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Full text of "Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaft zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse"

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BERICHTE 

ÜBER  DIE 

VERHANDLUNGEN 

DER  KÖNIGLICH  SÄCHSISCHEN 

GESELLSCHAFT  DER  WISSENSCHAFTEN 
ZU  LEIPZIG 

PHILOLOGISCH-HISTORISCHE  KLASSE: 

EINUNDSECHZIGSTER  BAND. 
1909. 


MIT   EINER   TAFEL. 


vir 


LEIPZIG 

BEI    B.  G.  TEÜBNER, 


A5 
182, 


-62 


INHALT. 


Heft  Seite 

I     Richard   Meister,    Beiträge    zur  griechischen  Epigraphik   und 

Dialektologie  VII.  Zwei  kyprische  Inschriften.  Mit  einer  Tafel  3 
II  Wilhelm  Heinrich  Röscher,  Die  Tessarakontaden  und  Tessara- 
kontadenlehren  der  Griechen  und  anderer  Völker.  Ein  Bei- 
trag zur  vergleichenden  Religionswissenschaft,  Volkskunde 
und  Zahlenmystik  sowie  zur  Geschichte  der  Medizin  und 
Biologie '? 

III     Georg  Heinrici,  Nekrolog  auf  Max  Heinze,  gesprochen  in  der 

öffentlichen  Gesamtsitzung  beider  Klassen  am  14.  November  1909     209 


Verzeichnis  der  Mitglieder  der  Königlich  Sächsischen  Gesellschaft 

der  Wissenschaften 

Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften VII 


SITZUNG  VOM  30.  JANUAR  1909. 

Für  den  Jubiläumsband  melden  Abhandlungen  an 
Herr  Partsch  über   Des  Aristoteles   Buch  „Über  das   Steigen  des 

NTil", 
Herr  Sirvers  Zur  Technik  der  Wortstellung  in  den   Kddaliedern, 
Herr   Leskien   Zur   Kritik   des   altkirchenslavischen   Codex   Supra- 

sliensis. 

SITZUNG  VOM  1.  MAI  1909. 

Herr  Heinze  jun.  kündigt  für  die  „Berichte"  eine  Abhandlung  über 

Tertullians  Apologeticuni  an. 
HeiT  Meister  spricht  über  zwei  neue  kyprische  Inschriften,  für  die 

„Berichte". 
Herr  Wilcken  meldet  für  den  Jubelband  eine  Abhandlung  über  den 

Alexandrinischen  Antisemitismus  an. 

Es  wird  beschlossen,  für  den  Druck  eines  Buches  des  Herrn 
Professor  Eulenburg  über  die  Universität  Leipzig  bis  zu  1500  Mark 
aus  der  Mende  -  Stiftung  zu  bewilligen. 

GEMEINSAME  SITZUNG  BEIDER  KLASSEN 
AM  24.  MAI  1909. 

In  der  öffentlichen  Sitzung  hielt  Herr  Schmarsow  einen  Vor- 
trag über  einen  Gründer  des  Barockstiles,  für  die  „Abhandlungen". 

In  einer  darauffolgenden  nichtöffentlichen  Sitzung  wurden  Herr 
Geheimer  Kirchenrat  Professor  D.  Dr.  Heinrici  und  Herr  Professor 
Dr.  Stumme  zu  ordentlichen  Mitgliedern  der  philologisch-historischen 
Klasse  gewählt. 


Phil  .-bist  Klasse  1909.    Bd.  LXI. 


SITZUNG  VOM  i.  MAI  1909. 

Beiträge  zur  griechischen  Epigraphik  und 
Dialektologie  VII. 

Zwei  kyprische  Inschriften. 

Von 
Richard  Meister. 

Mit  einer  Tafel. 

Die  beiden  kyprischen  Inschriften,  die  ich  im  Folgenden 
behandle,  sind  bei  den  Ausgrabungen,  die  1890  aus  den  Mit- 
teln des  Cyprus  Exploration  Fund  von  den  Herren  J.  Arthur 
R.  Munro  und  H.  A.  Tubbs  veranstaltet  worden  sind,  ge- 
funden worden.  Die  erste  von  ihnen  (Tafel  I,  nr.  1.  2.)  steht 
auf  einem  roh  behauenen  Stein,  der  die  Form  eines  kurzen 
vierseitigen  Pfeilers  hat.  Er  wurde  in  einem  Feld  in  der 
Gegend  von  Salamis  entdeckt.  Jetzt  befindet  er  sich  im  Bri- 
tischen Museum.  Er  ist  ca.  37  cm  hoch,  ca.  21  cm  breit  und 
ca.  12  cm  dick,  und  trägt  auf  drei  Seiten  kyprische  Zeichen. 
Abgebildet  ist  die  Inschrift  von  Tubbs,  Journal  of  Hellenic 
Studies  12  [1891]  S.  192  nr.  46.  Ich  besitze  einen  wohlgelun- 
genen Papierabklatsch  durch  die  Freundlichkeit  des  Herrn 
Arthur  H.  Smith  und  außerdem  Photographien  der  drei  be- 
schriebenen Seiten  des  Steins,  die  Herr  F.  Anderson  im  Bri- 
tischen Museum  für  mich  hat  herstellen  lassen.  Beiden  Herren 
spreche  ich  für  ihre  bereitwillige  Unterstützung  meinen  ver- 
bindlichsten Dank  aus.  Auf  Tafel  I  habe  ich  die  Photogra- 
phien kopieren  lassen  (nr.  1)  und  das  von  Tubbs  a.  0.  ge- 
gebene Faksimile  hinzugefügt  (nr.  2). 


Richard  Meister: 


Die  Zeichen  hat  Herr  Tubbs  a.  0.  so  gedeutet: 


nr     o' 


se' 


se' 

? 

si' 


mi' 
ci- 


to- 

si- 
be- 
sä 


n\-     s%- 
? 
r'r      se- 


Über  die  Lesung  der  Inschrift  urteilt  er:  'we  have  the  Option 
of  reading  t'rora  right  to  left,  or  vice  versa,  or  ßovötQocpriSov. 
Unfortunately  no  way  produces  a  satisfactory  result  and  I 
can  only  suggest  that  the  fourth  face  was  inscribed,  that  the 
record  commences  with  it  and  runs  all  round  the  stone  from 
left  to  right.     The  result  will  be  something  to  this  effect: 

f\  %0B    [IL    Tb) 

EVQIS? 

%a]g  pi  ke'[ 
]  GiaGcc  [  .  . . 

The  last  line  is  probably  part  of  an  aorist.' 

Richtig  ist  daran,  daß  die  Inschrift  von  links  nach  rechts 
o-eht.  Richtig  ist  ferner,  daß  sich  die  Zeilen  um  den  Stein 
herumziehen.  Aber  nur  um  drei  Seiten  des  Steins;  die  vierte, 
die  keine  Schriftspuren  zeigt,  ist  auch  niemals  beschrieben 
o-ewesen.  Von  den  Zeichen  hat  Herr  Tubbs  mehrere  falsch 
gedeutet.  Außer  den  von  ihm  angegebenen  Zeichen  ist  nach 
der  Photographie  und  dem  Abklatsch  in  der  vierten  Zeile  am 
Anfang  der  dritten  Seite  der  Rest  eines  ka-  zu  erkennen.  Ich 
o-ebe  wie  üblich  die  deutlichen  Zeichen  in  kursiver,  die  un- 
deutlichen  in  stehender  Schrift  wieder. 

ni'     ka~ 
po#    se- 

ka- 

Die  untere  Hälfte  der  dritten  Seite  ist  durch  Bruch  und  Ab- 
splitterung so  beschädigt,  daß  außer  dem  ka'  am  Anfang  der 


ka' 

ri'    no- 

to- 

te- 

o'    se' 

ka 

c 

mr 

ke~ 

ka- 

a- 

sa 

Beiträge  zur  griechischen  Epiuraphik  u.  Dialektologie  VII.    5 

vierten  Zeile  kein  Zeichen  mehr  erkenntlich  ist;  verloren  ge- 
gangen sind  in  der  dritten  Zeile  2  oder  3  Zeichen,  in  der 
vierten    1   oder  2  Zeichen.     Ich  umschreibe  und  ergänze: 

Xuqlvco  tö  Ntxd{y)- 
&eog  xä%6g 
f][ii  xs^vsfbg] 
xä  äöxa[cpog]. 

Die  Eigennamen  lehren  nichts  Neues.  XuQivog  ist  allgemein 
bekannt.  Nixciv%-t]g  ist  bei  Fick-Bechtel  S.  61  aus  Kos  be- 
legt; der  erste  Bestandteil  Nixa-  ist  in  Kypros  häufig  (vgl. 
NixoxX&rjg  Palaipaphos  GDI.  40  [Hoffm.  105];  Verf.,  Gr.  Dial. 
II  179  nr.  3611  [102];  nr.  $6h  [101],  Nixoläfco  Verf.,  Gr.  Dial.  II 
S.  IX  [178],  NCxcc  Marion- Arsinoe  Verf.,  Gr.  Dial.  II  176  nr. 
25n  [87],  Nixa-  ebd.  178  nr.  25aa);  der  zweite  Bestandteil 
-dvd-rjg  ist  für  den  Fundort  Salamis  durch  den  Namen  des 
salaminischen  Königs  Euanthes  belegt.  Der  Gebrauch  der 
ersten  Person,  in  der  der  xünog  sich  selbst  als  Eigentum  des 
XccQlvog  bezeichnet,  ist  epigraphisch  wohl  bekannt  und  in 
Kypros  ganz  besonders  heimisch.  Die  Weihgeschenke  sagen, 
daß  sie  das  Eigentum  des  Gottes  sind  (Chytroi  GDI.  1  [59]; 
2  [60];  3  [61];  4  [62];  Verf.,  Gr.  Dial.  II  168  nr.  i4a  [65]; 
nr.  1415  [66];  169  nr.  14°  [67]);  die  Grabsteine  sprechen  ge- 
wöhnlich in  der  ersten  Person,  z.  B.:  cich  bin  (der  Grabstein) 
des  Timovanax'  (s.  die  Inschrift  auf  S.  8);  Skarabäen  (Sala- 
mis GDI.  128  [131]),  Vasen  (Verf.,  Gr.  Dial.  II  S.  IX  [178]) 
erklären,  daß  sie  dem  und  dem  gehören,  usw.  x&xog  ent- 
spricht etymologisch  dem  deutschen  Wort  Hufe  und  bedeutet 
ursprünglich  ein  Grundstück,  auch  wenn  es  nicht  mit  Nutz- 
oder Zierpflanzen  bebaut  sondern  ganz  unbepfianzt  ist,  z.  B. 
bei  Pindar  Ol.  3,  24  den  leeren  baumlosen  Platz  in  Olympia, 
der  den  Kampfspielen  dienen  sollte  (aXX  ov  xalä  öevÖQS 
ifrallev  %&>Qog  ev  ßdööaig  KqovCov  üeXozog'  xovxav  edo$ev 
yvuvbg  uvtä  xänog  6£,siaig  v7tccxoveusv  avycclg  äsXiov).  Diese 
ursprüngliche  Bedeutung  Hufe  hat  der  kyprische  Dialekt  fest- 
gehalten.    In   der   großen  Inschrift  von  Edalion  werden  drei 


6  Richard  Meister: 

Grundstücke  dem  Arzt  Onasilos  und  seinen  Brüdern  vom 
König  Onasikypros  und  der  Stadtgemeinde  von  Edalion  über- 
wiesen anstatt  der  Bezahlung  für  geleistete  Dienste.  Sie 
werden  mit  den  Wörtern  %&Qog  Z.  8  und  Z.  18  ==  %a  Z.  24  und 
x&itog  Z.  20  bezeichnet,  die  keine  wesentlich  verschiedene  Be- 
deutung haben;  denn  dasselbe  Grundstück,  das  Z.  18  %6)Qog 
heißt,  wird  Z.  24  als  £a  angeführt  und  alle  drei  werden  Z.  30 
als  t,ai  xäg  x&Jtoi  zusammengefaßt.  Lehrreich  für  die  Be- 
deutung des  Wortes  zänog  ist  der  Relativsatz  Z.  2 1 .  Die 
ganze  Stelle  lautet  so:  rj  ögjxol  vv  ßaöiXzvg  xccg  ä  71x6hg 
'OvaöCXcot,  ....  xäg  rb{y)  xänov  xbv  t(v)  £i[i(fi)idog  ccqovqcci, 
tö  difelfreyLig  6  'AQjxavsvg  r\%E  alfa,  xb(v)  tioe%6^evov 
rtbg  IIccöccyÖQccv  xbv  'OvccöccyÖQctv  xäg  xä  xqe%vi)cc  xä  ejii6(v)xcc 
itd(v)xa  £%sv  TcavcovCcog  vfaug  t,äv  axsMjcc  C6(v)tcc.  Die  üb- 
liche Umschreibung  xb(v)  ^Ji^sid-s^tg  .  .  i}%s  ahFo(y)  wider- 
spricht den  Regeln  der  kyprischen  Silbenschrift,  nach  denen 
schließendes  -v  nur  bei  enger  Zusammengehörigkeit  mit  dem 
folgenden  Worte  unausgedrückt  bleibt,  während  hier  zwischen 
dem  Relativpronomen  und  dem  folgenden  Eigennamen  tdifeC&e- 
[iig  keine  Zusammengehörigkeit  stattfindet  und  mit  alfa  der  Satz 

abschließt.     Zu  umschreiben  ist  vielmehr  xcö &X\Fca  und 

das  sind  Genetive.  Die  Bedenken  Hoffmanns  wegen  des 
Gebrauchs  von  Genetivformen  auf  -ra  in  der  Inschrift  neben 
solchen  auf  -cov  hat  schon  Solmsen,  Untersuchungen  zur  gr. 
Laut-  und  Verslehre  S.  1 10  Anm.  zerstreut.  Es  fragt  sich  ledig- 
lich, wie  diese  überlieferten  Genetivformeu  syntaktisch  aufzu- 
fassen sind.  Einen  früheren  Erklärungsversuch  (Gr.  Dial.  II 
153  f.)  aufgebend  erkläre  ich  xä  als  partitiven,  von  r)%e  ab- 
hängigen Genetiv,  dem  das  Prädikatsnomen  uXS-a  in  gleichem 
Kasus  folgt:  xä  Ji^sCdsfiig  .  .  y}%£  äkfa  'den  (zum  Teil)  Divei- 
themis  als  Garten  hatte';  in  rj%e  xäncs  'er  hatte  von  der  Hufe 
(einen  Teil)'  oder  (er  hatte  die  Hufe  (zum  Teil)'  liegt  der- 
selbe Gebrauch  des  adverbalen  partitiven  Genetivs  vor  wie  in 

TtiVElV  XOV    OtVOV,    XE^lVEll'    T^g    J^£,    Ictßslv    XOV    6XQCCX0V,    TlKÖ- 

6Eiv  akog,  e%eiv   iiavxLxijg   Te%vr)g    usw.  (vgl.  Ki'tiner-Gerth 
I  345);   un(i   die   Anfügung   des   Prädikatsnomens  im  Genetiv 


Beiträge  zur  griechischen  Epigraphen  u.  Dialektolokik  VII.     7 

ist  in  reo  i]%£  uXtco  genau  dieselbe  wie  z.  B.  in  6ov  hv%ov 
fpi'Xov.  Es  hatte  also  von  der  betreffenden,  zum  Königsland 
gehörigen  und  dem  Onasilos  überwiesenen  Hufe  Diveithemis, 
der  sie  wahrscheinlich  bis  dahin  in  Pacht  gehabt  hatte,  einen 
Teil  durch  Bearbeitung  und  Bepflanzung  zum  Garten  gemacht 
und  als  Garten  bewirtschaftet,  wodurch  der  Wert  dieses  Teils 
der  Hufe  gestiegen  war.  Daß  kyprisch  ciXJ-ov  gleich  dem 
attischen  xrptog  'Garten'  bedeutet,  lehrt  uns  die  Hesychglosse 
äXova'  jcTJjrot,  zu  der  bereits  Ruhnken  das  der  folgenden 
Glosse  in  der  Handschrift  fälschlich  beigefügte  Ethnikon 
Kvtlqiol  richtig  bezogen  hatte.  Über  die  Etymologie  von 
ahfov  und  über  das  lautliche  Verhältnis  von  kypr.  uXfov  und 
äXovov  zu  hom.  aXa^f)^  und  att.  aXag  vgl.  Solmsen,  Unter- 
suchungen S.  109 ff.;  Brugmann,  Grdr.  II2  1,  211.  Die  be- 
handelte Stelle  der  edalischen  Bronzetafel  lehrt  uns  aber  auch 
den  Schluß  unserer  Steininschrift,  so  wie  ich  ihn  nach  den 
erhaltenen  Resten  ergänze,  richtig  verstehen.  Diveithemis 
hatte  eine  Hufe  Königsland  gepachtet  und  einen  Teil  von  ihr 
zum  Garten  gemacht.  Ob  er  für  die  zur  Meliorisierung  des 
Grundstücks  gemachten  Aufwendungen  und  für  seine  Ein- 
setzung von  Bäumen,  Reben,  Pflanzen  bei  Lösung  des  Pacht- 
vertrages Anspruch  auf  Entschädigung,  Abkauf  oder  Rück- 
nahme erheben  konnte,  wissen  wir  nicht,  da  wir  den  Wort- 
laut des  Vertrags,  den  er  mit  König  und  Gemeinde  von  Eda- 
lion  geschlossen  hatte,  nicht  kennen;  es  wurde  aber  trotz  der 
Knappheit  des  Urkundenstils  doch  für  wichtig  gehalten  zu 
konstatieren,  daß  der  xütcoc,  (xsvsfbg  y.ä  aöxacpog)  zwar  das 
Eigentum  des  Königs  und  der  Gemeinde,  die  Umwandlung 
eines  Teils  desselben  in  einen  Garten  aber  das  Werk  des 
Diveithemis  gewesen  war.  Ahnliche  Verhältnisse  haben  viel- 
leicht zur  Setzung  unseres  Steins  und  zur  Hinzufügung  der 
zur  genaueren  Bestimmung  dienenden  Adjektiva  xelvefbg]  xa 
äöxu[(pos]  geführt.  Wenn  Charinos  sein  leeres  und  unkulti- 
viertes Areal  verpachtet,  der  Pächter  es  aber  kultiviert  und 
zum  Nutzland  gemacht  hatte,  so  konnte  es  in  beider  Interesse 
liegen,  die  Tatsache  nicht  in  Vergessenheit  geraten  zu  lassen, 


8  Richard  Meister: 

daß  der  x&nog  zwar  das  Eigentum  des  Charinos  war,  dieses 
Eigentumsrecht  sich  aber  nur  auf  den  xüTtog  xevefbg  xä 
äöxacpog  bezog.  —  Mit  der  Form  xä  cund'  in  xä  a<3xa\<pog] 
vgl.  xä  ä(v)rC  Edalion  GDI.  6o5  [Hoffm.  135]. 

Die  zweite  Inschrift  (Tafel  I,  nr.  3)  fand  Herr  J.  Arthur 
R.  Munro  in  einem  der  zahlreichen  Gräber  bei  dem  heutigen 
Orte  Poli  tis  Chrysochou  an  der  Stelle  der  alten  Stadt  Marion, 
der  Ptolemaios  II  zu  Ehren  seiner  Gattin  und  Schwester  den 
Namen  Arsinoe  gab.  Veröffentlicht  ist  sie  mit  einem  Faksi- 
mile im  Journal  of  Hellenic  Studies  12  [1891]  S.  320  von 
ihrem  Entdecker,  dem  ich  auch  einen  Papierabklatsch  und 
eine  Photographie  nach  einem  gefärbten  Abklatsch  verdanke. 
Sie  befindet  sich  jetzt  ebenfalls  im  Britischen  Museum. 

Herr  Munro  hat  a.  0.  die  Inschrift  so  umschrieben: 

ti'  mo'  va'  na'  ko~  to'  se1  to'  ü'  ma~  ?•  ?■  e'  mi' 
Ti^ioJ-dvaxrog  reo   Tipa  .  .  .  r^it. 

Die  angegebenen  Zeichen  sind  alle  richtig  gelesen;  über- 
sehen ist  nur  der  Strichdivisor  vor  rjui,  den  der  Abklatsch 
erkennen  läßt.  Die  zwei  Zeichen,  an  deren  Stelle  Herr  Munro 
Fragezeichen  gesetzt  hat,  sind  ganz  zweifellos  se~  w.  Daß 
das  zweite  ein  w  ist,  hat  auch  Herr  Munro  sofort  erkannt; 
er  glaubte  aber  von  dieser  Lesung  aus  grammatischen  Gründen 
absehen  zu  müssen.  Von  dem  ersten  Zeichen  sagt  er,  es 
könne  sem  oder  Jce'  sein;  aber  Abklatsch,  Photographie  und 
Faksimile  zeigen  ein  sicheres  se-;  lee'  ist  ausgeschlossen. 
Meine  Lesung  se'  w  hat  jetzt  auch  Herr  Munro  brieflich  als 
richtig  anerkannt.  Wir  stehen  also  der  Tatsache  gegenüber, 
daß  hier  ein  Genetiv  ti'  nw  sß'  w  Ttnäöev  (oder  -rjv)  auf 
dem  Stein  überliefert  ist  und  haben  uns  nach  der  Erklärung 
dieser  Form  umzusehn. 

Ich  meine,  es  liegt  in  ihr  der  Genetiv  eines  Kurznamens 
Ti^iäörjg1)  vor,  der  sich  den  bekannten  vom  Namensstamm 
Ti^iäö-  TifiäöL-  abgeleiteten  Kurznamen  wie  Ti^iaöicov  TtfirjöCag 


1)  Da  eine  Regel  über  die  Betonung  dieser  Kurznainen  auf  -r}(g) 
nicht  bekannt  ist,  so  lasse  ich  sie  ohne  Akzentbezeichnuug. 


Beiträge  zur  griechischen  Epigraphik  u.  Dialektologie  VII.    o 

Ttfiijöiog  (Fick-Bechtel  268)  anreiht,  gebildet  mit  dem  For- 
mans -7]-   wie   z.  B.   kyprisch  &aXr]g  Vase   aus  Ketion   in  der 
New- Yorker  Cesnola-Sammlung  Hall,  Journal  of  the  American 
Oriental  Society  11  [1885]  S.  236  nr.  14  [Hoffm.  126],  lesbisch 
4irjs,  Zarjg,  Je(3%i]g,  Nnigri  (Alkaios  1 44),  böotisch  0aXXet  und 
0aXXsig,   <PiXXei  und   ®oXXsig,  Mevvei  und  Meveig,    TltcoiXXei, 
und  nrcoiXXeig,  ionisch   QocXrjg,  I2vfh}g,  \4Qi6x\]g  usw.     Diese 
Kurznamen  auf  -rj(g)  stehen  selbständig  und  unabhängig  neben 
den  Kurznamen    auf   -äg,    wie  z.  B.  Mijväg,  Myrgäg,  'Exaräg, 
ZcoTtäg,  <dätiäg,  Ilvfrag,  zlrj^ioöd-äg,  'EQpoyäg  usw.    Das  -?;-  der 
einen  ist  nicht  etwa  'ionisch',  das  -ä-  der  andern  nicht  etwa 
fäolisch-dorisch',  denn  sie  sind  in  den  äolischen  und  dorischen 
Dialekten  ebenso  beide  nebeneinander  üblich  wie  in  den  ioni- 
schen Dialekten.    So  stehen  z.  B.  in  der  Inschrift  von  Erythrä 
GDI.  5692   nebeneinander  !AQiörrjg  a  5.  21,  (piXiöxrig  a  13  und 
'Exaxäg  a  23.  42,   MrjTQäg  b  8,  ÜQ^äg  b  1 1,  Zconäg  c  27.     Im 
ionischen  Dialekt  perispomeniert  man  die  Kurznamen  auf  -vg 
gewöhnlich,  so  wie  nach  Herodian  II  859,  17  die  auf  -äg  peri- 
spomeniert wurden,   und   man  erklärt  diese  wie  jene  Endung 
gewöhnlich   für   kontrahiert   aus   der   längeren  Endung  -sCäg. 
So   heißt    es   z.  B.  bei  Fick-Bechtel,    Personennamen  S.  25: 
'Aus  nag  wird  g'ag,  ionisch  stjg  und  dies  attisch  zu  äg,  ionisch 
zu  i\g  kontrahiert,   so    daß  also  Reihen  wie  Ja^sCccg,  ziafisag 
ionisch  Jr^ierig,  zJrjfiäg  ionisch  z/f^t%  entstehen,  ein  Vorgang, 
der  so  häufig  ist,  daß  es  nicht  nötig  ist,  weitere  Beispiele  zu 
häufen.'     Darnach  würden  z.  B.  in  der  eben  angeführten  ery- 
thräischen  Inschrift  die  Namen  ' AQi<5xy)g  und  Q>iXi<5vt]g  ionisch 
und  die  Namen  f  Exaräg,  MrjtQäg,  ÜQ^ßg,  Zanäg  attisch  sein, 
obwohl  TlQyfeüg  im  Stamm  ionisches  ij  hat,  in  der  thasischen 
Inschrift  GDI.  5469    würden    die    Namen   dr^g   und   <PiXrr]g 
ionisch,  die  Namen  'Hgöcg  und  Ilvfrccg  attisch  sein  usw.  Aber 
wenn  man  auch  zugeben  wollte,  daß  im  ionischen  Dialekte 
die  Kurznamenendung  -77g  aus  -stäg  (:  -säg  :  -srjg  :  -fjg)  durch 
Kontraktion    entstanden    sei,    wie    soll    man    dieselbe    Kurz- 
namenendung   in    anderen    Dialekten    erklären,    in    denen    die 
Annahme  einer  Kontraktion  von  -sä-  zu  -?;-  durch  die  Dialekt- 


io  Eichard  Meister: 

regeln  ausgeschlossen  ist?  Arkadische  Kurznanien  wie  n.avr\g 
(Lusoi,  Osten- .  Jahresh.  4,  77  ff.  nr.  1 2),  kyprische  wie  &altjg(s.  o.), 
lesbische  wie  Ai^g  (z.  B.  Mytil.  IG.  XII  2,  35  bt5),  thessalische  wie 
Mevvsig  (Pharsalos  IG.  IX  2,  234^),  böotische  wie  &alleig  (The- 
ben IG.  VII  2  466J  oder  ®akXet  (Tanagra  IG.  VII  538I2)  können 
ihr  -rj-  (:  -ei-)  nicht  durch  Kontraktion  aus  -sä-  erhalten  haben, 
wenn  sich  auch  z.  ß.  neben  dem  arkadischen  Namen  Ilavrjg 
ein  megarischer  Tlavsag  (Megara  GDI.  3025^),  neben  dem  thes- 
salischen  Msvvsig  ein  thessalischer  Mevveag  (Krannon  IG.  IX 
2>  5*763)  nachweisen  läßt.  Die  in  allen  fünf  äolischen  Dia- 
lekten vorkommenden,  nach  einem  uralten  Typus  gebildeten 
Kurznamen  auf  -rj(g)  lassen  sich  nicht  als  kontrahiert  sondern 
lediglich  als  -7/-Stämme  auffassen,  wie  das  für  die  böotischen 
Kurznamen  auf  -si  bereits  Bechtel  (GGN.  1886,  S.  378; 
Fick-Bechtel,  Personennamen  S.  2^)  ausgesprochen  hat. 
Können  wir  aber  die  ionischen  von  ihnen  trennen,  wie  dies 
Bechtel  tut?  Können  wir  sagen,  kyprisch  (faltig  und  böo- 
tisch  (Etallsig  (OaHa)  sind  -^-Stämme,  aber  ionisch  Saliqg 
ist  aus  *®uX£iäg:  *0aXsag:  *©aXs7jg  kontrahiert?  Ist  es 
nicht  derselbe  Name,  der  in  den  drei  Dialekten  vorliegt,  im 
Böotischen  mit  der  bei  diesen  Kurznamen  so  häufigen  Kon- 
sonantengemination? Gibt  es  irgend  einen  Grund,  der  uns 
nötigte,  ion.  Scdrjg  für  kontrahiert  zu  halten?  Ich  wüßte 
keinen  zu  nennen.  Bei  Herodot  kommen  ja  Namen  auf  -srjg 
vor:  'AQLötsrjg,  üvd'srjg,  Kivsrjg,  KeXetjg,  aber  auch  bei  ihm 
nur  ©alfig,  ©alrjv,  &akf\  (Hoffmann,  Griech.  Dial.  III  471). 
Die  ionischen  Inschriften  aber  kennen  solche  Namen  auf  -srjg 
ebensowenig  wie  die  ionischen  Lyriker,  Fritsch  korrigiert 
sie  in  seiner  Herodotausgabe,  Hoffmann  a.  0.  bezweifelt 
wenigstens  ihre  Existenz  im  ionischen  Dialekt.  Und  selbst 
wenn  die  Herodotüberlieferung  Glauben  verdienen  sollte  und 
ionische  Namen  auf  -drjg  existierten,  so  würde  aus  ihrer 
Existenz  ebensowenig  gefolgert  werden  dürfen,  daß  z.  ß.  &aXr]g 
aus  *@aXsrjg  oder  'AQiGtrjg  aus  LdQiöterjg  durch  Kontraktion 
entstanden  wäre,  wie  aus  der  Existenz  des  megarischen 
Namens  Ilavsag  gefolgert  werden  durfte,  daß  der  arkadische 


Beiträge  zur  griechischen  Epigraphik  u.  Dialektologie  VII.    i  i 

Namen  Tlcivyg  aus  fluvs'ag  kontrahiert  sei.  Man  darf  also 
nicht  behaupten:  cDie  Betonung  <PiXtvvf}g  wird  durch  OiXiv- 
vtag  in  Halasarna  (GDI.  3706  III?)  gefordert'  (BECHTEL  zu 
GDI.  5496).  Es  entsprechen  vielmehr  die  ionischen  Kurz- 
namen  auf  -tvvrjg  und  -aXXr]g  wie  0LXivvrig  (Milet  GDI.  5496^), 
Ilvd-ivvrjg  (ixl  Ilvfi-ivveco  Münzlegende  von  Abdera  GDI. 
5644,  21),  MtxaXfajg  (Thasos  GDI.  5482  a12)  den  äolischen 
Kurznamen  auf  -tj  (:  -sc)  und  -yg  (:  -sig),  wie  böot.  Mevvei, 
jElsvvsi,  &alla  und  ®aXXeig,  KsyctXXei  und  KeyaXXsig,  /Ztco- 
i'XXei  und  Iltco'CXXtLg,  KvdiXXtt,  EiQcoi'XXei,  thessal.  Mtvveig 
usw.,  und  der  milesische  Name  OtXivvi]g  verhält  sich  zu  dem 
halasarnischen  ffriXivvwg  genau  so  wie  thess.  Mevvetg 
zu  thess.  Mevveag,  arkad.  Ilccvijg  zu  megar.  Tlavtag  usw. 
Wenn  ein  Deszendenzverhältnis  zwischen  diesen  beiden  For- 
mantien auf  -i](g)  und  -säg  überhaupt  besteht,  so  kann  nur 
das  zweite  durch  Weiterbildung  mit  dem  -ä-Formans  aus  dem 
ersten  hervorgegangen,  also  Mevveäg  aus  Mevvrj,  Isjsvvdäg  aus 
Eewr},  <biXX£üg  aus  0iXXrj  entstanden  sein.  —  Ich  bin  mit 
Bechtel  (GGA.  1886,  S.  3 7 8 f.)  und  anderen  der  Meinung, 
daß  sich  nicht  nur  innerhalb  der  Kurznamen  auf  -rj(_g)  Reste 
alter  e-Stämme  (Brugmann,  Grdr.  II2,  1,2  20 ff.)  erhalten  haben, 
sondern  daß  wir  auch  noch  aus  anderen  Spuren  in  den  grie- 
chischen Dialekten  alte  e-Stämme  erschließen  können.  In  Ar- 
kadien sind  es  z.  B.  die  Formen:  yovlg  Gottesurteil  von  Man- 
tineia  Bull,  de  corr.  hell.  16  [1892],  S.  569fr.  [J.  BAUNACK,  Be- 
richte der  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1893,  S.  94 f.;  B.  Keil,  GGN. 
*895,  S.  37of.],  Z.  26.  30.  36;  Akk.  JhsqIv  Tempelrecht  von 
Alea  Bull,  de  corr.  hell.  13  [1889],  S.  281  ff.  [Solmsen.  Inscr. 
sei.2  1],  Z.  1 ;  [CjeQqg  Tegea  Bull,  de  corr.  hell.  17  [1893],  S.  17 
nr.  21  Z  15  i£Q7jg  Tegea  GDI.  1231  [Hoffm.  33],  B33,  Cj.  ,9.  -0; 
ygatprig  Tegea  GDI.  1230  [Hoffm.  32  |,  Z.  7;  in  arkadischen 
Inschriften,  die  bereits  die  achäiscb-dorische  Koine  zeigen: 
[y]Qct(pr]g  Tegea  GDI.  1236,  ictQr]g  Tegea  GDI.  1235.  In  Ky- 
pros:  iJ£Qr]g  Neu-Paphos  GDI.  33  [Hoffm.  100].  Im  epischen 
Dialekt:  'Agr^  Akk.'AQrjv  E  909,  Hesiod  Schild  59.  333.  425. 
457,    Dat.  "Aq\\   (Var.  Aqsl)  E  757.    0   112.  431,    Gen.  "Iqlco 


12  Richard  Meister: 

Archil.  48;  Akk.  ßgaß-qv  Epigramm  bei  Demosth.  de  cor.  p. 
289,  4  (ßQdßyv  alle  Handschriften,  ßgaßr)  die  Herausgeber 
seit  Schneider).  Früher  (Gr.  Dial.  II  110.  272)  war  ich  der 
Meinung,  diese  Nomina  auf  -rjg  seien  Neubildungen  (vgl. 
Brugmänn,  Gr.  Gr.3  185)  nach  Analogie  der  £<?-Stämme,  aber 
dieser  Erklärung  fügen  sich  nicht  die  Akkusative  auf  -rjv,  wie 
huQev,  ßQaßtjv,  'AQy\v.  Ferner  treffen  wir  auch  in  Ableitungen 
diese  ^-Stämme  an,  wie  z.  B.  den  Stamm  UQrj-,  lesb.  ion!  tyr}- 
in  dem  lesbischen  Iq^tevsl  Eresos  IG.  XII  2,  527,  Z.  45  u.  ö. 
und  in  der  Hesychglosse  Iq^teqw  Ieqeicc,  ■9-urtg,  die  M.  Schmidt 
nach  Musurus  in  die  ionische  Form  iQrjre^Qci  korrigiert  hat, 
während  sie  ohne  Veränderung  als  lesbisch  für  iQrjtsQ^cc 
mit  vereinfachter  Geminatenschreibung  (Verf.,  Gr.  Dial.  1 137  ff.) 
aufzufassen  ist. 

Aber  ich  habe  nicht  die  Absicht  eine  Untersuchung  der 
im  Griechischen  überhaupt  noch  vorhandenen  Reste  alter 
e- Stämme  anzustellen.  Auch  das  Schicksal  der  Kurznamen 
auf  -rj(g)  und  ihren  Übergang  in  andere  Deklinationsklassen 
will  ich  hier  nicht  verfolgen.  Daß  ich  die  böotischen  auf 
-ei(g)  nicht  mehr  (wie  in  den  Berichten  1 904,  S.  3 1  f.)  mit 
J.  Schmidt  und  Kretschmer  als  alte  ^-Stämme  betrachte, 
habe  ich  schon  bemerkt.  Mir  kam  es  nur  darauf  an  zu 
zeigen,  daß  die  ionischen  Kurznamen  auf  -rjg:  &ccXrjg,  Ilvd-r}g, 
'Jxsöxrjg,  'AQitixrig  usw.  ebenso  mit  dem  Formans  -rj-  gebildet 
sind,  wie  die  in  den  übrigen,  vor  allem  in  den  äolischen 
Dialekten  vorkommenden  Kurznamen  auf  -r\  (sl)  und  -rjg 
(-£ig)  wie  z.  B.  böot.  SaXXsi  und  GccXXeig,  thessal.  Mevveig, 
lesb.  z/ttjg,  arkad.  Ilavrjg,  kypr.  Ti^iäörjg.  Und  wie  die 
Bildung  von  kypr.  Ti^iäörjg  zu  vergleichen  ist  mit  der  z.  B. 
von  ion.  'jQiötrjg,  so  scheint  auch  die  Flexion  von  kypr. 
Tt^iäörjg  Tl^luösv  (oder  -rjv)  vergleichbar  der  von  "ÄQiötrjg 
'Aqlöxev  Erythrä  GDI.  5692  a  Z.  21,  (AxEörrjg)  lAxaötev  ebd. 
b  Z.  35,  (Ilv&rjg)  Ilv&sv  ebd.  c  Z.  35,  Smyrna  GDI.  5OI025, 
(&aXrjg)  QctXev  Smyrna  ebd.  26.  Leider  lassen  die  kyprischen 
Zeichen  ti'  ma~  se~  w  die  Frage  offen,  ob  der  Genetiv  Ti^iüöev 
oder  TL[iä6)jv  gelautet   hat.     Da   nun  bei  den  Genetiven  der 


Beiträge  zur  griechischen  Epigraphik  u.  Dialektologie  VII.    1 3 

männlichen  -«-Stämme  auf  -av  aus  -uo  im  kyprischen  (wie  im 
arkadischen  und  pamphyli sehen)  Dialekt  dieselbe  Ungewißheit 
iubetreff  der  Messung  des  -a-  besteht,  so  haben  wir,  wie  es 
scheint,  kein  Mittel,  um  sicher  zu  entscheiden,  ob  die  männ- 
lichen -17-Stämme  wie  Tifiääiqg  in  der  kyprischen  Genetiv- 
endung  ihr  stammhaftes  -tj-  vor  folgendem  Vokal  verkürzt 
(*  Ti{iüöto)  oder  erhalten  (*  Tinäöijo)  haben.  *  Ti^iüöso  (oder 
-7}o)  ist  mit  derselben  Verdumpfung  des  schließenden  -o  zu 
Tt^äöav  (oder  -yv)  geworden  wie  die  Genetivendung  der 
männlichen  -«-Stämme  zu  -av  (oder  -av)  geworden  ist. 


Druckfertig  erklart  18.  VI.  1909.] 


Tafel  1. 


i.  Inschrift  aus  Salamis   nach   der  Photographie. 


k 


'HS 


Inschrift  aus  Salamis  nach  dem  Faksimile  in  dem  Journal 
of  Hellenic  Studies  XII    i  12. 


W»  Y.YÜ'pFfTWM^ 


5.  Grabinschrift  aus  Marion-Arsinoe  uach  dem   Faksimile 
in  dem  Journal  of  Hellenic  Studios   XII 


Phü.-hist.  Kl.     1       .     Bd.  LXI. 


'5 


SITZUNG  VOM  10.  JULI  1909. 

Herr  Heinrici  meldet  für  den  Jubelband  eine  Abhandlung  über  die 
patristischen  Aporien  an. 

Es  wird  beschlossen,  die  muhammedanische  Enzyklopädie  für 
weitere  drei  Jahre  mit  jährlich  500  Mark  aus  dem  Klassenfonds, 
ein  Werk  des  Herrn  Stieda  über  die  deutsche  Fayence  -  Industrie 
im  18.  Jahrh.  aus  der  Meude-Stiftung  mit  2000  Mark,  zu  verteilen 
auf  die  Jahre  19 10  und  191  1,  zu  unterstützen. 


SITZUNG  VOM   1.  MAI  1909. 


Phil.-hUt.  Klasse  1909.    Bd.  LX! 


DIE  TESSARAKONTADEN  UND 
TESSARAKONTADENLEHREN  DEE 
GRIECHEN  UND  ANDERES  VÖLKER 

EIN  BEITRAG  ZUR  VERGLEICHENDEN  RELIGIONS- 
WISSENSCHAFT, VOLKSKUNDE  UND  ZAHLENMYSTIK 
SOWIE  ZUR  GESCHICHTE  DER  MEDIZIN 
UND  BIOLOGIE 

VON 

WILHELM  HEINRICH  RÖSCHER 


HEFT  II  DES  61.  BANDES  DER  BERICHTE 

DER  PHILOLOGISCH-HISTORISCHEN  KLASSE  DER  KÖNIGLICH  SÄCHSISCHEN 

GESELLSCHAFT  DER  WISSENSCHAFTEN  ZU  LEIPZIG 


'Nihil  humani  a  me  alienum  puto.' 
fEs  sind  viele  . .  .  biblische  Stellen  des  alten  wie 
des  neuen  Bundes,  letztere  wohl  meistens  be- 
wußte Nachahmungen  der  ersteren,  durch  die 
Annahme  zu  erklären,  die  in  ihnen  vorkommende 
Zahl  40  sei  eine  unbestimmte  Vielheit.  Wie 
aber  die  40  zu  dieser  Rolle  kam,  und  zwar  in 
ältester  Zeit  kam,  denn  es  sind  gerade  die  ältesten 
Bibelstellen,  welche  ein  unbestimmtes  40  benutzen, 

das  ist  heute  nicht  bekannt.' 
Cantok,  Vorles.  über  Gesch.  d.  Mathematik.3     (1907)  I  S.  34. 


MEINEN  VEREHRTEN  UND  BEWÄHRTEN  FREUNDEN 


Dr  KONRAD  SEELIGER 

KOL.  SACHS.  GEH.  SCHULRAT,  KOMTHÜR  USW. 

N.  G.  POLITIS 

REKTOR  DER  UNIVERSITÄT  ATHEN 
VORSITZENDEM  DER  GESELLSCH.  F.  HELLEN.  VOLKSKUNDE  IN  ATEM  USW. 

UND 

D.  De  AUGUST  WUENSCHE 

PROF.  EM.  IN  DRESDEN 


ZUGEEIGNET 


21 


Vorwort. 

Über  Aufgabe  und  Methode  der  nachstehenden  Abhandlung 
(=  Abh.  II)  über  'die  Tessarakontaden  und  Tessarakontaden- 
lehren  der  Griechen  und  anderer  Völker',  die  zu  der  un- 
mittelbar vorausgegangenen  Studie  über  fdie  Zahl  40  im 
Glauben,  Brauch  und  Schrifttum  der  Semiten'  (=  Abh.  I) 
die  notwendige  Fortsetzung  und  Ergänzung  bilde!,  habe  ich 
mich  bereits  im  Vorwort  zu  der  letzteren  zur  Genüge  aus- 
gesprochen. Ich  wiederhole  hier,  daß  ich  nach  Vollendung 
meiner  enneadischen  und  hebdomadischen  Studien1),  bei  denen 
ich  fortwährend  aufzahlreiche  bedeutungsvolle  Tessarakontaden2) 
stieß,  schließlich  den  Wunsch  und  das  Bedürfnis  empfand, 
mit  Hilfe  der  bei  meinen  früheren  Arbeiten  ausgebildeten 
Methode  nunmehr  auch  hinsichtlich  der  Vierzig  möglichst 
abschließende  Ergebnisse  zu  gewinnen  und  mir  vor  allem 
über  den  Umfang  ihres  Herrschaftsgebietes  sowie  über  die 
eigentlichen  Gründe  ihrer  so  hervorragenden  Bedeutung  klar 
zu  werden.  Nachdem  ich  nun  zu  diesem  Zwecke  eine  ge- 
nügende Fülle  von  einschlägigem  Material  aus  den  Literaturen 


1)  Vgl.  Die  entiead.  u.  hebd.  Fristen  und  Wochen  der  ältesten 
Griechen  1903;  Die  Sieben-  und  Neunzahl  im  Kultus  und  Mythus  der 
Griechen  1904;  Die  Hebdomadenlehren  der  griech.  Philosophen  und 
Arzte,  ein  Beitrag  z.  Geschichte  der  Philosophie  u.  Medizin  1906;  Enne- 
adische  Studien  1907. 

2.)  Schon  hier  mache  ich  darauf  aufmerksam,  daß  die  griechische 
40  viel  seltener,  als  man  bisher  angenommen  hat,  den  Charakter  einer 
rRundzahl'  trägt;  in  der  Regel  und  von  Haus  aus  ist  sie  ebenso  wie 
die  7,  die  9,  die  10  und  12  zu  den  ganz  bestimmten  Zahlen  zu  rechnen. 
Auch  die  sonstigen  'Rundzablen'  sind,  soviel  ich  sehe,  ursprünglich 
ganz  bestimmte  Zahlen  gewesen,  und  erst  allmählich,  hauptsächlich 
durch  häufigen  Gebrauch,  zu  rRundzahlen'  geworden. 


22  W.  H.  Röscher: 

der  Semiten,  Griechen  und  anderer  Völker  gesammelt  und 
geordnet  hatte,  ergab  sich  zunächst  eine  so  auffallende  Über- 
einstimmung der  wichtigsten  semitischen  Stämme  (Israeliten, 
Araber,  Babylonier,  Mandäer)  hinsichtlich  ihrer  Tessara- 
kontaden untereinander,  daß  daraus  mit  ziemlicher  Sicherheit 
auf  gemeinsame  bereits  in  der  Periode  der  semitischen  Ur- 
sprache gebildete  Anschauungen  you  der  Zahl  Vierzig  und 
ihrer  Bedeutung  geschlossen  werden  durfte.  Als  die  wichtigsten 
Punkte,  in  denen  sich  diese  Übereinstimmung  äußert,  hebe 
ich  folgende  hervor.3) 

Bei  allen  uns  genauer  bekannten  semitischen  Stämmen 
hatte  die  Zahl  40  von  jeher  religiöse  Bedeutung.  Diese 
zeigt  sich  vor  allem  in  der  ganz  natürlich  aus  der  4otägi*>;en 
oder  öwöchigen  Dauer  der  Lochien  zu  erklärenden  4otägigen 
Unreinigkeitsfrist  der  Wöchnerinnen  (nach  erfolgter 
Entbindung),  die  sich  nicht  bloß  bei  den  Israeliten  (Abh.  I 
S.  10 f.),  sondern  auch  bei  den  den  Babyloniern  so  nahe- 
stehenden Mandäern  (Abh.  I  S.  g)4)  und  bei  den  Arabern 
sowie  anderen  islamischen  Völkern  (Abh.  I  S.  27  f.)  nachweisen 
läßt.  Im  engsten  Zusammenhange  damit  steht  die  Berechnung 
der  überall  280  =  7  x  40  oder  40  x  7  Tage  währenden 
Normalschwangerschaft  nach  Tessarakontaden  oder  Vierzig- 
tagfristen, sowie  die  Anschauung,  daß  die  40  tägige  Frist  für 
die  Entwicklung  der  Embryonen  im  Mutterleibe  maß- 
gebend sei.    Wir  begegnen  dieser  Anschauung  bei  den  Israelitin 


3)  Da  es  mir  durch  den  Charakter  unserer  Festschrift  zum  soojähr. 
Jubiläum  der  Leipziger  Universität  untersagt  war,  den  mir  für  meine 
Abhandlung  über  die  40  bei  den  Semiten  gewährten  Raum  zu  über- 
schreiten, so  benutze  ich  die  hier  gebotene  Gelegenheit  gern  dazu, 
nunmehr  die  Hauptresultate  meiner  bisherigen  Vergleichungen  der 
semitischen  Tessarakontaden  kurz  anzugeben. 

4)  Ich  bin  der  festen  Überzeugung,  daß  bei  weiteren  Ausgrabungen 
und  Entzifferungen  assyrischer  Literaturdenkmäler  sich  auch  für  die 
Babylonier  eine  40 tägige  Unreinigkeitsfrist  der  Wöchnerinnen  heraus- 
stellen wird,  da  ja  sonst  deren  Tessarakontaden  mit  denen  der  übrigen 
Semiten   eine  so  merkwürdige  Übereinstimmung  verraten   (vgl.  Abh.  I 

S.  5  ff.)- 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      23 

(Abb.  I  S.  13  f.)  und  Arabern  (S.  2g)  und  dürfen  sie  im  Hin- 
blick auf  ihre  Natürlichkeit  und  weite  Verbreitung  (z.  B.  auch 
bei  den  Griechen!)  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  auch  bei 
den  Babyloniern  und  übrigen  Semiten  voraussetzen. 

Eine  zweite  ebenfalls  uralte  Unreinigkeitsfrist  von  40  Tagen 
(Trauerfrist)  wird  noch  heute  von  den  Mandäern  (Abh.  I 
S.  9),  den  Arabern  sowie  zahlreichen  anderen  islamischen 
Stämmen  (Abh.  I  S.  31  f.)  beim  Tode  eines  Familien- 
ffliedes  beobachtet.  Vielleicht  ist  auch  bei  den  Juden  noch 
eine  Spur  davon  erhalten  (s.  Midrasch  Beresch.  Rabba  zu 
Genes.  50,  4;  vgl.  Abh.  I  S.  15  f.). 

Mit  diesen  beiden  Unreinigkeitsfristen  wieder  hängt  sicher 
auf  das  innigste  zusammen  eine  ebenfalls  4otägige  Frist  für 
Fasten,  Bußen  (Sühne)  und  Strafen,  welche  sich  nicht 
bloß  bei  den  Babyloniern  (I  S.  7)  sondern  auch  bei  den  Juden 
(I  S.  16  f.)  und  Arabern  (Abh.  I  S.  33  ff.)  nachweisen  läßt. 

Sogar  in  die  Volksmedizin  der  Juden  (Abh.  I  S.  15) 
und  Araber  (S.  30),  sowie  in  die  Hygiene  und  Diätetik  der 
letzteren  ist  die  Vierzigtagefrist  eingedrungen,  was  sich  ver- 
hältnismäßig leicht  aus  der  namentlich  bei  den  Babyloniern 
ausgebildeten  Anschauung  erklärt,  daß  die  Zahl  40  ein  ccQi&uög 
taXeLog  sei,  d.  h.  einen  gewissen  Abschluß  oder  eine  gewisse 
Vollendung  (kissatum),  Reinheit,  Sühne,  Wiederherstellung 
normaler  Verhältnisse,  bewirke  (Abh.  I  S.  7). 

Wenn  im  arabisch -syrischen  Kalender  von  40  Wind-, 
liegen-  und  Wintertagen  die  Rede  ist  (I  S.  34m),  die  — 
ähnlich  wie  bei  den  Griechen  —  auch  von  den  Arabern  meist 
mit  gewissen  für  die  Einteilung  des  Jahres  und  die  Ab- 
Grenzum?  der  Jahreszeiten  bedeutungsvollen  Phasen  der  Ple- 
jaden  in  Zusammenhang  gebracht  werden,  so  liegt  es  nahe, 
dabei  einerseits  an  die  4otägige  Unsichtbarkeit  dieses  so 
wichtigen  Sternbildes,  anderseits  an  die  4otägige  Sintflut  der 
jüdischen  Legende  (I  S.  17)  und  an  das  4otägige  Wüten  der 
bösen  Dämonen  (=  Plejaclen?)  zu  denken,  von  dem  gewisse 
astrologische  Texte  der  Babylonier  reden  (I  S.  8). 


24  W.  H.  Roscheu: 

Wie  ferner  aus  den  7-  und  gtägigen  Tagfristen  die  heb- 
domadischen  und  enneadischen  Jahrfristen  entstanden  sind5), 
so  ist  auch  aus  der  Frist  von  40  Tagen  die  von  40  Jahren 
hervorgegangen.      Wir   finden   eine   solche   bei   allen   uns   be- 

DO  O 

kannten  semitischen  Stämmen,  den  Babyloniern  (S.  7),  Mandäern 
(S.  9),  den  Israeliten  (S.  18  ff.),  Aithiopiern,  Phöniziern  (S.  20) 
und  Arabern  (S.  40  ff.),  vorzugsweise  in  der  Bedeutung  von 
einer  yavaa  (oder  coc^iij)  und  können  zugleich  die  Beobachtung 
machen,  daß  fast  sämtliche  genannten  Völker  eine  höchste 
normale  Lebensdauer  von  3x40=  120  Jahren  annehmen.6) 
Solche  ysvsuC  von  je  40  Jahren  spielen  in  der  Sagengeschichte 
der  Babylonier  (I  S.  7)  und  Juden  (S.  22  ff.),  sowie  in  der 
Eschatologie  des  Islams  (I  S.  34  u.  41  f.)  eine  große  Rolle 
und  liegen  offenbar  auch  der  mandäischen  Lehre  vom  Welt- 
jahre (S.  9)  zugrunde. 

Zuletzt  gedenke  ich  noch  der  zahlreichen  anderweitigen 
Tessarakontaden,  d.  h.  Gruppen  von  40  Personen,  Opfer- 
tieren usw.,  hinsichtlich  deren  namentlich  zwischen  den  Juden, 
Arabern  und  Mandäern  vielfache  Übereinstimmung  herrscht. 
Sogar  in  das  Strafrecht  der  Juden  wie  der  Araber  ist  die 
Tessarakontade  eingedrungen,  beiden  Völkern  gilt  die  Ver- 
urteilung des  Delinquenten  zu  40  Hieben  als  die  üblichste 
Leibesstrafe.  Es  ist  wahrscheinlich,  daß  ursprünglich  jeder 
Hieb  gewissermaßen  Äquivalent  eines  Büß-  oder  Fastentages 
sein  sollte  (S.  25  u.  45). 

Soviel  über  die  Hauptpunkte,  in  denen  sich  die  Gleich- 
heit oder  Ähnlichkeit  der  wohl  größtenteils  aus  der  semitischen 
Urzeit  stammenden  tessarakontadischen  Anschauungen  bei 
allen  uns   genauer  bekannten  semitischen  Stämmen  offenbart. 


5)  Vgl.  Ennead.  u.  hebdomad.  Fristen  u.  Wochen  d.  ältesten 
Griechen  S.  19.  32.  33.  39.  60.  Ennead.  Studien  21  f.  S.  auch  Abh.  I 
S.   18.  21.  Anm.  36.  S.  34.  45. 

6)  Nur  für  die  Babylonier  ist,  soviel  ich  weiß,  bis  jetzt  diese 
Anschauung  nicht  nachgewiesen  worden,  doch  kann  die  so  vorhandene 
Lücke  jeden  Augenblick  durch  eine  neue  Ausgrabung  oder  Entzifferung 
von  Literaturdenkmälern  ausgefüllt  werden.    S.  unt.  die  Nachträge. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      25 

So  merkwürdig  und  bedeutsam  aber  diese  vielfache  Überein- 
stimmung auch  sein  mag,  noch  viel  merkwürdiger  und  be- 
deutsamer scheint  mir  die  große  Ähnlichkeit,  ja  heinahe  Iden- 
tität der  criechischen  Tessarakontaden  mit  den  semitischen 
zu  sein,  welche  das  Hauptergebnis  der  nachstehenden  Unter- 
suchung bildet.  Die  Übereinstimmung  erstreckt  sich  bisweilen 
auch  auf  so  geringfügige  Einzelheiten,  daß  man  hie  und  da 
bei  den  Griechen  sogar  an  direkte  Entlehnung  von  den 
Semiten  oder  umgekehrt  zu  denken  versucht  sein  könnte.7) 
Gewiß  werden  die  modernen  Tanbabylonisten'  auch  hier  ge- 
neigt sein,  ohne  weiteres  alle  Übereinstimmungen  in  den 
tessarakontadischen  Anschauungen  zwischen  Semiten  und  Nicht- 
semiten  auf  den  von  ihnen  überall  vorausgesetzten  allmächtigen 
Einfluß  der  uralten  babylonischen  Kultur  zurückzuführen. 
Zur  Lösung  der  Frage,  ob  diese  Tendenz  auch  hinsichtlich 
der  Tessarakontaden  berechtigt  ist  oder  nicht,  möchte  die 
nachstehende  Untersuchung  einen  un verächtlichen  Beitrag 
liefern.  Wie  mir  scheint,  sind  in  unserem  Falle  im  ganzen  die 
Annahmen  der  'Völkergedankentheorie'  im  Sinne  von  Bastian 
ungleich  wahrscheinlicher  als  die  der  Panbabylonisten,  wenn 
ich  auch  nicht  gänzlich  in  Abrede  stellen  will,  daß  hie  und 
da  die  Nichtsemiten  und  namentlich  die  Griechen  von  den 
Semiten  einzelne  Tessarakontaden  entlehnt  haben  mögen.  Und 
zwar  läßt  sich  der  Beweis,  daß  wenigstens  die  Griechen  in 
dieser  Beziehung  im  wesentlichen  selbständig,  d.  h.  unabhängig 
von  den  Semiten,  sind,  m.  E.  auf  doppelte  Weise  führen:  näm- 
lich durch  die  Beobachtung  erstens,  daß  auch  bei  den  Griechen 
ebenso   wie   bei   den  Semiten  die  sämtlichen  Tessarakontaden 


7)  Ich  denke  z.  B.  an  die  Legenden  von  den  40  vertrautesten 
Jüngern  des  Pythagoras  (Ennead.  Stud.  S.  52)  und  von  dessen  40tägigem 
Fasten  (s.  unt.  Kap.  III.),  womit  man  die  in  Abk.  IS.  16.  24.  33.  43  f. 
gesammelten  Belege  vergleichen  möge,  ferner  an  die  griechische  Satzung, 
daß  keine  Wöchnerin  innerhalb  der  ersten  40  Tage  einen  Tempel  be- 
treten durfte  (unt.  S.  28  ff.  mit  Abh.  I  S.  11  u.  28),  endlich  an  die  bei 
Juden  und  Griechen  gleicherweise  vorkommende  Lehre  (Abh.  I  S.  14 
und  29),  daß  die  Gestalt  des  Embryo  40  Tage  nach  der  Zeugung  voll- 
endet sei,  usw. 


2ö  W.  H.  Röscher: 

im  letzten  Grunde  auf  allgemein  menschliche  Verhältnisse 
und  Erfahrungen  (z.  B.  die  4otägigen  Lochien,  die  7  X  40 
Tage  dauernde  Schwangerschaft,  die  4otägige  Unsichtbarkeit 
der  Plejaden,  die  40jährige  ysvad  usw.)  sich  zurückführen 
lassen,  und  zweitens,  daß  genau  dieselben  Anschauungen  sich 
auch  bei  solchen  Völkern  finden,  die  wahrscheinlich  oder 
nachweislich  mit  den  Babyloniern  niemals  in  direkte  oder 
indirekte  Beziehungen  getreten  sind,  z.  B.  bei  den  Litauern, 
Preußen,  Liren,  den  schamanischem  Kult  huldigenden  Turk- 
völkern  Sibiriens,  ferner  den  Bewohnern  der  Aleuten,  endlich 
bei  den  Ureinwohnern  (Puebloindianern,  Brasilianern,  Karaiben, 
Kaliforniern)  Amerikas.  Mit  den  Tessarakontaden  dieser  und 
noch  anderer  Völker  (z.  B.  der  Armenier,  Kurden,  Perser, 
Inder,  Ägypter,  Germanen  etc.)  beschäftigt  sich  zu  dem  ge- 
dachten Zwecke  der  letzte  Abschnitt  meiner  Untersuchung, 
den  ich  als  einen  nicht  bedeutungslosen  Teil  des  Ganzen  die 
geneigten  Leser  nicht  gänzlich  zu  übersehen  bitten  möchte. 
Soviel  über  die  Hauptgesichtspunkte,  welche  die  nach- 
stehende Untersuchung  mit  der  unmittelbar  vorhergehenden 
Arbeit  über  die  40  bei  den  Semiten  verbinden.  Es  sei  mir 
zum  Schluß  noch  verstattet  in  aller  Kürze  auf  diejenigen  Er- 
gebnisse hinzuweisen,  welche  ganz  speziell  die  Kultur  und 
Literatur  der  Griechen  betreffen.  Als  solche  hebe  ich  zunächst 
hervor  die  Erkenntnis,  daß  die  Tessarakontaden  und  nament- 
lich die  Vierzigtagfristen  auch  der  Griechen  uralt  und  au- 
tochthon  sind,  wie  nicht  bloß  mehrere  Kulte  und  Mythen 
(Kap.  I),  sondern  namentlich  auch  zahlreiche  und  größtenteils 
uralte  Bauern-  und  Wetterregeln  beweisen  (Kap.  III). 
Der  schwierigste  und  zugleich  umfangreichste  Abschnitt 
(Kap.  V)  ist  den  Tessarakontaden  und  Tessarakontadenlehren 
des'Hippokrates'  gewidmet.  Das  wichtigste  Resultat  der  hier 
geführten  Untersuchungen  ist  die  Erkenntnis:  a),  daß  die 
ältesten  und  ursprünglichsten  Tessarakontaden  auf  den  ver- 
meintlichen oder  wirklichen  Selbstbeobachtungen  der 
Schwangeren  und  Wöchnerinnen  beruhen,  die  vielleicht 
in    einem    verlorenen    hippokratischen    Traktate    n.    TeßßccQa- 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      27 

xovrddav,  einem  Seitenstück  zu  der  Schrift  it.  eßdouudcovH)} 
behandelt  waren;  b)  daß  von  da  aus  allmählich  die  tessara- 
kontadischen  Fristen  in  die  Pathologie  und  Therapie  zunächst 
der  Frauen  und  Kinder  und  sodann  der  Männer,  d.  h.  in  die 
Lehre  von  den  kritischen  Tagen  in  Krankheiten,  ein- 
gedrungen sind.  Dieses  allmähliche  Vordringen  und  Weiter- 
wuchern der  tessarakontadischen  ltfitgai  xgCaifioL  läßt  sich 
noch  ziemlich  deutlich  beobachten,  insofern  sie  in  der  Lehre 
der  fknidischen'  Bücher  von  den  kritischen  Tasren 
noch  absolut  fehlen9),  dagegen  in  den  entsprechenden  Theorien 
der  'echthippokratischen'  Schriften  zum  ersten  Male  auf- 
tauchen und  schließlich  immer  zahlreicher  werden,  namentlich 
in  Buch  I  und  III  der  Epidemien.  Was  endlich  die  bei  den 
griechischen  Philosophen  vorkommenden  Tessarakontaden 
anlangt,  so  beruhen  dieselben  fast  durchweg  nicht  auf  deren 
eigenen  Spekulationen  sondern  vielmehr  auf  alten  biologischen 
und  medizinischen  Anschauungen  des  griechischen  Volkes10); 
man  gewinnt  auch  hier  wieder  entschieden  den  Eindruck, 
daß  die  Zahlentheorie  der  Pythagoreer  genau  genommen  nicht 
eines  der  ersten  sondern  vielmehr  eines  der  letzten  Glieder 
einer  langen  in  unvordenkliche  Urzeit  zurückreichenden  Kette 
bildete. 


8)  S.  Röscher,  Hebdomadenlehren  S.  44.fi".  Übrigens  darf  das  ganze 
5.  Kapitel  als  ein  vorläufiger  Versuch  betrachtet  werden,  das  verloren 
gegangene  Buch  %.  rtaaaQaKovTccScov  einigermaßen  zu  rekonstruieren. 
Vgl.  jedoch  auch  Ilberg  in  den  Nachträgen  und  Berichtigungen  zu 
dieser  Abhandlung. 

9)  Vgl.  Tabelle  I  in  Abschn.  C  des  5.  Kapitels,  wo  die  Reihen 
der  in  den  fknidischen'  Büchern  vorkommenden  kritischen  Tage  an- 
gegeben  sind.  Daß  einzelne  Tessarakontaden  auch  schon  in  den 
'Knidia'  erscheinen,  habe  ich  in  Abschnitt  De  des  genannten  Kapitels 
nachgewiesen. 

10)  Vgl.  Hebdomadenlehren  S.  4. 


28  W.  H.  Röscher: 

I. 

Die  Tessarakontaden  im  Kultus  und  Mythus  der  Griechen. 

a)  Die  4otägigen  Unreinigkeitsfristen  am  Anfang 
und  Ende  der  Schwangerschaft.  —  Nichts  ist  für  das 
hohe  Alter  und  die  Ursprünglichkeit  der  griechischen  Tessara- 
kontaden bezeichnender  als  der  Umstand,  daß  sie  bereits  in 
dem  großenteils  streng  konservativen  und  altertümlichen 
Kultus  der  Griechen  eine  ganz  ähnliche  Rolle  spielen  wie 
die  Enneaden  und  Hebdomaden.  Und  wie  wir  die  religiöse 
Bedeutung  der  Sieben-  und  der  Neunzahl  im  letzten  Grunde 
aus  der  Heiligkeit  der  sieben-  und  neuntägigen  Frist  hervor- 
gehen sahen,  so  dürfen  wir  auch  mit  größter  Wahrscheinlich- 
keit annehmen,  daß  sich  die  Tessarakontaden  des  griechischen 
Kultus  und  Mythus  samt  und  sonders  gleichfalls  aus  den 
uralten,  bei  den  meisten  Völkern  des  Altertums  wie  der  Gegen- 
wart nachweisbaren  Vierzigtagefristen  entwickelt  haben.  Unter 
diesen  aber  macht  keine  den  Eindruck  größerer  Ursprünglich- 
keit und  Altertümlichkeit  als  die,  welche  sich  auf  die  Dauer 
der  Unreinheit  der  Wöchnerinnen  nach  vollzogener 
Entbindung  bezieht,  denen  das  Betreten  eines  Heiligtums 
erst  nach  Ablauf  einer  Frist  von  40  Tagen  oder  am  40.  Tage 
nach  der  Entbindung  gestattet  war.  Das  hier  anzuführende 
Hauptzeugnis  findet  sich  bei  dem  wahrscheinlich  aus  Varro 
schöpfenden  Censorinus  (de  die  nat.  11,7)  und  lautet: 

„Quare  [d.  h.  weil  nach  der  pythagoreischen  Lehre  vom 
partus  major  der  Embryo  nach  seiner  Zeugung  40  Tage 
braucht,  um  menschliche  Gestalt  anzunehmen]  in  Graecia 
dies  habent  quadragensimos  insignes.  namque  praegnans 
ante  diem  quadragensimum  [doch  wohl  nach  der  Hochzeit 
und  Empfängnis]  non  prodit  in  fanum  et  post  partum 
quadraginta  diebus  pleraeque  fetae  graviores  sunt  nee  san- 
guinem  interdum  continent,  et  parvoli  ferme  per  hos  [fere] 
morbidi  sine  risu  nee  sine  periculo  sunt.11)    Ob  quam  causam, 

11)  Nach    Ploss,    D.   Kind   in  Brauch   u.   Sitte  d.  Völker  1876  I 
S.  46  ist    noch   heute   im  christlichen  Volke    die  Vorstellung  ziemlich 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      29 

cum  is  dies  praeterit,  diem  festum  solent  agitare,  quod 
tempus  appellant  ts66sQaxo6ralov.u 

Das,  worauf  es  uns  hier  in  erster  Linie  ankommt,  ist 
die  Tatsache,  daß  wie  die  Wöchnerinnen  der  Semiten,  ins- 
besondere der  Juden,  eine  durch  die  Dauer  der  Lochien  be- 
dingte Unreinigkeitsfrist  von  40  Tagen  beobachten  müssen, 
nach  deren  Ablauf  sie  sich  wieder  an  dem  Verkehr  mit  den 
übrigen  Menschen  sowie  am  Gottesdienste  im  Tempel  beteiligen 
dürfen12),  so  auch  die  griechischen  Frauen  nach  ihrer  Ent- 
bindung sich  40  Tage  lang  als  unrein  zu  betrachten  und 
das  Betreten  des  Heiligtums  strengstens  zu  vermeiden  hatten. 
Der  Abschluß  dieser  Frist  wurde  bei  den  Juden 13)  und 
Griechen14)  gleichermaßen  durch  ein  im  Tempel  dargebrachtes 
Dank-  und  Reinigungsopfer  festlich  begangen.  Eine  höchst 
erfreuliche  Bestätigung  des  obigen  bisher  ganz  isoliert  da- 
stehenden Zeugnisses  des  Censorinus  liefert  uns  übrigens  eine 
erst  vor  kurzem  ausgegrabene  Inschrift  des  1.  bis  2.  vor- 
christlichen Jahrhunderts  von  Eresos  auf  Lesbos,  aus  der 
deutlich  hervorgeht,  daß  auch  hier  die  Wöchnerin  (d  tsxöxoLöa) 
entweder  40  oder  10  Tage  lang  für  unrein  galt  und  deshalb 
vom    Tempelbereich    ausgeschlossen    war.15)      Ob    die    neu- 


allgemein, daß  das  Kind  'wenigstens  bis  zur  Taufe  [die  spätestens  bis 
zum  Ende  der  6.  Wocbe  zu  erfolgen  hat],  nicht  nur  in  persönlicher 
Gefahr  und  Anfechtung  schwebt,  sondern  auch  gewissermaßen  einen 
Reinigungsprozeß  durchmachen  muß'. 

12)  Vgl.  3  Mos.  12,1  f.  und  dazu  Abh.  I  S.  ioff.;  vgl.  I  S.  3  (Man- 
däer)  u.  S.  27  f.  (Araber  etc.). 

*3)  Vgl.  3  Mos.  12,  6ff.     Luc.  2,  22ff.     Joseph,  antt.  3,  11,  5. 

14)  Ebenso  wie  ich  faßt  die  Stelle  des  Censorinus  auf  Schoemann, 
Griech.  Alt.2  II  S.  537  u.  350,  der  an  ein  entweder  am  häuslichen 
Altar  oder  in  (vor)  einem  Tempel  (etwa  der  Artemis)  dargebrachtes 
Dank-  und  Reinigungsopfer  denkt. 

15)  Vgl.  Prott-Ziehen,  Leges  Graec.  sacrae  II,  1  p.  303  fr.  nr.  117: 
.  .  .  d6T£l%r)[v]  svßeßsag  ||  .  .  .  .  anb  y&v  xüdsog  ISiat  ||  7t(Qi^.svv]avtag 
ccfisgatg  «ixoöf  anb  de  ||  ccXXotqIJw  cctiiQocig  rgslg  Xosaaä^evov  ||  cc%b  ös  .  . 
]ätco  cc^iigaig  dtxw  cctirocv  Sa  ||  rccv  tst6]%oig  otv  ajx^ais  rfffffepä- 
Hovrcc  ||  &nb  dh  .  .  ]rco  cc^qccig  rpstg"  ccüzccv  Sh  ||  räv  x]st6y.oigccv 
ce^igaig  8iv.ce.    Hierzu   bemerkt  Ziehen  p.  305 :    „duo  puerperia   distin- 


30  W.  H.  Röscher: 

griechische  Sitte,  die  priesterliche  Weihe  des  Kindes  und 
der  Mutter  am  40.  Tage  nach  der  Entbindung  (bis  dahin 
sind  sie  unrein!)  vorzunehmen,  mehr  auf  althellenischem  oder 
auf  jüdisch-christlichem  Kultus  beruht(PLOSS-BARTELS,  D.Weib5 
II  S.  353.  Ploss,  D.  Kind  I,  164  nach  C.  Wachsmuth),  läßt 
sich  einstweilen  schwer  entscheiden. 

Ferner  lernen  wir  aus  unserer  Censorinusstelle,  daß  die 
religiöse  Bedeutung  der  Vierzigtagefrist  in  Althellas  keineswegs 
auf  die  Wöchnerinnen  oder  Entbundenen  beschränkt  war, 
sondern  schon  unmittelbar  nach  derEmpfängnis  (oder Hochzeit?) 
sich  geltend  machte;  denn  es  heißt  ja  ausdrücklich:  namque 
praegnans  ante  diem  quadragensimum  non  prodit  in 
fanum16).  Daß  hier  die  fpraegnans'  im  Gegensatz  zu  den  un- 
mittelbar darauf  folgenden  ffetae  post  partum'  steht  und  dem- 
nach zu  *ante  diem  XL.'  ein  Begriff  wie  cpost  conceptionem'  oder 
fpost  nuptias'  zu  ergänzen  ist,  dürfte  aus  dem  ganzen  Zusammen- 
hange klar  hervorgehen.  Censorinus  selbst  oder  seine  Quelle 
(Varro?)  möchte  diese  eigentümliche  Satzung,  die  den  griechi- 
schen Frauen  40  Tage   lang  nach  vollzogener  Hochzeit  oder 


guuntur,  sed  nomina  eoruru  deleta  sunt  et  eo  difficiliora  ad  restituen- 
dum,  quia  quot  litterae  initio  versuum  perieriiit,  certo  non  iam  explo- 
rari  potest.  Aeque  atque  in  reliquis  eiusdem  generis  legibus  abortum 
a  prospero  partu  distingui  et  per  se  veri  simillimum  est  et  spatio  qua- 
draginta  dierum  lustrali  confirmatur  [vgl.  unten  S.  33  Anm.  20  ff.],  sed 
reliquiis  -c'ctco  et  -reo  quoniodo  is  sensus  elici  possit,  non  magis  quam 
Kijetschrner]  et  Paton  videou.  —  Mir  scheint  es  so  gut  wie  sicher,  daß 
hier  die  kürzere  Unreinigkeitsfrist  von  10  Tagen  der  kürzeren  Schwanger- 
schaftsdauer bei  freiwilligem  oder  unfreiwilligem  abortus,  die  längere 
von  40  Tagen  dagegen  der  normalen  Schwangerschaft  von  circa  280  = 
7x40  Tagen  (vgl.  den  partus  major  und  minor  der  Pythagoreer  b.  Cen- 
sorin.   11,   1  ff.)  entspricht. 

16)  Bei  dieser  Gelegenheit  mache  ich  darauf  aufmerksam,  daß 
sich  ein  einigermaßen  ähnlicher  Brauch  hie  und  da  in  Deutschland 
findet,  wo  bekanntlich  vielfach  die  Sechswochenfrist  an  Stelle  der 
40-Tagefrist  getreten  ist.  So  ist  es  in  Westfalen  verpönt,  daß  Neu- 
vermählte vor  Ablauf  von  6  Wochen  das  Elternhaus  besuchen; 
Arch.  d.  Vereins  f.  rhein.  u.  westfäl.  Volkskunde  4  S.  198.  Ich  ver- 
danke diese  Notiz  P.  Saktori  in  Dortmund. 


Dih  Tessarakontadbn  der  Griechen  und  anderer  Völker.      3  1 

Schwängerung   das   Betreten   der  Tempel   untersagte,   auf  die 
vielfach  bezeugte17),  offenbar  auf  dem  Glauben  und  der  Selbst- 
beobachtung der  Schwangeren   beruhende  Anschauung  zurück- 
führen,   daß    sich    in  den   ersten   40   Tagen   nach   erfolgter 
Konzeption    die    Gestalt    des    Embryo    zu    entwickeln    pflege 
(vgl.  Censor.  a.  a.  O.ut  ibi  [in  partu  minore]  quinque  et  triginta 
diebus  infans  membratur,  ita  hie  [in  partu  majore]  pro  portione 
diebus   fere  XL).     Im   Gegensatze  dazu  verweist  R.  HlRZEL 
(Sachs.  Ber.  1885  S.  43  A.  3)   zum  Verständnis  dieser  Vierzig- 
tagefrist  gewiß   mit  Recht  auf  Aristoteles  de  hist.  an.  7,  3,  2, 
wo   die  Behauptung   ausgesprochen   wird,    daß   die  xct&cc()6£ig 
der     Schwangeren     auch     nach     erfolgter    Empfängnis    noch 
40  Tage  lang  fortdauern,  sobald  es  sich  um  einen  Embryo 
männlichen  Geschlechts  handele.  Es  dürfte  sich  also  die  4otägige 
Frist    in    diesem   Falle    ganz    einfach   aus   der   allgemein   ver- 
breiteten   Ansicht    von    der    befleckenden    und    schädigenden 
Wirkung  des  Menstrualblutes  (s.  Feazer,  The  golden  bough2 
III  222  ff.)  erklären  lassen.    Hirzel  hätte  hinzufügen  können, 
daß  Aristoteles  in  Übereinstimmung  mit  manchen  Ärzten,  die 
dabei  offenbar  auf  den  Selbstbeobachtungen  der  Schwangeren 


17)  Vgl.  einstweilen  meine  Ennead.  Studien  S.  80 f.  841".  105  und 
Abb.  IS.  14;  vgl.  auch  S.  29.  Diese  jüdiseb-grieebische  Vorstellung 
ist  später  aueb  in  die  cbristlicbe  Dogmatik  eingedrungen.  Vgl. 
A.  Dorner,  Lehre  von  Cbristi  Person  u.  Werk  II  S.  192:  'Analog  mit 
der  Meinung  der  armenischen  Monophysiten  ist  die  Lehre  mancher 
Abyssinier  im  5./6.  Jahrh.,  daß  überhaupt  die  menschliche  Seele  sich 
nicht  erst  mit  dem  Leibe  entwickele,  sondern  vom  40.  Tage  an  voll- 
kommen und  fertig  in  den  Leib  eintrete.  Schon  Xenaias  (um  500) 
hat  das  wie  bei  allen  Menschen  so  auch  bei  Christus  angenommen'. 
Luthardt,  Kompendium  der  Dogmatik  §  40  („Der  Mensch"):  Der  Crea- 
tianismus,  biblisch  und  durch  viele  Kirchenväter  gestützt  (z.  B.  Clemens 
Alexandr.  ovqocvo&sv  Tt^ntsrai  r\  tyvxrj),  ist  herrschend  in  der  röm.- 
kathol.  Kirche,  auch  bei  den  meisten  reformierten  Theologen,  mit 
der  näheren  Bestimmung,  daß  die  Seele  am  40.  Tage  sich  mit  dem 
Leibe  vereinige:  durch  diese  Vereinigung  werde  sie  sündhaft.  Hase, 
Hutterus  red.  §79.  Calvins  Institutionen  deutsch  1887  S.  89L  92.  in. 
Pesch,  Welträtsel  I,  738.  753f.  Häring,  Dogmatik  (1906)  S.  257.  Ich 
verdanke  alle  diese  Zitate  meinem  Freund  E.  Höhne.    Hipp,  de  vi.  1,7. 

Phil.-hist.  Klassf  1909.    Bd.  LXI.  3 


3* 


W.  H.  Röscher: 


fußen,  fortfährt:  xal  [isxä  xovg  xöxovg  d'ai  xa&<xQ6etg 
ßovkovxai  xbv  avxbv  uqi&uov  (=  40!)  anoÖidovai  xovxov 
...  ix£tä  de  xr\v  <5vllrp\>iv  xal  rag  ri^igag  tag  elgr^ivag 
(=  40)  ovxexi  xaxä  yv6iv,  a/U'  dg  rovg  na6xovg  XQB%exai 
xal  yivexai  yäka.  .  .  .  'Eni  (iev  x&v  aQQtvav,  63g  e%l  xb  nokv, 
hv  xä  dt&ö  (i&Xlov  negl  xäg  xexxaQaxovxa  yivexai  r\ 
xlvrfiig  ...  Kalovvxai  Ö'ixQvöeig  [iev  al  {ie%Qi  xäv  iizxa 
7][i£()G)V  öiacp&OQai,  exxqg)6(ioI  ö'ai  l^XQi  xäv  xexxagdxovxa, 
xal  -xlelöxa  diacp&eiQexai  xäv  xvrjfidxav  ev  xavxaig  xalg 
i)a£Qaig.  Tb  [ilv  ovv  uqqev  oxav  £%sk&rj  xexxuQaxoöxaiov 
.  .  .  8ia%elxai  xe  xal  a.(pavit,exai  x.  x.  L  Wir  werden  uns  mit 
den  hier  von  Aristoteles  aufgezählten  Tessarakontaden  genauer 
in  einem  andern  Zusammenhange,  in  dem  von  der  Bedeutung 
der  Vierzigtagefrist  für  die  Embryologie  und  Gynäkologie  der 
Alten  die  Rede  sein  wird,  zu  beschäftigen  haben:  hier  kommt 
es  mir  allein  auf  die  Feststellung  der  Tatsache  an,  daß  die 
schwangeren  Frauen  und  Wöchnerinnen  in  Althellas  auf  Grund 
von  wirklichen  oder  vermeintlichen  Selbstbeobachtungen  und, 
auf  diesen  wieder  fußend,  die  antiken  Arzte  und  Biologen 
fast  allgemein  der  Ansicht  waren,  daß  die  tessarakontadischen 
Fristen  vor  allem  bei  Schwangerschaften  und  Entbindungen 
von  größter  und  maßgebendster  Bedeutung  seien.  Für  das 
hohe  Alter  und  die  weite  Verbreitung  dieser  Ansicht  gibt  es 
aber  keinen  schlagenderen  Beweis  als  die  merkwürdige  Rolle, 
welche  die  Vierzigtagefrist  im  religiösen  Kult  der  antiken 
Frauen,  wie  es  scheint  seit  unvordenklicher  Zeit,  gespielt  hat. 
Ahnliches  oder  geradezu  Gleiches  läßt  sich  auch  bei  den 
Semiten  und  vielen  anderen  Völkern18)  nachweisen. 

Damit  ist  aber  die  Bedeutung  der  tessarakontadischen 
Tagfrist  im  religiösen  Leben  der  Griechinnen  noch  keineswegs 
erschöpft,  denn  in  mehreren  inschriftlich  bezeugten  Kulten 
finden  wir  die  Bestimmung,  daß  auch  nach  unfreiwilligen 
oder     künstlich    herbeigeführten19)    Früh-    und    Totgeburten 

18)  Vgl.  Abh.  IS.   14  u.  29  und  unten  Kap.  VIII. 

19)  Welche  dieser  beiden  Möglichkeiten  man  im  einzelnen  Falle 
anzunehmen   hat,   ist  nicht  leicht  zu  entscheiden,    doch  denke  ich  bei 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      33 

((p&OQEicc,  (p&OQul,  8xtqiü6[ioi,  dtocq)&OQa(,  exQvöecg:  8.  ob.  S.  32) 
die  Entbundenen  ebenfalls  eine  40tägige  Unreinigkeitsfrist 
beobachten  und  während  derselben  das  Betreten  heiliger 
Stätten  unterlassen  mußten.  Derartige  Satzungen  kennen 
wir  aus  Lindos20),  Sunion21),  Ptoleraais22)  und  vielleicht  auch, 


den  (p&oQHa,  tp&ogai,  ^xrpwc/tot  unserer  Inschriften  lieber  an  natür- 
lichen als  an  künstlichen  und  verbrecherischen  abortns.  Vgl.  jedoch  auch 
Plut.  tuend.  Ban.  praec.  22 :  uxoXugxoi  yvvuixEg  ixßoXioig  %gü)\LEvui  xca 
(p&ogiot  g.  Apocalyps.  Pseudopaul.  p.  60 :  avxai  sIgiv  ai  ydsigacat 
tavxug  xui  xu  ßgscpt]  avxcav  unoxxsivaGai  und  vor  allem  im  fEide  des 
Hippokrates'  die  Worte:  ovSh  yvvuixl  ntocbv  y&ogiov  dwoco. 

20)  Lindos:  Prott-Ziehen,  Leges  Graec.  sacrae  II,  1  nr.  148  p.  364: 
=  Dittenberger,  Syll.*  567  (aus  der  Zeit  Hadrians):  'Ay'  wv  %q[t]]  na(g)- 
«>[a]t  [d.i.  nagUvaC]  alaicog  \\  (st)g  xb  iffpJöV  .  .  .  anb  cpuxfjg  ^(isgcbv  y'  \\ 
anb  aiysiov  7jf/f.  y'  anb  xvgov  i)[i£.  u'-  |j  anb  qparopafcüv]  riya.  ii'[=tsaca- 
gdxovxu]'  ||  ano  xr/öovg  [otxjfi'ou  rjfts  .  ft'  [=  xsgguqüxovxo].  —  Man  be- 
achte, daß  hier,  wie  auch  sonst  oft,  die  Unreinigkeitsfrist  bei  Früh- 
und  Totgeburten  dieselbe  Dauer  hat  wie  beim  Tode  eines  Familien- 
gliedes. 

21)  Sunion:  Prott-Ziehen  a.  a.  0.  II,  i  nr.  49  p.  149  (2. — 3.  Jahrh. 
nach  Chr.):  OZäv&og  Avxiog  .  .  .  xu&aögvauxo  ieg[bv  Mrjrög]  Tvgdv- 
vov  .  .  .  xul  [iirjQ'ivcc]  uxä&ugxov  ngoGäyav  xa&aoi&o&co  ds  änb 
G(x)6g6cov  v.a\l  %otgicov]  ||  xu[l  y\vvai%6s'  .  ■  •  Kai  ix  xäv  yvvuixiwv  diu 
snxu  t]usqwv  XovGaaivT]v  x[ara]  ||  xicpaXu  blGnogtvsGftai  uv&rni£gov.  xul 
ccnb  vsxgov  diu  ruitgäv  d[exa]  xul  anb  qp&ogäg  i^sgäv  xsxxagdxovxu  .  .  . 
Hier  beträgt  die  Unreinigkeitsfrist  nach  einem  Todesfälle  nur  10  Tage, 
d.  h.  eine  attische  Woche  von  10  Tagen. 

22)  Ptolemais:  Prott-Ziehen  a.  a.  0.  II,  2  nr.  201  u.  Rev.  arch. 
1883  I  p.  181  v.  5  u.  10:  ixxgcoG^iov  ft'(=  xsGGugdxovxu).  Ich  ver- 
danke Ziehen  folgende  genauere  Angaben  darüber.  fDie  Inschrift  Leges 
Sacrae  201  stammt  aus  Ägypten,  aus  Menchieh  d.  i.  d.  alte  Ptolemais. 
Sie  wurde  publiziert  von  E.  Miller,  Rev.  arch.  1883  I  p.  181,  ich 
habe  eine  Kollation  von  Bissing  benutzt.  Über  die  Zeit  der  Inschrift 
habe  ich  keine  Angaben,  auch  Bissing  bemerkt  über  die  Schrift  nichts 
weiter.  Doch  gehört  sie  nach  einigen  Buchstabenformen  zu  urteilen 
(A)  in  hellenistische  Zeit.  Es  ist  eine  Reinigungsinschrift  ähnlich  wie 
Leg.  Sacr.  148;  sie  beginnt: 

Tovg  elGiövzag  hlg  r[ö  isgbv 
ccyvsvstv  xuxd  [xu]  vnoxB[iu,£va 
anb  nd&ovg  täiov  xul  .   .  . 
rtiLtgag  £  ANATIAAA? 

3* 


34  W.  H.  Röscher: 

wenn  nicht  unsere   sondern  Ziehens  Annahme   das  Richtige 
treffen  sollte  (s.  ob.  S.  29  A.  15),  aus  Eresos.23) 

b)  Die  4otägige  Unreinigkeits-  und  Trauerfrist 
bei  Todesfällen.  —  Bereits  in  Abh.  I  S.  15  f.  (vgl.  auch 
S.  g  und  30 f.l  habe  ich  auf  den  merkwürdigen  Parallelismus, 
welcher  zwischen  den  Geburt  und  Tod  betreffenden  An- 
schauungen und  Bräuchen  der  Juden,  Mandäer  und  Araber 
herrscht,  hingewiesen  und  ihn  vorzugsweise  aus  der  ursemitischen 
Idee  einer  ebenso  durch  die  Entbindung  wie  durch  die  Be- 
rührung  eines  Leichnams  bewirkten  Befleckung  oder  Un- 
reinigkeit  der  betroffenen  Personen  erklärt.  Von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  versteht  man  leicht  die  völlig  gleiche 
Dauer  der  Unreinigkeitsfrist,  welche  bei  den  semitischen 
Stämmen  von  jeher,  wie  es  scheint,  in  beiden  Fällen  40  Tage 
beträgt.  Es  ist  nun  für  uns  von  hohem  Interesse  wahrzunehmen, 
daß  sich  genau  dieselbe  Grundanschauung  und  dieselbe  Dauer 
der  Unreinigkeitsfrist  bei  Todesfällen,  offenbar  ganz  un- 
abhängig von  den  Semiten,  aber  aus  denselben  Gründen  wie 
bei  diesen,  auch  bei  den  Griechen  wiederfindet.  Zunächst 
berufe  ich  mich  dafür,  daß  die  Griechen  selbst  Geburt  und 
Tod  wegen  der  durch  beides  bewirkten  Unreinigkeit  für  durch- 
aus  parallele  Erscheinungen  hielten,  auf  folgende  Zeugnisse.24) 


5  X.    £xTQ(OG{L0V    OVv(y) 

TSTOHviccg  xccl  Tßfqpovö/][s 
xal  iuv  i%^V'  l^' 
Z.   10  folgt  aber  sicher:    an    i-nrgway.ov    p     ebenso   sicher  Z.  8: 
ccnb   yvvaixög   ß'   und    Z.   13:    änb   Kccrufi^vimv  f   (I   so   nach   Bissing, 
nicht  E  wie  Milleb  nach  Maspero). 

Das  übrige  ist  leider  z.  T.  recht  zweifelhaft'. 

23)  Eresos  auf  Lesbos:  Prott-Ziehen  II,  1  nr.  117  p.  303  (2.  bis 
1.  Jahr,  vor  Chr.);  s.  ob.  Anm.  15.  Hier  dauert  die  Unreinigkeit  nach 
dem  Tode  eines  Verwandten  20,  eines  Nichtverwandten  3,  nach  einer 
besonderen  Art  der  Entbindung  (nach  Ziehen  der  normalen)  10,  nach 
einer  andern  desgleichen  (nach  Ziehen  e.  abortus)  40  Tage. 

24)  Prott-Ziehen  a.  a.  0.  II,  1  p.  151 ;  p.  3°5,  x6;  p-  365 ,  5- 
Immisch  zu  Theophr.  char.  16,  9,  Rohde,  Psyche s  II,  72,  1.  Vgl.  jetzt 
auch  die  zum  tieferen  Verständnis  des  Parallelismus  von  Geburt  und 
Tod    höchst    förderlichen  Gedanken   des  uns   leider  so    frühzeitig  ent- 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      3  5 

Eurip.  Iph.  Taur.  373f.  sagt  Iphigeneia  von  der  Artemis,  deren 
Priesteriu  sie  ist: 

rjTig  ßgorcöv  {itv  rjv  xig  aiprjxca  cpövov 
rj  xcä  Xo%eCag  r\  vsxqov  ftiytj  %£Qotv 
ßapcdv  änsCgyei,  f.iv6ccQov  ibg  riyov[isvrj. 
Ähnlich    heißt   es   in   der   Charakteristik   des   deiöiöaCucov   bei 
Theophrast  (char.  16,  9),  es   gehöre   zu   dessen  Eigentümlich- 
keiten ovxs  tniß)]vai  pvijuuxi  ovx    im  vsxqov  out'  fad  leyjo 
ikd-elv  id-elfjöai,  offenbar,  weil  er  sich  vor  der  durch  beides 
bewirkten  Unreinigkeit  oder  Ansteckung  fürchtet.    Vgl.  ferner 
Porphyr,  de  abst.  4,  16:   eti    iöi]g  \ib\iiavxai  x6  xe  Xe%ovg 
aipaöftai   •aal  xb  ^vr^ecöCav   und    vor    allein    die   berühmte 
nach  Thukyd.  3,  104  für  die  heilige  vor  jeder  Verunreinigung 
durch   Geburten    und   Todesfälle   zu  bewahrende  Insel  Delos 
geltende    Satzung:    yn]xs    evaxofrvriöxeiv    iv    xy    vr\<5co    ntfxs 
ivxCxxeiv. 

Das  Hauptzeugnis  für  die  40tägige  Unreinigkeits-  und 
Trauerfrist  bei  den  Griechen  verdanken  wir  dem  Berichte 
des  Firmicus  Maternus  (de  errore  prof.  rel.  cap.  27  ed.  Bursian 
Lips.  1856  fol.  2  7b  =  p.39)  über  einen  eigentümlichen  sizilischen 
Ritus  im  Kult  der  Persephone:  cIn  Proserpinae  sacris  caesa 
arbor  in  effigiem  virginis  formamque  componitur  et  cum 
intra  civitatem  fuerit  inlata  quadraginta  noctibus  plangitur, 
quadragesima  vero  nocte  comburitur.'  Kombiniert  man 
mit  dieser  Schilderung  das,  was  derselbe  Firmicus  cap.  7 
p.  10  ff.  Bu.  in  einer  euhemeristisch  zugestutzten,  höchst  wahr- 
scheinlich aus  Euhemeros  stammenden25)  Legende  über  die 
Demeter -Korafeste  von  Enna  und  Syrakus  berichtet,  so  ist 
es  so  gut  wie  sicher,  daß  wir  auch  den  cap.  27  geschilderten 
Brauch  nach  Sizilien  zu  versetzen  haben.  Daß  es  sich  aber 
in  diesem  Falle  entschieden  um  einen  Trauerritus  handelt, 
geht  einerseits  aus  dem  'plangitur'  und  'comburitur'  deutlich 
hervor,    anderseits    wird    es    durch    mehrere   auf  Leichenfeier 

ri8senen    A.    Dieterich    in   seinem    geistvollen    Buche     „Mutter   Erde". 
Leipz.   1905. 

25)  R.  Förster,  D.  Raub  u    d.  Rückkehr  d.  Persephone  S.  98. 


36  W.  H.  Röscher: 

und  Bestattung  deutende  Ausdrücke,  die  Firmicus  a.  a.  0. 
von  der  Feier  zu  Enna  gebraucht,  bestätigt.26)  Man  hat  also 
nach  den  Worten  des  Firmicus  anzunehmen,  daß  zu  Enna 
und  Syrakus  ein  Fest  zum  Gedächtnis  des  mythischen  Kora- 
raubes  gefeiert  wurde,  das  alle  bei  menschlichen'  Todesfällen 
üblichen  Trauerriten  zur  Darstellung  brachte.  Wie  dort  so 
dauerte  auch  hier  die  Trauerzeit  40  Tage  (Nächte),  und  die 
Feier  endete  mit  der  feierlichen  Verbrennung  des  die  Kora 
darstellenden  Holzbildes  (t,6uvov)  in  der  Nacht  des  40.  Tages. 
Ein  weiteres  höchst  wertvolles  Zeugnis  dafür,  daß  in 
der  Tat  der  vierzigste  Tag  nach  dem  Tode  eines  Familien- 
gliedes in  Althellas  eine  wichtige  Rolle  spielte,  und  ähnlich 
wie  noch  heute  bei  vielen  christlichen  und  islamischen  Völkern 
(s.  Abh.  I  S.  57  f.),  gewissermaßen  den  Abschluß  der  eigentlichen 
Trauerperiode  bildete,  liefert  uns  der  längere  später  noch  aus- 
führlich zu  besprechende  Passus  eines  r  grutfntos' ,  den  uns 
Jo.  Lydus  de  mens.  4,  21  =  p.  172  Roether  =  p.  84,  14 ff. 
Wuensch  überliefert  hat.  Es  handelt  sich  hier  um  den  Nach- 
weis der  großen  Bedeutung,  welche  die  3-,  9-  und4otägigen 
Fristen  für  die  Biologie  des  homo  sapiens,  d.  h.  für  die  Ent- 
wicklung des  Kindes  im  Mutterleibe  und  unmittelbar  nach  der 
Geburt,  sowie  für  den  Verfall  des  menschlichen  Leibes 
nach  dem  Tode27),  haben.     In  letzterer  Beziehung  heißt  es: 

26)  Vgl.  c.  7  p.  10  Bu.:  Imitatur  ordinem  funeris  a  Cerere 
Hennensi  muliere  mors  filiae  [=  Proserpinae]  consecrata.  —  ib. 
p.  12:  Syracusani...  raptum  virginis  [  =  ProserpinaeJ  conservant 
et  mitigantes  dolorem  matris  pompam  miseri  funeris  excolunt 
honore  templorum.  —  Vgl.  auch  fol.  ob  13:  Lugete  Liberum,  lugete 
Proserpinam,  lugete  Attin,  lugete  Osyrin  .  .  .  Nolo  me  per  tumulos 
eorum  favillasque  ducatis. 

27)  Nirgends,  soviel  ich  weiß,  tritt  dieser  Parallelismus  von  Ge- 
burt und  Tod  deutlicher  hervor  als  in  der  im  wesentlichen  grie- 
chischen Sage  vom  Vogel  Phoinix,  bei  dem  Geburt  und  Tod  ge- 
wissermaßen zusammenfallen.  Von  ihm  behauptet  der  Scholiast  zu 
Lucan  6,  680 :  exstruit  sibi  rogum  voluntarium  et  combusta  de  cine- 
ribus  suis  post  quadraginta  dies  resurgit.  Diese  40  Tage  bedeuten 
für  den  Phoinix  also  die  Frist,  innerhalb  deren  der  alte  Leib  vergeht 
und  zugleich  der  neue  Körper  entsteht. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      37 

Tslevxrjeavxog  yovv  avftQioitov,  eizl  fiev  xf\g  XQCxqg  [t)fi£Qag  \ 
cckloiovxca  TtavxsXäg  *«<  tr\v  tTtCyvaöiv  xyg  ötyemg  öiaitoklvat 
TÖ  6ätua'  S7il  de  xfjg  avvdxrjg  diaggsi  6v{i7tav,  £xi  6ot,ota£vr]g 
avxä  xf]g  xagölug-  i%\  dh  xfjg  x£6Gagaxo6xfig  xal  avxrt 
övvaitoXlvxai  xä  ■jtuvxC.  öiä  xovxo  xQlxr\v  ivvdfnv  xal 
xeööccQaxoöxijv  eitl  xäv  xs&vrjxöxav  cpvXäxxovGLv  ol 
tvuyllovxeg  avxolg,  xy\g  xe  noxs  6v6xd<5£ag  xi\g  x£  pex' 
ixst'vrjv    inidoGsag   xal   xb    dij    TteQag   xfjg   avalvöeag   iitt- 

(ILflVrjßXÖflSVOL. 

Hinsichtlich  der  in  diesem  Abschnitte  enthaltenen  viel- 
fachen Anklänge  an  die  Philosophumena  der  Pythagoreer, 
des  Empedokles,  Xenokrates,  Aristoteles  und  der  Stoiker  ver- 
weise ich  auf  meine  'Enneadischen  Studien'  S.  104  ff.  Wenn 
Rohde  (in  dem  Zusatz  zur  Vorrede  zu  s.  Kleinen  Sehr.  I  p.  XI 
Anm.  a.  Ende)  in  betreff  der  Quelle  des  Jo.  Lydus  bemerkt: 
„Der  von  ihm  benutzte  Autor  muß  jedenfalls  ein  Christ 
gewesen  sein,  denn  im  Interesse  der  'christlichen  Wissenschaft' 
ist  diese  ganze  physiologische  Gelehrsamkeit  ...  so  gruppiert, 
daß  sie  zur  Erklärung  der  spezifisch  christlichen  Gedächtnis- 
feiern am  3.,  9.  und  40.  Tage  nach  dem  Tode  dienen  konnte; 
in  heidnischem  Brauche  kam  wenigstens  der  40.  Tag  als 
Totenerinnerungstag  nicht  vor",  so  kann  ich  ihm  im  Hinblick 
auf  das  oben  besprochene  Zeugnis  des  Firmicus  und  die 
gleich  anzuführenden  Inschriften  aus  Lindos  und  Eresos  (s. 
Anm.  15  u.  20)  unmöglich  beistimmen.28)  Vielmehr  scheint  im 
Gegensatz  zu  Rohdes  Annahme  das  umgekehrte  Verhältnis 
vorzuliegen,  daß  nämlich  die  christliche  Totenfeier  am  40. Tage29) 

28)  Vgl.  auch  Ennead.  Studien  S.  105  Anm.   158. 

29)  Vgl.  Rohde,  Kl.  Sehr.  I  Vorr.  S.  X  A.  i:  fEs  bestand  in  der 
altchristlichen  Kirche  die  Sitte,  der  fromm  Verstorbenen  in  besondern 
Feiern  zu  gedenken  am  3.,  9.  und  40.  Tage  nach  ihrem  Hinscheiden. 
Es  erwähnen  diese  Sitte,  unter  manchen  von  Du  Canje  s.  v.  tqitcc 
(p.  1612),  Aügüsti,  Handb.  d.  christl.  Archaeol.  HI  p.  309,  Rheinwald, 
D.  kircbl.  Archaeologie  p.  390  angeführten  Schriftstellern  der  alten  und 
späterhin  namentlich  der  griechisch-katholischen  (NB!)  Kirche,  schon 
die  Constitutiones  apostolorum  VIII,  42  p.  276,  3  ff.  ed.  Lagarde;  und 
es  scheint,    daß  wenigstens  in  der  griechischen  (NB!)  Kirche   diese 


38  W.  H.  Röscher: 

aus  dem  altgriechischen  Totenkult  in  den  christlichen 
übergegangen  ist,  zumal  da  im  Alten  Testament  sicher  und 
öfter  nur  von  7-  oder  3otägigen30)  Trauerfristen  die  Rede 
ist,  während  der  40.  Tag  als  Endpunkt  der  Trauer  nur  einmal 
und  noch  dazu  in  nicht  ganz  einwandfreier  Weise  bezeugt 
wird  (Abb.  I  S.  42).  Sollte  freilich  jemals  eine  altjüdische 
Trauerfrist  von  40  Tagen  sicher  festgestellt  werden  können, 
so  würde  natürlich  auch  diese  hier  wesentlich  mit  in  Betracht 
zu  ziehen  sein.  Endlich  läßt  sich  für  die  40tägige  Un- 
reinio-keits-  und  Trauerfrist  der  Griechen  ein  Satz  aus  der  oben 

Ö 

Anm.  20  mitgeteilten  Inschrift  von  Lindos  aus  Hadrianischer 
Zeit    anführen,    der    besagt:    anb    wjdovs    [o£x]elov  i\pd.  j^'.31) 

Sitte  nie  in  Vergessenheit  geraten  ist:  in  Griechenland  soll  sie 
noch  gegenwärtig  bestehen  (s.  C.  Wachsmuth,  D.  alte  Griechenland  im 
neuen  p.  122).'  Im  Folgenden  hält  Rohde  selbst  es  für  wahrschein- 
lich, daß  die  Feier  des  3.  und  neunten  Tages  'einfach  aus  dem  von 
ihm  schon  Acta  I  p.  28  erwähnten  heidnischen  Gebrauche  herüber- 
genommen sei',  zumal  da  der  hl.  Augustin  die  Feier  des  9.  Tages,  als 
aus  dem  heidnisch-römischen  novemdial  entsprungen,  geradezu  ver- 
werfe (vgl.  Rheinwald  a.  a.  0.):  um  so  unbegreiflicher  ist  es  nun,  daß 
R.  die  Feier  des  40.  Tages  nicht  gleichfalls  aus  dem  heidnischen  Kult 
ableiten,  sondern  als  einen  spezifisch  christlichen  auffassen  will.  — 
Übrigens  spielt  die  4otägige  Trauerfrist  auch  bei  den  Mandäern  (Abh.  I 
S.  9),  den  Arabern,  Türken,  Tartaren  und  anderen  islamischen  Völkern 
eine  nicht  unbedeutende  Rolle  (s.  Abh.  I  S.  31  ff.). 

30)  Hierzu  gibt  es  übrigens  aus  dem  Gebiete  des  griechischen 
Totenkults  eine  auffallende  Parallele:  ich  meine  die  Feier  der  Nshvcicc 
und  Tgiav.ädss  am  30.  Tage;  vgl.  darüber  jetzt  Wünsch  im  27.  Suppl.- 
Bd.  der  Fleckeisenschen  Jahrb.  f.  cl.  Philol.  (1902)  S.  120  u.  A.  1. 
Rohde,  Psyche2  I,  233 f.  A.  3 f. 

31)  Ein  zweites  Zeugnis  für  dieselbe  Sache  liegt  vor  in  der  von 
L.  Cohn  (Breslauer  philol.  Abh.  II  2  S.  71)  aus  dem  Cod.  Par.  suppl. 
gr.  676  veröffentlichten  nuQoiyiia  'Tag  iv  "Aidov  Tgia-Adöug'  etc.,  wo 
Wünsch  (a.  a.  0.  S.  119  ff.)  nach  meiner  Überzeugung  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit  liest:  o&?v  xai  äcpiÖQV^iaTa  ' TLv.ärrtg  7tQog  raig  rgiö- 
rToig  iarl  xoa  xa  vby.voiu  TQiaxddi  ayzttxi.  tu  yag  t taaaQKKOöTaia 
[Hss.  vtw^iaTu]  ovx  ap^afa,  ä>s  <&avodrtiiog  [Hss.  IJccvdriitog].  Wie  es 
scheint,  hatte  also  der  bekannte  Atthidograph  Phauodemos  (4.  Jahrh.) 
die  attischen  tnooccQunoGtata  als  Totenfeier  für  jünger  erklärt  als 
die  Feiern  am  3.,  9.,  30.  Tage.     Natürlich  folgt  daraus  nichts  für  das 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      39 

Wenn  es  dagegen  in  der  Inschrift  aus  Eresos  (s.  ob.  Anm.  15) 
heißt:  utco  phv  xudeog  löia  [7ttQm.£vv\uvTag  <x[ieQaig  eixoöt, 
so  ist  in  diesem  Falle  die  2otägige  Unreinigkeitsfrist  wohl 
unzweifelhaft,  wie  auch  sonst  oft  (s.  u.),  aus  der  Halbierung 
der  alten  Frist  von  40  Tagen  und  nicht  umgekehrt  zu  er- 
klären, wie  sich  denn  ja  auch  bei  den  Semiten  zahlreiche 
eikadische  Fristen  und  Bestimmungen  nachweisen  lassen,  die 
sicherlich  durch  Halbierung  uralter  Tessarakontaden  entstanden 
sind  (Abh.  I  S.  22;  23;  43;  44).  Liegt  es  ja  doch  in  der  Natur 
der  Sache,  daß  diejenigen,  denen  die  40  tägige  Frist  zu  lang 
und  unbequem  erschien,  sie  auf  die  Hälfte  herabsetzten. 
Ahnliche  Beobachtungen  hinsichtlich  der  Ausdehnung  oder 
Verkürzung  von  Trauerfristen  kann  man  auch  heutzutage 
noch  häufig  machen. 

Bei  der  engen  Verbindung  ferner,  die  zwischen  dem 
Totenkult  und  der  Sitte  der  Devotion  besteht,  müssen  wir 
in  diesem  Zusammenhang  auch  auf  die  eigentümliche  Rolle 
hinweisen,  welche  die  40  tägige  Frist  in  dem  von  Wünsch 
(Dens.  tab.  Att.  nr.  99)  veröffentlichten  und  im  27.  Suppl.  Bd. 
der  Jahrb.  f.  cl.  Philol.  1 902  S.  1 2 1  f.  besprochenen  Verfluchungs- 
täf eichen  aus  dem  3.  od.  2.  Jahrh.  vor  Chr.  spielt.  Hier  wird 
der  Verwünschte  den  Göttern  der  Unterwelt  geweiht  (datfiovi 
X&ovi'a  xal  t/)  %frovia  [d.  i.  Hekate]  aal  xolg  %d-ovtocg  tcüöl 
7is[i7ta  öojqov  v.  1),  rsie  sollen  das  Geschenk  sobald  als  möglich 
annehmen'  (ri)v  xu%C<5T)tv  v.  10);  zum  Schluß  kommt  noch  die 
Bitte  an  die  deöxörca  z$6viot  xal  BTaxvvßtoi^  den  Fluch 
wirken  zu  lassen  [i£%Qi  i^sgäv  t6ttuquxovtu32).  Be- 
reits Wünsch  selbst  (a.  a.  0.)  hat  mit  Recht  daraus  geschlossen, 
daß  der  40.  Tag  (tu  T£66uQazo6xalu)  schon  zu  der  Zeit,  da 
diese  Verwünschung  aufgeschrieben  wurde  (also  im  3. — 2.  Jahrh. 


Alter  des  Brauches   im  allgemeinen  oder  in  andern  griechischen  Land- 
schaften.    Hier  könnten  die  rsaaccga-Aoexulu  sehr  wohl  uralt  sein. 

32)  Hinsichtlich  solcher  Befristung  des  Fluches  verweise  ich  auf 
Wünsch  im  Archiv  f.  Rel.-Wiss.  12  11909)  S.  44f,  wo  Beispiele  wie 
£i(7cu  ijusQcbv  nsvxs  xa%v  xa%v  und  ijör}  ta%v  xa%v  ivxög  tj^.£qwv  knxä 
zu  finden  sind. 


40  W.  H.  Röscher: 

vor  Chr.),  eine  'infernale'  Bedeutung  gehabt  und  mit  Tod 
und  Grab  in  Beziehung  gestanden  haben  müsse.33) 

Nur  zögernd  wage  ich  hier  zum  Schlüsse  noch  auf  ein 
wunderliches  und  wegen  seiner  bedenklichen  Provenienz  zweifel- 
haftes Zeugnis  des  „Fälschers"  Fulgentius  aufmerksam  zu  machen, 
das  trotz  alledem  in  diesem  Zusammenhange  eine  gewisse 
Beachtung  beanspruchen  darf.  Es  findet  sich  in  der  Expositio 
sermonum  antiquorum  p.  38g  f.  ed.  Gerlach  et  Roth  =  p.  113, 
19  ff.  Helm  und  lautet: 

Quid  sint  suggrundaria.  Priori  tempore  suggrundaria 
antiqui  dicebant  sepulchra  infantium,  qui  necdum  qua- 
draginta  dies  implessent,  quia  nee  busta  dici  poterant 
(quia  ossa,  quae  comburerentur,  non  erant)  nee  tanta  immanitas 
cadaveris,  quae  locum  tumisceret.  Unde  et  Rutilius  Geminus 
in  Astyanaetis  tragoedia  ait:  melius  suggrundarium  miser 
quaesieris,  quam  sepulchrum. 

Mag  man  immerhin  bei  der  im  ganzen  höchst  zweifel- 
haften Glaubwürdigkeit  des  Fulgentius  auch  diese  Glosse  für 
eine  Fälschung  erklären,  so  viel  scheint  sicher,  daß  auch  der 
Fälschung  in  diesem  Falle  eine  gewisse  Bedeutung  zukommt, 
weil  es  undenkbar  erscheint,  daß  Fulgentius  seinen  Lügen 
nicht  wenigstens  eine  wirkliche  Tatsache  oder  Volksanschauung 
zugrunde  gelegt  haben  sollte.  Für  eine  solche  wirkliche  Tat- 
sache halte  ich  die  Bedeutung  der  40  tägigen  Frist  im  Leben 
der  neugeborenen  Kinder,  der  wir  schon  oben  begegnet  sind. 
Denn  auch  (Varro?  b.)  Censorinus  (11,  7)  bezeugt:  post  par- 
tum quadraginta  diebus  .  .  .  parvoli  ferme morbidi 

sine  risu  nee  sine  periculo  sunt.  Vgl.  dazu  auch  Aristot. 
de  an.  h.  7,  10:  xä  de  Ttcaöla,  oxccv  yevcovxai,  xcbv  xsxxccqk- 
xovxa  TjiiSQäv  iyQtjyoQÖra  fisv  ovxe  yelä  ovxs  öaxQvei  und 
Plin.  n.  h.  7,  3:  At  hercule  risus  praecox  ille  .  .  .  ante  quadra- 
gesimum  diem  nulli  datur.  Ich  gestehe  offen,  daß  jene 
merkwürdige  und,  wie  man  nunmehr  wohl  allgemein  zugestehen 
wird,   auf  echtantiker  Anschauung   beruhende  Notiz  des  Ful- 

33)  Ich  verdanke  den  Hinweis  auf  dieses  Defixionstäfelchen  Herrn 
Prof.  0.  Höfer  (Dresden). 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     41 

gentius  mir  seinen  ganzen  Bericht  über  das  schwerlich  von  ihm 
erfundene  Wort  fsuggrundaria'  doch  im  Lichte  einer  gewissen 
Glaubwürdigkeit  erscheinen  läßt,  wozu  noch  kommt,  daß  noch 
heute  in  Deutschland  sowie  in  England  ungetaufte  (d.  h.  vor 
Ablauf  der  Sechswochenfrist  gestorbene)  Kinder  unter 
der  Dachtraufe34)  der  Kirche  begraben  werden  (vgl.  Liebrecht 
Z.  Volkskunde  S.  351  f.  Wuttke,  D.  Volksaberglaube  §  762). 
Ich  freue  mich  nachträglich  konstatieren  zu  können,  daß  auch 
A.  Dieterichs  (Mutter  Erde  S.  2 1  A.  2)  Auffassung  der  Ful- 
gentiusstelle  im  wesentlichen  mit  der  mejnigen  übereinstimmt. 
Dieterich  weist  a.  a.  0.  auch  auf  den  von  den  römischen  Schrift- 
stellern (z.  B.  Juv.  15, 140. Plin.n.h.  7,72)  für  die  Römer  und  auch 
sonst  mehrfach  bezeugten  Brauch  hin,  Kinder  von  besonders 
zartem  Alter  nicht  zu  verbrennen,  sondern  zu  begraben,  'damit 
sie  in  vorbeigehende  Weiber  eingehen  und  so  wiedergeboren 
werden  könnten.'  Man  erinnere  sich  zum  Verständnis  der 
von  Fulgentius  betonten  4otägigen  Frist  der  eigentümlichen 
Bedeutung,  welche  dieselbe  Frist  für  die  Entwicklung  der 
Embryonen  haben  sollte,  insofern  nach  dem  Glauben  der  an- 
tiken Frauen  die  Gestaltung  der  Leibesfrucht  und  deren  erste 
Bewegung  im  Mutterleibe  nicht  vor  dem  40.  Tage  stattfand. 
c)  Die  40  jährigen  Fristen  des  griechischen  Kultus 
und  Mythus.  —  In  Abh.  I  ist  gezeigt  worden,  daß  die  meisten 
uns  genauer  bekannten  semitischen  Völker,  die  Babylonier 
(S.  7  f.),  die  Mandäer  (S.  9),  die  Israeliten  (S.  1 8  ff.),  die  Araber 
(S.  39  f.)  die  körperliche  und  geistige  Reife  (ax^yf)  des  Mannes 
in  das  40.  Lebensjahr  verlegten  und  demnach  40jährige 
ysveuC  annahmen,  die  also  bis  in  die  semitische  Urzeit  zurück- 
zureichen scheinen.    Ferner  gelten  bei  den  genannten  Völkern 

34)  Vgl.  Gloss.  Philox.  =  Corp.  gloss.  Latin,  ed.  Goetz  II  p.  36,  24 
VI  p.  505:  Grunda,  Gziyj],  xoä  tb  virhg  xbv  nvlfcöva  l£,i%ov,  ib.  II 
P'  467,  51 :  vnößrsyov  grunda  suggurunda.  ib.  V  p.  459,  13:  Grunda 
tectum  super  [hjostium.  —  Daß  man  solcbe  vor  Vollendung  der  Sechs- 
wochenfrist gestorbene  (ungetaufte)  Kinder  in  Deutschland  und  Eng- 
land gerade  unter  der  Dachtraufe  der  Kirche  bestattete,  erklärt  sich 
wohl  aus  der  Absicht  den  Ungetauften  nachträglich  noch  die  Wohl- 
tat einer  Art  Taufe  mit  'himmlischem'  Wasser  zu  Teil  werden  zu  lassen. 


42  W.  H.  Röscher: 

und  außerdem  noch  bei  den  Phöniziern  und  Aithiopiern  (S.  20) 
als  höchste  normale  Lebensdauer  120  Jahre  oder  die 
Summe  von  3  yevsaC.  Es  ist  nun  sehr  merkwürdig  zu  sehen, 
daß  dieselben  Fristen  von  40  und  120  (=  3  x  40)  Jahren 
genau  in  denselben  Bedeutungen  sich  auch  im  griechischen 
Kultus  und  Mythus  nachweisen  lassen.  Was  zunächst  den 
Kultus  betrifft,  so  gedenke  ich  hier  vor  allem  jener  Bestimmung 
der  bekannten  Mysterienschrift  von  Andania,  daß  die  Zehn- 
männer, welche  die  dortige  Feier  zu  leiten  hatten,  über 
40  Jahre  alt  sein  sollten,  gewiß  aus  keinem  anderen  Grunde 
als  weil  man  damals  glaubte,  daß  sie  erst  dann  die  volle  ux{itf 
des  Geistes  und  Körpers  erlangt  hätten.35)  Bekannt  ist  ferner 
das  hohe  Alter  des  Nestor,  dem  bereits  in  den  homerischen 
Gedichten,  wie  schon  längst  Bredow  und  R.  Hirzel  erkannt 
haben,  eine  Lebensdauer  von  3  X  40  =  120  Jahren  (=  tqsls 
ysveuC)  zugeschrieben  wird.36)  Genau  dasselbe  gilt  von 
Sarpedon,  von  dem  Apollodor  3,  1,  2,  3  berichtet:  avra 
dCdcoßL  Zevg  enl  tQslg  ysvsäg  tfiv.  Höchst  wahrscheinlich 
schöpfte  Apollodor  diese  Nachricht  aus  einem  alten  Epos. 
Ebenfalls  aus  einem  solchen  dürfte  Ovids  Erzählung  von 
Aison,  dem  Vater  Iasons,  stammen,  von  dem  es  Met.  7,  292  f. 
heißt: 

Membraque  luxuriant.     Aeson  miratur  et  olim 
Ante  quater  denos  hunc  se  reminiscitur  annos. 


35)  Vgl.  Sylloge  Inscr.  Gr.  ed.  Dittenberger  *  653.  Nilsson,  Griech. 
Feste  338. 

36)  "Vgl.  IL  A  250:  reo  S'i]ir)  Svo  \lIv  ysvsai  fiegonoav  kv- 
&Qm7iwv  ||  %q>&iccd- ,  ol  Ttgöa&sv  &[itt  Todcpev  fjdh  yivovxo  ||  iv  TIvXm  7)ya&irj, 
tisrci  Sh  zQixäroiGiv  ävaßßsv.  Od.  7  245 :  tqis  yctQ  Stj  (iiv  tpaöiv  avü- 
t,ct6d-cu  yivt'  avägwv,  ||  w?  z£ pot,  aftccvaros  ivddXXsrai si6ogdc<a&ca.  Un- 
richtig bemerken  die  Schotten  a.  a.  0.  r]  yuo  ysvau  X'  [==  30]  hr\  tysi: 
Zotiv  ovv  ißöo^r]y.ovrccsr^g.  Ebenso  erklären  wohl  die  meisten 
neueren  Herausgeber.  Im  Gegensatz  zu  diesen  fassen  die  ysvsu  in 
diesem  Falle  als  einen  Zeitraum  von  40  Jahren:  Bredow,  Unters,  üb. 
einzelne  Gegenstände  d.  alt.  Gesch.  I  114  und  R.  Hirzel,  Sachs.  Ber. 
1885  S.  22 f.  u.  32.  Vgl.  auch  Röscher,  Ennead.  Stud.  S.  25 A.  37  u. 
S.  41A.  65. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      43 

Daraus  folgt,  daß  Aison  bei  seiner  Verjüngung  durch  die 
Zauberkunst  Medeas  80  Jahre  alt  war,  sich  also  plötzlich 
um  40  Jahre  verjüngt,  d.  h.  ins  blühendste  Mannesalter  von 
40  Jahren  zurückversetzt  fühlte.  Da  der  Mythus  ihn  nach 
seiner  Verjüngung  gewiß  noch  eine  längere  Reihe  von  Jahren 
(=  1  ysveä?)  leben  ließ,  so  dürfen  wir  wohl  mit  Sicherheit 
annehmen,  daß  man  ihm  genau  dieselbe  Lebensdauer  wie  dem 
Nestor  und  Sarpedon  zugeschrieben  hat,  obwohl  das  nirgends,  so- 
viel ich  weiß,  ausdrücklich  berichtet  wird.  Eine  noch  viel  höhere 
Lebensdauer  schrieb  die  griechische  Sage  dem  Teiresias37), 
dem  Orpheus38)  und  der  Sibylle  von  Erythrai89)  zu. 
Von  allen  dreien  fabelte  man,  sie  hätten  9  ytveaC  gelebt,  also 
die  dreifache  Lebensdauer  des  Nestor40),  Sarpedon  und  Aison, 
erreicht.     Auch    in   diesen  Fällen   ist  es   das   Nächstliegende 


37)  Tzetz.  z.  Lyk.  682:  tpaßlv  ccvxbv  [Teiresias]  knxk  ysvsäg 
£fiocci,  uXXoi  Sh  ivvea. 

38)  Suid.  s.  v.  '  Ogcpsvg  ....  ßiwvcci  de  ysvsug  ivvia,  oi  de  1a 
[?£'?]  qpaci'v.     Vgl.  dazu  Ennead.  Studien  S.  40  A.  64. 

39)  Phlegon  n.  [icacooßicov  VI  (=  Frg.  Hist.  Gr.  III  p.  610 1>): 
<dtu  xovxov  xov  %qti6[iov  ccno8£Ly.vvtai  ivvicc  [Hss.  u.  Müller  a.  a.  0. 
6£x.cc\  ysvsag  avzi]v  [d.  Erythr.  Sibylle]  xar'  äv&omnovg  ytyovivai  .  .  . 
Ti]v  Ss  ysvsccv  ZlißvXXcc  i6xoqh  ixäv  iv.oi.xov  Siv.a  iv  xa>  %qj]Gim£  xä> 
nQog  ' Pcoiiaiovg  jrfpt  xwv  ultavitov  ftscogicöv,  a  ' Poofiaiot  (isnovltigia  v.cc- 
Xovai.  Kurz  zuvor  heißt  es  von  der  Lebensdauer  der  Sibylle:  ißimasv  hr\ 
oXiyov  anodiovxcc  xtbv  %iXiv>v,  was  sich  mit  Stxa.  ysvzcti.  =  1 100  txr\  gar- 
nicht,  wohl  aber  sehr  leicht  mit  ivvtec  ysvscd  =  990  Jahre  sowie  mit 
den  sonst  vorkommenden  Belegen  für  9  ysvsai  vereinigen  läßt.  Vgl. 
meine  Eebdomadenlehren  S.  203.  Ursprünglich  handelt  es  sich  wohl 
auch  bei  der  Sibylle  von  Erythrai  um  9  yeveai  zu  je  40  Jahren; 
spiiter  haben  die  Römer,  die  ysvsd  und  saeculum  gleichsetzten,  9  eae- 
cula  =  990  Jahre  daraus  gemacht.     Vgl.  Ennead.  Studien  S.  4iA.  65. 

40)  Nicht  undenkbar  erscheint,  daß  man  auch  dem  Nestor  eine 
Lebensdauer  von  9  ysvsctl  zugeschrieben  hat.  Man  könnte  das  folgern 
aus  dem  ftrisaeclisenex'  des  Laevius  (b.  Gell.  N.  A.  19,  7)  und  dem 
xgiytQüJv  de»  Adespoton  Anth.  Gr.  7,  144,  2;  vgl.  157,  4.  Da  das 
höchste  normale  Lebensalter  bei  Semiten  und  Griechen  sonst  3  x  40 
=  120  Jahre  betrug,  so  kann  man  unter  einem  trisaeclisenex  und 
xgiyigcov  einen  Mann  verstehen,  der  die  dreifache  Lebensdauer  (9x40 
=  360  Jahre)  hatte. 


44  W.  H.  Röscher: 

und  Wahrscheinlichste  eine  yeved  von  40  Jahren  anzunehmen. 
Die  Gründe,  die  dafür  sprechen,  sind  folgende: 

1)  Die  Annahme  einer  yevF.ä  von  40  Jahren  beseitigt 
den  sonst  entstehenden  Widerspruch  mit  den  wahrschein- 
lich derselben  Epoche  angehörenden  Sagen  von  Nestor,  Sar- 
pedon  und  Aison,  denen  allen,  wie  wir  sahen,  eine  typische 
Lebensdauer   von   120  =  3x40  Jahren   zugeschrieben   wird. 

2)  Eine  ysvsd  von  40  Jahren  läßt  sich  mit  Sicherheit 
auch  in  den  Gedichten  Hesiods,  also  im  alten  Epos  der 
Griechen,  nachweisen  (s.  d.  folgende  Kapitel!). 

3)  9  ysveccC  zu  je  40  Jahren  ergeben  360  Jahre;  360  aber 
ist  eine  höchst  bedeutungsvolle  Zahl,  insofern  360  Jahre  ganz 
genau  der  Summe  der  Tage  des  Sonnen  Jahres  entsprechen.41) 
Dies  deutet  wieder  auf  ein  uraltes  Großjahr  ((isyag  ivcuvrög) 
von  360  Jahren,  für  dessen  einstige  Existenz  sich  namentlich 
auch  die  allgemeine  Beobachtung  geltend  machen  läßt,  daß 
die  meisten  Großjahre,  welche  die  populäre  Chronologie 
kennt,  nach  Analogie  kleinerer  Zeitabschnitte  (gewöhnliche 
Jahre,  yaveaC,  Monate,  Wochen  etc.)  gebildet  sind.42) 


41)  Vgl.  meine  Darlegungen  in  den  „Ennead.  Studien1'  S.  41  f. 

42)  Man  denke  z.  ß.  an  die  Jahrwochen  =  Großjahre  der  Israeliten, 
die  nach  Analogie  der  7tägigen  Woche  gebildet  sind  (s.  meine  Ennead. 
u.  hebdom.  Fristen  S.  32),  an  die  40jährige  Straf-  und  Sühnfrist  der 
Juden,  die  sicherlich  aus  der  40tägigen  entstanden  ist  (Abh.  I  S.  21  f.), 
an  die  tessarakontadisch  gebildete,  4000  Jahre  (ä  4000  Monate,  ä  Monat 
4000  Tage!)  betragende  Hukubperiode  der  Araber  (Abh.  I S.  42),  vor  allem 
aber  an  das  aus  120  aägoi  von  Jahren,  d.  h.  aus  120x3600  =  432000  ge- 
wöhnlichen Jahren  bestehende  Weltjahr  der  Babylonier,  dem  das  noch 
zehnmal  größere  der  Inder  entspricht  (s.  Abh.  I  S.  7  Anm.  4  u.  Gdjzel, 
Hdb.  d.  Chronol.  I  337 f.,  vgl.  89.  399.  Lepsiüs,  D.  Chronol.  d.  Ägypter 
p.  3  etc.).  Dem  orphischen  Weltjahr  von  12x1000000  Jahren  oder 
der  orphischen  Dodekaeteris  von  12  Großjahren  (ä  1 000000  gewöhnl. 
Jahre)  liegt  offenbar  das  gewöhnliche  aus  12  Monaten  bestehende  Nor- 
maljahr zugrunde  (s.  Ennead.  Studien  S.  169).  —  Wie  endlich  die 
40jährige  ysvsä  der  4otägigen  Frist,  so  entspricht  die  30jährige  ysvsdc 
des  Heraklit  etc.  (Ennead.  Stud.  A.  65)  der  30tägigen,  d.  h.  dem 
Monat  von  30  Tagen.  —  Vgl.  auch  das  Weltjahr  der  Mandäer  von 
480000=  12000x40  Jahren  (Abh.  1  S.  9). 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     45 

d)  Sonstige  tessarakontadische  Bestimmungen, 
die  aus  den  Vierzigtagfristen  hervorgegangen  wären,  lassen 
sich  —  soweit  meine  Kenntnis  reicht  -  bisher  auf  dem  Ge- 
biete des  griechischen  Kultus  und  Mythus  nicht  nachweisen. 
Vielleicht  gelingt  es  aber  anderen  solche  Bestimmungen,  die,  wie 
die  semitischen  Analogien  zu  lehren  scheinen  (s.  Abb..  I  S.  6.  9. 
24fr.  43 ff.),  wahrscheinlich  vorhanden  waren,  doch  noch  im 
Laufe  der  Zeit  ausfindig  zu  machen.43) 


IL 

Die  Tessarakontaden  der  homerischen  nnd  hesiodischen 

Gedichte. 

a)  Die  4otägigen  Fristen.  —  Deutliche  tessarakonta- 
dische Tagfristen  habe  ich  bis  jetzt  im  Bereiche  der  home- 
rischen Gedichte  nicht  ausfindig  machen  können,  wohl  aber 
gibt  es  eine  sozusagen  latente  Vierzigtagefrist  in  der 
Odyssee.  Ich  denke  an  die  bekannte,  namentlich  von  Faesi 
in  seiner  Einleitung  zur  Odyssees  S.  XXXV  ausführlich  erörterte 
'Reihenfolge  der  Tage,  auf  welche  sich  die  eigentliche  Hand- 
lung der  Odyssee  —  natürlich  mit  Ausschluß  der  Episoden 
—  erstreckt.  Diese  ganze  Tagefolge  beträgt  nur  40  Tage, 
und  von  diesen  sind  wieder  nur  15  durch  Ereignisse  gehörig 
ausgefüllt,  4  vergehen  über  der  Erbauung  des  Flosses,  20  auf 
der   Fahrt   von   Ogygia   nach   Scheria44),   und   der   letzte  Tag 


43)  Ob  die  40  Thespiaden  (Herakleiden),  die  nach  Apollod. 
bibl.  2,  7,  6,  1  Thespios  auf  einen  Befehl  des  Herakles  hin  nach  Sar- 
dinien gesandt  haben  soll,  und  die  wahrscheinlich  als  Ktiarai  von 
40  Bardischen  Städten  anzusehen  sind,  auf  einem  griechischen  oder 
einem  semitischen  (karthagischen)  Mythus  beruhen,  ist  zweifelhaft. 
Vgl.  Diod.  4,  29,  wo  berichtet  wird,  es  seien  41  (?)  gewesen.  Vgl.  auch 
meine  Abhdlg.  über  die  Sieben-  u.  Neunzahl  im  Kultus  u.  Mythus  d. 
Griechen  S.  42  A.   102. 

44)  Auch  diese  Frist  von  20  Tagen  scheint  bedeutungsvoll  zu 
sein.  Es  wird  später  gezeigt  werden,  daß  viele  vigesimale  Fristen 
sich  als  natürliche  Halbierungen  von  Tessarakontaden  darstellen;  s.  auch 
oben  S.  39  u.  Anm.  15;  unt.  S.  47;  55 f. 


46  W.  H.  Röscher: 

des  Aufenthaltes  auf  Scheria  ist  auch  beinahe  ganz  leer  an 
Handlung'  (vgl.  Faesi  a.  a.  0.,  wo  auch  eine  ausführliche 
Übersicht  über  den  Inhalt  der  einzelnen  Tage  gegeben  wird). 
Selbstverständlich  läßt  sich  nicht  mit  absoluter  Sicherheit 
entscheiden,  ob  wir  es  in  diesem  Falle  mit  einer  „zufälligen" 
oder  einer  beabsichtigten,  d.  h.  bedeutungsvollen,  Tessarakon- 
tade  zu  tun  haben,  doch  scheinen  mir  für  die  letztere  Alter- 
native wenigstens  zwei  beachtenswerte  Gründe  zu  sprechen. 
Erstens  erinnere  ich  an  die  Tatsache,  daß  die  tessarakon- 
tadischen  Tag-  und  Jahrfristen  in  den  hesiodischen  Gedichten 
eine  nicht  unbeträchtliche  Rolle  spielen,  und  zweitens  an  die 
Beobachtung,  daß  auch  in  der  Ilias,  wenn  man  von  der 
1 1  Tage  in  Anspruch  nehmenden  Wehklage  um  Hektor  und 
dessen  Bestattung  absieht  (£1  784 — 804),  die  eigentliche  Hand- 
lung des  Epos  bis  zur  Auslieferung  des  Leichnams  Hektors 
(inclusive!)  ebenfalls  genau  40  Tage  umfaßt. 4V)  Eine  so 
weitgehende  Übereinstimmung  der  beiden  homerischen  Gedichte 
aber  in  einem  solchen  Punkte  für  einen  reinen  Zufall  zu  er- 
klären, scheint  mir  bei  der  sonstigen  Bedeutung  der  tessara- 
kontadischen  Fristen  im  Kultus  und  in  den  hesiodischen  Ge- 
dichten kaum  zulässig,  zumal  wenn  man  bedenkt,  daß  gerade 
den  Vierzig-Tag-  und  -Jahrfristen,  vielfach  eine  'kritische'  Be- 
deutung oder,  mit  andern  Worten,  die  Wirkung  zugeschrieben 
wird,  eine  gewisse  Entwicklung  zum  endgültigen  Abschluß 
(rsleicoöig)46)  zu  bringen:  ein  für  die  Vierzig  höchst  charakte- 
ristischer Zug,  der  nicht  bloß  bei  den  Semiten  (s.  Abh.  I 
S.  7.  13.  18.  3Q f.)  sondern  namentlich  auch  auf  dem  Gebiete 
der  griechischen  Medizin  und  Biologie  ganz  deutlich  hervor- 
tritt. Wie  genau  die  alten  Epiker  in  den  Erzählungen  mythischer 
Ereignisse  auf  typische  Fristbestimmungen  zu  achten  pflegten, 
das  beweisen  zur  Genüge  die  9  Jahre  dauernden  Kämpfe  vor 


45)  Vgl.  die  Einleitung  zur  Ilias  von  Faesi-Franke  I5  S.  XXXI  ff. 

46)  Ahnlich  schrieben  die  Babylonier  der  Zahl  40  die  Wirkung 
zu,  eine  gewisse  'Vollendung'  herbeizuführen,  indem  sie  sie  ebenso  wie 
die  Sieben  als  'kiäsatum'  d.  i.  Gesamtheit,  Universum,  Fülle,  Menge 
bezeichneten;  vgl.  Abh.  I  S.  5. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     47 

Ilion,   sowie   der   10 jährige  Krieg  der  Götter  und  Titanen47), 
von  dem  die  hesiodische  Theogonie  zu  berichten  weiß. 

Ferner  begegnen  uns  in  den  homerischen  Gedichten 
mehrere  2otägige  (eikadische)  Fristen,  die  höchstwahr- 
scheinlich durch  Halbierung  der  tessarakontadischen  Tag- 
frist entstanden  sind.  So  wird  wiederholt  hervorgehoben,  daß 
die  Fahrt  des  Odvsseus  von  Ogygia  bis  Scheria  genau  20  Tage 
in  Anspruch  genommen  habe48),  und  Oineus  soll  den  Belle- 
rophon 20  Tage  lang  bewirtet  haben: 

II.  Z  216:   Oivsvg  yccQ  noxs  dlog  ä^iv^iova  BsXlsQocpovrnv 
i,Eivid'  svl  [isydQOHStv  ssCxoötv  y]fiar   SQv^ocg. 

Wer  etwa  geneigt  sein  sollte,  in  diesem  Falle  nicht  an 
eine  Halbierung  der  tessarakontadischen  Frist  sondern  an  eine 
Verdoppelung  der  dekadischen  zu  denken,  den  möchte  ich  vor 
allem  auf  meine  Darlegungen  in  den  Ennead.  u.  hebdomad. 
Fristen  u.  Wochen  d.  alt.  Griech.  S.  8  ff.  hinweisen.  Hier  ist 
gezeigt  worden,  wie  selten  und  zweifelhaft  die  dekadischen 
Fristen  des  älteren  Epos  sind.49)  Überhaupt  gehören  die 
meisten  von  ihnen  erst  der  historischen  Zeit  an  und  scheinen 
sich  vorzugsweise  von  Attika  aus  verbreitet  zu  haben  (a.  a.  0. 
S.  12;  vgl.  Sieben-  u.  Neunzahl  S.  7  9  f.).  Außerdem  berufe 
ich  mich  auf  das  uns  von  Plinius  N.H.  23,  1,42  in  lateinischer 
Form  überlieferte  Fragment  (nr.  21  Göttl.  =  194  Kinkel)  aus 
'Hesiods'  Opera  magna  (Meydka  sgya): 

cMeracis  potionibus  per  viginti  dies  ante  canis  ortum 
totidemque  postea  suadet  Hesiodus  uti.' 


47)  Vgl.  Ennead.  u.  hebd.  Fristen  S.  9  u.  Ennead.  Studien  S.  20  f. 

48)  Od.  s  33  sagt  Zens  zu  Hermes: 

&XX'  0  y    iitl  G%s§Lr\s  noJ.votGu.ov  itrjuaxcc  itaG%<av 
rjficcrL  %    sIkogtöj  2%hQlr\v  igißcoXov  i%oizo. 
Od.  £  170  sagt  Od.  zu  Nausikaa: 

%&i?;bg  isixoGtä)  cpvyov  f)(iati  oi'voitcc  itövrov. 

49)  Sogar  Od.  7  391  ist  mir  als  Zeugnis  für  die  Dekade  zweifel- 
haft geworden,  seitdem  ich  aus  dem  Scholion  z.  d.  St.  ersehen  habe, 
daß  neben  kvdsxäxm  iviccvrä)  auch  iv  daxärm  i.  gelesen  wurde,  was 
doch  eine  enoieadische  Frist  bedeuten  würde.    Letztere  Lesung  würde 

Phil.-hist.  Klasse  1909.     Bd.  LXI.  4 


48  W.  H.  Röscher: 

Genau  derselbe  'Rat'  wird  erteilt  in  dem  von  Chamaileon 
bei  Athenaeus  II  220  aufgezeichneten  %Q7}6(ibg  Ilv&ixög  (vgl. 
Lobeck,  Aglaopb.  p.  1085),  in  dem  uns  vielleicht  der  Wort- 
laut der  Maydla  £Qya  z.  T.  noch  erhalten  geblieben  ist: 
EixoGi  tag  tcqo  xvvbg  xal  slxoöi  tag  fistejtSLta 
Olxcj  ivl  6y.i£Q(p  AiovvG(p  %Qf[<5^ai  Irjtgtp.*'0) 
Ähnliche  Halbierungen  dekadischer  und  hebdomadischer  Fristen 
lassen  sich  übrigens  auch  bei  anderen  wichtigen  Jahrpunkten, 
z.  B.  den  Sonnenwenden,  nachweisen.  Vgl.  z.  B.  Aristot.  h.  an. 
5,  9:  'H  de  dXxvcov  tixtsu  nsQi  tgoitäg  tag  %£i[X£Qivdg.  öib 
xal  xalovvtai,  otav  svdisival  ysvcovtav  al  tQOJtal,  'AXxvovsiai 
fjfieQai,  Biitä  [ilv  7t qo  tQonäv,  STitä  Öh  [istä  tQ07cdg,  xa&d- 
7CEQ  xal  Uiiiavtdrjg  knotrfisv  [fr.  12B.]:  f£lg  bnötav  %£1[is'qiov 
xatd  iir\va  7tivv<5xr\  ||  Ztvg  apata  tEOGaga  xal  dexa  x.  t.  A.51) 
Colum.  2,  8:  Sic  enim  servant  prudentes  agricolae,  ut  XV  diebus 
prius  quam  conficiatur  bruma  totidemque  post  eam  con- 
fectam  neque  arent  neque  vitem  aut  arborem  putent.  Plin. 
N.  H.  8,205:  Diebus  decem  circa  brumam  [also  wohl  V 
ante,  V  post  brumam]  statim  dentatos  [sues]  nasci  Nigidius 
tradit.  Da  Nigidius  bekanntlich  ein  begeisterter  Anhänger 
der    pythagoreischen   Philosophie  war,    so   liegt  die  Ver- 


auch  trefflich  zu  der  echt  antiken  Anschauung  (vgl.  z.  B.  Hör.  ca.  4,  11,  1) 
stimmen,  daß  9  jähriger  Wein  besonders  edel  und  wohlschmeckend  sei. 

50)  Vgl.  zum  Verständnis  der  Sache  auch  die  ebenfalls  von 
Athenaeus  a.  a.  0.  mitgeteilten  Zeugnisse  des  Alkaios,  Eupolis  und 
Mnesitheos.  Vgl.  Alk.  fr.  39  ßergk2:  Tsyys  arsv^ovag  oivcp-  xb  yccq 
cccxqov  nsQLTsXlezcti,  ||  cc  ö'wga  %aliixa'  Ttävxa  dh  Siipai6'  vnb  %ccv- 
(iccrog  .  .  .  .  vvv  dh  yvvcciv.sg  iiiccqwxuxcci  (vgl.  Hesiod.  tgy.  586!),  [| 
Kitxoi  d'ävÖQSg,  iitu  v.a.1  xfqpaÄar  v.a\  yöva  2JtiQiog  a£si.  —  fr.  40: 
niva>y.£v,  xb  yaQ  aaxgov  71£qixsX7.sxul.  —  Eupol.  fr.  II  491  Mein. 
IlivfLv  yug  avxbv  IlQcoxayOQccg  ixeXev  ,  ivcc  ||  7Tqo  xov  xvvbg  xbv  itvfviiov' 
h.'/.vxov  cf-OQfj.  —  'Hippokrates'  tc.  diuiz  ö|.  II  p.  54  Kühn  sagt  vom 
Weine:  xcc  dh  nccx'  %vxsqov  [also  gegen  Durchfall,  Cholera  etc.]  %u.i 
Ilu/.Iov  6v7j'(7£t,  ])v  uKQaxeoxsQog  fj.  —  Eine  ähnliche  Halbierung  der 
Tessarakontade  findet  sich  auch  b.  Aristobulos  (Strab.  15,  692),  sowie 
bei  den  Bewobnern  der  Aleuten  (Ploss,  D.  Kind  H  S.  262). 

51)  Mebr  in  meinen  'Ennead.  v.  hebdom.  Fristen  u.  Wochen 
S.  44  Anm.   143,  wo  Plin.  N.  H.   18,  231   nachzutragen  ist. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      49 

mutung  nahe,  daß  diese  Notiz  aus  pythagoreischer  Quelle 
stammt. 

Das  aller  wichtigste  Zeugnis  aber  für  die  Vierzigtagefrist 
aus  dem  Bereiche  des  alten  Epos  enthalten  folgende  Verse 
aus  den  hesiodischen  SQyu: 

v.  383  ff.     nkiycddav  'Axlaytviav  snixeXlonevdav 
aQ^söd-'    ä[itJTOi',  ccqoxoio  de  övoofisvdcov. 
cc'C  d'   tfxot,  vvxxag  xe  xai  rjnaxa  xsööaQdxovxu 
xtXQvcpaxcci,  ccvxig  ds  xsQirtko[.iEvov  evcavxov 
cpuivovxai  xä  ttQibxa  %aQa<5öopL&voio  6lÖ)\qov. 
Indem  ich  mir  im  Hinblick  auf  die  außerordentliche  Wichtig- 
keit  dieser  Stelle  eine  ausführlichere  Erörterung  ausdrücklich 
vorbehalte,  möchte  ich  mich  in  diesem  Zusammenhang  damit 
begnügen,    nur  auf  folgendes   hinzuweisen.     Was   die   Dauer 
der    Sichtbarkeit    bzw.    Unsichtbarkeit    der   Plejaden    für    die 
Breite   von  Athen  und   die  Zeit   Hesiods,    also   etwa   800 
v.  Chr.,  betrifft,   so   verdanke   ich   dem   besten  Kenner  dieser 
Dinge,  Herrn  Prof.  Ginzel,  dem  Neubearbeiter  des  Idelerschen 
Handbuches  der  Chronologie,  folgende  dem  bald  erscheinenden 
2.  Bande  seines  Werkes  entlehnte  Notizen. 

1)  Im  Januar  gehen  die  Plejaden  mittags  und  vor- 
mittags auf  und  sind  abends  anfänglich  bis  gegen  Mitternacht 
und  Mitte  Februar  noch  bis   ioh  abends  sichtbar. 

2)  Im  März  rücken  die  Aufgänge  der  PI.  auf  8  —  yh 
morgens,  die  Untergänge  auf  */29 — 1/21°h  abends;  die  PI. 
werden  also  immer  weniger  lange  (nur  abends  noch)  sichtbar. 

3)  Am  4.  April  kann  man  zum  letzten  Mal  die  PI.  bei 
Sonnenuntergang  sehen  (heliakischer  Untergang). 

4)  Im  Mai  gehen  sie  immer  noch  nicht  zeitig  genug  vor 
der  Sonne  auf  und  im  Lauf  des  Nachmittages  schon  unter, 
so  daß  sie  unsichtbar  bleiben,   bis 

5)  am  20.  Mai,  wo  sie  zum  ersten  Mal  wieder  in  der 
Morgendämmerung  erscheinen  (4.  April  bis  20.  Mai  = 
46  Tage  Zwischenzeit). 

6)  Im  Juni  rücken  die  Aufgänge  mehr  und  mehr  vor 
die  Sonnenaufgänge;  die  Untergänge  finden  am  Mittag  statt. 

4* 


50  W.  H.  Röscher: 

7)  Anfang  Juli  werden  die  Aufgänge  der  PI.  wieder  vor 
Mitternacht  allmählich  sichtbar;  die  Untergänge  liegen  noch 
in  den  Tagesstunden. 

8)  Im  August  findet  der  Aufgang  etwa  2h  nach  Sonnen- 
untergang statt. 

9)  Die  Aufgangszeit  der  PI.  nähert  sich  im  September 
—  Oktober  der  Sonnenuntergangszeit.  Der  letzte  Aufgang 
ist  noch  sichtbar  am  24.  September  (akronychischer  Auf- 
gang).   Dann  rücken  die  Aufgänge  in  die  Nachmittagsstunden. 

10)  Die  Aufgänge  liegen  im  Oktober  —  November  — 
Dezember  in  den  Tagesstunden  (nachmittags  und  mittags); 
nur  die  Untergänge  werden  allmählich  in  den  Morgenstunden 
besser  sichtbar.  Am  2.  November  tritt  zum  ersten  Mal 
bei  Morgendämmerung  der  Untergang  der  PI.  deutlich 
hervor  (kosmischer  Untergang).  Ungünstig  gewesene 
Zeit  der  Sichtbarkeit  also  vom  24.  Septbr.  bis  2.Novbr. 
=  39  Tage  (natürlich  nur  in  bezug  auf  die  Untergänge 
der  PL). 

11)  Im  Dezember  sind  die  PI.  schon  wieder  bis  3h  resp. 
2h  nachts  (Untergänge!)  sichtbar. 

Aus  weiteren  mir  in  Tabellenform  von  Ginzel  gütigst 
mitgeteilten  Berechnungen  der  Auf-  und  Untergänge  der  PL 
(=  7]  Tauri)  für  den  34.  38.  42.  und  46.  Breitengrad  und  für 
die  Jahre  500,  300,  100  vor  Chr.  geht  ferner  mit  unum- 
stößlicher Sicherheit  hervor-,  daß  eine  4otägige  Unsicht- 
barkeit  der  PL  eigentlich  nur  für  die  südlichen 
Parallelen  gilt,  für  die  nördlicheren  aber,  z.B.  schon 
für  Rom,  bereits  50  Tage  beträgt,  daß  wir  also  die  r^iaxa 
xEööaQttKovxa,  Hesiods  nicht  als  eine  genaue,  sondern  nur  als 
eine  ungefähre  Fristbestimmuno-  aufzufassen  haben,  die  viel- 
leicht  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  in  den  südlichsten 
Teilen  des  Mittelmeeres  verkehrenden  griechischen  Schiffer 
gewählt  war.51b)     Wahrscheinlich  hat  zu  der  Annahme  eines 

5 1  b)  Umgekehrt  scheint  es  sich  zu  verhalten  mit  der  Angabe  des 
trefflichen  arabischen  Kosmographen  Kazwini,  daß  die  Unsichtbarkeit 
der  PI.  50  Tage  dauere.    Schon  in  Abh.  I  S.  36  Anm.  67  habe  ich  ver- 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      51 

4otägigen  Verschwindens  des  Gestirns  auch  die  oben  (unter  10) 
hervorgehobene  genau  39  Tage  umfassende  'ungünstige' Periode 
der  Sichtbarkeit  der  Plejaden-Untergänge  vom  24.  Septbr.  bis 
2.  Novbr.),  die  dem  Winter  und  der  Bestellung  der  Äcker 
unmittelbar  vorausgeht,  wesentlich  mit  beigetragen.52) 

Von  ganz  besonderem  Interesse  für  uns  ist  sodann  die 
Tatsache,  daß  die  semitischen  Vorstellungen  von  den  Plejaden 
in  höchst  auffallender  Weise  mit  den  ältesten  griechischen 
übereinstimmen.58)  So  werden  die  Phasen  dieses  Gestirns  — 
ganz  ähnlich  wie  von  den  Griechen54)  —  auch  von  den 
Arabern  zur  Einteilung  des  Jahres  und  Abgrenzung  der 
Jahreszeiten  benutzt;  insbesondere  bezeichnet  auch  in  Syrien 
und  Arabien  der  Frühaufgang  der  Plejaden  im  Mai  den  Be- 
ginn der  Hitze,  des  Sommers,  der  Ernte;  ihr  Frühuntergang 
im  November  den  Anfang  der  Kälte,  des  Winters  und  der 
winterlichen  Niederschläge   (s.  Abh.  I  S.  35  ff.).55)     Als   Höhe- 


mutet, daß  Kazwini  bei  seiner  Angabe,  wenn  sie  richtig  überliefert  ist, 
weniger  die  speziellen  Verhältnisse  Arabiens,  Ägyptens  und  Syriens 
als  die  für  den  arabischen  Seefahrer  in  Betracht  kommenden  des 
gesamten  Mictelmeeres  im  Auge  gehabt  habe.  Vgl.  übrigens  hin- 
sichtlich der  vielfachen  Abweichungen  der  antiken  Kaiendarien  in- 
betreff  solcher  Fristangaben  die  schon  von  Plin.  h.  n.  18,  212  f.  und 
312  etc.  ausgesprochenen  Klagen. 

52)  Vgl.  auch  A.  Mommsen,  Delphika  S.  48  f.  und  A.  Jekemias,  D. 
Alter  d.  babyl.  Astronomie  S.  8  ff. 

53)  Man  hüte  sich  aber,  aus  dieser  Übereinstimmung  auf  eine 
Abhängigkeit  der  Griechen  von  den  Semiten  (Babyloniern)  in  diesem 
Punkte  zu  schließen.  Daß  die  ältesten  Griechen  auch  selbständig  zu 
ihrer  Ansicht  von  der  Bedeutung  der  Plejaden  gelangen  konnten,  lehrt 
das  Beispiel  mehrerer  ostasiatischer  und  amerikanischer  z.  T.  wilder 
oder  halbwilder  Stämme,  welche  dieselbe  oder  eine  ganz  ähnliche  Auf- 
fassung von  den  Plejaden  haben  (Ginzei.  ,  Handb.  d.  math.  u.  techn. 
Chronol.  I  S.  59  Anm.  1  u.  2). 

54)  Theophr.  de  sign.  6:  Ji^oTOfitt  xbv  iviccvxbv  it?.sidg  tf  Svo^ievr] 
5tai  avareXXovaa.  Auch  in  dem  von  Fredrich  Hippokrat.  Unters.  S.  224  ff. 
besprochenen  „hippokrat."  Kalender  bilden  die  Auf-  und  Untergänge 
der  PI.  die  wichtigsten  Jahrpunkte. 

55)  Vgl.  auch  Sprengers  Abhandlung  über  den  Kalender  der 
Araber    vor    Mohammed    in    Zeitschr.   d.  D.  Morgenl.  Ges.   1859    (XIII) 


52 


W.  H.  Röscher: 


punkt  des  arabisch-syrischen  Winters  gelten  dem  berühmten 
arabischen  Kosmographen  Kazwini  die  '40  Tage  der  Kälte', 
welche  am  14.  känün  elawwal  (=  Dezember)  beginnen  und 
bis  zum  22.  känün  et'  t'äni  (=  Januar)  dauern  (Abh.  I  S.  35 
nebst  Anm.  66).  Auch  diese  Kälteperiode  setzt  Kazwini  in 
eine  deutliche  Beziehung  zu  den  Plejaden,  indem  er  sagt:  „Der 
Aufgang  der  PI.  erfolgt  am  1 3 .  ajär  (Mai)  und  ihr  Untergang 
am  13.  tis'rin  elähar  (November).  Sie  werden  im  Anfang  der 
Nacht  im  Osten  sichtbar  bei  Beginn  der  Kälte,  dann  rücken 
sie  in  jeder  Nacht  höher  auf,  bis  sie  endlich  zugleich  mit 
Sonnenuntergang  in  der  Mitte  des  Himmels  stehen,  und  zu 
dieser  Zeit  ist  die  Kälte  am  strengsten.  Darauf  sinken  sie 
wieder  von  der  Mitte  des  Himmels  herab  und  nähern  sich  in 
jeder  Nacht  mehr  dem  westlichen  Horizont,  bis  zugleich  mit 
ihnen  der  Neumond  erscheint.  Dann  verziehen  sie  eine  Weile 
und  sind  nun  etwas  über  50  [40?]  Nächte  unsichtbar;  dieses 
Unsichtbarsein  nennt  man  ihren  istisrär  (Sich verbergen) ;  darauf 
erscheinen  sie  in  der  Morgendämmerung  im  Osten  bei  großer 
Hitze"  usw.56)  Weiter  heißt  es  bei  Kazwini  ron  den  Plejaden: 
„Sie  sind  das  beste  aller  Frühlingsgestirne,  weil  ihr  Regen 
zu  einer  Zeit  eintritt,  wo  die  Erde  an  Wasser  Mangel  leidet." 
Wir  ersehen  daraus,  daß  nicht  bloß  der  Regen  des  Spät- 
herbstes   und   Winters57),    sondern    auch    die   besonders   heiß- 

S.  162:  „Die  Plejaden  sind  eine  Glückskonstellation  und  werden  auf 
ihrem  ganzen  Laufe  viel  beobachtet,  und  auf  die  meisten  Positionen 
die  sie  einnehmen,  sind  Gedächtnisverse  gemacht  worden.  Mohammed 
schwört  bei  den  sich  senkenden  PL  in  dem  Qoran  53  („Bei  dem  Sterne, 
der  da  untergeht,  euer  Gefährte  (Moh.)  irret  nicht  etc)." 

56)  Auch  Hesiod  bringt  die  Sommerhitze  mit  einer  gewissen  Phase 
der  Plejaden  in  Verbindung  £pya  571  f . :  cell'  onoz'  ccv  cpsgioixog  anb 
X&ovbg  cc[i  cpvrcc  ßaivt]  ||  IlXri'CdSag  cpsvycov  .  .  .  mgy  iv  a^.rjzov,  ors  r' 
T}iXio$  %q6u  KaQ(pei. 

57)  Wie  in  Arabien  und  Syrien  (s.  Abh.  I  S.  36  A.  66),  so  sind 
auch  in  Hellas  starke  Niederschläge  für  den  mit  dem  Frühuntergang 
der  PI.  beginnenden  Winter  charakteristisch.  Dies  ist  der  um  die 
Saatzeit  eintretende  bfißgog  oitaQtvög  Hesiods  (^gya  674),  von  dem  es 
heißt:  ftrjdf  [tivtiv  oivöv  rs  viov  xui  onwQLvbv  b\ißqov,  ||  kccI  £6<fift>v' 
iniovtu,  N6tol6  ts  dsivug  ccTqxag,  ||  o'ffr'   Üqivs  &dXa66ccv  öftapTTj'eorg  Jtbg 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      53 

ersehnten  Güsse  des  Frühlings58)  mit  gewissen  Phasen  der 
Plejaden  in  Verbindung  gebracht  werden.  Nun  besagt  aber 
ein  arabisches  Sprichwort:  „Das  Aufstellen  eines  das  Wein- 
trinken untersagenden  Gebotes  istbesser  als4oTageRegen"59), 
woraus  doch  mit  ziemlicher  Deutlichkeit  erhellt,  daß  in  dem 
so  heißen  und  trockenen  Klima  von  Syrien  und  Arabien  im 
Frühling  ebenso  wie  im  Winter  je  40  Regentage,  d.  h.  Tage, 
an  denen  größere  oder  geringere  Mengen  von  Niederschlägen 
erfolgen,  sehr  erwünscht  sind.  Genau  denselben  Wunsch  hegt 
auch  der  griechische  Bauer  für  seine  Saaten  während  der 
Zeit,  wo  diese  der  Ernte  entgegenreifen58):  das  sind  aber  die 
40  Tage,  während  deren  die  Plejaden  unsichtbar  sind, 
nach  deren  Ablauf  sofort  der  Schnitt  des  Getreides  nach  Hesiod 
zu  beginnen  hat  (vgl.  Jo.  Lyd.  de  ost.  ed.  Wa.  p.  185,  15:  ev  de 
rV  lY'  [=  5-  April]  Evdö^a  itlsiddsg  axQÖvvxoi  dvvovGi 
.  .  .  vstbg  yCveTai.  Zli]aoKQit<p  xÄsuddeg  XQVTtTovtai  d{ia 
i]Ma  avl<3%ovxi  xal  äcpecvelg  yivovxai  vvxxag  T£66aQccxovrcc 
[d.  i.  vom  5/I V  bis  15/V]).    Es  liegt  demnach  außerordentlich 


öfißga  ||  Ttollw,  örtcoQivä,  %aXs-xbv  de  re  növxov  t&rßsv.  Vgl.  ferner 
Asklepiades  b.  Brunck,  Anal.  I  p.  215,  23:  Nvg  [tu-Hgr]  neu  %£iu.oc,  \1i6r\v 
8  ini  nXsiddcc  Svvsi,  Kuyco  ticcq  7tQ0&vQ0ig  v£i66o\iai  vo^isvog. 
fHippokr. '  imSruu&v  a' =111  p.  382  Kühn:  'Ev  Qäoco  qi&ivoTtwQov 
7t£gl  Igyul£qit]v  Y.al  vitb  Illri'iccda  vdccxct  noXXd,  |w£#tor,  (laXO-axu  cbg 
iv  vorioiOL,  %EL(icbv  vöriog.  Mehr  b.  A.  Mommsen,  Griech.  Jahreszeiten  I 
— II  S.  82  u.  86  nebst  Anm.  *.  Neumann -Paetsch,  Physik.  Geogr.  v. 
Griechenl.  S.  70. 

58)  Daß  auch  im  Frühling  den  Griechen  der  Zeit  Hesiods  aus- 
giebige Regengüsse  sehr  erwünscht  waren,  bezeugt  Hesiod  iqycc  486  ff: 
rj^iog  5idxxv|  yioxxvgeL  ögvbg  iv  nsxdXoici  ||  xottqwxov,  xignsi  xe  ßgoxovg 
in  uthLqovcc  yaiav  ||  xf^Log  Zsvg  voi  xgixcp  rjn-an,  firjd'  anolrjyoi, 
[iijx  &q'  vnsgßdXXcov  ßobg  onXrjv  \Lr\x'  ccnoXelncov  ...  491  ...  priSe  ße 
Xri&oi  ||  \L7)x'  lag  yiyvö^svov  noXibv  {irifr  mgiog  ö^ißgog.  Vgl.  außerdem 
A.  Mommsen,  Griech.  Jahreszeiten  I — II  S.  36  und  20 ff.,  wo  neugriechische 
Bauernregeln  angeführt  sind,  die  sich  ebenfalls  auf  den  erwünschten 
Frühlingsregen  des  März  und  April  beziehen.  Vor  dem  Eintritt  der 
Frühlingsregen  wünscht  sich  freilich  der  neugriechische  Bauer  40  tägige 
Trockenheit  (A.  Mommsen  a.  a.  0.  S.  21 ;  Abh.  I  S.  37  Anm.  72). 
59)  Abh.  I  S.  36  Anm.  70. 


54  W.  H.  Röscher: 

nahe,  auch  die  durch  ununterbrochenen  4otägigen  Regen  be- 
wirkte Sintflut  der  jüdischen  Sage  sowie  den  ebenfalls 
4otägigen  Samenregen  der  islamischen  Eschatologie 
(s.  Abh.  I  S.  37  Anm.  74)  mit  den  typischen  40  Regentagen 
der  Syrer  und  Araber  sowie  mit  den  Plejaden  als  „Regengestirn" 
in  Zusammenhang  zu  bringen,  wie  das  tatsächlich  in  einer 
Legende  des  Talmud  (Berach.  58b  u.  59*)  geschehen  ist,  wo 
ausdrücklich  gesagt  wird,  die  Plejaden  seien  das  Sternbild, 
aus  dem  Gott  2  Sterne  herausgenommen  habe,  um  aus  den 
so  entstandenen  Öffnungen  den  Regen  der  Sintflut  hervor- 
strömen zu  lassen  (Abh.  I  S.  18  Anm.  26)60). 

b)  Tessarakontadische  Jahrfristen.  —  Von  der  3 
Menschenalter  (yevsaC)  zu  je  40  Jahren,  also  im  ganzen 
1 20  Jahre,  umfassenden  Lebensdauer  des  homerischen  Nestor 
ist  schon  oben  die  Rede  gewesen.61)  Daß  es  sich  wirklich 
in  diesem  Falle  um  eine  yevsd  von  40  Jahren  handelt,  oder 
mit  andern  Worten,  daß  im  Zeitalter  des  älteren  Epos,  ebenso 
wie  nach  semitischer  Anschauung  (s.  Abh.  I),  eine  ysvsd  genau 
40  Jahre  umfaßte,  ersehen  wir  am  deutlichsten  aus  Hesiods 
eQya  k.  fj{i.  v.  436  ff.,  wo  die  Reife  (cwpj)  der  Pflugochsen  auf 
9  Jahre  (ßös  svvasxriQco),  die  des  Pflügers  aber  (v.  441  ff.) 
auf  40  Jahre  bestimmt  wird: 

toig  d'ccpa  rEööaQaxovrastrig  ccl^rjbg  anotxo 
clqtov  dsirtvrjGccg  tstQdtQvepov,  öntdßXco^ov, 

60)  Ich  wage  nicht  zu  entscheiden,  ob  das  in  dem  astrologischen 
Texte  K.  1551  (vgl.  Zimmern  b.  Schrader,  D.  Keilinschr.  u.  d.  A.Test.8 
389  u.  459)  erwähnte  40tägige  "Wüten  der  bösen  Dämonen  (d.  i. 
nach  Zimmern  und  Winckler  der  Plejaden)  auf  die  4otägige  Sintflut 
oder  ein  anderes  Phänomen,  z.  B.  das  40  tägige  Wehen  der  vom  Schiffer 
gefürchteten  Etesien  (s.  unt.),  zu  beziehen  ist.  Auch  lasse  ich  es 
dahingestellt  sein,  ob  die  dem  „Wassergotte"  Ea  geheiligte  Zahl  40 
(Abh.  I  S.  6)  aus  der  40  tägigen  Regenperiode  erklärt  werden  darf  oder 
einen  anderen  Grund  hat. 

61)  Bei  dieser  Gelegenheit  sei  daraufhingewiesen,  daß  auch  Holz- 
schnitte des  16.  Jahrh.  12  Altersstufen  zu  je  10  Jahren  darstellen. 
Daraus  erhellt,  daß  man  auch  damals  eine  normale  Lebensdauer  von 
rund  120  Jahren  angenommen  hat.  Vgl.  Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volksk.  XV 
(1905)  409. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     55 

ög  sgyov  fisksrcöv  l&eidv  x  uvkax    eXccvvoi, 
lir^Bti  namaivav  ued-'   d^Xixag^  «AA'   e'jcl  £Qy<p 
d-vpbv  e%(Qv'  xov  ö'ovtl  vscoxeQog  alXog  dfxeivcov 
öTieQuata  dcc66aö&ca  xal  istiöitOQirjv  cckia6%ca. 
xovQotSQog  yaQ  dvijQ  [isfr'   o^irjXLxag  £7ixoCr]xcu. 
Zu    demselben    Resultate   gelangen   wir,    sobald    wir   Hesiod 
fr.  163  Göttl.  =  207  Kinkel  genauer  ins  Auge  fassen: 
ivvecc  xol  t,cbsc  ysvsäg  Xccxsqv^cc  xoqcovi] 
ccvöqcov  rjßcovxcov'  eXcccpog  ds  xs  xsxQaxÖQcovog' 
xQSig  ö: tXdcpovg  6  xdpa|  yrjQdöxexca,  avxäg  6  (poivi% 
ivvecc  xovg  xoQaxag'  öixa  di^(iEig  roi>g  cpoCvtxag 
vv{icpca  tv7iX6xuiioi,  xovQca  Aiog  ulyiö%oio. 
Schon  Hikzel   (a.  a.  0.  S.  36  t'.)   hat   darauf  hingewiesen, 
daß  unter  allen  Ansätzen  für  die  ysvsd  derjenige  von  40  Jahren 
hier  bei  weitem  die  größte  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat.62) 
Dazu   kommt   noch,    daß    er   mit   der   eben   angeführten  dx^irj 
von   40   Jahrer.    in    den  hesiodischen   sQycc   (v.  441)   und   der 
3  x  40  =  1 20  jährigen  Lebensdauer  des   Nestor  und  anderer 
Helden  (s.  ob.  S.  42 f.)  im  schönsten  Einklang  steht;   auch  ist 
es   von   vornherein   sehr   wenig   wahrscheinlich,   daß  im  Zeit- 
alter  des  Homer  und  Hesiod  verschiedene  Annahmen  hin- 
sichtlich der  Dauer  einer  ysvsd  existierten.63) 

Auch  ein  paar  20jährige  Fristen  kommen  in  den 
homerischen  Gedichten  vor,  die  sich  mit  ziemlicher  Wahr- 
scheinlichkeit als  Halbierungen  der  tessarakontadischen 
Jahrfrist  erklären  lassen.  So  sagt  II.  Sl  765  Helena  in  der 
Totenklage  um  Hektor: 

rjdr]  yäg  vvv  [101  xoö'   eeixoöxbv  sxog  eöxiv, 
«|  ov  xsldsv  eßrjV  xal  ifirjg  d7ceXr]Xvd-u  xdxQtjg. 

62)  Vgl.  auch  Ennead.  Stud.  S.  24  ff.  u.  41  f. 

63)  In  diesen  Zusammenhang  gehört  wohl  auch  die  den  Schlaf 
des  Epimenides  betreffende  Notiz  des  Pausanias  1,  14,  4:  6  de  vitvos 
ov  7Tq6tsqov  ccvrjxzv  avTOv  7TQLV  t]  oi  t s 6 0 a q a  xo Gz 6  v  ixog  yeviG&cci 
xcc&svdovxi.  Hiernach  sollte  also  Epimenides  ein  volles  Menschenalter 
in  seiner  Höhle  schlafend  zugebracht  haben.  Nach  Suidas  s.  v.  'Etil^v. 
freilich  dauerte  sein  Schlaf  60  Jahre  also  1  l/a  yivsai  zu  je  40  Jahren 
od.  2  ysvsui  zu  je  30  Jahren. 


$6  W.  H.  Röscher: 

Mit  diesen  der  Helena  in  den  Mund  gelegten  Worten  will 
also  der  Dichter  dieser  Episode  andeuten,  daß  zwischen  dem 
Raube  der  Helena  und  dem  Ende  des  trojanischen  Krieges  20  Jahre, 
die  Hälfte  eines  vollen  Menschenalters,  liegen,  eine  chrono- 
logische Angabe,  von  der  zwar  in  der  Ilias  sonst  nicht  die 
Rede  ist,  die  aber  doch,  hauptsächlich  unter  dem  Gesichtspunkte 
der  typischen  ysvsd  von  40  Jahren  betrachtet,  eine  gewisse 
Bedeutung  beanspruchen  darf.64)  In  Abh.  I  S.  23  u.  43  ist 
gezeigt  worden,  daß  auch  von  den  Juden  und  Arabern  die 
20- Jahrfrist  als  Hälfte  des  Menschenalters  betrachtet  und  ge- 
braucht wird. 

Eine  zweite  in  den  homerischen  Gedichten  oft  hervor- 
gehobene 20  jährige  Frist  bezieht  sich  auf  die  Abwesenheit 
des  Odysseus  von  Ithaka,  wohin  der  Held  erst  nach  10  jährigen 
Kämpfen  und  10  jährigen  Irrfahrten  zurückkehrt.65)  Es  liegt 
nahe  anzunehmen,  daß  der  Dichter  gerade  diese  Frist  wählte, 
um  das  Leid  des  göttlichen  Dulders  als  ein  solches,  das  ein 
volles  halbes  Menschenalter  währte,  hinzustellen  und  somit 
um  so  deutlicher  hervortreten  zu  lassen. 

Auch  in  den  verloren  gegangenen  Epen  scheinen  mehrere 


64)  Schon  im  Altertum  hat  diese  Zeitangabe  Kopfzerbrechen  ver- 
ursacht und  verschiedene  Erklärungen  hervorgerufen.  Die  Schol.  zu 
Sl  765  und  Eustath.  z.  d.  St.  behaupten,  in  diesem  Falle  seien  zu  den 
10  Jahren  des  Kampfes  vor  Troja  noch  weitere  (vorausgegangene) 
10  Jahre,  während  deren  die  Rüstung  und  Sammlung  (6TQutoXoyia)  des 
Heeres  und  der  Flotte  Agamemnons  stattgefunden  hätte,  hinzuzuzählen. 
Die  apollodorische  Epitoma  Vat.  p.  193  ed.  Wagner  (vgl.  dessen  Kom- 
mentar p.  188)  erklärt  dagegen:  vTroargsipccvtcov  ovv  twv  'EXXtjvcov  rors 
Xiysxoci  rbv  ii6Xf\iov  siKOGccsrij  ysvtß&ca-  fisro:  yä$  ti]v*EXtvr]g  ccQnayijv 
l-TSi  dswigm  tovg"EXXrr]vag  TtuQaß-Aivaßayiivovg  6tQ(xtsvsß&ca,  avcc%G>Qrj- 
ßuvrag  de  ccnb  MvßLag  slg  "EXXäSu  psTa  hr\  6v.ra>  slg  "Jgyog  iisxacxQcc- 
(pivtag  iX&elv  slg  AvXidcc.  Durch  diese  Verlängerung  des  trojanischen 
Krieges  um  10  Jahre  gewann  man  zugleich,  wieTmuEMER  (Pergamon  144  fr.) 
erkannt  hat,  ein  Motiv,  das  die  Beteiligung  des  Neoptolemos  am  Kampfe 
vor  Troja  als  möglich  erscheinen  ließ. 

65)  Vgl.  Od.  n  206  (Odyss.  sagt  zu  Telemach):  Tta&cov  v.av.a,  tioXXu 
d'  aXrj&sig,  \\  i\Xv&ov  sly.oßrä  hs'i  ig  ■nargiöcc  yoclccv.    Vgl.  q  327.  t  222 

U.   484.    (f   208.    O)   322.    ß    I75.    1/)    102. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      57 

20- Jahrfristen  vorgekommen  zu  sein.  Wir  schließen  das  aus 
solchen  Stellen  wie  Apollod.  bibl.  2,4,  11,3:  öTQutevadusvog 
de  'EQyivog  iscl  ®rjßccg  utüvag  ovx  bliyovg  £6%£i6axo  yL£d? 
öqxcov  oitcog  iii^,nco6i,v  ccvxtii  &rtßalot  daö^ibv  snl  si'xoölv  £xtj, 
xaxä  hog  ixaxbv  ßovg'  ib.  3,  5,  57  5:  aiged-elg  ovv  Avxog 
7toA.£[iaQxog  xmb  @i]ßccLcov  £7it%-aro  vfi  dvvaöxtlcc,  xal  ßa6iXev6ag 
£xrj  £  l'x  061  yovsvd-elg  v%b  Z,rßov  aal  'Af.i(piovog  &viq<jK£i 
di    aixiav  xr]vÖ£. 

c)  Sonstige  tessarakontadische  Bestimmungen. 
Schon  Hirzel  (a.  a.  0.  S.  5  2  f.)  hat  die  merkwürdige  Tatsache 
hervorgehoben,  cdaß  [im  Schiffskatalog  der  Ilias]  von  den 
29  Abteilungen  der  griechischen  Flotte  nicht  weniger  als  10 
aus  je  40  Schiffen  bestehen,  wozu  noch  2  zu  je  80  [v.  568 
u.  652]  kommen,  während  die  übrigen  [17]  sich  auf  die  ver- 
schiedensten Zahlen  [3,  7,  9,  11,  12,  22,  30,  50,  60,  90,  100] 
verteilen,  so  daß  keine  der  letzteren  sich  mehr  als  dreimal 
wiederholt  und  auch  dies  nur  bei  zweien,  der  30  und  50, 
stattfindet.'  Er  meint  mit  Recht,  obgleich  im  Schiffskatalog 
die  Zahlenangaben  eine  gewisse  Rücksicht  auf  geographische 
und  historische  Verhältnisse  verrieten66),  so  sei  doch  der 
Phantasie  und  Willkür  immer  noch  ein  weiter  Spielraum  ge- 
blieben. Wenn  daher  gerade  hier  die  40  vor  allen  anderen 
Zahlen  bevorzugt  werde,  so  erlaube  dies  einen  sehr  wahr- 
scheinlichen Schluß  darauf,  daß  bereits  von  den  homerischen 
Sängern  die  besondere  Bedeutung  dieser  Zahl  vollkommen 
anerkannt  gewesen  sei.  Unterstützen  läßt  sich  diese  Annahme 
Hirzels  durch  den  Hinweis  darauf,  daß  die  Tessarakontade 
auch   für  die  Zahl   der  Bemannung  der  homerischen  Schiffe 


66)  So  hängen  sicherlich  die  90  (=  9  x  10)  Schiffe  Nestors  (B  602) 
mit  dem  enneadischen  Opfer  von  9x9  Stieren  zusammen ,  das  Nestor 
darbringt,  als  er  den  Besuch  Telemachs  empfängt  (Od.  y  5  ff.).  Das 
erklärt  sich  aber  einfach  aus  dem  Umstände,  daß  das  Reich  Nestors 
eine  Enneapolis  war  (s.  Sieben-  und  Neunzahl  S.  62  f.  Ennead. 
Studien  S.  31).  Ebenso  erklären  sich  die  9  (=  3x3)  Schiffe  der  Rhodier 
(B  654fr.)  aus  den  3  Stämmen  der  Rhodier  (Ennead.  Stud.  S.  33  f.), 
deren  jeder  3  Schiffe  stellte,  usw. 


c8  W.  H.  Röscher: 


D 


maßgebend  war.  Denn  aus  B  509  f.  ersehen  wir,  daß  jedes 
der  50  boiotischen  Fahrzeuge  mit  3x40=  120  Mann  (nach 
Thuk.  1,  10,  4  lauter  ccbxeQexai)  besetzt  waren;  und  das  nach 
II.  A  309  von  Agamemnon  nach  Chryse  abgesandte  Schiff 
zählte  ebenso  wie  die  Reisejacht  des  Telemachos  (a  280)  und 
das  Fahrzeug  des  Odysseus  (t  322:  eEixoöOQog)  20  (also  eine 
halbe  Tessarakontade!)  Ruderer.  Nach  diesen  Analogien  wird 
es  jedermann  begreiflich  finden,  wenn  wir  die  Vermutung 
aussprechen,  daß  auch  die  übrigen  in  den  homerischen  Ge- 
dichten vorkommenden  Gruppen  von  je  20  Personen  sich  als 
halbe  Tessarakontaden  auffassen  lassen.  Ich  meine  die 
20  schönen  Troerinnen,  die  Agamemnon  (II.  I  139  u.  281) 
dem  Achilles  überlassen  will  und  die  20  Gegner  von  der 
Art  Hektors,  die  Patroklos,  wie  er  sterbend  rühmt,  erschlagen 
hätte,  wenn  nicht  Hektor  durch  Zeus  und  Apollon  unterstützt 
worden  wäre  (II.  77  847).  Den  seekundigen  Griechen  der  älte- 
sten Zeit  war  der  Anblick  eines  mit  20(40?)  oder  120  Ruderern 
besetzten  Schiffes  ein  so  gewohnter,  daß  sie  unwillkürlich  die 
Zahl  20  zu  einer  typischen  machten  und  auch  auf  alle  mög- 
lichen anderen  Verhältnisse  übertrugen. 


III. 

Die  4otägige  Frist  in  zahlreichen  alten  Bauern- 
und  Wetterregeln. 

Wir  haben  oben  (S.  48 f.)  zwei  von  'Hesiod'  in  die  sQya 
x.  ij{iSQca  und  MeyüXu  eQya  aufgenommene  uralte  Bauern- 
regeln kennen  gelernt,  die  dem  Landmann  vorschreiben,  wie  er 
sich  während  oder  unmittelbar  nach  einer  an  den  Aufgang  ent- 
weder des  Seirios  oder  der  Plejaden  angeknüpften  tessara- 
kontadischen  Tagfrist  zu  verhalten  habe.  Ähnliche  uralte 
Bauern-  und  Wetterregeln  figurieren  ja  noch  heute  in  zahl- 
reichen   Volkskalendern.67)      Wenn    sich    nun    in    der    nach- 

67)  Besonders  häufig  finden  sich  derartige  an  bestimmte  Kalender- 
tage angeknüpfte  Vierzigtagfristen  in  deutschen  Volks-    und  Bauern- 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     59 

hesiodischen  Literatur  eine  ziemliche  Anzahl  gleichartiger, 
ebenfalls  von  tessarakontadischen  Fristen  handelnder  Bauern- 
Winzer-,  Jäger-  und  Fischerregeln  findet,  so  dürfen  wir  wohl 
mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  vermuten,  daß  sie  demselben 
Kreise  wirklicher  oder  vermeintlicher  Erfahrungen  entstammen, 
wie  die  beiden  oben  besprochenen  hesiodischen,  und  demnach 
ziemlich  eben  so  alt  sind  wie  diese. 

Bei  weitem  die  meisten  der  hier  in  Betracht  kommenden 
Regeln  zeigen  die  tessarakontadische  Frist  geknüpft  an  den 
Aufgang  des  Seirios  und  geben  an,  wie  man  sich  während 
der  40  heißesten  Tage  des  Sommers  verhalten  solle,  oder  was 
man  während  dieser  Zeit  zu  erwarten  habe.  Die  von  mir 
gesammelten  Zeugnisse  sind  folgende. 

1)  Plin.  14,  85:  protropum68)  .  .  .  mustum  .  .  .  protinus  dif- 
fusum in  lagenis  suis  defervere  passi,  postea  in  Sole  quadra- 
ginta  diebus  torrent  aestatis  secutae  ipso  Canis  ortu. 

2)  Plin.  14,  113:  Fit  vinum  et  ex  aqua  ac  melle  tantum. 
Quinquennio    ad    hoc    servari    caelestem   iubent;    alii   pruden- 


regeln.  Ich  führe  folgendes  an.  'Wie  am  Petritage  (22./II.)  das  Wetter 
ist,  so  bleibt  es  noch  40  Tage'  (Eichsfeld:  Wuttke,  Deutscher  Volks- 
abergl.2  §  96).  —  'Wenn  es  an  Medardi  (8./VI.)  regnet,  so  regnet  es 
40  Tage'  (Schi.  Ndtl.  ebenda  §  101).  —  fWie  die  Witterung  am  Matthias- 
tage (2 5. /IL)  ist,  so  bleibt  sie  40  Tage'  (Bartsch,  Mecklenb.  Sagen  2 
s-  253)-  —  'Wenn  es  Maria  Verkündigung  friert,  so  friert  es  40  Tage 
hintereinander'  (Ruberow,  Am  Urquell  6  S.  15).  —  fEs  folgen  40  Tage 
Regen,  wenn  es  an  Maria  Heimsuchung  (2./ VI.)  regnet'.  (Bartsch 
a.  a.  0.  2  S.  293  (1461).  Man  beachte  die  wunderbare  Übereinstimmung 
mit  den  40  Wind-,  Regen-  und  Winter-  (Kälte-) tagen  der  Semiten! 
(Abh.  I  S.  4.  18  nebst  Anm.  26;  S.  34  f.). 

68)  Vgl.  Athen.  1,  30b.  Mvrilr\valoi  xbv  jcag'  avxoig  ylvxvv  olvov 
TiQÖ§Qoy.ov  kuIovoiv,  aXloi  Sh  TtQÖtQOTtov.  ib.  2,  45e.  —  Hesych.  ngö- 
TQOTTog-  olvog  xig,  xov  ylsvnovg  xb  71q6%v(icc.  Geopon.  6,  16  u.  Niklas 
zu  der  St.  Mehr  b.  Schmidt  zu  Hesych.  a.  a.  0.  u.  Magerstedt,  D.  Wein- 
bau d.  Römer  S.  185  f.  —  Bei  dieser  Gelegenheit  mache  ich  auch  auf 
eine  den  Wein  betreffende  vigesimale  Jahr  fr  ist  aufmerksam,  die 
sich  bei  Plinius  n.  h.  14,  57  findet:  nee  alia  res  maius  incrementum 
sentit  ad  vicesimum  annum  [quam  vinum]  maiusve  ab  eo  dispendium, 
non  proficiente  pretio. 


6o  W.  H.  Röscher: 

tiores  statim  ad  tertias  partes  decoquunt  et  tertiam  mellis 
veteris  adiieiunt,  deinde  quadraginta  diebus  Canis  ortu 
in  sole  habent .  .  .     Hoc  vocatur  hydromeli.69) 

3)  Ib.  14,  100:  Ficticiorum  primum  fit  ex  ipso  vino,  quod 
vocant  adynamon  hoc  modo:  Albi  musti  sextarii  viginti,  aquae 
diniidium,  fervent .  .  .  alii  marinae  sextarios  decem,  tantundem 
pluviae,  in  sole  quadraginta  diebus  torrent.70) 

4)  Nocb  heute  beobachten  die  griechischen  Winzer  nach 
A.  Mommsen,  Griech.  Jahreszeiten  I  —  II  S.  63  bei  der  Be- 
reitung des  Weines  eine  4otägige  Frist.  Es  heißt  dort: 
„Im  August  [also  in  den  'Hundstagen']  beginnen  die  grie- 
chischen Weinernten,  und  wo  man  die  Trauben  nicht  erst 
aussonnt,  werden  sie  gleich  ausgetreten  und  der  Most  auf- 
gefangen, daß  er  circa  40  Tage  gähre  (s.  Mittelzeiten  p.  10 
u.   12)."  ' 

5)  Plin.  n.  h.  33,  109:  Alii  [spumam  argenti,  argyritin] 
in  lana  Candida  cum  faba  [coquunt],  donec  lanam  non  deni- 
gret.  Tunc  salem  fossilem  adiiciunt,  subinde  aqua  mutata, 
siccantque  diebus  quadraginta  calidissimis  aestatis. 
Die  gleiche  Zeit  meint  wohl  auch  das  Rezept  zur  Bereitung 
des  QÖdivov  ilaiov  bei  Dioskor.  m.  m.  1,  53:  evioi  de  avra 
jiova  rä  Qoda  frläöavtEg  xcci  rjhdöavtsg  ivcc7ioßQS%ovCi,  ra 
hlaiop  . . .  xal  rjlid^ovrsg  inl  ^e'pag  p'  u%ql  TQitrjg  i[ißQO%f}s 
ovrcog  ä%oxi\fBvxai. 

Um  dieselbe  Zeit  des  Siriusaufgangs,  also  in  der  heißesten 
Periode    des   Sommers,    wehen    die  Etesien,    nach    der  ver- 

69)  Vgl.  Pallad.  8,  7:  [De  hydromelli].  Inchoantibus  cani- 
cularibus  diebus  aquam  puram  pridie  sumis  ex  fönte  .  .  .  Tunc 
XL  diebus  ac  noctibus  patieris  esse  sub  caelo. 

70)  Vielleicht  hängt  mit  dieser  für  den  Winzer  wichtigen  Vierzig- 
tagefrist  auch  eine  weitere  tessarakontadische  Bestimmung  zusammen, 
von  der  Cato  r.  r.  23  in  dem  Abschnitt  von  der  Bereitung  des  Weines 
redet:  Face  ad  vindemiam,  quae  opus  sunt  .  .  .  Si  opus  erit,  defrutum 
indito  in  mustum,  de  musto  lixivo  coctum,  partem  quadragesimam 
addito  defruti.  —  Vgl.  auch  Plin.  n.  h.  17,  202:  intervallum  iustum 
arborum  [die  zum  Ziehen  der  Weinstöcke  benutzt  werden],  si  aretur 
solum,  quadrageni  pedes  in  terga  frontemque,  in  latera  viceni. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     6i 

breitetsten   und   populärsten  Anschauung  40  Tage   lang   an- 
genehme Kühlung  bringend. 

6)  Apoll.  Rh.  Arg.  2,  516  fr. 

i][iog  $'    ovoavö&sv  Mtvcotdag  scpXsys  vfjöovg 

2JsCgiog,  ov  <$'   l%\  örjQov  srtv  dxog  svvcct'xrjöiv, 

xfßiog  xovy    ^_AqiGxaloi>\  sxdXsöüuv  lymioövvaig  Exdxoio 

Xoipov  <xÄeZ,7]xfjQ(x.     Xiittv  d'   öys  itaxobg  scpsx^ifj 

&&i'rjv,  sv  dh  Käip  xaxsvdööaxo^  Xabv  dystoag 

523    LSod    t'     SV    SQQs£,£V    SV    OVQSÖIV    aGXSQL    XSLVCö 

2JsiqCcj  avx<p  xs  Kgovidy  AU.     xolo  d'   s'xrjxi 

ycüccv  S7tifyv%ov6iv  sx^öCai  ix  Atbg  avoui 

rjftcitß  xs66aodxovxa. 

Hierzu  bemerkt  der  Scholiast:  xccg  xav  sx^ölcjv  avEfiav 
rj^'Qag  oi  [iev  xsööaQaxovxcc,  dXXot  Ös  xsvxrjxovxd  cpaötv, 
cog  Ti[io6&svrjg.  Das  Gleiche  bezeugt  auch  Galenos  XVII  A 
S.  387  f.71)  und  der  Kalender  des  Klaudios  Thuskos,  abgedruckt 
in  Wachsmuths  Ausgabe  des  Jo.  Laur.  Lydus  de  ostentis 
P-  x37;  l5-  ['IovXiog]  xa  .  xf]  nob  tß'  xaXsvdav  anb  xavxrjg  xrjg 
rjpsQag  oi  'sxr\6lai  6vv  xcci  xolg  äXXoig  ävspoig  sn\  xsüGccod- 
xovxa  ij^SQag12)  tive'ovöiv.     Ebenda  unter  ir\'  heißt  es:  xal 


71)  &BQ[ioxdxr\g  dh  xov  &toovg  cogag  ovar\g  xijv  xov  xvvbg  iitizoXijv 
yive6&cci  avfißaivet.  %QÖvog  S'  ißxlv  ovxog  ijilsqwv  xs6öagdxovxa  .  .  . 
nQO  dt  xovxov  iinxoXfig  oxtcü  c%sdbv  i]^Qccg  oi  ßogsocL  Ttvtov6t-v,  ovg  tcqo- 
$pou,ovg  xulovßi.  dvoi  dh  [isxd  xr\v  iitLtoXr}v  i]\iiqaig  oi  avxoi  ßootai, 
ivaxcc&äg  nviovGiv  rj^EQo:  ig  x£G6ccQdv.ovxa,  ovg  ixrfilag  sioiQ'ccai  nalslv. 

72)  Vgl.  auch  Plin.  n.  h.  2,  123:  Ardentissimo  .  .  .  aestatia  tempore 
exoritur  Caniculae  sidus  .  .  .  Huius  exortum  diebus  octo  fernie  aqui- 
lones  antecedunt,  quos  prodromos  appellant.  Post  biduum  autem  exortus 
iidem  aquilones  constantius  perflant  XXXX  [nicht  XXX;  vgl.  Boeckh, 
Kl.  Sehr.  III,  396]  diebus,  quos  Etesias  appellant.  Vgl.  dazu  Lydus 
de  ost.  p.  330,  14  W.ä  —  Auch  der  ägyptische  Kalender  zählte  40  Etesien- 
tage:  Jo.  Lyd.  ed.  W.1  p.  253  u.  203,  Hipparch  dagegen  nur  39  (ib. 
p.  257  u.  253).  Mehr  bei  Boeckr  a.  a.  0.  396 ff.  u.  Rehm  im  Artikel 
fEtesiai'  b.  Pauly-Wissowa  VI,  1  p.  714.  Einer  gütigen  Zuschrift  Bolls 
entnehme  ich  die  Notiz:  „Eben  finde  ich  bei  der  Korrektur  von  Cata- 
logus-  [astron.  gr.]  Bogen:  Paris.  2419  f.  33 vff.  als  Schluß  eines  Kapitels: 
usxa  xrjv  inixoXvv  xov  Kvvbg  tj^sqcüv  ja';  weiter  weiß  ich  nur,  daß 
von   ßqovxui  und   SialXayai  av^cov   die  Rede  ist."     Diese  Notiz  kann 


62  W.  H.  Röscher: 

6  [isv  nvav  öq&qov  avL6%£L,  ol  de  irrjöiai,  hTtixdvov6iv. 
Das  Zeugnis  des  Ptolemaios  (ebenda  p.  253  unter  x£',  Monat 
'Eniyl)  lautet:  MrjTQodcoQip  xal  Evxt^ovt  aal  ^iXCnncp 
irrjöCm  nvsovöi  xccl  Ö7taQag  aQ%^.  Kui6uqi  TtQÖÖQo^iOL  itveov- 
0iV  —  %rj\  coQa  id'  %vav  InixelXsi  .  .  .  %&' .  .  .  AiyvTCtCoig 
itrjöicu13)  ccq%ovt(u. 

Dem  Grenzgebiete  zwischen  Bauernregeln  (Landwirtschaft) 
und  Medizin  (Volksmedizin,  Tierarzeneikunde)  gehören  folgende 

Zeugnisse  an: 

7)  Plin.  n.  h.  16,  246  (von  der  Mistel):  hyphear  [=  genus 
visci]  ad  saginanda  pecora  utilius:  vitia  modo  purgat  prirno, 
dein  pinguefacit,  quae  suffecere  purgationi.  Quibus  sit  aliqua 
tabes  intus  negant  durare.  Ea  medendi  ratio  aestatis  qua- 
dragenis  diebus. 

8)  Plin.  n.  h.  8,  152:  Rabies  canum  Sirio  ardente74) 
homini  pestifera,  ut  diximus,  ita  morsis  letali  aquae  metu. 
Quapropter  obviam  itur  per  XXX<X>  eos  dies,  gallinaceo 
maxime  fimo  immixto  canum  cibis,  aut  si  praevenerit  morbus, 
veratro.  Daß  hier  nicht  XXX  sondern  CXXXX  eos  dies'  zu 
lesen  ist,  scheint  mir  aus  den  vorhergehenden  7  Zeugnissen 
zur  Genüge  hervorzugehen.75)  Vgl.  auch  ib.  2,  107:  caniculae 

sich  kaum  auf  etwas  anderes  als  auf  die  4otägigen  Etesien  beziehen, 
an  deren  Schluß  oft  ßgovrcd  und  avspoi  iisxaTtijttovrsg  eintreten:  Jo. 
Lyd.  de  ost.  ed.  W.1  p.  203  f. 

73)  I.  Goldzihek  verdanke  ich  die  Notiz,  daß  noch  heute  die 
Ägypter  von  40  Windtagen  reden,  unter  denen  höchstwahrscheinlich 
die  40  Tage  der  Etesien  zu  verstehen  sind. 

74)  Um  dieselbe  Zeit  sind  nach  Gal.  VIII,  132!  Kühn  auch  die 
Giftschlangen  besonders  gefährlich  und  bissig. 

75)  Derselbe  Fehler  scheint  vorzuliegen  Plin.  n.  h.  11,  36:  Alterum 
genus  est  mellis  aestivi,  quod  ideo  vocatur  coqcüov,  a  tempestivitate 
praecipua,  ipso  Sirio  exsplendescente,  post  solstitium,  diebus  tri- 
cenis  fere.  Auch  hier  ist  wohl  diebus  XXXX  zu  lesen.  Vgl.  auch 
ebenda  §  37:  Quod  si  servetur  hoc  [mel]  Sirio  exoriente...  non  alia 
euavitas  visque  mortalium  malis  a  morte  vocandis  quam  divini  nectaris 
fiat.  ib.  30:  Venit  hoc  [mel]  ex  aere  et  maxime  siderum  exortu,  prae- 
cipueque  ipso  Sirio  exsplendescente  fit,  nee  omnino  prius  Vergi- 
liarum   exortu,   sublucanis  temporibus.     Alle  diese  Notizen  beruhen 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     63 

exortu  accendi  Solis  vapores  quis  ignorat?  .  .  .  canes  qui- 
dera  toto  eo  spatio  [d.  h.  in  den  40  Hundstagen;  s.  ib.  2, 
123,  Anm.  72  u.  Anra.  75]  maxime  in  rabiem  agi  non  est 
dubium.  Alex.  Aphrod.  probl.  I,  76  (p.  24  Ideler):  nvsg 
de   <pcc6iv   xal   xbv  xvvcc   xo   äötQov  6vfißdlX£6&ai  natu  tcvcc 

UTtOQQOMXV    TOVTOig    [t.   XVÖl]    JtpÖg    XY\V    XvöÖUV. 

9)  Nur  mit  Vorbehalt  darf  hier  das  bei  Galen,  in  Hippocr. 
de  aere  etc.  VI  202 ,  23  Chartier  in  lateinischer  Sprache  er- 
haltene merkwürdige  Bruchstück  des  Anaxagoras  (=  fr.  20 
Diels)  aufgeführt  werden,  weil  es  sachlich  sehr  bedeutende 
Bedenken  erweckt.  Es  lautet:  De  hoc  autem  [d.  h.  über  Auf- 
und  Untergang  der  Gestirne]  multa  retulit  Anaxagoras  in- 
quiens,  cane  ascendente  messem,  descendente  vero  terrae 
cultum  homines  exordiri  subditque  canem76)  XL  diebus 
totidemque  noctibus  occultari.  Der  Übersetzer  Galens 
fährt  dann  fort:  Verum  est  autem  canem  his  XL  diebus 
dumtaxat  abscondi;  dein  vero  vesperi  non  numquam  circa 
solis  occasum  quandoque  vero  per  duas  vel  tres  horas  post 
eius  occasum  manifestus  efficitur:  apparebit  autem  post  aequi- 
noctium  memoratum.  si  autem  sol  occidat  obscuriorque  nox 
extiterit,  perspicua  visione  apparebit;  totoque  die  ab  occiden- 
tali  horizonte  occultabitur.  transacto  autem  aequinoctio  debili 
visione  apparebit,  dein  occidet  nee  ullo  modo  videbitur,  quando- 
quidem  oeeidit  cum  solis  ocasu  antequam  ad  perfeetam  ob- 
scuritatem  nox  devenerit.  non  apparet  autem,  priusquam  nox 
ad  obscuritatem  accedat,  ob  exilem  quandam  stellam  quae 
inter  ipsum  ac  visus  radios  interponitur.  cuius  occasione  in 
multis  ex  XL  noctibus,  quemadmodum  doctissimus  retulit 
Anaxagoras,  non  apparet  nee  detegitur.    is  enini  nulluni  sidus 


wahrscheinlich  auf  uralten  Anschauungen  der  antiken  Imker.  Auch 
Plin.  h.  n.  9,  125  „purpurae  latent  sicut  murices  circa  canis  ortuna" 
ist  wohl  nicht  „tricenis"  sondern  „quadragenis  (XXXX)  diebus'1  zu 
lesen.  Vgl.  auch  ib.  133:  capi  eas  post  canis  orturn  .  .  .  utilissimum. 
76)  Es  fragt  ßich,  ob  hier  unter  dem  „Hunde"  das  ganze  nach 
Ps.-Eratosth.  catast.  33  nicht  weniger  als  20  Sterne  umfassende  Stern- 
bild oder  nur  der  fSeirios'  zu  verstehen  ist. 

Phil.-kist.  Klasse  1909.    Bd.  LXI.  5 


64  W.  H.  Röscher: 

hac  quidem  ratione  se  habere  affirmat,  excepto  Arcturo  sidere 
nimiruin  proxime  ipso  cane  minore"  [so  Chartier!]. 

Leider  bin  ich  auf  astronomischem  Gebiete  so  wenig  zu 
Hause,  daß  ich  es  nicht  unternehmen  darf,  die  sehr  bedeutenden 
sachlichen  Schwierigkeiten  der  vorstehenden  Sätze  zu  heben. 
Diese  bestehen,  wenn  ich  recht  sehe,  vorzugsweise  in  dem 
Gegensatz,  in  dem  die  Berechnungen  der  neueren  Astronomie 
zu  den  Behauptungen  des  Anaxagoras  und  Galenos  stehen. 
Einer  der  ausgezeichnetsten  Fachkenner  auf  diesem  Gebiete, 
Ginzel  in  Berlin,  hat  mir  nämlich  auf  meine  Bitte,  mir  über 
die  Sichtbarkeits-  und  Unsichtbarkeitsphasen  des  Seirios  etwa 
zur  Zeit  Hesiods  (800  vor  Chr.)  und  für  die  Breite  Athens 
Genaueres  mitzuteilen,  folgendes  geantwortet77): 

„Ähnlich  wie  die  Plejaden  [s.  ob.  S.  49 f]  verhalten  sich  die 
Sichtbarkeitsverhältnisse  des  Seirios  (800  v.  Chr.  Athen).  — 
Im  Dezember  kulminiert  S.  um  Mitternacht.  Im  Januar  geht 
er  gegen  6h  abends  auf  und  ist  Ende  Februar  bis  zum  Unter- 
gang (ih  morgens)  sichtbar.  Der  akronychische  Aufgang 
(==  letzter  sichtb.  Aufgang  abends)  findet  am  2.  Januar  statt. 
—  Im  März  und  April  rücken  die  Aufgänge  in  den  Mittag-, 
am  2.  Mai  findet  der  heliak.  Untergang  statt.  Seirios 
wird  unsichtbar,  weil  er  nach  der  Sonne  auf-  und  vor  der 
Sonne  untergeht;  am  28.  Juli  wird  er  wieder  sichtbar 
(heliak.  Aufgang).  Seine  Unsichtbarkeit  dauert  also  vom 
2.  Mai  bis  28.  Juli  =  88  Tage.  —  Im  August  finden  die 
Aufgänge  vor  Sonnenaufgang,  die  Untergänge  um  Mittag 
statt.  Im  Okt.-Novbr.-Dezbr.  erfolgen  die  Aufgänge  vor 
Mitternacht  resp.  schon  in  den  Abendstunden;  die  Unter- 
gänge fallen  in  den  Tag;  am  22.  Novbr.  findet  der  kosmische 
Untergang  (erster  Untergang  am  Morgen)  statt." 

Ich  muß  es,  wie  gesagt,  Astronomen  von  Fach  überlassen, 
diesen  offenbaren  Widerspruch  zwischen  'Anaxagoras'  und  den 
modernen  Berechnungen  richtig  zu  beurteilen  oder  zu  beheben. 
Das,  worauf  es  mir  hier  ankommt,  ist  der  auffallende  Paral- 


77)  Vgl.  auch  Boeckh,  Kl.  Sehr.  III  S.  368  fr 


Die  Tessakakon iaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      65 

lelismus,  der  nach  den  Angaben  des  Anaxagoras  und  Galenos 
zwischen  der  Unsichtbarkeitsphase  der  Plejaden  und  der 
des  Seirios  besteht:  in  beiden  Fällen  soll  die  Unsichtbarkeit 
40  Tage  dauern  und  beider  Gestirne  Aufgang  soll  das  Signal 
zum  Beginn  der  Ernte,  ihr  Untergang  das  Zeichen  zum  Be- 
ginn des  Pflügens  geben.  Mögen  aber  diese  Annahmen  richtig 
oder  falsch  sein,  in  jedem  Falle  ersehen  wir  aus  jenem  Satze 
des  Anaxagoras  (vorausgesetzt  daß  er  richtig  überliefert  ist) 77b) 
abermals  die  große  Bedeutung,  welche  auch  die  ältere  grie- 
chische Naturphilosophie  der  tessarakontadischen  Tagfrist  zu- 
geschrieben hat. 

Eine  zweite  Reihe  ähnlicher  Regeln  zeigt  die  tessara- 
kontadische  Tagfrist  mit  den  Solstitien  verknüpft,  und  zwar 
handelt  es  sich  dabei  bald  um  das  Wetter  (Wind),  bald  um 
das  Gedeihen  der  Bäume  und  des  Getreides,  bald  um  die 
Tiere  des  Landmanns  und  des  Jägers.  Auch  hier  wieder 
dürfen  wir  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  annehmen,  daß  wir 
es  im  Grunde  mit  uralten  Anschauungen  oder  Erfahrungen 
des  griechischen  Volkes  zu  tun  haben. 

10)  Theophr.  de  causs.  pl.  5,  12,4:  nval  öe  xä  nvsvyiaxa 
tä  dnoxaiovxa  tcsql  ye  xovg  natu  xyjv  'Ehkäöa  rönovg  änb 
dv6(.icov  aöTiEQ  6  'OlvyiTilag  6  tioicöv  äXlo&L  xs  xal  sv  XaXxtdi 
xbv  xalovyiEVOv  xav&{i6v  .  .  .  f]  6'  cÖqoc  xrjg  %vor\g  pdliöxä 
TCojg  tcsqI  xQOitäg  [=  bruma!]  viib  rag  xtxxagäxovxa'  xöxa 
yuQ  xal  6  driQ  öXcog  rjwxQbxaxog.  Hier  hat  Theophrast  ganz 
offenbar  die  Beobachtungen  der  euböischen  Landleute  ver- 
wertet (vgl  auch  Neumann-Paetsch,  Physik.  Geogr.  v.  Griech. 
107  nebst  Anm.  i).78) 


77b)  Ist  vielleicht  statt  XL  rbis  XL'  zu  lesen? 

78)  Auch  bist.  pl.  4,  14,  11  wird  hervorgehoben,  daß  der  Olympias 
tii-HQÖv  kqö  TQOTtwv  1)  [LSTtt  rgonag  %£tu£Qivüg  wehe  und  die  Bäume  aus- 
dörre oder  versenge  (aitoxäsi);  dann  heißt  es  weiter:  iyivsxo  Ss  ngo- 
tsqov  noXld-Aig  i\8r]  xcci  in  'AQ%Lmtov  öi  izdv  xiXTUQa-AOvza  oq.o- 
ögog,  vgl.  Plin.  n.  h.  17,  232.  Vielleicht  liegt  auch  hier  eine  volks- 
tümliche Zahlenmystik  vor:  die  40tägige  Frist  kann  sehr  wohl  in 
diesem  Falle  die  40jährige  erzeugt  haben. 

5* 


66  W.  H.  Röscher: 

ii)  Genau  dasselbe,  was  Theophrast  von  den  Baum- 
pflanzungen Euboias  berichtet,  gilt  auch  von  denjenigen  in 
Pontos  und  Phrygien  nach  Plin.  n.  h.  17,  233:  Aliae  [arbores] 
in  septentrionalibus,  ut  Ponto,  Phrygia,  frigore  aut  gelu 
laborant,  si  post  brumam  continuavere  XL  diebus. 

12)  Sicher  hängt  mit  dieser  landläufigen  Anschauung  von 
der  40  tägigen  Frist  der  größten  Kälte  um  die  Zeit  der  Winter- 
sonnenwende auch  der  von  Plin.  n.  h.  18,  204  als  'allgemein- 
gültig' ausgesprochene  Satz  zusammen:  Inter  omnes  .  .  . 
convenit,  circa  brumam  serendum  non  esse,  magno  argu- 
mento,  quoniam  hiberna  semina,  cum  ante  brumam  sata 
sint,  septimo  die  erumpant,  si  post  brumam  vix  quadra- 
gesimo.79)  Dasselbe  sagt  auch  schon  Varro  r.  r.  1,  34,  i;  vgl. 
darüber  meine  'Hebdomadenlehren'  S.  37  A.  57.  S.  103.  S.  150. 

13)  Nur  eine  Beobachtung  der  antiken  Gänsezüchter  gibt 
Plinius  (10,  162)  wieder,  wenn  er  behauptet:  Anseres  in  aqua 
coeunt,  pariunt  vere,  aut  si  bruma  coivere,  post  solstitium, 
quadraginta  [diebus]  prope. 

1 4)  Genau  dieselbe  Frist  kehrt  wieder  in  der  Beobachtung 
der  griechischen  Bienenzüchter,  die  uns  Aristoteles  (an.  h.  9, 
40,  14)  mit  den  Worten  überliefert:  'Ev  de  xolg  Ev&rjvovöi 
xäv  6\ny]v(bv  ezIeCtcel  6  yovog  [novog?]  xäv  ^ishxxäv  tisqI 
xExxa.Qä,x.ov%?  i][i6Qocs  fiövov  xäg  u£xä  %Ei^EQiväg  XQoitag. 

15)  Ebenso  wollten  die  antiken  Jäger  und  Hirten  nach 
Aristot.  h.  an.  8,  17,  1  beobachtet  haben:  Tb  d'  eltt%i<5xov 
(pokel  [i]  aQxxog]  tteqI  XExxaQÜy.ovxf  y[i£Qocg.  xovxav  Ös 
dlg  iiitxä  Xeyovöiv  ev  alg  ovdlv  xlveixcu,  ev  öe  xalg  Ttlsioöi 
xalg  fisxä  xavxa  cpcolet  \iev,  xivEixai  öe  xal  sysCgExca.  Vgl. 
auch  Plin.  n.  h.  8,  126:  mares  [ursi]  quadragenis  diebus 
latent.    Daß  hier  die  40  Tage  um  die  bruma  oder  nach  dieser 


79)  Bereits  Hirzel  a.  a.  0.  S.  45,  2  hat  mit  Recht  behauptet,  schon 
der  Umstand,  daß  sich  hier  der  Einfluß  der  40  mit  dem  der  7  kreuze, 
beweise,  daß  es  sich  hier  um  bedeutungsvolle  Zahlen  (Fristen)  handelt. 
Vgl.  auch  Theophr.  c.  pl.  3,  23,  1,  nach  dem  es  7  Tage  nach  dem  Unter- 
gang der  (40  Tage  garnicht  oder  schlecht  sichtbaren)  Plejaden  (s.  ob.) 
zu  regnen  pflegt,  und  ob.  Aristot.  Nr.  15. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      67 

gemeint  sind,  geht  sowohl  aus  dem  ganzen  Zusammenhange80) 
als  auch  aus  den  Beobachtungen  neuerer  Naturforscher  deut- 
lich hervor. 

16)  Endlich  führe  ich  hier  noch  die  von  Geminos  p.  25° 
Petavius  in  bezug  auf  beide  Sonnenwenden  mitgeteilte, 
wahrscheinlich  ebenfalls  uralte  und  volkstümliche,  Beobachtung 
an:  al  .  .  .  7taQav^yJ6SLg  xäv  ijusQüv  xai  rdv  vvxxäv  ovx  elöiv 
iv  nä<5i  xolg  fccodioig  i'tfca,  aXlä  tcsqI  fiev  xä  XQOTttxä  öiqusla 
(itxQcci  navxsXüg  xai  avenaiG^rixot  yivovxai'  coöxs  6%s8bv  ty 
jj{iSQug  xexxagdxovxa  xb  avxb  uey&frog  xäv  i]ti£Qäv  xai 
T(bv  vvxxiöv  Öucusvsiv. 

17)  Ferner  spielt  die  tessarakontadische  Tagfrist  auch  im 
Anschluß  an  das  Frühlingsäquinoktium  eine  Rolle  in  der 
Ölbaumzucht.  Vgl.  Plin.  n.  h.  17,  127:  Olivetum  diebus  XV 
ante  aequinoctium  vernum  incipito  putare.  Ex  eo  die 
diebus  XL  recte  putabis  =  Cato  r.  r.  44. 

18)  Ebenso  wie  die  40  Tage  nach  dem  Frühlingsäqui- 
noktium für  das  Beschneiden,  so  waren  die  40  Tage  nach 
dem  Herbstäquinoktium  für  das  Pflanzen  der  Ölbäume 
maßgebend.  Vgl.  Plin.  h.  n.  17,  128 f.:  Italia  quidem  nunc 
vere  maxime  serit  [oleas].  Sed  si  et  auctumno  libeat,  post 
aequinoctium  XL  diebus  ad  Vergiliarum  occasum  quatuor 
soli  dies  sunt,  quibus  seri  noceat. 

Bei  einer  weiteren  Reihe  von  tessarakontadischen  Tag- 
fristen fehlt  zwar  die  Beziehung  auf  einen  bestimmten  Jahr- 
punkt, dennoch  aber  haben  wir  allen  Grund  sie  mit  hier  auf- 
zuführen, weil  sie  fast  durchweg  dem  Gesichtskreise  des  Land- 
manns entstammen  und  dessen  Erfahrungen  auf  dem  Gebiete 
des  Getreidebaus  und  der  Tierzucht  wiedergeben. 

19)  Theophr.  hist.  pl.  8,  2,  6:  aexä  de  xi\v  anv.vftrfiiv 
ädQvvovrca  xai   xslsiovvxai   TtvQog   uev   xai  XQifrr\  xsxxaga- 


80)  Vgl.  ebenda  die  Worte:  öxi  uhv  ovv  cpcolovaiv  al  äyQiai  ägnTot, 
cpavsQOv  ioxiv  notsgov  6h  diu  ipv%og  1)  81  a'ü.r\v  alxiav  äfiqpKJ^rjTf trat. . . . 
17  äs  ftr\lua  Kai  n'xra  nsgl  xovxov  xbv  v.aigbv  [=  xgonug  jjftftspt- 
vug]  xai  cpalsi  sag  ccv  i^äysiv  coqu  y  xovg  6-Avpvovg'  xovxo  Ss  noist  xov 
fagog  rtsgi  xqlxov  ^.fjva  anb  xqotzcov. 


68  W.  H.  Röscher: 

y.oäxala  pdliöxa91),  naoaTchfilag  de  xal  xicpt]  xal  xäkka  xä 
xoiavxa.  xexxaoaxoöxalov  de  cpadi  xal  xbv  xva^iov,  cötixe 
iv  föaig  ävd-elv  xal  xeketovö&aL.  xä  ö'  äkka  iv  ekäxxoöLV 
ika%t6xaig  de  6  ioißiv&og,  efaeo  äitb  xr\g  öitooäg  iv  xexxaad- 
y.ovxa  xekeiovxai  xalg  ccxdöaig,  cjöxeo  xiveg  (pccöiv  .  .  .  ol  de 
xeyiQOi  xal  xä  6rt6aua  xal  ol  pekivoi  xal  okog  xä  fteoivä 
6%edbv  öuokoyelxai  xäg  xexxaQaxov^  i)[ieoag  kaußdveiv.82) 
Offenbar  fallen  die  40  Tage;  in  denen  das  abgeblühte  Getreide 
der  Ernte  entgegenreift,  mit  der  oben  besprochenen  tessara- 
kontadischen  Frist,    während    deren    die   Plejaden   unsichtbar 


81)  Hier  sind  unter  itvgdg,  hqi&i]  usw.  die  Weizen-,  Gerstenkörner  usw. 
zu  verstehen,  deren  Entwicklung  von  der  Getreideblüte  an  also  40  Tage 
dauert.  Nun  beachte  man,  daß  der  Verf.  des  hippokratischen  Traktates 
n  srtTcciiTJvov,  nach  dessen  Theorie  die  Entwicklung  des  menschlichen 
Fötus  in  7  Tessarakontaden  (oder  40  Hebdomaden)  von  Tagen  vor  sich 
gebt,  cap.  1  =  VII  p.  436  Littre  sagt:  '0%6xuv  ovv  ig  xr\v  &Q%r\v  xfjg 
xsXsimOiog  %XQ"f]  xavxrjv  [rö  fyßQvov],  ääQvvonivov  xov  ifißgvov  kcx.1  xt]V 
iayjvv  itovXv  inidiSovxog  iv  xyj  xeXsimeet,  n&XXov  .  .  . ,  ol  vusvzg,  iv  olei 
xi)v  ccq%t]v  ixoä<pr\,  wöttsq  xäv  aGxcc%vcov,  i£s%ccXa6ocv  TtgÖGfrzv  avuy- 
y.ajdftfvot  7}  xsXsicog  i^adgvvd-fjvcci  xbv  xoxov  %.  x.  X.  Hier  wird  also  wie 
so  oft  das  Kind  mit  dem  Korn  verglichen,  und  so  dürfen  wir  schon  hier 
die  Vermutung  aussprechen,  daß  die  beim  Getreide  beobachtete  40 tägige 
Frist  der  Entwicklung  seit  uralter  Zeit  die  Vorstellung  der  Schwangeren 
mit  erzeugt  hat,  daß  auch  die  Entwicklung  des  Kindes  im  Mutterleibe 
in  tessarakontadischen  Fristen  sich  vollziehe.  Vgl.  dazu  außer  der  be- 
kannten Schrift  Mannhaedts  rKind  und  Korn'  jetzt  auch  A.  Dieterich, 
Mutter  Erde  S.  ioiff. 

82)  Vgl.  dazu  auch  den  wohl  z.  T.  aus  Theophrast  schöpfenden 
Plin.  n.  h.  18,  5of. :  Legumina  diutius  florent  .  .  sed  diutissime  faba  XL 
diebus.  ...  Frumenta  cum  defloruere  crassescunt  maturanturque  cum 
plurimum  diebus  quadraginta,  item  faba,  paucissimis  cicer.  Id 
enim  a  sementi  diebus  XL  perficitur.  [Daher  nennt  noch  heute  der 
Italiener  die  in  40  Tagen  wachsende  Zuckererbse  f quarantano'.] 
Milium  et  panicum  et  sesama  et  omnia  aestiva  XL  diebus  maturantur 
a  flore  magna  terrae  caelique  differentia.  —  Colum.  2,  12  p.  86  Bip. :  omne 
autem  frumentum  et  ordeum,  quidquid  denique  duplici  semine  est  .  .  . 
octo  diebus  deflorescit  ac  deinde  grandescit  diebus  quadraginta, 
quibus  post  Sorem  ad  maturitatem  devenit.  Kursus  quae  duplici  semine 
sunt,  ut  faba,  pirum,  lenticula,  diebus  XL  florent  simulque  gran- 
descunt. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      69 

sind,  zusammen  (vgl.  Ilberg  im  Lex.  d.  Mythol.  111  Sp.  2554 
oben).83) 

20)  Theophr.  hist.  pl.  8,  2,  8:  ev  Mr\kto  de  xi  d-av[icc6t,cb- 
xeoov  Xiyovöiv  sv  yäo  xoiccxovxa  r)  xexxccQccxovxa  i)[isQcug 
GnaQEvxu  &£qC£,ov6l. 

21)  Galen.  XVIII A  p.  469  Kühn:  örjxavtovg  nvoovg  ol 
öö^avxeg  agiöxcc  xi]v  'iTtTtoxodxovg  e\v\yri6u<5%ui  lz\iv  elorjöftcL 
<paöi  TtQog  avxov  xovg  Gfjxeg  £67iccQ[ievovg,  otcsq  ol  'Axxlxol 
xfjxeg  6vo[iä^ov6L  .  .  .  £'£  ov  örjLica'vsö&cd  (paßt  xovg  £v  xa  erst 
xovxcji  xovx(<5xl  xuxä  xb  eccQ  iönaQ^vovg  dinrjVLccCovg  xe  xcd 
xe66aQaxovd">]liEQOvg  bvoiLtx^oiisvovg.  Vgl.  dazu  Plin.  n.  h. 
18,  70:  Est  et  bimestre  [triticum]  circa  Thraciae  Aenum,  quod 
quadragesimo  die,  quam  satum  est,  maturescit  .  .  .  Graeci 
setanion  vocant. 

22)  Varro  r.  r.  3,  7  p.  221  Bip.:  Nihil  columbis  fecundius. 
itaqne  diebus  quadragenis  concipit  et  parit  et  incubat  et 
educat.     Ebenso  Florentin.  in  den  Geopon.  14,  1,  3.84) 

2^)  Varro  r.  r.  2,  5  p.  183  Bip.:  Maxime  idoneum  tempus 
ad  concipiendum  [hier  ist  von  Kühen  die  Rede]  a  delphini 
exortu  usque  ad  dies  XL  aut  paulo  plus,  quae  enim  ita 
conceperunt,    temperatissimo    anni    tempore   pariunt.      vaccae 


83)  Auch  2otägige  Fristen  beobachtete  man  beim  Getreidebau; 
vgl.  Plin.  h.  n.  18,254:  segetes  iterare.  sarritur  vero  diebus  viginti. 

84)  Hängt  etwa  mit  dieser  Vierzigtagefrist  die  weitere  von  Aristot. 
h.  an.  6,  4,  3  bezeugte  Anschauung  zusammen,  daß  die  Lebensdauer 
der  (pccTtca  40  Jahre  beträgt?  Übrigens  spielt  auch  die  Hälfte  der 
Vierzigtagefrist  nach  Plinius  im  Leben  der  Tauben  eine  gewisse  Rolle; 
denn  es  heißt  von  ihnen  (10,  159):  excludunt  vicesimo  die,  d.  h.  das 
Brüten  dauert  bei  ihnen  20  Tage.  Dieselbe  Brutfrist  von  20  Tagen 
gilt  für  die  Vögel  (/j  ögvig,  rb  oqvsov)  im  allgemeinen  nach  „Hippocr." 
■k.  (pva.  TtaiS.  30  =  VH  p.  536  Littre:  v.al  6v.6vav  17  ögvig  ai'a&T}Tcei  xbv 
vsooabv  Y.ivrftiVTa  ia-^vQ&g,  xol.arpaecc  i^si-sipsv  v.al  xccvtoc  ^vaßalvei 
ylvsa&cci  iv  si'xociv  rjfieQjjai.  Wenn  bei  Aristot.  h.  an.  6,  4,  3  gelesen 
wird:  x'iYXsi  de  -xal  i]  tisqi6x£qcc  ccnovsoxTsrovaa  näliv  iv  xgiäy.ov&' 
rjfiBQcas,  so  fragt  es  sich,  ob  hier  statt  Ä  (=30)  nicht  vielmehr  ge- 
schrieben werden  muß  M'  (=  40). 


70  W.  H.  Eoscher: 

enim  mensibus  X  sunt  praegnantes.   Dasselbe  liest  man  Geopon. 

17,  10,  3-85) 

24)  Sehr  auffallend  sind  ferner  die  tessarakontadi sehen 
und  eikadischen  Bestimmungen,  welche  nach  Aristoteles 
und  Plinius  in  der  Pferdezucht  eine  Rolle  spielen.  So  be- 
trägt nach  Aristo!  h.  an.  5,  14,  6;  6,22,3  u.  5  die  höchste 
Lebensdauer  der  Pferde  40  Jahre;  der  meisten  aber  nur 
18 — 20  Jahre  (6,  22,  3).  Die  schönsten  Fohlen  wirft  die  Stute 
bis  zu  20  Jahren  (5,  14,  6).  Die  Zahl  der  Zähne  beträgt 
beim  Pferde  40  (6,  22,  2).  Bis  zum  40.  Jahre  kann  die  Stute 
fruchtbar  sein  (5,  14,  6).86)  Eine  auf  das  Pferd  und  seine 
Zucht  bezügliche  40-Tagefrist  habe  ich  freilich  bisher  nicht 
auffinden  können. 

25)  Ein  wahrscheinlich  uraltes  Rezept  der  hundezüch- 
tenden Hirten  gegen  die  Hundswut  (rabies)  überliefert  uns 
Columella  VIII,  12  p.  3io,f.  Bip.  (=  Plin.  h.  n.  8,  153):  Catu- 
lorum  caudas  post  diern  quadragesimum,  quam  sint  editi, 
sie  castrare  conveniet.  nervus  est,  qui  per  articulos  spinae 
prorepit  usque  ad  ultimam  partem  caudae:  is  mordicus  coni- 
prehensus  et  aliquatenus  eduetus  abrumpitur.  Quo  facto  neque 
in  longitudinem  cauda  foedum  capit  incrementum  et  —  ut 
plurimi  pastores  affirmant  —  rabies  arcetur,  letifer 
morbus  huic  generi.  Wie  es  scheint,  haben  in  diesem  Falle 
zwei  Momente  zusammengewirkt,  um  die  gedachte  Tessara- 
kontade  zu  erzeugen:  erstens  die  Bedeutung,  welche  die  Vierzig- 
tagefrist  für  die  neugeborenen  Kinder  hatte  (Kap.  V),  und  zwei- 
tens die  hervorragende  Rolle,  welche  der  40.  Tag  von  jeher 
in  der  Medizin  (Volksmedizin)  gespielt  hat  (Kap.  V).  Auch 
kommt  hier   sicherlich   der  Umstand  mit  in  Betracht  (s.  ob. 

85)  Auch  hier  hat  sich  wieder  eine  vigesiniale  Tagfrist  ein- 
gestellt; denn  Plinius  (n.  h.  8,  177)  behauptet  von  den  Kühen:  coneeptio 
uno  initu  peragitur,  quae  si  forte  pererravit,  vigesimum  post  diem 
marem  femina  repetit.  Unmittelbar  nachher  ist  doch  wohl  nach  Varro 
u.  Geopon.  a.  a.  0.  zu  lesen:  Coitus  a  Delphini  exortu  a.  d.  pridie  Non. 
Januar,  diebus  XXXX  (nicht  XXX)! 

86)  Vgl.  Plin.  n.  h.  8,  164:  Gignunt  [equae]  annis  omnibus  usque 
ad  quadragesimum. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  ökd  anderer  Völker.     71 

Nr.  8),  daß  die  Tollwut  der  Hunde  nach  antiker  Anschauung 
gerade  in  den  40  heißesten  Tagen  (den  'Hundstagen')  aus- 
brechen sollte. 

26)  Sogar  auf  das  Pichen  der  Weinfässer  kurz  vor  der 
Weinlese  hat  sich  die  tessarakontadische  Frist  erstreckt; 
denn  bei  Columella  12,  18,4  heißt  es:  Dolia  quoque  et  seriae 
ceteraque  vasa  ante  quadragesimum  vindemiae  diem  pi- 
canda  sunt.  In  den  Geoponica  3,  11,  3  ist  freilich  —  wenn 
die  Lesung  richtig  ist  —  diese  Frist,  wie  auch  sonst  häufig, 
auf  die  Hälfte,  20  (x'?)  Tage  reduziert. 

27)  Auch  die  griechischen  Fischer  scheinen  den  Glauben 
an  die  Bedeutung  der  Vierzigtagefrist  geteilt  zu  haben;  denn 
Aristot.  h.  a.  6,  14,  4  heißt  es  von  der  Brut  der  yldvoi:  "Eöxl 
de   ßgccövrccTTj   fisv   ix  xav  <päv  i\  xtöv  yXavtcov  av%xfiig'   Ötb 

7tQ06£dQ£VSL      Ö      ÜQQTjV      XCcl      X  £XX  UQCiXOVX  U     Xttl     7t6VXrjXOVXCC 

fjfiEQag,  özvag  pi]  xaz£öd'Cr]xat  6  yovog  vtco  xäv  71uq<xxv%6v- 
xcov  1%%-vdlojv.  Almliches  gilt  nach  den  Beobachtungen  der  am 
Pontos  und  an  der  Maiotis  ansässigen  Fischer  vom  Thunfisch 
(7tr]lcc{ivg,  xvßiov),  der  nach  40  Tagen  aus  dem  Pontos  in 
die  Maiotis  zurückzukehren  pflegt  (Plin.  n.  h.  32 ,  146:  cybium, 
ita  vocatur  concisa  pelamys,  quae  post  XL  dies  a  Ponto  in 
Maeotin  revertitur).  Hierher  scheint  auch  das  zu  gehören, 
was  Plinius  (9,  125;  s.  ob.  A.  75),  wahrscheinlich  ebenfalls  auf 
vermeintlichen  Beobachtungen  der  Fischer  (Purpurfischer) 
fußend,  über  die  4o(?)tägige  e Verborgenheit'  der  Purpur- 
muscheln  (purpurae  u.  murices)  während  der  Hundstage  sagt. 

28)  Den  Beschluß  dieser  Reihe  volkstümlicher  Regeln 
möge  bilden  die  merkwürdige  uns  von  Plinius  n.  h.  2 ,  2 1 1 
überlieferte  Notiz:  annotatum  est  in  Lycia...semper  a 
terrae  motu  quadraginta  dies  serenos  esse.87)  Da  Lykien 
gleicherweise  von  Griechen  wie  von  Lykiern  bewohnt  wurde 
und    Plinius    sicher   in    diesem   Falle    aus    einer   griechischen 


87)  Nahe  verwandt  mit  dieser  Regel  ist  die  von  Plinius  2,  198 
überlieferte  vermeintliche  Erfahrung:  Desinunt  .  .  .  tremores  [terrae], 
cum  ventus  emersit,  sin  vero  duravere,  non  ante  quadraginta  dies 
sistuntur. 


7 2  "W.  H.  Röscher: 

Quelle  geschöpft  hat,  so  trage  ich  kein  Bedeaken,  die  wunder- 
liche Wetterregel,  die  der  von  Erdbeben  so  häufig  heim- 
gesuchten Landschaft  entstammt,  hier  mit  aufzuführen,  zumal 
da  sie  in  zwei  charakteristischen  Merkmalen  mit  den  meisten 
der  angeführten  Zeugnissse  übereinstimmt. 

Die  sämtlichen  aufgeführten  Sätze  sind  einander  ziemlich 
ähnlich  oder  geradezu  gleichartig,    indem  sie  die    tessarakon- 
tadische  Tagfrist  (einmal  auch  die  Jahrfrist)  regelmäßig  mit 
irgendeiner  für  den  Bauern  (Winzer,  Imker,  Tierzüchter),  Fischer, 
Jäger  wichtigen  Handlung   oder  Tatsache  (Beobachtung,  Er- 
fahrung) verknüpft  zeigen.     In  den  meisten  Fällen   steht  die 
tessarakontadische   Frist   in   Verbindung   mit   dem   Auf-   oder 
Untergang  oder  dem  Verschwinden  eines  seit  unvordenklicher 
Zeit   bekannten    und   beobachteten   Gestirns  (des  Seirios,   der 
Plejaden,  einmal  auch  des  Delphins)  oder  auch  mit  einem  der 
wichtigsten   Jahrpunkte,    d.  h.  den   Sonnenwenden    oder    den 
Äquinoktien.    Mehrfach  wird  hervorgehoben,  daß  die  40tägige 
Frist  eine  Vollendung  und  Reife  {xalsiaötg)  herbeiführe,  was 
an  die  von  mir  in  Abh.  I  S.  5  ff.  bereits  hervorgehobene  gleiche 
Vorstellung  der  Semiten,  besonders  der  Babylonier  (40  =  kissa- 
tum  =  Vollendung,    Universum    usw.)    erinnert.     Dieser    An- 
schauung huldigt  ganz  besonders  der  griechische  Bauer  hin- 
sichtlich der  Reife  der  für  ihn  bei  weitem  wichtigsten  Nutz- 
pflanze, des  Getreides  (s.  ob.  Nr.  19 ff.),  das  genau  in  denselben 
40  Tagen  der  Ernte  entgegenreift,  in  denen  das  für  Saat  und 
Ernte  von  jeher  bedeutungsvollste  Gestirn   der  Plejaden  un- 
sichtbar bleibt.    Endlich  dürfte  wohl  jeder  unbefangene  Leser 
unserer  obigen  28  Zeugnisse   den  Eindruck   haben,   daß    die 
meisten  von  ihnen  uralte  und  volkstümliche  Erfahrungen 
und  Beobachtungen   enthalten,   obwohl  sie  sich  vielfach  erst 
bei   späteren   Schriftstellern  finden,   die   aber  offenbar   hin- 
sichtlich des  Alters  der  zugrunde  liegenden  Erfahrungen  mit 
Homer  und  Hesiod  auf  gleicher  Stufe  stehen. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      73 

IV. 
Die  Tessarakontaden  in  der  ältesten  Gesetzgebung  und  Politik 
der  Griechen,  sowie  in  der  Lehre  und  Tradition  der  Pythagoreer. 

Zwar  fehlen  in  der  älteren  Gesetzgebung  der  Griechen, 
soweit  sie  mir  bekannt  ist,  bis  jetzt  noch  die  Zeugnisse  für 
Vierzigtagfristen,  wohl  aber  finden  sich  hier  mehrere  unzweifel- 
hafte Jahrtessarakontaden,  sowie  einige  wahrscheinlich  als 
deren  Hälften  anzusehende  Zwanzigjahrfristen,  die  wir  jetzt 
kurz  aufzählen  und  besprechen  müssen.  Und  zwar  scheinen 
diese  tessarakontadischen  und  halbtessarakontadischen  Jahr- 
fristen sämtlich  auf  der  uralten,  uns  schon  aus  den  vorher- 
gehenden Abschnitten  wohlbekannten,  den  Griechen  und 
Semiten  gemeinsamen  Vorstellung  von  einer  mit  dem  40.  Le- 
bensjahre sich  vollendenden  ccx^tj  oder  yevsd  zu  beruhen. 

Daß  in  Athen,  wohl  mindestens  seit  Solon,  ein  Gesetz 
bestand,  demzufolge  die  Choregen  für  Knaben  chöre  das 
40.  Lebensjahr  überschritten  haben  mußten,  weil  nur  Männer 
von  diesem  Alter  die  ihnen  die  nötige  Auktorität  gegenüber 
der  Jugend  verbürgende  öcoqQOGvvrj  zu  besitzen  schienen,  er- 
fahren wir  aus  der  Rede  des  Aischines  gegen  Timarchos 
11  §  3 5 f.;  vgl.  12  §  3988).  Genau  dasselbe  Mindestalter 
mußten  aber  auch  nach  Aristoteles  tioXlt.  'A&yv.  42  die  Vor- 
steher der  athenischen  Ephebenschaft  erreicht  haben,  weil  nur 
solche  Männer,  aus  denen  auch  der  aaffQoviöryjg  und  xo6fii]rrjg 
gewählt  wurde,  nach  Ansicht  der  Bürgerschaft  die  gehörige 
Reife  und  Tüchtigkeit  besaßen,  um  ihre  Pflicht  gegenüber 
den   Jünglingen    erfüllen    zu    können.89)     Auf  Grund    solcher 

88)  'O  yaQ  vo  wo&£tt]s  [Solon?]  xsXsvei  ..  xbv  %oqr\ybv  xbv  fiiX- 
Xovxcc  xi)v  ovaiccv  xi]v  iccvxov  avaX'iGxiiv  vniQ  xsxxagdxovxa  £xr\ 
ysyoj'oro:  xovxo  TtQazxsiv,  Iv'  ijdr]  iv  xf]  GaxpQOvsGxdxy)  uvxov  tjXixmx 
tbv,  ovxcog  ivxvy%dvrj  xolg  v^szigotg  naiGiv. 

89)  Aristot.  a.  a.  0.  42  =  p.  46,  12  ed.  Wil.  et  K.:  indv  dh  Soxi- 
ILKGdäGiv  ol  Vcprißoi,  ovXXsyivxeg  oi  nccxigsg  ccvxäv  .  .  aiQOvvrcci  xgslg  ix 
xcbv  cpvXsxebv  xwv  vntg  xexxccqlxxovxcc  £r7]  ysyovöxwv  ovg  av  rjy&vxai 
ßsXxiGxovg  sivai  xai  iniXT]8£ioTdxovg  iTti^XiiG^ui  xäv  i<pr')ßa>v,  ix  Sh 
xovxav  6  dfjiiüg  tvcc  xfjg  cpvXf/g  txÜGxr\g  %£iQOXovti  6co(pgovtGxr]V  xocl 
y.ogilt]xt]v  ix  xcav  alXcov  'A&rjvccicov  ini  ndvxccg. 


74 


W.  H.  Koscher: 


Analogien  verstehen  wir  auch  leicht  den  Sinn  der  Anträge 
des  Pythodoros  und  der  „Dreißig"  vom  Jahre  404,  in  die 
Kollegien  der  XQÖßovXoi90)  sowie  der  mit  der  Auswahl  der 
^Fünftausend'  beauftragten  Zehnmänner91)  ebenfalls  nur  solche 
Bürger  zu  wählen,  die  mindestens  40  Jahre  zählten.  Wie 
aber  hier  das  vierzigste  Lebensjahr  als  der  Beginn  der  höchsten 
geistigen  und  moralischen  Reife  der  Männer  erscheint,  die 
zu  Vorstehern  und  Leitern  der  männlichen  Jugend  berufen 
waren,  so  war  für  die  Reife  der  Epheben  selbst  das  zwan- 
zigste Lebensjahr  von  besonderer  Bedeutung,  insofern  sie 
erst  nach  dessen  Vollendung  in  die  eigentliche  Bürgerwehr 
aufgenommen  und  dadurch  gewissermaßen  für  mündig  erklärt 
wurden.92)  Eine  ganz  ähnliche  Rolle  spielte  das  zwanzigste 
Lebensjahr  (ebenso  wie  das  vierzigste!)  auch  bei  den  Israeli- 
ten, wie  bereits  in  Abh.  I  S.  2  2  ff.  gezeigt  worden  ist.  Wir 
gewinnen  also  auf  Grund  obiger  Tatsachen  den  Eindruck,  daß 
in  Athen  seit  alter  Zeit  eine  sozusagen  'tessarakontadische' 
Einteilung  des  normalen  menschlichen  Lebens  von  80  Jahren, 
wie  es  Solon  (fr.  20  Bergk)  im  Gegensatz  zu  Mimnermos 
(fr.  6  Bergk)  als  wünschenswert  bezeichnet  hatte93),  bestand. 


90)  Aristot.  a.  a.  0.  29  =  p.  32,  19:  rtv  Ss  xb  iprjcpißfia  xov  Hv&o- 
öwqov  roiövSs'  rbv  6f]fiov  tXeo&ai  \i£xcc  xäv  7ZQOv7tag%6vxcov  dexa  ngo- 
ßovXcov  äXXovg  sihogi  iv.  x&v  VTtho   xixxa.QUY.ovxa    folj    ysyovoxcov   .  .  . 

91)  Ebenda  =  p.  33,  23:  kX&6&ai  ds  nul  xfjg  qivXfjg  kxdoxrig  dixu 
ävSgag  vtiIq  xsxr aqä%ovxa  %xr\  ysyovöxag,  oixivsg  y-ccxccXe^ovoi  xovg 
7tsvxa.v.ioxdLovg  daoöavxsg  v.a&'  Uq&v  xsXsiav.  Hesych.  s.  v.  [isofjXiJ-- 
CCTtO   XCÖV  X£CC<XQCtKOVXtt   a'ag  7t£vxrj-/iovxa. 

92)  Aristot.  a.  a.  0.  42,  5  =  p.  47,  10 -.  äietzsX&övxcov  dt  xäv  Sv- 
slv  ixäv  [d.  h.  das   19.  u.  20.]   i']Sr]  {isxcc  xä>v  ccXXcav  slalv  oi  't'cprjßoi,. 

93)  Solon  fr.  20  (itgbg  Mi(iv£Q^ov) :  'All'  ei'  (101  xccv  vvv  ixi  nsiasai, 
£|fÄ£  xovxo,  jj  firiSt  iiiyaig'  oxi  6sv  Xäov  ine(pQcc6äy.r^vy  \\  -Aal  (isxuTtohjOov, 
Aiyvaaxädi),  d>Ss  6'  äetds'  ||  'Oydaxovxasxr}  (loiqu  xi%oi  &a.växov. 
Vgl.  damit  Mimn.  fr.  6:  Al  yag  ccxbq  vovaav  xs  xcä  ccQyaXitov  iisXsScovav  \\ 
i£,r)xovxa.£xr}  poloa.  xtjjoi  &aväxov.  —  Daneben  kannte  und  verwertete 
Solon  freilich  auch  noch  eine  hebdomadische  Einteilung  des  Lebens 
(fr.  27  Bergk),  die  wahrscheinlich  den  im  älteren  Apollonkult  von 
Delos    üblichen    Hepteteriden    entspricht  (s.  meine  Hebdomadenlehren 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      75 

Die  normale  Lebensdauer  von  80  Jahren  zerfiel  demnach  zu- 
nächst in  zwei  gleiche  Teile  von  je  40  Jahren.  Das  40.  Jahr 
galt  für  dasjenige,  nach  dessen  Verlauf  der  Mann  seine  höchste 
geistige,  moralische  und  politische  Reife  erlangt.  Die  Zeit 
vom  1.  bis  40.  Lebensjahre  aber  zerfiel  wiederum  in  zwei 
gleiche  Hälften,  die  durch  das  20.  Jahr  voneinander  geschie- 
den waren,  nach  dessen  Verlauf  die  Jünglinge  für  reif  erklärt 
wurden.  In  ähnlicher  Weise  scheint  man  mehrfach  auch  die 
Zeit  vom  40.  bis  80.  Jahr  geteilt  zu  haben.  Hier  bildete 
wohl  das  60.  Jahr  die  Grenze,  wie  man  aus  der  Bestimmung 
schließen  darf,  daß  die  athenischen  'Schöffenrichter'  (dLcarrjrccC) 
mindestens  60  Jahr  alt  sein  mußten.94)  So  erklärt  sich  zu- 
gleich, wie  es  gekommen  ist,  daß  manche  eine  ysvsä  von  nur 
20  Jahren  annahmen,  wie  uns  eine  wertvolle  Notiz  des 
Hesychius  bezeugt95):  die  ysvsä  von  20  Jahren  ist  natürlich 
aus  der  Halbierung  der  tessarakontadischen  Jahrfrist  ent- 
standen. 

Ungefähr  dieselbe  Einteilung  des  männlichen  Lebens  läßt 
sich  auch  in  Sparta  nachweisen.  Wie  in  Athen  so  traten 
auch  hier  die  schon  vorher  militärisch  geübten  Jünglinge 
nach  dem  vollendeten  20.  Lebensjahre  in  die  'Linie'  ein  und 
hießen  von  da  ab  siQSvag  d.  h.  xoqol  rsleioi,  wie  aus  Hesych 
s.  v.  eIq^v  hervorgeht.96)  Sodann  mußte  jeder  Spartiat 
40  Jahre  lang  als  sucpQovQog   dienen,   bis   er  als  Mann  von 


S.  15  ff.).     Xach  der  Hebdomadentheorie  erreicht  der  Mann  seine  av.arj 
mit  dem  42.  Lebensjahre.     Vgl.  Hibzel  a.  a.  0.  16,  1. 

94)  Aristot.  a.  a.  0.  53,  4  =  p.  58,  6:  8iaixr\ra\  d'  slaiv  olg  ccv 
i£,r\y.06xbv  hxog  fj. 

95)  Hesych.  s.  v.  ysvsä'  ri]v  öh  ysvsccv  ixpiotccvzcu  iräv  oi  ^tiv  x', 
oi  de  -äs ',  oi  Sh  X' . 

96)  Vgl.  dazu  auch  Mülles,  Dorier  2,  301,  7  u.  Hesych.  s.  v.  1'gavss' 
oi  slqsvss.  oi  aQxovxsg  ^itv.iwrat  Adxavsg.  Das  Etym.  M.  303,  37 
und  Schoemann  Gr.  Alt.  1,  264,  7  leiten  das  Wort  von  slgce  =  £v.y.X,t\- 
ßla  ab  und  meinen,  daß  es  eigentlich  den  „Mündigen",  d.  h.  den 
zum  Besuch  der  Versammlungen  Berechtigten  bedeute,  wozu  freilich 
die  Tatsache  nicht  recht  stimmt,  daß  in  Sparta  das  Recht,  die  Ver- 
sammlungen zu  besuchen,  erst  mit  dem  30.  Jahre  begann;  Plut.  Lyk.  25. 


yd  W.  H.  Röscher: 

60  Jahren  für  dienstfrei97)  und  für  fähig  erklärt  wurde,  Mit- 
glied der  ysQOvötcc  zu  werden.98) 

Das  gleiche  tessarakontadische  Prinzip  bei  der  Einteilung 
des  menschlichen  Lebens  in  yeveai  oder  i]foxlui  sehen  wir 
endlich  auch  in  der  so  vielfache  dorische  Elemente  enthalten- 
den Philosophie  der  Pythagoreer  zur  Geltung  kommen99). 
Das  Hauptzeugnis  verdanken  wir  dem  von  Pythagoras 
handelnden  Buch  des  Laertius  Diogenes  (8,  10);  es  lautet: 
dicaQsiTca  de  xai  [6  Ilvd:]  xbv  xov  avd-gäitov  ßCov  ovxaq' 
Ilaig  elv.061  exea,  vstjvCökos  elxoöi,  verplrig  einoöi,  ysQav 
slxoöl.  cd  de  riXacCav  7iQog  rag  coQag  cade  <3v[i[1£xqol'  nalg 
eccg,  verjViöxog  ftegog,  vsr}vCr]g  (p&lvotccqqov,  ysycov  xei^äv.100) 

97)  'Vgl-  Xen.  Hell.  5,  4,  13:  'Ayr\6ilaog  .  .  Xiyav  oxi  vtisq  xsxxcc- 
qcchovxcc  acp'  rj§r\s  si'i],  xecl  wtsitSQ  xolg  alloig  xolg  xi\Xi%ovxoig  ovk£xi 
ccväyy.r}  fi'rj  xi)g  iavxäv  st,w  oxoKxsvea&ai,  ovxco  &i]  nccl  ßaadsvöi  xbv 
avxbv  voiiov  övxa  ccnsösUvvs.  Vgl.  Schoemann  I,  280.  Müller,  Dorier 
II,  231  f.     Vgl.  auch  Xen.  Hell.  6,  4,  17. 

98)  Plut.  Lyk.  26.     Müller  Dor.  II,  92,  4. 

99)  Ob  der  Nachricht  von  den  indutiae  Vejentibus  datae  in  XL 
annos  bei  Livius  2,  54  (=  uvo%ui  xec6aQccx.ovx<xsTsig  bei  Dion.  Hai.  9, 
36)  und  von  den  indutiae  Volsiniensibus  in  XX  annos  datae  (Liv.  5, 
32,  5)  die  griechische  Vorstellung  von  der  40jährigen  ysvsä.  oder 
eine  entsprechende  echtrömische  Anschauung  zugrunde  liegt,  muß 
bis  auf  weiteres  unentschieden  bleiben.  Vielleicht  gehören  in  diese 
Reihe  auch  die  auf  Fabius  Pictor  zurückgehenden  Notizen,  daß  die 
Herrschaft  der  römischen  Könige  240  =  6  x  40  J.  gedauert  habe  (Schweg- 
ler,  Rom.  G.  1,  780.  1  u.  807)  und  daß  vom  Sturze  des  Königtums  bis 
zur  Alliaschlacht  120  =  3  x  40  Jahre  verflossen  seien;  vgl.  Hirzel 
a.  a.  0.  S.  28.  Man  denkt  dabei  unwillkürlich  an  die  240  (=  6x40?) 
Jahre,  die  zwischen  dem  zweiten  Verschwinden  des  apollinisch-pytha- 
goreischen Heiligen  AriBteas  in  Prokonnesos  und  seinem  abermaligen 
Auftreten  in  Metapont  liegen   sollen  (Herod.  4,   15 ;  vgl.  Hirzel  S.  31). 

100)  Nebenbei  mache  ich  darauf  aufmerksam,  daß  die  verschie- 
denen Zahlen  der  g>q<xl  (Jahreszeiten)  mehrfach  den  verschiedenen  Ein- 
teilungen des  menschlichen  Lebens  entsprechen:  So  z.B.  die  4  agai  der 
Pythagoreer  ihren  4  ijJUxtai;  die  7  atQcu  des  merkwürdigen  sehr  alter- 
tümliche Anschauungen  enthaltenden  hippokratischen  Buches  it.  tßdo- 
yiäSüiv  den  eben  dort  angenommenen  7  tjIikIcii  (s.  meine  Hebdomaden- 
lehren  S.  48),  die  sämtlich  auf  einem  hebdomadischen  Prinzipe  beruhen. 
Diese  Tatsachen  berechtigen  wohl  zu  der  Vermutung,   daß   die   mehr- 


Die  Tessarakontaden  deh  Griechen  und  anderer  Völker.      77 

Hiernach  scheinen  also  die  Pythagoreer,  der  von  ihnen  sta- 
tuierten Vierzahl  der  Jahreszeiten  entsprechend,  4  ysvsaC  oder 
ifiixCcci  von  je  20  Jahren  angenommen  zu  haben,  so  daß  wir 
die  Angabe  des  Hesychius,  es  hätten  manche  die  ysved  als 
einen  Zeitraum  von  20  Jahren  aufgefaßt,  mit  ziemlicher 
Sicherheit  u.  a.  auf  Pythagoras  und  seine  Schule  beziehen 
dürfen. 

Diese  Anschauung  von  der  Bedeutung  der  tessarakonta- 
dischen  und  halbtessarakontadischen  Jahrfristen  für  die  Ent- 
wicklung des  Mannes  spiegelt  sich  ferner  mit  ziemlicher 
Deutlichkeit  in  den  Traditionen  der  Schule  über  ihren  Meister 
und  Stifter  wieder.  Denn  von  Pythagoras  wird  berichtet,  er 
sei  40  Jahre  alt  nach  Italien  gekommen  und  als  80 jähriger 
Greis  gestorben,  so  daß  er  also  40  Jahre  lang  an  der  Spitze 
seiner  Schule  gestanden  habe. 101) 

Endlich  können  wir  —  in  erfreulichem  Gegensatze  zu 
den  in  dieser  Hinsicht  lückenhaften  Überlieferungen  aus  dem 
Bereiche  der  älteren  Gesetzgebung  —  mehrere  unanfechtbare 
Zeugnisse  dafür  beibringen,  daß  in  den  Theorien  der  Pytha- 
goreer auch  tessarakontadische  Tagfristen  bedeutungs- 
voll waren.  Und  zwar  sehen  wir  die  Vierzigtagefrist  vor 
allem  in  den  Anschauungen  der  Pythagoreer  von  der  Ent- 
wicklung der  Embryonen  eine  ähnliche  Rolle  spielen,  wie 
in  der  griechischen  Religion  (s.  ob.  S.  2  8  ff.)  und  in  den  im 
nächsten  Kapitel  ausführlich  zu  besprechenden  Theorien  der 
ältesten  griechischen  Ärzte.  Denn  nach  Alexander  von  Aphro- 
disias  b.  Diog.  Laert.  8,  29  soll  Pythagoras  in  seiner  Biologie 
auch  den  Satz  vorgetragen  haben:  nogcpova&ai  .  .  tö  [ihv 
itqgjtov  Ttayhv  ev  r}tiEQcag  tfööaQdxovra,  v.axa  de  rovg  ttJj 

fach  bezeugte  Annahme  von  3  wpat  mit  den  ysvsai  oder  t}7.ikLui  von 
je  25  oder  30  Jahren  zusammenhängen  könnte.  So  vermute  ich  endlich 
auch,  daß  die  5  gradus  aetatis  Varros  (b.  Censorin.  de  die  nat.  14,  2) 
zu  je  15  Jahren  einer  vielleicht  noch  irgendwo  nachweisbaren  Eintei- 
lung des  Jahres  in  5  agai  entsprochen  haben.  — 

101)  Aristoxenos  fr.  4  bei  Porph.  vit.  Pyth.  §  9:  yeyovorcc  S'  ixäv 
rsacccgciKOvra,  cpr}6lv  6  'Agiaro^.  .  .  .  rr]v  slg  'IraXiav  ä-nagöiv  noir\- 
cacQ-ai.     Vgl.  Diels  im  Rh.  Mus.   31   S.    13   und  Hirzel  a.  a.  0.  S.   17. 


78  W.  H.  Röscher: 

aQ^oviag  Xöyovg  hv  intä  r)  evvsa  r\  dexa  tö  7tlel6tov  fii]öl 
Tsksco&hv  ttrtoxvttixsöfrca  tö  ßQscpog.  In  engem  Zusammen- 
hange damit  steht  die  merkwürdige  Lehre  der  Pythagoreer 
vom  partus  major,  die  uns  der  wahrscheinlich  aus  Varro 
schöpfende  Censorinus  de  die  nat.  11,  6  überliefert  hat.  Sie 
lautet:  Alter  autem  ille  partus,  qui  major  est,  majori  numero 
continetur,  septenario  scilicet,   quo    tota    vita   humana  finitur 

itaque  ut  alterius  partus  origo  in   sex   est    diebus,   post 

quos  semen  in  sanguinem  vertitur,  ita  huius  in  septem;  et  ut 
ibi  quinque  et  triginta  diebus  infans  membratur,  ita  hie 
pro  portione  diebus  fere  quadraginta;  quare  in  Graecia 
dies  habent  quadragensimos  insignes.  namque  praegnans 
ante  diem  quadragensimum  non  prodit  in  fanum,  et  post 
partum  quadraginta  diebus  pleraeque  fetae  graviores  sunt 
nee  sanguinem  interdum  continent,  et  parvoli  ferme  per  hos 
[fere]  morbidi  sine  risu  nee  sine  periculo  sunt  ob  quam 
causam,  cum  is  dies  [=  quadragensimus]  praeteriit,  diem 
festum  solent  agitare, quod tenipus appellant  tsööeganoötalov. 
hi  igitur  dies  quadraginta  per  Septem  illos  initiales  multi- 
plicati  fiunt  dies  ducenti  octoginta,  id  est  hebdomadae 
quadraginta  (vgl.  dazu  meine  cHebdomadenlehren  S.  34f. 
u.  ob.  S.  2  8  ff.).  Natürlich  ist  es  ziemlich  schwierig  zu  ent- 
scheiden, wie  weit  in  diesem  von  Censorinus  oder  Varro  mit- 
geteilten Zusammenhang  die  altpythagoreische  Theorie  reicht, 
d.  h.  ob  auch  die  mit  cquare  in  Graecia'  beginnenden  Worte 
aus  altpythagoreischer  Quelle  stammen  oder  nicht;  doch  sehe 
ich  vorläufig  gar  keinen  Grund,  die  hier  gegebene  Begrün- 
dung nicht  auch  für  altpythagoreisch  zu  halten,  zumal  da  es 
sich  hier  um  Motive  handelt,  die  teils  der  altgriechischen 
Religion,  teils  der  altgriechischen  Medizin 102)  entstammen  und 
sehr  wohl  schon  von  den  ältesten  Pythagoreern  bei  ihren 
Theorien  in  Betracht  gezogen  werden  konnten.  In  diesen 
Zusammenhang  gehört  wohl  auch,  wie  schon  Hirzel  (a.  a.  0. 

102)  Vgl.  auch  Abh.  I,  S.  14  u.  S.  27  ff.,  wo  ähnliche  Anschauun- 
gen hinsichtlich  der  Bedeutung  der  tessarakontadischen  Tagfrist  für 
Embryonen  und  Wöchnerinnen  auch  bei  den  Semiten  besprochen  sind. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      79 

S.  49)  gesehen  hat,  die  höchstwahrscheinlich  altpythagoreische 
und  zugleich  orphische  Anschauungen  enthaltende  Behauptung 
des  Herakleides  Pontikos  bei  Jo.  Lydus  de  mens.  IV  29 
p.  186  Roether  [6  ds  '  HqukXe18-yis  cprjöCv]  cog  el  xig  rbv 
xvccfiov    ev    xEvfj    &yfar}    sfißaXav    ccjtoKQvtyEi   xfj   xötiqg)    £nl 

XEXXUQCKXOVXCC   ItCCÖCCg   IjtlEQttg   slg    OXJJIV   äv&QCOTtOV    6E6aQXC3- 

HEVOv  (lEtaßaXövtcc  xbv  xvafiov  EVQrjösi,  thxI  diä  xovro  rbv 
7toirjt^v  [d.  i.  Orpheus]  (p&vaf 

'Iööv  tOL  xväfiovg  xe  (payElv  KEcpukäg  xe  xoxrjcov. 
Wie  aus  den  von  Lobeck  Aglaophamus  p.  251  ge- 
sammelten Zeugnissen  hervorgeht,  huldigten  die  Orphiker 
wie  die  Pythagoreer  den  gleichen  abergläubischen  Vor- 
stellungen hinsichtlich  der  Bohnen.  Beiden  Sekten  galt 
der  Genuß  dieser  Pflanze  für  gottlos  und  verabscheuungs- 
würdig,  und  zwar  hauptsächlich  deshalb,  weil,  wie  auch  aus 
den  Worten  des  Herakleides  erhellt,  zwischen  den  Bohnen, 
den  Eiern  und  den  Embryonen  von  Menschen  und  Tieren 
eine  geheimnisvolle  mystische  Beziehung  bestand.  Diese 
mystische  Beziehung  gipfelte,  wie  es  scheint,  in  dem  Glauben, 
daß  die  Bohne  ihrer  eigentlichen  Natur  nach  keine  Pflanze, 
sondern  vielmehr  eine  Art  Tier  oder  lebendes  Wesen  sei, 
dessen  Fleisch  zu  genießen  in  den  Kreisen  der  Orphiker  und 
Pythagoreer  ja  streng  verpönt  war.  Zu  solchem  Glauben  hat, 
abgesehen  von  der  vermeintlichen  Tatsache,  daß  die  keimende 
Bohne  in  einem  bestimmten  Stadium  ihrer  Entwicklung  eine 
gewisse  Ähnlichkeit  mit  einem  menschlichen  Kopfe  hat,  na- 
mentlich auch  der  Umstand  beigetragen,  daß  jenes  Stadium 
in  etwa  40  Tagen  erreicht  wird103).  Nun  spielt  aber  dieselbe 
Frist  auch  bei  der  Entwicklung  des  Fötus  im  Mutterleibe 
nicht  bloß  nach  pythagoreischer  (s.  oben),  sondern  nach  fast 

103)  Nebenbei  erinnere  ich  an  die  merkwürdige  Rolle,  welche  nach 
Ov.  Fast,  5,  436 ff.  Varro  b.  Non.  p.  135.  Paul.  Festi  p.  87.  Plin.  n.  h. 
18,  119.  Gell.  10,  15,  12  usw.  (mehr  b.  Wissowa,  Rel.  u.  Kult.  d.  Römer 
189 f.  u.  435,  9)  die  Bohne  im  Totenkult  der  Römer,  sowie  im  Ritus 
des  Flamen  Dialis  spielt.  —  Vgl.  auch  das  Verbot,  Vitsbohnen  wäh- 
rend der  Zwölften  zu  essen,  im  Hildesheimischen  (Sahtori,  Progr.  v. 
Dortmund,   1903,  S.  95,  2). 

Phil.-hiat.  Klasse  1909.    Bd.  LXI.  6 


80  W.  H.  Röscher: 

allgemein  griechischer  Vorstellung  (s.  unten)  eine  große  Rolle; 
denn  man  glaubte,  daß  binnen  40  Tagen  der  Fötus  mensch- 
liche Gestalt  annehme,  ferner  binnen  7X40  Tagen  die  nor- 
male Geburt  erfolge  usw.  Ebenso  aber  sollte  nach  dem 
Glauben  der  griechischen  Bauern,  wie  ihn  uns  Theophrast 
überliefert  hat  (s.  ob.  S.  67  f.  u.  Anm.  81  f.),  auch  die  Blüte  und 
Reife  der  Bohne  in  tessarakontadischen  Fristen  vor  sich  gehen 
(tsxT ccQaKoGTcclov  de  (paßt  xccl  xbv  xvccfiov,  6j6xs  sv  iöaig 
avdslv  nah  xsleiovö&cct).10*)  Der  wichtigste  Beweis  aber  für 
die  Bedeutung,  welche  die  Pythagoreer  in  ihrer  Lehre  der 
tessarakontadischen  Tagfrist  zuschrieben,  liegt  in  dem  Um- 
stände, daß  eine  solche  sogar  in  die  Legende  ihres  Altmeisters 
eingedrungen  ist,  denn  es  heißt  bei  Diog.  L.  8,  40:  cprjöi  öh 
/JixaCaQyog  xbv  nv&ayÖQav  ano&avslv  xaxacpvyovxa  slg  tb  sv 
MExanovxico  Isqov  xäv  Movö&v  xexxaQuxovxa  rjtiSQccg 
ä6ixrj6ccvxa  (ebenso  Porphyrios  v.  Pyth.  57  und  Themist.  or. 
2$  p.  285B).  Hierbei  erinnere  man  sich,  daß  ein  gleich 
langes  allerdings  nicht  zum  Tode  führendes  Fasten  auch  Moses, 
Elias,  Jesus  und  anderen  Gottesmännern  zugeschrieben  wurde 
(Abb..  I  S.  16 f.;  vgl.  auch  S.  9  Anm.  8  u.  S.  33),  so  daß  die 
Möglichkeit  einer  Übertragung  des  Motivs  aus  einer  semi- 
tischen Legende  auf  Pythagoras  in  der  Zeit  des  Synkretismus 
nicht  ganz  abzuweisen  ist. 

Ahnlich  verhält  es  sich  vielleicht  mit  der  uns  durch  Di- 


104)  Schon  Hibzel,  a.  a.  0.  hat  vermutungsweise  eine  ähnliche 
Ansicht  ausgesprochen  und  zu  deren  Bestätigung  noch  auf  einen 
zweiten  Punkt  aufmerksam  gemacht.  Er  sagt :  „Zur  Rechtfertigung  des 
Bohnenverbots  hatte  nach  Porphyr,  de  vita  P\th.  44  Pythagoras  auch 
darauf  hingewiesen,  daß  eine  Bohne  unter  gewissen  näher  bezeichneten 
Bedingungen  in  der  Erde  vergraben  nach  90  Tagen  entweder  den 
Kopf  eines  Kindes  oder  den  Schamteil  eines  Weibes  zeige.  Warum 
hier  90  Tage  erfordert  werden,  wird,  wenn  wir  bedenken,  daß  nach 
dieser  Zeit  der  Schamteil  gerade  eines  Weibes  entstehen  soll,  viel- 
leicht dadurch  klar,  daß  ebenso  lange  Zeit  Aristoteles  für  die  weib- 
liche Frucht  im  Mutterleibe  verlangte,  damit  dieselbe  menschliche 
Gestalt  annehme."  Vgl.  dazu  meine  Ennead.  Studien  S.  81,  wo  meh- 
rere Zeugnisse  dafür  angeführt  sind,  daß  die  ulvrißtg  oder  die  xvTKaoa; 
der  Embryonen  am  90.  Tage  nach  der  Konzeption  erfolge. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      8i 

kaiarch  bei  Porphyr,  v.  Pyth.  56  überlieferten  Nachricht:  xal 
xbv  IIv&ayÖQccv  cpaöl  xagetvai  xfj  imßovkT]  .  . .  xäv  de  exal- 
qov  ä&QÖovg  nsv  xexxaqäxovxa  iv  olxia  Xivog  ftaQedoevov- 
xug  li]<p&rivui)  xovg  de  7tolXovg  öxooädrjv  ...  diacp&aQijvai.10*) 
Auch  hierfür  gibt  es  mehrere  evidente  Parallelen  in  jüdischen, 
altchristlichen  und  islamischen  Legenden  und  Traditionen: 
man  denke  namentlich  an  die  40  ersten  Jünger  Muhammeds, 
an  die  verschiedenen  Gruppen  von  40  christlichen  und  isla- 
mischen Heiligen  oder  Märtyrern  usw.  (s.  Abb..  I  S.  24.  S.  33  A. 
62.  S.  43.  A.  82.  S.  44.  A.  83). 

