[Ca]g dsxaoxxcz qfiiöov ^ cc Uv —q- [äi^ir] C]
15 [dg xal] xaxa<jx[rj]Go sig 'AXe^dvöosav xal 7taoad[cböo
[zJiovv6l\go xai 0tXoX6yov r\\ oig uv övyxdöoöi do&fjyai ccy-
[xäg . . . .]v(?ujr[ ]. L(is[v]oy diyua xal ov&ev o*o[t e[vxaXä
JEq(i[ ]xixog yeyoacpa vtieq avxov diu xo [ii]
[ßtdiv]ai avxov ygutnia^xa).
20 (^'Exovg) ß TißsoCov KaCöaoog
E£ß[u]6x\o]v Afrvg a .
1. 10. airoGTÖfoo dürfte die dem Schiffer mitgegebene Konsignation
sein; erg. etwa axolovd'cag reo [nagaSsdo^ivai /xot diä <j]ov aito6t6l(p.
1. 11. ■xcc]&ceXov (erg. von Grenfell-Hunt): 1. xcc&ccqov.
1. 12. 1. ictlY.t\\dx(Q't (Grenfell-Hunt).
1. 18. [AvQ{rjXiog)\ 'EQ[i[£ivog (0. ä.) vav]zix6g?
3. Lond. 2 No. 301 p. 256.
Nachtr. von Wilcken (Nachtr. zu Lond. 3 p. 386).
Binnenschiffsbefrachtung. — p. C. 138 — 161. — Provenienz unbekannt.
Nach 6vvayoqa6xixov (1. 2) und der Kontrasignatur 1. 16
dürfte es sich um einen Staatstransport handeln.
TTjg eh, . [ ]vcoi eitl xo\y]
i^ißaXXo^ievov övvuyoQuöxi-
xov tcvqov öuvvco xr\v
AvxoxQuxogog Kaiöaoog Tixov
5 AlXCov Aöqcuvov 'Avxavlvov
Eeßaöxov Evösßovg xvyrjV dv-
Zu 6vvctyoQa.6TiY.6g vgl. Zuluetta de patrociniis vicorum (in Ox-
ford stud. in social and legal history I 1909) II p. 71.
Das Receptum nautarum in den Papykusurkunden. 275
Tifo'juipccö&ca rijg %Q£iag xl6-
xdg xal ixi[isXCbg xal -xäQav
(pQovrCda Jtottjöaöfrca xov na-
10 Qccfistvcu xoyg e'nixXöovg (u.£-
XQo xf}g sv %6Xei £vyo6xa6iag
xal 7tccQad(p[6G}] xbv yöpov
öaov xal dxaxovQyrjxov
xä l[(i\ccv[rov\ XLVÖvva
15 J] Svox[o]g si'riv xa oqxoj.
'A[tco]XX . . . 6e6rm(elaiiüi).
4. Lond. 3 No. 948 p. 220.
Binnenschiftsbefrachtung. — Arsinoe. — p. C. 236.
'EvavXaöev AvQijXtog 'HQaxXfjg zJlo6x6qov axb 'AvxaCov
xöXscog xvßeQV7]trig
Idiov TtXoiov dyayfjg ccQxaßäv diaxoölav %Evxr\xovxa dßrjfioy
AvQTqlCco AqeCco
'HQaxkeCdov ßovXEvxfj xf\g Aqölvoe ixäv %6Xeco g TtQog e^ißoXijv
Xa%avo6:iEQiiov aQta-
ßüv diaxoöCcov XEvtrjXovra ixl x<p siißecXeG&ccL cbtö oqixov
äXöovg {iijtQoxöleag
5 ^SX9L öquov xov '0£t> QvyxsCrov vavXov xov 6v{up(ovrld,Evxog
aoyvoiov doax[[iojv]
exaxbv xa&aocbv cbrö %<xvxav aqp' av evxev&ev söx£v doy-
(vQiov) dgccxpccg x£66£Qaxovxa,
rag de XoiTtug dgaxpäg £%r\xovxa d%oXv\\ityExai apa xr\ jrapa-
ÖÖÖSL, CC7CEQ CpOQxlcC TtUQCt-
dcoöec öäa xal dxaxovoyy]xa cbrö vavxix\y]g] xaxoy\jf\ylag
Xa[ißäv[ovxog avx\ov itobg ep-
ßoXrjv fifiegag dvo dnb xrjg xs xal b{ioCop[g] 7tQO<3ava[[isv]eiv
avt[bv] ev tw 'OJ-VQvyxCtrj
10 fjiiEQccg xEööagag, pEtf leg iäv 7taoaxaxa6x£d'Vi Xtj^exccl 6
xvßEQvrjxrjg rjl^QrjöCog
2. ccßijiiov vgl. Lond. 2 p. 99 1. 2. 4. Vgl. Kenyon ad. h. 1.
8. Zu vavTiY.i] xuKovQyioc s. S. 271.
276 Ludwig Mitteis:
[d]QU%iiäg ösxaah, iavxä) xaQ£%6uevog 6 xvߣQvrjxrtg xovg
avtdoxsig vavxag xal
t\(v xov tcXolov 7tdöt]v ^ri^pftav, Xrj{iip£xac ds b^iolag V71EQ
67tovörtg iv xa ,0£>vovy)%d-
xrj oivov xEgd^tov. H vavXcoxixri xvoia. (2te Hand) AvgrjXiog
'HgaxXrjg vevavXcoxa xal
[e]<5% cov etcv Xöyov tag öga^fiäg x£G6agdxovxa dbg Ttoöyxuxai,
15 ( 1 te Hand). ('Exovg) y Avxoxgdxooog Kaiöagog TaCov 'IovXCov
OvriQov Ma%i(iaCvov Evö[eßovg] Evxvyovg Usßaexov
xal TaCov 'IovXCov Ovrjgov Matypov xov ugcoxdxov Kql-
öagog Usßaöxov vlov xov Zleßaöxov
&aäcpL xß.
11. vgl. Rhod. Seeges. III c 11: vavxag rovg &Qxovvrug. 12. i%i-
%quav. nach K. auch inixogiav möglich. Seinem Vorschlag £tii%o-
Q^jiy'yLuv zu lesen, ziehe ich vor: im^Eiglav nach Rhod. Seeges. III cn;
vgl. Ashbdrner a. 0. p. 92. 'TtcIq CTtovdfjg ist eine Abgabe (Otto, Priester
u. Tempel 2, 334) unbekannter Natur.
5. P. Amh. 138 a°. p. C. 326.
xä (ßxovg) Tvßv id'.
2te Hand Avgr{Xi(p rsQovxia 6xQ{axiqya) A( )
nagä AvqyjXlov ÜXovxCavog
Uccgccxtavog änb xov MepcpCtov
5 xvߣo(vi]xov) tcXoiov xa\iiaxov ayo(vxog) (ccgxdßag) £.
'O^ioXoyä 6{ivvg xov x&v xvgiojv
y]{Lcbv Avxoxgaxogcov xs xal Kaiödgav
xvyr[V "xaguXr^ivai xal i[ißs-
ßXfj6&ai dtä XiXßavov xgaxCöxov
10 [e]^a7ioGxö).ov (?) xfjg xdt,tag rfjg
yiayiöxQoxrixog VTteg youav ovo
\x\avovog xfjg £vxv%ovg xgi6xaib£xdxt\g
\iv{ßixxlovogy\ av&gaxog xa&agov xevxrjvdgia
9/10 : G.H. xgciTierov i^aiioözöXov; ich denke eher an (tovy %qu-
ticrov it, cmogtöXov, sowohl wegen ccTtocxöXco in Lond. 2 p. 99 1. 10, als
weil it,uno6xoXog kein Amt ist. — Anders M. Gelzer, Studien zur byz.
Verwalt. Ägyptens 56.
Das Recbptum nautarum ix den Papyruburkunden. 277
[dia]x66ia, I xe(yTr}vccQtu) £, a xal d%oxo\iC6a
15 [ £\lg xi]v j4Xei,(civdQ£iav) xal 71ccquÖcö6o)
[ Jörn? ix xXrjoovg
[rw i^iuvrov xivÖv\ya. "E6%ov ö~h xal vicsq
[ x\sX£V6d,Bvta x£vrrjvdoia,
[xal irtsoariföslg'] copLokoyrfiu.
20 ^Titurlag twv d sonor ü>~\v ijuöv Kavöravrivov 2Jsßaörov r'o £
\xal Kavöravriov] ro(y) £7iupa<(v£6rdyrov (Kafyöaoog tö d
[Tvßi. id. (3tc Hand) A\vQy\Xiog IJXovrC(o{v) TcaoiXa-
[ßov rbv avj-d'Qttxcc xal axoxoulöco <bg
[xQÖxeircci. Av\q{riXiog) NslXog iyoatya imso av-
25 [rov äyoanii]drov.
16 1. etwa [reo insios i,vyo6x\dxrj nach No. 3 1. II? 17 erg. M.
6. P. Oxy. No. 144 a°p. C. 580.
Dieser aus der Zeit nach Justinian stammende Frachtkontrakt
ist dadurch charakterisiert, daß er die jetzt überflüssig ge-
wordene Klausel 6äa xal dxaxovQyiqra oder ra i^iä xivövva
wegläßt. Dafür wird die Wendung dl%a &£ov ßuag gebraucht
[16 Buchstaben]ov^rpatil[i6 Buchstaben
[16 Buchstabenjy voraoi\ov ^Buchstaben
rf\g 'HoaxXeovg. 'Tjtsds^d^irjv zvaoä rfjg vfiereoag
vneQ(pviag öuä 'Iadvvov rov £vdoxL{iardrov rjfiüv
rQwxet,Crov vtcsq TtQOöööoov zoCrijg xaraßoXi\g
roLöxuidexdrrjg inLV£firj[6£C3g) iqvöov iv ößov^a %aody\iari
vou.L6u.ara yjslXia r£roaxo6ia r£66aodxovra, xal
iv ditoXvrci Alyvxria ^agayiian t,v7<p AX£%(avÖQ£iag) vouiöyiara
STCraxööia nxoöi, xal vn,£Q dßov^rjg xal dnoxaraörarixtöv avrüv
vouCöpara r£66aodxovra %ivr£, yi'(v£rai) %q(vöov) vo(}iCö^ara) ßö£
xal ravra
iroCficog £%co xarayayüv iv AX^avdoEia di%a &£ov ßCag
xal räv xarä Ttoraubv xtvÖvvav xal £7irio£i(öv, xal xaraßaXnv
inl 'Icodvwiv xal Zjvpsfbviov rovg Xaurcoordrovg dayvoonodrag,
4. 1. vyLÖtv.
278 Ludwig Mitteis: Das Receptum nautarum in d. Papyrusurk.
15 v.a\ evsyaEtv yga^axa xov la\MQOxäxov <x7to%Qi6uiQCov ©fotfwpov
ag xb sIqthisvov %qv6iov dg 7tlr\QEg xaxeßXrjfrrj. Kai
nQog v^iexegav äöcpäleiav ijxoi xov avxov svdox(i^coxdxov) xqwxbICxo'
7i£7iolriiica rt}v TtaQOVöuv 7tUQccd"r]xaQiav ygayslöav %siol ififj
fiTivl H&vq xg ivd(ixxlovog) id. + BaöUstag xov ftstoxdxov xul
20 evösßsöxdxov rjfiav dsöTtöxov ®l(aviov) Tcß^oiov KcovöxavxCvov
xov aiavtov AvyovGxov xal Avxoxo{dxooog) hovg exxov, ^sxä xr\v
vTiaxiav xrjg avxov dsönoxsiag xb dsvxeoov. +
Druckfertig erklärt 12. VIII. 1910.
279
Herr Richard Heinze legte die in der
SITZUNG VOM i. MAI 1909
angekündigte Arbeit über Tertullians Apologeticum am 1 3. Oktober
1910 druckfertig vor.
Phü.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 23
28l
Tertullians Apologeticuui.
Von
Richard Heinze.
Tertullian hat als Apologet des Christentums unter den
Lateinern, soviel wir wissen, keinen Vorgänger gehabt; als
erster gab erder lateinisch redenden Menschheit das, was die grie-
chische Reichshälfte seit langem besaß. Es verstand sich von
selbst, daß er an seine griechischen Vorgänger anknüpfte.
Die Auseinandersetzung mit dem Heidentum hatte sich
dort wesentlich in zwei Formen vollzogen: die eine war die
der Flugschrift an die Hellenen, des loyog ngog "Ellr\vv.g\
solche gab es, nach jüdischem Vorgange, von Justin, Tatian,
Miltiades, Apollinaris, Irenaeus, gewiß noch von vielen uns
nicht bekannten; Clemens schließt mit seinem xqotqextikos
XQog "EÄA.rjvag diese Reihe vorläufig ab. In diesem Protrepti-
cus des Clemens dominiert das Bestreben, die Heiden für das
Christentum zu gewinnen; in einem anderen uns erhaltenen
Exemplar der Gattung, der Rede des Tatian, das Bestreben
den Stolz der Griechen gegenüber den 'Barbaren' zu brechen;
zwischen diesen beiden Extremen werden sich die übrigen
bewegt haben; in keinem wird die Polemik gegen heidnischen
Glauben, Wissenschaft und Sitte, in keinem auch die positive
Seite der Lobpreisung oder Rechtfertigung des Christentums
ganz gefehlt haben; als leitender Gedanke steht ein Vergleich
zwischen Christentum und Heidentum, soweit wir sehen können,
überall im Mittelpunkte; dagegen tritt die politisch-juristische
Rechtfertigung ganz zurück, und von den Verfolgungen ist
kaum die Rede. Der andere Typus ist der der Apologie,
die sich an den regierenden Kaiser, wendet: bald als Eingabe
23*
282 Eichard Heinze:
oder Bittschrift stilisiert, wie von Melito1) und Justin2), bald
als eine vor dem Kaiser gehaltene Rede, wie von Athena-
goras.3) Hier ist der Ausgangspunkt, wie bei jeder Vertei-
1) Als ßtßXLdiov bezeichnet von Euseb. h. e. IV 26; das ebd. zi-
tierte Stück bestätigt das.
2) Apol. II 14 Kai v(iäg ovv a^iov^isv intoyQccipavxcig xb v\ilv do-
■aovv TiQo&Eivcu xovxl xb ßißXLSiov (= libellus im Sinne von 'Eingabe'),
oncog xul xolg aXXoig xa rnihxsQcc yvaö&fj, vgl. v. 15 in. iccv Sh vfisig
xovxo itgoyQttiprixe kxX. Das besagt nicht, wie z. B. Bardenhewer
(Gesch. d. altkirchl. Lit. I 1902, p. 207) angibt, cdie Kaiser möchten
im Interesse der Wahrheit die Schrift des Verfassers veröffentlichen
lassen' : sondern der Kaiser soll auf die Bittschrift einen günstigen
Bescheid geben (vnoyQccipcci subscribere, vgl. Ap. I 29, 2 ;i7j$' oXcog
ßovXr]&£vxog $riXwog vnoyQccipat., gleichfalls ein ßißXLdiov), worauf dann
die Bittschrift mit diesem Bescheid dem Absender nicht wieder zugestellt,
sondern zur öffentlichen Kenntnisnahme und allgemeinen Nachachtung
ausgehängt wird (nQoxi&sxai proponitur) : dann können Abschriften da-
von genommen werden, und Justin beabsichtigt angeblich durch solche
das Ganze weiteren Kreisen zur Kenntnis zu bringen. Das Verfahren
hat Mommsen in seinem Aufsatz über Gordians Dekret von Skaptoparene
(Jur. Sehr. II 182) aufgeklärt und damit die Unterschriftsformel proposita
in den erhaltenen kaiserlichen Erlassen verständlich gemacht — das
Reskript erhält durch die Promulgation Rechtskraft — ; der Justinstelle
hat er dabei nicht gedacht. Übrigens beseitigt diese auch jeden etwa
noch vorhandenen Zweifel an der Unselbständigkeit der sog. zweiten
Apologie: denn diese enthält gar keine a^icoßig, auf die die Kaiser
hätten reskribieren können, während sie I 3, 1 und 7, 4 (cc^iovfisv) deut-
lich ausgesprochen ist.
3) Wie Justin von seinen yga^i^axa (I 2 , 3) , so spricht
Ath. regelmäßig von seinem Xoyog (c. 2 ex. u. a.) , bezeichnet
die Kaiser als av.Qoaxai (ebd.) und bittet am Schluß: xr\v ßa6iXiy.i]v
x£gpaÄT}i> irtLvsv6<xx£. In welcher Eigenschaft oder bei welcher Gelegen-
heit Ath. die Rede, die selbstverständlich nie gehalten worden ist, ge-
halten zu haben fingiert, ist nicht ersichtlich: tiT]vv6cci to; xccQ'' savxovg
izoX^aa^Bv c. 1 ist alles was darüber gesagt wird. Der Titel 7tgs6ßeia
in der Überschrift führt nicht weiter, selbst angenommen, daß er echt
ist; Tcgseßsvsiv xi ist mindestens seit dem 3. Jahrh. gleichbedeutend
mit iir\vvacd xt, ksqI xivog heißt 'eintreten für etwas' (z. B. nüg av
rj(isig ol ... . itsgl SiKcaoßvvrjg TtQseßsvovtsg rjSfu^ß ajisv Orig. c.
Cels. II 8 p. 134, 2 K., vgl. Koetschaus Index s. v.), auch (neben vtvbq
xLvog) ffür etwas bittend eintreten, beten', z. B. xovg Isgovg ardgag xovg
Tttgi xf\g £iQrjvr]g ccvxov . . . TtQBßßtvovxag Ttobg xbv &sov Dionys. Alex.
Teiitullians Apologeticum. 283
digung, der Angriff, den die Verteidigung abwehren soll, also
die Anklagen, die gegen die Christen erhoben werden und
ihre Verurteilung zur Folge haben; begreiflicherweise führt
diese Verteidigung leicht dazu, die Vorwürfe des Angreifenden
auf diesen zurückzulenken, und es fehlt denn auch in keiner
uns erhaltenen Apologie das polemische Element.1) Tertullian
mag geschwankt haben, welcher der beiden Formen er sich
bedienen sollte: entschieden hat er sich, beide gesondert zu
verwenden, weil ihm einerseits das polemische Material unter
der Hand so angewachsen war, daß es die Form der Ver-
teidigung völlig gesprengt hätte, andererseits es den rheto-
risch Gebildeten und wohl auch advokatorisch Erfahrenen
reizte, die gegen Christentum und Christen erhobenen An-
klagen einzeln nach allen Regeln der Kunst zu widerlegen.
Die Anlehnung an die beiden klassischen Formen der Grie-
chen wird dadurch nicht aufgehoben, daß bei Tert. die Adressen
in beiden Fällen etwas abgeändert sind: er schrieb zuerst
bei Euseb. h. e. VII 1 (vgl. Schwartz' Index); also 7iQ86ßtic( wohl = Für-
sprache, Verteidigung (und so faßt es, wie er mir mitteilt, auch Schwaktz),
wenngleich diese Verwendung des Wortes für das 2. Jahrh. bedenklich
ist; über Art und Gelegenheit der Fürsprache sagt es nichts aus. Da aber
die Schrift jedenfalls als eine vor den Kaisern gehaltene Rede stilisiert
ist, kann ihr Athenagorae selbst unmöglich eine epistolare Widmung,
vergleichbar einem Ko^öSa Kaiaagt '[ovXiog IIoXv6sviir)g %uiQ£iv vor-
gesetzt haben; ich lasse es dahingestellt, wie die Dative der überlieferten
Inscriptio zu erklären sind.
1) Die sog. Apologie des Aristides gehört, obwohl sie sich an
den Kaiser richtet, viel eher zur ersten Klasse; der Nachweis der Irr-
tümer, in denen Heiden und Juden befangen sind, wird ausführlicher
gegeben als die Darlegung der Wahrheiten des Christentums, und von
Angriffen auf dieses seitens der Andersgläubigen ist nur ganz neben-
her die Rede (17, 2); der Schlußsatz ist nicht apologetisch, sondern
protreptisch. In der Tat ist der Name 'Apologie' auch schwerlich
ursprünglich: die Überschriften der armenischen und der syrischen
Fassung führen vielmehr darauf, daß anstelle eines Titels nur die
epistolare Widmung des Verfassers an den Kaiser stand; erst später,
als die Literatur der Apologien aufblüte, wurde, wie die erste Hälfte
der Überschrift und die subscriptio des Syrers sowie Eusebs Anführung
zeigen, auch dieses Sendschreiben darunter eingereiht.
284 Richard Heinze:
seine Bücher ad nationes, d. i. an die s&vr] Heiden1), aber schon
hinblickend auf das zweite, nicht nur im allgemeinen geplante,
sondern in Gedanken schon weitgeführte Werk, das er un-
mittelbar folgen ließ, sein Apologeticum.2) Ad nationes, selbst-
verständlich nicht ad Graecos, aber auch nicht ad Bomanos,
schon weil er die Griechen nicht ausschließen wollte, aber
wohl auch, weil jener Titel den Argwohn hätte erwecken
können, als rechne er die lateinischen Christen nicht zu den
Bomani, was er doch (im Apologeticum) aufs lebhafteste be-
streitet. Und die Apologie ist gerichtet nicht an den Kaiser,
sondern an die Statthalter der Provinzen: aus Gründen, die
wir noch besprechen werden. Waren nun schon bei den
griechischen Vorbildern, wie wir sahen, jene beiden Typen
1) In diesem Sinne braucht Tert. das Wort auch sonst, z. B.
oft in der Schrift de fuga: quaerimur a nationibus et t internus ne tur-
bentur nationes 3 ; sonst sagt er meist ethnici oder gentiles, aber in der
Streitschrift faßt er wirklich die Völker gelegentlich als Individuen ins
Auge, z. B. I 17 cum ex vobis nationibus cottidie Caesares et Parthici
et Medici et Germanici fiant.
2) Diese Reihenfolge hat gegen Ebert (Gesch. d. christl.-lat.
Lit. I2 41 fg.) namentlich Hauck (Tertullians Leben u. Sehr. Erl. 1877
p. 57, 2), dann Haktel (Patrist. Stud. II in: Sitzungsber. d. Wiener
Ak. CXXI 1890 p. 14 fg.) verfochten; eine Verstärkung ihrer Beweise
wird nicht unnütz sein, zumal da die Frage großes methodisches In-
teresse besitzt: es zeigt sich, wie sogar ein Schriftsteller, der sein
eignes früheres Werk benutzt, unwillkommene Spuren der Entlehnung
nicht verwischen kann. Für die Feststellung des Verhältnisses zu
Minucius ist es, wie wir sehen werden, gleichfalls wichtig zu wissen,
daß wir die originale Fassung von Tert.s Gedanken in Nat., nicht im
Apol. zu suchen haben. — Ich zitiere das Apol. nach der sehr dan-
kenswerten Sonderausgabe von G. Rauschen (Florileg. Patrist. fasc. VI,
Bonn 1906), der den Lesarten des Fuldensis öfter als die früheren
Herausgeber, wenn auch noch immer nicht oft genug, zu ihrem Rechte
verhilft. Rauschen hat auch im Kommentar manche Schwierigkeit gut
erklärt; für das Sachliche bieten die älteren Kommentare, insbesondere
Havercamp und Oehxer einiges Material, Oehler beobachtet auch man-
ches Sprachliche; für die Erkenntnis von Imitation und Invention,
Komposition, rhetorischer Technik, Gedankenführung ist noch so gut
wie nichts geschehen. — Bei ad nationes zitiere ich gelegentlich die
Seiten der Ausgabe von Reifferscheid-Wissowa.
Tertullians Apologeticum. 285
nicht scharf voneinander geschieden, so mußten sie sich noch
näherrücken, wenn ein Schriftsteller beide fast gleichzeitig
ausführte: Tert. hat so wenig darauf Bedacht genommen, sie
entschieden gegen einander zu kontrastieren, daß er nicht nur
das Material, sondern auch die sprachliche Form, die er diesem
in ad nationes gegeben, im Apologeticum guten Teils wieder
verwandte. So hat die Streitschrift viel von apologetischem,
die Apologie viel von polemischem Charakter angenommen; ja
bei Nat. weist der erste Teil des ersten Buches den rein de-
fensorischen, und nur das zweite Buch den rein polemischen
Typus auf, während gerade hier der Verf. im Eingang sein
Werk als defensio bezeichnet. Es erscheint gelegentlich als
reine Willkür, wenn Tert. eine Ausführung von Nat. aus-
schließt, sie für das Apol. reserviert; am wenigsten ist die
Verteilung des Stoffes mit Rücksicht auf die verschiedenen
Adressaten, die 'Völker' hier, die praesides dort, erfolgt:
richten sich doch erhebliche Stücke von Nat. I ausdrücklich
eben an die praesides.1) Aber all dieser nahen Berührungen
ungeachtet bleibt doch der Unterschied bestehen, daß in Nat.
der Angriff auf Sitte und Glauben der Heiden, im Apol. die
Verteidigung von Glauben und Sitte der Christen das vor-
nehmste Ziel ist.
Für die Verteidigung nun hat Tert., und u. W. er zu-
erst, nicht die herkömmliche Form der Eingabe an den Kaiser,
1) Moxceaux (Hist. literaire de l'Afrique ehret. I 217 fg.) stellt die
Verschiedenheit der Adressaten in den Vordergrund: hier die Masse
der Heiden oder doch die Masse der Halbgebildeten, Vorurteils voll und
gehässig, dort die aufgeklärten, nur für die rechtliche Seite der Frage
interessierten praesides. Dabei übersieht er, daß die philosophischen
Erörterungen, für die, wie er selbst richtig sagt, die Masse kein Ver-
ständnis hat, gerade im 2. Buche ad nat. eine viel größere Rolle spielen
als in den entsprechenden Partien des Apol., und daß andererseits im
Apol. die juristische Form der Erörterung sehr oft bloße Form bleibt,
den Inhalt nicht bestimmt. Ebensowenig kann ich Monceaux bei-
stimmen, wenn er in dem Fortschreiten von Nat. zu Apol. eine merk-
würdige Entwicklung ausgedrückt sieht, die sich in Tert.s Geist voll-
zogen habe: die Konzeption der beiden Werke ist ja offenbar gleich-
zeitig erfolgt.
286 Richard Heinze:
sondern die der Gerichtsrede gewählt: das ist die klassische
Form der Verteidigung, in der Tert. alle Mittel advokatori-
scher und rhetorischer Kunst spielen lassen konnte, viel un-
gehinderter als in einem libellus, der den Verf., wenn er nicht
stillos werden wollte, an eine streng sachliche Behandlung der
Fragen band. Um freieren Spielraum zu gewinnen, hatte ja
auch Athenagoras die Form der Rede gewählt: aber er hatte
nur den kaiserlichen Hörer an Stelle des kaiserlichen Lesers
gesetzt und die von der höfischen Etikette für solche Fälle
vorgeschriebenen Formen beibehalten zu müssen geglaubt:
daran mochte der nichts weniger als höfisch gesonnene Tert.
von vornherein nicht denken. Die Form der Gerichtsrede
nun ließ sich doch nicht ohne weiteres verwenden, denn in
Wahrheit gab es ja im Christenprozeß keine Verteidigung vor
dem Tribunal des Richters. Somit war eine Einleitung nötig,
in der die geschriebene Rede dadurch motiviert wird, daß die
Möglichkeit, eine solche Rede mündlich zu Gehör des Richters
zu bringen, nicht vorhanden ist. Die gegebenen Adressaten
waren die Leiter der provinzialen Strafgerichte, die praesides
provinciarum: vor dem proconsul Africae eben hätte ja Tert.,
wenn es gestattet gewesen wäre, seine Verteidigungsrede in
dem vielleicht gerade damals noch schwebenden Christen-
prozeß, der das Schriftchen ad martyras veranlaßt hat, ge-
halten. Wenn er sich nicht an jenen speziell, sondern an
die praesides insgemein wendet, so besagt dies, daß er die
Verbreitung seiner Schrift nicht auf seine Heimat be-
schränkt wissen will: in der Tat ist sie ja nicht einmal auf
die lateinische Reichshälfte beschränkt geblieben, sondern in
Übersetzung auch der griechischen Welt zugänglich gemacht
worden. ^
So also erklärt sich die Adresse aus der von Tert. ge-
wählten literarischen Form; es ist nicht daran zu denken,
daß er seine Schrift wirklich ausschließlich oder auch nur in
erster Linie für die Statthalter des Imperium Romanum be-
stimmt hätte. Von einer ernsthaft gemeinten Widmung kann
ja ohnehin keine Rede sein; wer wird sich vorstellen, daß
Tektullians Apologeticum. 287
Tert. an die Statthalter der verschiedenen Provinzen je ein
Exemplar seines Werkes zur persönlichen Belehrung geschickt
habe? Aber auch der Gedanke ist fernzuhalten, daß Tert.
seine Schrift zwar für die Öffentlichkeit bestimmt, aber daneben
darauf gerechnet hätte, daß sie die Aufmerksamkeit der Be-
hörden erwecken und auf die leitenden Männer, in erster Linie
also die Statthalter, dahin wirken könnte, daß sie das Kriminal-
verfahren gegen die Christen einstellten oder doch modifi-
zierten. Wie Tert. schrieb, wenn er einen solchen Zweck im
Auge hatte, lehrt uns ja die Schrift ad Scapulam aus dem
Jahre 212. Da werden zwar auch, in knappster Form, die
Vorwürfe wegen Verweigerung des Götter- und Kaiserkults
zurückgewiesen (c. 2) — von den übrigen im Apolog. ein-
gehend bekämpften crimina ist nicht die Rede — , und ein
Satz (in c. 4) streift die ungewöhnliche Form der Christen-
prozesse: das Hauptgewicht aber liegt auf den Argumenten
ad hominem: dem Hinweis auf frühere Statthalter, die eine
christenfreundliche Haltung mit ihren Pflichten für vereinbar
hielten, oder auf den schlimmen Ausgang, den christenfeind-
liche gefunden haben; der Erinnerung an christenfreundliche
Haltung einzelner Kaiser; der Drohung mit den Folgen, die
eine Ausbreitung der Verfolgung haben würde. Das sind in
der Tat Argumente, die, wenn überhaupt etwas, auf einen
Scapula und seines gleichen Eindruck machen konnten: im
Apolog. dagegen findet man auf Schritt und Tritt Argumente
oder längere Ausführungen, die wohl dazu dienen konnten,
die öffentliche Meinung umzustimmen — und dies ist offen-
bar Tert.s vornehmstes Ziel — , die aber den an Gesetze und
Verordnungen gebundenen Richter keinen Augenblick in seiner
bisherigen Praxis wankend machen konnten. Zudem: in ad
Scapulam ist die Sprache gewiß auch herb und selbstbewußt,
und Tert. will, im Namen der Seinen, von Furcht vor dem
Tode nichts wissen: aber wie anders klingt der Hohn gegen-
über den praesides, die sich 'fürchten', die Sache der Christen
öffentlich zu prüfen, im Beginn des Apolog., und der trium-
phierende Trotz gegenüber den boni praesides am Schlüsse!
288 Richard Heinze:
So spricht man nicht zu Leuten, die man zu bereden, zu ge-
winnen wünscht.
In der Durchführung läßt das Werk an die Heiden Ein-
heitlichkeit und Abrundung vermissen1); sehr viel planmäßiger
und sorgfältiger ist das Apol. komponiert und durchgeführt.
Man hat dies Werk das bedeutendste Werk Tertullians ge-
nannt2): vom literarischen Gesichtspunkte aus gewiß mit Recht;
und ebenso gewiß ist; daß es, als literarische Leistung ange-
sehen, den Gipfel der altchristlichen Apologetik bezeichnet.
Der Historiker der römischen Literatur hat allen Grund, da-
bei zu verweilen: nicht nur, weil hier seit Tacitus zum ersten-
male wieder ein machtvolles Ingenium die lateinische Sprache
handhabt, dessen Gedankengängen nachzuspüren eine an sich
lohnende Arbeit ist; sondern von hohem Wert ist es für den
Historiker zu sehen, wie hier an der Schwelle der christlichen
Literatur des Abendlandes der Vorgang sich wiederholt, der
uns aus alten und ältesten Zeiten römischer Literatur so wohl
vertraut ist: die Übernahme und Umprägimg griechischen Ge-
dankenguts in römische Form. Denn das liegt ja auf der Hand
und ist niemals verkannt worden, daß die apologetischen und
polemischen Motive, mit denen Tert. arbeitet, zum großen Teile
seinen griechischen Vorgängern entlehnt sind. Es verschlägt
dabei wenig, ob wir seine unmittelbare Quelle nennen können;
so sehr es wahrscheinlich ist, daß er von den uns erhaltenen
Apologeten wenigstens Justin, Tatian und Theophilus ge-
kannt und benutzt hat, so wenig kommt im Grunde für die
Beurteilung seiner Arbeitsweise darauf an, ob er seine Mo-
tive ihnen oder ihresgleichen, die wir nicht mehr haben, ver-
i) Eine Disposition ist überhaupt nicht gegeben; das zweite Buch
bildet eine Abhandlung für sich, ohne daß im Verlauf oder am Schluß
des ersten irgend etwas auf diese Fortsetzung' hinwiese. Das erste
Buch geht so stracks in medias res, daß man auf die Vermutung kom-
men könnte, der ursprüngliche Eingang sei verloren: aber ebenso bricht
das zweite Buch ohne rechten Schluß ab, während das erste Buch eine
ausgeführte peroratio, das zweite ein ebenso ausgeführtes prooemium
aufweist.
2) A. Hauck a. a. 0. p. 73.
Tertullians Apologeticum. 289
dankt: auch in der griechischen apologetischen Literatur mußte
sich selbstverständlich ein fester Stamm von Argumenten,
Tatsachen und Formen dauernd von einem zum andern ver-
erben. Aber Tert. ist sehr viel mehr als bloß Erbe: dies gerade
ist von höchstem Reiz, zu beobachten, wie das alte Gut in
seiner energischen Hand neue Gestalt gewinnt1), wie der
Hauch römischer Gerichtsrede alle Glieder der unoloyla durch-
weht, strafft und kräftigt.
Ein bis zum Überdruß verhandeltes Problem kann hier-
bei nicht umgangen werden: das Verhältnis des Apol. zum
Octavius des Minucius Felix.2) Es ist selbstverständlich für
die Beurteilung Tert.s von größter Wichtigkeit, zu wissen, ob
er den Griechen auf eigenen Füßen gegenübersteht, oder ob
er auf römischem Boden bereits einen Vorgänger hatte, der
einen guten, vielleicht den besten Teil der Arbeit schon ge-
leistet hatte, deren Früchte er sich einfach aneignen konnte.
Ich bin, wie ich eingangs sagte, von der Priorität Test, s
überzeugt; aber ich habe mich dafür nicht einfach auf die
Gründe berufen mögen, die zuletzt Haknack3) formuliert,
1) Erleichtert ist dies jetzt in hohem Maße durch Geffckens
grundlegendes Buch Zwei griechische Apologeten (Lpz. 1907), in dem
das Material in Fülle vorgelegt und der richtige Gesichtspunkt für die
Behandlung der Gattung verfolgt ist. Geffcken hat denn auch die
Forderung nach einem Kommentar zum Apol. aufgestellt (p. 285); dem
will meine Abhandlung vorarbeiten.
2) Eine sehr nützliche, z. T. auch referierende Bibliographie des
Minucius hat J. P. Waltzing im Musee Beige VI 1902, p. 216 ff.
(wieder abgedruckt in seiner Ausgabe in usum scholarum, Louvain 1903)
gegeben und in seinen Studia Minuciana (Louvain-Paris 1906) bis zum
Jahre 1905, in den Anmerkungen zur Einleitung seiner (im Texte für
Schulzwecke beschnittenen) Edition classique (Societe St. -Augustin
1909) bis zum Jahre 1909 fortgeführt. Ich verweise darauf und be-
merke nur, daß Waltzing sowie Geffcken p. 278 ff. und Krüger, Gott.
Gel. Anz. 1905 p. 36 ff. auch Harnacks unten zitierten Ausführungen
gegenüber an der Priorität des Minucius festhalten, während Ramorino
(s. u.) und Kroll Rh. Mus. 60 (1905) p. 307 ff. für die des Tert. ein-
getreten sind.
3) Chronol. der altchristl. Lit. II (1904) 324 ff.
290 Eichard Heinze:
vermehrt und verstärkt hat, um aus dem Octavius selbst
nachzuweisen, daß seine Abfassung vor 197 undenkbar sei.
Von der Vergleichung der beiden fraglichen Schriften im
einzelnen meint Harnack nach dem Erfolge der bisherigen
Bemühungen kein sicheres Resultat erwarten zu können; aber
undenkbar scheint es und mit den sonst gültig befundenen
Gesetzen des geistigen Schaffens und Imitierens unvereinbar,
daß die Fülle von Parallelstellen, die zur Verfügung steht,
kein genügendes Material zur Entscheidung der Prioritäts-
frage bieten sollte: und zur vollen Evidenz wird diese sich
doch, meine ich, erst bringen lassen, wenn die Texte selbst
den einen oder den anderen Autor als Nachahmer erkennen
lassen. Der bisherige Mißerfolg der Bemühungen, den ich
Harnack nicht bestreite, stammt aber lediglich daher, daß
man sich darauf beschränkt hat, einzelne Wendungen oder
Sätze, ohne des Zusammenhanges zu achten, nebeneinander
zu halten.1) Da geht es denn freilich fwie mit einem Stun-
denglas — ein kleiner Griff, und alle Argumente rinnen ins
anderen Fäßchen'. Ich hoffe, daß die zusammenhängende
Analyse des Apolog. mit danebengehender analytischer Ver-
gleichung des Octavius, die sich freilich mit wenigen Worten
leider nicht geben läßt, sichere Resultate erzielen und das
lästige Problem für den, der die Nachprüfung nicht scheut,
endgültig beseitigen wird.2)
1) Das gilt auch von der vollständigsten Sammlung der Parallel-
stellen die vorliegt, F. Ramorino, L'apologetico di Tert. e l'Ott. di
Minucio, Atti del Congresso di Scienze Storiche (Rom 1904) XI 143 ff.
2) Prinzipiell bemerke ich noch: es ist von Vertretern beider An-
nahmen vor allem darin gefehlt worden, daß sie ein Mehr an Einzel-
heiten ohne weiteres für einen Beweis der Priorität ausgaben; das gilt
nicht einmal für Fälle, wo der eine die Quelle einer Nachricht nennt,
der andere verschweigt: für die gleiche Sache nennt Tert. IX 16 den
Ctesias, Minucius 31, 3 nicht, aber andererseits nennt Min. 9, 6; 31, 2
Fronto als Gewährsmann für eine Sache, die Tert. ohne Namensnennung
VII 1 erwähnt, und beruft sich 26, 15 auf Hostanes, während Tert.
XXIII 1 nur die magi allgemein heranzieht. Die Methode, aus solchem
'Mehr' Schlüsse zu ziehen, führt konsequent verfolgt in unserem Falle
Tertullians Apoloöeticum. 291
Ein volles Verständnis des Apologeticum ist endlich nicht
möglich ohne Kenntnis der Formen und der rechtlichen
Grundlage der provinzialen Chri.stenprozesse damaliger Zeit.
Leider sind die Ansichten darüber, wie bekannt, noch stark
geteilt, so daß ich mich auf eine communis opinio nicht be-
rufen kann; ebensowenig freilich kann ich hier in eine Be-
handlung des Problems eintreten. Ich muß mich also damit
begnügen, meine Auffassung in kurzen Sätzen zu formulieren
und die Beweise, soweit sie nicht schon von anderer Seite
geliefert sind1), vorläufig schuldig bleiben; auf einige wichtige
Punkte werde ich im Verlauf meiner Arbeit zurückzukommen
haben.
zu der Annahme der gemeinsamen Quelle: dazu ist ja zuerst Haetel
in seiner sehr beachtenswerten Besprechung von Ebekts Abhandlung
(Tert.s Verhältn. zu Min. Felix, Abh. d. Sachs. G. d. W. V 1868) ge-
langt (Ztschr. f. d. österr. Gymn. 1869, 348 ff.), dann hat Wilhelm (Bresl.
Phil. Abh. II 1, 1887) die Hypothese zu beweisen, Agahd (Varronis
antiquit. rer. div. I etc., Jahrbb. Suppl. 24, 1898) sie weiter zu stützen
versucht. Ganz abgesehen von der literarhistorischen Unwahrschein-
lichkeit der Annahme in unserem Falle : die Methode der Untersuchung
ist, wie Norden De Min. Fei. aetate et gen. die. (Progr. Grfsw. 1897)
p. 4, 6 schon richtig betont hat, von der historischen Quellenforschung
auf ein Gebiet übertragen, wo die Quellen so zahlreich und mannigfach
flössen, daß die Herkunft der Einzelnotiz sich zumeist jeder Kontrolle
entzieht. — Aber auch das 'Besser oder 'Schlechter' ist nicht mit
'Original' und 'Kopie' zu identifizieren: es kann sehr wohl der Ent-
lehnende eine Unebenheit seines Autors glätten, einen Fehler ver-
bessern, eine Pointe schärfen. Sondern das Hauptkriterium wird in
unserem Falle dies sein: wo Einheitlichkeit der Auffassung, Kon-
sequenz der Durchführung, Zusammenhang der Gedankenentwicklung
sich findet, wird man das Original, dagegen wo Schwanken, Unklar-
heit und Widerspruch, unvermitteltes Einsetzen, Abbrechen und Über-
springen, Kontamination verschiedener Gesichtspunkte sich zeigt, wird
man die Kopie zu erkennen haben.
1) Ich verweise vor allem auf L. Gukrin, Etüde sur le fondement
juridique des persecutions dirigees contre les chretiens, Nouv. Rev.
hist. de droit francais et etr. XIX 189; ich freue mich, mit den Re-
sultaten dieses Aufsatzes, den ich erst nach Niederschrift meiner Ab-
handlung kennen gelernt habe, in wesentlichem zusammengetroffen
zu sein.
292 Richard Heinze:
1. Das Christentum ist durch Heges' verboten1), d. h.
wahrscheinlich ein Senatskonsult aus älterer Zeit, zu dem
kaiserliche Reskripte Ausführungsbestimmungen gegeben haben.
2. Diese *leges' verbieten das Christentum als solches,
subsumieren es nicht irgendeiner Verbrechenskategorie des
gemeinen Strafrechts.
3. Christenprozesse werden lediglich auf Grund dieser
leges angestellt, eine Verfolgung des Christentums als Majestäts-
verbrechen findet nicht daneben statt, läßt sich jedenfalls aus
Tertullian nicht erweisen.
4. Die Prozesse werden vor dem Tribunal, gelegentlich
auch im secretarium des Statthalters2) verhandelt, der sie ein-
leitet, wie das beim Kriminalprozeß fast durchweg der Fall
ist, nicht aus eigener Initiative, sondern auf Grund einer An-
klage oder Anzeige. Im Unterschiede von anderen Kriminal-
prozessen wird aber weder die Anklage vor Gericht vertreten
noch eine Verteidigung zugelassen, einfach weil hier weder
Schuld noch Unschuld nachzuweisen ist: auf Grund des Be-
kenntnisses zum Christentum erfolgt die Verurteilung. Das
Urteil wird, mit Angabe der Christenqualität des Verurteilten
als Strafgrundes, aufgezeichnet und danach öffentlich verlesen,
wie es im Strafprozeß rechtens ist.3)
1) Die Gründe, aus denen dies Verbot gegeben und aufrecht er-
halten wurde, sind für unsere Frage irrelevant; das betr. Senatskonsult
selbst hat sich auf eine Begründung wahrscheinlich gar nicht ein-
gelassen. Ich bemerke nur, daß die Gründe im Laufe der Zeiten
keineswegs die gleichen geblieben zu sein brauchen; wenn in den An-
fängen der Glaube an von den Christen begangene flagitia vielleicht
ebenso überwog wie einst bei dem Verbot der Bacchanalia,' so wird
später die politische Seite der Frage in den Vordergrund getreten sein:
s. darüber unten S. 294 fg.
2) Das sind die domestica iudicia Apol. I 1.
3) Mommsen hat in seinem berühmten Aufsatze rDer Religions-
frevel nach röm. Recht' (Jur. Sehr. HI 389 ff.) unterschieden die krimi-
nalrechtliche Verfolgung des Christentums als Majestätsverbrechens und
seine administrative Koercition, das 'polizeiliche Einschreiten insbe-
sondere gegen zum Christentum abgefallene Bürger': das letztere Ver-
Tertullians Apologeticum. 293
5. Die Strafe ist als kapitale vermutlich schon in dem
Grundgesetze, durch welches das Christentum verboten wurde,
normiert worden- In der Tat ist, da das Gesetz verbietet,
Christ zu sein, die eigentlich einzig konsequente Anwendung
die, daß getötet wird, wer beim Christentum verharrt: nur
so wird die Absicht des Gesetzes erfüllt. Es ist aber an
Stelle der Hinrichtung ausnahmsweise Verurteilung zu den
Bergwerken und Verbannung auf eine Insel, bei Christinnen
auch Einstellung in ein Bordell getreten.
6. Daß die Absicht der Regierung in erster Linie dahin
geht, die Ausbreitung des Christentums nach Möglichkeit zu
verhindern, ergibt sich daraus, daß im Falle der Ableugnung
des Christentums und der Bekräftigung dieser Ableugnung
durch ein Opfer für das Heil des Kaisers der Richter den
Beklagten entläßt, ohne danach zu fragen, ob er wirklich
nicht Christ ist oder gewesen ist. Gelegentlich sucht der
Richter, sei es in wohlwollender Absicht, sei es um den
'Trotz' des Beklagten zu brechen, durch Folterung eine Ab-
leugnung zu erzwingen.
fahren sei weit einschneidender gewesen als das kriminalrechtliche.
Diesen Ergebnissen Mommsens, die vielfach Anklang gefunden haben,
kann ich nicht zustimmen. Weder lassen sich unzweideutige Spuren
einer rechtlichen Subsumierung des Christenbekenntnisses unter die
Majestätsverbrechen aufweisen (s. u. zu Kap. X), noch entspricht es der
Auffassung der Zeitgenossen, die in den Christenprozessen gehandhabte
Amtsgewalt als coercitio statt als iudicatio zu fassen. Alle uns be-
kannten Christenprozesse vollziehen sich, soweit wir nachweisen können,
durchaus in den Formen des gewöhnlichen statthalterlichen Kriminal-
prozesses (cognitio), nur mit den oben im Texte angeführten, durch die
Besonderheit des Vergehens bedingten Modifikationen. Jede einzelne
dieser Modifikationen wird von den Apologeten, insbesondere von
Tertullian, hervorgezogen und den Richtern vorgeworfen; was hätten
sie erst gesagt, wenn man das Christentum überwiegend 'polizeilich',
nicht kriminell verfolgt hätte? Auch dafür bieten unsere Quellen
keine Belege, daß die Statthalter gegen zum Christentum abgefallene
Bürger häufiger oder energischer eingeschritten wären als gegen Nicht-
bürger.
2g4 Richard Heinze: [I — III
Exordium I— III.
I— III An die Spitze seiner Verteidigung stellt Tert. eine prae-
fatio, die eine Beschwerde über das gegen die Christen übliche
Rechtsverfahren vorträgt: der Gedanke, daß die Christen um
ihres Namens, nicht um ihrer Taten willen verfolgt werden,
steht dabei im Vordergrund. Auf den ersten Blick scheint
diese Ausführung sich mit den entsprechenden der griechischen
Apologeten aufs nächste zu berühren, und gewiß stammt die
Anregung von ihnen. Justin und Athenagoras legen zu Be-
ginn ihrer A-pologien Protest ein gegen die übliche Bestra-
fung der Christen als solcher, oder, wie sie sich ausdrücken,
die Bestrafung um des Namens willen; sie fordern, daß vom
Namen Christ abgesehen und die bisher als 'Christen' Ver-
folgten vielmehr nach den Sätzen des gemeinen Strafrechts
behandelt, eines bestimmten Verbrechens angeklagt und nur
wenn sie dessen überführt sind, bestraft werden. Sie sind
mit dieser Forderung, vom christlichen Standpunkt aus an-
gesehen, gewiß im Recht. Wissen sie sich doch frei von
den geheimen Freveln, die ihnen die Fama vorwarf; und wenn
sie auch natürlich zugeben, daß sie die Heidengötter nicht
verehren, so trauen sie sich doch zu, dies zu rechtfertigen,
falls ihnen Gelegenheit dazu geboten wird, und — was viel-
leicht noch wichtiger ist — sie wissen, daß außer ihnen
keinem 'Gottlosen' der Prozeß gemacht wird, mag er auch
noch so despektierlich von den Heidengöttern reden und
schreiben, ja mag er selbst den Opfern, auch den Opfern für
das Wohl des Kaisers, fernbleiben. Sie haben eben so ge-
wiß, vom Standpunkt ihres Richters aus gesehen, nicht recht:
denn sie vergessen oder wollen vergessen, daß das Verbot
des Christentums, das sie mit der Zugehörigkeit zu dieser
Gemeinschaft übertreten, sich mit gutem Bedacht eben gegen
den 'Namen' richtet: nicht deshalb im Grunde wird ja der
einzelne Christ gehaßt, verfolgt und bestraft, weil er als ein-
zelner die heidnischen Opfer ablehnt, sondern weil er, eben
als Christ, einer festgeschlossenen, von der heidnischen Ge-
I— III | Tertullians Apologeticum. 295
meinschaft religiös und sozial sich absondernden Sekte ange-
hört, die dem Staatskult (einschließlich des Kaiserkults) offen
absagt und von der, bei dem engen Zusammenhang von Staat
imd Staatskult, Gefahr für den Bestand der gegenwärtigen
Ordnung zu befürchten ist, falls es ihr gelingt, die Massen
zu gewinnen. Und eben diese staatsfeindliche oder als staats-
feindlich geltende korporative Haltung war es, die, zwar nicht
nominell, aber tatsächlich zur Anklage stand, und die durch
das Bekenntnis zum 'Namen' so sehr gegeben schien, daß es
überflüssig war, in jedem Einzelfall über das durch den Namen
Ausgedrückte zu diskutieren; auch stand es ja jedem Ange-
klagten im Prozesse selbst frei, durch tatsächliche Wider-
legung jener Vorwürfe, d. h. durch ein Opfer an die Staats-
götter, der Bestrafung zu entgehen. Dies etwa hätte denn
auch jeder Vertreter der heidnischen Auffassung der Be-
schwerde der Apologeten über die Verfolgung des Namens'
entgegengehalten.
Tertullian konnte die Schwäche dieser apologetischen
Position nicht entgehen; er stellt sich denn auch, bei aller
scheinbaren Nähe, auf ganz anderen Boden. Er hütet sich
wohl, von den p rarst des etwa zu verlangen, sie sollten, statt
auf den Namen hin zu verurteilen, nach den Taten fragen:
weiß er doch nur zu gut, daß sie, wie er selbst nachher aus-
führt, mit ihrer bisherigen Praxis einfach den gesetzlichen
Bestimmungen nachkommen. Sondern er konstatiert von vorn
herein, daß die Richter in den Christenprozessen ohne Kenntnis
der verurteilten Sache aburteilen: daß diese Unkenntnis Ur-
sache sowohl wie Folge eines das Volk beherrschenden und die
Richter bestimmenden Hasses gegen das Christentum ist, oder
vielmehr, da dessen Wesen den Hassern eben unbekannt ist,
gegen den Christennamen. Thema des Prooemiums ist der
Nachweis dieser Behauptung1), wobei denn zugleich die Un-
billigkeit eines solchen Hasses ins Licht gestellt wird.
1) I 4 hanc . . primam causam apud vos conlocamus iniquitatis
odii ergo nomen christianorum. IV 1 quasi praefatus haec ad sugillandam
odii ergo nos publici iniquitatem.
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LX1I. 24
296 Richard Heinze: [1— III
Auf die Anklage selbst wird hier noch nicht eingegangen 5
es handelt sich zunächst um die Unbilligkeit des von den
Gegnern beliebten Verfahrens. Solche Klage hat seit alters
im Prooemium der Verteidigungsrede, vor der eigentlich sach-
lichen Diskussion, ihren Platz; da findet sie sich mehrfach bei
Cicero als Mittel, um Stimmung für den Angeklagten zu
machen, dessen Verteidigung unter so unbilligen Bedingungen
geführt werden muß. In der Rede pro Quinctio beschwert
er sich, daß er, der doch seinen Klienten zu verteidigen habe,
durch das unbillige Verfahren des Prätors genötigt sei, an
erster Stelle zu reden (2, 8); in der Rede für C. Rabirius
ist es die Beschränkung der Redefrist, die dem Verteidiger
unbillig dünkt (2,6); in der Rede für Deiotarus weist er,
freilich indem er seine Beschwerde im selben Atem wieder
zurücknimmt, darauf hin, wie mißlich es sei, den des Mord-
versuchs Angeklagten vor dem Manne zu verteidigen, dem
das Attentat gegolten haben soll: re enim iniquum est, sed
tua sapientia fit aequissimum (2,4). Diesen Beispielen also
reiht es sich an, wenn Tertullian im Prooemium über die
Form der Christenprozesse klagt und sich über die iniquitas
odii ergo nomen Christianum beschwert. Inhaltlich und viel-
fach wörtlich decken sich diese Ausführungen mit den ersten
Kapiteln von Nat.5 aber die einheitliche Beziehung auf das
genannte Thema und den Charakter als Prooemium haben sie
erst hier, bei der Umgießung in die Redeform, erhalten.
Während Nat. sofort mit dem Satze testimonium ignorantiae
vestrae usw. in die Diskussion eintritt, also der Vorwurf und
Beweis der Unkenntnis selbständig auftritt, wird er hier in
engste Beziehung gesetzt zu den einleitenden Worten, die des
Apologeten Unternehmen rechtfertigen: eine schriftliche Ver-
teidigung ist deshalb erforderlich, weil in den Prozessen selbst
eine Prüfung der Klagpunkte nicht stattfindet und das Urteil
also in Unkenntnis der verurteilten Sekte gefällt wird.
Keiner der griechischen Apologeten motiviert die Apologie
so klipp und klar. Und im Gegensatz zu ihnen, die natür-
lich die Freisprechung der für schuldlos befundenen Christen
I— III] Tertullians Apologeticum. 297
fordern und hoffen, gibt Tert. in höchst eigentümlicher Weise
vor, auf diesen Erfolg seiner Apologie von vornherein zu
verzichten: es ist ganz in der Ordnung, daß die Sekte, die
im Himmel heimisch ißt, auf Erden verfolgt wird; sie will
nur nicht ungekannt verurteilt werden. Dieser einleitenden
Auffassung entspricht es, wenn am Schluß des Ganzen statt
der Aufforderung zur Freisprechung die zur Verurteilung er-
klingt. In Wahrheit ist das allerdings nicht so gemeint, wie
nicht bewiesen zu werden braucht; Tert. stellt sich vielmehr,
mit Anwendung des Xoyog s6)nrniuxi6usvoq, in bewußten Gegen-
satz zu der in den Prooemien üblichen captatio benevolentiae,
die das feste Vertrauen des Redners auf die erleuchtete Weis-
heit und Gerechtigkeit des Richters auszudrücken pflegt: er
stellt sich im Gegenteil davon überzeugt, daß die Verurteilung
der gerechten Sache trotz aller Aufklärung erfolgen wird
und scheint im Geheimen zu hoffen, daß, wenn irgend etwas,
dies für den Richter, der noch einiges Gewissen trägt, be-
schämende Bekenntnis seinen Gerechtigkeitssinn aufstacheln
wird; anreizend soll ja auch die Insinuation wirken, man
werde, wenn die Verteidigung nicht gehört wird, glauben,
die Richter wollen sie nicht. hören, quod audiixm damnore
non possint. In dem anderen Punkte dagegen folgt Tert.
den üblichen Verteidigungsreden durchaus, daß er die von
ihm vertretene Sache von vornherein und so, als könne nicht
der leiseste Zweifel daran obwalten, als die cwahre', die
veritas bezeichnet: liccat veritati ad aures vestras pervenire;
etmm inauditam damnabimt veritatem und so im weiteren
Verlauf der Rede1); vgl. etwa Cicero pro Cluent. 5 sicut aliis
in locis param firmamenti . . veritas habet . .; 88 ut Jiodierno
die primum veritas vocem contra invidiam Ms iudicibus f'reta
miserit: 202.
1) II 3 nihil permittitur loqui . . quod veritatem defendat IV 3
cum ad omnia occurrit veritas nostra. VII 3 cum odio sui coepit veritas,
und dann am Schluß der Verteidigung XL VI 1 quis nos revincere au-
debit . . de veritate, 2 dum unicuique manifestatur veritas nostra, XLVII 5
antiquior omnibus veritas 10. 11.
24*
298 Richard Heinze: [I — III
Um ein günstiges Vorurteil für die Sache zu erwecken,
deren 'Wahrheit' er beweisen wird, stellt Tert. zwei Er-
fahrungstatsachen voran: die großen Erfolge der christlichen
Propaganda und die Kraft des von der Güte seiner Sache
überzeugten christlichen Bewußtseins, das sich besonders
glänzend in den Märtyrern manifestiert. Aber Tert. hütet
sich wohl, diese Tatsachen einfach als solche den Feinden
entgegenzuhalten: das wäre ein Sichselbstberühmen, das dem
Ethos des Verteidigers nicht entspräche und am wenigsten
zu Beginn der Rede am Platze ist — später erlaubt sich
Tert. in diesem Punkte mehr. Er bringt vielmehr das erste,
den Erfolg der Propaganda, in der Form eines testimonium
für die ignorantia auf Seiten der Gegner: wer das Christen-
tum kennen lernt, läßt den Haß fahren; das zweite als Er-
widerung auf den Einwand des Gegners, daß doch auch eine
schlechte Sache Anziehung übe: die Haltung der Christen
beweist, daß ihr Gewissen rein ist.
Der Einwand lautet 'sed non ideo bonum praeiudicatur, quia
multos convertit; quanti enim ad malum performantur usf.', anknüpfend
an den vorher erhobenen Vorwurf nee tarnen (die Bekehrten) . . ad
aestimationem alicuius latentis boni promovent animos. Tert. schreibt
weiter über die Kriterien des malum und bonum, geht dann auf das
Verhalten der malefici vor und bei dem Prozeß über und kontrastiert
damit das der Christen: neminem pudet, neminem paenitet, nisi plane
retro non fuisse: si denotatur (jetzt erst die Haltung in der Ver-
folgung) gloriatur, si accusatur, non defendit usf. Minucius läßt 28, 2
den Octavius sagen, auch er habe einst an die geheimen Frevel der
Christen geglaubt, ohne daran Anstoß zu nehmen, daß niemals ein
Verräter aufgetreten sei; malum autem adeo non esse, ut Christianus
reus nee erubesceret nee timeret, et unum solummodo quod non ante
fuerit paeniteret. Die Worte malum non esse erklärt Waltzing c«7
n'existe pas de mal, de crime eliez les ehretiens'' ; Dombart (Octavius . .
übers., Erl. 18812) trifft den Sinn wohl richtiger mit fdaß das Christen-
tum so wenig etwas böses sei . .'; aber das plötzlich auftretende
Neutrum ist recht auffallend und erklärt sich m. E. am besten aus
Tert. Nicht eben gut hat ferner Minucius das non paenitere auf den
reus Christianus übertragen; es paßt viel besser als Beweis dafür, daß
das Christentum überhaupt ein bonum ist, als dafür, daß die Beschul-
digung der geheimen Frevel Verleumdung ist.
II i— sl Tertulmak8 Apologeticum. 299
Daran schließt sich die Beschwerde über die von aller II
sonstigen Kriminalpraxis' abweichende Form der Christenpro-
zesse: aber auch diese tritt nicht, wie bei den Griechen, offen
als das auf, was sie in Wirklichkeit ist, eben Beschwerde —
eine solche könnten die praesides mit Berufung auf ihre
manch da kurzer Hand abweisen — , sondern wieder als Glied
der Beweiskette: caus der Prozeßform selbst ergibt sich, daß
ihr das Christentum mit den Verbrechen, die ihr sonst ver-
folgt, nicht auf eine Stufe stellt, daß ihr gar nicht darauf
aus seid, ein begangenes Verbrechen festzustellen und zu
strafen, sondern nur den Namen Christen verfolgt'. Diese
Fassung gibt Gelegenheit, alle Einzeibeschwerden nicht nur
vorzubringen, sondern, worauf Tert. mit Nachdruck und
offenbar mit besonderer Freude an der pointierten Hervorhebung
der inneren Widersprüche verweilt, das Unbillige, den eigent-
lichen Aufgaben des Strafprozesses Widerstreitende des Ver-
fahrens zu unterstreichen.
Die Beschwerde der griechischen Apologeten beschränkt II 1—5
sich auf den einen Punkt, daß man den Christen auf sein
Bekenntnis hin verurteilt, ohne zu untersuchen, ob er unrecht
getan hat. Hiervon sieht Tert., wie schon oben gesagt, ganz
ab und faßt andere Eigentümlichkeiten des Christenprozesses
ins Auge. Er geht davon aus, daß das Verbot des Christen-
tums die Überzeugung von der Schuld der Christen voraus-
setzen müßte und fragt, wie die Richter unter dieser Voraus-
setzung: eigentlich vorgehen müßten. Nat. I 2 hebt er zweierlei
hervor, was jener Voraussetzung widerspricht: 1. Man sucht
den geständigen Christen durch die Folter zum Widerruf zu
zwingen, glaubt dagegen dem ableugnenden Christen ohne
weiteres: beides im Gegensatz zu der Praxis gegenüber ge-
wöhnlichen Verbrechern. 2. Man begnügt sich mit dem Ge-
ständnis, ohne die näheren Umstände des Verbrechens zu
erforschen, wie es z. B. beim Mörder schon deswegen geschieht,
weil man etwaigen Mitschuldigen auf die Spur kommen will.
Nur kurz, in der Form der praeteritio, wird ein dritter Punkt •"
berührt, der Wegfall von Anklage und Verteidigung vor
300 Richard Heinze: [II 6 — 9
Gericht. Aus jenen beiden Punkten ergibt sich, daß die oben
genannte Voraussetzung nicht zutrifft: neque confessionem
recipiendo . . . neque exquisitionem digerendo . . . iam apparet
omne in nos crimen non alicuius sceleris, sed nominis dirigi.
Bestätigt wird das durch die Fassung des Urteils: es be-
zeichnet den Verurteilten nur als Christen , subsumiert ihn
nicht unter irgend eine Verbrecherkategorie. Im Apol. ist
die strenge Geschlossenheit dieses Aufbaus zunächst dadurch
gestört, daß jener dritte nur transitorisch berührte Punkt hier
für sich behandelt und an die Spitze gestellt wird, weil Tert.
damit auf den Ausgangspunkt des ganzen Prooemiums, die
Motivierung der Apologie, zurückgreifen kann; er verknüpft
damit in nicht ganz einwandfreier Weise das, was dort auf
jene praeteritio folgte, das Fehlen der examinatio criminis, das
ja Sache des praeses, nicht des Anklägers oder Verteidigers
ist. Jene Sonderstellung des ersten Punktes stört hier die
Geschlossenheit der Deduktion, denn gerade si certum est nos
nocentissimos esse, so mußte sich Tert. sagen, begreift es sich,
daß Anklage und Verteidigung beseitigt wird.
II 6—9 Hinzugefügt hat sodann Tert. hier die Erwähnung und
Kritik von Trajans Reskript an Plinius, an das er vielleicht
erinnert wurde, als er für seine Darstellung des bisherigen
Verhaltens der Kaiser gegen die Christen (V) das Material
suchte. Er legt alles Gewicht auf den Widerspruch, der zwischen
dem Verbot des Fahndens auf die Christen1) einerseits, und
dem Gebot der Bestrafung angeklagter und geständiger Christen
andererseits bestehe, betont also einen Punkt, der in Trajans
Reskript von nebensächlicher Bedeutung war2), und übergeht
1) Traianus rescripsit, hoc genus inquirendos quidem non esse, ob-
latos vero puniri oportere. Daß hier mit inquirere ganz dasselbe gemeint
ist, was Trajan mit conquirere ausdrückt, ergibt sieb aus dem folgen-
den, wo als Synonymum vestigare und requirere erscheint; man kann
also Tert. niebt wobl vorwerfen, er babe das Reskript '"umgeformt'
oder 'gefälscht' (Geffcken, S. 284; 168,5; vgl. dens. Gott. Nachr. 1904,
S. 281).
2) Denn nach dem conquirere hat Plinius gar nicht gefragt, hat
es auch offenbar vorher nicht ausgeübt, wie sich aus seinem Brief er-
116 — 9] Tertullians Apologeticum. 301
das prinzipiell Wichtige in seiner Entscheidung, daß nämlich
lediglich die Haltung des Angeklagten im Prozesse selbst für
das Urteil maßgebend sein und nicht danach gefragt werden
solle, ob der das Christentum Ableugnende einmal Christ ge-
wesen sei. Das berührt sich mit dem in der folgenden Er-
örterung beiläufig getadelten — nobis si negaverimus statim
creditis II 13 dbsolvimur negantes 19 — , ohne sich doch damit
zu decken; der Grundsatz, daß Verleugnung des Christentums
straffrei macht, ist offenbar der Zeit so geläufig, daß Tert.
seinen Widerspruch zu der kriminellen Auffassung des Christen-
tums gar nicht empfindet; aber vielleicht wäre er doch darauf
aufmerksam geworden, wenn er den Briefwechsel des Plinius
und Trajan im Original gelesen hätte.1) Bewerkenswert aber
ist, daß er die Verfügung Trajans durchaus nur als historische
Notiz, ohne Beziehung auf die Gegenwart einflicht2): invenimus,
sagt er, inquisitionem quoque in nos prohibitam: diese Ein-
führung läßt sich nur begreifen, wenn es sich um eine nicht
gibt; Mommsens gegenteilige Behauptung (Jur. Sehr. III 410, 1) beruht
auf einem unzutreffenden Schluß aus Trajans Worten. Trajan will nur,
indem er Plinius' Praxis bestätigt, dessen Bedenken wegen der großen
Menge der Christen beschwichtigen, das allerdings sehr gegründet wäre,
wenn der Prokonsul zum conquirere verpflichtet wäre.
1) Daß dies nicht der Fall war, hält auch Merrill, Wiener Stud.
XXXI (1909) 251 ff. für wahrscheinlich, freilich nur auf Grund eines
Mißverständnisses von Tert.s Worten damnatis quibusdam Christian is.
quibusdam de gradu pulsis, die er mit den älteren Erklärern dahin
versteht, Plinius habe einige Christen verurteilt, andere ihrer Würden
beraubt. De gradu pellere geht vielmehr auf diejenigen Christen, die
negabant esse se Christianos aut fuisse (Plin. 96, 5) oder die esse se
Christianos dixerunt et mox negaverunt (6); die Wendung eigentlich
vom Gladiator, der aus seiner Position weichen muß, dann übertragen
z. B. Com. Nepos Them. 5 (barbarus) Herum ab eodem (sc. Themistocle)
gradu pulsus est, und so fortis et constantis est, non . . de gradu deici
ut dicitur Cic. off. I 80, wozu gehört Tert. ad Scap. 4 Asper, qui modice
vexatum hominem et statim deiectum nee sacrificium compulit facere.
2) Die Praesentia solum Cliristianum inqui/ri >>oii licet, offerri licet
usf. dienen nur der Lebhaftigkeit der Alterkation, vorher wird Trajan
angeredet quid temetipsum censura circumvenis usf.
3<D2 Richard Heinze: [II 6—9
allgemein bekannte Tatsache handelt. Eine inquisitio gegen die
Christen kann in Afrika unter Septimius Severus ebensowenig
als verboten gegolten haben1), wie sie es unter Markaurel in
der Lugdunensis war, wo der Statthalter nach dem Bericht
der Christen über die Verfolgung Örj^oöCa exeXsvöev . . avu~
£r}Tei6&tti Tidvtag rjfiäg (Euseb. h. e. V i, 14). Daß das Reskript
Markaureis über die abergläubischen Erregungen (Dig. XL VIII
19, 30), auf die Christen bezogen, hier den Wandel geschafft
habe, ist möglich, wenngleich mir nicht wahrscheinlich; sicher
hat zu Tertullians Zeit die Bestimmung Trajans nicht mehr
in Kraft gestanden, mag auch die Praxis der Statthalter ebenso
wie bei den meisten anderen Gesetzesübertretungen im all-
gemeinen die gewesen sein, eine Anklage oder doch Denun-
ziation abzuwarten.2) Zu diesen Übertretungen gehören frei-
lich diejenigen nicht, die Tert. denn auch einzig zu Trajans
Bestimmung in Gegensatz stellt: auf Banditen (latrones) und
Aufrührer (hostes publici, womit Tert. die reos maiestatis nicht
1) Es scheint noch nicht beachtet, daß bei den Christenverfolgun-
gen tertullianischer Zeit die müites eine Rolle gespielt haben, die ich
mir nur als kriminalpolizeiliche (Mommsen, Strafr. 312) erklären kann, die
aber verschieden sein muß von der Apol. II 8 erwähnten gegen die latro-
nes gerichteten militaris statio. Vgl. de fuga 12 S. 484 Oeh. tu pacisceris
cum delatore vel milite; ib. 487 miles me vel delator vel inimicus concutit;
T3, 49° talem pacem Christus mandavit a militibus redimenda») ; 14, 491
neque enim statim a populo eris Mus, si officio, militaria redemeris;
apol. VII 3 tot hostes eins (sc. disciplinae nostrae) qtwt extranei, et
quidem proprie ex aemulatione Judaei, ex concussione müites. Es muß
also gar nicht selten gewesen sein, daß Soldaten durch die Drohung mit
der Verhaftung oder Anzeige von Christen Geld erpreßten.
2) Der Fall, den Tert. ad Scap. 4 berichtet, wo der Richter Pudens
(C. Valerius P., Procons. Africae zwischen 209 und 211, cf. P. de Lessekt,
Fastes des prov. Äfr. I 249) einen ihm cum elogio zugeschickten Christen
entläßt sine accusatore negans se auditurum secundum mandatum ist
auch durch K. J. Neumann, Staat u. Kirche I 33, 1 nicht aufgeklärt. Ein
von einem Munizipalmagistrat ausgestelltes und unterzeichnetes elogium
hätte nach Trajans Bestimmungen zweifellos dem Richter genügen
müssen. Mommsexs Auffassung ist mir aus seiner Bemerkung Strafr. 3 1 5, 1
nicht deutlich geworden.
II io— iy] Tertullians Apologeticum. 303
ganz richtig vorbindet) zu fahnden, ist natürlich zu allen Zeiten
Pflicht der Behörden gewesen, und wenn Tert. fortfährt söhim
Christ Hamm inquvri non licet, so ist das eine sophistische Aus-
legung der trajanischen Vorschrift.
Der dritte Abschnitt nimmt wieder einen Gedanken des II 10—17
älteren Werkes auf und erweitert ihn in der Ausführunsr:
'die übrigen Verbrecher foltert ihr, damit sie gestehen, die
Christen allein, damit sie leugnen": das ist ein Thema, pracht-
voll geeignet zu sententiöser Behandlung im Stile der Dekla-
mationen: Sätze wie veritatis extorquendae praesides de nobis
solis mendarium elaboratis audire, oder confiteor et torques; quid
faceres, si negarem? würde man sich nicht wundern unter
den sentmtiae des älteren Seneca zu finden. In Wahrheit
beruhen alle diese scharfzugespitzten Antithesen, die einen
arglosen Hörer wohl blenden und von dem Widersinn der
heidnischen Praxis überzeugen können, auf der falschen Vor-
aussetzung, daß die Zugehörigkeit zum Christentum, wenn sie
bestraft wird wie ein schweres Verbrechen, auch aus dem
gleichen Grunde wie andere Verbrechen bestraft werden müsse:
während bei diesen der Staat eine begangene Missetat sühnen,
beim Christentum in erster Linie seine weitere Ausbreituno-
hindern will und also zu den Mitteln greift, die ihm hierzu
geeignet erscheinen. Und wenn wirklich, wie es nach dem
von Tert. vorgebrachten und widerlegten Einwurf "sed, opinor,
non vidtis nos perire' scheint, die Folterung gelegentlich an-
gewandt worden ist, um den Angeklagten vor der Hinrichtung,
wenn auch gegen seinen Willen, zu bewahren, — Tert. sagt
'um den Richter vor dem Zwange zu bewahren, ein Urteil
zu fällen, dessen Ungerechtigkeit ihm bewußt ist' — so
kann zwar auf den ersten Blick frappieren Tert.s Folgerung
'also haltet ihr uns für gänzlich unschuldig, sonst würdet ihr
nicht die Möglichkeit zum Freispruch erzwingen'; in Wahr-
heit ist es nicht der Freispruch, sondern der Abfall vom
Christentum, den der Richter erzwingt, und durch den der
Zweck des Gesetzes erreicht wird. — Eine streng fortschreitende
logische Entwicklung wird hier nicht gegeben; es ist im
304 Richard Heinze: [II 18. 19
Grunde der eine Gedanke, der hin und her gewendet in immer
neuen Lichtern aufblitzt; für den Schluß aufgespart ist ein
Argument, das in der Tat den Richter bedenklich machen
konnte, viel mehr als alle Pointen vorher: wer bürgt euch
dafür, daß der freigesprochene Renegat nicht, sobald er dem
Tribunal den Rücken kehrt, euch auslacht und wieder Christ
wird? Das dient nicht mehr dazu, wie die übrigen Glieder
der Kette, zu beweisen, daß die Heiden selbst im Christentum
kein scelus sehen; es entspringt direkt dem Wunsche Tert.s,
die heidnischen Gegner von ihrer Praxis abzubringen, die
entweder die Qualen der Märtyrer erhöht oder — schlimmer
noch — Abtrünnige schafft. Aber Tert. hütet sich wohl,
diesen Wunsch durchblicken zu lassen: er führt den Gedanken
ein mit der Frage unde ista perversitas , ut etiam illud non
recogitetis . . und weist damit zurück auf die vorher geäußerte
Mahnung suspecta sit vobis ista perversitas , ne qua vis lateat
in occulto, quae vos contra ipsas quoque leges ministret. Damit
wird zum ersten Male, noch dunkel, auf die Dämonen hin-
gedeutet, wie dann auch in der Rekapitulation (18) mit quae-
dam ratio aemulae operationis. Den Dämonen schreibt auch
Justin die Perversität der Christenprozesse zu (I 5): aber er
drückt sich deutlich aus und sagt bei dieser Gelegenheit gleich
das Wichtigste, was von den Dämonen zu sagen ist: er keimt
eben nicht die berechnende Kunst Tert.s, der mit seinen An-
deutungen eine gewisse Spannung erweckt, aber der späteren
Enthüllung der dämonischen Machenschaften nicht vorgreift.
II 18. 19 Somit ergibt sich aus dem ganzen Verfahren die Richtig-
keit der These, die nunmehr mit größerer Entschiedenheit
wiederholt wird: intellegere potestis non scelus aliquod in causa
esse, sed nomen: daher die bewußt aufrecht erhaltene Un-
kenntnis des Christentums. Und was die Form des Prozesses
bewies, bestätigt die Form der Urteilsverkündigung: nur als
Christ, nicht auch als Mörder oder dgl. wird der Verurteilte
dabei bezeichnet. Das ist die urkundliche Bestätigung des
vorher Gesagten und steht deshalb mit Recht am Schlüsse;
auch verhilft es Tert. zu einer mit besonderer Kunst geformten,
III i—4] Tertullians Apologeticum. 305
gegenüber der Fassung in Nat. noch schärfer pointierten
Schlußsentenz des ganzen Abschnitts.1)
Wie das odiwm publicum (II 3) die Christenprozesse be- tn 1—4.
herrscht, so beherrscht es auch das private Leben der Heiden:
ihre Blindheit geht so weit, daß sie es fertig bringen, die
Tugend eines Christen zu loben und ihm ffleichzeitic sein
Christentum vorzuwerfen, ohne zu bedenken, daß beides zu-
sammenhängt. Oder sie meinen zu tadeln, und loben in Wahr-
heit, wenn sie beklagen, daß das Christentum einen vom leicht-
fertigen Leben errettet hat; oder sie handeln gar gegen ihren
Vorteil, indem sie Nahestehende, die erst durch das Christen-
tum gebessert sind, wegen des Christentums verstoßen. —
Diese Dinge hatte Tert. auch Nat. I 4, aber in anderem Zu-
sammenhange gebracht: er handelte dort, in einer Polemik
gegen die heidnischen Irrtümer, von der christlichen Wahrheit
und Sittlichkeit, in ziemlich nahem Anschluß an Justin I 5 — 7:
wie dieser, erwähnt Tert. den Sokrates, seine Bestreitung der
Götter und seinen Tod: apud vos eo minus sapiens, qnia cleos
abnuens, cum ideo sapiens quia deos abnuens. Daran schließt
sich aufs engste das Beispiel aus der Gegenwart an: nemini
sabvenit, ne ideo bonus quis et prudens quia CJiristianus. Im
Apolog. hat Tert., der strengeren Disposition zuliebe, die
Parallele zwischen Philosophen und Christen, sowie die Er-
wähnung des Sokrates auf später verschoben; jene Einlage
dagegen hat er beibehalten, aber dem Plane seines Prooemiums
1) CJiristianus si nullius criminis nomcn est, valde ineptum, si so-
Uus nominis crimen est (so richtig der Fuldensis, die anderen Hss.
weichen stark ab) 'wenn (wie es ja der Fall ist) das Wort Christianus
kein Verbrechen bezeichnet — es gehört nicht zu den ipsa nomina
scelerum, wie vorher gesagt war — , so ist es höchst töricht, wenn (wie
ihr es wollt) das Verbrechen einzig im Namen besteht': pointierter
noch durch die bis zur Verwirrung feinen Antithesen nullius criminis
nomen und solius nominis crimen als die Fassung Xat. 3 nullum cri-
minis normen exstat nisi nominis crimen est. Haktels Schreibung (Patr.
Skid. II p. 29) Chr. si nullius criminis nomen reus est, valde incertum si
e. q. s. tut der Sprache Gewalt an, zerstört die stilistische Pointe und
schwächt den Sinn.
306 Richard Heinze: [III 5—8
entsprechend neu orientiert, indem er alle jene Äußerungen
als Belege für das odium publicum anführt. Daher sind auch
die letzten Beispiele von den Bekehrten, Gattin, Sohn und
Sklave, die Undank für ihre Besserung ernten, umgeformt:
das odium zeigt sich darin, daß sie verstoßen werden — uxo-
rem eiecit, fdium dbdicavit, servum ab oculis relegavit; in
Nat. spielt das odium hier keine Rolle, und es heißt vom
Gatten, daß er, früher eifersüchtig, nun der Frau alle Freiheit
läßt: maluisse lupae quam Christianae maritum. — Übrigens
steht es mit diesem dritten Teil wie mit dem ersten: wie dort
die äußeren Erfolge der Propaganda, so sollen hier die inneren
Erfolge, die Besserung der Bekehrten dem Hörer gleich zu
Eingang vorgehalten werden: es geschieht auch hier nicht so,
daß der Selbstruhm abstoßend wirken könnte — die Aus-
führungen, die das ältere Werk anschloß, nee aliunde prodi-
mur quam de bono nostro usw. übergeht Tert. hier — sondern
als gleichsam notwendiges Glied der Beweiskette: mit dem
Schlußsatz tanti non est bonum quanti odium chrislianorum ist
der Gipfel der heidnischen geflissentlichen Blindheit erreicht.
III 5— 8 , Der Nachweis, daß der Christenname allein verfolgt
wird, ist geführt. Justin und Athenagoras begnügen sich mit
dieser Konstatierung, und nur Justin bemerkt noch nebenher,
daß, wenn überhaupt etwas auf den Namen ankomme, die
XQyötiavoL doch ebenso wenig wie das %q^6xöv selbst Haß
verdienten. Tert. geht auch hier mit einer ans Pedantische
streifenden Gründlichkeit der Sache nach und fragt, inwiefern
ein Name eine Schuld tragen könne: aber im Apol. verkürzt
er doch wenigstens die älteren Aufführungen: in Nat. war
durch den Hinweis auf die vitia von verba und sermo, Xs^sig
und löyog noch deutlicher gemacht, daß es sich auch beim
vocabulum bvo(ia nur um einen Verstoß gegen die Vorschriften
der Rhetorik handeln könne, die sowohl das xaxocpavov wie
das uIgiqov und das dvöcpiq^iov verbiete, was alles weder auf
Chrestianus noch auf das von %qCblv herstammende Christianus
zutreffe. Eine neue Pointe gegenüber Justin gewinnt Tert.
durch den Zusatz zu Chrestianus (was er ausdrücklich als per-
III 5—8] TertüIiLians Apologeticum. 307
peram pronuntiatnm bezeichnet), daß nicht einmal der Name den
Heiden wirklich bekannt sei: wieviel weniger also die Sache!
Aber in Wahrheit hat ja der Name nichts mit XQV0r^S
und nichts direkt mit %qCslv zu tun, sondern bedeutet die Zu-
gehörigkeit zu Christus: vielleicht gebührt ihm um deswillen
Haß. In der Tat mögen Heiden sich darauf berufen haben,
daß an einer Sekte nichts Gutes sein könne, die von einem
von der römischen Behörde zum Tode verurteilten Missetäter
herstamme: das ist ja auch das einzig Positive, was Tacitus
(Ann. XV 44) von Christus und den Christen weiß. Um dem
zu begegnen, müßte Tert. eigentlich die Vorurteile über Christus
zerstreuen: aber dazu ist natürlich im Prooemium nicht der
Platz, und Tert. geht also, auf Grund seiner früheren Er-
örterungen, wie von einer festgestellten Tatsache, davon aus,
daß die Heiden weder von der secta noch auch von ihrem
audor etwas wissen: nur auf Grund solchen Wissens könne
ja auch der Name als schlecht und hassenswert erwiesen
werden. Indessen da dies Wissen nicht vorliegt, so stellt sich
Tert., als müsse wohl ein anderer Grund vorliegen, um des-
willen secta oditar in nomine sui auctoris, und verweist also
zur Rechtfertigung auf die 'Sekten' der Philosophen, Gelehrten,
Köche, die sich nach ihrem Stifter (z. T. auch nach ihrem
Versammlungsort) nennen: woran doch niemand Anstoß nehme.
Das erscheint im Apolog. lediglich als Finte, mit der Tert.
sich stellt, als wisse er zunächst gar nicht, was der Einwurf
der Heiden bedeuten solle, daß nämlich der audor eben ma-
lus gewesen sei. Die originale Fassung der Erörterung in
Nat., die den Vergleich mit den Philosophenschulen nach ganz
anderer Richtung weiter führt, zeigt, daß die Anregung aus
Justin stammt, der in ähnlichem Zusammenhange (ap. I 4, 8 fg.)
die den Philosophen gegenüber geübte Duldung der anti-
christlichen Unduldsamkeit gegenüberstellt, wie Tert. a. a. 0.
Davon sieht das Apolog. hier ab, wieder um einer späteren
Erörterung des Verhältnisses zwischen Christentum und Phi-
losophie nicht vorzugreifen; geblieben ist hier nur jenes Schein-
argument.
308 Richard Heinze: [IV i. 2
Partitio und propositio: IV 1. 2.
IY 1. 2 Tert. wird nach dieser Vorrede nun zu seiner eigentlichen
Aufgabe übergehen, die Unschuld der Christen gegenüber den
von den Heiden erhobenen Beschuldigungen nachweisen; er
wird aber noch mehr tun und diese Beschuldigungen auf die
Heiden zurückwerfen, 'damit sie auch hieraus erfahren, daß
sich bei den Christen nicht findet, was bei ihnen selbst, ohne
ihr Wissen, sich findet1), und zugleich, damit sie sich schämen
anzuklagen, ich will nicht sagen als grundschlechte Menschen
ganz vortreffliche, sondern nach ihrer eigenen Behauptung,
ihresgleichen'. Diese Retorsion der Anklage wird die ganze
Schrift hindurch mit größter Konsequenz gehandhabt. Dient
sie wirklich dazu, wie es in der Apologie doch zu erwarten wäre,
die Unschuld der Christen zu erweisen? Offenbar hat Tert.
sich der dvtLicarrj'yoQia erinnert2), die in den Verteidigungs-
reden z. B. Ciceros eine gewisse Rolle spielt. Cicero versucht
nachzuweisen, daß nicht der angeklagte S. Roscius, sondern
sein Gegner T. Roscius den Mord begangen hat. In der Rede
pro Cluentio zeigt er, daß nicht, wie behauptet wird, sein
Klient, sondern dessen früherer Gegner Oppianicus das iu-
dicium Junianum bestochen habe. Auch die Beweisführung
der Miloniana, daß nicht Milo dem Clodius, sondern umge-
kehrt Clodius dem Milo nachgestellt habe, läßt sich hierher
ziehen, obgleich ja da der Status ein anderer ist. Eine solche
ävtixatrj'yoQtci im strengen Sinne wird im Prozeß selten mög-
lich sein, noch seltener den Erfolg haben, die Unschuld des
Angeklagten nachzuweisen: wozu ja zunächst die Voraus-
setzung ist, daß nur einer die betr. Tat begangen haben kann:
in den beiden letztgenannten ciceronischen ist es z. B. wahr-
scheinlich, daß die beiden von verschiedenen Seiten Beschul-
1) ut ex hoc quoque sciant homines in christianis non esse quae
in se nesciunt esse: der Fuldensis hat non nesciunt esse, doch vgl. IX 20
haec in vobis esse si consideraretis, proinde in Christianis non esse per-
spiceretis; idem oculi renuntiassent utrumque u. d. f.
2) d. i. mutua accusatio, ein genus comparativum , quo litigatores
idcm crimen invicem intentant Quint. III 10,4, vgl. VII 2, 9; 18 fg.
IV i. 2] Tertullians Apologeticum. 30g
digten auch wirklich beide schuldig waren, obwohl Cicero
sich bemüht, es so darzustellen, als handele es sich nur um
die Frage, welcher von beiden der Schuldige sei. In unserem
Falle der Christenprozesse kann alter die Frage uter fecerit
auch nicht einmal zum Schein gestellt werden, denn selbst-
verständlich könnten die Christen der Unzucht oder der Gott-
losigkeit schuldig sein, auch wenn von Heiden das Gleiche
gilt. Sehen wir aber auf die ursprüngliche Verwendung des
Motivs in Nat., so dient es dort ja auch durchaus nicht dem
Zweck, die von den Heiden erhobenen Anklagen als falsch
zu erweisen. Die avrfaax^yoQCu, die dort geschlossen für
sich steht (I 10 — 20) wird eingeleitet so: nunc vero eadrm
ipsa (calumniae tela) de corpore nostro vulsa in vos retorquebo,
eadem vulnera criminum in robis defossa monstrabo, quo
machaeris vestris admentationibusque cadatis. Am Schluß er-
folgt zunächst die ironische Aufforderung, da also, wie nach-
gewiesen, die Heiden ebensolche Sünder seien wie die Christen,
so solle man doch einträchtiglich zusammen gehen und zu-
sammen sündigen. Dann aber erhebt Tert. im Ernst die
Forderung, die Heiden, die den Splitter im fremden Auge,
aber nicht den Balken im eigenen sähen, sollten sich erst
bessern, ehe sie die Christen straften: besserten sie sich, so
würden sie selbst Christen werden. Es hält schwer, dem
Polemiker zu glauben, daß dies wirklich sein Ziel gewesen
sei; ernstlich im Auge behalten hat es Tert. jedenfalls im
Lauf der Polemik nicht. Sondern zum mindesten hat die
Oberhand gewonnen, wahrscheinlich aber ist überhaupt der
Ausgangspunkt des Ganzen gewesen der in jedem Streit, vom
Zank der Gasse bis zu den Invektiven im römischen Senat,
naheliegende und menschlich so begreifliche Wunsch, dem
Angreifer mit gleicher Münze heimzuzahlen, zunächst um ihm
den erlittenen Arger zu vergelten, sodann um ihn, wenn die
Gegenvorwürfe 'sitzen', zum Schweigen zu bringen. So ist
es bei den griechischen Apologeten schon, freilich nur in den
Anfängen: warfen die Heiden den Christen Unsittlichkeit vor,
so war es eine begreifliche Reaktion des guten Gewissens und
3 1 o Richard Heinze : [IV i .
o
der Entrüstung, wenn die Christen dem Gegner seine Laster
vorhielten. Keiner aber der Griechen hat daran gedacht,
diese Gegenanklage so systematisch durchzuführen, wie es
Tert. in seiner Invektive ad nat. getan hat; und aus der In-
vektive ist dann das Ganze, in Anlehnung wie gesagt an ein
Motiv der wirklichen Verteidigungsrede, in die Apologie über-
tragen, hier aber der ganze Stoff auf die einzelnen crimina
verteilt und jeweils nach der eigentlichen refutatio eingefügt.
Als Motiv ist in der propositio einmal das aus Nat. uns
Bekannte wiederholt (uti erubescant accusantes non dico pes-
simi optimos, sed iam ut volunt, compares suos); es ist aber
daneben der Versuch gemacht, eine über die ernsthafte Mah-
nung am Schlüsse von Nat. noch hinausgehende engere Be-
ziehung zur Apologie herzustellen — ut ex hoc quoque stiemt
homines in christianis non esse quae in se nesciunt esse — ,
das dann bei der ersten Gelegenheit (IX i) noch entschie-
dener wiederholt wird: haec quo magis refutaverim , a vobis
fieri ostendam, und am Schluß dieses Nachweises haec in vobis
esse si considerareritis , proinde in christianis non esse perspi-
ceretis, mit der höchst anfechtbaren Ausführung, daß zwei
Arten von Blindheit leicht zusammentreffen, ut qui non vident
quae sunt, videre videantur quae non sunt. Vergessen ist da-
bei auf alle Fälle die Fiktion, daß diese Apologie eine 'Ge-
richtsrede ersetzen soll: in diesem ersten Falle gleich, wo es
sich um die geheimöu Frevel der Christen handelt, wie sollte
es die praesides von der Unschuld der Christen überzeugen
können, daß es — ganz zu schweigen von den Excursen in
ferne Länder und Zeiten — auch unter den Heiden Kindes-
mord und Blutschande gibt? Man sieht, die ursprüngliche
invektivische Natur des Motivs hat sich zur apologetischen
nicht umwandeln lassen. Tert. selbst ist das gewiß nicht ent-
gangen: man sieht also weiter, daß ihm die Anrede an die
praesides nur Form, die Auseinandersetzung mit dem Heiden-
tum überhaupt das Wesentliche ist.
Die pariitio geht nicht ins einzelne: sie beschränkt sich
darauf, die beiden Hauptkategorien von Anklagen zu sondern:
IV— VI] TertuiiLians Apologeticum. 311
I quac in occulto admittere dicimur (c. VII — IX) und II quae
palam adinveniuntur (c. X — XLV). Der Unterschied ist äußer-
lich formuliert, liegt aber in Wahrheit tiefer: unter I werden
Untaten behandelt, die die Christen leugnen, begangen zu
haben (Status coniccturalis), unter II (mit ganz geringen Aus-
nahmen) Dinge, die die Christen zwar zugeben, deren Sub-
sumierung unter die betr. crimina sie aber bestreiten (status iuri-
dicialis): wie sie denn z.B. zugeben, den heidnischen Göttern
nicht zu opfern, aber bestreiten, daß dies sacrüegium sei. Für
Tert. ist wichtiger als diesen Unterschied hervortreten zu
lassen die Antithese von occulto und palam, an die sich dann
weitere, nicht der partitio dienende1), anreihen, um so den
Eindruck zu erwecken, daß Tert. alles erschöpfen wird, was
je gegen die Christen vorgebracht worden ist. Aber wenn
hier das vanum dem scelestum, das inridendum dem damnan-
dum gegenübersteht, so sagt Tert. schon damit, daß er sich
nicht auf das beschränken wird, was Anklage im strafrecht-
lichen Sinne ist: insofern mit Recht, als das odhim publicum,
dem sich die Richter anbequemen, auch auf den vana et
inridenda mit beruhen kann.
Refutatio IV— XLV.
Praemunitio. Eine Verteidigung des Christentums, die IV— VI
sich auf den Rechtsboden stellte, war nach Lage der Dinge
streng genommen unmöglich. Denn rechtlich kam eben einzig
die Christenqualität in Frage, die der Angeklagte selbst nicht
bestritt. Wenn also Tert. seinen Plan ausführen wollte, so
konnte das nur so geschehen, daß er prüfte, ob das, was die
1) Rauschen meint zwar in den vier oben weiterhin genannten
Gliedern eine zweite Partitio neben der zweigliedrigen zu finden, die
freilich auch mit der von ihm selbst p. 3 f. aufgestellten dreigliedrigen
eich nicht deckt. Aber es geht doch nicht an, die Gottlosigkeit als
vanum von der maiestas als damnandum zu scheiden, und wenn auch
in den Kap. XLVIff. vom irridendum mehrfach die Rede ist (XLVII
12; XLIX 4), so gehören, wie s. Zt. gezeigt werden wird, eben diese
Kapitel nicht mehr zum Körper der Apologie.
I'hil.-liist. Klasse igio. Bd. LXII. 2;
312 Richard Heinze: [IV— VI
Christen tun und lehren, strafwürdig sei nach den Grundsätzen
des gemeinen Rechts, abgesehen von dem Verbot des Christen-
tums als solchen. Diesen Standpunkt galt es vor Eintritt in
die eigentliche Verteidigung zu motivieren; es geschieht in
der eingehenden praemunitio IV 3 — VI, die man etwa ver-
gleichen kann der praemunitio Ciceros in pro Milone, wo
noch vor der narratio der Einwand beseitigt wird, daß jede
Tötung, auch die in der Notwehr, strafbar sei, und des
weiteren die Meinung widerlegt wird, daß der Senat und
Pompejus die Schuld des Milo bereits anerkannt und da-
mit ein praeiudicium gegeben hätten, das jede weitere
Verhandlung überflüssig mache. Tert.s Aufgabe ist freilich
weit schwerer: das Gesetz ist da; die Christen übertreten es;
wie das rechtfertigen? Hier ließ sich weder der Wille des
Gesetzgebers gegen den Wortlaut des Gesetzes, noch ein Ge-
setz gegen das andere ausspielen, noch ein Doppelsinn im Ge-
setze aufstecben, wie das alles in der Behandlung der legitima
constitutio auf den Rhetorenschulen gelernt wurde; wenn man
auch in der interpretatio des Gesetzes so weit ging, daß man
ein unzweifelhaftes Zuwiderhandeln, weil in diesem besonderen
Falle dem Staate nützlich, als der sententia des Gesetzgebers
entsprechend verteidigte, da dieser doch eben nur das Wohl
des Staates im Auge gehabt habe (Cic. de invent. I 68 ff.), so
war hier doch auch damit nichts anzufangen: die Absicht
des Gesetzgebers ist ja zweifellos nach Tert.s Ansicht schlecht
gewesen, und das Gesetz als Ganzes taugt nichts.1) Für
1) Ganz anders, und für Tert. Behr viel bequemer läge der Fall,
wenn die von ihm gemeinten leges nur die des allgemein geltenden
Strafrechts wären, aus denen die Strafwürdigkeit des Christentums
zwar deduziert wird, aber nicht mit Notwendigkeit deduziert zu wer-
den braucht ; also eben die Gesetze gegen maiestas und sacrilegium (so
u. a. Harnack, fChristenverfolgung' in der Protestant. Realenzykl. IIP
p. 825). In diesem Falle hätte Tert. nicht von schlechten Gesetzen,
sondern von falscher Anwendung der Gesetze sprechen, nicht auf Ab-
schaffung, sondern auf vernünftige Interpretation dringen müssen: für
einen Advokaten wie ihn eine äußerst reizvolle und lohnende Aufgabe.
Er wendet sich nicht ihr zu, sondern wagt sich an die schwerere, ja auf
V — VIj Terthllians Apologeticum. 313
solche Fälle strikten Zuwiderhandelns, ohne Zwantr und ohne
Not, versagt die Praxis des Verteidigers: er müßte zur de-
precatio greifen, und das hat Tert. von vornherein (I 2) aus-
drücklich abgelehnt. Eine Waffe gibt es aus dem Rüstzeug
der Philosophen (Aristot. rhet. I 15), deren sich Cicero in
rechtem Wege gar nicht zu bewältigende: er versucht, die Tatsache, daß
das Christentum gesetzlich verboten sei, mit der andern zu vereinen, daß
die Christen trotzdem Christen bleiben wollen. Wenn Tert. behauptet,
nur die schlechten Kaiser brächten dies gesetzliche Verbot zur Geltung
(soli exsecuntur), ja Trajan habe es zum Teil umgangen (frustratus est)
und daraus wieder folgert, daß das Gesetz nichts taugt (quales ergo
leges istae . . .), so ergibt sich auch daraus nur, daß das Verbot als
solches besteht und von Tert. anerkannt wird; er ist aber der Meinung
— mit welchem Recht ist eine andere Frage — daß die guten Kaiser,
und demnach auch ihre Beamten, das Gesetz ignoriert hätten, was ja
doch bei Strafbestimmungen, die nicht dem eigentlichen rStrafgesetz-
buch', den Konstitutionen der iudicia publica angehören, nichts Un-
erhörtes ist. Tert. sagt cum iure (?) definitis dicendo 'non licet esse vos*
et hoc sine ullo retractatu humaniore praescribitis, vim profitemini: so
heißt dies nichts anderes als res besteht die Bestimmung, daß man
nicht Christ sein darf ; dieselbe Bestimmung erscheint in den Acta
Apollonii (23) als Senatskonsult (und zwar nicht als ein erst während
des Prozesses gefaßtes: das wird ganz willkürlich hineininterpretiert,
und unmittelbar als falsch erwiesen durch Ap.' Worte 14 in. iyio phr xb
Soyua rqg ovyY.Xrjrov yivdrfxco): wer an die Echtheit der Erzählung der
Acta glaubt, wird daraus m. E. eine urkundliche Bestätigung von Tert.s
Angabe entnehmen müssen; wer die unverfälschte Echtheit leugnet,
wie ich es tue, wird trotzdem an eine echte Unterlage glauben und
die Existenz des Senatskonsults , auf das sich der Richter beruft, an-
nehmen dürfen; wer es für eine Erfindung des christlichen Litteraten
hält, wird die Übereinstimmung mit Tert.s Satz schwer erklären, diesen
selbst aber höchstens auffassen können als eine pointierte Formulierung
des bestehenden Rechtszustandes — wohlgemerkt, nicht der augen-
blicklich herrschenden Praxis der Gesetzesinterpretation — , und wird
dann annehmen müssen, daß Tert. unter den leges, die er bekämpft,
lediglich die zur Regelung der Christenprozesse erlassenen Verordnun-
gen der Kaiser meint, welche die Strafbarkeit des Christentums voraus-
setzen. Mit Tert.s Ausführungen ließe sich diese Annahme vielleicht
zur Not, aber eben nur zur Not vereinigen. — Übrigens kann ich auch
Athenagoras' Wort: icp' r)(itv Y.slßfrcti vouov c. 7 nur von einem aus-
drücklich gegen die Christen gerichteten Gesetz verstehen.
25*
314 Richard Heixze: [IV 3 — 13
seinen letzten Tagen auch im politischen Rechtsstreit zu be-
dienen gewagt hatte (Philipp. XI 28): die Berufung auf das
über dem geschriebenen Rechte stehende göttliche, das Recht
der Natur, und man könnte von Tert. gerade in seinem
Falle eine solche Berufung erwarten1): aber nein, damit
würde er zu offensichtlich die Bahnen prozessualer Erörterung
verlassen, in denen er sich freilich in Wahrheit doch nicht
strikt halten kann. Er argumentiert so:
IY 3 — 13 1. 'Euer Verbot des Christentums ist reine Gewalt und
Tyrannei, wenn es einfach erfolgt ist, weil ihr so wollt, nicht
weil das Christentum nicht existieren durfte. Wolltet ihr
aber das Christentum nicht, weil es nicht erlaubt sein durfte
— nun, es darf das nicht erlaubt sein, was schlecht ist, und
eben damit ist entschieden, daß erlaubt ist, was gut ist (bene
fit). Finde ich also, daß das, was dein Gesetz verboten hat,
gut ist, so kann es mich offenbar nach jener Entscheidung
nicht daran hindern, woran es mich von Rechts wegen hin-
dern würde, wenn es schlecht wäre.' — Si bonum invenero
esse, quod lex tua prohibuit — : d. h. es bleibt dem Urteil
jedes Einzelnen anheimgestellt, ob er sich einem Gesetze fügen
zu sollen meint oder nicht. Das ist eine große Wahrheit,
gewiß, und bleibt eine solche, so oft sie auch falsch ange-
wendet worden ist: aber es ist eine revolutionäre Wahrheit,
die das Prinzip der Gesetzgebung aufhebt; jeder praeses im-
perii Bomani, dem diese Sätze vor Augen kamen, mußte
1) Wie man sie denn in der Tat bei ihm gefunden hat: Monceaux
p. 225. Ebenda einiges über den erst im Zeitalter der Antonine bei
den großen Juristen und den Kaisern klar auftretenden Begriff des
Naturrechts, der allmählich die ganze Gesetzgebung umgestaltet habe,
und über die geschickte Benutzung dieser neuen Geistesrichtung durch
Tertullian: das schwebt alles in der Luft, und seltsame Verkennung
der Tatsachen ist, was ebendort von Tert.s bei dieser Gelegenheit be-
wiesenen technisch-juristischen Bestimmtheit gesagt wird. — Origenes
hat dann mit voller Bestimmtheit das Recht und die Pflicht verfochten,
dem göttlichen Gesetze da zu folgen, wo das menschliche ihm wider-
streitet und hat damit die Christen verteidigt: s. die Stellen bei
K. J. Neumann Staat und Kirche I 234.
IV 3 — 13] Tertullians Apologeticum. 315
über den seltsamen Verteidiger den Kopf schütteln.1) Es ist
doch noch etwas anderes, ob Cicero eine gesetzwidrige poli-
tische Handlung damit rechtfertigt, daß sie nach dem Rechte
erfolgt sei quod Juppiter ipse sanxit, ut omnia quae rei
publicae salutaria essent, Icgitima et iusta haberentur — oder
ob Tert. und seine Glaubensgenossen ein eigens gegen sie
erlassenes Gesetz ablehnen, weil es nicht 'gut' sei.
2. Daß aber ein Gesetz schlecht sei, führt Tert. fort,
könne nicht verwundern, sei es doch von einem Menschen
gemacht, nicht vom Himmel gefallen.2) So habe man denn
von alters her und noch in neuester Zeit Gesetze als schlecht
erkannt und beseitigt und werde das auch weiterhin tun
müssen: nicht Alter und Würde des Gesetzgebers, sondern
die Billigkeit allein empfehle ein Gesetz, die unbilligen da-
gegen würden mit Recht verurteilt. — Ein locus communis,
anwendbar in jeder Beratung über Aufhebung eines beste-
henden Gesetzes, nicht am Platze den praesidcs gegenüber,
die als Richter die bestehenden Gesetze anzuwenden, nicht mit
den Angeklagten über ihre Aufhebung zu diskutieren haben.
Die rechte Adresse wäre hier allein der Kaiser, wie in den
griechischen Apologien.
3. Ungerecht aber ist dies Gesetz, weil es auf den Na-
men hin Handlungen bestraft, ohne daß geprüft würde, ob
sie begangen sind, ob sie sich rechtfertigen lassen. 'Kein
Gesetz verbietet, das zu erörtern, was es nicht geschehen
lassen will, weil weder der Richter gerechter Weise straft,
wenn er nicht erkennt, daß etwas Unerlaubtes getan ist, noch
der Bürger getreulich den Gesetzen folgen kann, wenn er
nicht weiß, welcher Art das ist, was das Gesetz ahndet.' Un-
1) In Nat. fehlt dieser Passus, und die ganze Erörterung über
das gesetzliche Christenverbot (I 6) ist dadurch auf eine andere Basis
gestellt, daß hier nicht der Richter, sondern die christenfeindliche
Menge sich auf die Gesetze beruft, um die Schlechtigkeit der Christen
zu beweisen, die doch dem Gesetzgeber bekannt gewesen sein müsse.
2) Nequc enitn de caelo venit, gewiß nur sprichwörtliche Wen-
dung, keine ernsthafte Leugnung göttlichen Ursprungs.
316 Richard Heinze: [V
zweifelhaft richtige Sätze, mit großer Kunst so formuliert,
daß sie scheinbar auf das Vergehen des Christentums ebenso
passen wie auf jedes gewöhnliche Verbrechen. Gewiß hindert
das Gesetz nicht, z. B. in einem Majestätsprozeß den Begriff
der maiestas durch Ankläger und Verteidiger erörtern zu
lassen, damit sich der Richter ein Urteil bilde, ob die an-
geklagte Tat unter das Majestätsgesetz fällt, und, mag man
hinzusetzen, der Bürger sich darüber belehren könne, was das
Gesetz im Auge hat; aber niemals wird in einem Majestäts-
prozeß erörtert werden dürfen, ob es erlaubt sei die maiestas
zu verletzen oder nicht: eine entsprechende Diskussion aber
verlangt Tert. für den Christenprozeß. Die trefflichen Sen-
tenzen, mit denen er den Abschnitt schließt, können über die
Sophistik des Ganzen nicht hinweghelfen.
V 4. Es folgt, als weiterer Beweis für die Schlechtigkeit
der Gesetze, ein historischer Überblick über das Verhalten
der Kaiser zum Christentum, aus dem sich ergeben soll, daß
nur die schlechten Kaiser es verfolgt haben. Dieser Über-
blick, voller Fabeln und historischer Irrtümer, ist höchst
lehrreich für die Auffassung der Christen, unter denen es eine
einigermaßen zuverlässige Tradition über die Entwicklung
ihres Verhältnisses zum Staat nicht gab; wir brauchen uns
dabei nicht aufzuhalten1), nur sei daran erinnert, daß auch
Justin sich dem Kaiser Antoninus Pius gegenüber, freilich mit
aller gebührenden Vorsicht, auf ein die Christen begünsti-
gendes Reskript seines Vaters Hadrian (von recht zweifel-
hafter Echtheit) beruft, Iva, xal xara xovxo uXrj&eveiv ij^iäg
yvojQityrs: das mag dem Tert. Anstoß zu seiner umfassenden
Übersicht gegeben haben. Allerdings ist bei dieser Annahme
um so erstaunlicher, daß Tert. die Behauptung wagen konnte,
Pius und Verus hätten die Gesetze gegen die Christen nicht
anwenden lassen2), da doch Justins Apologie sich an diese
1) Eine sehr ausführliche, nur leider der kritischen Sicherheit er-
mangelnde und darum wenig fördernde Besprechung des Einzelnen gibt
Güignebert, Tertullien (Paris 1901) p. 61 ff.
2) Leges . . quas adversus nos soli exsequuntur impii, incesti . .
VI] TertuiiLians Apologbticum. 317
richtet mit der Bitte, die bisher unter ihnen geübte Praxis
der Christenprozesse abzustellen.
Von aufgehobenen Gesetzen war schon vorhin die Rede: VI
da lag der Nachdruck auf der Schlechtigkeit der Gesetze, die
es infolgedessen verdienen, abgeschafft zu werden. Aber so-
lange sie bestehen — so konnte man ihm antworten — muß
man sich ihnen fügen. Demgegenüber richtet Tert. schließ-
lich an die religiosissimi legum et paternorum inslitu forum
protectores et ultores die Gewissensfrage, ob sie denn nicht
selbst von so und so vielen consulta maiorum, die niemals
tatsächlich aufgehoben worden waren, abgefallen seien: ge-
rade die nützlichsten, die sich gegen Luxus, Ausschweifung
und Zuchtlosigkeiten, auch gegen fremden Aberglauben rich-
teten, sind abhanden gekommen, wie ausführlich daro-eWt
wird. Landaus sempcr antiquos, sed nove de dir civitis.
"Woraus erhellt, daß, während ihr von den guten Satzungen
der Vorfahren abgeht, ihr das festhaltet, war ihr nicht solltet,
wenn ihr das nicht bewahrt, was ihr solltet.' Über den
Götterkult, der gleichfalls vernachlässigt und vernichtet wird,
den Altvordern zum Trotz, soll später ausführlich gehandelt
werden. Sehr geschickt hat Tert. gleich im ersten Satz mit
den leges die instituta paterna verbunden und so zu diesen
übergeleitet; in Wahrheit handelt es sich dann vornehmlich
um diese. Das hat mit der Aufgabe der ganzen praemunitio
direkt nichts mehr zu tun, denn die instituta maiorum sind
an sich nicht rechtlich verbindlich. Der ganze toTtog stammt
denn auch aus anderem Zusammenhange: Nat. 10 ist der
erste Vorwurf, den Tert. auf die Heiden zurückschleudert,
das divortium ab histitutis maiorum'. die im Apol. ausführ-
licher behandelten Gebiete — cultus, habitus, apparatus, vic-
quas nuUus Hadrianns . . nullus Pius, nullus Vcrus impressit: Tert.
mochte sich durch den Ausdruck iniprimere salviert fühlen, der ja frei-
lich vom unbefangenen Leser als Synonymon von exsequi aufgefaßt
werden wird, aber auch gedeutet werden kann als fnachdrücklich ein-
schärfen', was in der Tat für die genannten Kaiser kaum zutreffen
würde.
3 1 8 Richard Heinze: [VII— IX
tus — werden dort nur gestreift, um so ausführlicher auf dem
der Götterverehrung verweilt , die wieder im Apol. nur be-
rührt wird, um die spätere eingehende Behandlung anzukün-
digen. Aus dem ursprünglichen Zusammenhange erklärt sich
auch der vorwurfsvolle Ton des Ganzen: dem Gedanken der
Apologie würde es viel mehr entsprechen, wenn Tert. dieje-
nigen Punkte hervorhöbe, in denen der Abfall von der Väter-
Bitte einen Fortschritt bedeutet.
A. Die facinora occulta VII — IX.
VII— IX Die Verteidigung der griechischen Apologeten gegen die
Verdächtigungen wegen Kannibalismus und Inzest1) laufen
wesentlich darauf hinaus, die Unfähigkeit der Christen zu
solchen Verbrechen darzutun durch den Hinweis auf ihre
sonstige Lebensführung und Lehre. Daneben, nicht eigent-
lich als Argument für die Unschuld, wird der Gegenvorwurf
erhoben: die behaupteten Sohandtaten werden vielmehr von
den Göttern der Heiden und von den Heiden selbst verübt.2)
Was die Beweise der Gegner betrifft, so gibt Justin zu, daß
falsche 'Christen' (d. h. Häretiker) derartiges verübt haben
mögen (I 26, 7), und er weiß auch von belastenden Aussagen,
die durch die Folter erpreßt worden sind; damit ist durchaus
vereinbar, wenn Athenagoras konstatiert, keiner der Angeber
sei so schamlos, zu behaupten, er habe die Frevel selbst ge-
sehen, und auch von den Sklaven der Christen habe keiner
derartiges bezeugt (35). Tertullian läßt den Beweis aus der
sonstigen christlichen Lebensführung zurücktreten, ohne aber
ganz auf ihn zu verzichten: mit dem argumentum a minore
ad malus schließt er die drei Beweisreihen der Retorsion ab.3)
Dagegen gestaltet er den negativen Beweis der mangelnden
Zeugenaussagen reich aus und entwickelt aus den Gegenvor-
1) Vgl. über Vorwurf und Verteidigung das reiche Material bei
Gepfcken 167. 231 ff.
2) Just. II 12. Athenag. 32. 34. Theoph. III 3. 8, der auch auf die
heidnischen Philosophen verweist, die solche Laster empfehlen (5 fg.).
3) IX 8. 13. 19.
VII] TEItTULLIANS Al'OLOGETICUM. 3*9
würfen der griechischen Apologeten eine Reihe von Argu-
menten, ;iuf die er das größte Gewicht legt.
Die einfache Konstatierung der Tatsache, daß keine Be- VII
weise für die christlichen Frevel je erbracht seien, genügt
dem advokatorischen Verteidiger nicht.1)
i. Ein erster Beweis ergibt sich ihm schon daraus, daß
die Richter den Verbrechen nicht nachforschen: daraus, daß
sie das nicht wagen (weil sie nämlich wissen, daß es ver-
gebens sein würde), folgt, daß das Verbrechen nicht existiert.
2. Die Angeber: Feinde haben wir von jeher genug, und
wir werden oft genug bei unseren Zusammenkünften über-
rascht: aber weder a) hat uns einer je auf frischer Tat er-
tappt, b) noch Spuren gefunden und dem Richter gewiesen;
während doch c) an eine Unterdrückung der gefundenen
durch Bestechung nicht zu denken ist.
3. Wendet man aber ein, es sei uns eben immer gelungen,
unsere Missetaten vor den Aufpassern zu verbergen, so könnte
nur der Verrat von Teilnehmern die Dinge ans Licht gebracht
haben. Auch das ist a) weder geschehen, noch b) konnte
es geschehen, weder a) von Zugehörigen, die sich ja dadurch
der göttlichen und irdischen Strafe aussetzen würden, noch
ß) von Nichtzugehörigen, die natürlich hier noch weniger
zugelassen werden als bei . anderen Mysterien.
Es bleibt die Fama. In Gegensatz zum Beweis der
Anklage hatten auch die griechischen Apologeten die cptjiir}
xovyiqü (Just. I 3), die xoivr) xal cixQirog xCov ävd-QÖyjccov
(frj^irj (Athenag. 2, xolvi) xccl äloyog «JP^?;, axQtxog tojv %ol-
Xav (pt]^irj ebd., (pr^i} xeideö&ui jtooxarföp/ftfV /; Theoph. ad
Autol. III 4) gestellt. Tertull. greift das auf, gestaltet aber
1) Von einer 'verächtlichen Handbewegung', mit der Tert. diese
Anschuldigungen ablehne, ohne sich lange dabei aufzuhalten, da ja
die praesides doch nicht daran glaubten, redet Monceaux p. 227, sehr
mit Unrecht: sämtliche Argumente, die in Nat. vorgebracht wurden,
kehren wieder, z. T. freilich knapper, aber darum nicht weniger ernst-
haft gefaßt. Es widerspräche Tert.s Art durchaus, solche Dinge nicht
mit vollem Nachdruck zu behandeln.
320 Richard Heinze: [VII
die Epitheta tiovyjqcc und axQirog zu einem reichen locus
communis im Sinne der rednerischen Praxis aus, wobei er an
einen berühmten Virgilvers anknüpft, im weiteren aber gegen
Virgil polemisiert.1) Insofern nun die fama der einzige index
(VII 13) ist, den die Gegner zur Verfügung haben, vertritt
dieser locus communis zugleich die von der rhetorischen
Praxis geübte Verdächtigung der Glaubwürdigkeit gegnerischer
Zeugenaussagen: ich erinnere zum Vergleich etwa an die Art,
wie Cicero pro Cael. 9, 2 1 fg. die gegen Caelius auftretenden
Leumundszeugen verdächtigt, oder pro L. Flacco 4, 9 den
griechischen Belastungszeugen von vorn herein mit dem Ein-
wand begegnet, daß testimoniorum religionem et fidem numquam
ista natio coluit usf.
Die Ausführung über die Fama setzt ohne Übergang
oder Einleitung ein: natura famae omnibus nota est. Erst am
Schluß — hunc indicem adversus nos profertis etc. — wird ein
nicht ganz ungezwungener Versuch gemacht, den Zusammen-
hang mit dem Früheren herzustellen: statt auf Zeugen, könnt
ihr euch einzig auf die Fama als Angeberin berufen. Auch
zum Folgenden ist keine deutliche Verbindung geschaffen: Tert.
geht da auf die Verbrechen selbst ein, und man hat etwa zu
1) Aen. IV 188 tarn ficti pravique tenax quam nuntia veri. Da-
gegen Tert. : ne tum quidem, cum aliquid veri defert, sine mendacii
vitio est . . . quid quod ea Uli condicio est ut non nisi cum mentitur
perseveret, et tamdiu vivit quamdiu non probat. Siquidem ubi probavit,
cessat esse et quasi officio nuntiandi funeta rem tradit. Also: das
Gerücht wird, sobald es Tatsachen meldet, zur Nachricht. Nur auf
den ersten Blick identisch, aber doch wohl durch Tert. angeregt, lautet
die Antithese in dem einzigen Satze, den Minucius 28, 6 der fama
widmet: nee tarnen mirum (nämlich, daß ihr die quaestio im Christen-
prozeß so verkehrt handhabt: zurückgreifend über die Parenthese his
enim . . . referserunt) , quoniam fama, quae semper insparsis mendaeiis
alitur, ostensa veritate consumitur: angesichts der Wahrheit stirbt die
fama. Die Sentenz ist recht an den Haaren herbeigezogen. — Auch
bei der Erwähnung des allmählichen Wachstums der fama von
kleinem Anfang denkt Tert. an Virgils parva metu primo, mox sese
attollit ad auras etc.; 195 liaec passim dea foeda virum diffundit in
o-ra, cf. quantacumque illa ambitione diffusa sit Tert. VII 11.
VIII] Tertullians Apologeticum. ,321
ergänzen cwenn die Fama an sich schon wenig Vertrauen
verdient, so ist sie in diesem Falle vollends unglaubwürdig,
denn . . .' Ursprünglich war, wie Nat. lehrt, der Zusammen-
hang der einzelnen Stücke der Argumentation anders konzi-
piert. Dort geht Tert. von der Fama aus: auf sie berufen
sich die Gegner als ausreichendes Fundament der gegen die
Christen erlassenen Gesetze; also wird sie zunächst diskredi-
tiert, und es reiht sich daran ganz ungezwungen der Vorwurf,
daß man noch nicht gefragt habe, wer denn wohl in diesem
Falle die Fama, gesetzt sie sei wahr, habe aussprengen
können: Christen? Fremde? Hausgenossen (die im Apolog.
weggelassen sind)? Oder geht die Fama auf einen seinerzeit
einmal entdeckten Fall zurück — warum hätte die Entdeckung
sich nicht seitdem wiederholt (dies Argument ist im Apol.
an die Spitze gestellt, natürlich ohne die Anknüpfung an die
Fama)? Man sieht, dadurch daß Tert. im Apolog. von vorn
herein auf die Widerlegung der Anklagen ausging, hat die
ganze Argumentenreihe die Front gewechselt, und es sind
dadurch Verschiebungen der einzelnen Teile eingetreten. Die
Übersichtlichkeit des schematischen Aufbaus und die Schärfe
der Argumentation, für die Gerichtsrede von großer Wichtig-
keit, hat dadurch gewonnen, der leichte Fluß der Gedanken-
entwickelung dagegen ist mehrfach unterbrochen.
Tert. geht nun auf die Verbrechen selbst ein, d. h. er VIII
geht, rhetorisch gesprochen, von den 7ti6xet£ axeyvoi zu den
svxsyvoi über: diese an die Gerichtsrede sich anlehnende
Disposition ist in Nat. noch nicht vorhanden, sondern das
was hier über das Begehen der Verbrechen gesagt wird, steht
dort im weiteren Verfolg der soeben angeführten Argumen-
tation, um zu zeigen, daß die Christen selbst solche Frevel
unmöglich verschweigen können. — Da keine bestimmten Einzel-
fälle zur Prüfung; vorliegen, kann Tert. nur die Unwahrschein-
lichkeit der Beschuldigungen generell dartun, und zwar be-
schränkt er sich hier darauf, das probabUe ex causa zu be-
sprechen. Dabei ist zunächst die eigentliche Präzisierung der
Anklagen selbst von Wichtigkeit. Die griechischen Apologeten
322 Richard Heinze: [VIII
sprechen davon nur in ganz allgemeinen Wendungen, von
Menschenfresserei — nicht von Kindsmord1) — und schranken-
losem Geschlechtsverkehr2), der allerdings wie die Päderastie,
so auch den Inzest einschließt, aber nicht mit ihm identisch
ist. Daß diese Thyesteen und Oedipodeen3) ein Bestandteil der
christlichen Riten seien, wird höchstens angedeutet, nirgends
mit voller Bestimmtheit ausgesprochen4); als Motiv der Un-
i) Athenagoras c. 35 schließt sogar selbst erst von dem Vorwurf
der av&Qconocpccyia auf den der ccv&gcoitocpovLa, kennt also die Anklage
des rituellen Kindsmordes jedenfalls nicht.
2) Theoph. ad Autol. III 4 noiväg andvxcov ovßag xag yvvamag
7][iäv %al äöiacpögm fu'|fi ov vövxag , ixt [irjv xai xaig l&iaig adsXcpatg
cv^ifiiyvva&at . . . -accl 7tao<bv ßagxiöv av&gwnivcav icpänxsa&ai, i]H&g.
Justin I 26, 7 rag &viSr\v [li&tg n«i av&gcoTcivmv ßagnäv ßogag, be-
sonders deutlich II 32, 2 xig yug (fiXvßovog 7} ocxgaxijg xal äv&gcoitlvwv
aagxcav ßogäv äya&bv r\yov[isvog und weiter dibg nnn\xal ytvofisvoi iv
xä uvSgoßaxsiv v.al yvvai^lv adswg (liyvva&at. Tatian 25 nag' f}filv
ov% ißxiv äv&Qconocpayicc. Athenag. 34 fg. ßagxüv anxtßd'ai ccvQ'gcüTttKobv,
7ta.6aeQ'aL xgtwv av&Qa>7tiHwv. 32 rb iic abtiag xai abiacpogag niyvvo&at.
3) Den Ausdruck — ©vtoxiia Selitva, OiSinoSsioi (ii^sig — braucht
Athenag. 3, stellt dann in Gegensatz dazu x&v öiioysv&v ov% anxsxai
xal vöyup cpvasag . . . ovx in ccSüag \iiyvvxai. Der Ausdruck kehrt
wieder im Bericht der lugdunensischen Christen bei Euseb. h. e. V 1, 14,
und hier ist in der Tat, wie V 1, 26 zeigt, an das naidia yayiiv ge-
dacht (so dann auch Orig. c. Gels. II 27 xaxa&vßavxsg nuidlov fifra-
Xa^ßävovciv avxov xäv aagxwv). Aus der profanen Literatur kenne ich
die Wendung nur aus dem anon. de physiognom. II p. 33 Förster, wo
gesagt wird, daß uniformiter rollende Pupillen den betreffenden als
mit den ärgsten Freveln besudelt zeigen, et aut homicidiis domesticis
aut infandis cibis vel conubiis esse pollutum, quales Thyestae vel Terei
tibi vel qualia Oedipodis conubia fuisse memorantur ; bei Polemon, aus
dem der anon. schöpft, ist (I p. 110F.) neben Oedipus genannt Pelopis
filius, qui filium epulans inventus est (vgl. Adamant. Phys. I 307 F.).
Polemon ist älterer Zeitgenosse des Justin.
4) Aus Justins Erzählung (apol. I 29) von dem Christenjüngling,
der beim Präfekten um die Erlaubnis zur Kastration einkommt, um
zu beweisen ort ovx Igxiv tj(lZv iivgxt\qlov r\ av£dr\v (il^ig geht hervor, daß
diese aviSr\v filzig als unerläßliche Vorschrift für die Christen angesehen
worden ist, und an die Vorstellung ritueller Frevel streift es auch, wenn
nach dial. c. Tryph. 108 die Juden von Christus ausgesprengt haben,
debida%£vai v.al xuvxu ccjtig . . . xaxä xätv biioXoyovvtav Xqi6x6v . . . itavx)
VTII] Tertullians Apologetici m. 323
taten scheint widernatürliche Lust zu gelten, der bei den
aremeinsamen Zusammenkünften unter dem Deckmantel der
Religion gefröhnt wird; danach ist begreiflich, daß z. B.
Athenagoras in diesem Zusammenhange großes Gewicht auf
D DD
den Glauben der Christen an Unsterblichkeit und jenseitige
Vergeltung legt, durch den sie wie von anderen Freveln, so
von den hier besprochenen zurück gehalten würden (36).
Für Tertullian dagegen ist gerade die Unsterblicheit der Lohn
für diese Frevel, ihre Begehung Voraussetzung für die Auf-
nahme in die Christengemeinde — sie gelten durchaus als
Initiationsriten1), nicht als regelmäßige Bestandteile aller
yivu Scv&Qmitcov ä&sa y.cc\ avoftec xal ccvöüia Xzysrs. Justin ist auch der
einzige, der über die geschlechtlichen Ausschweifungen deutlichere An-
gaben macht (I 26 tä övacprifiu inslva \Lvftoloyoviisva ?<?ya, Xv%vlccg
(ihv ccvatQOTti]v ncä tag uv£dr\v pi^eig, Vgl. dial. 10 ort, di) ia&iousv
Kvd'QmTtovg xal llstcc xi\v sH.unlvr\v . . cctitoiiotg fii^Sßiv iyAvXi6[L£%a),
die sich mit den von Tert. vorausgesetzten, von Minucius 9, 6 aus Fronto
belegten Vorstellungen decken. Usener (Religionsgesch. Unters. I 102)
schloß daraus, daß Justins Apologie durch Frontos Brandschrift Kegen
die Christen angeregt sei (seine Datierung der Apol. auf 138 ist mittler-
weile durch die Fixierung des I 29 erwähnten Präfekten Felix end-
gültig widerlegt); aber es ist doch zu beachten, daß Minucius den
Cäcilius sagen läßt et de convivio notum est; passim omnes locuntur,
id etiam Cirtensis nostri testatur oratio, also sich nur auf das Zeugnis
des Fronto für eine allgemein verbreitete Fabel beruft. Daß sie
es wirklich war, zeigt auch die Kürze der Andeutung, mit der Tert.
sich begnügen kann. — Ob Frontos Rede im Senat, wie Usener meinte,
oder vor Gericht gehalten ist, läßt sich nicht ganz sicher feststellen;
im letzteren Falle müßte er einen, wegen eines anderen Verbrechens
angeklagten zugleich als Christen verdächtigt haben: wahrscheinlicher
ist nach Cäcibus' Ausdruckweise, daß es sich um eine eigens gegen die
Christen, also im Senat gehaltene Rede handelt.
1) Diese Restriktion hat Tert. erst hier im Interesse der Eindeutig-
keit der Anklage vorgenommen; Nat. I 15 hieß es noch nos infantieidio
litamus sive initiamus. Ebenso steht dort noch das visceribus miliare
neben dem (p. 69) sanguinem lambere, vgl. I 7 quis unquam semeso
cadaveri supervenit. Daß die zu Tert.s Seelenlehre nicht gut stimmende
Äußerung im folgenden (p. 71) speeta morientem animam antequam vixit
im Apolog. VIII 2 mit Bedacht durch adsiste morienti homini antequam
vixit ersetzt ist, hat Hartel gesehen, Patr. Stud. II p. 17.
324 Richard Heinze: [VIII
Zusammenkünfte — und religiöse Pflicht. Das Bild der Frevel
selbst ist völlig klar; es sind drei an der Zahl: 1. Tötung eines
kleinen Kindes mit dem Messer; die Tötung gilt als Opfer,
daher darf auch angeblich das Kind nicht weinen (VIII 7).
2. In das Blut tauchen die Anwesenden ihr Brot und ver-
zehren es so [sanguinis pabulum, nicht öagniöv ßoQcc). 3. Nach
dem Mahle, in der in bekannter Weise herbeigeführten Dunkel-
heit, Pflicht des Inzests mit Mutter und Schwester. Man
sieht, die Unbestimmtheit der von den Griechen genannten
Anklagen ist hier durch feste, klare Aufstellung verdrängt;
Tert. will etwas Bestimmtes zu widerlegen haben, wie es die
einzelnen Punkte einer kriminellen Anklage sind, um dann fest
zugreifen und jede Einzelnheit packen zu können. Erst in
der von Tert. angenommenen Fassung wird es ganz zweifellos,
daß es sich um eine Anklage gegen eine religiöse Institution
der Christen, nicht um eine Verdächtigung vereinzelter Aus-
schweifungen handelt. Von den Details ist vielleicht keines
von Tert. erfunden, aber die Zusammenstellung ist offenbar
sein Werk; einzig mit Minucius berührt er sich näher: darüber
am Schluß dieses Abschnittes.
Tert. beruft sich in seiner Widerlegung auf die Natur —
ganz wie Justin im Dialog (Tryph. 10) selbst den Gegner
den Glauben an diese Dinge ablehnen ließ mit der Begrün-
dung TtÖQQCo yuQ X£%cb()rjxE rijg dv&QOTiCvrjg (pvßecog.1) Tert.
appelliert an den Gegner, und indem er dessen Behauptung
1) Dagegen Athenag. c. 3 widerlegt nicht (Geffcken p. 167) die
Anklage durch den Hinweis darauf, daß sie wider die Natur sei,
sondern gibt eine amplificatio der Frevel teils um seinen eigenen Ab-
scheu auszudrücken, teils um den Kaisern vor Augen zu führen, welches,
die Richtigkeit der Anklagen angenommen, ihre Pflicht wäre im Gegen-
satz zu der jetzt obwaltenden Laxheit. Auch bezieht sich im folgen-
den der von den Tieren befolgte vö^iog cpvGeag nur auf die (Li&tg (wie
yvcoQifei Sh xcu vcp' oov dxpsXsiTat. Gegensatz zur oc&t6vr}g ist — Ath.
'schreibt' also hier nicht 'einfach seine Quelle aus'), und cpvaiKtä Xöyca
ngbg tijv ccqsti]v Ty\g y.uv.iag avriKSL^vrig heißt nicht 'alle Laster
streiten gegen die Natur', sondern erklärt nur, warum diaßoXcä xsvai das
Christentum verfolgen.
VIII] Tertullians Apologeticum. 325
voraussieht, daß der den Christen für ihre Frevel verheißene
Lohn — die Unsterblichkeit — ein gewaltig großer sei, stellt er
diesen gleich von vorn herein in Rechnung: demgegenüber,
mit einer der deCvcoöig dienenden Anschaulichkeit, rhetorischer
ivÜQysicc, die Beschreibung des frevelhaften Akts. Aber die
einfache Vorwegnähme der Antwort: 'dergleichen ist in der
Tat unglaublich' genügt ihm nicht; er konstruiert ein Di-
lemma: 'wenn du einen Menschen dessen für fähig hältst, bist
du selbst im stände es zu tun; wenn du es aber nicht selbst
tun könntest, darfst du es auch keinem anderen Menschen
zutrauen1), und der Christ ist ja doch ein Mensch wie du.2)' —
Es ist ein ungewöhnlicher Kunstgriff, die amplificatio crimntis,
die den Zwecken des Anklägers zu dienen pflegt, im Interesse
der Verteidigung zu venvenden; das ist nur dann am Platze, wenn,
wie hier, die Geringfügigkeit oder Nichtigkeit des Belastungs-
materials auf der Hand liegt. Wir haben einen ganz ähnlichen
Fall in Ciceros Jugendrede pro Roscio Amerino: 13, 37 occi-
disse patrem Sex. Boscius arguitur. Scelestum di inmortales
1) Bedenklich ist, daß Tert. , der hier mit der Unfähigkeit des
Anklägers, solche Frevel selbst zu begehen, argumentiert, nachher,
seinem Schema des retorquere crimina getreu, fortfährt (IX) haec quo
magis refutaverim, a vdbis fieri ost endet m, per quod forsitan et de nobis
crediäistis: wenn es also, mußte der Gegner erwidern, bei uns vorkommt,
warum sollen wir es euch nicht zutrauen? Der Widerspruch erklärt
sich daraus, daß die erstere Stelle fast wörtlich aus dem Werk ad
nationes übernommen ist (I 7), wo die entsprechende Gegenanklage
erst später und in anderem Zusammenhange folgt (I 15).
2) Diese Tatsache wird, so setzt Tert. voraus, auch vom Gegner
nicht bestritten, und auf ihr beruht seine Argumentation. Wenn vorher-
geht alia nos, opinor, natura, cynopennae aut sciapodes; alii ordines
dentium, alii ad incestam libidinem nervi, so ist das ersichtlich über-
treibende Ironie, nicht wirkliche f Abwehr des Vorwurfs, die Christenheit
sei etwas ganz unmenschlich Eigenartiges' (Haunack, Mission u. Ausbr.
F 229). Die Bezeichnung der Christen als tertium genus (nächst gentiles
und Juden) zieht Tert. ad nat. I 8 nur mit Verdrehung der eigentlichen
Bedeutung des Ausdruckes in diesen Zusammenhang (so urteilt auch
Haknack 231): er sucht nach einem Vorwand, die Bezeichnung zu be-
kämpfen.
326 Richard Heinze: [VIII
ac nefarium facinus atque eiusmodi, quod uno maleficio omnia
complexum esse videatur, und besonders 22, 62 . . res tarn
scelesijj, tarn atrox, tarn nefaria credi non potest. magna est
enim vis humanitatis, midtum valet communio sanguinis, re-
clamitat istius modi suspicionibus ipsa natura; portentum at-
que monstrum certissimum est esse aliquem humana specie et
figura, qui tantum immanitate bestias evicerit e. q. s.
Gegen Tert.s Argumentation ist der Einwand möglich:
man läßt bei euch die Neophvten diese Verbrechen begehen,
ohne daß sie selbst es wissen; nachher — so ist der Ge-
danke zu ergänzen — fühlen sie sich durch das Getane ge-
bunden. Wir würden diesen Einwand kaum verstehen, wüßten
wir nicht durch Minucius, daß ihm in der Tat, wenigstens
was den Kindsmord angeht, eine Fabelei der Christengegner
zugrunde liegt: der tirunculus, so erzählte man sich (9, 5),
werde dadurch getäuscht, daß ihm infans farre contectus, ut
decipiat incautos, adponitur . . is infans a tirunciäo farris super-
ficie quasi ad innoxios ictus provocato caecis occultisque volneri-
bus occiditur. Tert. berichtet das nicht, setzt aber offenbar
die Kenntnis bei seinen Hörern voraus — ebenso wie er ja
auch die Fabel von den Hunden, den Kandelabern und den
Brocken in einer nur für den Kenner verständlichen Kürze
andeutet. Anders als Minucius bezieht er die fallacia, durch
die der ahnungslose Neuling getäuscht wird, auch auf den
Inzest: das ist nur konsequent, denn sonst würde ja der
Gegner für diesen Tert.s früheres Argument zugeben. Tert.s
Widerlegung verläuft nicht ganz glatt. Man würde erwarten:
1. die Annahme ist unwahrscheinlich, 2. träfe sie zu, so wäre
damit doch für die Anklage nichts gewonnen. In der Tat
finden wir: 1. es ist unglaublich, daß die neu Eintretenden
nie von diesen Fabeln vorher gehört hätten, und also nicht
wüßten, Vorsicht sei nötig (6). 2. quid nunc, et si ista omnia
ignaris praeparantur? a) sie erfahren es doch später und
finden sich damit ab; b) schweigen dann jedenfalls nicht aus
Furcht darüber; c) und wie kommt es, daß sie dann trotz-
dem bei der christl. Gemeinde ausharren? (8. 9.) — Dazwischen
IX] Tertullians Apologeticum. 327
schiebt sich aber (7—8) die Prosopopöie des pater sacrorum,
der dem sich anmeldenden Neuling die Requisiten für die
Einweihung aufzählt1), witzig erdacht, aber recht verstanden
nur ironisch die Möglichkeit zurückweisend, daß derartige Frevel
jemandem zugemutet werden könnten. Vergleichbar ist etwa das
supponierte Zwiegespräch zwischen dem Schauspieler Roscius
und dem Cluvius, mit dem Cicero die Annahme, Cluvius könne
zu gunsten des Roscius gelogen haben, witzig zurückweist (pro
Rose. com. 16, 49). An seinem Orte paßt unser Stück schlecht,
denn es handelt sich hier nicht mehr darum, daß der Neo-
phyt wissentlich frevelt; im richtigen, ursprünglichen Zu-
sammenhange ist es Nat. I 7 erhalten*); Tert. hat es auch
hier nicht missen wollen und sich nicht gescheut, dem ein
kleines Opfer der Geschlossenheit zu bringen.
Es folgt die Retorsion der Anklagen. Tert. disponiert sehr IX
scharf: I. Mord. 1. Sakraler, a) von Kindern, b) von Erwach-
senen; 2. Nichtsakraler Kindsmord. — Gegenstück: bei den
Christen selbst Abtreibung verpönt. II. Bluttrinken. 1. in
vergangenen Zeiten; 2. gegenwärtig, a) sakral, b) nichtsakral.
— Gegenstück : bei den Christen selbst der Genuß von Tier-
blut verpönt. III. Inzest 1. unter Göttern, 2. unter Menschen,
a) wissentlich: Perser, Makedonier, b) unwissentlich: Römer.3)
— Gegenstück: absolute Keuschheit der Christen. Sodann (20)
1) Oehler vergleicht sehr gut Apul. Metam. XI 28, wo der Isia-
priester indidem . . . praedicat quae forent ad usum teletae necessario
praeparanda.
2) Dort wird getrennt aut statim audita, si prius demonstrantxr,
— und diese Möglichkeit des prius demonstrari durch die fragliche
Prosopopöie widerlegt — aut postea reperta, si interim celantur.
3) Auf die Möglichkeit des unwissentlichen Inzestes als Folge der
Kindesaussetzung und der Verbreitung der Prostitution hatte Justin I 27
hingewiesen; Tert. nimmt das ad Nat. I 16 p. 87 auf und geht von der
Aussetzung aus, gelangt aber dazu, zwei Möglichkeiten zu statuieren:
1. Inzest mit einem ausgesetzten oder in Adoption gegebenen, 2. mit
einem außerehelich gezeugten und dem Vater unbekannten Kinde. Im
Apol. ist diese Teilung dann von vornherein ins Auge gefaßt und durch-
geführt, und daher hat sie Minucius 31, 4 dum Venerem promiscue spar-
gitis . . . dum etiam domi natos . . . exponitis.
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 26
328 Richard Heinze: [IX
Abschluß der ganzen Argumentation. In allen drei Stücken
beginnt Tert. mit zeitlich und örtlich Fernliegendem und
endet mit der römischen Gegenwart; ganz im Stil einer wirk-
lich gehaltenen Gerichtsrede ist die Apostrophierung der Ko-
rona und der Gerichtsherren IX 6: quot vultis ex Ms circum-
stantibus et in christianorum sanguinem hiantibus, ex ipsis
etiam vobis iustissimis et severissimis in nos praesidibus apud
conscientias pulsem, qui natos sibi liberos enecent?
Wenn den Christen widernatürliche Frevel und Lüste
vorgeworfen werden, so war es eine fast selbstverständliche
Äußerung ihres guten Gewissens und ihrer Entrüstung über
die heidnische Unsittlichkeit, die Vorwürfe zurückzugeben: tä
cpavEQ&s v^ilv TtQatro^iEva xal tL^äfieva . . rj^ilv itQoöyQacpsxe
oder <xldE<3&r}T£ cc cpavsQdg TtQccxxsxe alg uvcaxCovg ävcccpsQOvxeg,
xal tä 7tQO(56vTcc xccl iccvxolg xccl xolg vfisxeQoig ftsolg ttsql-
ßdlXovxeg xovxoig cjv ovdhv ovo' &%\ Ttoöbv fistovöta eöxCv
sagt Justin (I 27; II 12), ovxoi a övviöaGiv ccvxolg xccl rot>g
öcpsxsQovg ksyovöi freovg, i% ccvx&v ag 6£[ivä xal x&v ftsäv
u£,iu <xv%ovvxsg, tavxa r\iiäg XoidoQovvxut Athenagoras (34).
Dabei wird im allgemeinen an die heidnische Unsittlichkeit ge-
dacht, die sich auch in den Mythen von den ehebrecherischen
und päderastischen Neigungen der Götter (Ath. 32, Just. II 12)
wiederspiegele, und bezüglich des Kannibalismus wird an blu-
tige Riten der Heiden erinnert.1) Aber weder hat einer der
uns vorliegenden griechischen Apologeten daran gedacht,
diese Gegenvorwürfe als Widerlegung der erhobenen An-
klagen auszugeben, noch auch ist jemand darauf verfallen,
1) Kqovov tLVOTiJQia Just. II 12. Juppiter Latiaris ebd. und Tatian. 29,
Theoph. III 8 : die übrigen darauf bezüglichen Stellen aus späteren
christlichen Schriftstellern (von Heiden nur Porphyr, de abstin. II 56) bei
Marquardt-Wissowa Staatsverw. IIP 297. Ich bemerke, daß bei den
Autoren älterer Zeit nie von einem eigentlichen Menschenopfer, son-
dern nur davon gesprochen wird, daß das Bild des Gottes mit dem
Blut (eines zu den Tieren Verurteilten) bespritzt wird; auch Minucius'
Latiaris Juppiter homicidio colitur et . . hominis sanguine saginatur (30, 4)
hebt sich deutlich von dem Vorhergehenden immolare, victimas caedere,
in sacriflciis viventes obruere ab.
IX j Tertullians Apologeticum. 32g
ganz systematisch eine Liste der heidnischen Frevel in ge-
nauer Entsprechung zu den angeblichen christlichen aufzu-
stellen. In dem Exkurs über die heidnische Unsittliehkeit,
durch den Justin I 27 das christliche Verbot der Aussetzung
Neugeborener begründet1), wird beiläufig auch die Gefahr des
unwissentlichen lnzests erwähnt, der sich die Heiden aus-
setzen: im übrigen wird bei den Gegenvorwürfen, wie nach
dein oben Gesagten zu erwarten ist, weder auf den Inzest be-
sonderes Gewicht gelegt, noch speziell auf Fälle von Blut-
trinken gefahndet.2)
Tert. nun hat alle^ Material, das er vorfand, im Sinne
seiner aggressiven Verteidigung verwertet, es aber erheblich
erweitert, indem er teils Dinge hineinbezog, die die griechi-
schen Apologeten in anderem Zusammenhange, z. B. bei der
Besprechung der heidnischen Kultriten (Athen. 26: taurische
Artemis) oder der Verschiedenheit der heidnischen Sittengesetze
(Tatian 28: Ehen von Mutter und Sohn) vorgebracht hatten,
teils aus anderen Quellen vo^iipia ßaQßaQixa sammelte, teils
endlich die römische Vergangenheit (Catilina) und Gegen-
wart ausnutzte. Dabei wurde das Gewicht auf die speziell
ins Auge gefaßten Frevel gelegt: sakraler Kindsmord, Trinken
von Menschenblut, Inzest, sodann aber ähnliche Frevel —
Menschenopfer und Tötung oder Aussetzung Neugeborener,
Leichen verzehrung, fellatio — ergänzend und steigernd ange-
reiht. Wo irgend angängig, wird die Wirkung dieses Sünden-
registers durch veranschaulichende ÖsivcJöts verstärkt; auch
schreckt Tert. vor Gewaltsamkeiten hier so wenig wie ander-
1) Von Tötung der Neugeborenen ist bei den Griechen nicht
die Rede, es liegt ihnen eben nichts an der genauen Responsion der
Verbrechen; auch wird die Aussetzung ebensowenig wie die Abtreibung
(Athenag. 35) als gleichwertig dem Kannibalismus hingestellt, sondern
beides nur erwähnt als bei den Christen verpönt, denen darum erst
recht nicht Kindsmord zuzutrauen sei.
2) Nur Justin II 12 stellt zu dem angeblichen ca/torro? iintinXuafrui
der Christen zwar nicht bluttrinkende Heiden, aber die mit Blut be-
sprengten Götzenbüder in Parallele; Tert. steht ihm auch hier unter
den Griechen am nächsten.
26*
330 Richard Heinze: [IX
wärts zurück: wie gesucht ist es z. B., als Gegenstück zu dem
angeblichen Kannibalismus der Christen anzuführen, daß die
Heiden das Fleisch von Tieren essen, die in der Arena mit
Gladiatorenblut bespritzt wurden! Das sind freilich Dinge,
über die wir uns in einer hitzigen Advokatenrede oder in
einer Schulcontroversia nicht wundern dürften, die aber dem
Geiste der älteren Apologetik gänzlich fern stehen.1) Ver-
schiebt sich doch für Tert.s advokatorischem Blick gelegent-
lich die Sachlage so, daß er redet, als handele es sich um
eine GvyxQiöig der heidnischen mit den — in Wirklichkeit
ja gar nicht vorhandenen — christlichen Freveln: crudelius
in aqua spiritum (infantium) extorquetis2) aut frigori et fami
et canibus exponitis; ferro enim mori aetas quoque maior opta-
verit (IX 7) und multum homicidio parricidium differt (IX 4).
Dagegen tritt das Mythische bei Tert. ganz zurück: hier, wo
es auf die Lebensführung ankommt, lassen sich dem keine
wirksamen Argumente entnehmen; nur gleichsam als Rede-
schmuck wird an den kinderfressenden Saturn, an den in-
zestuösen Juppiter erinnert, und die Fabel von der taurischen
Artemis dem Theater überlassen.
Minucius formuliert die Anklagen sehr ähnlich Tert.; unzweideu-
tiger noch als dieser bezeichnet er das Kinderopfer als Einweihungsritus
(9, 5) und scheidet davon den Inzest, der sollemni die bei den epulae
verübt wird und mit dem Kult selbst, wie es scheint, nichts zu tun hat.
Von der Ausführung des Mordes gibt er nocb bestimmter als Tert. nur
eine Version, die den Neophyten arglistig getäuscht werden und das
Verbrechen unwissentlich begehen läßt; in der Widerlegung freilich
(30, 1) nimmt er darauf keine Rücksicht, sondern fragt wie Tert., ob
ein Mensch wohl sich entschließen könne, ein so junges Geschöpf zu
morden; wobei nur die Jugend, nicht auch, wie bei Tert., die Unschuld
1) Was in der Gerichtsrede noch einigermaßen erträglich ist,
wirkt bei Minucius, der c. 30, 6 auch diesen Satz unter anderem selt-
samen wiederbringt, fast komisch; für die Gerichtsrede, nicht für den
'philosophischen' Dialog, ist das Motiv erfunden.
2) Ertränkung der Neugeborenen (nicht Erdrosselung wie bei
Minueius) auch bei Seneca dial. III 15: portentosos fetus extinguimus,
liberos quoque, si debiles monstrosique editi sunt, mergimus. Von der
Einschränkung st' . . sunt sagen Tert. und Minucius natürlich nichts.
VII— IX] Tertullians Apologetici;.m. 331
betont wird, wie denn überhaupt die ergreifende ivägysiu der ganzen
Tertullianstelle in der matten rhetorischen Frage des Min. völlig ver-
dunkelt ist. Und wenn es schon bei Tert. bedenklich erschien, daß
diese Gegenanklage so bald auf die kräftige Ablehnung der Möglich-
keit solcher Verbrechen folgt — wir erklärten das als Rudiment der
älteren Fassung (ob. S. 325, 1) — , so wirkt es bei Min. vollends verblüffend,
daß von jener rhetorischen Frage 'glaubst du, daß jemand solches zu
tun imstande ist?' nur das Sätzchen nemo hoc potest credere, nisi qui
possit andere überleitet zu einer mit Tert. im wesentlichen überein-
stimmenden Aufzählung der entsprechenden heidnischen Frevel. Qui
possit audere sagt Min. vorsichtig, denn genau Gleichwertiges vermag
er freilich den Heiden nicht nachzuweisen: diese sachlich berechtigte
Vorsicht bricht aber freilich der ganzen Retorsion die Spitze ab. Tert.
empfand die Schwierigkeit auch recht wohl; eben deshalb konstruierte
er zwei gesonderte Frevel: Mord und Bluttrinken: da ließ sich fast
genau Entsprechendes geben. Daß an sich der Gedanke, den Heiden
eine bis ins einzelne genau durchgeführte Gegenrechnung aufzustellen,
aus der Konzeption eines Werkes wie ad nationes sich leichter erklärt
als aus dem Plan eines Dialogs wie des Oktavius, das steht mir zwar
fest; indessen könnten da andre andrer Meinung sein. In der Durch-
führung der Retorsion des Kannibalismus hat Min. das tertullianische
Material geschickt benutzt, auch einiges neue, das nicht eben fern lag,
hinzugetan; einzelne kleine Anstöße erklären sich leicht dem, der an
die Priorität Tert.s glaubt;1) beweisen ließe sie sich aus diesem Ka-
1) 30,2 vos enim video procreatos filios . . adstrangulatos misero mortis
genere elidere: warum misero m. q.? doch wohl weil Tert., dem viel
daran liegt, die Kindertötung der Heiden, obwohl sie ja nicht rituell
ist, als mindestens gleichwertig dem angeblichen Frevel der Christen
hinzustellen, sagt (IX 7) siquidem et de genere necis differt, utique cru-
delius in aqua spiritum extorquetis (longiore morte ad nat. I 15), aut
frigori et fami et canibus exponitis; ferro enim mori aetas quoque
mttior optaverit. — Die Bezeichnung der Abtreibung als origincm futuri
hominis extinguere ist nicht eben glücklich da, wo sie als dem Mord
gleichstehend hingestellt werden soll: der homo futurus ist ebeu, kann
man sagen, kein homo. Tert. hatte gerade dies behauptet und be-
wiesen: nee refert, natam quis eripiat animam an nasce)ttem disturbet;
homo est et qui est futurus; etiam fruetus omnis in semine est. — Vom
latiarischen Juppiter: homieidio colitur et, quod Saturni fdio dignum
est, mali et noxii hominis sanguine saginatur. Der Relativsatz bereitet
offenbar das sanguine satiatur, nicht die Epitheta malus et noxius vor:
mau versteht deren Hinzufügung besser, wenn man weiß, daß Tert.
sich einwerfen ließ 'sed bestiarii (sc. sanguine >\ und antwortet hoc,
$$2 Richard Heinze: [X— XLV
pitel schwerlich. Und ganz ähnlich ist das Verhältnis zu Tertullian
im folgenden K. 31, soweit es sich auf den Inzest bezieht, nur daß
sich hier Min. durch seine Übertreibung der Gegenanklagen ganz be-
sonders auszeichnet.1)
B. Die crimina manifesta X — XLV.
X— XLV Als die summa causa, immo tota bezeichnet Tert. zwei
öffentlich von den Christen begangene Verbrechen, die er
präzis formuliert: *deos non Colitis et pro Imperator ibus sacri-
ficia non penditis'' .... itaque sacrilegii et maiestatis rei
convenimur. Die beiden termini sacrilegium und maiestas
werden weiterhin nicht scharf von einander geschieden:
XXXV 3 in hoc quoque religione secundae maiestatis, de qua
in secundum sacrilegium convenimur: die zweite, aber höhere
Majestät (ventum est ad secundum titulum laesae augustioris
maiestatis XXVIII 3) ist die der Kaiser, die erste die der
Götter, deren maiestas z. B. XXIII 9; XXIV 3; XXV 5 erwähnt
wird; neben der divinitas erscheint sie als Eigenschaft der
Götter, die violatur, XV 3 vgl. 6. Der Ausdruck sacrilegium,
der an der oben zitierten Stelle auch auf den Frevel gegen
opinor, minus quam hominis? an hoc turpius, quod mali hominis? —
Der seltsame Einfall, nach der Erwähnung des Juppiter Latiaris fort-
zufahren mit ipsum credo docuisse sanguinis foedere coniurare Catilinam
usf. erklärt sich als Nachahmung des Tertullianischen , viel weniger
auffallenden incesti qui magis quam, quos ipse Juppiter docuit IX 16.
1) Tragoediae v'estrae incestis gloriantur: ineestum penes vos
saepe deprehenditur, semper admittitur (wohlgemerkt wissentlicher Inzest :
das wagt weder Tert. noch einer der Griechen zu behaupten) ; necesse
est in vestros recurrere, in filios inerrare: Tert. sagt zwar alienati gener is
necesse est quandoque memoriam dispergi, aber hütet sich doch das
necesse auf den unwissentlich begangenen Inzest anzuwenden. Über 31, 4
s. auch ob. S. 327, 3. — Daraus, daß sich Min., wenn er sagt deos Colitis
incestos, cum matre, cum ftlia, cum sorore coniunctos enger mit Athena-
goras 32 berührt (dia . . ix finrgbg (isv 'Piag ^uyarrpös ds KoQrjg
itsiTai8oTtoir\ii£vov) als mit Tert.s. incesti . . . quos ipse Juppiter docuit,
würde auf Benutzung griechischer Apologeten neben Tert. noch nicht
mit Sicherheit zu schließen sein: aber wir werden später diese An-
nahme unabweisbar finden.
X— XLV] Tertullians Apologeticum. 333
die Kaiser übertragen wird1), erscheint sonst überhaupt nicht
wieder, wohl aber sacrüegus von dem Götterfeind in der Ver-
bindung impii et sacrüegi et inreligiosi erga deos XIII 1 u. ö.2).
Das deos non colere wird meist als crimen laesae Iiomanae
religionis XXIV 1 oder inreligiositatis (ebd. 2. 6. vgl. XXV 14)
oder intentatio laesae divinitatis (XXVII 1) bezeichnet: man
sieht, ein fester Terminus existiert entweder nicht, oder Tert.
hält sich nicht an ihn. Das Vergehen gegen die Kaiser heißt
auch weiterhin crimen maiestatis (XXIX 1 vgl. XXXI 2) und
von der maiestas der Kaiser ist öfters die Rede (XXIX 4;
XXXIII 2); für die Schuld der Christen überwiegt später der
Ausdruck publici hostes3) (zuerst XXXV 1), der sich aber auch
auf die Weigerung, die Kaiserfeste mit den Heiden zu feiern,
bezieht.
Mommsen hat aus diesen Ausführunoren Tertullians, deren
Schärfe den Juristen zeige, gefolgert, daß es 'neben der Auf-
1) So auch, nur mit noch deutlicherer Übertragung, ad nat. I 17
p. 88 prima obstinatio est quae secunda a dei religio constituitur Caesa-
rianae maiestatis, quod inreligiosi dicimur in Caesares, und weiter unten
vanitatis sacrilegia, nämlich gegen den Kaiser.
2) Daß die Bezeichnung sacrilegium für die Kultverweigerung
nicht technisch gewesen sein könne, sagt Mommsen mit Recht, Strafr.
569, 2. Jur. Sehr. LH 394, 4. 407; aber die allgemeine Bedeutung
'frevelhaft', die Mommskn für Tert. annimmt, hat es bei diesem nicht:
überall bezieht es sich auf Verletzung des Heiligen, sei es der Religion
oder der Götter oder ihrer Bilder: II 4. 12. XII 2. 6. XIII 1 (in der
eigentlichen Bedeutung des Tempelräubers nur XV 7), und das Gleiche
gilt von Minucius 9. 17. Auch in späterer Zeit erscheint das Wort in
dieser Bedeutung, so viel ich sehe, nicht im technisch juristischen
Gebrauch. In der fsententia' gegen Cyprian (acta c. 4) heißt es: diu
sacrilega mente vixisti et plurimos nefariae tibi conspirationis homines
adgregasti et inimicum te diis Romanis et sacris legibus constituisti:
schon die Synonyma zeigen, daß der Prokonsul hier das Verbrechen
umschreibt, nicht bezeichnet; hingerichtet wird Cyprian, weil er dem
»ausdrücklichen Befehl der Kaiser (acta 5) Valerianus und Gallienus den
Gehorsam verweigert.
3) So schon ad nat. I 17 in dem oben Anm. 1 zitierten Zusammen-
hange: hostes populi nuneupamur.
334 Richard Heinze: [X — XLV
fassung der maiestas populi Homani, nach welcher der Reli-
gionsfrevel nicht unter diesen Begriff fiel, eine strengere ge-
geben habe, welche auch die Verletzung der dii populi Ho-
mani auffaßte als Beleidigung der herrschenden Nation und
die Anwendung der Kapitalstrafe also auch hier forderte':
Tert. fasse ja die Verweigerung des Götter- und des Kaiser-
kults als zwei Kategorien des einen Verbrechens der maiestas.1)
Diese Folgerungen Mommsens scheinen mir nicht haltbar.
In welchem Sinne Tert. auch bei dem Frevel gegen die
Götter von maiestas spricht, ergibt sich aus dem oben Ange-
führten: nicht die maiestas populi Homani, sondern nur die
maiestas der Götter wird dabei verletzt, und den Göttern
gegenüber stellt Tert. die maiestas des Kaisers als augustior
hin, selbstverständlich ohne damit die Verletzung des Kaisers
als das rechtlich schwerere Majestätsverbrechen hinstellen zu
wollen, sondern voll Hohnes die Tatsache konstatierend, daß
die Gottheit des Kaisers den in Wahrheit ungläubigen Römern
weit höher stehe als die ihrer 'Götter'. Nur in dieser von
Tert. gezogenen Parallele wird bezüglich der Götter von einem
Verbrechen laesae maiestatis gesprochen, und ebenfalls nur da
das sacrilegium auch auf den Kaiser übertragen2): dagegen
i) Jur. Sehr. III 394 fg. Vgl. Strafrecht 569 ff.
2) Diese Ausdehnung ist an die Hand gegeben schon durch den
Sprachgebrauch, der pietas und religio dem Kaiser gegenüber ebenso
gut kennt wie den Göttern gegenüber (bei Tert. ganz geläufig); aber
das hat natürlich mit dem Recht nichts zu tun. Daß das Verbrechen
der maiestas einerseits, das des sacrilegium im Sinne der laesa religio
andererseits gänzlich verschiedenen Ursprung haben, kommt in Mommsens
Darstellung deshalb nicht zur Geltung, weil er bei seiner Konstruk-
tion des 'Religionsfrevels' die Spuren des wirklichen crimen laesae
religionis, die uns erhalten sind, nicht verfolgt. Es tritt in unserer
Überlieferung m. W. zuerst im Falle des Clodius auf, der sich zu
der nach sakralem Recht nur Frauen zugänglichen Feier der Bona
Dea in Caesars Haus eingeschlichen hatte: das erklären die Pontifices
für nefas, worauf die Konsuln den Antrag an das Volk stellen, eine,
quaestio gegen Clodius einzusetzen: Cicero bezeichnet diese Ro-
gation als de religione (ad Att. I 13, 3) und spricht von dem Senats-
beschluß de Clodiana religione (I 14,1; ebd. 2), vom Antrag des Tri-
X— XLVJ Tertullians Apologeticum. 335
zu Anfang, wo man schärfste Bestimmung erwartet und findet,
stehen sacrilegium und maiestas als verschieden voneinander
korrekt nebeneinander, und sacrilegus hat im übrigen durch-
weg nur bezug auf die wirklichen sacra. Mommsen hat sich
bunen Fufius als lex de religione (I 16,2); der Prozeß, in dem Clodius
freigesprochen wird, war kapital (ebd. 9), das crimen wird man nicht
anders auffassen dürfen als Jaesa religio, wenngleich Cicero später den
Clodius als incesto liberatum bezeichnet (Pis. 95 ; dagegen Plutarch spricht
von dlxri a6iߣiag, Cic. 29. Caes. 10). Ein Gesetz darüber hat es nicht
gegeben, es besteht keine quaestio dafür, und von juristischer Termi-
nologie kann man also, streng genommen, nicht reden — bezeichnend,
daß Cic. in Verr. IV 88, wo er des Verres Verbrechen de Mereurio
Tyndaritano in einzelne crimina zerlegt, nach der Erwähnung von pe-
cuniae captae, peculatus, maiestas fortfährt est (crimen) sceleris, t[ii<>d
religiones maximas violavit: da handelt sich's freilich nicht um die re-
ligio Romana. In seinen Leges verlangt er später (II 2?) poena vio-
lati iuris (sc. sacri) esto, und erläutert das dann 41 fg.: poena violatae
religionis iustam recusationem non habet: man sieht aus dem Folgenden
wieder, daß eine bestimmte gesetzliche Strafe nicht darauf steht: es
kommt eben in jedem Einzelfalle darauf an, ob das Volk ein Gericht
konstituieren will, und da der Fall des Clodius als etwas bis dahin
Unerhörtes nicht hingestellt wird, muß sich dergleichen schon öfters
ereignet haben. Seneca stellt de benef. III 6, 2 ohne weiteres die vio-
latae religiones neben Itomicidium usw. der Undankbarkeit gegenüber,
als Verbrechen, für die alicubi atque alicubi diversa poena est, sed ubique
aliqua, und daß diese Strafe in Rom nur kapital sein kann, versteht
sich; wenn Augustus die Ehebrüche in seiner Familie kapital bestrafte
und damit über sein eigenes Ehebruchsgesetz hinausging culpam inter
viros ac feminas vulgatam gravi nomine laesarum religionum ac viola-
tae maiestatis appellando (/.Tac. ann. III 24), so nennt er zwei kapitale
Verbrechen, und wird unter laesa religio nicht die Verletzung seiner
eigenen religio, sondern vielleicht die der confarreatio verstanden haben.
Aus späterer Zeit kenne ich nur eine unzweideutige Erwähnung: Reskript
des Gordianus a. 240 : wer res religioni destinatas profaniert, tametsi iure
venditio non subsistat, laesae tarnen religionis in crimen inciderunt Cod.
Just. IX 19,1. Man sieht, in allen diesen Fällen — und fortgesetztes
Suchen wird gewiß viel mehr finden — handelt es sich nicht um 'Ab-
fall von der Staatsreligion', sondern um sehr viel entschiedenere Ver-
letzung der Religion, die mit der maiestas nichts zu tun hat; es ist an
sich wenig glaublich, daß das Christentum rechtlich mit jenen Fällen
auf gleiche Stufe gestellt worden wäre.
336 Richard Heinze: [X — XLV
also durch eine Pointe Tertullians täuschen lassen, die nichts
weniger als den Juristen zu zeigen beanspruchte1).
Indessen, es wäre ja vielleicht von geringer Bedeutung,
zu wissen, ob der Religionsfrevel als sacrilegium oder als ma-
iestas vor Gericht kam, wenn er nur überhaupt unter irgend
einer kriminalrechtlichen Kategorie, abgesehen von etwa gegen
die Christen gerichteten Sonderbestimmungen, verfolgt werden
konnte. Aber auch hier glaube ich Mommsen widersprechen
zu müssen, wenn er auf Grund von Tertullians Worten die
Frage bejaht: vielmehr ist das Apologeticum als Ganzes ge-
nommen der sicherste Beweis dafür, daß damals wenigstens
Verurteilungen eines Christen weder wegen sacrilegium noch
auch wegen maiestas vorgekommen sind.2) Fragt man nach
dem Verbrechen, wegen dessen eine Verurteilung stattfindet,
so gibt doch wohl die einzige authentische Aufklärung darüber
eben das Urteil, die vom tribunal verlesene sententia. Nun
sagt ja aber Tert. ausdrücklich II 20 denique quid de tabella
recitatis illum Christianum (wie es ja in den Prozeßakten der
Scilitaner und nicht weniger anderer noch zu lesen steht)?
cur non et homicidam, si homicida cltristianus? cur non et
incestum vel quodcumque aliud nos esse creditis? in no-
1) Andere Zeugnisse dafür, daß der Religionsfrevel rechtlich unter
den Begriff der maiestas gezogen worden sei, vermag Mommsen nicht
beizubringen; was er Strafrecht 575,1 anführt, um seine These zu
stützen, verliert alle Beweiskraft, sobald das Tertullianzeugnis wegfallt.
2) Fraglos hätte unter einem Kaiser wie etwa Domitian ein Richter
es sich erlauben dürfen, einen Christen, der den Eid auf den Genius
des Kaisers verweigerte oder der, wie es vor dem Tribunal des Plinius
geschah, dem Bilde des Kaisers, den Götterbildern eingereiht, das Opfer
versagte, als Majestätsverbrecher in aller Form zu verurteilen, ohne
eine Maßregelung von oben befürchten zu müssen. Ebenso fraglos
wäre das Gleiche z. B. unter Trajan nicht möglich gewesen, und sichere
Zeugnisse dafür, daß es überhaupt je geschehen ist, fehlen. Daß die
Feinde der Christen mit den Schmähungen hostes publici und ccasßslg
(auch in dem Sinne des maiesiatis reus, den das Wort natürlich keines-
wegs immer zu haben braucht, auch wo es auf Christen angewandt
wird) nicht gekargt haben, versteht sich, beweist aber nichts für un-
sere Frage.
X— XXVII] Tertullians Apologeticum. 337
bis solis pudet auf piget ipsis nominibus scelemm pronuntiare.1)
Und ebenso wird II 4 der Name Christ, auf dessen Einge-
ständnis hin die Verurteilung erfolgt, den Namen homicida,
sacrilrgus, incestus, publicus hostis gegenübergestellt: dies seien,
sagt Tert, die christlichen elogia, aber eben nicht im Prozeß,
sondern im Munde der Leute.2) Ich sehe nicht, wie man an
diesen unzweideutigen Aussagen deuteln könnte.
Nun sagt zwar Tert. selbst an der Stelle, von der wir
ausgingen, sacrilegii et maicstatis rei convenimur und würde
damit, falls man es im Wortsinne zu verstehen hätte, die
Klagen seines Prooemiums selbst aufs schlagendste ad ab-
surdum führen. Er sagt aber nachher ebenso bestimmt
(XLII 1) sed alio quoque iniuriarum titnlo postulamur — der
erste titulus iniuriarum ist die Schuld der Christen an den
großen Volkskalamitäten, der zweite der, daß sie das Ge-
schäftsleben durch ihre Zurückhaltung schädigen: es wird
niemand aus Tert.s Worten folgern wollen, daß wirklich aus
diesen Gründen je ein Christ iniuriarum belangt worden sei.
Vorher ist, wenn auch nicht ganz genau mit derselben Be-
stimmtheit, von der Anklage der Christen als einer illicita fadio
die Rede (XXXVIII 1. 2, XXXIX 20): man sieht aus dem allen,
daß es Tertullian allerdings darauf ankommt, da er nun ein-
mal die Form einer Gerichtsrede gewählt hat, die Anklagen
gegen die Christen auch möglichst auf juristischen Fuß zu
stellen; aber keinesfalls darf man sich durch diese mit gutem
Bedacht gewählte Form darüber täuschen lassen, daß als
rechtliche Grundlage der Christenprozesse Tertullian nur das
Bekenntnis zu dem gesetzlich verbotenen Christentum kennt.
a. DER GÖTTERKULT. X— XXVII
Ich gebe zunächst die Disposition des ganzen Abschnittes:
I. Die Christen verweigern den Kult, weil
1) Nat. I 3, p. 61 sententiae vestrae nihil nisi Cfiristianum con-
fessum notant.
2) Vgl. auch XLIV 2 cum CJiristiani suo titulo obferuntur.
338 Richard Heinze: [X. XI
1. die 'Götter' der Heiden in Wahrheit keine Götter,
sondern verstorbene Menschen sind: X. XI.
2. die Götterbilder toter Stoff sind: XII.
3. die Heiden selbst ihre Götter gar nicht verehren, sie
vielmehr mißachten und mißhandeln: XIH — XV.
H. Dagegen verehren die Christen
1. nicht, wie ihr glaubt, einen Eselskopf, oder das Kreuz,
oder die Sonne, oder eine Mißgeburt: XVI,
2. sondern den einigen Gott: XVII — XX und Christus,
seinen Sohn: XXI.
3. Daneben kennen sie als böse Geister die Dämonen:
XXII. XXIII.
III. Gegenanklage: XXIV, mit einem Anhang über die
Behauptung, daß Rom seine Größe der 'Frömmigkeit' gegen
seine 'Götter' verdanke: XXV. XXVI.
Schluß: XX VH.
X— XV I. Verweigerung des heidnischen Kults.
X. XI 1. Die 'Götter'.
Die Grundzüge der Verteidigung sind natürlich schon bei
den griechischen Apologeten die gleichen: Begründung der
Kultverweigerung aus der Natur der heidnischen Götter, und
Darlegung des christlichen Kults. Für die Griechen ergab
sich diese Disposition gleichsam von selbst aus der Bezeich-
nung ä&sos: wie Justin I 6 sagt xal b[ioloyov(i£v xcov roi-
ovtav voixl£,o{isvg)V Q-e&v afreot elvai, aXk' ovyl rot» alrj&sö-
rccrov xrX. dsov. Durchgeführt ist freilich diese Disposition
weder bei ihm noch bei Athenagoras oder einem der an-
deren mit annähernd der gleichen Schärfe wie bei Teri, wie
denn überhaupt eine klare Disposition Sache dieser Apologeten
nicht ist. Da Wandel zu schaffen, verstand sich für Tert.
von selbst. Sachlich wichtiger aber ist, was zunächst den
polemischen Teil der Verteidigung betrifft, daß auch seine
Taktik in der Ablehnung der Heidengötter sich merklich von
der seiner griechischen Vorgänger unterscheidet. Bei diesen
gründet sich der Hauptangriff regelmäßig, wie schon in der
X. XI] Tertullians Apologeticum. 339
vorchristlichen Polemik, auf die Mythen von den Tra-frij der
Götter, ihre Leiden und Leidenschaften und daraus ent-
springenden Freveltaten. Aristides begnügt sich damit, die
axoitla dieser anthropomorphistischen Gottesvorstellungen
nachdrücklich hervorzuheben; Justin erklärt, böse Dämonen
hätten alle jene Taten verübt und seien von den erschreckten
Menschen fälschlich für Götter gehalten worden (I 5); des-
selben Glaubens ist Tatian (adv. Gr. 8. 9 u. ö., s. Schwartz'
Index s. v. dccifiav). Anders Theophilus: er legt besonderes
Gewicht auf die von Dichtern und Historikern überlieferten
Genealogien der sog. Götter, da solches Zeugen und Erzeugt-
werden nur von Menschen, nicht von einem wirklichen Gott
gelten könne1); auch die Laster der sog. Götter, meint er,
seien menschlicher Art2); indessen spricht er sich nirgends
unzweideutig darüber aus, ob diese Pseudogötter nun wirk-
lich dereinst als Menschen gelebt hätten und dann irgendwie
zu göttlichen Ehren gelangt seien, oder ob nicht vielleicht
die ganze angebliche Überlieferung Lug und Trug sei, von
den bösen Dämonen eingegeben.3)
Einzig Athenagoras argumentiert wirklich strikt gegen
den Vorwurf der ä&sÖTrjg — cwir verdienten ihn, wenn wir
wie Diagoras wirklich die Existenz Gottes leugneten; nun
aber verehren wir ja einen Gott, den ungeschaffenen Schöpfer
des Alls (c. 4)' — , aber den heidnischen Göttern gegenüber
nimmt er keinen festen Standpunkt ein: er behauptet einer-
i) Adv. Autol. IT 2 önöxav ivxvy%ccvr]xs xcäg ysv£c£6iv avx&v, mg
ccv&QwTtovg vostrs' voxboov dh ftsovg 7toooctyoQtr>sx£. 7 tisqI xmv xov 4ibg
7talöcov QTtößa oi Gvyyoayslg £xQaya)dr\6av, xal ort ovxoi av&gconoi %cd
ov &sol iy£vvt]&r]Gav, rö yivog ctvxcov uvxol ttocxaXsyovGiv. 34 ra: ^lbv
ovv öv6[iccT<x xmv ytaXov[i4vav fttmv, Ott nag' uvtolg üvö^axa av&gmitmv
svgicyisxca . . i£ avxmv xmv ioxogimv, mv avviygaipocv, ocTtsÖBL^ce^isv.
2) [ivfrovs kccI (imgiccg 6vv£xa£,ccv nsgl xmv kux' ccvxovg &smv ov
yccg ccnsösi^av ccvxovg &sovg, aXX' cxvd'gmTiovg , ovg (ihr ps&voovg, ixi-
oovg -Jtögvovg kuI apovng II 8.