Auch  in  die  mystisch-philosophischen  Zahlenspekulationen 
der  Pythagoreer106)  ist  die  40  eingedrungen.  Vgl.  Plutarch  de 
an.  proer.  in  Tim.  14:  o£  yäg  ebrö  iiovädog  [ie%Qi  xäv  dexa  6vv- 
xids'Hsvoi  [1  +  2  +  3  +  4  +  5  +  6  +  7  +  84-9+10=55]** 
TrevxexaCdexa107),  XQtycovov  änbnevxädog'  6  de  neoixxbg  xbv  xe6- 
6aoäxovxa  xaxä  övvd-eöiv  pev  ex  xäv  dexaxQiäv  xal  xäv 
xt,'  yevvcb{ievov  [13  +  27  =  40],  olg  xä  tueX<pdovnsva  ^exQovöiv 
evörjfxcog  ol  [iafh]iiaTLXol  diaöxyjuaxa,  xb  phv  disöiv,  xb  de 
xovov  xaXovvxeg  [vgl.  Boeckh  Philolaos  S.  77]'  xaxä  xbv 
xokkec7i?.c(6ut6fibv  de  xfj  xf\g  xsxoaxxvog  dvväfiei  ycvö^ievov 
xäv  yäo  noäxav  xeöaäoojv  xafr'  avxbv  exdöxov  xexoäxig  A«u- 
ßavo[isvov,  yivexut  xe66aqa  xal  rj\  xal  iß'  xal  tg'  xavxa  xbv 
p! 6vvxCd,ri6i  [4  +  8  +  12  +  16  =  40].  7teQii%ovxa  xovg  xäv 
ßvfxcfcoviäv  Xoyovg'  xä  iiev  yäo  ig'  extxoixa  xäv  dexadvo  etixiv, 
xäv  de  rf  dijrXdöia,  xäv  de  xe66aQ(ov  xexoaTiXäöia'  xä  de  iß' 
xäv  bxxto  /^lud/Ua,  xäv  de  xeGöäocov  xQixXdöLa'  ovxoi  ö'  ol 
Xoyoi  xb  diä  xeöGäoav,  xal  tb  diä  Ttevxe,  xal  xb  diä  7ta6äv* 
xal  xb  dlg  diä  xaöäv  neQie%ovö'iv.  "l6og  ye  \lv\v  eßxiv  6 
xäv  xeööaoäxovxa  dvöl  xexoayävoig  xal  dvöl  xvßoig  ö/toi) 
Xa^ßavo^evoig'     xb    yäo    ev    xal    xä    xeööuQa    xal    xä    öxxio 


105)  Vgl.  auch  Diog.  L.  8,  39:  ovtco  dh  v.ul  xovg  nXsiovg  twv  ivai- 
Qav  avtov  dtacp&UQfjVcu,  övTccg  ngbg  Tovg  r strccgäiiovra. 

106)  Unter  'Pythagoreern'  hat  man  hier  zunächst  und  unzweifel- 
haft die  Neupythagoreer  zu  verstehen,  doch  darf  man  vielleicht  die 
betreffenden  Spekulationen  schon  den  Altpythagoreern  zuschreiben. 

107)  Das  hier  Fehlende  ergänzt  Anatol.  n.  den.:  s.  u. 

6* 


82  W.  H.  Röscher: 

xal  xä  x£'  xvßot,  xal  XEXodyovoc  p  yivovxai  övvxE&Evxsg 
rr  _j_  4  -|-  8  -f-  2 7  =^  40].  "SIöxe  ztoXv  xrjg  IIv&ayoQLXTJg  xijv 
UXaxG)vixr\v  XExqaxxvv  xoixiXaxEQav  eivai  xr\  bia&eGu  xal 
rsXsioteQccv.  S.  auch  Anatolios  %.  dsxädog  bei  Ast,  Theolog. 
arithmet.  p.  63 f.:  "Ext  yiyovEV  [1)  ÖExäg]  ex  x&v  noäxtov  äatd-- 
[täv  xftg  XEXoaxxvog  6vv&£xav  a\  ß\  y\  8'.  .  —  "Ext  i]  ÖExäg 
aQi&[ibv  ysvvä  rbv  £  xal  v\  d-avfiuöxä  TtEotEyovxv.  xdXXrj' 
jtq&xov  [ibv  yäo  övvEöxrjxev  ix  xov  diTiXaötov  xal  xov  xot- 
nXaöCov  xäv  xaxä  xb  s%rjg  6vvxe&ei[j.£vc3v,  dfjtXaötov  pthv  a  ß' 
ö'  »/'  xccvxu  da  Eöxt  u  [1  -1-2-1-4  +  8=15],  XQiitXaöiov  de  a 
y  &'  xt,',  KitEQ  siöl  XEööaodxovxa  [1  -f  3  +  9  +  27  =  40]* 
xavxu  öh  6vvxt%£\i£va  noiel  xbv  ve  [15  -j-  40  =  55]  x.  x.  X. 
Endlich  ist  hier  noch  zu  erwähnen,  daß  der  in  vielen 
Punkten  mit  den  Altpythagoreern  sich  berührende  Enipe- 
dokles  (ebenso  wie  der  ihm  nahestehende  Diokles  v.  Karystos), 
hinsichtlich  der  Bedeutung  der  ersten  Tessarakontade  für  die 
Entwicklung  der  Embryonen  im  wesentlichen  mit  Tythago- 
ras'  übereinstimmt.  Vgl.  Oribasius  3,  78  (=  Wellmann, 
Fragm.  d.  griech.  Arzte  I  S.  199  fr.  nr.  175.  DiELS,  Vorso- 
kratiker  p.  176,  21  ff.):  tj  öh  tcqcoxi]  dia^tÖQcpcoötg  xäv  su- 
ßovav  öia<5r\iiulvEL  Ttsoi  xäg  xEööaodxovxa  i)^EQag'  sag 
uhv  yäo  evvecc  i]{i£()G)v  otov  yoa[i[iaC  xcvsg  aljiaxdfdEtg  vxo- 
cpEQOvxaf  TtEQt  öh  xäg  öxxcoxaCÖExa  ftoonßot  GaoxäÖEtg  xal 
ivaÖT]  xivä  diaör'jfiaCvExai,  xal  6(pvy^,bg  ev  avxotg  EvotöxExat 
6  xf\g  xaoölag.  tceqi  Öh  xäg  TQEig  ivvsdöag,  cog  cpr]6tv  6  /dio- 
xXf\g,  ev  vytEvt  [iv^coÖel  yivExai  cpavEQ&g  dptvÖQog  6  xvnog 
xfjg  qd^Ecog  xal  6  rrjg  XEcpaXijg.  tceqI  Öe  xäg  xEööagag  svvsäöag 
boäxat  itocbxov  öiaxEXQiiiEvov  bXov  xb  6&na  i)  xb  xeXevxoiov, 
[itäg  itQoGxs&sCötjg  xExodöog ,  tceqI  xrjv  xsööaQaxovxdöa. 
övfKpcovEl  Öh  xolg  %Qovoig  xfjg  TtavxsXovg  xäv  Eußovav 
ötaxoCösag  xal  6  <pv6txbg  'EiiitEÖoxXfjg  xaC  cpifttv,  öxi 
&ä66ov  ötapioQtpovxat  xb  äooEv  xov  d,tfXsos  xaC  xä  ev  xolg 
ös£,to!g  xcöv  ev  xolg  Evcovvpoig.  Genaueres  über  diese  eigen- 
tümliche Verbindung  von  enneadischen  und  tessarakontadi- 
schen  Fristen  bei  Diokles  von  Karystos  und  Empedokles  s.  in 
meinen  *Ennead.  Studien'  S.  52f.  u.  S.  73f.  Anm.  110. 


Die  Tessarakontaden  dek  Griechen  und  anderer  Völker.      83 


V. 

Die  Tessarakontaden  und  Tessarakontadenlehren  des 

'Hippokrates'. 

Schon  mehrfach  ist  in  den  vorhergehenden  Abschnitten, 
namentlich  in  Kap.  I  S.  3 1  f.,  auf  die  Bedeutung  der  Tessara- 
kontaden für  die  altgriechische  Medizin  im  weitesten  Umfange 
(Pathologie,  Therapie,  Embryologie,  Gynäkologie,  also  auch 
für  die  Biologie)  gelegentlich  hingewiesen  worden.  Nunmehr 
sind  wir  im  Laufe  unserer  nach  streng  historischen  Gesichts- 
punkten fortschreitenden  Untersuchung  bis  unmittelbar  an  den 
Beginn  desjenigen  Zeitalters  angelangt,  dem  die  Mehrzahl  der 
im  'Corpus  Hippocrateum'  vereinigten  Schriften  sehr  ver- 
schiedenen Charakters  und  Ursprungs 107b)  angehört,  und  haben 
jetzt  zu  untersuchen,  welche  Stellung  hier  die  Vierzigzahl 
unter  den  übrigen  in  dieser  Literatur  vorkommenden  be- 
deutungsvollen Zahlen  einnimmt,  um  daraus  sowohl  für  den 
Ursprung  der  Tessarakontaden  als  auch  für  deren  Geschichte 
die  nötigen  Schlüsse  zu  ziehen.  Und  zwar  fühle  ich  mich 
zu  dieser  Untersuchung  um  so  mehr  verpflichtet,  da  ich  das 
Problem  der  'hippokratischen'  Tessarakontaden  bereits  in  den 
„Hebdomadenlehren"  und  den  „Enneadischen  Studien''  mehr- 
fach berührt  und  auf  dessen  Wichtigkeit  für  die  hippokrati- 
schen  Lehren  von  den  'kritischen  Tagen',  von  der  Schwanger- 
schaft und  von  der  Entwicklung  der  Embryonen  beiläufig 
hingewiesen  habe.  So  habe  ich  bereits  in  den  cHebdomaden- 
lebren'  S.  56  Anm.  95  bemerkt,  daß  nach  meinen  Zählungen, 
die  übrigens  damals  nur  ungefähre,  nicht  absolute  Genauigkeit 
beanspruchten,  die  Zahl  der  im  Corpus  Hippocrateum  vor- 
kommenden hebdomadischen  Fristen  und  Bestimmungen 
mindestens  250  betrage,  und  daß  die  nächstgrößte  Ziffer  von 
den  tessarakontadischen  Fristen,  die  übrigens  sehr  oft  in 
Verbindung  mit  den  dekadischen  Zahlen  20,  60,  80,   120  auf- 


107  b)  Vgl.  'Hebdomadenlehren'  S.  56 ff. 


84  W.  H.  Röscher: 

treten,  erreicht  werde,  nämlich  circa  74. 108)  Das  numerische 
Verhältnis  der  Tessarakontaden  zu  den  Hebdomaden  bei 
'Hippokrates'  ist  demnach  merkwürdigerweise  so  ziemlich  das- 
selbe wie  bei  den  Semiten,  insbesondere  in  den  heiligen 
Schriften  der  Israeliten,  wo  ebenfalls  die  Vierzig  an  Bedeutung 
und  Häufigkeit  des  Vorkommens  nur  von  der  Siebenzahl 
übertroffen  wird  (Abh.  I  S.  10  ff.),  eine  Tatsache,  die  allein 
schon  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  auf  eine  gewisse 
Gleichheit  der  zugrunde  liegenden  Anschauungen  beider  Völker 
hindeutet.  Und  in  den  'Enneadischen  Studien'  S.  83  ff.  habe 
ich  im  Hinblick  auf  die  S.  80 f.  gegebenen  tabellarischen 
Übersichten  ganz  kurz  auf  die  bedeutsame  Rolle  aufmerksam 
gemacht,  welche  neben  der  7  und  9  auch  die  40  in  der  Lehre 
von  der  Entwicklung  der  Embryonen  und  von  der  Schwanger- 
schaftsdauer ebenso  wie  in  der  Theorie  von  den  kritischen 
Tagen  in  Krankheiten  gespielt  hat.  Es  muß  also  meinem 
dort  gegebenen  Versprechen  gemäß  nunmehr  meine  Aufgabe 
sein,  einerseits  den  Umfang  und  die  Grenzen  des  Gebrauchs 
der  Tessarakontaden  bei  'Hippokrates'  genauer  festzustellen, 
andrerseits  die  für  die  Geschichte  der  antiken  Medizin  sowie 
für  die  der  Vierzigzahl  im  allgemeinen  nicht  ganz  unwichtige 
Frage  zu  lösen,  wie  denn  eigentlich  jene,  die  übrigen  Zahlen 
mit  Ausnahme  der  Sieben  bei  weitem  überragende  Bedeutung 
der  Tessarakontaden  in  der  hippokratischen  Medizin  zu  er- 
klären sei. 

Wie  mir  scheint,  werden  wir  die  beiden  soeben  ange- 
deuteten Ziele  am  besten  und  leichtesten  dann  erreichen,  wenn 
wir  diesmal  die  für  uns  in  Betracht  kommenden  Schriften 
nicht  wie  dies  in  den  cHebdomadenlehren'  und  den  eEnnea- 
dischen  Studien'  wesentlich  vom  literarhistorisch -kritischen 
Standpunkte  aus  geschehen  ist,  nach  ihrem  Ursprünge  in 
fknidische',  cechthippokratische'  usw.  einteilen,  sondern  ledig- 

108)  Noch  Genaueres  lehren  die  in  den  'Hebdoniadenlehren'  mit- 
geteilten Tubellen,  die  eine  Statistik  der  in  den  verschiedenen  Klassen 
der  Hippocratea  (Knidia,  Echthippokratiscbe  Bücher,  n.  i^tiö.  a  und  / 
etc.)  vorkommenden   Zahlen   darbieten;   s.  a.  a.  0.   S.  58 f.  66.  72 ff.  83. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     85 

lieh  nach  ihrem  Inhalt  gruppieren,  weil  wir  so  am  besten 
die  Frage  nach  dem  eigentlichen  Ursprung  der  Tessarakon- 
taden in  der  Medizin  der  Griechen  lösen  zu  können  glauben. 
Wir  beginnen  daher  unsere  Untersuchung  der  hippokratischen 
Tessarakontaden  mit  einer  Betrachtung  derjenigen  Bücher,  die 
sich  auf  Gynäkologie  und  Embryologie  beziehen. 

A.  Die  Tessarakontaden  in  der  Gynäkologie  und  Embryologie 

des  'Hippokrates'. 

Den  besten  Einblick  in  Wesen  und  Ursprung  der  tessara- 
kontadischen  Fristen,  soweit  sie  sich  auf  Gynäkologie  und 
Embryologie  beziehen,  gewähren  uns  die  beiden  ursprünglich 
wohl  ein  einheitliches  Buch  bildenden,  bald  dem  Hippokrates 
selbst,  bald  seinem  Schwiegersohne  Polybos  zugeschriebenen 
Traktate  tisqI  £7Crain]vov  und  71.  oxr a^irjvov109),  die  wir  nun- 
mehr einer  genaueren  Betrachtung  unterwerfen  müssen.  Welche 
Rolle  hier  die  Tessarakontadenlehre  spielt,  zeigt  sich  schon 
beim  ersten  Blick  in  dem  mehr  äußerlichen  Umstände,  daß 
die  Ausdrücke  rsööaQaxovrdg,  reööagdxovra  ^/ii'peu,  reööccQa- 
xovftriiUQov  (-og)  in  den  beiden  Traktaten  trotz  ihres  geringen 
Umfangs  (nur  12  Seiten  griech.  Textes  bei  Littre!)  nicht  we- 
niger als  24 mal  vorkommen;    eine  noch   viel   größere  Bedeu- 


109)  Vgl.  Littres  Ausgabe  I  p.  363,  3  u.  VQ  p.  432;  Clem.  Alex. 
Strom.  6  p.  683b    Sylb. :    cpaai    ök    -accI    xb    fyßgvov   unccQxL<g£6&cci   rtgbg 

KKQlßSKXV    (.ITjVi    XÖ>    £XTft>,    XOVxioxiV    SHttXOV     j]^SQ<xg     %a.l     6y8or\Y.OVXU    TtQOg 

rolg  Svo  xcü  fj^ißsi  [=  %  Sonnenjahr  v.  365  Tagen!],  mg  iaxoQtl 
UöXvßog  uhv  6  IctTQÖg  iv  xa>  nsgl  ö-Axaiirfvcov,  vgl.  n.  iitrayi.  1  =  VII 
p.  436  Littre;  in  it.  6v.xa[i.  fehlt  eine  solche  Notiz.  —  Plut.  plac.  phil. 
V,  18,  5  JJoXvßog  k%axbv  oySorj-Aovxa  8vo  v.u\  iq\ii6v  i\\iiqag  yivso&cu 
slg  xa  y6vi[icc  slvcci  yäg  ih,äy.r\vov  6x1  v.cd  xbv  rjXiov  cenb  xgonäv  iv 
xoGovxcp  xqqvg)  7tccQayiv£6&cu'  Xiyeo&ca  8h  iTixa^,r]viaiovg  diu  xccg  iXXsi- 
novaag  Tjtiigccg  xovxov  x.  \xr\vbg  iv  xä  £'  itQOoXanßdveo&cci,  xu  d'  okxcc- 
lLT\vialu  ybi]  gjjv.  Ebenso  Galen  XIX  p.  S3Z  &.;  vgl-  Diels,  Doxogr. 
p.  428.  —  Damit  steht  freilich  in  Widerspruch  die  Notiz  b.  Plut.  a.  a.  0. 
5,  18,3:  UöXvßog,  4ioy.Xfig,  ol  ,E^iteiQLv.ol  -Aal  xbv  bySoov  ^,f]va  i'aaai 
yövifioi',  axovwxsQOv  8i  nag  ....  ysysvfjO&ca  8h  noXXovg  OKxa^ir]viaiovg 
avSgag. 


86  W.  H.  Röscher: 

tung  gewinnen  freilich  in  unseren  Augen  diese  Tessarakon- 
taden,  wenn  wir  die  das  genannte  Buch  beherrschende  Tessara- 
kontadenlehre  als  Ganzes  genauer  ins  Auge  fassen  und  erkennen, 
daß  dieselbe  keineswegs  von  dem  Verfasser  selbst  erfunden, 
sondern  offenbar  viel  älter  ist  und  auf  einer  in  Griechenland 
von  jeher  ziemlich  allgemeinen  Anschauung  der  schwange- 
ren Frauen  beruht.  Um  dies  zu  voller  Klarheit  zu  bringen, 
müssen  wir  auf  die  den  beiden  Traktaten  zugrunde  liegende 
Tendenz  sowie  auf  ihren  eigentlichen  Inhalt  etwas  genauer 
eingehen. 

Wie  schon  aus  den  für  die  beiden  Traktate  gewählten 
Überschriften  (unter  denen  sie  bereits  im  Altertum  zitiert 
werden),  tc.  STtra^iiqvov  und  n.  oxra^vov,  erhellt,  kommt  es 
dem  Verfasser  vor  allem  auf  den  Beweis  der  vermeintlichen 
Tatsache  an,  daß  die  im  siebenten  Schwangerschaftsmonate 
geborenen  Kinder  im  beschränkten  Sinne  lebensfähig  seien, 
die  im  achten  Monate  Geborenen  dagegen  gar  nicht.  Um 
diesen  Beweis  zu  führen,  sieht  sich  der  Verfasser  genötigt, 
genauer  auf  einzelne  Stadien  der  Entwicklung  der  Em- 
bryonen im  Mutterleibe  und  zugleich  auf  das  körperliche 
Befinden  der  Mütter  während  derselben  einzugehen.  Dabei 
gesteht  er  an  mehreren  Stellen  ganz  offen,  daß  seine  medi- 
zinischen Anschauungen  in  dieser  Frage  ganz  wesentlich  auf 
denAussagen  und  Selbstbeobachtungen  der  schwange- 
ren Frauen  beruhen,  insbesondere  derjenigen,  welche  infolge 
ihrer  Zuverlässigkeit,  Urteilsfähigkeit  und  Erfahrung  Vertrauen 
verdienten  (al  dh  %qIvov6ui  xcci  xa  vixr]tr]Qicc  dtdovöac  tcsqI 
rovtov  xov  Xöyov  ccsl  eosovöi  kcu  (prjöovöi:  n.  stit.  4  =  VII 
p.  442  ob.  Littre110). 

110)  Die  anderen  hier  in  Betracht  kommenden  Stellen  sind:  n.  k%r. 
3  =  VU  P-  44°  L-:  Xq&vtcci  ds  n&Gcu  kv\  löym  hsqI  rovtov,  cpual  ycco 
....  ib.  4  =  p.  440  L. :  %qj]  dh  ovk  ccni6xi£iv  tjjol  yvvcci^l  itsgi  x&v 
tokcov,  Xiyovßt  ycco  itavxa  [tccvtoc?]  v.a.1  ahl  Xsyovav  Kai  cclsl  iosovaiv 
oi)  yäg  <xv  Tt8t,69siri6av  oiSr'   goyw  oiSre  löyco  cell'  ort.  [ällo  t; .  ?]  yvävai 

[7]?]  ro  iv  roloi  gwiuxglv  uvriav  yivöfisvov <f>r\Gov6i  8s   nai  rovs 

rgaiG(iovs  itXsiarovg  iv  rfj  rcQwrj}  rsaoaQccKOvrädi.  yiv£6&ca  ...  —  5  =  VII 
p.  444   L. :    Ogcci  Sh  rüv  yvvccixöjv  %xsy.ov  nokla   nceidia   y.o.1   ti    ccvriav 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      87 

Nun  gibt  es,  wie  der  Verf.  von  71.  k^.  cap.  9  =  VII 
p.   446    Littre    selbst    sagt,    zur    Bestimmung    der    einzelnen 
Stadien  in  Krankheiten,  in  der  Entwicklung  des  Menschen  im 
gesunden  Zustande  bis  zu  seinem  Tode,  sowie  in  Schwanger- 
schaften vier  verschiedene  Maße:  nämlich  die  Bemessung  nach 
Einzeltagen  (xad-'   i}(iBQas),  nach  Monaten  (xccra  [i^vag),  nach 
Tessarakontaden  von  Tagen  (xarä  TsööccQaxovTdöag  T^ieg eav) 
und   nach  Jahren    und  Jahresabschnitten    (xcct     iviavröv).111) 
Hierzu  kommen  noch  die  teils  in  den  übrigen  hippokratischen 
Büchern,   teils   in   den  Schriften   von    anderen  älteren  Ärzten 
und  Philosophen  (z.  B.  bei  Empedokles  und  Diokles  von  Ka- 
rystos)    mehrfach    auftretenden    Bestimmungen    nach    Hebdo- 
maden und  Enneaden.     Wir  haben  uns  hier,   wo   es   uns  zu- 
nächst lediglich  auf  die  Traktate  tc.  ETtrcc^irjvov   und  71.  bxtu- 
li7]vov    ankommt,    nur   mit    den    beiden   Bestimmungen    zarä 
lifivaq   und    xccrä   reaGaganovradag   ij^isgecov   zu    beschäftigen, 
die  hier  promiscue  und  bisweilen  in  synchronistischer  Weise 
nebeneinander  gebraucht  werden,   offenbar  hauptsächlich  des- 


i^yivtto  %colbv  iq  xvylbv  ....  cprJGovßtv  ini  rovtsov  tov   ncciSiov  xbv 
öySoov    fifjva     ftulsnmxsQOV    Siccyccyeiv    1)    icp'    av  hsxov     ovSsv    xccxbv 

iftOVTCBV. 

m)  Was  bedeutet  hier  der  Singular  ■aar'  ivtuvxöv,  wo  man  doch 
nach  Analogie  der  vorausgehenden  Ausdrücke  %aQ-'  rjutgag,  piivag, 
T£66<xQccxovTäöag  zunächst  xax'  iviavxovg  erwarten  sollte?  Der  Singular 
ist  in  diesem  Falle  wohl  deshalb  gewählt,  einerseits  weil  keine 
Schwangerschaft  mehrere  Jahre  dauert,  andrerseits  mit  Rücksicht  darauf, 
daß  bei  der  Bemessung  der  Schwangerschaften  zwar  nicht  ganze 
Jahre,  wohl  aber  öfters  einzelne  Abschnitte  eines  Jahres,  z.B.  ein 
Halbjahr  bei  den  iTtrd^rjvot  (s.  Hippokr.  n.  inxocyb.  1  =  VII  p.  436 
L.;  vgl.  ob.  Anm.  109),  8/4  Jahr  =  274  Tage  beim  „partus  major"  der 
Pythagoreer  (nach  Censorin.  de  die  nat.  n  und  Varro  b.  Gell.  3,  10,8), 
in  Betracht  kommen  (vgl.  'Hebdomadenlehren'  S.  34  f.  u.  Anm.  51). 
Auch  die  Tatsache,  daß  die  Fristen  von  90  u.  45  Tagen  in  den  em- 
bryologischen Theorien  der  alten  Ärzte  eine  solche  Rolle  spielen  (vgl. 
Ennead.  Studien  S.  81  unter  Y.Lvr\6ig)  hängt  wohl  größtenteils  mit  dem 
Umstand  zusammen,  daß  90  Tage  genau  das  Viertel,  45  Tage  das 
Achtel  eines  Jahres  von  360  Tagen  darstellen  (90  x  4  =  360 : 
91  x  4  =  364!) 


88  W.  H.  Röscher: 

halb,  weil  sie  auch  in  den  vom  Verfasser   zugrunde  gelegten 
Aussagen  der  schwangeren  Frauen  die  Hauptrolle  spielten. 

Ehe  wir  jedoch  zu  einer  Aufzählung  und  Charakterisie- 
rung der  einzelnen  von  mir  in  synchronistischer  Form  geordneten 
Stadien  der  Schwangerschaft  und  Embryonenentwicklung  über- 
o-ehen  möchte  ich  noch  auf  einen  Satz  der  Schrift  tc.  iura- 
lirivov  aufmerksam  machen,  der  uns  mit  einer  für  unseren 
Zweck  nicht  unwichtigen,  soviel  ich  weiß,  bisher  nicht  beachte- 
ten Tatsache  bekannt  macht.  Er  lautet  (s.  Cap.  IV  p.  442  L.): 
&a6l  de  xal  [al  yvvalxeg,  al  xqivov6ai  xal  xä  vcxr^gia  öi- 
8ov6ai\  xovg  tQOJöiiovg  Ttleiöxovg  iv  rjj  7106x7]  xe66aoaxov- 
xdbi  yCvsa&ca,  xal  tä  dlla  xä  xaxayByoa\i^eva  ev  xy6L 
xh66aQay.ovxu.6i  xal  ev  xol6i  [ir^lv  exa6xoi6iv.  Mit 
diesen  Worten  wird  doch  wohl  auf  ein  entweder  von  unserem 
Autor  selbst  oder  von  einem  andern  Arzte  verfaßtes  Werk 
hingewiesen ,  dessen  Titel  etwa  Tteol  Te66aoaxovxädcov  xal 
(tJ?)  iiyväv  sxd6zcav  oder  einfach  tc.  xe66aoaxovxäöcov  lautete, 
und  welches  eine  genaue  Charakteristik  der  in  synchronistischer 
Form  nach  Tessarakontaden  und  Monaten  geordneten  Stadien 
der  Schwangerschaft  von  gynäkologischen  und  embryologischen 
Gesichtspunkten  aus  enthielt.  Wir  wollen  im  folgenden  ver- 
suchen, diese  einzelnen  Stadien  auf  Grund  der  beiden  Traktate 
71.  s7txa[ii'ivov  und  öxxafirjvov  unter  tunlichster  Hinzufügung 
der  übereinstimmenden  Zeugnisse  aus  den  übrigen  Hippokra- 
tika  und  sonstigen  Autoren  darzustellen. 

1)  Tessarakontade  I  =  Tag  I  bis  XL  =  Mon.  I  Tag  1 
bis  Mon.  II  Tag  10. 

a)  Gefährdung  der  Embryonen  durch  exov6ieg  (bis 
zum  7.  Tage)  und  xqoo6^loC  (=  Gausses  couches')  während 
dieser  Zeit.  —  %.  eTixa^i.  4  =  VH  p.  442  L.:  <prJ6ov6i  de  xal 
\at  yvvatxeg~\  xovg  xoa6uovg  7tlet6xovg  ev  xf]  71000x13  xe66u- 
Qaxovxddi  ylve6ftai.  —  ib.  9  =  p.  446  f.  L.:  ai  {iev  ovv  rjueoai, 
e7ii6rni6xaraC  el6lv  ev  xol6t  7ileC6xoi6tv  al  xe  TtQOJxat  xal  al 
(ßdouai,  TtoXlal  {iev  Tieol  vov6av,  TioXXal  de  xal  xol6iv  eußgv- 
016LV  xoco6{i0i  xe  yäo  yivovxai  xal  ol  7tkel6xoi  xavxr]6v  xr\6iv 
rjutQrfiLvövond&xuL  de  xaxy\lixavxahxQv6ieg,  all'  ovxqco6uol' 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      89 

al  da  dXXai  t)fiEQai,  oöat  ivxbg  xcbv  x£6<3aQäxovxa,  iitL6r]fioi 
fisv  ijööov,  itoXXal  de  xqivovöiv  .  .  .  al  de  xEööaQaxovxddeg 
itgcbxov  (ihv  xqCvovcjiv  iitl  xcbv  i^ßQvcov  ort  d'  äv  viteQßdXXtj 
rag  xeööaQCiXövxa  r)jXEQag  tag  itgcbxag,  EXcpEvysi  xovg  xqco- 
Gfiovg  Eitl  itavxbg  yivo^iivovg'  itXeovEg  de  ylvovxai  iv  xJj 
itgaxrj  xeööaQaxovxddi  xqogjxoI  tj  ev  xalg  dXXatg  iovöaig. 
—  Aristot.  de  an.  bist.  7,  3,  4:  xaXovvxai  d'  ey.ovöeig  pev  al 
iie%Qi  xcbv  eitxä  yj^tegcbv  diacp&ogal,  ixxgcoöfiol  ö'  aC  Ht'%gi 
xcbvxsxxagdxovxa,  aal  itXelGxa  diacpfteigexai  xibv  xvr}n<xxcov 
iv  xavxaig  xalg  rj^iegatg.  [Ebenso  Galen.  XVII  A  p.  445  Kühn.] 
b)  In  diesen  ersten  40  Tagen  nach  der  Schwänge- 
rung findet  ferner  die  Gestaltung  des  Embryo  statt. 
it.  eitxa^i.  9  =  VII  p.  450  L,:  Tovde  xov  %govov  [die  ersten 
40  Tage]  itagaX&ovxog  i6%vg6xEgd  eöxt  xä  ifißgva  xal  dia- 
xgivexai  xafr'  Exccöxa  x(bv  [ieXscov  xb  öcbua'  xal  xcbv  fiev 
ägöevav  öcpodga  diddrjXa  yivexai  itdvxa'  xä  de  Q-iqXea,  ig  xov- 
xov  xov  iQOVov  [bis  zum  40.  Tage]  6a.Qy.eg  cpalvovxai  dito- 
cpvöiag  fiovvov  e%ovöaL.n2)  —  it.  Öudx.  a  26  =  VI  p.  498  L: 
diaxgivexai  die  xä  {liXsa  aua  itdvxa  xal  avh,exai  .  .  .  xä  ycev 
ftäööov,  xä  de  ßoadvxeoov  .  .  .  xä  pev  ovv  ev  xsööagdxovxa 
tj ueqi]6lv  t(S%ei  itdvxa  cpavegä,  xä  <3'  ev  dvo  {.crjöl,  xä  d'  ev 
xqlöl,  xä  d'  ev  xexga^vcp  [=  3  X  40  =  120  Tage].  — 
it.  xQOfpfjg  42  =  IX  p.  114L.  wird  die  Entwicklung  der  Em- 
bryonen in  „strengogdoadischer  Form"  so  angegeben:  ig  dCa- 
y.gtGiv  XEöödgaxovxa,  ig  pexä.ßaGiv  bydo\\xovxa  [=  2  X40], 
ig  Exitxcoöiv  G[l'  [=  240]  (j^iegai).  —  Auch  in  der  Embryo- 
logie des  'Pythagoras'  (s.  ob.  S.  7 7 f.) ,  des  Empedokles 
und  des  von  diesem  abhängigen  Diokles  von  Karystos  spielt 

112)  Etwas  abweichend  davon  heißt  es  in  dem  Buche  n.  cpvß. 
■ncaöiov  18  =  VII  p.  498f.  L:  hui  yiyovsv  i]8r\  itexiöiov  xccl  ig  tovro 
ucpixvisrai  [s.  das  vorhergehende  Kapitel!],  rö  {lsv  &fjXv  iv  TBoactgä- 
y-ovra  rj^i£Qrtai  xca  ovo,  to  h<xxq6t<xtov,  to  ds  ccqösv  iv  tqijJxovtcc  r)(iEQj]- 
Giv  xo  p,<xy.QÖzccTov,  cos  yap  iitwtoXv  fzvfißalvei  iv  rovtco  reo  %q6vco  1)  oXlyio 
yaiovi  7)  oliyco  nlalovi  tccvtk  dtccQ&QOvo&ca.  Hier  ist  offenbar  die 
hebdomadische  Zahl  42  (vgl.  damit  die  Sechswochenfrist  der  Ger- 
manen unt.  Kap.  VIII)  an  die  Stelle  der  rundereu  Tessarakontade  ge- 
treten (vgl.  unt.  S.  92  und  Hippocr.  n.  cpva.  n.  18  =  VII  p.  S02f.  Littre). 


9o 


W.  H.  Röscher: 


neben  der  Enneade  auch  die  Tessarakontade  eine  gewisse 
Rolle  (s.  Ennead.  Studien  S.  52  f.)  Vgl.  Wellmann,  Fragm. 
d.  griech.  Ärzte  I  S.  199,  fr.  175  aus  Oribasius  3,  78  =  Diels, 
Vorsokr.1  p.  176,  21  ff.):  rj  de  7tQG)XY\  diaybooycoo'ig  xäv 
i[ißQvcov  diaöriiLcdvEi  itegl  xäg  x  e<5  6  aq  aKovx  a  r^ieqag  .  .  . 
neol  de  xäg  xeööaoag  evveddag  bqaxai  tcqcoxov  d  laKeKQi- 
fie'vov  öXov  xb  <3ü[icc  ?]  t6  xeXevxalov,  (tiäg  TtQoöxe&eCGrig 
xexgddog,  itegl  xrjv  xe66agaKovxdda.xlv)  6v[i(pavel  de  xolg 
XQÖvoig  xf\g  itavxeXovg  xcbv  e^ißQvcov  diaKoCöecog  Kai  6 
(pvöixbg  'Epitedoxlfig  Kai  cpr]6iv,  ort  &ä66ov  dia^oqcpovxai 
xb  äooev  xov  frrjXeog  Kai  xa  ev  xolg  de&olg  xcbv  ev  xolg  ev- 
covv[ioig.n4:)  Vgl.  dazu  auch  Diokles  (?)  b.  Vindicianus  cap.  14  f. 
Wellmann  (a.  a.  0.  I  S.  44  u.  218):  Sed  nguram  hominis 
infans  accipit  primo  quadragesimo  aliquando,  aliquando  et 
trigesimo  die,  sicut  ait  Hippocrates  in  libro  quadragesimo  de 
infantis  natura  (s.  ob.  Anm.  112  und  unt.  S.  92).  —  Aristot. 
de  an.  hi.  7,  3,  4:  xeol  de  xovxov  xbv  %qovov  [negl  xäg  xeööa- 
Qaxovxa]  Kai  Gil%exai  xb  Kvtj[ia'  xbv  ö'  e^ingoG^ev  avao- 
&oov  6vve6xrjxe  Koeobdeg  ...  Tb  {iev  ovv  uoqev,  öxav  e't.eX&ri 
xexxagaxoöxaZov,  eäv  {iev  elg  äXXo  xi  dcpfj  xig,  dia%eixaC 
xe  Kai  dcpavi^exaf  eäv  d'  elg  t^v^gov  vdcog,  Gvviöxaxai  olov 
ev  vfievi'  xovxov  de  diaKVL6d,evxog^  tpaivexau  xb  e'fißovov  xb 
{leyed'og  fjXCxov  ^vq^lt]^  xcbv  [leydXcov,  xä  xe  fieXrj  drjXa,  xa 
xe  dXXa  ndvxa  Kai  xb  aldolov  Kai  oi  b(p%~aX{ioi  Ka&drteo  eitl 
xcbv   äXXcov   t,cooov   iieyi6X0Lllb)'   xb    de  Q-f\Xv,   bxi  [tev  dv  dia- 


113)  Man  beachte  hier  den  Ausdruck  xsGGccoa-Aovxäg  für  TSGOccga- 
kogxi)  tjii£qu  (vgl.  XQn\%üg  =  30.  Tag,  «txag  =  20.  Tag,  elväg  =  9.  Tag, 
xsxQccg  =  4.  Tag  usw.). 

114)  Vgl.  dazu  Ennead.  Studien  S.  521".  A.  85  u.  A.  87. 

115)  Anders  freilich  nach  der  Hebdomadentheorie  in  'Hipp.' 
n.  Gccqh.  19  =  VIII  p.  609  L :  'O  ös  c.iäv  tGxi  xov  av&oänov  tnxccrj- 
HSQOg.  FIqüxov  (ihv  inr\v  ig  xccg  nrjxoccg  sX&r]  6  yövog,  iv  hitxa  T)iiSQf]- 
glv  ^%£i  6%6g<x  71sq  icxlv  £%siv  xov  Gm\iaxog.  Nun  folgt  ein  Beweis,  der 
mit  dem  it.  cpvo.  naiö.  13  =  VII  p.  490 L.  gegebenen  eine  sehr  große  Ähn- 
lichkeit hat,  ja  vielleicht  mit  ihm  identisch  ist:  ein  6  Tage  alter  Foetus 
zeigt,  am  7.  Tage  ins  Wasser  geworfen,  bereits  eine  gewisse  Gliederung. 
Vgl.  dazu  'Hebdomadenlehren'  S.  63  f. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     91 

(p&ccQfj  ivxog  xäv  xqiüv  [irjvcöv,  ddtdfyd-Qaxov,  63g  inl  xb  tioIv, 
(puCvExui'  ort,  d'  av  iitilaßr]  xov  x£xaQxov  [iijvbg  yCvsrai  £6- 
%i(j[i£vov  xcci  diä  xa%£orv  lcc[ißdv£L  xi)v  aXkrjv  Ölccq^qcoöiv 
[s.  S.  89  n.  diaix.  a'  26].  —  Jo.  Lyd.  de  mens.  4,  21  =  p.  84 
Wuensch:    Ol  .  .  .  xtjv    cpvotxijv   IöxoqCocv   övyyQayovxig   cpccöi, 

07l£Q[lCC    XT]     [lyJTQtt     XCCTCcßalA.6[l£VOV    .    .    .  £7ll  .  .  .  xfjg     X£<56CCQCC- 

xo6xf\g  dg  biptv  tsXeIccv  xcä  diccrviKoöiv  a7ioxsl£l6d'ai 
xal  anlag  sinslv  xilsiov  dv&Q&iiov.  —  Auf  Grund  solcher 
vermeintlicher  Tatsachen  spricht  auch  Philo  (vit.  Mos.  3,  5)  von 
einer  x£<36ccQccxovxäg  ^(poyovixcoxdxrj,  iv  ij  dia7iXdxx£6- 
&aC  cpccGiv  dvd'QcoTtov  sv  xä  xfjg  (pvö£cog  iQyaöxyjQ^c),  d.  i.  iv 
xfj  [irjxQa.  Freilich  läßt  sich  die  von  Philo  gemeinte  Tessara- 
kontade  auch  noch  anders  deuten,  insofern  die  Gesamtdauer 
der  Normalschwangerschaft  genau  280  Tage,  d.  h.  eine  Tessara- 
kontade  von  Hebdomaden  (=  40  x  7),  beträgt;  vgl.  jr.  öuqx. 
1 9  =  VIII  p.  6 1 2  L.  x£66aQ£g  Ö£xdÖ£g  ißdo^iddcov  i)ii£qccl  döl 
dLTjxööiccL   dydorjxovxu   und   dazu    fHebdomadenlehren'    S.   63  f. 

c)  Um  dieselbe  Zeit,  also  etwa  am  40.  Tage  nach 
der  Empfängnis,  findet  auch  die  erste  Bewegung  des 
männlichen  Kindes  statt.  —  Aus  dem  Corpus  Hippocrateum 
weiß  ich  für  diese  Annahme  kein  Zeugnis  beizubringen,  wohl 
aber  aus  Aristoteles  und  Plinius.  Vgl.  Aristot.  de  an.  hist.  7, 
3,3:  'Eni  ti\v  xäv  aQQ£vcov,  cog  inl  xb  tioXv,  iv  xö  Ö££,i<p 
[lüXXov  it£Qi  xdg  xsööccQdxovxa  yiv£xav  fj  XLVi]ö~Lg,  xäv  da 
frykeiäv  iv  xa  aQi6x£Q<p  tc£qI  hv£vr['KOv&'  r][i£Qug  (vgl.  Ennead. 
Studien  S.  80 f.  nr.  13  unter  xivr\<5ig,  S.  81  nr.  17.  18.  23.  24.  25). 
—  Plin.  n.  h.  7,  41:  Melior  color  marem  ferenti  et  facilior 
partus,  motus  in  utero  quadragesimo  die.  Contraria 
omnia  in  altero  sexu,  ingestabile  onus,  crurum  et  inguinis 
levis  tumor,  primus  autem  nonagesimo  die  motus. 

d)  Bis  zum  40.  oder  42.  Tage  nach  der  Empfängnis 
dauern  auch  bei  den  Schwangeren  die  xu&dQöEig 
noch  fort.  —  Ein  chippokratisches'  Zeugnis  für  die  reine 
Tessarakontade  von  40  Tagen  habe  ich  in  dieser  Beziehung 
nicht  ausfindig  machen  können,  wohl  aber  gibt  es  ein  solches 
für  die  „hebdomadische"  d.  h.  auf  einem  Kompromiß  zwischen 


92  W.  H.  Röscher: 

dem  tessarakontadischen  und  hebdoniadischen  Prinzip  (s.  ob. 
Anm.  1 12)  beruhende  Tessarakontade  von  42  (=  6x7)  Tagen 
in  dem  Buche  x.  cpvötog  xatdCov  18  =  VII  p.  500  f.  L.:  AI 
de  xa&doöteg  al  ex  xov  xbxov  [von  ebenfalls  42  oder  30  Tagen; 
s.  ob.]  xfjöt  yvvat^t  xovxeov  etvexa  yCvovxai,   ort  iv  xöj  xob 

XOV  XQÖVG)  [1£%QL  tSÖßaQCCKOVtCC  7}[ISQEG)V  Xal  OVO116)  ixl 
Xtj   XOVÜT],   ixl    Ö£  X(p  XOVQG)   ^B%QV   tQirßOVTCi  rj(l6QEG)V  iXd%tÖXOV 

ai{iu  xaxeQ%exat  ixl  xr[v  av^rjv  xa  xatdttp,  xb  de  dxb  xovxov 
xXelov  iAS%Qt  xexrj'  dst  dtj  xrjv  xd&aoö'iv  aitodo&fivat  iv  xolöt 
Xo%tot6t,  xal  e\tivat  s^a  xaxä  Xöyov  xav  rjiieoeav.  ...  ib. 
p.  504  L:  MeXXa  di]  xb  devxeoov  vvv  övo^tdt,etv  öatpTjvtrjg 
evexa'  cpr][il  ydo  uvxa%odtdo6&at,  ort  iv  xf]6t  [irjXQrjötv  ive- 
ovörj  xfj  yovTj  iXdytGxov  alyta  EQ%£xat  dxb  xrjg  yvvaiv.bg  ixt 
xäg  {irjxQccg  &r\Xvv  yovbv  i%ovöi]g  iv  xeößaodxovxa  xal 
övolv  rjueorjötv  iv  ya.Q  xavxr\6t  ÖtaQ&oovxat  xä  [isXea  xCbv 
xatdlav'  [s.  ob.]  dxb  de  xovxov  xov  %qovov  ixt  xXelov  6Q%exat 
xb  ai[ia'  xal  ixt  xa  xovqg)  xäXtv  xaxä  Xöyov  xäv  xoirjxovxa 
rjueoecov  ade  e%et  x.  x.  X.  —  Aristot.  de  an.  bist.  7,  3,  2:  at 
de  xa&doöetg  (potxaGt  xalg  xXeCöxatg  ext  xtva  %qövov  övvetXrj- 
cpvCatg,  ixt  aev  xav  ■d'YjXetav  xotdxov&  ruieoug  udXtöxa,  xeoi  de 
xexxagdxovxa  ext  xav  dooevav.  Kai  ytexä  xovg  xöxovg 
Ö'  al  xa&doöetg  ßovXovxat  xov  avxbv  dot&ytbv  dxodtdovat 
xovxov.  Man  beachte  hier  die  auffallende  Umkehrung  der 
Zahlen  40  (42)  und  30  in  bezug  auf  die  männlichen  und 
weiblichen  Embryonen  im  Gegensatz  zu  'Hippokrates';  es  liegt 
nahe  zu  vermuten,  daß  bei  Aristoteles  eine  Verderbnis  vor- 
liegt, die  um  so  leichter  eintreten  konnte,  da  es  sich  ja  im 
codex  archetypus  vielleicht  nur  um  die  Verwechslung  der 
beiden  Buchstaben  ^'=30  und  ^'=40  bandelte.  Übrigens 
scheint  der  Fehler  recht  alt  zu  sein,  denn  er  findet  sich  schon 


116)  Entspricht  vielleicht  dieser  42tägigen  Frist  für  die  Ge- 
staltung des  männlichen  Embryo  die  geistige  ukuti  mit  42  Jahren, 
welche  nach  Solon  fr.  27,  11  bei  Männern  einzutreten  pflegt  (zfj  6'  ixry 
\ißdo{idöt]  iisqI  nävTu  v.aTdQrvivcii  vöog  avSgög)?  Vgl.  auch  Hirzel, 
a.  a.  0.  S.  13A.  1. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      93 

in  dem  Aristoteleszitat  bei  Galen  (XVII A  p.  444  Kühn).117) 
Wie  alt  und  volkstümlich  diese  offenbar  auf  den  vermeint- 
lichen Erfahrungen  der  Schwangeren  beruhende  Anschauung 
ist,  erkennt  man  am  besten  aus  der  schon  oben  (S.  28  u.  78) 
angeführten  nunmehr  aber  zu  vollstem  Verständnis  gebrachten 
Notiz  der  Censorinus  de  die  nat.  11,  7:  infans  membratur 
[in  partu  majore  secundum  Pythagorain]  diebus  fere  quadra- 
ginta,  quare  in Graecia dies habent  quadragensimos  insignes. 
namque  praegnans  ante  diem  quadragensimum  non 
prodit  in  fanum118),  et  post  partum  quadraginta  diebus 
pleraeque  fetae  graviores  sunt  nee  sanguinem  interdum 
continent.  Das  40  Tage  nach  der  Empfängnis  noch  fließende 
Menstrualblut  galt  für  ebenso  verunreinigend  wie  die  ebenso 
lange  währenden  Absonderungen  der  Lochien,  und  deshalb 
waren  die  damit  behafteten  Frauen  in  beiden  Fällen  auf 
40  Tage  von  den  Heiligtümern  ausgeschlossen.  Eine  Ansicht 
aber,  die  eine  höchstwahrscheinlich  uralte  sakrale  Satzung 
erzeugt  hat,  muß  ebenfalls  sehr  alt  und  zugleich  volkstümlich 
gewesen  sein. 

2)  Tessarakontade  II  =  Tag  XLI  — LXXX  =  Mon.  II 
Tag  1 1  bis  Mon.  III  Tag  20.  Auf  diese  Tessarakontade,  die 
sonst  keine  ausdrückliche  Erwähnung  in  den  hippokratischen 
Schriften  gefunden  hat,  bezieht  sich  nur  der  Satz  in  it.  eitxa- 
inqvov  cap.  9  =  VII  p.  450  L.:  rovds  xov  %qovov  [rfjg  TtQdorrjg 


117)  Meine  Vermutung,  daß  im  Texte  des  Aristoteles  ein  Fehler 
vorliegt,  scheint  mir  auch  deshalb  begründet,  weil  wir  ja  oben  (S.  901.) 
gesehen  haben,  daß  auch  Aristoteles  wie  die  meisten  antiken  Philo- 
sophen und  Arzte  den  männlichen  Embryonen  eine  viel  schnellere  Ent- 
wicklung zuschreibt  als  den  weiblichen  (vgl.  Ennead.  Stud.  S.  5  2  f.  u. 
80 f.  S.  73  A.  nof.). 

118)  Zu  dem  bereits  oben  angegebenen  Grunde  kommt  noch  die 
namentlich  von  Plinius  h.  n.  7,  41  hervorgehobene  Tatsache,  daß  die 
Schwangeren  sich  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Empfängnis  elend  und 
krank  fühlen:  a  coneeptu  deeimo  die  dolores  capitis,  oculorum  verti- 
gines  tenebraeque,  fastidium  in  eibis,  redundatio  stomachi  indices  sunt 
hominis  inchoati.  Melior  color  marem  ferenti  et  facilior  partus, 
motus  in  utero  quadragesimo  die. 


94  W.  H.  Koscher: 

T£66ccQttKOVTccdog]  7iecQ6A.d-6vTog  1<5ivq6x£qu  iöxi  xä  efißQva  xal 
öiaxQLVEtat  Haft'  s'xaöxa  xcov  pskicov  xb  6a [ia.  —  Ferner  be- 
zieht sich  auf  diese  Periode  offenbar  der  Satz  aus  ic.  XQocpfjg 
42  =  IX  114L.:  ig  diÜKQLöcv  (i'  [=40],  ig  [isxußuöLv 
%'  [=  80],  ig  exxxcoötv  6(i'  [=  240]  (J]\ii^ai}^  aus  denen 
hervorgeht,  daß  die  Gestaltung  des  Embryo  nach  'strengogdo- 
adischer'  Anschauung  auf  den  Anfang  der  zweiten  Tessara- 
kontade, die  [lExdßccöig  (der  in  den  anderen  a.  a.  0.  aufgeführten 
Reihen  [s.  Ennead.  Stud.  S.  72]  die  %ivx\6ig  und  das  jcqGoxov 
cttfia  entspricht)  auf  deren  Schluß  verlegt  wurde,  während 
sonst  (s.  Ennead.  Stud.  S.  80  f.)  die  erste  Bewegung  des  Kindes 
vielfach  auf  den  60.,  70.,  90.,  100.,  von  Aristoteles  aber  (s.  ob.) 
bald  auf  den  40.,  bald  auf  den  90.  Tag   verlegt  wurde. 

3)  Tessarakontade  III  =Tag  LXXXI  bis  CXX  =  Mon. III 
Tag  21   bis  Mon.  IV  Tag  30. 

4)  Tessarakontade  IV  =  Tag  CXXI  bis  CLX  =  Mon.  V 
Tag  1  bis  Mon.  VI  Tag  10.* 

Auch  diese  beiden  Tessarakontaden  werden  von  cHippo- 
krates'  weder  ausdrücklich  genannt,  noch  charakterisiert. 
Auch  sonst  spielen  in  der  mir  bekannten  Literatur  diese 
beiden  Perioden  keine  erwähnenswerte  Rolle.  Höchstens  ver- 
dient eine  kleine  auf  den  4.  Monat  oder  die  3.  Tessarakontade 
bezügliche  Notiz  bei  Aristoteles  und  Plinius  hier  eine  Erwäh- 
nung, insofern  aus  ihr  hervorgeht,  daß  manche  die  Schwan- 
geren ebenso  wie  die  Embryonen  im  4.  Monat  für  ebenso 
gefährdet  hielten  wie  im  achten.119) 

5)  Tessarakontade  V  =  Tag  CLXI  bis  CC  =  Mon.  VI 
Tag  1 1    bis  Mon.  VII  Tag  20.  —  Mit  dieser  Tessarakontade 


119)  Plin.  n.  h.  7,  40:  In  quo  mensium  uumero  genitis  (d.  h.  im  7., 
8.,  9.,  10.,  11.)  intra  quadragesimum  diem  niaxinius  labor,  gravidis 
autem  quarto  et  octavo  mense,  letalesque  in  iis  abortus.  Aristot.  de 
an.  h.  7,  4,  6:  novovai  S'  ai  yvvcäxsg  ^läXioxa  xbv  \if]va  xbv  xixccqxov 
y.kI  xbv  öydoov.  Ich  halte  es  für  wahrscheinlich,  daß  auch  der  vierte 
Monat  ebenso  wie  der  achte  deshalb  für  bedenklich  galt,  weil  die  4 
ebenso  wie  die  8  als  gerade  Zahl  für  unglücklich  gehalten  wurde; 
e.  Ennead.  Studien  S.  71  u.  Galen.  XIX  p.  454. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     95 

fällt  größtenteils  der  siebente  Monat  (=  Tag  CLXXXI— CCX) 
zusammen,  in  dem  nach  n.  BTtta^jvov  1  =  VII  p.  436  u.  2 
p.  438  L.  der  in  den  vorhergehenden  Perioden  zu  ziemlicher 
Größe,  Reife  und  Schwere  gelangte  Fötus  seine  Lage  im 
Mutterleibe  verändert  und  sich  nach  unten  senkt.  So  findet 
eine  wesentliche  Veränderung  ({iexcc%ojQi]<jig:  cap.  3  =p.  438L. 
oder  iiexccßoXrj:  ebenda)  statt,  die  der  Mutter  und  dem  Kinde 
für  die  folgende  Periode,  d.  i.  den  8.  Monat  oder  die  6.  Tessara- 
kontade, mancherlei  Beschwerden  und  Ubelbefinden  verursacht. 
Vgl.  namentlich  cap.  2  p.  438  L:  Tcc  de  %oXXä  x&v  ipßovcov 
xav  sv  xccvxi]  tfi  jjfoxiri  xfj  mrccfiyjvG}^  oxccv  oi  v^isvsg  luXd.o'aö'i, 
[i£Te%coQr]0£v  es  xb  imei^av,  xccl  ivxavQ'a  xt)v  xoocpy]v  Ttoiiexcu 
und  cap.  1  p.  436  L:  'Oxöxccv  ovv  ig  x^v  äQ%i\v  xvjg  xeXeiä6tog 
eXd"r\  xavxrjv,  ädovvojxivov  xov  ifißovov  xal  xi]v  lö%vv  novXv 
intdidovxog  iv  xfj  xeXe.icbö'eL  iiaXXov  rj  iv  xolöiv  aXXotöt, 
%q6voi6lv,  oi  viiiveg  iv  0161  xi]v  äop)v  ixQcccprj^  aöTteo  xav 
a6xa%vcov,  e\eyjccXu.6av  Ttoööd-ev  ävccyxut<S\Levoi  r[  xeXeCcog  e%cc- 
ÖQvvd-r\va.i  xbv  xccqtcöv.  Ähnlich  äußert  sich  auch  Aristot. 
d.  an.  h.  7,  4,  1.    Vgl.  auch  ob.  S.  68  Anm.  81. 

6)  Tessarakontade  VI  =  Tag  CCI  bis  CCXL  =  Mon.VII 
Tag  2  1  bis  Mon.  VIII  Tag  30.  —  In  dieser  größtenteils  mit 
dem  S.Monat  (d.i.  dem  211. —  240.  Tag)  zusammenfallenden 
Tessarakontade  galten  nach  cHippokrates'  und  vielen  andern 
Ärzten  und  Philosophen120)  Mutter  und  Kind  für  ganz  be- 
sonders gefährdet,  da  beide  unter  den  während  der  vorher- 
gehenden Periode  entstandenen  Veränderungen  zu  leiden  haben. 
Vgl.  7t.  ijixufi.  3  =  VII  p.  438  L:  xä  de  TtoXXä  xcov  eußovcov 
.  .  .  xäg  ^iev  xeGöaQtxxovxcc  fjLieoug  xäg  Tcocoxccg  [nach  der 
(i£xu%(bQrlö'LS  ig  xb  V7tei%ccv  im  7.  Monat:  s.  ob.]  xovevvxu  xä 
[iev  [täXXov  xä  de  i)66ov,  diä  xijv  {iexcißoXi]v  v\v  ix  xäv  %aQLG)v 
xcjv  &QeipdvxcQV  (xexeßccXsxo^  xal  ort  xbv  ö[icpuXbv  eöjiccöe  xal 
fi£T£^c6()7j(?f,  xal  dtä  xf[g  ^nqxQbg  xovg  Ttovovg.  Ol  yäo  viiiveg 
xeivoLievoL   xccl   6    dpcpaXbg  öxccöfrelg  oävvccg  tcolssl  xfj  (iyjxql' 

120)  Vgl.  Ennead.  Stud.  S.  70 f.,  insbesondere  Anm.  107,  wo  auch 
der  verhältnismäßig  wenigen  Zeugnisse  für  die  beschränkte  Lebens- 
fähigkeit der  8-mon.  Embryonen  gedacht  ist. 

Phil.-hist.  Klasse  1909.     Bd.  LXI,  7 


g6  W.  H.  Eoscher: 

xui  xb  h[ißQvov  ix  xov  nuXuiov  ovvdt6[iov  ixXv&ev  ßuovxeoov 
ylvexui'  JtoXXui  de  xäv  yvvuix&v  xai  iitmvQexuivovGi  xovxeav 
yivopevav,  ul  de  xui  utcöXXvvxui  6vv  xoZGiv  iußQvoiGiv. 
Xqüvxui  de  %u6ui  ivl  Xoya  Ttsoi  xovxeov  cputii  yuo  xovg 
öydoovg  x&v  [irjväv  xui  %uXe%dixuxu  cpeoeiv  xug  yuöxe'gug, 
öod-cbg  Xeyovöui.  "Eöxi  de  oydoog  (irjv  ov  [lövov  6  %o6vog 
oi>xog  [d.  h.  der  211.  bis  240.  Tag!],  uXX'  et  xccl  7}^,eQug  Xdßoi 
utcö  xe  xov  eßdopov  [iqvbg  [d.  h.  der  161.  bis  200.  Tag]  xui 
xov  evvdxov  [=  241. — 270.  Tag!].  'Akku  xug  x\yLeoug  ov%  b^iocag 
ovxe  XeyovGiv  ovxe  yivcoöxovöiv  ul  yvvulxeg'  itXuvävxui  yuo 
diu  xb  xuxu  xuvxb  [irj  ylveö&ui,  uXX'  bxe  [iev  unb  xov  ißdopov 
^rtvbg  nXeovug  rjueoccg  izaoö'yeve6&uL  ig  tug  xeöGuodxovxu, 
oxe  de  ujib  xov  ivvdxov.  —  ib.  cap.  4  p.  442  L:  ul  de  xqi- 
vovöut  xui  xu  vixqxrJQia  didovöui  Tteoi  xovxeov  xov  Xöyov 
ulei  .  .  .  (pi]6ovöi  .  .  .  xovg  xoG)<5{iovg  jtXelcxovg  ev  xfj  xoäxr] 
xe66aQuxovxädi  [wohl  nach  der  Empfängnis:  s.  ob.  S.  88  f.] 
ylveö&ui  .  .  .  bxuv  de  xcb  £ßd6[i<p  {irjvi  neQiQQuyemöiv  ol  vue'veg 
xui  xb  etißovov  ^fTo^copTjtffl,  vjteXaßov  oi  tcovol  ol  tzeqI  xov  nijvu 
xbv  bydoov  yeveuXoyovpevoi  xui  iteoi  xy)v  exxrjv  xeööuou- 
xovxudu.  In  c.  5  =  p.  444  L.  wird  ferner  angeführt,  daß  alle 
Frauen,  die  lahme  oder  blinde  oder  sonst  unvollkommene  Kin- 
der geboren  hätten,  behaupteten,  sich  im  achten  Monat  solcher 
Schwangerschaften  wesentlich  unwohler  gefühlt  zu  haben  als 
bei  normalen  Kindern,  woraus  folge,  daß  die  nicht  normal 
geborenen  Kinder  infolge  des  Unwohlseins  der  Mutter  während 
des  8.  Monats  ebenfalls  krank  gewesen  seien.  Dann  heißt  es 
weiter:  r'Oöu  d'  uv  x&v  bxxu^iqviov  e^ißQvojv  [ir)  öcpödou  voörjai^ 
ccXXu  xuxu  (pvßiv  ex  xrjg  [Lefrodov  xuxottuftn'firii  xug  fiev 
xeööuodxovxu  ijfiEQug  diexe'Xeöev  uöfteveovxu  xb  nXelöxov 
ev  xfi  [irjXQrj  dLu  xug  uvüyxug  xug  TtooetQrjfievug^  iyivexo  de 
vyiuivovxu.  "Oxi  <T  uv  yevrjxut  ev  xf^cc  xeööuodxovxu  fftie- 
Qrfii  xuvxr\6iv,  udvvuxov  iteQLyeveö&aC  voöiovxi  yaQ  uvxetp 
erv  ev  t/J  {irixorj  emyivovxui  ul  {texaßoXai  xui  ul  xuxoTtdd-eiui 
ul  [isxu  xbv  xöxov.  Wir  werden  bald  sehen,  daß  diese  Ver- 
änderungen und  Leiden  ebenfalls  40  Tage  dauern.  —  Weitere 
Erwähnungen   der  größtenteils   mit  dem  8.  Monat  zusammen- 


Die   Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     97 

fallenden  sechsten  Tessarakontade,  auf  deren  wörtliche  An- 
führung wir  hier  verzichten  können,  finden  sich  noch  cap.  7 
am  Ende  p.  446  L.  und  cap.  9  p.  450  L.  Von  der  Gefährdung 
der  Embryonen  während  des  8.  Monats  handelt  natürlich  auch 
der  Traktat  71.  bxxa[irjVov  =  452  ff.  L. 

7)  Tessarakontade  VII  =  Tag  CCXLI  bis  CCLXXX  - 
Mon.  IX  Tag  1 1  bis  Mon.  X  Tag  10.  —  In  dieser  Periode 
lassen  die  Empfindungen  des  Ubelbefindens  von  Mutter  und 
Kind  erheblich  nach-,  beide  befinden  sich  also  bedeutend 
wohler.  Vgl.  tt.  etcxccii.  4  =  p.  442  L:  xovxe'ov  Ös  xov  %qovov 
7t«Q£?^6vtog,  öcfijtft  {ie'XXel  ev  sivou,  aC  cpheytiovui  elv&qöav 
xal  xov  Eußovov  xal  xrjg  firjXQog  ...  Kai  xr\v  ißööpi,r]vxE66aQcc- 
xovxdda  £vxavd?  söxl  xb  tcXelöxov  xov  %qovov  xä  eußova  ... 
Kai  xs<5ö*aQC(xovxcc  xavxag  cd  yvvalxEg  cpEoovöL  xäg  xeXev- 
xaiag  i)[itQCig  evtcexe'öxsqov  xäg  yccöxsaag,  s6%  av  6p4u»y'(?rj  xb 
Efißovov  ßxQEcpEöd'af  [lExä  dl  xccvxcc  eil  xe  coölvEg  eIol  xal  01 
TtÖl'OC   ETllXElVXai,   £6x'  av   iXsv&EQCod'fj  xov  xe  TCaidtov  aal  xov 

VÖXEQOV. 

So  dauert  denn  die  Normalschwangerschaft  der  gesunden 
Frauen  genau  7x40  =  280  Tage  oder  7  Tessarakontaden, 
eine  Bestimmung,  die  noch  heute  in  der  Medizin  Geltung  hat, 
und  die  um  diesen  Termin  geborenen  Kinder  heißen  dsxafirivoi.121) 
Vgl.  71.  bxra[i.  10  =  p.  452  L:  Tä  dsxäprjva  xaXEo^isva  Xiyco  ev 
ETtxä  XEöGaQaxov&^iiEQOböL12'2)  {lüXXov  XLHXEödac   xal  [ici- 

121)  Bei  Yindicianus  cap.  1 5  =  Wellmanx,  Fragm.  d.  griech.  Ärzte 
I  S.  218  ist  offenbar  zu  lesen:  Qui  autem  quadragesimo  die  figuram 
hominis  acceperit,  X[=decimo,  nicht  LX  =  nono!]  mense  intrante,  decimo 
die  [also  am  10.  Tage  des  10.  Monats!]  nascitur.  septies  multiplicabis 
dies  [40x7  =  280]:  efficiuntur  CCLXXX,  qui  fiunt  menses  novem 
[dies  X?].    S.  auch  Tythagoras'  b.  Censorin.  c.  11. 

122)  Littre  liest  hier  iv  iura  T£6ouQä■xov&,  rjatQ-rjöi,  was  ich  für 
fehlerhaft  halte.  Entweder  ist  iv  inru  riaaaQccy.ovrdaiv  r^tSQtav  zu 
lesen  (s.  etwas  weiter  unten!)  oder  das  was  ich  gegeben  habe.  Vgl. 
die  analogen  Ausdrücke  7}  jtsvftrjUSQOs  b.  Dittenbergek  Syll.1  p.  344,  9. 
v.aru  TtsvrarjiiSQov  Hesych.  s.  v.  i'ägai  ßovXfj?.  —  v.arä  7t?vftrnLbQ0v  Xen. 
Hellen.  7,  1,  14.  Aristot.  'A9.  itol.  30.  —  tö  Ss%ri[iSQOv  Poll.  I,  63.  —  i^rr 
v.ov&ijusQov  &n6cp&c(Qna  fHipp.'  imd.  ß' =  V  p.  90  Littre.  —  xtaoaQu- 
■novd~T]u.£Qos  7t.  sjrrafi.  2  p.  438  L. 


7* 


g8  W.  H.  Röscher: 

Xioxa  TtQoöijxei  exxQeyeö&ar  xal  xekecoxaxöv  eöxtv  ev  xfjöt,  xav- 
tj]6l  xeööaQaxovxdöiv  [so  C  bei  Littre]  rjfieoiav.  —  ebenda 
cap.  13  =  p.  458  L:  ol  de  dexdprjvoL  xcov  xöxcov  xal  evde- 
xccprjvoi  ix  x&v  eitxä  xeööaQaxovxddav  xov  avxbv  xobitov 
yivovxai  xal  ix  xov  fjfiiäeog  xov  sviavxov  ol  eitxdurjvoi  (vgl. 
tieql  enxaa.  1).  —  cap.  13  p.  460  L:  aöxe  ito XXdxig  d oxe.lv  entlaii- 
ßdveiv  xov  evdexdxov  [irjvbg  xdg  öydotfxovxa  xal  diaxoöCag' 
xovxo  ydo  iöxuv  enxä  xeGGaoaxovxdd  eg.  —  Vgl.  auch 
it.  öagx.  19  —  VIII  612  L:  evvea  de  iiiqväv  xal  dexa  rj^ieQ&v 
[=  280]  yövog  yiyvexai  xal  £j]  xal  e%ei  xov  doi&[ibv  dxQexea 
ig  xdg  eßdopddag'  xeööageg  dexdÖeg  eßdo{iddmv  i^iegai  eCöl 
dir\xö6ia.i  oydorjxovxa.  Man  beachte,  daß  der  knidische 
Verfasser  hier  nicht  nach  Tessarakontaden7  sondern  nach 
Hebdomaden  rechnet! 

8)  Bisweilen  findet  sich  auch  die  Annahme  einer  Tessara- 
kontade  VIII  =  Tag  CCLXXXI  bis  Tag  CCC  od.  CCCXX  = 
Mon.  X  Tag  1 1  bis  Tag  30  od.  Mon.  XI  Tag  20.  —  Spuren  einer 
solchen  Auffassung  verrät  bereits  die  it.  XQoepfjg  cap.  42  =  IX 
p.  114  L.  mitgeteilte  „streng  dekadische"  Entwicklungsreihe 
der  dexdiMjvoi,  welche  lautet:  itevxrjxovxa  [=  5  X  10]  ig 
ldertv,  ig  itQ&xov  dX^ia  exaxbv  (==  10  X  10),  ig  xelei6xr]xa 
xQtaxöötai  [=  30  x  10]  (rj[ie()ai) .  Ahnlich  Gell.  3,  16,  1: 
Multa  opinio  est . . .  gigni  hominem  . . .  saepiusnumero  decimo 
mense,  eumque  esse  hominem  gignendi  summumfinem;  decem 
menses  non  inceptos,  sed  exactos.  Im  folgenden  werden  zum 
Beweise  dessen  zwei  Zeugnisse  aus  Plautus  und  Menander 
angeführt;  vgl.  auch  ebenda  §  13,  sowie  Aristoteles  de  an.  hi. 
7,  4,  4:  yivexai  xal  dexd\hr\va  xb  itkelöxov'  eviai  <5'  ejttXa^i- 
ßdvovöi  xal  xov  evdexdxov  {irjvog,  woraus  hervorgeht,  daß 
manche  e^ißQva  auch  für  evöexd^va  galten;  s.  auch  ob.  it. 
oxxap.   13  und  Gell.  3,  16,  6  u.  12. 

9)  Damit  ist  aber  die  Reihe  der  für  die  Entwicklung  der 
Embryonen  und  den  Zustand  der  Entbundenen  in  Betracht 
kommenden  Tessarakontaden  noch  nicht  zu  Ende:  es  gibt 
noch  eine  neunte  Frist  von  40  od.  42  Tagen,  die  hier  nicht 
übersehen  werden  darf.     Wir  stellen  hier  zunächst 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.     99 

a)  diejenigen  Zeugnisse  zusammen,  nach  denen  die  Lochien 
der  Wöchnerinen  40  oder  42  Tage  dauern:  it.  q>vö.  ncud. 
18  =  VII  p.  500  L:  1)  xd&ao6ig  yCverai  xfjöt  yvvai^l  pexä 
xbv  xöxov  ag  etcltcoXv  ejcl  {.uv  xfj  xovqt}  r\aeQ^6i  xsGöaod- 
xovxa  xal  dvo  ...  iizl  de  x<p  xovqg)  ...  rj(ieQi]öi  xoidxovxa 
(vgl.  ob.  S.  92)  ...  ccl  de  xa%-do6eig  cd  ex  xov  xöxov  x\fii 
ywaiQ  xovxs'ov  eivexa  yivovxai  oxi  ev  x<p  ?ro6  xov  %o6v(p 
lie%Qi  xeööaQaxovxa  yiieoecov  xal  dvo  exl  xfj  xovqtj,  iitl 
de  xc5  xovoa  [i£%Qt  xgirjxovxa  r][ieQecov  eXd%i6xov  alyLuxuxtQiexui 
inl  xr)v  av%V{V  x<fi  jiaidCa'  del  Örj  xijv  xk&uqöiv  dnoÖo^vai 
sv  xol6i  Xo^Coiöi  xal  h%iivui  h%o  xaxä  Xoyov  r&v  rj^ieoecov. 
Ebenso  der  Verfasser  des  Buches  tc.  yvvaixeiav  a  72  =  VIII 
p.  152  L.  —  Aristoteles  an.  hi.  7,  3,  2  (wo  die  betreffenden 
Zahlen  freilich  verwechselt  sind:  s.  ob.  S.  92)  dagegen  (vgl. 
auch  ebenda  7,  10,  3)123)  und  die  meisten  andern  Autoren 
reden  nicht  von  42  (=  6x7),  sondern  nur  von  40  Tagen; 
vgl.  Galen.  XVII  A  444  und  (Varro?  b.)  Censorin.  de  die  nat. 
11,  7:  post  partum  quadraginta  diebus  pleraeque  fetae 
graviores  sunt  nee  sanguinem  interdum  continent.  Mehr  oben 
S.  40  und  in  Abh.  I  S.  1 1  ff.  u.  27  ff. 

b)  Aber  auch  eine  gewisse  Unvollkommenheit  der  neu- 
geborenen Kinder,  mögen  sie  nun  sTtxd^vot  oder  evved[ir]vot 
oder  dexdiirjvoL  sein,  dauert  in  der  Regel  40  Tage.  Vgl.  n. 
£7ixa[i.  2  p.  436 f.  L.  von  den  e7txd^irjva:  {iixod  'övxa  {texaßofoj 
lie%ovi  iqiovxai  xeov  dXXcov  xal  xrtv  xeG6aoaxov&rj[ieQOV 
xaxoxad'eCrjv  dvayxd^ovxat  xaxoTta&eiv  e£,eX&6vxa  ex  xf\g  u^rprjg, 
(i]y  xal  xß)v  dexa^vciv  TtoXXd  dnoxxeivei. —  ebenda  9  p.  450  L: 
xqixr\  de  [x£66aoaxovxdg]  ev  i]  xd  natdCa  oxav  yevrjxac  xal 
xaxo7Za&rj<5avxa,  i}v  Tteoicpvyri  xdg  xe<56aadxovxa  yiieoag, 
ecpdvr]  l6%vovxa  df\xa  {idXXov  xal  cpaove'ovxa'  xal  yao  xdg  avydg 
öoa  6aq)£6x£oov  xal  xov  xjjoqpov  dxovet  noöö'd'ev  [lij  dvvdfieva 
.  .  .  ev  xe  .  .  .  xolg  v%vol6iv  eovölv,  e-u&eag  £7ti]v  ysvavxai, 


123)  Arist.  an.  h.  7,  10,  3:  'Eav  6h  Hcc&äQOttg  [isru  rbv  tokov  iXccr- 
tovs  yivwvrai,  y.a.1  oaav  ^orov  ccl  Ttqwxca  %al  ftr}  diari-X^acoGiv  sig  xccg 
rföfiapexorta,     io^vovßi    re    päXXov    cd    yvvcäxss    xai    GvXXdfißävovot 

&ÜTTOV. 


ioo  W.  H.  Röscher: 

yekävxa  qxxCvexai  xä  itaiÖCu  xal  xXuiovxw  eyorjyoQÖxcc 
de  avxo^iaxa  ev&eag  yekä  xe  xal  xXccCel  ngoöd-ev  r\  xe6- 
<5a.Qä%ovxa  rjusQca  yevotccxo'  ov  de  yeka  i^avö^evd  xe  Kai 
eoe&L£6[ievcc  tiqöö&sv  tj  avxbg  6  %Qovog  ovxog  yevtjxai'  tt{l- 
ßXvvovxai  yctQ  al  dvvdpeig  ev  xalg  fiv^riGi.  —  [Varro?  b.] 
Censorin.  de  die  nat.  11,  7:  post  partum  .  .  .  parvoli  ferme 
per  hos  ^quadraginta  dies^>  morbidi  sine  risu  nee  sine  peri- 
culo  sunt,  ob  quam  causam,  cum  is  dies  [XL.]  praeteriit,  diem 
festum  solent  agitare,  quod  tempus  appellanttf  ööe qccxoöxccZov 
(s.  ob.  S.  28  ff.).  —  Aristot.  de  an.  hi.  7,  10,  3:  xä  de  TtaidCa  öxccv 
yevavxcu  xcbv  xexxccodxovTCc  i)iieQ(bv  eyoriyoQÖxa  (iev  ovxe  yeXä 
ovxe  daxovei,  vvkxoq  6'  evioxe  aficpa,  ovde  KVit,6^.eva  xä  noXXä 
aiöd-dvexai.  —  Plin.  n.  h.  7,40:  In  quo  mensium  numero  genitis 
[also  den  im  7.,  8.,  9.,  10.  u.  11.  Monat  Geborenen;  s.  d.  Vorher- 
gehende!] intra  quadragesimum  diem  maximus  labor.  — 
Qvöixög  b.  Jo.  Lyd.  de  mens.  p.  84  Wünsch  (vgl.  Ennead.  Stud. 
104fr.):  [iexä  de  xyjv  xvrjötv  .  .  .  enl  .  .  .  zrjg  xe6öaQaxo6xfjg 
(xb  ßoeyogy  TtQoöXccfxßdveiv  xb  yeXaöXLxbv  xal  aQ%eö~&cci 
ijtiyLväöxeiv  xt)v  (irjzeQcc.  —  Plin.  n.  h.  7,  3:  At  hercules  risus 
praecox  ille  et  celerrimus  ante  quadragesimum  diem  nulli 
datur. 

In  Abh.  I  S.  29  ist  der  merkwürdigen  Tatsache  gedacht, 
daß  sich  bei  gewissen  islamischen  Völkern,  bei  denen  ebenso 
wie  bei  den  Juden  und  Arabern  die  40  tägige  Frist  vielfache 
Beziehungen  zur  Schwangerschaft  hat  (a.  a.  0.  S.  9.  11  ff.  276°.), 
die  Bedeutung  dieser  Frist  nicht  bloß  auf  die  Zeit  nach  der 
Entbindung,  sondern  sogar  auf  die  Zeit  unmittelbar  vor 
der  Hochzeit  und  dem  ersten  Beischlaf  bezieht,  insofern 
die  künstliche  Mästuno;  der  Bräute,  die  nur  im  Zustand  der 
Fettleibigkeit  für  schön  gelten,  40  Tage  vor  der  Hochzeit  zu 
beginnen  pflegt.  Etwas  einigermaßen  Ähnliches  findet  sich 
auch  bei  den  Griechen.  Vgl.  Dioskor.  m.  m.  3,  129  (n.  KQaxecio- 
yövov) :  'IßxoQElxai  de  v%6  xivtav  7)  nööig  xov  naQ%ov  yvvalxcc 
ccQQevoxöxov  Ttoieiv,  edv  xtg  pexä  xr\v  xd&ccQöiv  xcöv  Kaxa- 
lir\vlxov  71Q0  xov  Tclrjöidöcci  novr}  vrjGxig  xgig  trjg  jj^ieoag  6Xxi)v 
XQicoßolov  [isd-'  vdaxog  xvd&av  ß'  exl  i\^eqag  xeööccQdxovxcc. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker,      ioi 

coöccvTGjg  ös  xal  6  avi]Q  nivita  rag  L'öccs  f}li£QctS  xai  Ttkr\6ia- 
^'tco.  Ebenso  Plin.  n.  h.  27,  62:  Crataeogonon  .  .  .  nascitur  in 
opacis  .  .  .  quod  si  bibant  ex  vino  ante  coenam  tribus  obolis 
in  cyathis  aquae  totidem  mulier  ac  vir  ante  conceptum 
diebus  quadraginta,  virilis  sexus  partum  futurum  aiunt. 
Est  et  alia  crataeogonos,  quae  tkelygonos  vocatur  . . .  Sunt  qui 
florem  crataeogoni  bibentes  mulieres  intra  quadragesimum 
diem  concipere  tradant.124a)  Jedermann  erkennt  leicht,  daß 
auch  die  4otägige  Frist  in  diesem  Falle  uralt  und  volks- 
tümlich sein  muß,  da  es  sich  hier  um  ein  uraltes  Mittel  der 
griechischen  Volksmedizin  handelt. 

B.    Die  hippokratischen  Tessarakontaden  in  der  Pathologie 
und  Therapie  zunächst  der  Franen. 

a)  Tagfristen.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  daß 
die  für  die  Schwangerschaft,  die  Dauer  der  Lochien  und  die 
Entwicklung  der  Neugeborenen mb)  von  jeher  nach  dem  Volks- 
glauben wie  nach  der  wissenschaftlichen  Überzeugung  der 
ältesten  griechischen  Ärzte  und  Denker  so  maßgebende  Vierzig- 
tagefrist  schon  frühzeitig  auf  alle  möglichen  Krankheiten 
zunächst  der  Frauen  übertragen  und  somit  für  deren  Patho- 
logie und  Therapie  (ebenso  wie  für  die  der  Kinder125))  wichtig 
wurde. 


124  a)  Vgl.  darüber  Theophrast  ed.  Schneider  vol.  V  p.  428. 

124b)  Aus  der  Bedeutung,  welche  die  tessarakontadische  Tagfrist 
für  die  Entwicklung  der  Embryonen  und  der  Neugeborenen  unmittel- 
bar nach  der  Geburt  hat,  erklärt  sich  offenbar  der  Aphorism.  III,  28  =  IV 
p.  500  L.  ausgesprochene  Satz:  xa  de  itlslaxcc  xoTgi  ?t<xi8Loi6 1  nä&soc 
Y.QIV&TCCI,  xä  (ihv  iv  XEG6 ccqÜ'aovxcc  TjixtQrjOi,  xä  ös  iv  inxk  [ir}ol,  xa. 
ös  iv  snxä  hsa,  xa.  ös  rtQog  xr\v  ijßr\v  itgoedyovoLv.  Alle  diese  Fristen 
erklären  sich  ganz  natürlich  aus  der  biologischen  Entwicklung  der 
Kinder:  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Geburt  stehen  sie  noch  unter  der 
Herrschaft  der  Tessarakontade,  dann  geraten  sie  unter  den  Einfluß  der 
Siebenmonatsfrist,  denn  im  siebenten  Monat  entstehen  die  ersten  Zähne 
(s.  Hebdomadenl ehren  S.  135),  mit  dem  7.  Jahre  wechseln  sie  die- 
selben (a.  a.  0.  15.  26.  27.  A.  33.  32.  64.   100.   135  A.    195)  usw. 

125)  Vgl.  die  vor.  Anmerkung. 


102  W.  H.  Röscher: 

So  treten  uns  die  reintessarakontadischen  Fristen,  sowie 
die  von  20  und  60  Tagen  mehrfach  in  den  Berichten  über 
xqco<3[ioC,  artocp&dQtittta,  iTtixvrjpctxu  und  Gebärinutterleiden 
ento-eo-en,  wobei  besonders  zu  beachten  ist,  daß  bisweilen 
hervorgehoben  wird,  die  Angabe  über  die  Zahl  der  Tage  be- 
ruhe gerade  auf  der  Aussage  der  betreffenden  Patientin. 
Vgl.  ijtidrjii.  ß'  =  V  p.  90  L.  nr.  13:  Tb  S^7jxovd"^nEQov 
a7töcp&ccQ[icc  ccqösv  xoxcov  hv  S7ii<5%E6£6iv  vyiTjQÖv.  —  ebenda 
nr.  18:  ijtsl  de  exexev,  Eixo6xair\  eovßa,  ccvd'ig  rilyrjöEv' 
exexev  ovv  ccqöev.  —  ib.  p.  88  nr.  8:  eni  xb  ßelttov  ijQ^axo 
IVjqebiv  TtSQL  slxoöxijv  r^isQ^V  6%eöov  eyivExo  ol  tceqv  yv- 
vcuxelcov  xuxccqq7]%iv.  —  Eitid.  d'  6  ==  V  p.  146  L.:  i\ 
l4%eXcbov  exxccCtj  aTtEcpd-siQEv  ...  ccqöev  de  xal  äXXo  itgog  tag 
elxoöiv  (caKHp&eiQUi)  ecprj.  —  ETttd.  d'  22   =  V  p.   162  L: 

CC7l£Cp&£  LQBV      E^XOrd''     J][lEQ(üV,    CO  g    £<PV,    •    •    •    •    '«HjAv.     

ix  id.  e'  11  =V  p.  212  L:  TSööccQccxoöTfi  de  ^^e'qtj  cctco  xf\g 
TtQtbrrjg  £%83ts6s  tb  e%ixvr\[ia.  —  eicid.  £'  97  =  V  p.  452  L: 
Tfi  ...  firjtQL  ...  dicccp&oQTJg  y£VO[i£V7]g  ...  didv^cov  ix  Ttxco- 
[taxog,  rot)  [iev  eteqov  avxixa  . . .  Ü7ti]Xkuyi],  xov  dh  exe'qov  tj 

71QÖXEQOV    ij    VÖXEQOV    X £ 6 6 aQCiXOVX Ci    i](l£Q£COV.    • — 

Nicht  selten  wird  bei  speziellen  Frauenkrankheiten  emp- 
fohlen, gewisse  therapeutische  Maßregeln  40  Tage  lang 
anzuwenden,  insbesondere  40  Tage  lang  Kuhmilch  zu  trinken. 
Vgl.  Tl.  yvv.  cpvö.  5  =  VII  p.  318  L:  tjv  dh  (cd  [ifixQuiy 
TtavxajtaöLV  ex  xcov  aldoicov  extceöcoölv  ...  r(v  ...  a7to7t<xxfj6aL 
-fo'Ajj,  avax£i^Evy\  cltiotiuxeCxco,  Ecog  av  X£66ccQctxovxa  i)[i£Qca 
TCuQEkd-coßLv.  —  ib.  1 4  =  VII  p.  334  L.  bei  Leukorrhoe: 
k%r\v  de  xä  xdxco  xa&aQ&fj,  ßoeiov  ycika  xivixco  etil  xeööcc- 
Qaxovxa  iftiEQccg.  —  ib.  38  =  VII  p.  382  L:  rjv  cd  [ifjXQaL 
TCQOg  xäg  xlEVQag  xqoöxeöcoöl  .  .  .  yaXccxxoTtoxslv  xb  ßosiov 
yäXa  oxi  xXeIöxov  eqp'  r){i£Qctg  xEööaQcixovra.126)  —  ib.  52 
=  VII  p.  394  L:  rjv  alfia  i^ier]  ex  xöxov  [ydXa]  hexcctiitiCöxeiv 
ßobg  (lEkatvrjg  aöixeovöav  etcl  7][iEQug  xEGGaQÜxovxa.  —  tc. 
yvvcux.  ß'  121  =  VIII  p.  264  L:   aXlog  oöog  .  .  .  hexetieixci  de 

I26)  Dasselbe    Rezept  wird   it.  vova.  ß'    51   =  VII  p.  80  L.  auch 
Patienten  beiderlei  Geschlechts  bei  cp&iaig  vcotiäg  empfohlen. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      103 

Ttivstco  ItcI  xeööaocixovxa  i)(ieQag  ydXa  ßobg  &eqhöv  x.  x.  X. 

—  ib.  1 29  =  VIII  p.  278  L:  tjv  ai  iiYitQcu  Ttobg  xug  TtXevodg 
TCQOöTteöcoCt  .  .  .  yaXaxxoTtoxieiv  ßöeiov  ydXa  cog  TtXslöxov  hnl 
rjfiEQccg  XEööccodxovxcc.  —  ib.  et  78  =  VIII  p.  196  L:  ?ji/ 
de  ex  xöxov  aifia  e^t'rj  .  .  .  avxi]  tilvexo  ydXcc  övov,  eTteixa 
ßobg  ...  xeööaodxovxa  ?//*.  —  ib.  a  43  =  VIII  p.  102  L: 
r\v  de  cdpu  ex  xöxov  i^ieörj  .. .  TtiTttöxsiv  ßobg  ^leXaivrjg  ydXcc 
...  ijuegag  xe66aQiixovxa.  —  Bisweilen  tritt  in  solchen  und 
ähnlichen  Fällen  auch  die  halbe  Tessarakontade  ein:  vgl.  z.  B. 
7t.  yvvuix.  qpvö.  101  =  VII  p.  416  L:  rji>  Ttcco&ivog  Xiftirjörj 
...  dtdovat,  ...  e%\  ei'xoöcv  yueaccg.  —  Mehrfach  wird  auch 
bei  sonstigen  Krankheiten  von  Frauen  hervorgehoben,  daß  am 
20. ,  40.,  60.,  80.  Tage  eine  Besserung,  eine  Krisis  oder  der 
Tod  eingetreten  sei.  Vgl.  z.  B.  it.  eiiidi][i.  d"  8  =  V  p.  148L: 
aTte&ccvev  eyyvg  etxoötah].  —  ib.  25  p.  170  L:  Fwccixl 
xttQi]ß<xQLxfi  i6%vQcbg,  xavxi]  ixoCfti]  tveqI  elxoöxtfv.  —  ib.  S3 
p.  176  L:  Tf]  'OkvyiTiiodcüQov  Ttcxidtöxr}  alfia  ex  xov  de£,LOv, 
xccl  exQL&r]  cbg  Elxo6xaiy\.  —  7t.  BTtidrjfi.  y  =  III  p.  109  L: 
etxodxfj  6(iixQcc  7teQii-ipv£,e  ...  x£ö~6ccQaxo6xf)  ...  STtexovcpLöe, 
. . .  e£,i]xo6xfj  cd  ßrjxeg  . . .  i£,eXi7tov,  . . .  öydorjxoöxfj  ditExfavEv. 

—  7t.  enidr^i.  e'  85  =  V  p.  252  L:  v\  .  .  .  Kovcovog  &eod- 
Ttaiva,  ex  xscpaXfjg  odvvrjg  aQ^ayLEvrig,  e'xxo<3&ev  eyivsxo'  ßoi\y 
xXav%\Lol  TtovlkoC,  bXiydxig  fj6v%Lr].  IIsqI  de  xäg  xeööaoa- 
xovxcc  exeXevxi]6e.  —  Fast  ebenso  7t.  eTtiÖ.  %  90  =  V  p. 
446  L.  — 

b)  Jahrfristen.  Solche  kommen  natürlich  in  viel  ge- 
ringerer Anzahl  als  die  Tagfristen,  schon  bei  „Hippokrates"  und 
zwar,  wie  es  scheint,  meist  mit  Beziehung  auf  beide  Geschlechter 
(eine  Ausnahme  siehe  Ttoooo.  ß'  41)  vor.  Vgl.  7t.  cceqcov,  vd. 
x.x.X.  10  =  II  p.  48  L:  'Hi>  de  xb  ftegog  eTto^ißgov  yevr\xai  xccl 
vöxlov  xal  xb  iiexo7t(OQOv,  j^ei^ava  ävdyxt]  voxeqov  elvcct,  xcd 
xolöi  (pXsyixaxCrjöi  xcdxoiöi  yEoaixEQOiöi  x£66Ü.Qaxovxu  execov 
xavöovg  yCyveö&UL  elxög.  —  7t.  diaCt.  a'  32  =  VI  p.  508  L:  ol 
fiev  ovv  xctvxrjv  £%ovxsg  xr\v  cpvöiv  vyiuivovxEg  dtaxEX.EOvöi  xov 
Ttdvxcc  iqovov  [te^gi  xeööccodxovxcc  exeav,  ol  de  xal  [ie%QL 
yriQca  xov  e6%dxov   6x6001  d'    dv   Xtjcpd-coöiv   vTtb   vov6r\\iax6g 


104  W.  H.  Röscher  : 

nvog  vjtSQ  xeööagdxovxa  exea  ov  [idlcc  dTro&vrjöxovöiv. — 
ib.  p.  510  L:  i)foxCcci  Koog  exea  xs66aodxovxa  voösoaC.  — 
dcpooiö^i.  VI,  57  =  IV  p.  578  L:  d%6iih]xxoL  de  \1dXi6xa  yC- 
vovxai  r\kixi\]  xfj  ctTtb  xeGGaodxovxa  exsav  d%Qig  s\i\xov- 
xa. —  tio%l.  37  =  IV  p.  380  L:  bliyoi  de  xovxscov  nsoi  e%rj- 
y.ovxa  exea  hßloöav.  —  tiqoqqijx.  ß'  41  =  IX  p.  70  L:  Tb 
de  vöörjfia  xovxo  [Schmerzen  in  den  Schultern  und  Armen; 
s.  LittreJ  xolöiv  dvdgdöi  jCQOGylvsxai  l6%vQÖxaxov  xolöiv  dnb 
xsööagdxovxa  exscov  eg  xä  e^ijxovxa'  xr)v  i)hxCt]v  de 
xccvxt]v  [idfoöxcc  lö%iddeg  ßidt,ovxai.  —  Bisweilen  gedenkt 
„Hippokrates"  auch  des  Alters  von  20  und  60  Jahren  als 
eines  kritischen.  Vgl.  z.  B.  n.  x.  evxbg  7ta&.  43  =  VII  p.  274L: 
avxrj  i]  vovöog  [xvcpog]  Xanßdveu  TtQEößvxeoov  eixoöaex sog' 
bxöxav  de  Xdßr],  r]v  firj  xax  dqyag  xov  vo6rj[iaxog  [xslexrj&fj, 
ovx  exleinei,  tiqiv  uv  etxoöiv  exea  Ttuoel&t].  —  tc.Isq.vovö. 
10  =  VI  p.  380  L:  'Oxöxav  de  slxoölv  exea  nageXfri},  ovx 
exv  r)  vovöog  avxrj  e%iXa\ißdvei,  rjv  fir)  ex  naidCov  £,vvxgocpog 
h].  —  Aus  diesen  Anführungen  erkennt  man  leicht,  daß  über- 
all die  bekannte  auch  von  „Pythagoras"  angenommene  ysvsd 
von  40  Jahren,  die  wieder  in  zwei  Abschnitte  von  je  20  Jahren 
zerfiel,  zugrunde  liegt. 

Genau  derselben  Anschauung  huldigen  aber  auch  die  bei- 
den großen  Philosophen,  die  dem  Zeitalter  kurz  nach  „Hippo- 
krates"  angehören,  Pia  ton  und  Aristoteles. 

Hier  ist  vor  allem  eine  Stelle  aus  Piatos  Staat  anzu- 
führen127), wo  als  die  Blüte  (ax[nf)  des  Weibes  oder  als  die 
Zeit,  wo  die  Frauen  imstande  sind,  den  für  den  Staat  wün- 
schenswertesten Nachwuchs  zu  gebären,  die  Periode  vom 
zwanzigsten  bis  zum  vierzigsten  Jahre  bezeichnet  wird. 
Wahrscheinlich  handelt  es  sich  hier  nicht  um  eine  spezielle 
Anschauung  Piatos,  sondern  um  eine  von  jeher  weit  verbrei- 
tete Ansicht  des  griechischen  Volkes,  und  zugleich  der  älteren 


127)  Plat.  %.  itoXix.  460  E:  Aq'  ovv  aoi  ^vvöo-asl  ybixQiog  %q6voq 
ccxfLfjg  xä  fuoet  %xr\  yvvuixl,  avdgi  ob  xä  XQidnovxa;  Tu  Ttolcc  avtäv; 
£qp7j.     rvvuiY.1    (isv,    r)v   d1'    iym,    äg^a^ivri    ccnb    sltioaiixidog    ptXQ1 

T  STTCCQUXOVTCcttlSog    XIKXSIV    T#    TCÖlst. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      105 

Ärzte  und  Biologen.  Die  hier  mit  Beziehung  auf  das  Gebären 
genannten  20  und  40  Jahre  stehen  höchstwahrscheinlich  mit 
den  in  der  griechischen  Embryologie  und  Gynäkologie  (s.  0.) 
so  maßgebenden  Zwanzig-  und  Vierzigtagfristen  im  engsten 
Zusammenhang. 

Bei  Aristoteles  de  an.  hist.  7,  5  finden  wir  folgende 
wohl  ebenfalls  auf  einer  älteren  weitverbreiteten  Anschauung 
von  der  Bedeutung  der  Tessarakontade  für  die  Biologie  des 
weiblichen  Geschlechts  beruhende  Lehre:  navsxai  .  .  .  xalg 
yvvca^i  xalg  [ihv  TtlsCörcag  xä  xaxaixrjvia  nsoi  xExxaoäxovxa 
exrt.  Daß  diese  Ansicht  auf  das  innigste  mit  der  soeben  be- 
sprochenen Piatos  verwandt  ist,  also  wahrscheinlich  aus  der- 
selben Urquelle  stammt,  bedarf  wohl  kaum  der  weiteren 
Erörterung  (vgl.  auch  Plin.  n.  h.  7,  61:  major  pars  ("mulierum] 
quadragesimo  anno  profluvium  genitale  sistit).  —  In  den- 
selben Zusammenhang  gehört  wohl  auch  de  an.  hist.  2,  4  (14): 
<J?vovxai  <T  ol  xsXevxcüol  xolg  ävd-Qaiioig  yopccpioi  [odovtsg] 
ovg  xaXovöi  xoavxrigag  tcsql  xä  s't'xoöiv  sxi],  xccl  ävögäoi 
v.al  yvvait,iv.  "Hör]  de  xiöi  yvvai^i  aal  öydorjxovxa  sxäv 
ovöaig  scpvöav  yöficpLOL  iv  xolg  sö%dxoig,  tcövov  Ttaaaöyßvxtg 
sv  xfj  ävuxokf],  aal  ccvÖqccölv  axJavrrag.  Vgl.  Plin.  n.  h.  II,  166. 


C.  Der  40.,  20.,  60.,  80.,  120.  Tag  in  der  Lehre  von  den 

kritischen  Tagen. 

In  den  unmittelbar  vorhergehenden  Abschnitten  ist  ge- 
zeigt worden,  welche  Rolle  von  jeher  nach  allgemeiner  Volks- 
anschauung wie  nach  der  z.  T.  darauf  beruhenden  Ansicht  der 
Arzte  und  Biologen  die  tessarakontadischen  Tag-  und  Jahr- 
fristen im  Leben  und  der  Entwicklung  der  Frauen  und 
Embryonen  spielen;  zugleich  haben  wir  erkannt,  daß  schon 
auf  diesem  Gebiete  dem  40.  Tag  und  dem  40.  Jahre  fast 
durchweg  eine  gewisse  kritische  Bedeutung  zukommt,  inso- 
fern das  Wesen  der  xoCöig  ja  eben  in  einer  6%vQQonog  iiexa- 
ßokij  (Galen.  9,  910  K.  Aristoxenos  b.  Stob.  I  pr.  6  [p.  20,  1  W.]j 
vgl.  Hebdomadenlehren   S.  16  A.  13)  besteht,   die   immer   am 


io6  W.  H.  Röscher: 

Schluß  einer  tessarakontadischen  Periode  von  Tagen  und  Jah- 
ren stattfindet.  Hie  und  da  haben  wir  auch  schon  den 
40.  Tag  als  Tag  der  xqCöls  in  Frauenkrankheiten  kennen  ge- 
lernt (s.  o.  S.  102). 

So  kann  es  denn  bei  der  allgemeinen  Neigung  der  typischen 
Zahlbegriffe,  pflanzengleich  über  ihr  ursprüngliches  Bereich 
hinauszuwuchern  und  so  ihre  Bedeutung  zu  erhöhen,  durch- 
aus nicht  wundernehmen,  wenn  wir  sehen,  wie  auch  die  ur- 
sprünglich und  hauptsächlich  im  Gebiete  der  Gynäkologie  und 
Embryologie  heimische  Tessarakontade  über  die  Grenzen  ihrer 
alten  Heimat  hinauswächst  und  zuletzt  in  die  namentlich  von 
der  knidischen  und  koischen  Schule  ausgebildete  Lehre  von 
den  kritischen  Tagen  in  allen  möglichen  Krankheiten  (auch 
der  Männer!)  eindringt. 

Um  nun  diese  letzte  Entwicklungsstufe  der  Tessarakontade 
auf  medizinischem  Gebiete  genauer  kennen  und  besser  würdigen 
zu  können,  müßten  wir  eigentlich  sämtliche  hierhergehörige 
Zeugnisse  der  nach  literarhistorisch-kritischen  Gesichtspunkten 
in  die  cknidische',  die  fechthippokratische'  usw.  Gruppe  ge- 
ordneten Bücher  des  Corpus  Hippocrateum  hier  aufzählen, 
eine  freilich  etwas  weitschichtige  Aufgabe,  auf  die  wir  hier 
glücklicherweise  verzichten  zu  dürfen  glauben.  Die  hier 
eigentlich  von  uns  zu  leistende  Arbeit  ist  nämlich  im  wesent- 
lichen bereits  erledigt  im  5.  Kapitel  meiner  „Hebdoniaden- 
lehren"  S.  60  ff.,  wo  nicht  bloß  die  hauptsächlichsten  Zeugnisse 
für  die  Reihen  der  kritischen  Tage  bei  Hippokrates  wörtlich 
angeführt,  sondern  auch  die  daraus  gewonnenen  statistischen 
Resultate  übersichtlich  in  Tabellenform  zusammengestellt  sind. 
Ich  habe  also  genau  genommen  nur  nötig,  die  schon  früher 
entworfenen  Tabellen  mit  einigen  mittlerweile  als  nötig  erkannten 
Korrekturen  nebst  den  für  die  Tessarakontaden  in  Betracht 
kommenden  Zeugnissen  hier  zu  wiederholen  und  mit  kurzen 
Erläuterungen  zu  versehen  (vgl.  Tabelle  I  auf  S.  107  und 
Tabelle  II  auf  S.  109). 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      107 


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Das,  was  wir  für  unseren  Zweck 
aus    der   nebenstehenden  Tabelle  I 

CO   ^J      OUi-^OJ      tO      !-> 

lernen,  läßt  sieh  kurz  in  folgenden  T  ^  T  T  T 

Sätzen  zusammenfassen:  <»   «   «   «   «   o  «*. 

a)  Wie    man    auf   den    ersten  t"  cT  I"  I"  I"  *  |    ® 
Blick   erkennt,   fehlen  unter  den  *i  ^  "*N  •*»  "*  j% 

von  den  Knidiern  statuierten  kriti-  tö  "^  0  *>  -£  o  £ 

sehen    Tagen    in    Krankheiten    die 

«3  -3  -<  <1  <J  <!        -< 

Tessarakontaden    und   Halbtessara-      HKKCSC       Hm 

1—1       1— ■    w 

kontaden  noch  vollständig.  Ja  die  V  V  V  V  *P  ?  I  ? 
Abneigung  der  'Knidier'  gegen  die 
reinen  Tessarakontaden  scheint  sich 
sogar  auf  die  Gynäkologie  und 
Embryologie  zu  erstrecken;  wenig- 
stens gibt  die  für  ^knidisch'  geltende 
Schrift  7C.  (pv<5.  Ttatd.  [s.  oben  S.  92] 
statt  der  sonst  in  diesem  Bereiche 
geltenden  Zahl  40  die  offenbar  heb- 
domadisch  zu  fassende  42  [=  6x7!] 
als  maßgebend  an. 

b)  Dagegen  überwiegen  hier 
noch  bei  weitem  die  hebdomadi- 
schen  Tage;  namentlich  gilt  dies 
von  der  merkwürdigen  Schrift  tieq! 
ißÖo^ddcov,  in  der  wir  das  älteste 
und  altertümlichste  Buch  des  Hippo- 
kratischen  Corpus  erkannt  zu  haben 
glauben128).  In  acht  Reihen  kommen 
die  7  nicht  weniger  als  achtmal, 
die  14  viermal,  die  übrigen  Pro- 
dukte der  7  siebenmal  vor,  so  daß 
unter  im  ganzen  39  (40)  Zahlen  die 
Sieben    nicht    weniger    als    19  mal 

128)  Vgl.  meine  „Hebdoniadeulehren 
.d.  griech.  Philosophen  u.  Ärzte"  S.  44 ff. 
und  „Ennead.  Studien"  S.  134  f. 


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108  W.  H.  Röscher: 

erscheint,  d.  h.  ungefähr  5O°/0  der  Fälle  ausmacht.  Die  nächst- 
größte Rolle  unter  den  kritischen  Tagen  spielen  der  neunte 
(6  mal),  der  elfte  (5  mal),  der  fünfte  (5  mal),  während  der 
dritte  nur  3  mal,  der  vierte  und  achtzehnte  (=  2  x  o,te)  nur 
je  1  mal  genannt  wird.  Doch  kommt  höchst  wahrscheinlich 
beim  vierten  wie  beim  achtzehnten  deren  sozusagen  hebdo- 
madischer  Charakter  in  Betracht,  insofern  der  vierte  Tag  die 
Mitte  der  ersten  Hebdomade,  der  18.  Tag  die  der  dritten 
darstellt. 

c)  Außerdem  beachte  man,  eine  wie  geringe  Bedeutung 
in  dieser  Tabelle  den  geraden  Zahlen  (Jxqxioi)  unter  10  zu- 
kommt. Zur  Erklärung  dieses  Umstandes  s.  meine  Abhandlung 
über  eDie  7-  und  Q-Zahl  im  Kultus  und  Mythus  der  Griechen' 
S.  93,  sowie  'Hebdomadenlehren'  S.  64  Anm.  108  und  S.  207  f.129) 

d)  Ferner  müssen  wir  feststellen,  daß  in  den  „knidischen" 
Reihen  innerhalb  der  Ziffern  von  1  bis  14  vollständig  fehlen 
der  1.,  2.,  6.,  8.,  10.,  12.,  13.  Tag,  daß  also  als  kritisch  inner- 
halb der  Grenzen  von  1  bis  14  nur  die  eine  Hälfte  der  Tage, 
und  zwar  größtenteils  der  durch  ungerade  Zahlen  bezeichneten, 
in  Betracht  kommt. 

Die  für  unsere  Zwecke  aus  Tabelle  II  (s.  S.  109)  hauptsäch- 
lich in  Betracht  kommenden  Zeugnisse  sind  dagegen  folgende: 

13)  Aphorism.  3,  28  =  IV  p.  500  L:  xä  de  itXelGxa  xolöi 
TtaidloLöi  ticc&su  xQLvexai,  xä  (ihv  ev  xeööccQaxovxa 
i^ue'pfjtft,  xä  de  iv  eitxä  ^ir]öC,  xä  de  iv  enxä  exeöt,,  xä  de 
7tQog  xr\v  rjßrjv  TCQoöäyovöiv,  d.h.  in  14  Jahren  (vgl.Sol.fr. 
27,  3  Bergk).  Diese  Theorie  ist  wegen  der  Durchsichtigkeit 
ihrer  Motive  von  besonderer  Bedeutung  für  uns;  denn  es  unter- 
liegt   keinem    Zweifel,    daß    die    für    die    Krankheiten    des 

129)  Hierzu  füge  ich  jetzt  noch  den  locus  classicus  aus  -x.  im,8i\u.. 
ß'  VI,  8=Tp.  134  L:  aTt6Xi]ipLS  de  toü  vo6ri(iatog  ovn  uv  yevoiro,  ei  ftr) 
iv  yoviiirj  [=  nsgioßf]]  Tj^iegr],  ovSe  av  &Q%i]  yevoixo,  i)v  [ir]  a y 6 v co [apri'or] 
7j{i£q7]  yiccl  (ir}vl  frei  de  yovifico  ...  06cc  Q'v^aKei  a.väy%r\  yovifico  t]^bqtj 
xcci  yoviyum  [Lr\vl,  ncä  yoviiLto  frei  .  .  .  xov  aQi&(iov  tqittj  io%VQorätr\. 
Es  verlohnte  sich  wohl  den  Spuren  dieser  Triadenlehre  bei  „Hippo- 
krates"  nachzugehen.  Vgl.  auch  den  cpvßtKog  b.  Jo.  Lyd.  de  mens, 
p.  84  Wuensch. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      109 


Kindesalters  maßge- 
benden Fristen  von 
40  Tagen,  7  Monaten, 
7  Jahren  und  14  Jah- 
ren mit  der  Entwick- 
lung der  Kinder  zuerst 
im  Mutterleibe  und 
unmittelbar  nach  der 
Geburt  (S.  88  ff.  99  f.) 
und  sodann  hinsicht- 
lich des  Zahnens,  des 
Zahnwechsels  und  des 
Beginns  der  Pubertät 
(s.  Solon  a.  a.  0.)  aufs 
innigste       zusammen- 


hängen. 
5=11   p. 


Prognost. 
122  L:  Ev- 
Tcvoiav  de  %Qr]  vo^ii^eiv 
xüqxcc  {isyäXqv  dvvcc- 
fitv  e%£iv  sg  öcortjQCrjv 

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voörJiiaöLV,  06a  £,vv 
XVQ8T016LV  eGxi  xul  ev 
xs66aQ&%ovTcc    fj^ie- 

QTjGl    XQlVeXCU. 

1 4b)  Prognost. 
2o  =  II  p.  168  L:  Ol 
de  nvQexol  xqivovxcci 
ev  xfjöiv  avxfpLV  r^ie- 
Qfiöi  rbv  (xqi&iiöv,  fi| 
<bv  xe  TCEQiyCvovxat  oi 
ccv&qcotiol  xal  eh,  cov 
a.7c6llvvxui.  Olxe  yuQ 
evij&söxccxoi  xc3\>  Ttvge- 
xäv  xal    e%\   6rt\ielav 


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aöcpccleötccTciv  ßsß&xsg  xsxaQtaloi  itavovxai  t]  tcqöö&ev  01  de 
xccxotj&sö'xccxol  xal  hnl  ö^^stav  dsivoxaxav  yiv6\i£voi  xexccq- 
xaioi  xxsivovöi  7)  71q6öQ,ev.  rH  {iev  ovv  %qcaxx\  scpodog  avx&v 
ovxa  [d.h.  am  4:  Wellmann,  Frgm.  I,  162  Anm.  4]  xslsvxä- 
r)  ös  devxEQi]  [xsxoccg  Galen.  IX  p.  870  K.]  eg  xi)v  sßdö^rjv 
TtEQidyw  i]  öe  xqCxtj  ig  xr)v  evÖexccxtjV  7)  Öe  xex<xqxt\  ig  xr)v 
XEööaQEöxaiÖExdxrjv  7)  Öe  TtifiTtxr]  ig  xt\v  £7txuxaiÖ£Kux7]V  7) 
öe  e'xxtj  eg  xr)v  sixoöxtjv  .  .  .  Ov  övvaxca  <3'  okrjötv  i]iieqt]6iv 
ovÖev  xovxcov  ixQL&fiEiöd-at  ScxQEXEwg'  ovös  yäg  6  iviavxög  xs 
xal  01  fifjvEg  oh]6iv  i){i£Qr]6i  itEcpvxccöiv  uql&heIö&ui.  Mexcc 
Öe   xavxa   iv   x<p  uvxcb  xqqhg)    xaxä   xi)v   ccvxi)v    7tQÖ6d-£6iv   r) 

flEV    IZQCOXT]    TtEQiOÖog    XEÖÖUQGIV    XCcl    XQLCCXOVXCC    J][lEQ£00V,     7)    ÖE 

öevxeqt]  XE66aQK%ovxa  tjueqecov,  i]  Öe  xqCxtj  eh,7]xovxa  r][is- 
qecdv.  Demnach  sind  die  beiden  hier  angedeuteten  Reihen 
kritischer  Tage  diese: 

a)  4     7      ii      14      17      20, 

b)  34  (=  2  X  J7)     4°     6o- 
Vergleichen  wir  nunmehr  Tabelle  I  (Übersicht  über  die 

kritischen  Tage  bei  den  'Knidiern')  mit  Tabelle  II  (die  krit. 
Tage  in  den  rechthippokratischen'  Schriften  mit  Ausnahme 
von  Epidem.  I  u.  III;  s.  unt.),  so  ergibt  sich  Folgendes  (s. 
'Hebdomadenlehren'  S.  75): 

a)  Schon  auf  den  ersten  Blick  fällt  die  weitgehende 
Übereinstimmung  der  Aphorismen,  des  Prognostikons  und 
der  Schrift  %.  öiaix.  6|.  (Tabelle  II)  mit  den  Büchern  der 
Knidier  (Tabelle  I)  auf.  Aus  einer  Gesamtzahl  von  47  kriti- 
schen Tagen  (Tabelle  II)  sind  nicht  weniger  als  1 5  (d.  h.  circa 
ein  Drittel!)  hebdomadisch  (bei  den  Knidiern  waren  es 
noch  19  von  39,  also  die  Hälfte;  die  Enneade  (9  u.  27)  ist 
in  Tabelle  II  5  mal  (bei  den  Knidiern  6  mal),  die  1 1  5  mal 
(bei  den  Knidiern  ebenso!),  die  5  4-  bis  5 -mal  (bei  den  Knidiern 
5  mal!)  vertreten.  Auch  hinsichtlich  der  3,  die  bei  den  Knidiern 
3  mal  vorkommt,  ist  der  Unterschied  ganz  geringfügig  (2  mal 
in  Tabelle  II). 

b)  Der  wesentliche  Unterschied  zwischen  den  beiden 
Gruppen  besteht  nur  darin,  daß  einerseits  die  gerade  Zahl  4, 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker,      i  i  i 

die  bei  den  Knidiern  nur  einmal  vorkommt,  in  den  genannten 
'echthippokratischen'  Schriften  4  mal  auftaucht  und  daß  ander- 
seits die  17  mit  ihrer  Verdoppelung,  der  34,  bei  den  Knidiern 
absolut  fehlt,  während  sie  in  Tabelle  II  nicht  weniger  als 
5  mal  erscheint;  vor  allem  aber,  was  uns  jetzt  besonders 
interessieren  muß,  daß  hier  zum  erstenmal,  wenn  auch  spärlich, 
die  Tessarakontade  in  Verbindung  mit  der  20  und  60 
beobachtet  wird,  welche  drei  Ziffern  unter  den  kritischen 
Tagen  der  Knidier  bisher  fehlten.  Auch  mache  ich  darauf 
aufmerksam,  daß  in  Tabelle  II  ebenso  wie  in  Tab.  I  die  10 
vermißt  wird,  was  doch  wohl  darauf  schließen  läßt, 
daß  die  20,  40  und  60  in  Tab.  II  nicht  als  Vielfache 
der  Dekade  aufzufassen  sind. 

Völlig  anders  verhalten  sich  dagegen  die  in  den  Büchern  I 
und  III  der  Epidemien  aufgeführten  kritischen  Tage  sowohl 
zu  den  übrigen  cechthippokratischen'  Büchern  als  auch  zu  den 
'Knidiern'.  Dies  erhellt  auf  das  deutlichste  aus  den  beiden 
Tabellen  III  u.  IV  (s.  S.  1 1 2  u.  1 1 4  f.),  von  denen  die  erstere 
(III)  die  in  den  genannten  Büchern  verzeichneten  Tluralitiits- 
fälle',  die  zweite  (IV)  die  'Einzelfälle'  betrifft  (s.  Hebdomaden- 
lehren  S.  69 ff.). 

Die  für  unsere  Zwecke  in  Betracht  kommenden  Einzel- 
zeugnisse sind  folgende: 

17)  Epidem.  I,  3  =  I  p.  183,  10  Kühlewein  =  II  612  L: 
skqivs  xovxcov  0161  xä  ßoayyxaxa  yCvotxo  negl  elxo6xr\v, 
xolQi  de  TtlelöxoiöL  vteol  xe66aQ<xxoGxi]v,  itoXXol6i  de  jreQi 
xäg  öydoijxovxcc. 

Reihe:  20  40  80. 

19)  Epidem.  I,  8  =  1  p.  187  Kühlew.  =  II,  p.  626  L: 
o'iGi  xa  ßgaxvxaxa  yevoixo  \ß%Qive\  tcbqI  öydolixoöxrjv  iovöi. 

80. 

22)  Epidem.  I,  18  =  I  p.  195,  9  Kühlew.  =  II  p.  654  L: 
exQive  de  [xolöt  cpQsnx  1x016 l\  cog  enl  xb  nokv  evdexaxciiotGiv' 
eöxc  d'    oiöi  xal   elxoöxaCoLöi. 

Reihe:  (7)   1 1    20. 

Phil.-hist.  Klasse  1909.    Bd.  LXI.  8 


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Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker,      i  13 

28  —  31)  Epidem.  I,  21  =1  p.  198,  1  ff .  Kühlew.  =  II 
p.  664  L:  e&vriöxov  ÖE  ol  TtkilöxoL  ExxaloL  .  .  .  0161  öl  xa  %a- 
qu  tu  (ota  ysvoCaro  exqlve  .  .  .  elttoöraCoiäi.  ü'iöl  d'  exqlvev 
sßÖonaCoLöL,  ÖleIelkev  ivvta,  viiEöxQEcpEv,  exqlvev  ix  xr\g  vtlo- 

ÖTQOCpYlS    TEXaQXULOLÖL    .  .  .   OlÖL    Ö'  EXQLVEV   ißÖO^lcdoLOLV^    dLt'kEL- 

tiev  £%'  v7to6T()o(prj'  ix  de  xftg  vTtoöxQOcpfig  exqlvev  ißdo^uioLöi. 

Reihe  a:    6    —  — 

„      b: 20 

„       c:  —    7    20 
„      d:  —     7    20. 

32 — 34)  Epidem.  I,  22  =  1  p.  ig8,  170°.  Kühlew.  =  II 
666 f.  L:  xal  exqlve  xolöl  •zXelGxolölv  f|  <zQxftg  tizyLTtzuCoiGi, 
öle'Xeitce  xtööuQag,  vitEöTQEcpsv,  ex  da  xrjg  vnoßxQotpf^  exqlve 
na^TCxaCoiGi^  xb  öv^tTtav  XE66aQE6xaLÖEy.axaCoLg  [5  -f-  4  -f-  5  =  1 4]. 

EXQLVE  ÖE  TiaidtOLÖiV  OVXCO  XOLÖL  TiXeCöXOLÖLV  .  .  .  EGXL  ÖE  o'lÖLV 
EXQLVEV  EVÖEXUXUlOig,  V7lOGXQO(fi]  XEGGaQEGXULÖEXaxaCoLg,  EXQLVE 
XEkECOg  slxOÖTTj.  El  ÖE  XLVEg  ETlEQQiyOVV  TIEqI  Tt)v  slxOätijV, 
XOVXOLGLV    EXQIVE    X  EG  G  aQ  aXOGX  aLOLg. 

Reihe  a:  5  —  14  —  — 
„  b:  —  11  —  20  — 
„       c:   —    —   —  20  40 

35—36)  Epidem.  I,  26  =  I  p.  201  f.  Kühlew.  =  II  p.  678  L: 

XCC  ÖE  7CUQOt,VVÖ[lEVCC  EV  OCQXLlßGL  XqCvEXUI  EV  LXQXLflÖLV.  COV  ÖE 
OL    XUQO^VGpol    EV    TIEQLGG^GLV ,    XQLVSXCCL    EV    7l£QLGG?]GLV.      "EGXL 

öe  %Qcoxrt  TtSQiodog  xcöv  iv  xT]Glv  üqxCy\Gl  xqlvövxov 
o     g    rj    1    10    jc    xo     X     \i    §    et    gx 

Xäv    ÖE    EV    xfjÖL    71EQLGG]]GL    XQLVOVTGJV    XSQLoÖog 

a    y     e     £    &    La    lq    xa    xZ,     Xa  . 
Reihe  a: —  —  4     6    8    10     14     20     24      30     40  60  80    120 

»     b:  1    3   -5-7-9-11  — 17-21-27-31 

In  Worte  gefaßt  läßt  sich  das  Ergebnis  von  Tabelle  III 
und  IV  auf  Grund  einer  Vergleichung  mit  Tabelle  I  und  II 
etwa  so  darstellen: 

Schon  auf  den  ersten  Blick  gewahren  wir  einen  ge- 
waltigen Unterschied  zwischen  den  kritischen  Tagen  in  Buch  1 


ii4 


W.  H.  Röscher: 


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Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      i  i  5 


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1 16  W.  H.  Röscher: 

und  III  der  Epidemien  und  denjenigen  der  in  Tabelle  I  und  II 
berücksichtigten  Schriften.  Die  hebdomadischen  Tage  (s. 
unter  7,  14,  21)  sind  in  Tabelle  III  und  IV  ganz  bedeutend 
reduziert  (in  Tab.  III  auf  8  unter  54,  in  Tab.  IV  genau 
auf  9  unter  63  Fällen),  sodaß  ihre  Zahl  im  Verhältnis  zur 
Gesamtheit  nur  noch  ein  Sechstel  bis  ein  Siebentel  be- 
trägt. Noch  geringer  ist  die  Zahl  der  Enneaden  (9,  27).  Sie 
beläuft  sich  in  beiden  Tabellen  zusammengenommen  nur  noch 
auf  5,  so  daß  man  von  ihrem  fast  völligen  Verschwinden 
sprechen  kann.  Dagegen  ist  nunmehr  die  Zahl  der  deka- 
dischen Tage,  die  bei  den  Knidiern  (Tab.  I)  noch  ganz 
fehlten  und  in  den  Aphorismen  und  im  Prognostikon  nur 
dreimal  beobachtet  wurden,  in  Tab.  III  und  IV  ganz  erheb- 
lich gestiegen,  nämlich  in  Tabelle  III  und  Tab.  IV  auf  je  18, 
zusammen  also  auf  36,  sodaß  sie  nunmehr  die  übrigen  kriti- 
schen Tage  an  Häufigkeit  bei  weitem  überwiegen,  insofern  sie 
beinahe  ein  Drittel  der  Gesamtheit  ausmachen.  Insbesondere 
kommt  die  20  i4inal,  die  40  6 mal,  die  80  8 mal,  die  120 
3mal,  dagegen  die  10  nur  3mal  vor.  Dieser  letztere  Um- 
stand in  Verbindung  mit  der  weiteren  Tatsache,  daß  die  60 
und  30  nur  je  einmal  vorkommt,  die  50,  70,  90,  100,  1 10 
sogar  absolut  fehlen131),  läßt  doch  wohl  mit  ziemlicher  Sicher- 
heit schließen,  daß  in  unserer  dekadischen  Reihe  (10  20  40 
60  80  120)  nicht  die  10  sondern  vielmehr  entweder  die  20 
oder  die  40  Grundzahl  sein  muß132),  oder  mit  andern  Worten, 


131)  Vgl.   Galen.  IX  p.  817    Kühn:    rav    uhv   ovv   aXXcov   x&v   \isxu 

X7\V    TS06<XQCCX06TT]V    TJtlSQCCV    TsXtcüg    %OLHSV    6  ' l7tTtOKQ(XTrig    KttTacpQovslv. 

k£,r\%o6tr]v  dh  ticcl  oySorjv.oatijv  v.al  kKcctoerijv  [?  120!]  iv  Xöyco 
rl&erca.  —  Außerdem  beachte  man,  welche  Zahlen  in  allen  Tabellen 
(I— IV)  fehlen.  Es  sind  außer  der  50,  70,  90,  100,  110  noch  die  8,  12, 
13,  15,  16,  22,  23,  25,  26,  29,  32,  S3,  36 — 39-  Diese  Zahlen  galten 
also  offenbar  als  areXitg,  was  von  der  8  ausdrücklich  bezeugt  wird; 
vgl.  Enneadische  Studien  S.  71  u.  Galen.  XIX  454  K.  Natürlich  hängt 
damit  die  Lehre  von  der  Lebensunfähigkeit  der  6xrdur}voi  im  Gegen- 
satz zu  den  iitrdfirivoL,  bvv£äyLr\voi,  ötxccfirivoi  auf  das  innigste  zusammen. 

132)  Nach  Galeu.  n.  xptff.  rjingäv  ß'  =  IX  p.  865  u.  878  wäre  in. 
der  Reihe  20  40  60  80  120  die  20  als  Grundzahl  anzusehen,  nicht  die 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker,      i  i  7 

daß  diese  Reihe  einen  ausgesprochen  tessarakontadischen 
Charakter  trägt,  was  ja  auch  nach  dem,  was  in  den  früheren 
Abschnitten  dargelegt  ist,  durchaus  nicht  wunderbar  erscheinen 
kann.  Bestätigt  wird  in.  E.  diese  Annahme  auch  noch  durch 
eine  genauere  Betrachtung  von  Tabelle  I  und  II,  insofern  in 
beiden  die  10  noch  absolut  fehlt  und  nur  in  Tab.  II  die  20, 
40  und  60  je  einmal  vorkommt.  Wir  dürfen  also  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit  annehmen,  daß  der  Verfasser  von  %.  £%i- 
diftt.  a'  und  y'  zu  seiner  Ansicht  von  der  kritischen  Bedeutung 
des  20. ,  40.,  80.,  120.  Tages  nicht  bloß  durch  eigene  Be- 
obachtung von  Krankheitsfällen  sondern  namentlich  auch 
durch  die  offenbar  von  ihm  angenommene  Lehre  von  der 
Bedeutung  der  Tessarakontade  in  der  Gynäkologie133)  und 
Embryologie  gelangt  ist.  Unterstützt  wird  diese  Vermutung 
auch  noch  durch  den  gewichtigen  Umstand,  daß  in  den  Krank- 


10  oder  40.  Er  sagt  p.  865:  ^sydXrjv  rivu  Svvu^iiv  b  rfjg  slxoßrfjg  aoi&- 
[ibg  %X8L-  rovrov  yäg  noXXanXcx6ia^O[Lf:Vov  xrjv  6ySor\Y.oGrf\v  oigtcsq  v.cti 
xf\v  a'  v.ccl  xr\v  i^r}y.0Gxfjv  itccl  xf]v  sxccxoGxijv  ti%0Gxi]v  yivioQ'ai  ßvfißi- 
ßrjxsv  ...  ib.  p.  878:  xi)v  rsGGaQav.oGxfjv  v.al  xi]v  §'  -acu  xi]v  n'  v.ul  xi]v 
qh'  iv.  rfjg  ilv.oGrfjg  TioXXc<TtXuGia%,ou£vi]g  yiv£G%ai  ßvfißtßrjxs.  xovxo 
ovv  avxb  v.ai  ovx  äXXo  yrrngißfia  xeXsiag  ißxl  negiodov,  i\xoi  ßvvxed'eiiii- 
vrjg  asl  xal  TCoXXanXuGia^o^itvrjg  avrfjg  icp'  kavrijv,  aXXrjg  ^.rjxiri  dzlG&ai 
TttQiodov.  xal  ai]v  ovSsaiü  xwv  7cqo  rfjg  slxoßtfjg  vtcÜqxh  xovxo.  Übrigens 
hat  Galen  bei  seiner  Annahme  zweierlei  übersehen:  1)  daß  die  20  auch 
als  halbe  Tessarakontade  gelten  kann  und  2)  daß  die  tessarakonta- 
dischen Fristen  bei  Hippokrates  und  sonst  viel  zahlreicher  und  ur- 
sprünglicher sind  als  die  vigesimalen.  Ähnlich  sind  ja  auch  die  7-, 
9-,  und  iotägigen  Fristen  und  Wochen  aus  der  4-  oder  3-Teilung  des 
28-,  27-  und  ßotägigen  Monats  hervorgegangen  (s.  meine  Ennead.  u. 
hebdom.  Fristen  u.  "Wochen  d.  alt.  Griechen). 

133)  Dies  scheint  mir  z.  B.  mit  ziemlicher  Sicherheit  zu  folgen 
aus  dem  Krankenjournal  der  nach  Epid.  III/3'  p.  234 f.  Kühl.  [Tab.  IV 
nr.  72]  am  80.  Tage  verstorbenen  Frau.  Die  lteihe  der  für  diese 
Patientin  angegebenen  Beobachtungstage  lautet: 

8.  11.  20.  27.  40.  60.  80t. 
Ähnlich  steht  es  mit  dem  Epidem.  I  s'  206  t'.  beschriebenen  Krankheits- 
verlaufe   der  Wöchnerin    (Frau    des    Epikrates).       Die   Reihe   der  Be- 
obachtungstage nach  der  Entbindung  ist  diese: 

2.  6.  7.  8.  9.  10.  11.  14.  15.   16.  18.  20    21.  27.  31.  40.  80. 


1 1 8  W.  H.  Röscher: 

heitsberickten  von  Epidem.  I  und  III  die  20.,  40.,  60.,  80., 
120.  Tage  keineswegs  nur  als  kritische  sondern  häufig  auch 
als  bloße  Beobachtungstage  registriert  sind.  Man  erkennt 
daraus  deutlich,  daß  der  Verfasser  auf  Grund  irgend  einer 
Theorie  Anlaß  zu  haben  glaubte,  gerade  auf  diese  Tage  seine 
besondere  Aufmerksamkeit  zu  richten.134)  So  bleibt  uns  denn 
jetzt,  um  die  Bedeutung  der  Tessarakontade  für  die  Theorie 
von  den  kritischen  Tagen  bei  „Hippokrates"  endgültig  zu  er- 
ledigen, nur  noch  übrig,  nunmehr  auch  die  übrigen  bisher 
noch  nicht  gewürdigten  hippokratischen  Bücher  in  dieser 
Hinsicht  zu  betrachten,  um  zu  sehen,  wie  sich  diese  zu  den 
andern  in  Tabelle  I — IV  behandelten  verhalten.  Darüber  gibt 
Tabelle  V  (S.  1 1 9)  genügende  Auskunft. 

Auf  die  wörtliche  Wiedergabe  der  betreffenden  Zeugnisse 
glaube  ich  hier  verzichten  zu  können,  da  es  sich  meist  um 
minder  bedeutende  Bücher  des  Corpus  Hippocrateum,  ja  zum 
Teil  um  bloße  Kompilationen  (71.  xqlölcjv,  tc.  xqlgC[ig)v)  han- 
delt. Wer  sie  braucht,  mag  sie  in  den  'Hebdomadenlehren' 
S.  7  8  ff.  nachlesen.  In  Worte  gefaßt  läßt  sich  das  Er- 
gebnis von  Tabelle  V  so  darstellen  (vgl.  Hebdomadenlehren 
S.  83): 

Schon  auf  den  ersten  Blick  leuchtet  die  innige  Verwandt- 
schaft, in  der  die  in  Tabelle  V  berücksichtigten  Schriften  mit 
den  in  Tabelle  II  vereinigten  „echthippokratischen"  Büchern 
stehen,  ein,  während  sie  dagegen  sowohl  von  den  ^Knidiern' 
in  Tabelle  I  als  auch  von  n.  £7iidrj[iLcöv  a  und  y  (Tabelle  III 
u.  IV)  in  charakteristischen  Punkten  abweichen.  Die  Über- 
einstimmung zwischen  Tabelle  II  und  V  erstreckt  sich  einer- 
seits auf  die  heb domadi sehen  Tage  (von  denen  auf  eine 
Gesamtzahl  von  44  in  Tabelle  III  nicht  weniger  als  15,  in 
Tabelle  V  auf  eine  Gesamtzahl  von  c.  99  ungefähr  36 — 37 
kommen),  sowie  auf  die  tessarakontadischen  (20,  40,  60), 
deren  es  in  Tabelle  II  nur  3   (=  x/u — 1/15),  in  Tabelle  V  nur 

134)  Genau  dieselbe  Aufmerksamkeit  hat  der  Verfasser  auch  den 
ersten  6  oder  7  Krankheitstagen  geschenkt,  die  ebenfalls  besonders 
häufig  in  seinen  Journalen  erscheinen. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker,      i  19 


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135)  Vgl.  dazu  Tab.  II  Nr.  i4b  u.  Hebdomadenlehren  S.  81. 

136)  Vgl.  'Hebdomadenlehren'  S.  82  Anm.  122. 


120  W.  H.  Röscher: 

13  (=  y7 — yg)  gibt.  Reine  Dekaden  fehlen  hier  wie  dort, 
was  darauf  hinweist,  daß  die  20,  40,  60  nicht  als  Verviel- 
fältigungen der  10  angesehen  werden  dürfen.  Aber  auch  hin- 
sichtlich der  übrigen  Zahlen  weichen  beide  Tabellen  nur  un- 
wesentlich voneinander  ab,  was  ich  im  einzelnen  nicht  erst 
ausführlich  darzulegen  brauche. 
D.  Die  sonstigen  Tessarakontaden  der  hippokratischen  Bücher. 

Um  der  wünschenswerten  Vollständigkeit  willen  und  um 
die  Frage  der  Tessarakoütaden  bei  'Hippokrates'  möglichst 
abschließend  zu  erledigen,  führen  wir  hier  die  noch  übrigen 
bisher  unbesprochen  gebliebenen  Belege  für  4otägige  Fristen 
auf,  indem  wir  dabei  nach  Möglichkeit  auch  die  wahrschein- 
lich damit  zusammenhängenden  Fristen  von  20,  60  und  80 
Tagen  mit  berücksichtigen. 

a)  Eine  Reihe  von  einschlägigen  Zeugnissen  findet  sich 
zunächst  in  den  chirurgische  Fragen  behandelnden  4  Bü- 
chern 7t.  aypiöv,  xax '  ltjtqsIov,  %.  ccQd-Qcov  e{ißolfjg  und 
(lo^ktxög. 

1)  je.  uy^cbv  =  II  p.  60,  11  Kühlew.:  xQaxvvexca  de  [idh- 
6xa  ßga^iovog  ööxiov  ev  xeööccQÜxovra  i)(isQr}6i. 

2)  Ebenda  II  p.  63  Kühlew.:  vyissg  dh  xelecog  ovxoi  [de- 
ren Fußgelenke  verletzt  sind]  ylvovxcu  iv  xeööaQaxovxa 
'ijfiEQtiöL  [laliöra. 

3)  Ebenda  II  p.  70  Kühlew.:  tjv  [tev  xoh{iä  xaxaxelö&ai 
[der    am    Unterschenkel    Verletzte],    ixavccl    xeööccQaxovxa 

4)  Ebenda  II  p.  74  Kühlew.:  ööxea  dh  xvrj[it]g  xqclxvvs- 
rcu  ev  xeööccQKXOvxa  fftiEQriöiv,  ijv  ögfrag  irjXQevrjxcu. 

5)  Ebenda  II  p.  98  KühleAV.:  oXog  phv  xvxkog  oöxeov, 
t]v  iv  reööaQaxovxa  7}^bq)]6lv  uTtoörf],  xccXäg  a%o6x?\6exai, 
svia  yag  ig  e^rjxovra  i)[isQag  acpixvelxai. 

6)  Ebenda  II  p.  66  Kühlew.:  vyirjg  d'  av  yevoixo  [bei 
Bruch  des  Fersenbeins]   iv  e%r\xovxa  i]\iiQr\<5iv,   d  axgenioi. 

7)  Ebenda  II  p.  62  Kühlew.:  vyiä  de  ylvexai  [die  meisten 
Fußknochen]  iv  el'xoöi  ijfiSQcug  [läliöxu  xelecog. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      121 

8)  Ebenda  II  p.  57,  2  Kühlew.:  eccv  %QV  faudsdiöfrai  iv 
T016L  vdofttj^iv,  eöx     av  vtieq  elxoGiv  xj^itQag  yevrjxai131). 

9)  xax  '  lyrgetov  II  p.  42,  10  Kühlew.:  ig  de  vdofryxccg 
deds'vxa  ...  iäv  ue%Qig  ei'xoöL  i]^sqeojv  anb  xov  öCveog138). 

10)  %.  ao&Qav  iaßokfig  II  p.  187,  8  Kühlew.:  xal  rjv 
uev  alua  üitoxTvör}  xaxuQiug,  xeöö-aQccxov&rjpeQov  xyjv 
fieXexrjv  xal  xx\v  exideöLv  noielöftcu  xqtj-  r\v  de  (irj  nxvör}  xb 
ea.ua,  ccQxel  iv  eixoöiv  ^(id^yöLV  i]  fieXirrj  äg   etil   xb   %olv. 

11  — 14)  Vier  weitere.  2otägige  Fristen  s.  ebenda  II  p. 
I39f  2°;  P-   l52,   IO;  P-   185,  9;  p.  222}   i7ff.  Kühlew. 

15)  Ebenda  II  p.  222,  17  Kühlew.:  Mtjqov  fiev  ovv 
ööxe'ov^  ^ilco&ev  ex  xotovxov  xqotiov,  6ydortxo6xuiov  elöov 
iyco  dnoöxdv.  t]  [ie'vxol  xvTJ{irj  xovxa  xä  (xvQ-qgjtcg}  xaxä  xb 
yövv  äcpriQe^T}  eixoöxaii]  ...  Kvrjurjg  de  bßxea  ex  xotovxov 
iiekaöfiov  ...  e%*i]xo6xald  «ot  dneneöev.  Vgl.  Nr.   16.139) 

16)  uo%ltx6g  II  p.  265,  6  Kühlew.:  (irjQov  ößxe'ov  ix 
xotovxov  a7ielv%-rt  öydotjxoßtalov,  t)  de  xvtjui]  äcprjQefrri 
eixo6xatrh  xvrtiir]g  de  Ö6xea  ...  s^tjx 0 6 x al a  aitetä&rj'  s.  o. 
Nr.   15.140) 

J37)  Von  dekadischen  Fristen  finden  sich  in  n.  aypcöv  nur  noch 
eine  30tägige  (p.  57,  3  K:  iv  yccQ  TQiiJY.ovra  adhara  ttj6l  av^ndarjai 
■KQarvvsTai  oGtia  xa  iv  Ttr\%n  xb  iiclitav)  und  eine  iotägige.  Außer- 
dem kommt  hier  noch  die  3tägige  Frist  (11  mal)  und  die  7tägige 
(7  mal)  vor. 

138)  Von  sonstigen  Fristen  dieses  Buches  notiere  ich:  eine  3tägige 
und  eine  7tägige. 

139)  Weitere  Fristen  in  it.  agdgcov  iußolfjg  sind: 

4  iotägige:  II  p.   149,   15;   152,  8;  187,  4;  220,  5  Kühlew. 

2   i4tägige:  II  p.   139,  19;  241,   14  Kühlew. 

2  7tägige.  —  Am  4.  Tag  soll  eine  Verschlimmerung  des  Leidens 
stattfinden  (2  mal!).  —  Ob  die  iotägigen  Fristen  dieses  Buches  selb- 
ständige Bedeutung  haben,  d.  h.  direkt  den  dekadischen  Wochen  der 
historischen  Zeit  entsprechen,  oder  durch  Halbierung  der  20tägigen  und 
Viertelung  der  40  Tagfristen  entstanden  sind,  ist  einstweilen  schwer  zu 
sagen.  Ich  bin  im  Hinblick  auf  das  fast  völlige  Fehlen  der  dekadischen 
Frist  in  den  übrigen  chirurgischen  Schriften  sehr  geneigt,  die  letztere 
Alternative  anzunehmen. 

140)  Weitere  Fristen:  2tägige:  U  p.  249,  4  und  264,  1  Kühlew. 
—  Der  4.  (und  5.)  Tag  gilt  auch  hier  für  bedenklich  (2  mal!). 


122  W.  H.  Röscher: 

Wie  man  leicht  erkennt,  haben  alle  hier  verzeichneten 
20-,  40-,  60-,  80-Tagfristen  einen  ausgesprochen  kritischen 
Charakter,  insofern  an  ihrem  Ende  stets  eine  Art  xqiöis,  d.  h. 
HexaßoXij  (s.  Hebdomadenlehren  S.  16  Anm.  13),  zur  vollen 
Heilung,  stattfinden  soll.  Auch  scheint  für  das  Verständnis 
der  auch  hier  maßgebenden  tessarakontadischen  Fristen  der  im 
Buche  71.  xQocpfjg  43  =  IX  p.  116  L.  deutlich  ausgesprochene 
Gedanke  in  Betracht  zu  kommen,  daß  es  sich  bei  der  Heilung 
von  Knochenbrüchen  ebenso  wie  bei  der  Entwicklung  der 
Embryonen  im  Mutterleibe  um  eine  xQocprj  handele.  Vgl. 
a.  a.  0.  die  Worte:  'Oöxeav  xQoyi]  ix  xuxrfeiog,  qlvi  dlg 
nevxe  [=  10],  yvä&co  xal  xXrjlöi  xal  TcXevgfjöi  diTiXäöiai 
[=  20],  %r\%ei  xQLTtXciöica  [=  30],  xvrj^ir]  xal  ßQa%Covi  xe- 
XQanXdöiai  [=  40],  {ir]Q<p  TCevxaTtXdöiat  [=  50].  Vgl. 
ob.  Nr.  15  u.  16. 

Ziemlich  dasselbe  gilt  aber  auch 

b)  von  den  meisten  der  im  Folgenden  zu  besprechenden 
Tessarakontaden,  die  sich  meist  auf  innere  Krankheiten 
beziehen. 

Aus  dem  Prognostikon,  den  Aphorismen  und  den 
Kcoaxal  nQoyväöeig  gehören  (abgesehen  von  den  schon  oben 
in  Tabelle  II  S.  119  angeführten  kritischen  Tagen  im  engeren 
Sinne)  folgende  Zeugnisse  hierher: 

1)  I  p.  94,  18  Kühlew.:  ai  de  dXXai  s^i7tvt]6£Lg  ai  TtXel- 
6xcu  Qiqyvvvxai,  cd  per  elxoöxalai,,  ai  de  xQi^xoöxalat^  al 
de  xs66aQaxov&Y]^,SQOi7  ai  de  TtQog  xäg  e^rjxovxa  ij^iegag 
dcpixveovxai. 

2)  Ebenda  I  p.  84,  8  Kühlew.:  ei  de  viteQßdXXoi  elxo<5iv 
r)ti£Q<xg  0  xe  TtvQexbg  eypv  ...  ig  dicmvrfiiv  xqenexai. 

3)  Ebenda  I  p.  96,  15  Kühlew.:  y\v  (ihv  6  növog  iv  äg- 
%f]<5i  yCvrjxai  ....  ig  xäg  eixo6i  ijfieQag  7iQ06de%e6&ai  xi]v 
fyrfeiv. 

4)  Ebenda  I  p.  105,  5  Kühlew.:  iqv  elxo6iv  rjfiSQag  6 
nvgexbg    e%cov  vneQßdXXr},    vitoöxenxetöai  ...  %QV  svd-eag  xu 

71EQI    XX\g   U7l0GTÜ6l0g. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      123 

4)  Ebenda  I  p.  84,  19  Kühlew.:  al  da  {fXSQßakXoi  l£if- 
xovxcc  ijueoecg  o  xa  nvgexbg  'iycov  ....  e^TCvov  eöaßd-ai  Grr 
ILaCvei. m) 

5)  'AyoQiöpol  V,  15  —  IV  p.  535  L:  Vxoöot  kx  TiXavoCxi- 
öog  euTivoi  yivovxca,  i\v  ävecxad-ccod-aöiv  hv  xaßöuQaxovxu 
rjiiegrfiiv,  äff     rjg  av   rj  Qrj&g  yevrjxcu,  tcccvovxcci. 

6)  Ebenda  VII  38  =  IV  p.  588  L:  xcctccqqooi  ol  ig  ttjv 
ava  xoiXirjv  exTCveovxai  av  fjfiSQ7]6tv  alxo6t,v.ur) 

7)  Kcoccxai  Tcooyv.  II  20,  383  =  V  p.  666  L:  ol  ax  TcXavQt- 
xixov  eaicvoi  yavöpavoi  av  xfjGi  xeööccQdxovxcc  r}fiSQ7]ßiv 
ävuTCXvovöiv  <x7ib  XT\g  (irfeiog. 

8)  Ebenda  396  =  V  p.  674  L:  Qy'iy  vvxat  da  xä  Tclelöxa 
rStv  huTCvrttudxcjv,  xä  pbv  alxoGxala,  xä  de  xe66ccQaxo6xvu/., 
rä  da  Tcobg  xäg  e^rjxovxa.  Oiöi  [tev  ovv  6  Tcövog  hv  ä.Qxfj 
eyxaixai  övvxovog  ...  Tcobg  xäg  el'xoötv  r)  6vvxoiLcbxeQov  tcqoö- 
öayov  xr)v  qy^lv. 

9)  Ebenda  398  =  V  p.  674  L:  Ölöl  <5'  av  Tclevuovi, 
cpvfiaxcc  yCvexcu,  xb  tcvov  uvdyovötv  eg  xaßöuQÜxovxa  i]- 
fieoag  (isxä  xijv  Qffecv. 

10)  Ebenda  2,  15,  275  =  V  p.  644  L:  xä  iiaXftcLxä  de 
xccl  ävaÖvva  xcbv  oidijfMxxcov  ...  xäg  ...  s^tjxovxa  ...  vneo- 
ßäXXovxu,  xov  Tcvoexov  iievovxog,  ifMtvovTcu,. W3) 

c)  Auf  derselben  Stufe  wie  die  eben  angeführten  meist 
für  'echt  hippokratisch'  gehaltenen  Bücher  stehen  in  tessara- 
kontadischer  Beziehung  auch  die  cknidi  sehen'  Schriften  tc. 
vovöov  ß',  y\  d'  und  tc.  x&v  avxbg  Tcufi-üv. 


/ 


141)  Die  weiteren  in  diesem  Buche  erscheinenden  Fristen  sind: 
7tägige  (3),  Htägige  (3),  3tägige  (1),  9tägige  (1),  ntägige  (1):  ferner 
7jährige  (2),  14jährige  (1),  30jährige  (2),  35jährige  (2).  —  In  n.  Siccit. 
o|.  ebenso  wie  in  n.  ag^airi?  fytQ.  fehlen  alle  tessarakontadischen  und 
halbtessarakontadischen  Fristen. 

142)  Außerdem,  abgesehen  von  den  oben  S.  109  verzeichneten 
Reihen  der  kritischen  Tage,  einige  Fristen  von  3,  4,  7  Tagen,  und  je 
eine  von  14  und  6  Tagen.     Dekadische  Fristen  fehlen! 

143)  Außerdem  noch  4  Fristen  von  20,  eine  von  30  Tagen,  ferner 
39  hebdomadische,  7  enneadische,  8  pentadische  usw.  Dekadische 
fehlen ! 


124  W.  H.  Röscher: 

• 

i)  7i.  vov<5.  ß'  i  =  VII  p.  8  L:  'AußXvcoGöovöi  de,  öxav 
ig  xä  iv  xolGiv  6<p&akiiol6i  cpXeßia  eöeX&rj  (pkey^ia  . . .  ovxog 
iv  xeööagdxovxa  rj[iSQr]6i  \idXi6xa  vyidt,exat. 

2)  Ebenda  12  =  VII  p.  18 f.  L:  Novöoi  al  aito  r>jg  xe- 
cpaXfjg  yivö^evai  . . .  ovgiei  xe  äxövcog  xal  novXv  xal  Xevxbv 
eg  xäg  elxoötv  i)fiigag  .  .  .,  xccl  ix  x&v  6(p&aXucbv  iöoQ&vxt 
xXinxexai  ol  i]  avytj...  ovxog  xeGöagaxoöxalog  vyn)g  %av- 
xeXcog  yCvexai. 

3)  Ebenda  12  =  VII  p.  22  L:  enty  de  xe66agdxovxa 
r}[ii(}eu  diil&coöi,  xad-töxaxat  yäo  ^idXiöxa  i]  vovöog  iv  xoöov- 
X(p   %QOV(p)   .  .  .   xdxco   xad-ygov. 

4)  Ebenda  51  =  VII  p.  80  L:  &&iöig  vaxidg  ...  ßoetov 
de  ydXa  dtdövat  itiieiv  xeööaodxovxa  i)neoag.  Vgl.  oben 
S.  102  f. 

5)  Ebenda  57  =  VII  p.  90  L:  (Pv^ia  iv  x<p  TtXev^iovi 
.  .  .  .  Kad-aCoovxat  de  iv  xeööaodxovxa  i)[iriQr}6iv  ay  r\g 
av  Qccyfj. 

6)  Ebenda  64  =  VII  p.  98  L:  üvoexog  Xvyycodrjg  .  .  ., 
ißdojACCLog  anoxtvrfixei'  tjv  de  dexa  rjfiegag  vTteocpvyri,  qcccov 
yCvexaf  elxoöxfj  de  rjfisQri  i^TtvTöxexat  . . .  xa&aloexac  de  iv 
xeGöaodxovxa  rju£Q)j6i. 

7)  n.  vovö.  y  15  =  VII  p.  138  L:  IleqiTtXev^ovi^  .  .  . 
i]  vovöog  xa&Cßraxai  iviccvöLtj,  r\v  [ti]  iv  xfjßt  xe66  agdxovxa 
i]ixeQri6L  <37tevdav  dvaydyt]  xb  Ttvov. 

Außerdem  finden  sich  in  den  4  Büchern  it.  vovöcov  gegen 
70  hebdomadische,  18  enneadische,  24  triadische,  18  penta- 
dische  Fristen  usw.     Vgl.  Hebdomadenlehren  S.  5  8  f. 

8)  7t.  xäv  ivxbg  Ttu&av  6  =  VII  p.  182  L:  ™Hv  (pXey- 
[iovi]  iv  7tXev\xovi  yivrjxai  .  .  .  TtoXXdxtg  de  xal  (jvvaTto&vijö- 
xei  \y\  vovöog],  r\v  [it]  iv  xfjöc  Ttocoxrjö'L  ijitBQTjöt  xeöGagd- 
xovxcc  a7to&üvr}. 

9)  Ebenda  9  =  VII  p.  188  L:  *Hv  iv  7tXevo(p  tpvpcc 
(pvrixai . . .  Ilvtöxexai  de  \1dX16xa  iv  xeööaodxovxa  rj{iiQr}6iv. 

10)  Ebenda  46  =  VII  p.  280  L:  EiXebg  aipaxixrig  [= 
'Scorbut'):  Tttvixco  de  xal  ßöeiov  [ydXa]  xr\v  coqtjv,  xeGGagd- 
xovxa  rniigag. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      125 

11)  Ebenda  18  =-=  VII  p.  212  L:  'Ana  de  vecpoCxidog  etil- 
la^ßdveL  Tjde  v\  vovöog  [leydkr]  xäv  cpXeßäv  xäv  xoCXojv  .  .  . 
r)v  6trjQC^tj  ...  ig  xi)v  xvöxlv,  TtooftcooEeL  dpLcc  xä  ovqg)  ai^iaxog 
(iccXiGta  xeööagdxovxa  yj^isgag. 

12)  Ebenda  53  =  VII  p.  300  L:  'OnLö&öxovog  ...  r\  de 
vovöog  tcqogCgxel  xb  [laxQoxaxov  ä'%QL  xe6Gaodxovxa  x\[ie- 
qecoV   r\v  de  xavxag  dLUffvyt],  vytaCvexat. 

Von  sonstigen  häufigeren  Fristen  dieses  Buches  hebe  ich 
hervor:  18  hebdoniadische,  15  dekadische  [Io  =  4%?];  nur  hier 
zahlreich,  5  enneadische,  8  triadische.  — 

d)  Aus  den  Büchern  it.  enidri^iäv  ß\  d\  s\  g',  £',  über 
deren  Charakter  ich  auf  Littres  Auseinandersetzungen  in 
Bd.  V  seiner  Ausgabe  S.  3  ff.  verweise,  kommen  noch  folgende 
Zeugnisse  hinzu  (s.  auch  oben  S.  119): 

13)  n.  imd.  ß'  24  =  IV  p.  98  L:  'Hv  öh  xäv  xvvuy%L- 
xäv  xä  Tta&rjfiaxa  xdde  .  .  .  i]v  de  xä  [iev  xä%i6xa  Qrjt^ovtcc, 
xu  öh  nXelGxa  xal  ig  xEGGccQäxovxcc  i)[iEQug  tceql^el. 

14)  %.  E7CLÖ.  d'  3  =  V  p.  146  L:  ..  6  Xcc?.xridoviog  ... 
Qrjy^iaxog  tceql  iiutpv  öet,ibv  odwa^iEvog,  etcxvev  ...  v7CÖ%Xcoqov 
...  exql&t]  xe<5(5u.Qe6%cadexdxri'  tieqI  de  xE6Gaoaxo6xr\v  iiQ&y] 
tceql  xä  äxä  ol  ayupoxEQa  . . . 

15)  71.  etclÖ.  d'  25  =  V  p.  170  L:  'Avöql  xavxä  [xagrj- 
ßaoLxbg  tGj^vQäg  . . .  xuvGdtörtg  v7io%6vdQLcc  x.  x.  A.]  itXijV  eß- 
dopr}  exotdry  VTtoGTth^vog^  ig  xä  uoLöxeoä^  oydortxo6xaC(p  ... 

16)  71.  ETtid.  c'  4,  5  =  V  p.  308  L:  a)  ev  xfj  xEcpalf] 
ivifiexo,  .  .  .  ei%ev  dXhjv  aTtoöxuöLv,  l'öag  oxi  böxeov  e^ielkev 
ä.7io6xi]<5E6&aL '  ä7t86xr]  e%t]xo6xaio v. 

17)  Ebenda  7,  1  =  V  p.  330  L:  Bf\%eg  iqQ^uvxo  tieqI 
r(kiov  xQOTtäg  xäg  lEL^iEQtvdg  .  .  .  tiqo  lörjfieoLrjg  avxLg  vtce- 
GxgecpE  xovg  TileCöxovg  63g  etil  xb  tcovIv  xE66aqaxoGxaiovg 
ä%b  xrtg  dgi^g  ... 

18)  7t.  ETiLd.  £'  3  =  V  p.  370  L:  O  'Eoaxoldov  ...  dv6- 
evxEQLxbg  eyevexo  ....  vtceq  de  xäg  xqlijxovxcc  ^ezql  xäv 
xe66txQdxovxc(  v\xe  ödvvrj  Ttovkv  inedidov  xfjg  yaöxQog  x.x.X. 
[p-  372]  V  de  TiööLg  xov  yälaxxog  etil  xeGöaoäxovxa 
r}ueoccg  ävev.  vdaxog.    Vgl.  ob.  S.  102  f. 


i2Ö  W.  H.  Röscher: 

19)  ebenda  26  =  Vp.  398  L:  TS)  'Avxicpdvovg,  %eiixö)vog, 
älyrj^a  nlevQov  de^iov,  ßrfe,  TtvQexog  .  .  .  vtteq  de  rag 
xeödaQaxovxa^  eyyvg  olficu  xcbv  e^ijxovxa^  ocpd'ak^ibg  ccql- 
öxeobg  hvcplGyd-i]  {iera  oldruiaxog  dvev  odvvijg  . . .  xal  exelevrrjöe. 

20)  ebenda  47  =V  p.  416L:  Kleöyco  ...  oi'drj^ia  ig  yovv 
dt^iöv  [cScorbuf]  ...  7t£Ql  de  et.rjxoo'xijv  xaxeöxrj  xd  oldrtfiaxa 
7100g  xov  devxegov  iXXeßöoov  povvov  .  .  . 

21)  ebenda  58  =  V  p.  424  L:  O161  ßr\%eg  %et^5ivog  .  .  . 
7ia%ea  xal  Ttovkkä  %qs[17Cto(ievol6i,  Ttvoexoi  emylvovxai,  emeixiog 
de  %e\i%xaloi  navovxaf  aC  ßy}%eg  de  neol  xäg  xe66aqdxovxa. 

22)  ebenda  59  —  V  p.  426  L:  Xk^ti,  let^iavog^  ex  ßr\yJ,ov 
i7ttdrjfiiov  TtQoöyevöfievog  Ttvoexbg  STteXaßev  6|vg  . . .  fH  &SQ{ir] 
evxbg  xav  ei'xoöiv  EnaXvv&r],  xal  diioyjoe^ieg  TtaorjxoXovd'ovv 
%ayeai,  Qrj'idCag,  ig  xeööagdxovxa. 

2$)  ebenda  93  =  V  p.  450  L:  Mexcavi,  pexd  ltkiq'Cddcßv 
dvtiiv,  nvoexog,  nkevoov  doiöxeQov  bdvwi]  [ie'xql  xlrfcdog  .  .  . 
xqCxjj  ScTib  xov  q)ao[idxov  eggayi]  xb  tcvov,  anb  de  xfjg  aQ%r\g 
xov  aQQaöxi'iiiaxog  xeööaQaxoöxf]  ... 

In  den  Büchern  n.  e%id.  ß\  d\  g',  die  nach  Littre  V  p.  3 
den  gleichen  Chrakter  und  Ursprung  haben,  finden  sich  außer- 
dem noch  circa  13  2  o-Tagfristen,  dagegen  nur  sehr  wenige 
1  o-Tagfristen  (4):  abermals  wohl  ein  deutlicher  Beweis,  daß 
auch  hier  den  vigesimalen  und  tessarakontadischen  Tagfristen 
nicht  die  iotägige  Woche  zugrunde  liegt.  Dagegen  sind  in 
den  genannten  3  Büchern  sehr  häufig  die  hebdomadischen 
Fristen  (9  -}-  42  -(-  5  =  56!),  während  die  enneadischen  nur 
schwach  vertreten  sind  (13 — 14). 

e)  Ahnlich  verhält  es  sich  mit  den  ebenfalls  eine  be- 
sondere Gruppe  bildenden  Büchern  %.  h%id.  e'  und  %'.  Hier 
beträgt  die  Zahl  der  20-Tagfristen  (5  +  7  — )  I2>  die  der 
1  o-Tagfristen  nur  (1  -f-  2  =)  3;  die  der  hebdomadischen  da- 
gegen (15  -)-  49  =)  64;  die  der  enneadischen  (3  -f-  18  =)  21, 
aus  welchen  Tatsachen  doch  mit  ziemlicher  Sicherheit  ge- 
schlossen werden  darf,  daß  der  oder  die  Verfasser  hinsichtlich 
der  Fristenlehre  ungefähr  auf  demselben  Standpunkte  stehen 
wie  die  'Knidier'  (s.  'Hebdomadenlehren'  S.  58  ff.). 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      127 

Aus  dem  Traktat  zt.  xqi'glgjv,  nach  Littrk  einer  'Kom- 
pilation aus  dem  Prognostikon,  den  Epidemien,  den  Apho- 
rismen  und   den   Koischen  Vorhersagungen',    gehört   hierher: 

24)  7t.  xqi6.  1 1  =  IX  p.  280  L:  cpilest,  ds  xal  eg  faitvQtriv 
ftEQiiGTaöftcu  [6  xai)6og\  xal  la^ißdvSL  (idltöta  rs66aQdxovxa 
yuegccg  xal  h^r^iaXovxai  . . .  iäv  dl  fii]  [led-Cr}  avtbv  i\  Xi%vQly\ 
sv  talg  rs66aQaxovta  ijUSQaig,  all'  ä%&f]  xal  oövvr\  e%r} 
tr\v  xscpalijv  .  .  .  e'iuxdd'-rjQov  avröv. 

VI. 
Die  Tessarakontaden  der  späteren  Ärzte. 

Wir  dürfen  das  wichtige  und  umfangreiche  Kapitel  über 
die  Vierzigtagefrist  bei  '  Hippokrates'  nicht  abschließen,  ohne 
noch  einen  Blick  zu  werfen  auf  das  Nachleben  der  Tessara- 
kontade  bei  den  späteren  Ärzten;  denn  nur  so  können  wir 
die  Geschichte  dieser  Zahl  bei  den  Griechen  bis  ans  Ende 
verfolgen.  Ich  bemerke  ausdrücklich,  daß  es  mir  dabei  auf 
vollständige  Sammlung  des  erreichbaren  Zeugnismaterials  durch- 
aus nicht  ankommt.  Ich  habe  mich  deshalb  darauf  beschränkt, 
die  Schriften  des  Scribonius  Largus  (ärztlichen  Begleiters  des 
Claudius  auf  seinem  Zuge  nach  Britannien  43  p.  Chr.),  des 
Dioskorides  (lebte  unter  Nero),  Plinius  d.  Alteren,  Galens  und 
des  Marcellus  Empiricus  (unter  Theodosius)  mehr  oder 
weniger  gründlich  durchzusehen  und  die  bei  dieser  Durchsicht 
aufgefundenen  Belege  ähnlich  wie  die  den  Hippocratea  ent- 
nommenen in  bestimmte  Klassen  einzuteilen.  Manche  der 
hierhergehörigen  Rezepte  tragen  übrigens,  wie  man  leicht  er- 
kennt, den  Stempel  uralter  der  Volksmedizin  entstammender 
Heilkunde.  Die  erste  jener  Klassen  mögen  diejenigen  Zeugnisse 
bilden,  welche  sich 

a)  auf  die  Leiden,  Zustände  und  Bedürfnisse  der  Frauen 
und  Kinder  beziehen  (s.  ob.  Kap.  V  S.  85  ff.). 

Plin.  n.  h.  28,  77,  251  f.  (in  einem  durchweg  von  gynä- 
kologischen Dingen  handelnden  Abschnitt):  Eiusdem  animalis 
(asini)  fimuni,   si  recens  imponatur,  profluvia  sanguinis  mire 

Phil.-hist.  Klasse  1909.    Bd.  LXI.  9 


128  W.  H.  Röscher: 

sedare  dicitur;  nee  non  et  cinis  eiusdem  fimi,  qui  et  vulvae 
prodest  impositus.  Equi  spuma  illita  per  dies  quadraginta 
priusquam  primum  nascantur  pili,  restinguuntur;  item  cornus 
cervini  decocto.  —  Ebenda  28,  50,  184:  Frivolum  videatur, 
non  tarnen  omittendum  propter  desideria  mulierum,  talum 
candidi  iuvenci  quadraginta  diebus  noctibusque,  donec 
resolvatur  in  liquorem 144),  decoctum  et  illitum  linteolo  candorem 
cutisque  erugationem  praestare.  —  Ebenda  34,  n8f.  Chalcitis] 
vulvae  quoque  vitiis  in  vellere  imponitur.  Cum  sueco  vero 
porri  verendorum  additur  emplastris.  Maceratur  autem  in 
fictili  ex  aceto  circumlito  fimo  diebus  quadraginta.  —  Eben- 
da 26,  94:  Venerem  in  totum  adimit,  ut  diximus,  nymphaea 
heraclia;  eadem  semel  pota  in  quadraginta  dies145).  — 
Ebenda  28,78,258  (in  einem  größeren  durchweg  von  Kinder- 
krankheiten handelnden  Kapitel !) :  Iecur  asini,  admixta  modice 
panace,  instillatum  in  os,  a  comitialibus  morbis  et  aliis  in- 
fantes  tuetur,  hoc  quadraginta  diebus  fieri  praeeipiunt 
(vgl.  ob.  Kap.  V  S.  99). 

b)  Besonders  zahlreich  sind  ferner,  wie  es  scheint,  die- 
jenigen Zeugnisse,  die  sich  auf  Milz-,  Leber-  und  Blasen- 
leiden beziehen.  Dioskor.  m.  m.  3,  141:  ITsqI  äöJiXrjvov]  dvva- 
\iiv  de  £%sl  tä  (pvXla  ecTio&ö&evTa  6vv  ö<-sl  aal  iiivöfieva 
inl  rj^iegag  tsööccqkxovtcc  öTtkrjvcc  xrjxsiv  ==  Plin.  n.  h.  27, 
34:  asplenum]  huius  foliorum  in  aceto  decocto  per  dies 
quadraginta  poto  lienem  absumi  aiunt.  —  Plin.  11.  h.  20,  87 
(de  brassica):  invenio  et  a  podagra  liberatos  edendo  eani 
decoetaeque    ius    bibendo.    hoc    et    cardiacis    datum    .  . .   item 

144)  Der  Kalbsfuß  soll  offenbar  binnen  40  Tagen  verwesen.  Dies 
hängt  zusammen  mit  der  schon  oben  (S.  37)  erwähnten  und  später 
noch  einmal  zu  erörternden  uralten  Volksvorstellung,  daß  zur  voll- 
ständigen Auflösung  organischer  Körper   40  Tage   erforderlich   seien. 

x45)  Vgl-  damit  Plin.  25,  75:  Nymphaea  nata  traditur  Nympha 
zelotypia  erga  Herculem  mortua  [wohl  ein  Beweis  des  hohen  Alters 
dieses  Hausmittels  gegen  Hysterie!].  Quare  heracleon  vocant  aliqui  .  .  . 
ideoque  eos,  qui  biberint  eamXII  [XL!]  diebus,  coitu  genituraque  privari. 
Dioskor.  m.  m.  3,  138:  aroviav  xs  iQyagsxai  xov  alSoiov  Ttgog  oliyag 
tjueqccs,    ei'  Ttg   ivötXsymg  nlvoi'   xö  cevxb  Ss  noisi  neu  xb  Gneq^ia.  ito&ev. 


Die  Tessarakontadex  der  Griechen  und  anderer  Völker.      12g 

splenicis    in   vino    albo   per   dies   quadraginta.  Geopon. 

12,  17,  9  (Paxami):  'IxrsQLxovg  da  xal  67iXr]vixovg  tni  rj^tgag 
TSööccQaxovra  jitfr'  olvov  ksvxov  ttivöfisvog  6  %vkbg  avrfjg 
[t.  xQcc(ißr,g]  dsQUitevsi.  —  Plin.  n.  h.  26,  76:  Cissanthemus, 
drachma  bis  die  sumpta,  in  vini  albi  cyathis  duobus  per  dies 
quadraginta  lienern  dicitur  paullatim  emittere  per  urinam.  — 
Marceil.  de  medic.  22 ,  30  =  p.  228  Helmr.  [ad  epatis  sive 
iecoris  vitia  omnia]:  Piperis  albi  grana  quadraginta  .  .  . 
contere  in  unum  ...  —  Ebenda  26,  10  =  p.  255  Helmr:  Ad 
calculosos  remedium  utile  sie:  ...  trita  haec  onmia  aqua 
colliguntur,  fiunt  pastilli  lupini  magnitudine,  dantur  ieiuno 
ex  aquae  cyathis  ternis  per  dies  quadraginta.  — 

c)  Endlich  gibt  es  noch  eine  ziemliche  Menge  sehr  ver- 
schiedener Leiden  und  Gebrechen,  bei  denen  die  4otägige 
Frist  oder  eine  andere  tessarakontadische  Bestimmung  von 
den  späteren  Ärzten  beobachtet  oder  verordnet  wurde,  z.  B. 
bei  övötcvouu,  aGd-para,  öq&oxvoiui,  bei  nervorum  vitia  ac 
dolores,  strumae,  örty^ara,  Zahnleiden,  zur  Pflege  des  Haares, 
bei  Augenschmerzen  und  überhaupt  bei  allen  möglichen  Leiden 
und  Gebrechen  (vitia  omnia).  In  einigen  Fällen,  wo  es  sich 
um  vollständige  Auflösung  (Verwesung)  organischer  Körper 
handelt,  begegnet  uns  auch  hier  wieder  die  bereits  oben 
(S.  37)  besprochene  Frist  von  40  Tagen,  die  nach  uraltem 
Volksglauben  erforderlich  ist,  um  die  völlige  Auflösung  oder 
Verwesung  herbeizuführen.  Die  von  mir  gesammelten  Zeug- 
nisse sind: 

Dioskor.  tc.  svxoq.  39  =  11  p.  251  Spr:  Jvönvoiag  xccl 
äG&HUTcc  xal  ÖQ&onvoCag  chfpelsl  .  .  .  TiBQt'akv^ivov  [_  a  siel 
i]ueQocg  xs6<5u.Quxovxa  6vv  oiva  ..  —  Marceil.  de  med.  35, 
7  =  p.  359  Helmr:  Acopum  ad  nervorum  causas  quod  per 
vindemiam  componitur,  antequam  mustum  defervescat  sie: 
Musti  recentis  congios  V  et  olei  Venafrani  P.  I,  in  his  ma- 
cerantur  species,  quae  infra  scriptae  sunt  ...  id  est:  iris  Illy- 
ricae  X  XL,  cyperi  X  XL,  faeni  graeci  X  XL,  piperis  nigri  X  XL, 
xylobalsami  X  XL,  calami  odorati  ...  X  LXXX  [==  2  x  40!], 
schoeni  X  LXXX  [=  2  x  40!],  saliuncae  X  LXXX  [=  2  x  40!] 


9* 


130  W.  H.  Röscher: 

...  —  Scribon.  Larg.  comp.  med.  20,  80:  Ad  strumas  bene 
facit  radix  cucumeris  silvatici  .  .  .  sed  melius  marini  lepores 
oleo  vetere  necati  faciunt,  in  plumbea  pyxide  clusi,  quam 
diebus  quadraginta  diligenter  alligatam  oportet  habere; 
ebenso  Marceil.  de  med.  15,  97  =  p.  150  H.  — 

Dioskor.  n.svnoQ.a'  116:  Hxiy^iaxa  öe  ccI'qel  . . .  xä  (pvXXu 
fiavÖQayoQov  xaQi%ev%,ivxa  ev  al^iri  nal  e7CL%Qi6iieva  enl 
rjfieQas  xsöGccqccxovxcc  ...  — 

Dioskor.  it.  evTtoQ.a'  71  =11  p.  129  Spr:  Elg  de  xb  ßgcbpcc 
ivxL&e^ieva  rj  neQi%la666^ieva  xa  oöövxi  cbcpelel  xovg  ööov- 
xalyovvxocg  .  .  .  tcvqe&qov  xuql%£V&£v  övv  ö|ft  iitl  r}[i£Qccg 
xsötiaQaxovxa.  — 

Marcell.  a.  a.  0.  8,  125  p.  80  H:  ad  .  .  .  oculorum  dolores 
.  .  .  teruntur  haec  seorsum  singula  bene  siccata,  deinde  in 
unum  collecta  aceto  consperguntur  ac  postea  in  ollam  fictilem 
novam  coniciuntur  cum  ipso  aceto,  quam  bene  opertam  in 
equino  stercore  obrui  oportet  atque  illic  haberi  per  dies 
quadraginta  ...  —  Plin.  n.  h.  32,  67:  Capillum  denigrant 
sanguisugae,  quae  in  nigro  vino  diebus  quadraginta  compu- 
truere  =  Marcell.  a.  a.  0.  7,  1 1  p.  53  H.  —  Marcell.  7,  15  = 
p.  54  H:  ad  capillos  inficiendos  et  confirmandos  et  specie 
augendos  .  .  .  oninia  haec  in  unum  vas  mittes  et  diebus 
quadraginta  sub  divo  positum  iubebis  cotidie  per  puerum 
virginem  commoveri,  ita  ut;  si  quando  puer  ipse  defuerit, 
signetur  neque  a  quoquam  nisi  a  puero  alio  virgine  contin- 
gatur  (offenbar  ein  aus  dem  Volkaberglauben  und  der  Volks- 
medizin entstammendes  sehr  altes  Rezept!).  —  Plin.  n.  h.  19, 
43  [de  laserpitio] :  Post  folia  amissa  caule  ipso  et  homines 
vescebantur  decocto,  asso  elixoque,  eorum  quoque  corpora 
quadraginta   primis   diebus   purgante   a  vitiis  omnibus.  — 

d)  Was  endlich  die  Ansicht  des  Galenos  von  der  Be- 
deutung der  40-,  6o-;  80-,  i2ot'ägigen  Fristen  betrifft,  so  steht 
derselbe  auch  in  dieser  Beziehung  ganz  und  gar  auf  dem 
Standpunkte  des  cHippokrates'.  Als  besonders  charakteristische 
Belege  dafür  führe  ich  folgende  an:  n.  xqloC[i.  i)[1£qG)v  a  = 
IX  p.  816  K:    e%ei    de  xal  r\  Xd'  [=  34]    dvvcc[iiv    a^iokoyov 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      131 

xal  xavxrtg  exi  {läXXov  ij  xeööaQaxoßxr].  —  ebenda  p.  817 
K:  di  ye  [iexä  xr\v  xe66aQaxoöxijv  axaöia  xeXeag  eiölv 
exXvzoi,  ■xtxpeöi  iiäXXov  xal  äiKxSxäGeöt  tag  XvGeig  xCov  voü)^- 
u&T(ov  r]  ixxQLösöi  noiovfievai.  xCov  (ihv  ovv  äXXcov  t&v  fiexä 
trjv  xeööaQaxoöxijv  r^iigav  xeXecog  eoixev  6  'ImtoxQCCTYjg 
xaxacpQovelv'  e£,t]XO(jxijV  de  xal  6yöorixo6xi}v  xal  exa- 
toötiJi'  elxoöxijv  ev  X6y<p  xl&exai.  pexä  de  xavxag  xäg  yuev 
sv  enxä  (iiföl)  tag  de  ev  enxä  exeöt  xgCveöftaC  qp^tft,  xäg  d' 
ag  eoixev.  ev  dixxalg  ex&v  ißdo{iäöi  xal  XQixzaig  [vgl.  oben 
Anm.  131].  An  ein  paar  anderen  Stellen  derselben  Bücher,  die 
schon  oben  [S.  116  f.  Anm.  132]  angeführt  wurden  [IX  p.  865 
u.  878],  spricht  Galen  die,  wie  wir  bereits  gezeigt  haben,  un- 
begründete Behauptung  aus,  daß  die  40-,  60-,  80-,  i2otägigen 
Fristen  des  Hippokrates  auf  einer  Vervielfältigung  der  2otä- 
gigen  Frist  beruhten,  während  nach  meiner  Meinung  alle  ge- 
nannten Fristen,  auch  die  2otägige,  erst  aus  der  4otägigen 
teils  durch  Halbierung,  teils  durch  Multiplikation  entstanden 
sind.  Auch  hinsichtlich  der  Tessarakontaden  bei  Schwanger- 
schaften teilt  Galen  die  Ansicht  des  Hippokrates:  vgl.  z.  B. 
XVII A  p.  444  K.;  ebenso  hinsichtlich  der  40tägigen  Frist 
bei  Verletzungen  der  Gelenke  (ügd'Qa) ;    vgl.  XVIII  A  404  K. 

Kap.  VII. 

Die  Tessarakontaden  des  Piaton,  Aristoteles,  Theophrast  usw.. 
sowie  des  <pvaixöq  bei  Jo.  Lydus  de  mens.  4,  21. 

In  der  nachsokratischen  Philosophie  spielt  die  Vierzigzahl 
im  ganzen  keine  besondere  Rolle.  Die  allergeringste  wohl  bei 
Piaton,  der,  wie  wir  schon  oben  (S.  104)  sahen,  der  40 jäh- 
rigen Frist  mehr  für  die  äx^irj  der  Frauen,  weniger  für  die 
der  Männer146),  eine   gewisse  Bedeutung  zuerkennt,  indem  er 


146)  Die  einzige  Ausnahme,  die  ich  bisher  bei  Piaton  gefunden, 
bildet  die  Bestimmung  in  den  Gesetzen  (12  p.  950 D):  vsartQO)  ircbr 
tsttccqcchovtu  fx jj  i^s6ta>  anoSri^fiGca  [iridci[.iy  inqdctiiwg,  fri  rs  ISia. 
[it]dsvi,  Srin-oda  ö'  Zarco  %riQvt-iv  1}  ngiaßsccag  t)  Kai  xlgl  d-scoQoig.  —  Den 
Beginn  der  geistigen  cbtfir;  der  Männer  setzt  PL  in  das  50.  Lebensjahr 


132  W.  H.  Röscher: 

behauptet,  daß  das  Weib  nur  in  der  Zeit  vom  20.  bis  zum 
40.  Lebensjahre  imstande  sei,  lebensfähige,  kräftige  oder  für 
den  Staat  brauchbare  Kinder  zur  Welt  zu  bringen  (jto/Ut. 
p.  460  E),  und  den  Frauen  erst  nach  dem  40.  Jahre  gestatten 
will,  ein  Amt  (aQ%r'iv)  zu  bekleiden  (Leg.  6  p.  785  B)  und  vor 
Gericht  als  Zeugen  oder  Redner  aufzutreten  (Leg.  11  p.  93  7  A), 
als  Redner  freilich  auch  nur  unter  der  Voraussetzung,  daß  sie 
unverheiratet  {aravögoC)  sind. 

Etwas  anders  verhält  sich  Aristoteles  zur  Tessarakon- 
tadenlehre.  Er  setzt  zwar  ähnlich  wie  Piaton  die  körperliche 
axpiq  des  Mannes  in  das  30.  bis  35.,  die  geistige  Reife  ins 
49.  bis  50.  Lebensjahr  (Rhetor.  2,  14.  Polit.  7,  14,6;  vgl.  Hirzel 
a.  a.  0.  S.  8  Anm.  1  u.  2),  aber  er  erkennt  doch  in  Überein- 
stimmung mit  vielen  älteren  Ärzten  und  Biologen  die  Bedeu- 
tung der  4otägigen  Frist  für  die  Fortdauer  der  Menstruation 
nach  geschehener  Schwängerung,  sowie  für  die  erste  Bewegung 
und  Formierung  der  männlichen  Embryonen  an  (s.  o.  S.  89; 
90;  92).  Auch  nach  Aristoteles  erfolgen  die  meisten  sx- 
tqg)6{ioC  in  der  Zeit  zwischen  dem  7.  und  40.  Tage  nach  der 
Empfängnis  (s.  o.  S.  89J.  Ferner  vertritt  auch  er  die  Ansicht, 
daß  die  neugeborenen  Kinder  während  der  ersten  40  Tage 
nach  der  Geburt  im  wachen  Zustande  weder  lachen  noch 
weinen  (s.  0.  S.  100).  Was  die  a%\n,r\  des  Weibes  anbetrifft, 
so  huldigt  A.  genau  derselben  Anschauung  wie  Piaton  (s.  o. 
S.  105).  Die  20-  und  80-jährige  Frist  ferner  kommt  für  die 
Bildung  der  Weisheitszähne  in  Betracht  (s.  0.  S.  105).  Endlich 
ist  die  Tessarakontade  von  Bedeutung  für  die  Biologie  ge- 
wisser Tiere,  z.  B.  der  Bären,  Pferde,  Tauben  und  Bienen 
(s.  o.  S.  66;  70  f.). 


(nohr.  7  p.  540A;  vgl.  Leg.  6  p.  755A.  12  p.  946A.  951  C),  ihre  kör- 
perliche in  das  30.  (tcoXlt.  p.  460E.  Leg.  4  p.  721A.  6  p.  772  D).  Nach 
Ttolix.  7  p.  537  D  soll  der  künftige  Regent  30  J.  alt  mit  der  Dialektik 
bekannt  gemacht  und  nach  p.  539  E  Befehlshaber  werden  usw.  Aus 
alledem  scheint  hervorzugehen,  daß  Piaton  zu  denjenigen  gehört,  welche 
die  ys vsä  als  einen  Zeitraum  von  30,  nicht  von  40,  Jahren  gefaßt  haben. 
Vgl.  Ennead.  Studien  S.  41  Anm.  65. 


Die  Tessarakoxtaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      133 

Hinsichtlich  des  ebenso  wie  sein  Lehrer  Aristoteles  von  den 
Beobachtungen  und  Erfahrungen  des  Volkes,  insbesondere  der 
Landleute,  abhängigen  Theophrast  s.  o.  S.  65   und  67  11. 

Von  weit  größerem  Interesse  für  uns  ist  das  Bruchstück 
eines  philosophischen  Zahlentheoretikers  ((pvöixog)  bei  Jo. 
Lydus  de  mens.  4,  21  =  p.  172  R.  =  p.  84,  14  Wünsch, 
wonach  die  drei  Zahlen  3,  9  und  40  als  die  maßgebenden 
sowohl  bei  der  Entwicklung  der  Embryonen  und  Neugeborenen, 
als  auch  bei  der  Verwesung  der  Leichname  zu  betrachten 
sind.  Es  lautet:  Ol  [xav  'Pcoaatav  ?]  xr)v  <pv6t,xr)v  löxogiav 
övyyodcpovxeg  cpaöi,,  6%£Qiia  xf]  [ixjxoa  xaxaßaXXöfievov  evtl  ijlsv 
rr\g  x q ix rjg  yjueoag  ukloLOvö&ai  eig  alfia,  xal  7iQ(oxr]v  dia^co- 
yoacpeiv  xrjv  xaodiav,  ijxig  TiQaxtj  [ihv  diankäxxeö&ai,  xeXevxata 
de  äno$vr\6xelv  Xeyexaf  ei  yäo  äoyi]  äoid-yLcov  6  xgelg,  ne- 
gixxbg  de  e<5xiv  ägcd-^ög,  ccqcc  xccl  aQ%r)  yeveöeag  i%  avxov. 
im  de  xrjg  ivväxrjg  %x\yvvxai  xal  elg  öäoxa  xcä  ^iveXovg 
dvyyXoiovxai'  e%l  de  xrjg  xeöGccQccxoöxrjg  eig  bipiv  xeXeiav 
xal  dtaxv7ta6tv  ccTtoxeleiö&aL  xal  catX&g  eiTcelv  xeXetov  av- 
■&QC071OV.  bfxoLcog  xaxä  ävaXoyiav  xcov  ijfiegav  xal  e%l  (irjväv 
etzI  xov  xqCxov  [irjvbg  eyxLvelö&ai  i%6[ievov  xfj  u^rpa,  exl  de 
xov  evvaxov  [it]vbg  ttavxeXäg  äTtaoxi^eö&aL  xal  nobg  e£,odov 
öTtevdeiv.  xal  el  pev  eöxi  d'fjXv,  xaxä  xbv  evvaxov  (irjva,  ei 
de  xoeixxoi\  xaxä  xbv  dexaxov  äoyßiievov,  dcä  xb  xbv  uev 
evvaxov  äoid-pöv,  d-ijXvv  ovxa  xal  ZteXrjvrjg  oixeiov,  Ttobg  xi]v 
vXrjv  ävacpegeö&ai,  xbv  de  dexaxov  navxeXeiov  elvai  xal  dggeva. 
&r\Xv  de  xal  äggev  yivexat  xaxä  xr)v  xov  dsguov  enixgäxeiav 
%Xeovä.tlovxog  {ihv  xov  xaxä  xb  6%ig\ia  &EQ[iov,  äxe  tr\g  Ttrj- 
t,ea)g  xayeiag  yivo^ievrtg^  äggevovxai  xe  xal  diaiiogcpovxat 
rayicsg,  eXaxxoviie'vyjg  de  xaxiöyyexat  V7tb  xr)g  e7tiggof}g  xal 
xaxaycovi^o^ievov  &r)XvvexaL,  ßgädiov  de  Ttrjyvvuevov  ßgädiov 
xal  iiOQcpovxat.  oxi  de  äXrföi]g  6  Xöyog,  xä  [ihv  aooeva  xal 
xav  xeööaodxovxa  rjaegäv  evxbg  hxxixgaöx6[ieva  ^e^iog- 
cpcj{ieva  tcqotiCtcxei,  xä  de  ftijXea  xal  uexä  xäg  xeööagäxovxa 
rjpegag  öagxiödrj  xe  xal  ädiaxvTiaxa.  \iexä  de  xi]v  xvx\Giv  hui 
xrjg  XQixrjg  xey&ev  ä7io67tagyavov6d-ai  xb  ßgeq>og  cpaöiv,  em 
de  xf\g  evvdxijg  lG%VQOTCoiei6&ai  xal  äcpijv  v7io}ievei,v,  Eid  de 


134  W.  H.  Röscher: 

xijg  XB66aQaxo6xf\g  %Qoölapißdvaiv  xb  yelaöxtxov  xul  ccq- 
Xeö&at,  £itiyivG)<3X£Lv  xrjv  [irjxeQcc.  —  btiI  de  XTjg  dvaöxot%SLcb- 
öecog  xovg  löovg  cpaölv  aQi&povg  av&ig  &,  v7to6XQocpfjg  %aqa- 
cpvXdxxstv  xrjv  (pvOtv,  xccl  dt  av  övvs'öxr^  di  avxav  ccvd-ig 
avulvsö&ai.  xelevxyjöavxog  yovv  av-frpcajrot',  STtl  ^isv  xr\g  xqi- 
xi]  g  ixlloiovxai  itavxeXcjg  xccl  xrjv  eniyvcoöiv  X7]g  oipscog  81- 
unolkvöi  xb  ö&^ia'  87cl  öh  xvjg  hvvdx^g  ÖiccqqsI  <jv{i7tccv,  sxt 
<5cot,oiiEvi]g  avxa  xfjg  xccQÖCag'  S7il  ös  xfjg  xeößctQccxoöxfjg 
xccl  ccvxrj  GvvanoXlvxai  xm  nccvxl.  ötä  xovxo  xqCxijv  hvvd- 
xr\v  xccl  xsö öccQUXoöxrjv  eitl  xäv  xe&vrjxöxav  cpvXdxxovöiv 
ol  ivayC^ovxsg  avxolg  [s.o.  S.  37  f.],  xfjg  xi  tcoxs  dvöxdöeag  xfjg 
xs   ju£t'    ixeCvrjv    ETCiÖoGsag   xccl    xb    dfj    niQccg   xfjg    dvaXvöscog 

S7tl[llUVr}(Jx6{l6VOL. 

Da  ich  über  dieses  merkwürdige  Fragment  eines  unge- 
nannten griechischen  Philosophen,  der  wahrscheinlich  der 
peripatetischen  Schule  angehört,  aber  auch  mancherlei  An- 
klänge an  die  älteren  Pythagoreer,  Empedokles,  Diokles  v. 
Karystos,  Xenokrates  und  die  Stoiker  zeigt,  bereits  in  den 
'Enneadischen  Studien'  S.  104  ausführlich  gesprochen  habe 
(vgl.  auch  ob.  S.  37),  so  beschränke  ich  mich  hier  auf  folgende 
Zusätze. 

Hinsichtlich  des  merkwürdigen  Parallelismus,  der  nach 
unserem  cpvöixog  zwischen  dem  neunten  Tage  nach  der 
Zeugung,  der  Geburt  und  dem  Tode  des  Menschen  bestehen 
soll147),  verweise  ich  vor  allem  auf  das  nach  Rohde,  Psyche 2 
S.  232  Anm.  2  u.  3  von  der  griechischen  Totenfeier  der 
ivvccxcc  abzuleitende  'novemdiale  sacrum'  der  Römer,  d.  h. 
den  im  häuslichen  Gottesdienste  regelmäßig  am  neunten  Tage 
nach  einer  Geburt  oder  nach  einem  Begräbnis,  ebenso  aber 
auch  in  den  außerordentlichen  Fällen  'bestimmter  Arten  von 
Prodigien  (Steinregen)  vorgenommenen  Lustrationsritus'(WiSSO- 
wa,  Ilel.  u.  Kult.  d.  Römer,  328 f.). 

Für  die  am  Schlüsse  unseres  Bruchstücks  ausgesprochene 
Lebre  ferner,  daß  die  Auflösung  (Verwesung)  des  menschlichen 

J47)  Vgl.  auch  die  geistvollen  und  anregenden  Ausführungen  von 
A.  Dieterich,  Mutter  Erde  S.   11.   15.  23fr.  276°.  30.  33.  38.  40.  45  ff. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker,      i  3  5 

Leibes  in  bestimmten  Etappen  von  3,  9  und  40  Tagen  vor 
sich  gehe,  linden  sich  zahlreiche  Analogien  bei  andern  Völkern, 
über  die  in  lichtvoller  Weise  v.  NEGELEIN  in  seinem  inter- 
essanten fDie  Reise  der  Seele  ins  Jenseits'  betitelten  Aufsatze 
Ztschr.  f.  Volkskunde  1901  (XI)  S.  17  ff.  gehandelt  hat.  Hier 
ist  nachgewiesen  worden,  daß  „die  Stationen  des  zunehmenden 
Verwesungsprozesses  in  dem  schematisierenden  Aberglauben 
der  Völker  gewissermaßen  an  bestimmte  Tage  geknüpft  werden, 
die  jene  markieren  sollen;  vor  allen  gilt  dies  von  dem  3.,  7., 
9.,  und  40.  Tage."  „Auch  die  Zeit,  in  der  man  das  'Wieder- 
kommen' des  Toten  für  möglich  hielt,  ist  hier  wichtig:  oft 
sind  es  die  ersten  drei  Tage,  in  Ostpreußen  aber  z.  B.  die 
ersten  40  Tage.  Die  Zahlen  schwanken  auch  hier  zwischen 
den  angegebenen  Grenzen  (Wüttke,  Deutscher  Volksabergl. 
§  747  ff.).  Ja  man  hat  dieselben  sogar  religiös  zu  sank- 
tionieren versucht:  40  Tage  lang  nach  dem  Tode,  wie 
Christus  nach  der  Auferstehung,  muß  überhaupt  jeder  Ge- 
storbene noch  auf  Erden  wandeln;  Wuttke  a.  a.  0.  §  750." 
(v.  Negelein  S.  19).  —  Im  Folgenden  führt  v.  Negelein  den 
Gebrauch  der  alten  Preußen  an,  den  Verwandten  ihre  Toten- 
mahlzeiten am  3.,  6.,  9.  und  40.  Tage  zu  halten  (S.  20), 
während  die  Russen  das  Totenmahl  am  9.,  20.  und  40.  Tage 
zu  wiederholen  pflegen  usw.148)  Auch  bei  den  Semiten  und 
Muhammedanern  herrschen  ähnliche  Anschauungen  und  Ge- 
bräuche; vgl.  Abh.  I  S.  31  ff.  und  Wolff,  Muhammedan. 
Eschatologie  7 6 ff.  Sartori,  Die  Speisung  der  Toten.  Dort- 
mund  1903  S.  33 ff.  u.  37. 

Daß  mit  dem  vierzigsten  Tag  nach  dem  Tode  unter  ge- 
wissen Voraussetzungen  der  Verwesungsprozeß  beendet  sei, 
war  aber  auch  sonst  eine  verbreitete  Vorstellung  im  griechischen 
Altertum.  Vgl.  Plin.  n.  h.  36,  131:  In  Asso  Troadis  sarco- 
phagus  lapis  fissili  vena  scinditur.  Corpora  defunetorum  con- 
dita  in  eo  absumi  constat  intra  XL.  diem,  exceptis  dentibus. 
Eius  generis  et  in  Lycia  saxa  sunt  et  in  Oriente. 

148)  Weiterhin  führt  v.  N.  noch  Parallelen  aus  Serbien,  Bul- 
garien, Bosnien  usw.  an. 


136  W.  H.  Koscher: 

Von  den  späteren  Philosophen  scheinen  namentlich  die  Sto- 
iker eine  ysved  (dx^irf)  von  40  Jahren  angenommen  zu  haben. 
Wir  dürfen  das  vor  allem  schließen  aus  zwei  charakteristischen 
Äußerungen  des  erlauchtesten  aller  Stoiker,  nämlich  des  Kaisers 
Marc  Aurel  in  seinen  Selbstgesprächen   n,  1:   xqöxov  xtvä 

6     TE66<XQCCX0VT0VTr]S,     £CCV    VOVV    OTtOÖOVOVV    £%§,     TlCCVTCC    XCC 

ysyovöxcc  xccl  xd  söofisvcc  Scoqccxs  xuxä  to  ö^iosideg  und  7,  49: 
xd  TCQoysyovöra  dvu&soQelv'  tag  xoöavxccg  xcov  ijysfioviäv 
lietccßoÄdg.  s^eöri  xccl  xd  eööfisva  TtQoscpoQÜv.  6[ioELdrj  yä.Q 
%dvxcog  eötai,  xccl  ov%  olov  xs  sxßrjvcci  xov  (jv&[iov  x&v  vvv 
ysvo[ievcoV  ö&ev  xccl  löov  xb  xsööccQdxovxcc  exeöiv  iöxoQrjöca 

XOV    dv&Q0J7CLVOV   ßiOV   TCO   £7tl    SX1]    flVQLCC.     xi  yäo   oipzi;    —    Im 

Einklang  damit  steht  die  schon  von  Diels  (Rh.  Mus.  31 
S.  1 2  ff.)  und  Hirzel  (a.  a.  0.  S.  7  ff.)  hervorgehobene  Tat- 
sache, daß  der  Chronograph  Apollodor,  der  ebenfalls 
Stoiker  war,  als  die  Zeit  der  Blüte  eines  Philosophen  regel- 
mäßig dessen  40.  Lebensjahr  anzusehen  pflegte.  Die  Stoiker 
scheinen  sich  demnach  in  dieser  Beziehung  einfach  an  die 
uralte  epische  volkstümliche  und  zugleich  im  ganzen  semi- 
tischen Orient  verbreitete  (s.  Abh.  I)  Auffassung  der  ysved 
als  eines  Zeitraumes  von  40  Jahren  angeschlossen  zu  haben. 
Dieselbe  typische  ysvsd  von  40  Jahren  scheint  natürlich 
auch  vielen  Angaben  anderer  Chronographen,  Mytho- 
graphen149),    Historiker    und    Biographen    zugrunde    zu 


149)  Yon  besonderem  Interesse  ist  die  von  Hirzel  S.  29  u.  34 
besprochene  Angabe  des  Vellejus  (1,  2,  1)  und  Eusebius  (Armen.  826), 
daß  die  Apotheose  des  Herakles  120  (=3x40)  Jahre  vor  der  Hera- 
kliden Wanderung  erfolgt  sei.  Ha  nun  im  Stammbaum  der  Herakliden 
zwischen  Herakles  und  den  Führern  der  Wanderung  Hyllos,  Kleodaios 
und  Aristomachos  stehen,  cso  sind  auf  diese  3  jene  120  Jahre  zu  ver- 
teilen, und  dies  geschieht  am  einfachsten  so,  daß  auf  jeden  von  ihnen, 
d.  i.  auf  eine  ysvsdc,  40  Jahre  gerechnet  werden.  Hierzu  stimmt  weiter, 
daß  Herakles,  dessen  Apotheose  nach  dieser  Rechnung,  wenn  wir  in 
der  gewöhnlichen  Weise  Trojas  Einnahme  80  [=  2  x  40]  Jahre  vor  die 
Wanderung  setzen,  40  Jahre  vor  Trojas  Einnahme  fallen  würde,  der 
Sage  nach,  als  der  Zeitgenosse  von  Priamos1  Vater  Laomedon  und  der 
Vater  des  vor  Troja  kämpfenden  Tlepolemos,   in   die   Generation  vor 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      137 

liegen,  wie  namentlich  R.  Hikzel  in  seiner  schon  oft  zitierten 
lesenswerten  Abhandlung  S.  9  ff.  1  2  ff .  17.  44  ff.  50  lichtvoll 
nachgewiesen  hat,  sodaß  ich  hier  darauf  verzichten  kann,  auf 
sämtliche  in  Betracht  kommende  Einzelheiten  genauer  ein- 
zugehen.  Ich  begnüge  mich  mit  dem  Hinweis  auf  unhistorische 
offenbar  nur  auf  der  typischen  Bedeutung  der  yevecc  von 
40  Jahren  beruhende  Angaben  wie  die,  daß  im  Alter  von 
40  Jahren  Piaton  nach  Syrakus,  Aristoteles  zu  Piaton  ge- 
kommen oder  beim  Tode  Piatons  40  Jahre  alt  gewesen  sei150), 
oder  daß  bis  zum  40.  Jahre  Kimon  unter  Vormundschaft  ge- 
standen habe  und  Epameinondas  Privatmann  geblieben  sei, 
ferner  daß  die  Wirksamkeit  des  Protagoras,  des  Pythagoras, 
des  Astronomen  Ptolemaios,  die  Regierung  des  Battos  (Herod. 
4,  159),  der  Schlaf  des  Epimenides  (Paus.  1,43,3)  4°  Jahre 
gedauert  habe  usw.  Ich  konstatiere  nur  noch  die  merkwürdige 
Übereinstimmung,  die  sich  namentlich  in  betreff  der  letzten 
Punkte  auch  hier  wieder  zwischen  Semiten  und  Griechen 
beobachten  läßt  (Abh.  I  S.  2  2  f.  40!  43). 


VHI. 

Die  Zahl  40  im  Glauben  und  Brauch  verschiedener  Völker 

(mit  Ausschluß  der  Semiten151)  und  Griechen152).) 

A.   Die  den  Griechen  verwandten  Völker. 

Nachdem  wir  die  bedeutende  Rolle,  welche  die  Zahl  40 
bei  den  Semiten  (s.  Abh.  I)  und  Griechen  gespielt  hat,  genauer 

dem  Kriege  gehört  [Tatian  ad  Graec.  41  p.  173  D.  Clem.  AI.  Str.  I  p.322  A 
Sylb.]  und  daher  auch  so  betrachtet  die  40  Jahre  als  Ausdruck  einer 
ytvzcc  erscheinen'. 

150)  Ein  Nachklang  solcher  Philosophenlegenden  ist  es  wohl,  wenn 
Lykinos  und  Hermotimos  bei  Luc.  Hermot.  13  als  TeGGaQaxovtovTtig 
anfangen  zu  philosophieren. 

151)  S.  Abh.  I  =  Die  Zahl  40  im  Glauben,  Brauch  u.  Schrifttum 
d.  Semiten. 

152)  S.  ob.  Kap.  I— VII. 


138  W.  H.  Röscher: 

kennen  gelernt  und  dabei  eine  wunderbare  auf  der  Gleichheit 
der  zugrunde  liegenden  natürlichen  Verhältnisse  beruhende 
Übereinstimmung  in  mehreren  Punkten  (s.  o.  S.  25)  festgestellt 
haben,  gilt  es  jetzt,  noch  eine  Reihe  anderer  mit  den  Griechen 
teils  verwandter  teils  nichtverwandter  Völker  des  Altertums 
wie  der  Gegenwart  hinsichtlich  ihrer  Tessarakontaden  in  Be- 
tracht zu  ziehen,  um  zu  sehen,  ob  sich  hier  die  Zahl  40  in 
denselben  Bedeutungen  wie  bei  den  Griechen  und  Semiten 
nachweisen  läßt  oder  nicht.  Dabei  werde  ich,  um  Zeit  und 
Raum  zu  sparen,  im  Folgenden  möglichst  summarisch  zu  ver- 
fahren suchen  und  hauptsächlich  bestrebt  sein,  die  für  uns 
besonders  wichtigen  Übereinstimmungen  mit  den  Semiten 
und  den  Griechen  schon  durch  die  Reihenfolge  der  Zeugnis- 
gruppen ("tessarakontadische  Tag-  und  Jahrfristen'  und  'sonstige 
tessarakontadische  Bestimmungen')  deutlich  hervortreten  zu 
lassen. 

1.  Die  Perser.  —  Gegenwärtig  gehört  die  große  Mehrzahl 
der  Perser,  abgesehen  von  den  stark  zusammengeschmolzenen 
jetzt  meist  auf  die  Provinz  Kerman  beschränkten  Parsi,  dem 
Islam  an,  so  daß  man  geneigt  sein  könnte,  sämtliche  in 
der  Literatur  der  persischen  Muhammedaner  vorkommenden 
Tessarakontaden  auf  den  Einfluß  des  Islams  und  somit  der 
Semiten  zurückzuführen  (s.  Abh.  I  S.  26  ff.).  Daß  diese  An- 
nahme jedoch  starken  Bedenken  unterliegt,  vielmehr  oft  ein 
weit  höheres  Alter  der  persischen  Tessarakontaden  festzustellen 
ist,  ergibt  schon  die  tatsächlich  hervorragende  Bedeutung  der 
Vierzigzahl  in  der  Religion  des  Zoroaster,  d.  i.  der  Parsi,  und 
überhaupt  in  der  altpersischen  Literatur  und  Geschichte. 

A)  Tessarakontadische  Tagfristen.  —  Von  größter 
Wichtigkeit  für  unseren  Zweck  ist  hier  vor  allem  die  Tat- 
sache, daß  schon  die  alten  Perser  ebenso  wie  die  Semiten 
und  Griechen  40tägige  Fristen  a)  für  die  rituelle  Unrein- 
heit der  Wöchnerinnen,  b)  für  die  Trauer  beim  Tode 
eines  Familiengliedes  und  c)  für  religiöses  Fasten  be- 
obachteten. 

Belege  für  a:  Nach  Spiegel,  Erän.  Altertumskunde  III 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  dnd  anderer  Völker.      139 

69g  gilt  eine  Wöchnerin  bei  den  Parsen  41  Tage153)  lano-  für 
unrein  und  erhält  Speise  und  Trank  auf  dieselbe  Weise  [d.  h. 
abgesondert  von  den  übrigen  Familienangehörigen]  wie  eine 
Menstruierende.  Nach  Verlauf  der  angegebenen  Frist  reinio-t 
sie  sich  mit  Rindsurin  [Gomez]  und  Wasser,  zieht  ein  neues 
Kleid  an  und  ist  dann  rein154).  —  b)  Yezdegerd  I  trauert 
40  Tage  lang  um  seinen  Vater  und  kleidet  sein  Heer  in 
Dunkelblau  und  Schwarz  (Shähnäme  1587,  11 ;  vgl.  Spiegel, 
Eran.  Alt.  III  S.  705,  der  daraus  mit  Recht  auf  eine  Trauer- 
frist von  40  Tagen  zu  schließen  scheint;  s.  auch  P.  Hörn, 
Zahlen  im  Shähnäme  in  Straßburger  Festschr.  v.  1901  S.  100 f.). 
—  c)  Das  mit  der  tessarakontadischen  Trauerfrist  wahrscheinlich 
eng  zusammenhängende  40  tägige  Fasten  (s.  Abh.  I  S. i6f.  33f.), 
das  im  Shähnäme  vorkommt,  hält  Horx  a.  a.  0.  bereits  für 
sassanidisch,  so  daß  man  es  nicht  notwendig  aus  dem  Islam 
(Abh.  I  S.  33  f.)  abzuleiten  braucht155).  —  d)  Aus  dem  Shähnäme 
führt  Hörn  a.  a.  0.  noch  an:  40  Tage  betend  (1  mal)156),  dauert 
eine  Frist  (2  mal),  ein  Fest  (1  mal),  ein  Kampf  (3  mal),  reicht 
Proviant  (1  mal);  40  Tagereisen  (schon  im  Avesta!)157). 


J53)  Vgl-  dazu  die  an  die  Stelle  der  40tägigen  Frist  getretene 
41  tägige  des  Talmud  und  ähnliche  um  1  vermehrte  Zahlen  (f  1001  Nacht'), 
die  ich  in  Abh.  I  S.  13  besprochen  habe. 

x54)  Vgl.  auch  das  von  Ploss,  Das  Kind  I  50  zitierte  Buch  von 
Dosabhoy  Franjee,  The  Parsees.  London  1858,  nach  dem  die  Parsifrau 
40  Tage  in  dem  Gemache  bleiben  muß,  wo  sie  ihre  Niederkunft  hatte; 
dann  erst  darf  sie  wieder  in  der  Familie  erscheinen.  —  Nach  Spiegel, 
Avesta  II  S.  XLIV  bleibt  die  Frau,  die  ein  totes  Kind  gebar,  in  der 
ältesten  Zeit  9  Tage,  später  41  Tage  abgesondert  von  den  übrigen 
Mazdayacnas,  ebenso  eine  Wöchnerin  (ebenda  S.  XLYI).  S.  auch 
Vendidad  Y,  136 f.  Ploss-Bartels,  D.  Weib6  (1897)  H  S.  347  ff.  Ploss, 
D.  Kind  I  S.  49  f. 

155)  Ich  muß  es  dahingestellt  sein  lassen,  ob  Nork,  Etymol.-symbol. 
mytholog.  Realwörterbuch  IV  S.  418  und  II  S.  18  mit  Recht  behauptet, 
daß  Zoroaster  [ebenso  wie  Moses,  Elias,  Jesus:  Abh.  I  S.  16]  vor  Beginn 
seinerLehrtätigkeitein40tägiges  Fasten  in  der  Wüste  beobachtet  habe. 

156)  Vgl.  Abh.  I  S.  39. 

1 57)  Vgl.  Yt.  5,4  =  Y.  65, 4 :  „Die  Kanäle  und  Abflüsse  der  Ardvisüra 
Anahita  sind    40   Tagereisen   lang  für  einen   wohlberittenen   Mann" 


140  W.  H.  Röscher: 

B)  Tessarakontadische  Jahrfristen.  —  Ebenso  wie 
Moses,  Saul,  David,  Salomo,  Joas  usw.  (Abh.  I  S.  2 2  f.)  je  40 
Jahre  die  Israeliten  regiert  haben  sollten,  dauert  auch  die 
Herrschaft  des  Kyaxares  (Herod.  1,  106)  und  die  des  Hoseng 
(Hörn  a.  a.  0.)  40  Jahre;  von  Minöcihr,  Lohräsp,  Gustäsp 
wird  im  Shähnäme  sogar  gefabelt,  daß  sie  120  (=  3  x  40!) 
Jahre  regiert  hätten  (Hörn  a.  a.  0.;  vgl.  Abh.  I  S.  ig  f.).  Älter 
als  120  Jahre  ist  Säm  (Hörn  a.  a.  O.)158).  Nach  Hörn  kommt 
die  Periode  von  40  Jahren  (als  ysvsd?)  bereits  im  Avesta 
vor159),  woraus  doch  wohl  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlich- 
keit gefolgert  werden  darf,  daß  das  im  Neupersischen  vor- 
kommende c  Schwaben  alter'  von  40  Jahren  ebenfalls  aus  ur- 
alter Vorzeit  stammt.  Dafür  spricht  auch  die  Überlieferung 
bei  Flügel,  Mani  S.  85  u.  155  f.,  daß  der  aus  Persien  ge- 
bürtige Stifter  der  Manichäersekte  40  Jahre  lang  die  Welt 
bereist  haben  sollte,  bevor  er  seine  Zusammenkunft  mit  Säbür 
hatte.  —  Auch  bei  Hafis  finden  sich  40jährige  Fristen  (s. 
dessen  Diwan,  übers,  v.  Hammer-Purgstall  IS.  415u.IIS.178; 
Hirzel  a.a.O.  S.  5  8  f.  A.  3). 

C)  Sonstige  Tessarakontaden.  —  40  Personen  tragen 
in  Kirman  den  Leichnam  eines  Parsi:  Spiegel,  Avesta  II 
S.  XXXIV.  Eran.  Alt.-K.  III,  702.  —  40  Märtyrer  erleiden  am 
10.  März  in  Persien  den  Glaubenstod:  Nork,  D.  Festkalender  = 
Scheible,  D.  Kloster  VII  S.  197.  —  Den  3x40=120  Mär- 
tyrern, welche  König  Sapor  im  J.  342  tötete,  ist  der  6.  April 
als  Gedächtnistag  geweiht:  Nork  a.a.O.  —  40  Sekel  erhielten 
nach  Nehem.  5,15  die  früheren  persischen  Statthalter  von 
Jerusalem,  um   damit  Brot  und  Wein  zu  bestreiten.  —  Von 


(Mitteilung  Prof.  Br.  Lindners  in  Leipzig).  Vgl.  Spiegel,  Avesta  II 
S.  193  =  Yacna  64,  18. 

158)  Ich  erinnere  hierbei  an  die  alte  persische  Schaltperiode  von 
120  Jahren;  Ginzel,  Hdb.  d.  Chronol.  I  S.  293  ff. 

!59)  Vgl.  Yend.  2,41:  „(in  dem  vara  des  Yima)  halten  sie  für  einen 
Tag,  was  ein  Jahr  ist.  Immer  nach  40  Jahren  wird  von  2  Menschen 
ein  Menschenpaar  geboren,  Weib  und  Mann,  und  ebenso  in  den  Tier- 
gattungen" (Br.  Lindner). 


Dik  Tessarakoxtaden  der  Grieche»  und  anderer  Völker.     141 

den  persischen  Strömen  Gyndes  und  Araxes  berichtet  Herodot 
1,  202:  6  de  '4.  noxapibg  geet  uh>  ix  Matirjv&v,  ö&ev  xsq  ö 
rvvd-rjg,  rbv  eg  Tßg  diwQvyjcg  rag  e£,Tqxovxä  re  xal  TQiaxoßiug 
[=  g  X  40  =  360!] 160)  diekaße  6  KvQog,  ötöpccai  de  e&Qevyerca 
TedöaQccxovta.  —  Der  Tausendfuß  heißt  bei  den  Persern 
Tschihilpäi,  d.  i.  Vierzigfuß;  ähnlich  auch  bei  den  Arabern 
(Abh.  IS.  27)  und  Türken  (HlEZEL  a.  a.  0.  S.  41).  -  Ferner 
führt  Horx  a.  a.  0.  aus  dem  Shahnäme  und  Karnaniak  an: 
40  Eunuchen,  40  Begleiter,  2  x  40  Söhne,  80  Sklavinnen, 
80  Erschlagene,  80  Gesandte,  80  Vorposten,  4000,  40000  u. 
400  000  Krieger,  40  000  Tote,  240  Teilkönige  nach  Alexander 
d.  Gr.,  40  Kamele  (3  mal!),  80  Elephanten,  40  000  Lastochsen, 
40  Sänften,  40  Parasangen  (2  mal),  120  Parasangen  (1  mal), 
einen  Drachen  und  einen  Lasso  (2  mal)  von  je  80  Ellen.  Im 
Bundehesh  12,1  erscheint  endlich  eine  Periode  von  800  Jahren. 
Weiteres  bei  Hüsing,  Mythol.  Bibl.  II,  2  S.  1 86. 

2.  Die  Armenier.  —  Ich  verdanke  die  folgenden  äußerst 
wertvollen  Notizen  Herrn  Prof.  Finck  in  Berlin,  dem  Heraus- 
geber der  Zeitschr.  f.  arm.  Philol.  Derselbe  schreibt  mir:  „Eine 
Verwendung  der  Zahl  40  zur  Bestimmung  von  Tag-  und 
Jahrfristen,  zur  Berechnung  der  Schwangerschaftsdauer  sowie 
zur  Bestimmung  der  ax^it}  kommt  bei  den  Armeniern  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  nicht  vor,  wenigstens  heute  nicht 
mehr.  Dagegen  kann  allerdings  konstatiert  werden,  daß  eine 
gewisse  Vorliebe  für  den  Gebrauch  der  40  herrscht,  daß  die- 
selbe nicht  selten  zur  Angabe  einer  unbestimmten  Menge  dient, 
besonders  in  der  Verbindung  mit  100,  daß  also  z.  B.  k^arsun 
hazar  =  4000  nicht  selten  gesagt  wird,  wo  nur  von  einer 
großen  Menge  überhaupt  die  Rede  ist.  In  diesem  Zusammen- 
hang verdient  wohl  auch  der  Ortsname  kcarasni  Erwähnung, 
der  ganz  den  Eindruck  macht,  eine  Ableitung  von  kcarasun 
=  40  zu  sein  und  auffällig  an  den  mehrfach  vorkommenden 
türkischen  Ortsnamen  kyrk  sunar  =  40  Quellen  erinnert. 

Weit    verbreitet    ist   in   Armenien    die   Einhaltung   einer 


160)  Oder  ist  hier  an  12x30,   die  Zahl  der  Tage  eines  Sonnen- 
jahres zu  denken? 


142  W.  H.  Röscher: 

4otägigen  Unreinigkeits-  und  Trauerfrist161).  So  darf 
beispielsweise  im  Kanton  Varanda  eine  Frau  innerhalb  einer 
Frist  von  40  Tagen  nach  der  Entbindung  nicht  ausgehen 
(s.  Azgagrakan  Handes,  'Ethnographische  Rundschau'  II  149) 
und  sich  auch  nicht  waschen  (ebenda  II  155).  Nach  Ablauf 
der  Frist  wird  dann  die  Wiege,  darauf  das  Kind  und  endlich 
auch  die  Wöchnerin  hinausgetragen  und  der  Sonne  zugekehrt 
(ebenda  II  155).  Ahnliches  gilt  für  den  Kanton  Dschawachkh, 
wo  die  Frau  jedoch  nach  Ablauf  der  40  Tage  mit  dem 
Kinde  die  Kirche  besuchen  (vgl.  Abhandlung  I  S.  10  f.)  und 
unter  Gebeten  4omal  das  Knie  beugen162)  muß  (ebenda 
I  273).  Dort  herrscht  ferner  folgende  Vorschrift.  Nähert 
sich  innerhalb  der  40  Tage  ein  Mann  oder  Tier  während 
der  Nacht  der  Wöchnerin,  oder  wird  während  der  Frist  Fleisch 
vorübergetragen,  oder  kommt  während  derselben  eine  in  dem- 
selben Hause  wohnende  Frau  nieder,  so  hat  die  Mutter  ihr 
Kind  hochzuhalten,  um  es  vor  Schaden  zu  bewahren  (ebenda 
I  272).  —  Nach  dem  Tode  —  so  glaubt  man  in  dem  ge- 
nannten Kanton  —  fliegt  die  Seele  nach  Jerusalem  und 
verweilt  dort  40  Tage  am  heil.  Grabe  (ebenda  I  317). 
Im  Kanton  Bulanych  gelten  ähnliche  Vorschriften.  Als  Be- 
sonderheit mag  noch  erwähnt  werden,  daß  dort,  wie  übrigens 
auch  im  Kanton  Dschawachkh,  während  der  ersten  40  Tage 
nach  der  Geburt  kein  Kleidungstück  des  Vaters  auf  das 
Kind  gelegt  werden  darf  (ebenda  V  12g  u.  I  273). 163)  Der- 
artiges ließe  sich  wohl  auch  noch  für  andere  Gegenden  nach- 


weisen." 


3.   Bei  den  Jeziden  in  Mesopotamien,  welche   den  Ar- 


161)  Nach  Säktoki,  Die  Speisung  der  Toten,  Progr.  d.  Gymn.  zu 
Dortmund  1903  S.  35  bringen  die  Armenier  am  Tage  nach  dem  Be- 
gräbnis, ferner  am  7.  und  40.  Tage,  sowie  nach  einem  Jahre  Speisen 
und  Getränke  aufs  Grab  und  essen  dort. 

162)  Man  beachte  hier  wieder  die  Entstehung  weiterer  tessara- 
kontadischer  Bestimmungen  aus  der  40  tag.  Frist! 

163)  Dies  geschieht  wahrscheinlich  deshalb,  um  den  Vater  nicht 
durch  Berührung  mit  dem  noch  unreinen  Kinde  beflecken  zu  lassen 
(vgl.  ob.  den  Brauch  der  Parsen  etc.) 


Die  Tbssarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      143 

meniern  für  Abtrünnige  ihrer  Kirche  gelten  und  deren  Religion 
eine  Mischung  uralten  Heidentunis  mit  christlichen  und  is- 
lamischen Elementen  darstellt,  finden  am  3.  und  40.  Tage 
nach    dem  Tode  Gedächtnisfeiern    statt;    Globus  73,  181.  — 

4.  Auch  in  den  Sagen  der  den  Armeniern  und  Persern 
ethnologisch,  sprachlich  und  geographisch  nahe  stehenden 
heutzutage  islamischen  Kurden,  kommen  zahlreiche  Tessara- 
kontaden  1  4otägige  Fristen,  40  Feen,  40  Dienerinnen,  40  Gold- 
stücke usw.)  vor;  vgl.  Chalatianz,  Kurdische  Sagen  in  der 
Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde  XVI  (1906)  S.  402  ff.  Einst- 
weilen läßt  sich  nicht  mit  Sicherheit  sagen,  ob  es  sich  hier 
um  autochthone  oder  muhammedanische  Überlieferungen  handelt. 

5.  Von  den  zum  georgischen  (südkaukasischen)  Sprach- 
stamme gehörigen  aber  ethnologisch  für  Iran i er  geltenden 
Imeretiern  wird  berichtet,  daß  sie  am  40.  Tage  eine  Toten- 
klage, am  41.  Tage  eine  Gedächtnisfeier  und  Abschiedsmahl 
halten  (Sartori  a.  a.  0.  32  u.  43). 164) 

6.  Von  der  Totenfeier  der  alten  jetzt  meist  zu  den 
iranischen  Völkern  gerechneten  Skythen  berichtet Herodot 
4,  73:  ovxa  iiev  xovg  ßaötXe'ag  %Kitxov6t,  xovg  de  dXXovg 
Hxvftag,  STieav  uTCoftavcoöi,  ■Jieow.yovöi  oi  ayyoxaxa  %qo6y\- 
xovxeg  xaxu  xovg  cpCXovg  ev  cc(icc%t]6i  xeipivovg,  xav  de  exaöxog 
vnodexöaevog  evayjei  xovg  enoiievovg  xai  ta  vexgco  xävxav 
7Zuquxl&eI  xüv  xai  xolGi  aXXoiöt  [also  Totenmahl!],  ^[leoug 
de  xeööeouxovxa  ovxa  oi  Iölüxul  %EQiäyovxui^  eTtetxa  ftäit- 
xovxca.  d-dipuvxeg  de  oi  £xv&ccl  xa^aiQovxat  xq6tig>  xoiäÖe 
x.  x.  X.  Diese  „Reinigung"  findet  offenbar  auch  am  40.  oder 
41.  Tage  nach  dem  Tode  des  Betreffenden  statt. 

7.  Die  Inder.  —  Eine  auffallend  geringe  Rolle  spielt  die 
Tessarakontade  in  der  ältesten  indischen  Literatur,  namentlich 
im  Rgveda.  E.  Windisch  verdanke  ich  darüber  folgende 
Mitteilung:  „Rgveda  I  126,  4:  '40  rotglänzende  Rosse  des  Dasa 
oder  des  10  Wagen  besitzenden.'  —  II  18,  5:  cmit  20,  mit  30, 

164)  Die  früher  christlichen  jetzt  islamischen  Abchasen  im  Kau- 
kasus feiern  ebenfalls  das  Gedächtnis  der  Toten  am  40.  Tage  und 
fasten  bis  zu  diesem  Tage  in  bezug  auf  Fleisch:  Sartobi  S.  35,  43  u.  59. 

Phil.-hist.  Klasse  1909.    Bd.  LXL  10 


144  W.  H.  Röscher: 

mit  40  falben  Rossen  fahrend  komm  hei*  (o  Indra)'.  II  12,  11: 
cder  den  (Wolkendämon)  Sarnbara,  der  in  den  Bergen  haust, 
im  40.  Herbste  [=  am  Ende  einer  ysved  von  40  Jahren?] 
auffand'  (Indra).  —  Das  sind  alle  Stellen  des  Rgveda.  —  Im 
Petersburger  Wörterb.  handeln  auch  nur  4  Zeilen  von  40 
und  3  von  der  vierzigste.  —  Nach  Yäjiiavalkya  III  33  soll 
ein  Mörder  40  Opfer  von  geschmolzener  Butter  opfern.165)  — 
Satapathabrähmana  VII  3,  1,  27:  Man  kann  den  nördlichen 
Feuerherd  40  Schritt  lang  machen.  —  Ebenda  XIII,  6,  1,  2: 
Die  Upasadfeier  mit  der  dlksä  (Weihe)  währt  40  Nächte.  .  . 
In  Stenzlers  Wörterverzeichnis  zu  den  Hausregeln  (Grhyasütra) 
kommt  catvärimsat  überhaupt  nicht  vor166),  auch  nicht  im 
Wortindex  zu  Apastamba's  Dharmasütra  (einer  der  ältesten 
Recbtsquellen).  Auch  in  Jollys  Indischer  Medizin  (in 
Bühlers  Grundriß)  bin  ich  in  den  von  der  Gynaekologie 
handelnden  §§  39  m  der  40  nicht  begegnet."  Trotz  dieser 
verhältnismäßig  wenig  zahlreichen  Belege  für  das  Vorkommen 
der  40  als  hieratischer  Zahl  in  der  ältesten  Literatur  möchte 
ich  aber  doch  sehr  dringend  vor  einer  Überschätzung  dieser 
Tatsache  warnen,  zumal  da  ja  auch  hier  schon  eine  ysvscc  von 
40  Jahren,  eine  religiöse  Feier,  die  40  Nächte  dauert,  ein 
Feuerherd  von  40  Schritten  Länge,  40  Sakramente  erwähnt 
werden.  Steht  es  doch  um  die  Bezeugung  der  4otägigen 
und  40  jährigen  Frist  in  der  ältesten  Literatur  der  Inder  noch 
wesentlich  besser  als  bei  Homer  (s.  ob.  S.  45  ff.),  obwohl  doch, 
wie  wir  gesehen  haben,  auch  schon  die  vorhomerischen  Griechen 
so  gut  wie  sicher  40tägige  und  40jährige  Fristen  (ysvsaC) 
gekannt  haben.  Der  Schluß  ex  silentio  allein  ist  niemals 
zwingend.  Hierzu  kommt  noch  eine  ziemliche  Menge  weiterer 
Zeugnisse,  die  z.  T.  auch  schon  recht  alt  sind  oder  sein 
können.  So  deutet,  wie  mir  scheint,  auf  eine  alte  rituelle 
Unreinigkeitsfrist    der    Wöchnerinnen    und    Neuge- 

165)  Steht  hier  etwa  die   40   in  Beziehung  zum  Totenkult  und 
Trauerritus?     S.  unten ! 

166)  Doch  teilt  mir  Joh.  Hertel  gütigst  mit,  daß  zwei  Sütren  die 
40  als  Zahl  der  samskära  (=  Sakramente)  erwähnen  [Röscher]. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  i  \i>  anderes  Völker.      145 

borenen  bei  den  Hindus  die  interessante  Notiz  bei  PLOSS, 
D.  Kind  I  162,  daß  unter  den  Hindus  dem  Kinde  am  40.  Tage 
vom  Hauspriester  (Brahmanen?)  der  Name  erteilt  wird.  Daß 
dieselbe  Frist  auch  für  die  Unreinigkeit  bei  Todes  füllen 
maßgebend  ist,  schließe  ich  aus  der  Mitteilung  im  Globus  I 
S.345,  daß  noch  heute  bei  denNairs  genannten  nichtislamischen 
Hindus  der  Malabarküste  bis  zum  41.  Tage167)  Leichen- 
kuchen dem  Verstorbenen  dargebracht  werden,  sowie  daß  in 
Nordmalabar  die  Familientrauer  meist  mit  dem  41.  Tage 
aufhört,  während  sie  im  Süden  gewöhnlich  ein  ganzes  Jahr 
dauert.  Dem  'Ausland'  von  1844  nr.  270  S.  1080  entnehme 
ich  die  hierhergehörige  Beobachtung  eines  neueren  Reisende)): 
„In  dem  medizinischen  Hörsal  [zu  Punah]  standen  zwei  junge 
Leute  (Bramanen)  abseits  und  vermieden  jede  Berührung  mit 
ihren  Nachbarn,  weil  einer  ihrer  Verwandten  100  Stunden 
entfernt  gestorben  war  und  sie  deshalb  während  40  Tagen 
für  unrein  galten/'  Mit  solchen  Trauer-  und  Unreinigkeits- 
fristen  hängen,  wie  wir  oben  (S.  68)  und  Abh.  I  S.  7.  16  f.  33  ff. 
gezeigt  haben,  auch  die  Fristen  für  asketisches  Fasten 
eng  zusammen.  Die  40jährige  Askese  eines  Brahmanen 
zu  Taxila  zur  Zeit  Alexanders  des  Gr.  bezeugt  aber  ausdrücklich 
Aristobul  b.  Strab.  XV  p.  714:  xbv  da  övvcotccQcu  us/ql  xslovg 
xcci  iu£tccu(pic'«3cc6dlc<L  xcci  yitrad-iö&ai  xrtv  dCaixav  ßvvövxa  x<fi 

ßttÖllH.       87tLX(,{lcö[lEVOV     J'     V%6     XLVCOV    IsySCV    (0$    £X7rATJOa3ö£t£ 

xa  xexxccQccxovxcc  exrj  xfjc;  aöxijöscoc;  [=  ytveccf] -'"J,  et 
VTts6%exo,  'AXi^avdgov  de  xoig  %aiGiv  ccvrov  dovvat  dcoQsdv.  — 
Auf  eine  indische  ysved  von  40  Jahren  deutet  wohl  auch 
die  von  Jolly  (Zeitschr.  d.  deutsch.  Morgenl.  Ges.  60  (1906) 
S.  459  f.)  mitgeteilte  Lehre  der  altindischen  Arzte  von  der 
Einteilung  des  normalen  menschlichen  Lebens.  Danach  zer- 
fällt das  Leben  in  3   Hauptstufen:  Kindheit,  mittlere  Lebens- 


167)  S.  oben  S.  139  u.  Abh.  I  S.  13. 

168)  Vgl.  damit  das  40 jähr.  Fasten  des  Zadok:  Abh.  I  S.  17. 
Nach  Nokk,  Etym.-symbol.-rnythol.  Realwörterb.  II  S.  18  (unter 'Fasten') 
soll  sich  auch  Buddha  durch  ein  40  jähr.  [?]  Fasten  auf  sein  Lehramt 
vorbereitet  haben. 

10* 


146  W.  H.  Röscher: 

zeit  und  Alter.  Personen  unter  1 6  Jahren  sind  Kinder,  deren 
es  wieder  3  Klassen  gibt:  milch  trinkende,  Milch  und  Reis 
genießende  und  Reis  genießende...  Zwischen  16  und  70  Jahren 
liegt  das  mittlere  Alter;  es  zerfällt  in  die  4  Stufen  der  Ent- 
wicklung, der  Jugend,  der  vollen  Reife  und  des  Verfalls. 
Die  Entwickelung  reicht  [wie  bei  den  Semiten;  s.  Abh.  I  S.  22] 
bis  zum  20.  Jahre,  die  Jugend  bis  zum  30.,  die  volle 
Reife  des  Körpers,  der  Sinne,  Kräfte  und  Fähigkeiten 
bis  zum  40.,  von  da  bis  zum  70.  tritt  eine  allmähliche  Ab- 
nahme ein.  Nach  dem  70.  Jahre  bezeichnet  man  einen  Mann 
als  Greis.  Vgl.  ferner  Valer.  Max.  8,  13  Ext.  5:  Aethiopes, 
quos  Herodotus  [3,  22 f.;  s.  Abh.  I  S.  20]  scribit  centesimum 
et  vicesimum  annum  transgredi,  et  Indi,  de  quibus  Ctesias 
idem  tradit,  und  Plinius  n.  h.  7,  28 f.:  Ctesias  [dicit]  .  .  .  contra 
alios  [im  Gegensatz  zu  den  Macrobii]  quadragenos  non  ex- 
cedere  annos,  iunctos  Macrobiis,  quorum  feminae  semelpariant; 
idque  et  Agatharchides  tradit  .  .  .  Feminas  septimo  aetatis 
anno  parere,  senectam  quadragesimo  accidere.  Ebenfalls 
auf  eine  ysveä  von  40  Jahren  scheint  zu  führen  die  große 
auf  astronomischen  Berechnungen  beruhende  Periode  (Mahäyuga) 
der  Inder,  welche  die  vollkommene  Umwälzung  aller  Gestirne 
zu  einer  gewissen  Konjunktion  der  Sonne,  des  Mondes  und 
der  Planeten  herbeiführen  soll.  Sie  besteht  nach  Lepsius, 
Chrono!  d.  Ägypter  S.  3  aus  4  kleineren  Perioden,  deren  letzte 
432000  Jahre  umfaßt.  'Wir  leben  in  diesem  letzten  Welt- 
alter, welches  kali  yuga  genannt  wird  und  dessen  Anfang 
auf  den  18.  Febr.  des  Jahres  3120  vor  Chr.  fällt.'  Wjndisch 
dagegen  bemerkt  mir  darüber :  „Die  Zahl  4  3  20  000  (nicht  43  2  000 !) 
als  die  Zahl  der  Jahre  eines  Mahäyuga  (Großperiode)  kommt 
so  heraus:  Ein  M.  besteht  aus  den  4  Yuga  oder  Zeitaltern, 
von  denen  das  1.  4000,  das  2.  3000,  das  3.  2000,  das  4.  1000 
Jahre  enthält.  Dazu  kommen  noch  für  jedes  2  Dämmerungs- 
zeiten von  je  400,  300,  200,  100  Jahren.  Das  macht  zu- 
sammen 1 2  000  [=  3  x  4000]  Jahre.  Dies  sind  aber  Götter- 
jahre.      Ein    Göttertag    macht    1    Menschenjahr    aus.      12000 


Die  Tessarakontaden  deb  Gkh  i  m.\  i  nd  anderer  Völker.      147 

mal   360   ergibt   die   obige   Zahl    von    Menschenjahren. m)    — 
71  mal    dieser  Kreislauf  ist   ein  Manvantara   (Mana- Periode), 
14  Manvantaras  sind   1  Tag  Brahmas.     So  nach  dem  Anfang 
des   Harivamsa,   eines   großen  epischen   Werkes,  das   sich   an 
das   Mahäbhärata   anschließt,"     Diese   Periode   von   4320000 
oder   432000   Jahren   ist   aber   deshalb   besonders  interessant, 
weil  sie  eine  auffallende  Übereinstimmung  mit  einer  ähnlichen 
Periode   der  Babylonier   zeigt,   auf  die   ich    bereits   in  Abh.  I 
S.  7  f.  Anm.  4  u.  6   aufmerksam   gemacht  habe.     Nach  Berossos 
nämlich   (fr.  4  ff.  Müller)    sollen    die    ältesten    vor    dem   xata- 
'yd.v<3iM)$    herrschenden    Könige    der    Chaldäer    zusammen    120 
ökqol   von   Jahren,   d.  h.    120  x  3600  =  432  000  Jahre   oder 
mit    andern   Worten    10800   yevecä  zu  je    40   Jahren   regiert 
haben,    so    daß    auf  jeden   der    10   Könige    1080  Jahre   oder 
27  (=  3x9)   ysvsat  zu  je  40  Jahren  entfallen.     Endlich 
dauert  nach  Censorinus   18,  11  auch  das   Weltjahr   des  fLinos' 
und  Heraklit   10  800  Jahre.    Aber  auch  sonst  sind  die  Zahlen 
108  u.  1080  [1080  Tage  =  40  periodische  Monate  zu  27  Tagen; 
s.  Ginzel  in  Klio  I  (1902)  S.  352  f.  A.  5  und  Lehmann-Haupt, 
Verhandl.  d.  Berl.  anthropol.  Ges.  1896  S.  447    und    108,   vgl. 
Ennead.  Stud.  S.  25.  S.  41  A.  65  u.  Philologus  1908  S.  158  ff.] 
von   Bedeutung    und   beruhen   höchst   wahrscheinlich   auf  der 
Astrologie   der  Babylonier,   die   in  uralter  Zeit  auch  die  der 
Inder  stark  beeinflußt  zu  haben  scheint.    Es  dürfte  wohl  der 
Mühe   wert  sein,    diesen   Gedanken   gelegentlich  noch   weiter 
zu  verfolgen. 

8.  Die  Slawen.  —  Von  den  Slawen  steht  mir  bis  jetzt 
nur  für  die  Russen,  Weißrussen,  Rutenen  (Huzulen),  Serben 
und  Bulgaren  einschlägiges  Material  zur  Verfügung,  dieses 
aber  beweist  zur  Genüge,  daß  auch  bei  diesen  Stämmen  die 
4otägige  Unreinigkeits-  und  Trauerfrist  nach  Entbindungen 
und  Todesfällen  uralt  und  allgemein  verbreitet  war. 

a)  Die  4otägige  Unreinheit  der  Wöchnerinnen. 
Nach  P.  Bartels,  Brauch  und  Glauben  der  weißrussischen 


169)  Vgl.  auch  Ginzel,  Handb.  d.  Chronol.  I  337  f.:  vgl.  S.  89  u.  399. 


148  W.  H.  Röscher: 

Landbevölkerung  (Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde  1907  (XVII) 
S.  167)  ist  die  junge  Mutter  40  Tage  wegen  Unreinheit  (s. 
S.  165)  vom  Kirchenbesuch  ausgeschlossen;  auch  muß  sich  der 
Mann  so  lange  von  ihr  fern  halten.  —  Üherhaupt  gilt  bei 
den  Russen  ebenso  wie  bei  den  Rutenen  und  Serben  die 
Wöchnerin  nach  der  Entbindung  40  Tage  lang  für  unrein 
(Ploss-Bartels,  D.  Weib  in  d.  Natur-  und  Völkerkunde5  1,352. 
Ploss,  D.  Kind  1  S.  53).  Nach  Peteowitsch  b.  Ploß-Bartels 
a.  a.  0.  S.  358  wird  in  Serbien  für  Mutter  und  Kind  auch 
der  böse  Blick  gefürchtet,  und  dies  soll  der  Grund  sein  [?], 
warum  die  Entbundene  40  Tage  lang  im  Wochenbette  ver- 
harren muß.  —  Die  Sitte  der  in  Ostpreußen  ansässigen,  aus 
Rußland  stammenden  Sekte  der  Philipponen,  die  Taufe  in 
der  Regel  40  Tage  nach  der  Geburt  zu  vollziehen  (Globus  76, 
S.  189),  setzt  wohl  sicher  die  Annahme  einer  4otägigen 
Unreinheit  von  Mutter  und  Kind  voraus. 

b)Die  4otägigeTrauerfrist  beiTodesfällen.  —  Stirbt 
in  Weißrußland  eine  Wöchnerin,  so  legt  man  wie  bei  allen 
Toten  40  Tage  lang  ein  Handtuch  auf  die  Fensterbank  und 
stellt  ein  Gefäß  mit  Wasser169b)  hin.  Stirbt  das  Kindchen, 
so  bettet  man  ihm  so  lange  die  Wiege  auf.  War  die  tote 
Mutter  eine  Zauberin,  so  besucht  und  nährt  sie  ihr  Kind 
6  Wochen170)  lang  (Bartels  a.  a.  0.  1907  (XVU)  S.  170). 
—  Bei  den  Russen  wiederholt  sich  das  Totenmahl  am  9., 
20.  und  40,  Tage  nach  dem  Tode  (Tylor,  D.  Anfänge  d. 
Kultur  2,  35.  v.  Negelein,  Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde 
1901  (XI)  S.  20).  Dazu  stimmt  der  Glaube  vieler  russischer 
Bauern,  daß  die  Geister  der  Abgeschiedenen  ihre  alten  Woh- 
nungen während  eines  Zeitraums  von  6  Wochen  (=  40  od. 
42  Tage?)  immer  wieder  aufsuchen  und  daß  sie  dabei  essen 
und  trinken  und  die  Betrübnis  der  Trauernden  überwachen 
(Spencer,  D.  Prinzip,  d.  Sociologie  2,427.     Sartori  a.  a.  0. 

169b)  Eine  ähnliche  Sitte  der  heutigen  Kreter  s.  in  Globus  65,  55 
=  Sartori  in  Z.  f.  Volksk.  18  (1908)  S.  376.  Vgl.  auch  unt.  Anrn.  190  u.  193. 

170)  S.  ob.  S.  28  Anm.  11,  S.  30  Anm.  16;  41.  S.  89  A.  112.  150.  152. 
Abh.  I  A.  12  u.  Wuttke,  D.  Volksabergl.2  §  748. 


Die  Tessahakontaden  der  Griechen  und  anderes  Völker.      14g 

S.  43a).  —  In  Bulgarien  wird  in  manchen  Häusern  40  Tage 
lang  früh  und  abends  an  die  Stätte,  wo  der  Tote  gebettet 
war,  ein  Stein  gelegt  und  darauf  eine  Kerze  angezündet. 
Die  Seele  soll  nämlich  noch  40  Tage  lang  nach  dem  Tode 
im  Hause  verweilen  (v.  Negelein  a.  a.  0.  S.  2 1 ,  wo  noch 
Weiteres  zu  finden  ist).  Ähnlich  in  Serbien.  Als  der 
Serbenfürst  Milosch  Obrenowitsch  I.  im  Jahre  1860  <re- 
storben  war,  stand  auf  dessen  leerem  Bette  ein  Öllicht,  das 
40  Tage  lang  fortzubrennen  hatte  (Rochiiolz,  Deutscher 
Glaube  u.  Brauch  I,  196.  v.  Negelein  a.  a.  0.  S.  20).  Nach 
v.  Negelein  ist  wohl  das  Öllicht,  wie  zahlreiche  Analogien 
beweisen,  ein  'direktes  Substitut  für  den  Toten'.  —  40  Tace 
und  40  Nächte  währt  nach  dem  Glauben  der  Ruteneu  der 
Weg  der  abgeschiedenen  Seele  zu  Gott  (Globus  67,  S.  358). 
Im  Einklang  damit  steht  die  von  Sartori  in  seiner  lehrreichen 
Abhandlung  'Die  Speisung  d.  Toten',  Dortmund  1903  S.  32  ff. 
angeführte  Sitte  der  Huzulen  (Rutenen)  in  Ploska,  nach 
40  Tagen  zu  Ehren  des  Toten  ein  Totenmahl  zu  halten, 
womit  der  Glaube  zusammenhängen  soll,  daß  die  Seele  so 
lange  umherirre  und  in  die  frühere  Wohnung  einkehre. 

c)  Tessarakontadische  Jahrfristen.  —  Zwar  fehlen 
auch  diese  den  Slawen  nicht,  jedoch  scheinen  sie  viel  seltener  zu 
sein  als  die  Vierzigtagefristen.  So  heißt  es  in  den  Volksliedern 
der  Serben  von  Talvj  I,  S.  267,  daß  das  Haupt  des  Helden 
Lasar  40  Sommer  liegen  blieb,  ehe  es  gefunden  wurde,  und 
in  Rußland  gibt  es  die  sprichwörtliche  Redensart  „Seit 
40  Jahren  gibt  es  kein  Recht  mehr"  (Hikzel  in  den  Berichten 
d.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1885  S.  55).  Daß  es  sich  in  beiden 
Fällen  um  den  Begriff  eines  Menschenalters  (ysvsd)  von 
40  Jahren  handelt,  scheint  mir  auf  der  Hand  zu  liegen. 

d)  Sonstige  Tessarakontaden.  —  Höchst  merkwürdig 
ist  die  von  Mannhardt,  Myth.  Forschungen  S.  355  angeführte 
Sitte  der  Großrussen,  das  Ehebett  des  jungen  Paares  mit 
großer  Feierlichkeit  aus  40  Garben  von  Roggen  aufzubauen, 
über  die  man  das  Bettuch  spreitet.  Ringsumher  stellt  man 
Tonnen   voll  Weizen   und  Gerste  auf,   in  welche  man  nachts 


150  W.  H.  Röscher: 

die  Hoelizeitsfackeln  steckt.  Hier  sollen  die  Roggengarben 
und  Tonnen  voll  Getreidekörner  offenbar  die  eheliche  Frucht- 
barkeit und  den  damit  zu  erhoffenden  Wohlstand  bedeuten, 
was  besagt  aber  die  Zahl  40?  Ich  habe  nach  längerem  Nach- 
denken auf  Grund  des  von  mir  gesammelten  Materials  keine 
befriedigendere  Erklärung  dafür  finden  können  als  die  Be- 
ziehung auf  die  40  Wochen  der  mit  der  Hochzeitsnacht  be- 
ginnenden normalen  Schwangerschaft  der  jungen  Frau,  die 
man  auf  diese  Weise  gegen  die  mit  Recht  gefürchtete  zu 
frühe  Entbindung  zu  sichern  suchte.  Weitere  Beispiele  für 
sonstige  Tessarakontaden  bei  den  Russen  und  Serben  führt 
Hirzel  a.  a.  0.  S.  55  ff.  an  (40  x  40  Kirchen  in  Moskau; 
40  Lasten,  40  abgehauene  Köpfe,  Agraffe  mit  40  Federn  etc. 
in  serbischen  Liedern  usw.). 

9.  Die  Germanen.  —  A)  Tessarakontaclische  Tag- 
fristen. —  a)  Eine  40-  oder  42  tägige,  d.  h.  6  wöchige,  Un- 
reinheit der  Wöchnerinnen  bezeugt  für  Deutschland  Ploss, 
D.  Kind  I,  44 m),  der  auch  auf  den  bei  uns  üblichen  Ausdruck 
cSechswöchnerin'  verweist.  'Ähnlich  ist  es  mit  dem  Kinde, 
welches  wenigstens  bis  zur  Taufe  nicht  nur  in  persönlicher 
Gefahr  und  Anfechtung  schwebt,  sondern  auch  gewissermaßen 
einen  Reinigungsprozeß  durchmachen  muß'  (ebenda  S.  46; 
vgl.  oben  S.  40  f.,  99  f.  u.  Wuttke,  D.  Volksabergl. 2  §  581  ff.). 
Auf  die  auch  im  Talmud  (s.  Abh.  I  S.  1 3  f.)  sowie  bei  den  Arabern 
(Abh.  I  S.  29)  und  griechischen  Ärzten  (ob.  S.  89)  vorkommende 
Vorstellung,  daß  die  Formation  des  Embryo  40  Tage  in  An- 
spruch nehme,  deuten  die  später  noch  in  einem  andern  Zu- 
sammenhang zu  besprechenden  Schlußworte  eines  merkwür- 
digen Abschnitts  aus  dem  Liede  auf  den  hl.  Geist  S.  348, 
16  ff.  hin:  'alsam  der  mennische  in  vierzech  tagen  wirt 
gescafen'.  In  Westfalen  besteht  ferner  nach  Ztschr.  d.  Vereins 
f.  rhein.  u.  westfäl.  Volksk.  4  S.  198  der  merkwürdige,  aber 
ähnlich  auch  in  Althellas  (s.  ob.  S.  28)  vorkommende  Brauch, 
daß  Neuvermählte  vor  Ablauf  von  6  Wochen  das  Elternhaus 


171)  S.  anch  Wuttke,  D.  Volksabergl.2  §  575  ff'. 


Die  Tessarakontadkn  dkk  ({kikcukn  und  anderes  Völker.      151 

(in  Althellas  den  Tempel)  nicht  besuchen  dürfen.  Als  Grund 
davon  dürfen  wir  vielleicht  auch  hier  die  nach  der  Empfängnis 
am  Hochzeitstage  noch  40  Tage  lang  fortdauernde  Menstrua- 
tion172) und  Unreinheit  der  jungen  Frau,  so  lange  der  Fötus 
noch  gestaltlos  gedacht  wurde  (s.  ob.  S.  31  u.  S.  89  f.),  annehmen. 
b)  In  Ostpreußen  herrscht  der  auch  bei  den  Slawen  (s. 
ob.  S.  148)  und  sonst  weit  verbreitete  Glaube,  daß  40  Tage 
lang  nach  dem  Tode  jeder  Gestorbene  noch  auf  Erden 
wandeln  müsse,  und  manche  Leute  bilden  sich  ein,  diese  Seele 
als  nebelartige  Gestalten  zu  sehen.  Das  jetzt  christliche  Volk 
motiviert  diese  40tägige  Frist  mit  dem  Hinweis  auf  die 
40  Tage,  welche  Christus  nach  seiner  Auferstehung  noch  auf 
Erden  zubrachte  (Wuttke,  D.  Volksabergl.2  §  750;  vgl. 
v.  Negelein  in  Ztschr.  f.  Volksk.  1901  (XI)  S.  19),  doch  fragt 
es  sich,  ob  dies  Motiv  das  ursprüngliche  ist,  und  ob  es  sich  in 
diesem  Falle  nicht  vielleicht  eigentlich  weniger  um  eine  ger- 
manische als  um  eine  altpreußische  oder  litauische  (s.  unten!) 
Vorstellung  handelt.  Einstweilen  scheint  mir  aber  auch  alt- 
germanischer Ursprung  sehr  wohl  denkbar,  da  auch  bei  den 
alten  Deutschen  die  40tägige  Frist  inbezug  auf  Sterben  und 
Tod  vorkommt.  Vgl.  z.  B.  Procopius  de  bello  Gothico  4, 
20  =11  p.  561  ed.  Bonnensis:  'EoiieylöxXog  6  täv  Ovkqvcov 
ßaöiXevg]  £vv  Ovkqvcov  rolg  Xoyi{icordroig  ev  %coqlco  reo 
IrtTtevöuevog  oqvlv  nva  h%\  de'vdoov  re  xcc&rjuevrjv  eiÖe  xal 
tcoXXu  xoco^ovöav113).  ehe  de  rrjg  oovi&og  rr\g  cpcovi\g  ^vveig 
ehe  üXXo  pev  xi  E^ejaörd^ievog,  ^vvelvai  de  rfjg  öovL&og 
Havrevo^ievrjg   regarevUa^evog^   rolg  TttiQovöLV  ev&vg  ecpaöxev 

172)  Welche  Scheu  man  allgemein  vor  den  sog.  molae  (nichtformier- 
ten  entarteten  Embryonen)  und  vor  dem  Blute  menstruierender  Frauen 
empfand,  geht  deutlich  aus  Plin.  h.  n.  7,  63  ff.  u.  anderen  von  Fuazer, 
The  golden  bough  III  p.  232  ff.  gesammelten  Stellen  hervor. 

173)  Man  hat  wohl  an  einen  Raben  oder  eine  Krähe  (Eule?  Elster?) 
oder  einen  Kukuk  zu  denken,  deren  Schreien,  Krächzen  od.  Rufen  Tod 
oder  Unheil  verkündet  (vgl.  Wuttke  a.  a.  0.  §  274,  273,  280).  Wenn 
man  im  Frühjahr  zum  ersten  Mal  den  Kukuk  hört,  so  gibt  die  Zahl 
seiner  Töne  die  Jahre  an,  die  man  noch  zu  leben  hat;  er  wird  meist 
in  Reimsprüchen  ausdrücklich  gefragt  (Wuttke  §  280). 


152  W.  H.  Röscher: 

ag  TS&vtj£,£T<XL  tsGöccqccxovxcc  rjfieQUig  vßreQov.  tovxo 
yaQ  avrä  rijv  tfjg  oQvi&og  drjlovv  7CQ06Qriöiv.  Vgl.  ebendort 
p.  562:  6  aev  .  .  .  tfj  tsööaQdJcoörfi,  anb  xfig  TtQOQQrjöeag 
rjfieQa  voörjöccg  rijv  neiiQQo^Evriv  avs7tlr]ösv.  In  einer  unter- 
fräokischen  Sage  bei  Fries  in  Wolfs  Zeitschr.  für  deutsche 
Mythologie  I  S.  30  tritt  an  Stelle  der  Frist  von  40  Tagen 
wie  auch  sonst  oft  die  von  sechs  Wochen  oder  42  Tagen174), 
obwohl  nach  Grimm,  D.  Rechtsalt.4  I  301  f.  auch  bisweilen 
6  Wochen  für  40  Tage  gesagt  wird.  Sehr  merkwürdig,  aber 
wohl  sicher  in  diesen  Zusammenhang  gehörig  ist  das,  was 
St.  Foix,  der  Zeitgenosse  Ludwigs  XIV.,  über  einen  uralten 
noch  zu  seiner  Zeit  bestehenden  Ritus  beim  Tode  eines  Königs 
von  Frankreich  berichtet.  Dieser  Ritus  fand  in  den  40  Tagen 
vor  dem  Leichenbegängnis175)  statt  und  war  folgender. 
Man  stellte  das  Wachsbildnis  des  Königs  zur  Parade  aus  und 
fuhr  fort  ihn  bei  Mahlzeiten  zu  bedienen,  als  ob  er  noch 
am  Leben  wäre;  die  Diener  deckten  den  Tisch  und  brachten 
die  Gerichte,  der  Haushofmeister  übergab  dem  vornehmsten 
Pair,  der  zugegen  war,  die  Serviette,  um  sie  dem  König  zu 
präsentieren,  ein  Geistlicher  segnete  das  Mahl,  die  Becken 
mit  Wasser  wurden  an  den  königlichen  Lehnstuhl  gesetzt, 
die  Getränke  wurden  in  der  gewohnten  Weise  serviert  und 
wie  sonst  das  Dankgebet  gesprochen,  nur  daß  man  noch  das 
„De  profundis"  hinzufügte  (St.  Foix,  Oeuvres  IV  p.  147  f. 
Tylor,  D.  Anfänge  d.  Kultur,  übers,  v.  Spengel  u.  Poske  II  34. 
Sartori  a.  a.  0.  3a). 

c)    Auch    mit    dem    den    Begriffen    der    Unreinheit,    der 
Trauer,    des   Todes    so    nahe   verwandten   Begriffe   der   Buße 


174)  In  andern  ähnlichen  Fällen  erscheint  die  Frist  von  3  oder  7 
oder  9  Tagen;  s.  Wolfs  Ztschr.  a.  a.  0.  I  S.  27.  28.  32 f.  63.  Wdttke, 
§  109.  —  Weitere  Beispiele  für  den  Gebrauch  der  Zahl  42  führt  Grimm, 
D.  Rechtsalt.4  I  S.  301  f.  an. 

175)  Während  dieser  40  Tage  sah  man  also  den  toten  König  noch 
als  einen  Lebendigen  an.  Daneben  gab  es  aber  auch  im  deutschen 
Erbrecht  die  Fiktion,  daß  der  Tote  nicht  40  sondern  30  Tage  (=  1  Monat) 
nach  seinem  Abscheiden  noch  lebe.  Vgl.  darüber  Homeyer,  D.  Dreißigste 
247  ff.  und  256  ff.  Saetobi  a.  a.  0.  S.  58"  A.  1. 


Die  Tessakakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      153 

(Strafe)  und  des  Fastens  verbunden  tritt  die  40 -Tagefrist 
auf.  Im  Physiologus  S.  88,  17  f.  heißt  es:  fso  si  [diu  natir| 
eraltet  ...  so  vastet  si  vierzich  tage  unde  naht.'  Da  meines 
Wissens  in  der  zoologischen  Literatur  der  Griechen  und  Römer 
sich  keine  entsprechende  Notiz  findet,  so  liegt  es  nahe,  hier 
an  eine  echtdeutsche  Vorstellung  zu  glauben.  4otägiges  Fasten 
kennen  ja  auch  die  Literaturen  der  Semiten  (s.  Abh.  I  S.  7. 
16.  33)  und  der  Griechen  (s.  ob.  S.  80).  Eine  schwere  mit 
Fasten  verbundene  Buße,  die  von  Seiten  der  Kirche  dem 
Mörder  auferlegt  wurde,  lehrt  uns  das  schon  oben  erwähnte 
inhaltlich  sehr  interessante  Loblied  auf  den  hl.  Geist  S.  348, 
16  ff.  kennen: 

fSwer  gotes  so  verlaugenot 

daz  er  sineme  eben  christene  tut  den  tot 

der  hat  sich  selben  erslagen. 

so  wir  dei  puoch  hören  sagen 

so  scal  er  vil  harte  gahen 

vierzech  tage  enphaeu 

mit  der  stole  von  dem  phafen 

alsam  der  mennische  in  vierzech  tagen  wirt  gescafen.' 
Da  mir  nur  die  ersten  3  Zeilen  und  die  letzte  vollkommen 
verständlich  waren,  so  habe  ich  mich,  um  auch  zum  Ver- 
ständnis von  Z.  4 — 6  zu  gelangen,  an  einen  der  besten  Kenner 
des  mittelalterlichen  Kirchen-  und  Strafrechts,  R.  Sohm  in 
Leipzig,  gewendet  und  mit  freundlichster  Bereitwilligkeit  von 
diesem  folgende  höchst  dankenswerte  Auskunft  erhalten.  „Zur 
Erklärung  der  schwierigen  Stelle  trägt  vielleicht  bei:  Regino, 
libri  duo  de  synodalibus  causis  (ed.  Wasserschieben  1840) 
lib.  II  c.  6  (p.  216):  Ex  concilio  Triburiensi  (a.  895).  Si  quis 
.  .  .  homicidium  perpetraverit  .  .  .  talem  poenitentiam  debet 
accipere:  inprimis  ut  licentiam  non  habeat  ecclesiam  in- 
trandi  illos  proximos  XL  dies,  nudis  pedibus  incedat  et 
nullo  vehiculo  utatur,  in  laneis  vestibus  sit  absque  femora- 
libus,  arma  non  ferat  et  nihil  sumat  his  XL  diebus  nisi 
tantum  panem  et  salem  et  puram  bibat  aquam  et  nullam 
communionem  cum  ceteris  Christianis  neque  cum  alio  poeui- 


154  W.  H.  Röscher: 

tente  habeat  in  cibo  et  potu  antequam  XL  dies  adirnple- 
antur  et  ex  cibo  quem  sumit  nullus  alius  manducet.  —  Auch 
Ausschluß  vom  Geschlechtsverkehr,  nee  ad  propriam   uxorem 
accedat  nee  cum  aliquo  homine  doriniat,  iuxta  ecclesiam  sit, 
ante   cuius  januas   peccata   sua   defleat   diebus   et   noctibus  et 
non  de  loco  ad  locum  pergat  sed  in  uno  loco  his  XL  diebus 
sit.    —  —    completis   XL   diebus   aqua  lotus   vestimenta   et 
calceamenta,  quae  a  se  abjeeerat,  rursus  sumat  et  capillum  in- 
eidat."     Nach   c.   7 — 9   mußte   man   noch    7  Jahre   lang  nach 
Ablauf   der    40   Tage    in    bestimmter    Weise    fasten.   —    Die 
40  Tage  Kirchenbann   und   öffentliche  Buße   habe  ich  nur  in 
dieser    fränkischen    Quelle    gefunden.      Die    (außerfränkischen 
aber   auch   in  Frankreich  verbreiteten)  Bußbücher  haben  nur 
Privatbußen.     So  das  Poenitentiale  Columbani  c.  13  (Wasser- 
schleben,  Die  Bußordnung  der  abendländischen  Kirche  1851 
S.  357):  Der  Mörder  soll  3  Jahre  waffenlos  in  der  Ferne  um- 
herwandern und  nur  Brot  und  Wasser  genießen,  et  post  tres 
annos   revertatur  in  sua  reddens  vicem  parentibus  occisi  pie- 
tatis   et   officii,    et   sie   post   satisfactionem  judicio    sacerdotis 
jungatur   altario.     Vgl.   dazu  E.  Loening,   Gesch.  d.  deutsch. 
Kirchenrechts  II  (1878)  S.  480." 

„Ich  halte  also  dafür,  daß  mit  den  „Büchern"  Bußbücher, 
bzw.  Sammlungen  von  Kanon  es  betr.  die  Kirchenzucht  (nach 
Art  der  libri  duo  des  Regino)  gemeint  sind  (die  Bibel  ent- 
hält nichts  derartiges)176)  und  daß  mit  den  40  Tagen  die 
4otägige  öffentliche  Kirchenbuße  (vgl.  oben!)  gemeint  ist. 
Die  Buße  soll  ihm  von  den  Pfaffen  mit  der  Stola  auferlegt 
werden,  d.  h.  der  Priester  soll  dabei  sein  Amtsgewand  tragen. 
Während    der  40  Tage    gilt    der  Büßer  nicht  als   Glied  der 

176)  Es  fragt  sich,  ob  nicht  doch  vielleicht  die  mehrfach  in  der 
Bibel  und  den  Apokryphen  (Pseudepigrapben)  erwähnten  mit  Fasten 
verbundenen  Büß-  und  Trauerfristen  (vgl.  Abh.  I  S.  7 :  Jona  3,  4  ff.  Abb.  I 
S.  16  f.  nebst  Anm.  25;  vgl.  auch  S.  21  f.  Anm.  36)  mit  gemeint  sein 
können.  —  Man  denke  auch  an  die  sehr  alten  Quadragesirnalfasten  der 
Christenheit  vor  Ostern  und  Weihnachten  (s.  Pfannenschmid  ,  German. 
Erntefeste  S.  238  f.  515,  der  geneigt  ist,  diese  Feste  auf  eine  altheid- 
nische Sitte  der  Germanen,  Julfasten,  zurückzuführen). 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      155 

menschlichen  Gemeinschaft:  daher  sein  Ausschluß  vom  Ver- 
kehr. Er  ist  ein  Unmensch.  Erst  nach  Ablauf  der  40  Tage 
wird  er  wieder  ein  Mensch,  er  kleidet  sich  wieder  wie  die 
andern  und  schneidet  sich  das  Haar,  d.  h.  er  wird  anständig 
frisiert  und  barbiert,  'wie  der  Mensch  in  40  Tagen  geschaffen 
ward.'  Für  das  letzte  haben  Sie  ja  schon  die  sehr  interessante 
Erklärung  gegeben."177)  —  Von  großer  Bedeutung  war  die 
4otägige  Frist  auch  beim  Heerbann.  Vgl.  darüber  J.  Grimm, 
Deutsche  Rechtsaltert.4  I  301  f.,  der  mehrere  Belege  anführt, 
aber  gewiß  irrt,  wenn  er  die  40  als  ( Vervierfachung  der  Zehn- 
heit'  oder  gar  als  '3  X  13  =  39  +  1'  (!)  deuten  möchte. 
Vielleicht  darf  man  auch  die  möglicherweise  aus  fränkischen 
Überlieferungen  stammende  sog.  Quarantaine-Le-Iioi  in 
diesen  Zusammenhangs  einreihen.  Es  ist  darunter  eine  Ver- 
Ordnung  Philipp  Augusts  (11 80 — 1223)  zu  verstehen,  der  zu- 
folge man  eine  Privatfehde  (guerre  privee)  erst  nach  40  Tagen 
unternehmen  durfte,  um  sich  für  eine  Beleidigung  zu  rächen. 
Während  dieser  Frist  eröffnete  ein  königlicher  Beamter  ein 
Verfahren  gegen  die  Streitenden,  das  binnen  40  Tagen  be- 
endet sein  mußte.178) 

c)  Über  4otägige  Fristen  in  Wetterregeln  s.  Wuttkk, 
D.  Volksabergl.2  §  96  u.  101   und  oben  S.  59  Anm.  67. 

B)  Tessarakontadische  Jahrfristen.  Auch  solche 
kommen  mehrfach  vor.  Ich  berufe  mich  vor  allem  auf  den 
uralten  Begriff  des  'Schwabenalters',  das  mit  dem  40.  Lebens- 
jahre beginnt,  sodann  auf  das  Epos  Dietrichs  Flucht  2109/10: 
fdö  er  (Ortnit)  in  der  fügende  vart  wol  vierzic  jär  alt  wart' . . . 
und  auf  Wolfdietrich  A:  25,  2  [der  klusenaere  im  Walde] 
was  ouch  da  gesezzen  mehr  danne  vierzic  jär;   vgl.  Knopf, 


177)  S.  oben  S.  89.  Der  Sinn  scheint  also  zu  sein:  Wie  der  Mensch 
von  der  Zeugung  an  40  Tage  braucht,  um  im  Mutterleibe  Gestalt  zu 
gewinnen,  so  muß  auch  der  zum  Unmenschen  gewordene  Mörder  40  Tage 
als  solcher,  d.  h.  ohne  Gestalt  und  Schönheit,  erscheinen  und  darf  erst 
nach  Ablauf  der  40  Tage,  gewissermaßen  als  ein  Wieder-  und  Neu- 
geborener seine  menschliche  Gestalt  wieder  annehmen. 

178)  Vgl.  Klöpper,  Französ.  Real-Lexikon  II  S.  481.  749.  III.  228. 


156  W.  H.  Eoscher: 

Z.  Gesch.  d.  typ.  Zahlen  in  d.  deutschen  Lit.  d.  Mittelalt.  Leipz. 
Diss.  v.  1902  S.  81  ff.  Schon  aus  diesen  Belegen,  die  sich 
wohl  erheblich  vermehren  lassen,  gewinnt  man  den  Eindruck 
daß  das  40.  Lebensjahr  auch  den  Germanen  die  Vollendung 
der  ax[iri  und  den  Schluß  einer  ysvsd  bedeutete. 

C)  Sonstige  Tessarakontaden.  —  Vgl.  außer  den  schon 
von  Knopf  a.  a.  0.  S.  81  ff.  gesammelten  Belegen  (40  Ritter, 
40  Mannen,  40  kocken,  40  galeide,  40  turne)  noch  die  in 
Dänemark  gegen  Krämpfe  und  Fallsucht  üblichen  40  Päonien- 
kerne (Am  Urquell  3  S.  4)  sowie  die  40  Paar  Hölzchen,  die 
als  Mittel  gegen  Kopfstiche  dienen  (Frischbier,  Hexenspruch 
u.  Zauberbann  S.  77;  vgl.  Toppen,  Aberglauben  a.  Masuren 
S.  24,  wo  statt  dessen  auch  3x27  =  81  kleine  Stäbchen 
angegeben  werden).  Ich  verdanke  diese  Hinweise  Sartori  in 
Dortmund.  [Bei  Shakespeare  und  Swift  soll  die  40  oft  als 
unbestimmte  Rundzahl  für  cviele'  vorkommen;  Hirzel  a.  a.  0. 

S.  54  &179) 

10.  Die  Römer  (vgl.  Hirzel  a.  a.  0.  S.  57 f.).  —  Die  in 
der  römischen  Literatur  vorkommenden  Tessarakontaden  sind, 
soweit  sie  aus  griechischer  Anschauung  und  Wissenschaft 
stammen,  schon  früher,  namentlich  in  Kap.  III  besprochen 
worden.  Auch  bei  den  im  Folgenden  anzuführenden  Zeug- 
nissen  für  eine  gewisse  Bedeutung  der  Zahl  40  bei  den  Römern 
ist  es  nicht  unmöglich,  daß  sie  griechischen  Ursprungs  sind, 
doch  scheint    wenigstens   die   bereits   in   Kap.  I  zur  Sprache 


179)  Ebenso  auch  im  Altfranzösischen:  Diez,  Altroman.  Sprach- 
denkmale. Bonn  1846  S.  64  u.  165.  —  Bei  dieser  Gelegenheit  bemerke 
ich,  daß  es  bei  den  Tessarakontaden  im  Altfranzösischen  natürlich 
immer  fraglich  ist,  ob  sie  aus  dem  Altgermanischen  (Fränkischen)  oder 
aus  dem  Keltischen  stammen.  Für  eine  altkeltische  ysvsd  von 
40  Jahren  spricht  wenigstens  das  von  Klöpper,  Franz.  Reallexikon  III 
228  unter  fQuarante'  erwähnte  Märchen  aus  der  Oberbretagne, 
dessen  Held  sich  auf  die  Wanderschaft  begibt,  nachdem  er  von  seiner 
Mutter  40  Jahre  lang,  d.  h.  bis  zum  Beginn  des  rSchwabenalters', 
gesäugt  worden  ist.  —  Hinsichtlich  der  zahlreichen  Tessarakontaden  bei 
Shakespeare  verweise  ich  auf  Schmidts  Shakespearelexikon  unter  'Forty' 
und  Hirzel  a.  a.  0.  S.  59. 


Die  Tessakakun taden  der  Griechen  und  anderer  Völker,      i 


.->, 


gebrachte  auf  verstorbene  Kinder  unter  40  Tilgen  bezügliche 
Bestattungssitte  des  'suggrundarmm',  wenn  sie  wirklich, 
wie  Fulgentius  behauptet,  altrömisch  ist,  auf  derselben  An- 
schauung von  der  4ot;igigen  Frist  zu  beruhen,  der  wir  in  der 
Embryologie  und  Gynäkologie  der  Griechen  und  anderer  Völker 
begegnen.  —  Auf  eine  altrömische  yav&ü  von  40  Jahren 
(oder  eine  axfirj  mit  dem  40.  Lebensjahre)  deutet  ferner  die 
Notiz  bei  Plutarch  (Numa  5)  und  Dionys.  Hai.  (a.  R.  2,  58), 
daß  Numa  mit  40  Jahren  König  geworden  sei.  Dionysios 
fügt  noch  hinzu,  daß  dies  das  vernünftigste  Lebensalter  (rßixkc 
cpQOvificoTätrj)  sei,  woraus  wir  mit  fflRZEL  a.  a.  0.  gewiß 
schließen  dürfen,  daß  die  Urheber  dieser  Überlieferung  die 
geistige  dx^irj  in  das  40.  Lebensjahr  gesetzt  haben.  Dazu 
stimmt  auch  vollkommen  die  weitere  Notiz  bei  Plut.  a.  a.  0.  2 1 
(vgl.  Dionys.  2, 76 ),  daß  Numa  ein  Alter  von  80  Jahren  erreicht 
habe,  eine  Tradition,  die  lebhaft  an  die  Legenden  von  Aro-an- 
thonios  ('Abb..  I  S.  20),  von  Moses  u.  a.  (I,  18  f.),  von  Saul,  David, 
Salomo  usw.  (22 f.),  auch  von  Pythagoras180)  (s.  ob.  Kap.  IV 
S.  77)  erinnert.  Ebenso  darf  man  unbedenklich  den  oben 
Anm.  99  erwähnten  40jährigen  Waffenstillstand  der  Römer 
mit  den  Vejentern  (Liv.  2,  54,  1  u.  Dion.  Hai.  9,  36)  und  den 
20jährigen  mit  den  Volsiniensern  (Liv.  5,  32,  5)  auf  eine 
ganze  (und  eine  halbe)  altrömische  yeveä  von  40  (bez.  20) 
Jahren  beziehen.181)  Ganz  sicher  setzt  eine  solche  voraus  die 
Überlieferung  bei  Gellius  (N.  A.  3,  4;  vgl.  Marquardt,  Privat- 
leben d.  R.1  II  200),  daß  die  älteren  Römer  sich  in  der  Regel 

180)  Zu  dem  Numa  bekanntlich  in  nahen  Beziehungen  gestanden 
haben  soll:  s.  Schwegler,  Rom.  Gesch.  I  S.  560 f. 

181)  Gehören  hierher  auch  die  f  Quadragennalia  vota'  auf 
Münzen  der  späteren  röm.  Kaiser?  Vgl.  De  Vit  s.  v.  quadragennalis:  ''Qua- 
dragennalia vota,  quae  boni  ominis  causa  nuncupabantur  ob  imperatorum 
incolumitatem,  ut  scilicet  ad  quadragesimum  imperii  annuni,  Deo 
favente,  pervenirent.  Quare  in  numis  Constantini  iunioris  et  Constantii  II 
legere  est:  VOT  XXX,  MVLTIS  XXXX,  h.  e.  votis  tricennalibus,  multis 
quadragennalibus.'  —  Wahrscheinlich  hat  man  die  'vicena  stipendia' 
der  römischen  Soldaten  unter  Augustus  (Tac.  ann.  1,  36)  als  II 
einer  ysveä  aufzufassen. 


158  W.  H.  Koscher: 

erst  nach  dem  40. Lebensjahre  den  Bart  abnehmen  (rasieren) 
ließen.  Ja  sogar  die  Vorstellung  eines  höchsten  Lebensalters 
von  3X4  ysvsal  oder  120  Jahren  scheint  den  Römern  und 
überhaupt  den  Italikern  ebensowenig  wie  den  Semiten  (Abh.  X 
S.  9.  19 f.)  und  Griechen  (s.  ob.  S.  42)  gefehlt  zu  haben,  wie 
aus  der  merkwürdigen  ausonischen  Sage  von  Mares 182)  hervor- 
geht, der  Kentauren^ estalt  gehabt  und  das  höchste  Alter  er- 
reicht  haben  sollte  (7iQEößvxaxov  yevbö&ai  .  .  .  ob  xä  psv  e/t- 
7too6&EV  Xsyovöiv  avd-od)7i<p  öfiota183),  xä  xaröitiöd'sv  öh  "i'tttiov, 
xal  avxb  de  xovvopa  slg  xrjv  'Ekläöa  ygaöiv  i7t7to^ityrig182) 
övvaxav  Ael.  V.  H.  9,  16).  Von  diesem  Mares  erzählt  Aelian 
a.  a.  0.  weiter:  [iv&oloyov6i  de  avxov  xal  ßiävac  sxr\  xola  xal 
slxoöl  xal  ixaxov,  xal  ort,  xolg  cato&avcov  sßia  xolg.  Dieser 
Wortlaut  muß  verderbt  sein,  denn  erstens  ist  die  Zahl  123 
sozusagen  irrational  und  eine  entsprechende  Lebensdauer 
wenigstens  bei  Griechen  und  Italikern  sonst  unerhört,  zweitens 
deutet,  wie  schon  Hirzel  a.  a.  0.  S.  27  A.  3  erkannt  hat,  das 
xolg  ocTtod-avcov  ißico  xglg  auf  eine  Dreiteilung  des  Lebens 
in  Perioden  von  je  40  Jahren  hin,  wie  wir  sie  schon  mehr- 
fach konstatiert  haben  (s.  Abh.  I  S.  19  f.  u.  ob.  S.  42  f.).  Ich  ver- 
mute demnach,  daß  bei  Aelian  eine  Textverderbnis  vorliegt 
und  zu  lesen  ist:  avxbv  xal  ßtävat  yevr]1Si)  xoia  -Jj185)  ext] 
£1X06 1  xal  txaxbv  xal  öxt  xolg  äno&avcov  ißia  xoCg,  bei 
welcher  Lesung  alle  Bedenken  wegfallen. 

Bei  den  im  mittelalterlichen  Italien  vorkommenden 
Tessarakontaden   läßt    es    sich   natürlich   schwer   entscheiden, 


182)  Mares  könnte  verwandt  sein  mit  keltisch  marka  =  Pferd  und 
unserem  Mähre  (Fick,  Indogerm.  Wörterb.2  831). 

183)  Demnach  dachte  man  sich  den  Mares  in  derselben  Kentauren- 
gestalt, die  auf  den  ältesten  Monumenten  der  Griechen  erscheint  (s. 
Lex.  d.  Myth.  E  S.  1046  ff.). 

184)  ysvos  würde  also  hier,  wie  auch  sonst  nicht  selten,  im  Sinne 
von  ytvscc  stehen.  Vgl.  Hom.  Od.  y  245  (von  Nestor):  tglg  yäg  ör]  \x,iv 
cpaotv  avd£(X6&ai  yivs'   ccvdgwv. 

185)  Hinsichtlich  der  stehenden  Verwechselung  von  r\  und  ncti  vgl. 
Bast  zu  Gregor.  Cor.  p.  815;  s.  auch  p.  384.  410.  419.  623.  717. 


Die  TeSSARAKONTADEN   der  Griechen  i'nu  anderer  Völker.      159 

ob  sie  auf  christlichen186)  oder  auf  altitalischen  (römischen)  oder 
auf  altgriechischen  vielleicht  schon  im  Altertum  nach  [talien 
verpflanzten  Anschauungen  beruhen. 

Als  altitalisch  und  auf  einer  durch  das  Klima  Italiens 
(wie  Griechenlands)  bedingten  ganz  natürlichen  Erfahrung 
und  Beobachtung  beruhend  könnte  z.  B.  unbedenklich  die 
schon  oben  S.  68  A.  82  erwähnte  Bezeichnung  der  Zucker 
erbse  als  quarantano  angesehen  werden,  weil  in  der  Tat 
auch  nach  griechischen  Beobachtungen  (s.  oben  S.  68)  das 
Wachsen  und  Reifen  dieser  Frucht  40  Tage  dauert. 

Dagegen  ist  es  nicht  ganz  leicht  über  die  Entstehung 
der  nach  den  Ansichten  neuerer  Forscher  zuerst  im  Jahre  1374 
zu  Reggio  (in  der  Emilia  oder  in  Calabria?)187)  eingeführten 
Kontumaz  (quarantina,  quarantaine)  von  40  Tagen  klar 
zu  werden.  In  Abb.  I  S.  14  f.  habe  ich  die  Vermutung  aus- 
gesprochen, daß  die  Quarantaine  mit  der  Ansicht  der  griechischen 
Ärzte,  insbesondere  des  Galen  (z.  B.  9  p.  81 6  f.  K.),  zusammen- 
hänge, daß  der  40.  Tag  eigentlich  der  letzte  der  xgCöi^ot 
i'iUSQca  bei  Krankheiten  sei  (vgl.  Abh.  I  S.  15).188)  Andere 
nehmen  dagegen  an,  daß  der  Brauch  auf  einer  Analogie  mit 
der  4otägigen  Unreinheit  der  Wöchnerinnen  nach  mosaischem 


186)  Die  altchristlichen  Tessarakontaden  verlangen  eine  besondere 
Untersuchung,  die  ich  hier  nicht  anstellen  sondern  nur  anregen  möchte. 
Hierher  gehören  außer  den  in  Abh.  I  S.  44  Anm.  83  angeführten  Legen- 
den von  40  Märtyrern  und  den  40  Bußtagen  des  fränkischen  Mörders 
(s.  ob.  S.  153)  namentlich  auch  die  4otägigen  Fasten  vor  Ostern  und 
"Weihnachten  (quaresima;  vgl.  ob.  S.  154  A.  176),  die  prieres  de  40  heures 
(ital.  quarantore),  die  40  stündige  Ausstellung  des  Allerheiligsten  nach 
der  Reihe  in  den  verschiedenen  Kirchen  der  Diözese  und  die  dabei  ge- 
sprochenen Gebete.  Vgl.  auch  franz.  quarantaine  im  Sinne  eines  aus 
40  Versen  bestehenden  oder  40  Tage  hintereinander  gesprochenen  Ge- 
betes (Sachs-Villatte)  usw.  u.  ob.  Anm.  17. 

187)  Vgl.  z.  B.  Brockhaus'  Konvers. -Lex.14  unter  Quarantaine  und 
Dammer.  Handwörterb.  d.  Gesundheitspflege  647. 

188)  Diese  Ansicht  der  griech .  Ärzte  kann  den  Behörden  von  R  e  g  g  i  0 , 
Florenz.  Mailand,  Venedig  leicht  durch  die  medizin.  Schule  von  Salerno 
und  weiterhin  durch  eine  der  medizin.  Fakultäten  von  Bologna,  Reggio, 
Padua.  Perugia.  Florenz,  Siena,  Pisa,  Modenausw.  übermittelt  worden  sein. 

Phil.-hist.  Klasse  1909.   Bd.  LXI.  1 1 


i6o  W.  H.  Röscher: 

[und  griechischem]  Gesetz  beruhe  (s.  Abh.  I  S.  iof.).  Well- 
hausen schreibt  mir:  „Die  Quarantaine  habe  ich  mit  dem 
40 tag.  Fasten  vor  Ostern  zusammengebracht,  das  vielleicht 
mit  dem  40t.  Fasten  Jesu  bei  der  Versuchung  zusammenhängt; 
nach  der  altkirchlichen  Annahme,  daß  er  1  Jahr  gewirkt  habe, 
mußte  sein  Wirken,  das  mit  Ostern  schloß,  auch  mit  Ostern 
anfangen  und  also  die  Versuchung  dicht  vor  Ostern  fallen." 
Ich  muß  leider  aus  Mangel  an  Material  zur  Zeit  auf  eine 
Lösung  dieser  Fragen  verzichten,  behalte  mir  aber  vor,  ge- 
legentlich darauf  zurückzukommen.  Nicht  unmöglich  wäre 
wohl  auch,  daß  in  diesem  Falle  mehrere  Momente  zusammen 
gewirkt  hätten,  um  den  Brauch  der  Quarantaine  zu  erzeugen. 

Von  sonstigen  Tessarakontaden  des  italienischen  Mittel- 
alters erwähne  ich  hier  den  Rat  der  40  (quarantia)  in  der 
Republik  Venedig  und  das  ebenso  genannte  Richterkollegium 
der  Republik  Florenz.  Ich  muß  es  dahin  gestellt  sein  lassen, 
ob  die  40  Mitglieder  der  Academie  francaise  (les  Immorteis), 
sowie  die  40  ordentlichen  rmembres'  der  Academie  des  In- 
scriptions,  des  Sciences  morales  et  polit.  und  des  Beaux  Arts 
irgendwie  mit  den  ebengenannten  italienischen  Kollegien 
zusammenhängen  oder  nicht. 

11.  DieNeugriechen,  GräkowalachenundRumänen. 

a)  Unreinigkeitsfrist  der  Wöchnerinnen.  Bei  den 
Neugriechen  findet  die  priesterliche  Weihe  des  neugeborenen 
Kindes  und  der  Mutter  (bis  dahin  ist  sie  unrein)  am  40.  Tage 
statt;  Ploss,  D.  Kind  I  S.  164;  vgl.  oben  S.  28  f.,  wo  die  Paral- 
lelen aus  Althellas  angeführt  sind.  —  Ahnliches  gilt  auch 
von  den  Wöchnerinnen  der  Gräkowalachen  nach  Sajaktzis 
in  d.  Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volksk.  IV  (1894)  S.  145:  Das  Haus, 
in  dem  das  Kind  zur  Welt  kam,  gilt  als  unrein.  Deshalb 
wird  es  beräuchert,  mit  Weihwasser  besprengt,  jeden  Abend 
40  Tage  lang  Räucherwerk  angezündet  und  endlich  gegen 
Ende  dieser  Frist  samt  allen  Möbeln  gewaschen.  —  S.  140: 
Bis  zum  40.  Tage  darf  in  das  Zimmer  der  Wöchnerin  bei 
Nacht  ein  brennendes  Licht  weder  hineingetragen  noch  aus 
ihm  entfernt  werden,  weil  die  Dämonen  durch  das  Licht  der 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  im.  anderer  Völker.      161 

Muttermilch  schaden  könnten. —  S.  146:  Wenn  in  einer  Woche 
keine  Milch  sich  zeigt,  so  ißt  die  Wöchnerin  ein  Weizen- 
gebäck. Ein  kleineres  hängt  man  dem  Kinde  um  die  Hüfte; 
nach  dem  40.  Tage  wirft  man  es  in  irgend  ein  fließendes 
Wasser,  damit  das  Kind  das  Weinen  ablege  (vgl.  ob.  S.  100).  — 
S.  147:  Bis  zum  40.  Tage  darf  die  Mutter  kein  anderes  Kind 
stillen  als  ihr  eigenes.189)  — 

b)  Trauerfrist.  „Nach  der  Bestattung  begibt  sich  [in 
Griechenland]  das  Leichengefolge  in  die  Wohnung  des  Ver- 
storbenen zurück,  gleichsam  als  dessen  letzte  Gäste  feiern  sie 
das  Totenmahl.  Daß  man  Speisen,  Kuchen,  Früchte  am  3.,  9. 
und  40.  Tage,  im  3.,  6.  und  9.  Monate  nach  dem  Tode  auf 
das  Grab  niederzulegen  pflegt,  erinnert  an  die  kindliche  Vor- 
stellung der  Alten  [s.  ob.  S.  37  f.],  welche  dem  Toten  ebenfalls 
in  jenen  Tagen  eine  förmliche  Mahlzeit  bereiteten.  .  .  Der 
Naturalismus  des  Volks  scheint  während  jener  geheimnisvollen 
40  Tage  an  einen  näheren  Zusammenhang  des  Verstorbenen 
mit  der  Erde,  die  er  verlassen,  zu  glauben-,  denn  40  Tage 
lang  läßt  man  eine  ewige  Lampe  in  der  Ecke  des  Sterbe- 
zimmers brennen  und  40  Tage  lang  stellt  man  ein  mit  Wasser 
gefülltes  Gefäß  für  den  Verstorbenen  an  sein  Grab"  (K.  Mendels- 
sohn-Bartholdy,  Gesch.  Griechenlands  I,  45).190)  Bei  den 
Griechen  auf  Kalymnos  wird  das  Essen  der  Kölyva- Kuchen 
am  3.,  9.  und  40.  Tage  und  wieder  am  Ende  von  3,  6  und 
9  Monaten  und  von  1 ,  2  und  3  Jahren  nach  dem  Tode 
wiederholt.191)  Im  Anschluß  an  diesen  Brauch  herrscht  noch 
heute  in  ganz  Griechenland  der  Glaube,  daß  die  Seele  noch 
40  Tage    nach   dem  Tode  am  Orte  ihrer  früheren  Tätigkeit 

189)  Ich  verdanke  den  Hinweis  anf  diese  Zeugnisse  Sartori  in 
Dortmund. 

190)  Vgl.   auch    C.  Wachsmcth  ,    D.   alte   Griechenland    im  neuen 

5.  122  f.  Hirzel  a.  a.  0.  56  f.  u.  ob.  Anm.  170  u.  unt.  Anm.  193. 

191)  Hartland,  The  Legend  of  Perseus  n,  288.  Sartori  a.a.O.  S.3/\ 
Vgl.  auch  Sartori  ebenda  S.  4ia  und  Hermann-Blimxkr,  Lehrb.  d.  griech. 
Antiq.  4,  372  A.  1,  nach  dem  die  KoXXvßcov  rrgoacpogä  aufs  Grab  am  3., 

6.  und  40.  Tage  und  im  3.,  6.  und  9.  Monat  sowie  am  Jahrestag  statt- 
findet. 


IÖ2  W.  H.  Röscher: 

weile.  Daher  stellt  man  an  vielen  Orten  diese  Zeit  hindurch 
ein  Glas  Wasser  in  das  Fenster  oder  in  das  Sterbezinimer, 
damit  die  Seele  ihren  Durst  lösche,  in  einigen  Gegenden  auch 
etwas  gekochten  Weizen,  aber  nur  auf  3  Tage  als  Nahrung 
für  sie.192)  Nach  Flachs  (Rumänische  Toten-  und  Hochzeits- 
bräuche 61  f.;  vgl.  Sartori  S.  37a)  findet  an  manchen  Orten 
Rumäniens  die  Wiederholung  des  Leichenmahls  am  3.  und 
9.  Tage,  nach  6  Wochen  (=  40  od.  42  Tagen?)193),  sowie 
nach  1,  3,  7,  9  und  12  Jahren  statt.  Daß  auch  hier,  wie  so 
oft,  die  Sechswochenfrist  genau  genommen  der  Vierzigtagefrist 
gleichsteht,  scheint  mir  aus  einem  merkwürdigen  von  Knortz 
(Was  ist  Volkskunde?  Altenburg  1900;  vgl.  Kahle  in  Z.  f. 
Volksk.  XV  (1905)  S.  349)  berichteten  in  Rumänien  allgemein 
verbreiteten  Glauben  hervorzugehen,  daß  in  jedem  Baudenkmal 
ein  Mensch  eingemauert  sei,  dessen  Geist  (stahie)  darin  um- 
gehe. „Heute  noch  pflegen  die  Maurer  genannten  Landes  in 
das  Fundament  eines  Gebäudes  ein  Schilf  band  zu  legen,  womit 
sie  den  Schatten  eines  Menschen  gemessen  haben.  Jedem 
an  einem  Neubau  Vorübei'gehenden  wird  daher  zugerufen: 
cGib  acht,  man  nimmt  dir  den  Schatten'!  Der  Unglückliche 
muß,  wie  man  glaubt,  40  Tage  danach  sterben  (s.  ob. 
Prokop.  b.  Goth.  4,  20,  S.  151)  und  sich  in  eine  Stahie  verwan- 
deln". Vgl.  dazu  den  ebenda  S.  365  aus  Bulgarien  ange- 
führten Brauch,  der  ziemlich  übereinstimmt. 

Bei  dieser  religiösen  Bedeutung,  welche  die  40-Tagefrist 
für  die  heutigen  Griechen  ebenso  wie  für  die  ihnen  kirchlich, 


192)  Barth,  Neue  Jahrbb.  f.  d.  klass.  Alt.  3  (1900),  180.  Sartori  S.43. 

193)  Die  6-Wochenfrist  ist  für  Rumänien  aucb  nocb  anderweitig 
bezeugt.  Beim  rumänischen  Landvolk  Südungarns  wird  ein  Mädchen 
beauftragt,  aus  dem  Brunnen  des  Sterbehauses  oder  eines  benachbarten 
Hauses  Wasser  in  ein  fremdes  Haus  6  Wochen  hindurch  zu  tragen. 
Es  soll  zur  Erquickung  der  Seele  des  Verstorbenen  dienen  (Globus  69, 
197  f.).  In  der  rumänischen  Gemeinde  Langendorf  bei  Mühlbach  in 
Siebenbürgen  bringen  die  nächsten  weiblichen  Verwandten  des  Ver- 
storbenen 6  Wochen  lang  täglich  in  der  Morgendämmerung  ihren 
Freunden  Wasser,  damit  der  Tote  nicht  dürste  (Globus  57,  30.  Sartori 
a.  a.  0.  43Bb). 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      163 

geschichtlich  und  geographisch  so  nahe  stehenden  Rumänen 
(Walachen)  hat,  ist  es  ganz  begreiflich,  daß  sie  auch  sonst 
vielfach,  z.  ß.  in  Volksliedern,  hier  manchmal  im  Wechsel 
mit  der  44-Tagefrist  (s.  Abh.  I  S.  27  A.  49  u.  50  S.  33  A.  62), 
erscheint  (vgl.  Hikzel  a.  a.  0.  S.  50  f.  A.  3).  Da  dieser  \Y..  hs,  I 
von  40  und  44  namentlich  bei  islamischen  Völkern  konstatiert 
ist,  so  darf  man  in  solchen  Fällen  wohl  sicher  türkischen 
Einfluß  voraussetzen. 

c)  Sonstige  Tessarakontaden.  —  Jahrtessarakon- 
taden  habe  ich  auf  diesem  Gebiete  bisher  (vielleicht  zufällig ! 
nicht  ausfindig  machen  können,  wohl  aber  gibt  es  auch  hier  zahl- 
reiche tessarakontadische  Gruppen  von  Personen  und  Sachen, 
sowie  auffallend  viele  geographische  und  topographische 
Tessarakontaden.  Um  mit  letzteren  zu  beginnen,  so  erinnere 
ich  an  die  jetzt  f  Vierziggrotte'  (Sarantavli)  genannte  korykische 
Höhle  am  Parnaß,  sowie  an  die  nach  ihren  zahlreichen  Win- 
dungen und  Furten  genannten  Flüsse  Sarantapotamos  (=  Ke- 
phissos,  der,  vom  Kithairon  herabkommend,  die  Ebene  vom 
Eleusis  durchströmt,  und  =  oberer  Alpheios  in  Arkadien: 
Bursian,  Geogr.  v.  Griechenl.  I  257  u.  II  187  u.  188  A.  i)194) 
und  Sarantaporos  (==  Titaresios  in  Thessalien:  Bursiax  I  57), 
sowie  an  den  jetzt  Saranti  genannten  Hafen  Böotiens  hart  an 
der  Grenze  von  Phokis  bei  Korsiai  (Bursiax  I,  243).  Ferner 
gedenke  ich  mehrerer  schon  von  Hirzel  (S.  51  u.  56)  aus 
v.  Hahns  u.  B.  Schmidts  Sammlungen  angeführten  Märchen, 
in  denen  von  40  Räubern,  40  Fliegen,  40  Draken,  40  Klaftern, 
40  schönen  Mädchen,  40  (44)  Schalen  usw.  die  Rede  ist. 

Natürlich  ist  es  im  einzelnen  Falle  stets  schwer  zu  ent- 
scheiden, ob  die  betreffende  Tessarakontade  der  Xeugriechen 
und  Walachen  autochthon  d.  h.  bei  den  heutigen  Bewohnern 
Griechenlands  aus  altgriechischer  oder  aus  altchristlicher  oder 
semitischer   und   türkischer   Quelle   geflossen  ist,   doch   dürfte 


194)  Auch  im  Norden  Euböas  in  der  Nähe  von  Artemiaion  und 
den  Ruinen  von  Kerinthos  gibt  es  nach  Isambert,  Itiner.  de  l'Orient! 
p.  i96b  einen  Saranda-Potamo. 


164  W.  H.  Röscher: 

soviel  feststehen,  daß  alle  genannten  Quellen  zusammen  ihren 
Einfluß  geäußert  haben  können. 

Das  letzte  Glied  in  unserer  Reihe  der  mit  den  Griechen 
sprach-  und  stammverwandten  Völker  mögen  bilden: 

12)  Die  Litauer,  Liven  und  Preußen  —  Von  diesen 
werden  (nach  Sartori  a.  a.  0.  S.  S331)  Wiederholungen  des 
Totenmahles  am  3.,  6.,  9.  und  40.  Tage  nach  der  Bestattung 
berichtet  (Schwenck,  Mythol.  d.  Slaven  304.  Homeyer,  D. 
Dreißigste  ioo,f.  Globus  69,  375.  Toppen,  Abergl.  a.  Masuren 
1 1 1  A.  3).  Vielleicht  darf  man  auch  auf  die  alten  Preußen 
das  beziehen,  was  wir  oben  (S.  151)  über  den  noch  heute  in 
Ostpreußen  herrschenden  Glauben  gesagt  haben,  daß  jeder 
Gestorbene  noch  40  Tage  nach  dem  Tode  auf  Erden  wandeln 
müsse. 


B:  Die  den  Griechen  nichtverwandten  Völker  (mit  Ausschluß 

der  Semiten:  s.  Abh.  I). 

1)  Die  Ägypter.  In  den  Hieroglyphentexten  scheint 
die  Vierzig  als  typische  oder  heilige  Zahl  bis  jetzt  nicht  nach- 
gewiesen zu  sein,  wie  mir  ein  so  kompetenter  Kenner  wie 
G.  Steindorff  versichert,195)  doch  finden  sich  in  der  Literatur 
der  Israeliten,  Griechen  und  Römer  einige  Zeugnisse,  die  sich 
nicht  auf  zufällige  sondern  bedeutungsvolle  Tessarakontaden 
beziehen  lassen. 

a)  Unreinigkeitsfrist  der  Wöchnerinnen.  —  Aus 
dem  eigentlichen  Altertum  stehen  mir  dafür  keine  Zeugnisse 
zur  Verfügung,  dagegen  darf  man  vielleicht  aus  dem  Umstände, 
daß  die  höchst  konservativen  Kopten  noch  heute  das  Fest 
der  Namengebung  bei  einem  Sohne  nicht  vor  dem  40.  Tage 
zu  feiern  pflegen  und  daß  die  Unreinheit  der  Frauen  in  Kairo 
meist  40  Tage  dauert,  den  Schluß  ziehen,  daß  diese  Bräuche 


195)  Ich  sehe  ab  von  den  40  Schiffen  voll  Zedernholz,  das  der 
König  Snofru  um  2800  vom  Libanon  kommen  kommen  läßt  (Wilcken, 
Jahrbb.  f.  kl.  Alt.  etc.  1906  S.  461);  es  handelt  sich  hier  vielleicht  um 
eine  zufällige  Tessarakontade. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      165 

bereits  aus  altägyptischer  Zeit  stammen  (vgl.  Abb.  I  27  f.  J  'i.<  >>s. 
D.  Kind  I  S.  163  u.  248).  Vgl.  auch  Abh.  I  S.  28 f.,  wo  die 
Beobachtung  Klunzingeks  angeführt  ist,  daß  auch  in  Ober- 
ägypten die  Unreinheit  der  Wöchnerinnen  erst  mit  dem 
40.  Tage  aufhört,  nach  dessen  Ablauf  sie  baden  muß.  Bei 
dieser  Gelegenheit  läßt  sie  sich,  wenn  sie  einen  Knaben  ge- 
boren hat,  40  Becher  Wassers  über  das  Haupt  ausgießen; 
ist  das  Kind  ein  Mädchen,  so  genügen  30  Becher. 

b)  Trauerfrist. —  1  Mos.  50,  3:  cDa  balsamierten  die 
Arzte  Israel  (=  Jakob)  ein.  Darüber  vergingen  40  Tage, 
denn  diesen  Zeitraum  erfordert  das  Einbalsamieren.  Die 
Ägypter  aber  hielten  ihm  70  Tage  lang  die  Totenklage.'  Vgl. 
Herod.  2,86:  ravrcc  de  Tcoir^avxeg  taQL%evov6i  ICtQtp  XQvipameg 
ftfiigag  eßöo^Tqxovta  x.  r.  k.  Mit  einer  Trauerfrist  von  40  Tagen 
könnte  auch  zusammenhängen  was  der  Scholiast  zu  Lucan. 
6,  680  vom  neuen  Phönix  erzählt,  der  nach  40  Tagen  aus 
der  Asche  des  alten  entstehen  soll:  Phoenix  exstruit  sibi  rogum 
voluntarium  et  combusta  de  cineribus  suis  post  quadraginta 
dies  resurgit. 

c)  Sonstige  40-Tagfristen.  —  Von  den  ägyptischen 
Natrongruben  berichtet  Plinius  n.  h.  31,  109:  Hae  (nitrariae) 
madent  quadraginta  diebus  continuis.  —  Nach  dem  kürzlich 
gefundenen  Kalender  von  Sais  (Pap.  Hibeh  I  nr.  27  S.  125 ff.; 
vgl.  Archiv  f.  Papyrusforschung  IV  1 80)  fällt  der  Beginn  der 
Nilschwelle  mit  dem  Anfang  der  Etesien  zusammen.  Nun 
erinnere  man  sich  der  schon  von  Thaies  (wahrscheinlich 
auf  Grund  ägyptischer  Aussagen)  aufgestellten  Theorie 
(Herod.  2,  20),  nach  der  die  Etesien  als  Ursache  der  Nil- 
schwelle betrachtet  wurden.  Da  nun  die  Etesien  40  Tage 
wehen  (s.  ob.),  so  muß  auch  das  höchste  Steigen  des  Nils 
ungefähr  40  Tage  in  Anspruch  nehmen,  was  bei  der  Bedeutung, 
die  der  Strom  für  Ägypten  hat,  leicht  eine  gewisse  Heiligkeit 
dieser  Frist,  die  bisher  freilich  sonst  nicht  bezeugt  ist,  be- 
wirken konnte.  Vielleicht  spricht  für  diese  Annahme  das 
was  Strab.  789  vom  Nil  bemerkt:  xXeCovg  de  tstxaQoixovta 
rilieQccg    xov    ftsQovg    dta^ielvav    ro    vdcog    üneift     vTCÖßaöii' 


i66  W.  H.  Röscher: 

Xa^ißävsi  xat  oHyov.  Diese  Notiz,  die  sich  offenbar  auf  den 
Höchststand  des  Flusses  bezieht,  macht  ganz  den  Eindruck, 
als  wenn  sie  polemischer  Art  und  gegen  solche  Schriftsteller 
gerichtet  wäre,  die  die  Dauer  des  Höchststandes  nur  auf 
40  Tage  (das  Wehen  der  Etesien?)  beschränkt  wissen  wollten. 

d)  Sonstige  Tessarakontaden.  —  Vgl.  Herod.  2,  148: 
rrjs  yavLTjg  tsXsvtavrog  xov  XaßvQiv&ov  eietai  itvQcctilg 
TSöGeQccxovtOQyviog,  sv  xfi  t,aa  [isydlcc  iyysyXvjtrai.  ■ — 
Dem  Handbuch  der  mathem.  u.  techn.  Chronologie  von  Ginzel, 
Bd.  I  S.  178  entnehme  ich  die  Notiz,  daß  in  Bitten  und  An- 
rufungen der  alten  Ägypter  1 10-  und  120-  [=  3  X  40-] jährige 
Zeitintervalle  eine  Rolle  spielen.  Vielleicht  gelingt  es  anderen 
noch  weiteres  Material  namentlich  aus  Hieroglyphentexten 
beizubringen. 

2.  Die  finnisch-tatarischen  Völker.  —  Heutzutage 
gehören  die  meisten  Glieder  dieser  Völkergruppe  dem  christ- 
lichen oder  mohammedanischen  Bekenntnisse  an:  man  könnte 
daher  auf  den  ersten  Blick  glauben,  daß  die  gerade  bei  diesen 
Völkern  so  zahlreichen  Tessarakontaden  auf  christlichen 
(russisch-orthodoxen)  oder  islamischen  Einfluß  zurückzuführen 
seien.  Daß  ein  solcher  Schluß  aber  recht  zweifelhaft  und 
bedenklich  sein  würde,  geht  aus  der  namentlich  von  Radloff 
hinsichtlich  der  noch  heute  ihrem  uralten  heidnischen  Schama- 
nismus huldigenden  Turkstämme  Sibiriens  gemachten  Beob- 
achtung hervor,  daß  gerade  diese  vom  Islam  und  Christentum 
noch  wenig  oder  gar  nicht  berührten  Völker  neben  der 
Sieben-  und  Neunzahl  auch  der  Tessarakontade  (und  zwar 
größtenteils  aus  denselben  Gründen  wie  die  bisher  besprochenen 
Völker)  eine  große  Bedeutung  zuschreiben. 

a)  Zwar  habe  ich  eine  4otägige  Unreinigkeitsfrist 
der  Wöchnerinnen  —  vielleicht  infolge  der  Lückenhaftigkeit 
meiner  Kenntnisse  und  Sammlungen  —  im  Bereiche  dieser 
Völkergruppe  bisher  nicht  konstatieren  können,  um  so  zahl- 
reicher und  bedeutungsvoller  sind  aber  dafür 

b)  die  Belege  für  die  4otägige  Unreinigkeitsfrist 
(Trauerfrist)    infolge    des    Todes    eines    Verwandten. 


Die  Tessarakontaden  dee  Griechen  und  lnderep  Völker.      167 

Ich  stelle  an  die  Spitze  der  hierhergehörigen  Zeugnisse  die 
Bemerkung  Radloffs,  Aus  Sibirien  II  S.  52:  cDie  höchste 
Kunst  des  Schamanen  ist  die  sogenannte  Reinigung  der 
Jurte.  Diese  geschieht  am  40.  Tage  nach  dein  Tode  eines 
Fainiliengliedes.'  Auf  Grund  dieser  wichtigen  Tatsache  be- 
urteile man  folgende  offenbar  analogen  Bräuche  der  mohamme- 
danischen und  christlichen  Stammverwandten.  Bei  den  os- 
manischen  Türken  herrscht  die  Sitte,  an  Fremde  und  Arme 
am  3.,  7.  und  40.  Tage  nach  dem  Leichenbegängnis  Pfann- 
kuchen zu  versenden;  zum  Dank  dafür  verlangt  man  Gebete 
für  die  Seele  (Haktland,  The  legend  of  Perseus  2,  290. 
SaRTORI,  Progr.  v.  Dortmund  1903  S.  33;.  —  An  denselben 
Tagen  feiern  die  Tscheremissen  (=  Wolgafinnen,  jetzt 
russische  Christen  mit  vielen  heidnischen  Bräuchen),  die 
Wotjäken  (ebenfalls  Finnen)  und  Baschkiren  (Globus 
80,  153)  sowie  die  Karginzen  (v.  Negelein,  Z.  f.  Volksk.  XIV 
1904  S.  29;  Katanoff  S.  227)196)  Gedächtnismahle,  und  bei 
den  beiden  zuerst  genannten  Stämmen  erhält  der  Tote  seinen 
Anteil  (s.  die  Belege  bei  Saktori  a,  a.  0.  S.  33*).  Offenbar 
hängt  damit  der  Glaube  der  Wotjäken  zusammen,  daß  die 
Seele  nach  dem  Tode,  ohne  ins  Grab  hinabzusteigen,  40  Tage 
lang  an  den  im  Leben  begangenen  Orten  herumirre  (Am  Ur- 
quell 4  S.  160  u.  169.  Sartori  S.  32*  A.  2).  Die  Tataren 
von  Kasan  veranstalten  zu  Ehren  des  Verstorben  am  4.,  7., 
40.  Tage  sowie  am  Jahrestage  des  Todes  ein  Mittagsmahl 
und  verteilen  6  Wichen  hindurch  (=  42  Tage  lang)  Almosen 
an  die  Armen  (Abh.  I  S.  32),  während  die  Gedächtnismahl- 
zeiten der  Abakantataren  am  Grabe  des  Verstorbenen  auf 
den  3.,  20.,  40.  und  100.  Tag  fallen  (Radloff,  Aus  Sibirien 
1,  379f.).  —  Die  Leichenmahlzeiten  der  Permier  (russitizierte 
Finnen)  im  Kreise  Orlov,  bei  denen  Wachskerzen  brennen 
und  der  Schatten  des  Verstorbenen  feierlich  aufgefordert  wird, 


196)  Nach  v.  Negelein  a.  a.  (>.  wird  bei  den  westchinesischen 
Türken  dem  Volke  am  3.  und  40.  Tage  zu  Ehren  des  Toten  Speise 
gespendet,  und  die  Beltiren  richten  an  denselben  Tagen  Totenmahl- 
zeiten aus. 


i68  W.  H.  Röscher: 

am  gemeinsamen  Mahle  sich  zu  beteiligen,  finden  am  3.,  9., 
40.  Tage  nach  dem  Tode  sowie  am  Jahrestage  des  Ablebens 
statt  (Globus  71,  372  f.  u.  Sartori  34b  u.  35*).  —  Ähnlich 
ist  der  Brauch  der  Kasak-Kirgisen  im  westlichen  China, 
bei  denen  ^im  Verlauf  von  40  Tagen  auf  dem  Ehrenplatz 
neben  dem  Feuer  ein  Ollämpchen  brennt'  (v.  Negelein  a.  a.  0.) 

c)  Weitere  tessarakontadische  Tagfristen.  —  In 
einem  von  Radloff,  Aus  Sibirien  I  S.  394  mitgeteilten  Volks- 
liede  heißt  es: 

„Breitet  aus  sich  da  die  Stahlstepp', 

Die  in  40  Tag'  und  Nächten197) 

Kaum  der  Reiter  kann  passieren  .  .  . 

40  Tage,  40  Nächte  läuft  das  gute  Schimmelroß". 
Auch  den  osmanischen  Türken  ist  noch  heute  die 
offizielle  Frist  von  40  Tagen  ganz  geläufig,  vgl.  Mendelssohn, 
Gesch.  Griechenl.  i,  122.  Hirzel  a.  a.  0.  41,  2.  —  Von  einem 
4otägigen  Schlaf  des  7  köpfigen  Drachen  ist  in  der  Volks- 
poesie der  Osmanen  die  Rede;  Radloff,  Proben  VIII  Vor- 
rede p.  XVI.  —  Bei  den  Wotjäken  besteht  der  Glaube,  daß 
der  Blitz  (Donnerstein,  Donnerkeil)  40  Ellen  tief  in  die  Erde 
hineinfahre  und  nach  40  Tagen  wieder  aus  der  Erde  hervor- 
komme (Am  Urquell  4  S.  89  (39).  Diese  Notiz  ist  insofern 
interessant,  als  sie  beweist,  daß  auch  hier  wieder  die  tessara- 
kontadische Frist  primären  Charakter  trägt  und  weitere 
Tessarakontaden  erzeugt  hat,  nicht  umgekehrt! 

d)  Tessarakontadische  Jahrfristen.  —  Auf  eine  ysveä 
von  40  Jahren  deutet  wohl  der  von  Radloff,  A.  Sibirien  II 
S.  46  mitgeteilte  Segensspruch:  „40  Jahre  soll  er  noch  leben" 
ebenso  die  Stelle  in  Bd.  I  der  Proben  d.  Volkslit.  d.  türk.  Stämme 
Südsibiriens  S.  19,  wo  jemand  als  160  =  4  X  40  Jahre  alt 
bezeichnet  wird.  Vgl.  auch  ebenda  II  S.  97  und  99,  wo  eine 
Frist  von  40  Jahren  erwähnt  wird,  usw. 

e)  Sonstige  Tessarakontaden.  —  Sie  sind  sehr  zahl- 
reich   und    mannigfaltig    und   kommen    massenhaft    bei    allen 


J97)  Vgl.  dazu  die  arabischen  Analogien  in  Abh.  I  S.  45. 


Die  Tessarakontaden  dek  Gkiechen  und  anderer  Völker.      169 

Stämmen  dieser  Völkergruppe  vor.  Ich  notiere  aus  dem 
Bereich  der  Osmanen  die  Bezeichnung  des  Skamander  als 
Kirk-Geous-Sou  =  ffluvius  XL  oculorum  (Bredovii  dissertat. 
de  Georg.  Syncelli  chron.  vol.  II  p.  35),  quod  t'ons  eius  frigidus, 
saxis  obtectus,  e  colle  humili  per  rimas  innumeros  escaturit' 
und  des  Tausendfußes  als  Kyrk-ajaklv,  d.  i.  Vierzigfuß 
(Hirzel  41;  vgl.  Abb.  I  S.  27).  —  Die  in  der  Nähe  von 
Adrianopel  gelegene  durch  ihre  vielen  Kirchen  bemerkens- 
werte Stadt  Kirk-Kilisse  bedeutet  wörtlich  'Vierzigkirchen'. 
Man  erkennt  schon  aus  diesen  Beispielen,  die  sich  gewiß  noch 
vermehren  lassen,  den  Charakter  der  40  als  Rund  zahl.  Aus 
Radloffs  Proben  II  gehören  hierher  folgende  Belege: 
40  Stuten  (S.  99),  40  Elentiere  (106).,  40 -flossig  (105), 
40  Mädchen,  40  goldene  Tücher,  40  Lieder  (107),  80  Mädchen 
(108),  40  schneidige  Stahllanzen  (391),  40  Werst  (104);  aus  I: 
40  Schlitten  (3  7 6),  40  Himmelsgegenden  (396  f.),  40  Völker  (398); 
aus  VIII:  40  Haare,  40  Seelen  (Vorr.  p.  XVI)  usw.  Endlich 
lautet  ein  ebenda  p.  III  mitgeteiltes  Sprichwort  der  Kirgisen: 
fDer  Fürst  hat  den  Verstand  von  40  Menschen'. 

3.  Die  Ostasiaten.  —  Aus  dem  Gebiete  Ostasiens  sind 
mir  bis  jetzt  nur  sehr  wenige  bedeutungsvolle  oder  typische 
Tessarakontaden  bekannt  geworden,  was  aber  durchaus  nicht 
ausschließt,  daß  auch  hier  die  Zahl  40,  namentlich  die  Vierzig- 
tagefrist,  eine  bedeutende  Rolle  gespielt  hat.  Kenner  der 
chinesischen,  japanischen  usw.  Literatur  seien  hiermit  auf- 
gefordert, meine  dürftigen  Kenntnisse  und  Sammlungen  tun- 
lichst zu  ergänzen. 

Von  einem  merkwürdigen  Fall  von  40  tag iger  Couvade 
(Männerkindbett)  bei  einem  tibetanischen  oder  mongoli- 
schen Stamme  im  Südwesten  Chinas,  in  West-Yünnan  be- 
richtet Marco  Polo.  Der  Mann  legt  sich  zu  Bett,  nimmt 
das  neugeborene  Kind  zu  sich  und  nährt  es  40  Tage  lang, 
also  solange  als  die  Lochien  dauern.  Vgl.  Ploss,  D.  Kind 
I  S.  129. 

Nach  Muhammed  bin  Ishäk's  Filirist  aKulan  muß  in 
China    jeder,    der    als   Verwaltungsbeamter    oder   'Emir'    an- 


170  W.  H.  Röscher: 

gestellt  sein  will,  40  Jahr  alt  sein  (Flügel,  Ztschr.  d.  D. 
Morgenl.  Ges.  185g  (XTII)  S.  647).  Dies  läßt  auf  eine  yspsu 
von  40  Jahren  bei  den  Chinesen  schließen. 

Auf  den  aleutischen,  von  einem  Eskimo  stamme  be- 
wohnten Inseln  wurden  Frauen  und  ältere  Mädchen  bei  der 
Menstruation  jedesmal  7  Tage  [so  lange  dauert  jede  Mond- 
phase!]198) eingesperrt.  Nach  der  ersten  Menstruation  fand 
diese  Absperrung  zweimal,  resp.  40  und  20  Tage  lang,  statt; 
Ploss,  D.  Kind  II  S.  262.  Vgl.  Feazer,  The  golden  bough2 
III  S.  222 ff. 

4.  Die  amerikanischen  Stämme.  —  Die  Aleuten  bilden 
den  Übergang  von  Ostasien  nach  Amerika,  wo  wir  ebenfalls 
Spuren    von    einer   Tessarakontadenlehre   nachweisen   können. 

Nach  Charlevoix  dauert  die  Unreinheit  der  kali- 
fornischen Indianerinnen  nach  der  Entbindung  40  Tage: 
Ploss-Bartels,  D.  Weib5  II  S.  351. 

Bei  den  Puebloindianern  gilt  die  Wöchnerin  30  Tage 
lang  für  unrein,  und  dann  kehrt  der  Gatte  zu  ihr  zurück, 
doch  ziehen  es  einige  vor,  36  (=  4x9?)  bis  40  Tage  zu 
warten  (Engelmann  b.  Ploss-Bartels  a.  a.  0.  S.  362). 

Bei  den  Karaiben,  Brasilianern  usw.,  die  alle  dem 
Brauche  der  Couvade  huldigen,  fastet  (nach  Biet)  der  Vater 
nach  der  Geburt  eines  Sohnes  6  Monate  lang.  Nach  40  Tagen 
dieser  strengen  Fasten  gibt  er  seinen  Verwandten  [nach  Du 
Tertre]  ein  Gastmahl,  wobei  an  ihm  ein  besonderes  Ceremoniell 
vollzogen  wird.  Dann  fastet  er  weiter:  Ploss,  D.  Kind  I 
S.  134;  Ploss-Bartels,  D.  Weib5  II  S.  365.  —  Nach  Labat 
dauert  bei  den  Karaiben  das  Fasten  30 — 40  Tage,  findet  aber 
nur  bei  der  Geburt  des  ersten  Sohnes  statt. 

Die  mexikanischen  Feuergötter  und  Toten,  die  im 
Sommer  mit  den  Pflanzen  geistern  auf  die  Erde  kommen, 
werden   von   der  Höhe   einer  Stange   in  die  Unterwelt  hinab- 


198)  Vgl.  hinsichtlich  des  Zusammenhangs  der  Menstruation  mit 
dem  Monde  und  seinen  Phasen  Röscher,  Juno  und  Hera  S.  19 ff.  38 f., 
Selene  und  Verwandtes  5  5  ff.  71  A.  274.  Ebenso  bei  den  Samoanern: 
Globus  93  (1908)  Sp.  251°. 


Die  Tessarakontadex  der  Griechen  und  anderer  Völker.      171 

gestürzt,  aber  nach  40  Tagen  erscheinen  sie  wieder  als  Sterne 
am  Himmel  (PreüSS  in  Jahrbb.  f.  d.  klass.  Alt.  etc.  1 906  S.  183).— 
Quetzalcoatl,  der  toltekische  Gott  des  Reichtums  und  der 
Kaufleute,  wurde  in  Cholula  verehrt  in  Gestalt  eines  40  Tage 
vor  seinem  Feste  gekauften  makellosen  Sklaven,  der  ihn 
40  Tage  lang  darzustellen  hatte,  wie  der  Gott  selbst  verehrt 
und  dann  geopfert  und  gegessen  wurde.  Mehr  über  die  20- 
und  40tägigen  Fristen  der  Mexikaner  und  deren  Kalender  bei 
Müller,  Amerikan.  Urrelig.  589 f.  und  bei  Ginzel,  Hdb.  d. 
Chronol.  I  S.  433  ff.,  wo  unter  anderem  nachgewiesen  wird,  daß 
hier  die  4otägige  Frist  aus  der  2otägigen,  nicht  aber  umgekehrt, 
entstanden  ist.199)  —  Über  eine  6 wöchige  (42  =  6  x  7  Tao-e 
umfassende?)  Frist  (Reise)  zur  Gewinnung  des  berauschenden 
Peyotetranks  bei  den  Stämmen  der  mexikanischen  Sierra  Madre 
s.  Preuss  im  Archiv  f.  Rel.-Wiss.  XI  S.  383.  -  -  Auch  20-  und 
8otägige  Fristen  kannte  der  Totenkult  der  alten  Mexikaner. 
Über  die  vergrabene  Aschenurne  wurden  80  Tage  lang  Brot 
und  Wein  gesetzt:  Klemm,  Allg.  Kulturgesch.  5,  50.  Motaijma 
behauptet  von  den  Mexikanern,  sie  kehrten  nach  dem  Begräb- 
nisse 20  Tage  lang  nach  dem  Grabe  zurück  und  legten  Speisen 
und  Rosen  darauf;  nach  80  Tagen  machten  sie  es  ebenso, 
und  so  fort,  immer  von  80  zu  80  Tagen  (Spencer,  D.  Princip. 
d.  Sociologie  1,196.  Sartori  a.  a.  0.  40b).  —  Ich  muß  es 
natürlich  den  Amerikanisten  von  Fach  überlassen,  zu  ent- 
scheiden, ob  diese  20-,  40-,  80-tägigen  Fristen  der  Mexikaner 
ebenso  zu  beurteilen  sind  wie  die  meisten  analogen  Fristen 
im  Totenkult  der  anderen  früher  besprochenen  Völker,  oder 
ob  sie  sich  nicht  auch  ganz  einfach  aus  den  2otägigen  Mo- 
naten des  altmexikanischen  Kalenders  erklären  lassen. 

Es  liegt  mir  selbstverständlich  völlig  fern,  für  meine 
tessarakontadischen  Materialsammlungen  aus  dem  Gebiete  der 
'andern  Völker'  einen  Anspruch  auch  nur  auf  relative  Voll- 
ständigkeit  erheben   zu   wollen;   ich   bin    vielmehr  fest  davon 

199)  Daraus  folgt  natürlich  noch  lange  nicht,  daß  die  40tägige 
Frist  bei  den  Mexikanern  nicht  auch  zugleich,  wie  hei  anderen  ameri- 
kanischen Stämmen,  mit  den  4-Otägigen  Lochien  zusammenhängen  könnte. 


172     W.  H.  Röscher:  Die  Tessarakontaden  der  Griechen  usw. 

überzeugt,  daß  jeder,  der  nach  mir  sich  entschließen  sollte, 
meine  Sammlungen  und  Forschungen  zu  vervollständigen,  mit 
Leichtigkeit  noch  zahlreiche  weitere  Belege  für  die  Bedeutung 
der  Vierzig  bei  allen  möglichen  Völkern  der  Welt  wird  bei- 
bringen können.  Ob  es  freilich  einem  solchen  Sammler  und 
Forscher  gelingen  wird,  durch  Aufstellung  neuer  Prinzipien 
die  von  mir  hauptsächlich  mit  Hilfe  einer  detaillierten  Unter- 
suchung der  semitischen  und  griechischen  Tessarakontaden 
gewonnene  Grundlage  zu  zerstören  oder  auch  nur  zu  erschüttern, 
das  zu  entscheiden,  muß  ich  der  Zukunft  überlassen.  Doch 
halte  ich  es  von  vorn  herein  für  ziemlich  unwahrscheinlich, 
daß  Resultate,  die  sich  vornehmlich  auf  die  Untersuchung 
so  gründlich  und  in  so  vielen  Beziehungen  bekannter  Völker, 
wie  es  die  Griechen  und  Semiten  sind,  stützen,  durch  weniger 
umfassende  und  weniger  methodisch  betriebene  Sammlungen 
und  Forschungen  auf  dem  Gebiete  minder  bekannter  und 
minder  bedeutender  Völker  und  Stämme  umgestoßen  werden 
könnten.  Ich  erhoffe  und  erwarte  vielmehr  von  einer  weiteren 
Ausdehnung  gründlicher  tessarakontadischer  Studien  auf  noch 
andere  Völker  in  der  Hauptsache  eine  Bestätigung  der  Grund- 
sätze und  Ergebnisse,  zu  denen  wir  auf  den  Gebieten  der 
Semiten  und  Griechen  gelangt  sind.  Weisen  ja  doch,  wie  ich 
gezeigt  zu  haben  glaube,  die  meisten  und  bedeutsamsten  der 
mit  der  Vierzigzahl  verknüpften  Vorstellungen  und  Gebräuche 
fast  überall  auf  jene  urgewaltigen  Schicksalsmächte  hin,  die 
zu  allen  Zeiten  die  Menschheit  in  ihrem  Fühlen  und  Denken 
am  meisten  bewegt  haben:  auf  Geburt,  Krankheit  und 
Tod,  sowie  auf  das  Wetter,  von  dem  sich  nicht  nur  der 
Hirte  und  Jäger,  der  Fischer  und  Schiffer,  sondern  ebenso 
auch  der  Ackerbauer  von  jeher  im  höchsten  Maße  abhängig 
gefühlt  haben. 


173 


Anhang. 

Nachträge  zu  Abh.  I:  fDie  Zahl  40  im  Glauben,  Brauch  und 

Schrifttum  der  Semiten.' 

Seit  der  Vollendung  meiner  Studien  über  die  Vierzigzahl  bei 
den  Semiten  haben  sich  mir  mehrere  z.  T.  nicht  unwichtige  Nach- 
träge ergeben,  die  ich  hiermit  zur  Vervollständigung  des  einschlägigen 
Materials  der  Öffentlichkeit  vorlegen  möchte.  Außerdem  benutze 
ich  diese  Gelegenheit,  das  hochinteressante  Exzerpt  BergsteäSzers 
aus  der  arabischen  Handschrift  in  Leipzig  nr.  383  Völlers  (s.  Abh.  I 
S.  5)  hier  mitzuteilen,  das  sicher  allen  Arabisten  willkommen  sein  wird. 

Zu  Kap.  I  (Die  Babylonier)  S.  7  füge  ich  hinzu  die  merk- 
würdige Notiz  des  Censorinus  de  die  nat.  18,  1 1 :  Est  praeterea  annus 
quem  Aristoteles  maximum  potius  quam  magnum  appellat,  quem 
solis  et  lunae  vagarumque  quinque  stellarum  orbes  conhehmt,  cum 
ad  idem  Signum,  ubi  quondam  simul  fuerunt,  una  referuntur;  cuius 
anni  hiemps  summa  est  cataclysmos,  quam  nostri  diluvionem 
vocant,  aestasautemecpyrosis,  quod  estmundiincendium..  .hunc  ... 
putavit  annorum  vertentium  ...  Heraclitus20")  et  Linus  Xdccc. 
Dieser  Zahl  von  Sonnenjahren  entspricht  genau  die  Zahl  von  ysveai 
zu  je  40  Jahren,  welche  die  Periode  der  vor  dem  y,ux  ay.lv  G^iöq 
herrschenden  Könige  der  Chaldäer  nach  Berossos  fr.  4  ff.  umfaßt, 
so  daß  auf  jeden  der  10  Könige  1080  Jahre  oder  27  (=3x9) 
ysvsai  zu  je  40  Jahren  entfallen.  Die  Zahl  1080  ist  aber  auch  sonst 
bedeutungsvoll  (s.  Abh.I  S.  8  Anm.  6  u.Ennead.  Stud.  S.25.  Lehmann- 
Haupt,  Verhandl.  d.  Berl.  anthropol.  Ges.  1896  S-447)201)-  —  Wenn 

200)  Da  wir  von  Heraklit  wissen,  daß  seine  ysvscä  30  Jahre  (nicht 
40!)  umfaßten  (s.  Ennead.  Studien  S.  41  Anm.  65),  bo  kommen  auf  ein 
Weltjahr  Heraklits  360  yevtai;  360  aber  ist  eine  ebenfalls  höchst  be- 
deutungsvolle Zahl  gewesen.  Wie  groß  die  ysvscc  des  fLinos'  gewesen, 
ist  bis  jetzt  noch  unbekannt.    • 

201)  Ebenso  auch  die  ebenfalls  enneadische  Zahl  108.  Vgl.  Ennead. 
Stud.  Anm.  10  u.  34.  Firm.  Mat.  Math.  2,  25  p.  74  ed.  Kr.-Sk.:  Mer- 
curius  si  bene  decreverit  CVUI  annos  decernit.  Philologus  1908  S.  158  ff. 
zu  Auson.  ed.  18,  iff.  Man  denke  ferner  an  die  108  Freier  der  Pene- 
lope  Tt  247ff. ,  die  108  Weiber  des  Krischna,  die  108  Schnüre  (Fäden) 
der  Brahmanenschärpe,  die  108  Köpfe  Brahmas,  die  108  Schriften 
Buddhas  etc.  (Xork,  Etym.  mythol.  Wörterb.  2,  354). 


174  W.  H.  Röscher: 

schon  diese  Tatsache  auf  40jährige  ysvsai  auch  bei  den  Babyloniern 
schließen  läßt,  so  werden  wir  in  dieser  Annahme  noch  mehr  bestärkt 
werden  durch  die  Beobachtung,  daß  auch  die  unzweifelhaft  mit 
Babylonischer  Astrologie  zusammenhängenden  'Mathematiker'  der 
römischen  Kaiserzeit  ebenso  wie  die  Juden,  Mandäer,  Phönizier  und 
Aithiopier  eine  höchste  menschliche  Lebensdauer  von  120  =  3  X  40 
Jahren  annahmen.  Vgl.  Trebell.  Pollio  Claud.  2  :  Doctissimi  mathe- 
maticorum  centum  et  viginti  annos  homini  ad  vivendum  datos 
iudicant  neque  amplius  cuiquam  iactitant  esse  concessos,  etiam  illud 
addentes,  Mosen  solum,  dei,  ut  Judaeorum  libri  [?]  locuntur, 
familiärem,  centum  viginti  quinque  [55]  annos  vixisse  202) . . .  Firm.  Mat. 
ed.  Kroll -Skutsch  I  p.  74:  (Quis  deorum  quot  annos  decernat):  Sol 
si  bene  decreverit,  CXX  annos  decernit  . . .  Censor.  de  die  nat.  17,4: 
inter  ipsos  astrologos  ...  nequaquam  etiam  convenit  ...  alii  ad 
centum  viginti  annos  [vitam]  produci  posse,  quidam  etiam  ultra 
crediderunt.  —  Vgl.  auch  Vopisc.  Flor.  2.  Tac.  dial.  de  or.  17.  Serv.  z. 
Verg.  Aen.  4,  653.  Lactant.  inst.  2,  13.  Arnob.  2,  94.  —  Zu  S.  7  A.  5 : 
Vgl.  auch  die  Kalmückische  Legende  von  den  80000  Lebensjahren 
der  ältesten  riesenhaften  Menschen.     Dähnhardt,  Natursag.  I  244. 

Endlich  notiere  ich  noch  aus  dem  Bereiche  der  altbabylonischen 
Literatur  folgende  Tessarakontaden  und  Halbtessarakontaden,  die 
ich  in  der  cKeilinschriffcl.  Bibliothek'  gefunden  habe:  Bd.  V  S.  251, 
II:  40  Leute.  —  251,  14:  40  Habiri;  ebenso  24g,  47.  Bd.  I  199: 
40  Wagen.  —  Bd.  V,  1 5 1 :  400  Leute.  —  Bd.  V,  1 03  nr.  4 1 :  20  Jahre 
(Mal?),  ebenso  S.  103  nr.  41  u.  44.  —  171  nr.  78,  42:  20  Joch  (?) 
Pferde.  —  S.  181  nr.  83,  67:  20  Leute.  185  nr.  85,  42:  20  Joch  (?) 
Pferde.  S.  273,  nr.  150,  18:  20  niru-Leute.  S.  277  nr.  151,  15: 
20  Leute  etc.  —  Vgl.  auch  E.  König,  Stilistik  etc.  55. 

Zu  Kap.  III  (Die  Israeliten).  S.  10  füge  ich  jetzt  hinzu, 
daß  die  so  häufige  Verbindung  der  Zahlen  7  und  40  in  der  Bibel 
doch  wohl  auch  mit  der  40  X  7  oder  7  X  40=  280  Tage  dauernden 
Normalschwangerschaft  zusammenhängen  dürfte.  —  Zu  S.  13  vgl. 
man  auch  das,  was  I.  Preuss  im  Hdb.  d.  Gesch.  d.  Mediz.  v.  Pusch- 
mann  I  (1902)  S.  115  über  die  Differenzierung  der  Embryonen  am 
41.  oder  81.  Tage  nach  jüdischer  Lehre  berichtet.  Offenbar  hängt 
mit  dem  Glauben  an  die  Vollendung  der  Embryonengestalt  mit  dem 
40.  Schwangerschaftstage  auch  die  Empfehlung  des  Kaiserschnitts 
vom  40.  (od.  20.)  Tage  ab  zum  Zwecke  des  Baptismus  abortivorum 
sowie  die  Anwendung  eigener  cTaufspritzen'  zusammen.  Vgl. 
darüber  Höfler  im  Archiv  f.   Rel.-Wiss.  XII  (1909)  S.  354,  der 


202)  S.  jedoch  Abh.  I  S.  19.    Woher  stammt  diese  von  der  Bibel 
abweichende  Überlieferung? 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker. 

sich  dafür  auf  Knapp,  Theologie  u.  Geburtshilfe,  Prag  1908,  und 
F.  E.  Cangiamilla,  Sacra  Embryologia,  edit,  latin.  1764  beruft. 
Verwandt  mit  diesem  Glauben  scheint  wohl  auch  die  Annahme  der 
Araber,  daß  junge  Raben  die  40  ersten  Lebeustage  weiß  seien,  dann 
aber  schwarz  würden (Dähnharbt,  Natursagea  I,  286,  1),  ein  Glaube, 
der  stark  an  die  anfängliche  Weiße  der  neugeborenen  Negerkind  er 
erinnert.  -  -  S.  15  Anm.  2  1  kommt  jetzt  hinzu,  daß  nach  Becker  im 
Arch.  f.  Rel.-Wiss.  XI  S.  387  die  arabischen  Beduinen  noch  heute 
Kamelsharn,  der  ihnen  als  Apotropaion  gegen  den  bösen  Blick  dient, 
in  die  Wunde  schmieren;  vgl.  auch  inbetreff  der  Zauberkräfte  des 
Urins  Strab.  XVI  p.  764. 

Zu  S.  16:  Vgl.  auch  das40tägige  (auch  geschlechtliche)  Fasten 
Joachims  im  Protevangelium  des  Jacobus  I,  4.  —  Das  40tägige 
Fasten  der  (syrischen)  Christen  zur  Feier  des  Geburtstages  Christi 
(s.  ob.  S.  1 54  u.  159)  beginnt  nach  Kazwinis  Kosmogr.  übers,  v.  Ethe  I 
S.  154  am  i7.Tis'rin  et'tani  oder  elähar  (November).  —  Im  übrigen 
warne  ich  ausdrücklich  vor  der  hyper kritischen,  auf  die  typische 
Bedeutung  der  40täg.  Frist  (für  Büßen  und  Fasten)  sich  etwa  stützen- 
den Neigung,  das  40 tag.  Fasten  Jesu  für  unhistorisch  zu  erklären. 
Mir  ist  es  vielmehr  in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  daß  Jesus  ab- 
sichtlich nach  dem  Vorbilde  des  Moses  und  Elias  ein  40tägiges 
Fasten  in  der  Steppe  beobachtet  hat.  Auch  Rabbi  Simeon  ben  Jochai 
fastete  und  betete  40  Tage  und  40  Nächte  hindurch  nach  Wünsche, 
Aus  Israels  Lehrhallen  III,  2,  156. 

S.  17  trage  ich  nach,  daß  auch  nach  ungarischen  und  franzö- 
sischen Sintflutsagen  der  Sintflutregen  40  Tage  dauerte:  Dähnhardt, 
Natursagen  I  243.  278.283.  Nach  der  Tradition  der  Huzulen  währt 
der  Bau  der  Arche  Noahs  40  Jahre:  ebenda  277,  3. 

Zu  S.  18  bemerkt  mir  A.  Wünsche:  „In  talmudischer  Zeit 
scheinen  40  Jahre  das  erforderliche  Alter  gewesen  zu  sein,  um  das 
Richteramt  ausüben  zu  können.  In  dieser  Beziehung  heißt  es  Midrasch 
Schemoth  r.  Par.  1  zu  den  Worten  Ex.  2,  14:  R,  Jehuda  sagt:  Mose 
war  damals  20  Jahre  alt.  Da  sprachen  die  Israeliten  zu  ihm:  Du 
bist  noch  nicht  mündig,  ein  Oberster  und  Richter  über  uns  zu  sein, 
weil  man  erst  mit  40  Jahren  zur  Einsicht  selansrt." 

S.  20:  Zu  den  Tessarakontaden  der  Phönizier  rechne  ich  jetzt 
auch  die  80  (=  2  x  40)  kyprischen  Stammütter  der  Karthager 
(Timaios?  b.  Justin.  18,5,4).  Diese  Zahl  erklärt  sich  nach  Meltzer 
(Artikel  Dido  im  Lex.  d.  Mythol.  S.  10 1  7,  49  f.)  aus  einer  "politischen 
oder  sakralen  Einteilung  innerhalb  der  Bürgerschaft  Karthagos  auf 
Grund  der  Zahl  80."  —  Vgl.  auch  Strab.  833:  [01  Kccqi^öövlol]  ... 
iv  äip-riva  xazeOxevccöavTO  vavg  iy.arbi'  si'y.oöi  [=3X40  oder 
2  X  60?]  Y.arucpQa,Kzovg.  —  Ebenda  831    (aus  karthagischer  oder 

Phil.-hist.  Klasse  1909.    Bd.  LXI.  12 


176  W.  H.  Eoscher: 

numidiscber  Quelle?):   öivdgov  saxl  ^slilaxov  [in  Mauretanien] 

xbv  ös  xaQTibv. . .  §iuxo6toyicax£zxuQa%ovxäiovv  [240  =  6  X  40  oder 
4  X  60?]  aitoöiöcööi. 

Übrigens  seheinen  nach  der  Mesainschrift  auch  die  Moabiter 
40jährige  Fristen  gekannt  zu  haben;  vgl.  König  Stilistik  etc. 
S.  55  und  Hitzig,  D.  Inschr.  des  Mesha.  Heidelb.  1870  S.  15. 

Zu  S.  2 1 :  Im  Talmud  Sabbat  1 52a  heißt  es:  „Bis  zum  40.  Lebens- 
jahr ist  das  Essen  dem  Körper  vorteilhaft,  aber  von  dieser  Zeit 
ist  das  Trinken  vorteilhafter".  Mitteilung  H.  Lewys  in  Mühlhausen. 

Zu  S.  23:  80  (=2x40)  Jahre  regierte  Salomo  nach  Joseph, 
ant.  8,  7,  8. 

Zu  S.  2$  Anm.  42:  Gehören  hierher  auch  die  Angaben  des 
Josephus  (ant.  8,  3,  1),  daß  der  Salomonische  Tempel  240  (=6x40) 
Jahre  nach  der  oi'xtßig  von  Tyros,  oder  1440  (=  36  X  40)  Jahre 
nach  der  Sintflut,  oder  1020  Jahre  (=  25%  ysvecd)  nach  der  Ein- 
wanderung Abrahams  .in  Kanaan  erbaut  sei?  Vgl.  Movers,  Phönizier 
H,  1,  138,88  u.S.  142  f.203) 

Zu  S.  24  am  Ende  füge  hinzu:  Strab.  XVI  p.  759:  xovxcov 
\x.  IovSakov\  6e  xai  6  KccQ(ir}Xog  vTvfJQ$£  nccl  6  ÖQVfA,6g'  nui  6r]  xcci 
avdvÖQrjGev  ovxog  6  xönog,  loGxlv,  xr\g  TiXrjßiov  K(hfii]g  Iafiveiag  xcä 
xwv  naxoiKi&v  xcöv  %v%X(o  xexxccqag  (iVQiädag  bn\it,£G&ca  (wohl 
sicher  Kundzahl  aus  jüdischer  Quelle!) 

Zu  Kap.  IV  (Die  Araber  und  einige  andere  islamische 
Völker).  —  Zu  S.  34  Mitte:  40000  Tore  der  Hölle  kennt  auch  der 
Talmud:  Wünsche,  Aus  Israels  Lehrballen  III,  2,  236.  —  S.  34  a.  E. 
Auch  die  arabischen  Jäger  und  Fischer  richten  sich  nach  dem  Auf- 
gang der  Plejaden;  vgl.  Kazwini  a.  a.  0.  S.  92 :  „Die  Jäger  und  Fischer 
gehen  auf  Jagd  und  Fischfang  aus  vom  Aufgang  der  Plejaden 
an  bis  zum  Aufgang  der  henfa  (=  y  und  £  in  den  Zwillingen),  dann 
wird  es  ihnen  vor  Magerkeit  [des  Wildes  und  der  Fische]  unmög- 
lich. Es  ist  die  Zeit  der  größten  Hitze.  Ihr  Aufgang  erfolgt  am 
22.  haziran  (Juni)  und  ihr  Untergang  am  22.  känün  elawwal  (De- 
cember)."  Auch  für  die  nordabyssinischen  Nomaden  sind  die  Ple- 
jaden (Kema)  bedeutungsvoll;  Littmann  im  Arch.  f.  Rel.-Wiss.  XI 
302.  308 f.  Vgl.  auch  Sprenger,  Üb.  d.  Kalender  d.  Araber  vor 
Mohammed  in  Ztschr.  d.  D.  Morgenl.  Ges.  XIII  (1859)  S.  162,  sowie 
Baba  m.  io6b  u.  Gen.  r.  10,  6  =  Monum.  lud.  215. 

Zu  S.  36  Anm.  68:  Nach  A.  Jeremias,  D.  Alte  Testam.  im 
Lichte  des  alt.  Orients2  S.  101  A.  3  gilt  die  Unsichtbarkeit  der 
Plejaden    noch   heute    in  Syrien    als    eine   40tägige   (carbain)  oder 


203)  Oder  ist  hier  240  als  4x60,  1440  als  24x60,  1020  als  17x60 
zu  deuten? 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderes  Volker.      177 

auch  als  eine  SOtägige  (hansin).  Vgl.  über  solche  Differenzen  in 
den  Kalenderfristen  Plin.  h.  n.  18,  212  und  312. 

Zu  S.  37  Anm.  71:  Nach  dem  Kalender  von  Sais  (Papyr. 
Hibeh  I  nr.  27  S.  125  ff.;  vgl.  Archiv  f.  Papyrustbrschg.  IV,  180 
izrjöicu  aq'/pvxca  nvslv  aal  0  7Zoxc<(.ibg  [d.  NilJ  UQyerai  ccvaßatvElv) 
füllt  das  Wehen  der  Etesien  mit  dem  Beginn  der  Nilschwelle  zu- 
sammen: Das  erinnert  an  die  schon  auf  Thaies  zurückgeführte,  von 
Herod.  2,  20  bekämpfte  Theorie,  welche  die  Etesien  als  Ursache 
der  Nilschwelle  betracbtet.  S.  auch  oben  Kap.  VIII  Bi  S.  165, 
wonach  das  Wehen  der  Etesien  (40 — 50  Tage)  dieselbe  Dauer  haben 
soll  wie  das  Anwachsen  des  Nils.  Wahrscheinlich  sind  unter  den 
40  Windtagen  der  heutigen  Ägypter,  von  denen  Goldzther  gehört  zu 
haben  meint,  die  Tage  der  Etesien  zu  verstehen.  Vgl.  Cl.  I'tolomaei 
Apparit.  b.  Jo.  Lydus  de  ost.  ed.  Wachsmuth  p.  253  'Enttpl  n&'  .  .  . 
Aiyvnxioig  ixrt6ic(i  ag^ovrca  und  p.  203  &co&  y  . . .  Äiyvnxioig  ixr\Qiai 
nuvovxai.  Zwischen  dem  3.  Thoth  =  30.  August  und  29.  Epiphi 
=  22,.  Juli  liegen  ziemlich  40  Tage.  —  Vgl.  auch  Gixzel,  Handb. 
d.  math.  u.  techn.  Chronol.  I,  154:  „Das  ^Maximum  der  Nilflut  tritt 
[jetzt]  ungefähr  zwischen  dem  20.  bis  30.  Septbr.  ein,  und  die  Flut- 
höhe bleibt  bis  Anfang  Novbr.  [also  ca.  40  Tage!]  ziemlich  dieselbe." 

Hieran  schließe  ich  das  für  meine  Zwecke  von  G.  Bergsträszer 
gefertigte  Exzerpt  aus  der  arabischen  Handschrift  nr.  383  Völlers 
der  Leipziger  Universitätsbibliothek. 

Sams  ad-din  abu  '1-Abbäs  (Muhammad  ibn1)  Ahmad 

ibn  al-fImäd  al-Akfahsi 2), 

kitäb  ad-darfa  ilä  macrifat  al-a'däd  al-wärida  fi    s-sarira 

(Buch  der  Einführung  in  die  Kenntnis  der  im  Gesetz 
vorkommenden  Zahlen). 

Arabische  Handschrift  der  Leipziger  Universitätsbibliothek  Völlers 
383  =  DC  46;  349  Blätter;  in  leidlich  deutlicher,  wenn  auch  aller  Yokal- 
zeichen  und  vieler  diakritischer  Punkte  ermangelnder  (nur  sehr  wenige 
Vokale  und  einige  diakritische  Punkte  von  zweiter  Hand  nachgetragen), 
und  auch  sonst  nicht  ganz  korrekter  Schritt. 

Der  Abschnitt  über  40  (fol.  250b —  256h)  zerfällt,  wie  alle 
Abschnitte  des  Werkes,  in  zwei  Teile,  deren  erster  =  A  (fol.  250b 
—  255a)  die  Zahl  im   allgemeinen  (d.h.  nach  der  Erklärung  im 

1)  Zum  Namen  vgl.  Völlers. 

2)  So  die  Hs.,  welche  Lesung  gegen  Häg.  Hai.  (der  nicht,  wie 
Voi.lkks  angibt,  auch  Akf.,  sondern  Afk.  hat)  bestätigt  wird  durch  die 
Berliner  Handschrift  Jäküt,  lex.  geograph.  ed.  Wüstenfeld.  I  p.  TTa  J38)- 


178  W.  H.  Röscher: 

I.  Abschn.  (über  die  Brüche)  fol.  5  a:  ohne  Beziehung  auf  „gesetz- 
liche" Vorschriften)  behandelt,  während  der  zweite  =  B  (fol.  255a 
— 256b)  Fragen  des  fikk  erörtert.  Der  erste  Teil  besteht  aus 
einer  Anzahl  fortlaufend  numerierter  Kapitel,  deren  Anordnung  kein 
bestimmtes  Prinzip  zugrunde  zu  liegen  scheint,  abgesehen  davon, 
daß  cap.  1 — 27  an  Koranstellen,  28 — 34  aber  und  ebenso  allerdings 
auch  38  und  40  an  Aussprüche  Mubammeds  anknüpfen,  während  die 
übrigen  von  Lehrsätzen  der  Autoritäten  des  ältesten  Islam  ausgehen. 

A. 

1.  Kor.  7,  138  [cf.  2,  48]3):  Die  Offenbarung  Allahs  an  Müsä 
(Moses)  dauert  40  Nächte. 

2.  (251  a)  Kor.  20,  42:  Die  erste  Offenbarung  Allahs  an  Moses 
erfolgt  „nach  einer  Festsetzung  (festgesetztem  Betrag  =  kadar)": 
d.h.  nach  Ablauf  von  Moses'  40.  Lebensjahr.4)  Daran  (251b)  wird 
angeschlossen  die  Überlieferung,  Moses  habe,  nachdem  er  die  Gesetzes- 
tafeln zerbrochen,  40  Tage  gefastet5);  und  die  weitere,  die  Be- 
rufung der  Propheten  erfolge  nach  vollendetem  40.  Lebensjahr 
(cf.  Kor.  46,  14),  was  zwar  eben  auf  Moses  und  auch  Muhammed 
zutreffe6),  nicht  aber  auf  rIsä  (Jesus)  (30  Jahre)  und  Jalvjä (Johannes 
d.  Täufer)  (3  Jahre)  (cf.  Kor.  19,  13). 

3.  Die  Kor.  8,  65  erwähnten  (2  5  2  a)  Anhäng  er  desPropheten 
sollen,  nach  Bekehrung  cUmar's,  gerade  40  gewesen  sein7). 

4.  Zwischen  dem  Gesicht  Jüsuf 's  (cf.  Kor.  12,  4 — 6)  und  seiner 
Erfüllung  [Kor.  12,  100]  liegen  40  Jahre.  Nach  anderen  80 ;  oder 
die  40  Jahre  vielmehr  zwischen  dem  Frevel  der  Brüder  an  Joseph 
[Kor.  12,  15]  und  ihrem  ersten  Besuch  in  Ägypten  (Kor.  12,  58). 

5.  Die  von  der  [Zallha,  Frau  des  Potiphar]  eingeladenen  Frauen 
(Kor.  12,  31)  sollen  40  gewesen  sein. 

6.  Die  Buße  Dä'ud's  (Davids)  (Kor.  38, 2 3)  dauert  40  Nächte8). 
Hier  werden  noch  andere  Überlieferungen  angeknüpft,  darunter: 
Adam  und  Eva  fasten  wegen  des  Verlustes  des  Paradieses  40  Tage 
lang.9) 

7.  Die  Absetzung  Sulaimän's  (Kor.  38,  33)  (252  b)  dauert 
40  Tage.10) 

3)  In  [  gebe  ich  eigene  Ergänzungen  (abgesehen  von  den 
Suren  und  Versziffern  der  im  Text  angeführten  Koranstellen,  die  nat. 
auch  von  mir  stammen). 

4)  Vgl.  Abb.  I  S.  18  f.  5)  Abh.  I   S.  16  f.  6)  Abh.  I  S.  40. 
7)  Abh.  I  S.  43.           8)  Abh.  1  S.  i6f.  Anm.  25  u.  33  f. 

9)  Vgl.  Abh.  I  S.  9  Anm.  8.  S.  17  Anm.  25.  Dähnhardt,  Natur- 
eagen  I,  228. 

10)  Vgl.  Abh.  I  S.  17  Anm.  25.  S.  33  u.  39.  Dähnhardt  a  a.  0.  331. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  ond  anderer  Völker.      179 

8.  Der  Antichrist  (daggäl)  wird  40  Jahre  (nach  andern 
Tage)  auf  Erden  weilen11)  und  dann  von  [dem  von  den  Juden 
nicht  wirklich  getöteten  (Kor.  4,  155  f.),  jetzt  wiederkehrenden]  Jesus 
vernichtet  werden,  worauf  dieser 

9.  40  Jahre  [d.  h.  bis  zu  seinem  wirklichen  Tod  (cf.  Kor.  4, 
157)J  die  Erde  beherrschen  wird. 

10.  Die  Juden  wandern  40  Jahre  in  der  Wüste.12) 

11.  Auf  den  Unglauben  des  Volkes  gegenüber  Nüh's  (Noahs) 
Predigt  hin  tritt  40-  (nach  anderen  90-)  jährige  Dürre  und  Auf- 
hören der  Geburten  ein;  aber  auch  dann  ist  Noahs  Bußpredigt 
(Kor.  71,  9  ff.;  cf.  auch  27)  erfolglos,  so  daß  die  Strafe  erfolgt. 

12.  Das  Wasser  der  Sintflut  (Kor.  11,45.54,  n)  übersteigt 
die  Spitzen  der  Berge  um  40  (nach  anderen  15)  Ellen  (253a) 
und  bedeckt  die  Erde  40  Tage  lang.13) 

13.  Bei  dem  Steinregen  [auf  Sodom  und  Gomorra]  (Kor.  11, 
84-  *5>  74)  wartet  ein  Stein  40  Tage  lang,  bis  der  Mann,  für  den 
er  bestimmt  war,  den  heiligen  Bezirk  verläßt,  in  dem  er  sich  bis 
dahin  befand.14) 

14.  Der  Umfang  des  Feuers  Kor.  18,  28  [Feuer  =  när  =  Hölle] 
beträgt  auf  jeder  seiner  vier  Seiten  40  Jahresreisen15). 

15.  Der  Graben  Kor.  85,  4  ist  40  Ellen  lang  (nach  anderen 
sind  es  7  Gräben  von  je  40  Ellen  Länge). 

16.  Zwischen  den  beiden  Posaunenstößen  des  jüngsten  Gerichts 
(Kor.  39,  68)  vergehen  40  Jahre.16) 

17«  Zwischen  der  Bitte  Moses  [um  Bestrafung  Pharaos  (Kor.  10, 
88)]  und  ihrer  Erfüllung  (Kor.  10,  89)  verfließen  40  Jahre. 

18.  Der  Höllenwächter  Mälik  läßt  die  Verdammten  40  Jahre 
warten,  bis  er  ihnen  auf  ihre  Bitte  um  Gnade  (Kor.  43,  77)  ab- 
schlägig antwortet  (auch  andere  Zahlen  überliefert).  (253b)17) 

19.  Wail  in  dem  Verse  „wail  denen,  die  die  Schrift  mit  ihren 
Händen  schreiben"  Kor.  2,  73  [d.  h.  sie  fälschen],  ist  ein  Tal  in  der 
Hölle,  in  das  die  Ungläubigen  40  Jahre  lang  hinabstürzen18)  [in 
Wirklichkeit  ist  wail  Verhängnis,  wehe!]:  ihm  entspricht  der  Feuer- 
berg Safüd  (Kor.  74,  17),  auf  den  sie  40  (nach  anderen  70)  Jahre 
lang  hinaufsteigen  müssen. 

20.  In  der  Hölle  sind  zur  Strafe  (Kor.  16,  90)  ungeheure 
Schlangen  und  Skorpione,  deren  Biß  40  Jahre  lang  schmerzt.19) 


n)  Abh.  I  S.  42.  12)  Abh.  I  S.  21. 

13)  Abh.  I  S.   lyf.  u.  37  nebst  Anm.  73  u.  74. 

14)  Abh.  I  S.   17  Anm.  25.  15)  Vgl.  Abh.  I  S.  34  u.  45  t'. 

16)  Vgl.  Abh.  I  S.  34  u.  41  f. 

17)  Abh.  I  S.  34.  18)  Abh.  I  S.  34.  19)  Abh.  I  S.  34. 


i8o  W.  H.  Röscher: 

21.  Zwischen  den  beiden  Aussprüchen  des  Pharao  in  Kor.  79, 
25  (al-ülä  und  al-ähira,  dem  ersten,  nämlich  Kor.  28,  38,  und  dem 
letzten,  nämlich  Kor.  79,  24)  liegen  40  (nach  anderen  20)  Jahre. 
(Eine  andere  Auslegung  faßt  [mit  Recht]  „Strafe  der  ähira  und  der 
ülä"  als  „Strafe  des  Jenseits  und  des  Diesseits"). 

22.  Der  Rauch,  in  den  der  Himmel  am  jüngsten  Tag  aufgehen 
wird  (Kor.  44,  9),  wird  die  Erde  40  Tage  lang  bedecken.20) 

23.  Zwischen  den  beiden  Posaunenstößen  liegen  40  Jahre.21) 

24.  Innerhalb  dieser  40jährigen  Frist  stirbt  Iblis  [der  Satan; 
cf.  Kor.  17,  04 f-;  15,  35} 

25.  Die  Erde  wird  beregnet  werden  von  dem  Wasser  der 
Lebewesen22)  40  Tage  lang23). 

26.  Die  Entwicklung  des  Fötus  im  Mutterleibe  geht  anfangs  in 
3  Perioden  von  je  40  Tagen  vor  sich24),  nach  deren  erster  er 
geronnenes  Blut,  nach  deren  zweiter  er  ein  Stück  Fleisch  ist  [cf. 
Kor.  22,5;  auch  39,  8;  96,  2];  auf  diese  3  Perioden  (gleich  vier 
Monaten)  folgt  ein  Zeitraum  von  10  Tagen,  in  dem  der  Geist  ein- 
gehaucht wird  [cf.  Kor.  32,  8].  Dann  ist  die  Existenz  der  Frucht 
erkennbar. 

27.  (254a).  Kain  (Käbil)  bereut  (Kor.  5,  34),  nachdem  er  den 
Leichnam  Abels  (Häbll's)  40  Tage25)  (nach  anderen  ein  Jahr)  mit 
sich  herumgetragen  hat. 

28.  Der  Tempel  in  Jerusalem  (al-masgid  al-aksä,  d.  h.  die 
fernste  Moschee)  ist  40  Jahre  nach  der  Karba  erbaut.26) 

29.  Es  gibt  40  Arten  edler  Handlungsweise  (hasla); 
die  höchste  ist  die  unentgeltliche  Überlassung  einer  Ziege  zur  Nutz- 
nießung; zu  den  niedrigeren  gehören  Antworten  auf  den  Gruß,  Weg- 
räumen von  Steinen  aus  dem  Wes^. 

30.  Mit  40  Jahren  wird  der  Verstand  vollständig;  außer- 


20)  Abh.  I  S.  34. 

21)  Vgl.  Abh.  I  S.  34  u.  41  f.  und  oben  unter  16. 

22)  cf.  Abschn.  über  2,  A  Nr.  29  fol.  40a,  40b  und  41a,  wo  be- 
richtet wird,  daß  der  40tägige  (nach  anderen  40jährige)  Regen  von 
dem  dem  Sperma  ähnlichen  Wasser  eines  unter  dem  Thron  befindlichen 
Meeres  (cf.  Kor.  52,  6)  bewirkt,  daß  die  durch  den  ersten  Posaunenstoß 
vernichteten  Menschen  wieder,  wie  die  Pflanzen,  wachsen. 

23)  [Dieser  schwer  verständliche  Satz  erinnert  einerseits  an  die 
eschatologische  Vorstellung  von  dem  4otägigen  Samenregen  (s.  Abh.  I 
S.  37  Anm.  74),  anderseits  an  die  40  Regentage  des  arabisch-syrischen 
Kalenders  und  der  Sintflutsage  (s.  Abh.  IS.   17  u.  37)  Röscher]. 

24)  Abh.  I  S.   13  Anm.    15.  S.   14.    S.  29. 

25)  Vgl.  Abh.  I  S.   17  Anm.  25. 

26)  Abh.  I  S.  41. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      181 

dem    heilen   in  diesem   Alter  Wahnsinn,    Elefantiasis   und   Aussatz 
(für  die  höheren  Altersstufen  entsprechend  höhere  Vorteile;.27) 

31.  Es  ist  überliefert,  daß  der  Prophet,  befragt,  in  welcher  Zeit 
man  den  Koran  durchlesen  solle,  40  Tage  angegeben28),  aber  auch 
Verkürzung  dieser  Frist  für  möglich  und  verdienstlich  erklärt  habe. 

32.  (254b).  Jeder  Muslim  soll  wenigstens  40  Hadlte  (Tra- 
ditionen über  Aussprüche  Muhammeds)  auswendig  wissen,  "''i  [Die 
zum  größten  Teil  an  diese  Tradition  anknüpfende  Literatur  der 
arba'lnät,    der  Vierzigerbücher,   aus  der  auch  unser  Autor  au 

dieser  Stelle  ein  Werk  zitiert,  bespricht  Hag.  Hai.  I  p.  229 243 

Nr.  370 — 442,  mit  einer  allgemeinen  Einleitung  p.  229,  Nr.  370]. 29) 

33.  Wenn  jemand  einem  Wahrsager  glaubt,  wird  sein  Gebet 
40  Tage  lang  nicht  angenommen30). 

34.  Wer  einen  Blinden  40  Schritte  weit  fuhrt,  kommt  not- 
wendig ins  Paradies. 

35-  Gott  ließ  Adam  nach  seiner  Erschaffung  40  Jahre  vor 
dem  Tor  des  Paradieses  liegen,    ehe  er  ihn  belebte  und  einließ.31) 

36.  Adam  führt  40mal  die  Pilgerreise  (hagg)  von  Indien 
nach  Mekka  aus. 

37.  Eva  gebiert  40mal,  jedesmal  einen  Knaben  und  ein  Mäd- 
chen; nur  Set  wird  allein  geboren.  —  Adam  stirbt  erst,  als  er 
40000  Nachkommen  hat. 32) 

38.  Das  Lesen  des  Koranverses  „Preis  Allah,  dem  Herrn  der 
Welten"  (1,  i;  6,45;  10,  ii;  37,  187;  39,75;  40,  67)  bewirkt,  daß 
die  Strafe  40  Jahre  lang  aussetzt.83) 

39-  (255a).  Maria  (Marjam)  bringt  Jesus  (cf.  Kor.  19,28) 
entweder  sofort  nach  der  Geburt,  oder  nach  40  Tagen  zu  ihrem 
Volk.31) 

40.  Wenn  beim  jüngsten  Gericht  gute  und  schlechte  Taten 
eines  Menschen  sich  aufwiegen,  wird  er  auf  dem  Weg  zum  Para- 
dies 40  Jahre  lang  festgehalten35),   dann  aber  hineingelassen. 

41.  Der  Mahdl  wird  40  Jahre  lang  auf  der  Erde  bleiben.36) 

42.  [Die  zur  Zeit  des  jüngsten  Gerichts  noch  lebenden  Un- 
gläubigen] werden  40  Jahre  lang  schlafen  (tot  sein);  nämlich  die 
Zeit  zwischen  den  beiden  Posaunenstößen  (cf.  Kor.  36,  52)  [s.  o. 
nr.  16  u.  23]^). 

27)  Abb.  I  S.  40.  28)  Abb.  I  S.  39. 

29)  Abb.  I  S.  42  Anm.  80.  30)  Abb.  I  S.  34. 

31)  Abb.  I  S.  23.  29  u.  Anm.  57.  40.  47A.  85. 

32)  Vgl.  Weil,  Bibl.  Legenden  d.  Mus.  42. 

33)  Abb.  I  S.  34.  34)  Vgl.  Abb.  I  S.  10  f. 

35)  Vgl.  Abh.  I  S.  34  u.  41  f.  36)  Abh.  I  S.  40. 

37)  Vgl.  Abh.  I  S.  34  u.  41  f. 


182  W.  H.  Röscher: 

B. 

Der  zweite  Teil  ist  sachlich  gegliedert  nach  dem  üblichen 
Einteiluiigsschema  der  Traditionssammlungen,  wobei  aber  eine  große 
Anzahl  der  Kapitel,  weil  in  ihnen  40  nicht  vorkommt,  unberück- 
sichtigt bleibt.  Die  vorhandenen  (im  Original  nicht  numerierten) 
sind  folgende: 

1.  Der  Anstand.  Man  soll  das  Entfernen  der  Körperhaare,  das 
Abschneiden  der  Nägel  und  das  Beschneiden  des  Schnurrbartes  nicht 
länger  als  40  Tage  aufschieben.38) 

2.  Das  Gebet.  Besser  40  (Tage,  Monate,  Jahre:  nicht  sicher 
überliefert)  stehen  bleiben,  als  vor  einem  Betenden  vorübergehen.39) 

3.  Das  öffentliche  Gebet  (in  der  Moschee).  Wer  an  ihm 
40  Tage  teilnimmt,  erhält  eine  doppelte  Immunität  gegen  die 
Hölle  und  gegen  das  Verfallen  in  Heuchelei.40) 

4.  Das  Freitagsgebet.  Dazu  sollen  wenigstens  40  volljährige, 
freie,  männliche,  ansässige  Muslims  anwesend  sein. 

5.  Die  Leichenbegängnisse.  I.  (255b).  Wer  Schlimmes,  das 
er  beim  Waschen  des  Toten  sieht,  bedeckt  (für  sich  behält),  dem 
verzeiht  Allah  40mal.  —  2.  Wenn  über  dem  Toten  40  Männer 
beten,  läßt  Allah  am  jüngsten  Tag  ihre  "Vermittelung  zu  seinen 
Gunsten  zu.  —  3.  Über  den  Tod  eines  Gläubigen  weinen  Himmel 
und  Erde  40  Tage  lang.41)  —  4.  Wer  die  Bahre  eines  Toten  trägt, 
dem  erläßt  Allah  40  schwere  Sünden. 

6.  Die  Armen  Steuer.  Die  niedrigste  steuerbare  Anzahl 
von  Schafen  ist  40:  davon  muß  eins  abgegeben  werden42). 

7.  Der  Handel.  1.  Der  Besitz  eines  Ungläubigen  fällt  einem 
Gläubigen  zu  in  40  Fällen,  [die  aufgezählt  werden  fol.  193a  bis 
195a].  — -  2.  Wer  40  Nächte  lang  Nahrungsmittel  bei  sich  auf- 
bewahrt zu  Spekulationszwecken,  der  hat  mit  Allah  nichts  zu  tun 
und  Allah  nichts  mit  ihm.43) 

8.  Die  Urbarmachung  von  noch  nicht  an  gebautem  Boden.  1 .  Der 
Harim  einer  neu  gegrabenen  Zisterne  (d.  h.  das  Stück  Land  um  sie 
herum,  das  dem  zufällt,  der  sie  angelegt  hat)  beträgt  40  Ellen44) 
(auch  andere  Zahlen  überliefert).  (256a).  —  2.  Der  [in  den  in  dieses 
Kapitel  gehörigen  Traditionen  eine  Rolle  spielende]  Begriff  der  su- 
raima:  eine  Herde  von  10  bis  40  Kamelen.) 

9-  Das  freiwillige  Almosen  [im  Gegensatz  zur  Armen- 
steuer, oben  nr.  6].  1.  Ein  Mann  war  40  Jahre  fromm,  ließ  sich 
aber  dann  von  einer  Hure  verführen  und  blieb  mit  ihr  7  Tage  zu- 


38)  Abh.  I  S.  30.  39)  Abb.  I  S.  39.  40)  Abb.  I  S.  39- 

41)  Abh.  I  S.  31.         42)  Abh.  1  S.  46.  43)  Abb.  I  S.  39- 

44)  Abh.  I  S.  46. 


Die  Tessarakontaden  deb  Griechen  und  anderer  Völker.     183 

sammen:  das  überwog  die   40  Jahre  Gottesfurcht  ' ').     Dann    aber 
gab  er  einem  Bettler  einen  Brotfladen:  und  das  aberwog  wieder  die 
7  Tage  Gottlosigkeit.  —  2.  Ein  Bettler,  der  40  Dirhem  besitzt,  ist 
als   unverschämt   zu   betrachten    [und  darf  abgewiesen  werden 
(cf.  Kor.  2,  274). 

10.  Das  Weinverbot.  1.  (256b).  40  Geißelschlüge  (oder 
auch  mehr,  bis  80)  als  Strafe  für  Weintrinken.47)  —  2.  Das  Gebet 
eines  Weintrinkers  wird  40  Tage  lang  nicht  angenommen. Is) 
3.  Das  Aufstellen  eines  [hierher  gehörigen]  Verbotes  in  einem 
Lande  ist  für  seine  Bewohner  besser,  als  40  Nächte  Regen 

11.  Die  Speisen.  I.  Das  Fleisch  von  Tieren,  die  unreines  Futter 
fressen,  ist  nur  dann  gut,  wenn  sie  vor  der  Schlachtung  eine  be- 
stimmte Zeit  rein  gefüttert  worden  sind.  Diese  Zeit  beträgt  bei 
einem  Kamel  40  Tage.50)  —  2)  Wer  40  Tage  Fleisch  ißt,  dessen 
Herz  wird  hart;  wer  es  40  Tage  unterläßt,  dessen  Konstitution  wird 
schlecht,51)  —  3.  Wer  40  Tage  nur  Reines  ißt  oder  Allah  auf- 
richtig dient,  dem  erleuchtet  Allah  das  Herz  und  läßt  die  Quellen 
der  Weisheit  vom  Herzen  auf  die  Spitze  der  Zunge  fließen.52) 

GOTTHELF   BeRGSTRÄSZER. 


Nachträge  zu  Abu.  II. 

S.  35  füge  jetzt  hinzu  das  Fragment-475,  N.  1  aus  Euripides' 
Kretern,  das  Wilamowitz  (Berl.  Klassikertexte  V,  2  1907  S.  77 
A.  1)  so  verbessert  hat: 

ttuXXewm  d  l'ycov  ei\iara  cpsvyco 

yeveaiv  re  ßgoräv  (jpvy&v  ts  Xvöivy 

Kcd  vEKQO&rjnatg  [-Jtj/s  Porph.]  ov  %Qi[mTÖfxevog  xy\v  i^v-yaiv 

ßg&öiv  ids6T(öv  TteqpvXayfiai. 
Zu  S.  75.    Alle  20  Jahre  erfolgt  zu  Lipara  (gegründet  um 
580  von  Knidiern  und  Rhodiern)  eine  neue  Landesaufteilung  und 
Verlegung  der  Landlose:  Timaios  b.  Diod.  5,  9. 

Zusätze  Jon.  Ilbergs.1) 

Zu  S.  30  A.  15:  In  der  Inschrift  von  Eresos,  auf  die  ich  dem- 
nächst in  einem  Artikel  des  Archivs  für  Religionswissenschaft  XIII 

45)  Abh.  I  S.  41.  46)  Abh.  I  S.  47.  47)  Abh.  I  S.  45. 

48)  Abh.  I  S.  39.  49)  Abh.  I  S.  36  Anm.  70. 

50)  Abh.  I  S.  30.  51)  Abh.  I  S.  30.  52)  Abh.  I  S.  30. 

1)  Mein  Freund,  Herr  Prof.  Jon.  Ilberg  in  Leipzig,  der  ausgezeich- 
nete Hippokratesforscher,  dem  die  Korrekturbogen  dieser  Abhandlung 
vorgelegen  haben,  hatte  die  Güte,  mir  brieflich  obige  höchst  dankens- 
werte Nachträge  und  Berichtigungen  zur  Verfügung  zu  stellen. 


184  W.  H.  Röscher: 

*Zur  gynäkologischen  Ethik  der  Griechen'  zurückkommen  werde, 
vermuten  Sie,  wie  Ziehen,  m.  E.  ganz  richtig  die  Erwähnung  von 
normaler  Geburt  und  von  Abortus;  vielleicht  ist  analog  dem  anb 
de  xox[uxco  Z.  5  in  Z.  7  zu  lesen  dnb  ös  cp&aQ^xco2)  ccfiigatg  XQSig. 
Daß  die  Reinigungsfrist  im  zweiten  Falle  kürzer  ist  als  im  ersten, 
hängt  damit  zusammen,  daß  die  physische  Reinigung  nach  einer  Fehl- 
geburt ebenfalls  schneller  erfolgt  als  nach  der  normalen  Entbindung. 
Das  steht  Hippokr.  IIsqI  yvvai%tmv  I  72  Bd.  VIFE  152  L.,  ich  setze 
die  in  den  Ausgaben  verderbten  Worte  berichtigt  her:  %al  xfov  öia- 
(p&eiQctöicov  (diacp&aQELg  icov  -91,  diacp&siQSiGEcov  Vat.  276)  xcc  l'(ißQva 
%axd  Xoyov  i)  xä&aQGig  yivexcci  xovxcov  xcov  tj^sqscov  (die  vorher  ge- 
nannt sind),  Kai  inl  xoiGi  vsaxeqoLGi  cp&aQuGiv  eluGGovag  j](iegag,  inl 
6e  xolGl  y£Quix£QOi(5i  nXeovag.  na&ijfiaxa  de  xa  avxd  £gxl  tieqI  ko%c£cov 
(p&eiQaGy  xe  (so  richtig  Hss.)  xb  k'^ßgvov  xal  xExovGy,  i)v  /ttrj  vr\niov 
cp&siQr]  xb  nuidiov  xxl.  S.  128,  5  hat  übrigens  Littre  gegen  die 
Vulgata  diacpd-ctQSLöu  richtig  öiacp&eLiJaGa  nach  •9,C(=  V)  in  seinen 
Text  gesetzt.  Daß  öiacp&eiQStv  (wie  dnocp&stQet.v  in  den  Epidemien) 
auch  transitiv  durchaus  nicht  c  abtreiben'  zu  bedeuten  braucht,  ist 
Ihnen  übrigens  bekannt. 

Zu  S.  33  Anm.  20:  Eine  Frage.  Was  bedeutet  eigentlich  auf 
der  Inschrift  von  Lindos  dnb  <pö-o$)ct[ft>v]  ?  Kommt  das  wirklich  von 
<P&oqucc?  Wo  ist  dieses  Wort  belegt?  Ich  kenne  keine  Stelle. 
Liegt  hier  etwa  nur  eine  falsche  Schreibung  für  y&OQlcov  (seil. 
cpccQfidxwv)  vor?  Freilich  hat  diese  Annahme  wegen  des  X  etwas 
Prekäres  (vgl.  Meisterhans3  S.  49;  Croenert,  Memoria  Herculan. 
S.  30).  Oder  ist  cp&OQciov  eine  Nebenform  zu  cp&OQiov?  Denn 
etwas  zu  vermuten,  was  man  zu  sich  nimmt,  wie  so  ein  Medikament, 
liegt  wegen  der  Worte  cpuxrjg,  edyeiov,  xvqov  nahe,  die  vorangehen. 
Wenn  in  den  Soranhss.  dxoxstov  steht  für  arojuoi»,  so  ist  das  byzan- 
tinische Schreibweise  und  nicht  recht  zu  vergleichen;  da  wirkte  schon 
der  Akzent  verlängernd. 

Zu  S.  88  (vgl.  S.  2 6 f.):  Bedenken  erregt  mir  Ihre  Annahme, 
es  habe  ein  jetzt  verlorenes  Buch  Tl.  xeGGaQaxovxddcov  gegeben.  Ich 
halte  diese  Ansicht  nicht  für  ausreichend  begründet,  weil  die  älteren 
Arzte  ihre  Bücher  überhaupt  nicht  zu  betiteln  pflegten;  man  be- 
nannte sie  nach  den  Anfangsworten  (im  Corpus  Hippocr.  gibt  es 
dafür  mehrere  Beispiele),  und  die  Zitiermethode  innerhalb  der  ein- 
zelnen Schriften  ist,  wie  bei  Herodot,  abweichend  von  der  genaueren 
einer  späteren  Zeit  wie  der  des  Galenos.  Bei  Littre  I  55  ff.  steht 
in  den  Anmerkungen  eine  Reihe  solcher  Zitate,  die  warnen  können. 
Oder  hat  es  etwa  besondere  Bücher  gegeben,  betitelt  17.  %qovlcou 


2)  oder  qp^öpco?   das  Faksimile  verbietet  diese  Ergänzung  nicht. 


Die  Tessakakontaden  per  Griechen  i  ni>  anderes  Völker.      185 

-nuxa  Ttvevfiova  voGrifiüxcov  (IV  182  L.)  usw.?   Wie  hat  sich   Littre 
getäuscht,  wenn  er  S.  56,  7  auf  ein  verlorenes  Buch  des  Verf.  von 
Prorrh.  II  schließen  zu   dürfen   meinte,   während    an   der  von   ihm 
herangezogenen  Stelle  nur  auf  die  Schilderung  der  Augenkrankheiten 
in    den    drei    voran  gehenden    Kapiteln    Prorrh.    II    18 — 20 
(IX  44 — 48  L.)  verwiesen  wird!    Derlei  könnte   ich  mehr  geltend 
machen.     Aher   fassen    wir    einmal   den  Passus   in  IIeql  ETtxufiijvov 
näher  ins  Auge  und  vergleichen  wir  Analogien:  rä   i't.hc  va  y.axu- 
ysyQC<n(iiva  iv   vfjßi  xeGGccqcckovxccGi   v.cu   iv   xoIgl    (irjalv  iy.ÜGxoiGiv. 
Mit  Iv  wird  nicht  selten  im  Corpus  auf  einzelne  Paragraphen  oder 
auch  Abschnitte  verwiesen,  vorwärts  und  rückwärts,  auf  noch  Vor- 
handenes   oder   auch   nicht    zu  Verifizierendes.     Als  Beispiele,   die 
mir  gerade   zur  Hand  sind,  führe  ich  an:   77.  &y(i.  III  448  L.:   iv 
sXkcüGlcüi'   ft€Q£i  stQ^asrai,    556:   iv  xrt  y.cau  Gcpvqbv  iiudeGu  eiQTjrau 
77.  vovg.  ö  VII  606:    xaXXiov   8i   poi   tXcql  xovxov   dtdijXcoxcci  iv  r« 
TteoinUvuoviy.  77.  yvvcciK.  a  VIII  74:  vnb  nad"tq(idt(ov,  d>v  uorjcu  iv 
xfj  vovGcp  xy  xu  xctxaiAijvicc  ...  cccpteiGy,  IIqoqq.  ß  IX  48:   al  6s  xoi- 
GiEQi  cog  iv  xoiGi  nvQcxoiGiv  eyQcctya,  ovxco  xccl  ivdäds   eyovGiv.     Ich 
glaube  nun  nicht  etwa,   daß  an  unsrer   Stelle  ytvsa&ca   aus  dem 
Vorhergehenden  nach  yMxayeyQccpueva  dem  Sinne  nach  zu  ergänzen 
wäre,  sondern  übersetze:  fund  das  andere  was  aufgezeichnet  ist  bei 
Erwähnung  der  einzelnen  Tessarakontaden  und  Monate'.    Das  kann 
sich   auf  weiter  vorausliegende   verloren  gegangene  Stellen  der- 
selben Schrift  beziehen   (ist  es  denn  irgendwie  erwiesen,  daß  wir 
sie  vollständig   haben?   mir   sieht   sie   nicht  so  aus)  oder  auf  ein 
anderes  verlorenes  Buch  des  Verf.,  worin  die  einzelnen  xeGaccQccy.ov- 
xädeg  und  (irjvsg  aufgezählt  oder  erwähnt  waren,  oder  endlich  viel- 
leicht gar  auf  andere  Autoren.    Was  hindert  z.  B.,  auch  an  Kranken- 
journale zu  denken?3) 

Zu  S.  9 7  f.:  Hipp.  VII  452  Z.  6  v.  u.  steht  in  C  iv  xftGi  noa- 
xi]Gi  X£GGciQÜ%ovxa  tjueqijGi,  ebenso  (mit  i)[ieqi]Gi.v)  in  dessen 
Vorlage  V.  Es  wird  an  der  Stelle  Bezug  genommen  auf  S.  446,  1  f. ; 
ich  schreibe  daher  mit  V:  y,al  aukiGxa  71qoG7}kelv  iKtgitpeGd-ai. 

Zu  S.  102 :  V  146  L.  ergänzen  Sie  itQog  xag  eXy.oGiv  (ccTXocp'dciQctL) 
s'qpiy,  ich  würde,  dem  Notizenstil  Rechnung  tragend,  nichts  zufügen, 
man  versteht  auch  so. 


3)  Die  Möglichkeit,  daß  die  betr.  Worte  sich  auf  den  verlorenen 
Abschnitt    desselben  Buches    oder  auf  das   verloren  ffecrangrene   Werk 

OD  O 

(unbekannten  Titels)  desselben  oder  eines  anderen  Verfassers  bezielen 
können,  akzeptiere  ich  ohne  weiteres  und  lasse  somit  nieine  ursprüng- 
liche Vermutung,  es  habe  ein  hippokratisches  Buch  mit  dem  Titel 
77.  xEßGao.  existiert,  dahingestellt  sein.     [Röscher.] 


i86  W.  H.  Röscher: 

Sonst  vermag  ich  jetzt  nur  noch  auf  einige  Sor an os stellen 
aufmerksam  zu  machen,  die  Ihnen  von  Interesse  sein  werden. 

Zu  S.  i  2  7  ff. :  Die  Periode  beginnt  txeqI  xb  xcGCccQEöxcudixaxov 
Evog  xaxcc  xb  tzIelGxov,  hört  auf  ovvs  xäjiov  ix&v  xe66ccquvlovxcc 
jc.  x.  %X.  ovxe  ßgaöiov  ixcöv  nsvxiqxovxa  .  .  Evicag  .  .  xccl  (ii%Qt  x(bv 
e^Tjnovxa  TtaQa^ivei  7)  YM&aQGig  (I  4,  20).  —  Die  Frauen  sind 
konzeptionsfähig  änb  TtsvvenaiösKasxovg  i]Xixiag  ecog  XcGßaqa- 
Kovxccexovg  xaxcc  xb  nlsißxov  Sor.  I  9,  34  (S.  198,  22  R.).  — 
Die  Amme  darf  nicht  jünger  als  20,  nicht  älter  als  40  Jahre  sein 
(I  32,  88  in.). 

Die  %L66d  tritt  bei  den  Schwangeren  gewöhnlich  Ttegi  ttjv 
xz<S6<xQaxo<5xr\v  i)fxiQav  ein  (I  15,  48). 

Die  Muttermilch  ist  gewöhnlich  in  den  ersten  20  Tagen 
schlecht  (I  31,  87). 

Die  Amme  darf  in  den  ersten  40  Tagen  nur  Wasser  trinken 
(I  34,  95  S.  271,  5)  —  entsprechend  der  von  Ihnen  S.  99  f.  be- 
sprochenen Frist. 

Er  zählt  die  Schwangerschaftszeit  nicht  nach  Tessarakontaden, 
sondern  nach  [lijvsg,  s.  besonders  I  16,  55.  56;  der  gefährliche 
achte  Monat  heißt,  xax'  £vq>r)(Ai6(i6v,  xovcpog  (S.  222,  19). 

Heptaden  kommen  bei  Soran  auch  vor:  die  Frau  darf  7  Tage 
nach  der  Konzeption  nicht  baden  (I  14,  46  S.  212,  18  R.);  hep- 
tadische  Vorschriften  für  die  Diät  der  Amme  I  34,  95.  (Auf  die 
von  Soran  iv  txiqoig  bekämpfte  Siebenzabi  der  7tu&t]  xaxcc  yivog 
S.  301,  18  R.  hab  ich  Sie  schon  früher  aufmerksam  gemacht.) 

Die  Zahl  30  vereinzelt  I  19,  64  (S.  232,  20).  —  Ferner  teile 
ich  Ihnen  mit,  daß  ich  jetzt  überall  auf  ärztliche  Tessarakontaden 
stoße,  seit  Sie  darauf  aufmerksam  gemacht  haben.  So  heute  zu- 
fällig auf 

1)  Celsus  IV  31  S.  158,  19  Dbg.  (Gichtleiden);  ich  führe 
die  andern  Celsusstellen  nicht  an,  weil  sie  aus  Hippokrates  stammen 
und  daraus  wohl  alle  schon  bei  Ihnen  angeführt  sind.  Von  IV  3  1 
kenne  ich  die  Quelle  noch  nicht. 

2)  Philumenos,  De  venenat.  animal.  3,2  (S.  6,29  Wellm.): 
die  durch  das  Glüheisen  hervorgerufenen  Brandwunden  dürfen  sich 
erst  in  40  Tagen  (fi?j  xay^iov  xcov  xEGGaQccxovxa  ijfxsQcöv)  schließen; 
vgl.  3,  5  S.  7,  7  W. 

3)  Derselbe  4,6  (S.  8,  4W.):  Wasserscheu  bricht  meist  71eqI 
xi]v  xeaßaQccxoßrrjv  rjfieQccv  aus.  (Stand  schon  bei  Soran,  aus  dem 
die  Übersetzung  des  Cael.  Aurelianus,  Acut.  morb.  III  9,  100  vor- 
liegt. 

J.  Ilberg. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  inderer  Völker.      187 

Herrn  Professor  Ilberg- Leipzig  verdank*  ich  noch  folgende 
weitere  Zusätze  zu  Kap.  VI  S.   131 : 

1.  Ps.-C4alen  Ilegi  evkoolöt.  I  2  (XIV  322  K.  1  Mittel 
gegen  Haarausfall  xcaad-i^ievog  iv  evasQm  owcoo  iit\  fjfiiQag  a  — 
Xqco.  Dasselbe  bei  Tbeod.  Priscian.  Eup.  3,  7  (S.  8,  1 1) :  ei  in  vase 
fictili  novo  repones  diebus  XL  sub  divo  .  . 

2.  Vegetius,  Mulom.  II   47,  3  (S.  140,    10   Lommatzsch  : 
Es  bandelt  sieb  um  Knocbenbrüehe  und  deren  Eeilung  .  .  non  a 
tarnen  permittis  stare  iumentuin,  quam  dies  XI,  praetereant.    boc 
autem  tempus  est,  quo  divulsa  vel  fraeta  solidantur. 

3.  Mulomedicina  Chironis  14  (S.  8,  12  Oder):  quadri- 
garios  equos  tarnen  a  die  dispumationis  (Aderlaß)  minquam  minus 
quam  XL0  die  cursui  et  laboii  committamus. 

4.  Ebd.  602  (S.  193,  17  Od.)  die  autem  XU"  ures  (si  equo 
nervi  in  articulis  laxaverint). 


i88 


A.  Systematische  Inhaltsübersicht 
der  Abhandlung  (==  Abh.  I):  Die  Zahl  40  im  Glauben, 
Brauch  und  Schrifttum  der  Semiten.1)  geite 

Vorwort 3 — 5 

Gegenwärtiger  Stand  der  Frage.  —  R.  Hirzels  Lösungsver- 
such. —  Aufgabe  ist,  die  eigentlichen  Wurzeln  der  semi- 
tischen Tessarakontaden  bloßzulegen,  als  welche  nur  die 
tessarakontadischen  Tagfristen,  nicht  die  Jahrfristen  an- 
gesehen werden  können:  S.  3 — 5. 

Kap.  I:  Die  Babylonier: 5— 8 

Die  40  wurde  durch  das  Prädikat  kissatum  =  Gesamtheit, 
Universum,  Fülle,  Menge  ausgezeichnet,  d.  h.  wie  die  7 
und  50  als  „vollkommene  Zahl"  oder  griechisch  ausgedrückt 
als  uQi&LLog  TEAetog  od.  rsXsacpOQog  angesehen:  S.  5  f.  —  Die 
40  dem  Wassergott  Ea  geheiligt:  S.  6.  —  40  Opfergaben 
im  Kult  der  Göttin  Bau  und  des  Bei  zu  Babel:  S.  6 f.  u. 
Anm.  3.  —  40tägige  Trauer-  und  Fastenfrist  zu  Nineve: 
S.7.  —  40jährige  ysvsal  der  Babylonier  (?)  S.7;  vgl.  S.  174.  — 
4otägiges  Wüten  der  bösen  Dämonen:   S.  8. 

Kap.  IL  Die  Mandäer: 8—10 

Auch  die  den  Babyloniern  ethnisch  und  religiös  so  nahe 
stehenden  Mandäer,  welche  noch  heute  in  dem  einstigen 
Kultbezirk  des  Wassergottes  Ea  wohnen  und  einem  eigen- 
tümlichen Wasserkult  huldigen,  legen  der  40  eine  beson- 
dere Bedeutung  bei,  indem  sie  ebenso  wie  die  Juden  und 
viele  andere  Völker  die  Wöchnerin  bis  zum  40.  Tage 
nach  der  Niederkunft  für  unrein  erklären  und  auch  im 
Totenkult  an  eine  gewisse  Bedeutung  des  40.  Tages 
glauben:  S.  8 f.  —  Außerdem  nehmen  sie  eine  ysvsä  von 
40  Jahren,  eine  höchste  normale  Lebensdauer  von  120  =  3x40 
und  ein  Weltjahr  von  480000  =  12000  x  40  Jahren  an: 
S.  9  f. 

1)  Ich  benutze  diese  Gelegenheit,  um  auch  zu  dieser  Abhandlung, 
welche  genau  genommen  die  Einleitung  zu  der  vorstehenden  bildet, 
eine  genaue  systematische  Übersicht,  sowie  ein  alphabetisches  Register 
zu  geben. 


W.  H.  Röscher,  Die  Tessarakontaden  der  Griechen  usw.  189 

Seite 

Kap.  III:  Die  Israeliten: 10—26 

Die  40  ist  nächst  der  7  die  häutigste  der  typischen  und 
heiligen  Zahlen  im  alten  und  neuen  Testament  ebenso  wio 
im  Talmud:  8.   10. 

a)  Tessarakontadische  Tagfristen:  S.   10 — 18. 

Die  40tägige  Unreinheit  der]  Wöcherinnen  nach 
3  Mos.  12,  I  ff.  und  gleiche  oder  ähnliche  Anschauungen 
hinsichtlich  der  Entwicklung  der  Embryonen,  der  Pflan- 
zen und  Tiere  usw.  bei  vielen  verwandten  und  nicht- 
verwandten Völkern,  insbesondere  auch  den  Griechen, 
erklären  sich  höchst  wahrscheinlich  aus  der  7  Tessara- 
kontaden  (=  7  x  40)  von  Tagen  betragenden  normalen 
Schwangerschaft  und  zugleich  aus  den  in  der  Regel 
40  Tage  (oder  6  Wochen)  dauernden  Lochien:  S.  10 f.  — 
Auffallende  Parallele  aus  dem  Kultus  der  Griechen  (nach 
Censorin.  d.  n.  11,  7  etc.):  S.  12.  —  Weitere  damit  zu- 
sammenhängende Lehren  und  Satzungen  des  Talmud, 
in  denen  ebenfalls  4otägige  Fristen  und  andere  tessa- 
rakontadische Bestimmungen  vorkommen:  S.  13  f.  und 
Anin.  14.  —  Die  40tägige  Frist  in  der  jüdischen  Volks- 
medizin: S.  15.  —  40  tägige  Trauerfristen  (?):  S.  15 f. — 
40tägige  Fasten,  Strafen  und  Bußen:  S.  16 f.  —  Die  40  tä- 
gige Sintflut  erklärt  sich  aus  der  Beziehung  der  40  zur 
Sühne  und  Buße,  vielleicht  auch  aus  der  4otägigen  Un- 
sichtbarkeit  des  Regengestirns  (der  Plejaden):  S.  17  f. 

b)  Tessarakontadische  Jahrfristen:  S.   18 — 24. 

Wie  die  enneadischen  und  hebdomadisehen  Jahrfristen 
aus  den  entsprechenden  Tagfristen,  so  sind  auch  die 
Vierzigjahrfristen  aus  den  tessarakontadischen  Tagfristen 
hervorgegangen:  S.  18.  —  Sie  dienen  vorzugsweise  zur 
Bemessung  der  männlichen  ä%[Lr\  und  der  yevaä;  Beispiele 
dafür:  S.  18.  —  Die  normale  höchste  Lebensdauer  be- 
trägt 3  ysveai  zu  je  40  Jahren  oder  120  Jahre:  Belege 
dafür  aus  Bibel  und  Talmud:  S.  19 f.  — Phönizische  und 
äthiopische  Parallelen  dazu:  S.  20  (u.  S.  174).  —  Häufiges 
Vorkommen  der  40  jährigen  Periode  (yivsa)  in  den  Legen- 
den und  historischen  Berichten  des  A.  T.,  oft  mit  der 
Nebenbedeutung  einer  Sühn-  und  Straffrist:  S.  21  f.  — 
Sonstige  Vierzigjahrfristen:  S.  22 f.  —  Mehrfach  kommen 
auch  Fristen  von  20,  80,  120,  400,  480  Jahren  vor,  die 
sich  deutlich  als  Hälften  oder  Vervielfältigungen  der 
Vierzigjahrfristen  darstellen:  S.  23 f.  u.  174. 


iqo  W.  H.  Röscher: 


Seite 


c)  Sonstige     tessarakontadische     Bestimmungen: 
S.  24-26. 

Einfache  und  vielfache  Tessarakontaden  von  Personen: 
S.  24.  —  Die  40  Hiebe  des  israelitischen  Strafrechts;  40 
Flüche.  Die  40  in  Maß-  und  Gewichtsbestimrnungen : 
S.  25.  —  40nial:  S.  26.  — 

Kap.  IV:  Die  Araber  und  die  übrigen  islamischen  Völker:  26—48 
Wenn  auch  die  Zeugnisse  sämtlich  erst  der  Periode  seit 
Mohammed  angehören  und  die  Tessarakontaden  der  Ara- 
ber zum  Teil  sicher  oder  wahrscheinlich  dem  Judentum 
entstammen,  läßt  sich  doch  mit  großer  Wahrscheinlichkeit 
annehmen,  daß  die  Zahl  40  auch  in  Arabien  von  jeher  für 
typisch  und  bedeutungsvoll  gegolten  hat:  S.  26  f. 

a)  Tessarakontadische  Tagfristen:  S.  27 — 39. 
Allgemeines:  S.  26 f.  —  Zeugnisse  für  die  40tägige  Un- 
reinheit der  Wöchnerinnen  bei  den  Arabern  und  anderen 
islamischen  Völkern:  S.  27fr.  —  Volkstümliche  Annahme 
einer  Entwicklung  der  Embryonen  nach  tessarakonta- 
dischen  Fristen  und  Zeugnisse  dafür;  künstliche  Mästung 
der  südnubischen  Bräute  40  Tage  vor  der  Hochzeit  be- 
ginnend: S.  29.  —  Die  gesetzliche  Frist  von  40  Tagen 
(istibrä)  beim  Erwerb  einer  Sklavin:  S.  30.  —  Die  40- 
tägige  Frist  in  der  Volksmedizin,  Hygiene  und  Diätetik 
der  Araber:  S.  30.  —  4otägige  Trauerfristen:  S.  31  f.  — 
Desgl.  für  Fasten,  Bußen  und  Strafen:  S.  33 f.  —  Die  an 
gewisse  Phasen  der  Ple jaden  geknüpften  40  Wind-, 
Winter-  und  Regentage  des  arab.-syr.  Kalenders:  S.  34 fF. 
■ —  Tessarakontadische  Tagfristen  in  arab.  Sprichwörtern, 
religiösen  Geboten,  Erzählungen  etc.:  S.  38 f. 

b)  Tessarakontadische  Jahrfristen:  S.  39 — 43. 

Das  40.  Lebensjahr  gilt  als  das  Jahr  der  ax(X7j  des  Man- 
nes und  folglich  auch  als  das  Schlußjahr  der  ysvsä: 
S.  39  ff.  —  Die  40 -Jahrfristen  in  der  Eschatologie  der 
Araber  usw.:  S.  41  ff. 

c)  Sonstige     tessarakontadische     Bestimmungen: 
S.  43—48. 

Tessarakontadische  Gruppen  von  Personen  (Jüngern  Mu- 
hammeds,  Heiligen,  Märtyrern  usw.):  S.  43 f.  —  Die  40 
(80)  Hiebe  des  islamischen  Strafrechts:  S.  45.  —  Tessa- 
rakontadische Maßbestimmungen:  S.  45 f.  —  Die  is- 
lamische Armensteuer  ^beträgt  ein  Vierzigstel  des  Be- 
sitzes etc.:  S.  46  und  Anm.  86. 


Die  Tessauaicontaden  der  Griechen  und  anderes  Völker,      iqi 


B.    Systematische  Inhaltsübersicht 
der    Abhandlung    (=  Abh.  II):    Die    Tessarakontaden    und 
Tessarakontadenlehren    der  Griechen   und    anderer  Völker. 

S<:itO 

Vorwort: 21—27 

Diese  Abhandlung  bildet  die  notwendige  Ergänzung  zu  der 
Studie  über  die  Zahl  40  bei  den  Semiten,  deren  Haupt- 
resultat  in  der  Erkenntnis  besteht,  daß  die  meisten  Tessara- 
kontaden der  wichtigsten  semitischen  Stämme  (Babylonier, 
Mandäer,  Juden,  Araber),  z.  B.  die  40tägigen  Unreinigkeits- 
fristen  der  Wöchnerinnen  nach  der  Entbindung,  die  Trauer- 
frist beim  Tode  eines  Verwandten  usw.,  bereits  der  semi- 
tischen Urzeit  angehören:  S.  21 — 24.  Aufgabe  der 
neuen  Studie  ist  es,  die  Tessarakontaden  der  Griechen 
und  anderer  nichtsemitischen  Völker  zu  sammeln  und  zu 
untersuchen,  wobei  sich  eine  auffallende,  weniger  auf  Ent- 
lehnung als  auf  allgemein  menschlichen,  von  den  verschie- 
denen Urvölkern  selbständig  gemachten  Erfahrungen  beru- 
hende Gleichheit  der  griechischen  und  semitischen  An- 
schauungen von  der  Zahl  40  ergibt:  S.  24  —  27. 

Kap.  I. :  Die  Tessarakontaden  im  Kultus  und  Mythus  der 

Griechen: 28 — 45 

a)  Die  4otägigen  Unr einigkeitsfristen  am  Anfang 
und  Ende  der  Schwangerschaft:  S.  28.  -  Bespre- 
chung des  wichtigen  Hauptzeugnisses  bei  Censorinus  d.  n. 
11,  7,  das  auffallend  an  die  3  Mos.  12,  1  ff.  [s.  Abh.  I 
S.  10  ff.)  ausgesprochene  Unreinigkeitsfrist  von  40  Tagen 
erinnert:  S.  28 ff.  —  Ein  weiteres  Zeugnis  liefert  uns 
eine  kürzlich  aufgefundene  Inschrift  von  Eresos  auf 
Lesbos:  S.  29.  —  Die  neugriechische  Sitte,  die  priester- 
liche Weihe  des  Kindes  und  der  Mutter  am  40.  Tage 
nach  der  Geburt  vorzunehmen:  S.  30.  —  Ebenso  bestand 
auch  für  die  neuvermählte  Frau  das  Verbot,  vor  dem 
40.  Tage  nach  der  Hochzeit  den  Tempel  zu  betreten. 
Der  Grund  davon  liegt  in  dem  Umstände,  daß  (nach 
Aristoteles  u.  a.)  die  eine  gewisse  Unreinheit  bedingend" 
Menstruation  der  Schwangeren  noch  40  Tage  nach  der 
Empfängnis  fortzudauern  pflegt:  S.  30 f.  —  Auch  nach 
Früh-  und  Totgeburten  gelten  die  Wöchnerinnen  40 
Tage  lang  für  unrein.  Inschriftliche  Zeugnisse  dafür: 
S.  32  f. 

Phil. -bist.  Klasse  1909.    Bd.  LXI.  13 


192  .  W.  H.  Röscher: 

Seite 

b)  Die    4otägige    Unreinigkeits-    und    Trauerfrist 
bei  Todesfällen:  S.  34 — 41. 

Die  Vorstellungen  von  Geburt  und  Tod  sind  nahe  mit- 
einander verwandt:  beide  bewirken  sowohl  nach  semi- 
tischem wie  nach  griechischem  Glauben  eine  4otägige 
Unreinheit:  S.  34 f.  —  Hauptzeugnisse  bei  Firmicus  Ma- 
ternus  de  err.  prof.  rel.  27 :  und  Jo.  Lyd.  de  mens.  4,  2 1 : 
S.  35  ff.  —  Die  4otägige  Frist  in  Devotionen  und  bei 
Fulgent.  Expos,  serm.  ant.  p.  113,  19fr".  Helm:  S.  39ff. — 

c)  Die  40jährigen  Fristen  des  griechischen  Kultus 
und  Mythus:  S.  41 — 45. 

Wie  die  Semiten  eine  ay^iri  mit  40  Jahren,  sowie  40  jäh- 
rige ytvscci  und  eine  höchste  Lebensdauer  von 
3  X  40  =  120  Jahren  annahmen,  so  auch  die  Griechen. 
Das  Zeugnis  der  Mysterieninschrift  von  Andania;  die 
Mythen  von  Nestor,  Sarpedon  und  Aison:  S.  42  f.  — 
Die  Mythen  von  der  noch  3  mal  längeren  Lebensdauer 
des  Teiresias,  Orpheus  und  der  Sibylle  von  Erythrai: 
S.  43  ff- 

Kap.  II:    Die  Tessarakontaden   der   homerischen  und  he- 

siodischen  Gedichte: 45—58 

a)  Die  4otägigen  Fristen:  S.  45ff. 

Die  40  Tage  aus  dem  Leben  des  Odysseus  umfassende 
Erzählung  der  Odyssee:  S.  45.  —  Die  40  Tage  der 
Ilias:  S.  46.  —  Die  2otägigen  Fristen  bei  Homer  und 
Hesiod:  S.  47  ff.  —  Die  40tägige  Unsichtbarkeit  der 
Plejaden  nach  Hesiod:  S.  49 ff.  —  Ähnliche  Anschauungen 
von   den  Plejaden  finden    sich    auch    bei    den  Semiten: 

S.  51  ff 

b)  Tessarakontadische  Jahrfristen:  S.  54 — 58. 

Die  ä%iirj  des  Mannes  tritt  nach  Hesiod  (Jqya  436)  im 
40.  Jahre  ein;  Hesiod  fr.  163  G. :  S.  54f.  —  20jährige 
Fristen  bei  Homer  und  anderen  älteren  Epikern:  S.  55 ff. 

c)  Sonstige      tessarakontadische     Bestimmungen: 
S.  57 f. 

Die  auffallend  zahlreichen  Tessarakontaden  des  Schiffs- 
katalogs: S.  57 f.  —  Die  Gruppen  von  20,  (40?)  und 
120  Personen  bei  Homer:  S.  58.  — 

Kap.  HI.:  Die  40tägige  Frist  in  zahlreichen  alten  Bauern- 

und  Wetterregeln: 58—72 

Die  von  verschiedenen  späteren  Schriftstellern  mitgeteilten 
Bauern-,  Fischer-,  Schiffer-,  Jäger-    und  Wetterregeln,   die 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      193 

40tägige  Fristen  enthalten,  stehen  an  Alter  und  Bedeutung 
der  hesiodisclien  Kegel  von  der  4otägigen  Unsichtbarkeit 
der  Plejaden  völlig  gleich:  S.  58 ff.  —  Sie  lassen  sieh  ein- 
teilen in  solche,  welche  die  40tägige  Frist  a)  mit  dem 
Aufgang  des  Seirios,  b)  mit  den  Solstitien,  c)  mit  diu 
Äquinoktien  oder  d)  mit  keinem  bestimmten  Jahrpunkt 
verknüpft  zeigen:  S.  58  fr.  — 

Kap.  IV:  Die  Tessarakontaden  in  der  altern  Gesetzgebung 
und  Politik,    sowie    in    der    Lehre  und  Tradition    der 

Pythagoreer: 73—82 

Das  athenische  Gesetz,  nach  dem  die  Choregen  für  Knaben- 
chöre mindestens  40  Jahre  alt  sein  mußten,  usw.:  S.  73.  — 
Wie  das  40.  Lebensjahr  für  die  Männer,  so  war  das  20.  für 
die  Epheben,  das  60.  und  80.  für  die  Greise  in  Athen  von 
Bedeutung:  S.  74.  —  Ahnliche  oder  gleiche  Anschauungen 
herrschten  auch  in  Sparta,  sowie  bei  den  Pythagoreern,  in 
deren  Theorien  und  Legenden  auch  40tägige  Fristen  und 
sonstige  Tessarakontaden  erscheinen:  S.  75 f.  —  Die  Tessa- 
rakontaden des  Empedokles  und  Diokles  von  Karystos: 
S.  82.  — 

Kap.  V:  Die  Tessarakontaden   und  Tessarakontadenlehren 

des  'Hippokrates': 83—127 

Allgemeines   über    die    Tessarakontaden    des   'Hippokrates' 

und  ihr  Verhältnis  zu  dessen  Hebdomaden  und  Enneaden. 

Es  gilt  jetzt  einerseits   den  Umfang  und   die  Grenzen    des 

Gebrauchs  der  hippokratischen  Tessarakontaden  festzustellen, 

anderseits  deren  vor  allen  anderen  Zahlen  (mit  Ausnahme 

der  Sieben)  hervorragende  Bedeutung  zu  erklären:  S.  83fr. 

A.  Die  Tessarakontaden    in   der   Gynäkologie    und 

Embryologie  des  'Hippokrates1  S.  85 — 101. 

Die  Tessarakontaden   der  Traktate  tzsqI  i%xa^r\vov  und 

TT.  öxTßftrji'ou.     Die   zahlreichen   hier   erscheinenden    40- 

tägigen    Fristen    beruhen    offenbar    auf  den   wirklichen 

oder  vermeintlichen  Erfahrungen  der  schwangeren  Frauen 

selbst:  S.  85  ff.  —  Die  Tendenz  beider  Traktate  ist,  die 

Lebensfähigkeit  der  im  7.  Schwangerschaftsmonate,   im 

Gegensatze  zum  8.,  geborenen  Kinder  und  zugleich  die 

einzelnen  Stadien  von  deren  Entwicklung  nachzuweisen. 

Diese  Stadien  werden  hauptsächlich  durch  Monate   und 

Tessarakontaden  (40tägige  Fristen)  bestimmt:  S.  86. 

—  Das  nach  VII  p.  442  L.  leider    verloren    gegangene 

hippokratische  Werk  %.  rsaGccQaxovtüScov:  S.  88.  —  Auf- 

13* 


194  W.  H.  Röscher: 

zähluug  und  Charakteristik  der  einzelnen  für  die  Gynä- 
kologie und  Embryologie  des  'Hippokrates'  in  Betracht 
kommenden  Tessarakontaden :  S.  88  —  S.  101.  — 
i)  Tessarakontade  I  =  Tag  I  —  XL  =  Monat  I  Tag  i 
bis  Monat  II  Tag  io:  a)  Gefährdung  der  Embryonen 
durch  iuQvcsig  und  tqcoc[ioI:  S.  88 f.  —  b)  In  diesen 
ersten  40  Tagen  findet  ferner  die  Gestaltung  des  Em- 
bryo statt:  Zeugnisse  des  'Hippokrates',  Diokles  v.  Ka- 
rystos,  Empedokles,  Aristoteles  usw.:  S.  89fr.  —  c)  Un- 
gefähr am  40.  Tage  findet  auch  die  erste  Bewegung  des 
männlichen  Embryo  statt:  Zeugnisse  des  Aristoteles  und 
Plinius:  S.  91.  —  d)  Bis  zum  40.  oder  42.  Tage  dauern 
auch  die  ■K<x&ccQ6stg  der  Schwangeren  fort:  Zeugnisse  des 
Hippokrates,  Aristoteles,  Censorinus:  S.  9ifi°.  —  2 — 4) 
Tessarakontade  II — IV:  S.  93  f.  —  5)  Tessarakontade  V 
=  Tag  CLXI  bis  CC  =  Mon.  VI  Tag  11  bis  Mon.  VII 
Tag  20 :  In  dieser  Periode  verändert  der  Embryo  seine 
Lage  und  senkt  sich  nach  unten:  S.  95 f.  —  6)  Tessara- 
kontade VI  =  Tag  CCI  bis  CCXL  =  Mon.  VII  Tag  21 
bis  Mon.  VIH  Tag  30 :  Gefährlichste  Periode  für  Mutter 
und  Kind:  Zeugnisse  des  Hippokrates:  S.  95 f.  —  7) 
Tessarakontade  VII  =  Tag  CCXLI  bis  CCLXXX  =  Mo- 
nat VHII  Tag  1  bis  Mon.  X  Tag  10 :  Periode  der  nor- 
malen Geburten:  S.  97.  —  8)  Tessarakontade  VIII  = 
Tag  CCLXXXI  bis  Tag  CCC  od.  CCCXX  =  Monat  X 
Tag  11  bis  30  oder  bis  Mon.  XI  Tag  20 :  Zeugnisse  des 
'Hippokrates',  Aristoteles,  Gellius:  S.  98.  —  9)  Endlich 
wurde  auch  noch  die  unmittelbar  auf  die  normale  Ge- 
burt folgende  Zeit  tessarakontadisch  bemessen,  insofern 
man  a)  die  Lochien  als  42-  oder  4otägig  berechnete, 
b)  glaubte,  daß  die  Neugeborenen  während  dieser  Frist 
besonders  unvollkommen  und  gefährdet  seien:  S.  99 f. 
—  10)  Hier  und  da  erstreckte  sich  die  Bedeutung  der 
40tägigen  Frist  (wie  bei  den  Arabern:  Abb.  I  S.  29 f.) 
sogar  auf  die  Zeit  vor  der  Empfängnis:  S.  100 f.  — 

B.  Die  hippokratischen  Tessarakontaden  in  der 
Pathologie  und  Therapie  der  Frauen  und  Kinder: 
S.  101  — 105.  — 

a)  Tag  fristen:  Übertragung  der  tessarakontadischen 
Tagfristen  von  der  Embryologie  auf  die  Pathologie  und 
Therapie  zunächst  der  Frauen;  Zeugnisse:  S.  101  ff. — 

b)  Jahr  fristen:  Zeugnisse  des  'Hippokrates',  Piaton, 
Aristoteles:  S.  103 ff.  — 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      195 

Seite 

C.  Der  40.,  20.,  60.,  80.,   120.  Tag  in  der  hippokrat. 

Lehre  von  den  kritischen  Tagen:  S.  105  —  S. 127. 
Weitere  Übertragung  der  tessarakontadiachen  Tagfrist  m 
auch  auf  die  Krankheiten  der  Männer:  S.  105!  —  In 
den  Büchern  der  '  K  n  i  d  i  e  r '  f  e  h  1  e  n  in  den  Reihen  der 
kritischen  Tage  die  tessarakontadischen  noch  vollstän- 
dig, s.  Tabelle  I  S.  107.  —  Sie  tauchen  zum  ersten  Male 
auf  erst  in  den  'echthippok ratischen'  Büchern; 
s.  Tabelle  II  nebst  Zeugnissen:  S.  109 f.  —  Sie  werden 
zahlreicher  in  Buchl  und  III  der  Epidemien;  s.  Tabelle 
III  u.  IV  nebst  Zeugnissen:  S.  112  ff.  --  Wahrscheinlich 
ist  in  der  durch  die  Zahlen  20,  40,  60,  80,  120  ge- 
bildeten iieihe  der  kritischen  Tage  nicht  die  10  sondern 
die  40  als  Grundzahl  anzunehmen:  S.  116.  —  Die  tessa- 
rakontadischen krit.  Tage  in  den  übrigen  hippokrat. 
Büchern  nebst  Tabelle  V:  S.   119  ff. 

D.  Die    sonstigen    Tessarakontaden    der    hippo- 
kratischen  Bücher:  S.  i2off. 

a)  Die  Tessarakontaden  der  chirurgischen  Bücher 
7t.  äytiüv,  Kar'  li]tqsiov,  n.  ag^Qcov  i^vßoXfjg,  ^io%Xi"a6v : 
S.   120  f.  — 

b)  Die  auf  innere  Krankheiten  bezüglichen  Tessa- 
rakontaden der  rechthippokratischen'  Bücher: 
S.   122  f. 

c)  Die  auf  innere  Krankheiten  bezüglichen  Tessarakon- 
taden der  fknidischen'  Bücher  it.vovaiov  ß\y',d' 
und  7t.  räv  ivtbg  Ttuftüv:  S.    123  f. 

d)  Die  Bücher  %.  iniSr^iäv  ß\  d',  g' :  S.   125  t'. 

e)  Die  Bücher  7t.  £itidT\\Li<öv  s'  und  £':  S.  126 f. 

Kap.  VT;    Die    Tessarakontaden    der    späteren  Ärzte:  .     127-131 
vgl.  Nachträge  S.  186. 

a)  Die  auf  die  Leiden,  Zustände,  Bedürfnisse  der  Frauen 
und  Kinder  bezüglichen  Tessarakontaden:  S.  127 f. 

b)  Die  auf  Milz-,  Leber-  und  Blasenleiden  bezügl.  Tessara- 
kontaden: S.   128  f. 

c)  Sonstige  Tessarakontaden:  S.   129 f. 

d)  Galens  Ansicht  von   der  Bedeutung  der  tessarakonta- 
dischen Fristen:  S.    130t'. 

Kap.  VII:   Die  Tessarakontaden  des  Piaton,  Aristoteles, 
Theophrast  etc.   und  des  <pvoixöq  bei  Jo.  Lydus  de 

mens.  4,  21: 131  — 137 

Piaton,  Aristoteles,  Theophrast:  S.  131  ff.  —  Die  Zahlen- 


196  W.  H.  Röscher: 

Seite 

lehre  des  qpixrntds  bei  Jo.  Lydus  de  mens.  4,21:  S.  133  ff. 
Die  tessarakontadischen  ytvtcd  der  Stoiker,  Chronographen, 
Historiker  und  Biographen  der  späteren  Zeit:  S.   136 f. 
Kap.  VIII:  Die  Zahl  40  im  Glauben  und  Brauch  der  an- 
deren Tölker  (mit  Ausschluß  der  Semiten):     ....     137—172 

A.  Die  den  Griechen  verwandten  Völker  :S.i  37— 164. 

1)  Die  Perser:  S.  138fr. 

a)  Tessarakontad.  Tagfristen  (40  tägige  Unreinigkeit 
der  Wöchnerinnen,  Trauer  und  Fasten):  S.  138 f. 

b)  Tessarakontad.    Jahrfristen     (40jährige    ytvsai): 
S.    140. 

c)  Sonstige  Tessarakontaden:  S.  170. 

2)  Die  Armenier  (40 tägige  Unreinigkeits-  und 
Trauerfrist) :  S.   141  f. 

3)  Die  Jeziden  (40 tägige  Trauerfrist):  S.  142 f. 

4)  Die  Kurden:  S.   143. 

5)  Die  Imeretier  (40tägige  Trauerfrist):  S.   143. 

6)  Die  alten  Skythen  (40 tägige  Trauerfrist  nach 
Herodot):  S.   143. 

7)  Die  Inder  (Spuren  von  4otägigen  Unreinigkeits- 
und  Trauerfristen,  sowie  von  40jährigen  yivsai  etc.): 
S.   I43ff. 

8)  Die  Slawen  (40 tägige  Unreinheit  d.  Wöchnerin- 
nen, 40 tägige  Trauerfrist,  40jährige  ysvscd  etc.): 
S.  147  f. 

9)  Die  Germanen  (40 tägige  oder  6 wöchige  Unrein- 
heit der  Wöchnerinnen,  40 tägige  Trauerfrist,  40- 
tägiges  Bußfasten  im  Kirchenrecht  des  Fränkischen 
Reiches,  40  tägige  Fristen  in  Wetterregeln,  40 jäh- 
rige ysveai  etc.):  S.   150 ff. 

10)  Die  Römer  (Spuren  einer  40tägigen  Trauerfrist, 
sowie  einer  ysvsä  von  40  Jahren,  40  tägige  Frist 
(quarantana)  etc.  im  mittelalterl.  Italien:  S.   156 ff. 

11)  Die  Neugriechen,  Gräkowalachen  und  Ru- 
mänen (40  tägige  Unreinheit  der  Wöchnerinnen, 
Trauerfrist,  sonstige  Tessarakontaden):  S.   160 ff. 

12)  Die  Litauer,  Liven  und  Preußen  (40tägige 
Trauerfrist):  S.   164. 

B.  Die    den   Griechen    nichtverwandten   Völker: 
S.   164  ff. 

1)  Die  Ägypter  (Spuren  einer  40tägigen  Unreinheit 
der  Wöchnerinnen?  S.  164.  Sonstige  40 tag.  Fristen 
etc.):  S.  165 ff. 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  anderer  Völker.      197 

2)  Die    finnisch-tatarischen    Völker    (40' 
Trauerfristen  etc.,  40 jähr,  yivtai  etc.)  8.   166 tf. 

3)  Die  Ostasiaten  (40tägige  Couvaden,  40-  (20-)  tä- 
gige  Unreinigkeitsfristen  der  Weiber):  S.   iögf. 

4)  Die   amerikanischen   Stämme  (40-  (30-  I 
Unreinigkeitsfristen   der  Weiber,  4otägiges  Fasten 
der  Männer  bei  der  Geburt  eines  Sohnes,  20-,  .; 
80  tägige  Fristen  der  Mexikaner) :  S.  170  fr. 

IX.  Anhang: 172—187 

Nachträge  und  Berichtigungen. 

a)  Zu   Abh.   I  (Die    Zahl    40    im    Glauben,    Brauch    und 
Schrifttum  der  Semiten):  S.  173  ff. 

cc)  Zu  Kap.  I  (Die  Babylonier):  S.  173  f. 

ß)  Zu  Kap.  III  (Die  Israeliten):  S.  174. 

y)  Zu  Kap.  IV  (Die  Araber):  S.  176  fr.  Darin  Berg- 
sträszers  Exzerpt  aus  der  arab.  Hdschr.  nr.  383 
Völlers  der  Leipziger  Universitätsbibliothek:  S.  177  ff. 

b)  Zu  Abh.  II  (Die  Tessarakontaden  etc.):  S.  183  fr. 

X.  Register: 188—206 

I:  Systematische  Inhaltsübersicht  von  Abh.  I:   S.  188  ff. 

II:  —  —  —    Abh.  II:  S.  191  ff. 

III:  Alphabetisches  Register  zu  Abh.  I  u.  H:  S.  198  ff. 
IV:  Stellenregister  zu  Abh.  I  u.  II:  S.  205  f. 


ig8 


C.  Alphabetisches  Register.1) 


Abessinische  Kirche:  I  11.20.  II  31 

A.  17. 
Adamsage:    I  9  A.  8.   11  A.  11.   17 

A.  25.  22  A.  37.  29  A.  57.  4of. 
Aequinoktien :  II  67  fr. 
Aigypter:  II  164fr.   177. 
Aison:  II  42. 
Aithiopier  (=  Abessinier)  erreichen 

ein  Alter  von  120  Jahren:    I  20. 
ccTtyLtj  s.  ysvsä  u.  Vierzig. 
Altersstufen  d.  Inder:  II  146. 
Amerikan.  Ureinwohner:  II  170fr. 
Antichrist:  I  42.    II  179. 
Araber:  I  26 ff.    II  176  fr. 
Arba'in:  I  31.  42  A.  81.  II   181. 
Arganthonios    wurde    120     (3x40) 

Jahre  alt:  I  20. 
Aristoteles'  Tessarakontadenlehren : 

II  132. 
Armenier:  II  31  A.  17.    II  141  f. 
Armensteuer  des  Islam:  I  46.  II 182. 

Babylonier:  I  5  ff.    II  173  f. 
Baptismus  abortivorum:  II  174. 
Bauernregeln,  griech.  u.  deutsche s) : 

II  26.  58fr. 
Beduinenwöchnerinnen:  I  28. 
Bohnenverbot     der    Orphiker    und 

Pythagoreer:  II  79. 


Brasilianer:  I  27  A.  50.    II  170. 
Bußbücher  (fränkische):  II  154. 

Calvins  Ansicht  von  der  Beseelung 
d.  Embryonen  am  40.  Tage:  II  31. 
A.17. 

Christliche  Tessarakontaden  s.  unter 
Tessarakontaden. 

Couvade,4otägige:l27  A.  50.  II 169  f. 

Crataeogonon:  II  10 1. 

Dekaden  (selten)  im  Corpus  Hippo- 
crateum:  II  111.  116.  120.  123. 
A.  142  f.   125. 

^Jsnäiirjvoi:  II  98. 

Ea  Wassergott:  I  6. 

Eikadische  Fristen  s.  Zwanzig  und 

unter  Zahlen. 
Einmauerung  lebendiger  Menschen: 

II  162. 
sügsvsg:  U  75. 
ingvoetg:  II  32  f.  88  f. 
i-nzQcoGfiol:  DI  32 f. 
Enneaden:   I  3  f.  7.    II  47  A.  49.  57 

A.  66.  82.  87.  133.  135.  139  A.  154. 

Vgl.  auch  unter  Zahlen. 
Enneapolis  des  Nestor:  II  57. 
Epheben  20  Jahre  alt:  II  74 f. 


1)  Eine  vorgesetzte  I  bedeutet  Abh.  I  =  Die  Zahl  40  im  Glauben, 
Brauch  und  Schrifttum  der  Semiten;  eine  II  =  Abh.  II  =  Die  Tessara- 
kontaden etc.  der  Griechen  u.  a.  Völker.  Die  bloße  Zahl  bezeichnet 
die  Seite,  A.  =  Anmerkung. 

2)  Wie  mir  mein  Freund  P.  Weizsäcker  in  Calw  mitteilt,  knüpft 
sich  an  den  Kalendertag  der  40  Ritter  (9.  u.  10./III)  in  Schwaben  die 
Vorstellung,  daß  es,  wenn  es  an  diesem  Tage  regnet,  40  Tage  so  bleibt. 


W.  H.  Röscher:  Die  Tessarakontaden  der  Griechen  usw.      i 


99 


89.    A.  112.    90.    A.  11 5.    91.   92. 
A.  116.  10 1.  A.  124  b.  107.  1 10.  116, 

Il8.    I24f.    186. 
t*dfxaft/jf(u:    [I   98. 
Heraklit:  II  173. 

Hikbekperiode  (=  80  Jahre)  d.  Ara- 
ber: I  42. 

rHippokrates'  Fristenlehre:  II  83  bis 
127.  S.  auch  Tessarakontaden, 
Zahlen,  Vierzig,  Zwanzig,  Heb- 
domaden, Enneaden,  Triaden. 


Erythräische  Sibylle:  II  42. 
Eskimos :  s.  Tessarakontaden. 
Etesien  wehen  40(50)   Tage:    I  37 
A.  71    II  54  A.  60.  61  f.  165.  177. 

Fasten,  40tägige:  s.  Vierzig. 

Finnisch-tatarische  Stämme:  s.  Tes- 
sarakontaden. 

Fristen,  5 tag.,  7täg.,  40tägige  in 
Devotionen :  II  39  A.  32 ;  vgl.  II  48. 

—  2otägige  bei  Homer  etc. :  II  47  f. ; 
s.   auch  unter  Zahlen  und  unter    Hir/el,  Rudolf:  I  3. 

Zwanzig.  j  Hukubperiode  (=  4000  Jahre)  der 

—  tessarakontadische,    s.   unter  40        Araber:  I  42. 
und  unter  Tessarakontaden. 

Imeretier:  II  143. 
Geburt  und  Tod  parallele  Erschei-    Inder:  II  143 ff. 

nungen:  I  30t".    II  34.   134.  Israeliten:  I  10 — 26.  II  1741".;  s. auch 

ysvsaL  von  20  Jahren:  U  75.  76.  77.  |      Tessarakontaden  und  Vierzig. 

Vgl.  unter  Zwanzig  u.  Halbierung.  ! 

—  —  40  Jahren:   I  4.  9.  18 ff.  40 ff.    Jahrfristen,   aus  Tagfristen  hervor- 
II  41  ff.  54ff  73ff.  75ff.  77.  i36f.        gegangen:    I  4.   17.  i8ff.  21.  34. 


144.  issff.  168.  173.  A.  200.  Vgl. 
auch  unter  Vierzig. 

yevog  =  ysvs ä  (?):  II   158  A.  184. 

Germanen:  II  isoff.  Vgl.  auch  unter 
Tessarakontaden,  Vierzig,  Sechs- 
wochenfrist. 


II  24. 
Jesu  40 tag.  Fasten:  I  16   II  175. 
Jesus    wird    40   Jahre    auf    Erden 

herrschen  (arabische   Tradition): 

II  179. 
Jeziden:  n  142  f. 


Gesetzgebung,  ältere  der  Griechen: 

H  73 ff.  I  Kaiserschnitt:  H  174. 

Griechen    s.    Tessarakontaden    und  J  Kalifornien  I  27  A.  50.  II  170. 

Vierzig.  Karaiben:  I  27  A.  50.  II  170. 

Großjahre  (Weltjahre):  I  7.  9.  42.  II    Kazwini:  I  3sff.  H  soff.  A.  51b. 


44  A.  42.  II  I46f.    Vgl.  Weltjahr, 
grunda:  II  41  A.  34. 


Kind  und   Korn  (Parallelismus):  H 

68  A.  81. 
Kritische    Tage     in     Krankheiten: 

II  27.  n  105  fr.   122.   159. 
Kurden:  n  143. 


Halbierung  v.  Tessarakontaden  etc.: 

I  21.  22 f.  32.  39.  42.  43  f.    II  39. 

47-    A.  49    a.   E.    48.    55ff.    117. 

A.  132.  170.   S.  auch  unter  Zahlen    Langlebigkeit  der  Urmenschen:  I  7 

und  Zwanzig.  A.  4  u.  5.  46  A.  84. 

Hebdomaden:    I    3.    4.    7.    10.    12.  j  —  des  Moses  etc.:  I  19fr.;  des  Nes- 

A.  23.  A.  36.    H  74.  A.  93.  83.  87.I      tor  etc.:  H  42f.   158.  174. 


200 


W.  H.  Röscher: 


Lebensalter  (coqcci,  ijXtxUa,)  entspre- 
chen der  Zahl  der  Jahreszeiten: 
II  76  A.  100. 

Litauer:  II  164. 

Liven:  II   164. 

Lochien  (4otägig):  I  4-  10.    II  169. 

Mahdi:  I  40    II  181. 

Malayen:  I  28. 

Mandäer:  I  8  f. 

Mares  lebt  120  Jahre:  II  i58- 

Maximal-  u.  Minimalzahlen:  I  13. 

Menstrualblut  befleckt:  II  93- 

Menstruation:    I  10.  II   170  A.  198. 

lLSzax(ßQr}Oi?  (\L£tu§olr\)  der  Embry- 
onen: n  95. 

Moabiter:  II  176. 

Mongolen:  II  169. 

Moses:  I  18 ff.;  s.  auch  Vierzig  und 
Tessarakontaden. 

Myriopus:  I  27.  33.  A.62.  II 141. 169. 

Namengebung  (Fest):  I  A.  10. 
Nestors  hohes  Alter:  II  42- 
Neugriechen:  I  A  13.  II  160 f. 
Nilschweüe:  I  37-  H  l65-  x77- 


Panbabylonismus :  I  5.  II  25. 
Perser:  1  26  A.  48.  II  138 ff. 
Phoinix  (Vogel):  II  163. 
Phönizische  Tessarakontaden:  I  20. 

II  175. 
tp&OQsla,  -cd  etc.:  II  33  A-  *9-  l84- 
Piaton:  II   131  f- 
Plejaden:  I  4.  18  A.  26.  35  ff.  A.68. 

II  23.  26.  49 ff.  65.  68 f.  176.  Vgl. 

auch    Baba    m.    106  b  (=  Monu- 

menta  Iudaica  p.  215)  und  Gen.  r. 

10  b  (ebenda),  wonach  die  Plejaden 

das  Signal  zur  Aussaat  und  zur 

Fruchtreife  geben. 
Preußen:  II  164. 
Pschawenwöchnerinnen :  I  28. 


Quadragennalia    vota    ['?]:     II    157 

A. 180. 
Quarantaine:  I  14 f.   A.  19.  II  159  t. 

Le-Roi:  II  155. 

quarantano:  II  68  A.  82.  159. 
quarantia:  II  160. 
quarantore:  II  159  A.  186. 

Regengüsse  (40  tag.)  im  Frühling  u. 

Herbst:  I  36  A.68  u.  70.    II  52 f. 

Reinigungsbad    der  Frauen:    I    12 

A.  14.  II  28. 
Römer:  II  156 ff. 
1  Rumänien:  II  160 ff. 
i  Rundzahlen:   I  26.   47   A.  85    II  21 
j      A.2.  169. 

'  Sarant-avli,  -apotomos,  -aporos,  Sa- 

ranti:  II  163. 
j  Sarpedon:  II  42- 
|  Schwabenalter:  II  155 f. 
Schiffe  homer.  Zeit  mit  20(40?)  120 

Ruderern:  II  58. 
Schwangerschaftsdauer     (normale) : 

I  4.  II  22.  91.  971"- 
Schwangerschaftsstadien:  I  13^    H 

88  ff. 
Sechswochenfrist :  (=  40  od.42  Tage) : 

I  9  A.  9.  11  A.  12.  n  27  A,  50.  28 

A.  11.  30  A.  16.  41.  89  A.  112.  92. 

99.  150.  162.  171. 
60.  Lebensjahr:  II  7 5 f. 
Seirios:  II  59  ff-  63  f. 
Sibylle  v.  Erythrai:  II  43- 
Sin  (Mondgott):  I  6. 
Sintflut,  4otägige:  I  i7f.  3^f-  A.  7°- 

U  54-   175- 
Slawen:   II  i47ff- 
Solstitien:  II  6  5  ff. 
Stoiker:  II  136. 
suggrundaria :  II  40. 


Taufspritze:  II  174- 
Teiresias:  II  43- 


Die  Tessarakontaden  der  Griechen  und  \m>i ireb  Völkee.      201 


Tessarakontaden,  s.  auch  Vierzig. 

—  der  Babylonier:  I  5ff.    II  173  f. 

—  —  Mandäer:  I  8  f. 

Israeliten:  I   10 ff.  II   174. 

Araber:  I  26 ff.  II   176t-. 

Moabiter:  II  176. 

—  —  Griechen:  II  28 ff.  —  137. 

—  des  griech.  Kultus  und  Mythus: 
II  2 8  ff. 

—  des  alt.  griech.  Epos:  II  45 ff. 

—  in    alten    Bauern-  und   Wetter- 
regeln: II  5  8  ff. 

—  in  der  alt.  griech.  Gesetzgebung: 
II  73  ff. 

—  der  Pythagoreer:  II  76  ff. 

—  des    Tüppokrates' :    II  83—127. 
II  184  f. 

—  der  späteren  Ärzte:  II 127 ff.  18  .  . 

—  des  Piaton,  Aristoteles,  d.  Stoiker : 
II  131  ff 

—  der  Perser:    II  138 ff. ;  vgl.  I  26 
A.  48. 

—  der  Armenier:  II   141  ff. 

—  der  Kurden:  II  143. 

—  der  Imeretier:  II  143. 

—  der  Inder:  II  143 ff. 

—  der  Slawen:  II  147 ff. 

—  der  Germanen:  II  150 ff. 

—  der  Römer:  II  156 ff. 

—  der  Neugriechen  ,     Graeco-Wa- 
lachen,  Rumänier:  II   160  f. 

—  derLitauer,Liven,  Preußen :  II134. 

—  der  Ägypter:  II  164 f. 

—  der  Finnen,  Tataren,  Türken:  II 
166  ff. 

—  der  Mongolen  und  Chinesen:    II 
169  f. 


Tessarakontaden  der  Kakiiims:  11 
170. 

—  der  Amerikaner:  II   i7off. 

—  der  Moabiter:  II   176. 

—  der  christlichen  Kirche:  I  44 
A.  83.  II  31  A.  17.  37  f.  A.  29.  |i. 
A.  34-  151-  i53ff-  159  A.  186.  [60. 
174  f. 

—  der  Pferdezucht  er:    II  70. 

—  halbierte  s.  Halbierung  and 
Zwanzig. 

TSGOSQccxovrdQyvio*:   II    166. 
T£66iQKxoaratov :  I  1  2.  1 1  29.  38  A. 3  1 . 
Totenmahlzeiten  am  40.  Tage:  I  32. 

II  135  ff 
Trauerfristen  s.  unter  Vierzig. 
Triadenlehre:   II  108  A.  129.   133 f. 
TQiytQcov  (Nestor):  II  43  A.  40. 
trisaeclisenex  (Nestor) :  II  43  A.  40. 
tQuo^oi:  II  88. 
rpotprj  bei  Knochenbrüchen:  II  122. 

Ungetaufte  Kinder:  II  41   A.  34. 
Unreinheit  bei  Geburten,  bei  Todes- 
fällen s.  unter  Vierzig. 

—  der  Griechen  dauert  bis  zum  1., 
3.,  7.,  10.,  20.,  40.  Tage:  II  29 
A.  15.  33  A.  20—22. 

Vierzig;  s.  auch  Halbierung,  Zwan- 
zig und  Tessarakontaden. l) 

40tägige  Dauer  der  Lochien  und 
Unreinigkeitsfrist  der  Wöchnerin- 
nen: I  4.  9.  iof.  12  A.  13.  27  t'. 
II  22.  25  A.  7.  26.  28ff.  30.  31. 
138!  141  f.  144-  147*'-  I5°f.  i6of. 
164. 


1)  Ich  habe  hier  nicht  alle  von  mir  gesammelten  Einzeltessara- 
kontaden  aufzählen  können,  sondern  mich  auf  die  wichtigeren  be- 
schränken müssen,  die  ich  möglichst  nach  ihrer  Verwandtschaft  und 
Zusammengehörigkeit  gruppiert  habe.  So  gewinnt  diese  Übersicht,  wie 
ich  hoffe,  den  Charakter  einer  Probe  auf  das  Exempel. 


2o: 


W.  H.  Röscher: 


40tägiger    Aufenthalt    von   Heiden 

verunreinigt  die  Häuser:  I  14. 
40   Becher  (Seah)  dienen  zur  Rei- 
nigung  der   Wöchnerinnen    I  12 
A.  14.  28.    II  165. 

40  x  7  od.  7  x  40  Tage  dauert 
die  Normalschwangerschaft:  I  4. 
II  22.  91.  97f.   150. 

4otägige  Stadien  in  der  Entwick- 
lung der  Embryonen :  I  13.  14.29. 
II  31.  78.  87ff.    II  174t'.   180. 

40tägige  Couvade:  I  27  A.  50.  H 
169  f. 

40  Tage  nach  der  Hochzeit  (Kon- 
zeption) gilt  die  Griechin  für  un- 
rein: I  12  A.  13.  II  30. 

40  Tage  nach  der  Konzeption  tritt 
die  Seele  in  den  Embryo  ein:  H 
31  A.  17. 

40  Tage  braucht  der  Embryo,  um 
Gestalt  zu  gewinnen:  H  25  A.  7. 
31.  77f.  80.  82.   150.   153. 

40  Tage  nach  der  Geburt  empfängt 
d.  Kind  d.  Namen:  I  10  A.  10, 
oder  wird  getauft:  I  11  A.  11. 

40  Tage  sind  junge  Raben  weiß 
(arab.):  II  174. 

40tägige  Un  Vollkommenheit  der 
Neugeborenen:  H  99 f. ;  vgl.  II  40 f. 

40  Tage  vor  der  Hochzeit  beginnt 
die  Mästung  der  Braut  in  Nubien : 
I  29. 

40  Tage  vor  der  Konzeption  be- 
ginnt die  Kur  mit  Krataiogonon : 
n  ioof. 

40tägige  Frist  der  istibrä  b.  d. 
Arabern:  I  30. 

40  Roggengarben  bei  d.  Hochzeiten 
d.  Russen:  II  149 f. 

40  Tage  dauert  d.  Einbalsamieren 
d.  Ägypter:  H  165. 

4otägige  Frist  für  Fasten  u.  Trauern 
in  Babylon:  I  7.   17  A.  25. 


40  Tage  nach  d.  Tode  wird  die 
Seele  von  Gott  gerichtet  (man- 
däisch):  I  9. 

40  tag.    Trauerfrist    d.   Juden  (?):  I 

I  1 5 f . ;  d.  Mandäer:  I  9;  d.  Ara- 
ber etc.:  I  31  f.;  d.  Perser II  139; 
d.  Armenier  II  142;  d.  Jeziden 
etc.:  II  143;  d.  Skythen:  n  143; 
d.  Inder:  II  145;  d.  Slawen:  H 
148 f.;  d.  Germanen:  H  152 ff.; 
d.  Neugriechen  etc:  II  161 ;  d. 
Turkvölker  n  i67f. ;  d.  Hellenen: 

H34ff- 
40  tag.    Trauerkult    in    Sicilien:    H 

35  f- 
4otägige  Trauerfrist  der  altchristl. 

Kirche:   II  37 f.  A.  29. 
4otägige  Frist    für  Fasten,    Beten 

und   Strafen  b.  d.  Juden:   I  16 f. 

A.  24.    H  23.  17.  ?  b.  d.  Griechen: 

H  34 ff.;   b.  den  Arabern    I  33!; 

b.d. Deutschen  (Franken):  H  153 f. 
40  Tage  fastet  Adam:  I  A.  8.  II  178. 
40tägiges  Fasten    des  Pythagoras: 

II  80;  d.  Babylonier:  I  7;  d.  Ju- 
den: I  16;  d.  Araber  etc.:  I  32f. ; 
d.  Perser  II  139;  d.  Deutschen: 
H  153 f.  —  40jähriges  Fasten:  I 
17  (jüdisch);  H  145  (indisch). 

40  Tage  dauert  Tod   und    Geburt 
des  Vogels  Phoinix:  II  36  A.  27. 

165. 
40  Tage  dauert  die  Verwesung:  H 

128  A.  144.  129.  133  ff.  135. 
40  tägige  Frist  in  Devotionen :  II  39. 
40  Tage  nach  d.  Tode   weilt    die 

Seele    noch    auf   Erden:    II  135. 

151.   161  f.   164. 
40  Tage  nach  d.  Tode  weilt  Christus 

auf  Erden:  18.   17  A.  25. 
40  tägige  Fristen    in    der    Hygiene 

und  Diätetik  d.  Araber:    I  30.  II 

182  f. 


Die  Tessauakontaden  der  Griechen  im»  am. 1.1:1.1:  Völker.  2u\ 


4otägige  Fristen  in  der  Medizin 
(Volksmedizin)  d.  Juden:  I  15 
A.  21;  d.  Araber  I  30 ;  d.  Grie- 
chen: II 105 — 131.  186; b. Frauen- 
krankheiten: II  102  f. 
4otügige  Fristen  in  griech.  Bauern- 
u.  Wetterregeln  :  II  47  f.  49  A.  72. 
58  ff.;  in  deutschen  Wetterregeln : 
II  58  A.  67. 

40  Tage  sind  die  Plejaden  unsicht- 
bar: I  4.  6  A.  2.  8(?).  18  A.  26. 
3  5  ff.  II  23.  26.  49  f.  65.  68 f.  176. 
Vgl.  Plejaden. 

40  [?]  Tage  ist  der  Seirios  unsicht- 
bar: II  63  ff. 

40tägige  Fristen  geknüpft  an  die 
Solstitien ,  Äquinoktien  etc. :  II 
58-72. 

40tägige  Fristen  in  der  Entwick- 
lung des  Getreides  etc.:  II  67 ff. 
80. 

40  Windtage  (Etesien):  I  4.  37  A. 
71.  63.  II  54  A.  60.  61  f.  63  A. 
71.   165.   177. 

40  Tage  dauert  die  höchste  Nil- 
schwelle: II  165.   177. 

40  Regentage  I  18  A.  26.  36  A.  70. 
II  52ff  183. 

40  =  Zahl  d.  babylon.  Wassergottes 
Ea:  I  6.  8. 

4otägige  Sintflut:  I14. 17 f.  37.  II 179. 

4otägiger  Samenregen  der  islam. 
Eschatologie:  I  37 f.  A.  74.  II  180. 

40  Kälte-  u.  Wintertage:  I  35.  II 
52.  66. 

40  heiße  (Hunds-)  Tage:  II  59 ff.; 
vgl.  I  36. 

40  tag.  Fristen  in  arab.  Sprichwör- 
tern: I  38. 

40  Tagereisen:  II  139  A.  157  (per- 
sisch); vgl.  I  45  (arab.). 

40tägige  Entrückung  des  40 jähr. 
Seth:  I  17  A.  25. 


40-Tagefristen  b.  Homer  (?):  11*45  ff. 

40  Tage  =  6  Wochen:  s.  Sechs- 
wochenfrist. 

40  Tage  bewirken  e.  gewisse  Voll- 
endung (rslstorrig,  kissatum):  I  5 f. 
7.  13  A.  15.  29.  II  23.  67  fr.  88  ff. 
99  f- 

40-Tagefristen   ursprünglicher    als 

40-Jabrfristen:  I  4.  17.  18  f.  21  A. 
36.  34.    II  24. 

40  Jahre  bewirken  e.  äxfii]  (yevsä) : 
s.  ysvsai. 

2  x  40  =  80  Jahre  normale  Le- 
bensdauer: II  74.  77. 

3  X  40  =  120  Jahre  höchste  nor- 
male   Lebensdauer    b.    d.    Juden 

I  19  f.  u.  A.  29.  A.  30.  20.  A.  32; 
b.  d.  Mandäern:  I  9;  b.  Phöni- 
ziern u.  Aithiopiern:  I  30 ;  b.  Grie- 
chen: II  42 f.  55;  vgl.  140;  b.  Ita- 
likern:  II  158:   b.  d.  Rabyloniern: 

II  174. 

9  x  40  =  360  Jahre  leben  Teire- 
sias,  Orpheus,  die  erythr.  Sibylle 
xx.  Nestor  (?):  II  43  u.  A.  40. 

40jähr.  Fristen  in  histor.  Erzählun- 
gen etc.  d.  Juden:  I  22 f.;  d.  Ara- 
ber I  40  f.  (in  d.  islam.  Eschato- 
tologie:  I  41  f.);  d.  Perser:  II  140; 
d.  Inder:  IJ  144  f.;  d.  Slawen:  II 
149. 

40jähr.  Schlaf  d.  Epimenides:  II  55 
A.  63.   137. 

40jähr.  Dienst  d.  spartan.  tucfoov- 
QOl:  II  75. 

40jähr.  Friede:  II  76  A.  99.  157; 
40jähr.  Wüstenwanderung  d.  Ju- 
den :  I  2 1  f. 

40 jähr.  Frist  in  der  Pferdezucht: 
II  70. 

40  Hiebe:  I  13.  25  A.  45.  45.  H  183. 

40  Ellen  (Bath  etc.):  I  12  A.  14. 
25.  46  A.  84.  II  168.   179.   182. 


204 


W.  H.  Röscher: 


4o-Fuß  =  Myriopus:  I  27.33  A.  62.  ]  1 

II  141.  169. 
40  Jünger  Mohammeds:   1  43;    des 

Pythagoras:  II  25  A.  7.  81. 
40  Märtyrer  (Heilige):    I  43  A.  81. 

33  A.  62.  44  A.  82;  II  140. 
40  Schiffe:  II  5 7 ff- 
3  X  40  =  120  Ruderer:  II  58. 
40  wechselt  mit  42 :  s.  Sechswochen- 
frist. 
40    wechselt    mit    44:    I   27   A.  50. 

28  A.  53.  II  163. 
40mal:  I  47  A.  85.  II  181. 
40  =  Rundzahl:    I    26.    47    A.  85. 

II  21  A.  2.  169. 
Vierzigbücher  der  Araber,   Türken 

etc.:  I  42  A.  80. 
Völkergedankentheorie  Bastians:   I 

5.  II  25. 

Walachen  s.  Tessarakontaden. 
Weltjahr    d.    Babylonier   u.  Inder: 

I7  A.  4.  II  146 f.  173;  d.  Mandäer: 

I  9;  desLinosu.  Heraklit:  II  147; 

der    Orphiker:    II  44  A.  42;   vgl. 

Großjahre. 
Wetterregeln    d.    Griechen:    II  26. 

58ff. ;  d.  Deutschen:  II  59  A.  67. 

155- 

Xenaias'  tessarakontadische  Seelen- 
lehre: II  31  A.  17. 


Zahlen;  vgl.  auch  unt.  Tessara- 
kontaden u.  Vierzig. 

I.  Tessarakontaden  u.  Halbtessara- 
kontaden;  s.  auch  unter  Zwanzig, 
Vierzig  etc. 

10  =  40/4  (?):  II  125. 

20  =  40/2:  s.  Zwanzig. 

40  s.  Vierzig  und  Tessarakontaden. 

80  =  2x40:  I  11.  23.  24.  42.  II  74f- 
I05ff.   129.  131.   157.   171-   I75f- 


o  =  3  x  40  (s.  auch.  unt.  Vier- 
zig): I  9-  i9f-  23.  24.  45.  II  24. 
58.   131.   158.   166.  173. 

240  =  6  x  40:  I  9.  II  176. 

280  =  7  x  40:  I  4.  12.  II  22.  91. 
98. 

360  =  9  x  40:  I  7-  A.  4-  8  A.  6. 
II  43  f.  A.  40f.  147.    173    A.  200. 

400  =  10  x  40:  I  9.  23.  24.  25  A. 

47- 
480  =  12  x  40:  I  23  f. 
1080  =  27  x  40:  I  8  A.  6.  II  147. 

173- 
4000  =100x40:   I  24.  25  A.  47. 

II  44  A.  42.  146. 
10800  ==  270  x  40:  II  147. 
1  12000  =  300  x  40:  II  146. 

40000  =  1000  x  40:  1  24.  42.  n 
176. 

120000  =  3000  X  40:  I  25. 
400000  =  10000  x  40:  I  24. 
432000  =  10800  x  40:  I  7  A.  4. 
480000  =  12000  x  40:  I  9.  II  44 

A.  42. 
4320000  =  108000  x  40:  I  7.  II 

44  A.  42.  146  f. 
12000000  =  300000  x  40:  II  44 

A.  42. 

II.  Enneaden    (s.    auch    ob.   unter 
Enneaden) : 

81:  I  13.  II  57  A.  66. 

90:  II  57  A.  66.  80  A.  104.   179. 

108:  II  147-  173  A.  201. 

III.  Hebdomaden  (s.  auch  ob.  unt. 
Hebdomaden) : 

7:  I  5.  6  A.  1. 

42:  I  9  A.  12.  II  74  A.  93.  92  A. 
116.  99.  107:  s.  auch  unter  Sechs- 
wochenfrist. 

IV.  Sonstige  Zahlen: 
4    u.    8  =  Unglückszahlen:    II    94 

A.  119. 
10:   II  29  A.  15.    in. 


Die  Tessarakoh taden  der  Griechen  dnd  anderer  Völker.     205 


A.  96.  76.  131. 


II:   I  6. 

30:  I  6.   II  75 

41:  I  13. 

44:  1  27  A.  50.  28  A.  53.    II  163. 

60:  I  32.    II  75f.   i09tf.   131. 

71 :  I  13  A.  16. 

110:  II  43  A.  39.  II  166. 

iooi:  I  1 3 ;  vgl.  Zugabzahlen. 

Zahlen  =  Götter:  I  6  A.  1. 


bzahlen:  1  13  u.  A.  [6;   -.  auch 
ob.  unter  41.  71.  81.   1001. 

Zwanzig  .lalire  =  '/.  ytvtä  I  22  u. 
A.  37-   21.    43-    45-    II   55f.   59  A 
68  74 f.  77.  157.  175;  s.  auch  unter 
Halbierung 

Zwanzig  Tage:    II  70  A.  84.    im  H' 


1  r 


A.  n:.    121. 


Zwanzig  linderer  etc. 


II    58. 


D.    Stellenregister  zu  Abhandlung  I  u.  II. 


Aelian.  v.  h.  9,  16:  II  158. 
Anutolius  it.  dsKafiog  b.  Ast,  Theolog. 

arithm.  p.  63:  II  82. 
Anaxagoras,  fr.  20  Diels:  II  63  ff. 
Apollod.  bibl.  3,   1,  2,  3:  II  42. 
Apollon.  Rbod.  Arg.  2,  5 16  ff. :  II  61. 
Aristobulus    b.    Strab.    15    p.    714: 

II  145. 
Aristot.  'Ad-)]v.  -xo7.lt.  42:   II  73. 

—  de  anim.  bist.  6,  14.  4:  II  71. 
7,  3,  2:  n  31t.  II  92 f. 

7,  3,  3=  II  91- 

7,  3,  4=  II  89 f. 

7,  5:  H  105. 

8,   17,    i:  II  66f. 

— 9,  40,   14:  II  66. 

Cato  r.  r.  23 :  II  60  A.  70. 
Censorin.  de   die  nat.   11,  7:    I   12. 

Et  28 f.  II  40.  II  78.  n  93.  II  100. 

18,    ii:  II    173. 

Cbamaileon  b.  Athen.  II  22  e:  II  48. 
Codex    arab.    bibl.    Lips.     nr.    383 

Vollere.:  I  29 ff.  II  177!}'. 
Columella  8,   12:  II  70. 

—  12,   18,  4:  II  71. 

Corp.   gloss.   Lat.    ed.    Goetz   II   p. 

36,  24  etc.:  II  41  A.  34. 
Ctesias  b.  Plin.  h.  n.  7,  28:  II  146. 
Defixion.  tab.  Att.  nr.  99  ed.Wuensch : 

II  39 f- 


Dioscor.  m.  m.  3,   129:  II   ioof. 
Ezechiel  4,  4:  I  21  f.  A.  36. 
Firmicus  Mat.  de  err.  prof.  rel.27: 

II  35 f- 

Fulgentius  expos.  serm.  ant.  p.  389  f. 

ed.  Gerl.  et  R. :  II  40. 
Galen.    XVIII  A.  p.  469   K.:    II  69. 
Gell.  N.  A.  3,   16:  U  98. 
Geminus  p.  25  c  Petav.:  II  67. 
Heracl.  Pont.  b.   Jo.  Lyd.  de  mens. 

4,  29:  II  79. 
Hesiod.  %oyu  383  ff . :  I  3  5  A.  65.  II  49. 
441  ff.:  II  54f. 

—  frgm.  21  Göttl.  =  194  Ki. :  II  47  f. 

—  —    163  Göttl.  =  207  Ki.:  II  55. 
Ilippocrat.'  aphorism.  3,  28:  II  101 

A.  124b.  II    io8f. 

—  -jt.     i-TTTcai.     u.     öxtccli.     passim.: 
II  85  ff. 

—  TT.   6-A.zafi.    io:  II  97  A.  122. 

—  7t.  rtOGccQccv.ovtüdcav   [?]:  II   26t'. 
II   88.   II  184  !'. 

71.    TQOCpfjC    42:    II    94. 

—  7t.   cpvG.   Ttaid.    18:   II   92. 
Hom.  II.  Sl  765:  II  55 f.  u.   A.  64. 
Joann.  Lyd.  de  mens.  4,  2 1  p.  84  W. : 

I  31  A.60.  II  36f.  II  9t.  II  I33f. 
Jonas  3,  4:  I  17  A.  25. 
Kazwini  Koamogr.    übers,   v.    Etne" 

I  90.   154.   156:  I  35.  II  17'.. 


2o6     W.  H.  Röscher:  Die  Tessarakontaden  der  Griechen  usw. 


Leges    Graecor.    sacrae    ed.    Prott- 
Ziehen  II,  i  nr.  49:  II  33  A.  21. 

—  — —  II,    1    nr.    117: 

I  A.  13.  II  29  A.  15.  II  39. 
—  — II.    1    nr.    148: 

II  33  A.  20.  II  39. 

—  —  —  —  —  —  II,    2    nr.    201: 
II  33  A.  22. 

3.  Mos.   12,   iff.:  I   iof. 
Philo  vit.  Mos.  3,  5:  II  91. 
Phlegon  n.    (layigoß.  6  =  F.  H.  Gr. 

EI  p.  610b:  II  43  A.  39. 
Plat.  jt.  noliT.  460  E. :  II  104  A.  127. 
Plin.  n.  h.  2,   198:  II  71   A.  86. 

—  2,  211 :  II  71  f. 

8,   152:  II  62. 

8,   153:  E  70. 

—  —  —   10,   162:  II  66. 

11,  36:  II  62  A.  75. 

—  14,  85:  II  59. 

14,   100:  II  60. 

14,  113:  n  59. 


Plin.  n.  h.  16,  246:  II  62. 

—  —  —  17,   127:  II  67. 

—  —  —   17,  202:  II  60. 

17,  233:  II  66. 

18,  70:  II  69. 

18,  204:  II  66. 

—  —  —  27,  62 :  II   101. 

32,   146:  II  71. 

33,   109:  II  60. 

36,   131:  II   135. 

Plutarch.  de  an.  proer.  in  Tim.  14: 

II  81  f. 
Porphyr,  vit.  Pyth.  56:  II  81. 
Schol.   Lucan.   6,  680 :   II  36  A.  27. 
Strab.  p.  789:  II  165  f. 
Theophr.  c.  pl.  5,  12,  4:  II  65. 

—  h.  pl.  8,  2,  6:  II  67 f.  II  80. 
8,  2,  8:  II  69. 

Varro  r.  r.  2,  5:  II  69  f. 

3,  7=  II  69. 

Vindicianus  cap.   15  ed.  Wellm. :  II 
97  A.  121. 


Druckfehler. 
Abh.  I  S.  27  Z.  11  v.  ob.  lies:  Myriopus  statt  Myriapus. 


Druckfertig  erklärt  16.  X.  1909.] 


ÖFFENTLICHE  GESAMTSITZUNG 

DER  KÖNIGL.  SÄCHSISCHEN  GESELLSCHAFT  DER 

WISSENSCHAFTEN  AM  14.  NOVEMBER  1909. 

Nach  einer  Ansprache  des  den  Vorsitz  führenden  Sekretärs  der 
philologisch  -historischen  Klasse  (s.  Leipziger  Zeitung  vom  16.  No- 
vember 1909)  hielt  Herr  Heinrici  die  Gedächtnisrede  auf  das  am 
17.  September  verstorbene  Mitglied  Max  Heinze,  und  sprach  Herr 
Leskien  über  die  Art,  wie  die  slawischen  Übersetzer  griechischer 
Werke  im  9.  und  10.  Jahrh.  diese  wiedergegeben  haben,  beides  für 
die  „Berichte".  Es  folgte  noch  ein  Vortrag  des  Herrn  Bruns  aus 
der  mathematisch-physischen  Klasse. 


Fhil.-hist.  Klasse  1909.    Bd.  LX  I  14 


Max  Heiflze. 

Von 
Georg  Heinrici. 

Am  Leibniztage  gedenken  wir  der  abgeschiedenen  Mit- 
glieder unserer  Gesellschaft.  Heute  ist  es  Max  Heinze,  der 
nach  dem  schweren  Leiden,  das  er  mit  Seelenstärke  und 
Selbstbeherrschung  getragen  hat,  am  17.  September  sanft 
entschlafen  ist,  dessen  Leben  und  Wirken  wir  uns  venreeren- 
wärtigen.  Welch'  eine  klaffende  Lücke  sein  Tod  nicht  nur 
für  unsere  Hochschule  und  für  seine  Mitarbeiter  zurückließ, 
beweist  die  selten  große  und  tiefe  Teilnahme,  die  er  wach 
rief.  Auch  die  nach  Hunderten  zählenden  Beileidsbriefe  hatten 
sämtlich  einen  Grundton:  was  haben  wir  mit  ihm  verloren! 
Und  eben  die  Empfindung  eines  schwer  ersetzlichen  Verlustes 
beherrschte  die  Abschiedsfeier  an  seinem  Sarge;  dies  bezeugten 
gleicherweise  die  ehrende  Würdigung  seitens  des  Dekans  der 
philosophischen  Fakultät,  die  Freundesworte  unseres  Sekretärs 
Windisch,  der  ergreifende  Nachruf  seines  langjährigen  Kol- 
legen Wundt,  die  Dankesworte  seiner  Schüler,  die  um  ihn  als 
zuverlässigen  Freund  und  wohlwollenden  Berater  trauern.  In 
all  diesen  Kundgebungen  trat  nichts  Konventionelles  hervor: 
sie  kamen  von  Herzen  und  bezeugten,  daß  wir  einen  Mann 
verloren  haben,  dessen  Lebensarbeit  eine  tiefe  Furche  nicht 
nur  auf  dem  Acker  seines  Arbeitsgebietes,  sondern  auch  in  den 
Herzen  gezogen  hat.  Ja,  viele  und  reiche  Gaben  vereinigte 
er  in  sich.  Er  war  ein  förderlicher  Lehrer,  ein  zielbewußter 
Forscher,  ein  menschenkundiger  Organisator.  Mit  nie  ermüden- 
der Freudigkeit  lebte  er  den  übernommenen  Pflichten,  indem 
er  nach   seinem  Worte  handelte:    „Der  Philosoph   hat   es  be- 

14* 


210  Georg  Heinrici: 

sonders  nötig,  mit  dem  praktischen  Leben  in  Berührung  zu 
bleiben".  Daher  suchte  denn  auch  das  Amt  den  Mann.  Viel 
Kraft  und  Zeit  hat  er  der  Verwaltung  der  Universität  gewid- 
met, nicht  nur  als  Rektor  und  Dekan,  sondern  auch  als  lang- 
jähriges Mitglied  des  akademischen  Senats,  der  Verwaltungs- 
deputation und  der  Gestundungskommission,  als  Beisasse  des 
Universitätsgerichts,  als  director  actorum  der  philosophischen 
Fakultät,  als  Ephorus  der  Stipendiaten,  als  stellvertretender 
Vorsitzender  der  Prüfungskommission  für  das  höhere  Lehr- 
amt, als  Direktor  des  Konvikts,  als  königlicher  Kommissar 
bei  Abiturientenprüfungen.  Dazu  kam  seine  langjährige  Tätig- 
keit als  Leiter  des  Professorenvereins,  dessen  Festen  er  Stim- 
mung zu  geben  verstand,  und  als  Ehrenvorsitzender  des 
Universitätssängervereins  Paulus.  Welch  eine  Arbeit  war  hier 
zu  bewältigen!  Auch  er  konnte,  wie  einst  der  Apostel  Paulus, 
von  sich  sagen:  „Zu  dem  allen  kommt,  daß  ich  täglich  werde 
angelaufen  und  trage  Sorge  für  alle".  Aber  er  trug  diese 
Sorge  mit  warmem  Herzen,  wie  er  auch  für  jeden,  der  ver- 
trauensvoll zu  ihm  kam,  ein  ermutigendes  Wort  und,  wo  es 
Not  tat,  eine  offene  Hand  hatte.  Dies  muß  besonders  betont 
werden,  sein  Wohltun  in  der  Stille,  seine  Fürsorge  auch  für 
die  Armen.  Ein  Denkmal  davon  ist  die  Stiftung  für  arme 
Handwerker  in  Saalfeld,  wo  sein  Großvater  als  Büchsenmacher 
gelebt  hat. 

„Werde  was  du  bist"  lautet  ein  Wort  Pindars.  Max 
Heinze  hat  den  tieferen  Sinn  desselben  richtig  verstanden, 
indem  er  seine  reichen  Anlagen  zu  einem  festen  Charakter 
herausbildete  und  die  auseinanderstrebenden  Kräfte  seiner 
Seele  in  sittliche  Harmonie  zwang.  Denn  was  er  gewesen 
ist  und  was  er  geleistet  hat,  ist  das  Ergebnis  mannhafter 
Selbstzucht.  Von  Natur  war  er  stolz  und  hochgemutet,  voll 
Selbstgefühl,  leicht  erregt,  auch  zu  Schwermut  geneigt.  Was 
ein  Fehler  werden  kann,  kann  auch  eine  Tugend  werden  durch 
den  sittlichen  Willen;  so  hat  er  sich  eine  kräftige,  markante 
Eigenart  errungen.  Sein  warmes  Herz  machte  ihn  zum  stets 
hilfsbereiten   Menschenfreunde    und   beseelte    seine   Freundes- 


M  w    1Ii;in/.i..  i  i 

treue.  Seine  Selbsterkenntnis  und  sein  Scharfblick  machte 
ihn  zum  wohlwollenden  Menschenkenner.  Sein  reicher  Gri 
erschloß  sich  den  verschiedensten  Interessen,  literarischen, 
ästhetischen,  ohne  sich  selbst  zu  verlieren.  Er  diente  den 
Menschen  und  diente  der  Sache,  die  er  fördern  wollte.  Sach- 
lichkeit, Gelassenheit,  neidlose  Freude  an  allem  Wertvollen 
kennzeichnen  sein  Wirken.  Daher  ist  seine  Forscherarb. -\i 
und  sein  praktisches  Wirken  nicht  voneinander  zu  trennen. 
Wer  jene  würdigen  will,  darf  von  diesem  nicht  absehen.  Des- 
halb vergegenwärtige  ich  uns  vorerst  die  wichtigsten  Stationen 
seines  Lebenswegs,  ehe  ich  auf  seine  Leistungen  für  die 
Wissenschaft  eingehe. 

Max  Heinze   ward   geboren  am   13.  Dezember  1835   im 
Pfarrhause    des   Sachsen -meiningischen   Dorfes  Prießnitz.     Im 
glücklichen   Familienkreise    verlebte    er    mit    seinen   vier   Ge- 
schwistern die  ersten  Jugendjahre  unter  den  Augen  der  Eltern. 
Sein  Vater,  der  Kirchenrat  Dr.  theol.  und  phil.  Heinze  unter- 
richtete ihn,  bis  er  für  die  Tertia  des  Gymnasiums  in  Naum- 
burg  reif  war.     Seinen  Dank   und   seine  Verehrung  hat  ihm 
der  Sohn  seinerzeit  bezeugt  durch  die  Widmung  seines  ersten 
größeren   Werkes  Die  Lehre  vom   Logos.     Auf  dem   Gymna- 
sium   von  Naumburg    schloß    er    die    erste   Freundschaft    für 
das  Leben  mit  Richard  Förtsch,  wie  denn  überhaupt  jede 
Station  seines  Lebenswegs  durch  stetig  festgehaltene  Freund- 
schaften  bezeichnet  ist.     Die  Eindrücke   des  Vaterhauses  be- 
stimmten  ihn,   als   er   die  Schule  verließ,   zum  Studium   der 
Theologie,  mit  dem  er  aber   von  Anbeginn   philologische  In- 
teressen verband.    Er  widmete  sich  diesem  in  Leipzig,  Halle, 
Erlangen    und    Tübingen,    überall    unter    den    Kommilitonen 
durch    Gaben   und   Tüchtigkeit   die  Aufmerksamkeit   auf  sich 
lenkend.     Unter  seinen  Lehrern  waren  ihm  THOLUCK   in  Halle 
und  Baur  in  Tübingen  die  eindrucksvollsten.    Aber  innerlich 
wandte  er  sich  mehr   und  mehr   den   philologischen  Arbeiten 
und  den  philosophischen  Problemen  zu,  und  als  er  in  Berlin 
mit  Adolph  Trendelenburg  in  nahe  persönliche  Beziehung  n 
trat,  reifte  in  ihm  der  Entschluß,  seine  Lebensarbeit  ganz  der 


212  Georg  Heinrich 

Philologie  und  Philosophie  zu  widmen.  Seine  Doktorarbeit 
Stoicorum  de  affectibus  doctrina  (Berlin  1860)  war  eine  reife 
Frucht  der  Anregungen,  die  er  in  den  philosophischen  Übungen 
von  Trendelenburg  empfangen  hatte. 

Nach  dem  Abschlüsse  der  Universitätsstudien  ward  Heinze 
Adjunkt  an  der  Landes-  und  Fürstenschule  Pforta,  wo  er  in 
angeregtem  und  freundschaftlichem  Verkehr  namentlich  mit 
seinen  Mitadjunkten  Kern  und  Volkmann  glückliche  Jahre 
verlebte.  Das  wissenschaftliche  Ansehen  der  Schule,  an  der 
damals  Peter,  Koberstein,  Steinhart  wirkten,  stand  hoch. 
Das  wirkte  auf  Lehrer  und  Schüler  anregend  und  fördernd 
zurück.  Unter  den  Schülern  Heinzes  befanden  sich  Fried- 
rich Nietzsche,  Emil  Jungmann  und  Ulrich  von  Wilamo- 

WITZ-MÖLLENDORF. 

Schon  im  Jahre  1863  gab  er  seine  Lehrtätigkeit  in  Pforta 
auf,  um  das  Amt  eines  Instruktors  und  dann  des  Erziehers 
am  oldenburgischen  Hofe  zu  übernehmen.  Der  Erbgroßherzog 
und  dessen  Bruder  waren  seine  Schüler,  die  er  bis  zum 
Jahre  1871  unterwiesen  hat.  Diese  Vertrauensstellung  hatte 
Heinze  zunächst  der  Empfehlung  Trendelenburgs  zu  ver- 
danken, und  er  hat  sich  in  ihr  in  einer  Weise  bewährt,  daß 
ihm  die  achtungsvolle  Neigung  des  Großherzogs  und  die 
herzliche  Verehrung  seiner  Schüler  unentwegt  treu  geblieben 
ist.  Der  jetzige  Großherzog  hat  ihn  noch  in  Leipzig  öfter 
besucht.  Heinze  trat  in  eine  ihm  neue  Welt,  in  die  er 
bereits  im  Jahre  1864  seine  jugendliche  Gattin  einführte.  Der 
Hof  war  geistig  interessiert.  Dem  Großherzog  ward  es  Be- 
dürfnis, sich  mit  ihm  über  Lebensfragen  und  wissenschaftliche 
Probleme  zu  unterhalten.  Dessen  Schwester,  die  Königin  von 
Griechenland,  ließ  sich  von  ihm  Vorträge  über  die  neuesten 
Bewegungen  in  der  Wissenschaft  halten.  Sehr  wichtig  wurde 
ihm  diese  Zeit  für  die  Erweiterung  und  Vertiefung  seiner 
Menschenkenntnis.  Die  Einseitigkeiten  und  Schranken  des 
Hoflebens  blieben  ihm  nicht  verborgen.  Auch  manchen 
Gegendruck  hatte  er  namentlich  in  den  letzten  Jahren  seiner 
dortigen  Wirksamkeit  zu  erfahren,  aber   ohne  daß  sich  ihm 


Max   Hi'.iw.k.  21 


■> 


das  Vertrauen  des  Großherzogs  und  seiner  Schüler  minderte. 
Zugleich  erfreute  er  sich  des  jungen  Glücks  seiner  Ehe  and 
des  freundschaftlichen  Verkehrs  mit  Kern,  dem  Gymnasial- 
direktor, und  dem  späteren  Staatsminister  JANSEN. 

Diese  günstigen  Lebensbedingungen  förderten  seine  wissen 
schaftlichen  Bestrebungen,  deren  Frucht  sein  Werk  über  Die 
Lehre  vom  Logos  in  der  griechischen  Philosophie  (Oldenburg 
1872)  war.  Es  blieb  sein  Lieblingsbuch;  war  es  ihm  doch 
auch  zugleich  ein  Denkmal  für  die  Interessengemeinschaft 
mit  seiner  Gattin.  Der  Wert  dieser  Arbeit  richtete  die  Auf- 
merksamkeit der  philosophischen  Fakultät  unserer  Hochschule 
auf  ihn,  die  ihn  für  eine  außerordentliche  Professur  vorschlug- 
jedoch  das  Unterrichtsministerium  ging  auf  den  Vorsch!;^ 
nicht  ein.  Für  Heinze  bedeutete  er  trotzdem  einen  ent- 
scheidenden Wendepunkt.  Nun  entschloß  er  sich  endgültig, 
die  akademische  Laufbahn  einzuschlagen,  und  habilitierte  sich 
als  Privatdozent  eben  an  der  Fakultät,  die  ihm  bereits  eine 
Professur  zugedacht  hatte.  Sie  erließ  ihm  mit  Rücksicht 
darauf  die  üblichen  Habilitationsleistunsen. 

Der  Entschluß  zur  Habilitation  wurde  ihm  nicht  leicht. 
Stand  er  doch  bereits  in  einem  Alter,  in  dem  der  Regel  nach 
die  feste  Lebensstellung  schon  erreicht  ist.  Er  verließ  eine 
einflußreiche  Wirksamkeit,  die  ihm  bedeutende  Erlebnisse  und 
eine  reiche  Erfahrung  eingetragen  hatte,  um  unter  den  un- 
sicheren Bedingungen  des  Privatdozententums  ganz  der  \\  issen- 
schaft  zu  leben.  Andererseits  kam  ihm  alles,  was  er  erlebt 
und  erarbeitet  hatte,  zu  gut.  So  hatte  er  denn  auch  sofort 
beträchtliche  Lehrerfolge,  und  schon  nach  zwei  Jahren  wurde 
er,  um  Eucken  zu  ersetzen,  als  ordentlicher  Professor  der 
Philosophie  nach  Basel  berufen,  von  wo  er  nach  zwei  Semestern 
als  Nachfolger  Julius  Bergmanns  nach  Königsberg  über- 
siedelte, dort  mehr  gastweise  ein  Semester  lehrend;  denn  im 
Jahre  1875  trat  er  als  Nachfolger  von  AHEENS  auf  den  Platz, 
auf  dem  er  länger  als  ein  Menschenalter  hindurch  gewirkt 
hat.  Das  Studium  Lipsiense  nannte  ihn  von  neuem,  und  jetzt 
endgültig    den    seinen.     Und    unsere  Hochschule    hat    in    ihm 


214  Georg  Heinrici: 

nicht  nur  den  gewissenhaften  Lehrer,  den  treuen  Verwalter 
zahlreicher  akademischer  Ämter,  den  Vertrauens  werten  Kollegen, 
den  fürsorglichen  Freund  der  Studenten,  sondern  auch  einen 
Forscher  und  Förderer  der  Wissenschaft  gewonnen. 

Seine  Forscherarbeit  näher  zu  beleuchten,  ist  meine  eigent- 
liche Aufgabe  in  unserer  Gesellschaft,  der  Heinze  seit  dem 
Jahre  1877  angehört  hat.  Er  eröffnete  sie  mit  seiner  Schrift 
über  die  Affeläenlehre  der  Stoiker  und  hat  sie  beschlossen  mit 
der  Abhandlung  über  die  ethischen  Werte  bei  Aristoteles,  die 
unsere  Festschrift  zum  fünfhundertjährigen  Jubiläum  der  Uni- 
versität eröffnet.  Überblickt  man  die  Fülle  seiner  an  Umfang 
und  Inhalt  sehr  verschiedenartigen  Arbeiten,  so  ist  der  erste 
Eindruck,  daß  es  kaum  möglich  sein  dürfte,  ein  geschlossenes 
Bild  von  seinem  Forschen  zu  entwerfen.  Große  zusammen- 
fassende Werke,  in  denen  er  eine  systematische  Darlegung 
seiner  Philosophie  gibt,  hat  er  wohl  geplant,  aber  nicht  ver- 
faßt. Dafür  liegen  überaus  zahlreiche  Einzelarbeiten  vor,  die 
sich  vorwiegend  auf  Probleme  der  griechischen  Philosophie 
beziehen,  aber  auch  hervorstechende  Punkte  aus  der  neueren 
Philosophie  behandeln.  Sie  finden  sich  teils  in  den  Abhand- 
lungen unserer  Gesellschaft,  teils  in  Zeitschriften  verschiedener 
Art,  wie  Im  neuen  Reich,  in  der  Vierteljahrsschrift  für 
wissenschaftliche  Philosophie  u.  a.  Dazu  kommen  die  religions- 
geschichtlichen Artikel  in  der  Realenzyklopädie  für  protestan- 
tische Theologie  und  die  Philosophenbiographien  in  der  Deut- 
schen Biographie,  zahlreiche  Rezensionen  und  Übersichten. 
Am  ausgiebigsten  endlich  bewährt  er  seine  Arbeitskraft  in 
seiner  stetigen  Mühewaltung  für  den  Grundriß  der  Geschichte 
der  Philosophie  von  Überweg,  den  er  von  der  fünften  bis 
zur  neunten,  beziehungsweise  zehnten  Auflage,  nicht  bloß  be- 
arbeitet, sondern  zu  einem  neuen  Werk  umgestaltet  hat. 

Aber  bei  schärferem  Zusehen  treten  in  dieser  Mannig- 
faltigkeit klare  und  feste  Grimdzüge  und  sicher  ins  Auge 
gefaßte  Arbeitsziele  hervor.  Einen  doppelten  Schwerpunkt 
hat  Heinzes  wissenschaftliches  Lebenswerk,  das  Interesse  an 
methodischer    Bearbeitung   der  Begriffe   und    das  Interesse   an 


Max  Heinze. 


2  '5 


der  Persönlichkeit  der  Forscher.  Diese  beiden  Interessen  suchen 
und  finden  sich  in  seinen  Arbeiten.  Er  geht  mit  scharfem 
Blick  und  mit  persönlichem  Anteil  dem  l^beiiswea-e.  wenn 
ich  so  sagen  darf,  der  philosophischen  Begriffe  nach,  und  er 
sucht  in  der  Darstellung  des  Lebensganges  und  des  Verkehrs 
der  Philosophen  nach  den  ideellen  Momenten,  die  sie  beseelen 
und  leiten.  So  gliedern  sich  denn  in  der  Tat  die  zahlreichen 
und  verschiedenartigen  Einzelarbeiten  in  wohl  zusammen- 
hängende Gruppen,  und  für  sie  alle  gibt  der  Grundriß  der 
Geschichte  der  Philosophie  das  Fundament. 

Im  Vordergrunde  stehen  die  oegriffsgeschicMlichen  Unter- 
suchungen. Die  Hauptstücke  aus  dem  Gebiete  der  griechischen 
Philosophie,  an  welche  die  kleineren  Abhandlungen  sich  an- 
gliedern, sind  die  Geschichte  des  Logos  in  der  griechischen 
Philosophie  (Oldenburg  1872)  und  die  Studie  über  den  Ka- 
dämonismus  in  der  griechischen  Philosophie  (I.  Vorsokratiker. 
Demokrit.  Sokrates.  Abhd.  der  phil.-hist.  Kl.  der  K.  S.  Ges.  der 
Wiss.  VIII,  Nr.  VI,  1883). 

Die  Geschichte  des  Logos  zeichnet  sich  wie  alle  Arbeiten 
Heinzes  aus  durch  strenge  Abgrenzung  der  Aufgabe.  „Von 
einer  Logoslehre  kann  nur  da  die  Rede  sein,  wo  das  Wort 
einen  bestimmten  Begriff  bezeichnet,  wenn  dieser  auch  einen 
größeren  Umfang  hat."  Das  Ganze  bleibt  stets  gegenwärtig, 
die  charakteristischen  Einzelheiten  werden  mit  sicherer  Hand 
herausgearbeitet.  Am  eingehendsten  sind  Heraklit,  die  Stoiker 
und  Philo  behandelt,  weniger  gründlich  die  Neoplatoniker. 
Die  Einwirkung  der  Logoslehre  auf  das  Christentum  bleibt 
außer  Betracht.  Was  die  Logosidee  bedeute,  zeigt  die  Tat- 
sache, daß  „der  Logos  von  dem  Aufdämmern  des  griechischen 
Geisteslebens  bis  in  die  letzten  Zeiten  desselben"  als  Grund- 
idee der  Systeme  behandelt  worden  ist.  Als  der  Grundtrieb 
aber,  der  die  Entwickelung  der  Logosidee  beherrscht,  ergibt 
sich  der  Kampf  zwischen  der  rationalen  Weltanschauung  und 
dem  Mystizismus,  der  mit  dem  Siege  des  letzteren  in  der 
griechischen  Philosophie  abschließt.  Die  bleibende  Bedeutung 
der  Logosidee  liegt  in  der  Antithese  gegen  eine  Wertuni:-  des 


2i6  Georg  Heinrich 

Naturzustandes  als  eines  Spieles  blinder  Kräfte.  Im  Logos 
eint  sich  Gedanke  und  Kraft.  „Die  Kraft  ist  Vernunft  und 
die  Vernunft  ist  Kraft." 

Diese  Untersuchungen  werden  fortgeführt  und  ergänzt 
in  den  Abhandlungen  Zur  Erkenntnislehre  der  Stoiker  (Pro- 
oramm  der  philosophischen  Fakultät  1879/80),  Über  den  vovg 
des  Anaxagoras  (Berichte  der  K.  S.  G.  derWiss.  1890  S.  1 — 45) 
und  über  Neoplatonismus  (Realenzyklopädie  für  prot.  Theol. 
XIII  S.  772 — 784).  In  der  ersten  weist  Heinze  nach,  wie  in 
der  stoischen  Gleichsetzung  von  cpvöig  und  löyog  das  Be- 
streben sich  zeige,  die  sensualistisch- empirische  Methode  der 
Erkenntnis  mit  einer  rationalen  zu  verbinden.  Diese  Ver- 
bindung wurde  nicht  erreicht.  Die  Antinomie  der  Methoden 
blieb  unausgeglichen  gleich  den  anderen  Antinomien  des 
Stoizismus,  seinem  Optimismus  in  der  Physik  (beste  Welt) 
und  seinem  Pessimismus  in  der  Ethik,  seinem  Sensualismus 
und  Panlogismus,  seiner  Teleologie  und  seinem  Mechanismus. 
In  der  zweiten  Abhandlung  versucht  Heinze  den  Nachweis, 
daß  Anaxagoras  in  seiner  Lehre  der  erste  Theoretiker  des 
Dualismus  zwischen  Natur  und  Geist  sei  und  somit  Urheber 
des  philosophischen  Theismus,  woher  er  denn  auch  von  den 
Trägern  des  Staatskultus  des  Atheismus  angeklagt  sei.  Er 
gründe  seine  Philosophie  auf  das  doppelte  Axiom:  6{iov 
Ttdvta.  vovg  ölexöo'^ös  %v.vxu.  In  voller  Selbständigkeit  steht 
der  vovg  der  Materie,  die  an  sich  keine  Gestaltungskraft  hat, 
gegenüber,  sowie  die  Seele  des  Menschen  dem  Leibe.  Er  ist 
nicht  materiell,  sondern  reine  Intelligenz,  nicht  bedingt,  son- 
dern alles  von  sich  aus  bewegend  und  nach  seinen  Zwecken 
formend.  Wie  aber  dies  in  der  Wirklichkeit  sich  vollziehe, 
darauf  antwortet  Anaxagoras  nicht,  ja  er  stellt  überhaupt 
die  Frage  nicht;  denn  bei  den  Naturvorgängen  sucht  er  allein 
nach  den  natürlichen  Ursachen.  Der  Artikel  über  den  Neu- 
platonismus  gibt  eine  gedrängte  Übersicht  über  dessen  Ent- 
wickelung  und  Ausmündung  in  den  Mystizismus.  Unter 
anderem  Gesichtspunkt  behandelt  Heinze  endlich  die  Welt- 
anschauung der  Griechen  in  der  für  weitere  Kreise  bestimm- 


Max  Heinze.  2  1  7 

ten  Abhandlung  Antike)-  Darwinismus  (Im  neuen  Reich  1877 
S.  521 — 533),  in  welcher  er  das  merkwürdige  Zusammentreffen 
der  Hylozoisten  mit  der  Entwicklungslehre  Darwins  und  die 

übereinstimmende  Tendenz  auf  Eliminierun<>-  d'*  Zweckbecniffs 
darstellt.  Auch  für  die  gegenwärtig  so  Lebhafl  erörterte 
Rassenfrage  findet  er  Ansätze  in  der  griechischen  Philosophie, 
auf  die  er  in  der  Abhandlung  Die  Rassenfragen  hei  Pluto  und 
Aristoteles  (Monatsschrift  für  Soziologie.  Februar  1909)  kurz 
eingeht. 

Die  ethischen  Forschungen  HEINZES  haben  zu  ihrem  Mittel- 
punkt die  umfassende,  leider  nicht  vollendete  Abhandlung 
über  den  Eadümonismus  der  Griechen,  in  welcher  er  sich 
Rechenschaft  gibt  über  den  Ursprung  und  die  Ausbildung 
ihrer  Lebenslehre.  Mit  dem  Begriffe  der  evdcciuovkc  setze  die 
Ethik  der  Griechen  ein,  mit  ihm  schließe  sie  ab.  Wie  \u\<\ 
warum  er  sich  wandele,  soll  aus  der  Geschichte  nachgewiesen 
werden.  Zuerst  wird  der  vieldeutige  Begriff  erörtert,  dann 
wird  seinen  Spuren  bei  den  älteren  Dichtern  und  Gnomikern 
nachgegangen.  Bei  Hchddit  finden  sich  die  ersten  Keime  zu 
einer  philosophischen  Ethik:  iföog  avd-Qäxco  dal^cov.  Bedeut- 
samer sind  die  Ansätze  Demolcrits ,  der  als  das  höchste  Gut 
die  Lust  am  Leben  verkündigt,  die  aber  sittlich  zu  regeln 
sei,  und  als  den  wertvollsten  Lebenserwerb  die  zu  positiven 
Lustgefühlen  gesteigerte  gleichmäßige  Gemütsbeschaffenheit. 
Durch  seine  Aufstellungen  geht  ein  hedonistischer  Zug.  Die 
Sophisten  bringen  neue  Gesichtspunkte  heran  durch  ihre  Ten- 
denz auf  Umwertung  aller  Werte.  Sie  sind  die  Väter  des 
Individualismus:  Ttdvrcov  %QrjUcacov  ilstqov  uvd-Qcoxog  (Prota- 
goras),  und  zersetzen  die  Überlieferung,  ohne  sie  zu  ersetzen. 
Ihre  Negationen  und  Behauptungen  weckten  eine  Gegen- 
bewegung zur  tieferen  Begründung  der  Ethik,  deren  wich 
tigster  Träger  Sökrates  ist.  Heinze  schildert  ihn  nach  Xeno- 
phon,  der,  obwohl  er  Apologet  sei,  von  sich  aus  nichts  hinzu- 
fügen will,  während  Plato  den  Sökrates  zum  Verkünder  seiner 
eigenen  Philosophie  mache.  Nach  den  Denkwürdigkeiten  des 
Xenophon    ist    Sökrates    Utilitarist    mit    der    Tendenz,    einen 


218  Georg  Heinrici: 

absoluten  Begriff  des  Guten  zu  gewinnen.  Aber  er  bleibt  im 
Relativismus  stecken.  Die  Glückseligkeit  setzt  er  in  das  aus 
Selbsterkenntnis  und  Bedürfnislosigkeit  erblühende  Glücks- 
gefühl. Den  kategorischen  Imperativ  der  Pflicht  kennt  er  nicht. 
Diese  Studien  ergänzt  und  erweitert  Heinze  in  dem 
Vortrage  über  Prodikos  von  Keos  (Berichte  der  K.  S.  G.  der 
Wiss.  1884  S.  315 — 335),  in  der  Abhandlung  über  Ethische 
Werte  bei  Aristoteles  und  in  der  akademischen  Rede  Über  den 
bleibenden  Wert  platonisch-aristotelischer  Grundgedanken  in  der 
Staatslehre  (Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger  Zeitung 
1885,  Nr.  34).  Dazu  kommt  das  gediegene  pfortenser  Pro- 
gramm Stoicorum  ethica  ad  origines  suas  relata  (Naumburg 
1862).  Unter  Ablehnung  der  Überwertung  Welckers  charak- 
terisiert er  den  Prodikos  als  impressionistischen  Jugendbildner 
ohne  eigene  Gedanken,  der  seinen  Scharfsinn  an  der  Syno- 
nymik (diccCgsöLg  ovoiicacov)  übte.  Dem  Aristoteles  weist  er 
seinen  Platz  unter  den  intellektualistischen  Eudämonisten  an. 
Die  evöai^ovCa  ist  demselben  aber  nur  dann  das  höchste  Gut, 
wenn  sie  sich  in  der  menschlichen  Gemeinschaft,  im  Staate, 
verwirklicht.  So  liegen  die  Schwerpunkte  seines  ethischen 
Denkens  in  der  sittlich  verklärten  Eigenliebe  und  der  realisti- 
schen Erfassung  der  Menschennatur  nach  ihrer  komplizierten 
Eigenart.  Den  bleibenden  Wert  der  platonisch-aristotelischen 
Grundgedanken  in  der  Staatslehre  findet  er  in  der  beiden 
Philosophen  eigenen  organischen  Anschauung  von  dem  Ver- 
hältnis des  Rechts  zur  Sittlichkeit  und  in  der  Erkenntnis  der 
konkreten  Bedürfnisse  des  Menschen.  Hoch  stehe  diese  An- 
schauung über  den  mechanischen  Staatstheorien  von  Hobbes  und 
Spinoza,  die  die  Aufgabe  des  Staates  setzen  in  die  Beseitigung 
des  Kampfes  aller  gegen  alle.  Die  stoische  Ethik  endlich 
untersucht  Heinze  auf  ihre  in  Frage  gestellte  Originalität 
und  weist  in  sorgfältiger  Scheidung  des  Übernommenen  und 
des  Neuen  nach,  daß  der  Vorwurf  ungerecht  sei,  der  Semit 
Zeno  habe  nur  neue  Worte  geprägt,  aber  die  Gedanken  ge- 
stohlen. Eigengut  der  Stoa  sei  die  Bestimmung  des  höchsten 
Guts   als  Zusammenstimmen  (biioXoyiu)   mit    sich   selbst   und 


Max  Hkinzk.  219 

mit  der  (pvöcg,  sodann  ihre  Affektenlehre  und  Psychologie, 
endlich  die  These,  daß  die  Selbstherrlichkeit  und  Selbstgenüg- 
samkeit der  Tugend  allein  die  Glückseligkeit  verbür 

Der  Kreis  von  Heinzks  Arbeiten  auf  dem  (icbiete  der 
neueren  Philosophie  ist  weiter  gezogen,  aber  weniger  reich- 
lich besetzt.  Die  hierher  gehörige  Hauptarbeit  trägt  mehr 
philologischen  Charakter;  es  ist  die  erstmalige  kritische 
Herausgabe  der  Vorlesungen  Kants  über  Metaphysik  aus  drei 
Semestern  (Abhdl.  der  K.  S.  G.  der  Wiss.  1894).  Sie  wurde  eine 
Vorarbeit  für  die  große  Kantausgabe  der  Berliner  Akademie 
der  Wissenschaften,  welche  ihm  anläßlich  dieses  Werks  <li" 
Veröffentlichung  der  Vorlesungen  Kants  über  Logik,  Meta- 
physik, theoretische  Physik,  Ethik,  Naturrecht,  natürliche 
Theologie,  Anthropologie  und  physische  Geographie  übertrug. 
Heinze  arbeitete  mit  neuem  Material,  das  er  aufgespürt  hatte. 
Es  bestand  aus  schwer  leserlichen  Notizen,  die  Kant  behufs 
seiner  Vorlesungen  in  das  Kompendium  Baumgaktexs,  und 
zwar  in  mehrere  Exemplare  desselben,  eingetragen  hatte. 
Heinze  hat  mit  quellenkritischer  Sorgfalt  diese  Notizen  unter 
Benutzung  der  früheren  ganz  unzureichenden  Ausgabe  von 
Pölitz  (Kants  Vorlesungen  über  Metaphysik  182 1)  zu  einem 
wohlgefügten  Ganzen  in  einer  Weise  zusammengeordnet,  daß 
sein  Werk  grundlegend  für  die  Kantforschung  geworden  ist. 
Er  stellte  darin  fest,  daß  Kant  seine  originalen  Gedanken  in 
seinen  Schriften  niederlegte,  in  seinen  Vorlesungen  aber  das, 
was  als  philosophische  Tradition  galt,  den  Zuhörern  darbot, 
und  zwar  mit  dem  Endzweck,  „die  Zuhörer  moralisch  und 
religiös  zu  festigen:  denn  Moral  und  Religion  sind  die  Haupt- 
sache, auf  die  es  bei  allem  Philosophieren  ankommt".1) 

Zu  Heinzes  Kantstudien  zählt  auch  die  Schrift  'Ernst 
Plattier  als  Gegner  Kants  (Universitätsprogramm  1880),  der 
in  der  dritten  Auflage  seiner  einst  weit  verbreiteten  Aphoris- 
men als  „skeptischer  Leibnizianer"  in  ernst  zu  nehmenden 
Einwürfen    wider    die    „dogmatische   Kritik"    Kants    Stellung 

1)  Vgl.  H.  Vaihingers  Rezension  im  Archiv  für  Geschichte  der 
Phüosophie  VIII,  S.  421. 


220  Georg  Heinrici: 

nimmt.  Auch  die  feinsinnige  Abhandlung  über  den  Idealis- 
mus Fr.  Alb.  Langes  (Vierteljahrsschrift  für  wissenschaftl. 
Phil.  I,  1877)  darf  in  Verbindung  damit  genannt  werden. 

Die  übrigen  Schriften  behandeln  Stoffe  aus  der  Philo- 
sophie Descartes',  Spinozas,  Leibniz',  meist  ethische  und  reli- 
giöse Probleme.  Heinze  untersucht  die  Sittenlehre  Descartes' 
(Habilitationsvortrag  1872),  die  weniger  original  sei,  als  dessen 
Erkenntnislehre  und  Metaphysik,  aber  Spinozas  Ethik  wesent- 
lich beeinflußt  habe.  Höchst  fesselnd  schildert  er  sodann  den 
wissenschaftlichen  Austausch  zwischen  der  Pfalzgräfin  Elisa- 
beth und  Descartes  (Raumers  Historisches  Taschenbuch  1886, 
S.  256 — 304)  auf  Grund  ihres  Briefwechsels.  Descartes  wird 
der  Gewissensrat  der  Fürstin,  einer  begeisterten  Anhängerin 
seiner  Philosophie,  die  ihr  die  Seelenruhe  vermitteln  soll.  Oft 
ist  er  in  Verlegenheit,  wie  er  ihre  verständnisvollen  und 
scharfsinnigen  Einwürfe  erledigen  könne.  Warmherzig  wird 
Heinze  der  edlen  Persönlichkeit  Spinozas  gerecht  in  seinem 
Vortrage  Zum  Gedächtnis  Spinozas  (Im  neuen  Reich  1871 
S.  337 — 35 0,  uud  lebendig  vergegenwärtigt  er  den  persön- 
lichen Gedankenaustausch  zwischen  Spinoza  und  Leibniz,  der 
auf  Leibniz'  philosophisches  Denken  nicht  ohne  Einfluß  ge- 
glichen ist  (Leibniz  in  seinem  Verhältnis  zu  Spinoza.  Im 
neuen  Reich  1875,  S.  921 — 932). 

In  den  zuletzt  genannten  Arbeiten  tritt  das  Interesse  an 
der  Persönlichkeit  der  Männer,  mit  deren  Gedankenwelt  er  sich 
beschäftigte,  deutlich  hervor.  Ehe  ich  jedoch  darauf  weiter 
eingehe,  sind  noch  Heinzes  Beiträge  zur  Religionsphilosophie 
und  zu  den  Prinzipienfragen  der  Weltanschauung,  die  gleich- 
falls begriffsgeschichtlichen  Inhalts  sind,  zu  beleuchten.  Sie 
finden  sich  in  der  dritten  Auflage  der  Realenzyklopädie  für 
protestantische  Theologie  und  Kirche.  Sie  handeln  über  den 
Emanatismus  (V  S.  329 — 336),  den  Evolutionismus  (V  S.  672 
bis  681),  das  Naturgesetz  (XIII  S.  657 — 659),  den  Materialis- 
mus (XII  S.  414 — 424),  den  Pantheismus  (XIV  S.  627 — 641), 
den  Theismus  (XIX  S.  585 — 595)  und  die  Religionsphilosophie 

(XVI  s.  597-630). 


M  \x  Heikze. 

Diese  Artikel  hängen  untereinander  eng  zusammen.  Die 
ersten  drei  erörtern  Grundbegriffe  der  Weltanschauungen.  In 
den  Artikeln  über  Materialismus,  Pantheismus  und  Thi 
ruus  wird  wie  mit  parallelen  Linien  in  einem  Gange  durch 
die  Geistesgescbichte  aufgezeigt,  welche  Weltanschauungen 
nebeneinander  bestehen  und  miteinander  ringen,  und  wie  aie 
trotz  aller  Gegensätze  vielfach  ineinander  Übergehen  und  sich 
gegenseitig  bedingen.  Die  ausführliche  Darstellung  der  Keli- 
gionsphilosophie,  eine  kritische  Geschichte  dieser  Disziplin, 
faßt  die  in  den  vorhergenannten  Arbeiten  gewonnenen  Ergeb- 
nisse in  einem  übersichtlichen  Gesamtbilde  zusammen.  Die 
Verbindungslinien  zwischen  diesen  Arbeiten  und  den  be^riffs- 
geschichtlichen  Studien  aus  der  Geschichte  der  Philosophie 
stellt  der  schon  erwähnte  Artikel  über  den  Neoplatcmismus 
her,  der  ja  ebenso  als  Religion  wie  als  Philosophie  wirksam 
geworden  ist. 

Emanatismus  und  Evolutionismus  bezeichnen  zwei  Grund- 
anschauungen, die  von  den  ältesten  Versuchen  an,  über  die 
letzten  Ursachen  der  Dinge  sich  zu  orientieren,  bis  auf  die 
Gegenwart  herrschen.  Sie  stehen  zu  einander  wie  feindliche 
Blutsverwandte.  In  der  Gegenwart  hat  der  Evolutionismus 
die  Vorherrschaft.  Der  Emanatismus  geht  aus  von  der  An- 
nahme eines  allumfassenden  und  allwirksamen  Urprinzips,  das 
nicht  in  die  Welt  des  Seienden  aufgeht,  sondern  diese  Welt 
ans  sich  heraussetzt,  und  zwar  so,  daß,  je  weiter  der  Abstand 
von  dem  Urprinzip  ist,  desto  dürftiger  und  unvollkommener 
die  von  ihm  emanierten  Wesenheiten  sind.  Der  Evolutionis- 
mus erkennt  kein  Urprinzip  außerhalb  des  Seienden  an.  Die 
Welt  beurteilt  er  als  eine  stets  sich  bewegende  und  sich  um- 
wandelnde Größe.  Dieser  Prozeß  wird  entweder  als  mecha- 
nischer, oder,  weniger  folgerecht,  als  teleologischer  zu  be- 
greifen gesucht.  Um  eine  Kopf  und  Gemüt  befriedigende 
Weltanschauuno-  zu  gewinnen,  müssen  Emanatismus  und  Evo- 
lutionismus  Frieden  schließen.  Ohne  den  Begriff  der  Ent- 
wickelung  kann  der  natürliche  Gang  der  Dinge  nicht  ver- 
standen werden,  ohne  Annahme  eines  schöpferischen  Urprinzips 


222  Georg  Heinrici: 

fehlt  jeder  feste  Orientierungspunkt.  Ob  aber  dieser  Friede 
jemals  zustande  kommt,  das  bleibt  eine  offene  Frage. 

In  der  Untersuchung  des  Begriffs  Naturgesetz  weist  Heinze 
dessen  Unbestimmtheit  nach.  Was  man  so  nenne,  sind  Ab- 
straktionen aus  der  Beobachtung  und  Erfahrung;  das  Gebiet 
der  Erfahrung  aber  ist  unbegrenzt.  Der  Beobachter  ist  deshalb 
niemals  fertig,  und  überraschende  Entdeckungen  können  jeder- 
zeit das  was  Naturgesetz  genannt  wurde  als  täuschende  Formel 
enthüllen.  So  behält  Kant  vielleicht  darin  Recht,  daß  der  Mensch 
auch  Gesetzgeber  der  Natur  sei  auf  Grund  seiner  apriorischen 
Einsichten.  Es  ist  in  diesen  Bestimmungen  eben  alles  zweifelhaft. 
Das  Sicherste  ist  noch  das  Kausalitätsgesetz;  aber  auch  dies  ist 
formal  und  versagt,  wenn  man  das  einzelne  wirklich  ableiten  will. 

Auf  Grund  des  Evolutionismus  hat  sich  der  Materialis- 
mus als  Weltanschauung  durchgesetzt,  auf  Grund  des  Emana- 
tismus  der  Pantheismus  und  der  Theismus. 

Der  Materialismus  ist  die  älteste  und  einfachste,  aber 
auch  die  unvollkommenste  Weltanschauung;  denn  sie  begnügt 
sich  mit  der  Ableitung  der  Dinge  aus  dem  Sichtbaren  und 
Greifbaren.  Seine  ältesten  Formen  liegen  im  Hylozoismus 
der  jonischen  Naturphilosophen  vor,  die  jüngsten  in  dem 
Monismus  von  Ludwig  Büchner  und  Ernst  Haeckel.  Wie  ver- 
schiedene Formen  der  Materialismus  annehmen  und  wie  ver- 
schiedene Verbindungen  er  eingehen  kann,  beweist  besonders 
die  glückliche  Inkonsecpuenz  der  Stoiker,  die  als  Metaphysiker 
Materialisten  sind,  auch  als  Ethiker  —  nehmen  sie  doch  auch 
einen  Affektenstoff  und  einen  Tugendstoff  an,  —  und  trotz- 
dem sind  sie  die  eifrigsten  Begründer  einer  teleologischen 
Weltauffassung  und  auch  die  Bescbützer  der  Volksreligion. 
Nach  Helntzes  Urteil  bleibt  der  Materialismus  ein  heilsames 
Korrektiv  der  Tendenz  auf  Begriffsdichtung  und  liefert  die 
handlichsten  Methoden  für  die  Naturforschung.  Aber  die 
„Weltenrätsel"  vermag  er  nicht  zu  lösen.  Was  man  Materie 
nennt,  ist  überhaupt  ein  letztlich  unfaßbarer  Begriff,  und  der 
Übergang  aus  dem  Materiellen  in  das  Unsichtbare  und  Un- 
greifbare des  Gedankens  bleibt  verborgen. 


M.w    HniN/.i..  223 

Als  Kunstwörter  tauchen  Pantheismus  und  Theismus  zu- 
erst in  der  englischen  Aufklärungsbewegung  auf.  Den  Pan- 
theismus erzeugt  das  Streben  nach  einer  einheitliches  Welt- 
anschauung; somit  hat  er  monistische  Elemente  in  sich.  Die 
Formel  'iv  xal  Ttäv  und  die  Formel  näv  Q-ebg  sind  nur  relativ 
verschieden;  aber  die  erste  kann  zum  Atheismus  führen,  die 
zweite  in  weltilüchtigen  Mystizismus  ausmünden.  Herdklit  ist 
wohl  der  erste  Pantheist,  der  konsequenteste  aber  ist  Spinoza. 
In  den  neueren  philosophischen  Systemen  finden  sich  fast 
ausnahmslos  pantheistische  Elemente,  auch  bei  Fecitner  und 
Paulsen,  und  es  gilt  vom  Pantheismus  ebenso  wie  von  dem 
Entwickelungsbegriff,  daß  keine  Weltanschauung  ihrer  ganz 
entraten  kann. 

Das  Kunstwort  Theismus  ist  ein  Beispiel  für  die  Willkür 
in  der  Bildung  der  Terminologie.  Warum  Deismus  und 
Theismus  verschiedene  Weltanschauungen  kennzeichnen,  ist 
nur  aus  der  Geschichte  zu  verstehen.  Als  der  englische  Deis- 
mus  sich  mehr  und  mehr  zur  antichristlichen  „Vernunft- 
religion" entwickelt  hatte,  bezeichnete  sich  die  ihn  bekämpfende 
Geistesrichtung  als  Theismus.  Den  Unterschied  beider  for- 
muliert klassisch  Kant:  „Der  Deist  glaubt  einen  Gott,  der 
Theist  einen  lebendigen  Gott."  Der  philosophische  Theist 
denkt  grundsätzlich  dualistisch,  etwa  wie  Aristoteles,  der  christ- 
liche Theist  denkt  vielmehr  monistisch,  indem  er  Gott  als 
„absolute  Persönlichkeit"  und  als  Weltschöpfer  betrachtet. 
Die  christliche  Mystik  endlich  öffnet  die  Tore  weit  dem  Pan- 
theismus. Hauptvertreter  des  Theismus  sind  Kant  in  seiner 
praktischen  Philosophie  und  unter  den  späteren  Philosophen 
der  jüngere  Fichte,   Ulrici,  Trendelenburg  und  Lotze. 

Man  kann  es  bedauern,  daß  Heinze  die  in  diesen  Ar- 
tikeln niedergelegten  Forschungen  nicht  zu  einem  System  der 
Religionsphilosophie  verarbeitet  hat,  in  welchem  er  sich  etwa 
den  Platz  neben  Trendelenburg  und  Lotze  frei  gemacht 
haben  würde.  Einen  gewissen  Ersatz  dafür  liefert  seine  aus- 
führliche historische  Darstellung  der  Religionsphilosophie.  Er 
unterscheidet  in  ihr  zwei  Richtungen,  die  einander  entgegen- 

Phil.-hist.  Klasse  1909.    Bd.  LXI.  1 5 


224  Georg  Heinrici: 

treten:  entweder  wird  die  Religion  zum  Gegenstande  der 
Philosophie  gemacht,  oder  sie  wird  das  Objekt  psychologischer 
Untersuchungen.  Die  evolutionistische  Denkweise  der  Gegen- 
wart arbeitet  in  der  letzteren  Richtung.  Welche  Bedeutung 
aber  der  Religion  im  Geistesleben  zukommt,  werde  durch 
nichts  einleuchtender,  als  durch  Beachtung  der  Tatsache,  daß 
jede  Philosophie,  die  nach  den  letzten  Ursachen  fragt  und  sie 
nicht  in  dem  „natürlichen  Gange"  der  Dinge  findet,  irgendwie, 
wenn  auch  in  verschiedenem  Grade,  religiös  bestimmt  ist. 
Dies  weist  Heinze  nach,  indem  er  das  Hervortreten  der 
religiösen  Probleme  und  ihre  verschiedene  Wertung  von 
Xenophanes  ab  bis  auf  Albrecht  Bitschi,  Ed.  von  Hartmann 
und  die  „ethische  Bewegung",  die  alle  Religion  für  bankrott 
erklären  möchte,  in  klaren  Umrissen  schildert.  Mit  besonderer 
Liebe  hebt  er  Plato,  die  Stoiker,  Herbart,  Drobisch  und  Lotze 
heraus  und  legt  am  Schlüsse  auch,  mehr  wie  das  sonst 
seine  Weise  ist,  seine  eigene  Auffassung  der  Religion  dar. 
Die  Religion  ist  ihm  nicht  bloß  ein  Gefühl,  kraft  dessen  der 
Mensch  sich  aus  dem  Zustande  der  inneren  Unfreiheit  zu 
lösen  sucht,  indem  er  sich  zu  Gott  erhebt;  diese  Erhebung 
ist  vielmehr  ein  Willensakt,  der  dem  Wesen  des  Menschen 
entspricht:  Ttdvxsg  de  frecbv  yux&ovö'  uv&Qaitoi.  Die  Kraft 
und  Gesundheit  der  Religion  kann  weder  ohne  Sittlichkeit 
bestehen,  noch  ohne  intellektuelle  Klarheit  über  ihren  Inhalt. 
Daher  bezieht  sich  die  Religion  auf  das  ganze  Seelenleben. 
Sie  ist  die  wirksamste  Lebensmacht;  denn  sie  errettet  aus  der 
Seelennot  und  weist  den  Weg  zur  Erlösung.  Die  Idee  der 
Erlösung  ist  daher  der  Mittelpunkt  der  Religionsphilosophie. 
In  der  Gewißheit  der  Erlösung  ist,  christlich  zu  reden,  der 
Gegensatz  von  Gesetz  und  Evangelium,  von  Sünde  und  Gnade 
ausgeglichen.  Die  Vorstellungen  von  der  Erlösung  ändern 
sich;  das  Wesen  der  Religion  als  Kraft  inneren  Glückes  und 
Bürgschaft  für  die  Erlösung  ändert  sich  nicht.  Das  philoso- 
sophische  Erkennen  erzeugt  diese  Kraft  nicht.  Zwar  muß 
auch  die  wissenschaftliche  Erkenntnis  ein  Unbedingtes  setzen, 
da  es  sonst  nichts  Bedingtes  gäbe,  aber  dies  Unbedingte  bleibt 


Max  H  hin  zk. 

kalt,    es    hat    kein    eigenes    Leben.     „So    wird   dem    Glauben 
anheimfallen,    was    die   Erkenntnis    nicht    leisten    kann,    den 
Glauben,   dem    nach  Kant   der  Vorrang  vor   dem    Wissen 
bührt." 

Die  biographischen  Arbeiten  HEINZES,  die  sich  meistens 
in  der  „Deutschen  Biographie'"  finden,  sind,  so  darf  man  wohl 
sagen,  Illustrationen  zu  seinen  begriffsgeschichtlichen.  Nur 
eine  liegt  nicht  im  Rahmen  der  begriffsgeschichtlichen,  die 
Biographie  des  späten  Scholastikers  Joh.  Versor,  dessen  trocken 
schematisierende  Kommentare  zum  Aristoteles  sehr  einfluß- 
reich auf  den  Unterricht  gewesen  sind.  Abgesehen  davon 
schildert  Heinze  das  Leben  und  die  Forschung  von  dem 
Schweizer,  dem  späteren  marburger  Theologen.  Daniel  Wytten- 
bach,  der  als  Philologe  und  Humanist  in  den  Geleisen  der 
Leibniz-Wolfschen  Philosophie  sich  bewegte,  aber  in  Plato 
die  eigentliche  Quelle  fand;  sodann  Thomas  Wizenmann,  den 
frühverstorbenen  Freund  Joh.  Heinrich  Jacobis,  den  tief  reli- 
giösen Autodidakten,  der  zugleich  ein  scharfsinniger  Kritiker 
war.  Dazu  kommen  die  Hegelianer  Joh.  Ed.  Erdmann,  der 
geistvolle,  feinsinnige  Historiker  und  Popularphilosoph,  und 
der  Theolog  Wilhelm  Vatke,  ein  gelehrter  Humanist,  charakter- 
voll, aber  scheu  und  ungelenk,  der  seine  Richtpunkte  von 
Hegel  übernahm,  aber  als  Bibelkritiker  neue  Bahnen  eröffnete. 
Einen  selbständigen  Platz  weist  Heinze  dem  Leipziger  Philo- 
sophen Christian  Hermann  Weiße  zu,  der  im  Gegensatz  zu 
Hegel  einen  ethischen  Theismus  mit  mystischem  Einschlag 
vertritt,  die  Evangelienforschung  als  Kritiker  von  D.  F.  Strauß 
mächtig  fördert  und  die  Ästhetik  eigenartig  begründet. 
Sein  höchstes  Ziel  war,  das  Christentum  mit  der  modernen 
Bildung  zu  versöhnen.  Ein  selbständiger  Denker  ist  auch 
der  unruhige,  gelehrte  Joh.  Jac.  Wagner,  einer  der  bedeutend- 
sten unter  den  katholischen  Philosophen,  welche  die  Kirche 
nicht  dulden  mochte.  Er  bemüht  sich  um  eine  mathematische 
Methode  für  das  Philosophieren.  Ebenso  originell  ist  der 
schwerblütige  Jacob  Frohschammer,  der  in  der  schöpferischen 
Phantasie   das  Weltprinzip    erkannte    und    von    ihr    aus    sein 

'5* 


22b  Georg  Heinrich 

System  aufbaute.  Von  Schleierinacher  abhängig  ist  der  stille, 
sinnige  Friedrich  Vorländer,  der  sich  später  mehr  und  mehr 
Hegel  zuwandte,  und  Georg  Weissenbom,  der  Interpret  Schleier- 
machers. Julius  Frauenstaedt  macht  sich  als  Jünger  Schopen- 
hauers geltend.  Von  Herbartianern  behandelt  Heinze  den 
nüchternen  Gustav  Hartenstein  und  den  Begründer  unserer 
Gesellschaft  der  Wissenschaften  Moritz  Wilhelm  Drobisch, 
dem  er  in  seiner  Gedächtnisrede  (gehalten  am  5.  Dezember  1896) 
eine  warmherzige  ausführliche  Charakteristik  widmet.  „Streng 
gegen  sich  selbst  und  gewissenhaft  bis  ins  Kleinste,  schien 
er  eine  Verkörperung  des  kategorischen  Imperativs  zu  sein", 
so  urteilt  er  über  den  Freund  und  Kollegen. 

Einen  weiteren  Zug  zu  dem  literarischen  Porträt  Heinzes 
fügen  seine  Rezensionen  im  Literarischen  Zentralblatt  (seit 
1873)  hinzu  und  seine  Übersichten  über  die  auf  die  nacharisto- 
telische Philosophie  bezüglichen  Arbeiten  in  Bursians  Jahres- 
bericht über  die  Fortschritte  der  klassischen  Altertumswissen- 
schaft (1873  I  S.  187—210;  1874/75  HI  S.  555—575;  1876/80 
XXI  S.  1—60;  1881/86  L  S.  34—133)-  Die  Berichte  sind 
knapp,  sachlich  und  wohlwollend  gehalten.  Die  Leistungen 
werden  an  ihrem  Zwecke  bemessen  und,  je  nachdem  dieser 
erreicht  ist,  gewertet.  Die  mit  M.  H.  gezeichneten  Rezensionen 
der  siebziger  und  achtziger  Jahre  sind  ein  wesentlicher  Be- 
standteil der  philosophischen  Abteilung  des  literarischen 
Zentralblatts.  Bisweilen  finden  sich  bis  dreie  in  einer  Nummer. 
Auch  sie  beziehen  sich  vornämlich  auf  die  alte  Philosophie, 
die  Ethik  und  auf  Schriften  zur  Weltanschauung.  Die  italieni- 
sche Literatur  wird  mit  herangezogen.  Selten  holt  Heinze 
weiter  aus  als  es  das  zu  besprechende  Werk  erfordert,  wie 
z.  B.  bei  Pietro  Ragniscos  Storia  critica  delle  categorie  (1874), 
in  der  er  zugleich  die  in  Italien  unter  Hegels  Einfluß  neu 
belebte  philosophische  Arbeit  beleuchtet.  Wo  Leichtfertigkeit, 
Anmaßung,  Flachheit  und  Einseitigkeit  zu  rügen  sind,  tut 
er  es  sehr  bestimmt,  aber  nicht  in  verletzender  Form.  So 
bemerkt  er  zu  der  Schrift  Hartsens  über  die  Moral  des  Pessi- 
mismus:  „Wegen   der  aphoristischen  Form  entschuldigt  sich 


Max  Hein/.k. 

der  Verfasser   in  der  Vorrede  selbst.     Noch  mehr  einer  Ent- 
schuldigung  hätten    der    etwas    vulgäre  Ton,    in   den   er   bis 
weilen  verfällt,  und  die  mancherlei  Verstöße  gegen  die  deutsche 
Grammatik  bedurft." 

Diese  so  mannigfachen,  in  unregelmäßiger  Zeitfolge  an 
verschiedenen  Stellen  veröffentlichten  Arbeiten,  in  denen  dun-li 
weg  die  gleichen  Grundanschauungen  und  die  gleichen  wissen- 
schaftlichen Interessen  durchscheinen,  und  von  denen  man 
sagen  darf,  daß  ihr  Verfasser  jedesmal  im  kleinsten  Punkte 
die  größeste  Kraft  sammelt,  sind  die  Voraussetzungen  und  die 
Begleiter  seiner  Neubearbeitung  von  Friedrich  Überwegs  Grund- 
riß der  Geschichte  der  Philosophie,  für  den  er  mehr  als  ein 
Menschenalter  hindurch  seine  Kraft  eingesetzt  hat. 

Als  Uberivegs  Grundriß  im  Jahre  1863  zu  erscheinen  be- 
gann, wurde  das  Buch  für  die  philosophisch  interessierten 
Kreise  der  Jüngeren  ein  Ereignis.  Solch  ein  Buch  brauchten 
wir,  das  nicht  konstruierte,  wie  der  damals  allverbreitete  Grund- 
riß des  Hegelianers  Schwegler,  sondern  das  den  Philosophen 
selbst  das  Wort  gönnte  und  zugleich  über  die  Literatur 
orientierte.  Das  tat  Überweg.  Sein  Ziel  ist,  „nicht  späterer 
Zeit  entstammte  Reflexion  oder  Spekulation  über  die  Ge- 
schichte, sondern  die  Geschichte  selbst  in  treuem  Miniatur- 
bild darzustellen".  „Nur  Wesentliches,  aber  nach  Möglichkeit 
alles  Wesentliche"  will  er  geben.  Mit  der  vierten  Auflage 
übernahm  Heinze  die  Neubearbeitung  des  damals  drei  schlanke 
Bände  umfassenden  Grundrisses.  Das  Gerüst  läßt  er  unverändert 
und  schont  Überwegs  Arbeit  zunächst  so  viel  als  er  vermag. 
Aber  von  Auflage  zu  Auflage  begnügt  er  sich  immer  weniger 
mit  bloßem  Ergänzen  und  Einordnen.  Er  gestaltet  auch  um, 
gibt  schärfere  Charakteristiken  und  einleuchtendere  Formu- 
lierungen, verfolgt  mit  nie  erlahmender  Aufmerksamkeit  und 
Sorgfalt  die  neu  zuwachsende  Literatur  und  läßt  keine  neue 
Erscheinung  auf  dem  Gebiete  der  Philosophie  unbeachtet, 
namentlich  wo  Beiträge  zur  Metaphysik  in  Frage  komnu-n. 
Und  um  auch  der  philosophischen  Bewegung  des  Auslandes 
gerecht  zu  werden,  die  von  der  deutschen  Philosophie  ebenso 


228  Georg  Heinrici: 

bestimmt  ist,  wie  sie  auf  diese  zurückwirkt,  zieht  er  geeignete 
Mitarbeiter  heran.  Den  bescheidenen  Titel  „Grundriß"  behält 
er  bei,  trotzdem  das  Werk  allmählich  mehr  als  den  doppelten 
Umfang  erreicht  und  auf  vier  starke  Bände  anwächst.  Die 
gewaltige  Arbeit,  die  er  dem  Werke  gewidmet  hat,  vermag 
wohl  am  besten  Karl  Praechter  zu  beurteilen,  der  die  zehnte 
Auflage  des  ersten  Bandes  besorgt  hat.  Er  sagt:  „Die  Durch- 
arbeit des  Buches  hat  mich  die  treue,  von  tief  gründendem 
Sachverständnis  geleitete  Sorge,  die  ihm  Max  Heinze  so  viele 
Jahre  hindurch  gewidmet  hat,  von  Seite  zu  Seite  mehr 
schätzen  gelehrt."  So  ist  der  Grundriß  in  der  Tat  ein  un- 
entbehrliches Orientierungsbuch  geworden,  das  bis  auf  die 
neueste  Zeit  ein  zuverlässiges,  klares  Bild  von  dem  Sach- 
stande gibt.  Bewunderungswert  ist  die  Kunst  des  Einordnens 
der  Stoffmassen,  eindrucksvoll  die  Kunst,  mit  der  in  kraft- 
vollen Strichen,  schlicht  und  sicher  die  Eigenart  der  Philo- 
sophen gezeichnet  ist  —  jedem  baut  er  sein  Haus  mit  den 
ihm  zugehörigen  Bausteinen  — ,  wertvoll  sind  die  kurzen 
Charakteristiken  bedeutender  Schriften  aus  der  Literatur.  Kaum 
einen  Namen  vermißt  man.  Nur  Max  Heinze  hat  für  seine 
Leistungen  keinen  Sonderplatz  in  dem  Werke  erhalten.  Er 
wollte  nicht  mehr  sein  als  der  treue  Pfleger  und  der  kritische 
Hüter  der  philosophischen  Überlieferung  und  der  sorgfältige 
und  umsichtige  Bearbeiter  ihrer  Grundbegriffe.  Trendelen- 
bürg  sagt  von  seinen  „Historischen  Beiträgen  zur  Philo- 
sophie:" „Mögen  dieselben  weder  so  historisch  sein,  daß  sie 
unphilosophisch,  noch  so  philosophisch,  daß  sie  unhistorisch 
werden".  Dieses  Wort  hätte  Max  Heinze  auch  auf  seine 
Arbeit  anwenden  können. 

Mit  eben  der  Sorgfalt  und  Gewissenhaftigkeit,  mit  der 
er  sich  jeder  übernommenen  literarischen  Aufgabe  hingab, 
widmete  er  sich  der  Lehrtätigkeit.  Auch  in  seinen  Vorlesungen 
verzichtete  er  auf  alles  Blendwerk  des  Impressionismus.  Sein 
Vortrag  war  sachlich,  eindringend,  stoffreich  und  anschaulich; 
charakteristische  Tatsachen  und  Beispiele  belebten  ihn,  ge- 
legentlich  auch   eine  humoristische   Bemerkung.     Der   Kreis 


Max  Heinze.  229 

der  Vorlesungen  blieb  ein  beschränkter.  In  regelmäßigen  Ab- 
ständen  las  er  Logik  oder  Einführung  in  die  Philosophie, 
um  seine  Hörer  zum  philosophischen  Denken  zu  erziehen  und 
ihnen  Interesse  für  die  GrundproMcmc  des  menschlichen 
Wissens  einzuflößen.  In  die  Logik  bezog  er  die  Krkenntnis- 
lehre  mit  ein.  Dazu  kam  die  Geschichte  der  Philosophie,  die 
er  bisweilen  in  die  Geschichte  der  alten  und  der  neueren 
Philosophie  teilte,  und  die  Psychologie,  der  er  die  Aufgahe 
stellte,  den  Gehalt  aller  seelischen  Erscheinungen  und  aller 
inneren  Erfahrungen  zu  untersuchen.  So  stellte  er  sie  zwi- 
schen die  Physiologie  und  die  Ethik.  Seltener  las  er  über 
Ethik  und  Religionsphilosophie.  In  seinen  Übungen,  die  er 
später  zum  Seminar  ausgestaltete,  behandelte  er  mit  Vorliebe 
Schriften  des  Plato  und  Aristoteles,  auch  Kants,  wobei  er  die 
ethischen  Fragen  bevorzugte  und  zu  begriffsgeschichtlichen 
Untersuchungen  anleitete.  Viele  Dissertationen  sind  aus  diesen 
Übungen  erwachsen,  wie  Heinze  denn  überhaupt,  was  ihm 
viele  seiner  Schüler  dankbar  bezeugen,  ein  Meister  war  in  der 
Auswahl  angemessener  Aufgaben   für  selbständige  Arbeit  der 

Do  O 

Schüler.  Für  seine  Denkweise  ist  es  bezeichnend,  daß  er  die 
ihm  oft  angebotene  Widmung  solcher  von  ihm  angeregten 
und  mit  Interesse  geförderten  Arbeiten  abzulehnen  pflegte. 
Über  sein  Verfahren  im  Seminar  berichtet  Dr.  Grimm,  der 
Mitglied  desselben  gewesen  ist,  in  seinem  warm  empfundenen 
Nachruf  (Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger  Zeitung  Nr.  3 9, 
25.  IX.  1909):  „Immer  wieder  bewies  er,  wie  er  an  der  selt- 
samsten, manchmal  herzlich  schwachen  Anfängerleistung  das 
gute  Körnchen  herauszufinden  wußte,  ermunternd  und  er- 
leuchtend,  während  er  dem  Begabten  und  Geförderten  die 
steileren  Wege  aufwies  und  bahnte,  die  zu  selbständiger  For- 
schung führen." 

Alles  in  allem:  in  dem  weitverzweigten  Lebenswerk  Max 
Heixzes  prägt  sich  ein  Charakterkopf  mit  festen  Zügen  aus, 
eine  Grundanschauung,  die  bestimmt  aber  maßvoll  sich  geltend 
macht,  eine  nie  getrübte  Sachlichkeit,  eine  wohlwollende 
Würdigung  abweichender  Meinungen,  wie  sie  die  Frucht  edler 


230  Georg  Heinrici: 

Menschenkenntnis,  kritischer  Klarheit  und  umfassenden  Wissens 
ist.  Mit  besonderem  Nachdruck  richtet  er  seine  Kraft  auf 
die  Erhaltung  der  Geisteswerte  der  hellenischen  Kultur.  In 
erster  Linie  fesseln  ihn  die  ewigen  Probleme  der  Weltanschau- 
ung. Wie  diese  sich  in  den  Köpfen  der  Denker  regen, 
formen  und  spiegeln,  wie  über  Natur  und  Geist,  Leib  und 
Seele,  über  das  Wesen  der  Sittlichkeit  und  die  Bedingungen 
des  Glücks,  über  das  Wesen  der  Religion  und  ihre  Erschei- 
nungen geurteilt  wird,  dem  geht  er  mit  nie  versagendem 
Scharfsinn  nach,  unterstützt  durch  ein  treues,  zuverlässiges, 
das  Mannigfaltigste  umspannendes  Gedächtnis.  Ohne  ver- 
schleiernde Harmonistik  und  schematisierende  Eintragungen 
weist  er  in  den  Gedankengängen,  die  er  analysiert,  die  Sprünge, 
Brüche  und  Widersprüche  nach,  aber  nicht  aus  Lust  an  der 
Skepsis,  sondern  um  den  Tatbestand  sicher  zu  stellen.  Alle 
seine  Untersuchungen  kommen  daher  zu  einem  positiven  Er- 
gebnis; denn  er  hat  ein  scharfes  Auge  nicht  nur  für  Schwä- 
chen und  Einseitigkeiten,  sondern  auch  für  das  Probehaltige, 
das  Wertvolle,  das  Förderliche,  und  unterläßt  es  nie,  seine 
eigene  Ansicht  unzweideutig  auszusprechen.  Bewunderungs- 
wert ist  seine  Kunst  des  Abwägens,  wobei  er  mit  sicheren, 
bewußt  den  geschichtlichen  Bedingungen  entnommenen  Maß- 
stäben arbeitet.  Nur  ein  Beispiel,  seine  Würdigung  Nicolais 
und  der  Aufklärung  (Grundriß  III,  10.  Aufl.,  S.  242).  „Sie  hat 
so  lange  wohltätig  gewirkt,  als  noch  vor  allem  die  Reinigung 
des  Geistes  von  dem  Schmutze  des  Aberglaubens  und  die  Be- 
freiung von  Vorurteilen  nottat,  unzulänglich  aber,  seitdem  der 
Sieg  über  die  traditionelle  Unvernunft  im  wesentlichen  bereits 
errungen  war  und  die  positive  Erfüllung  des  Geistes  mit 
edlem  Gehalt  zur  Hauptaufgabe  ward.  Die  Männer,  welche 
an  dieser  Aufgabe  arbeiteten  (Goethe,  Schiller),  haben  gegen 
die  Angriffe,  die  er  wider  sie  richtete,  in  einer  Weise  reagiert, 
mit  der  das  historische  Urteil  über  Nicolai  sich  ebensowenig 
identifizieren  darf,  wie  etwa  das  historische  Urteil  über  die 
griechischen  Sophisten  mit  der  sokratisch-platonischen  Polemik." 
Für  Heinzes  eigene  Überzeugungen  aber  ist  seine  BeMorrede 


Max  Bbinze.  231 

wohl  das  wichtigste  Dokument.  Sie  handelt  „Über  den  sitt- 
lichen Wert  der  Wissenschaft".  Er  kommt  zu  folffenden 
Thesen  auf  Grund  geschichtlicher  Darlegung:  Die  Sittlichkeit 
ist  an  das  Wissen  gebunden;  denn  zum  sittlichen  Charakter 
gehört  Konsequenz,  und  Konsequenz  erfordert  Grundsätze 
Wissen  jedoch  ist  nicht  gleich  Sittlichkeit,  diese  wird  viel- 
mehr durch  den  Willen  zur  Wahrheit  erworben.  Die  rück- 
sichtslose Liebe  zur  Wahrheit  schafft  die  innere  Freiheit 
deren  Anerkennung  Luther  durchgesetzt  hat.  „Die  Freiheit 
der  Wissenschaft,  das  Recht  der  unbehinderten  Forschung 
ergibt  sich  aus  der  evangelischen  Lehre  von  der  Freiheit  des 
Christenmenschen,  der  zwar  an  Gottes  Wort  gebunden,  aber 
von  anderen  Rücksichten  frei  ist."  In  welchem  Sinne  Hkinzk 
dies  ausspricht,  erhellt  aus  seiner  Kritik  des  Evolutionismus: 
„Man  bedarf,  um  die  Welt  zu  begreifen,  eines  Festen,  Bleiben- 
den, nicht  Werdenden,  das  gedacht  werden  muß,  aber  nicht 
widerspruchslos  begrifflich  gefaßt,  nicht  sicher,  nicht  allseitig 
bestimmt  werden  kann."  Und  wie  er  hier  die  Grenzen  des 
Erkennbaren  markiert,  so  schätzt  er  auch  die  eigene  Arbeit 
ein.  Am  Schlüsse  des  Vorworts  zur  Geschichte  des  Logos 
sagt  er:  „Mancher  würde  aus  dem  von  uns  benutzten  Material 
häufig  bestimmtere  Schlüsse  gezogen  haben.  Meiner  In- 
dividualität ist  es  entsprechender,  da  nur  von  Wahrscheinlich- 
keiten zu  reden,  wo  nicht  jeder  Zweifel  beseitigt  scheint." 

Wie  sich  diese  Gesinnung  im  Leben  bewährt  hat,  das 
bezeugt  der  weite  Kreis  der  Freunde  und  der  Schüler,  die  ihm 
näher  getreten  sind.  Wer  freute  sich  nicht  an  ihm,  wenn  er 
schnellen  Schritts  sinnend,  wie  nach  innen  gewandt,  daher- 
ging und  dann  seine  Züge  bei  der  Begegnung  sich  auf- 
schlössen und  die  Augen,  die  so  ernst  unter  der  breit  sich 
auslegenden  Stirn  ausschauen  konnten,  freundlich,  ja  schalk- 
haft aufblitzten,  als  wollten  sie  sagen:  „Wer  das  Tiefste  ge- 
dacht, liebt  das  Lebendigste"?  Ja  das  tat  er,  darum  holte  er 
auch  gerne  im  Freundeskreise  aus  dem  nie  erschöpften  Schatz 
seines  Gedächtnisses  viele  charakteristische  Geschichten  hervor 
und  würzte  damit  die  Geselligkeit.    Und  wie  konnte  er  dann 


2 32  Georg  Heinrici: 

so  hell  und  fröhlich  lachen.  An  einem  treffenden  Worte 
fehlte  es  ihm  nie.  Auch  hatte  er  den  Mut,  offen  und  ehrlich, 
wenn  es  sein  mußte,  unangenehme  Wahrheiten  zu  sagen.  Ver- 
band er  doch  männliche  Offenheit  und  Zartheit  der  Empfin- 
dung in  seltener  Eintracht.  Als  einmal  ein  alter  Schüler,  der 
sich  zu  einem  der  modernen  ßeligionsstifter  entwickelt  hatte, 
zu  ihm  kam,  um  ihm  seine  neuen  Offenbarungen  mitzuteilen, 
sagte  er  ihm,  nachdem  er  ihm  geduldig  zugehört  hatte:  „Das 
ist  alles  ganz  schön.  Aber  nun  müssen  Sie  noch  hingehen 
und  sich  kreuzigen  lassen."  Und  wie  zutreffend  bemerkt  er 
bei  der  Schilderung  einer  kleinen  Verstimmung  zwischen 
Herbart  und  Drobisch:  „Wie  es  so  zu  geschehen  pflegt,  daß 
von  Seiten  der  Gründer  wissenschaftlicher  Richtungen  im 
Prinzip  jede  Abweichung  den  Anhängern  frei  stehen  soll, 
kommt  aber  eine  solche  faktisch  vor,  sie  übel  vermerkt  wird." 
Typisch  für  seine  Sinnesart  ist  sein  Verhältnis  zu  Friedrich 
Nietzsche,  dessen  Lebensgang  er  von  der  Schulzeit  in  Pforta 
ab  teilnehmend,  ja  liebevoll  verfolgt,  und  für  den  er  als  Gegen- 
vormund in  der  Leidenszeit  mitgesorgt  hat,  wie  er  denn  auch 
an  seinem  Grabe  ihm  ein  have  pia  anima  nachrief.  Als  er 
dann  von  der  Leichenfeier  heimkehrte,  verbrannte  er  die  von 
Nietzsche  an  ihn  gerichteten  Briefe.  Er  meinte  der  Nach- 
welt den  Einblick  in  die  zerrissene  Seele  ersparen  zu  sollen. 
Es  ist  gewiß  merkwürdig:  Unter  allen,  denen  Nietzsche  sich 
erschloß,  ist  JIeinze  der  einzige,  den  er  mit  gleichmäßigem 
Vertrauen  behandelt  und  mit  dem  er  niemals  gebrochen  hat. 
In  seinen  Briefen  registriert  er  alle  Begegnungen  mit  ihm. 
Den  neuen  Lehrer  in  Pforta  erwartet  er  ungeduldig  und  freut 
sich  dann,  von  ihm  eingeladen  zu  sein.  Den  Kollegen  Heinze 
in  Basel  nennt  er  „einen  guten,  tüchtigen,  rücksichtsvollen 
Menschen"  und  erwähnt  dessen  Antrittsvorlesung  über  „mecha- 
nische und  teleologische  Weltanschauung".  Von  Heinze  in 
Leipzig  schreibt  er  (an  Gast  17.  IV.  1884):  „Er  ist  bei  weitem 
mein  bester  Fürsprecher  in  Universitätskreisen:  er  fällt  damit 
auf  und  setzt  sich  dem  Argwohn  aus.  Ich  habe  ihn  gern; 
er  ist  eine    sehr  reinliche,    wohlmeinende   und    gerade  Art." 


Max  Hkinze.  231 

Nietzsche  hatte,  nachdem  er  die  Professur  in  Basel  nieder- 
gelegt, die  Absicht,  in  Leipzig  Vorlesungen  zu  halten  l!i:i\xi 
riet  es  ihm  offen  und  ernst  ab.  Als  dann  Nietzsche  sellist 
nach  Leipzig  kommt,  berichtet  er  von  seiner  Begegnung  mit 
Heinze:  „Ich  habe  mit  ihm  im  Rosental  saure  Milch  v>  r 
zuckert  und  verzimmtet  gegessen,  realiter  und  symbolice" 
(2.  IX.  1886).  Das  „verzuckert  und  verzimmtet"  bezieht  sich 
wohl  auch  auf  Heinzes  Frage:  „Warum  reden  Sie  im  Zara- 
thustra  im  biblischen  Prophetenton,  da  Sie  doch  ein  solcher 
Bibelfeind  geworden  sind?"  Nietzsche  antwortet:  „Das  hängt 
mir  von  meinem  Elternhause  her  an  und  ist  auch  so  ein- 
drucksvoll." 