3) oi itoir\xcci, Öp^gog 6i] v.a.1 HaLoSog, mg (pccoiv vito povomv
iintvsvo&ivxsg, cpavxaaiu -auI 7tXävrj iXocXr^aav, nctl ov xcc&ccgco ttv^v^ccxi
aXXä TtXüvm, die TtXävu Ttvsvaccxcc aber sind Dämonen: II 8.
340
Richard Heinze: [X. XI
seits, Orpheus , Homer und Hesiod hätten die Genealogien
und Namen der Götter erfunden1) und weiß auch, daß die
Mythen von den 7tdd"i] der Götter vielen als bloße Ttlavi] Ttonq-
xiv.i] gelten (22): andererseits beruft er sich auf Piaton, der
die Götter des Volksglaubens, die Geschlechter, die von Ge
und Uranos abstammen, bereits als Dämonen bezeichnet habe
(23); schließlich aber gelangt er auf eben den Standpunkt,
den Tertnllian vertritt: die in und bei den Idolen wirkenden
überirdischen Mächte sind Dämonen, die Götternamen aber
sind die Namen verstorbener Menschen, die teils als große
Herrscher, teils wegen ihrer Stärke, teils wegen ihrer Kunst-
fertigkeit von ihren Zeitgenossen Götter genannt und von
den Späteren geglaubt worden sind (26 ff., besonders c. 30);
als Beweisstücke für diese letztere Behauptung dienen die
Angaben Herodots und eines (gefälschten) Alexanderbriefes
über die ägyptischen Götter und ihre griechischen Analogien,
andererseits die griechischen Mythen über den Tod von
Göttern2): wobei freilich am Schluß wieder die Alternative
gelassen wird, ob man diese Mythen verwerfen wolle — dann
brauche man überhaupt an diese sog. Götter nicht zu glau-
ben — oder ob man sie annehmen und damit auch zugeben
wolle, daß die menschlichen 'Götter' wie entstanden so auch
wieder vergangen seien.
Ein solches Hin und her war nicht nach Tert.s Sinn.
Aber auch die Lehre, daß jene Götter Dämonen gewesen
seien, taugte ihm nicht; die ließ sich nicht 'beweisen'. Um
so besser paßte ihm die andere Möglichkeit der Erklärung:
die 'Götter' sind Menschen gewesen. So ist Tert. der erste
Apologet, der sich mit Entschiedenheit auf den 'euhemeristi-
1) 17. 18 'Ogcptvg d£, og xc! tä 6v6\iaru aix&v ngürog i^svQSV
*/at rag ytviasig Sie^fjXQsv xai ößa k-x.ä6toig ningayitai simv xat 7i£7Ti6-
TtvTcct nag' avrolg a\r\&£GX£QOv frsoXoytlv, to -Aal '0\Lr\Qog rcc Ttolla %al
TISQL &£WV lläXlGTCi tTtZXai.
2) Dies, den in den Mythen berichteten Tod des Dionysos und
Herakles sowie das Grab des Zeus auf Kreta führt auch Apollonios
als Beleg für das Menschentum der mythischen Götter an, acta gr. 22.
X. XI] Tertuluans Apologeticum. 341
sehen' Standpunkt stellt. Er begeht auch nicht die Unge-
schicklichkeit, seine Beispiele unter den Göttern zu suchen,
die nach allgemeiner antiker Anschauung ihre Göttlichkeit
sich durch ein irdisches Dasein erworben haben — Herakles,
Dionysos, die Dioskuren usw. — , sondern greift den einen
Saturn heraus, den Ahnherrn sämtlicher Götter: wenn dieser
ein Mensch war, so müssen es all seine Nachkommen gleich-
falls gewesen sein. Das ist eine für Tert. höchst bezeich-
nende Art der Argumentation. Wie er bei der Verteidigung
gegen die crimina occülta sich an eine ganz bestimmte Fassung
der Legende hielt und jede Unwahrscheinlichkeit dieser
Fassung als Beweis für die Hinfälligkeit der gesamten An-
schuldigung ausnutzte, so hält er sich hier, um die Götter
abzutun, an die mythische Genealogie und benutzt sie wie
eine Urkunde über irdische Familienverhältnisse. Der Beweis
wird in schroffer Knappheit geführt: Tert. appelliert: 1. an
das eigene Bewußtsein der Heiden, 2. für den Fall daß dies
versagt a. an die literarischen, b. an die sozusagen monumen-
talen Zeugnisse. Was die Literatur angeht, so sieht er von
den Poeten folgerichtig — auch hier im Gegensatz zu allen
griechischen Apologeten — ab und beruft sich auf Histori-
ker: hier, und nur hier im ganzen Verlauf des Apologetikum,
nennt er Gewährsmänner, und in der Tat war das hier, und
nur hier, für seine Zwecke wirklich erforderlich; er nennt so-
wohl Griechen als Römer, um die beiden Hauptnationen zu
überführen.1) Es trifft sich gut, daß gerade Rom noch bis
1) X 7 Saturnum itaque, si quantum litterae , neque Diodorus
Graecus neque Thallus, neque Cassius Severus out Cornelius Nepos,
neque ullus commentator eiusmodi antiquitatum alium quam hominem
promulgaverunt. Etwas abweichend ad nat. II 12 p. 119 legimus apud
Cassium Severum, apud Cornelias Nepotem et Tacitum, apud Graeeos
quoque, Diodorum quice alii antiquitatum canas collegerunt. Den
Thallus hat Tert. erst bei den für die chronologischen Ausführungen
des Apol. angestellten Studien kennen gelernt, nennt ihn auch XIX 6;
ja wir haben zufällig noch das Zitat, auf das er sich hier bezieht (und
mehr hat er wohl auch nicht von ihm gekannt): Theoph. ad Autol.
III 29 ■kccI yug Brjlov tov 'Aoavgicov ßaciXsvGavros xat Kqovov xov
342 Richard Heinze: [X. XI
in die Gegenwart deutliche Spuren von Saturnus' irdischer
Regententätigkeit aufweist, und daß auch gerade aus lateini-
Tirdvcov ©äXXog fiifivriTai, cpdancov zbv Bf]Xov nenoXeiiriiihvca evv roig
Tix&ai Ttgog röv Aia. e. q. s., zitiert auch in dem sog. Fragm. Fuldense
zu Apol. XIX: s. darüber unten z. St. Bei Minucius 21,4 treten diesel-
ben vier Zeugen für Saturns Menschentum auf: seit hoc Nepos et Cassius
in historia, et Thallus ac Diodorus hoc loquuntur. Die Stelle ist öfters
nachdrücklich zur Entscheidung der Prioritätsfrage für Minucius in
Anspruch genommen worden: Cassius, sagte man, ist nicht der Rhetor
Cassius Severus, sondern der Annalist Cassius Hemina (vielmehr der
auch bei Eusebius genannte Chronograph Cassius Longinus: Müller
FHG III p. 517. Schwartz P.-Wiss. VI 1378): also hat Tert. den
Namen aus Min. übernommen und verrät sich durch die falsche Er-
gänzung des Cognomens. Der Schluß ist nicht zwingend: sehr wohl
kann Min. der Koncinnität zuliebe die zweiten Namen des Cassius und
Nepos, die er bei Tert. fand, weggelassen haben (Kroll Rh. M. 60,
308), ähnlich wie Tert. im Apol. der Koncinnität zuliebe den in Nat.
mit genannten Tacitus beseitigt hat. Und man vergleiche doch mit
der streng geschlossenen Darlegung Tert.s das zusammengelesene
Elaborat des Min. : um die Vergottung verdienter Menschen zu be-
weisen, sammelt er zunächst Belege aus Cicero für die Lehren der
Historiker und Philosophen: er nennt Euhemerus (Cic. nat. deor. I 119),
Prodicus (ebd. 118: freilich ist da, wie in der gesamten sonstigen
Tradition — Diels Vors. II p. 571 — nur von der Vergottung nütz-
licher Dinge die Rede, aber Min. fälscht ein wenig, um noch einen
Zeugen mehr zu haben), Persaeus (ebd. I 38 : Min. wieder ungenau mit
seiner Beschränkung auf die fruges), dazu dann ein Terenzvers aus
Cicero II 60. Hierauf ein Zitat aus dem bei den Apologeten be-
liebten angeblichen Brief des Alexander an seine Mutter (Geffcken
p. 223) — freilich ist Alexander weder historicus noch sapiens, aber
das Geheimnis, das ihm der sacerdos anvertraut hat, ist wichtig
genug: de diis hominibus secretum: illic Volcanum facit omnium prin-
cipem, et postea Iovis gentem. (Daß dies ein ägyptischer sacerdos
war, verschweigt Min. wohlweislich, es hätte bei seinem Publikum den
Kredit der Geschichte nicht erhöht.) Dazu steht nun in striktem
Widerspruch, wenn unmittelbar darauf behauptet wird, Saturn sei
prineeps huius generis et examinis: und doch beruht auf der Richtig-
keit dieser Tradition die ganze folgende Argumentation. Von den
bisher zitierten Autoren stechen nun die vier für Saturn genannten
merklich ab: man sieht, Min. greift zu einem anderen Autor. Die
Ausführlichkeit und der Nachdruck des Beweises für Saturn hat auch,
möchte man sagen, nur dann Sinn, wenn er wie bei Tert. der einzige
X. XIJ Tkhtullians Apologeticum. 343
schem Sprachgebrauch die mythische Genealogie des Saturn,
seine Abstammung von Himmel und Erde, sich erklären läßt,
die im eigentlichen Sinne schon deshalb nicht bestehen kann,
weil der Mensch auch menschliche Eltern gehabt haben muß.
Auch dafür ergibt sich eine originelle Erklärung aus den
besonderen Schicksalen des Saturn, daß man ihn für gött-
ist, der alle andern ersetzt. Und bei Tert. versteht man die Berufung
auf die vier Autoren noch besser, wenn man auf die ursprüngliche
Fassung zurückgeht: ad Nat. II 12 p. 116 fg. ist lebhaft gegen die alle-
gorische Verflüchtigung des Saturnus-Kronos als fZeit' polemisiert; als
letzter Trumpf wird ausgespielt, daß Saturn ja zweifellos gelebt habe,
da seine irdischen Erlebnisse von den Historikern berichtet würden.
"Vorher war ausführlich die Absurdität seiner Abstammung von Himmel
und Erde gezeigt; darauf kommt Tert. nach der Erzählung mit der
natürlichen Erklärung, wie diese Fabel entstanden sei, zurück: nur
dies ist im Apol. beibehalten (und daraus erklärt sich hier das etwas
unvermittelte Auftreten dieser Auseinandersetzung; Min. hat das aus-
geglichen, und Ebert p. 370 schloß daraus auf seine Priorität, vgl.
dagegen schon Haetel a. a. 0. 360 fg. Es wäre im Gegenteil schwer
zu sagen, wie Tert. von der minucianischen Faßung aus auf die seine
gekommen sein sollte), nur dies auch steht bei Min., wie denn über-
haupt Min. nichts von dem hat, was in Nat. steht, im Apol. fehlt.
Für den, der die Priorität von Nat. vor dem Apol. zugibt, ist damit
auch die Priorität des Apol. vor Min. entschieden: denn wer kann fol-
genden Hergang für glaublich halten: 1. Tert. benutzt den Min. für
Nat., erweitert aber die Argumentation erheblich, 2. Tert. benutzt Nat.
für den Apol. (die Worte sind meist dieselben) und reduziert die Ar-
gumentation dabei wieder fast genau auf das, was er dem Min. ent-
nommen hatte, ohne von dem Wenigen, was dieser mehr hatte, sich
weiteres anzueignen: z.B. von den Virgilrcminiszenzen (VIH 320 ff. 357 fg.),
die Min. einflicht. Einen Zug allerdings hat nur das Apol., nicht Nat.
mit Min. gemein, der also Tert. erst bei der zweiten Bearbeitung ein-
gefallen ist: ab ipso primum tabulae (Urkunden) et intagine signutus
nummus, et inde aerario praesidet: das paßt in die übrige Beweisfüh-
rung, indem der Name aerarium Saturni hier erklärt wird wie vorher
mons Saturnius. Bei Min. ist das eine bedeutungslose Zutat geworden:
rüdes Mos homines et agrestes mulia docuit ut Graeculus et politus:
litteras imprimere, nummos signare, instrumenta conficere: das letztge-
nannte hat zum Aerarium keinerlei Beziehung (denn instr. sind die
Geräte des Ackerbaus, vor allem die Sichel Saturni dem Virg. Georg.
II 406, 'Urkunde' heißt es nur als 'Beweismittel' im Prozeß u. dgl.).
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. TjXII. 27
344 Richard Heinze: [X. XI
liehen Wesens hielt: nicht die von Euhemerus gelehrte Selbst-
vergötterung oder Apotheose auf Grund großer Taten wird
angenommen, sondern das überraschende Auftreten des Frem-
den und Unbekannten ließ ihn jenen Ureinwohnern Italiens
als Vom Himmel gefallen', als göttlicher Art, oder als terrae
ftlius erscheinen.1) Fragt man nach der Zweckmäßigkeit der
ganzen geistreich und energisch durchgeführten Argumen-
tation, so kann die Siegesgewißheit der Apologeten nicht
darüber hinwegtäuschen, daß von seinen zeitgenössischen
Lesern unter den Heiden nicht gar viele gewesen sein werden,
die seine Behauptungen von der menschlichen Natur der
mythischen Götter, selbst auf die Autorität der vier zitierten
Antiquare hin, hätten zugeben wollen. Was für die geläuterten
Gottesvorstellungen, christliche wie heidnische, sich von selbst
versteht — daß nämlich die irdischen Schicksale der sog.
Götter sich mit dem wahren Wesen der Gottheit nicht ver-
tragen — das war doch gegenüber einer massiveren Gläubig-
keit von geringem Gewicht; und unter den gebildeten Heiden
i) Diese Erklärung ist nicht Tert.s Erfindung: sie findet sich
auch, worauf Wilhelm a. a. 0. (ob. S. 290, 2) 47 hingewiesen hat, zu
Anfang der Origo gentis Romanae: tanta . . usque id tempus antiquo-
rum hominum traditur fuisse simplieitas, ut venientes ad se advenas, qui
modo consilio et sapientia praediti . . . quod eorum parentes atque ori-
ginem ignorabant, caelo et terra editos non solum ipsi crederent, verum
etiam posteris affirmarent. Es ist wohl möglich, daß, wie Wilhelm
vermutet, die Übereinstimmung sich durch die in letzter Linie ge-
meinsame Quelle Varro erklärt. Aber wenn Wilhelm dann weiter
daraus, daß Minucius sich in ein paar ganz geläufigen Worten und
Wendungen (rüdes von den unzivilisierten Italikern, suseeptus hospitio,
multa doeuit u. dgl.) mit der Origo näher berührt als mit Tert., auf
eine gemeinsame Quelle des Min. und Tert. schließt, so wird auf Zu-
fälligkeiten ungebührliches Gewicht gelegt. Von Sachlichem, das bei
Tert. fehlt, hat Min. mit der Origo nur die Notiz Creta profugus
(Saturn; regno profugus Or.) gemein; bei Virgil, dessen Verse er in der
Erinnerung hatte (s. unten S. 361), fand er arma Jovis fugiens et regnis
exsul ademptis (Aen. VIII 320), und daß dies regnum Creta war, wußte
er natürlich, weiß auch nachher, daß eius filius Juppiter Cretae excluso
parente regnavit, — Im übrigen gehe ich auf Wilhelms Argumenta-
tionen für die f gemeinsame Quelle' nicht ein; s. oben S. 290, 2.
XI J Tertullians Apologetk im. 345
wird vermutlich die Mehrzahl eher geneigt gewesen sein die
Tcläv)} 7ioir}TbX7j für jene Mythen verantwortlich zu machen,
als an die pragmatischen Deutungen der rEuhemeristen' zu
glauben; scheint doch in der römischen so wenig wie in der
griechischen Welt diese Deutungsweise jemals wirklich populär
gewesen zu sein.
Indessen weiß Tert. sehr wohl, daß man ihm seine Sätze XI
sogar /Aigeben und trotzdem an der Göttlichkeit jener Wesen
festhalten konnte: hatte doch selbst Euhemerus keineswegs
beabsichtigt, an diesem Glauben zu rütteln, und standen doch
die Kaiserapotheosen als unzweifelhafte Belege für die Mög-
lichkeit einer Vergöttlichung verstorbener Menschen jedem
vor Augen. Tert. wendet sich also der schwereren Aufgabe
zu, diese Möglichkeit zu bestreiten. Streng logisch ist dieser
Fortschritt: denn nicht darauf kommt es vor allem an, ob
jene Wesen ursprünglich Götter wraren, sondern darauf, ob
sie es jetzt sind. Aber recht überraschend mußte wieder
auf die Mehrzahl seiner Leser die Behauptung wirken, die er
an die Spitze seiner neuen Argumentation stellt: 'wenn jene
Menschen nach ihrem Tode Götter geworden sind, so muß
sie ein höherer Gott dazu gemacht haben, denn weder ver-
mochten sie sich selbst die Göttlichkeit zu nehmen — wären
sie sonst überhaupt je Menschen gewesen? — , noch konnte
sie ihnen jemand geben, der sie nicht selbst besaß'. Über-
raschen mußte diese Ausführung: das Charakteristische aller
'euhemeristischen' Systeme, wie wir sie vor allem durch
Diodor kennen, ist ja dies, daß die Menschen zu Göttern
werden nicht durch irgend einen Wandel ihrer Natur, sondern
dadurch, daß ihnen die dankbare Menschheit bei Lebzeiten
oder nach dem Tode göttliche Ehren erweist: der Glaube
schafft die Gottheit.1) Andererseits da, wo man sich mit
1) Die xifial a&ävaroi (Diod. I 17, 2; 22, 2 u. ö., oder laö&tog xi-
urj I 24, 7; 111 57, 6 u. ö.) sind identisch mit der ü&avuolcc {1 13, i;
20, 5 u. ö.). Daß Diodor weit davon entfernt gewesen ist, diese a&u-
vaaia darum, weil sie den Menschen verdankt wird, als bloß eingebildet
und unwirklich anzusehen, geht auch daraus hervor, daß er vom Tode
34-6 Richard Heinze: [XI
dieser sozusagen ideellen Göttlichkeit nicht begnügt, sondern
eine reale Unsterblichkeit der vergöttlichten Sterblichen be-
gründen will, also in der Stoa und den verwandten Speku-
lationen, rechnet man doch nicht mit einer wirklichen Ver-
wandlung, sondern läßt die unsterbliche Seele des weisen und
guten Mannes aus dem sterblichen Leibe zur himmlischen
Heimat zurückkehren und dort als cGott' weiterleben: auch
hier ist für das Eingreifen anderer göttlicher Mächte kein
Raum.1) Und ich glaube auch nicht, daß Tert. hier irgend
eine uns unbekannte, den Euhemerismus zur gläubigen Theo-
logie umbiegende Lehre bekämpft2), eher noch, daß er sich
griechischer Vorstellungen erinnert, nach denen allerdings hier
und da Zeus oder ein anderer Gott etwas wie manceps divini-
tatis der neuen Götter ist.3) Aber auch abgesehen davon
dieser iniysioi &soL ganz geläufig den Ausdruck ij- av&Qmnwv slg &sovg
(i£Ta6ri]vcci (I 20, 6, (isxccaxccaig III 57, 3; V 70, 3 u. ö.) braucht, ganz
wie Ennius im Euhemerus von Juppiter sagt (Lact. I n, 46 p. 228 V2;
vitam commutavit et ad deos abiit = [isxrjXXcctze x'ov ßiov wai tlg ftsovg
iux£axr\, wie es im Dekret von Canopus von der vergöttlichten Berenike
heißt; ich zweifle gar nicht daran (gegen Jacoby P.-W. VI 964), daß
Euhemerus selbst diesen Ausdruck gebraucht hat.
1) mortem non interitum esse omnia tollentem atque delentem, sed
quandam quasi migrationem commutationemque vitae, quae in claris
viris et feminis dux in caelum soleret esse, in ceteris humi retineretur
Cic. Tusc. I 27, der dann nicht nur die bekannten Beispiele Romulus,
Hercules, Liber, Dioskuren, Leucothea anführt, sondern viel weiter geht:
ipsi Uli maiorum gentium di qui habentur hinc nobis profecti in caelum
reperientur. Es bedarf keiner weiteren Zeugnisse für diese An-
schauung.
2) So Hikzel in diesen Berichten 1896, 301, 5.
3) Apollod. bibl. III 137 Zsvg JJoXvdsvKTjv sig ovqccvov avccysi. jutj
ds%oii£vov ds TloXvSsvaovg xrjv a&avaoiav e. q. s. II 160 y,aLOiiivr\g 81
Tjjs nvQÜg Xsyexai. vscpog vnoaTccv [isxu ßgovxfjg uvxbv tlg ovgavbv avcmt'y,-
ipcci (Herakles), ixsl&sv Sb xv%u>v äd-avaeiag e. q. s. Vgl. Diod. IV 25
(jdLovvcov) [iv&oloyovaiv avayaystv xr\v \kT\xiqu Ss^iiXr^v ££, 'AiSov v.ui
Lisx addvxcc xfjg ccQ-avaaiag ©vo^vijv [isxovo[icc6ccl. — Daß das rWie'
der Vergötterung nicht klar sei, betont bei Cic. n. d. ni 41 Cotta gegen-
über Baibus : quos ab Iwminibus pervenisse dicis ad deos, tu reddes ra-
tionem, quem ad modum id fteri potuerit aut cur fieri desierit: dann als
Beispiel Herakles.
XI J Tkrtulmans Apologbticum. 347
würde Tert. sich gewiß auf den Standpunkt, den er hier ver-
tritt, gestellt haben rein aus seinen Überzeugungen vom Wesen
der Gottheit, deren Natur von der menschlichen so absolut
getrennt ist, daß nur ein Wunder der göttlichen Allmacht
diese Schranke niederreißen, aus dem Menschen einen Gott
machen könnte; die Annahme, daß eine Menschenseele aus
eigener Kraft sich zur Gottheit erheben könnte, ist für ihn
gar nicht diskutierbar: 'unsterblich' und 'göttlich' sind ja für
ihn nicht, wie für weite Kreise der Antike, korrekte Begriffe.
Tert.s Beweisführung ist auch hier ganz advokatorisch.
Der Advokat widerlegt den Ankläger dadurch, daß er zeigt,
der Angeklagte habe keine zureichenden Gründe zu der ihm
zugeschriebenen Handlung gehabt: die causa ist die eine Unter-
abteilung des probabile in der Konjekturalsach e (auct. ad Her.
II 2, 3): in minimis noxiis et in his levioribus peccatis, quae
magis crebra et iam prope cotidiana sunt, vel maxime et pri-
itaim quaeritur, quae causa maleficii fuerit Cic. pro S. Rose.
22, Ö2, der dann gegenüber Erucius triumphiert causam pro-
ferre non potes (27, 73), nachdem er alle denkbaren Gründe
wiederlegt hat.1) Wenn es sich in unserem Falle nicht um
ein maleficium, sondern um das Gegenteil handelt, so macht
das natürlich keinen Unterschied; wohl aber ist es bemerkens-
wert, wie Tert. hier ganz unbefangen voraussetzt, daß die
Handlungen des höchsten Gottes sich eben so rationell mo-
tivieren lassen müßten, wie die eines beliebigen Delinquenten.
Zwei Gründe bespricht Tert.: 1. Das Bedürfnis des
höchsten Gottes nach Unterstützung: diesen Grund hält er
selbst für den allein denkbaren. 2. Die Göttlichkeit ist Be-
lohnung für erworbene Verdienste: dies ist die Annahme, die
er bei seinen Gegnern voraussetzt.
Der erste Grund beruht auf der Annahme, daß der oberste
Gott sich bei der Weltregierung gewisser Hilfskräfte bediene.
1) Ich erinnere weiter etwa an die Abwägung der beiderseitigen
causae in der Miloniana 12, 32 ff. oder an die Verteidigung des Cluen-
tius 61, 169: in quo primum illud quacro, quae causa Habito fuerit,
cur interficere Oppianicum vellet.
348 Richard Heinze: [XI
Das ist nach Tert.s Ansicht allerdings eine im Heidentum
weitverbreitete Annahme1); ja auch Christen teilen diese An-
nahme, indem sie die Engel als Helfer Gottes einführen2):
aber davon will Tert. selbst nichts wissen; er hält es des
höchsten Gottes für unwürdig, überhaupt einer Hilfe zu be-
dürfen (und wenn ja, sagt er, so hätte er besser gleich von
vornherein noch einen Gott geschaffen, statt sich an ver-
storbene Menschen zu halten), und leugnet überhaupt, daß
eine Möglichkeit für eine solche Hilfe vorhanden sei, sich zu
betätigen. Und nun argumentiert er, scharfsinnig aber unbillig,
indem er einerseits die volkstümliche Auffassung, daß Juppiter
regnen lasse, Blitz und Donner sende, festhält, andererseits
damit die euhemeristische Auffassung konfrontiert: natürlich
ergibt sich die zunächst verblüffende Frage, wie es denn vor
Juppiters Erhöhung mit Regen, Blitz und Donner gestanden
habe. In Wahrheit hat kein Euhemerist behauptet, daß sein
Juppiter Blitz und Donner geschaffen habe oder sende, und
ebensowenig, wogegen Tert. sich dann wendet, daß Ceres das
Getreide, Liber die Rebe, Minerva den Ölbaum geschaffen
habe.3) Hier korrigiert sich denn auch Tert. gleich selbst:
1) XXIV 3 sie plerique disponunt divinitatem, ut Imperium summae
dominationis esset penes unum, officio, eius penes midtos velint, mit
Berufung auf Piaton Phaedr. 246 A. Tert. konnte sich auch auf die
Stoa berufen, vgl. z. B. Seneca exhort. fr. 16 (bei Lactanz i. d. I 5, 27)
hie cum prima fundamenta molis pulcherrimae iaceret . . . ut omnia sub
dueibus suis irent, quamvis ipse per totum se corpus intenderet , tarnen
ministros regni sui deos yenuit. Natürlich ist hier nicht von einer
Göttererzeugung nach erschaffener Welt und Menschheit die Rede.
2) z. B. lehrt Atbenagoras c. 24, Gott habe die Engel geschaffen
inl tcqovoLu zolg vn avxov diatiSY.ociLi]^ivoig , da er selbst zwar die
Fürsorge für die Welt im allgemeinen trage, ri]v Sh Itc\ ^Qovg 01 in'
avrolg Tcc%d-£vrsg äyysloi: die freilich nicht r Götter' sind, aber doch
einen Teil der göttlichen Macht überkommen haben. Wir werden .sehen,
daß Tert. diese Auffassung der 'Dämonen' nicht teilt.
3) Es wird also auch kein Zufall sein, daß in der heidnischen
Polemik gegen die Vergötterungslehre diese Argumente fehlen: sie
können sehr wohl von Tert. selbst erdacht sein. Seine christlichen
Nachfolger lassen sie sich aber nicht entgehen: Minucius flicht (an
XIJ Tertüllians Apologeticim. 349
auch die Gegner sprächen hier von invenirc, nicht von ith
stituere: es seien also die inventa vor den sv^trcd dagewesen,
und die Ehre gebühre dem Schöpfer.1) Die ganze Ausführung
gehört eigentlich in den folgenden Abschnitt, über die merita
remuncranda (hat doch z. B. Dionysos den Weinbau gelehrt
als er noch 'Mensch' war), und hierfür hat ihn auch Tert.
ursprünglich geschrieben: am rechten Orte steht er noch ad
nat. II 16, wo (von c. 14 ab) die in divinitatem ab homvnibus
recepti besprochen werden und als einer der Gründe angeführt
wird quidam fructus et neccssaria victui demonstraverunt. Da
ist auch der Witz am Platze, warum denn die Römer dann
nicht auch Cato oder Pompeius konsekriert hätten, da jener
die ersten frischen Feigen (!), dieser die ersten Kirschen nach
Rom gebracht habe; in dem neuen Zusammenhange des Apolo
geticum fügt sich schlecht der Gedanke ein si propterea Liber
deus, quod vitem demonstravit, male cum L/ucullo actum est, qui
primus cerasia ex Ponto Italiae promulgavit, quod non est prop-
terea consecratus ut frugis novae auctor, quia ostensor: Tert.,
der übrigens inzwischen sich erinnert hat, daß der Kirschen-
bringer Luculi, nicht Pompeius war, hat, wie es ihm auch
sonst begegnet ist, auf die einmal gefundene Pointe auch am
unpassenden Ort nicht verzichten wollen. Er hat aber diese
Betrachtung hier nicht bei den merita remuneranda eingereiht,
weil ja hier der höchste Gott, nicht der Mensch als auctor
divinitatis eingeführt wird, und von Gottes Standpunkt aus
allerdings die evQrJiiccra schlechterdings nicht als merita gelten
konnten.
Es bleiben für diese Klasse die allgemeineren Verdienste
sittlicher oder geistiger Größe: Tert. stellt dem den Hinweis
auf die Schandtaten der 'Götter' gegenüber, ohne doch näher
unpassender Stelle, wie weiterhin gezeigt werden wird) den Satz ein
cum caelum et fulmina et fulgura longe ante furrint quam Juppiter in
Creta nasceretur (23, 6), und ganz ähnlich argumentiert Arnobius I 30.
1) Ähnlich Aristeas ep. 136 gegen die Vergötterung der tvQsrai:
T<bv yctQ iv rfj ■Ktiasi Xaßovru riva avvi&iixav Kai 7tQOs£d£i$ccv s$%Qr\GTcc,
XT]V y.<XT<X6Y.£VT]V KVTWV OV TtOirjGCCVTSq aVZOl. Vgl. GEFFCKEfJ XXIV.
350 Richard Heinze: [XI
darauf einzugehen; nur ganz im allgemeinen, ohne Namen zu
nennen, erinnert er kurz an die hauptsächlichsten Kategorien
von flagitia. Nat. II 13 f. p. 123 fr. hatte Tert. im gleichen
Zusammenhang, anhebend mit Juppiters Taten, dann auf Her-
cules, Aesculap, Theseus übergehend, ausführlich von den
merita gesprochen, aber schon da in vielem von den aus-
getretenen Geleisen der Apologetik und ihrer heidnischen
Vorgänger abweichend; es ist bezeichnend, daß er nun in
seiner Apologie auf dieses Hauptstück der bisherigen Apolo-
getik so gut wie ganz verzichtet, offenbar mit voller Absicht,
um nicht hundertmal Gesagtes zu wiederholen. Auch die
Einführung dieses kurzen Hinweises ist originell: er soll
nicht motivieren, warum die Christen solche Götter nicht
verehren, sondern soll beweisen, daß ein gerechter Gott solche
Menschen niemals zu Göttern erhöht haben würde. Aber
die Beweisführung ist advokatorisch ungerecht: Tert. überträgt
alles, was die Poeten von den Schandtaten der Götter er-
zählten, ohne weiteres auf die Götter der 'Historiker', ohne
andererseits das gelten zu lassen, was die 'Historiker' z. B. von
der zivilisatorischen Tätigkeit ihrer Götter zu berichten wußten.
Rhetorisch wirksam ist der Appell an die praesides, unter
deren Gerichtsbarkeit die fallen, die jenen angeblichen Göttern
gleichen: quid ergo damnatis quorum collegas adoratis? (wo-
ran sich noch einige funkelnde sententiae reihen). Und rhe-
torisch wirksam — aber auch nicht mehr — die Gegenüber-
stellung der guten und großen Männer historischer Zeit,
Griechen und Römer, die es viel eher verdient hätten, Götter
zu werden und die der oberste Gott also, wenn er sie nun
im Tartarus läßt, ungerecht behandelt. *) Alles dies ist sichtlich
Erfindung Tertullians: ein Grieche wäre auch schwerlich da-
1) Auch hier hißt sich Aristeas vergleichen: 137 -nsvbv xal fia-
raiov tovg ü(iolovg cciio&tovv *al yag %xi nui vvv svQtrixätSQOi xat
7l0lvilCc9'£6T8Q0L tStV UV&QGMWV X(bV TIQIV ilßl TtoXXoL, %ul OVX UV Cp&d-
voLSv avzovg TtQooHvvovvTsg. Aher Tert.s Argument kann doch recht
wohl von ihm selbst erdacht sein; es liegt ganz auf der Bahn seiner
inventio.
XII] TertüI/LIANs Apologeth i im. 351
rauf verfallen, unter den Beispielen für nichtvergöttlichte
Helden Alexander den Großen zu nennen, dessen Apotheose
doch notorisch war, oder als Beispiel für göttliche fdicitas
den Polykrates, bei dem Tert. das nichts weniger als glück-
liche Ende vergessen hat. Seltsam berührt es auch, wenn
der Apologet auf den Reichtum des Krösus und des Crassus
einen Anspruch auf Apotheose gründet; und schließlich lenkt
der Advokat ganz in das Fahrwasser des Satirikers ein mit
der Schilderung des obersten Gottes, der zu früh den Himmel
geschlossen hat und nun, wenn die Besseren drunten in der
Hölle über ungerechte Zurücksetzung brummen, erröten muß.
2. Die Götterbilder. — Hier kann sich Tert noch kür- XII
zer fassen als bei den Göttern. Auch hier war von Griechen,
Juden und Christen schon so viel polemisiert worden1), war bei
allen einigermaßen gebildeteten Heiden die schon von Athe-
nagoras (c. 18) angeführte Unterscheidung der Bilder von den
durch sie nur symbolisierten Götter so anerkannt, daß eine
ausführliche Bekämpfung der Idololatrie sich dem Tert. nicht
mehr zu lohnen schien. Er gibt nur kairz den traditionellen
Hinweis auf die Verwendung der gleichen Stoffe zu Götter-
bildern wie zu niedrigen Geräten, ja die Umformung dieser
in jene2i, und geht dann in sehr origineller Weise auf die
Fabrikation der Götterbilder ein. Die einzelnen Stadien dieser
Fabrikation zu nennen, um die Bilder recht anschaulich als
Menschenwerke empfinden zu lassen, war schon der jüdischen
Polemik gegen den Götzendienst geläufig3), und die christ-
liche hat das übernommen: xv ya() ösl sidööiv vp.lv Xeysiv,
cl xrjv vXtjv ol xs%vlxai ÖLaxL&iaöi ^eovxsg xal xepvovxeg xal
Xavevovxeg xal xvTtxovxsg,4) sagt Justin c. I 9 — darin liegt
noch nichts von einem Gedanken an eine Mißhandlung des
1) S. Geffcken XX ff. und sein Register 'Götterbilder'.
2) Besonders nahe steht Justin ap. I 9 i£ &rL[icov TtoXXciy.ig 6v.£v&>v
dta TS%vrtg xb c%f][ia [lqvov äX"/.üt,avztQ v.u\ uoQCpOTtoiiJGuvTSs dtovg
inovouäfrvot. Vgl. Geffcken- XXI, 1. XXVI (Philo).
3) Jeremias 10. Deut.-Jesaias 44.
4) Weiter z. B. Theoph. ad Aut. I 1. Brief an Diognet c. 2.
30-
Richard Heinze: [XII
Gottes durch den Künstler1); Tertullian aber, der ad nat. I 12
ausführlich davon gesprochen hatte, daß das Tonmodell einer
jeden Götterstatue auf einem Holzkreuz aufgebaut werde,
scheint hierdurch auf den Gedanken geführt worden zu sein,
mit dem er die gegenwärtige Beweisführung beginnt: daß
dies gleichsam eine Kreuzigung des Gottes sei, der somit das
Gleiche erdulde, was die Heiden den Christen antun. Der
Einfall wird nun mit echt tertullianischer Gewaltsamkeit
durchgeführt: es mag noch angehen, wenn Axt, Hobel und
Raspel mit den als , Folterinstrumenten dienenden ungulae
verglichen werden; aber Tert. geht weiter zum Köpfen, der
Verurteilung zu den wilden Tieren, zum Feuertod, zu den
Bergwerken — aus denen die Götter stammen — , der Re-
legation auf Inseln2) — wo die Götter geboren oder begraben
sind: da wird also selbst außer Acht gelassen, daß es sich
hier um die Götterbilder handelt, es wird auf die verstorbenen
Menschen zurückgegriffen. Man versteht es, daß Minucius
hier Anstoß nahm und den Grundgedanken Tertullians in
viel einfacherer Weise durchführte: die darum freilich nicht
glücklicher zu nennen ist.3) Für Tertullian war es eine süße
1) Denn wenn Justin nach dem vor. S. Anni. 2 zitierten Satze fort-
fährt 071EQ ov [lovov aloyov T)yov{i£d,(x, äXXa xcä itp' vßgst xov dsov
yivsa&eci, og &qqt\xov do^ccv v.a.1 ^OQ(pi]v £%a>v inl cp&ocQXOtg Kai äso^tvoig
d-SQccnsiag -jiQäyiiaoiv inovofiä&xcci, so ist da, wie man sieht, unter der
vßQig etwas anderes verstanden. Aristides sagt c. 13, 2 y.al 0-ocvfj.ä^oi,
■nmg OQÜtvtsg xovg &sovg ccvxäv vnb t&v driaiovQyäv TtQi£o{i£vovg v.ul
7tsX£HOV[i£vovg neu ■x.oloßovinvovg, Ttaltxioviisvovg xs imb xov %q6vov hczI
avcc'kvon&vovg vecci %cov£voiLhvovg ovk i(pQovr}6civ ueqI ccvtäv oxi ovv. ug\v
&£Ol. ort ya.Q nsgl xf\g ISLag ocaxrjQiag ovdsv lo%vov6iy 7ta>g xäv av-
ftQwTiav TtQovoiccv Ttoir\Govxai. Da ist also nicht von der Fabrikation,
sondern nur von der Zerstörung die Rede
2) in insulis relegamur: aus welcher Wendung selbstverständlich
nicht zu schließen ist, daß die Strafe der Christen relegatio im strengen
technischen Sinne, nicht deportatio gewesen sei.
3) Als Grundgedanken bezeichne ich die Auffassung der Fabri-
kation als Mißhandlung, die sich sonst außer bei Tert. nicht findet:
materiem ab artifice, ut deum faceret, inlusam 23, 10, nee sentit suae
nativitatis iniuriam 12. Dabei läßt Min. nicht nur jede Beziehung auf
XII] Tektullians Apologetklm. 353
Genugtuung, den Feinden, die gegen die Christen in jeder
Weise wüten, den Hohn ins Gesicht zu schleudern: ergo gm
puniuntur consecrantur et numina erunt dicenda Stopplicht'.
solcher Hohn fragt nicht nach Logik.
Tert. sagt selbst sogleich, daß es ihm mit diesem Ver-
gleich nicht ernst ist: die Bilder sind ja v.vai6%v\xu.y wie sie
die Griechen so oft bezeichnet hatten, empfinden die Unbill
so wenig wie die Verehrung.1) Derartiges zu äußern gilt
die Strafen der Christen beiseite, sondern versäumt es überhaupt, was
jedenfalls erwünscht wäre, die Analogie zur Mißhandlung lebender
Wesen hervorzukehren , s. z. B. deus aereus vel argentrus . . conjlatur,
tunditur malleis et in incudibus figuratur: wer kann das als inlusio
materiae oder gar dei auffassen? Getrübt wird auch noch die An-
schauung dadurch, daß Minucius aus seinen griechischen Quellen nicht
Hergehöriges hineingearbeitet hat: die Erinnerung an die bei den
Apologeten beliebte Geschichte vom immundum vasculum des ägypti-
schen Königs Amasis (Geffcken XXI Anm. 1. XXVI f.), womit der Zn-
satz zum deus ligneus, vielleicht von Minucius gefunden, auf gleicher
Linie steht: rogi fortasse vel infelicis stipitis portio: sodann, gleichfalls
der griechischen Apologetik verdankt, die Anspielung auf die Un-
moral der die Götzenbilder schaffenden Künstler: scalpitur et ab im-
purato homine levigatur, vgl. Justin I 9: xat 6'rt oi rovrcov ti^vlxcci
ccGsXyüg sloi y.oci Ttäauv xukikv . . %%ov6i, ay.gißcbg tnißtaG^B. (Dagegen
kann ich eine nähere Beziehung zu Lukian Gallus 24 Geffcken p. 279
nicht zugeben. Dort dienen die äußerlich glanzvollen, innerlich ab-
scheulichen Kolosse als Bild für das scheinbar herrliche, in Wahrheit
elende Leben des Herrschers : von irgendwelcher ikonoklastischen
Tendenz ist nichts vorhanden, ebensowenig die Rede davon, daß den
Göttern durch die Art ihrer Fabrikation eine Unbill geschehe.)
1) Sed plane non sentiunt hus iniurias et contumelias fabricationis
suae dei vestri, sicut nee obsequia. Danach Minucius: lapideus d<ns
caeditur, scalpitur et . . levigatur, nee sentit suae nativitatis iniuriam,
ita ut nee postea de vestra oeneratione eulturam: also nicht, wie bei
Tert., im Gegensatz zu der vorherigen Ausführung, sondern sie fort-
setzend und damit abschwächend: denn wenn der Apologet selbst
sagt, daß die iniuria nativitatis nicht empfunden werde, so ist es eben
keine iniuria. Oder meint er, diese Fühllosigkeit bei der Entstehung
sei ein Beweis auch für die Fühllosigkeit der Fertigen? Er fährt fort:
nisi forte nondum deus saxum est vel lignum vel argentum. Dieser Ein-
wand ist in der Tat so selbstverständlich, daß die Einführung mit
354 Richard Heinze: [XU
für empörend: im Grunde ist es ja auch eure Meinung, und
Seneca, der eure superstitio noch viel härter verurteilt hat,
findet euren Beifall. Und so verdienen wir denn vielmehr
Lob, wenn wir die Konsequenzen aus der Erkenntnis der
Irrtümer ziehen und den Götterbildern die Verehrung ver-
weigern. In diesen Schlußsätzen wird dann auch noch der
Gemeinplatz gegen die Idole gestreift, daß die Tiere sie ver-
unreinigen: auch dieser nicht ohne neue Pointierung, denn
wenn sonst nur die Ohnmacht der Bilder daraus geschlossen
wurde1), die sich nicht dagegen zu wehren vermögen, wird
hier — statuas . . quas mihi et mures et araneae intellegunt —
den Tieren die richtige Einsicht in das Wesen der Bilder
zugeschrieben2), woran sich denn also die Menschen ein Bei-
spiel nehmen könnten.
nisi forte wenig am Platze scheint. Aber Minucius steuert auf einen
neuen xÖTtog zu: wann wird denn das tote Ding zu Gott? Die Ant-
wort ist für jeden Gläubigen gegeben, und z. B. Tbeophilus (ad Autol.
II 2) setzt sie auch als gegeben voraus: nal yag ytlolöv fiot Sohü,
Xi&o^oovg [ihr xcci TcXäaxag 7) £coyQaq)ovg rj %(ovbvxa.g n%Ü66siv xs xal
yQUCptiv Kai yXvcpsiv neu xwvsvsiv xai &sovg xaxa6xsvdg£iv , 01 iiidv
yivcovTcu iiito xwv xt%vix&v ovdsv avxovg rjyovvTaf bxav &s ayogaftüoiv
sig vccbv y.kXov[isvov 7) olxöv xiva, xovxoig ov iiovov %vov6iv oi osvr\-
ßäfisvoi, dcXXd Y.ccl oi noiJGavxsg xat 7ta>Xi]6avxsg . . . Tjyovvtai Q'sovg
avxovg, ov% sldöxsg 6x1 xoiovxol slßiv onoloi v.ai 6xs iyivovxo vji'
avxmv e. q. s. Es hat guten Grund , diesen Gegensatz hervorzuheben,
weniger guten, so wie es Minucius im Anschluß an die vorhergehende
Deduktion tut, den Prozeß der allmählichen Entstehung des Bildes
hier zu verfolgen; dieser Versuch, einen Schluß in der Art des Sorites
zu bauen, wird Minucius' Eigentum sein. Dagegen die eigentümliche
Wendung des Schlusses tune postremo deus est, cum homo illum voluit
et dedieavit erklärt sich wohl aus einer Reminiszenz an das, was bei
Tert. im nächstfolgenden Kapitel, dort ganz am Platze, steht: deus non
erat, quem homo consultus voluisset et nolendo damnasset (nämlich bei
der Abstimmung im Senat). So zeigt der ganze Abschnitt 23, 9 — 13
die zusammenstückelnde Arbeitsweise des Min. recht deutlich.
1) Gefpcken 276.
2) So auch Minucius: mures, hirundines, milvi non sentire eos
sciant . . araneae vero faciem eius intexunt . . vos tergetis, mundatis,
eraditis. Xahe kommt dem schon Clem. protr. IV 52 ai %£lid6v£g v.ai
XIII r— 3J Tertullians Apologeticum. 355
3. Das Verhalten der Heiden gegenüber ihren ^Göttern', xm 1 — 3
1. Der Einwand sed nobis dei sunt wurde oben (X 3) zu-
rückgewiesen durch den Appell an das Wissen, wird hier ab-
gelehnt durch den Hinweis auf die Praxis der Heiden. Das
Material hierzu war Nat. I 10 als Gegenanklage verwandt und
noch ausführlicher dargelegt — die Spuren der Verkürzung
sind sichtbar — ; hier ist es unter die Beweisreihe für die
Nichtexistenz der heidnischen Götter eingestellt, weil die
eigentliche Retorsion — in vos exprolyratio ista resultabit —
den Gegner des wahren crimen laesae religionis überführen soll
(XXIV), was ja die Mißachtung der Götzen nicht ist. — Die
beiden hier vereinigten Vorwürfe, daß a) nicht von allen
Völkern sämtliche Götter verehrt würden, worin eine Zurück-
setzung der übergangenen liege, und daß b) die Nichtbestäti-
gung eines Gottes durch den Senat eine Kränkung sei —
sind in der früheren Schrift mit Recht als zwei gesonderte
behandelt. Die dort scharf gespitzte Pointe des zweiten
Vorwurfs — daß nämlich Götter vom Senat verworfen worden
sind, die man später anerkannt hat — fehlt hier; Tert. hätte,
um sie anzubringen, auch die dortigen Beispiele wiederholen
müssen, was er nach Möglichkeit vermeidet. Dafür wird hier
die Abhängigkeit des Gottes vom guten Willen der Menschen
betont, also der Gesichtspunkt, unter dem sich beide Vorwürfe
vereinigen lassen. — Der Hinweis auf die Verschiedenheit der
ethnischen Kulte dient sonst in der Apologetik zur Begründung
rä>v oqvscjv tu TiXtlcxa . . ■xa.q töv ovSi avtwv ri]v ccvcu6&r\6Luv rav
ayaXuävav ix^ccvQ-civsts: daraus wohl, vielleicht daneben aus Minucius,
Arnobius VI 16. — Wenn die Schwalben, die bei Min. und Clem.
stehen, bei Tert. fehlen, so kann ich daraus ebensowenig (mit Geffcken
279) die Priorität des Min. folgern, wie ich für Min. hier die Benutzung
einer besonderen Quelle neben Tert. annehme: auf jene Tiere konnten
wirklich mehrere unabhängig voneinander verfallen, und den Zusatz
hat Min. allerdings nicht gemacht, weil er 'empfunden hat, daß bei
Tert. etwas fehle', sondern weil er die geliebte Dreizahl herstellen
wollte, von der es unmittelbar vorher und nachher Beispiele genug gibt
(sie ist vielleicht aus 23, 11 durch Tilgung von caeditur, das nachher
wiederkehrt, herzustellen).
356 Richard Heinze: [XIII ]— 6. 7
der Beschwerde, daß den Christen allein ihr Kult verboten
wird (Athenag. 1, dazu Geffcken); in diesem Sinne verwertet
ihn auch Tert. unten XXIV. Hier wendet er den Gedanken
nach anderer Richtung, verzichtet aber, um jener späteren
Erörterung nicht vorzugreifen, auf Details.
XEI 4—6 2. Geschäftliche Ausbeutung der Götter im privaten und
Staatshaushalt. Bemerkenswert, daß ad 1 von den Götter-
bildern, ad 2 von den Göttern selbst als Inhabern der sacra
gesprochen wird, ohne Andeutung des Wechsels. Der Hinweis
auf Umarbeitung von Götterbildern zu Gebrauchsgegenständen,
der etwas aus der Umgebung herausfällt, fehlt in Nat.; der
Einfall ist also, im Zusammenhang mit den unmittelbar vor-
hergehenden Erörterungen über die Fabrikation der Bilder,
dem Tert. bei der Umarbeitung des Abschnittes gekommen
und nicht zurückgedrängt worden. — Bei den übrigen Apo-
logeten findet sich Entsprechendes nicht; auch sind es ja
speziell römische Bräuche, die Tert. hier ins Auge faßt; echt
römisch ist vor allem das Argument, daß die Götter dadurch
herabgesetzt werden, daß sie Abgaben zahlen müssen.1)
XIII 7 3. Die Formen eures Götterkultes sind von denen eures
Totenkultes nicht verschieden. Dazu gehören auch die Götter-
bilder: idem hdbitus et insignia in statuis; ut aetas, ut ars, ut
negotium mortui fuit, ita deus est. Der allzu knappe Ausdruck
wird verständlicher durch die ursprüngliche Fassung mit Bei-
spielen in Nat.: easdem statuis inducitis formas, ut cuique
ars aut negotium aut aetas fuit: senex de Satumo, imberbis de
Apolline, virgo de Diana figuratur, et miles in Marie, et in
Vulcano faber ferri consecratur. Also eine wiederum ganz
originelle Zuspitzung des in der Polemik gegen den anthro-
pomorphen Götterglauben traditionellen, schon von Cicero (de
nat. deor. I 83 fg.) den Römern vorgeführten Hinweises auf die
1) Die Sätze des früheren Buches sind z. T. wörtlich wiederholt,
einige Pointen charakteristisch verschärft: aus maiestas constituitur in
quaestum wird maiestas quaestuaria cfficitur, aus venditis totam divi-
nitatem, non licet eam gratis coli hier non licet deos gratis nasse, rena-
les sunt.
XIII 8. 9] Tekum-ians Apologeticum. 357
Unmöglichkeit, die überlieferten Göttergestaltungen als wirk-
liche Abbilder der Götter anzusehen: Tert. faßt hier diesen
Anthropomorphismus als eine Herabsetzung der Götter, die
damit auf die gleiche Stufe mit den Verstorbenen gestellt
werden.
Min. (22, 5) hat die Beispiele in diesem Falle aus Cicero entlehnt
und den rönog unter seine Beweise für die ursprünglich menschliche
Natur der Heidengötter eingereiht: wenn er das einführt mit quid?
formae ipsae et habitus norme arguunt ludibria et dedecora deorum vestro-
rum ? — wozu man zwar den Volcanus claudus deus et debilis, aber
schon schwerlich die folgenden (Apollo tot aetutibus levis, Arsculapius
bene barbatus usw.) rechnen kann — so liegt der Verdacht nahe, daß
Min. an den Zusammenhang bei Tert. gedacht hat, wo der röitog in
der Tat den ludibria (XIV 2) zunächst steht.
4. Der römische Götternachwuchs. In Nat. ist an dieser XIII 8. 9
Stelle nur von den consekrierten Kaisern, und von diesen
ausführlicher, die Kede; das muß hier der späteren Erörterung
vorbehalten bleiben und wird also nur mit einer ironischen
Verbeugung vor den Kaisern als den domini deorum gestreift.
Es folgt Acca Larentina, über die Tert. Nat. II 10 nach Varro
ausführlicher berichtet; Simo der Magier, dessen Verwechselung
mit dem Gotte Semo Sancus sich schon bei Justin I 26 findet
und von Tert. wahrscheinlich daher entlehnt ist1), endlich
Antinous — de paedagogicis aulicis nescio quem, er wird nicht
einmal der Nennung gewürdigt — , gegen dessen Apotheose
auch die Griechen durchweg polemisieren.2) Keiner dieser
1) Haknack, Zur Quellenkritik d. Gesch. d. Gnostizismus, Leipzig
s. a. p. 67.
2) Am zurückhaltendsten Athenag. c. 30 : v.ai kvrivoog (pilccv&Q'jyjiii:
xmv v^stsqwv 7CQoy6vo)v ngog rovg v7tTjx6ovg f'ru^a voui^scdat ftsog. Das
bedeutet aber nicht, daß die Apotheose ein fAkt besonderer Leutselig-
keit der Herrscher' sei (Geffcken 227), sondern daß es Antinous der
(filccv&Qconia der früheren Herrscher (nicht eigenen Verdiensten) zu
danken habe, wenn die Untertanen so loyal waren sich seine Apotheose
gefallen zu lassen. Aber auch Justin getraut sich nicht recht mit der
Sprache herauszugehen : er hat von der christlichen Sittlichkeit im Gegen-
satz zu der namentlich in der männlichen Prostitution sich zeigenden
Unsittlichkeit gesprochen , zuletzt ein besonders leuchtendes Beispiel
358 Eich ard Heinze: [XIV 1
griechischen Apologeten hat dabei eine so bissige Wendung
gefunden wie Tert., der behauptet, die alten Götter seien ja
zwar auch nicht besserer Herkunft als diese neuen, würden
aber doch aus purer Eifersucht die Nachwahlen als Schmach
empfinden.
XIV 1 5. Nur im Vorbeigehen werden die Riten des Kultus er-
wähnt.1) Daß die Götter bei den Opfergaben zu kurz kommen,
war auch Nat. I 10 p. 78 der einzige Punkt, den Tert. aus
diesem Gebiet vorbrachte, eingeführt wie hier non dico qaales
sitis in sacrificando: nur daß hier diese Bräuche ausdrücklich
gebilligt werden — laudabo magis sapientiam, quod de perdito
aliquid eripitis — , und daß hier andere Überschriften gegeben
für die Reinheit des christlichen Lebenswandels angeführt, und schließt
den ganzen Abschnitt (I 29) mit dem Hinweis auf Antinous, den man
— obwohl er doch einer jener unglücklichen Buhlknaben war — sogar als
Gott verehrte: iniöTä^iBvog ziq rs t\v %a\ 7to&Bv vnf]Q%kv (die Kenntnis
der Herkunft des Ant. hat freilich nichts mit der Kinderaussetzung,
wohl aber etwas mit der Vergottung zu tun; Geffcken wird p. 98 fg.
dem Gedankengange Justins nicht gerecht, weil er nicht den ganzen
Abschnitt 27 — 29 ins Auge faßt). Ebenso wenig wie Justin spricht
es Tert. aus, daß Antinous Buhlknabe des Kaisers gewesen sei.
1) Volo et ritus vestros reeensere — non dico quales sitis in sa-
crificando.. . laudabo magis sapientiam, quod de perdito aliquid eripitis — ;
sed conversus ad litteras vestras . . . quanta invenio ludibria. Man ver-
mißt die Aufzählung der als Verspottung der Götter geltenden Riten,
die mit volo reeensere angekündigt schien. Ähnlich hatte Tert. XI 11
gesagt volo igitur inerita recemere, an eiusmodi sint, ut illos in caelum
extulerint et non potius in imum tartarum merserint: man erwartet
auch hier eine Aufzählung der einzelnen flagitia, wie sie Nat. II 13 fg.
in diesem Zusammenhange gegeben war: aber es folgt nur, mit enim an
die Erwähnung des Tartarus angeknüpft, eine ganz allgemeine Charak-
teristik der flagitia ohne Nennung von Namen, sodann (13. 14) eine
Nebenbemerkung über die Stellung der Praesides zu diesen flagitia;
dann lenkt Tert. wieder ein mit sed ut omittam huius indignitatis
retraetatum — betrachtet also auch das ganze als eine praeteritio, keine
recensio. Tert. hat also entweder in beiden Fällen es versäumt, den
ausgesprochenen Vorsatz auszuführen, resp. ihn fallen lassen und dann
versäumt die einführende Formel zu ändern — was in der Wieder-
holung freilich höchst auffallend wäre; oder er hat volo in ganz eigen-
tümlicher Weise gebraucht statt velim fich hätte wohl Lust . . . aber'.
XIV i] Tertullians Apologeticum. 359
werden: volo et ritus vestros recensere . . . sed cotwersus ad
litt er as vestras, während dort bulgae aut sacrilegae gidae1)
den doctissimi gravissimi, die in der Literatur zu Worte kommen,
gegenüberstehen. Tert. fiel die neue Pointe ein, daß die kargen
Opferer eigentlich recht vernünftig handeln; dabei konnte er
die frühere Anknüpfung nicht brauchen, und hat darum den
neuen Gegensatz eingeführt.
Minucius sagt 24, 2, nachdem er die Götterbilder behandelt hat:
guorum ritus si percenseas, ridenda quam multa, quam multa etiavt
miseranda sunt! und führt dann eine Menge solcher Bräuche auf: nackt
laufen sie im strengen Winter herum usf. Sein Gesichtspunkt ist ein
anderer als der des Tert.: dieser hat Bräuche im Auge, aus denen
Verachtung der Götter spricht, Min. dagegen Absurditäten, die dem
Christen lächerlich oder erbärmlich dünken: trotz der äußerlich engen
Anknüpfung (quorum ritus . . .) hat der Passus mit dem vorher (von
c. 20 ab) gelieferten Beweis für die menschliche Natur der Götter
keinerlei näheren Zusammenhang. Den Schluß, den Ebert (p. 377 f.)
und andere aus dem Vergleich der Stellen auf die Priorität des Min.
ziehen, halte ich nicht für berechtigt: ich wüßte nicht, angenommen
selbst daß Tert. nur aus Nachlässigkeit die Behandlung der Riten
unterlassen hätte (s. vor. Seite Anm. 1), wie sich diese Nachlässigkeit
leichter unter der Voraussetzung erklären ließe, daß ihn das Vorbild
des Min., nicht eigenes Nachdenken auf den Punkt geführt habe. Zu-
dem ist es auch hier wieder methodisch richtig, von der analogen
Stelle in Nat. auszugehen, die ja ganz ohne Anstoß ist: wie sollte
denn nachträglich das Vorbild des Minucius den Tert. zu jenem Fehler
verführt haben? Besteht also überhaupt ein näherer Zusammenhang
zwischen den beiden Stellen, so ist er nur so zu erklären, daß Min.
bei Tert. den Satz volo et ritus vestros recensere las und sich dadurch
angeregt fühlte, auf eigene Faust das, was sein Vorbild unterlassen
hatte, auszuführen: einige Absonderlichkeiten des Kults waren leicht
zusammengerafft, wenn sie nicht etwa alle aus Seneca stammen, dessen
Buche de superstitionibus (fr. 34H.) Minucius, auch hier anlehnungs-
bedürftig, die Schlußpointen fast wörtlich entnommen hat.
1) Den Sinn des Satzes hat allein Gothofredus richtig verstanden,
der erklärte per quae idiotae (er schrieb (per} quae vulgae) et sacri-
legi maiorum religionem aryuere solent: in der Sparsamkeit der Opfer
(das Apol. bringt noch das weitere Beispiel der deeima Herculis, von
der noch nicht ein Drittel dem Gott dargebracht wird) liegt eine An-
klage, von Geizhälsen und Schlemmern gegen die religio maiorum er-
hoben. Hahtels Erklärung a. a. 0. 50 fg. irrt ganz ab.
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 28
360 Richard Heinze: [XIV 2—6
XIV 2— 6 6. Es folgen die von den Schriftstellern gegen
die Götter verübten ludibria; strenge und klare Disposition,
wie es Tert.s Art ist: A. Dichter, a) Homer, b) Lyriker,
c) Dramatiker. B. Philosophen. Tert. hat zunächst aus dem
homerischen Mythus Züge herausgesucht, die die Götter ver-
ächtlich scheinen lassen: dies, nicht allgemein das Anthropo-
morphe oder das Lasterhafte, ist sein Gesichtspunkt, den er
strikt festhält. Also zunächst die Theomachie mit Erinnerung
an die vom Dichter paarweise genannten Gegner, und dem
Hinweis auf die herabwürdigende Ähnlichkeit mit den paria
gladiatorum; Venus durch einen Menschen verwundet (Jiumana
sagitta ein Gedächtnisfehler), der auch ihren Sohn Aneas
fast getötet hätte; Mars dreizehn Monate gefangen, Juppiter
vor gleichem Schicksal nur durch ein Ungeheuer gegen die
übrigen Himmlischen geschützt, dann bald weinend, bald in
widerlicher Geilheit zu seiner Schwester entbrannt. Andere
Dichter eifern dem nach: der eine läßt den Apollo das Vieh
des Admet weiden, der andere den Neptun sich als Maurer
bei Laomedon verdingen. Sodann bei Pindar Aesculap, der
aus Habsucht unerlaubte Heilkünste übt und dafür von
Juppiter mit dem Blitz erschlagen wird: was auch von Juppiter
gegen seinen Enkel nicht schön gehandelt war. Ohne Einzel-
beispiele wird schließlich erwähnt, welch unwürdige Rolle die
Götter bei den Dramatikern spielen.1) Die gleiche Liste
hatte Tert. schon Nat. I 10 gebracht: nur waren dort Venus
und Juppiters Befreiung etwas knapper behandelt und es fehlten
die Beispiele von Apollo und Neptun, die hier als Belege für
die Nachfolger Homers gebracht werden, von denen dort nur
die Tatsache der Nachfolge behauptet war. Ferner fehlt dort
der Fall des Aesculapius, weil er in anderem Zusammenhange
(II 14), bei der Besprechung der merita deorum, behandelt war.
1) Nämlich als Prologsprecher in der Tragödie und neuen Ko-
mödie: nee tragici quidem aut comici pareunt, ut non aerumnas vel
errores domus alieuius dei praefentur (vgl. ad nat. I 10 p. 79 ut non
aerumnas ac poenas dei praefarentur) . Der Satz wird von den Heraus-
gebern durchweg, so viel ich sehe, nicht richtig verstanden.
XIV 2—6] Tertullians Apologbticum. 361
Natürlich hat sich kein Apologet die schimpflichen
Götterfabeln entgehen lassen, so wenig wie früher die heid-
nischen Bestreiter des Volksglaubens, und die Beispiele sind
naturgemäß großen Teils überall die gleichen; so finden sich
bei Athenagoras 2 1 von denen des Tert. wieder Zeus Trauer
und Brunst, Aphrodites Verwundung und ihre Mutterschaft,
Ares' Gefangenschaft, Apollos Knechtschaft, dazu manches
andere: aber die Zielscheibe der Polemik sind hier die
körperlichen und seelischen jraib} der Götter; behauptet wird,
daß derartiges der göttlichen Natur widerspreche: wie dies
schon Aristides in ermüdender Breite für jede einzelne Figur
des Olympos ausgeführt hatte. Eine der vollständigsten
Listen gibt Clemens im Protrepticus II 27 — 39: da findet
sich fast alles, was Tertullian bringt, unter einer zehnfach
größeren Masse von einzelnen Zügen wieder: der Zweck ist
auch hier, zu zeigen, daß es Menschen sind, nicht Götter,
von denen die Fabeln handeln.1) Man sieht, wie Tert. diese
Dinge unter einen ganz neuen Gesichtspunkt stellt: er pole-
misiert nicht gegen die Götter, sondern gegen die weisen
Griechen, die es wagen, ihre Götter zu verunglimpfen —
nicht 7iläv)i 7ioir]rixij sondern aöeßsiu liegt vor — ; nach
diesem Gesichtspunkt ist seine knappe Auswahl getroffen.
Keiner der älteren oder unabhängigen jüngeren Apologeten steht
in Auswahl und Formulierung der Beispiele dem Tert. so nahe wie
Minucius (23): für das Verhältnis der beiden zu einander ist dies eine
der lehrreichsten Stellen. Von einigen Details in der Ausführung ab-
gesehen, hat Minucius als Plus die Verwundung und Flucht des Mars,
den Hercules, der stercora egerit, das Schmieden von Juppiters Blitzen
und den Waffen des Äneas 2), endlich Venus und Mars, beim Ehebruch
ertappt, und Ganymedes als Buhlknabe Juppiters in den Himmel
erhoben, außerdem nennt er den Briareus mit Namen, den Tert. nur als
monstrum aliquod bezeichnet. Andererseits fehlt bei Min. nur Aesculap,
der aber am Schluß des vorigen Kapitels unter den 'verstorbenen'
1) 29 ai' ys itargiötg ccvtovg xat cd xi^vai y.al oi ßloi, Ttgbg de ys
xal oi Tcccpoi ccv&QWTtovg ysyovorag diiXty%ov6iv, sodann 40 luv di]'
insidi] ov &soi, ovg d~ctr]aii£v£TB, av&ig iiti6Y.iibct69ctl fioi SoiieI sl övrcog
sUv ÖUt[lOV8S'
2) Aus Virgil: Vahlen Opusc. Acad. II 116.
28*
3Ö2 Richard Heinze: [XIV 2—6
Göttern schon genannt war. x) Welches ist der Gesichtspunkt des
Minucius? Man ist in Verlegenheit, ihn zu präzisieren: nach dem
abschließenden quis ergo dubitat hominum imagines consecratas vulgus
orare wäre es der aus den griechischen Apologeten bekannte, die
menschliche Natur der Götter; aber vorher ist von fabulae et errores,
von figmenta et mendacia dulciora die Rede, so daß es sich nur darum
zu handeln scheint, die Mythen als unwahr zu erweisen, als tyv%ay(o-
yiag %&qiv von den Dichtern erfunden, oder — denn auch hier kann
man schwanken — in böserer Absicht überliefert: quae omnia in hoc
prodita, ut vitiis hominum quaedam auctoritas pararetur, und das Lob
Piatons, der den Homer aus seinem Staat verwies, läßt weniger eine
Polemik gegen die Götter der Heiden, als gegen die auch von den
frommen Heiden verurteilten unsittlichen Erfindungen der Dichter er-
warten 2) ; ganz unerwartet aber und unvermittelt tritt bei Homer
etwas dem tertullianischen Gesichtspunkte der ludibria Verwandtes auf:
1) Agahd sieht in der oben (S. 290, 2) angeführten Schrift (p. 40 ff.)
in den Abweichungen der beiden von einander und darin, daß für Beide
Parallelen bei den griechischen Kirchenschriftstellern vorhanden sind,
wieder einen Beweis für seine These: aus dem auctor communis soll
auch Lactanz i. d. I 10, 5 ff. schöpfen. Er müßte zum mindesten sein
Stemma noch dadurch komplizieren , daß er Lactanz aus dem auctor
direkt, Tert. und. Min. aus einer gemeinsamen abgeleiteten Quelle
schöpfen ließe: so groß ist ihre Übereinstimmung gegenüber Lactanz.
Ich meine aber, in diesem Falle liegt besonders klar auf der Hand,
daß das Mehr bei dem einen wie dem andern nicht aus einer be-
sonderen c Quelle', sondern aus eigener Kenntnis der Dinge geschöpft
ist; oder sollte man wirklich dem Min. nicht die Kenntnis der Fabeln
von Herkules und Augeias, von der Schmiede Vulcans, Ares' und Aphro-
ditens Ehebruch, Juppiters Liebe zu Ganymed zutrauen? Oder beweist
es irgend etwas für eine 'Quelle', daß diese allgemein bekannten Fabeln
auch bei den griechischen Apologeten erwähnt werden? Irgendwelche
Besonderheiten der Überlieferung oder Darstellung, die es ermöglichten,
auf eine bestimmte Tradition zu schließen, liegen nirgends vor.
2) Min. beklagt es, daß diese Fabeln Gegenstand des Unterrichts
sind: has fabulas et errores . . ipsis studiis et disciplinis elaboramus
carminibus praecipue poetarum. Das ist in seiner auf die menschliche
Natur der Götter gerichteten Beweisführung ein abwegiger Gedanke.
Tert. dagegen, der ja den Heiden vorwirft, daß sie schlecht von ihren
Göttern reden, hat guten Grund bei Erwähnung der litterae hervor-
zuheben quibus informamini ad prudentiam et Uberalia officia: also
selbst diese verantwortliche Aufgabe hält die Schriftsteller von ihren
Blasphemien nicht ab.
XIV 2—6] Tertullians Apologeticum. 363
hie mim praeeipmts hello Troico deos vestros, etsi ludns jacit, tarnen in
hominum rebus et actibus miseuit: von einem ludos facere ist sonst bei
Min. durchaus nicht die Rede, auch paßt unter diesen Gesichtspunkt
z. B. das aus Virgil genommene Beispiel von den Blitz und Waffen
schmiedenden Cyklopen durchaus nicht. Bei diesem Beispiel aber
treffen wir zu unserer Überraschung auf eine rationalistische Wider-
legung des Mythus: Blitze hat es längst vor Juppitera Geburt gegeben,
kein Cyklop konnte sie schmieden, und Juppiter selbst mußte sie
fürchten: also das, was Tert. in ganz anderem, gutem Zusammenhange
gegen die Auffassung der Götter als Gehilfen des obersten Gottes ein-
gewendet hatte (XI 6, oben S. 348). Unter diesem Schwanken ist ein
festes Prinzip der Auswahl bei Minucius nicht zu finden, und die
Formulierung arbeitet nicht konsequent auf ein bestimmtes Ziel hin,
während bei Tert. jedes Wort dazu dient, das dedecus zu verschärfen.
Bei ihm also hat das deos ut gladiatorum paria congressos eine ver-
giftete Spitze, bei Minucius ist das hie eorum paria composuit gleich-
gültige Redewendung, denn es dient nur als Beleg dafür, daß Homer
deos . . m hominum rebus et actibus miseuit, bei Tert. ist Iovem opera
cuiusdam monstri liberatum ein Hieb auf die Jämmerlichkeit des Gottes,
bei Minucius Iovem Briareo liberatum gelehrte Notiz; Tert. zeigt uns
Juppiter fuede subantem in sororem in abstoßendem Bilde, bei dem der
Inzest nicht vergessen ist, und der Zusatz sub commemoratione non ita
dileetarum iamjiridem amicarum das Widerliche der Sache verstärkt,
bei Minucius ist in flagrantius quam in adulteras soleat cum Iunone
uxore coneumbere der Gegensatz zwischen adulterae und uxor belanglos,
eher abschwächend: und so läßt sich der Vergleich ausnahmslos durch
alle Beispiele durchführen. Also auf der einen Seite höchste Zweck-
mäßigkeit in Auswahl und Darstellung, auf der anderen kein erkenn-
bares Prinzip gerade dieser Auswahl, die mithin willkürlich erscheint,
und ebensowenig Festigkeit in der Durchführung. Ich meine, es kann
nicht zweifelhaft sein , wem von beiden wir lieber die Initiative zu-
schreiben, und es ist gewiß kein Zufall, daß gerade die drei letzten
Beispiele des Min. bei Tert. fehlen, während vorher nur eines, das des
Hercules, bei Minucius allein steht. Minucius hat die Liste des Tert
übernommen, wurde durch die Knechtschaft des Adinet an die des
Hercules erinnert, und fügte am Schluß noch einiges wenig glücklich
Ausgewähltes hinzu : umgekehrt ist der Prozeß für mich unbegreiflich.
Von den Philosophen nennt Tert. Sokrates, dessen Schwur
'bei der Eiche und dem Bock und dem Hund'1), für Theoph.
1) Über diese Zusammenstellung s. Rauschens Anmerkung; ferner
über die Erwähnungen in der heidnischen Literatur außer Oehlers
Anm. Geffcken, Sokrates und das alte Christentum, Hdlbg. 1908, p. 41.
364 Richard Heinze: [XV 1—6
ad Autol. III 2 ein Beweis seines Irrglaubens, hier vielmehr
als Zeugnis richtiger Erkenntnis des Unwerts der heidnischen
Götter erscheint. Ähnlich in der christlichen Literatur nur
Apollonius (acta gr. 19), der den Schwur cbei der Platane' als
Hohn gegen die Athener faßt, die tote Bilder anbeten; Tert.
ist durch seine konsequent verfolgte Tendenz, die Heiden
selbst als aöeßsig zu erklären, dazu geführt worden, in So-
krates' Äußerung eine bewußte Schmähung (in contumeliam)
der Götter zu sehen, und er läßt es nicht gelten, daß man
ja den Sokrates verurteilt habe, weil er den Götterglauben
zerstörte — woraus folgen würde, daß er mit seinen gott-
losen Überzeugungen allein gestanden habe: da die Athener
jenes Urteil später bereut und nach Kräften redressiert haben,
bleibt Sokrates als Zeuge für die heidnische aösßeia bestehen.
Denn man beachte wohl: wenn Sokrates auch die Wahrheit
vertrat, als er deos destruebat, so wird ihm das doch von
Tert. nicht zum Ruhme angerechnet: er ist ja nur einer der
Heiden, zu denen Tert. sagte deos vestros, quos timetis, destruitis;
auch er hat ja schließlich dem Aesculap einen Hahn geopfert1),
und die Athener waren im Grunde doch ganz mit ihm ein-
verstanden: so wenig also ist es richtig, wenn er als einsamer
Held und Märtyrer der Wahrheit gepriesen wird. Des weiteren
folgen Diogenes der griechische und Varro der römische Cy-
niker mit ihrem Spott auf Herakles und die homonymen Joves:
man sieht, Tert. übergeht die ernsthaften Bestreiter des Volks-
glaubens, da es ihm darauf ankommt, nicht Polemik, sondern
Äußerungen der Verachtung, ludibria, zu sammeln; Nat. I 10,
p. 79 hatte er noch, nicht ganz so konsequent, im allgemeinen
von den Philosophen zugegeben, daß sie nonnullus ad flatus
veritatis adversus deos erigit.
XV 1—6 7. Auch bei den szenischen Darstellungen — mimi und
histriones2) werden geschieden — und bei den Vorführungen
1) XL VI 5: s. dort Weiteres über Tert.s Stellung zu Sokrates.
2) Das sind Pantomimen, nicht Komöden und Tragöden, wie
(Dehler will; histrionum litterae oder, wie Nat. I 10, p. 79 gesagt ist
Jiistrionicae litterae., die Pantomimentexte. So denn auch Minucius
XV 7] Tertullians Apologetictm. 365
im Amphitheater1) liegt der Nachdruck auf dem Beifall, den
diese Herabwürdigung der Götter beim Publikum findet. Die
Beispiele nimmt Tert. aus dem Leben: die spectacula jeder
Art waren ihm ja wohl vertraut.
8. Und nun der letzte Trumpf: das unsittliche Treiben XV 7
in den Heiligtümern, die Beraubung der Heiligtümer, deren
sich nur Heiden, nicht Christen schuldig machen: nescio, ne
plus de vobis dei vestri quam de christianis querantur — so
wird der Grundgedanke der ganzen vielteiligen Polemik noch
einmal rekapituliert.
Tert. sagt: ceterum si adiciam, quae non minus conscientiae om-
nium recognosccnt , in templis adidteria componi, inter aras lenocinia
tractari, in ipsis plerumque aedituorum et sacerdotum tabernaculis , sub
isdem vittis et apicibus et purpuris, ture flagrante, libidinem expungi,
nescio usf. So auch de pudic. 5 : ego quidem idololatria saepissime moe-
chiae occasioncm subministro, sciunt lud mei . . . ipsaque in urbibtis
templa, qtiantum evertendac pudicitiae procuremus. Die Tempel, nament-
lich der Isis, als Stätten der Rendez-vous und Kuppelei schon seit
augusteischer Zeit verrufen: Friedländer S. Gr. I6 501 fg. Mit sub is-
dem vittis usf. kann doch wohl nur gemeint sein, daß die Priester
selbst im Ornat Unzucht treiben: das ist also die höchste Steigerung
der Mißachtung der Götter. Minucius hat den Satz in etwas anderem
Zusammenhange nicht ganz einwandfrei verwertet. Caecilius hatte c. 6
behauptet, Rom habe die Welt erobert dum exercent in armis virtutem
c. 37, 12: in scenicis etiam non minor furor et turpitudo prolixior; nunc
enim mimus vel expo)iit adidteria vel monstrat, nunc enerois lüstrio
(Tert.: corpus impurum et ad istam artem cffeminatione productum)
amorem dum fingit, inflgit; idem deos veatros inducendo stupra suspiria
(Tert. : Cybele pastorem suspirat fastidiosum) odia dedecorat. Daß in den
Pantomimen die heidnischen Götter dedecorantur, wäre für die Christen
kein Grund, den Besuch zu meiden: eben dies aber will Min. hier
rechtfertigen. Man sieht, wie ihm der Tertullianische Satz cetera las-
civiae ingenia etiam voluptatibus vestris per deorum dedecus operantur
(XVT) das Konzept verrückt hat.
1) Verbindung von Pantomimus und theatralischen Hinrichtungen:
super sanguinem humanum, super inquinamenta poenarum proinde sal-
tant dei vestri, argumenta et historias noxiis ministrantes , nisi quod et
ipsos deos vestros saepe noxii induunt. Die erst genannten saltantes
sind also keine Verurteilten, aber was mit argumenta . . ministrantes
gemeint ist, weiß ich nicht recht.
366 Richard Heinze: [XVI 1—5
religiosam, dum urbem muniunt sacrorum religionibus, casus virginibus,
multis honoribus ac nominibus sacerdotum. Darauf erwidert Octavius
c. 25 zunächst (gleichfalls nach Tert., s. u.) die ausländischen Götter,
Mars TJiracius vel Juppiter Creticus usf., hätten doch keinen Anlaß
o-ehabt, die Feinde ihrer Völker zu unterstützen, nisi forte apud istos
maior castitas virginum aut religio sanctior sacerdotum, da doch (wie
mit erstaunlicher Übertreibung gesagt wird) die Vestalinnen sämtlich
unkeusch gelebt hätten. Tibi autem magis a sacerdotibus quam inter
aras et delubra condmuntur stapra, tractantur lenocinia, adulteria
ineditantur? frequentius (!) denique in aedituorum cellulis quam in
ipsis lupanaribus flagrans libido defungitur. Übrigens hätten vor den
Römern andere Völker ohne die römischen sacerdotia die Herrschaft
besessen. Dies letzte erwidert auf die multi honores ac nomina sacer-
dotum, das vorhergehende auf die castae virgines: was dazwischen steht,
eben der Satz, auf den es uns ankommt, hat mit dem von Caecilius
Hervorgehobenen, der reichen Ausgestaltung des Götterkults, nichts zu
tun und wird in der Erwiderung durch den Zusatz aut religio sanctior
sacerdotum ziemlich gezwungen eingeführt. Dadurch sieht sich dann
aber Minucius veranlaßt, anders als Tert., die sacerdotes selbst für das
ganze unsittliche Treiben in den Tempeln verantwortlich zu machen,
ihnen das conducere stupra, lenocinia tractare, adulteria meditari zuzu-
schreiben: man sieht wohl, daß dies eine Entstellung des Tertullianischen
Gedankens ist1).
II. Der christliche Glaube.
XVI 1. Negativ: Zurückweisung der bei den Heiden darüber
verbreiteten falschen Vorstellungen:
XVI 1—5 1. Kult eines Eselskopfs. Tert. weist die Quelle dieses Irr-
tums in der auch von Tacitus wiedergegebenen Verleumdung
des jüdischen Kults nach2), und widerlegt diese Verleumdung
1) Streicht man mit Sauppe « sacerdotibus, so gewinnt allerdings
der Satz formell und inhaltlich: nur freilich paßt er dann in den Zu-
sammenhang noch schlechter. Kein Schriftsteller wird von sich aus
auf den Gedanken kommen, den Hinweis auf die sakralen Institutionen
Roms, die vielen honores ac nomina sacerdotum und ihre Bedeutung
für die Entstehung der römischen Weltherrschaft, durch den Vorwurf
zu parieren, daß — heutzutage — von Laien die Heiligtümer zu un-
sittlichen Zwecken mißbraucht werden.
2) In Wahrheit hat vielleicht doch eine auf christlichen Boden
verpflanzte orientalische Kultform dem Spott zugrunde gelegen: vgl.
Wünsch, Sethianische Verfluchungstafeln aus Rom (Lpz. 1898), p. noff.
XVI i — 5] Tertii.lians Apologbticum. 367
aus demselben Tacitus — freilich eben nur für die Juden1);
als retorsio verweist er auf Epona — et mmenta omnia et
totos cantherios cum siia Epona coli a vobis — und fügt mit
echt tertullianischem Witz hinzu: hoc forsitan improbonnr,
quod inier cuMores omnium pecudum bestiantmque asmarii tan-
lum sumus, was ja freilich nicht die Behauptung der Heiden
widerlegen, höchstens ihre Mißbilligung des christlichen Esels-
kultes, diesen zugegeben, verhöhnen kann, und somit in dem
entsprechenden Passus von Nat. (In, p. 8 1 ) besser am
Platze war. Nur der einmal gefaßte Vorsatz, um jeden Preis
die Retorsion auszuüben, hat ja auch zu der Willkür führen
können, die auf den Eponadarstellungen üblichen Tiere —
Esel haben dabei nicht einmal eine besondere Rolle gespielt,
scheinen sich wenigstens auf den vorhandenen Darstellungen
nicht zu finden2) — als Objekte des Kultus hinzustellen.
Minucius bringt diese wie die anderen Fabeln über den Geeen-
stand des christlichen Kults im Zusammenhang seiner Erörterung über
die Dämonen als deren Ausstreuung (28, 7); dazu würden die Tacitus-
zitate schlecht passen, er verzichtet also auf Tert.s Beleg und Wider-
legung und hilft sich mit der billigen rhetorischen Wendung quis tarn
stultus itt hoc colat? qicis stultior ut hoc coli credat? woran er recht un-
geschickt und sich selbst sogleich widerlegend die Behauptung vom
Esels- und Eponakult der Heiden anfügt. Aber er erweitert dann diese
Polemik, verweist auf die Stier- und Widderköpfe — doch wohl die in
Heiligtümern aufgehängten Schädel der Opfertiere — , die Bilder von
1) Auch da ist die Widerlegung nicht ganz ehrlich. Tacitus erzählt
hist. V 9, Pompeius habe im Tempel kein Götterbild gefunden: dazu
stimmt was er ebd. 5 vom bildlosen Kult der Juden sagte; das im
Allerheiligsten aufgestellte Eselsbild, von dem er c. 4 erzählte, hat er
also nicht als Kultbild aufgefaßt. Treffender widerlegte Josephus den
Apion, der behauptet hatte, der jüdische Kult eines Eselskopfs sei da-
durch kund geworden, daß Antiochus Epiphanes dies Bildwerk wirk-
lich im Tempel gefunden habe: alle übrigen, sagt Josephus c. Ap. II 82,
die als Eroberer den Tempel betraten, darunter auch Pompeius, hätten
doch nichts dergleichen dort gefunden, und doch seien die jüdischen
Kultgesetze allezeit die gleichen gewesen. Möglich, daß Tert. durch
Josephus zu seiner Replik angeregt wurde; gelesen hat er Josephus,
c. Ap.: s. unten zu Kap. XIX.
2) b. Kecke, P.-W. s. v. Epona VI 237.
368 Richard Heinze: [XVI 6—8
Göttern mit halbtierischer Bildung — das bringt Tert. bei passenderer
Gelegenheit, X 13, vor — , vor allem aber auf den ägyptischen Tierkult,
woran sich dann anderes Anstößige aus dem ägyptischen Kult reiht:
einige Details kennt Minucius gewiß aus älteren Apologeten, welche
die Duldung dieser abscheulichen superstitiones des ägyptischen Kults,
der vom römischen scharf geschieden wird, der Intoleranz in christ-
lichen Dingen gegenüberstellen : so auch Tert. XXIV 7, und der Hinweis
darauf, daß den Ägyptern sogar gestattet wird, den mit dem Tode zu
bestrafen, der einen ihrer Tiergötter tötet (et capite damnandis qui
aliquem huius modi deum occiderit) ist in diesem Zusammenhange ge-
wiß besser am Platze als in dem des Minucius (quorum aliquem dem»
si quis occiderit etiam capite punitur), wo ja nicht Toleranz für den
christlichen Brauch gefordert werden soll. Ja um die Römer, an die
er sich hier wendet, für den ägyptischen Kult mit verantwortlich zu
machen, behauptet er, recht anfechtbar, nonne et Apin bovem cum
Aegyptiis adoratis et pascitis, und idem Aegyptii cum plerisque vobis
non magis Isidem quam ceparum acrimonias metuunt: alles dies, meine
ich, deutliche Belege für die kompilierende Technik des Minucius.
XVI 6—8 2. Verehrung des Kreuzes. Eine Widerlegung wird gar
nicht versucht: sed et qui crucis nos religiosos putat, consecra-
neus erit noster, fast wörtlich aus Nat., als ob es hier wie
dort nur darauf ankäme, die Vorwürfe der Heiden auf sie
selbst zurückzuwerfen, nicht, wie angekündigt war (XVI 8),
auf das repercutere opiniones falsas. — Replik: ihr habt Götter-
bilder aus Holz: wie sie aussehen, ist gleichgültig, auf das
Material kommt es doch vor allem an. Aber die roh be-
ll auenen Pfähle, die als Pallas Attica und Ceres Pharia ver-
ehrt werden, sind fast gleich dem Kreuzesstamm: unser Gott
wäre doch wenigstens ein volles Kreuz. Kreuze sind der An-
fang eurer Götterbilder, stecken in euren Tropäen, sind das
Wesentliche bei den Kultobjekten eurer religio castrensis, der
Signa. — Diese seltsam spielerische Darlegung, die Nat. I 1 2
in der ursprünglichen, ausführlicheren Form steht, ist angeregt
durch Ausführungen griechischer Apologeten, wie wir sie bei
Justin I 55 lesen: freilich hat Tert. der Sache wieder eine
ganz neue Wendung gegeben. Justin spricht vom Kreuze
Christi, auf das die Propheten vorausgedeutet hätten, und das
ein Symbol der Kraft und Macht sei: überall in der Welt
XVI 9—i4] Tertullians Apologetici m. 369
trete es auf, als Mast der Schiffe, als Pflug, Grabscheit, als
Gerät aller Handwerker; in der Gestalt und im Antlitz des
Menschen; auch in den römischen Feldzeichen und Tropäen,
den Symbolen ihrer Herrschaft und Macht; endlich bei den
Bildern der vergötterten Kaiser.1) Man sieht: ganz anders
als bei Tert. soll hier das Kreuz als ein die AVeit durch-
dringendes Symbol der Größe geheiligt und damit auch das
Kreuz Christi als verehrungs würdig erscheinen: bei Tert. ist
es dagegen ein Bestandteil der heidnischen Idololatrie, von
dem die Christen nichts wissen wollen.
Miuucius hat die Stelle des Justin, wenn nicht eine andere ganz
ähnliche, vor Augen gehabt, als er schrieb (29, 8) Signum sane crueis .
naturaliter visimus in navi, cum velis tumcntibus vehitur, cum expansis
palmulis labitur, et cum erigitur iugum , crueis Signum est, et cum homo
porrectis manibus deum pura mente veneratur. Er hat aber auch Tert.
vor Augen gehabt, als er seine Ausführung begann rruccs etiam nee
colimus nee optamus. vos sane, qui ligneos deos consecratis, cruces lig-
neas ut deorum vestrorum partes forsitan adoratis: dann folgen die signa
und die tropaea. Er verbindet also beide Gesichtspunkte, den des Tert.
und den des Justin, ohne sich daran zu stoßen, daß sie sich im Grunde
widersprechen, und findet sich mit diesem Widerspruch durch einen
Schlußsatz ab, der deutlich zeigt, daß er wirklich ganz Verschiedenes
verbunden hat: ita signo crueis (tut ratio naturalis innititur aut vestra
religio formatier.
3. Sonnenkult. XVI 9— 11
4. Das Spottbild auf den Christengott, das jüngst in XVI 12—14
Karthago ausgestellt wurde: ein Mann in der Toga, ein Buch
in der Hand, mit Eselsohren und einem Huf. Nat. I 19 wird
der Urheber dieses Spottes, der hier quidam frustrandis bestü-<
mercenarius noxius heißt, als abtrünniger Jude noch näher
bezeichnet und die Gelegenheit zu einem wütenden Ausfall
auf das Judentum benutzt: hier urteilt Tert. ruhiger: risimus
1) xä>v nag' vfiiv üno&v)j6x6vTa>v ccvxoxqccxoqcov rag einövecs ini
xovxm xä o%rjuaxi avaxi&sxs y.a.1 %bov£ diu ypa^arwi' iitovoiicc£s xe : viel-
leicht meint Justin die Anordnung der Kaisermedaillons auf den Feld-
zeichen, dasselbe was Tert. als imaginum suggestus in signis bezeichnet.
Anders z. B. Rauschen flor. patr. II Bonn 1 904.1 z. St. (p. 56).
3jo Richard Heinze: [XVI 12—14
et nomen et formam. — Retorsion: die numina biformia der
Heiden.
Von der ganzen Reihe von falschen Gerüchten über den Christen-
gott erwähnen die griechischen Apologeten keines, Minucius den Esels-
kopf und das Kreuz, dazu noch die Fabel von der Verehrung der sacer-
ilotis virilia !) , bei deren Widerlegung er mit einem Ausfall auf die
heidnische Unsittlichkeit überhaupt an die heidnischen fellatores er-
innert, die Tert. bei Gelegenheit der Fabel vom Bluttrinken erwähnt.
Kur hier bezieht sich Min. für die Retorsion nicht auf wirkliche Kult-
bräuche, sondern behilft sich mit einem istae impudicitiae eorum forsitan
sacra sint, obwohl man meinen sollte, die verschiedenen Formen des
Phalluskults hätten bessere Waffen geboten: Minucius, der den Vor-
wurf wohl aus einem griechischen Apologeten kannte, hat sich bei der
Widerlegung von seinem Vorbild Tert. nicht frei zu machen gewußt.
Tert. seinerseits hätte sich schwerlich, wenn er von dem Gerücht ge-
wußt hätte, die Gelegenheit entgehen lassen, einige kräftige Worte
dazu zu sagen: gerade in geschlechtlichen Dingen kennt er ja keine
Scheu. Ferner verbindet Min. mit der Fabel vom Kreuz die von der
Verehrung eines gekreuzigten Jwmo noxius-, die überaus schwache Ent-
gegnung lautet longe de vicinia veritatis erratis, qui putatis deum credi
aut meruisse noxium aut potuisse terrenum: hat er denn nicht selbst
behauptet, daß eben dies, dessen Möglichkeit er hier ableugnet, in wei-
tester Ausdehnung bei den Heiden geschehen sei? Er spricht dann
über die Verehrung Verstorbener und kommt dabei auf den Kaiser-
kult: da er weder über diesen noch über die Christusverehrung im
Laufe seiner Schrift eingehend reden will, hat er die Sache hier ein-
geschoben, ungeachtet daß hier beide Punkte natürlich nur sehr un-
zureichend behandelt werden können. s)
1) Über den Ursprung der Fabel eine Vermutung bei Reitzen-
stein, Zwei religionsgesch. Fragen p. 96, 2. Ob indessen aus Hippolyts
Zeugnis über den phallisch gebildeten Hermes der Naassener (V 1) in
Verbindung mit Minucius' Bericht geschlossen werden darf, daß wirk-
lich f" christliche" Gemeinden im zweiten Jahrh. Christus unter dem
Symbol des Phallus verehrt' haben (Reitzenstein , Poimandres p. 53),
lasse ich dahingestellt.
2) Weshalb Tert,, im Apolog. wie in der früheren Schrift, den
Eselskopf an die Spitze seiner Liste gestellt hat, statt dies Gerücht
mit dem letzten einigermaßen verwandten zu verbinden, darüber läßt
sich mancherlei mutmaßen, und ich glaube nicht, daß man darauf an-
gewiesen ist, Abhängigkeit von der Ordnung des Min. als Grund zu
statuieren (so Norden a. a, 0. [ob. S. 290, 2] p. 13 fg.). Tert. konnte es z. B.
für seine ad 1 ausgesprochene Behauptung, daß das Gerücht auf Ver-
XVII i] Tertillians Ai'oi.o.i i i, i m. 371
2. Positiv: der christliche Glaube an Gott (XVII— XX)
und Christus (XXI).
Zwei Bestimmungen stellt Tert. an die Spitze: Gott ist XVII 1
einer, und er ist der Schöpfer der Welt. Die erste bedarf
keiner weiteren Ausführung; die zweite wird nach verschiedenen
Seiten präzisiert:
1. das Objekt der Schöpfung: die Welt cwm omni in-
strumento elementorum corporum spirituum.
2. Die Organe der Schöpfung: verbo quo iussit, ratione qua
disposuit, virtute qua potuit. Auf diese Dreiheit kommt Tert.
weiter unten mehrfach zurück: XXI 10 tarn ediximus deum Uni-
versitäten! haue mundi verbo et ratione et virtute molitum; und
zwar ist sermo atque ratio, wie Tert. bemerkt1), identisch mit
dem loyog der Griechen, der beides zugleich bedeutet, virtus
entspricht dem griechischen dvvafitg. Die substantia dieser
drei Begriffe ist spiritus, cui et sermo insit pronuntianti et
ratio aderit disponenti et virtus praesit perjicienti, dieser spiritus
ist aus Gott prolatione generatus und also Gottes Sohn:
Christus. Und das wird nochmals wiederholt, als von Christi
Wundern die Rede ist, durch die er gezeigt hat (XXI 17)
se esse verbum dei . . . virtute et ratione comitatum et spiritu
fultum. Man sieht, Tert. legt Gewicht auf diese Dreiheit
von Begriffen, er hat auch die ihre Tätigkeit bezeichnenden
Worte mit Bedacht gewählt — iubere, disponere, posse — , da
er sie nachher mit leiser Variation wiederholt: pronuntiare,
disponere, perf teere.2) Auch in späteren Schriften kehrt die
wechslung mit den Juden beruhe, bedenklich finden, daß das letzte
Gerücht gerade von einem geborenen Juden, der doch über den Kult
seiner Väter wohl unterrichtet war, ausgesprengt wurde, und es vor-
gezogen haben, beides möglichst weit voneinander zu trennen (im
Apolog. hat er dann den Juden gar nicht mehr als solchen bezeichnet).
Aber es bleiben auch andere Möglichkeiten.
1) aus ihm Lact. i. d. IV 9, der in der Epitome auch tertullianisch
von Christus sagt (37, p. 712 Br.) hie est virtus, hie ratio, hie sermo dei,
hie sapientia.
2) adv. Marc. V 14 natu et hacc eril dei virtus in substantia pari
perficere salutem.
37 2 Richard Heinze: [XVII i
Doppelung von sermo und ratio wieder, z. B. adv. Prax. 5, wo
auch das disponere wieder auf die ratio bezogen ist1); oft
freilich genügt zur Wiedergabe von Xoyog sermo, und damit
wird die virtus verbunden z.B. de carne Christi 19 verbum dei,
et cum verbo dei spiritus, et in spiritu dei virtus et quidquid
dei est Christus, oder adv. Prax. 1 9, wo Christus als Sophia et
virtus dei bezeichnet wird: sophia vertritt die an unseren Stellen
genannte ratio, die adest disponenti, wie nach adv. Prax. 1 9 die
sophia (Prov. VIII 27) von sich sagt cum pararet caelum, ego
oder am Uli und weiter er am penes illum disponens. —
Man sieht, die Begriffe, die Tert. an unserer Stelle als Or-
gane Gottes einführt, sind ihm späterhin und aller Wahr-
scheinlichkeit nach schon damals durchaus geläufig gewesen,
wie das Verweilen auf ihnen bezeugt.
Dieselbe Trias, mit fast identischen Prädikaten, hat Minucius 18, 7,
nur daß er sie nicht bei der Weltschöpfung, sondern bei der Welt-
regierung tätig sein läßt: deus . . qui universa quaecumque sunt verbo
iubet, ratione dispensat, virtute consummat: er kommt nirgends darauf
zurück, und da er die Logoslehre ja abgesehen von dieser einen Er-
wähnung aus seiner Erörterung ganz ausschaltet, hat das Auftreten des
verbum an unserer Stelle nur dekorativen Wert, als Glied des Trikolon.
Man beachte auch, wie bezeichnend Tert. von der Schöpfung sagt verbo
quo iussit: der Befehl fiat lux ist eben sein 'Wort', und dieses 'Wort'
tritt bei der Weltschöpfung, zum Zweck der Weltschöpfung nach Ter-
tullianischer Lehre zum ersten Male aus Gott hervor; von der Er-
haltung und Regierung der Welt, von der Minucius spricht, läßt sich
das verbo iubet zwar verstehen, aber irgend welche tiefere dogmatische
Bedeutung hat es nicht. Ich meine, auch an dieser Stelle kann gar
kein Zweifel obwalten, welchem der beiden die Priorität gebührt.2)
1) de orat. 1 dei spiritus et dei sermo et dei ratio, sermo ratio)tis
et ratio sermonis et spiritus.
2) Bei Min. geht vorher qui ante mundum fuerit sibi ipse pro
mundo; das erinnert an Athenag. 16 6 Sh Koouog ov% a>g SsofiBvov zov
frsov yiyovsv Ttävxa yctQ 6 &sog iaziv ccvxbg ccvrä, qpwg angöairov, koo-
jiog tiluog, rtvsvucc, övrccuig, loyog, und gewiß hat Min. jene Sentenz
nach irgend einem Apologeten gebildet (s. Geffcken p. 191), wenn er
nicht vielleicht sogar Tertullian adv. Praxeam gelesen hat, wo c. 5
steht ante omnia enim deus erat solus, ipse sibi et mundus et locus et
omnia und dann die oben zitierte Erörterung über loyog = ratio et
XVII 2] Tertljxians Ai'olim.kik i m. 373
3. Tert. lehnt durch den Zusatz de nihil o expressit die
Vorstellung einer von Gott unabhängigen Materie ab, die
O ÖD /
heidnische Philosophen lehrten und die er später in der
Schrift gegen Hermogenes eingehend bekämpft hat, und gibt
endlich
4. das Resultat der Schöpfung: in ornamentum maie-
statis suae, unde et Graeci nonien mundo xöö^iov adcommoda-
verunt: die Übersetzung ornamentum hat Tert. später wieder-
holt (adv. Marc. I 13, adv. Herrnog. 40), freilich m. VV. nicht
die Beziehung auf den Schöpfer selbst, das ornamentum
maicstatis suae. Es kommt ihm hier nur darauf an, die Vor-
stellung der Schönheit und Vollkommenheit der von Gott
geschaffenen Welt zu erwecken.
Nach der Behauptung der Beweis: wer die Existenz XVII 2
dieses Gottes beweisen will, hat vor allem die Quellen seiner
Erkenntnis aufzuzeigen. Das geschieht zunächst durch eine
allgemeine Darlegung, die das Negative mit dem Positiven
in einer Reihe kühner Oxymora verbindet: invisibilis est, etsi
r/deatnr, incomprehensibUis , etsi per gratiam repraesentetur,
inaestimabilis, etsi humanis sensibles aestimetur. Das klingt an,
gewiß nicht nur zufällig, an die Versuche der Griechen, Gott
zu beschreiben: so wenn ihn Athenagoras nennt s'va xbv
ayivqxov xal aCöiov xal äoqaxov xal caia&y] xal äxaxdlrjit-
rov xal ä%äQrtxov, vcfi yLova xal Xoya xaxaXajißavö^avov.1)
Aber von diesem vtp nova xal Xöyay sind wir bei Tert. weit
entfernt: der Zusatz beim letzten Gliede humanis sensibus
widerspricht dem geradezu. Tert. meint wirklich sinnliche
Erkenntnis: denn es ist das Anschauen von Gottes Werken,
das der Seele die Erkenntnis Gottes, soweit sie ihr zugänglich
ist, übermittelt. Vielleicht denkt Tert. an Rom. I 20 xä yäg
serwo folgt. Aber daß er auch die Trias ratio sertno virtus mit ihren
Prädikaten einem uns unbekannten Griechen, nicht Tert. verdankt,
diese Annahme ist durch nichts nahegelegt. Der charakteristische
Unterschied von des Athenagoras &so? . . Ttvsv^a SvvayLig Xöyog liegt
auf der Hand.
1) vgl. auch 7.. B. Theoph. ad Autol. I 3.
374 Richard Heinze: [XVII 2
äÖQccta avxov ocTtb xxCösojg icöe^ov xolg noir\\ia6iv voov^isvcc
xa&oQ&tcci, rj xe di'diog avtov dvva^iLg %cä dsLÖxrjg: auch das
folgende stg tb slvat avxovg avctnoloyrixovg , dioxi yvovxeg
xbv %-ebv ov% ag &ebv sdö^aöav findet sogleich sein Gegen-
stück bei Tert.: et haec est summa delicti nolentium recognos-
cere, quem ignorare non possunt. Jene Stelle des Römerbriefs
hat Tert. auch de an. 18 zur Stütze seiner sensualistischen
Erkenntnistheorie verwendet. Also wenngleich Gott gesehen,
vorgestellt, in der Größe seiner Macht und seines Wesens
geschätzt werden kann, so ist er doch unsichtbar, unfaßbar,
unschätzbar: ideo verus et tantus, der wahre Gott, und so groß
— wie er in Wahrheit ist, müssen wir hinzusetzen. Das Oxy-
moron, die Behauptung, daß Gott videtur, comprehenditur,
aestimatur, bedarf einer Auflösung: ceterum1) quod videri
commimiter, quod comprehendi, quod aestimari potest, minus est
et oculis quibus occupatur, et manibus quibus contaminatur , et
sensibus quibus invenitur: quod vero immensum est, soli sibi
notum. Es handelt sich bei Gott um kein Wahrnehmen 'in
gewöhnlicher Art': denn alles so Wahrgenommene ist 'kleiner'
als die Augen, Hände und Sinne: auch dies wieder ein Oxv-
moron — denn wie soll alles das, was z. B. von den Händen
berührt wird, contaminatur, 'kleiner' sein als die Hände?2)
Aber die Sinnesorgane sind hier gemeint als die Vertreter
des Intellekts, der hinter ihnen steht, dem die Wahrnehmung
zufließt: alles Körperliche ist diesem Intellekt untergeordnet.
Alles dies Körperliche ist begrenzt und daher durch die Sinne
in seiner Totalität faßbar, uns kenntlich : quod vero immensum
est, soli sibi notum est: das Unbegrenzte, Unermeßliche kann
von niemanden als von ihm selbst erkannt werden. Und nun
kehrt Tert. von dieser sentenziösen Verallgemeinerung zum
Gegenstande der Betrachtung, Gott, zurück: eben dies, seine
1) = aber, s. Hoppe, Syntax u. Stil des Tert. (Lpz. 1903) p. 108.
2) Ganz ähnlich wie Tert. beweist Tatian seinen Satz, daß die
Leiber der Dämonen nur den Pneumatikern, nicht den Psychikern
Bv6vvorcxa seien, durch die Gnome xb yäg hXaxxov KccxüX^ipiv ovy. i6%vei
7toi£iG&cci xov xQtixxovog (c. 15, p. 16, 31 Schw.).
XVII 2] Tektullians Apoloukik im. 375
Unermeßlichkeit, deum aestimari facit, dum aestimari non ca/pit:
seine Größe bewirkt zugleich die Möglichkeit und die Un-
möglichkeit seiner Kenntnis: ita eum vis magnitudinis et notum
hominibus obicit et ignotum. Diese letzte Äußerung, gleichsam
das Resultat der Darlegung, ist die klarste, wenngleich auch
sie noch ein Oxymoron — man soll aus den Worten des
Schriftstellers ein verzweifeltes Ringen nach einer Formulieruno-
von Gottes Wesen heraushören und einen Eindruck von dem
für den gewöhnliehen Verstand Inkommensurablen in Gottes
Wesen erhalten. Als Haupteigenschaft Gottes erscheint seine
Größe: von der Definition Gottes als summum magnum geht
Tert. später in der Polemik gegen Marcion aus; auch an
dem Gedanken, daß die Größe Gottes sich vor allem in ihrer
Unerkennbarkeit manifestiert, hat er später festgehalten:
reddens nomen Uli (deo) negas substantiam Hominis. iJ est
magnitudinis quae deus dicüur, non tantam eam agnoscens,
quantam si hon/o omnifariam nosse potuisset, magnitudo non
esset (adv. Marc. II 2). So leitet dieser Abschnitt von der
Bestimmung der göttlichen Eigenschaften zur Erörterung über
die Quellen seiner Erkenntnis in trefflicher Weise über: der
Satz, daß ein Nichterkenrienwollen Gottes, der doch nicht
unbekannt bleiben kann, sündhaft ist, schließt den Abschnitt
und eröffnet zugleich den folgenden.
Die dunkle Rätselsprache Tert.s war nicht nach Minucius' Sinn;
aber für den formalen Reiz der wuchtigen Sätze war sein Ohr empfäng-
lich, und er hat versucht, ihm mit größerer Eleganz gleichzukommen,
indem er dies schrieb (18, 8): hie non eideri potest: visu clarior est;
nee comjyrendi: tactu purior est ; nee aestimari: sens;bus maior est, infinitus,
immensus et sali silri tantus, quantus est, notus. nobis vero ad intellectum
pectus angustum est, et ideo sie eum digne aestimamus , dum inaestima-
bilem dieimus. eloquar quemadmodum sentio- magnitudmem dei qui se
putat nosse, minuit. qui non vult minucre, non novit (18, 8. 9). E* i-t
mir nicht recht begreiflich, wie man aus diesen gekünstelten Sätzen,
aus diesen raffinierten Antithesen die 'ergriffene Sprache des Herzens'
heraushören konnte; doch darüber will ich nicht streiten. Unbestreit-
bar ist, daß bei Min. das fehlt, worauf bei Tert. das ganze Gewicht
liegt, die positive Ergänzung der negativen Bestimmungen : auf das
inaestimabihm esse läuft alles hinaus. Nicht als Handhabe zur Gottes-
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 29
376 Richard Heinze: [XVII 4—6
erkenntnis, lediglich als Hindernis der Gotteserkenntnis erscheint seine
Größe. Die Formulierung dieses Gedankens ist tadellos, und niemand
würde aus Min. allein den engen Anschluß an eine Vorlage erraten :
aber nun haben wir Tert. daneben, und es ist nur die Frage, welche
Fassung die Priorität hat: die inhaltlich reichere, die durchaus eigne,
selbsterworbene Anschauungen des Schriftstellers wiedergibt und im
Zusammenhang der umgebenden Erörterung fest eingefügt steht — oder
die zwar formal abgerundete aber inhaltlich arme, die sich nur eben
durch die Formulierung über den Gemeinplatz erhebt. Die Auffassung
wenigstens ist ohne weiteres von der Hand zu weisen, als sei Tert.s
Erörteruug eine auf Mißverständnis beruhende 'falsche' Wiedergabe
der Minucianischen.1)
XVII 4—6 Tert. geht über zu den Quellen der Gotteserkenntnis.
An erster Stelle Gottes Werke: das ist immer für ihn der
wichtigste, im Grunde einzige Beweis für das Dasein Gottes
geblieben: damit er erkannt werde, hat ja Gott die Welt er-
schaifen. Tert. erspart sich hier näheres Eingehen: den kos-
mologischen Gottesbeweis der Stoiker zu wiederholen, wie
das z. B. Minucius ausführlich tut, hält er für überflüssig.
Er geht noch im gleichen Satze zum zweiten Argument, dem
'Zeugnis der Seele' über, die trotz ihrer Gefangenschaft im
Körper, trotz aller anderen schädlichen Einflüsse, die auf sie
einwirken. Augenblicke der Gesundheit und Klarheit erlebt,
und dann nicht die vielen namentlich unterschiedenen Götter
der Heiden, sondern den einen deus anruft, der im Himmel,
nicht im Kapitol thront, und den sie kennt, weil sie von ihm
stammt. Dies testimonium animae ist ein Lieblingsgedanke
Test.s geblieben: er hat ihn in einer eigenen Schrift ausge-
führt und kommt auch später mehrfach auf ihn zurück (adv.
Marc. I 10, de an. 41).
Minucius beruft sich in ganz ähnlicher Art, zwar nicht auf das
Zeugnis der Seele, aber auf das vulgus: cum ad caelum manus tendunt,
1) Gegen diese Auffassung Eberts hat sich schon Hartel p. 362fr.
gewendet, dessen eigner Deutung der Tertullianusstelle ich freilich auch
in wesentlichem nicht beistimme. Daß Ebert den Tert. mißverstanden
hat, ergibt sich aus seiner Behauptung der 'Ungenauigkeit' des quod
immensum est soli sibi notum est, das anstelle des immensus et soll
sibi tantus quantus est notus des Minucius trete.
XVII 4—6] Tertullians Apologeticim. 377
nihil aliud quam <> dcus dicunt usf. (18, n). Eben weil der Gedanke
Tert.s der tiefere und weitere ist, meinte Ebbst, ließe sich bei der An-
nahme, daß er das Original sei, "nicht erklären, warum der stets wohl
überlegende Min. vom Bedeutenderen zum Unbedeutenderen hinab-
gestiegen sein solle, zumal dem Philosophen die tiefere Auffassung
Tertullians sich besonders empfehlen mußte.' Ein Blick auf den Zu-
sammenhang, in den Min. den Gedanken gestellt hat, widerlegt diese
Behauptung. Der Stoiker bei Cicero (de nat. deor. II 4) beruft sich
zum Erweis von der Götter Dasein vor allem auf die übereinstimmende
Meinung aller Menschen: etwas dieser xotWj tvvoiu oder üucpvzog hqö-
Xrjipig Entsprechendes will Min. für seinen christlichen Gott ins Feld
führen: quid quod omnium de isto habeo comenmm? audio vulgus . .
audio poetas . . recenseamus . . disciplinam philosophorum: also eine
aufsteigende Linie *), an deren Anfang natürlich nicht das testimonium
animae, wohl aber mit einiger Berechtigung dae vulgus treten konnte:
daher der Verzicht auf Tert.s 'tieferen' Gedanken. Mit der Verflachung
ist freilich auch der Gedanke recht anfechtbar geworden : besagt an
sich schon die Meinnng des vulgus wenig, so konnte hier der Gegner
mit Fug behaupten, daß diese Meinung überwiegend die Vielheit des
heidnischen Götterhimmels, nicht den einen Christengott bezeuge:
darum stellt ja auch Tert. sein testimonium animae als einen seltenen
Ausnahmefall hin, in dem die wahre Natur der Seele allen Hindernissen
und Entstellungen zum Trotz hervorbreche: das ist eben, meine ich, die
ursprüngliche Form des Gedankens, nicht die Vertiefung eines fremden
schief gedachten. Auch Min. hat sich nicht verhehlt, wie bedenklich
sein Argument ist: er fügt ergänzend und gleichsam dem erwarteten
Einwand vorbeugend hinzu: et qui Iovem principem volunt, falluntur in
nomine, sed de una potestate consentiunt : womit er gewiß nicht, wie
Ebert will, den fZeus der Philosophen, den &&bg y.ar' ^£o%jjV meint —
denn die Philosophen treten erst später, nach den Poeten auf den
Plan — sondern den Juppiter des Volksglaubens, Iovem et domina-
torem verum et omnia nutu regentem et, ut idem Ennius, patrem divum-
que hominumque et praesentem ac praepotentem deum, wie Cicero an
der obengenannten Stelle sagt. Min. hilft sich so gut er es in der
selbstgeschaftenen Verlegenheit kann, indem er aus dem praepotens
deus des Volksglaubens die una potestas macht — an die nun freilich
das vulgus eben nicht glaubt, auch wenn es Jovem principem roll.
1) Dieselbe Reihe, absteigend angeordnet', später bei Tert. XXII
für die Dämonen: nee novum nomen est: sciunt daemonas philosophi . .
omnes sciunt poetae, etiam vulgus indoctum in usu maledicti frequentat.
Aber hier sollen diese Zeugnisse nicht die Existenz der Dämonen,
sondern nur non novum nomen esse beweisen.
29*
378 Richard Heinze: [XVIII— XX
XVIII— XX Vollständigere und gründlichere Erkenntnis von Gottes
Wesen, Maßnahmen und Absichten — so fährt Tert. fort —
ist aus den Schriften zu gewinnen: die Propheten, von Gott
inspiriert, haben Kunde von Vergangenem und Zukünftigem
gegeben; ihre hebräisch geschriebenen Offenbarungen sind auf
Ptolemaeus' Geheiß ins Griechische übertragen.
Auf die 'Propheten', d. i. die Schriften des alten Testa-
ments, beruft sich Justin Apol. I 3 1 ff. mit reichlichen Zitaten,
um die Wahrheit des Glaubens an Christus darzutun, dessen
Geburt, Leben und Wirken, Leiden und Sterben und Auf-
erstehung jene aufs genaueste vorhergesagt hätten, so daß
denn auch nicht an seiner gleichfalls prophezeiten Wieder-
kunft (52) zu zweifeln sei. Tert. operiert vorsichtiger und
demonstriert gründlicher. Nicht erst um die, den Heiden an-
stößigste, Lehre von Christus zu stützen, sondern schon vor-
her, als Hilfsmittel zur Erkenntnis Gottes, führt er die Pro-
pheten ein, ähnlich wie Justin (31 Anfang) — av&QGMOL
ovv xvvEq ev 'IovduCoig yiyivr\vxai &sov TiQocprjTcu, di' av tö
iZQoq>r)Ti%bv itv£V[icc xtX. — nur nachdrücklicher und so, daß
Gott dabei als Handelnder in den Vordergrund tritt. Er er-
zählt dann mit gelehrtem Beiwerk die Geschichte der Septua-
ginta, offenbar um den Heiden einen Begriff von Würde und
Wert dieser Schriften beizubringen: wie geschickt die Er-
zählung auf diesen Zweck zugeschnitten ist, lehrt am besten
ein Vergleich mit der ganz naiven und nicht berechnenden
des Justin, der die Geschichte der Septuaginta (Apol. I 31)
zuerst und als einziger unter den Apologeten vor Tert. be-
richtet.1) Dieser ist in der Erzählung selbst von Justin nicht
abhängig — er hütet sich vor dem bösen Versehen, den
König Herodes in die Sache hineinzuziehen, und weiß von
Demetrius und Menedemus, von denen Justin schweigt (Tert.
erwähnt den Anteil der griechischen Gelehrten mit vollem
1) Vgl. die Zusammenstellung der testimonia in Wendlands Aus-
gabe des Aristeasbriefes. Zum Tertulliantext bat Wendland p. 126
die treff liebe Emendation librorum für libros ^p. 60, 16 Kauschen) bei-
gesteuert.
XiX. XX Tehtuli.ians Apologeticvm. 379
Bedacht): es scheint, daß Tert., durch Justin auf die Sache
hingeführt1), sich aus Josephus' Archäologie näher unterrichtet
hat.2) Verwunderlich kann erscheinen, daß Tert., der frisch-
weg behauptet, daß die griechische Übersetzung mitsamt dem
hebräischen Original noch jetzt in der Bibliothek des Sera-
peums aufbewahrt werde, und der darauf hinweist, daß im
jüdischen Kultus die Schriften noch im Gebrauch seien, schweigt
von der Existenz einer lateinischen Übersetzung, auf die der
lateinisch Schreibende seine Leser, sollte man meinen, vor
allem hätte hinweisen müssen — vielleicht unterläßt er es
nur, weil diese vulgäre Übersetzung literarisch nicht in Betracht
kommen konnte neben der LXX höchst vornehmer Herkunft.
Über Justin hinaus geht Tert. darin, daß er, wie durch- XIX. XX
weg, so auch hier den Beweis für seine Behauptung liefert:
die Autorität der Schriften wird gewährleistet erstens durch
ihr Alter, zweitens durch die Erfüllung, die ihre Prophe-
zeihungen bisher gefunden haben. Man sieht, das Fundament
für den Glauben an Christus soll so fest wie irgend möglich
gelegt werden.
Die Chronologie zunächst. Sie fehlt noch bei Justin XIX
(der nur behauptet, Moses sei älter als alle griechischen
Schriftsteller, und Piaton habe aus ihm geschöpft, c. 44, 8;
54,5; 59,1) und Athenagoras; dagegen haben Tatian und
Theophilos sich lebhaft um sie bemüht. Tatian weist nach
1) Einwirkung der Fassung Justina zeigt sich vielleicht darin,
daß Tert. die Sendung der Schriften und der Übersetzer gesondert
berichtet, wie — allein, soviel ich sehe — Justin, der freilich beides
noch deutlicher zeitlich scheidet.
2) Die Notiz quos Menedemus quoque plülosophus , proridcntiae
vindex, de sententiae communione (richtig erklärt von Oehler) suspexit
stammt schwerlich aus Aristeas selbst (201) — sonst hätte sich Tert-
wohl verständlicher ausgedrückt — sondern aus dem ebenfalls un-
klaren Exzerpt des Josephus XII 101 ^uvyiä^ovrog ö' avzovg ov llovov
tov ßaaüswg &Xla -Kul MsvtSrjuov tov cpilocöcpov ngovoia dioiKtioQ-ai
itavxu q>ri6ccvTog, xai äia tovr' slxög Kai tov Xoyov dvvcc(iiv xcu xäXXog
rivofiG&at — woraus freilich niemand den wirklichen Zusammenhang
erraten kann.
380 Richard Heinze: [XIX
(31- 3° — 40 ), daß die 'Philosophie der Barbaren' älter sei
als die griechische Bildung, insbesondere Moses älter als
Homer, aber auch als die vorhomerische Dichtung (41)1):
daher denn auch, wie am Schluß bemerkt wird, er mehr
Glauben verdient als die Hellenen, die aus ihm und seines
Gleichen entlehnt und das Entlehnte verfälscht haben. Vom
Christentum ist hierbei nicht die Rede, nur implizite insofern,
als es sich ja auf Moses und die Propheten stützt. Worin
man dem Moses mehr glauben solle, sagt Tatian nicht. Man
sieht, er steht noch ganz nahe der jüdischen Apologetik2),
der es vor allem darauf ankam, das Alter des jüdischen
Volkes und seiner Bücher und damit ihre Ehrwürdigkeit
gegen die Anzweiflungen der Hellenen zu verfechten, wie das
Josephus in seiner mit Recht Ttgbs r'Ellt]vag, weniger gut xcctcc
'änlavog genannten Schrift tat (daß die Griechen, die Philo-
sophen vor allem, aus den jüdischen Schriften geschöpft haben,
wird hier behauptet [II 168. 257], spielt aber keine besondere
Rolle): der Unterschied ist nur, daß es dem Tatian nicht auf
ein Volk, auch nicht eigentlich auf die Schriften, sondern auf
die in ihnen enthaltene Lehre, die Thilosophie' ankommt.
Theophilus widmet, geschwätzig und konfus wie immer,
den iqovoi die letzten Kapitel (16 — 30) seines dritten Buches,
'damit du', wie er dem Autolykos schreibt, 'erkennest, daß
unsere Lehre (6 xccft' rtfiag Xöyog) nicht neuen Ursprungs
noch Fabelei ist, sondern älter und wahrer als alle Dichter
und Schriftsteller, die über Dinge geschrieben haben, von
denen sie nichts Sicheres wußten'. Es läuft dann wesentlich
auf eine Polemik gegen heidnische Ansichten über das Alter
der Welt und über die Sündflut hinaus3); doch wird auch,
1) Dies ein nachträglicher Flicken: c. 31 war Homer ausdrücklich
als 7ion]Twv xcci ioTOQix&v TtQsaßvtarog bezeichnet, und nur um des-
willen der Beweis auf ihn gestellt.
2) S. Geffcken 106 fg.
3) Resümierend c. 26 ov yäg 7tQQY.&iTcu i}nlv vXr\ Ttolvloylocg, all'
sig tö (pa.vSQcboai ri\v rüv %Qovav äitb xaraßoXfjg -KoGfiov TtoGÖxr\x(x. kcci
i).ty^on rijV uarccionovlav y.al cpXvccQiav rcov avy/Qacpioiv v.tl.
XIX] Tl'.RTULMANS APOLOGETICUM. 381
mit ausgiebiger Benutzung des Josephus, die Zeit des Moses
und des salomonischen Tempels bestimmt, schließlich, wer
weiß wozu, das Alter der Welt bis zum Tode des Kaisers
Verus berechnet; und da man glaubt am Ende zu sein (29),
wiederholt der Autor seine einleitenden Sätze und gibt, da
er inzwischen noch irgendwo auf ein Zitat aus Thallus ge-
stoßen ist, eine neue Erörterung über Moses, der älter sei als
alle Schriftsteller.
Tert. hat, wie kaum zu bezweifeln ist, Tatian sowohl
wie Theophilus gelesen1); er hat zu der Prolixität dieser
Ausführungen den Kopf geschüttelt, ein paar Daten heraus-
genommen, einige Namen, wohl aus Josephus, hinzugefügt
und ein kurzes, kraftvolles Kapitel daraus gemacht, wie er
es für seine Leser zweckdienlich fand. Zunächst ist der
Zweck selbst der ganzen Ausführung hier unzweifelhaft: das
Alter der Schriften wird zur Stütze ihrer Autorität angeführt,
weil sich Tert. ja eben auf diese Schriften berief, und vor
allem sich sogleich wieder für den Christenglauben auf sie
berufen wird. Gerechtfertigt wird die Anführung des Alters
durch den Verweis auf die römische Wertung der Zeit für
die Erhöhung der Glaubwürdigkeit.2) Dann aber wird die
These in drei Sätzen ausgeführt: erst die allgemeine Be-
hauptung, daß ein Prophet schon die ganze heidnische Kultur,
ja selbst ihre Götter an Alter übertrifft, der Schatzbehälter
1) Tatian: s. Harnack TU 1 220 ff. (gegen seine Annahme einer
gemeinsamen Quelle neben der direkten Benutzung s. unten zu XL VI).
Theophilus: Otto in seiner Ausgabe p. 242. 244; unter den übrigen von
Otto zum Vergleich herangezogenen Tertullianstellen (s. d. Register
p. 360) ist keine für Abhängigkeit beweiskräftig.
2) Apud vos quoque religionis est instar, fidem de tempore (so der
Fuld., temporibus die übrigen) adserere, d. h. doch wohl Glaubwürdig-
keit auf Grund der Zeit in Anspruch zu nehmen, ist bei euch so gut
als ob eine religio da wäre, eine heilige Scheu, m. a. W. antiquissima
quaeque apud vos quasi religiosa sunt: für das römische veter a tantum
et antiqua mir ort, nicht bloß auf dem Gebiet der historischen und
Textkritik, ganz bezeichnend, insbesondere im Zeitalter der Fronto und
Appuleius.
382 Kichard Heinze: [XIX
des ganzen jüdischen und demnach — wie Tert. nicht vergißt
hinzuzufügen — auch des christlichen Sakraments; sodann
ein Satz mit Daten über diesen Propheten, Moses, dessen
Namen Tert. bei den Heiden als bekannt voraussetzen kann:
Klimax in vier Vergleichen: Inachus, Danaus, Priamus,
Homer1); endlich: auch die jüngsten unter den Nachfolgern
des Moses sind noch älter als eure ersten Gesetzgeber und
Historiker.2) Auf Belege verzichtet Tert., und um dies zu
rechtfertigen, läßt er die ungeheure Weitläufigkeit eines aus
den Quellen zu führenden Beweises ahnen, so leicht es auch
sei, ihn zu führen: er wolle das verschieben, da er sich in
Kürze nicht gründlich, gründlich nicht ohne lange Exkurse
führen lasse.2) Tert. versteht es hier, den Schein ausgebreiteter
Gelehrsamkeit zu erwecken, indem er den Leser mit einer
Flut von Namen überschüttet, die er doch fast sämtlich aus
zweiter Hand hat: er weiß wohl, daß das, was er bringt,
genügt, um seine römischen Leser zu Dank dafür zu ver-
pflichten, daß er ihnen nicht mehr zumutet.3)
1) Der 500 Jahre nach Trojas Fall angesetzt wird: unter den
zahlreichen von Tatian c. 31 angeführten Datierungen wählt Tert. die
iüngste, habens quos sequar: er wäre freilich in Verlegenheit die Namen
zu nennen, da Tatian sich nur auf 'andere' beruft (p. 32, 12 Schw.).
2) Dies spricht neben der Nennung des Thallus für die Benutzung
des Theophilus am stärksten: während Josephus und Tatian über Moses
nicht hinausgehen, erwähnt Theoph. c. 23 auch die (ural-v ngocpfirui,
deren jüngster, Zacharias, noch älter sei als die griechischen ovyygä^-
uaxu und voiio&ixui.
3) Reseranda antiquissimarum etiam gentium archiva, Aegyptiorum,
Clialdaeorum , Phoenicum: Tat. 36 u7toösi^scog ös tvsxsv ^ägwoi %Qr\Go-
ucu XaXdcäotg <!>oivi!-tv Aiyvntioig. Von den im folgenden Genannten
fand Tert, bei Tatian zitiert Ptolemaeus Mendesius (38), Apion (38),
Juba (bei Tat. 36, freilich nur als Zeuge für die Glaubwürdigkeit des
Berosus angeführt), Berosus (36); ferner bei Josephus allein Demetrios
von Phaleron (c. Ap. I 218 sehr vag: ov nolv xf\g cdridsiag dirj[iaQT£
sc. itsgl tri? aQ%aiöxr]tog: das genügt für Tert.), bei ihm und Theophilus
den Manetho und Menander von Ephesus (Jos. I 116, Theoph. III 22,
bei Tatian c. 37 üsgyaurivog), bei Theophilus allein (s. oben S. 341,1) den
Thallus: und gleichfalls dem Theophilus, und zwar einer Flüchtigkeit
desselben verdankt bei Tert. wohl Hieromus Phoenix, Tyri rex, seinen
XX] Tertullians Apologethtm. 383
Nach dem Altersbeweis der Weissagungsbeweis, zwingend XX
nach Tert. auch für den, der das hohe Alter der Schrift nicht
als bewiesen anerkennt. Unter den griechischen Apologeten
hatte einzig Justin es gewagt, den Heiden gegenüber sich für
die spezifisch christlichen Glaubenswahrheiten auf das alte
Testament zu berufen: mit einer Fülle von Schriftzitaten
beweist er, daß alles so gekommen ist, wie es geweissagt
war (apol. I 31 — 53). Diese Prophezeiungen auf Christus und
sein Volk oder das Schicksal der Juden konnte freilich Tert.
hier nicht anführen, selbst wenn er sich auf Einzelheiten
hätte einlassen wollen: er wollte den Beweis vor der Christo-
logie geben, um diese, von allem Ballast frei, in ihrer schlichten
Größe rein wirken zu lassen; aber sie sollte doch vorher durch
den Beweis eine feste Stütze erhalten, und so konnte sich
Tert. auch nicht mit der einfachen Behauptung von der Be-
währung der Weissagungen in der Geschichte begnügen, wie
sie etwa Theophilus gibt, von dem Tert. freilich auch hier
wohl angeregt worden ist, der sich aber auf diese Bewährung
nur stützt, um einerseits seinen Glauben an die Auferstehung
zu rechtfertigen (I 19), andererseits den Bericht des Moses
über Weltschöpfung, Sündfiut usf. als glaubwürdig zu be-
kräftigen (II 9), nicht aber auf die messianischen Weissagungen
eingeht.1) Tert. greift so weit aus wie möglich: die Welt-
Platz unter den historischen Autoritäten: Josephus hatte sich c. Ap. I
106 auf die offiziellen Aufzeichnungen der Tyrier über das Judenvolk
berufen, aus denen sich das Jahr der Erbauung des salomonischen
Tempels ergebe; das hätten sie mit gutem Grunde verzeichnet, da ihr
König Eigcoftog, der Freund des Salomon, dazu beigesteuert habe; es
sei auch noch der Briefwechsel der beiden Könige bei den Tyriern
erhalten. Darauf hin behauptet Theophilus 1. c. der König Hieromos
habe das Gründungsjahr des Tempels aufgezeichnet, und danach wieder
läßt Tert. den Hieromus als Zeugen für das Alter der jüdischen Pro-
pheten auftreten. Den Josephus endlich, den Tert. zuletzt nennt, qui
istos aut probat aut revincit, hat er, wie gesagt, als einzigen von der
ganzen Reihe, wahrscheinlich selbst eingesehen.
1) Tatian beruft sich nur ganz allgemein für einen Punkt seiner
Seelen- und Unsterblichkeitslehre auf die Propheten (20), Athenagoras
zitiert sie für den Glauben an die Einheit Gottes (Apol. 7. 9).
384 Richard Heinze: [XX
ereignisse, elementare Katastrophen, Kriege, Hungersnot und
Seuchen1), Erhöhung und Erniedrigung, Sittenverfall, Zeichen
am Himmel und auf Erden, das alles, wie wir's um uns ge-
schehen sehen2), ist prophezeit und in de-r Schrift vorher
verzeichnet gewesen. Ob wirklich, wie LaGARDE meinte3),
Tert. hier bestimmte Ereignisse seiner Zeit im Auge hatte,
und bestimmte Beziehungen auf Stellen des alten Testaments*?
Ich bezweifle das stark: wir sehen, was ihn zu seiner Fassung
des Beweises bewog, der freilich nun im Grunde nicht, wie
bei Justin, ein Beweis, sondern eine Behauptung ist: die
Sicherheit der Behauptung hat mehr als einmal beim Redner,
auch vor Gericht, den Beweis ersetzt, und Tert. vertraute
darauf, daß seine gewaltige Periode, mit allen Künsten und
Raffinements des Stils ausgestattet, weiteste Aussichten er-
öffnend, das Ohr und die Phantasie des Lesers genugsam er-
füllen werde; und wenn er dann, wie Justin und Theophilus4),
aus dem Vergangenen die feste Zuversicht auf die Zukunft
ableitet, wiederum in prachtvoll anaphorisch und antithetisch
1) Theoph. II 9 von den Propheten: slitov xat xa. nsgl xf\g xxiaswg
xov xöapov xat xwv Xomäv ünävxcov xat yccg itsol Xoi^wv Kai Xi^iwv Kai
7l0X£[lO)V TtQOStTtOV.
2) Diese Betonung des gegenwärtigen Eintreffens ist rhetorisch
überaus wirksam: quidquid agitur , praenuntiabatur , quidquid videtur
audiebatur, und dann: dum patimur, leguntur, dum recognoseimus, pro-
bantur; bei Theophilus tritt das weitaus nicht so stark hervor.
3) Septuagintastudien, Abh. d. Gott. Ges. d. W. 37 (1891) p. 83.
4) Hinc igitur apud nos futurorum quoque fides tuta est, iam
scilicet probatorum, quid cum Ulis, quae cottidie probantur, praedicebantur :
Theoph. I 14 . . . marsvco, afta Kai £Ttixv%6>v Isgalg ygacpalg t&v äylcov
jrpoqprjrdiv, 01 xat itQoslnov diu Ttvsvfiaxog &eov xa 7tgoy£yov6xa a> rpöjrra
yiyovs xat tu iv£6xöaxa xlvi xqÖtko ylvsxai Kai xa iicSQXOj^sva itoia xä'gtt
a7taQXi6d,i]a£x<xi- a%6dsi^tv ovv Xaßcbv xcav yivofitvav Kai Ttgoavanscpa-
vri^ivav, ovv. ccTtioxa (es handelt sich um Auferstehung und jüngstes
Gericht), und ganz ähnlich II 9. — Justin I 52 insidi] xoivvv xa
yhvoiisva ijör] nävxa airsSsiKWiisv iiqiv t) yevscQ-ui ngoy.sxriQ'vx&ca
diä rcbv 7tQoq>r]xcov, aväyxr] Kai tisqI x&v öfioicag TTQOtpriTsvQ'tvxcov,
(isXXövrav dh ylvsc&ui, itloxiv i%siv mg itävxcog ytvr\6o\i£V(üv. ov yäg
xqottov xa i'jdr] ysvöpsva xat ayvoov{itva UTtsßr] kxX. Auf die gegen-
wärtigen Erfüllungen beruft sich Justiu nicht.
XIX] Tertullians Apologeticum. 385
gebauten Sätzen, so mußte auch dies den Leser hinreißen, wenn
nicht überzeugen.
Ein eigentümlich schwieriges Problem stellt das nur in der Fuldaer XIX
Handschrift erhaltene und dort zu Anfang von XIX eingeschobene sog.
Fragmentum Fuldense. Das Stück deckt sich inhaltlich im wesentlichen
mit den Kap. XIX. XX. Lagardks Annahme (a. a. 0. 85), es sei ein Stück an-
der gemeinsamen Quelle des Tert. und Min., hat mit Recht, soviel ich sehe,
auch bei den Verfechtern dieser 'gemeinsamen Quelle' keinen Anklang ge-
funden: Tert. hat ja gerade die Daten des Fragm. großenteils nicht,
sondern andere, und auch im übrigen spricht nichts für vortertullianischen
Ursprung (den Wachsmuth annahm, Einl. in die alte Gesch. 155, 2).
Aber auch abgesehen von der Zeit, kann das Stück nicht als f Fragment
einer sonst nicht bekannten lat. Apologie' gelten (Bardenhewer, Gesch.
d. altkirchl. Lit. II 355): die Beziehungen zu Tert. sind inhaltlich wie
sprachlich so nahe, daß jene Apologie ein seltsamer Doppelgänger zur
tertullianischen gewesen sein müßte und es höchst wunderbar erschiene,
wenn sich ein Stück daraus in Tert.-Handschriften gerettet hätte.
Endlich ist auch das Fragm. kein nachtertullianischer 'Nachtrag zur
Apologie, um diese nicht ohne das notwendige Rüstzeug der Chrono-
logie zu lassen' (Geffcken 286): denn erstens gibt ja Tert. selbst
Chronologie fast ebensoviel wie das Fragm., und zweitens gibt das
Fragm. viel mehr als Chronologie.
Es bleibt also nur die Annahme, daß wir es mit einer anderen
Rezension der Kap. XIX. XX zu tun haben, und es kann sich nur
fragen, ob diese Rezension von Tert.s eigener Hand herrührt oder nicht.
Das erstere nahmen Havercajlp (p. 439 der Ausg. von 17 18) und Oehler
(p. 105 der Sonderausgabe von Apol. und ad nat. 1S49) an, und nur
so ist wohl auch Harnacks Bezeichnung des Fragm. als 'ursprünglichen
Bestandteiles des Buches' (Chronol. II 266, 1) zu verstehen: denn daran
ist ja selbstverständlich nicht zu denken, daß das Fragm. je neben der
anderen Fassung im Texte gestanden haben könne. Das Fragm. würde
also die erste, der übrige Text von XIX. XX die zweite Rezension dar-
stellen: unmöglich könnte Tert. umgekehrt die Glanzstellen von XX
durch die matten Sätze des Fragm. haben ersetzen wollen. Aber ich
glaube überhaupt nicht an Tert.s Autorschaft. Das Fragm. greift mit der
Angabe über Thaies dem Kap. XLVI vor, wo dieselbe Geschichte fast
mit denselben Worten erzählt wird, überhaupt mit den Ausführungen
über die von den Heiden geübte Plünderung und Verfälschung der Schrift
den Ausführungen jener Schlußkapitel, auch z. T. mit wörtlichen Ent-
sprechungen. x) Das ist ganz gegen Tert.s sonstige Art, die solches
1) Gloriae homines, si quid inrenerunt, ut proprium facerent adul-
teraverunt >- XLVII 3 homines gloriae . . si quid in sanctis offendertmt
386 Richard Heinze: [XIX
Vorgreifen konsequent vermeidet. Und ebenso gegen Tert.s Art ist
am Schluß der ungeschickt angeklebte Ausfall auf die heidnische
Sibylle, dessen Berechtigung, zumal an dieser Stelle, gar nicht deutlich
wird, und wobei wiederum mit der Bemerkung quemadmodum et dei
vestri seil, nomen de veritate mentiti sunt1) vor aufgegriffen wird der Er-
örterung in c. XXIII über die Dämonen, die pro deis agunt und deorum
nominibus utuntur, während Tert. sonst bisher geflissentlich von den
unter den Götternamen verborgenen Dämonen geschwiegen hat. Inept
ist auch der Satz über Solon. Der Stil endlich sucht zwar Tert. zu
imitieren (insbesondere der Satz ita omnia quae supersunt inprobata,
tarn probata sunt nobis, quia cum Ulis quae probata sunt, tunc futuris,
praedicebantur) , läßt aber die eigentümlich tertullianische Verve und
Originalität gänzlich vermissen; im einzelnen bezweifle ich, ob die
Wendungen Troiano proelio ante est, consistere de im Sinne von f ein-
treten für' (während es bei Tert. sehr häufig ' entgegentreten betreffs'
heißt), auetoritas ad fidein suppetit, idonea ad disponendam fiduciam
tertullianisch sind: doch kann ich da irren.
Demnach bliebe die zweite Alternative : das Fragm. ist von fremder
Hand, bei einer Ausgabe des Apol., als Ersatz für die beiden Kapitel
eingefügt; wozu ich gleich bemerke, daß der Fuldensis auch sonst, so
viel besser auch der Text in ihm überliefert ist, doch gegenüber
den anderen Hss. deutliche Spuren einer Überarbeitung zeigt: neben
der letzten, fast zu knapp formulierten Sentenz von c. XXXIV steht
der gleiche Gedanke in deutlicherer, aber trivialerer Fassung; c. XLVIÜ 2
ist ein freilich kaum verständlicher aber gewiß echt tertullianischer
Satz in l durch eine weitläufige Paraphrase ersetzt.
Nun ist aber sehr merkwürdig, daß der Verfasser unseres Fragm.
nicht nur Tert. sondern auch dessen Quelle Theophilus gekannt und
ihm näher gefolgt ist als Tert. hier, ja näher als Tert. überhaupt
seinen griechischen Quellen im Apol. zu folgen pflegt. Bei Moses,
dessen Bedeutung Tert. nur ganz allgemein charakterisiert, erwähnt
das Fragm., daß er die Weltschöpfung, Ausbreitung des Menschen-
geschlechts, Sündflut usf. erzählt und den Grund für die Chronologie
gelegt habe: die Dinge gibt Theoph. ausführlich in B. II, vgl. auch III 18;
sein Ansatz auf etwa 400 (300 ist in 1 wohl falsch überliefert) Jahre
vor Danaus, etwa 1000 Jahr vor dem trojanischen Krieg steht bei Tert.
digestis . . ad propria verterunt; fiducia quam praesmnptionem vocatis
^ XLIX 1 haec sunt quae in nobis solis praesumptioncs vocantur.
1) Der Gedanke, daß die heidnische Sibylle den Namen der wahren
christlichen fälschlich angenommen habe, stammt aus Nat. II 12, wo
die veri (dei) vera vates den daemoniorum vatibus gegenübersteht;
vgl. Geffcken a. a. 0.
XXI] Tertulliax.s Apologetioum. 387
und bei Theoph. III 21, das Zitat des Thallus über Belus und Saturn
nur bei Tbeopb. III 29, mit dem Ansatz des Belus auf 320 Jahre vor
Ilions Fall; sodann per liunc Moysen ctiain lex proprio, Judaeis a <leo
missa est (vom Gesetz ist sonst bei Tert. gar nicht die Rede) = Theoph.
III 23 : vor den Machen Krieg fallen auch roc ygcc^iara xov dst'ov
vofiov zov Sia Mwöicog i]piv SsSo(iivov (vgl. II 9). Statt Tert.s all-
gemeiner Bemerkung über die Propheten nach Moses die genauen',
daß der jüngste mindestens gleichzeitig sei den griechischen Philo-
sophen und Gesetzgebern (aliquantulo pruecurrit aut certe concurrit
aetate), nämlich Zacharias, zur Zeit des Cyrus und Darius: so Theoph.
III 23, der dann auch, wie das Fragm., Solon als Zeitgenossen des
Zacharias erwähnt. Daraus folgt nach dem Fragm. die Abhängigkeit
der Griechen von den Propheten (Tert. und Theoph.), nebst dem eigen-
tümlichen Satz: de Sophia amor eins philosophia vocitatus est, de pro-
phetia adfectatio eins poetkam vatitinaüonem deputavit: angeregt wohl
durch die Rolle, die Theoph. die in den Propheten waltende ooyia
Gottes (II 9) spielen läßt; über die Dichter Theoph. III 17 zcpccauv
tccvrovg anb dtictg ngovoiag usfia&rjyitvai -/.rl. Endlich habetis, quod
sciam, et vos Sibyllam: in jenem Zusammenhange Theoph. II 9 uXXu
(irjv Kai nccga. ''EXXtjoiv SlßvXXoc. Es scheint danach, daß jener Editor
des Apol. Tert.s Angaben über Moses und die Propheten nicht aus-
reichend, die sonstigen Ausführungen dieser Kapitel zu überschwänglich
fand, vielleicht auch sich vornahm, Tert.s Kapitel über das Verhältnis
der heidnischen Bildung zum Christentum, die der eigentlichen Ver-
teidigung angehängt sind, zu streichen und daher das Wichtigste
daraus gleich hier einzufügen.
Bei der Christologie Tert.s ist zunächst die Art der XXI
Einführung bemerkenswert. Sie gibt sich nicht als eine an
sich notwendige Ergänzung der Aussage über den christlichen
Glauben: cwir verehren den einigen Gott, den Schöpfer des
Alls' — damit war das gesagt, was gegenüber dem Polytheis-
mus der Heiden die christliche Religion bestimmt. Dieser Gott
ist auch der der Juden, und daher stützt sich das Christentuni
auf das alte Testament. Hieran, so fährt Tert. fort, könnten
Zweifel erhoben werden: wir unterscheiden uns ja doch im
Ritus wie im Namen von den Juden, geben selbst zu, eine
junge Sekte zu sein: so könnte man meinen, wir verbergen
hinter der Schutzwand des als Religion gestatteten Juden-
tums eigene falsche Lehren: d. h. wir verehrten nicht, wie
wir behaupten, den wahren Gott, sondern einen Menschen: von
388 Richard Heikze: [XXI
Christus als Menschen, den die Juden als solchen verurteilt
haben, weiß man ja allgemein. 'Daher muß ich denn einiges
Wenige über Christus als Gott sagen'. Man sieht: im Grunde
nur zur Bestätigung und Verteidigung dessen, was Tert. früher
als den Kern des christlichen Glaubens genannt hatte, und um
den Verdacht zu widerlegen, daß das Christentum mit dem
Judentum eigentlich gar nichts zu tun habe, wird von Christus
gesprochen. Die älteren Apologeten sind in diesem Punkte
z. T. noch zurückhaltender: Theophilus spricht bei Gelegenheit
der Weltschöpfung (II iof.) u. ö. zwar, doch ohne sich irgend
dabei aufzuhalten, vom höyog Gottes, den dieser aus sich er-
zeugt (vlbg avtov II 22), und durch den er alles gemacht
habe: niemals aber davon, daß dieser Xöyog in Christus Fleisch
geworden sei, ja überhaupt niemals von Christi Geburt, Wirken,
Tod, Himmelfahrt und Wiederkunft; er schweigt von der
Person Christi, während er immer und immer wieder von
Moses spricht. Er läßt die Dämonen nicht beim Namen
Christi, sondern bei dem des wahren Gottes beschwören (II 8)
und leitet den Namen Xyiöriavög nicht von Christus ab,
sondern ort %Qi6iLE&a e'Aaiov &sov (I 12); wo er Aussprüche
Christi zitiert, nennt er nicht diesen, sondern das 'Evangelium'
(III 13 f.). Athenagoras widmet, nachdem er sehr ausführ-
lich vom einigen Gott gesprochen, das kurze 10. Kapitel dem
Sohne, d. i. dem Logos Gottes, und dem hl. Geist: auch er
sagt kein Wort von Christus. Ebenso wenig, um auch diesen
zu erwähnen, Tatian, obwohl dieser seine Lehre vom Logos
als dem erstgeborenen Werk Gottes ausführlich vorträgt
( c. 5 f.), und an Christus wenigstens erinnert durch das zu Gott
gesetzte Apotheton 7t£7iovd-cog (c. 13 p. 15, 6) und die Zurück-
weisung des Spottes auf die Lehre, daß 'Gott in Menschen-
gestalt geworden sei (c. 21, p. 22,, 6)'. Einzig Aristides und
Justin reden anders: Aristides berichtet in kurzen Worten
die Tatsachen von Christus, auch die Aussendung der Jünger;
Justin dagegen spricht in größter Ausführlichkeit von den
auf Christi Geburt, Leiden und Wirken bezüglichen Prophe-
zeiungen und ihrer Erfüllung; bei ihm steht Christi Leben
XXI] Tertullians Apologeticum. 389
und Lehre durchaus im Mittelpunkt des Glaubens, den er
rechtfertigt, während der Glaube an den einen Gott und
Schöpfer des Alls fast beweislos vorausgesetzt wird.
Man begreift es sonach aus der apologetischen Tradition
heraus, daß auch bei Tert. die Christologie nur sekundär und
gleichsam als Anhang zur Gotteslehre eingeführt wird1): aber
man bemerkt sehr bald, daß im Widerspruch zu dieser Art
der Einführung das Mysterium von dem in Fleischesgestalt
erschienenen, gestorbenen und auferstandenen Gott Christus
für Tert., ganz wie für Justin, im Mittelpunkt des Glaubens
steht: das deum colimus wird zum drum colimus per Chriskim
XXI 28), die Erkenntnis von Christi Gottheit bewirkt den
sittlichen Wandel (31), Christi Name bezwingt die Dämonen,
Christi Wirken bekehrt zum Glauben an Gott (WITT 18),
Christus wird am jüngsten Tage die Auferstandenen richten
(13). Aber es scheint andererseits ein Nachklang der Tat-
sache, daß das Bekenntnis zu Christus die Gläubigen einst
weniger von den Heiden, als von den Juden schied, wenn Tert.
in seiner zusammenhängenden Erzählung von Christus, die
er — als einziger unter den Apologeten — gibt? von Anfang
bis zum Ende den Gegensatz gegen die Juden, das einst
auserwählte, dann seiner Sünden wegen verstoßene Volk Gottes
hervorkehrt, das Christus und seine Anhänger von jeher, wie
jetzt noch bekämpft hat. — Die Logoslehre hat für den Apolo-
geten Tert., wieder im Gegensatz zu den übrigen, Bedeutung
vor allem in bezug auf die Person Christi: um seine substaxfia
zu erklären, trägt er sie XXI 10 — 14 vor: ich habe auf die
1) Man begreift es auch in diesem Zusammenhange durchaus,
warum Minucius zwar, wie Tatian, die Beschuldigung kurz zurückweist,
daß die Christen einen Menschen verehrten (c. 29), auch des Xoyog mit
einem Wort gedenkt (c. 18, 7), im übrigen aber von Christus schweigt
und alles Gewicht seiner Beweisführung auf die Lehre vom einigen Gott
und von der Auferstehung legt (vgl. Haknack, Dogmengesch. I4 522, 4).
Ich brauche auf die zahlreichen, an Seltsamkeit einander überbietenden
Versuche, jenes Schweigen zu erklären (bis auf den neuesten von Elter,
Prolegomena zu Minucius Felix, Bonn 1909) nicht einzugehen.
390 Richard Heinze: [XXI 24— 31. XXII. XXIII
doomengeschichtliche Bedeutung dieser Lehre, die sich aus
dem Apol. allein nicht entwickeln läßt; hier nicht einzugehen.
XXI 24 — 31 Zeitgenössische Berichterstatter und Zeugen des Erzähl-
ten, so fährt Tert. fort, waren Pilatus. einerseits, der im inneren
Christ war (der Satz sed et Caesares ist Parenthese), anderer-
seits die Jünger Christi, die seine Lehre verkündeten und
unter Nero mit ihrem Blute besiegelten: echte festes, (iccq-
tvQsg. Aber nicht genug damit: als festes sollen die Götter
der Heiden selbst auftreten. Bevor aber Tert. zu den Dä-
monen übergeht, bekräftigt er nochmals feierlich, daß es wirk-
lich der Christenglaube ist, den er dargelegt hat: von den
Zweifeln der Gegner, die da meinten, die Christen schöben
wohl nur die Gottesverehrung vor, war ja Tert. XXI 1 fg. aus-
gangen. Und auf die Frage, ob Christus Mensch oder Gott
sei, kommt er schließlich auch wieder zurück: war er Mensch
und lehrte den wahren Gott verehren, so dürften auch dagegen
weder Juden noch Griechen noch Römer etwas einwenden,
da bei ihnen das Gleiche sich findet; was aber seine Gottheit
betrifft, so könnte er diese sich selbst zugeschrieben haben,
eben so wie Numa die Göttin Egeria erfunden hatte: die Echt-
heit seiner divinitas wird also zu prüfen sein, teils aus den
sittlichen Wirkungen des christlichen Glaubens, teils an der
Lehre von den Dämonen, zu der Tert. nunmehr übergeht.
XXII. XXIII 3. Tert. teilt seine Auffassung der Dämonen, ihrer Her-
kunft, ihres Wesens und Wirkens in allem Wesentlichen mit
den griechischen Apologeten, überhaupt mit den Christen und
weitgehend auch mit den Heiden seiner Zeit1); aber die Art,
wie er diesen Glauben apologetisch verwertet, ist sein eigen.
Für Justin ist der Dämonenglaube, ein überaus wichtiges
Stück seiner Weltanschauung, apologetisch von Bedeutung
in folgenden Punkten: 1. Die Christen sind ä&sov, wie man
1) Ich kann jetzt (außer auf Geffcken 214 ff.) verweisen auf Pohlenz,
Vom Zorne Gottes (Gott. 1909) 139 ff. und Tambornino, de antiquorum
daemonismo, Gießen 1909 (= Religionsgesch. Vers. u. Vorarb. VII 3).
Über den Kampf der Christen gegen die Dämonen zusammenfassend
Habnack, Mission u. Ausbreitung des Christentums2 (Lpz. 1906) I 108 ff.
XXII. XXIII] Tektulliaxs Apologeticum. 391
ihnen vorwirft, nur in bezug auf die heidnischen foot, die
aber in Wahrheit gar keine Götter, sondern böse Dämonen
sind, die vor Zeiten auf Erden Freveltaten begingen und jetzt
noch unter den Namen, die sie sich selbst gegeben haben,
von den Törichten und Unsittlichen verehrt werden. Einen
Beweis für diese Identifikation gibt Justin nicht: die Über-
zeugung ist ihm selbst so völlig in Fleisch und Blut über-
gegangen, daß er sie wie etwas Selbstverständliches, das nur
ausgesprochen zu werden braucht, vorträgt (I 5). 2. Göttlicher
Prophezeiungen kundig, haben die Dämonen Mythen und
Riten unter den Heiden verbreitet, die den christlichen ähn-
lich sind: so kann es den Unkundigen scheinen, als bringe
das Christentum nichts Neues (I 54 ff.). 3. Warum hilft Gott
den Christen nicht in der Verfolgung? Weil diese Verfolgung
das Werk der von Gott abgefallenen Engel und ihrer mit
irdischen Weibern gezeugten Söhne, der Dämonen ist, die von
jeher alle nach Wahrheit Suchenden verfolgt haben, und zu
deren Niederwerfung Gottes Sohn als Mensch auf die Welt
gekommen ist — wie sich denn seine Macht über sie in den
unter seinem Namen vollzogenen Exorzismen bewährt; und da
Gott, wie den Menschen, so auch den Dämonen Freiheit des
Willens verliehen hat, so läßt er sie gewähren; sie werden
einst im ewigen Feuer ihre Sünden büßen (II 5 ff.).
Auch für Tatian, den ich mit anführe, obwohl ja eine
eigentlich apologetische Verwertung der Dämonologie von vorn
herein nicht bei ihm erwartet werden kann, ist die Identität
der 'Götter' und der Dämonen eine Tatsache, die des Beweises
nicht bedarf: nachdem Ursprung und Abfall der Engel be-
schrieben ist, die fortan sterbliche Dämonen sind (c. 7), wird
sogleich von den öaCpovsg (isrä rot) fjyov[i£vov Ai6$ gesprochen
und die Schandtaten dieser Dämonen, d. h. der mythischen
Götter aufgezählt (c. 8). Aber eine weit größere Rolle spielen
die Dämonen in Tatians Polemik einerseits gegen die Astrologie
— haben doch sie die Eif.iaQjxsvrl 'eingeführt', von deren
Herrschaft sich allein die Christen befreien, und sind doch
die Gestirne selbst Dämonen — andererseits gegen die Magie, in
PhiL-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. ?o
3Q9 Richard Heinze: [XXII. XXIII
der und durch welche die Dämonen gleichfalls über die
Menschen herrschen; ihr Ziel ist in allen Fällen, die Menschen-
seelen zur vir] herabzuziehen, dem göttlichen Ttvsv^ia und damit
der Unsterblichkeit zu entfremden. Dabei wird auch erwähnt,
daß die Dämonen gelegentlich in den Menschen fahren und
dann Adyc? ftsov dvvccfisag itXY\xxö\iEvoi ösöiöreg anlaGiv
(c. 16): Gewicht wird darauf nicht gelegt. Bemerkenswert
aber ist, daß am Schluß der Polemik gegen die Magie, bei
der wesentlich die Heilungszauber behandelt sind, ein Aus-
spruch des d'av^uöLcotatog 'Iovörtvog zitiert wird (c. 18 ext.
p. 20, 16 Schw.), der sich mit einer Äußerung Tert.s deckt:
die Dämonen verursachen Krankheiten und maßen sich dann
den Ruhm der Heilung (dt öveCgav) an, die einfach dadurch
bewirkt ist, daß sie den erkrankten Körper wieder sich
selbst überlassen. Nach einer Vermutung von Wilamowitz
(bei Schwartz p. 58) hätte hier Justin sich speziell gegen Aristi-
des und seine iyxco^iia des heilenden Gottes gewendet: viel-
leicht wird das durch Tert. noch zu größerer Wahrscheinlich-
keit erhoben.
Bei Athenagoras endlich finden wir eine zusammen-
hängende, sozusagen systematische Dämonologie, die der Ter-
tullianischen erheblich näher steht als die beiden besprochenen,
so daß der Vergleich gerade mit ihr die Eigentümlichkeit der
Tertullianischen Taktik besonders deutlich hervortreten läßt.
Nachdem Athenagoras die inneren Widersprüche der
griechischen Theologeme aufgezeigt und somit die Göttlichkeit
der von den Heiden Verehrten zurückgewiesen hat, geht er
dazu über (c. 2$) den Einwand zu widerlegen, daß doch
einige Idole wirken, nützen und schaden, also doch wohl
göttliche Kraft bewähren. Er beruft sich zunächst auf das
Zeugnis des Thaies und Piaton, die von cGott' die 'Dämo-
nen' unterscheiden und lehrt sodann, daß der Dreieinigkeit
von Gottvater, Sohn und heiligem Geist die zwar von Gott
geschaffenen, aber von ihm abgefalleneu, der Materie zuge-
wandten Kräfte gegenüberstehen, der 'Herrscher der vhf,
also der Teufel, die ihrer Begier verfallenen Engel und deren
XXII. XXIII] Tektullians Apologeticum. 393
Abkömmlinge, die Giganten oder Dämonen. Diese haben sich
die Namen Verstorbener angeeignet und verführen die schwa-
chen Menschen dazu, deren Bilder, die Idole, zu verehren, da
es sie nach dem Opferblut verlangt. Daß diese angeblichen
'Götter' Dämonen sind, ergibt sich aus ihren widernatürlichen
Kultriten, vor allem der Selbsverstümmelung: das ist nicht
Gottes Sache. Daß die 'Wirkenden' verschieden sind von denen
denen die Bilder geweiht sind, ergibt sich deutlich vor
allem daraus, daß mancherorts jüngst verstorbene Menschen,
wie Alexander, Proteus und Neryllinos, als 'wirkend ', Orakel
und Heilung spendend, verehrt werden, während jene doch
gewiß den Kranken nichts frommen: hatte doch das Bild des
Neryllinos schon zu seinen Lebzeiten und während er selbst
krank war, die Kraft, die ühm jetzt zugeschrieben wird. Die
Dämonen machen sich die Schwäche der dem Göttlichen ent-
fremdeten, der Materie zugekehrten Seele zu nutze, in der
£ldalo[xav£Lg yctvxuölca entstanden sind, und erwecken in
ihr von den Idolen aus die trügerische Vorstellung, daß sie,
die Dämonen, das Verdienst an dem haben, was in Wahrheit
die unsterbliche Seele an Erkenntnis der Zukunft oder zur
Heilung von Krankheiten leistet1) (c. 27). Also auch hier
die freilich ganz anders als bei Tatian (resp. Justin) ausge-
führte Vorstellung, daß die 'Wunder' nicht von den Dämo-
nen ausgehen, sondern fälschlich von ihnen für sich bean-
sprucht werden2); nur die Erweckung der falschen Vorstellungen
1) o'ffa xaO'' ccbtriv. u>g &&ävaxog ovßcc, Xoytxwc »iveizcci tyv/^ 7}
nQO[ii]vvov6a xa fiiXXovxa 7} dsgant vovaa xa ivsGx^ÖTa, xovxav xi\v
fiö£av xctQiiovvTca oi äccipovsg. Vorher ist wohl zu schreiben ixtßaxsv-
ovxsg avxwv xolg 6v6[ia6iv, cf. c. 23 p. 141, 13 Gr.
2) Das hat Geffckbn p. 210 fg. 219 wie es scheint verkannt. Sehr
vorsichtig sagt Ath. c. 23 rö uhv yug . . yiyvscd-al xivag in' ovöfiuxi
sidwXav ivsgysiag ovo' rjfitlg avxiXtyofisv, nachher erst ungenauer, er
habe erforscht xtvsg ol ivsQyovvxsg i7iißaxzvovxsg avx&v {x&v tldmXcov)
6vo\ici6i. Im folgenden heißt es tlg Sa avxwv xcel zgrHiarigeiv tial lüa&cu
voaovvxag vofil^sxui und a yag 7} dxcov Xeyexai vvv ivsgysiv, worauf
dann wieder ungenau fortgefahren wird tvrjgysi xai. £wvxog xai voßovv-
xog NsgvXXivoiK
30*
-g^ Richard Heinze: [XXII. XXIII
in den Seelen schwacher Menschen, die durch eigene Schuld
dafür prädisponiert sind, ist die iveQyeicc der Dämonen. Exor-
zismen erwähnt Athenagoras nicht, ebensowenig die Magie.
Die Mittelstellung, die er durch Anerkennung der Dämonen
und ihrer Wirkung auf die Seelen, durch Aberkennung aber
aller Wunderkraft einnimmt, beraubt seine apologetische
Verwertung der Dämonologie ihrer besten Kraft: seine ver-
geistigte Lehre schmeckt zu sehr nach ausgeklügelter Theorie,
um überzeugend zu sein; ein Beweis für die Identität der
'Götter' und der Dämonen, an deren Existenz ja auch seine
Gegner glaubten, ist zwar versucht, aber der Hinweis auf
widernatürliche Riten einzelner, insbesondere orientalischer
Kulte dringt nicht tief und trägt nicht weit, und die Pole-
mik gegen die Göttlichkeit eines Neryllinos und seinesgleichen
noch weniger. —
Man glaubt es nachzuempfinden, wie einem Tertullian
alle diese Versuche seiner Vorgänger, sich mit den Dämonen
auseinanderzusetzen, schwächlich und unwirksam erschienen.
Behauptungen, keine Beweise, zu viel Theorie, die nicht zu
o-lauben brauchte wer nicht wollte, die vor allem den we-
nigsten Lesern auch nur verständlich war. Ließ sich da
wirklich nichts Handgreiflicheres, Packenderes, Sieghafteres
vorbringen? Sehen wir zu, was Tertullian für wirksam hielt.
Man hätte erwarten können, daß Tert. seine Ausführungen
über die Dämonen, die Namen und Bilder der göttlich ver-
ehrten verstorbenen Menschen usurpiert haben, angeschlossen
hätte an die Bestreitung eben dieser Götzenbilder (XII).
Tert. gibt aber erst die positive Darstellung des christlichen
Glaubens und verspart sich die Dämonologie bis zum Schluß:
sie soll wie der stärkste so der letzte Trumpf sein, den er
ausspielt, und sie soll als sicherster Beweis gegen den heid-
nischen, aber auch für den christlichen Glauben das ganze
Gebäude bekrönen. Daß die Erkenntnis des dämonischen1'
Wartens unmittelbar auf die Anerkennung der Gottheit Christi
hinführt, drückt sich schon äußerlich in der Art aus, wie der
neue Gegenstand, ohne Ankündigung eines neuen Kapitels,
XXII. XXIII] TeRTULLIANS A l'OLOGETICU.M 3Q5
eingeführt wird: quaerite igitur, si vera est ista dirinitas Christi :
sin ea est, qua cognita ad bonwm </uis reformatur, sequitur, ut
falsae renuntietur, comperta inprimis illa omni ratione quae
delitiscens sab nominibus et imaginibus moHaorum quihusdam
signis et miraculis et oraculis fidem divinitatis operatur: also
'Zeichen und Wunder und Orakel' werden nicht geleugnet,
aber als Wirkungen einer verborgenen ratio erklärt. Atque
adeo dicimus esse substantias quasdam spiritales: "und wir be-
haupten in der Tat das Vorhandensein gewisser geistiger
Wesen', und bezeichnen sie mit denselben Namen wie ihr:
denn 'Dämonen' kennen1) die Philosophen, die Dichter, ja
auch der ungelehrte große Haufe2); angelos hat selbst
Piaton nicht geleugnet3), und die Magier bezeugen beide
i) sciunt: über die Bedeutung kennen' bei Tert. s. (Dehler I 131
zu Apolog. V.
2) etiam vulgus indoetum in usu maledicti frequentat. Vgl. de test.
an. 3 daemonium vocas (zur Seele gesagt) hominem aut immunditia
aut malitia aut quacumque macula quam nos daemoniis deputamus ad
necessitatem odii importunum. Man wird danach an der Verwendung
von daemon oder daemonium (denn duiuöviog kann doch schwerlich
gemeint sein) als Schimpfwort nicht zweifeln können, obwohl ein an-
deres Zeugnis dafür m. W. nicht existiert. Für ausgeschlossen halte ich
die Annahme, daß Tert. hier daemonium für ein anderes Wort substi-
tuiert, wie er es nachher allerdings tut: Satanam denique U* omni ve-
xatione et aspematione et detestatione pronuntias, quem nos dicimus
malitiae angelum: da ist, wie Rigaült gesehen hat, der Ausruf malum
gemeint; aber Tert. deutet die Substitution selbst an, wenn er fort-
fährt sentis igitur perditorem tu tun, et licet nah illum novermt Christia-
ni . . et tu tarnen eum nosti dum odisti.
3) Man wird das zunächst als Beleg für den Namen angelus auf-
fassen: dann hat freilich Tert. geirrt, denn die Gleichsetzung der öcä-
(iovtg und äyyeloi findet sich bei riaton nicht, so wenig wie bei ir-
gend einem reingriechischen Autor. Wohl aber war die Sache aus
Piatons Beschreibung der Dämonen im Symposion 202a zu entnehmen:
Ttäv xb öaiuoviov usxu^v iöxi Q-iov ts x«i &vr\xov . . . £Q{irtv£vov
xal diccnoQ&iisvov fttolg xa nag' uv&QmTtcov y.cti av&Qionoig xa tcuqu
ftsebv. Ein Irrtum des Tert., verursacht wahrscheinlich durch die un-
genaue Ausdrucksweise eines griechischen Apologeten , ist mir wahr-
scheinlicher als eine bewußte 'Interpretation' — zu welcher Annahme
die vorsichtige Ausdrucksweise non negavit verlocken könnte.
396 Richard Heinze: [XXII. XXIII
Namen. l) Also streng genommen nicht als Zeugnisse für seine
Behauptung der Existenz, sondern nur als Belege für die
Namen führt Tert. die Stimmen der Heiden an: er liebt es
nicht, sich für die Wahrheit seiner Lehren auf heidnische
Zeugen zu berufen, konstatiert höchstens (wie XXI 10) eine
Übereinstimmung der Lehren, anders als die griechischen
Apologeten, z. B. Athenagoras: aber es ist klar, daß er in
Wirklichkeit in den Spuren seiner Vorläufer geht.2)
Indessen, wenn die Heiden auch die Dämonen kennen,
über ihren Ursprung und ihr Schicksal unterrichtet nur die
heilige Schrift; eine ausführliche Wiedergabe dieser Lehre,
wie sie z. B. Athenagoras, mit viel philosophischer Zutat
verbrämt, seinen Lesern vorsetzt, scheint Tert. überflüssig;
knapp und klar formuliert er die Hauptpunkte: Engel, aus
eignem freien Willen — darauf kommt ja viel an — verdor-
ben, haben die noch schlechteren Dämonen erzeugt, und Gott
hat sie mit ihren Erzeugern und ihrem Oberhaupt verdammt.
Daß diese Engel und Dämonen geistige Wesen sind, war
schon oben gesagt. Viel wichtiger für Tert.s Beweisführung
als Erörterungen über das Wesen der Dämonen ist die
Kenntnis ihres Wirkens: zu dieser operatio geht er jetzt über.
Und zwar handelt er in strenger Gedankenfolge i. über den
Endzweck ihres Wirkens. 2. über ihre Maßnahmen: Schädi-
gungen des Menschen an Körper und Geist, worunter die
wichtigste die Erregung des Glaubens an die Götter (dabei
1) Ein Blick in die Zauberpapyri bestätigt das; es bedurfte kei-
ner Erklärung durcb einen besonderen Beleg, wie ibn Minucius gibt
und Ebert hier vermißt. Ich komme auf die Stelle des Minucius unten
zurück.
2) Auf Thaies und Piaton beruft sich Athenagoras (c. 23), als auf
&716 rjjg cpiXoGocpiug iidgrvQsg. Das Dämonium des Sokrates aber stellt
Tert. als erster in die Reihe der bösen Dämonen: die griechischen
Apologeten schweigen davon, weil sie Sokrates gerade als Gegner der
Dämonen verehren. Später haben Clemens und Origenes den Mut ge-
funden sich damit auseinanderzusetzen, und das daijioviov als guten
Geist in Anspruch genommen, s. Harnack, Sokrates u. d. alte Kirche
(Berl. 1900) p. 14.
XXII 4—7] Tertullians Apologbticum. 397
wird als Nebenzweck die Ernährung durch die Opfer erreicht 1,
3. über die Mittel, diesen Glauben zu erwecken: Orakel und
Prophezeiungen, angebliche Heilungen, sonstige Wunder.
4. Beweise dafür, daß es wirklieh die Dämonen sind, die diese
wunderbaren Wirkungen ausüben, daß also die Dämonen und
Götter identisch sind. 5. Wichtigster Beweis das eigene Zeug-
nis der Dämonen. 6. Beweis, gleichfalls durch die Dämonen
geliefert, daß die christliche Religion die wahre ist.
1. Operatio eorum est hominis eversio — dieser monu- XXII 4— 7
mentale Satz gibt der ganzen Lehre eine Grundlage, die ihr
bei den älteren Apologeten fehlt. Denn man hört zwar von
ihnen gelegentlich von der Feindschaft der Dämonen gegen
alle Guten, worunter denn die Feindschaft gegen die Christen
zu subsumieren ist, oder von ihrem Bestreben die Menschen
von der Verehrung des wahren Gottes abzulenken, oder von
ihrem Bestreben sich die Menschen zu unterjochen, auch
pflegt der Hinweis auf ihr Verlangen nach dem Genuß der
Opfer nicht zu fehlen; aber prinzipiell ist ihr Wirken nie
gefaßt, und im allgemeinen wird offenbar stillschweigend
alles was sie tun als Ausfluß ihrer Schlechtigkeit angenom-
men. Tert. sagt dies ausdrücklich, indem er fortfährt sie
malitia spiritalis a primordio auspicata est in hominis exi-
tium — was freilich ganz verständlich nur dem ist, der die
Geschichte von der Schlange im Paradies kennt. Man muß
sich der ängstlichen Vorsicht erinnern, mit der Athenagoras
seine Dämonenlehre einführt — scheut er sich doch sogar
davor, den Dämonen, die den Kaisern, seinen Adressaten, als
Götter gelten, das Epitheton yuvioi oder Ttovrjgoi zu geben
— um die ganze brutale Wucht von Tert.s Satz zu empfin-
den: 'nicht eure Wohltäter, wie ihr meint, sind die 'Götter',
nicht verdankt ihnen die Menschheit, wie ihr glaubt, alles
Gute: ihr Werk ist des Menschen Verderben.'
2. Wie ist es den Dämonen möglich, den Menschen an
Körper und Geist zu schädigen, noch dazu ohne daß jemand
es bemerkt? Besser als irgendeine subtile philosophische Er-
klärung, so meint Tert., ist ein anschaulicher Vergleich. Als
398 Kichard Heinze: [XXII 8—12
' Geistern' eignet den Dämonen so viel Feinheit und Zartheit,
daß sie leicht überall eindringen können, ohne sichtbar zu
w erden: wer sieht den giftigen Anhauch, der Blüten und
Früchte vernichtet oder die Luft verpestet, anders als in sei-
ner Wirkung?1) — Wahnsinn, wilde Lüste und Irrtümer er-
zeugen sie in der Welt2): der Irrtum, daß sie Götter seien,
verschafft ihnen zugleich3) ihr 'Futter', das ihnen gemäß ist:
Opferdampf und Blut. Verächtlich wie der Ausdruck pabula
ist das folgende adcuratior pascua: die Entfremdung von der
wahren Gottheit durch Zauberkunststücke ist die Weide, auf
der ihr Futter wächst.
XXII 8— 12 3. Wie kommen ihre Zaubereien zustande'? a) ihre
Schnelligkeit ermöglicht ihnen, Ereignisse, die an irgendeinem
Punkt geschehen, im selben Augenblick schon anderswo zu
verkünden (sie heißen nicht umsonst äyysXot), wobei sie sich
dann auch manchmal die Urheberschaft zuschreiben. Dabei
1) nescio qaod aurac latens Vitium: man vgl. etwa die Schilderung
des Lucrez VI 1090 ff. Keineswegs gelten also die Dämonen als Ver-
ursacher von Mißwachs und Seuche, wie in der Lehre der Platoniker,
die Porphyr, de abst. II 37 ff. wiedergibt, c. 40 in. Dort ist die Ten-
denz die, den Dämonen Schuld an allem für die Menschen Schädlichen
zu geben, die Göttern davon zu befreien ; für Tert. ist es natürlich Gott
allein, der die clades sendet, XL fg. Im übrigen gebe ich Pohlenz
(a. a. 0. 144 fg.) zu, daß die Lehre jener Platoniker in Piatonismus
und Stoa nicht aufgeht; es wird noch zu prüfen sein, ob, wie Pohlenz
will, christlicher, oder wie Cumont vermutet hat (Rel. orient. 184 fg.
307), parsischer Einfluß vorliegt. Zu Tert. besteht jedenfalls keine nä-
here Beziehung als etwa zu Tatian.
2) furores, amentiae foedae, caecae libidines cum erroribus variis:
damit wird ausgeführt, was vorher mit animae repentini et extraordi-
narii per vim excessus angedeutet war, hinzugefügt die errores, um auf
den Bilderdienst überzuleiten. Unter jenen i%6td<ssig versteht Tert.
schwerlich, wie die Platoniker des Porphyr, c. 40, die Leidenschaften
und Begierden überhaupt, sondern die Exzesse der Leidenschaft, bei
denen auch die Griechen von Scaiiovccv oder xoQvßavTiäv redeten, ins-
besondere wohl die durch Magie erzeugten.
3) Das ist Nebenzweck, ut et sibi pabula propria procuret, nicht
wie z. B. bei Athenagoras c. 25 Hauptzweck, es soll hinter dem opc-
ratio eorum est hominis eversio zurücktreten.