In  der  Tat  ist  es  ein  einzigartiges  Verhältnis  zweier 
durchaus  konträrer  Charaktere.  Heinzes  Zurückhaltung  und 
wohlwollendes  Anerkennen,  Nietzsches  leidenschaftliches  Vor- 
wärtsstürmen; Heinzes  Stetigkeit  und  Geschlossenheit,  Nietz- 
sches in  den  widersprechendsten  Peripetien  phosphoreszierende 
Gedankensprünge;  Heinzes  aufgeschlossene  Gleichmäßigkeit, 
Nietzsches  Mißtrauen  und  Reizbarkeit;  Nietzsches  sprühender 
Haß  gegen  alle  Ideen,  die  seinen  Idealen  widerstanden,  Heinzes 
liebevolles  Aufspüren  alles  Wahl  verwandten.  Aber  Heinz  i: 
ließ  nicht  von  Nietzsche.  Er  verstand  seine  Größe  ebenso 
wie  seine  Schranken  und  seine  Seelennot.  In  der  meister- 
haften Charakteristik,  die  er  im  „Grundriß"  den  philosophi- 
schen Bestrebungen  Nietzsches  widmet,  sagt  er  unter  anderem : 
„Seine  Philosophie  war  Erlebnis."  „Seine  Schriften  sind  B< 
kenntnisse."  Leiden  und  Einsamkeit  und  Überschuß  an  ein- 
seitiger Kraft,  die  sich  von  sich  selbst  befreien  wollte,  be- 
lasten ihn,  Schmerzen  und  Kämpfe  verlangte  seine  Natur. 
Seine  Aphorismen  sind  elektrischen  Entladungen  vergleichbar. 
„Für  ihn  gibt  es  keine  Wahrheit  außer  ihm,  keine  in  ihm. 
Er  sagt:  Nichts  ist  wahr.  Aber  wertvoll  bleibt  trotz  alledem, 
abgesehen  von  allem  Geistvollen  und  Schönen  im  einzelnen, 
das  Betonen  des  Rechts  der  kraftvollen,  willensstarken,  selb- 
ständigen und  freien  Persönlichkeit  gegenüber  der  jetzt  so 
beliebten  Gleichmacherei." 


234  Georg  Heinrici:  Max  Heinze. 

Heinze  hat  keine  Schule  gegründet  —  das  lag  seinem 
Wesen  und  seinen  Absichten  fern  — ,  aber  er  hat  Generationen 
von  dankbaren  Schülern  an  sich  gekettet,  die  es  im  Verkehr 
mit  ihm  erfahren  haben,  daß  er  einen  eigenen  besonderen 
Ton  für  jeden  hatte  und  jeden  in  seiner  Eigenart  würdigte. 
Ein  Denkmal  dieser  Tatsache  ist  die  Festschrift,  die  ihm  zum 
siebzigsten  Geburtstage  von  Freunden  und  Schülern  gewidmet 
worden  ist  (Philosophische  Abhandlungen,  Berlin  1906).  Es 
heißt  in  ihrem  Vorwort:  „Ihre  Freunde  und  Schüler  erinnern 
sich  gerne,  was  ihnen  an  Sympathie,  Wohlwollen,  an  wissen- 
schaftlicher Anregung  und  Belehrung  von  Ihnen  zuteil  ge- 
worden. Es  sind  ihrer  sehr  viele,  da  Sie  nicht  müde  wurden, 
zu  raten,  zu  helfen,  zu  fördern,  zu  erfreuen.  Wir,  die  wenigen, 
haben  uns  vereinigt,  um  Ihnen  eine  geistige  Gabe  dar- 
zubringen als  äußeres  Zeichen  unseres  Dankes  für  das,  was 
wir  von  Ihnen  empfangen  haben  .  .  .  und  wir  machen  uns  zu- 
gleich zu  Sprechern  jener  vielen."  Und  gewiß,  in  Vergegen- 
wärtigung  dessen  was  er  unserer  Stadt,  unserer  Universität, 
und  unserer  Gesellschaft  gewesen  ist,  dürfen  auch  wir  in 
gleicher  Dankbarkeit  Max  Heinzes  gedenken. 


Druckfertig  erklärt  iS.  XII.  1909.] 


Protektor  der  Königlich  Sächsischen  Gesellschaft  der 

Wissenschaften 

SEINE  MAJESTÄT  DER  KÖNIG. 


Ehrenmitglied. 

Seine  Exzellenz  der  Staatsminister  a.  D. 
Dr.  Kurt  Damm  Paul  v.  Seydewitz. 


Ordentliche  einheimische  Mitglieder  der  philologisch- 
historischen Klasse. 

Geheimer  Rat   Ernst  Windisch    in   Leipzig,    Sekretär   der   philol.- 

histor.  Klasse  bis  Ende  des  Jahres   igio. 
Geheimer    Rat    Hermann    Lipsius    in    Leipzig,    stellvertretender 

Sekretär  der  philol.-histor.  Klasse  bis  Ende  des  Jahres  1910. 
Geheimer  Hofrat  Erich  Bethe  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Adolf  Birch-Hirschfeld  in  Leipzig. 
Professor  Erich  Brandenburg  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Friedrich  Karl  Brugmavm  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Karl  Bücher  in  Leipzig. 
Professor  Berthold  Delbrück  in  Jena. 
Professor  August  Fischer  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Georg  Götz  in  Jena. 
Geheimer  Rat  Albert  Hauch  in  Leipzig. 
Geheimer  Kirchenrat  Georg  Heinrici  in  Leipzig. 
Professor  Bichard  Heime  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Rudolf  Hirzel  in  Jena. 
Geheimer  Hofrat  Albert  Köster  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Karl  Lamprecht  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  August  LesMen  in  Leipzig. 
Studienrat  Bichard  Meister  in  Leipzig. 

iqio.  a 


II  Mitglieder-Verzeichnis. 

Geheimer  Rat  Ludwig  Mitteis  in  Leipzig. 
Professor  Eugen  Mogk  in  Leipzig. 
Geheimer  Regierungsrat  Joseph  Partscli  in  Leipzig. 
Geheimer  Oherschulrat  Hermann  Peter  in  Meißen. 
Geheimer  Hofrat    Wilhelm  Poscher  in  Dresden. 
Geheimer  Hofrat  August  Schmarsow  in  Leipzig. 
Hofrat  Theodor  Schreiber  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Gerhard  Seeliger  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Eduard  Sievers  in  Leipzig. 
Geheimer  Rat  Rudolph  Sohm  in  Leipzig. 
Professor  Georg  Steindorff  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat    Wilhelm  Stieda  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Franz  Studniczha  in  Leipzig. 
Professor  Hans  Stumme  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Georg  Treu  in  Dresden. 
Professor   Ulrich    Wilcken  in  Leipzig. 
Professor  Heinrich  Zimmern  in  Leipzig. 


Frühere  ordentliche  einheimische,  gegenwärtig  auswärtige 
Mitglieder  der  philologisch-historischen  Klasse. 

Geheimer  Hofrat  Lujo  Brentano  in  München. 
Geheimer  Regierungsrat  Friedrich  Delitzsch  in  Berlin. 
Geheimer  Hofrat  Friedrich  Kluge  in  Freiburg  i.  B. 
Geheimer  Hofrat  Friedrich  Marx  in  Bonn. 
Geheimer  Hofrat  Erich  Marcks  in  Hamburg. 


Ordentliche  einheimische  Mitglieder  der  mathematisch- 
physischen  Klasse. 

Geheimer  Rat  Karl  Chun  in  Leipzig,   Sekretär  der  mathem.-phys. 

Klasse  bis  Ende  des  Jahres  1 9 1 1 . 
Geheimer  Hofrat  Otto  Holder  in  Leipzig,  stellvertretender  Sekretär 

der  mathem.-phys.  Klasse  bis  Ende  des  Jahres  1 9 1 1 . 
Geheimer  Hofrat  Ernst  Beckmann  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat   Wilhelm  Biedermann  in  Jena. 
Geheimer  Medizinalrat  Rudolf  Böhm  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Heinrich  Bruns  in  Leipzig. 


M  ITGLIEDEK  -VERZEICHNIS.  \U 

Geheimer  Rat  Hermann  Credner  in  Leipzig. 
Professor  Theodor  Des  Coudres  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Oskar  Drude  in  Dresden. 
Dr.  Wilhelm  Feddersen  in  Leipzig. 
Professor  Otto  Fischer  in  Leipzig. 
Geheimer  Rat  Paul  Flechsig  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat    Wilhelm  Hallwachs  in  Dresden. 
Geheimer  Hofrat  Arthur  Hantzsch  in  Leipzig. 
Geheimer  Rat  Walter  Hempel  in  Dresden. 
Geheimer  Rat  Ewald  Hering  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Ludwig  Knorr  in  Jena. 
Geheimer  Hofrat  Martin  Krause  in  Dresden. 
Professor  Max  Le  Blanc  in  Leipzig. 
Professor  Robert  1  Alther  in  Dresden. 
Geheimer  Medizinalrat  Felix  Marchand  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Ernst  von  Meyer  in  Dresden. 
Geheimer  Rat  Carl  Neumann  in  Leipzig. 
Wirklicher  Staatsrat  Arthur  v.  Oettingen  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat    Wilhelm   Ostwald  in  Groß-Bothen. 
Geheimer  Rat   Wilhelm  Pfeffer  in  Leipzig. 
Geheimer  Medizinalrat  Karl  Bäbl  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Karl  Hohn  in  Leipzig. 
Professor  Ernst  Stahl  in  Jena. 
Geheimer  Hofrat  Johannes  TJiomae  in  Jena. 
Geheimer  Hofrat  August  Tbpler  in  Dresden. 
Geheimer  Hofrat   Otto    Wiener  in  Leipzig. 
Geheimer  Rat    Wilhelm  Wundt  in  Leipzig. 


Außerordentliche  Mitglieder  der  mathematisch-physischen 

Klasse. 

Professor  Johannes  Felix  in  Leipzig. 

Professor  Felix  Hausdorff  in  Leipzig. 

Professor  Hans  Held  in  Leipzig. 

Professor  Heinrich  Liebmann  in  Leipzig. 

Professor  Max  Siegfried  in  Leipzig. 

Professor  Hans  Stohbe  in  Leipzig. 


IV  Mitglieder -Verzeichnis. 

Frühere  ordentliche  einheimische,  gegenwärtig  auswärtige 
Mitglieder  der  mathematisch-physischen  Klasse. 

Professor  Friedrich  Engel  in  Greifswald. 
Geheimer  Regierungsrat  Felix  Klein  in  Göttingen. 
Geheimer  Rat  Ferdinand  Zirkel  in  Bonn. 


Archivar : 
Ernst  Robert  Abendroth  in  Leipzig. 


Verstorbene  Mitglieder. 

Ehrenmitglieder. 

Falkenstein,  Johann  Paul  von,   1882. 

Gerber,  Carl  Friedrich  von,   18  91. 

Wieter sheim,  Karl  August   Wilhelm  Eduard  von,   1865. 

Philologisch-historische  Klasse. 

Albrecht,  Eduard,   1876.  Gebhardt,  Oscar  von,   1906. 

Ammon,  Christoph  Friedrich  von,  Geizer,  Heinrich,   1906. 

1850.  Gersdorf,   Ernst  Gotthelf,    1874. 

Becker,    Wilhelm  Adolf,   1846.  Göttling,  Carl,   1869. 

Berger,  Hugo,  1904.  Gutschmid,  Hennann  Alfred  von, 
Böhtlingk,  Otto,   1904.  1887. 

Brockhaus,  Hermann,   1877.  Hänel,  Gustav,   1878. 

Bursian,  Conrad,   1883.  Hand.  Ferdinand,   1851. 

Curtius,  Georg,    1885.  Hartenstein,  Gustav,    1890. 

Hroysen,  Johann  Gustav,    1884.  Hasse,   Friedrich   Christian  Au- 
Ebers,  Georg,   1898.  gust,   1848. 

Ebert,  Adolf,   1890.  Haupt,  Moritz,   1874. 

Fleckeisen,  Alfred,   1899.  Heinze,  Max,   1909. 

Fleischer,  Heinr.  Leberecht,  1888.  Hermann.  Gottfried,   1848. 

Flügel,  Gustav,   1870.  Hultsch,  Friedrich,   1906. 

Franke,  Friedrich,   187 1.  Jacobs.  Friedrich.   1847. 

Gabelentz,  Hans  Conon  von  der,  Jahn,  Otto,   1869. 

1874.  Janitschek,  Hubert.   1893. 

Gabelentz,     Hans    Georg    Conon  Köhler.  Beinhold,   1892. 

w«  der,   1893.  £reM,  Ludolf,   1901. 


Mitglieder  -Verzeichnis. 


Lange,  Ludwig,   1885. 
Marquardt.  Carl  Joachim,  1882. 
Maurenbrecher,    Wilhelm,    1892. 
Miaskowski,   August  von,   1899. 
Mich  eisen,    Andreas    Ludwig 

Jacob,   1881. 
Mommsen,  Theodor,   1903. 
Ntpperdey,  Carl,   1875. 
Noorden,  Carl  von,   1883. 
Overbeck,  Johannes  Adolf.    1895. 
Pertsch,    Wilhelm,   1899. 
Peschel,  Oscar  Ferdinand.    1875. 
Preller,  Ludwig.   1861. 
Batsei,  Friedrich,   1904. 
EibbecJc.  Otto.   1898. 
Ritschi,  Friedrich  Wilhelm.  1876. 
Rohde.  Ericin.    1898. 
Boscher,    Wilhelm.    1 894. 
7?m/7<?,  Sophus.   1903. 


Sauppe,  Hermann,   1893. 
Schleicher,  August,   1868. 
Schröder,  "Eberhard,  1908. 
Seidler,  August,    18,51. 
Seyffarfh,  (instar.   1885. 
Soo'w,  Albert,    1899. 
Springer.   Anton.    1891. 
/SYar/c,  CW  Bernhard,   1879. 
Sfofc&e,  Johann  Ernst  Otto,  1887. 
YV//.  Friedrich,    1867. 
0:er/ .   frw <//•/>//  yl wgws/ .    1 85 1 . 
Foi(//.   Georg,    1891. 
I'o/r/f,  Moritz.    1905. 
Wachsmuth,  Gurt,   1905. 
Wachsmuth.    Wilhelm,   1866. 
Wä'ldrr,  Carl  Georg  von,  1880. 
TFiesfenwaww,  Anton.    1869. 
Wttf/cer,  Bichard  Paul,   19 10. 
Zarncke,  Friedrich,   1891. 


Mathematisch-physische  Klasse. 


J.b&e,  Ernst,   1905. 
d' Arrest,  Heinrich,    1875. 
Boltzcr.  Heinrich  Bichard,  1887. 
Bezold,  Ludwig  Albert   Wilhelm 

von,   1868. 
Braune,  Christian  Wilhelm,  1892. 
Bruhns,   Carl,    1881. 
Carus,  Carl  Gustav,   1869. 
Carus,  Julius  Victor,   1903. 
Cohnheim,  Jidius,    1884. 
Döbereiner,  Johann   Wolfgang, 

1849. 
Drobisch,  Moritz  Wilhelm,  1896. 
Erdmann,  Otto  Linnc,   1869. 
Fechner,  Gustav  Theodor,    1887. 
Funke,  Otto,   1879. 
Gegcnbaur,  Carl,    1903. 
Gemitz,  Hans  Bruno,   1900. 


Hankel,    Wilhelm  Gottlieb,   1899. 

Hansen,  Peter  Andreas,   1874. 

Harnack.  Axel,    1888. 

ifis,   Wilhelm,   1904. 

Hofmeister,    Wilhelm,   1877. 

Huschke,  Emil,   1858. 

Knop,    Johann   August    Ludwig 

Wilhelm,   1891. 
Kolbc,  Hermann,   1884. 
Krüger.  Aäalbert,   1896. 
Kunze,  Gustav,   1 85 1 . 
Lehmann,    Carl  Gotthelf,    1863. 

fcartf,  Rudolph,   1898. 
i/e,  Sophus,   1899. 

/..'<<.  /;-  rnhard  August  von, 

1854. 
Ludwig    Carl,   1895. 
Marchand,  Bichard  Felix,   1850. 


VI 


Mitglieder -Verzeichnis. 


Mayer,  Adolf,  1908. 
Mettenius,  Georg,    1866. 
Möbius,  August  Ferdinand,  1868. 
Müller,  Wilhelm,   1909. 
Naumann,  Carl  Friedrich,  1873. 
Pöppig,  Eduard,   1868. 
Reich,  Ferdinand,   1882. 
Richthofen,  Ferdinand  v.,   1905. 
Scheerer,  TJieodor,   1875. 
Scheibner,   Wilhelm.   1908. 
Schenk,  August,   1891. 
Schieiden,  Matthias  Jacob,  1881. 
Schlömilch,  Oscar,   1901. 
Schmitt,  Rudolf   Wilhelm,   1898. 
Schwägrichen ,    Christian    Fried- 
rich,  1853. 


Seebeck,  Ludwig  Friedrich  Wil- 
helm August,   1849. 

Stern,  Samuel  Friedrich  Natha- 
nael  von,   1885. 

Stohmann,  Friedrich,   1897. 

Volkmann.  Alfred  Wilhelm,  1877. 

W?&er,  Eduard  Friedrich,  1 8  7 1 . 

Weber,  Ernst  Heinrich,   1878. 

Weber,   Wilhelm,   1 8 9 1 . 

Wiedemann,  Gustav,   1899. 

Winkler,  Clemens,   1904. 

Wislicenus,  Johannes,   1902. 

Zeuner,  Gustav  Anton,    1907. 

Zöllner,  Johann  Carl  Friedrich, 
1882. 


Leipzig,  am  31.  Dezember  1909. 


VII 


Verzeichnis 

der  bei  der  Königl.  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften im  Jahre   1909  eingegangenen  Schriften. 


1.  Von  gelehrten  Gesellschaften,  Universitäten  und  öffentlichen 
Behörden  herausgegebene  und  periodische  Schriften. 

Deutschland. 

Abhandlungen  der  Königl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Aus  d.  J.  1908.     Berlin  d  J. 

Sitzungsberichte  der  Königl.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch.  zu  Berlin. 
1908,  No.  40 — 53.     1909,  No.  1 — 39.     ebd. 

Politische   Korrespondenz  Friedrichs   des  Großen.     Bd.   33.     ebd.  1909. 

Kekule  von  Stradowitz,  Bronzestatuette  eines  kämpfenden  Galliers  in 
den  Kgl.  Museen.  69.  Programm  zum  Winckelniannsfeste  der  archäo- 
logischen Gesellschaft  zu  Berlin,     ebd.  1909. 

Kaiserl.  deutsches  archäolog.  Institut.  Die  antiken  Vasen  von  der  Akro- 
polis  zu  Athen.  Unter  Mitwirkung  von  P.  Hartwig,  P.  Wolters 
und  B.  Zahn  veröffentl.  von  Botho  Graf.  H.  1.  Text  u.  Tafeln, 
ebd.  1909. 

Berichte  der  deutschen  chemischen  Gesellschaft  zu  Berlin.  Jahrg.  41, 
No.   19.     Jahrg.  42,  No.  1  — 16.     Berlin   1908.  09. 

Die  Fortschritte  der  Physik  im  J.  1908.  Dargestellt  von  der  Physi- 
kalischen Gesellschaft  zu  Berlin.  Jahrg.  64.  Abt.  1 — 3.  Braun- 
schweig 1909. 

Verhandlungen  der  deutschen  physikalischen  Gesellschaft.  Jahrg.  10, 
No.  22 — 24.    Jahrg.  11,  No.  1 — 22.     Berlin  1908.  09. 

Centralblatt  für  Physiologie.  Unter  Mitwirkung  der  Physiologischen 
Gesellschaft  zu  Berlin  herausgegeben.  Bd.  22  (Jahrg.  1908), 
No.  19 — 26a.  Bd.  23  1  Jahrg.  1909),  No.  1  — 18.  —  Bibliographia 
physiologica.  Ser.  III.  Bd.  4.  No.  2 — 4.     ebd.  1908.  09. 

Abhandlungen  der  Kgl.  Preuß.  geolog.  Landesanstalt  N.,  F.   H.  53.  - 
Potonie,   H.,   Abbildungen   und    Beschreibungen   fossiler  Pflanzen- 
reste der  paläozoischen   und    mesozoischen  Formationen.     Lief.  6. 
ebd.  1908.  09. 

Jahrbuch  der  Kgl.  Preuß.  geolog.  Landesanstalt  und  Bergakademie  für 

das  Jahr  1905.     Bd.  26.     ebd.  1908. 
Die  Tätigkeit  der  Physikalisch-Technischen  Reichsanstalt  im  Jahre  1908. 

S.-A.     ebd. 


VTEI  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Borrmann,  R.,  Die  Bauschule  von  Berlin.  Rede  in  der  Halle  der  Kgl.  Tech- 
nischen Hochschule,     ebd.  1909. 

Bonner  Jahrbücher.  Jahrbücher  des  Vereins  von  Altertumsfreunden  im 
Rheinlande.     H.  117,  HI.  IV.     Bonn  1908.  09. 

Sechsundachtzigster  Jahresbericht  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vater- 
ländische Kultur.     1908.    Breslau  1909. 

Deutsches  meteorologisches  Jahrbuch  für  1904.U.  1905.  Königreich  Sachsen. 
Dresden  1909. 

Dekaden-Monatsberichte  der  Kgl.  Sachs.  Landes-Wetterwarte.  Jahrg.  1 1 
(1908).     ebd.  1909. 

Zeitschrift  des  k.  sächsischen  statistischen  Bureaus  Jahrg.  54,  No.  2. 
ebd.   1909. 

Jahresbericht  der  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  in  Dresden. 
Sitzungsber.  1908/09.    München  1909. 

Sitzungsberichte  und  Abhandlungen  der  naturwissenschaftlichen  Gesell- 
schaft Isis  in  Dresden.  Jahrg.  1908,  Jul. — Dez.  1909,  Jan. — Juni. 
Dresden  d.  J. 

Verzeichnis  der  Vorlesungen  und  Übungen  an  der  Kgl.  Sachs.  Tech- 
nischen Hochschule  f.  d.  Sommersem.  1909  u.  Wintersem.  1909/10.  — 
Bericht  über  die  Kgl.  Sachs.  Technische  Hochschule  1907/08  u.  1908/09. 
ebd.  1908.  09. 

Mitteilungen  der  Pollichia,  eines  naturwissenschaftlichen  Vereins  der 
Rheinpfalz.     No.  24,  Jahrg.  65.     Dürkheim  a.  d.  H.  1908. 

Jahrbuch  des  Düsseldorfer  Geschichtsvereins.  Bd.  2  2.  —  Heyderhoff,  Jul., 
Johann  Friedrich  Benzenberg,  der  erste  Rheinische  Liberale.  Vereins- 
geschenk des  Düsseldorfer  Geschichtsvereins.     Düsseldorf  1909. 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  und  Altertumskunde  von 
Erfurt.     H.  29.     Erfurt  1908. 

Sitzungsberichte  der  physikalisch-medizinischen  Sozietät  in  Erlangen. 
H.  39.  40.  —  Festschrift  der  phys.-med.  Sozietät  zur  Feier  ihres 
100-jährig.  Bestehens.     Erlangen  1908.  09. 

Abhandlungen  hrg.  von  der  Senckenbergischen  naturforschenden  Gesell- 
schaft.    Bd.  30,4.     Frankfurt  a.  M.   1909. 

Bericht  über  die  Senckenbergische  naturforschende  Gesellschaft.     1909. 

Jahresbericht  des  physikalischen  Vereins  zu  Frankfurt  a.  M.  für  d. 
Rechnungsjahr  1907/08.  Ebd.  1909.  —  Der  Neubau  des  physikalischen 
Vereins  und  seine  Eröffnungsfeier  am  n.  Jan.   1908. 

Programm  der  Kgl.  Sachs.  Bergakademie  zu  Freiberg  f.  d.  J.  1909/10. 
Freiberg  1909. 

Jahrbuch  für  das  Berg-  und  Hüttenwesen  imKönigr.  Sachsen  auf  d.  J.  1909. 
ebd.  1909. 

Verzeichnis  der  Vorlesungen  auf  der  Großherzogl.  Hessischen  Ludwigs- 
Univers.  zu  Gießen.  Sommer  1909,  Winter  1 909/1  o;  Personal- 
bestand. Winter  1908/09.  Sommer  1909.  —  Verzeichnis  der  laufenden 
Zeitschriften  der  Universitätsbibliothek.  Studienpläne,  Satzungen 
usw.  —  Eck,  Sam.,  Über  die  Herkunft  des  Individualitätsgedankens 
bei  Schleiermacher  (Progr.).  —  Leist,  Alex.,  Kann  die  zivilistische 
Rechtswissenschaft  dem  Staate  nützen?  (Akad.  Rede).  —  176  Disser- 
tationen a.  d.  J.   1908/09. 


Verzeichnis  der  eingegangenen  Schbtj  m  •.  IX 

Bericht  der  Oberrheinischen  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde. 
N.  F.  mediz.  Abt.     Bd.  3.  4.     Naturw.  Abt.     Bd.  2.     (8.-A.)     1908. 

NeuesLausitzischesMagazin  Bd. 84. 85.  Görlitz  1908.09.  —  Döhlcr.  I\'i<  h  , 
Geschii  hte  der  Rittergüter  und  Dörfer  Lomnitz  und  Bohra.  o.  J.  — 
Scheibe,  Werner,  Die  baugeschichtliche  Entwickelung  von  Kamen/, 
Görlitz  1909.  —  Streitz,  Wilh.,  Friedrich  von  Uechtritz  als  drama- 
tischer Dichter,     ebd.  1909. 

Abhandlungen  der  Königl. Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  G  ö  1 1  i  n  g  e  n. 
N.  F.  Philologisch-historische  Klasse.  Bd.  11.  No.  2 — 5.  Math.- 
phys.  Klasse.     Bd.  6.  No.  4.     Bd.  7.  No.  3.     Berlin  1908.  09. 

Nachrichten    von    der    Königl.    Gesellschaft    der    Wissenschaften    zu 
Göttingen.     Math.-phys.  Kl.   1908,  No.  4.    1909,  No.  1.2.    I'hilol.- 
hist.  Kl.    1909,  No.  2.  3.  —  Geschäftliche  Mitteilungen     1909,  11    1 
Göttingen  d.  J. 

Jahresbericht  der  Fürsten-  und  Landesschule  zu  Grimma  über  d. 
Schuljahr  1908/09.     Grimma  1909. 

Nova  Acta  Academiae  Caes.  Leopoldino-Carol.  Germanicae  naturae 
curiosorum.    T.  88.  89.     Halis  1908. 

Leopoldina.  Amtl.  Org.  d.  Kais.  Leopoldinisch-Carolinisch  deutschen 
Akad.  der  Naturforscher.  H.  44,  No.  12.  H.  45,  No.  1  —  n. 
Halle  1908.  09. 

Zeitschrift  für  Naturwissenschaften.  Organ  des  naturwiss.  Vereins  für 
Sachsen  und  Thüringen  (in  Halle).  Bd.  80.  H.  3 — 6.  Bd.  81. 
H.   1 — 4.     Stuttgart  1908.  09. 

Mitteilungen  der  mathematischen  Gesellschaft  in  Hamburg.  Bd.  4. 
H.  9.     Leipzig  1909. 

Jahresbericht  der  Hamburger  Sternwarte  für  d.  J.  1907.  08.  —  Astro- 
nomische Abhandlungen  der  Hamburger  Sternwarte.  Bd.  1.  Ham- 
burg 1909. 

Neue  Heidelberger  Jahrbücher.  Hrg.  vom  hist.-philos.  Verein  zu 
Heidelberg.     Jg.  16.     Heidelberg  1909. 

Publikationen  des  astrophysikalischen  Instituts  Königstuhl-Heidelberg. 
Bd.  3,  No.  1 — 4.     Karlsruhe  0.  J. 

Mitteilungen  der  Großherzoglichen  Sternwarte  zu  Heidelberg.  13 — 18. 
—  Veröffentlichungen.     Bd.  5.     Leipzig  und  Karlsruhe  1909. 

Verhandlungen  des  naturhist.-medizin.  Vereins  zu  Heidelberg.  N.  F. 
Bd.  8,  H.  5.    Bd.  9.  10.  H.  1.2.     Heidelberg  1908.  09. 

Fridericiana.  Großherz.  Badische  Technische  Hochschule  zu  Karlsruhe. 
Programm  für  1909  10.  —  Festschrift  zur  Feier  des  52.  Geburt-' 
des  Großherzogs  Friedrich  H.  —  Ferdinand  lledtenbacher.  Bericht 
über  die  Feier  seines  100.  Geburtstags.  —  Kratzer,  A.,  Zur  Ge- 
schichte des  Umkehrungsproblems  der  Integrale  Rede).  Karlsruhe  1 909. 
29  Dissertationen  a.  d.  J.   1908.  09. 

Chronik  d.  Universität  zu  Kiel  f.  d.  J.  1908/09.  —  Verzeichnis  der 
Vorlesungen.  Winter  1908/09,  Sommer  1909.  —  Kaufftnann,  1  .  Zur 
Textgeschichte  des  Opus  imperfectum  in  Mattbaeum  (Festscbrift). 
Mint  ms,  G.,  Johann  Gottlieb  Fichte  (Rede).  —  Schröder,  E.,  Theo- 
logie und  Geschichte  (Rede).  —  Derselbe,  modernes  Studententum 
(Ansprache).  —   101  Dissertationen  aus  d.  J.    1908/09. 


X  Verzeichnis  dek  eingegangenen  Schriften. 

Wissenschaftliche  Meeresuntersuchungen ,  hrg.  von  der  Kommiss.  f. 
wissensch.  Untersuchung  d.  deutschen  Meere  in  Kiel  und  der 
Biologischen  Anstalt  auf  Helgoland.  Im  Auftrage  des  Königl. 
Minist,  für  Landwirtschaft,  Domänen  usw.  N.  F.  Abteilung  Hel- 
goland. Bd.  9.  H.  i.  Abt.  Kiel.  Bd.  10.  Erghft.  Kiel  und 
Leipzig  1908.  09. 

Schriften  des  naturwissenschaftlichen  Vereins  für  Schleswig -Holstein. 
Bd.  14,  H.  1.     Kiel  1908. 

Schriften  der  physikalisch-ökonomischen  Gesellschaft  zu  Königsberg. 
Jahrg.    49    (1908).     Königsberg  1909. 

15.  Jahresbericht  des  Instituts  für  rumänische  Sprache.  Linguistischer 
Atlas  des  dacorumänischen  Sprachgebietes.  Lief.  9.  Hrsg.  von 
H.   Weigernd.     Leipzig  1909. 

Das  städtische  Gymnasium  zu  St.  Nikolai  in  Leipzig.  Bericht  über  das 
Schuljahr  1908/09.  —  Kümmel,  0.,  Die  Besiedelung  des  deutschen 
Südostens  vom  Anfang  des  io.  bis  gegen  Ende  des  11.  Jahrhunderts, 
ebd.   1909. 

Zeitschrift  des  Vereins  für  Lübeck.  Geschichts-  und  Altertumskunde. 
Bd.  11.  H.  1.  2.     Lübeck  1909. 

Museum  für  Natur-  und  Heimatkunde  zu  Magdeburg.  Abhandlungen 
und  Berichte.     Bd.  1.     Magdeburg  1906 — 08. 

Zeitschrift  des  Vereins  zur  Erforschung  der  rheinischen  Geschichte  und 
Altertümer.    N.  F.    Jahrg.  4.     Mainz  1909. 

Jahresbericht  der  Fürsten-  und  Landesschule  Meißen.  1908/09. 
Meißen  1909. 

Abhandlungen  der  mathem.-phys.  Kl.  d.  k.  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  Suppl. 
Bd.  1,  Abt.  1—6.    Bd.  24,  Abt.  2.  3.     München  1909. 

Abhandlungen  der  bist.  Kl.  d.  k.  bayer.  Akad.  d.  "Wiss.    Bd.  24,  Abt.  3. 

ebd.  1909. 
Abhandlungen    der   philos.-philolog.   Kl.   d.   k.   bayer.   Akad.   d.   Wiss. 

Bd.  23,  Abt.  3.     ebd.  1909. 

Abhandlungen  der  k.  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  Philosoph. -philolog.  und 
historische  Kl.    Bd.  24,  Abt.  3.    Bd.  25,  Abt.  1.     ebd.  1909. 

Almanach   der  k.   bayer.   Akad.   d.  Wiss.    zum   150.  Stiftungsfest  1909. 

Sitzungsberichte  der  mathem.-phys.  Kl.  der  k.  bayer.  Akad.  d.  Wiss. 
zu  München.     1908.  H.  2.    1909,  Abt.  1  — 14.     ebd. 

Sitzungsberichte  der  philos.-philol.  u.  histor.  Kl.  der  k.  bayer.  Akad. 
d.  Wiss.  zu  München.    1908,  1909,  Abh.   1 — 11.    ebd. 

48.  u.  50.  Plenarversammlung  der  historischen  Kommission  bei  der  Kgl. 
Bayer.  Akademie  der  Wissenschaften.     Bericht  des  Sekretariats. 

Heigel,  K.  Th.  «.,  Die  Münchener  Akademie  von  1759  bis  1909  (Fest- 
rede). —  Grauert,  H. ,  Dante  und  die  Idee  des  Weltfriedens  (Fest- 
rede). —  Frutz,  H.,  Der  Anteil  der  geistlichen  Ritterorden  an  dem 
geistigen  Leben  ihrer  Zeit  (dgl.)  ebd.  1909. 

Catalogus  codicum  manuscriptorum  Bibliothecae  Reg.  Monacensis. 
T.  1.  P.  5.    ebd.  1909. 

Die  neuen  Institute  der  Kgl.  Technischen  Hochschule  zu  München, 
ebd.  1909. 


\  BRZEIOHNIS    DBB    BINOEGANQBNBN    ScHBIFTEH  XI 

Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  für  Morphologie  und  Physiologie  in 
München.    Bd.  24,  H.  2.    ebd.  1909. 

Neue  Annalen  der  Kgl.  Sternwarte  in  München.  Bd.  4.  —  Veröffent- 
lichungen des  Erdmagnetischen  Observatoriums  bei  dei  :•  rn- 
warte.     H.  2.     ebd.   1909. 

Jahresbericht  des  Westfäli.schen  Provinzialvereins  f.  Wiesensch.  u.  Kunst. 
36.37.   1907/08.   1908/09.     Münster  1908.09. 

Anzeiger  des  Germanischen  Nationalmuseums.  Jahrg.  1908.  Hit.  1—4. 
Nürnberg  d.  J. 

Historische  Monatsblätter  für  die  Provinz  Posen.  Jahrg.  9,  No.  1  — 12 
Posen  1908. 

Zeitschrift  der  Historischen  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen.  Jahrg.  23. 
ebd.   1908. 

Veröffentlichung  des  Kgl.  Preuß.  Geodätischen  Instituts  (in  Potsdam  . 
N.  Folge  No.  39.  40.     Berlin   1909. 

Centralbureau  der  internationalen  Erdmessung.  Neue  Folge  der  Ver- 
öffentlichungen.    No.   17.   18.     Berlin  1909. 

Publikationen  des  Astrophysikalischen  Observatoriums  zu  Potsdam 
Bd.  15,  St.  1.  2.  Bd.  19,  St.  1.  2.  Bd.  20,  St.  2—4.  —  Photo- 
graphische Himmelskarte.  Ergänz,  u.  Berichtig,  zu  Bd.  1—4.  Pots- 
dam 1906 — 09. 

Annalen  der  Kaiserl.  Universitäs-Sternwarte  zu  Straßburg.  Bd.  3. 
Karlsruhe  1909. 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Kunst  u.  Altertum  in  Ulm  und  Ober- 
schwaben.    H.  16.     Ulm  1909. 

Württembergische  Vierteljahrsschrift   für  Landesgeschichte.     Hern 

von  der  Württembergischen  Kommission  f.  Landesgeschichte.  N.  F. 
Jahrg.  18  (1909).     Stuttgart  d.  J. 

Th  ar  an  der  forstliches  Jahrbuch.  Bd.  59,  1.    Bd.  60     Berlin  1909. 

Jahrbücher  des  Nassauischen  Vereins  f.  Naturkunde.  Jahrg.  62.  Wies- 
baden 1909. 

Sitzungsberichte  der  physikal.  -  medizin.  Gesellschaft  zu  Würzburg. 
Jahrg.  1907,  No   8.      1908,  No.  1—5.     Würzburg  d.  J. 

Verhandlungen  der  physikal. -medizin.  Gesellschaft  zu  Würzburg.  N.  F. 
Bd.  40,  No.  2 — 5.     ebd.  1909. 

Österreich-Ungarn. 

Codex  diplomaticus  Regni  Croatiae,  Dalmatiae  et  Slavoniae.  Vol.  6. 
Zagreb  (Agram)  1908. 

Ljetopis  Jugoslavenske  Akademije  znanosti  i  umjetnosti  (Agram). 
Svez.  23.     1908.     ib.   1909. 

Grada  za  povjest  knizevnosti  hrvatasko  na  svijet  izdaje  Jugoslav.  Akadem. 
znanosti  i  umjetnosti.    Kn.  6.    ib.   1909. 

Rad  Jugoslavenske  Akademije  znanosti  i  umjetnosti.  Kn.  174—177. 
ib.   1909. 

ßjeenik  hrvatskoga  ili  srpskoga  jezika.  Izd.  Jngoslav.  Akad.  Svez.  27. 
ib.   1909. 

Mazuranic,  V.  Prinosi  za  hrvaski  pravno-povjestni  rjeenik.  Svez.  2. 
ib.   1909. 


XII  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Vjesnik  hrvatskoga  arheoloskoga  Drusstva.  N.  S.  G-od.  n.  Sv.  2 — 4. 
ib.  1909. 

Vjesnik  kr.  hrvatsko-slavcrasko-dalmatinskog  zemaljskog  arkiva.  God.  11. 
Svez.  1.     ib.   1909. 

Zbornik  za  narodni  zivot  i  obicaje  juznih  Slavena.  Kn.  13,  Svez.  2. 
Kn.  14,  Svez.  1.     ib.  1909. 

Zeitschrift  des  Mährischen  Landesmuseums.  Herausg.  von  der  Mäh- 
rischen Museumsgesellschaft  (Deutsche  Sektion).  Bd.  9,  H.  1.  2.  — 
Casopis  Moravskeho  musea  zemskeho.    Rocn.  9.    Brunn  1909. 

Magyar,  tudom.  Akademiai  Almanach.     1909.     Budapest  d.  J. 

Mathematische  und  naturwissenschaftliche  Berichte  aus  Ungarn.  Mit 
Unterstützung  der  Ungar.  Akad.  d.  Wiss.  herausg.  Bd.  24.  Leip- 
zig 1909. 

firtekezesek  a  nyelv-es-szeptudomänyok  Köreböl.  Kiadja  a  Magyar 
tudom.  Akad.  Köt.  20,  Sz.  8 — 10.  Köt.  21,  Sz.  1.  Budapest  1908.09. 

E.rtekeze"sek    a    Tärsadalmi  Tudomänyok    Köreböl.      Köt.    13,   Sz.   10. 

Köt.  14,  Sz.  1.  2.     ib.  1909. 
Ertekezdsek    a    Törte'neti    Tudomänyok    Köreböl.      Köt.  22,    Sz.   1 — 3. 

ib.  1908.09. 
Archaeologiai  Ertesitö.     A  Magyar,  tudom.  Akad.  arch.  bizottsägänak 

es    av    Orsz.    Regeszeti    s   emb.    Tärsulatnak  Közlönye.     Köt.  28, 

Sz.  3 — 5.     Köt.  29,  Sz.  1.  2.     ib.   1908.  09. 
Mathematikai  es  termeszettudomänyi  Ertesitö.  Kiadja  a  Magyar  tudom. 

Akad.    Köt.  26,  Füz.  3 — 5.    Köt.  27,  Füz.  1.  2.    ib.  1908.  09. 

Mathematikai  es  termeszettudomänyi  Közleme'nyek.  Kiadja  a  Magyar 
tudom.    Akad.     Köt.  30,  Sz.  4.  5.     ib.  1909. 

Nyelvtudomänyi  Közlemenyek.    Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Köt.  38, 

Füz.  1 — 4.     ib.  1909. 
Monumenta  Hungariae  historica.     Köt.  34.     ib.  1909. 

Rapport  sur  les  travaux  de  l'Academie  Hongroise  des  sciences  en  1908. 
ib.  1909. 

Editiones  criticae  scriptorum  graecorum  et  romanorum  a  collegio  philo- 
logico  classioo  Acad.  litt.  Hungaricae  publ.  juris  factae:  Ciris, 
Epyllion  pseudocergilianum  ed.  Geyza  Nemethy.     ib.  1909. 

Nyelvtudomäny.     Köt.  2.  Füz.  2.     ib.  1908. 

Török  magyarkori  törtenelmi  Emlekek.     Vol.  4.  1909. 

Kalevala  forditotta  Vikar  Bela.     ib.  1909. 

Bekefi  Remij,  A  pesci  egyetem.     ib.  1909. 

Kiss,  Jstvan,  A  magyar  helytartotanäcs.  I.   Ferdinand  Koräban.   ib.  1908. 

Szädeczky  Lajos,  A  szekely  hatärörseg  szervezese  1762 — 64-ben.  ib.  1908. 

Takäts  Sändor,  A  magyar  gyalogsäg  megalakuläsa.     ib.   1908. 

Thaly  Kälmän,  De  Saussure  Czezärnak  törökorszägi  levelei.     ib.  1909. 

K.K.Franz-Josefs-Universität  zu  Czernowitz.  Die  feierliche  Inaugu- 
ration  des  Rektors  f.  d.  Studienjahr  1908/09. 

Mitteilungen  des  naturhistorischen  Vereins  für  Steiermark.  Bd.  45  (1908), 
H.  1.  2.     Graz  1909. 

Beiträge  zur  Erforschung  steirischer  Geschichte.  Jahrg.  36  (N.  F.  Jahrg.  4). 
ebd.  1908. 


Verzeichnis  deb  binoeoanoenen  Schbiftj  XIII 

Zeitschrift  des  historischen  Vereins  für  Steiermark.     Jahrg.  6.  7.    ebd 

1908.  09. 

Berichte  des  naturw.-mediz.  Vereins  in  Innsbruck.  Jahrg.  30.  31.  m. 
Beilage,     ebd    1907.  08. 

Anzeiger  der  Akademie  d.  Wissenschaften  in  Krakau.  Math.-naturw. 
Cl.  1908,  No.  9 — 10.     1909,  No.  1 — 8.     Philol.  Cl.   1908,   No.  6—10. 

1909,  No.  1 — 6.     Krakau  d.  J. 

Katalog    literatury    naukowej     polskiej.     T.  8.  9,   1.  2.     ib.   1909. 

Rocznik   Akademii  mniejetnosci  W  Krakowie.     Rok  1907/08.    ib.  1908. 

Rozprawy  Akademii  mniejetnosci.  —  Wydzial  iilologiczny.  T.  45. 
(Ser.  II.  T.  30)  —  Wydzial.  hiztor.-filozof.  T.  50.  52.  (Ser.  II.  T.  26. 
27).     ib.    190S.  09. 

Sprawozdanie  komisyi  nzyograficznej.    Tom.  42.    ib.  1908. 

Materialy  anthropolog.-archeolog.  i  etnograticzne.     T.  10.     ib.  1908. 

Abraham,   TT.,  Jakob  Strepa.     ib.  1908. 

Szelagoivski,  Ad.,  Najstansze  drogi  z  polskina  wschod.     ib.   1909. 

Zapaloivicz,  Hugo,  Conspectus  Florae  Galiciae  criticus.    T.  2.    ib.  1908. 

Carniolia,  Zeitschrift  für  Heimatkunde.  Jahrg.  1,  H.  1 — 4.  Laibach  1908. 

Izvestija  Muzejskega  drustva  za  Kranjsko.    Letnik  18.    V  Ljubljani  1908. 

Chronik  der  ukrainischen  (ruthenischen)  Sevcenko- Gesellschaft  der 
Wissenschaften.     H.  33.  34.     Lemberg  1908. 

Sammelschrift  der  mathem  -naturw.-ärztl.  Sektion  der  Sevcenko-Gesell- 

schaft.     Bd.   12.     ebd.   1908. 
Kwartalnik    etnograficzny   „Lud".  T.  15,  zesz.  1 — 3.  W  Lwowie  1907.  08. 

Bulletin  de  la  Societe  polonaise  pour  l'avancement  des  sciences.  1 — 8. 
(1901  — 1908.)     Lwow  (Leopol). 

Ceske    Akademie    Cisafe    Frantiska  Josefa.     Almanach.     Rocn.  19.     V 

Praze  1909. 
Historicky  Archiv.  Cisl  30—34.     ib.  1908.09. 

Biblioteka  Klassikü  feckych  a  fimskych  Cisl.   15 — 17.     ib.  1908.09. 
Filosofickä  Biblioteka  Rad.  I.     Cisl.   12.     ib.   1908. 

Bulletin    international.      Resume    des    travaux    presentes.      Classe    des 

sciences  mathematiques,  naturelles  et  de  la  medecine.     Ann.   12.  13. 

Prague  1907.  08. 
Rozpravy  ceske  Akad.  Tfida  I.    Cisl.  38.  —  Tfid.  II.    Rocn  17.    Tfid.  III. 

Cisl.  23—28.     ib.  1908.  09. 
Sbirka  Pramenü  ku  poznäni  literärniho  zivota.   Skup.  I,  Rada  II,  Cisl.  7. 

Skup.  II.    Cisl.  9.  12.     1908.  09. 
Vcstnik  cesk.  Akad.     Rocn.   17.     ib.   1908. 
Groh,  Frant.,  Topografie  starych  Athen.    Cast.  1.    ib.  1909. 
Ntmec,  B.,  Anatomie  a  fisiologie  rostlin.    Cast.  2.    ib.  1908. 
Truhlcir,  Ant.,  Rukovet  k  pisemnictvi  humanistickemu.  Svez.  1.  ib.  1908. 

Winter,  Zikmund,   Remeslinctvo   a  zivnosti  XVI  v  ku  v  cechäch  (152b 

—  1630).    ib.  1909. 
Zibrt,  Cenek,  Bibliografie  ceske  historie.    Dil  4-    Svaz.  2.  3.    ib.  1908.  09. 
Zivot  a  pusobeni  .  .  Arch.  d.  Josefa  Hlavky.    s.  a. 


XIV  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Jahresbericht  der  k.  böhm.  Gesellsch.  d.  Wissenschaften  für  das  Jahr  1908. 
Prag  1909. 

Sitzungsberichte  der  k.  böhm.  Gesellschaft  d.  Wissenschaften.  Math.- 
naturw.  Klasse  Jahrg.  1908.    ebd.  1909. 

Archiv  cesky  cili   stare  pisemne  pamätky  Ceske  i  Moravske.     Dil  26. 

V  Praze  1909. 
Acta  regum  Bohemiae  selecta  phototypice  expressa.    Codicis  diplomatici 

Regni  Bohemiae  appendix.    Ed.  G.  Friedrich.   Fase.  1.   Pragae  1908. 

Mitteilungen  aus  dem  Landesarchiv  des  Königr.  Böhmen.  Bd.  1.  Prag  1908. 

60.  Bericht  der  Lese-  und  Redehalle  der  deutschen  Studenten  in  Prag 
über  d.  J.  1908.     ebd.  1909. 

Magnetische  und  meteorologische  Beobachtungen  an  der  k.  k.  Stern- 
warte zu  Prag  im  J.  1908.     Jahrg.  69.     ebd.  1909. 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen. 
Jahrg.  47,  No.  1 — 4.     ebd.  1908. 

Lotos.  Naturwiss.  Zeitschrift,  hrg.  vom  deutschen  naturw.-mediz.  Verein 
für  Böhmen  „Lotos"  in  Prag.    Jahrg.  5  (1855).    Bd.  56  (1908).    ebd. 

Personalstand  der  k.  k.  C.-Ferd.-Universität.     1908/09. 

Verhandlungen  des  Vereins  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Presburg. 
N.  F.  H.  18.  19  (1906.  07).  Presburg  1908.  09.  —  1856— 1906. 
Emlekmü  kiadja  a  Pozsonyi  orostermeszettudomäny  egyesület. 
Poszony   1907. 

Wissenschaftliche  Mitteilungen  aus  Bosnien  und  der  Herzegovina.  Hrg. 
vom  Bosnisch -Hercegov.  Landesmuseum.    Bd.  11.    Sarajevo  1909. 

Bullettino  di  archeologia  e  storia  dalmata.  Anno  31,  No.  1  — 12. 
Spalato  1908. 

Almanach  der  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften.  Jahrg.  58.  Wien 
1908. 

Anzeiger  der  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften.  Math. -phys.  Kl. 
Jahrg.  45.    No.  1 — 27.     ebd.  1908. 

Archiv  für  österreichische  Geschichte.  Herausg.  von  der  zur  Pflege 
vaterländ.  Geschichte  aufgestellten  Kommission  der  Kais.  Akademie 
d.  Wissensch.     Bd.  97,  I.  II.    99,  I.  H.     ebd.  1908.  09. 

Denkschriften  der  Kais.  Akademie  d.  Wissensch.    Mathem.-naturw.  Kl. 

Bd.  80.  81.  84.     ebd.   1907 — 09.    —   Philos.-hist.  Kl.    Bd.  53,   1.  2. 

ebd.  1908. 
Fontes  rerum  Austriacarum.      Österreichische    Geschichtsquellen,   hrg. 

von   der  histor.   Kommission   der  Kais.   Akademie   der  Wissensch. 

Abt.  II.     Bd.  61.  62.     ebd.  1900. 
Mitteilungen  der  Erdbeben-Kommission  der  kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch 

N.  F.    No.  32 — 36.    ebd.  1909. 

Sitzungsberichte  der  Kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch.  Math.  - naturw.  Kl. 
Bd.  117  (1908)  I,  No.  5—10.  IIa,  No.  7—10.  IP,  No.  7—10.  IE, 
No.  6— 10.  Bd.  118  (1909)  I,  No.  1—6.  11%  No.  1—5.  Hb,  No.  1—7. 
HI,  No.  1.  2.  —  Philos.-histor.  Kl.  Bd.  158,  Abb.  4.  6.  Bd.  160, 
Abh.  2—8.  Bd.  161,  Abh.  3—5.  7—9.  Bd.  162,  Abh.  1.  Bd.  163, 
Abb.  1.  2.  —  Register  zu  Bd.  151  — 160.     ebd.  1908.  09. 

Abhandlungen  der  k.  k.  zoologisch -botanischen  Gesellschaft  in  Wien. 
Bd.  4.    H.  5.     ebd.  1909. 


Verzeichnis  dbb   EINGEGANGENEM   ScHBlPTBN.  XV 

Verhandlungen  der  k.  k.  zoologiBch-botanißcheD  Gesellschaft  in  Wien. 
Bd.  58,  H.  8  —  10.     Bd.  59,  H.  1—8.     ebd.  1908.  09. 

Verhandlungen  der  Österreich.  GradmeSBungs-  Kommission.  Protokoll 
über  die  am   29.  Dezember  1908  abgehaltene  Sitzung,     ebd.  1908. 

Die  astronomisch-geodätischen  Arbeiten  des  k.  k.  militärgeographischen 
Instituts  in  Wien.    Bd.  22.     Budapest  1908. 

Annalen  des  k.  k.  naturhistorischen  Hofmuseums  Bd.  22,  No.  4.  Bd.  23, 
No.  1.  2.     Wien  1908.  09. 

Abhandlungen  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  Bd.  21,  H.  1. 
ebd.  1908. 

Jahrbuch  d.  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  Jahrg.  58  (1908),  H.  4. 
Jahrg.  59  (1909),  H.  1.2.     ebd. 

Verhandlungen  d.k.k.  geologischen  Reichsanstalt.  Jahrg.  1908,  No.  15 — 18. 
Jahrg.  1909,  No.  1 — 9.     ebd. 

Mitteilungen  der  Sektion  f.  Naturkunde  des  Österreichischen  Touristen- 
Club.     Jahrg.  20.     ebd    1908. 

Publikationen  der  v.  KufTerschen  Sternwarte,  Bd.  6,  Teil  6.    ebd.  1909. 

Belgien. 

Academie  Royale  d'archeologie  de  Belgique.  Bulletin.  1908,  No.  5. 
1909,  No.  1.  2.     Anvers. 

Annuaire  de  l'Academie  R.  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts 
de  Belgique.  1909  (Annee  75).  —  Notices  biographiques  et  biblio- 
graphiques  concernant  les  membres,  les  correspondants  et  les  asso- 
cies.     5.  ed.     1907 — 09.     Bruxelles. 

Academie  Roy.  de  Belgique.  Bulletin  de  la  classe  des  sciences. 
1908,  No.  9 — 12.  1909,  No.  1 — 8.  —  Bulletin  de  la  classe  des  lettres 
et  des  sciences  morales  et  politiques  et  de  la  classe  des  beaux-arts. 
1908,  No.  9 — 12.  1909,  No.  1—8.  —  Memoires.  Classe  des  sciences. 
Collect,  in  8°.  Tom.  2,  Fase.  4.  5.  Collect,  in  40.  Tom.  2,  Fase.  1 — 3.  — 
Classe  des  lettres  et  des  sciences  morales  et  politiques.  Collect,  in 
8°.  Tom.  4,  Fase.  2.  Tom.  5,  Fase.  1.  Collect,  in  40.  Tom.  3. 
ib.  1908.  09. 

Analecta  Bollandiana.     T.  28,  Fase.  1 — 4.     ib.  1909. 

Annales  de  la  Societe  entomologique  de  Belgique.    Tom.  52.    ib.  1908. 

Memoires  de  la  Societe  entomologique  de  Belgique.    17.    ib.  1909. 

Bulletin  de  la  Societe  Roy.  de  Botanique  de  Belgique.  Tom.  45. 
Fase.  1 — 3.  —  Massart,  J.,  Essai  de  Geographie  botanique  des 
districts  littoraux  et  alluviaux  de  la  Belgique.     ib.  1808. 

Annales  de  la  Societe  Roy.  zoologique  et  malacologique  de  Belgique. 
Tom.  43.     ib.  1908. 

Annales  de  TObservatoire  Roy.  de  Belgique.  N.  Ser.  Annales  astrono- 
miques.  Tom.  11,  Fase.  2.  —  Physique  du  Globe.  Tom.  4,  Fase.  1. 
ib.  1908. 

Annuaire   astronomique  de  l'Observatoire  Roy.  de  Belgique  pour  1909. 

Jaarboek  der  Kon.  Vlaamsche  Academie  voor  taal-  en  letterkunde. 
1890— 1905    07.  09.     Gent. 

Verslag  en  Mededeelingen  der  Kon.  Vlaamsche  Academie  voor  taal-  en 
letterkunde.     1887 — 1905.  07.  08.  09,  Jan.  —  Nov. 


XVI  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Biltris,  A.  N.  H.  und  A.  J.  J.  Vandervelde,  Inleiding  tot  de  studie  der 
analytische  Scheikunde.     ib.  1899. 

Claes,  D.,  Lijst  van  bij  Kiliaan  geboekte  en  in  Zuid-Nederland  voort- 

levende  woorden.     ib.  1902. 
Duyse,   Prudens  van,  De  Rederijkkamers   in  Nederland.     D.  1.  2.     ib. 

1900.  02. 
Eggen,  J.  L.  M.,  De  invloed  door  Zuid-Nederland  op  Nord-Nederland. 

ib.  1908. 

Flou,  Carel  de,  Die  bedudingbe  naden  sinne  van  Sunte  Augustijns  Regule. 

ib.  1901. 
Geurts,  J.,  Bijdrage  tot  de  geschiedenis  van  het  rijm  in  de  Nederland- 

sche  poezie.     D.  1.  2.     ib.  1904.  06. 

Hennen   van   Merchtenens   Cornicke    van    Brabant  (1414).     Uitg.   door 

Guido  Gezelle.     ib.  1896. 
Jacobs,  Josef,  De  verouderde  woorden  bij  Kiliaan.     ib.  1899.  —  Vorm- 

leer  van  bet  oudfriesch  werkwoord.     ib.  1900. 

Leviiicus,  Felix,  De  klank-  en  vormleer  van  het  middelnederlandsch  dia- 
lect  de  St.  Servatius- Legende  van  Heynrijck  van  Veldeken.    ib.  1892. 

Meert,  Hippolyt,  Het  voornaamwoord  du.    ib.  1890.  —  Vormleer  van  de 

taal  van  Runsbroec.     ib.  1901. 
Moerkerken,  P.  H.  van,  Over  de  verbinding  der  volzinnen  in't  Gotisch. 

ib.  1888. 
Neef,  Emil  de,  Klank-  &  vormleer  van  het  gedieht  van  den  VH  vroeden 

van  binnen  Rome.     ib.  1897. 
Pauw,  Napoleon  de,  Bouc  van  der  Audiencie  ...    H.  1.  2.    ib.  1901.  03. 
— ,  MadelghijY  kindsheit.     ib.  1889. 
— ,  Ypre  jeghen  Poperinghe.     ib.  1899. 

Boersch,  Lod.,  Woordenbook  op  Alexanders  geesten.     ib.  1888. 
Segers,  Gust,  Onze  taal  in  het  middelbaar  onderwijs.     ib.  1907. 
Tack,  P.,  Proeve  van  oudnederfrankische  grammatica.     ib.  1897. 
Teirlingk,  A.,  De  behandeling  der  niet  beklemde  liesbreuken.    ib.  1902. 
— ,  Is.,  Zuid-oostvlandersch  Idioticon.    D.  1.    ib.  1908. 
Bijvoegsel  aan  de  bijdrage  tot  een  Hagelandsch  Idioticon.    ib.  1904. 
Ulrix,  Eug.,  De  Germaansche  dementen  in  de  Romansche  talen.  ib.  1907. 

Vandervelde,  A.  J.  J.,  Repertorium  van  de  geschriften  over  de  voedings- 

middelen.     ib.  1000.  01. 
La    Cellule.     Recueil    de    Cytologie    et    d'histologie    generale.     T.   25, 

Fase.  1.     Louvain  1909. 

Bulgarien. 

Godisnik  na  Sofiiskija  Universitet.  Annuaire  de  l'Universite  de  Sofia. 
3 — 4.     1906/07.     ib.  1908. 

Dänemark. 

Det  Kong.  Danske  Videnskabernes  Selskabs  Skrifter.  Hist.  og  philos. 
Afd.  7.  Raekke.  Bd.  1,  No.  3.  Naturv.  og  math.  Afd.  7.  Rsekke 
Bd.  5,  No.  2.  Bd.  6,  No.  2—4.  Bd.  7,  No.  1.  Bd.  8,  No.  1—3. 
Kjobenhavn  1908.  09. 


Verzeichnis  der  eingegangenen   Schriften.  Wll 

Oversigt  over  det  Kong.  Danske  Videnscabernes  Selskabs  Forhandlin^rr 
i  aar.  1908,  No.  4—6.    1909,  No.  1—5.    ib. 

Conseil  permanent  international  pour  l'exploratiou  de  La  mer.  Bulletin 
trimestriel.  Annee  1906/07.  Suppl.  1907/08.  -  Publicationa  de  cir- 
constance.  No.  43 — 47.  —  Bulletin  statistique  des  p§ches  mariti- 
mes des  pays  du  Nord  de  l'Europe.  Vol.  3.  —  Rapport  et  Proces 
verbaux  des  reunions.  Vol.  7 — 11.  —  Listes  planktoniques  pour 
l'annee   1907/08.     Copenbague  1908.  09. 

Actes  de  la  XVe  Congres  internat.  des  Orientalistes.  Session  de  Copen- 
bague (1908).     ib.  1909. 

England. 

Aberdeen  University  Studies.    No.  31.  35.    Aberdeen  1907. 

Proceedings  of  tbe  Cambridge  Philosophical  Society.    Vol.  15,  P.  1—3 
Cambridge  1909. 

Transactious  of  tbe  Cambridge  Philosophical  Society.  Vol.  20,  No.  15.  16 

Vol.  21,  No.  7—9.     ib.  1909. 
Proceedings   of  the  R.  Irish  Academy.     Vol.  27.     Sect.  A,    P.  10—12 

Sect.  B,  P.  6— 11.    Sect.  C,  P.  9—18.     Dublin  1908.  09. 
Tbe  scientific  Proceedings  of  tbe  R.  Dublin  Society.  Vol.  11,  P.  29 — 32 

Vol.  12,  P.  1 — 23.     ib.  1908.  09. 
Economic  Proceedings   of  the  R.  Dublin  Society.     Vol.   1,    P.   13  — 16 

ib.  1908.  09. 
The   scientific  Transactions  of  the  R.  Dublin  Society.     Ser.  II.     Vol.  9, 

No.  7—9.     ib.  1908.  09. 
Proceedings    of   the    R.  Society    of   Edinburgh.     Vol.  29,    No.  2—8. 

Edinburgh  1909. 
Transactions  of  the  R.  Society  of  Edinburgh.    Vol.  46,  P.  2.  3.    ib.  1909. 
Proceedings  of  the  R.  Physical  Society.    Vol.  17,  P.  1.  5.  6.    ib.  1909. 
Transactions  of  the  Edingburgh  Geological  Society.  Vol.  9,  P-3/4-  ib.  1909- 
Proceedings    and  Transactions    of  the  Liverpool  Biological   Society. 

Vol.  23.     Liverpool  1909. 
Proceedings  of  the  Roy.  Institution  of  G-reat  Britain.     Vol.   18,  3  (No. 

101).     London  1909. 
Proceedings  of  the  R.  Society  of  London.  Vol.  81—83.  A.  No.  55°— S60- 

B.  No.  544 — 552.    Yearbook  of  the  Royal  Society.    1909. 
Philosophical  Transactions  of  the  R,  Society  of  London.   Ser.  A.  Vol.  209, 

p.  205—478.  Vol.  210,  p.  1—34.  Ser.  B.  Vol.  200,  p.  241  —  521.  ib.  1909. 

Memoire  of  the  R.  Astronomical  Society.  Vol.  57,  P.  2.  3.  and  Append.n. 

Vol.  58.  59,  P.  1 — 3.     ib.  1908.  09. 
Proceedings  of  the  London  Mathematical  Society.    Ser.  IT.  Vol.  6,  P.  7. 

Vol.  7,  P.  1—8.     ib.  1908.  09. 
Journal   of  the  R.  Microscopical   Society,    containing  its  Transactions 

and  Proceedings.     1909,  No.  1 — 6.     ib. 
Memoirs  and  Proceedings  of  the  Literary  and  Philosophical  Society  of 

Manchester.     Vol.  53,  P.  1 — 3.     Manchester  1908.  09. 
Report  of  the  Manchester  Museum  Owens  College  for  1908/09.  —  Notes. 

No.  22.  —  Museum  Haudbooks:  E.  Weiss,  Chapters  from  the  evolu- 

tion  of  plants.     ib.  1909. 
1910.  b 


XVIII  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

The  Victoria  University  of  Manchester.  Calendar.  1909/10.  —  Publica- 
tions  of  the  University  of  Manchester:  Economic  Series.  No.  11.  12. 
—  Historical  Series.  No.  8.  —  Medical  Series.  No.  n.  12.  —  Celtic 
Series.  No.  1.  —  English  Series.  No.  1.  —  The  University  of 
Manchester  Medical  School.  —  A  classified  Catalogue  of  the  works 
on  Architecture  and  the  allied  arts  in  the  principal  Libraries  of 
Manchester  and  Oxford.  —  Mather,  Will,  Education  and  duty. 
Presendential  Adress.     ib.  1908.  09. 

Frankreich 

Annales  des  Facultes  de  Droit  et  des  Lettres  d'Aix.  Droit.  T.  2, 
Nr.  1.  2.     Lettres.  T.  2.    Aix  1908. 

Proces-verbaux  de  la  Societe  des  sciences  physiques  et  naturelles  de 
Bordeaux.     Annee  1907/08.     Paris  et  Bordeaux  1907. 

Memoires  de  la  Spciete  des  sciences  physiques  et  naturelles  de  Bordeaux. 

Ser.  VI.    T.  4,  coh.  1.  2.     ib.   1908. 
Bulletin   de  la   Commission  meteorologique  du   depart.   de  la  Gironde 

Annee  1907.    Bordeaux  1908. 

Memoires  de  la  Societe  nationale  des  sciences  naturelles  et  mathematiques 
de    Cherbourg.     T.  36  (Ser.  IV,  T.  6).     Cherbourg  1906/7. 

Memoires  de  FAcademie  des  sciences,  belles-lettres  et  arts  deClermont- 
Ferrand.  Ser.II.  Fase.  7 — 17.20.21.  Clermont-Ferrand  1894— 1909. 

Bulletin  historique  et  scientifique  de  l'Auvergne,  publ.  par  FAcademie 
des  sciences,  belles-lettres  et  arts  de  Clermont-Ferrand.  Ser.  II. 
1897  — 1908. 

Revue  dAuvergne,  publ.  par  la  Societe  des   amis  de  l'Universite  de 

Clermont.    Ann.  17(1900)— 25(1908). 
Clermont-Ferrand  et  le  Puy-de-Döme.    Congres  de  l'Association  francaise 

pour  l'avancement  des  sciences.    1908. 
Annales  de  l'Universite  de  Lyon.   N.  S.   Sciences.   Medecine.    Fase.  22.  24. 

Droit,  Lettres.     Fase.  20.    Paris  et  Lyon  1908. 

Annales  de  la  Faculte  des  sciences  de  Marseille.  T.  17.   Marseille  1909. 

Academie  des   sciences   et   lettres  de  Montpellier:  Bulletin  mensual. 

1909,  Nr.  1 — 7.     Montpellier. 
Bulletin  des   seances   de  la   societe  des  sciences  de  Nancy.     Ser.  in. 

T.  9,  Fase.  2 — 6.     Paris  et  Nancy  1908. 
Institut  de  France.     Annuaire  pour  1909.     Paris. 
Bulletin  du  Museum  d'histoire  naturelle.    Annee  1908,    No.  5 — 7.     1909, 

No.  1.     ib. 
Annales   de  FEcole  normale    superieure.     HI.  Ser.     T.  25,    No.  11.  12. 

T.  26,  No.  1  —  8.     ib.   1908.  09. 
Bulletin  de  la  Societe  mathematique  de  France.    T.  37,  No.  3.  4.  ib.  1909. 
Bulletin  de  la  Societe  scientifique  et  medicale  de  l'Ouest.   T.  17,  No.  2.  4. 

Rennes  1908. 
Memoire  de  FAcademie  des  sciences,   inscriptions   et  belles-lettres  de 

Toulouse.    T.  7.  8.    Toulouse  1907.  08. 
Annales   du  midi.     Revue   de  la  France  me'ridionale,  fondee  sous  les 

auspices  de  l'Universite  de  Toulouse.  Ann.  20.  No.  77 — 80    Ana.  21, 

No.  87.    ib.  1908.  09. 


Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften.  XJX 

Annales  de  la  Faculte  des  sciences  de  Toulouse  pour  les  sciences 
mathematiques  et  les  sciences  physiques.  Str.  II.  T.  10,  Fase.  2.  3. 
Paris  et  Toulouse  1908. 

Bulletin  de  la  Comnaission  möte'orologique  du  Department  de  la  Haute 
Garonne.    T.  2,  Fase.  1  (1908).     Toulouse. 

Griechenland. 

Ecole  francaise  d'Athenes.  Bulletin  de  correspondance  hellenique 
[Athen].     Anne"e  26,  7—12.     Ann.  33,   1  — 12.     Paris  1909. 

Mitteilungen  des  Kaiserl.  Deutschen  Archäologischen  Instituts.  Athe- 
nische Abteilung.    Bd.  34,  H.  1 — 3.    Athen  1909. 

'A&r\vä.  Hvyyga^a  tcsqioSl-aov  xfjg  iv  kftr\vcüg  'E7Cioxr}(iovixfjg  'ExcuQeiag. 
T.  20,  No.  4.     T.  21,  No.  1—3.     ib.  1908.  09. 

'Efrvinbv  nuvsTtLGtrjuiov,  Tä  xorra  xrjv  IlQvxccvsiav  Tlgvxavsvaavxog  v.axu 
xö  k%u8r\u.iciY.bv  hog  1906 — 07.  —  BtßXiod-rjxrj  xfjg  iv  k^vaig  im- 
6XT[\Loviy.T\g  hatgi-iccg.  —  'EmaxTi^ovi-nr]  insxrjgig.  I*  1906/07.  — 
Teaat qcc/.o vtaeregig  tf]g  ■na.!frr\y£eLug  K.  Z.  Kovxov.    ib.  1907 — 09. 

Holland. 

Jaarboek  van  de  Kon.  Akad.  v.  Wetenschappen  gevestigd  te  Amsterdam 
voor  1908.     Amsterdam  1909. 

Verhandelingen  d.  Kon.  Akad.  v.  Wetenschappen.  Afdeel.  Letterkunde. 
II.  Reeks.  Deel  4,  No.  3  (190 1).  Deel  9,  No.  2.  3.  Deel  10,  No.  2. 
Afdeel.  Naturkunde.  Sect.  I.  Deel  10,  No.  1.  Sect.  H.  Deel  14, 
No.  2—4.     Deel  15,  No.  1.     ib.  1908.  09. 

Verslagen  en  mededeelingen  der  Kon.  Akad.  van  Wetenschappen.  Afd. 
Letterkunde.     IV.  Reeks^  Deel  9.    ib.  1909. 

Verslagen  van  de  gewone  vergaderingen  der  wis-  en  natuurkundige 
afdeeling  der  Kon.  Akad.  v.  Wetenschappen.  Deel  17.  I.  n. 
ib.  1908.  09. 

Programma  certaminis  poetici  ab  Acad.  Reg.  discipl.  Neerlandica  ex 
legato  Boeufftiano  indicti  in  annum  1910.  —  Sex  carmiua  magna 
laude  ornata.     ib.  1909.     Amstelodami   1908. 

Revue  semestrelle  des  publications  mathematiques.   T.  17,  P.  1.2.   ib.  1909. 

Nieuw  Archief  voor  Wiskunde.    Uitg.  door  het  Wiskundig  Genootschap 

te  Amsterdam.    2.  Reeks.    Deel  8,  St.  4.   Deel  9,  St.  1.  —  Wiskundige 

opgaven.     Deel  10,  St.  7.    ib.  1909. 

Bibliotheek  der  Technische  Hoogeschool  te  Delft.  Lißt  der  periodiker. 
2.  uitgave.    1909.  —  2  Proefschr.  a.  d.  J    1908. 

Archives  neerlandaises  des  sciences  exaetes  et  naturelles,  publiees 
par  la  Sociöte  Hollandaise  des  sciences  ä  Harlem.  Ser.  II.  T.  14. 
Livr.  1 — 5.     Harlem  1909. 

Archives  du  Musee  Teyler.  St'r.  H.  Vol.  1 1 ,  P.  3.  —  Catalogue  du 
Cabinet  numismatique  de  la  Fondation  Teyler.     ib.   1909. 

Handelingen  en  mededeelingen  van  de  Maatschappij  der  Nederlandsche 
Letterkunde  te  Leiden  over  het  jaar  1908/09.     Leiden. 

Levensberigten  der  afgestorvene  medeleden  van  de  Maatschappij  der 
Nederlandsche  Letterkunde  te  Leiden.  Bijlage  tot  de  Handelingen 
van  1908/09. 

b* 


XX  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Tijdschrif  voor  Nederlandsche  taal-en  letterkunde.  Uitgeg.  vanwege 
de  Maatschapp.  d.  Nederl.  Letterkunde.  Deel  27,  Afd.  3.  4.  Deel  28, 
Afd.  1.  2.     ib.   1908.  09. 

Nederlandsch  kruidkundig  Archief,  Verslagen  en  mededeelingen  der 
Nederlandsche  botanische  Vereeniging  [Leiden]  Nijmegen  1908. 

Recueil  des  travaux  botaniques  Neerlandais.  Publ.  par  la  Societe 
botanique  Neerlandaise.  Vol.  5.  Liv.  2 — 4.  Vol.  6,  Liv.  1.  Nij- 
megen 1909. 

Verslag  van  den  staat  der  Sterrenwacht  te  Leiden  1906 — 08.  Leiden  1909. 

Aanteekeningen  van  het  verhandelde  in  de  sectie-vergaderingen  van 
het  Provinc.  Utrechtscbe  Genootschap  van  kunsten  en  wetensch., 
ter  gelegenbeid  van  de  algem.  vergad.,  gehouden  d.  1.  Jun.  1909. 

Verslag  van  het  verhandelde  in  de  algern.  vergad.  van  het  Provinc. 
Utrechtscbe  G-enootschap  van  kunsten  en  wetensch.,  gehouden 
d.  1.  Jun.  1909. 

Comptes  rendus  des  seances  du  4.  Congres  internat.  d'filectrologie  et 
de  Radiologie  medicales.  Amsterdam  1908  (Societe  Provinciale  des 
Arts  et  des  Sciences  d'Utrecht). 

Bidragen  en  Mededeelingen  van  het  Historisch  Genootschap  gevestigd 
te  Utrecht.     Deel  30.     Amsterdam  1909. 

Werken  van  het  Histor.  Genootschap.  gev.  te  Utrecht.  Ser.  III.  25.  26. 
Amsterdam   1908.  09. 

Onderzoekingen  gedaan  in  het  Physiol.  Laboratorium  d.  Utrechtsche 
Hoogeschool.   V.  Reeks.    10.    Utrecht  1909. 

Italien. 

Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane  ricevute  per  diritto  di  stampa. 
No.  96 — 107.    Firenze  1908.  09. 

Atti  e  Rendiconti  dell1  Accademia  di  scienze,  lettere  ed  arti  di  Aci- 
reale.    Ser.  III.    Vol.  5.   Acireale  1909. 

Memoire  della  R.  Accademia  delle  scienze  del'  Istituto  di  Bologna. 
Clause  di  scienze  fisiche.  Ser.  VI.  T.  5  (1907/08).  —  Gasse  di  scienze 
morali.  Sezione  di  scienze  giuridiche.  T.  2,  Fase.  2.  Sez.  di  scienze 
storico-filologiche  T.  2,  Fase.  2.     Bologna  1909. 

Rendiconto  delle  sessioni  della  R.  Accademia  delle  scienze  del  Istituto 
di  Bologna.  Classe  di  scienze  fisiche.  N.  Sez.  Vol.  12  (1907/08). 
Classe  d.  scienze  morali.  Ser.  I.  Vol.  1,  Fase.  2.  Vol.  2,  Fase.  1. 
ib.  1908.  09. 

Bollettino  delle  sedute  della  Accademia  Gioenia  di  scienze  naturali  i- 
Catania.     Ser.  II.    Fase.  5 — 9.     Catania  1909. 

R.  Istituto  Lombardo  di  scienze  e  lettere.  Rendiconti.  Ser.  II.  Vol.  41, 
Fase.  17 — 20.    Vol.  42,  Fase.  1  — 15.     Milano  1907.  08. 

Opere  matematiche  di  Francesco  Brioschi.    T.  5.    ib.   1909. 

Raccolta  Vinciana  presso  TArchivio  storico  del  comune  di  Milano. 
Fase.  5.    ib.  1909. 

Atti  della  Fondazione  scientifica  Cagnola.    Vol.  22.    ib.  1909. 

Memorie  della  R.  Accademia  di  scienze,  lettere  ed  arti  in  Modena. 
Ser.  III.  Vol.  7.    Milano  1908. 


Verzeichnis  dbb  eingkganoenem  Schbiptbn.  X\l 

Societä  Reale  di  Napoli.  Rendiconto.  della  R.  Accad.  delle  scienze  fisiche 
et  matematiche.  Ser.  III.  Vol.  14,  Fase.  8—12.  Vol.  15,  Fubc.  1—7. 
Napoli  1908.  09. 

Atti  e  Meraorie  della  R.  Accademia  di  scienze,  lettere  ed  arti  in  Padova. 
N.  S.    Vol.  23.  24.     Padova  1907.  08. 

Rendiconti  del  Circolo  matematico   di  Palermo.    T.  26,  Fase  3    T.  27 
F.  1.  3,  -  Suppl.  Vol.  3,  No.  5/6.  Vol.  4-  No.  1—2^  T'28,  Fase.  1—3.' 
Annuano  biografico  1909.   Indice  delle  Pubblicazioni  I\'o.  2.   Palermo 
1908.  09. 

Giornale  di  scienze  naturali  ed  econoniiche,  pubbl.  p.  cura  della  Societä 
di  scienze  nat.  ed  econ.  di  Palermo.  Vol.  26.  27.    ib.  1909. 

üniversitä  di  Perugia.  Annali  della  Facoltä  di  Medicina.  Vol.  5, 
Fase.  1.  Vol.  6,  Fase.  1—4.  Vol.  7,  Fase.  1.2.     Perugia  1907.  08. 

Annali  della  R.  Scuola  normale  superiore  di  Pisa.  Scienze  fisicln-  e 
matbematiche.    Vol.  10.     Filosotia  e  Filologia.    Vol  21.    Pisa  1908. 

Atti  della  Societä  Toscana  di  scienze  naturali  residente  in  Pisa.  Memorie. 
Vol.  24.  ib.  1908. 

Processi  verbali  della SocietäToscana  di  scienze  naturali.  Vol.  18,  No.  1—4. 

Atti  della  R.  Accademia  dei  Lincei.  Classe  di  scienze  morali,  storiche 
e  filologiche.  Ser.  V  Memorie.  Vol  14,  Fase.  1.  2.  Notizie  degli 
seavi.  Vol.  5,  Fase.  9—12.  Vol.  6,  Fase.  1—8.  Rendiconti.  Vol.  17 
(1908),  Fase.  7—12.  Vol.  18  (1909),  Fase.  1-3.  —  Classe  di  scienze 
fisiebe,  matematiche  e  naturali.  Ser.  V.  Memorie.  Vol.  7,  Fase.  1 — 9. 
Rendiconti.  Vol.  18  (1908),  II.  Sem.,  Fase.  11.  12.  Vol.  18  (1909) 
[I.  Sem.],  Fase.  1  — 12  IL  Sem.,  Fase.  1— 12.  —  Rendiconto  dell' 
adunanza   solenne  del  6.  Giugn.  1909.     Roma  1908.  09. 

Studi  i  testi.  19.     ib.  (Tipografia  Vaticana)   1908. 

Mitteilungen  des  Kais.  Deutschen  Archäologischen  Instituts.  Römische 
Abtheilung  (Bollettino  dell'  Imp.  Istituto  Archeologico  Germanico. 
Sezione  Romana).  Bd.  23,  H.  2—4.     ebd.  1908. 

Atti  della  R.  Accademia  dei  Fisiocritici  di  Siena.  Ser.  V.  Vol.  1, 
No.  1 — 6.     Siena  1909. 

Atti  della  R.  Accademia  delle  scienze  di  Torino.  Vol.  44,  Disp.  1  — 15. 
Torino  1909. 

Memorie  della  R.  Accademia  delle  scienze  di  Torino.  Ser.  LT.  T.  59. 
ib.    1909. 

Luxemburg. 

Societe  des  naturalistes  luxembourgeois.  Bulletins  mensuels.  N.  S. 
Ann.  1.  2.     Luxembourg  1907.  08. 

Portugal. 

übras  sobre  Mathematica  do  F.  Gomes  Teixeira.  Vol.  2.  3.  Por  ordern 
do  Goberno  Portugues.     Coimbra  1906.  08. 

Annaes  scientificos  da  Academia  poiitechnica  do  Porto.  Vol.  3.  No.  4. 
Vol.  4,  No.  1 — 4.     Coimbra  1908.  09. 

Rumänien. 

Buletinul  Societätii  de  seiinte  fizice  (Fizica,  Chimia  si  Mineralogia) 
din  Bucuresci-Romänia.  Anul  17,  No.  5.  6.  Anul  18,  No.  1 — 4. 
Bucuresci  1908.  09. 


XXII  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Rußland. 

Acta  Bocietatis  scientiarum  Fennicae.  T.  33 — 36.  37,  No.  1.  5 — 7.  —  Finn- 
ländische  hydrographisch  -  biologische  Untersuchungen.  No.  1 — 5. 
Helsingfors  1908.  09. 

Bidrag  tili  kännedom  af  Finlands  Natur  och  Folk,  utg.  af  Finska 
vetensk.  Soc.  H.  64.  65.     ib.  1907.  08. 

öfersigt  at  Finska  Vetenskaps-Societetens  Förhandlingar  48 — 50.  1905/06. 
06/07.  —  Festschrift  Herrn  Prof.  J.  A.  Palmen  gewidm.  Bd.  1.  2. 
ebd.  1905 — 07. 

Fennia.  Bulletin  de  Ia  Societe  de  Geographie  de  Finlande.  23 — 27 
(1905 — 09).  —  Medelanden  af  Geograficka  Föreningen  i  Finland. 
8.  (1907 — 09).  —  Statistik  undersökning ,  af  socialeconomiska  för- 
hällanden   i   Finlands   landskommuner.     Ar  1901.     ib.  1908. 

Meteorologisches  Jahrbuch  für  Finland.  Hsg.  von  der  Meteorologischen 
Zentralanstalt.     Bd.  2  (1909). 

Observations  meteorologiques  publ.  par  Tlnstitut  meteorologique  central 
de  la  Societe  des  sciences  de  Finlande.  £tat  des  glaces  et  des 
neiges  de  Finland  pendant  l'hiver  1896/97,  97/98.     ib.  1908.09. 

Annales  de  rObservatoire  physique  central.  1905.  Suppl.  Irkoutsk  1908. 

Bulletin  de  la  Societe  physico-mathematique  de  Kasan.  Ser.  II.  T.  16, 
No.  2.    Kasan  1908. 

Ucenyja  zapiski  Imp.  Kasanskago  Universiteta.  T.  75,  No.  12.  T.  76, 
No.  1  — 11.    ib.  1908.  09.  —  7  Dissertationen  a.  d.  J.  1907/08. 

Universitetskija  Izvestija.  God  47,  No.  10 — 12.  God  48,  No.  1—8.  10. 
Kiev  1906.  07. 

Mitteilungen  der  Ukrainischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften.  No.  2 — 5. 
ib.  1908.  09. 

Bulletin  de  la  Societe  Imper.  des  Naturalistes  de  Moscou.  Annee  1907, 
No.  4.  1908.     No.  1.  2.     Moscou  d.  J. 

Ucenyja  Zapiski  Imp.  Moskovskago  Universiteta.  Otdel  jurid.  Vyp.  32.  33. 
—  Otd.  istor.-filol.  Vyp.  38.  39.  —  Otd.  estestvenno-istor.  Vyp.  23 — 25. 
ib.  1908.  09. 

Beobachtungen,  angestellt  im  Meteorologischen  Observatorium  der  Kais. 
Universität  Moskau  i.  d.  J.  1905 — 07.  —  Leyst,  E ,  Meteorologische 
Beobachtungen  in  Moskau  (1907).  S.-A.  Derselbe,  Luftelektrische 
Beobachtungen  im  Ssamarkandschen  Gebiet  1907.  S.-A. 

Bulletin  de  TAcademie  Imperiale  des  sciences  de  St.  Peter sbourg. 
Ser.  V.  T.  25,  No.  1—2.   Se'r.  VI.  No.  1  — 18.  St.  Petersbourg  1907.  08. 

Memoires  de  l'Academie  Imperiale  des  sciences  de  St.  Petersbourg.  Classe 
physico-mathematique.  Ser.  VTJI.  Vol.  18,  No.  7  — 13.  Vol.  21,  No.  3. 
Vol.  23,  No.  1 — 6.  Classe  historico-philologique.  Ser.  VIII.  Vol.  8, 
No.  10 — 12.     ib.  1908.  09. 

Academie  Imper.  des  sciences.  Comptes  rendus  des  seances  de  la  com- 
mission  de  Sismique  permanente.  T.  3,  Liv.  1.  2,1.     ib.  1908.09. 

Comite  geologique.  Bulletins.  No.  4— 8.  10.  —  Memoires.  N.  Ser.  No.  36. 
43 — 50.     ib.  1908. 

Acta  Horti  Petropolitani.  T.  28,  Faec.  2.  T.  29,  Fase.  2.  T.  30,  Fase  1. 
ib.  1908.  09. 


Vkkzkichnis   DBB   kin<;kc;a.\i;i:nkn   Schhiktkn.  XXIII 

Publications  de  l'Observatoire  physique  central  Nicolas.  Ser  II.  Vol  16, 
Fase.  2.  Vol.  17,  Fase,  2.  Vol.  18,  Fase.  3.4.     ib.  1908.09. 

Annales  de  l'Observatoire  physique  central  Nicolas.  Ann.  1905.  06.  — 
Observations  me'te'orologiques  en  Mandschourie.  Fase.  1.  ib.  1908.09. 

Trudy  Iinp.  S.-Peterburgskago  Obscestva  Estestvoispytatelej.  Travaux  de 
la  Societe  des  naturalistes  de  St.  Pätersbourg.  T.  32,  Liv.  3, 
No.  2.  3.  Liv.  5.  T.  34,  Fase.  3.  Liv.  5.  T.  35,  Liv.  3.  4.  T.  36,  Liv.  3! 
No.  5—«      T.  37,  Fase.  2.  Liv.  3,  No.  1—8.     T.  38,  Fase.  2.  4  (Sep.). 

—  Protokoly.     T.  38,  No.  7.  8.     T.  39,  No.  1-8.     ib.  1907.  08. 

Missions  scientifiques  pour  la  mesure  d'un  arc  de  meridien  au  Spitz- 
berg, entreprises  en  1899— 1901  sous  les  auspices  des  gouvernements 
Russe  et  Suedois.  Mission  Russe.  Toni.  1.  Sect.  II.  B.  Cap.  1.  T.  2. 
Sekt.  IX.     ib.  1908.  09. 

Zapiski  istoriko-filologiceskago  Fakulteta  Imp.  S.  Peterburgak.  UniverBi- 
teta.  Cast.  88 — 90.     ib.  1908. 

Byzantina  Xronika.     T.  14,  2.  3.     ib.  1908. 

Spisok  glavnejsich  periodeseskich  izdanii  Imp.  S.  Peterburgsk  Universi- 
teta.     1909. 

Protokoly  zasedanij  soveta  Imp.  Peterburgsk.  Univers,  za  1907.  08. 
ib.  1908.  09. 

Cabinet  du  droit  pe'nal  de  l'ünivers.  Imp.  de  St.  Pe'tersbouxg.  Catalogue 
du  Musee.     sme  edit.     ib.  1902. 

Korrespondenzblatt  des  Naturforscher- Vereins  zu  Riga.     Jahrg.  51.  52. 

—  Katalog  der  Bibliothek.  I.    Riga  1908.  1909. 

Seismische  Monatsberichte  des  physikalischen  Observatoriums  zu  Tiflis 
Jahrg.  4  (1903),  No.  1—6.  Jahrg.  9  (1908I  No.  1— 12. 

Sprawozdania  z  posiedzen  Towarzystwa  naukowego  Warszawskiego. 
Rok  1,  Zesz.  6 — 8.     Rok  2,  Zesz.  1.3 — 7.  Warszawa  1908.09. 

Schweden  und  Norwegen. 

Sveriges  offentliga  Bibliotek  Stockholm,  Upsala,  Lund,  Göteborg  Ac- 
cessions-Katalog.     21.22.  (1906.07)  Stokholm   1908.09. 

Bergens  Museum.  Aarbog  for  1908,  H.  3.  1909,  H.  1.  2.  —  Aarsberet- 
ning  for  1908.  —  Skriiter.  N.  Raekke.  Bd.  1,  No.  1.   Bergen  1908.  09. 

Sars,  G.  0.  An  Account  of  the  Crustacea  of  Norway.  Vol.  5,  P.  23 — 26. 
ib.   1908.  09. 

Forhandlinger  i  Videnskabs-Selskabet  i  Christiania.  Aar  1908. 
Christiania  1909. 

Skrifter  udgivne  af  Videnskabs-Selskabet  i  Christiania.  Math.-naturvid. 
Kl.  1908.    Hist.-filos.  Kl.  1908.    ib.  1909. 

Eranos.  Acta  philologica  Suecana.  Vol.  8,  Fase.  4.  Vol.  9,  Fase.  1.2. 
Göteborg  1908.  09. 

Sveriges  jordbuck  vid  1900  talets  början.  Statistiks  Kartverk  utarb.  af 
Wilh.  Flach,  H.  Juhlin  Danntelt,  Gust.  Sundbär g.     ib.  1909. 

o 

Lunds  Universitets  Ars-Skrift.    N.  Följd.    Afd.  I.  II,  4.    Lund  1905 — 09. 

Acta  mathematica,  Hsg.v.G.Mittag-Leffler.  32,1 — 3.  Stockholm  1909. 

Arkiv  för  botanik,  utg.  af  K.  Svenska  Vetenskaps-Akademien.  Bd.  8,  9,  1. 
ib.   1909. 


XXIV  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Arkiv  för  kemi,  mineralogi  och  geologi,  utg.  af  K.  Sveuska  Vetenskaps- 
Akademien.     Bd.  3,  H   3.     ib.   1909. 

Arkiv  för  mathematik,  astronomi  och  fysik,  utg.  af*  K.  Svenska  Vetens- 
kaps-Akademien.     Bd.  5.     ib.   1909. 

Arkiv  för  zoologi,  utg.  af  K.  Svenska  Vetenskaps  -  Akademien.  Bd.  5. 
ib.  1909. 

Kungl.  Svenska  Vetenskaps-Akademiens  Handlingar.  Ny  Följd.  Bd.  43, 
7 — 12.     Bd.  44,  1 — 5.     Bd.  45,  1.2.     ib.   1909. 

Kungl.    Svensk.   Vetenskaps    Akademiens    Arsbok    för    1909.     Uppsala. 

Meddelanden  frän  K.  Vetenskaps  Academiens  Nobelinstitut.  Bd.  1, 
No.  12 — 15.  —  Les  Prix  Nobel  en  1906.  Uppsala  et  Stockholm 
1908.  09. 

Gylden,  Hugo,  Traite  analytique  des  orbites  absolues  des  huit  planetes 
principales.     T.  2.     Stockholm  1908. 

Meteorologiska  Jakttagelser  i  Sverige,  utg.  af  Kungl.  Svenska  Vetens- 
kaps Akademien.    Bd.  50  och  Bihang.    ebd.   1909. 

Lefnadsteckningar  öfver  Kongl.  Svenska  Vetensk.-Akademiens  efter  är 
1854  aflidna  ledamöter.     Bd.  4,  H.  4.     ib.  1909. 

Swedish  Explorations  in  Spitzbergen  1758 — 1908.  S.-A.     ib.  1909. 

Antiquarist  Tidskrift  för  Sverige,  utg.  af  Kongl.  Vitterhets  Historie 
och  Antiquitets  Akademien.  Delen  18,  2.  ib.  1909.  —  Fornvännens 
Meddelanden  Arg.  2.3.     1907.08. 

Entomologisk  Tidskrift  utg.  af  Entomologiska  Föreningen  i  Stockholm. 
Arg.  29  (1908).     Uppsala. 

Nordiska  Museet  Fataburen.     1908.     H.   1 — 4.     Stockholm  1908. 

Astronomiska  Jakttagelser  och  Undersökningar  anstälda  pä  Stockholms 
Observatorium.     Bd.  9,  No.  2.     ib.   1908. 

Tromso  Museums  Aarshefter  29  (1906).     Troms0  1908.  09. 

Det  kong.  Norske  Videnskabers  Selskabs  Skrifter.  1907.  08.  Trondh- 
jem  1908.  09. 

Nova  Acta  Reg.  Societatis  scientiarum  Upsaliensis.  Ser.  IV.  Vol.  2. 
Fase.  1.     Upsaliae  1907 — 09. 

Bulletin  mensuel  del'Observatoire  meteorologique  de  l'Universite  d'Upsal. 
Vol.  40  (1908).     Upsal  1908. 

Bref  och  skrifvelser  af  och  tili  Carl  von  Linne  med  understöd  af  Svenska 
Staten  utg.  af  Upsala  Universitet,    Afd.  I.   Deel  3.    Stockholm  1909. 

Schweiz. 

Nene  Denkschriften  der  Allgemeinen  Schweizer.  Gesellschaft  für  die  ges. 

Naturwissenschaften  (Nouveaux  Memoires  de  la  Societe  Helvetique 

des  sciences  naturelles).     Bd.  44,  T.  1.  2.     Zürich  1909. 
Verhandlungen   der  Schweizerischen  Natarforschenden  Gesellschaft  zu 

Glarus,  1908.  —  Cornpte  rendu  de  la  session  86 — 89  de  la  Societe 

helvetique  des  scienc.  naturelles.     S.-A.  (Archives  d.  Geneve  1908.) 
Taschenbuch    der  historischen   Gesellschaft   des  Kantons  Aargau  f.  d. 

J.  190S.     Aarau. 
Baseler  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Altertumskunde.     Hrsg.  von  der 

Histor.  u.  Antiquar.  Gesellschaft  in  Basel.    Bd  8,  H.  2.    Bd.  9,  H.  1. 

Basel  1908. 


Verzeichnis  der  EiN<a.. an. ,km. \   8<  nkiftkn.  XXV 

Verhandlungen    der  Naturforschenden   Gesellschaft   in   Basel.     Bd.  20, 
H.  1.  2.     ebd.  1909. 

Mitteilungen   der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Bern  a.  d.  J.  1908. 
No.  1665  — 1700.     Bern  1909. 

Jahresbericht  der  naturforschenden  Gesellschaft  Graubündena.    Bd.  51. 
Chur  1909. 

Collectanea  Friburgensia.     N.  F.    Fase.  10.     Freiburg,  Schw.   1909. 

Memoires  de  l'Institut  national  Genevois.  T.  19  (1901 — 09).  Geneve  1909. 

Memoires  de  la  Societe  de  physique  et  d'histoire  naturelle  de  Geneve. 
T.  36,  P.  1.     Geneve  1909. 

Universite  de  Geneve.  Seance  solenne  de  distribution  des  prix  du  con- 
cours  1908. 

Anzeiger  für  Schweizerische  Alterthumskunde.  Hrsg.  vom  Schweizerischen 
Landesmuseum.  N.  F.  Bd.  10,  No.  3.  4.  Bd.  1 1,  No.  1.  2.  Zürich  1909. 
Schweizerisches  Landesmuseum.   17.  Jahresbericht  (1908)  u.  Beilage,  H.  2. 
Jahrbuch  für  Schweizerische  Geschichte.     Bd.  34.    ebd.  1909. 

Vierteljahrsschrift  der  Naturforschenden  Gesellschaft  in  Zürich.  Jahrg.  53. 
54,  1.  2.     ebd.  1908.  09. 

Serbien. 

Glas  srpske  kralj.  Akademsja.  75.  76.  78.  80.  —  Godisnjak.  21  (1907).  — 
Spomenik.  46.  48.  —  Sbornik  za  istor.,  jezik  etc.  (Istorijski  Sbornik), 
Knj.  5.  —  Srpske  Etnografski  Zbornik.  Knj.  10,  1.  —  Tomidj,  Jov.  N., 
Grad  klis  u  1596  godini  d.  Nikola  krstidj.  Spomeniaza.  Beograd 
1908.  09. 

Afrika. 

Transactions  of  the  South  African  Philosophical  Society.  Vol.  18. 
P.  4.     Cape  Town   1909. 

Transactions  of  the  Roy.  Society  of  South  Africa.   Vol.  1,  P.  1.   ib.  1909. 

Beattie,  J.  C,  Report  of  a  magnetic  Survey  of  South  Africa.  Publ.  for 
the  Roy.  Society.     London  1909. 

Nordamerika. 

Annual  Report  of  the  American  Historical  Association  for  the  year  1907. 
Vol.  1.  2.     Washington   1908. 

Journal  of  the  American  Oriental  Society.  Vol.  29.  30,  1.  New  Haven  1909. 

Bulletin  of  the  Geological  Society  of  America.   Vol.  19.   New  York  190S. 

Publications  of  the  Alleghany  Observatory.  Vol.  i,No.  13 — 18.  S.  1.  e.  a. 

The  Johns  Hopkins  University  Circular.  1908,  No.  8 — 10.   1909,  No.  1 — 7. 

Baltimore  1907.  08. 
American  Journal  of  Mathematics  pure  and  applied.     Publ.  under  the 

auspices  of  the  Johns  Hopkins  University.  Vol.  30,  No.  3.  4.  Vol.  31, 

No.  1 — 3.     ib.  1908.  09. 

American  Journal  of  Philology.  Vol.  29,  No.  3.  4.  Vol.  30,  No.  1 — 3. 
ib.  1908.  09. 

American  chemical  Journal.     Vol.  40.  41.  42,  No.  1.     ib.  1908.  09. 

Johns  Hopkins  University  Studies  in  historical  and  political  science. 
Ser.  26,  No.  11.  12.    Ser.  27,  No.  1—7.     ib.  1908.  09. 


XXVI  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Proceedings  of  the  Boston  Society  of  natural  history.  Vol.  34,  1 — 4. 
Boston  1907. 

Occasional  Papers  of  the  Boston  Society  of  natural  history.  Vol.  7, 
No.  8 — 10.     ib.  1908. 

Proceedings  of  the  American  Academy  of  arts  and  sciences.  Vol.  44. 
45,  No.  1.  2.     ib.  1908.  09. 

The  Museum  of  the  Brooklyn  Institute  of  arts  and  sciences.  Science 
Bulletin.     Vol.  1,  No.  15.   16.     Brooklyn  1909. 

Cold  Spring  Harbor  Monographs.    7.     ib.  1909. 

Bulletin  of  the  Museum  of  comparative  Zoology,  at  Harvard  College, 
Cambridge,  Mass.  Vol.  52,  No.  6 — 14.  Vol.  53,  No.  3.  4.  Cam- 
bridge, Mass.  1909. 

Memoirs  of  the  Museum  of  comparative  Zoology,  at  Harvard  College, 
Cambridge,  Mass.    Vol.  27,  No.  3.    Vol.  37.  38,  No.  1.     ib.  1909. 

Harvard  Oriental  Series.    Vol.  11.     ib.  1908. 

Field  Columbian  Museum.    Publications.    No.  129.  132 — 135.    Chicago 

1909. 
University  of  Nevada  Bulletin.     Vol.  2,  No.  4.     ib.  1908. 

(Jniversity  of  Cincinnati  Record.  Ser.  I.  Vol.  5,  No.  4 — 7.  Vol.  6, 
No.  2.  —  Studies.  Ser.  I.  Vol.  5,  No.  3.  Ser.  II.  Vol.  4,  No.  1—4. 
Vol.  5,  No.  1 — 3.     1908.  09. 

Colorado  College  Publications.  No.  31 — 33.  36.  37.  Colorado  Springs 
1907.  08. 

The  University  of  Missouri  Studies.     Science  Series.    Vol.  2,  No.  2.  3. 

—  Laws  Observatory,  University  of  Missouri.    Bulletin.  No.  15.  16. 

Columbia  1908.  09. 

Jowa  Geological  Survey.  Vol.  18.  Ann.  Report  for  1907.  Des  Moines  1908. 

The  Proceedings  and  Transactions  of  the  Nova  Scotian  Institute  of 
Science.     Vol.  11,  P.  3.  4.     Halifax  1908. 

Proceedings  of  the  Indiana  Academy  of  sciences.   1908.    Indianapolis. 

Missouri  Bulletin  of  Geology  and  mines.  Ser.  IL  Vol.  5 — 8.  9,  P.  1.  2. 
Jefferson  City  s.  a. 

Bulletin  of  the  American  Mathematical  Society.  Ser.  H.  Vol.  15, 
No.  4 — 10.  Vol.  16,  No.  1 — 3.  Lancaster  1907.  —  Annual  Register. 
New  York  1909. 

Transactions  of  the  American  Mathematical  Society.  Vol.  10,  No.  1 — 4. 
Lancaster  and  New  York  1909. 

Kansas    University    Quarterly.     Science.     Bulletin.     Vol.  4,    No.  7 — 20. 

Laurence  1908. 
Publications  of  the  Washburn  Observatory  of  the  University  of  Wisconsin. 

Vol.  12.     Madison  1908. 
Transactions   of  the  Wisconsin  Academy  of  sciences.,   arts  and  lettres. 

Vol.  16,  No.  1—6.     ib.  1908.  09. 
Wisconsin  Geological  and  Natural  History  Survey.    Bulletin,  No.  20  and 

Suppl.  to  No.  14.    ib.  1908. 

Memorias  de  la  Sociedad  cientifica  „Antonio  Alzate".  T.  25,  Cuad.  4 — 8. 
T.  26.  27,  Cuad.  1 — 3.     Mexico  1898.   1908.  09. 

Bulletin  of  the  Wisconsin  Natural  History  Society.  Vol.  6,  No.  3.  4. 
Vol.  7,  No.  1.  2.  Milwaukee  1908.  09.  —  26.  Annual  Report.  1907/08. 


VeKZEICHNIS    DBB    KINGM}AN(SKNK\     S<  IIIUKTKN.  XX  \   li 

Lick  Observatory,  University  of  California.  [Mount  Hamilton.] 
Bulletin.  No.  145.  146.  148—154.  156—159.  165  —  172  —  Publica- 
tions  of  the  Lick  Observatory.     Vol.  8.     Sacramento  1908.  09. 

Transaetions  of  the  Connecticut  Academy  of  arts  and  sciences.  Vol.  14, 
p.  59—290.    Vol.  15.     New  Haven  1908.  09. 

Annais  of  the  New  York  Academy  of  sciences.  Vol.  18,  P.  3.  New 
York  1909. 

American  Museum  of  Natural  History.  Bulletin.  Vol.  24.  —  Memoira. 
Vol.  4,  P.  7.  Vol.  9,  P.  5.  6.  Vol.  ii,  P.  3.  —  Anthropologicai 
Papers  Vol.  2,  P.  2.  3.    Vol.  3.  --  Annual  Report  for  1908.  ib.  1909. 

The  American  Museum  Journal.  Vol.  9,  No.  1 — 8.  ib.  1909.  —  William», 
L.  W.,  The  Anatomy  of  the  common  squid,  Loligo  Poalii.  Leiden 
s.  a.  —  Skinner,  Alanson,  The  Indians  of  Manhattan  Island  and 
vicinity.  —  Guide  Leaflet.     No.  29.  30.     1909. 

American  Geographical  Society.  Bulletin.  Vol.  40,  No.  12.  Vol.  41, 
No.  1  — 11.     ib.  1908.  09. 

Studies  from  the  Rockefeller  Institute  of  Medical  Researche.  Vol.  9. 
ib.   1909. 

American  Journal  of  Archaeology.  N.  S.  Vol.  12,  No.  4.  Suppl.  Vol.  13, 
No.  1 — 3.     Index  to  Vol.  1  — 10.     Norwood  Mass.   1908.  09. 

Oberlin  College.  The  Wilson  Bulletin.  N.  S.  Vol.  20,  No.  4.  Vol.  21, 
No.  1.  —  Oberlin  College  Laboratory.  Bulletin.  No.  14.  15.  Oberlin, 
Ohio   1908.  09. 

Proceedings  and  Transaetions  of  the  R.  Society  of  Canada.  Ser.  HI. 
Vol.  2.     Ottawa  1908. 

Geological  Survey  of  Canada.  No.  980  and  1081.  1035.  1050.  1072.  1073. 
1085.  Maps.  No.  1026.  1041.  1044— 1049.  —  Canada  Department 
of  Mines.  Mines  Branch.  No.  26.  —  Preliminary  Report  and  map 
on  Gowganda  Mining  Division.  District  of  Nipissing,  Ontario. 
ib.  1909. 

Proceedings  of  the  Academy  of  natural  sciences  of  Philadelphia. 
Vol   60,  P.  3.    Vol.  61,  P.  1.     Philadelphia  1909. 

Proceedings  of  the  American  Philosophical  Society,  held  at  Philadelphia. 
No.  190 — 192.  —  Record  of  the  Celebration  of  the  200  Anniversary 
of  the  birth  of  Benjamin  Franklin.     Vol.  2 — 6.     ib.  1908.  09. 

Transaetions  of  the  Canadian  Institute.  No.  18  (Vol.  8,  P.  3).  Toronto 
1909. 

University  of  Toronto  Studies:  Review  of  Historical  Publications  rela- 
ting  to  Canada.  Vol.  13.  —  Papers  from  the  Chemical  Laboratories. 
No.  74 — 85.  —  Papers  from  the  Physical  Laboratories.  No.  24 — 31. 
ib.  1908.  09. 

The  Journal  of  the  Roy.  Astronomical  Society  of  Canada.  Vol.  2, 
No.  6.    Vol.  3,  No.  1.  2.     ib.  1908.  09. 

Tuffts  College  Studies.  Scientific  Series.  Vol.  2,  No.  3.  Tuffts  College, 
Mass.   1909. 

Bureau  of  Education.  Report  of  the  Commissioner  of  education  for  the 
year  1908,  I.  II.    1909,  I.     Washington  1908.  09. 

Bulletin  of  the  Bureau  of  Standards.     Vol.  5,  No.  3.  4.     ib.  1909. 
Smithsonian   Miscellaneous  Collections.     No.  1812.    —   Quarterly  Issue. 
Vol.  5,  P.  3.     ib.  1908.  09. 


XXVIII  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Smithsonian  Institution.  Bureau  of  American  Ethnology.  Bulletin.  34. 
41.  42.  Annual  Report  26  (1904/05).  —  Report  of  the  U.  S.  Natio- 
nal Museum  1907/08.     ib.  1908.  09. 

Annual  Report  of  the  Board  of  Regents  of  the  Smithsonian  Institution 
for  1906/07.     ib.  1908. 

Synopsis  of  the  Report  of  the  Superintendent  of  the  U.  S.  Naval  Obser- 
vatory  for  1907/08.     ib.  1908. 

U.  S.  Coast  and  Geodetic  Survey.  Hayford,  John  F.,  The  figure  of  the 
earth  and  isostary  from  measurements  in  the  U.  S.     ib.  1909. 

Department  of  the  Interior.  U.  S.  Geological  Survey.  Professional 
Papers.  No.  58—61.  63.  —  Water  Supply  and  Irrigation  Papers. 
No.  219 — 226.  228 — 231.  234.     ib.  1908.  09. 

Bulletin  of  the  U.  S.  Geological  Survey.  No.  341.  347-  349-  35*— 3^0. 
382—385.  387.  388.  394.     ib.  1908.  09. 

Annual  Report  of  the  U.  S.  Geological  Survey  to  the  Secretary  of  the 

Interior.  29.     1907/1908.     ib.  1908. 
Mineral  Resources  of  the  U.  S.  1907.  I.  II.     ib.   1908. 

Südamerika. 

Anales  de  la  Sociedad  cientifica  Argentina.  T.  66,  Entr.  2 — 6.  T.  67. 
68,  Entr.  1.     Buenos  Aires  1908.  09. 

Boletin  de  la  Academia  nacional  de  ciencias  de  la  Republica  Argen- 
tina.    T.  18,  Entr.  3.     Cordoba  1906 

Boletin  del  Cuerpo  de  Ingenieros  de  minas  del  Peru.  No.  63 — 74. 
Lima  1908.  09. 

Anales  del  Museo  nacional  de  Montevideo.  Vol.  6.  Flora  Uruguaya. 
T.  4.  Fase.  1.     Montevideo  1909. 

Boletim  mensal  do  Observatorio  do  Rio  de  Janeiro  de  1907,  Jnlh.  —  Dec. 
Rio  de  Janeiro. 

Revista  da  Sociedade  scientifica  de  Säo  Paulo.   Vol.  3.    Sao  Paulo  1908. 

Asien. 

Observations  made   at  the  Magnetical  and  meteorological  Observatory 

at    Batavia.     Publ.   by   order   of  the  Government  of  Netherlands 

India.     Vol.  29    (1908).    —    Regenwaarnemingen    in    Neth.   India. 

Jaarg.  29  (1907),    Deel  1.  2.    —   Erdbeben- Bericht.    —    Magnetic 

Survey  of  the  Dutch  East-Indies  (1907).     Batavia. 
Natuurkundige   Tijdschrift  voor    Nederlandsch-Indie,  uitgeg.    door    de 

kgl.   Natuurkundige  Vereeniging  in  Nederlandsch-Indie.     Deel  68 

Weltevreden,     Amsterdam  1909. 
Linguistic  Survey  of  India.    Vol.  9,  P.  2.  Vol.  3,  P.  1.  —  Annual  Report 

of  the    Board    of   scientific    Advice    for    India.     1906/07.    1907/08. 

Calcutta  1908.  09. 
Indian  Museum.     Aunual  Report.     1907/08.     ib. 
Memoirs  of  the  Indian  Museum.     Vol.  1,  No.'Y     ib.  190g. 
Records  of  the  Indian  Museum  (A  Journal   of  Indian  Zoology)  Vol.  2, 

No.  1—4.     ib.  1908. 
Bentham,  T.,  An  illustrated  Catalogue  of  Asiatic  Hörne  and  Antlers 

of  the  Collect,  of  the  Indian  Museum,     ib.  1908. 


Verzkichnis  deb  eingegangenen  Schuh  ii  XXIX 

A  Sketch  of  the  Geography  and  Geology   of  bhe  Bimalaya  Mountain* 

and  Tibet.    By  S.  G.  Burrard  and  IL  11.  llayden.    P.  4.    ib.  1908. 
Menioirs    of   the    College    and    Engineering,    Kyoto    Imp.    University. 
Vol.  i,  No.  4.     Kyoto  1908. 

The  Journal  of  the  College  of  science,  Imp.  University,  Japan.    Vol.  23, 

Art.  5.    Vol.  26,  Art.  1.  2.    Vol.  27,  Art.  1.  2.     Tokyo   1908.  09. 
Annotationes  Zoologiae  japonensis.  Vol. 6,  P.5.  Vol.  7,  P.  1.2.  ib.  1908.09. 

Bulletin  of  the  Imp.  Earthquake  Investigation  Committee.  Vol.  2,  No.  3. 
Vol.  3,  No.  1.  2.     ib.  1908.  09. 

Australien. 

Report   of  the  11.  Meeting  of  the  Australiam  Association   for  the  ad- 
vancement  of  Science.     Adelaide  1907. 

Proceedings  of  the  R.  Society  of  Victoria.    N.  S.   Vol.  21,  P.  2.   Vol.  22, 
P.  1.     Melbourne  1909. 


2.   Einzelne  Schriften. 

Boclcenhaupt ,  B.,  Grundzüge  einer  Physik  des  Weltraums  (Roken- 
hausen)  1909  [1899]. 

Franke,  Th.,  Die  Zwickauer  Thesen  im  Lichte  unterrichtswissenschaft- 
licher Beurteilung.     Langensalza  1909. 

Fritsche,H.,  Die  mittlere  Temperatur  der  Luft  im  Meeresniveau.  Riga  1909. 

Bberg,  Joh.  u.  Max  Wellmann,  Zwei  Vorträge  zur  Geschichte  der  antiken 
Medizin.    S.A.     Leipzig  1909. 

Janet,  Charles,  Notes  extractes  des  Comptes  rendus  des  Se'ances  de 
FAcademie  des  sciences.  Paris  1906.  07.  —  Anatomie  du  corselet 
et  histolyse  des  muscles  vibratoires  .  .  .  chez  la  reine  de  la  fourmi 
(Lasius  niger).     Limoges  1907. 

Laiglesia,  F.  de,  Estudios  historicos  (15 15 — 1555).     Madrid  1908. 

Paris  (Vice-Admiral),  Souvenirs  de  Marine.    Part.  6.    Paris  1908. 

Pupocac,  Peter,  „Tres  numeri  pacisu.    P.  n.  ec.    Wien  (1909). 

Rudolph,  H.,  Die  Erklärung  der  Radioaktivität  aus  dem  chemischen 
Zerfall  der  Atome.  S.  A.  —  Über  eine  mögliche  Ursache  der  Erd- 
beben. S.-A.  —  Die  Magnetfelder  der  Sonnenüecken  und  die  Ka- 
thodenstrahlung der  Sonne.    S.-A.    1909. 

Silvestre  Falconieri,  Francesco  di,  Sülle  relazioni  fra  la  casa  di  Borbone 

e  il  Papato  nel  secolo  XVIII.    S.-A.    Roma  1906. 
Stahl,  Ernst,  Zur  Biologie  des  Chlorophylls.     Jena  1909. 

Weiler,  Aug.,  Die  Störung  des  elliptischen  Elements  einer  Funktion 
zweier  Variabein.  II.  Karlsruhe  1908.  —  Die  säkularen  Störungen 
des  Parameters,    ebd.  1909. 

Weltsprache  und  Wissenschaft.  Gedanken  über  die  Einführung  der 
internationalen  Hilfssprache  in  die  Wissenschaft  von  L.  Couturat, 
0.  Jespersen,  P.  Lorenz,    W.  Ostwald,  L.  Pfaundler.    Jena  1908. 

Wutte,  Georg,  Kann  die  Erde  erkalten?     2.  Aufl.     Berlin  1909. 

Zervos,  Slcevos,  Determination  des  noms  des  auteurs  de  deux  anciens 
medicaux.     Athenes  1908. 


BERICHTE 

ÜBER  DIE 

VERHANDLUNGEN 

DER  KÖNIGLICH  SÄCHSISCHEN 

GESELLSCHAFT  DER  WISSENSCHAFTEN 

ZU  LEIPZIG 

PHILOLOGISCH-HISTORISCHE  KLASSE. 

ZWEIUNDSECHZIGSTER  BAND. 

1910. 


MIT  3  TAFELN. 


LEIPZIG 

BEI   B.  G.  TEÜBNER. 


INHALT. 

Seite 

I     F.  H.  Weissbach,  Über  die  Inschriften  des  Darius  Hystaspis  von 

Naks-i-Rustam      ^ 

II  Richard  Meister,  Beiträge  zur  griechischen  Epigraphik  und 
Dialektologie  VIII.  Synoikievertrag  aus  dem  arkadischen 
ürchonienos 1 1 

II     Wilhelm  Stieda,  Zur  Sächsischen  Gelehrtengeschichte  .... 

V  Ludwig  Mitteis,  Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeß- 

einleitung  nach  den  Papyri  der  früheren  Kaiserzeit    ....       61 

V  A.  Leskien,  Über  Dialektmischung  in  der  serbischen  Volkspoesie     129 
fl     A.  Fischer,  Auflösung  der  Akkusativrektion  des  transitiven  Verbs 

durch  die  Präposition  li  im  klassischen  Arabisch 161 

II     A.  Menzel,  Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii 191 

TQ     Richard   Meister,    Beiträge    zur  griechischen   Epigraphik   und 

Dialektologie  IX.     Kyprische  Inschriften.     Mit  3  Tafeln     .    .     233 
£     Ludwig  Mitteis,   I.   Über  die   privatrechtliche  Bedeutung    der 
ägyptischen    ßißlio&riY.r\    iyy.xi]6tcov.      II.    Zu    der   Stelle    des 
Ulpian  D.  27,  10,  1  pr.     III.  Das  Receptum  nautarum  in  den 

Papyrusurkunden 249 

^     Richard  Heinze,  Tertullians  Apologeticum 281 

I     Adolf  Birch-Hirschfeld,  Zum  Gedächtnis  an  Richard  Wülker     493 


Verzeichnis  der  Mitglieder  der  Königlich  Sächsischen  Gesellschaft 

der  Wissenschaften 1 

Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften VII 


SITZUNG  VOM  18.  DEZEMBER  1909. 

Herr  Mitteis  trägt  vor  über  die  Prozeßleitung  in  ägyptischen  Papyrus 
Urkunden  (für  die  „Berichte"), 

Herr  Leskien  über  die  an  das  Indogermanische  Institut  der  Uni- 
versität gelangten  litauischen  Texte  von  Baranowski,  die  in 
den  „Abhandlungen"  veröffentlicht  werden  sollen. 

Herr  Meister  berichtet  über  seine  Vorarbeiten  zu  dem  Corpus  Jn- 
scriptionum  Cypriarum  und  über  einen  Synoikie vertrag  aus  dem 
arkadischen  Orchomenos  (für  die  „Berichte"). 

Herr  Zimmern  empfiehlt  für  die  „Abhandlungen"  eine  Arbeit  des 
Herrn  Professor  Weissbach  über  die  Inschriften  des  Darius 
Hystaspis  von  Naks-i-Rustam,  nebst  einem  Vorbericht  für  die 
„Berichte". 

Herr  Stieda  übergibt  einen  Beitrag  zur  sächsischen  Gelehrten- 
geschichte (für  die  „Berichte"). 

Das  Stipendium  aus  der  Springer-Stiftung  wird  im  Betrag  von 
1000  M.  Herrn  Dr.  Willy  Becker  in  Erfurt  zugesprochen. 


Phil.-lnst.  Klasse  1910.    Bd.  LXII. 


Über  die  Inschriften 
des  Darins  Hystaspis  von  Naks-i-Rustam. 

Von 
F.  H.  Weissbach. 

Die  Erforschung  der  Achämeniden-Inschriften  hat  seit 
1907,  dank  den  Arbeiten  von  L.  W.  King  und  R.  C.  Thompson, 
einen  großen  Schritt  vorwärts  getan.  Ihre  Kollation  der  drei- 
sprachigen Inschriften  am  Felsen  von  Bisutün  hat  eine  große 
Anzahl  von  Fehlern  in  den  früheren  Ausgaben  berichtigt, 
viele  zweifelhafte  oder  überhaupt  nicht  gelesene  Zeichen  sicher 
gestellt  und  dadurch  weitere  Fortschritte  in  der  sprachlichen 
Erklärung  und  sachlichen  Verwertung  ihrer  Angaben  ermög- 
licht. Es  sei  hier  nur  an  die  Chronologie  der  ersten  Regie- 
rungsjahre des  Darius  Hystapis  erinnert,  deren  frühere  Be- 
handlungen nur  zu  schwankenden  Ergebnissen  führen  konnten, 
die  aber  jetzt  fast  völlig  gesichert  ist. 

Wiederholt  habe  ich  auf  die  zweite  wichtigste  Aufgabe, 
die  die  altpersische  Wissenschaft  nach  der  Erledigung  von 
Bisutün  zu  lösen  hat,  hingewiesen.  Die  genauere  Erforschung 
der  Reliefs  und  Inschriften  am  Grabe  des  Darius  ist  eine 
Notwendigkeit,  die  bei  der  fortdauernd  drohenden  Zerstörung 
von  Jahr  zu  Jahr  dringender  wird.  Auch  die  nachfolgenden 
Bemerkungen  sind  dazu  bestimmt,  das  Interesse  für  diese 
Aufgabe  in  den  nächstbeteiligten  Gelehrtenkreisen  von  neuem 
wachzurufen.  Da  die  achämenidischen  Felsengräber  allgemein 
bekannt  sind,  beschränke  ich  mich  hier  darauf,  das  Allernot- 
wendigste  anzuführen. 

Die  tief  in  den  Felsen  eingehauenen  Nischen  haben  die 
Gestalt  eines  griechischen  Kreuzes.  Die  Höhe  der  Nische  des 
Dariusgrabes  ist  2i,Sm,  die  Breite  etwas  geringer.  Der  untere, 
schmale  Teil  der  Nische  ist  nicht  weiter  bearbeitet;  die  Wände 
sind  glatt.     Der  mittlere,  breite  Teil  bietet  das  Aussehen  der 


4  F.  H.  Weissbach: 

Fassade  eines  Hauses.    4  schlanke  Säulen,  in  deren  Mitte  die 
Eingangstür  zur  Grabkammer  angebracht  ist,  tragen  ein  über- 
ragendes Dach.     Darüber    ist   die  Nische   wieder    so    schmal 
wie  unten,  aber  hier,  im  Gegensatz  zu  dem  unteren  Teil,  mit 
Reliefdarstellungen  geschmückt.    Unmittelbar  über  dem  Dach 
erblickt  man  die  Seitenansicht  von  einer  Art  Thron  mit  kunst- 
voll gedrechselten  Beinen,  der  fast  die  Hälfte  der  Fläche  ein- 
nimmt und  zu  beiden  Seiten  nur  einen  schmalen  Raum  läßt. 
Die  Thronbeine    sind    in  der  Mitte  durch    einen  Holm    ver- 
bunden;   den  Raum    über   und   unter   dem  Holm  füllen  zwei 
Reihen  von  je  1 4  nach  rechts  schreitenden  Männern,  die  mit 
hochgehobenen  Händen  die  über  ihnen  befindlichen  horizontalen 
Teile  des  Thrones  zu  tragen  scheinen.    Rechts  und  links  der 
unteren  Reihe,  in  den  schmalen  Räumen  zwischen  dem  Thron 
und  dem  Nischenrahmen,  sind  noch  zwei  ähnliche  Figuren  dar- 
gestellt, deren  Hände  die  Thronbeine  von  außen  berühren.  Oben 
auf  dem  Thron   steht  links   ein  Podest  von  drei  Stufen,   auf 
diesem  der  König  Darius,  gleich  den  Menschen  unter  ihm  nach 
rechts  gewendet,   die  linke  Hand  auf  den  aufrecht  gestellten 
Bogen  gestützt,  die  rechte  anbetend  erhoben.    Vor  ihm  schwebt 
in  der  Höhe  das  bekannte  Symbol  Ahuramazdas,  hinter  diesem 
die  Mondscheibe,   zwischen  beiden  Göttersymbolen  steht  auf 
dem  Thron   ein  Altar.     Auf  dem   Rahmen   an   den  Rändern 
der  Nische  stehen  beiderseits  je  drei  bewaffnete  Leibwächter 
des  Königs  übereinander,  außerdem  je  4  weitere  Figuren  ähn- 
licher Art  an  den  Seitenwänden  der  Nische. 

Die  eben  beschriebenen  Reliefs  sind,  von  geringen  Ab- 
weichungen abgesehen,  den  meisten  Achämeniden- Gräbern 
eigentümlich.  Was  aber  das  Darius-Grab  vor  den  übrigen 
auszeichnet,  das  sind  seine  Keil-Inschriften.  Diese  Inschriften, 
gleich  den  meisten  anderen  Achämeniden-Inschriften  drei- 
sprachig (altpersisch,  elamisch  und  babylonisch),  sind  von 
höchster  Bedeutung,  nicht  nur  in  sprachlicher  Hinsicht,  son- 
dern auch  für  die  Deutung  der  Reliefdarstellungen.  Es  sind 
dies  folgende: 

1.    Eine    große    obere    Insehrift    (NRa),    der    ap.    Text 


Die  Inschriften  des  Darius  Hystaspis  von  Naks-i-Rusta 


M 


(60  Zeilen)  links  von  der  Figur  des  Königs,  weiter  links  die 
el.  Übersetzung  (48  ZZ.)  und  noch  weiter  links,  auf  der  Seiten- 
wand der  Nische,  die  bab.  Übersetzung  (36ZZ.),  mich  Ab- 
schriften Westergaards  (1843)  veröffentlicht. 

2.  Eine  große  untere  Inschrift  (NRb)  von  gleichem  Um- 
fang, am  mittleren  Teil  der  Fassade,  zwischen  den  Säulen; 
der  ap.  Text  steht  links,  die  Übersetzungen  rechts  von  der 
Tür.  Sehr  verwittert  sind  alle  3  Texte,  am  meisten  der  bab. 
Westergaard  hat  nur  vom  ap.  Text  die  ersten  1 5  ZZ.  abge- 
schrieben, Flandin  &  Coste  einige  ZZ.  aus  der  Mitte,  mit 
zahlreichen  Lücken  und  Fehlern. 

3.  Kleine  Inschrift  (NRc)  über  dem  Lanzenträger  auf 
dem  linken  ßahmen  der  Nische,  hinter  dem  Koni«- 

4.  Dgl.  (NRd)  unter  dieser  Figur,  üher  einem  anderen 
Leibwächter. 

5.  Dgl.  (NRe),  über  der  Figur  des  Mannes  links  von 
der  unteren  Menschenreihe,  der  den  Thron  von  außen  berührt. 
Diese  3  Inschriften  wurden  von  einem  englischen  Reisenden 
Tasker    abgeschrieben    und    von    Rawlinsox    veröffentlicht. 

Die  Abschriften  Westergaaeds  und  Taskers  wurden 
unter  sehr  schwierigen  Umständen  genommen;  Westergaard 
bediente  sich  eines  Fernrohrs,  mit  dessen  Hilfe  er  Zeichen 
für  Zeichen  vom  Erdboden  aus  abschrieb.  Tasker  ließ  sich 
mit  Seilen  emporziehen,  sodaß  er  oben,  direkt  am  Felsen 
hängend,  kopieren  konnte.  Die  große  Anstrengung,  mit  der 
diese  Arbeit  verbunden  war,  zog  ihm  eine  Krankheit  zu,  an 
der  er  starb.  Die  Photographien  in  Stolzes  Persepolis  sind 
sehr  ungenügend.  Nur  für  den  ap.  und  den  el.  Teil  der 
großen  oberen  Inschrift  gewährten  sie  einige  Ausbeate,  für 
den  ap.  und  den  el.  Teil  der  großen  unteren  Inschrift  einige 
Zeichen;  die  babylonischen  Texte  und  die  kleinen  Inschriften 
sind  bei  Stolze  völlig  unleserlich.  So  kann  die  große  untere 
Inschrift  noch  fast  als  unveröffentlicht  gelten,  zumal  auch  der 
letzte  Besucher  A.  V.  W.  Jackson  (1903)  in  seinem  Buche 
Persia  S.  298  Anm.  1  von  ihr  sagt:  „The  lower  one  (b)  of 
the  two  inscriptions  is  now  almost  illegible." 


6  F.  H.  Weissbach: 

Über  die  Bedeutung  der  Figuren  an  dem  Thron  ist  man 
sich  schon  seit  Jahrzehnten,  im  allgemeinen  wenigstens,  klar. 
Darius  selbst  sagt  in  seiner  großen  oberen  Inschrift: 
„Nach  dem  Willen  Ahuramazdas  (sind  es)  diese  Länder,  die 
ich  in  Besitz  nahm  außer  Persien.  Ich  wurde  ihr  Herrscher. 
Sie  brachten  mir  Tribut.  Was  ihnen  von  mir  gesagt  wurde, 
das  taten  sie.  Mein  Gesetz  ward  gehalten:  Medien,  Uuaga 
(Elam),  Parthien,  Areia,  Baktrien,  Sogdiana,  Chorasmien, 
Drangiana,  Arachosien,  Sattagydien,  Gandara,  Indien,  die  Sakä 
haumauargä,  die  Sakä,  welche  spitze  Helme  tragen,  Babylon, 
Assyrien,  Arabien,  Ägypten,  Armenien,  Kappadokien,  Sparda, 
Ionien,  die  Sakä  jenseits  des  Meeres,  Skudra,  die  Ionier 
takabarä,  Putiia,  Kusiia,  Makiia,  Karka."  Und  weiterhin: 
„Wenn  du  nun  denkst:  „Wie  vielfach  waren  jene  Länder,  die 
König  Darius  besaß?"  so  blick  die  Bilder  an,  die  den  Thron 
tragen,  da  wirst  du  erkennen"  etc.  Die  „Thronträger"  stellen 
also  die  Völker  dar,  die  König  Darius  besaß.  Zum  Überfluß 
sagt  auch  die  kleine  Inschrift  NRe  ausdrücklich:  „Dieser  ist 
ein  Makiiä",  also  ein  Repräsentant  des  Volkes,  das  der  König 
oben  an  vorletzter  Stelle  genannt  hatte.  Danach  hatte  be- 
reits 1859  Oppert  (Expedition  en  Mesopotamie  2,  192)  die 
Vermutung  geäußert,  daß  ursprünglich  jeder  „Thron träger" 
eine  derartige  kleine  Inschrift  gehabt  habe.  In  der  Tat  konnte 
1885  M.  Dieulafoy  (Revue  arch.  III.  Serie  6,  2 24 ff.)  melden, 
daß  seine  beiden  Mitarbeiter  C.  Babin  und  F.  Houssay,  die 
das  Dariusgrab  mit  Hilfe  eines  eigens  konstruierten  hohen 
Gerüstes  untersuchten,  dabei  7  neue  kleine  Inschriften  ent- 
deckt hatten.  Dieulafoy  stellte  die  Veröffentlichung  dieser 
Inschriften  in  nahe  Aussicht;  sie  sind  jedoch  bis  heute  nicht 
erschienen. 

Auf  dem  Internationalen  Orientalisten-Kongreß  zu  Ham- 
burg (1902)  hielt  F.  C.  Andreas  einen  Vortrag  über  die  Völker- 
liste des  Darius  in  seiner  Grabinschrift.  Unter  Vergleichung 
der  besser  erhaltenen  Figuren  des  vierten  Grabes  von  Naks- 
i-Rustam,  das  nach  ihm  (Verhandlungen  des  XIII.  Interna- 
tionalisten-Kongresses S.  96)  „eine  genaue  Kopie  des  Darius- 


Die  Inschriften  des  Dauius  HyStaspxs  von  NakI-i-Rustam.    7 

grabes"  ist  und  ihm  „in  einer  prachtvollen,  für  alle  wissen- 
schaftlichen Zwecke  brauchbaren  Photographie  des  Herrn  Dr. 
F.  Sarre"  vorlag,  gelang  es  ihm,  jedes  einzelne  der  Volker 
zu  identifizieren.  Da  die  Zahl  dieser  Figuren  gerad.- 
30  (=  14  +  14  -f-  1  +  1)  ist,  in  der  Inschrift  aber,  außer 
Persien,  scheinbar  nur  29  genannt  sind,  und  Andreas  von 
der  Ansicht  ausging,  daß  (a.  a.  0.  97)  „der  herrschende  Stamm 
der  Perser  .  .  .  natürlich  nicht  unter  den  den  Thron  des 
Darius  tragenden  Figuren  der  unterworfenen  Völker  zu  suchen" 
sei,  schloß  er,  daß  die  Saka,  haumauargä,  die  man  vorher 
ganz  allgemein  als  ein  Volk  betrachtet  hatte,  in  zwei  Völker 
zu   zerlegen    seien:    Saka   und  Haumauargä. 

Mit  einer  neuen  Bearbeitung  der  Achämeniden-Inschriften 
beschäftigt  hielt  ich  es  für  geboten,  alles  zu  tun,  um  neues, 
brauchbareres  Material  zu  erlangen.  Zu  meiner  großen  Freude 
sind  meine  dahinzielenden  Bemühungen  nicht  erfolglos  ge- 
blieben. Zunächst  stellte  mir  H.  Universitäts-Professor 
Dr.  Chn.  BartholomÄ,  jetzt  in  Heidelberg,  das  gesamte 
Material  an  Photographien,  das  ihm  sein  Schüler,  H.  Privat- 
dozent Dr.  H.  Reichelt  in  Gießen,  aus  Persien  mitgebracht 
hatte,  in  liberalster  Weise  zur  Verfügung.  Darunter  befinden 
sich  nicht  weniger  als  5  Aufnahmen  von  Teilen  des  Darius- 
Grabes.  Hervorragend  schön  und  klar  ist  die  Aufnahme  Nr.  1 
mit  der  Figur  des  Darius  und  des  Gottes  Ahuramazda,  dar- 
unter die  Thronträger  I— IX,  XXIX  und  XV— XXIII,  und 
an  der  Seite  links  die  3  Leibwächter.  Der  ap.  und  der  el. 
Text  der  großen  oberen  Inschrift  (NRa)  sind  bis  auf  die  tief 
beschatteten  beiden  Anfangszeilen  und  die  zerstörten  Stellen 
vollständig  deutlich  zu  lesen,  sodaß  sich  die  Texte  bis  auf 
ganz  geringfügige  Lücken  in  ihrer  ursprünglichen  Gestali 
wiederherstellen  lassen.  Um  mich  nicht  in  Einzelheiten  zu 
verlieren,  will  ich  nur  hervorheben,  daß  die  Photographie  des 
ap.  Teiles  ein  bisher  unbekanntes  ap.  Wort,  die  des  el.  aber 
ein  bisher  unbekanntes  el.  Zeichen  liefert,  und  ein  anderes 
bisher  nur  einmal  belegtes  zum  zweiten  Mal  belegt.  Die  In- 
schriften der  beiden  oberen  Leibwächter  (NRc  und  NRd)  sind 


8  F.  H.  Weissbach: 

allerdings  nur  gerade  noch  zu  sehen,  aber  nicht  zu  lesen. 
Etwas  klarer  ist  dagegen  die  Inschrift  über  dem  XXIX.  Thron- 
träger (früher  als  NRe  bezeichnet),  während  die  Inschriften 
der  anderen  Thronträger  entweder  gar  nicht  oder  nur  un- 
deutlich sichtbar  sind.  Doch  glaubte  ich  schon  über  III  und  IV 
die  Worte  „Dies  ist  Uuaga  (Elam)"  und  „Dies  ist  der  Partaua 
(Parther)"  zu  erkennen,   ohne  jedoch  Sicherheit  zu  erlangen. 

Nr.  2,  eine  Aufnahme  der  linken  Seitenwand,  bietet  auch 
den  bab.  Text  der  großen  oberen  Inschrift  (NRa),  zwar  in 
sehr  kleinem  Maße,  aber  doch  für  die  Verbesserung  einer 
kleinen  Anzahl  Stellen  hinreichend. 

Nrr.  3  bis  5  sind  Aufnahmen  der  großen  unteren  Inschrift 
(NRb),  die  allerdings  sehr  stark,  aber  noch  nicht  ganz  hoff- 
nungslos verstümmelt  ist.  Von  dem  ap.  Text  sind  in  jeder 
Zeile  wenigstens  ein  paar  Zeichen  mit  Sicherheit  lesbar,  ebenso 
von  den  meisten  Zeilen  des  el.  Textes.  Beim  bab.  Text  sind 
zwar  einzelne  Zeichen,  aber  kaum  ein  ganzes  Wort  zu  deuten. 
Auch  diese  Inschrift  liefert  einige  neue  ap.  Wörter  und  Formen, 
die  uns  um  so  willkommener  sein  müssen,  je  spärlicher  die 
anderen  erhaltenen  Reste  der  ap.  Sprache  sind. 

Um  Gewißheit  über  die  kleinen  Inschriften  von  NR  zu 
erhalten,  wandte  ich  mich  an  M.  F.  Houssay,  jetzt  Professor 
an  der  Sorbonne,  und  erhielt  von  ihm  und  durch  seine  freund- 
liche Vermittelung  auch  von  M.  C.  Babin,  jetzt  Ingenieur  en 
chef  des  ponts  et  chaussees  in  Rouen,  mit  zuvorkommender 
Liebenswürdigkeit  alles  gewünschte  Material  zugesandt.  Die 
3  photographischen  Aufnahmen  bieten  den  bab.  Text  der 
großen  oberen  Inschrift  (NRa)  größer  und  demgemäß  auch 
deutlicher  als  Bartholomä  Nr.  2,  ferner  NRc  und  endlich 
NRd  in  authentischer,  fast  völlig  leserlicher  Gestalt,  wodurch 
zahlreiche  Konjekturen  und  Hypothesen,  die  mit  Vorliebe  an 
diese  beiden  kleinen  Inschriften  geknüpft  wurden,  mit  einem 
Male  ihre  Erledigung  finden.  Außerdem  erhielt  ich  von  beiden 
Herren  ihre  Kopien  der  7  kleinen  Inschriften,  die  sie  entdeckt 
hatten,  und  eine  Skizze,  aus  der  sich  ergab,  zu  welchen  Fi- 
guren   sie    gehörten.      Gleich    die    erste    Inschrift    über    dem 


Die  Inschriften  des  Dabius  Kystaspk  von  N\.s  i-'  g 

Thronträger  I  lautet  „Dies  ist  der  Perser",  die  3.  und  4.  aber, 
wie  ich  bereits  auf  Bartholomä  Nr.  1  zu  Lesen  geglaubl 
hatte:  „Dies  ist  Uuaga  (Elam)",  bezw.  „Dies  ist  der  Partlrer" 
Damit  war  erwiesen,  daß  Andreas  die  ganze  obere  Reihe  1 
Thronträger  (I — XIV)  falsch  bestimmt  hatte.  Di»  erste  Figur 
ist  nicht  der  Meder,  wie  Andreas  infolge  einer  irrigen  Deu- 
tung der  Angaben  der  großen  oberen  Inschrift  angenommen 
hatte,  sondern  der  Perser,  und  die  Sakä  haumauargä  sind  nichi 
zwei  verschiedene  Völker,  sondern  ein  einheitliches,  wie 
man  von  jeher  angenommen  hatte.  Der  Beweis  für  die  Rich- 
tigkeit dieser  Behauptung  läßt  sich  jetzt  zum  Überfluß  auf 
anderem  Wege  führen.  Wären  die  Haumauargä  ein  besond* 
Volk,  so  müßte  ihr  Name  in  der  bab.  Übersetzung  von  NRa, 
gleich  den  anderen  Völkernamen,  das  Länderdeterminativ  vor 
sich  haben.  Statt  dessen  finden  wir  aber  in  den  Photogra- 
phien einen  einfachen  senkrechten  Keil. 

Die  30  Thronträger  bilden,  um  es  kurz  zu  sagen,  ein 
eigenartiges  ethnologisches  Museum,  dessen  Wert  um  so  höher 
ist,  als  der  Künstler  sich  offenbar  mit  Erfolg  bemüht  hat,  die 
charakteristischen  Züge  jedes  Völkertypus  in  Gesichtsbildung, 
Haar-  und  Barttracht,  Kleidung  und  Bewaffnung  möglichst 
der  Natur  entsprechend  herauszuarbeiten.  Diese  Völkertypen 
unter  Vergleichung  der  Darstellungen  an  den  anderen  Aehä- 
rneniden-Gräbern  eingehend  zu  beschreiben,  liegt  außerhalb 
des  Zieles,  das  ich  mir  gesteckt  habe,  ist  vielmehr  Aufgabe 
des  Archäologen,  und  von  archäologischer  Seite  auch  bereits 
in  Angriff'  genommen.  Ich  muß  mich  damit  begnügen, 
Identifikation  der  einzelnen  Figuren,  die  Andreas  nur  zum 
Teil  gelungen  war,  mit  Hilfe  des  mir  zur  Verfügung  gestellten 
Materials  zu  sichern  und,  soweit  nötig,  zu  berichtigen.  Die 
vollständige  Transskription  und  Übersetzung  der  Inschriften, 
nebst  den  Originalen  (teils  in  Lichtdruck,  teils  in  Autographie) 
wird  in  den  Abhandlungen  der  K.  Sachs  Gesellscha 
Wissenschaften   erscheinen. 


Druckfei  .10.] 


/ö 


\ 


I  I 


Beiträge  zur  griechischen  Epigraphik  und 
Dialektologie  VIII. 

Synoikievertrag  aus  dem  arkadischen  Orchomenos. 

Von 

Richard  Meisteb. 

In  dem  kürzlich  erschienenen  3.  Heft  des  34.  Bandes  (1909) 
der  Athenischen  Mitteilungen  veröffentlicht  A.  v.  PREMERS  i  i.i.n 
eine  neue  arkadische  Inschrift,  zu  deren  Lesung  und  Erklärung 
die  folgenden  Bemerkungen  einen  Beitrag  zu  liefern  bestimmt 
sind.  Sie  steht  auf  drei  Seiten  eines  schmalen  viereckigen 
Marmorpfeilers,  der  im  Jahre  1906  im  Bereiche  der  alten 
Stadt  Orchomenos  gefunden,  jetzt  in  dem  Orte  Levidi,  einige 
Stunden  nordwestlich  von  Tripolis,  aufbewahrt  wird.  Nach 
dem  Urteil  des  Herausgebers  gehört  sie  etwa  der  Wende  des 
4.  und  3.  vorchristlichen  Jahrhunderts  an.  Ich  gebe  zunächst 
mit  Wiederholung  des  vonHEBERDEY  angefertigten  Faksimiles1) 
die  Inschrift  so,  wie  ich  sie  lese,  mit  Hinzufügung  der  Über- 
setzung, und  führe,  wo  ich  von  Premerstein  abweiche,  seine 
Lesung  am  Schlüsse  des  Textes  an.  Da  ich  im  folgend» mi 
nur  die  Stellen  ausführlicher  bebandeln  werde,  an  denen  ich 
mich  im  Gegensatze  zu  ihm  befinde,  fühle  ich  mich  um  so 
mehr  verpflichtet,  gleich  hier  dankbar  darauf  hinzuweisen, 
ein  wie  großes  Verdienst  sich  der  erste  Herausgeber  um  die 

Urkunde  erworben  hat.  _ .   ,     ..  ,         .,    „_N 

Linke  Nebenseite  (B). 


In^ikahnai 


.    0   fj   ux 

.      ÖvdlXCC    i]VUL        (frei) 


1)  Hierbei  durften  die  Klischees  der  Athenischen  Mitteilungen  be- 
nutzt werden,  wofür  ich  der  Direktion  des  Kaiserlich  Deutschen  Archäo- 
logischen  Instituts   in  Athen  meinen  verbindlichsten  Dank  ausspreche. 

Phil.-Uiat.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  2 


Vorderseite  (A). 


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25 


30 


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T  £  TA/AHIC  ETo^PAt  A  A£| 


v. 


r]ög  df  XQorsQog  [«'- 
jrjt.foijcog  rag  ro[ft- 
a]dog  Aapjv,  xa  r[a- 

fJ^Otg"    tg)?;   de    £jrl  5 

X]ai^t«(d)at,  £/t£  [V 

-jj]  %coqIov  a^fpikl- 

o\yov  iv  xal  xo[i[d- 

(Tjt,  rög  *Hqatag  ölcc- 

d^ixdöai,  xal  xäg  d6ca[g  10 

rjdg  7CQodedixaö[ii- 

v\äg  Ttdvöag'  7CO{in[a- 

t]  dJ  iTtLysveö&ca  d[i- 

d]  Tp£a  J-sxsa  ccq[xv- 

VOJV    SJll    ^QTjGL.       \_KcCi  15 

xa]  iQriata  da^iööi- 

a  x]otval  cpsQrjv  [d- 

{i]cpoTeQog.     rgäfpe- 

a]  ygaipavöag  xal&e- 

tfj'frfca],  OTto^  av  dsd[ö-        20 

ri\roi  Sc[i(poTSQOig.     [T- 

otg  S7tl  XaiQLÜdai  t- 

a]  %qi]cctcc  6<p£lko\y- 

<5\l  xal  freol  tcsql  xbv  \a- 

7i\vdo6yibv  avxbg  d[t-  25 

ajßaXsvöa^Cvog  %q6- 
vov  xd£,aö&ai,  xal  j18q[1 
xa]  \iL6^d)[iaxa  xäg  yag, 
xäv]  MvaöLxeXrjg  e[i((6)d-[(o- 
(?5,  xa  xavxd.    "Oxvg  £,ev[av  30 
yeyd^irjxs,  xbg  nalöag  \ 


SÄTEPAllo, 


aMo£a|*>|EYa 


VpiONTAAEAYEVa 

!^NATAN^YPo|': 

|sNTO|^B>><oM|NI^ 

tPO^TA^YNoEt 
i 

I^neitoaja/atoNaf 
p  NeIta^aoaNanJ 


^MAPElANNEITbH 

Ijyaa&NtonaphI 

f/YA  anapji  *taIm^ 

!APYTo|$EPxoMlK 
!*oYPöTEoYTohj| 
fflAToN^HA0Y-p| 
|jAOA  NANTANAPf| 
|  N£f  To  N I N  YAAl  oj 
|mToMAPHAKEYo| 
|EHTIMEHTArAo^ 
|^IoP<EKTIAEE3e| 
Ä^°AlAYTorKAl| 
|No£.n.Mo^ANEpif 
pAAl  Nj  o  ITA  AEA>K  E"f 

^h-anantam^f! 

|r</ANTol£EYAl/V\NJ 

||1Po£xa1^YHoeJ 

§  |£  N  E  ITo  HAlAToN/l 
ff  | 

|h  aNE  itaMaoana  j 

JANAPHAN^EITO^I 
IaAIo^ToNaPHAo^ 

L\^E^EA/^No»A"ffl 

|)<EYAlMNIo-CoYpi| 

|-  E  0YT0N  AlATo  N  Ai 

AoYTANAoANAI^J 

f 

|#\NAPHANoYToNltv 
1'AAloNToNAPVAA 


Rechte  Nebenseite  (C). 

og.     "iiuooav  ol  Evcc[C- 

fivio(L)  rüde'  äfsv\d- 

rico  v    a{y)  xhv  C)v}oi\v.t- 

av  xoig  'EqxouivioIi-  5 

g  710g  xccg  6vv&e\ö- 

t]g,   vel   xbv   /litt  xbv  "Aq\x\- 

«],    Vel    XttV   'A&ttVCCV    [r 

ccv  'AoeCav,  vsl   xbv  ['I- 

vvcUiov  xhv  "/()?,[«•  10 

o]vö'  ccv  tt[v]i6xaintt- 

v  txnv  xoig  'Eq^oiilv- 

C]otg  oi'moxe,  ov  xbv 

A\ia.  xbv  "Aq^cc,  ov  x[ä- 

v  'A&avctv  xccv  'AQe[i-  15 

cc]v,  ov  xbv  'IvvccXio- 

v  xbv  'Aorjtt'  xevo[o- 

x]e'vxc  [iev  xccyad-[tt, 

i]7ti0Qxtvxt  de  ££[0- 

Xejö&tti  ccvxby  xttl  \y-  20 

e\vog.    "Qixoöccv  'EqIx- 

o]j.Uvtoi  xttös'  ttipe\v- 

drjco  v    dv  xäv  6vJ-o 

1  \zittv  xoig  Evcu[xv\  i- 

01g  %bg  xccg  6vv&e-  25 

(?]tg,  vel  xbv  Alu  xbv  "4- 

o\t]tt,  vel  xäv  A&ttvo\y 

x\äv  'Aorfttv,  vel  xbv  'I[v- 

v\o:Xiov  xbv  '.!q>iw  o\v- 

d'  av  elelavvoitt  x-  30 

bg  EvcuiivCog  o'vtio-    ■ 

r].'.   or   xbv  Ai'tt  xbv 'A[q- 

T]]tt,    OV    XttV   'A&ttVttV 

x]äv  'Aq^ccv,  ov  xbv  'Iv- 

vjttXiOV    xbv    'Aorjtt.       (frei)  35 


\ 


14  Richard  Meister: 

Abweichend  liest  Premeestein:  A  1/2  [ivlfolnog.  —  2/3  To[(ia]Sog. 

—  6/7  sixs  [rt]  %wgiov.  —  8/9  To^[äd]L.  —  12/13  Tto\i[nag].  —  14/15 
«[p^äv]  irnfgriai.  —  1 5  j  r  6  [Kai  oöa]  #p7j'aTo:.  —  19  ypca/jai^rjas.  — 
27  ralac^-at.  Äai.  —  B  1  a7r[£]d[f xi\.  —  C  1/2  'l6l[Xa]og.  —  3/4  äipsv[d]rjoav. 

—  22/23  ccil}e[v]drj{ov. 

Übersetzung. 

A.  c ,  die  früheren  Zuwanderer  aber  sollen  Wohnsitze 

in  dem  parzellierten  Land  durchs  Los  zugewiesen  erhalten, 
wie  beide  Gemeinden  zusammen  es  beschlossen  haben.  Aber 
in  betreff  der  nach  dem  Jahre  des  Chairiadas  Zuwandernden, 
und  wenn  ein  Grundstück  strittig  ist  in  dem  parzellierten 
Lande,  sollen  die  Heraier  entscheiden,  auch  die  Streitsachen, 
über  die  früher  bereits  geurteilt  worden  ist,  insgesamt;  auf 
Bestellung  aber  soll  während  der  nächsten  drei  Jahre  ein 
Ordner  zum  Rechtsspruche  kommen.  Und  die  Staatsschulden 
sollen  beide  gemeinschaftlich  tragen.  Schriftliche  Urkunden 
sollen  sie  aufzeichnen  und  da  niederlegen,  wo  es  beiden  zu- 
sammen gut  erscheinen  wird.  Denen,  die  nach  dem  Jahre 
des  Chairiadas  ihre  Schulden  der  Göttin  noch  nicht  bezahlt 
haben,  sollen  sie  selbst  nach  Beschlußfassung  betreffs  der 
Rückzahlung  eine  Frist  festsetzen,  und  betreffs  der  Pacht- 
zahlungen für  das  Land,  das  Mnasiteles  verpachtet  hat,  in 
gleicher  Weise.  Wer  ein  fremdes  Weib  geheiratet  hat,  dessen 
Kinder ' 

B.  ' —  —  — ,  so  soll  die  Sache  wieder  vor  Gericht  ge- 
bracht werden.' 

C.  e jeder   von  beiden  Iolaos.     Es  schwuren  die 

Euaimnier  folgendes:  Ich  will  wahrlich  ohne  Falsch  sein  in 
der  Synoikie  mit  den  Erchomeniern  nach  den  Verträgen,  bei 
Zeus  Ares,  bei  Athene  Area,  bei  Enyalios  Ares;  und  ich 
werde  niemals  von  den  Erchomeniern  wegziehen,  bei  Zeus 
Ares,  bei  Athene  Area,  bei  Enyalios  Ares;  und  wenn  ich  dem 
Schwur  treu  bleibe,  soll  mir  alles  Gute  zu  teil  werden,  wenn 
ich  aber  meineidig  bin,  soll  mich  selbst  und  mein  Geschlecht 
Vernichtung  treffen.  Es  schwuren  die  Erchomenier  folgendes: 
Ich  will  wahrlich    ohne  Falsch  sein  in  der  Synoikie  mit  den 


Beiträge  z.  gbiechischen  Epigeafhik  D.Dialektologie  VIII.    15 

Euaiinniern  nach  den  Verträgen,  bei  Zeus  Ares,  bei  Athene 
Area,  bei  Enyalios  Ares;  und  ich  werde  niemals  die  Euaimnier 
vertreiben,  bei  Zeus  Ares,  bei  Athene  Area,  bei   Enyalios  Ares.' 

Erklärung. 

Alf.  [int^foixog.  Daß  diese  Ergänzung,  die  den  Etaum- 
verhältnissen  durchaus  entspricht,  die  dem  Sinn*'  nach  passende 
Bezeichnung  gibt,  wird  aus  dem  folgenden  ersichtlich  werden. 

2/3.  rag  to[iad)dog  la%r\v.  Pki:mi;i:sti;i\  (S.  2  ;'-  ;  'Die 
Bewohner  einer  Örtlichkeit  Topdg  waren  anscheinend  durch 
Gewalt  aus  ihren  Sitzen  vertrieben  worden  und  sollten  min 
wieder  in  diese  zurückgeführt  werden.'  Aber  lay^v  bedeutet 
nicht  sein  früheres  Eigentum  wieder  erlangen,  sondern  durchs 
Los  etwas  erhalten.  Ich  verstehe  den  Satz  von  der  Ansiede- 
lung der  zuerst  gekommenen  Einwanderer,  die  nach  gemein- 
schaftlichem Beschlüsse  der  beiden  Gemeinden  Grundstücke 
in  der  ä  xo\iag  (sc.  ya)  genannten  Landmark  von  Orchomenos 
durchs  Los  zugewiesen  erhalten  sollen.  Premerstein  möchte 
Topdg  als  Eigennamen  fassen  (S.  248):  'Der  Gedanke  an  einen 
Terraineinschnitt,  etwa  ein  schluchtartiges  Tal,  auf  dessen  Sohle 
die  hier  in  Betracht  kommenden  Grundstücke  sich  befunden 
haben  mochten,  liegt  nahe/  Ich  vergleiche  der  Bildung  des 
Wo,rtes  nach  die  ro^iäg  (ya)  mit  der  ögyäg  (yrj)  zwischen 
Eleusis  und  Megara,  der  nediäg  (yfj)  in  Attika  usw.,  und  er- 
kläre die  tofiäg  (ya)  von  tsfiveiv  'zerschneiden,  zerlegen'  als 
das  in  einzelne  Grundstücke  (ut'o/;,  uegCÖeg.  uolyci.  xAfjgot 
usw.)  geteilte,  parzellierte  Land. 

5n°.  täv  de  eiti  [X~\aiQid(d)uL,  slre  [x  >',]  ycogCov 
du<piXk[o]yov  Iv  xal  Tou[«d]t,  xbg  'Hga^'c^-  <)ic[d\i- 
xdöai,  xal  tag  d(xa[g  r](fcg  XQodedixa6fii-[v\(-:g  Ttdvöag. 
Premersteix  übersetzt  tCbv  inl  XaiQiddui:  'die  von  Chairiadas 
herbeigeführten  Händel'  (S.  249),  und  läßt  den  Genetiv  von  z&g 
dCxag  abhängig  sein.  Dabei  ist  für  etil  c.  dat.  eiue  weder  im  Arka- 
dischen noch  in  anderen  Dialekten  nachweisbare  Bedeutung  an- 
genommen und  der  Genetiv  von  dem  Nomen,  von  dein  er  ;il>- 
hänjncr    sein    soll,    allzu    weit    setrennt.     Außerdem    ist   von 


i6  Richard  Meister: 

Händeln  oder  Parteikämpfen ,  die  mit  dem  Synoikismos  in 
irgend  welchem  Zusammenhang  gestanden  hätten,  in  der  In- 
schrift nirgends  die  Rede.  Ich  erkläre  r&v  eitl  Xuigiddai  als 
Genetiv  des  rSachbetreffs',  wie  er  namentlich  bei  dixd&iv  und 
ähnlichen  gerichtlichen  Verben  steht  (vgl.  Kühner- Gerth 
i,  38of.;  Brugmann,  Kurze  vgl.  Gr.  S.  438;  J.  undTh.  Baunack, 
Die  Inschr.  von  Gortyn  85;  K.  Meister,  Idg.  F.  18,  1596°.). 
Wie  es  gortynisch  heißt:  og  xcc  töv  evsxvqöv  dtxddiji,  fwer  in 
betreff  der  Pfänder  urteilt'  GDI.  4999  II  12;  xaTadixaxödxö 
xö  eXsv&eyö  dexa  öxaxsQccvg,  xö  doAö  tzsvte  'er  soll  verurteilen 
wegen  des  Freien  zu  10  Stateren,  wegen  des  Sklaven  zu  5', 
ebd.  4991  I  3,  so  hier:  xcbv  ml  XaiQiddca  (sc.  ijuJ-oixav)  rbg 
'ÜQUEccg  diadixdöcu  fin  betreff  der  nach  dem  (Jahre  des)  Chairiadas 
(Zuwandernden)  sollen  die  Heraier  die  Entscheidung  treffen. 
Daß  Chairiadas  der  eponyme  Beamte  von  Orchomenos  in  dem 
laufenden  Jahr  des  Vertragsabschlusses  sein  könne,  hat  bereits 
Premerstein  S.  249  erwogen,  den  Gedanken  aber,  da  er  zu 
erheblichen  Schwierigkeiten  führe,  wieder  fallen  lassen;  'ins- 
besondere', meint  er,  f  würde  sich  daraus  die  wenig  wahr- 
scheinliche Konsequenz  ergeben,  daß  die  in  diesem  Jahre 
soeben  erst  abgeurteilten  Prozesse  sofort  wieder  einer  Revision 
unterzogen  worden  wären  (10 — 12)'.  Diese  Schwierigkeit  ist 
jedoch  nur  durch  die  Annahme  Premersteins  geschaffen 
worden,  daß  ixl  XaiQiddcu  in  dem  Sinne  von  attisch  stcI 
Xcagiddov  rim  Jahre  des  Chairiadas'  stehe,  während  nichts 
hindert  nach  der  ganz  bekannten  und  auch  bei  Datierungen 
häufigen  (R.  Günther,  Idg.  F.  20,  114)  Bedeutung  von  ml 
c.  dat.:  'nach,  auf  —  folgend'  zu  übersetzen:  rnach  (dem 
Jahre  des)  Chairiadas',  wofür  anderwärts  fisxcc  (neöu)  c.  acc. 
steht  (vgl.  R.  Günther  a.  a.  0.  S.  127).  Die  itgöxegoi  ml- 
J-olxol  sind  bereits  in  Orchomenos;  sie  bestehen,  wie  aus  der 
angefügten  Schwururkunde  (C)  hervorgeht,  aus  denEuaimniern; 
über  ihre  Ansiedelung  in  dem  parzellierten  Land  sind  beide 
Gemeinden,  Orchomenier  und  Euaimnier,  bereits  einig.  Von 
ihnen  werden  unterschieden  oC  iitl  Xaigiddai  {mifotxoi), 
Nachzügler,  deren  Zuzug  zu  erwarten  steht,  über  deren  Unter- 


Beiträge  z.  griechischen  Epigraphik  u.  Dialektologie  VJLIi.    17 

bringung  man  sich  aber  noch  nicht  geeinigt  hat.  Die  in 
Angriff  genommene  Verstärkung  von  Orchomenos  ist  also  mit 
der  Aufnahme  der  xgÖTegoi  stcIsolhoi  nicht  als  erledigt  ange- 
sehen  worden,  sondern  man  hat  die  Heranziehung  weiterer 
sutÜoLXOi  ins  Auge  gefaßt.  So  war  es  auch  bei  der  Ver- 
stärkung von  Naupaktos  zugegangen,  über  die  wir  durch  die 
bekannte  Bronzeinschrift  IG.  IX  1,  334  unterrichtet  sind.  Sie 
gibt  den  Vertrag  wieder,  den  die  Naupaktier  mit  den  bypokne- 
midischen  Lokrern  geschlossen  haben,  bestimmt  aber  zum 
Schluß  in  einem  Nachtrag,  daß  die  mit  den  hypoknemidischen 
Lokrern  getroffenen  Vereinbarungen  in  derselben  Weise  für 
andere  Ansiedler  Geltung  haben  sollten,  die  mit  Antiphatas  aus 
Chaleion  gekommen  wären.  Diese  inCfoixoi  aus  Chaleion 
sind  also  später  als  die  hypoknemidischen  Lokrer  in  Naupaktos 
eingetroffen,  zu  einer  Zeit,  als  bereits  die  Ansiedelung  der 
Hypoknemidier  in  Naupaktos  vollzogen  und  vertragsmäßig 
erledigt  war.  In  Orchomenos  handelte  es  sich  vielleicht  um 
die  Frage,  ob  den  nach  diesem  Jahre  Zuwandernden  auch  noch 
Grundstücke  in  der  ro^iäg  zur  Verlosung  angewiesen  werden 
könnten  oder  ob  sie  in  andere  Gegenden  verwiesen  werden 
sollten.  So  wird  z.  B.  in  der  aus  dem  4.  Jahrhundert  v.  Chr. 
stammenden  Inschrift  (herausgegeben  von  BrüNSMID,  Abhand- 
lungen des  arch.-epigr.  Seminars  d.  Univ.  Wien,  Heft  13,  S.  2  ff.) 
über  die  Verteilung  der  Grundstücke  unter  die  Kolonisten  von 
Kerkyra  melaina,  d.  i.  die  illyrische  Insel  Kurzola,  bestimmt, 
daß  die  ersten  Kolonisten  ihre  Grundstücke  in  der  %(oqcc 
e^edgetog,  die  ecpegTtovrsg  aber,  das  sind  die  später  zuwan- 
dernden STtLFoixoi,  die  ihrigen  in  der  %g3qcc  äÖiaigexog,  das  ist 
in  dem  nicht  parzellierten  Land,  erhalten  sollen.  —  Aber  nicht 
nur  über  die  Unterbringung  der  nach  dem  Jahre  des  Chairi- 
adas  zuwandernden  iirifoixoi,  sollen  die  Heraier  entscheiden, 
sondern  auch  über  Streitigkeiten,  die  bereits  bei  der  Ansiede- 
hing  der  früheren  inlfoixoi  in  der  rouag  vorausgesehen 
werden:  eire  [x  rj]  %cogCov  (>:n(p(kl[o}yov  iv  rat  Tou\o:d\t. 
Premeksteix  hat  sits  [xl\  yagiov  xtL  geschrieben,  indem  er 
Ellipse  des  Verbums  annimmt,  weil  für  £t'r    s[gtl\  der  Kaum 


18  Richard  Meister. 

nicht  ausreiche.     Da  aber  in  dem  Bedingungssatz  ein  in  der 
Zukunft  wiederholt   zu    erwartender  Fall    angeführt  wird,    so 
ist  nicht  der  Indikativ,   sondern  der  Konjunktiv  zu  ergänzen, 
vgl.  eI  x'  S7tl  dc3{icc  TtvQ  E7Cotöi]  Tempelrecht  von  Alea  Solmsen, 
Inscr.  sei.2  i21.     Die  Annahme,  daß  jetzt  bei  der  Ansiedelung 
der  STcCfoixoi  in  der  xo^idg  Streitigkeiten  über  einzelne  Grund- 
stücke  entstehen  würden,   lag   nahe,   weil  schon  vorher  über 
die    Eigentumsverhältnisse    in    diesem    Landstrich    gestritten 
worden   war;    das    Schiedsgericht    soll    aber   in    seinen   Ent- 
scheidungen  an   die  früher   gefällten   Urteile   nicht   gebunden 
sein,  vielmehr  sollen  die  früher   bereits  in  diesen  Sachen  ge- 
fällten Urteile  alle  noch  einmal  zur  endgültigen  Entscheidung 
vor  das  Schiedsgericht  gebracht  werden  (vgl.  övdtjco:  y)vcu  B  2). 
1 1/1  2  Ttgodedixccöuilv^ag.     Über  die  durch  die  Schrei- 
bung t  ausgedrückte  geschlossene  Aussprache  des  arkadischen  e, 
die  wir  schon  von   der  Präposition  iv  und  den  Formen  änv- 
dedo[iiv[og^    und    tt7t£%oiiCvog    aus    dem  Gottesurteil  von  Man- 
tineia  her  kannten  und  die  sich  ebenfalls  im  kypriscken,  aber 
auch  in  anderen  äolischen  Dialekten  nachweisen  läßt,    werde 
ich    in    nächster   Zeit  bei   Gelegenheit   der   Publikation   einer 
kypri sehen   Sakralinschrift   ausführlicher   zu   sprechen    haben. 
1 2 ff .  7tofi\ytat\  <5'  £7iL/ysve6d'cu  d[tcc]  XQi'a  fixea  ccq- 
[xvvo^v  STtl  fQtjßL.    Premerstein  liest:  7to(i[7tdg\  <3'  STCiye- 
veö&cu  ä\tä]  tqlcc  ftxEa  ä\jiiäv\  ETti^Qy'iöi   und   gibt  als  Sinn 
an  (S.  250),    daß    cdie    Entsendung    von    Schiedsrichtern    aus 
Heraia    durch    3  Jahre    und    zwar   auf  Antrag   der   Behörden 
(offenbar    von    Orchomenos    und    Euaimon)    stattfinden    soll'. 
Da  nehme  ich  Anstoß  an  dem  Ausdruck  no^iTtäg  EmyEviö^ai^ 
der  im  Sinne  von  öixaöxäg  i%iyEvi<5\tai  gebraucht   sein    soll, 
an  der  Allgemeinheit  des  Ausdruckes  ciQ%av   und  an  der  Be- 
deutung 'Antrag',   die   für   das  Wort  snCQQrjöLg  angenommen 
wird.     Ich  finde   das  Subjekt   des  Satzes   in   aQ\xvvo\v   (oder 
aQ[xvva]v).     Nach    dem    Faksimile   sind    von    diesem    Worte 
auf  Z.  14  noch  erhalten  AF,  darnach  Raum  für  2  Buchstaben, 
auf  Z.  15  Raum   für   2  Buchstaben,   dann  n,   so  daß  die  Er- 
gänzung Premersteins  a\j)yüv\  auch  dem  Räume  nicht  ent- 


Beiträge  z.  griechischen  Ei-itii;  \imiik  u.  Dialektologd    VJLL1.    19 

spricht.  ÜQXvvog  (ägxvvag)  'Ordner'  ist  die  Bezeichnmig  von 
bestimmten  Beamten,  bisher  uns  bekannt  aus  Hesych:  &Qtwog' 
ecQ%(ov,  Thuk.  0,47,  11:  (öfivövTav)  ev  "AQyEi  .  .  i)  ßovMt  xal 
01  öydor'jxovra  xal  ol  aoxvvat-  Plutarch,  Qu.  Gr.  I,  1  (Mor. 
p.  291  F):  (in  Epitlauros  nehmen  nur  180  Männer  an  der  Ver- 
waltung des  Staates  teil)  ex  öe  xovxcov  fjoovvro  ßovXevt dg, 
ovg  aQtvvovg  exdXovv.  Das  Verbum  clqxvev  'ordnen'  liegt 
arkadisch  im  Tempelrecht  von  Alea  SoLMSEN8  i17  vor.  Einer 
dieser  Beamten  soll  im  Laufe  der  nächsten  3  Jahre  nach 
Orchomenos  kommen  'auf  Bestellung',  d.  h.  so  oft  die  Orclm- 
menier  nach  einem  schicken.  —  lici  ^q^oi  rzum  Spruche',  liier 
'zum  entscheidenden  Beschlüsse'.  Im  Sinne  von  ipr^iGua 
wird  QfjGLg  aus  Krates  zitiert:  QrjGig'  xb  tn'^fiGua.  oi<xag 
K()art]g  [FCG.  ed.  Meineke  II  1,  251  nr.  16:  'nisi  Cratetem 
dicit  grammaticum';  ed.  Kock  I  144  nr.  56]  Phot.;  vgl.  auch 
Hesych:    Q>tßsig'   vojxol^    döyfiaxcc.   löyoi,    Xi^Eig.   iprt(pC(jauta. 

I5ff.  [Kai  tk]  iQTqaxa  da^i66i\a  x]oival  cpEQijv  [«^]- 
(porsQog.  Ich  ziehe  die  Ergänzung  [xccl  |  tu],  die  sich  den 
Raumverhältnissen,  wie  der  Vergleich  von  Z.  16  zeigt,  voll- 
kommen gut  anpaßt,  der  PREMERSTEixschen  [xcd  o\ecc]  vor, 
weil  sie  einfacher  ist. 

19  yo&tyavöag.  Premersteix  korrigiert:  yoäij>ccv(T)ccg 
mit  der  Erklärung  (S.  251):  'Der  Schreiber,  dem  irrigerweise 
ein  Begriff  wie  -xölig  äiKpoxsQug  als  Subjekt  vorschwebte,  hat 
die  weibliche  Form  des  Part.  aor.  gesetzt'.  Die  Erklärung  ist 
richtig:  es  liegt  ein  Wechsel  der  Begriffe  'Gemeinden'  und 
'Gemeindemitglieder'  vor.  Mag  aber  diese  Entgleisung,  für  die 
es  auch  in  der  Literatur  genug  Analogien  gibt,  vom  Schreiber 
herrühren  oder  vom  Redaktor  des  Beschlusses  —  wir  dürfen 
sie  nicht  durch  Korrektur  beseitigen. 

21  ff.  [T]o££  ixi  XaiQiccdcu  x[ä]  xqhjcctcc  6(pskXo\v6]i 
tat  %-eoI  xeqI  xbv  [u7t]vdo6^ibv  avxbg  d[ic(]ßaXEv6u- 
(iivog  xqövov  xa%u(5%-ai,  xccl  tceq\v  xcc]  fiL6d"(b[iata  rag 
yäg,  [xuv]  MvaöLxe?.rjg  i[ii\6)Q-[(o\GF<  xä  xavxd.  PREMER- 
STEix  vermutet  (S.  246!  263!  1  im  Zusammenhang  mit  seiner 
oben   erwähnten   Auffassung   von   Z.  5/6,   Chairiadas   sei   ein 


I 


20  Richard  Meister: 

Parteiführer  gewesen,  der  mit  einer  Gruppe  von  Gleich- 
gesinnten in  den  unruhigen  Zeiten,  die  dem  Synoikismos 
vorangegangen  wären,  der  Tempelkasse,  um  die  Kosten  des 
von  ihm  geleiteten  Partei kampfes  zu  bestreiten,  ein  Darlehen 
entnommen  habe,  dessen  Rückzahlung  zur  Zeit  noch  nicht 
erfolgt  sei.  Ich  bemerkte  schon  oben,  daß  i%l  Xaigiadca 
nicht  heiße  fauf  Betreiben  des  Chairiadas'  sondern  'nach  (dem 
Jahre  des)  Chairiadas'  und  daß  ich  weder  hier  noch  an  einer 
anderen  Stelle  der  Inschrift  Andeutungen  von  Tarteikämpfen 
und  Gewaltakten'  zu  erkennen  vermag.  Den  Leuten,  die  im 
nächsten  Jahre  ihre  Schulden  an  die  Göttin  noch  nicht  be- 
zahlt haben,  sollen  sie  selbst  nach  Beschlußfassung  betreffs 
der  Rückzahlung  eine  Frist  festsetzen,  und  ebenso  betreffs 
der  Zahlungen  des  Pachtzinses  für  das  Land,  das  Mnasiteles 
verpachtet  hat.  Auf  welcher  Vertragsseite  dabei  die  Schuld- 
ner, auf  welcher  die  Vertreter  der  Gläubiger  zu  suchen  sind, 
hat  die  Redaktion  der  Urkunde  als  für  das  Verständnis  über- 
flüssig weggelassen,  und  auch  für  uns  ist  die  Entscheidung, 
wenn  wir  uns  die  Situation  beider  Teile  vergegenwärtigen, 
nicht  allzu  schwer.  Von  den  beiden  den  Vertrag  schließen- 
den Gemeinden  waren  die  Orchomenier  in  ihren  häuslichen 
und  wirtschaftlichen  Verhältnissen  ungestört  geblieben.  Die 
Euaimnier  dagegen  hatten  ihre  Stadt  verlassen  und  waren 
nach  Orchomenos  gekommen,  um  hier,  sobald  der  Synoikie- 
vertrag  mit  den  Orchomeniern  abgeschlossen  sein  würde,  Grund- 
stücke zu  erhalten,  auf  ihnen  ihre  Häuser  zu  bauen  und  ihre 
wirtschaftlichen  Einrichtungen  zu  treffen.  Sie  werden  hierbei 
beträchtlicher  Geldmittel  bedurft  haben.  Aus  ihrer  verlasse- 
nen Stadt  bezogen  sie  seit  ihrem  Wegzuge  kein  Einkommen 
mehr  und  mußten  doch  für  Nahrung  und  Unterkommen 
sorgen.  Als  König  Antigonos  den  Synoikismos  von  Lebedos 
und  Teos  plante,  wies  er  die  Teier  an  (Dittenberger, 
Syll.2  1 775),  den  einwandernden  Lebediern,  bis  diese  sich  ihre 
eigenen  Häuser  würden  gebaut  und  eingerichtet  haben,  wofür 
ein  Zeitraum  von  3  Jahren  festgesetzt  wurde  (ebd.I4),  Woh- 
nungen   zum    provisorischen   Unterkommen   ayuö&C  zur   Ver- 


Beiträge  z.  griechischen  Epigraphik  u.  Dialektologie  VIIL    21 

fügung  zu  stellen  und  ihnen  außerdem  Bauholz  unentgeltlich 
zu  liefern  (ebd.  ,6).  Ob  man  sich  den  einwandernden  Euaiin- 
niern  gegenüber  in  Orchomenos  ebenso  entgegenkommend 
benommen  hat,  ist  sehr  zweifelhaft.  In  unserer  Urkunde, 
soweit  sie  erhalten  ist,  lesen  wir  nichts  davon;  dagegen  wird 
Z.  27fr.  von  einem  Areal  gesprochen,  das  Mnasiteles  ver- 
pachtet hatte,  doch  wohl  an  die  einwandernden  Euaimnier, 
damit  sie  dort,  bis  der  Vertrag  abgeschlossen,  ihre  Grund- 
stücke ihnen  zugeteilt,  ihre  Häuser  gebaut  und  ihre  Wirt- 
schaften in  Stand  gesetzt  waren,  ein  provisorisches  Unter- 
kommen finden  konnten.  Geldmittel  erforderte  dann  der  Bau 
der  Häuser  und  die  Einrichtung  der  Grundstücke,  und  da  nicht 

O  7 

daran  zu  denken  ist,  daß  nur  die  Wohlhabenden  der  Euaim- 
nier an  dem  Synoikismos  teilgenommen  hätten,  vielmehr  die 
Armen  sicher  in  der  Mehrzahl  gewesen  sind,  so  muß  den  un- 
bemittelten Einwanderern  zur  Bestreitung  dieser  sofort  an  sie 
herantretenden  Ausgaben  Beihilfe  gewährt  worden  sein.  Von 
dieser  vorauszusetzenden  Situation  aus  wird  uns  der  Sinn  des 
Abschnittes  Z.  2 1  ff.  verständlich.  Den  Euaimniern  sind,  so- 
weit sie  darum  nachgesucht  hatten,  Darlehen  von  dem  mit 
dem  Tempel  der  Göttin  in  Orchomenos  verbundenen  Bank- 
institut gegeben  und  für  provisorische  Unterkunft  ein  Areal 
verpachtet  worden,  wahrscheinlich  infolge  einer  bereits  in  den 
einleitenden  Verhandlungen  (vgl.  A  3 ff.)  getroffenen  Verein- 
barung. Wäre  nun  das  Bankinstitut  ein  privates  und  das 
Land,  das  Mnasiteles  ihnen  verpachtet  hatte,  Privatland  ge- 
wesen, so  würden  die  Aerbindlichkeiten,  die  die  Euaimnier 
ihnen  gegenüber  eingegangen  waren,  in  diesem  Staatsvertrage 
keinen  Platz  gefunden  haben.  Daß  sie  in  ihm  geregelt  werden, 
beweist  allein  schon,  daß  orchomenische  Staatsinteressen  bei 
ihnen  im  Spiele  waren.  Das  folgt  auch  aus  einem  zweiten 
Grunde.  Die  mit  ccvzög  Z.  25  bezeichneten  Leute,  die  als 
Vertreter  des  orchomenischen  Heiligtums  den  Schuldnern  der 
Göttin,  die  im  nächsten  Jahr  noch  nicht  bezahlt  haben,  eine 
Zahlungsfrist  festsetzen  sollen,  können  nur  die  Orchomenier 
sein,    und    das    dabei    stehende    d[tci\ßG)ksv6auCvog    sagt,    daß 


22  Eichard  Meister: 

diese  Festsetzung  durch  einen  Ratsbeschluß  zu  geschehen 
hatte.  (Die  Zeugnisse  für  eine  ßovXrj  in  Orchomenos  s.  bei 
Gr.  Gilbert,  Handbuch  der  griech.  Staatsaltert.  2,  131).  Dieses 
Eintreten  der  Staatsgewalt  für  die  Gläubiger  ist  aber  wieder 
nur  denkbar,  wenn  es  sich  bei  den  Darlehen  wie  bei  der 
Verpachtung  um  Staatsgut  handelte.  Das  ist  auch  wirklich 
so,  denn  es  handelt  sich  hier  wie  dort  um  Schuldner  der 
Göttin,  um  das  Vermögen  eines  orchomenischen  Staatsheilig- 
tums. Im  ersten  Satze  ist  das  in  den  Worten  xolg  .  .  öcpel- 
Xovöc  tat  dsol  klar  ausgesprochen-,  diese  Worte  gehören  aber 
ebenso  zum  zweiten  Satz.  Premerstein  beginnt  mit  Kai 
Z.  27  eine  neue  Periode.  Ich  ziehe  vor  keine  große  Inter- 
punktion vor  xccC  zu  setzen;  denn  die  im  zweiten  Satze  bei 
xä  tccvtcc  zu  ergänzenden  Worte  avrbg  diaßcokevGa[iivog  %q6- 
vov  rd^aö'&at  sind  ebenso  mit  dem  Dativ  tolg  .  .  6(p&llov6t 
tat  %-£ol  zu  verbinden  wie  dieselben  Worte  im  ersten  Satze. 
Wenn  der  zweite  Satz  selbständig  gemacht  und  aus  der  Ver- 
bindung mit  dem  ersten  gelöst  werden  sollte,  so  würde  er  so 
lauten:  Kai  (tolg  iitl  Xuioictdui  rä  %Qy\ara  bysllovöi  rat 
dsot)  xsqI  tä  ^LLö&cö^iara  rag  yäg,  räv  Mvaöitel^g  £[itö~&co6e, 
y.a  xavxu  {avrbg  dwßoaktvöapLivog  %q6vov  %v.%,a6%ai ).  Das 
Land  also,  das  Mnasiteles  den  Euaimniern  verpachtet  hatte, 
gehörte  der  Göttin:  in  welcher  Eigenschaft  er  die  Verpach- 
tung vermittelt  hatte,  wissen  wir  nicht;  jedenfalls  hatte  er  die 
Sache  im  Auftrag  der  Orchomenier  in  die  Hand  genommen. 
Darlehen  wie  Pachtgut  waren  zunächst,  wie  es  scheint,  nur 
bis  zum  Ablauf  des  Vertragsjahres  erbeten  und  gewährt 
worden,  wahrscheinlich  unter  ausdrücklicher  vorläufiger  Er- 
klärung, daß  nach  dem  Vertrage  die  Orchomenier,  zu  denen 
ja  auch  die  Euaimnier  infolge  des  Vertrages  gehören  würden, 
durch  Ratsbeschluß  die  Fristen  festsetzen  sollten,  innerhalb 
deren  die  Darlehen  zurückzugeben  und  die  Pachtgelder  zu 
zahlen  wären. 

C  1/2  'IoXlajog.  Dieser  Name,  den  Premersteln  76X- 
[lu\og  ergänzt,  ist  nach  den  sehr  beachtenswerten  Ausführungen 
des  Herausgebers  (S.  2 66 f.)   für   die  Beurteilung   des   histori- 


Beiträge  z.  griechischen  Epigraimiik.  u.  Dialektologie  VIII.    2} 


o 


sehen  Hintergrundes  von  Interesse.  Um  so  mehr  möchte  ich 
einige  Bedenken  gegen  die  Herstellung  zur  Sprache  bringen. 
In  der  Inschrift  wird  anlautendes  Digamma  stets  geschrieben, 
hier  nur  würde  es  vernachlässigt  sein;  die  Grundform  des 
Namens  ist  ja  FiöXccfog  (vgl.  FiCK-BBCHTEL  129).  Wenn 
freilich  der  Träger  dieses  Eigennamens  ein  Ausländer  ist, 
darf  die  unarkadische  Form  niemanden  befremden.  Ernst- 
licheren Anstoß  gewährt  die  Schreibung  mit  XX,  die  der 
Herausgeber  des  Raumes  wegen  (S.  256.  266)  annehmen  zu 
müssen  glaubt.  Er  sagt,  sie  sei  fauch  sonst  wohlbezeugt', 
aber  meines  Wissens  findet  sie  sich  nur  in  den  abgeleiteten 
Kurznamen  'IoXXäg,  'IöXXrig,  "loXXog,  'IoXXCöag  u.  a.,  der  be- 
kannten Kurznamenbildung  entsprechend,  nicht  aber  im  Voll- 
namen. Wäre  die  Schreibung  mit  XX  hier  sicher,  so  müßte 
sie  den  'orthographischen  Fehlern'  von  der  Art  wie  d-dXXuööa, 
^JauudrQELog,  l6%vQQog  u.  a.  (Brugmann,  Gr.  Gr.3  S.  131)  zu- 
gerechnet werden,  die  durch  Verlegung  der  Silben  grenze  in 
den  Konsonanten  zu  erklären  sind.  Aber  sie  ist  nicht  sicher. 
Auf  dem  Faksimile  sieht  man  erstens,  daß  die  Buchstaben 
dieses  Eigennamens  weiter  voneinander  abstehen,  als  es  sonst 
auf  dieser  Seite  gewöhnlich  ist,  und  zweitens,  daß  die  Zeilen 
auf  dieser  Seite  nicht  ganz  gleichmäßig  schließen,  sondern  die 
einen  etwas  kürzer,  die  andern  etwas  länger  sind.  Es  er- 
scheint mir  darnach  die  Annahme  durchaus  zulässig,  daß  in 
der  Lücke  am  Ende  der  Z.  1  nur  noch  der  breit  geschriebene 
Buchstabe  A  gestanden  hat. 

3fT.  ä%'£v[d]r}(o  v  a(v)  xäv  <5v£oi\vA\uv\  22&.  u^s[y\- 
drico  v  uv  xäv  Gv^olijxCav.  Mit  diesen  Worten  beginnen 
die  Eide,  die  die  Euaimnier  und  Orchomenier  sich  gegenseitig 
schwören,  ätpsvdtjco  ist  der  voluntative  Konjunktiv:  fich  will 
ohne  Falsch  sein'  und  üv  xäv  övfoixiav  heißt:  cin  der  Synoikie'. 
Pkemerstein  allerdings  verwirft  die  Auffassung  von  üv  als 
Präposition,  weil  dies  'notwendig  wie  eine  zeitliche  Befristung 
der  6v£oixiu  erscheinen  würde,  die  ihrem  Wesen  nach  und 
wie  in  der  Fortsetzung  der  Eidesformeln  ausdrücklich  betont 
ist,  auf  immerwährende  Zeit  eingegangen  wird'  (S.  257).    Aber 


24  Richard  Meister: 

zeitlich  ist  der  Ausdruck  nicht,  sondern  räumlich  oder  zu- 
ständlich.  av  xav  övfoixiav  bezeichnet  die  Ausdehnung  über 
den  ganzen  Zustand  der  Gvfoixia,  über  das  ganze  Rechts- 
gebiet, in  dem  sie  sich  als  övfoixoi  befinden,  und  ätjjsvdt](0  .  . 
av  xav  övfoLXiccv  ist  nicht  anders  zu  verstehen  als  etwa 
xccvTss  ÜQtöroi  eovxeg  ävä  Gxquxov  (N  i  i  7)  oder  aQiöxrjia 
dcböovxeg  x(p  ä%LGJxdx<p  ysvofisvtp  ^Ekh'jvcov  dvä  xov  %6le^iov 
xovxov  (Herodot  8,  123).  Die  Auffassung  Premersteins,  der 
av  als  die  Modalpartikel  und  xav  övfotxiav  als  Objekts-  oder 
Inhaltsakkusativ  deuten  möchte,  dürfte  deshalb  abzulehnen  sein. 
—  Zu  erledigen  bleibt  noch  das  v  nach  dipevdrjco.  Nach  der  von 
W.  Schulze  dem  Herausgeber  brieflich  mitgeteilten  Erklärung 
(S.  258)  'ist  aipevdijcov  1.  Sing.  Konj.  zu  dtysvdrjfii  und  ent- 
spricht in  der  Stammbildung,  wie  sich's  gehört,  der  3.  Sing. 
xaxgi&ie  des  sog.  Gottesurteils  von  Mantineia  und  der  thessa- 
lischen  3.  Plur.  xaxoixsiovvd't  IG.  IX  2,  514,  in  der  Personal- 
endung überraschend  genug  dem  von  Mahlow  aus  der  Doppel- 
heit  der  vedischen  Koniunktivformen  stdvä:  stdväni  mit  Evi- 
denz erschlossenen  vorindischen  Ausgange  -an  (idg.  -öri), 
das  mit  veränderter  Funktion  in  der  slav.  1.  Sing.  Ind.  berq 
fortlebt'.  Die  Entscheidung  der  Frage,  ob  wirklich  -dn  als  idg. 
Personalendung  der  1.  Sing.  Konj.  anzuerkennen  ist,  überlasse 
ich  anderen:  auf  griechischem  Sprachgebiet  ist  von  dieser 
Konjunktivendung  nicht  die  geringste  Spur  vorhanden.  Ich 
ziehe  deshalb  eine  andere  Erklärung  vor,  die  sich  auf  griechi- 
sche Formen  stützen  kann.  Die  Partikeln  vs(\  vi)  und  vv,  die 
in  den  äolischen  Demonstrativen  övs  (:  ovi)  und  ovv  (Verf., 
Idg.  Forsch.  25,  312  ff.1))    als  Affixe    verwendet   sind,    dienen 


1)  In  dem  oben  zitierten  Aufsatz  habe  ich  vi  als  eine  altererbte 
Schwesterform  von  vi  und  vv  angesehen.  Seitdem  habe  ich  die  Über- 
zeugung gewonnen,  daß  die  Form  vi.  in  den  Dialekten,  in  denen  es 
vorkommt  (Arkadisch,  Pamphylisch,  Böotisch),  infolge  geschlossener 
Aussprache  des  s  aus  der  Form  vi  entstanden  ist,  genau  so  wie  das 
Verhältnis  beider  Formen  in  der  den  äolischen  Dialekten  nahe  stehen- 
den phrygischen  Sprache  ist.  So  schmilzt  die  griechische  Dreiheit 
vi,  vi,  vv  und  ovs,  ovi,  ovv  auf  die  Zweibeit  vi(:vi),  vv  und  ovs(:ovi), 


Beiträge  /..  griechischen  Epigraphs  u.  Dialkktologie  VIII    25 

auch  zur  Bekräftigung  von  Willenserklärungen  und  Auf- 
forderungen. Das  ist  bei  vv  (vvv)  ganz  bekannt  (KÜHNEE- 
Gekth  II  ii8f),  vgl.  auch  kyprisch:  7)  övfävoi  vv  Edalion 
GDI.  6o6  [HoFPM.  135],  r)  dcoxot  vv  ebd.16.  Ebenso  steht 
(ve:)vC  zur  Verstärkung  von  Imperativen  im  Pamphyli  sehen: 
xcci  vi  öxvöqv  xaxa^eg^odv  Sillyon,  Berichte  der  S.  Ges.  d. 
Wiss.  1904,  b.  12  ff.  Z.  12,  [x]at  vi  ^oixvnoXlg  e%ixo  Z.  14, 
xai  vi  6ccuadiiio  <fK[icc[Lvodv~\  Z.  23,  wie  (ye:)vi  in  derselben 
Weise  auch  im  Phrygischen  mit  Imperativen  verbunden  vor- 
kommt (Idg.  Forsch.  25,  32of.).  Diese  Partikel  vi  war  im 
Arkadischen  bisher  nur  in  der  Verbindung  mit  dem  Pronomen 
6  xo-  bekannt,  wie  auch  vv  im  Arkadischen  bisher  nur  in 
der  Verbindung  mit  6  xo-,  im  Ky prischen  aber  auch  selb- 
ständig vorliegt.  Jetzt  haben  wir,  wenn  meine  Erklärung 
zutrifft,  in  aipsvdijco  v'  av  xäv  GvfoLxiav  auch  im  Arkadi- 
schen ein  Beispiel  des  selbständigen  Gebrauchs  von  vi  ge- 
funden, in  dem  es  ebenso  wie  vi  im  Pamphylischen  und  wie 
vv  im  Kyprischen  zur  Verstärkung  einer  Willenserklärung 
dient:  "ich  will  wahrlich  ohne  Falsch  sein  in  der  Synoikie'. 
Die  Elision  von  v(i)  vergleicht  sich  der  von  ojtdO'(t)  A  20. 

Den  Bemerkungen  Premerstkixs  über  die  dialektischen 
Formen  (2  60  ff.)  habe  ich  kaum  etwas  hinzuzufügen,  i&kccv- 
voia  C  30  bringt  erfreulicherweise  die  urkundliche  Bestätigung 
der  zuerst  1877  von  K.  Brugmann  in  Paul  und  Braunes 
Beiträgen  zur  Geschichte  der  deutschen  Sprache  und  Literatur 
4,378  aufgestellten  Ansicht,  daß  * bherohn  =  urgr.  *cp£ooia 
*(ptQocc  (daraus  wieder  cptooia  nach  epsootg  cpsooi  usw.)  die 
Grundform  für  gr.  (p8Qoi[ii  sei.  —  Längst  erwartet  kommt 
ferner  arkadisch  bv  in  bvdixoc  B  2  zutage,  so  daß  sich  nun 
genau  wie   im  Kyprischen  bv:    vv  als   die   echt   dialektischen 


ovv  zusammen.  —  Zu  dem  einen  in  jenem  Aufsatz  nachgewiesenen 
kyprischen  Beispiele  von  vi  kann  ich  jetzt  ein  zweites  hinzufügen: 
Athieuu  GDI.  76  [Hoffm.  151]  ist  zu  lesen:  .  .  ävtd-rixs  ta(v)  J-siv.6va 
tä(v)de  vs  'An6[XX(üvi],  wo  sich  vi  an  rä(v)ds  ebenso  zur  Verstärkung 
der  Deixis  anschließt  wie  arkadisch  vi  an  rulSs  in  r(Y]f<?£  vi  Tegea  Bull, 
de  corr.  hell.  25,  267  (vgl.  Wilhelm,  Ath.  Mitt.  31,  22). 


26    Richard  Meister:  Griech.  Epigraphik  u.  Dialektologie  VIII. 

Formen  der  Präposition  im  Arkadischen  erweisen  —  denn 
nun  schwindet  doch  wohl  auch  das  letzte  Bedenken  gegen 
den  arkadischen  Dialekt  der  Inschrift  auf  dem  Kymbalon  der 
Kamo  (Verf.,  Berichte  1896,  S.  264).  In  dem  neben  ov  auch 
in  dieser  Inschrift  auftretenden  äv  erkennt  der  Herausgeber 
mit  Recht  ebenso  wie  in  der  Infinitivendung  auf  -tjv  (A  3.  17) 
und  der  Ersatzdehnung  in  d[icc]ßcoXsv6anLvog  A  25/26  An- 
zeichen der  in  den  Dialekt  eindringenden  achäisch- dorischen 
xoLvij.  —  Bemerkenswert  sind  auch  einige  neu  erscheinende 
Nominalbildungen.  aTtvdoö^iög  A  24/25  statt  des  gewöhnlichen 
äxödoöig  reiht  sich  den  mit  dem  Formans  -6(10-  gebildeten 
Wörtern,  wie  &söfiög,  ß<x<5[i6g,  6£i<3{iög  usw.  an.  iQr\axa 
A  16.  25,  von  W.  Schulze  (S.  252)  mit  Recht  aus  ^Qr^axa 
erklärt,  läßt  einen  Nom.  Sing.  *iQy\J:aQ  voraussetzen;  man 
wird  die  Gleichung  ansetzen  dürfen:  *%Qf}J:ccQ  %Qi^{f)atf!C', 
XQfftia  igr^iara  =  xxsccq  xtsara  (Pind.  Nem.  7,  41  Schroeder) 
aus  *xrrjJ:aQ  *xri]J:ara  (wie  cpQWQ  aus  cpQr}(J-)ccQ,  %Q£og  aus 
XQrj^og  usw.  Wackernagel,  KZ.  27,  264):  xrfificc  %tr\\x,axa. 


Druckfertig  erklärt  15.  II.  1910.] 


27 


Zur  Sächsischen  Gelehrtengeschichte. 

Von 
Wilhelm  Stieda. 

Nachdem  im  Jahre  1727  auf  Befehl  des  Königs  Friedrich 
Wilhelm  I.  in  Halle  und  in  Frankfurt  a.  0.  die  ersten  Pro- 
fessuren für  Ökonomie  und  Kameralwissenschaften  gegründet 
worden  waren,  entschlossen  sich  auch  andere  Universitäten 
zu  diesem  Vorgehen.  Sehr  schnell  erfolgte  das  indes  nicht. 
Der  akademische  Adreßkalender,  der  erstmalig  für  das  Jahr 
1754  ausgegeben  wurde,  weist  für  das  Jahr  1755  nur  drei 
derartige  Professuren  nach.  Doch  waren  seine  Angaben  un- 
vollständig, denn  um  diese  Zeit  hatten  in  Deutschland  außer 
Halle  und  Frankfurt  noch  Göttingen  und  Rinteln,  und  in 
Schweden  Abo  und  Upsala  Professoren  dieser  Fächer.  An 
allen  englischen,  französischen  und  holländischen  Universitäten 
waren  zu  jener  Zeit  kameralwissenschaftliche  Lehrstühle  noch 
nicht  üblich.  Für  das  Jahr  1769/70  macht  der  genannte 
Kalender  in  Deutschland  erst  6  Hochschulen  namhaft,  die 
solche  Professuren  ins  Leben  gerufen  hatten,  und  nicht  früher 
als  gegen  Ausgang  des  18.  Jahrhunderts  war  der  Sieg  des 
neuen  Lehrstuhls  gesichert.  Im  Jahre  1798  haben  von  36 
Universitäten  in  Deutschland  23  Professuren  für  die  ökono- 
mischen und  kameralistischen  Fächer,  die  durch  32  Profes- 
soren wahrgenommen  wurden.1) 

An  diesem  Umschwünge  war  auch  die  Universität  Greifs- 
wald   beteiligt,    die    damals    der   Krone    Schwedens    gehörte. 


1)  Wilhelm  Stieda,  Die  Nationalökonomie  als  t'niversitätswissen- 
schaft,  Leipzig  1906,  S.  65 — 67,  107  —  108. 

PhiL-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  3 


28  Wilhelm  Stieda: 

Dort  war  im  März  1791  der  ordentliche  Professor  der  theo- 
retischen Philosophie  Peter  Ahlwardt  gestorben,  und  es  wurde 
nun  in  der  Fakultät  angeregt,  das  vakante  Katheder  durch 
einen  Vertreter  der  Staats-,  Finanz-  und  Kanieralwissenschaft 
zu  besetzen.  Auch  sollte  der  zu  berufende  Gelehrte  die 
Statistik  ebenfalls  in  den  Kreis  seiner  Vorlesungen  hinein- 
beziehen. 

Nachdem  man  zuerst  Professor  Niemann  in  Kiel  zu  ge- 
winnen versucht  hatte,  der  auch  „wegen  seiner  Kenntnisse 
im  Forstwesen"  der  Akademie  erwünscht  war,  dieser  jedoch 
ablehnte,  fiel  die  Wahl  auf  den  außerordentlichen  Professor 
Georg  Stumpf  in  Jena,  ein  früheres  Mitglied  der  ökonomi- 
schen Gesellschaft  in  Leipzig.  Diesem  war  nur  eine  kurze 
Wirksamkeit  in  Greifswald  beschieden.  Er  konnte,  da  die 
Berufungsangelegenheit  ins  Stocken  geraten  war,  erst  im 
Jahre  1793  sein  Lehramt  antreten  und  starb  bereits  im  Jahre 
1798.1)  Nun  mußte  aufs  neue  über  einen  Ersatz  beraten 
werden  und,  da  der  Fachmann  fehlte,  so  erbot  sich  der  Pro- 
fessor der  Geschichte  Peter  Möller2)  Erkundigungen  einzu- 
ziehen. Er  schrieb  an  eine  Reihe  seiner  Fachkollegen  und 
Vertreter  der  Kameralwissenschaften  und  ersuchte  sie  um 
Vorschläge.  Viele  wurden  genannt,  aber  es  war  nicht  leicht, 
den  Richtigen  zu  treffen.  Denn  die  Kameralisten  hatten,  wie 
Professor  Franz  aus  Stuttgart  schrieb,  es  zu  gut,  indem  sie 
sich  alle,  nachdem  sie  ihre  Studien  beendet,  „so  sanft  zu 
betten  gewußt,  daß  es  beynahe  unmöglich  wäre  einen  von 
ihnen  in  seiner  behaglichen  Lage  herauszuheben."  Es  gab 
eben,  wie  Professor  Assmann  in  Wittenberg  in  einem  Briefe 
an  Professor  Möller  hervorhob,  noch  immer  wenig  deren, 
„welche  sich  ganz  besonders  dem  studio  der  Cameralwissen- 
schaften  widmeten",  und  es  wurde  daher  schwer,  im  Beru- 
fungsfalle „ganz  zweckmäßig  zu  empfehlende  Personen  auf- 
zufinden". 

1)  Stieda,  a.  a   0.  S.  87—88. 

2)  Johann  Georg  Peter  Möller,  1729 — 1807,  Kosegarten,  Gesch.  d. 
Univ.  Greifswald,  1857,  I-  5°5,  Stieda,  a.  a.  0.  S.  87. 


Zun  Sächsischen  Gelehrtengeschichte.  29 

• 

Es  wäre  nicht  ohne  Interesse,  sich  den  Verlauf  der 
Angelegenheit  zu  vergegenwärtigen.  Doch  würde  es  hier  zu 
weit  führen,  die  Einzelheiten,  die  an  einer  anderen  Stelle 
ausführlich  mitgeteilt  sind1),  zu  wiederholen.  Wohl  aber 
lohnt  es  sich  der  Mühe,  dabei  zu  verweilen,  daß  auch  zwei 
sächsische  Kameralisten  zur  Wahl  standen:  der  Magister 
Johann  Christian  Hotfinann  in  Leipzig  und  Johann  Glottfried 
Steinhäuser  in  Plauen.  Die  auf  deren  Bewerbung  sich  be- 
ziehenden Schreiben  haben  sich  in  den  Akten  der  philo- 
sophischen Fakultät  erhalten  und  werden  nachstehend  unter 
Nr.  1  — 11   abgedruckt. 

Der  Magister  Hoffmann  wurde  von  Professor  Leonhardi 
in  Leipzig,  Steinhäuser  von  Professor  Assmann  in  Witten- 
berg empfohlen,  dem  sich  der  Kommissionsrat  Riern  in 
Dresden  anschloß. 

Friedrich  Gottlieb  Leonhardi,  um  zunächst  über  die  emp- 
fehlenden Männer  ein  Wort  zu  sagen  (1757 — 1814),  hatte 
sich  nach  absolvierten  Studien  in  Wittenberg  und  Leipzig  im 
Jahre  1788  in  Jena  niedergelassen,  dort  zum  Magister  pro- 
moviert und  angefangen  über  Ökonomie  und  verwandte 
Wissenschaften  Vorlesungen  zu  halten.  Als  dann  durch  die 
Berufung  des  Professors  Leske  nach  Marburg  in  Leipzig  eine 
Vakanz  eingetreten  war,  die  man  einige  Zeit  erledigt  ließ, 
siedelte  er  im  Jahre  1790  nach  Leipzig  über,  erlangte  durch 
Verteidigung  einer  Dissertation  die  Rechte  eines  Magistri 
legen tis  und  erlebte  alsbald  die  Freude,  das  freie  Katheder 
der  Ökonomie  als  Ordinarius  besteigen  zu  dürfen.  Er  hat 
18  Jahre  sein  Amt  verwalten  können  und  galt  als  ein  sehr 
gelehrter  Mann,  dem  eine  gewisse  Vielseitigkeit  zu  Gebote 
stand,  indem  er  auch  über  Geographie  vortrug.2) 

Christian  Gottfried  Assmann,  1755  — 1822,  war  nach 
absolviertem  Studium  eine  Zeitlang  Hofmeister  des  Barons 
von  Gutschmid  in  Dresden  gewesen,  bekleidete  dann  seit  1782 
die   Stelle   des  Tertius   an   der  Nikolaischule   in  Leipzig  und 

1)  Stieda,  a.  a.  0.  S.  86 — 96. 

2)  Stieda,  a.  a.  0.  S.  313. 

3* 


30  Wilhelm  Stieda: 

• 

war  im  Jahre  darauf  Magister  der  Philosophie  geworden. 
Er  war  geborner  Leipziger.  Er  hatte  das  Glück,  im  Jahre 
1785  auf  den  Lehrstuhl  der  Kameralwissenschaften  nach 
Wittenberg  berufen  zu  werden.  Dort  war  an  Stelle  des  ver- 
storbenen Professors  der  Mathematik  es  als  zweckmäßig  er- 
achtet worden,  die  Mathematik  durch  einen  Professor,  nicht 
wie  bisher  durch  zwei,  wahrnehmen  zu  lassen  und  dafür 
einen  ordentlichen  Professor  zu  berufen,  der  die  „zu  so  ver- 
schiedenen Bedienungen  und  bürgerlichen  Geschafften  im 
Staate  unentbehrlichen  oeconomischen  und  cameralischen 
Wissenschaften"  vortragen  könne.  Unter  vier  Vorgeschlagenen 
wählte  das  Oberkonsistorium  in  Dresden  Assmann,  der  indes 
durch  Schriften  über  ökonomische  Fragen  sich  noch  nicht 
ausgezeichnet  hatte.  Er  hat  es  auch  in  der  Folge  nicht  ge- 
tan, sondern  sich  mehr  mit  Poesien  und  prosaischen  Auf- 
sätzen, wie  „Gemälde  der  Nacht",  „Empfindungen  eines  An- 
betenden", die  nicht  gerade  mit  den  von  ihm  vertretenen 
Fächern  zusammenhingen,  an  die  Öffentlichkeit  gewagt.1) 

Johann  Riem  in  Dresden,  1739 — 1807,  der  die  Kandi- 
datur Steinhäuser  zu  unterstützen  sich  angelegen  sein  ließ, 
war  seit  1788  kurfürstlich  sächsischer  Kommissionsrat.  Ge- 
boren zu  Frankenthal,  wurde  er  Oberökonomiekommissar  und 
Lehrer  der  Bienenökonomie  in  Berlin,  darauf  seit  1776  kgl. 
preußischer  Oberinspektor  aller  schlesischen  Bienenplantagen 
zu  Grünthal  bei  Breslau,  seit  1777  fürstlich  anhalt-plessischer 
Amtsrat  und  Administrator  der  Amter  Deutschweichsel  und 
Miserau  zu  Deutschweichsel  bei  Pleß  in  Oberschlesien.  Dann 
einige  Zeit  auf  Reisen,  war  er  im  Jahre  1785  nach  Sachsen 
gekommen  und  bald  darauf  beständiger  Sekretär  der  ökono- 
mischen Gesellschaft  geworden.  Er  scheint  Verständnis  genug 
besessen  zu  haben,  um  Steinhäuser,  der  seiner  ganzen  Anlage 
und  Ausbildung  nach  offenbar  zum  akademischen  Lehrer  paßte, 
als  einer  Professur  würdig  zu  beurteilen.    Doch  gewinnt  man 


1)  Panegyrici  Magistr.  Lips.  auf  der  Leipziger  Universitätsbiblio- 
thek, Bericht  für  1783,  Stieda,  a.  a.  0.  S.  74. 


Zur  Sächsischen  Gelehrtengeschichte.  ;•;  i 

nicht  den  Eindruck ,  daß  er  von  der  modernen  Volkswirt- 
schaftslehre die  richtige  Vorstellung  hatte,  die  Steinhäuser 
bei  aller  seiner  Begabung  schwerlich  genügend  hätte  wahr- 
nehmen können. 

Unter  den  beiden  Vorgeschlagenen  war  offenbar  Stein- 
häuser der  geistig  bedeutendere.  Er  ist  denn  auch  heute  noch 
unvergessen,  während  es  Mühe  macht,  etwas  über  die  Persön- 
lichkeit Hoffmanns  zu  ermitteln.  • 

Johann  Gottfried  Steinhäuser,  17G8 — 1825  x),  entstammte 
einer  alten  adligen  Familie  von  Steinhäuser  in  der  Schweiz 
aus  der  Gegend  am  Zürchersee.  Der  Zweig  der  Familie, 
der  nach  Plauen  im  Voigtlande  ausgewandert  war,  ließ  den 
Geburtsadel  fallen.  Er  hatte  auf  der  Bergakademie  zu  Frei- 
berg tüchtige  mineralogische  und  bergmännische  Kenntnisse 
gesammelt,  hatte  dann  in  Wittenberg  Philosophie  und  Rechts- 
gelehrsamkeit, Mathematik,  Physik  und  Geographie  studiert 
und  kehrte  im  Jahre  1792  ins  Vaterhaus  zurück.  Bald 
darauf  suchte  er  sich  praktisch  zu  betätigen  und  zog  nach 
Frankfurt  a.  M.,  wo  er  einem  Unternehmen,  das  „geschliffene 
Manufacte  aus  grünem  Jaspis"  herstellte,  vorstand.  Doch 
dieses  Geschäft  glückte  so  wenig  als  andere  Pläne  zum  Be- 
triebe von  Fabriken  sich  realisieren  ließen,  und  Steinhäuser 
siedelte  daher  wieder  nach  Plauen  über,  wo  er  seinem  Vater 
als  praktischer  Jurist  zur  Seite  zu  stehen  sich  bemühte. 
Doch  sagte  ihm  diese  Tätigkeit  nicht  zu  und  er  wandte  sich 
lieber  mathematischen  und  physikalischen  Problemen  zu.  In 
diese  Zeit  der  Ungewißheit  fällt  seine  Bewerbung  um  die 
Professur  der  Kameralwissenschaften  zu  Greifswald,  die  für 
ihn  jedoch  ungünstig  verlief.  Erst  im  Jahre  1806  wurde  er 
nach  dem  Tode  von  Professor  Ebert  in  Wittenberg  daselbst 
als  Ordinarius  für  Mathematik  angestellt. 

Professor  Assmann  lobte  Steinhäuser  als  einen  Mann 
von  „mannigfaltigen  Kenntnissen  und  praktischen  Geschick- 
lichkeiten", der  schon  als  Student  die  trefflichsten  Fortschritte 


1)  Allgemeine  Deutsche  Biographie. 


32  Wilhelm  Stieda: 

hätte  erkennen  lassen  und  auch  mit  dem  Bergfach  und  Hütten- 
wesen vertraut  wäre  (Nr.  7).  Einem  zweiten  in  derselben 
Angelegenheit  geschriebenen  Briefe  (Nr.  10)  war  ein  neuer 
Aufsatz  Steinhäusers  chemischen  Charakters  beigefügt  sowie 
von  einer  demnächst  zu  veröffentlichenden  Abhandlung  die 
Rede,  in  der  der  Bewerber  die  Möglichkeit  untersuchte,  eine 
internationale  Maß-  und  Gewichtseinheit  einzuführen.  Herr 
Kommissionsrat  Riem  legte  großes  Gewicht  darauf,  daß  Stein- 
häuser Mitglied  der  ökonomischen  Gesellschaft  in  Leipzig 
wäre.  Er  nannte  die  von  ihm  herausgegebenen  Abhandlungen 
lehrreich  und  nützlich  uud  empfahl  den  Kandidaten  wegen 
„seiner  allgemeinen  Kenntnisse  und  der  physikalischen  noch 
insbesondere".  (Nr.  9.)  Steinhäuser  selbst  hob  in  seiner 
lateinisch  verfaßten  Eingabe  an  die  Philosophische  Fakultät 
in  Greifswald  hervor,  daß  die  Kameralf ächer,  für  deren  Vor- 
trag er  berufen  werden  sollte,  ihn  von  Kindesbeinen  an  am 
meisten  gefesselt  hätten.  Steinhäuser  verstand  unter  solchen, 
der  Auffassung  der  Zeit  gemäß,  eben  seine  naturwissenschaft- 
lichen, chemischen  und  physikalischen  Studien.  Er  erzählt 
dann  seine  uns  schon  bekannten  wechselnden  Schicksale,  die 
ihn  in  der  Praxis  keinen  rechten  Boden  hatten  finden  lassen, 
und  hofft,  daß  er  an  den  Gestaden  der  Ostsee,  wenn  das  Glück 
ihm  günstig  sein  sollte,  seine  Untersuchungen  über  den  Mag- 
netismus fortzusetzen  Gelegenheit  haben  würde. 

Es  geht  schon  aus  diesen  eben  besprochenen  Briefen 
hervor,  daß  die  Begriffe  des  Kameralisten  des  18.  Jahrhunderts 
und  eines  Nationalökonomen  des  19.  Jahrhunderts  sich  nicht 
decken,  obwohl  der  letztere  aus  dem  ersteren  hervorgegangen 
ist.  Man  hielt  die  Kameralwissensehaft  offenbar  für  eine 
Naturwissenschaft  und  hielt  den  für  geeignet  zum  Vortrag 
ihrer  Lehren,  der  Physik,  Botanik,  Zoologie  usw.  beherrschte. 
Eine  Bekanntschaft  mit  der  von  Adam  Smith  angebahnten 
Richtung  erachtete  man  in  weiten  Kreisen  selbst  22  Jahre, 
nachdem  sein  epochemachendes  Buch  erschienen  war,  noch 
nicht  für  erforderlich.  Der  Lehrstuhl  sollte  einmal  im  wesent- 
lichen dem  Betriebe  der  Landwirtschaft  dienen,  die  man  durch 


Zur  Sächsischen  Gelehrtenges»  sichte.  33 

anerkannte  wissenschaftliche  Grundsätze  in  den  Naturwissen- 
schaften zu  fordern  und  zu  entwickeln  sich  bestrebte.  Ferner 
aber  hielt  man  es  augenscheinlich  für  sehr  nützlich,  den  künf 
tigen  Verwaltungsbeamten,  da  man  nicht  wußte,  in  welchem 
Zweige  der  Verwaltung  er  einst  praktisch  tätig  sein  werde,  mit 
allen  Naturwissenschaften  vertraut  zu  machen.  Er  erwarb  dann 
Kenntnisse,  die  er  irgendwie  einmal  hoffen  konnte  anzuwenden. 
Steinhäuser  besaß  übrigens  auch  juristische  Kenntnisse,  war 
indes  in  erster  Linie  naturwissenschaftlich  gebildet.  Als  Pro- 
fessor der  Mathematik  war  er  in  Wittenberg  gewiß  in  seinem 
richtigen  Fahrwasser. 

In  eben  so  hohem  Grade  war  der  andere  Bewerber 
Johann  Christian  Hoffmann  Naturwissenschaftler.  Geboren 
im  Jahre  1768  zu  Schiettau  unweit  Lauchstädt,  hatte  er, 
nachdem  seine  Eltern  nach  Leipzig  übergesiedelt  waren,  die 
Nikolaischule  daselbst  besucht  und  bezog  im  Jahre  1787  die 
Universität  Leipzig,  um  sich  dem  Studium  der  Jurisprudenz 
zu  widmen.  Dann  aber  wandte  er  sich  der  Chemie  zu  und 
erlangte  im  Jahre  1796  mit  der  Schrift  „Erfahrungen  und 
Versuche  für  Künstler,  Handwerker  und  Fabrikanten"  den 
Magistergrad  der  philosophischen  Fakultät.1)  Kurz  vorher 
oder  nachher  war  er  zum  Ehrenmitgliede  der  ökonomischen 
Gesellschaft  in  Leipzig  gewählt  worden  und  redigierte  seit 
1797  die  Ökonomischen  Hefte  oder  Sammlung  von  Nach 
richten,  Erfahrungen  und  Beobachtungen  für  den  Stadt-  und 
Landwirt,  die  Professor  Leonhardi  im  Jahre  1792  begründet 
und  aus  Mangel  an  Zeit  aufgegeben  hatte.2)  Leonhardi 
hielt  Hoffmann  für  den  „rechten  Mann  unter  allen  unseren 
durch  Schriften  bekannt  gewordenen  Ökonomen  und  Kame- 
ralisten".3)    Er  erklärte  ihn  als  einen  ruhigen  vorurteilsfreien 


1)  Panegyrici  magistr.  Lips.  auf  der  Leipziger  Universitätsbibliothek 
Bericht  vom  11.  Februar  1796. 

2)  Die    Ökonom.    Hefte   erschienen    1792  — 1808.     Von   1797 — 1799 
hatte  Hofftnann  die  Redaktion. 

3)  jStikda,   a.  a.  0.      S.  369/370.     Brief   an    Professor    Möller    in 
Greifswald. 


34  Wilhelm  Stieda: 

Beobachter  der  Theorie  und  Praxis  in  der  Ökonomie  und 
Kameralistik,  für  einen  rechtschaffenen  Mann  von  sanftem  und 
friedlichem  Charakter,  ungemein  fleißig  habe  er  bereits 
„mehrere  sehr  praktische  Abhandlungen  in  besonderer  Rück- 
sicht auf  Manufacturen  und  Fabriken  sowohl  als  auch  auf 
die  Landwirtschaft"  geschrieben.  Daher  war  Leonhardi  fest 
überzeugt,  daß  er,  wenn  „er  so  glücklich  sein  sollte  diese 
Stelle  zu  erhalten,  seinen  Vorgänger  sehr  weit  hinter  sich 
lassen  und  durch  seinen  theoretischen  sowohl  als  praktischen 
Unterricht  den  größten  Nutzen  stiften"  würde. 

Hoffmann  scheint  es  im  hohen  Maße  darum  zu  tun  ge- 
wesen zu  sein  die  Professur  zu  erlangen.  Nicht  genug,  daß 
er  wie  üblich  sich  in  lateinischer  Sprache  um  die  Stelle 
bewarb ,  (Nr.  i )  schickte  er  in  der  Zeit  vom  2 1 .  Juli  bis 
7.  Oktober  1798  fünf  Briefe  an  Professor  Möller  (Nr.  2,  3, 
4,  6,  8),  die  ihn  empfehlen  sollten.  Er  erscheint  in  ihnen 
als  ein  Mann  von  Gedanken,  erfüllt  von  lebhaftem  Interesse 
für  weitreichende  Probleme  und  voll  anregender  Pläne  für 
die  Praxis.  Nur  daß  er  von  den  Elementen  der  Wissenschaft 
die  Adam  Smith  angefangen  hatte  vorzutragen,  gar  nicht  ge- 
wußt zu  haben  scheint.  Nichtsdestoweniger  gefiel  er  in  Greifs- 
wald und  hatte  das  Glück  auf  die  Kandidatenliste  gesetzt  zu 
werden.  Vor  ihm  wurden  allerdings  zwei  andere  Gelehrte  ge- 
nannt, die  in  einer  wesentlich  von  der  seinigen  verschiedenen 
Richtung  sich  wissenschaftlich  betätigt  hatten,  nämlich  Crome 
und  Canzler.1)  Für  Hoffmann,  der  ungefähr  20  Schriften  seiner 
Meldung  beigefügt  hatte,  machte  die  Fakultät  geltend,  daß 
er  gute  Kenntnisse  in  Physik,  technologischer  Chemie  und 
anderen  mit  der  Kameralistik  verwandten  Wissenschaften  be- 
saß. Auch  im  Fabrikwesen  war  er  bewandert,  hatte  vornehme 
russische  Studenten  unterrichtet  und  einen  Ruf  an  die  in 
Dorpat    neu    zu    errichtende    Professur    ausgeschlagen.      Von 

1)  Crome  1753 — 1833  war  Professor  in  Gießen.  Vgl.  Stieda  a.  a.  0. 
S.  184 — 261.  Canzler,  1764 — 181 1  war  Professor  in  Göttingen.  Vgl. 
über  ihn  Kosegarten  Gesch.  der  Univers.  Greifswald  S.  314,  Stieda 
a.  a.  0.     S.  92  ff. 


Zur  Sächsischen  Gelehrtengeschichti  35 

Eifer    für    seine  Wissenschaft    beseelt,    galt    er  als  ein  Mann 
von  Tätigkeit,  Fleiß  und  „Begierde  sich  hervorzuthun".1) 

Im  gründe  standen  somit  die  Aktien  für  Hoifmann  nicht 
schlecht.  Es  war  schon  vorgekommen,  daß  die  an  erster 
Stelle  Vorgeschlagenen  den  Ruf  ablehnten,  und  so  geschah 
es  auch  in  Greifswald.  Crome,  der  längere  Zeit  auf  seine 
Antwort  hatte  warten  lasseu,  schrieb  endlich  ab.  Aber  auch 
Hoffmann,  ohne  wie  es  scheint  davon  zu  wissen,  teilte  am 
23.  April  1799  mit  (Nr.  11),  daß  er  auf  weitere  Berücksich- 
tigung verziehte,  da  er  Salinenverwalter  zu  Teuditz  und 
Kötzschau  geworden  war.  Dieser  Posten  hatte  ihn  sehr  an- 
gezogen.  Doch  war  es  ihm  aus  Gründen  der  Wohlanständig- 
keit zuerst  nicht  möglich  gewesen  sich  um  ihn  zu  bewerben, 
da  ein  Freund  von  ihm  es  ebenfalls  auf  ihn  abgesehen  hatte. 
Xachdem  indes  dieser  bedeutet  worden  war,  daß  man  ihn 
jedenfalls  nicht  wählen  würde,  war  für  Hoffmann  der  Grund 
hinfällig  sich  nicht  zu  bewerben.  Und  in  der  Praxis  hatte 
seine  Bewerbung  mehr  Glück  als  an  der  wissenschaftlichen 
Anstalt. 

Was  Hoffmann  in  der  neuen  Stellung,  in  die  er,  wie 
es  scheint  sehr  gerne  einrückte,  geleistet  hat,  entzieht  sich 
unserer  Kenntnis.  Auch  sein  Todesjahr  melden  die  bekannten 
Nachschlagewerke  nicht. 

Bei  dem  nun  folgenden  Abdruck  der  Briefe  ist  der  Wort- 
laut  der  Originale  unverändert  geblieben  und  nur  hier  und  da 
des  besseren  Verständnisses  halber  ein  Interpunktionszeichen 
eingefügt  worden.  Bei  der  Erläuterung  der  naturwissenschaft- 
liehen  Bemerkungen  hat  mich  Herr  Professor  Dr.  Luther  in 
Dresden  unterstützt,  dem  ich  dafür  auch  an  dieser  Stelle 
herzlich  danke.  Ich  habe  seine  Zusätze  durch  Hinzufügung 
seines  Namens  kenntlich  gemacht. 


1)  Stieda  a.  a.  0.     S.  94|95- 


36  Wilhelm  Stieda: 

1.  Magister  J.  C.  Hoffmann  in  Leipzig 

bewirbt    sich    in    Grreifswald    um    die    Professur    für 

Kameralwissenschaften,  1798  Juli  21. 

Akten  d.  phil.  Fak.  Greifswald  S.  56 — 57. 

Viri   Magnifici,  Amplissimi,   Spectabiles, 
Reverendi,  Summa  pietate  prosequendi, 

Pluribus  abhinc  annis  in  Academia  quae  Lipsiae  floret, 
non  modo  in  eas  disciplinas,  quae  oeconomicae  et  camerales 
audiunt  incubui,  sed  etiam  scriptoribus  recentioribus  edoctus 
chemiam  et  physicen  lucem  haud  parvam  illis  litteris  adfeiTe 
posse,  et  has  eo  consilio  colui  ut  pro  tenui  viriuni  modulo 
prodessem  in  posterum  juventuti  oeconomiae  et  cameralium 
studiosae.  Qua  propter  magisterium  nee  frustra  ab  amplissimo 
Philosophorum  ordine  ut  diploma  probat  petii  et  liuc  usque 
non  modo  plures  juvenes  academicos,  sed  et  alios  viros  aetate 
jam  provectos  ut  R.  J.  Comitem  de  Orlow,  L.  Barones  de 
Loewenstern,  qui  per  integrum  annum  hie  vixerunt  his  in 
diseiplinis  diligenter  erudivi.  Sed  non  solum  instituendo 
verum  et  scribendo  ut  aliis  prodessem  operam  dedi  ideoque 
plures  varii  argumenti  libellos  edendos  curavi  quorum  sequen- 
tes  humillime  transmissi  nominandi  Vestroque  benevolo  ju- 
dicio  subjiciendi  erunt: 

1.  Oekonomische  Hefte  für  den  Stadt-  und  Landwirth. 

2.  Erfahrungen  und  Versuche  für  Künstler,  Fabrikanten 
und  Handwerker,  ites  Bändchen  Leipz.  1795.  2tes  Bändchen 
1 797  u.  3tes   1798  quae  ulterior  pars  adhuc  sub  prelo. 

3.  Etwas  über  das  Bley  u.  s.  w.  Leipz.   1797. 

4.  Chemische  Farbenlehre.  Von  mir  fortgesetzt.  3r  Theil 
Leipz.   1797,  nee  non 

5.  Nützliche  Sachen  für  den  lieben  Bürgers-  und  Bauers- 
mann.   Leipz.   1796. 

6.  Einige  Aufsätze  in  die  Anzeigen  der  Leipz.  ökon.  Soc. 
Michaelimesse  1796  Seite  io7  Ostermesse  1 797  Seite  24.  Denique 

7.  Viele  Aufsätze  in  das  Journal  für  Fabriken,  Manuf.  Handl. 
u.  Mode.  Leipz.  b.  Voss  sowie  auch  in  den  Allgem.  litterar.  Anz. 


Zur  Sächsischen  Gelehrtengeschichte.  37 

Jam  vero  quum  nuperrime  niorte  b.  Stumpfii  professoris 
in  Vestra  Academia  bene  meriti  oeconomiac  et  cameralium 
professio  sit  aperta  Vos  Viri  Magniiici,  Amplissimi,  Reve- 
rendi  hisce  litteris  petitoriis  decenter  huinilliineque  rogo:  ut 
in  deferendo  hoc  munere  Academico  mei  ratiouem  habere 
hancque  oeconomiae  et  cameralium  professionem  clementissime 
mihi  demaudare  velitis. 

Voti  mei  si  compos  factus  fuerim  per  omne  vitae  tem- 
pus  in  eo  praesertim  elaborabo  ut  dignus  summa  hac  niuni- 
ficentia  nee  ulli  concedam,  ut  Vos  majori  pietatis  studio  pro- 
sequatur. 

Lipsiae  a.  d.  XXI  m.  Jul. 

Joannes  Christianus  Hoffmann 
Phil  D.  et  lib.  Art.  Mag.  nee  non  Soc.  Oec.  Lips.  Sodalis. 

2.  Magister  Johann  Christian  Hoffmann  in  Leipzig  an 
Professor  Möller  in  Greifswald,  1798,  Juli  21. 

Akten  d.  phil.  Pak.  Greifswald  S.  54/55. 

Wohlgeborner 
Hochzuverehrender  Herr  Professor  und  Decan! 

Ew.  Wohlgeb.  werden  gütigst  verzeihen,  dass  ich  Denen- 
selben  durch  gegenwärtiges  Schreiben  so  wie  durch  bei- 
gehende Bittschrift  an  E.  Hochlöbl.  Fakultät  zu  Greifswalde 
beschwerlich  falle  und  Denenselben  vielleicht  einige  kostbare 
Augenblicke  entziehe.  —  Ich  bin  von  Geburt  ein  Sachse,  gegen- 
wärtig 30  Jahre  alt,  von  sehr  gesunder  Constitution  und 
habe  sowohl  auf  dem  Gymnasium  als  auch  nachher  auf  hie- 
siger Leipziger  Akademie  studirt.  Mein  eigentlicher  Plan 
ging  auf  ökonomische  und  kameralistische  Wissenschaften, 
die  ich  aber  auf  Anrathen  zugleich  mit  der  Jurisprudenz  ver- 
binden musste,  in  welcher  letzteren  ich  auch  examinirt  bin 
und  ein  rühmliches  Zeugniss  erhalten  habe.  Allein  die  erst- 
genannten Wissenschaften  hatten  mehrern  Reiz  für  mich  und 
ich  suchte  sie  nur  noch  mehr  durch  andere  Hilfswissen- 
schaften, wohin  ich  vorzüglich  die  Physik  und  Chemie  rechne, 


38  Wilhelm  Stieda: 

zu  vervollkommnen.  Diese  letztere  hat  mich  in  der  neuern 
Zeit  wegen  des  grossen  Einflusses  auf  Oekonomie,  Techno- 
logie und  Fabrikwesen  vorzüglich  gefesselt,  und  im  Fall  mich 
das  Schicksal  nicht  von  Leipzig  ruft,  so  gehört  es  in  meinen 
Plan  nicht  nur  die  gegenwärtig  des  Unterrichts  wegen  an- 
gelegten kleinen  Fabriknnstalten  zu  erweitern,  sondern  auch 
noch  andere  grössere  und  wichtigere  anzulegen,  wohin  ich 
vorzüglich  eine  ganz  neu  erfundene  Schwefelölfabrik,  eine 
Sodafabrik,  eine  Farbenfabrik,  eine  Kupfervitriolfabrik  rechne. 
Außerdem  hoffe  ich  auch  zu  Errichtung  eines  technologischen 
Erwerbsstudiums  für  junge  Bürgers-  und  Kaufmannssöhne 
unterstützt  zu  werden.  Der  Graf  Orlow  Chesmensky,  welcher 
seit  länger  als  einem  Jahre  hier  ist,  hat  seit  dieser  Zeit  sich 
meines  Unterrichts  täglich  bedient,  weil  er  bei  der  Rückkehr 
in  sein  Vaterland  allerlei  Fabriken  anlegen  will.  Auch  der 
Herr  Baron  von  Löwenstern  hat  Privatissima  bei  mir  gehabt 
und  mir  seine  Söhne  sowohl  als  andere  junge  Liefländer 
empfohlen.  Letztere  Vorlesungen  sind  aber  durch  die  neuen 
Ukase  vernichtet  worden.  Eine  mir  angetragene  Stelle  auf 
der  neu  zu  errichtenden  Universität  Dörpat  habe  ich  zwar 
nicht  gerade  ausgeschlagen,  würde  sie  aber  als  Verehrer  der 
Wissenschaften  um  keinen  Preis  aus  bekannten  Ursachen  an- 
nehmen. Bei  meinem  bisherigen  Unterricht  der  Studierenden 
bin  ich  von  der  gewöhnlichen  Methode  ganz  abgewichen. 
Gewöhnlich  wähle  ich  ein  etwas  weitläuftigeres  Compendium, 
zeichne  einen  tabellarischen  Plan  vor  mit  Verweisung  auf  die 
Seitenzahlen  des  Compendiums,  lasse  es  vor  der  Stunde  die 
Zuhörer  durchstudiren,  richte  alsdann  meinen  Vortrag  ganz 
kurz  ein  und  bitte  nun  die  Zuhörer  mir  nach  Belieben  das 
zu  eröffnen,  was  ihnen  undeutlich  geschienen,  belehre  ihre 
Zweifel,  beantworte  ihre  Fragen  und,  im  Fall  ich  nicht  ant- 
worten kann,  gestehe  ich  es  offenherzig;  weil  ich  es  für 
weniger  schimpflich  halte  etwas  nicht  zu  wissen  als  an- 
maaßend  zu  seyn.  Diese  Methode  scheint  mir  die  Zuhörer 
aufmerksamer  zu  halten  und  mehr  Nutzen  zu  stiften  als  wenn 
den  Zuhörern  Stillschweigen  auferlegt  ist. 


Zur  Sächsischen  Gelehrtengeschiohte.  39 

Durch  sehr  viele  Aufsätze,  die  ich  in  das  Journal  für 
Fabrik,  Manufakturen,  Handlung  und  Mode  geliefert  habe, 
wurde  ich  früh  mit  litterarischen  Arbeiten  bekannt  und  habe 
mehrere  anonyme  Schriften,  z.  B.  eine  über  Lotleriewesen, 
Telegraphie  u.  d.  gl.  geschrieben,  die  ich  aber  nicht  der  Mühe 
werth  halte  anzuführen. 

Von  beifolgenden  dürften  nach  meiner  Meinung  vielleicht 
die  Erfahrungen  und  Versuche  pp.  keinen  gänzlichen  Mangel 
(sie!)  verdienen  oder  Verachtung,  weil  ich  mich  bemühet  habe 
immer  etwas  neues  zu  liefern  oder  auch  das  neueste  aus- 
ländische zu  benutzen,  wenn  es  dem  erwerbenden  Publikum 
vortheilhaft  sein  kann.  In  den  von  mir  herausgegebenen  und 
noch  fortdauernden  ökonomischen  Heften  rühren  größtenteils 
die  Abhandlungen  von  mir  her,  die  keinen  Autornahmen  führen. 

In  den  beigehenden  Anz.  der  Ökonom.  Societ.  zu  Leipzig 
rühren  auch  die  Aufsätze  in  den  von  1796  Seite  10  und  in 
den  von  97  Seite  24  von  mir  her.1) 

Die  Ausführung  einer  Menge  neuer  Ideen,  die  gegen- 
wärtig noch  nicht  zur  vollkommenen  Keife  gediehen,  muß 
ich  bis  auf  Zeiten  verschieben,  wo  ich  mehr  Müsse  habe. 
Hierher  gehört:  dass  ich  die  electrische  Materie  von  dem 
reinen  Feuer  nicht  verschieden  halte2)-,  dass  die  fixen  Laugen- 
salze  zusammengesetzte  Körper  sind3);  dass  die  sogenannte 
Blausäure  ein  Unding4)  ist;  daß  der  zusammenziehende  Stoff 
der  Pflanzen  von  den  Laugensalzen  wenig  verschieden  ist  und 
wahrscheinlich  aus  diesen  und  dem  Kohlenstoffe  bestehe; 
u.  s.  weiter. 

Noch  verdient  vielleicht  einer  Erwähnung,  dass  ich  eine 
neue  Pendeluhr  erfunden  habe,  die  nur  4  Räder  ohne  Vor- 
gelege hat,  aber  doch  Sekunden,  Minuten,  Stunden,  Datum 
zeigt  und  8  Tage  lang  bei  dem  einfachsten  Mechanismus  geht. 
Auch  denke  ich  über  einer  Uhr  nach,  die  weder  Zahn  noch 
Getriebe  hat.5)  Die  erstere  wird  in  einigen  Tagen  unter 
meinen  Augen  von  einem  Künstler  vollendet  seyn  und  die 
nähere  Beschreibung  wird  dann  in  dem  Journal  für  Fabrik 
folgen.     Beiläufig  erwähne  ich,    dass   auch   ein  anderer   ganz 


40  Wilhelm  Stieda: 

gleiches  Vor-  und  Zunahniens6)  in  dem  genannten  Journal 
eine  erfundene  Pumplampe7)  beschrieben  hat,  mit  dem  ich 
nicht  zu  verwechseln  bin;  er  ist  mein  Freund.  Weniger 
halte  ich  auf  die  Erfindung  eines  neuen  Butterfasses,  wovon 
das  Modell  vollendet  und  ehestens  in  den  ökonomischen 
Heften  wird  beschrieben  werden.8) 

Sie,  verehrungswürdigster  Mann,  werden  meine  Schreib- 
art verzeihen.  Ich  schreibe  dieses  nicht  ganz  ohne  Gemüths- 
bewegung  und  auch  in  der  grössten  Eile,  weil  Herr  Prof. 
Leonhardi  mich  erst  gestern  aufgefunden  und  aufmerksam 
gemacht  hat  und  ich  gern  heute  die  Berliner  Post  benutzen 
wollte,  wenn  es  demungeachtet  nicht  zu  spät  ist;  ich  bin 
Deroselben  Verzeihung  gewiss,  da  ich  Ihren  vortrefflichen 
und  liebenswürdigen  Charakter  aus  Zöllners  Reisen  auf  der 
Insel  Rügen  kenne.9) 

Die  beigelegten  Specimina  sollen  davon  zeigen,  dass  ich 
vielleicht  ein  brauchbarer  Mann  werden  kann.  Doch  dies 
wird  man  nicht  allein  durch  Gelehrsamkeit  sondern  durch 
diese  erst  verbunden  mit  Liebenswürdigkeit  des  Charakters. 
Wollte  Gott!  ich  könnte  auch  davon  Beweise  bringen.  So 
viel  glaube  ich  mit  der  grössten  Gewissenhaftigkeit  sagen  zu 
können:  dass  ich  gesellig  und  friedfertig  bin;  ich  kenne 
keinen,  der  mein  Feind  ist,  ich  habe  mehr  gute  Menschen 
als  böse  gefunden,  weil  ich  an  Niemanden  grosse  Forderungen 
mache:  ich  halte  ursprünglich  das  Menschengeschlecht  für 
gut,  ich  glaube,  dass  Niemand  bös  handeln  würde,  sobald  er 
von  der  Bösartigkeit  seiner  Handlung  überzeugt  ist:  ich  um- 
fasse alle  Menschen  mit  Liebe.  Herr  Assessor  Haubold10), 
Herr  Prof.  Hindenburg,  der  liebenswürdigste  Mann  in  Leip- 
zig11), Herr  Prof.  Löser12),  Herr  Prof.  Ek13),  Herr  M.  Held, 
Herr  D.  Ludwig14),  Herr  M.  Wichmann15),  der  mein  Lehrer 
in  der  Staatswirthschaft  ist,  sind  ohngefähr  die  Männer,  denen 
ich  bekannt  bin. 

Meine  ökonomischen  Umstände  sind  in  der  besten  Lage: 
ich  habe  keine  Schulden,  weil  ich  nie  das  Herz  gehabt  habe 
von    Jemanden    etwas    zu    borgen.      Eine    verehrungswürdige 


Znt  Säciisisciikn   <  iixr.m:  i  i :nGE8CHICH  i  k.  41 

Dame,  die  mir  mehrmals  zur  Errichtung  einer  grossen  Fabrik 
Vorschüsse  angeboten,  hat  abschlägliche  Antwort  erhalten, 
weil  mir  dies  Unruhe  machen  würde.  Diese  Dame  ist  die 
Madame  Saalbach,  Mutter  des  Herrn  Assessor  Haubold,  bei 
dem  ich  4  Jahre  lang  ehedem  Famulus  gewesen.  Wenn 
meine  Bittschrift  nicht  bereits  zu  spät  einläuft  und  auch  in 
diesem  Falle  empfehle  ich  mich  Ew.  Wohlgeb.  aufs  beste: 
und  sollte  ich  das  Glück  haben  Denenselben  nicht  zu  mis- 
fallen,  so  würde  es  unstreitig  zur  Erreichung  meines  Wun- 
sches beitragen  von  Denenselben  über  die  noch  zu  nehmenden 
Massregeln  belehrt  zu  werden.  Herr  Prof.  Leonhardi  wollte 
ein  Empfehlungsschreiben  beilegen,  worauf  ich  jedoch  noch 
einige  Tage   hätte  warten  müssen,  weil  er  heute  zu  viel  Ge- 

DD  / 

schälte  hat.    Mit  der  schuldigen  Ehrerbietung  bitte  Dieselben 

O  D 

nochmals  um  Protektion  und  ersterbe  mit  der  grössten  Hoch- 
achtung _,         TTT   11      1 

8  Ew.  Wohlgeb. 

ergebenst  gehorsamster 
Johann  Christian  Hoffmann. 

Leipzig,  d.  21.  Julius   1798. 

3.   Magister  J.  Chr.  Hoffmann  in  Leipzig  an  Professor 
Möller  in  Greifswald,   1798,  Juli  25. 

Akten  d.  phil.  Fak.  Greifswald  S.  66 — 67. 
Wohlgeb  orner 
Hochzuverehrendster  Herr  Kammerrath  und  Professor, 

Herr  Prof.  Leonhardi  hat  in  der  Meinung,  daß  ich  meine 
Bittschrift  an  die  Hochl.  phil.  Fakultät  zu  Greifswald  erst 
mit  der  heutigen  Berliner  Post  absenden  würde,  an  Dieselben 
mir  ein  Schreiben  Übermacht.  Ich  ergreife  diese  Gelegenheit 
dieselben  nochmals  ergebenst  zu  bitten  mir  zur  Erreichung 
meines  Wunsches  behilflich  zu  seyn.  Es  würde  nur  An- 
massung  seyn,  wenn  ich  glaubte  die  entstandene  Lücke  so- 
gleich ausfüllen  zu  können:  aber  mein  ausserordentlicher 
Thätigkeitstrieb,  der  Gott  sey  Dank,  durch  keine  Leiden- 
schaften gestört  wird,  soll  künftighin  allein  dahin  abzwecken 

O  '  D 


42  Wilhelm  Stieda: 

das  mir  vorgesteckte  Ziel  zu  erreichen  und  ein  recht  brauch- 
barer Mann  zu  werden.  Ich  bin  nicht  wenig  gerührt  worden, 
da  ich  in  den  Annalen  der  deutschen  Universitäten  von  Mur- 
sinna  und  Justi16)  lass;  daß  auf  der  Akademie  zu  Greifswalde 
sein-  darauf  gesehen  wird  junge  Studirende  vorzüglich  auch 
auf  das  aufmerksam  zu  machen,  was  Bezug  auf  Oekonomie, 
Fabrikwesen,  Handel  und  überhaupt  auf  Industrie  hat.  Dies 
stimmt  mit  einem  Theile  meines  längst  entworfenen  Plans 
sehr  überein  und  ich  habe  blos  aus  dieser  Absicht  Physik 
und  Chemie  sehr  fleissig  getrieben.  Dass  letztere  vorzüglich 
grossen  Einfluss  auf  Oekonomie  und  Fabrikwesen  hat,  habe 
ich  auch  in  der  Vorrede  zu  Handbuch  der  Chemie  zum 
Selbstunterricht,  Leipz.  1796  geäußert.  Ich  würde  diese  Schrift 
mit  übersendet  haben;  allein  sie  rührt  nur  vom  ioten  Bogen 
an  von  mir  her:  ich  unterzog  mich  dieser  Arbeit  nur  aus 
Freundschaft  für  den  Verleger  und  den  unglücklichen  Ver- 
fasser  der  ersten  Hefte,  der  durch  eine  sonderbare  Krankheit 
alle  Geisteskräfte,  ja  sogar  sein  Gedächtnis  verloren  hatte, 
dass  er  mir  nicht  einmal  seinen  Plan  detailliren  konnte.  Dess- 
wegen  konnte  ich  nicht  mit  Beifall  arbeiten  ohngeachtet  eine 
nicht  ganz  ungünstige  Recension  erschienen  ist. 

In  den  übersendeten  Erfahrungen  und  Versuchen  sind 
ausser  den  wenigen  franz.  und  englischen  Uebersetzungen  alle 
Aufsätze  eigenthümliche  Arbeiten,  die  sich  auf  angestellte 
Versuche  gründen.  Das  dritte  noch  nicht  völlig  abgedruckte 
Bändchen  soll  hoffentlich  die  erstem  noch  übertreffen:  ich 
habe  eine  den  Bernstein  betreffende,  vielleicht  nicht  unwich- 
tige Entdeckung  gemacht,  die  darin  besteht,  daß  er  ganz 
weich  wie  Gallerte  wird  ohne  etwas  an  Farbe  zu  verlieren17); 
welches  nebst  anderen  in  dem  dritten  Bändchen  beschrieben 
wird,  und  alles  auf  Vervollkommnung  der  Industrie  gerichtet 
ist.  Auch  nehme  ich  mir  die  Freiheit  einen  rohen  Entwurf 
von  der  Erfindung  einer  neuen  Geräthschaft  beizufügen,  die 
eben  die  Wirkung  des  Parker'schen  Apparats  hat,  wohlfeil  und 
einfach  ist  und  in  Fabriken  im  Grossen  leicht  eingeführt  werden 
kann.    Herr  Prof.  Hindenburg  ist  so  gütig  gewesen  sie  sehr  zu 


Zun  Sächsischen  GeltEhrtengeschichte.  43 

billigen.  Wäre  ich  so  glücklich  meinen  Wunsch  zu  erreichen, 
so  würde  mein  ganzes  Bestreben  dabin  gerichtet  seyn,  auf 
nützliche  Erweiterungen  in  der  Fabrik  Wissenschaft  zu  denken, 
da  ich  in  diesem  Fache  noch  sehr  glücklich   zu  seyn  glaube. 

Als  Oekonomist  versage  ich  zwar  dem  plivsiok  ratischen 
System  meinen  Beyfall  nicht,  glaube  aber,  daß  ein  heftiger 
Lobredner  desselben  zu  seyn  mehr  schädlich  als  nützlich  ist. 
Durch  die  ausserdem  noch  möglichen  Verbesserungen  iu  der 
Landwirtschaft  durch  Begünstigung  und  Verbesserung  des 
K'unstfleisses  müssen  erst  die  nöthigen  Vorbereitungen  ge- 
macht werden.  Wenn  dann  die  dadurch  vermehrte  Volks- 
menge alle  hierbei  interessierte  Glieder  des  Staats  zur  aller- 
höchsten Benutzung  des  Bodens  zwingt,  und  wenn  glück- 
lichere Beispiele  als  bisher  vorangegangen  sind:  dann  werden 
auch,  worüber  sich  der  Menschenfreund  im  voraus  freut, 
wohlthätige  Vergleiche  zu  Staude  kommen;  da  durch  gewalt- 
same und  erschütternde  Aufhebung  hergebrachter  Rechte  nur 
Verletzungen  heiliger  von  beiden  Seiten  eingegangener  Con- 
trakte  herbeigeführt  werden. 

Als  vernünftiger  Mann  darf  ich  zwar  gegenwärtig  noch 
nicht  das  geringste  hoffen,  zumal  wenn  mit  mir  zugleich 
würdigere  Competenten  um  die  erledigte  Stelle  angesucht 
haben.  Meinen  immer  gegen  andere  geltend  zu  machen  ge- 
suchten Grundsätzen  zufolge  sollte  ich  auch  ganz  ruhig  seyn; 
aber  das  finde  ich  nicht:  —  Vielmehr  schwebe  ich  in  einer 
bisweilen  angenehmen  bisweilen  aber  auch  unangenehmen 
Unruhe  und  ich  setze  mein  Vertrauen  allein  auf  die  Vor- 
sehung, die  mich  vielleicht,  um  recht  nützlich  werden  zu 
können,  für  diesen  so  ehrenvollen  Posten  unter  einer  so 
glücklichen  Regierung  bestimmt  hat.  Möchte  ich  das  Glück 
haben  Deroselben  Gewogenheit  würdig  zu  seyn!  Ich  verharre 
mit  aller  Ehrfurcht  Ew.  Wohlgeboren 


*Ö" 


ergebenst  gehorsamster 


Johann  Christian  Hoffmann 
wohnhaft  in   No.  1239. 
Leipzig  den  25.  Juli  1798. 

Phil.-hi3t.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  4 


44 


Wilhelm  Stieda: 


4.  Magister  J.  C.  Hoffmann  in  Leipzig  an  Prof.  Möller 
in  Greifswald,   1798,  Aug.  29. 

Akten  d.  phil.  Fak.  Greifswald  S.  74. 

Woklgeborner 

Hochgeehrtester  Herr  Kamnierrath  und  Professor, 

Durch  die  Ankündigung  einer  Beschreibung  des  Herrn 
Super.  D.  Schlegels 18)  von  der  Universität  Greifswalde  bin 
ich  von  neuen  aufs  lebhafteste  an  diese  Akademie  und  an 
meine  gegenwärtigen  Verhältnisse  erinnert  worden:  und  ich 
nehme  mir  die  Freiheit  Dieselben  nochmals  durch  gegen- 
wärtigen Brief  zu  belästigen:  weil  ich  in  meinem  erstem 
Schreiben  einen  Umstand  übergangen  zu  haben  glaube,  der 
vielleicht  der  wichtigste  ist,  auf  den  E.  Hochlöbl.  Fakultät 
bei  Besetzung  der  erledigten  Lehrstelle  sehen  möchte.  Ich 
habe  mich  nemlich  geprüft,  welche  Vorlesungen  ich  wohl  zu 
halten  im  Stande  wäre,  wenn  die  Vorsehung  beschlossen 
hätte,  mir  diesen  Wirkungskreis  anzuweisen  und  ich  versichere 
Ew.  Wohlgeboren,  dass  die  Richtigkeit  nachstehender  Angabe 
mit  meinem  so  laut  geäusserten  Wunsche  in  gleichem  Ver- 
hältnisse steht.  Zu  den  Vorlesungen,  denen  ich  mich  schon 
gegenwärtig  unterziehen  zu  können  glaube,  gehören: 

1.  Das  Ganze  der  Cameral Wissenschaften. 

2.  Reine  Oekonomie,  im  allgemeinen  sowohl  als  auch 
über  besondere  Theile  derselben. 

3.  Oekonomische  Chemie  im  allgemeinen  und  dann  auch 
besonders  a)  über  die  Untersuchung  und  Zerlegung  der 
Ackererdarten  mit  Versuchen;  b)  Untersuchung  der  Luftarten 
und  ihres  Einflusses  auf  das  Wachsthum  der  Pflanzen;  c)  über 
Gährung  u.  s.  w. 

4.  Physiologie  der  Pflanzen. 

5.  Fabrik  Wissenschaft  im  allgemeinen  und  dann  vorzüg- 
lich insbesondere  über  einzelne  Theile  derselben  in  practischen 
Versuchen.  Hierin  glaubte  ich  den  Studierenden  sowohl  als 
auch  andern,  die  Fabriken  anlegen  wollten,  vorzüglich  nütz- 
lich seyn  zu  können. 


Zur  Sächsischen  Gelehbtengeschichte.  45 

6.  Practische  Mechanik,  wenn  ich  zuvor  die  mir  noch 
fehlenden  Instrumente  und  Modelle  angeschafft  habe. 

7.  Ueber  einige  lateinische  Schriftsteller,  z.  B.  über  scrip- 
tores  rei  rust.,  Plinii  bist,  natur.  u.  s.  w. 

Bedenke  ich  ferner,  dass  mein  Thätigkeitstrieb  mich 
immer  anspornt,  so  ist  es  gewiss,  dass  ich  künftig  auch  noch 
über  andere  verlangte  Gegenstände  Vorlesungen  zu  halten  im 
Stande  wäre;  z.  B.  über  ökonomische  Botanik,  über  technische 
Botanik,  worin  ich  jedoch  selbst  zuvor  noch  manche  Lücken 
auszufüllen  hätte,  welches  aber  bei  den  so  vortreflichen 
Hilfsmitteln  in  Greifswalde  leicht  zu  bewerkstelligen  wäre. 
Im  Gegentheil  aber  würde  ich  mich  auch  solcher  Vorlesungen 
enthalten,  mit  denen  sich  bereits  andere  geschicktere  Männer 
beschäftigten. 

Ew.  Wohlgeboren  bitte  nochmals  um  gütige  Vorsprache 
und  verharre  mit  der  geziemendsten  Hochachtung  und  Dank- 
verpflichtung Deroselben 

ergebenster  Verehrer 

Johann  Christian  Hoffmann 
wohnhaft  in  No.  1239. 

Leipzig  den  29.  August  1798. 

5.  Bewerbung  des  Magister  Joh.  Gottfr.  Steinhaeuser 

in  Plauen  i.  V.  um  die  Professur  der  Kameralwissen- 

schaften  in  Greifswald,   1798,  Sept.  26. 

Akten  d.  phil.  Fak.  Greifswald  S.  117  — 119. 

Viri  Magnifici,  Illustrissimi,  Jure  consultissimi,  Experien- 

tissimi  Excellentissinii,  Praenobilissimi,  Amplissimi,  Doc- 

tissimi,  Patroni  atque  Fautores  summa  pietate  colendi! 

Res  humanae  divino  arbitrio  si  diriguntur  non  dubito 
quin  annuente  Deo  0.  M.  factum  sit,  ut  Patronus  Vitebergae 
mihi  amicissimus  literis  eo  quidem  die,  quo  trigesimum  aeta- 
tis  annum  expleveratn,  datis,  rerum  cameralium  et  Statisticae 
Grypbiswaldae  Professorem  supremum  nuper  diem  obiisse,  me 
certiorem  redderet  et  qui  defuneti  in  locum  sufficerer,   haud 

4* 


46  Wilhelm  Stieda: 

omnino  indignum  me  judicans,  ut  de  eo  munere  mihi  confe- 
rendo  supplex  Vos  adirem,  auctor  mihi  fieret. 

Cui  consilio  eo  lubentius  obtempero,  quod  ipsum  meis 
cum  votis  studiisque  quibus  a  puero  fere  incubui  quam  maxime 
congruit.  Exacto  enim  in  gymnasio,  quod  Portae  Saxonum 
est,  quinquennio  cujus  maximam  partem  alumnus  tum  elec- 
toralis  rebus  mathematicis  physicisque  tribueram  statim  Fry- 
bergam  ejusdem  Saxoniae  adii  ibique  rerum  metallicarum, 
geognosiae  et  orictognosiae  ediscendarum  causa  per  biennium 
non  sine  laude  commoratus  integrum  fere,  quod  insecutum 
est,  quadriennium  in  Academia  Vitebergensi  Themidi  simul 
ac  Uraniae  consecravi. 

Dehinc  admodum  juvenis  molendinis  in  comitatu  Nasso- 
viensi  trans  Rhenum  ad  terendos  lapides  nobilioris  generis 
exstructis,  optimis  quidem  auspiciis  praefectus  post  tarnen 
aliquod  tempus  expugnatis  per  Gallorum  arma  transrhenanis 
regionibus  inde  profugatus  tandem  post  lustratas  ad  Hel- 
vetiorum  usque  fines  metallifodinas  artificumque  et  Fabrorum 
officinas  prorumpente  et  eis  Rhenum  nefando  isto  quod  adhuc 
vastatur  Germaniam  bello  patriam  redire  coactus  denique  a 
principe  Saxonum  Electore  Serenissimo  iis  quibus  praxin 
juris  in  bis  terris  exercere  publice  licet  itidemque  Societati- 
bus  oeconomicae  quae  Lipsiae  celebratur,  ut  et  naturam  per- 
scrutanti  nee  non  mineralogicae  quae  Jenae  sunt  adscriptus 
ex  tribus  fere  annis  rebus  tarn  forensibus  quam  caineralibus 
eam  quam  possum  operam  navo. 

Conscripsi  enim  1.  traetatum  de  machina  ad  meliorem 
tubi  ferruminatorii  usum  a  me  inventa,  typis  ineusum  in 
opusculis  societatis  quam  laudavi  Lips.  Anzeigen  der  Leipziger 
Oekonomischen  Societät.  Michaelmesse  1792.  2.  Dissertati- 
unculam  nova  quaedam  de  magnete  exhibentem,  ibid.  Oster- 
messe 1794.  3.  Descriptionem  molendinorum  ad  terendas 
gemmas  eis  et  trans  Rhenum  exstruetorum  ibid.  conspicien- 
dam  1797.  4.  Descriptionem  Saxorum  in  Variscia  reperiun- 
dorum  generis  quod  Hornblendfelss  appello  ibidem  indicatam 
Mich.  1793.    5.  Consilia  camarae  Elect.  Sax.  oblata  de  delenda 


Zur  Sächsischen  Gelehrtengeschichte.  47 

bonibyce  phalaeua  inonacha  Saxonum  sylvas  vastuute.  6.  Sy- 
stema  Saxorum  geneticurn  exhibitum  societati  quae  Jenae  est 
physicae.  Suininam  denique  pluribus  ex  annis  operam  inipendi 
et  adhuc  impendo  ut  certam  in  usuin  navigantium  investigem 
niethodum  cornputandi  acus  magneticue  tarn  declinationem 
quam  inclinationein  et  inde  gradus  in  man  longitudinis  in- 
veniendi.  Cujus  lucubratiouis  tenue  equidem  specimen  quan- 
tulum  teinpus  admisit  ne  plane  Vobis  ignotus  videar  map 
pauique  declinationum  et  inclinationuni  his  adjungo  literis 
Vestrae  haec  pauca  indulgentiae  subniisse  commendans. 

Quodsi  mihi  eontingat,  ut  doctissimo  Vestro  in  consortio 
quo  doctior  ipse  evadam  Balthici  maris  accola  eo  faciliorem 
colligendi  observationum  de  declinatione  et  inclinatione  mag- 
netis  nauticarum  copiam  nanciscar  occasionem  Dto  favente 
eo  me  perventurum  esse  confido,  ut  subtilissima  hac  in  re 
praestem  aliquid  quod  rebus  nauticis  prosit,  Vestraque  appro- 
batione  haud  plane  indignum  videatur. 

Tandem  adjectis  quisbusdam  publicis  de  me  testimoniis 
si  in  rem  Vestram  videatur  ut  collegio  Vestro  beati  Stumpfii 
in  locum  adscribar  idquod  ut  perficiatis  summopere  oro  rogu- 
que  talem  ut  me  praestem  qualem  desideratis  et  me  decet 
esse  Deo  adjuvante  omni  qua  possim  diligentia  enitar. 

Nominum  Vestrorum 

observantissimus  cultor. 

Dabam  Plaviae  Variscorum  in  terris  Joannes  Godofredus 
Steinhaeuser  Saxoniae  super,  die  XXVI  septbr.  1798. 

6.  Magister    J.  C.  Hoffmann    in  Leipzig    an   Professor 
Möller  in  Greifswald,  1798.  Sept.  24. 

Akten  d.  phil.  Fak.  Greifswald  S.  82—83. 

Wohlgeborner 

Hochzuverehrendster  Herr  Kammerratb  und  Professor. 

Wenn  Ew.  Wohlgeboren  aufs  neue  mit  einem  unter- 
thänigen  Briefe  beschweret  werden,  so  schreiben  Dieselben  es 


48  Wilhelm  Stieda: 

der  ausgezeichnetsten  Hochachtung  und  Dankbarkeit  zu,  womit 
ich  Denenselben  für  die  bisherige  Beförderung  meines  unter- 
thänigen  Gesuchs  so  sehr  verpflichtet  bin.  Würde  mir  die 
Vorsehung  Ew.  Wolgeboren  fernere  Fürsprache  angedeihen 
lassen  und  sollte  wirklich  der  Ausgang  meinen  Wünschen 
entsprechend  seyn:  so  versichere  ich  Ew.  Wohlgeboren,  daß 
ich  durch  mein  künftiges  Bestreben  die  gethanenen  Ver- 
sprechungen aufs  möglichste  rechtfertigen  werde.  Ich  glaube 
dies  um  desto  gewisser  deswegen  versichern  zu  können,  da 
jene  Aeusserungen  nicht  das  Resultat  eines  augenblicklichen 
Vorsatzes  waren,  sondern  ich  vielmehr  für  die  Denselben  nam- 
haft gemachten  Wissenschaften  ganz  und  dergestalt  lebe,  daß 
sie  mir  Beschäftigung,  Ruhe,  Erholung  und  alles  sind.  Die 
Eingeschränktheit  meiner  bisherigen  Lage  hat  mich  freilich 
gehindert  manches  auszuführen,  was  ich  bei  einer  glück- 
licheren Veränderung  gewiss  auszuführen  verhoffe  und  wovon 
sich  ein  praktischer  Nutzen  leicht  absehen  läßt.  Zum  Bei- 
spiel: das  Vitriolöl,  dessen  Consumtion  so  ungeheuer  ist,  wird 
in  Deutschland  grösstentheils  aus  Eisen- Vitriol  geschieden  und 
kostet  jetzt  das  Pf.  9  Groschen.  Vortheilhafter  wird  es  aus 
Schwefel  bereitet.19)  Nun  liefern  den  neuern  Versuchen  zu- 
folge acht  Theile  Schwefel  achtzehn  Theile  Vitriolöl.  Folg- 
lich müsste  das  Produkt  nicht  theuerer  seyn  als  der  Schwefel, 
wovon  das  Pf.  1  Gr.  kömmt.  Das  ist  es  aber  deswegen  nicht, 
weil  man  sich  um  die  Verbrennung  des  Schwefels  zu  be- 
fördern genöthiget  sieht  Salpeter  zuzumischen.  Ich  bin  schon 
seit  einigen  Jahren  im  Besitz  eines  nur  im  kleinen  von  mir 
ganz  besonders  angeordneten  Apparats,  worin  ich  ohne  Sal- 
peterzusatz vermittelst  eines  künstlichen  Luftzugs  den  Schwefel 
bis  zur  gänzlichen  Zerstörung  leicht  brennend  erhalte  und  die 
mit  Wasserdämpfen  vereinigten  Schwefeldämpfe  so  lange  durch 
angebrachte  Glasgefäße  leite,  bis  sie  sich  zu  Schwefelsäure 
verdichtet  haben.  Man  kann  auf  diesem  Wege  das  Vitriolöl 
zu  einem  sehr  geringen  Preis  erhalten  und  deswegen  sich 
einem  reellen  Nutzen  davon  versprechen,  weil  auch  eine  un- 
zählbare Menge    anderer  Fabrikprodukte  und   Fabrikarbeiten, 


Zur  Sächsischen  Gelehrtengeschichte.  49 

z.  B.  Salmiak,  künstliche  Soda  pp.  wohlfeiler  geliefert  werden 
können.  Wahrscheinlich  besitzt  Schweden  viel  Schwefel20), 
der  auf  diese  Weise  zweckmässiger  benutzt  und  ein  vorteil- 
hafter Handel  verschiedener  Fabrikprodukte  nach  Kussland 
und  anderwärts  eröfnet  werden  könnte.  Doch  ich  wage  es 
nicht  Ew.  Wohlgeb.  länger  lästig  zu  fallen  und  bitte  nur 
nochmals  um  ferneres  Wohlwollen  unter  der  Versicherung, 
dass  hätte  ich  auch  nicht  das  Glück  Denenselben  meine  so 
schuldige  Danksagung  mündlich  abzustatten,  ich  demungeachtet 
nie  aufhören  werde  mit  der  grössten  Hochachtung  und  Er- 
gebenheit  zu  verharren 

Ew.  Wohlgeboren 

ergebenst  gehorsamster 
Johann   Christian  Hoffmann. 

Leipzig,  d.  24.  Septbr.  1798. 