XXII 8—12] TERTULMAN8 ApOLOGETICTM. 3Q9
denkt Tert. wohl nicht an die beiden historischen Fälle, die
er nachher erwähnt, sondern an sonstige Hellseherei: so wußte
Apollonios in Ephesos von Doniitians Ermordung im Augen-
blicke, wo sie geschah: oi fisol zofaiov exaöra diaXsyofiavco
reo dvÖQL <xvt(pciivov Philostr. vit. Ap. VIII 27. - - b) sie schöpfen
ihr Wissen aus den Worten der jüdischen Propheten. Daß
die Dämonen allerlei Trug auf Grund der ihnen bekannten
messianischen Weissagungen angestiftet haben, ist auch z. B.
Justins Meinung; Tert. überträgt dies auf die Divination. —
c) sie geben zweideutige Orakel: die Beispiele des Croesus
und Pyrrlms sind traditionell. Ad vocem Croesus denkt Tert.
auch an das Schildkrötenorakel (Herod. I 47), von dem er aus
der gleichen Herodotstelle, direkt oder indirekt, Kenntnis
hatte und die er nach a) erklärt. — d) Wetterprophezeih-
uug: den Dämonen möglich de incolatu a'eris: im Luftraum
schweben die Dämonen nach alter griechischer wie christ-
licher Lehre. Tert. denkt, wie XXIII 6 zeigt, an zeitgenössi-
schen Brauch. — e) Heilungen: die Erklärung, die auch
Justin (s. 0.) gegeben hatte und die Tert., sei es direkt, sei
es aus Tatian, zur Kenntnis gelangt sein wird. — f) sonstige
Wunder aus römischer Tradition: Erscheinung der Castores1),
Wunder der Tuccia, der Claudia, des Domitius Ahenobarbus.
In dieser Zusammenstellung sonst nicht überliefert. Eine
bestimmte Erklärung gibt Tert. hier nicht: er läßt es offen,
ob es sich hier um ingenia, also Tricks wie bei den zwei-
deutigen Orakeln, oder vires fallaciae spiritalis handelt, die
nicht näher bestimmt werden. Zum Schluß nochmals der
Zweck aller dieser Veranstaltungen: ut numina lapides crede-
rentur, ut deus verus non quaereretur.
Das Resultat ist also, daß das Wirken der Dämonen im
wesentlichen Trug ist: weder eignet ihnen übernatürliches
Wissen, noch üben sie irgend welche wohltätige Wirkungen
aus: wie weit ihre sonstigen Wunder echt sind, bleibt dahin-
1) phantasmata Castorum: die Epiphanie des Castores tritt also
als fGeisterscheinung' auf gleiche Stufe mit den im nächsten Satze
genannten von den Magiern bewirkten Phantasmata.
400 Richard Heinze: [XXIII 1—3
gestellt. Aber freilich haben sie durch ihre spiritalis sub-
stantia 1 ) Fähigkeiten, die über die der körperlichen Wesen
weit hinausgehen. Die Grundlage dieser Vorstellungen und
manches einzelne hat Tert. mit den griechischen Apologeten
gemein: er unterscheidet sich vor allem durch die rationa-
listische Klarheit und die erschöpfende Durchführung der Ge-
danken. Es ist z. B. nicht leicht zu sagen, ob Tatian, nicht
leicht zu erkennen, ob Athenagoras an eine Weissagungskraft
der Dämonen glaubt — ihr eignes Schwanken hindert offen-
bar die volle Klarheit des Ausdrucks; Tert. läßt niemandem
den geringsten Zweifel. Die Griechen beschränken sich da-
rauf, Mantik und Iatrik zu besprechen: Tert.s Bereich ist viel
umfassender. Vor allem aber: die Griechen kommen, mit
Ausnahme von Ansätzen des Athenagoras, über das Behaupten
nicht hinaus: Tert. sucht nach Beweisen.
XXIII 1—3 4. Bisher nämlich hat er nur behauptet, daß im Namen
des Apollo, der Castoren, der Vesta Dämonen gewirkt hätten.
Aber das genügt ihm nicht. Die Magier, fährt er fort, ver-
richten mit Hilfe der Dämonen die gleichen Zaubereien wie
eure Götter: ist nicht anzunehmen, daß die Dämonen, was
sie im Dienste anderer leisten, erst recht aus eigenem Ent-
schluß und im eigenen Interesse tun? Streng logisch müßte
der Beweis so lauten: 'Das, was die Dämonen im Dienst der
Magier tun, geschieht außerdem nur durch die sog. Götter:
eine selbständige Tätigkeit der Dämonen ist aber unbedingt
anzunehmen, also ist dies die Tätigkeit der sog. Götter'. Ein
Schluß, der, echt tertullianisch, auf einer Konstruktion der
Dämonenpsychologie ganz nach Analogie der menschlichen
basiert: pro suo mgotio operari alienae praestat negotiationi.
Eher läßt sich der zweite Beweis hören: angenommen, die
Dämonen tun eben das, was eure Götter wirklich tun: wo
bleibt da der Vorrang des Göttlichen, das doch jeder anderen
Kraft überlegen sein muß? Würdiger ist die Vorstellung,
1) Von der nv£v\i,ariY.i] avuTti^ig der Dämonen z. B. Tatian c. 15
(p. 16,27 Schw.): das ist die durchgängige Anschauung.
XXIII 4—6] Tertit.lians Apologeticlm. 401
daß die Dämonen sich als Götter ausgeben, als daß die Götter
den Dämonen gleich stehen. Denn den Unterschied ihres
beiderseitigen Wirkens nur im Ort zu suchen, d. h. danach zu
urteilen, ob etwas auf sakralem oder profanem Boden ge-
schieht, wäre docb ein Unding. Ob Tert. bei dem sacras turres
pervolare an irgend einen wirklich sakralen Brauch denkt, weiß
ich nicht; daß das freie Schweben in der Luft, tecta viciniae
transüire, zu den magischen Künsten gehört, lehrt u. a. Lukian
Philops. 13, wo man einen Hyperboreer gesehen hat, dicc rov
aeoog cp£QO(ievov rjusQag oi'tfaj; vor allem wird man an den
freilich mißglückten Flug des Magiers Simon denken.1) Von
dem folgenden Paar von Beispielen ist das genitalia vel
lacertos prosecare des Bellonakults bekannt2), das gulam pro-
secare als magische Praktik mir unbekannt: oder ist hier von
Selbstmord eines dcauoviöXriTixog die Rede? Der Schlußsatz
rekapituliert präzis und treffend: compar exitus furoris, et wna
ratio est instigationis : ratio im selben Sinne wie oben am
Schluß von XXI ratio delitiscens sub imaginibus mortuorum
gesagt war.
5. Nuu endlich der stärkste Beweis, eingeleitet durch XXIQ 4—6
die Fanfare: sed hactenus verba, iam hinc demonstratio rei ipsius.
Wenn Tatian den Exorzismus nur erwähnte, Justin darauf als
auf eine Bewährung der Macht Christi verwies, so wird er bei
Tert.3) zu einem für die heidnischen Götter niederschmettern-
1) S. Reitzenstein , Hellenist. Wundererzählungen 125; Hellenist.
Mysterienreligionen 70.
2) Sen. fr. 34 üle viriles sibi partes amputat, üle locrrtos secat e. q. s.
Athenag. 26 oi fisv yccg ccTCotiyivovGt, rix. cdSoict. oi tisqI ttjv Ptav, oi dt
£yx6ntov6iv 1) ivtSfivovßtv, oi Ttsgl ttjv 'Äqts(ilv.
3) spiritus üle tarn se daemonem confitebitur de vero quam alibi
deum de falso: wir erfahren von Tert. de an. 57, daß der Dämon auch
bei der Beschwörung noch gelegentlich versucht, sich als Geist eines
Verstorbenen oder als Gott auszugeben, bis ihn der Exorzist zwingt,
sich als das zu bekennen, was er in Wahrheit ist, d. h. als Dämon.
Vgl. Theoph. ad Autol. II 8 oi Saiuovävrtg i£oQHi£ovzc:i xcctcc rov ovo-
ucctos rov övrog &sov xcä öuoXoysi cvzu ra nXavcc TivtvyiaTu tlvui 6ai-
{lovig.
402 Richard Heinze: [XXIII 4—6
den Zeugnis. Der Schriftsteller fühlt sich wieder als Redner
vor den praesides: hie siib tribanalibus vestris soll die Probe
o-emacht werden. Man stelle irgendeinen dai^oviÖArjntog:
jeder beliebige Christ wird den Dämon zu dem Geständnis
zwingen, daß er wirklich ein Dämon ist, wenn er sich auch
sonst fälschlich als Gott ausgibt. Man führe andererseits
einen dsölrjTtrog vor: selbst die Virgo Caelestis und Aesculap
werden sich als Dämonen bekennen, es nicht wagen, einem Chri-
sten gegenüber zu lügen: wo nicht, so sei der Christ dem Tode
verfallen. Das ist also, im Gegensatz zu den vorhergehenden
£VT£%voi mörstg, ein Zeugenbeweis1), oder besser noch, ein
Eingeständnis der Angeklagten selbst2); und statt zu berich-
ten, daß dies Eingeständnis hier oder dort erfolgt ist, kleidet
Tert. seine Behauptung in die Form einer sponsio, in der er
das Leben des beschwörenden Christen als Pfand einsetzt.
Die Vorforderung der Zeugen aber und die Erklärung, die
Sache mit ihrer Aussage für entschieden ansehen zu wollen,
ist eine jtQÖx^öig5) in bester Form, aus der felsenfeste Zu-
versicht auf die Güte der Sache spricht. Als Beispiele für
diejenigen, qui de deo pati exisümantur , nennt Tert. die von
der Virgo Caelestis, pluviarum pollicitatrix, Inspirierten, an die
er schon oben dachte, als er von den Dämonen sprach, die
pluvias repromittunt : daß in der Tat die enthusiastische
Mantik im Kult der Caelestis zu Karthago eine große Rolle
spielt, ist uns auch sonst bezeugt4); wir lernen hier, daß die
Caelestis, ihrem Namen entsprechend, sich insbesondere auch
1) haec testimonia deorum vestrorum XXIII 18. ipsorum testimo-
niis quos deos creditis XXV" 1.
2) XXIII 4 nisi se daemonem confitebitur, 6 nisi se daemonas con-
fessi fuerint, 10 confessio, 17 adversus semetipsos confitentes, XXIV 1
omnis ista confessio.
3) Pollux VIII 62 jtQÖxXtißie §' ierl Xvaig tfjg dtxijs ini rivi wqlg-
Htvw OQ-Ato 7) fiagzvQla rj ßaöcivcp 7) aXXa xivl xoiovxw.
4) Script, hist. Aug. Pert. 4, 2 in quo proconsulatu (Africae) multas
seditiones perpessus dicitur vatieinationibus earum quae de templo Cae-
lestis emergunt. Macrin. 3, 1 vates Caelestis apud Karthaginem, quae dea
repleta solebat vera canere. S. Cumont bei Pauly-Wiss. III 1250.
XXIII 7 — 19] Tertullians Apoloukticum. 403
zur Wetterprophezeiung hergab. Daneben Aesculap, der Heil-
gott, von dessen dämonischem Trug gleichfalls vorher die
Rede war: für dessen iatrische Mantik bedarf es keiner Be-
lege. Merkwürdig aber und m. W. sonst nicht überliefert ist
die Exorzisierung von •frfd/b,;rr<u, die Tert. hier als etwas ganz
Landläufiges hinstellt. Die Sache an sich bietet keinen An-
stoß: bekanntlich verleiht die Magie Macht nicht nur über
niedere Dämonen, sondern auch über die höchsten Götter, und
der christliche Exorzist hat also auch hier nur die Erbschaft
seiner heidnischen Vorgänger und Zeitgenossen angetreten.
In der Folge behandelt nun Tert. das Verheißene als XXIII 7—10
geschehen: aber er begnügt sich noch nicht mit dem Zeugnis
selbst: noch gilt es seine unbedingte Glaubwürdigkeit zu er-
härten und die Folgerungen daraus zu ziehen. 1. Es ist da-
bei alles mit rechten Dingen zugegangen: daß weder Zauberei
noch irgendein Betrug vorliegt, lehren euch die eigenen Augen
und Ohren. 2. Einwände gegen das Geständnis lassen sich
nicht erheben: wenn es Götter sind, die sich als Dämonen
ausgeben, so müßten sie also lügen; und zwar uns zuliebe:
dann wären also die Götter den Christen, ihren Feinden,
Untertan — also keine Götter. 3. Es gibt aber auch nicht
etwa außerdem noch wirkliche Götter: sonst würden die Dä-
monen es nicht wagen, sich anderwärts als Götter auszugeben:
sie würden deren Zorn über den Mißbrauch ihrer Majestät
fürchten, da jene doch dann über ihnen stünden. — Man
sieht: auch hier eine überaus konkret denkende Übertragung
menschlicher Verhältnisse auf das Geisterreich. Schluß: da
also 'Götter' sowohl wie 'Dämonen' die Götter leugnen, gibt
es nur eine Gattung, eben die Dämonen. Tert. triumphiert:
iam deos quaerite: quos enim praesumpseratis , daemonas esse
cognoscitis.
6. Aber selbst das genügt Tert. noch nicht: auch posi- XXIII 11 — 19
tiv sollen die Dämonen zeugen für den einzigwahren Gott, den
der Christen, und die christliche Art, ihn zu verehren, d. h. per
Christum. Und hier scheint Tert.s Kühnheit noch größer als bei
seinem vorigen Versprechen. Wenn Justin sich auf die Kraft der
_^04 Richard Heinze: [XXIII u — 19
christlichen Exorzismen berufen hatte, denen selbst die hart-
näckigsten Dämonen weichen, so erwähnt dasTert. zwar auch1),
aber er legt doch auf diesen Erfolg nicht das Hauptgewicht.
Der aro-lose Leser wird den Eindruck haben — und Tert.
o-eht darauf aus, diesen Eindruck zu erzielen — daß die Da-
D
monen ganz ausdrücklich nicht nur Christus als den künftigen
Weltenrichter, also auch als Gott anerkennen, sondern auch
bestehen, selbst unsaubere Geister und ihrer Verdammung
am jüngsten Tage sicher zu sein. Sieht man genauer zu, so
sagt dies aber Tert. nicht, sondern seine kecke an die Dä-
monen gerichtete ironische Aufforderung negent . . refutent . .
renuant spricht nur die Gewißheit aus, daß sie jene Wahr-
heiten nicht leugnen werden: es ist also ein testimonium ex
silentio, auf das Tert. sich beruft, und tatsächlich reden auch
die zahlreichen christlichen Zeugen des Exorzismus niemals
von einem solchen positiven Geständnis.2) Also der Exorzist
bedroht die Dämonen als unsaubere Geister im Namen Christi,
droht ihnen mit dem jüngsten Gericht, und da sie nicht re-
monstrieren, ja sogar aus dem Körper der Besessenen aus-
fahren — im Vorgefühl des ewigen Feuers — , so geben sie
alle Behauptungen des Exorzisten zu, zeugen somit für Gott
und Christus, seinen Sohn. — Glaubwürdig ist, wie auch hier
wieder am Schluß ausgeführt wird, dies Zeugnis einmal, weil
es dem Aussagenden zur Unehre gereicht, und sodann, weil
es oft genug Bekehrungen zum Christentume veranlaßt: und
DD o
da dies die Dämonen wissen, und jeder Abfall vom Heiden-
tum die Zahl ihrer Gefolgsleute verringert, die ihnen bis da-
1) 16 ita de contactu et afflatu nostro . . etiam de corporibus
twstro imperio excedunt: gleich darauf ist wieder vom verum de se
loqui der Dämonen die Rede.
2) Vgl. Tambornlnos Zusammenstellung p. 27 ff. Einzig Cyprian
sagt (ad Demetr. XV p. 361 H.) . . de obsessis corporibus eiciuntiir, quando
eiulantes et gementes voce humaua et potestate divina flagella et verbera
sentientes venturum iudicnim confitenl u r : das steht Tert. nahe, ist viel-
leicht sogar von ihm abhängig; ein tatsächliches und ausdrückliches
Geständnis ist auch hier nicht gemeint.
XXVII] TeRTULLIANS ApOLOGETICUM. 405
hin sogar Christenblut darbrachten1), so würden sie, wenn sie
irgend vor einem Christen lügen dürften, gewiß jenes Zeugnis
verweigern. —
Tert. kommt an einer späteren Stelle nochmals auf den XXVII
Kampf zwischen Dämonen und Christen zurück, c. XXVII,
wo er die Weigerung der Christen, den Dämonen zu opfern,
gegen den Vorwurf der zwecklosen und unsinnigen Ver-
stocktheit verteidigt: die Christen sollen doch, so wird ihnen
geraten, die Form erfüllen, ohne damit ihre innere Über-
zeugung aufzugeben. Dieser schlaue Rat ist ebenso wie die
im Eingang der Schrift befehdete Unbilligkeit und Verkehrt-
heit des richterlichen Verfahrens Eingebung der Dämonen.
Um nun ihren fortgesetzt gegen die Christen geführten Krieg
mit seiner Behauptung, daß sie den Christen Untertan seien,
zu vereinigen, greift Tert. wieder zum Gleichnis: die Dämonen
benehmen sich wie schlechte Sklaven, die, in Gegenwart ihres
Herrn ehrerbietig, ihm zu schaden suchen, sobald er fern ist.-)
Der Prozeß aber, bei dem es um Tod und Leben seht, ist
wie ein Kampf gegen aufständische zur Frohnarbeit Verur-
teilte: es kommt den Dämonen darauf an uns aus unserem
Glauben zu drängen, und somit triumphieren wir gerade
dann über sie, wenn wir, statt uns auch nur äußerlich zu
fügen, verurteilt werden. — Man sieht, das Problem, das die
griechischen Apologeten beschäftigt, warum denn Gott die
Dämonen in ihrer Befehdung der Christen gewähren lasse
(s. 0. z. B. über Justin) und das sie mit Spekulationen über
freien Willen und göttliche Weltpläne zu lösen suchen, liegt
Tert. fern: an der Hand rein menschlicher Verhältnisse macht
1) Colitis Mos, quod sciam, etiam de sangnine Christianorum : da-
bei kann Tert. doch wohl nur an das sog. Opfer eines bestiarius fin-
den Juppiter Latiaris denken, s. darüber ob. S. 328, 1.
2) ut nequam servi mepu nonnumquam contumaciam miscent et
laedere gestiunt, qaos alias verentur, und wenn sie ergriffen werden
quos de longinquo obpugnant, de proximo obsecrant: man sieht, wie die
Antithesen unmittelbar aus der Vorstellung des Gleichnisses geflossen
sind; es wird weiterbin für Minucius daran zu erinnern sein.
4o6 Richard Heinze: [XX VII
er sich und seinen Lesern die Sachlage klar und beruhigt
sich dabei, daß es doch nur eine im Grunde ohnmächtige
Auflehnung der unterjochten Dämonen gegen ihre recht-
mäßigen Herren sei, die mit einem Siege der Christen ende.
Auch die Motive der Dämonen werden hier näher bestimmt
als es oben geschah: der Teufel ist noster ob divortium aemu-
lus — unser Feind, weil er selbst von Gott abgefallen ist —
et ob dei graüam invidus, und die Dämonen, die wissen, daß
sie verurteilt sind, suchen, da die Strafe noch aufgeschoben
ist, sich zu trösten, indem sie einstweilen noch ihrer Bosheit
freien Lauf lassen: wiederum ein Versuch, gemeinmenschliche
Motive auf die Dämonen zu übertragen, der bei den griechi-
schen Apologeten nicht seinesgleichen hat. — Tert. hat diese
o-anze Auseinandersetzung scharf von jener früheren über das
Wirken der Dämonen getrennt: dort ist von ihrem Kampf
gegen den Menschen überhaupt, hier von ihrer Rebellion
cresen die Christen die Rede: ein neues Beispiel dafür, wie
wohl überlegt und konsequent durchgeführt die Disposition ist.
Minucius spricht c. 26, 7 ff., nachdem er die Nichtigkeit der Au-
spizien und Orakel dargetan hat, über die Dämonen, um dem Einwand
zu begegnen, daß doch manchmal solche Divination Recht behalten hat.
Charakteristisch ist das von vornherein Schwankende des Standpunkts.
Min. hatte zunächst im Anschluß an Cicero de div. II und mit z. T.
wörtlicher Übernahme seiner Beispiele, die er teils aus eigener Kennt-
nis (Regulus, Mancinus), teils aus anderer apologetischer Quelle (Am-
phiaraus, Tiresias) vermehrt hat, den Divinationsglauben als eitel Irr-
wahn bekämpft, und, gleichfalls im wörtlichen Anschluß an Cicero, für
die wenigen Ausnahmen auf die Möglichkeit eines Zufalls hingewiesen
dann stellt er neben diese rationalistische Erklärung eine total ver-
schiedene, ja widersprechende, er bezeichnet das Wirken der Dämonen
als fontem ipsum erroris et pravitatis, unde omnis caligo ista manavit,
und läßt weiterhin die Dämonen bei allen Arten von Wahrsagung tätig
sein, wobei er nur die Orakel als fdlsis pluribus involuta bezeichnet.
Die Darlegung über die Dämonen selbst nun beginnt mit einer
Bestimmung ihres Wesens, wie bei Tert. ; aber die Fassung ist anders :
Spiritus nint insinceri, vagi, a caelesti vigore terrenis labibus et cupi-
ditatibus degravati, und dann posteaquam simplicitatem substantiae suae
onusti et immersi vitiis perdiderunt. Darin ist die biblische Vorstellung,
wie sie Tert. rein wiedergibt — de angelis corruptis corruptior gens
XXII. XXIIIJ Teuti ij.ians Apoloqbticüm. 407
daemonum — mit philosophischen Vorstellungen vom Herabsinken der
unlauteren Geister in einer Weise verschmolzen, die wir ganz ähnlich
bei griechischen Apologeten finden1); aber wer nun danach erwartet,
diese Vorstellungen auch ähnlich verwertet zu lindeu, wie es z. B. bei
Athenagoras und Tatian geschieht*), wird enttäuscht: bei der Schilde-
rung des Wirkens der Dämonen in c. 27 erinnert höchstens das ziemlich
unvermittelt eingefügte Sätzchen sie a caelo deorsum yravant et a deo
vero ad materias avocant an jene WeflenBbestimmung,
Zunächst wird an diese angeschlossen eine sehr allgemein ge-
haltene, rhetorisch sorgfältig ausgestaltete Beschreibung von Ziel und
Tuu der Dämonen, das darauf hinausläuft, die Menschen ihnen gleich-
zumachen, vor allem dem wahren Gott zu entfremden. Nun erst folgt
die Berufung auf die Heiden: eos Spiritus daemonas esse poetae .rinnt,
philosophi dissirunt, Socrates novit. Hier stutzt man: handelt es sich
denn darum, zu bestimmen, was die bösen Geister sind? man würde
erwarten: 'solche Geister sind auch euren Dichtern usw. bekannt, und
sie nennen sie, wie wir, Dämonen' — denn sicher konnte sich Min. für
die itvsvpurcc, die er geschildert hatte, schwerlich auch nur mit einem
Schein des Rechts auf die 'Poeten' oder Sokrates berufen — , oder:
'wir nennen diese Geister Dämonen, und diesen Namen kennen auch
eure Dichter usw.': aber Min. will, wie das Folgende zeigt, nach
Möglichkeit auch betreffs des Wesens der Dämonen Übereinstimmung
mit den Heiden feststellen. So ist ein bedenklicher Übergang ent-
standen: liest man den wörtlich anklingenden Satz Tert.s: nee novutn
nomen est: sciunt daemonas philosophi . . omnes stiunt poetae, so sieht
man, wie die Tertullianische Ausdrucksweise den Gedanken des Minu-
cius zu seinem Schaden beeinflußt hat. Das Dämouium des Sokrates
bringt Min. wie Tert. , der es u. W. zuerst in diesem Zusammenhange
verwertet hatte: bei Tert., der die Äußerung des Sokrates der Apologie
ziemlich genau wiedergibt (eine Entlehnung aus Minucius wäre schon
1) Dem Athenagoras sind die bösen Engel 01 iymsaovTEg xätv
oi)Qavü>v, tieqI xov Mqk £%ovzsg v.a.1 xr\v yfjv, ov%4xi 8 ig xä VTtEQOvQccvio:
vTt£Qw.vtycu dvvänevoi, und die 'Seelen der Giganten' 01 itsgi xov v.öo-
pov 7tXavm(i8vOL dalpovEg (c. 25 in.); Tatian 12 p. 13, 15 o't öui^ioveg, . .
ßvfinri^iv £$ vXng Xaßövrsg XTTjffcatsvoi xs xb nvsvfia anb ccvxfjg aocaxoi
v.ai Xl%voi ysyövccoiv. Clem. Protr. IV 55 öaitiovsg, ßdsXvgcc övxsg Kai
axu&aQTcc nvsv^.ara, ngog Ttdvxcov öpoXoyovfitvot yrjivu xat SsieaXioc,
kccxco ßQLQ-ovra e. q. s. (cf. Plat. Phäd. 81 ed.).
2) Athen, c. 27 : den Angriffen der Dämonen ist zumeist ausgesetzt
tyv%i] iiaXiGxu xov vXikov TtQogXaßovoa y.o.1 t'niovyv.Qa&HOa nvtvucvog,
ov Ttgög xa ovgdvia xca xov xovxcov tioit]xt]v aXXä näxa itobg xa iixiytu.
ßXsitov6u . . ovkexi nvsvaa kcc&ccqov yivvoiiEvr}. Vgl. Tatian 13.
Phil. -bist. Klasse 1910. Bd. LXII. 31
4o3 Richard Heinze: [XXII. XXIII
dadurch hier ausgeschlossen), wird durch den boshaften Zusatz zu de-
hortatorem (plane, a bono) sozusagen die Subjektivität der Auffassung
kenntlich gemacht; bei Min. steht das farblose qui ad nutum et arbi-
trium adsidentis sibi daemonis vel declinabat negotia vel petebat1): es
bleibt dem Leser überlassen, das mit der vorhergehenden Charakteristik
des dämonischen Wirkens zu vereinigen, was im Zusammenhange des
Dialogs um so autfallender ist, als die Verherrlichung des Sokrates
durch Caecilius (sapientiae principe»! 13, 1) zu einer Erwiderung schon
hier hätte reizen müssen, während sie nun erst später (38, 5 scurra
Atticus), mit Benutzung einer ciceronischen Notiz (n. d. I 93) erfolgt.
Man glaubt zu empfinden, wie es Min. nicht übers Herz bringt, den
dem Dämon verfallenen Sokrates, wie es eigentlich sein Gedankengang
forderte, als verlorenen und verderbten Menschen zu verdammen: er
bleibt auch hier in der Halbheit stecken.
Er geht weiter zu den Magiern, bleibt aber nicht wie Tert. bei
dem sciunt daemonas, sondern erwähnt sogleich hier, daß sie alle ihre
Zaubereien mit Hilfe der Dämonen verrichten: dies Beispiel für die
tatsächliche Wirkung der Dämonen gehört streng genommen nicht
hierher, wo im übrigen bloß Belege für die Kenntnis der Dämonen
bei den Nichtchristen angeführt werden: Tert. verwertet die Unter-
stützung, die die Dämonen den Magiern leihen, an anderer passenderer
Stelle (s. 0. S. 400 fg.). Min. hat diese hier gewählt, weil er auf die von
Tert. dort gegebene Gedankenreihe verzichtet. Er bedient sich dabei
zur Charakteristik der magischen Gaukeleien der gesuchten und sach-
lich leeren Antithese vel quae non sunt videri vel quae sunt non videri.
In cranz anderem Zusammenhang-e. um seine Retorsion betreffs Kinder-
mord und Inzest nachträglich besser zu motivieren, hatte Tert. (IX 20)
gesagt haec in vobis esse si consideraretis, proinde in christianis non esse
perspiceretis. idem oculi renuntiassent utrwmque. sed caecitatis duae
species facile concurrunt, ut qui non vident quae sunt, videre videantur
quae non sunt. Hier ist die abschließende Antithese nur der sentenziös
pointierte Ausdruck des vorher ausgesprochenen Gedankens.
Min. begnügt sich nicht mit der Berufung auf die namenlosen
magi, sondern zitiert einen von ihnen, den berühmten Zauberlehrer des
Demokrit, Ostanes; der 'O-urdtsvxog, der unter seinem Namen ging und
1) In dieser Ausdehnung der Tätigkeit des sokratischen Dämo-
niums auch auf das Zuraten wirkt schwerlich Kenntnis der xenophon-
tischen Auffassung (apomn. IV 3, 12 7tQ06T]^aivoval 601 a xz jjpv; Ttoisiv
y.u\ a \ltj vgl. ebd. I 1, 4), sondern Min. führt einfach das tertullianische
Socrate ipso ad daemonii arbitrium exspectantc aus, ohne die folgende
Einschränkung zu beachten. Apuleius hält an der platonischen Be-
schränkung durchaus fest: c. 17, ebenso z. B. Maximus Tyr. XIV 6.
XXII. XXIII | Tertullians Apoloi.i.i k i m. 409
in dem er sieh als Archegeten der okkulten Wissenschaft gab, hat in
den ersten nachchristlichen Jahrhunderten offenbar in großem Ansehen
gestanden und Minuciua kann das Buch recht wohl selbst zur Hand
genommen haben1); ouagefügt hat er das Zitat in diesen Zusammenhang
höchstwahrscheinlich selbst. Nachdem man von den Magiern gelesen
hat, daß die Dämonen in ihnen und durch sie Zauberei und Gaukel-
spiel verüben, überrascht es, einen dieser Magier als Verehrer des
wahren Gottes kennen zu lernen und von ihm zu hören, daß die Dä-
monen Feinde der Menschheit sind — ganz abgesehen davon, daß für
den nächsten Zweck der Erörterung die Ansichten des Ustanes über
die anijdi. die Gott dienen und die sein Wink und Blick erzittern
macht, von geringer Bedeutung sind, insbesondere da Min. vorher nicht,
wie Tert., die angeli erwähnt hat. — Endlich nennt Min. Plato, auch
er, wie Tert., insofern fälschlich, als er ihm die Kenntnis der äyysXoi
zuschreibt; und, Tert. auch hier ergänzend, mit einem richtigen aber
sehr frei interpretierten Zitat aus dem Symposion.2)
Nach dieser Zeugenliste nimmt Min. (27) den Faden weder auf, den
er hatte fallen lassen3): 'diese unsauberen Geister verbergen sich unter
den geweihten Statuen und Bildern und erreichen es durch ihren An-
hauch (adflatu suo), daß man ihnen göttliche Wirkung beimißt' 4) : dieser
1) S. über das Buch des Ostanes und seine Erwähnungen in
der ethnischen (zuerst Plinius n. h.) und christlichen Literatur, ins-
besondere auch in den Zauberpapyri, Abt, die Apologie des Apuleius
v. Mad. u. d. antike Zauberei (Gießen 1908; p. 325, der die ältere
Litteratur aufzählt, dazu Cumont Mithra I (Brux. 1899) P- 33 und Cultes
et religions orientales p. 307.
2) Die platonische Definition des Scäuav als iiszugv &vr\xov -/.ul
a&aväxov wird unplatonisch erklärt : id est inter corpus et spiritum me-
dium, terreni ponderis et caelestis levitatis admixtione concretam: das ist
natürlich nicht von Min. erdacht; vgl. Apuleius de deo Socr. 9 von den
Dämonen: id genus corporum texta, quae negue tarn bruta quam
terrea neque tarn levia quam aetheria, sed quodam modo utrimque seiu-
gata vel enim utrimque commixta sint . . habeant igitur liaec daemonum
corpora et modicum ponderis, ne ad superna inscendant, et aliquid levi-
tatis, ne ad infema praeeipitentur. Min. kann den Apul. sehr wohl
gelesen haben; auch die Detaillierung der dämonischen Divinations-
tätigkeit c. 27, 1 erinnert an Apul. c. 6.
3) Leider ist der erste Satz von c. 27 interpoliert, und das Achte
nicht so sicher herzustellen, daß sich darauf bauen ließe.
4) Von diesen beiden Kola — sub Statuts et imaginibus conse-
crutis deJitiscunt et adflatu suo auetoritatem quasi praesentis numinis
consequuutur — hat er <las erste nach Tert.s (ratio) delitiscens sub nomi-
31*
aio Richard Heinze: fXXII. XXIII
adflatus wird dann in seinen verschiedenen Erscheinungsformen und
Wirkungen vorgeführt: Inspiration und Weissagung mannigfachster
Art. Wenn ihnen dabei Min. zugesteht, daß sie extorum fibras ani-
mant, avium volatus gtibernant, sortes regunt etc., also genau dasselbe,
was nach Ansicht des Heiden Apuleius die Dämonen im Dienste der
Götter tun l), so schreibt er ihnen damit eine ans Göttliche streifende
Kraft zu, die den Glauben an diese Prophezeiungen ganz gerechtfertigt
scheinen lassen könnte — vorausgesetzt, daß den Dämonen die Zu-
kunft bekannt ist; und da ja Min. diese ganze Auseinandersetzung gibt,
um das Eintreffen von Prophezeiungen zu erklären, so steht er, scheint
es, dem heidnischen Glauben gar nicht so fern: anders als Tert., der
zwar auch zugibt, daß die Dämonen mit ihren Wahrsagungen ge-
legentlich recht behalten, aber erstens von jenen Künsten des fibras
animare usf. nichts weiß, und zweitens sich die Natur der Dämonen
zunutze macht, um ihnen jedes übernatürliche Wissen um die Zukunft
mit Entschiedenheit zu bestreiten. Min. beeilt sich denn auch einzu-
lenken, indem er die Orakel bezeichnet als falsis pluribus involuta,
womit er nun wieder nach der anderen Seite zu weit geht: nicht daß
auch die zutreffenden Orakel mehr Falsches als Wahres enthalten,
sondern daß die Mehrzahl der Orakel falsch, einige wenige richtig
sind, erwartet man nach dem Eingang der Erörterung (26,7) zu hören:
das geflügelte Wort vom 'betrogenen Betrüger' 2) paßt gerade hier nicht,
wo Min. die zutreffenden Divinationen erklären will. Min. aber erklärt
es so: f einerseits wissen sie die lautere Wahrheit nicht; anderseits be-
kennen sie die nicht, die sie wissen, zu ihrem eigenen Verderben3)':
nibus et imaginibus mortuorum (XXI 31) gebildet, indem er das, wo-
mit Tert. das Gesamtwirken der Dämonen als fGötter' umschrieb, ins
Konkrete umbildete (für die folgende Ausführung z. T. wenig glück-
lich); das zweite antwortet auf Caeciliüs' Bemerkung (templa) magis
sunt augusta numinibus incolis praesentibus inquilinis quam cultus in-
signibus et muneribus opulenta (7, 5).
1) De deo Socr. 6 eorum de numero praediti curant singuli pro-
inde ut est cuique tributa provincia, vel somniis conformandis vel eoetis
(issiculandis vel praepetibus gubernandis vel oscimbus erudiendis vel
vatibus inspirandis; da auch Cyprian idol. 7, wo er Min. ausschreibt,
adflatu suo vatum pectora inspirant sagt, so wird das Verbum inspirare
an unserer Stelle nicht anzutasten sein.
2) nam et falluntur et fallunt: über die verbreitete Wendung
(z. B. Philo de migr. 15 p. 449 M. von Zauberern ccticct&v §ohovvt£$
Ü7t<xTä>vTui) s. Wendland Rhein. Mus. 49 (1894) 309.
3) (Veritatem) quam sciunt, in perditionem sui non confitentes:
Waltzing erklärt nach Analogie des bald Folgenden nee utique in
XXII. XXIII] TERTULLIAM8 Apologeticum. 411
da6 kann sich auf die Orakel nicht mehr beziehen, sondern nur auf
das Wissen der Dämonen um den wahren <iott und ihren eignen
Trug: dadurch, daß sie sich immer wieder gegen Gott auflehnen,
verstricken sie sich immer mehr in Schuld; es ist also fa lbe,
was Tert , an sehr viel geeigneterer Stelle, von den rebellierenden
Dämonen XXVII 7 sagte: certi et inpan ei hoc magis perditos.
Da sonach von Wahrheit in den Orakeln so gut wie nichts übrig
geblieben ist, kann Min. auch nicht, wie Tert.. ans «1er Natur der
Dämonen erklären, wie sie zu ihrem Wissen gelangen: er gibt über-
haupt nur für eine ivegyua der Dämonen eine Erklärung: Bie dringen
in den Menschenleib ein occult> ut Spiritus ■ ■ man wundert sich,
das erst hier gesagt zu finden, während doch schon vorher von
ihrem delitiscerc sub Statuts, inspiran vates nsf. »iie Kede war, wofür
sich jene materialistische Erklärung, wenn wir sie einmal gelten las-'-n
wollten, ebensogut geben ließ. Min. ist aber auch hier von Tert. ab-
hängig, der jene Erklärung, ausführlieh begründet, an den Anfang
ei Erörterung stellte, wo er von der Einwirkung der Dämonen auf
Körper und Geist der Menschen sprach (XXII 4. 5): man wird schwer-
lich annehmen wollen, daß er diese mit seiner eignen materialistischen
Seelenlehre eng zusammenhängende Theorie aus den vier Worten des
Min. entwickelt habe.
Für die Heilwunder gibt Minucius die gleiche Erklärung wie
Justin bei Tatian und wie Tert., mit wörtlichem Anklang an diesen *) —
die angebliche Heilung ist nur ein Aufhören der schädlichen ivigysut
— aber er nennt als Motiv der Krankheitserregung ut ad cultwn sui
cogant, ut nidore altarium vel hostiis pecudum saginati . . curasse
videantur, bezieht also speziell auf die Iatrik das, was Tert. (XXII 6. 7)
und die Früheren 2) ganz allgemein als Haupte oder Nebenzweck der
Verführung zur Idololatrie angegeben hatten: dabei fällt dann freilich,
indem so die Heilung als unmittelbare Folge der Opfer erscheint, das
für die sakrale Iatrik Charakteristische fort, die Träume (Tat.) und die
seltsamen Heilmittel (Tert.), die im Traume vorgeschrieben wurden.
Die Worte über die geistigen Erkrankungen, die beiden Arten des
Wahnsinnes, stehen leider nicht ganz fest: ich schreibe mit Norden
turpitudinem sui . . . mentiuntur rihr Verderben würde die Folge des
Bekennens sein1. Aber dort steht einem gedachten in Purp, sui doqui
das in turp. s. mentiri gegenüber und wird verneint: hier können
nach Gedanke und Wortstellung die Worte in perd. swi nur den Er-
folg des non con/iteri angeben.
1) Tert. post quae desinunt Uod-re et curassi creduntur, Min. ut
. . remissis quae constrinxerant curasse videantur.
2 z. B. Athenag. 26.
^12 Richard Heinze: [XXII. XXIII
(Gott. G. Anz. 1904 p. 307) Irinc (hi codd.) sunt et furentes quos in publi-
cum videtis excurrere, vates et ipsi absque templo: sie insaniunt, sie bacchan-
tur, sie rotantur: par et in Ulis instigatio daemonis, sed argumentum dispar
furoris. Also die 'Besessenen', die man auf den Straßen sieht, und
die allgemein als dainoncbvTsg gelten, benehmen sich ganz wie die vates.
die, im Tempel einer Gottheit inspiriert, für h'&toi gelten (von diesen
war schon oben die Rede: inspirant vatibus): die Erregung durch
den Dämon ist die gleiche, nur das 'Thema' sozusagen, der 'Inhalt' der
Raserei ist verschieden. Wir haben oben gesehen, wie Tert. durch
den Gang seiner Beweise auf eben diese Gleichstellung von dcci[Lovi67,7\nxoi
und gvdsoi geführt wurde: er ging von den 'Dämonischen' aus, und
bewies, daß es mit den 'Enthusastischen' nicht anders stehe, da ja
doch der Ort der Verzückung keinen Unterschied begründen könne-, er-
schloß durchaus sachgemäß : compar exitus furoris, et una ratio est insti-
gationis. Min. dagegen setzt die Wirkung der Dämonen beim 'Enthu-
siasmus' des vates als erwiesen voraus, and behauptet nun, bei den
furentes liege die gleiche Erscheinung vor: man sieht, die Argumen-
tation ist umgekehrt, nicht zu ihrem Vorteil, denn es wird hier certius
ex incerto gefolgert. Auch hier ist ein tertullianisches Motiv schlecht
und recht untergebracht, weil Min. auf die tertullianische Beweisreihe,
in der es seinen guten Platz hatte, verzichtet.
Endlich, ganz wie bei Tert. am Schluß der Reihe, die römischen
historischen 'Wunder' : die Castores und Claudia bei beiden, bei Tert.
außerdem Tuccia und Domitius, bei Minucius der von Juppiter ge-
sandte Traum. Hier brauchte Minucius den Tert. nicht: Octavius
greift auf die Rede des Cäcilius zurück, wo jene drei Wunder neben
anderen angeführt waren; zwei davon konnte Minucius bei Cicero
finden1), die Traumgeschichte hat er aus irgendeiner anderen, histori-
schen oder sonstigen Quelle gekannt. Aber ein seltsamer Mißgriff
Eberts war es, umgekehrt aus dieser Stelle die Priorität des Minucius
zu folgern, weil Tert.s Worte phantasmata Castorum und navem cin-
gulo promotam für die meisten Leser ein Rätsel sein mußten, während
sie bei Minucius in der Rede des Heiden erklärt seien; hat ja doch
Tert. in den beiden ihm eignen, gewiß nicht allgemeiner bekannten
Beispielen sich eben so kurz ausgedrückt, einfach weil er — und mit
Recht — seinem Publikum die Kenntnis dieser Dinge zutraute: er
stellte hier nicht höhere Anforderungen als V 1 mit seinem Satze seit
M. Aemilius de deo suo Alburno. 2)
1) wenngleich er nicht ausschließlich Cicero dabei benutzt hat:
Wilhelm p. 7.
2) Was Schwenke p. 272 zur Stütze von Eberts Behauptung vor-
gebracht hat, ist von Wilhelm a. a. 0. genügend zurückgewiesen;
XXII. XXIII] Teutullians Apologeticum. i 1 j
Zum Schluß bringt nun Minucius den Beweis aus dem Exorzis-
mus, dessen sorgfältige Ausgestaltung bei Tert. wir kennen lernten.
Freilich, da Minucius nicht wie Tert. die ganze Dämonologie zum
Zwecke des Nachweises der Identität von Göttern und Dämonen sowie
der Gottheit Christi bringt, sondern nur zur Erklärung der zutreffenden
Orakel, kann jener Schlußbeweis bei ihm nicht das gleiche Gewicht
haben wie bei Tert. Schon die Einführung gibt Anstoß: haec omnia
sciunt pleraque pars restrum ipsos doemonas de semet ipsis conftteri,
quotiens a nobis . . de corporibus rxiijuntur. Haec omnia? also ihr ganzes
schädliches und trügerisches Wirken? Das geht noch weit über Tert.
hinaus, der doch schon, wie wir sahen, den Bekenntnissen der Dä-
monen einen reicheren Inhalt gibt als irgendeiner der Früheren. Aber
Min. meint hier auch, ebensowenig wie Tert. im zweiten Teil seiner
Beweisführung, ein ausdrückliches Geständnis, vielmehr nur das im-
plicite durch das Ausfahren abgelegte: das zeigt der Nebensatz quo-
tiens . . exigiintur, den wir ohne Kenntnis Tert.s freilich schwerlich
richtig verstehen würden, zumal da Min. nun sogleich zum wirklichen
Geständnis übergeht: ipse Saturnus et Serapis et Iuppiter et quidquid
daemonum Colitis victi dolore quod sunt eloquuntur seil, esse se daemonas:
wie nachher gesagt ist. Also hier ist gar nicht erst wie bei Tert. von
Beschwörung der 8aiuovi6%r\itxoi, sondern sogleich von den Q-söl^nroi
die Rede, nachher aber wieder von den Dämonenbeschwörungen im
allgemeinen: der scharfe Unterschied, den Tert. macht, und auf dem
das Gewicht seines Beweises ruht, ist bei Minucius verwischt. Auch
seine Auswahl von Göttern fällt auf: Tert.s Virgo Caelestis konnte er
freilich, als zu speziell karthagisch, nicht brauchen und Aesculap,
dessen Gottheit ja auch erst erworben ist, gilt ihm wohl nicht als
vollwichtig genug: so nennt er die vornehmsten Götter, Saturn, den
Ältervater des ganzen Geschlechts (21, 4), Serapis, den ägyptischen
Hauptgott, vielleicht mit Rücksicht auf die Szene, die den Anlaß zur
Disputation gegeben hatte (2, 4, doch s. auch 21, 12), und Juppiter —
man darf freilich stark bezweifeln, ob gerade diese Götter bei den
Exorzismen oder in den Vorstellungen vom Enthusiasmus wirklich eine
große Rolle spielten.1)
In Übereinstimmung mit Tert. fährt Minucius fort nee utique in
turpitudinem sui, nonnullis praesertim vestrum adsistentibus, mentiuvtvr :
s. auch Hartel 308 fg. Eine Untersuchung freilich über die Quelle, aus
der Tert. (indirekt) geschöpft habe, halte ich für aussichtslos.
1) Bei Serapis könnte man an die neuerdings viel verhandelten
Y.äxo%m, insbesondere des Serapeums zu Memphis denken, falls diese
in der Tat vom Serapis Besessene sind: aber es ist wenig glaublich,
daß Min. davon Kenntnis hatte oder hier darauf anspielen wollte.
4i4
Eichard Heinze: [XXIV
ipsis testibus esse eos daemonas credite fassis, aber sofort stoßen wir
wieder an: adiurati enim per deum verum et solum inviti nviseri^sy
corporibus irihorrescunt et vel exiliunt statim vel evanescunt gradatim
prout fides patientis adiuvat aut gratia curantis adspirat.1) Hier scheint
es ja wieder, als bestehe das testimonium lediglich darin, daß die Dä-
monen der Beschwörung im Namen des wahren Gottes nicht zu wider-
stehen vermögen und fliehen. Man sieht, Min. ist in seiner Abhängig-
keit von Tert. zu keiner festen Position gelangt. Konsequent aber
bleibt er sich darin, daß er (wie Theophilus im gleichen Falle) auch
hier es vermeidet, Christus zu nennen. Einen raschen Übergang zu
den gehässigen Vorurteilen der Heiden gegen die Christen verschafft
ihm sodann der Satz sie Christianos de proximo fugüant, quos longe in
coetibus per vos lacessant: man mag sich den Ausdruck raus nächster
Nähe fliehen' gefallen lassen, aber der entsprechende tertullianische
Satz (XXVII 6) quos de longinquo oppugnant, de proximo obsecrant, wird
doch ihm gegenüber als das Original erscheinen, zumal da sich dort
der Gedanke aus dem Vergleich der rebellierenden Dämonen mit den
nichtsnutzigen Sklaven, die in Abwesenheit des Herrn ihn geschädigt
haben, ertappt aber Strafe fürchten, aufs ungezwungenste entwickelt.
Auch wird bei Min. das longe wieder sogleich fast aufgehoben durch
das inserti mentibus imperitorum: bei Tert. geht das entsprechende de
mentibus vestris adversus nos proeliatur jenem anderen Satz so weit
voraus, daß man keinen Widerspruch empfindet. rAus Furcht vor den
Christen'2), sagt Min., fsäen die Dämonen Haß gegen sie aus: denn
natürlich ist's, den zu hassen, den man fürchtet'. Daist einmal vom
Haß der Heiden, dann von dem der Dämonen die Rede: es sind zwei
Gedanken Tert.s miteinander verbunden: einmal aus dem oben ange-
führten Kapitel (XXVII 5): (daemones) ut nequam servi metu nonnum-
quam contumaciam miscent . . odium enim etiam (vorher war von andern
Gründen des Hasses die Rede) timor spirat, und anderseits die Aus-
führungen des Proömiums über das odium nominis bei den Heiden
(besonders I 3. II 18 fg.), die Min. im letzten Satz kurz resümiert.
XXIV--XXVI III. Retorsion: die vera inreligiositas der Heiden.
XXIV Bei der Retorsion handelt es sich nicht mehr darum, zu
zeigen, daß die Heiden ihre Götter unehrerbietig behandeln —
1) Dies letztere eine bemerkenswerte, gewiß richtige Angabe, von
Minucius wohl aus eigener Beobachtung geschöpft.
2) Per timorem, nicht 'dadurch, daß sie Furcht erwecken', wie
erklärt wird, denn von einer Furcht der Heiden vor den Christen kann
nach Lage der Dinge hier nicht die Rede sein.
XXIV] Tertullians Apologeticum. 415
das ist vorher geschehen; es handelt sich nunmehr um das
crimen verae irweligiositatis: das begehen die Heiden 1. wenn,
wie soeben nachgewiesen, die von ihnen nicht mir vernach-
lässigte, sondern auch bekämpfte Religion die wahre Re-
ligion ist. 2. Ja sie begehen es sogar — und dies ist ein
wichtiger neuer Gedanke — selbst wenn man ihnen die Existenz
ihrer Götter zugeben wollte: denn dann ist doch jedenfalls
der allgemeinen Ansicht nach einer der höchste und mäch-
tigste1), und wenn die Christen nur diesen verehren wollen,
so muß man ihnen das gestatten, muß ihnen auch die Art
ihres Kults überlassen: irreligiös ist es auch, die Religions-
freiheit zu nehmen, die darin besteht, zu verehren, was man
will und nicht zu verehren, was man nicht will: in beiden
Fällen wird die Gottheit verletzt, der einerseits der ihr zu-
gedachte Kult entgeht, andererseits ein unfreiwilliger Kult,
den sie nicht wünschen kann, erzwungen wird. 3. In der Tat
wird den Ägyptern ihr alberner Tierkult gestattet: jede rö-
mische Provinz, ja jedes römische Municipium hat seine eignen,
nichtrömischen Götter: uns allein gestattet man nicht unsere
eigentümliche Religion: fwir verletzen die Römer, gelten nicht
für Römer, weil wir den Gott der Römer nicht verehren.
Glücklicherweise ist es der Gott aller Menschen, er, dem
wir alle, mögen wir wollen oder nicht, angehören. Aber bei
1) Tert. zitiert als Beispiel für diese Meinung der plerique (ut
Imperium summae dominationis esse ^>n/e.s' unuix, officia eius penes mul-
tos velint) Piaton: Iovem magnum in caelo comitatwm exercitu describit
deorum pariter et daemonum: 6 phv öi] (ityag i]yf^ujv iv oigava) Zsvg . . .
nowxog noQsvixat, öiav.o6yumv neevra Kai intfiflov^itvog' rw S' irtsreu axgaTtcc
fteäv xs nccl baniovwv Phaedr. 246 e. Das Zitat verdankt Tert. gewiß
nicht eigner Platonlektüre : auch Athenagoras verwendet es, wo er von
den Dämonen spricht (c. 23) und neben und nach ihm andere, Heiden
und Christen (Geffcken p. 213). Aber Tert. scheint doch auch die
Fortsetzung bei Piaton zu kennen: dem dia.Y.oo\icbv nuvxu xcä £-Jiiy.£iov-
(isvog gegenüber ist das fteüv ysvog svdaiiiövtüv . . . ngätttav tAaerog
avx<bv xb ccvxov, was Tert. offenbar als Andeutung ihrer officia faßt.
Er überträgt diese officia gleich ins Römisch-zeitgenössische: itaque opor-
tere et procuraiites et praefectos et praesides pariter respici, und bahnt sich
damit den Weg zu seinem Vergleich des höchsten Gottes mit dem Kaiser.
41 6 Richard Heinze: [XXIV
euch o-estatten die Gesetze alles beliebige zu verehren, außer
dem wahren Gott — als ob der, dem wir alle angehören, nicht
erst recht der Gott der Römer wäre.'1) — So unbestreitbar
Tert. in der Sache und von seinem Standpunkte aus recht
hat, so schwach ist hier seine Argumentation. Seine Manier,
durch Gleichnisse zu beweisen, haben wir schon mehrfach
kennen gelernt: wenn er hier den alleinigen Anspruch des
obersten Gottes auf diesen Namen mit dem alleinigen An-
spruch des Kaisers auf diesen Titel bekräftigt, so läßt sich das
höchstens durch die — freilich nicht nachweisbare und auch
nicht einmal wahrscheinliche — Annahme entschuldigen, daß die
Heiden selbst den Vergleich der himmlischen und der irdischen
Rangordnung den Christen entgegengehalten haben; die Manier
ferner, menschliche Psychologie ohne weiteres auf das himm-
lische Reich zu übertragen, begegnet uns wieder in dem
einzigen Argument, der gegen den Zwang zum Kult angeführt
wird: nemo se ab invito coli volet, ne liomo guidem — selbst
für menschliche Verhältnisse eine überaus anfechtbare Behaup-
tung; der Verweis endlich auf die freie Religionsübung der
Tioleig im Gegensatz zum Verbot der christlichen Religions-
übung ist ein altes Apologetenerbstück, das z. B. Athenagoras
als trjkccvyeg TtQoöanov an die Spitze seiner Schrift stellt2):
Tert. hat es romanisiert, indem er die Kulte römischer Pro-
vinzen und italischer Munizipien 3) anstelle der griechischen
i) Laedimus Romanos nee Romani Jiabemur, quia nee Romanorum
deum colimus. Tert. sagt deum, nicht, was zu erwarten, deos, weil er
sogleich die Identität des Gottes, der in Wahrheit der Gott der
Römer ist, mit dem der Christen behaupten will: bene quod omnium
dem est, cuius, velimus aut nolimus, omnes sumus: dem also auch ihr
angehört: also ihr habt gar keinen Grund anzunehmen, daß wir euren
Gott nicht verehren. Sed apud vos quodvis colere ins est praeter deum
verum, quasi non hie magis Romanorum sit, cuius omnes sumus: über-
liefert ist magis omnium, was ich nicht verstehe: von einem Gott, der
in geringerem Grade omnium ist, war ja nicht die Rede: magis Roma-
norum, mehr nämlich als irgend ein nur römischer Gott.
2) Vgl. Geffcken 160.
3) Aus Varro, den er bei der fast identischen Liste !Xat. II 8 zitiert.
XXV] Tertullians Apologetictm. 417
Lokalkulte setzt, die er in seiner apologetischen Quelle fand
— nur die Erwähnung des ägyptischen Tierkults ist ihm mit
Athenagoras gemeinsam. Der Argumentation seiner griechi-
schen Vorbilder ist die Tert.s insofern überlegen, als er nicht
einfach den Sonderkult der Christen anderen Sonderkulten,
sondern den Kult des einzig wahren Gottes denen der falschen
und als solchen bereits erwiesenen Götzen gegenüber stellt;
auch begnügt er sich nicht damit, aus jener Toleranz anderen
TTÖlsig gegenüber auch ein Recht der Christen auf Toleranz
zu folgern, sondern er kehrt den Spieß um und folgert die
inreligiositas der Römer. Aber so wenig wie seine Vorgänger
will er sehen, was doch der springende Punkt ist, daß jene
Völker und Städte mit ihrem Kult den Reichskult nicht
negierten, wie es die Christen tun. Und doch sagt er das im
Grunde sogleich selbst: fwir werden anders als jene behandelt,
wir gelten nicht als Römer, weil wir den römischen Kult
nicht teilen': es soll die Vorstellung erweckt werden, als
seien die Christen in der gleichen Lage wie jene Provinzialen:
und doch ist zwischen der Verehrung nichtrömischer Götter
und der Nichtverehrung der römischen Götter ein o-ewaltiger
Unterschied, der Tert. schwerlich entgangen ist. Und die
Schlußfolgerung sed apud vos quodvis edlere ius est praeter
deum verum ist zwar rhetorisch überaus wirksam, aber es
wird dabei nicht erwähnt, daß das colere deum verum im
christlichen Sinne zugleich den Kult irgend eines anderen
Gottes ausschließt: daß an sich die Römer gegen den Christen-
gott nichts eingewandt haben würden, wenn er sich mit einer
Stellung begnügt hätte, wie sie jeder andere Gott einnahm,
das weiß ja Tert. recht wohl. Der zitierte Satz ist nun zu-
gleich eine sehr effektvolle Steigerung des Vorwurfs der
inreligiositas: das oppugnare deum verum, von dem Tert. aus-
ging, ist sehr viel ärger dadurch, daß es zu einem null um
deum oppugnare nisi verum wird.
Darüber, was wahre und was falsche Gottheit ist, will XXV
Tert. nach dem früher Bewiesenen kein Wort mehr verlieren:
aber, quoniam Romani nominis proprie intercedü auetoritas, will
41 8 Richard Heinze: [XXV
er eleu Einwand erledigen, daß die Römer die Weltherrschaft
pro merito religiositatis diligentissimae erhalten haben. Die
starke Betonung des nomen Romanum am Schluß des vorigen
Abschnitts (auch abgesehen von meiner Konjektur in den letzten
Worten), der Anspruch der Römer auf Beachtung gerade ihrer
Götter, leitete zu diesem Einwand über: der Vorwurf der
inreligiositas, so wenden sie ein, werde durch die Tatsache ihrer
Weltherrschaft widerlegt, zu der ihnen gerade das Gegenteil,
höchste religiositas, verholfen habe1): dadurch eben beweisen
die Götter ihre Existenz, daß sie die, die ihnen vor anderen
dienen (officium faciunt), auch vor anderen erhöhen. Das
Argument für die r Richtigkeit' des römischen Staatskultes
ist gewiß unendlich viel öfter vorgebracht worden, als wir es
nachweisen können; in der Tat mußte sich ja, da der Staats-
kult den einzigen Zweck verfolgt, die Götter dem Wohl des
Staats geneigt zu machen, ohne weiteres aus dem unaufhalt-
samen Wachstum des Staates für jeden ergeben, daß die ge-
troffenen religiösen Maßnahmen die richtigen waren. In ganz
anderem Sinne, als einst Polybios (VI 56) die ÖeKSidcayiovia
der Römer als den Hauptvorzug des römischen TtolCrsv^K vor
anderen bezeichnet hatte, ließ Cicero seinen Baibus de nat.
deor. II 2 fg. ausführen, daß die Existenz der Götter sich aus
der Geschichte Rom erweisen lasse, indem Erfolg und Miß-
erfolg von der Beobachtung und Vernachlässigung der religiösen
Vorschriften abgehangen habe, und erwähnt nebenbei (3, 8),
daß die Überlegenheit der Römer über die fremden Völker
religione, id est cultu deorum bestehe: ein Gedanke, den er einst,
lange Jahre vorher, im Senat ausführlicher geäußert hatte.2)
1) Den engen Zusammenhang mit dem vorigen Abschnitt hat
Ebert übersehen, wenn er p. 365 (vgl. 345) diesen hier als ^selbst der
Form nach ganz offenbares Einschiebsel' bezeichnet und p. 353 alle
engere Verbindung mit dem Vorhergehenden leugnet; freilich wurde
ihm das Verständnis etwas dadurch erschwert, daß er noch die Lesart
der geringeren Handechr. quoniam tarnen Bomani nomin is proprie
mentio oecurrit vor Augen hatte.
2) De harusp. resp. 9, 18 fg. , wo Cicero zunächst seinen hohen
Respekt vor den religiösen Einrichtungen der Väter ausdrückt, in
XXV 3—9] Tertüllians Apologeticum. 419
Die echt römische Auffassung freilich, die auch Tert. zu-
grunde legt, daß die Größe Roms der Lohn für die den
Göttern erwiesenen officio, sei, tritt deutlicher z. B. bei Vale
rius Max. I 1, 8 hervor, der die Größe des Reiches aus dem
exactissimus cuUus caerimoniarum herleitet.1) Aber es bedarf
weiter keiner Zitate: dis tc minorem quodgeris, imperas konnte
auch zu Tert.s Zeit noch jeder Römer, der am alten Glauben
in irgend einer Form festhielt, als Motto über die Geschichte
des Imperium setzen, und es ist durchaus nicht nötig an
zunehmen, daß irgend eine bestimmte, literarische Apologie
der römischen oder Bekämpfung der christlichen Religion den
Tert. zu dieser seiner Erwiderung angeregt habe.
Seine Gegenargumentation ist diese: 1. Die Entlohnung XXV 3— 9
für geleistete Dienste, der Vorrang vor anderen Völkern, ist
dem römischen Volk gewiß von römischen Göttern --im engeren
Sinne — gewährt worden? Sterculus, Mutunus, Larentina
haben das imperium geschaffen? Die Annahme ist so lächer-
lich, daß sie in sich zusammenfällt; und doch ist sie den
Gegnern unentbehrlich, denn fremde Götter werden doch ihre
eignen Völker nicht einem anderen, überseeischen, ausgeliefert
haben. Bei Cybele wäre es noch denkbar, daß sie in den
Römern die künftigen Besieger der Griechen, ihrer alten
Feinde sah, aber Juppiter hätte gewiß allen Grund gehabt, sein
Creta zum Haupt der Welt zu machen, Creta — wo er doch be-
denen sich die nachträglich auch von den Philosophen gelehrte Über-
zeugung vom Dasein und Weltregiment der Götter äußere: eorum
numine hoc tantum imperium esse natum et auctum et retentum-, der Ab-
schluß: pietate et religione atque hac una sapientia, qaod deorum numine
omnia regt gubemarigue perspeximus, omnes gentes nationesgue supe-
ravimus. Auf den Kult wird hier (absichtlich?) weniger Gewicht ge-
legt als auf die religiöse Gesinnung; anders als in de nat. deor., wo
religio und cultus deorum gleichgesetzt werden.
1) non mirum igitur, si pro eo imperio augendo cmtodiendoque
pertinax deorum indulgentia semper excubuit, qiio tarn scrupidosa cum
parvula quoque momenta religionis examinari videntur, quia numquam
remotos ab exactissimo cultn caerimoniarum oeülos habuisse nostra civitas
existimanda est.
420 Richard Heinze: [XXV 3—9
graben liegt. Und Juno hätte ihr geliebtes Karthago niemals
freiwillig den Römern ausgeliefert; aber sie vermochte nichts
gegen das Fatum — und doch haben die Römer dem Fatum
nicht einmal so viel Ehre erwiesen wie der Dirne Larentina,
der 'römischen' Göttin. — Die Deduktion ist echt tertullianisch
scharfsinnig, spitzfindig, witzig und — schief. Ob der Apologet,
der hier wieder einmal zum Satiriker wird, wirklich geglaubt
hat, irgend einen von denen, die es mit dem hier bestrittenen
Glauben ernst meinten, durch solche Polemik zu überzeugen?
Bestenfalls doch nur den, der seine Prämissen zugab: sehen
wir, welche dies sind.
Zunächst: Tert. unterscheidet zwei Klassen von Göttern,
die Romani und die peregrini; als Beispiele der ersteren nennt
er Sterculus, Mutunus und Larentina, als Beispiele der fremden
Cybele, Juppiter und Juno. Das entspricht nicht der zu Tert.s
Zeit gültigen Einteilung der sacra in Romano, und peregrina1),
wobei die peregrina die barbarischen, in den Staatskult nicht
rezipierten waren; es entspricht im Prinzip der älteren, von
Verrius Flaccus vertretenen Auffassung2), wonach peregrina alle
sowohl aus dem stammverwandten wie aus dem stammfremden
Auslande in Rom rezipierten sacra sind; nur daß auch unter
diesem Gesichtspunkte Juppiter und Juno, die ja dem ältesten
römischen Götterkreise angehören, niemals als f fremde' gegolten
haben. Entweder hat also Tert. hier auf eigene Faust die römische
Auffassung korrigiert, indem er statuierte, da Juppiter in
Creta geboren, Juno ursprünglich Roms Feindin gewesen sei,
so gehörten sie zu den di peregrini so gut wie Cybele; oder,
was mir wahrscheinlicher ist, weil es den Einfall erklärt,
die vorgebliche Förderung Roms auf die sog. di Romani zu
beschränken, Tert. hat sich einer Einteilung der Götter er-
innert, die er Nat. II 9 vorbrachte: dort scheidet er einerseits
communes (die die Römer mit allen anderen gemein haben)
und propra3), die speziell römischen, unter denen er auch
1) Wissowa, Religion der Römer 79.
2) Festus p. 237. Wissowa a. a. 0. 40.
3) Diese nennt er auch Apol. X 5 : per singulos decurram, tot ac
XXV 3— 9] Tektullians Apologetici m. 421
Sterculus, Mutunus und Larentina aufzählt; diese Einteilung
ist ihm aber identisch mit der anderen in adventicii und
publici.1) Durch diese (mißverständliche) Gleichsctzung mag er
sich also dazu berechtigt geglaubt haben, Juno und Juppiter, da
sie nicht prqprii sind, zu den advetüicü zu rechnen, also um
die Terminologie des Apol. zu brauchen, sie als peregrini von
den eigentlichen di Romani (den proprii) auszuschließen. Wie
dem auch sein mag; soviel ist klar, daß diese erste Voraus-
setzung seines Arguments im Glauben der Körner selbst, den
er doch bekämpft, keinerlei Stütze hat.
Die Durchführung aber wird ihm ermöglicht nur durch
eine zweite Voraussetzung, die uns nunmehr bei ihm bereits
vertraut ist: die nämlich, daß es in den himmlischen Kegionen
genau so zugeht wie auf Erden: daß also z. B. Juppiter aus
Anhänglichkeit an sein Heimatsland und im Banne süßer
Kindheitserinnerungen Creta den Ruhm der Weltherrschaft
eher gegönnt hätte als jeder anderen Stadt: eine Fiktion, die
freilich jedem Heiden, auch dem Euhemeristen, der an den
einst in Creta geborenen und dann dort begrabenen Menschen
Juppiter glaubte, völlig absurd vorkommen mußte. Eher ließ
sich hören, was Tert. von Juno sagt: daß sie nur widerstrebend
Karthago den Römern preisgegeben hatte, war ja in der Tat
wenigstens poetische Tradition. — Auf ein paar satirische
Einlagen Tert.s, die Kurzsichtigkeit der 'Göttin' Cybele, die
tantos . . . Romanos peregrinos, captivos adoptivos (dies sind die beiden
von Fest. 237 geschiedenen Kategorien der peregrini), proprios communes
e. q. s. : daraus ließe sich aber eine Gleichsetzung der Romani und
proprii einerseits, der communes und peregrini andererseits nicht ent-
nehmen.
1) Nach Wissowäs wahrscheinlicher Vermutung (Ges. Abh. 184)
hat Tert. diese Bezeichnungen selbst eingeführt anstelle der aus Varro ihm
bekannten novensides und indigites, welche Einteilung er dann aller-
dings gänzlich mißverstanden hätte. Es spricht aber dafür, daß er
XXV 10 nach der zweiten Erwähnung des Sterculus sagt sed postea
Romani cum indigitamentis suis. Uli bestreitbar ist ja, daß Tert. in
eben jenem Kapitel Varros tripertita divisio der dei certi, incerti und
selecti gröblich mißverstanden hat.
422 Richard Helnze: [XXV 10. n
Ohnmacht der Juno und die Undankbarkeit der Römer gegen
die fata brauche ich nicht einzugehen: sie entsprechen dem
fast übermütigen Ton des ganzen Abschnitts.
XXV io. n 2. 'Eure Götter waren in ihrer Mehrzahl einst Könige.
Wenn also die Götter die Macht haben, die Herrschaft zu
übertragen, von wem haben denn dann sie, als sie selbst
herrschten, diese Gunst erfahren? Saturn und Juppiter —
sie haben wohl einen Sterculus verehrt? Aber selbst das
ist nicht möglich: denn als Saturn und Juppiter herrschten,
gab es noch keine Römer und keine römischen indigitamenta
(diese, und damit die di proprii der Römer, sind ja erst von
den römischen Königen eingeführt). Und was die Götter
betrifft, die selbst nicht Könige waren, so haben doch auch
sie auf Erden unter der Herrschaft von Königen gelebt, die
noch nicht ihre Verehrer waren, da sie selbst noch nicht
Götter waren. Also, da es Könige lange vor der Erhebung
dieser Verstorbenen zu Göttern gab1), sind es nicht sie, die
die Herrschaft verleihen'.2) — Man sieht, es handelt sich bei
diesem Argument nicht um die Verleihung der Herrschaft
an ein Volk, sondern an die Person des Regenten. Es ist
7 O
also stillschweigend die Voraussetzung gemacht, daß in bei-
den Fällen die Geber die gleichen sein müssen; erleichtert
und wohl auch herbeigeführt ist diese Voraussetzung dadurch,
daß die Ausdrücke Imperium conferre und regnum dare auf
beides anwendbar sind. Zudem kann der Satz ut praeter
ceteros floreant, qui Ulis officium praeter ceteros faciunt, gegen
den sich Tert. wendet, auf den einzelnen ja so gut wie auf
die Völker bezogen werden. — Voraussetzung ist ferner, wie
i) multo antequam isti dei inciderentur : ''pro insculpere vel sta-
tuis effingere'1 Oehler falsch. Die von Oehler erwähnte anonyme Kon-
jektur indicerentur ist annehmbar.
2) Der ganze Passus ist von Ebekt gänzlich mißverstanden wor-
den, aber auch Hartel war in seiner Erklärung S. 352 fg. nicht viel
glücklicher; er irrte u. a. darin, daß er annahm, in dem ganzen Ab-
satz sei nur von den di vernaculi die Rede. Der richtigen Auffassung
ist Kellner (Ausgew. Schriften des Sept. Tert. übersetzt, Kempten 1871,
I p. 49) ganz nahe gekommen.
XXV i2. 13] Tbrtüllians Apologeticum. 423
billig, daß, was ja früher (X) bewiesen war, die Götter sämt-
lich einst Menschen gewesen sind; von ihrer Stellung als
Menschen war dort nicht die Rede, und für seine jetzige Be-
hauptung plures deos reifnasse bedarf Tert. keines Beweises,
da er ja das si qui non regnaverunt daneben offen läßt. In
der Tat gelten ja bei Euhemerus (Diod. V i, 8) z. B. Ura-
nos, Kronos, Zeus als Könige, aber andererseits sind 6xquti]yqi
nai vavKQ%oi xccl ßaövlslg nach Plutarch (de Is. et üsir. 23)
die einstigen Träger der Götternamen zufolge der [&qu üvc-
ygacpt]: man sieht, daß Tert. auch hier sich genau an die
Aussagen seiner Gegner hält. — Unter den dei vestri sind,
wie die Beispiele Saturn und Juppiter zeigen, die gesamten
di Romani im weiteren, nicht wie im vorigen Absatz im
engeren Sinne zu verstehen: trotzdem ist an der Fiktion fest-
gehalten, daß als Verleiher der Herrschaft nur die di proprii
gelten können, um die komische Vorstellung zu wecken, daß
.Juppiter einem Sterculus seine Herrschaft verdanke, Avas docli
dann gleich durch den Hinweis auf das verhältnismäßig ge-
ringe Alter dieses Sterculus abgelehnt wird. An sich ist die
Beschränkung auf die di proprii hier, wo es sich um die
Herrschaft von Nichtrömern handelt, durch nichts gerecht-
fertigt.
3. rDie Größe Roms kann nicht durch Religiosität XXV 12. 1;
erworben sein, da die Religion erst nach Begründung des Im-
perium oder, was es damals noch war, des regnum1) sich ent-
wickelt hat. Denn wenn auch die abergläubische peinliche
Religionsordnimg (curiositas superstitiosa) eine Erfindung des
Numa ist, so gab es damals doch weder Götterbilder noch
Tempel, überhaupt keinen prunkvollen Götterkult: all das ist
erst von außen, durch Griechen und Etrusker eingeführt
worden. Also ist die Größe Roms im Verhältnis zur religio
ein ante hoc, somit kein ob hoc\ — Die Tatsachen, auf die
sich Tert. hier stützt, verdankt er Varro; der Gebrauch, den
1) Post im /irrtum sive adhuc regnum: die letzten Worte heißen
nicht 'post ilhtd tempus cum adhuc reges Romae erant', nach der Iv">-
nigszeit (Rauschen), sondern rnach Einsetzung des regm<m\
Phil.-hist. Klasse 1910. IUI. IAH. 32
424 Richard Heinze: [XXV 14—17
er davon macht, frappiert. Wie kann Tert. hier die religio-
sitas gleichsetzen mit dem entwickelten Kult seit der
Herrschaft der Tarquinier? Daß es schon vorher eine religio,
wenno-leich eine frugi religio gegeben habe, sagt er ja selbst.
Offenbar ist die Voraussetzung, daß das Wesentliche an der
Relioion, der die jetzigen Römer ihre Größe zuschreiben, der
Bilderdienst und zwar in seiner jetzigen Form ist: darum die
pointierte Bezeichnung jenes alten Zustandes: deus ipse nus-
quam, Wenn nun Tert. früher (z. B. XIV) deos und simulacra
streng zu scheiden versucht hatte, so lief doch schon ebenda
die Gleichsetzung beider mit unter, und in der Tat waren sie
ja im Kult identisch. Bedenklicher ist es, daß Tert. schon in
jener alten Zeit das erfüllt sieht, worauf sich seine Gegner be-
rufen, die Größe Roms (non ante religiosi quam magni): er ver-
steht darunter offenbar, da er im folgenden sagt omne regnum
bellis quaeritur, nicht die Königsherrschaft als Verfassungs-
form, sondern die Herrschaft einer Stadt über andere, die
Begründung eines 'Reichs': wenn, so schließt er, die Römer
ihre ersten Erfolge nicht der Religion verdanken, so gilt das
Gleiche für das fernere Wachstum. Die Relativität des Be-
griffes magnus und die Willkür in der Bestimmung des Be-
griffs religio ermöglichen den lediglich rhetorisch wirksamen
Schluß non ob hoc magni quia religiosi.
XXV 14—17 4. Das Gegenteil ist richtig: Rom verdankt seine Größe
der inreligiositas. Nämlich: die Größe des Reiches beruht
auf siegreichen Kriegen; dabei werden in den eroberten und
zerstörten Städten regelmäßig auch die Tempel, die Priester,
das heilige Gut nicht verschont, Kriegsbeute sind die Bilder
der 'gefangenen' Götter. Und die sollten sich nicht nur von
ihren Feinden verehren lassen, sondern ihnen gar die Welt-
herrschaft zusprechen? (in Wahrheit freilich, schiebt Tert.
ein, hat weder Beleidigung noch Kult etwas zu bedeuten: die
f Götter' empfinden beides nicht). Also, da Religions Verletzung
und Wachstum des Reichs Hand in Hand gingen, verdankt
das Reich sein Wachstum nicht der Religion. — Hier sind,
ganz anders als in 1 , die 'Götter5 als Einheit gefaßt, ja die
XXV 17 — XXVI] Tekti:i.i.ians Apologeticum. 425
di captivi in den Vordergrund gerückt, sowie das, was die
Gegner selbstverständlich nur von der römischen Religion
behaupteten, auf die 'Religion' im allgemeinen bezogen; ein
Versuch, sieh auf den Standpunkt der Gegner einzulassen, ist
also auch hier nicht gemacht, aber der Kult der di captn-i
advokatorisch geschickt ausgenutzt.
5. Auch die, deren Reiche ins Imperium Romanum XXV 17— XXVI
aufgegangen sind, hatten, als sie sie verloren, Religionen1) —
hätten also, das ist der Zwischengedanke, bis zu diesem
Zeitpunkte sich ebenso gut, wie die Römer jetzt, durch die
Gnade ihrer Götter emporgehoben dünken können. Sie sind
gefallen: so wird also wohl die Herrschaft verleihen und
wieder nehmen der Beherrscher der Welt und der Menschen,
der vor aller Zeit war, der auch schon, als es noch keine
Städte gab, über dem Menschengeschlecht war. Wie Rom
und seine Herrschaft älter ist als seine 'Religion'2), so hat
es vor dieser Religion mit all ihren Priestertümern andere
große Reiche gegeben3); und schließlich, der sicherste Beweis
dafür, daß nicht die römische Religion die Herrschaft ge-
währleistet, ist das einstige Reich der Juden, der Verächter
1) Dieser Satz ist weder Abschluß des vorigen Arguments, noch,
wie Eeert meinte, ein selbständiges, sondern die Einleitung zu der
folgenden Betrachtung über die vices dominationum — zugleich, wie
ich meine, eine versteckte Warnung, daß auch das Imperium Ro-
manum nicht aeternum sei.
2) . . Borna ante regnacit quam tantus ambitus Capitolii exstrue-
retur-. damit wird wiederholt, was schon vorher (zu 3) gesagt war: aber
dort war die Schlußfolgerung ergo non ob hoc magni quia religiosi,
hier ist die durch die Einleitung gegebene Folgerung: ergo itou dei
sed verus dem regnum dedit.
3) Aufgezählt werden, jedesmal einem römischen Priestertum
gegenübergestellt, Babylonier, Meder, Ägypter, Assyrei und — zum
überraschenden Schluß, und als Gegenstück zu den Vestalen — die
Amazonen, also lauter große Reiche (auch die Amazonen haben ja
ihre Herrschaft weithin über Kleinasien ausgebreitet), aber keineswegs
'Weltreiche', oder auch nur die jedesmal mächtigsten: das sind ja auch
die Ägypter nie gewesen, noch weniger die Juden, die freilich für
sich stehen.
42 6 Richard Heinze: [XXY 17 — XXVI
aller eurer Gottheiten1) — deren Gott ihr doch einst geehrt
habt (euren eignen Göttern zum Trotz) — und die ihr Reich
nun auch verloren haben, nur weil sie sich an Christus ver-
sündigten. — Also, nach der durch alle erdenklichen Gründe
Gestützten Negation zum Abschluß die Position, der Hinweis
auf den wahren Geber aller irdischen Macht. Freilich tritt
dieser Wahrheit dann nochmals der error der Gegner gegen-
über (quid erratis?), aber was Tert. diesem error jetzt vorhält,
hätte in der früheren Reihe von Argumenten keine Stelle
o-ehabt. Dort hätte der Gegeneinwand auf der Hand gele-
gen: 'die Überlegenheit unsrer Religiosität zeigt sich eben
darin, daß wir alle diese Reiche überwunden haben'; hier ist
diesem Einwand von vornherein die Spitze abgebrochen durch
den ernsten Hinweis auf die vices dominationum und darauf,
daß allem zeitlichen Wechsel der eine, zeitlose Gott gegen-
übersteht. Die Warnung, die hierin liegt, wird verstärkt
durch die letzten Worte: wenn Juda fiel, weil es gegen
Christus sündigte — wie wird nicht auch Rom fallen, wenn
es fortfährt, Christus in seinen Anhängern zu verfolgen?
Tert. spricht das nicht aus; aber man darf es genial nennen,
wie er hier, am Schluß seiner ganzen Erörterung über die
laesa religio, dem nationalen Stolz auf das Imperium Eomanum
als den vor aller Augen liegenden Beweis für die Trefflich-
keit der römischen religio entgegen hält die verschleierte
Mahnung, daß dies Imperium Momanum auch nur eine Gnade
des wahren Gottes ist — und zwar eine widerrufliche Gnade.
Minucius läßt c. 6 den Caecilius eine ähnliche These aufstellen,
wie die hier von Tert. bekämpfte; freilich wird dabei weniger Gewicht
gelegt auf das praeter ceteros officia dis facere, vielmehr aufs schärfste
betont das religiöse Verhalten der Römer im Kriege, als dem Mittel,
durch welches die Weltherrschaft errungen ist: durch die Art ihrer
Kriegführung, ihre virtus religiosa, so wird behauptet, haben die Römer
ihre Erfolge verdient; daß die Götter diese Erfolge verliehen hätten,
wird nicht ausdrücklich erwähnt. Dieser Gedankengang konnte jeden-
1) despectrix com mnnium isiarum divinitatum : also nicht nur
der di proprii Romanorum, sondern auch der 'großen' Weltgottheiten,
eines Juppiter usf.
XXV] Tertullians Apologeticum. 427
falls auB der Bemerkung Ciceros in de nat. door. US — si confem
völumus nostra cum externis, ceteris rebus out patres aut etiam inferiore*
reperiemur, religione, id est cultu deorum, multo superiores — nicht
uhne weiteres entwickelt weiden, und noch weniger auß der bei Cicero
vorhergehenden, daß die Erfolge und Mißerfolge der römischen Heer
führer von dem Grad ihres Gehorsams gegen die religiones (d. h. Auspi-
zien usf.) abgehangen habe. Vielmehr scheint der Konzeption nach
das prius die Erwiderung des Oktavius zu sein und im Hinblick aui
Bie inicht notwendig nach ihr) die These so formuliert, wie wii
lesen.
Die Antithese in c. 25 geht zunächst von einer Erweiterung
These aus: ista supersHtio Bomanis dedii . . imperium, cum nun tarn
vir tute quam religione et pietate pollerent. und indem dann sofort
statt religio et pietas überraschenderweise der Begriff der iustitia ein-
tritt, wird ausgeführt, daß die Anfänge Roms eine Kette von Freveln
sind: die Mörder und Schurken des 'Asyls', Romulus der Brudermörder,
Raub fremder Bräute und Eheweiber, Krieg mit deren Vätern. Sodann
Länderraub und Städteplünderung, Vergrößerung durch fremde Ver-
luste, eigne Frevel. Bei dem allen sind geflissentlich Beziehungen auf
das eigentliche Thema eingestreut, die aber nicht darüber hinweg-
täuschen können, daß im Grunde hier die iniustitia, nicht die inreli-
giositas des alten Rom bewiesen wird : ich glaube, mit vollem Recht hat
Schwenke (a. a. 0. 271) in diesen Ausführungen einen Nachklang der
(uns nur in Bruchstücken erhaltenen) Wiedergabe des karneadeischen
Vortrags über die Ungerechtigkeit als staatsförderndes Prinzip gesehen,
die Cicero im 3. Buche de re publica gegeben hatte. Auf den Krieg
freilich bezieht sich ja fast alles, auch die Wendung normt in ort/u
suo et seelere collect/ et muniti immanitatis suae terrore erwidert auf
des Gegners dum urbem muniunt sacrorum religionibus , und die Be-
hauptung exercent in armis virtutem religiosam der These scheint so
allgemein gefaßt zu sein, um eine Erwiderung in der Art der vor-
liegenden einigermaßen zu rechtfertigen; aber daß dieser ganze erste
Teil der Erwiderung aus fremdem Zusammenhange herausgenommen
und auf die inreligiositas nur oberflächlich zugestutzt ist, macht auch
der Schlußsatz mit seinen beiden disparaten Teilen klar: ita quidquid
Bomani tenent, eolunt, possident, audaciae praeda est, und: templa om-
nia de manubiis, id est de ruinis urbium, de spoliix deorum, de 1
sacerdotum: der zweite Teil stützt sich lediglich auf eine beiläufige
Krwähnung der templa et ältaria im Vorhergehenden.
Es folgt die eindrucksvoll antithetisch formulierte, sachlich nicht
schwer wiegende Behauptung: 7;oc iusultarc et inludere est, iridis reli-
gionibus servire, captivas eas [just vietorias adoran : nam adorare quin
manu ceperis, sacrilegium est consecrare, >>•>,■ numina: gerichtet gegei
428 Richard Heinze: [XXV
den Satz des Caecilius, daß es ein religiöses Verdienst sei, die Götter
der Besiegten unter die eigenen aufzunehmen: an das vorher gesagte
tempin omnia de manubiis schließt die Behauptung freilich nur dann
einigermaßen an, wenn man bei den manubiae an den Raub von Götter-
bildern denkt, die dann in Rom zu Kultbildern geworden sind: klar
ausgedrückt ist das nicht — bei Tert. dagegen steht unzweideutig und
in bestem Zusammenhang: tot manubiae quot manent aähuc simulacra
captivorum deorum — , und Octavius läßt denn auch den Gedanken an
die Kultübertragung sogleich wieder fallen: totiens ergo Romanis im-
piatum est quotiem triumphatum , tot de diis spolia quot de gentibus
[et] tropam: igüur Romani non ideo tanti, quod religiosi, sed quod im-
pune sacrilegi. Damit ist das Gegenargument abgeschlossen, das sich
mit dem vierten des Tert. völlig deckt. Es ist, meine ich, klar, daß
Minucius zwei Gedankenreihen miteinander zu verschmelzen versucht
hat: die (karneadeisch-ciceronische) von der römischen iniustitia, und
die innerlich damit gar nicht verwandte von der inreligiositas der römi-
schen Kriege, die bei Tert. rein in sich abgeschlossen vorliegt. Es ist
an sich wahrscheinlicher, daß Minucius wie die erste, so auch die
zweite entlehnt und in der Verschmelzung seine Originalität gesucht
hat, als daß Tert. die zweite aus dem minucianischen Komplex rein
ausgelöst habe, ohne eine Spur von seiner Kenntnis der ersten zu ver-
raten. Es kommt aber hinzu, daß Tert. seinen Gedanken sorgfältig
entwickelt und .stufenweis einführt, auch die Antithese tot igüur sacri-
legia Romanorum quot tropaea usf. vorbereitet wird durch die Parallelen
eaedem strages moenium et temploram, pares caedes civium et sacerdotum
usf. Diese caedes sacerdotum sind gewiß inreligiös, ihre Erwähnung also
hier bestens motiviert, ja durch die caedes civium, die notwendige Be-
gleiterscheinung jeder Eroberung einer Stadt, wie von selbst gegeben;
bei Minucius darf man sich über die Zusammenstellung de manubiis,
id est de ruinis urbium, de spoliis deorum, de caedibus sacerdotum
wundern. Im letzten Satze des Minucius tritt, mit dem Wort impum
angedeutet, ein neues Motiv auf: die Götter, denen so schwere Unbill
widerfahren, haben sich nicht gerächt; das ist bei Tert. ausführlicher
entwickelt in einem Passus, der abschließt mit dem Satz sed qui nihil
sentiunt, tarn impune laeduntur quam frustra coluntur: den Gedanken
hatte Tert. schon früher, bei der Polemik gegen die Götterbilder ge-
bracht: sed plane non sentiunt has iniurias . . dei vestri, sicut nee ob-
sequia: er ist daran durch die Erwähnung der simulacra captivorum
deorum hier erinnert worden.