7.    Prof.  Assmann    in  Wittenberg    an   Prof.  Möller    in 
Greifswald,  1798  Oktbr.  6. 

Akten  d.  phil.  Fak.  Greifswald  S.  127—128 

Wohlgebohrner  Hochgelehrter  Herr 

lnsonders  hochzuverehrender  Herr  Cam ni errat h; 

Ew.  Wohlgeb.  geehrtestes  vom  6.  Septbr.  welches  ich  am 
löten  erhielt,  würde  ich  gern  eiliger  beantwortet  haben,  wenn 
ich  nicht  in  Ermangelung  solcher  Subjekte,  die  mir  nahe  ge- 
wesen wären,  vielmehr  die  Empfehlung  eines  in  der  Ent- 
fernung lebenden  allen  anderen  vorzuziehen,  aber  doch  dess- 
halb  ihm  selbst  erst  Nachricht  davon  zu  geben,  für  nöthig 
gefunden  hätte.  So  wenig  es  noch  immer  deren  giebt,  welche 
sich  ganz  besonders  dem  studio  der  Cameralwissenschaften 
widmen  und  so  schwer  es  deshalb  hält  in  einem  solchen  Falle 
wie  der  gegenwärtige  ist,  wobey  Ew.  Wohlgeb.  mich  mit 
Dero  schmeichelhaftem  Vertrauen  beehren,  ganz  zweckmäßig 
zu  empfehlende  Personen  aufzufinden:  so  sehr  freue  ich  mich 
den    Herrn    Steinhaeusser,    einen    meiner    gewesenen    vorzüg- 


50  Wilhelm  Stieda: 

lichsten  Zuhörer  zu  solcher  Absicht  nennen  zu  dürfen.  Ohn- 
geachtet  er  sich  in  seiner  bisherigen  Geschäftslage  durch 
rnancherley  Hindernisse  abgehalten,  noch  nicht  durch  ge- 
druckte Schriften  so  bekannt  machen  konnte  als  er  es  ver- 
dient: so  werden  Ew.  Wohlgeb.  aus  denen  Bey lagen  schon 
sattsam  von  mehrern  seiner  mann  ichfaltigen  Kenntnisse  und 
praktischen  Geschicklichkeiten  sowohl  in  Beziehung  auf  Haupt- 
und  Hülfswissenschaften  gefälligst  zu  urtheilen  Gelegenheit 
finden.  Als  er  unsere  Academie  besuchte,  hatte  er  schon 
nicht  nur  die  trefflichsten  Vorschritte  in  naturgeschichtlichen, 
physikalischen,  geographischen,  statistischen,  mathematischen 
etc.  Wissenschaften  gemacht  sondern  auch  mehrere  Jahre 
hindurch  den  ganzen  Cursum  der  Bergbau  Wissenschaft  und 
des  Hüttenwesens  auf  der  Bergakademie  zu  Freyberg  zu  einem 
neuen  Gegenstande  seines  Studiums  erwählt,  auch  mehrere 
zweckmässige  Reisen  damit  verbunden.  Das  Maschinenwesen 
kennt  er  theoretisch  und  practisch,  und  hat  sich,  als  er  hier 
war,  mit  mehr  als  einer  Erfindung  und  eigenen  Modellirung 
darinne  beschäftigt.  —  Ich  will  nichts  mehr  zu  alle  dem 
vielleicht  schon  allzuwortreich  gesagten  hinzusetzen,  um  nicht 
ohne  Noth  in  den  Schein  der  Partheylichkeit  zu  gerathen. 

Wollen  Ew.  Wohlgeb.  sein  Ansuchen  mit  Geneigtheit 
unterstützen,  so  bin  ich  mit  seinem  Bey  tritt  in  solcher  Hin- 
sicht so  frei  Ihnen  hierbey  alles  nöthig-  und  pflichtmäßig 
erachtete  zu  übersenden.  Ich  fand  diess  zum  Beyspiel  in 
Ansehung  des  bey  liegenden  Memorials  für  das  beste,  weil  er 
sich  darinne,  was  besonders  das  Formale  betrifft  aus  Mangel 
der  Bekanntschaft  mit  der  Verfassung  Ihrer  Universität,  nach 
der  Verfassung  der  unsrigen  gerichtet  hat.  Im  Falle  also 
eins  und  das  andre  hierinn  versehen  seyn  sollte,  werden  es 
Ew.  Wohlgeb.  schon  geneigtest  zu  entschuldigen  die  Gewogen- 
heit  haben  und  auch  anderweitige  Nachsicht  bestens  befördern 
und  bewirken.  Sollte  meine  ergebenste  Empfehlung  so  glück- 
lich seyn  in  geneigte  Rücksieht  zu  gelangen,  so  wird  es  mir 
ungemeine  Freude  gewähren  Ew.  Wohlgeb.  Wunsch  erfüllt 
zu  haben,  so   wie  ich   recht  viele  Gelegenheiten  mir  erbitte, 


Zur  Sächsischen  Gelehrtenges«  bi<  hte.  51 

wobey    ich    darlegen    kann    mit    welcher   vorzüglichen    Hoch- 
achtung ich  zeitlebens  verharren  werde  Ew.  Wohlgeb. 

ganz  ergebenster  und  gehorsamster 
C.  G.  Assmann. 
Wittenberg  am   b.  Oct.  1798. 

8.    Magister  J.  C.  Hoffmann    in  Leipzig  an   Professor 
Möller  in  Greifswald,    1798  Oktbr.  7. 

Akten  d.  phil.  Fak.  Greifswald  S.  129. 

Wohlsrebomer  Herr  Kammerrath 
Hochgeehrter  Herr  Professor, 

Ew.  Wohlgeboren  haben  die  Gewogenheit  gehabt  mich 
mit  einer  gütigen  Zuschrift  zu  beehren,  wofür  ich  von  ganzer 
Seele  meinen  lautersten  und  aufrichtigsten  Dank  ergebenst 
abstatte.  Zugleich  nehme  ich  mir  die  Freiheit  Denenselben 
zu  melden,  daß  ich  auch  vor  8  Tagen  ein  kurzes  und  er- 
gebenstes Bittschreiben  an  Se.  Excellenz  dem  Herrn  Kanzler 
und  Generalgouverneur  Freiherrn  von  Platen21)  habe  abgehen 
lassen;  ich  habe  nicht  das  Herz  gehabt  weder  durch  eine  Er- 
zählung meiner  bisherigen  litterärischen  Bemühungen  noch 
auch  durch  eine  alltägige  Versicherung  meines  Diensteifers 
im  glücklichen  Falle  Sr.  Excellenz  beschwerlich  zu  fallen, 
sondern  habe  meine  Angelegenheiten  einzig  und  allein  Sr. 
Excellenz  hohen  Gnade  empfohlen.  Zu  dem  nicht  unbedeuten- 
den Fehler  den  Herrn  D.  und  Prof.  Quistorp22)  übergangen 
zu  haben,  bin  ich  theils  durch  meine  eigene  Schuld  theils 
durch  den  Mangel  eines  sichern  Führers  verleitet  worden. 
Durch  Deroselben  gütige  Nachricht  sowohl  als  auch  durch  des 
Herrn  Prokanzlers  und  General- Superint.  Herrn  D.  Schlegels 
vortrefliche  Beschreibung  der  Academie  zu  Greifswald  bin 
ich  nun  eines  bessern  belehrt.  Ich  ergreife  diese  itzige  Ge- 
legenheit Ew.  Wohlgeboren  nochmals  ganz  gehorsamst  zu 
bitten  meinen  Angelegenheiten  durch  Deroselben  empfehlende 
Fürsprache  eine  günstige  Wrendung  zu  geben;  so  wie  ich 
auch  recht  innigst  darum  bitte  Sr.  Wohlgeboren  dem  Herrn 


52  Wilhelm  Stieda: 

Prof.  Muhrbeck23)  aufs  neue  empfohlen  zu  werden,  unter  der 
Versicherung,  daß,  falls  der  Himmel  mich  zu  diesem  ehren 
vollen  Posten  bestimmt  hätte,  ich  der  Universität  Ehre  zu 
machen  mich  aufs  getreulichste  bestreben  werde.  Ausser 
dass  ich  das  ganze  der  Kameralwissenschaften  nach  irgend 
einem  Leitfaden  vorzutragen  mich  bemühen  würde,  würde  ich 
auch  jedes  Semester  einige  einzelne  Gegenstände,  die  von 
praktischen  Nutzen  seyn  und  Einfluß  auf  die  Industrie  haben 
könnten,  ausheben  und  außer  den  Studierenden  jeden  Wiß- 
begierigen dazu  einladen. 

Mit  der  tiefsten  Verehrung  und  dankbarlichster  Ergeben- 
heit kabe  ich  die  Ehre  zu  seyn 

Ew.  Wohlgeboren 

unterthänig  gehorsamster 
Johann  Christian  Hoifinann. 

Leipzig  d.  7.  October  1798. 

9.   Kommissionsrat  Johann  Riem  in  Dresden  an  Pro- 
fessor Möller  in  Greifswald,   1798,  Dezbr.  5. 

Akten  d.  phil.  Fak.  Greifs wald  S.  125. 

Wohlgebohrene  Hochgelehrteste  Herren; 
Hochverehrteste  Herren  Professoren  der  Universität 
Greifswalde! 

Ew.  Wohlgebohren  sind  mir  zwar  der  Reihe  nach  in 
Rücksicht  des  Namens  bekant  und  so  ich  Ihnen  auch  nur  dem 
Namen  nach  wieder  bekant.  Allein  Sie  haben  schon  einmal 
einen  Mann  zu  Ihrem  Professor  der  Oekonomie  etc.  berufen, 
der  ein  Mitglied  imser  ökonomischen  Societät  in  Sachsen 
war,  den  verstorbenen  Stumpf24),  mit  dem  ich  immer  corre- 
spondirte  und  nicht  lange  vor  seinem  Tode  noch  von  ihm 
mancherley  Schönes  von  seiner  Station  vernahm. 

Ich  sollte  wohl  also  denken,  dass  Ihnen  nicht  zuwider 
wäre  wieder  einen  Mann  aus  unserer  Societät  zu  berufen,  der 
in  vieler  Hinsicht  mit  noch  mehr  Kenntnissen   wie   der  Ver- 


Zur  Sächsischen  Gelehrtenges*  sichte.  5.S 

storbene  begabt  ist.  .  Herr  Steinhaeuser,  der  in  Wittenberg 
studirte  und  uns  bald  von  seinen  Lehrern  zur  Aufnahme  eines 
Mitglieds  empfohlen  ward,  der  auch  bekant  durch  seinen  lehr- 
reichen und  nützlichen  Abhandlungen,  die  in  unser  Societät 
Anzeigen  und  meiner  Sammlung  stehen,  ist  es,  den  ich  zu 
diesem  Berufe  seiner  allgemeinen  Kenntnisse  und  der  physi- 
kalischen noch  insbesondere  um  so  mehr  empfehlen  könnte 
als  er  bey  unserer  Societät  nicht  nur  praktische  sondern  auch 
möglichst  theoretische  Kenntnisse  abgelegt  hat.  Doch  wofür 
meine  weitläufige  Empfehlung,  der  Mann  empfiehlt  sich  ganz 
von  selbst  und  so  ist  mir  nichts  übrig  als  auch  mich  Ihrer 
Gewogenheit  zu  empfehlen,  der  ich  in  verehrungsvollster  Ver- 
ehrung beharre 


Euer  Wohlgebohren 

ganz  gehorsamster 

Diener  Johann  Riem 


Dresden  d.  5  ten  Decbr.  1798. 


jo.    Professor  Assmann    in   Wittenberg    an  Professor 
Möller  in  Greifswald,   1799,  Janr.  2. 

Akten  d.  phil.  Fak.  Greifswald  S.  159/160. 

Wohlgeb ohrner  Hochgelahrter  Herr 
Hochzuverehrender  Herr  Kammerrath; 

Wie  ich  wohl  anfangs  zweifelhaft  war,  ob  ich  Ew.  Wohlgeb. 

O/O 

mit  hier  beygelegtem  Schreiben  des  Herrn  Commissionsrath 
Riem,  Secretairs  unsere  sächsischen  Oeconomischen  Societät 
noch  besonders  incommodiren  sollte:  so  fand  ich  dennoch 
endlich  für  besser  Ew.  Wohlgeb.  gütiges  Vertrauen,  welches 
Dieselben  in  mich  gesetzt  hatten,  auch  in  gegenwärtigem 
Falle  ganz  zu  dem  Standpunkte  zu  machen,  wovon  ich  in 
meinem  Thun  ausginge.  Ohne  also  bey  mir  selbst  lange  zu 
untersuchen,  wie  viel  oder  wie  wenig  diese  schriftliche  Ver- 
wendung des  Herrn  Commissionsrath  Riem  für  den  von  mir 
Ihnen    zur    Cameral-   und    Statistischen    Professur  vorgeschla- 


54  Wilhelm  Stieda: 

genen  Herrn  Steinhaeusser  nützen  dürfte,  bin  ich  so  frey  so 
wie  sie  mir  zugefertigt  worden  ist,  solche  Ihnen,  wenn  Sie 
mir  erlauben,  mich  so  auszudrücken,  blos  im  Vertrauen  zu 
überschicken.  Ich  überlasse  es  ganz  Ew.  Wohlgeb.  zu  ent- 
scheiden und  bey  sich  Selbst  zu  bestimmen,  ob  Sie  für  gut, 
schicklich  und  Ihrer  akademischen  oder  anderweitigen  Ver- 
fassung gemäs  finden  irgend  einen  Gebrauch  von  dieser 
Handschrift  zu  machen  oder  ob  Sie  es  für  rathsam  erachten, 
dasselbe  als  einen  blosen  Privat-Brief  bey  Seite  zu  legen. 
Verzeihen  Ew.  Wohlgeb.  dass  ich  so  umständlich  hierbey 
verfahre.  Aber  ich  möchte  doch  ja  gern  auf  keine  Weise 
Verstössen  oder  Anlass  dazu  gegeben  haben;  und  es  könnte 
ja  vielleicht  dieses  Schreiben  des  Herrn  C.  R.  Riem  so  gut 
und  aufrichtig  es  gemeynt  ist,  so  wahr  das  alles  ist,  was  er 
sagt,  dennoch  entweder  in  seiner  Form  und  Einrichtung  oder 
sonst  in  irgend  Etwas  nicht  passend,  nicht  zweckmäßig  u. 
dergl.  seyn. 

Seit  der  Zeit  als  ich  an  Ew.  Wohlgeb.  Herrn  Stein- 
haeussers  Briefe  und  Aufsätze  geschickt  habe,  ist  von  neuem 
ein  Aufsatz,  eine  Prüfung  der  Humboldischen  Meynung  über 
die  Magnet-Felsen,  über  den  Einfluss  des  Sauerstoffgas  auf 
den  Magnetismus,  auch  eine  neue  Entdeckung  eines  im  Voigt- 
lande befindlichen  sehr  starken  Magnetfelsen,  vom  Herrn 
Steinhaeusser  in  Scherers  Journal  der  Chemie  3  tes  Heft  er- 
schienen. —  Eine  andere  Abhandlung  über  die  Möglichkeit 
unter  allen  gesitteten  Völckern  einerley  Mass  und  Gewicht 
einzuführen,  wobey  von  ihm  die  Zeitsecunde  als  allgemeine 
Einheit  zum  Grunde  gelegt  ist  wird  nächstens  anderswo 
erscheinen.25) 

Unvermerkt  ist  mein  Brief  so  weitläuftig  geworden,  ich 
bitte  deshalb  recht  sehr  um  Verzeihung.  Mit  vollkommenster 
Hochachtung  und  Verehrung  verharre  ich 

Ew.  Wohlgeb. 

gehorsamster  und  ergebenster 

C.  G.  Assmann. 

Wittenberg  am   2.  Januar  1799. 


Zur  Sächsischen  Gelehrtengkschiohtb.  55 

11.  Magister  .1.  Ch.  Hoffmann  in  Leipzig  an  Professor 
Möller  in  Greifswahl,    1799,  April   23. 

Akten  d.  phil.  Fak.  Greifswald  S.  166. 

Wohlgeborner 

Hochgeehrtester  Herr  Kammerrath  und  Professor, 
Ehe  ich  noch  von  Ew.  Wohlgeb.  die  Nachricht  von 
des  H.  R.  R.  Crorne,  Hm  M.  Canzler  und  meiner  Nomination 
Nachricht  erhielt,  war  hier  in  Leipzig  der  Salinen-Inspektor 
der  Salzbergwerke  bey  Teuditz  und  Kötzschau  verstorben. 
Genannte  Salinen  liegen  vier  Stunden  von  Leipzig  und  ge- 
hören theils  dem  Landesherrn,  theils  einer  Gewerkschaft,  die 
hier  in  den  Messen  in  Beyseyn  eines  landesherrlichen  Man- 
datarii  ihre  Conferenzen  hält.  Um  diese  Stelle,  so  sehr  sie 
mir  auch  gefiel,  konnte  ich  mich  anfangs  deshalb  nicht  be- 
werben, weil  ein  naher  Verwandter  und  Freund  von  mir 
dieses  schon  gethan  hatte,  dem  ich  auf  diese  Weise  nicht  in 
den  Weg  treten  wollte.  Genanntem  Freunde  war  aber  alle 
Hoffnung  zu  Erreichung  seines  Zwecks  benommen  worden, 
weswegen  er  mich  kurz  vor  der  Wahl  aufmunterte  diese 
Stelle  zu  suchen.  Ich  musste  dieses  um  so  mehr  thun,  da 
die  Mitnomination  des  Herrn  R.  R.  Crome  mir  vernünftiger 
weise  alle  Aussichten  zu  der  akademischen  Lehrstelle  nehmen 
musste.  Ohngeachtet  nun  schon  das  Inspektorat  von  den 
meisten  Interessenten  einem  andern  zugesichert  war  oder 
schien,  so  änderte  sich  doch  bei  meiner  Meldung  die  Sache 
augenblicklich.  Die  Wahl  wurde  verschoben  und  ich  endlich 
den  18.  Febr.  vorzüglich  durch  Unterstützung  des  churfürst- 
lichen  Herrn  Mandatarii  unanimiter  erwählt.  Ich  bin  äusserst 
gerührt,  wenn  ich  an  die  Schwierigkeiten  denke,  mit  denen 
meine  Gönner  bei  der  Durchsetzung  meiner  Wahl  zu  kämpfen 
gehabt  haben;  ich  geniesse  ein  so  grosses  und  für  mich  so 
schmeichelhaftes  Zutrauen,  dass  man  mich  sogar  von  der 
eigentlich  zu  leistenden  Caution  vor  der  Hand  befreiet  hat; 
ja  man  hat  mir  sogar  gleich  anfangs  den  fixen  Gehalt  mit 
100  Thalern  vermehrt  und  die  Zusage  ertheilet  nach  Verlauf 


56  Wilhelm  Stieda: 

eines  Jahres  meinen  Gehalt  noch  zu  erhöhen.  Diese  gütigen 
Gesinnungen  verpflichten  mich  zur  grössten  Dankbarkeit  und 
sind  die  Bewegungsgründe  Ew.  Wohlgeb.  ergebenst  zu  bitten, 
mich  in  dem  an  Se.  Maj.  zu  machenden  Berichte  zu  übergehen. 
So  ehrenvoll  im  glücklichen  Falle  ein  akademischer  Ruf  mir 
seyn  müsste,  so  bin  ich  der  vorausgeschickten  Ursachen 
wegen  doch  nicht  im  Stande  meinen  so  thätigen  Beförderen 
mehr  zu  thun,  die  so  viel  auf  mich  halten  und  viel  von  mir 
hoffen.  Ueberdies  habe  ich  mich  auch  neuerlich  in  einige 
Fabrikmässige  Entreprisen  mit  verschiedenen  Herren  einge- 
lassen und  überhaupt  eine  solche  Einrichtung  getroffen,  von 
der  ich  mich  ohne  beträchtlichen  Schaden  nicht  wieder  los- 
machen könnte.  Mein  Wohnort  ist  übrigens  auch  künftighin 
in  Leipzig,  und  wenn  Ew.  Wohlgeb.  der  Herr  Prof.  Muhr- 
beck  oder  auch  ein  anderes  Mitglied  der  Universität  in 
Greifs wald  irgend  einmal  hier  etwas  zu  befehlen  haben,  so 
stehe  ich  recht  herzlich  gern  zu  Diensten.  Es  wird  mir  die 
grösste  Freude  machen  Gelegenheit  zu  finden  an  Greifswald 
denken  zu  können,  welches  ich  mir  so  oft  im  Bilde  vorge- 
stellet  habe,  wo  ich  in  meinen  Gedanken  bald  an  den  Wik, 
bald  an  den  Hafen  spazieren  ging.  Ich  zweifle  übrigens,  ob 
Herr  R.  R.  Crome  von  Anfang  es  ernstlich  gemeinet  habe, 
ich  sehe  es  vielmehr  für  eine  Finanzoperation  an.  Dass  Ew. 
Wohlgeb.  gegenwärtige  Antwort  4  Tage  später  erhalten  als 
ich  wünschte,  daran  ist  eine  kurze  Abwesenheit  von  Leipzig- 
schuld,  vermöge  welcher  ich  den  Brief  später  empfing.  Dem 
Herrn  Prof.  Muhrbeck,  der  mich  unverdienterweise  so  sehr 
begünstiget  hat,  bitte  mich  sehr  zu  empfehlen,  so  wie  ich 
auch  sehnlich  wünsche  Ew.  Wohlgeb.  gütiges  Andenken  noch 
fernerhin  zu  geniessen.  Mit  aller  Denenselben  schuldigen 
Dankbarkeit  und  immerwährender  Hochachtung  verharre  ich 

zeitlebens 

Ew.  Wohlgeb. 

ergebenster  Diener 

Johann  Christian  Hoffmann 

Leipzig  den  2$.  April  1799. 


Zur  Sächsischen  Gelehrtengeschichte.  57 

Anmerkungen. 

1)  Die  Anzeigen  der  churfürstlich  Sächsischen  Leipziger  ökono- 
mischen Societät,  Michaelismesse  1796  enthalten  S.  11  einen  Aufsatz 
„Etwas  über  die  metallische  Auflösung  des  Kupfers  in  Vitriolsäure" 
und  Michaelismesse  1797  S.  24  „Von  Verwandlung  des  Eisenvitriole  in 
Kupfervitriol". 

2)  Über  die  Beziehung  zwischen  Elektrizität  und  Wärme  sowie 
Elektrizität  und  Licht  lagen  damals  allerhand  vage  Hypothesen  vor. 
(Luther.) 

3)  Die  fixen  Laugensalze  (gemeint  sind  wohl  Soda  und  Pottasche) 
sind  tatsächlich  zusammengesetzt,  was  damals  doch  schon  bekannt  ge- 
wesen sein  dürfte.  Sollte  dagegen  der  Briefschreiber  an  tixe  Laugen 
(Natron,  Kali)  gedacht  haben,  so  wurde  deren  zusammengesetzte  Natur 
sicher  von  vielen  schon  in  jener  Zeit  aus  Analogiegründen  vermutet. 
Der  direkte  Nachweis  dieser  Natur  und  die  Ausscheidung  der  ihnen 
zugrunde  liegenden  Metalle  (Kalium,  Natrium)  gelang  erst  Davy  im 
Jahre   1807.     (Luther.) 

4)  Blausäure  ist  sicher  kein  Unding,  sondern  eine  wohlcharakte- 
risierte Verbindung.     (Luthek  ) 

5)  Eine  Uhr,  die  Sekunden,  Minuten,  Stunden  und  Daten  zeigt, 
braucht  im  Prinzip  nicht  mehr  als  4  Räder  zu  haben.  Sand-  und 
Wasseruhren  usw.  sind  ohne  Zahn  und  Getriebe.     (Luthek.) 

6)  Es  gab  einen  Mechaniker  Johann  Christian  Hoffmann  in  Leip- 
zig (1 757 — 1826),  der  schon  vor  dem  Jahre  1807  einen  Stuhl  zum  Weben 
der  hohlen  Lampendochte  erfunden  hat,  vgl.  Karmarsch,  Geschichte  der 
Technologie,  1872  S.  671.  Auf  ihn  bezieht  sich  der  Nachruf  in  Neuer 
Nekrolog  der  Deutschen  4.  Jahrg.  (1826)  S.  869. 

7)  Das  Journal  für  Fabriken,  das  die  Beschreibung  der  Pump- 
lampe enthält,  konnte  nicht  eingesehen  werden.  Die  später  viel  be- 
nutzten Carcellampen  hatten  einen  durch  Feder  gedrückten  Kolben, 
der  das  Brennöl  in  den  Brenner  drückte.     (Luther.) 

8)  Eine  Beschreibung  des  Butterfasses  habe  ich  in  den  Jahrgängen 
1798  und  1799  der  ökonomischen  Hefte  nicht  gefunden. 

9)  Johann  Fr.  Zöllners  Reisen  durch  Pommern,  nach  der  Insel 
Rügen  usw.  im  Jahre  1795.  Berlin  1797.  Mir  leider  nicht  zugänglich 
gewesen. 

10)  Christian  Gottlieb  Haubold,  Professor  des  sächsischen  Rechts, 
1766 — 1824.  Em.  Friedberg,  Die  Leipziger  Juristenfakultät,  ihre  Dok- 
toren und  ihr  Heim,   1909  S.  104,  wo  auch  ein  Bild  von  Haubold. 

11)  Karl  Friedrich  Hindenburg,  Professor  der  Physik,  1741  — 1808. 

12)  Einen  Professor  Löser  kann  ich  nicht  nachweisen,  vielleicht 
verschrieben  für  Lösner,  Professor  der  Philologie,   1734 — 1803. 


58  Wilhelm  Stieda: 

13)  Johann  Georg  Eck,  1745 — 1808,  Allgemeine  Deutsche  Bio- 
graphie. 

14)  Chr.  Fr.  Ludwig,  Professor  der  Naturgesch.   1751  — 1823. 

15)  Magister  der  Philosophie  Christian  August  Wichmann  1735 
bis  1807. 

16)  In  Mursinna  und  Justi  Annalen  der  deutschen  Universitäten 
Jahrg.  1798  S.  205,  heißt  es  von  der  Universität  Greifswald,  daß  bei 
der  ganzen  neuen  Einrichtung  besonders  Rücksicht  darauf  genommen 
sei,  „dass  nicht  blos  allein  Gelehrte  von  Profession  gezogen  sondern 
auch  Jünglingen,  welche  sich  den  Landesgeschäften,  dem  Militärdienst, 
der  Landwirtschaft,  dem  Handel,  der  Schiffarth,  den  Künsten,  den 
Manufacturen  und  andern  bürgerlichen  Gewerben  widmen  wollen,  zu 
rechtschaffenen  und  brauchbaren  Staatsbürgern  gebildet  werden  .... 
sowie  in  der  philosophischen  Fakultät  die  einzelnen  Theile  der  Natur- 
geschichte, Physik  und  Mathematik  mit  beständiger  Rücksicht  und 
Anwendung  auf  die  Oekonomie,  Manufacturen  und  Fabriken,  Künste 
und  Handwerke,  Navigation  und  andere  bürgerliche  Gewerbe  vorge- 
tragen werden  sollen." 

17)  Gemeint  ist  wohl  die  Quellung  des  Bernsteins  in  verschiede- 
nen Flüssigkeiten  oder  vielleicht  die  Eigenschaft  des  Bernsteins  in  der 
Wärme  unter  Druck  formbar  zu  sein.  Letztere  Eigenschaft  wird  gegen- 
wärtig zur  Herstellung  von  künstlichem  Bernstein  oder  „Preßbernstein1' 
benutzt.     (Gef.  Mitteilung  von  Prof.  Luther.) 

18)  Gottfried  Schlegel,  Professor  der  Theologie  und  Superinten- 
dent in  Greifswald,  1739 — 18 10.  Kosegarten,  Geschichte  der  Univer- 
sität Greifswald,  1827,  Bd.  I,  S.  310. 

19)  Die  Gewinnung  von  Vitriolöl  (d.  h.  konzentrierter  Schwefel- 
säure) durch  direkte  Verbrennung  von  Schwefel  ohne  Salpeter  ist  erst 
in  der  letzten  Zeit  technisch  ausführbar  geworden  (sogenanntes  Kontakt- 
verfahren). Der  Salpeter  befördert  nicht  bloß  die  Verbrennung  des 
Schwefels,  sondern  die  Zersetzungsprodukte  des  Salpeters  bewirken  die 
gewünschte  Vereinigung  der  schwefligen  Säure  (die  direkt  beim  Ver- 
brennen des  Schwefels  entsteht)  mit  Sauerstoff  und  Wasser  zu  Schwefel- 
säure. Es  ist  unwahrscheinlich,  daß  der  Briefschreiber  in  seinem 
Apparat  irgend  beträchtliche  Mengen  von  Schwefelsäure  gewinnen 
konnte.  Aus  8  Teilen  Schwefelsäure  erhält  man  etwa  24  Teile  Vitriolöl 
(gef.  Mitteilung  von  Prof.  Luther). 

20)  Diese  Voraussetzung  trifft  nicht  zu.  Schweden  ist  kein 
Lieferant  von  Schwefel,  der  vielmehr  größtenteils  aus  Sizilien  be- 
zogen wird. 

21)  Generalgouverneur  und  Kanzler  Philipp  Julius  Bernhard  von 
Platen  in  Greifswald,  Mursinna  und  Justi,  a.  a.  0.  S.  212. 


Zur  Sächsischen  Gelehrtf,n<;ekchi(hte.  59 

22)  Johann  Quistorp,  Professor  der  Naturgeschichte  und  Ökonomie 
in  Greifswald,  stirbt  1834 ,  Kosegarten,  Geschichte  der  Universität 
Greifswald,  1827  Band  I,  S.  305. 

23)  Johann  Christoph  Murbeck,  ordentlicher  Professor  der  Philo- 
sophie in  Greifswald,   1734 — 1805,  Kosegarten,  a.  a.  0.  Bd.  I,  S.  304. 

24)  Georg  Stumpf,  ordentlicher  Professor  der  Kameralwissen- 
schaften  und  der  Ökonomie  in  Greifswald,  17^0 — 1798,  Koskgarten, 
a.  a.  0.  S.  313,  Wilh.  Stieda,  Die  Nationalökonomie  als  Universitäts- 
wissenschaft,  1906  S.  79,  81,  87—88,  89,  107,  360,  364—366. 

25)  Die  Idee  der  internationalen  Einheiten  ist  im  Jahre  1881 
durch  den  Beschluß  des  internationalen  Physiker-Kongresses  verwirk- 
licht worden.  In  der  Wissenschaft  gilt  seit  der  Zeit  das  C.-G.- S.- 
System (Centimeter-Gramm-Sekunden-System).  Ob  Steinhäusers  Ge- 
danke ganz  originell  war,  darf  bezweifelt  werden,  denn  dem  metrischen 
System,  das  1791  in  Frankreich  vorgeschlagen  und  1799  eingeführt 
wurde,  liegt  bereits  die  Idee  der  internationalen  Anwendbarkeit  zu- 
grunde. Im  Handel,  Gewerbe  und  in  der  Technik  ist  ja  inzwischen 
das  metrische  System  ebenfalls  nahezu  international  geworden  (gef. 
Mitteilung  von  Prof.  Luther).  Scherers  Journal  der  Chemie  vermag 
ich  nicht  nachzuweisen.  A.  N.  Scherer  gab  1800 — 1802,  Jena,  heraus 
ein  „Archiv  der  theoretischen  Chemie".  Doch  kann  dieses  natürlich 
hier  nicht  gemeint  sein. 


Druckfertig  erklärt  7.  III.  1910.] 

Phü.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII. 


feo 


6i 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeßeinleitung 
nach  den  Papyri  der  früheren  Kaiserzeit. 

Von 
Ludwig  Mitteis. 

Inhaltsübersicht.  Seite 

Einleitung 62 

I.  Die  Arten  der  Libelle  und  der  sich  daran  anschließen- 
den   behördlichen    Tätigkeiten    in    den    drei    ersten 

Jahrhunderten 62 

Erste   Gruppe.     §    1.    Die    Bitte    an    den    Hekatontarchen    um 

Polizeischutz 63 

Zweite  Gruppe.     §  2.  Die  Bitte  um  Ansetzung   auf  den  xara- 

%(OQion,6g 66 

Dritte  Gruppe.     §  3.  Ladungen  auf  den  Konvent 67 

§  4.  Verhältnis  der  xara^wptc/ios-Eingaben  zu  den  Konvents- 
ladungen           69 

Vierte  Gruppe.     §  5.  Bitte  um  Schutz  durch  den  Strategen     .       76 

§  6.  Nochmals  von  den  Konventsladungen 83 

Fünfte  Gruppe.  §  7.  Eingaben  an  den  Präfekten.  1.  Material. 
2.  Kompetenz.  3.  Unterscheidung  von  'Emaxolai  und 
'TTto^vrj^uza.  Art  der  Überreichung  der  'T?touvrJii<xTcc. 
4.  Prozessualischer  Zweck  der  Eingaben  an  den  Statt- 
halter.    5.  Erledigung  derselben,  Arten  der  v-xoyQucpaL       85 

§  8.  Zusammenfassung 104 

II.  Libelle  und  Prozeßbeginn  im  vierten  Jahrhundert. 
§  9.  Einleitendes.  I.  Die  Eingaben.  Litisdenunziatio  an  den 
Gegner  und  vTto^vi](iarcc  an  den  Präfekten.  IL  Kautionspnicht 
bei  der  Litisdenunziatio?  III.  Die  Frist  im  Denunziationsver- 
fahren.     IV.  Bestellung  des  Judex   pedaneus.     V.  Beginn   der 

Verhandlung.     Editio  und  impetratio  actionis 106 

Anhang.     Die  Richterbestellung 12 1 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  6 


6 2  Ludwig  Mitteis: 

Der  Gegenstand,  um  den  es  sich  handelt,  ist  von  mir 
schon  in  einem  früheren  Stadium  der  Papyruspublikation 
(1895)  erörtert  worden1);  gegenwärtig  beabsichtige  ich  eine 
Revision  des  damals  Gesagten,  zu  welcher  das  seither  ver- 
vielfältigte Material  den  Anlaß  gibt.  Eine  abschließende 
Darstellung  freilich  muß  auch  jetzt  noch  als  Zukunftshoffnung 
bezeichnet  werden.  In  den  nachfolgenden  Ausführungen  bleibt 
übrigens  die  Lehre  von  der  Gerichtsverfassung  ausgeschlossen, 
insbesondere  auch  die  von  der  Konventsordnung;  in  dieser 
Beziehung  ist  lediglich  auf  die  vorzügliche  Untersuchung  von 
Wilcken  über  den  ägyptischen  Konvent  (Arch.  f.  Pap.  F.  4, 
366  fg.)  zu  verweisen. 

Der  wesentlichste  Gegenstand  der  Betrachtung  sollen  die 
auf  Privatrechtsschutz  gerichteten  Libelle  der  früheren  Kaiser- 
zeit sein.  Doch  wird  es  zur  Verdeutlichung  beitragen,  am 
Schluß  noch  auf  jene  der  nachdiokletianischen  Zeit  einen 
Blick  zu  werfen.  Wir  besitzen  aus  dieser  einige  wertvolle 
Stücke,  deren  Betrachtung  auch  eine  ungefähre  Vorstellung 
von  der  Prozeßeinleitung  als  Ganzem  gibt  und  um  so  inter- 
essanter ist,  als  wir  für  die  Einleitung  der  Prozeßverhand- 
lung aus  den  drei  ersten  Jahrhunderten  in  den  Papyri  noch 
gar  keine  direkten  Beispiele  haben. 

I.  Die  Arten  der  Libelle  und  der  sich  daran  anschließenden 
behördlichen  Tätigkeiten  in  den  drei  ersten  Jahrhunderten. 

Jede  Untersuchung  des  ägyptischen  Rechtshilfe  Verfahrens 
wird  mit  Notwendigkeit  zuerst  zu  einer  Betrachtung  der  an 
die  Behörden  gerichteten  Eingaben  geführt.  Es  liegt  das 
daran,  daß  das  einschlägige  Material  ganz  überwiegend  gerade 
aus  Eingaben  besteht,  neben  denen  die  Amtskorrespondenzen, 
Dekrete,  gerichtlichen  Protokolle  bedeutend  zurücktreten. 

Dabei  muß  man  sich  nun  durchaus  davor  hüten,  jede  Ein- 
gabe, in  welcher  über  ein  verletztes  Privatrecht  Beschwerde 
erhoben  wird,  als  auf  die  Einleitung  eines  Zivilprozesses  ge- 

/         1)  Hermes,  30,  567  fg. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.    63 

richtet  zu  betrachten.  Davor  habe  ich  schon  vorlängst  ge- 
warnt und  vielmehr  zwei  scharf  zu  sondernde  Hauptkategorien 
unterschieden:  Anzeigen,  welche  polizeiliche  Intervention  be- 
zwecken und  meist  an  den  Hekatontarchen  (Centurio)  adressiert 
sind,  und  Eingaben,  die  gerichtliches  Verfahren  anbahnen 
sollen  und  dem  Strategen  oder  übergeordneten  Magistraten 
überreicht  werden.  An  dieser  Einteilung,  welche,  soviel  ich 
sehe,  allgemein  angenommen  ist,  ist  jedenfalls  die  Unter- 
scheidung zwischen  Polizeigesuchen  und  gerichtlichen  Ein- 
gaben richtig.  Aber  nach  dem  heute  vorliegenden  Urkunden- 
stoff bedarf  sie  einer  schärferen  Ausarbeitung  und  im  einzelnen 
mehrfacher  Korrektur. 

Ich  unterscheide  im  nachfolgenden  fünf  Typen  von  Ein- 
gaben wegen  Privatrechtsverletzungen  —  wo  im  nachstehenden 
von  Eingaben  die  Rede  ist,  sollen  nur  solche  verstanden  werden 
und  die  zahlreichen  verwaltungsrechtlichen  Libelle  als  ausge- 
schlossen gelten. 

Erste  Gruppe. 
§  1.    Die  Bitte  au  den  Hekatontarchen  um  Polizeischutz. 

Es  ist  das  der  Typus,  den  ich  im  Hermes  30,  568 — 569 
als  „zweite  Gruppe"  durch  die  damals  bekannten  Beispiele 
illustriert  habe.  Gebeten  wird  um  Vorführung  des  Gegners 
und  Koerzition  desselben.  Als  weitaus  häufigste  Fassung  des 
Petitum  führe  ich  neuerlich  an: 

,,[r'O]0-[fv  o]u  dvvccfievos  xccd-rj6v%d%£iv  ä[^]ia  äx&fivcci1) 
ccvTOvs  iitC  6s  XQog  xr\v  diovöav  exs^odov."     (BGU.  36.) 

1)  Den  Ausdruck  üföiivai  beziehe  ich  dabei  auf  zwangsweise 
Vorführung,  nicht,  mit  Wenger,  Rhist.  Pap.  St.  112  A.  4,  auf  Ladung 
unter  bloßer  Androhung  der  Realzitation.  "Wie  wir  nämlich  —  die  im 
folgenden  zitierte  Urkunde  war  Wenger  noch  unbekannt  —  jetzt  deut- 
lich sehen,  ist  das  äyeiv  diese  letztere  selbst;  so  in  Lips.  32,  14/15  (erg. 
von  Wilcken):  naga  ßzQCiriöiTT]  iisivcitaßav ,  fiöyig  ri%&r\Gocv.  So  ist 
auch  in  der  byzantinischen  Zeit  die  (hier  häufige)  Bitte  um  ccysiv  (z.  B. 
Lond.  3  Nr.  1000  p.  250  1.  8)  wörtlich  zu  verstehen;  vgl.  etwa  Oxy.  6, 
902  1.  7;  P.  Lips.  Luv.  Nr.  244  (unpubliziert)  1.  5:  xaQ£xXr,ö-r}v  -aoI  ixlst- 
Gd"r]v  tig  zf]v  Sr\ao6iav  alQKtrjv.  Vgl.  auch  Bethmann-Hollweg  ,  Ziv.- 
Proz.  3,  250—1. 

6* 


64  Ludwig  Mitteis: 

Als  weiteres  Charakteristikum  habe  ich  seinerzeit  nam- 
haft gemacht,  daß  der  Adressat  dieser  Papyri  der  sxatov- 
TccQxrjg  (Centurio)  ist,  und  habe  daraus  gefolgert,  daß  es  sich 
um  Anzeigen  bei  der  Polizeibehörde  und  Erbittung  des  Polizei- 
schutzes handelt.  Dies  trifft  unzweifelhaft  zu;  zu  den  damals 
bekannten  Stücken  BGU.  4.  36.  98.  146.  157.  322  sind  noch 
viele  mit  gleicher  Adresse  hinzugekommen,  wie  BGU.  436 
(unvollst.).  454.  515.  522  (unvollst.);  Gen.  3.  16.  17  (auch  der 
Dekadarch  genannt;  unvollst.);  Lond.  2  Nr.  342 *)  (p.  173/4); 
Amh.  78;  wohl  auch  Teb.  334  (unvollst.).  Auf  die  gleiche 
Linie  gehören  aber  natürlich  auch  Anzeigen,  die  an  den  Deka- 
darchen gerichtet  sind:  Grenf.  1.472).  Teb.  304  oder  an  den 
£%i6xävr\g  xav  cpvXaxixäv  Lond.  3  Nr.  12 18  (p.  130/1)  (nicht 
ohne  weiteres  auch  Stücke  mit  fehlender  Adresse,  wie  Faj.  107. 
BGU.  778,  Teb.  3325),  wenn  das  Schlußpetit  dem  obigen 
Stil  entspricht.  Den  Schluß  aus  dem  Petit  allein  verbietet 
das  unter  a)  zu  sagende.)  Endlich  wohl  wieder  die  Eingabe 
bei  Wessely,  Specimina  Tab.  11  Nr.  17. 

Daneben  gibt  es  allerdings  noch  einige  Stücke  von 
zweifelhafter  Art. 

a)  Einerseits  kommt  es  vor,  daß  bei  gleichem  Petit  wie 
in  den  obigen  Stücken  die  Adresse  an  den  6xQaxi]yög  lautet. 
So  sagt  BGU.  1036  1.  1:  Aox,Qri\xi\<p  K[s]qiccXsl  6xQaxt\yGii 
'J()Gl(volxov)  'HgccxfaCdov)  i.i£Qido{g)  und  1.  29  fg:  dib  at,icb 
aypf[vai  avxovg  £it£  6£  OTtag  xvya  xr\g  a[jrd]  öov  ÖLzavcodaöCag 
(1.  dcxaiodoöCag);  derselbe  Fall  in  BGU.  22.  759;  Oxy.  2.  282; 
Lond.  3  p.  135.  15;  Teb.  331;  vielleicht  auch  in  Lond.  2  Nr.  445 
(p.  166/7),  uud  gewiß  ist  auch  das  in  der  Einleitung  zu 
Amh.  125  mitgeteilte  Stück  an  den  6xQaxr\y6g  gerichtet  ge- 
wesen.4)    Wilcken  hat  mit  Rücksicht  auf  meine  Einteilung 


1)  Wenn  die  Auflösung  der  ungewöhnlichen  Sigle  für  sKarovrocQ^g 
hier  richtig  ist;  an  irgendeinen  Polizeibeamten  ist  übrigens  sicher  gedacht. 

2)  In  1.  16  1.  a[%]&fjvcci  für  X[v]&fjvtxt.,  Wenger,  Stellvert.  148. 

3)  Ob  hier  in  1.  1  statt  E[.  .  .]»[.  .  .]at[.  .  .  zu  lesen  ist  'E[kccto]v- 

4)  Nicht  hierher  dagegen  Lond.  2  p.  16 1/2;  das  ist  Amtskorrespondenz. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.    65 

der  Eingaben  zu  seiner  Transkription  von  BGU.  651  die  Be- 
merkung hinzugefügt,  daß  in  BGU.  22  ein  Irrtum  vorliegt 
und  die  Adresse  an  den  Centurio  zu  schreiben  war,  was  er 
auch  von  BGU.  759  annimmt  (Arch.  1.  176).  Aber  mittler- 
weile hat  sich  die  Zahl  dieser  Fälle  auf  fünf  oder  gar  sechs 
vermehrt,  und  an  eine  so  häufige  Verschreibung  läßt  sich 
nicht  wohl  mehr  glauben. 

b)  Anderseits  kommt  es  vor,  daß  Gesuche  an  die  Polizei 
(£xatoi>TuQX>]g  oder  Ö£xadccQxt]g)  nicht  die  bisher  genannte, 
sondern  diejenige  Schlußbitte  haben,  wie  die  alsbald  als  zweite 
Gruppe  zusammenzustellenden  Eingaben  an  den  Strategen; 
d.  h.  es  fehlt  die  Bitte  um  sofortige  Vorführung  (cc%&ftv(a) 
und  wird  ersetzt  durch  die  Bemerkung:  E7tidldco{Li  nobg  xb 
pevsLv  ftot  xov  Xöyov  nabg  avxov  o.  ä.,  einmal  sogar  mit  dem 
Zusatz,  die  Sache  solle  auf  den  y.axu%cöQi6iiög  gesetzt  werden. 
Letzteres  findet  sich  in  BGU.  651:  OvccäsqCg)  rfQ[iav<p  (ixa- 
tovtckqxv)  •  •  -  ö&ev  i^tidCda^tt  xdds  xa  ßißXcdicc  elg  xb  hv 
xa.xcL%coQi6n,co  yevEG&cc^i)  jrpög  xb  [isviv  [ioi  xbv  Xoyov  jrpög 
xovg  (pair]<3o[itvovg  cdxtovg.  Ohne  Erwähnung  des  xccxa- 
%coQi6^6g,  aber  sonst  übereinstimmend  Flor.  9. 

c)  Es  kommt  auch  vor,  daß  in  ein  und  derselben  Sache 
gleichzeitig  an  den  ixaxovxäo%t]g  und  an  den  Strategen  je  eine 
Eingabe  gemacht  wird.  Dies  findet  sich  außer  in  den  Parallel- 
stücken BGL1.  221  u.  222  noch  in  Teb.  333  und  einem  Papyrus, 
von  dem  Grenfell  und  Hunt  in  der  Einleitung  zu  Amh.  125 
Mitteilung  machen.  Die  letztgenannte  Nummer,  von  der  nur 
die  Schlußwendung,  nicht  die  Adresse,  erhalten  und  mitgeteilt 
ist,  besagt  nämlich:  eitidsötbxaiisv  xa  'IovXicj  Gxqccxlcöxt]  xb 
iöov  xovds  xov  vno^vrj^iaxog-  öib  u^vo^vy^sv  affirlvca  xovg 
ivxuXov^evovg  t\n\C  6s  nobg  x^v  x&v  6üv  ßorjdscojv  £%6n£&a(?) 
xov  ütdö*%£iv  (?  sie).  Also  ist  die  Eingabe  in  zwei  gleichen 
Exemplaren  einerseits  bei  der  Polizei  (6xQaxt,axi]g),  anderseits 
bei  einem  anderen  Funktionär  eingereicht  worden,  und  dieser 
letztere  ist  sicher  der  öXQux^yög.  Dieses  zeigt  wieder  Teb. 
333f  10  fg.,  wo  gleichfalls  die  zweimalige  Einreichung  hervor- 
gehoben  wird;   nur  ist  hier  das  erhaltene  Exemplar  das  für 


66  Ludwig  Mitteis: 

die  Polizei  bestimmte,  von  dem  für  den  Strategen  wird  jedoch 
berichtet.  Anderseits  aber  ist  hier  die  Fassung  der  Duplikate 
nicht  wie  in  Amh.  125  dem  cfyfrTjvca-Stil  gefolgt,  sondern  es 
heißt:  emdidani  .  .  .  7100g  xb  [ievslv  poi  xbv  Xöyov.  Der  Her- 
gang ist  in  solchen  Fällen  eben  der  gewesen,  daß  der  Ver- 
letzte, um  möglichst  vollkommenen  Schutzes  teilhaftig  zu 
werden,  wegen  der  ihm  widerfahrenen  Unbill  gleichzeitig  den 
Gensdarmen  und  die  höhere  Gewalt  des  Gauvorstehers  anrief, 
wie  denn  in  Gen.  74,  22  in  anscheinend  derselben  Sache  Ver- 
handlungen vor  beiden  Funktionären  erwähnt  werden. 

Wie  war  nun  in  solchen  Fällen  das  Petit  der  Einsrabe 
korrekterweise  zu  fassen?  Lautet  die  Bitte  an  den  öxqccxmo- 
xr\g  korrekterweise  auf  u%d-?ivcu,  die  an  den  Gxoax^yög  auf 
iv  iy.axK%coQi6yico  yeviö&ai  ngbg  xb  \iivuv  \ioi  xbv  Xöyov,  und 
ist  es  also  nur  irrtümliche  Kontamination  verschiedener 
Kanzleistile,  wenn  in  Teb.  333  der  GxQaxtäxiqg  um  iisvslv 
xbv  Xöyov,  in  Amh.  125  der  öxoaxiqyög  um  ayftr\vai  ge- 
beten wird? 

Keineswegs,  die  Urkunden  sind  allemal  in  Ordnung;  auch 
in  den  Fällen,  die  ich  unter  a  und  b  angeführt  habe.  Es 
wird  sich  nämlich  herausstellen,  daß  der  Inhalt  der  Schluß- 
bitte nicht  sowohl  durch  die  Behörde  bestimmt  ist,  an  welche 
die  Eingabe  sich  richtet,  sondern  durch  den  Sachverhalt, 
welcher  ihr  zugrunde  liegt.  Darauf  ist  in  §§  4  und  5  zurück- 
zukommen. 

Zweite  Gruppe. 
§  2.    Die  Bitte  um  Ansetzung  auf  den  xarccxaiQiOfiöt;. 

Die  zweite  Gruppe  bilden  Eingaben  an  den  Strategen 
mit  der  einfachen  Bitte  um  Ansetzung  auf  den  %axa%aQL6yiög 
ohne  irgend  eine  ausdrückliche  Erwähnung  des  Conventus. 
Die  typische  Formulierung  des  Petits  ist  hier  etwa: 

O&sv  STtiöCdo^i  uccl  a%i£)  ev  %axa%coQiöiiä  ysveöd-ca  xovxo 
xo  ßtßXCdiov  Ttobg  xb  tpavivxog  xov  üxoxorjxiog  (isvslv  pbov 
xbv  Xöyov  (Grenf.  2,  61). 

So  oder  ähnlich  gefaßt  sind:  BGU.  2.  35.  45.  46.  72.  242. 


Zur  Lehke  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     67 

321.  731  II;  Gen.  28;  Grenf.  2,  61;  Lond.  2  Nr.  363  (p.  170); 
Teb.  330 ;  Faj.  108. 

Unerwähnt  bleiben  bei  dieser  Zusammenstellung  Gesuche, 
die  zwar  an  den  Strategen  gerichtet  sind,  aber  wegen  Zer- 
störung das  Schlußpetit  nicht  mehr  mit  Sicherheit  erkennen 
lassen  (z.  B.  BGU.  467.  Lond.  2  p.  174/5  u.  a). 

Wohl  zu  unterscheiden  endlich  von  den  hier  genannten 
sind  solche  vno fivij uax a  an  den  Strategen,  welche  ein  Be- 
gehren um  Schutz  ohne  Erwähnung  des  Kaxu%ioQi<Jtiög 
enthalten,  wie  Faj.  296:  öib  enl  6e  xr/v  xaxa(pvyi]v  Ttoirjöd- 
pisvog  cc^iCj  idv  601  (pccivijxat,  dvxilri^Ecag  xv%elv  TCQog  xb 
dvvcc6&ai  us  eiti^iveiv  iv  xr[  löCa  duv&vvav  (l.-vovxa)  xä 
dijuööia,  oder  Gen.  6:  dt,iü,  idv  601  dötyfo  iir-xccxtuipaöfrcci  xbv 
IIsitvGiv,  tva  dvvifoG)  ex  xijg  öfjg  ßotföetag  xofiiöaö&ca  xo 
idtov;  Wessely  specim.  tab.  11  Nr.  20,  21:  d%iG} . . .  enavay- 
otdöav  xovg  %QO£6xCoxag  KTZUQEvöxXrjXÖv  [iE  %oir\<5ui  v7t£Q  xäv 
cpÖQav-  referiert  wird  von  einer  diesbezüglichen  Verhandlung 
vor  dem  Strategen  in  Wessely  specim.  tab.  1 1  Nr.  17  lin  13  fg. 
Auf  diese  Gattung  ist  im  §  5  näher  einzugehen. 

Ehe  an  die  sachliche  Beurteilung  dieser  Papyri  heran- 
getreten wird,  soll  nun  gleich  die  schon  äußerlich  sich  ab- 
hebende dritte  Gruppe  genannt  werden. 


Dritte  Gruppe. 
§  3.    Ladungen  anf  den  Konvent. 

Adressat  ist  hier  gleichfalls  der  öxQcixrflög,  aber  das  Petit 
lautet  auf  Zustellung  eines  Exemplars  der  Eingabe  an  den 
Gegner,  damit  er  auf  dem  Konvent  erscheint;  dieser  ist  hier 
also  als  Ziel  des  Verfahrens  ausdrücklich  genannt.  Die  Bitte 
um  Ansetzung  der  Sache  auf  den  xaxc<xaQiö[i6g  kann  dabei 
vorkommen,  aber  auch,  was  die  Regel  bildet,  fehlen. 

Ich  kenne  von  diesem  Typus  fünf  Exemplare;  nämlich 
(in  zeitlicher  Folge  geordnet) 

BGU  226  Fajüm  a°  99  p.  C:  ä£tw,  xaxaxtoQiöftävxog  itccgu 
6oi>  xovxov  xov  vrtofivrjuaxog,  dvzlyQcccpov  öl7  ivbg  xtiv  xeqI 


68  Ludwig  Mitteis: 

6s  vjtrjQExCyv  yL£xado&f]vai,  x<L  Haxaßovxi  öxag  sidfj  naotösöxaL 
(l.-tfOm)  avxbv . . .  örav  6  xodxi6xog  j}y£[iwv  Uopittfiog  IlXdv- 
xag  xov  xov  voixov  ötaXoyiöfxbv  itoif(tai  %Qog  xb  tv%eiv  [iE 
XT\g  vnb  0ov  ßoy}&£i',ag. 

Teb.  434  (desc.)a0  104,  wahrscheinlich  an  den  Strategen: 
Trjg  ßlag  avtäv  dso^it'vrjg  xT]g  xov  xoaxiöxov  fy/sfiövog  dixaio- 
ÖoöCag  u£,ioviiev  öv  vnrjQbxov  [isxccdo&fjv ai  sxdöxco  avxäv  xb 
iöov  xovds  xov  VTtofiv^uaxog,  oncog  s%ovxsg  iyyoaitxov  \ßiä\- 
öxoXijv  aal  nuQayyeXiav  naoaylvovxai  (l.-vcovxai)  snl  xb  isoa- 
xaxov  xov  xoaxiöxov  r}y£[iövog  ßf^ia  itobg  xb  xvylv  i)[iäg  xäv 
öixalcov.     2.  Hd.     *Aoxo%Qag  Zlov^icovog  v7tr]Q£xr]g  ^lExaöidcoxa. 

Lond.  2  n°  358  p.  172  circaa0  150  (Fajüm):  cc^iCo  xovxov  xb 
löov  di  vmqQETOV  ti£xado&f]vai  £xax£o<p  ccvx&v  iv  sldäöt 
7tKQ£6o[iivovg  avxovg  btii  xb  hocöxaxov  xov  i)y£[iövog  ßrma  oitov 

iäv  xov   xov   voyiov   diccXoyiöfibv  ?J    dixaiodoöiav   %oiy\xai 

Hier  ist  zu  bemerken,  daß  dieser  Eingabe  bereits  eine  Unter- 
suchung der  Sache  vorangegangen  war,  worüber  später. 

Teb.  303  a0  176 — 180  (Tebtynis):  d^iov^uv  oV  ivbg  xCbv 
jieql  0£  vnriQEXGiv  TiaoayyEiXai  ccvxa  OTtcog  Jiaoaxv%ri  £ig  xbv 
Ist'  ccya&c)  yivö[i£vov  diaXoyid^ibv  i)itb  xov  Xafixooxdxov  v\y£- 
fiovog  Tlaxxov\ix\iov  Mdyvov. 

Amh.  81  a°  247  (Hermupolis):  dt,uo  xovxa  (Pap.  xovxov) 
x£X£v6cu  TtaoayyEXiav  dovvai  \jtaod  fjjg?]  GxQaxrjyCag,  itao£i- 
vat  xcci  nQ06£ÖQ£V£iv  xg>  ßtjfiaxL  xov  XapxQOxdxov  i\yL6)v  t)y£- 
uovog,  sßt'  äv  xd  -Kqbg  avxbv  t^xov^iBva  xEoag  Xdßtj,  dXXä 
xai  7tao£V£yx£iv  avxbv  xovg  ßoq&ovg  avxov  usf.1) 

Nicht  auf  die  gleiche  Linie  gehört  Oxy.  484,  denn  hier 
scheint  es  sich  um  eine  Zeugenladung  zu  handeln:  iad 
ZlCdvfiog  'Afiöixog  diiöxaXxiv  ycoi  cog  evsdoEvöavxi  AiÖvpiov 
vlbv    avxov    tcsqI    7ivaov,    d$L(b    ^Exaöodfjvat    avxcß    rw    via 


1)  Ein  besonders  gearteter  Fall  der  Parteiladung  ist  gegeben  in 
BGU.  614  (dazu  unten  S.  97):  ein  in  Alexandrien  garnisonierender 
Soldat  läßt  die  im  Faijüui  befindlichen  Beklagten  durch  den  &q%i8i- 
xccetrig  laden  (u.  z.  zu  diesem  selbst).  Die  Zustellungen  aus  Alexandrien 
in  die  tojtoi  gehen  eben  anscheinend  immer  durch  diesen  Beamten, 
wie  wir  namentlich  bei  den  Zustellungen  im  Exekutiwerfahren  sehen. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     6g 

zJiSxmo)  xovxov  xov  vzofivt'iuaxog  ecvxiyoacpov,  oncog  t%cov 
£yyoanxov  xccoayysXiav  7ta.Quyevi]xca  otcov  iccv  6  XQuxtöxog 
rjysiiav  Avldiog  'HXiödoQog  tx  ccycc&ci  xov  vopbv  öiaXoyCtyxca 
rj  dixcciodotfjj  xcä  XQOöxaQxfQr'fii]  ^e%Qt  xgCöeag  Iva  cpuvri  xb 
ysyovög.  Dennoch  ist  der  Papyrus  als  Parallelstück  zum  Be- 
weis der  bei  den  Konventsladungen  platzgreifenden  Konstanz 
des  Stils  berücksichti genswert. 

Hierbei  ist  terminologisch  zu  bemerken,  daß  drei  dieser 
Nummern,  Amh.  81  und  Teb.  303.  434  die  bezweckte  Zu- 
stellung als  naQccyysXCa  oder  naoayytXXEiv  bezeichnen,  ebenso 
auch  die  Ladung  des  vlög  in  Oxy.  484  syyoaicxog  xaoayysXla 
genannt  wird,  so  daß  man  sich  versucht  fühlt,  auf  Eingaben 
dieser  Art  den  Ausdruck  nccoayysXia,  der  bekanntlich  den 
Parallelterminus  zur  lateinischen  Litis  Denunciatio  darstellt, 
anzuwenden. 

§  4.  Verhältnis  der  ««T«xo>^i<?/t*ö^-Eingaben  zu  den  Konventsladungen. 

Unverkennbar  ist  es  nun,  daß  die  in  §  3  entwickelte 
Kategorie  sich  von  der  unter  §  2  genannten  (p.  66  fg.)  inhalt- 
lich sehr  deutlich  abhebt,  u.  z.  durch  die  präzise  Ladung  auf 
den  Konvent;  hier  Konventsladung  ohne  Nennung  des  xata- 
%(DQL6{i6g,  dort  xaxu%coQi6n6g  ohne  Nennung  des  Konvents. 
Nur  einmal  ist  die  Erwähnung  des  xaxaxcooiö^ög,  welche  den 
Papyri  des  §  2  eigentümlich  ist,  auch  in  einer  Ladungsurkunde 
zu  finden,  nämlich  in  BGU.  226  (oben  S.  67),  u.  z.  in  den 
Worten  xccxc£%coQL6d-8vxog  rovds  xov  vTio^ivr^axog  und  auf 
Grund  dieses  Papyrus  habe  ich  bei  meiner  älteren  Abhandlung, 
wo  ich  die  reinen  Ladungsstücke  noch  nicht  kannte,  un- 
bedenklich bei  allen  übrigen  xuxa%coQt6uög-\Jrkxmdeii  ein  in 
ihnen  enthaltenes  stillschweigendes  Ladungsbegehren  sub- 
intelligiert.  Angesichts  der  neueren  Urkunden  aber  möchte 
ich  doch  zwischen  beiden  Gruppen  grundsätzlich  unterscheiden. 

Es  ist  ja  allerdings  nicht  zu  übersehen:  ein  unüberbrück- 
barer Gegensatz  besteht  zwischen  ihnen  an  sich  nicht.  Denn 
einerseits  läßt  sich  bei  den  Konventsladungen  die  Ansetzuno- 
auf   eine    durch    den    Strategen    geführte    Konventsliste    (als 


70  Ludwig  Mitteis: 

welche  ich  früher  den  %axa%GiQi6ii6s  selbst  ohne  weiteres  ge- 
faßt hatte)  leicht  hinzudenken;  anderseits  könnte  man  an- 
nehmen, daß  auch  dort,  wo  die  Konventsladung  fehlt  und 
nur  um  xaxa%c3QCt,Eiv  gebeten  wird,  der  Stratege  doch  eine 
Zustellung  an  den  Prozeßgegner  vollzog  und  dieser  von  selbst 
zu  wissen  hatte,  daß  er  auf  dem  Konvent  erscheinen  müsse. 
Mit  anderen  Worten,  man  könnte  den  ganzen  Unterschied 
bloß  als  einen  solchen  der  Stilisierung  fassen. 

Indessen  erheben  sich  dagegen  doch  beträchtliche  Be- 
denken. 

Zunächst  ließe  sich  eine  immerhin  so  erhebliche  Stil- 
differenz doch  nur  annehmen,  wenn  die  Stücke  zeitlich  oder 
räumlich  weit  auseinanderlägen.  Dies  ist  aber  keineswegs 
der  Fall;  von  den  fünf  Konventsladungen  sind  vier  aus  dem 
Fajüm  und  gehören  der  Zeit  v.  J.  99 — 180  an.  Aus  derselben 
Zeit  und  Gegend  aber  stammen  auch  die  jcaTt^epK^dg-Ein- 
gaben;  warum  sollten  nun  einzelne  Schreiber  so  weit  von  der 
herkömmlichen  Fassung  dieser  letzteren  abgewichen  sein, 
wenn  da  nicht  ein  besonderer  Zweck  verfolgt  wurde? 

Dazu  kommt  aber  noch,  daß  sich  in  die  xaraxcoQiö^iös- 
Urkunden  doch  nicht  so  ohne  weiteres  eine  stillschweigende 
Konventsladung  hineinlegen  läßt,  als  ich  es  ursprünglich  ge- 
tan hatte.  Wäre  es  wirklich  für  jeden  Bauer,  der  eine  bloß 
mit  der  Bitte  um  den  xaraxojQiö^ös  versehene  Beschwerde 
über  sein  Verhalten  zugestellt  bekommen  hätte1),  selbstver- 
ständlich gewesen,  daß  er  nun  auf  den  nächsten  Konvent  zu 
reisen  hatte? 

Nun  ist  es  ja  freilich  an  sich  denkbar,  daß  eine  derartige 
Ladung  erst  vom  Strategen  verfügt,  z.  B.  im  Wege  des  In- 
dorsats  auf  den  Libell  geschrieben  wurde.  Aber  wahrscheinlich 
ist  es  mir  nicht.  So  wenig  wir  vom  Kanzleibetrieb  jener 
Zeiten  Genaueres  wissen,  so  läßt  sich  doch  eines  ab  und  zu 
beobachten:   auch   im   ägyptischen  Kognition sverfahren   ist  es 

1)  Durch  den  Conjunctivns  irrationalis  deute  ich  an,  daß  ich  diese 
Stücke  überhaupt  nicht  für  zur  Zustellung  bestimmt  ansehe;  vgl.  unten 
S.  75  g-  E. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     7  I 

eine  sehr  gewöhnliche  Erscheinung,  daß  der  Kläger  die  Prozeß- 
handlungen vornimmt,  der  Magistrat  nur  autorisiert.  In  den 
diaöToXixä  des  Mahnverfahrens  ist  es  der  Gläubiger,  welcher 
dem  Schuldner  das  diaötoXixov  übersendet  und  die  damit  ver- 
bundenen Androhungen  ausspricht,  der  Archidikastes  beschränkt 
sich  bloß  auf  die  Autorisation:  'rovrov  tö  l'6ov  neradoftilra  , 
und  ebenso  ist  es  der  Gläubiger,  welcher  bei  Pfändungen 
'tbXevoZ  rä  Tr\g  ivEyvQaöCag  yQa^aara  oder  ^xarayQcccpSTai 
t))v  vrto%■'t]v,rtv,  oder  et[ißadEvsi>.  Ebenso  bitten  die  Gesuch- 
steller in  den  auf  p.  67  fg.  zitierten  Papyri  meist  um  {i&tado- 
&TJvai,  BGU.  226,  Lond.  2  p.  172,  Teb.  434,  Oxy.  484  und  nur 
zweimal  Teb.  303,  Amh.  81  um  TcaQayysiXai  und  TtccQetyysXiav 
dovvai,  welches  letztere  demnach  wohl  nur  ein  ungenauer 
Ausdruck  ist;  ja  in  BGU.  226  sehen  wir  sogar  deutlich,  daß 
zwar  der  Zustellungsvermerk  des  vTtrjQarrjg  auf  dem  Stück 
steht,  aber  von  einem  Ladungsindorsat  des  Strategen  ist  keine 
Spur  vorhanden.  Umsoweniger  ist  ein  solches  also  in  den 
bloßen  XKTccycöQi6{i6g-Gesuc\ien  hinzuzudenken.  Ich  bin  weit 
entfernt,  dies  alles  für  ein  ausnahmsloses  Prinzip  zu  halten, 
da  das  Kognitionsverfahren  einer  selbständigen  Verfügung  des 
Magistrats  jeden  Spielraum  läßt  und  Evokation  durch  den 
Magistrat  sicher  nachweislich  ist.  Aber  dann  würde  die 
Partei  auf  solche  antragen.  Daß  der  Stratege  eine  von 
der  Partei  gar  nicht  beantragte  Tätigkeit  entfalten  sollte,  ist 
unglaublich. 

Also  hat  die  xttTa^opKJju.dg-Eingabe  mit  der  Ladung  nichts 
zu  tun.  Darum  auch  nichts  mit  dem  sizilischen  fdicam  scribere' 
bei  Cicero,  womit  ich  sie  früher  parallelisiert  habe ;  als  solches 
könnte  man  höchstens  die  Ladung  selbst  bezeichnen,  obwohl 
nach  den  neueren  Ptolemäerpapyri  mir  auch  dies  zweifelhaft 
geworden  ist.  Welchen  Zweck  verfolgt  also  das  xaTC(%coQi6u6g- 
Gesuch? 

Es  bleibt  zunächst  der  Zweck  denkbar,  den  ich  schon 
früher  (neben  der  Ladung)  als  einen  ihr  innewohnenden  be- 
zeichnet habe:  nämlich  daß  die  Sache  auf  die  Liste  der  vor 
dem    Statthalter    zu    verhandelnden    Angelegenheiten    gesetzt 


72  Ludwig  Mitteis:  t 

wird;  denn  daß  es  eine  solche  gegeben  haben  wird,  daß  der 
Statthalter  nicht  auf  den  Konvent  kam,  ohne  die  Zahl  der  zu 
erwartenden  Sachen  irgendwie  taxieren  zu  können,  ist  an  sich 
sehr  wahrscheinlich.  Der  Zweck  der  Stücke  könnte  also  von 
jemand  darin  gesucht  werden:  als  Begleitschriften  —  neben 
einem  selbständigen  Ladungsakt  —  dieser  Ladungssache  den 
Raum  auf  dem  Konvent  zu  wahren. 

Indessen  habe  ich  gegenwärtig  Bedenken,  bei  allen  diesen 
Stücken  anzunehmen,  daß  Ansetzung  auf  die  Konventsliste 
der  unmittelbare  Zweck  derselben  war.  Diese  beruhen  auf 
folgenden  Erwägungen. 

a)  Zunächst  ist  eigentlich  in  dem  Wortlaut  der  Gesuche 
davon  nichts  gelegen.  Gewiß  ist  %araypqi6\i6g  ein  Verzeichnis: 
muß  es  aber  darum  hier  gerade  das  des  Konvents  sein?  Es 
konnte  doch  jedes  Einlaufsregister  des  Strategen  (wie  jeder 
anderen  Behörde)  so  genannt  werden  und  darum  darf  auch 
an  ein  bloßes  Eingangsverzeichnis  der  Gauverwaltung  gedacht 
werden.1)  Warum  wird  nicht  ausdrücklich  gesagt,  die  Ein- 
gabe solle  für  den  künftigen  diaXoyi6^i6g  angemeldet  werden? 

Mehr  noch,  es  wird  eigentlich  regelmäßig  ein  anderer 
Zweck  angegeben;  es  heißt  nämlich  nach  a|iö  ev  xara^opK^urä 
yevtG&ca  gewöhnlich:  ttqos  rö  ycsvEtv  xbv  Xöyov.  Das 
klingt  aber  weniger  danach,  daß  der  Antragsteller  sich  fürchtet 
auf  dem  Konvent  nicht  zu  Wort  zu  kommen,  sondern  ganz 
allgemein  danach  —  daß  er  fürchtet  seinen  Anspruch  durch 
Präklusion  oder  Verjährung  zu  verlieren.  Und  das  führt  auf 
die  Frage:  Ist  die  Anmeldung  zum  aaraxaQiöfiög  nicht  eben 
zu  diesem  Zweck  vorgeschrieben?  Wir  wissen  aus  Flor.  61, 
daß  in  Ägypten  (wenngleich  vielleicht  nur  unter  den  Pere- 
grinen,  um  die  es  sich  aber  hier  immer  handelt)  jede  Forderung 
in  fünf  bis   zehn   Jahren   verjährte;  für  kleine  Sachen  delik- 


i)  So  hat  auch  der  ptolemäische  Stratege  sein  Eingangsverzeichnis, 
wie  es  in  Ainh.  35,  35  fg.  (an  den  6xgaxi]yog)  heißt:  cct,iovnsv  Gvvxä^ai 
■Au%tt%(üQ'i,6cti  7j(iä>v  xb  V7t6{t,vr]ncc  ■TtccQa  gol  iv  £ß7]fio:ri<7fu5  (die  Ausgabe 
hat  irrig  «arß^ooptöfiM ,  wie  das  Faksimile  zeigt)  ngbs  ttjv  iao(i^vr}v 
rjfilv  ....  •x.oLxä.Gxaciv. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     73 

tischer  Herkunft,  wie  sie  in  unsern  Stücken  meist  in  Frage 
stehen,  können  noch  kürzere  Fristen  bestanden  haben  —  wa& 
Wunder,  wenn  man  das  fürchtete?  Nun  ist  freilich  die  An- 
meldung beim  Strategen  keine  Prozeßerhebung  und  daher 
nach  unseren  Begriffen  keine  Unterbrechung  der  Verjährung 
oder  Rechtsausübung  —  aber  kann  nicht,  gerade  wenn  es 
sich  um  kurze  Fristen  handelt,  sie  als  Mittel  zur  Erhaltung 
des  Anspruches  vorgeschrieben  gewesen  sein?  Ich  will  dies 
freilich  nicht  geradezu  behauptet  haben;  aber  jedenfalls  klingt 
jene  Wendung  mehr  nach  einer  Verwahrung  zugunsten  des 
Anspruchs1),  als  nach  Wahrnehmung  bloßer  Prozeßvorteile. 

b)  Dazu  kommt  weiter,  daß  in  jenen  Fällen,  wo  eine 
Ladung  des  Beklagten  auf  den  Konvent  erfolgt,  von  xcitcc- 
X(OQt6^i6g  regelmäßig  nicht  die  Rede  ist.  Nur  einmal  — 
BGU.  226  —  ist  das  Gegenteil  der  Fall;  in  allen  übrigen 
Fällen  wird  bloß  geladen.  Daraus  schließe  ich:  die  Ladungs- 
sache wird  auch  ohne  besonderes  aar  a^co  qlö  ^,6  g-Gesuch  auf 
den  Konvent  zugelassen,  wenn  die  Ladung  überhaupt  durch 
den  Strategen  erfolgt  ist.  Denn  ein  besonderes  Gesuch  um 
Ansetzung  auf  diesen  neben  der  Ladung  wäre  doch  eine  große 
Umständlichkeit  gewesen. 

Nun  kann  man  wohl  sagen:  die  xarax(OQi6u6g-Gesuch.e 
seien  für  Fälle  der  reinen  Privatladung  berechnet,  d.  h.  der- 
jenigen,  die  nicht  auf  dem  Weg  über  den  Strategen  erfolgt, 
von  denen  also  der  Strateg  sonst  nichts  erfahren  hätte.  Denk- 
bar, aber  schon  an  sich  wenig  wahrscheinlich,  da  es  viel  ein- 
facher und  sicherer  war,  durch  Vermittlung  der  Behörde  zu 
laden,  daher  die  Privatladung  selten  gewesen  sein  wird, 
während  unsere  Gesuche  häufig  sind.  Tatsächlich  ist  sie  in 
keinem  einzigen  Fall  bezeugt;  vielleicht  ist  sie  in  Ägypten 
überhaupt  nicht  vorgekommen.  Dazu  kommt  aber  noch  eine 
positive  Beobachtung.     Es  ist  nämlich 

c)  ein  kaum  mehr  als  Zufall  zu  deutender  Umstand,  daß 
in  der  überwiegenden  Mehrzahl  aller  y.arccxcoQLö^iög- 


1)  Vielleicht  hoffte  man  auch  auf  behördliche  Recherchen. 


74  Ludwig  Mitteis: 

Fälle  überhaupt  jede  Ladung  ausgeschlossen  oder 
doch  verfrüht  war.  Prüft  man  nämlich  die  Tatbestände 
dieser  Schriften  im  einzelnen,  so  findet  man,  daß  unter  16 
uns  vorliegenden  v,axaypQi6\i6g- Gesuchen  nicht  weniger  als 
achtmal  konstatiert  wird,  der  Gegner  sei  unbekannt,  und 
solle  erst  eruiert  werden.  (BGU.  35.46.  72.651.731u-,  Lond.  2 
p.  1705  Teb.  330;  Faj.  108).  In  zwei  weiteren  Fällen  ist 
zwar  nicht  seine  Person,  wohl  aber  sein  Aufenthalt  unbekannt: 
man  muß  ihn  erst  suchen  (Gen.  28;  Grenf.  2,  61).  In  einem 
weiteren  Stück  (BGU.  45)  scheint  —  bei  einer  Injurien- 
beschwerde —  erst  die  Größe  des  zu  befürchtenden  Schadens 
abgewartet  zu  werden.1)  In  zwei  anderen  derartigen  Ge- 
suchen, BGU.  242,  Oxy.  898,  ist  zwar  der  Täter  und  sein 
Aufenthalt  bekannt,  aber  hier  kann  an  die  Konventsladung 
aus  einem  andern  Grunde  nicht  gedacht  werden.  An  die 
xataxcoQLö^iog-Bitte  reiht  sich  die  weitere,  der  Strateg  möge 
selbst  die  Sache  untersuchen  (BGU.242 :  [ßc^iü  s]v  aaxa%Gi\ßi6^a 
xov]xo  yeveö&at  a[oc]ovöuC  [xs  [io]v  ztgbg  ccvxöv,  [öjrcog  iitl 
xo]v  QtjTOv  ajzod[s i ]£o  iv  xf]  [...]...  fjpsQcc  [avxbv  zXstpajvra 
■xlsiöxovg  %a^Xovg  xxX.2)  So  bleiben  nur  drei  von  sechzehn 
Stücken  (BGU.  2.  226.  321),  wo  bei  bekannten  Tätern  und 
fälligem  Anspruch  die  Ansetzung  auf  den  Y.axa%(aqi6\LÖg  die 
Konventsvormerkuns  bedeuten  könnte.  Da  aber  selbst  von 
diesen  eines  (226)  eine  amtlich  beurkundete  Ladung  zum  Kon- 
vent zeigt,  ein  zweites  (221)  von  einem  Parallelstück  (Nr.  222) 
begleitet  ist,  wo  um  Vorführung  zum  Gensdarmen  gebeten 
wird,  ist  zunächst  ganz  klar:  An  eine  das  xaxaxaQi6[i6g-Gesuch 
begleitende  rein  private  Ladung  kann  nicht  gedacht  werden. 
Wir  haben   nun   das  Resultat:    In    fast  allen  Fällen   ist 


1)  k|kb  xovxov  xb  i'oov  iv  Kaxa^cogiß^ä  ysvsa&cu  ngbg  xb  [isviv  \iui 
xbv  Xöyov  7tgbg  avxovg,  fi-rj  ägcc  av&Qa>7tiv6v  xi  xw  viä  fiou  ßvfißi)  i) 
intQscc  (1.  inriQS tä)  xig  xolg  ngoxigoig  y£vi\xa.i .  . . ;  der  Sohn  des  Antrag- 
stellers ist  verhauen  worden  und  bettlägerig  (1.  14);  der  Vater  ist  sich 
noch  nicht  klar,  ob  ihm  nicht  etwas  Menschliches  widerfährt  oder  sonst 
ein  Schaden  eintritt. 

2)  Text  teilweise  von  Wilcken  Arch.  4,  409.  A.  2. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     75 

nachweisbar,  daß  dem  xar cc%o)q  16 pög-Gesuck  keine  Ladung  auf 
den  Konvent  parallel  gegangen  ist;  umgekehrt,  wo  Ladungen 
erfolgen,  ist  von  x«T«;|j«(H<yuög-Gesuchen  (mit  einer  Ausnahme, 
BGU.  226)  nichts  zu  bemerken.  Wird  da  nicht  der  Zusammen- 
hang derselben  mit  dem  Konvent  überhaupt  sehr  fraglich? 
Es  bliebe  ja  die  letzte  Möglichkeit:  da  der  Täter  meist  als 
unbekannt  bezeichnet  wird,  habe  man  sich  den  Platz  auf  der 
Konventsliste  gerade  für  den  Fall  sichern  wollen,  daß  man  ihn 
noch  rechtzeitig  ausfindig  machte.  Aber  schon  an  sich  ist 
es  viel  wahrscheinlicher,  daß  mit  dem  xataxooQiG^ög  hier 
bloß  die  Akten  des  Strategen  gemeint  sind,  und  der  obwal- 
tende Zweck  nur  dahin  geht,  den  Vorfall  überhaupt  der  Be- 
hörde zur  Kenntnis  zu  bringen  —  möglicherweise  mit  dem 
speziellen  Zweck,  sich  die  Klagfrist  oifen  zu  halten. 

Zur  Gewißheit  wird  aber  die  Annahme,  daß  der  xata- 
%dQL6^6g  mit  der  Konventsliste  nichts  zu  tun  hat,  durch  die 
einfache  Tatsache  erhoben,  daß  er  sich  auch  dort  findet,  wo 
an  die  Konventsliste  überhaupt  nicht  gedacht  werden  kann, 
nämlich  bei  Anzeigen,  die  an  den  exarövrccQxog  oder  ähnliche 
Organe  der  Ortspolizei  gehen.  So  BGU.  651  (oben  S.  65) 
und  ähnlich  Flor.  9  (an  den  Dekadarchen);  im  letzteren  Stück 
ist  zwar  der  xatccxcoQtö^ög  nicht  genannt,  wohl  aber  die 
charakteristische  Wendung  enthalten:  iitidCdaiii  —  icgbg  tö 
[levstv  fioi  xbv  Xoyov.  Besonders  lehrreich  aber  ist:  in  beiden 
Stücken  handelt  es  sich  wieder  um  unbekannte  Täter. 

Die  Sache  scheint  mir  nun  klar:  Wo  der  Beschuldigte 
unbekannt  ist,  kann  eben  nur  eine  allgemeine  Anzeige  des 
Vorfalles  (mit  dem  wünschenswerten  Rechtsvorbehalt)  erstattet 
werden.  Ob  es  dann  der  Centurio  ist,  dem  man  die  Anzeige 
macht,  oder  der  Strateg,  ist  gleichgültig.  Üblicher  scheint 
es  gewesen  zu  sein,  daß  man  die  Denunziation  an  den 
Strategen  allein  erstattete;  denn  solche  Stücke  gehen  meist 
an  ihn.  Aber  der  Charakter  des  xaraxaQiöfiog-Gtesuchs  scheint 
mir  jetzt  klargestellt  zu  werden.  KaraxcoQtö^ög  ist  das  Akten- 
archiv jeder  beliebigen  Behörde,  welche  die  Anzeige  fad  acta' 
nehmen  soll.    Meist  wird  die  Registrierung  im  xatccxaQi6[iög 


76  Ludwig  Mitteis: 

dann  angesucht,  wenn  man  gegen  den  Täter  vorläufig  über- 
haupt nicht  vorgehen  kann.  Daneben  wird  sie  auch  in  einigen 
anderen  Fällen  genannt,  aber  nur  als  adminikulierende  Maß- 
regel.   Zusammenhang  mit  dem  Konvent  ist  nicht  nachweisbar. 

Vierte  Gruppe. 
§  5.    Bitte  um  Schutz  durch  den  Strategen. 

Neben  den  im  vorigen  Paragraphen  besprochenen  finden 
sich  noch  andere  Eingaben  an  den  Strategen,  welche  einen 
durchaus  verschiedenen  Stil  der  Schlußbitte  aufweisen;  sie 
haben  keine  Erwähnung  des  xuta%G}QL6^6^}  kein  ^itgog  tb 
(jlevslv  {ioi  rbv  X6yov\  sondern  das  direkte  Ersuchen:  der 
Strateg  soll  wider  den  Gegner  einschreiten. 

Wir  haben  diese  Stücke  schon  früher  im  Vorbeigehen 
berühren  müssen.  Es  finden  sich  darunter  solche,  welche 
an  die  Hekatontarchen-Eingaben  anklingen,  nämlich  den  An- 
trag auf  cc%d-r}vcu  des  Beklagten  enthalten:  BGU.  22.  759.  1036; 
Oxy.  2.  282;  Lond.  3  p.  135  1.  15;  vielleicht  auch  Lond.  2 
p.  166/7;  Teb.  331,  und  der  in  der  Introd.  zu  Amh.  125  ge- 
nannte Papyrus  (oben  S.  65).  Daneben  aber  auch  andere, 
welche  auf  iiErazefi^ccdd'at  bezüglich  des  Beklagten  oder  ähn- 
liche Schutzhandlungen  hinzielen  (BGU.  467;  Faj.  296;  Gen.  6; 
Oxy.  285.  898;  Wessely,  Specim.  tab.  1 1  Nr.  20.  21;  cf.  tab.  1 1 
Nr.  17  1.  13  fg.);  vgl.  oben  S.  67. 

Man  hat  wohl  (vgl.  oben  S.  65)  in  einzelnen  Fällen  der 
Art  daran  gedacht,  es  liege  hier  ein  Mißgriff  der  Urkunden- 
verfasser vor,  und  eigentlich  hätten  sie  solche  Stücke  an  den 
izatovtccQXVS  zu  richten  gehabt.  Davon  kann  aber  bei  der 
jetzt  schon  ziemlich  großen  Zahl  solcher  Eingaben  keine 
Rede  mehr  sein.  Die  Sache  ist  offenbar  ganz  in  der  Ord- 
nung; die  Gesuchsteller  wollen  wirklich  an  den  Gauvorsteher 
herantreten  und  von  ihm  Abhilfe  erlangen. 

Welcher  Art  war  nun  die  Intervention  des  Gauvorstehers? 

Ich  habe,  um  sie  zu  bezeichnen,  geflissentlich  den  Aus- 
druck Entscheidung  vermieden  und  bloß  von  Intervention 
gesprochen.      Denn    entscheiden,    wenigstens    im    Sinne    des 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  dnd  der  Prozeszeenleitung.    77 

römischen  Zivilprozesses,  kann  der  Strateg  aus  eigener  Macht 
heraus,  und  sofern  er  nicht  etwa  vom  Statthalter  delegiert 
ist,  nichts.  Wohl  aher  kann  er  kraft  seiner  doch  immerhin 
bestehenden  obrigkeitlichen  Autorität,  mag  sie  auch  nur  der 
eines  Magistrates  minor  (im  Sinne  der  republikanischen  Zeit) 
gleichkommen,  wenigstens  provisorisch  Ordnung  schaffen,  oder 
die  Parteien  zu  einer  Anerkennung  oder  einem  Vergleich 
drängen.  So  ist  es,  wo  es  sich  um  Störungen  des  öffent- 
lichen Friedens  handelt,  seine  polizeiliche,  wo  reines  Zivilrecht 
in  Frage  steht,  ist  es,  wie  ich  schon  an  anderem  Ort  gesagt 
habe,  eine  Art  friedensrichterlicher  Tätigkeit,  die  er  zu  ent- 
falten vermag.  In  jener  polizeilichen  Tätigkeit  ist  sein  Beruf 
im  Grunde  mit  dem  des  Centurionen  der  u.yß!tr(vai- Eingabe 
nahe  verwandt1);  vielleicht  daß  von  diesem  mehr  nur  der 
allernächste  brachiale  Schutz,  von  jenem  eine  mehr  sachliche 
Schlichtung  erwartet  worden  ist  —  aber  bindende  Ent- 
scheidung eiuer  Rechtsfrage  war  die  eine  so  wenig  wie  die 
andere.  So  wird  denn  die  Strategentätigkeit  nicht  anders 
ausgesehen  haben  als  die  des  Centurio,  welche  BGU.  908  so 
deutlich  erkennen  läßt:  die  untere  Behörde  verweist  die  Par- 
teien, wenn  sie  nicht  parieren,  an  den  Statthalter,  und  wird 
dann  höchstens  ein  Provisorium  bis  zum  Konvent  geschaffen 
haben,  um  welches  der  Centurio  1.  c.  schließlich  gebeten  wird. 
Nach  BGU.  467  scheint  in  solchen  Verhandlungen  sogar  die 
Vertretung  durch  Sklaven  möglich  gewesen  zu  sein. 

Die  rein  friedensrichterliche,  unverbindliche  Natur  der 
Strategentätigkeit  wird  in  den  Urkunden  öfter  dadurch  ver- 
dunkelt,  daß  auf  das  Verfahren  vor  dem  Strategen  Ausdrücke 
angewendet  werden,  die  eigentlich  dem  ordentlichen  Prozeß 
entsprechen.  So  ist  in  Oxy.  260,  8  fg.  die  Rede  von  einer 
'eni  xov  öTQccrrjyov  ccvxLy.axaöxaGig'  •  ebenso  BGU.  168,  11; 
Oxy.  71  I  10  '[letysiv  avxbv  tä  yatjuccxa  Etti  xov  öxgccxr,- 
yrfiavxog  'Hgcavog' ;  von  einer  xaxäxQLGig  durch  den  Strategen 
wird  gesprochen  bei  Wessely,  Specim.  tab.  11  Nr.  17  1.  13.  In 

1)  In  Gen.  74,  22  scheinen  beide  Beamte  gleichzeitig  eingeschritten 
zu  sein. 

1'iiiL-hist.  Klaase  1910.    Bd.  LXII.  7 


78  Ludwig  Mitteis: 

BGU.  467  hat  gar  der  Strateg  einen  Offizial  beauftragt,  ent- 
zogenes Gut  zurückzu verschaffen.  Nicht  minder  ist  in  BGU. 
168,  17  von  einer  Entscheidung  des  Strategen  die  Rede: 
7iaQadovs  tftol  xä  dovkixä  6ä\iaxa  sxs'Xsvösv  aTCoxaxaöxa&'rjvaC 
Hot  xr\v  svöoptvCuv  xal  x&v  vjzccq%6vxcov  avxiXaßiö&ai  ju£. 
Endlich  in  Par.  69  sehen  wir  aus  seinen  Amtstagebüchern, 
daß  er  über  Fragen  der  Verjährung  und  des  Besitzes  (Col. 
C  15 — 28  D  11 — 24)  Bescheid  gibt. 

Aber  ein  richtiger  Prozeß  ist  hier  nie  gemeint. 

Wir  sehen  das  daraus,  daß  die  Parteien  die  Entscheidung 
des  öxQaxYjyög  gar  nicht  zu  respektieren  brauchen.  Dann 
wird  an  einen  höheren  Magistrat  gegangen.  So  gerade  in 
BGU.  168;  hier  erzählt  die  Verletzte  (den  Ausdruck  'Kläger' 
vermeide  ich,  eben  weil  kein  Prozeß  vorliegt),  daß  ihr  Gegner 
'iniyvovg  xrjv  xov  Evdoct{iovog  (sc.  xov  öTQccxrjyov)  h%odov 
ovx  äitedaxev  xr\y  svdo^isvtav  ovdh  [ifjv  itaoedcoxev  xä  v71ccq- 
ypvxa  xal  ex  xovxov  iderjöEv  fis  xf]  tiqoxbqu  öov  stciö^^llk 
ivxv%slv  6ol  diä  ßt-ßlstdCcDv'  usf.;  d.  h.  kaum  hatte  der  Strateg 
den  Rücken  gekehrt,  fing  der  Friedensstörer  sein  altes  Spiel 
an  und  nun  muß  (iderjösv)  die  Gestörte  sich  an  den  Epi- 
strategen  wenden  (was  der  Epistrateg  hier  für  eine  Rolle 
spielt,  darüber  s.  unten);  also  war  der  Bescheid  des  Strategen 
nicht  vollstreckbar,  wie  auch  der  Schluß  des  Stückes  ihn 
nur  in  einer  ganz  untergeordneten  Stellung  {avant^inco  xb 
TCQ&yuu,  1.  25)  finden  läßt.  Ebensowenig  wird  in  BGU.  467 
der  Bescheid  des  Strategen  respektiert.  Ahnlich  ist  in  Oxy.  7 1  I 
nach  der  'Belangung'  vor  dem  Strategen,  und  obwohl  dort 
der  Belangte  'überführt'  wurde,  doch  noch  ein  Prozeß  beim 
Statthalter  notwendig,  weil  die  Rechtsverweigerung  fortdauert. 
Oxy.  97  hat  avxixaxdöxccötg  beim  Strategen,  wobei  aber  tö 
t,Ylxrjfia  vrt£Q£xs&7]  STtl  xov  xqccxlöxov  rjy£j.i6vcc.  In  BGU.  467 
wird  die  rein  polizeiliche  Natur  des  Rückstellungsauftrags 
dadurch  erwiesen,  daß  das  Gesuch  um  denselben  nicht  persön- 
lich vom  Berechtigten,  sondern  durch  einen  Sklaven  desselben 
gestellt  worden  war.  In  Par.  69  III  1.  26  (Wilcken,  Philol. 
53,  84)  sagt  der  6XQCixrjy6g'  [Tb  2toäy]iiu  %q(j&i>  tov  ^isC^ovog, 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     79 

cf.  1.  28 — 30.  Oxy.  260,  wo  von  der  ccvrixardavccöLg  beim 
Strategen  auf  den  'AQiidixuöxr'ig  verwiesen  wird,  führe  ich 
nicht  an,  weil  die  Erwähnung  des  <xQ%idi7ca<5Trig  auf  Be- 
sonderheiten im  Verfahren  hindeuten  könnte;  aber  das  Ge- 
sagte, das  noch  durch  viele  beiläufige  Äußerungen  in  den 
Papyri  illustriert  wird,  läßt  überall  die  nur  untergeordnete 
provisorische  Natur  des  Strategen  Verfahrens  erkennen.1)  Wie 
wenig  insbesondere  Ausdrücke  wie  f6  (ftQarrjyög  szahsvötv 
ernst  zu  nehmen  sind,  zeigt  Straßb.  20,  67,  wo  in  duatrj[.  .  .  . 
die  Erwähnung  eines  Vergleichs  stecken  muß  und  doch  von 
einem  xeXevsiv  der  Strategen  die  Rede  ist;  die  Sache  ist 
also,  worin  Preisigke  und  Wilcken  mir  zustimmen,  einfach 
die,  daß  die  Strategen  einen  Vergleichsvorschlag  gemacht 
haben  und  auch  das  heißt  xslsvsiv.2) 

Ich  sagte  früher  zu  BGU.  168:  man  geht  vom  Strategen 
zum  Epistrategen.  Aber  daraus  ist  natürlich  nicht  zu  schließen, 
daß  etwa  dieser  Gerichtsbarkeit  hat.  Man  darf  auch  seine 
Stellung  nicht  so  auffassen,  wie  ich  es  ursprünglich  tat,  daß 
er  irgendeine  ständige  Delegation  vom  Statthalter  empfängt; 
auch  hiervon  bin  ich  infolge  der  Vermehrung  des  Materials 
schon  seit  vielen  Jahren  zurückgekommen.  Vielmehr  ist  die 
Intervention  des  Epistrategen  juristisch  genau  so  zu  bewerten, 
wie  die  des  Strategen;  im  Grunde  kann  auch  er  immer  nur 
einen  'Versuch  zur  Güte'  machen.  Zwar  wolle  man  das 
nicht  mißverstehen;  so  ganz  platonisch  ist  die  Meinungs- 
äußerung weder  beim  einen  noch  beim  anderen  —  Polizei- 
maßregeln zur  vorläufigen  Repression  kriminellen  Unrechts 
haben   sie    eben    sicher    alle    ergriffen    und    ergreifen   dürfen, 


1)  Vgl.  auch  Gen.  31,  15;  BGU.  361  II  7  (xov  ngäy^axog  alvxov 
övrog)  —  doch  könnte  namentlich  im  letzteren  Fall  der  Strateg  auch 
als  Kommissar  des  di-uccioSöxrjg  in  Funktion  getreten  sein,  was  auf  ein 
ganz  anderes  Blatt  gehört  (vgl.  unten  S.  122). 

2)  Vgl.  für  die  Ptolemäische  Zeit  Petr.  2,  2  (2)  1.  3 :  xsXsvelv  im 
Vergleichsvorverfahren  vor  dem  titi6xcLxr\g  xi)g  y.6>yi7\g;  gemeint  ist  dessen 
Vergleichsversuch.  Der  Beklagte  widerspricht  der  -neXivaig  und  der 
iTticzäxr\g  erklärt  damit  seine  Tätigkeit  für  beendigt. 


/ 


80  Ludwig  Mitteis: 

nur  daß  in  diesen  eine  definitive  Entscheidung  einer  Zivil- 
rechtsfrage nie  umschlossen  sein  konnte.  Und  da  nun  der 
Epistrateg  der  Gauverwaltung  übergeordnet  ist,  kommt  es 
leicht  vor,  daß  man  sich  an  seine  höhere  Autorität  wendet, 
wo  die  des  Strategen  zu  versagen  scheint,  wie  eben  inBGU  168, 
oder  auch  direkt,  BGU.  195.  291.  462,  Oxy.  70.  486,  8,  voraus- 
gesetzt, daß  in  diesen  Stücken  nicht  schon  früher  der  Strateg 
angegangen  worden  war,  wie  ich  denn  überhaupt  betone,  daß 
oft  eine  Eingabe  sich  anscheinend  als  die  erste  darstellt, 
während  sie  nur  eine  Episode  in  einer  längeren  voraus- 
gegangenen Entwicklung  bildet  —  diese  Tatsache,  deren  Un- 
kenntnis in  den  Anfängen  der  Papyrusforschung  das  Urteil 
öfter  irregeführt  hat,  muß  immer  in  Rechnung  gestellt  werden. 

Wie  wenig  aber  das  Verfahren  vor  dem  Epistrategen 
auf  das  Prädikat  der  Endgültigkeit  Anspruch  hat,  zeigt 
gerade  Oxy.  486:  hier  ist  dieser  angegangen,  aber  er  sieht 
sich  bemüßigt  die  Sache  an  den  Statthalter  zu  verweisen: 
v7t£Qe&£TO  to  TiQüyiia  inl  xbv  xqcctiötov  rjyenövcc,  1.  8 — 9. 

Auch  Gen.  31  wird  ebenso  zu  beurteilen  sein,  wenn 
überhaupt,  was  ich  allerdings  nach  1.8 — 11  glaube,  es  sich 
hier  um  einen  Zivilrechtsstreit  handelt:  der  Epistrateg  ist 
auf  seiner  Inspektionsreise  (i7iiörj}iCa)  um  Schutz  angegangen 
worden  und  hat  einen  ^jcpiT^V  gegeben,  der  auch  eine  xQLötg 
gefällt  hat.  Aber  der  Gegner  kümmert  sich  um  dieselbe 
nicht;  wieder  wird  der  Epistrateg  angerufen.  Das  alles  ist 
eben  sicher  keine  echte  xqCöiq  und  wahrscheinlich  mußte 
auch  hier,  wenn  die  Autorität  des  Epistrategen  nicht  genügte, 
zum  Statthaltergericht  gegangen  werden.  Vgl.  noch  Oxy.  70  *)  — 
in  derselben  Sache  zwei  Epistrategen  hintereinander  inter- 
pelliert (cf.  1.  10  fg.  mit  1.  1).  Besonders  deutlich  noch  Lond.  2 
Nr.  358  (p.  172)  1.  15  fg. 

Das  Resultat,  daß  jede  definitive  Entscheidung  nur  in 
der  Hand  des  Präfekten  liegt,  wird  auch  durch  direkte 
Äußerungen  in  den  Urkunden  bestätigt;  so  heißt  es  in  Lond.  2 

1)  Lies  statt  anoY.ura.6t  aß  iv  in  1.  1 1 :  {  a.110  }  Hccrccataaiv.  L.  8  erg. 
statt  d[7]fioö]i.[?v]*Hr:  d[rnio6]i.[(o]&£v. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Proxi-.szkinleitung.     8i 

p.  172,  16,  nachdem  der  Epistrateg  sich  fruchtlos  mit  einer 
Sache  beschäftigt  hat:  xovös  toi)  ngayfiaxog  öeoutvov  xrjg  tov 
Xa^iTtQoxäxov  yyfpövog  .  .  .  Öiayväascog;  Oxy.  71  I  11  fg.:  der 
'Gegner',  obwohl  beim  Strategen  überführt,  schätzt  die 
Klägeriu  gering:  daher  bittet  sie  den  Präfekten  um  even- 
tuelles TtccQCixsuyd-rjvai  inl  xb  <sbv  ^eyuXlov  (1.  20);  Flor.  36 
1-3%:  Tc<  xccqccvöhcqs  .  .  .  inl  xäv  xoncov  xoX^uva  ixp' 
ovdsvbg  ciXXov  <xvaxÖ7ix£xcu,  sl  /*?)  vnb  [xijg  6fjg  ni6oji]ovrJQov 
dvÖQL'ag-  Oxy.  486,  8:  (6  tniöxQäxriyog)  vmQ&sxo  inl  xbv 
y.gdxLöxov  y)y£ti6va;  BGU.  195,  35.  226,  9;  Teb.  434;  vgl.  auch 
BGU.  164,  20  fg.  u.  a. 

Lassen    sich    nun    dafür,    daß    man    in   so   vielen  Fällen 
zunächst  an   den  Strategen   allein  ging,    auch  innere,  in  der 
Natur   der   bezüglichen  Eingaben   liegende  Gründe  anführen? 
Volle  Gesetzmäßigkeit  wird  man  ja  da  nicht  erwarten  dürfen, 
denn  die  ländliche  Praxis,  mit  der  wir  es  hier  meist  zu  tun 
haben,    unterscheidet    nicht    so    genau   und    ist    geneigt,   mit 
allen    Dingen    zunächst    zum    Landrat    zu    laufen.      Aber    im 
ganzen  läßt  sich  doch  beobachten,  daß  es  sich  in  den  Strategen- 
eingaben vorwiegend  um  Bagatellsachen  handelt:  Namentlich 
in   den   y.ccxcc%cjQi6tu6g- Gesuchen,   aber  auch   in  anderen,   sind 
Diebstahl,    Raufhändel,    Feldbeschädigung    an    der  Tagesord- 
nung, Dinge,  von   denen   man  oft  nicht  weiß,   ob   Schaden- 
ersatz oder  Strafe  gefordert  wird,  so  daß,  nebenbei  bemerkt, 
auch  die  Hoffnung,  zwischen  Zivil-  und  Strafsachen  da  jemals 
unterscheiden    zu    können,    immer    geringer  wird:    hier  läuft 
alles  durcheinander,  und  es  ist  nicht  einmal  unwahrscheinlich, 
daß   es   auch   beim  Verfahren  vor  dem  Statthalter  selbst  oft 
ähnlich   stand.     In   einzelnen    Fällen  handelt   es   sich   freilich 
deutlich  um  Zivilsachen,  so  Gen.  6.  28.  31  (Epistrateg);  Grenf. 
2,  61;  Faj.  296  (Darlehen).    Aber  schon  hier  ist  zu  bemerken, 
daß  in  zwei  von  diesen  Fällen  (Gen.  28;  Faj.  296)  eine  direkte 
Konventsladung  wegen  unbekannten  Aufenthalts  des  Beklagten 
nicht  möglich  war  und  in  Gen.  28  der  Strateg  diesen  gerade 
erst  eruieren  soll,  und  außerdem  wurde  ja  oben  gesagt,   daß 
man  gewiß  mit  allen  möglichen  Sachen  an  ihn  gehen  konnte. 


82  Ludwig  Mitteis: 

Und  andererseits  ist  nicht  zu  übersehen,  daß  die  mit  Kon- 
ventsladung versehenen  Stücke  —  so  wenig  ihre  geringe 
Zahl  sichere  Schlüsse  zuläßt  —  doch  einen  anderen  Charakter 
haben;  da  ist  Lond.  2  p.  172:  Annullierung  eines  Schuldscheins; 
BGU.  226:  Vindikation  von  Erbschaftsstücken;  Amh.  81:  Be- 
schwerde wegen  Erpressung  von  zwei  Talenten,  und  nur 
Teb.  303  läßt  mit  der  unbestimmten  Angabe  von  ' axoTir\\ia%cC 
die  Art  der  Rechtssache  nicht  erkennen.  Zu  beachten  ist 
dabei,  daß  die  beiden  ersteren  Stücke  sagen,  diese  Sache  be- 
darf der  Intervention  des  Statthalters  (Lond.  2  p.  172,  16; 
BGU.  226,  9).  Es  scheint  also  doch  empfunden  zu  werden, 
daß,  was  nicht  Bagatellsache  ist,  besser  direkt  an  diese  In- 
stanz gebracht  wird. 

Wenn  also  die  bis  jetzt  behandelten  Gesuche  zunächst 
nichts  bezwecken  als  das  Erscheinen  und  eine  Verhandlung 
vor  dem  Strategen,  also  von  den  eigentlichen  Konventsladungen 
zu  scheiden  sind,  so  ist  nun  noch  die  Frage  zu  erörtern,  ob 
diese  Scheidung  eine  vollkommene  ist,  d.  h.  ob  ein  solches 
Gesuch,  wie  es  zunächst  nur  in  die  untere  Instanz  führt, 
hierin  auch  seine  Wirkung  erschöpft.  Man  kann  nämlich 
fragen,  ob  nicht,  wo  der  Belangte  vor  dem  Strategen  nicht 
nachgibt,  dieser  die  Sache  ohne  weiteres  vor  den  Statthalter 
leitet. 

Die  Praxis  ist  nicht  mit  Sicherheit  festzustellen;  doch 
neige  ich  mehr  zur  Verneinung.  Wir  finden  zwar  mehrmals 
ein  vTCSQtCd-sö&aL  iitl  rbv  i)y£tiovci  (Oxy.  97,  14;  BGU.  361 
II  7;  Lond.  2  p.  152  I  1  fg.;  BGU.  87 11),  aber  dann  liegt  die 
Sache  meist  so,  daß  der  Prozeß  beim  Statthalter  schon 
rechtshängig  ist  und  der  Strateg  (oder  Epistrateg)  nur  als 
dessen  Mandatar  Erhebungen  mit  den  Parteien  gepflogen  hat. 


1)  Wahrscheinlich  an  den  rjysfiwv  gerichtet;  ergänze  vielleicht 
1.  3 :  "Eitdiu[og  ovoxa&ug  vtcbq  xov  dsivog  .  .  £v£xv%6v~\  601  Sia  ßißXsidicav 
Svo\lv  und  1.  10  Kai  VTteyQccipag  \loi  ovx[wg'  "Evxv%s  top  6XQaxr\yä,  bg 
iäv  xi  xäv  £(iöjv  {isqcöv  dicddßrj,  £%  £y&  ävan£(iil}Si].  'Ev£rv%ov  reo 
oxQa[xt]yw  .  .  .  diu  ßijßlidicov.  "Og  Sh  vno[i[.  .  .  £x£Xsv6E  rjfiäg  havöv  dovvca] 
XQoaxa[oxs]Qrjaiv  aov  [xm  ßtj[iaxi.. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.    8,5 

Wo  der  Strateg  ohne  Delegatio  verhandelt,  wie  in  unseren 
Fällen,  kommt  es  zwar  öfter  vor,  daß  die  Parteien  wegen 
Unzulänglichkeit  seiner  Kompetenz  zum  Statthalter  gehen, 
doch  ist  hier  zumeist  vom  Kläger  eine  neue  besondere  Laduno- 
zu  diesem  vollzogen  worden.  In  einzelnen  Fällen  kommt  es 
allerdings  auch  vor,  daß  der  verhandelnde  Beamte  den  Par- 
teien befiehlt,  vor  dem  Statthalter  zu  erscheinen  (Oxy.  486, 
-28  —  3 1),  auch  können  diesfällige  Vadimonia  abgeschlossen 
werden  (Oxy.  260)1),  doch  scheint  das  nicht  die  allgemeine 
Regel  gebildet  zu  haben. 

§  6.    Nochmals  von  den  Konventsladungen. 

Nachdem  so  das  Verhältnis  der  xaxcxcoQKjiiög-Emg&he 
und  der  sonstigen  Strategen-Libelle  zur  Konventsladung  fest- 
gestellt ist,  bleibt  noch  über  den  Inhalt  dieser  letzteren  einiges 
zu  sagen. 

Daß  sie  wahrscheinlich  eine  vom  Kläger  ausgehende,  vom 
Strategen  nur  zugestellte  und  dadurch  allerdings  autorisierte, 
nicht  aber  vom  Strategen  durch  einen  besonderen  Befehl  des 
Erscheinens  unterstützte  ist,  wurde  schon  bemerkt  (S.  71). 

Was  hat  nun  der  Belangte  auf  Grund  der  Ladung  zu 
tun?  Betrachten  wir  den  Wortlaut  der  oben  mitgeteilten 
Ladungsstücke,  so  geht  er  auf  tcuqhvcu  oder  TtaoccxvxsZv,  oxuv 
ö  XQttxiGxos  fjyEfiGJV  xov  xov  vopov  dialoyiöubv  xonjxcci.2) 
Einmal,  im  3.  Jhd.,  Amh.  81  heißt  es  noch  ausführlicher: 
TtuQslvca  xcd  itQoGeÖQEvetv  tcö  ßrj^iaxi  xov  Xu^nQoxdxov  huätv 
iiysaovog,  t<5x  av  xä  ;tp6e  avxbv  ^xovybzva  TtSQug  Xccßrj,  und 
diese  Verpflichtung  des  Belangten  kehrt  auch  in  einigen 
anderen  Stücken  wieder,  so  in  dem  Gestellungsversprechen 
Oxy.  260,  der  Prozeßvollmacht  Oxy.  261,  der  Ladung  eines 
Zeugen  Oxy.  484;  vgl.  auch  Oxy.  59,  10  und  BGU.  891  R  23, 
wo    es    sich    freilich   nicht    um    einen    Prozeß    handelt.      Die 


1)  Vgl.  Wenger,   Rhist.  Pap.  Stud.  64 fg.  (a.  A.  bez.  Oxy.  260  Lenel 
Ed.2  417  A.  4). 

2)  Vgl.  noch  BGU.  871,  13  (wo  zu  ergänzen:  Ttoo6y.u[Qr]sQriG(k  >iv 
cov  [rä  ßrjpcczi];  BGU.  1042,  6. 


84  Ludwig  Mitteis: 

oieiche  Tätigkeit  des  xqoöxuqtsqüv  tw  ßi']y.azi  obliegt  aber 
auch  der  Klagepartei  Oxy.  486,  9.  Der  Sachverhalt  ist  eben 
so,  wie  ich  ihn  für  die  Zeit  des  4.  Jhd.  in  der  Sav.  Ztsch. 
R.  A.  27,  351 — 2  geschildert  habe:  da  die  Konventsladung 
nicht  auf  einen  bestimmten  Tag  lautet,  sondern  auf  die  Kon- 
ventsperiode überhaupt,  so  haben  die  Parteien  bei  Beginn  des 
Konvents  zu  erscheinen  und  dann  so  lange  dort  zu  bleiben, 
bis  ihre  Sache  aufgerufen  und  zu  Ende  verhandelt  wird. 
Diese  Methode  ist  also  durchgängig  vom  Beginn  der  Kaiser- 
zeit bis  in  die  byzantinische  Zeit,  wobei  in  der  letzteren  frei- 
lich die  Ordnung  des  Konvents  wegfällt.  Dieses  beiderseitige 
Warten  kann  aber  recht  lange  dauern,  weshalb  in  Oxy.  486  die 
klägerische  Partei  bittet,  sie  wegen  dringender  Erntearbeiten 
vorläufig  zu  entlassen  und  die  Sache  exl  rovg  TÖxovg  zu  dele- 
gieren. Andererseits  lassen  wohl  die  Parteien,  um  nicht  über- 
sehen  zu  werden,  ihr  Erscheinen  und  die  Verhandlungsbereit- 
schaft amtlich  feststellen  {v7io^vi]^ati6d-T]vca  tö  övoju«,  Wessely 
specim.  tab.  8,  11,  16);  vgl.  Wilcken  Arch.  4,  409 — 10. 

Unklar  bleibt  —  ich  habe  das  vorübergehend  schon 
oben  (S.  72)  betont  — ,  ob  und  in  welcher  Weise  der  Statt- 
halter von  den  auf  dem  Konvent  zu  erwartenden  Sachen  im 
voraus  informiert  wurde.  So  lange  ich  den  xara^aQiö^ös 
der  in  §  4  besprochenen  Gesuche  für  die  Liste  der  Verhand- 
lungssachen hielt,  war  diese  Frage  für  mich  beantwortet;  seit 
ich  jenen  anders  auffasse,  bekenne  ich  auf  dieselbe  keine 
positive  Antwort  geben  zu  können.  Doch  mögen  wohl  die 
Sachen,  wo  der  Strateg  eine  TcaQwyyeMu  zugestellt  hatte 
(oben  §  3)  von  ihm  verzeichnet  und  die  Liste  dem  Statthalter 
bei  Beginn  des  Konvents  unterbreitet  worden  sein. 

Ebenso  selbstverständlich  als  auch  durch  die  Urkunden 
bezeugt  ist  endlich,  daß  die  Ladung  vor  den  Statthalter  außer 
durch  die  hier  besprochene  private  %a^ayyslia  in  den  ersten 
drei  Jahrhunderten  auch  noch  durch  amtliche  Zitation  des 
Statthalters  selbst  erfolgen  konnte;  die  'Evokation'  ist  nach 
der  heutigen  —  nunmehr  vielleicht  etwas  zu  modifizierenden  — 
Ansicht  sogar  die  ordentliche  Form  der  Ladung  im  Kognitions- 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  ind  der  Prozeszeinleitung.     85 

prozeß  gewesen.  In  den  Papyri  der  vordiokletianiscben  Zeit 
findet  sich  die  Evokation  durch  hohe  Beamte  in  Streitsachen 
in  Lond.  2  p.  155  1.  4 — 5:  iypa^sv  OveQyUkiavä  xo5  öxquxo- 
xtdäQxri  nsfiiptci  avxbv  sxi  xi)v  xqiöiv  (der  Juridicus);  Giss. 
Inv.  Nr.  137  [Arch.  5,  137]  1.  6  (der  Archidikastes);  gebeten 
wird  darum  (beim  Archidikastes)  in  Oxy.  281,  23 — 25;  vgl. 
auch  Lond.  2  p.  149,  12  fg.  In  den  beiden  erstgenannten  Stücken 
erfolgt  sie  übrigens  durch  litterae  ad  magistratus  (Yat.fr.  162). 
Daß  sie  auch  noch  im  beginnenden  vierten  Jahrhundert  nach- 
weisbar ist,  wird  unten  erörtert  werden  (S.  109 fg.) 

Aber  jedenfalls  hat  neben  dieser  Evokation  schon  in  den 
ersten  Jahrhunderten  die  von  der  Partei  ausgehende  und  vom 
Strategen  nur  übermittelte  naqayytlla  eine  große  Rolle  ge- 
spielt. Auch  in  den  Schuldialogen  aus  dem  dritten  Jahr- 
hundert, welche  weiter  unten  zu  zitieren  sind,  spielt  die  — 
allerdings  nicht  durch  Beamte,  sondern  durch  Zeugen  beur- 
kundete —  private  Parangelia  eine  Rolle  (S.  102). 

Fünfte  Gruppe. 
§  7.  Eingaben  an  den  Präfekten. 
1.  Eine  letzte  Kategorie  der  Eingaben  bilden  solche, 
welche  direkt  an  den  Statthalter  oder  jurisdiktioneil  gleich- 
gestellte Beamte  (s.  u.  S.  861  gerichtet  sind.  Solcher  Eingaben 
nun  sind  mehrere  erhalten,  wobei  wir  vorläufig  natürlich  nur 
die  aus  den  ersten  drei  Jahrhunderten  herrührenden  Stücke 
in  Betracht  ziehen;  die  späteren  bedürfen  einer  ganz  anderen 
Beurteilung.  In  der  früheren  Zeit  aber  finden  wir  solche  in 
Lond.  2  p.  168  und  p.  172  1.  14;  Amh.  81  1.  4.  5  —  die  Eingabe 
ist  hier  allerdings  nur  vorübergehend  erwähnt  mit  den  Worten 
■XQoaxfxayöxog  xov  lauxQoxdxov  fjysfiövos:  Oxy.  38  (liier  fanden 
hintereinander  zwei  solche  Eingaben  statt);  BGU  327  (an  den 
öiuÖEyoaevos  xä  xuxä  xr\v  i{ys\ioviav),  648,  vermutlich  auch 
Straßb.  41  18.  Eine  stanze  Reihe  solcher  Eins;aben  besreo-net 
ferner  in  der  'Petition  of  Dionysia'  Oxy.  237  V  6.  38;  VI  12; 
gelegentliche  Erwähnungen  kommen  auch  sonst  vor.  An  den 
dixcaodöxqs    richtet  sich   BGU.  378.      Nicht    hierher    gehören 


86  Ludwig  Mitteis: 

Papyri  wie  BGU.  908,  16.  1085;  vielleicht  auch  —  wenn 
nämlich  überhaupt  an  den  Statthalter  gerichtet  —  Nr.  1805 
Teb.  439,  wo  es  sich  um  Verwaltungssachen  handelt. 

2.  Die  Libelle  richten  sich  regelmäßig  an  den  Statthalter, 
-entsprechend  der  Tatsache,  daß  dieser  der  eigentliche  und 
alleinige  Richter  des  Landes  ist  (oben  S.  80).  In  einzelnen 
Fällen  kommt  es  zwar  vor,  daß  man  auch  den  Dikaiodotes 
(BGU.  378.  1042,  5)  und  sogar  den  Archidikastes  (Oxy.  281) 
angeht;  indessen  kann  dies  nur  innerhalb  eines  beschränkten 
Kompetenzgebiets  der  Fall  gewesen  sein,  welches  diesen  Be- 
amten etwa  als  selbständige  Domäne  zukam  und  vermag  am 
Grundsatz  nichts  zu  ändern.  Namentlich  darf  man  denselben 
auch  nicht  wegen  Oxy.  237  VI  6 — 7  in  Zweifel  ziehen.  Denn 
wenn  dort  die  Statthalter  verordnet  haben:  IIsqI  Iökotixcöv 
^ijtrjdsav  STtiötoXäg  eccvtoig  /m)  ygcicpsiv,  so  ist  das  nicht,  wie 
gemeint  worden  ist,  dahin  zu  verstehen,  daß  Eingaben  in 
Privatprozessen  nicht  zum  Praefectus,  sondern  zum  Dikaiodotes 
gehören.  Die  richtige  Auffassung  dieser  Stelle,  aufweiche  sofort, 
zurückzukommen  sein  wird,  lautet  ganz  anders;  aber  auch  ab- 
gesehen davon  geht  die  Zuständigkeit  des  Statthalters  zur 
Entscheidung  von  Privatprozessen  heute  auch  für  Ägypten 
aus  einer  großen  Anzahl  von  Stellen  hervor,  so  daß  hierüber 
gar  nicht  gezweifelt  werden  kann. 

3.  Was  nun  diese  Eingaben  an  den  Statthalter  (resp. 
Dikaiodotes)  anbelangt,  so  ist  die  richtige  Beurteilung  zu- 
nächst bedingt  durch  die  Erkenntnis  eines  bisher  noch  nicht 
beobachteten  Gegensatzes. 

Sie  zerfallen  nämlich  in  zwei  wichtige  Klassen,  in  die 
eTiKSroXctl  und  in  die  vTto^ivrjuara. 

Der  Begriff  der  eitiötokai  tritt  zunächst  hervor  in  der 
oben  angeführten  Stelle  aus  dem  Edikt  des  Pomponius 
Faustianus  Oxy.  237  VI  7,  in  welchem  er  '%(£&  o^ioiÖTrjta  t&v 
akkav  ^ye^övoov''  den  Provinzbewohnern  einschärft  ^tisqI  idia- 
Tizcbv  tflxiqGscov  eitiörolccg  (ßavxa)  \Lr\  yoaqpfiv'.  Der  Ton  liegt 
hier  nicht  auf  eainrto  (Pap.:  601),  sondern  auf  miöxolul:  es 
ist  die  Form  der  Supplikation  an  den  Statthalter,  um  welche 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Puozeszeinleitung.    87 

es  sich  handelt.  Er  will  nicht  im  außerordentlichen  Weg 
durch  hniGxoXal  angegangen  werden,  sondern  im  ordnungs- 
mäßigen Wege,  durch  ein  vjtöfivrificc. 

Daß  wir  diesen  Gegensatz  bisher  noch  nicht  erkannt 
haben,  beruht  darauf,  daß  er  —  trotz  seiner  großen  und  offen- 
bar für  alle  Provinzen  gleichmäßig  bestehenden  Bedeutung  — 
in  den  Papyrusurkunden  wenig  scharf  hervortritt.  Nichts- 
destoweniger ist  er  mit  voller  Sicherheit  zu  konstatieren. 
Zunächst  ist  er  selbst  in  den  Papyri  an  einer  Stelle  ganz 
deutlich  erkennbar,  nämlich  in  Straßb.  5  1.  6: 

[<[>]&(X(jag  xaxdcpvyov  ml  xb  psys&og  ™v  XccyMooxäxov 
&€odörov  ^ysfiövog-  evtxvypv  öl  vjto^vrjficcxav  ov  fiovov, 
aXXä  \x\al  di    tTtiöTolfig.1) 

Aber  auch  in  anderen  Quellen  tritt  die  lxi6xoXr\  als  eine 
besondere  und  wie  wir  gleich  hinzufügen  können,  wenigstens 
im  gerichtlichen  Verfahren  zu  perhorreszierende  Art  der  An- 
rufung des  Statthalters  hervor.  Sehr  deutliche  Belege  hier- 
für bieten  die  moralisierenden  Ausführungen,  in  denen  Libanius 
-die  Mißstände  in  der  Pro vinzial Verwaltung  geißelt;  Adv.  assi- 
dentes  magistr.  c.  11  (Förster  4  p.  11):  ßXaßeoal  dl  xul  al  xCov 
ovx  acpixvoviitvav  izuöxoXcd,  xcd,  vi]  zJCu  ys,  xccl  fisi&VGjg. 
<o  yccg  ovx  dcpLXvovvxca  (xovxo  <5'  iaxl  {.leys&og  öpiucixog)^ 
xovxco  xb  utjdsvbg  äxvxsiv  siovöl.  TlXiov  yc<Q  evioxs  Övvaxat 
yQafi[iaxüov  dfövoov  tioXXCov  xccl  iiaxoüv  löycov  iyyvdsv 
Xsyo^iavav. 

Ahulich  äußert  sich  der  Redner  in  der  Oratio  adv.  Eustath. 
c.  61  (Förster  4  p.  97):  xov  ydo  vö{iov,  xccd-'  bv  ovx  e&öxc 
xolg  äXXoig  elg  xccg  xCbv  dqyövxcov  xccxayayag  ßccdC&iv  i'jxovxög 
rs  xul  xoccxovvxog  xal  xag  siaödovg  zcoXvovxog,  xä  (isv  xav 
üXXcov  sx£lös  yQCififiaxslcc  xccfr'  txdöxijv  (ps'osxca  rijv  rtfiEoav, 
yiyvofisvav  dvxl  xrjg  yXdttrrjg  xav  yoccpfiäxcov. 

Den  Ausgangspunkt  der  Erörterung  bildet  beidemal  die 

1)  Es  hätte  auch  nichts  zu  sagen,  wenn  i>no[ivrJnccTu  —  Plural!  

hier  nicht  im  Sinn  von  Libellus  —  V7t6uvrjiia  im  Singular  —  gemeint 
sein  sollte,  sondern  im  Sinn  von  „aktenmäßiger  Verhandlung".  Der 
Gegensat/-  bliebe  immer  bestehen. 


88  Ludwig  Mitteis: 

zudringliche  Bewerbung  um  nicht  öffentliche  mündliche 
Rücksprache  mit  dem  Statthalter.  Schon  diese  tadelt  der 
Redner  als  nicht  bloß  lästig,  sondern  geradezu  ungehörig,  in- 
dem die  Leute  sich  an  den  Provinzialchef  nicht  bloß  zu  jeder 
Stunde,  sondern  auch  an  jedem  Ort,  selbst  wenn  er  sich  in 
seine  Pri-vatgemächer  (xcctccyayai)  zurückgezogen  hat,  heran- 
drängen. Wenn  schon  dies  vom  Gesetz  verboten  ist,  so  ist 
die  Überreichung  von  Epistolae  um  nichts  besser,  ja  sogar 
noch  bedenklicher.  —  Wir  sind  hier  in  der  Lage,  den  Redner 
auch  im  ersteren  Punkt  zu  kontrollieren  und  festzustellen, 
daß  seine  Ausführungen  wirklich  nicht  bloß  phraseologisch 
sind;  denn  es  ist  uns  zweifach  überliefert,  daß  die  Aufsuchung 
des  Statthalters  außer  den  gewöhnlichen  Amtsstunden  und 
Amtslokalitäten  wirklich  verboten  ist,  C.  Th.  i,  16,  10  (a°  365): 
Libellos  iudicibus,  postquam  se  receperint,  vetamus  offerri,  ne 
super  alienis  causis  vel  statu  pronuntient  quando  ab  officii 
conspectu  atque  ab  oculis  publicis  recesserint  und  ibid.  13 
(a°  377) :  Ne  quis  domum  iudicis  ordinarii  postmeridiano  tem- 
pore ex  occasione  secreti  ingredi  familiariter  affectet  sqq. 
Angesichts  derartiger  Verbote  tritt  das  gleichartige  Ein- 
schreiten, das  die  ägyptischen  Statthalter  gegen  die  Über- 
schüttung mit  brieflichen  Zusendungen  entfalten,  in  klares 
Licht;  auch  in  diesem  zweiten  Punkt  also  hat  Libanius  zu- 
treffend geschildert. 

Es  steht  also  außer  Zweifel,  daß  zwischen  der,  wenigstens 
in  Privatprozessen,  unzulässigen  Epistola  und  dem  legitimen 
Libellus,  v7t6pvr][ioc,  ein  scharfer  Gegensatz  besteht,  wie  ja 
auch  in  der  kaiserlichen  Reichskanzlei  unterschieden  wird 
zwischen  dem  Bureau  ab  epistolis  und  jenem  a  libellis.  Die 
Schwierigkeit  liegt  nun  aber  darin,  den  begrifflichen  Unter- 
schied präzise  zu  erfassen. 

Es  braucht  wohl  nicht  erst  bemerkt  zu  werden,  daß  er 
nicht  in  der  äußeren  Form  des  Schriftstückes  gelegen  haben 
kann;  so  sicher  beide  verschieden  sind,  indem  die  Epistel  mit 
6  dsiva  tö  ijys^iovi  %(x,Iqeiv  beginnt,  das  vnö^vrj^ia  anfängt 
mit   den   Worten:    tc3   ijyeuovt   xagä  tov   dstvog,    so   ist    das 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.    8g 

doch  ohne  jede  sachliche  Bedeutung.  Es  muß  vielmehr, 
worauf  alles  Obige  hindeutet,  in  der  Art  und  Weise  der  Ein- 
reichung etwas  gelegen  haben,  was  die  Gattungen  unterschied. 
Ich  habe  in  meiner  ersten  Abhandlung  über  die  ägyptischen 
Prozeßeingaben  von  'Immediatgesuchen'  gesprochen,  welche 
unzulässig  erschienen  und  vom  Statthalter  zur  regulären  Vor- 
bringung auf  den  Konvent  verwiesen  worden  sein  müssen, 
und  wenn  ich  damals  auch  die  Distinktion  von  V7i6^vi]fia 
und  einöToh]  nicht  kannte  —  auch  nicht  kennen  konnte  — 
und  infolgedessen  insofern  zu  weit  gegangen  bin,  als  ich 
jede  Eingabe  an  den  Statthalter  für  ein  tadelnswertes  'Imme- 
diatgesuch' ansah,  so  liegt  hierin  doch  ein,  wie  ich  glaube, 
richtiger  Kern.  Aber  die  genaue  Feststellung  der  Begriffe 
erfordert  freilich  noch  mehr. 

Es  sind  hauptsächlich  zwei  Gesichtspunkte,  auf  welche 
hier  zu  achten  sein  wird. 

Einerseits  der  Zeitpunkt,  in  welchem  das  Ansuchen  statt- 
findet. Zu  gewissen  Zeiten,  welche  also  als  Geschäftszeiten 
(man  denke  an  den  römischen  Rerum  actus)  gelten  können, 
ist  der  Statthalter  für  Privatangelegenheiten  zu  haben:  wie 
sich  diese  Zeiten  in  Ägypten  ordnen,  ist  trotz  Wilckens 
Untersuchungen  über  den  ägyptischen  Provinzialkonvent  noch 
nicht  ermittelt,  aber  daß  es  solche  gegeben  hat,  kann  nichts- 
destoweniger, als  eines  Beweises  nicht  bedürftig,  für  fest- 
stehend angenommen  werden.  Nehmen  wir  beispielsweise 
an1),  daß  sie  mit  den  Konventszeiten  zusammenfielen,  so 
würde  sich  schon  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  ergeben,  daß 
eine  außer  der  Konventszeit  eingereichte  Eingabe  sich  von 
der  rechtzeitig  überreichten  abhob. 

Aber  das  zeitliche  Moment  allein  kann  nicht  für  aus- 
schlaggebend erachtet  werden.  Das  ergibt  schon  die  Termi- 
nologie; denn  sie  charakterisiert  die  Schriftstücke  nicht,  wie 
man  es  andernfalls  erwarten  müßte,  nach  der  Periode  des 
Eingangs,  sondern  nach  einem  die  Form  der  Überreichung 

i)  Was  ich  wenigstens  für  Alexandrien  für  keineswegs  selbst- 
verständlich halte. 


go  Ludwig  Mitteis: 

betonenden  Moment.  Epistola  ist  der  Name  des  Privatbriefsf 
und  es  muß  darum  auch  in  der  Natur  dieser  Eingaben  ein 
unoffizielles,  amtswidriges  Element  gelegen  haben. 

Es  ist  dabei  die  Vorfrage  zu  stellen,  wie  eigentlich  der 
Libellus  —  unser  V7cö[ivri[icc  —  dem  Magistrat  zugemittelt 
wurde.  Zwar  versagen  hier,  soviel  ich  wenigstens  zu  sehen 
vermag,  die  Quellen  eine  ganz  eindeutige  Antwort.  Wir  sind 
nach  unseren  heutigen  Anschauungen  gewohnt,  daß  Eingaben 
an  die  Behörden  in  deren  Kanzlei  eingereicht  und  von  ihnen 
schriftlich  erledigt  werden,  so  daß  die  Partei  den  erledigenden 
Beamten  regelmäßig  gar  nicht  zu  Gesicht  bekommt.1)  Nun 
wird  der  römische  Libell  ja  auch  —  abgesehen  natürlich  von 
den  Fällen,  welche  eine  Causae  cognitio  pro  tribunali  er- 
fordern — -  durch  Subscriptio  oder  Subnotatio  erledigt;  aber 
man  darf  daraus  nicht  auch  die  Einlieferung  desselben  bei 
der  Kanzlei  ableiten.  So  wenig  wir  vom  Begriff  der  Sessio- 
nes  de  piano,  in  welchen  solche  Sachen  erledigt  werden, 
Näheres  wissen,  scheint  es  doch,  daß  auch  hier  die  Parteien 
persönlich  erschienen  und  die  Libelle  zur  Subnotation  per- 
sönlich überreichten.2)  Das  scheint  mir  zunächst  daraus  her- 
vorzugehen, daß  cper  libellum'  und  cde  piano'  sich  decken. 
So  ist  in  C.  J.  6,  32,  2  von  cadire  rectorem  provinciae  vel 
pro  tribunali  vel  per  libellum'  die  Rede,  was  unvollständig 
wäre,  wenn  das  Adire  de  piano  nicht  im  per  libellum  eben 
gemeint  war;  die  gleiche  Koinzidenz  in  D.  50,  1 7,  7 1  =  1,  16,  g}  1 
quaecunque  causae  cognitionem  desiderent,  per  libellum  ex- 
pediri  non  possunt);  C.  J.  5,  71,  6.     Der  Gegensatz  zwischen 

1)  In  diesem  Sinn  drücken  sich  auch  gelegentlich  die  heutigen 
Gelehrten  aus;  z.B.  Gkenfell-Hunt  zu  Teb.  335  Introd.:  cThe  document 
was  drawn  up  in  the  bureau  of  the  official  (the  praefect),  to  whom 
it  was  sent.' 

2)  Vgl.  auch  Suet.  Octav.  c.  53 :  promiscuis  salutationibus  admitte- 
bat  et  plebem,  tanta  comitate  adeuntiuni  desideria  excipiens,  ut  quen- 
dam  ioco  corripuerit,  quod  sie  sibi  libellum  porrigere  dubitaret,  quasi 
elephanto  stipem.  Suet.  Domit.  c.  17:  Professusque  conspirationis  in- 
dicium  et  ob  hoc  admissus,  legente  (sc.  principe)  traditum  a  se  libellum 
et  attonito  suffodit  inguina. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.    91 

pro  tribuuali  und  per  libellum  deckt  sich  m.  E.  vollkommen 
mit  dem  sonst  üblichen  pro  tribunali  und  de  piano  D.  37,  1,  3,  8; 
38,  15,  2,  1;  48,  16,  1,  8  u.  a.  Mitunter  wird  auch  direkt  von 
de  piano  libellos  dare  gesprochen  (D.  48,  5,  12,  6;  27,  1,  13  10  — 
%a{iüd'£v  ßtßXtdia  titiöovvui). 

Daß  das  durch  Vermittlung  der  Kanzlei  geschehen  konnte, 
ist  nirgends  angedeutet;  vielmehr  wird  die  bei  der  Kanzlei 
überreichte  Erklärung,  wenn  sie  ausnahmsweise  überhaupt 
zulässig  ist,  von  jener  an  den  Beamten  unterschieden.  So 
werden  bei  der  Excusatio  tutorum,  wenn  weder  Sessiones  pro 
tribunali  noch  de  piano  bestehen,  also  in  den  Ferien,  zur 
Wahrung  der  Frist  libelli  contestatorii  eingereicht  (Vat.  fr.  156), 
aber  schon  der  besondere  Name  zeigt,  daß  das  nicht  die  o-e- 

CD     7  Q 

wohnlichen  Libelle  sind,  und  so  wird  auch  in  D.  27,  1    13,  10 
das   [iciQTVQtö&ca   eni  {>7CO[ivr}[idtG)v  von   den  %Knüd-Ev  stciöo- 
&£vrci  ßißHdiu    genau    unterschieden.      Man   vergleiche    auch 
bezüglich    der  Überreichung  des  Appellationslibells   D.  49,  4 
1,  7  fg.:  —  si  forte  eius,  a  quo  provocatur,  copia  non  fuerit, 
ut   ei   libelli  dentur?  .  .  .   Adeundi  autem   facultatem   semper 
accipimus,  si  in  publico  sui  copiam  fecit;  ceterum  si  non  fecit, 
an  imputetur  alicui,  quod  ad  domum  eius  non  venerit,   quod- 
que    in    hortos    non    accesserit    et    ulterius    quod    ad    villam 
suburbanam?  .  .  .    quare   si   in   publico    eius   adeundi   facultas 
non  fuit,  melius  dicetur,  facultatem  non  fuisse  adeundi.     An 
das  einfache  Auskunftsmittel,  die  Appellation  in  der  Kanzlei 
zu  überreichen,  wird  gar  nicht  gedacht.  —  Lehrreich  erscheint 
mir  auch  Flor.  6.     Da  ist  ein  Gymnasiarch  von  Hermupolis 
zum  Dioiketes  nach  Alexandrien  zitiert  worden,  um  sich  efeeren 
eine  Anklage  zu  verantworten,  ist  aber  verhindert,  rechtzeitig 
zu  erscheinen  und  bittet  um  Terminserstreckung.    Wie  läßt  er 
nun  dieses  aus  der  Ferne  überreichte  Gesuch  dem  Dioiketes 
zukommen?      'ügog    tijv    ixidoöiv    xov    ßtßXtdCov,:'    sagt    er, 
'ÖiSTCs^Lfdurjv  Nix6di](i-ov  ßovlsvtr)v  yilov.'    Wozu  wäre  diese 
besondere  Ernennung  eines  Bevollmächtigten  notwendig,  wenn 
das  Gesuch  einfach  in  der  Kanzlei  abzugeben  war?    Da  wäre 
es  ja  ganz  gleichgültig  gewesen,  wer  diesen  rein  manuellen  Akt 


gz  Ludwig  Mitteis: 

besorgte.1)  Kaum  irgendwo  tritt  die  persönliche  Überreichung 
der  Libelle  deutlicher  hervor,  als  in  der,  freilich  nur  als  Kurio- 
sum  geltenden  Erzählung  des  Libanius,  advers.  ingred.  dorn, 
magistr.  7  (Förster  4,  28):  eig  de  xig  axvyßiv  [ihr,  xvyziv  dl 
tm&viiäv  aitodvvxog  aTtodvg  xb  ßtßXiov  elöeveyxiov  xal  \iikctv 
xal  xdlcc[iov  diu  yekaxog  ovx  a7tQaxxog  KTtijXd-ev,  cUA'  sxcpsQav 
äfia  [öqgjxl  ygä^axa.  —  Dem  steht  es  auch  nicht  entgegen, 
daß  die  Subskription  der  Magistrate,  wie  wir  z.  B.  in  BGU.  970 
sehen,  den  Parteien  durch  Aushang  zugänglich  gemacht  wird2); 
d.  h.  das  beweist  nicht,  daß  der  Libell  auf  dem  Weg  durch 
die  Kanzlei  eingelaufen  war.  Sehen  wir  doch  aus  Vat.  fr.  163, 
daß  Erledigungen  von  Eingaben,  die  nur  pro  tribunali 
überreicht  werden  können,  unter  Umständen  durch  Subnotation 
erfolgen,  dieser  Begriff  also  mit  der  öffentlichen  Überreichung 
in  keinem  Widerspruch  steht.  Daß  dennoch  die  vnoyQacprj 
erst  durch  Aushang  zugestellt  wird,  beruht  wohl  darauf,  daß 
der  Statthalter  nicht  über  jede  Sache  sofort  entscheiden 
konnte,  oft  wird  er  sie  also  zunächst  nur  zum  Studium  ent- 
gegengenommen haben;  dazu  kamen  vielleicht  auch  manipu- 
lative  Gründe:  die  vTCoygcccpr')  mußte  erst  in  die  Akten  ein- 
getragen werden,  und  darum  sind  Fälle,  wie  der  bei  Libanius, 
wo  der  Statthalter  im  Bad  unterzeichnet  und  dem  Supplikanten 
die  Unterschrift  gleich  mitgibt,  auch  aus  diesem  Gesichts- 
punkt monströs. 

Gerade  hierin  dürfte  nun  der  eigentliche  Unterschied 
des  vTto^vrj^ia  von  der  ini6xol.'Y\  liegen:  Ersteres  ist  vermut- 
lich nur  das  an  Sitzungstagen  (es  genügt  freilich  sessio  de 
piano,  außer  wenn  die  Sache  causae  cognitio  erfordert)  dem 

1)  Wenn  ferner  in  Amh.  72,  9  dem  Statthalter  eine  Agnitio  bono- 
rum possessionis  rüberschickt  worden  ist'  (disneii'ipdiirjv),  wird  das  nicht 
Übersendung  an  die  Kanzlei  bedeuten,  sondern  Überreichung  durch 
einen  (ad  hoc  beauftragten)  Vertreter.  —  An  die  bekannten  'SiuTtsaraX- 
\iivoi  %Qog  xt]v  zov  xQ^ccrißfiov  xsXsicoGiv''  im  Exekutivverfahren  braucht 
nur  erinnert  zu  werden. 

2)  Dazu  vgl.  auch  D.  49,  5,  4:  ...  dicit,  se  libellum  principi  de- 
disse  et  sacrum  rescriptum  expectare,  sowie  die  Proposition  im  Dekret 
von  Skaptoparene  Bruns  Fo. '  1  p.  263. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitüng.    93 

Magistrat   zu    eigenen  Händen    überreichte,    letztere    das   ihm 

DO  * 

bloß  zugesendete  Schriftstück.  Es  ist  klar,  daß  daraus  aucli 
eine  zeitliche  Einschränkung  der  Überreichung  von  vtco^iv)]- 
luira  sich  ergibt:  sie  können  nur  in  der  Geschäftszeit  über- 
reicht werden.1) 


i)  Es  liegt  nahe,  diese  Annahme  an  den  Daten  der  erhaltenen 
<  triginalien  der  Eingaben  nachprüfen  zu  wollen.  Zunächst  könnte  man 
die  Frage  aufwerfen,  ob  denn  die  vTtoavr'm,uta ,  wenn  sie  dem  Statt- 
halter persönlich  überreicht  wurden,  überhaupt  zu  datieren  waren; 
denn  es  läßt  sich  sagen,  daß  dann  der  Tag  der  Niederschrift  ganz, 
gleichgültig  war,  und  es  nur  auf  den  der  Überreichung  ankam.  Tat- 
sächlich finden  sich  jedoch  Daten  vor.  Indessen  ist  es  wohl  nicht  un- 
erklärlich, daß  man  auch  den  zu  überreichenden  Libell  oft  schon  an 
dem  Tag  datierte,  wo  man  ihn  herstellte.  Das  widerspricht  also  der 
persönlichen  Überreichung  nicht  und  kann  gleichgültig  genannt  werden. 
Umgekehrt  ist  es  nicht  gleichgültig,  und  wie  mir  scheint  ein  deut- 
licher Hinweis  auf  die  persönliche  Einreichung,  daß  daneben  auch  un- 
datierte Libelle  vorkommen.  Ein  solcher  ist  z.  B.  Flor.  36,  welcher 
nur  in  1.  31  das  (lateinische)  Datum  der  vnoyQatprj.  aber  keines  der 
Niederschrift  enthält.  Ebensowenig  findet  sich  nebenbei  bemerkt 
jemals  ein  Vermerk  der  Einreichung  in  einer  Kanzlei,  und  niemals  stebt 
(ein  Punkt,  auf  dessen  Berücksichtigung  mich  Wilcken  freundlichst 
hinwies)  auf  dem  Verso  eines  vitouvr^icc  eine  Adresse,  wie  es  bei  den 
iTticroXccl  die  Regel  bildet. 

Im  übrigen  ergibt  eine  Prüfung  der  Daten  allerdings  wenig  Resul- 
tate, teils  weil  von  der  ohnedies  nur  geringen  Anzahl  der  zivilprozessualen 
Eingaben  nicht  alle  Stücke  vollständig  erhalten  sind,  teils  auch  weil 
wir  die  Konventszeiten  auch  heute  noch  nur  sehr  unvollständig  kennen 
und  meist  auf  allgemeine  Vermutungen  angewiesen  sind.  Dennoch 
möchte  ich  eine  Beobachtung  nicht  unterdrücken,  zu  der  mich  die 
Untersuchung  dieser  Frage  geführt  hat,  so  verfrüht  sie  auch  bei  der 
obigen  Sachlage  erscheinen  mag.  Wir  wissen  durch  Wilcken,  daß 
der  memphiti8che  Konvent  derzeit  nur  für  die  Zeit  zwischen  zweite 
Hälfte  des  Januar  bis  zweite  Hälfte  April  nachweisbar  ist,  und  Wilckex 
hat  mit  guten  Gründen  vermutet,  daß  dies  seine  regelmäßige  Jahres- 
zeit bildet.  Damit  würde  es  nun  wohl  verträglich  sein,  daß  gerade 
die  sicheren  ixiavolai,  welche  aus  dem  memphitischen  Konventssprengfl 
stammen,  vom  Monat  Pachon  datierten,  in  welchem  nach  allem,  was 
wir  wissen,  der  Konvent  schon  vorbei  war.  Es  sind  das  zwei  Briefe, 
welche  laut  des  Dionysiapapyrus  der  Gymnasiarch  Chairemon  um  Rück- 
stellung seiner  Tochter  aus  der  ihm  mißliebigen  Ehe  an  zwei  Präfekten 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXH.  8 


94  Ludwig  Mitteis: 

4.  Es  ist  nunmehr  die  Frage  zu  erörtern,  welchen  pro- 
zessualischen Zweck  die  dem  Statthalter  überreichten  Ein- 
gaben verfolgten. 

Da  ist  zunächst  bezüglich  der  EiaGxoXcd  zu  bemerken, 
daß  von  einem  bestimmten  prozessualischen  Zweck  nicht  die 
Rede  sein  kann,  und  zwar  deshalb,  weil  sie  überhaupt  außer 
der  Ordnung  sind.  Die  Partei  konnte  hier  auf  Erledigung 
überhaupt  nicht  mit  Bestimmtheit  rechnen,  sondern  mußte 
sich  gefallen  lassen,  auf  den  Prozeßweg  verwiesen  zu  werden. 
Allerdings  ist,  wie  wir  später  sehen  werden,  die  Praxis  mit- 
unter  eine   mildere   gewesen   und   hat   der  Präfekt   sich   auch 


gerichtet  hat;  davon  ist  der  eine  (Oxy.  237  VI  15)  an  Longaeus  Kufus 
adressiert  und  von  diesem  subskribiert  am  27.  Pachon,  also  jedenfalls 
auch  in  diesem  Monat  geschrieben;  der  andere  trägt  (1.  20)  das  Datum 
Pachon  ohne  Tagesangabe.  [Nur  V  27  erscheint  noch  eine  iniöToXri 
vom  Tybi  186.  Ob  damals  der  Konvent  in  Memphis  noch  nicht  be- 
gonnen hatte  oder  Chairemon  aus  anderen  Gründen  die  Briefform  -wählte, 
muß  dahingestellt  bleiben.]  —  Andere  Daten  zeigen  die  Libelle;  so  ist 
BGU.  327  (Faijüm  a°  166)  datiert  vom  6.  Pharmuthi;  BGTJ.  378  (Faijüm) 
gleichfalls  noch  vom  Pharmuthi,  wenngleich  frühestens  den  20.  Wenn 
die  in  BGU.  613  1.  9 — 25  erwähnte  im  Faijüm  gefundene  Eingabe 
dort  auch  verfaßt  ist,  so  ist  auch  für  sie  das  Datum  Pharmuthi  5 
(1.  25)  zu  bemerken.  [Daß  auch  die  vitoiivrniata.  Oxy.  71  (a°  303)  und 
Grenf.  2,  78  vom  Phamenoth  datiert  sind,  will,  da  sie  schon  der 
nachdiokletianischen  Zeit  angehören,  wenig  besagen,  obwohl  möglicher- 
weise die  Gerichtszeiten  nicht  wesentlich  verschoben  worden  sind. 
Oxy.  3,  486, 18  fg.  (vom  Phaophi)  ist  in  Alexandrien  geschrieben,  wo  zwar 
für  diese  Zeit  kein  Konvent  bezeugt  ist  (Wilcken,  Arch.  4,  420),  aber 
sessiones  de  piano  gewiß  zu  allen  Jahreszeiten  stattgefunden  haben. 
Das  gleiche  gilt  von  der  Eingabe,  deren  Eh-ledigung  in  BGTJ  614,  18 
vom  30.  Choiak  stammt;  der  Petent  diente  in  der  alexandrinischen 
Garnison,  1.  20.] 

Ich  betone  nochmals,  daß  ich  auf  diese  Zusammenstellung  wenig 
Gewicht  lege,  auch  nicht  verkenne,  daß  im  Pharmuthi  der  memphitische 
Konvent  meist  schon  zu  Ende  geht  —  wenn  nicht  früher  — ;  aber  die 
Möglichkeit,  daß  das  Datum  hier  überall  mit  einem  solchen  zusammen- 
hängt, wollte  ich  betonen.  Sollte  sich  übrigens  in  diesem  Punkte 
auch  in  Hinkunft  keine  Bestätigung  ergeben,  so  würde  der  oben  ge- 
zeigte Gegensatz  von  iTti(sxolr\  und  hno^vi^a  dadurch  natürlich  nicht 
beseitigt  werden. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeini.icitung.    95 

einer  in  dieser  Form  angebrachten  Beschwerde  angenommen; 
aber  das  war  jedenfalls  bloße  Konnivenz.  Dieser  Punkt  muß 
also  ausscheiden. 

Bezüglich  der  ordnungsmäßigen  bjzo[ivtf[ictTCt  dagegen  ist 
zunächst  die  Frage  aufzuwerfen:  Werden  sie  nur  in  ein- 
seitigem Erscheinen  des  Klägers  überreicht,  oder  kann  ein 
vTto^vr^cc  um  Rechtsschutz  auch  überreicht  werden,  wenn 
der  geladene  Beklagte  bereits  zur  Verhandlung  erschienen  ist? 

Der  letztere  Gedanke  liegt  ja  zunächst  nicht  nahe  und 
scheint  auch  dem  Wesen  der  Mündlichkeit  wenig  zu  ent- 
sprechen. Und  darum  würde  man  die  Überreichung  des 
V7t6{ivi]iicc  im  Beisein  des  Beklagten  keinesfalls  so  zu  ver- 
stehen haben,  daß  sie  die  eigentliche  Editio  actionis  ist,  die 
vielmehr  mündlich  erfolgen  mußte,  sondern  höchstens  so,  daß 
sie  eine  schriftliche  Fixierung  des  —  daneben  immer  not- 
wendigen und  allein  maßgebenden  —  mündlichen  Vortrages 
enthält.  Indessen  ist  meines  Wissens  kein  Fall  eines  in  der 
Verhandlung  überreichten  Libells  nachweisbar.  Vielmehr 
werden  die  bis  jetzt  vorhandenen  als  in  einseitigem  Erscheinen 
überreichte  aufzufassen  sein. 

Was  nun  den  Zweck  dieser  betrifft,  so  hat  zunächst 
Baron1)  ohne  Kenntnis  der  Papyrusurkunden  daran  gedacht, 
daß  im  Denunziationsprozeß  der  Litis  denunciatio  an  den 
Beklagten  eine  Anzeige  des  beabsichtigten  Rechtsstreits  an 
den  Magistrat  parallel  gehen  mußte,  und  man  könnte  unsere 
vTtoiLVTquatcc  als  diese  Anzeige  auffassen  wollen.  Aber  so 
ansprechend  die  Annahme  ist,  daß  der  Magistrat  über  die 
auf  dem  Konvent  zu  erwartenden  Sachen  im  vorhinein  habe 
informiert  werden  müssen,  so  ist  sie  doch  weder  bewiesen2) 
noch  ist  bei  unsern  Libellen  es  wahrscheinlich,  daß  sie  diesem 


1)  Abhandl.  a.  d.  röm.  Ziv.-Proz.  3,  34. 

2)  Für  Vat.  fr.  156,  worauf  Baron  sich  stützt,  ist  es  vielleicht  richtig, 
daß  hier  der  erste  Libell  an  den  Praetor  eine  bloße  Anzeige  enthält; 
denn  er  kann  u.  U.  durch  libelli  contestatorii  ersetzt  werden  (1.  c.  i.  f.). 
Aber  dort  handelt  es  sich  um  Wahrung  der  fünfzigtägigen  Exkusations- 
frist,  was  eine  genügende  Erklärung  des  Libells  enthält. 

8* 


96  Ludwig  Mitteis: 

Zwecke  gedient  haben.  Denn  niemals  ist  in  ihnen  von  einer 
beabsichtigten  oder  schon  erfolgten  Ladung  die  Rede.  Wenn 
ferner,  wie  oben  gezeigt1),  die  vjto^vrj^ara  aus  dem  Faijüm 
bestenfalls  nicht  vor  der  Konventszeit  datiert  sind,  so  kamen 
sie  offenbar  zu  spät,  und  es  wäre  zum  Zweck  bloßer  Informa- 
tion viel  praktischer  gewesen,  sie  vor  dem  Konvent  zu  über- 
reichen. —  Ebensowenig  ist  mir  wahrscheinlich,  daß  man  mit 
solchen  Eingaben  etwa  erst  die  Erlaubnis  zur  Ladung  des 
Beklagten  einholen  wollte.  Zwar  gibt  es  einen  Papyrus,  wel- 
cher bei  der  litis  denunciatio  eine  Erlaubnis  des  Magistrats 
tatsächlich  namhaft  macht,  nämlich  Amh.  81,  wo  jemand  einem 
anderen  eine  itccQccyysXi'cc  zustellen  läßt,  TtQoöTStaxotog  rov 
y)yen6vog  (1.  5)2);  doch  läßt  sich  aus  diesem  alleinstehenden 
Fall  nichts  folgern,  zumal  keine  andere  TtaoccyyeXia  auf  Ahn- 
liches anspielt.  —  Eine  positive  Antwort  auf  die  an  die 
Spitze  gestellte  Frage  scheint  mir  überhaupt  bei  unserem 
heutigen  Material  noch  nicht  gegeben  werden  zu  können;  in 
manchen  Fällen  mag  mit  dem  Libell  die  Evokation  des 
Beklagten,  welche  jedenfalls  sicherer  wirkte,  als  die  private 
Litis  denunciatio,  bezweckt  gewesen  sein3),  aber  Bestimmtes 
läßt  sich  nicht  sagen. 

5.  Was  die  Erledigung  der  Eingaben  betrifft,  so  läßt 
sich  für  die  sitiötoXaC  ein  allgemeiner  Grundsatz  nicht  nach- 
weisen. Der  Statthalter  ist  zur  sachlichen  Behandlung,  da 
er  sie  verboten  hat,  jedenfalls  nicht  verpflichtet.  Dennoch 
finden  wir  gerade  in  Oxy.  257,  daß  er  sie  nicht  zurückweist, 
sondern  dem  Strategen  —  durch  v%oyqa(fX[  oder  besondere 
siziGtoXrj  —  aufträgt,  über  die  Sache  Erhebungen  anzustellen 
(VI  15.  32;  cf.V  6 — 8).  Die  statthalterliche  Kognition  ist  eben 
unbeschränkt  und  kann  von  allen  Formen  abstrahieren. 


1)  S.  93  A.i. 

2)  In  Lips.  32,  9,  wo  einer  eine  Ladung  vollzieht  'i£  ivHsXsvßEong 
rov  Kgaziatov  iiuoxQarriyov'.,  könnte,  weil  ein  Offizial  des  Epistrategen 
interveniert,  Evokation  vorliegen. 

3)  In  einem  Libellus  des  4.  Jhd.  wird  um  Evokation  ausdrücklich 
gebeten,  Oxy.  71  I  20. 


Zun  Lehre  von  den  Libellen  und  deu  Prozeszeinleitung.    97 

Bei  den  v^ofivyjßuru  dagegen  treten  derzeit  hauptsächlich 
zwei  Arten  der  Behandlung  entgegen. 

A.  In  zwei  Fällen  erteilt  der  Präfekt  die  vxoyQacprj:  El' 
n  Öt'xtuov  £%£ig,  rovrco  %Qi]6frai  dvvccöcci.  Das  kommt  vor 
in  BGU.  614,  18 — 19  sowie  in  Oxy.  237  V  37,  wo  wohl  zu 
lesen  ist:  [Olg  ^X£r]£  ümmcCoiq  %qy\<3&ui  dvvaö&ui  (=  -öds).1) 
Ich  habe  diese  Subskription,  die  in  ihrer  Inhaltslosigkeit  eigent- 
lich befremdet,  früher  dahin  gedeutet,  daß  damit  „Immediat- 
eingaben" auf  den  ordentlichen  Rechtsweg  (Konvent)  ver- 
wiesen werden.  Hier  ist  jedenfalls  schon  die  Fassung  jetzt 
insofern  abzuändern,  als  auch  die  oben  zitierten  Libelle  rich- 
tige fistofivtfiiaxct  gewesen  sind  (sie  werden  ßißXidta  genannt, 
Oxy.  237  Y  30,  BGU.  614,  12,  nicht  stciötoAcu)  und  als  man 
ein  in  der  ordentlichen  Sitzung  überreichtes  vxöuinjuu  nicht 
zu  den  an  sich  unzulässigen  Immediateingaben  stellen  darf; 
außerdem  halte  ich  jene  Erklärung  nicht  mehr  für  absolut 
geboten.  Es  kann  richtig  sein,  daß  in  beiden  Fällen  eine 
abnormale  Verfügung  begehrt  war,  bezüglich  deren  die  Partei 
stillschweigend  ab-  und  auf  das  ordentliche  Verfahren  hin- 
gewiesen wird;  wenigstens  in  BGU.  6142)  ist  die  Eingabe  in 


1)  Wahrscheinlich  hahen  Mann  und  Frau  gemeinsam  eingereicht, 
daher  der  Plural. 

2)  Die  Auslegung  dieses  Papyrus  bereitet  freilich  viel  Schwierig- 
keit: der  Kläger  wendet  sich  mit  der  imoyqcccpri  des  Statthalters  an 
den  Archidikastes  um  Zustellung  der  Ladung  an  die  Beklagten,  weil 
er  wegen  Militärdienstes  nicht  sig  rovs  roTtovg  kommen  kann  (1.  20 ... 
Dies  ist  wohl  dahin  auszulegen,  daß  gewöhnlich  die  Ladung  durch  die 
Lokalbehörden  besorgt  wird  und  hier  nur  ausnahmsweise  durch  den 
Archidikastes.  Aber  erstens:  dieser  verfügt  nicht  sofort  die  Ladung, 
sondern  sagt  nur  '  [acctprjs  iotiv]  (diese  Ergänzung  schlägt  mir  Wilcken 
nach  1.  26  mündlich  vor)  i}  xov  X.  rjys^övog  vizoyQctcprj' ;  erst  auf  ein 
zweites  Gesuch  läßt  er  zustellen.  War  etwa  das  erste  Gesuch  nur  eine 
Anfrage,  nicht  mit  den  erforderlichen  Exemplaren  für  den  Gegner  aus- 
gestattet? Oder  hatte  der  Mann  nicht  genügend  betont,  daß  er  aktiver 
Soldat  sei  und  darum  nicht  ins  Faijüm  reisen  könne?  Zweitens:  im 
zweiten  Gesuch  wird  anscheinend  geladen  zum  Archidikastes  selbst, 
nicht  zum  Statthalter.  Wodurch  die  Kompetenz  des  ersteren  begründet 
sein  sollte,  wissen  wir  nicht.    Zweifelhaft  bleibt  auch,  ob  die  Beklagten 


g8  Ludwig  Mitteis: 

Alexandrien  übergeben,  während  die  Beklagten  zum  memphi- 
tischen  Konventssprengel  gehören,  und  daß  man  regelmäßig 
die  Parteien  nicht  aus  ihrem  Konventssprengel  hinauszitierte, 
zeigt  BGU.  908,  16 — 20.  Anderseits  läßt  sich  aber  auch 
denken,  daß  der  Statthalter  nur  deswegen  so  allgemein  ver- 
fügt, weil  er  ohne  Erscheinen  des  Gegners  das  Verfahren 
nicht  einleiten  kann  und  doch  nicht  geneigt  ist  eine  Evokation 
oder  eine  der  sofort  zu  besprechenden  Delegationen  zu  voll- 
ziehen; dann  würde  er  also  der  Sache  einfach  ihren  Lauf 
lassen  und  damit  den  Gesuchsteller  stillschweigend  zur  privaten 
Litisdenunciatio  zwingen. 

B.  Ganz  anders  lautet  die  zweite  Art  von  viioyQcccpttC,  bei 
welchen  die  Verweisung  an  einen  Unterbeamten  des  Präfectus 
stattfindet;  sie  beginnt  immer  mit  evxv%£  (ra>  dslvu).  Dabei  ist 
nun  aber,  soweit  die  vjioyQuyt]  wörtlich  überliefert  ist  und  nicht 
bloß  in  Berichten  über  sie  referiert  wird  (wie  Straßb.  41,  18; 
Lond.  2  p.  1 72  1. 18;  BGU.  5  II  17.  87 1),  wieder  zu  unterscheiden. 

Entweder  ist  bloß  die  Verweisung  ausgesprochen,  ohne 
beschränkenden  Zusatz,  die  vxoyQucpTq  besteht  dann  bloß  in 
drei  bis  vier  Worten  (außer  dem  Datum  und  anderen  Zusätzen). 
So  in  Oxy.  486,  37:  [fiJ  de  vnoyQacpi]  ovxa]s  'e%et'  "Evxvye 
tcö  S7Ci6tQaxriy(p.  So  auch  in  BGU.  582,  wo  wir  allerdings 
nicht  wissen,  ob  es  sich  um  Privatprozeß  handelt,  weil  bloß 
die  vTtoyQacprj  erhalten  ist.1)  Auch  die  bloß  referierten  Ver- 
weisungen in  BGU.  5  II  17  (evxv%elv  xco  öXQax^ya) ,  und 
Lond.  2  p.  1 7  2  1.  1 8  scheiueu,  wenn  in  den  Referaten  nicht  ge- 
kürzt worden  ist,  ebenso  lakonisch  gewesen  zu  sein.  Dem  ist 
es  vielleicht  gleichzustellen,  wenn  auf  das  evxvye  noch  der 
Zusatz  folgt  cbg  xä  TZQoörjxovxcc  zioir\<5eC  wie  in  BGU.  256,  33 2), 


beim  Archidikastes  in  Alexandrien  zu  erscheinen  hatten  oder  auf  dem 
Gaukonvent. 

1)  Auf  freiwillige  Gerichtsbarkeit  bezüglich  —  übrigens  revisions- 
bedürftig —  ist  die  vnoyQKcpri  in  BGU.  448. 

2)  So  auch  —  jedoch  verwaltungsrechtlich  und  vielleicht  nicht 
vom  Statthalter  sondern  vom  Epistrategen  herrührend  —  BGU.  180,  28; 
648,26;  cf.  15  I  16.    Vgl.  Wenger,  a.  0.  129  fg. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Pkozeszeinleitung.    99 
wo   wohl    zu   lesen   ist:   [evxvxt   ttä]   kqutCötio   \txi6xQax]ijyo) 

\og    XCC    TlQOÖ)'l'/.Ov\xU    XOUjÖfL.1) 

C.  Davon  sind  zu  unterscheiden  die  Fälle,  wo  dem  rtvxi<yj- 
xco  öelvi"  noch  ein  den  Umfang  der  Verweisung  beschräu- 
kender  Zusatz  beigefügt  ist,  wie  c8g,  luv  xi  xrjg  ififjg  du<- 
yvaösag  xatccXdßj},  &i  tut  avuxk^ai  \  so  die  Verweisung 
an  den  Strategen  Oxy.  237  V  7,  vgl.  BGU.  1085,  erg.  vom 
Herausgeber  (letzteres  Yerwaltungssache;  die  Person  des 
Delegierten  nicht  genannt);  vielleicht  auch  BGU.  871,  10 
(cf.  1.  11). 

Unbenutzt  muß  das  Indorsat  auf  Teb.  433  descr.  bleiben, 
welches  lautet:  dialruMpaxui  tu£xat,v  rjficbv  6  cxQccxqyög,  weil 
über  den  Inhalt  der  Eingabe  von  dem  Herausgeber  nichts 
mitgeteilt  ist. 

Ich  bemerke  nun  sofort,  daß  die  unter  C.  bezeichnete,  die 
Tätigkeit  des  Beamten,  an  den  verwiesen  wird,  beschränkende 
vxoyQccquj  den  Fällen  sehr  nahe  steht,  wo  eine  gleiche  be- 
schränkende Verweisung  vom  Oberbeamten  im  Laufe  einer 
mündlichen  Verhandlung  angeordnet  wird.  Diese  Fälle  kommen 
unten  zur  Sprache  (S.  122)  und  von  ihnen  unterscheiden  sich 
die  gegenwärtigen  nur  dadurch,  daß  die  Verweisung  hier  eben 
schon  auf  die  Eingabe,  ohne  mündliche  Verhandlung,  ergeht. 
In  der  Sache  ist  hier  wie  dort  nur  gemeint:  der  Unterbeamte 
soll  kommissarische  Verhandlungen  pflegen  und  (wenn  ihm 
nicht  bei  dieser  Gelegenheit  eine  gütliche  Vereinigung  der 
Parteien  gelingt)  die  Akten  vorlegen.  Daß  dies  gar  keine 
wahre  Delegation  ist,  liegt  auf  der  Hand.  Die  Tätigkeit  des 
Unterbeamteu  endigt  hier  vielmehr  mit  dem,  worauf  ich  für 
einen  ähnlichen  Fall  (Delegation  des  Strategen  durch  den 
Epistrategen)  schon  im  Hermes  30,  581  hingewiesen  habe:  mit 
der   Aktenvorlage    an    den   Oberbeamten,   BGU.  168:   Tä  vy 

1)  Anders  jedoch  BGU.  648:  %vrv%b  x&  azqarriym,  bg  rä  iccvrro 
^igo6i]-Kovra  noir\6ti  Hier  ist  durch  das  iavrä  die  Tätigkeit  des  Stra- 
tegen auf  ein  Kommissariat  beschränkt.  Übrigens  ist  der  Anfang  des 
Papyrus  nicht  erhalten,  und  wohl  möglich,  daß  die  Eingabe  überhaupt 
nicht  an  den  Präfekten  gerichtet  ist,  sondern  au  den  Epistrategen. 


ioo  Ludwig  Mitteis: 

ixccTEQOv  [itQovg  ks%&£vxu,  sagt  dort  der  Strateg,  toig- 
vxo{iVTJ[ic«jt  ecvslrjficp&rf.  'AvuzeuTtco  ovv  rö  TCQäyua  exi 
xbv  üQUTLörov  a7ii6tQccTi]yov.  Daß  dabei  jedenfalls  der  Dele- 
gatar den  Belangten  zu  evozieren  hat,  sei  nur  nebenbei 
bemerkt. 

Es  ist  aber  sofort  hervorzuheben,  daß  diese  Betrauung 
mit  kommissarischen  Erhebungen  sich,  soweit  unser  der- 
zeitiges Material  reicht,  nur  auf  den  Strategen  bezieht,  nie 
auf  den  encörQcirrjyog.  Und  umgekehrt,  wo  die  einfache  vjto- 
yQuyri — evrv%£  ohne  beschränkenden  Zusatz  vorkommt, 
geht  sie  in  Zivilrechtssachen  immer  an  den  Epistrategen;  denn 
der  m.  W.  einzige1)  Fall,  wo  in  dieser  Weise  an  den  Stra- 
tegen verwiesen  wird,  ist  nur  in  unverläßlichem  Referat  er- 
halten und  nicht  einmal  sicher  auf  eine  Zivilreehtssache  zu 
beziehen.2)  Allerdings  ist  die  Zahl  der  überlieferten  vno- 
yQucpui  noch  keine  große,  so  daß  es  bedenklich  erscheint,  aus 
ihnen  Induktionsschlüsse  ziehen  zu  wollen.3;  Dennoch  ist  die 
Tatsache  als  solche  der  Feststellung  und  Beachtung  nicht 
unwert. 

Welche  Bedeutung  aber  hat  nun  die  einfache  vTtoyQccqrj 
'"Evtvxs9  ohne  Vorbehalt  der  statthalterlichen  Definitiv- 
entscheidung? Hat  sie  die  weitere  Wirkung,  dem  Mandatar 
eine  Entscheidungsgewalt  zu  übertragen?  Oder  gilt  auch  bei 
ihr  jener  Vorbehalt  der  statthalteiiichen  Reservatrechte  als 
selbstverständlich,  so  daß  dem  Mandatar  nur  eine  vorbereitende 
Tätigkeit  und  wie  natürlich  auch  die  Aufgabe  zukäme,  nach 
Möglichkeit  eine  friedliche  Beilegung  herbeizuführen? 

i)  BGU.  5  II  17.  In  BGU.  180  liegt  deutlich  Verwaltungssache  vor. 
In  BGU.  870,  11  ist  der  Inhalt  der  vnoygacpri  nicht  mehr  festzustellen. 
In  BGU.  168,20  liegt  bloße  Delegation  durch  den  Epistrategen  vor, 
die  ganz  anders   zu  beurteilen  ist.     Ebenso  in  Teb.  327,  38;  439  desc. 

2)  Daß  von  Teb.  433  Verso  wegen  der  Unbestimmtheit  des  Stückes 
abgesehen  werden  muß,  wurde  schon  bemerkt.  Wie  Dr.  Hunt  mir 
freundlichst  mitteilt,  hat  das  lateinische  Rekto  mit  dem  Verso  keinen 
Zusammenhang. 

3)  Dies  auch  mit  Rücksicht  auf  die  immerhin  bestehende  Mehr- 
deutigkeit von  BGU.  256,  33,  s.  oben  S.  98/9. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     ioi 

Die  Urkunden1)  geben  darauf  keine  ganz  bestimmte  Ant- 
wort. Aber  der  überwiegende  Eindruck  ist  der,  daß  hier 
Delegation  der  ganzen  Verhandlung  mit  dem  Recht  der  End- 
entscheidung bezweckt  ist.  In  Oxy.  486,37  ist  solche  im  In- 
dorsat  ergangen  und  die  Partei  schildert  ihre  Bedeutung  in 
1.  12  dahin,  sie  sei  an  den  Epistrategen  verwiesen,  um  daselbst 
'Gericht  zu  finden'  {xQid-rjöo^ievr]),  und  bittet  diesen,  weil  sie 
am  Konventsort,  wo  sie  bis  jetzt  gewartet,  nicht  länger  bleiben 
kann,  er  möge  ihr  an  ihrem  Wohnort  Recht  sprechen  (&u- 
TQ£il>ca  tus  avuTCtevöcu  xQL$i]6outvrtv  vii6  6ov  exi  räv  rojtcov). 
Darauf  wäre  freilich  noch  nicht  allzuviel  GeAvicht  zu  legen;  denn 
daß  die  Gesuchstellerin  den  Epistrategen  als  wirklichen  Richter 
ansieht,  beweist  noch  nicht  unbedingt,  daß  er  eine  wahre 
Definitivsentenz  geben  konnte.2)  Ernster  jedoch  ist  Straßb.  41, 
1 8  fg. -  wieder  v%oyQU(pi\  des  Statthalters  mit  V erweisung  an  den 
Epistrategen:  Darauf  hat  der  Epistrateg  eine  Zustellung  an 
den  Prozeßo-egner  verordnet,  die  auch  unter  Zuziehung  seines 
Offizialen  erfolgt  ist;  schließlich  findet  sich  eine  Verhandlung 
vor  einem  nicht  näher  charakterisierten  Hermanubis,  der  etwa 
Strateg  oder  Centurio  und  möglicherweise  vom  Epistrategen 
delegiert  worden  ist.  Diese  Verhandlung  liest  sich  wie  ein  Ge- 
richtsprotokoll: Anwälte  sind  anwesend,  es  wird  von  dixdöiuog 
{rjfitQa)  gesprochen,  schließlich  sagt  anläßlich  einer  Termin- 
verlegung jener  Hermanubis:  "wenn  die  Beklagte  beim  neuen 
Termin  nicht  erscheint,  werde  ich  erkennen,  wie  ich  es  für 
gut  finde'  (1.  503))  und  ordnet  eine  Kaution  an,  die  am  leich- 
testen als  Cautio  judicatum  solvi  verstanden   werden   könnte. 


1)  Auch  auf  D.  1.  18.  8.  9  kann  man  sich  nicht  unbedingt  stützen. 
Denn  wenn  dort  die  Subscriptio  des  Kaisers  'Eum  qui  provinciae 
praeest  adire  potes"  (=  ivxv%£)  als  eine  Verweisung  zur  Entscheidung 
gilt,  so  ist  zu  bedenken,  daß  der  Praeses  provinciae  ja  die  ordentliche 
Gerichtsbarkeit  schon  besitzt. 

2,)  Aber  wahrscheinlich  ist  es  docb  in  hohem  Grade;  denn  zuerst 
hatte  er  sich  ja  für  inkompetent  erklärt  und  wenn  er  nun  neuerlich 
als  KQirrjg  bezeichnet  wird,  ist  wohl  die  Meinung,  daß  er  jetzt  durch 
Delegation  Kompetenz  erlangt  hat. 

3    =  Lips.  32,  14. 


102  Ludwig  Mittels: 

Nun  ist  ja  jenes  Protokoll  mit  Vorsicht  zu  gebrauchen,  weil 
in  der  Mitte  eine  Kolumne  fehlt;  aber  wenn,  was  ich  für 
wahrscheinlich  halte,  Hermanubis  wirklich  vom  Epistrategen 
delegiert  war,  hat  man  hier  doch  den  Eindruck,  daß  aus  jener 
vnoyQafpiq  schließlich  eine  Definitivsentenz  erwachsen  konnte. 
Ins  Gewicht  fällt  auch,  daß  in  I  2 1  jene  vTtoyoacpY)  von  einem 
der  Advokaten  als  dvaTio^Trrj  bezeichnet  wird.  In  BGU.  19 
II  2  ist  denn  auch  einmal  von  einer  Sentenz  eines  Epistra- 
tegen die  Rede.  Verstärkend  kommt  noch  eine  Stelle  aus 
den  von  Mommsen  bei  anderem  Anlaß  angezogenen  Schul- 
dialogen (vom  Anfang  des  3.  Jahrh.)1)  hinzu;  dort  ist  zu  sprach- 
lichen Übungszwecken  eine  Konversation  über  einen  bevor- 
stehenden Prozeß  vorgeführt:  Kqixy'iqloV  nobg  xiva;  Teobg  xbv 
xaiLiav]  Ovx  ixel.  'Allä  Ttobg  xbv  dv&vjtaxov;  ovd'  exsl,  alle: 
TCQog  xovg  ao%ovxag  i%  vjroyQccq)fjg  xov  disttovxog  xijv  inccoiluv. 
Danach  soll  bei  den  städtischen  Magistraten  (uQ%ovxsg)  e| 
v7ioyQU(prig  des  Statthalters  ein  Prozeß  entstehen  können,  und 
der  weitere  Verlauf  dieses  Verfahrens  wird  dort  auch  aufs 
deutlichste  so  geschildert,  daß  man  gar  nicht  bezweifeln  kann, 
es  handelt  sich  um  meritorische  Entscheidung,  nicht  um 
bloßes  Kommissarium:  rol  xgixal  . . .  i^soccv  ruilv  Maxav  xijv 
GijfieQov . . .,  dib  ßovlofica  <5ov  itaoovxog  jisqI  xf\g  dixrjg  6vv 
xolg  övvrjyÖQoeg  öxei^aö^ai.  —  "Aya\i£v  tjfislg  Ttobg  xbv  tqk- 
jts£ixt]v,  laßaixsv  TtaQ  uvxov  öijvccqlcc  ixaxöv,  düpsv  dtxoloym 
Tifiixco  xcel  xolg  Gvvriyoooig  xal  reo  voxixco,  Xva  öJiovdcciöxeoov 
sxÖLxrjöaöLV  i)[iäg\  Sodann  wird  der  Beginn  der  Verhand- 
lung erzählt:  TlaQr}yyeilag  avxa  (sc.  dem  Beklagten);  IJaQyyy- 
yula.  'EiiccQxvQ07ioC)]6ag]  ,  E^aQXVQOTCohjöa.  "Exoifiog  %6o: 
"Etoi^iog  sl^ii.  Kai  6  ävxi'dixog  hvxvytlv  &eIel.  Und  zuletzt: 
UuDTtrjV  £%sxe,  dxovöoj^isv  xi]v  axocpttöLV.  "HxovGag  oxi  Ivi- 
xrj6a[i£v,  Fdte]  —  So  wenig  man  in  diesen  zusammengewürfelten 
Sprachbrocken  eine  authentische  Quelle  finden  darf,  so  sind 
sie  doch  im  Zusammenhalt  mit  den  sonstigen  Indizien  nicht 
ganz  zu  ignorieren. 


1)  Bei  Haupt,  opusc.  2,  512. 


Zun  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     103 

Daß  Delegation  durch  bloße  vxoyQCMpy  juristisch  möglich 
ist,  kann  denn  auch  nicht  geleugnet  werden;  gewiß  kann  der 
Statthalter  seine  Jurisdiktion,  wie  überhaupt  und  im  ganzen, 
so  auch  in  der  Form  der  VTioyQatpij  für  einen  einzelnen  Fall 
delegieren.  Ich  würde  die  Frage  überhaupt  als  zweifellos  be- 
handeln und  kein  Wort  darüber  verlieren,  wenn  nicht  ein 
spezieller  Umstand  Bedenken  erregen  könnte. 

Es  hat  nämlich  in  Lond.  2  p.  172,  15  fg.,  wo  eine  v7toyQCi<p)\ 
auf  *&wv%£lv  t(5  £jii6TQccx7]y<p'  vorlag,  der  Epistrateg  die  Sache 
doch  nicht  finalisiert;  die  Partei  wendet  sich  darum  an  den 
Statthalter,  'weil  die  Sache  seiner  Entscheidung  bedürfe'. 
Daraus  könnte  man  schließen,  es  habe  an  der  Volldelegfation 
gefehlt. 

Aber  sicher  wäre  der  Schluß  deshalb  nicht,  weil  es  denk- 
bar ist,  daß  der  Epistrateg  sei  es  aus  Ängstlichkeit  sei  es 
aus  Mißverständnis  den  Umfang  seines  Auftrags  einschränkend 
ausgelegt  und  die  Sache  ohne  Notwendigkeit  der  statthalter- 
lichen Entscheidung  vorbehalten  hätte.  Ich  würde  diese  Mos- 
lichkeit  nicht  anzudeuten  wagen,  wenn  es  für  solche  Vor- 
kommnisse nicht  ein  sicheres  Quellenzeugnis  gäbe,  wonach 
die  Jurisdiktionsmandatare  wirklich  mitunter  in  der  Hand- 
habung ihres  Mandats  eine  übergroße  Vorsicht  walten  ließen. 
J.  J.  294  ergeht  die  Instruktion  C.  J.  3,3,3:  Placet  ut  iudicibus, 
si  quos  gravitas  tua  disceptatores  dederit,  insinues  ut  delegata 
sibi  negotia  sententia  determinent  nee  in  his  causis  in  qui- 
bus  pronuntiare  debent  et  possunt,  facultatem  sibi  remittendi 
patere  ad  iudicium  praesidale  cognoscant  sqq.  Sollte  in 
Lond.  2  p.  172   ein  Beispiel  hierfür  vorliegen? 

Übrigens  erhebt  sich  an  diesem  Punkt  noch  eine  weitere 
Schwierigkeit.  In  dem  oben  (S.  10 1)  erwähnten  P.  Straßb.  41 
hat  der  Epistrateg,  also  wie  ich  glaube  der  Delegatar,  eine 
Subdelegation  vorgenommen.  Denn  der  in  dem  Papyrus  ver- 
handelnde Beamte  ist  allem  Anschein  nach  ein  niederer  als 
der  Epistrateg,  an  welchen  die  Delegation  ergangen  war. 
Nun  aber  ist  ein  bekannter  Grundsatz,  daß  die  mandierte 
Jurisdiktion  nicht  weiter  mandiert  worden  kann:  der  Manda- 


104  Ludwig  Mitteis: 

tar  kann  wohl  im  ordentlichen  Verfahren  einen  Geschworneil 
ernennen,  denn  dies  ist  keine  Übertragung  seiner  Amtsgewalt, 
nicht  aber  im  Kognitionsverfahren  einen  iudex  pedaneus.  — 
Indessen  ist  auch  diese  Schwierigkeit  nicht  für  unüberwind- 
lich zu  betrachten;  denn  jene  Regel  konnte  doch  wohl  durch 
spezielle  Ermächtigung  zu  Subdelegationen  beseitigt  werden1); 
ja  es  kann  hierüber  sogar  ein  allgemeines  Regulativ  bestanden 
haben,  welches  bei  gewissen  höheren  Delegataren  eine  generelle 
Ausnahme  von  der  Regel  schuf2),  und  es  wäre  bei  der  sicher 
großen  Anzahl  von  Verweisungen,  welche  an  die  Epistrategen 
ergangen  sind,  auch  praktisch  nur  begreiflich,  wenn  ihnen 
die  Weiterverweisung,  gegen  das  abstrakte  Prinzip,  freigestellt 
worden  wäre. 

§  8.  Zusammenfassung. 
Mit  diesen  Andeutungen  will  ich  die  Libelle  der  vor- 
diokletianischen  Zeit  verlassen.  Werfen  wir  nun  einen  zu- 
sammenfassenden Rückblick  auf  ihre  verschiedenen  Arten,  so 
lassen  sie  sich  nunmehr  folgendermaßen  nach  sachlichen 
Gesichtspunkten  gruppieren,  wobei  die  nach  der  analytischen 
Darstellung  der  vorigen  Paragraphen  scheinbar  vorhandene 
Vielgestaltigkeit"  sich  auf  ziemlich  einfache  Verhältnisse  redu- 
zieren läßt.     Es  gibt 

i.  Eingaben  behufs  polizeilichen  oder  friedensrichter- 
lichen Schutzes  (§§  2  und  5),  gerichtet  bald  an  die  niedersten 
Polizeiorgane  (Hekatontarch  u.  a.),  bald  an  den  Strategen  und 


1)  Daß  der  Epistrateg  —  und  entsprechend  in  anderen  Delegations- 
fällen auch  andere  Beamte  —  außer  der  von  der  Partei  ihm  zu  pro- 
duzierenden vTtoygcKpri  noch  durch  einen  internen  Dienstbefehl  beauf- 
tragt wurde,  sich  mit  der  Sache  zu  befassen,  ist  wohl  glaublich  und 
entspräche  dem  Iussus  iudicandi  beim  Geschworenen.  'ExigtoXcü  ge- 
nannt, finden  sich  solche  Dienstanweisungen  mehrfach,  wenngleich  in 
anderer  Anwendung;  BGU.  245  II  4 — 5;  Oxy.  237  VI  32,  cf.  1.  15  u.  a. 
In  BGU.  613,  4  bekommt  der  Delegatar  von  Amts  wegen  ein  Exem- 
plar des  Libells  mit  der  vnoyQccyri. 

2)  Auf  diesen  Gesichtspunkt  hat  mich  Wlassak  freundlichst  brief- 
lich aufmerksam  gemacht. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     105 

selbst  Epistrategen.  Sie  führen  nie  zu  einem  Prozeß,  außer 
etwa  indirekt,  wenn  der  angegangene  Beamte  die  Parteien 
zum  Erscheinen  vor  dem  Präfekten  anweist,  was  jedoch 
selten  zu  geschehen  scheint  (S.  82/3). 

2.  Eingaben  behufs  Vormerkung  der  Streitsache  im 
y.aruxcoQiafiog,  meist  —  aber  nicht  ausnahmslos  (S.  75)  — 
an  den  Strategen  gerichtet.  Sie  kommen  besonders  oft  vor, 
wo  der  Gesuchsteller  den  Anstifter  eines  Schadens  oder  die 
Höhe  des  letzteren  nicht  kennt;  und  haben  dann  bloß  eine 
Protestation  (vielleicht  zum  Ausschluß  der  Verjährung  oder 
behufs  behördlicher  Erhebungen)  zum  Zweck;  in  manchen 
Fällen  ist  jedoch  die  xcctaxcoQLö^ög-Bitte  auch  mit  einer  Bitte 
um  Polizei-  oder  friedensrichterlichen  Schutz,  ja  einmal  selbst 
mit  einer  Ladung  verbunden. 

3.  Eingaben  mit  der  Bitte,  sie  dem  Gegner  als  Laduncr 
auf  den  Konvent  zuzustellen. 

4.  'EtciöxoXuC  und 

5.  v7to{iv)}iiccTcc  an  den  Präfekten  (resp.  Juridicus,  Erz- 
richter). 

Nur  die  Konventsladungen  (Z.  3)  und  die  vTtofivij^ata 
an  den  Statthalter,  Juridicus,  vielleicht  auch  Archidikastes 
(Z.  5)  vermögen  direkt  zur  Einleitung  eines  Prozesses  (cog- 
nitio  extra  ordinem)  zu  führen. 

Wie  nun  diese  zustande  kommt,  wäre  zunächst  zu  unter- 
suchen. 

Hier  aber  ist  zu  bemerken,  daß  die  Papyri  der  vor- 
diokletianischen  Zeit  an  diesem  Punkt  versagen.  Das  Wenige, 
was  wir  darüber  aus  den  Papyri  zu  ermitteln  vermögen,  be- 
schränkt sich  auf  die  Zeit  des  vierten  Jahrhunderts.  Dem- 
gemäß wird  von  dieser  Frage  erst  bei  Betrachtung  der 
jüngeren  Papyri  die  Rede  sein  können. 


io6  Ludwig  Mitteis: 

IL  Libelle  und  Prozeßbeginn  im  vierten  Jahrhundert. 

§  9- 

Ich  wende  mich  nun  zum  Schluß  zu  den  Prozeßpapyri 
der  nachdiokletianischen  Zeit.  Die  maßgebenden  Urkunden 
sind  Oxy.  67  und  71;  Lips.  33  und  38;  Grenf.  2,  78;  Flor.  36; 
Amh.  142;  vgl.  auch  CPR.  19;  Lond.  3  Nr.  971  (p.  128)  und 
CPR.  2S3,  letztere  beiden  allerdings  zunächst  verwaltungs- 
rechtlichen Inhaltes. 

Das  Charakteristische  dieser  Urkunden  ist  ein  Doppeltes. 
Erstens  das  Fehlen  jeder  Anspielung  auf  den  Konvent,  was 
sicher  damit  zusammenhängt,  daß  dieser  jetzt  gänzlich  unter- 
gegangen ist  und  die  Rechtsprechung  am  festen,  nur  mit- 
unter gelegentlich  von  Amtsreisen  verlegten  Amtssitz  des 
Statthalters  stattfindet.  Zweitens  ist  Ägypten  seit  Diokletian 
in  Teilprovinzen  zerlegt,  und  darum  muß  man  in  dieser  Zeit 
auch  mit  der  Gerichtsbarkeit  der  Präsides  (rtye^iövsg)1)  der 
Teilprovinzen  rechnen.  Ich  sage  jedoch  nur  'auch';  denn 
die  Papyri  zeigen,  daß  auch  im  vierten  Jahrhundert  der 
exaQ%og  Alyvnxov  in  der  Ausübung  der  Gerichtsbarkeit  über 
das  ganze  Land  nicht  beschränkt  ist.  So  sind  in  Oxy.  71  I 
und  II  zwei  (vielleicht  sogar  drei)2)  gerichtliche  Eingaben  aus 
Arsinoe  aus  dem  Jahr  303  an  ihn  gerichtet,  und  daß  das 
keine  bloßen  Mißgriffe  sind,  zeigt  Oxy.  1,  67  v.  J.  338,  wo 
der  Eparch  wirklich  für  Oxyrhynchos  einen  Richter  bestellt, 
obwohl  die  Stadt  in  dieser  Zeit  zu  Aegyptus  Herculia  gehört.3) 
Anderseits  wendet  in  Grenf.  2,  78  v.  J.  307  der  in  der  großen 
Oase  wohnende  Beschwerdeführer  sich  an  den  diaörj^iörarog 


1)  'Hytfimv  steht  jetzt  im  festen  Gegensatz  zum  HxccQxog.  Da  in 
Oxy.  1,  67  die  Ergänzung  [Alyvitzov]  in  1.  4  durch  ein  Parallelexemplar 
gesichert  ist,  bleibt  außer  der  sehr  verdächtigen  Inschrift  C.  I.  G-.  4772 
(vgl.  meine  Bern,  in  Mel.  Nicole  369)  kein  Beispiel  eines  ^aQ^og  einer 
Teilprovinz  vorhanden. 

2)  Von  der  dritten  machen  nämlich  die  Hgg.  nur  die  Andeutung: 
'of  a  third  petition  the  beginning  of  lines  are  left'. 

3)  Vgl.  Gelzer,   Studien   zur  byz.  Verwaltung  Ägyptens  (1910)  3. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitüng.     107 

ijYEficav  Hutqio^  'jQQiuvög,  der  schon  nach  dem  Titel  riye^itov 
gewiß  nur  Praeses  iThebaidis)  gewesen  ist1),  und  in  den 
übrigen  Prozeßpapyri  des  vierten  Jahrhunderts  ist  die  Juris- 
diktion desselben  zweifellos.  Es  haben  also  die  Präfekten 
und  fjysfiöveg  eine  konkurrierende  Gerichtsbarkeit  neben- 
einander ausgeübt. 

Da  die  Präsides  an  die  Stelle  der  früheren  Epistrategen 
treten,  so  fehlt  in  dieser  Zeit  durchaus  der  Epistrateg,  und 
ist  die  so  häufig  stattfindende  Anrufung  dieses  durch  die 
Parteien  sowie  seine  Delegation  durch  den  Statthalter  hinweg- 
gefallen.  Sehr  bald  beginnen  aber  auch  die  Strategen  zu 
fehlen;  auch  dieses  Amt  wird  jetzt  beseitigt.  Den  Zeitpunkt, 
in  welchem  dies  geschehen  ist,  können  wir  freilich  nicht 
genau  bestimmen;  in  Oxy.  71  I  18  v.  J.  303  wird  der  Strateg 
noch  genannt. 

I.  Die  Ladung  zum  Prozeß  geschieht  im  vierten  Jahr- 
hundert, wie  man  auf  Grund  der  Rechtsbücher  allgemein 
lehrt,  durch  die  Litisdenunciatio,  von  der  wir  die  Vorläufer 
bereits  im  vorigen  Abschnitt  kennen  gelernt  haben.  Es  fragt 
sich  nun,  inwiefern  diese  überkommenen  geschichtlichen 
Lehren  durch  die  Papyri  bestätigt  werden. 

1.  Das  vollkommenste,  d.  h.  juristisch  korrekteste  Stück 
dieser  Zeit  ist  derzeit  unzweifelhaft  erhalten  in  Lips.  33  II 
v.  J.  368 2),  einer  in  einer  Prozeß  Verhandlung  verlesenen  xeegay- 
yeXCa  f'|  avd-£vrCag-:  der  Kläger  erzählt,  er  habe  schon  früher 
dem  Beklagten  die  TtagayysUa  (suo  nomine)  geschickt.  Adressiert 
ist  dieselbe,  wie  man  es  von  einer  richtigen  Denunciatio 
erwartet,  an  die  Gegenpartei  {itUQayytXXa  v^ilv),  sie  ist  aber 
überreicht  beim  Praeses  (Thebaidis),  der  eine  Subscriptio 
daruntergesetzt  hat,  vielleicht  (die  Subscriptio  ist  unvoll- 
kommen erhalten)  die  Denunciatio  zu  einer  solchen  ex  auc- 
toritate  erhebend.  Wie  die  Zustellung  erfolgt  ist,  ersehen 
wir   nicht;   nach   den  Gesetzen   sollte   sie  amtlich  beurkundet 

1)  Vgl.  auch  Gelzer  a.  0. 

2)  Den  Text  mit  allen  Nachträgen  s.  jetzt  bei  Brlns-Gradenwitz 
fo.  7  p.  413;  nur  ist  hier  1.  22  'IöiSwgog  statt  'IciSagov  zu  lesen. 


108  Ludwig  Mitteis: 

sein.  Jedenfalls  stimmt  dieser  Papyrus  mit  unseren  theore- 
tischen Kenntnissen  in  allen  Punkten  überein. 

2.  Weniger  durchsichtig  ist  die  Übereinstimmung  mit 
den  Denunziationsprinzipien  bereits  in  Oxy.  67  v.  J.  338,  ob- 
wohl auch  dieses  Stück  sich  mit  denselben  immerhin  noch 
vereinigen  läßt. 

Es  enthält  vier  Bestandteile: 

1.  1.  13 — 22  ist  ein  vtcö^vti^cc  an  den  Praefectus  Aegypti 
um  Rückverschaffung  von  Häusern  des  Klägers,  welche  die 
Beklagten  widerrechtlich  besitzen  (provinziale  Vindikation). 
Es  wird  gebeten,  den  Aetius,  den  TtQOTfohtavö^ievog  von  Oxy- 
rhynchos,  zum  dixccötijg  zu  bestellen. 

2.  1.  8 — 12.  Auf  jenes  Stück  hat  der  Präfekt  eine  Epi- 
stola  an  den  TrQOJioXirsvö^ievog  gesetzt,  worin  er  ihm  die  Zu- 
stellung der  'xatcc  vo^ovg  naQayyElCai'  und  Bewerkstelligung 
der  tov  dixaötrjQiov  TtQoxäxaQ^ig  befiehlt. 

3.  Mit  dem  so  reskribierten  Hypomnema  ist  der  Kläger 
an  den  Propoliteuomenos  gegangen  und  hat  ihn  um  Vollzug 
des  Befehls  gebeten-,  1.  1 — 7. 

4.  Darauf  hat  dieser  ein  Exemplar  des  reskribierten 
Hypomnema  den  Beklagten  zustellen  lassen;  die  Empfangs- 
bestätigung derselben  ist  1.  2^ — 24  erhalten. 

Von  Lips.  3^  unterscheidet  sich  die  in  1.  13 — 22  über- 
lieferte Schrift  sehr  deutlich  dadurch,  daß  sie  sich  weder 
selbst  als  naQwyyeUa  bezeichnet,  noch  auch,  wie  es  dem 
Wesen  einer  solchen  entsprechen  würde,  an  den  Prozeßgegner 
gerichtet  ist.  Der  Kläger  hat  vielmehr  ein  einfaches  vtcö- 
ILvrjucc  an  den  Praefectus  gerichtet  und  diesen  um  Rechts- 
schutz gebeten.  Wenn  also  so  von  einer  TtaQuyyElCa  in  der 
Eingabe  nichts  zu  merken  war,  so  muß  man  doch  anderseits 
sagen,  daß  der  Präfekt  diesen  Fehler  korrigiert  und  eine  nag- 
ccyyeXla  aus  ihr  hergestellt  hat.  Er  hat  nämlich  dem  Kläger 
ein  Schreiben  an  den  TCQOTtoXuEvo^Evog  von  Oxyrhynchos  — 
also  litterae  ad  magistratus  im  Sinne  von  Vat.  Fr.  162  — 
mitgegeben,  in  welchem  es  heißt:  .  .  .  cpQovtiöov  tag  xaxä 
vopovg    avrovg    (die    Beklagten)     7taQayysUag    VTtode^aö&ca 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  deb  Prozeszeinleitung.     109 

itoirjöca,  h>vo[i6v  t£  xvjico'd-i'jvai  ryv  xov  ÖixuöxrjQCov  tcqoxux- 
uq^siv.  Das  heißt:  der  Magistrat  soll  eine  Parangelia  — 
und  als  solche  verwendet  nun  der  Kläger  sofort  seine  so 
reskribierte  Eingabe  an  den  Magistrat  an  die  Beklagten 
zustellen  und  darauf  die  Prozeßeröffnung  vollziehen  lassen. 

Im  Endeffekt  wird  also  auch  hier  eine  richtige  Litis- 
denunciatio  gehandhabt,  wenngleich  die  Partei  dabei  erst 
vom  Präfekten  auf  den  richtigen  Weg  geleitet  wird;  denn 
ihr  Libell  ist  ungeschickt  und  im  alten  Stil  der  an  den  Statt 
halter  gerichteten.  Bitte  um  Rechtsschutz  (vn6[iv)i[ia)  der 
früheren  Jahrhunderte  gefaßt,  während  in  dieser  Zeit  nur 
um  Zustellung  an  den  Beklagten   gebeten   werden   sollte.1) 

3.  Je  weiter  wir  jedoch  an  den  Anfang  des  vierten  Jahr- 
hunderts zurückgehen,  desto  deutlicher  wird  der  von  der 
eigentlichen  Litisdenunciatio  abweichende  Stil  der  Prozeß- 
schriften. Man  sehe  z.  B.  Oxy.  71  I  v.  J.  303:  Bitte  an  den 
Praefectus  Aegypti  um  Rechtsschutz  wegen  eines  Depositums. 
1.  14  fg.:  ä^iüj  xal  dsoiicu  .  .  .  xskevßcci,  st  60t  doxol,  rj  tw 
GXQCcxrjyco  ))  d>  eav  öoxL^iäörjg^  tTZavayxcajd-fjvea  xov  2J(bxav 
[ist  ivsyyQcov  kri^scog  .  .  .  xrjv  anodoöLV  xoir'jOaö'&ca,  1]  ccyvo 
jiiovovvxa  7tuQCiJi£iicpd-fivcu  £tiI  xb  dbv  [isycctiov. 

Also  Bitte  um  Zwang  mit  pignoris  capio,  eventuell  um 
Evokation  durch  den  Statthalter;  und  ebenso  Flor.  36 
v.  J.  3 1 2 :  STcavayxaöd-ijvat  xhv  ZaxaCova  xrjv  xov  vlov  yafie- 
xr)v  ccTioxaxuöxriöaL  1)  drjlovoxi  xivrjd,rjo'Excci  sig  xb  tibv  ä%occv- 
xov  Sixcy.6xi]OLov.     Also  wieder  Bitte  um  Ladung. 

4.  Ahnlich   Amh.  142    (4.  Jhd.):    [a|tö    diu]    v7ioyoacpr\g 

1)  Auch  CPR.  233  v.J.  314  ließe  sieb  allenfalls  so  auffassen,  wenu 
er  überhaupt  zivilprozessualen  Charakters  sein  sollte.  Nach  1.  5/6  hat 
hier  der  Praeses  Thebaidis  auf  eine  Eingabe  subskribiert:  6  7tQca7r6cLTo< 
rov  näyov  rfjg  Gvvrj&ovg  yscoQyiccg  £%fO&c<i  rovg  aovg  {i[io&coTug]  hcctk- 
vayuÜGEi  [. .  .]z>  avroig  tr]Qov[ievov  si'  xivcc»£vXoyov  fyoisv  —  dabei  könnte 
Zustellung  der  Eingabe  durch  den  Praepositus  zum  Zweck  der  Denun- 
ziation vorausgesetzt  sein.  Doch  wäre  dies  einerseits  vollständig  an- 
haltlose Vermutung,  und  vor  allem:  es  handelt  sich  wahrscheinlich 
um  polizeilichen  Arbeitszwang  gegen  Feldarbeiter,  so  daß  das  Stück 
keine  prozessuale  Bedeutung  hat. 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  9 


1 1  o  Ludwig  Mitteis  : 

xiXsvöcu  tg)  TtQounoöCxG)  x&)v  x&Gxqcov  ijravayxäöai  xovg 
iyysyQa^i^evovg . . .  axi  (irjv  (moxaxci<5xr\6a.L  \ioi  xovg  cpooovg  . . . 
STi^yi  öe  uvxikiyovGiv,  xovxovg  7tccQa7t£^d,dvxag  [isivcu  eig 
tö  'a%Qcivx6v  6ov  öixaöx^QiOv  xxl.  Bei  diesem  Papyrus  ist 
allerdings  nicht  festgestellt,  in  welches  Jahr  er  fällt,  sondern 
nur  die  Zugehörigkeit  zum  vierten  Jahrhundert.  Aber  er 
gibt  ein  deutliches  Pendant  zu  den  vorigen. 

5.  Und  nicht  minder  Grenf.  2,  78  v.  J.  307  an  den  Präses 
der  Thebais  (Vindikation  der  eigenen  Kinder).  Das  Petit  ist 
nicht  ganz  erhalten,  aber  sicher  der  TtaoayyeUcc  ebenso  kon- 
trär wie  die  Adresse  an  den  Präfekten:  es  geht  etwa  auf 
«|mö  [xovg  /if]^1)  7tQO£LQi]{i8vovg  [iov  Ttaldag  xijg  7iuQuv6\ß.ov 
q>vXa]x7jg  ave&rjvca,  xovg  dh  ävxidixovg  £<jd'  Ixccvolg  [xeivTj&fivca 
i%i  6E  xxl.? 

Nun  ist  die  Frage,  wie  sich  die  Bitte  um  Evokation, 
die  hier  —  wenigstens  in  den  drei  ersten  Stücken  —  sehr 
deutlich  gestellt  wird,  mit  dem  Denunziationsprinzip  des  vierten 
Jahrhunderts  vereinigt. 

Die  eine  denkbare  Lösung  des  Problems  ist  die:  die 
beiden  unter  Ziffer  1  und  2  genannten,  dem  Prinzip  ent- 
sprechenden Stücke  sind  jünger,  nämlich  von  den  Jahren  338 
und  368.  Die  widersprechenden,  soweit  sie  datiert  sind, 
stammen  von  303,  307  und  312.  Nun  ist  die  erste  sichere 
Spur  des  obligatorischen  Denunziationsprozesses  v.J.  319, 
nämlich  C.  Th.  2,  15,  i.2)  Es  wäre  denkbar,  daß  er  erst  nach 
312,  zwischen  312  und  319  obligatorisch  geworden  wäre. 

Daneben  gibt  es  jedoch  noch  die  andere  Möglichkeit, 
daß  die  älteren  Stücke  rein  zufälligerweise  nicht  den  strengen 
Stil  der  Zeit  repräsentieren  würden.  Man  muß  ja  «immerhin 
damit  rechnen,  daß  wir  uns  mit  den  Papyri  weder  in  Rom 
noch  in  Konstantinopel  befinden  und  daß  die  ländlichen  An- 


1)  rovg  fisv  Crönert  in  Wesselys  Stud.  4,  89;  statt  x£ivr}&f]vai, 
iiti  6s  (Mitteis)  hat  C.  Tt/xcopTjO'Tji'c«.  Ich  würde  auch  sonst  stellenweise 
anders  ergänzen  als  Crönert. 

2)  Diese  Stelle  spricht  nämlich  bei  der  a°  doli  von  einer  necessitas 
denuntiandi. 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitüng.     i  i  i 

walte  oder  Winkelschreiber  in  ägyptischen  Mittelstädten 
immerhin  bei  einem  etwas  unzeitgemäßen  Stil  stehen  geblieben 
sein  könnten.  Bedenkt  man  noch,  daß  die  Grenze  der  reinen 
Zivileingabe  und  der  polizeilich  oder  kriminell  gefärbten  Auf- 
sichtsbesehwerde  oft  eine  recht  schwimmende  ist,  so  wäre  es 
auch  möglich,  den  ganzen  Stilgegensatz  als  ziemlich  be- 
deutungslos hinzustellen,  zumal  wir  nicht  ersehen,  wie  die 
Eingaben  vom  Statthalter  behandelt  worden  sind,  d.  h.  ob 
er  dem  Evokationsbegehren  stattgegeben  oder  etwa  gar  auch 
sie,  ähnlich  wie  es  in  Oxy.  67  geschieht  (S.  108)  als  litis  denun- 
ciationes  behandelt  hat.  Es  muß  daher  die  Entscheiduno- 
dieses  Punktes  der  Zukunft  vorbehalten  bleiben. 

Ein  Papyrus  endlich,  der  mit  unseren  Fragen  überhaupt 
nichts  zu  tun  hat,  ist  CPR.  19:  hier  ist  der  Propoliteuomenos 
von  Hermupolis  schon  zum  Iudex  pedaneus  bestellt  gewesen 
und  hatte  schon  eine  'Gegenschrift'  {avxEiti6räl\iaxa)  vom 
Beklagten  empfangen,  als  die  Klägerin  das  uns  erhaltene  Stück 
verfaßte.  Dieses  gehört  also  zu  einem  Schriftenwechsel  in 
einem  schon  eingeleiteten  Verfahren;  wie  dasselbe  begonnen 
hatte,  ersehen  wir  daraus  überhaupt  nicht  mehr. 

Übrigens  ist  nicht  zu  übersehen,  daß  wir  in  den  Papyri 
auch  sichere  Evokationsfälle  haben:  P.  Lips.  lnv.  Nr.  348, 
publiziert  von  Wilcken  Arch.  4,  467  und  Nr.  36  (mit  der  Text- 
revision von  Wilcken  Arch.  3,  564  und  4,  266).  Hier  erfolgt 
die  Evokation  durch  einen  Offizial  unter  Entgegennahme  einer 
Cautio  iudicio  sisti.  Ein  Widerspruch  zu  den  Rechtsbüchern 
braucht  jedoch  in  diesen  Urkunden  nicht  gefunden  zu  werden. 
Denn  es  ist  nicht  sicher,  daß  es  sich  um  eine  gewöhnliche 
Ladung  handelt;  ja  in  lnv.  348  war  die  Sache  schon  ein  Jahr 
früher  an  den  Statthalter  gebracht  worden.  Man  kann  also, 
wie  ich  schon  in  der  Ausgabe  der  P.  Lips.  p.  1 1 6  bemerkt 
habe,  ganz  wohl  an  Kontumazialladung  denken,  für  welche 
auch  bisher  schon  die  Möglichkeit  von  Evokationen  ins  Auge 
gefaßt  worden  ist.1) 


1)  Vgl.  Kipp,  Litis  denunciatio  296. 

9* 


112  Ludwig  Mitteis  : 

Endlich  ist  noch  Eines  zu  bemerken.  Die  dem  Statt- 
halter überreichte  Eingabe,  mag  sie  nun  bloßes  Hypomnema 
mit  Bitte  um  Evokation  sein  oder  wahre  Litis  denuntiatio, 
enthält  natürlich  immer  eine  Species  facti;  soweit  daher  ein 
Exemplar  dieser  Eingabe  dem  Beklagten  bei  der  Ladung  zu- 
gestellt wird  (was  ja  für  Lips.  33  und  Oxy.  67  sicher  ist), 
erhält  dieser  damit  auch  die  erste,  d.  h.  außergerichtliche 
Editio  actionis,  von  welcher  bekanntlich  die  spätere  im  Ver- 
handlungstermin erfolgende  Editio  wohl  zu  unterscheiden  ist 
(unten  S.  1 1 7).  Jene  außergerichtliche  Edition  ist  besonders 
schön  erhalten  in  Lips.  33,  woselbst  sie  einerseits  den  Klage- 
grund, anderseits  die  vom  Kläger  gewählte  Klagegattung  um- 
faßt.1) Es  ist  letzteres  um  so  interessanter,  als  bekanntlich 
manche  Spuren  darauf  führen,  daß  der  Kläger  noch  im 
Justinianischen  Prozeß  den  Namen  der  von  ihm  gewählten 
Actio  anzugeben  pflegte.2)  Von  dieser  Sitte  hätten  wir  also 
in  Lips.  33  eine  Anwendung  überkommen,  die  aber  darin  eine 
Besonderheit  hat,  als  der  Kläger  hier  nicht  einen  materiell- 
rechtlichen Namen  (dieser  müßte  im  gegebenen  Falle  Here- 
ditatis  petitio  lauten),  sondern  den  prozeßrechtlichen  'extra- 
ordinaria  cognitio'  verwendet;  er  sagt  nämlich  7iagayyiXlc3 
v^ilv . . .  drjXojv  xixXov^)  per  [töv?]  etii  xb  xqlxov  coro  ßov- 
kiq6BG3£  ayyQcccpov  xaxQaug,  aycoy^v  de  xrjv  h%xQa   \oq8i\ve\jl\ 

x[oy]vLXLÖV8[l. 

Ob  dies  reiner  Zufall  ist,  oder  auf  eine  Zeit  zurückdeutet, 
wo  man  auf  die  im  Kognitionalverfahren  angestellten  Klage- 
ansprüche den  ursprünglich  ja  nur  auf  die  Formeln  be- 
rechneten Individualnamen  nicht  anwenden  mochte,  kann  hier 
nicht  untersucht  werden.  Zu  betonen  ist  jedoch,  daß  den 
naQayyeXiav  der  vordiokletianischen  Zeit  eine  gleiche  Präzision 
durchaus  fehlt;  der  Tatbestand  ist  hier  zwar  erzählt,  aber  von 
spezieller    Betonung   des    (xixXoq>    und    der    ^aytayri    nirgends 

1)  Hierzu  vgl.  meine  Ausf.  in  Sav.  Z.  29,  471  fg. 

2)  Hierüber  neuestens  Bkugi  im  Centenario  dello  nascita  di  Mickele 
Armari  (Palermo   1910)  2.  284fg. 

3)  Hierzu  vgl.  Val.  Fr.  156:  titulum  excusationis  suae  expromere. 


Zun  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     i  i  3 

eine  Spur  zu  finden.  Vielleicht  liegt  dies  nur  daran,  daß  es 
weniger  kunstmäßig  ausgearbeitete  Schriften  sind  —  auch  im 
vierten  Jahrhundert  ist  ja  Lips.  33  ein  Unikum  — ;  wahrschein- 
licher aber  hat  sich  überhaupt  die  strengere  Formalisierung 
des  Extraordinarverfahrens  erst  allmählich  herausgebildet. 

IL  Als  zweifelhaft  wird  es  in  der  Prozeßliteratur  auch 
bezeichnet,  ob  an  die  Litis  denunciatio  sich  eine  Pflicht  des 
Beklagten  zur  Bestellung  einer  Cautio  judicio  sisti  knüpfte. 
An  den  Urkunden  sehen  wir  folgendes.  Bei  der  Litis  denun- 
ciatio ist  bis  jetzt  nur  Empfangsbestätigung  des  Beklagten, 
Kautionsstellung  dagegen  nicht  nachweisbar:  In  Oxy.  67  ist 
vom  Beklagten  bloß  der  Empfang  bestätigt.  In  Lips.  33  II  17 
sagt  der  Kläger:  a|tö  exdo&fival  fioi  rt)v  Gvvrj&r}  vnoo^uicoöiv 
xccl  xarä  xvq(uv  JiQccx&fjVca  ri]v  dixi]v.  Unter  der  vtto6i]hic36is 
ist  möglicherweise  die  Empfangsbestätigung  des  Beklagten  zu 
verstehen.  Übrigens  ist  vielleicht  auch  eine  amtliche  Ver- 
fügung —  vTtoyQcccpr'j  —  gemeint,  obwohl  der  Passus  in  einem 
Schriftstück  steht,  das  an  die  Beklagten  adressiert  ist;  da  die 
Litis  denunciatio  durch  den  Präses  zugestellt  wird,  hätte  die 
Erwähnung  seiner  Unterschrift  immerhin  einen  Sinn.  Wie 
dem  nun  sei,  nachweisbar  ist  also  Kautionsstellung  bei  der 
TtaQayyeXCa  nicht.1)  Daß  sie  deshalb  ausgeschlossen  ist,  kann 
man  freilich  auch  nicht  behaupten.  Denn  sie  könnte  neben 
der  Empfangsbestätigung  in  einem  separaten  Akt  erfolgt  sein. 
—  Daß  die  in  einzelnen  Fällen  sicher  bezeugten  Gestellungs- 
bürgschaften nicht  auf  Litisdenunziationen  gehen  müssen, 
wurde  bereits  bemerkt  (S.  m). 

III.  Wenn  wir  so  über  den  Hergang  bei  der  Litis  denun- 
ciatio noch  nicht  genügend  aufgeklärt  sind,  so  haben  wir  doch 
dafür  wenigstens  ein  Beispiel,  daß  bei  dem  Verfahren  dieser 
Zeit  eine  gesetzliche  Frist  eine  besondere    Rolle  spielt.     Be- 


1)  Auch  für  die  vordiokletianische  Zeit  liegt  bis  jetzt  kein  ent- 
scheidendes Material  vor  (Oxy.  260  ist  Vadimonium,  bei  einer  Verhand- 
lung vor  dem  Strategen  gestellt).  Doch  kann  bei  der  steten  Möglichkeit 
der  Realzitation  (vgl.  Lips.  32  II  1.  14:  tkxqu  ctqcctiwti]  ^isivärcocav,  tioyig 
i'lX&rfiav)  das  Bedürfnis  danach  auch  nicht  groß  gewesen  sein. 


ii4  Ludwig  Mitteis  : 

kannt  ist  nämlich  die  viernionatige  Frist  des  Denunziations- 
verfakrens,  deren  Bedeutung  allerdings  streitig  ist.  Ich  glaube 
sie  jetzt  dahin  auffassen  zu  sollen,  daß  innerhalb  vier  Mo- 
naten, gerechnet  vermutlich  von  der  Zustellung  der  Denun- 
ciatio,  die  Verhandlung  beginnen1)  mußte.  Das  ist  nicht 
dahin  zu  verstehen,  daß  der  letzte  Tag  des  vierten  Monats 
als  Termin  galt,  an  dem  allein  sie  eröffnet  werden  konnte; 
vielmehr  wird  die  Eröffnung  schon  innerhalb  der  Frist  statt- 
gefunden haben,  wenn  beide  Parteien  anwesend  und  der  Richter 
verhandlungsbereit  war.  Aber  allerdings  scheint  es,  daß  vor 
Ablauf  der  Frist  gegen  den  noch  nicht  erschienenen  Beklagten 
ein  Antrag  auf  Einleitung  des  Kontumazialverfahrens  nicht 
gestellt  werden  konnte,  und  darum  werden  tatsächlich  meist 
beide  Teile  erst  am  letzten  Tage  erschienen  sein.  Umgekehrt 
aber  mußte  der  Kläger  an  diesem  Tag  bei  Ausbleiben  des 
Beklagten  den  Antrag  auf  Evokation  stellen,  widrigenfalls  ei- 
sernen Anspruch  verlor  und  höchstens  aus  gerechten  Gründen, 
und  nur  noch  einmal,  durch  Reparatio  ternporuin  zur  Gut- 
machung seines  Versäumnisses  zugelassen  wurde.  Durch 
diese  Vorschriften  wurde  i)  den  Parteien  die  Pflicht  zu  zweck- 
losem Warten  am  Gerichtsort  abgenommen,  über  welches 
z.  B.  in  Oxy.  486  die  Klägerin  sich  beschwert;  man  brauchte 
nur  am  letzten  Tage  der  vier  Monate  anwesend  zu  sein; 
2)  wurde  erreicht,  daß  der  Beklagte  nicht  immer  wieder  zitiert 
werden  durfte;  die  Contumacia  des  Klägers  wird  gestraft. 

Von  diesem  Verfahren  haben  wir  eine  Anwendung  in 
Lips.  33 II:  die  Beklagten  haben  durch  verschiedene  tiuqev- 
Qtözig,  d.  h.  wohl  außergerichtliche  Zahlungsversprechen  den 
Kläger  dazu  bestimmt,  daß  er  trotz  vollzogener  Denunciatio 
am  letzten  Tage  der  Viermonatsfrist  —  die  hier  allerdings 
nur  oi  xqovoi  genannt,  aber  jedenfalls  gemeint  ist  —  den 
Antrag  auf  Evokation  nicht  stellte,  obwohl  die  Beklagten 
nicht  erschienen,  also  der  Zustand  der  (avaQ%og  dCxif  ein- 
getreten war.    Kläger  erhielt  darauf  eine  Reparatio  temporum 


1)  Dies  habe  ich  bereits  Sav.  Z.  27,  351  fg.  ausgeführt. 


Zun  Lemke  von  den  Libellen  und  dek  Prozeszeinleitung.     115 

(avavsaöis  räv  %q6v(ov),  aber  die  Beklagten  erschienen  wieder 
nicht,  so  daß  neuerlich  durch  Dekret  der  Prozeß  für  ruvuQ%og 
erklärt  wurde.  Jetzt  aber  stellte  der  Kläger  sofort  in  der 
(einseitigen)  Verhandlung  den  Antrag,  daß  ihm  eine  Denun- 
ciatio  ex  auctoritate  gestattet  wurde,  und  dem  wurde  statt- 
gegeben. 

IV.  Ziemlich  klar  ersehen  wir  in  den  Papyri  des  4.  Jahr- 
hunderts auch  die  Bestellung  von  Judices  pedanei. 

Besonders  interessant  ist  hierbei  der  oben  zitierte  P.  Oxy.  67, 
welcher  zeigt,  daß  um  einen  solchen  nicht  bloß  schon  in  der 
ersten  Postulatio  gebeten,  sondern  daß  er  auch  auf  diese  hin 
sofort  bewilligt  werden  konnte.  Die  Regel  des  Kaisers  Hadrian 
(Callistr.  D.  5.  1.47):  observandum  est,  ne  is  iudex  detur,  quem 
altera  pars  nominatim  petat,  scheint  hierbei  verletzt  zu  sein; 
aber  der  erbetene  Iudex  ist  der  TCQOTtohrsvönsvog  der  Stadt, 
und  da  dieser,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  regelmäßig  be- 
stellt zu  werden  scheint,  war  hier  das  Petitum  des  Klägers 
eine  bloße  Antezipation  des  Selbstverständlichen.  Die  Be- 
stellung erfolgt  in  diesem  Fall  durch  Epistola  an  den  Iudex; 
außerdem  wird  sie  vollzogen  entweder  durch  Dekret  oder  auch 
durch  vjcoyQaq)7}.  Die  dekretale  Bestellung  zerfällt  wieder  in 
einseitige  Datio  nach  freiem  Beschluß  des  Statthalters,  wofür 
Lips.  38  I  i.  f.  ein  Beispiel  gibt,  oder  auf  Grund  eines  Vor- 
schlages der  Parteien,  wofür  m.  W.  zwar  nur  ein  Beispiel  aus 
dem  vierten  Jahrhundert  vorhanden  ist,  daB  jedoch  durch  die 
Parallelen  aus  der  früheren  Zeit  eine  größere  Bedeutung  er- 
hält (Lond.  3  p.  120  unten  S.  125). 

Ständige  Delegationen  irgendwelcher  Behörden  kommen, 
wie  wir  jetzt  wohl  mit  Sicherheit  behaupten  können,  nicht 
vor.  Wohl  aber  werden  in  dieser  Zeit  mit  Vorliebe  die 
x<joxoliT8v6u.£voi  oder  tcoIltsvö^levoi  der  Bezirksmetropolen 
als  Iudices  pedanei  verwendet:  denn  wir  haben  dafür  schon 
drei  Anwendungsfälle,  Oxy.  67;  Lips.  38  und  CPR.  19,  in 
welch  letzterem  Fall  die  Delegateneigenschaft  des  Propoliteuo- 
menos  zwar  nicht  ausgesprochen,  aber  sicher  anzunehmen  ist. 

V.   Über    den    Gang    der    Verhandlung    werden    wir   be- 


1 1 6  Ludwig  Mitteis  : 

sonders  durch  Lips.  38,  wozu  der  von  Collinet-Jouguet  im 
Arch.  1,  298    publizierte   Papyrus   Bouriant   hinzutritt,    unter- 
richtet;  in   beiden  Fällen   findet   diese  vor   dem  Präses  selbst 
statt.      Die    Protokolle    konstatieren    zunächst,    wer   von    den 
Parteien  und  ihren  Vertretern  anwesend  ist,  eine  Konstatierung, 
die  auffallenderweise  in  dem  Papyrus  Arch.  3,  340  fehlt,  wenn 
nicht  in  1.  2   statt  E[.  .]a  .  [  .  ]s  zu  lesen  ist  P[r]ae[s]s(entes). 
Sodann  wird    in    den   nach    dem  Jahr   382    fallenden   Papyri, 
wenn    für    eine    Partei    ein    Prozeßprokurator    erschienen    ist, 
dessen    Vollmacht    verlesen    und    zu    den   Akten    genommen; 
das   entspricht  der  dem  genannten  Jahr  entstammenden  Vor- 
schrift C.  Th.  2,  12,  3,   mag  übrigens  schon  früher  üblich  ge- 
wesen  sein.     Darauf  kommt  es  in  Lips.  38  im  Fall  der  Pro- 
kuratur   noch    zur   erforderlichen  Prozeßkaution;   in   dem  ge- 
nannten Falle  ist  es  die  Cautio  iudicatum  solvi,  da  die  Ver- 
tretung   auf   der    Beklagtenseite    stattfindet.1)      Die    Kaution 
wird    dabei   nicht    für   eine   Actio  judicati   gegen  den  Proku- 
rator   gestellt,    wie    es    dem    klassischen    Recht    entsprechen 
würde,   sondern  für  eine  solche   gegen  die  vertretene  Partei 
selbst.     Das   hängt   offenbar   damit  zusammen,   daß  zu  dieser 
Zeit  der  mit  schriftlicher  (wenn  auch  nur  privatschriftlicher) 
Vollmacht  ausgerüstete  Prokurator  dem  Cognitor  gleichgestellt 
wird.2)      Die    Kautionsbestellung     hat    dabei    noch    folgende 
Eigentümlichkeiten:    1.  hat   das   Versprechen  nicht   die  obli- 
gaten drei  Klauseln  des  klassischen  Rechts  (recte  rem  defendi, 
iudicatum  solvi,  de  dolo  malo),   sondern   es   geht  einfach  auf 
'iudicatum    solvi'    (ja   XQL&rt6Öu8va    xuraßakelv)',    2.    es    wird 
zwar  gestellt  durch  einen  Bürgen,  aber  eine  Grundstipulation 
mit  dem  eigentlichen  Kaventen  (das  wäre  in  Lips.  38  die  Be- 
klagte)   fehlt;    es    liegt  Bürgschaft   für   den  Judikatsanspruch 
als  solchen,  nicht  für  eine  Stipulation  über  denselben  vor3); 


1)  Dagegen  wird  in  P.  Bouriant  bei  schriftlicher  Vollmacht  des 
kl ä gerischen  Vertreters  von  diesem  die  Cautio  ratam  rem  haberi 
nicht  mehr  verlangt. 

2)  Vgl.  meine  Ausführungen  in  der  Einl.  zu  Lips.  38. 

3)  Daß  das  auf  den  Einfluß  der  von  Partsch,  griech.  Bürgsch.  R  it 


Zub  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     i  i  , 

3.  die  Kaution  wird  nicht  von  der  Gegenpartei  abgenommen, 
sondern  vom  Magistrat  selbst;  dies  erklärt  sich  aus  Ulp.  D.  27, 
7,4,3;  'fideiussores  a  tutoribus  nominati,  si  praesentes  fuerunt 
et  non  contradixerunt  et  nomina  sua  referri  in  acta  publica 
passi  sunt,  aequum  est  perinde  teneri  ac  si  iure  legitimo 
stipulatio  interposita  fuisset',  welche  Stelle  nicht  mit  Bon- 
fante1)  für  interpoliert  gehalten  werden  muß.  Es  liegt  also 
Cautio  ad  acta  praesidis  facta  vor. 

Nach  den  Regeln  des  klassischen  Prozesses  müßte  es 
nun  zur  Editio  actionis  kommen,  auf  welche,  abgesehen  von 
etwaigen  Komplikationen,  die  Actionis  impetratio  zu  erfolgen 
hätte.  In  der  Tat  liegt  im  P.  Bouriant  die  Edition  deutlich 
vor:  Nach  Verlesung  der  Vollmacht  sagt  der  klägerische  An- 
walt (1.  5  fg.):  ät-iov^ev  de  xr\v  nccgovöav  .  .  tcxoGxrtvui  xov 
usQOvg  xov  duicpeoovxog  xy  ßorftovyievr}  (folgt  Spezifikation); 
außerdem  war  auch  in  der  verlesenen  Vollmacht  der  Klage- 
gegenstand verzeichnet  gewesen,  wie  1.  16  zeigt:  fxäj  xaxä 
Ttjv  svxoh)v  artodöxa.  Auch  werden  sofort  die  Urkunden 
verlangt  und  vorgebracht,  1.  1 7,  auf  welche  der  Anspruch  sich 
stützt.  Wie  diese  Edition  das  Reguläre  ist,  zeigt  aber  noch 
besser  Lips.  38  I  16  fg.,  indem  der  Statthalter  erklärt: 
"ETteLÖi]  Mslixtog  6  xov  vtbv  inayovrcov  ixiyjüv  xötcov  vtibq- 
rCd-sxca   xijv   dCx^r  .  .  .,  ivTSv&ev   ydr)   acd   nob  ixöößecog  xCbv 

vxopvriiidxav  ixcixsQa  xä  pegy  [ t]cö  •xolusvoiieva  xrjg 

\4vxivo£g)v  öTiovdf,  xyg  ito7.ixi%y\g  xd^stog  jroo<7«£tbj'tf£T(M',  d.  h. 
um  den  von  der  Klagepartei  angestrebten  Verzögerungen  ein 
Ende  zu  machen,  wird  noch  vor  der  Editio  actionis  die 
Sache  an  den  Judex  pedaneus  verwiesen.  Daraus  sieht  man, 
wie  die  Edition  als  Grundlage  der  Verhandlung  erscheint; 
normalerweise  würde  der  Statthalter  sie  noch  in  seiner  Gegen- 
wart vollziehen  lassen  und  dann  erst  den  Judex  bestellen. 
Das  gilt  freilich  nur,  wo  er  überhaupt  zu  verhandeln  beginnt; 
denn  wo  er  den  Prozeß  schon  auf  die  schriftliche  Postulation 

entwickelten  griechischen  Bürgschaftsideen  zurückgehen  wird,  betont 
dieser  a.  0.  S.  161  A. 

1)  II  silenzio  nella  conclusione  dei  contratti  fi9°7)  P-  8. 


1 1 8  Ludwig  Mitteis  : 

hin  delegiert,  wie  in  Oxy.  67  (und  in  den  S.  101  besprochenen 
Fällen  der  Erledigung  durch  vTtoyQacpif),  wird  selbstverständ- 
lich auch  vor  dem  Pedaneus  ediert  worden  sein. 

An  die  Editio  sollte  sich  die  Inipetratio  actionis  schließen. 
Darauf  bezieht  sich  ein  Passus  in  Lips.  38  (II  1  fg.).  Hier 
fehlt  es  an  der  Inipetratio,  weil  ja  auch  die  Editio  nicht  vor 
dem  Magistrat  erfolgt  ist.  Dies  fühlen  in  gewissem  Sinne 
selbst  die  Parteien,  indem  die  Beklagte  sagt:  El  xivac,  s%Ofiev 
TtttQayQacpd^  ksXev0cctc3  6ov  to  ^leyaXslov  ccvrbv1)  ruvrag  6x0- 
tcsIv.  Infolge  des  summarischen  Vorgangs  fürchtet  sie  näm- 
lich, daß  ihre  Einreden  unter  den  Tisch  fallen,  während  sie 
bei  ausgebildeter  Instruktion  die  Möglichkeit  hatte,  auch 
diese  beim  Statthalter  vorzubringen  und  ihre  Berücksichtigung 
durch  Dekret  sichergestellt  zu  sehen;  sie  fürchtet  also  eine 
praescriptio  (oder  richtiger  replicatio)  non  impetratae  ex- 
ceptionis. 

Ob  diese  Befürchtung  eine  berechtigte  war,  kann  freilich 
prima  facie  bezweifelt  werden,  und  zwar  deshalb,  weil  man 
meinen  sollte,  wenn  der  Magistrat  den  Rechtsstreit  einem 
Judex  pedaneus  überträgt,  habe  er  ihm  gleichzeitig  auch  das 
Recht  übertragen,  Actio  und  Exceptio  zuzulassen,  wie  er  es 
für  gut  befindet.  Und  so  scheint  denn  auch  der  Kläger 
weniger  ängstlich  zu  sein;  er  bittet  nicht  um  ausdrückliche 
Datio  actionis. 

Irgendeinen  Grund  muß  aber  die  Besorgnis  der  Beklagten 
in  unserem  Fall  doch  gehabt  haben;  denn  wie  käme  sie 
sonst  darauf?  Es  führt  uns  dies  zu  einer  kurzen  Betrach- 
tung über  die  Möglichkeiten  bei  der  Inipetratio  actionis  im 
Kognitionsverfahren. 

Bekannt  ist  die  Bestimmung  von  Theodosius  und  Va- 
lentinian  C.  Th.  2,  3,  1  =  C.  J.  2,  57,  2  v.  J.  428:  Nulli  pror- 
sus  non  impetratae  actionis  in  maiore  vel  minore  iudicio 
agendi  (agenti  Just.)  opponatur  exceptio,  si  aptam  rei  et 
proposito   negotio   competentem    eam   esse    constiterit.      Man 


1)  Mit  ccvvbv  ist  der  Judex  pedaneus  gemeint. 


Zur  Lehue  von  den  Libellen  dnd  der  Prozeszeinleitung.     119 

hat  von  jeher  gemeint,  daß  danach  ein  Dekret,  das  die  Actio 
ausdrücklich  zuließ,  im  nachklassischen  Verfahren  üblich  gre- 
wesen  sein  müsse.1)  Ganz  einfach  ist  jedoch  diese  Annahme 
nicht,  schon  wegen  der  Worte  fin  maiore  iudicio'. 

Es  ist  nämlich  nicht  recht  einzusehen,  wie  der  Beklagte 
in  maiore  iudicio,  d.  h.  im  Verfahren  vor  dem  Jurisdiktions- 
magistrat selbst,  dazu  kommen  soll,  einzuwenden,  der  Magi- 
strat habe  die  Actio  nicht  zugelassen.  Diese  Einwendung 
scheint  ja  völlig  zwecklos,  weil  der  Magistrat  die  Zulassung 
natürlich  in  jedem  Moment  nachholen  kann  und  nur  der 
ungesundeste  Formalismus  hier  eine  Präklusion  annehmen 
könnte.  Darum  scheint  mir  die  Möglichkeit  dieser  Exceptio 
in  maiori  iudicio  nur  so  begriffen  werden  zu  können,  daß 
man  an  einen  Fall  der  Klag  ander  ung  denkt.  War  es  z.  B. 
(vgl.  oben  S.  112)  üblich,  bei  der  Edition  den  Gattungsnamen 
der  gewählten  Klage  namhaft  zu  machen,  so  konnte  sehr 
wohl  daran  gedacht  werden,  dem  Kläger,  der  ursprünglich 
etwa  Actio  mandati  direeta  verlautbart  hatte  und  später 
wegen  Nichtigkeit  des  Mandats  zur  A°  neg.  gest.  übergehen 
wollte,  entgegenzuhalten,  dies  sei  nicht  Gegenstand  des  an- 
hängigen Rechtsstreites.2)  Die  Beseitigung  der  Exceptio 
hätte  dann  den  Sinn,  daß  die  Klagänderung,  wemi  die  res 
dieselbe  und  die  neue  Klagform  zum  propositum  negotium 
passend  ist,  also  die  bloße  Änderung  der  Klagegattung  nicht 
verboten  ist.3) 

Dieselbe  Auffassung  der  Exceptio  non  impetratae  actionis 
ist  natürlich  auch  für  den  Prozeß  fin  minore  iudicio'  mög- 
lich.    Hier    läßt    sich    aber    allerdings    noch    an   ein    Anderes 


1)  Völlig  mißverstanden  scheint  freilich  der  Sinn  der  Bestimmung 
in  der  westgotischen  Interpretation  des  Gesetzes. 

2)  Daraus  folgt,  daß  ich  den  Schluß  auf  die  Kegelmäßigkeit  eines 
besonderen  Impetrationsdekrets  im  iudicium  maius  nicht  für  zwingend 
halte.  Daß  ea  trotzdem  üblich  gewesen  sein  kann,  läßt  sich  natür- 
lich nicht  a  priori  bestreiten. 

3)  Also  z.  B.  Übergang  von  a°  mandati  zu  a°  neg.  gest.  bei  im 
wesentlichen  unverändertem  Tatbestand. 


120  Ludwig  Mitteis: 

denken,  nämlich  daran,  daß  man  vor  dem  Judex  pedaneus 
einwendete,  vor  dem  Magistratus  maior  habe  gar  keine  Editio 
actionis  stattgefunden,  darum  auch  keine  Impetratio. 

Nun  läßt  sich  freilich  dagegen  bemerken,  was  schon 
oben  (S.  ii 8)  gesagt  wurde:  Wenn  der  Maior  einen  Delegatar 
bestellt,  überträgt  er  ihm  auch  das  Recht  zur  selbständigen 
Datio  actionis,  die  Einwendung  sei  also  offensichtlich  grund- 
los. Und  in  der  Tat,  wenn  die  früher  (S.  101)  vertretene  Ver- 
mutung das  Richtige  trifft,  daß  die  durch  bloße  vitoyQccfpi] 
erfolgende  Delegation  des  Statthalters  an  den  Epistrategen 
{evtv%e  tc  STtiörQanjyGj)  eine  wahre  Judexbestellung  enthält, 
hätten  die  Statthalter  in  diesen  Fällen  die  Exceptio  nicht 
befürchtet.  Denn  da  die  bloße  vnoyQacpy]  keine  Entscheidung 
pro  tribunali  enthält,  fehlt  es  hier  sicher  an  einer  vom  Statt- 
halter bewilligten  Actionis  impetratio  im  technischen  Sinn, 
und  doch  ist  diese  vnoyQucp't]  ganz  alltäglich  gegeben  worden. 

Wenn  ich  trotz  dieser  Erwägung  es  für  möglich  halte, 
daß  die  Exe.  non  imp.  act.  auch  in  dem  zuletzt  bezeichneten 
Sinn  gebraucht  worden  ist,  so  bestimmt  mich  hierzu  einer- 
seits die  Bemerkung  in  Lips.  38  I  16,  wo  der  Statthalter  es 
besonders  betont,  daß  er  'ijör]  zcä  tcqo  ixdööscog  xibv  vtco- 
^vrifidrcov''  den  Propoliteuomenos  zum  Judex  pedaneus  be- 
stelle, und  anderseits  die  eine  Partei  daran  die  Bitte  knüpft, 
er  möge  ihre  Einreden  besonders  formulieren.  Dazu  kommt 
noch  folgende  Beobachtung:  Wie  ich  schon  an  früherer  Stelle 
bemerkt  habe,  scheint  es  ursprünglich  auch  bloß  bei  hoch- 
gestellten Delegataren  üblich  gewesen  zu  sein,  ihnen 
die  Verhandlung  mit  der  einfachen  Subskription  *£vtv%£  reo 
Öelvi  zu  überreichen.  Die  niederen  Beamten,  wie  Strategen 
oder  sonstige  xqixocl,  werden,  das  wird  sich  unten  noch  zeigen 
(S.  123),  ganz  regelmäßig  in  einer  Verhandlung  pro  tribu- 
nali durch  mündliches  Dekret  bestellt.  Hier  hat  also  vor 
der  Judicis  datio  stets  eine  wirkliche  Editio  und 
Ordinatio  actionis  vor  dem  Statthalter  stattgefunden. 
Es  hatte  das  wohl  auch  seinen  guten  Grund:  die  Fragen,  ob 
eine  Zivilprozeßsache  vorliegt,   ob   das  Gericht  zuständig  ist, 


Zur  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinlbitung.     121 

ob  die  Parteien  die  Partei-  und  Prozeßfähigkeit  besitzen  und 
gehörig  vertreten  sind,  sind  für  den  Prozeß  von  so  fundamen- 
taler Wichtigkeit,  daß  man  ihre  Entscheidung  zwar  einem 
Epi  Strategen,  nicht  aber  einem  doch  ziemlich  untergeordneten, 
vielleicht  auch  nicht  von  rechtskundigen  Assessoren  beratenen 
Beamten  anvertrauen  mochte.  Diesem  überließ  man  nur  die 
Entscheidung  der  bereits  instruierten  Sache.1) 

Wenn  das  wirklich  ständige  Praxis  gewesen  sein  sollte, 
wäre  es  nicht  unbegreiflich,  daß  man  dann  in  Fällen,  wo 
ein  Magistrat  sich  darüber  hinaussetzte,  an  eine  Exceptio 
non  impetratae  actionis  dachte.  Man  konnte  sie  etwa  so 
begründen:  Da  die  Bestellung  eines  derartigen  Judex  peda- 
neus  hergebrachtermaßen  erst  nach  der  Edition  vor  dem  Statt- 
balter  erfolge,  könne  es  im  gegebenen  Fall,  wo  es  an  dieser 
noch  fehle,  nicht  die  Meinung  desselben  gewesen  sein,  den 
Unterbeamten  zum  eigentlichen  Judex  zu  ernennen,  sondern 
dieser  sei  nur  als  Kommissar  mit  vorläufigen  Erhebungen 
betraut  (S.  122).  Wie  zweifelhaft  die  Grenze  zwischen  solchem 
bloßen  Kommissariat  und  eigentlichem  Richteramt  mitunter 
war,  wurde  ja  schon  bemerkt. 

Anhang. 
Zum  Schlüsse  will  ich  noch  einige  Worte  über  die  vom 
Präfekten   (oder   Dikaiodotes)    bestellten   Richter   hinzufügen, 
wobei    ich   zwischen    den   Papyri    der   früheren   und   späteren 
Zeit  nicht  speziell  unterscheide. 


1)  Auf  diesen  Gesichtspunkt  gehen  vielleicht  auch  die  bekannten 
und  oft  besprochenen  formelartigen  Instruktionen  an  diese  Unterrichter 
(Material  bei  Boulabd,  les  instructions  ecrites  1906)  zurück.  Ihr  Zweck 
ist  vermutlich,  außer  Zweifel  zu  setzen,  daß  und  über  welche  Punkte 
der  Beamte  bestellt  ist;  sie  sind  gleichzeitig  formulierte  Datio  actionis.  — 
Das  jüngste  Beispiel  davon  findet  sich  in  Oxy.  67  v.J.  338;  im  vollsten 
Gegensatz  dazu  steht  die  ganze  formlose  Verweisung  in  Lips.  38 
v.  J.  391.  Ob  hier  das  Jahr  342  eine  Grenze  bildet,  wo  bekanntlich 
alle  'Iuris  formulae'  abgeschatft  werden  (C.  I.  2,  57,  1),  wird  wohl  erst 
die  Zukunft  lehren.  —  Übrigens  ist  schon  die  Quasi-Formel  in  Oxy.  67 
nicht  mehr  pro  tribunali  erteilt  worden. 


i  2  2  Ludwig  Mitteis  : 

Vorweg  ist  zu  erinnern  ■ —  was  ich  schon  bei  früherem 
Anlaß  ausgeführt  habe1)  —  daß  man  mit  diesen  nicht  ver- 
wechseln darf  die  zu  bloß  kommissarischen  Erhebungen  be- 
stellten  Unterbeamten,  wo  der  Auftrag  immer  nur  geht  auf 
's%srcc6ai  nal  ävaTtifitpcci'  und  von  xqi'vhv  und  xQity]g  nie  die 
Rede  ist.  Man  vgl.  P.  Cattavi  Verso  II  4 fg.;  III  20 fg.;  V  20 fg.; 
BGU.  245  II  2—4;  388  II  9;  Straßb.  5,  18;  Wessely  Specini. 
tab.  11  Nr.  18  (cf.  Lond.  2  p  149);  BGU.  613.  i4(?);  Oxy.  237 
V  7  fg.  wo  etwa  mit  Gradenwitz  zu  lesen  ist  [vxeyQcal'w] 
tc5  ßißXtidia'  Ta  ötQatrjya  üiccqccv'ov,  ög  i^sraöag  hav  xi 
tfjg  £[ifjg  8iayvG)6s(oq  xatccXdßri,  h%  eph  avani^tpu^).  Die 
Bestellung  kann  bei  solchen  Kommissariaten  nicht  bloß  in 
der  mündlichen  Verhandlung  pro  tribunali,  sondern  auch 
schon  durch  Subscriptio  auf  den  einseitig  überreichten  Libell 
geschehen3),  wie  in  Oxy.  237  cit.  Zu  bemerken  ist  noch,  daß 
mit  dieser  niederen  Tätigkeit  niemals  ein  höherer  Beamter, 
namentlich  auch  nicht  der  Epistrateg,  belastet  wird,  sondern 
meist  der  Strateg. 

Ebensowenig  hat  es  natürlich  mit  Richterbestellung  zu 
tun,  wenn  Äoyo&hai  gegeben  werden.  Das  kommt  oft  vor, 
BGU.  77,  10.  245,  5/6.  613,  40.  969  II  11.  1019,  7/8;  Lond.  2 
p.  153  1.  8;  P.  Cattavi  Recto  II  3.  9/1  o;  Verso  III  28/29.  V  25/30; 
wie  die  letztgenannten  Stellen  zeigen,  gibt  selbst  der  Strateg 
mitunter  loyod-stut.  Diese  sind  aber  bloße  Rechnungsprüfer, 
ihre  Tätigkeit  ist  nur  Begutachtung  faktischer  Verhältnisse. 
Solche  werden  unter  dem  Namen  arbitri  (der  allerdings  auch 
andere  und  richterliche  Funktionen  bezeichnet)  auch  in  den 
Rechtsbüchern  oft  erwähnt:  D.  2,  8,  9;  49,  2,  2  arbitri  ad  fide- 

1)  Hermes  30,  581. 

2)  Durchaus  anders  lauten  die  in  derselben  Sache  auf  die  sm- 
erolai  des  Chairemon  ergangenen  Anschreiben  des  Präfekten  an  den 
Strategen  in  VI  16,  32 — 35.  Daß  jedoch  auch  hier  von  Judexbestellung 
keine  Rede  sein  kann,  zeigt  schon  der  Umstand,  daß  bloße  Erledigungen 
brieflicher  Gesuche  vorliegen.  Wie  der  Sachverhalt  war,  vermögen 
wir  im  einzelnen  nicht  zu  erkennen. 

3)  Ein  Judex  dagegen  wird  in  dieser  letzteren  Form  m.  E.  nur 
bestellt,  wenn  es  der  Epistrateg  sein  soll  (S.  100). 


Zur  Lehre  von  dem  Libellen  und  deb  Prozeszeinleitung.     123 

iussores  probandos;  14,  4,  7,  1  zur  Vornahme  der  Tributio; 
40,  1,5, 1  de  rationibua  excutiendis,  cf.  35,  1,  50;  40,  5,  37;  40, 
12,  43;  vgl.  auch  C.  J.  6,  47,  2,  2  (die  Grenze  gegenüber  dem 
richtenden  Arbeiter  ist  freilich  in  den  Digesten  mitunter  nicht 
scharf  gezogen). 

Eigentliche  Judexbestellung   liegt   nur   dort   vor,   wo  die 
Richtergewalt  verliehen  wird. 

Solches  findet  zunächst,  wenn  die  oben  (S.  ioifg.)  ange- 
nommene Deutung  der  Delegation  des  Epistrategen  (Sub- 
scriptio:  Ivxvys  r«  tTtiatQccTTJyo))  richtig  ist,  immer  schon 
durch  diese  Delegation  statt.  Juristisch  ist  der  Epistrateg  im 
Kognitionsverfahren  —  das  ja  in  Ägypten  wohl  das  aus- 
schließliche ist  —  bloß  Judex  pedaneus.  Von  andern  Rich- 
tern derart  unterscheidet  er  sich  in  seiner  bezüglichen  Funktion 
wohl  nur  dadurch,  daß  ihm  (wie  ich  vermute,  S.  104)  das 
ausnahmsweise  Recht  der  Subdelegation  überlassen  wird  und 
noch  durch  ein  zweites,  mehr  faktisches  Moment:  Wenn  die 
Delegation  des  Epistrategen  wie  ich  glaube,  regelmäßig  durch 
die  auf  den  ersten  Libell  gesetzte  Subnotation  *Zvtv%s  . . .'  er- 
folgt ist,  so  sind  ihm  die  Sachen  schon  von  ihrem  frühesten 
Entwicklungsstadium  mandiert  worden,  so  daß  schon  die 
Editio  actionis  und  Prüfung  der  Prozeßvoraussetzungen  ihm 
überlassen  blieb.1)  Das  war  zwar  unzweifelhaft  auch  bei 
andern  Judices  theoretisch  möglich  und  ist  im  vierten  Jahr- 
hundert gelegentlich  auch  nachweisbar  (Oxy.  67,  teilweise 
auch  Lips.  38,  oben  S.  117);  aber  in  der  früheren  Zeit  scheint 
bei  dieser  Kategorie  von  Unterrichtern  der  Statthalter  regel- 
mäßig die  Instruktion  des  Prozesses  selbst  vollzogen  zu  haben. 
Daß  er  z.  B.  einem  Strategen  einen  Libell  mit  einfachem 
evxv%e  reo  örQccrr^ö  überweist,  ohne  den  Vorbehalt,  daß  er 
bloß  kommissarisch  untersuchen  soll,  kommt  nicht  vor. 

Gehen  wir  nun,  indem  wir  vom  Epistrategen  (und 
Dikaiodotes)  absehen,   zu   den   übrigen  Niederrichtern  im  be- 

1)  Dasselbe  wird  man  wohl  auch  bei  Delegationen  an  den  dixcuo- 
86tr\g  —  sofern  dieselbe  etwa  noch  über  seine  offizielle  SpezialJuris- 
diktion hinaus  vorkam  —  annehmen  dürfen. 


124  Ludwig  Mitteis: 

sonderen  über,  so  finden  wir,  daß  ein  solcher  öfter  mit  der 
Bezeichnung  als  xgixtjg  oder  xoixi]g  xal  fisötxrjg  ernannt  wird; 
mitunter  ist  auch  von  dixccöxrjg  die  Rede.  So  wird  in 
BGU.  114  I  4/5  der  6xQccxrjybg  xrjg  xölsag  als  xQLtrjg  gegeben; 
in  BGU.  19  finden  wir  vom  Präfekten  einen  xQixijg  'Hqccx- 
Xsidrjg,  später,  vielleicht  nach  dessen  Tode,  in  derselben  Sache 
einen  xoixijg  Mevavdoog  bestellt.  Daß  die  xqlxcl  in  diesen 
Papyri  Judices  pedanei  sind,  besagt  schon  ihr  Name  und  wird 
für  BGU.  19  namentlich  dadurch  deutlich,  daß  der  zweite  von 
den  hier  gegebenen  sich  an  den  Statthalter  um  Rechtsbelehrung 
wendet  und  sie  ihm  auch  erteilt  wird,  aber  unter  dem  Vor- 
behalt (sl  fit]ösv  ixotöi]  [Ji£%Ql'  tovrov'.  Siehe  ferner  den  ge- 
wesenen Gymnasiarchen  als  xoixrjg  in  BGU.  592  II  2.1)  Ebenso 
scheinen  die  in  Oxy.  37  und  38  urteilenden  Strategen  xoixal 
zu  sein;  obwohl  die  Form  ihrer  Bestellung  nicht  ersichtlich 
ist,  wird  sie  doch  auf  Dekret  beruhen,  denn  der  eine  (Oxy.  37, 
II  8)  spricht  sein  Urteil  ' xaxä  xa  V7ib  xov  xvqlov  f}y£[i6vog 
xQL^■Evxa,  und  der  andere  *axoXov&ag  xolg  vitb  xov  rjye- 
(lövog  %Qo6xsxayiiivoig\  Wahrscheinlich  ist  auch  in  BGU.  136 
eine  xQtxrjg- Bestellung  gemeint,  obwohl  der  öxoccxrjyög  hier 
nicht  xQiTijg  genannt  wird,  sondern  nur  unter  gewissen  Vor- 
aussetzungen xä  TCQoötjxovxa  tcolsIv  soll.  Zweifelhaft  liegt 
der  Fall  in  BGÜ.  245  IL 

Besonders  zu  bemerken  ist,  daß  mitunter  den  Parteien 
die  Auswahl  des  Richters  überlassen  wird.  Zu  betonen  ist 
dabei,  daß  gerade  in  solchen  Fällen  derselbe  xoixrjg  nah  {iseCxrjg 
genannt  wird.2) 


1)  Auch  den  Kobortenpräfekten  Blaesius  Marianus  in  CPR.  18 
wird  man  hierher  stellen  können. 

2)  Partsch,  die  Schriftformel  im  röm.  Provinzialproz.  66  hat  an- 
genommen, daß  diese  Auswahl  der  Parteien  in  den  ersten  Jahrhunderten 
nur  ausnahmsweise  vorgekommen  sei.  Da  aber  zwei  Fälle  davon  be- 
zeugt sind  (Lond.  2  p.  153  und  Oxy.  653)  halte  ich  den  Vorgang  auch 
für  diese  Zeit  nicht  für  so  anomal.  —  Auch  auf  die  Auswahl  der 
hoyoQ-txui  ließ  man  den  Parteien  Einfluß,  Cattavi  Verso  III  29;  BGU. 
969  II  12. 


Zub  Lehre  von  den  Libellen  und  der  Prozeszeinleitung.     125 

Lond.  2  p.  153  1.  12  fg.  (Auszug  ans  einem  Verhandlungs- 
protokoll  des  dt,adE%6ii£vog  xbv  dixaiodÖTrjv,  Julianus,  Mitte 
des  2.  Jahrh.):  'lovXiavbg  (sc.  6  diadsybuevog  tu  xaxa  tijv 
dixaiodo6Ctci\  arg.  BGU.  1019,  11  — 12)-  'Evd-dds  dvv[axat  tö 
n-^r^Jua  Tttoag  e%elv.  "EXeö&e  ri'\rc:}  ßovXsöd-s  pi[  öizrjv . . .] 
ve^tiov  eIoj.ie'vov  zlou\lxio\v  xbv  B^y]yriXS'v[(5u\vx[a  xal\ 
'AyQixxeCvov  (jvyxaxccfrefievov,  'lovXiavbg  e'itcev  zl[o^C\xwg 
xid  ueGixevöt,  [v^]üv  xal  xqivsI,  xal  \t\rxbg  \oe\y.wztvxs  itt.it- 

OCOV    tt7CU<JTl6\t-)'l(TiO)  Xb    K>y]  t  |  >/ 1  aci]    diaXE^,o[. . .]  . .  ai. 

An  diesen  iiEßixiqg  xal  xQitijQ  /JouCxiog  richtet  sich  dann 
P.  Catt.  Verso;  s.  bes.  I  1 — 4. 

Auch  BGU.  1019  bezieht  sich  anscheinend  auf  dieselbe 
Angelegenheit. 

Oxy.  653  (Verhandlungsprotokoll  des  Präfekten  L.  Volusius 
Maecianus,  circa  160  p.C):  Maixiavbg  Eins'  (post  alia)  \TCva 
ßovkE6%-s\  öixa6xi}v  Xußsiv  KQr]7tuvov  Xiyovxog'  X)v  iäv  6v 
dtög,  Maixiavbg  eixev  ü  %iXiaQ%og,  bv  hexutieuxeiv  dixaiovfiEV. 

Lond.  3  p.  129  1.  15,  Protokoll  eines  übrigens  unbekannten 
Magistrats,  allerdings  Verwaltungssache;  (Magistrat:)  Tiva 
ßovXExat  dixu6xi}v.  77...  (sc.  eItie)'  Tbv  TtoaiTiöö'ixov  xov 
Ttdyov  xbv  xal  anuixovvxa  xa  drjn\6(5u<.  Magistrat:  'O  noai- 
Ttböixog   xov   xayov   \leto%v  xovxcov  diaXrjinpExal  xov  öixaiov. 

Welcher  Art  die  Sprüche  solcher  xoixal  xal  uEtiCxai 
waren,  zeigt  aber  der  Auszug  aus  dem  Protokollbuch1)  eines 
—  weiter  nicht  bekannten  Aquila  —  der  jedenfalls,  worauf 
das  Protokollbuch  schließen  läßt,  öfter  als  xoixrjg  xal  ^isGCxrjg 
bestellt  wurde  und  darum  gewiß  Beamter  war.  Wir  gewinnen 
wieder  den  Eindruck,  daß  es  sich  um  eine  Definitivsentenz 
handelt.      Er  formuliert  sie  so  (P.  Reinach  44): 

'E^  hv  v\xov6a,  axEyrjvd^v  (äoovQug)  ia  äyoQaö&fjvai 
Jiaoa  KXavdiag  u.  s.  f.,  (paCvovxai  eIvui  xotval  zliovvöiov  xal 
'JxoXXavCov  b{ioiag  dh  t«  ßäpaxu  (folgen  die  Namen)  xoivä 
eIvui  avxcov  cpaCvExai'  b^ioCoog  xdXavxov  xb  8avi6%-EV . . .  (paCvExai 
xäv  avx&v  xoivbv  alvai. 

1)  Solche  Protokollbücher  der  Judices  pedanei  kommen  öfter  vor; 
CPR.  18,  1;  BGU.  969  I  1. 

Phil.-hist.  Klasse  iqio.    Bd.  LXII.  10 


126    Ludwig  Mitteis:  Zun  Lehre  von  den  Libellen  usw. 

Ein  juristischer  Gegensatz  zwischen  diesen  von  den  Par- 
teien vorgeschlagenen  Richtern  und  den  vom  Statthalter  ein- 
seitig gegebenen  besteht  natürlich  nicht.  An  sich  läßt  sich 
vielleicht  denken,  daß  bei  Fragen,  bei  denen  ein  öffentliches 
Interesse  mitspielte,  den  Parteien  keine  Auswahl  gelassen 
wurde,  wie  denn  auch  später  Diocletian  für  Statusfragen  die 
Bestellung  von  pedanei  judices  ganz  verbietet  (C.  J.  3,  3,  2,  1) 
und  in  diesem  Sinn  mag  es  beachtlich  sein,  daß  in  dem  ein- 
zigen Fall,  wo  wir  nach  dem  Wunsch  der  Parteien  sicher  nicht 
gefragt  finden  —  BGU.  114  I  3  —  es  sich  um  die  Gültig- 
keit einer  Soldatenehe  zu  handeln  scheint.  Aber  natürlich 
ist  es  auch  für  alle  anderen  Prozeßsachen  der  feste  Grundsatz, 
daß  ein  Rechtsanspruch  der  Parteien  auf  eigene  Auswahl 
im  Kognitionsverfahren  nie  bestanden  hat. 

Eine  Gestattung  an  die  Parteien,  auf  die  Person  des 
Judex  pedaneus  durch  übereinstimmenden  Vorschlag  Einfluß 
zu  nehmen,  kommt  gelegentlich  auch  noch  im  Justinianischen 
Recht  vor  (Bethmann-Hollweg  Ziv.  Proz.  3,  126,  Belege 
ebenda  A.  51);  dagegen  sind  die  von  Justinian  in  C.  J.  2,  46, 
3,  1;  2,  3,  29,  2;  3,  1.  14.  1,  16.  18  genannten  Arbitri  electi 
nicht  hierher  zu  stellen,  sondern,  wie  WläSSAK  mir  freund- 
lichst bemerkt,  gewiß  einzuschränken  auf  den  Fall,  wo  die 
Parteien  den  ihnen  vom  ordentlichen  Richter  gegebenen  Judex 
refüsiert  haben  (vgl.  Bethmann-Hollweg  a.  0.  184 — 185, 
bes.  A.  53),  was  sich  in  der  Tat  aus  ihrer  Zurücksetzung  gegen 
diesen  (C.  J.  2,46,3,  1)  und  der  Reihenfolge  der  Aufzählung 
in  C.  J.  2,  3,  29,  1   ergibt. 


Druckfertig  erklärt  10.  IV.  1910.] 


127 


SITZUNG  VOM  5-  FEBRUAR  1910. 

Herr  Lipsius  legt  eine  Arbeit  von  Professor  Ilberg  über  die  Über- 
lieferung der  Gynäkologie  des  Soranos  von  Ephesos  vor  (für  die 
Abhandlungen), 

Herr  Leskien  trägt  vor  über  die  Dialektmischung  in  der  serbischen 
Volkspoesie, 

Herr  Fischer  über  die  Auflösung  der  Akkusativrektion  durch  die 
Präposition  li  im  klassischen  Arabisch  (für  die  Berichte). 

Es  wurde  für  drei  weitere  Jahre  ( 1 9 1  o — 191 2)  beschlossen,  das 
Corpus  Medicorum  Graecorum  mit  jährlich  500  M.  zu  unterstützen. 

Es  wurde  ferner  beschlossen,  den  Druck  der  in  Professor  Bremer' s 
Sammlung  kurzer  Grammatiken  deutscher  Mundarten  erscheinenden 
Arbeit  über  die  obere  Markgräfler  Mundart  mit  600  M.  aus  der 
Mende- Stiftung  zu  unterstützen. 


In  der  gemeinsamen  Sitzung  beider  Klassen  vom  2 1 .  Februar  1 9 1  o 
wurde  Herr  Johannes  Volkelt  zum  ordentlichen  Mitgliede  der  philo- 
logisch-historischen Klasse  gewählt. 


Fhil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LX1I.  1 1 


129 


ÜberDialektmischung  in  der  serbischen  Volkspoesie. 

Von 
A.  Leskien. 

Wer  mit  den  serbokroatischen  Mundarten  einigermaßen 
vertraut  ist,  merkt  beim  Lesen  serbischer  Volkslieder  auf 
Schritt  und  Tritt,  daß  viele  eine  Mischung  mundartlicher 
Eigentümlichkeiten  verschiedener  Gegenden  zeigen;  er  kann 
die  Erfahrung  machen,  daß  ein  ihm  irgendwo  erzähltes  Märchen 
den  reinen  Lokaldialekt  bietet,  dagegen  ein  ebenda  mitgeteiltes 
Lied  eine  Mischsprache.  Schon  Vuk  hat  sich  in  der  Einleitung 
seiner  zweiten  Sammlung  serbischer  Volkslieder  (Narodne 
srpske  pjesme,  Leipzig  1823  fg.)  I  S.  XXXIV  darüber  aus- 
gesprochen: „Wenn  irgendein  Lied  aus  der  Hercegovina  in 
das  Unterland  kommt,  wo  man  nicht  hercegoviner  Dialekt 
spricht,  so  singen  die  Leute  es  dort  nach  ihrem  Dialekt,  z.  B. 
devojka  deca  leto"  [nämlich  statt  djevojka  oder  devojka,  djeca 
oder  deca,  Ijeto  Veto]]  „aber  etwas  davon"  [vom  hercegoviner 
Dialekt  J  „bleibt  auch  in  vielen  Wörtern,  wo  es  nötig  ist,  daß 
die  volle  Silbenzahl  erreicht  werde,  z.  B.  lijepo,  bijelo,  vrijeme". 
Gemeint  ist  mit  den  letzten  Worten,  daß  die  Umsetzung  dieser 
Wörter  in  die  dem  devojka  entsprechende  Form,  also  lepo, 
belo,  vreme,  dem  Vers  eine  Silbe  kosten  und  ihn  zerstören 
würde,  der  Sänger  also  genötigt  ist,  die  fremddialektische 
Wortgestalt  beizubehalten. 

Ehe  ich  diese  Bemerkung  Vuks  näher  erläutere  und 
weiter  führe,  mache  ich  eine  Einschaltung  über  die  Mundarten 
der  Sprache,  so  weit  ich  sie  hier  brauchen  will.  Ich  möchte 
nämlich    meine  Abhandlung   auch   denen    zugänglich   machen, 


130  A.  Leskien: 

die  nicht  serbisch  verstehen,  weil  ich  meine,  die  hier  vor- 
liegenden Erscheinungen  können  eine  Analogie  bilden  zu 
ähnlichen  in  der  Volkspoesie  andrer  Völker.  Je  nach  der 
Behandlung  des  urslavischen,  gewöhnlich  mit  e  bezeichneten 
e- Lauts,  kann  man  die  serbo- kroatisch  Redenden  in  drei 
Gruppen  teilen:  1.  Ekavci  (Sing.  Ekavac,  d.  h.  E-sprecher): 
e  wird  e,  e  wird  e,  z.  B.  dedt  Großvater  ded,  svett  Licht 
svet1);  2.  Jekavci  (Jekavac,  Je-sprecher):  e  wird  je  (nach  r 
in  der  Regel  nur  e,  vor  j  i),  e  wird  ije,  djed,  svljet]  3.  Ikavci 
(Ikavac,  I- Sprecher):  e  wird  *,  e  wird  *;  did  svlt.  In  den 
folgenden  Erörterungen  beschränke  ich  mich  auf  diesen  in  die 
Augen  fallenden  und  leicht  merkbaren  Unterschied,  nehme 
also  auf  andre  dialektische  Eigentümlichkeiten,  auf  Erhaltung 
älterer  Sprachformen  in  den  Liedern  und  deren  Mischung  mit 
neueren  keine  Rücksicht,  weil  das  nur  anschaulich  gemacht 
werden  könnte  unter  Voraussetzung  einer  eingehenden  Kenntnis 
des  Serbischen,  seiner  Mundarten  und  seiner  Geschichte.  Wenn 
ich  noch  hinzufüge,  daß  der  hier  fast  ausschließlich  in  Betracht 
kommende  Vers  ein  Zehnsilbler  mit  Zäsur  nach  der  vierten 
Silbe  ist,  wird  man  die  folgenden  Beispiele  leicht  verstehen. 
Angenommen  der  Vers:  on  ne  ide  u  bijelu  crlivu  (er  ging 
nicht  in  die  weiße  Kirche)  stamme  aus  einer  jekavischen 
Gegend,  wie  denn  die  Form  bijelu  (=  urspr.  belq)  das  zu 
ergeben  scheint,  so  müssen  die  beiden  darauffolgenden  Verse 
lauten : 

vec  011  ide  u  to  polje  ravno 

te  on  sije  bjelicu  psenicu 
(sondern  er  geht  auf  das  ebene  Feld  und  sät  weißen  [buch- 
stäblich: Weißling]  Weizen).    In  Wirklichkeit  (Vuk,  Narodne 
srpske  pjesme  II,  Wien   1845,  No.  3  V.  5 — 6)  lauten  sie: 

vec  on  ide  u  to  polje  ravno, 

te  on  seje  belicu  psenicu. 

1)  Die  Akzentzeichen  „  -  ,  ,  bedeuten  alle  den  Hochton  des 
Wortes,  die  für  uns  hier  gleichgültigen  Unterschiede  sind  solche  der 
Quantität  (~  ,  gilt  für  lange  Silben)  und  der  Intonation  («  ~  fallend, 
v  r  steigend). 


Über  Dialektmischung  in  der  serbischen  Volkspoesie.     131 

Daneben  steht  V.  4  als 

on  ne  ide  u  bijelu  crkvu, 
d.  b.  also,  in  V.  6  sind  statt  der  jekavischen  Formen  sije 
bjelicu  die  ekavischen  seje  belicu  eingesetzt,  nach  Vi  KS  Auf- 
fassung, weil  die  mundartliche  Gestalt  dieser  Wörter,  da  sie 
so  oder  so  die  gleiche  Silbenzahl  haben,  für  den  Vers  gleich- 
gültig ist,  demnach  in  der  ekavischen  Gegend,  in  der  das  Lied 
aus  einer  jekavischen  gewandert  sei,  ohne  weiteres  seje  statt 
sije,  belicu  statt  bjelicu  gesungen  werden  konnte,  während  in 
V.  4  bijelu  stehen  bleiben  mußte,  weil  ekavisches  belu  (on  ne 
ide  u  belu  crkvu)  dem  Vers  eine  Silbe  geraubt  und  ihn  damit 
zerstört  hätte. 

Ein  Vergleich,  wie  Vuk  ihn  zwischen  jekavischer  und 
ekavischer  Mundart  anstellt,  ist  nun  eben  so  gut  möglich 
zwischen  ikavischer  und  ekavischer  oder  zwischen  ikavischer 
und  jekavischer;  z.  B.  die  folgenden  Verse  eines  Liedes  aus 
ikavischer  Gegend: 

da  on  vidi,  draga  dico  rnoja, 

da  1  istina  sto  zbori  svitina 
(damit   er   sehe,   mein   liebes   Kind,    ob   es  wahr  ist,  was  die 
Leute  sagen)  könnten  ebenso  gut  ekavisch  gesungen  werden: 

da  on  vidi,  draga  deco  moja, 

je  1  istina  sto  zbori  svetina, 
wie  auch  jekavisch: 

da  on  vidi,  drago  djeco  moja, 

je  1  istina  sto  zbori  svjetina. 
Aber  aus  demselben  Liede  könnte  der  Vers: 

beg  im  plina  pravo  podilio 
(der    Beg    verteilte    die    Beute    gerecht    unter    sie)    wohl    ins 
Ekavische  umgesetzt  werden: 

beg  im  plena  pravo  podelio, 
aber  nicht  ins  Jekavische: 

beg  im  plijena  pravo  podijelio, 
er  bekäme  dann  zwei  Silben  zu  viel  und  die  Zäsur  wäre  nicht 
da.     Ginge  also  ein  solches  Lied  in  jekavische  Gegend  über, 


132  A.  Leskien: 

müßte  der  dortige  Sänger  entweder  die  ikavischen  Formen 
beibehalten  oder  die  Stelle  ganz  umdichten.  Wenn  nun  in 
einem  sonst  ikavischen  Liede  ein  Vers  mit  jekavischen  Wort- 
formen vorkommt,  z.  B.: 

hodi  meni  niz  Bihac  bijeli  (ikav.  bili) 
(geh  mir  das  weiße  Bihac  hinab),  so  wäre  nach  Vuks  Auf- 
fassung das  so  zustande  gekommen,  daß  die  einst  jekavische 
Gestalt  des  Liedes  in  ikavische  umgesetzt  wäre,  wo  der  Vers 
es  erlaubte,  dagegen  jekavisch  geblieben,  wo  der  Vers  wider- 
sprach. Die  Sache  ist  ja  einleuchtend  und  bedarf  keiner 
weiteren  Ausführung.  Aber  der  von  Vuk  angenommene 
Vorgang  der  Wanderung  ist  nur  eine  der  Ursachen  der  Dialekt- 
mischung in  dieser  Poesie;  man  kommt  damit  nicht  aus. 
Wenn  es  z.  B.  in  demselben  Liede,  aus  dem  die  oben  ange- 
führten Verse  stammen,  heißt: 

kada  pasa  bilu  Biscu  side 
(als  der  Pascha  zum  weißen  Bihac  hinabkam),  oder 

namah  bilu  knjigu  napravio 
(sogleich  setzte  er  einen  weißen  Brief  auf),  so  können  diese 
Verse  —  abgesehen  von  anderen  Gründen  —  nicht  aus 
jekavischer  Lautform  umgesetzt  sein,  denn  da  ergäben  sie 
statt  bilu  ein  bijelu  und  die  Verse  hätten  eine  Silbe  zuviel, 
der  zweite  keine  Zäsur. 

Die  Vorgänge  sind  nicht  so  einfach,  wie  sie  nach  Vuks 
kurzer  Bemerkung  erscheinen.  Die  Dialektmischung  kann 
auf  dreierlei  Art  entstehen : 

1.  Durch  Wanderung  eines  Liedes  aus  seinem  ursprüng- 
lichen Dialektgebiet  (A)  in  ein  andres  (B)  und  Umsetzung 
des  Dialekts  A  in  den  Dialekt  B,  so  weit  der  Vers  es  erlaubt, 
oder  umgekehrt. 

2.  Die  Lieder  können  in  einem  Gebiet  entstanden  sein, 
wo  auch  die  tägliche  Rede  einen  Mischdialekt  darstellt. 

3.  Sänger,  die  selbst  einer  bestimmten  Lokalmundart  an- 
gehören und  nur  diese  sprechen,  kennen  und  übernehmen 
Lieder,  die  schon  eine  gemischte  Sprache  darbieten,  und  ahmen 
diese  Sprache,   die    dann  also  eine  künstliche  Dichtersprache 


Über  Dialektmischung  in  der  serbischen  Volkspoesie.     133 

ist,  nach,  wobei  sie  selbst  wieder  Formen  ihrer  Lokalmundart 
mit  verwenden  können. 

Von  dem  ersten  Punkt  war  schon  genügend  die  Rede; 
ich  gehe  jetzt  auf  die  Punkte  zwei  und  drei  ein: 

2.  In  der  Gegend,  in  der  ein  Lied  gedichtet  ist  und  ver- 
breitet wird,  kann  ein  wirklich  im  täglichen  Leben  gesprochener 
Mischdialekt  herrschen.  In  der  Sammlung  von  Luka  Mar- 
janovic  (Hrvatske  narodne  pjesme,  sto  se  pjevaju  u  Gornjoj 
Krajini  i  u  Turskoj  Hrvatskoj  I,  Agram  1864)  findet  man 
Lieder,  die  ein  buntes  Gemisch  von  ikavischer  und  jekavischer 
Mundart  zeigen,  z.  B.  No.   1 

V.  87  za  bile  se  uhvatise  ruke, 
88  u  bila  se  poljubise  lica 
(sie  faßten  sich  an  den  weißen  Händen,  sie  küßten  sich  in  das 
weiße  Antlitz);  jekavisch  wäre  bijela;  daneben 

93  i  sjedose  za  sofru  gotovu, 

94  vino  pili  tri  bijela  dana 
(und  sie  setzten  sich  an  den  bereiten  Tisch,  Wein  tranken  sie 
drei  weiße  Tage),  ikavisch  wäre  sidose,  bila, 

133  ti  ne  meci  tudjeg  za  djevera 
(du    mach    nicht    einen    Fremden    zum    Brautführer);    in    der 
Wiederholung  des  Verses  (170)  steht  ikavisch  divera] 

219  hazur  nam  je  lijepa  divojka 
(bereit  ist  uns  das  schöne  Mädchen), 

229  povedose  kicenu  djevojku, 
(sie  führten  her  das  geschmückte  Mädchen),  jekavisch  wäre 
lijepa  djevojka,  ik.  lipa  divojka,  kicenu  divojku.  Marjanovic 
bemerkt  dazu  im  Vorwort  S.  II:  „In  der  Gegend,  aus  der 
alle  diese  Lieder  sind1),  spricht  man  stokavischen  Dialekt, 
aber   zugleich    gemischt    ikavische    und   jekavische    Mundart. 


1)  Es  ist  die  sogen.  Obere  Grenze  (Krajina)  und  das  sogen. 
Türkische  Kroatien,  namentlich  die  Gegend  von  Bihac  an  der  Una, 
anf  bosnischem  Gebiet,  und  westlich  davon  an  der  Grenze  Kroatiens. 
Leider  hat  der  Sammler  nicht  die  einzelnen  Orte  angegeben,  aus  denen 
die  Lieder  stammen. 


134  A.  Leskien: 

Im  Tal  von  Bihac  spricht  man  so,  aber  nur  in  dem  Dorfe 
Zavalje  auf  unsrer  [d.  h.  österreichisch  -  kroatischer]  Seite. 
Weiter  hinein  nach  Bosnien  kann  ich  darüber  nichts  sichres 
aussagen,  aber  auf  unsrer  Seite  nahe  bei  Bihac  und  Zavalje 
spricht  man  entweder  rein  ikavisch  oder  rein  jekavisch.  In 
Bihad  und  Zavalje  hört  man  [jekavisch]  hijel  (bio)  bijeliti 
pobijelio  neben  [ikavisch]  büilica  bililja  [jekavisch  wäre  bjel-\ 
bjezati  neben  pöbici  und  pobiynuti  [jek.  -bjec'i,  -bjegnuti],  dijete 
(in  Bihac  auch  djete),  djeca  neben  dica\  sreca  srecan  neben 
nesrican,  sljeme  neben  slime,  sjediti  sjesti  [ikav.  siditi  sisti] 
neben  po-silo  [jek.  -sjelo],  c'erati  (eigentlich  tjerati)  neben 
potirati  und  potira,  vjera  neben  vira  und  neviran,  und  alles 
das  wird  eins  neben  dem  andern  gesprocheu,  aber  Ikavisches 
gibt  es  weit  mehr.  Was  so  in  der  täglichen  Rede  ist,  muß 
folglich  auch  in  dem  Liede  sein,  das  in  diesen  Gegenden  ge- 
sungen wird;  in  ihm  hört  man  dasselbe  Wort  bald  mit  i, 
bald  mit  ije  oder  je." 

Nimmt  man  diese  Worte  genau,  so  handelt  es  sich  eigent- 
lich uin  drei  Mundarten:  i.  reines  Ikavisch,  das  ist  die  ur- 
sprüngliche Mundart  der  Gegend;  2.  reines  Jekavisch,  das 
durch  Einwanderung  jekavisch  Redender  aus  südlicheren 
Gegenden  dahin  gekommen  sein  muß;  3.  eine  aus  Ikavisch 
und  Jekavisch  gemischte  schwankende  Sprechweise,  die  durch 
Mischung  der  Altheimischen  mit  den  Einwanderern  entstanden 
ist.  Es  ergibt  sich  von  selbst,  daß  auch  ein  in  einem  ikavischen 
Ort  einheimischer  Dichter  oder  Liedersänger  bei  der  nahen 
Nachbarschaft  der  eben  genannten  drei  Sprechweisen  den 
jekavischen  Dialekt  und  die  Mischmundart  oder  Lieder  aus 
diesen  kennen  kann,  und  daß  er  nach  der  Bequemlichkeit  für 
den  Vers  bald  die  Formen  der  einen,  bald  der  andern  Mund- 
art anwenden,  also  mischen  kann.  Man  darf  dann  natürlich 
aus  der  Sprache  solcher  Lieder  keinen  Schluß  auf  die  tägliche 
Rede  des  Sängers  oder  auf  die  Mundart  des  Ortes  machen, 
wo  sie  entstanden  oder  verbreitet  sind. 

Um  mir  eine   genauere  Vorstellung  zu  erwerben,  wie  es 
eigentlich  mit  der  Sprache  der  Lieder  aus   der  Krajina  steht 


Über  Dialekt.misciii inG   in  der  serbischen  Volkm-oksii:.     135 

—  ich  kenne  Land  und  Leute  nicht  aus  eigner  Erfahrung  — 
habe  ich  die  große  von  der  Matica  Ilrvatska  herausgegebene 
Sammlung  epischer  Lieder  vorgenommen  (Hrvatske  narodne 
pjesme,  skupila  i  izdala  Malica  Hrvatska.  Junacke  pjesme  I, 
Bde.  1 — 4,  Agram  1896 — 99).  Die  Bände  I,  3  u.  4  enthalten  die 
epischen  Lieder  muhammedanischer  Sänger  (d.  h.  islamitischer 
Serben),  zusammen  50  Lieder  mit  in  runder  Zahl  46000  Versen. 
Aus  dem  Munde  dreier  Sänger  stammen  davon  45,  und  zwar  9 
von  Salko  Vojnikovic  (zusammen  reichlich  8000  Verse),  13  von 
Becir  Islamovic  (nahe  an  12000  Verse),  2s  von  Mehmed 
Kolakovic  (in  runder  Zahl  19800  Verse),  also  fast  40000 
Verszeilen  sind  von  drei  Sängern  vorgetragen  und  nach  ihrem 
Vortrage  aufgezeichnet.  Die  Sänger  stammen  aus  dem  schmalen 
Grenzstrich,  der  sich  etwas  nördlich  und  südlich  von  Bihac 
an  der  bosnisch -kroatischen  Grenze  hinzieht,  und  sie  haben 
nach  ihrer  Angabe  ihren  Liedervorrat  von  Leuten  aus  der- 
selben Gegend  überkommen.  Außerdem  ist  der  Inhalt  der 
Lieder  der  Art,  daß  ihre  Entstehung  auf  die  Krajina  hinweist; 
die  Mundart  der  Gegend  ist  durchweg  ikaviseh.  Bei  der  Auf- 
zeichnung (von  1886  an)  waren  die  Sänger  60 — 70  Jahre  alt. 
Wir  haben  es  also  hier  mit  bestimmten  Angaben  über  Ort 
und  Personen  zu  tun.  Über  die  Herausgabe  der  Lieder  und 
die  Behandlung  der  Sprache  bei  der  Aufzeichnung  macht  der 
Herausgeber  Luka  Marjanovic  I,  3  S.  LIV  eine  kurze  Be- 
merkung: [bei  der  Herausgabe  der  Lieder  habe  ich  den  Grund- 
satz befolgt],  „das  Lied  soll  auch  im  Buche  so  sein,  daß 
sowohl  sein  Sänger  wie  auch  ein  Zuhörer  aus  Bosnien  wird 
sagen  können,  das  Lied  sei  so  geblieben,  wie  es  bisher  ge- 
sungen und  gehört  worden  ist.  Bis  in  kleine  und  unbedeutende 
Kleinigkeiten  sind  Anordnung,  Sprache  und  sprachliche  Eigen- 
tümlichkeiten beibehalten  worden,  alles  so  wie  wir  es  von 
den  Sängern  empfangen  und  aufgezeichnet  haben.  Die  Mund- 
art dieser  Lieder  ist  vorwiegend  die  ikavische,  die  jekavische 
kämpft  mit  ihr.  Auch  die  Formen  sind  vorwiegend  alt,  mit 
ihnen  kämpfen  die  neuen;  auch  das  ist  getreu  aufgezeichnet 
und  so  belassen." 


136  A.  Leskien: 

Wie  sieht  nun  eigentlich  die  Dialektmischung,  ikavisch 
mit  jekavisch,  in  diesen  Liedern  aus?  Zur  Beantwortung  der 
Frage  ziehe  ich  zunächst  Lieder  des  Becir  Islamovic"  heran. 
In  dem  Liede  I,  4  No.  42  (703  Verse)  kommen  in  runder 
Zahl  160  Beispiele  vor,  wo  die  Möglichkeit  eines  Wechsels 
zwischen  *  einerseits,  je  ije  andrerseits  gegeben  war,  aber  140 
haben  i\  achtmal  kommt  ije  vor  und  zwar: 

124  okreni,  sine,  Biscu  bijelome 
(wende  dich,  Sohn,  zum  weißen  Bihac); 

144  kad  je  saso  Biscu  bijelome 
(als  er  herabgekommen  war  zum  weißen  Bihac;  der  nächste 
Vers  lautet:    bilom   dvoru   Poprzenovica,  zum  weißen   Gehöft 
der  Poprzenovic  en) ; 

172  on  otisce  iz  bijela  Bisca 
(er  eilte  fort  aus  dem  weißen  Bihac;  vgl.  dazu  173  pa  izidje 
na  Zavalje  bilo,  und  ging  hinaus  auf  das  weiße  Zavalje); 

361   on  pogleda  pod  klanac  bijeli 
(er  schaute  die  weiße  Schlucht  hinunter); 

435  i  podaj  mi  hljeba  bijeloga 
(und  gib  mir  weißes  Brot;  ikavisch  wäre  hliba  biloga); 

440  dva  tri  hljeba  dade  bijeloga 
(zwei  drei  weiße  Brote  gab  er); 

448  a  izvadi  hljeba  bijeloga 
(und  zog  hervor  weißes  Brot). 

Also  siebenmal  Formen  des  gleichen  Wortes  in  formel- 
haften Wendungen.     Außerdem  kommt  nur  vor: 

439  dodade  mu  dvije  boce  vina 
(gab  ihm  dazu  zwei  Flaschen  Wein;  ikavisch  wäre  dvi). 
Stellt  man  dem  gegenüber,  daß  47  mal  in  diesem  Liede  l 
vorkommt,  wo  jekavisch  ije  stehen  würde,  so  wird  man  nicht 
zweifeln,  daß  dem  Sänger  oder  Verfasser  des  Liedes  der  Ge- 
brauch der  *)'e-Formen  ganz  ungeläufig  ist,  daß  er  sie  anwendet 
in  Nachahmung  formelhafter  Ausdrücke  aus  ihm  sonst  be- 
kannten Liedern.  Um  keinem  Irrtum  Raum  zu  geben,  muß 
ich  noch  bemerken,  daß  das  häufige  nije  (ist  nicht)  neben 
1.  sg.  nisam,  2.  nisi,    1.  pl.  nismo  usw.  (jekav.  nijesam  usf.) 


Über  Dialektmischung  in  der  .serbischen  Volkspoesie.     137 

nicht  zu  den  //e-Formen  gehört;  es  vertritt  zwar  altes  ne(sfo), 
ist  aber  nicht  dessen  Fortsetzung,  sondern  nach  der  Parallele 
sam,  si,  je  (ich  bin,  du  bist,  er  ist)  wurde  zu  ni-sam  (=  nestm)f 
ni-si  ein  ni-je  hinzugebildet.  Ebenso  kommt  in  jekavischen 
Gegenden  nisam,  nisi,  nismo  usw.  vor,  das  keine  unmittelbare 
Fortsetzung  von  nesim  usw.  ist  (dafür  steht  jekavisch  nijesam), 
sondern  hinzugebildet  zu  nije  (=  nc[sh~\). 

Häufiger  ist  in  diesem  Liede  e,  je  nach  jekavischer  Art,  wo 
man  ikavisch  i  erwartet,  24  Beispiele  (gegen  84  wo  ikavisches 
i  steht),  davon  gdje  (wo)  7  mal,  pre-  (Praepos.)  %rred  (Praep.) 
preko  6  mal,  vidjelica  4  mal,  gen.  hljeba  3  mal,  sjede  einmal, 
ceraju  (ikav.  wäre  tiraju)  1  mal;  dazu  könnte  man  noch  das 
hier  zweimal  vorkommende  (auch  sonst  in  diesen  Liedern 
nicht  seltene)  obi-dve  (beide)  rechnen,  aber  dve  kommt  ohne 
Verbindung  mit  obi-  nie  vor  und  entspricht  nicht  altem  dwe 
(jekav.  dvije,  ekav.  dve,  ikav.  dvi),  sondern  ist  nach  Analogie 
des  Nom.-acc.  plur.  (auf  -e)  der  Nomina  gebildet.  Dem- 
gegenüber vergleiche  man,  daß  neben  dem  einmaligen  sjede 
(setzte  sich)  13  mal  in  Formen  der  Verba  sjediti  sitzen, 
sjesti  sich  setzen  (so  lauten  sie  jekavisch)  das  ikav.  i  steht, 
neben  einmaligem  ceraju  9  mal  Formen  von  tjerati  in  ikavischer 
Gestalt  als  tirati-  der  gleiche  Vers  heißt  161:  da  ceraju 
Popovic-Jovana,  189  da  tiraju  Popovic-Jovana  (daß  sie  ver- 
folgen den  Jovan  Popovic);  neben  den  Beispielen  von  gdje 
steht  nigdi  (nirgend)  353,  und  was  charakteristisch  ist,  die 
gleichgebildeten  Ortsadverbien  auf  altes  -de  (jekav.  -dje)  kommen 
in  diesem  Liede  nur  mit  i  vor:  ondi,  ovdi,  tudi  (8  mal). 

Andre  Lieder  desselben  Mannes  ergeben  gleichartige  Ver- 
hältnisse: in  Lied  I.  4  No.  32  (457  Verse)  gäbe  es  116  Ge- 
legenheiten, jekavisches  je  und  ije  anzuwenden,  tatsächlich 
kommen  zwei  Beispiele  von  ije  vor: 

44  sisti  (jekav.  wäre  sjesti)  cemo  pod  cador  bijeli 

{setzen  werden  wir  uns  unter  das  weiße  Zelt); 

236  nego  same  dvije  buljubase 

(sondern    allein    zwei    Buljubaschen) ;     9    mal    daneben    dvi. 

Zehnmal  erscheint  je  e,  wo  ikavisch  i  zu  stehen  hätte,  davon 


138  A.  Leskien: 

5  Fälle  von  pre-  pred  preko  (daneben  3  vasA.  priko);  1  mal  njekom 
(^irgend  einem),  vgl.  die  beiden  Verse  384,  385: 

niki  nosi  osicenu  glavu 
(jekav.  wäre  njeki  nosi  osjecenu  glavu), 

njekom  strca  krvca  iz  nidara 
(jekav.  njekom  strca  krvca  iz  njedara), 

einer  trägt  das  abgeschlagene  Haupt,  einem  andern  spritzt 
das  Blut  aus  dem  Busen;  einmal  gdje  neben  dreimaligem 
ovdi  tudi\  zweimal  Formen  von  tjerati:  sacera  370,  nac'era  376. 
Es  handelt  sich,  wie  man  sieht,  um  die  wenigen  gleichen 
Wörter  wie  in  dem  erst  besprochenen  Liede. 

Ferner  I.  3  No.  12  (985  Verse);  es  gibt  da  166  Gelegen- 
heiten, wo  jekavisches  e  je  hätte  stehen  können  statt  der  ikav. 
Form  mit  i,  benutzt  sind  davon  34,  aber  wieder  in  merk- 
würdiger Weise:  10  mal  gdje  (dagegen  ni-gdi  559,  einmal  ovdiT 
3  mal  tudi),  5  mal  pred  (3  mal  prid),  8  mal  pre-  (4  mal  pri-)f 
einmal  preko  (2  mal  prilio),  4  mal  vjera  mit  seinen  Formen  und 
zavjerio  (5  mal  vira),  1  mal  bjezi  (imper.  lauf;  dagegen  9  mal 
Formen  von  bjeg-  mit  i),  einmal  sa-cero  68  (daneben  12  mal 
tira-),  einmal  sjede  (14  mal  sid-);  1  mal  nesreci  (dagegen  srica 
2j 3,  sritose  488,  863,  sritemo  847).  Von  den  Fällen  mit  pre- 
ist einer  belehrend: 

1 1 2  obi  s  pobre  hitre  pregodile 
(beide  Wahlbrüder  trafen  eilig  ein);  das  Verbum  heißt  in  allen 
Mundarten  nur  prigodiü  und  so  auch  in  andern  slavischen 
Sprachen,  die  Zusammensetzung  enthält  die  Präp.  pri-}  das  i 
ist  also  hier  ursprünglich;  der  Sänger  hat  eben,  da  in  seiner 
täglichen  Rede  pri-  (=  pre  -)  mit  pri-  (=  pri-)  zusammenfällt, 
ein  altes  pri-  fälschlicher  Weise  durch  pre-  ersetzt. 
Falsch  ist  wahrscheinlich  auch  umgesetzt 

298,  350  sto  se  j  krstu  presegmdo  svome 
(die  [der]  bei  ihrem  [seinem]  Kreuze  geschworen  hat),  wenig- 
stens ist  das  durchaus  gebräuchliche  Verbum  in  allen  Mund- 
arten pri-segnuti  (mit  altem  pri-).  Solche  mißverständliche 
Übertragungen  in  andre  mundartliche  Form  werden  wir  unten 
noch  mehr  finden.     Ferner:   84  mal  war  in  diesem  Liede  an 


Über  Dialektmischung  in  der  serbischen  Volkspoesie.     139 

sich  die  Möglichkeit  gegeben  jekavisches  ije  zu  brauchen  (ikav.  i), 
tatsächlich  kommt  es  fünfmal  vor: 

566  zakukase  dvije  kukavice 
(es  hüben  an  zu  klagen  zwei  klagende  Frauen  [eig.  Kukuke]); 

790  djogat  frei  s  desna  11a  lijevo 
(der  Schimmel  springt  von  rechts  nach  links).    Die  drei  andern 
Fälle  sind  verkehrte  Umsetzungen  eines  jekavischen  je  (=  e) 
in  ein  nirgends  mundartlich  mögliches  ije: 

556  dok  ja  svoju  spremim  dijevojhu 
(bis  ich  mein  Mädchen  reisefertig  mache); 

757  pa  Zlatiji  veli  dijevojci 
(dann  sagt  er  zu  dem  Mädchen  Zlatija); 

893  a  po  njemu  pade  dijevojlca 
(und  nach  ihm  fiel  das  Mädchen).  Das  Wort  lautet  jekavisch 
djevojka,  ekavisch  devojka  und  hatte  altes  e,  kann  demnach 
in  der  Avirklich  gesprochenen  Mundart  kein  ije  haben;  in 
unserm  Liede  steht  29  mal  das  dem  Dialekt  gemäße  divojka. 
Dem  dijevojka  werden  wir  noch  bei  einem  andern  Sänger 
unsrer  Sammlung  begegnen;  zunächst  möchte  ich  erwähnen, 
daß  es  einigemal  auch  in  andern  Liedersammlungen  vorkommt, 
so  bei  Vuk  (Srpske  nar.  pj.  I,  v  J.  1841)  No.  342  V.  35:  tere 
prosi  Mandu  dijevojku  (und  er  fordert  das  Mädchen  Manda); 
No.  730  V.  16:  onoga  cu  biti  dijevojka  (dessen  Mädchen  will 
ich  sein);  25:  kad  vidila  Mara  dijevojka  (als  es  sah  das 
Mädchen  Mara);  36:  to  je  majka  Mare  dijevojke  (das  ist  die 
Mutter  des  Mädchens  Mara).  Beide  Lieder  stammen  aus  Sinj 
in  Dalmatien  und  sind  ikavisch,  ich  setze  das  erste  vollständig 

7  O 

hierher,  weil  es  mir  darauf  ankommt,  auch  an  einem  andern 
Beispiel  als  an  denen  aus  der  Matica-Sammlung  die  Art  dieser 
Dialektmischungen  zu.  zeigen.  Die  in  Betracht  kommenden 
Wörter  sind  kursiv  gesetzt,  in  Klammer  dabei  die  jeweilige 
jekavische  oder  ikavische  Gestalt  des  Wortes: 

Dva  se  mlada  iz  mala  gledala, 

Ive  jedno,  a  Jelina  drugo. 

Kad  su  dragi  za  ljubljenje  bili, 

onda  Ive  Jelini  govori: 


140 


A.  Leskien: 


5  „0  Jelino,  draga  duso  moja, 

prosicu  te,  oces  za  me  poci?" 

A  Jelina  njemu  govorila: 

„0  Ivane,  drazi  od  ociju, 

ti  me  prosi,  ja  cu  za  te  poci; 
10  ma  cu  pitat  mile  moje  majke, 

oce  li  me  majka  dati  za  te". 

Ide  Jela  dvoru  bijelome  (ik.  bilome), 

paka  kaze  miloj  majki  svojoj: 

„0  starice,  mila  moja  majko, 
15  mene  prosi  Ire  dite  (jek.  dijete)  mlado; 

oces  li  me  dati  za  Ivana?" 

Majka  njojzi  jeste  govorila: 

„Nut,  ne  luduj,  Jelina  divojlo  (jek.  djevojko); 

tebe  ce  dat  majka  za  boljega, 
20  za  boljega  i  bogatijega." 

Ide  Jela  stadu  u  planinu, 

kaz'  Ivanu,  sto  je  i  kako  je, 

da  joj  ne  da  svoja  mila  majka. 

Pak  je  njemu  Jela  govorila: 
25   „Nut  Ivane,  moj  dragi  dragane, 

prosi  Mandu  moju  bratucedu, 

od  mene  je  i  visa  i  lipsa  (jek.  ljepsa) 

i  hijelim  (ik.  bilim)  ruvoin  bogatija." 

Na  to  njojzi  Ive  govorio: 
30  „Muc',  ne  luduj,  draga  Jele  moja; 

nek  je  Manda  i  lipsa  (jek.  ljepsa)  i  visa 

i  hijelim  (ik.  bilim)  ruvom  bogatija, 

kada  nije  mome  srcu  mila." 

Pak  on  ide  dvoru  bijelome  (ik.  bilome) 
35   tere  prosi  Mandu  dijevojhi  (jek.  djevojku,  ik.  divojku). 

prosio  je  i  dadose  mu  je, 

i  kicene  svate  sakupio. 

Idu  svati  po  lipu  divojku  (jek.  lijepu  djevojku). 

Kad   su   bili  isprid  (jek.  ispred)  bili  (jek.  bijeli[h])  dvora, 
40   isprid  (jek.  ispred)  dvora  Jeline  divojlce  (jek.  djevojke), 


Über  Dialektmischung  in  der  serbischen  Volkspoesie.     141 

ali  Jela  na  bilom  (jek.  bijelom)  pendzeru 

i  ugleda  svate  Ivanove. 

Pak  je  milu  majku  dozivala: 

„Nut  ti  boru,  moja  mila  majko, 
45   da  nie  budes  za  Ivana  dala, 

sad  bi  ono  moji  svati  bili." 

Kad  projdose  svati  mimo  dvora, 

zajauka  gizdava  divojka  (jek.  djevojka): 

„Brzo  k  meni,  mila  majko  moja, 
50  vrlo  me  je  sabolila  (jek.  -boljela)  glava, 

a  od  srca  da  dusa  izajde; 

daj  ti  meni  od  sanduka  kljuce, 

da  ja  sebi  traziui  likarije"  (jek.  ljekarije). 

Privari  (jek.  prevari)  se  majka  divojacJca  (jek.  djevojacka), 
55  i  dade  joj  kljuce  od  sanduka. 

Ide  ona  gori  u  cardake, 

paka  najde  dva  zlatna  gajtana, 

pak  se  visa  (jek.  vjesa)  kuli  0  pendzere. 

Zove  majka  Jelenu  divojku  (jek.  djevojku), 
60  ali  joj  se  Jela  ne  odziva. 

Kad  pogleda  kuli  uz  pendzere, 

al  se  mlada  obisila  (jek.  objesila)  Jela 

od  zalosti  za  SYOJim  Ivanom. 

Trci  majka  u  kulu  bijelu  (ik.  bilu), 
65  ter  prisica  (jek.  presijeca)  dva  zlatna  gajtana; 

pade  Jela  na  crnu  zemljicu. 

Misli  majka  da  je  zanimila  (jek.  zanijemjela), 

al  se  Jela  s  dusom  razdilila  (jek.  razdijelila). 

Kada  vidi  majka  divojacJca  (jek.  djevojacka), 
70  nacini  joj  lisena  (jek.  ljesena)  nosila, 

pak  je  nosi  putu  na  raskrsce, 

kud  <5e  proci  svati  Ivanovi. 

Kad  su  tuda  svati  izodili, 

inedju  sobom  oni  govorili: 
75  „Lipa  (jek.  lijepa)  dana,  milom  bogu  fala! 

Kad  sm'  ovuda  jucer  proodili, 


142  A.  Leskien: 

ovog  greba  ovdi  (jek.  ovdje)  nije  bilo." 

Od  srata  se  niko  ne  dosica  (jek.  dosjeca), 

vec  se  siti  (sjeti)  Ive  djuvegija, 
so  pak  je  njima  tijo  govorio; 

„Ajte  naprid  (jek.  naprijed),  gospodo  svatovi, 

ovo  je  greb  pobratima  moga, 

idem  se  zanj  bogu  pomoliti." 

Osta  Ive  na  grebu  Jeline, 
85  idu  svati  dvoru  u  naprida  (jek.  naprijeda).    , 

AI  s'  od  Ive  niko  ne  dosica  (jek.  dosjeca), 

vece  Manda  njegova  divojka  (jek.  djevojka), 

pak  je  ona  tijo  besidila  (jek.  besjedila): 

„Nut  divere  (jek.  djevere),  zlatni  moj  prstene, 
90  stid  je  mene  na  te  i  gledati, 

kamo  1  nije  s  tobom  oesiditi  (jek.  besjediti): 

gdi  (jek.  gdje)  je  nama  Ivan  djuvegija?" 

Onda  svati  natrag  se  vratili 

i  nadjose  Ivana  mladjana; 
95  misle  oni,  da  je  sanimio  (jek.  zanijemio), 

al  se  Ive  s  dusom  razdilio  (jek.  razdijelio) 

od  zalosti  za  Jelinom  svojom. 

Tu  mu  lipi  (jek.  lijepi)  grebak  iskopase, 

pored  Jele  Ivu  ukopase, 
100  kroz  zemljicu  ruke  sastavise, 

al  u  ruke  rumenu  jabuku, 

nek  se  znade,  da  su  dragi  bili. 

Maleno  je  vrime  (jek.  vrijeme)  postojalo, 

iz  momka  je  zelen  bor  nikao; 
105  iz  divojke  (jek.  djevojke)  vinova  lozica, 

i  fata  se  boru  za  ogranke 

ka'  divojka  (jek.  djevojka)  rnoniku  oko  vrata. 

Mili  boze,  na  daru  ti  fala! 

Bog  ubio  i  stara  i  mlada, 
110  ko  rastavlja  dva  mila  i  draga! 

Von  den  46  in  Betracht  kommenden  Beispielen  sind  5  in 
jekavischer   Form    und    in    lauter    formelhaften   Wendungen: 


Über  Dialektmischung  in  der  serbischen  Volkspoesie.     143 

dvoru  bijelome  12,  34,  u  fotdu  bijelu  64,  bijelim  rurom  28,  t>2) 
dazu  noch  das  dialektisch  überhaupt  falsche  dijevojJiU  35.  Die 
sonst  in  diesem  Paukte  rein  ikavische  Sprache  des  Liedes  hat 
diese  //('-Formen  also  offenbar  aus  der  poetischen  Sprache 
übernommen.  Man  kann  nur  fragen,  ob  die  ikavische  Laut- 
form aus  einer  andern  umgesetzt  sei;  das  kann  nicht  sein  aus 
jekavischer,  denn  da  wären,  wie  man  sich  durch  die  obigen 
Einklammerungen  überzeugen  kann,  15  mal  falsche  Verse 
herausgekommen;  dagegen  hätte  das  Lied  ursprünglich  ekavische 
Gestalt  gehabt  haben  können,  denn  statt  des  ikavischen  i  läßt 
sich  überall  ohne  Beeinträchtigung  des  Verses  e  einsetzen. 
Es  ist  auch  nicht  unmöglich,  daß  das  Lied  einmal  ekavisch 
gewesen  ist,  denn  ganz  nahe  stehende  Varianten  sind  in  dieser 
Form  verbreitet,  aber  auch  ein  solches  müßte  die  jekavischen 
Beimischungen  mit  ije  schon  gehabt  haben. 

Ich  gehe  jetzt  über  zu  der  Betrachtung  der  sämtlichen 
Lieder  des  Salko  Vojnikovic  (9  mit  8000  Versen).  Auch 
hier  zeigt  die  Gesamtheit,  daß  der  Sänger  seine  ikavische 
Mundart  anwendet.  Es  stecken  daneben  in  den  Liedern  je- 
kavische  Formen  mit  -ije-}  aber  wie  sich  zeigen  wird,  in  ganz 
eigner  Weise: 

I  3  No.  1   (1009  Verse): 
470,  488  deder  pravi  bijela  fermana 
(so  stelle  aus  den  weißen  Ferman); 

498  a  ne  saljes  bijela  fermana 
(und  du  schickst  nicht  einen  weißen  Ferman); 

988  car  mu  dade  bijela  fermana 
(der  Sultan  gab  ihm  einen  weißen  Ferman). 

I  3  No.  4  (851  Verse): 

250  pruzi  njemu  bijela  fermana 
(händigte  ihm  ein  den  weißen  Ferman); 

200  da  j  on  snio  bijela  fermana 
(daß  er  gebracht  hat  den  weißen  Ferman); 

460  pa  s  mi  dati  bijela  fermana 
(und  du  wirst  mir  geben  den  weißen  Ferman); 

PhU.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  1 2 


144  A.  Leskien: 

832?  &33  dva  Pu^  "bila  prevelika  crkva, 
a  tri  puta  bijela  dzaniija 

(zweimal  eine  weiße  sehr  große  Kirche,  und  dreimal  eine 
weiße  Moschee;  jekavisch  wäre  832  bijela,  ikavisch  privelika, 
833   ikavisch  bila). 

I  3  No.  5  (1052  Verse): 

296  deder  pravi  bijele  fermane 
(so  stelle  aus  weiße  Fermane); 

308  de  mi  pravi  bijele  fermane     (dasselbe); 

SS  3  kad  rasuo  bijele  fermane 
(als  er  die  weißen  Fermane  ausgesandt  hatte). 
I  3  No.  11   (639  Verse): 

393  bila  mu  brada  |  a  calma  bijela 
(weiß  sein  Bart  und  weiß  der  Turban),  der  Vers  hat  vor  der 
Zäsur  eine  überzählige  Silbe,  das  mu  könnte  gestrichen  werden 
als  entbehrlich;  das  erste  „weiß"  ist  ikavisch,  bila,  das  zweite 
jekavisch,  bijela). 

372 — 375  gdje  smo,  pobro,  kosti  zanijcli, 
ti  da  s  vila  pa  da  inias  krila, 
ne  bi  t  pera  tela  iznijela, 
vire  m,  pobro,  na  nasu  Udvinu 

(wohin  wir,  Bruder,  die  Gebeine  vertragen  haben,  wärest  du 
eine  Vila  und  hättest  Flügel,  nicht  würden  deine  Flügel 
[buchstäblich  „Gefieder"]  den  Leichnam  herausgetragen  haben 
bei  meiner  Treu,  Bruder,  zu  unserm  Udvina).  Die  Verse  sind 
ein  Muster  von  Dialektmisch ung:  gclje,  zanijeli,  iznijela  jekavisch 
(ikavisch  wären  gdi,  zanili,  iznila),  tela,  gen.  von  telo,  ist 
ekavisch  (jek.  üjelo,  ikav.  tilo).  Das  Glossar  des  Bandes  macht 
die  Bemerkung,  tilo  komme  nur  in  einem  Liede  des  Islamovic 
vor.  Die  ekavische  Form  ist,  da  diese  Sänger  sonst  ekavi- 
schen  Dialekt  nicht  brauchen,  sonderbar,  ganz  unnötig,  da  das 
ikavische  tilo  durchaus  in  den  Vers  paßt.  Vojnikovic  hat 
für  telo  eine  ganz  besondere  Vorliebe;  in  seinem  Liede  I  3 
No.  5  kommt  es  nicht  weniger  als    15  mal  vor: 


Über  DiaiiEktmischung  ix  der  serbischen  Volkspoesie.     145 

674,  675  a  otisc'e  telo  Marusino, 

telo  pade  u  vodu  Prominu 
(und  stieß  weg  den  Leichnam  der  Mara,  der  Leichnam  fiel  in 
das  Prominagewässer); 

722  a  bacio  telo  Marusino 
(und  warf  den  Leichnam  der  Mara); 

760,    761    da    vadite    iz    vode    ledene, 
jedan  telo  Lehovkinje  Mare 
(daß  ihr  herausziehet  aus  dem  kalten  Wasser,  einer  den  Leich- 
nam der  Lehovkinja  Mara); 

773   ovde  vam  je  telo  Marusino 
(hier  ist  euch  der  Leichnam  der  Mara); 

778  izvadise  telo  Marusino 
(sie  zogen  heraus  den  Leichnam  der  Mara); 

780  u  djemiju  telo  povalili 
(ins  Schiff  warfen  sie  den  Leichnam); 

781  a  kod  tela  glavu  Marusinu 
(und  bei  dem  Leichnam  den  Kopf  der  Mara); 

784  ponesose  telo  Marusino 
(brachten  den  Leichnam  der  Mara); 

790  evo,  care,  tela  Marusina 
(hier,  Sultan,  der  Leichnam  der  Mara); 
846,  847  nek  opere  telo  Marusino, 

pa  uz  telo  nek  prisloni  glavu 
(daß   er   die  Leiche   der  Mara  wasche   und  an  den  Leichnam 
den  Kopf  anfüge); 

850,  851    on  oprema  telo  Marusino, 
uz  telo  joj  glavu  prislonise 
(er  richtete  her  den  Leichnam  der  Mara,  an  die  Leiche  fügten 
sie  ihren  Kopf) ; 

864  iznili  ste  (jek.  iznijeli)  ste  telo  Marusino 
(herausgetragen  habt  ihr  den  Leichnam  der  Mara).  Wäre  dem 
Sänger  oder  Dichter  etwa  die  jekavische  Wortform  tijelo  ge- 
läufig gewesen,  so  hätte  er  sie  mit  Leichtigkeit  anbringen 
können,  z.  B.  851  (wo  das  joj,  =  ihr,  durchaus  entbehrt 
werden  kann):  uz  tijelo  |  glavu  prislonise.    Man  kann  die  Sache 

12  * 


146  A.  Leskien: 

kaum  anders  verstehen,  als  daß  dem  Dichter  oder  Sänger  die 
ekavische  Form  bekannt  war,  das  Wort  tilo  vielleicht  in  seiner 
täo-lichen  Rede  ihm  nicht  recht  geläufig,  und  daß  er  telo  als 
eine  Art  poetischer  Form  angebracht  hat. 
I  3  No.  19  (10 17  Verse): 

211   od  bijela  Hlivna  kamenoga 
(von  dem  weißen  steinernen  Hlivno); 

892  odnese  ga  u  Hlivno  bijelo 
(brachte  ihn  fort  ins  weiße  Hlivno); 

1008  pak  je  clite  svijet  prominio 
(dann  ist  das  Kind  aus  der  Welt  geschieden,  wörtlich  „hat 
die  Welt  vertauscht");  rein  ikavisch  wäre  svitj  der  ganze  Vers 
müßte  jekavisch  lauten:  pak  je  dijete  svijet promijenio,  und  hätte 
dann  2  Silben  zu  viel;  er  enthält  eine  auch  sonst  wieder- 
kehrende Formel. 

I  3  No.  21   (499  Verse): 

420  Soric  dvije  desnom  i  livakom 
(Soric  zwei  [Pistolen]  mit  der  rechten  und  der  linken);  das 
einzige  Beispiel,  obwohl  beinahe  50  mal  an  sich  Gelegenheit 
zur  Anwendung  von  ije  vorhanden  war.  Es  hätte  hier  ebenso 
gut  stehen  können  statt  des  substantivischen  livakom  (jekav. 
Ijevdkom  zu  Ijeväk  Linkhändiger)  und  sogar  passender  Hjevom 
in  jekavischer  Form;  die  Formel  desnom  i  lijevom  kommt 
sonst  vor,  dieser  Sänger  hat  sie  aber  vermieden. 
I  3  No.  2T,  (181  2  Verse): 

902  uz  bijelu  Alaginu  kulu 
(hinauf  zum  weißen  Turmhaus  Alagas); 

1392  bila  mu  bradu  a  calma  bijela 
(derselbe  Vers  wie  oben  S.  144); 

64  nije  1  koji  svijet  prominio 
(dieselbe  Formel  wie  oben  I  3  No.  19  V.  1008); 

881   sve  na  njemu  Tale  popijeva, 
otpiva    mu  Radojica  mali 
(immer   singt  auf  ihm   [dem  Rosse]  Tale,   ihm  antwortet  im 
Gesang  der  junge  Radojica);  im  zweiten  Verse  wäre  jekavisch 
ot-pijeva. 


Über  Dialektmischunq  in  der  serbischen  Volkspoesie.     147 

908  a  sve  Tale  vice  dijevojku 
(und  immer  ruft  Tale  das  Mädchen); 

627  kad  to  cula  lipa  dijevojlca 
(als  das  hörte  das  schöne  Mädchen);  dijevojJca  ist,  wie  oben 
bemerkt,  dialektisch  überall  unmöglich;  der  letzte  Vers  ist  um 
so  bemerkenswerter,  als  der  Sänger  mit  zwei  richtigen  jekavi- 
schen  Formen  Ujepa  djeoojhx  einen  tadellosen  Vers  hätte  liefern 
können  und  damit  mundartlich  folgerichtige  Formen;  er  hat 
also  keine  Empfindung  für  die  jekavische  Mundart.  Übrigens 
gab  es  in  dem  Liede  noch  172   Gelegenheiten  zu  -ije-, 

I  4  No.  35  (334  Verse),  kein  ije,  obwohl  es  mehr  als 
20  mal  hätte  vorkommen  können. 

I  4  No.  45  (966  Verse): 

852   meni  valja  srijet  prominiti 
(ich  muß  aus  der  Welt  scheiden); 

965  dok  je  neue  svijet  prominila 
(bis   die   Mutter   aus   der  Welt  geschieden   ist);   also    dieselbe 
Formel  wie  S.  146. 

Es  scheint  mir  völlig  klar,  daß  die  Dichter  dieser  Lieder 
nicht  in  einem  solchen  Mischdialekt  gedichtet  haben,  der 
neben  ikavischem  i  (=  urspr.  e)  unterschiedslos  oder  in  größerer 
Ausdehnung  eine  jekavische  Beimischung  von  ije  hatte,  sondern 
daß  sie  formelhafte  Wendungen,  die  sie  einmal  aus  Volks- 
liedern mit  gemischten  ikavischen  und  jekavi sehen  Formen 
gelernt  hatten,  weiter  verwenden,  auch  wohl  gelegentlich 
weitere  jekavische  Formen,  die  ihnen  von  irgendwoher  bekannt 
sein  konnten,  einmischten,  also  eine  künstliche  Dichtersprache 
brauchen.  Wäre  es  anders,  so  wäre  es  völlia;  unbegreiflich, 
daß  bei  den  vielen  Hunderten  von  Möglichkeiten  zur  An- 
wendung des  jekavischen  ije  in  den  gesamten  8000  Versen 
nur  24  Beispiele  davon  vorkommen,  und  von  diesen  18  auf 
zwei  Wörter  entfallen:  14  auf  Formen  des  Wortes  für  „weiß", 
bijela  usw.,  4  auf  svijet]  daß  zweimal  falsches  dijcuojha  steht. 
Als  nicht  formelhafte  Anwendungen  bleiben  nur  4:  sanijeli, 
iznijela,  dvije,  popijeva. 

Die  jekavischen  Formen  mit  je  (nach  r  nur  e)  =  urspr.  e 


148  A.  Leskien: 

an  Stelle  der  ikavischen  *  sind  in  allen  Liedern  weit  häufiger. 
Es  wäre  weitläufig  und  auch  unnütz,  alle  daraufhin  durch- 
zugehen, ich  begnüge  mich  mit  einem  (I  3  No.  23),  das  durch 
seine  Länge  (181 2  Verse)  eine  Menge  Möglichkeiten  bietet, 
und  mit  einem  für  diesen  Sänger  ungewöhnlich  kurzen  (I  4 
No.  35  mit  334  Versen).  Das  letzte  ist  charakteristisch:  je,  e, 
wo  ikavisch  i  stehen  sollte,  kommt  vor  in  der  Präposition 
pre-  (4  mal),  in  gdje  (wo,  1  mal),  ovde  (hier,  2  mal;  darüber 
s.  u.),  Gelegenheit  zur  Anwendung  des  je  hätte  es  außerdem 
34  mal  gegeben.  Damit  vergleiche  man  das  Lied  I  3  No.  23 
mit  seinen  181 2  Versen:  gdje  (16 mal;  5 mal  di  =  gdi,  die  ikav. 
Form);  onde  ovde  tude  (zusammen  9  mal;  1  mal  wird  ovdje 
geschrieben);  pre-  (6  mal;  dagegen  pri-  16  mal);  pred  (3  mal; 
jarid  8  mal);  alles  andre  sind  verstreute  Fälle:  njesto  928; 
bjezi  bjezis  1441,  1446  (dagegen  5  mal  Formen  von  bjegnuti 
mit  i);  pri-cera  1592  (16  mal  Uro-);  ujela  996,  1291;  Stjepa- 
novoj  Stjepane  415,  814  (12  mal  Supern)]  trebovati  746,  823 
(5  mal  tribovati  und  potriba)-  vjeru  392  (9  mal  vira  und  viran). 
Wenn  man  sämtliche  Lieder  durchnimmt,  so  wiederholt  sich 
stets  dieselbe  Erscheinung:  außerordentlich  häufig  ist  gdje, 
dagegen  gdi  (di)  verhältnismäßig  selten,  sehr  häufig  onde 
ovde  tude1)  (daneben  ovdi  ondi  tudi)]  sehr  beliebt  sind  pre- 
(neben  sehr  häufigen  pri-)  und  pred  (neben  prid) ;  alle  andern 
sind  sporadische  Fälle.  Es  ist  nun  sehr  wohl  möglich,  daß 
die  Gruppe  von  Menschen,  denen  der  Sänger  angehört,  wirk- 
lich auch  im  täglichen  Leben  gdje,  pre-,  pred  u.  a.  neben 
gdi  (di),  pri-,  prid  usw.  brauchen,  dann  ist  die  Mischung  in 
den  Liedern  ein  Reflex  der  wirklich  so  geredeten  Sprache. 
Aber  gegen  manches  habe  ich  Bedenken  und  den  Verdacht, 
daß  der  Sänger  eine  poetische  Sprache  reden,  in  seinen  Vortrag 
gewissermaßen  etwas  Vornehmeres  oder  Auffallendes  hinein- 
bringen will.     Daß  der  Mann    z.  B.  den  Namen  Stipan  (Ste- 

1)  Diese  Formen  sind  an  sich  unregelmäßig,  jekavisch  ist  ovdje 
usw.,  ikavisch  ovdi;  ovde  onde  tude  sind  ekavische  Formen,  oder,  was 
ich  freilich  bezweifle,  gehen  überhaupt  nicht  auf  das  Formans  -de, 
sondern  auf  -de  {omde  ov^de)  zurück. 


Über  Dialektmischung  in  der  serbischen-  Volkspoesie.     149 

phanus)  im  täglichen  Leben  in  dieser  Form  braucht,  ebenso 
rira,  scheint  mir  aus  den  oben  gemachten  Angaben  hervor- 
zugehen; es  fällt  ihm  dann  ein,  gelegentlich  vereinzelte  Male 
Stjepan  und  vjcra  anzuwenden.  Noch  in  andern  Fällen  scheint 
mir  eine  solche  Tendenz  sichtbar:  I  3  No.  23  V.  78,  89,  164 
steht  3.  sg.  aor.  Mi  (wollte)  =  altem  chtte-  daneben  kommt 
vor  V.  1496  cede,  V.  704,  711  das  pari  praet.  fem.  cela,  202 
msc.  cio-  das  sind  Formen  der  südlichsten  serbischen  Mund- 
arten, in  denen  t  mit  einem  aus  urspr.  e  hervorgegangenen 
j-Laut  (tj)  zu  6  wird,  z.  B.  [Iijcela  für  htjela\  ikavisch  würden 
die  Formen  lauten  lüde,  idio,  Idila.  In  dieselbe  Kategorie 
südlicher  Formen  gehört  auch  cerati  (treiben)  für  tjerati 
(==  terati);  ikavisch  ist  das  ungemein  häufig  in  den  Liedern 
gebrauchte  tirati,  und  mir  ist  es  nicht  zweifelhaft,  daß  die 
Sänger  im  täglichen  Leben  tirati  sprachen. 

Zur  Bestätigung  des  Gesagten  führe  ich  noch  die  Ver- 
hältnisse aus  Liedern  des  dritten  der  genannten  Säno-er, 
Mehmed  Kolakovic,  an.  Das  Lied  I  3  No.  3  (655  Verse) 
enthält  15  Beispiele  von  ije,  aber  alle  dieselbe  Formel  mit 
demselben  Wort: 

95,  96  saci  meni  Biseu  bijclome, 

da  vas  puscim  iz  BisVa  bijela 
([wollt  ihr]  zu  mir  kommen  zum  weißen  Bihac,  daß  ich  euch 
entlasse  aus  dem  weißen  Bihac) ; 

127  hod'te  meni  Biscu  bijelomc 
(geht  mir  zum  weißen  Bihac); 

134  otiskose  Ripcu  bijelome 
(sie  eilten  zum  weißen  Ripac); 

178  otiskose  Jajcu  bijelome 
(sie  eilten  zum  weißen  Jajce); 

200  na  Prisici  kod  Bisca  bijela 
(auf  Prisika  bei  dem  weißen  Bihac); 

230  i  odose  bijelu  Glamocu 
(und  sie  gingen  zum  weißen  Glamoc); 

254  ova  j  knjiga  od  Bisca  bijela 
(dieser  Brief  ist  vom  weißen  Bihac); 


150  A.  Leskien: 

356  u  avliji  pocl  kulom  bijelom 
(im  Hofe  tinter  dem   weißen  Turmhaus); 

443  kad  stigose  Biscu  bijelome 
(als  sie  anlangten  beim  weißen  Bihac); 

461   gledat  mejdan  kod  Bisea  bijela 
(zu  beschauen  den  Kampfplatz  beim  weißen  Bihac); 

585  ode  Drazic  Biscu  bijelome 
(es  zog  Dragic  zum  weißen  Bihac); 

610  hajmo,  Meho,  Biscu  bijelome 
(gehen  wir,  Meho,  zum  weißen  Bihac); 

619  ode  bane  Biscu  bijelome 
(es  zog  der  Ban  zum  weißen  Bihac); 

627  eno  glave  u  Biscu  bijelu 
(da  der  Kopf  im  weißen  Bihac). 

Dazu  ist  zu  bemerken,  daß  19  mal  daneben  Formen  des 
Adjektivs  „weiß"  mit  dem  ikavischen  i  vorkommen,  z.  T.  in 
den  gleichen  Formeln  wie  oben;  z.  B.: 

175  otiskose  do  Travniku  bilu 
(sie  eilten  zum  weißen  Travnik); 

266  vi  ne  id'te  Sarajevu  bilu 
(geht  ihr  nicht  zum  weißen  Sarajevo); 

300  svakom  mucno  bilu  Biscu  saci 
(jedem  ist  es  schwer  zum  weißen  Bihac  zu  gehen); 

591   kada  Drazic  bilom  Biscu  sadje 
(als  Drazic  zum  weißen  Bihac  hinabging). 

Der  Sänger  braucht  also  die  ihm  aus  Überlieferung  be- 
kannte unzähligemale  vorkommende  Formel  „weiße  Stadt"  in 
der  jekavischen  Form,  wenn  sie  ihm  für  den  Vers  bequem 
ist,  sonst  wendet  er  die  ihm  natürliche  ikavische  Gestalt  der 
Wörter  an.  Dieser  Sänger  hat  nun  eine  weit  größere  Vor- 
liebe für  je,  e  (statt  ikav.  {)•  in  dem  eben  behandelten  Liede 
fast  regelmäßig  gdje,  öfter  £>re-,  cerati,  vjera-,  in  seinen  andern 
Liedern  ebenso.  Es  kommt  dabei  ein  völlig  willkürliches 
Gemisch  heraus,  so  z.  B.  in  dem  Liede  I  3  No.  6  (563  Verse) 
neben  divojka  (21  mal)  djevojka  (6 mal),  vier  von  dieser  Form 


Über  Dialektmischung  in  der  serbischen  Volkspoesie.     151 

im  Bereich  der  Verse  218 — 240,  an  andern  Stellen  die  gleichen 
Verse  oder  gleichen  Wendungen  mit  divqßa,  vgl. 

218  da  ja  lipih  vidjam  djevojdka 
(daß  ich  die  schönen  Mädchen  sehe); 

221   eto  tebe,  eto  divojaka 
(da  hast  du,  da  die  Mädchen); 

25g  stoji  dreka  lipih  divojaka 
(da  erhebt  sich  Geschrei  der  schönen  Mädchen); 

237   dede  vikni  na  svoju  djevojlui 
(nun  rufe  nach  deinem  Mädchen); 

256  a  za  ruku  povuee  divojku 
(und  an  der  Hand  zog  er  das  Mädchen); 

240  sto  ce  ona  bena  od  djevojJce 

265  sto  ce  ona  bena  od  divojke 
(was  will  diese  Närrin  von  Mädchen). 

Dazu  kommt  in  diesem  Liede  nicht  ein  einziges  -ije-  vor, 
obwohl  22  mal  dazu  Gelegenheit  gewesen  wäre,  d.  h.  anstatt 
ikav.  I  (=  e)  jekav.  ije  hätte  verwendet  werden  können. 

Behält  man  im  Auge,  daß  die  Sänger,  die  einem  be- 
stimmten Lokaldialekt  angehören,  aus  dem  Gesamtvorrat  von 
Liedern,  den  sie  kennen,  Wortformen,  namentlich  formelhafte 
Wendungen  in  andrer  als  der  ihnen  einheimischen  mundart- 
lichen Gestalt  entlehnen,  so  kann  in  solchen  Fällen  von  einer 
Dialektmischung  auf  Grundlage  eines  bereits  so  gesprochenen 
Mischdialekts  nicht  die  Rede  sein,  sondern  der  ursprüngliche 
Dichter  hat  das  Lied  in  seinem  Dialekt  gedichtet  oder  dem 
Sänger  ist  es  in  einem  bestimmten  Dialekte  überliefert  worden, 
er  bedient  sich  aber  der  Freiheit  einer  in  rerum  natura  nicht 
vorhandenen  Dichtersprache.  Nun  kann  aber  der  Fall  ein- 
treten, daß  ein  in  dieser  Gestalt  vorhandenes  Lied  aus  dem 
Dialektgebiet  A  in  das  von  B  wandert  und  so  weit  es  möglich 
ist  in  dessen  Mundart  umgesetzt  wird;  dann  tritt  eigentlich 
eine  dreifache  Mischung  ein:  1.  Formen  der  Mundart  B,  in 
die  Formen  von  A  umgesetzt  werden  konnten,  soweit  jene  den 
Vers  nicht  stören;  2.  Formen  der  Mundart  A,  die  nicht  um- 
gesetzt   werden    konnten,    weil    so    der   Vers    zerstört    wäre; 


152  A.  Leskien: 

3.  stehen  gebliebene  Entlehnungen  aus  andern  Mundarten,  die 
schon  in  der  ersten  Fassung  enthalten  waren. 

Auch  das  läßt  sich  an  bestimmten  Beispielen  zeigen.    Bei 
Vuk  I  (v.  J.  1841)  behandeln  die  Lieder  No.  343,  344,  345  den- 
selben Gegenstand:  eine  Mutter  zwingt  ihren  Sohn  zur  Heirat 
mit  einem  ungeliebten  Mädchen;  in  der  Hochzeitsnacht  stirbt 
er  vor  Sehnsucht  nach  der  verlassenen  Geliebten;  diese  stirbt 
ihm  nach,  als  der  Trauerzug   bei  ihrem  Gehöft  vorbeikommt. 
Die   Lieder   sind  ganz  offenbar  aus  derselben  Grundlage  her- 
vorgegangen  und  decken  sich  z.  T.  wörtlich;  die  beiden  ersten 
sind  ekavisch,  das  dritte  jekavisch.     In  No.  343  (101  Verse) 
stehen  30  Fälle  mit  richtigem  ekavischen  e,  wo  jekavisch  je  e 
(=  e)  stehen  würde,    18  Fälle  mit  e  (=  e),  wo  es  jekavisch 
ije  heißen  müßte,  einmal  aber  kommt  eine  Formel  mit  ije  vor: 
ne   pust'   glasa    do    bijela   dana    40   (gib   keine   Nachricht  bis 
zum  weißen  Tage),  dazu  noch:  kupajte  nie  djulom  rumenijem 
35,    61    (badet    mich    in    rotem    Rosen wasser).      In    No.    344 
(126  Verse)  haben  30  Fälle,  wo  jekavisch  je,  e  stehen  würde, 
regelmäßig  ekavisch  e,  14,  wo  jekavisch  ije  nötig  wäre,  regel- 
mäßig   ekavisch    e,    nur   daneben   zweimal    die    Formel:    suze 
roni  niz   bijelo   lice    28,    84    (Tränen   vergießt    sie   das  weiße 
Antlitz  hinab).      Also   der   ekavische   Sänger  hat  hier  eine  in 
jekavischen  Liedern  natürliche  und  beliebte  Formel  übertragen; 
genötigt  war  er  dazu  an  sich  nicht,  vgl.  V.  41:  pak  devojki 
belo  lice  ljubi  (dann  dem  Mädchen  das  weiße  Antlitz  küßt  er). 
Das  dritte  Lied  No.  345  (etwas  länger  ausgesponnen,  230  Verse) 
ist  in  der  hier  überlieferten  Form  jekavisch,  aber  es  läßt  sich 
zeigen,  daß   es   einst   ekavisch   gewesen  ist.     Dabei  beweisen 
die  44  Fälle,  in  denen  je  =  altem  e  steht,  nichts,  denn  die 
sind    normal,    wenn    etwa    das    Lied    ursprünglich   jekavische 
Form  hatte;  aber  es  kommen   16  Fälle  vor,  wo  jekavisch  ije 
stehen  müßte  (=  altem   e)  und  alle  diese  sind  hier  einsilbig 
zu  lesen,  sonst  geht  der  Vers  nicht  aus.     Der  Herausgeber 
hilft   sich   hier   mit   der   Schreibung  'je,   also   als   wenn   eine 
Elision  des  i  stattgefunden  hätte.     Nun  kommt  es  tatsächlich 
in  jekavischen   Liedern  hie  und  da  einmal  vor,  daß  statt  ije 


Über  Dialektmischung  ix  des  serbischen  Volkspoesie.     153 

ein  einsilbiges  je  steht,  aber  nie  so  wie  hier.  Setzt  man  hier 
die  richtigen  ekavischen  Formen  ein,  wie  es  unten  in  Klammern 
geschieht,  so  sind  alle  Verse  in  Ordnung: 

12  l'jepom  (h'pom)  Fatom  Atlagica  zlatom; 
35  ajd'  Omere,  moje  b'jelo  (belo)  perje; 
40  vec  on  osta  u  b'jdome  (belome)  dvoru; 
57  ustr'jelice  (ustrelice)  mog  sina  jedina; 
73,  74  vadi  majka  svoju  b'jelu  (belu)  dojku, 
pa  zakline  svojom  b'jelom  (belom)  dojkom: 
103,  104   da  ti  pisem  do  dv'je  (dve)  do  tri  r'jeci  (reci), 
da  te  moja  ne  ob'jcdi  (obedi)  majka; 

ein  jekavischer  Sänger,  der  spricht:  do  dvije  do  trije  rijeci, 
dbijcdi,  konnte  unmöglich  solche  Verse  machen;  dieselben  Verse 
lauten  in  dem  ekavischen  Liede  No.  344  V.  61,  62: 

da  napisem  do  dve  do  tri  reci, 
da  te  moja  ne  obedi  majka, 

und  so  sind  sie  ursprünglich  beschaffen  gewesen,  Dialekt  und 
Vers  sind  dann  in  Einklang. 

151   kitite  me  cv'jecem  (evecem)  karannrjem 
(vgl.  damit  344  V.  65  nakiti  me  evecem  svakojakim); 
154,   170  pokraj  b'jela  <  bela)  Merimina  dvora; 
180  vrlo  miri  cv'je'e  (evece)  karanfilje; 
191   od  ljutice  sva  je  prebl'jedüa  (-bledila); 
217  mrtvo  tjelo  (telo)  na  zemlju  pustise; 
225  malo  vr'jeme  (vreme)  za  tim  postojalo. 

Nun  kommt  dreimal  in  dem  Liede  wirklich  ije  vor: 

108  ne  pust'  glasa  do  bijela  dana 

(der  gleiche  Vers  ebenso  343  V.  40); 

187  bas  Fatimom  Jijipom  djevojkom; 
208  pa  izlazi  pred  hijeJe  dvore. 

Also  die  Sache  liegt  so:  das  Lied  war  von  Haus  aus  ekavisch 
mit  einigen  jekavischen  Formeln,  die  -ije-  enthalten.  Diese 
Mischung  ist  in  eine  jekavische  Gegend  gekommen  oder  von 
einem  jekavischen  Sänger  aufgenommen,  die  dem  Jekavischen 


154  A.  Leskien: 

gemäßen  schon  vorhandenen  -ije-  blieben  dabei  natürlich  stehen, 
die  ekavischen  e  (=  e)  konnten  ohne  weiteres  in  je  umgesetzt 
werden,  die  ekavischen  e  (=  e)  aber  nicht  in  ije,  denn  sonst 
wären  alle  obengenannten  Verse  vernichtet  worden.  Wie  nun 
der  Vortragende  diese  vom  Herausgeber  b'jela  usw.  geschriebenen 
Formen  gesprochen  hat,  ob  biela  mit  diphthongischem  ief 
oder  ob  bjela  mit  Dehnung  des  e  (solche  Aussprache  hat  sich 
unter  besondern  Umständen  örtlich  ausgebildet),  läßt  sich  jetzt 
nicht  mehr  ausmachen. 

Vuk  I  No.  544  (übersetzt  bei  Talvj,  Volkslieder  der 
Serben  I  S.  58),  555  sind  zu  einem  großen  Teil  wörtlich 
übereinstimmende  Lieder  in  elfsilbigem  Versmaß,  Zäsur  nach 
der  vierten  Silbe.     No.  555  ist  ekavisch: 

Obvila  se  bela  loza  vinova 

oko  grada  oko  bela  Budima. 

To  ne  bila  bela  loza  vinova, 

vec  to  bilo  dvoje  mili  i  dragi. 

Oni  su  se  u  mladosti  sastali, 

a  sada  se  u  nevreme  rastaju. 

Jedno  drugom  na  rastanku  govori: 

„Podji,  drago,  podji,  srce,  u  napred, 

ti  ces  naci  jednu  bascu  gradjenu, 

i  u  basci  bokor  ruze  rumene. 

Ti  uzberi  jedan  strucak  ruzice, 

pa  ga  metni  u  nedarca  do  srca. 

Kako  vene  onaj   strucak  ruzice, 

'nako  vene  srce  moje  za  tobom." 

Ono  drugo  na  rastanku  govori: 

„A  ti  podji  malo,  duso,  u  natrag, 

ti  ces  naci  jednu  goru  zelenu 

i  u  gori  bunar  voda  studena, 

u  bunaru  jedna  casa  srebrna, 

i  u  casi  jedna  gruda  sne'zana. 

Pa  je  metni  u  nedarca  do  srca; 

kako  kopni  ona  gruda  snezana, 

'nako  kopni  srce  moje  za  toboin." 


ÜBER   DlALKKTMISCHUNG    IN    DES    SERBISCHEN  VoLKSPOESIE.       1 55 

Damit  vergleiche  man  No.  554,  jekavisch: 

Povila  se  b'jela  loza  vinova, 

ispod  b'jela  ispod  grada  ßudima. 

To  ne  bila  b'jela  loza  vinova, 

vec  to  bilo  Vjepo  Jovo  i  Mara. 

Oni  su  se  iz  malena  sledali, 

iz  malena  do  golema  djcteta. 

Kad  bi  vreme,  da  se  mali  sastanu, 

rastavi  ih  kurva  kueka  Budimka; 

ode  Jovo  i  odigra  alata, 

osta  Mara  drzeci  se  za  vrata. 

Jovo  Mari  polazeci  govori: 

„S  bogom  ostaj,  moja  ruzo  rumena!" 

„„Poso  s  bogom,  moj  siv-zelen  sokole!"" 

„Pred  tobom  su  do  tri  göre  zelene, 

u  jednoj  je  bunar  voda  studena, 

u  bunaru  jedna  casa  srebrna, 

i  u  casi  jedna  gruda  snijega] 

ti  je  uzmi,  pa  je  metni  u  njedra, 

pa  kad  prodjes  jedno  selo  i  drugo, 

ti  zagledaj  sebi,  duso,  u  njedra: 

kako  s'  topi  ona  gruda  snijega, 

'nako  s'  topi  srce  moje  za  tobom." 
Man  sieht  wieder  die  halbe  Umsetzung  ins  Jeka- 
vische:  bei  djeteta  (ekav.  deteta),  njedra  (ekav.  nedra)  macht 
die  eine  oder  die  andre  Lautgestalt  für  den  Vers  keinen 
Unterschied,  aber  lepo,  bela  vreme  konnten  nicht  zu  lijepo, 
bijela,  vrijeme  ohne  Vernichtung  der  Verse  umgestaltet  werden. 
Wo  der  Sänger  es  leicht  hatte,  mit  einer  andren  Wendung 
die  ekavische , Forin  durch  eine  jekavische  zu  ersetzen,  hat  er 
es  getan,  daher  statt  des  in  Nr.  555  V.  19,  21  stehenden  gruda 
snezana  (jekavisch  wäre  snjczana,  =  schneeiger  Ball)  einge- 
setzt ist  Nr.  5,54  V.  17,  21  gruda  snijega  (Ball  des  Schnees). 
3.  Die  bisher  behandelten  Lieder  gehören  alle  dem  soo-e- 
nannten  stokavischen  Mundartengebiet  an,  das  abgesehen 
von  der  behandelten  Spaltung  in  eine  ije-  je-,  eine  e-  und  eine 


156  A.  Leskien: 

«'-Gruppe  sprachlich  im  wesentlichen  gleichartig  ist  oder 
wenigstens  für  unsern  Zweck  so  angesehen  werden  kann.  Aus 
diesem  Gebiet  sind  aber  Lieder  auch  in  das  sogen,  cakaviscke 
(westliche)  Dialektgebiet  an  der  adriatischen  Küste  und 
namentlich  auf  den  dalmatinischen  Inseln  gewandert.  Ich 
will  hier  nur  Rücksicht  nehmen  auf  die  Insel  Lesina  (slav. 
Hvar,  Far,  d.  i.  das  antike  Pharos).  Der  Inseldialekt  weicht 
lautlich  und  formal  stark  von  den  stokaviscken  Mundarten 
ab;  hier  kommen  wesentlich  folgende  Eigentümlichkeiten  in 
Betracht:  1  1  steht  an  Stelle  von  jekavischem  ije  je  (wo  diese 
=  e  e  sind),  also  die  Mundart  ist  ikavisch;  silbenauslautendes 
l  geht  nicht  in  0  über,  z.  B.  pitai,  nicht  pitao),  es  wird  aber 
in  gewissen  Stellungen  stumm,  z.  B.  M  sam  (ich  bin  gewesen) 
für  Ml  sam  (stokav.  bio  sam) ;  statt  des  r- Vokals  steht  ar  (lang 
är)}  z.  B.  bardo  (Berg)  für  brdo\  auslautendes  m  von  Flexions- 
formen wird  n,  z.  B.  san  (ich  bin)  statt  sam;  dj  (ß)  wird  j, 
z.  B.  mlajahan  (jung)  für  mladahan;  Ij  (d.  h.  T)  wird  j,  z.  B. 
jubav  (Liebe)  aus  l'ubav  (ljubav);  statt  der  Endungen  des  Pro- 
nomens und  bestimmten  Adjektivs  -oga,  -omu  wird  gebraucht 
-ega,  -emu\  das  neutrale  Fragepronomen  lautet  da  (stokavisch 
sto)]  die  alten  Formen  des  Dat.,  Instr.,  Loc.  plur.  sind  erhalten, 
es  fehlt  der  Gen.  plur.  auf  -ä;  Aorist  und  Imperfektum  sind 
längst  außer  Gebrauch  und  ersetzt  durch  das  umschriebene 
Perfekt.  Anzugeben  ist  noch,  daß  der  zehnsilbige  Vers  im 
Küstenland  ursprünglich  nicht  heimisch  war,  sondern  für  das 
epische  Lied  die   15-  oder   1 6-silbige  Langzeile. 

Auf  Lesina  wurde  mir  vor  etwa  20  Jahren  von  einem 
dortigen  Sammler  ein  größeres  Heft  der  von  ihm  aus  dem 
Volksmunde  im  Jahre  1886  aufgezeichneten  Lieder  geschenkt. 
Das  Manuskript  ist  nicht  redigiert.  So  weit  es  sich  um 
Lieder  handelt,  die  festländische  Sagenstoffe  zum  Gegenstand 
haben,  sind  sie  vom  Festland  herübergekommen,  man  hat  aber 
auf  der  Insel  auch  versucht,  einheimische  Ereignisse  in  dem- 
selben Ton  zu  besingen.  Die  Sprache  ist  dann  ein  Gemisch 
aus  dem  einheimischen  Dialekt  und  zusammengerafftem  Material 
aus  dem  vom  Festland  übernommenen  Liedervorrat,  wo  es  für 


Über  Dialektmischi  ng  an  der  serbischen  Volkspoesie.     157 

Vers  und  poetischen  Ausdruck  wünschenswert  schien.  Davon 
einige  Beispiele;  die  für  die  Anschauung  in  Betracht  kommenvn 
Formen  sind  kursiv: 

koji  je  je  mladu  sagtfbio, 
likopal  je  kod  Omera  mlada. 
Na  junaku  zelen  bor  uzrasal 
(wer  die  junge  getötet  hat,  hat  sie  begraben  neben  dem  jungen 
Omer.    Auf  dem  Jüngling  erwuchs  eine  grüne  Fichte);  sagubio 
ist   stokavisch,   inseldialektisch   Aväre   sagubil;  itlojxil,   uzrasal 
sind    inseldialektisch,    stokavisch  wäre  ukopao  uzrasao.     Das 
Lied  stammt  vom  Festlande. 

„Projdte  me  se  zarad  boga,  braco, 

jer  sein  ubil  pobratima  moga." 

Paka  treec  i  do  svoje  kue'e, 

isce  robu  i  svoje  obuce, 

ono  zlato,  koje  imadise, 

paka  svoga  oca  zagrlise: 

„Ostan  s  bogon,  cajko  moj  pridreigi, 

ne  cemo  se  vec  nidar  sastati; 

jer  san  ubil  pobratima  moga." 

Stari  mu  je  cajko  besielio  usw. 
(„Laßt  mich  um  Gottes  willen,  Bruder,  ich  habe  meinen  Wahl- 
bruder erschlagen."  So  laufend  bis  zu  seinem  Hause  sucht 
er  seine  Kleider  und  Schuhe,  das  Gold,  das  er  hatte;  dann 
umarmte  er  seinen  Vater:  „Lebwohl,  mein  teurer  Vater,  wir 
werden  nie  mehr  zusammen  kommen;  ich  habe  meinen  Wahl- 
bruder erschlagen."  Der  alte  Vater  sprach  zu  ihm.)  —  Das 
Lied  behandelt  einen  auf  der  Insel  vorgefallenen  Todschlag 
und  ist  dort  verfaßt.  Zu  den  einzelnen  Formen:  san  ubil 
(stokav.  sam  abio),  bogon  (stokav.  -om),  prielragi  (jekav.  wäre 
predragi)]  besielio  ist  stokavisch  (inseldial.  besidü).  Das  zagrlise 
in  V.  6  (er  umarmte)  ist  eine  falsch  gebildete  Form;  es  müßte 
stehen  3  sg.  aor.  zagrli;  der  Sänger  kann  aber  zwischen  Aorist 
und  Imperfektum,  die  er  beide  in  der  gewöhnlichen  Rede  nie 
braucht,  nicht  sicher  scheiden,  und  hat  der  Aoristform  die 
Endung  -se  der  3   sg.  imperf.  angehängt. 


158  A.  Leskien: 

Aus   einem   Spottlied   auf  ein   Mädchen   aus   einem  Dorf 
der  Insel,  dort  entstanden: 

Od  prozora  i  bijela  dvora 
sto  se  vidi  sve  je  carna  gora, 
najlipsa  su  tvoja  ravna  poja. 


ti  c'es  s  njiman  prohodati  vrime 

Selcaniman  sviman  priprovidil. 
(Vom  Fenster  und  vom  weißen  Gehöft  was  man  sieht  alles 
schwarzer  Wald;  am  schönsten  sind  deine  ebenen  Felder  .... 
Du  wirst  mit  ihnen  die  Zeit  verbringen  ....  Allen  Selcanern 
hat  er  erzählt).  Zu  den  einzelnen  Formen:  bijela  ist  jekavisch, 
als  formelhafte  Wendung  aus  jekavischen  Liedern  stammend, 
vgl.  dagegen  die  richtig  ikavischen  najlipsa  (jekav.  -Ijepsd), 
vrime  (jekav.  vrijeme)]  carna  inseldialektisch  für  cma,  poja 
für  polja^  njiman,  Selcaniman,  sviman  sind  so  entstanden:  auf 
der  Insel  sind  die  Dative  pluralis  auf  -ma  (ßelcanima)  über- 
haupt nicht  gebräuchlich,  es  müßte  dort  heißen  njin  (für 
njim),  Selcanin  (für  -nim),  svin  (für  svim),  die  Formen  auf 
-ma  kommen  aber  in  den  vom  Festland  eingewanderten  Liedern 
vor  und  man  mag  sie  ja  auch  sonst  von  Leuten  aus  fest- 
ländischen Dialekten  hören,  sie  klingen  aber  ganz  ungewohnt 
und  werden  darum  mit  der  inseldialektischen  Dativendung  -n 
(statt  -m)  neu  versehen. 

Diesen  Proben  füge  ich  noch  ein  ganzes  Lied  hinzu;  in 

Klammer  stehen  neben   den  kursiv   gedruckten  dem   Dialekt 

entsprechenden  Wörtern  die  Formen  in  jekavischer  Mundart: 

Mnoge  tuge  podnosin  (-sim)  nad  tebe, 

sve  rad  tebe  rumenega  (-noga)  cvita  (cvijeta), 

rad  hega  (koga,   kojega)   cu  ja  priminut  (preminut)  svita 

(svijeta). 
Pravo  mi  je  govorila  majka: 
5  mogla  san  (sam)  ga  virenikon  (vjerenikom)  zvati. 

Za   'nu  jubav   (ljubav),   Tm   san   s   tobon   liusal   (koju   sam 

s  tobom  kusao), 


Über  DiAiiEKTMisciiuNc  in  des.  serbischem  Volkspoesie«     15g 

ti  me  cini  lipo  (lijepo)  pokopati, 

da  mi  tilo  (tijelo)  u   vodu  ne   pati. 

Kada  budes  uz  prozor  hoditi 

svojiman  c'es  drugan  (svojima  drugama)  govoiiti: 
10   Druge  moje,  ja  san  (sam)  kriva  dosti, 

ondi  (ondje)  lezu  moga  draga  kosti. 

I  s  tin  (tigern,  auch  Um)  joj  se  dusicon  (-com)  dilio  (jekav. 

dijelio,  inseldial.  dilil). 

Pak  ga  se  je  gorko  naplakala, 

pak  su  njega  lipo  (lijepo)  pokopali, 
ib   da  mu  tilo  (tijelo)  u  vodu  ne  päd. 

Kad  je  mlada  uz  prozor  hodila, 

svojiman  je  drugan  (svojima  drugama)  govorila: 

Druge  moje?  ja  san  (sam)  kriva  dosti, 

ovdi  (ovdje)  lezu  moga  draga  kosti, 
20   ovdi  (ovdje)  lezu;  ne  dvizu  se  vise. 

Jedan  mladic  rad  mene  umire, 

jedan  mladic  od  mlajahna  Uta  (mladjahna  ljeta), 

radi  meue  rumenega  cvita  (-noga  cvijeta). 

Pravo  meni  govorila  majka: 
S5  mogla  san  (sam)  ga  virenikon  (vjerenikom)  zvati. 

Zemja  (zemlja)  jubi  (ljubi)  a  travica  gardi  (grdi); 

ustan'  mi  se,  moj  mili  i  dragi; 

ostaj  dragi,  pokojua  ti  dusa! 
Man  kauu  gegen  diese  Proben  aus  Lesina  natürlich  ein- 
wenden, daß  sie  von  ungeschickten  Dichtern  verfaßt  sind,  die 
zusammenraffen  was  sie  finden.  Aber  Tatsache  ist  doch,  daß 
die  Leute  Gedichte  epischer  Form  in  zehnsilbigem  Maß  von 
auswärts  in  einer  ihnen  fremden  Mundart  überkommen;  sie 
benutzen  diese  als  die  Sprache  der  Poesie  und  vermischen  sie 
unbefangen  mit  ihrem  eignen  Dialekt.  Es  könnte  ganz  wohl 
ein  begabter  Volksdichter,  der  nicht  lesen  noch  schreiben  kann, 
auftreten  und  in  solcher  Mischsprache  ein  vortreffliches  Ge- 
dicht verfassen. 

Bei    meiner   Auseinandersetzung    habe    ich    nur   die    aus 
neuerer    Zeit,    dem    19.  Jahrhundert,   aufgezeichneten    Lieder 

Phil.-liist.  Klasse  1910.    Bd.  I,XII.  13 


i6o    A.  Leskien:  Dialektmischung  in  d.  serbischen  Yolkspoesie. 

herangezogen.  Die  behandelte  Dialektniischung  ist  aber  vor 
Jahrhunderten  nicht  anders  gewesen.  Man  begegnet  ihr  in 
den  vom  16. —  1 8.  Jahrhundert  aufgezeichneten  epischen  Liedern 
in  Langzeile  (veröffentlicht  von  Miklosich,  Beiträge  zur 
Kenntnis  der  slavischen  Volkspoesie.  I.  Die  Volksepik  der 
Kroaten,  Denkschr.  der  Wiener  Ak.  phil.-hist.  Kl.  Bd.  XIX, 
1 8705  namentlich  aber  von  Bogisic,  Narodne  pjesme  iz  starijih . . 
zapisa  I,  Belgrad  1878).  Ich  will  darauf  nicht  eingehen,  da 
das  Resultat  der  Untersuchung  dasselbe  sein  würde. 


ürufkfertig  erklärt   n.  J1J.  iqio.] 


i6i 


Auflösung  der  Akkusativrektion 

des  transitiven  Verbs  durch  die  Präposition  U 

im  klassischen  Arabisch. 

Von 
A.  Fischer. 

Die  arabischen  Grammatiker  haben  für  die  in  der  Über- 
schrift genannte  Auflösung  zwei  verschiedene  Exponenten 
aufgestellt,  das  subyocjf  „JJf  „das  sich  parenthetisch  (zwischen 

Verb  und  direktes  Objekt)  einschiebende  J"  und  das  s?Jiid  *Xf| 
J**L*Jf  „das  zur  Kräftigung  des  Regens  dienende  J".  Das  erste 
liegt  vor,  wenn  das  mit  J  ausgedrückte  direkte  Objekt  seinem 
Verb  nachfolgt  (Beispiel:  OojJ  <^.3>b  „ich  schlug  Zaid"), 
das  zweite,  wenn  es  ihm  vorangeht  (Beispiel:  ^,,0  jo  J).1) 
Als  J~eL*Jf  sijbd  +$  begegnet  uns  der  Exponent  J  statt  des 
Akkusativs  (bzw.  statt  des  Genet.  object.)  bekanntlich  auch 
bei  verbalen  Nomina   (Beispiele:  jüJ  La-  „an  Liebe  zu  Gott" 

C.     *   y        *■  O  s  <     w 

Süra2,  160,  aojo  qjo  LJ  LiA*A*  „bestätigend  was  vor  ihm  war'" 
Süra  2,  91.  7,,  2.  5,  50  bis.  52  u.  ö.,  *^Jü  ^  sli  ^-1  „Gott 
mehr  liebend  als   sich   selbst"  usf.2)     Daß  die  einheimischen 

1)  Vgl.  Murni,  ed.  Kairo  1302,  I,  |A.,  7  ff.  (=  Lithogr.  ifv,  17a".), 
Muhit  al-Muhlt  sub  J  u.  a. 

2)  S.  z.  B.  Wright,  Grauimar3  II,  §  29.  31.  ^.  34. 

Phil.-hist.  Klasse  igio.    Bd.  LXLL  14 


IÖ2  A.  Fischer: 

Philologen   nicht   auch   das  J   des    dem  Verb   nachfolgenden 

Objekts  zu  der  Rubrik  des  J^l*J5  ZiySxi  ^^Ul  gezogen,  sondern 
als  &ö.x**Jf  *^lii  davon  getrennt  haben,  erklärt  sich  aus 
der  äußerlichen  Auffassung,  die  sie  von  der  „Schwäche" 
(sjuttb1))  der  Rektionskraft  eines  Verbs  haben.  Eine  solche 
kann  nämlich  ihren  Theorien  zufolge  nur  eintreten,  wenn  ent- 
weder das  Verb  seinem  Objekt  nachfolgt,  oder  wenn  statt 
eines  Verbs  nur  ein  Verbalnomen  vorliegt2),  nicht  aber, 
wenn  eine  eigentliche  Verbal  form  ordnungsgemäß  ihrem 
Objekt  vorangeht.  Wo  aber  eine  Schwächung  der  verbalen 
Rektionskraft  unmöglich  ist,  da  kann  selbstverständlich  auch 
nicht  von  ihrer  Kräftigung  durch  J  die  Rede  sein.    Für  uns 

kann  es  sich  natürlich  in  allen  diesen  Fällen  nur  um  die 
nämliche  syntaktische  Erscheinung  handeln.3) 


0  S.   die  nächste  Anm.   und  z.  B.   noch  Baidäul  zu  Sura  2,  143 
(Jw«L*Jf  ^fijt/hS),  7,  153  (Joi&n  oä**=J),  12,  43  u.  a.    Wie  gewöhnlich, 

m  1 

so  bildet  auch  hier  %yi  den  Gegensatz  zu  **Jl*j&  (vgl.  z.B.  unten  S.  165, 
Anm.  6). 

2)  Vgl.  z.B.  Murni,  Druck,  I,  IA1,   Mitte:    ^S>j  S^y&Jl  p9 . . ... 

*$   i^Xlf    £«*£>ij  ^^>  J^VJ  »j^-bo  L*i    s^fijub   Jw<Lc  is+Bz}    iJ^>oj^Jf 

L5Aa£w  ys^i  J^jJI  ^J>  Lc^i  jöjXj  £ [Süra  7,  153]  ^y&ß  f&J 

-pj|  [Süra  2,  85]  (t^ju>  U  (ibid.  \*r  ,  2:  Suc^fj  jä-LäJI  £♦£&■!  ^j 
[Süra  21,  78]  ^Jv^Li  ^XsU  LZ.     -3). 

3)  Übrigens  ist  die   enge   Zusammengehörigkeit    der  beiden    p$ 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  den  arabischen  Grammatikern  zum 

Bewußtsein  gekommen,  denn  sie  erklären  beide  für  (g>^e)  8J*.jI; 
*\a/jxU  „pleonastisch  zur  Verstärkung  (des  Sinnes)  hinzutretend  (hinzu- 
gefügt)"; Murni  I,  ia.,  7,  Muhit  a.  a.  0.,  unten  S.  165,  Anm.  1  u.  a. 
Der  Unterschied  zwischen  beiden  verwischt  sich  ihnen  auch  gelegent- 
lich: vgl.  Murni  I,  iaP,  4 — 14  und  dazu  die  Glossen. 


Auflösung  der  Akkusati vkkktion  des  Transit.  Verbs  usw.    163 

Bezüglich  des  SUöycxJI  fX'i  habe  ich  vor  einiger  Zeit 
(ZDMG  63,  826)  kurz  behauptet,  daß  es  sich  nur  sehr  selten 
finde  und  daß  es,  im  Gegensatz  zu  dem  entsprechenden  Ob- 
jektszeichen des  Aramäischen,  Äthiopischen  und  Syrisch-Ara- 
bischen, nie  mit  einem  das  Objektsnomen  antizipierenden 
Objektsuffixe  am  Verb  verbunden  werde.  Die  nachstehenden 
Ausführungen  sollen  den  Beweis  für  diese  Behauptungen  er- 
bringen, darüber  hinaus  aber  die  Auflösung  der  Akkusativ- 
rektion  des  transitiven  Verbs  durch  J  in  der  arabischen  Schrift- 

spräche  auch  in  sonstiger  Beziehung  beleuchten.  Dabei  wird 
sich  ergeben,  daß  die  bisherigen  Äußerungen  von  Semitisten 
über  diesen  Gegenstand  der  Berichtigung  oder  doch  der  Er- 
gänzung bedürfen.  Es  sind  das  hauptsächlich:  „La  preposition 
J  sert  souvent  ä  joindre  ä  un  verbe  son  complement  indirect. 

Souvent  meme  eile  s'emploie  pour  joindre  ä  un  verbe  transitif 
son  complement  direct,  quand  ce  complement  se  trouve  deplace, 
afin,  disent  les  grammairiens  arabes,  de  fortifier  l'influence  du 

verbe  sur  son  complement  J**l*Ji  S^yixJ,  influence  diminuee  par 


(.909        c 


ce  deplacement.  Exemple:  ^^«j  üj_yU  ****  ^  [sur-  x  2  vers-  43] 

si  vous  Interpreter  cette  vision"  Sacy,  Gramm,  arabe2  I,  §  1049, 
3°,  „Le  complement  d'un  verbe  transitif,  et  les  deux  comple- 
mens  d'un  verbe  doublement  transitif,  sont  toujours  ä  l'accu- 
satif  ....  Quand  le  complement  objectif  d'un  verbe  transitif 
est  place  par  inversion  avant  le  verbe,  on  indique  alors  le  plus 
souvent  le  rapport  par  la  preposition  J.     Exemple:   ^jS  ^ 

ü%j**3  lajjJJ  si  vous  interpretez  cette  vision"  ibid.  II,  §  216 l);  — 
•J   must  be  used  instead  of  the  accusative,   when  the  object 


1)  Vgl.  dazu  Fleischer,  Kl.  Sehr  I,  S.  594  und  besonders  595,  oben. 
Daß  Fleischer  diese  Regeln  seines  Lehrers  der  Hauptsache  nach  jeder- 
zeit für  richtig  und  einwandfrei  gehalten  hat,  bestätigen  auch  seine 
Bemerkungen  zu  Maqqarl  I,  vT.,  20  und  aPv,  8  (Kl.  Sehr.  II,  S.  251 
und  266;  vgl.  unten  S.  168,  Anm.  1  und   178  f.). 

14* 


164  A.  Fischer: 

of  the   nomen  agentis   is  rhetorically  transposed  and  placed 

before  it  .  .  .  .  So  also  with  the  fmite  verb,  Ujjli  *xjuf  ^1 
..,5.x*b"  if  ye  can  explain  a  dream"  Wright,  Grammar3  II, 
§  31,  rem.;  —  „Als  Präpos.  des  Ziels,  nach  dem  eine  Handlung 
gerichtet  ist,  eignet  sich  J  zur  Auflösung  des  Akkusativs. 
Geht  der  abhängige  Kasus  seinem  Verbum  voran,  so  ersetzt 
J  in  allgemeinem  Umriß   die   Vorstellung  eines   regierenden 

Wortes,  wie  ^*f*-'i  U_j^J  ^uJ  ^i  'wenn  ihr  das  Traumgesicht1) 
auslegen  könnt'  Kur.  12,  43.  Aber  auch  bei  nachstehendem 
Kasus,  z.  B.  ^-Jl~J  o^Lo=-  UxJLki  fFantasieen  lassen  uns  die 

s-  tu       * 

Selma  erscheinen'  Dlw.  Zuh.  18,  5.  Jol*;s=\J  aJ^Li.  A  o*«o^ 
rindem  er  für  seine  Tanten  Preise  festsetzte'  Hud.  143,  13 
usw.  Indes  ist  beim  Verb.  fin.  J  statt  des  Akk.  nicht  häufig 
und  seine  hauptsächliche  Verwendung  vielmehr  beim  Ver- 
balnomen" Reckendorf,  Syntakt.  Verhältnisse  d.  Arabischen 
S.  254;  —  und  „J  zur  Verdeutlichung  des  Objectsverhältnisses 

ist  im  classischen  Arabisch  beim  Verbum  finitum  sehr  selten. 
Kämil  487,  12 ff.  wird  es  jedenfalls  in  zu  weitem  Umfange 
erlaubt"  Nöldeke,  Zur  Gramm,  d.  class.  Arabisch  §  46  (vgl. 
auch  Nöldeke,  Mandäische  Grammatik  S.  390,  Anm.  3). 

Ich  bin  unserer  Auflösung  an  den  folgenden  Stellen  be- 
gegnet: 

(j^bw.  ~L~.J  für  zu  erwartendes  (j^l*^.  UXw-«)  „Und  du 
hast  über  das  Gebiet  zwischen  dem  Uräq  und  Iatrib  eine 
Herrschaft  ausgeübt,  die  Schutz  verlieh  dem  muslimischen  wie 
dem  (zu  den  Muslims)  in  einem  Vertragsverhältnis  stehenden 
Untertanen"2)    Murin  I,   I*.,   Suiüti,    Sarh    sauähid    al-Murnl 

1)  Richtiger  „Traumgesichte"  (PL),    vgl.   Fleischer,  Kl.  Sehr.  I, 

S.  594- 

2)  Aus  einem  Lobgedicht  des  Ihn  Maiiäda  auf   den  Omajjaden 
3Abd  al-Uähid  b.  Sulaimän  b.  3Abd  al-Malik,  Gouverneur  Medinas. 


Auflösukg  der  Akkusativrektion  des  Transit.  Verbs  usw.    165 

i1v,  6  v.u.,  Muh.  Bäqir,  Gämi*  as-sauähid  s.  ^^XJU.,  ^Ukbarl, 
Komm.  z.  Mutanabbi,  ed.  Kairo  1287,  II,  fls,  13,  Muhit  s.  J 


und  Howell,  Grammar,  Part  III,  p.  345;  —  2.  vJip.Lb  q/>  ^ 

^<>J)  si  (jLsjJ!  (*■!  1  <^6   statt  »j^Lö1))   „Wir   sind   die,    denen 

die  Zeit  dich  vorenthielt"2)  Mutanabbi,  mit  d.  Komm.  d. 
Uahidi,  ed.  Diet.,  PaT,  6  v.  u.,  Komm.  d.  HJkbari  II,  Ha,  10;  — 

3-         V^^j  La*?  C**$  L*  3)BLu^  *   vJ^M    -^   5'  CLP"  ^  J"^ 

(\i£5^-f L-g-f  statt  UULs)  „Und  wenn  Trauer  oder  Weinen  einen 
Verstorbenen  zurückbrächte,  so  würden  wir  ihn  beweinen, 
solange  Ost-  und  Südwind  wehen"4)  Ibn  al-Atlr,  ed.  Torn- 
berg,  X,  11,  8;  — 

(«LöxJU  statt  gLaxJI)  „0  Haggäg,  du  wirst  den  Ungehorsamen 
nicht  gewähren,  was  sie  wünschen,  denn  auch  Gott  gewährt 
den  Ungehorsamen  nicht,  was  sie  wünschen"5)  Muini  I,  i/vr"6) 


1)  üähidi:  wW'l^if  äA^  &J  ^ä  c^ij  (1.  ^*a-)  ^^  Qji  Jus 
2sJI  >XJ  J^  jü'  ?J»ü/  (vgl.  3UkbarI).  Die  gezwungene  Erklärung 
des   Ibn    Fürga,    des  Kritikers    des   Ibn  Ginni,    der  sJ   im   Sinne   von 

6    t 

»Is*^*  s*~£jJ   verstanden    wissen   wollte    („denen   die   Zeit   dich   für 

sich  selbst,  d.  h.  um  selbst  dich  zu  besitzen,  vorenthielt" ;  vgl.  beide 
Kommentare),  wird  abzuweisen  sein. 

2)  Erste  Hälfte  eines  Verses  des  Mutanabbi. 

3)  So  ist  natürlich  für  bLolXj  der  Ausg.  zu  lesen. 

4)  Aus  einer  Elegie   des  Bahä'   ad-daula  Mansür   b.  Maziad  al- 

Asadi  (f  479).    —  DaJ,  ein  direktes  Objekt  verlangt,  so  geht  es  nicht 
an,  ^JL^J  etwa  anders  konstruieren  zu  wollen. 

5)  Aus  einem  Gedichte  der  Lailä  al-Ahialiia  auf  al-Haggäg  b.  Iüsuf. 

6)  Der   Vers    erscheint    hier   in    folgendem  Zusammenhang:    JL3 


-C  0, 


v^j^j:  ^1  L^j^  rj^i  ^$0^3**  Jv*U.  *»  &ajäxJi  +$  ö\ji  %  c^iLc  ^ 


i66  A.  Fischer: 

(vgl.  die  Glossen  dazu,  ferner  Sarh  sauähid  al-M.  P.»f.  und 
GrämU  as-sauähid  s.  TL»*.|),  Ho  well,  Part  III,  p.  346  und 

Aränl  X,  Af ,  3  5—  5-  J^J  J*JI  ^>s  8-NiJ  i[  ^S>  Uj  (J*L$J 
für  v^k5>,)  „Um  einen  (kurzen)  Schlaf  nur  handelt  es  sich, 
der  deine  Familie  hohes  Ansehen  erben  läßt"1)  Kämil  1  vö;  1 1  -  — 

6.  ,Mj-A^y.  p&J  f&  qä^I  „für  die,  die  ihren  Herrn  fürchten" 


-5  öA*:  ^lj  lX^-I_j   Oj^a  Q*^if  Ü  J0^  ^5^*^.  ^j  **[5-*ä*   ^j* 

-Ls^-I  Jli  J>i  ^S  LsyLlä  £.  aJytäJI  jo*f  J^   rXff  ,^Üo 

Jw«l*Jf  «yÜ  öLs^.  oy^JI-  (Zu  der  Äußerung  des  Ibn  Mälik  vgl. 
die  Bemerkung  des  ^Abd  al-Hädi  im  Qasr  al-mabnl  3alä  hauäsi  '1-Murni, 

L    c  i  wC 

II,  f.1:  LäÜUijjLsÜ  SJLc  ^iLiJi^Ljj  Joiäli  Jt  A=~f_j  (.vXSj  Ufj.) 
Auf  die  Bildung  dieser  Regeln  bat  aber  offenbar,  wie  aucb  sonst  so 
oft  bei  den  arab.  Philologen,  die  grammatische  Theorie  bestimmender 
eingewirkt  als  die  Sprachempirie,  und  in  Wirklichkeit  wird  J  nach 
doppelt  transitiven  Verben  im  Verhältnis  nicht  seltener  gewesen  sein 
als  nach  einfach  transitiven.  Vgl.  das  nächste  Beispiel  oben  im  Text, 
wo  gleichfalls  ein  eigentlich  doppelt  transitives  Verb  mit  J  des  einen 
Objekts  konstruiert  ist,   obschon  ihm   beide  Objekte  nachfolgen,  und 

c 

beachte  auch,  daß  außerhalb  der  klassischen  Literatur  gerade  ^^-i 
gar  nicht  selten  nachfolgendes  J  pers.  regiert  (s.  Dozy,  Suppl.  s.  v., 
Maqqarl  II,  f..,  12,  Baid.  zu  Süra  2,  57,  Harlri,  Maq^foP,  9  v.  u.;  oft 
so  1001  Nacht,  z.  B.  ed.  Habicht  II,  vo,  7,  ed.  Kairo  13 n  I,  P,  20. 
o.  24,  sowie  in  der  christlich-arab.  Literatur,  s.  Graf,  Sprachgebrauch 
d.  ältesten  christl.-arab.  Literatur  S.  43,  ult.,  44,  Z.  10  v.  u.).  In  Texten 
mit  stark  vulgarisierender  Diktion  begegnet  diese  Konstruktion  oft 
auch  nach  anderen  doppelt  transitiven  Verben;  vgl.  A.  Müller,  Text 
u.  Sprachgebrauch  von  Ibn  Abi  Useibi'a  S.  905  u.  a. 

1)  Aus  einem  Gedichte  des  al-Mufaddal  b.  al-Muhallab  (Omajja- 
denzeit). 


Auflösung  der  Akkus ativrektion  des  Transit.  Verbs  usw.    167 


IH/        ^ll  Ott.» 


Sura  7,  153  (am  Versende)1);  —  7.  ^j^J*  Uj^-U  |*>^  ^f  „wenn 
ihr  Träume  deuten  könnt"  Süra  12,  43  (am  Versende)2);  — 
8.  !u. jo  ^jtyiAJ  SJälj*«  IÄ5>  „Dort  Suräqa  studiert  den  Qorän"3) 

Murni  I,  i*|J  (vgl.  wieder  die  Glossen  dazu,  ferner  Sarh  sauähid 
al-M.  C.    und  Gämp  as-sauähid    s.  fu\S>)4j;    — 


1)  Vgl.  die  Qorän-Kommentare  (Tab.  IX,  föf. ;  Kassäf,  ed.  Lees,  1, 
1Pa.;  Baidäui;  Naisäbürl,  am  Rande  des  Tab.,  IX,  f  1  u.  a.)  und  Mural 
I,  im,  11.     Auch  im  Qorän  wird  w-^N   sonst  mit  Akk.  konstruiert,  vgl. 

^y^j^  l£^j  2>  38.  16,  53. 

2)  Vgl.  wieder  die  Qorän-Komrnentare ,  z.  T.  auch  an  den  in 
der  vorigen  Anm.  genannten  Stellen,   ferner  die  Lexika  s.  <ac,    Murni 

I,  im,  11,  Kämil  ivl,  5.  fAv,  15,  Mutanabbi,  ed.  Diet.,  PaT,  ult.,  Komm. 

des   3UkbarI  II,  JJ1\,  11,  und  oben  S.  163  f. 

3)  Erste  Hälfte  eines  Verses,  dessen  zweite  Hälfte  in  zwei  vonein- 
ander völlig  verschiedenen  Fassungen  zitiert  wird.  Nach  der  Glosse  des 
Muh.  al-Amir  zum  Murni  soll  der  Vers  in  der  Hamäsa  stehen,  das  ist 
aber  wohl  ein  Irrtum. 

4)  Zusammenhang  im  Murni:  Li  ^a  S&Lä  ö  ^  »LsSJl  Jlä  Jö» 
C-A  ^|]  \SJ>  ^a  jüt    VjT  jüLiL  [Süra  2,  143]    L&J^j^  N^s-j  J-£J> 

imLT  ^i  %  t  -iljJf  -Ä-Läj  *-Jj.+jw  A^-f   |*t\3j  ^^fi  J^LxJi  SojJü  t_>L 

^j***2^  ^«^  H^j  ^ö  J-T  J^  »III  ^.*J!  a!_3  [.Ij^^v. 
--t    -jwüiLM-j«  ^.Jj.*A/fl  ^.«y.AhJL  Xf  J-*>^p.  (*»'  l*ji^   Jv^y^J  lvÄ>? 

^ jyLf !  -f^tö.  Darnach  verträte  also  in  dem  Verse  das  Suffix  von  *^vjju 
daB  „absolute  Objekt"  Lv.O  (wie  in  der  Qorän-Stelle ,  nach  der  betr. 
Lesung,  das  Suffix  von  LgjJ  v*  den  Masdar  &jJ_j-»').     Das   ist   natürlich 


i68  A.  Fischer: 


c     *  s   s 


Und  meine  Seele,  wenn  sie  eine  andere  (Stadt  als  Kairo) 
bewohnt  —  fragt  sie,  o  meine  beiden  Freunde,  was  sie  da 
(vor  Schmerz)  ganz  auflöst"1)  Ibn  al-Färid,  ed.  Rusaid,  Büläq 


Unsinn;  die  beiden  Suffixe  beziehen  sich  -vielmehr  auf  jj'j^l  bzw. 
y  g  »>■.  zurück,  "wie  im  nächsten  Beispiel  oben  im  Text  das  Suffix  des 

ersten  L5>^Lv  auf  _*«AJ.  Vgl.  darüber  unten  S.  181  f.  —  Dieselbe  Aus- 
druckweise in  der  christlich-arab.  Literatur;  vgl.  bei  Graf,  Sprach- 
gebrauch   d.    ältesten    christl.-arab.    Literatur     S.    43     die    Beispiele: 

+5>  A2&.S   jJLxJi  ..ja/L^-J  (J-w-jJ'  „Hat  (Gott)  nicht  die  Armen  der  Welt 

erwählt...?"  Jac.  2,  5,  ^^U-  aüjiA*J"  ^jJ\  ^._j;  SiLxJj  „und  achtet 
die  Langmut  (Graf  schlecht  „Großmut")  des  Herrn  für  Heil"  2  Petr.  3, 15, 
auch  85-Läli  ^Jujub  y$>  ^wVU.  „Und  den,  der  schwach  ist,  nehmet  an 
euch"  (Graf  schlecht:  „nehmet  auf")  ibid.  14,  1. 

1)  Die   Antwort   der   Seele   würde   lauten:    „Das   Heimweh   nach 
Kairo".  —   Fleischer   hat   diesen   Vers    des  Ibn   al-Färid,    der  in    der 

Gestalt  gJf  ^iS*.  (jf  Lä>jAt  ^_^***Jj  aucn  Maqqari  I,  vi".,    5   v.  u. 

vorkommt,   in   seinen  Verbesserungen  zu   der  Leidener  Ausgabe  dieses 

1 
Werkes    (Kl.  Sehr.   U,   S.  251)  folgendermaßen  interpretiert:    „L^i-, 

1.  l^jAE.,    als  vorausgehendes  Object  von  ^*iS*n.     Ebenso   ist  ^t**J, 

mit  dem  J-«L*Jf  Kay^  f^,  vorausgehendes  Object  des  ersten  X*>, 
und  das  diesem  angehängte  Suffix  eine  Begriffswiederholung  desselben: 
'Und  mein  Auge  (Acc),  wenn  es  auch  ein  anderes  (Land  als  Aegypten) 
bewohnt,  0  meine  beiden  Freunde,  fragt  es  (mein  Auge):  es  hat  dasselbe 
(Aegypten)  nicht  vergessen',  d.  h.  so  wird  es  euch  durch  seine  Thränen 
antworten,  daß  es  Aegypten  nicht  vergessen  hat".  Seine  Auslegung  von 
1$>X*  Li  scheitert  aber,  gleichviel  ob  man  ^.x*Jj  oder  ^*Jal^  liest 
(offenbar  verdient  letztere  Lesart  den  Vorzug,  denn  der  Ausdruck,  daß 
das  Auge   „einen   Ort  bewohne",    erscheint  recht  hart),    m.   E.    schon 

daran,  daß  sie  für  das  zweite  LsXy*  vielmehr  Lgxiw,   also  das  Femin. 
der  Verbalform,  voraussetzt,     ^äi    und  wohl   auch  ^as.    finden    sich 


Auflösung  der  Akkusativrektion  des  Transit.  Verbs  usw.    169 

1289,  II,  PH,  10  v.u.;  10.  ^JLJJ    f.J^-1)    „Er    hat    dem 

Herrscher  seine  Reverenz  gemacht"  Qa/Ailnl  II;  p|,  ult.  —  und 

11.   jiyJjJL  J^-^-jJ  ^j-Jax^j  „und   sie   verehren   den  Saturn   und 
die  Venus"  ibid.  II,  Hr,   \J) 


allerdings  gelegentlich  auch  als  Maskulina  (vgl.  zu  y^^ii  Qazuinl  I,  f.f, 

19  ff.  und  Baidäui,  ed.  Fleischer,  zu  Süra  3,  140,  ferner  Lane  s.  v.,  be- 
sonders S.  2827°  f.  ur,d  dazu  3Abd  al-Latlf,  ed.  Sacy,  538,  3  v.  u.,  und 
zu  ^jac  Iäqüt  IV,  1v.,  18.  V,  455,  wo  das  Wort  wenigstens  in  der 
Bedeutung  „Quell"  männlich  konstruiert  ist),  aber  daß  ein  Dichter  wie 
Ibn  al-Färid  in  ein  und  demselben  Verse  ein  Wort  erst  zweimal  weiblich 
und  dann  ganz  unvermittelt  ein  drittes  Mal  männlich  gebraucht  haben 
sollte,  halte  ich  selbst  bei  so  gekünstelten  Wortspielen,  wie  sie  uns 
hier  vorliegen,  für  ausgeschlossen.   Bürini,  der  Kommentator  des  Ibn  al- 

Färid,  erklärt  dieses  Xw  mit  v'^'i  setzt  es  also  gleich  Xm  „schmelzen, 

auflösen"  u.  ä.    Ich  zweifle  nicht,  daß  er  recht  hat,  und  verweise  hin- 

t- 
sichtlich  des  metaphorischen  Gebrauchs  von  ^v  auf  Muslim  b.  al-Ualid 

Nr.  If,  3:  LjjJläJi  L?U*^-  olw  !v3(  und  Dozy,  Suppl.  s.  jL* ,  J-*,  : 
„  . .  .  on  lit  en  parlant  le  l'amour:  _j.>wLaO  «J^^uf  ^Jx....".  3Abd 
al-Ranl  an-Näbulusi,  der  zweite  der  von  Rusaid  in  seine  Ausgabe 
aufgenommenen  Kommentatoren  unseres  Dichters,  paraphrasiert  L&Xw  L« 


i  t- 


mit    .AO*     L^jXi     ,.»C     .AAäJI.     ^l.A.w.üt.      ».LdyJt    L^J    v_^^-.l     c      _£     ^1 

Das  wäre  aber  vielmehr  LjwL*  La  oder  L^^LwS  Lo,  während  sowohl  das 
beabsichtigte  Wortspiel   als  auch  das  Metrum  L3UU».  Lo  verlangt. 

1)  So  ist  für  i*-*^-  der  WüsrENFELDSchen  Ausg.  zu  lesen  („so  daß 
er  sich  bücken  müsse  um  einzutreten,  und  sie  würden  dann  sagen: 
'Er  hat  dem  Herrscher  seine  Reverenz  gemacht'").  Vgl.  zu  (•Jo*-  c.  J 
auch  A.  Müller  a.  a  0.  905. 

2)  Dagegen  z.  B.  II,  H.,  19:  W-U^U  ^  JtJf  0j3äx±y  Qazui- 
nis  Sprache  zeichnet  sich  freilich  so  wenig  durch  Korrektheit  aus,  daß 
er  vielleicht  besser  hier  überhaupt  nicht  zitiert  werden  sollte.  Daß  im 
vulgarisierenden  Arabisch  die  Aaflösung  der  Akkusativrektion  des 
Verbs  durch  J  nicht  selten  ist,  ist  bereits  mehrfach  von  andern  kon- 
statiert worden;   vgl.,    abgesehen   von   A.  Müller   a.  a.  0.,   Fleischer, 


170  A.  Fischer: 

In  Wendungen  wie  ^JojuJ  ^sm  (jJLiLäi  „sie  kämpften  mit- 
einander"   liegt    wohl     gleichfalls    Ersatz     eines    Akkusativs 


Kl.  Sehr.  III,  386  (=  ZDMG  I,  157),  Graf,  Sprachgebrauch  43 f.  und 
auch  Simon,  Sieben  Bücher  Anatomie  des  Galen,  Bd.  I,  XXVI.  —  Bei 
Graf  ist  freilich  auch  hier,  wie  überall  in  seinem  dem  Plane  nach 
recht  nützlichen,  leider  aber  ohne  die  nötige  Sprachkenntnis  und  ohne 
die  nötige  Sorgfalt  angefertigten  Buche,  der  Weizen  richtiger  Angaben 
mit  einer  Fülle  von  Spreu  untermischt.    Ganz  auszuscheiden  haben  die 

Beispiele  S.  43,  Z.  9:  y^l  "3  _£JU  {-y$*i>  „und  nun  sollten  wir  das  Böse 

nicht  ertragen?",  Z.  10 :   c.»hjl  sLiäL  „und  an  sein  Gericht  wende  ich 

mich  in  Unterwerfung"   (Grafs  Übersetzung  ungenau),    Z.  23:   \jS  ^li 

*ij*i  "3  ^e^  (J"1^  ,iUnd  wenn  wir  wegen  einer  Sache  beten,  so  kennen 
wir  sie  nicht"    (Gr.  übersetzt  falsch:   „wir  beten  um  etwas,  was  wir 

nicht  kennen"),  Z.  33  :  Q.p.u\Jt  j*jJ  \SyZ  i  «.i^Xj*  (sie  Text  statt  ^L)  rr^3* 

I^Laus   "3  „und  nehmt  nicht  teil  am  Joche  der  Ungläubigen",  S.  44,  Z.  2: 

XjJ  -^V;-*  o*j|  „bist  du  an   ein  Weib   gebunden",    Z.   10 :    ^5    t   -jßj 

^JLap.    „es  nützt  zu  nichts",    Z.   14:      -♦■».a.'^-  ^a  J.  i\£»    „Schaffe  mir 

Recht  vor  meinem  Widersacher",  Z.  15:    LgJ   jüxif    „ich  will  ihr  Recht 

schaffen"    und   Z.  26:    5Ul£Jf  sÄ-gJ  st^Jo  Ai-I  J»/  (j^-J    „Nicht    ein 

jeder  faßt  dieses  Wort".  Keins  der  betr.  Verba  ist,  wenigstens  in  den 
vorliegenden  Anwendungen,  von  Haus  aus  transitiv,  wennschon  sie  im 
klass.  Arabisch  z.  T.  andere  Konstruktionen  zeigen  als  hier.  Die  übrigen 
Beispiele  enthalten   eine  Menge  von  größeren  und  kleineren  Fehlern: 

S.  43,  7  lies  Oj-y^JLj  st.  v^jjjy^JL;  Z.  8  1.  c>ö _==- (  st.  o*£^-i;  Z.  12 
1.  ^-«iy~»UJ  st.  qjJj y^*JJ  ;  Z.  13  1.  üwöjti  st.  Liuc;  Z.  15  1.  jJ>>  Lxi-I 
st.  *^Ui»i;  Z.  i6f.  übersetze  _.«,  si  Ix*  rnit  „Langmut"  st.  mit  „Groß- 
mut"; Z.  19 f.  stimmt  das  Zitat  nicht;  Z.  21  1.  oULiuJ  st.  oii^^ui; 
Z.  24  1. ^^yjtJj  st.  U_w-oJf«:  Z.  25  1.  i^Juio  st.  8i\j&£;  Z.  26  übers. 
Oo=Ve|  JkaJ\.^J  Uli:  „ich  achte  meinen  Dienst  für  herrlich"  st.:  „ich 
will  meinem  Amt  Ehre  machen";  Z.27f.  übers.  »j-Lili:  „nehmet  ihn  an", 
„lasset  ihn  gelten"  st.  „nehmet  ihn  auf" ;  Z.  30  übers.  jLw^iXJf    ^j  QjujAfiiUÜ 

ljjwyJjs\j  vi^J^.^:  „setzt  ihr  da  die  zu  Richtern  ein,  die  in  der  Kirche 
gering  an  Ansehen  sind?"  st.:  „die  Angesehensten  in  der  Gemeinde, 
die   setzet  zu  Richtern";    Z.  31  f.   1.  ^o>f  st.  _.f;  S.  44,  3f.  1.  Lönf  st. 

Us£.  und  |«-gJU  st.  ?J<+J*  und  übers.:  „Gott  hat  am  Leib  Glieder  ge- 
setzt, jedes  einzelne  von  ihnen"    st.:   „Gott  hat  einem  jeden  von  euch 


Auflösung  der  Akkusativrektion  des  Transit.  Verbs  usw.    171 

(Luu,    als    abhängig    von    in    (jjbLfij      enthaltenem    l^iiLä    zu 
denken)    durch  J  vor.1)    Freilich    handelt  es  sich  zweifellos 

auch  hier  um  späteres  Arabisch2),  denn  klassisch  sagt  man 
nur  fjijl&i  „sie  kämpften  miteinander"  f^Mjlsra  ,;sie  stritten 
miteinander1',  ^jij^  »sie  näherten  sich  einander",  Lä^-Ijj 
„sie  rückten  gegeneinander  vor"  usf.,  also  ohne  jedes  L^»u 
yiuu  (ebenso  in  der  VIII.  Form  mit  reziproker  Bedeutung  nur 
tj-boäl,  U^oxi-i,  lj*j&\,  Ijä>OjI  usf.).3)  Auch  könnte  mög- 
licherweise in  diesen  Wendungen  das  (j^*J  +&h*i  vielmehr  auf- 
einen Stachel  ins  Fleisch  gegeben";  Z.  16  1.  >£»ä*.o  ^(  ^JlxJi  (.TX*p.  ^5 
^Jaiu^S  J  Leli  „Die  "Welt  kann  euch  nicht  hassen,  mich  aber  haßt 
sie"  st.  ^j^&uuj  i  Uli  (sie!!)  rjf\  ^ ;  Z.  20  1.  XLIII  st.  XLE ; 
Z.  21  1.  £y~+$  st.  P^-~P.  ^5  und  XLVIII  Jo.  18, . .  7  st.XLIIIJo.  18,  . .  8; 
Z.  23  1.  Ui-j-Jj  st.  LäJw;  Z.  25  übers.  ^— if:  „er  verwarf  als 
schlecht"  st.  .,er  erniedrigte"  (Gr.  hat  wohl  an  JjLvf  gedacht)  und  1. 
uVys^UJI  st.  »AjyoXJ;  Z.  27  1.  11  st.  io.  Grafs  Buch  gehört  zu  den 
liederlichsten,  die  die  arabistische  Literatur  kennt. 

1)  Vgl.  Wright,  Grammar3  II,  S.  287 CD,  wo  aber  —  entsprechend 
unsern  Darlegungen  im  Eingang  dieser  Abhandlung  —  der  Exponent 
J    nicht.  J^cLiJl   s?j.&d  +*$ ,  sondern  ^bj^s>   *"$  heißen  sollte. 

2)  Wright  gibt  keinen  Beleg,  und  auch  ich  habe  aus  der  Literär- 
sprache  keinen  zur  Hand.  Vgl.  aber  1001  Nacht,  ed.  Habicht,  I,  |1, 
3  v.  u.  (jäaaJ  ^j.Aj.ütöe  „nahe  beieinander"  (mit  der  im  späteren  Ara- 
bisch so  häufigen  Auslassung  des  ersten  (j^xa).  —  Im  vulgarisierenden 
Arabisch  finden  sich  auch  Fälle  wie  ^J^*.'J  Llöju  LüLw*Ji.i  „und  wir 
küßten  einander"  und  Uajw  Luix/J  La:f  ^>Ai  "3  „wir  wollen  einan- 
der nicht  mehr  richten"  (Graf,  Sprachgebrauch  S.  43,  13.  28),  in  denen 
das  Reziprozitätsverhältnis  also  nur  durch  (j^*J  \j^*1  ausgedrückt, 
deren  J  aber  wohl  ebenso  zu  beurteilen  ist  wie  das  von  ^g.*iz*j    (Jb'Läj 

;jA*aJ   0.  ä. 

3)  Wenige    Beispiele    statt   vieler:    Ibn   Hisäm,    ed.  Wüstenfeld, 

»  ^        '  -  -    -    - 

ffP,  3  v.  u.:  ■J^x.*  ^a  *fi«  LiOj  j~Ldf    ^JsJ\ß   *5;    Tabarl,   Ann. 

♦  m 

I,  hM,  9:   UioiLi   y^Ldf   vjuz-\ß  *3,  ferner  Iäqüt  IV,  f0,  12.   f1, 
ult.,  Arnold,  Chrest.  88,  pu.  89,6.  93,  5,  Qorän  22,20.  26,96.  36,49  usf. 


172  A.  Fischer: 

zufassen  sein  als  analogische  Verallgemeinerung  des  «^äta 
(jä*J  in  Ausdrücken  wie  (jäjuJ  *,g«h«a  IjJlS  „sie  sagten  zu- 
einander"1), wo  J  eine  ganz  andere  Funktion  hat. 

Noch  fraglicher  ist,  ob  das  J  hierhergehört,  das  nach  dem 
„Verwunderungsverb"   (^:sri*xjf  Jota)  jJjtäf  U  gewöhnlich2)  das 


1)  Hudail,  ed.  "Wellhausen,  1,  21,  Ibn  Hisäin,  ed.  Wüst.,  Pff,  13 
und  oft. 

2)  Aber  doch  nicht  immer,  es  erscheint  vielmehr  dafür  vereinzelt 

/  s  c  »  c  'S 

auch    der    Akkusativ;    vgl.    ^.wNJf   sUacf   L«    ,,wie    spendet    er    den 

Dirhem!"  Ibn  Ia3is  uff,  7.  Schon  in  dieser  Beziehung  ist  also  die 
Regel  irrig,  die  Reckendoef,  Syntakt.  Verhältnisse  S.  345  (offenbar 
unter  dem  Einflüsse  von  Sacy,  Grammaire2  II,  S.  22of.)  gibt:  „das  Be- 
wunderungsverbum  zu  einem  den  Akk.  regierenden  Verbum  wird  jedoch 
statt  mit  letzterem  Akk.  mit  der  Präp.  V  °der  J  verbunden".  Sie  ist 
aber  weiter  auch  insofern  irrig,  als  sie  als  Exponenten  des  Objektsver- 
hältnisses bei  der  Verwunderungsform  neben  J  auch  uj  nennt,  denn  <-j 
vertritt  hier  nirgends  das  direkte  Objekt,  sondern  erscheint  stets  nur 
da,  wo  auch  das  der  Verwunderungsform  zugrunde  liegende  Verb  mit 
V>   konstruiert    wird.     Vgl.    die  Beispiele    bei   Reckendokf   und   Sacy: 

^  <.  s  s  s  so'S. 

b\As.  *jJti»  ^»Aila     e-uix:i  Le  „Wie  gut  weiß  ich,    weswegen  ihr  die 

w      s  SS  Cr  & 

Köpfe  zusammensteckt!"  Tabari,  Ann.  I,  |a1o,  6  und  /jpsnJL  jöjtl  L» 
„wie  gut  kennt  er  das  Recht!"   (Sacy  a.  a.  0.  II,  221,  1):    die  hier  in 

s    s  SS  s 

der    Verwunderungsform    auftretenden    Verba    >Jx.  und  Ox     regieren 

beide,  wie  gewöhnlich  die  Verba  des  Wissens,  außer  dem  Akkus,  auch 
v-j !  V  spielt  also  in  dieser  Beziehung  bei  der  Verwunderungsform 
keine   andere  Rolle  als    alle  übrigen  Präpositionen;  vgl.  Sacy  a.  a.  0., 

Z.    2:    *3^i    ^a     »üuufj   jA^ii    i[     »äj^Jj    LoaXÜ    ^jS   sJS.$j]    in 

<i    s  s  s    o  's.  s  s    &    £ 

«A^^stJI  Ja  «uöjä-L,  Tabari,  Ann.  I,  |a<]o,  9:  q^  U*Hr*  J^  bij-i-i  l* 
iw)jJi  „wie  fürchten  wir  für  die  Qurais  von  seiten  der  Araber!"  usf.: 
überall  folgen  hier  auf  die  Verwunderungsformen  die  Präpositionen, 
die  zu  den  betreffenden  Verben  gehören.  Möglich  wäre  höchstens,  daß 
man  die  Verba  des  Wissens  in  der  Verwunderungsform  statt  mit  dem 
ihnen  sonst  zukommenden  Akkus,  bzw.  dem  diesen  Akkus,  vertretenden 


Auflösung  der  Akkusativkektion  des  Transit.  Verbs  usw.    173 
direkte  Objekt  bezeichnet.     (Vgl.  Fälle  wie  jj-*jJ  I~\>j  vy^'  ^ 

c  "        1«/  £ 

„wie  schlägt  Zaid  den   *Amr!"  undyCJju^-l  l«  „wie  liebt  er 


J  vorzugsweise  oder  vielleicht  sogar  stets  mit  uj  konstruiert  hat.     Ich 

kann  diese  Frage  mit  dem  mir  zur  Verfügung  stehenden  Material  nicht 
entscheiden.)  Irrig  ist  auch  der  unmittelbar  folgende  Satz  bei  Kecken- 
dorf: ,,Übrigens  steht  auch  statt  des  ersten  Akk.  beim  Perf.  bisweilen 
«-J ,  wie  beim  Imperativ  stets",  demzufolge  also  die  Verwunderungsform 

jsjjtil  Ls  auch  in   der  Gestalt  ao  Jotil  L«   vorkäme.     In  Beispielen  wie 

,j£wO=\Jf  iS  T^-J*  tM  Lb  f^\   l~*    j^e  schmählich  wäre  es  von  uns, 

wenn  wir  zum  Heere  zurückkehrten!"  Tabari,  Ann.  II,  TT v,  8  (s.  Recken- 

doef  s.  346,4),  l^^-y  ^y.  (j^  v*^'  ^^  ^.P"'  ^  J*^*  »meine 

beiden  Freunde,  wie  sehr  geziemt  es  sich  für  einen  Verständigen,  daß 
man  ihn  recht  geduldig  sehe!"  und  L«,  -^j'Jocu  ^1  Jc^JL  q*w^s-I  La 
wJjo  ^ji  ?o  — y-ii  ,,wie  schön  ist   es  von  einem  Mann,   die  Wahrheit 

zu  sagen,  und  wie  schmählich,  zu  lügen!"  (vgl.  dazu  meine  Bemerkungen 
ZDMG   64,    157,  Anm.  2),    an    die   Reckendorf    bei    der   Niederschrift 

dieses  Satzes  offenbar  gedacht  hat,  wird  nämlich  das  v  von  jdxil  l* , 
also  das  logische  Subjekt  der  Verwunderungsform,  nicht  durch  die  Aus- 

drücke  mit  <—>  vertreten  (Lb.  wJJf  ^5^0,  Jo»-jiLj  und  zu),  sondern 
■durch  die  ,ji-  Sätze  (^-jj  ^}  steht  im  Sinne  von  Lx._^2>-^,  ^jß  ^f 
•von  2^;».   usf.).     Das    V  *n  u^i  ^^  ^r^'  ^  *8^  vielmehr  das  Vi 

das  gewöhnlich  nach  ^ß-^-  ., passend,  geeignet  (zu),  geziemend  (für)" 
und  den  verwandten  Ableitungen  der  l/^^i-  steht  (J ,  das  sich  dafür 
auch  findet,  erklärt  sich  wohl  aus  analogischer  Angleichung  von 
30  ytfp»-  an  aJ  ,  i^Li-,  das  sich  freilich  umgekehrt  seinerseits  auch  an 
y£j£*  angeglichen  hat,  so  daß  man  auch  Jb  .  <i^^-  sagte),  und  das  v-> 


174  A.  Fischer: 

Bakr!"  Murni  I,  ia.,  6,  *J  cjuüu!  L«  und  »J  -JLÄiUi  L  „wie 
hasse  ich  ihn!",  v^JJ     -il^f  La  „wie  sehr  begehre  ich  clie- 

ses!"  Sib.  II,  H1,  :8,  o^ytUi  »^l  L«  „wie  gern  spendet  er 
Wohltaten!"  Mufassal  ifo,  4,   ,c"~äjd    »feudi.  ^*^   ^^jl  ^* 

„wie  tut  es  meinem  Herzen  weh  und  erfüllt  es  meine  Seele 
mit  Zorn!"  Tabarl,  Ann.  II,  fif,  14,  Reckendorf,  Syntakt. 

Verhältnisse  S.  345,  3  v.  u.,  und  JUU  »JlLfj «JJ  ^j-JI  yC-i  L« 

„wie  liebt  der  Gläubige  Gott und  studiert  er  die  Wissenschaft!" 

Sacy,  Grammaire2  II,  S.  221,  oben).  Dieses  „Verb"  unserer 
Grammatiken  ist  ja  möglicherweise  gar  kein  Verb,  sondern, 
wie  bekanntlich  schon  die  arab.  Philologen  kufischer  Obser- 
vanz  behauptet1)  und  in  neuerer  Zeit  namentlich  Ewald, 
Nöldeke,  Wellhausen  und  Landberg  zu  beweisen  gesucht 
haben2),  eine  Art  Elativ,  also  ein  Nomen.  Bei  dieser  Auf- 
fassung würde  aber  das  von  ihm  abhängige  J  nichts  anderes 


s    y      o    ii 


in  J-^Jlo  ^Aw-ss-i  Lo  und   (so)  Uo  j-s-^i  Lo  ist  eigentlich  wohl  als  „an" 

zu  denken  (wie  es  wohl  auch  nach  ^j^-  und  nach  dessen  Synonymen 

JL,  jiJ*o»- ,  /  y&>-  und  ryt^  ursprünglich    „an",    „haftend    an"    be- 

deutet  hat),    falls  nicht   die   Verbindungen   ^.f  30  q—js-I    La  und   La 

^1  so  ^as!  0.  ä.    analogisch    nach    den    offenbar    sehr  häufigen  Wen- 

düngen  q(  jo  v_5j^-I  Lo,  ^\  so  j,J  L«,  ,-)(  *o  q*Ü  L«  usf.  „wie  passend, 
geziemend  war  es  für  ibn,  daß  ..."  gebildet  worden  sind,  erstere  auf 
Grund  der  Verwandtschaft,  letztere  auf  Grund  des  Kontrastes  der  Be- 
griffe. 

1)  Kosut,  Fünf  Streitfragen  S.  12,  no.  lo,  Fleischer,  Kl.  Sehr.  I, 
S.  650  ff.  u.  a. 

2)  Ewald,  Gramm,  arab.  II,  221  f.,  Nöldeke,  Zur  Gramm.  §  73, 
Wellhausen,  ZDMG  55,  697 ff.,  Landberg,  La  langue  arabe  et  ses  dia- 
lectes  S.  5 5  f. 


Auflösung  der  Akkusativrektion  des  Transit.  Verbs  üsw.    175 

sein  als  das  oben  mehrfach  erwähnte  allbekannte  J^l*J(  Kp^&J  +"$ , 
das  so  gern  bei  Noininibus  mit  Verbalkraffc,  und  darunter  in- 
sonderheit auch  bei  den  Elativen1),  den  Akkusativ  vertritt,  und 
würde  demgemäß  hier,  wo  nur  von  der  Auflösung  der  Akku- 
sativrektion nach  dem  Verbuni  finitum  die  Rede  sein  soll, 
auszuscheiden  haben.  Sollte  diese  Verwunderungsform  aber 
doch  verbaler  Natur  sein,  so  würde  natürlich  die  Verdeutlichung 
ihres  Objekts   durch  J   auf  das  Streben   zurückzuführen  sein, 

die  in  Fällen  wie  L«x.  |jo-  ^yä\  Va  in  dem  Nebeneinander  von 
zwei  Akkusati ven  liegende  Mehrdeutigkeit  zu  beseitigen.2) 


1)  Wkight,   Graminar3  II,  §  34:    „Verbal   adjectives  of  the  form 

Jotif  ,  corresponding  to  our  comparative  and  Superlative,  when  derived 
from   transitive  verbs,  take  their  object  in  the  genitive  with  J,   very 

rarely  in  the  accusative"  (a.  auch  Fleischer  zu  Dozys  Suppl.  I,  654a,  6). 
—  Man  beachte  die  völlige  Übereinstimmung  unserer  Verwunderungs- 
form und  des  Elativs  in  der  Bezeichnung  des  direkten  Objekts.  Auch 
diese,  bisher  noch  nicht  beachtete,  Übereinstimmung  legt  den  Gedanken 
nahe,  in  ersterer  gleichfalls  eine  Elativbildung  zu  sehen.  Ferner  läßt 
sich  noch  als  m.  W.   bisher  unverwertete  Stütze    der   nominalen  Auf- 

fassung  von  jJL«i(  L«  der  gelegentliche  Gebrauch  von  Li^li  j*S-  Lo  und 

Li^li  -£  Lo  an  Stelle  von  li^li  (j-^f)  j-f^-^  Lo  anführen;   vgl.  Lisän  V, 

fo.,  4ff.,  Tag  al-3arüs  III,  |11,  1  ff.  5  v.u.,  Lane  s.  ^jcs»  IV  und 
Howell  II,  S.  237.  Trotzdem  muß  es  m.  E.  hinsichtlich  der  Natur  der 
Verwunderungsformen  nach  wie  vor  heißen  „adhuc  sub  judice  lis  est", 
solange  der  rocher  de  bronce   der  basrischen  Auffassung,   der  verbale 

o     öS 

Charakter  von  30  J^*5f,  noch  unerschüttert  ist. 

2)  Freilich  hat  das  alte  Arabisch  ähnliche  Mehrdeutigkeiten  nicht 

immer  gescheut;  vgl.  Fälle  wie  \j*s.  I^Xj;     Jatl,    JüUv^I  f^>^f  J^ 

u.  a.  (dagegen  unterscheidet  die  Sprache  z.  B.  auch  zwischen  üuöuatS 

„er  gab  ihn  mir"  und  ^j(*\  «Uacl  »er  gab  mich  ihm",  s.  Wright, 
Grammar3  I,  S.  104  C). 


176  A.  Fischer: 

Betreffs    des  Halbverses    des  Aus  b.  Hagar   (Nr.  T|,  ip): 

X^u-i'  ^jl  u5r*^  üül?  gj/ä:::"^>  *n  ^em  Nöldeke,  Zur  Gramm. 
S.  92,  unten,  das  J  von    ^"3  wohl  als  Exponenten  eines  von 

0-j'_5  CJ^-2""^'    a^so    Ton    ^er    Verwunderungsform    (w)   Jotif, 

abhängigen  direkten  Objekts  aufgefaßt  hat,  s.  meinen  Aufsatz 
ZDMG  64,  154 ff. 

Unsicher  sind  endlich  noch  zwei  Fälle,  wo  verschiedene 
arab.  Gelehrte  gleichfalls  Ersatz  der  Akkusativrektion  durch 
<lie  Konstruktion  mit  J  annehmen,  wo  es  sich  aber  wohl  um 
Verba  handelt,  bei  denen  diese  Konstruktion  guter,  wenn  auch 
vielleicht  geographisch  beschränkter,  Sprachgebrauch  war,  näm- 

5  /     s      s  /  c  s  s     c    y 

lieh  erstens  die  Qoränstelle:  <jäju  *JJ  oj>»  uJ-^p-  U*  lS-^  J^ 

^j^I^jix^j  ^ JsJf    „Sprich:    'Vielleicht    sitzt    euch    schon    ein 

Teil  von  dem,  dessen  Beschleunigung  ihr  wünscht,  im  Rücken'" 
Süra  27,  74,  und  zweitens   der  dem  Farazdaq  in   den  Mund 

gelegte  Satz:  *^.o  Xflo  sJ  ci.\Xäi  „Ich  habe  ihm  bare  100  Dirhem 
gezahlt"  Tabarl,  Tafsir  IX,  fl,  5.1)  Bezüglich  der  ersteren 
versichert    allerdings    Mubarrad    zweimal    im    Kämil    (|V1,    5. 

fAv,  17):^*  Li]    ^(  ^**&  J3  ^i   »Jy  ^i    (8,jj^ä*J|  Jy^ 

j^Xij»,,    und    diese  Deutung    des  J    nach   00.   als   gjoh  *^ 

herrscht,  von  Tabarl  (IX,  fl,  4)  an,  auch  in  den  Qorän- 
Kommentaren  vor,    aber   der  Murni   erklärt   ausdrücklich    (I, 


!*£• 


2)  Vgl.  Mufassal  ipf,  17:    *j  jdJf  JLä  BJ^ja    [f^H]   J53   "^J 
*■&  lJo.  und  oben  S.  165,  Anm.  1,  auch  Spitta,  Gramm,  d.  arab.  Vul- 

gärdialectes  von  Aegypten  S.  367,  Anm.  1. 


Auflösung  der  Akkusativrektion  des  Transit.  Verbs  usw.    177 

vj|   vy^l     c*JU>  *-*-*j   cr*^  ^'    ferner    kann    man    im    Lisän 
al-^arab  s.  Jo;  (XI,  |V,  8  ff.)  lesen:   ^y~.c  JJi  J~=-j  je    jJ^-Sj 

r^Ji  .Tjtxa  (jü  lij^JtvJl  ^2   *lä»  «lyiJI  JLäj    ^xJ  VjS  JLä  (jü 

-üuJfj  Silvio  ,.«U(  ayci  Jö,  JUS  j»XJ  Lio  ^^*JI  0LT  öj  ^Jä-O 
1  (*wL*  j^rt  ,^-t  *-gJ  <— JOjS ^(,  und  endlich  begegnen  auch  in  Qo- 

y  — 

••  o  ytjy      y  ^    % 

rän-Kommentaren  Stellen  wie:  f^UL  ^JSjc^j  Joe     juw^  jl 
Jlä   q^o    ^^-c   Oö.    .    .    .   >Xi   LiOj^i 

y 

OUJÜ*    JUjuJL    LcLav    fjjyj    *    2*-^Uö«   ^y»£.  q/0    LiOj    Uli 


•'  X 


fc/  y 

.Atv,  ^  Ijjjj  ^^*p.  (Kassäf  zu  Süra  27,  74).  Und  was  ^Xfii 
„(bar)  zahlen"  anlangt,  so  habe  ich  es  in  der  Literatur  aller- 
dings nur  mit  doppeltem  Akk.  konstruiert  gefunden2),  aber 
die  Lexika  verzeichnen  daneben  auch  die  Konstruktion  mit 
J,  und  wie  wir  soeben  gesehen  haben,  war  diese  auch  al-Farrä' 
geläufig.3) 


1)  Vgl.  Lank  s.  Oi)«,  auch  Abu  Bakr  as-Sigistani,  Rarib  al-Qur  an 

llv,  4  usf. 

2)  Hariri,   Maq.2  nl,  2.  o(*1,  6  und  Dozy,  Suppl.  s.  v. 

3)  Auch  andere  Verba  regieren  ja  bald  den  Akkus,  und  bald  J;  vgl. 


?     s      s     OJi  X  s    y    O  E 


?os\js*.j  und  *J    ^£>-j)  *^»-,  I  „er  (der  Verkäufer)  gab  ihm  (dem  Käufer) 

S  /    S  1  SS    s 

Übergewicht"  (s.  die  Lexika),  sj    Xxi  und  »jXcl    „er   dankte  ihm"    (s. 
wieder  die  Lexika  und  außerdem  Hamäsa    iof\  5  v.u.  mit  Kommentar; 

Phü.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXU.  I  5 


178  A.  Fischer: 

Ganz  auszuscheiden  haben  m.  E.  die  beiden  Verse 

Zuhair,  Diwan  Nr.  ia,  01)  und 

J.jL»^Ü  20'b5Li-     -i  ö*a££    *    J^>-£~~«  ^Uj  b$  f^g-o  ab  iXS. 

Hudail,  ed.  Wellh.,  Nr.  ifp,  13,  die  Reckendorf  (s.  oben 
S.  164),  und  der  Vers 

Maqqari  I,  aN,  8,  den  Fleischer,   Kl.  Sehr.  II,  266,  hier- 

hergezogen  hat.     Die   Vershälften   ^U-*J  isj^JLs».  Ludlkü*  und 

J.SLt^J  jö^Li-    Js  c^-<t^  besagen  nämlich  nicht,  wie  Recken- 

DORF  will:  „Fantasien  lassen  uns  die  Selma  erscheinen"  und: 
„indem  er  für  seine  Tanten  Preise  festsetzte"2),  sondern: 
„Traumerscheinungen  der  Salmä  kommen  uns  zu  sehen  (wie 


hier  sind  freilich  wohl  eigentlich  die  zwei  Konstruktionen  auseinander- 

zuhalten:  ^^Ui  I >y£  -£*£  und    *-le**  J^-  Li^ii^X*i  „jemand  für  et- 

was  danken4';  vgl.  einerseits  Süra  2,  147.  167.  27,  40.  29,  16.  31,  11.  13. 
34,  14,  neben  16,  115.  27,  19.  17,  20.  76,  22,  Iäqüt  IV,  |.,  19.  o1P,  3i 
Zuhair  Nr.  10,  Pv,  und  anderseits  Kämil  a.,  8,  Iäqüt  IV,  Pöo,  3,  Sin- 

debad  par  Machuel2  v,  1   und   meine   Chrestom.   |P,  4),   L^U|  *-*"vj 

und  aJ  Lgi».  :  „er  gab  sie  ihm  zur  Frau"  (neben  andern  Konstruk- 
tionen; Lexika,  Aräni  VIII,  nP,  11.  24,  1001  Nacht,  Kairo  131 1,  I,  o,  6, 
Abu-1-Mahäsin,  ed.  Juynboll,  II,  1o,  3 f.,   Socin,  Arab.  Gramm.5  46*,  6 

usf.),  &3jXZ.z**\  und  2<J  OjXiJUvf  „er  blickte  zu  ihm  hinauf ",  „erstaunte 
es  anu  0.  ä.  (Lexika,  Hamäsa  oof,  7,  Iäqüt  I,  |0f-,  11,  Schaade,  Komm, 
d.  Suhaill  u.  d.  Abu  Darr  zu  d.  Uhud-Gedichten  26,  8,  Maqqari  II,  wP, 
v.  |f)  u.  a. 

1)  Findet  sich  auch  Addäd  1P1,  4  v.  u. 

2)  Besser  Wellh.:  „indem  er  den  Preis  für  (den  Verrat  von)  seiner 
Mutter  Schwestern  festsetzte". 


Auflösung  der  Akkusativrektion  des  Transit.  Verbs  usw.    179 

ein  Gläubiger  nach  einer  Schuld  sieht)"1)  und:  „indem  er 
über  (den  Stamm)  seiner  Tanten  Auskunft  gab2),  Lohnes 
wegen".     Und  wenn  Fleischer  in  dem   Verse   bei  Maqqari 

\j*±.  für  |^a£  lesen  will  (s.  Additions  et  Corrections  zu  Maqq.) 

und  dazu  Kl.  Sehr.  a.  a.  0.  bemerkt:  „Das  Wortspiel  mit 
Oycüf  in  allgemeiner  und  o^y^-H  m  grarnmatischer  Bedeu- 
tung giebt  den  Sinn:  fund  der  (durch  den  Tod  des  großen 
Grammatikers  eingetretene)  Schicksalswechsel  hat  die  Lehre 
von  dem  Formenwechsel  heruntergebracht'.  Das  J  vor 
^J-i^lS  dient  zur  Verstärkung  der  Rectionskraft  des  nach- 
gesetzten Zeitwortes",  so  übersieht  er,  daß  o"-^Jf  ebenso 
gut  wie  Oyail  „Schicksalswechsel"  bedeuten  kann3)  und  daß 
neben  y&jj\  (As.)  „Syntax"  wohl  häufiger  \J>yal]  (As.)  im  Sinne 
von  „Formenlehre"   erscheint  als  oiiyexJI  (J^).4)     Ich   über- 


—  7 

1)  Vgl.    AUam's    Komm,    zu    Zuh.,    ilv,    6:    »i»\.£jc3    l_£i^5Lcs\i 

»  t  -         s 

3JuILb3.,  die  Lexx.  zu   *JU»,  die  La.     «t*JUaj  (s.  Lane  s.  v.)  und  die 
Parallelen 

TS  OS  IS  SI.S   »  S         •        l/St^ 

Mufadd.,  ed.  Thorb.,  Nr.  0,  I  und 

»  >  s  s  0  s  5  »  G  x, 

aäfJwJ!  jrfAll   ^j   U/  c^y^    *    xUJ  J*/  \JSJJo   Lgju   v^il^j 

X  >  s  s 

Hudail,    ed.  Koseg.  ,   Nr.  va,  0    (s.    Giese,    Untersuchungen    über   die 

s  » 

'Addäd  47 f.,  wo   aber  fälschlich  vj>*if^j   steht   und  wo  48,  1.  2   und 

8.   10  „Gläubiger"  und  „Schuldner"  ihre  Plätze  zu  wechseln  haben). 

2)  Vgl.  o»-o  V  (und  X)  c.     -ä  „Erkundigungen    einholen   über", 
„prüfen". 

3)  Vgl.  Lane,  Lex. 

4)  Vgl.  außer  Flügel,  Gramm.  Schulen  12 f.,  Ibn  Ginnii  de  flexione 
libellus  ed.  Hoberg,  S.  2  und  Muhit  s.  *Ayo  einerseits  Häggl  Hai.  IV, 

S.  103,  3  neben  VI,  S.  313,  2,  OyaJL y*?A\  ^i   Kitäb    Magmü)    min 

15* 


180  A.  Fischer: 

setze    den    Halbvers ;    unter    Beibehaltung    der   Vokalisation 

(jlt:    „und    die    Lehre    Toni    Formenwechsel    ist   wegen    des 

Schicksalswechsels  heruntergebracht  worden".1) 

Ich  kann  also,  streng  genommen,  nur  neun  sichere  Fälle 
nennen,  wo  unser  J  im  klassischen  Arabisch  erscheint.2)  Dieses 
Resultat  gestaltet  sich  aber  noch  wesentlich  ungünstiger,  wenn 
man  beachtet,  daß  darunter  auch  nicht  ein  einziger  völlig  ein- 
wandfrei ist.  Sieben  (Nr.  i — 5.  8  und  9)  gehören  nämlich  der 
Poesie  an  und  verdanken  ihre  Existenz  zweifellos  ausschließ- 
lich dem  Zwange  des  Metrums  und  Reims.  Aber  auch  die 
Prägung  der  beiden  Qorän-Stellen  (Nr.  6  und  7)  hat  sich  offen- 
bar unter  dem  Einflüsse  eines  rein  äußerlichen  Momentes  voll- 

zogen,  insofern  nämlich,  als  der  Prophet  die  Verba  ^y&j?.  und 

...5-oij  für  den  Reim  brauchte  und  daher  genötigt  war,   sie 

hinter  ihre  Objekte  *^  und  Ujj-H  zu  stellen,  was  ihn  dann 
weiter  veranlaßt  hat,  deren  Objektsverhältnis  mittels  der  Prä- 
position J    schärfer    zu    verdeutlichen.      Diesen    Einfluß    der 

Stellung  der  Objekte  ^  und  l^JI  vor  dem  sie  regierenden 
Verb   auf  ihre  Umschreibung   durch  J3)   haben   auch   schon 

die  arab.  Qorän-Exegeten  und  Grammatiker  erkannt;  vgl.  z.  B. 


muhimmät  al-mutün  (Kairo,  Lithogr.,  1321)  irT,  Titel  der  syr.  Gram- 

matik  von  Gabriel  Cardahi:  l^j-s^  &ftil*j**-Ji  Oj^  ^  ^LXjt-^f  und 
Katalog  d.  arab.  Werke  d.  Kair.  vizekönigl.  Bibl.  IV,  S.  1  ü.  f.,  und 
anderseits  den  Titel  der  Schrift  von  Suiüti:  al-Farida  fi-n-nahu  ua-t- 
tasrif  ua-1-hatt  (Brockelmann,  Geschichte  d.  arab.  Litt.  II,  S.  155, 
Nr.  247). 

1)  Bei  dieser  Auffassung  steht  in  unserm  Halbverse  der  Haupt- 
begriff ebenso  an  der  Spitze,  wie  in  den  benachbarten  Versen  und 
Halbversen. 

2)  Natürlich  leugne  ich  nicht,  daß  sich  noch  mehr  würden  an- 
führen lassen,  sehr  groß  dürfte  aber  deren  Zahl  schwerlich  6ein. 

3)  S.  darüber  noch  unten  S.  184  f. 


Auflösung  der  Akkusativrektion  des  Transit.  Verbs  usw.    i  8 1 

Tabari,   Tafsir  IX,  fl,  3:  ^1  ^  «^Jo  >ä  Li!  f^h**  Jl3j 

p.Xff  Jbioj  ^^pM-^svi  J.*4ii  f.Jütj  (ähnlicli  fast  sämtliche  Qorän- 
Kommentare    zu    den    beiden    Stellen).     Natürlich    hätte    der 

Prophet  aber  auch  sagen  können:  ^y&*k  +&s  +$  qA-^J  und 
^j*«3  bj^Jl  ^xjlT  0}.  Vgl.  Fälle  wie  aJiÄib  Üb  j^  f^JuT  lä^ä 
Sura  5,  74,  am  Versende,  Uay»  ^ ^  bj  ay>&i  lä*  j  Sura  33,  26, 
Juä-I  aJLff  am  Anfang  des  Mufassal,  afciy  ^.s^i  .moUl  Jö  (mUrj, 
IbnHisäm,  ed.WüSTENF.,  1r\,  9  usf.1)  Übrigens  mußte  auch 
in  den  Dichterstellen  su^Jo  ^lyüJ  Sif^w  (äjd  und  .  .  .  _*^jLlL 
l^X*  die  Stellung  des  Objekts  vor  dem  Verb  die  Verwendung 


1)  Mißverständlich  lautet  bei  Wright,   Granimar3  II,   §  31,  rem. 
der  Satz :  „(J  must  be  used  instead  of  the  accusative,  when  the  object 

of  the  nomen   agentis   is   rhetorically  transposed  and  placed  before  it 

).  So  also  with  the  ftnite  verb,  ^j.-oij  b.  XI  *xiJ  ^f"  (vgl.  schon 

oben  S.  i63f.).  Diese  Stelle  ist  übrigens  m.  W.  die  einzige  bei  We.,  die 
sich  mit  der  Stellung  des  Objekts  vor  dem  Verb  beschäftigt.  Besser,  aber 
auch  nicht  ausreichend,  in  diesem  Punkte  Reckendorf,  a.a.O.,  S.  118  f. 
Am  besten,  wie  oft,  Sacy,  Grammaire2  II,  S.  202 ff.  —  Ist  das  seinem 
Verb  voraufgehende  Objekt  ein  Personalpronomen,   so  wird  es   regel- 

mäßig  mittels  bl  ausgedrückt;  vgl.  Wright,  am  soeben  zitierten  Orte, 
wo  es  aber  statt  „may"   „must"   heißen   sollte,    und   die  Qorän-Stellen 

^jA**J    üb!    ^iJ  jjf   2,    167.    16,  115.    41,  37,   ^jjyjti  tibi   *ÄJt_f   L 

10,  29,  ^JS^xi  bbl   fj.iU'  lo  28,  63    und  ^*0^+Jt?.   l^iLf  */bJ    &^5ȣ>f 

34,  39,  sämtlich  im  Versausgang.  (Dagegen  wird  das  vor  einem  Nomen 
mit  Verbal  kraft  stehende  pronominale  Objekt  mit  J    umschrieben; 

Beispiele  s.  Wright  a.  a.  0.,  Reckendorf  S.  254 f.  u.  a.  —  Im  Dialekte 
des  Nedschd  findet  sich  diese  Ausdrucksweise  auch  vor  dem  Verb 
selbst;  vgl.  mä  gerij-ajidin  lihin  dag  „die  noch  kein  anderer  geküßt 
hatte  als  ich",  Socin,  Diwan  aus  Centralarabien  Nr.  78,  2.) 


182  A.  Fischer: 

von  J  wesentlich  erleichtern.   Daß  hier  das  Objekt  dann  auch 

noch  durch  das  Suffix  am  Verb  ausgedrückt  ist,  darf  deshalb 

»      O  /  s  4 

nicht  auffallen,  weil  man  auf  gut  Arabisch  statt  s^o^oljo- 
nicht  nur  aoöyi?  ^>j  :,  sondern  auch  »zijä  ii>o:  sagen  konnte. 
Freilich  galt  das  Schema  20;^?  u\>:  im  allgemeinen  für  besser 

als  2U^6  fuXp : ,  aber  gerade  beim  Imperativ,  mit  dem  wir  es 
wenigstens  in  unserm  zweiten  Beispiele  zu  tun  haben,  bevor- 

zugte  man  &>yb\  fJ^j  vor  »?fb\  0^>j.     Vgl.   Sibauaih  I,  §  pf 

(=  Sacy,  Anthologie  100),  Mufassal  IT,  4  v.  u.  ff.  und  dazu 
Ibn  Ia^is  i<Uff.,  Alfiia,  Vers  Po  off.,  Käfiia,  ed.  Stambul  1234, 
*f.,  Hizäna  I,  f  riff.,  Sacy,  Grammaire2  II,  S.  202  ff,  HowellI, 

S.  202 ff.  u.  a.  (auch  Fälle  wie  «o.lö  a^if  J^J,  s.  nächste  S.,  5  v.u.). 

Besonders  schwer  fällt  ins  Gewicht,  daß  keins  der  von 
mir  angeführten  Beispiele  unserer  Auflösung  der  guten  alten 
erzählenden  Prosa  angehört.  Sie  dürfte  also  gerade  der 
Sprache,  die  wegen  ihrer  Natürlichkeit  in  verschiedener  Be- 
ziehung selbst  höher  als  die  der  alten  Beduinenpoesie  gewertet 
werden  muß,  im  wesentlichen  unbekannt  gewesen  sein. 

Mit  unserm  Resultate  scheint  nun  auffällig  folgender  Passus 

des   Kämil    (fw,   12  ff.)    zu  kontrastieren:   J^?.  *ä  {y*i  .  .  .  . 

y 

8iU?^i  p"$  Lgi^  pX'f   J^taJf  »±*o    ^  ('Jc^jiXm*^  ^JJf j  Jjti  ov^j 


1)  Fleischers  Verbesserungsvorschläge  zu  diesem   Passus   (s.  die 
Critical  Notes  in  Vol.  II)   sind  unberechtigt,   denn  er  ist  durchaus  in 

Ordnung,  abgesehen  von  den  zwei  Worten  Jot&JI  ^y^-lä  Z.  14,  für  die 

JjtöJl  ^^Jb-Li  oder  JjuäJI  i^j-^ui  zu  lesen  sein  wird.     Sein  Eingang 

besagt:  In  dem  zur  Rede  stehenden  Verse  hat  der  Dichter  das  Verb 

o.§i,  das  sonst  transitiv  ist,  mit  At  konstruiert.  „Die  Praeposition 
aber,  die  sonst  verwendet  wird,  wenn  ein  (eigentlich  transitives)  Verb 
mit  einer  solchen  verbunden  wird,  ist  J"  usf.  Vgl.  im  übrigen  zu  dem 
Passus  S. ivl,  3  ff. 


Auflösung  der  Akkusativrektion  des  Transit.  Verbs  usw.  183 

o-**Ä-tj  •  •  •  •  c^>yi  ij*t  ^y**J'j  w-»yi  _5^_j  c^^  j^y  jyt> 

jtj  J^  **UI   JU»  jLsuuwaiff  ci'Lülfj  J^j  -Ko^»  ^j'^j  CT"^"   l5*J** 

w  mm  C      »  ^-»*C.         ,  1  u        o  £•  »fci 

m  cutis 

1)pfA>j_y$>l*i^  yi  o^  (j^P.  y  ^*»*=-  J^  bjUj-  Nach  diesem 
Passus   müßte  nicht  nur  die  Ausdrucksweise  c^Sysb  Js>J  als 

völlig  einwandfrei  gelten,  sondern  es  wären  selbst  Fälle  wie 
AjsjJ  ooyi  gutes  Arabisch.  Mau  beachte  aber,  daß  sich 
Mubarrad.  diese  Regeln  ganz  einseitig  nach  dem  Qorän  ge- 
bildet hat,  und  zwar  auf  Grund  von  Stellen,  die  doch  etwas 
weniger  mechanisch  und  äußerlich  beurteilt  sein  wollen,  als 
es  durch  ihn  geschieht.     Vorsichtiger  äußert  sich  Ibn   3Aqil 

(ed.  Diet.  S.  l^^,  2):  j^y  ^  llL3  u!(j  [ ^yü  r^Jf  y] 

Die   Qorän-Kommentatoren   erwähnen   in    der  Regel   nur   die 
Auflösung  des   dem   Verb   voraufgehenden   Objekts   durch 
J  als  anerkannten  Sprachgebrauch;  vgl.  Kassäf  zu  Süra  7, 153: 
'  *        '  ^ 

CaJja3  vsi^J  4y*J  CIJLT^3   ^_5J^  B_y5r'f?  Un(^    ZU   ^Üra   2;   r43:  «yJ*^jä 

zw^Lö  »^1  ^jij  ooyä  Jv^jJ  v^jJLT  Jj.*äJ(  ,.vXSxJ  r^Uf,  Abu-1- 
Barakät  an-Nasafi,    Tafsir    (am    Rande   von   Häzin's   Tafsir), 

TTT  '  *"  fi  J 

III,  l\,  Mitte:  0^  Ujj-Uj  k?j^  ^j^-  4yi>  un(^  Naisäbüri, 
Tafsir   (a.   R.   von   Tabari's   Tafsir),   IX,  f1,  14   v.  u.:  Vj£ü3 

c 

c^yb  *ApjJ  vaNiy^   OJij^"  kjj^*8)    ^nc^  endlich  fehlt  es  nicht 

1)  Zu  den  letzten  Worten  vgl.  schon  oben  S.  176,  5  v.  u. 

2)  Vgl.  auch  oben  S.  181,  1. 


184  A.  Fischer: 

an  Zeugen,   die  den  Gebrauch  von  J  statt   des  Akkus.,   zum 

mindesten  bei  nachfolgendem  Objekt,  mit  aller  Schroffheit 
verurteilen;  Ibn  Fürga,  in  Uähidi's  Komm.  z.  Mutanabbi,  IVr,  3: 

und  Tabarl,  Tafsir  IX,  fo,  pu.:   s^»       i  *^y-ff  J«^i  ui-Ui-L 

Vi^Xey'l  ^Ä*^  ü£^J  O^T-^U  vt&*®}    L5JtJt*^  ^^  ^>-^j  |*^LXJf. 

Als  Resultat  unserer  Untersuchung  ergibt  sich  also: 
Die  Auflösung  der  Akkusativrektion  des  Verbs  durch  J 

scheint  der  Prosa  des  eigentlichen  klassischen  Arabisch  ganz 
zu  fehlen.  In  der  Poesie  und  im  Qorän  findet  sie  sich  zwar, 
aber  nur  sehr  vereinzelt  und  stets  nur  unter  einem  gewissen 
Zwang  von  Metrum  oder  Reim.  Irrfmerhin  nötigt  ihr  Vor- 
kommen an  diesen  Stellen  zu  dem  Schlüsse,  daß  sie  mindestens 
der  alten  Umgangssprache  einigermaßen  geläufig  gewesen  sein 
muß.2)  Die  mir  zur  Verfügung  stehenden  Belege  beweisen 
nicht,  daß  sie  bei  voraufgehendem  Objekt  und  nachfolgendem 
Verb  häufiger  gewesen  sei  als  bei  der  normalen  Wortstellung 
(also  erst  Verb  und  dann  Objekt);  zu  dieser  Annahme  führen 
aber  mit  Notwendigkeit  die  oben  S.  181  und  183  mitgeteilten 
Äußerungen  der  einheimischen  Grammatiker  und  Qorän-Exe- 
geten,   auch   wenn   man    deren   Befangenheit    gegenüber    den 

beiden  Qorän-Stellen  ^y&ß  +&J  +$>  cß&U  un(^  Ujj-U  ^jJ  ^1 


1)  Die  erste  Hälfte  dieses  Ausspruchs  auch  iu   3Ukban's  Komm. 

zu  Mutanabbi,  II,  ("ja,  18,  mit  dem  Zusatz:  wyJa^vJj  Jlä  \SS*. 

2)  Von  da  aus  ist  sie  dann  mehr  und  mehr  auch  in  die  vulga- 
risierende und  nachklassische  Literatursprache  eingedrungen,  wie  na- 
türlich auch  in  die  neuere  Umgangssprache  übergegangen.  In  letzterer 
scheint  sie  nicht  gerade  selten,  aber  auch  keineswegs  besonders  häufig 
zu  sein;  vgl.  Socin,  Diwan  aus  Centralarabien  III,  S.  233,  Spitta, 
Gramm,  d.  Yulgärdialectes  von  Aegypten  S.  3671".  und  meine  Marokk. 
Sprichwörter  S.  33  f. 


Auflösung  der  Akkusativrektion  des  Transit.  Verbs  usw.    185 

....ajü,  wie  gegenüber  der  grammatischen  Theorie1)  nach 
Gebühr  in  Rechnung  stellt.  Es  ist  ja  auch  schon  an  sich 
sehr  wahrscheinlich,   daß   sich   die  Umschreibung   mit  J  am 

meisten  da  aufgedrängt  hat,  wo  die  Rektionskraft  des  Verbs 
am  wenigsten  fühlbar  war,  d.  h.  eben  —  abgesehen  etwa  von 
Fällen,  wo  sich  längere  Zwischenglieder  zwischen  Verb  und 
Akkusativ  schoben  —  bei  voraufgehendem  Objekt.2)  So  ist 
auch  bei  den  Nomina  agentis  mit  Akkusativrektion  die  Um- 
schreibung  des   Objekts    mit  J  nötig,    wenn    dieses    seinem 

Regens  voraufgeht,  dagegen  nur  zulässig  oder,  in  gewissen 
Fällen,  höchstens  bevorzugt,  wenn  es  ihm  nachfolgt.3)  Geht 
das   mit  J  ausgedrückte  Objekt   seinem  Verb   voraus,   so   er- 

scheint    es    gelegentlich    noch    einmal    als    Suffix    am    Verb 

(Schema:  K^yä  &iß)-     Dagegen    scheint   dieses   pleonastische 

» 

Suffix  bei  der  umgekehrten  Wortfolge  (Schema:   j^jJ  &üjä) 

1)  Nach  der  herrschenden  Schulrneinung  galt  —  aus  dem  oben 
S.  162  erörterten  Grunde  —  die  Umschreibung  des  seinem  Verb  vorauf- 
gehenden Objekts  durch  J  als  ^Lo,  d.h.  als  bestimmten  Regeln  ent- 

sprechend,  dagegen  die  des  nachfolgenden  Objekts  nur  als  cU«,  d.  h. 
als  nur  empirisch  gegeben. 

2)  Soweit  diese  Anschauung  auch  in  der  in  der  vorstehenden 
Anm.  erwähnten  Schulmeinung  zum  Ausdruck  kommt,  ist  gegen  letztere 
natürlich  nichts  einzuwenden.  Falsch  ist  an  ihr  aber  die  Verkennung 
der  Tatsache,  daß  ein  transitives  Verb  seine  gewöhnliche  Rektionskraft 
auch  bei  nachfolgendem  Objekte  verlieren  konnte.  —  Auch  das  christ- 
liche Arabisch  zeigt  unsere  Auflösung  am  häufigsten  bei  voraufgehen- 
dem Objekt;  vgl.  Graf,  Sprachgebrauch  S.  42.  (In  den  aramäischen  Dia- 
lekten und  im  Äthiopischen,  wo  bekanntlich  b  bzw.  \  statt  des  Akkusativs 
besonders  beliebt  ist,  dürfte  sich  dieses  allerdings  bei  nachfolgendem 
Objekt  ebenso  häufig  finden  wie  bei  voraufgehendem.  Aber  hier  ist 
ja  überall  die  Wortstellung  so  frei,  daß  sie,  anders  als  im  Arabischem 
in  Fällen  wie  dem  vorliegenden  nicht  als  Mittel  oder  auch  nur  Hilfs- 
mittel des  syntaktischen  Ausdrucks  dienen  und  daher  auch  nicht  die 
Darstellung  des  Objekts  beeinflussen  konnte.)  —  Man  vgl.  die  Behand- 
lung des  seinem  Verb  voraufgehenden  Objekts  in  den  verschiedenen 
indogermanischen  Sprachen. 

3)  Vgl.  z.  B.  Wright,  Grammar3  II,  §  31. 


i86  A.  Fischer: 

völlig  unbekannt  gewesen  zu  sein.1)  Wie  die  NN.  i  und  3 
der  von  mir  mitgeteilten  Belege  zeigen,  erscheint  im  Ara- 
bischen (im  Gegensatz  zum  Aramäischen2))  das  J  des  Objekts 

auch  beim  indeterminierten  Nomen. 

Unsere  Auflösung  ist  ihrem  Kerne  nach  zweifellos  gut- 
arabisch.    Das  beweist  schon  ihr  hohes  Alter  und  vor  allem 


1)  Anders  bekanntlich  im  Aramäischen  und  Äthiopischen.  Vgl. 
auch  1  Chron.  5,  26:  i"ttB53Q  BÄia  ^xnbl  "Habl  'Tsniaob  tab^l  „und  er 
führte  die  Kubeniten,  die  Gaditen  und  den  halben  Stamm  Manasse 
hinweg1'  und  2  Chron.  25,  10 :  vb»  xa~" i\rx  -rtiafib  sifTWast  nbi'^l 
D?  jEX'O  „Da  sonderte  Amasja  die  Heerschaar,  die  aus  Ephraim  zu  ihm 
gestoßen  war,  ab".  (Die  beiden  Stellen  Neh.  9,32:  ^rixs^—.m  rixb^n 
^»S-babl  ....  Wirtb^  na^n^'b  Wjb^i  „das  Ungemach,  das  uns  be- 
troffen hat,  unsere  Könige,  unsere  Obersten,  unsere  Priester  ....  und 
dein  ganzes  Volk"  und  2  Chron.  28,  15:  blöiS-bsb,  Diwans  cnbqri  „und 
sie  führten  sie,  soviele  ihrer  zum  Gehen  zu  matt  waren,  auf  Eseln",  die 
König,  Lehrgebäude  d.  Hebr.  II,  2,  §  289 n  gleichfalls  hierherziehen 
will,  sind  dagegen  anders  zu  beurteilen,  denn  hier  bilden  nicht  die 
Suffixe  "3  und  C  -\-  den  darauf  folgenden  Ausdrücken  mit  b  die  Objekte 
zu  nxSTa  und  •bnr,  sondern  die  Suffixe  allein  bilden  diese  Objekte, 
und  die  Ausdrücke  mit  b  stellen  sich  appositioneil  daneben,  im  .ersten 
Falle  in  individualisierendem,  im  zweiten  in  einschränkendem  Sinne.)  — 
Die  heutigen  arab.  Dialekte  kennen  dieses  Suffix  m.  W.  weder  im  einen 
noch  im  andern  Falle,  ausgenommen  das  Syrisch-Arabische,  wo  aber, 
wie  ich  ZDMG  63,  825 f.  ausgeführt  habe,  aramäischer  Einfluß  anzu- 
nehmen ist. 

2)  S.  Nöldeke,  Syr.  Gramm.  §  288,  Neusyr.  Gramm.  §  155,  Man- 
däische  Gramm.  §  270.  Beiträge  z.  Kenntniss  d.  aram.  Dialecte  II 
(ZDMG  XXII,  S.  443  ff.)  §  42,  und  Margolis,  Lehrbuch  d.  aram.  Sprache 
d.  babyl.  Talmuds  §  61.  Auch  im  Biblisch-Aramäischen  fin- 
det sich  b  nur  beim  determinierten  Objekt,  und  das  gleiche 
gilt  wohl  vom  späteren  jüd.-paläst.  Aramäisch.  Kautzsch 
(Gramm,  d.  Bibl.-Aram.  S.  127  u.  151),  Marti  (Kurzgef.  Gramm,  d. 
bibl.-aram.  Sprache  S.  I07f.)  und  Dalman  (Gramm,  d.  jüd.-paläst.  Aram.* 
S.  226,  oben)  haben  diesen  Umstand  ganz  übersehen,  und  Strack 
(Gramm,  d.  Bibl.-Aram.4  §  70:  „Zur  Einführung  des  Objekts  dient  sehr 
häufig  b,  besonders  wenn  das  Obj.  ein  determiniertes  persönliches  ist") 
ist  in  seiner  Würdigung  nicht  genau  genug.  —  Ich  weiß  nicht,  ob  im 
Äthiopischen  bloßes  A  (also  ohne  das  pleonastische  Suffix  beim  Verb) 
auch  indeterminierte  Objekte  einführen  kann,  möchte  es  aber  glauben. 


Auflösung  der  Akkusativrektion  des  Transit.  Verbs  usw.    187 

die  Parallele  des  J^l*Jf  'siytd  ^  bei  den  Verbalnomina,  das 
wohl  niemand  für  importiert  halten  wird;  von  diesem  J  zu  dem 

unsrigen  bedurfte  es  natürlich  keines  allzu  großen  Schrittes1). 
Nicht  unmöglich  wäre  freilich,  daß  sie  schon  früh  unter  aramäi- 
schen Einfluß  geraten  ist 2) ;  immerhin  bliebe  bei  dieser  Annahme 
verwunderlich,  daß  sich  dann  nicht  auch  das  im  Aramäischen3) 

CS  1s  » 

so  beliebte  Schema  1^-9^  -öjJb    (dem  arab.  v^y*<U  bLu,    »x*jb 

JojJ   entsprechen   würde)    schon   im   älteren  Arabisch   durch- 

gesetzt  hat.4)  Das  tatsächlich  vorkommende  Schema  J^J 
xxiyb,  das  sich  allerdings  gleichfalls  im  Aramäischen  häufig 
findet5),  läßt   sich,    wie  wir  gesehen   haben,   als  völlig  orga- 

nische  Entwicklung  aus  dem  gutarabischen  xüyä  iJs>:  begreifen. 

Man  beachte  noch,  daß  sich  unsere  Auflösung  nicht  allzu  selten 
auch  im  Hebräischen  findet,  und  zwar  wohl  gleichfalls  un- 
abhängig   vom    Aramäischen6),    sowie    daß    auch    im    Assy- 


ungefähr  gleichwertig  mit  ^y&S.  *4*jl  +$  (M^ÄU  und   U»  J-f  +&*?  ^ 

s 

^jkjk*.  (vgl.  z.  B.   Tabari,  Tafsir  IX,  f  «j,  2). 

2)  An  aramäischen  Einfluß  würde  sich  natürlich  auch  bei  Bagdad 
denken  lassen,  wenn  wirklich,  wie  Ibn  Fürga  behauptet  (s.  oben  S.  184,4), 
unsere  Auflösung  eine  besondere  dialektische  Eigentümlichkeit  dieser 
Stadt  gewesen  ist.  (Vgl.  sonst  zum  Dialekte  von  Bagdad  Freytag,  Ein- 
leitung in  das  Studium  d.  arab.  Sprache  S.  108,  und  besonders  das 
witzige  Gedicht  Iäqüt  I,  \\\.) 

3)  Eine  Ausnahme  bildet  hier  merkwürdigerweise  das 
Biblisch- Aramäische,  in  dem  dieses  Schema  gänzlich  fehlt. 

4)  Gegen  stärkeren  aramäischen  Einfluß  in  früher  Zeit  spricht 
doch  auch  der  soeben  konstatierte  Unterschied,  der  hinsichtlich  der 
Determiniertheit  des  mit  J  ausgedrückten  Objekts  zwischen  dem  Ara- 

s 

maischen  und  dem  Arabischen  besteht. 

5)  Vgl.  die  zitierten  Grammatiken. 

6)  Sie  begegnet  schon  ziemlich  früh  (Exod.  32,  13  und  Deut.  9,  27 
nach  "Ol,   2  Sam.  3,30  nach  5~n  usf.,   vgl.   König,  Lehrgebäude  H,  2, 


1 88     A.  Fischer:  Auflösung  der  Akkusativrektion  usw. 

riscnen  der  Akkusativ  gelegentlich1)  mit  der  Dativpräposition 
(ana)  umschrieben  wird.  Es  handelt  sich  hier  also  offenbar 
um  eine  gemeinsemitische  Erscheinung',  deren  Keime  schon 
im  Ursemitischen  liegen  müssen. 

Der  allmähliche  Schwund  der  Kasus-Endungen  in  der 
Umgangssprache  hat  unsere  Auflösung  nicht  veranlaßt,  mußte 
sie  aber  begreiflicherweise  begünstigen. 


§  289,  Gesenius-Kautzsch,  Hebr.  Gramm.27  §  iiyn  u.  a. ;  erst  spät,  in 
Fällen  wie  den  beiden  oben  S.  186,  Anm.  1  aus  der  Chronik  mitge- 
teilten, wird  aram.  Einfluß  anzunehmen  sein)  und  kommt,  wie  im  Ara- 
bischen, auch  beim  indeterminierten  Objekt  vor  (vgl.  Jes.  61,  i: 
-s-n^rb  irnrfe,  Threni  4,  5:  d^sol?  n^xn,  Dan.  11,38,  2  Chron. 
5,11.  24, 12). 

1)  Delitzsch,    Assyr.    Gramm.2    §    180:    ,, nicht    selten",    dagegen 
Meissner,  Kurzgef.  assyr.  Gramm.  §  74c:  „selten".    Wer  hat  Recht? 


Druckfertig  erklärt  17.  VI.  1910.] 


i8g 


SITZUNG  VOM  30.  APRIL  19 10. 

Herr  Mitteis  legte  eine  Abhandlung  von  Professor  Menzel  in  Wien 
vor  über  Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Tburii,  für  die  „Be- 
richte". 

Herr  Schmarsow  kündigte  eine  Portsetzung  seiner  Studien  über 
Federigo  Baroccis  Zeichnungen  an,  für  die  „Abhandlungen". 

Herr  Fischer  meldete  an  Randbemerkungen  zu  arabischen  und 
arabistischen  Werken,  Stück  1,  für  die  „Berichte". 

Herr  Delbrück  legte  eine  Arbeit  vor  über  Germanische  Syntax, 
Teil  1  und  2,  für  die  „Abhandlungen". 

Die  Klasse  bewilligte  Herrn  Mitteis  eine  Unterstützung  von 
600  Mark  zu  der  von  ihm  geplanten  Sammlung  von  Interpolationen 
in  den  Justinianischen  Rechtsbüchern. 


Phil.-hist.  Klasso  1910.     Bd.  LXII.  16 


i9i 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii. 

Von  ' 
Dr.  Adolf  Menzel. 

I. ' 

Den  Ausgangspunkt  unserer  Untersuchung  bildet  die 
Notiz  bei  Laert.  Diog.  IX,  50:  ngorayoQug  —  '^ßö^gCr^g 
xad"cc  (prjöiv  'HQccxXsidrjg  6  Ilovxixbg  ev  rolg  tceql  vo^lcov  bg 
xal  &ovQtovg  vopovg  yQccipcci   (pyöiv  avxöv. 

Der  Biograph  der  griechischen  Philosophen  bringt  dem- 
nach zwei  Mitteilungen  über  Protagoras:  einmal  daß  Abdera 
seine  Vaterstadt  war,  dann,  daß  er  die  Gesetze  von  Thurii 
niedergeschrieben  habe.  Für  beide  Angaben  zitiert  er  als 
Quelle  ein  Werk  des  Pontikers  Heraklides  „von  den  Gesetzen." 
Die  erstere  Angabe,  die  über  die  Heimat  des  Sophisten,  wird 
auch  von  anderen  gewichtigen  Gewährsmännern,  vor  allen 
von  Plato1)  bestätigt;  sie  ist  daher  niemals  ernstlich  in  Zweifel 
gezogen  worden.2)  Anders  steht  es  mit  der  Nachricht  über 
die  Beteiligung  von  Protagoras  an  der  Gesetzgebung  der  etwa 
um  443  gegründeten  Pflanzstadt  Thurii.  Diese  Nachricht 
steht  vereinzelt;  es  scheinen  ihr  sogar  andere  Berichte  zu 
widersprechen.3) 

1)  Plato,  Protag.  309  C,  Staat  X  600  C. 

2)  Vgl.  Vitringa,  de  Protagorae  vita  et  philosophia  p.   14  ff. 

3)  Nach  Diodor  XII,  11  soll  Thurii  die  Gesetze  des  Charondas  er- 
halten haben;  bei  Athen.  XI,  508  A  erscheint  Zaleukos  als  Gesetzgeber. 
Vgl.  darüber  Franz  Hofmann,  Beiträge  zur  griechischen  und  römischen 
Rechtsgeschichte  S.  93,  94.  Für  die  Richtigkeit  der  Notiz  des  Laer- 
tius  haben  sich  neuestens,  jedoch  ohne  nähere  Begründung,  erklärt 
Rcd.  Hirzel,  Themis  und  Dike  S.  382,  Ed.  Meyer,  Gesch.  d.  Altert.  IV, 

§  398. 

16* 


192  Adolf  Menzel: 

Allein  es  verdient  dennoch  die  auf  Heraklides  gestützte 
Mitteilung  vollen  Glauben.  Indem  wir  dies  darzulegen  ver- 
suchen, lassen  wir  es  zunächst  völlig  dahingestellt,  welche 
Art  von  Gesetzgebung  dabei  gemeint  ist,  also  ob  es  sich  um 
Verfassungsgesetze  oder  gewöhnliche  Justizgesetze  gehandelt 
hat,  ob  eine  Neuschöpfung  oder  eine  bloße  Gesetzesrevision 
anzunehmen  sei.  Über  diese  Frage  ist  unseres  Wissens  bis- 
her nicht  gehandelt  worden.  Aber  selbst  die  Vorfrage  —  die 
Glaubwürdigkeit  der  Mitteilung  von  Heraklides  —  wurde  wohl 
noch  kaum  näher  untersucht. 

Wenn  man  von  der  Autorschaft  jener  Notiz  gänzlich 
absieht,  kommt  zunächst  zur  Erwägung,  ob  eine  historische 
Wahrscheinlichkeit  dafür  besteht,  daß  bei  der  Gründung  von 
Thurii  unser  Sophist  für  die  Gesetzesredaktion  herangezogen 
worden  sei.  War  es  nicht  einfacher,  eines  der  in  Unteritalien 
geltenden  Stadtrechte,  etwa  das  von  Katana  oder  Lokri  zu 
rezipieren?  Wenn  es  sich  bei  der  Schaffung  von  Thurii  wirk- 
lich nur  um  eine  der  üblichen  Stadtgründungen  gehandelt 
hätte,  würde  es  in  der  Tat  mehr  Wahrscheinlichkeit  haben, 
daß  die  Gesetze  des  Charondas  oder  Zaleukos  von  der  neuen 
Pfianzstadt  angenommen  worden  wären.  Allein  der  Fall  war 
doch  von  den  gewöhnlichen  Kolonisationen  ganz  verschieden. 

Es  handelte  sich  um  ein  Kolonialunternehmen  im  größten 
Stile,  welches,  von  Athen  ausgehend,  unter  Beteiligung  aller 
griechischen  Staaten  ins  Werk  gesetzt  werden  sollte.  Perikles 
nahm  sich  der  Sache  mit  dem  größten  Eifer  an;  er  suchte 
damit  für  Athen  einen  wichtigen  Stützpunkt  in  Westgriechen- 
land zu  erreichen,  zugleich  aber  den  panhellenischen  Gedan- 
ken zu  verwirklichen.  Wenn  sich  nun  auch  Sparta  offiziell 
nicht  beteiligte,  so  kamen  doch  aus  dem  Pelopones  zahlreiche 
Teilnehmer;  auch  Mittelgriechenland  stellte  eine  ansehnliche 
Kolonisten  schar. x)  Die  Führung  aber  lag  in  den  Händen 
hervorragender  Athener,  unter  welchen  der  Seher  und  Exeget 
Lampon,  ein  persönlicher  Freund  des  Perikles  die  wichtigste 


i)  S.  die  Darstellung  bei  Busolt,  griech.  Gesch.  III,  S.  518  ff. 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii.  193 

Rolle  spielte.  Der  athenische  Einfluß  auf  die  Verfassung 
der  neugegründeten  Kolonie  tritt  in  den  beiden  uns  von 
Diodor  (XII.  n,  2  und  3)  überlieferten  Nachrichten  hervor, 
daß  nämlich  die  Bürgerschaft,  wie  in  Athen,  in  zehn  Phylen 
gegliedert  wurde  und  daß  eine  demokratische  Verfassung  zur 
Geltung  kam. 

Unter  diesen  Umständen  war  es  wohl  ausgeschlossen, 
daß  die  neugeschaffene  Stadt  Thurii  die  alten  Gesetze  des 
Charondas  oder  Zaleukos  einfach  rezipiert  hätte.  Denn  wenn 
dieselben  auch  mehr  das  Zivil-  und  Strafrecht  zum  Gegenstand 
haben,  als  die  Verfassung,  so  tragen  sie  doch  einen  höchst 
konservativen  Charakter  an  sich.  So  berichtet  uns  Diodor 
(XII,  15,  2),  daß  nach  den  Gesetzen  des  Charondas,  jeder,  der 
eine  gesetzliche  Neuerung  einführen  wollte,  seinen  Hals  in 
eine  Schlinge  legen  mußte,  bis  sich  das  Volk  über  Annahme 
oder  Ablehnung  des  Antrags  entschieden  habe1),  ferner 
(XII,  17,  4)  daß,  wenn  jemandem  ein  Auge  ausgeschlagen 
wurde,  der  Täter  die  gleiche  Strafe  erleiden  sollte;  also  die 
Talion  in  rohester  Form.  Es  ist  einfach  undenkbar,  daß  in 
einer  unter  Patronanz  von  Perikles  gegründeten  Kolonie  solche 
Sätze  zur  Geltung  gelangt  sind.  Auch  die  privatrechtlichen 
Vorschriften  des  Charondas  mit  ihrem  Mißtrauen  gegen  den 
Kreditverkehr2)  paßten  durchaus  nicht  auf  eine  lebhafte 
Handelsstadt  in  der  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts. 

Wir  müssen  uns  jedoch  in  dieser  Frage  nicht  mit  bloßen 
Vermutungen  begnügen.  Wir  können  den  direkten  Beweis 
dafür  erbringen,  daß  es  eine  besondere  Gesetzgebung  der  Stadt 
Thurii  gegeben  hat,  verschieden  von  den  alten  Satzungen  des 
Charondas  und  Zaleukos,  eine  Gesetzgebung,  welche  durch 
ihre  Originalität  eine  gewisse  Berühmtheit  erlangt  hat.  In 
dem  Rechtslexikon  von  Theophrast,  aus  welchem  uns  Stobäus 


1)  Nach  Demosthenes  c.  Timocrat.  p.  744  galt  dieser  Satz  in  Lokri, 
wäre  demnach  von  Zaleukos  aufgestellt  worden. 

2)  Theophrast  hei  Stob.  44,  22  berichtet,  daß  nach  den  Gesetzen 
des  Charondas  der  Kaufvertrag  Zug  um  Zug  erfüllt  werden  mußte;  ein 
Klagerecht  wird,  falls  kreditiert  wurde,  nicht  gewährt. 


IQ4  Adolf  Menzel: 

44,  22  ein  großes  Fragment  „tibql  öv^ßolaCav"  erhalten  hat, 
wird  an  zwei  Steilen  der  Gesetze  Thuriis  gedacht,  und  zwar 
bei  der  Darstellung  der  Formalitäten  des  Kaufes  von  Liegen- 
schaften und  bei  der  Behandlung  der  Arrha.  Diese  zitierten 
Gesetze  „0ovqixoI"  und  „iv  rolg  &ovqCcovu  werden  aber  aus- 
drücklich unterschieden  von  den  Gesetzen  des  XagävSag.  Bei 
der  anerkannten  Genauigkeit  und  Sachkunde  des  Theophrast 
muß  daher  jeder  Zweifel  darüber  schwinden,  daß  sich  Thurii 
auf  diesem  Gebiete  besondere  Gesetze  gegeben  hat.  Wenn 
nun  weiter  erwogen  wird,  daß  Diodor  etwa  400  Jahre,  Athe- 
näus  etwa  500  Jahre  nach  der  Gründung  von  Thurii  gelebt 
haben,  so  erscheinen  die  abweichenden  Notizen  dieser  beiden 
Schriftsteller,  die  sich  überdies  nicht  durch  besondere  Zu- 
verlässigkeit auszeichnen,  völlig  bedeutungslos.1) 

Steht  nun  fest,  daß  Thurii  eine  selbständige  Gesetzgebung 
erhalten  hat,  wenn  auch  vielleicht  in  Anknüpfung  an  ältere 
westgriechische  Stadtrechte,  so  wäre  nunmehr  zu  erwägen, 
ob  irgend  welche  Bedenken  gegen  die  Nachricht  geltend  ge- 
macht werden  könnten,  daß  gerade  Protagoras  mit  jener 
Aufgabe  betraut  worden  sei.  Man  hat  darauf  hingewiesen, 
daß  Protagoras  ein  „Fremder"  gewesen  sei  und  daß  er  von 
den  Späteren,  insbesondere  von  Aristoteles  unter  den  berühm- 
ten Gesetzgebern  nicht  erwähnt  werde.  Allein  bei  der  Neu- 
gründung einer  Stadt  kann  man  doch  von  Einheimischen  im 
Gegensatze  zu  Fremden  überhaupt  nicht  sprechen;  der  Fall 
war  übrigens  in  den  griechischen  Staaten  kein  seltener,  daß 
ein  Auswärtiger  zum  Gesetzgeber  berufen  worden  ist.2)  Ferner 
beweist  aber  das  Stillschweigen  des  Aristoteles  gar  nichts; 
seine  Darstellung  (Pol.  II,  12)  über  berühmte  Gesetzgeber  ist 


1)  Gegen  die  Mitteilung  von  Diodor,  daß  sich  die  Thurier  ihren 
Mitbürger  Charondas  zum  Gesetzgeber  gewählt  haben,  kann  überdies 
einfach  darauf  verwiesen  werden,  daß  Charondas  zur  Zeit  der  Gründung 
Thuriis  bereits  30  Jahre  verstorben  war;  vgl.  Th.  Müller,  de  rebus 
Thuriorum  p.  43. 

2)  So  gab  z.  B.  der  Korinther  Philolaos  Gesetze  für  die  Theba- 
ner,  Aristoteles  Polit.  II,  12,  1274a  32  f. 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii.  195 

so  lückenhaft  und  ungenau,  daß  die  Echtheit  dieser  Partie 
der  politischen  Lehrvorträge  schon  öfters  angezweifelt  wurde. l) 
Dazu  kommt  noch,  daß  die  Gesetze  Thuriis  häufigen  Verän- 
derungen unterlagen;  schwere  innere  Krisen  und  wechsel- 
volle äußere  Schicksale  dieser  Kolonie  waren  kaum  geeignet 
den  Namen  ihres  ersten  Gesetzgebers  der  Nachwelt  einzu- 
prägen. 

Wesentlich  unterstützt  wird  die  Nachricht  von  der  gesetz- 
geberischen Tätigkeit  des  Protagoras  in  Thurii  durch  die 
Tatsache,  daß  der  große  Sophist  mit  dem  leitenden  Staats- 
manne  der  Athener  in  freundschaftlichen  Beziehungen  stand. 
Aus  zwei  Stellen  bei  Plutarch2)  läßt  sich  ein  inniger  persön- 
licher Verkehr  der  beiden  Männer  erschließen.  Bei  dem  Ein- 
flüsse nun,  welchen  Perikles  auf  die  Gründung  von  Thurii 
ausgeübt  hat,  ist  es  recht  wahrscheinlich,  daß  er  den  von  ihm 
hochgeschätzten  Sophisten  als  Legislator  empfohlen  hat.  Da 
es  nun  auch  feststeht,  daß  sich  Protagoras  lange  Zeit  in  Si- 
zilien  und  Unteritalien  aufgehalten  hat3),  so  besteht  geo-en 
die  innere  Glaubwürdigkeit  jener  Notiz  des  Laertius  kein 
ernstes  Bedenken. 

Bisher  wurde  aber  noch  immer  davon  Abstand  genommen, 
den  Autor  jener  Nachricht  näher  in  Betracht  zu  ziehen. 
Laertius  zitiert  als  Quelle  derselben  das  Werk  des  Politikers 
Heraklides  „von  den  Gesetzen".  Dieser  Autor  ist  einer  der 
hervorragendsten  Schüler  Piatos,  der  ihm  für  eine  Zeit  sogar 
die  Leitung  der  Akademie  anvertraut  hat.4)  Unter  seinen 
zahlreichen  Werken  müssen  die  rechts-  und  staatswissenschaft- 
lichen Schriften  besonderes  Ansehen  genossen  haben.  Speziell 
Cicero  findet  hier  nicht  genug  Worte  des  Lobes  für  Hera- 
klides5), wenn  er  auch  gegen  die  theosophischen  Lehren  des 


1)  Vgl.  Susemihl,  Arist.  Pol.  I  S.  258  Note  9  u.  besonders  v.  Wi- 
lamowitz,  Aristoteles  u.  Athen  I,  S.  67. 

2)  Perikles  c.  36  und  Consol.  ad  Apoll,  c.  33. 

3)  Plato,  Hippias  maj.  282  D. 

4)  Gompesz,  griech.  Denker  III,  S.  10  ff.  398. 

5)  Tuscul.  V,  3,  8  („doctus  imprimis"),  de  legg.  III,  6,  14. 


ig6  Adolf  Menzel: 

Politikers  starke  Bedenken  äußert.1)  Noch  Plutarch  hat  das 
Werk  „von  den  Gesetzen"  in  seiner  Lebensbeschreibung  fleißig 
benutzt  und  zitiert.2)  Ein  solcher  Autor  verdient  den  vollsten 
Glauben,  wenn  er  uns  sagt,  daß  es  Protagoras  war,  der  die 
Gesetze  Thuriis  abgefaßt  hat. 

IL 

Nunmehr  soll  der  Versuch  gemacht  werden,  die  Bedeu- 
tung jenes  „®ov(>Covg  vö/xovg  yQccilJcau  festzustellen.  Nach 
dem  Sprachgebrauche,  der  uns  in  der  Politik  des  Aristoteles 
vor  Augen  tritt,  werden  die  eigentlichen  Verfassungsgesetze 
mit  TioXirdu  bezeichnet,  wogegen  die  gewöhnlichen  Gesetze 
vo^LOi  genannt  werden;  dementsprechend  werden  auch  die 
Gesetzgeber  in  solche  geschieden,  welche  eine  neue  Ver- 
fassung schufen  und  gewöhnliche  Legislatoren.3)  Falls  man 
diesen  Sprachgebrauch  für  die  Stelle  des  D.  L.  IX,  50  als 
maßgebend  ansehen  würde,  so  wäre  anzunehmen,  daß  Prota- 
goras an  der  Redaktion  der  Verfassung  von  Thurii  nicht  be- 
teiligt war,  sondern  nur  an  der  Abfassung  der  Justizgesetze 
(Privatrecht,  Strafrecht,  Prozeß).  Wird  hingegen  der  Aus- 
druck „vd^ot"  auf  die  gesamte  Gesetzgebung  mit  Einschluß 
der  Verfassungsgesetze  bezogen,  so  könnte  Protagoras  als 
der  Urheber  gewisser,  uns  überlieferten,  politischen  Einrich- 
tungen von  Thurii  angesehen  werden.4)  Die  Staatslehre 
unseres  Sophisten5)  würde  dann  vielleicht  vom  Standpunkte 
der  praktischen  Politik  eine  interessante  Beleuchtung  erfahren. 

Zunächst   muß   darauf  verwiesen  werden,    daß   dem   ge- 

1)  De  nat.  deor.  I,   13,  34;  dazu  Kriesche,  Forschungen  S.  325  ff. 

2)  Zusammenstellung  der  betreffenden  Stellen  bei  Otto  Voss,  de 
Heraclidis  Pontici  vita  et  scriptis  1896  p.  46,  47. 

3)  Vgl.  vorläufig  Pol.  II,  12  1273  b;  1274b;  wir  kommen  darauf 
weiter  unten  zu  sprechen. 

4)  So  anscheinend  Hirzel,  Dike  S.  582:  „In  diesem  Sinne  hat 
Protagoras  auch  als  politischer  Gesetzgeber  gewirkt."  Eine  nähere 
Begründung  wird  jedoch  nicht  gegeben. 

5)  S.  darüber  meine  Abhandlung  in  der  „Zeitschrift  für  Politik", 
Bd.  in,  S.  205  ff. 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii.  197 

meinen  griechischen  Sprachgebrauche  jene  Unterscheidung 
des  Aristoteles  zwischen  vöuoi  und  noXirUa  fremd  ist.  Dies 
zeigt  sich  in  markanter  Weise  in  der  Periklesrede  bei  Thuky- 
dides  (II,  37):  „Die  Verfassung,  in  der  wir  leben,  ahmt  nicht 
die  Gesetze  der  Nachbarn  nach  (rovg  rebv  ■zsXag  vöfiovg); 
eher  sind  wir  ein  Vorbild  für  andere,  als  daß  wir  ihnen 
etwas  entlehnen.  Sie  führt  den  Namen  Demokratie,  weil  die 
Gewalt  nicht  auf  wenigen  beruht,  sondern  sich  auf  die  Mehr- 
heit der  Bürger  verteilt."  Thukydides  verbindet  hier  also 
mit  dem  Ausdrucke  vöfiOL  den  Sinn  von  Verfassungsgesetzen; 
sie  sind  ihm  identisch  mit  TtoXirsCa. 

Aber  auch  bei  Plato  kann  eine  scharfe  Scheidung  von 
„Verfassung"  und  „Gesetz"  nicht  festgestellt  werden.1)  Daß 
insbesondere  die  Titel  der  beiden  politischen  Hauptwerke, 
IlokixsCa,  und  N6[iOb,  jene  Scheidung  nicht  zum  Ausdrucke 
bringen,  bedarf  kaum  eines  Nachweises.  Der  Dialog  „von 
den  Gesetzen"  behandelt  die  Verfassungsprobleme  mit  großer 
Ausführlichkeit,  ja  man  kann  sagen,  eingehender  als  der 
„Staat".  Wenn  Aristoteles  in  dieser  Beziehung  anderer  An- 
sicht ist2),  so  hat  er  sich  hier,  wie  dies  zuweilen  auch  sonst 
bei  der  Darstellung  der  Staatslehre  Piatos  der  Fall  ist,  einer 
Ungenauigkeit  schuldig  gemacht.3)  Damit  soll  natürlich  nicht 
geleugnet  werden,  daß  Plato  in  bezug  auf  den  Begriff  des 
Gesetzes  tiefeindringende  Untersuchungen  angestellt  und 
namentlich  die  Unterscheidung  von  organisatorischen  und 
materiellen  Gesetzen  begründet  hat.4)  Dennoch  kann  nicht 
behauptet   werden,    daß    er    die    Verfassungsgesetze    aus    der 

1)  Anderer  Meinung  ist  Zweig,  die  Lehre  vom  pouvoir  constituant 
1909,  S.  7. 

2)  Pol.  If,  3,  1265,  I:  »es  sind  in  den  Gesetzen  (Piatos)  das  meiste 
eben  nur  Gesetze  und  nur  Weniges  bezieht  sich  in  ihnen  auf  die  eigent- 
liche Verfassung"  (mgi  ttJs  icohtsiag).  S.  dagegen  Susemihl  Note  190 
zu  dieser  Stelle. 

3)  So  namentlich  bei  der  Darstellung  der  Familien-  und  Güter- 
gemeinschaft in  Piatos  Staat;  vgl.  Susemihl  a.  a.  0.  Note  170  (Politik, 
Bd.  2,  S.  50). 

4)  Vgl.  Rehm,  Geschichte  der  Staatswissenschaft,  S.  43  ff. 


198  Adolf  Menzel: 

Gattung  der  Nö^iol  ausscheidet  und  sie  unter  der  Bezeich- 
nung nolixeCa  zusammenfaßt.1) 

Dieser  Sprachgebrauch  findet  sich  erst  bei  Aristoteles. 
Es  ist  wichtig,  dies  festzustellen,  da  ja  der  Pontiker  Hera- 
klides,  dessen  Notiz  uns  beschäftigt,  aus  der  Schule  Piatos 
hervorgegangen  ist.  Wenn  derselbe  also  von  den  „Gesetzen 
Thuriis"  berichtet,  und  zwar  in  einem  Sammelwerke,  welches 
den  Titel  ^tieql  vöpcov"  geführt  hat,  so  besteht  demnach 
keine  Veranlassung,  dabei  an  die  von  Aristoteles  so  genannten 
Gesetze  im  engeren  Sinne  zu  denken.  Sein  Sprachgebrauch 
kann  nicht  maßgebend  dafür  sein,  daß  die  Verfassungsgesetze 
in  jener  Notiz  ausgeschlossen  erscheinen.  Es  wird  übrigens 
später  noch  dargelegt  werden,  daß  wichtige  Indizien  anderer 
Art  jene  Annahme  widerlegen.  Vorher  soll  aber  noch  die 
Bedeutung  jener  Aristotelischen  Unterscheidung  von  voiioi 
und  TtofotELa  gewürdigt  werden. 

Diese  Unterscheidung  gelangt  zunächst  in  folgender 
Weise  zum  Ausdruck2):  „Von  Männern,  die  sich  über  Staats- 
verfassung (%eqv  irofaTsiag)  äußern,  haben  sich  manche  nie- 
mals praktisch  mit  Politik  befaßt,  sondern  zeitlebens  als 
Privatleute  gelebt;  was  von  den  Gedanken  dieser  aller  be- 
merkenswert ist,  wurde  im  Vorhergehenden  schon  hinlänglich 
erörtert.  Manche  aber  nahmen  selbst  an  der  Staatsverwaltung 
praktischen  Anteil  und  sind  Gesetzgeber  (voilo&btui)  teils  für 
ihre  eigenen,  teils  für  fremde  Staaten  gewesen  und  zwar  so, 
daß  die  einen  von  ihnen  bloß  Urheber  von  Gesetzen  {ßyj^iv- 
ovgyol  vo^itov),  die  anderen  aber  auch  von  Verfassungen  (xal 
itolixdag)  waren,  wie  namentlich  Lykurg  und  Solon,  denn 
beide  haben  sowohl  Gesetze  als  Verfassungen  gegeben  (vöfiovg 
xal  TtoXtreiag  xccze6Ti]6uv).u     Daran    schließt   Aristoteles   Be- 


1)  Plato  nennt  vielmehr  die  organisatorischen  Gesetze  voho&sgIk 
(Gesetze  VI,  768a);  es  ist  daher  nicht  zutreffend,  auch  durch  keine 
Stelle  belegt,  wenn  Rehm  a.  a.  0.  behauptet,  daß  in  der  Terminologie 
Piatos  Ttoltrsia.  Kai  v6\ioi  so  viel  bedeute  als  Staatsverfassungs-  und 
Staatsverwaltungsrecht. 

2)  Arist.  Pol.  II,  12,  1273  b,  30  ff. 


PllOTAGORAS   ALS    GESETZGEBER  VON   ThURII.  IOQ 

merkungen  über  die  Gesetzgebung  Solons,  ferner  über  die 
Gesetzgeber  Zaleukos,  Charondas,  Philolaos ;  sogar  Phaleas  und 
Plato  werden,  auffallenderweise  in  diesem  Zusammenhange, 
kurz  behandelt.  Wichtig  ist  jedoch  für  unser  Thema  erst 
wieder  die  Bemerkung  über  Drakon:  „Auch  von  Drakon 
existieren  Gesetze;  er  gab  sie  aber  für  eine  schon  bestehende 
Verfassung  (xokiTsCcc  v7iuQ%ovGri  tovg  vöpovg  e&rjXEv)."1) 

Zuniichst  ist  zu  bemerken,  daß  Aristoteles  die  Urheber 
von  Verfassungen  und  die  Kodifikatoren  gewöhnlicher  Gesetze 
mit  dem  gleichen  Worte  „A^uo^a'rtu"  bezeichnet;  so  hießen 
demnach  Lykurg,  der  nur  Verfassungsgesetze  schuf,  Charon- 
das,  welchem  nur  Justizgesetze  zugeschrieben  werden,  und 
Solon,  der  beiderlei  Arten  von  Gesetzen  edierte,  „Gesetz- 
geber". Noch  weniger  ist  aber  jene  Unterscheidung  in  der 
Politie  des  Aristoteles  folgerichtig  durchgeführt.  Das 
siebente  Kapitel  beginnt  die  Darstellung  der  Reformen  Solons 
mit  den  Worten:  „FtohreCav  de  xatEötrjßev  xal  vöfiovg  e&iyxev 
aXkovg.i<,t)  Hier  erscheint  demnach  das  Gesetz  als  der  weitere 
Begriff,  welcher  auch  die  Verfassung  einschließt.  Die  neuen 
„Gesetze"  wurden,  so  berichtet  Aristoteles  weiter,  auf  Holz- 
pfeiler eingegraben  und  alle  mußten  schwören,  die  „Gesetze" 
zu  halten.  Die  Archonten  verpflichteten  sich  zudem,  falls  sie 
eines  der  „Gesetze"  übertraten,  den  Göttern  ein  goldenes  Bild 
zu  weihen.     Dann  heißt  es:  „Solon  sicherte  seinen  Gesetzen 


i)  Im  Gegensatze  dazu  berichtet  Aristoteles,  TLoX  j&h,  cap.  4 
über  eine  Verfassungsänderung  durch  die  Gesetze  Drakons;  er  verlieh 
allen  Bürgern  politische  Rechte,  welche  imstande  waren,  ihre  volle 
militärische  Ausrüstung  selbst  zu  stellen.  Wie  dieser  Widerspruch  zu 
lösen  ist,  ob  Aristoteles  seine  Ansicht  über  die  Gesetze  Drakons  be- 
richtigt hat  oder  ob  die  Äußerung  in  der  Politik  überhaupt  nicht  von 
ihm  herrührt,  kann  hier  dahingestellt  bleiben.  Für  die  Scheidung  der 
Begriffe  „Gesetz"  und  „Verfassung"  bei  Aristoteles  kommt  es  darauf 
nicht  an. 

2)  Unrichtig  ist  die  Übersetzung  von  Kaibel  und  Kiessling: 
„Eine  Verfassung  hat  Solon  dem  Staate  gegeben  und  sie  auf  neue 
Gesetze  gegründet."  Zutreffend  übersetzt  Haussoullier:  „II  etablit 
une  Constitution  et  donna  d'autres  lois." 


200  Adolf  Menzel: 

eine  hundertjährige  Gültigkeit  und  ordnete  die  Verfassung 
in  folgender  Weise."1) 

Indem  wir  auf  gewisse  Schwankungen  und  Inkonsequen- 
zen im  Sprachgebrauche  des  Aristoteles  hinweisen,  soll  damit 
durchaus  nicht  das  hohe  Verdienst  geschmälert  werden,  das 
sich  der  Stagirite  durch  die  Unterscheidung  zwischen  der  Ver- 
fassung und  den  gewöhnlichen  Gesetzen  erworben  hat.2) 
Vom  Standpunkte  des  griechischen  Staatsrechtes  hat  diese 
Unterscheidung  allerdings  nicht  jene  hohe  Bedeutung,  welche 
ihr  im  modernen  Staate  innewohnt.  Das  attische  Staatsrecht 
—  über  die  übrigen  Verfassungen  sind  wir  nur  unvollkommen 
unterrichtet  —  macht  keinen  Unterschied  zwischen  einem 
Grundgesetz  und  einem  gewöhnlichen  Gesetze,  weder  hinsicht- 
lich der  Form  yon  Abänderungen,  noch  hinsichtlich  des  richter- 
lichen Prüfungsrechtes.  So  findet  insbesondere  das  interessante 
Institut  der  „Klage  wegen  Gesetzwidrigkeit"  (ygcccpi]  itaga- 
v6[icqv)  3)  in  gleicher  Weise  Anwendung,  mag  der  angefochtene 
Gesetzesantrag  oder  Volksbeschluß  sich  im  Rahmen  der  Ver- 
fassung bewegen  oder  eine  Abänderung  derselben  bezwecken. 
So  berichtet  uns  z.  B.  Aristoteles  in  der  Politie  c.  29,  daß  die 
Klage  wegen  Gesetzwidrigkeit  ausdrücklich  abgeschafft  wurde4), 
als  man  daran  ging,  die  neue  Verfassung,  das  Regiment  der  Vier- 
hundert, auszuarbeiten;  im  cap.  40  wird  die  wieder  zur  Geltung 
gebrachte  ygcxpi]  Tia^avö^ojv  angewendet,  um  einen  Antrag 
zu  Fall  zu  bringen,  welcher  nur  eine  konkrete  Maßregel,  die 
Verleihung  des  Bürgerrechts  an  bestimmte  Personen,  betraf.5) 


1)  Auch  hier  gibt  die  Übersetzung  von  Kaibel  und  Kiessling 
Anlaß  zu  Bedenken. 

2)  Hier  ist  Aristoteles  ein  Unterschied  klar  geworden,  „der  sonst 
der  hellenischen  Sprache  und  entsprechend  dem  hellenischen  Denken 
ferne  liegt"  (v.  Wilamowitz,  Aristoteles  und  Athen,  II  S.  65). 

3)  Darüber  vgl.  Hermann  -  Thumsek,  griech.  Staatsaltertümer, 
S.  53off. ,  Perrot,  essai  sur  le  droit  publique  d'Athenes,  p.   164fr. 

4)  Wohl  nur  für  den  konkreten  Fall  der  Verfassungsrevision. 

5)  Vgl.  darüber  meine  Bemerkungen  in  den  „Untersuchungen 
zum  Sokrates-Prozesse",  S.  34  (Sitzungsbericht  der  phil.-hist.  Kl.  der 
Wiener  Akad.  CXLV,  Bd.  2). 


PllOTAGORAS   ALS    GESETZGEBER   VON   TlIURII.  201 

Die  aristotelische  Unterscheidung  zwischen  Gesetz  und  Ver- 
fassung hat  demnach  nur  einen  theoretischen  Wert;  es  ist 
sogar  zweifelhaft,  ob  sie  in  der  späteren  antiken  Staatslehre 
beibehalten  wurde  oder  gar  weiter  ausgebildet  worden  ist. 
Theophrast,  der  hervorragende  Schüler  des  Stagiriten,  hat 
ein  Werk  negi  vö^gdv  geschrieben,  welches  nicht  bloß  die 
Gesetze  im  engeren  Sinne,  sondern  auch  Verfassungs-  und 
Verwaltungsrecht  enthält.1)  Falls  man  daher  auch  Hera- 
klides  zu  den  Peripatetikern  zählen  wollte-),  obwohl  ihn 
Cicero  als  ab  eodem  Piatone  profectus  bezeichnet3),  so  wäre 
damit  noch  immer  nicht  dargetan,  daß  das  Sammelwerk  des 
Pontikers  sich  auf  die  Gesetze  im  engeren  Sinn  (Justizgesetze) 
beschränkt  habe.  Im  Gegenteil  läßt  sich  aus  dem  Umstände, 
daß  Cicero  für  die  Lehre  von  den  Magistraten  Heraklides  als 
seinen  Vorgänger  bezeichnet,  der  Schluß  ziehen,  daß  die  „Ge- 
setze"4) des  Pontikers  auch  die  Verfassungseinrichtungen  be- 
handelt haben. 

Diese  Annahme  wird  dadurch  bekräftigt,  daß  die  Zitie- 
rung des  Heraklides  in  Plutarchs  Solon  erkennen  läßt,  daß 
eine  Gesamtdarstellung  der  Gesetze  (ohne  Unterscheidung  ihres 
Inhaltes)  nebst  biographischen  Notizen  vorgelegen  ist.  Die 
Nachricht  über  Solons  Mutter  (c.  i)  und  über  sein  Fortleben 
zur  Zeit  der  Alleinherrschaft  des  Pisistratos  (c.  32)  wird  aus- 
drücklich auf  den  Pontiker  gestützt.    Von  den  Gesetzen  Solons 

0  Rehm,  Geschichte  der  Staatsrechtswissenschaft,  S.  67,  Note  13: 
„Aus  der  Gesamtheit  der  uns  erhaltenen  Fragmente  zu  schließen,  be- 
handelten die  drei  ersten  Bücher  die  Lehre  von  den  Prinzipien  der 
Gesetzgebung  und  den  Gesetzesorganen  usw." 

2)  Auf  Grund  von  Laert.  D.  V,  86,  in  Widerspruch  mit  HI,  46. 
Vgl.  Schrader  im  „Philologus",  Bd.  44,  S.  2366°. 

3)  De  legg.  IH,  6,  14.  Der  daselbst  auch  erwähnte  Diogenes 
Stoicus  hat  gleichfalls  ein  Werk  „volloi"  geschrieben,  Athen.  XII,  p.  526d. 

4)  Laert.  D.  V,  87  erwähnt  allerdings  noch  eine  andere  Schrift 
des  Pontikers:  „xsqI  ccqxvsu-  Allein  dieses  kleine  Werk  (ein  Buch) 
dürfte  bloß  eine  kurze  historisch -geographische  Übersicht  der  „Re- 
gierungen" (ein  statistisches  Handbüchlein)  bedeutet  haben.  Ich  schließe 
das  aus  Laert.  D.  I,  94,  wo  über  Regenten  in  Arkadien  unter  Berufung 
auf  'üpaxtauhjs  6  IJovrixog  iv  tat  tisq\  ccQ%f]S  berichtet  wird. 


202  Adolf  Menzel: 

werden  nacli  derselben  Quelle  zitiert:  Das  Gesetz,  wonach 
die  mit  einer  Buhlerin  erzeugten  Kinder  keinen  Unterhalts- 
anspruch gegen  den  Vater  besitzen  (c.  22),  und  die  Pflicht 
des  Staates,  für  die  im  Kriege  Verwundeten  zu  sorgen  (c.  31). 
Es  ist  jedoch  wahrscheinlich,  daß  Plutarch  auch  die  übrigen, 
in  den  Kapiteln  20,  22 — 24  aufgezählten  Gesetze  Solons  dem 
Werke  des  Heraklides  entnommen  hat.1)  Dieselben  sind 
keineswegs  Gesetze  im  engeren  Sinne  der  aristotelischen  Be- 
griffsscheidung; sie  betreffen  auch  das  Verfassungs-  und  Ver- 
waltungsrecht. Da  ferner  heute  allgemein  angenommen  wird, 
daß  die  unter  dem  Namen  eines  Heraklides  überlieferten 
Fragmente  „tcsqI  noXitdcav"  nicht  von  unserem  Pontiker 
herrühren2)  —  es  ist  auch  in  dem  Schriftenverzeichnis  bei 
Laertius  Diogenes  nicht  enthalten  —  so  kann  aus  der  Exis- 
tenz einer  solchen  Sammlung  der  Verfassungen  nicht  der 
Schluß  gezogen  werden,  daß  das  Werk  „tisqi  v6{iav"  sich  auf 
die  Justizgesetze  beschränkt  haben  müsse.  Dieses  Werk  des 
Heraklides  Pontikos  hat  demnach  die  Leistungen  berühmter 
Gesetzgeber  ohne  weitere  Unterscheidung  zur  Darstellung  ge- 
bracht3); in  ihrer  Reihe  erscheint  auch  Protagoras. 

IH. 

Es  spricht  eine  große  Wahrscheinlichkeit  dafür,  daß  sich 
die  gesetzgeberische  Tätigkeit  unseres  Sophisten  in  erster 
Linie    auf    die    Gestaltung     der    Verfassung    bezogen    hat. 


1)  Bei  0.  Voss,  de  Heraclidis  Pontici  vita  et  scriptis  erscheinen 
in  der  Tat  jene  Stellen  aus  Plutarch  als  fr.  16 — 20. 

2)  Schneidewin  in  seiner  Ausgabe  der  Fragmente,  Göttingen  1847 
praefatio  p.  XLIIff.  Christ,  Geschichte  der  griech.  Literatur,  3.  Aufl. 
S.  587,  Berge,  Literaturgeschichte  IV,  S.  507  nehmen  an,  daß  der 
Grammatiker  Heraklides  Lembos  der  Verfasser  jener  Kompüation  ge- 
wesen sei;  so  auch  Busolt,  griechische  Geschichte,  2.  Aufl.  1,  S.  516, 
Note  2,  II,  S.  55.  Nur  C.  Müller,  fragm.  hist.  graec.  II  S.  208 ff.  hält 
den  Pontiker  für  den  Verfasser  der  Politien. 

3)  So  auch  0.  Voss  1.  c.  p.  50  „Egisse  eum  de  claris  legumla- 
toribus  omnibus  de  Onomacrito,  Zaleuco,  Charonda,  Hippodamo 
Lycurgo  etc." 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thürii.  203 

Während  nämlich  für  die  Justizgesetzgebung  bereits  vortreff- 
liche Unterlagen  in  den  Stadtrechten  von  Lokri,  Rhegion 
und  anderen  unteritalienischen  Kolonien  cregeben  waren,  fehlte 
durchaus  eine  nachbarliche  Konstitution,  an  welche  die  zu 
schaffende  demokratische  Verfassung  von  Tburii  hätte  an- 
knüpfen können;  ringsherum  gab  es  nur  aristokratische  oder 
von  Tyrannen  beherrschte  Gemeinwesen.  Perikles  aber  mußte 
das  größte  Gewicht  darauf  legen,  daß  in  der  neuen  Kolonie 
die  Volksherrschaft  gesichert  werde;  dies  nicht  etwa  aus 
theoretischer  Liebhaberei,  sondern  aus  dem  praktischen  Grunde, 
weil  nur  unter  dieser  Voraussetzung  Thurii  als  Stützpunkt 
der  attischen  Politik  in  Westgriechenland  behauptet  werden 
konnte.  Ist  es  doch  bekannt,  daß  die  Gegnerschaft  zwischen 
den  beiden  führenden  Staaten  von  Hellas  sich  nicht  zuletzt 
in  dem  aristokratischen  und  dem  demokratischen  Verfassuners- 
prinzipe  ausgedrückt  hat;  der  Abfall  von  Athen  und  die  Be- 
seitigung der  Volksherrschaft  waren  meist  zusammenfallende 
Ereignisse. 

Wenn  daher  Protagoras,  wie  es  wahrscheinlich  ist,  auf 
Empfehlung  des  Perikles,  mit  der  Ausarbeitung  der  Gesetze 
von  Thurii  betraut  wurde,  so  hatte  er  dabei  offenbar  die 
Mission,  eine  Verfassung  nach  dem  Muster  Athens  zu  ent- 
werfen. Damit  stimmt  vollkommen  die  Nachricht  des  Diodor1), 
daß  Thurii  eine  demokratische  Verfassung  angenommen  und 
sogar  die  attische  Einteilung  in  zehn  Philen  rezipiert  hat.2) 
Wir  sind  jedoch  in  der  Lage,  festzustellen,  daß  unser  Sophist 
sich  auf  eine  bloße  Kopie  nicht  beschränkt  hat,  sondern  be- 
müht war,  durch  originelle  Zutaten  den  Bau  der  demokra- 
tischen Verfassung  in  Thurii  zu  sichern,  Zutaten,  welche  in 
Athen  entbehrlich  waren,  aber  durch  die  exponierte  Lage 
der  Kolonie  gerechtfertigt  erscheinen.  Dies  läßt  sich,  aller- 
dings nur  indirekt,  aus  Mitteilungen  von  Aristoteles  er- 
schließen. 

An    zwei    Stellen    der   Politik    behandelt  Aristoteles   die 

i)XII,  11,  3. 

2)  E.  Szanto,  die  griechischen  Phylen,  S.  26. 


204  Adolf  Menzel: 

Verfassungsgeschichte  von  Thurii.1)  Zuerst  VIII,  6,  1307  a, 
2  7  ff.)  berichtet  er  über  eine  politische  und  soziale  Revolution, 
durch  welche  die  Vorherrschaft  der  Vornehmen  beseitigt  und 
ihr  übermäßiger  Grundbesitz  an  das  Volk  übertragen  wurde. 
Bald  darauf  (VIII,  8?  1307  b,  7  ff.)  schildert  er  die  Umwand- 
lung der  herrschenden  demokratischen  Verfassung  in  eine 
militärische  Oligarchie.  Da  es  Aristoteles  hierbei  unterläßt, 
chronologische  Daten  anzugeben,  so  hat  die  historische  Ver- 
wertung seiner  Notizen  von  jeher  große  Schwierigkeiten  ge- 
macht. Dies  umsomehr,  als  der  sonst  für  die  Geschichte 
Unteritaliens  und  Siziliens  maßgebende  Autor,  Diodor,  über  jene 
Ereignisse  der  inneren  Geschichte  Thuriis  schweigt,  während 
er  über  die  äußeren  Konflikte  dieser  Kolonie,  insbesondere 
über  die  Kriege  mit  Nachbarstädten  ausführlich  berichtet. 

Zunächst  muß  betont  werden,  daß  es  vollkommen  ver- 
fehlt wäre,  aus  der  Stellung  der  beiden  aristotelischen  Mit- 
teilungen einen  Schluß  auf  die  Zeitfolge  der  geschilderten 
Verfassungs Wandlungen  zu  ziehen.  Jene  Mitteilungen  dienen 
nämlich  nur  dazu,  um  politische  Lehrsätze  zu  illustrieren.  In 
der  ersten  Stelle  handelt  es  sich  für  Aristoteles  darum,  ein 
Beispiel  dafür  zu  geben,  wie  sich  die  Aristokratie  in  eine 
Demokratie  umwandelt,  wenn  die  Vornehmen  das  Prinzip  der 
relativen  Gleichheit  verletzen  und  die  ärmeren  Klassen  wirt- 
schaftlich unterdrücken.  An  der  zweiten  Stelle  soll  —  eben- 
falls an  dem  Beispiele  Thuriis  —  gezeigt  werden,  wie  ge- 
fährlich es  ist,  ein  scheinbar  nebensächliches  Stück  der  Ver- 
fassung zu  opfern,  indem  alsbald  andere  Teile  der  Verfassung 
beseitigt  werden  und  schließlich  ihr  ganzer  Bau  zusammen- 
sinkt. Es  waren  also  theoretische  Gesichtspunkte  dafür  maß- 
gebend, daß  über  die  Verfassungsänderungen  in  Thurii  gerade 
in  jener  Reihenfolge  berichtet  wird,  wie  sie  in  der  „Politik" 
vorliegt. 

1)  Vgl.  zum  Folgenden  Busolt,  griech.  Geschichte  III,  S.  533, 
Note  4,  Pappritz,  Thurii,  S.  51,  Susemihl,  Anm.  1602  — 1606  zu  Aristot. 
Polit.,  Gilbert,  griech.  Staatsaltertünier,  II  2.  Aufl.  S.  244,  Note  1,  344 
Note  2. 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii.  205 

In  der  Tat  kann  darüber  kaum  ein  Zweifel  bestehen, 
daß  die  geschichtliche  Reihenfolge  gerade  die  umgekehrte  ge- 
wesen ist.  Wenn  nämlich  Aristoteles  an  der  ersten  Stelle 
davon  berichtet  (1306a,  27),  daß  in  Thurii  ein  hoher  Census 
für  die  Erlangung  von  Staatsämtern  bestand,  so  kann  das 
unmöglich  die  ursprüngliche  Verfassung  gewesen  sein,  welche 
Diodor  als  .ftolirsvaa  örluoxQarixövu  bezeichnet.  Wohl  aber 
paßt  diese  Bezeichnung  auf  den  Rechtszustand,  welcher  vor  der 
an  der  zweiten  Stelle  (1307  b,  8  ff.)  geschilderten  Wandlung  ge- 
geben war.  Mithin  wäre  die  historische  Abfolge:  Demokratie, 
militärische  Oligarchie,  Aristokratie  des  Grundbesitzes,  ge- 
mäßigte Demokratie.  Zu  welcher  Zeit  diese  Verfassungsände- 
rungen vor  sich  gegangen  sind,  läßt  sich  nicht  mit  Sicherheit 
feststellen.  Eduard  Meyer  nimmt  an,  daß  die  demokratische 
Verfassung  Thuriis  nur  von  kurzer  Dauer  gewesen  und  schon 
um  434,  3,  also  10  Jahre  nach  der  Gründung,  zugleich  mit  dem 
Sturze  der  athenischen  Partei  beseitigt  worden  sei.  Ich  erlaube 
jedoch,  daß  dieses  Ereignis  zwanzig  Jahre  später,  nach  dem 
unglücklichen  Ausgang  der  sizilischen  Expedition,  eingetreten 
ist:  stand  doch  Thurii,  wie  uns  Thukvdides  berichtet,  noch 
414  auf  Seite  Athens.  Es  können  daher  unmöglich  schon  434 
„die  letzten   Anhänger  Athens   die   Stadt  verlassen  haben."1) 

1)  So  Meyer,  Gesch.  d.  Altertums  IV,  §  435.  Derselbe  erblickt 
nämlich  in  der  von  Diodor  Xu,  35  berichteten  Entscheidung  des  del- 
phischen Orakels  über  die  Frage,  wer  als  Gründer  der  Stadt  zu  gelten 
habe,  einen  Bruch  mit  Athen.  Indem  jedoch  das  Orakel  weder  die  An- 
sprüche der  Peloponesier  noch  jene  der  Athener  anerkannte,  sondern 
Apollo  selbst  als  Oikist  hinstellte,  nahm  es  im  Parteikampfe  eine  ver- 
mittelnde Stellung  ein.  Daß  Herodot,  ein  ausgesprochener  Parteigänger 
Athens,  Thurii  schon  440  verließ  (Meyer,  §  399),  beweist  gar  nichts; 
dafür  können  die  verschiedensten  Gründe  maßgebend  gewesen  sein. 
Vom  Redner  Lysias  wissen  wir  jedenfalls,  daß  er  bis  411  in  Thurii 
geweilt  hat.  Die  Stellen  bei  Thukydides,  welche  die  enge  Verbindung 
mit  Athen  bezeugen,  sind  VI  104,  VII  33,  35,  57.  Danach  haben  die 
athenischen  Feldherren  im  Gebiete  von  Thurii  Heeresmusterung  ge- 
halten und  stellten  die  Thurier  sogar  Hilftstruppen.  Es  dürfte  sich 
daher  die  demokratische  Verfassung,  wenn  auch  vielleicht  mit  gewissen 
Schwankungen,  in  Thurii  bis  413  gehalten  haben. 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXIL  IJ 


2o6  Adolf  Menzel: 

Für  unsere  Untersuchung  ist  übrigens  diese  chronologische 
Streitfrage  nicht  von  entscheidender  Bedeutung.  Uns  handelt 
es  sich  darum,  den  eigentümlichen  Charakter  der  ursprüng- 
lichen demokratischen  Verfassung  von  Thurii  herauszuheben, 
wofür  uns  eben  jener  Bericht  von  Aristoteles  die  Unterlage 
bildet.     Dieselbe  lautet: 

Gvvißx]  ds  xovxo  xal  iiil  xf^g  ©ovqIcov  7toXixdag.  vöfiov 
ycco  ovxog  diu  nsvte  exav  öXQaxrjyslv^  ysvö^isvoC  xivsg  tcoXe- 

(llXOi     XG)V     VS(üX£QG3V     XO.I     %aQCC     TC5     TtXrid'U     [x6)V     CpQOVQÖöv] 

evdoxipiovvreg^  %ttxa<poovr\<5uvx£g  xcbv  iv  roig  itQuy '{laßt  aal 
vo[iC£,ovTsg  Qadlcog  xaxcc6%^6£Lv,  xovxov  xbv  vöpov  Xveiv  sjis- 
%£loy\6av  Ttoäxov,  äöx'  s^slvai  6vv£%G)g  xovg  avxovg  ßxQaxrj- 
ysiv,  oQoovxsg  xbv  dr[u,ov  avxovg  %Eiooxovr\6ovxa  7CQod"v{icog. 
ot  d'  ETcl  xovxgj  x£xay\xivoi  xav  aoyßvxcov,  ot  xaXov^i£voi 
öv^ißovXoi^  6o{Lrjö'avx£g  xö  ozq&xov  Evavxiovö&ai  övvsjistöfrrjö'av 
VTioXa^ißävovxeg  xovxov  xivijöavxag  xbv  vö{iov  idösiv  xi\v 
äXXiqv  noXixdav,  vöxsqov  de  ßovX6\i£voi  xcoXvetv  aXXcov  xlvov- 
{isvav  ovxexi  TtXiov  ijtoCovv  ovdev,  äXXä  [UxeßaXsv  fj  xa%ig 
%ä6a  xf\g  TCoXixEiag  eig  dvvaöxsCav  x&v  S7a%£iQr]ö'dvxG)v  vecj- 

X£olt,£lV. 

Was  zunächst  den  Text  betrifft,  so  werden  die  einge- 
klammerten Worte  „xdv  cpQovoibv",  welche  sich  in  der  Tat 
in  einigen  Handschriften  nicht  finden,  von  Susemihl  und 
Pappkitz  gestrichen;  wie  ich  glaube,  mit  Unrecht.  Es  würde 
nämlich  dann  heißen,  daß  einige  kriegstüchtige  und  bei  der 
Menge  (dem  Volke)  beliebte  jüngere  Männer  diejenigen  Leute 
verachteten,  welche  die  Geschäfte  führten.  Es  wäre  aber 
sonderbar,  daß  Männer,  welche  die  aus  dem  Volke  erlosten 
oder  gewählten  Staatsorgane  gering  schätzen,  bei  demselben 
Volke  beliebt  gewesen  seien;  der  Demos  hätte  sich  ja  dann 
selbst  ins  Gesicht  geschlagen.  Dagegen  hat  es  einen  guten 
Sinn,  wenn  von  Aristoteles  berichtet  wird,  daß  jene  jüngeren 
Offiziere  bei  der  Mehrheit  der  Wachtruppen,  naoä  x<p  nXiqd-et 
xäv  (pQovQ&v,  beliebt  gewesen  sind.1)    Mit  Rücksicht  auf  die 

i)  Daß  der  Demos  ihnen  schließlich  nachgab,  war  nicht  die 
Folge  ihrer  Beliebtheit,   sondern  ihrer  Macht,  welche  dem  Volke  und 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurh.  207 

stets  drohenden  Einfälle  räuberischer  Völkerschaften  und  die 
häutigen  Konflikte  mit  benachbarten  Städten  Unteritaliens 
waren  die  Thurier  genötigt,  ein  kleines  stehendes  Heer  zu 
halten.  Daß  diese  (pQovpol  nicht  gerade  demokratisch  ge- 
sinnt waren,  ist  selbstverständlich.  Finden  wir  doch  auch  in 
der  anderen  Stelle  über  die  Verfassungskämpfe  in  Thurii 
(Arist.  Pol.  1307a,  2 7 ff)  diese  Besatzungstruppen  als  Stütze 
der  oligarchischen  Partei  hervorgehoben;  sie  werden  von  dem 
kriegsgeübten  Volke  überwältigt  und  damit  wird  die  Demo- 
kratie wieder  hergestellt  (Örjfiog  yvfivccö&slg  ev  rä  Ttols^oy 
r&v  cpgovQäv  eysvsro  xQSirtav). 

Von    den    Offizieren    dieser    Mannschaft    ging    auch    der 
erste    Angriff    auf    die    demokratische    Verfassung    aus.      Es 
wurde  jedoch   nicht   ein   Staatsstreich   versucht,    sondern    der 
verfassungsmäßige   Weg   eingeschlagen;    offenbar  fühlten  sich 
die  Führer  der  Truppen  nicht  stark  genug  für  einen  Gewalt- 
akt.     Ihr    Augenmerk    war    zunächst    darauf   gerichtet,    eine 
Bestimmung  der  Verfassung  zu  beseitigen,  welche  ihren  ehr- 
geizigen Bestrebungen  besonders  hinderlich  war.    Es  bestand 
nämlich  in  Thurii,   so   berichtet  uns  Aristoteles,  ein  Gesetz, 
daß   innerhalb  fünf  Jahren  niemand  von  neuem   die  Würde 
eines  Strategen  erlangen  könne.     Eine  Änderung  dieser  Vor- 
schrift   konnte    es    ermöglichen,    daß    dieselben   Offiziere    un- 
unterbrochen zu  Strategen  gewählt  werden,   wodurch  sie  die 
Leitung  des   Staates   in   die   Hand  bekämen.     Die   Symbulen 
(von  denen  alsbald  die  Rede  sein  wird)  widersetzten  sich  zwar 
anfangs   dieser   Gesetzesänderung,    gaben   aber   schließlich    in 
der   Hoffnung   nach,    daß    die  Neuerer    sich    damit  zufrieden 
geben  und  dis  übrige  Verfassung  unangetastet  lassen  werden. 
Als  jedoch  später  auch  andere  Bestimmungen  der  Verfassung 
angefochten  wurden,  bemühten  sich  die  Symbulen  vergeblich, 
dies  zu  hindern;  die  ganze  bestehende  Verfassung  ging  in  ein 
oligarchisches  Regiment  jener  Männer  über,  von  welchen  die 
Neuerung  ausgegangen  war,  d.  h.  der  Truppenführer. 

Beinen  Organen  Furcht  einflößte:  man  denke  an  die  griechische  Offiziers- 
liga unserer  Tage. 


17 


* 


208  Adolf  Menzel: 

IV. 

Der  Ausdruck  „öviißovXoi"  zur  Bezeichnung  eines  staat- 
lichen Organes  findet  sich  nur  noch  in  Sparta.  Hier  wurden 
die  den  Feldherren  bisweilen  zur  Kontrolle  beigegebenen 
Kommissäre  Symbulen  genannt.1)  Es  handelt  sich  hier  nicht 
um  eine  ständige  Einrichtung,  sondern  um  fallweise  bestellte, 
außerordentliche  Funktionäre.2)  Schon  ein  flüchtiger  Blick 
auf  die  aristotelische  Notiz  belehrt  uns,  daß  die  Institution 
der  6v[ißovloL  in  der  Verfassung  von  Thurii  nicht  die  ge- 
ringste Verwandtschaft  mit  den  gleichnamigen  spartanischen 
Abgesandten  besitzen.  Es  handelt  sich  vielmehr  um  ein 
Staatsorgan,  welches  in  den  Prozeß  der  Gesetzgebung  ent- 
scheidend eingreifen  konnte.  Gegen  den  Willen  der  Sym- 
bulen konnte  in  Thurii  ein  bestehendes  Gesetz  nicht  auf- 
gehoben oder  abgeändert  werden.  So  viel  läßt  sich  aus  der 
Darstellung  von  Aristoteles  mit  Sicherheit  ableiten.  Schwieriger 
ist  es  freilich,  den  staatsrechtlichen  Charakter  der  Symbulen 
im  einzelnen  näher  zu  charakterisieren.  Um  so  größer  ist 
der  Anreiz,  in  dieser  Richtung  eine  Untersuchung  anzustellen. 

Bevor  darauf  eingegangen  wird,  mögen  einige  Bemerkun- 
gen über  den  Gebrauch  des  Wortes  ßv^ißovXot  bei  Plato 
vorausgeschickt  werden.  Es  läßt  sich  nämlich  feststellen, 
daß  jenes  Wort  bei  ihm  nicht  bloß  in  der  allgemeinen  Be- 
deutung von  „Ratgeber"  verwendet  wird,  sondern  schon  eine 
politische  Färbung,  eine  Beziehung  zur  demokratischen  Ver- 
fassung besitzt.  Sehr  charakteristisch  erscheint  in  dieser  Be- 
ziehung Protagoras  p.  319b,  c,  d. 

6qG>   ovv,   brav  övXXsy&^isv   eis  tty   ixxXrjöCccv ,   &7ieid<xv 

[l£V     7t£Qi     OtXoSo^liCCg    XL     ÖET}    TtQO&.Ul     XY\V    TIÖXlV,    XOVQ    olxoÖÖ- 


1)  Über  solche  Fälle  berichtet  Thukydides  II,  85,  III,  69,  V,  63. 
Wenn  ein  Feldherr  unglücklich  operierte  oder  sich  ohne  Not  mit  dem 
Gegner  in  Vertragsverhandlungen  einließ,  wurden  ihm  GvfißovXoi  bei- 
gegeben. 

2)  Erst  um  418  scheinen  sie  sich  zu  einer  ständigen  Behörde  aus- 
gebildet zu  haben,  zu  einer  Art  von  Kriegsrat. 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii.  209 

fiovg  [lexa^tii'jco^ivovg  öv^ißovlovg  %sqI  xäv  otxodo^rtixdx(ov^ 
bxav   di   xsol    vavzir\yiag,   xovg  vavmtyovg,   xal  xulla  Ttdvxa 

C  ovxag,  06a  i)yovvxai  (icc&rjtd  xs  xal  öidaxxä  sivac  luv  de 
zig  eillog  STU^iof]  avxoig  övfißovlsveiv,  bv  ixelvoi  [ii)  oiov- 
xai  ör,uiovgybv  elvea,  xav  tcccvv  xalbg  tj  xal  nlovöiog  xal 
xäv  ysvvatcov,  ovöev  xi  püllov  <x7ioös%ovxai,  dlla  xaxa- 
yelüöL  xal  ftoovßovöiv,  sag  dv  \\  avxbg  dxoöxf}  6  E7ti%EiQCbv 
Itystv  xaxu&oQvßrj&si'g,  i]  ol  to^otul  avxbv  dcfelxvöaöLV  y 
i^aiocovxai  xsIevovxov  xüv  TtQvxdveav.  tieqI  phv  tov  otovxai 
sv  xeyvri  sivai,  ovxa  ÖiaiiQdxxovxav  etcelöuv  de  xi  tceqI  xfjg 
nolscog  dioixri6eag  dir}  ßovlsvGa6&ai,  övußovlevei  avxoig 
dviöxduEvog    xeqI    xovxcov    byLolog    [ilv    xe'xxav,    bpoCag    dl 

D  %alxsvg,  Gxvxoxöiiog,  ZßxoQog,  vuvxh]Qog,  TilovöLog,  xivr^g, 
ytvvaiog,  dysvvrjg,  xal  xovxoig  ovöelg  xovxo  i%i7iln\xxBi  co6%eq 
xolg  71q6teqov^  ort  ovdauo&Ev  [la&äv,  ovÖh  ovxog  dtöaöxdlov 
ovösvbg  avxä)  exstxa.  Gv\ißovlEVEiv  exiieioeI'  dr\lov  yao,  ort 
ov%  i]yovvxai  öidaxxbv  e'ivul. 

Hier  werden  also  die  Redner  und  Antragsteller  in  der 
Volksversammlung  als  Symbulen  bezeichnet.  Handelt  es  sich 
um  Beschlüsse  über  technische  Fragen,  so  werden  gewohn- 
heitsmäßig nur  Sachverständige  als  „Ratgeber"  zugelassen. 
In  den  eigentlich  politischen  Fragen  lassen  aber  die  Athener, 
wie  Sokrates  bemerkt,  jeden  Bürger  als  Symbulen  zu,  als  ob 
die  politische  Tüchtigkeit  allen  von  Natur  innewohne.  In 
der  sich  darin  schließenden  bekannten  Rede1)  sucht  Protagoras 
es  zu  rechtfertigen,  daß  die  Athener,  wenn  es  sich  um  Be- 
schlüsse über  die  Staatsverwaltung  handelt,  alle  Bürger  gleich 
behandeln  (Prot.  323a).  Auch  im  Dialog  Theätet  werden  die- 
jenigen, welche  als  Redner  die  Volksbeschlüsse  herbeiführen, 
mit  dem  Worte  „Ivußovloi"  bezeichnet  (p.  172a),  gleich- 
bedeutend mit  den  „weisen  und  guten  Rednern,   welche  be- 


1)  S.  darüber  meine  oben  cap.  II,  Note  5  zitierte  Abhandlung. 
Es  wird  später  gezeigt  werden,  daß  Protagoras  mit  dieser  demokrati- 
schen Lehre  keineswegs  in  Widerspruch  geraten  ist,  wenn  er  die  Ver- 
fassung von  Thurii  etwas  abweichend  vom  athenischen  Vorbilde  ge- 
staltet haben  sollte. 


210  Adolf  Menzel: 

wirken,  daß  den  Staaten  das  Gute  anstatt  des  Schlechten  ge- 
recht zu  sein  scheine"  (Theätet  p.  167c). 

Im  Sinne  Piatos  sind  nun  freilich  die  „Ratgeber"  jene 
Redner,  welche  die  Beschlüsse  der  Volksversammlung  fak- 
tisch beeinflussen,  während  die  Symbulen  in  Thurii  offenbar 
eine  juristische  Funktion  in  dem  legislativen  Prozesse  aus- 
geübt haben.  Allein  trotz  dieser  erheblichen  Differenz  kann 
aus  der  Gleichheit  der  Bezeichnung  doch  wohl  der  Schluß 
gezogen  werden,  daß  die  av^ißovXoi,  über  welche  Aristoteles 
berichtet,  Funktionäre  waren,  welche  über  einen  in  der 
Ekklesia  zu  verhandelnden  Gesetzesantrag  ein  Votum  abzu- 
geben hatten.  Im  attischen  Staatsrechte  bestehen  nun  drei 
Institutionen,  welche  als  Analogie  für  diese*  Tätigkeit  der 
Symbulen  herangezogen  werden  können:  Der  Rat  der  Fünf- 
hundert als  vorberatender  Körper,  die  Behörde  der  Norno- 
phylakes  und  jene  der  Thesmotheten.  Eine  kurze  Betrach- 
tung dieser  Einrichtungen  dürfte  sich  für  das  Verständnis 
der  aristotelischen  Stelle  als  nützlich  erweisen. 

Es  ist  bekanntlich  eine  wichtige  Aufgabe  der  attischen 
ßovlrj,  über  die  Gegenstände,  welche  der  Beschlußfassung  der 
Volksversammlung  zu  unterziehen  sind,  eine  Vorentscheidung, 
das  TtQoßovkevyia,  zu  treffen.  Schon  nach  einem  Gesetze 
Solons1)  konnte  kein  Gegenstand  auf  die  Tagesordnung  der 
Ekklesia  gestellt  werden,  über  welchen  nicht  das  Ratsgut- 
achten vorlag  und  Aristoteles  berichtet  das  Gleiche  als  geltendes 
Recht.2)  So  lautet  denn  auch  die  Sanktionsformel  der  Volks- 
beschlüsse vor  Euklid:  edo^s  tF;  ßovhfj  xecl  r<p  drj{i<p.3)  Dabei 
konnte  aber  der  Rat  sich  auch  auf  die  formale  Einbegleitung 
eines  Gesetzesantrags  beschränken,  ohne  einen  meritorischen 
Antrag  zu  stellen;  überhaupt  war  der  materielle  Inhalt  der 
Ratsentscheidung  für  das  Volk  nicht  bindend;  sie  konnte,  wie 
sich  aus  den  Inschriften  ergibt,  ganz  oder  teilweise  abgeändert 

1)  Plutarch,  Solon  c.  19.  2)  Staat  der  Athener,  c.  45,  4. 

3)  S.  darüber  Haktel,  Stadien  z.  att.  Staatsrecht,  S.  226,  und  für 
die  anderen  griechischen  Staaten  Swoboda,  griechische  Volksbeschlüsse, 
S.  36,  59,  74- 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii.  2  1 1 

werden.1)  Das  Probuleuma  war  also  nur  ein  formales  Er- 
fordernis für  die  Behandlung  eines  Antrags  in  der  Volksver- 
sammlung. Ja  es  konnte  der  Rat  von  der  Ekklesia  direkt 
beauftragt  werden,  sein  Gutachten  zu  erstatten.8)  Es  ist  daher 
unzutreffend,  wenn  Perrot  von  einem  Vetorechte  der  atti- 
schen /Joimj)  spricht3);  ebensowenig  kann  das  Institut  der 
sogenannten  Vorsanktion4)  in  der  modernen  Monarchie  als 
Analogie  herangezogen  werden. 

Die  Funktion,  welche  nach  Aristoteles  die  Symbulen  in 
Thurii  besaßen,  war  eine  tiefer  greifende.  Ohne  ihre  Zu- 
stimmung konnte  ein  bestehendes  Gesetz  nicht  aufgehoben 
werden.  Sie  können  schon  deshalb  nicht  mit  dem  „Rate" 
zusammenfallen,  weil  sie  von  Aristoteles  als  eine  Regierungs- 
behörde  „aQxovTEs"  bezeichnet  werden.  Einen  solchen  Be- 
amtencharakter besaßen  in  der  Tat  die  attischen  „Gesetzes- 
wächter". Leider  sind  wir  über  die  Stellung  dieser  Nomo- 
phylakes  nur  sehr  ungenau  unterrichtet.5)  Eingeführt  wurden 
sie  um  die  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts  gelegentlich  der 
demokratischen  Reform  der  Verfassung  durch  Ephialtes.  Die 
Nomophylakes  übernahmen  einen  Teil  der  kontrollierenden 
Funktionen  des  Areopags;  Näheres  ist  uns  über  die  Kom- 
petenz derselben  nicht  bekannt.  Am  Ende  des  fünften  Jahr- 
hunderts   wurden    die    „Gesetzeswächter"    abgeschafft6);    erst 

1)  Hermann-Thumseu,  Staatsaltertümer,  II,  S.  481. 

2)  Hartel  a.  a.  0.,  S.  1830'. 

3)  „Si  le  Senat  et  les  Thesniothetes  ne  se  croyaient  pas  tenus 
d'interposer  leur  veto  .  .  ."  Von  einem  Vetorechte  kann  man  doch 
nur  sprechen,  wenn  ein  bereits  gefaßter  Beschluß  entkräftet  wird. 

4)  D.  i.  die  Ermächtigung  zur  Einbringung  eines  Gesetzentwurfes. 

5)  Vgl.  darüber  Perrot  a.  a.  0.,  p.  169  s".,  Hermann  -Thumser, 
S.  518,  Note  5,  Ed.  Meyer,  Bd.  III,  §  318  A  und  Bd.  5,  Vorrede,  Lipsids, 
das  attische  Recht,  I,  S.  35. 

6)  Das  geht  aus  einem  Papyrusblatt  hervor,  welches  B.  Keil  190 1 
unter  dem  Titel  „Anonymus  Argentinensis"  herausgegeben  und  kom- 
mentiert hat,  bes.  S.  170.  Meyer  nimmt  allerdings  an,  daß  jene  Notiz 
von  der  Einsetzung  der  Nomophylakes  unter  der  Herrschaft  der  30  Ty- 
rannen handle.  Daß  die  Oligarchen  Gesetzeswächter  eingesetzt  haben, 
ist  jedoch  wenig  wahrscheinlich. 


212  Adolf  Menzel: 

die  Verfassungsreform  des  Demetrios  von  Phaleron  enthält 
wieder  diese  Institution.  Nach  Philochoros1)  hatten  die  Ge- 
setzeswächter dafür  zu  sorgen,  daß  die  Magistrate  die  Gesetze 
einhalten;  sie  saßen  im  Rate  und  in  der  Volksversammlung 
an  der  Seite  der  Proedren  mit  der  Befugnis,  Beschlüsse  zu 
verhindern,  welche  dem  Staatswohle  zuwiderlaufen.  Ob  auch 
schon  die  älteren  Nomophylakes  des  fünften  Jahrhunderts 
eine  so  wichtige  Funktion  besaßen,  läßt  sich  nicht  bestimmen; 
auffallend  ist  es  jedenfalls,  daß  Aristoteles  sie  mit  keinem 
Worte  erwähnt;  Demosthenes  enthält  gleichfalls  keine  An- 
deutung über  diese  Institution.  Dies  schließt  aber  keines- 
wegs aus,  daß  die  Nomophylakes  zur  Zeit  der  Gründung 
von  Thurii  (443)  staatsrechtliche  Bedeutung  besessen  haben 
können. 

Etwas    genauer    sind    wir    über    die    Thesmotheten2) 
unterrichtet.     Nach    Aristoteles    (Staat   der  Athener,    cap.  8) 
wurden   die   sechs   letzten   Archonten   unter   dem   Namen   der 
Thesmotheten  erst  später  eingeführt,  nachdem  in  der  ältesten 
Zeit    die    drei    ersten  Archonten   (König,  Kriegsoberster  und 
Archon  im  engeren  Sinne)  allein  die  Regierung  geführt  haben. 
Die   Thesmotheten    hatten   die    alten  Rechtssatzungen    aufzu- 
schreiben  und  für  den  Gebrauch  vor  Gericht  aufzubewahren. 
Ausführlich   werden   sodann   im  59.  Kapitel   ibre  Funktionen 
in  dem  zur  Zeit  des  Aristoteles  geltenden  Rechte  geschildert. 
Dabei  sind  allerdings  in  erster  Linie  die  umfassenden  richter- 
lichen Funktionen  der  Thesmotheten  aufgezählt.3)    Es  finden 
sich  jedoch    auch   Andeutungen    über   ihren   Einfluß    auf  die 
Gesetzgebung,  indem   ihnen   die  Instruktion  der  Klagen,  be- 
treffend die  Gesetzwidrigkeit  oder  die  Unzweckmäßigkeit  eines 
Gesetzesantrages  {ygucpäg  Tca^avö^iav  xccl  v6{iav  y.i]  £7titrjdsLov 
d-slvat)  zugewiesen  erscheint.     Aus  einzelnen  Stellen  der  atti- 


1)  Zitiert    im    Lex.   Rhet.   Dobr.  674;    s.   Gkote,    griech.   Gesch. 
deutsche  Ausgabe,  III,  S.  286,  Ltpsius,  S.  36,  Note  114. 

2)  Vgl.  im  allgemeinen  Hirzel,  Themis,  S.  3 40  ff. 

3)  S.  darüber  jetzt  J.  H.  Lipsics,   das   attische  Recht,  I,  S.  68  ff. 


PrOTAGORAS   ALS    GESETZGEBER   VON   ThURII.  2  17, 

sehen  Redner1)  läßt  sich  schließen,  daß  das  Gutachten  der 
Thesmotheten  vorliegen  mußte,  bevor  eine  Gesetzesrevision 
angenommen  werden  konnte.2)  Zur  Zeit  des  Perikles  dürfte 
ihr  Einfluß  jedenfalls  bedeutend  gewesen  sein. 

Da  nun  nach  Aristoteles  die  Symbulen  in  Thurii  die 
gleiche  Funktion  besaßen,  wie  die  Thesmotheten  in  Athen, 
so  haben  wir  es  hier  offenbar  mit  einer  Rezeption  des  atti- 
schen Staatsrechtes  zu  tun.  Wesentlich  gestützt  wird  diese 
Annahme  dadurch,  daß  die  övfißovXoc  als  ccQxovtes*)  bezeich- 
net werden  (Arist.  Pol.  1307  b,  14)  und  zwar  als  solche  Ar- 
chonten,  welche  für  jene  Aufgabe  (Xveiv  xbv  vöpov)  bestellt 
waren  {kxl  rovra  rstayfiavoi).  Da  nun  auch  die  Thesmo- 
theten ein  Kollegium  von  Archonten  bedeuten,  und  zwar  der 
sechs  letzten,  so  dürfte  ein  Zweifel  über  die  Identität  kaum 
bestehen  bleiben.  Wenn  daher  die  Symbulen  von  Oncken 
als  „Ratsherren"  bezeichnet  werden4),  so  ist  das  unzutreffend. 
Freilich  erhebt  sich  nunmehr  die  Frage,  warum  mit  der  Sache 
nicht  auch  der  Name  rezipiert  wurde,  weshalb  also  die  atti- 
schen Thesmotheten  in  der  Verfassung  von  Thurii  anders 
benannt  wurden.  Ich  glaube  dafür  folgende  Erklärung  geben 
zu  können.  Nirgends  außer  in  Athen  werden  die  Gesetze  als 
&£6uol  bezeichnet;  sowohl  die  Gesetze  des  Lykurg  als  die 
des  Zaleukos  und  Charondas  heißen  vouoc.5)    Indem  nun  das 

1)  Demosth.  XXIY  20,  Aeschin.  c.  Ctesiph.  38. 

2)  So  sagt  denn  auch  Perkot  p.  157  über  die  Thesmotheten: 
,,11  est  probable,  que  lorsqu'une  proposition  leur  paraissait  trop  mani- 
festement  contraire  ä  tout  l'esprit  de  la  legislation  Athenienne  et  aux 
interets  de  l'Etat,  ils  avaient  le  droit  de  refuser  leuxs  assentiments  et 
d'arreter  ainsi  au  debut  toute  Faffaire."  Später  drückt  sich  Perrot 
dahin  aus,  daß  die  Thesmotheten  ebenso  wie  die  ßovli]  ein  Vetorecht 
gegen  Gesetzesanträge  besessen  haben. 

3)  Daß  dieser  Ausdruck  im  technischen  Sinne  zu  nehmen  ist, 
ergibt  sich  daraus,  daß  Aristoteles  in  seiner  Politik  auch  an  anderen 
Stellen  die  „Archonten"  nicht  in  der  allgemeinen  Bedeutung  von  Be- 
amten, sondern  als  höchste  Regierungsorgane  gebraucht,  so  1401b,  25 
(o  ccq%ov)  und   1306  a  28  (&q%ovtl  uEGidioi). 

4)  Die  Staatslehre  des  Aristoteles  II,  S.  243. 

5)  Hirzel,  Dike  S.  345. 


214  Adolf  Menzel: 

Institut  der  Thesrnotheten *)  an  den  nur  aus  der  attischen 
Geschichte  verständlichen  Ausdruck  „&eö[iol"  anknüpft,  mußte 
es  bei  seiner  Verpflanzung  in  eine  audere  Verfassung  seinen 
Namen,  für  den  außerhalb  Athens  das  Verständnis  fehlte, 
ablegen.  Warum  gerade  die  Bezeichnung  „Symbulen"  ge- 
wählt wurde,  läßt  sich  natürlich  schwer  feststellen.  Wenn 
man  erwägt,  daß  dieselben  die  Aufgabe  hatten,  das  Volk  in 
bezug  auf  die  Änderung  der  Gesetzgebung  zu  beraten,  so  hat 
diese  Nomenklatur  nichts  Auffälliges.  Wie  wir  oben  auf 
Grund  einer  Stelle  aus  Piatos  Protagoras  gesehen  haben, 
wnrden  die  Redner  und  Antragsteller  in  der  athenischen 
Volksversammlung  als  6vjxßovXoi  bezeichnet.  Warum  sollten 
nicht  jene  wichtigen  Beamten  diesen  Namen  erhalten,  deren 
Aufgabe  es  war,  durch  ihr  Votum  die  Verhandlung  von  Ge- 
setzesanträgen in  der  Ekklesia  einzuleiten?  Sie  waren  gleich- 
sam die  privilegierten  Ratgeber  des  Volkes. 

Bedeutet  also  diese  Einrichtung  keine  wesentliche  Ab- 
weichung von  dem  athenischen  Vorbilde  der  demokratischen 
Verfassung,  so  Hegt  allerdings  eine  Eigentümlichkeit  der 
Konstitution  von  Thurii  in  dem  von  Aristoteles  überlieferten 
Gesetze,  daß  ein  Stratege  erst  nach  fünf  Jahren  wieder  wähl- 
bar sei.  In  Athen  konnten  die  Feldherren  immer  wieder  ge- 
wählt werden;  Perikles  bildet  das  typische  historische  Beispiel. 
Ist  es  auf  den  ersten  Blick  nicht  merkwürdig,  daß  die  unter 
der  Patronanz  des  großen  Staatsmannes  gegründete  Kolonie 
jene  verfassungsmäßige  Schranke  aufstellte"?  Die  Erklärung 
ist  nicht  schwierig.  Dem  national  einheitlichen,  demokratisch 
gesinnten  Volke  von  Athen  drohte  keine  Gefahr  eines  Um- 
sturzes, wenn  auch  sein  Vertrauensmann  immer  wieder  mit 
der  Feldherrnwürde  bekleidet  wurde.  In  Westgriechenland 
war  ein  günstiger  Boden  für  Militärdiktatur  und  Oligarchie. 
Eine  verfassungsmäßige  Schutzwehr  dagegen  bildete  eben  das 
Verbot  der  Wiederwahl  der  Strategen,  welches  vermutlich 
Protagoras   bei   der   Abfassung   der    Konstitution   von   Thurii 

i)  „Drakon  und  Solon  haben  ihre  historische  Aufgabe  als  Tbes- 
motheten  gelöst."     (Hirzel,  S.  348). 


PltOTAGORAS   ALS   GeSETZGEIIER   VON   TlIl'IUI.  2  15 

aufgestellt  hatte;  hier  konnte  er  vollkommen  bewußt  von  dem 
athenischen  Muster  abweichen,  gerade  im  Interesse  der  Er- 
haltung des  Gleichheitsstaates.  Wie  Recht  er  hatte,  beweist 
gerade  die  Erzählung  des  Aristoteles. 

V. 

Neben  den  eigentlichen  Verfassungsgesetzen  besaß  Thurii 
eine  Vorschrift  von  eminent  sozialem  Charakter;  der  in  einer 
Hand  vereinigte  Grundbesitz  durfte  ein  gewisses  Maximum  nicht 
überschreiten.  Aristoteles  berichtet  nämlich,  daß  „die  Vor- 
nehmen wider  das  Gesetz  den  ganzen  Grundbesitz  an  sich 
gerissen  hätten",  daß  aber  mit  dem  Siege  des  Volkes  über 
die  Oligarchen  „diese  genötigt  wurden  alles  Land  herauszu- 
geben, welches  sie  zuviel  besaßen".  (Pol.  1307a,  30 — 35). 
Obwohl  nun  dieses  Agrargesetz  erst  bei  der  zweiten  Ver- 
fassungswandlung  erwähnt  wird  —  bei  der  Umwandlung  der 
Aristokratie  in  eine  Demokratie  —  so  ist  doch  nicht  zu  be- 
zweifeln, daß  jenes  gegen  den  Latifundienbesitz  gerichtete 
Verbot  bereits  in  der  ersten,  demokratischen  Verfassung  Thuriis 
enthalten  war.  Haben  doch  die  Oligarchen  gewiß  kein  In- 
teresse daran  gehabt,  eine  solche  Beschränkung  einzuführen. 
Sie  scheinen  aber  eine  ausdrückliche  Aufhebung  jenes  Gesetzes 
nicht  bewerkstelligt  zu  haben;  sonst  könnte  Aristoteles  nicht 
berichten,  daß  die  Anhäufung  des  Grundbesitzes  tcuqcc  xbv 
vöuov  erfolgt  sei;  dies  setzt  wohl  eine  fortdauernde  Geltung 
voraus.  Die  herrschenden  Aristokraten  fühlten  sich  offenbar 
mächtig  genug,  um  das  Gesetz  faktisch  außer  Kraft  zu  setzen. 

Als  soziale  Schutzwehr  der  Demokratie  hatte  demnach 
schon  die  erste  Verfassung  von  Thurii  die  Vorschrift  enthal- 
ten, daß  der  Grundbesitz  ein  gewisses  Maß  nicht  überschreiten 
dürfe.  Ich  vermute,  daß  Protagoras  diese  Anordnung  der 
Verfassung  Solons  entnommen  hat.  Bei  Aristoteles  (Pol.  II, 
4,  4,  1266b)  ist  nämlich  zu  lesen:  ölöxl  uav  ovv  e%£i  xivcc 
dvva^itv  slg  xi]v  7tolixixi]v  xoivcoviuv  1)  rrjg  ovöiccg  d[ial6xrjg, 
xcä  x&v  'xdkat  xiveg  (pcdvovxat  öisyvor/ioxeg,  oiov  xccl  HoXvtv 

£VOaod~SX1]6SV. 


2i6  Adolf  Menzel: 

Wir  erfahren  dabei  freilich  nicht,  in  welcher  Weise  das 
Höchstmaß  des  zulässigen  Grundbesitzes  fixiert  wurde,  ob  der 
übersteigende  Realbesitz  expropriiert  wurde  oder  nur  eine 
Frist  zum  freien  Verkaufe  desselben  vom  Gesetze  angeordnet 
war.  Jedenfalls  billigt  der  Stagirite  diese  und  ähnliche  auf 
Erhaltung  eines  mittleren  Grundbesitzes  gerichteten  Staats- 
gesetze. Er  sagt  an  einer  anderen  Stelle  (Pol.  VII,  2,  4,  1319a): 
„  .  .  .  dazu  sind  gewisse  Gesetze  zweckmäßig,  wie  sie  voralters 
bestanden,  welche  verordneten,  daß  entweder  überhaupt  nicht 
erlaubt  sein  solle,  über  ein  gewisses  Maß  hinaus  Grundbesitz 
zu  haben  oder  doch  innerhalb  einer  gewissen  Nähe  der  Stadt 
oder  ihres  Weichbildes,  oder,  wie  dies  in  alter  Zeit  in  vielen 
Staaten  Gesetz  war,  es  verboten,  die  ursprünglich  den  Fami- 
lien zugelosten  Güter  zu  verkaufen"  usw. 

Daß  übrigens  das  von  Aristoteles  angezogene  Gesetz  So- 
Ions  zur  Zeit  der  großen  Redner  in  Athen  schon  in  Vergessen- 
heit geraten  war,  sehen  wir  aus  Demosth.  XXIII,  208,  p.  689. 
Zur  Zeit  der  Gründung  von  Thurii  mag  jedoch  die  Erinnerung 
daran  noch  lebendig  gewesen  sein,  so  daß  es  nichts  Auffälliges 
hat,  wenn  es  in  der  Verfassung  der  neuen  Kolonie  wieder 
auftaucht. 

Eine  größere  Selbständigkeit  scheint  die  Privatrechts- 
gesetzgebung  von  Thurii  besessen  zu  haben.  Wir  sind  aller- 
dings nur  über  einige  Fragen  des  Kauf  kontraktes  näher  unter- 
richtet, welche  nach  dem  Berichte  des  Theophrast  in  dem 
Sammelwerke  von  Stobäus  (44,  22)  eine  eigenartige  Regelung 
erfahren  haben.  Mag  auch  manches  den  Handelsgewohnheiten 
Unteritaliens  entnommen  sein,  so  zeigt  sich  hier  Protagoras, 
wenn  er,  wie  wir  annehmen,  die  Gesetze  redigiert  hat,  als 
schöpferischen  Geist.  Um  dies  zu  würdigen,  dürfte  eine  kurze 
Darstellung  des  Berichtes  von  Theophrast  zweckmäßig  er- 
scheinen. 

Ich  beschränke  mich  dabei  selbstverständlich  auf  jene 
Sätze  des  Fragmentes,  welche  die  Gesetze  von  Thurii  zitieren- 
selbst  diese  eingeschränkte  Aufgabe  bietet  genug  Schwierig- 
keiten.    Die    Beschaffenheit    des    Textes    gibt    verschiedenen 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii.  217 

Auslegungen  Raum.  Obwohl  nun  dieses  wichtige  Dokument 
über  das  griechische  Privatrecht  in  der  Literatur  die  gebüh- 
rende Beachtung  gefunden  hat  —  am  gründlichsten  hat  davon 
F.  Hofmann1)  gehandelt  —  so  erscheinen  doch  noch  manche 
Zweifel  nicht  gelöst. 