Ich sagte, das Gegenargument sei mit den zitierten Worten ab-
geschlossen: Minucius freilich will diesen Eindruck nicht erwecken,
sondern knüpft an die letzten Worte impune sacrilegi sogleich eine
weitere Gedankenreihe an, die sich mit der Frage beschäftigt, welches
XXV] TERTÜIiMANS APOLOiw r* UM. \- >
denn die Götter gewesen sein sollten, die <len Römern zum Sieg und
zur Weltherrschaft verholten hätten: neque enim potuerunt in ipsis
bellis deos adiutores habere, adversus quos arma rapuerunt, et <iuos post
victoriam detriumphatos edlere coeperunt. l) Der Zusammenhang ist
dieser: 'die Götter, die ihnen geholfen haben, sind früher von ihnen
besiegt und beraubt worden, haben das aber straflos hingehen lassen
i impune sacrilegi); in den gegen sie gerichteten Kriegen selbst haben
sie natürlich den Kömern nicht geholfen, sondern eben erst nachher.'
Recht verzwickt, wie man sieht: auch dem steht Tert.8 einfach und
wie von selbst sich entwickelnde Gedankenreihe gegenüber: er ver-
quickt nicht, wie Min., die Frage nach der in den Kriegen sich
äußernden inreligiositas (XXV 14—17) mit der anderen Frage, welche
Götter den Römern geholfen haben (3 — 9). Min. bleibt nun bei dieser
stehen: nach einem an sich geschickten Einwand gegen die von ihm
selbst erst bewiesene Behauptung des impune sacrilegi ('was konnten
die Götter für die Römer tun, gegen die sie ihr eigenes Volk nicht
hatten schützen können?') geht er zu den Romanorum vernaculi di
über: aufgezählt werden die von Romulus, Titus Tatius und Tullu-
Hostilius eingesetzten, ferner Febris und die Dirnen Larentia und Flora
erwähnt; sodann ironisch geschlossen: isti scilicet adversus cetei ■
qui in gentibus Coleb antur , Romanorum Imperium protuUrunt. Dazu
begründend und weiterführend: neque enim eos adversum suos homines
vel Mars Thracius vel Juppiter Creticus . . iuverunt. Damit wird in
etwas anderer Fassung der Gedanke von vorhin wiederholt neque enim
potuerunt in ipsis bellis deos adiutores habere, adversus quos arma ra-
puerunt: wenn dort die Römer als Gegner der Götter ins Auge gefaßt
waren, so ist hier an das Verhältnis der Götter zu ihren von den
Römern befehdeten Verehrern und Landsleuten gedacht: die Wieder-
holung erklärt sich daraus, daß Min. nun in das Fahrwasser von Tert.s
erstem Argument eingelenkt ist. soweit ihm das möglich war: er hat
ja seine ganze These und Antithese auf die Kriegführung der Römer
bezogen, an die Tert. bei jenem ersten Argument nicht dachte; auch
hier, bei der Aufzählung der di peregrini, redet Min. so, als handle e-
sich um Kriege, die die Römer gegen die Völker dieser Götter geführt
hätten (adversus ceteros seil, deos Iiomanorum imp. protulerunt, und ad-
versum suos homines . . iuverunt 1, wonach denn diese Götter zu den
vorher besprochenen, quos post victoriam colere coeperunt, gehört haben
müßten: was ja tatsächlich nicht zutrifft. Tert. schied sehr scharf:
er spricht in seinem ersten Argument nicht von einer Unterstützung
1) Hartels Vorschlag, das letzte Kolon (sed quos . .) als Einwand
des Gegners abzutrennen, wird unannehmbar, wenn man sich den Zu-
sammenhang des ganzen Satzes mit dem impune sacrilegi klar macht.
_j_30 Richard Heinze: [XXV
durch die Götter der Feinde im Kriege, sondern von einer 'Begünsti-
gung' des fremden Landes vor dem heimischen Boden: er weiß sehr
wohl, daß z. B. Cybele längst in Rom publice verehrt wurde, als ihre
Heimat in das Imperium überging, und deshalb redet er auch bei ihr
nur von den Gründen , weshalb sie sich das transferri gefallen ließ ;
er sagt nichts davon, daß zu der Zeit, wo Creta römisch wurde, Jup-
piter ein Feind der Römer war, sondern spricht nur von seiner vor-
auszusetzenden Anhänglichkeit an sein Heimatland; und nur bei Juno,
der karthagischen Burggöttin, ist von einem wirklichen Gegensatz zu
llom die Rede. Ganz anders im vierten Argument, wo wirklich von
den captivi dei gesprochen wird. Diesen nicht spitzfindigen, sondern
durchaus in der Sache begründeten Unterschied hat also Minucius ver-
wischt: soll man glauben, daß Tert. das Richtige in ihn hineinkorri-
giert habe?
Und sehen wir uns endlich die beiderseitigen Beispiele an: Tert.
wählt, um die Nichtigkeit der dei proprii zum Bewußtsein zu bringen,
drei Götter, deren sich jeder aufgeklärte Römer selbst schämen könnte ;
auf ähnlichem Niveau stehen die von Minucius in zweiter Linie ge-
nannten, und es wird da ihre Unwürdigkeit stark betont1), aber es
gehen voraus z. B. Picus, Tiberinus, Consus etc. — freilich obskur, aber
keine Namen, die eine beschämende Empfindung erwecken. Vor allem
aber hat die Nennung derer, die diese Götter eingeführt haben (oder
gar, bei Febris, das Bekenntnis, daß er den Stifter nicht kenne) hier
gar keine Bedeutung; es ist ein Stück übel angebrachter Gelehrsam-
keit, entlehnt z. T. einer, gewiß nicht direkt, aber doch in letzter Linie
auf Varro zurückgehende Liste, die z. B. Augustin civ. d. IV232) voll-
1) Nur ist zu bemerken, daß die Erhöhung von Pavor, Pattor,
Febris zu Göttern an sich zwar der Kritik sehr ausgesetzt ist, wie sie
denn schon Cicero gegen die Febris (n. d. III 25, 63), Seneca (bei August.
c. d. VI 10) gegen Pavor und Pallor gerichtet haben; aber wenn sie
nun einmal Gottheiten sind, so ist es nicht glücklich, gerade sie als
Beispiele für die Ohnmacht der vernaculi zu wählen.
2) S. die parallele Überlieferung bei Agahd a. a. 0. 65 fr. Natür-
lich haben nach ihm auch hier Minucius und Tertullian aus dem
fauctor communis' geschöpft; aber es wird hier wieder recht deutlich,
wie wenig diese Hypothese dazu beiträgt, die Diskrepanzen beider Apo-
logeten zu erklären; denn ist es irgend glaublich, daß der a. c. beide
Listen, die des Tert. und die nach ganz anderem Prinzip angelegte des
Min. darbot, und nun der eine 4iese, der andere jene wählte? Hat aber
einer von ihnen hier den a. c. verlassen und auf eigene Faust eine Liste
zusammengestellt, so braucht man den a. c. gar nicht mehr: dann konnte
/.. B. Minucius' Vorlage, die er hier verläßt, ebenso gut Tert. sein.
XXV] Tertullians Ai'iii.im.i.ihui. 431
ständiger gibt, und die Minucius durch die beiden meretrices1) erweitert
hat. Auch die zweite Liste, die der di peregrini, ist bei Minucius um-
tauglicher und umfaßt u. a. auch die drei von Tert. genannten Gott-
heiten, Mater, Juppiter, Juno: trotzdem wird man bei näherem Zusehen
nicht diese kürzere als Exzerpt aus jener längeren ansprechen2), ina-
besondere wenn man neben des Min. Juno nunc Argica, nunc Sumia,
nunc Poena die auf Virgils Worte quam (Carthaginem) Juno fertw magis
Omnibus vmam posthabita coluisse Samo (Aen. I 15] gegründete, auch
weiter auf Virgil sich beziehende Darlegung Tert.s stellt: so trefflich
diese Anspielungen seinem Zwecke dienen, so sinnlos ist bei Minucius
die Nennung dreier Länder, die ja der Vorstellung, daß jede Gottheit
für die f Ihren' zunächst sorge, geradewegs entgegenarbeitet.
Über den bei Minucius folgenden Passus, der die in den römischen
Kulten waltende Unsittlichkeit angreift, ist schon S. 365 fg. gesprochen:
hier korrespondiert eine andere Stelle Tert.s (XV), und wir sahen, daß
alles dafür spricht, dieser die Priorität zuzuschreiben. Was dort ganz
allgemein von den Römern gesagt war, hat Minucius hier auf die Priester
bezogen, um daran seine Bearbeitung von Tert.s fünftem Argument
(Gott als Spender der Macht) anzuschließen: daß Tert, die alten Reiche
mit den einzelnen römischen Priestertümern zusammenstellte, war offen-
bar für Minucius die Anregung zu seiner Komposition. Er knüpft auch
hier nicht ganz ungezwungen an: et tarnen mite eos de<> dispensante
diu regnu tenuerunt Assyrii Medi . . , cum poniifices et arvales . . non
habt rt nt, d.h. : auch abgesehen 3 1 von der Frage nach der Reinheit der den
1) Flora erscheint als meretrix in. W. außerdem nur noch bei
Lactanz i. d. T 20,6, wo auf sie übertragen ist die Fabel vom Testa-
ment der Acca Larentia und zwar mit dem Zusatz, daß von den Zinsen
dieser Stiftung alljährlich die Floralia ausgestattet würden. Das ist
jedenfalls eine ganz späte, nichtsnutzige Erfindung resp. Übertragung,
denn jeder, der sich um diese Dinge kümmerte, konnte wissen, daß
der Kult der Flora zwar uralt, die ludi Florales aber recht jung (vom
,T. 238, annui erst seit 173) waren. Aber bei der bekannten Rolle, die
an den Floralia die meretrices spielten, lag der Gedanke nahe, die
'Göttin' zu einer Berufsgenossin der Acca zu machen , und es ist mir
fraglich, ob diese Erfindung ursprünglich irgendwelchen gelehrten An-
spruch erhoben oder polemische Tendenz gehabt hat.
2) S. schon Hartel p. 350 fg.
3) et tarnen, falsch aufgefaßt z. B. von A. de Makchi, Apologisti
• 1 istiani (Mail. 1907) p. 126: antitesi che si ricollega al concetto prece-
dente, del dominio otttnuto dai Eomani sul mundo. Vgl. Hermes 33
(1898) p. 474; Domisakt in seiner Ausg. des Octavius mit Übersetzung
(! 1881) p. 127.
432 Richard Heixze: [XXV
Kult verwaltenden Priester: schon vor den Römern hat es große Reiche
ohne diese Priester gegeben (also können nicht sie es sein, denen die
Römer die Herrschaft verdanken). Ich bemerke, daß bei Minucins nur
an dieser einen Stelle der ganzen Erörterung das regna teuere — frei-
lich mit dem Zusatz diu — als ein Äquivalent zu dem Weltreich der
Römer auftritt1), während wir bei Tert. den Gedanken durchgehen
fanden, daß es auf das regnum an sich, auf den Anfang der Macht,
genau so sehr wie auf ihre Höhe ankommt; ich bemerke ferner, daß
der naheliegende Einwand, jene alten Reiche seien ja eben, weil ir-
religiös, den Römern unterlegen, bei Tert. vorher abgeschwächt ist,
bei Minucius durch den knappen Zusatz deo dispensante nicht ebenso:
endlich, daß eben dieser Zusatz hier vorgreifend eingeflickt ist2), denn
er gibt eine Behauptung, die erst aus dem Satze diu regna tenuerunt
cum pontifices non haberent erschlossen werden kann (wie sie bei Tert.
auch wirklich erschlossen ist), und er ist so gut wie gar nicht vorbe-
reitet, während bei Tert. das videte igitur ne ille regna dispemet usf.
die gegebene positive Erwiderung ist auf den ironischen Satz des Ein-
gangs: scilicet ista merces Homa)io nomini a Romanis deis praerogatwa
expensa est (3), der im weiteren Verlauf durch ergo aliorum est regnum
dare (11) und Ulis Imperium sine fine decernunt (16, nach Yirgils Impe-
rium sine faxe dedi Aen. I 279) im Gedächtnis erhalten war.
Vergegenwärtigen wir uns die Arbeitsweise des Minucius, indem
wir als erwiesen annehmen, daß er Tert. benutzt hat. Er hat von
dessen Argumenten drei (1, 4, 5) im wesentlichen reproduziert, indem
er vor allem die Beispielsreihen mehr oder weniger abänderte, wozu
er nur in einem Falle sich in der Literatur nach Material umgesehen
hat; zwei andere Argumente, die ihm wohl zu spitzfindig schienen,
hat er beiseite gelassen. Er hat damit verbunden eine aus Cicero
geschöpfte Darlegung über die iniustitia als fundamentum regni; ferner
aus einem anderen Teile des Apologeticum (XV) ein Motiv entlehnt
und etwas ausgestaltet; im übrigen hat er aus Eignem hinzugetan ein
paar verbindende oder ergänzende Apercus, und, was ihm sehr wesent-
lich war, die Form des Ganzen: statt der einfachen Aneinanderreihung
von Argumenten bei Tert., eine in sich zusammenhängende Gedanken-
entwicklung, der Gesprächsform gemäß, in der man einen Gedanken
aus dem anderen hervorgehen läßt, nicht, wie in der Rede, die in
sich abgeschlossenen Argumente nebeneinander setzt. Diese ganze
Komposition ist mit unleugbarem formalen Geschick ausgeführt: aber
1) Denn daß Ebert mit Unrecht behauptet, auch hier handele es
sich um 'Weltreiche', liegt auf der Hand; s. Hartel p. 356.
2) Hartel p. 357. Auf Eberts Bedenken gegen Tert.s Amazone*
brauche ich nach dem von Härtet. Gesagten nicht zurückzukommen.
XXVII. XX VIII ■ TERTl L.LIAN8 APOLOGETICT M. 433
die Spuren der Entlehnung und Zusammenarbeitung fremder Gedanken
haben sich doch nicht verwischen lassen.
Der Nachweis, daß die Christen mit ihrer Verweigerung XXVII
der Opfer keine Religionsverletzung begehen, ist erbracht und
von allen Seiten gestützt; es ist gezeigt, daß die Opfer nicht
nur nicht der Gottheit, sondern widergöttlichen Mächten dar-
gebracht werden: also wäre, wie Tert. jetzt erst, nach Wider-
legung der Anklage, mit Entschiedenheit hervorhebt, ein
solches Opfer für die Christen Sünde. Das bedarf noch der
Hervorhebung, um es den Heiden begreiflich zu machen, daß
es den Christen nicht möglich ist, ganz abgesehen von ihrer
religiösen Überzeugung, sich dem Opfer als einer bloßen
Formalität zu unterziehen: in der Tat konnte es ja, wie das
Beispiel des Plinius zeigt, einem römischen Beamten als pure
Halsstarrigkeit erscheinen, wenn ein Opfer, das doch schlimm-
stenfalls nur dem Opfernden nichts nützte, trotz obrigkeit-
licher Aufforderung verweigert wurde. Tert. rechtfertigt diese
Haltung: jeder Christenprozeß ist ein Kampf, jede Verurteilung
der Christen ein Sieg — nicht der Dämonen, sondern der
Christen. ' 1
b. DER KAISERKÜLT. XXVIII— XXXV
Tert. schafft sich damit den Übergang zur Behandlung' XXVHI
der zweiten und. wie er hier behauptet, schwereren2) Haupt-
i) Über Einzelheiten des Kap. XXVII s. o. S. 405 fg.
2) Insofern die maiestas imperatoris sogar augustior Wortspiel
mit Augustus) ist als die der Götter: s. darüber oben S. 334. Tert.
schließt daran ein geistreiches Geplänkel: an sich wäre es zwar recht
verständig, den lebenden Kaiser mehr zu fürchten als den toten Gott:
aber bei euch ist das irreligiositas, weil nicht die Folge wahrer Einsicht,
sondern der Furcht vor der gegenwärtigen sichtbaren .Macht: also ein
Nachtrag zu dem früher über die Irreligiosität der Heiden Gesagten.
Schließlich das maiore formidine dbservatis wieder aufnehmend, citius
denique apud vos per omnea deos quam per wvum geniv/m Caesaris
peieratur: man sieht, wie der Vergleich durch den Zusammenhang
gegeben ist: nicht so bei Minucius 29, 5, wo er den Kaiserkult (neben-
bei bemerkt, ohne anzudeuten, daß er den Christen zugemutet wird
434
Eichard Heinze: [XXVIII
anschuldigung, der Verweigerung des Opfers für den Kaiser:
auch hierbei wehren sich die Christen gegen eine Zumutung,
die auf dämonische Machination zurückgeht. Und zwar haben
die Dämonen (denen ja, versteht sich; am Kaiser gar nichts
Besonderes gelegen ist) mit teuflischer Schlauheit deshalb
jene Zumutung euch eingegeben, weil die Forderung eines
Opfers schlechthin als unbillig, eines Opfers im Interesse des
Opfernden selbst sogar als töricht erscheinen müßte.1) Man
wird aus der Fassung dieses Satzes (insbesondere den Irrealen
videretur und existimaretur) zu schließen haben, daß die Praxis
der Tert. bekannten Christenprozesse in der Tat nicht ein
Opfer schlechthin (wie es z. B. im Prozeß des Justin gefordert
wird: övvel&ovrsg ovv o^iod-v^ccöbv &vöar£ xolg frsolg, act. 5,4),
sondern ein Opfer für den Kaiser verlangt hat, wie es der
Prokonsul im Prozeß der Scilitaner, neben dem Eid beim
Genius des Kaisers, von den Angeklagten heischt: iuramus
per genium domini nostri imperatoris et pro salute eins suppli-
camus, quod et vos quoque facere debetis (acta 3).
Das Opfer pro salute imperatoris hatte Tert. neben dem
Kult der römischen Götter als die summa causa, immo tota
bezeichnet (X 1): die Verweigerung dieses Opfers steht auch
hier durchaus in erster Linie. Es werden aber allerdings
noch andere Ehrungen des Kaisers erwähnt, deren sich die
Christen weigern: der Eid beim Genius des Kaisers (XXXII);
die Bezeichnung des Kaisers als Gott und Herr f XXXIII fg.);
endlich die Feier der Kaisergedenktage (XXXV). Mit Absicht,
wie es scheint, läßt es Tert. im Unklaren, inwiefern auch diese
Punkte für die Verurteilung der Christen in Betracht kommen.
Eine wirkliche Verteidigung gibt er für die beiden erst-
verwirft: sie eorwm numina vocant, ad imagmes suppiieant, genium id
est daemonem eorwm (nach Tert. XXXII 2) implorant (so dem Tricolon
zu Liebe: das iurare per genium wäre an sich besser am Platze; es
folgt dann auch:) et est eis tutius per Jovis genium peierare quam regis.
1) In den Ausgaben ist verkannt, daß die Sätze quoniam autem
videretur . ., certe . . existimaretur . . ., formati estis . . et imposita est
eine Periode bilden; mit der Zerteilung wird der Sinn zerstört.
XXVIII] TERTULLIANS ÄtPOLOGBT» DM. 435
genannten nicht, sondern erwähnt nur im Gegensatz zu dem,
worin sich ihre Ehrerbietung gegenüber dem Kaiser äußert,
das, wozu sie sich nicht verstehen können: sie schwören beim
Heil des Kaisers aber freilich nicht bei seinem Genius;
sie ehren den Kaiser ganz besonders, als den von ihrem
Gotte eingesetzten, und empfehlen ihn diesem ihrem Gotte
ganz besonders dadurch, daß sie ihn Gott unterordnen, ihn
also weder als Gott noch als dominus im Sinne von 'Gott"
bezeichnen — wohl aber als dominus im gewöhnlichen Sinne;
sie feiern die Kaiserfeste auf ihre Art, nüchtern und züchtig,
nicht durch Teilnahme an den wüsten Ausschweifungen der
Heiden, die für den Kaiser keine wirkliche Ehrung bedeuten.
Hier, bei dieser letzten 'Missetat' der Christen (XXXV 5)
kehren die Ausdrücke maiestas und sacri legitim wieder, die
Tert, sonst nur für die Verweigerung des Kaiseropfers brauchte,
hier spricht er auch wieder von der Verurteilung der Christen
(0 nos merito damnandos 4): wer all dies arglos hinnimmt,
müßte also schließen, daß auch die Nichtbeteiligung an den
sollemnia imperatorum strafrechtlich unter das crimen maies-
tatis gezogen worden sei, woran doch im Ernste nicht gedacht
werden kann: es bedarf gar nicht des Hinweises darauf, daß
in keinem Prozeßberichte etwas derartiges erwähnt wird.
Andererseits ist es sehr glaublich, daß jene Nichtbeteiligung
dazu beitrug, beim Pöbel die Christen in den Verdacht der
Reichsfeindschaft zu setzen, und somit indirekt zur Denuntia-
tion und demgemäß auch zur Verurteilung der Christen
führte: deshalb erwähnt es Tert., und subsumiert es, da er
nun einmal die Form der Gerichtsrede gewählt hat, unter
einen kriminalen Terminus. Aber er stellt noch einen
anderen Ausdruck sozusagen zur Wahl: nicht zwar bei der
Verweigerung des Opfers, aber nachher bei der Überleitung
zur Besprechung der Kaiserfeiern erscheint zuerst (XXXV 1)
das Schmähwort publici hostes, das dann variiert wird als
hostes prineipum Romanorum (5), schließlich sich zu hostes
generis humani (XXXVII 8) erweitert. Der Schluß, den man
hieraus gezogen hat, daß der Christenglaube strafrechtlich
4-5 Richard Heinze: [XXVIII
auch als Perduellion gefaßt worden sei, bedarf kaum noch
der Widerlegung: es genügt der Hinweis darauf, daß hostis
publicus überhaupt kein Terminus des Strafrechts, sondern
des Staatsrechts ist: nicht ein Gericht, sondern der Senat
oder der Kaiser1) entscheidet darüber, wer als Landesfeind
anzusehen ist.2) Aber auch abgesehen davon, lehrt die Art,
wie sich Tert. hier ausdrückt, klar genug (z. B. XXXV 10),
daß er Hetzworte, nicht Kriminalklagen im Auge hat.
Es ergibt sich endlich aus Tert.s Ausführungen mit Be-
stimmtheit, daß ein wirklicher Kult des lebenden Kaisers in
jenen Prozessen den Christen nicht zugemutet worden ist,
nicht einmal in der halbverhüllenden Form, die Plinius wählte,
als er das Bild des Trajan den Götterbildern einreihte, deren
Verehrung er forderte.3) Gegen solche Zumutung hätte Tert.
sich ganz anders gewehrt, als es c. XXXIII fg. geschieht, wo
er es ablehnt, den Kaiser 'Gott und Herrn' zu nennen (also
nicht, seinem Bilde zu opfern), ohne übrigens anzudeuten,
daß dergleichen prozessual von Bedeutung war4): zu der
i) So z. B. Septimius Severus Albinum (nach der Empörung) statim
hostem iudicavit (vita 10) und Plaut ianum . . ita odio habuit, ut
et hostem publicum appellaret, uach der Versöhnung hi qui hostem
publicum Plautianum dixerant deportati sunt (14).
2) Salvidienus Rufus, den Oktavian i. J. 40 töten ließ rag titi-
ßovXsvaavxd oi, und von dem Dio 48, 33 berichtet, daß er mg TtoUpiog
tKtlvov %al xov dijiiov Ttavrbg iacpdyr} ist gewiß nicht im Perduellions-
prozeß verurteilt worden, sondern, wie Dios Erzählung lehrt, nach
Erlaß des SC. ultimum, auf Verantwortung der tresviri capitales.
3) Näher noch als unter Trajan (der ja auch in seiner Antwort
an Plinius von dem eignen Bilde ganz absieht) lag solches natürlich
unter Commodus ; dazu stimmt es, wenn im Prozeß des Apollonius der
praefectus praetorio Perennis zunächst verlangt &v6ov roTg ftsoig xal
%% sinövi xov ccvTOHQoczoQog KopoSov (act. 7), wofür in der zweiten Ver-
handlung eintritt otßsiv %al TtQog-Avvslv rovg dsovg, ovg nävztg &v&qco-
Tioi aißofisv ■aal Ttgogawov^isv (13).
4) Nat. I 17 sagt Tert., es werde den Christen als obstinatio ver-
dacht, daß sie inreligiosi gegen die Kaiser seien, neque imagines eorum
(tu)re propitiando neque genios deierando : am Schluß des Kapitels,
wo die beiden Vorwürfe einzeln besprochen werden, erscheint der erste
XXVIIIJ Ti. Kiii. i.ians Apologetioum. 437
Schmähung als Imsf^s pttblici trügt allerdings auch diese
Weigerung bei (XXXV 1 ), die also wohl im Verkehr als Ab-
weichung von der üblichen Art, den Kaiser zu bezeichnen,
mißliebig auffiel. Wir wissen ja, daß auch vor Gericht der-
gleichen zur Sprache kommen konnte: aber Gewicht ist
schwerlich darauf gelegt worden.1)
Das Fehlen der Polemik gegen den eigentlichen Kaiser-
kult ist für die Verhältnisse, unter denen das Apol. entstand,
um so bezeichnender , als das Wenige, was die griechischen
Vorläufer Tert.s apologetisch über die religiöse Stellung zu
den Kaisern vortragen oder andeuten, sich ausschließlich auf
die Vergottung der Kaiser bezieht. Athenagoras 1 30) und
Tatian (11) erwähnen überhaupt nur in aller Kürze die
als non dicimus deum imperatorem, wie im Apol. Bei dieser Formu-
lierung ist offenbar die Verteidigung leichter und einfacher als gegen-
über der den Heiden geläufigen Zeremonie des imagini ture supplicare;
dabei hat das Bild des Kaisers, der ja nicht offiziell Gott ist, doch
quasigöttliche religio, deren Anerkennung der Christ nicht ohne weiteres
mit der Begründung, daß sie nur dem Gott gebühre, ablehnen konnte
(hat doch die Adoration des Kaiserbildes auch noch fortbestanden, als
die Kaiser Christen waren). Immerhin hätte sich Tert. im Apol. der
Verteidigung gewiß nicht entzogen, wenn die Ablehnung in den Pro-
zessen von Bedeutung gewesen wäre.
1) Beim Prozeß der Scilitaner sagt der Prokonsul regelmäßig
dominus noster oder dominus noster imperator, der Christ Speratus er-
widert ego Imperium huius saeculi non cognosco . . cognosco dominum
meum et imperatorem regum et omnium gentium ; wenn Speratus sich
zum Opfer für den Kaiser verstanden hätte, hätte der Prokonsul gewiß
nicht auf der Bezeichnung dominus bestanden. Vom deus imperator ist
gar nicht die Rede. — Dem Polykarp reden wohlwollende Heiden
zunächst zu: vi yag xaxöv iaviv slnsiv KvQiog Kulaug, nccl im&veai,
xal tu zovzoig ä-HÖlov&a, %al diecOw&o&at , der Prokonsul verlangt
nachher nur öuoöov n)v KaiöaQog xv/^v (act. 8, 2; 9, 2). Die Frage
hat im Osten gewiß noch mehr Bedeutung gehabt als im Westen; vgl.
Deissmann, Licht aus dem Osten5 263 ff., der u. a. daran erinnert, daß
nach der Zerstörung Jerusalems Juden als Märtyrer gestorben sind,
weil sie sich weigerten, den Kaiser rHerrn' zu nennen, da Gott allein
der Herr sei: Joseph, b. J. VII 10. Da spielt allerdings das Politische
eine weit wichtigere liolle als bei den Christen.
438 Kichard Heinze: [XXIX
Apotheose verstorbener Herrscher, respektvoll der eine, der
andere höhnisch: Justin spricht über Christi Lehre 'gebet
dem Kaiser was des Kaisers, und Gott was Gottes ist', be-
teuert der Christen Gehorsam und Ergebenheit, lehnt den
Kult mit dem einen Satze ab: ftsbv (isv fiövov 7rQogxvvovߣi>,
v^iiv de XQog tä äXXc. %cciQovreg v7ir)Q£rov{i£v (apol. I 17);
und ähnlich indirekt läßt der Verfasser der acta Apollonii
seinen Helden die Aufforderung zum Kaiserkult ablehnen
(8 fg.), wobei aber wenigstens dem Gott, der im Himmel
waltet, der auf Erden herrschende Kaiser, der jenem allein
seine Herrschaft verdanke, klar gegenübergestellt wird. Einzig
Theophilus widmet dem Gegenstand ein Paar Sätze (I 11),
die des Kaisers Göttlichkeit entschieden bestreiten: er sei ein
Geschöpf Gottes, verdiene geehrt, aber nicht angebetet zu
werden und habe auf den Namen Gott so wenig Anspruch,
wie irgend einer seiner Untergebenen auf den Namen ßaöilsvg.
Daß dagegen das Gebet für den Kaiser Christenpflicht sei,
betont wie Justin und Apollonius auch Theophilus. — Man
sieht: die Verweigerung des Kaiserkults spielt in den vor-
tertullianischen Apologien eine höchst bescheidene Rolle,
schwer mit den Vorstellungen zu vereinigen, die man sich
von der Bedeutung des Kaiserkults in den Christen-
verfolgungen zu machen pflegt — indeß es kommt uns nicht
hierauf an: genug, daß Tert. für seine Behandlung des crimen
maiestatis aller Wahrscheinlichkeit nach in der älteren apolo-
getischen Literatur keine Muster fand.
XXIX Tert. behandelt den Fall zunächst ganz kurz nach dem
Status iuridicialis: er gibt zu, nicht für den Kaiser zu opfern,
bestreitet aber, daß dies Majestätsverletzung sei: die Bezeich-
nung träfe zu, wenn die Dämonen den Kaisern Heil spenden
könnten; nun sind sie aber dazu nicht im stände, stehen
überhaupt nicht über, sondern unter den Kaisern1): also ist
1) Dabei der Satz, von dem Tert. nicht ahnte, wie bald er auch
gegen den Kult der eignen Kirche gerichtet werden könnte: utique
suas primo statuas et imagines et aedes tuerentur, quae, ut opinor,
Caesarum müites excubiis salva praestcmt; er stammt aus der apolo-
XXX— XXXII] Tkkk Li.iv.Ns Apologetici m. 439
es umgekehrt eine Verletzung der 'Größe' der Kaiser, wenn
man sie rebus suis unterordnet.
Aber Tert. bleibt dabei nicht stehen: er gibt eine positive XXX
Widerlegung des Vorwurfs, indem er zeigt, daß die Christen
vielmehr, indem sie für den Kaiser zum wahren Gott beten,
dem er wirklich unterworfen ist, das Beste für ihn tun, was
in Menschenmacht steht: eine glänzende, mit höchster Leiden-
schaft und Kraft anschaulicher Darstellung geschriebene
Paraphrase der schlichten Behauptung svx6fisd,a vjisq toü
ßaöiUcog, wie sie die Griechen aufstellten: die Kontrastbilder
des christlichen Gebets und des heidnischen Opfers einerseits,
des christlichen Beters und seiner Verfolger andererseits haben
in der gesamten griechischen Apologetenliteratur nicht ihres
Gleichen.
Der Advokat weiß, daß seine Behauptung, so ein- XXXI. XX XU
drucksvoll er sie auch vorgetragen hat. ohne Beweis nicht
durchschlagen wird1): er beruft sich wie die Griechen auf
Urkunden, d. h. die heiligen Bücher, die den Christen nicht nur
für seine Feinde, sondern auch ausdrücklich für die Könige
und Fürsten beten heißen; er beweist aus der causa, daß die
Christen im eignen Interesse das Heil der Kaiser und den
Bestand des Reiches wünschen müssen; er führt ferner an,
daß die Christen ja auch bei der salus des Kaisers schwören
und diese besonders hoch stellen: er spielt als letzten Trumpf
aas, daß die Christen den Kaiser, der doch von ihi-em Gott
getischen Polemik gegen die Götzenbilder: uftiuutov xal tö vosiv "/)
Isysiv äv&QwTiovg&Ecbv Eivut cpvXccxag Just. ap. I 9, 5.
1) Adulati rwnc sumus imperatori et mentiti rata quae diximus,
ad evadendam scilicet vim (so wenden die Gegner ein). Plane proficit
ista fallacia (natürlich das mendaeium der Christen): ad mit titln nos
e)tim probare quodeumque defendimus. Der zweite Satz, von Havekcamp
noch richtiger erklärt als von Späteren: feine solche Lüge würde nns
aber gar nichts nützen, denn ihr gestattet uns ja (vor Gericht) doch
nicht das, was wir zu unserer Verteidigung vorbringen, zu beweisen,
(sondern begnügt euch mit der Tatsache, daß wir nicht für den Kaiser
opfern)'. Schriftlich aber kann Tert. den Beweis führen: qv.i ergo
putaveris e. q. s.
Phil.-hiat. Klasse 1910. Bd. LXII. 33
440 Eichard Heinze: [XXXIII. XXXIV
eingesetzt sei, mit größerem Recht als den ihren in Anspruch
nehmen könnten.1)
XXXni. XXXIV Als zweites Verdienst um den Kaiser, dem Gebet zu Gott
gleichstehend, nennt Tert. die Empfehlung des Kaisers an
Gott, die die Christen dadurch bewirken, daß sie ihn Gott
unterordnen, indem sie ihn nicht Gott nennen. Daß dies keine
Verletzung der Majestät ist, vielmehr im eigensten Interesse
des Kaisers liegt, dafür weiß Tert. in größter Kürze eine
Meno-e von scharfsinnig erdachten Gründen anzuführen: in
der Form eines argumentum a minore ad maius — Augustus,
imperii formator, ne dominum quidem dici se volebat . . tanto
abest ut Imperator deus debeat dici — wird dabei auch die
Bezeichnung als 'Herr' (s. o. S. 436 fg.) abgelehnt. Nur eines
unter all diesen Argumenten, der Vergleich des Gegen-Gotts
mit einem Gegen-Kaiser, fanden wir schon bei Theophilus. Es
ist Tert.s vorletztes, denn er steigert mit Bedacht: die Ver-
göttlichung des Kaisers ist gefährlich, da sie ihm den Zorn
Gottes zuziehen kann; sie ist sogar, so schließt er, eine Ver-
wünschung (maledictum), denn sie deutet auf des Kaisers Tod,
nach welchem doch erst die Apotheose eintritt'3): sehr merk-
würdig, wie sich hier Tert. als echter Advokat, der dem
Gegner auch aus dessen irrtümlichen Behauptungen einen
Strick zu drehen weiß, ganz auf den heidnischen Standpunkt
stellt und — das einzige Mal, wo er die Apotheose der ver-
storbenen Kaiser erwähnt — sich ihrer als Argument gegen
die Vergöttlichung des lebenden bedient.
1) XXXIII 1 quem necesse est suspiciamtis ut eum quem dominus
noster elegit, zurückblickend auf die Argumente des vorigen Kapitels
nos iudicium dei respicimus in imperatoribus, qui gentibus Mos praefectt
e. q. s. Bei Minucius 29, 5 etiam principibus et regibus non ut magnis
et electis viris, sicut fas est, sed ut deis turpiter adulatio falsa blanditur
ist daraus ein Wort stehen geblieben, electis: von wem?
2) Den Gedanken hat sich Minucius 21, 10 etwas umgebogen zu-
nutze gemacht: invitis his (sc. divis regibus) denique hoc nomen adscri-
bitur; optant in homine perseverare, fieri se deos metuunt, etsi tarn senes
nolunt. Nur freilich hat, was von den lebenden Kaisern mit Recht ge-
sagt wurde, für die konsekrierten Verstorbenen nicht eben so guten Sinn.
XXXV I — 4] Tr.KTl I.LIANS ÄPOLOGETICUM. 44I
Vom Standpunkt der Heiden ausgehend, die in der XXXV 1—4
besprochenen Verweigerung von Ehren einen Ausdruck der
Reichsfeindschaft sehen, verknüpft Tert. damit ein zweites,
das für ihn selbst doch auf ganz anderem Brett steht, auch
mit dem religiösen Verhalten im engeren Sinne nichts zu tun
hat: die Nichtbeteiligung der Christen an der öffentlichen
Begehung der Kaiserfeste, eine Forderung ihrer strengeren
Sittlichkeit gegenüber der heidnischen lascivia und luxuria1).
Dieses Hinüberspielen der Frage vom politischen aufs all-
gemein Sittliche ist recht geeignet, die Absurdität der heidni-
schen Vorwürfe erkennen zu lassen: darum werden auch hier
mit besonderem Nachdruck die kriminellen Schlagworte reli-
gio maiestatis und sacrüegium wiederholt und das politische
Hetzwort hostes principum Romanorum herausgeschleudert,
wozu auch hier zuerst als das negative Komplement das nos
nokint Romanos liaberi kommt. Das ist denn die beste Ein-
leitung zu der Retorsion, die mit kluger Berechnung gerade
an die Frage der Kaiserfeste anknüpft und zunächst nicht die
1) Tert. stellt hier als allgemein christlichen Brauch hin, was
seine eigene rigorose, aber, wie de idol. 15 lehrt, auch von den kar-
thagischen Christen keineswegs durchweg akzeptierte Forderung war:
lucent tabernae et ianuae nostrae, sagt er dort, plures iam inveniai
ethnicorum fores sine hicernis et laureis quam Christianorum, und zwar,
wie sich aus dem Folgenden ergibt, sowohl bei Götter- als bei Kaiser-
festen (vorher c. 13 von den Götterfesten: munera commeant, strenae,
consecrant lusus, convivia constrepant, nämlich bei den Christen). In
der Zeit bis zur Abfassung des Apol. war darin schwerlich ein so durch-
greifender Wandel eingetreten, daß die Zurückhaltung der Christen
bereits schweres Ärgernis erregte. Tert. verteidigt also den Zustand,
den erwünscht, nicht den, der besteht; die Apologie zeigt den Glaubens-
genossen, weswegen und wie sie sich zu verteidigen haben müßten.
Auf die recht künstliche Verknüpfung der Illumination und Türbe-
kränzung mit der Idololatrie, die Tert. dort gibt, hat er hier verzichtet;
so wird sein Abscheu nicht ganz begreiflich: nur der Satz honesta res
est soUmnitatc publica exigente induere domui tuae habitum alicuius
novi lupanaris ist aus idol. 15 ex. beibehalten, dort aber durch das
vorhergehende si templis renuntiasti, ne feeeris templum ianuam tuam
besser vorbereitet: auch diese Einzelheit spricht dafür, die Schrift de
idol. vor das Apol. zu datieren.
33*
442 Richard Heinze: [XXXV i — 4
Heiden insgesamt, sondern die echtesten Römer, die Römer
von Rom aufs Korn nimmt, vemaculam Septem collium plebem.
Über die Loyalität des stadtrömischen Pöbels mochten sich in
der Tat der Kaiser selbst und seine praesides und praefecli
keinerlei Illusionen hingeben; aber es kann scheinen, als lege
Tert. doch gar zu viel Gewicht auf Pasquille und gelegent-
liche Schnödigkeiten des Amphitheaters, wenn er daraus, und
aus der heimlichen Sehnsucht des Pöbels nach den congiaria
eines neuen Kaisers, Anlaß nimmt, die Stadtplebs als hostes
principum zu denunzieren. In der früheren Passung der Retor-
sion (Nat. I 17) trat die Übertreibung nicht so kraß hervor:
dort war gegen den Vorwurf hostes populi zunächst an die
Feinde Roms unter den nationes, sodann an die inneren Feinde,
die Verschwörer und Cäsarmörder erinnert: dann erst kam
die ipsius vernaculae gentis inreverentia: si non armis, sattem
lingua semper rehelles estis. Das hat Tert. in der rhetorisch
gesteigerten Bearbeitung der ganzen Stelle, die er im Apol.
gab, an die Spitze gestellt, um sich die Steigerung vom val-
gus zu den Vornehmen, vom Wort und Gedanken zur Tat
zu ermöglichen, die dem Charakter seiner Rede ebenso gemäß
ist, wie der sorgfältig ausgearbeitete Kontrast zwischen dem
Tun jener Empörer und ihrer bis zur Empörung zur Schau
getragenen Loyalität. Damit bereitet sich Tert. den Weg zu einer
glänzenden antithetischen Schlußsentenz, die in der Verall-
gemeinerung von Einzeltatsachen wie in der logischen Unbe-
kümmertheit zwar ihresgleichen sucht, aber, mit Überzeugung
vorgetragen, auf den Hörer wirken konnte: non possumus et
Bomani non esse et hostes esse, cum hostes reperiantur qui Eo-
mani habebantur. Beeinträchtigt wird die Wirkung dieses
Schlusses etwas durch einen mit eadem officio, dependunt et . .
nicht glücklich angeflickten Hinweis auf den von Heiden, nie
von Christen geübten frevelhaften Brauch, die Zukunft betreffs
des Kaisers zu erforschen: die Annahme liegt nahe, daß Tert.
zu diesem Zusatz durch die Tagesereignisse veranlaßt wurde:
während Septimius Pescennianas reliquias persequebatur und
dabei auch Freunde als Attentäter hinstellte (post vindemiam
XXXVI 2— XXXVII] Tkrtullians Apologetiuum. 443
parricidariim raccniatiu supcrstes, sagt Tert., von Leuten, die
sich am eifrigsten in Loyalitätsbezeugungen ergangen hätten),
multos etiam t/iuisi Chaldaeos ant vates de sua salute constdu-
issent interemit (vita 15). Man wird überhaupt nicht ver-
kennen, daß Tert.s Zweifel an der Loyalität wie des römischen
populus so des Senats ganz im Sinne des Septimius Seve-
rus selbst sind, wie denn der Apologet, fern jeder Adulation,
wie sie etwa Athenagoras betreibt, doch durchaus bestrebt
ist, seine Verteidigung jedes Scheins von antikaiserlicher
Tendenz zu entkleiden; er deutet mit keinem Worte an, daß
der Kaiser selbst jene Ehrenbezeugungen wünscht, versichert
wiederholt das Gegenteil1): wir sahen ja auch, die ganze
Verteidigung ist so geführt, daß die Christen dabei als die
besten und um das Heil des Kaisers verdientesten Untertanen
erscheinen. Man denkt an die Kunst, mit der Cicero einen
Sestius, Rabirius, Milo als makellose, um das Gemeinwohl
hochverdiente Männer hinstellt, gerade weil die Anklage das
Gegenteil behauptet hatte: in dieser Tradition steht Tertullian.
DIE STELLUNG DER CHRISTEN ZUR HEIDNISCHEN XXXVI— XLV
GESELLSCHAFT.
Den Weg zur Darstellung des Verhältnisses der XXXVI 2— XXXVII
Christen zur heidnischen Gesellschaft bahnt sich Tertullian,
indem er, scheinbar nur zur Bekräftigung des über den Kaiser
Gesagten, auf die Haltung der Christen gegenüber ihren Ver-
folgern, den Heiden insgesamt, hinweist. Das ist eigentlich ein
neues Kapitel, aber Tert. verdeckt hier, und im folgenden noch
mehrfach, den Übergang nach Möglichkeit: seine Disposition
ist ja eigentlich erschöpft, die Dinge, die vor Gericht in Frage
kamen, erledigt: und doch hat er noch manches Vorurteil
gegen die Christen zu zerstreuen, so gleich hier das der
1) XXX 1 pro staute hnperatorum deitm invocamus ueternum . .
quem et ipsi imperatores propitium sibi praeter ceteros malunt; sciunt
(juis Ulis dederit Imperium e. q. s. XXVIII 3 nee ipse se deum volet dici.
XXXV 3 qui observemt diseiplinam dt- Caesar is respectu, hi eam propter
Caesarem deseruni.
444 Richard Heinze: [XXXVHI. XXXIX
"Feindschaft gegen die Menschheit'. So wird denn dieser
Punkt und die folgenden möglichst unauffällig angereiht.
'Nicht in äußeren Ergebenheitsbezeugungen, sondern in Sitte
und Gesinnung ruht die Pietät gegen den Kaiser: und wie
gegen ihn, so verhalten wir uns gegen alle Menschen. Wir
hassen niemanden, da wir selbst unsere Feinde zu lieben an-
gewiesen sind, und so verletzen wir auch niemanden. Beweis:
wir leiden von euch und dem Volk, und doch rächen wir uns
weder i. heimtückisch (durch Brandstiftung u. dgl.) noch
2. durch offenen Krieg noch 3. durch eine allgemeine Aus-
wanderung, die das Reich veröden und euch der Feindschaft
der Dämonen schutzlos preisgeben würde. Wir sind also,
wie nicht liostes imperatorum, so auch zwar hostes erroris aber
nicht generis humani.' Man weiß, daß dies ein Schlagwort
der Hetzer gegen Juden und Christen war1); kriminell ist
natürlich nie jemand unter diesem Titel belangt worden, aber
Tert. stellt ihn, seiner konsequent festgehaltenen Praxis ge-
mäß, auf eine Stufe mit den übrigen Beschuldigungen. Von
den anderen Apologeten hält es keiner für nötig, sich gegen
diesen Vorwurf zu wehren.
XXX VIII. XXXIX Bisher waren Anschuldigungen widerlegt, die den ein-
zelnen Christen trafen: als einzelner wird er ja des Mordes und
der Blutschande, des sacrilegium und der maiestas beschuldigt.
Tert. wendet sich jetzt zu dem, was man dem korporativen
Verhalten der secta als solcher vorwirft; auch in seiner positiven
Darlegung XXXIX verteidigt er nicht die individuelle Moral
der Christen, sondern die Reinheit und Sittlichkeit des Ge-
meindelebens. Auch was dann folgt, omnis popidaris incom-
modi Christianos esse in causa, richtet sich gegen die Ge-
samtheit, und gegen den einzelnen nur insofern er ihr
angehört. Tert. läßt den prinzipiellen Unterschied nicht her-
vortreten: tatsächlich wird ja die Sekte als Ganzes zwar gehaßt
und verschrien, aber nicht angeklagt. Wenn man, sagt Tert.,
auch nicht soweit ging, die Christen der Staatsfeindschaft zu
beschuldigen, so hat man ihre Sekte doch, in etwas milderer
1) Harnack Mission und Ausbr. P 227 fg.
XXXVIII. XXXIX] TertullianS Apologeticum 445
Beurteilung, den politisch gefährlichen und darum verbotenen
Klubs zugerechnet: auch dies mit Unrecht1), denn sie haben
i) proinde nee paulo letalis inter illicitas factiones seciam istam
deputari oportebat, a qua nihil tale committitur, quäle de inlicitis factio-
nibus praecavctur. So der Fuldensis, die übrigen Fidschi-, geben inter
licitas factiones, und die neueren Herausgeber schließen sich ihnen
durchweg an: ich meine mit Unrecht, denn i. gibt es bei dieser Les-
art keine annehmbare Erklärung für das nee pa>d<> lenius, auch nicht
wenn man mit üehler den Satz als Frage faßt ('müßte hiernach nicht
mit größerer Milde diese Sekte unter die erlaubten Vereine gerechnet
werden'?'). Alle Versuche scheitern sowohl an dem nrc, für das man
non erwarten müßte, wie an dem paulo. 2. hat ja Tert. bisher noch
gar nicht erwähnt, daß man die Christen zu den factiones ill
rechnet, so daß er dem gegenüber nun hier die Anerkennung als factio
licita fordern könnte. Aus dem im letzten Kapitel Gesagten kann er
zwar schon den Schluß ziehen (proinde), daß die so friedlich gesinnten
Christen die öffentliche Ordnung nicht als factio illicita stören werden,
aber er kann unmöglich folgern, daß die Christen als 'erlaubte Verbin-
dung' gelten müßten. 3. Schon das Wort factio beweist, daß Tert.
hier nicht von den collegia licita redet , denn factio bezeichnet durch-
weg eine 'Partei', die den Zwecken des öffentlichen Lebens dient, also
entweder eine Zirkuspartei oder eine politische Koterie, ganz überwiegend
hier im übelen Sinne; es kann demnach auf collegia nur angewendet
werden, wenn diese sich ihren ursprünglichen Zwecken entfremden,
hetaeriae werden (Traian b. Plin. ep. X 34, 1); daher ist Tert.s Aus-
druck XXXIX 1 negotia christianae factionis als Zitat zu fassen 'der
Gemeinde, die ihr als factio bezeichnet'; vgl. 21 cum probi, cum boni
coeunt, cum pii, cum casti congregantur, non est factio dicenda . . at e
contrario Ulis nomen factionis adeommodandum est, qui in odium bono-
rum et proborum conspiraut. Xiemals tritt in Rechtsquellen oder sonsti-
ger Literatur oder Inschriften ein konzessionierter Verein unter dem
Xamen factio auf (vgl. Liebenam, Zur Gesch. u. Organis. d. römischen
Vereinswesens, Lpz. 1890, p. 163 ff., Waltzino. e't. hist. sur les corpora-
tions profess. chez les Rom. I 1895 P- 339 ff. : licita factio wäre also
eine contradictio in adiecto. — Dagegen ist die Lesart des Fuldensis
sprachlich tadellos; nee 'auch nicht' steht für ne — quidem oft bei
Tert., wie unmittelbar vorher porro nee tanti praesidii compensationem
cogitantes; paulo lenior ist immerhin die Bezeichnung factio illicita als
die andere hostes generis humani. Die "Wiederholung von illicitis factioni-
bus im Folgenden, die wohl den Anstoß zur Änderung in den Hdschr.
gegeben hat, hätte sich nur durch das wegen des vorhergehenden hostes
nicht ganz unzweideutige Pronomen umgehen lassen.
446 Richard Heinze: [XXXVIH. XXXIX
mit jenen Klubs nichts gemein; sie werden nie zu öffentlichen
Unruhen Anlaß geben, da sie weder irgendwelche politische
Tendenzen verfolgen1), noch auch an den Schauspielen —
bekanntlich den Stätten erbitterter Parteikämpfe — teil-
nehmen: wodurch sie ja sogar neues, freilich unberechtigtes
Mißfallen erwecken.2) Im vollen Gegensatz zu den Bestre-
i) Politischer Ehrgeiz ist den Christen fremd, nee ulla res magis
aliena quam publica. Also völlige Staatsfremdheit: Tert. denkt gar
nicht daran, sie abzuleugnen (wie Geffcken Kynika 87 meint: aber
Staatsfeindschaft ist von Staatsfremdheit sehr verschieden); de pall. 5
bestreitet er die Auffassung patriae et imperio reique publicae vivendum:
errat (so ist richtig überliefert, nicht erat, und das erklärt auch Sal-
masius p. 424, wenngleich er versehentlich erat im Text hat) olim ista
sententia : nemo alii nascitur moriturus sibi. Diese Begründung gibt das
pallium: im Apol. sagt Tert. unam omnium rempublicam agnoseimus,
mwndum: das widerstreitet nur scheinbar dem Anspruch Römer zu sein,
den Tert. sonst für die Christen erhebt. Vgl. Harnack a. a. 0. 210, 1.
2) Daß dies Fernhalten von den Schauspielen keineswegs durch-
gängig Sitte der Christen war, zeigt Tert. selbst, der seine Schrift de
speetaculis (wahrscheinlich kurz vor dem Apol., s. u. 459, 1) geschrieben
hat, um die laxe Auffassung von Glaubensgenossen zu bekämpfen; er
konnte dort (c. 24) doch schon sagen hinc vel maxime intellegunt
(ethnici) factum Christianum de repudio speetaculorum ; itaque negat ma-
nifesto, qui per quod agnoscitur tollit. Natürlich wird diese Fernhaltung
von den Heiden verübelt, sowohl aus religiösen Gründen wie weil da-
rin eine hochmütige Absonderung zu liegen schien (z. B. Celsus bei
Orig. VIII 21. 24, vgl. VIII 3). Tert. dagegen verwendet die Tatsache
zunächst, um einen anderen Vorwurf, den der factio, zu widerlegen und
geht dann nur parenthetisch auf die Beschwerde der Heiden darüber
ein. Der Übergang dazu, quo vos offendimus etc., ist recht unvermittelt:
es war ja von diesem offendere nicht die Rede und auch nach dem
Zusammenhange kein Eingehen darauf zu erwarten. Andererseits zerreißt
der in den Ausgaben letzte Satz des Kapitels sed lieuit Epicureis aliam
decernere voluptatis veritatem, id est animi aequitatem den Zusammenhang
zwischen nee vos nostra delectant und der folgenden Darlegung dieser
nostra. Der Satz steht aber im Fuldensis auch nicht an dieser Stelle,
sondern vor quo vos offendimus, und nur der Fuld. hat das richtige aliam
statt aliquam erhalten. Vielleicht ist diese Stellung richtig, und nach
xysti vanitate demnach eine Lücke anzusetzen, in der etwa gesagt war
'das wißt ihr ja selbst, da ihr uns dieses Fernbleiben zum Vorwurf macht,
uns nicht erlauben wollt, selbst zu bestimmen, was voluptas sei'.
XXXVIII. XXXIX | Tertüllians Apologeticum. 447
bungen der verbotenen factiones stehen die der christlichen
sogenannten factio.1) Es folgt eine Darstellung des christlichen
Gemeindelebens, durchsetzt mit polemischen Seitenblicken auf
die heidnische Sittlichkeit; Tert. schließt, indem er auf die
Beschuldigung zurückweist, von der er ausging: die Christen-
gemeinde hat mit dem nichts gemein, weswegen der Staut
die factiones verbietet.
Man hat gemeint, Tertullian verfolgte mit dieser Aus-
einandersetzung den durchaus praktischen Zweck, der Be-
hörde den Nachweis zu liefern, daß die christlichen Gemein-
den den gesetzlich erlaubten collegia tenuiorim, d. i. Bestattungs-
vereinen, nach Organisation und Absicht, soweit diese rechtlich
in Betracht kommen, entsprächen und also auch ausdrücklich
als collegia licita anerkannt werden müßten.2) Dieser Deutung
würde eine gewisse Wahrscheinlichkeit von vornherein zuzu-
gestehen sein, wenn sich nachweisen ließe, daß die karthagische
Gemeinde sich damals schon als Bestattungs verein konstituiert
und als solcher, natürlich ohne Angabe des christlichen Charak-
ters, politische Genehmigung erlangt habe. Indessen ist die
auf G. B. de Rossi zurückgehende Auffassung, daß die christ-
lichen Gemeinden sich unter der Flagge der collegia tenuiorum
konstituiert hätten, so erfolgreich bestritten worden3), daß
ich es mir ersparen kann, auf diese in der Tat zum min-
desten für das Karthago tertullianischer Zeit ganz unhaltbare
i) Der enge Zusammenhang dieser positiven Ausführung mit der
unmittelbar vorhergehenden negativen ist vor allem dadurch klar, daß
Tert. nachher, am Schluß von XXXIX und Anfang von XL, auf den
Vorwurf der factio zurückkommt. Rauschens Disposition (p. 4), die
XXXIX — XLV als Darlegung der bona Christianorum in einem zweiten
positiven Teil dem ersten apologetischen (IV— XXXVIII) gegenüberstellt,
scheitert schon hieran; aber auch in XL ff. steht die Abwehr der
Angriffe durchaus im Vordergrund.
2) K. J. Neumaxx, Staat und Kirche I p. noff.
3) R. Sohm, Kirchenrecht I (Lpz. 1892) p. 75 Anm. 22; Waltzing
1. 1. I 316 lehnt die Annahme wenigstens für Tertüllians Zeit ab, ohne
sich über die folgende zu äußern (vorher, noch im selben Werk
p. 133 f., 150 f. hatte er de Rossia Hypothese gebilligt).
448 Richard Heinze: [XXXVIII. XXXIX
Annahme zurückzukommen. Was Tert. selbst betrifft, so ist
auch hier bereits von anderer Seite mit Recht hervorgehoben
worden, daß er zwar bei seiner Schilderung cals Seitenstück
die collegia, insbesondere die collegia tenuionim im Auge ge-
habt habe, aber grade um zu zeigen, daß die Eigentümlich-
keiten des Kollegienwesens bei den Christen nicht zutreffen,
daß also die römische Vereinsgesetzgebung auf die Christen-
o-emeinden unanwendbar sei'.1) Ich weise nur noch darauf
besonders hin, daß, während das römische Gesetz ausdrück-
lich tenuioribus (Dig. 27, 42, 1 pr.) die Monatsversammlung
zur Beitragszahlung gestattet, also die Angehörigen höherer
Gesellschaftsklassen — weil von diesen politische Zettelungen
eher zu erwarten sind — ausschließt, diese Beschränkung
natürlich bei den Christengemeinden nicht zutraf2), sowie
weiterhin darauf, daß eine Gemeindeverfassung — um dies
eigentlich nicht zutreffende Wort zu brauchen — die an die
Mitglieder weder finanzielle Ansprüche stellt (denn bei den
Christen sind alle Beiträge freiwillig) noch den Mitgliedern
sämtlich Gegenleistungen garantiert (denn nur die Bedürftigen
1) Sohm a. a. 0. Die Tendenz von Tert.s Schilderung, den Ab-
stand zwischen den christlichen Gemeinden und den heidnischen
Kollegien ins Licht zu stellen, betont auch Waltzing p. 3 1 6 ff. richtig,
aber er geht immer noch zu weit in der falschen Richtung, wenn er
dem Apologeten die Absicht unterlegt, für die Gemeinden dieselbe Dul-
dung zu beanspruchen, die auch den nicht autorisierten, aber tat-
sächlich harmlosen Kollegien von seiten der Regierung zuteil wurde.
Freilich ist er irregeführt durch die falsche Lesart inter licitas factiones
(s. 0. 445, 1). Ich bemerke übrigens, daß uns durchaus kein Zeugnis zu
der Annahme berechtigt, daß die römische Vereinsgesetzgebung je
gegen die Christen angewandt worden sei; wenn einzelne Gemeinde-
mitglieder in Bithynien sich nach Veröffentlichung von Trajans Edikt
gegen die Hetärien von den regelmäßigen Zusammenkünften fern ge-
halten haben, so waren das besonders ängstliche Leute; der Statt-
halter selbst hat, wie aus seinem Bericht zu schließen, nicht daran
gedacht, jene Vereinigungen als Hetärien zu unterdrücken (Plin. ad
Trai. 96, 7).
2) XXXVH 4 orbem iam et vestra omnia implevimus, urbes insulas
castella municipia eastra ipsa tribus decurias palatium senatum forum.
XXXVIII. XXXIXj Tertullians Apologeticum. 449
werden, im Leben oder im Tode, unterstützt), aLlem widerspricht,
was wir sonst von der Organisation jener Collegia erfahren.
Auch ist es gewiß nicht zufällig, daß (worauf schon SOHM
hinweist) Tert. die Bezeichnung cöllegium durchweg vermeidet,
auch mit keinem Worte andeutet, daß die Gemeinden zwar
nicht als religiöse Genossenschaften, aber in anderer Weise
sich der Organisation des heidnischen Lebens bedienten: er
würde damit seiner durchgehenden Tendenz, alles Christliche
als etwas durchaus Neues, vom heidnischen Wesen Abwei-
chendes darzustellen, entgegenarbeiten. Endlich muß, gerade
wer Tert.s juristische Bildung hoch anschlägt, für ausge-
schlossen bei ihm halten den plumpen Versuch, des Verbotes
des Christentums ungeachtet die Christengemeinden als solche
unter die collegia licita aufnehmen zu lassen, selbst ange-
nommen, daß sie im übrigen die für diese geltenden Bestim-
mungen erfüllt hätten.
Tert.s Schilderung berührt sich natürlich in manchem
mit dem, was die griechischen Apologeten über Lebensführung
und Gottesdienst der Christen angeben: zu vergleichen wäre
insbesondere etwa Aristides c. 15 und, noch näher stehend,
Justin Apol. I 61 — 67. Aber der besondere Gesichtspunkt,
den Tert. hier im Auge hat, bestimmt auch, im Unterschied
von jenen anderen, seine Auswahl: er spricht einmal nur
über das, was die Christengemeinde als solche betrifft1),
handelt also nicht über christliche Sitte im allgemeinen; und
er erwähnt zweitens nichts, was nicht dem speziellen apolo-
getischen Zweck, den er hier verfolgt, diente, geht also nicht,
wie z. B. Justin, auf Einzelheiten des Kultus, Tauf- und
Abendmahlsritus u. dgi. ein, so wichtig das auch an sich
für den Christen selbst sein mag. Behält man weiter im
Auge, daß, wie Tert. selbst angibt, den factiones vor allem
vorgeworfen wurde, daß sie Zwietracht und Gewalttat er-
zeugen, überhaupt die modestia publica beeinträchtigen, so
1) Auch das spricht gegen die oben zurückgewiesene Disposition
Häuschens.
450 Richard Heinze: [XXXIX i — 13
sieht man aufs klarste, wie wohlüberlegt Tert. die bona chri-
stianae factionis auswählt und darstellt.
XXXEK 1—4 1. Tendenz und Zweck der Vereinigung: daß beides rein
spirituell ist, wird stark betont; dadurch , daß termini der
Vereinssprache — corpus sumus, coimus in coetum et congre-
gationem — angewandt werden, tritt der Unterschied zu den
Gewöhnlichen Vereinen mit ihren sehr irdischen Tendenzen
stark hervor; der Gegensatz zu den auf politische Zusammen-
rottung und gewalttätige Propaganda ausgehenden fadiones
ist, daß die Christen quasi manu facta — die Kommentare
geben für diesen Ausdruck feine Bande bilden' Belege —
sich an Gott mit Gebeten wenden: haec vis deo grata. Und
gebetet wird für die Regierenden, für Frieden und Ruhe —
wieder im Gegensatz zum Treiben der fadiones. Auch für
die Mitglieder ist der Gewinn, den sie erhoffen, rein spirituell:
fiäem sanctis vocibus pascimus etc. ; dieses sanctum commercium
(nicht sonstiger persönlicher Vorteile) verlustig zu gehen, ist
die schwerste Strafe derer, die sich etwas zu schulden kom-
men lassen: nam et iudicatur magno cum pondere, ut apud
certos de dei conspedu: also strenge Aufsicht über die Mit-
glieder, im Gegensatz zu den in den fadiones geduldeten
Übeltätern.
XXXIX 5—13 2. Organisation: auch hier das rein Spirituelle betont —
das Geld spielt keine Rolle, weder bei der Bestellung der Vor-
steher (für deren Trefflichkeit alle Garantien gegeben sind:
probati quique seniores), noch bei der Aufnahme, noch weiterhin :
Mitgliederbeiträge werden nur freiwillig gezahlt. Was dadurch
zusammenkommt — eigentliches Gemeindevermögen, arca, ist
es nicht (si quod arcae genus est), vielmehr quasi deposita
pietatis1) — wird nicht für Gelage und Feste, sondern für
1) Vgl. Justin Apol. I 67 tö ovXXsyöpevov nuQa reo Ttgohexäti aito-
ri&srca, xca avrbg imxovqsl ogcpavotg ts ■aal %rjQccig kccI zoig dicc vöaov
r\ St oL%\r\v cclxLecv Xentoiiivoig hcu xoig iv Ssß^iolg ovöt, Kai roig TtuQsni-
Ö7]fiOLg ov6i £,ivoig, xul ccnX&g 7tü6i tolg iv %qsIu ovat, xrjdffiwv ylyvstcci.
Also der Vorsteher verfügt über das bei ihm deponierte Geld für wohl-
tätige Zwecke nach freiem Ermessen.
XXXIX i4—2i] Tei:i'ii.i.[an> APOLOGETK l m. 451
wohltätige Zwecke verwendet: also helfen, nicht wie bei den
factiones schaden, ist die praktische Seite der Tätigkeit; das
leitende Prinzip nicht Feindschaft nach außen, sondern Liebe
im Innern: daher der Brudername (der wieder spirituell be-
gründet wird: qui ununi spiritum biberint sanctitatis)1), der
Kommunismus des Besitzes — aber nicht der Frauen; bei
den Heiden ist's umgekehrt.
3. Die gemeinsamen Mahlzeiten: auch sie auf die XXXIX 14—19
gegenseitige Liebe gegründet — quid ergo mi/rum, si tarda
Caritas convicatur? — daher auch aydxr} dilectio genannt. Auch
sie ist zugleich Wohltätigkeit, und der Verlauf so spirituell wie
möglich — ut qui non tarn cenam cenaverint quam disciplinam
— : nihil inmodestiae admittit; der Gedanke an Gott be-
herrscht das Ganze vom Anfang bis zum Ende: auch nach-
her keine wüsten Gewalttaten — disceditur non in catervas
caesionwn nee in elasses discursationum . . sed in eandem
curam modestiae et pudicitiae.
Tert. resümiert, daß diese Art der Vereinigung zu nie- XXXIX 20. 21
mandes Schaden ist (in cuius perniciem aliquando conveninms?),
wie die der factiones, daß die vereinigten Christen genau die-
selben sind wie die einzelnen: also verdienen sie den Namen
faebio nicht, und bei der Beurteilung der Christen kann über-
haupt der Gesichtspunkt, daß sie eine Gemeinde bilden, ganz
1) Bei der Imitation dieser Stelle verfallt Min., wie wir es schon
öfter fanden, im Bestreben, zu variieren, in eine seiner fatalen Über-
treibungen. Tert. sagte 'vide' inquiunt, rut invicem se diligemf — ipsi
enim invicem oderunt — ret ut pro altern tro mori sint parat? —
enim ad. oeeidendum alterutrum paratiores; danach Min. 31, 8 vos . . in
mtdua odia saevitis, nee fratres vos nisi sanc ad parrieidium recognos-
citis. Vorher: nos mutuo amore diligimus, quoniam odisse non novi-
mus: die schwache Begründung nach Tert. XXXVII 1 quem . . habemus
odisse?; sodann nos fratres vocamus ut unius dei parentis homines:
warum nicht filii (&sov xiwia Rom. 8, 17, woher vielleicht das fol-
gende coheredes)? doch wohl weil Tert. gesagt hatte: wir ?ind auch
eure Brüder, als Söhne der Mutter Natur, d. h. als Meuschen: etsi vos
partim homines, quia malt fratres; dann: umsomehr sind die Christen
untereinander Brüder qui unum patrem deum adgnoverint.
452 Richard Heinze: [XL. XLI
aus dem Spiele bleiben.1) Daß andererseits die Gegner den
Namen f actio verdienen, die in odium bonorum et proborum con-
spirant, diese Behauptung ist natürlich nicht im eigentlichen
Sinne zu nehmen: die Gegenanklage ist hier zur rhetori-
schen Figur geworden; gleichzeitig dient sie dazu, eine neue
Beschuldigung, die gegen die Christen erhoben wird, einzu-
führen, ohne den Übergang merklich zu betonen.
XL. XLI 'Die Christen sind schuld an jedem Unheil, das die Ge-
samtheit betrifft' : also auch aus diesem Grunde eine Gefahr
für das gemeine Wohl. Die Beschuldigung (die nach Tert. im
Grunde nur ein Vorwand für den Haß gegen die Christen
ist), schließt, wie man sieht, eng an die vorhergehenden an,
auch insofern, wie wir schon sahen, als sie sich gegen die
Gesamtheit, nicht gegen einzelne richtet: nur daß die Christen
ohne selbst etwas direkt dazu zu tun, lediglich dadurch, daß
sie den Zorn der Götter hervorrufen, verderblich wirken. Es
ist das erstemal, daß uns in der Literatur der Vorwurf ent-
gegentritt, und es ist ohne weiteres verständlich, daß er erst
in einer Zeit erhoben wurde, in der das Christentum eine
solche Ausbreitung erlangt hatte, daß die Vorstellung, es
übe einen Einfluß auf die Weltgeschicke aus, sich bilden
i) Hoc sumus congregati quod et dispersi, hoc universi quod et
singuli, neminem laedentesy neminem contristantes : damit wird auf die
Darlegung zurückgegriffen, die Tert. von der Friedfertigkeit der singuli
XXXVII gegeben hatte {quem habemus odisse . . quem possunms laedere?
hieß es dort), und die Tendenz der ganzen Schilderung des Gemeinde-
lebens aufs klarste herausgestellt. — Minucius' Octavius antwortet auf
die Schmähung des Caecilius homines deploratae, inlicitae ac desperatae
factionis . . qui . . plebem profanae coniurationis instituunt, quae noc-
turnis congregationibus . . foederatur (8, 3 fg.) mit dem einen Sätzchen :
nee factiosi sumus, si omnes unum bonum sapimus eadem congregati
quiete qua singuli (31, 6, es ist aber von der quies der singuli vorher
nicht die Rede gewesen): kein Zweifel, meine ich, daß dies das Resume,
nicht die Quelle der tertullianischen Ausführung ist. Das unum bonum
sapere hat übrigens nichts mit dem ro avvb tpQovslv slg cclXrjlovg von
Rom. 12, 16 usf. zu tun, was man dafür zitiert, sondern erklärt sich
aus Apol. XXXIX 1 corpus sumus de . . diseiplinae unitate und 9 fratres
. . qui unum spiritum biberint sanetitatis.
XL 1—9] Tertulliahts Apologeticum. 453
konnte; Tert. scheint aus eigner Erfahrung zu sprechen1),
aber es ist natürlich recht wohl möglich, daß schon damals
heidnische Literaten die Beschuldigung erhoben hatten, wie
es später nachweislich der Fall gewesen ist.2') Jedenfalls
kennen wir vor Tert. keine christliche Verteidigung dagegen,
und was Tert. bringt, trägt so sehr das Gepräge seines
Geistes, daß wir auch daraus auf eine ältere Vorlage nicht
schließen würden.
1. Auch vor Christi Ankunft hatte die Welt und Rom XL 1—9
unter schweren Unglücksschlägen gelitten. I. Das Meer hat
Land und Leute verschlungen: A. Inseln a) des ägäischen
Meeres, b) Atlantis: B. Stücke des Festland.-: so ist der
Meerbusen von Korinth und die Meerenge von Messina ent-
standen. II. A. Vom Himmel herab haben a) Wasserfluten die
ganze Erde oder wenigstens — nach Plato — die niedriger
gelegenen Teile überschwemmt, b) ein Feuerregen Sodom
und Gomorra vertilgt, und B. in Italien selbst ist Volsinii
durch Blitze, Pompeji durch den Ausbruch des Vulkans ein-
geäschert worden. III. Hannibal hat die Römer bei Cannä
vernichtet; die Gallier haben sogar das Kapitol besetzt. —
Formal betrachtet fällt ins Auge die symmetrische Gruppie-
rung der Beispiele, sowie das Anordnungsprinzip innerhalb
der beiden ersten Gruppen: Fortschritt vom Ferneren zum
1) Aus eigener Erfahrung erzählt später Origenes (comment ser.
in Matth. 39, t. 4 p. 270 Lomm., zitiert von Harnack Miss. u. Ausbr.
I 410, 2), daß infolge von Erdbeben, die man den Christen schuld gab,
Verfolgungen ausgebrochen sind.
2) Vgl. Geffcken- 62 fg., 92 fg. — Geffcken glaubt schon bei
Aristides VIII 6 eine Abwehr des Vorwurfs zu finden, der uns hier be-
schäftigt; indessen imputiert er wohl zu Unrecht dem Apologeten die
'volle Überzeugung, daß die Sünde die Ursache alles Elends sei' :
Aristides behauptet nur, der heidnische Glaube an die Gewalttaten
ihrer Götter sei der Grund, weshalb sie selbst dergleichen begingen
(also zu vergleichen z. B. Tert.s Apol. LX 16 incesti qui magis quam
quos ipse Iuppiter doeuit ). Der Syrer hat das Original, wie sehr häufig,
verfälscht, indem er zwischen jro/U'fioug und acpayäg die 'großen
Hungersnöte' einschob.
aca Richard Heixze: [XL 10— XLI i
Näheren, bis in der dritten Gruppe als letzter Trumpf die
Burg von Rom (freilich mit einem bedenklichen Schnitzer)
ausgespielt wird: ein deutlicher Beweis dafür, daß Tert. auch
wenn er in Karthago schreibt, doch immer Rom als das
die Interessen der Hörer beherrschende Zentrum im Auge
behält. Die sachlichen Angaben scheint Tert., soweit über-
haupt eine bestimmte Quelle vorauszusetzen ist, Plinius'
Naturgeschichte zu verdanken1): auch dies spricht dafür, daß
das Gegenargument nicht schon aus griechischer Apologetik
stammt.
Der letzte Satz leitet schon zum zweiten Teil der Be-
trachtung über:
XL io— XLI i 2. All dies Unglück ist nicht von euren Göttern gesandt
worden, sondern vom wahren Gott, als Strafe für die Ver-
nachlässigung, die ihm und seinem Willen von den Menschen
wurde; sein Zorn2) ist auch jetzt noch der Anlaß zu Un-
glücksschlägen, die die Allgemeinheit betrafen; nicht das
Christentum also, das vielmehr dazu gedient hat und noch
i) Die Kommentare geben die Zitate; ein schlimmer Gedächtnis-
fehler Tert.s hat aus dem Auftauchen der Inseln Delos usf., das
Plinius berichtet, ein Versinken ins Meer gemacht. Von Plinius
konnte Tert. außerdem, und zwar aus demselben zweiten Buch, sowohl
den Einbruch des korinthischen und des sicilischen Meeres wie die
Einäscherung von Yolsinii lernen; die Schilderung der Vegetation
am Toten Meer hat er durch einen Zug aus Tacitus (hist. V 6, 7) be-
reichert, der in nächster Umgebung einer früher von ihm benutzten
Stelle (XVI: hist. V 3) sich fand; für die Atlantis und die platonische
Sintflut, für Pompeji und die römischen Niederlagen bedurfte es
keiner besonderen Quellen. — Einen Teil der Beispiele hat Tert.
später in de pallio c. 2 wiederholt, hier als Belege für den Wandel
des Erdantlitzes; Beziehungen zu Varro hat Geffcken Kynika 94 ff. in
diesem Kapitel, mit Unrecht wie mir scheint, angenommen.
2) eunclem igitur nunc quoque scire debet iratum, quem et retro
semper. Den rZorn Gottes' erkennt Tert. also jetzt schon (vgl. auch
die unzweideutigen Aussagen test. an. 2), nicht erst im Kampfe gegen
Marcion an: die Äußerung abiit omnis felicitas eius si quid patitur
umquam (Nat. II 6), die Pohlenz dagegen zitiert (Vom Zorne Gottes 25),
bezieht sich nicht auf psychische 7täQ-r}.
XLI 2 — 6] Terti'i.i.ianx Apou >i.i:ticum. 455
dient, Gott gnädiger zu stimmen1), sondern ihr seid schuld,
die ihr ihn verachtet, und er zürnt, nicht die von euch ver-
ehrten Götter: die ja auch höchst unbillig wären, wenn sie
euch mit uns zusammen leiden ließen. — Audi hier leitet
dieser letzte Satz zu einer neuen Erwägung aber.
3. Man wendet ein, das Gleiche sei gegen unseren Gott XLI 2—6
zu sagen, wenn er um der Ungläubigen willen auch seine
Verehrer leiden lasse. Dabei verkennt man erstens Gottes
Absichten, und übersieht zweitens, daß wir in Wahrheit gar
nicht leiden. Gott läßt bis zum jüngsten Gericht Gnade und
Strenge gleichmäßig den Seinen wie den Ungläubigen zuteil
werden, das Unglück uns zur Mahnung, euch zur Strafe.")
Und wir leiden nicht, weil wir an der Welt nicht hängen,
haben auch andere Trostgründe im Unglück: daß die Schuld
auf euch fällt, und daß Gottes Weissagungen sich sichtbar-
lich erfüllen, was unseren Glauben und unsere Hoffnung be-
stärkt. Für euch gelten diese Gründe nicht: gegen euch wä-
ren eure Götter undankbar und ungerecht, wenn sie euch um
unsertwillen mit leiden ließen: denn, meint Tert., die Heiden
empfinden ja das Unglück als Leid.3) Die Elemente dieser
1) und zwar einerseits durch die neue Sittlichkeit (innocentia sae-
euli iniquitates temperavif), andererseits durch die christlichen Für-
bitten (deprecatorcs dei esse coeperunt). Das liegt weitab von der Auf-
fassung Melitos, der in seiner Eingabe an Antoninus Pius dem Christen-
tum einen — nicht näher definierten — günstigen Einfluß auf die
Entwicklung des Imperium Romanum zuschrieb und daraus eine Zu-
sammengehörigkeit heidnischer ßaadsicc und christlicher cpiloaocpla
ableitete (Euseb. h. e. IV 26, 7). Solchen politischen Utopien steht Tert.
ganz fern; literarische Vorläufer seiner Auffassung kennen wir nicht.
2) Dies Argument entwickelt dann Augustin c. d. I 8 ff.
3) Eine heidnische Replik dagegen (ut unus atque alius vanii -
mus ait) lernen wir Nat. I 9 kennen: die Götter zürnen den Heiden,
weil sie lässig sind in der Ausrottung der Christen. Das scheint Zi-
tat aus einer heidnischen Polemik zu sein; jedenfalls lehrt es, daß die
Kontroverse schon vor Tert. hin und her behandelt worden ist. Tert.
erwiedert darauf 'also vermögen eure Götter sich nicht selbst zu
rächen: ein Beweis ihrer infirmitas et mediocritas\ Es scheint, daß die
mediocritas dieses Gegenarguments Tert. selbst zum Bewußtsein kam,
so daß er im Apol. vorzog, die ganze Erörterung wegzulassen.
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 3 |
456 Richard Heinze: [XLII. XLI1I
Theodicee finden sich großenteils schon hei Justin, dem Be-
gründer einer christlich-philosophischen Theodicee: allerdings
hat dieser dabei nicht die Übel der Welt im allgemeinen,
sondern die Übel der Christenverfolgung im Auge. Auch er
beruft sich darauf, daß die Propheten das ja alles verkündigt
hätten (vgl. II 8 Dial. 35), daß die Christen nicht an der
Welt hängen, vielmehr nichts sehnlicher wünschen, als von
ihr erlöst zu werden (ap. I 8); auch er verteidigt Gott, indem
er die Schuld den Gegnern zuschiebt (ap. I 57); auch für ihn
steht es fest, daß Gott die endgültige Abrechnung mit gutem
Bedacht auf den jüngsten Tag verschiebe (und damit hat die
christliche Theodicee einen großen Vorsprung vor der stoisch-
philonischen, die sieh ja sonst in ihren Versuchen, das Lei-
den der Guten zu rechtfertigen, unzweideutig als Vorläuferin
der christlichen erweist1); und wenn er die Verzögerung da-
mit erklärt (ap. I 28 u. ö.), daß Gott noch einigen Zeit zur
Umkehr geben wolle, so mag auch Tert. diesen Glauben
hegen, hält es aber für überflüssig, seinen Gegnern diese ver-
borgenen Pläne Gottes zu enthüllen, wie er denn überhaupt
das philosophische Fundament der justinischen Theodicee, die
Lehre von der menschlichen Entscheidungsfreiheit zwischen
Gut und Böse, hier ganz zurücktreten läßt, so entschieden er
auch in andern Schriften sich dazu bekennt. Bemerkenswert
ist weiterhin auch hier wieder, gerade im Gegensatz zu
Justin, die präzise Knappheit seiner Darlegung, die eine Fülle
von Gedanken in ein kurzes Kapitel zusammendrängt: der
Gegenstand verträgt keine rhetorische expolitio.
XLII. XLIII Die Heiden glauben also um der Christen willen Scha-
den zu erleiden durch die von den Göttern gesandten Strafen;
sie klagen uns aber, fährt Tert. fort, auch noch in anderer
Weise widerrechtlicher Schädigung an: wir seien infruäuosi
negotiis, ließen sie nichts verdienen. Mio iniuriarum titulo
postulamur — da ist mit iniuria natürlich nicht 'Beleidi-
1) Vgl. "Wesdland, Philos Schrift über d. Vorsehung, Berl. 1892,
p. 17 ff-
XLII. XIJllj Tertullians Apologeticum. 157
gung' gemeint, die zur actio irmvrianoit führte, sondern wi-
derrechtlicher Nachteil', den es in den Rechtsbüchern nicht
selten hat; insbesondere ist ja die iniuria zur Konstituierung
des Privatdelikts erforderlich, das als damnwm iniuria unter
die lex Aquilia fällt, Im eine angebliche Vermögensschädi-
gung handelt es sich auch im vorliegenden Falle; freilich mir
eine durch Unterlassung zugefügte und in Wahrheit keines-
wegs widerrechtliche, so daß ein>' Anklage darauf hin völlig
ausgeschlossen ist; das weiß Tert. sehr wohl und wählt da-
her auch keine technisch korrekte Deliktsbezeichnung; aber
er nähert sich doch so viel wie möglich der Gerichtssprache,
da er eben an der Form der Gerichtsrede festhält.
Tert. bestreitet zunächst die infruetuositas im allgemei-
nen mit dem zweifellos zutreffenden Hinweis auf die Beteili-
gung der Christen am täglichen Leben, an Erwerb und Beruf
der Heiden: weist zweitens nach, daß der Verzicht der Christen
auf Teilnahme an heidnischen Festen und Festbräuchen keine
materielle Schädigung bedeute, da die Christen eben dasselbe
brauchen und kaufen, wTie bei jenen Gelegenheiten die Heiden,
nur bei anderen Gelegenheiten und z. T. zu anderen Zwecken;
betont drittens, daß der Ausfall, den die Tempeleinkünfte
durch die Christen erleiden, abgesehen von dem vielen, das
di< se zu wohltätigen Zwecken spenden, reichlich wett gemacht
wird durch die größere Gewissenhaftigkeit der ('bristen im
Zahlen der sonstigen Abgaben; und räumt schließlich ein,
daß für Kuppler, Bravi, Wahrsager die Christen freilich
fruetuosi sind, was aber in Wahrheit magnus est fruetus.
Den etwaigen Verlusten aber, die die Heiden durch die
Christen erleiden, stehen gegenüber die großen Vorteile, die
sie bringen: abgesehen vom Schutz gegen die Dämonen und
von den wirkungsvollen Gebeten sind die Christen der All-
gemeinheit deshalb wertvoll, weil niemand etwas von ihnen
zu fürchten hat. Wir haben also zunächst (bei i. 2) eine
controversia di facto Mains conieckiralis): der Angeklagte
leugnet die Tat; haben sodann (3) ein — ironisches — Ein-
geständnis der Tat mit Anführung entschuldigender On stä
34 *
458 Richard Heinze: [XLIV. XLV
und einer compensatio — also constitutio iuridicialis assump-
tiva; haben endlich (4) ein offenes Zugeständnis der Tat, die
aber als ehrenwert und verdienstlich bezeichnet wird: consti-
tutio iuridicialis absoluta; endlich wird, da ja das tatsächliche
damnum nicht zu leugnen ist, eine generale compensatio ange-
führt. Man sieht, Tert. stellt sich auch hier, als rechter Ad-
vokat, auf den Standpunkt der Anklage und behandelt die
Frage, bis auf die letzte, schon zur Gegenanklage überleitende
compensatio als rein finanzielle; bei der Retorsion war das frei-
lich nicht angängig: sie entspricht dem crimen weniger genau
als sonst; auch hier ist sie nur Form, dient aber zugleich
als Vorwand, um den effektvollen Schluß der eigentlichen Ver-
teidigung herbeizuführen.
XLIV XLV Retorsion: Ihr, die praesides, schädigt die Allgemeinheit,
indem ihr so viele Unschuldige als Christen verurteilt. Denn
unschuldig sind wir, nicht aus unseren Reihen stammen die
Verbrecher, die ihr als solche verurteilt. Ja somit sind nur
wir unschuldig und müssen es sein, da wir es auf göttliches
Geheiß, nicht wie ihr auf menschliches sind; jenes stellt erstens
höhere Anforderungen (sind doch auch eure Gesetze nur ab-
geleitet daraus) und läßt zweitens für den Übertreter keine
Hoffnung auf Vermeidung oder Kürze der Strafe: Gottes
Gericht entgeht kein Schuldiger, und seine Strafe währt ewig.
— Damit hat die eigentliche Verteidigung ihr Ende erreicht:
es ist gewiß ein Triumph des Verteidigers, wenn es ihm ge-
lingt, nicht nur die gegen seinen Klienten erhobenen Anklagen
zu widerlegen, sondern ihn als schlechthin jeder Schuld frei,
ja als notwendig jeder Schuld frei nachzuweisen. —
Den letzten Vorwurf, gegen den Tert. die Christen ver-
teidigt, kennen wir in dieser Form sonst nicht. Er berührt
sich mit des Celsus Anklage, daß die Christen die heimischen
Bräuche vernachlässigten, an Opferfesten und Festschmäusen
nicht teilnähmen, Amter ablehnten; kurz der Anklage auf
"Entfremdung von der politisch-religiösen Ordnung".1) Diese
1) Neumann, Staat und Kirche I 37.
XLIV. XLVJ Tbrtullians Apologeticum. 459
Anklage und die tertullianische gehen im Grunde auf die
gleiche Empfindung zurück, die Entrüstung über den engen
Zusammenschluß der Christen untereinander und die damit
verbundene Isolierung von der sie umgebenden Welt; nur
daß Celsus die politische, Tert. die privatrechtliche Seite her-
vorkehrt, vornehmlich wohl, weil die politische sich unter
keinem juristischen Gesichtspunkt auch nur fiktiv fassen ließ:
Schauspiele zu besuchen oder sich um Ämter zu bewerben,
ist niemand verpflichtet, und wer es unterläßt schädigt nie-
manden. Indessen hat doch auch Tert.s Formulierung einen
realen Hintergrund: die Viehhändler Bithyniens werden sich
gewiß über die Christen beschwert haben, die Schuld daran
seien, daß vict'nnarum rarissimas m/jt/or inveniebatur (Plin. ad
Trai. 96, 10), und schon Demetrius, der Goldschmied von Ephe-
sus, mit seinen Beiarbeitern (Acta Ap. 19, 24) hetzte gegen
Paulus, weil er von der neuen Lehre für seinen Absatz fürch-
tete. Aber gewiß ist nicht alles, was Tert. vorbringt, zwang-
los unter diesen Gesichtspunkt zu bringen.
Von wiederum anderem Gesichtspunkt aus läßt Minucius seinen
Caecilius ganz ähnliche Vorwürfe erheben: die Christen sind töricht,
sich ihr Leben durch Verzicht auf alle harmlosen Freuden zu verder-
ben. Octavius (c. 38) entgegnet dem, die Christen lebten in der Er-
wartung der ewigen Seligkeit; in der Einzelbegründung berührt er sich
mehrfach nahe mit Tert.: so in der Polemik gegen die Schauspiele,
wo der Vergleich von Tert.s Ausführung im Apol. mit dem in der
Schrift de spectaculis lehrreich ist ]), und in dem Witz, mit dem die
1) merito malis voluptatibus et pompis vestris et spectaculis ab-
stinemus, quorum et de sacris originem novimw ei noxia blandimenta
damnamus: Tert. XXXVIII 4 aegue spectaculis vestris in tantum remrn-
tiamus in gucmtum originibus eorum qiias scimus de sv/perstiüone con~
ceptas, cum et ipsis rebus, de quibus transiguniur , praetersumus. Über
die origo spectaculorum hat Tert. gelehrt gehandelt de spectac. c. =;ff. ;
es ist ohne weiteres verständlich, daß er auch hier den Grund mit
einem Wort berührt. Weniger leicht verständlich wäre es, wie Minu-
cius ohne Tert.s Vorgang darauf hätte kommen sollen. Minucius fährt
fort: nam in ludis currulibus quis non horreat populi in se rixantis
insaniam? in gladiatorüs homicidii distiplmam? in scenitis etiam non
minor fr.ror et tvrpitudo prolixior — die folgende Ausführung die-
460 Richard Heinze: [XLIV. XLV
Bekränzung der Häupter abgelehnt wird : hier läßt sich, soviel ich sehe,
kein Indicium der Entlehnung aufweisen; aber wie sehr Min. gewohnt
ist, mit fremdem Gut zu wirtschaften, zeigen gleich die folgenden Worte,
in denen er gegen die heidnische Sitte, den Toten zu bekränzen, ein
altkynisches Apophthegma, nicht eben glücklich von seinem Standpunkt
aus, ins Feld führt.1)
Tert. benutzt die Gegenanklage an dieser Stelle als Ge-
legenheit, um nach dem christlichen Dogma (XVII ff.) und
dem christlichen Gemeindeleben (XXXIX ff.) als drittes die
christliche Moral (XLIV fg.) den Heiden vor Augen zu führen.
Einiges daraus war freilich schon vorher in anderem Zu-
sammenhange zur Sprache gekommen: die Keuschheit der
Christen bei der Widerlegung der Inzestanklage (IX 19), ihre
Feindesliebe bei der Verteidigung gegen den Vorwurf der
Kaiserfeindschaft (XXXI; XXXVI fg.), die brüderliche Liebe
ses letzten Punktes erinnert in manchem an Tert. XV; im übrigen
vgl. dens. XXXVIII nach den oben zitierten Worten: nihil est nöbis
dictu visu auditu cum insania circi, cum impudicitia tlieatri, cum atro-
citate arenae, cum xysti vanitate. Das sind sozusagen Überschriften
für die Kapitel, die er in de spectac. den betreffenden Gattungen ge-
widmet hatte, z. B. cum furor interdicitur nöbis, ab omni spectaculo
auferimur, etiam a circo, tibi proprie furor praesidet c. 16, über das
Theater als privatum consistorium impudicitiae c. 17, über die vani
cursus et iaculatus et saltus vaniores c. 18, über die saevitia, impietas,
feritas des Amphitheaters c. 19. Also auch hier steht Tert. mit seinen
Worten des Apol. ganz auf eigenem Boden, und nichts spricht für An-
lehnung an Minucius. Und da es nicht wahrscheinlich ist, daß zwei
christliche Moralisten unabhängig voneinander darauf gekommen wä-
ren, die Teilnahme an den Zirkusrennen mit Rücksicht auf die insania
des Publikums zu verbieten, so wird Minucius auch hier Tert. folgen.
1) Nee mortuos coronamus. ego vos in hoc magis miror, quemad-
modum tribuatis aut sentienti facem aut non sentienti coronam: Ana-
charsis iQcozri&tlg v%6 xivog x'i i%tccGaxo iv zfi *El7.ädt 7iuQ(zdo£ov, sint
to xovg vsxgovg Y.ais6Q,o:L uev cog &vai6%r\rovg^ cc7tOY.aiBC&oci 8 avroig
a>s cd6&uvoiievoig (Gnom. Vat. 20 [Wiener Stud. IX 186], Bion zuge-
schrieben bei Laert. Diog. IV 48). Nicht eben glücklich vom christ-
lichen Standpunkt, da sich das Gleiche gegen die christliche Sitte des
Einbalsamierens hätte sagen lassen: sciant Sabaci plures et cariores
suas merces christianis sepeliendis profligari quam deis fumigandis Tert.
XLII 7.
XLIV. XLV] Tekti i.i.ians Apologeticim. 461
untereinander und zur Menschheit überhaupt bei «Irr Schil-
derung des Gemeindelehens (XXXIX); aber hier erst tritt das
üheraus starke Bewußtsein der absoluten iwnocenüa der Christen
als einer notwendigen hervor — freilich gegründet auf die
Voraussetzung, daß, wenn der Christ einen Frevel begeht, er
damit aufhört Christ zu sein.1) Analoge Ausführungen, ge-
stützt wie bei Tert. auf Evangelienworte, fehlen bei keinem
der älteren Apologeten, ja werden von den meisten sogar weit
ausführlicher gegeben.2) Dabei finden sich auch die von Tert.
ijeerebenen Hinweise auf die Überlegenheit des göttlichen
Ursprungs der christlichen Moralgesetze über den mensch-
lichen der heidnischen, sowie auf die Wirkung, die bei den
Christen der Glaube an die ewige Vergeltung im Jenseits
haben muß. Aber nirgends ist mit so verblüffender Sicher-
heit wie bei Tert. der Satz aufgestellt *nos sali innocentes',
nirgends auch so wie bei ihm der präzise Nachweis versucht
worden, daß dies so sein müsse, nirgends jene beiden Ge-
sichtspunkte so eindrucksvoll in einer Reihe doppelgliedriger
antithetisch pointierter Argumentationen ausgeführt3): das Ka-
1) Nemo illic (unter den Sträflingen) christianus nisi hoc tantum,
aut si et aliud, iam non christianus. So auch z. B. Justin apol. I
c. 16, 8 01 6' c'iv (tTj svQioxmvTut ßiovvxsg cog ididec^ yvcooi^ß^oiaccv pr,
övxsg Xqioxiuvoi, xccv "/.tycooi diu ylmxxrtg xu xov Xqigxov diddyfiuxa.
2) Kurz und in beiläufigen Sätzen ohne zusammenhängende Dar-
stellung nur Tatian. Die übrigen: Aristides c. 15. Justin 1 Apol. be-
sonders c. 14 — 17, um als Vorbereitung auf den Beweis für die Gott-
heit Christi öliyiov xivcov T&v nug' uvxov xov Xqigxov Siöccyfiäxwr irti-
livr}6&f]vcci, auch sonst, z. B. c. 12. Athenagoras c. 11. 12 zum Nach-
weis, daß die Christen nicht ü&soi sind, und wieder (mit Berufung auf
den Glauben an die ewige Vergeltung) c. 3 1 ff. bei der Zurückweisung
von Inzest und Kannibalismus.
3) Doppelte These: innocentiam . . et perfecte norimus . . et fide-
liter eustodimus; Antithese vöbis . . tradidit . ., si imperavit; inde nee
plenae nee adeo timendae estis diseiplinae; etc. Dann Ausführung des
ersten Gliedes der These atque adeo quid pleniits etc., des zweiten: sed
qiianta auetoritas etc. Abschluß, nach Wiederaufnahme der beiden
Glieder (et pro sapientiae plenitudine et pro latebrarum difficultate) mit
einem stolzen Wort an die praesides: deum. non proconsulem timentes.
462 Richard Helnze: [XLVI— L
pitel ist eine in sich abgeschlossene Musterleistung forensischer
Rhetorik, offenbar mit besonderer Sorgfalt ausgearbeitet, weil
es den Abschluß der eigentlichen Apologie überhaupt bildet.
Peroratio: XLVI— L.
XLVI— L Diesen Abschluß betonen die folgenden Sätze, die den
Beweis der 'Wahrheit' als erbracht bezeichnen und den Geg-
ner vor die Schranken fordern: quis nos revincere audebit,
non arte verborum, sed eadem forma, qua probationem consti-
tuimus, de veritate? Was nun noch folgt, gibt sich sonach
als Epilog: und doch ist als Epilog im eigentlichen Sinne,
wie wir sehen werden, nur das letzte Kapitel zu fassen, das
vom Martyrium der Christen handelt. Bis dahin aber haben
wir noch eine an Gedanken und Sentenzen reiche Abhand-
lung vor uns, nicht einmal einheitlichen Inhalts; denn sie
enthält I. eine Auseinandersetzung mit der Philosophie, wo-
bei 1. nachgewiesen wird, daß das Christentum der Philo-
sophie in jeder Beziehung überlegen ist, 2. daß die heidnischen
Philosophen die Wahrheit zwar den Propheten zum Teil ent-
lehnt, zugleich aber entstellt haben, 3. daß auch die christ-
lichen Häretiker der Philosophie auf den Wegen des Irrtums
gefolgt sind (XLVI 2— XL VII 10). II. Eine Darstellung und
Begründung der christlichen Lehre von der Auferstehung und
dem jüngsten Gericht (XL VII 11 — XLIX 4). Diese zweite
Ausführung ist zu der ersten zwar geschickt in Beziehung
gesetzt dadurch, daß die christliche Lehre zu Anfang mit
den entsprechenden heidnisch-philosophischen verglichen, und
diese, als Machinati on der Dämonen, an die Wirkung der-
selben Dämonen, die sich in den Häresien äußert, angeknüpft
wird, sowie dadurch, daß Tert. am Schluß wieder auf den
Anfang des Ganzen zurückkommt, wo er von der ver-
schiedenen Behandlung gesprochen hatte, die Christen und
Philosophen erfuhren. So wird der Leser leicht darüber hin-
weggetäuscht, daß er in Wahrheit zwei ganz selbständige
Ausführungen gelesen hat; wie denn auch der eigentliche
Epilog sich schließlich so ungezwungen anreiht, daß der
XLVI 2— i8J Ti.kti u.iws Apologeticum. 463
Eindruck der Einheitlichkeit des Ganzen, den Tert. anstrebte,
erreicht wird.
Wir betrachten zunächst die einzelnen Teile, tun uns
dann erst die Frage vorzulegen, was Tert. veranlaßt hat,
scheinbar so Disparates am Schluß seiner 'Verteidigungsrede'
zusammenzustellen. Zunächst also die Abrechnung mit der
Philosophie.
eDie Wahrheit über unsere Sekte dräng! Bich freilich XLVI 2 — is
jedem auf, Umgang und Verkehr lehren ihre Güte erkennen 'i:
aber dann will man ihren göttlichen Ursprung nicht zugeben,
sondern hält das Christentum für eine Art Philosophie; die
Philosophen lehrten ja das Gleiche wie die Christen. Dann
müßte man uns wenigstens auch so behandeln wie die Phi-
losophen, von denen man das nicht verlangt, was man uns
zumutet, und die ungestraft oder gar gelobt und belohnt das tun,
weswegen man uns verurteilt. Aber die Verschiedenheit der
Behandlung besteht insofern zu Kecht, als die Philosophen
eben in Wahrheit nicht Christen sind: sie glauben ja an die
Dämonen. Weder in der Lehre noch im Leben stehen sie
uns gleich: sie wissen nichts von Gott, und ihre Größten
übten Laster aller Art, während die Christen rein sind oder,
wenn sie sich vergehen, von uns nicht mehr als Christen
anerkannt werden.' Eine Kette schroffer Antithesen, die die
Begriffe plrilosophus und cliristianus paraphrasieren, schließt
diese Gedankenreihe ab: die letzten Antithesen (yeritatis intcr-
polator et Integrator et expressor, furator eins et custos) leiten
zu Neuem über.
Den Versuch, diese Ausführung durch eine prozessuale
Notwendigkeit zu motivieren, hat Tert. nicht gemacht. Für
die Rechtsfracre ist es gleichgültig;, ob die Unschuld der
1) Das steht in offenbarem Widerspruch zu den Sätzen des Ein-
gangs, in denen Tert. immer wieder versicherte, man wolle das Christen-
tum nicht kennen lernen, um sich nicht von seiner Unsträflichkeit
überzeugen zu müssen. Die beiden einander widerstreitenden Behaup-
tungen sind jede an ihrem Orte durch den augenblicklichen advoka-
torischen Zweck hervorgerufen.
464 Richard Heinze: [XL VI 2—18
Christen, wenn sie einmal zugegeben wird, ein divinum ne-
gotium oder ein pliilosophiae genus ist. Ganz überraschend
kommt ja freilich diese Auseinandersetzung nicht: denn daß
die christliche Sittenlehre ein divinum negotium sei, hatte Tert.
unmittelbar vorher stark betont, wenn auch dort nicht im
Gegensatz zur Philosophie, sondern zu den von Menschen ge-
gebenen Gesetzen: und so könnte das, was er jetzt bringt, zur
Not als Beweis der vorherigen Aufstelluno; selten: aber sach-
lieh hätte das der Neuheit des Gegenstandes wegen seine Be-
denken, und formal hat Tert. durch die einleitenden Worte von
XL VI den Abschluß der eigentlichen Apologie stark markiert.
Es muß ihm demnach von großer Bedeutung erschienen sein,
das Christentum energisch von der Philosophie zu scheiden,
wenn er dem zuliebe sogar die Maske des forensischen Redners
fallen läßt. Wir werden nicht fehlgehn, wenn wir ein wich-
tiges Motiv in Tert.s Wunsch sehen, gewissen Halbheiten
und Unklarheiten im eigenen christlichen Lager entgegenzu-
treten: nicht nur die Häresien fußten, wie Tert. schon da-
mals glaubte, in der Philosophie (philosophi haereticorum pa-
triarchae adv. Hermog. 8), sondern auch die griechischen
Apologeten, die ja Tert. bei seiner Arbeit dauernd vor Augen
hatte, nahmen z. T. einen Standpunkt ein, dem er entgegen
zu treten für geraten hielt.1)
Daß Justin der 'Philosophie' nicht schroff ablehnend
gegenübersteht, geht schon daraus hervor, daß er sich an die
Kaiser mit Berufung auf ihren Philosophennamen wendet,
von der 'Philosophie' der Herrschenden und der Beherrschten
gleich Piaton das Heil der Staaten erwartet (Apol. I 3). In
der Tat ist (pilööoyog ihm ein Ehrenname, den nicht alle ver-
dienen, die sich ihn zulegen (ebd. 4, 8): der (ptX66otpog
Crescens, der keine Ehrfurcht vor der Wahrheit bezeugt, ist
vielmehr ein (piXödo^og avrJQ (II 3, 6), ein (piXo^ocpog xal
1) Das Verhältnis der Offenbarung zur Philosophie bei den Apo-
logeten hat Härnack Dogmengesch. I4 504 ff. so dargestellt, daß ich
einfach auf ihn verweisen könnte, wenn es mir nicht darauf ankäme,
einiges für meinen Zweck Wichtige herauszuheben.
XLVI 2— 18| Tertulmans Apologeticum. 465
(pLlöxofiTiog (ebd. 1), und er ist gewiß geraeint bei der Ab-
wehr der voui$6u£voi (pi/.oöocpoi (ebd. 9), die die christliche
Lehre vom ewigen Gericht als Geschwätz verachten, nur dazu
bestimmt Furcht zu machen. Vor den wahren Philosophen
dagegen bezeigt Justin hohe Achtung; auch in ihnen hat der
Xoyog, wenn auch nicht der ganze, gewaltet und hat ihnen
zu wahren Einsichten verholten (Apol. II 7,7; |S? ij IO, 2)>
die sich zum Teil mit den christlichen decken ( 13, 2*, I 2°, 3),
vieles haben auch Piaton und andere aus Moses und den
Propheten geschöpft (Apol. I 44, 8 f.; 54)1); ja alle, die mit
dem köyog gelebt haben, ein Sokrates, Heraklit und ihres
Gleichen, verdienen den Namen Christen (46, 3 f.). Die Wider-
sprüche, die sich bei ihnen finden, zeigen freilich, daß sie
nicht im Besitz der vollen Wahrheit waren, die allein Christus
verdankt wird: die christliche Wahrheit steht über aller
menschlichen Philosophie (II 15, 3). Obwohl also Justin jene
Philosophen als Christen vor Christus anerkennt, geht er
doch nicht soweit, das Christentum geradezu als Philosophie
zu bezeichnen2): aber es ist auch von einem strikten Gegen-
1) Auf das unausgeglichene Verhältnis, in dem diese Annahme
literarischen Einflusses zu dem eines auch in den Heiden wirkenden
entQua löyov iuyvrov steht, weist Hahxack 511, 1 hin und hat gewiß
recht, wenn er jene auf die (jüdische) Tradition, diese auf Justins
eigene Konzeption zurückführt. Aber es verdient Beachtung, daß Justin
I 44 als 'Entlehnungen' nicht schlechthin alle wahren Einsichten der
Philosophen bezeichnet, sondern ogol jtsgl äQ-avccGucg ipv%>ie 1) riuco-
Qi&v rwv u,stcc davccTov 1) &sa>Qias ovgccvlcov tj xdv öftoiW doyuätcov . .
'icfuöav, wobei unter den ovqüvlu z. B. die I 54 besprochene Welt-
schöpfung gemeint ist; wo Justin vom Wirken des Xöyog redet, denkt
er in erster Linie an die sittliche Lebensführung, sodann (z. B. I 5 an
die Verwerfung der heidnischen Götter als Dämonen. Er hat also
offenbar, wenn auch vielleicht nicht mit völliger Klarheit, einen Unter-
schied empfunden zwischen denjenigen Wahrheiten, auf die der Mensch,
um es so auszudrücken, von selbst kommen kann, und denen, die der
Offenbarung verdankt sein müssen.
2) Harxacks Ausdruck, daß Justin I 5, 4 'Christus als den Sokrates
der Barbaren, das Christentum somit als eine sokratische Lehre er-
scheinen läßt' p. 508) besagt doch wohl mehr als Justin sagen wollte:
466 Richard Heinze: [XL VI 2— J8
satz nicht die Rede.1) Im Dialog mit Tryphon hebt er,
der verschiedenen Adresse entsprechend, weniger die Wahr-
heitsspuren hervor, die sich bei den Philosophen finden, als
daß er die Unzulänglichkeit ihres Philosophierens dartut; aber
das Christentum erscheint doch auch hier nur als das voll-
kommene Gelingen neben dem unvollkommenen Versuch.
Die (piXoöocpia wird als [iByiGxov xxrjjjia xul xi\uäxuxov deä
anerkannt (2); nur freilich, jene Heiden wissen nicht, was
wirklich die Philosophie ist und soll; sie glauben nur zu
philosophieren (35): die einzige wahre und förderliche Philo-
sophie ist das Christentum, und in diesem Sinne bezeichnet
auch Justin selbst sich als Philosophen (8): als solcher lebt
er bekanntlich in der christlichen Tradition fort. — Apologe-
tischem Zwecke dient bei Justin die Berufung auf die Philo-
sophen auch direkt: 'wenn wir', fragt er, 'manches ähnlich
behaupten wie die bei euch geehrten Dichter und Philosophen,
manches aber erhabener, göttlich, allein unter Anführung von
Beweisen, warum trifft uns dann, anders als alle, ungerechter
Haß?' (I 20, 3; vgl. 24, 1), und gleich zu Beginn, bei der
Beschwerde über das Beweisverfahren gegen die Christen,
weist er darauf hin, daß man die Versündigungen der Philo-
sophen und Dichter gegen die Gottheit oder Zeus so viel
läßlicher behandle als die angebliche a&EÖvrjg der Christen.
Mit Athen ago ras steht es prinziell kaum anders als mit
Justin; er bezeichnet das Christentum zwar nicht als Philosophie,
würde aber diese Bezeichnung auch schwerlich mit Entrüstung
ablehnen. Auch er stellt die Anfeindungen, die heidnische
Wahrheitssucher, Sokrates u. a., erfahren, ohne an ihrer &QEX7]
Einbuße zu erleiden, in Parallele zu dem, was die Christen
es handelt sich an jener Stelle nur um die eine, allerdings sehr wich-
tige Lehre, daß die c Götter' in Wahrheit böse Dämonen seien, und
Christus als 'neuen Sokrates' zu bezeichnen, wäre dem Justin wohl als
Blasphemie erschienen.
1) Nur den Sprachgebrauch hat Justin im Auge, wenn er I 7, 3
die hellenischen 'Philosophen' den barbarischen 'Christen' gegenüber-
stellt.
XLVI 2— 18| Tbrtullians Apologbticum. 467
erdulden (31); er beruft sich ganz anbefangen auf Lehren
der Philosophen für die Wahrheit christlicher Sätze | [6 IMaton
für die Veränderlich koit der Materie, 23 Thalea und Piaton
für die Existenz der Dämonen). Gewiß steht der l6yog, die
Lehre der Christen, die allein göttlicher Herkunfi ist, über
den anderen, menschlichen Xöyot (9. 1 1 1, gewiß ist die von
den Propheten offenbarte Wahrheit zuverlässiger als die schwan-
kenden und vielfach widerstreitenden 'Meinungen' der Philo-
sophen, die sie nur aus sich seihst 'in einer Sympathie mit
dem göttlichen Hauch, jeder von seiner eigenen Seele beweg! ,
sich gebildet haben (7), aber es ist doeh ein Vergleich denk-
bar. Im apologetischen Interesse wird dieser Vergleich, ganz
ähnlich wie bei Justin, zwischen Philosophen und Christen
gezogen, um für diese die gleiche Behandlung in An-
spruch zu nehmen; auch die Philosophen würden ja nur um
etwaiger Verfehlungen willen bestraft, ohne daß der Name
Philosophie dabei in Betracht käme oder auf die Wissenschaft
ein Makel fiele (2); auch die Philosophen sind nicht der
dd'sörrig beschuldigt worden, obwohl sie, Piaton vor allem
und die Stoa, einen Gott, den Schöpfer das Alls, bekannten
(5 f.); sie dürfen über Gott reden und schreiben was sie wollen,
während das Christentum gesetzlich verboten ist (7). "Von
einer Feindschaft gegen die Philosophie oder ihre Vertreter
aUo keine Spur1): sind doch auch die Herrscher, an die der
Apologet sich wendet, ecrö xuörjg cpiloöcxpCccg xal TtatÖsiag
oQucbfisvoi (2), ßaöiXeig cpiXoöocpot (ii)-
Wie Justin und Athenagoras einerseits, so gehören anderer-
seits Tatian und Theophilus zusammen. Bei Theophilus
stehen die Propheten, die Träger des göttlichen Geistes und
einzigen Verkünder der lautern Wahrheit, gegenüber den von
1) c. 11 wird allerdings die unfruchtbare Gelehrsamkeit der Dia-
lektiker, die ihre Träger nicht bessert, sondern zu Neid und Feind-
seligkeittreibt, dem zur Sittlichkeit führenden Xöyog der Christen gegen-
überstellt: aber da ist die Antithese, wie Geffcken p. 183 richtig
ausführt, eigentlich nicht 'Christ' und 'Philosoph', sondern fEthiker'
und f Dialektiker'.
468 Richard Heinze: [XLVI 2—18
den Dämonen inspirierten (II 8) Dichtern und Philosophen
der Griechen, die in ihrer Sucht nach leerem und eitlem Ruhm
(III 3) unnützes und gottloses Zeug geschwatzt haben, un-
aufhörlich einander widersprechend, vergiftend die, die auf
sie hörten; und das Gift der Irrlehre überwiegt auch da, wo
etwas Wahrheit beigemischt ist (II 12), die jene Leute unseren
Propheten gestohlen (I 14; II 37) und vorgetragen haben,
wenn es ihnen gelang, ihre Seele zeitweilig den Dämonen zu
entziehen (II 8).1) So verwirft denn Theophilus rag ylvaQiag
r&v iiccrcdnv (puoööyav (II 15) schlechthin: aber er greift
wenigstens die einzelnen als Personen nicht an. Diesen Gipfel
der Gehässigkeit erreicht Tatian. Dieser bringt gleich zu
Anfano-, um den Stolz der Griechen zu brechen, einen dia-
övQpög der alten Philosophen, deren Lebensführung in mannig-
fachster Weise verdächtigt wird (2); es folgt dann noch ein
zweiter über die Widersprüche zwischen Lehre und Leben
der Philosophen, sowie über die Widersprüche der philoso-
phischen Lehren untereinander (25), zum Beweis dafür, daß
diese Philosophie wertlos für den Autor sei; daß die 'Sophi-
sten, wie sie nun heißen, aus Moses und den Propheten ge-
schöpft hatten, behauptet auch Tatian (40), aber nicht um
die Wahrheit, die sich bei ihnen findet, zu erklären, sondern
um ihre Absichten zu verdächtigen: sie haben versucht, das
Gefundene zu entstellen, erstens um doch wenigstens scheinbar
etwas Eigenes vorzubringen, zweitens um das was sie nicht
verstanden durch ihr eigenes Geschwätz zu verhüllen und
die Wahrheit als Mythologie um ihren Sieg zu bringen. Also
an der hellenischen Philosophie bleibt kein gutes Haar; aber
Philosophie ist die christliche Lehre doch auch {ri]v ij^srsQav
ipiloöocpiccv 31 u. ä.), und als 6 %ara ßagßctQOvg (piloöocpnv
Tariavög nimmt der Autor selbstbewußt Abschied von seinen
1) ivloti xtvtg rrj rpv%y iwr^avtsg ££, avtcbv (seil, räv doetpoveov)
slnov av.ölovdct rolg ngocp^raLg, vgl. II 37 äv.olovQ-a i&lnov rolg tvqo-
yrjtcas xccLiieq nol'v fiezaysvsßTSQOi ysi>6u.bvoi, Kai ylsipavteg xavxec ix
vö^ov y.uI tütv TtQO(fr\T(hv. von einem Finden auch nur einer Teilwahr-
heit aus eigener Kraft ist bei Theophilus m. E. nicht die Rede.
XLVI 2— 18| Tr.KTi i.i.ians Apologeticum. 469
griechischen Hörern: nicht 'Christentum' und 'Philosophie',
sondern 'barbarische' und 'hellenische' Philosophie ist also,
wenn man will, der Gegensatz, der mit dem Gegensatz von
offenbarter Wahrheit und menschlichen] Irrtum identisch ist.
Man sieht: gemeinsam ist diesen beiden Gruppen, daß
sie der heidnischen Philosophie einen Anteil an der Wahrheit
zugestehen: sehr verschieden aber wird dieser Anteil bemessen
und gewertet, und ebenso verschieden erklärt: endlich schwankt
die Schätzung der Persönlichkeiten zw isehen teilnehmender
Achtung und höhnischer Verachtung. Tert. steht in allen
diesen Differenzen — leider — Tatian und Theophilus erheb-
lich näher als Athenagoras und dustin l), obwohl er wahrschein-
lich auch diesem, wie sicher Tatian, Anregung und Material
verdankt. Wir sahen, daß er sich, wenn auch nur höchst
selten, auf das Zeugnis der Philosophen berief, mehr um die
Übereinstimmung festzustellen, als um die eigene Behauptung
zu bekräftigen2); ein solches ad Simplex tesümonium adsumen
1) Vgl. G. Schelowskv, der Apologet Tert. in seinem Verhältnis
zur griech.-röm. Philos., Diss. Lpz. 1901.
2) Mit ganz anderem Nachdruck hat Minucius 19,3 — 15 sich für
die Gotteslehre auf die Übereinstimmung der Philosophen untereinander
und mit dem Christentum berufen: ut quivis arbitrdur Christianos
phüosophos esse aut philosophos fuisse iam timc fuisse Christianos; gleich
darauf 21, 1, 2 bezeugen ihm wieder Philosophen die Natur der heid-
nischen Götter, 26, 9. 12 Existenz und Wesen der Dämonen, 34, 2 f. den
Weltbrand; wobei plötzlich die Notiz eingeflochten wird, daß nicht
die Christen den Philosophen gefolgt seien, sondern diese de divinis
praedictiontb«* profetarum (von denen Cäcilius noch gar nichts gehört
hat) xunbram interpolatae veritatis imitati sint: damit wird die Polemik
gegen die Seelenwanderungslehre des Pythagoras und Plato vorbereitet.
Aber noch nicht vorbereitet ist man auf den wilden Ausfall gegen die
Philosophen am Schluß (38, 5), wo der scurra Ätticus Sokrates ge-
scholten, die Akademiker gehöhnt, die Philosophen insgesamt als
scheinheilige Sünder und eitle Schwätzer gebrandmarkt werden. Cor-
mptores, adulteri, tyranni heißen sie dem Minucius; bei Tert. stehen
die Namen: corruptor ist Sokrates, adulter ist Speusipp, tyrannus ist
Zenon (die Nachricht von diesem ein Unicuin! ): auch in diesem Falle
tritt, meine ich, Tert.s Priorität ganz unzweideutig zu Tage. — Ich
glaube, Haiina. k (Dogmengesch. I4 522) tut dem Minucius zu viel Ehre
470 Eich ard Hemze: [XLVI 2 — 18
hat er auch später (de an. 2 p. 302 R.-W.) für erlaubt erklärt:
'muß man doch auch von den Feinden manchmal etwas be-
zeugen lassen, wenn es den Feinden nicht Nutzen bringt'. So-
mit spricht er den Philosophen nicht alle Wahrheit ab (11m
negabimus philosophos aliquando iuxta nostra sensisse de an. ib.
300): aber wir haben ja schon gesehen, wie sehr er sie im
Falle des Sokrates einscb rankt, wie geflissentlich er bestrebt
ist, die Schatten des Irrtums schwarz daneben zu malen. Es
verdanken aber die Philosophen das Wenige, was sie an
Wahrheit besitzen, den heiligen Schriften, die sie bestohlen
haben — aus Ruhmsucht und um schöne Worte darüber zu
machen: sie sind nicht Wahrheitssucher, wie bei Justin und
Athenagoras, sondern Freunde des Irrtums, und mit dem koyog
Gottes haben sie nichts zu schaffen. Tert. kennt ja eine Art
'natürlicher Offenbarung', die dem Walten des Xöyog vergleichbar
ist: auch den Philosophen gesteht er de an. 2 zu, daß der
ptMicus sensus (xotvr] evvolcc), quo animam deus dotare dignatus
est ihnen einiges entdeckt haben könne; im Apol. kennt er
diese Kraft der anima naturaliter christiana, wie wir sahen,
auch (ob. S. 376), aber bei den Philosophen gedenkt er ihrer
nicht. Und was die Persönlichkeiten angeht, so begnügt er
sich nicht mit einer allgemeinen Verurteilung, wie Theophilus,
sondern taucht tief im Schmutz der Verleumdung unter, wie
Tatian. Es ist gewiß nicht richtig, diese seine bedauerliche
Haltung aus einer Unterschätzung der Philosophie, oder ein-
fach aus der 'extremen Art seines Charakters' zu erklären: ich
glaube eher, daß ihr das richtige Bewußtsein zugrunde liegt,
selbst der Philosophie sehr viel zu verdanken, und ein Gefühl
für die Gefahr, die dem Christentum aus der Konkurrenz der
an, wenn er festzustellen sucht, wie dieser es im Grunde gemeint habe :
Min. breitet zunächst mit Behagen eine aus Cicero billig erworbene
Gelehrsamkeit aus, und kompiliert am Schluß den Tertullian, froh,
wenn es ihm gelingt, einen eklatanten Widerspruch zu vermeiden. —
Auch die tüchtige Arbeit von R. Kühx, Der Oktavius des M. F. etc.,
Lpz. 1882, nimmt den Min. als Philosophen durchweg zu ernst; leider
war der Verf. noch in dem Glauben an Min.' Priorität befangen.
XL VI 2— s] Tertullians Apologeticum. 47 l
Philosophie erwächst: je gefährlicher aber der Feind, desto
weniger ist Schonung angebracht, und im Kriege sind alle
Waffen recht.
Tert. verwendet zunächst, wie Justin, die Parallele mit XLVI 2—5
den Philosophen apologetisch, indem er für die Christen auch
rechtliche Gleichstellung mit jenen verlangt: das Argument
erscheint bei ihm kräftiger dadurch, daß er den Vergleich
nicht selbst zieht, sondern ihn den Gegnern in den Mund
legt, also ein festeres Widerlager gewinnt. Er bringt das
Argument mit trefflicher Steigerung, viel feiner durchgearbeitet
als Justin, gipfelnd in dem 'Kläffen der Philosophen gegen
die Kaiser', und in der scharfen Antithese des statuis et
salariis remunerari einerseits, des ad bestias prommtiari
andererseits. Aber dann plötzlich wirft er das Argument
selbst um: er ist ja nicht der Meinung, daß die Christen mit
den Philosophen auf gleichem Niveau stehen, und somit ist
ihre ungleiche Behandlung zwar eine Inkonsequenz der Gegner,
aber an sich gerechtfertigt. Nur — und dies ist die neue
scharfe Pointe — sind die Philosophen nicht mehr, sondern
weniger wert als die Christen: sie besitzen das nicht, worin
die Wahrheit und Kraft des Christentums am deutlichsten
zutage tritt, die Macht über die Dämonen: in dem sed merito
liegt somit eine ungeheure Ironie.
Als Beleg für die Anerkennung der Dämonen 'nächst
den Göttern' dient wie schon vorher (XXII) Sokrates' Wort
si daemonium permittat: er fühlte sich also als Knecht der
Dämonen. Und wenn er auch, im Besitze eines Stückes
Wahrheit, leugnete, daß es Götter gebe (dies nach der Anklage,
auf die sich Tert. auch weiter unten beruft), so ließ er doch,
dem Tode schon nahe, dem Asklepios einen Hahn schlachten.
Und zwar — hier tritt Tert.s Gehässigkeit zuerst recht
hervor — war der Grund hiervon die Ruhmsucht: Asklepios'
Vater Apollo hatte Sokrates für den Weisesten aller Menschen
erklärt. Das ist, meint Tert., so zu verstehen, daß er, als
insectator veritatis, dem Sokrates eben als einem Verfälscher
der Wahrheit gnädig war, und also den, der ihm selbst die
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 35
472 Richard Heinze: [XL VI 6—17
Göttlichkeit absprach, pries; verfälscht hat aber Sokrates die
Wahrheit eben dadurch, daß er zwar die Dämonen nicht als
Götter gelten ließ, aber doch als Dämonen göttlich verehrte.1)
Wenn also Tert. vorher (X), den griechischen Apologeten
folgend die Verurteilung des Sokrates auf den Haß zurück-
o-eführt hatte, dem die Wahrheit von jeher begegnet (ohne
doch ausdrücklich die Parallele zum Schicksal der Christen
zu ziehen), so tritt hier ein anderes daneben, geeignet den
Glanz des Namens Sokrates zu trüben: sein höchster Triumph,
das praeconium des Apollo, war ein Lohn dafür, daß er die
Wahrheit verfälscht hat.
XI. VI 6—17 Damit hat sich Tert. den Übergang zu der allgemeinen
Charakteristik der Philosophen als der Feinde der Wahrheit
o-eschaffen, der Wahrheit, die sie aus Ruhmsucht verfälschten:
wenn Justin die <pikodo%Ca in Gegensatz zur cpiXoöocpCcc ge-
stellt und als Charakteristikum falscher Philosophen gegeben
hatte, überträgt Tert. wie Theophilus den Vorwurf auf die
Philosophen generell, ohne Ausnahme. Somit weist er die
Gleichstellung der Christen mit den Philosophen sowohl in
Lehre wie in Leben schroff zurück. Was die Lehre angeht,
so steht der Unsicherheit eines Thaies2) und Piaton hinsicht-
1) Diese Erklärung wird bestätigt durch de an. 1 p. 299 R.-W.:
sapientissimus Socrates secundum Pythii quoque daemonis suffragium,
scilicet negotium navantis socio suo. In eignem Namen nennt Tert.
den Sokrates nie den Weisesten der Hellenen, geschweige denn 'weise'
schlechthin: ad nat. I 4 (sapientem non negabitis) ist gleichfalls vom
Zeugnis des Apollo die Rede, und mit der sapientia nur die Leugnung
der Götter gemeint. Widerspruchsvoll ist also die Beurteilung des
Sokrates durch Tert. nur insofern, als dieser von veritas spricht, wo er
nur einen Teil der Wahrheit meint; und die Äußerungen der früheren
Schriften Apol. und Nat. werden durch das später in de an. Gesagte
nicht widerrufen.
2) Tert, überträgt versehentlich auf Thaies und Croesus, was
Cicero de nat. deor. I 60 (und nach ihm Minucius 13) von Simonides
und Hiero erzählt: die Verwechslung zeigt, daß Tert. beim Schreiben
jedenfalls hier keinen Autor vor sich gehabt, sondern aus dem Ge-
dächtnis zitiert hat; ob seine ursprüngliche Quelle Cicero oder irgend
ein anderer Bericht gewesen ist, läßt sich natürlich nicht ausmachen.
XLVI 6 — 17 1 Tekti i.i.ians Apologeticum. 473
lieh der Gottheit die sichere Gotteserkenntnis jedes christlichen
Handwerkers gegenüber. Den Gegensat/, zwischen Piatons
Äußeruno- und der Gewißheit Christi betont auch Justin (Apol.
II 10), und rühmt im selben Zusammenhange, daß unter den
überzeugten Christen auch %si(JOTt%vui aal itavtsX&s iÖtwrca
zu finden seien 1 ), nicht nur, wie unter Sokrates' Anhängern,
Philosophen und Philologen. Tert. hat diese Stelle benutzt:
aber die packende Antithese zwischen dem oplfcx Christiatms
und Plato hat er erst hinzugefügt und damit dem Ganzen zu
polemischer Wirkung verholten. — Nach der scientia die
diseiplina: den elenden Klatsch, den Tert. hier gegen die
Philosophen zusammenträgt, hat er teils aus Tatian (c. 2)-),
teils aus anderen ebenso trüben Quellen: es lohnt nicht Ver-
mutungen darüber anzustellen, welche von den handgreiflichen
Unrichtigkeiten etwa auf seine eigene Rechnung kommen.1)
In der Tendenz ist der Unterschied zwischen Tatian und Tert.
der, daß der 'Barbar' einfach seine Mißachtung der hellenischen
Philosophen dokumentieren will, die von ihren Volksgenossen
Wie aber gerade aus dieser Stelle sich ergeben soll, daß Minueius den
Tert., nicht umgekehrt Tert. den Minueius benutzt habe (so Rausches
z. St.), vermag ich nicht einzusehen.
1) Über die sonstige Verbreitung dieses Gedankens Haknack Miss,
vi. Ausbr. I2 181. -
2) Das nehmen die Interpreten mit Recht an: die drei Geschichten
von Aristoteles, Plato und Aristipp stehen bei Tert. zusammen wie bei
Tatian (und zwar bei Tert, am Schluß der Aufzählung, wobei die bia
dahin festgehaltene Form der Einführung (mit si) fallen gelassen
wird) und mit manchen nahen Anklängen im einzelnen. Haknack hat
(TU I 220 fg.) die Abhängigkeit geleugnet und eine gemeinsame Quelle
angenommen: aber wenn Tatian sagt, daß Alexander iiQiOToxs~/.r/.v><
neevv seinen Freund, der ihn nicht anbeten wollte, mißhandelte, so
bezieht sich das aQtßtovsluK&s nicht auf das (nur von Tert., nicht von
Tat.) angeführte Verhalten des Aristoteles gegen Hermias, sondern auf
die von Tat. gescholtene Lehre des Aristot. : auaQ-äg . . . xr\v BvSaiuoviuv
iv olg tiq£ox£to jt8QiyQc'a!>c:g: es geht ja gleich weiter itdvv yovv intlfri-xo
tolg xov öidccGnä/.ov Öoyitaoiv . . xbv oixi-iov neu Ttävv cpiXxatov diuntLfJtov
rw SÖqocxi y.zX.
3) Über Einzelheiten s. Geffcken m, 4.
, - >:
j5
474 Richard Heinze: [XL VII
den Barbaren gegenüber als Stolz der Nation hochgehalten
werden, während Tert. die angebliche Behauptung seiner
Gegner von der Ähnlichkeit zwischen Christen und Philo-
sophen widerlegt, indem er jedem Laster eines Philosophen
eine christliche Tugend gegenüberstellt: also was dort bloßer
ÖLaövQuög war, wird beim Prozeßredner Tert. in der Form
einer rhetorisch aufgebauten övyKQiöig zum Beweismaterial.
XLVII Die letzte in der Antithesenreihe, mit der dies Kapitel
schließt — veritatis interpolator et Integrator et expressor, et
furator eins et custos — leitet, wie oben bemerkt, zu der
neuen Darlegung über die Abhängigkeit der Philosophen von
den Propheten übej : dies Dogma hat Tert. unbesehen von
den älteren Apologeten übernommen, die Absichten und Me-
thoden der Entlehnung und Verfälschung der Wahrheit in
Anlehnung an Tatian dargestellt: auch nach Tert. liegt teils
absichtliche Entstellung, teils Mißverständnis der selbst von
den Juden mißdeuteten Prophetenworte vor. Daran schließt
sich als Beleg für die Entstellung der Wahrheit die Übersicht
über die einander widersprechenden dö^cu tvsqI &sovx), fiept
x6(5[lov, hsqI i'vp)g. Auch hier liegt es für die Gegner nahe,
eine Parallele zu ziehen: die christlichen Sekten mit den
Philosophen zu vergleichen. Dem begegnet Tert., indem er
vielmehr die Häretiker als Fälscher der Wahrheit auf eine
Stufe mit den Philosophen stellt: eine ganz andere Parallele
hatte Justin gezogen zwischen den Namen 'Philosophen' und
'Christen', die beide im Sprachgebrauch das Verschiedenste
umfaßten (I c. 7. 26, 5), und vielleicht hat eben dies Tert.
zu seiner ausdrücklichen Ablehnung veranlaßt. Im übrigen
ist er darin mit Justin einig, daß er in den Häresien das
1) Ganz ähnlich in der Anlage und Tendenz des Theophilus
Exzerpt (Diels Rh. M. XXX 194 fr*.) der do£ca TttQi dsov, wobei
das Problem der ttqovoux im Mittelpunkt steht. Vgl. auch Tatian 25,
an den sich dann Ps.-Justins cohortatio und Herruias' irrisio anreihen
(I)iels Dox. 262). Ursprünglich ist es natürlich ein Kampfmittel der
Skeptiker gewesen, die Dogmatiker mit den Köpfen gegen einander zu
stoßen: Sext. Emp. Pyrrh. hyp. III 3fr.
XLVIIIJ Tertullians Apologbticum. 475
Werk der Dämonen erblickt, sowie darin . — und hier ist
Entlehnung sehr wahrscheinlich — ; daß er ihnen auch die
Erfindung von Mythen zuschreibt, dazu bestimmt, die analogen
christlichen Lehren zu diskreditieren (Justin I 54): ein Ge-
danke, durch den er den Übergang zum zweiten Stück dieses
Schlußteils, der Darstellung und Verteidigung der christlichen
Eschatologie gewinnt. An Entlehnung glaube ich; Justins
bei Tert. wiederkehrender Gedanke (I 54), die Dämonen hätten
den Dichtern z. B. die Mythen von den vielen Söhnen des
Zeus zu dem Zweck in den Mund gelegt, damit man, wenn
die den Dämonen bekannte Prophezeiung vom Sohne Gottes,
Christus, eiutreffe, dies auch für regaroXoyuc halte — der
Gedanke an ein so raffiniertes Vorgehen der Dämonen erscheint
mir zu seltsam, als daß er von zweien unabhängig gefunden
sein sollte: Tert. fügt ihm zwar seiner Gewohnheit nach noch
eine neue Pointe hinzu, indem er die Behauptung zur Alter-
native ausbaut: die Absicht sei gewesen, daß man entweder
den Christen so wenig glauben solle wie den Dichtern und
Philosophen, oder, daß man diesen lieber glauben solle, um
nicht den Christen glauben zu müssen. Diese zweite Seite
der Alternative ist durch Tert.s ganzen Gedankengang nahe
o-elest: er gins l'a davon aus, daß man die guten Seiten des
Christentums als bloßen Abklatsch der philosophischen Lehren
auffasse, und beruft sich nun im folgenden mehrfach auf
heidnische Dogmen, denen man glaube, während man die
entsprechenden christlichen verlache: aber nicht um die
Wahrheit der christlichen dadurch zu erhärten, sondern eben
nur, um die Inkonsequenz der Gegner festzustellen.
Nur kurz wird die Lehre vom jüngsten Gericht, von XLVTII
Hölle und Paradies berührt, ausführlich dagegen auf die
Auferstehungslehre eingegegangen, bei der das Hauptgewicht
natürlich auf der ewigen Vergeltung liegt. Die pythagoreische
Lehre von der Seelenwanderung findet selbst beim großen
Publikum Glauben1): die christliche Auferstehungslehre trifft
1) Tert. zitiert über Pythagoras" Lehre vom Übergang der
Menschenseele in Tierleiber einen Vers des Mimendichters Laberius;
470 Richard Heinze: [XL VIII
auf schroffen Widerstand. Das dient dann als Vorwand, um
diese Lehre eingehend zu begründen: ich habe diese Argu-
mentation hier nicht dogmengeschichtlich zu analysieren.
Wichtige Elemente derselben fand Tert. bei den griechischen
Apologeten vor, die fast ausnahmslos die Auferstehungslehre
behandeln, als ein christliches Kerndogma, das, wenn auch
ungefährlich und für die Verfolgung der Christen belanglos,
doch vor anderen geeignet schien, die Christen als wunder-
süchtig und abergläubisch zu diskreditieren, und das anderer-
seits wegen der damit zusammenhängenden Lehre vom jüngsten
Gericht für die Propaganda von großer Bedeutung war.1')
Wie Tert., verweist Tatian c. 6 auf das Nichtsein vor der
Geburt als Analogon für das Nichtsein vor der Wiedergeburt
und betont wie Tert., daß es gleichgültig für die Auferstehung
sei, in welchem Element der Leib vergangen sei.2) Wie Tert.
lehrt Theophilus, daß Gott den ewigen Wechsel von Ent-
stehen und Vergehen in der Natur als Zeugnis für die Auf-
erstehung vor Augen stelle.3) Aber keiner der Apologeten
Minucius erwähnt 34, 7 die gleiche Lehre mit dem Zusatz non philo-
sophi sane studio, sed mimi coiivicio digna ista sententia est. 'Also
Tert. hat die Laberiusstelle aufgestöbert, Min. seinem Satze die ge-
schickte Zuspitzung gegeben; weil es ihm auf die Antithese der
Philosophen und Mimen ankam, hat er die Eigennamen fortfallen
lassen'. Kroll, Rh. M. 60 (1905) p? 3°9-
i) Vgl. GrEFFCKEN p. 235. 244.
2) kccv nvQ ii-cccpccvißr] \lov xb ouoxiov, i^axaiöQ-üoccv xt]v vlrtv 6
y.döfto^ ■KSxd>Qi]H£' kccv iv Ttorufioig itav iv ftaläöaccig (xdaTzuvri&ä} wxv
V7tb ftrjQiwv diaGrtaO&w, xccfisioig ivan6y.£iyica niovoiov ö^cnörov. *ai
ö php 7tTco%bg y.u\ ikfttog ovx olösv xa ano-/.d\ihva., &sbg ds 6 ßaortsvav,
ors ßovXexca, xijv ogctxrjv ctvxca (lövov V7t6axccaiv äTtoKccxaaxrjasi Ttgbg xo
<xQ%aiov. Tert. XL VIII 9 ubicumque resolutus fueris, quaecumque te
materia destruxerit, hauserit, aboleverit, in nihilum prodegerit, reddet te.
Eius est nihilum ipsum, cuius et totum.
3) ad Autol. I 13 6 {ihv ovv fteog aot %olXa xsk^qicc i%i8dv.vv6iv dg
-b iti6T£vsiv ccvxoi. d yccg ßovXst, v.axav6r\Gov xi]V xäv %uiQä>v v.ai
i\\i£Q<öv Kai vvxxcöv xslsvxriv, it&g %a.\ avxa xsXsvxä hccI avicxuxui, dann
Samen und Früchte, dann Bäume und Sträucher: Ttcog ovyl naxa. ttqÖo-
ruy^icc %tov ('% atpuvovg v.cci ctOQÜxov -naxa v.aiQOvg TTQOtp^QOVßt xovg
XLVIII] Tbrtdllians Apologeticum. 477
gibt eine bei aller Kürze doch so reichhaltige und umfassende
Demonstration der Lehre in strenger Disposition: i. Über-
legenheit über die Seelen Wanderungslehre und Darstellung der
ratio der Auferstehung, auch des Fleisches. 2. Das Wie.
3. Gottes Fähigkeit zur Ausführung und Beweis aus der
Natur, die im Menschen gipfelt. 4. Die Stellung im Weltplan.
5. Der Zustand nach der Auferstehung. Auch im einzelnen
ist der Vergleich lehrreich, um auch hier wieder die Über-
legenheit der tertullianischen Dialektik über die seiner
griechischen Vorgänger zu erkennen: doch kann ich mir die
Durchführung ersparen.
Auch Minucius läßt seinen Octavius ausführlich die Auferstehung
gegen des Caecilius Angriffe (c. n) verteidigen (c. 34 fg.). Ein Zusam-
menhang mit Tert. ist auch hier unverkennhar; doch kompliziert sich
die Frage dadurch, daß Minucius den Griechen in mancher Einzelheit
noch näher steht als dem Lateiner x), und also eine selbständige Kenntnis
ihrer Apologien auch hier anzunehmen ist. Der Vergleich aber mit
Tert. führt auch hier zu dem Resultat der Abhängigkeit des Minucius.
Um dies vorwegzunehmen: auch hier ist Tert.s Auffassung, weil in
energischer Durcharbeitung dem eignen Denken assimiliert, klar und
durchaus einheitlich, die des Minucius, weil nur äußerlich aufgenom-
men, widerspruchsvoll und schwankend. Tert. hält durchaus daran fest,
daß der Mensch zwischen Tod und Auferstehung ein Nichts ist, und
dann von Gott neu geschaffen wird. Tert. betont daher bei dem Ver-
weis auf die Zeit vor der Geburt aufs stärkste, stärker noch als Tatian
u. a., das esse de nihilo und nach der Auferstehung das rursus esse de
nihilo; bei dem Hinweis auf die Erschaffung der Welt — die nur er
in diesem Zusammenhange bringt — die Erschaffung aus dem Nichts8);
■KccQTtovg, . . . xavxcc Sh nävxcc ivsgyst 7} xov Q'sov ooepice, tig tu imdst^ai
v.a.1 äiä xovxcov ort dvvaxog iöxiv o ftsbg noifjoai, rrjv v.a&oliv.i.r
ccväcxuaiv ÜTtdvxcov ccv&Qmnoiv. Dann xcc iv ovqccvöj: Mondwechsel.
1) Man halte neben die soeben in den Anm. zitierten Stellen die
Sätze des Minucius 34, 10 tu perire et deo credis, si quid oculis nostris
hebetibus subtrahitur? Corpus omne sive arescit vn pulverem sive in
umorem solcitur vel in cinerem comprimitur vel in nidorem tenuatur,
subducitur nobis, sed deo elementorum eustodi reservatur. Das post
Senium arbusta frondeseunt steht bei Min. wie bei Theophilus, bei Tert.
aus gutem Grunde nicht.
2) Vgl. de resurr, carnis c. 1 1 igitur confide illum totum hoc ex ni-
hilo protulisse, et deum nosti fidendo quod tantum deus valeat.
478 Eichakd Heinze: [XLVIII
bei der Parallelisierung der Naturvorgänge das Vergehen vor dem
Wiedererstehen in immer neuen Wendungen1); und an den Schluß
stellt er sehr entschieden den Satz eius est nihilum ipsum, cuius et
totum. Es entspricht durchaus der radikalen Art seines Denkens, daß
er jede vermittelnde Vorstellung — von einem Fortbestehen des Leibes
in anderer Gestalt und einer Neuformung durch Gott oder dgl. — ver-
schmäht und die Auferstehung geradewegs als Neuschöpfung des früher
Gewesenen hinstellt. Minucius akzeptiert dies z. T., nämlich, wo ihm
der Gedanke wirkungsvolle Antithesen liefert — sicut de nihilo nasci
licuit, ita de nihilo Heere reparari; aber die Vorstellung ist ihm nicht
lebendig geworden: gleich im folgenden wird der Übergang der Körper-
materie in andere Stoffe geschildert (s. oben S. 477, 1), so daß nur
unserer Kurzsichtigkeit die Fortdauer des Körpers entgeht, und bei
dem Passus über die Natur fehlen die charakteristischen Wendungen
Tert.s, auch steht dort das post Senium arbnsta frondeseunt, wobei ein
Absterben und Neuwerden nicht vorliegt. Und in eben diesem Passus
verrät ein Wort, das aus Tert. stehen geblieben ist, wenn ich nicht
irre, die Entlehnung: Min. fährt fort semina non nisi corrupta revires-
eunt*): wozu wird hier betont, daß die Samenkörner erst verderben
müssen, um wieder zu grünen? Bei Tert. steht semina non nisi cor-
rupta et dissoluta feeundius surgunt: da hat das non nisi seinen guten
Grund, denn Tert. will auf den allgemeinen Satz hinaus, an dessen
Paradoxie er Freude hat: omnia pereundo servantur, omnia de interitu
reformantur — und während allem anderen der Untergang einziges
Mittel zum neuen Werden ist, soll beim Menschen das Gegenteil ein-
treten? ad hoc morieris ut pereas? — Übrigens hat Minucius die Ana-
logie der Natur in origineller Weise verwertet: als Vorbereitung auf
die Widerlegung des gegnerischen Einwandes (11,8), warum denn in
so vielen Jahrhunderten noch keiner wieder auferstanden sei : der Leib
im Grabe ist wie der winterlich abgestorbene Baum, es gilt den 'Früh-
ling' abzuwarten. Dementsprechend wird nun aber der ganze totto?
bei ihm zum Gleichnis (vide adeo, quam in solacium nostri resurrec-
tionem futurum omnis natura meditetur), und Gott bleibt aus dem Spiel:
während Tert. und, wie die Übereinstimmung mit Theophilus wahr-
scheinlich macht, seine griechische Quelle, von einer Absicht Gottes,
den Glauben an die Auferstehung zu bestärken, redeten: das konnte
1) interfeeta, decedendo, defuneto, fmiuntur , consummantur, cor-
rupta et dissoluta . . omnia pereundo servantur, omnia de interitu refor-
mantur.
2) Es wäre möglich, daß sich Min. an I Cor. 15, 36 erinnerte: tu
(juod seminas non vivificatur, nisi prius moriatur, aber die wörtlichen
Anklänge machen Abhängigkeit von Tert. wahrscheinlicher.
XLVIII] Terti i.i.iaxs Apologbtk 479
Minucius in seinem Zusammenhang nicht braueben. — Der paradoxe
Einfall, daß die zweite Schöpfung sogar leichter sei als die erste, weil
eine Wiederholung des schon einmal Gewesenen, sieht mir ganz nach
tertullianischer Sophistik aus1) — bei Älteren finde ich ihn nicht — ;
wenn Min. ihn so wiedergibt: difficiliw esse id quod mm sit ineipere
quam id quod fuerit itcrare — so verdirbt er ihn: denn das qw>d mm
sit gilt auch von dem Verstorbenen vor der Auferstehung. — Daß Min.
die Ewigkeit der Hüllenstrafen so stark betont und vor allem es glaub-
lich zu machen sucht, daß das Hölleufeuer die Leiber brennt, ohne sie
zu verzehren — der Blitz und das Feuer der Vulkane dienen als Ana-
logien wie bei Tert. — , das erscheint durch Gedankengang und Zu-
sammenhang nicht so entschieden gefordert wie bei Tert.; Caecilius
hatte die poena sempiterna der Ungerechten zwar erwähnt (11,5), aber
auf das sempitemum kein Gewicht gelegt, Tert. dagegen betont stark
die ewige Dauer des durch die Auferstehung und das jüngste Gericht
geschaffenen Zustandes, da dieser eben der strikte Gegensatz der Zeit-
lichkeit ist; zudem stützt er sich für die Verschiedenheit des arcaiius
et publicus ignis auf die Lehre der 'Philosophen', d. i. der Stoa, und
knüpft unmittelbar daran (XLIX 1) wieder die Klage darüber, wie ver-
schieden solche Dogmen bei den Philosophen und bei den Christen
beurteilt würden. Im einzelnen ist hier merkwürdig die abweichende
Beschreibung der Blitzwirkung: qui de <nth> tangitur, salvus est, ut
nullo tarn igni decincrescat sagt Tert., ignes fulminum corpora tangunt
nee absumutd Minucius. Die von den Interpreten des Tert. — Havke-
camp, Okulek, Rauschex — vertretene Ansicht, daß beide dasselbe
meinen, Minucius den Tert. richtig interpretiert habe, ist keinesfalls
haltbar; Tert. kann nichts anderes gemeint haben, als was die Worte
sagen: wer vom Blitz getroffen ist, dessen Leib ist feuerfest. Aber wir
haben hier einen Fall, wo die richtige Fassung nicht auch die origi-
nale ist: die Worte des Minucius sind zu klar, als daß auch ein flüch-
tiger Leser sie hätte mißverstehen können; andererseits ist Tert.s An-
gabe als ungenaue Reminiszenz etwa an den Aberglauben, daß vom
Blitz Getötete weder verwesen noch von Tieren gefressen werden
(Plut. qu. c. IV 2,3) oder an den Brauch, vom Blitz Getötete nicht zu
verbrennen (Plin. n. h. II 145 hominem ita exanimatum cremari fas non
est) bei der im Tatsächlichen oft recht flüchtigen Art des Autors wohl
begreiflich, und begreiflich auch, daß Minucius daran Anstoß nahm
und korrigierte. Der Vergleich wird dadurch freilich nicht besser,
denn nach Tert.s Vorstellung hat der Blitz sowohl zerstörende als er-
1) Tert. wiederholt ihn de resurr. carn. 11 utique idoneus est re-
l'mre qui fecit, quanto plus est fecisse quam refteisse, initium dedis*e
quam reddidisse; ita restitutionem carnis faciliorem credas institutione.
480 Eichard Heinze: [XLIX i — 3
haltende Kraft, bei Minucius' tangunt nee absumunt ist die Analogie
mit dem verzehrenden und ersetzenden Höllenfeuer geringer. Aber
noch eins: bei Tert. ist die Analogie dadurch schlagend, daß für ihn
auch Blitz und vulkanisches Feuer iudicio clei adparet, wie das Höllen -
feuer: hat er doch oben XL 8 beides unter den Strafmitteln Gottes mit
genannt1); bei Minucius, der von diesen Dingen vorher nicht geredet
hat, bleibt es bei einer bloß äußerlichen Analogie, die zudem beim
Blitz nicht einmal recht zutrifft. 2) Endlich noch eine lexikalische Be-
obachtung: erogare Verzehren, vernichten' ist bei Tert. beliebt (Oehlek
zu Scorp. c. 6), sonst, soviel ich sehe, recht selten: bei Minucius steht
das Wort nur hier3): gewiß verdankt er es der Tert.-Stelle, die er beim
Schreiben vor Augen hatte.
LIX 1—3 Tert. kommt auf den Vergleich mit den Philosophen zu-
rück: fum derselben Lehre wegen werden jene gepriesen, wir
verlacht, ja gestraft'. Dabei ist doch die Lehre, mag man
sie selbst nicht als wahr anerkennen, gewiß nützlich und also
empfehlenswert, zum mindesten aber niemandem schädlich:
also verdiente sie höchstens Spott, aber nicht die harten
Strafen, zu denen ihr uns verurteilt. Justin hatte gesagt, 'wenn
1) Deutlich tritt diese Vorstellung auch hervor de paenit. 12, eine
Stelle, die zeigt, wie fest die Vorstellung bei Tert. haftete: quid illum
thesaurum ignis aetemi aestimamus , cum fumariola quaedam eius
tales flammarum ictus suscitent, ut proximae urbes aut iam nullae ex-
Stent aut idem sibi de die sperent? Dissiliunt superbissimi montes ignis
intrinsecus fetu, et quod nobis iudicii perpetuitatem probet, cum dissili-
ant, cum devorentur, numquam tarnen finiuntur. quis haec supplicia
interim montium non iudicii minantis exemplaria deputabit? quis scin-
tillas tales non magni dlicuius et inaestimabilis foci missilia quaedam
et exercitoria iacula consentiet? Also das vulkanische Feuer ist Höllen-
feuer: diese These wird man demnach auch im Apol. nicht mit Ebert
(p. 376) daraus erklären, daß Tert. den Min. cin der Eile' mißver-
standen habe.
2) Der Ausdruck sapiens ignis, statt des tertullianischen arcanus,
zeigt, daß Min. auch hier andere christliche Quellen zur Verfügung
hat: Christen haben das cpQoviuov 7tvQ Heraklits (Hippol. IX 10 fr. 123 B.
63 D.) und der Stoa (vosgog %al cpQovi^ios Zeno Dox. p. 467) mit dem
von Gott gesandten oder im Jenseits brennenden Feuer identifiziert:
s. die bei Bönig angeführten Stellen des Origenes und Clemens und
vgl. Anrich in Theolog. Abh. f. Holtzmann 117, r.
3) igves . . flagrant nee erogantur, Tert. dum erogat reparat.
XLIX 4 — TjJ Tbrti i.i.iaxs Apologbtioum. 481
einer die Lehre vom jüngsten Gericht für unglaubwürdig und
und unmöglich hält, so trifft der Irrtum doch nur uns, keineu
anderen, so lange wir kein Unrecht durch die Tat begehen'
(I 8)1), und weiterhin, 'wenn euch die christliche Lehre Ge-
schwätz dünkt, so verachtet sie als solche, und verurteilt nicht
zum Tode die, die kein Unrecht tun (68)'. Man sieht hier
Tert.s Pointe vorbereitet: aber so schroff* wie dieser hatte
Justin doch nicht zu behaupten gewagt, daß das Bekenntnis
zur Lehre von Auferstehung und jüngstem Gericht ein Todes-
urteil nach sich ziehe. Es ist, als wolle Tert. es durch diese
Fiktion — anders kann man es nicht bezeichnen — recht-
fertigen, daß er in der Gerichtsrede so ausführlich auf ein
kriminell niemandem verdächtiges Dogma eingegangen war.
Und nun wieder kein Absetzen und Neueinsetzen der XLIX 4
letzten Betrachtung über das Martyrium der Christen, son-
dern ein kühner rascher Übergang: 'über solches ungerechte
Wüten triumphiert nicht nur der blinde Pöbel, sondern auch
von euch suchen manche, die sich durch Ungerechtigkeit
populär zu machen wünschen, ihren Ruhm darin*.
Der eigentliche Epilog, zu dem diese Schlußbemerkung XLIX 5 — L
überleitet, hat als Grundgedanken den, daß die Verurteilung
für die Christen keine Niederlage, vielmehr einen Sieg be-
deute. Zunächst ist es kein Triumph der Gegner: denn es
ist ja freier Wille der Christen, die sich durch den Abfall
von Gott leicht der Verurteilung entziehen könnten. Der Ein-
wand liegt nahe, daß sie, wenn ihnen ihr Wille geschieht,
auch kein Recht haben, darüber zu klagen: Tert. begegnet
ihm mit einem rhetorisch wirksamen, sachlich recht wenig
beweisenden Gleichnis2): auch der Soldat beklagt sich über
1) Ganz ähnlich Athenag. 36.
2) Über die militia Christi genügt ein Verweis auf Haknack»
Schrift dieses Titels (Lpz. 1905; vgl. dens. Miss. u. Ausbr. I 348 fg.). Der
Vergleich der Beschwerden, die der Märtyrer wie der Soldat zu tragen
hat, war ad mart. 3 eingehend gezogen, und er paßte dort wohl noch
besser wie hier: dort werden die Kerkersnöte mit den Mühsalen vor
dem Kampf verglichen, die auch der tapfere Soldat nicht gern trägt ;
482 Richaed Heinze: [L
die Mühe des Kampfes — das ist für den Christen der Pro-
zeß — , wünscht sich aber den Sieg: so auch der Christ; da
aber 'siegen' heißt das erreichen, wofür man stritt, so ist
das für den Märtyrer der Tod, der ihm den Ruhm, Gott zu
gefallen, und die Beute des ewigen Lebens erwirbt.1) cSo
fassen wir die schmählichste Hinrichtung als Triumph. Auch
an dieser Haltung nehmt ihr Anstoß: ihr scheltet uns Ver-
zweifelte und Verlorene, ohne zu bedenken, daß der gleiche
Opfermut, bewiesen für geringere Werte, als Gott und die
wahre Unsterblichkeit es ist, sonst bei euch die höchste An-
erkennung findet.2) Aber fahrt nur fort, die Christen dem
Haß des Volkes zu opfern: der Tod durch euch ist Beweis
unserer Unschuld und bestes Werben für unsere Lehre'.
Um die Bedeutung dieses triumphierenden Epilogs zu
hier sollte es sich eigentlich nur um den Kampf selbst, Prozeß und
Verurteilung handeln, aber dem Gleichnis zu liebe sagt Tert. cur qiie-
rimini quod vos insequamur, nicht quod vos damnemus.
1) Victoria est autem pro quo certaveris obtinere: es ist vorher ge-
sagt, daß das beim Soldaten Ruhm und Beute ist, nachher, worin
beides für den Christen besteht. Minucius eignet sich die Sentenz 37, 1
an: vicit mim qui quod contendit obtinuit, aber man sieht nicht deut-
lich, was er damit meint. Im übrigen hat Min. für seine Schilderung
des christlichen Kampfes zu Seneca de Providentia gegriffen.
2) Tert. wählt zunächst, anknüpfend an die Schmähworte sar-
menticii et semaxii drei Beispiele von exusti: Mucius, Empedocles,
Dido, schließt daran zwei qualvolle Hinrichtungen (Regulus, Anaxarch),
bringt endlich drei Beispiele von standhaft ertragenen Foltern; einen
Teil verdankt er wohl einer Sammlung von exempla, andere waren all-
gemein bekannt. Minucius fand den Mucius sowohl bei Tert. wie auch
bei Seneca de prov. 3,5, und es ist hübsch zu sehen, wie er die Ge-
sichtspunkte der beiden verbindet: das Beispiel widerlegt eigentlich
bei ihm des Caecilius Behauptung, daß die Christen miseri seien
(12, 3 fg.): Christianus miser videri potest, non potest inveniri; so hatte
Seneca gefragt in fei ix est Mucius, quod dextra ignes hostium premit?
Aber Min. sagt vos ipsi calamitosos viros fertis ad caelum, ut Mucium
Scaevolam: dies fIn-den-Himmel-heben' ist das, was Tert. der abschätz-
igen Beurteilung gegenüberstellt, die der Christen Todesmut bei den
Heiden findet. Den Ausdruck hat Min. allerdings gewählt, um etwas
der von den Christen erhofften immortalitas Analoges anzuführen.
L] Tertullians Apologeticum. 483
würdigen, ist es nötig, sich der traditionellen Haltung des Ver-
teidigungsepilogs zu erinnern: Tert. rechnet darauf, daß der
Hörer oder Leser diesen Vergleich anstelle. Statt der sonst
üblichen Versuche, das Mitleid der Richter zu erwecken, hier
Ausdruck höchsten, stolzesten Selbstbewußtseins; statt der be-
weglichen Schilderung der schlimmen Polgen, die eint' Ver-
urteilung haben würde, hier der Preis der Verurteilung a!>
eines ersehnten Sieges, dem ein köstlicher Lohn bestimmt sei;
statt der Bitte an den Richter, die Unschuld des Angeklagten
durch Freispruch anzuerkennen, hier die Versicherung, daß
die Verurteilung den Beweis für die Unschuld liefen] werde^
überhaupt statt der rührenden Bitte an die Richter um
Erbarmen und Gnade die fast höhnische Aufforderung, ihrer
Grausamkeit freien Lauf zu lassen und damit dem Getöteten
den größten Dienst zu leisten, die Verzeihung seiner Sünden
von Gott zu erwirken.
Auf wen ist dieser Epilog berechnet? Gewiß nicht auf
die angeblichen Adressaten der Schrift, die praesides, <>
oder doch wenigstens nicht in ihrer Eigenschaft als Richter.
Wohl aber mußte jeder Christ diese hochgemuten Worte
mit Begeisterung lesen und sich dadurch gestärkt fühlen
gegen die Schrecken der Verfolgung; und sodann: es war
nichts besser geeignet, protreptisch zu wirken, als dieser
Epilog, den das Feuer des Märtyrermuts durchglüht. Und
blicken wir von hier aus zurück auf die scheinbar so dispa-
raten Teile der peroratio von c. XLVI ab, so werden wir
vielleicht in der beabsichtigten protrep tischen Wirkung die
anfänglich vermißte Einheit finden. Daß die Lehre von der
Auferstehung, dem jüngsten Gericht und dem ewigen Feuer
vor allen christlichen Lehren solcher Wirkung fähig ist, be-
darf keines Beweises; ganz naiv noch hatte Aristides am
Schlüsse seiner 'Apologie' den heidnischen Gegnern geraten,
von ihren Angriffen abzulassen und sich selbst zu bekehren,
damit sie einst dem Gericht und der Strafe entgingen und
des ewigen Lebens teilhaftig würden, und Justin muß sich
schon (ap. U 9) gegen den Vorwurf wenden, die Christen
484 Richard Heinze:
lehrten die ewigen Strafen, um durch Furcht Proselyten zu
machen.1) Tert. hütet sich daher wohl, seine Lehre als Ver-
warnung oder Drohung vorzutragen, erfüllt vielmehr schein-
bar, wie schon Athenagoras c. 36, nur die Pflicht der Ver-
teidigung gegen den Vorwurf der Lächerlichkeit: er vertraut
darauf, daß die durch eingehende Argumentation zur Gewiß-
heit erhobene furchtbare Aussicht auf die ewigen Höllenstrafen
wirken wird; nur in einem einzigen letzten Sätzchen, und in
ihm eigentlich nur mit den zwei Schlußworten, klopft er
deutlicher an das Gewissen der heidnischen Verfolger: montes
nruntur et durant: quid nocentes et dei hostes?
Protreptisch endlich ist auch die Synkrisis zwischen
Christ und Philosoph zu verstehen, mit der Tert. seine pero-
ratio beginnt. Wir sahen allerdings, daß er höchstwahr-
scheinlich auch seine eigenen Glaubensgenossen im Auge hat;
aber vornehmlich denkt er doch an diejenigen Heiden, die in
der Philosophie einen Ersatz für die Religion gefunden zu haben
meinen, die vielleicht bereit sind, alles zuzugeben, was vor-
her gegen den heidnischen Volksglauben eingewendet wurde,
aber trotzdem auf das Christentum von der Höhe ihrer älteren
und vornehmeren Weisheit verächtlich herabblicken. Bei
Tatian, den Tert., wie wir sahen, gerade in diesem Abschnitt
benutzt, war ja die Bekämpfung jenes philosophischen Hoch-
muts ein wichtiges Hauptstück seiner gewiß in letzter Linie
auch protreptisch gemeinten Schrift; aber bei ihm ist die Pole-
mik zersplittert und versprengt in einer Fülle von ordnungslos
ausgeschütteten Angriffen auf die gesamte heidnische Bildung,
und es kommt dem Leser kaum zum Bewußtsein, was Tert.
so klar herausarbeitet, daß das Christentum den Anspruch
erhebt, das Erbe, wie der heidnischen Religionen, so auch
der Philosophie anzutreten.
Nicht als Jurist, das hat uns die Analyse gelehrt, sondern
als Advokat hat Tertullian sein Apologeticum geschrieben.
1) Vgl. Geffcken 96.
Tertui.i.i \ns Apolo» bticum. 485
So wenig- ist er um juristische Präzision und Sachlichkeit
bekümmert, daß es schwer denkbar erscheint, er sei Rechts-
gelehrter von Beruf gewesen; so fest steht er mitten in der
Tradition römischer Gerichtsrede, daß sich unabweisbar die
Annahme aufdrängt, die Praxis des Forums, nicht das Studium
der Rhetorik allein habe ihn gebildet. Wenn wir die Reden
Ciceros öfter fast als die rhetorische Theorie zum Vergleich
heranziehen konnten, so hat das seinen guten (»rund: auch
für Ciceros Beredsamkeit ist in höherem Maße, als man <;e-
meinhin annimmt, die römische Praxis neben der griechischen
Theorie bestimmend gewesen. Für das Fortleben dieser Praxis
ist uns Tert.s Apologeticum ein wichtiger Zeuge neben Apu-
leius' Apologie: wichtiger in mancher Hinsicht noch als diese
weil mannigfaltiger und weniger durch 'philosophische' Aspi-
rationen gefärbt.
Freilich war, wie wir sahen, die Aufgabe, die sich Tert.
gestellt hatte, eine Apologie des Christentums als Gerichts-
rede zu formen, restlos nicht zu lösen: so manche Vorwürfe,
die er nicht übergehen wollte, ließen sich nur scheinbar,
andere überhaupt nicht als rechtliche Klagepunkte formulieren.
Aber der Geist der Verteidigung ist durchweg wirklich der
der forensischen Apologie , mit allen seinen Licht- und
Schattenseiten. Vollständigkeit der Verteidigung ist das erste
Erfordernis; es genügt nicht, einige Hauptpunkte heraus-
zugreifen, sondern was irgend die Gegner vorgebracht haben,
verlangt Widerlegung, und das Ideal ist, den Klienten nicht
nur von den Anklagen reinzuwaschen, sondern ihn als ge-
wappnet gegen jede mögliche Anklage, ja als hochverdient
zu erweisen. Die Vollständigkeit der Verteidigung verschafft
uns einen Überblick sämtlicher heidnischer Gravamina, so
lückenlos wie ihn keiner der griechischen Apologeten gibt.
Und Tert. formuliert alle diese Gravamina aufs schärfste: er
ist gewohnt, vor Gericht gegen bestimmte Anklagen, nicht
gegen vage Verdächtigungen zu verteidigen, und darum sucht
er auch hier, nicht immer ohne Willkür, jedem Vorwurf eine
möglichst bestimmte Fassung zu geben. Er ist aber auch
486 Richard Heinze:
gewohnt, nicht mit bloßen Behauptungen oder dem Bekenntnis
der eigenen Überzeugung, sondern mit Beweisen zu fechten,
und er führt diese Beweise, sowohl gegen die Anklagen der
Heiden wie positiv für die Wahrheit der christlichen Lehre
und die Reinheit der christlichen Sitte, mit souveräner Be-
herrschung aller in der gerichtlichen Praxis bewährten
Formen. Er spricht nicht, wie Justin oder Athenagoras, zu
einem als gütig, gerecht und weise präsumierten Kaiser,
sondern zu einem stark voreingenommenen, ja haßerfüllten
Richter, den es mit zwingenden Argumenten eines Besseren
zu belehren gilt: da wirken nur Verstandesgründe, oder besser
noch unzweifelhafte Tatsachen, erhärtet, wo es angeht, durch
Urkunden oder Zeugenaussagen. Die Gründe sind durchweg
scharfsinnig, vielfach überscharfsinnig erdacht, und nicht wenig
Sophistisches läuft dabei unter; oft genug steht die große
rhetorische Wirkung eines Arguments in umgekehrtem Ver-
hältnis zu seinem wirklichen Gewicht, und man empfindet,
daß der Verteidiger gewohnt ist, für die rasch vorüberfließende
Rede zu denken, die keine gründliche Abwägung erlaubt, nicht
für die nachdenkliche und nachprüfende Lektüre, bei der die
Blender versagen. Volle Sicherheit gewährt für Tert. nur
verstandesmäßige Erkenntnis oder unmittelbare Anschauung:
das Unerforschliche wird nicht durch mystisches Hindeuten,
sondern durch zur Auflösung reizende Paradoxen oder durch
anschaulichen Vergleich dem Begreifen zugänglich gemacht,
und auch Götter und Dämonen, ja Gott selbst muß es sich
gefallen lassen, daß ihr Tun auf rein menschliche, nüchterne
Erwägung und Berechnung zurückgeführt wird. Die Tatsachen,
deren er bedarf, schöpft Tert. mit Vorliebe aus dem Leben,
das ihn umgibt; was er an historischen oder naturwissenschaft-
lichen Belegen braucht, entnimmt er ohne Nachprüfung, ja ohne
auch nur genauer hinzusehen, leicht zugänglichen Material-
sammlungen; er hat durchaus keine gelehrten Neigungen, aber
es paßt ihm, gelegentlich den Schein der Gelehrsamkeit zu
erwecken, und er scheut sich nicht, skrupelloser darin als die
besseren unter den Griechen, eilig erraffte Notizen so dar-
Tertulmans Apologet» i m. 487
zubieten, als seien sie die Quintessenz eigener tiefgründiger
Forschung.
Der Gegner, der es ja selbst so büse nieint, hat keinerlei
Anspruch auf Schonung, ja nicht einmal auf unbefangene und
gerechte Würdigung seines Standpunktes. Neben der Ver-
teidigung steht durchweg der leidenschaftliche Angriff, uw\
dieser wird geführt mit allen Waffen der Verdächtigung, des
Hohnes, des satirischen Witzes, wie sie uns aus erbitterten
Kämpfen vor römischen Gerichten so wohl vertraut sind:
gilt es doch nicht, den Ankläger zu überzeugen — eine Ver-
ständigung mit ihm wird gar nicht versucht — , sondern den
Richter, und daneben die als noch indifferent gedachten
Zuhörer.
Aber das doccre allein genügt nicht: das movere, ja auch
das delectare darf nicht fehlen. Tertullian hütet sich wohl,
das Pathos zu mißbrauchen; so unverkennbar leidenschaftlich
sein Temperament ist, er ist doch ein zu gut geschulter Redner,
um nicht die eigentlich pathetischen Töne für wenige Höhe-
punkte aufzusparen. Dann aber braust das Pathos im vollen
Strom, ergreifend, ja erschütternd — um sofort zu verstummen,
sobald es seine Wirkung getan hat, und wieder nüchterner
Schärfe der Argumentation Platz zu machen. Auch den
Affekt braucht Tert. als Mittel, wie er denn überhaupt, mag
er erörtern oder schildern oder erzählen, jeden Satz, jedes
Wort mit klügster Berechnung dem jeweiligen Zwecke dienst-
bar macht.
Das gesamte Material der Verteidigung und Gegenanklage
ist im voraus sorgfältig durchdacht und bis in die kleinsten
Einzelteile zweckmäßig angeordnet, um leichten Überblick zu
ermöglichen, Wiederholungen zu vermeiden, Steigerung zu
erzielen, Spannung zu erwecken; nirgends vielleicht deutlicher
als in der dispositio zeigt sich Tert.s Überlegenheit über seine
griechischen Vorgänger. Kaum irgendwann läßt er sich durch
momentane Einfälle verführen, von einem Gegenstande mehr
zu sagen, als gerade jetzt erforderlich ist; er kennt kein
Divagieren, und wenn er länger auf einem Punkte verweilt,
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXII. 36
488 Richakd Heinze:
ohne daß die Erörterung fortschreitet, so geschieht das nur,
um einen Gedanken von allen Seiten im Lichte funkelnder
Pointen vorzuführen: nichts delektiert ja den Hörer seiner
Zeit mehr als die feingeschliffene sententia, und in ihr ist
Tert. Meister. Wie trefflich er es im übrigen versteht, durch
alle modernen Kunstmittel des Stils die verwöhnten Ohren
seines Publikums zu befriedigen, kann ich mir ersparen aus-
zuführen: wir sind ja dank neueren Untersuchungen über
Tertullian als Stilisten hinreichend aufgeklärt.
'Tertullian als Schriftsteller' hat in knappen Zügen Holl1)
meisterhaft geschildert; die Analyse des Apologeticum hat ein
ins Einzelne ausgeführtes Beispiel zu dieser zusammenfassen-
den Schilderung gegeben. Es hätte an sich fast jede andere
Schrift Tertullians ebensogut dazu getaugt: aber wir hatten
beim Apol. den Vorteil, seine schriftstellerische Art mit den
inhaltlich auf weite Strecken vorbildlichen, aber literarisch
unbeholfenen Griechen einerseits, mit dem unselbständigen
und gedankenarmen, aber literarisch gewandten Kompilator
Minucius andererseits kontrastieren und so in helleres Licht
steilen zu können; und den weiteren Vorteil, daß das Apol.
seiner Form nach der Gerichtsrede am nächsten steht, die
man als das Prototyp der tertullianischen Schriftstellerei
überhaupt bezeichnen darf. Auch wo die äußere Form
wechselt, ist der Typus der gleiche: mag Tertullian Zucht
und Sitte predigen oder philosophische Probleme erörtern
oder Häretiker widerlegen', er bleibt, als der er sich uns im
Apologeticum gezeigt hat, der geniale Advokat der Sache, an
die er glaubt.
1) Preußische Jahrb. 88 (1897) p. 262.
Tektili.i an- Apologetk i m.
48g
Namen- und Sachregister.
amplifieatio 325.
c vriv.utr\yoQia 308f.
Antinous 357.
Apollonius 312,1. 340,2. 364-436,3-
438.
Apuleius 408, 1. 409,2. 410, 1.
Aristeas 349, 1. 350, 1.
Aristides 283,1. — VIII 6: 453,2.
Athenagoras 2821'g. 332,1. 372,2.
392 fg. 466 fg. u. pass. — c. 3 :
324, 1. c. 30: 357,2.
Auferstehung 475 ff.
Caelestis 402.
Cassius (Severus, Longinus) 341, 1.
Christenname 306 fg.
Christenprozesse 291fr. 3i2fg. 332 ff.
436 ff.
Cicero 296 fg. 308 fg. 312. 314 fg.
325%- 327- 334,2. 347- 4i8fg.
427- 443-
coercitio 292, 3.
collegia 447 ff.
Cyprian 404,2. 410, 1.
Dämonen 304. 390 ff.
di Romani, peregrini etc. 42off.
Euhemerismus 340 ff. 422 fg.
Exorzismen 401 ff.
f actio 445, i-
Fama 319.
Flora 431, 1.
Fronto 322, 4.
Gesetze gegen die Christen 292. 312.
Götter der Heiden 337 ff. — ihre
7tä&r] 360 ff.
Götterbilder 351 ff.
Häretiker 474.
hostis pubUcus 333. 435 fg. — ge-
neris humani 443 fg.
ignis sapiens 480, 2.
miuria 337. 456fg.
Inzest 321 ff. 328 fg.
Josephus 367, 1. 379. 382,3.
Juppiter Latiaris 328, 1. 405, 1.
Justin, Form der Apol. 282. Vor-
bild Tert.s: 294. 305. 307. 327.
329,2. 351,2. 357. 368fg. 378fg.
438.1. 456. 473ff. 48ofg. Lehre:
390 fg. 464 fg. u. pass. — Ap. I 29:
357,2.
Kaiserfeste 441.
Kaiserkult 433 ff.
Kannibalismus 321 ff. 328fg. 33ofg.
Lactanz 362, 1. 371, 1.
maiestas 292,2. 332fr. 435.
Melito 282. 455, 1.
militcs in der Christenverfolgung
302,1.
Minucius Felix u. Tert. 289 u. pass.,
s. d. Stellenverz. — griechische
Quellen 352, 3. 368. 369. 372,2.
477 fg- 48o, 2.
Origenes 314, 1.
Origo gentis Rom. 344, 1.
Ostanes 408 fg.
Pantomimen 364, 2.
Perduellion 436.
Piaton 395,3- 409,2. 415, 1.
Platoniker bei Porphyrios 398, 1.
Plinius d. Ä. 454. d. J. 300.
religio laesa 334, 2.
sacrilegium 332 ff. 435.
Saturn 341 ff.
I
Septimius Severus 442 lg.
Sokrates 305. 363fg- 396,2. 408,1.
465.2. 471 fg.
Tacitus 366 fg. 454, 1.
Tatian 374,2. 379fg- 381 ff. 473ig-
u. pass.
Tertullian ad martyras 481,2. ad
nationes 283 a'. u. pass. ad Sca-
36*
49Q
Richard Heinze: Tertullians Apolog-eticum.
pulam 287. de idololatria 441, 1.
de pallio 446, 1. 454,2. de spec-
taculis 446, 2. 459, 1.
Thallus 341, 1.
Theophilus 341, 1. 380 fg. 382,2.3.
383. 384. 386 fg. 388. 438. 468 fg.
474, I. 476 u. pass.
Trajan 300 fg.
Varro 344, i- 416,3. 421,1. 423.
Virgil 320. 361. 431.
Stellenregister zu Minucius Felix.
Octavius c.
9,5= 326. 330.
18,7: 372; 8: 375fg-: ": 376fg.
21,4: 34i,l; 10: 440,2.
22,5: 357-
23: 361 ff.; 9 — 13: 352fg.
24,2: 359-
25: 426 ff.
25,11: 365 fg.
26, 7 ff.: 406 fg.
27: 409 fg.
28,2: 298; 6: 320, I; 7: 367fg.;
10 ff. : 370.
29,5: 433,2. 440,1; 8: 369.
30,1: 330; 2: 331; 6: 330,1.
31: 332; 4: 327, 3; 6: 452, i;
8: 451,1.
34 fg.: 477 ff-
34,7: 475,i-
37,1:482,1; 3fg.:482,2; 11:459,1;
12: 364,2.
38: 459ff-: 5= 469,2.
Druckfertig erklärt 20. I. 1911.]
49i
ÖFFENTLICHE SITZUNG VOM 10. NOVEMBER 1910.