Zwei  Materien  des  Kauf  rechts  sind  es,  für  welche  Theo- 
phrast  die  Gesetze  von  Thurii  heranzieht,  die  Norm  über  die 
Publizität  des  Immobiliarkaufes  und  die  Sätze  über  die 
Arrha  sowie  über  die  Folgen  eines  Rücktritts  vom  ge- 
schlossenen  Vertrage;  davon  handeln  der  erste  und  der  sechste 
Paragraph  des  Fragmentes.  Der  erstere  Text  lautet  (nach 
Meineke):     O'i  iiev   ovv  vtio  xr'jovxog   xeXsvovöl  TCoiXelv   xal 

7tQOX7]QVXX€tV    EX    TCXeLOVCJV    1)U£Q(ÖV,    ol    ÖS    %Uq'    <XQXfl   tiVL,   XOC- 

&d7C(Q  xal  Iltxxaxog  ztUQcc  ßaötXsvßL  xal  itqvxdvEi.  evtoi  de 
7iQoyod(pEiv  Ttagä  xf]  aQx>j  kqo  r}ueQcov  ^11)  eXaxxov  iq  i^rjxovxa, 
xaftdiXEQ  'A&rjvrfii,  xal  xov  JtQid^Evov  exaxo6x))v  XL&EvaL  xf\g 
xitufjg,  öncog  ÖLa^KpLößrjxrjöai  xe  £%?]  xal  diayiaQxvQa6&ai  xa 
ßovXo^iEva,  xal  6  dixaCag  Eavy^iEvog  yavsQog  fj  xa  xsXei. 
7ta$ä  ds  xiöl  TtQOxrjQvxxELV  xeXevovöl  7tQ0  xov  xaxaxvQca&fjvaL 
7tEv$  r^ioag  GvvEyag,  e£  xig  iviöxaxai  1)  avxixoiElxai  xov 
xxr\\iaxog  r\  xrjg  oixtug'  coGavxag  dh  xal  &11I  xüv  vxo&eöecov, 
aöTtsQ  xal  iv  xolg  Kvt,ixr^väv '.  ol  de  &ovoiaxol  xa  uhv 
xoiavxa  Ttdvxa  ayaLgovöLv,  ovd'  iv  dyooa  7iQo6xdxxov6iv, 
&6TCEQ  xäXXa,  diöövat  de  xeXevovGl  xoivf]  x&tv  ystxövav  x&v 
iyyvxdxco  xqlgI  vöaiGiid  xi  ßoayi)  iivrjfirjg  evexa  xal  uaoxv- 
Qtag.  dvayxalov  dr\Xovöxi  xolg  {ihv  xäg  do%äg  vitevd-vvovg 
■jioleZv,  xolg  de  xovg  yeCxovag,  iäv  ^irj  XdßaGiv  i]  dlg  naoä 
xov  avxov  Xdßcoötv  i)  eyovxeg  ,u>)  Xeycoöi  xäv  scov^uevcov. 


1)  Beiträge  zur  Geschichte  des  griechischen  und  römischen  Rech- 
tes, 1970  S.  46  f.  71  f.  Seither  hat  Dareste  eine  gute  französische 
Übersetzung  mit  einigen  Anmerkungen  in  der  Revue  de  legislation 
187 1  publiziert.  Beste  deutsche  Ausgabe:  Thalheim  in  K.  E.  Hermanns 
Griech.  Antiquitäten  LI,  1,  S.  146  ff;  die  Anmerkungen  dazu  sind  dürf- 
tig und  nicht  immer  zutreffend.  —  An  der  Feststellung  des  Textes  und 
der  philologischen  Interpretation  bei  Hofmann  hat  Th.  Gompertz  einen 
wesentlichen  Anteil. 


218  Adolf  Menzel: 

Der  entscheidende  Passus  lautet  demnach: 
„Die  Gesetze  von  Thurii  sehen  von  alledem  ab,  bestimmen 
auch  nicht,  daß  unbewegliche  Güter  gleich  anderen  Waren1) 
am  öffentlichen  Marktplatze  verkauft  werden  müssen,  sondern 
sie  fordern,  daß  den  drei  nächsten  Nachbarn  gemeinschaftlich 
eine  kleine  Münze  gegeben  werde,  zum  Zwecke  der  Erinner- 
ung und  des  Zeugnisses".  Der  Sinn  des  Wortes  „gemein- 
schaftlich" (xoivfj)  ist  bestritten.  Hofmann2)  versteht  den 
Ausdruck  dahin,  daß  die  Nachbarn  zugleich  anwesend  sein 
müssen;  Thalheim3)  dagegen  bezieht  jenes  Wort  auf  Käufer 
und  Verkäufer;  sie  sollen  zusammen  jedem  der  Nachbarn  eine 
kleine  Münze  geben.  Es  ist  jedoch  nicht  gut  zu  verstehen, 
wie  zwei  Personen  zugleich  als  Geber  auftreten  können.  Im 
weiteren  Verlauf  der  Stelle  wird  auch  in  der  Tat  der  Geber 
in  der  Einzahl  bezeichnet,  und  zwar  wird  der  Verkäufer  als 
solcher  genannt  („Jtaoa  xov  avtov''1').  Auch  hat  es  einen 
guten  Sinn,  die  Einheit  des  Aktes  durch  die  gleichzeitige  An- 
wesenheit der  Zeugen  zu  sichern;  es  genügt  wohl,  auf  die 
bekannten  Rechtsvorschriften  über  die  Form  der  Testamente 
hinzuweisen. 

Die  drei  Nachbarn  sind  aber  nicht  bloß  Solennitätsper- 
sonen,  sondern  sie  tragen  auch  eine  rechtliche  Verantwortung 
und  nähern  sich  dadurch  der  Einrichtung  der  Kaufbürgen*). 
Es  heißt  nämlich  weiter  bei  Theophrast:  „Natürlich  müssen 
die  einen  Gesetze  die  Behörden  haftbar  machen5),  die  ande- 
ren G)  die  Nachbarn 7),  wenn  sie  die  Münze  nicht  angenommen 


i)  Daß  dies  die  Bedeutung  des   Wortes    „v>6ti8q  xccXlau  ist,    hat 
Gompekz  bei  Hofmann  S.  8i,  Note  20  dargelegt. 

2)  a.  a.  0. 

3)  S.  147  Note  2,  ebenso  vorher  Dareste  p.  287:  „obligent  le  vendeur 
et  l'acheteur  ä  se  reunir  pour  donner  —  une  petite  piece  de  monnaie." 

4)  Vgl.    darüber    Mitteis,    Reichsrecht    und    Volksrecht    S.  502, 
Thalheim  S.  89,  Note  3. 

5)  Wenn  nämlich  der  Verkauf  bei  der  Behörde  geschlossen  wird. 

6)  Also  speziell  die  Gesetze  von  Thurii. 

7)  Hofmann  übersetzt:    „Offenbar   müssen  die  Parteien    sich  bald 
an  die  Behörden,    bald    an    die  Nachbarn  halten".     Dies  tadelt  Thal- 


Protagoras  als  Gesetzgeher  von  Thurii.  219 

haben  oder  zweimal  vou  demselben  angenommen  haben  oder 
trotz  des  Empfanges  den  Käufer  nicht  nennen".  Von  diesen 
drei  Fällen  einer  Haftung  der  Nachbarn  ist  der  erste  und 
dritte  in  seiner  Bedeutung  bestritten.  Klar  ist  nur  der  zweite 
Fall;  die  Nachbarn  sind  ersatzpflichtig,  wenn  sie  in  bezug 
auf  dasselbe  Objekt  von  demselben  Verkäufer  zweimal  ein 
Erinnerungszeichen  angenommen  haben.  Den  ersten  Fall 
versteht  Hofmann  dahin,  daß  die  Nachbarn  einen  Verkauf 
bezeugen,  ohne  eine  Münze  erhalten  zu  haben.1)  Allein  ab- 
gesehen von  der  Willkürlichkeit  in  der  Ergänzung  des 
Textes  hätte  es  wohl  keines  besonderen  Rechtssatzes  über 
eine  Ersatzpflicht  bedurft,  welche  auf  ein  falsches  Zeugnis 
gegründet  ist.  Dagegen  hat  es  einen  guten  Sinn,  wenn  die 
Gesetze  von  Thurii  den  Satz  aufgestellt  haben,  daß  die  Nach- 
barn verpflichtet  sind  die  Münze  anzunehmen,  um  den  Ab- 
schluß des  Kaufgeschäftes  zu  ermöglichen.2)  Richtig  über- 
setzt daher  Dakeste  „s'ils  refusent  de  recevoir";  eine  solche 
Weigerung  macht  sie  ersatzpflichtig. 

Der  dritte  Fall  der  Verantwortlichkeit  ist  gegeben  l%ov- 
tsg  [Mi)  Xeyaöi  reo  (bvovutvco.  Falls  diese,  allerdings  bestrittene 
Lesart  des  Textes  akzeptiert  wird,  bedeutet  der  Satz:  die 
Nachbarn  sind  ersatzpflichtig,  wenn  sie  dem  Käufer  keine 
Mitteilung  (von  dem  etwa  erfolgten  Besitzwechsel)  machen.3) 
Liest  man  dagegen  mit  Dareste  „töv  uvcciisvov"  oder  mit 
Gompertz  „töv  scovrjiievov",  so  träte  die  Verantwortlichkeit 
ein,  wenn  die  Nachbarn  den  Käufer  nicht  nennen  wollen,  d.  h. 
das  Zeugnis  verweigern,  daß  er  die  Sache  gekauft  habe.4) 
Ich  halte  diese  Auffassung   der  Stelle   für  die  richtige,  weil 

heim  S.  148  Note  1  mit  den  Worten,  daß  hier  von  einer  gesetzlichen 
Verpflichtung  der  Zeugen  die  Rede  ist.  Das  meint  wohl  auch  Hof- 
mann. Wenn  auch  das  Gesetz  die  Ersatzpflicht  statuiert,  so  ist  doch 
ihre  Geltendmachung  den  Parteien  überlassen. 

1)  a.  a.  0.  S.  81. 

2)  Richtig  Thalheim  S.   148,  Note  2. 

3)  So  Thalheim  S.   148,  Note  b. 

4)  Dareste  übersetzt:  „ou  si  ayant  recu  ils  refusent  d'indiquer 
le  nom  de  Tacheteur." 


220  Adolf  Menzel: 

sie  mit  der  vorher  in  den  Worten  „^1/77^5  evexcc  tcal  \iclqtv- 
QLagei  umschriebenen  Bedeutung  des  Solennitätsaktes  überein- 
stimmt.1) Die  Sicherung  des  Beweises  erfordert  die  aus- 
drückliche Statuierung  der  Zeugnispflicht;  ihre  Nichterfüllung 
macht  ersatzpflichtig. 

Aus  dem  folgenden  §  4  des  Fragmentes  ergibt  sich,  daß 
der  Formalakt  der  Münzenhingabe  die  Voraussetzung  für  den 
Übergang  des  Eigentums  bildete2);  der  obligatorische  Kauf- 
vertrag war  schon  gültig,  sobald  der  Verkäufer  das  Angeld 
(cc$(iaß6va)  angenommen  hat.3)  „So  etwa  lautet  das  Gesetz 
bei  den  meisten"  fügt  Theophrast  hinzu.4)  Damit  kommen 
wir  zu  dem  überaus  schwierigen  Teil  des  Fragmentes,  welcher 
sich  speziell  mit  der  Institution  der  Arrha  beschäftigt.  Es 
lautet5):  §  6  iäv  de  Iccßcov  uQQccßüvcc  pi]  depixat  xr\v  xi{ii]v 
rj  dovg  (irj  xarccßdXr}  iv  x<p  coqiGiievo)  %q6vg)'  del  yäg  cbp^J-ifra, 
xu&cc7i£Q  ev  xolg  ®ovqlcov  xbv  pev  aQQctß&va  7caQ<x%Qfma  xi]v 
de  Tipijv  avd-rjfisQÖv ,   ol  de  xal  nletovg  r^iegag  xi&evxm   xf\g 


1)  Thalheim  meint  allerdings  a.  a.  0.:  Wichtiger,  als  daß  sie  den 
Käufer  nennen,  ist  daß  sie  dem  Käufer  die  Mitteilung  von  dem  etwa 
erfolgten  Besitzwechsei  machen."  Allein  der  Fall  einer  solchen  Unter- 
lassung ist  identisch  mit  der  früher  erwähnten  Verantwortlichkeit  der 
Nachbarn  infolge  der  zweimaligen  Annahme  der  Münze  seitens  des- 
selben Verkäufers.  Wissen  sie  nämlich,  daß  die  Liegenschaft  bereits 
verkauft  wurde,  so  dürfen  sie  nicht  mitwirken,  wenn  derselbe  Verkäu- 
fer wieder  auftritt.  Es  erscheint  demnach  eine  besondere  Mitteilung 
an  den  neuen  Käufer  entbehrlich. 

2)  KvqIu  tj  &>vr\  v.ccl  r,  ngäßig  stg  (isv  ■x.Tfjßiv  otccv  17  tifir}  So&jj 
Kai  r&y.  x&v  vo^icov  noii]6ca6iv  olov  avccyQce<pi}v  7)  oqkov  1)  rolg  ysi- 
xo6i  tÖ  yiyvopsvov. 

3)  Über  diese  juristisch  interessanteste  Stelle  des  Fragmentes 
Hofmann  S.  102  ff. 

4)  Wir  haben  allen  Grund  anzunehmen,  daß  darunter  auch  die 
Gesetze  von  Thurii  fallen,  daß  also  auch  nach  diesen  der  Kaufvertrag 
erBt  mit  Hingabe  der  Arrha  perfekt  wurde.  Doch  ergibt  sich  eine 
Schwierigkeit  aus  dem  unten  folgenden  Satze  1),  worauf  ich  noch  zu 
sprechen  komme. 

5)  Ed.  Meineke.  Ich  nehme  den  §  7  hinzu,  welcher  zwar  nicht 
mehr  das  Angeld  betrifft,  aber  sachlich  zusammenhängt. 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii.  221 

rtjui/g,   o'i    d*    «TtÄibg    oöag    av    by.oXoyr\6co6i'    xb    <5*    emxliiiov 

tXCiXtQCp,    710T6QOV    TCO   {leV    6X8Q7]6ig     XOV    aQQaßlOVOg]    OVXCO  yaQ 

6%sdbv  ol  x  aXkoi  xtXevovöi  xal  01  &ovQiaxoC'  xcö  de  firj 
de%o[i£vcp  ixt  16 ig  ödov  av  ajcodcoxai]  xal  yug  xovxo  ev  xolg 
©ovqlcov,  1}  aviöog  tyuiia'  TioXXaxXaöla  yäg  1)  xiiu)  xov  d^ga 
ßcovog'  ext  de  xal  ßXaTtxoix'  dv  b  aTtodopevog  dcpelg  exaxe- 
Qovg,  eneidY]  xig  icp'  fjfiBQav  \iiav  ogtöeiev  ovxco  yäo  \1dX16x 
evde^exai  nao'  ivCoig,  dedixdöd-ai  xeXevovöi  xcö  p))  de%oyievcp 
vfjv  xtiiijv.  §  7  jcöxeoov  de  ecog  av  xofiLörjtca  xvqiov  elvai 
xov  xxijciccxog]  ovxco  yäo  oC  noXXol  voiiod-exovöiv  ij  coaxeo 
Xagcovdag  xal  IlXcacov,  ovxoi  yao  naQa%Q)j[ia  xeXevovöi  di- 
öövca  xal  Xaiißdveiv,  eäv  de  xig  Tiiöxevöt],  icfj  elvai  dixtjv, 
avxbv  yäo  alxiov  elvai  vfjg  admCag.  Aus  diesem  Berichte 
ergibt  sich  zunächst  mit  Sicherheit,  daß  in  den  Gesetzen  von 
Thurii  folgende  Vorschriften  enthalten  waren: 

1)  Das  Angeld  ist  sogleich  beim  Abschlüsse  des  Kauf- 
vertrages zu  entrichten. 

2)  Der  Kaufpreis  ist  noch  im  Laufe  desselben  Tages  zu 
zahlen. 

3)  Unterläßt  dies  der  Käufer,  so  verliert  er  das  gegebene 
Angeld. 

4)  Weigert  sich  der  Verkäufer  den  Kaufpreis  anzuneh- 
men, so  hat  er  eine  Buße  in  der  Höhe  des  Kaufpreises  zu 
entrichten,  behält  aber  das  Angeld. 

Zweifelhaft  ist  es  aber,  ob  den  Gesetzen  von  Thurii 
die  Sätze  entnommen  sind. 

5)  Unter  Umständen  verliert  der  Verkäufer,  der  die  An- 
nahme der  Kaufpreises  verweigert,  neben  der  Buße  (in  der 
Höhe  desselben)  noch  das  erhaltene  Angeld. 

6)  Es  gibt  (neben  oder  anstatt  der  Buße?)  eine  Klage 
gegen  den  Verkäufer  auf  Erfüllung  des  Kaufvertrages. 

Hofmann  nimmt  auf  Grund  einer  von  Gomperz  vorsre- 
schlagenen  Textemendation  allerdings  an,  daß  sich  auch  diese 
Sätze  5  und  6  auf  Thurii  beziehen.  Die  sachlichen  Schwierig- 
keiten werden  aber  damit,  wie  wir  sehen  werden,  kaum  be- 
seitigt.    Betrachten  wir  zunächst  die  ersten  vier  Normen. 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  l8 


222  Adolf  Menzel: 

Ad  i)  Daß  das  Angeld  sogleich  zu  entrichten  ist  (xbv  fiev 
aQQCcß&va  itaQa%Q7]iia)  ist  eigentlich  selbstverständlich,  wenn  der 
Kauf  erst  mit  der  Hingabe  der  Arrha  perfekt  wird.  Ja  man 
könnte  sagen,  daß  diese  Vorschrift  keinen  rechten  Sinn  hat; 
entsteht  doch  vor  Perfektion  des  Kaufes  keinerlei  Ver- 
pflichtung. *) 

Ad  2)  Von  Wichtigkeit  ist  die  gesetzliche  Fixierung  der 
Zahlungsfrist  „trjv  de  ri^iijv  avd-^^isQ6vu.  Sie  hat  nicht  etwa 
bloß  einen  dispositiven  Charakter,  sie  gilt  nicht  nur,  wenn 
die  Parteien  darüber  nichts  ausgemacht  haben,  sondern  sie 
besitzt,  wie  sich  aus  dem  Gegensatze  zum  folgenden2)  ergibt, 
einen  zwingenden  Charakter.  Eine  solche  absolute  Vorschrift 
über  die  Zahlungsfrist  ist,  wie  Theophrast  berichtet,  auch  in 
anderen  Gesetzgebungen  ausgesprochen;  die  Eigentümlichkeit 
von  Thurii  liegt  in  der  Kürze;  der  Kaufpreis  muß  noch  an 
demselben  Tage  (des  Kaufabschlusses)  entrichtet  werden.3) 

Die  Tendenz  dieser  Vorschrift  ist  gegen  die  Kreditierung 
des  Kaufpreises  gerichtet.  Nun  lesen  wir  im  letzten  Para- 
graphen des  Fragmentes,  daß  nach  den  Gesetzen  des  Cha- 
rondas  und  den  Vorschlägen  von  Plato4)  auch  jener  kurz- 
fristige Kredit  (von  einem  Tage)  nicht  zugelassen  war;  es 
muß  Zug  um  Zug  erfüllt  werden.     Daraus  ist  zu  entnehmen, 

1)  Die  bisherigen  Kommentatoren  haben  diese  Schwierigkeit 
nicht  bemerkt. 

2)  „Andere  (Gesetze)  überlassen  die  Frist  dem  Übereinkommen 
der  Parteien." 

3)  „Andre  setzen  für  die  Zahlung  des  Kaufpreises  mehrere 
Tage  an." 

4)  Es  ist  schon  von  anderen  bemerkt  worden,  wie  eigentümlich 
Theophrast  verfährt,  indem  er  in  seiner  rechtsvergleichenden  Darstel- 
lung neben  den  geltenden  Gesetzgebungen  auch  die  gesetzgeberischen 
Projekte  Piatos  heranzieht;  gemeint  ist  de  legg.  XI,  915  D,  E.  „Bei 
allem,  was  durch  Kaufgeschäfte  aus  einer  Hand  in  die  andere  über- 
geht, ist  es  so  zu  halten,  daß  man  an  einem  bestimmten  Platze  auf 
dem  Markte  an  jedermann  seine  Waren  abgibt  und  sogleich  die 
bare  Bezahlung  dafür  erhält.  Dies  darf  nirgend  anderswo  ge- 
schehen, auch  kein  Kauf  oder  Verkauf  irgend  eines  Gegenstandes  auf 
spätere  Zahlfrist  abgeschlossen  werden." 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurh.  223 

daß  Protagoras,  als  er  die  Gesetze  des  Charondas  für  Thurii 
bearbeitet  hat,  eine  Milderung  eintreten  ließ,  ohne  sich  von 
seiner  Vorlage  allzuweit  zu  entfernen.1)  An  Stelle  der  so- 
fortigen Zahlung  setzt  er  die  Pflicht  zur  Entrichtung  an 
demselben  Tage.2) 

Ad  3)  Der  Zusammenhang,  in  dem  sich  dieser  Satz  vor- 
findet, ist  folgender:  „Wenn  aber  der  Empfänger  der  Arrha 
den  Preis  nicht  annimmt  oder  der  Geber  derselben  in  der 
vorgeschriebenen  Zeit  ihn  nicht  erlegt,  welche  Strafe  soll 
den  einen  oder  den  anderen  treffen?  Etwa  für  den  einen 
(Käufer)  der  Verlust  der  Arrha;  so  entscheiden  die  meisten 
Gesetze,  darunter  auch  die  von  Thurii."  Wir  haben  also  hier 
mit  einem  gemeingriechischen  Rechtssatze,  nicht  mit  einer 
Spezialität  der  Gesetze  von  Thurii  zu  tun.  Dabei  ist  aber 
ein  wichtiger  Punkt  unklar  gelassen.  Wirkt  hier  das  Angeld 
zugleich  als  Reugeld?  Wenn  ja,  dann  müßte  sich  der  Ver- 
käufer mit  der  Arrha  begnügen,  er  könnte  nicht  noch  auf 
Zahlung  des  Kaufpreises  klagen;  er  hätte  auch  nicht  die  Wahl 
zwischen  beiden  Möglichkeiten. 

Das  ist  in  der  Tat  die  richtige  Auffassung  jener  Stelle. 
Zwar  erwähnt  Theophrast  später  auch  eine  Klage  aus  dem 
Kaufkontrakt,  aber  nur  die  Klage  auf  Annahme  des  Kauf- 
preises und  Übergabe  der  Ware;  selbst  diese  Klage  wird  nur 
in  einigen  Gesetzen  (au  Stelle  der  Klage  auf  Buße)  zuge- 
lassen.3) Darin  gelangt  zum  Ausdrucke,  daß  es  sich  nicht 
um  gemeingriechisches  Recht  handelt.  Gewöhnlich  konnte 
der  Käufer  gegen  Verlust  des  Angeldes  vom  Geschäft  zurück- 
treten. Er  verliert  es  aber  auch,  wenn  er  ohne  Rücktritts- 
absicht den  Kaufpreis  zur  bestimmten  Zeit  nicht  zahlt;  unser 
Fragment   macht   in   dieser   Beziehung   keine  Unterscheidung. 


1)  Dieser  Zusammenhang  ist  bisher  unbeachtet  geblieben. 

2)  Nach  einer  Text-Emendation  von  Gomperz  hätte  Theophrast 
diese  Vorschrift  mit  den  Worten  kritisiert:  „Und  wer  möchte  auch  die 
Erfüllungsfrist  gerade  auf  einen  einzigen  Tag  beschränken?"  (Hofmann, 
S.  85).     Darüber  unten  S.  226  bei  Note  1. 

3)  „Ttap'  ivioig  ds8iKu6&ai  ksXbvovol  tw  utj  ds%ouev(p  ttjv  ri[iT}v." 

18* 


224  Adolf  Menzel: 

Ad  4)  Eine  Spezialität,  welche  Theophrast  mißbilligt, 
bildet  hingegen  die  Vorschrift  der  Gesetze  von  Thurii,  daß 
der  Verkäufer,  welcher  den  Preis  nicht  annehmen  (also  vom 
Verkaufe  zurücktreten)  will,  dem  Käufer  eine  Buße  in  der 
Höhe  des  Kaufpreises  entrichten  muß.1)  Dies  setzt  natürlich 
voraus,  daß  der  Käufer  den  Preis  rechtzeitig,  also  noch  am 
Tage  des  Kaufabschlusses  (oben  ad  2)  angeboten  hat.  Die 
Zahlung  dieser  Buße  (in  der  Höhe  des  Kaufpreises)  befreit 
aber  den  Verkäufer  von  der  Lieferung;  sie  wirkt  wie  ein 
Reugeld.  Da  er  außerdem  das  Angeld  behält,  so  besteht  sein 
effektiver  Verlust  in  der  verabredeten,  um  das  Angeld  ver- 
minderten Kaufsumme.  Das  ist  der  Sinn  des  in  Thurii 
geltenden  Rechtssatzes. 2) 

Theophrast  nennt  diesen  Verlust  eine  ungleiche  Strafe 
(avLöog  ^rjfiCcc),  denn  der  Kaufpreis  sei  vielmal  mehr  als  die 
Arrha.  Er  erblickt  also  in  jener  Vorschrift  eine  ungleiche 
Behandlung  der  Kontrahenten.  Der  Käufer  verliert  bei  Nicht- 
erfüllung, bzw.  Rücktritt  nur  das  Angeld,  der  Verkäufer  muß 
hingegen  den  Kaufpreis,  der  ein  Multiplum  der  Arrha  be- 
deutet, zahlen.  Diese  Kritik3)  wird  von  Hofmann  (S.  108) 
als  sehr  zutreffend  bezeichnet;  ich  kann  das  nicht  finden. 
Ungleichheit  bedeutet  noch  nicht  Unbilligkeit.  Der  Gesetz- 
geber  kann  Gründe   haben,   den   Verkäufer  fester  zu  binden 

1)  Was  bestimmten  in  dieser  Frage  die  anderen  griechischen 
Gesetze?  Manche  Gesetze  gewährten,  wie  eben  gezeigt  wurde,  die  Klage 
auf  Erfüllung  des  Vertrages;  hier  hat  also  der  Verkäufer  überhaupt 
kein  Recht  des  Rücktritts.  Die  Mehrzahl  der  Stadtrechte  dürfte  aber 
einen  ähnlichen  Satz  enthalten  baben,  wie  ihn  das  römische  Recht 
aufstellt  (Cod.  Just.  IV  21,  17):  der  Verkäufer  muß  das  doppelte  Angeld 
erstatten. 

2)  Vielfache  Mißverständnisse  haben  sich  darangeknüpft;  einzelne 
Erklärer  meinten,  daß  der  Verkäufer  die  Sachen  umsonst  hergeben 
müsse;  andere  glaubten  gar,  daß  der  Verkäufer  die  Sache  zurückkaufen 
müsse  u.  dgl.     Es  lohnt  sich  nicht,  darauf  näher  einzugehen. 

3)  Wenn  es  überhaupt  eine  solche  ist.  Nach  Dareste,  p.  281, 
konstatiert  Theophrast  einfach  die  Ungleichheit  in  der  Behandlung  der 
Kontrahenten:  „la  peine  est  inegale,  puisque  les  arrhes  ne  sont  qu'une 
fraction  de  prix." 


Pkotagouas  als  Gesetzgeber  von  Thurii.  225 

als  den  Käufer;  kennt  doch  ersterer  den  wahren  Wert  der 
verkauften  Sache  genauer  als  der  Käufer.  Es  hat  Gesetze 
gegeben,  welche  dem  Verkäufer  überhaupt  kein  Rücktritts- 
recht gewährten.  Thurii  gewährte  ihm  dies,  allerdings  gegen 
ein  großes  Opfer. 

Wir  kommen  nun  zu  den  oben  unter  5)  und  6)  an- 
geführten Sätzen,  von  welchen  ich  —  im  Gegensatz  zu  Hof- 
mann —  annehme,  daß  sie  nicht  mehr  auf  die  Gesetze  von 
Thurii  unmittelbaren  Bezug  haben.  Nach  der  Übersetzung 
von  Th Alheim  lauten  sie: 

„Ferner  aber  kann  der  Verkäufer  durch  Verlust  von 
beiden  (Angeld  und  Kaufpreis)  geschädigt  werden,  wenn  er 
die  Zahlungsfrist  auf  einen  Tag  beschränkt.  Denn  das  ist 
vielfach  üblich.  Bei  einigen  aber  verordnen  (die  Gesetze,) 
gegen  den,  der  die  Annahme  des  Kaufpreises  verweigert,  klag- 
weise vorzugehen."1)  Diese  Übersetzung  deckt  sich  mit  den 
durch  die  Handschriften  überlieferten,  nur  in  nebensächlichen 
Punkten  differierendem  Text.  Zwei  Dinge  bleiben  jedoch 
unklar.  Warum  soll  der  Verkäufer  Angeld  und  Kaufpreis 
gerade  in  dem  Falle  verlieren,  als  eine  eintägige  Zahlungsfrist 
vereinbart  war2)?  Das  Gesetz  von  Thurii  konnte  das  nicht 
augeordnet  haben,  da  es  ja  die  Erfüllungsfrist,  wie  oben  ge- 
zeigt wurde,  der  Disposition  der  Parteien  entzieht. 


1)  Auf  dasselbe  kommt  die  Übertragung  von  Dareste  hinaus: 
„II  y  a  meme  des  cas,  oü  la  peine  du  vendeur  peut  etre  plus  forte 
encore  et  oü  il  perdra  ä  la  fois  les  arrhes  et  le  prix,  c'est  celui,  oü 
le  prix  a  ete  stipule  payable  le  jour  meme.  C'est  en  effet  une  dispo- 
sition,  qui  se  trouve  dans  la  plupart  des  lois.  Chez  certains  peuples, 
au  contraire,  on  donne  une  action  contre  le  vendeur,  qui  refuse  de 
recevoir  le  prix."  Der  Unterschied  von  Thalheim  liegt  —  abgesehen 
von  der  größeren  Ausführlichkeit  —  nur  in  der  Wiedergabe  der  Worte: 
„ot5ro>  yccQ  fiaÄicrr'  ivät^t-Tai."  Th.  bezieht  dieselben  auf  die  Verab- 
redung der  Erfüllungszeit,  D.  auf  die  Disposition  der  Gesetze. 

2)  Thalheim  meint  freilich  (S.  152,  Note  2),  daß  der  Verkäufer 
eine  strenge  Ahndung  verdiene,  wenn  er  in  so  kurzer  Zeit  seinen  Ent- 
schluß ändert.  Allein  die  Frist  ist  doch  nicht  kürzer,  als  nach  dem 
Gesetze  von  Thurii,  nämlich  1  Tag. 


2  26  Adolf  Menzel: 

Haben  aber  andere  Gesetze  eine  solche  Doppelstrafe  an- 
gedroht —  so  verstehen  Thalheim  und  Dareste  die  Stelle 
—  dann  ist  ja  jene  strenge  Behandlung  des  Verkäufers  keine 
Spezialität  von  Thurii.  Als  solche  wird  sie  aber  von  Theo- 
phrast  vorher  angeführt  und  mißbilligt.  Der  Tadel  müßte 
sich  dann  noch  mehr  gegen  jene  strengeren  Vorschriften 
richten,  welche  den  Verlust  von  Arrha  und  Kaufpreis  an- 
drohen. Denn  diese  Vorschriften  müßten  doch  das  Minus, 
nämlich  die  Buße  in  der  Höhe  des  Kaufpreises  für  alle  Fälle 
angedroht  haben,  in  welchen  der  Verkäufer  zurücktritt;  sonst 
könnte  Theophrast  nicht  von  einem  größeren  Nachteil 
sprechen,  falls  eine  eintägige  Zahlungsfrist  stipuliert  war. 

Aber  auch  die  Emendation  von  Gomperz  und  die  sich 
daran  knüpfende  Interpretation  von  Hofmann  ergeben  kein 
befriedigendes  Resultat.  Nach  diesem  Vorschlage  wird  der 
Satz:  „iitsidiq  ttg  iqp'  rj^idgav  iiCav  oqiösmv"  entfernt  und  mit 
der  vorhergehenden  Ausführung  des  Fragmentes  über  die 
Bestimmung  der  Erfüllungsfrist  verknüpft,  wobei  der  Satz 
als  eine  Frage  aufgefaßt  wird.1)  Es  schließt  dann  ovx  ra  un- 
mittelbar an  ixdtsQov  an.  Demnach  würde  es  heißen:  „Jar 
der  Verkäufer  könnte  noch  härter  getroffen  werden,  indem 
er  sogar  beides  (Arrha  und  Kaufpreis)  verliert.  Denn  gerade 
dieses  kann  am  leichtesten  eintreffen  bei  einigen,  deren  Recht 
den  die  Annahme  des  Preises  verweigernden  Verkäufer  ver- 
urteilen läßt." 

Nach  Hofmann  bedeute  dies  folgendes.  Es  kann  nach 
manchen  Gesetzgebungen  Strafe  und  Erfüllung  begehrt  werden. 
Klagt  nun  hier  der  Käufer  auf  Einhaltung  des  Kontraktes, 
so  hat  er  nur  den  um  die  Arrha  verminderten  Kaufpreis  zu 
entrichten,  erhält  aber  als  Buße  den  ganzen  Kaufpreis;  das 
ergibt  infolge  der  Kompensation  für  den  Verkäufer  Verlust 
von  Preis  und  Arrha  (S.  108).  Abgesehen  von  der  Kompli- 
ziertheit dieser  Konstruktion  ergeben  sich  zwei  schwere  Be- 
denken. 

i)  „Und  wer  möchte  die  Erfüllungsfrist  gerade  auf  einen  einzigen. 
Tag  beschränken?" 


PltOTAGOKAS   ALS   GESETZGEBER   VON   ThüIUI.  2  27 

A)  Der  ganze  Sachverhalt  soll  nach  Hofmann  den  Ge- 
setzen von  Tlmrii  entnommen  sein.  Der  Text  spricht  aber 
von  „einigen"  tcuq'  evCag,  bei  welchen  dies  vorkommen  kann; 
das   bildet   geradezu   einen   Gegensatz   zu   „iv   xoig  &ovqIov11'. 

B)  Erfüllungszwang  und  Strafe  bilden  im  Texte  offen- 
sichtlich einen  verschiedenen  Tatbestand.  Es  wäre  in  der  Tat 
eine  Absurdidät,  wenn  ein  Gesetz  bestimmt  hätte,  daß  der 
Verkäufer,  welcher  in  mora  gerät,  den  Kaufpreis  als  Buße 
entrichten  und  überdies  die  Sache  hergeben  muß.  Das  ist 
mehr  als  Tüftelei1),  sondern  geradezu  Unsinn.  Wenn  wirk- 
lich ein  solches  Gesetz  existiert  hätte,  wäre  es  kaum  jemals 
zur  Anwendung  gekommen.  Welcher  Verkäufer  würde  von 
einem  Geschäfte  zurücktreten,  wenn  ihm  jene  Nachteile  drohen? 

Ist  daher  die  Erklärung  von  Hofmann  unannehmbar, 
so  muß  auf  die  oben  dargelegte  Auffassung  von  Thalheim 
und  Dareste  zurückgegriffen  werden.  Die  dort  hervor- 
gehobenen Bedenken  bleiben  allerdings  bestehen;  der  Zwischen- 
satz über  die  Stipulation  der  Zahlungsfrist  bleibt  dunkel. 
Aber  eine  völlig  befriedigende  Interpretation  wird  sich  bei 
der  Beschaffenheit  des  Textes  wohl  niemals  finden  lassen. 

Exkurs. 

Thaies  und  die  Arrha. 

Wachsmuth  berichtet  in  seiner  hellenischen  Altertums- 
kunde (2.  Aufl.  Bd.  2,  S.  189J:  „Erfinder  des  Angeldes  wird 
Thaies  genannt."  Eine  Quellenangabe  fehlt;  vermutlich  stützt 
sich  diese  Behauptung  auf  eine  Notiz  bei  Aristoteles,  Politik 
I,  4,  5,  1259a,  welche  von  Cicero  de  div.  I,  49,  in  wieder- 
holt wird.  „Hierher  gehört  die  Geschichte  von  Thaies  dem 
Milesier.  Es  enthält  dieselbe  nämlich  einen  Kunstgriff,  wie 
man  Reichtum  erwirbt.  Ihm  freilich  wird  dieselbe  wohl  nur 
beigelegt  um  seiner  Weisheit  willen,  wohl  aber  schließt  das 
Verfahren  eine  allgemeine  Regel  in  sich.    Als  man  ihm'näm- 


1)  "Was  Strabo  den  Gesetzen  von  Thurii  vorwirft  (VI,  260). 


228  Adolf  Menzel: 

lieh,  so  wird  erzählt,  wegen  seiner  Armut  vorhielt,  daß  die 
Philosophie  zu  nichts  nütze,  da  habe  er,  indem  er  vermöge 
seiner  astronomischen  Kenntnisse  eine  reiche  Olivenernte 
voraussah,  noch  im  Winter,  da  er  sich  gerade  im  Besitze 
einiges  Geldes  befand,  auf  alle  Ölpressen1)  in  Milet  und  Chios 
Angeld  (aggaßtivog)  gegeben  und  sie  für  eine  geringe  Summe 
gemietet,  indem  niemand  ihn  überbot.  Als  dann  aber  die 
Erntezeit  kam  und  jetzt  viele  solche  Pressen  zugleich  und 
schleunig  gesucht  wurden,  habe  er  sie  wieder  vermietet,  so 
hoch  er  wollte  und  so  viel  Geld  zusammengebracht  und  da- 
mit gezeigt,  daß  es  den  Philosophen  leicht  sei  reich  zu  wer- 
den, wenn  sie  wollten,  daß  dies  aber  nicht  der  Gegenstand 
ihres  Strebens  sei." 

Es  ist  klar,  daß  in  dieser  Erzählung  nicht  die  Verwen- 
dung der  Daraufgabe,  sondern  die  monopolistische  Beherrschung 
des  Marktes  durch  die  kluge  Voraussicht  des  kommenden 
Bedarfes  die  Hauptrolle  spielt.  Das  ergibt  sich  auch  aus  den 
folgenden  Zeilen,  in  welchen  Aristoteles  über  einen  anderen 
Fall  dieser  Art  berichtet,  wonach  einmal  in  Sizilien  ein  spe- 
kulativer Kopf  alles  Eisen  aus  den  Eisenhütten  zusammen- 
gekauft hatte  und  nun  als  alleiniger  Verkäufer  die  Preise 
diktieren  konnte.  Der  Herrscher  (Dionysius  von  Syrakus) 
erlaubte  ihm  zwar,  den  so  erzielten  Gewinn  mitzunehmen, 
verbot  ihm  aber  den  längeren  Aufenthalt  in  der  Stadt,  da 
„er  auf  Einnahmsquellen  verfallen  sei,  die  sich  mit  seinen 
eigenen  —  heute  würden  wir  sagen,  mit  dem  Gemeininteressen 
—  nicht  vertragen."2) 


i)  So  ist  zu  übersetzen  auf  Grund  des  richtigen  Textes.  Die 
Version  von  Süsemihl  (dem  ich  im  übrigen  folge),  „allen  ölarbeitern 
Handgeld  gegeben"  ist  abzulehnen,  da  die  Arbeit  des  Pressens  meist 
durch  Sklaven  besorgt  wurde,  daher  eine  Dienstmiete  unwahrschein- 
lich ist. 

2)  Aristoteles  fügt  hinzu:  Dieses  Verfahren,  sich  durch  einen 
Kunstgriff  den  Alleinverkauf  zu  verschaffen,  sollten  die  Staatsregenten 
und  Staatsmänner  studieren,  damit  sie  es  für  den  oft  so  geldbedürfti- 
gen Staat  verwenden. 


Protagoras  als  Gesetzgeber  von  Thurii.  22g 

Trotzdem  möchte  ich  der  Erwähnung  der  Arrha  in  der 
Erzählung  über  die  Spekulation  des  Thaies  eine  gewisse  Be- 
deutung beilegen.  Gewiß  hat  der  Vater  der  Philosophie  die- 
ses Rechtsinstitut  nicht  erfunden.  Wenn  man  aber  erwägt, 
daß  „aQQccßävog"  zweifellos  dem  semitischen  Sprachschatze 
entstammt1)  und  Thaies  entweder  selbst  Phönikier  war2)  oder 
doch  aus  einem  phönikischen  Geschlecht  abstammte3),  so 
kann  er  es  immerhin  gewesen  sein,  der  zur  Verbreitung  dieser 
Einrichtung  in  der  griechischen  Handelswelt  beigetragen  hat. 
Übrigens  zeigt  die  Erzählung  des  Aristoteles  die  Arrha  in 
ihrer  ursprünglichen  Funktion  als  Sicherstellung;  Thaies 
gab  Geld  gewissermaßen  als  Pfund,  um  sich  die  Ölpressen 
für  bestimmte  Zeit  zu  verschaffen. 


1)  Näheres   bei  Leonhard  Art.  arrha  in  Paulys  Realencyclopädie 
2.  Aufl. 

2)  P.  Schuster    „Thaies   ein    Phönizier?"    (Acta.  phil.  Lips.   1875 
S.  326  fr. 

3)  Diog.  Laert.  I,  22. 


18** 

Druckfertig  erklärt  13.  VI.  1910.] 


231 


SITZUNG  VOM  9.  JULI  1910. 

Herr  Mitteis  legte  drei  kleinere  Untersuchungen  vor  (für  die  Be- 
richte). 

Herr  Meister  sprach  über  neue  kyprische  Inschriften  (für  die  Be- 
richte, in  Verbindung  mit  dem  am  30.  April  Vorgetragenen). 

Herr  Zimmern  meldete  eine  Arbeit  „Zur  Herstellung  der  großen 
babylonischen  Götterliste"  an  (gleichfalls  für  die  Berichte). 

An  Stelle  des  verstorbenen  Professor  E.  Kautzsch  wurde  Herr 
Stumme  in  das  Kuratorium  der  SociN-Stiftuncr  gewählt. 


Phü.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  19 


2  33 


Beiträge  zur  griechischen  Epigraphik  und 
Dialektologie  IX. 

Kyprische  Inschriften. 

Mit  drei  Tafeln. 

Von 
Richard  Meister. 

Inschrift  von  Athienu. 
Kalksteinfragment,  zusammengesetzt  aus  mehreren  Bruch- 
stücken, 0,18  br.,  0,10  h.,   gefunden  bei  Athienu   auf  einem 

7  /  7  7  7        O 

Platz,  den  DE  Vogue  nach  dem  einheimischen  Namen  Agios 
Jorgos  für  die  Stätte  des  alten  Golgoi  erklärt  hatte,  eine  Be- 
zeichnung, die  Cesnola  angenommen,  R.  Neubauer  ('Der 
angebliche  Aphroditetempel  zu  Golgoi'  in  den  zu  Ehren 
Th.  Mommsens  Berlin  1877  herausgegebenen  philologischen 
Abhandlungen)  abgelehnt  hat.  Bisher  war  nur  die  Inschrift 
der  Vorderseite  des  Steinfragments  bekannt,  in  Faksimile  ab- 
gebildet von  Cesnola,  Cyprus,  Tafei  V  [=  Tafel  CI  der  deut- 
schen Übersetzung]  nr.  24  und  von  M.  Schmidt,  Sammlung 
kyprischer  Inschriften,  Tafel  XIX  nr.  7*  (nach  Brandis)  und 
nr.  7b  mach  Birch),  in  lateinischer  Silbenumschrift  wieder- 
gegeben von  Hall,  Journal  of  the  American  Oriental  Society 
11  [1885],  225  nr.  86;  einzelne  Wörter  sind  von  Deecke, 
GDI.  86,  von  mir  Gr.  Dial.  II  162  nr.  86  und  von  Hoffmann, 
Gr.  Dial.  I  82  nr.  160  gelesen  worden.  Als  ich  Herrn  Edward 
Robinson,  Acting  Director  of  the  Metropolitan  Museum  in 
New  York   um  Photographie  und  Abklatsch  des  Steines  bat, 

19* 


234  Richard  Meister: 

teilte  er  mir  freundlichst  mit,  daß  auch  die  Rückseite  des 
Fragments  eine  Inschrift  trägt  und  sandte  mir  in  dankens- 
werter Weise  von  beiden  Seiten  Abklatsche  und  Photographien, 
nach  denen  die  Abbildungen  auf  der  hier  beigegebenen  Tafel 
nr.  I  angefertigt  worden  sind.  Ich  gebe  zunächst  meine 
Lesung,  die  griechische  Umschrift  und  die  Übersetzung;  bei 
der  Vorderseite  füge  ich  in  der  Anmerkung  die  abweichenden 
Lesungen  Halls  hinzu.  Geschrieben  ist  auf  dem  Stein  von 
rechts  nach  links  ohne  Setzung  von  Divisoren.  Die  deut- 
lichen Zeichen  habe  ich  auch  hier  kursiv,  die  undeutlichen 
stehend  drucken  lassen. 

Syllabartext. 

Vorderseite, 
i.  Tce~  va'  20'  vo'  ne?"  ta-  mo-  .  ta?"  mo?'  -  - 

2.  ta'  po'  ro'  ve'  rc  nio'  sa'  ta'  mo'  se-  ta'  mo-- 

3.  tw  ra'  vo'  ne'  0'  ri'  ja'  sa'  ta'  mo'  se*  ta'  mo'  -  - 

4.  va'  la'  ha'  nr  o~  e~  Jco'  —  o'  na'  nw 

5.  a'  po'  ro'  ti'  si'  o'  se'  e'  ko'  |||    |||  o'  na' 

6.  a'  (oder  i?)*  ta'  no'  c  Tco'  |||   |||  o'  na'  mo'  .  po'  ri'  sa'  -  - 

Z.  1  Hall:  Z.-e*  wa'  zo~  iool-  ne?'  *  *  ta?'  nw  *  ta?-  mo'  . . . — 
Z.  2.  An  siebenter  Stelle  liest  Hall  se-  (statt  sa').  —  Z.  3.  Das  sechste 
Zeichen  liest  Hall  to'  (statt  ri'),  weil  er  den  untersten  der  Querstriche 
nicht  gesehen  hat.  —  Z.  5.  Am  Schluß  der  Zeile  hat  Hall  noch  mo' 
gelesen.  —  Z.  6.  Das  Zeichen  an  vorletzter  Stelle  liest  Hall  ta-  (statt  ri'), 
weil  er  den  obersten  und  untersten  der  drei  Querstriche  nicht  be- 
merkt hat. 

Rückseite. 

7, — Hl  |  0-  na-  h 

8. -  ta'  =  o'  na'  H 

9. te'  sa'  ta'  =  0'  na'  H 

10. te'  sa'  ta'  \  .  .  .  0'  na'  X 

11. va'  mi?"  te'  sa'  ta'  ?•  o'  na'  H 

12. te'  sa'  ta'  —  }\\\  o'  [na-]  H 

13. ml'  te'  sa'  ta- 


Beitrage  z.  griechischen  Epigraphik  u.  Dialektologie  IX.    235 

Umschrift. 
Vorderseite. 

1.  %£J-cc  ^cofbv  zJän6[s]  zJa^io   -  - 

2.  X('i(fQo(v)    fSQfKOÖCC    z/tt/AO?    z/tfJUO    -  - 

3.  d-x'Qufbv  coqCjccöcc  sdüpiog  ZldflO  -  - 

4.  FuX%avio(ß)  e'xco  1    ava  po 

5.  lAcpQod(<5iog  e%co  g'  avcc 

6.  "Aftavo{$)  (?)  s'^co  g'  d>va  uo-  ttoqiö  -  - 

Rückseite. 

7.  -- lÖ'  ava  J-(Qrtxa). 

8. [%-s6\ru  "/  covä  /(pijra). 

9. &s<5tu  "/  ava  ^(qtjTcc). 

10. xttGxä  [Zahlzeichen]  <bvä  ffQ^xd). 

11. saut  %-e6xä  [Zahlzeichen]  covä  S-{fiv^t£). 

12. fteöxä  iö'  G>\ya\  J-^q^xu). 

13. ul  &£6xä  [Zahlzeichen  avu  {(g^xu)]. 

Übersetzung. 
Vorderseite. 

1.  Lebendiges   (Wasser)  ließ   ich  fließen,  Danios,   der  Sohn 
des  Damo-  - 

2.  Den  Graben  ließ  ich  ziehen,  Danios,  der  Sohn  des  Damo-  - 

3.  Den  Türstein  ließ  ich  als  Grenze  setzen,  Damos,  der  Sohn 
des  Damo-  - 

4.  Ich,  Valchanios,  habe  10  (Werteinheiten)  erhalten 

5.  Ich,  Aphrodisios,  habe  6  (Werteinheiten)  erhalten 

6.  Ich,  Athanos,  habe  6  (Werteinheiten)  erhalten 

Rückseite. 

7.  Der  von verlangte  Kaufpreis:   14,  zugesagt. 

8.  Der  von verlangte  Kaufpreis:   20,  zugesagt. 

9.  Der  von verlangte  Kaufpreis:  20,  zugesagt. 

10.  Der  von verlangte  Kaufpreis:  - -,  zugesagt. 

11.  Der  von  --  -vamis  verlangte  Kaufpreis:  - -,  zugesagt. 

12.  Der  von verlangte  Kaufpreis:   14,  zugesagt. 

13.  Der  von  --  -mis  verlangte  Kaufpreis:  - -,  zugesagt. 


236  Richard  Meister: 

Kommentar. 

Z.  1.  %£-Pa.  Die  augmentlosen  Aoristformen  %eJ-a  ficli 
goß'  1  und  fsgficoöcc  'ich  zog'  2  gesellen  sich  zu  dem  aug- 
mentlosen xaftiv  'sie  legten  nieder'  in  der  kyprischen  Sakral- 
inschrift (Berl.  Sitzungsber.  1910,  148 ff.)  Z.  17  und  weisen 
auch  diese  Inschrift  in  die  Gruppe  der  älteren  kyprischen 
Texte.  Nach  dem  hier  bezeugten  Digamma  der  Aoristform 
fflxefcc  erscheint  W.  Schulzes  (Qu.  ep.  62  f.,  anders  Brugmann, 
Gr.  Gr.3  276 f.)  Trennung  der  Aoristbildung  mit  av  (ß%evu) 
Ton  der  mit  s  (ß%£cc)  zutreffend. 

^ttfov.  Die  Ergänzung  von  vöooq  ist  leicht;  ist  doch 
bei  %eg)  das  Objekt  vöcqq  so  gewöhnlich,  daß  %£v^ia  geradezu 
mit  vöoq  (bei  Hesych)  wiedergegeben  wird.  Daß  'fließendes' 
Wasser  'lebendig'  genannt  wird  (im  Gegensatz  zu  dem  öturbv 
oder  6tu6i\kov  oder  sGtbg  vöcoq),  kann  ich  zwar  in  der  grie- 
chischen Literatur  nicht  nachweisen;  die  dem  Ausdruck  zu- 
grunde liegende  Auffassung  ist  aber  so  natürlich  und  uns 
wie  anderen  Völkern  so  selbstverständlich,  daß  es  geradezu 
auffallen  müßte,  wenn  die  Griechen  sie  nicht  geteilt  hätten. 
Damos  hat  also  eine  Wasserleitung  anlegen  lassen. 

A cc fiog  zJuuo--.  Von  dem  Vatersnamen  ist  der  zweite 
Teil  zerstört:  in  Z.  2  hat  das  erste  Zeichen  des  zweiten  Teils 
noch  auf  dem  erhaltenen  Stück  des  Steines  gestanden,  ist 
aber  jetzt  unleserlich:  beispielsweise:  /ia\iog  AapLo[vhc(o~\. 
Die  Beifügung  des  Vatersnamens  zeigt,  daß  der  Mann  von 
angesehener  Familie  war,  kein  Demiurg,  wie  sie  mit  einfachen 
Eigennamen  in  Z.  4.  5.  6.  1 1.  13  genannt  sind.  Auch  der 
Inhalt  von  Z.  1 — 3  gibt  keinen  Arbeitsvertrag  mit  Werk- 
leuten wie  Z.  4 — 13,  sondern  nennt  eine  Stiftung  (Z.  1),  deren 
zwei  Hauptteile,  Leitungsgraben  und  Steindammabschluß,  in 
Z.  2  und  3  angeführt  werden. 

Z.  2.  TcccpQo(v)  J-sQ^aöa.  Bei  enger  Zusammengehörig- 
keit mit  einem  folgenden  konsonantisch  anlautenden  Worte 
wird  das  schließende  -(v)  zuweilen  auch  am  Ende  von  Sub- 
stantiven weggelassen,  vgl.  Ttbg  rb(y)  göfoty)  zb{v)  Aqv\iiov 


Beiträge  z.  griechischen  Epigraphik  r.  Dialektologie  IX.    237 

Edalion  GDI.  6oig  [135];  hier  ist  die  Zusammengehörigkeit 
so  eng,  daß  mau  au  eiu  Kompositum  (zuqiQofeQfi-,  vgl. 
TU(pQcbQv%og,  TcccpQoßoJ.t'o),  racpQoxoiea)  denken  würde,  wenn 
der  Charakter  der  Verba  auf  -6<o  (>"£p4uoo)  nicht  dagegen 
spräche.  fsQuöto  'ziehe'  leite  ich  von  einem  Nomen  *fsQfiog 
'Riß'  oder  'gerissen'  ab,  das  von  dem  kyprischen  fsgöa  'fege, 
reiße'  ^Kyprische  Sakralinschrift  Z.  16)  gebildet  ist  {*^€q6~iiö-: 
*.  squö-  =  *tix£q6vu:  ttiQvtc),  wie  von  der  gleichen  Wurzel 
lat.  verro  'fege,  ziehe',  versus  'Furche',  altnord.  vqrr  'Furche' 
(Curtius,  Grdz.5  345,  Walde  662).  Hall  hat  das  letzte 
Zeichen  dieser  Verbalform  verkannt,  indem  er  ve'  rc  nw  se~ 
statt  ve~  re~  nw  sa~  =  seguaöa  gelesen  hat.  Wie  das  Zeichen 
se'  in  dieser  Inschrift  geschrieben  wird,  sieht  man  in  Z.  3 
an  drittletzter  Stelle  und  in  Z.  5  an  siebenter.  Dagegen  ent- 
spricht das  Zeichen,  um  das  es  sich  hier  handelt,  durchaus 
dem  deutlichen  sa'  in  Z.  3  an  achter  Stelle,  links  unter  ihm. 
sowie  dem  scf  in  Z.  6  an  letzter  Stelle:  zwei  Striche,  die  siel 
innerhalb  der  beiden  Schenkel  des  sa~  von  ^tgucoöcc  befinden, 
sind  ebenso  wie  andere  mit  ihnen  parallel  laufende  Risse  und 
Spalten  an  dieser  Stelle  des  Steins  auf  Verletzungen  dureb 
ein  scharfes  Instrument  (vielleicht  beim  Ausgraben)  zurück- 
zuführen. 

Z.  3.  fi-vQccföv.  Mit  dem  hier  bezeugten  ftvQäsog  ver- 
gleiche ich  hom.  &vQ£Ög,  den  gewaltigen  'Türstein',  den  der 
Kyklop  (t  240.  313.  340)  vor  seine  Höhle  setzt:  hier  ist  es 
der  gewaltige,  den  Kanal  wie  eine  Tür  verschließende  'Stau- 
damm' der  Wasserleitung.  Die  kyprische  Form  zeigt,  daß 
die  homerische  auf  *  Q-voqfög  zurückgeht. 

agCjccöa  von  kypr.  ojqucoo  i  agicc^a?),  dem  attisch  öqivm 
(Öqicc^co?)  entsprechen  würde.  Wie  öql^oj  auf  'ögog,  so  geht 
das  hier  zum  ersten  Male  begegnende  bgidco  (öquk^co?).  dem 
sich  das  Adjektivum  ögiatog  zugesellt,  auf  einen  Stamm  oqic:- 
zurück,  der  vielleicht  einmal  als  Kollektiv  *bouc  'Begrenzung", 
die  Gesamtheit  der  einzelnen  opot  'Grenzsteine'  bezeichnend, 
existiert  hat,  später  aber  durch  das  Neutr.  Plur.  tä  oqlcc,  das 
ebenso  singularisch  kollektiv  'die  Grenze'  bedeutet,  verdrängt 


238  Richard  Meister: 

und  ersetzt  worden  ist,  so  daß  dann  öqiug)  zu  xä  ÖQia  stand, 
wie  ccjioivdco  zu  xä  aitoivu,  Is^äo^iai  zu  xä  isqcc,  cpecQiiaxdco 
zu  xä  q)dQ[iaxa,  usw.  Mit  ftvQufbv  d>gCja6a  cden  Türstein 
setzte  ich  als  Grenze'  vgl.  der  Konstruktion  nach:  6xv\kag 
ÖQi&öfrca  'Säulen  als  Grenzen  für  sich  setzen'  Xen.  An.  7,  7,  13. 
Daß  Digamma  in  der  Lautgruppe  -q^-  (urgr.  öp^og:  lesb. 
oQQog,  dor.  cogog,  ion.  ovpog,  att.  oQog,  vgl.  G.  Meyer,  Gr. 
Gr.3  S.  135)  kyprisch  nicht  erhalten  geblieben  ist,  wußten 
wir  bereits,  vgl.  kypr.  kqu  aQäxog  aus  ägfä-  und  kypr. 
xdoQä  aus  k6q£ü  (Verf.,  Ein  Ostrakon,  Sachs.  Abhandlungen 
27  [1909],  322). 

7a.  4.  Fa/l%ccvLo(g).  Das  auslautende  -g  ist  vor  dem  an- 
lautenden Vokal  des  folgenden  Wortes  vom  Schreiber  hier 
und  Z.  6  nach  phonetischem  Prinzip  weggelassen,  in  Z.  5  nach 
etymologischem  Prinzip  geschrieben  worden  (vgl.  Verf.,  Gr. 
Dial.  II  252  f.;  Hoffmann,  Gr.  Dial.  I  204;  Verf.,  Ein  Ostrakon, 
Sachs.  Abhandlungen  27  [1909],  316  Anm.  1).  Der  Werk- 
meister FaX%dvLo(g),  der  in  dieser  Zeile  den  Empfang  seines 
Arbeitslohnes  quittiert,  trägt  einen  vom  Namen  eines  Gottes 
abgeleiteten  'Dedikationsnamen',  wie  sein  Kollege  'Aygodiöiog 
in  Z.  5.  Bisher  kannten  wir  den  von  den  Griechen  mit  ihrem 
Zeus  identifizierten  Gott  Fstyavog1)  nur  aus  Kreta:  rsX%dvog 
I  d.  i.  FeX%avog) '  6  Z,zvg  nagä  KqtjöCv  Hes. ;  FeX%avog  auf 
Münzen  von  Phaistos  (Head,  Hist.  Num.  401;  Svokonos, 
Num.  de  la  Crete  anc.  I  259  nr.  29 — 31),  beigeschrieben  einem 
jugendlichen  sitzenden  Gotte  mit  einem  Hahn  in  der  Hand; 
das  Fest  des  Gottes  wird  BeX%dvia  genannt  in  einer  aus 
römischer  Zeit  stammenden  Inschrift  aus  Lyttos  (Bull,  de 
corr.  hell.  13,  61  nr.  6  Z.  3)  und  dieses  Fest  scheint  auch  in 
einer  alten  gortynischen  Inschrift  (GDI.  4963  Z.  1)  genannt 
zu  sein.  Daß  FsX%avog  auch  auf  Kypros  verehrt  wurde,  ist 
nach  dem  hier  vorkommenden  von  ihm  abgeleiteten  Eigen- 
namen   nicht    ganz    sicher,    da    FuX%äviog    aus    Kreta    nach 

1)  Den  Gott  Felxavog  haben  bereits  Fick  in  seiner  Rezension  des 
ersten  Bandes  von  0.  Hoffmanns  Griech.  Dial.  (GGA.  1891,  S.  2041".)  und 
Skias,  'E<p.  aQx.  1893,  Sp.  64  zur  Erklärung  dieser  Stelle  herangezogen. 


Beitrage  z.  griechischen  Epigraphik  u.  Dialektologie  IX.    239 

Kypros  eingewandert  oder  der  Name  in  Kypros  irgendwie 
eingedrungen  sein  könnte;  es  ist  aber  doch  immerhin  ziemlich 
wahrscheinlich.  Leider  ist  weder  der  Akzent  von  Fekiavog 
bekannt  —  denn  auf  die  Akzentuierung  rek%Kvog  bei  Hesych 
ist  nichts  zu  geben  —  noch  die  Quantität  des  a.  Heißt  der 
Gottesname  Fil%ävog^  Ist  das  a  in  der  ersten  Silbe  von 
Fak%KVLo(s)  durch  Assimilation  des  tonlos  gewordenen  s  an 
das  folgende  betonte  a  zu  erklären?  Etymologisch  wird 
Fel%avog  von  Fick,  Vgl.  Wtb.  I4  133.  552  und  Walde,  Et. 
W'tb.  685  mit  lat.  Volcänus  zusammengestellt,  unter  Heran- 
ziehung von  aßlat,'  Xu^TtQ&g.  Kvtiqioi  Hes.  (vg. M. Schmidts 
größere  Ausgabe  5,  48  zu  7,  31)  mit  ai.  ulkd  'feurige  Er- 
scheinung, Meteor,  Feuerbrand'  verglichen  und  von  idg.  velqö 
'glühe,  leuchte'  abgeleitet.  Aber  die  Möglichkeit  besteht,  daß 
der  Gott  FsX%avog  bereits  der  vorgriechischen  Bevölkerung 
Kretas  und  Kiemasiens  angehörte.  Darf  man  an  das  in  Etrurien 
weitverbreitete  Geschlecht  der  velya  (W.  Schulze,  Zur  Geschichte 
der  lat.  Eigennamen  377 f.)  hier  erinnern? 

Da  die  Zahlzeichen  (vgl.  Verf.,  Ein  Ostrakon,  Sachs. 
Abhandlungen  27  [1909],  327  f.)  ohne  Wertangabe  stehen,  so 
lassen  sich  die  Summen,  über  deren  Empfang  in  Z.  4  —  6 
quittiert  wird,  nicht  bestimmen.  Die  Arbeiten  waren  wahr- 
scheinlich  bei  Anlegung   der  Wasserleitung  geleistet  worden. 

G3vä-  'Kaufsumme,  Preis',  hier  wie  auf  der  Rückseite 
wahrscheinlich  Kaufpreis  der  Arbeit,  also  'Arbeitslohn',  <bvu 
auf  der  Rückseite  sechsmal,  ohne  Digamma,  wie  hom.  covog 
(bvs'ouca  (Knös,  De  dig.  146;  Leo  Meyer,  KZ.  2^,  53),  gortyn. 
ovav  GDI.  4991,  IX  7,  ovlv  V  47,  ovEfr&at  VI  4,  öved-(&)ca 
X  25/26,  vgl.  ai.  vasna-,  lat.  venum,  vendo  (=  veniimdo),  veneo. 
Das  von  Solmsex,  KZ.  32,  2730".  für  den  homerischen  und 
gortynischen,  von  J.  Schmidt,  KZ.  2>3, 455  ff.  und  Kretschmee, 
Vaseninschr.  43  auch  für  den  korinthischen  Dialekt  erschlossene 
Lautgesetz,  nach  dem  J1  im  Wortanlaut  vor  co  und  o  (aber 
nicht  vor  ot)  eher  als  vor  anderen  Vokalen  geschwunden  ist, 
gilt  demnach  auch  fürs  Kyprische,  was  Solmsen  a.  0.  bereits 
aus  dem  Adjektiv  rtccvtoviog  =  Edalion  GDI.  6oIO,2  [135]  'mit 


240  Richard  Meister: 

ziemlicher  Wahrscheinlichkeit'  gefolgert  hatte.  7tavcöviog  hatte 
ich  bereits  Gr.  Dial.  II  225  von  cbvog  abgeleitet,  dies  letztere 
aber  wegen  seines  digammalosen  Anlauts,  den  ich  damals  noch 
nicht  richtig  beurteilte,  mit  ovivr^it  zusammengestellt;  Hoff- 
mann, Gr.  Dial.  I  156  erklärte  Ttavcoviog  aus  ticcv-  und  oviog 
'nützlich',  also  auch  mit  Heranziehung  des  Stammes  von 
6vlv7][il.  Solmsen  hat  mit  Recht  (a.  0.  293)  behauptet,  daß 
bei  der  Deutung  von  itaväviog  bvivi]ai  mit  seiner  Sippe  über- 
haupt nicht  in  Frage  kommen  könne,  und  daß  nichts  weiter 
übrig  bleibe,  als  an  ävog  nebst  Zubehör  anzuknüpfen;  die 
richtige  Bedeutung  des  Adjektivs  hat  aber  auch  er  nicht  er- 
kannt. Er  erklärte  (a.  0.  294)  (^töpog)  Ttavcoviog  für  (ein 
Grundstück)  'mitsamt  allen  thvia,  d.  h.  allen  verkäuflichen 
Erträgnissen',  die  überhaupt  einmal  darauf  gedeihen  sollten, 
und  bemerkte  dazu:  fWas  die  Art  und  Bedeutung  der  Kom- 
position angeht,  so  ist  sie  prinzipiell  übereinstimmend  z.  B. 
mit  TidvoTtkog  örgurög  Aesch.  Sept.  59,  %ävoQ^ot  lifisvsg  v  195, 
xvxkog  TtavasXrjvog  Eur.  Ion  1 1 55  u.  v.  a.'  Aber  ein  ndvoitlog 
ötQarög  heißt  nicht:  ein  Heer  mitsamt  allen  Waffen,  sondern: 
ein  ganz  gerüstetes,  also  ein  Hoplitenheer;  Ttdvoo^iot  hfisvsg 
sind  nicht:  Häfen  mitsamt  allen  Ankerplätzen,  sondern:  ganz 
zum  Ankern  geeignete  Häfen;  der  xvxXog  %av6iky]vog  ist  nicht: 
der  Kreis  mit  dem  ganzen  Mond,  sondern:  der  ganzmondige 
Kreis,  also:  der  Vollmondskreis.  Und  so  kann  auch  %5>Qog 
ztavcjviog  nicht  heißen:  ein  Grundstück  mit  allem  Verkäuf- 
lichen, sondern  lediglich:  ein  ganz  verkäufliches  Grundstück, 
also  ein  Grundstück,  dessen  Besitz  nicht  an  gewisse  Bedingungen 
geknüpft  und  nicht  mit  Servituten  belastet,  sondern  das  völlig 
freies,  unbedingt  veräußerliches  Eigentum  ist.  So  erklärt 
das  Wort  auch  Skias,  'Ecp.  <xq%.  1893,  Sp.  62.  —  Bei  xav- 
<bvLog  ist  .Fco-  im  Anlaut  des  zweiten  Kompositionsgliedes 
ebenso  behandelt  wie  das  anlautende  bei  <bvä-,  während  sonst 
das  inlautende  lo-  ^a-  erhalten  ist,  vgl.  dvQÜföv  Z.  3  QÖfa 
Ein  Ostrakon  a.  0. 1  5/6,  II  6,  frvfa  ebd.  IV  2,  qö£o(v)  GDI. 
00i9  [l35~],  xevsvfSjv  GDI.  20  [70],  oi'fai  GDI.  6oI4  [135], 
Hafoxk&ffis  Verf.,   Gr.  Dial.  II  188  nr.  i47dd  [204],  NixoMfa 


Beiträge  z.  griechischen  Epigkaphik  r.  Dialektologie  IX.    241 

Verf.,  Gr.  Dial.  II  S.  IX  [178J,  ®iUitufo$  Journ.  of  Hell,  stud. 
11  [1890],  S.  63  nr.  5,  älfo  GDI.  6o9.I8.21  [135],  vEsoöTcctug 
GDI.  59.  [134],  ßccöilrjfog  oft,  usw.  Nicht  alle  mit  /o-  (£00 
anlauteuden  zweiten  Konipositionsglieder  sind  so  wie  -coviog 
in  Tiavcoviog  behandelt  worden.  Ob  das  Digamnia  in  'OvccöC 
oQo(g)  Athienu  GDI.  75  [150]  nach  dem  Lautgesetz  wie  ein 
anlautendes  geschwunden  ist,  läßt  sich  nicht  sagen:  in  jüngeren 
Inschriften  ist  inlautendes  Digamma  überhaupt  oft  ausgefallen 
1  Verf.,  Gr.  Dial.  II  245  f.,  Hoffmann,  Gr.  Dial.  I  1 94).  Dagegen 
ist  es  als  inlautendes  in  Xtluo-.fo|  qo)  |  Karpasia  GDI.  143  [56], 
Zco-foQco  Kypr.  Sakralinschrift,  Berl.  Sitzungsberichte  19 10, 
S.  158  Z.  6,  »yQu-folQü]  Verf.,  Gr.  Dial.  H  190  nr.  147PP  [215] 
erhalten  geblieben. 

Z.  6  'Ad~avo(g)  (?).  Das  erste  Zeichen  ist  verstümmelt 
und  kann  auch  i'  sein.  Den  beispielsweise  eingesetzten 
Namen  "Afravog  kann  ich  nicht  belegen;  vergleichbar  würden 
"A&avis  Axfccviyog  \4%ävav  u.  a.  (Fick-Bechtel  46)  sein. 
Aber  man  könnte  auch  an  eine  Ableitung  von  den  'Lallnamen' 
,Ax{x)a-  oder  'Ada-  (Kretschmek,  Einl.  337  f.  349 f.)  denken. 

jio-  X0QL6-  -.  Eine  befriedigende  Ergänzung  dieser  Stelle 
ist  mir  nicht  gelungen.  Ein  kleiner  Horizontalstrich  ist  ein 
wenig  unterhalb  der  Lücke  zwischen  mo'  und  po'  sichtbar. 
Wenn  dieser  Strich  nicht  zufällig  ist,  wenn  er  zu  dem  zwischen 
mo'  und  po'  weggebrochenen  Zeichen  gehört  hat  —  die  Frage 
kann  vielleicht  vor  dem  Original  entschieden  werden  —  dann 
kann  das  Zeichen  nicht  r  gewesen  sein.  Deshalb  wage  ich 
nicht  G>vcc(v)  ^o[t]  7toQLö[xdv]  cals  den  von  mir  erworbenen 
Arbeitslohn'  als  Ergänzung  vorzuschlagen.  Gegen  die  Lesung 
po'  ri'  scf  [ta'  ne'\  =  ■JioQi6\xdv]  würden  die  Schriftregeln 
nicht  sprechen.  Die  Lautgruppe  -er-  würde  zaxä  GvXlrfiiv 
U'eschrieben  sein  wie  in  dem  auf  der  Rückseite  dieses  Steins 
oft  wiederkehrenden  Worte  te'  scc  ta'  =  dsGrä,  wie  in  J:a' 
ra'  si'  ti-  =  yQdofti  GDI.  68  [144],  vgl.  Verf.,  Idg.  F.  4,  184 
und  in  den  von  Hoffmann  vorgeschlagenen  Lesungen  e'  pe'  sa' 
ta'  se'  =  txiöxaöe  GDI.  41  LIQ6]  und  pa'  sa'  ha'  sc  =  xüg 
y.dg  ebd.:  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  die  Lautgruppe  6  +  Muta 


242  Richard  Meister: 

Tcarä  ötccötaötv  geschrieben  worden;  es  bestand  über  die  Be- 
handlung der  Lautgruppe  6  -f-  Muta  unter  den  Grammatikern 
auf  Kypros  dieselbe  Zwiespältigkeit  wie  anderwärts  (vgl.  Verf., 
Idg.F.  4,  182  f.). 

Die  Lohntabelle  der  Rückseite  bezieht  sich  vielleicht 
auf  dasselbe  Bauunternehmen,  von  dem  die  Vorderseite  handelt. 
Die  Angaben  sind  formuliert  nach  dem  Schema:  (ra  ÖeIvl) 
ftsöra  Zahlzeichen  avä  /(p^ra)  'der  von  dem  und  dem  in 
der  und  der  Höhe  verlangte  Kaufpreis  —  zugesagt',  wobei 
ich  avd  als  den  vom  Arbeiter  für  die  zu  leistende  Arbeit 
verlangten  Kaufpreis,  also  als  den  Arbeitslohn  auffasse.  Von 
den  im  Dativ  stehenden  Eigennamen  sind  nur  Z.  11  und  13 
einzelne  Zeichen  erhalten;  in  Z.  1 1  könnte  man  an  [©vj/a/n, 
Dativ  von  ©vcc{iLg,  denken. 

d'Eöxd  von  #£tf"rdg  =  car^Tog,  vgl.  hom.  ä%6&£6Tog  'un- 
erwünscht' und  xoXvd-eöTog  Vielerwünscht';  ^Eqiio&eötos,  böot. 
&iöcps6rog  GiocpstGTog  =  &£aCtrjtog  (Fick-Bechtel  i  45)  ;  %-e<3- 
<5avzo'  i^tjrrjöav;  d,i(S6£6d,(Um  ccIthv;  &£6<56[iEVog'  d£Ö^i£Vog, 
^tov^iEvog,  ix£t£vcov  Hes. 

/((njta).  Am  Schluß  der  Angabe  des  verlangten  Arbeits- 
lohnes steht  Z.  10  das  kyprische  Syllabarzeichen  I  =  ve',  an 
gleicher  Stelle  Z.  7.  8.  9.  11.  12  das  phönizische  Zeichen 
H  =  väw.  Ich  vermute,  daß  beide  Zeichen  in  gleichem  Sinne 
hier  als  Marke  ausdrücken,  daß  der  verlangte  Arbeitslohn  zu- 
gesagt und  der  Zuschlag  erfolgt  ist.  Mit  avä  fgrjtcc  vgl. 
uiöfrbg  Qrtrög  3>  445,  aQyvQiov  Qrjrov  Thuk.  2,  7,  (jrjtbv  tcqoö- 
naov  Polyb.  35,  2,  15,  {Qrjrcc  'Zusage,  Festsetzung'  Edalion 
GDI.  6o2g29  [135],  ^QTjtcco^ai  'sage  zu,  setze  fest'  ebd.4.I4, 
^E^QEfiEva  'Festsetzungen'  Mykanai  IG.  VII  493. 


Grabinschrift  aus  Marion-Arsinoe. 

(Tafel  II,  1.) 

Steinplatte,  ca.  0,23  1.,  ca.  0,12  br.,  aus  einem  größeren 
Block  herausgehauen,  seit  Anfang  dieses  Jahres  im  Cyprus 
Museum.     Einen  Abklatsch  schickte  mir  Herr  Peristiani  aus 


Beiträge  z.  griechischen  Epigraphik  u.  Dialektologie  IX.    243 

Nicosia  im  Auftrage  des  Herrn  Eustathios  Konstantmidis, 
des  Direktors  des  Museums,  der  mir  auch  die  Erlaubnis  die 
Inschrift  photographieren  zu  lassen  und  zu  publizieren  freund- 
lichst erteilte.     Schriftrichtung  von  r.  nach  1. 

tv  nw  Jccv  nw  se'  e:  mr  Ti^ioya^iog  rjui 

o'  tv  nw  for  nw  ne'  6   Tt^oda^av. 

Mit  dem  noch  nicht  belegten  Eigennamen  Tiu6y<x}iog  vgl. 
Evyccuog,  Evyd^av  Fick-Beciitel  83.  Über  die  kyprischen 
Genetive  Sing,  auf  -<ov  vgl.  Verf.,  Gr.  Dial.  II  256;  Hoff- 
mann, Gr.  Dial.  I  234;  Hermann,  Idg.  F.  20  [1907],  354 — 358. 

Inschriften  aus  Rantidi. 

Die  folgenden  Steininschriften  sind  in  der  Gegend  von 
Rantidi  ungefähr  5  km  südöstlich  von  Kuklia  jenseits  des 
Flusses  Cha-Potiimi  nicht  weit  vom  Meere  gefunden  und  von 
Herrn  Kleanthis  Pieridis  in  Limassol  im  Juni  ig  10  dem 
Cyprus  Museum  geschenkt  worden.  Die  ersten  Mitteilungen 
über  sie  erhielt  ich  durch  Herrn  Dr.  Ohnefalsch-Richter,  der 
mehrere   bei   Herrn    Kleanthis   Pieridis   in   Limassol   gesehen 


Öv 


hatte.  Die  Ermächtigung  zur  Publikation  der  Inschriften 
verdanke  ich  den  Herren  Kleanthis  Pieridis  und  Dr.  Ohnefalsch- 
Richter.  Ohnefalsch-Richters  Vermutung,  daß  in  der  Gegend 
von  Rantidi  das  älteste,  später  verlassene  Paphos  gelegen 
habe,  konnte  ich  insoweit  bestätigen,  als  alle  dort  gefundenen 
Syllabarinschriften  sehr  altertümlichen  paphischen  Schrift- 
charakter zeigen,  während  Alphabetinschriften,  soviel  ich  er- 
fahren habe,  dort  überhaupt  nicht  gefunden  worden  sind;  schon 
die  wenigen  Inschriften,  die  bis  jetzt  dort  aufgelesen  wurden, 
bezeugen,  daß  dort  Aphrodite  mit  mannigfachen  Beinamen 
(uvCxatog  nr.  2,  fr^Tto^itä  nr.  6),  Apollon  (nr.  3)  und  eine 
mit  (pilog  ftiög  bezeichnete  Gottheit  (nr.  4)  einen  Kult  gehabt 
haben,  daß  sich  dort  ein  ganz  altertümlicher  Räucheraltar 
(nr.  5)  befunden  hat,  und  daß  dort  neben  den  Kultplätzen 
auch  Grabanlagen  (nr.  1)  waren.  Also  ist  in  Rantidi  nicht 
etwa   ein   einzelnes    re^isvog   sondern   ein    großer   Kulturplatz 


244  Richard  Meister: 

entdeckt  worden,    der   sich  vielleicht   als   das   älteste   Paphos 
erweisen  wird. 

i.  Grabstein,  ca.  0,58  L,  ca.  0,32  br.,  aus  größerem  Block 
herausgeschnitten.  Photographie,  Abklatsch  und  Kopie  erhielt 
ich  im  März  19 10  von  Herrn  Dr.  Ohnefalsch -Richter,  später 
von  Herrn  Kleanthis  Pieridis  Abklatsch  und  Kopie.  Nach 
Ohnefalsch-Richters  Photographie  ist  die  Abbildung  Tafel  II,  2 
hergestellt.  Daß  bei  dem  Herausschneiden  der  Inschrift  jede 
der  beiden  Zeilen  links  ein  Zeichen  verloren  habe,  wurde,  als 
ich  die  Tatsache  Herrn  Dr.  Ohnefalsch-Richter  brieflich  mit- 
geteilt hatte,  diesem  gegenüber  von  Herrn  Pieridis  bestätigt. 
Die  erste  Zeile  ist  von  1.  nach  r.,  die  zweite  von  r.  nach  1. 
geschrieben;  es  ist  die  erste  Bustrophedoninschrift  aus  Kypros. 

.  mw  Tie-  re'  te~  om  .  .  [Ti~](ivxQET£o[g  tö] 

o'  na:  sa'  Jcom  ra~  w  to~  tv  .    'OvaawyÖQccv  t<5   2Y|jt(a]. 

[Tt]avxQST£o[g]  habe  ich  mit  Rücksicht  auf  den  Namen 
des  Großvaters  (Tl[{icqJ)  und  wegen  der  Häufigkeit  dieses  kypri- 
schen  Namens  ergänzt,  vgl.  TLaoxQ8t7]g  Pyla  GDI.  1 2 1  [Hoffm. 
129];  Marion- Arsinoe  Verf.,  Gr.  Dial.  II  174  nr.  25b  [76];  175 
nr.  2511  [82];  177  nr.  2^n  [91].  Weniger  wahrscheinlich  würde 
[<4a][ivxQsr£os  sein:  tifid  spielt  in  der  kyprischen  Eigen- 
namenbildung eine  sehr  große,  däpog  eine  bescheidene  Rolle. 
—  Mit  der  Verdumpfung  von  6  zu  ü  im  Stammauslaut  von 
[Tt]^iv-aQSt£o[g]  vgl.  dieselbe  in  %vvv-7ii6[ia  Verf.,  Gr.  Dial. 
H  220.  227  und  vo^iv-ßifa  'Weidekräuter'  auf  dem  salamini- 
schen  Ostrakon,  Sachs.  Abhandlungen  2~j  [1909],  322. 

'OvaöccyÖQav.  Der  Name  'OvaöayÖQccg  begegnet  auch 
in  Marion -Arsinoe  Verf.,  Gr.  Dial.  II  174  nr.  25®  [79];  175 
nr.  2  5k  [84];  177  nr.  25'  [91];  Journ.  of  Hell.  stud.  11,  68 f. 
nr.  13;  69 f.  nr.  14  und  in  Edalion  GDI.  6oi/s.aa  [*35]- 

Ti[[mq].  Der  Name  Tlpog  begegnet  auch  in  Marion- 
Arsinoe  Verf.,  Gr.  Dial.  II  i76f.  nr.  251  [90]  und  in  den  kypri- 
schen Inschriften  von  Abydos  ebd.   190  nr.  147"  [2  17]. 

2.  'Urne'  (zylindrische  Basis?)  fpour  statue  peut-etre. 
Pierre   calcaire   tres   dure,  1.  0,55,   h.  0,21.'     Herr  Kleanthis 


Beiträge  z.  griechischen  Epigrai'hik  u.  Dialektologie  IX.    245 

Pieridis    hat    mir    Abklatsch,    Kopie    und    Beschreibung    des 
Steins  geschickt.     Von  1.  nach  r. 

a'  nv  />«•  to'  ti'  cv  sc  'Avtxdtco  fttüg. 

fDer  unbesiegbaren  Göttin  (wahrscheinlich  Aphrodite)  geweiht.' 
Bemerkenswert  ist  die  hier  zum  ersten  Male  im  kypri- 
schen  Dialekt  begegnende  Femininform  -iha;  mit  dem  Bei- 
namen ävCxcczog  vgl.  Antig.  800:  c(iicc%og  yuQ  Einteiltet  &ebg 
l4(pQodtTcc  und  781:  %Qcog  dvCxars  ^äjav.  Die  Voranstellung 
des  Attributs  wie  z.  B.  in  tat  ITcccpCca  'AcpgoötTtu  Chytroi 
GDI.  1  [59]. 

3.  'Pierre  calcaire,  1.  0,57,  h.  0,23,  carree.'  Abklatsch, 
Kopie  und  Beschreibung  habe  ich  von  Herrn  Kleanthis  Pie- 
ridis erhalten.     Von  1.  nach  r. 

(7'  po'  lo'  nv  t'v  mo'  ti'  cv        ,A%6l.{X)Givt  Ttytoftlu. 

4.  'Urne  d'une  statue.  Pierre  calcaire,  1.  0,55,  h.  0,30.' 
Abklatsch,  Kopie  und  Beschreibung  habe  ich  von  Herrn 
Kleanthis  Pieridis  erhalten.     Von  1.  nach  r. 

pim  Jo'  se'  ti'  o'  se'         (PtXog  fttog. 

L  bei*  die  Wortstellung  vgl.  oben  zu  nr.  2.  Welcher  Gott  es 
war,  der  mit  dem  Beinamen  <PCXog  bezeichnet  wurde,  ist  un- 
bekannt. Oth\6tog  hieß  Apollon  im  Didymaion  bei  Milet 
(Preller-Robert  I  283,  5;  Wernicke  bei  Pauly-Wissowa 
H  72),  (btltog  hieß  Zeus  z.  B.  in  Athen  (Preller -Robert 
148,  2). 

5.  'Tres  dure  pierre  inscrite  de  deux  cötes,  longueur 
0,43,  largeur  0,35,  epaisseur  0,27'  Kleanthis  Pieridis.  Im 
März  19 10  erhielt  ich  durch  Herrn  Dr.  Ohnefalsch -Richter 
Beschreibung  und  Kopie  des  Steins  nebst  Photographie  und 
Abklatsch  der  beiden  beschriebenen  Seiten,  im  Juni  19 10 
Beschreibung,  Kopie  und  Abklatsch  von  Herrn  Kleanthis 
Pieridis.  Die  Abbildung  der  beiden  Seiten  auf  Tafel  III  sind 
nach  den  Photographien  Ohnefalsch-Richters  hergestellt.  Die 
beiden  beschriebenen  Seiten  des  Blockes  stoßen,  wie  man  auf 
Tafel  III  sieht,  so  aneinander,  daß  die  Inschrift  auf  der  'Ober- 


246  Richard  Meister: 

seite'  des  Blockes  beginnt  und  auf  der  'Vorderseite'  weiter- 
geht, von  oben  nach  unten  und  von  links  nach  rechts.  Die 
'Oberseite'  ist  oben  gebrochen,  die  'Vorderseite'  unten;  die 
rechte  und  linke  Kante  ist  von  beiden  Seiten  erhalten. 

Oberseite. 


Jci'  ra~  a 

Vorderseite 

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ja'  ta* 

JUTCC. 

yiQua  'Ehrengaben'  steht  kyprisch  (vgl.  Kyprische  Sakral- 
inschrift, Berl.  Sitzungsber.  19 10,  153  fr.)  für  yeQacc  aus  *yeQcc6cc, 
ionisch  ysQecc,  attisch  (Soph.  El.  443,  Eur.  Phoen.  874)  ysgü, 
dorisch  (Kos  GDI.  IV  543)  ytQrj,  hom.  ysQu  (verschieden  er- 
klärt von  G.  Meyer,  Gr.  Gr.3  464  und  von  J.  Schmidt,  Plural- 
bild. 321  ff.);  ftviLijatu  'zum  Räuchern'  von  ftviiiccco  'räuchere', 
d-vnMjTu  'Räucherwerk'  Aretaeus  p.  142,  7  Ermerins,  vgl.  xovg 
ßa>{iovg  rä)v  ftscov  d'vfiLtx^iaöLV  y£QaQ\av]  Inschriften  von 
Priene   io8256. 

ccl'd-srv  'wurde  verbrannt'  kyprisch  für  al&ero\  über  -rv 
für  -ro  Verf.,  Gr.  Dial.  II  220;  Hoffmakn,  Gr.  Dial.  I  168;  das 
Imperfektum  steht  von  der  aus  der  Vergangenheit  bekannten, 
in  der  Gegenwart  noch  fortdauernden  Handlung  (Kühxer- 
Gerth  I  145  f.). 

Beispielsweise  läßt  sich  die  Inschrift  so  ergänzen:  [rät 
IIa |  (pCjai  |  i(y)&a  vv]  |  yiQuu  \  cd'i&ETv  \  d'v^iv'Jatd  '[der  Pa- 
phia]  wurden  (von  jeher)  [hier]  die  zum  Räuchern  bestimmten 
Ehrengaben  verbrannt'.  Der  Block  gehörte  darnach  zu  einem 
Räucheraltar.  Am  6.  April  19 10  schrieb  mir  Herr  Dr.  Ohne- 
falsch-Richter, daß  mit  den  Inschriften  aus  Rantidi  auch  zwei 


Beiträge  z.  griechischen  Epigraphik  u.  Dialektologie  LX.    247 

Brandopferschalen  gefunden  worden  wären;  sie  seien  aber, 
ehe  man  es  hätte  hindern  können,  zerschlagen  worden.  Der 
Räucheraltar  der  Aphrodite  zu  Paphos  (ßcopbg  d-vtfeig  Hoin. 
#363,  ßaabg  dvadris  Hom.  Hymn.  4,  59)  war  seit  ältester 
Zeit  berühmt. 

6.  'Pierre  calcaire.  Urne  (peut-etre  erige'e  une  statue), 
long.  0,75,  haut.  0,15,  larg.?  (je  Tai  fait  couper).'  Kleanthis 
Pieridis.  Abklatsch,  Kopie  und  Beschreibung  habe  ich  von 
Herrn  Kleanthis  Pieridis  erhalten.  Von  1.  nach  r. 
te'  a~  ve'  re~  po'  pa~  @eä  ir^xo^Ttcc. 
cl)ie  Göttin  die  den  Frühling  sendet'  ist  Aphrodite,  vgl. 
Pkkllek-Robert  I  358 f.-,  mit  der  Form  .f^o-  vgl.  kyprisch 
.  /~,(h  Ostrakon,  Sachs.  Abhandlungen  27  [1909],  322,  (f)^Qog 
Sappho  39,  Alk.  45,  (.fjtjo  Alkman  76;  S^q-  als  erstes  Glied 
im  Kompositum  wie  z.  B.  nvg-  in  7ivQCpÖQOg.  Das  Komposi- 
tum hat  als  Beinamen  der  Göttin  Femininmotion  angenom- 
men, wie  z.  B.  das  Kompositum  evTCo^zog  als  Name  der  Ne- 
reide EvjtöfiJtri  (Hes.  Theog.  261),  wie  Kvaoööxr]  Kv^o&or] 
(Hom.  £  39.  41)  u.  v.  a. 

Vier  weitere  von  Steinen  aus  Rantidi  genommene  Ab- 
klatsche, die  ich  gleichfalls  Herrn  Kleanthis  Pieridis  verdanke, 
lege  ich  vor  der  Hand  beiseite,  da  sich  aus  ihnen  zu  wenig 
mit  Sicherheit  gewinnen  läßt. 


Druckfertig  erklärt  25.  VII.  1910.] 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII  20 


Inschrift   von   Milien«. 


Tafel  I. 


Vorderseite. 


l 
2 

3 

I 

5 
6 


Rückseite. 


.X'.i. 


Phil.-bist.  Kl.     iqio.     Bd    I.MI 


Tafel  II 


i.  Grabinschrift   aus  Marion  -  Arsinoe. 


n 


.,  ■  ■;<-'■*' 


:.  Grabinschrift  aus  Rantidi. 


^«.•^"•-v5*" 


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Phil  -hist.  Kl.      tqio.     Bd   TAH. 


[nschrift  aus   Etantidi, 

i  Hicrscit«1 


Tiiful   III. 


Vorderseite. 


lMlil.liicl       K*l  T     .  .     .  PI       T    X-   I   I 


249 


I. 

Über  die  privatreclitliclie  Bedeutung  der  ägyptischen 

Von 
Ludwig  Mitteis. 

F.  Preisigke  hat  in  seiner  umfassenden  Untersuchung 
über  das  Girowesen  im  griechischen  Ägypten  es  als  ver- 
fehlt bezeichnet,  wenn  man  die  ßißkiod-ijxt]  syxnjöscov  als 
Grundbuch  betrachtet,  da  sie  vielmehr  in  Wahrheit  nur 
archivalische  Funktionen  ausübe  und  daher  als  Urkunden- 
archiv diagnostiziert  werden  müsse. 

Die  von  Preisigke  angefochtene  Bezeichnung  der  Biblio- 
thek ist  nach  dem  Erscheinen  des  Dionysiapapyrus  (Oxy.  237) 
von  mir  in  Kurs  gesetzt  worden1)  (Arch.  f.  Pap.  Forsch.  1, 
184 fg.,  anders  noch  Hermes  30,  601);  sie  wurde  bis  jetzt 
noch  niemals  in  Zweifel  gezogen,  und  ich  halte  mich  darum 
auch  für  verpflichtet,  sie  gegen  die  energische  Bestreitung, 
welche  ihr  hiermit  zum  erstenmal  zuteil  wird,  zu  verteidigen. 
Dies  um  so  mehr,  als  der  Angriff  von  Seite  eines  Gelehrten 
ausgeht,  dem  wir  in  papyrologischen  Fragen  viele  Belehrung 
und  Anregung:  verdanken,  dessen  Urteil  daher  auf  Berück- 
sichtigung  allen  Anspruch  hat.  Je  öfter  und  je  lieber  ich 
mich  mit  Preisigke  durchaus  eines  Sinnes  weiß,  desto  mehr 
sehe  ich  mich  veranlaßt,  in  diesem  Fall  meine  von  der  seinigen 
nach  wie  vor  durchaus  abweichende  Anschauung  zu  betonen. 


1)  Wenigstens  indirekt;  genauer  gesagt  bezeichnete  ich  die 
Bibliothek  als  ein  für  private  Zwecke  mitfunktionierendes  Steuerbuch, 
welches  eine  dem  modernen  Grundbuchverkehr  sich  annähernde 
Sicherheit  gewährte.  Daß  die  neueste  Literatur  den  Ausdruck  „Steuer- 
buch" in  ,, Grundbuch"  verwandelt,  ist  ein  den  jüngsten  Forschungen 
von  Lewald  und  Egeh  zu  verdankender  Fortschritt. 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  21 


250  Ludwig  Mitteis: 

Ehe  ich  auf  das  Einzelne  eintrete,  wird  es  wünschens- 
wert sein,  das  Gebiet  der  Meinungsverschiedenheit  genau  ab- 
zustecken. Denn  nichts  wäre  unfruchtbarer,  als  über  Worte 
zu  streiten;  und  diese  Gefahr  liegt  sehr  nahe,  wenn  es  sich 
um  die  Frage  handelt,  ob  man  eine  bestimmte  Institution 
ein  Grundbuch  nennen  könne  oder  nicht.  Denn  natürlich 
steht  es  jedem  von  uns  frei,  sich  einen  bestimmten  Begriff 
von  einem  Grundbuch  zu  bilden  und  zu  erklären,  daß  er  nie 
etwas  so  nennen  werde,  was  diesem  Begriff  nicht  entspricht, 
oder  umgekehrt,  daß  er  alles,  was  einem  bestimmten  Minimal- 
begriff noch  entspricht,  für  ein  Grundbuch  halte.  Ich  brauche 
denn  auch  kaum  zu  sagen,  daß  Preisigke  weit  entfernt  ist, 
diese  subjektive  Freiheit  der  Nomenklatur  zu  übersehen;  er 
bezeichnet  es  darum  S.  289  nur  als  „zweckmäßig,  die  Be- 
griffe Grundbuch  und  Grundbuchamt  gänzlich  fallen  zu  lassen, 
um  Mißverständnisse  zu  verhüten."  Dies  deswegen,  weil,  „um 
das  Wort  Grundbuchamt  anwenden  zu  können,  die  dienst- 
lichen Aufgaben  und  Befugnisse  der  ßißliod"i]xrj  iyxvrjGeav 
wenigstens  in  den  Hauptpunkten  denjenigen  Erforder- 
nissen entsprechen  müßten,  die  ein  heutiges  Grundbuchamt 
erfüllt";  was  aber  nicht  der  Fall  sei. 

Wie  der  erste  Satz  zeigt,  ist  Preisigke  sich  vollkommen 
klar  darüber,  daß  es  sich  bei  der  Wahl  der  Terminologie  nur 
um  eine  Zweckmäßigkeitsfrage  handelt.  Etwas  bedenklicher 
klingt  es  schon,  wenn  weiterhin  die  Verwendung  des  Worts 
Grundbuch  nur  dort  für  wünschenswert  erklärt  wird,  wo 
wenigstens  in  den  Hauptpunkten  den  Erfordernissen  des 
heutigen  Grundbuchs  entsprochen  wird.  Ich  gestehe,  die 
Zweckmäßigkeit  einer  solchen  Beschränkung  für  die  historische 
Deduktion  nicht  recht  einsehen  zu  können,  und  möchte  eben 
deshalb  sofort  hervorheben,  daß  m.  W.  keiner  von  uns  Juristen 
jemals  behauptet  hat,  das  ägyptische  Bibliothekswesen  habe 
den  Prinzipien  des  heutigen  Grundbuchrechtes  durchaus  ent- 
sprochen. Ich  erinnere  daran,  daß  ich  von  vornherein  be- 
tont habe,  daß  zwar  „der  leitende  Gedanke  des  modernen 
Grundbuchrechtes  (jener  der  Publizität  des  Grundbesitzes)  im 


Pkivathechtl.  Bedeutung  der  ägypt.  ßißkio&^xi]  iyKz^asmv.    251 

Provinzialrecht  schon  erfaßt  worden  war:  daß  es  aber  eine 
andere  Frage  ist,  inwiefern  diese  Ideen  auch  juri- 
stisch realisiert  worden  sind"  (Arch.  I,  184;  195  A.  15 
196  A.  1). 

In  dieser  Formulierung,  und  nur  in  ihr,  ist  die  Behaup- 
tung, der  Grundbuehgedanke  sei  in  Ägypten  bekannt  ge- 
wesen, von  uns  Juristen  ausgesprochen  worden;  an  ihr  aber 
muß  auch  unbedingt  festgehalten  werden,  und  man  wird  den 
Verhältnissen  nicht  gerecht,  wenn  man  mit  Preisigke  die 
Bibliothek  zu  einem  bloßen  Archiv  zu  degradieren  sucht. 

Dies  soll  nun  im  Einzelnen  gezeigt  werden. 

Von  Pkeisigkes  Argumenten  sind  drei,  welche  er  wohl 
für  die  wesentlichsten  hält,  auf  S.  285  sub  1 — 3  zusammen- 
gestellt. Die  Zusammenstellung  erschöpft  seine  Beweisführung 
nicht,  und  ich  verdanke  es  der  liebenswürdigen  brieflichen 
Auseinandersetzung,  in  welcher  er  mir  gegenüber  die  Frage 
nochmals  erwogen  hat,  daß  ich  auch  die  ganze  Reihe  weiterer 
an  verschiedenen  Stellen  seines  stoffreichen  Buches  verstreuten 
Argumente  mit  Vollständigkeit  übersehen  kann.  Ich  werde 
auch  diese  letzteren,  wenigstens  teilweise,  in  die  Erörterung 
einbeziehen,  in  der  Hauptsache  jedoch  von  der  auf  S.  285 
gegebenen  Zusammenstellung  ausgehen. 

1.  Die  Bibliothek  verwahre,  meint  Preisigke,  nicht  nur 
Besitzurkunden  über  Grund  und  Boden,  sondern  auch  solche 
über  Mobilien  und  Besitzrechte  jeder  Art.  (Nach  S.  291 
hinzuzufügen:  es  konnten  auch  Heiratsverträge  und  Mitgift- 
bestellungen in  ihr  erliegen.)  Darum  sei  sie  in  Wahrheit 
ein  Archiv. 

Die  Tatsachen  sind  richtig;  die  in  den  letzten  zehn  Jahren 
erschienenen  Publikationen  haben  es  außer  Zweifel  gestellt, 
daß  die  ßißfood-rjxr]  iyxrrjöscov  einen  ganz  verschiedenartigen 
Inhalt  hatte  und  die  Bemerkung,  daß  die  Notariate  in  der 
%(oqu  ihren  ganzen  Inhalt  an  aufgenommenen  Urkunden  perio- 
disch an  sie  ablieferten,  steht  außer  Zweifel.  Aber  wenn  da- 
nach die  Bibliothek  jedenfalls  ein  Zentralarchiv  der  Notariats- 
urkunden im  vofiög  genannt  werden  kann;  so  ist  doch  keines- 

21* 


252  Ludwig  Mitteis: 

wegs  abzusehen,  warum  sich  mit  dieser  archivalischen  Funktion 
die  Grundbuchsfunktion  nicht  vertragen  haben  sollte?  So 
geht  denn  die  heute  herrschende  Ansicht  eben  dahin,  daß  das 
Archiv  ein  Grundbuch  in  sich  einschließt,  und  die  Mög- 
lichkeit einer  solchen  Organisation  ist  eine  so  naheliegende 
und  einleuchtende,  daß  dieses  erste  Bedenken  Preisigkes 
mir  keinerlei  Bedeutung  zu  besitzen  scheint. 

2.  Je  rascher  man  über  diesen  Punkt  hinweggehen  kann, 
desto  mehr  fesselt  der  zweite.  „Die  Bibliothek  verwahrt, 
sagt  Preisigke,  nur  diejenigen  Besitzurkunden,  welche  ihr 
überbracht  werden,  und  legt  keinen  Wert  darauf,  daß  der 
Grund  und  Boden  vollzählig  durch  die  Besitzurkunden 
nachgewiesen  werde."  Damit  steht,  außer  anderen  noch  zu 
erwähnenden,  auch  die  kurz  vorhergehende  Bemerkung  im 
Zusammenhang,  bei  einem  richtigen  Grundbuch  gelte  der 
Grundsatz,  daß  ein  Besitzrecht  am  Grund  und  Boden  erst 
durch  die  Eintragung  in  das  Grundbuch  begründet 
wird,  was  für  die  ßißXio&ijxi]  nicht  zutreffe. 

Selbst  wenn  diese  Behauptungen  beide  richtig  wären, 
würde  damit  noch  nicht  dargetan  sein,  daß  die  ßtßho&rjxt] 
ein  bloßes  Archiv  ist;  denn  das  sofort  zu  erwähnende  System 
der  dtaötQa^iata  wäre  damit  nicht  vereinbar:  in  diesem  hebt 
sich  die  Bibliothek  jedenfalls  über  archivalische  Funktionen 
bezüglich  jedes  Grundstückes  hinaus,  das  von  demselben  be- 
troffen wird.  Allerdings  aber  wäre,  wenn  die  Eintragung  auf 
den  dicc6TQ(ö[iccTa  nur  fakultativ  wäre,  richtig,  daß  wir  nur 
ein  partielles  Grundbuch  vor  uns  hätten,  d.  h.  ein  solches, 
welches  bloß  jene  Grundstücke  aufweist,  deren  Eigentümer 
die  Verbuchung  auf  dem  ÖidörQa^a  freiwillig  veranlaßt 
haben. 

Nun  ist  aber  nichts  gewisser,  als  daß  von  Preisigkes 
Aufstellungen  nur  die  zweite  (wenigstens  teilweise)  richtig 
ist,  nämlich  die,  daß  der  Erwerb  der  dinglichen  Rechte  an 
Grundstücken  in  Ägypten  nicht  (unbedingt)  die  Eintragung 
voraussetzte.  Darauf  komme  ich  unten  zurück,  wo  ich  sie 
auch    auf   das    richtige    Maß    zurückführen    will.      Lebhaften 


Privathechtl.  Bedeutung  der  ägypt.  ßißkio&t'ixr}  iyy.rrioecov.    253 

Widerspruch  fordert  dagegen  der  Satz  heraus,  die  Bibliothek 
lege  keinen  Wert  darauf,  daß  der  Grund  und  Boden  vollzählig 
durch  die  Besitzurkunden  nachgewiesen  werde. 

Um  ihn  zu  widerlegen,  genügt  es,  auf  das  Edikt  des 
Mettius  Kufus  zu  verweisen:  xelsvco  ovv  tiuvtuq  xovg  XTt'jTOQug 
«Wog  iirtvCov  6%  caioyQÜipuö&La  xi]v  löCuv  xxr\6iv  usf.  Es  ist 
nie  bezweifelt  worden,  daß  danach  aller  Grundbesitz  in 
den  dLuöTQcouuTu  verzeichnet  werden  soll,  wofür  auch  die 
früheren  oder  späteren  General-u7CoyQU(pui  weitere  Bestäti- 
gungen bringen.  Der  Zweck  dieser  äxoyQcctpccL  ist  aber,  wie 
ausdrücklich  betont  wird,  die  Vollständigkeit  und  Verläßlich- 
keit der  ÖLuarQbJuuxa^  denn  man  weiß,  daß  'fitjrs  tu  öt^oölu 
[ii]T6  tu    IdicoTixu   tt\v  xuftrjxovöuv  Xuußdveiv  dtoCxrjöiv,   diu 

TÖ     [IT)     XU&     OV     BÖSL     TQÖ710V     aXOVO[i7}6&U.l,     TU     .    .    .     6lu6TQ03- 

Hutu'  (Oxy  237  VIII  28 — 30).  Die  Evidenz  der  Besitz- 
verhältnisse ist  also  Aufgabe  der  von  der  Bibliothek 
geführten  d  iuötqüilutu.  Und  diese  öluötqcöuutu  sind  eben 
Übersichtsblätter,  nicht  das  von  Pkeisigke  so  sehr  be- 
tonte „Fachwerk"  —  Übersichtsblätter,  wie  sie  gerade  das 
Wesen  des  Grundbuchs,  im  Gegensatz  zu  einer  bloßen  Ur- 
kundensammlung darstellen.  Denn  sie  sind  auch  Übersichts- 
blätter nicht  bloß  über  die  zu  Gunsten  eines  Grundbesitzers 
erliegenden  Besitzurkunden,  sondern  auch  über  die  Belastungen, 
welche  seine  Grundstücke  durch  Rechte  Dritter  erfahren  haben 
(vgl.  z.  B.  BGU  1072).  Allerdings  ist  ja  diese  Evidenz  nicht 
so  leicht  zu  gewinnen,  wie  beim  heutigen  Grundbuch,  weil 
das  didöTQcouu  nicht  auf  dem  System  der  Realfolien  auf- 
gebaut ist,  sondern  auf  dem  der  Personalfolien.  Aber  diese 
Art  der  Anlage  schließt  den  Begriff  des  Grundbuches  her- 
kömmlicherweise nicht  aus. 

Nun  ist  es  ja  selbstverständlich,  daß  alle  diese  Tatsachen 
Pkeisigke  sehr  wohl  bekannt  sind.  Wenn  er  sie  hier  an- 
scheinend ignoriert,  so  war  ich  anfangs  geneigt,  das  als  eine 
Ungenauigkeit  der  Ausdrucksweise  zu  betrachten  und  die 
Behauptung  'daß  der  Grund  und  Boden  in  der  ägyptischen 
Bibliothek  nicht  vollständig  verzeichnet  ist'  dahin  umzudeuten; 


254  Ludwig  Mitteis: 

in  Wirklichkeit  meine  Preisigke  nur;  daß  nicht  jeder  Er- 
werb eines  dinglichen  Rechts  im  Grundbuch  apparieren 
müsse.  Aber  die  Beweisführung,  die  er  S.  287  für  seine  Be- 
hauptung antritt,  zeigt  doch,  daß  er  seine  Aufstellung  so 
meint,  wie  sie  klingt;  denn  er  beruft  sich  darauf,  daß  in  Her- 
mupolis  nach  CPR  9  ein  Haus  durch  Chirographum  verkauft 
wird  und  daß  man  das  nur  von  einem  Haus  annehmen  kann, 
das  nicht  im  Grundbuch  eingetragen  ist. 

Zunächst  kann  ich  diesen  Beweis  nicht  gelten  lassen: 
warum  soll  nicht  jemand  ein  eingetragenes  Haus  chirogra- 
pharisch  kaufen  können?  Jeder  Jurist  weiß,  daß  heutzutage 
oft  genug  Grundstücke,  die  im  Grundbuch  stehen,  zunächst 
außerbücherlich  veräußert  werden  ('ich  erinnere  an  den  eigens 
hierauf  zugeschnittenen  §  7  Abs.  2  S.  2  des  preuß.  E.E.G. 
5  3  1872,  sowie  an  die  umfangreiche  Literatur,  die  der  Punkt 
z.  B.  im  österreichischen  Recht  hervorgerufen  hat,  Strohal 
zur  Lehre  vom  Eigentum  an  Immobilien  [1876]  S.  60 — 91, 
und  aus  der  Praxis:  österr.  ob.  Gh.  [G.U.W.]  4,  1550;  5,2383). 
Wem  das  nicht  genügt,  der  sei  speziell  aus  den  Papyri  z.  B. 
an  BGU  50  erinnert,  wo  ein  zweifellos  in  der  ßißliod-r^/.ri 
stehendes  Haus  chirographarisch  verkauft  worden  ist.  —  Aber 
auch  wenn  der  Beweis  gültig  wäre,  was  würde  daraus  folgen? 
Doch  nur,  daß  die  Vorschriften  der  Statthalter,  wonach  die 
dbct6TQ(6nccTcc  vollständig  sein  sollen,  nicht  ordentlich  gehand- 
habt worden  sind,  eine  Möglichkeit,  die  ja,  selbst  wenn  sie 
zuträfe,  gar  keine  Bedeutung  hätte. 

Steht  es  also  fest,  daß  das  Grundbuch  objektiv  alle 
Grundstücke  zu  umfassen  hat,  so  hat  es  weiter  auch  keine 
Bedeutung,  wenn  es  diese  nur  nach  ungefährer  Bezeichnung 
und  ohne  katastrale  Identifikation,  d.  h.  ohne  geometrisch 
fundierte  Orientierung  und  Angabe  der  Grenzen  aufführt. 
Gewiß  sind  ja  hier  die  heutigen  Grundbücher  viel  vollkomme- 
ner, indem  sie  sich  an  die  Flurkarte  anlehnen,  aus  der  man 
Identität  und  Grenzen  des  Grundstücks  kartographisch  fest- 
stellen kann.  Aber  abgesehen  davon,  daß  die  Frage,  ob  diese 
Anlehnung  eine   Garantie  für  den   physischen  Bestand   des 


PllIVATKECHTL.  BEDEUTUNG    DER   ÄGYPT.  [h^ho%)]K1]   iyKTl'jaeOiV.     255 

Grundstücks  enthält,  auch  heute  noch  streitig  ist,  so  heweist 
doch  der  Mangel  solcher  Anlehnung  nur  eine  primitivere 
Technik,  ohne  an  dem  Begriff  der  Sache  etwas  zu  ändern; 
und  nebstbei:  war  der  Fehler  auch  nur  praktisch  wirklich  so 
groß?  Wurde  die  Verweisung  auf  die  Flurkarte  nicht  viel- 
fach dadurch  ersetzt,  daß  die  Kaufbriefe,  die  ja  in  der  Biblio- 
thek vorlagen,  die  Orientierung  stets  mit  möglichster  Genauig- 
keit angaben?  Ist  die  Sicherheit  der  Verweisung  auf  eine 
Flurkarte,  für  deren  Richtigkeit  nicht  garantiert  wird,  eine 
so  viel  größere? 

3.  Objektiv,  in  bezug  auf  die  Grundstücke,  also  ist  die 
Bibliothek  vollständig.  Eine  andere  und  viel  wichtigere  Frage 
ist  die  nach  der  subjektiven  Vollständigkeit,  d.h.  danach, 
ob  die  Bibliothek  auch  jeden  subjektiv  Berechtigten  an  den 
Grundstücken  aufweist.  Die  Frage  spitzt  sich  darauf  zu,  ob 
der  Erwerb  dinglicher  Rechte  an  solchen  durch  die  Eintra- 
gung bedingt  war.  Genauer  gesagt,  der  rechtsgeschäft- 
liche Erwerb;  denn  daß  der  Erbe  des  eingetragenen  Berech- 
tigten das  Recht  des  Erblassers  erwarb,  braucht  nicht  betont 
zu  werden. 

Die  so  formulierte  Frage  ist  aber,  wie  bekannt,  keine 
andere  als  die,  ob  das  ägyptische  Grundbuchrecht  das  soge- 
nannte Eintragungsprinzip  gekannt  hat. 

Man  hat  es  bisher  für  unerschwinglich  gehalten,  auf  diese 
Frage  bei  dem  heutigen  Stand  des  Materials  eine  Antwort 
geben  zu  wollen:  sowohl  über  den  Bestand  des  Eintragungs- 
ais  über  die  damit  verwandte  Frage  nach  dem  Publizitäts- 
prinzip, d.  h.  dem  Schutz  des  gutgläubigen  buchmäßigen  Er- 
werbers haben  noch  die  jüngsten  Bearbeitungen  des  ägyp- 
tischen Bibliothekswesens  sich  ebenso  reserviert  geäußert  als 
ich  es  vor  elf  Jahren  getan  hatte.  Und  es  mag  ja  auch 
heute  noch  vorsichtig  sein,  bis  zum  Eintreffen  ganz  ausdrück- 
licher Zeugnisse  über  diesen  Punkt  die  Ars  ignorandi  zu  üben. 
Aber  da  Preisigkes  Aufstellungen  eine  alsbaldige  Äuße- 
rung über  die  Gesamtanlage  der  Bibliothek  geboten  erscheinen 
lassen,   will  ich   es   doch   wagen,  wenigstens  mit  einer  Ver- 


256  Ludwig  Mitteis: 

mutung  aus  der  von  den  Juristen  bisher  beobachteten  Re- 
serve herauszutreten.  Zu  einer  solchen  gibt  das  in  den  letzten 
Jahren  veröffentlichte  Material  immerhin  schon  einen  gewissen 
Anhalt. 

Und  sie  geht  dahin,  daß  das  Prinzip  der  ägyptischen 
Bibliothek  bezüglich  Grundstücken  ein  ähnliches  war,  wie  es> 
das  französische  Recht  im  sogenannten  Inskriptions-  und 
Transskriptionssystem  aufgestellt  hat. 

Dieses  —  beruhend  teils  auf  dem  Code  civil  art.  2127 — 
2i34fgg.,  teils  auf  dem  Transskriptionsgesetz  vom  23/3  1855. 
—  geht  dahin,  daß  zwischen  dem  Rechtserwerb  inter  partes 
und  der  Wirkung  des  Rechts  gegenüber  Dritten  unter- 
schieden wird. 

Inter  partes  gilt  —  um  nur  von  den  wichtigsten  Rechten, 
Eigentum  und  Hypothek,  zu  sprechen  —  Eigentum  übertragen, 
Hypothek  bestellt,  sobald  die  Kontrahenten  den  Ubertragungs- 
resp.  Verpfändungsvertrag  durch  gültige  (d.  h.  öffentliche)  Ur- 
kunde errichtet  haben.1)  Gegenüber  dritten  Personen  jedoch 
gilt  das  Recht  erst  als  vorhanden,  wenn  die  Transskription 
resp.  die  Inskription  in  den  Büchern  der  Hypothekenbewahrer 
(Conservateurs  des  hypotheques)  erfolgt  ist.  Daher  kann  der 
Verkäufer  nach  der  bloß  beurkundeten,  nicht  transskribierten 
Übertragung  an  A  sein  Eigentum  noch  an  B  veräußern  und 
dieser  schließt  den  A  aus,  wenn  er  sich  nur  früher  transskri- 
bieren  läßt,  und  ebenso  kann  der  nicht  inskribierte  Hypothekar 


1)  Daß  der  Begriff  des  dinglichen  Rechts  inter  partes  einen  Sinn 
gibt,  braucht  kaum  bemerkt  zu  werden.  Er  kann  sich  zeigen:  beim 
Eigentum  teils  in  bezug  auf  den  Gefahrübergang  und  die  Ausschließung 
bösgläubiger  Dritterwerber,  teils  wohl  auch  darin,  daß  ein  so  ver- 
äußertes Grundstück  nicht  in  die  Konkursmasse  des  Veräußerers  ge- 
hört; bei  der  Hypothek  z.B.  darin,  daß  es  dem  Hypothekar  eine  An- 
zahl von  Rechten  gibt,  die  er  sonst  erst  durch  Einleitung  der 
Zwangsvollstreckung  erwerben  müßte.  Natürlich  brauchen  nicht  alle 
diese  Konsequenzen  von  jeder  Rechtsordnung,  die  ein  ähnliches  Prin- 
zip handhabt,  gezogen  zu  werden,  und  ich  lasse  es  sowohl  für  das 
französische  Recht  wie  für  das  ägyptische  hier  dahingestellt,  welche 
davon  wirklich  gezogen  worden  sind. 


Pkivatrechtl.  Bedeutung  der  ägypt.  ßißlio&ifir)  iyxrrjiseav.    257 

gegen   die  Eigentumsnachfolger  seine  Hypothek  nicht  durch- 
setzen und   steht  jedem   inskribierten  Hypothekar  nach  usw. 

Vieles  spricht  dafür,  daß  auch  der  Einrichtung  der  ägyp- 
tischen ßißXiofrijxr]  eyxrrjßeav  diese  Bedeutung  zukommt: 

a)  Zunächst  erklärt  es  sich  so,  daß  Grundstücksverfügun- 
gen vorkommen  und  als  in  gewissen  Grenzen  wirkend  er- 
scheinen, welche  sicher  die  Bibliothek  nie  berührt  haben. 
So  vor  allem  die  Verpfändung  in  Lips.  10:  da  hat  Aurelius 
Heron  i.  J.  178  durch  ein  Cheirographon  sich  einige  Acker 
chirographarisch  verpfänden  lassen  und  dieses  Pfandrecht  wird 
noch  sechzig  Jahre  später  von  seiner  Tochter  als  gültig  be- 
trachtet und  ausgeübt,  obwohl  das  Cheirographon  nicht  ein- 
mal der  d^uoßicoöig  in  Alexandrien  unterzogen  worden  war; 
von  der  ßißfoo-d-)'txr(  ist  in  dem  ganzen  Stück  gar  nicht  die 
Rede.  —  Aber  auch  sonst  finden  sich  viele  Grundstücksver- 
fügungen, die  durch  einfache  Cheirographa  vor  sich  gegangen 
sind-,  nach  der  sehr  dankenswerten  Zusammenstellung  bei 
Eger,  Grundbuchwesen  95  fg.  zähle  ich  etwa  zwanzig.  Nun 
ist  ja  nach  dem  neuestens  vorliegenden  Material,  insbesondere 
dem  unten  zu  erörternden  P.  Giss.  19,  nicht  ganz  auszu- 
schließen, daß  auch  auf  Grund  bloßer  i£lQ^YQa(fcc  eme  Trans- 
oder Inskription  in  der  Bibliothek  erfolgen  konnte;  aber  das 
scheint  mindestens  nicht  beliebt  gewesen  zu  sein,  da  wir 
solche  meist  auf  di]pÖ6iOL  %Qij^ari6^oC  ruhen  sehen,  gele- 
gentlich (BGU  50)  zum  Behuf  der  Transskription  auch  ein 
XSiQoyQucpov  in  einen  solchen  eigens  verwandelt  wird.  Es 
ist  darum  sehr  wahrscheinlich,  daß  auch  in  jenen  Fällen  die 
Parteien  die  Transskription  einfach  unterlassen  hatten,  und  daß 
letzteres  oft  genug  vorkam,  sehen  wir  ja  an  den  sofort  (sub  ß) 
zu  erwähnenden  TtocQä&eöig-Gezucken,  wo  Leute  Grundstücke 
veräußern,  obwohl  sie  selbst  nicht  ä^oysyga^^svoi.  sind.  Nun 
könnte  man  freilich  sagen,  diese  Verträge  seien  bloß  obli- 
gatorische Verkäufe  gewesen;  aber  dieser  Ausweg  ist  wieder 
dadurch  versperrt,  daß  wenigstens  in  der  Kaiserzeit  alle  Kauf- 
verträge  ganz  regelmäßig  die  Übertragung   des   ^xgurslv  xal 

DO  Ö  Ö  ÖD  S 

xvQievtiv''    in    sich    schließen.     Das   läßt    sich   nun   auch  für 


258  Ludwig  Mitteis: 

chirographarische  Kaufverträge  sehr  wohl  verstehen,  wenn 
man  annimmt,  daß  damit  inter  partes  wirklich  schon  der 
Kauf  als  vollzogen,  die  Gefahr  auf  den  Käufer  übergegangen, 
die  Pflicht  zur  ßsßCaöig  als  begründet  galt.  Nur  die  Wir- 
kung gegen  Dritte  ist  vorläufig  aufgeschoben. 

ß)  Andererseits  erklärt  sich  von  dem  hier  eingenommenen 
Standpunkt  mit  einem  Schlage  eine  bisher  als  rätselhaft  an- 
gesehene Klausel  der  sogenannten  Ttagccd-eöig-  Gesuche.1)  In 
diesen  Gesuchen  bitten  nicht  eingetragene  Erwerber  die 
ßißliotpvlaxEg,  von  ihrem  Erwerb  schon  vorläufig  Kenntnis  zu 
nehmen  (iiaQaftsivaL),  die  angedeutete  Klausel  aber  geht  dahin: 
Wenn  vor  der  TtccQdd'eö  ig  eme  Übertragung  oder  Verpfändung  des 
Grundstücks  durch  die  Bibliothek  —  „diu  xov  ßißlio- 
yvlccxsLov"  —  diese  charakteristischen  Worte  fehlen 
niemals  —  erfolgt  sein  sollte,  soll  sie  gültig  bleiben;  es  ist 
dann  die  definitive  Eintragung  des  Erwerbers  ausgeschlossen, 
resp.  wenn  er  Eigentum  erworben  hat  und  vorher  ein  Pfand- 
recht durch  die  Bibliothek  eingetragen  worden  war,  bleibt 
dieses  bestehen. 

Das  ist  genau  das  französische  System:  der  nicht  ein- 
getragene Erwerb  kann  gegenüber  dem  früher  transskribierten 
oder  inskribierten  nicht  aufkommen. 

y)  Der  hier  vermutete  Parallelismus  scheint  mir  auch 
durch  P.  Giss.  19.,  den  Egee  Grundbuchwesen  68  publiziert 
hat,  nicht  ausgeschlossen  zu  werden.  Hier  hat  Psenpachoumis 
von  Apollonios  ipiXol  xöitoi  durch  Handschein  gekauft;  er  er- 
fährt, daß  ein  gewisser  Petosiris  ein  von  demselben  Apollonios 
ausgestelltes  Verkaufs-^todypaqpov  über  dieselben  Grundstücke 
der  Bibliothek  apographiert  habe   und  einem  Dritten  weiter 


1)  Bd.  II  243;  Class.  Phil.  2;  Gen.  44;  Teb.  318;  über  dieselben 
und  den  gegenwärtigen  Stand  der  Lehre  Lewald  Grundb.  R.  52 fg. ; 
Eger,  Grnndbuchsw.  131  fg.  Um  Mißverständnisse  auszuschließen,  be- 
merke ich,  daß  die  nicht  eingetragenen  Erwerber  hier  nicht  bloß 
chirographarisch  erworben  hatten,  sondern  durch  Homologien,  die  je- 
doch —  und  das  ist  eben  das  Entscheidende  —  der  ßtßXiod-ijxri  nicht 
zur  Eintragung  bekannt  gegeben  waren. 


Privatrechtl.  Bedeutung  der  ägypt.  ßißkiofrijxri  tyxriiaewv.    259 

verkaufen  wolle  und  bittet  um  Inhibierung  dieses  Verkaufs 
(was  nebstbei  bemerkt  so  aussieht,  als  ob  Eintragungen  auf 
Grund  eines  isiQoyQccrpov  doch  nicht  so  ganz  ausgeschlossen 
gewesen  wären,  wie  man  bisher  glaubte,  s.  S.  257).  Die 
Schwierigkeit  liegt  nun  darin,  daß  hier  der  außerbücherliche 
Erwerber  «regen  den  bücherlichen  auftreten  will,  während  man 
gerade  das  Gegenteil  erwarten  sollte.  Aber  andererseits  zeigt 
doch  die  Besorgnis,  die  Psenpachoumis  vor  dem  Weiter- 
verkauf hat,  daß  er  gegen  künftig  einzutragenden  Er- 
werb nicht  aufkommen  zu  können  fürchtet,  und  darin  liegt 
doch  nur  wieder  eine  Bestätigung  meiner  Vermutung.  Daß  er 
wenigstens  gegen  Petosiris  selbst  seine  Sache  nicht  verloren 
gibt,  läßt  sich  vielleicht  doch  u.  z.  auf  verschiedene  Weise  er- 
klären;  vielleicht  hält  er  dessen  Erwerbstitel  für  gefälscht 
(so  schon  Eger  8g)1);  vielleicht  auch  hoffte  er  gegen  ihn 
aufzukommen,  weil  er  in  Kenntnis  des  früheren  Ankaufs 
gekauft  hatte. 

4.  Wenn  demnach  die  ägyptische  Bibliothek,  wie  ich 
vermute,  den  französischen  Inskriptions-  und  Transkriptions- 
büchern in  ihren  juristischen  Funktionen  verwandt  ist,  so  ist 
schon  hiernach  neuerlich  klar,  wie  weit  sie  über  ein  bloßes 
Urkundenarchiv  hinausgeht.  Durch  ihre  objektive  Vollständig- 
keit und  das  Vorhandensein  der  diccöTQcaiiaTcc  nähert  sie  sich 
sogar,  trotz  des  mangelnden  Eintragungsprinzips,  den  Grund- 
büchern des  deutschen  Rechts. 

Ein  sehr  wesentlicher  Unterschied  von  diesen  ergibt  sich 
jedoch  —  abgesehen  von  formalen  Unterschieden  —  darin, 
daß  das  Recht  in  seiner  Entstehung  in  Ägypten  von  der  Ein- 
tragung nicht  absolut  abhängig  ist,  daß  also  z.  B.  die  nicht 
eingetragene  Hypothek  doch  gegenüber  dem  Verp fänder  und 
seinen  Erben  wirksam  wird  und  nur  ihre  Wirksamkeit  gegen 
Dritte  fehlt. 

Auch  ist  zuzugeben,  daß  dieses  System  doch  an  einem 
gewissen   Widerspruch  leidet:    einerseits   werden    alle   Grund- 

1)    Er    bezeichnet   dessen    Kauf    als   co>?  ysvöusvov   ccvzä   vitb  tov 
'AnolXwviov' ',  also  angeblich  geschehen. 


2  6o  Ludwig  Mitteis: 

stücke  eingetragen,  andrerseits  hat  man  keine  Garantie  dafür, 
daß  der  als  Eigentümer  eingetragene  es  auch  wirklich  noch 
ist.  Mag  auch  der  Dritte,  der  von  ihm  diu  xov  ßißXiocpvXuxCov 
weiter  erwirbt,  nun  gegen  geheime  Veräußerungen  geschützt 
sein,  so  wird  doch  von  dem  Vermögen  und  der  Kreditfähig- 
keit einer  Person  ein  falsches  Bild  erzeugt,  wenn  sie  noch 
als  freier  Eigentümer  zahlreicher  Grundstücke  im  Grundbuch 
steht,  während  sie  diese  vielleicht  alle  bereits  unter  der  Hand 
veräußert  hat.  Und  mag  auch  dann  der  Gläubiger,  wenn  er 
zur  Zwangsvollstreckung  in  die  Grundstücke  schreitet,  den 
nicht  eingetragenen  Erwerber  haben  ignorieren  können1),  so 
ist  doch  schon  das  ein  Übelstand,  daß  er  eben  auf  die  Voll- 
streckung gedrängt  wird,  weil  der  Schuldner  keine  paraten 
Mittel  in  der  Hand  hat,  während  der  Gläubiger  ihm  noch  die 
freie  Verfügung  über  seinen  Grundbesitz  zutrauen  durfte.  Ob 
es  etwa  auch  damit  zusammenhängt,  daß  man  mit  dem  Zu- 
stand der  diaöTQcoficcTcc  so  oft  unzufrieden  war  und  so  häufige 
General- unoyQucpaC  angeordnet  wurden?  Gewiß  zwar  läßt 
sich  die  Erklärung  hierfür  auch  in  einfacher  Nachlässigkeit 
der  Urkunds-  und  Grundbuchbehörden  bei  Handhabung  des 
bestehenden  Systems  selbst  finden,  zumal  in  dem  Edikt  des 
Mettius  Rufus  direkt  gesagt  wird,  daß  sie  die  bestehenden 
Vorschriften  nicht  immer  befolgten.  Aber  ein  viel  größerer 
Übelstand  mußte  darin  liegen,  daß  buchmäßiger  und  tatsäch- 
licher Besitz  sich  so  oft  nicht  deckten,  und  es  wäre  sehr  be- 
greiflich, wenn  man  hier  von  Zeit  zu  Zeit  den  Parallelismus 
wieder  herzustellen  suchte.  So  sagt  denn  auch  das  Edikt 
des  Mettius  Rufus,  alle  Besitzer  sollen  sich  eintragen  lassen, 
und  wir  haben  keinen  Grund,  hier  die  chirographarischen 
Erwerber  auszunehmen.  Nur  bei  den  gesetzlichen  Hypo- 
theken und  Verfangenschaften  der  Ehefrauen  und  Kinder  wird 
die  Pflicht  zur  ajioyQcccpri  auf  die  aus  einem  drnio6iog  XQV' 
Iiau6[iög  herrührenden  beschränkt,  nicht  auch  bei  den  übrigen. 


i)    Inwieweit     dies     bei     chirographarischen     Gläubigern     in 
Ägypten  der  Fall  war,  wissen  wir  übrigens  nicht. 


Pkivatuechtl.  Bedeutung  der  ägypt.  ßißkto&i'y/.i)  eyxviqaEow.    261 

5.  Das  Gesagte  scheint  mir  völlig  hinreichend,  um  die 
Behauptung  zu  eliminieren,  die  ßißfoo&rjxr}  sei  nicht  Grund- 
buch, sondern  bloßes  Archiv.  Wie  wollte  man  denn  auch 
mit  dem  ganzen  komplizierten  System  der  ■xoo6v.yysliai,  exi- 
Grdl^ara  und  vor  allem  der  diaörQcb^iata  die  Reduktion  auf 
bloß  archivalische  Funktionen  vereinigen?  Namentlich  die 
letzteren  sind  ja  doch  ganz  deutlich  schon  eine  besondere 
Anstalt,  welche  neben  dem  Urkundenarchiv  besteht;  sie  sind 
das  Grundbuch  im  prägnanten,  auch  körperlichen  Sinne;  sie 
sind  ein  objektiv  vollständiges  Grundbuch  und  auch  ein  solches, 
auf  welches  sich,  wenn  die  Urkunden  nicht  trügen,  Dritte, 
die  im  Vertrauen  darauf  und  durch  dasselbe  erworben  haben, 
verlassen  können. 

Es  erübrigt  nun  noch  eine  Anzahl  adminikulierender 
Argumente  zu  entkräften,  auf  welche  Preisigke   sich  beruft. 

a)  Da  wird  zunächst  (S.  285  fg.)  daraufhingewiesen,  daß 
es  auch  XQoöuyyeUai  bezüglich  Sklaven  gebe.  Ich  will  die 
Tatsache  nicht  in  Zweifel  ziehen,  da  sie  mir  gar  nicht  be- 
fremdlich erscheint,  obwohl  sie  sich  nur  auf  einen  unvoll- 
ständig mitgeteilten  und  —  bei  der  bekannten  Unzugänglich- 
keit der  Wiener  Sammlung  —  von  niemand  verifizierten 
Papyrus  E.  R.,  ferner  auf  eine  zwar  an  sich  ansprechende, 
aber  doch  durchaus  konjekturale  Ergänzung  von  Wessely- 
Preisigke  zu  Lond.  2,  p.  151  stützt  (die  Deutung  von  Oxy.  336 
und  34g  bei  Preisigke  307  ist  mir  zweifelhaft).  Aber  was 
folgt  daraus?  Nicht  einmal  das  wäre  damit  bewiesen,  daß 
uie  Sklaven  auch  aufs  dCccGtQcona  kamen,  und  wenn  selbst! 
Das  würde  doch  nur  zeigen,  daß  das  Grundbuch  nicht  bloßes 
Grundstücksbuch  ist.  Ist  es  darum  weniger  Grundbuch?  Um- 
fassen nicht  auch  unsere  Grundbücher  Fischerei-  und  Fähr- 
gerechtigkeiten, Abbaurechte  u.  dgl.? 

b)  Daß  (vgl.  S.  490)  die  Grundstücke  aller  Komen,  die 
kein  selbständiges  yQarpslov  haben,  auf  dem  Diastroma  der 
Korne,  die  ein  solches  besitzt,  durcheinanderstehen,  ist  nur 
natürlich  und  eine  einfache  Konsequenz  davon,  daß  das  Prin- 
zip  der  Personalfolien  gilt,    nicht  das   der  Realfolien.     Den 


2 62  Ludwig  Mitteis: 

Grundbuchbezirk  für  diese  Personalfolien  bildet  eben  der 
Sprengel  jedes  ygatpeiov;  innerhalb  dieses  Bezirkes  darf  der 
Name  jedes  Besitzers  aber  nur  einmal  vorkommen. 

c)  S.  40g  betont  Preisigke,  daß  in  P.  Oxy.  715  unter 
einer  caioyQtupri  folgender  Vermerk  des  ßißfoocpvlai,  steht: 
Kutane %(b(Qiitcc)  adicai^QLTCjg)  XLvö(yv(p)  täv  a%oyQu(<poii£V(öv) 
usf.  Hieraus,  und  auch  aus  anderen  Subskriptionen  auf  utio- 
YQucptd  ergebe  sich,  daß  die  Bibliothek  nur  prüft,  ob  die 
Einreichung  nicht  mit  den  im  „Besitzamt"  verbuchten  Besitz- 
verhältnissen im  Widerspruch  stehe,  das  Rechtsgebiet  dagegen 
ausschließt.  „Dieser  Standpunkt  entspricht  der  grundlegenden 
Aufgabe  des  Besitzamtes,  lediglich  ein  Verwahramt  für 
Privaturkunden  und  die  darin  enthaltenen  Besitzrechte  zu 
sein."  Hierzu  ist  nur  zu  sagen,  daß  auch  ein  heutiges  Grund- 
buchamt die  Rechtsgültigkeit  der  ihm  überreichten  Ein- 
tragungsanträge nicht  prüft  und  nicht  prüfen  kann.  Darüber 
hat  ja  der  Richter  im  kontradiktorischen  Verfahren  zu  ent- 
scheiden, wenn  die  Sache  streitig  wird.  Der  Grundbuchs- 
beamte prüft  nur  die  formalen  Voraussetzungen  der  Inta- 
bulation:  in  diesem  Sinne  erfolgt  jede  Eintragung  notwendig 
(a^laxQLTas,  oder  'yavövva  der  Parteien.  Daß  ersteres  in 
Oxy.  715  noch  besonders  gesagt  wird,  beruht  wol  darauf,  daß 
es  sich  um  Erbschafts- äjcoyQcccpy]  handelt  und  hier,  wo  die 
Übertragung  ohne  den  Willen  des  Vorbesitzers  stattfindet,  es 
doppelt  nahe  liegt,  zu  betonen,  daß  die  Frage  der  behaupteten 
Erbberechtigung,  also  die  Gültigkeit  des  Testaments  oder  die 
Intestatberufung,  sich  jeder  Prüfung  entzieht.  Bei  Kaufver- 
trägen steht  ein  gleicher  Vorbehalt  nur  mitunter  in  der  Kauf- 
urkunde selbst,  allerdings  soviel  ich  sehe,  erst  seit  Ende  des 
zweiten  Jahrhunderts,  worüber  ich  mir  gelegentliche  Unter- 
suchung vorbehalte. 

d)  Endlich  S.  37g  betont  Preisigke:  Hätte  es  sich  (beim 
Edikt  des  Mettius  Rufus)  um  Berichtigung  der  Grundbücher 
gehandelt  ...  so  wäre  es  zu  deren  Berichtigung  doch  das 
Einfachste  gewesen,  die  Dorfbücher  zur  Hand  zu  nehmen; 
dann    hätte    man    gar    nicht   nötig    gehabt,    mit    den    vielen 


Privatrechtl.  Bedeutung  der  ägypt.  ßißkio&rj'/.n  iy/.xifitwv.    263 

Tausenden  von  tiTtoyQaqxxt  sich  abzuplagen".  Auch  hier  muß 
der  Jurist  daran  erinnern,  daß  auch  ein  heutiges  Grundbuch, 
wenn  es  in  Unordnung  geraten  ist,  nicht  einfach  dadurch 
hergestellt  werden  kann,  daß  man  den  Steuerkataster  ab- 
schreibt. Dies  aus  einem  doppelten  Grunde  nicht.  Erstens 
ist  der  Steuerkataster  für  die  Frage  der  Berechtigung  an 
den  Grundstücken  gar  keine  authentische  Quelle;  ob  der,  der 
dort  als  Eigentümer  eingetragen  ist  und  danach  dem  Staat 
haftet,  es  auch  wirklich  ist,  das  ist  bestenfalls  eine  Frage 
zwischen  dem  Staat  und  dem  Steuerzahler,  deren  Beantwortung 
andere  Personen  gar  nichts  angeht;  auch  haben  gerade  für 
die  ägyptischen  Steuerkataster  Lewald  und  Egek  mit  Recht 
betont,  daß  durchaus  nicht  immer  der  Eigentümer  auf  das 
Gut  katastriert  wird,  sondern  ebenso  gut  auch  der  Pächter. 
Zweitens  aber  und  vor  allem:  die  Neuanlecmno;  oder  Be- 
richtigung  des  Grundbuchs  greift  tief  in  die  Rechtsverhältnisse 
der  Privaten  ein;  darum  kann  der  Staat  sie  nicht  durch 
mechanische  Abschreibertätigkeit  seiner  Lohnschreiber  voll- 
ziehen lassen,  sondern  muß  vor  allem  die  Beteiligten  selbst 
heranziehen:  Darum  muß,  wer  ein  Grundstück  hat,  sich 
melden  oder  geladen  werden  und  seine  Besitztitel  vorlegen 
(letzteres  sagt  Mettius  Rufus  ausdrücklich).  Diese  werden 
nachgeprüft  (sonst  würde  man  ja  die  alten  Fehler  erneuern, 
die  man  eben  los  werden  will);  und  wenn,  was  häufig  genug 
ist  und  sozusagen  mit  zu  den  Zwecken  des  Berichtigungs- 
verfahrens gehört,  ein  Eintragungsbegehren  von  einem  Kon- 
kurrenten bestritten  wird,  ist  dafür  zu  sorgen,  daß  dessen 
Rechte  gewahrt  bleiben. 


Drockfertig  erklärt  12.  VHI.  1910.] 


264 


IL 
Zu  der  Stelle  des  Ulpian  D.  27. 10,  lpr. 

Von 
Ludwig  Mitteis. 

Daß  in  dieser  wichtigen,  weil  eine  Grundlage  der  Lehre 
von  der  Cura  prodigi  bildenden  Stelle  nicht  der  ganze  Text 
von  Ulpian  herrühren  kann,  hat  man  bereits  wiederholt  be- 
merkt.    Ich  setze  zunächst  den  Wortlaut  hierher: 

Ulp.  I  ad  Sab. 

Lege  duodecim  tabularum  prodigo  interdicitur  bonorum 
suorum  administratio ,  quod  moribus  quidem  ab  initio  intro- 
ductum  est.  Sed  solent  hodie  praetores  vel  praesides,  si  talem 
hominem  invenerint,  qui  neque  tempus  neque  finem  expen- 
sarum  habet,  sed  bona  sua  dilacerando  et  dissipando  profudit, 
curatorem  ei  dare  exemplo  furiosi:  et  tamdiu  erunt  ambo  in 
curatione,  quamdiu  vel  furiosus  sanitatem,  vel  ille  sanos  mores 
receperit:  quod  si  evenerit,  ipso  iure  desinunt  esse  in  pote- 
state  curatorum. 

An  zwei  Punkten  hat  man  hier  bereits  Interpolation  an- 
genommen. Zunächst  im  Satz  Sed  solent  —  exemplo  furiosi; 
manche  wollten  ihn  wohl  ganz  für  justinianisch  ansehen,  indem 
sie  darin  eine  vollständige  Beseitigung  der  legitimen  Cura  er- 
blickten, die  mit  Ulp.  pr.  1 2 ,  i  in  Widerspruch  stehe.1)  Das 
findet  nun  heute  schwerlich  jemand;  aber  wenigstens  von  'si 
talem  —  profu<(n>dit'  wird  auch  jetzt  noch  von  Kalb  Juri- 
stenlatein 79  A.  72)  wegen  des  hier  herrschenden  emphatischen 
Tons  eine  eingeschobene  Phrase  des  Tribonian  vermutet,  und 
das  mag  vielleicht  zutreffen.  Aber  große  sachliche  Tragweite 
kommt  dieser  Hypothese  nicht  zu. 

1)  Vgl.  Glück  33,  170;  Pochta  Inst.  §  229  Z.  2. 

2)  Zustimmend  Kkügeb,  Corp.  Jur.  Civ.  Dig.11  ad  h.  1. 


Zu  der  Stelle  des  Ulpian  D.  27,  10,  1  pr.  265 

Sodann  betrachtet  man  den  Schlußsatz  des  Prooemium, 
'quod  si  —  curatorum'  als  nichtulpianisch1);  gewiß  mit  Recht, 
da  durch  die  bloße  Rückkehr  zu  den  sani  mores  —  ein  prak- 
tisch doch  sehr  unbestimmter  Zeitpunkt  —  der  Prodigus 
nicht  von  selbst  die  Handlungsfähigkeit  wieder  erlangen 
konnte;  es  muß  jedenfalls  eine  dekretale  Beseitigung  der  Cura 
Platz  gegriffen  haben. 

Nun  glaube  ich  aber,  daß  mit  der  Feststellung  dieser 
Bedenken  noch  keineswegs  alles  getan  ist,  dessen  die  Stelle 
bedarf.  Für  mich  liegt  ihre  eigentliche  Schwierigkeit  in  ihrem 
Eingang:  Lege  duodecim  tabularum  prodigo  interdicitur  bono- 
rum suorum  administratio,  quod  moribus  quidem  ab  initio 
introductum  est. 

I.  Diese  Worte  widerstreiten  sowohl  den  Anforderungen 
der  Logik  als  auch  dem,  was  wir  sonst  über  die  Prodigalitäts- 
Cura  vermuten. 

a)  Denn  was  den  ersten  Punkt  betrifft,  so  ist  es  ein 
unlösbarer  Widerspruch  zu  sagen  'lege  interdicitur  —  quod 
moribus  introductum  est'.  Faßt  man  freilich  das  lege  in  dem 
Sinn  auf:  Durch  das  Gesetz  (der  Zwölftafeln)  wird  inter- 
diziert  —  so  ist  es  nicht  gerade  widersinnig  zu  sagen,  der 
Prodigus  sei  schon  vor  den  zwölf  Tafeln  als  geschäftsunfähig 
betrachtet  worden;  aber  wie  konnte  Ulpian  davon  etwas 
wissen?  In  seinem  Mund  kann  'lege'  nur  den  Sinn  haben: 
Auf  Grund  der  Zwölftafeln  wird  (vom  Prätor)  interdiziert. 
Dann  aber  ist  der  Widerspruch  evident;  denn  da  sich  das 
'quod  —  introductum  est'  auf  den  ganzen  vorherigen  Satz 
bezieht,  so  würde  es  besagen:  die  Interdiktion  auf  Grund 
des  Gesetzes  sei  aufgekommen  durch  die  Gewohnheit.  Dieser 
unleugbaren  Unmöglichkeit  könnte  man  nur  entgehen  durch 
die  Annahme,  der  Relativsatz  beziehe  sich  bloß  auf  das 
nackte  Verbum  interdicitur,  was  aller  natürlichen  Auffassung 
widerstreiten  dürfte. 

b)  Aber  auch  mit  anderen  Erscheinungen  ist  der  Bericht 


1)  Vgl.  Gibard,  Manuel4  225  A.  2. 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  2  2 


2  66  Ludwig  Mitteis: 

Ulpians  schwer  zu  vereinigen.  Betrachten  wir  diejenige  Stelle, 
welche  neben  dem  Ulpiansausspruch  die  wichtigste  und  allem 
Anschein  nach  von  Interpolation  frei  ist *),  nämlich  Paul, 
sent.  3,  4a;  7.  Dort  wird  über  die  Interdiktionsformel  des 
Prätors  folgendermaßen  berichtet:  „Moribus  per  praetorem 
bonis  interdicitur  hoc  modo:  Quando  tibi  bona  paterna  avi- 
taque  nequitia  tua  disperdis  liberosque  tuos  ad  egestatem  per- 
ducis,  ob  eam  rem  tibi  .  .  re  commercioque  interdico."  Es 
pflegt  von  den  Historikern  der  Prodigalitätserklärung  hervor- 
gehoben zu  werden,  daß  hiernach  das  Interdiktionsdekret  die 
Vergeudung  bloß  der  bona  paterna  avitaque  als  Entmündigungs- 
grund betont.  Ich  will  mich  auf  die  verschiedenen  hierfür 
beigebrachten  Erklärungen  hier  nicht  einlassen;  aber  ich  möchte 
hinzufügen,  daß,  wenn  man  die  Formel  irgendwie  ernst  nimmt, 
auch  der  Wortrest  „.  .  re"  nicht  auf  das  gesamte  Vermögen 
des  Interdiktus  bezogen  werden  kann,  sondern  nur  auf  das 
(ab  intestato)  ererbte.  Mag  es  auch  fraglich  sein,  wie  die 
leider  zweifelhaft  überlieferte  Stelle  zu  lesen  ist:  ea  re  oder 
lare  (?  Hüschke)  oder  aere  (?),  jedenfalls  deutet  schon  das 
darauf  folgende  commercioque  darauf,  daß  durch  das  ea  re 
(o.  dgl.)  die  Interdiktion  nur  für  eine  gewisse  Vermögens- 
masse gegeben  war:  denn  hätte  sie  sich  schon  kraft  des 
Wortes  ea  re  auf  das  ganze  Vermögen  erstreckt,  so  wäre  das 
commercioque  überflüssig.2) 

Darnach  hat   die    schon    ausgesprochene   Annahme    eine 


1)  Daß  ich  das  von  den  Paulinischen  Sentenzen  keineswegs  all- 
gemein annehme,  habe  ich  schon  röm.  Priv.  R.  1,  231  A.  32  gesagt  und 
behalte  mir  vor,  wenigstens  einen  Teil  der  auffallendsten  von  den  West- 
goten angebrachten  Interpolationen  gelegentlich  nachzuweisen. 

2)  Insbesondere  darf  man  es  nicht  so  erklären,  daß  es  die  Fähig- 
keit zum  Schuldenmachen  und  damit  die  Gefahr  beseitigen  sollte,  daß 
der  Prodigus  das  in  der  Hand  seiner  Kuratoren  befindliche  Vermögen 
der  Exekution  durch  seine  Gläubiger  aussetzt.  Diese  Gefahr  bestand 
schon  deshalb  nicht,  weil  die  zivile  Vollstreckung  Personalexekution 
ist;  die  Vermögensexekution  ist  prätorisch,  und  daß  der  Prätor  den 
Gläubigern  die  Missio  in  bona  gegen  die  Kuratoren  verweigern  mußte, 
war  bei  Schulden  des  Prodigus  auf  alle  Fälle  selbstverständlich. 


Zu  der  Stelle  des  Ulpian  D.  27,  10,  ipr.  267 

gute  Berechtigung,  daß  im  Sinn  des  ursprünglichen,  d.  h.  von 
den  Gesetzgebern  der  Zwölftafeln  gewollten  Rechts  die  Inter- 
diktion  sich  nur  auf  das  von  den  Vätern  ererbte  Vermögen 
beschränkte,  und  damit  stimmt  genau  auch  die  bekannte  Regel 
überein,  daß  einem  libertus  nach  dem  Gesetz  nicht  interdiziert 
werden  konnte  (Ulp.  1 2,  3).  Ist  aber  diese  Annahme  zutreffend, 
so  ist  Ulpians  Darstellung  in  1.  1  cit.  unrichtig,  indem  sie 
doch  das  lege  interdicere  seiner  Zeit  als  das  den  Zwölftafeln 
Entsprechende  hinstellt,  d.  h.  die  früheren  umfänglichen  Be- 
schränkungenx)  nicht  hervorhebt,  oder  wie  man  es  umgekehrt 
ausdrücken  kann,  den  Zwölftafeln  eine  Entziehung  der  'bono- 
rum suorum  administratio'  zuschreibt,  während  nicht  das 
ganze,  sondern  nur  das  von  den  Vätern  ererbte  Vermögen 
im  Gesetz  genannt  war.  Wo  Ulpian  selbst  redet,  nämlich  in 
den  Regulae,  wird  das  auch  nicht  so  gesagt,  sondern  heißt  es 
„in  curatione  iubet  esse  agnatorum";  wobei  der  Umfang  der 
Curatio  nicht  bezeichnet  wird. 

Man  mag  nun  freilich  sagen,  daß  die  Geschichte  der 
Prodigalität  zu  tief  verschleiert  ist,  als  daß  man  hoffen  könnte, 
sie  auf  dem  Wege  dieser  letzteren  Hypothese  zu  erhellen. 
Dies  zugegeben,  bleibt  doch  die  Inkonzinnität  des  Berichtes 
in  1.  1  cit.  bestehen. 

II.  Dazu  tritt  aber  noch  ein  weiteres.  Es  fällt  nämlich 
auf,  daß  das  Wort  'moribus'  dieser  Stelle  in  dem  Bericht 
der  Paulinischen  Sentenzen  über  das  Interdiktionsdekret 
wiederkehrt,  denn  es  heißt  dort:  cMoribus  per  praetorem 
bonis  interdicitur  hoc  modo'.  Man  fragt  sich,  wie  die  Juristen 
dazu  kommen,  gerade  an  diesem  Punkt  das  cmoribus'  intro- 
ductum  zweimal  zu  betonen  und  ich  glaube  nicht,  daß  das 
aus  Zufall  geschieht.  Es  muß  im  prätorischen  Interdiktions- 
dekret etwas  enthalten  gewesen  sein,  was  über  den  Gesetzes- 
wortlaut hinausging  und  auf  die  eigene  Initiative  des  Prätors 
hindeutete. 


1)  Ganz  abgesehen  von   den  noch  zu  seiner  Zeit  geltenden  sub- 
jektiven Beschränkungen  der  Interdiktion  (Ulp.  12,  3). 

22* 


2  68  Ludwig  Mitteis: 

Man  könnte  das  fragliche  Element  schon  darin  erblicken, 
daß  der  Prätor  überhaupt  ein  besonderes  Dekret  erließ.  Es 
ist  nämlich  denkbar,  daß  die  Zwölftafeln  ein  solches  nicht 
Torschrieben,  sondern  bloß  die  Cura  adgnatorum  über  den 
Prodigus  anordneten.  Indessen  will  es  nicht  recht  befriedigen, 
daß  man  deshalb  das  prätorische  Dekret  als  ein  gesetzfrei 
entstandenes  bezeichnet  haben  sollte;  denn  stillschweigend 
war  doch  schon  damit,  daß  das  Gesetz  den  Begriff  des  Pro- 
digus aufstellte,  eine  Feststellung  dieses  Zustandes  für  jeden 
einzelnen  Fall  vorausgesetzt.  Man  hätte  sonst  ebenso  gut 
auch  alle  Legisaktionen  als  moribus  proditae  eingeführt  be- 
zeichnen können,  weil  ihr  Wortlaut  doch  auch  nicht  gesetz- 
lich fixiert  war;  während  doch  bei  der  pignoris  capio  zwischen 
jener,  die  lege,  und  jener  die  moribus  stattfindet,  scharf  unter- 
schieden worden  ist. 

Ich  halte  es  darum,  obzwar  ich  die  Zulässigkeit  jener 
Erklärung  nicht  ganz  ausschließen  kann,  für  wahrscheinlicher, 
daß  im  Inhalt  der  Interdiktionsformel  selbst  etwas  enthalten 
war,  was  über  das  Gesetz  hinausging.  Naheliegend  ist  die  Ver- 
mutung, daß  dies  gerade  die  Nennung  des  Commerciums  war. 
Wenn  im  Sinn  des  Gesetzes  nur  das  vom  Vater  ererbte 
Vermögen  zu  entziehen  war,  so  lag  in  der  Entziehung  des 
Commercium  bezüglich  des  ganzen  —  auch  selbst  erworbe- 
nen —  Vermögens  allerdings  ein  sehr  deutliches  'moribus 
introductum'.  Daß  der  Prätor  dieses  schuf,  bedarf  wohl 
keiner  weiteren  Erklärung.1) 


i)  Ablehnen  dagegen  würde  ich  einen  dahingehenden  Vorschlag, 
das  rmoribus'  der  Ulpian-  und  Paulusstelle  auf  das  zu  beziehen,  was 
Ubbelohde  (in  Grünhuts  Ztsch.  4)  die  prätorische  Prodigalität  nennt, 
nämlich  darauf,  daß,  weil  die  Zwölftafeln  nur  den  Ingenuus,  qui  ab  in- 
testato  heres  patris  est  factus  betrafen,  für  alle  übrigen  Verschwender 
der  Prätor  aus  eigener  Macht  interdizierte.  Gerade  dieser,  wenngleich 
sehr  wichtige,  Fall  ist  sicher  nicht  gemeint.  Das  zeigt  erstens  der  Wort- 
laut des  Dekrets:  er  nennt  die  bona  paterna  avitaque,  hätte  also  auf 
Libertini  geradezu  gar  nicht  gepaßt  und  wäre  auch  bei  Ingenui  heredes 
instituti  schlecht  angebracht  gewesen;  denn  das  paterna  avitaque 
scheint  gerade  den  familienmäßigen,  also  gesetzlichen  Erbgang  zu  be- 


Zu  der  Stelle  des  Ulpian  D.  27,  10,  ipr.  269 

III.  Ich  ziehe  nun  aus  dem  vorhin  Gesagten  den  Schluß. 
Mein  Ausgangspunkt  war:  Im  Anfangssatz  von  D.  27,  10,  1  pr. 
ist  eine  Unebenheit,  und  die  Wiederkehr  der  Mores  bei  Paulus 
verlangt  eine  Erklärung.  Alles  vereinigt  sich,  wenn  man 
annimmt,  daß  die  Kompilatoren  die  Ulpianstelle 
stark  gekürzt  haben. 

Sie  hypothetisch  herzustellen  ist  ebenso  leicht,  als  es 
im  Effekt  wertlos  ist.  Man  darf  aber  wenigstens  die  allge- 
meine Vermutung  aussprechen,  daß  Ulpian  hier  eine  nähere 
Auseinandersetzung  über  den  ursprünglichen  Inhalt  der  Zwölf- 
tafeln  und  die  dazu  tretende  amtsrechtliche  Ergänzung  ge- 
geben hat.  Mag  er  nun  gesagt  haben,  daß  das  Gesetz  die 
Voraussetzungen  der  Verschwendung  nicht  fixiert  hatte  und 
darum  der  Magistrat  sein  Interdikt  interponierte,  mag  er  er- 
zählt haben,  daß  nur  die  bona  paterna  im  Gesetz  genannt 
waren  und  darum  der  Prätor  das  Commercium  der  Interdik- 
tion  hinzufügte:  immer  gelangt  man  zu  einer  ausführlicheren 
Darstellung  dieser  Lehre,  welche  einerseits  im  Sabinuskom- 
mentar  erwartet  wird,  anderseits  auch  den  jetzt  vorhandenen 
Widerspruch  der  Diktion  beseitigt  und  gleichzeitig  mit  dem 
moribus  interdicitur  des  Paulus  den  aufklärenden  Zusammen- 
hang  herstellt. 


tonen.  Zweitens  stimmt  es  nicht  zur  Ulpianstelle:  denn  von  diesem 
Fall  hat  Ulpian  sicher  erst  im  zweiten  Satz  gesprochen,  dessen  Ein- 
gangsworte (sed  solent  hodie  praetores  vel  praesides)  nicht  justinianisch 
klingen,  mag  auch  der  Fortgang  es  sein;  dieser  zweite  Satz  dürfte  dem 
entsprochen  haben,  was  Ulp.  fr.  2  in  §  3  ausführt.  Natürlich  muß  dann 
das  Prooemium  am  Schluß  einen  Satz  enthalten  haben,  der  hierzu  über- 
leitete; d.  h.  nach  den  objektiven  Beschränkungen  der  Interdictio  lege, 
die  im  Text  bezeichnet  sind,  müssen  noch  die  subjektiven  erörtert  ge- 
wesen sein. 


Druckfertig  erklärt  12.  VIII.  1910] 


270 


III. 

Das  Receptum  nautarum  in  den  Papyrusurkunden. 

Von 

Ludwig  Mitteis. 

Die  folgenden  Papyri  enthalten  mit  einer  —  übrigens 
unsicheren  —  Ausnahme  sämtlich  Recepta  nautarum.  Für 
diesen  Vertrag  hat  neuerdings  Lusignani1)  gezeigt,  daß   der 


1)  Studi  sulla  responsabilitä  per  custodia  I.  Modena  1902  bes. 
p.  22  fg.,  welche  nur  in  wenigen  Exemplaren  gedruckte  Schrift  außer- 
halb Italiens  nicht  genügend  bekannt  geworden  zu  sein  scheint.  Eine 
selbstverständliche  Voraussetzung  L.'s  ist,  daß  er  unter  der  Custodia 
nichts  anderes  versteht  wie  gewöhnlicbe  diligentia,  und  dies  ist  durch- 
aus richtig.  Die  neuerdings  wieder  von  Seckel  (v.  Custodia  bei  Heu- 
maxn-Seckel)  vertretene  BARONSche  Theorie ,  wonach  die  Pflicht  zum 
Cuatodiam-praestare  in  klassischer  Zeit  gleich  Haftung  für  niederen 
Zufall  ist,  scheint  mir  durch  L.'s  Ausführungen,  zu  denen  noch  die  in 
seinem  Volumen  II  (Parma  1903)  hinzukommen,  endgültig  beseitigt  (die 
bei  Seckel-Heumann  a.  0.  angenommenen  Textgestaltungen  in  den  Di- 
gesten sind  meines  Erachtens  an  manchen  Stellen  zu  revidieren).  Ich 
füge  insbesondere  hinzu,  daß  eine  scheinbare  Stütze,  welche  man  für 
die  BARONSche  Theorie  in  der  sogenannten  Lex  horreorum  (CLL.  6,  4, 
33747  =  Bruns  fo.7  Nr.  166)  finden  könnte,  nur  auf  unrichtiger  Er- 
gänzung durch  Mommsen  beruht.  Denn  wenn  man  dort  zu  lesen  pflegt 
[Invectorum  in  haec  horrea  cu]stodia  non  praestabitur,  so  könnte  das 
allerdings  nur  bedeuten,  daß  damit  die  Gefahr  des  Horrearius  abge- 
lehnt werden  soll.  Da  aber  Gefahr  regelmäßig  periculum  heißt,  und 
die  supponierte  gleiche  Bedeutung  von  Custodia  den  richtig  verstan- 
denen Quellen  nicht  entspricht  (ganz  abgesehen  davon,  daß  der  Aus- 
druck im  besten  Fall  zweideutig  gewesen  wäre  und  das  Publikum  ab- 
geschreckt hätte),  muß  eine  andere  Ergänzung  gesucht  werden.  Ver- 
mutlich war  gesagt,  daß  für  gewisse  in  den  Speicher  eingebrachte 
Gegenstände  der  Horrearius  jede  Verantwortung  ablehnt;  also  etwa: 
Auri  argentive  cujstodia  non  praestabitur. 


Das  Receptum  nautaium  ix  den  Papyrisikkunden.      271 

Prätor  den  Schiffer  nur  dann  für  jeden  Transportverlust  ver- 
antwortlich macht,   wenn   er  durch   besondere  Garantieabrede 
'salvum    fore   recepit';    andernfalls    haftet    der    Schiffer    nach 
klassischem  Recht  nur  für  diligentia  in  custodiendo  und  außer- 
dem nach  den  Edikten  furti  adversus  nautas  ec.  sowie  damni 
iuiuriae  adversus  nautas  ec.  für  Diebstahl  und  Sachbeschädi- 
gung,  welche  von   seinem   Personal,   nicht   auch   welche   von 
dritten    Personen    (Mitreisenden    u.  a.)    ausgehen.     Die    auch 
ohne    die   Clausula   csalvum  fore'    stattfindende    Haftun«- 
bis    zur   höheren   Gewalt   ist   justinianisch,    der  Ausdruck 
Vis   maior  gleichfalls.     Zweck    der    nachstehenden   Zeilen   ist 
zu  zeigen,  daß  mit  dieser  auf  sorgfältige  Interpolationenkritik 
gegründeten  Lehre  die  in  den  Papyri  erhaltenen  Schiffs-Kecepta 
gut   übereinstimmen.     Von    den   hier  vorgelegten1)    stammen 
fünf  aus   der  vorjustinianischen  Zeit   und  haben  zum  Gegen- 
stand den  Schiffstransport  (meist  auf  dem  Nil)  teils  für  private 
(Nr.  4)   teils   für  staatliche  Rechnung:    in   ihnen   findet   sich 
die  Klausel,  abzuliefern,  öcbov  xal   äxaxovQyrjrov  tat  i/xavtov 
xivdvva,   einmal  vielleicht   xm  e.ueö  xivdvva  (Lond.  2    p.  99), 
was    dasselbe    besagt.      Damit    übernimmt    der    Schiffer    die 
Haftung   für  jedes    menschliche    Verschulden,    also    auch   für 
mangelhafte   Beschaffenheit   des  Fahrzeugs,    was    in   Lond.  3 
p.  220  treffend   bezeichnet  wird  als  dxaxovQyrjtov  ano  vavti- 
y.fjg   xaxovQyiag.     Ein    Vorbehalt   für   Vis    maior    wird    nicht 
gemacht,   wohl  weil  man  diesen  für  selbstverständlich  erach- 
tete.  Umgekehrt  lautet  die  Fassung  in  einer  von  den  Heraus- 
gebern in  das  6. — 7.  Jahrhundert  angesetzten  und  sicher  nach- 
justinianischen Urkunde:   hier  ist   von   salvum  recipere  keine 
Rede  mehr,  dagegen  der  Vorbehalt  der  &eov  ßCa  (vis  maior) 

1)  Es  sind  nicht  alle  in  den  Papyri  enthaltenen;  denn  es  kommt 
noch  in  Betracht  Flor.  75  (a°  380)  und  Goodsp.  14  (a°  343).  In  diesen 
fehlt  jede  besondere  Garantie  für  das  Risiko  der  Fracht,  so  daß  sie 
für  unsere  Frage  uninteressant  sind,  außer  insofern  sie  zeigen,  daß  das 
salvum  fore  recipere  doch  nicht  ausnahmslos  war,  der  Prätor  also  einen 
guten  Grund  hatte,  in  seinem  Edikt  die  Bedingung  gerade  dieser  Zu- 
sage für  die  strenge  Haftung  ex  recepto  zu  formulieren. 


272  Ludwig  Mitteis: 

gemacht,  und  dies  mag  wohl  auf  den  Einfluß  der  justiniani- 
schen Gesetzgebung  zurückgehen.1) 

Die  Papyri  sind  schon  von  Ashburner,  the  Rhodian  sea 
law  1909,  in  einem  gründlichen  Kommentar  zum  pseudorho- 
dischen  Seerecht  nach  vielen  Richtungen  verwertet  worden;. 
aus  dem  dort  Gesagten  ergibt  sich  eine  Reihe  von  Konkor- 
danzen zwischen  jenem  Gesetz  und  der  in  diesen  Papyri  her- 
vortretenden Praxis,  z.  B.  der  Angabe  der  Schiffsgröße,  Schiffs- 
bezeichnung u.  a.,  cf.  Ashburner  p.  CLIII,  CLV,  CLXXIX  usw. 
Die  besondere  Bedeutung  jedoch,  welche  diese  Urkunden  für 
die  Geschichte  der  Haftung  des  Nauta  insbesondere  im  Zu- 
sammenhalt mit  den  Untersuchungen  von  Lusignani  enthalten, 
ist  von  Ashburner,  der  die  Haftungslehre  nicht  behandelt,, 
nicht  gewürdigt  worden.  Aus  diesem  Grunde  setze  ich  den 
Wortlaut  der  Urkunden  hierher,  gleichzeitig  mit  einigen 
Ergänzungsvorschlägen;  ich  glaube,  daß  durch  dieselben  die 
Kontinuität,  welche  die  Urkunden  zeigen,  in  schärferes  Licht 
tritt,  als  es  nach  den  Ausgaben  der  Editoren  der  Fall  ist. 

1.  P.  Grenf.  2,  108  a°  p.  C.  167. 
Das  Stück  wird  von  den  Herausgebern  für  einen  Brief 
erklärt;  es  ist  offensichtlich  ein  Receptum,  im  Hinblick  auf 
tri<er)>archum  1.  10  kann  man  vielleicht  an  ein  Receptum  nau- 
tarum  denken,  wobei  es  sich  übrigens  wohl  um  Seetransport 
(nicht  Nilschiffahrt)  handelt.  Die  Bedeutung  des  Stückes 
liegt  nur  in  der  hier  vorkommenden  Wendung  sanas  salvas 
recepisse. 


]rel[ 

r]ecepisse  .  [ ]sto[ ]n[.] 

]a(m)  denarios  [ ]ngentos  et  [..,,..  c]entum 

]    guperari    a[ ]rnaur[ ]alicla(m) 

1.  2  ob  cu]sto[dia?  (M). 


1)  Der  Ausdruck  &sov  ßlcc  soll  ja  nach  Gai  D.  19.  2,  25,  6  alt- 
griechisch sein;  aber  er  hat  hier  wohl  nur  den  einfachen  Zufall  be- 
deutet. 


Das  Receptum  nautarum  in  den  Papyrusuhkunden.      273 

5 Jpuratam  et  [ je  barbari  [.  .  .  .]ei  se  fatum 

[.] [.]m  barbaricum  [ |  miserat  mi[hij  Cornelius 

Germanus  procurator  raeus;  quas  has  res  intra  scrip- 
tas  meas  salbas  sanas  recepisse  scripsi  nonarum 
Octobrium  ad  Puluinos  ad  statione  Liburne  fide^¥)> 
10  interueniente  Minucium  Plotianum  tri<er)archum 
et  Apuleium  Nepotem  scriba(rn)  actum  Fuluinos 
nonis  Octobris  imp(eratore)"  Uero'  ter*  et  Umidio  Quadrate* 
consulatus 
1.  6  [quem?]  miserat  (M).        zu  1.  9/10  Wilcken  Arch.  1,  373. 

2.  P.  Lond.  2;  No,  256  Recto  (a)  (p.  99)  a.  p.  C.  14. 

Abgesehen  von  meinen  in  den  Anmerkungen  zu  1.  10 
und  18  angedeuteten  Konjekturen  scheint  mir  in  1.  16/17 
durch  Vergleichung  der  nachfolgenden  Parallelstücke  ein  Fort- 
schritt möglich  zu  sein.  Statt  uv[xäg  .  .  .  .]v6vn[.  .  .  .]  denke 
ich  etwa  an  to>[<s^c5  %L]vdvv[<p.  Allerdings  hat  Herr  Kenyon 
auf  meine  Anfrage  nach   freundlicher  Revision   der  Urkunde 


~o 


erklärt,  einen  bestimmten  Vorschlag  nicht  verifizieren  zu 
können.  Auch  ist  die  Ergänzung  wegen  der  noch  nicht  fest- 
stehenden  Bedeutung  des  darauffolgenden  öly^a  {ßsly^ia)  viel- 
leicht gewagt.  Äußerstenfalls  müßte  daher  dieses  Stück  aus- 
geschieden werden. 

[ ]av9[s]  xvßeQvtfvqg  öxaepr^g  ört[io6Lug  uyo[vö~\t]g 

\{ccQrdßag)  x] ,  r\g  7i[a]Qcc6r}uog  Ißig,  dicc  £;n;rA[o]ü  Hinzog  ^Axiviog 

[ ]iag  aörjyov  Xeyiiävog  Öevteoag  y.lxoötijg  öTtCoag 

[dsvr^eoag  AxovöiXda  6itoX6y<p  $r;iuo[o']ta)  Av6i\x,<xyjL§- 
5  [cov  ß  t&  na\oä  Aovxiov  M[ci]oCov  aneltvd-toov  y.qitov  Usßaötov 

1.  1.  ayova^g  (die  Tragfähigkeit  betreffend):  vgl.  Lond.  3  p.  220,  2; 
Amh.   138,  5. 

1.  2.  i7tm).[o]v  Zi%rog  'Arlviog  (1.  Stxtov  'Axiviov)  Grenfell-Hunt 
zu  Oxy.  276,  8;  Wilcken  Arch.  1,  145/6. 

I.3.  =  y.a.1  8i-K06tfjg.  —  &6i]fiov  ist  verdächtig;  man  erwartet  die 
Angabe  einer  Charge.     So  auch  Wilcken  a.  0. 

1.  5.  -xp-rou  muß  Schreibfehler  sein,  vielleicht  für  xcci6aQog.  Ttße- 
giov  st.  ■KQttov  halte  ich  an  dieser  Stelle  wegen  der  Titelfolge  und  nach 
dem  Faksimile  für  ausgeschlossen. 


274  Ludwig  Mitteis: 

[ ]og  yaiQiv.  '0^[oX\oy&>  £vßeßXf}6[&]ca  %agd  öov  enl  xov  zcc- 

[xd  IIxoleii\aiÖa  \oqii\ov  xov  Aq6ivolx[ov]  vouov  ev  'Eßooyig 
[fi'g  /Jiov\v6(Cyov  xal  <J>tXoX6yov  Xöyo}i  dnb  xtöv  yevij^idxov 
[tov  a  (exovg)]   Tißeoiov  KccCöaoog  Usßaöxov  dxoXovd'ag  toi 

10  [ ]ov  caioöxöXa  nvoov  xoaxov  [2r]v[p]t- 

[axov  xaföaXov  dÖ\o\Xov  d[iC£,ov  xEx[o]öx[t\vevfisvov  fis- 
[toco  dr^io\6Cco  xaXxeoXoxcp  x<p  dvEvrjvay^sva  v7t[o 

[ ]  •  •  •  ,AX£[h,a]vdQsag  tiqcoxov  Uvqlccxov  uQxdß\ocg 

[%iXlcc\g  E7ixaxoö[Ca]g  dsxaoxxcz  qfiiöov  ^  cc  Uv  —q-  [äi^ir]  C] 

15  [dg  xal]  xaxa<jx[rj]Go  sig  'AXe^dvöosav  xal  7taoad[cböo 

[zJiovv6l\go  xai  0tXoX6yov  r\\  oig  uv  övyxdöoöi  do&fjyai  ccy- 

[xäg  .  .  .  .]v(?ujr[ ].  L(is[v]oy  diyua  xal  ov&ev  o*o[t  e[vxaXä 

JEq(i[ ]xixog  yeyoacpa  vtieq  avxov  diu  xo  [ii] 

[ßtdiv]ai  avxov  ygutnia^xa). 

20  (^'Exovg)  ß   TißsoCov  KaCöaoog 

E£ß[u]6x\o]v  Afrvg  a  . 

1.  10.  airoGTÖfoo  dürfte  die  dem  Schiffer  mitgegebene  Konsignation 
sein;  erg.  etwa  axolovd'cag  reo  [nagaSsdo^ivai   /xot  diä  <j]ov  aito6t6l(p. 
1.  11.  ■xcc]&ceXov  (erg.  von  Grenfell-Hunt):  1.  xcc&ccqov. 
1.  12.  1.  ictlY.t\\dx(Q't  (Grenfell-Hunt). 
1.  18.  [AvQ{rjXiog)\  'EQ[i[£ivog  (0.  ä.)  vav]zix6g? 

3.  Lond.  2  No.  301  p.  256. 

Nachtr.  von  Wilcken  (Nachtr.  zu  Lond.  3  p.  386). 

Binnenschiffsbefrachtung.  —  p.  C.  138 — 161.  —   Provenienz  unbekannt. 

Nach  6vvayoqa6xixov  (1.  2)  und  der  Kontrasignatur  1.  16 
dürfte  es  sich  um  einen  Staatstransport  handeln. 


TTjg  eh,  .  [ ]vcoi  eitl  xo\y] 

i^ißaXXo^ievov  övvuyoQuöxi- 
xov  tcvqov  öuvvco  xr\v 
AvxoxQuxogog  Kaiöaoog   Tixov 
5   AlXCov  Aöqcuvov  'Avxavlvov 
Eeßaöxov  Evösßovg  xvyrjV  dv- 

Zu  6vvctyoQa.6TiY.6g  vgl.  Zuluetta  de  patrociniis   vicorum   (in  Ox- 
ford stud.  in  social  and  legal  history  I  1909)  II  p.  71. 


Das  Receptum  nautarum  in  den  Papykusurkunden.      275 

Tifo'juipccö&ca  rijg  %Q£iag  xl6- 

xdg  xal  ixi[isXCbg  xal  -xäQav 

(pQovrCda  Jtottjöaöfrca  xov  na- 
10  Qccfistvcu  xoyg  e'nixXöovg  (u.£- 

XQo  xf}g  sv  %6Xei   £vyo6xa6iag 

xal  7tccQad(p[6G}]  xbv  yöpov 

öaov  xal  dxaxovQyrjxov 

xä  l[(i\ccv[rov\  XLVÖvva 
15    J]  Svox[o]g  si'riv  xa  oqxoj. 

'A[tco]XX  .  .  .  6e6rm(elaiiüi). 


4.  Lond.  3  No.  948  p.  220. 
Binnenschiftsbefrachtung.  —  Arsinoe.  —  p.  C.  236. 

'EvavXaöev    AvQijXtog   'HQaxXfjg   zJlo6x6qov    axb  'AvxaCov 

xöXscog  xvßeQV7]trig 
Idiov  TtXoiov  dyayfjg  ccQxaßäv  diaxoölav  %Evxr\xovxa  dßrjfioy 

AvQTqlCco  AqeCco 
'HQaxkeCdov  ßovXEvxfj  xf\g  Aqölvoe ixäv  %6Xeco g  TtQog  e^ißoXijv 

Xa%avo6:iEQiiov  aQta- 
ßüv  diaxoöCcov  XEvtrjXovra  ixl  x<p  siißecXeG&ccL  cbtö  oqixov 

äXöovg  {iijtQoxöleag 
5  ^SX9L  öquov  xov  '0£t>  QvyxsCrov  vavXov  xov  6v{up(ovrld,Evxog 

aoyvoiov  doax[[iojv] 
exaxbv  xa&aocbv  cbrö  %<xvxav  aqp'  av  evxev&ev  söx£v  doy- 

(vQiov)  dgccxpccg  x£66£Qaxovxa, 
rag  de  XoiTtug  dgaxpäg  £%r\xovxa  d%oXv\\ityExai  apa  xr\  jrapa- 

ÖÖÖSL,    CC7CEQ    CpOQxlcC    TtUQCt- 

dcoöec  öäa  xal   dxaxovoyy]xa   cbrö  vavxix\y]g]   xaxoy\jf\ylag 

Xa[ißäv[ovxog  avx\ov  itobg  ep- 
ßoXrjv  fifiegag  dvo  dnb  xrjg  xs  xal  b{ioCop[g]  7tQO<3ava[[isv]eiv 

avt[bv]  ev  tw  'OJ-VQvyxCtrj 
10  fjiiEQccg  xEööagag,  pEtf   leg  iäv  7taoaxaxa6x£d'Vi  Xtj^exccl  6 

xvßEQvrjxrjg  rjl^QrjöCog 

2.  ccßijiiov  vgl.  Lond.  2  p.  99  1.  2.  4.  Vgl.  Kenyon  ad.  h.  1. 

8.  Zu  vavTiY.i]  xuKovQyioc  s.  S.  271. 


276  Ludwig  Mitteis: 

[d]QU%iiäg    ösxaah,    iavxä)  xaQ£%6uevog   6   xvߣQvrjxrtg  xovg 

avtdoxsig  vavxag  xal 
t\(v  xov  tcXolov  7tdöt]v  ^ri^pftav,  Xrj{iip£xac  ds  b^iolag  V71EQ 

67tovörtg  iv  xa  ,0£>vovy)%d- 
xrj  oivov  xEgd^tov.  H  vavXcoxixri  xvoia.  (2te  Hand)  AvgrjXiog 

'HgaxXrjg  vevavXcoxa  xal 
[e]<5% cov  etcv  Xöyov  tag  öga^fiäg  x£G6agdxovxa  dbg  Ttoöyxuxai, 
15  ( 1 te  Hand).  ('Exovg)  y  Avxoxgdxooog  Kaiöagog  TaCov 'IovXCov 

OvriQov  Ma%i(iaCvov  Evö[eßovg]  Evxvyovg  Usßaexov 
xal  TaCov  'IovXCov  Ovrjgov  Matypov    xov  ugcoxdxov  Kql- 

öagog  Usßaöxov  vlov  xov  Zleßaöxov 
&aäcpL  xß. 

11.  vgl.  Rhod.  Seeges.  III  c  11:  vavxag  rovg  &Qxovvrug.  12.  i%i- 
%quav.  nach  K.  auch  inixogiav  möglich.  Seinem  Vorschlag  £tii%o- 
Q^jiy'yLuv  zu  lesen,  ziehe  ich  vor:  im^Eiglav  nach  Rhod.  Seeges.  III  cn; 
vgl.  Ashbdrner  a.  0.  p.  92.  'TtcIq  CTtovdfjg  ist  eine  Abgabe  (Otto,  Priester 
u.  Tempel  2,  334)  unbekannter  Natur. 

5.  P.  Amh.  138  a°.  p.  C.  326. 

xä  (ßxovg)   Tvßv  id'. 
2te  Hand  Avgr{Xi(p  rsQovxia  6xQ{axiqya)  A(     ) 
nagä  AvqyjXlov  ÜXovxCavog 
Uccgccxtavog  änb  xov  MepcpCtov 
5  xvߣo(vi]xov)  tcXoiov  xa\iiaxov  ayo(vxog)  (ccgxdßag)  £. 
'O^ioXoyä  6{ivvg  xov  x&v  xvgiojv 
y]{Lcbv  Avxoxgaxogcov  xs  xal  Kaiödgav 
xvyr[V  "xaguXr^ivai  xal  i[ißs- 
ßXfj6&ai  dtä  XiXßavov  xgaxCöxov 
10  [e]^a7ioGxö).ov  (?)  xfjg  xdt,tag  rfjg 
yiayiöxQoxrixog  VTteg  youav  ovo 
\x\avovog  xfjg  £vxv%ovg  xgi6xaib£xdxt\g 
\iv{ßixxlovogy\  av&gaxog  xa&agov  xevxrjvdgia 

9/10 :  G.H.  xgciTierov  i^aiioözöXov;  ich  denke  eher  an  (tovy  %qu- 
ticrov  it,  cmogtöXov,  sowohl  wegen  ccTtocxöXco  in  Lond.  2  p.  99  1.  10,  als 
weil  it,uno6xoXog  kein  Amt  ist.  —  Anders  M.  Gelzer,  Studien  zur  byz. 
Verwalt.  Ägyptens  56. 


Das  Recbptum  nautarum  ix  den  Papyruburkunden.     277 

[dia]x66ia,  I  xe(yTr}vccQtu)   £,  a  xal  d%oxo\iC6a 
15  [ £\lg  xi]v  j4Xei,(civdQ£iav)  xal  71ccquÖcö6o) 

[ Jörn?  ix  xXrjoovg 

[rw  i^iuvrov  xivÖv\ya.    "E6%ov  ö~h  xal  vicsq 

[ x\sX£V6d,Bvta  x£vrrjvdoia, 

[xal  irtsoariföslg']  copLokoyrfiu. 
20  ^Titurlag  twv  d sonor ü>~\v  ijuöv  Kavöravrivov  2Jsßaörov  r'o  £ 

\xal  Kavöravriov]  ro(y)  £7iupa<(v£6rdyrov  (Kafyöaoog  tö  d 

[Tvßi.  id.  (3tc  Hand)  A\vQy\Xiog  IJXovrC(o{v)  TcaoiXa- 

[ßov  rbv  avj-d'Qttxcc  xal  axoxoulöco  <bg 

[xQÖxeircci.     Av\q{riXiog)  NslXog  iyoatya  imso  av- 
25   [rov  äyoanii]drov. 

16  1.  etwa  [reo  insios  i,vyo6x\dxrj  nach  No.  3  1.  II?  17  erg.  M. 

6.  P.  Oxy.  No.  144  a°p.  C.  580. 

Dieser  aus  der  Zeit  nach  Justinian  stammende  Frachtkontrakt 
ist  dadurch  charakterisiert,  daß  er  die  jetzt  überflüssig  ge- 
wordene Klausel  6äa  xal  dxaxovQyiqra  oder  ra  i^iä  xivövva 
wegläßt.    Dafür  wird  die  Wendung  dl%a  &£ov  ßuag  gebraucht 


[16  Buchstaben]ov^rpatil[i6  Buchstaben 

[16  Buchstabenjy  voraoi\ov   ^Buchstaben 

rf\g  'HoaxXeovg.     'Tjtsds^d^irjv  zvaoä  rfjg  vfiereoag 

vneQ(pviag  öuä  'Iadvvov  rov  £vdoxL{iardrov  rjfiüv 

rQwxet,Crov  vtcsq  TtQOöööoov  zoCrijg  xaraßoXi\g 

roLöxuidexdrrjg  inLV£firj[6£C3g)  iqvöov  iv  ößov^a  %aody\iari 

vou.L6u.ara  yjslXia  r£roaxo6ia  r£66aodxovra,  xal 

iv  ditoXvrci  Alyvxria  ^agayiian  t,v7<p  AX£%(avÖQ£iag)  vouiöyiara 

STCraxööia  nxoöi,  xal  vn,£Q  dßov^rjg  xal   dnoxaraörarixtöv  avrüv 

vouCöpara  r£66aodxovra  %ivr£,    yi'(v£rai)    %q(vöov)   vo(}iCö^ara)  ßö£ 

xal  ravra 

iroCficog  £%co  xarayayüv  iv  AX^avdoEia  di%a  &£ov  ßCag 
xal  räv  xarä  Ttoraubv  xtvÖvvav  xal  £7irio£i(öv,  xal  xaraßaXnv 
inl  'Icodvwiv  xal  Zjvpsfbviov  rovg  Xaurcoordrovg  dayvoonodrag, 

4.  1.  vyLÖtv. 


278  Ludwig  Mitteis:  Das  Receptum  nautarum  in  d.  Papyrusurk. 

15  v.a\  evsyaEtv  yga^axa  xov  la\MQOxäxov  <x7to%Qi6uiQCov  ©fotfwpov 
ag  xb  sIqthisvov  %qv6iov  dg  7tlr\QEg  xaxeßXrjfrrj.     Kai 
nQog  v^iexegav  äöcpäleiav  ijxoi  xov  avxov  svdox(i^coxdxov)  xqwxbICxo' 
7i£7iolriiica  rt}v  TtaQOVöuv  7tUQccd"r]xaQiav  ygayslöav  %siol  ififj 
fiTivl  H&vq  xg  ivd(ixxlovog)  id.     +  BaöUstag  xov  ftstoxdxov  xul 

20  evösßsöxdxov  rjfiav  dsöTtöxov   ®l(aviov)   Tcß^oiov  KcovöxavxCvov 
xov  aiavtov  AvyovGxov  xal  Avxoxo{dxooog)  hovg  exxov,  ^sxä  xr\v 
vTiaxiav  xrjg  avxov  dsönoxsiag  xb  dsvxeoov.  + 


Druckfertig  erklärt  12.  VIII.  1910. 


279 


Herr  Richard  Heinze  legte  die  in  der 

SITZUNG  VOM  i.  MAI  1909 

angekündigte  Arbeit  über  Tertullians  Apologeticum  am  1 3.  Oktober 
1910  druckfertig  vor. 


Phü.-hist.  Klasse  1910.     Bd.  LXII.  23 


28l 


Tertullians  Apologeticuui. 

Von 
Richard  Heinze. 

Tertullian  hat  als  Apologet  des  Christentums  unter  den 
Lateinern,  soviel  wir  wissen,  keinen  Vorgänger  gehabt;  als 
erster  gab  erder  lateinisch  redenden  Menschheit  das,  was  die  grie- 
chische Reichshälfte  seit  langem  besaß.  Es  verstand  sich  von 
selbst,  daß  er  an  seine  griechischen  Vorgänger  anknüpfte. 

Die  Auseinandersetzung  mit  dem  Heidentum    hatte  sich 

dort  wesentlich  in  zwei  Formen  vollzogen:    die  eine  war  die 

der  Flugschrift    an    die    Hellenen,    des  loyog  ngog  "Ellr\vv.g\ 

solche  gab  es,  nach  jüdischem  Vorgange,  von  Justin,  Tatian, 

Miltiades,  Apollinaris,  Irenaeus,   gewiß  noch  von  vielen  uns 

nicht  bekannten;   Clemens    schließt  mit  seinem  xqotqextikos 

XQog  "EÄA.rjvag  diese  Reihe  vorläufig  ab.    In  diesem  Protrepti- 

cus  des  Clemens  dominiert  das  Bestreben,  die  Heiden  für  das 

Christentum  zu  gewinnen;  in   einem   anderen  uns  erhaltenen 

Exemplar  der  Gattung,   der  Rede    des  Tatian,    das  Bestreben 

den  Stolz  der  Griechen  gegenüber  den  'Barbaren'  zu  brechen; 

zwischen   diesen   beiden   Extremen   werden  sich    die    übrigen 

bewegt  haben;  in  keinem  wird  die  Polemik  gegen  heidnischen 

Glauben,  Wissenschaft  und  Sitte,  in  keinem  auch  die  positive 

Seite  der  Lobpreisung  oder  Rechtfertigung   des  Christentums 

ganz  gefehlt  haben;  als  leitender  Gedanke  steht  ein  Vergleich 

zwischen  Christentum  und  Heidentum,  soweit  wir  sehen  können, 

überall  im  Mittelpunkte;  dagegen  tritt  die  politisch-juristische 

Rechtfertigung  ganz   zurück,  und  von   den  Verfolgungen  ist 

kaum    die  Rede.    Der    andere  Typus    ist    der    der    Apologie, 

die  sich  an  den  regierenden  Kaiser, wendet:  bald  als  Eingabe 

23* 


282  Eichard  Heinze: 

oder  Bittschrift  stilisiert,  wie  von  Melito1)  und  Justin2),  bald 
als  eine  vor  dem  Kaiser  gehaltene  Rede,  wie  von  Athena- 
goras.3)     Hier  ist  der  Ausgangspunkt,   wie  bei  jeder  Vertei- 

1)  Als  ßtßXLdiov  bezeichnet  von  Euseb.  h.  e.  IV  26;  das  ebd.  zi- 
tierte Stück  bestätigt  das. 

2)  Apol.  II  14  Kai  v(iäg  ovv  a^iov^isv  intoyQccipavxcig  xb  v\ilv  do- 
■aovv  TiQo&Eivcu  xovxl  xb  ßißXLSiov  (=  libellus  im  Sinne  von  'Eingabe'), 
oncog  xul  xolg  aXXoig  xa  rnihxsQcc  yvaö&fj,  vgl.  v.  15  in.  iccv  Sh  vfisig 
xovxo  itgoyQttiprixe  kxX.  Das  besagt  nicht,  wie  z.  B.  Bardenhewer 
(Gesch.  d.  altkirchl.  Lit.  I  1902,  p.  207)  angibt,  cdie  Kaiser  möchten 
im  Interesse  der  Wahrheit  die  Schrift  des  Verfassers  veröffentlichen 
lassen' :  sondern  der  Kaiser  soll  auf  die  Bittschrift  einen  günstigen 
Bescheid  geben  (vnoyQccipcci  subscribere,  vgl.  Ap.  I  29,  2  ;i7j$'  oXcog 
ßovXr]&£vxog  $riXwog  vnoyQccipat.,  gleichfalls  ein  ßißXLdiov),  worauf  dann 
die  Bittschrift  mit  diesem  Bescheid  dem  Absender  nicht  wieder  zugestellt, 
sondern  zur  öffentlichen  Kenntnisnahme  und  allgemeinen  Nachachtung 
ausgehängt  wird  (nQoxi&sxai  proponitur) :  dann  können  Abschriften  da- 
von genommen  werden,  und  Justin  beabsichtigt  angeblich  durch  solche 
das  Ganze  weiteren  Kreisen  zur  Kenntnis  zu  bringen.  Das  Verfahren 
hat  Mommsen  in  seinem  Aufsatz  über  Gordians  Dekret  von  Skaptoparene 
(Jur.  Sehr.  II  182)  aufgeklärt  und  damit  die  Unterschriftsformel  proposita 
in  den  erhaltenen  kaiserlichen  Erlassen  verständlich  gemacht  —  das 
Reskript  erhält  durch  die  Promulgation  Rechtskraft  — ;  der  Justinstelle 
hat  er  dabei  nicht  gedacht.  Übrigens  beseitigt  diese  auch  jeden  etwa 
noch  vorhandenen  Zweifel  an  der  Unselbständigkeit  der  sog.  zweiten 
Apologie:  denn  diese  enthält  gar  keine  a^icoßig,  auf  die  die  Kaiser 
hätten  reskribieren  können,  während  sie  I  3,  1  und  7,  4  (cc^iovfisv)  deut- 
lich ausgesprochen  ist. 

3)  Wie  Justin  von  seinen  yga^i^axa  (I  2 ,  3) ,  so  spricht 
Ath.  regelmäßig  von  seinem  Xoyog  (c.  2  ex.  u.  a.) ,  bezeichnet 
die  Kaiser  als  av.Qoaxai  (ebd.)  und  bittet  am  Schluß:  xr\v  ßa6iXiy.i]v 
x£gpaÄT}i>  irtLvsv6<xx£.  In  welcher  Eigenschaft  oder  bei  welcher  Gelegen- 
heit Ath.  die  Rede,  die  selbstverständlich  nie  gehalten  worden  ist,  ge- 
halten zu  haben  fingiert,  ist  nicht  ersichtlich:  tiT]vv6cci  to;  xccQ''  savxovg 
izoX^aa^Bv  c.  1  ist  alles  was  darüber  gesagt  wird.  Der  Titel  7tgs6ßeia 
in  der  Überschrift  führt  nicht  weiter,  selbst  angenommen,  daß  er  echt 
ist;  Tcgseßsvsiv  xi  ist  mindestens  seit  dem  3.  Jahrh.  gleichbedeutend 
mit  iir\vvacd  xt,  ksqI  xivog  heißt  'eintreten  für  etwas'  (z.  B.  nüg  av 
rj(isig  ol  ...  .  itsgl  SiKcaoßvvrjg  TtQseßsvovtsg  rjSfu^ß ajisv  Orig.  c. 
Cels.  II  8  p.  134,  2  K.,  vgl.  Koetschaus  Index  s.  v.),  auch  (neben  vtvbq 
xLvog)  ffür  etwas  bittend  eintreten,  beten',  z.  B.  xovg  Isgovg  ardgag  xovg 
Tttgi  xf\g  £iQrjvr]g  ccvxov  .  .  .  TtQBßßtvovxag  Ttobg  xbv  &sov  Dionys.  Alex. 


Teiitullians  Apologeticum.  283 

digung,  der  Angriff,  den  die  Verteidigung  abwehren  soll,  also 
die  Anklagen,  die  gegen  die  Christen  erhoben  werden  und 
ihre  Verurteilung  zur  Folge  haben;  begreiflicherweise  führt 
diese  Verteidigung  leicht  dazu,  die  Vorwürfe  des  Angreifenden 
auf  diesen  zurückzulenken,  und  es  fehlt  denn  auch  in  keiner 
uns  erhaltenen  Apologie  das  polemische  Element.1)  Tertullian 
mag  geschwankt  haben,  welcher  der  beiden  Formen  er  sich 
bedienen  sollte:  entschieden  hat  er  sich,  beide  gesondert  zu 
verwenden,  weil  ihm  einerseits  das  polemische  Material  unter 
der  Hand  so  angewachsen  war,  daß  es  die  Form  der  Ver- 
teidigung völlig  gesprengt  hätte,  andererseits  es  den  rheto- 
risch Gebildeten  und  wohl  auch  advokatorisch  Erfahrenen 
reizte,  die  gegen  Christentum  und  Christen  erhobenen  An- 
klagen einzeln  nach  allen  Regeln  der  Kunst  zu  widerlegen. 
Die  Anlehnung  an  die  beiden  klassischen  Formen  der  Grie- 
chen wird  dadurch  nicht  aufgehoben,  daß  bei  Tert.  die  Adressen 
in   beiden  Fällen   etwas    abgeändert    sind:    er    schrieb    zuerst 

bei  Euseb.  h.  e.  VII  1  (vgl.  Schwartz'  Index);  also  7iQ86ßtic(  wohl  =  Für- 
sprache, Verteidigung  (und  so  faßt  es,  wie  er  mir  mitteilt,  auch  Schwaktz), 
wenngleich  diese  Verwendung  des  Wortes  für  das  2.  Jahrh.  bedenklich 
ist;  über  Art  und  Gelegenheit  der  Fürsprache  sagt  es  nichts  aus.  Da  aber 
die  Schrift  jedenfalls  als  eine  vor  den  Kaisern  gehaltene  Rede  stilisiert 
ist,  kann  ihr  Athenagorae  selbst  unmöglich  eine  epistolare  Widmung, 
vergleichbar  einem  Ko^öSa  Kaiaagt  '[ovXiog  IIoXv6sviir)g  %uiQ£iv  vor- 
gesetzt haben;  ich  lasse  es  dahingestellt,  wie  die  Dative  der  überlieferten 
Inscriptio  zu  erklären  sind. 

1)  Die  sog.  Apologie  des  Aristides  gehört,  obwohl  sie  sich  an 
den  Kaiser  richtet,  viel  eher  zur  ersten  Klasse;  der  Nachweis  der  Irr- 
tümer, in  denen  Heiden  und  Juden  befangen  sind,  wird  ausführlicher 
gegeben  als  die  Darlegung  der  Wahrheiten  des  Christentums,  und  von 
Angriffen  auf  dieses  seitens  der  Andersgläubigen  ist  nur  ganz  neben- 
her die  Rede  (17,  2);  der  Schlußsatz  ist  nicht  apologetisch,  sondern 
protreptisch.  In  der  Tat  ist  der  Name  'Apologie'  auch  schwerlich 
ursprünglich:  die  Überschriften  der  armenischen  und  der  syrischen 
Fassung  führen  vielmehr  darauf,  daß  anstelle  eines  Titels  nur  die 
epistolare  Widmung  des  Verfassers  an  den  Kaiser  stand;  erst  später, 
als  die  Literatur  der  Apologien  aufblüte,  wurde,  wie  die  erste  Hälfte 
der  Überschrift  und  die  subscriptio  des  Syrers  sowie  Eusebs  Anführung 
zeigen,  auch  dieses  Sendschreiben  darunter  eingereiht. 


284  Richard  Heinze: 

seine  Bücher  ad  nationes,  d.  i.  an  die  s&vr]  Heiden1),  aber  schon 
hinblickend  auf  das  zweite,  nicht  nur  im  allgemeinen  geplante, 
sondern  in  Gedanken  schon  weitgeführte  Werk,  das  er  un- 
mittelbar folgen  ließ,  sein  Apologeticum.2)  Ad  nationes,  selbst- 
verständlich nicht  ad  Graecos,  aber  auch  nicht  ad  Bomanos, 
schon  weil  er  die  Griechen  nicht  ausschließen  wollte,  aber 
wohl  auch,  weil  jener  Titel  den  Argwohn  hätte  erwecken 
können,  als  rechne  er  die  lateinischen  Christen  nicht  zu  den 
Bomani,  was  er  doch  (im  Apologeticum)  aufs  lebhafteste  be- 
streitet. Und  die  Apologie  ist  gerichtet  nicht  an  den  Kaiser, 
sondern  an  die  Statthalter  der  Provinzen:  aus  Gründen,  die 
wir  noch  besprechen  werden.  Waren  nun  schon  bei  den 
griechischen  Vorbildern,  wie   wir   sahen,  jene   beiden  Typen 

1)  In  diesem  Sinne  braucht  Tert.  das  Wort  auch  sonst,  z.  B. 
oft  in  der  Schrift  de  fuga:  quaerimur  a  nationibus  et  t internus  ne  tur- 
bentur  nationes  3 ;  sonst  sagt  er  meist  ethnici  oder  gentiles,  aber  in  der 
Streitschrift  faßt  er  wirklich  die  Völker  gelegentlich  als  Individuen  ins 
Auge,  z.  B.  I  17  cum  ex  vobis  nationibus  cottidie  Caesares  et  Parthici 
et  Medici  et  Germanici  fiant. 

2)  Diese  Reihenfolge  hat  gegen  Ebert  (Gesch.  d.  christl.-lat. 
Lit.  I2  41  fg.)  namentlich  Hauck  (Tertullians  Leben  u.  Sehr.  Erl.  1877 
p.  57,  2),  dann  Haktel  (Patrist.  Stud.  II  in:  Sitzungsber.  d.  Wiener 
Ak.  CXXI  1890  p.  14  fg.)  verfochten;  eine  Verstärkung  ihrer  Beweise 
wird  nicht  unnütz  sein,  zumal  da  die  Frage  großes  methodisches  In- 
teresse besitzt:  es  zeigt  sich,  wie  sogar  ein  Schriftsteller,  der  sein 
eignes  früheres  Werk  benutzt,  unwillkommene  Spuren  der  Entlehnung 
nicht  verwischen  kann.  Für  die  Feststellung  des  Verhältnisses  zu 
Minucius  ist  es,  wie  wir  sehen  werden,  gleichfalls  wichtig  zu  wissen, 
daß  wir  die  originale  Fassung  von  Tert.s  Gedanken  in  Nat.,  nicht  im 
Apol.  zu  suchen  haben.  —  Ich  zitiere  das  Apol.  nach  der  sehr  dan- 
kenswerten Sonderausgabe  von  G.  Rauschen  (Florileg.  Patrist.  fasc.  VI, 
Bonn  1906),  der  den  Lesarten  des  Fuldensis  öfter  als  die  früheren 
Herausgeber,  wenn  auch  noch  immer  nicht  oft  genug,  zu  ihrem  Rechte 
verhilft.  Rauschen  hat  auch  im  Kommentar  manche  Schwierigkeit  gut 
erklärt;  für  das  Sachliche  bieten  die  älteren  Kommentare,  insbesondere 
Havercamp  und  Oehxer  einiges  Material,  Oehler  beobachtet  auch  man- 
ches Sprachliche;  für  die  Erkenntnis  von  Imitation  und  Invention, 
Komposition,  rhetorischer  Technik,  Gedankenführung  ist  noch  so  gut 
wie  nichts  geschehen.  —  Bei  ad  nationes  zitiere  ich  gelegentlich  die 
Seiten  der  Ausgabe  von  Reifferscheid-Wissowa. 


Tertullians  Apologeticum.  285 

nicht  scharf  voneinander  geschieden,  so  mußten  sie  sich  noch 
näherrücken,    wenn   ein   Schriftsteller  beide  fast  gleichzeitig 
ausführte:  Tert.  hat  so  wenig  darauf  Bedacht  genommen,  sie 
entschieden  gegen  einander  zu  kontrastieren,  daß  er  nicht  nur 
das  Material,  sondern  auch  die  sprachliche  Form,  die  er  diesem 
in  ad  nationes  gegeben,  im  Apologeticum  guten  Teils  wieder 
verwandte.     So  hat  die  Streitschrift  viel  von  apologetischem, 
die  Apologie  viel  von  polemischem  Charakter  angenommen;  ja 
bei  Nat.  weist  der  erste  Teil  des  ersten  Buches  den  rein  de- 
fensorischen,  und  nur  das  zweite  Buch  den  rein  polemischen 
Typus   auf,  während  gerade  hier  der  Verf.  im  Eingang  sein 
Werk  als  defensio  bezeichnet.     Es   erscheint   gelegentlich  als 
reine  Willkür,    wenn   Tert.    eine   Ausführung    von  Nat.    aus- 
schließt,  sie  für   das  Apol.  reserviert;    am  wenigsten  ist  die 
Verteilung  des   Stoffes   mit  Rücksicht   auf  die  verschiedenen 
Adressaten,    die    'Völker'    hier,    die   praesides    dort,    erfolgt: 
richten  sich  doch  erhebliche  Stücke  von  Nat.  I  ausdrücklich 
eben  an  die  praesides.1)     Aber  all  dieser  nahen  Berührungen 
ungeachtet  bleibt  doch  der  Unterschied  bestehen,  daß  in  Nat. 
der  Angriff  auf  Sitte  und  Glauben  der  Heiden,  im  Apol.  die 
Verteidigung  von   Glauben   und   Sitte  der   Christen   das   vor- 
nehmste Ziel  ist. 

Für  die   Verteidigung  nun   hat  Tert.,   und   u.  W.  er  zu- 
erst, nicht  die  herkömmliche  Form  der  Eingabe  an  den  Kaiser, 

1)  Moxceaux  (Hist.  literaire  de  l'Afrique  ehret.  I  217  fg.)  stellt  die 
Verschiedenheit  der  Adressaten  in  den  Vordergrund:  hier  die  Masse 
der  Heiden  oder  doch  die  Masse  der  Halbgebildeten,  Vorurteils  voll  und 
gehässig,  dort  die  aufgeklärten,  nur  für  die  rechtliche  Seite  der  Frage 
interessierten  praesides.  Dabei  übersieht  er,  daß  die  philosophischen 
Erörterungen,  für  die,  wie  er  selbst  richtig  sagt,  die  Masse  kein  Ver- 
ständnis hat,  gerade  im  2.  Buche  ad  nat.  eine  viel  größere  Rolle  spielen 
als  in  den  entsprechenden  Partien  des  Apol.,  und  daß  andererseits  im 
Apol.  die  juristische  Form  der  Erörterung  sehr  oft  bloße  Form  bleibt, 
den  Inhalt  nicht  bestimmt.  Ebensowenig  kann  ich  Monceaux  bei- 
stimmen, wenn  er  in  dem  Fortschreiten  von  Nat.  zu  Apol.  eine  merk- 
würdige Entwicklung  ausgedrückt  sieht,  die  sich  in  Tert.s  Geist  voll- 
zogen habe:  die  Konzeption  der  beiden  Werke  ist  ja  offenbar  gleich- 
zeitig erfolgt. 


286  Richard  Heinze: 

sondern  die  der  Gerichtsrede  gewählt:   das  ist  die  klassische 
Form  der  Verteidigung,   in   der  Tert.  alle   Mittel  advokatori- 
scher  und  rhetorischer  Kunst  spielen  lassen  konnte,  viel  un- 
gehinderter als  in  einem  libellus,  der  den  Verf.,  wenn  er  nicht 
stillos  werden  wollte,  an  eine  streng  sachliche  Behandlung  der 
Fragen  band.     Um  freieren  Spielraum  zu  gewinnen,  hatte  ja 
auch  Athenagoras  die  Form  der  Rede  gewählt:  aber  er  hatte 
nur  den  kaiserlichen  Hörer  an  Stelle  des  kaiserlichen  Lesers 
gesetzt  und   die   von   der  höfischen  Etikette  für  solche  Fälle 
vorgeschriebenen    Formen    beibehalten    zu    müssen    geglaubt: 
daran  mochte  der  nichts  weniger  als  höfisch  gesonnene  Tert. 
von    vornherein    nicht    denken.     Die  Form    der    Gerichtsrede 
nun  ließ  sich  doch  nicht   ohne  weiteres  verwenden,   denn  in 
Wahrheit  gab  es  ja  im  Christenprozeß  keine  Verteidigung  vor 
dem  Tribunal  des  Richters.     Somit  war  eine  Einleitung  nötig, 
in  der  die  geschriebene  Rede  dadurch  motiviert  wird,  daß  die 
Möglichkeit,  eine  solche  Rede  mündlich  zu  Gehör  des  Richters 
zu  bringen,  nicht  vorhanden  ist.     Die  gegebenen  Adressaten 
waren  die  Leiter   der  provinzialen  Strafgerichte,  die  praesides 
provinciarum:  vor  dem  proconsul  Africae  eben  hätte  ja  Tert., 
wenn  es   gestattet  gewesen  wäre,  seine  Verteidigungsrede  in 
dem    vielleicht    gerade    damals    noch    schwebenden    Christen- 
prozeß,  der   das   Schriftchen  ad  martyras  veranlaßt  hat,   ge- 
halten.     Wenn   er   sich   nicht   an  jenen   speziell,   sondern   an 
die  praesides  insgemein   wendet,   so    besagt   dies,   daß   er  die 
Verbreitung    seiner     Schrift    nicht    auf    seine    Heimat    be- 
schränkt wissen  will:   in   der  Tat  ist  sie  ja  nicht  einmal  auf 
die  lateinische  Reichshälfte  beschränkt  geblieben,  sondern  in 
Übersetzung  auch  der  griechischen  Welt  zugänglich  gemacht 
worden.  ^ 

So  also  erklärt  sich  die  Adresse  aus  der  von  Tert.  ge- 
wählten literarischen  Form;  es  ist  nicht  daran  zu  denken, 
daß  er  seine  Schrift  wirklich  ausschließlich  oder  auch  nur  in 
erster  Linie  für  die  Statthalter  des  Imperium  Romanum  be- 
stimmt hätte.  Von  einer  ernsthaft  gemeinten  Widmung  kann 
ja   ohnehin   keine  Rede   sein;   wer   wird   sich   vorstellen,    daß 


Tektullians  Apologeticum.  287 

Tert.  an  die  Statthalter  der  verschiedenen  Provinzen  je  ein 
Exemplar  seines  Werkes  zur  persönlichen  Belehrung  geschickt 
habe?  Aber  auch  der  Gedanke  ist  fernzuhalten,  daß  Tert. 
seine  Schrift  zwar  für  die  Öffentlichkeit  bestimmt,  aber  daneben 
darauf  gerechnet  hätte,  daß  sie  die  Aufmerksamkeit  der  Be- 
hörden erwecken  und  auf  die  leitenden  Männer,  in  erster  Linie 
also  die  Statthalter,  dahin  wirken  könnte,  daß  sie  das  Kriminal- 
verfahren gegen  die  Christen  einstellten  oder  doch  modifi- 
zierten. Wie  Tert.  schrieb,  wenn  er  einen  solchen  Zweck  im 
Auge  hatte,  lehrt  uns  ja  die  Schrift  ad  Scapulam  aus  dem 
Jahre  212.  Da  werden  zwar  auch,  in  knappster  Form,  die 
Vorwürfe  wegen  Verweigerung  des  Götter-  und  Kaiserkults 
zurückgewiesen  (c.  2)  —  von  den  übrigen  im  Apolog.  ein- 
gehend bekämpften  crimina  ist  nicht  die  Rede  — ,  und  ein 
Satz  (in  c.  4)  streift  die  ungewöhnliche  Form  der  Christen- 
prozesse: das  Hauptgewicht  aber  liegt  auf  den  Argumenten 
ad  hominem:  dem  Hinweis  auf  frühere  Statthalter,  die  eine 
christenfreundliche  Haltung  mit  ihren  Pflichten  für  vereinbar 
hielten,  oder  auf  den  schlimmen  Ausgang,  den  christenfeind- 
liche gefunden  haben;  der  Erinnerung  an  christenfreundliche 
Haltung  einzelner  Kaiser;  der  Drohung  mit  den  Folgen,  die 
eine  Ausbreitung  der  Verfolgung  haben  würde.  Das  sind  in 
der  Tat  Argumente,  die,  wenn  überhaupt  etwas,  auf  einen 
Scapula  und  seines  gleichen  Eindruck  machen  konnten:  im 
Apolog.  dagegen  findet  man  auf  Schritt  und  Tritt  Argumente 
oder  längere  Ausführungen,  die  wohl  dazu  dienen  konnten, 
die  öffentliche  Meinung  umzustimmen  —  und  dies  ist  offen- 
bar Tert.s  vornehmstes  Ziel  — ,  die  aber  den  an  Gesetze  und 
Verordnungen  gebundenen  Richter  keinen  Augenblick  in  seiner 
bisherigen  Praxis  wankend  machen  konnten.  Zudem:  in  ad 
Scapulam  ist  die  Sprache  gewiß  auch  herb  und  selbstbewußt, 
und  Tert.  will,  im  Namen  der  Seinen,  von  Furcht  vor  dem 
Tode  nichts  wissen:  aber  wie  anders  klingt  der  Hohn  gegen- 
über den  praesides,  die  sich  'fürchten',  die  Sache  der  Christen 
öffentlich  zu  prüfen,  im  Beginn  des  Apolog.,  und  der  trium- 
phierende  Trotz   gegenüber  den  boni  praesides   am   Schlüsse! 


288  Richard  Heinze: 

So  spricht  man  nicht  zu  Leuten,  die  man  zu  bereden,  zu  ge- 
winnen wünscht. 

In  der  Durchführung  läßt  das  Werk  an  die  Heiden  Ein- 
heitlichkeit und  Abrundung  vermissen1);  sehr  viel  planmäßiger 
und  sorgfältiger  ist  das  Apol.  komponiert  und  durchgeführt. 
Man  hat  dies  Werk  das  bedeutendste  Werk  Tertullians  ge- 
nannt2): vom  literarischen  Gesichtspunkte  aus  gewiß  mit  Recht; 
und  ebenso  gewiß  ist;  daß  es,  als  literarische  Leistung  ange- 
sehen, den  Gipfel  der  altchristlichen  Apologetik  bezeichnet. 
Der  Historiker  der  römischen  Literatur  hat  allen  Grund,  da- 
bei zu  verweilen:  nicht  nur,  weil  hier  seit  Tacitus  zum  ersten- 
male  wieder  ein  machtvolles  Ingenium  die  lateinische  Sprache 
handhabt,  dessen  Gedankengängen  nachzuspüren  eine  an  sich 
lohnende  Arbeit  ist;  sondern  von  hohem  Wert  ist  es  für  den 
Historiker  zu  sehen,  wie  hier  an  der  Schwelle  der  christlichen 
Literatur  des  Abendlandes  der  Vorgang  sich  wiederholt,  der 
uns  aus  alten  und  ältesten  Zeiten  römischer  Literatur  so  wohl 
vertraut  ist:  die  Übernahme  und  Umprägimg  griechischen  Ge- 
dankenguts in  römische  Form.  Denn  das  liegt  ja  auf  der  Hand 
und  ist  niemals  verkannt  worden,  daß  die  apologetischen  und 
polemischen  Motive,  mit  denen  Tert.  arbeitet,  zum  großen  Teile 
seinen  griechischen  Vorgängern  entlehnt  sind.  Es  verschlägt 
dabei  wenig,  ob  wir  seine  unmittelbare  Quelle  nennen  können; 
so  sehr  es  wahrscheinlich  ist,  daß  er  von  den  uns  erhaltenen 
Apologeten  wenigstens  Justin,  Tatian  und  Theophilus  ge- 
kannt und  benutzt  hat,  so  wenig  kommt  im  Grunde  für  die 
Beurteilung  seiner  Arbeitsweise  darauf  an,  ob  er  seine  Mo- 
tive ihnen  oder  ihresgleichen,  die  wir  nicht  mehr  haben,  ver- 

i)  Eine  Disposition  ist  überhaupt  nicht  gegeben;  das  zweite  Buch 
bildet  eine  Abhandlung  für  sich,  ohne  daß  im  Verlauf  oder  am  Schluß 
des  ersten  irgend  etwas  auf  diese  Fortsetzung'  hinwiese.  Das  erste 
Buch  geht  so  stracks  in  medias  res,  daß  man  auf  die  Vermutung  kom- 
men könnte,  der  ursprüngliche  Eingang  sei  verloren:  aber  ebenso  bricht 
das  zweite  Buch  ohne  rechten  Schluß  ab,  während  das  erste  Buch  eine 
ausgeführte  peroratio,  das  zweite  ein  ebenso  ausgeführtes  prooemium 
aufweist. 

2)  A.  Hauck  a.  a.  0.  p.  73. 


Tertullians  Apologeticum.  289 

dankt:  auch  in  der  griechischen  apologetischen  Literatur  mußte 
sich  selbstverständlich  ein  fester  Stamm  von  Argumenten, 
Tatsachen  und  Formen  dauernd  von  einem  zum  andern  ver- 
erben. Aber  Tert.  ist  sehr  viel  mehr  als  bloß  Erbe:  dies  gerade 
ist  von  höchstem  Reiz,  zu  beobachten,  wie  das  alte  Gut  in 
seiner  energischen  Hand  neue  Gestalt  gewinnt1),  wie  der 
Hauch  römischer  Gerichtsrede  alle  Glieder  der  unoloyla  durch- 
weht, strafft  und  kräftigt. 

Ein  bis  zum  Überdruß  verhandeltes  Problem  kann  hier- 
bei nicht  umgangen  werden:  das  Verhältnis  des  Apol.  zum 
Octavius  des  Minucius  Felix.2)  Es  ist  selbstverständlich  für 
die  Beurteilung  Tert.s  von  größter  Wichtigkeit,  zu  wissen,  ob 
er  den  Griechen  auf  eigenen  Füßen  gegenübersteht,  oder  ob 
er  auf  römischem  Boden  bereits  einen  Vorgänger  hatte,  der 
einen  guten,  vielleicht  den  besten  Teil  der  Arbeit  schon  ge- 
leistet hatte,  deren  Früchte  er  sich  einfach  aneignen  konnte. 
Ich  bin,  wie  ich  eingangs  sagte,  von  der  Priorität  Test,  s 
überzeugt;  aber  ich  habe  mich  dafür  nicht  einfach  auf  die 
Gründe    berufen    mögen,   die    zuletzt   Haknack3)    formuliert, 


1)  Erleichtert  ist  dies  jetzt  in  hohem  Maße  durch  Geffckens 
grundlegendes  Buch  Zwei  griechische  Apologeten  (Lpz.  1907),  in  dem 
das  Material  in  Fülle  vorgelegt  und  der  richtige  Gesichtspunkt  für  die 
Behandlung  der  Gattung  verfolgt  ist.  Geffcken  hat  denn  auch  die 
Forderung  nach  einem  Kommentar  zum  Apol.  aufgestellt  (p.  285);  dem 
will  meine  Abhandlung  vorarbeiten. 

2)  Eine  sehr  nützliche,  z.  T.  auch  referierende  Bibliographie  des 
Minucius  hat  J.  P.  Waltzing  im  Musee  Beige  VI  1902,  p.  216  ff. 
(wieder  abgedruckt  in  seiner  Ausgabe  in  usum  scholarum,  Louvain  1903) 
gegeben  und  in  seinen  Studia  Minuciana  (Louvain-Paris  1906)  bis  zum 
Jahre  1905,  in  den  Anmerkungen  zur  Einleitung  seiner  (im  Texte  für 
Schulzwecke  beschnittenen)  Edition  classique  (Societe  St. -Augustin 
1909)  bis  zum  Jahre  1909  fortgeführt.  Ich  verweise  darauf  und  be- 
merke nur,  daß  Waltzing  sowie  Geffcken  p.  278  ff.  und  Krüger,  Gott. 
Gel.  Anz.  1905  p.  36  ff.  auch  Harnacks  unten  zitierten  Ausführungen 
gegenüber  an  der  Priorität  des  Minucius  festhalten,  während  Ramorino 
(s.  u.)  und  Kroll  Rh.  Mus.  60  (1905)  p.  307  ff.  für  die  des  Tert.  ein- 
getreten sind. 

3)  Chronol.  der  altchristl.  Lit.  II  (1904)  324  ff. 


290  Eichard  Heinze: 

vermehrt  und  verstärkt  hat,  um  aus  dem  Octavius  selbst 
nachzuweisen,  daß  seine  Abfassung  vor  197  undenkbar  sei. 
Von  der  Vergleichung  der  beiden  fraglichen  Schriften  im 
einzelnen  meint  Harnack  nach  dem  Erfolge  der  bisherigen 
Bemühungen  kein  sicheres  Resultat  erwarten  zu  können;  aber 
undenkbar  scheint  es  und  mit  den  sonst  gültig  befundenen 
Gesetzen  des  geistigen  Schaffens  und  Imitierens  unvereinbar, 
daß  die  Fülle  von  Parallelstellen,  die  zur  Verfügung  steht, 
kein  genügendes  Material  zur  Entscheidung  der  Prioritäts- 
frage bieten  sollte:  und  zur  vollen  Evidenz  wird  diese  sich 
doch,  meine  ich,  erst  bringen  lassen,  wenn  die  Texte  selbst 
den  einen  oder  den  anderen  Autor  als  Nachahmer  erkennen 
lassen.  Der  bisherige  Mißerfolg  der  Bemühungen,  den  ich 
Harnack  nicht  bestreite,  stammt  aber  lediglich  daher,  daß 
man  sich  darauf  beschränkt  hat,  einzelne  Wendungen  oder 
Sätze,  ohne  des  Zusammenhanges  zu  achten,  nebeneinander 
zu  halten.1)  Da  geht  es  denn  freilich  fwie  mit  einem  Stun- 
denglas —  ein  kleiner  Griff,  und  alle  Argumente  rinnen  ins 
anderen  Fäßchen'.  Ich  hoffe,  daß  die  zusammenhängende 
Analyse  des  Apolog.  mit  danebengehender  analytischer  Ver- 
gleichung des  Octavius,  die  sich  freilich  mit  wenigen  Worten 
leider  nicht  geben  läßt,  sichere  Resultate  erzielen  und  das 
lästige  Problem  für  den,  der  die  Nachprüfung  nicht  scheut, 
endgültig  beseitigen  wird.2) 


1)  Das  gilt  auch  von  der  vollständigsten  Sammlung  der  Parallel- 
stellen die  vorliegt,  F.  Ramorino,  L'apologetico  di  Tert.  e  l'Ott.  di 
Minucio,  Atti  del  Congresso  di  Scienze   Storiche  (Rom  1904)  XI  143  ff. 

2)  Prinzipiell  bemerke  ich  noch:  es  ist  von  Vertretern  beider  An- 
nahmen vor  allem  darin  gefehlt  worden,  daß  sie  ein  Mehr  an  Einzel- 
heiten ohne  weiteres  für  einen  Beweis  der  Priorität  ausgaben;  das  gilt 
nicht  einmal  für  Fälle,  wo  der  eine  die  Quelle  einer  Nachricht  nennt, 
der  andere  verschweigt:  für  die  gleiche  Sache  nennt  Tert.  IX  16  den 
Ctesias,  Minucius  31,  3  nicht,  aber  andererseits  nennt  Min.  9,  6;  31,  2 
Fronto  als  Gewährsmann  für  eine  Sache,  die  Tert.  ohne  Namensnennung 
VII  1  erwähnt,  und  beruft  sich  26,  15  auf  Hostanes,  während  Tert. 
XXIII  1  nur  die  magi  allgemein  heranzieht.  Die  Methode,  aus  solchem 
'Mehr'  Schlüsse  zu  ziehen,  führt  konsequent  verfolgt  in  unserem  Falle 


Tertullians  Apoloöeticum.  291 

Ein  volles  Verständnis  des  Apologeticum  ist  endlich  nicht 
möglich  ohne  Kenntnis  der  Formen  und  der  rechtlichen 
Grundlage  der  provinzialen  Chri.stenprozesse  damaliger  Zeit. 
Leider  sind  die  Ansichten  darüber,  wie  bekannt,  noch  stark 
geteilt,  so  daß  ich  mich  auf  eine  communis  opinio  nicht  be- 
rufen kann;  ebensowenig  freilich  kann  ich  hier  in  eine  Be- 
handlung des  Problems  eintreten.  Ich  muß  mich  also  damit 
begnügen,  meine  Auffassung  in  kurzen  Sätzen  zu  formulieren 
und  die  Beweise,  soweit  sie  nicht  schon  von  anderer  Seite 
geliefert  sind1),  vorläufig  schuldig  bleiben;  auf  einige  wichtige 
Punkte  werde  ich  im  Verlauf  meiner  Arbeit  zurückzukommen 
haben. 


zu  der  Annahme  der  gemeinsamen  Quelle:  dazu  ist  ja  zuerst  Haetel 
in  seiner  sehr  beachtenswerten  Besprechung  von  Ebekts  Abhandlung 
(Tert.s  Verhältn.  zu  Min.  Felix,  Abh.  d.  Sachs.  G.  d.  W.  V  1868)  ge- 
langt (Ztschr.  f.  d.  österr.  Gymn.  1869,  348  ff.),  dann  hat  Wilhelm  (Bresl. 
Phil.  Abh.  II  1,  1887)  die  Hypothese  zu  beweisen,  Agahd  (Varronis 
antiquit.  rer.  div.  I  etc.,  Jahrbb.  Suppl.  24,  1898)  sie  weiter  zu  stützen 
versucht.  Ganz  abgesehen  von  der  literarhistorischen  Unwahrschein- 
lichkeit  der  Annahme  in  unserem  Falle :  die  Methode  der  Untersuchung 
ist,  wie  Norden  De  Min.  Fei.  aetate  et  gen.  die.  (Progr.  Grfsw.  1897) 
p.  4,  6  schon  richtig  betont  hat,  von  der  historischen  Quellenforschung 
auf  ein  Gebiet  übertragen,  wo  die  Quellen  so  zahlreich  und  mannigfach 
flössen,  daß  die  Herkunft  der  Einzelnotiz  sich  zumeist  jeder  Kontrolle 
entzieht.  —  Aber  auch  das  'Besser  oder  'Schlechter'  ist  nicht  mit 
'Original'  und  'Kopie'  zu  identifizieren:  es  kann  sehr  wohl  der  Ent- 
lehnende eine  Unebenheit  seines  Autors  glätten,  einen  Fehler  ver- 
bessern, eine  Pointe  schärfen.  Sondern  das  Hauptkriterium  wird  in 
unserem  Falle  dies  sein:  wo  Einheitlichkeit  der  Auffassung,  Kon- 
sequenz der  Durchführung,  Zusammenhang  der  Gedankenentwicklung 
sich  findet,  wird  man  das  Original,  dagegen  wo  Schwanken,  Unklar- 
heit und  Widerspruch,  unvermitteltes  Einsetzen,  Abbrechen  und  Über- 
springen, Kontamination  verschiedener  Gesichtspunkte  sich  zeigt,  wird 
man  die  Kopie  zu  erkennen  haben. 

1)  Ich  verweise  vor  allem  auf  L.  Gukrin,  Etüde  sur  le  fondement 
juridique  des  persecutions  dirigees  contre  les  chretiens,  Nouv.  Rev. 
hist.  de  droit  francais  et  etr.  XIX  189;  ich  freue  mich,  mit  den  Re- 
sultaten dieses  Aufsatzes,  den  ich  erst  nach  Niederschrift  meiner  Ab- 
handlung kennen  gelernt  habe,  in  wesentlichem  zusammengetroffen 
zu  sein. 


292  Richard  Heinze: 

1.  Das  Christentum  ist  durch  Heges'  verboten1),  d.  h. 
wahrscheinlich  ein  Senatskonsult  aus  älterer  Zeit,  zu  dem 
kaiserliche  Reskripte  Ausführungsbestimmungen  gegeben  haben. 

2.  Diese  *leges'  verbieten  das  Christentum  als  solches, 
subsumieren  es  nicht  irgendeiner  Verbrechenskategorie  des 
gemeinen  Strafrechts. 

3.  Christenprozesse  werden  lediglich  auf  Grund  dieser 
leges  angestellt,  eine  Verfolgung  des  Christentums  als  Majestäts- 
verbrechen findet  nicht  daneben  statt,  läßt  sich  jedenfalls  aus 
Tertullian  nicht  erweisen. 

4.  Die  Prozesse  werden  vor  dem  Tribunal,  gelegentlich 
auch  im  secretarium  des  Statthalters2)  verhandelt,  der  sie  ein- 
leitet, wie  das  beim  Kriminalprozeß  fast  durchweg  der  Fall 
ist,  nicht  aus  eigener  Initiative,  sondern  auf  Grund  einer  An- 
klage oder  Anzeige.  Im  Unterschiede  von  anderen  Kriminal- 
prozessen wird  aber  weder  die  Anklage  vor  Gericht  vertreten 
noch  eine  Verteidigung  zugelassen,  einfach  weil  hier  weder 
Schuld  noch  Unschuld  nachzuweisen  ist:  auf  Grund  des  Be- 
kenntnisses zum  Christentum  erfolgt  die  Verurteilung.  Das 
Urteil  wird,  mit  Angabe  der  Christenqualität  des  Verurteilten 
als  Strafgrundes,  aufgezeichnet  und  danach  öffentlich  verlesen, 
wie  es  im  Strafprozeß  rechtens  ist.3) 


1)  Die  Gründe,  aus  denen  dies  Verbot  gegeben  und  aufrecht  er- 
halten wurde,  sind  für  unsere  Frage  irrelevant;  das  betr.  Senatskonsult 
selbst  hat  sich  auf  eine  Begründung  wahrscheinlich  gar  nicht  ein- 
gelassen. Ich  bemerke  nur,  daß  die  Gründe  im  Laufe  der  Zeiten 
keineswegs  die  gleichen  geblieben  zu  sein  brauchen;  wenn  in  den  An- 
fängen der  Glaube  an  von  den  Christen  begangene  flagitia  vielleicht 
ebenso  überwog  wie  einst  bei  dem  Verbot  der  Bacchanalia,'  so  wird 
später  die  politische  Seite  der  Frage  in  den  Vordergrund  getreten  sein: 
s.  darüber  unten  S.  294  fg. 

2)  Das  sind  die  domestica  iudicia  Apol.  I  1. 

3)  Mommsen  hat  in  seinem  berühmten  Aufsatze  rDer  Religions- 
frevel nach  röm.  Recht'  (Jur.  Sehr.  HI  389  ff.)  unterschieden  die  krimi- 
nalrechtliche Verfolgung  des  Christentums  als  Majestätsverbrechens  und 
seine  administrative  Koercition,  das  'polizeiliche  Einschreiten  insbe- 
sondere gegen  zum  Christentum  abgefallene  Bürger':  das  letztere  Ver- 


Tertullians  Apologeticum.  293 

5.  Die  Strafe  ist  als  kapitale  vermutlich  schon  in  dem 
Grundgesetze,  durch  welches  das  Christentum  verboten  wurde, 
normiert  worden-  In  der  Tat  ist,  da  das  Gesetz  verbietet, 
Christ  zu  sein,  die  eigentlich  einzig  konsequente  Anwendung 
die,  daß  getötet  wird,  wer  beim  Christentum  verharrt:  nur 
so  wird  die  Absicht  des  Gesetzes  erfüllt.  Es  ist  aber  an 
Stelle  der  Hinrichtung  ausnahmsweise  Verurteilung  zu  den 
Bergwerken  und  Verbannung  auf  eine  Insel,  bei  Christinnen 
auch  Einstellung  in  ein  Bordell  getreten. 

6.  Daß  die  Absicht  der  Regierung  in  erster  Linie  dahin 
geht,  die  Ausbreitung  des  Christentums  nach  Möglichkeit  zu 
verhindern,  ergibt  sich  daraus,  daß  im  Falle  der  Ableugnung 
des  Christentums  und  der  Bekräftigung  dieser  Ableugnung 
durch  ein  Opfer  für  das  Heil  des  Kaisers  der  Richter  den 
Beklagten  entläßt,  ohne  danach  zu  fragen,  ob  er  wirklich 
nicht  Christ  ist  oder  gewesen  ist.  Gelegentlich  sucht  der 
Richter,  sei  es  in  wohlwollender  Absicht,  sei  es  um  den 
'Trotz'  des  Beklagten  zu  brechen,  durch  Folterung  eine  Ab- 
leugnung zu  erzwingen. 


fahren  sei  weit  einschneidender  gewesen  als  das  kriminalrechtliche. 
Diesen  Ergebnissen  Mommsens,  die  vielfach  Anklang  gefunden  haben, 
kann  ich  nicht  zustimmen.  Weder  lassen  sich  unzweideutige  Spuren 
einer  rechtlichen  Subsumierung  des  Christenbekenntnisses  unter  die 
Majestätsverbrechen  aufweisen  (s.  u.  zu  Kap.  X),  noch  entspricht  es  der 
Auffassung  der  Zeitgenossen,  die  in  den  Christenprozessen  gehandhabte 
Amtsgewalt  als  coercitio  statt  als  iudicatio  zu  fassen.  Alle  uns  be- 
kannten Christenprozesse  vollziehen  sich,  soweit  wir  nachweisen  können, 
durchaus  in  den  Formen  des  gewöhnlichen  statthalterlichen  Kriminal- 
prozesses (cognitio),  nur  mit  den  oben  im  Texte  angeführten,  durch  die 
Besonderheit  des  Vergehens  bedingten  Modifikationen.  Jede  einzelne 
dieser  Modifikationen  wird  von  den  Apologeten,  insbesondere  von 
Tertullian,  hervorgezogen  und  den  Richtern  vorgeworfen;  was  hätten 
sie  erst  gesagt,  wenn  man  das  Christentum  überwiegend  'polizeilich', 
nicht  kriminell  verfolgt  hätte?  Auch  dafür  bieten  unsere  Quellen 
keine  Belege,  daß  die  Statthalter  gegen  zum  Christentum  abgefallene 
Bürger  häufiger  oder  energischer  eingeschritten  wären  als  gegen  Nicht- 
bürger. 


2g4  Richard  Heinze:  [I — III 

Exordium  I— III. 

I— III  An  die  Spitze  seiner  Verteidigung  stellt  Tert.  eine  prae- 

fatio,  die  eine  Beschwerde  über  das  gegen  die  Christen  übliche 
Rechtsverfahren  vorträgt:  der  Gedanke,  daß  die  Christen  um 
ihres  Namens,  nicht  um  ihrer  Taten  willen  verfolgt  werden, 
steht  dabei  im  Vordergrund.  Auf  den  ersten  Blick  scheint 
diese  Ausführung  sich  mit  den  entsprechenden  der  griechischen 
Apologeten  aufs  nächste  zu  berühren,  und  gewiß  stammt  die 
Anregung  von  ihnen.  Justin  und  Athenagoras  legen  zu  Be- 
ginn ihrer  A-pologien  Protest  ein  gegen  die  übliche  Bestra- 
fung der  Christen  als  solcher,  oder,  wie  sie  sich  ausdrücken, 
die  Bestrafung  um  des  Namens  willen;  sie  fordern,  daß  vom 
Namen  Christ  abgesehen  und  die  bisher  als  'Christen'  Ver- 
folgten vielmehr  nach  den  Sätzen  des  gemeinen  Strafrechts 
behandelt,  eines  bestimmten  Verbrechens  angeklagt  und  nur 
wenn  sie  dessen  überführt  sind,  bestraft  werden.  Sie  sind 
mit  dieser  Forderung,  vom  christlichen  Standpunkt  aus  an- 
gesehen, gewiß  im  Recht.  Wissen  sie  sich  doch  frei  von 
den  geheimen  Freveln,  die  ihnen  die  Fama  vorwarf;  und  wenn 
sie  auch  natürlich  zugeben,  daß  sie  die  Heidengötter  nicht 
verehren,  so  trauen  sie  sich  doch  zu,  dies  zu  rechtfertigen, 
falls  ihnen  Gelegenheit  dazu  geboten  wird,  und  —  was  viel- 
leicht noch  wichtiger  ist  —  sie  wissen,  daß  außer  ihnen 
keinem  'Gottlosen'  der  Prozeß  gemacht  wird,  mag  er  auch 
noch  so  despektierlich  von  den  Heidengöttern  reden  und 
schreiben,  ja  mag  er  selbst  den  Opfern,  auch  den  Opfern  für 
das  Wohl  des  Kaisers,  fernbleiben.  Sie  haben  eben  so  ge- 
wiß, vom  Standpunkt  ihres  Richters  aus  gesehen,  nicht  recht: 
denn  sie  vergessen  oder  wollen  vergessen,  daß  das  Verbot 
des  Christentums,  das  sie  mit  der  Zugehörigkeit  zu  dieser 
Gemeinschaft  übertreten,  sich  mit  gutem  Bedacht  eben  gegen 
den  'Namen'  richtet:  nicht  deshalb  im  Grunde  wird  ja  der 
einzelne  Christ  gehaßt,  verfolgt  und  bestraft,  weil  er  als  ein- 
zelner die  heidnischen  Opfer  ablehnt,  sondern  weil  er,  eben 
als  Christ,   einer  festgeschlossenen,    von    der  heidnischen  Ge- 


I— III |  Tertullians  Apologeticum.  295 

meinschaft  religiös  und  sozial  sich  absondernden  Sekte  ange- 
hört, die  dem  Staatskult  (einschließlich  des  Kaiserkults)  offen 
absagt  und  von  der,  bei  dem  engen  Zusammenhang  von  Staat 
imd  Staatskult,  Gefahr  für  den  Bestand  der  gegenwärtigen 
Ordnung  zu  befürchten  ist,  falls  es  ihr  gelingt,  die  Massen 
zu  gewinnen.  Und  eben  diese  staatsfeindliche  oder  als  staats- 
feindlich geltende  korporative  Haltung  war  es,  die,  zwar  nicht 
nominell,  aber  tatsächlich  zur  Anklage  stand,  und  die  durch 
das  Bekenntnis  zum  'Namen'  so  sehr  gegeben  schien,  daß  es 
überflüssig  war,  in  jedem  Einzelfall  über  das  durch  den  Namen 
Ausgedrückte  zu  diskutieren;  auch  stand  es  ja  jedem  Ange- 
klagten im  Prozesse  selbst  frei,  durch  tatsächliche  Wider- 
legung  jener  Vorwürfe,  d.  h.  durch  ein  Opfer  an  die  Staats- 
götter, der  Bestrafung  zu  entgehen.  Dies  etwa  hätte  denn 
auch  jeder  Vertreter  der  heidnischen  Auffassung  der  Be- 
schwerde der  Apologeten  über  die  Verfolgung  des  Namens' 
entgegengehalten. 

Tertullian  konnte  die  Schwäche  dieser  apologetischen 
Position  nicht  entgehen;  er  stellt  sich  denn  auch,  bei  aller 
scheinbaren  Nähe,  auf  ganz  anderen  Boden.  Er  hütet  sich 
wohl,  von  den  p rarst  des  etwa  zu  verlangen,  sie  sollten,  statt 
auf  den  Namen  hin  zu  verurteilen,  nach  den  Taten  fragen: 
weiß  er  doch  nur  zu  gut,  daß  sie,  wie  er  selbst  nachher  aus- 
führt, mit  ihrer  bisherigen  Praxis  einfach  den  gesetzlichen 
Bestimmungen  nachkommen.  Sondern  er  konstatiert  von  vorn 
herein,  daß  die  Richter  in  den  Christenprozessen  ohne  Kenntnis 
der  verurteilten  Sache  aburteilen:  daß  diese  Unkenntnis  Ur- 
sache sowohl  wie  Folge  eines  das  Volk  beherrschenden  und  die 
Richter  bestimmenden  Hasses  gegen  das  Christentum  ist,  oder 
vielmehr,  da  dessen  Wesen  den  Hassern  eben  unbekannt  ist, 
gegen  den  Christennamen.  Thema  des  Prooemiums  ist  der 
Nachweis  dieser  Behauptung1),  wobei  denn  zugleich  die  Un- 
billigkeit eines  solchen  Hasses  ins  Licht  gestellt  wird. 


1)  I  4  hanc  .  .  primam  causam  apud  vos  conlocamus  iniquitatis 
odii  ergo  nomen  christianorum.  IV  1  quasi  praefatus  haec  ad  sugillandam 
odii  ergo  nos  publici  iniquitatem. 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LX1I.  24 


296  Richard  Heinze:  [1— III 

Auf  die  Anklage  selbst  wird  hier  noch  nicht  eingegangen  5 
es  handelt  sich  zunächst  um  die  Unbilligkeit  des  von  den 
Gegnern  beliebten  Verfahrens.  Solche  Klage  hat  seit  alters 
im  Prooemium  der  Verteidigungsrede,  vor  der  eigentlich  sach- 
lichen Diskussion,  ihren  Platz;  da  findet  sie  sich  mehrfach  bei 
Cicero  als  Mittel,  um  Stimmung  für  den  Angeklagten  zu 
machen,  dessen  Verteidigung  unter  so  unbilligen  Bedingungen 
geführt  werden  muß.  In  der  Rede  pro  Quinctio  beschwert 
er  sich,  daß  er,  der  doch  seinen  Klienten  zu  verteidigen  habe, 
durch  das  unbillige  Verfahren  des  Prätors  genötigt  sei,  an 
erster  Stelle  zu  reden  (2,  8);  in  der  Rede  für  C.  Rabirius 
ist  es  die  Beschränkung  der  Redefrist,  die  dem  Verteidiger 
unbillig  dünkt  (2,6);  in  der  Rede  für  Deiotarus  weist  er, 
freilich  indem  er  seine  Beschwerde  im  selben  Atem  wieder 
zurücknimmt,  darauf  hin,  wie  mißlich  es  sei,  den  des  Mord- 
versuchs Angeklagten  vor  dem  Manne  zu  verteidigen,  dem 
das  Attentat  gegolten  haben  soll:  re  enim  iniquum  est,  sed 
tua  sapientia  fit  aequissimum  (2,4).  Diesen  Beispielen  also 
reiht  es  sich  an,  wenn  Tertullian  im  Prooemium  über  die 
Form  der  Christenprozesse  klagt  und  sich  über  die  iniquitas 
odii  ergo  nomen  Christianum  beschwert.  Inhaltlich  und  viel- 
fach wörtlich  decken  sich  diese  Ausführungen  mit  den  ersten 
Kapiteln  von  Nat.5  aber  die  einheitliche  Beziehung  auf  das 
genannte  Thema  und  den  Charakter  als  Prooemium  haben  sie 
erst  hier,  bei  der  Umgießung  in  die  Redeform,  erhalten. 
Während  Nat.  sofort  mit  dem  Satze  testimonium  ignorantiae 
vestrae  usw.  in  die  Diskussion  eintritt,  also  der  Vorwurf  und 
Beweis  der  Unkenntnis  selbständig  auftritt,  wird  er  hier  in 
engste  Beziehung  gesetzt  zu  den  einleitenden  Worten,  die  des 
Apologeten  Unternehmen  rechtfertigen:  eine  schriftliche  Ver- 
teidigung ist  deshalb  erforderlich,  weil  in  den  Prozessen  selbst 
eine  Prüfung  der  Klagpunkte  nicht  stattfindet  und  das  Urteil 
also  in  Unkenntnis  der  verurteilten  Sekte  gefällt  wird. 
Keiner  der  griechischen  Apologeten  motiviert  die  Apologie 
so  klipp  und  klar.  Und  im  Gegensatz  zu  ihnen,  die  natür- 
lich die  Freisprechung  der  für  schuldlos  befundenen  Christen 


I— III]  Tertullians  Apologeticum.  297 

fordern  und  hoffen,  gibt  Tert.  in  höchst  eigentümlicher  Weise 
vor,  auf  diesen  Erfolg  seiner  Apologie  von  vornherein  zu 
verzichten:  es  ist  ganz  in  der  Ordnung,  daß  die  Sekte,  die 
im  Himmel  heimisch  ißt,  auf  Erden  verfolgt  wird;  sie  will 
nur  nicht  ungekannt  verurteilt  werden.  Dieser  einleitenden 
Auffassung  entspricht  es,  wenn  am  Schluß  des  Ganzen  statt 
der  Aufforderung  zur  Freisprechung  die  zur  Verurteilung  er- 
klingt. In  Wahrheit  ist  das  allerdings  nicht  so  gemeint,  wie 
nicht  bewiesen  zu  werden  braucht;  Tert.  stellt  sich  vielmehr, 
mit  Anwendung  des  Xoyog  s6)nrniuxi6usvoq,  in  bewußten  Gegen- 
satz zu  der  in  den  Prooemien  üblichen  captatio  benevolentiae, 
die  das  feste  Vertrauen  des  Redners  auf  die  erleuchtete  Weis- 
heit und  Gerechtigkeit  des  Richters  auszudrücken  pflegt:  er 
stellt  sich  im  Gegenteil  davon  überzeugt,  daß  die  Verurteilung 
der  gerechten  Sache  trotz  aller  Aufklärung  erfolgen  wird 
und  scheint  im  Geheimen  zu  hoffen,  daß,  wenn  irgend  etwas, 
dies  für  den  Richter,  der  noch  einiges  Gewissen  trägt,  be- 
schämende Bekenntnis  seinen  Gerechtigkeitssinn  aufstacheln 
wird;  anreizend  soll  ja  auch  die  Insinuation  wirken,  man 
werde,  wenn  die  Verteidigung  nicht  gehört  wird,  glauben, 
die  Richter  wollen  sie  nicht. hören,  quod  audiixm  damnore 
non  possint.  In  dem  anderen  Punkte  dagegen  folgt  Tert. 
den  üblichen  Verteidigungsreden  durchaus,  daß  er  die  von 
ihm  vertretene  Sache  von  vornherein  und  so,  als  könne  nicht 
der  leiseste  Zweifel  daran  obwalten,  als  die  cwahre',  die 
veritas  bezeichnet:  liccat  veritati  ad  aures  vestras  pervenire; 
etmm  inauditam  damnabimt  veritatem  und  so  im  weiteren 
Verlauf  der  Rede1);  vgl.  etwa  Cicero  pro  Cluent.  5  sicut  aliis 
in  locis  param  firmamenti  .  .  veritas  habet  .  .;  88  ut  Jiodierno 
die  primum  veritas  vocem  contra  invidiam  Ms  iudicibus  f'reta 
miserit:  202. 


1)  II  3  nihil  permittitur  loqui  .  .  quod  veritatem  defendat  IV  3 
cum  ad  omnia  occurrit  veritas  nostra.  VII  3  cum  odio  sui  coepit  veritas, 
und  dann  am  Schluß  der  Verteidigung  XL  VI  1  quis  nos  revincere  au- 
debit  .  .  de  veritate,  2  dum  unicuique  manifestatur  veritas  nostra,  XLVII  5 
antiquior  omnibus  veritas  10.  11. 

24* 


298  Richard  Heinze:  [I — III 

Um  ein  günstiges  Vorurteil  für  die  Sache  zu  erwecken, 
deren  'Wahrheit'  er  beweisen  wird,  stellt  Tert.  zwei  Er- 
fahrungstatsachen voran:  die  großen  Erfolge  der  christlichen 
Propaganda  und  die  Kraft  des  von  der  Güte  seiner  Sache 
überzeugten  christlichen  Bewußtseins,  das  sich  besonders 
glänzend  in  den  Märtyrern  manifestiert.  Aber  Tert.  hütet 
sich  wohl,  diese  Tatsachen  einfach  als  solche  den  Feinden 
entgegenzuhalten:  das  wäre  ein  Sichselbstberühmen,  das  dem 
Ethos  des  Verteidigers  nicht  entspräche  und  am  wenigsten 
zu  Beginn  der  Rede  am  Platze  ist  —  später  erlaubt  sich 
Tert.  in  diesem  Punkte  mehr.  Er  bringt  vielmehr  das  erste, 
den  Erfolg  der  Propaganda,  in  der  Form  eines  testimonium 
für  die  ignorantia  auf  Seiten  der  Gegner:  wer  das  Christen- 
tum kennen  lernt,  läßt  den  Haß  fahren;  das  zweite  als  Er- 
widerung auf  den  Einwand  des  Gegners,  daß  doch  auch  eine 
schlechte  Sache  Anziehung  übe:  die  Haltung  der  Christen 
beweist,  daß  ihr  Gewissen  rein  ist. 

Der  Einwand  lautet  'sed  non  ideo  bonum  praeiudicatur,  quia 
multos  convertit;  quanti  enim  ad  malum  performantur  usf.',  anknüpfend 
an  den  vorher  erhobenen  Vorwurf  nee  tarnen  (die  Bekehrten)  .  .  ad 
aestimationem  alicuius  latentis  boni  promovent  animos.  Tert.  schreibt 
weiter  über  die  Kriterien  des  malum  und  bonum,  geht  dann  auf  das 
Verhalten  der  malefici  vor  und  bei  dem  Prozeß  über  und  kontrastiert 
damit  das  der  Christen:  neminem  pudet,  neminem  paenitet,  nisi  plane 
retro  non  fuisse:  si  denotatur  (jetzt  erst  die  Haltung  in  der  Ver- 
folgung) gloriatur,  si  accusatur,  non  defendit  usf.  Minucius  läßt  28,  2 
den  Octavius  sagen,  auch  er  habe  einst  an  die  geheimen  Frevel  der 
Christen  geglaubt,  ohne  daran  Anstoß  zu  nehmen,  daß  niemals  ein 
Verräter  aufgetreten  sei;  malum  autem  adeo  non  esse,  ut  Christianus 
reus  nee  erubesceret  nee  timeret,  et  unum  solummodo  quod  non  ante 
fuerit  paeniteret.  Die  Worte  malum  non  esse  erklärt  Waltzing  c«7 
n'existe  pas  de  mal,  de  crime  eliez  les  ehretiens'' ;  Dombart  (Octavius  .  . 
übers.,  Erl.  18812)  trifft  den  Sinn  wohl  richtiger  mit  fdaß  das  Christen- 
tum so  wenig  etwas  böses  sei  .  .';  aber  das  plötzlich  auftretende 
Neutrum  ist  recht  auffallend  und  erklärt  sich  m.  E.  am  besten  aus 
Tert.  Nicht  eben  gut  hat  ferner  Minucius  das  non  paenitere  auf  den 
reus  Christianus  übertragen;  es  paßt  viel  besser  als  Beweis  dafür,  daß 
das  Christentum  überhaupt  ein  bonum  ist,  als  dafür,  daß  die  Beschul- 
digung der  geheimen  Frevel  Verleumdung  ist. 


II  i—  sl  Tertulmak8  Apologeticum.  299 

Daran  schließt  sich  die  Beschwerde  über  die  von  aller  II 
sonstigen  Kriminalpraxis'  abweichende  Form  der  Christenpro- 
zesse: aber  auch  diese  tritt  nicht,  wie  bei  den  Griechen,  offen 
als  das  auf,  was  sie  in  Wirklichkeit  ist,  eben  Beschwerde  — 
eine  solche  könnten  die  praesides  mit  Berufung  auf  ihre 
manch da  kurzer  Hand  abweisen  — ,  sondern  wieder  als  Glied 
der  Beweiskette:  caus  der  Prozeßform  selbst  ergibt  sich,  daß 
ihr  das  Christentum  mit  den  Verbrechen,  die  ihr  sonst  ver- 
folgt, nicht  auf  eine  Stufe  stellt,  daß  ihr  gar  nicht  darauf 
aus  seid,  ein  begangenes  Verbrechen  festzustellen  und  zu 
strafen,  sondern  nur  den  Namen  Christen  verfolgt'.  Diese 
Fassung  gibt  Gelegenheit,  alle  Einzeibeschwerden  nicht  nur 
vorzubringen,  sondern,  worauf  Tert.  mit  Nachdruck  und 
offenbar  mit  besonderer  Freude  an  der  pointierten  Hervorhebung 
der  inneren  Widersprüche  verweilt,  das  Unbillige,  den  eigent- 
lichen Aufgaben  des  Strafprozesses  Widerstreitende  des  Ver- 
fahrens zu  unterstreichen. 

Die  Beschwerde  der  griechischen  Apologeten  beschränkt  II  1—5 
sich  auf  den  einen  Punkt,  daß  man  den  Christen  auf  sein 
Bekenntnis  hin  verurteilt,  ohne  zu  untersuchen,  ob  er  unrecht 
getan  hat.  Hiervon  sieht  Tert.,  wie  schon  oben  gesagt,  ganz 
ab  und  faßt  andere  Eigentümlichkeiten  des  Christenprozesses 
ins  Auge.  Er  geht  davon  aus,  daß  das  Verbot  des  Christen- 
tums die  Überzeugung  von  der  Schuld  der  Christen  voraus- 
setzen  müßte  und  fragt,  wie  die  Richter  unter  dieser  Voraus- 
setzung: eigentlich  vorgehen  müßten.  Nat.  I  2  hebt  er  zweierlei 
hervor,  was  jener  Voraussetzung  widerspricht:  1.  Man  sucht 
den  geständigen  Christen  durch  die  Folter  zum  Widerruf  zu 
zwingen,  glaubt  dagegen  dem  ableugnenden  Christen  ohne 
weiteres:  beides  im  Gegensatz  zu  der  Praxis  gegenüber  ge- 
wöhnlichen Verbrechern.  2.  Man  begnügt  sich  mit  dem  Ge- 
ständnis, ohne  die  näheren  Umstände  des  Verbrechens  zu 
erforschen,  wie  es  z.  B.  beim  Mörder  schon  deswegen  geschieht, 
weil  man  etwaigen  Mitschuldigen  auf  die  Spur  kommen  will. 
Nur  kurz,  in  der  Form  der  praeteritio,  wird  ein  dritter  Punkt  •" 
berührt,    der    Wegfall    von    Anklage    und    Verteidigung    vor 


300  Richard  Heinze:  [II  6 — 9 

Gericht.  Aus  jenen  beiden  Punkten  ergibt  sich,  daß  die  oben 
genannte  Voraussetzung  nicht  zutrifft:  neque  confessionem 
recipiendo  .  .  .  neque  exquisitionem  digerendo  .  .  .  iam  apparet 
omne  in  nos  crimen  non  alicuius  sceleris,  sed  nominis  dirigi. 
Bestätigt  wird  das  durch  die  Fassung  des  Urteils:  es  be- 
zeichnet den  Verurteilten  nur  als  Christen ,  subsumiert  ihn 
nicht  unter  irgend  eine  Verbrecherkategorie.  Im  Apol.  ist 
die  strenge  Geschlossenheit  dieses  Aufbaus  zunächst  dadurch 
gestört,  daß  jener  dritte  nur  transitorisch  berührte  Punkt  hier 
für  sich  behandelt  und  an  die  Spitze  gestellt  wird,  weil  Tert. 
damit  auf  den  Ausgangspunkt  des  ganzen  Prooemiums,  die 
Motivierung  der  Apologie,  zurückgreifen  kann;  er  verknüpft 
damit  in  nicht  ganz  einwandfreier  Weise  das,  was  dort  auf 
jene  praeteritio  folgte,  das  Fehlen  der  examinatio  criminis,  das 
ja  Sache  des  praeses,  nicht  des  Anklägers  oder  Verteidigers 
ist.  Jene  Sonderstellung  des  ersten  Punktes  stört  hier  die 
Geschlossenheit  der  Deduktion,  denn  gerade  si  certum  est  nos 
nocentissimos  esse,  so  mußte  sich  Tert.  sagen,  begreift  es  sich, 
daß  Anklage  und  Verteidigung  beseitigt  wird. 
II  6—9  Hinzugefügt   hat   sodann  Tert.   hier   die  Erwähnung  und 

Kritik  von  Trajans  Reskript  an  Plinius,  an  das  er  vielleicht 
erinnert  wurde,  als  er  für  seine  Darstellung  des  bisherigen 
Verhaltens  der  Kaiser  gegen  die  Christen  (V)  das  Material 
suchte.  Er  legt  alles  Gewicht  auf  den  Widerspruch,  der  zwischen 
dem  Verbot  des  Fahndens  auf  die  Christen1)  einerseits,  und 
dem  Gebot  der  Bestrafung  angeklagter  und  geständiger  Christen 
andererseits  bestehe,  betont  also  einen  Punkt,  der  in  Trajans 
Reskript  von  nebensächlicher  Bedeutung  war2),  und  übergeht 

1)  Traianus  rescripsit,  hoc  genus  inquirendos  quidem  non  esse,  ob- 
latos  vero  puniri  oportere.  Daß  hier  mit  inquirere  ganz  dasselbe  gemeint 
ist,  was  Trajan  mit  conquirere  ausdrückt,  ergibt  sieb  aus  dem  folgen- 
den, wo  als  Synonymum  vestigare  und  requirere  erscheint;  man  kann 
also  Tert.  niebt  wobl  vorwerfen,  er  babe  das  Reskript  '"umgeformt' 
oder  'gefälscht'  (Geffcken,  S.  284;  168,5;  vgl.  dens.  Gott.  Nachr.  1904, 
S.  281). 

2)  Denn  nach  dem  conquirere  hat  Plinius  gar  nicht  gefragt,  hat 
es  auch  offenbar  vorher  nicht  ausgeübt,  wie  sich  aus  seinem  Brief  er- 


116 — 9]  Tertullians  Apologeticum.  301 

das  prinzipiell  Wichtige  in  seiner  Entscheidung,  daß  nämlich 
lediglich  die  Haltung  des  Angeklagten  im  Prozesse  selbst  für 
das  Urteil  maßgebend  sein  und  nicht  danach  gefragt  werden 
solle,  ob  der  das  Christentum  Ableugnende  einmal  Christ  ge- 
wesen sei.  Das  berührt  sich  mit  dem  in  der  folgenden  Er- 
örterung beiläufig  getadelten  —  nobis  si  negaverimus  statim 
creditis  II  13  dbsolvimur  negantes  19  — ,  ohne  sich  doch  damit 
zu  decken;  der  Grundsatz,  daß  Verleugnung  des  Christentums 
straffrei  macht,  ist  offenbar  der  Zeit  so  geläufig,  daß  Tert. 
seinen  Widerspruch  zu  der  kriminellen  Auffassung  des  Christen- 
tums gar  nicht  empfindet;  aber  vielleicht  wäre  er  doch  darauf 
aufmerksam  geworden,  wenn  er  den  Briefwechsel  des  Plinius 
und  Trajan  im  Original  gelesen  hätte.1)  Bewerkenswert  aber 
ist,  daß  er  die  Verfügung  Trajans  durchaus  nur  als  historische 
Notiz,  ohne  Beziehung  auf  die  Gegenwart  einflicht2):  invenimus, 
sagt  er,  inquisitionem  quoque  in  nos  prohibitam:  diese  Ein- 
führung läßt  sich  nur  begreifen,  wenn  es  sich  um  eine  nicht 


gibt;  Mommsens  gegenteilige  Behauptung  (Jur.  Sehr.  III  410,  1)  beruht 
auf  einem  unzutreffenden  Schluß  aus  Trajans  Worten.  Trajan  will  nur, 
indem  er  Plinius'  Praxis  bestätigt,  dessen  Bedenken  wegen  der  großen 
Menge  der  Christen  beschwichtigen,  das  allerdings  sehr  gegründet  wäre, 
wenn  der  Prokonsul  zum  conquirere  verpflichtet  wäre. 

1)  Daß  dies  nicht  der  Fall  war,  hält  auch  Merrill,  Wiener  Stud. 
XXXI  (1909)  251  ff.  für  wahrscheinlich,  freilich  nur  auf  Grund  eines 
Mißverständnisses  von  Tert.s  Worten  damnatis  quibusdam  Christian  is. 
quibusdam  de  gradu  pulsis,  die  er  mit  den  älteren  Erklärern  dahin 
versteht,  Plinius  habe  einige  Christen  verurteilt,  andere  ihrer  Würden 
beraubt.  De  gradu  pellere  geht  vielmehr  auf  diejenigen  Christen,  die 
negabant  esse  se  Christianos  aut  fuisse  (Plin.  96,  5)  oder  die  esse  se 
Christianos  dixerunt  et  mox  negaverunt  (6);  die  Wendung  eigentlich 
vom  Gladiator,  der  aus  seiner  Position  weichen  muß,  dann  übertragen 
z.  B.  Com.  Nepos  Them.  5  (barbarus)  Herum  ab  eodem  (sc.  Themistocle) 
gradu  pulsus  est,  und  so  fortis  et  constantis  est,  non  .  .  de  gradu  deici 
ut  dicitur  Cic.  off.  I  80,  wozu  gehört  Tert.  ad  Scap.  4  Asper,  qui  modice 
vexatum  hominem  et  statim  deiectum  nee  sacrificium  compulit  facere. 

2)  Die  Praesentia  solum  Cliristianum  inqui/ri  >>oii  licet,  offerri  licet 
usf.  dienen  nur  der  Lebhaftigkeit  der  Alterkation,  vorher  wird  Trajan 
angeredet  quid  temetipsum  censura  circumvenis  usf. 


3<D2  Richard  Heinze:  [II  6—9 

allgemein  bekannte  Tatsache  handelt.  Eine  inquisitio  gegen  die 
Christen  kann  in  Afrika  unter  Septimius  Severus  ebensowenig 
als  verboten  gegolten  haben1),  wie  sie  es  unter  Markaurel  in 
der  Lugdunensis  war,  wo  der  Statthalter  nach  dem  Bericht 
der  Christen  über  die  Verfolgung  Örj^oöCa  exeXsvöev  .  .  avu~ 
£r}Tei6&tti  Tidvtag  rjfiäg  (Euseb.  h.  e.  V  i,  14).  Daß  das  Reskript 
Markaureis  über  die  abergläubischen  Erregungen  (Dig.  XL VIII 
19,  30),  auf  die  Christen  bezogen,  hier  den  Wandel  geschafft 
habe,  ist  möglich,  wenngleich  mir  nicht  wahrscheinlich;  sicher 
hat  zu  Tertullians  Zeit  die  Bestimmung  Trajans  nicht  mehr 
in  Kraft  gestanden,  mag  auch  die  Praxis  der  Statthalter  ebenso 
wie  bei  den  meisten  anderen  Gesetzesübertretungen  im  all- 
gemeinen die  gewesen  sein,  eine  Anklage  oder  doch  Denun- 
ziation abzuwarten.2)  Zu  diesen  Übertretungen  gehören  frei- 
lich diejenigen  nicht,  die  Tert.  denn  auch  einzig  zu  Trajans 
Bestimmung  in  Gegensatz  stellt:  auf  Banditen  (latrones)  und 
Aufrührer  (hostes  publici,  womit  Tert.  die  reos  maiestatis  nicht 


1)  Es  scheint  noch  nicht  beachtet,  daß  bei  den  Christenverfolgun- 
gen  tertullianischer  Zeit  die  müites  eine  Rolle  gespielt  haben,  die  ich 
mir  nur  als  kriminalpolizeiliche  (Mommsen,  Strafr.  312)  erklären  kann,  die 
aber  verschieden  sein  muß  von  der  Apol.  II  8  erwähnten  gegen  die  latro- 
nes gerichteten  militaris  statio.  Vgl.  de  fuga  12  S.  484  Oeh.  tu  pacisceris 
cum  delatore  vel  milite;  ib.  487  miles  me  vel  delator  vel  inimicus  concutit; 
T3,  49°  talem  pacem  Christus  mandavit  a  militibus  redimenda») ;  14,  491 
neque  enim  statim  a  populo  eris  Mus,  si  officio,  militaria  redemeris; 
apol.  VII  3  tot  hostes  eins  (sc.  disciplinae  nostrae)  qtwt  extranei,  et 
quidem  proprie  ex  aemulatione  Judaei,  ex  concussione  müites.  Es  muß 
also  gar  nicht  selten  gewesen  sein,  daß  Soldaten  durch  die  Drohung  mit 
der  Verhaftung  oder  Anzeige  von  Christen  Geld  erpreßten. 

2)  Der  Fall,  den  Tert.  ad  Scap.  4  berichtet,  wo  der  Richter  Pudens 
(C.  Valerius  P.,  Procons.  Africae  zwischen  209  und  211,  cf.  P.  de  Lessekt, 
Fastes  des  prov.  Äfr.  I  249)  einen  ihm  cum  elogio  zugeschickten  Christen 
entläßt  sine  accusatore  negans  se  auditurum  secundum  mandatum  ist 
auch  durch  K.  J.  Neumann,  Staat  u.  Kirche  I  33,  1  nicht  aufgeklärt.  Ein 
von  einem  Munizipalmagistrat  ausgestelltes  und  unterzeichnetes  elogium 
hätte  nach  Trajans  Bestimmungen  zweifellos  dem  Richter  genügen 
müssen.  Mommsexs  Auffassung  ist  mir  aus  seiner  Bemerkung  Strafr.  3 1 5, 1 
nicht  deutlich  geworden. 


II  io— iy]  Tertullians  Apologeticum.  303 

ganz  richtig  vorbindet)  zu  fahnden,  ist  natürlich  zu  allen  Zeiten 
Pflicht  der  Behörden  gewesen,  und  wenn  Tert.  fortfährt  söhim 
Christ Hamm  inquvri  non  licet,  so  ist  das  eine  sophistische  Aus- 
legung der  trajanischen  Vorschrift. 