Nach einer Ansprache des Herrn Ciiun als Vorsitzenden Sekre-
tärs (gedruckt in der Wissenschaftlichen Beilage der Leipziger Zei-
tung vom 19. November 1910) spricht Herr Bircu- Hirschfeld
Worte zum Gedächtnis von Richard Wülker.
Herr Röscher hatte eine Arbeit über Alter, Ursprung und Bedeu-
tung der hippokratischen Schrift über die Siebenzahl eingeschickt,
für die „Abhandlungen".
SITZUNG VOM 17. DEZEMBER 1910.
Herr Heinrici trägt vor über griechisch -byzantinische Gesprächs-
bücher aus Sammelschriften, für die „Abhandlungen",
HeiT Stieda über eine „Zur Geschichte des Tabaksmonopols in
Bayern" betitelte Arbeit, für die „Abhandlungen",
Herr Meister über Vorarbeiten zur Herausgabe der kyprischen In-
schriften, für die „Berichte",
Herr Lipsius legt den ersten Teil der Textgeschichte der Biblio-
theke des Patriarchen Photios von Professor Martini vor, für
die „Abhandlungen".
Die Herren Windisch und Lipsius werden für die Jahre 1 9 1 1
und 191 2 von neuem zu Sekretären gewählt.
Phil.-hist. Klasse 1910. Bd. LXJU. 37
493
Zum Gedächtnis an Richard Wülker.
Von
Adolf Birch-Hirschfeld.
Die Worte des Gedächtnisses, die wir an dieser Stelle
einem ans unserem Kreise geschiedenen Kollegen widmen,
sollen vor allem seiner wissenschaftlichen Arbeit und Per-
sönlichkeit gelten, aber bevor wir diesem Brauche folgen,
dürfen wir auch jener Eigenschaften des Heimgegangenen ge-
denken, durch die er uns als Freund und Kollege teuer ge-
worden und in den Herzen zahlreicher Schüler das Erbe
dankbaren Erinnerns dauernd hinterlassen hat. Wie vielen
gerade unter diesen hat er sich durch das lebendige Wort
und die lebendige Tat als Lehrer und Helfer bewährt! Der
Anteil, den er an seinen Studenten nahm, beschränkte sich
ja nicht auf Hörsal und Seminarübungen. Schon zu Beginn
seiner Lehrtätigkeit (1878) hat er als Begründer des Ver-
eins von Studierenden neuerer Philologie, es unternommen,
gleichstrebende junge Männer durch Anschluß an einander
in ihrer wissenschaftlichen Erziehung und ihren Bildungs-
zielen zu fördern, wie er auch entschieden sich ein großes
Verdienst erwarb in dem Bemühen, durch den Verein der
Lehrer der neuen Sprachen das Band zwischen Schule und
Universität und zwischen Praxis uud Wissenschaft enger zu
knüpfen. Durch Vorträge und Ansprachen, Teilnahme an Ver-
sammlungen, oft in leitender Stellung, hat W. in seiner ruhigen
und bedächtigen Art für die Interessen der neuphilologischen
Lehrerschaft an unseren höhern Schulen vielfältig gewirkt,
und es ist ihm in reichem Masse der Dank dafür ausgesprochen
37*
494 Adolf Birch-Hirschfeld:
worden, als er im J. 1905 die 25. Wiederkehr des Tages seiner
Ernennung zum ordentlichen Professor im Kreise seiner Stu-
denten und Freunde gefeiert hat.
Viele seiner Schüler und der jüngeren Gelehrten seines
Faches werden W. noch treu im Herzen das Gedenken seiner
wohlwollenden Hilfsbereitschaft bewahren; er selbst wird freilich
am wenigsten daran gedacht haben, daß er sich hierdurch ein
Verdienst erwerben könnte, denn es war ihm natürlich, hilf-
reich und gut zu sein, eher mochte er bei dieser Gelegen-
heit seine rauhe Seite nach außen kehren und sich als bourru
bienfaisant zeigen.
Einem, der neu an ihn herantrat, sich nicht gleich auf-
schließend, scheinbar unzugänglich, zuweilen schroff ablehnend,
war dies bei W. mitunter beobachtete Verhalten nicht wie
das wohl vorkommt, die Geste des Menschen, der sein leeres
Ich nach außen zu decken sucht, es war vielmehr die Folge
einer gewissen Schüchternheit und selbstbewußten Bescheiden-
heit, hinter die sich ein reiches Innenleben einer durchaus
lebensfrohen Natur verbarg, die in der glücklichen Zufrieden-
heit seines Hauses und im geselligen Kreise von Schülern und
Freunden in drolligem Witz und treffendem, aber nie ver-
letzendem Humor nur den Fernstehenden überraschend hervor-
brach. So ist er seinen Weg gegangen, schlicht und gerade,
des Glückes seines Hauses und seiner Arbeit froh.
Richard Paul Wülker, seit 15. Okt. 1888 Mitglied
unserer Gesellschaft, ist am 8. Februar 19 10 durch den Tod
aus unserem Kreise genommen worden. Er war am 29. Juli
1845 in Frankfurt a. M. als Sohn des Kaufmanns Philipp W.
und seiner Gattin Margarete geb. Schott geboren. Wenn W.
auch kaum mehr als das erste Drittel seines reich gesegneten
Lebens in seiner Vaterstadt zugebracht hat, so hat er ihr
doch immer eine treue Anhänglichkeit bewahrt, und man darf
wohl sagen, das in der Art, wie er sich gegenüber gewissen
Äußerlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens verhielt, die un-
befangene und unabhängige Gesinnung des Sohnes der ehe-
maligen freien Reichsstadt sich öfters an ihm äußerte. Auch
Zum Gedächtnis an Richard Wülker. 495
sein Verhältnis zu dem größten Sohne Frankfurts, das ihn
zu einem Mitglied der Gemeinde der Goetheforscher gemacht
hat, dürfte noch in erster Linie aus dem Bewußtsein gemein-
samer Bodenständigkeit hervorgegangen sein.
Ursprünglich zum Kaufmann bestimmt, gaben doch die
Eltern Richard WüLKEES Wunsche nach, sich philologischen
Studien zu widmen; und so verließ er das Gymnasium seiner
Vaterstadt im J. 1867 mit dem Reifezeugnis, um in Berlin
im 2. Garderegiment z. F. sein Jahr als Einjährig-Freiwilliger
abzudienen und an der Universität Vorlesungen zu hören, u. a.
auch bei dem Germanisten Müllenhoff.
Ostern 1868 wandte sich W. nach Leipzig. Die Ab-
sicht, sich dem Studium des klassischen Altertums zu widmen,
trat bei ihm damals zurück, als Lehrer wie Friedr. Zarncke,
Rud. Hildebrand und Adolf Ebert in ihm ein lebhaftes
Interesse für die Wissenchaft von den deutschen und den
roman. Sprachen und Literaturen erweckten. Vor allem trat
auch W. in den engen Kreis der Schüler unseres unver-
geßlichen Friedr. Zarncke ein, dieses vortrefflichen Lehrers,
der es nicht nur verstand, zur wissenschaftlichen Arbeit an-
zuregen und zu erziehen, den Schüler auf eigenen Wegen
weiter zu führen, sondern auch die Eigenart und Selbständig-
keit jedes Einzelnen sich entfalten zu lassen.
Auf Zarnckes Veranlassung ist W's Erstlingsschrift ent-
standen, durch die er im Juli 1872 in Marburg den Doktor-
grad erworben hat: Über des Pseudoevangelium Nico-
demi in der abendländischen Literatur, eine Aufgabe, bei
deren Bearbeitung der junge Gelehrte einen Einblick gewinnen
konnte in die mancherlei Abhängigkeiten und Beziehungen,
die zwischen den einzelnen Literaturen des Mittelalters vor-
handen sind.
Nachdem W. in dem 1. Xassauschen Inf.-Reg. (Nr. 87)
beim Ausbruch des Deutsch-Französichen Krieges ins Feld ge-
zogen und an den Schlachten bei Weißenburg und bei Wörth
teilgenommen hatte, kehrte er, von einer Verwundung und
schwerer Krankheit geheilt, geschmückt mit dem eisernen
496 Adolf Birch-Hirschfeld:
Kreuze, zu seinen Studien zurück und beschäftigte sich jetzt
in Marburg unter Grein , dem verdienstvollen Begründer der
angels. Bibliothek und unter Ten Brink vornehmlich mit
englischer Philologie und folgte nach einigem Schwanken
schließlich der Aufforderung Friedr. Zarnckes, sich für dieses
Fach an unserer Universität als Privatdozent niederzulassen.
W.'s Habilitationsschrift — Übersicht über die neuangel-
sächsichen Sprachdenkmäler (Paul u. Braune, Beitr. I. Bd.)
— 1873 — hat das Verdienst, bei dem bis dahin noch wenig
durchforschten Gebiet der Übergangszeit vom ags. zum niittel-
engl. zu versuchen, die sprachlichen Erscheinungen dieses
Zeitalters zu beobachten und festzustellen.
Ohne Unterbrechung, siebenunddreißig Jahre hindurch
(1873 — 19 10) ist von nun an Leipzig und seine Universität
die Heimat W.s gewesen, die Stätte seiner Tätigkeit als aka-
demischer Lehrer und seines literarischen Schaffens als Ge-
lehrter. Wissenschaftliche Reisen führten ihn inzwischen nach
England, nach Italien (Vercelli), von wo aus er die photo-
graphische Nachbildung des angels. Codex Vercellensis
(veröff. 1894) zurückbrachte und damit die zuverlässige text-
liche Unterlage für eine Anzahl wichtiger altengl. Denkmäler
allgemein zugänglich gemacht hat.
Der Beginn von W's Wirksamkeit als akademischer Lehrer
fällt gerade in die Jahre, in denen die Universität durch die
Anziehungskraft hervorragender Forscher und Dozenten und
die verständnisvolle Fürsorge der königlichen Regierung und
der Landesvertretung sich in äußerer Ausbreitung und innerer
Bedeutung in aufsteigender Linie bewegte. Besonderen An-
teil an diesem Aufschwung hatten die philologischen Fächer
und die Sprachwissenschaft. Die Blüte der Germanistik hatte
der damals noch jungen Universitätswissenschaft der englischen
Philologie günstige Aussichten eröffnet, die sich auch in unseres
W.'s Tätigkeit als akademischer Lehrer verwirklichen sollten.
Diese Erfolge brachten es mit sich, daß W. im J. 1875 zum
außerordentlichen Professor und fünf Jahre später (1880) zum
ersten Ordinarius für englische Philologie ernannt wurde.
Zum Gedächtnis an Richard Wülker. 497
Im Jahre 1891 fand endlich die längst als erforderlich erkannte
Begründung des englischen und romanischen Seminars statt,
von dessen englischer Abteilung W. die Leitung übernahm.
W. war das Glück beschieden, mit einer Anzahl hervor-
ragender Gelehrten wie Ten Brink, Kölbing, Züpitzä u. a.
gleichsam mit dem ersten Geschlecht der Ordinarien für engl.
Philologie der jungen Wissenschaft Weg und Steg zu bahnen,
ihre Grundlagen festzulegen und ihre Berechtigung auf ein
gesondertes und selbständiges Dasein zu beweisen.
In der Erfüllung dieser Aufgabe ist der Anteil und das
Verdienst des von W. Geleisteten nicht gering gewesen. Als
einer der Pfadfinder der Anglistik, hat er in fleißiger und
z. t. entsagungsvoller Arbeit dazu beigetragen, den Teil jener
Aufgabe zu lösen, der im Sammeln, Ordnen und Herausgeben
von Texten besteht. Welche Fülle von Material hat er, teils
selbst, teils durch berufene Mitarbeiter der Forschung zu-
gänglich gemacht, als er mit frischer Kraft die von Grein
begründete Bibliothek der Ags. Poesie und Prosa neu
zu bearbeiten unternahm und das Werk mit Hilfe berufener
Mitarbeiter nahezu in zwanzigjähriger unermüdlicher Tätigkeit
(1 881 — 1898) durchführte (Bibl. der ags. Poesie von Grein,
I. Bd. 1857, IL Bd. 1858, her. von Wülker 1 88 1 — 1 898. 3 Bde.),
eine Unternehmimg, der sich, gleichfalls unter W's Leitung die
Fortsetzung von Greins Bibl. angelsächs. Prosa (1872 — 1905
6 Bde.), angeschlossen hat.
Die im Laufe seiner Tätigkeit als akadem. Lehrer und
Herausgeber sich immer mehr vertiefende und ausbreitende
Kenntnis der ältesten Schriftdenkmäler der englischen Sprache
ließ W. dann vor allem als berufen und befähigt erschei-
nen, eine möglichst vollständige Übersicht zu geben so-
wohl über das ganze Gebiet des ags. Schrifttums wie auch
über die dieses Gebiet anbauende Tätigkeit der wissenschaft-
lichen Forschung, gleichsam das Inventar aufzunehmen über
einen wichtigen Teil der englischen Sprach- und Literatur-
wissenschaft. So entstand W's „Grundriß zur Geschichte der
angelsächsichen Literatur" (1885), eine ungemein wichtige
498 Adolf Birch-Hirschfeld :
und fördersame Zusammenstellung, durch die auch die in
ihren Studien erleichtert und vorwärts gebracht worden sind,
die an diesem Werke Mängel hervorzuheben und Ausstellungen
zu machen berechtigt zu sein glaubten. Vollständigkeit zu
erzielen und Unanfechtbarkeit seiner kritischen Bemerkungen
zu beanspruchen, lag dem bescheidenen und rechtschaffenen
Sinne W's fern, und es war recht in diesem Geiste, wenn er
für die Beurteilung seiner Arbeit die Worte Müllenhoffs
anführte: „Durch neue, fruchtbare Untersuchungen oder durch
Eröffnung neuer Quellen und Gesichtspunkte sieht sich die
Wissenschaft nicht allein gefördert; auch bloße Übersichten
ihrer Ergebnisse können ihr von Zeit zu Zeit sehr willkommen
sein. Sie erleichtern nachstrebenden Jüngern den Weg und
gewähren Fernerstehenden einen Einblick, der weiterhin auf
andern Gebieten förderlich werden kann." Doch dürfte der
Wert dieses Werkes nicht bloß durch diese Worte gekenn-
zeichnet oder erschöpfend dargestellt sein, denn W. hat in
diesem „Grundriß und Quellenbuch" aus Eigenem zur Lösung
wissenschaftlicher Fragen beigetragen, wie in der Frage über
das Alter der Gedichte von Durham, über die Anordnung der
Werke Aelfreds, so wie er auch hier als einer der Rufer
im Streit um den vielumkämpften Cynewulf erscheint.
Aber in diesen Hauptwerken erschöpft sich nicht die
literarische Tätigkeit unseres heimgegangenen Kollegen und
Freundes im Dienste seiner Wissenschaft; wie aus den einzelnen
Beiträgen in den Berichten unserer Gesellschaft zu ersehen ist
(1889, 1893, 1899), wo er z. B. die verrufene Shakespeare-
Bacontheorie einer sehr heilsamen und treffenden Kritik unter-
zieht, oder wenn er in dem Programm über die Arthursage
in der englischen Literatur (1896) die Geschichte einer mittel-
alterlichen Sagengestalt über Spenser und Tennyson durch
ihre verschiedenen Phasen zeitlicher Auffassung bis in unsere
Zeit hinein verfolgt und darstellt, oder uns in einem Vortrage
(1896) ein reizvolles biographisches und literargeschichtliches
Bild des großen englischen Humoristen Dickens zeichnet.
Hier hat Wülker denn auch den Weg gefunden von dem Mittel-
Zum Gedächtnis an Richard Wülker. 499
alter, dem eigentlichen Ausgangspunkt aller älteren Anglisten,
in die neuere Zeit und sich vorbereitet und befähigt für
die Arbeit, die seinem Namen den am weitesten hallenden
Klang verschafft hat und die den rühmlichen Abschluß seiner
literargeschichtlichen Arbeit in ihrer zweiten Neubearbeitung
und Auflage zu bilden bestimmt war.
Diese Geschichte der englischen Literatur (1896
u. 2. Aufl. 1907) ist das Werk eines Mannes, der zu dessen
Bewältigung ausgerüstet war durch jahrzehntelange Vertraut-
heit mit dem Gegenstande seiner Darstellung, durch den Ein-
blick, den er im Laufe vieler Jahre erlangt hatte in den Ent-
wicklunofso-ansx des englischen Schrifttums von seinen Anfängen
an bis in die neue Zeit hinein, und der durch vertiefte Be-
trachtung und Feststellung von Einzelproblemen Beruf und
Sicherheit gewonnen hatte, die bedeutende Aufgabe anzu-
greifen und zu erfüllen.
Die Art und Weise der Lösung war, unbeschadet einer
gediegenen wissenschaftlichen Begründung, mit bestimmt durch
das Ziel, das sich der Verf. des Buches gesetzt hatte, nämlich
eine Geschichte der Englischen Literatur zu schreiben, die
für jeden gebildeten Leser, der dieser Literatur ein Interesse
entgegenbringt, eine Quelle sicherer Belehrung und geistiger
Anregung eröffnen sollte. Wir dürfen getrost behaupten, daß,
wie der Erfolg gelehrt hat, dieses Ziel erreicht worden ist.
Sehen wir ab von der eben gekennzeichneten Bestimmung des
Buches, so werden wir natürlich auch finden, daß die Art
der Studien Wülkers und besonders die ihm eigene Behand-
lungsweise literargeschichtlicher Vorwürfe in diesem Werke
zum Ausdruck kommen mußte; eine genaue Berücksichtigung
der bibliographischen und lebensgeschichtlichen Daten und
Feststellungen, eine auf guter und feiner Beobachtung be-
ruhende Hervorhebung der literarischen Erscheinungen in
ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge, eine geschmackvolle Wider-
gabe des wesentlichen Inhalts der dichterischen, durch die
Schrift überlieferten Kundgebungen, wobei der Literarhisto-
riker oft bescheiden mit seinem Urteil im Hintergrund ge-
500 A. Birch-Hirschfeld: Zum Gedächtnis an E. Wülker.
blieben ist hinter den eigenen Schöpfungen der Autoren,
während er durch zahlreiche Anführungen aus ihren Werken
die Dichter selbst zu Worte kommen läßt.
So steht denn das aus emsiger Arbeit gewonnene litera-
rische Lebenswerk unseres Heimgegangenen vor uns für For-
scher und Jünger voller Wert als wichtiger Beitrag zu dem
Grundbau der englischen Philologie, für alle Gebildeten will-
kommen als zuverlässiger Führer, der uns in die reichen
Gemächer und die mannigfachen Kammern des Schatzhauses
der englischen Dichtung hineinführt.
Drnckfertig erklärt 26. III. 1911.I
Protektor der Königlich Sächsischen Gesellschaft der
Wissenschaften
SEINE MAJESTÄT DER KÖNIG.
Ordi-nt liehe einheimische Mitglieder der philologisch-
historischen Klasse.
Geheimer Rat Ernst Windisch in Leipzig, Sekretin- der philol.-
histor. Klasse bis Ende des Jahres 191 2.
Geheimer Rat Hermann Lipsius in Leipzig, stellvertretender
Sekretär der philol.-histor. Klasse bis Ende des Jahres 191 2.
Geheimer Hofrat Erich B>the in Leipzig.
Geheimer Hofrat Adolf Bin// Hirschfeld in Leipzig.
Professor Erich Brandenburg in Leipzig.
Gebeimer Hofrat Friedrich Karl Brugmann in Leipzig.
Geheimer Hofrat Karl Bücher in Leipzig.
Professor Berthold Delbrück in Jena.
Professor August Fischer in Leipzig.
Geheimer Rat Georg Götz in Jena.
Gebeimer Rat Albert Hauch in Leipzig. %
Gebeimer Kirchenrat Georg Heinrid in Leipzig.
Professor Bichard Heime in Leipzig.
Gebeimer Hofrat Rudolf Hirzel in Jena.
Gebeimer Hofrat Albert Köster in Leipzig.
Geheimer Hofrat Karl Lamprecht in Leipzig.
Gebeimer Hofrat August Leskien in Leipzig.
Studiennit Bichard Meister in Leipzig.
Gebeimer Rat Ludwig Mitteis in Leipzig.
Professor Eugen Mo;/!: in Leipzig.
Geheimer Regierungsrat Joseph Fartsch in Leipzig.
Gebeimer Oberschulrat Hermann Veter in Meißen.
Geheimer Hofrat Wilhelm Boscher in Dresden.
iqii. a
II Mitglieder-Verzeichnis.
Geheimer Hofrat August Schmarsow in Leipzig.
Geheimer Hofrat Theodor Schreiber in Leipzig.
Geheimer Hofrat Gerhard Seeliger in Leipzig.
Geheimer Hofrat Eduard Sievers in Leipzig.
Geheimer Rat Rudolph Sohm in Leipzig.
Professor Georg Steindorff in Leipzig.
Geheimer Hofrat Wilhelm Stieda in Leipzig.
Geheimer Hofrat Frans Studniczka in Leipzig.
Professor Hans Stumme in Leipzig.
Geheimer Hofrat Georg Treu in Dresden.
Geheimer Hofrat Johannes Vollcelt in Leipzig.
Professor Ulrich Wilcken in Leipzig.
Professor Heinrich Zimmern in Leipzig.
Frühere ordentliche einheimische, gegenwärtig auswärtige
Mitglieder der philologisch-historischen Klasse.
Geheimer Hofrat Lujo Brentano in München.
Geheimer Regierungsrat Friedrich Delitzsch in Berlin.
Geheimer Hofrat Friedrich Kluge in Freiburg i. B.
Geheimer Hofrat Friedrich Marx in Bonn.
Geheimer Hofrat Erich MarcJcs in Hamburg.
Ordentliche einheimische Mitglieder der mathematisch-
physischen Klasse.
Geheimer Rat Karl Chun in Leipzig, Sekretär der mathem.-phys.
Klasse bis Ende des Jahres 191 1.
Geheimer Hofrat Otto Holder in Leipzig, stellvertretender Sekretär
der mathem.-phys. Klasse bis Ende des Jahres 191 1.
Geheimer Hofrat Ernst Beckmann in Leipzig.
Geheimer Hofrat Wilhelm Biedermann in Jena.
Geheimer Medizinalrat Rudolf Böhm in Leipzig.
Geheimer Hofrat Heinrich Bruns in Leipzig.
Geheimer Rat Hermann Credner in Leipzig.
Professor Theodor Des Coudres in Leipzig.
Geheimer Hofrat Oskar Drude in Dresden.
Dr. Wilhelm Feddersen in Leipzig.
Professor Otto Fischer in Leipzig.
Mitglieder -Vekzeicuäis. III
Geheimer Rat Paul Flechsig in Leipzig.
Geheimer Hofrat Wilhelm Hall wachs in Dresden.
Geheimer Hofrat Arthur Hantesch in Leipzig.
Geheimer Rat Walter Honpel in Dresden.
Geheimer Rat Kuala Hering in Leipzig.
Geheimer Hofrat Ludwig Knarr in Jena.
Geheimer Hofrat Martin Krause in Dresden.
Professor Max Le Blatte in Leipzig.
Professor Robert Luther in Dresden.
Geheimer Rat Felix Marchand in Leipzig.
Geheimer Hofrat Ernst von Meyer in Dresden.
Geheimer Rat Carl Neu/mann in Leipzig.
Wirklicher Staatsrat Arthur v. Oettmgen in Leipzig.
Geheimer Hofrat Wilhelm Ostwäld in Groß-Bothen.
Geheimer Rat Wilhelm Pfeffer in Leipzig.
Geheimer Medizinalrat Karl Rabl in Leipzig.
Geheimer Regierungsrat Fritz Rinne in Leipzig.
Geheimer Hofrat Karl Rohn in Leipzig.
Professor Ernst Stahl in Jena.
Geheimer Hofrat Johannes Thomae in Jena.
Geheimer Hofrat August Töpler in Dresden.
Geheimer Hofrat Otto Wiener in Leipzig.
Wirklicher Geheimer Rat Exzellenz Wilhelm Wundt in Leipzig.
Außerordentliche Mitglieder der mathematisch-physischen
Klasse.
Professor Johannes Felix in Leipzig.
Professor Hans Held in Leipzig.
Professor Max Siegfried in Leipzig.
Professor Hans Stobbe in Leipzig.
Frühere ordentliche einheimische, gegenwärtig auswärtige
Mitglieder der mathematisch-physischen Klasse.
Professor Friedrich Engel in Greifswald.
Geheimer Regierungsrat Felix Klein in Göttingen.
Geheimer Rat Ferdinand Zirkel in Bonn.
IV
Mitglieder - Verzeichnis .
Archivar
Ernst Robert Abendroth in Leipzig.
Verstorbene Mitglieder.
Ehrenmitglieder.
Fallcenstein, Johann Paul von, 1882.
Gerber, Carl Friedrich von, 1891.
Seydewitz, Kurt Damm Paul von, 19 10.
Widersheim, Karl August Wilhelm Eduard von, 1865.
Philologisch-his
Albrecht, Eduard, 1876.
Ammon, Christoph Friedrich von,
1850.
Becker, Wilhelm Adolf, 1846.
Berger, Hugo, 1904.
Böhtlingk, Otto, 1904.
Brockhaus, Hermann, 1877.
Bursian, Conrad, 1883.
Curtius, Georg, 1885.
Droysen, Johann Gustav, 1884.
Ebers, Georg, 1898.
Ebert, Adolf, 1890.
Fleckeisen, Alfred, 1899.
Fleischer, Heinr. Leberecht, 1888.
Flügel, Gustav, 1870.
Franke, Friedrich, 1871.
Gabelentz, Hans Conon von der,
1874.
Gäbelentz, Hans Georg Conon
von der, 1893.
Gebhardt, Oscar von, 1906.
Geizer, Heinrich, 1906.
Gersdorf, Ernst Gotthelf, 1874.
Göttling, Carl, 1869.
Gutschmid, Hermami Alfred von,
1887.
torische Klasse.
Hand, Gustav, 1878.
Hand, Ferdinand, 1851.
Hartenstein, Gustav, 1890.
Hasse, Friedrich Christian Au-
gust, 1848.
Haupt, Moritz, 1874.
Heinze, Max, 1909.
Hermann, Gottfried, 1848.
Hultsch, Friedrich, 1906.
Jacobs, Friedrich. 1847.
Ja7m, Otto, 1869.
Janitschek, Hubert, 1893.
Köhler, Reinhold, 1892.
Krehl, Ludolf, 1901.
Lange, Ludwig, 1885.
Marquardt, Carl Joachim,, 1882.
Maurenbrecher, Wilhelm, 1892.
Miaskoivski, August von, 1899.
Mich eisen, Andreas Ludwig
Jacob, 1881.
Mommsen, Theodor, 1903.
Nipperdey, Carl, 1875.
Noorden, Carl von, 1883.
Ov erbeck, Johannes Adolf, 1895.
Pertsch, Wilhelm, 1899.
Peschel, Oscar Ferdinand, 1875.
Mitgldbdeh -Verzeichnis.
Preller, Ludwig, 1861.
Batgel, Friedrich, 1904.
Ribbeck. Otto. 1898.
Bitschi, Friedrich Wilhelm. 1876.
liohde, Erwin, 1898.
Boscher, Wühelm, 1894.
Rüge, Sophus, 1903.
Sauppe. IL nimmt. 1893.
Schleicher, August, 1868.
Schröder, Eberhard, 1908.
Seidler, August, 1851.
Seyffarth. Gustav, 1885.
Socm, Albert, 1899.
Springer, Anton 1891.
iVr//-/,-. Cor/ Bernhard, 1879.
Stobl» . Johann Ernst Otto, 1887
ZWÄ, Frirdr'nh. 1867.
Ukert, Friedrich August, 1 85 1 .
Fo?V//, Georg, 1891.
F0//7/, Moni:. 1905.
Waehsmuth, Curt, 1905.
Wirhsmuih. Wilhelm, 1866.
Wächter, Carl Georg von, 1880.
FPesfermaMw, Anton, 1869.
U'/V/At/-, Jüehard Raul, 1910.
Zarncke, Friedrieh. 1891.
Mathematisch- physische Klasse.
J.&&C, Jßrwsf, 1905. j&iop, Johann August Ludwig
d' Arrest, Heinrieh. 1875. Wilhelm, 18.91.
Baiteer, Heinrich Bichard, 1887. A'of&e, Hermann, 1884.
Bezold, Ludwig Albert Wilhelm Krüger. Adalbert, 1896.
wn, 1868.
Braune, Christian Wilhelm, 1892.
Brahns. Carl, 1881.
Carus, Carl Gustav, 1869.
Carus, Julius Victor, 1903.
Cohnhcim, Julius, 1884.
Zto'fr» r< m< r . Johann Wolfgang,
Kunze, Gustav, 185 1.
Lehmann. Carl Gotthelf, 1863.
Leuckart, Rudolph, 1898.
Z/ie, Sophus, 1899.
Lindenau, Bernhard August von,
1854.
Ludwig, Carl, 1895.
Marchand, Richard Felix, 1850.
1849
Drobisch, Moritz Wühelm, 1896. Mayer, Adolf, 1908
Erdmann, Otto Rinne, 1869. Mettenius. Georg, 1866.
Fechncr, Gustav Theodor, 1887. Möbius, August Ferdinand, 1868.
Atm7ce, Otfo, 1879. Jfitffer, Wilhelm. 1909.
Gegcnbaur, Carl, 1903. Naumann, Carl Friedrich. 1873.
Geinitz, Hans Bruno, 1900. Ruppig. Eduard. 1868.
Hankel, Wilhelm Gottlieb, 1899. j&äcfc, Ferdinand, 1882.
Hansen, Peter Andreas, 1874.
HarnacJc. Axel, 1888.
i/zs, Willi elm. 1904.
Hofmeister, Wilhelm. 1877.
Huschke, Rudi, 1858.
Richthof cn, Ferdinand v., 1905
Scheerer, TJieodor. 1875.
Scheibner, Wilhelm. 1908.
Schenk, August, 1891.
Schieiden, Matthias Jacob, 1881
VI
Mitglieder -Verzeichnis.
SchlÖmilch, Oscar, 1901.
Schmitt, Budolf Wilhelm, 1898.
Schwägrichen, Christian Fried-
rich, 1853.
Seebeck, Ludivig Friedrich Wil-
helm August, 1849.
Stein, Samuel Friedrich Natha-
nael von, 1885.
Stohmann, Friedrich, 1897.
Volkmann, Alfred Wilhelm, 1877.
Weber, Eduard Friedrich, 1 8 7 1 .
Weber, Ernst Heinrich, 1878.
Weber, Wilhelm, 1891.
Wiedemann, Gustav, 1899.
Winkler, Clemens, 1904.
Wislicenus, Johannes, 1902.
Zeuner, Gustav Anton, 1907.
Zöllner, Johann Carl Friedrich,
1882.
Leipzig, am 31. Dezember 1910.
VII
Verzeichnis
der bei der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften im Jahre 1910 eingegangenen Schriften.
1 . Von gelehrten Gesellschaften, Universitäten und öffentlichen
Behörden herausgegebene und periodische Schriften.
Deutschland.
Bericht über die Tätigkeit der naturwissenschaftlichen Gesellschaft Isis
zu Bautzen i. d. J. 1906 — 09. Bautzen 1910.
Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin
Aus d. J. 1909. Berlin d. J.
Sitzungsberichte der Königl. Preuß. Akad. d. Wissensch. zu Berlin.
1909, No. 40 — 53. 1910, No. 1 — 39. ebd.
Acta Borussica. Die Behördenorganisation und die allgemeine Staats-
verwaltung Preußens im 18. Jahrb.. Bd. 5, 1. Hälfte. Bd. 10. —
Das preußische Münzwesen. Münzgeschichtlicher Teil. Bd. 3 —
Die Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung Preußens
(1750—56). Bd. 3. ebd. 1910.
Politische Korrespondenz Friedrichs des Großen. Bd. 34. ebd. 19 10.
Trendelenburg, Ado., Die cpuvxaalca des Theon von Samos. 70. Pro-
gramm zum Winckelmannsfeste der archäologischen Gesellschaft zu
Berlin, ebd. 19 10.
Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrg. 42,
No. 19. Jahrg. 43, No. 1 — 18. Berlin 1909. 10.
Die Fortschritte der Physik im J. 1909. Dargestellt von der Physi-
kalischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrg. 65. Abt. 1 — 3. Braun-
schweig 19 10.
Verhandlungen der deutschen physikalischen Gesellschaft. Jahrg. 11,
No. 23. 24. Jahrg. 12, No. 1 — 22. Berlin 1909. 10.
Centralblatt für Physiologie. Unter Mitwirkung der Physiologischen
Gesellschaft zu Berlin herausgegeben. Bd. 23 (Jahrg. 1909),
No. 19 — 26a. Bd. 24 (Jahrg. 1910), No. 1 — 18. — Bibliographia
physiologica. Ser. III. Bd. 5. No. 1— 4. ebd. 1909. 10.
Abhandlungen der Kgl. Preuß. geolog. Landesanstalt N., F. H. 56. 58.
59 (mit Atlas). 62. 63. — Potonie, H., Abbildungen und Beschrei-
bungen fossiler Pflanzenreste der paläozoischen und mesozoischen
Formationen. Lief. 7. ebd. 1909. 10.
VIII Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Jahrbuch der Kgl. Preuß. geolog. Landesanstalt und Bergakademie für
das Jahr 1906. Bd. 27. ebd. 1909. — Register zu Bd. 1 — 20. ebd. 19 10.
Die Tätigkeit der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt im Jahre 1909.
S.-A. ebd.
Mathesius, W., Die Entwickelung der Eisenindustrie in Deutschland.
Rede in der Halle der Kgl. Technischen Hochschule, ebd. 19 10.
Bonner Jahrbücher. Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im
Rheinlande. H. 118 u. Beilage. Bonn 1909.
Jahresbericht des Vereins für Naturwissenschaft zu Brauns chweig f.
d. Vereinsjahre 1907/08 u. 1908/09. Braunschweig 19 10.
Siebenundachtzigster Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für
vaterländische Kultur. 1909. Breslau 1910.
Schi-iften der naturforschenden Gesellschaft zu Dan zig. N. F. Bd. 13,
1. 2. Bd. 14, 1. 2. Danzig 1905 — 09.
Deutsches meteorologisches Jahrbuch für 1906U. 1907. Königreich Sachsen.
Dresden 1909. 10.
Dekaden-Monatsberichte der Kgl. Sachs. Landes-Wetterwarte. Jahrg. 12
(1909). ebd. 1910.
Zeitschrift des k. sächsischen statistischen Bureaus Jahrg. 55. 56, No. 1.
ebd. 1909. 10. — Statistisches Jahrbuch f. d. Königr. Sachsen.
Jahrg. 38. ebd. 1910.
Jahresbericht der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden.
Sitzungsber. 1909/10. München 19 10.
Sitzungsberichte und Abhandlungen der naturwissenschaftlichen Gesell-
schaft Isis in Dresden. Jahrg. 1909, Jul. — Dez. 19 10, Jan. — Juni.
Dresden d. J.
Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen an der Kgl. Sachs. Tech-
nischen Hochschule f. d. Sommersem. 1910 u. Wintersem. 1910/11. —
Personalverzeichnis. Sommersem. 19 10.
Mitteilungen der Pollichia, eines naturwissenschaftlichen Vereins der
Rheinpfalz. No. 25, Jahrg. 66. Dürkheim a. d. H. 1910.
Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde von
Erfurt. H. 30/31. Erfurt 1909. 10.
Sitzungsberichte der physikalisch-medizinischen Sozietät in Erlangen.
H. 41. Erlangen 19 10.
Abhandlungen hrg. von der Senckenbergischen naturforschenden Gesell-
schaft. Bd. 32. Frankfurt a. M. 1909.
Bericht über die Senckenbergische naturforschende Gesellschaft. 41.
H. 1. 2. ebd. 1910.
Jahresbericht des physikalischen Vereins zu Frankfurt a. M. für d.
Rechnungsjahr 1908/09. ebd. 1910.
Helios. Organ des naturwissenschaftlichen Vereins des Regierungs-
bezirks Frankfurt (Oder). Bd. 26. Frankfurt a. 0. 1910.
Programm der Kgl. Sachs. Bergakademie zu Freiberg f. d. J. 1910/n.
Jahrbuch für das Berg- und Hüttenwesen im Königr. Sachsen auf d. J. 19 10.
ebd. 1910.
Verzeichnis der Vorlesungen auf der Großherzogl. Hessischen Ludwigs-
Univers. zu Gießen. Sommer 19 10, "Winter 1910/11; Personal-
bestand. Winter 1909/10. Sommer 1910. — Studienplan für Mathe-
Verzeichnis deb eingegangenen Schbiften. IX
maiik. Prüfungsordnung für die Studierenden der Pädagogik. —
StrcM, Hans, Form und Punktion (Festrede). — Mittermeier, II'.,
Kritische Beiträge aur Lehre von der Staatsrechtsschuld. — 205 Disser-
tationen a. d. J. 1909/10.
Berieht der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Beilkunde.
N. F. mediz. Abt. Bd. 5. Naturw. Abt, Bd. 3. (S.-A.) 1909. 10. —
Register zu Bd. 1—34 11849 — 1904). Gießen mio.
Neues Lausitzisches Magazin Bd. 86. Görlitz 1910. — Codex diplo-
maticus Lusatiae superioris. II J. H. 6. ebd. 19 10.
Abhandlungen der Königl. Gesellschaft der "Wissenschaften zu Göttingen.
N. F. Philologisch-historische Klasse. Bd. 12. No. 1. 2. 4. Math.-
phys. Klasse. Bd. 6. No. 5. 6. Bd. 7. No. 4. Berlin 1909. 10.
Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu
Göttingen. Math. -plus. Kl. 1909, No. 3. 4. 19 10, No. 1—4. Philol.-
hist. Kl. 1910, No. 1. 2 u.Beiheft. — Geschäftliche Mitteilungen.
19 10, H. 1. Göttingen d. .1.
Jahresbericht der Fürsten- und Landesschule zu Grimma über d.
Schuljahr 1909/10. Grimma 19 10.
Nova Acta Academiae Caes. Leopoldino-Carol. Germanicae natura©
curiosorum. T. 90. 91. Halis 1909.
Leopoldina. Amtl. Org. d. Kais. Leopoldinisch-Carolinisch deutschen
Akad. der Naturforscher. H. 45, No. 12. H. 46, No. 1 — n.
Halle 1909. 10.
Zeitschrift für Naturwissenschaften. Organ des naturwiss. Vereins für
Sachsen und Thüringen (in Halle). Bd. 81. H. 3 — 6. Stuttgart 19 10.
Jahresbericht der Hamburger Sternwarte für d. J. 1909. Hamburg 1910.
Jahresbericht der naturhistorischen Gesellschaft zu Hannover. 58. 59.
Hannover 19 10.
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
Mathein. -naturw. Kl. Jahrg. 1909. Abt. 1 — 6. Jahrg. 19 10. Abt. 1 — 24.
Philos.-histor. Kl. Jahrg. 1910. Abt. 1 — 12. Heidelberg d. J.
Neue Heidelberger Jahrbücher. Hrg. vom hist.-philos. Verein zu
Heidelberg. Jg. 16, H. 2. Heidelberg 19 10.
Publikationen des astrophysikalischen Instituts Königstuhl-Heidelberg.
Bd. 3, No. 7. 8. Karlsruhe o. J.
Veröffentlichungen der Großherzoglichen Sternwarte zu Heidelberg.
Bd. 6, 1. 2. Leipzig und Karlsruhe 19 10.
Verhandlungen des naturhist.-medizin. Vereins zu Heidelberg. N. F.
Bd. 10, H. 3. 4. Heidelberg 19 10.
Fridericiana. Großherz. Badische Technische Hochschule zu Karlsruhe.
Programm für 1910/11. — Festschrift zur Feier des 53. Geburtstags
des Großherzogs Friedrich H — Feierlichkeit anläßlich der Über-
gabe des Rektorats. — 30 Dissertationen a. d. J. 1909/10. Karls-
ruhe 1909.
Chronik d. Universität zu Kiel f. d. J. 1909/10. — Verzeichnis der
Vorlesungen. Winter 1909/10, Sommer 1910. — Lüthje, Hugo,
Über einige im Organismus wirksame Kräfte u. Erscheinungen
(Rede). — Martins, Götz, Leib und Seele (dgl.). — 134 Disserta-
tionen a. d. J. 1909/10.
X Verzeichnis der eingegangexen Schriften.
Wissenschaftliche Meeresuntersuchungen, hrg. von der Kommiss. f.
wissensch. Untersuchung d. deutschen Meere in Kiel und der
Biologischen Anstalt auf Helgoland. Im Auftrage des Königl.
Minist, für Landwirtschaft, Domänen usw. N. F. Abteilung Hel-
goland. Bd. 9. H. 2. Abt. Kiel. Bd. 11. Kiel und Leipzig 1910.
Publikation der Sternwarte in Kiel. 12. Leipzig 19 10.
Schriften der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg.
Jahrg. 50 (1909). Königsberg 1910.
16. Jahresbericht des Instituts für rumänische Sprache. — Jon CreaDgä's
Harap-Alb. Hrsg., übersetzt u. erläutert von G. Weigernd. Leip-
zig 1910.
Das städtische Gymnasium zu St. Nikolai in Leipzig. Bericht über das
Schuljahr 1909/10.
Zeitschrift des Vereins für Lübeck. Geschichts- und Altertumskunde.
Bd. H.H. 3. Bd. 12. H. 1. — Register zu Bd. 1 — 9. T. 1. Lübeck 19 10.
Abhandlungen und Berichte aus dem Museum für Natur- und Heimat-
kunde zu Magdeburg. Bd. 2. H. 1. Magdeburg 1909.
Zeitschrift des Vereins zur Erforschung der rheinischen Geschichte und
Altertümer. N. F. Jahrg. 5. Mainz 1910.
Jahresbericht der Fürsten- und Landesschule Meißen. 1909/10.
Meißen 19 10.
Abhandlungen der mathem.-phys. Kl. d. k. bayer. Akad. d. Wiss. Bd. 25,
Abt. 1 — 3. Suppl. Bd. 1, Abt. 7. 8. Bd. 3, Abt. 1. München 1909. 10.
Sitzungsberichte der mathem.-phys. Kl. der k. bayer. Akad. d. Wiss.
zu München. 1909, Abt. 15 — 20. 1910, Abh. 1—4.
Sitzungsberichte der philos.-philol. u. histor. Kl. der k. bayer. Akad.
d. Wiss. zu München. 1909, Abh. 15 — 20. 1910, Abh. 1. 2.
51. Plenarversammlung der historischen Kommission bei der Kgl. Bayer.
Akademie der Wissenschaften. Bericht des Sekretariats.
Wolters, Paul, Adolf Furtwängler. (Gedächtnisrede.) München 1910.
Sitzungsberichte der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in
München. Bd. 25. ebd. 19 10.
Deutsches Museum für Meisterwerke der Naturwissenschaft und Technik.
Verwaltungs-Bericht über das Geschäftsjahr 1909. München.
Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums. Jahrg. 1909. Hft. 1 — 4.
— Mitteilungen. Jahrg. 1909. Nürnberg.
Abhandlungen der naturhistorischen Gesellschaft zu Nürnberg. Bd. 8.
H. 1. ebd. 1909.
Mitteilungen des Altertumsvereins zu Plauen. 20. Jahresschrift auf
d. J. 19 10 u. 2 Beilagehefte.
Historische Monatsblätter für die Provinz Posen. Jahrg. 10, No. 1 — 12.
Posen 1909.
Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen. Jahrg. 24.
ebd. 1909.
Veröffentlichung des Kgl. Preuß. Geodätischen Instituts (in Potsdam).
N. Folge No. 41 — 45. Berlin 1909. 10.
Centralbureau der internationalen Erdmessung. Neue Folge der Ver-
öffentlichungen. No. 19. 20. Berlin 19 10.
Verzeichnis deb siHGEOAKaEKES Schbutten. XI
Publikationen des Astrophysikalischen Observatoriums zu Potsdam.
Photograpbiscbe Himmelskarte. Bd. 5. Potsdam 1910.
Württembergische Vierteljahrsschrift für Landesgeschichte. Hera
von der Württembergischen Kommission f. Landesgeschichte. N F.
Jahrg. 19 (1910). Stuttgart d. J.
Tharander forstliches Jahrbuch. Bd. 59, 2. Bd. 61, H. 1. 2. Berlin
1909. 10.
Jahrbücher des Nassauischen Vereins f. Naturkunde. Jahrg. 63. Wies-
baden 1910.
Sitzungsberichte der physikal. - medizin. Gesellschaft zu Würzburg.
Jahrg. 1908, No 6. 1909, No. 1 — 5. Würzburg d. J.
Verhandlungen der physikal. -medizin. Gesellschaft zu Würzburg. N. F.
Bd. 40, No. 6. 7. ebd. 19 10.
Österreich-Ungarn.
Codex diplomaticus Regni Croatiae, Dalmatiae et Slavoniae. Vol. 7.
Zagreb (Agram) 1909.
Ljetopis Jugoslavenske Akademije znanosti i umjetnosti (Agram).
Svez. 24. 1909. ib. 19 10.
Monumenta spectantia historiam slavorum meridionalium. Vol. 32.
ib. 1910.
Rad Jugoslavenske Akademije znanosti i umjetnosti. Kn. 178 — 182.
ib. 1909. 10.
ßjecnik hrvatskoga ili srpskoga jezika. Izd. Jngoslav. Akad. Svez. 28.
ib. 1909.
Vjesnik kr. hrvatsko-slavonsko-dalmatinskog zemaljskog arkiva. God. 12.
Svez. 1. 2. ib. 1910.
Zbornik za narodni zivot i obicaje juznih Slavena. Kn. 14, Svez. 2.
Kn. 15, Svez. 1. ib. 1909. 10.
Zeitschrift des Mährischen Landesmuseums. Herausg. von der Mäh-
rischen Museumsgesellschaft (Deutsche Sektion. Bd. 10, H. 1.2. —
Casopis Moravsküho musea zemskeho. Roen. 10. Brunn 1910.
Comptes rendus des seances de la 3me reunion de la Commission per-
mante de TAssociation internationale de Sismologie, reunie ä Zer-
matt. Budapest 1910.
Magyar, tudom. Akademiai Almanach. 19 10. ib.
Mathematische und naturwissenschaftliche Berichte aus Ungarn. Mit
Unterstützung der Ungar. Akad. d. Wiss. herausg. Bd. 25. (1907.)
Leipzig 1909.
Ertekezesek a Bölcseleti Tudomänyok Köreböl. Köt. 3. Sz. 6. 7. ib. 1910.
firtekezesek a nyelv-es-szeptudomänyok Köräböl. Kiadja a Magyar
tudom. Akad. Köt. 21, Sz. 3 — 7. Budapest 1909. 10.
Ertekezesek a Tarsadalmi Tudomänyok Köreböl. Köt. 14, Sz. 3. 4.
ib. 1909. 10.
Ertekezesek a Törteneti Tudomänyok Köreböl. Köt. 22, Sz. 4 — 7.
ib. 1909. 10.
Archaeologiai Ertesitö. A Magyar, tudom. Akad. arch. bizottsägänak
es av Orsz. Re'ge'szeti s erub. Tarsulatnak Közlönye. Köt. 29,
Sz. 3 — 5. Köt. 30, Sz. 1. 2. ib. 1909. 10.
XII Verzeichnis dek eingegangenen Schriften.
Mathematikai es termeszettudomänyi Ertesitö. Kiadja a Magyar tudom.
Akad. Köt. 27, Füz. 3—5. Köt. 28, Füz. 1. 2. ib. 1909. 10.
Nyelvtudomany. Köt. 2, Füz. 2—4. Köt. 3, Füz. 1. ib. 1908—10.
Nyelvtudomänyi Közlemenyek. Kiadja a Magyar tudom. Akad. Köt. 39,
Füz. 1—4. ib. 1909.
Rapport sur les travaux de l'Academie Hongroise des sciences en 1909.
ib. 19 10.
Magyarorszägi nemet nyelvjäräsok. Füz. 7. ib. 1909.
Magyararszägi szläv nyelvjäräsok. Füz. 1. ib. 1909.
Bekefi, Bemig, A käptalani iskoläk törtenete magyarorszägou 1540-ig.
ib. 1910.
Blcyer, Jakob, Gottsched hazänkban. ib. 1909.
Gyöngyösi, Istran, Märsal Tärsolkodo Muranyi Venus, ib. 1909.
Hodinka Anteil, A Munkäcsi görög-katholikus püspökseig törtenete.
ib. 1910.
Mehely, Lajos, Species generis Spalax. ib. 1909.
Meszirös, Gyula, A esuvas ösvalläs emlekei ib. 1909.
Badvcmszky, Bela es Zävodsky, Levcnte, A Hederväry-czaläd okteveltära.
ib. 1909.
Serrnones doininicales Vet. XV. Szäzadool szärmazo Mayör glossfäs
latin codex. Köt. 1. 2. ib. 1910.
Szabö Deszö, A magyar orszäggülesek törtenete. 2. ib. 1909-
K. K. Franz- Josefs-Universität zu Czernowitz. Die feierliche Inaugu-
ration des Rektors f. d. Studienjahr 1909/10. — Verzeichnis der
Vorlesungen W. S. 1909/10. S. S. 1910. — Personalstand 1909/10.
Mitteilungen des naturhistorischen Vereins für Steiermark. Bd. 46 (1909),
H. 1. 2. Graz 1910.
Zeitschrift des historischen Vereins für Steiermark. Jahrg. 8, H. 1. 2.
ebd. 19 10.
Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Voralberg. 3. Flge. H. 53.
Innsbruck 1909.
Travaux de la section numismatique et archeologique du Musee national
de Transylvanie. 1. Klausenburg 1909.
Anzeiger der Akademie d. Wissenschaften in Krakau. Math.-naturw.
Cl. 1909, No. 9—10. 1910, No. 1—7. Philol. Gl. 1909, No. 7—10.
1910, No. 1. 2. Krakau d. J.
Katalog literatury naukowej polskiej. T. 9, 3. 4- ib. 19 10.
Rocznik Akademii uiniejgtnosci W Krakowie. Rok 1908/09. ib. 1909.
Rozprawy Akademii umiejgtnosci. — Wydzial filologiczny. Ser III.
T. 1. — Wydzial. mat. przyrod. Ser. III. T. 8. 9. ib. 1909. 10.
Sprawozdanie komisyi fizyograficznej. Tom. 43. ib. 1909.
Collectanea ex Archivio collegii juridici. T. 8, P. 2. ib. 1909.
Corpus juris Polonici Sect. I. Vol. 4, Fase. 1. ib. 1910.
Biblioteka Pisarzöw Polskich. No. 55. ib. 1910.
Brodfii'tski, Kazimir, Nieznane poezyge, wyd z rekopisow Alex. Lucki.
ib. 1910.
Antkoicski, Jan, Klucz Brzozowski. ib. 1910.
Verzeichnis deb eingegangenen Bchbxften. XIII
Tolcarz, Wactaw, Galicya. Lb. i<>o9.
Ubior ludu Palskiego Zesz. 2. ib. 1909
Carniolia, Zeitschrift für Heimatkunde. Jahrg. 2, II. 1 — 4. N. F. 1, 1 — 4.
.Laibach [90g
[zvestija Muzejskega druStva za Kranjsko. Letnik 19. VLjubljani 1908.
Chronik der ukrainischen (ruthenischen) Sevrenko- Gesellschaft der
Wissenschaften. H. 35 — 37. Lemberg 1908. 09.
Sammelschrift der mathem -naturw.-ärztl. Sektion der Sevcenko-Gesell-
schaft. Bd. 13. ebd. 1909.
Kwartalnik etnograficzny „Lud". T. 15, zesz. 4 T. 16, sesz. 1. 2.
W Lwowie s. a.
Bulletin de la Societe polonaise pour ravancement des sciences. 10.
Lwow (Leopol) 1909.
Ceske Akademie Cisafe Frantiska Josefa. Almanach. Rocn. 20. V
Praze 1910.
Biblioteka Klassikü feckych a firnskych Cisl. 18. ib. 19 10.
Filosofickä Biblioteka Rad. II. cisl. 2. ib. 1909.
Bulletin international. Resume des travaux presentes. Classe des
sciences mathematiques, naturelles et de la medecine. Ann. 14.
Prague 1909.
Rozpravy ceske Akad. Tfida I. Cisl. 39.— Tfid. II. Rocn 18. Tfid. III.
Cisl. 29—32. ib. 1909. 10.
Sbirka Prarnenü ku poznani literärniho zivota. Skup. I, llada I, Cisl. 8.
K'ada II, Cisl. 8. 9. Skup. II. Cisl. 14. 15. Skup. III. Cisl. 7.
ib. 1909. 10.
Vi stnik cesk. Akad. Rocn. 18. ib. 1909.
Velenocsli/, Jos., Vseobecnä Botanika. Srovnavaci Morfologie. Dil 3.
ib. 1910.
Rechenschaftsbericht der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissen-
schaft, Kunst u. Literatur in Böhmen i. J. 1909. Prag 19 10.
Archiv cesky cili stare pisemne pamätky Ceske i Moravske. Dil 25.
V Praze 19 10.
Magnetische und meteorologische Beobachtungen an der k. k. Stern-
warte zu Prag im J. 1909. Jahrg. 70. ebd. 19 10.
Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen.
Jahrg. 48, No. 1 — 4. ebd. 1909.
Lotos. Naturwiss. Zeitschrift, hrg. vom deutschen naturw.-mediz. Verein
für Böhmen „Lotos" in Prag. Bd. 46 (1898). 57 (1909). N. F. Bd. 1,
No. 4 — 12 (1907).
Personalstand der k. k. C.-Ferd. -Universität. 1909/10. 1910/11.
Verhandlungen des Vereins für Natur- und Heilkunde zu Presburg.
N. F. H. 20 (1909). Presburg.
Alrnanach der Kais. Akademie der Wissenschaften. Jahrg.59. Wien 1909.
Anzeiger der Kais. Akademie der Wissenschaften. Math.-phys. Kl
Jahrg. 46. No. i — 27. ebd. 1909.
Archiv für österreichische Geschichte. Herausg. von der zur Pflege
vaterländ. Geschichte aufgestellten Kommission der Kais. Akad'
d. "Wissensch. Bd. 100, I. II. ebd. 19 10.
XIV Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Denkschriften der Kais. Akademie d. Wissensch. Philos.-hist. Kl. Bd.
53, 3- Bd- 54, t. ebd. 1910.
Mitteilungen der Erdbeben-Kommission der kaiserl. Akad. d. Wissensch.
N. F. No. 37—39- ebd. 19 10.
Sitzungsberichte der Kaiserl. Akad. d. Wissensch. Math. - naturw. Kl.
Bd. 118 (1909) I, No. 7—10. IIa, No. 6—10. IIb, No. 8—10. HI,
No. 3— 10. Bd. 119 (1910) I, No. 1—5. IIa, No. 1—4. Eb, No. 1—6.
Hl, No. 1 — 5. — Philos.-histor. Kl. Bd. 161, 6. 162,2—6. 163,3—6.
164, 1 — 4. 165, 1. 3. 166, 2. ebd. 1908 — 10.
Abhandlungen der k. k. zoologisch -botanischen Gesellschaft in Wien.
Bd. 5. H. 1—3. 5. Bd. 6. H. 1. ebd. 1910.
Verhandlungen der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien.
Bd. 59, H. 9. 10. Bd. 60, H. 1. 4 — 6. ebd. 1910.
Verhandlungen der Österreich. Gradmessungs- Kommission. Protokoll
über die am 5. Dezember 1908 abgehaltene Sitzung, ebd. 1909.
Annalen des k. k. naturhistorischen Hofmuseums Bd. 23, No. 3. 4.
Bd. 24, No. 1. 2. Wien 1909. 10.
Jahrbuch d. k. k. geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 59 (1909), H. 3. 4.
Jahrg. 60 (1910), H. 1. 2. ebd.
Verhandlungen d.k.k. geologischen Reichsanstalt. Jahrg. 1909, No. 10 — 18.
Jahrg. 1910, No. 1 — 12. ebd.
Mitteilungen der Sektion f. Naturkunde des österreichischen Touristen-
Club. Jahrg. 21. ebd. 1909.
Publikationen der v. Kufferseken Sternwarte.
Ball, Leo de, Theorie der astrographischen Ortsbestimmung. S.-A.
ebd. 1909.
Belgien.
Academie Royale d'archeologie de Belgique. Bulletin. 1909, No. 3. 4.
1910, No. 1 — 3. Anvers.
Annuaire de 1' Academie R. des sciences, des lettres et des beaux-arts
de Belgique. 1910 (Armee 76). Bruxelles.
Academie Roy. de Belgique. Bulletin de la classe des sciences.
1909, No. 9 — 12. 1910, No. 1 — 10. — Bulletin de la classe des lettres
et des sciences morales et politiques et de la classe des beaux-arts.
1909, No. 9 — 12. 1910, No. 1 — 10. — Table generale. Ser. III.
T. 31 — 36 (1896 — 98). — Memoires. Classe des sciences. Collect.
in 8°. Tom. 2, Fase. 6—8. Collect, in 40. Tom. 2, Fase. 4. 5- Tom. 3,
Fase. 1. 2. Classe des lettres et des sciences morales et politiques.
Collect, in 8°. Tom. 5, Fase. 2. Tom. 6, Fase. 1—3. Tom. 7.
Fase. 1 — 3. Collect, in 40. Tom. 5. ib. 1909. 10.
Analecta Bollandiana. T. 29, Fase. 1—4. ib. 1910.
Annales de la Societe entomologique de Belgique. Tom. 53. ib. 1909.
Bulletin de la Societe Roy. de Botanique de Belgique. Tom. 26 — 39.
46. ib. 1887 — 1909.
Annales de la Societe Roy. zoologique et malacologique de Belgique.
Tom. 44. ib. 1909.
Annales de l'Observatoire Roy. de Belgique. N. Ser. Annales astrono-
miques. Tom. 12, Fase. 1. — Physique du Globe. Tom. 4, Fase. 2.
ib. 1909.
Verzeichnis deb saun g utoeneu Schrifteh. XV
Annuaire astronomique de l'Observatoire Roy. d>' Belgiqne pour 1910.
Jaarboek der Kon. Vlaamsche Academie voor taal- en lettorkunde.
1910. Gent.
Verslag en Mededeelingen der Kon. Vlaamsche Academie voor taal- en
letterkunde. 1909, Nov. Dez. 1910 Jan.— Okt.
Brieven aan Jan Frans Willems, toegelicht door Jan Bols. ib. 1909.
Cock, A. en •!.<. Tetrlinck, Brabantsch Sagenboek. Deel 1. ib. 1909.
Vom der Velde, A., De ambachten van de Timmerlieden en de Schrij-
werker- te lirugge.
Ders., Net water in bet dagelijkscb leven. ib. 1909.
Bly, Freute, Unze Zerlviscbsloepen. ib. 19 10.
Bruyker, C. de, Die statistische Methode in der Planktonkunde, ebd. 1910.
Fierens, Alfons, De geschiedskundige vorsprong van den anaat van
Portiuiuula. ib. 19 10.
Teierlinck, Is., Zuid-Oostvlaandcrsch Idioticon. Deel 1. ib. 1910.
La Cellule. Recueil de Cytologie et d'histologie generale. T. 25,
Fase. 2. T. 26, Fase. 1. 2. Louvain 1909. 10.
Bulgarien.
Godisnik na Sofiiskija Universitet. Annuaire de l'Universite de Sofia.
5 (1908/09) I. Faculte hist.-phil. H. Fac. phys.-math. Sofia 19 10.
Dänemark.
Det Kong. Danske Videnskabernes Selskabs Skrifter. Naturv. og math.
Afd. 7. Rgekke Bd. 5, No. 3. 4. Kjobeuhavn 1908. 09.
Fenger, L., Le Temple Etrusco-latin de Fltalie centrale. Publ. par
Chr. Joergensen. ib. 1909.
Oversigt over det Kong. Danske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger
i aar. 1909, No. 6. 1910, No. 1 — 5. ib.
Conseil permanent international pour l'exploration de la mer. Bulletin
trimestriel. Annee 19 10. P. 1. — Publications de circonstance.
No. 48 — 51. — Bulletin statistique des peches maritimes des pays
du Nord de l'Europe. Vol. 4. — Bulletin hydrographique pour
1908/09. — Rapport et Proces verbaux des reuuions. Vol. 12.
Copenhague 1909. 10.
England.
Proceedings of the Cambridge Philosophical Society. Vol. 15, P. 4—6.
Cambridge 19 10.
Transactious of the Cambridge Philosophical Society. Vol. 20, No. 15. 16.
Vol. 21, No. 10—14. ib. 1910.
Proceedings of the R. Irish Academy. Vol. 28. Sect. A, P. 1—3.
Sect. B, P. 1—8. Sect. C, P. 1 — 12. Dublin 1910.
The scientific Proceedings of the R. Dublin Society. Vol. 12, P. 24 — 36.
ib. 1909. 10.
Economic Proceedings of the R. Dublin Society. Vol. 2, P. 1. 2.
ib. 1910.
XVI Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Proceedings of the R. Society of Edinburgh. Vol. 30, No. 1—6.
Edinburgh 19 10.
Transactions of the R. Society of Edinburgh. Vol. 47, P- *• 2- R>. 191c
Proceedings of the R. Physical Society: Vol. 18, P. 1. 2. ib. 1 910.
Transactions of the Edinburgh Geological Society. Vol. 9, Special Part,
ib. 1910.
Proceedings and Transactions of the Liverpool Biological Society.
Vol. 24. Liverpool 1910.
Proceedings of the R. Society of London. Vol. 82—84. A. No. 561—576.
B. No. 553 — 562. — Yearbook of the Royal Society. 19 10. — Re-
ports to the evolution Committee. 5. ib. 1909.
Philosophical Transactions of the R. Society of London. Ser. A. Vol. 210,
p 35—415. Ser. B. Vol. 201, p. 1—226. ib. 1910.
Memoirs of the R. Astronomical Society. Vol. 57, P. 2. 3. and Append.II.
Vol. 59, P- 4- ib. 1909.
Proceedings of the London Mathematical Society. Ser. H. Vol. 8, P. 2 — 4.
Vol. 9, P. 1. ib. 1909. 10.
Journal of the R. Microscopical Society, containing its Transactions
and Proceedings. 1910, No. 1 — 5. ib.
Memoirs and Proceedings of the Literary and Philosophical Society of
Manchester. Vol. 54, P. 1—3. Manchester 1909. 10.
Report of the Manchester Museum Owens College for 1909/10. — Museum
Haudbooks: Marie Alice Murray, The tomb of two brothers. —
Wm. Hg. Pearson, Catalogue of the Hepaticae of the Museum,
ib. 1910.
The Victoria üniversity of Manchester. Calendar. 1910/11. — Lectures
No. 10. — Publications of the üniversity of Manchester: Biological
Series. No. 1. — Historical Series. No. 9. — Celtic Series. No. 2.
— English Series. No. 2. ib. 1910.
*n'
Frankreich.
Annales des Facultes de Droit et des Lettres d'Aix. Droit. T. 2,
Nr. 3. 4. Lettres. T. 3. Aix 1908. 09.
Proces-verbaux de la Societe des sciences physiques et naturelles de
Bordeaux. Annee 1908/09. Paris et Bordeaux 1907.
Memoires de la Societe des sciences physiques et naturelles de Bordeaux.
Ser. VI. T. 4, coh. 1. 2. ib. 1908.
Bulletin de la Commission meteorologique du depart. de la Gironde
Annee 1908. Bordeaux 1909.
Bulletin historique et scientifique de l'Auvergne, publ. par l'Academie
des sciences, belies -lettres et arts de Clermont-Ferrand.
Ser. II. 1909, 1 -3
Revue d'Auvergne, publ. par la Societe des amis de T Universite de
Clermont. Ann. 26, 1909, No. 1. 2
Memoires de l'Academie des sciences, belles lettres et arts de Lyon.
Classe des sciences et lettres. Ser. III. T. 10. Paris et Lyon 1910.
Academie des sciences et lettres de Montpellier: Bulletin mensual.
1910, Nr. 1—7. — Memoires de la section des lettres. Ser. II. T. 5,
VeHZEICHXIS DEK EINGEGANGENEN SciUilFTEN. XVII
No. 2. Montpellier 1909. — Me"moires de la Bection des sciences.
Ser. IL T. 4, No. 1. 2. ib. 1908. 09.
Bulletin des seances de la societe des sciences de Nancy. SeY 111.
T. 10, Fase. 1 — 4. Paris el Nancy 1909.
Institut de France. Annuaire pour 1910. Savants du jour: Henri
Poincare. Gaston Darboux, par Kniest Lebon. Paris 1909. 10.
Comite international des poids et mesures. Proces verbaux. St-r. II.
T. 5. Sess. de 1909.
Bulletin du Museuni d'histoire naturelle. Anne».' 1909, No. 7 — 8. 1910,
No. 1. 2. ib.
Annales de l'Ecole normale suptSrieure. III. Ser. T. 26, No. 9 — 12.
T. 27, No. 1 — 12. ib. 1909. 10.
Journal de l'Ecole polytechnique. Ser. II. Cah. 13. ib. 1909.
Bulletin de la Societe mathematique de France. T. 38, No. 1—3. ib. 1910.
Bulletin de la Sociäte- scientiüque et medicale de l'Üuest. T. 18, No. 1 — 3.
Rennes 1909.
Memoire de l'Acadeinie des sciences, inscriptions et belleo-lettn.-s de
Toulouse. T. 9. Toulouse 1909.
Annales du midi. Revue de la France me'ridionale, fond£e sous les
auspices de l'Universite de Toulouse. Ann. 21. No. 82 — 84 Ann. 22.
No. 85. ib. 1909. 10.
Annales de la Faculte" des sciences de Toulouse pour les sciences
mathematiques et les sciences physiques. Se"r. III. T. 1, Fase. 1.
Paris et Toulouse 1909.
Bulletin de la Commission meteorologique du Department de la Haute
Garonne. T. 2, Fase. 2 (1909). Toulouse.
Griechenland.
Ecole francaise d'Athenes. Bulletin de correspondance hellenique
[Athen]. Anne"e 31, 4—7. Ann. 34, 1—7. Paris 1907. 1910.
Mitteilungen des Kaiserl. Deutschen Archäologischen Instituts. Athe-
nische Abteilung. Bd. 35, H. 1 — 3. Athen 19 10.
k&r\vä. £vyyQa\HLCi jrfptodixöv rf]g iv k&ip'alg 'JLinGTr\p,ovix.r}s ^EtaiQsiag.
T. 21, No. 4. T. 22, No. 1—4. ib. 1909. 10.
Holland.
Jaarboek van de Kon. Akad. v. Wetenschappen gevestigd te Amsterdam
voor 1909. Amsterdam 19 10.
Verhandelingen d. Kon. Akad. v. Wetenschappen. Afdeel. Letterkunde.
IL Reeks. Deel 10, No. 3. Deel 11, No. 1—4. Afdeel. Naturkunde.
Sect. IL Deel 15, No. 2. Deel 16, No. 1—3. ib. 1910.
Verslagen van de gewone vergaderingen der wis- en natuurkundige
afdeeling der Kon. Akad. v. Wetenschappen. Deel 18, I. IL
ib. 1910.
Programma certaminis poetici ab Acad. Reg. discipl. Neerlandica ex
legato Hoeuti'tiano indicti in annutn 191 1. — Pascoli, Joh., Pom-
ponia Graecina. Carmen praemio aureo oruatum. Accedunt 4 car-
mina laudata. — Jos. Gianmczzi, De Siciliae et L'ahibriae excidio.
Ant. Faverzani, Comoedia. Carmina magna laude ornata. ib. 19 10.
1911. b
XVIII Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Revue semestrelle des publications mathematiques. T. 18, P. i. ib. 19 10.
Nieuw Archief voor Wiskunde. Uitg. door het Wiskundig Genootschap
te Amsterdam. 2. Reeks. Deel 9, St. 2. 3. — Wiskundige opgaven.
Deel io, St. 5. 6. ib. 1910.
Technische Hoogeschool te Delft. 4 Proefschr. a. d. J 1909/10.
Arcbives neerlandaises des sciences exactes et naturelles, publiees
par la Societe Hollandaise des sciences ä Harlem. Ser. II. T. 15.
Livr. 1 — 4. Harlem 19 10.
Oeuvres compl. de Christian Huygens Publ. par la Societe hollandaise
des sciences. T. 12. La Haye 19 10.
Archives du Musee Teyler. Ser. II. Vol. 12, P. 1. ib. 1910.
Handelingen en mededeelingen van de Maatschappij der Nederlandsche
Letterkunde te Leiden over het jaar 1909/10. Leiden.
Levensberigten der afgestorvene medeleden van de Maatschappij der
Nederlandsche Letterkunde te Leiden. Bijlage tot de Handelingen
van 1909/10.
Tijdschrif voor Nederlandsche taal-en letterkunde. Uitgeg. vanwege
de Maatschapp. d. Nederl. Letterkunde. Deel 28, Afd. 3. 4. Deel 29,
Afd. 1 — 4. ib. 1909. 10. — Grafschriften en stat en lande. Gro-
ningen 19 10.
Nederlandsch kruidkundig Archief, Verslagen en mededeelingen der
Nederlandsche botanische Vereeniging [Leiden] Nijmegen 1908.
Recueil des travaux botaniques Neerlandais. Publ. par la Societe
botanique Neerlandaise. Vol. 7. Nijmegen 19 10.
Aanteekeningen van het verhandelde in de sectie-vergaderingen van
het Provinc. Utrecht sehe Genootschap van kunsten en wetensch.,
ter gelegenheid van de algem. vergad., gehouden d. 14.. Tun. 1910.
Verslag van het verhandelde in de algem. vergad. van het Provinc.
Utrechtsche Genootschap van kunsten en wetensch., gehouden
d. 14. Jun. 1910.
Bidragen en Mededeelingen van het Historisch Genootschap gevestigd
te Utrecht. Deel 31. Amsterdam 19 10.
Werken van het Histor. Genootschap. gev. te Utrecht. Ser. III. 11.24.
Amsterdam 1909. 10.
Onderzoekingen gedaan in het Physiol. Laboratorium d. Utrechtsche
Hoogeschool. V. Reeks. 11. Utrecht 1910.
Italien.
Bollettino delle pubblicazioni italiane ricevute per diritto di stampa.
No. 108 — 120. Firenze 1909. 10.
Rendiconti e Memorie delU Accademia di scienze, lettere ed arti di
Acireale. Ser. III. Rendiconti. Cl. d. science. Vol. 5. — Me-
morie. Cl. d. lettere. Vol. 6. Acireale 1909. 10.
Memoire della R. Accademia delle scienze del' Istituto di Bologna.
Classe di scienze fisiche. Ser. VI. T. 6 (1908/09). — Classe di scienze
morali. Sezione di scienze giuridiche. T. 3, Fase. 1. 2. Sez. di
storico-filologiche T. 3, Fase. 12. Bologna 1909. 10.
Rendiconto delle sessioni della R, Accademia delle scienze del Istituto
di Bologna. Classe di scienze fisiche. N. Ser. Vol. 13 (1908/09).
Classe d. scienze morali. Ser. I. Vol. 2, Fase. 2. ib. 1909.
Verzeichnis dek eingegangenen Schbieten. XIX
Bollettino delle sedute «U'lla Accademia Gioenia di scienze naturali in
Catania. Ser. II. Pasc. 10 — 13. Catania 1909. 10.
La Opere di (lulileo Galilei. Ed. nationale sotto gli anspicii di Sna
Majrsta il Re d'Italia. Vol. 20. Firenze 1909.
Memoric del R. Istituto Loinbardo. Cl. di lettere e scienze storiche e
morali. Vol. 22 (Ser. III, Vol. 13), Fase. 1 — 3. — Cl. d. scienze
matemat. e naturali Vol. 21 (Ser. III. Vol. 12), Fase. 1 — 4. Milan 0
1909. 10.
R. Istituto Lombardo di scienze e lettere. Rendiconti. Ser. II. Vol. 42.
Fase. 16 — 20. Vol. 43, Fase. 1 — 16. Milano 1909. 10.
Raccolta Vinciana presso l'Archivio storico del comune di Milano.
Fase. 6. ib. 1910.
Memorie della R. Accademia di scienze, lettere ed arti in Modena.
Ser. III. Vol. 8. Modena 1909.
Societä Reale di Napoli. Atti della R. Accad. di Archeolog. , lett. e
belle arti. Vol. 25 (1908) N. Ser. Vol. 1. — Rendiconto delle tor-
nate e dei lavori delle R. Accad. d. Archeol., lett. e belle arti.
N. S. Ann. 21. Append. 22. 23. — Atti della Reale Accademia di
scienze morali e politiche. Vol. 38 — 40. Rendiconto. Anno 45 — 48
(1906 — 09). Rendiconto. della R. Accad. delle scienze fisiche et
matematiche. Ser. III. Vol. 15, Fase. 8 — 12. Vol. 16, Fase. 1 — 9.
e Suppl. Napoli 1908 — 10.
Atti e Memorie della R. Accademia di scienze, lettere ed arti in Padova.
N. S. Vol. 25. Padova 1909.
Rendiconti del Circolo matematico di Palermo. T. 29, Fase. 1—3. T. 30,
Fase. 1 — 3. — Suppl. Vol. 4, No. 3—6. Vol. 5, No. 1 — 3. — Annuario
biografico 1910. Indice delle Pubblicazioni No. 3. Palermo 1909. 10.
üniversitä di Perugia. Annali della Facoltä di Medieina. Vol. 7,
Fase. 3 — 4. Perugia 1909.
Annali della R. Scuola normale superiore di Pisa. Scienze fisiche e
matematiche. Vol. n. Pisa 1910.
Atti della Societä Toscana di scienze naturali residente in Pisa. Memorie.
Vol. 25. ib. 1909.
Processi verbali della Societä Toscana di scienze naturali. Vol. 18, No. 5. 6.
Vol. 19, No. 1 — 4. ib. 1909. 10.
Annali della R. Scuola superiore di Agricoltura di Porti ci. Ser. II.
Vol. 7. 8. Portici 1907. 08.
Atti della R. Accademia dei Lincei. Ciasse di scienze morali, storiche
e filologiche. Ser. V. Memorie. Vol 13. 14, Fase. 1 — 4. Notizie
degli seavi. Vol. 6, Fase. 9—12. Vol. 7, Fase. 1 — 8. Rendiconti.
Vol. T8 (1909), Fase. 4 — 12. Vol. 19 (1910), Fase. 1—6. — Classe di
scienze fisiche, matematiche e naturali. Ser. V. Memorie. Vol. 7,
Fase. 11. 12. Rendiconti. Vol. 19 (1910) [I. Sem.], Fase. 1 — 12.
II. Sem., Fase. 1 — 9. — Rendiconto dell' adunanza solenne del
5. Giugn. 1910. Roma 1909. 10.
Mitteilungen des Kais. Deutschen Archäologischen Instituts. Römische
Abtheilung (Bollettino delF Imp. Istituto Archeologico Germanico.
Sezione Romana). Bd. 24, H. 1 — 4. Bd. 25, H. 1 — 3. ebd. 1909. 10.
Atti della R. Accademia dei Fisiocritici di Siena. Ser. V. Vol. 1,
No. 7 — 10. Vol. 1, No. 1—6. Siena 1909. 10.
b*
XX Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Atti della R. Accademia delle scienze di Torino. Vol. 45, Disp. 1 — 15.
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Portugal.
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Coimbra 19 10.
Rumänien.
ßuletinul Societätii de seiinte fizice (Fizica, Chimia si Mineralogia)
din Bucuresci-Romänia. Anul 19, No. 1 — 6. Bucuresci 1910.
Rußland.
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Sitzungsberichte der Finnischen Akademie der Wissenschaften. 1908.
Helsinski 1909.
Acta societatis scientiarum Fennicae. T. 37, No. 2- — 4. 9 — 11. T. 38,
No. 1. 3. T. 39. 40, No. 1 — 4. Helsingfors 1909. 10.
Bidrag tili kännedom af Finlands Natur och Folk, utg. af Finska
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öfersigt af Finska Vetenskaps-Societetens Förhandlingar 51. 52. ebd.
1909. 10.
Meteorologisches Jahrbuch für Finland. Hsg. von der Meteorologischen
Zentralanstalt. Bd. 3 (19 10) u. Beilage.
Observations meteorologiques publ. par l'Institut meteorologique central
de la Societe des sciences de Finlande. 1 899/1 900. ib. 1909.
Bulletin de la Societe physico-mathematique de Kasan. Ser. II. T. 16,
No. 3. Kasan 1910.
Ucenyja zapiski Imp. Kasanskago Universiteta. T. 76, No. n. 12. T. 77,
No. 1 — 11. ib. 1909. 10.
Universitetskija Izvgstija. God 48, No. 9 — 12. God 49. 50, No. 1—9.
Kiev 1908—10.
Mitteilungen der Ukrainischen Gesellschaft der Wissenschaften. Kn. 6. 7.
ib. 1909. 10.
Bulletin de la Societe Imper. des Naturalistes de Moscou. Annee 1908,
No. 3. 4. 1909. Moscou d. J.
Ucenyja Zapiski Imp. Moskovskago Universiteta. Otdel jurid.Vyp. 34 — 37.
- Med. Fakult. Vyp. 15. — Otd. estestvenno-istor. Vyp. 26. 27.
ib. 1909. 10.
Bulletin de FAcademie Imperiale des sciences de St. Petersbourg.
Ser. VI. T. 4, No. 1 — 18. — Materialy po jafetieskomu jasykosnaniju.
1910.
Verzeichnis der eingboanoknbn Sohbiftbn. XXI
rMemoires de l'Academie Imperiale des sciences de St. Petersbourg. Claase
pliysieo-mathematiquc. Ser. VIII. Vol. 18, No. 14 — 16. Vol. 23,
No. 7. 8. Vol. 24, No. 2 — 9. Vol. 26, No. 1. Ciasse historico-philo-
logique. Ser. VIII. Vol. 8, No. 13. 14. Vol. 10, No. 1. ib. 1909.
Comite geologique. Bulletins. 28, 1—8. — Memoires. N. Ser. No. 40. 51.
ib. 1909. 10.
Acta Horti Petropolitani. T. 26, Fase. 2. T. 27, Fase. 3. T. 28, Fase. 3.
' ib. 1909. 10.
Swod Zakonow Rossijskoj Imperii. T. 1, 1. 2. T. 2. 5. Prjamych nalo-
gach. Ustav o poslinach. — T. (>. Ustav tamoz. — T 8. 9. 11, 2.
T. 12, 1. 2. Polo/.. — T. 13. 14. — Prodol/.fiiie swoda zakonow.
1902, cast. 1. 2. 1906, east. 1 — 5. ib. 1902 — 08.
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Missions scientifiques pour la mesure d'un arc de me"ridien au Spitz-
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Russe et Suedois. Mission Russe. Tom. 1. Sect. II. B. 1. Sect. III.
D. 1. ib. 1909.
ilyzantina Xronika. T. 14, 4. (1907) 15, 1. (1908). ib.
Otcet Imp. publ. Biblioteki za 1902. 03. ib. 1910.
Seismiscbo Monatsberichte des physikalischen Observatoriums zuTiflis
Jahrg. 4 (1903), No. 7 — 12. Jahrg. 10 (1909) No. 4 — 6.
Beobachtungen des Tifliser Physikalischen Observatoriums i. J. 1899 bis
1904. ib. 1909.
Sprawozdania z posiedze'n Towarzystwa naukowego Warszawskiego.
Rok 3, Zesz. 5 — 7. Warszawa 1910.
Prace Towarzystwa naukowego Warszawskiago. II. No. 1—3. ib. 1909. 10.
Schweden und Norwegen.
Bergens Museum. Aarbog for 1909, H. 2. 3. 1910, H. 1. 2. — Aarsberet-
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Sars, G. 0. An Account of the Crustacea of Norway. Vol. 5, P. 27 — 30.
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Skrifter udgivne af Videnskabs-Selskabet i Christiania. Math.-naturvid.
Kl. 1909. Hist.-filos. Kl. 1909. ib. 1910.
Publication des Universitiits- Observatoriums in Christiania. Meridian-
Beobachtungen von Sternen i. d. Zone 65 ° — 700 nördl. Deklination.
Von H. Geelimiyden u. ./. Fr. Schroeter. I. ib. 1909.
Eranos. Acta philologica Suecana. Vol. 9, Fase. 3. 4. Vol. 10, Fase. 1.
Göteborg 1909. 10. ,
Lunds üniversitets Ärs-Skrift. N. Följd. Afd. I, 5. II, 5. Lund 1909. 10.
Acta mathematica. Hsg. v. G. Mittag-Leffler. 32, 4. 33, 1 — 3. Stock-
holm 1909.
Arkiv för botanik, utg. af K. Svenska Vetenskaps-Akademien. Bd. 9, 2 — 4.
ib. 1910.
Arkiv für kemi, mineralogi och geologi, utg. af K. Svenska Vetenskaps-
Akademien. Bd. 3, II. 4. 5. ib. 19 10.
XXII Verzeichnis der eingegangenen Schriften.
Arkiv för mathematik, astronomi och fysik, utg. af K. Svenska Vetens-
kaps-Akademien. Bd. 6, i. ib. 1910.
Arkiv för zoologi, utg. af K. Svenska Vetenskaps- Akademien. Bd. 6.
ib. 1910.
Kungl. Svenska Yetenskaps-Akademiens Handlingar. Ny Följd. Bd. 45,
No. 3 — 7. ib. 1910.
o
Kungl. Svensk. Vetenskaps Akademiens Arsbok för 19 10. Bilage I.
Les prix Nobel en 1907. Stockholm 1909.
Meteorologiska Jakttagelser i Sverige, utg. af Kungl. Svenska Vetens-
kaps Akademien. Bd. 50. Bihang II. 51. ib. 1908. 09.
Fornvännens Meddelanden frän Kongl. Vitterhets Historie och Anti-
quitets Akademien. Arg. 4. 1909.
Entomologisk Tidskrift utg. af Entomologiska Föreningen i Stockholm.
Arg. 30 (1909). Uppsala.
Nordiska Museet Fataburen. 1909. H. 1 — 4. Stockholm.
Troms0 Museums Aarshefter 30 (1907). Troms0 1909. 10. — Aars-
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Bulletin mensuel de l'Observatoire meteorologique de l'Universite
d'Upsal. Vol. 41 (1909). Upsal.
Bref och skrifvelser of och tili Carl von Linne med understöd af Svenska
Staten utg. af Upsala Universitet. Afd. I. Deel 4. Stockholm 1910.
Arbeten utgifna med understöd af Vilhelm Ekmans Universitetsfund.
7. 8. Uppsala, Leipz. 1909. 10.
Skrifter utg. af Humanist. Vetensk. Soc. Bd. 12. ib. 1907 — 09.
Results of the Swedish Zoolog. Expedition to Egypt and the White
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Universitati Lipsiensi saecularia quinta celebranti gratulantur Universi-
tatis Upsaliensis rector et senatus. ib. 1909.
Till Kungl. Vetenskaps Societeten i Uppsala vid dess 200-ärs jubileum
at Uppsala Universitet 19 10.
Emanueli Swedenborgii opera poetica. ib. 1910.
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Argovia. Jahresschrift der historischen Gesellschaft des Kantons Aargau.
Bd. 33. Aarau 1909.
Baseler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde. Hrsg. von der
Histor. u. Antiquar. Gesellschaft in Basel. Bd. 9, H. 2. Basel 1910.
Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel. Bd. 20,
H. 3. Bd. 2i. ebd. 1910.
Mitteilungen der naturforschenden Gesellschaft in Bern a. d. J. 1909.
No. 1701— 1739. Bern 1910.
Jahresbericht der naturforschenden Gesellschaft Graubündens. Bd. 52.
Chur 1910.
Verzeichnis dbb eingegangenen Schriften. XXIII
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Memoires de l'Institut national Genevois. T. 20 (1906 — 10). Geneve 19 10.
Alemoires de la Societe" de physique et d'histoire naturelle de Geneve.
T. 36, P. 2. 3. Geneve 19 10.
Anzeiger für Schweizerische Alterthumskunde. Hrsg. vom Schweizerischen
Landesmuseum. N. F. Bd. 11, No. 3. 4. Bd. 12, No. 1. 2. u. Beilage.
Zürich 1909. 10.
Schweizerisches Landesmuseum. 18. Jahresbericht (1909).
Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich. Jahrg. 54.
3. 4- 55, I- 2. ebd. 1909. 10.
Beiträge zur geologischen Karte der Schweiz. N. F. Lief. 24. Spezial-
karte 27 a/b. 50. 54. 56 a/b. 57. Erläuterungen No. 9. 10.
Serbien.
Glas srpske kralj. Akademija. 77. 79. 82. — Godisnjak. 22 (1908). —
Spomenik. 47. — Sbornik za istor. , jezik etc. (Istorijski Sbornik),
Knj. 5. — Srpske Etnografski Zbornik. Knj. 12 — 14. — Tomiüj,Jov. N.,
Grad klis u 1596 godini d. Nikola Krstidj. Spomeniaza. Beograd
1909. 10. — Istorija n narodnim epskim pesmama 0 Marku kralevicu.
— Istorija razvitka Nisavske doline. — Srpska khizevnost u XVIII
veku. — Osnovi Teorije ekonomskih vxednosti od Koste Stojanovica.
ib. 1909. 10.
Afrika.
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No. 3—21. Vol. 46, No. 1—9. ib. 1909. 10.
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Memoirs of the Museum of comparative Zoology, at Harvard College,
Cambridge, Mass. Vol. 34, No. 3. Vol. 40, No. 1. Vol. 41, No. 1. 2.
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at Harvard College to 1908/09. 1909/10. ib. 1909. 10.
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une piemo puissance. Liege 19 10. — Le dernier the"orem% de
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