Der  dritte  Abschnitt  nimmt  wieder  einen  Gedanken  des  II  10—17 
älteren  Werkes  auf  und  erweitert  ihn  in  der  Ausführunsr: 
'die  übrigen  Verbrecher  foltert  ihr,  damit  sie  gestehen,  die 
Christen  allein,  damit  sie  leugnen":  das  ist  ein  Thema,  pracht- 
voll geeignet  zu  sententiöser  Behandlung  im  Stile  der  Dekla- 
mationen: Sätze  wie  veritatis  extorquendae  praesides  de  nobis 
solis  mendarium  elaboratis  audire,  oder  confiteor  et  torques;  quid 
faceres,  si  negarem?  würde  man  sich  nicht  wundern  unter 
den  sentmtiae  des  älteren  Seneca  zu  finden.  In  Wahrheit 
beruhen  alle  diese  scharfzugespitzten  Antithesen,  die  einen 
arglosen  Hörer  wohl  blenden  und  von  dem  Widersinn  der 
heidnischen  Praxis  überzeugen  können,  auf  der  falschen  Vor- 
aussetzung, daß  die  Zugehörigkeit  zum  Christentum,  wenn  sie 
bestraft  wird  wie  ein  schweres  Verbrechen,  auch  aus  dem 
gleichen  Grunde  wie  andere  Verbrechen  bestraft  werden  müsse: 
während  bei  diesen  der  Staat  eine  begangene  Missetat  sühnen, 
beim  Christentum  in  erster  Linie  seine  weitere  Ausbreituno- 
hindern  will  und  also  zu  den  Mitteln  greift,  die  ihm  hierzu 
geeignet  erscheinen.  Und  wenn  wirklich,  wie  es  nach  dem 
von  Tert.  vorgebrachten  und  widerlegten  Einwurf  "sed,  opinor, 
non  vidtis  nos  perire'  scheint,  die  Folterung  gelegentlich  an- 
gewandt worden  ist,  um  den  Angeklagten  vor  der  Hinrichtung, 
wenn  auch  gegen  seinen  Willen,  zu  bewahren,  —  Tert.  sagt 
'um  den  Richter  vor  dem  Zwange  zu  bewahren,  ein  Urteil 
zu  fällen,  dessen  Ungerechtigkeit  ihm  bewußt  ist'  —  so 
kann  zwar  auf  den  ersten  Blick  frappieren  Tert.s  Folgerung 
'also  haltet  ihr  uns  für  gänzlich  unschuldig,  sonst  würdet  ihr 
nicht  die  Möglichkeit  zum  Freispruch  erzwingen';  in  Wahr- 
heit ist  es  nicht  der  Freispruch,  sondern  der  Abfall  vom 
Christentum,  den  der  Richter  erzwingt,  und  durch  den  der 
Zweck  des  Gesetzes  erreicht  wird.  —  Eine  streng  fortschreitende 
logische   Entwicklung    wird    hier   nicht    gegeben;    es    ist    im 


304  Richard  Heinze:  [II  18.  19 

Grunde  der  eine  Gedanke,  der  hin  und  her  gewendet  in  immer 
neuen  Lichtern  aufblitzt;  für  den  Schluß  aufgespart  ist  ein 
Argument,  das  in  der  Tat  den  Richter  bedenklich  machen 
konnte,  viel  mehr  als  alle  Pointen  vorher:  wer  bürgt  euch 
dafür,  daß  der  freigesprochene  Renegat  nicht,  sobald  er  dem 
Tribunal  den  Rücken  kehrt,  euch  auslacht  und  wieder  Christ 
wird?  Das  dient  nicht  mehr  dazu,  wie  die  übrigen  Glieder 
der  Kette,  zu  beweisen,  daß  die  Heiden  selbst  im  Christentum 
kein  scelus  sehen;  es  entspringt  direkt  dem  Wunsche  Tert.s, 
die  heidnischen  Gegner  von  ihrer  Praxis  abzubringen,  die 
entweder  die  Qualen  der  Märtyrer  erhöht  oder  —  schlimmer 
noch  —  Abtrünnige  schafft.  Aber  Tert.  hütet  sich  wohl, 
diesen  Wunsch  durchblicken  zu  lassen:  er  führt  den  Gedanken 
ein  mit  der  Frage  unde  ista  perversitas ,  ut  etiam  illud  non 
recogitetis  .  .  und  weist  damit  zurück  auf  die  vorher  geäußerte 
Mahnung  suspecta  sit  vobis  ista  perversitas ,  ne  qua  vis  lateat 
in  occulto,  quae  vos  contra  ipsas  quoque  leges  ministret.  Damit 
wird  zum  ersten  Male,  noch  dunkel,  auf  die  Dämonen  hin- 
gedeutet, wie  dann  auch  in  der  Rekapitulation  (18)  mit  quae- 
dam  ratio  aemulae  operationis.  Den  Dämonen  schreibt  auch 
Justin  die  Perversität  der  Christenprozesse  zu  (I  5):  aber  er 
drückt  sich  deutlich  aus  und  sagt  bei  dieser  Gelegenheit  gleich 
das  Wichtigste,  was  von  den  Dämonen  zu  sagen  ist:  er  keimt 
eben  nicht  die  berechnende  Kunst  Tert.s,  der  mit  seinen  An- 
deutungen eine  gewisse  Spannung  erweckt,  aber  der  späteren 
Enthüllung  der  dämonischen  Machenschaften  nicht  vorgreift. 
II  18. 19  Somit  ergibt  sich  aus  dem  ganzen  Verfahren  die  Richtig- 

keit der  These,  die  nunmehr  mit  größerer  Entschiedenheit 
wiederholt  wird:  intellegere  potestis  non  scelus  aliquod  in  causa 
esse,  sed  nomen:  daher  die  bewußt  aufrecht  erhaltene  Un- 
kenntnis des  Christentums.  Und  was  die  Form  des  Prozesses 
bewies,  bestätigt  die  Form  der  Urteilsverkündigung:  nur  als 
Christ,  nicht  auch  als  Mörder  oder  dgl.  wird  der  Verurteilte 
dabei  bezeichnet.  Das  ist  die  urkundliche  Bestätigung  des 
vorher  Gesagten  und  steht  deshalb  mit  Recht  am  Schlüsse; 
auch  verhilft  es  Tert.  zu  einer  mit  besonderer  Kunst  geformten, 


III  i—4]  Tertullians  Apologeticum.  305 

gegenüber    der    Fassung    in    Nat.    noch    schärfer    pointierten 
Schlußsentenz  des  ganzen  Abschnitts.1) 

Wie  das  odiwm  publicum  (II  3)  die  Christenprozesse  be-  tn  1—4. 
herrscht,  so  beherrscht  es  auch  das  private  Leben  der  Heiden: 
ihre  Blindheit  geht  so  weit,  daß  sie  es  fertig  bringen,  die 
Tugend  eines  Christen  zu  loben  und  ihm  ffleichzeitic  sein 
Christentum  vorzuwerfen,  ohne  zu  bedenken,  daß  beides  zu- 
sammenhängt. Oder  sie  meinen  zu  tadeln,  und  loben  in  Wahr- 
heit, wenn  sie  beklagen,  daß  das  Christentum  einen  vom  leicht- 
fertigen Leben  errettet  hat;  oder  sie  handeln  gar  gegen  ihren 
Vorteil,  indem  sie  Nahestehende,  die  erst  durch  das  Christen- 
tum gebessert  sind,  wegen  des  Christentums  verstoßen.  — 
Diese  Dinge  hatte  Tert.  auch  Nat.  I  4,  aber  in  anderem  Zu- 
sammenhange gebracht:  er  handelte  dort,  in  einer  Polemik 
gegen  die  heidnischen  Irrtümer,  von  der  christlichen  Wahrheit 
und  Sittlichkeit,  in  ziemlich  nahem  Anschluß  an  Justin  I  5 — 7: 
wie  dieser,  erwähnt  Tert.  den  Sokrates,  seine  Bestreitung  der 
Götter  und  seinen  Tod:  apud  vos  eo  minus  sapiens,  qnia  cleos 
abnuens,  cum  ideo  sapiens  quia  deos  abnuens.  Daran  schließt 
sich  aufs  engste  das  Beispiel  aus  der  Gegenwart  an:  nemini 
sabvenit,  ne  ideo  bonus  quis  et  prudens  quia  CJiristianus.  Im 
Apolog.  hat  Tert.,  der  strengeren  Disposition  zuliebe,  die 
Parallele  zwischen  Philosophen  und  Christen,  sowie  die  Er- 
wähnung des  Sokrates  auf  später  verschoben;  jene  Einlage 
dagegen  hat  er  beibehalten,  aber  dem  Plane  seines  Prooemiums 

1)  CJiristianus  si  nullius  criminis  nomcn  est,  valde  ineptum,  si  so- 
Uus  nominis  crimen  est  (so  richtig  der  Fuldensis,  die  anderen  Hss. 
weichen  stark  ab)  'wenn  (wie  es  ja  der  Fall  ist)  das  Wort  Christianus 
kein  Verbrechen  bezeichnet  —  es  gehört  nicht  zu  den  ipsa  nomina 
scelerum,  wie  vorher  gesagt  war  — ,  so  ist  es  höchst  töricht,  wenn  (wie 
ihr  es  wollt)  das  Verbrechen  einzig  im  Namen  besteht':  pointierter 
noch  durch  die  bis  zur  Verwirrung  feinen  Antithesen  nullius  criminis 
nomen  und  solius  nominis  crimen  als  die  Fassung  Xat.  3  nullum  cri- 
minis normen  exstat  nisi  nominis  crimen  est.  Haktels  Schreibung  (Patr. 
Skid.  II  p.  29)  Chr.  si  nullius  criminis  nomen  reus  est,  valde  incertum  si 
e.  q.  s.  tut  der  Sprache  Gewalt  an,  zerstört  die  stilistische  Pointe  und 
schwächt  den  Sinn. 


306  Richard  Heinze:  [III  5—8 

entsprechend  neu  orientiert,  indem  er  alle  jene  Äußerungen 
als  Belege  für  das  odium  publicum  anführt.  Daher  sind  auch 
die  letzten  Beispiele  von  den  Bekehrten,  Gattin,  Sohn  und 
Sklave,  die  Undank  für  ihre  Besserung  ernten,  umgeformt: 
das  odium  zeigt  sich  darin,  daß  sie  verstoßen  werden  —  uxo- 
rem  eiecit,  fdium  dbdicavit,  servum  ab  oculis  relegavit;  in 
Nat.  spielt  das  odium  hier  keine  Rolle,  und  es  heißt  vom 
Gatten,  daß  er,  früher  eifersüchtig,  nun  der  Frau  alle  Freiheit 
läßt:  maluisse  lupae  quam  Christianae  maritum.  —  Übrigens 
steht  es  mit  diesem  dritten  Teil  wie  mit  dem  ersten:  wie  dort 
die  äußeren  Erfolge  der  Propaganda,  so  sollen  hier  die  inneren 
Erfolge,  die  Besserung  der  Bekehrten  dem  Hörer  gleich  zu 
Eingang  vorgehalten  werden:  es  geschieht  auch  hier  nicht  so, 
daß  der  Selbstruhm  abstoßend  wirken  könnte  —  die  Aus- 
führungen, die  das  ältere  Werk  anschloß,  nee  aliunde  prodi- 
mur  quam  de  bono  nostro  usw.  übergeht  Tert.  hier  —  sondern 
als  gleichsam  notwendiges  Glied  der  Beweiskette:  mit  dem 
Schlußsatz  tanti  non  est  bonum  quanti  odium  chrislianorum  ist 
der  Gipfel  der  heidnischen  geflissentlichen  Blindheit  erreicht. 
III  5— 8  ,  Der  Nachweis,  daß  der  Christenname  allein  verfolgt 
wird,  ist  geführt.  Justin  und  Athenagoras  begnügen  sich  mit 
dieser  Konstatierung,  und  nur  Justin  bemerkt  noch  nebenher, 
daß,  wenn  überhaupt  etwas  auf  den  Namen  ankomme,  die 
XQyötiavoL  doch  ebenso  wenig  wie  das  %q^6xöv  selbst  Haß 
verdienten.  Tert.  geht  auch  hier  mit  einer  ans  Pedantische 
streifenden  Gründlichkeit  der  Sache  nach  und  fragt,  inwiefern 
ein  Name  eine  Schuld  tragen  könne:  aber  im  Apol.  verkürzt 
er  doch  wenigstens  die  älteren  Aufführungen:  in  Nat.  war 
durch  den  Hinweis  auf  die  vitia  von  verba  und  sermo,  Xs^sig 
und  löyog  noch  deutlicher  gemacht,  daß  es  sich  auch  beim 
vocabulum  bvo(ia  nur  um  einen  Verstoß  gegen  die  Vorschriften 
der  Rhetorik  handeln  könne,  die  sowohl  das  xaxocpavov  wie 
das  uIgiqov  und  das  dvöcpiq^iov  verbiete,  was  alles  weder  auf 
Chrestianus  noch  auf  das  von  %qCblv  herstammende  Christianus 
zutreffe.  Eine  neue  Pointe  gegenüber  Justin  gewinnt  Tert. 
durch  den  Zusatz  zu  Chrestianus  (was  er  ausdrücklich  als  per- 


III  5—8]  TertüIiLians  Apologeticum.  307 

peram  pronuntiatnm  bezeichnet),  daß  nicht  einmal  der  Name  den 
Heiden  wirklich  bekannt  sei:  wieviel  weniger  also  die  Sache! 
Aber  in  Wahrheit  hat  ja  der  Name  nichts  mit  XQV0r^S 
und  nichts  direkt  mit  %qCslv  zu  tun,  sondern  bedeutet  die  Zu- 
gehörigkeit zu  Christus:  vielleicht  gebührt  ihm  um  deswillen 
Haß.  In  der  Tat  mögen  Heiden  sich  darauf  berufen  haben, 
daß  an  einer  Sekte  nichts  Gutes  sein  könne,  die  von  einem 
von  der  römischen  Behörde  zum  Tode  verurteilten  Missetäter 
herstamme:  das  ist  ja  auch  das  einzig  Positive,  was  Tacitus 
(Ann.  XV  44)  von  Christus  und  den  Christen  weiß.  Um  dem 
zu  begegnen,  müßte  Tert.  eigentlich  die  Vorurteile  über  Christus 
zerstreuen:  aber  dazu  ist  natürlich  im  Prooemium  nicht  der 
Platz,  und  Tert.  geht  also,  auf  Grund  seiner  früheren  Er- 
örterungen, wie  von  einer  festgestellten  Tatsache,  davon  aus, 
daß  die  Heiden  weder  von  der  secta  noch  auch  von  ihrem 
audor  etwas  wissen:  nur  auf  Grund  solchen  Wissens  könne 
ja  auch  der  Name  als  schlecht  und  hassenswert  erwiesen 
werden.  Indessen  da  dies  Wissen  nicht  vorliegt,  so  stellt  sich 
Tert.,  als  müsse  wohl  ein  anderer  Grund  vorliegen,  um  des- 
willen secta  oditar  in  nomine  sui  auctoris,  und  verweist  also 
zur  Rechtfertigung  auf  die  'Sekten'  der  Philosophen,  Gelehrten, 
Köche,  die  sich  nach  ihrem  Stifter  (z.  T.  auch  nach  ihrem 
Versammlungsort)  nennen:  woran  doch  niemand  Anstoß  nehme. 
Das  erscheint  im  Apolog.  lediglich  als  Finte,  mit  der  Tert. 
sich  stellt,  als  wisse  er  zunächst  gar  nicht,  was  der  Einwurf 
der  Heiden  bedeuten  solle,  daß  nämlich  der  audor  eben  ma- 
lus gewesen  sei.  Die  originale  Fassung  der  Erörterung  in 
Nat.,  die  den  Vergleich  mit  den  Philosophenschulen  nach  ganz 
anderer  Richtung  weiter  führt,  zeigt,  daß  die  Anregung  aus 
Justin  stammt,  der  in  ähnlichem  Zusammenhange  (ap.  I  4,  8  fg.) 
die  den  Philosophen  gegenüber  geübte  Duldung  der  anti- 
christlichen Unduldsamkeit  gegenüberstellt,  wie  Tert.  a.  a.  0. 
Davon  sieht  das  Apolog.  hier  ab,  wieder  um  einer  späteren 
Erörterung  des  Verhältnisses  zwischen  Christentum  und  Phi- 
losophie nicht  vorzugreifen;  geblieben  ist  hier  nur  jenes  Schein- 
argument. 


308  Richard  Heinze:  [IV  i.  2 

Partitio  und  propositio:  IV  1.  2. 

IY  1.  2  Tert.  wird  nach  dieser  Vorrede  nun  zu  seiner  eigentlichen 

Aufgabe  übergehen,  die  Unschuld  der  Christen  gegenüber  den 
von  den  Heiden  erhobenen  Beschuldigungen  nachweisen;  er 
wird  aber  noch  mehr  tun  und  diese  Beschuldigungen  auf  die 
Heiden  zurückwerfen,  'damit  sie  auch  hieraus  erfahren,  daß 
sich  bei  den  Christen  nicht  findet,  was  bei  ihnen  selbst,  ohne 
ihr  Wissen,  sich  findet1),  und  zugleich,  damit  sie  sich  schämen 
anzuklagen,  ich  will  nicht  sagen  als  grundschlechte  Menschen 
ganz  vortreffliche,  sondern  nach  ihrer  eigenen  Behauptung, 
ihresgleichen'.  Diese  Retorsion  der  Anklage  wird  die  ganze 
Schrift  hindurch  mit  größter  Konsequenz  gehandhabt.  Dient 
sie  wirklich  dazu,  wie  es  in  der  Apologie  doch  zu  erwarten  wäre, 
die  Unschuld  der  Christen  zu  erweisen?  Offenbar  hat  Tert. 
sich  der  dvtLicarrj'yoQia  erinnert2),  die  in  den  Verteidigungs- 
reden z.  B.  Ciceros  eine  gewisse  Rolle  spielt.  Cicero  versucht 
nachzuweisen,  daß  nicht  der  angeklagte  S.  Roscius,  sondern 
sein  Gegner  T.  Roscius  den  Mord  begangen  hat.  In  der  Rede 
pro  Cluentio  zeigt  er,  daß  nicht,  wie  behauptet  wird,  sein 
Klient,  sondern  dessen  früherer  Gegner  Oppianicus  das  iu- 
dicium  Junianum  bestochen  habe.  Auch  die  Beweisführung 
der  Miloniana,  daß  nicht  Milo  dem  Clodius,  sondern  umge- 
kehrt Clodius  dem  Milo  nachgestellt  habe,  läßt  sich  hierher 
ziehen,  obgleich  ja  da  der  Status  ein  anderer  ist.  Eine  solche 
ävtixatrj'yoQtci  im  strengen  Sinne  wird  im  Prozeß  selten  mög- 
lich sein,  noch  seltener  den  Erfolg  haben,  die  Unschuld  des 
Angeklagten  nachzuweisen:  wozu  ja  zunächst  die  Voraus- 
setzung ist,  daß  nur  einer  die  betr.  Tat  begangen  haben  kann: 
in  den  beiden  letztgenannten  ciceronischen  ist  es  z.  B.  wahr- 
scheinlich, daß  die  beiden  von  verschiedenen  Seiten  Beschul- 

1)  ut  ex  hoc  quoque  sciant  homines  in  christianis  non  esse  quae 
in  se  nesciunt  esse:  der  Fuldensis  hat  non  nesciunt  esse,  doch  vgl.  IX  20 
haec  in  vobis  esse  si  consideraretis,  proinde  in  Christianis  non  esse  per- 
spiceretis;  idem  oculi  renuntiassent  utrumque  u.  d.  f. 

2)  d.  i.  mutua  accusatio,  ein  genus  comparativum ,  quo  litigatores 
idcm  crimen  invicem  intentant  Quint.  III  10,4,  vgl.  VII  2,  9;  18  fg. 


IV  i.  2]  Tertullians  Apologeticum.  30g 

digten   auch   wirklich    beide   schuldig   waren,    obwohl    Cicero 
sich  bemüht,  es  so  darzustellen,  als   handele  es  sich  nur  um 
die  Frage,  welcher  von  beiden  der  Schuldige  sei.    In  unserem 
Falle   der   Christenprozesse   kann    alter   die   Frage   uter  fecerit 
auch  nicht  einmal  zum  Schein  gestellt  werden,   denn   selbst- 
verständlich könnten  die  Christen  der  Unzucht  oder  der  Gott- 
losigkeit  schuldig   sein,   auch   wenn  von   Heiden    das    Gleiche 
gilt.     Sehen  wir  aber  auf  die  ursprüngliche  Verwendung  des 
Motivs  in  Nat.,  so  dient  es  dort  ja  auch  durchaus  nicht  dem 
Zweck,   die   von    den    Heiden   erhobenen  Anklagen    als   falsch 
zu    erweisen.     Die    avrfaax^yoQCu,    die    dort    geschlossen    für 
sich   steht   (I  10  —  20)   wird   eingeleitet   so:  nunc  vero  eadrm 
ipsa  (calumniae  tela)  de  corpore  nostro  vulsa  in  vos  retorquebo, 
eadem    vulnera    criminum    in    robis    defossa    monstrabo,     quo 
machaeris  vestris  admentationibusque  cadatis.     Am  Schluß  er- 
folgt zunächst  die  ironische  Aufforderung,  da  also,  wie  nach- 
gewiesen, die  Heiden  ebensolche  Sünder  seien  wie  die  Christen, 
so   solle   man    doch   einträchtiglich  zusammen  gehen  und  zu- 
sammen   sündigen.      Dann    aber    erhebt    Tert.    im    Ernst    die 
Forderung,   die   Heiden,   die   den  Splitter  im   fremden  Auge, 
aber   nicht   den   Balken    im    eigenen    sähen,   sollten    sich    erst 
bessern,  ehe  sie  die  Christen  straften:   besserten  sie  sich,  so 
würden    sie    selbst    Christen    werden.     Es    hält    schwer,    dem 
Polemiker   zu   glauben,   daß    dies  wirklich   sein  Ziel   gewesen 
sei;   ernstlich   im    Auge   behalten   hat    es   Tert.  jedenfalls    im 
Lauf  der  Polemik   nicht.     Sondern   zum   mindesten   hat   die 
Oberhand   gewonnen,   wahrscheinlich   aber   ist   überhaupt  der 
Ausgangspunkt  des  Ganzen  gewesen  der  in  jedem  Streit,  vom 
Zank  der  Gasse   bis   zu   den  Invektiven   im   römischen  Senat, 
naheliegende   und    menschlich    so    begreifliche  Wunsch,    dem 
Angreifer  mit  gleicher  Münze  heimzuzahlen,  zunächst  um  ihm 
den  erlittenen   Arger  zu  vergelten,  sodann  um  ihn,  wenn  die 
Gegenvorwürfe   'sitzen',   zum    Schweigen   zu   bringen.     So   ist 
es  bei  den  griechischen  Apologeten  schon,  freilich  nur  in  den 
Anfängen:  warfen  die  Heiden  den  Christen  Unsittlichkeit  vor, 
so  war  es  eine  begreifliche  Reaktion  des  guten  Gewissens  und 


3 1  o  Richard  Heinze  :  [IV  i . 


o 


der  Entrüstung,  wenn  die  Christen  dem  Gegner  seine  Laster 
vorhielten.  Keiner  aber  der  Griechen  hat  daran  gedacht, 
diese  Gegenanklage  so  systematisch  durchzuführen,  wie  es 
Tert.  in  seiner  Invektive  ad  nat.  getan  hat;  und  aus  der  In- 
vektive  ist  dann  das  Ganze,  in  Anlehnung  wie  gesagt  an  ein 
Motiv  der  wirklichen  Verteidigungsrede,  in  die  Apologie  über- 
tragen, hier  aber  der  ganze  Stoff  auf  die  einzelnen  crimina 
verteilt  und  jeweils  nach  der  eigentlichen  refutatio  eingefügt. 
Als  Motiv  ist  in  der  propositio  einmal  das  aus  Nat.  uns 
Bekannte  wiederholt  (uti  erubescant  accusantes  non  dico  pes- 
simi  optimos,  sed  iam  ut  volunt,  compares  suos);  es  ist  aber 
daneben  der  Versuch  gemacht,  eine  über  die  ernsthafte  Mah- 
nung am  Schlüsse  von  Nat.  noch  hinausgehende  engere  Be- 
ziehung zur  Apologie  herzustellen  —  ut  ex  hoc  quoque  stiemt 
homines  in  christianis  non  esse  quae  in  se  nesciunt  esse  — , 
das  dann  bei  der  ersten  Gelegenheit  (IX  i)  noch  entschie- 
dener wiederholt  wird:  haec  quo  magis  refutaverim ,  a  vobis 
fieri  ostendam,  und  am  Schluß  dieses  Nachweises  haec  in  vobis 
esse  si  considerareritis ,  proinde  in  christianis  non  esse  perspi- 
ceretis,  mit  der  höchst  anfechtbaren  Ausführung,  daß  zwei 
Arten  von  Blindheit  leicht  zusammentreffen,  ut  qui  non  vident 
quae  sunt,  videre  videantur  quae  non  sunt.  Vergessen  ist  da- 
bei auf  alle  Fälle  die  Fiktion,  daß  diese  Apologie  eine  'Ge- 
richtsrede ersetzen  soll:  in  diesem  ersten  Falle  gleich,  wo  es 
sich  um  die  geheimöu  Frevel  der  Christen  handelt,  wie  sollte 
es  die  praesides  von  der  Unschuld  der  Christen  überzeugen 
können,  daß  es  —  ganz  zu  schweigen  von  den  Excursen  in 
ferne  Länder  und  Zeiten  —  auch  unter  den  Heiden  Kindes- 
mord und  Blutschande  gibt?  Man  sieht,  die  ursprüngliche 
invektivische  Natur  des  Motivs  hat  sich  zur  apologetischen 
nicht  umwandeln  lassen.  Tert.  selbst  ist  das  gewiß  nicht  ent- 
gangen: man  sieht  also  weiter,  daß  ihm  die  Anrede  an  die 
praesides  nur  Form,  die  Auseinandersetzung  mit  dem  Heiden- 
tum überhaupt  das  Wesentliche  ist. 

Die  pariitio  geht  nicht  ins  einzelne:    sie  beschränkt  sich 
darauf,  die  beiden  Hauptkategorien  von  Anklagen  zu  sondern: 


IV— VI]  TertuiiLians  Apologeticum.  311 

I  quac  in  occulto  admittere  dicimur  (c.  VII — IX)  und  II  quae 
palam  adinveniuntur  (c.  X — XLV).  Der  Unterschied  ist  äußer- 
lich formuliert,  liegt  aber  in  Wahrheit  tiefer:  unter  I  werden 
Untaten  behandelt,  die  die  Christen  leugnen,  begangen  zu 
haben  (Status  coniccturalis),  unter  II  (mit  ganz  geringen  Aus- 
nahmen) Dinge,  die  die  Christen  zwar  zugeben,  deren  Sub- 
sumierung unter  die  betr.  crimina  sie  aber  bestreiten  (status  iuri- 
dicialis):  wie  sie  denn  z.B.  zugeben,  den  heidnischen  Göttern 
nicht  zu  opfern,  aber  bestreiten,  daß  dies  sacrüegium  sei.  Für 
Tert.  ist  wichtiger  als  diesen  Unterschied  hervortreten  zu 
lassen  die  Antithese  von  occulto  und  palam,  an  die  sich  dann 
weitere,  nicht  der  partitio  dienende1),  anreihen,  um  so  den 
Eindruck  zu  erwecken,  daß  Tert.  alles  erschöpfen  wird,  was 
je  gegen  die  Christen  vorgebracht  worden  ist.  Aber  wenn 
hier  das  vanum  dem  scelestum,  das  inridendum  dem  damnan- 
dum  gegenübersteht,  so  sagt  Tert.  schon  damit,  daß  er  sich 
nicht  auf  das  beschränken  wird,  was  Anklage  im  strafrecht- 
lichen Sinne  ist:  insofern  mit  Recht,  als  das  odhim  publicum, 
dem  sich  die  Richter  anbequemen,  auch  auf  den  vana  et 
inridenda  mit  beruhen  kann. 

Refutatio  IV— XLV. 

Praemunitio.  Eine  Verteidigung  des  Christentums,  die  IV— VI 
sich  auf  den  Rechtsboden  stellte,  war  nach  Lage  der  Dinge 
streng  genommen  unmöglich.  Denn  rechtlich  kam  eben  einzig 
die  Christenqualität  in  Frage,  die  der  Angeklagte  selbst  nicht 
bestritt.  Wenn  also  Tert.  seinen  Plan  ausführen  wollte,  so 
konnte  das  nur  so  geschehen,  daß    er  prüfte,  ob  das,  was  die 

1)  Rauschen  meint  zwar  in  den  vier  oben  weiterhin  genannten 
Gliedern  eine  zweite  Partitio  neben  der  zweigliedrigen  zu  finden,  die 
freilich  auch  mit  der  von  ihm  selbst  p.  3  f.  aufgestellten  dreigliedrigen 
eich  nicht  deckt.  Aber  es  geht  doch  nicht  an,  die  Gottlosigkeit  als 
vanum  von  der  maiestas  als  damnandum  zu  scheiden,  und  wenn  auch 
in  den  Kap.  XLVIff.  vom  irridendum  mehrfach  die  Rede  ist  (XLVII 
12;  XLIX  4),  so  gehören,  wie  s.  Zt.  gezeigt  werden  wird,  eben  diese 
Kapitel  nicht  mehr  zum  Körper  der  Apologie. 

I'hil.-liist.  Klasse  igio.    Bd.  LXII.  2; 


312  Richard  Heinze:  [IV— VI 

Christen  tun  und  lehren,  strafwürdig  sei  nach  den  Grundsätzen 
des  gemeinen  Rechts,  abgesehen  von  dem  Verbot  des  Christen- 
tums als  solchen.  Diesen  Standpunkt  galt  es  vor  Eintritt  in 
die  eigentliche  Verteidigung  zu  motivieren;  es  geschieht  in 
der  eingehenden  praemunitio  IV  3 — VI,  die  man  etwa  ver- 
gleichen kann  der  praemunitio  Ciceros  in  pro  Milone,  wo 
noch  vor  der  narratio  der  Einwand  beseitigt  wird,  daß  jede 
Tötung,  auch  die  in  der  Notwehr,  strafbar  sei,  und  des 
weiteren  die  Meinung  widerlegt  wird,  daß  der  Senat  und 
Pompejus  die  Schuld  des  Milo  bereits  anerkannt  und  da- 
mit ein  praeiudicium  gegeben  hätten,  das  jede  weitere 
Verhandlung  überflüssig  mache.  Tert.s  Aufgabe  ist  freilich 
weit  schwerer:  das  Gesetz  ist  da;  die  Christen  übertreten  es; 
wie  das  rechtfertigen?  Hier  ließ  sich  weder  der  Wille  des 
Gesetzgebers  gegen  den  Wortlaut  des  Gesetzes,  noch  ein  Ge- 
setz gegen  das  andere  ausspielen,  noch  ein  Doppelsinn  im  Ge- 
setze aufstecben,  wie  das  alles  in  der  Behandlung  der  legitima 
constitutio  auf  den  Rhetorenschulen  gelernt  wurde;  wenn  man 
auch  in  der  interpretatio  des  Gesetzes  so  weit  ging,  daß  man 
ein  unzweifelhaftes  Zuwiderhandeln,  weil  in  diesem  besonderen 
Falle  dem  Staate  nützlich,  als  der  sententia  des  Gesetzgebers 
entsprechend  verteidigte,  da  dieser  doch  eben  nur  das  Wohl 
des  Staates  im  Auge  gehabt  habe  (Cic.  de  invent.  I  68  ff.),  so 
war  hier  doch  auch  damit  nichts  anzufangen:  die  Absicht 
des  Gesetzgebers  ist  ja  zweifellos  nach  Tert.s  Ansicht  schlecht 
gewesen,    und    das   Gesetz    als    Ganzes   taugt   nichts.1)       Für 


1)  Ganz  anders,  und  für  Tert.  Behr  viel  bequemer  läge  der  Fall, 
wenn  die  von  ihm  gemeinten  leges  nur  die  des  allgemein  geltenden 
Strafrechts  wären,  aus  denen  die  Strafwürdigkeit  des  Christentums 
zwar  deduziert  wird,  aber  nicht  mit  Notwendigkeit  deduziert  zu  wer- 
den braucht ;  also  eben  die  Gesetze  gegen  maiestas  und  sacrilegium  (so 
u.  a.  Harnack,  fChristenverfolgung'  in  der  Protestant.  Realenzykl.  IIP 
p.  825).  In  diesem  Falle  hätte  Tert.  nicht  von  schlechten  Gesetzen, 
sondern  von  falscher  Anwendung  der  Gesetze  sprechen,  nicht  auf  Ab- 
schaffung, sondern  auf  vernünftige  Interpretation  dringen  müssen:  für 
einen  Advokaten  wie  ihn  eine  äußerst  reizvolle  und  lohnende  Aufgabe. 
Er  wendet  sich  nicht  ihr  zu,  sondern  wagt  sich  an  die  schwerere,  ja  auf 


V — VIj  Terthllians  Apologeticum.  313 

solche  Fälle  strikten  Zuwiderhandelns,  ohne  Zwantr  und  ohne 
Not,  versagt  die  Praxis  des  Verteidigers:  er  müßte  zur  de- 
precatio  greifen,  und  das  hat  Tert.  von  vornherein  (I  2)  aus- 
drücklich abgelehnt.  Eine  Waffe  gibt  es  aus  dem  Rüstzeug 
der    Philosophen  (Aristot.  rhet.  I  15),    deren    sich    Cicero    in 

rechtem  Wege  gar  nicht  zu  bewältigende:  er  versucht,  die  Tatsache,  daß 
das  Christentum  gesetzlich  verboten  sei,  mit  der  andern  zu  vereinen,  daß 
die  Christen  trotzdem  Christen  bleiben  wollen.  Wenn  Tert.  behauptet, 
nur  die  schlechten  Kaiser  brächten  dies  gesetzliche  Verbot  zur  Geltung 
(soli  exsecuntur),  ja  Trajan  habe  es  zum  Teil  umgangen  (frustratus  est) 
und  daraus  wieder  folgert,  daß  das  Gesetz  nichts  taugt  (quales  ergo 
leges  istae  .  .  .),  so  ergibt  sich  auch  daraus  nur,  daß  das  Verbot  als 
solches  besteht  und  von  Tert.  anerkannt  wird;  er  ist  aber  der  Meinung 
—  mit  welchem  Recht  ist  eine  andere  Frage  —  daß  die  guten  Kaiser, 
und  demnach  auch  ihre  Beamten,  das  Gesetz  ignoriert  hätten,  was  ja 
doch  bei  Strafbestimmungen,  die  nicht  dem  eigentlichen  rStrafgesetz- 
buch',  den  Konstitutionen  der  iudicia  publica  angehören,  nichts  Un- 
erhörtes ist.  Tert.  sagt  cum  iure  (?)  definitis  dicendo  'non  licet  esse  vos* 
et  hoc  sine  ullo  retractatu  humaniore  praescribitis,  vim  profitemini:  so 
heißt  dies  nichts  anderes  als  res  besteht  die  Bestimmung,  daß  man 
nicht  Christ  sein  darf ;  dieselbe  Bestimmung  erscheint  in  den  Acta 
Apollonii  (23)  als  Senatskonsult  (und  zwar  nicht  als  ein  erst  während 
des  Prozesses  gefaßtes:  das  wird  ganz  willkürlich  hineininterpretiert, 
und  unmittelbar  als  falsch  erwiesen  durch  Ap.' Worte  14  in.  iyio  phr  xb 
Soyua  rqg  ovyY.Xrjrov  yivdrfxco):  wer  an  die  Echtheit  der  Erzählung  der 
Acta  glaubt,  wird  daraus  m.  E.  eine  urkundliche  Bestätigung  von  Tert.s 
Angabe  entnehmen  müssen;  wer  die  unverfälschte  Echtheit  leugnet, 
wie  ich  es  tue,  wird  trotzdem  an  eine  echte  Unterlage  glauben  und 
die  Existenz  des  Senatskonsults ,  auf  das  sich  der  Richter  beruft,  an- 
nehmen dürfen;  wer  es  für  eine  Erfindung  des  christlichen  Litteraten 
hält,  wird  die  Übereinstimmung  mit  Tert.s  Satz  schwer  erklären,  diesen 
selbst  aber  höchstens  auffassen  können  als  eine  pointierte  Formulierung 
des  bestehenden  Rechtszustandes  —  wohlgemerkt,  nicht  der  augen- 
blicklich herrschenden  Praxis  der  Gesetzesinterpretation  — ,  und  wird 
dann  annehmen  müssen,  daß  Tert.  unter  den  leges,  die  er  bekämpft, 
lediglich  die  zur  Regelung  der  Christenprozesse  erlassenen  Verordnun- 
gen der  Kaiser  meint,  welche  die  Strafbarkeit  des  Christentums  voraus- 
setzen. Mit  Tert.s  Ausführungen  ließe  sich  diese  Annahme  vielleicht 
zur  Not,  aber  eben  nur  zur  Not  vereinigen.  —  Übrigens  kann  ich  auch 
Athenagoras'  Wort:  icp'  r)(itv  Y.slßfrcti  vouov  c.  7  nur  von  einem  aus- 
drücklich gegen  die  Christen  gerichteten  Gesetz  verstehen. 

25* 


314  Richard  Heixze:  [IV  3 — 13 

seinen  letzten  Tagen  auch  im  politischen  Rechtsstreit  zu  be- 
dienen gewagt  hatte  (Philipp.  XI  28):  die  Berufung  auf  das 
über  dem  geschriebenen  Rechte  stehende  göttliche,  das  Recht 
der  Natur,  und  man  könnte  von  Tert.  gerade  in  seinem 
Falle  eine  solche  Berufung  erwarten1):  aber  nein,  damit 
würde  er  zu  offensichtlich  die  Bahnen  prozessualer  Erörterung 
verlassen,  in  denen  er  sich  freilich  in  Wahrheit  doch  nicht 
strikt  halten  kann.  Er  argumentiert  so: 
IY  3 — 13  1.  'Euer  Verbot   des   Christentums    ist  reine  Gewalt  und 

Tyrannei,  wenn  es  einfach  erfolgt  ist,  weil  ihr  so  wollt,  nicht 
weil  das  Christentum  nicht  existieren  durfte.  Wolltet  ihr 
aber  das  Christentum  nicht,  weil  es  nicht  erlaubt  sein  durfte 
—  nun,  es  darf  das  nicht  erlaubt  sein,  was  schlecht  ist,  und 
eben  damit  ist  entschieden,  daß  erlaubt  ist,  was  gut  ist  (bene 
fit).  Finde  ich  also,  daß  das,  was  dein  Gesetz  verboten  hat, 
gut  ist,  so  kann  es  mich  offenbar  nach  jener  Entscheidung 
nicht  daran  hindern,  woran  es  mich  von  Rechts  wegen  hin- 
dern würde,  wenn  es  schlecht  wäre.'  —  Si  bonum  invenero 
esse,  quod  lex  tua  prohibuit  — :  d.  h.  es  bleibt  dem  Urteil 
jedes  Einzelnen  anheimgestellt,  ob  er  sich  einem  Gesetze  fügen 
zu  sollen  meint  oder  nicht.  Das  ist  eine  große  Wahrheit, 
gewiß,  und  bleibt  eine  solche,  so  oft  sie  auch  falsch  ange- 
wendet worden  ist:  aber  es  ist  eine  revolutionäre  Wahrheit, 
die  das  Prinzip  der  Gesetzgebung  aufhebt;  jeder  praeses  im- 
perii    Bomani,    dem    diese    Sätze    vor   Augen    kamen,    mußte 


1)  Wie  man  sie  denn  in  der  Tat  bei  ihm  gefunden  hat:  Monceaux 
p.  225.  Ebenda  einiges  über  den  erst  im  Zeitalter  der  Antonine  bei 
den  großen  Juristen  und  den  Kaisern  klar  auftretenden  Begriff  des 
Naturrechts,  der  allmählich  die  ganze  Gesetzgebung  umgestaltet  habe, 
und  über  die  geschickte  Benutzung  dieser  neuen  Geistesrichtung  durch 
Tertullian:  das  schwebt  alles  in  der  Luft,  und  seltsame  Verkennung 
der  Tatsachen  ist,  was  ebendort  von  Tert.s  bei  dieser  Gelegenheit  be- 
wiesenen technisch-juristischen  Bestimmtheit  gesagt  wird.  —  Origenes 
hat  dann  mit  voller  Bestimmtheit  das  Recht  und  die  Pflicht  verfochten, 
dem  göttlichen  Gesetze  da  zu  folgen,  wo  das  menschliche  ihm  wider- 
streitet und  hat  damit  die  Christen  verteidigt:  s.  die  Stellen  bei 
K.  J.  Neumann  Staat  und  Kirche  I  234. 


IV  3  — 13]  Tertullians  Apologeticum.  315 

über  den  seltsamen  Verteidiger  den  Kopf  schütteln.1)  Es  ist 
doch  noch  etwas  anderes,  ob  Cicero  eine  gesetzwidrige  poli- 
tische Handlung  damit  rechtfertigt,  daß  sie  nach  dem  Rechte 
erfolgt  sei  quod  Juppiter  ipse  sanxit,  ut  omnia  quae  rei 
publicae  salutaria  essent,  Icgitima  et  iusta  haberentur  —  oder 
ob  Tert.  und  seine  Glaubensgenossen  ein  eigens  gegen  sie 
erlassenes  Gesetz  ablehnen,  weil  es  nicht  'gut'  sei. 

2.  Daß  aber  ein  Gesetz  schlecht  sei,  führt  Tert.  fort, 
könne  nicht  verwundern,  sei  es  doch  von  einem  Menschen 
gemacht,  nicht  vom  Himmel  gefallen.2)  So  habe  man  denn 
von  alters  her  und  noch  in  neuester  Zeit  Gesetze  als  schlecht 
erkannt  und  beseitigt  und  werde  das  auch  weiterhin  tun 
müssen:  nicht  Alter  und  Würde  des  Gesetzgebers,  sondern 
die  Billigkeit  allein  empfehle  ein  Gesetz,  die  unbilligen  da- 
gegen würden  mit  Recht  verurteilt.  —  Ein  locus  communis, 
anwendbar  in  jeder  Beratung  über  Aufhebung  eines  beste- 
henden Gesetzes,  nicht  am  Platze  den  praesidcs  gegenüber, 
die  als  Richter  die  bestehenden  Gesetze  anzuwenden,  nicht  mit 
den  Angeklagten  über  ihre  Aufhebung  zu  diskutieren  haben. 
Die  rechte  Adresse  wäre  hier  allein  der  Kaiser,  wie  in  den 
griechischen  Apologien. 

3.  Ungerecht  aber  ist  dies  Gesetz,  weil  es  auf  den  Na- 
men hin  Handlungen  bestraft,  ohne  daß  geprüft  würde,  ob 
sie  begangen  sind,  ob  sie  sich  rechtfertigen  lassen.  'Kein 
Gesetz  verbietet,  das  zu  erörtern,  was  es  nicht  geschehen 
lassen  will,  weil  weder  der  Richter  gerechter  Weise  straft, 
wenn  er  nicht  erkennt,  daß  etwas  Unerlaubtes  getan  ist,  noch 
der  Bürger  getreulich  den  Gesetzen  folgen  kann,  wenn  er 
nicht  weiß,  welcher  Art  das  ist,  was  das  Gesetz  ahndet.'    Un- 

1)  In  Nat.  fehlt  dieser  Passus,  und  die  ganze  Erörterung  über 
das  gesetzliche  Christenverbot  (I  6)  ist  dadurch  auf  eine  andere  Basis 
gestellt,  daß  hier  nicht  der  Richter,  sondern  die  christenfeindliche 
Menge  sich  auf  die  Gesetze  beruft,  um  die  Schlechtigkeit  der  Christen 
zu  beweisen,   die   doch  dem  Gesetzgeber  bekannt  gewesen  sein  müsse. 

2)  Nequc  enitn  de  caelo  venit,  gewiß  nur  sprichwörtliche  Wen- 
dung, keine  ernsthafte  Leugnung  göttlichen  Ursprungs. 


316  Richard  Heinze:  [V 

zweifelhaft  richtige  Sätze,  mit  großer  Kunst  so  formuliert, 
daß  sie  scheinbar  auf  das  Vergehen  des  Christentums  ebenso 
passen  wie  auf  jedes  gewöhnliche  Verbrechen.  Gewiß  hindert 
das  Gesetz  nicht,  z.  B.  in  einem  Majestätsprozeß  den  Begriff 
der  maiestas  durch  Ankläger  und  Verteidiger  erörtern  zu 
lassen,  damit  sich  der  Richter  ein  Urteil  bilde,  ob  die  an- 
geklagte Tat  unter  das  Majestätsgesetz  fällt,  und,  mag  man 
hinzusetzen,  der  Bürger  sich  darüber  belehren  könne,  was  das 
Gesetz  im  Auge  hat;  aber  niemals  wird  in  einem  Majestäts- 
prozeß erörtert  werden  dürfen,  ob  es  erlaubt  sei  die  maiestas 
zu  verletzen  oder  nicht:  eine  entsprechende  Diskussion  aber 
verlangt  Tert.  für  den  Christenprozeß.  Die  trefflichen  Sen- 
tenzen, mit  denen  er  den  Abschnitt  schließt,  können  über  die 
Sophistik  des  Ganzen  nicht  hinweghelfen. 
V  4.  Es   folgt,   als   weiterer  Beweis   für   die  Schlechtigkeit 

der  Gesetze,  ein  historischer  Überblick  über  das  Verhalten 
der  Kaiser  zum  Christentum,  aus  dem  sich  ergeben  soll,  daß 
nur  die  schlechten  Kaiser  es  verfolgt  haben.  Dieser  Über- 
blick, voller  Fabeln  und  historischer  Irrtümer,  ist  höchst 
lehrreich  für  die  Auffassung  der  Christen,  unter  denen  es  eine 
einigermaßen  zuverlässige  Tradition  über  die  Entwicklung 
ihres  Verhältnisses  zum  Staat  nicht  gab;  wir  brauchen  uns 
dabei  nicht  aufzuhalten1),  nur  sei  daran  erinnert,  daß  auch 
Justin  sich  dem  Kaiser  Antoninus  Pius  gegenüber,  freilich  mit 
aller  gebührenden  Vorsicht,  auf  ein  die  Christen  begünsti- 
gendes Reskript  seines  Vaters  Hadrian  (von  recht  zweifel- 
hafter Echtheit)  beruft,  Iva,  xal  xara  xovxo  uXrj&eveiv  ij^iäg 
yvojQityrs:  das  mag  dem  Tert.  Anstoß  zu  seiner  umfassenden 
Übersicht  gegeben  haben.  Allerdings  ist  bei  dieser  Annahme 
um  so  erstaunlicher,  daß  Tert.  die  Behauptung  wagen  konnte, 
Pius  und  Verus  hätten  die  Gesetze  gegen  die  Christen  nicht 
anwenden  lassen2),   da   doch  Justins  Apologie   sich  an    diese 


1)  Eine  sehr  ausführliche,  nur  leider  der  kritischen  Sicherheit  er- 
mangelnde und  darum  wenig  fördernde  Besprechung  des  Einzelnen  gibt 
Güignebert,  Tertullien  (Paris  1901)  p.  61  ff. 

2)  Leges  .  .  quas   adversus  nos  soli  exsequuntur  impii,  incesti  .  . 


VI]  TertuiiLians  Apologbticum.  317 

richtet   mit   der   Bitte,   die   bisher  unter  ihnen  geübte  Praxis 
der  Christenprozesse  abzustellen. 

Von  aufgehobenen  Gesetzen  war  schon  vorhin  die  Rede:  VI 
da  lag  der  Nachdruck  auf  der  Schlechtigkeit  der  Gesetze,  die 
es  infolgedessen  verdienen,  abgeschafft  zu  werden.  Aber  so- 
lange sie  bestehen  —  so  konnte  man  ihm  antworten  —  muß 
man  sich  ihnen  fügen.  Demgegenüber  richtet  Tert.  schließ- 
lich an  die  religiosissimi  legum  et  paternorum  inslitu  forum 
protectores  et  ultores  die  Gewissensfrage,  ob  sie  denn  nicht 
selbst  von  so  und  so  vielen  consulta  maiorum,  die  niemals 
tatsächlich  aufgehoben  worden  waren,  abgefallen  seien:  ge- 
rade die  nützlichsten,  die  sich  gegen  Luxus,  Ausschweifung 
und  Zuchtlosigkeiten,  auch  gegen  fremden  Aberglauben  rich- 
teten, sind  abhanden  gekommen,  wie  ausführlich  daro-eWt 
wird.  Landaus  sempcr  antiquos,  sed  nove  de  dir  civitis. 
"Woraus  erhellt,  daß,  während  ihr  von  den  guten  Satzungen 
der  Vorfahren  abgeht,  ihr  das  festhaltet,  war  ihr  nicht  solltet, 
wenn  ihr  das  nicht  bewahrt,  was  ihr  solltet.'  Über  den 
Götterkult,  der  gleichfalls  vernachlässigt  und  vernichtet  wird, 
den  Altvordern  zum  Trotz,  soll  später  ausführlich  gehandelt 
werden.  Sehr  geschickt  hat  Tert.  gleich  im  ersten  Satz  mit 
den  leges  die  instituta  paterna  verbunden  und  so  zu  diesen 
übergeleitet;  in  Wahrheit  handelt  es  sich  dann  vornehmlich 
um  diese.  Das  hat  mit  der  Aufgabe  der  ganzen  praemunitio 
direkt  nichts  mehr  zu  tun,  denn  die  instituta  maiorum  sind 
an  sich  nicht  rechtlich  verbindlich.  Der  ganze  toTtog  stammt 
denn  auch  aus  anderem  Zusammenhange:  Nat.  10  ist  der 
erste  Vorwurf,  den  Tert.  auf  die  Heiden  zurückschleudert, 
das  divortium  ab  histitutis  maiorum'.  die  im  Apol.  ausführ- 
licher behandelten  Gebiete  —  cultus,  habitus,  apparatus,  vic- 


quas  nuUus  Hadrianns  .  .  nullus  Pius,  nullus  Vcrus  impressit:  Tert. 
mochte  sich  durch  den  Ausdruck  iniprimere  salviert  fühlen,  der  ja  frei- 
lich vom  unbefangenen  Leser  als  Synonymon  von  exsequi  aufgefaßt 
werden  wird,  aber  auch  gedeutet  werden  kann  als  fnachdrücklich  ein- 
schärfen', was  in  der  Tat  für  die  genannten  Kaiser  kaum  zutreffen 
würde. 


3 1 8  Richard  Heinze:  [VII— IX 

tus  —  werden  dort  nur  gestreift,  um  so  ausführlicher  auf  dem 
der  Götterverehrung  verweilt ,  die  wieder  im  Apol.  nur  be- 
rührt wird,  um  die  spätere  eingehende  Behandlung  anzukün- 
digen. Aus  dem  ursprünglichen  Zusammenhange  erklärt  sich 
auch  der  vorwurfsvolle  Ton  des  Ganzen:  dem  Gedanken  der 
Apologie  würde  es  viel  mehr  entsprechen,  wenn  Tert.  dieje- 
nigen Punkte  hervorhöbe,  in  denen  der  Abfall  von  der  Väter- 
Bitte  einen  Fortschritt  bedeutet. 

A.  Die  facinora  occulta  VII — IX. 

VII— IX  Die  Verteidigung  der  griechischen  Apologeten  gegen  die 

Verdächtigungen  wegen  Kannibalismus  und  Inzest1)  laufen 
wesentlich  darauf  hinaus,  die  Unfähigkeit  der  Christen  zu 
solchen  Verbrechen  darzutun  durch  den  Hinweis  auf  ihre 
sonstige  Lebensführung  und  Lehre.  Daneben,  nicht  eigent- 
lich als  Argument  für  die  Unschuld,  wird  der  Gegenvorwurf 
erhoben:  die  behaupteten  Sohandtaten  werden  vielmehr  von 
den  Göttern  der  Heiden  und  von  den  Heiden  selbst  verübt.2) 
Was  die  Beweise  der  Gegner  betrifft,  so  gibt  Justin  zu,  daß 
falsche  'Christen'  (d.  h.  Häretiker)  derartiges  verübt  haben 
mögen  (I  26,  7),  und  er  weiß  auch  von  belastenden  Aussagen, 
die  durch  die  Folter  erpreßt  worden  sind;  damit  ist  durchaus 
vereinbar,  wenn  Athenagoras  konstatiert,  keiner  der  Angeber 
sei  so  schamlos,  zu  behaupten,  er  habe  die  Frevel  selbst  ge- 
sehen, und  auch  von  den  Sklaven  der  Christen  habe  keiner 
derartiges  bezeugt  (35).  Tertullian  läßt  den  Beweis  aus  der 
sonstigen  christlichen  Lebensführung  zurücktreten,  ohne  aber 
ganz  auf  ihn  zu  verzichten:  mit  dem  argumentum  a  minore 
ad  malus  schließt  er  die  drei  Beweisreihen  der  Retorsion  ab.3) 
Dagegen  gestaltet  er  den  negativen  Beweis  der  mangelnden 
Zeugenaussagen  reich  aus  und  entwickelt   aus  den  Gegenvor- 


1)  Vgl.  über  Vorwurf  und  Verteidigung  das  reiche  Material   bei 
Gepfcken  167.  231  ff. 

2)  Just.  II  12.  Athenag.  32.  34.  Theoph.  III  3.  8,  der  auch  auf  die 
heidnischen  Philosophen  verweist,   die   solche  Laster  empfehlen  (5  fg.). 

3)  IX  8.  13.  19. 


VII]  TEItTULLIANS    Al'OLOGETICUM.  3*9 

würfen    der    griechischen   Apologeten    eine    Reihe    von   Argu- 
menten, ;iuf  die  er  das  größte  Gewicht  legt. 

Die  einfache  Konstatierung  der  Tatsache,  daß  keine  Be-  VII 
weise    für   die   christlichen  Frevel   je    erbracht    seien,    genügt 
dem  advokatorischen  Verteidiger  nicht.1) 

i.  Ein  erster  Beweis  ergibt  sich  ihm  schon  daraus,  daß 
die  Richter  den  Verbrechen  nicht  nachforschen:  daraus,  daß 
sie  das  nicht  wagen  (weil  sie  nämlich  wissen,  daß  es  ver- 
gebens sein  würde),  folgt,  daß  das  Verbrechen  nicht  existiert. 

2.  Die  Angeber:  Feinde  haben  wir  von  jeher  genug,  und 
wir  werden  oft  genug  bei  unseren  Zusammenkünften  über- 
rascht:  aber  weder  a)  hat  uns  einer  je  auf  frischer  Tat  er- 
tappt, b)  noch  Spuren  gefunden  und  dem  Richter  gewiesen; 
während  doch  c)  an  eine  Unterdrückung  der  gefundenen 
durch  Bestechung  nicht  zu  denken  ist. 

3.  Wendet  man  aber  ein,  es  sei  uns  eben  immer  gelungen, 
unsere  Missetaten  vor  den  Aufpassern  zu  verbergen,  so  könnte 
nur  der  Verrat  von  Teilnehmern  die  Dinge  ans  Licht  gebracht 
haben.  Auch  das  ist  a)  weder  geschehen,  noch  b)  konnte 
es  geschehen,  weder  a)  von  Zugehörigen,  die  sich  ja  dadurch 
der  göttlichen  und  irdischen  Strafe  aussetzen  würden,  noch 
ß)  von  Nichtzugehörigen,  die  natürlich  hier  noch  weniger 
zugelassen  werden  als  bei .  anderen  Mysterien. 

Es  bleibt  die  Fama.  In  Gegensatz  zum  Beweis  der 
Anklage  hatten  auch  die  griechischen  Apologeten  die  cptjiir} 
xovyiqü  (Just.  I  3),  die  xoivr)  xal  cixQirog  xCov  ävd-QÖyjccov 
(frj^irj  (Athenag.  2,  xolvi)  xccl  äloyog  «JP^?;,  axQtxog  tojv  %ol- 
Xav  (pt]^irj  ebd.,  (pr^i}  xeideö&ui  jtooxarföp/ftfV /;  Theoph.  ad 
Autol.  III  4)    gestellt.     Tertull.  greift  das  auf,   gestaltet   aber 

1)  Von  einer  'verächtlichen  Handbewegung',  mit  der  Tert.  diese 
Anschuldigungen  ablehne,  ohne  sich  lange  dabei  aufzuhalten,  da  ja 
die  praesides  doch  nicht  daran  glaubten,  redet  Monceaux  p.  227,  sehr 
mit  Unrecht:  sämtliche  Argumente,  die  in  Nat.  vorgebracht  wurden, 
kehren  wieder,  z.  T.  freilich  knapper,  aber  darum  nicht  weniger  ernst- 
haft gefaßt.  Es  widerspräche  Tert.s  Art  durchaus,  solche  Dinge  nicht 
mit  vollem  Nachdruck  zu  behandeln. 


320  Richard  Heinze:  [VII 

die  Epitheta  tiovyjqcc  und  axQirog  zu  einem  reichen  locus 
communis  im  Sinne  der  rednerischen  Praxis  aus,  wobei  er  an 
einen  berühmten  Virgilvers  anknüpft,  im  weiteren  aber  gegen 
Virgil  polemisiert.1)  Insofern  nun  die  fama  der  einzige  index 
(VII  13)  ist,  den  die  Gegner  zur  Verfügung  haben,  vertritt 
dieser  locus  communis  zugleich  die  von  der  rhetorischen 
Praxis  geübte  Verdächtigung  der  Glaubwürdigkeit  gegnerischer 
Zeugenaussagen:  ich  erinnere  zum  Vergleich  etwa  an  die  Art, 
wie  Cicero  pro  Cael.  9,  2  1  fg.  die  gegen  Caelius  auftretenden 
Leumundszeugen  verdächtigt,  oder  pro  L.  Flacco  4,  9  den 
griechischen  Belastungszeugen  von  vorn  herein  mit  dem  Ein- 
wand begegnet,  daß  testimoniorum  religionem  et  fidem  numquam 
ista  natio  coluit  usf. 

Die  Ausführung  über  die  Fama  setzt  ohne  Übergang 
oder  Einleitung  ein:  natura  famae  omnibus  nota  est.  Erst  am 
Schluß  —  hunc  indicem  adversus  nos  profertis  etc.  —  wird  ein 
nicht  ganz  ungezwungener  Versuch  gemacht,  den  Zusammen- 
hang mit  dem  Früheren  herzustellen:  statt  auf  Zeugen,  könnt 
ihr  euch  einzig  auf  die  Fama  als  Angeberin  berufen.  Auch 
zum  Folgenden  ist  keine  deutliche  Verbindung  geschaffen:  Tert. 
geht  da  auf  die  Verbrechen  selbst  ein,  und  man  hat  etwa  zu 


1)  Aen.  IV  188  tarn  ficti  pravique  tenax  quam  nuntia  veri.  Da- 
gegen Tert. :  ne  tum  quidem,  cum  aliquid  veri  defert,  sine  mendacii 
vitio  est  .  .  .  quid  quod  ea  Uli  condicio  est  ut  non  nisi  cum  mentitur 
perseveret,  et  tamdiu  vivit  quamdiu  non  probat.  Siquidem  ubi  probavit, 
cessat  esse  et  quasi  officio  nuntiandi  funeta  rem  tradit.  Also:  das 
Gerücht  wird,  sobald  es  Tatsachen  meldet,  zur  Nachricht.  Nur  auf 
den  ersten  Blick  identisch,  aber  doch  wohl  durch  Tert.  angeregt,  lautet 
die  Antithese  in  dem  einzigen  Satze,  den  Minucius  28,  6  der  fama 
widmet:  nee  tarnen  mirum  (nämlich,  daß  ihr  die  quaestio  im  Christen- 
prozeß so  verkehrt  handhabt:  zurückgreifend  über  die  Parenthese  his 
enim  .  .  .  referserunt) ,  quoniam  fama,  quae  semper  insparsis  mendaeiis 
alitur,  ostensa  veritate  consumitur:  angesichts  der  Wahrheit  stirbt  die 
fama.  Die  Sentenz  ist  recht  an  den  Haaren  herbeigezogen.  —  Auch 
bei  der  Erwähnung  des  allmählichen  Wachstums  der  fama  von 
kleinem  Anfang  denkt  Tert.  an  Virgils  parva  metu  primo,  mox  sese 
attollit  ad  auras  etc.;  195  liaec  passim  dea  foeda  virum  diffundit  in 
o-ra,  cf.  quantacumque  illa  ambitione  diffusa  sit  Tert.  VII  11. 


VIII]  Tertullians  Apologeticum.  ,321 

ergänzen  cwenn  die  Fama  an  sich  schon  wenig  Vertrauen 
verdient,  so  ist  sie  in  diesem  Falle  vollends  unglaubwürdig, 
denn  .  .  .'  Ursprünglich  war,  wie  Nat.  lehrt,  der  Zusammen- 
hang der  einzelnen  Stücke  der  Argumentation  anders  konzi- 
piert.  Dort  geht  Tert.  von  der  Fama  aus:  auf  sie  berufen 
sich  die  Gegner  als  ausreichendes  Fundament  der  gegen  die 
Christen  erlassenen  Gesetze;  also  wird  sie  zunächst  diskredi- 
tiert, und  es  reiht  sich  daran  ganz  ungezwungen  der  Vorwurf, 
daß  man  noch  nicht  gefragt  habe,  wer  denn  wohl  in  diesem 
Falle  die  Fama,  gesetzt  sie  sei  wahr,  habe  aussprengen 
können:  Christen?  Fremde?  Hausgenossen  (die  im  Apolog. 
weggelassen  sind)?  Oder  geht  die  Fama  auf  einen  seinerzeit 
einmal  entdeckten  Fall  zurück  —  warum  hätte  die  Entdeckung 
sich  nicht  seitdem  wiederholt  (dies  Argument  ist  im  Apol. 
an  die  Spitze  gestellt,  natürlich  ohne  die  Anknüpfung  an  die 
Fama)?  Man  sieht,  dadurch  daß  Tert.  im  Apolog.  von  vorn 
herein  auf  die  Widerlegung  der  Anklagen  ausging,  hat  die 
ganze  Argumentenreihe  die  Front  gewechselt,  und  es  sind 
dadurch  Verschiebungen  der  einzelnen  Teile  eingetreten.  Die 
Übersichtlichkeit  des  schematischen  Aufbaus  und  die  Schärfe 
der  Argumentation,  für  die  Gerichtsrede  von  großer  Wichtig- 
keit, hat  dadurch  gewonnen,  der  leichte  Fluß  der  Gedanken- 
entwickelung dagegen  ist  mehrfach  unterbrochen. 

Tert.  geht  nun  auf  die  Verbrechen  selbst  ein,  d.  h.  er  VIII 
geht,  rhetorisch  gesprochen,  von  den  7ti6xet£  axeyvoi  zu  den 
svxsyvoi  über:  diese  an  die  Gerichtsrede  sich  anlehnende 
Disposition  ist  in  Nat.  noch  nicht  vorhanden,  sondern  das 
was  hier  über  das  Begehen  der  Verbrechen  gesagt  wird,  steht 
dort  im  weiteren  Verfolg  der  soeben  angeführten  Argumen- 
tation, um  zu  zeigen,  daß  die  Christen  selbst  solche  Frevel 
unmöglich  verschweigen  können.  —  Da  keine  bestimmten  Einzel- 
fälle zur  Prüfung;  vorliegen,  kann  Tert.  nur  die  Unwahrschein- 
lichkeit  der  Beschuldigungen  generell  dartun,  und  zwar  be- 
schränkt er  sich  hier  darauf,  das  probabUe  ex  causa  zu  be- 
sprechen. Dabei  ist  zunächst  die  eigentliche  Präzisierung  der 
Anklagen  selbst  von  Wichtigkeit.    Die  griechischen  Apologeten 


322  Richard  Heinze:  [VIII 

sprechen  davon  nur  in  ganz  allgemeinen  Wendungen,  von 
Menschenfresserei —  nicht  von  Kindsmord1)  —  und  schranken- 
losem Geschlechtsverkehr2),  der  allerdings  wie  die  Päderastie, 
so  auch  den  Inzest  einschließt,  aber  nicht  mit  ihm  identisch 
ist.  Daß  diese  Thyesteen  und  Oedipodeen3)  ein  Bestandteil  der 
christlichen  Riten  seien,  wird  höchstens  angedeutet,  nirgends 
mit  voller  Bestimmtheit  ausgesprochen4);  als  Motiv  der  Un- 

i)  Athenagoras  c.  35  schließt  sogar  selbst  erst  von  dem  Vorwurf 
der  av&Qconocpccyia  auf  den  der  ccv&gcoitocpovLa,  kennt  also  die  Anklage 
des  rituellen  Kindsmordes  jedenfalls  nicht. 

2)  Theoph.  ad  Autol.  III  4  noiväg  andvxcov  ovßag  xag  yvvamag 
7][iäv  %al  äöiacpögm  fu'|fi  ov vövxag ,  ixt  [irjv  xai  xaig  l&iaig  adsXcpatg 
cv^ifiiyvva&at  .  .  .  -accl  7tao<bv  ßagxiöv  av&gwnivcav  icpänxsa&ai,  i]H&g. 
Justin  I  26,  7  rag  &viSr\v  [li&tg  n«i  av&gcoTcivmv  ßagnäv  ßogag,  be- 
sonders deutlich  II  32,  2  xig  yug  (fiXvßovog  7}  ocxgaxijg  xal  äv&gcoitlvwv 
aagxcav  ßogäv  äya&bv  r\yov[isvog  und  weiter  dibg  nnn\xal  ytvofisvoi  iv 
xä  uvSgoßaxsiv  v.al  yvvai^lv  adswg  (liyvva&at.  Tatian  25  nag'  f}filv 
ov%  ißxiv  äv&Qconocpayicc.  Athenag.  34 fg.  ßagxüv  anxtßd'ai  ccvQ'gcüTttKobv, 
7ta.6aeQ'aL  xgtwv  av&Qa>7tiHwv.  32  rb  iic    abtiag  xai  abiacpogag  niyvvo&at. 

3)  Den  Ausdruck  —  ©vtoxiia  Selitva,  OiSinoSsioi  (ii^sig  —  braucht 
Athenag.  3,  stellt  dann  in  Gegensatz  dazu  x&v  öiioysv&v  ov%  anxsxai 
xal  vöyup  cpvasag .  .  .  ovx  in  ccSüag  \iiyvvxai.  Der  Ausdruck  kehrt 
wieder  im  Bericht  der  lugdunensischen  Christen  bei  Euseb.  h.  e.  V  1,  14, 
und  hier  ist  in  der  Tat,  wie  V  1,  26  zeigt,  an  das  naidia  yayiiv  ge- 
dacht (so  dann  auch  Orig.  c.  Gels.  II  27  xaxa&vßavxsg  nuidlov  fifra- 
Xa^ßävovciv  avxov  xäv  aagxwv).  Aus  der  profanen  Literatur  kenne  ich 
die  Wendung  nur  aus  dem  anon.  de  physiognom.  II  p.  33  Förster,  wo 
gesagt  wird,  daß  uniformiter  rollende  Pupillen  den  betreffenden  als 
mit  den  ärgsten  Freveln  besudelt  zeigen,  et  aut  homicidiis  domesticis 
aut  infandis  cibis  vel  conubiis  esse  pollutum,  quales  Thyestae  vel  Terei 
tibi  vel  qualia  Oedipodis  conubia  fuisse  memorantur ;  bei  Polemon,  aus 
dem  der  anon.  schöpft,  ist  (I  p.  110F.)  neben  Oedipus  genannt  Pelopis 
filius,  qui  filium  epulans  inventus  est  (vgl.  Adamant.  Phys.  I  307  F.). 
Polemon  ist  älterer  Zeitgenosse  des  Justin. 

4)  Aus  Justins  Erzählung  (apol.  I  29)  von  dem  Christenjüngling, 
der  beim  Präfekten  um  die  Erlaubnis  zur  Kastration  einkommt,  um 
zu  beweisen  ort  ovx  Igxiv  tj(lZv  iivgxt\qlov  r\  av£dr\v  (il^ig  geht  hervor,  daß 
diese  aviSr\v  filzig  als  unerläßliche  Vorschrift  für  die  Christen  angesehen 
worden  ist,  und  an  die  Vorstellung  ritueller  Frevel  streift  es  auch,  wenn 
nach  dial.  c.  Tryph.  108  die  Juden  von  Christus  ausgesprengt  haben, 
debida%£vai  v.al  xuvxu  ccjtig  . .  .  xaxä  xätv  biioXoyovvtav  Xqi6x6v  .  .  .  itavx) 


VTII]  Tertullians  Apologetici  m.  323 

taten  scheint  widernatürliche  Lust  zu  gelten,  der  bei  den 
aremeinsamen  Zusammenkünften  unter  dem  Deckmantel  der 
Religion  gefröhnt  wird;  danach  ist  begreiflich,  daß  z.  B. 
Athenagoras    in    diesem  Zusammenhange   großes  Gewicht   auf 

D  DD 

den  Glauben  der  Christen  an  Unsterblichkeit  und  jenseitige 
Vergeltung  legt,  durch  den  sie  wie  von  anderen  Freveln,  so 
von  den  hier  besprochenen  zurück  gehalten  würden  (36). 
Für  Tertullian  dagegen  ist  gerade  die  Unsterblicheit  der  Lohn 
für  diese  Frevel,  ihre  Begehung  Voraussetzung  für  die  Auf- 
nahme in  die  Christengemeinde  —  sie  gelten  durchaus  als 
Initiationsriten1),    nicht    als    regelmäßige    Bestandteile    aller 


yivu  Scv&Qmitcov  ä&sa  y.cc\  avoftec  xal  ccvöüia  Xzysrs.  Justin  ist  auch  der 
einzige,  der  über  die  geschlechtlichen  Ausschweifungen  deutlichere  An- 
gaben macht  (I  26  tä  övacprifiu  inslva  \Lvftoloyoviisva  ?<?ya,  Xv%vlccg 
(ihv  ccvatQOTti]v  ncä  tag  uv£dr\v  pi^eig,  Vgl.  dial.  10  ort,  di)  ia&iousv 
Kvd'QmTtovg  xal  llstcc  xi\v  sH.unlvr\v  .  .  cctitoiiotg  fii^Sßiv  iyAvXi6[L£%a), 
die  sich  mit  den  von  Tert.  vorausgesetzten,  von  Minucius  9,  6  aus  Fronto 
belegten  Vorstellungen  decken.  Usener  (Religionsgesch.  Unters.  I  102) 
schloß  daraus,  daß  Justins  Apologie  durch  Frontos  Brandschrift  Kegen 
die  Christen  angeregt  sei  (seine  Datierung  der  Apol.  auf  138  ist  mittler- 
weile durch  die  Fixierung  des  I  29  erwähnten  Präfekten  Felix  end- 
gültig widerlegt);  aber  es  ist  doch  zu  beachten,  daß  Minucius  den 
Cäcilius  sagen  läßt  et  de  convivio  notum  est;  passim  omnes  locuntur, 
id  etiam  Cirtensis  nostri  testatur  oratio,  also  sich  nur  auf  das  Zeugnis 
des  Fronto  für  eine  allgemein  verbreitete  Fabel  beruft.  Daß  sie 
es  wirklich  war,  zeigt  auch  die  Kürze  der  Andeutung,  mit  der  Tert. 
sich  begnügen  kann.  —  Ob  Frontos  Rede  im  Senat,  wie  Usener  meinte, 
oder  vor  Gericht  gehalten  ist,  läßt  sich  nicht  ganz  sicher  feststellen; 
im  letzteren  Falle  müßte  er  einen,  wegen  eines  anderen  Verbrechens 
angeklagten  zugleich  als  Christen  verdächtigt  haben:  wahrscheinlicher 
ist  nach  Cäcibus'  Ausdruckweise,  daß  es  sich  um  eine  eigens  gegen  die 
Christen,  also  im  Senat  gehaltene  Rede  handelt. 

1)  Diese  Restriktion  hat  Tert.  erst  hier  im  Interesse  der  Eindeutig- 
keit der  Anklage  vorgenommen;  Nat.  I  15  hieß  es  noch  nos  infantieidio 
litamus  sive  initiamus.  Ebenso  steht  dort  noch  das  visceribus  miliare 
neben  dem  (p.  69)  sanguinem  lambere,  vgl.  I  7  quis  unquam  semeso 
cadaveri  supervenit.  Daß  die  zu  Tert.s  Seelenlehre  nicht  gut  stimmende 
Äußerung  im  folgenden  (p.  71)  speeta  morientem  animam  antequam  vixit 
im  Apolog.  VIII  2  mit  Bedacht  durch  adsiste  morienti  homini  antequam 
vixit  ersetzt  ist,  hat  Hartel  gesehen,  Patr.  Stud.  II  p.  17. 


324  Richard  Heinze:  [VIII 

Zusammenkünfte  —  und  religiöse  Pflicht.  Das  Bild  der  Frevel 
selbst  ist  völlig  klar;  es  sind  drei  an  der  Zahl:  1.  Tötung  eines 
kleinen  Kindes  mit  dem  Messer;  die  Tötung  gilt  als  Opfer, 
daher  darf  auch  angeblich  das  Kind  nicht  weinen  (VIII  7). 
2.  In  das  Blut  tauchen  die  Anwesenden  ihr  Brot  und  ver- 
zehren es  so  [sanguinis  pabulum,  nicht  öagniöv  ßoQcc).  3.  Nach 
dem  Mahle,  in  der  in  bekannter  Weise  herbeigeführten  Dunkel- 
heit, Pflicht  des  Inzests  mit  Mutter  und  Schwester.  Man 
sieht,  die  Unbestimmtheit  der  von  den  Griechen  genannten 
Anklagen  ist  hier  durch  feste,  klare  Aufstellung  verdrängt; 
Tert.  will  etwas  Bestimmtes  zu  widerlegen  haben,  wie  es  die 
einzelnen  Punkte  einer  kriminellen  Anklage  sind,  um  dann  fest 
zugreifen  und  jede  Einzelnheit  packen  zu  können.  Erst  in 
der  von  Tert.  angenommenen  Fassung  wird  es  ganz  zweifellos, 
daß  es  sich  um  eine  Anklage  gegen  eine  religiöse  Institution 
der  Christen,  nicht  um  eine  Verdächtigung  vereinzelter  Aus- 
schweifungen handelt.  Von  den  Details  ist  vielleicht  keines 
von  Tert.  erfunden,  aber  die  Zusammenstellung  ist  offenbar 
sein  Werk;  einzig  mit  Minucius  berührt  er  sich  näher:  darüber 
am  Schluß  dieses  Abschnittes. 

Tert.  beruft  sich  in  seiner  Widerlegung  auf  die  Natur  — 
ganz  wie  Justin  im  Dialog  (Tryph.  10)  selbst  den  Gegner 
den  Glauben  an  diese  Dinge  ablehnen  ließ  mit  der  Begrün- 
dung TtÖQQCo  yuQ  X£%cb()rjxE  rijg  dv&QOTiCvrjg  (pvßecog.1)  Tert. 
appelliert  an  den  Gegner,  und  indem  er  dessen   Behauptung 


1)  Dagegen  Athenag.  c.  3  widerlegt  nicht  (Geffcken  p.  167)  die 
Anklage  durch  den  Hinweis  darauf,  daß  sie  wider  die  Natur  sei, 
sondern  gibt  eine  amplificatio  der  Frevel  teils  um  seinen  eigenen  Ab- 
scheu auszudrücken,  teils  um  den  Kaisern  vor  Augen  zu  führen,  welches, 
die  Richtigkeit  der  Anklagen  angenommen,  ihre  Pflicht  wäre  im  Gegen- 
satz zu  der  jetzt  obwaltenden  Laxheit.  Auch  bezieht  sich  im  folgen- 
den der  von  den  Tieren  befolgte  vö^iog  cpvGeag  nur  auf  die  (Li&tg  (wie 
yvcoQifei  Sh  xcu  vcp'  oov  dxpsXsiTat.  Gegensatz  zur  oc&t6vr}g  ist  —  Ath. 
'schreibt'  also  hier  nicht  'einfach  seine  Quelle  aus'),  und  cpvaiKtä  Xöyca 
ngbg  tijv  ccqsti]v  Ty\g  y.uv.iag  avriKSL^vrig  heißt  nicht  'alle  Laster 
streiten  gegen  die  Natur',  sondern  erklärt  nur,  warum  diaßoXcä  xsvai  das 
Christentum  verfolgen. 


VIII]  Tertullians  Apologeticum.  325 

voraussieht,  daß  der  den  Christen  für  ihre  Frevel  verheißene 
Lohn  —  die  Unsterblichkeit  —  ein  gewaltig  großer  sei,  stellt  er 
diesen  gleich  von  vorn  herein  in  Rechnung:  demgegenüber, 
mit  einer  der  deCvcoöig  dienenden  Anschaulichkeit,  rhetorischer 
ivÜQysicc,  die  Beschreibung  des  frevelhaften  Akts.  Aber  die 
einfache  Vorwegnähme  der  Antwort:  'dergleichen  ist  in  der 
Tat  unglaublich'  genügt  ihm  nicht;  er  konstruiert  ein  Di- 
lemma: 'wenn  du  einen  Menschen  dessen  für  fähig  hältst,  bist 
du  selbst  im  stände  es  zu  tun;  wenn  du  es  aber  nicht  selbst 
tun  könntest,  darfst  du  es  auch  keinem  anderen  Menschen 
zutrauen1),  und  der  Christ  ist  ja  doch  ein  Mensch  wie  du.2)'  — 
Es  ist  ein  ungewöhnlicher  Kunstgriff,  die  amplificatio  crimntis, 
die  den  Zwecken  des  Anklägers  zu  dienen  pflegt,  im  Interesse 
der  Verteidigung  zu  venvenden;  das  ist  nur  dann  am  Platze,  wenn, 
wie  hier,  die  Geringfügigkeit  oder  Nichtigkeit  des  Belastungs- 
materials auf  der  Hand  liegt.  Wir  haben  einen  ganz  ähnlichen 
Fall  in  Ciceros  Jugendrede  pro  Roscio  Amerino:  13,  37  occi- 
disse  patrem    Sex.  Boscius  arguitur.     Scelestum   di   inmortales 


1)  Bedenklich  ist,  daß  Tert. ,  der  hier  mit  der  Unfähigkeit  des 
Anklägers,  solche  Frevel  selbst  zu  begehen,  argumentiert,  nachher, 
seinem  Schema  des  retorquere  crimina  getreu,  fortfährt  (IX)  haec  quo 
magis  refutaverim,  a  vdbis  fieri  ost endet m,  per  quod  forsitan  et  de  nobis 
crediäistis:  wenn  es  also,  mußte  der  Gegner  erwidern,  bei  uns  vorkommt, 
warum  sollen  wir  es  euch  nicht  zutrauen?  Der  Widerspruch  erklärt 
sich  daraus,  daß  die  erstere  Stelle  fast  wörtlich  aus  dem  Werk  ad 
nationes  übernommen  ist  (I  7),  wo  die  entsprechende  Gegenanklage 
erst  später  und  in  anderem  Zusammenhange  folgt  (I  15). 

2)  Diese  Tatsache  wird,  so  setzt  Tert.  voraus,  auch  vom  Gegner 
nicht  bestritten,  und  auf  ihr  beruht  seine  Argumentation.  Wenn  vorher- 
geht alia  nos,  opinor,  natura,  cynopennae  aut  sciapodes;  alii  ordines 
dentium,  alii  ad  incestam  libidinem  nervi,  so  ist  das  ersichtlich  über- 
treibende Ironie,  nicht  wirkliche  f  Abwehr  des  Vorwurfs,  die  Christenheit 
sei  etwas  ganz  unmenschlich  Eigenartiges'  (Haunack,  Mission  u.  Ausbr. 
F  229).  Die  Bezeichnung  der  Christen  als  tertium  genus  (nächst  gentiles 
und  Juden)  zieht  Tert.  ad  nat.  I  8  nur  mit  Verdrehung  der  eigentlichen 
Bedeutung  des  Ausdruckes  in  diesen  Zusammenhang  (so  urteilt  auch 
Haknack  231):  er  sucht  nach  einem  Vorwand,  die  Bezeichnung  zu  be- 
kämpfen. 


326  Richard  Heinze:  [VIII 

ac  nefarium  facinus  atque  eiusmodi,  quod  uno  maleficio  omnia 
complexum  esse  videatur,  und  besonders  22,  62  .  .  res  tarn 
scelesijj,  tarn  atrox,  tarn  nefaria  credi  non  potest.  magna  est 
enim  vis  humanitatis,  midtum  valet  communio  sanguinis,  re- 
clamitat  istius  modi  suspicionibus  ipsa  natura;  portentum  at- 
que monstrum  certissimum  est  esse  aliquem  humana  specie  et 
figura,  qui  tantum  immanitate  bestias  evicerit  e.  q.  s. 

Gegen  Tert.s  Argumentation  ist  der  Einwand  möglich: 
man  läßt  bei  euch  die  Neophvten  diese  Verbrechen  begehen, 
ohne  daß  sie  selbst  es  wissen;  nachher  —  so  ist  der  Ge- 
danke zu  ergänzen  —  fühlen  sie  sich  durch  das  Getane  ge- 
bunden. Wir  würden  diesen  Einwand  kaum  verstehen,  wüßten 
wir  nicht  durch  Minucius,  daß  ihm  in  der  Tat,  wenigstens 
was  den  Kindsmord  angeht,  eine  Fabelei  der  Christengegner 
zugrunde  liegt:  der  tirunculus,  so  erzählte  man  sich  (9,  5), 
werde  dadurch  getäuscht,  daß  ihm  infans  farre  contectus,  ut 
decipiat  incautos,  adponitur  .  .  is  infans  a  tirunciäo  farris  super- 
ficie  quasi  ad  innoxios  ictus  provocato  caecis  occultisque  volneri- 
bus  occiditur.  Tert.  berichtet  das  nicht,  setzt  aber  offenbar 
die  Kenntnis  bei  seinen  Hörern  voraus  —  ebenso  wie  er  ja 
auch  die  Fabel  von  den  Hunden,  den  Kandelabern  und  den 
Brocken  in  einer  nur  für  den  Kenner  verständlichen  Kürze 
andeutet.  Anders  als  Minucius  bezieht  er  die  fallacia,  durch 
die  der  ahnungslose  Neuling  getäuscht  wird,  auch  auf  den 
Inzest:  das  ist  nur  konsequent,  denn  sonst  würde  ja  der 
Gegner  für  diesen  Tert.s  früheres  Argument  zugeben.  Tert.s 
Widerlegung  verläuft  nicht  ganz  glatt.  Man  würde  erwarten: 
1.  die  Annahme  ist  unwahrscheinlich,  2.  träfe  sie  zu,  so  wäre 
damit  doch  für  die  Anklage  nichts  gewonnen.  In  der  Tat 
finden  wir:  1.  es  ist  unglaublich,  daß  die  neu  Eintretenden 
nie  von  diesen  Fabeln  vorher  gehört  hätten,  und  also  nicht 
wüßten,  Vorsicht  sei  nötig  (6).  2.  quid  nunc,  et  si  ista  omnia 
ignaris  praeparantur?  a)  sie  erfahren  es  doch  später  und 
finden  sich  damit  ab;  b)  schweigen  dann  jedenfalls  nicht  aus 
Furcht  darüber;  c)  und  wie  kommt  es,  daß  sie  dann  trotz- 
dem bei  der  christl.  Gemeinde  ausharren?  (8.  9.)  —  Dazwischen 


IX]  Tertullians  Apologeticum.  327 

schiebt  sich  aber  (7—8)  die  Prosopopöie  des  pater  sacrorum, 
der  dem  sich  anmeldenden  Neuling  die  Requisiten  für  die 
Einweihung  aufzählt1),  witzig  erdacht,  aber  recht  verstanden 
nur  ironisch  die  Möglichkeit  zurückweisend,  daß  derartige  Frevel 
jemandem  zugemutet  werden  könnten.  Vergleichbar  ist  etwa  das 
supponierte  Zwiegespräch  zwischen  dem  Schauspieler  Roscius 
und  dem  Cluvius,  mit  dem  Cicero  die  Annahme,  Cluvius  könne 
zu  gunsten  des  Roscius  gelogen  haben,  witzig  zurückweist  (pro 
Rose.  com.  16,  49).  An  seinem  Orte  paßt  unser  Stück  schlecht, 
denn  es  handelt  sich  hier  nicht  mehr  darum,  daß  der  Neo- 
phyt  wissentlich  frevelt;  im  richtigen,  ursprünglichen  Zu- 
sammenhange ist  es  Nat.  I  7  erhalten*);  Tert.  hat  es  auch 
hier  nicht  missen  wollen  und  sich  nicht  gescheut,  dem  ein 
kleines  Opfer  der  Geschlossenheit  zu  bringen. 

Es  folgt  die  Retorsion  der  Anklagen.    Tert.  disponiert  sehr  IX 
scharf:  I.  Mord.    1.  Sakraler,  a)  von  Kindern,  b)  von  Erwach- 
senen;   2.  Nichtsakraler    Kindsmord.  —  Gegenstück:   bei    den 
Christen    selbst    Abtreibung    verpönt.      II.  Bluttrinken.    1.  in 
vergangenen  Zeiten;   2.  gegenwärtig,  a)  sakral,  b)  nichtsakral. 

—  Gegenstück :  bei  den  Christen  selbst  der  Genuß  von  Tier- 
blut  verpönt.  III.  Inzest  1.  unter  Göttern,  2.  unter  Menschen, 
a)  wissentlich:  Perser,  Makedonier,  b)  unwissentlich:  Römer.3) 

—  Gegenstück:  absolute  Keuschheit  der  Christen.    Sodann  (20) 

1)  Oehler  vergleicht  sehr  gut  Apul.  Metam.  XI  28,  wo  der  Isia- 
priester  indidem  .  .  .  praedicat  quae  forent  ad  usum  teletae  necessario 
praeparanda. 

2)  Dort  wird  getrennt  aut  statim  audita,  si  prius  demonstrantxr, 

—  und  diese  Möglichkeit  des  prius  demonstrari  durch  die  fragliche 
Prosopopöie  widerlegt  —  aut  postea  reperta,  si  interim  celantur. 

3)  Auf  die  Möglichkeit  des  unwissentlichen  Inzestes  als  Folge  der 
Kindesaussetzung  und  der  Verbreitung  der  Prostitution  hatte  Justin  I  27 
hingewiesen;  Tert.  nimmt  das  ad  Nat.  I  16  p.  87  auf  und  geht  von  der 
Aussetzung  aus,  gelangt  aber  dazu,  zwei  Möglichkeiten  zu  statuieren: 
1.  Inzest  mit  einem  ausgesetzten  oder  in  Adoption  gegebenen,  2.  mit 
einem  außerehelich  gezeugten  und  dem  Vater  unbekannten  Kinde.  Im 
Apol.  ist  diese  Teilung  dann  von  vornherein  ins  Auge  gefaßt  und  durch- 
geführt, und  daher  hat  sie  Minucius  31,  4  dum  Venerem  promiscue  spar- 
gitis  .  .  .  dum  etiam  domi  natos  .  .  .  exponitis. 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  26 


328  Richard  Heinze:  [IX 

Abschluß  der  ganzen  Argumentation.  In  allen  drei  Stücken 
beginnt  Tert.  mit  zeitlich  und  örtlich  Fernliegendem  und 
endet  mit  der  römischen  Gegenwart;  ganz  im  Stil  einer  wirk- 
lich gehaltenen  Gerichtsrede  ist  die  Apostrophierung  der  Ko- 
rona und  der  Gerichtsherren  IX  6:  quot  vultis  ex  Ms  circum- 
stantibus  et  in  christianorum  sanguinem  hiantibus,  ex  ipsis 
etiam  vobis  iustissimis  et  severissimis  in  nos  praesidibus  apud 
conscientias  pulsem,  qui  natos  sibi  liberos  enecent? 

Wenn  den  Christen  widernatürliche  Frevel  und  Lüste 
vorgeworfen  werden,  so  war  es  eine  fast  selbstverständliche 
Äußerung  ihres  guten  Gewissens  und  ihrer  Entrüstung  über 
die  heidnische  Unsittlichkeit,  die  Vorwürfe  zurückzugeben:  tä 
cpavEQ&s  v^ilv  TtQatro^iEva  xal  tL^äfieva  .  .  rj^ilv  itQoöyQacpsxe 
oder  <xldE<3&r}T£  cc  cpavsQdg  TtQccxxsxe  alg  uvcaxCovg  ävcccpsQOvxeg, 
xal  tä  7tQO(56vTcc  xccl  iccvxolg  xccl  xolg  vfisxeQoig  ftsolg  ttsql- 
ßdlXovxeg  xovxoig  cjv  ovdhv  ovo'  &%\  Ttoöbv  fistovöta  eöxCv 
sagt  Justin  (I  27;  II  12),  ovxoi  a  övviöaGiv  ccvxolg  xccl  rot>g 
öcpsxsQovg  ksyovöi  freovg,  i%  ccvx&v  ag  6£[ivä  xal  x&v  ftsäv 
u£,iu  <xv%ovvxsg,  tavxa  r\iiäg  XoidoQovvxut  Athenagoras  (34). 
Dabei  wird  im  allgemeinen  an  die  heidnische  Unsittlichkeit  ge- 
dacht, die  sich  auch  in  den  Mythen  von  den  ehebrecherischen 
und  päderastischen  Neigungen  der  Götter  (Ath.  32,  Just.  II 12) 
wiederspiegele,  und  bezüglich  des  Kannibalismus  wird  an  blu- 
tige Riten  der  Heiden  erinnert.1)  Aber  weder  hat  einer  der 
uns  vorliegenden  griechischen  Apologeten  daran  gedacht, 
diese  Gegenvorwürfe  als  Widerlegung  der  erhobenen  An- 
klagen   auszugeben,   noch    auch    ist  jemand   darauf  verfallen, 

1)  Kqovov  tLVOTiJQia  Just.  II 12.  Juppiter  Latiaris  ebd.  und  Tatian.  29, 
Theoph.  III  8 :  die  übrigen  darauf  bezüglichen  Stellen  aus  späteren 
christlichen  Schriftstellern  (von  Heiden  nur  Porphyr,  de  abstin.  II  56)  bei 
Marquardt-Wissowa  Staatsverw.  IIP  297.  Ich  bemerke,  daß  bei  den 
Autoren  älterer  Zeit  nie  von  einem  eigentlichen  Menschenopfer,  son- 
dern nur  davon  gesprochen  wird,  daß  das  Bild  des  Gottes  mit  dem 
Blut  (eines  zu  den  Tieren  Verurteilten)  bespritzt  wird;  auch  Minucius' 
Latiaris  Juppiter  homicidio  colitur  et .  .  hominis  sanguine  saginatur  (30,  4) 
hebt  sich  deutlich  von  dem  Vorhergehenden  immolare,  victimas  caedere, 
in  sacriflciis  viventes  obruere  ab. 


IX j  Tertullians  Apologeticum.  32g 

ganz  systematisch  eine  Liste  der  heidnischen  Frevel  in  ge- 
nauer Entsprechung  zu  den  angeblichen  christlichen  aufzu- 
stellen. In  dem  Exkurs  über  die  heidnische  Unsittliehkeit, 
durch  den  Justin  I  27  das  christliche  Verbot  der  Aussetzung 
Neugeborener  begründet1),  wird  beiläufig  auch  die  Gefahr  des 
unwissentlichen  lnzests  erwähnt,  der  sich  die  Heiden  aus- 
setzen: im  übrigen  wird  bei  den  Gegenvorwürfen,  wie  nach 
dein  oben  Gesagten  zu  erwarten  ist,  weder  auf  den  Inzest  be- 
sonderes Gewicht  gelegt,  noch  speziell  auf  Fälle  von  Blut- 
trinken gefahndet.2) 

Tert.  nun  hat  alle^  Material,  das  er  vorfand,  im  Sinne 
seiner  aggressiven  Verteidigung  verwertet,  es  aber  erheblich 
erweitert,  indem  er  teils  Dinge  hineinbezog,  die  die  griechi- 
schen Apologeten  in  anderem  Zusammenhange,  z.  B.  bei  der 
Besprechung  der  heidnischen  Kultriten  (Athen.  26:  taurische 
Artemis)  oder  der  Verschiedenheit  der  heidnischen  Sittengesetze 
(Tatian  28:  Ehen  von  Mutter  und  Sohn)  vorgebracht  hatten, 
teils  aus  anderen  Quellen  vo^iipia  ßaQßaQixa  sammelte,  teils 
endlich  die  römische  Vergangenheit  (Catilina)  und  Gegen- 
wart ausnutzte.  Dabei  wurde  das  Gewicht  auf  die  speziell 
ins  Auge  gefaßten  Frevel  gelegt:  sakraler  Kindsmord,  Trinken 
von  Menschenblut,  Inzest,  sodann  aber  ähnliche  Frevel  — 
Menschenopfer  und  Tötung  oder  Aussetzung  Neugeborener, 
Leichen  verzehrung,  fellatio  —  ergänzend  und  steigernd  ange- 
reiht. Wo  irgend  angängig,  wird  die  Wirkung  dieses  Sünden- 
registers durch  veranschaulichende  ÖsivcJöts  verstärkt;  auch 
schreckt  Tert.  vor  Gewaltsamkeiten  hier  so  wenig  wie  ander- 


1)  Von  Tötung  der  Neugeborenen  ist  bei  den  Griechen  nicht 
die  Rede,  es  liegt  ihnen  eben  nichts  an  der  genauen  Responsion  der 
Verbrechen;  auch  wird  die  Aussetzung  ebensowenig  wie  die  Abtreibung 
(Athenag.  35)  als  gleichwertig  dem  Kannibalismus  hingestellt,  sondern 
beides  nur  erwähnt  als  bei  den  Christen  verpönt,  denen  darum  erst 
recht  nicht  Kindsmord  zuzutrauen  sei. 

2)  Nur  Justin  II  12  stellt  zu  dem  angeblichen  ca/torro?  iintinXuafrui 
der  Christen  zwar  nicht  bluttrinkende  Heiden,  aber  die  mit  Blut  be- 
sprengten Götzenbüder  in  Parallele;  Tert.  steht  ihm  auch  hier  unter 
den  Griechen  am  nächsten. 

26* 


330  Richard  Heinze:  [IX 

wärts  zurück:  wie  gesucht  ist  es  z.  B.,  als  Gegenstück  zu  dem 
angeblichen  Kannibalismus  der  Christen  anzuführen,  daß  die 
Heiden  das  Fleisch  von  Tieren  essen,  die  in  der  Arena  mit 
Gladiatorenblut  bespritzt  wurden!  Das  sind  freilich  Dinge, 
über  die  wir  uns  in  einer  hitzigen  Advokatenrede  oder  in 
einer  Schulcontroversia  nicht  wundern  dürften,  die  aber  dem 
Geiste  der  älteren  Apologetik  gänzlich  fern  stehen.1)  Ver- 
schiebt sich  doch  für  Tert.s  advokatorischem  Blick  gelegent- 
lich die  Sachlage  so,  daß  er  redet,  als  handele  es  sich  um 
eine  GvyxQiöig  der  heidnischen  mit  den  —  in  Wirklichkeit 
ja  gar  nicht  vorhandenen  —  christlichen  Freveln:  crudelius 
in  aqua  spiritum  (infantium)  extorquetis2)  aut  frigori  et  fami 
et  canibus  exponitis;  ferro  enim  mori  aetas  quoque  maior  opta- 
verit  (IX  7)  und  multum  homicidio  parricidium  differt  (IX  4). 
Dagegen  tritt  das  Mythische  bei  Tert.  ganz  zurück:  hier,  wo 
es  auf  die  Lebensführung  ankommt,  lassen  sich  dem  keine 
wirksamen  Argumente  entnehmen;  nur  gleichsam  als  Rede- 
schmuck wird  an  den  kinderfressenden  Saturn,  an  den  in- 
zestuösen Juppiter  erinnert,  und  die  Fabel  von  der  taurischen 
Artemis  dem  Theater  überlassen. 

Minucius  formuliert  die  Anklagen  sehr  ähnlich  Tert.;  unzweideu- 
tiger noch  als  dieser  bezeichnet  er  das  Kinderopfer  als  Einweihungsritus 
(9,  5)  und  scheidet  davon  den  Inzest,  der  sollemni  die  bei  den  epulae 
verübt  wird  und  mit  dem  Kult  selbst,  wie  es  scheint,  nichts  zu  tun  hat. 
Von  der  Ausführung  des  Mordes  gibt  er  nocb  bestimmter  als  Tert.  nur 
eine  Version,  die  den  Neophyten  arglistig  getäuscht  werden  und  das 
Verbrechen  unwissentlich  begehen  läßt;  in  der  Widerlegung  freilich 
(30,  1)  nimmt  er  darauf  keine  Rücksicht,  sondern  fragt  wie  Tert.,  ob 
ein  Mensch  wohl  sich  entschließen  könne,  ein  so  junges  Geschöpf  zu 
morden;  wobei  nur  die  Jugend,  nicht  auch,  wie  bei  Tert.,  die  Unschuld 


1)  Was  in  der  Gerichtsrede  noch  einigermaßen  erträglich  ist, 
wirkt  bei  Minucius,  der  c.  30,  6  auch  diesen  Satz  unter  anderem  selt- 
samen wiederbringt,  fast  komisch;  für  die  Gerichtsrede,  nicht  für  den 
'philosophischen'  Dialog,  ist  das  Motiv  erfunden. 

2)  Ertränkung  der  Neugeborenen  (nicht  Erdrosselung  wie  bei 
Minueius)  auch  bei  Seneca  dial.  III  15:  portentosos  fetus  extinguimus, 
liberos  quoque,  si  debiles  monstrosique  editi  sunt,  mergimus.  Von  der 
Einschränkung  st'  .  .  sunt  sagen   Tert.   und  Minucius   natürlich  nichts. 


VII— IX]  Tertullians  Apologetici;.m.  331 

betont  wird,  wie  denn  überhaupt  die  ergreifende  ivägysiu  der  ganzen 
Tertullianstelle  in  der  matten  rhetorischen  Frage  des  Min.  völlig  ver- 
dunkelt ist.  Und  wenn  es  schon  bei  Tert.  bedenklich  erschien,  daß 
diese  Gegenanklage  so  bald  auf  die  kräftige  Ablehnung  der  Möglich- 
keit solcher  Verbrechen  folgt  —  wir  erklärten  das  als  Rudiment  der 
älteren  Fassung  (ob.  S.  325, 1)  — ,  so  wirkt  es  bei  Min.  vollends  verblüffend, 
daß  von  jener  rhetorischen  Frage  'glaubst  du,  daß  jemand  solches  zu 
tun  imstande  ist?'  nur  das  Sätzchen  nemo  hoc  potest  credere,  nisi  qui 
possit  andere  überleitet  zu  einer  mit  Tert.  im  wesentlichen  überein- 
stimmenden Aufzählung  der  entsprechenden  heidnischen  Frevel.  Qui 
possit  audere  sagt  Min.  vorsichtig,  denn  genau  Gleichwertiges  vermag 
er  freilich  den  Heiden  nicht  nachzuweisen:  diese  sachlich  berechtigte 
Vorsicht  bricht  aber  freilich  der  ganzen  Retorsion  die  Spitze  ab.  Tert. 
empfand  die  Schwierigkeit  auch  recht  wohl;  eben  deshalb  konstruierte 
er  zwei  gesonderte  Frevel:  Mord  und  Bluttrinken:  da  ließ  sich  fast 
genau  Entsprechendes  geben.  Daß  an  sich  der  Gedanke,  den  Heiden 
eine  bis  ins  einzelne  genau  durchgeführte  Gegenrechnung  aufzustellen, 
aus  der  Konzeption  eines  Werkes  wie  ad  nationes  sich  leichter  erklärt 
als  aus  dem  Plan  eines  Dialogs  wie  des  Oktavius,  das  steht  mir  zwar 
fest;  indessen  könnten  da  andre  andrer  Meinung  sein.  In  der  Durch- 
führung der  Retorsion  des  Kannibalismus  hat  Min.  das  tertullianische 
Material  geschickt  benutzt,  auch  einiges  neue,  das  nicht  eben  fern  lag, 
hinzugetan;  einzelne  kleine  Anstöße  erklären  sich  leicht  dem,  der  an 
die  Priorität  Tert.s  glaubt;1)  beweisen  ließe   sie  sich  aus   diesem  Ka- 


1)  30,2  vos  enim  video  procreatos  filios . .  adstrangulatos  misero  mortis 
genere  elidere:  warum  misero  m.  q.?  doch  wohl  weil  Tert.,  dem  viel 
daran  liegt,  die  Kindertötung  der  Heiden,  obwohl  sie  ja  nicht  rituell 
ist,  als  mindestens  gleichwertig  dem  angeblichen  Frevel  der  Christen 
hinzustellen,  sagt  (IX  7)  siquidem  et  de  genere  necis  differt,  utique  cru- 
delius  in  aqua  spiritum  extorquetis  (longiore  morte  ad  nat.  I  15),  aut 
frigori  et  fami  et  canibus  exponitis;  ferro  enim  mori  aetas  quoque 
mttior  optaverit.  —  Die  Bezeichnung  der  Abtreibung  als  origincm  futuri 
hominis  extinguere  ist  nicht  eben  glücklich  da,  wo  sie  als  dem  Mord 
gleichstehend  hingestellt  werden  soll:  der  homo  futurus  ist  ebeu,  kann 
man  sagen,  kein  homo.  Tert.  hatte  gerade  dies  behauptet  und  be- 
wiesen: nee  refert,  natam  quis  eripiat  animam  an  nasce)ttem  disturbet; 
homo  est  et  qui  est  futurus;  etiam  fruetus  omnis  in  semine  est.  —  Vom 
latiarischen  Juppiter:  homieidio  colitur  et,  quod  Saturni  fdio  dignum 
est,  mali  et  noxii  hominis  sanguine  saginatur.  Der  Relativsatz  bereitet 
offenbar  das  sanguine  satiatur,  nicht  die  Epitheta  malus  et  noxius  vor: 
mau  versteht  deren  Hinzufügung  besser,  wenn  man  weiß,  daß  Tert. 
sich   einwerfen   ließ   'sed   bestiarii  (sc.  sanguine  >\    und    antwortet    hoc, 


$$2  Richard  Heinze:  [X— XLV 

pitel  schwerlich.  Und  ganz  ähnlich  ist  das  Verhältnis  zu  Tertullian 
im  folgenden  K.  31,  soweit  es  sich  auf  den  Inzest  bezieht,  nur  daß 
sich  hier  Min.  durch  seine  Übertreibung  der  Gegenanklagen  ganz  be- 
sonders auszeichnet.1) 

B.  Die  crimina  manifesta  X — XLV. 

X— XLV  Als   die  summa  causa,  immo  tota   bezeichnet  Tert.  zwei 

öffentlich  von  den  Christen  begangene  Verbrechen,  die  er 
präzis  formuliert:  *deos  non  Colitis  et  pro  Imperator ibus  sacri- 
ficia  non  penditis''  ....  itaque  sacrilegii  et  maiestatis  rei 
convenimur.  Die  beiden  termini  sacrilegium  und  maiestas 
werden  weiterhin  nicht  scharf  von  einander  geschieden: 
XXXV  3  in  hoc  quoque  religione  secundae  maiestatis,  de  qua 
in  secundum  sacrilegium  convenimur:  die  zweite,  aber  höhere 
Majestät  (ventum  est  ad  secundum  titulum  laesae  augustioris 
maiestatis  XXVIII  3)  ist  die  der  Kaiser,  die  erste  die  der 
Götter,  deren  maiestas  z.  B.  XXIII  9;  XXIV  3;  XXV  5  erwähnt 
wird;  neben  der  divinitas  erscheint  sie  als  Eigenschaft  der 
Götter,  die  violatur,  XV  3  vgl.  6.  Der  Ausdruck  sacrilegium, 
der  an  der  oben  zitierten   Stelle   auch  auf  den  Frevel  gegen 

opinor,  minus  quam  hominis?  an  hoc  turpius,  quod  mali  hominis?  — 
Der  seltsame  Einfall,  nach  der  Erwähnung  des  Juppiter  Latiaris  fort- 
zufahren mit  ipsum  credo  docuisse  sanguinis  foedere  coniurare  Catilinam 
usf.  erklärt  sich  als  Nachahmung  des  Tertullianischen ,  viel  weniger 
auffallenden  incesti  qui  magis  quam,  quos  ipse  Juppiter  docuit  IX  16. 

1)  Tragoediae  v'estrae  incestis  gloriantur:  ineestum  penes  vos 
saepe  deprehenditur,  semper  admittitur  (wohlgemerkt  wissentlicher  Inzest : 
das  wagt  weder  Tert.  noch  einer  der  Griechen  zu  behaupten) ;  necesse 
est  in  vestros  recurrere,  in  filios  inerrare:  Tert.  sagt  zwar  alienati  gener is 
necesse  est  quandoque  memoriam  dispergi,  aber  hütet  sich  doch  das 
necesse  auf  den  unwissentlich  begangenen  Inzest  anzuwenden.  Über  31,  4 
s.  auch  ob.  S.  327,  3.  —  Daraus,  daß  sich  Min.,  wenn  er  sagt  deos  Colitis 
incestos,  cum  matre,  cum  ftlia,  cum  sorore  coniunctos  enger  mit  Athena- 
goras  32  berührt  (dia  .  .  ix  finrgbg  (isv  'Piag  ^uyarrpös  ds  KoQrjg 
itsiTai8oTtoir\ii£vov)  als  mit  Tert.s.  incesti  .  .  .  quos  ipse  Juppiter  docuit, 
würde  auf  Benutzung  griechischer  Apologeten  neben  Tert.  noch  nicht 
mit  Sicherheit  zu  schließen  sein:  aber  wir  werden  später  diese  An- 
nahme unabweisbar  finden. 


X— XLV]  Tertullians  Apologeticum.  333 

die  Kaiser  übertragen  wird1),  erscheint  sonst  überhaupt  nicht 
wieder,  wohl  aber  sacrüegus  von  dem  Götterfeind  in  der  Ver- 
bindung impii  et  sacrüegi  et  inreligiosi  erga  deos  XIII  1  u.  ö.2). 
Das  deos  non  colere  wird  meist  als  crimen  laesae  Iiomanae 
religionis  XXIV  1  oder  inreligiositatis  (ebd.  2.  6.  vgl.  XXV  14) 
oder  intentatio  laesae  divinitatis  (XXVII  1)  bezeichnet:  man 
sieht,  ein  fester  Terminus  existiert  entweder  nicht,  oder  Tert. 
hält  sich  nicht  an  ihn.  Das  Vergehen  gegen  die  Kaiser  heißt 
auch  weiterhin  crimen  maiestatis  (XXIX  1  vgl.  XXXI  2)  und 
von  der  maiestas  der  Kaiser  ist  öfters  die  Rede  (XXIX  4; 
XXXIII  2);  für  die  Schuld  der  Christen  überwiegt  später  der 
Ausdruck  publici  hostes3)  (zuerst  XXXV  1),  der  sich  aber  auch 
auf  die  Weigerung,  die  Kaiserfeste  mit  den  Heiden  zu  feiern, 
bezieht. 

Mommsen  hat  aus  diesen  Ausführunoren  Tertullians,  deren 
Schärfe  den  Juristen  zeige,  gefolgert,  daß  es  'neben  der  Auf- 


1)  So  auch,  nur  mit  noch  deutlicherer  Übertragung,  ad  nat.  I  17 
p.  88  prima  obstinatio  est  quae  secunda  a  dei  religio  constituitur  Caesa- 
rianae  maiestatis,  quod  inreligiosi  dicimur  in  Caesares,  und  weiter  unten 
vanitatis  sacrilegia,  nämlich  gegen  den  Kaiser. 

2)  Daß  die  Bezeichnung  sacrilegium  für  die  Kultverweigerung 
nicht  technisch  gewesen  sein  könne,  sagt  Mommsen  mit  Recht,  Strafr. 
569,  2.  Jur.  Sehr.  LH  394,  4.  407;  aber  die  allgemeine  Bedeutung 
'frevelhaft',  die  Mommskn  für  Tert.  annimmt,  hat  es  bei  diesem  nicht: 
überall  bezieht  es  sich  auf  Verletzung  des  Heiligen,  sei  es  der  Religion 
oder  der  Götter  oder  ihrer  Bilder:  II  4.  12.  XII  2.  6.  XIII  1  (in  der 
eigentlichen  Bedeutung  des  Tempelräubers  nur  XV  7),  und  das  Gleiche 
gilt  von  Minucius  9.  17.  Auch  in  späterer  Zeit  erscheint  das  Wort  in 
dieser  Bedeutung,  so  viel  ich  sehe,  nicht  im  technisch  juristischen 
Gebrauch.  In  der  fsententia'  gegen  Cyprian  (acta  c.  4)  heißt  es:  diu 
sacrilega  mente  vixisti  et  plurimos  nefariae  tibi  conspirationis  homines 
adgregasti  et  inimicum  te  diis  Romanis  et  sacris  legibus  constituisti: 
schon  die  Synonyma  zeigen,  daß  der  Prokonsul  hier  das  Verbrechen 
umschreibt,  nicht  bezeichnet;   hingerichtet  wird   Cyprian,  weil  er  dem 

»ausdrücklichen  Befehl  der  Kaiser  (acta  5)  Valerianus  und  Gallienus  den 
Gehorsam  verweigert. 

3)  So  schon  ad  nat.  I  17  in  dem  oben  Anm.  1  zitierten  Zusammen- 
hange: hostes  populi  nuneupamur. 


334  Richard  Heinze:  [X — XLV 

fassung  der  maiestas  populi  Homani,  nach  welcher  der  Reli- 
gionsfrevel nicht  unter  diesen  Begriff  fiel,  eine  strengere  ge- 
geben habe,  welche  auch  die  Verletzung  der  dii  populi  Ho- 
mani auffaßte  als  Beleidigung  der  herrschenden  Nation  und 
die  Anwendung  der  Kapitalstrafe  also  auch  hier  forderte': 
Tert.  fasse  ja  die  Verweigerung  des  Götter-  und  des  Kaiser- 
kults als  zwei  Kategorien  des  einen  Verbrechens  der  maiestas.1) 
Diese  Folgerungen  Mommsens  scheinen  mir  nicht  haltbar. 
In  welchem  Sinne  Tert.  auch  bei  dem  Frevel  gegen  die 
Götter  von  maiestas  spricht,  ergibt  sich  aus  dem  oben  Ange- 
führten: nicht  die  maiestas  populi  Homani,  sondern  nur  die 
maiestas  der  Götter  wird  dabei  verletzt,  und  den  Göttern 
gegenüber  stellt  Tert.  die  maiestas  des  Kaisers  als  augustior 
hin,  selbstverständlich  ohne  damit  die  Verletzung  des  Kaisers 
als  das  rechtlich  schwerere  Majestätsverbrechen  hinstellen  zu 
wollen,  sondern  voll  Hohnes  die  Tatsache  konstatierend,  daß 
die  Gottheit  des  Kaisers  den  in  Wahrheit  ungläubigen  Römern 
weit  höher  stehe  als  die  ihrer  'Götter'.  Nur  in  dieser  von 
Tert.  gezogenen  Parallele  wird  bezüglich  der  Götter  von  einem 
Verbrechen  laesae  maiestatis  gesprochen,  und  ebenfalls  nur  da 
das    sacrilegium  auch  auf  den   Kaiser  übertragen2):    dagegen 


i)  Jur.  Sehr.  III  394  fg.     Vgl.  Strafrecht  569  ff. 

2)  Diese  Ausdehnung  ist  an  die  Hand  gegeben  schon  durch  den 
Sprachgebrauch,  der  pietas  und  religio  dem  Kaiser  gegenüber  ebenso 
gut  kennt  wie  den  Göttern  gegenüber  (bei  Tert.  ganz  geläufig);  aber 
das  hat  natürlich  mit  dem  Recht  nichts  zu  tun.  Daß  das  Verbrechen 
der  maiestas  einerseits,  das  des  sacrilegium  im  Sinne  der  laesa  religio 
andererseits  gänzlich  verschiedenen  Ursprung  haben,  kommt  in  Mommsens 
Darstellung  deshalb  nicht  zur  Geltung,  weil  er  bei  seiner  Konstruk- 
tion des  'Religionsfrevels'  die  Spuren  des  wirklichen  crimen  laesae 
religionis,  die  uns  erhalten  sind,  nicht  verfolgt.  Es  tritt  in  unserer 
Überlieferung  m.  W.  zuerst  im  Falle  des  Clodius  auf,  der  sich  zu 
der  nach  sakralem  Recht  nur  Frauen  zugänglichen  Feier  der  Bona 
Dea  in  Caesars  Haus  eingeschlichen  hatte:  das  erklären  die  Pontifices 
für  nefas,  worauf  die  Konsuln  den  Antrag  an  das  Volk  stellen,  eine, 
quaestio  gegen  Clodius  einzusetzen:  Cicero  bezeichnet  diese  Ro- 
gation als  de  religione  (ad  Att.  I  13,  3)  und  spricht  von  dem  Senats- 
beschluß de  Clodiana  religione   (I  14,1;   ebd.   2),  vom  Antrag  des  Tri- 


X— XLVJ  Tertullians  Apologeticum.  335 

zu  Anfang,  wo  man  schärfste  Bestimmung  erwartet  und  findet, 
stehen  sacrilegium  und  maiestas  als  verschieden  voneinander 
korrekt  nebeneinander,  und  sacrilegus  hat  im  übrigen  durch- 
weg nur  bezug  auf  die  wirklichen  sacra.    Mommsen  hat  sich 


bunen  Fufius  als  lex  de  religione  (I  16,2);  der  Prozeß,  in  dem  Clodius 
freigesprochen  wird,  war  kapital  (ebd.  9),  das  crimen  wird  man  nicht 
anders  auffassen  dürfen  als  Jaesa  religio,  wenngleich  Cicero  später  den 
Clodius  als  incesto  liberatum  bezeichnet  (Pis.  95 ;  dagegen  Plutarch  spricht 
von  dlxri  a6iߣiag,  Cic.  29.  Caes.  10).  Ein  Gesetz  darüber  hat  es  nicht 
gegeben,  es  besteht  keine  quaestio  dafür,  und  von  juristischer  Termi- 
nologie kann  man  also,  streng  genommen,  nicht  reden  —  bezeichnend, 
daß  Cic.  in  Verr.  IV  88,  wo  er  des  Verres  Verbrechen  de  Mereurio 
Tyndaritano  in  einzelne  crimina  zerlegt,  nach  der  Erwähnung  von  pe- 
cuniae  captae,  peculatus,  maiestas  fortfährt  est  (crimen)  sceleris,  t[ii<>d 
religiones  maximas  violavit:  da  handelt  sich's  freilich  nicht  um  die  re- 
ligio Romana.  In  seinen  Leges  verlangt  er  später  (II  2?)  poena  vio- 
lati  iuris  (sc.  sacri)  esto,  und  erläutert  das  dann  41  fg.:  poena  violatae 
religionis  iustam  recusationem  non  habet:  man  sieht  aus  dem  Folgenden 
wieder,  daß  eine  bestimmte  gesetzliche  Strafe  nicht  darauf  steht:  es 
kommt  eben  in  jedem  Einzelfalle  darauf  an,  ob  das  Volk  ein  Gericht 
konstituieren  will,  und  da  der  Fall  des  Clodius  als  etwas  bis  dahin 
Unerhörtes  nicht  hingestellt  wird,  muß  sich  dergleichen  schon  öfters 
ereignet  haben.  Seneca  stellt  de  benef.  III  6,  2  ohne  weiteres  die  vio- 
latae religiones  neben  Itomicidium  usw.  der  Undankbarkeit  gegenüber, 
als  Verbrechen,  für  die  alicubi  atque  alicubi  diversa  poena  est,  sed  ubique 
aliqua,  und  daß  diese  Strafe  in  Rom  nur  kapital  sein  kann,  versteht 
sich;  wenn  Augustus  die  Ehebrüche  in  seiner  Familie  kapital  bestrafte 
und  damit  über  sein  eigenes  Ehebruchsgesetz  hinausging  culpam  inter 
viros  ac  feminas  vulgatam  gravi  nomine  laesarum  religionum  ac  viola- 
tae maiestatis  appellando  (/.Tac.  ann.  III  24),  so  nennt  er  zwei  kapitale 
Verbrechen,  und  wird  unter  laesa  religio  nicht  die  Verletzung  seiner 
eigenen  religio,  sondern  vielleicht  die  der  confarreatio  verstanden  haben. 
Aus  späterer  Zeit  kenne  ich  nur  eine  unzweideutige  Erwähnung:  Reskript 
des  Gordianus  a.  240 :  wer  res  religioni  destinatas  profaniert,  tametsi  iure 
venditio  non  subsistat,  laesae  tarnen  religionis  in  crimen  inciderunt  Cod. 
Just.  IX  19,1.  Man  sieht,  in  allen  diesen  Fällen  —  und  fortgesetztes 
Suchen  wird  gewiß  viel  mehr  finden  —  handelt  es  sich  nicht  um  'Ab- 
fall von  der  Staatsreligion',  sondern  um  sehr  viel  entschiedenere  Ver- 
letzung der  Religion,  die  mit  der  maiestas  nichts  zu  tun  hat;  es  ist  an 
sich  wenig  glaublich,  daß  das  Christentum  rechtlich  mit  jenen  Fällen 
auf  gleiche  Stufe  gestellt  worden  wäre. 


336  Richard  Heinze:  [X — XLV 

also  durch  eine  Pointe  Tertullians  täuschen  lassen,  die  nichts 
weniger  als  den  Juristen  zu  zeigen  beanspruchte1). 

Indessen,  es  wäre  ja  vielleicht  von  geringer  Bedeutung, 
zu  wissen,  ob  der  Religionsfrevel  als  sacrilegium  oder  als  ma- 
iestas  vor  Gericht  kam,  wenn  er  nur  überhaupt  unter  irgend 
einer  kriminalrechtlichen  Kategorie,  abgesehen  von  etwa  gegen 
die  Christen  gerichteten  Sonderbestimmungen,  verfolgt  werden 
konnte.  Aber  auch  hier  glaube  ich  Mommsen  widersprechen 
zu  müssen,  wenn  er  auf  Grund  von  Tertullians  Worten  die 
Frage  bejaht:  vielmehr  ist  das  Apologeticum  als  Ganzes  ge- 
nommen der  sicherste  Beweis  dafür,  daß  damals  wenigstens 
Verurteilungen  eines  Christen  weder  wegen  sacrilegium  noch 
auch  wegen  maiestas  vorgekommen  sind.2)  Fragt  man  nach 
dem  Verbrechen,  wegen  dessen  eine  Verurteilung  stattfindet, 
so  gibt  doch  wohl  die  einzige  authentische  Aufklärung  darüber 
eben  das  Urteil,  die  vom  tribunal  verlesene  sententia.  Nun 
sagt  ja  aber  Tert.  ausdrücklich  II  20  denique  quid  de  tabella 
recitatis  illum  Christianum  (wie  es  ja  in  den  Prozeßakten  der 
Scilitaner  und  nicht  weniger  anderer  noch  zu  lesen  steht)? 
cur  non  et  homicidam,  si  homicida  cltristianus?  cur  non  et 
incestum  vel  quodcumque  aliud  nos  esse  creditis?  in  no- 


1)  Andere  Zeugnisse  dafür,  daß  der  Religionsfrevel  rechtlich  unter 
den  Begriff  der  maiestas  gezogen  worden  sei,  vermag  Mommsen  nicht 
beizubringen;  was  er  Strafrecht  575,1  anführt,  um  seine  These  zu 
stützen,  verliert  alle  Beweiskraft,  sobald  das  Tertullianzeugnis  wegfallt. 

2)  Fraglos  hätte  unter  einem  Kaiser  wie  etwa  Domitian  ein  Richter 
es  sich  erlauben  dürfen,  einen  Christen,  der  den  Eid  auf  den  Genius 
des  Kaisers  verweigerte  oder  der,  wie  es  vor  dem  Tribunal  des  Plinius 
geschah,  dem  Bilde  des  Kaisers,  den  Götterbildern  eingereiht,  das  Opfer 
versagte,  als  Majestätsverbrecher  in  aller  Form  zu  verurteilen,  ohne 
eine  Maßregelung  von  oben  befürchten  zu  müssen.  Ebenso  fraglos 
wäre  das  Gleiche  z.  B.  unter  Trajan  nicht  möglich  gewesen,  und  sichere 
Zeugnisse  dafür,  daß  es  überhaupt  je  geschehen  ist,  fehlen.  Daß  die 
Feinde  der  Christen  mit  den  Schmähungen  hostes  publici  und  ccasßslg 
(auch  in  dem  Sinne  des  maiesiatis  reus,  den  das  Wort  natürlich  keines- 
wegs immer  zu  haben  braucht,  auch  wo  es  auf  Christen  angewandt 
wird)  nicht  gekargt  haben,  versteht  sich,  beweist  aber  nichts  für  un- 
sere Frage. 


X— XXVII]  Tertullians  Apologeticum.  337 

bis  solis  pudet  auf  piget  ipsis  nominibus  scelemm  pronuntiare.1) 
Und  ebenso  wird  II  4  der  Name  Christ,  auf  dessen  Einge- 
ständnis hin  die  Verurteilung  erfolgt,  den  Namen  homicida, 
sacrilrgus,  incestus,  publicus  hostis  gegenübergestellt:  dies  seien, 
sagt  Tert,  die  christlichen  elogia,  aber  eben  nicht  im  Prozeß, 
sondern  im  Munde  der  Leute.2)  Ich  sehe  nicht,  wie  man  an 
diesen  unzweideutigen  Aussagen  deuteln  könnte. 

Nun  sagt  zwar  Tert.  selbst  an  der  Stelle,  von  der  wir 
ausgingen,  sacrilegii  et  maicstatis  rei  convenimur  und  würde 
damit,  falls  man  es  im  Wortsinne  zu  verstehen  hätte,  die 
Klagen  seines  Prooemiums  selbst  aufs  schlagendste  ad  ab- 
surdum führen.  Er  sagt  aber  nachher  ebenso  bestimmt 
(XLII  1)  sed  alio  quoque  iniuriarum  titnlo  postulamur  —  der 
erste  titulus  iniuriarum  ist  die  Schuld  der  Christen  an  den 
großen  Volkskalamitäten,  der  zweite  der,  daß  sie  das  Ge- 
schäftsleben durch  ihre  Zurückhaltung  schädigen:  es  wird 
niemand  aus  Tert.s  Worten  folgern  wollen,  daß  wirklich  aus 
diesen  Gründen  je  ein  Christ  iniuriarum  belangt  worden  sei. 
Vorher  ist,  wenn  auch  nicht  ganz  genau  mit  derselben  Be- 
stimmtheit, von  der  Anklage  der  Christen  als  einer  illicita  fadio 
die  Rede  (XXXVIII  1.  2,  XXXIX  20):  man  sieht  aus  dem  allen, 
daß  es  Tertullian  allerdings  darauf  ankommt,  da  er  nun  ein- 
mal die  Form  einer  Gerichtsrede  gewählt  hat,  die  Anklagen 
gegen  die  Christen  auch  möglichst  auf  juristischen  Fuß  zu 
stellen;  aber  keinesfalls  darf  man  sich  durch  diese  mit  gutem 
Bedacht  gewählte  Form  darüber  täuschen  lassen,  daß  als 
rechtliche  Grundlage  der  Christenprozesse  Tertullian  nur  das 
Bekenntnis  zu  dem  gesetzlich  verbotenen  Christentum  kennt. 

a.   DER  GÖTTERKULT.  X— XXVII 

Ich  gebe  zunächst  die  Disposition  des  ganzen  Abschnittes: 
I.  Die  Christen  verweigern  den  Kult,  weil 


1)  Nat.  I  3,  p.  61    sententiae  vestrae  nihil  nisi  Cfiristianum  con- 
fessum  notant. 

2)  Vgl.  auch  XLIV  2  cum  CJiristiani  suo  titulo  obferuntur. 


338  Richard  Heinze:  [X.  XI 

1.  die  'Götter'  der  Heiden  in  Wahrheit  keine  Götter, 
sondern  verstorbene  Menschen  sind:  X.  XI. 

2.  die  Götterbilder  toter  Stoff  sind:  XII. 

3.  die  Heiden  selbst  ihre  Götter  gar  nicht  verehren,  sie 
vielmehr  mißachten  und  mißhandeln:  XIH — XV. 

H.  Dagegen  verehren  die  Christen 

1.  nicht,  wie  ihr  glaubt,  einen  Eselskopf,  oder  das  Kreuz, 
oder  die  Sonne,  oder  eine  Mißgeburt:  XVI, 

2.  sondern  den  einigen  Gott:  XVII — XX  und  Christus, 
seinen  Sohn:  XXI. 

3.  Daneben  kennen  sie  als  böse  Geister  die  Dämonen: 
XXII.  XXIII. 

III.  Gegenanklage:  XXIV,  mit  einem  Anhang  über  die 
Behauptung,  daß  Rom  seine  Größe  der  'Frömmigkeit'  gegen 
seine  'Götter'  verdanke:  XXV.  XXVI. 

Schluß:  XX VH. 

X— XV  I.  Verweigerung  des  heidnischen  Kults. 

X.  XI  1.  Die  'Götter'. 

Die  Grundzüge  der  Verteidigung  sind  natürlich  schon  bei 
den  griechischen  Apologeten  die  gleichen:  Begründung  der 
Kultverweigerung  aus  der  Natur  der  heidnischen  Götter,  und 
Darlegung  des  christlichen  Kults.  Für  die  Griechen  ergab 
sich  diese  Disposition  gleichsam  von  selbst  aus  der  Bezeich- 
nung ä&sos:  wie  Justin  I  6  sagt  xal  b[ioloyov(i£v  xcov  roi- 
ovtav  voixl£,o{isvg)V  Q-e&v  afreot  elvai,  aXk'  ovyl  rot»  alrj&sö- 
rccrov  xrX.  dsov.  Durchgeführt  ist  freilich  diese  Disposition 
weder  bei  ihm  noch  bei  Athenagoras  oder  einem  der  an- 
deren mit  annähernd  der  gleichen  Schärfe  wie  bei  Teri,  wie 
denn  überhaupt  eine  klare  Disposition  Sache  dieser  Apologeten 
nicht  ist.  Da  Wandel  zu  schaffen,  verstand  sich  für  Tert. 
von  selbst.  Sachlich  wichtiger  aber  ist,  was  zunächst  den 
polemischen  Teil  der  Verteidigung  betrifft,  daß  auch  seine 
Taktik  in  der  Ablehnung  der  Heidengötter  sich  merklich  von 
der  seiner  griechischen  Vorgänger  unterscheidet.  Bei  diesen 
gründet  sich  der  Hauptangriff  regelmäßig,    wie  schon  in  der 


X.  XI]  Tertullians  Apologeticum.  339 

vorchristlichen  Polemik,  auf  die  Mythen  von  den  Tra-frij  der 
Götter,  ihre  Leiden  und  Leidenschaften  und  daraus  ent- 
springenden Freveltaten.  Aristides  begnügt  sich  damit,  die 
axoitla  dieser  anthropomorphistischen  Gottesvorstellungen 
nachdrücklich  hervorzuheben;  Justin  erklärt,  böse  Dämonen 
hätten  alle  jene  Taten  verübt  und  seien  von  den  erschreckten 
Menschen  fälschlich  für  Götter  gehalten  worden  (I  5);  des- 
selben Glaubens  ist  Tatian  (adv.  Gr.  8.  9  u.  ö.,  s.  Schwartz' 
Index  s.  v.  dccifiav).  Anders  Theophilus:  er  legt  besonderes 
Gewicht  auf  die  von  Dichtern  und  Historikern  überlieferten 
Genealogien  der  sog.  Götter,  da  solches  Zeugen  und  Erzeugt- 
werden nur  von  Menschen,  nicht  von  einem  wirklichen  Gott 
gelten  könne1);  auch  die  Laster  der  sog.  Götter,  meint  er, 
seien  menschlicher  Art2);  indessen  spricht  er  sich  nirgends 
unzweideutig  darüber  aus,  ob  diese  Pseudogötter  nun  wirk- 
lich dereinst  als  Menschen  gelebt  hätten  und  dann  irgendwie 
zu  göttlichen  Ehren  gelangt  seien,  oder  ob  nicht  vielleicht 
die  ganze  angebliche  Überlieferung  Lug  und  Trug  sei,  von 
den  bösen  Dämonen  eingegeben.3) 

Einzig  Athenagoras  argumentiert  wirklich  strikt  gegen 
den  Vorwurf  der  ä&sÖTrjg  —  cwir  verdienten  ihn,  wenn  wir 
wie  Diagoras  wirklich  die  Existenz  Gottes  leugneten;  nun 
aber  verehren  wir  ja  einen  Gott,  den  ungeschaffenen  Schöpfer 
des  Alls  (c.  4)'  — ,  aber  den  heidnischen  Göttern  gegenüber 
nimmt  er  keinen  festen  Standpunkt  ein:   er   behauptet  einer- 


i)  Adv.  Autol.  IT  2  önöxav  ivxvy%ccvr]xs  xcäg  ysv£c£6iv  avx&v,  mg 
ccv&QwTtovg  vostrs'  voxboov  dh  ftsovg  7toooctyoQtr>sx£.  7  tisqI  xmv  xov  4ibg 
7talöcov  QTtößa  oi  Gvyyoayslg  £xQaya)dr\6av,  xal  ort  ovxoi  av&gconoi  %cd 
ov  &sol  iy£vvt]&r]Gav,  rö  yivog  ctvxcov  uvxol  ttocxaXsyovGiv.  34  ra:  ^lbv 
ovv  öv6[iccT<x  xmv  ytaXov[i4vav  fttmv,  Ott  nag'  uvtolg  üvö^axa  av&gmitmv 
svgicyisxca  .   .   i£  avxmv  xmv  ioxogimv,  mv  avviygaipocv,  ocTtsÖBL^ce^isv. 

2)  [ivfrovs  kccI  (imgiccg  6vv£xa£,ccv  nsgl  xmv  kux'  ccvxovg  &smv  ov 
yccg  ccnsösi^av  ccvxovg  &sovg,  aXX'  cxvd'gmTiovg ,  ovg  (ihr  ps&voovg,  ixi- 
oovg  -Jtögvovg  kuI  apovng  II  8. 

3)  oi  itoir\xcci,  Öp^gog  6i]  v.a.1  HaLoSog,  mg  (pccoiv  vito  povomv 
iintvsvo&ivxsg,  cpavxaaiu  -auI  7tXävrj  iXocXr^aav,  nctl  ov  xcc&ccgco  ttv^v^ccxi 
aXXä  TtXüvm,  die  TtXävu  Ttvsvaccxcc  aber  sind  Dämonen:  II  8. 


340 


Richard  Heinze:  [X.  XI 


seits,  Orpheus  ,  Homer  und  Hesiod  hätten  die  Genealogien 
und  Namen  der  Götter  erfunden1)  und  weiß  auch,  daß  die 
Mythen  von  den  7tdd"i]  der  Götter  vielen  als  bloße  Ttlavi]  Ttonq- 
xiv.i]  gelten  (22):  andererseits  beruft  er  sich  auf  Piaton,  der 
die  Götter  des  Volksglaubens,  die  Geschlechter,  die  von  Ge 
und  Uranos  abstammen,  bereits  als  Dämonen  bezeichnet  habe 
(23);  schließlich  aber  gelangt  er  auf  eben  den  Standpunkt, 
den  Tertnllian  vertritt:  die  in  und  bei  den  Idolen  wirkenden 
überirdischen  Mächte  sind  Dämonen,  die  Götternamen  aber 
sind  die  Namen  verstorbener  Menschen,  die  teils  als  große 
Herrscher,  teils  wegen  ihrer  Stärke,  teils  wegen  ihrer  Kunst- 
fertigkeit von  ihren  Zeitgenossen  Götter  genannt  und  von 
den  Späteren  geglaubt  worden  sind  (26  ff.,  besonders  c.  30); 
als  Beweisstücke  für  diese  letztere  Behauptung  dienen  die 
Angaben  Herodots  und  eines  (gefälschten)  Alexanderbriefes 
über  die  ägyptischen  Götter  und  ihre  griechischen  Analogien, 
andererseits  die  griechischen  Mythen  über  den  Tod  von 
Göttern2):  wobei  freilich  am  Schluß  wieder  die  Alternative 
gelassen  wird,  ob  man  diese  Mythen  verwerfen  wolle  —  dann 
brauche  man  überhaupt  an  diese  sog.  Götter  nicht  zu  glau- 
ben —  oder  ob  man  sie  annehmen  und  damit  auch  zugeben 
wolle,  daß  die  menschlichen  'Götter'  wie  entstanden  so  auch 
wieder  vergangen  seien. 

Ein  solches  Hin  und  her  war  nicht  nach  Tert.s  Sinn. 
Aber  auch  die  Lehre,  daß  jene  Götter  Dämonen  gewesen 
seien,  taugte  ihm  nicht;  die  ließ  sich  nicht  'beweisen'.  Um 
so  besser  paßte  ihm  die  andere  Möglichkeit  der  Erklärung: 
die  'Götter'  sind  Menschen  gewesen.  So  ist  Tert.  der  erste 
Apologet,   der  sich  mit  Entschiedenheit  auf  den  'euhemeristi- 


1)  17.  18  'Ogcptvg  d£,  og  xc!  tä  6v6\iaru  aix&v  ngürog  i^svQSV 
*/at  rag  ytviasig  Sie^fjXQsv  xai  ößa  k-x.ä6toig  ningayitai  simv  xat  7i£7Ti6- 
TtvTcct  nag'  avrolg  a\r\&£GX£QOv  frsoXoytlv,  to  -Aal  '0\Lr\Qog  rcc  Ttolla   %al 

TISQL    &£WV    lläXlGTCi    tTtZXai. 

2)  Dies,  den  in  den  Mythen  berichteten  Tod  des  Dionysos  und 
Herakles  sowie  das  Grab  des  Zeus  auf  Kreta  führt  auch  Apollonios 
als  Beleg  für  das  Menschentum  der  mythischen  Götter  an,  acta  gr.  22. 


X.  XI]  Tertuluans  Apologeticum.  341 

sehen'  Standpunkt  stellt.  Er  begeht  auch  nicht  die  Unge- 
schicklichkeit, seine  Beispiele  unter  den  Göttern  zu  suchen, 
die  nach  allgemeiner  antiker  Anschauung  ihre  Göttlichkeit 
sich  durch  ein  irdisches  Dasein  erworben  haben  —  Herakles, 
Dionysos,  die  Dioskuren  usw.  — ,  sondern  greift  den  einen 
Saturn  heraus,  den  Ahnherrn  sämtlicher  Götter:  wenn  dieser 
ein  Mensch  war,  so  müssen  es  all  seine  Nachkommen  gleich- 
falls gewesen  sein.  Das  ist  eine  für  Tert.  höchst  bezeich- 
nende Art  der  Argumentation.  Wie  er  bei  der  Verteidigung 
gegen  die  crimina  occülta  sich  an  eine  ganz  bestimmte  Fassung 
der  Legende  hielt  und  jede  Unwahrscheinlichkeit  dieser 
Fassung  als  Beweis  für  die  Hinfälligkeit  der  gesamten  An- 
schuldigung ausnutzte,  so  hält  er  sich  hier,  um  die  Götter 
abzutun,  an  die  mythische  Genealogie  und  benutzt  sie  wie 
eine  Urkunde  über  irdische  Familienverhältnisse.  Der  Beweis 
wird  in  schroffer  Knappheit  geführt:  Tert.  appelliert:  1.  an 
das  eigene  Bewußtsein  der  Heiden,  2.  für  den  Fall  daß  dies 
versagt  a.  an  die  literarischen,  b.  an  die  sozusagen  monumen- 
talen Zeugnisse.  Was  die  Literatur  angeht,  so  sieht  er  von 
den  Poeten  folgerichtig  —  auch  hier  im  Gegensatz  zu  allen 
griechischen  Apologeten  —  ab  und  beruft  sich  auf  Histori- 
ker: hier,  und  nur  hier  im  ganzen  Verlauf  des  Apologetikum, 
nennt  er  Gewährsmänner,  und  in  der  Tat  war  das  hier,  und 
nur  hier,  für  seine  Zwecke  wirklich  erforderlich;  er  nennt  so- 
wohl Griechen  als  Römer,  um  die  beiden  Hauptnationen  zu 
überführen.1)     Es  trifft  sich  gut,   daß   gerade  Rom  noch    bis 


1)  X  7  Saturnum  itaque,  si  quantum  litterae ,  neque  Diodorus 
Graecus  neque  Thallus,  neque  Cassius  Severus  out  Cornelius  Nepos, 
neque  ullus  commentator  eiusmodi  antiquitatum  alium  quam  hominem 
promulgaverunt.  Etwas  abweichend  ad  nat.  II  12  p.  119  legimus  apud 
Cassium  Severum,  apud  Cornelias  Nepotem  et  Tacitum,  apud  Graeeos 
quoque,  Diodorum  quice  alii  antiquitatum  canas  collegerunt.  Den 
Thallus  hat  Tert.  erst  bei  den  für  die  chronologischen  Ausführungen 
des  Apol.  angestellten  Studien  kennen  gelernt,  nennt  ihn  auch  XIX  6; 
ja  wir  haben  zufällig  noch  das  Zitat,  auf  das  er  sich  hier  bezieht  (und 
mehr  hat  er  wohl  auch  nicht  von  ihm  gekannt):  Theoph.  ad  Autol. 
III  29    ■kccI   yug    Brjlov    tov    'Aoavgicov   ßaciXsvGavros   xat    Kqovov    xov 


342  Richard  Heinze:  [X.  XI 

in  die  Gegenwart  deutliche  Spuren  von  Saturnus'  irdischer 
Regententätigkeit  aufweist,  und  daß  auch  gerade  aus  lateini- 

Tirdvcov  ©äXXog  fiifivriTai,  cpdancov  zbv  Bf]Xov  nenoXeiiriiihvca  evv  roig 
Tix&ai  Ttgog  röv  Aia.  e.  q.  s.,  zitiert  auch  in  dem  sog.  Fragm.  Fuldense 
zu  Apol.  XIX:  s.  darüber  unten  z.  St.  Bei  Minucius  21,4  treten  diesel- 
ben vier  Zeugen  für  Saturns  Menschentum  auf:  seit  hoc  Nepos  et  Cassius 
in  historia,  et  Thallus  ac  Diodorus  hoc  loquuntur.  Die  Stelle  ist  öfters 
nachdrücklich  zur  Entscheidung  der  Prioritätsfrage  für  Minucius  in 
Anspruch  genommen  worden:  Cassius,  sagte  man,  ist  nicht  der  Rhetor 
Cassius  Severus,  sondern  der  Annalist  Cassius  Hemina  (vielmehr  der 
auch  bei  Eusebius  genannte  Chronograph  Cassius  Longinus:  Müller 
FHG  III  p.  517.  Schwartz  P.-Wiss.  VI  1378):  also  hat  Tert.  den 
Namen  aus  Min.  übernommen  und  verrät  sich  durch  die  falsche  Er- 
gänzung des  Cognomens.  Der  Schluß  ist  nicht  zwingend:  sehr  wohl 
kann  Min.  der  Koncinnität  zuliebe  die  zweiten  Namen  des  Cassius  und 
Nepos,  die  er  bei  Tert.  fand,  weggelassen  haben  (Kroll  Rh.  M.  60, 
308),  ähnlich  wie  Tert.  im  Apol.  der  Koncinnität  zuliebe  den  in  Nat. 
mit  genannten  Tacitus  beseitigt  hat.  Und  man  vergleiche  doch  mit 
der  streng  geschlossenen  Darlegung  Tert.s  das  zusammengelesene 
Elaborat  des  Min. :  um  die  Vergottung  verdienter  Menschen  zu  be- 
weisen, sammelt  er  zunächst  Belege  aus  Cicero  für  die  Lehren  der 
Historiker  und  Philosophen:  er  nennt  Euhemerus  (Cic.  nat.  deor.  I  119), 
Prodicus  (ebd.  118:  freilich  ist  da,  wie  in  der  gesamten  sonstigen 
Tradition  —  Diels  Vors.  II  p.  571  —  nur  von  der  Vergottung  nütz- 
licher Dinge  die  Rede,  aber  Min.  fälscht  ein  wenig,  um  noch  einen 
Zeugen  mehr  zu  haben),  Persaeus  (ebd.  I  38  :  Min.  wieder  ungenau  mit 
seiner  Beschränkung  auf  die  fruges),  dazu  dann  ein  Terenzvers  aus 
Cicero  II  60.  Hierauf  ein  Zitat  aus  dem  bei  den  Apologeten  be- 
liebten angeblichen  Brief  des  Alexander  an  seine  Mutter  (Geffcken 
p.  223)  —  freilich  ist  Alexander  weder  historicus  noch  sapiens,  aber 
das  Geheimnis,  das  ihm  der  sacerdos  anvertraut  hat,  ist  wichtig 
genug:  de  diis  hominibus  secretum:  illic  Volcanum  facit  omnium  prin- 
cipem,  et  postea  Iovis  gentem.  (Daß  dies  ein  ägyptischer  sacerdos 
war,  verschweigt  Min.  wohlweislich,  es  hätte  bei  seinem  Publikum  den 
Kredit  der  Geschichte  nicht  erhöht.)  Dazu  steht  nun  in  striktem 
Widerspruch,  wenn  unmittelbar  darauf  behauptet  wird,  Saturn  sei 
prineeps  huius  generis  et  examinis:  und  doch  beruht  auf  der  Richtig- 
keit dieser  Tradition  die  ganze  folgende  Argumentation.  Von  den 
bisher  zitierten  Autoren  stechen  nun  die  vier  für  Saturn  genannten 
merklich  ab:  man  sieht,  Min.  greift  zu  einem  anderen  Autor.  Die 
Ausführlichkeit  und  der  Nachdruck  des  Beweises  für  Saturn  hat  auch, 
möchte  man  sagen,  nur  dann  Sinn,  wenn  er  wie  bei  Tert.  der  einzige 


X.  XIJ  Tkhtullians  Apologeticum.  343 

schem  Sprachgebrauch  die  mythische  Genealogie  des  Saturn, 
seine  Abstammung  von  Himmel  und  Erde,  sich  erklären  läßt, 
die  im  eigentlichen  Sinne  schon  deshalb  nicht  bestehen  kann, 
weil  der  Mensch  auch  menschliche  Eltern  gehabt  haben  muß. 
Auch  dafür  ergibt  sich  eine  originelle  Erklärung  aus  den 
besonderen   Schicksalen   des   Saturn,   daß    man    ihn   für   gött- 

ist,  der  alle  andern  ersetzt.  Und  bei  Tert.  versteht  man  die  Berufung 
auf  die  vier  Autoren  noch  besser,  wenn  man  auf  die  ursprüngliche 
Fassung  zurückgeht:  ad  Nat.  II  12  p.  116  fg.  ist  lebhaft  gegen  die  alle- 
gorische Verflüchtigung  des  Saturnus-Kronos  als  fZeit'  polemisiert;  als 
letzter  Trumpf  wird  ausgespielt,  daß  Saturn  ja  zweifellos  gelebt  habe, 
da  seine  irdischen  Erlebnisse  von  den  Historikern  berichtet  würden. 
"Vorher  war  ausführlich  die  Absurdität  seiner  Abstammung  von  Himmel 
und  Erde  gezeigt;  darauf  kommt  Tert.  nach  der  Erzählung  mit  der 
natürlichen  Erklärung,  wie  diese  Fabel  entstanden  sei,  zurück:  nur 
dies  ist  im  Apol.  beibehalten  (und  daraus  erklärt  sich  hier  das  etwas 
unvermittelte  Auftreten  dieser  Auseinandersetzung;  Min.  hat  das  aus- 
geglichen, und  Ebert  p.  370  schloß  daraus  auf  seine  Priorität,  vgl. 
dagegen  schon  Haetel  a.  a.  0.  360  fg.  Es  wäre  im  Gegenteil  schwer 
zu  sagen,  wie  Tert.  von  der  minucianischen  Faßung  aus  auf  die  seine 
gekommen  sein  sollte),  nur  dies  auch  steht  bei  Min.,  wie  denn  über- 
haupt Min.  nichts  von  dem  hat,  was  in  Nat.  steht,  im  Apol.  fehlt. 
Für  den,  der  die  Priorität  von  Nat.  vor  dem  Apol.  zugibt,  ist  damit 
auch  die  Priorität  des  Apol.  vor  Min.  entschieden:  denn  wer  kann  fol- 
genden Hergang  für  glaublich  halten:  1.  Tert.  benutzt  den  Min.  für 
Nat.,  erweitert  aber  die  Argumentation  erheblich,  2.  Tert.  benutzt  Nat. 
für  den  Apol.  (die  Worte  sind  meist  dieselben)  und  reduziert  die  Ar- 
gumentation dabei  wieder  fast  genau  auf  das,  was  er  dem  Min.  ent- 
nommen hatte,  ohne  von  dem  Wenigen,  was  dieser  mehr  hatte,  sich 
weiteres  anzueignen:  z.B.  von  den  Virgilrcminiszenzen (VIH  320 ff.  357 fg.), 
die  Min.  einflicht.  Einen  Zug  allerdings  hat  nur  das  Apol.,  nicht  Nat. 
mit  Min.  gemein,  der  also  Tert.  erst  bei  der  zweiten  Bearbeitung  ein- 
gefallen ist:  ab  ipso  primum  tabulae  (Urkunden)  et  intagine  signutus 
nummus,  et  inde  aerario  praesidet:  das  paßt  in  die  übrige  Beweisfüh- 
rung, indem  der  Name  aerarium  Saturni  hier  erklärt  wird  wie  vorher 
mons  Saturnius.  Bei  Min.  ist  das  eine  bedeutungslose  Zutat  geworden: 
rüdes  Mos  homines  et  agrestes  mulia  docuit  ut  Graeculus  et  politus: 
litteras  imprimere,  nummos  signare,  instrumenta  conficere:  das  letztge- 
nannte hat  zum  Aerarium  keinerlei  Beziehung  (denn  instr.  sind  die 
Geräte  des  Ackerbaus,  vor  allem  die  Sichel  Saturni  dem  Virg.  Georg. 
II  406,  'Urkunde'  heißt  es  nur  als  'Beweismittel'  im  Prozeß  u.  dgl.). 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  TjXII.  27 


344  Richard  Heinze:  [X.  XI 

liehen  Wesens  hielt:  nicht  die  von  Euhemerus  gelehrte  Selbst- 
vergötterung oder  Apotheose  auf  Grund  großer  Taten  wird 
angenommen,  sondern  das  überraschende  Auftreten  des  Frem- 
den und  Unbekannten  ließ  ihn  jenen  Ureinwohnern  Italiens 
als  Vom  Himmel  gefallen',  als  göttlicher  Art,  oder  als  terrae 
ftlius  erscheinen.1)  Fragt  man  nach  der  Zweckmäßigkeit  der 
ganzen  geistreich  und  energisch  durchgeführten  Argumen- 
tation, so  kann  die  Siegesgewißheit  der  Apologeten  nicht 
darüber  hinwegtäuschen,  daß  von  seinen  zeitgenössischen 
Lesern  unter  den  Heiden  nicht  gar  viele  gewesen  sein  werden, 
die  seine  Behauptungen  von  der  menschlichen  Natur  der 
mythischen  Götter,  selbst  auf  die  Autorität  der  vier  zitierten 
Antiquare  hin,  hätten  zugeben  wollen.  Was  für  die  geläuterten 
Gottesvorstellungen,  christliche  wie  heidnische,  sich  von  selbst 
versteht  —  daß  nämlich  die  irdischen  Schicksale  der  sog. 
Götter  sich  mit  dem  wahren  Wesen  der  Gottheit  nicht  ver- 
tragen —  das  war  doch  gegenüber  einer  massiveren  Gläubig- 
keit von  geringem  Gewicht;  und  unter  den  gebildeten  Heiden 

i)  Diese  Erklärung  ist  nicht  Tert.s  Erfindung:  sie  findet  sich 
auch,  worauf  Wilhelm  a.  a.  0.  (ob.  S.  290,  2)  47  hingewiesen  hat,  zu 
Anfang  der  Origo  gentis  Romanae:  tanta  .  .  usque  id  tempus  antiquo- 
rum  hominum  traditur  fuisse  simplieitas,  ut  venientes  ad  se  advenas,  qui 
modo  consilio  et  sapientia  praediti  .  .  .  quod  eorum  parentes  atque  ori- 
ginem  ignorabant,  caelo  et  terra  editos  non  solum  ipsi  crederent,  verum 
etiam  posteris  affirmarent.  Es  ist  wohl  möglich,  daß,  wie  Wilhelm 
vermutet,  die  Übereinstimmung  sich  durch  die  in  letzter  Linie  ge- 
meinsame Quelle  Varro  erklärt.  Aber  wenn  Wilhelm  dann  weiter 
daraus,  daß  Minucius  sich  in  ein  paar  ganz  geläufigen  Worten  und 
Wendungen  (rüdes  von  den  unzivilisierten  Italikern,  suseeptus  hospitio, 
multa  doeuit  u.  dgl.)  mit  der  Origo  näher  berührt  als  mit  Tert.,  auf 
eine  gemeinsame  Quelle  des  Min.  und  Tert.  schließt,  so  wird  auf  Zu- 
fälligkeiten ungebührliches  Gewicht  gelegt.  Von  Sachlichem,  das  bei 
Tert.  fehlt,  hat  Min.  mit  der  Origo  nur  die  Notiz  Creta  profugus 
(Saturn;  regno  profugus  Or.)  gemein;  bei  Virgil,  dessen  Verse  er  in  der 
Erinnerung  hatte  (s.  unten  S.  361),  fand  er  arma  Jovis  fugiens  et  regnis 
exsul  ademptis  (Aen.  VIII  320),  und  daß  dies  regnum  Creta  war,  wußte 
er  natürlich,  weiß  auch  nachher,  daß  eius  filius  Juppiter  Cretae  excluso 
parente  regnavit,  —  Im  übrigen  gehe  ich  auf  Wilhelms  Argumenta- 
tionen für  die  f gemeinsame  Quelle'  nicht  ein;  s.  oben  S.  290,  2. 


XI J  Tertullians  Apologetk  im.  345 

wird  vermutlich  die  Mehrzahl  eher  geneigt  gewesen  sein  die 
Tcläv)}  7ioir}TbX7j  für  jene  Mythen  verantwortlich  zu  machen, 
als  an  die  pragmatischen  Deutungen  der  rEuhemeristen'  zu 
glauben;  scheint  doch  in  der  römischen  so  wenig  wie  in  der 
griechischen  Welt  diese  Deutungsweise  jemals  wirklich  populär 
gewesen  zu  sein. 

Indessen  weiß  Tert.  sehr  wohl,  daß  man  ihm  seine  Sätze  XI 
sogar  /Aigeben  und  trotzdem  an  der  Göttlichkeit  jener  Wesen 
festhalten  konnte:  hatte  doch  selbst  Euhemerus  keineswegs 
beabsichtigt,  an  diesem  Glauben  zu  rütteln,  und  standen  doch 
die  Kaiserapotheosen  als  unzweifelhafte  Belege  für  die  Mög- 
lichkeit einer  Vergöttlichung  verstorbener  Menschen  jedem 
vor  Augen.  Tert.  wendet  sich  also  der  schwereren  Aufgabe 
zu,  diese  Möglichkeit  zu  bestreiten.  Streng  logisch  ist  dieser 
Fortschritt:  denn  nicht  darauf  kommt  es  vor  allem  an,  ob 
jene  Wesen  ursprünglich  Götter  wraren,  sondern  darauf,  ob 
sie  es  jetzt  sind.  Aber  recht  überraschend  mußte  wieder 
auf  die  Mehrzahl  seiner  Leser  die  Behauptung  wirken,  die  er 
an  die  Spitze  seiner  neuen  Argumentation  stellt:  'wenn  jene 
Menschen  nach  ihrem  Tode  Götter  geworden  sind,  so  muß 
sie  ein  höherer  Gott  dazu  gemacht  haben,  denn  weder  ver- 
mochten sie  sich  selbst  die  Göttlichkeit  zu  nehmen  —  wären 
sie  sonst  überhaupt  je  Menschen  gewesen?  — ,  noch  konnte 
sie  ihnen  jemand  geben,  der  sie  nicht  selbst  besaß'.  Über- 
raschen mußte  diese  Ausführung:  das  Charakteristische  aller 
'euhemeristischen'  Systeme,  wie  wir  sie  vor  allem  durch 
Diodor  kennen,  ist  ja  dies,  daß  die  Menschen  zu  Göttern 
werden  nicht  durch  irgend  einen  Wandel  ihrer  Natur,  sondern 
dadurch,  daß  ihnen  die  dankbare  Menschheit  bei  Lebzeiten 
oder  nach  dem  Tode  göttliche  Ehren  erweist:  der  Glaube 
schafft   die    Gottheit.1)     Andererseits   da,    wo    man    sich    mit 


1)  Die  xifial  a&ävaroi  (Diod.  I  17,  2;  22,  2  u.  ö.,  oder  laö&tog  xi- 
urj  I  24,  7;  111  57,  6  u.  ö.)  sind  identisch  mit  der  ü&avuolcc  {1  13,  i; 
20,  5  u.  ö.).  Daß  Diodor  weit  davon  entfernt  gewesen  ist,  diese  a&u- 
vaaia  darum,  weil  sie  den  Menschen  verdankt  wird,  als  bloß  eingebildet 
und  unwirklich  anzusehen,  geht  auch  daraus  hervor,  daß  er  vom  Tode 


34-6  Richard  Heinze:  [XI 

dieser  sozusagen  ideellen  Göttlichkeit  nicht  begnügt,  sondern 
eine  reale  Unsterblichkeit  der  vergöttlichten  Sterblichen  be- 
gründen will,  also  in  der  Stoa  und  den  verwandten  Speku- 
lationen, rechnet  man  doch  nicht  mit  einer  wirklichen  Ver- 
wandlung, sondern  läßt  die  unsterbliche  Seele  des  weisen  und 
guten  Mannes  aus  dem  sterblichen  Leibe  zur  himmlischen 
Heimat  zurückkehren  und  dort  als  cGott'  weiterleben:  auch 
hier  ist  für  das  Eingreifen  anderer  göttlicher  Mächte  kein 
Raum.1)  Und  ich  glaube  auch  nicht,  daß  Tert.  hier  irgend 
eine  uns  unbekannte,  den  Euhemerismus  zur  gläubigen  Theo- 
logie umbiegende  Lehre  bekämpft2),  eher  noch,  daß  er  sich 
griechischer  Vorstellungen  erinnert,  nach  denen  allerdings  hier 
und  da  Zeus  oder  ein  anderer  Gott  etwas  wie  manceps  divini- 
tatis    der    neuen   Götter  ist.3)      Aber  auch    abgesehen    davon 

dieser  iniysioi  &soL  ganz  geläufig  den  Ausdruck  ij-  av&Qmnwv  slg  &sovg 
(i£Ta6ri]vcci  (I  20,  6,  (isxccaxccaig  III  57,  3;  V  70,  3  u.  ö.)  braucht,  ganz 
wie  Ennius  im  Euhemerus  von  Juppiter  sagt  (Lact.  I  n,  46  p.  228  V2; 
vitam  commutavit  et  ad  deos  abiit  =  [isxrjXXcctze  x'ov  ßiov  wai  tlg  ftsovg 
iux£axr\,  wie  es  im  Dekret  von  Canopus  von  der  vergöttlichten  Berenike 
heißt;  ich  zweifle  gar  nicht  daran  (gegen  Jacoby  P.-W.  VI  964),  daß 
Euhemerus  selbst  diesen  Ausdruck  gebraucht  hat. 

1)  mortem  non  interitum  esse  omnia  tollentem  atque  delentem,  sed 
quandam  quasi  migrationem  commutationemque  vitae,  quae  in  claris 
viris  et  feminis  dux  in  caelum  soleret  esse,  in  ceteris  humi  retineretur 
Cic.  Tusc.  I  27,  der  dann  nicht  nur  die  bekannten  Beispiele  Romulus, 
Hercules,  Liber,  Dioskuren,  Leucothea  anführt,  sondern  viel  weiter  geht: 
ipsi  Uli  maiorum  gentium  di  qui  habentur  hinc  nobis  profecti  in  caelum 
reperientur.  Es  bedarf  keiner  weiteren  Zeugnisse  für  diese  An- 
schauung. 

2)  So  Hikzel  in  diesen  Berichten  1896,  301,  5. 

3)  Apollod.  bibl.  III  137  Zsvg  JJoXvdsvKTjv  sig  ovqccvov  avccysi.  jutj 
ds%oii£vov  ds  TloXvSsvaovg  xrjv  a&avaoiav  e.  q.  s.  II  160  y,aLOiiivr\g  81 
Tjjs  nvQÜg  Xsyexai.  vscpog  vnoaTccv  [isxu  ßgovxfjg  uvxbv  tlg  ovgavbv  avcmt'y,- 
ipcci  (Herakles),  ixsl&sv  Sb  xv%u>v  äd-avaeiag  e.  q.  s.  Vgl.  Diod.  IV  25 
(jdLovvcov)  [iv&oloyovaiv  avayaystv  xr\v  \kT\xiqu  Ss^iiXr^v  ££,  'AiSov  v.ui 
Lisx  addvxcc  xfjg  ccQ-avaaiag  ©vo^vijv  [isxovo[icc6ccl.  —  Daß  das  rWie' 
der  Vergötterung  nicht  klar  sei,  betont  bei  Cic.  n.  d.  ni  41  Cotta  gegen- 
über Baibus :  quos  ab  Iwminibus  pervenisse  dicis  ad  deos,  tu  reddes  ra- 
tionem,  quem  ad  modum  id  fteri  potuerit  aut  cur  fieri  desierit:  dann  als 
Beispiel  Herakles. 


XI J  Tkrtulmans  Apologbticum.  347 

würde  Tert.  sich  gewiß  auf  den  Standpunkt,  den  er  hier  ver- 
tritt, gestellt  haben  rein  aus  seinen  Überzeugungen  vom  Wesen 
der  Gottheit,  deren  Natur  von  der  menschlichen  so  absolut 
getrennt  ist,  daß  nur  ein  Wunder  der  göttlichen  Allmacht 
diese  Schranke  niederreißen,  aus  dem  Menschen  einen  Gott 
machen  könnte;  die  Annahme,  daß  eine  Menschenseele  aus 
eigener  Kraft  sich  zur  Gottheit  erheben  könnte,  ist  für  ihn 
gar  nicht  diskutierbar:  'unsterblich'  und  'göttlich'  sind  ja  für 
ihn  nicht,  wie  für  weite  Kreise  der  Antike,  korrekte  Begriffe. 

Tert.s  Beweisführung  ist  auch  hier  ganz  advokatorisch. 
Der  Advokat  widerlegt  den  Ankläger  dadurch,  daß  er  zeigt, 
der  Angeklagte  habe  keine  zureichenden  Gründe  zu  der  ihm 
zugeschriebenen  Handlung  gehabt:  die  causa  ist  die  eine  Unter- 
abteilung des  probabile  in  der  Konjekturalsach e  (auct.  ad  Her. 
II  2,  3):  in  minimis  noxiis  et  in  his  levioribus  peccatis,  quae 
magis  crebra  et  iam  prope  cotidiana  sunt,  vel  maxime  et  pri- 
itaim  quaeritur,  quae  causa  maleficii  fuerit  Cic.  pro  S.  Rose. 
22,  Ö2,  der  dann  gegenüber  Erucius  triumphiert  causam  pro- 
ferre  non  potes  (27,  73),  nachdem  er  alle  denkbaren  Gründe 
wiederlegt  hat.1)  Wenn  es  sich  in  unserem  Falle  nicht  um 
ein  maleficium,  sondern  um  das  Gegenteil  handelt,  so  macht 
das  natürlich  keinen  Unterschied;  wohl  aber  ist  es  bemerkens- 
wert, wie  Tert.  hier  ganz  unbefangen  voraussetzt,  daß  die 
Handlungen  des  höchsten  Gottes  sich  eben  so  rationell  mo- 
tivieren lassen  müßten,  wie  die  eines  beliebigen  Delinquenten. 

Zwei  Gründe  bespricht  Tert.:  1.  Das  Bedürfnis  des 
höchsten  Gottes  nach  Unterstützung:  diesen  Grund  hält  er 
selbst  für  den  allein  denkbaren.  2.  Die  Göttlichkeit  ist  Be- 
lohnung für  erworbene  Verdienste:  dies  ist  die  Annahme,  die 
er  bei  seinen  Gegnern  voraussetzt. 

Der  erste  Grund  beruht  auf  der  Annahme,  daß  der  oberste 
Gott  sich  bei  der  Weltregierung  gewisser  Hilfskräfte  bediene. 

1)  Ich  erinnere  weiter  etwa  an  die  Abwägung  der  beiderseitigen 
causae  in  der  Miloniana  12,  32  ff.  oder  an  die  Verteidigung  des  Cluen- 
tius  61,  169:  in  quo  primum  illud  quacro,  quae  causa  Habito  fuerit, 
cur  interficere  Oppianicum  vellet. 


348  Richard  Heinze:  [XI 

Das  ist  nach  Tert.s  Ansicht  allerdings  eine  im  Heidentum 
weitverbreitete  Annahme1);  ja  auch  Christen  teilen  diese  An- 
nahme, indem  sie  die  Engel  als  Helfer  Gottes  einführen2): 
aber  davon  will  Tert.  selbst  nichts  wissen;  er  hält  es  des 
höchsten  Gottes  für  unwürdig,  überhaupt  einer  Hilfe  zu  be- 
dürfen (und  wenn  ja,  sagt  er,  so  hätte  er  besser  gleich  von 
vornherein  noch  einen  Gott  geschaffen,  statt  sich  an  ver- 
storbene Menschen  zu  halten),  und  leugnet  überhaupt,  daß 
eine  Möglichkeit  für  eine  solche  Hilfe  vorhanden  sei,  sich  zu 
betätigen.  Und  nun  argumentiert  er,  scharfsinnig  aber  unbillig, 
indem  er  einerseits  die  volkstümliche  Auffassung,  daß  Juppiter 
regnen  lasse,  Blitz  und  Donner  sende,  festhält,  andererseits 
damit  die  euhemeristische  Auffassung  konfrontiert:  natürlich 
ergibt  sich  die  zunächst  verblüffende  Frage,  wie  es  denn  vor 
Juppiters  Erhöhung  mit  Regen,  Blitz  und  Donner  gestanden 
habe.  In  Wahrheit  hat  kein  Euhemerist  behauptet,  daß  sein 
Juppiter  Blitz  und  Donner  geschaffen  habe  oder  sende,  und 
ebensowenig,  wogegen  Tert.  sich  dann  wendet,  daß  Ceres  das 
Getreide,  Liber  die  Rebe,  Minerva  den  Ölbaum  geschaffen 
habe.3)     Hier  korrigiert  sich   denn  auch  Tert.   gleich   selbst: 


1)  XXIV  3  sie  plerique  disponunt  divinitatem,  ut  Imperium  summae 
dominationis  esset  penes  unum,  officio,  eius  penes  midtos  velint,  mit 
Berufung  auf  Piaton  Phaedr.  246  A.  Tert.  konnte  sich  auch  auf  die 
Stoa  berufen,  vgl.  z.  B.  Seneca  exhort.  fr.  16  (bei  Lactanz  i.  d.  I  5,  27) 
hie  cum  prima  fundamenta  molis  pulcherrimae  iaceret  .  .  .  ut  omnia  sub 
dueibus  suis  irent,  quamvis  ipse  per  totum  se  corpus  intenderet ,  tarnen 
ministros  regni  sui  deos  yenuit.  Natürlich  ist  hier  nicht  von  einer 
Göttererzeugung  nach  erschaffener  Welt  und  Menschheit  die  Rede. 

2)  z.  B.  lehrt  Atbenagoras  c.  24,  Gott  habe  die  Engel  geschaffen 
inl  tcqovoLu  zolg  vn  avxov  diatiSY.ociLi]^ivoig ,  da  er  selbst  zwar  die 
Fürsorge  für  die  Welt  im  allgemeinen  trage,  ri]v  Sh  Itc\  ^Qovg  01  in' 
avrolg  Tcc%d-£vrsg  äyysloi:  die  freilich  nicht  r  Götter'  sind,  aber  doch 
einen  Teil  der  göttlichen  Macht  überkommen  haben.  Wir  werden  .sehen, 
daß  Tert.  diese  Auffassung  der  'Dämonen'  nicht  teilt. 

3)  Es  wird  also  auch  kein  Zufall  sein,  daß  in  der  heidnischen 
Polemik  gegen  die  Vergötterungslehre  diese  Argumente  fehlen:  sie 
können  sehr  wohl  von  Tert.  selbst  erdacht  sein.  Seine  christlichen 
Nachfolger   lassen   sie   sich    aber   nicht   entgehen:   Minucius  flicht  (an 


XIJ  Tertüllians  Apologeticim.  349 

auch  die  Gegner  sprächen  hier  von  invenirc,  nicht  von  ith 
stituere:  es  seien  also  die  inventa  vor  den  sv^trcd  dagewesen, 
und  die  Ehre  gebühre  dem  Schöpfer.1)  Die  ganze  Ausführung 
gehört  eigentlich  in  den  folgenden  Abschnitt,  über  die  merita 
remuncranda  (hat  doch  z.  B.  Dionysos  den  Weinbau  gelehrt 
als  er  noch  'Mensch'  war),  und  hierfür  hat  ihn  auch  Tert. 
ursprünglich  geschrieben:  am  rechten  Orte  steht  er  noch  ad 
nat.  II  16,  wo  (von  c.  14  ab)  die  in  divinitatem  ab  homvnibus 
recepti  besprochen  werden  und  als  einer  der  Gründe  angeführt 
wird  quidam  fructus  et  neccssaria  victui  demonstraverunt.  Da 
ist  auch  der  Witz  am  Platze,  warum  denn  die  Römer  dann 
nicht  auch  Cato  oder  Pompeius  konsekriert  hätten,  da  jener 
die  ersten  frischen  Feigen  (!),  dieser  die  ersten  Kirschen  nach 
Rom  gebracht  habe;  in  dem  neuen  Zusammenhange  des  Apolo 
geticum  fügt  sich  schlecht  der  Gedanke  ein  si  propterea  Liber 
deus,  quod  vitem  demonstravit,  male  cum  L/ucullo  actum  est,  qui 
primus  cerasia  ex  Ponto  Italiae  promulgavit,  quod  non  est  prop- 
terea consecratus  ut  frugis  novae  auctor,  quia  ostensor:  Tert., 
der  übrigens  inzwischen  sich  erinnert  hat,  daß  der  Kirschen- 
bringer  Luculi,  nicht  Pompeius  war,  hat,  wie  es  ihm  auch 
sonst  begegnet  ist,  auf  die  einmal  gefundene  Pointe  auch  am 
unpassenden  Ort  nicht  verzichten  wollen.  Er  hat  aber  diese 
Betrachtung  hier  nicht  bei  den  merita  remuneranda  eingereiht, 
weil  ja  hier  der  höchste  Gott,  nicht  der  Mensch  als  auctor 
divinitatis  eingeführt  wird,  und  von  Gottes  Standpunkt  aus 
allerdings  die  evQrJiiccra  schlechterdings  nicht  als  merita  gelten 
konnten. 

Es  bleiben  für  diese  Klasse  die  allgemeineren  Verdienste 
sittlicher  oder  geistiger  Größe:  Tert.  stellt  dem  den  Hinweis 
auf  die  Schandtaten  der  'Götter'  gegenüber,  ohne  doch  näher 


unpassender  Stelle,  wie  weiterhin  gezeigt  werden  wird)  den  Satz  ein 
cum  caelum  et  fulmina  et  fulgura  longe  ante  furrint  quam  Juppiter  in 
Creta  nasceretur  (23,  6),  und  ganz  ähnlich  argumentiert  Arnobius  I  30. 
1)  Ähnlich  Aristeas  ep.  136  gegen  die  Vergötterung  der  tvQsrai: 
T<bv  yctQ  iv  rfj  ■Ktiasi  Xaßovru  riva  avvi&iixav  Kai  7tQOs£d£i$ccv  s$%Qr\GTcc, 

XT]V    y.<XT<X6Y.£VT]V    KVTWV    OV    TtOirjGCCVTSq    aVZOl.       Vgl.    GEFFCKEfJ    XXIV. 


350  Richard  Heinze:  [XI 

darauf  einzugehen;  nur  ganz  im  allgemeinen,  ohne  Namen  zu 
nennen,  erinnert  er  kurz  an  die  hauptsächlichsten  Kategorien 
von  flagitia.  Nat.  II  13  f.  p.  123  fr.  hatte  Tert.  im  gleichen 
Zusammenhang,  anhebend  mit  Juppiters  Taten,  dann  auf  Her- 
cules, Aesculap,  Theseus  übergehend,  ausführlich  von  den 
merita  gesprochen,  aber  schon  da  in  vielem  von  den  aus- 
getretenen Geleisen  der  Apologetik  und  ihrer  heidnischen 
Vorgänger  abweichend;  es  ist  bezeichnend,  daß  er  nun  in 
seiner  Apologie  auf  dieses  Hauptstück  der  bisherigen  Apolo- 
getik so  gut  wie  ganz  verzichtet,  offenbar  mit  voller  Absicht, 
um  nicht  hundertmal  Gesagtes  zu  wiederholen.  Auch  die 
Einführung  dieses  kurzen  Hinweises  ist  originell:  er  soll 
nicht  motivieren,  warum  die  Christen  solche  Götter  nicht 
verehren,  sondern  soll  beweisen,  daß  ein  gerechter  Gott  solche 
Menschen  niemals  zu  Göttern  erhöht  haben  würde.  Aber 
die  Beweisführung  ist  advokatorisch  ungerecht:  Tert.  überträgt 
alles,  was  die  Poeten  von  den  Schandtaten  der  Götter  er- 
zählten, ohne  weiteres  auf  die  Götter  der  'Historiker',  ohne 
andererseits  das  gelten  zu  lassen,  was  die  'Historiker'  z.  B.  von 
der  zivilisatorischen  Tätigkeit  ihrer  Götter  zu  berichten  wußten. 
Rhetorisch  wirksam  ist  der  Appell  an  die  praesides,  unter 
deren  Gerichtsbarkeit  die  fallen,  die  jenen  angeblichen  Göttern 
gleichen:  quid  ergo  damnatis  quorum  collegas  adoratis?  (wo- 
ran sich  noch  einige  funkelnde  sententiae  reihen).  Und  rhe- 
torisch wirksam  —  aber  auch  nicht  mehr  —  die  Gegenüber- 
stellung der  guten  und  großen  Männer  historischer  Zeit, 
Griechen  und  Römer,  die  es  viel  eher  verdient  hätten,  Götter 
zu  werden  und  die  der  oberste  Gott  also,  wenn  er  sie  nun 
im  Tartarus  läßt,  ungerecht  behandelt.  *)  Alles  dies  ist  sichtlich 
Erfindung  Tertullians:   ein  Grieche  wäre  auch  schwerlich  da- 


1)  Auch  hier  hißt  sich  Aristeas   vergleichen:    137   -nsvbv  xal  fia- 
raiov   tovg   ü(iolovg   cciio&tovv    *al    yag    %xi    nui   vvv    svQtrixätSQOi  xat 

7l0lvilCc9'£6T8Q0L    tStV    UV&QGMWV    X(bV    TIQIV    ilßl    TtoXXoL,    %ul    OVX    UV    Cp&d- 

voLSv  avzovg  TtQooHvvovvTsg.  Aher  Tert.s  Argument  kann  doch  recht 
wohl  von  ihm  selbst  erdacht  sein;  es  liegt  ganz  auf  der  Bahn  seiner 
inventio. 


XII]  TertüI/LIANs  Apologeth  i im.  351 

rauf  verfallen,  unter  den  Beispielen  für  nichtvergöttlichte 
Helden  Alexander  den  Großen  zu  nennen,  dessen  Apotheose 
doch  notorisch  war,  oder  als  Beispiel  für  göttliche  fdicitas 
den  Polykrates,  bei  dem  Tert.  das  nichts  weniger  als  glück- 
liche Ende  vergessen  hat.  Seltsam  berührt  es  auch,  wenn 
der  Apologet  auf  den  Reichtum  des  Krösus  und  des  Crassus 
einen  Anspruch  auf  Apotheose  gründet;  und  schließlich  lenkt 
der  Advokat  ganz  in  das  Fahrwasser  des  Satirikers  ein  mit 
der  Schilderung  des  obersten  Gottes,  der  zu  früh  den  Himmel 
geschlossen  hat  und  nun,  wenn  die  Besseren  drunten  in  der 
Hölle  über  ungerechte  Zurücksetzung  brummen,  erröten  muß. 

2.  Die  Götterbilder.  —  Hier  kann  sich  Tert  noch  kür-  XII 
zer  fassen  als  bei  den  Göttern.  Auch  hier  war  von  Griechen, 
Juden  und  Christen  schon  so  viel  polemisiert  worden1),  war  bei 
allen  einigermaßen  gebildeteten  Heiden  die  schon  von  Athe- 
nagoras  (c.  18)  angeführte  Unterscheidung  der  Bilder  von  den 
durch  sie  nur  symbolisierten  Götter  so  anerkannt,  daß  eine 
ausführliche  Bekämpfung  der  Idololatrie  sich  dem  Tert.  nicht 
mehr  zu  lohnen  schien.  Er  gibt  nur  kairz  den  traditionellen 
Hinweis  auf  die  Verwendung  der  gleichen  Stoffe  zu  Götter- 
bildern wie  zu  niedrigen  Geräten,  ja  die  Umformung  dieser 
in  jene2i,  und  geht  dann  in  sehr  origineller  Weise  auf  die 
Fabrikation  der  Götterbilder  ein.  Die  einzelnen  Stadien  dieser 
Fabrikation  zu  nennen,  um  die  Bilder  recht  anschaulich  als 
Menschenwerke  empfinden  zu  lassen,  war  schon  der  jüdischen 
Polemik  gegen  den  Götzendienst  geläufig3),  und  die  christ- 
liche hat  das  übernommen:  xv  ya()  ösl  sidööiv  vp.lv  Xeysiv, 
cl  xrjv  vXtjv  ol  xs%vlxai  ÖLaxL&iaöi  ^eovxsg  xal  xepvovxeg  xal 
Xavevovxeg  xal  xvTtxovxsg,4)  sagt  Justin  c.  I  9  —  darin  liegt 
noch   nichts   von   einem  Gedanken    an    eine  Mißhandlung   des 


1)  S.  Geffcken  XX  ff.  und  sein  Register  'Götterbilder'. 

2)  Besonders  nahe  steht  Justin  ap.  I  9  i£  &rL[icov  TtoXXciy.ig  6v.£v&>v 
dta  TS%vrtg  xb  c%f][ia  [lqvov  äX"/.üt,avztQ  v.u\  uoQCpOTtoiiJGuvTSs  dtovg 
inovouäfrvot.     Vgl.  Geffcken-  XXI,  1.  XXVI  (Philo). 

3)  Jeremias  10.    Deut.-Jesaias  44. 

4)  Weiter  z.  B.  Theoph.  ad  Aut.  I  1.     Brief  an  Diognet  c.  2. 


30- 


Richard  Heinze:  [XII 


Gottes  durch  den  Künstler1);  Tertullian  aber,  der  ad  nat.  I  12 
ausführlich  davon  gesprochen  hatte,  daß  das  Tonmodell  einer 
jeden  Götterstatue  auf  einem  Holzkreuz  aufgebaut  werde, 
scheint  hierdurch  auf  den  Gedanken  geführt  worden  zu  sein, 
mit  dem  er  die  gegenwärtige  Beweisführung  beginnt:  daß 
dies  gleichsam  eine  Kreuzigung  des  Gottes  sei,  der  somit  das 
Gleiche  erdulde,  was  die  Heiden  den  Christen  antun.  Der 
Einfall  wird  nun  mit  echt  tertullianischer  Gewaltsamkeit 
durchgeführt:  es  mag  noch  angehen,  wenn  Axt,  Hobel  und 
Raspel  mit  den  als ,  Folterinstrumenten  dienenden  ungulae 
verglichen  werden;  aber  Tert.  geht  weiter  zum  Köpfen,  der 
Verurteilung  zu  den  wilden  Tieren,  zum  Feuertod,  zu  den 
Bergwerken  —  aus  denen  die  Götter  stammen  — ,  der  Re- 
legation auf  Inseln2)  —  wo  die  Götter  geboren  oder  begraben 
sind:  da  wird  also  selbst  außer  Acht  gelassen,  daß  es  sich 
hier  um  die  Götterbilder  handelt,  es  wird  auf  die  verstorbenen 
Menschen  zurückgegriffen.  Man  versteht  es,  daß  Minucius 
hier  Anstoß  nahm  und  den  Grundgedanken  Tertullians  in 
viel  einfacherer  Weise  durchführte:  die  darum  freilich  nicht 
glücklicher  zu  nennen  ist.3)    Für  Tertullian  war  es  eine  süße 


1)  Denn  wenn  Justin  nach  dem  vor.  S.  Anni.  2  zitierten  Satze  fort- 
fährt 071EQ  ov  [lovov  aloyov  T)yov{i£d,(x,  äXXa  xcä  itp'  vßgst  xov  dsov 
yivsa&eci,  og  &qqt\xov  do^ccv  v.a.1  ^OQ(pi]v  £%a>v  inl  cp&ocQXOtg  Kai  äso^tvoig 
d-SQccnsiag  -jiQäyiiaoiv  inovofiä&xcci,  so  ist  da,  wie  man  sieht,  unter  der 
vßQig  etwas  anderes  verstanden.  Aristides  sagt  c.  13,  2  y.al  0-ocvfj.ä^oi, 
■nmg  OQÜtvtsg  xovg  &sovg  ccvxäv  vnb  t&v  driaiovQyäv  TtQi£o{i£vovg  v.ul 
7tsX£HOV[i£vovg  neu  ■x.oloßovinvovg,  Ttaltxioviisvovg  xs  imb  xov  %q6vov  hczI 
avcc'kvon&vovg  vecci  %cov£voiLhvovg  ovk  i(pQovr}6civ  ueqI  ccvtäv  oxi  ovv.  ug\v 
&£Ol.  ort  ya.Q  nsgl  xf\g  ISLag  ocaxrjQiag  ovdsv  lo%vov6iy  7ta>g  xäv  av- 
ftQwTiav  TtQovoiccv  Ttoir\Govxai.  Da  ist  also  nicht  von  der  Fabrikation, 
sondern  nur  von  der  Zerstörung  die  Rede 

2)  in  insulis  relegamur:  aus  welcher  Wendung  selbstverständlich 
nicht  zu  schließen  ist,  daß  die  Strafe  der  Christen  relegatio  im  strengen 
technischen  Sinne,  nicht  deportatio  gewesen  sei. 

3)  Als  Grundgedanken  bezeichne  ich  die  Auffassung  der  Fabri- 
kation als  Mißhandlung,  die  sich  sonst  außer  bei  Tert.  nicht  findet: 
materiem  ab  artifice,  ut  deum  faceret,  inlusam  23,  10,  nee  sentit  suae 
nativitatis  iniuriam  12.   Dabei  läßt  Min.  nicht  nur  jede  Beziehung  auf 


XII]  Tektullians  Apologetklm.  353 

Genugtuung,  den  Feinden,  die  gegen  die  Christen  in  jeder 
Weise  wüten,  den  Hohn  ins  Gesicht  zu  schleudern:  ergo  gm 
puniuntur  consecrantur  et  numina  erunt  dicenda  Stopplicht'. 
solcher  Hohn  fragt  nicht  nach  Logik. 

Tert.  sagt  selbst  sogleich,  daß  es  ihm  mit  diesem  Ver- 
gleich nicht  ernst  ist:  die  Bilder  sind  ja  v.vai6%v\xu.y  wie  sie 
die  Griechen  so  oft  bezeichnet  hatten,  empfinden  die  Unbill 
so    wenig    wie    die   Verehrung.1)     Derartiges    zu   äußern  gilt 


die  Strafen  der  Christen  beiseite,  sondern  versäumt  es  überhaupt,  was 
jedenfalls  erwünscht  wäre,  die  Analogie  zur  Mißhandlung  lebender 
Wesen  hervorzukehren ,  s.  z.  B.  deus  aereus  vel  argentrus  .  .  conjlatur, 
tunditur  malleis  et  in  incudibus  figuratur:  wer  kann  das  als  inlusio 
materiae  oder  gar  dei  auffassen?  Getrübt  wird  auch  noch  die  An- 
schauung dadurch,  daß  Minucius  aus  seinen  griechischen  Quellen  nicht 
Hergehöriges  hineingearbeitet  hat:  die  Erinnerung  an  die  bei  den 
Apologeten  beliebte  Geschichte  vom  immundum  vasculum  des  ägypti- 
schen Königs  Amasis  (Geffcken  XXI  Anm.  1.  XXVI  f.),  womit  der  Zn- 
satz zum  deus  ligneus,  vielleicht  von  Minucius  gefunden,  auf  gleicher 
Linie  steht:  rogi  fortasse  vel  infelicis  stipitis  portio:  sodann,  gleichfalls 
der  griechischen  Apologetik  verdankt,  die  Anspielung  auf  die  Un- 
moral der  die  Götzenbilder  schaffenden  Künstler:  scalpitur  et  ab  im- 
purato  homine  levigatur,  vgl.  Justin  I  9:  xat  6'rt  oi  rovrcov  ti^vlxcci 
ccGsXyüg  sloi  y.oci  Ttäauv  xukikv  .  .  %%ov6i,  ay.gißcbg  tnißtaG^B.  (Dagegen 
kann  ich  eine  nähere  Beziehung  zu  Lukian  Gallus  24  Geffcken  p.  279 
nicht  zugeben.  Dort  dienen  die  äußerlich  glanzvollen,  innerlich  ab- 
scheulichen Kolosse  als  Bild  für  das  scheinbar  herrliche,  in  Wahrheit 
elende  Leben  des  Herrschers :  von  irgendwelcher  ikonoklastischen 
Tendenz  ist  nichts  vorhanden,  ebensowenig  die  Rede  davon,  daß  den 
Göttern  durch  die  Art  ihrer  Fabrikation  eine  Unbill  geschehe.) 

1)  Sed  plane  non  sentiunt  hus  iniurias  et  contumelias  fabricationis 
suae  dei  vestri,  sicut  nee  obsequia.  Danach  Minucius:  lapideus  d<ns 
caeditur,  scalpitur  et  .  .  levigatur,  nee  sentit  suae  nativitatis  iniuriam, 
ita  ut  nee  postea  de  vestra  oeneratione  eulturam:  also  nicht,  wie  bei 
Tert.,  im  Gegensatz  zu  der  vorherigen  Ausführung,  sondern  sie  fort- 
setzend und  damit  abschwächend:  denn  wenn  der  Apologet  selbst 
sagt,  daß  die  iniuria  nativitatis  nicht  empfunden  werde,  so  ist  es  eben 
keine  iniuria.  Oder  meint  er,  diese  Fühllosigkeit  bei  der  Entstehung 
sei  ein  Beweis  auch  für  die  Fühllosigkeit  der  Fertigen?  Er  fährt  fort: 
nisi  forte  nondum  deus  saxum  est  vel  lignum  vel  argentum.  Dieser  Ein- 
wand   ist   in    der  Tat   so   selbstverständlich,    daß   die   Einführung  mit 


354  Richard  Heinze:  [XU 

für  empörend:  im  Grunde  ist  es  ja  auch  eure  Meinung,  und 
Seneca,  der  eure  superstitio  noch  viel  härter  verurteilt  hat, 
findet  euren  Beifall.  Und  so  verdienen  wir  denn  vielmehr 
Lob,  wenn  wir  die  Konsequenzen  aus  der  Erkenntnis  der 
Irrtümer  ziehen  und  den  Götterbildern  die  Verehrung  ver- 
weigern. In  diesen  Schlußsätzen  wird  dann  auch  noch  der 
Gemeinplatz  gegen  die  Idole  gestreift,  daß  die  Tiere  sie  ver- 
unreinigen: auch  dieser  nicht  ohne  neue  Pointierung,  denn 
wenn  sonst  nur  die  Ohnmacht  der  Bilder  daraus  geschlossen 
wurde1),  die  sich  nicht  dagegen  zu  wehren  vermögen,  wird 
hier  —  statuas  .  .  quas  mihi  et  mures  et  araneae  intellegunt  — 
den  Tieren  die  richtige  Einsicht  in  das  Wesen  der  Bilder 
zugeschrieben2),  woran  sich  denn  also  die  Menschen  ein  Bei- 
spiel nehmen  könnten. 

nisi  forte  wenig  am  Platze  scheint.  Aber  Minucius  steuert  auf  einen 
neuen  xÖTtog  zu:  wann  wird  denn  das  tote  Ding  zu  Gott?  Die  Ant- 
wort ist  für  jeden  Gläubigen  gegeben,  und  z.  B.  Tbeophilus  (ad  Autol. 
II  2)  setzt  sie  auch  als  gegeben  voraus:  nal  yag  ytlolöv  fiot  Sohü, 
Xi&o^oovg  [ihr  xcci  TcXäaxag  7)  £coyQaq)ovg  rj  %(ovbvxa.g  n%Ü66siv  xs  xal 
yQUCptiv  Kai  yXvcpsiv  neu  xwvsvsiv  xai  &sovg  xaxa6xsvdg£iv ,  01  iiidv 
yivcovTcu  iiito  xwv  xt%vix&v  ovdsv  avxovg  rjyovvTaf  bxav  &s  ayogaftüoiv 
sig  vccbv  y.kXov[isvov  7)  olxöv  xiva,  xovxoig  ov  iiovov  %vov6iv  oi  osvr\- 
ßäfisvoi,  dcXXd  Y.ccl  oi  noiJGavxsg  xat  7ta>Xi]6avxsg  .  .  .  Tjyovvtai  Q'sovg 
avxovg,  ov%  sldöxsg  6x1  xoiovxol  slßiv  onoloi  v.ai  6xs  iyivovxo  vji' 
avxmv  e.  q.  s.  Es  hat  guten  Grund ,  diesen  Gegensatz  hervorzuheben, 
weniger  guten,  so  wie  es  Minucius  im  Anschluß  an  die  vorhergehende 
Deduktion  tut,  den  Prozeß  der  allmählichen  Entstehung  des  Bildes 
hier  zu  verfolgen;  dieser  Versuch,  einen  Schluß  in  der  Art  des  Sorites 
zu  bauen,  wird  Minucius'  Eigentum  sein.  Dagegen  die  eigentümliche 
Wendung  des  Schlusses  tune  postremo  deus  est,  cum  homo  illum  voluit 
et  dedieavit  erklärt  sich  wohl  aus  einer  Reminiszenz  an  das,  was  bei 
Tert.  im  nächstfolgenden  Kapitel,  dort  ganz  am  Platze,  steht:  deus  non 
erat,  quem  homo  consultus  voluisset  et  nolendo  damnasset  (nämlich  bei 
der  Abstimmung  im  Senat).  So  zeigt  der  ganze  Abschnitt  23,  9 — 13 
die  zusammenstückelnde  Arbeitsweise  des  Min.  recht  deutlich. 

1)  Gefpcken  276. 

2)  So  auch  Minucius:  mures,  hirundines,  milvi  non  sentire  eos 
sciant  .  .  araneae  vero  faciem  eius  intexunt  .  .  vos  tergetis,  mundatis, 
eraditis.     Xahe  kommt  dem   schon  Clem.  protr.  IV  52  ai  %£lid6v£g  v.ai 


XIII  r— 3J  Tertullians  Apologeticum.  355 

3.  Das  Verhalten  der  Heiden  gegenüber  ihren  ^Göttern',  xm  1 — 3 
1.  Der  Einwand  sed  nobis  dei  sunt  wurde  oben  (X  3)  zu- 
rückgewiesen durch  den  Appell  an  das  Wissen,  wird  hier  ab- 
gelehnt durch  den  Hinweis  auf  die  Praxis  der  Heiden.  Das 
Material  hierzu  war  Nat.  I  10  als  Gegenanklage  verwandt  und 
noch  ausführlicher  dargelegt  —  die  Spuren  der  Verkürzung 
sind  sichtbar  — ;  hier  ist  es  unter  die  Beweisreihe  für  die 
Nichtexistenz  der  heidnischen  Götter  eingestellt,  weil  die 
eigentliche  Retorsion  —  in  vos  exprolyratio  ista  resultabit  — 
den  Gegner  des  wahren  crimen  laesae  religionis  überführen  soll 
(XXIV),  was  ja  die  Mißachtung  der  Götzen  nicht  ist.  —  Die 
beiden  hier  vereinigten  Vorwürfe,  daß  a)  nicht  von  allen 
Völkern  sämtliche  Götter  verehrt  würden,  worin  eine  Zurück- 
setzung der  übergangenen  liege,  und  daß  b)  die  Nichtbestäti- 
gung  eines  Gottes  durch  den  Senat  eine  Kränkung  sei  — 
sind  in  der  früheren  Schrift  mit  Recht  als  zwei  gesonderte 
behandelt.  Die  dort  scharf  gespitzte  Pointe  des  zweiten 
Vorwurfs  —  daß  nämlich  Götter  vom  Senat  verworfen  worden 
sind,  die  man  später  anerkannt  hat  —  fehlt  hier;  Tert.  hätte, 
um  sie  anzubringen,  auch  die  dortigen  Beispiele  wiederholen 
müssen,  was  er  nach  Möglichkeit  vermeidet.  Dafür  wird  hier 
die  Abhängigkeit  des  Gottes  vom  guten  Willen  der  Menschen 
betont,  also  der  Gesichtspunkt,  unter  dem  sich  beide  Vorwürfe 
vereinigen  lassen.  —  Der  Hinweis  auf  die  Verschiedenheit  der 
ethnischen  Kulte  dient  sonst  in  der  Apologetik  zur  Begründung 


rä>v  oqvscjv  tu  TiXtlcxa  .  .  ■xa.q  töv  ovSi  avtwv  ri]v  ccvcu6&r\6Luv  rav 
ayaXuävav  ix^ccvQ-civsts:  daraus  wohl,  vielleicht  daneben  aus  Minucius, 
Arnobius  VI  16.  —  Wenn  die  Schwalben,  die  bei  Min.  und  Clem. 
stehen,  bei  Tert.  fehlen,  so  kann  ich  daraus  ebensowenig  (mit  Geffcken 
279)  die  Priorität  des  Min.  folgern,  wie  ich  für  Min.  hier  die  Benutzung 
einer  besonderen  Quelle  neben  Tert.  annehme:  auf  jene  Tiere  konnten 
wirklich  mehrere  unabhängig  voneinander  verfallen,  und  den  Zusatz 
hat  Min.  allerdings  nicht  gemacht,  weil  er  'empfunden  hat,  daß  bei 
Tert.  etwas  fehle',  sondern  weil  er  die  geliebte  Dreizahl  herstellen 
wollte,  von  der  es  unmittelbar  vorher  und  nachher  Beispiele  genug  gibt 
(sie  ist  vielleicht  aus  23,  11  durch  Tilgung  von  caeditur,  das  nachher 
wiederkehrt,  herzustellen). 


356  Richard  Heinze:  [XIII  ]— 6.  7 

der  Beschwerde,  daß  den  Christen  allein  ihr  Kult  verboten 
wird  (Athenag.  1,  dazu  Geffcken);  in  diesem  Sinne  verwertet 
ihn  auch  Tert.  unten  XXIV.  Hier  wendet  er  den  Gedanken 
nach  anderer  Richtung,  verzichtet  aber,  um  jener  späteren 
Erörterung  nicht  vorzugreifen,  auf  Details. 
XEI  4—6  2.  Geschäftliche  Ausbeutung  der  Götter  im  privaten  und 

Staatshaushalt.  Bemerkenswert,  daß  ad  1  von  den  Götter- 
bildern, ad  2  von  den  Göttern  selbst  als  Inhabern  der  sacra 
gesprochen  wird,  ohne  Andeutung  des  Wechsels.  Der  Hinweis 
auf  Umarbeitung  von  Götterbildern  zu  Gebrauchsgegenständen, 
der  etwas  aus  der  Umgebung  herausfällt,  fehlt  in  Nat.;  der 
Einfall  ist  also,  im  Zusammenhang  mit  den  unmittelbar  vor- 
hergehenden Erörterungen  über  die  Fabrikation  der  Bilder, 
dem  Tert.  bei  der  Umarbeitung  des  Abschnittes  gekommen 
und  nicht  zurückgedrängt  worden.  —  Bei  den  übrigen  Apo- 
logeten findet  sich  Entsprechendes  nicht;  auch  sind  es  ja 
speziell  römische  Bräuche,  die  Tert.  hier  ins  Auge  faßt;  echt 
römisch  ist  vor  allem  das  Argument,  daß  die  Götter  dadurch 
herabgesetzt  werden,  daß  sie  Abgaben  zahlen  müssen.1) 
XIII  7  3.  Die  Formen  eures  Götterkultes  sind  von  denen  eures 

Totenkultes  nicht  verschieden.  Dazu  gehören  auch  die  Götter- 
bilder: idem  hdbitus  et  insignia  in  statuis;  ut  aetas,  ut  ars,  ut 
negotium  mortui  fuit,  ita  deus  est.  Der  allzu  knappe  Ausdruck 
wird  verständlicher  durch  die  ursprüngliche  Fassung  mit  Bei- 
spielen in  Nat.:  easdem  statuis  inducitis  formas,  ut  cuique 
ars  aut  negotium  aut  aetas  fuit:  senex  de  Satumo,  imberbis  de 
Apolline,  virgo  de  Diana  figuratur,  et  miles  in  Marie,  et  in 
Vulcano  faber  ferri  consecratur.  Also  eine  wiederum  ganz 
originelle  Zuspitzung  des  in  der  Polemik  gegen  den  anthro- 
pomorphen  Götterglauben  traditionellen,  schon  von  Cicero  (de 
nat.  deor.  I  83  fg.)  den  Römern  vorgeführten  Hinweises  auf  die 


1)  Die  Sätze  des  früheren  Buches  sind  z.  T.  wörtlich  wiederholt, 
einige  Pointen  charakteristisch  verschärft:  aus  maiestas  constituitur  in 
quaestum  wird  maiestas  quaestuaria  cfficitur,  aus  venditis  totam  divi- 
nitatem,  non  licet  eam  gratis  coli  hier  non  licet  deos  gratis  nasse,  rena- 
les sunt. 


XIII  8.  9]  Tekum-ians  Apologeticum.  357 

Unmöglichkeit,  die  überlieferten  Göttergestaltungen  als  wirk- 
liche Abbilder  der  Götter  anzusehen:  Tert.  faßt  hier  diesen 
Anthropomorphismus  als  eine  Herabsetzung  der  Götter,  die 
damit  auf  die  gleiche  Stufe  mit  den  Verstorbenen  gestellt 
werden. 

Min.  (22,  5)  hat  die  Beispiele  in  diesem  Falle  aus  Cicero  entlehnt 
und  den  rönog  unter  seine  Beweise  für  die  ursprünglich  menschliche 
Natur  der  Heidengötter  eingereiht:  wenn  er  das  einführt  mit  quid? 
formae  ipsae  et  habitus  norme  arguunt  ludibria  et  dedecora  deorum  vestro- 
rum  ?  —  wozu  man  zwar  den  Volcanus  claudus  deus  et  debilis,  aber 
schon  schwerlich  die  folgenden  (Apollo  tot  aetutibus  levis,  Arsculapius 
bene  barbatus  usw.)  rechnen  kann  —  so  liegt  der  Verdacht  nahe,  daß 
Min.  an  den  Zusammenhang  bei  Tert.  gedacht  hat,  wo  der  röitog  in 
der  Tat  den  ludibria  (XIV  2)  zunächst  steht. 

4.  Der  römische  Götternachwuchs.  In  Nat.  ist  an  dieser  XIII  8.  9 
Stelle  nur  von  den  consekrierten  Kaisern,  und  von  diesen 
ausführlicher,  die  Kede;  das  muß  hier  der  späteren  Erörterung 
vorbehalten  bleiben  und  wird  also  nur  mit  einer  ironischen 
Verbeugung  vor  den  Kaisern  als  den  domini  deorum  gestreift. 
Es  folgt  Acca  Larentina,  über  die  Tert.  Nat.  II  10  nach  Varro 
ausführlicher  berichtet;  Simo  der  Magier,  dessen  Verwechselung 
mit  dem  Gotte  Semo  Sancus  sich  schon  bei  Justin  I  26  findet 
und  von  Tert.  wahrscheinlich  daher  entlehnt  ist1),  endlich 
Antinous  —  de  paedagogicis  aulicis  nescio  quem,  er  wird  nicht 
einmal  der  Nennung  gewürdigt  — ,  gegen  dessen  Apotheose 
auch  die    Griechen    durchweg   polemisieren.2)      Keiner    dieser 


1)  Haknack,  Zur  Quellenkritik  d.  Gesch.  d.  Gnostizismus,  Leipzig 
s.  a.  p.  67. 

2)  Am  zurückhaltendsten  Athenag.  c.  30 :  v.ai  kvrivoog  (pilccv&Q'jyjiii: 
xmv  v^stsqwv  7CQoy6vo)v  ngog  rovg  v7tTjx6ovg  f'ru^a  voui^scdat  ftsog.  Das 
bedeutet  aber  nicht,  daß  die  Apotheose  ein  fAkt  besonderer  Leutselig- 
keit der  Herrscher'  sei  (Geffcken  227),  sondern  daß  es  Antinous  der 
(filccv&Qconia  der  früheren  Herrscher  (nicht  eigenen  Verdiensten)  zu 
danken  habe,  wenn  die  Untertanen  so  loyal  waren  sich  seine  Apotheose 
gefallen  zu  lassen.  Aber  auch  Justin  getraut  sich  nicht  recht  mit  der 
Sprache  herauszugehen :  er  hat  von  der  christlichen  Sittlichkeit  im  Gegen- 
satz zu  der  namentlich  in  der  männlichen  Prostitution  sich  zeigenden 
Unsittlichkeit  gesprochen ,    zuletzt  ein   besonders  leuchtendes   Beispiel 


358  Eich ard  Heinze:  [XIV  1 

griechischen  Apologeten  hat  dabei  eine  so  bissige  Wendung 
gefunden  wie  Tert.,  der  behauptet,  die  alten  Götter  seien  ja 
zwar  auch  nicht  besserer  Herkunft  als  diese  neuen,  würden 
aber  doch  aus  purer  Eifersucht  die  Nachwahlen  als  Schmach 
empfinden. 
XIV  1  5.  Nur  im  Vorbeigehen  werden  die  Riten  des  Kultus  er- 

wähnt.1) Daß  die  Götter  bei  den  Opfergaben  zu  kurz  kommen, 
war  auch  Nat.  I  10  p.  78  der  einzige  Punkt,  den  Tert.  aus 
diesem  Gebiet  vorbrachte,  eingeführt  wie  hier  non  dico  qaales 
sitis  in  sacrificando:  nur  daß  hier  diese  Bräuche  ausdrücklich 
gebilligt  werden  —  laudabo  magis  sapientiam,  quod  de  perdito 
aliquid  eripitis  — ,  und  daß  hier  andere  Überschriften  gegeben 

für  die  Reinheit  des  christlichen  Lebenswandels  angeführt,  und  schließt 
den  ganzen  Abschnitt  (I  29)  mit  dem  Hinweis  auf  Antinous,  den  man 
—  obwohl  er  doch  einer  jener  unglücklichen  Buhlknaben  war  —  sogar  als 
Gott  verehrte:  iniöTä^iBvog  ziq  rs  t\v  %a\  7to&Bv  vnf]Q%kv  (die  Kenntnis 
der  Herkunft  des  Ant.  hat  freilich  nichts  mit  der  Kinderaussetzung, 
wohl  aber  etwas  mit  der  Vergottung  zu  tun;  Geffcken  wird  p.  98  fg. 
dem  Gedankengange  Justins  nicht  gerecht,  weil  er  nicht  den  ganzen 
Abschnitt  27 — 29  ins  Auge  faßt).  Ebenso  wenig  wie  Justin  spricht 
es  Tert.  aus,  daß  Antinous  Buhlknabe  des  Kaisers  gewesen  sei. 

1)  Volo  et  ritus  vestros  reeensere  —  non  dico  quales  sitis  in  sa- 
crificando.. .  laudabo  magis  sapientiam,  quod  de  perdito  aliquid  eripitis — ; 
sed  conversus  ad  litteras  vestras  .  .  .  quanta  invenio  ludibria.  Man  ver- 
mißt die  Aufzählung  der  als  Verspottung  der  Götter  geltenden  Riten, 
die  mit  volo  reeensere  angekündigt  schien.  Ähnlich  hatte  Tert.  XI  11 
gesagt  volo  igitur  inerita  recemere,  an  eiusmodi  sint,  ut  illos  in  caelum 
extulerint  et  non  potius  in  imum  tartarum  merserint:  man  erwartet 
auch  hier  eine  Aufzählung  der  einzelnen  flagitia,  wie  sie  Nat.  II  13  fg. 
in  diesem  Zusammenhange  gegeben  war:  aber  es  folgt  nur,  mit  enim  an 
die  Erwähnung  des  Tartarus  angeknüpft,  eine  ganz  allgemeine  Charak- 
teristik der  flagitia  ohne  Nennung  von  Namen,  sodann  (13.  14)  eine 
Nebenbemerkung  über  die  Stellung  der  Praesides  zu  diesen  flagitia; 
dann  lenkt  Tert.  wieder  ein  mit  sed  ut  omittam  huius  indignitatis 
retraetatum  —  betrachtet  also  auch  das  ganze  als  eine  praeteritio,  keine 
recensio.  Tert.  hat  also  entweder  in  beiden  Fällen  es  versäumt,  den 
ausgesprochenen  Vorsatz  auszuführen,  resp.  ihn  fallen  lassen  und  dann 
versäumt  die  einführende  Formel  zu  ändern  —  was  in  der  Wieder- 
holung freilich  höchst  auffallend  wäre;  oder  er  hat  volo  in  ganz  eigen- 
tümlicher Weise  gebraucht  statt  velim  fich  hätte  wohl  Lust  .  .  .  aber'. 


XIV  i]  Tertullians  Apologeticum.  359 

werden:  volo  et  ritus  vestros  recensere  .  .  .  sed  cotwersus  ad 
litt er as  vestras,  während  dort  bulgae  aut  sacrilegae  gidae1) 
den  doctissimi  gravissimi,  die  in  der  Literatur  zu  Worte  kommen, 
gegenüberstehen.  Tert.  fiel  die  neue  Pointe  ein,  daß  die  kargen 
Opferer  eigentlich  recht  vernünftig  handeln;  dabei  konnte  er 
die  frühere  Anknüpfung  nicht  brauchen,  und  hat  darum  den 
neuen  Gegensatz  eingeführt. 

Minucius  sagt  24,  2,  nachdem  er  die  Götterbilder  behandelt  hat: 
guorum  ritus  si  percenseas,  ridenda  quam  multa,  quam  multa  etiavt 
miseranda  sunt!  und  führt  dann  eine  Menge  solcher  Bräuche  auf:  nackt 
laufen  sie  im  strengen  Winter  herum  usf.  Sein  Gesichtspunkt  ist  ein 
anderer  als  der  des  Tert.:  dieser  hat  Bräuche  im  Auge,  aus  denen 
Verachtung  der  Götter  spricht,  Min.  dagegen  Absurditäten,  die  dem 
Christen  lächerlich  oder  erbärmlich  dünken:  trotz  der  äußerlich  engen 
Anknüpfung  (quorum  ritus .  . .)  hat  der  Passus  mit  dem  vorher  (von 
c.  20  ab)  gelieferten  Beweis  für  die  menschliche  Natur  der  Götter 
keinerlei  näheren  Zusammenhang.  Den  Schluß,  den  Ebert  (p.  377  f.) 
und  andere  aus  dem  Vergleich  der  Stellen  auf  die  Priorität  des  Min. 
ziehen,  halte  ich  nicht  für  berechtigt:  ich  wüßte  nicht,  angenommen 
selbst  daß  Tert.  nur  aus  Nachlässigkeit  die  Behandlung  der  Riten 
unterlassen  hätte  (s.  vor.  Seite  Anm.  1),  wie  sich  diese  Nachlässigkeit 
leichter  unter  der  Voraussetzung  erklären  ließe,  daß  ihn  das  Vorbild 
des  Min.,  nicht  eigenes  Nachdenken  auf  den  Punkt  geführt  habe.  Zu- 
dem ist  es  auch  hier  wieder  methodisch  richtig,  von  der  analogen 
Stelle  in  Nat.  auszugehen,  die  ja  ganz  ohne  Anstoß  ist:  wie  sollte 
denn  nachträglich  das  Vorbild  des  Minucius  den  Tert.  zu  jenem  Fehler 
verführt  haben?  Besteht  also  überhaupt  ein  näherer  Zusammenhang 
zwischen  den  beiden  Stellen,  so  ist  er  nur  so  zu  erklären,  daß  Min. 
bei  Tert.  den  Satz  volo  et  ritus  vestros  recensere  las  und  sich  dadurch 
angeregt  fühlte,  auf  eigene  Faust  das,  was  sein  Vorbild  unterlassen 
hatte,  auszuführen:  einige  Absonderlichkeiten  des  Kults  waren  leicht 
zusammengerafft,  wenn  sie  nicht  etwa  alle  aus  Seneca  stammen,  dessen 
Buche  de  superstitionibus  (fr.  34H.)  Minucius,  auch  hier  anlehnungs- 
bedürftig, die  Schlußpointen  fast  wörtlich  entnommen  hat. 

1)  Den  Sinn  des  Satzes  hat  allein  Gothofredus  richtig  verstanden, 
der  erklärte  per  quae  idiotae  (er  schrieb  (per}  quae  vulgae)  et  sacri- 
legi  maiorum  religionem  aryuere  solent:  in  der  Sparsamkeit  der  Opfer 
(das  Apol.  bringt  noch  das  weitere  Beispiel  der  deeima  Herculis,  von 
der  noch  nicht  ein  Drittel  dem  Gott  dargebracht  wird)  liegt  eine  An- 
klage, von  Geizhälsen  und  Schlemmern  gegen  die  religio  maiorum  er- 
hoben.    Hahtels  Erklärung  a.  a.  0.  50  fg.  irrt  ganz  ab. 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  28 


360  Richard  Heinze:  [XIV  2—6 

XIV  2— 6  6.    Es    folgen    die    von    den    Schriftstellern    gegen 

die  Götter  verübten  ludibria;  strenge  und  klare  Disposition, 
wie  es  Tert.s  Art  ist:  A.  Dichter,  a)  Homer,  b)  Lyriker, 
c)  Dramatiker.  B.  Philosophen.  Tert.  hat  zunächst  aus  dem 
homerischen  Mythus  Züge  herausgesucht,  die  die  Götter  ver- 
ächtlich scheinen  lassen:  dies,  nicht  allgemein  das  Anthropo- 
morphe  oder  das  Lasterhafte,  ist  sein  Gesichtspunkt,  den  er 
strikt  festhält.  Also  zunächst  die  Theomachie  mit  Erinnerung 
an  die  vom  Dichter  paarweise  genannten  Gegner,  und  dem 
Hinweis  auf  die  herabwürdigende  Ähnlichkeit  mit  den  paria 
gladiatorum;  Venus  durch  einen  Menschen  verwundet  (Jiumana 
sagitta  ein  Gedächtnisfehler),  der  auch  ihren  Sohn  Aneas 
fast  getötet  hätte;  Mars  dreizehn  Monate  gefangen,  Juppiter 
vor  gleichem  Schicksal  nur  durch  ein  Ungeheuer  gegen  die 
übrigen  Himmlischen  geschützt,  dann  bald  weinend,  bald  in 
widerlicher  Geilheit  zu  seiner  Schwester  entbrannt.  Andere 
Dichter  eifern  dem  nach:  der  eine  läßt  den  Apollo  das  Vieh 
des  Admet  weiden,  der  andere  den  Neptun  sich  als  Maurer 
bei  Laomedon  verdingen.  Sodann  bei  Pindar  Aesculap,  der 
aus  Habsucht  unerlaubte  Heilkünste  übt  und  dafür  von 
Juppiter  mit  dem  Blitz  erschlagen  wird:  was  auch  von  Juppiter 
gegen  seinen  Enkel  nicht  schön  gehandelt  war.  Ohne  Einzel- 
beispiele wird  schließlich  erwähnt,  welch  unwürdige  Rolle  die 
Götter  bei  den  Dramatikern  spielen.1)  Die  gleiche  Liste 
hatte  Tert.  schon  Nat.  I  10  gebracht:  nur  waren  dort  Venus 
und  Juppiters  Befreiung  etwas  knapper  behandelt  und  es  fehlten 
die  Beispiele  von  Apollo  und  Neptun,  die  hier  als  Belege  für 
die  Nachfolger  Homers  gebracht  werden,  von  denen  dort  nur 
die  Tatsache  der  Nachfolge  behauptet  war.  Ferner  fehlt  dort 
der  Fall  des  Aesculapius,  weil  er  in  anderem  Zusammenhange 
(II  14),  bei  der  Besprechung  der  merita  deorum,  behandelt  war. 

1)  Nämlich  als  Prologsprecher  in  der  Tragödie  und  neuen  Ko- 
mödie: nee  tragici  quidem  aut  comici  pareunt,  ut  non  aerumnas  vel 
errores  domus  alieuius  dei  praefentur  (vgl.  ad  nat.  I  10  p.  79  ut  non 
aerumnas  ac  poenas  dei  praefarentur) .  Der  Satz  wird  von  den  Heraus- 
gebern durchweg,  so  viel  ich  sehe,  nicht  richtig  verstanden. 


XIV  2—6]  Tertullians  Apologbticum.  361 

Natürlich  hat  sich  kein  Apologet  die  schimpflichen 
Götterfabeln  entgehen  lassen,  so  wenig  wie  früher  die  heid- 
nischen Bestreiter  des  Volksglaubens,  und  die  Beispiele  sind 
naturgemäß  großen  Teils  überall  die  gleichen;  so  finden  sich 
bei  Athenagoras  2 1  von  denen  des  Tert.  wieder  Zeus  Trauer 
und  Brunst,  Aphrodites  Verwundung  und  ihre  Mutterschaft, 
Ares'  Gefangenschaft,  Apollos  Knechtschaft,  dazu  manches 
andere:  aber  die  Zielscheibe  der  Polemik  sind  hier  die 
körperlichen  und  seelischen  jraib}  der  Götter;  behauptet  wird, 
daß  derartiges  der  göttlichen  Natur  widerspreche:  wie  dies 
schon  Aristides  in  ermüdender  Breite  für  jede  einzelne  Figur 
des  Olympos  ausgeführt  hatte.  Eine  der  vollständigsten 
Listen  gibt  Clemens  im  Protrepticus  II  27  —  39:  da  findet 
sich  fast  alles,  was  Tertullian  bringt,  unter  einer  zehnfach 
größeren  Masse  von  einzelnen  Zügen  wieder:  der  Zweck  ist 
auch  hier,  zu  zeigen,  daß  es  Menschen  sind,  nicht  Götter, 
von  denen  die  Fabeln  handeln.1)  Man  sieht,  wie  Tert.  diese 
Dinge  unter  einen  ganz  neuen  Gesichtspunkt  stellt:  er  pole- 
misiert nicht  gegen  die  Götter,  sondern  gegen  die  weisen 
Griechen,  die  es  wagen,  ihre  Götter  zu  verunglimpfen  — 
nicht  7iläv)i  7ioir]rixij  sondern  aöeßsiu  liegt  vor  — ;  nach 
diesem  Gesichtspunkt  ist  seine  knappe  Auswahl  getroffen. 

Keiner  der  älteren  oder  unabhängigen  jüngeren  Apologeten  steht 
in  Auswahl  und  Formulierung  der  Beispiele  dem  Tert.  so  nahe  wie 
Minucius  (23):  für  das  Verhältnis  der  beiden  zu  einander  ist  dies  eine 
der  lehrreichsten  Stellen.  Von  einigen  Details  in  der  Ausführung  ab- 
gesehen, hat  Minucius  als  Plus  die  Verwundung  und  Flucht  des  Mars, 
den  Hercules,  der  stercora  egerit,  das  Schmieden  von  Juppiters  Blitzen 
und  den  Waffen  des  Äneas 2),  endlich  Venus  und  Mars,  beim  Ehebruch 
ertappt,  und  Ganymedes  als  Buhlknabe  Juppiters  in  den  Himmel 
erhoben,  außerdem  nennt  er  den  Briareus  mit  Namen,  den  Tert.  nur  als 
monstrum  aliquod  bezeichnet.  Andererseits  fehlt  bei  Min.  nur  Aesculap, 
der   aber   am    Schluß    des  vorigen    Kapitels  unter    den    'verstorbenen' 

1)  29  ai'  ys  itargiötg  ccvtovg  xat  cd  xi^vai  y.al  oi  ßloi,  Ttgbg  de  ys 
xal  oi  Tcccpoi  ccv&QWTtovg  ysyovorag  diiXty%ov6iv,  sodann  40  luv  di]' 
insidi]    ov   &soi,   ovg  d~ctr]aii£v£TB,  av&ig  iiti6Y.iibct69ctl  fioi  SoiieI  sl  övrcog 

sUv    ÖUt[lOV8S' 

2)  Aus  Virgil:  Vahlen  Opusc.  Acad.  II  116. 

28* 


3Ö2  Richard  Heinze:  [XIV  2—6 

Göttern  schon  genannt  war. x)  Welches  ist  der  Gesichtspunkt  des 
Minucius?  Man  ist  in  Verlegenheit,  ihn  zu  präzisieren:  nach  dem 
abschließenden  quis  ergo  dubitat  hominum  imagines  consecratas  vulgus 
orare  wäre  es  der  aus  den  griechischen  Apologeten  bekannte,  die 
menschliche  Natur  der  Götter;  aber  vorher  ist  von  fabulae  et  errores, 
von  figmenta  et  mendacia  dulciora  die  Rede,  so  daß  es  sich  nur  darum 
zu  handeln  scheint,  die  Mythen  als  unwahr  zu  erweisen,  als  tyv%ay(o- 
yiag  %&qiv  von  den  Dichtern  erfunden,  oder  —  denn  auch  hier  kann 
man  schwanken  —  in  böserer  Absicht  überliefert:  quae  omnia  in  hoc 
prodita,  ut  vitiis  hominum  quaedam  auctoritas  pararetur,  und  das  Lob 
Piatons,  der  den  Homer  aus  seinem  Staat  verwies,  läßt  weniger  eine 
Polemik  gegen  die  Götter  der  Heiden,  als  gegen  die  auch  von  den 
frommen  Heiden  verurteilten  unsittlichen  Erfindungen  der  Dichter  er- 
warten 2) ;  ganz  unerwartet  aber  und  unvermittelt  tritt  bei  Homer 
etwas  dem  tertullianischen  Gesichtspunkte  der  ludibria  Verwandtes  auf: 


1)  Agahd  sieht  in  der  oben  (S.  290,  2)  angeführten  Schrift  (p.  40  ff.) 
in  den  Abweichungen  der  beiden  von  einander  und  darin,  daß  für  Beide 
Parallelen  bei  den  griechischen  Kirchenschriftstellern  vorhanden  sind, 
wieder  einen  Beweis  für  seine  These:  aus  dem  auctor  communis  soll 
auch  Lactanz  i.  d.  I  10,  5  ff.  schöpfen.  Er  müßte  zum  mindesten  sein 
Stemma  noch  dadurch  komplizieren ,  daß  er  Lactanz  aus  dem  auctor 
direkt,  Tert.  und.  Min.  aus  einer  gemeinsamen  abgeleiteten  Quelle 
schöpfen  ließe:  so  groß  ist  ihre  Übereinstimmung  gegenüber  Lactanz. 
Ich  meine  aber,  in  diesem  Falle  liegt  besonders  klar  auf  der  Hand, 
daß  das  Mehr  bei  dem  einen  wie  dem  andern  nicht  aus  einer  be- 
sonderen c  Quelle',  sondern  aus  eigener  Kenntnis  der  Dinge  geschöpft 
ist;  oder  sollte  man  wirklich  dem  Min.  nicht  die  Kenntnis  der  Fabeln 
von  Herkules  und  Augeias,  von  der  Schmiede  Vulcans,  Ares'  und  Aphro- 
ditens  Ehebruch,  Juppiters  Liebe  zu  Ganymed  zutrauen?  Oder  beweist 
es  irgend  etwas  für  eine  'Quelle',  daß  diese  allgemein  bekannten  Fabeln 
auch  bei  den  griechischen  Apologeten  erwähnt  werden?  Irgendwelche 
Besonderheiten  der  Überlieferung  oder  Darstellung,  die  es  ermöglichten, 
auf  eine  bestimmte  Tradition  zu  schließen,  liegen  nirgends  vor. 

2)  Min.  beklagt  es,  daß  diese  Fabeln  Gegenstand  des  Unterrichts 
sind:  has  fabulas  et  errores  .  .  ipsis  studiis  et  disciplinis  elaboramus 
carminibus  praecipue  poetarum.  Das  ist  in  seiner  auf  die  menschliche 
Natur  der  Götter  gerichteten  Beweisführung  ein  abwegiger  Gedanke. 
Tert.  dagegen,  der  ja  den  Heiden  vorwirft,  daß  sie  schlecht  von  ihren 
Göttern  reden,  hat  guten  Grund  bei  Erwähnung  der  litterae  hervor- 
zuheben quibus  informamini  ad  prudentiam  et  Uberalia  officia:  also 
selbst  diese  verantwortliche  Aufgabe  hält  die  Schriftsteller  von  ihren 
Blasphemien  nicht  ab. 


XIV  2—6]       Tertullians  Apologeticum.  363 

hie  mim  praeeipmts  hello  Troico  deos  vestros,  etsi  ludns  jacit,  tarnen  in 
hominum  rebus  et  actibus  miseuit:  von  einem  ludos  facere  ist  sonst  bei 
Min.  durchaus  nicht  die  Rede,  auch  paßt  unter  diesen  Gesichtspunkt 
z.  B.  das  aus  Virgil  genommene  Beispiel  von  den  Blitz  und  Waffen 
schmiedenden  Cyklopen  durchaus  nicht.  Bei  diesem  Beispiel  aber 
treffen  wir  zu  unserer  Überraschung  auf  eine  rationalistische  Wider- 
legung des  Mythus:  Blitze  hat  es  längst  vor  Juppitera  Geburt  gegeben, 
kein  Cyklop  konnte  sie  schmieden,  und  Juppiter  selbst  mußte  sie 
fürchten:  also  das,  was  Tert.  in  ganz  anderem,  gutem  Zusammenhange 
gegen  die  Auffassung  der  Götter  als  Gehilfen  des  obersten  Gottes  ein- 
gewendet hatte  (XI  6,  oben  S.  348).  Unter  diesem  Schwanken  ist  ein 
festes  Prinzip  der  Auswahl  bei  Minucius  nicht  zu  finden,  und  die 
Formulierung  arbeitet  nicht  konsequent  auf  ein  bestimmtes  Ziel  hin, 
während  bei  Tert.  jedes  Wort  dazu  dient,  das  dedecus  zu  verschärfen. 
Bei  ihm  also  hat  das  deos  ut  gladiatorum  paria  congressos  eine  ver- 
giftete Spitze,  bei  Minucius  ist  das  hie  eorum  paria  composuit  gleich- 
gültige Redewendung,  denn  es  dient  nur  als  Beleg  dafür,  daß  Homer 
deos  .  .  m  hominum  rebus  et  actibus  miseuit,  bei  Tert.  ist  Iovem  opera 
cuiusdam  monstri  liberatum  ein  Hieb  auf  die  Jämmerlichkeit  des  Gottes, 
bei  Minucius  Iovem  Briareo  liberatum  gelehrte  Notiz;  Tert.  zeigt  uns 
Juppiter  fuede  subantem  in  sororem  in  abstoßendem  Bilde,  bei  dem  der 
Inzest  nicht  vergessen  ist,  und  der  Zusatz  sub  commemoratione  non  ita 
dileetarum  iamjiridem  amicarum  das  Widerliche  der  Sache  verstärkt, 
bei  Minucius  ist  in  flagrantius  quam  in  adulteras  soleat  cum  Iunone 
uxore  coneumbere  der  Gegensatz  zwischen  adulterae  und  uxor  belanglos, 
eher  abschwächend:  und  so  läßt  sich  der  Vergleich  ausnahmslos  durch 
alle  Beispiele  durchführen.  Also  auf  der  einen  Seite  höchste  Zweck- 
mäßigkeit in  Auswahl  und  Darstellung,  auf  der  anderen  kein  erkenn- 
bares Prinzip  gerade  dieser  Auswahl,  die  mithin  willkürlich  erscheint, 
und  ebensowenig  Festigkeit  in  der  Durchführung.  Ich  meine,  es  kann 
nicht  zweifelhaft  sein ,  wem  von  beiden  wir  lieber  die  Initiative  zu- 
schreiben, und  es  ist  gewiß  kein  Zufall,  daß  gerade  die  drei  letzten 
Beispiele  des  Min.  bei  Tert.  fehlen,  während  vorher  nur  eines,  das  des 
Hercules,  bei  Minucius  allein  steht.  Minucius  hat  die  Liste  des  Tert 
übernommen,  wurde  durch  die  Knechtschaft  des  Adinet  an  die  des 
Hercules  erinnert,  und  fügte  am  Schluß  noch  einiges  wenig  glücklich 
Ausgewähltes  hinzu :  umgekehrt  ist  der  Prozeß  für  mich  unbegreiflich. 

Von  den  Philosophen  nennt  Tert.  Sokrates,  dessen  Schwur 
'bei  der  Eiche  und  dem  Bock  und  dem  Hund'1),  für  Theoph. 

1)  Über  diese  Zusammenstellung  s.  Rauschens  Anmerkung;  ferner 
über  die  Erwähnungen  in  der  heidnischen  Literatur  außer  Oehlers 
Anm.  Geffcken,  Sokrates  und  das  alte  Christentum,  Hdlbg.  1908,  p.  41. 


364  Richard  Heinze:  [XV  1—6 

ad  Autol.  III  2  ein  Beweis  seines  Irrglaubens,  hier  vielmehr 
als  Zeugnis  richtiger  Erkenntnis  des  Unwerts  der  heidnischen 
Götter  erscheint.  Ähnlich  in  der  christlichen  Literatur  nur 
Apollonius  (acta  gr.  19),  der  den  Schwur  cbei  der  Platane'  als 
Hohn  gegen  die  Athener  faßt,  die  tote  Bilder  anbeten;  Tert. 
ist  durch  seine  konsequent  verfolgte  Tendenz,  die  Heiden 
selbst  als  aöeßsig  zu  erklären,  dazu  geführt  worden,  in  So- 
krates'  Äußerung  eine  bewußte  Schmähung  (in  contumeliam) 
der  Götter  zu  sehen,  und  er  läßt  es  nicht  gelten,  daß  man 
ja  den  Sokrates  verurteilt  habe,  weil  er  den  Götterglauben 
zerstörte  —  woraus  folgen  würde,  daß  er  mit  seinen  gott- 
losen Überzeugungen  allein  gestanden  habe:  da  die  Athener 
jenes  Urteil  später  bereut  und  nach  Kräften  redressiert  haben, 
bleibt  Sokrates  als  Zeuge  für  die  heidnische  aösßeia  bestehen. 
Denn  man  beachte  wohl:  wenn  Sokrates  auch  die  Wahrheit 
vertrat,  als  er  deos  destruebat,  so  wird  ihm  das  doch  von 
Tert.  nicht  zum  Ruhme  angerechnet:  er  ist  ja  nur  einer  der 
Heiden,  zu  denen  Tert.  sagte  deos  vestros,  quos  timetis,  destruitis; 
auch  er  hat  ja  schließlich  dem  Aesculap  einen  Hahn  geopfert1), 
und  die  Athener  waren  im  Grunde  doch  ganz  mit  ihm  ein- 
verstanden: so  wenig  also  ist  es  richtig,  wenn  er  als  einsamer 
Held  und  Märtyrer  der  Wahrheit  gepriesen  wird.  Des  weiteren 
folgen  Diogenes  der  griechische  und  Varro  der  römische  Cy- 
niker  mit  ihrem  Spott  auf  Herakles  und  die  homonymen  Joves: 
man  sieht,  Tert.  übergeht  die  ernsthaften  Bestreiter  des  Volks- 
glaubens, da  es  ihm  darauf  ankommt,  nicht  Polemik,  sondern 
Äußerungen  der  Verachtung,  ludibria,  zu  sammeln;  Nat.  I  10, 
p.  79  hatte  er  noch,  nicht  ganz  so  konsequent,  im  allgemeinen 
von  den  Philosophen  zugegeben,  daß  sie  nonnullus  ad  flatus 
veritatis  adversus  deos  erigit. 
XV  1—6  7.  Auch  bei  den  szenischen  Darstellungen  —  mimi  und 

histriones2)  werden  geschieden  —  und  bei  den  Vorführungen 

1)  XL  VI  5:  s.  dort  Weiteres  über  Tert.s  Stellung  zu  Sokrates. 

2)  Das  sind  Pantomimen,  nicht  Komöden  und  Tragöden,  wie 
(Dehler  will;  histrionum  litterae  oder,  wie  Nat.  I  10,  p.  79  gesagt  ist 
Jiistrionicae   litterae.,    die    Pantomimentexte.     So    denn    auch    Minucius 


XV  7]  Tertullians  Apologetictm.  365 

im  Amphitheater1)  liegt  der  Nachdruck  auf  dem  Beifall,  den 
diese  Herabwürdigung  der  Götter  beim  Publikum  findet.  Die 
Beispiele  nimmt  Tert.  aus  dem  Leben:  die  spectacula  jeder 
Art  waren  ihm  ja  wohl  vertraut. 

8.  Und  nun  der  letzte  Trumpf:  das  unsittliche  Treiben  XV  7 
in  den  Heiligtümern,  die  Beraubung  der  Heiligtümer,  deren 
sich  nur  Heiden,  nicht  Christen  schuldig  machen:  nescio,  ne 
plus  de  vobis  dei  vestri  quam  de  christianis  querantur  —  so 
wird  der  Grundgedanke  der  ganzen  vielteiligen  Polemik  noch 
einmal  rekapituliert. 

Tert.  sagt:  ceterum  si  adiciam,  quae  non  minus  conscientiae  om- 
nium  recognosccnt ,  in  templis  adidteria  componi,  inter  aras  lenocinia 
tractari,  in  ipsis  plerumque  aedituorum  et  sacerdotum  tabernaculis ,  sub 
isdem  vittis  et  apicibus  et  purpuris,  ture  flagrante,  libidinem  expungi, 
nescio  usf.  So  auch  de  pudic.  5 :  ego  quidem  idololatria  saepissime  moe- 
chiae  occasioncm  subministro,  sciunt  lud  mei  .  .  .  ipsaque  in  urbibtis 
templa,  qtiantum  evertendac  pudicitiae  procuremus.  Die  Tempel,  nament- 
lich der  Isis,  als  Stätten  der  Rendez-vous  und  Kuppelei  schon  seit 
augusteischer  Zeit  verrufen:  Friedländer  S.  Gr.  I6  501  fg.  Mit  sub  is- 
dem vittis  usf.  kann  doch  wohl  nur  gemeint  sein,  daß  die  Priester 
selbst  im  Ornat  Unzucht  treiben:  das  ist  also  die  höchste  Steigerung 
der  Mißachtung  der  Götter.  Minucius  hat  den  Satz  in  etwas  anderem 
Zusammenhange  nicht  ganz  einwandfrei  verwertet.  Caecilius  hatte  c.  6 
behauptet,  Rom  habe  die  Welt  erobert  dum  exercent  in  armis  virtutem 


c.  37,  12:  in  scenicis  etiam  non  minor  furor  et  turpitudo  prolixior;  nunc 
enim  mimus  vel  expo)iit  adidteria  vel  monstrat,  nunc  enerois  lüstrio 
(Tert.:  corpus  impurum  et  ad  istam  artem  cffeminatione  productum) 
amorem  dum  fingit,  inflgit;  idem  deos  veatros  inducendo  stupra  suspiria 
(Tert. :  Cybele  pastorem  suspirat  fastidiosum)  odia  dedecorat.  Daß  in  den 
Pantomimen  die  heidnischen  Götter  dedecorantur,  wäre  für  die  Christen 
kein  Grund,  den  Besuch  zu  meiden:  eben  dies  aber  will  Min.  hier 
rechtfertigen.  Man  sieht,  wie  ihm  der  Tertullianische  Satz  cetera  las- 
civiae  ingenia  etiam  voluptatibus  vestris  per  deorum  dedecus  operantur 
(XVT)  das  Konzept  verrückt  hat. 

1)  Verbindung  von  Pantomimus  und  theatralischen  Hinrichtungen: 
super  sanguinem  humanum,  super  inquinamenta  poenarum  proinde  sal- 
tant  dei  vestri,  argumenta  et  historias  noxiis  ministrantes ,  nisi  quod  et 
ipsos  deos  vestros  saepe  noxii  induunt.  Die  erst  genannten  saltantes 
sind  also  keine  Verurteilten,  aber  was  mit  argumenta  .  .  ministrantes 
gemeint  ist,  weiß  ich  nicht  recht. 


366  Richard  Heinze:  [XVI  1—5 

religiosam,  dum  urbem  muniunt  sacrorum  religionibus,  casus  virginibus, 
multis  honoribus  ac  nominibus  sacerdotum.  Darauf  erwidert  Octavius 
c.  25  zunächst  (gleichfalls  nach  Tert.,  s.  u.)  die  ausländischen  Götter, 
Mars  TJiracius  vel  Juppiter  Creticus  usf.,  hätten  doch  keinen  Anlaß 
o-ehabt,  die  Feinde  ihrer  Völker  zu  unterstützen,  nisi  forte  apud  istos 
maior  castitas  virginum  aut  religio  sanctior  sacerdotum,  da  doch  (wie 
mit  erstaunlicher  Übertreibung  gesagt  wird)  die  Vestalinnen  sämtlich 
unkeusch  gelebt  hätten.  Tibi  autem  magis  a  sacerdotibus  quam  inter 
aras  et  delubra  condmuntur  stapra,  tractantur  lenocinia,  adulteria 
ineditantur?  frequentius  (!)  denique  in  aedituorum  cellulis  quam  in 
ipsis  lupanaribus  flagrans  libido  defungitur.  Übrigens  hätten  vor  den 
Römern  andere  Völker  ohne  die  römischen  sacerdotia  die  Herrschaft 
besessen.  Dies  letzte  erwidert  auf  die  multi  honores  ac  nomina  sacer- 
dotum, das  vorhergehende  auf  die  castae  virgines:  was  dazwischen  steht, 
eben  der  Satz,  auf  den  es  uns  ankommt,  hat  mit  dem  von  Caecilius 
Hervorgehobenen,  der  reichen  Ausgestaltung  des  Götterkults,  nichts  zu 
tun  und  wird  in  der  Erwiderung  durch  den  Zusatz  aut  religio  sanctior 
sacerdotum  ziemlich  gezwungen  eingeführt.  Dadurch  sieht  sich  dann 
aber  Minucius  veranlaßt,  anders  als  Tert.,  die  sacerdotes  selbst  für  das 
ganze  unsittliche  Treiben  in  den  Tempeln  verantwortlich  zu  machen, 
ihnen  das  conducere  stupra,  lenocinia  tractare,  adulteria  meditari  zuzu- 
schreiben: man  sieht  wohl,  daß  dies  eine  Entstellung  des  Tertullianischen 
Gedankens  ist1). 

II.  Der  christliche  Glaube. 
XVI  1.  Negativ:  Zurückweisung  der  bei  den  Heiden  darüber 

verbreiteten  falschen  Vorstellungen: 
XVI  1—5  1.  Kult  eines  Eselskopfs.   Tert.  weist  die  Quelle  dieses  Irr- 

tums in  der  auch  von  Tacitus  wiedergegebenen  Verleumdung 
des  jüdischen  Kults  nach2),  und  widerlegt  diese  Verleumdung 


1)  Streicht  man  mit  Sauppe  «  sacerdotibus,  so  gewinnt  allerdings 
der  Satz  formell  und  inhaltlich:  nur  freilich  paßt  er  dann  in  den  Zu- 
sammenhang noch  schlechter.  Kein  Schriftsteller  wird  von  sich  aus 
auf  den  Gedanken  kommen,  den  Hinweis  auf  die  sakralen  Institutionen 
Roms,  die  vielen  honores  ac  nomina  sacerdotum  und  ihre  Bedeutung 
für  die  Entstehung  der  römischen  Weltherrschaft,  durch  den  Vorwurf 
zu  parieren,  daß  —  heutzutage  —  von  Laien  die  Heiligtümer  zu  un- 
sittlichen Zwecken  mißbraucht  werden. 

2)  In  Wahrheit  hat  vielleicht  doch  eine  auf  christlichen  Boden 
verpflanzte  orientalische  Kultform  dem  Spott  zugrunde  gelegen:  vgl. 
Wünsch,  Sethianische  Verfluchungstafeln  aus  Rom  (Lpz.  1898),  p.  noff. 


XVI  i — 5]  Tertii.lians  Apologbticum.  367 

aus  demselben  Tacitus  —  freilich  eben  nur  für  die  Juden1); 
als  retorsio  verweist  er  auf  Epona  —  et  mmenta  omnia  et 
totos  cantherios  cum  siia  Epona  coli  a  vobis  —  und  fügt  mit 
echt  tertullianischem  Witz  hinzu:  hoc  forsitan  improbonnr, 
quod  inier  cuMores  omnium  pecudum  bestiantmque  asmarii  tan- 
lum  sumus,  was  ja  freilich  nicht  die  Behauptung  der  Heiden 
widerlegen,  höchstens  ihre  Mißbilligung  des  christlichen  Esels- 
kultes, diesen  zugegeben,  verhöhnen  kann,  und  somit  in  dem 
entsprechenden  Passus  von  Nat.  (In,  p.  8 1 )  besser  am 
Platze  war.  Nur  der  einmal  gefaßte  Vorsatz,  um  jeden  Preis 
die  Retorsion  auszuüben,  hat  ja  auch  zu  der  Willkür  führen 
können,  die  auf  den  Eponadarstellungen  üblichen  Tiere  — 
Esel  haben  dabei  nicht  einmal  eine  besondere  Rolle  gespielt, 
scheinen  sich  wenigstens  auf  den  vorhandenen  Darstellungen 
nicht  zu  finden2)  —  als  Objekte  des  Kultus  hinzustellen. 

Minucius  bringt  diese  wie  die  anderen  Fabeln  über  den  Geeen- 
stand  des  christlichen  Kults  im  Zusammenhang  seiner  Erörterung  über 
die  Dämonen  als  deren  Ausstreuung  (28,  7);  dazu  würden  die  Tacitus- 
zitate  schlecht  passen,  er  verzichtet  also  auf  Tert.s  Beleg  und  Wider- 
legung und  hilft  sich  mit  der  billigen  rhetorischen  Wendung  quis  tarn 
stultus  itt  hoc  colat?  qicis  stultior  ut  hoc  coli  credat?  woran  er  recht  un- 
geschickt und  sich  selbst  sogleich  widerlegend  die  Behauptung  vom 
Esels-  und  Eponakult  der  Heiden  anfügt.  Aber  er  erweitert  dann  diese 
Polemik,  verweist  auf  die  Stier-  und  Widderköpfe  —  doch  wohl  die  in 
Heiligtümern  aufgehängten  Schädel   der  Opfertiere  — ,   die  Bilder  von 

1)  Auch  da  ist  die  Widerlegung  nicht  ganz  ehrlich.  Tacitus  erzählt 
hist.  V  9,  Pompeius  habe  im  Tempel  kein  Götterbild  gefunden:  dazu 
stimmt  was  er  ebd.  5  vom  bildlosen  Kult  der  Juden  sagte;  das  im 
Allerheiligsten  aufgestellte  Eselsbild,  von  dem  er  c.  4  erzählte,  hat  er 
also  nicht  als  Kultbild  aufgefaßt.  Treffender  widerlegte  Josephus  den 
Apion,  der  behauptet  hatte,  der  jüdische  Kult  eines  Eselskopfs  sei  da- 
durch kund  geworden,  daß  Antiochus  Epiphanes  dies  Bildwerk  wirk- 
lich im  Tempel  gefunden  habe:  alle  übrigen,  sagt  Josephus  c.  Ap.  II  82, 
die  als  Eroberer  den  Tempel  betraten,  darunter  auch  Pompeius,  hätten 
doch  nichts  dergleichen  dort  gefunden,  und  doch  seien  die  jüdischen 
Kultgesetze  allezeit  die  gleichen  gewesen.  Möglich,  daß  Tert.  durch 
Josephus  zu  seiner  Replik  angeregt  wurde;  gelesen  hat  er  Josephus, 
c.  Ap.:  s.  unten  zu  Kap.  XIX. 

2)  b.  Kecke,  P.-W.  s.  v.  Epona  VI  237. 


368  Richard  Heinze:  [XVI  6—8 

Göttern  mit  halbtierischer  Bildung  —  das  bringt  Tert.  bei  passenderer 
Gelegenheit,  X  13,  vor  — ,  vor  allem  aber  auf  den  ägyptischen  Tierkult, 
woran  sich  dann  anderes  Anstößige  aus  dem  ägyptischen  Kult  reiht: 
einige  Details  kennt  Minucius  gewiß  aus  älteren  Apologeten,  welche 
die  Duldung  dieser  abscheulichen  superstitiones  des  ägyptischen  Kults, 
der  vom  römischen  scharf  geschieden  wird,  der  Intoleranz  in  christ- 
lichen Dingen  gegenüberstellen :  so  auch  Tert.  XXIV  7,  und  der  Hinweis 
darauf,  daß  den  Ägyptern  sogar  gestattet  wird,  den  mit  dem  Tode  zu 
bestrafen,  der  einen  ihrer  Tiergötter  tötet  (et  capite  damnandis  qui 
aliquem  huius  modi  deum  occiderit)  ist  in  diesem  Zusammenhange  ge- 
wiß besser  am  Platze  als  in  dem  des  Minucius  (quorum  aliquem  dem» 
si  quis  occiderit  etiam  capite  punitur),  wo  ja  nicht  Toleranz  für  den 
christlichen  Brauch  gefordert  werden  soll.  Ja  um  die  Römer,  an  die 
er  sich  hier  wendet,  für  den  ägyptischen  Kult  mit  verantwortlich  zu 
machen,  behauptet  er,  recht  anfechtbar,  nonne  et  Apin  bovem  cum 
Aegyptiis  adoratis  et  pascitis,  und  idem  Aegyptii  cum  plerisque  vobis 
non  magis  Isidem  quam  ceparum  acrimonias  metuunt:  alles  dies,  meine 
ich,  deutliche  Belege  für  die  kompilierende  Technik  des  Minucius. 

XVI  6—8  2.  Verehrung  des  Kreuzes.     Eine  Widerlegung  wird  gar 

nicht  versucht:  sed  et  qui  crucis  nos  religiosos  putat,  consecra- 
neus  erit  noster,  fast  wörtlich  aus  Nat.,  als  ob  es  hier  wie 
dort  nur  darauf  ankäme,  die  Vorwürfe  der  Heiden  auf  sie 
selbst  zurückzuwerfen,  nicht,  wie  angekündigt  war  (XVI  8), 
auf  das  repercutere  opiniones  falsas.  —  Replik:  ihr  habt  Götter- 
bilder aus  Holz:  wie  sie  aussehen,  ist  gleichgültig,  auf  das 
Material  kommt  es  doch  vor  allem  an.  Aber  die  roh  be- 
ll auenen  Pfähle,  die  als  Pallas  Attica  und  Ceres  Pharia  ver- 
ehrt werden,  sind  fast  gleich  dem  Kreuzesstamm:  unser  Gott 
wäre  doch  wenigstens  ein  volles  Kreuz.  Kreuze  sind  der  An- 
fang  eurer  Götterbilder,  stecken  in  euren  Tropäen,  sind  das 
Wesentliche  bei  den  Kultobjekten  eurer  religio  castrensis,  der 
Signa.  —  Diese  seltsam  spielerische  Darlegung,  die  Nat.  I  1 2 
in  der  ursprünglichen,  ausführlicheren  Form  steht,  ist  angeregt 
durch  Ausführungen  griechischer  Apologeten,  wie  wir  sie  bei 
Justin  I  55  lesen:  freilich  hat  Tert.  der  Sache  wieder  eine 
ganz  neue  Wendung  gegeben.  Justin  spricht  vom  Kreuze 
Christi,  auf  das  die  Propheten  vorausgedeutet  hätten,  und  das 
ein  Symbol   der  Kraft   und   Macht   sei:   überall   in   der  Welt 


XVI  9—i4]  Tertullians  Apologetici  m.  369 

trete  es  auf,  als  Mast  der  Schiffe,  als  Pflug,  Grabscheit,  als 
Gerät  aller  Handwerker;  in  der  Gestalt  und  im  Antlitz  des 
Menschen;  auch  in  den  römischen  Feldzeichen  und  Tropäen, 
den  Symbolen  ihrer  Herrschaft  und  Macht;  endlich  bei  den 
Bildern  der  vergötterten  Kaiser.1)  Man  sieht:  ganz  anders 
als  bei  Tert.  soll  hier  das  Kreuz  als  ein  die  AVeit  durch- 
dringendes Symbol  der  Größe  geheiligt  und  damit  auch  das 
Kreuz  Christi  als  verehrungs würdig  erscheinen:  bei  Tert.  ist 
es  dagegen  ein  Bestandteil  der  heidnischen  Idololatrie,  von 
dem  die  Christen  nichts  wissen  wollen. 

Miuucius  hat  die  Stelle  des  Justin,  wenn  nicht  eine  andere  ganz 
ähnliche,  vor  Augen  gehabt,  als  er  schrieb  (29,  8)  Signum  sane  crueis  . 
naturaliter  visimus  in  navi,  cum  velis  tumcntibus  vehitur,  cum  expansis 
palmulis  labitur,  et  cum  erigitur  iugum ,  crueis  Signum  est,  et  cum  homo 
porrectis  manibus  deum  pura  mente  veneratur.  Er  hat  aber  auch  Tert. 
vor  Augen  gehabt,  als  er  seine  Ausführung  begann  rruccs  etiam  nee 
colimus  nee  optamus.  vos  sane,  qui  ligneos  deos  consecratis,  cruces  lig- 
neas  ut  deorum  vestrorum  partes  forsitan  adoratis:  dann  folgen  die  signa 
und  die  tropaea.  Er  verbindet  also  beide  Gesichtspunkte,  den  des  Tert. 
und  den  des  Justin,  ohne  sich  daran  zu  stoßen,  daß  sie  sich  im  Grunde 
widersprechen,  und  findet  sich  mit  diesem  Widerspruch  durch  einen 
Schlußsatz  ab,  der  deutlich  zeigt,  daß  er  wirklich  ganz  Verschiedenes 
verbunden  hat:  ita  signo  crueis  (tut  ratio  naturalis  innititur  aut  vestra 
religio  formatier. 

3.  Sonnenkult.  XVI  9— 11 

4.  Das  Spottbild  auf  den  Christengott,  das  jüngst  in    XVI  12—14 
Karthago  ausgestellt  wurde:  ein  Mann  in  der  Toga,  ein  Buch 

in  der  Hand,  mit  Eselsohren  und  einem  Huf.  Nat.  I  19  wird 
der  Urheber  dieses  Spottes,  der  hier  quidam  frustrandis  bestü-< 
mercenarius  noxius  heißt,  als  abtrünniger  Jude  noch  näher 
bezeichnet  und  die  Gelegenheit  zu  einem  wütenden  Ausfall 
auf  das  Judentum  benutzt:  hier  urteilt  Tert.  ruhiger:  risimus 


1)  xä>v  nag'  vfiiv  üno&v)j6x6vTa>v  ccvxoxqccxoqcov  rag  einövecs  ini 
xovxm  xä  o%rjuaxi  avaxi&sxs  y.a.1  %bov£  diu  ypa^arwi'  iitovoiicc£s xe :  viel- 
leicht meint  Justin  die  Anordnung  der  Kaisermedaillons  auf  den  Feld- 
zeichen, dasselbe  was  Tert.  als  imaginum  suggestus  in  signis  bezeichnet. 
Anders  z.  B.  Rauschen  flor.  patr.  II    Bonn    1 904.1  z.  St.  (p.  56). 


3jo  Richard  Heinze:  [XVI  12—14 

et  nomen  et  formam.  —  Retorsion:   die  numina  biformia  der 
Heiden. 

Von  der  ganzen  Reihe  von  falschen  Gerüchten  über  den  Christen- 
gott erwähnen  die  griechischen  Apologeten  keines,  Minucius  den  Esels- 
kopf und  das  Kreuz,  dazu  noch  die  Fabel  von  der  Verehrung  der  sacer- 
ilotis   virilia !) ,    bei  deren  Widerlegung   er  mit  einem  Ausfall  auf  die 
heidnische  Unsittlichkeit   überhaupt  an  die  heidnischen   fellatores   er- 
innert,  die  Tert.  bei  Gelegenheit  der  Fabel  vom  Bluttrinken  erwähnt. 
Kur  hier  bezieht  sich  Min.  für  die  Retorsion  nicht  auf  wirkliche  Kult- 
bräuche, sondern  behilft  sich  mit  einem  istae  impudicitiae  eorum  forsitan 
sacra  sint,  obwohl  man   meinen  sollte,   die  verschiedenen  Formen  des 
Phalluskults  hätten  bessere  Waffen   geboten:   Minucius,  der  den  Vor- 
wurf wohl  aus  einem  griechischen  Apologeten  kannte,  hat  sich  bei  der 
Widerlegung  von  seinem  Vorbild  Tert.   nicht  frei  zu   machen  gewußt. 
Tert.  seinerseits  hätte  sich  schwerlich,  wenn  er  von  dem  Gerücht  ge- 
wußt hätte,   die   Gelegenheit  entgehen   lassen,    einige   kräftige  Worte 
dazu  zu   sagen:   gerade  in  geschlechtlichen  Dingen  kennt  er  ja  keine 
Scheu.     Ferner  verbindet  Min.  mit  der  Fabel  vom  Kreuz   die   von  der 
Verehrung  eines  gekreuzigten  Jwmo  noxius-,  die  überaus  schwache  Ent- 
gegnung lautet  longe  de  vicinia  veritatis  erratis,  qui  putatis  deum  credi 
aut  meruisse  noxium  aut  potuisse  terrenum:   hat   er   denn  nicht  selbst 
behauptet,  daß  eben  dies,  dessen  Möglichkeit  er  hier  ableugnet,  in  wei- 
tester Ausdehnung   bei  den  Heiden   geschehen   sei?     Er   spricht  dann 
über  die  Verehrung  Verstorbener  und  kommt  dabei   auf  den  Kaiser- 
kult:   da  er  weder  über  diesen   noch   über   die   Christusverehrung  im 
Laufe  seiner  Schrift  eingehend  reden  will,   hat  er  die  Sache  hier  ein- 
geschoben, ungeachtet   daß  hier  beide  Punkte  natürlich  nur  sehr  un- 
zureichend behandelt  werden  können. s) 

1)  Über  den  Ursprung  der  Fabel  eine  Vermutung  bei  Reitzen- 
stein,  Zwei  religionsgesch.  Fragen  p.  96,  2.  Ob  indessen  aus  Hippolyts 
Zeugnis  über  den  phallisch  gebildeten  Hermes  der  Naassener  (V  1)  in 
Verbindung  mit  Minucius'  Bericht  geschlossen  werden  darf,  daß  wirk- 
lich f" christliche"  Gemeinden  im  zweiten  Jahrh.  Christus  unter  dem 
Symbol  des  Phallus  verehrt'  haben  (Reitzenstein  ,  Poimandres  p.  53), 
lasse  ich  dahingestellt. 

2)  Weshalb  Tert,,  im  Apolog.  wie  in  der  früheren  Schrift,  den 
Eselskopf  an  die  Spitze  seiner  Liste  gestellt  hat,  statt  dies  Gerücht 
mit  dem  letzten  einigermaßen  verwandten  zu  verbinden,  darüber  läßt 
sich  mancherlei  mutmaßen,  und  ich  glaube  nicht,  daß  man  darauf  an- 
gewiesen ist,  Abhängigkeit  von  der  Ordnung  des  Min.  als  Grund  zu 
statuieren  (so  Norden  a.  a,  0.  [ob.  S.  290, 2]  p.  13  fg.).  Tert.  konnte  es  z.  B. 
für  seine  ad  1  ausgesprochene  Behauptung,  daß  das  Gerücht  auf  Ver- 


XVII  i]  Tertillians  Ai'oi.o.i  i  i,  i  m.  371 

2.  Positiv:  der  christliche  Glaube  an  Gott  (XVII— XX) 
und  Christus  (XXI). 

Zwei  Bestimmungen   stellt  Tert.  an   die  Spitze:  Gott   ist  XVII  1 
einer,   und   er   ist   der  Schöpfer   der  Welt.     Die   erste  bedarf 
keiner  weiteren  Ausführung;  die  zweite  wird  nach  verschiedenen 
Seiten  präzisiert: 

1.  das  Objekt  der  Schöpfung:  die  Welt  cwm  omni  in- 
strumento  elementorum  corporum  spirituum. 

2.  Die  Organe  der  Schöpfung:  verbo  quo  iussit,  ratione  qua 
disposuit,  virtute  qua  potuit.  Auf  diese  Dreiheit  kommt  Tert. 
weiter  unten  mehrfach  zurück:  XXI  10  tarn  ediximus  deum  Uni- 
versitäten! haue  mundi  verbo  et  ratione  et  virtute  molitum;  und 
zwar  ist  sermo  atque  ratio,  wie  Tert.  bemerkt1),  identisch  mit 
dem  loyog  der  Griechen,  der  beides  zugleich  bedeutet,  virtus 
entspricht  dem  griechischen  dvvafitg.  Die  substantia  dieser 
drei  Begriffe  ist  spiritus,  cui  et  sermo  insit  pronuntianti  et 
ratio  aderit  disponenti  et  virtus  praesit  perjicienti,  dieser  spiritus 
ist  aus  Gott  prolatione  generatus  und  also  Gottes  Sohn: 
Christus.  Und  das  wird  nochmals  wiederholt,  als  von  Christi 
Wundern  die  Rede  ist,  durch  die  er  gezeigt  hat  (XXI  17) 
se  esse  verbum  dei  .  .  .  virtute  et  ratione  comitatum  et  spiritu 
fultum.  Man  sieht,  Tert.  legt  Gewicht  auf  diese  Dreiheit 
von  Begriffen,  er  hat  auch  die  ihre  Tätigkeit  bezeichnenden 
Worte  mit  Bedacht  gewählt  —  iubere,  disponere,  posse  — ,  da 
er  sie  nachher  mit  leiser  Variation  wiederholt:  pronuntiare, 
disponere,  perf teere.2)     Auch   in   späteren   Schriften  kehrt   die 

wechslung  mit  den  Juden  beruhe,  bedenklich  finden,  daß  das  letzte 
Gerücht  gerade  von  einem  geborenen  Juden,  der  doch  über  den  Kult 
seiner  Väter  wohl  unterrichtet  war,  ausgesprengt  wurde,  und  es  vor- 
gezogen haben,  beides  möglichst  weit  voneinander  zu  trennen  (im 
Apolog.  hat  er  dann  den  Juden  gar  nicht  mehr  als  solchen  bezeichnet). 
Aber  es  bleiben  auch  andere  Möglichkeiten. 

1)  aus  ihm  Lact.  i.  d.  IV  9,  der  in  der  Epitome  auch  tertullianisch 
von  Christus  sagt  (37,  p.  712  Br.)  hie  est  virtus,  hie  ratio,  hie  sermo  dei, 
hie  sapientia. 

2)  adv.  Marc.  V  14  natu  et  hacc  eril  dei  virtus  in  substantia  pari 
perficere  salutem. 


37 2  Richard  Heinze:  [XVII  i 

Doppelung  von  sermo  und  ratio  wieder,  z.  B.  adv.  Prax.  5,  wo 
auch  das  disponere  wieder  auf  die  ratio  bezogen  ist1);  oft 
freilich  genügt  zur  Wiedergabe  von  Xoyog  sermo,  und  damit 
wird  die  virtus  verbunden  z.B.  de  carne  Christi  19  verbum  dei, 
et  cum  verbo  dei  spiritus,  et  in  spiritu  dei  virtus  et  quidquid 
dei  est  Christus,  oder  adv.  Prax.  1 9,  wo  Christus  als  Sophia  et 
virtus  dei  bezeichnet  wird:  sophia  vertritt  die  an  unseren  Stellen 
genannte  ratio,  die  adest  disponenti,  wie  nach  adv.  Prax.  1 9  die 
sophia  (Prov.  VIII  27)  von  sich  sagt  cum  pararet  caelum,  ego 
oder  am  Uli  und  weiter  er  am  penes  illum  disponens.  — 
Man  sieht,  die  Begriffe,  die  Tert.  an  unserer  Stelle  als  Or- 
gane Gottes  einführt,  sind  ihm  späterhin  und  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  schon  damals  durchaus  geläufig  gewesen, 
wie  das  Verweilen  auf  ihnen  bezeugt. 

Dieselbe  Trias,  mit  fast  identischen  Prädikaten,  hat  Minucius  18,  7, 
nur  daß  er  sie  nicht  bei  der  Weltschöpfung,  sondern  bei  der  Welt- 
regierung tätig  sein  läßt:  deus  .  .  qui  universa  quaecumque  sunt  verbo 
iubet,  ratione  dispensat,  virtute  consummat:  er  kommt  nirgends  darauf 
zurück,  und  da  er  die  Logoslehre  ja  abgesehen  von  dieser  einen  Er- 
wähnung aus  seiner  Erörterung  ganz  ausschaltet,  hat  das  Auftreten  des 
verbum  an  unserer  Stelle  nur  dekorativen  Wert,  als  Glied  des  Trikolon. 
Man  beachte  auch,  wie  bezeichnend  Tert.  von  der  Schöpfung  sagt  verbo 
quo  iussit:  der  Befehl  fiat  lux  ist  eben  sein  'Wort',  und  dieses  'Wort' 
tritt  bei  der  Weltschöpfung,  zum  Zweck  der  Weltschöpfung  nach  Ter- 
tullianischer  Lehre  zum  ersten  Male  aus  Gott  hervor;  von  der  Er- 
haltung und  Regierung  der  Welt,  von  der  Minucius  spricht,  läßt  sich 
das  verbo  iubet  zwar  verstehen,  aber  irgend  welche  tiefere  dogmatische 
Bedeutung  hat  es  nicht.  Ich  meine,  auch  an  dieser  Stelle  kann  gar 
kein  Zweifel  obwalten,  welchem  der  beiden  die  Priorität  gebührt.2) 


1)  de  orat.  1  dei  spiritus  et  dei  sermo  et  dei  ratio,  sermo  ratio)tis 
et  ratio  sermonis  et  spiritus. 

2)  Bei  Min.  geht  vorher  qui  ante  mundum  fuerit  sibi  ipse  pro 
mundo;  das  erinnert  an  Athenag.  16  6  Sh  Koouog  ov%  a>g  SsofiBvov  zov 
frsov  yiyovsv  Ttävxa  yctQ  6  &sog  iaziv  ccvxbg  ccvrä,  qpwg  angöairov,  koo- 
jiog  tiluog,  rtvsvucc,  övrccuig,  loyog,  und  gewiß  hat  Min.  jene  Sentenz 
nach  irgend  einem  Apologeten  gebildet  (s.  Geffcken  p.  191),  wenn  er 
nicht  vielleicht  sogar  Tertullian  adv.  Praxeam  gelesen  hat,  wo  c.  5 
steht  ante  omnia  enim  deus  erat  solus,  ipse  sibi  et  mundus  et  locus  et 
omnia  und   dann   die   oben   zitierte  Erörterung  über  loyog  =  ratio  et 


XVII  2]  Tertljxians  Ai'olim.kik  i  m.  373 

3.  Tert.  lehnt  durch  den  Zusatz  de  nihil o  expressit  die 
Vorstellung    einer    von    Gott    unabhängigen  Materie    ab,    die 

O  ÖD  / 

heidnische  Philosophen  lehrten  und  die  er  später  in  der 
Schrift  gegen  Hermogenes  eingehend  bekämpft  hat,  und  gibt 
endlich 

4.  das  Resultat  der  Schöpfung:  in  ornamentum  maie- 
statis  suae,  unde  et  Graeci  nonien  mundo  xöö^iov  adcommoda- 
verunt:  die  Übersetzung  ornamentum  hat  Tert.  später  wieder- 
holt (adv.  Marc.  I  13,  adv.  Herrnog.  40),  freilich  m.  VV.  nicht 
die  Beziehung  auf  den  Schöpfer  selbst,  das  ornamentum 
maicstatis  suae.  Es  kommt  ihm  hier  nur  darauf  an,  die  Vor- 
stellung der  Schönheit  und  Vollkommenheit  der  von  Gott 
geschaffenen  Welt  zu  erwecken. 

Nach  der  Behauptung  der  Beweis:  wer  die  Existenz  XVII 2 
dieses  Gottes  beweisen  will,  hat  vor  allem  die  Quellen  seiner 
Erkenntnis  aufzuzeigen.  Das  geschieht  zunächst  durch  eine 
allgemeine  Darlegung,  die  das  Negative  mit  dem  Positiven 
in  einer  Reihe  kühner  Oxymora  verbindet:  invisibilis  est,  etsi 
r/deatnr,  incomprehensibUis ,  etsi  per  gratiam  repraesentetur, 
inaestimabilis,  etsi  humanis  sensibles  aestimetur.  Das  klingt  an, 
gewiß  nicht  nur  zufällig,  an  die  Versuche  der  Griechen,  Gott 
zu  beschreiben:  so  wenn  ihn  Athenagoras  nennt  s'va  xbv 
ayivqxov  xal  aCöiov  xal  äoqaxov  xal  caia&y]  xal  äxaxdlrjit- 
rov  xal  ä%äQrtxov,  vcfi  yLova  xal  Xoya  xaxaXajißavö^avov.1) 
Aber  von  diesem  vtp  nova  xal  Xöyay  sind  wir  bei  Tert.  weit 
entfernt:  der  Zusatz  beim  letzten  Gliede  humanis  sensibus 
widerspricht  dem  geradezu.  Tert.  meint  wirklich  sinnliche 
Erkenntnis:  denn  es  ist  das  Anschauen  von  Gottes  Werken, 
das  der  Seele  die  Erkenntnis  Gottes,  soweit  sie  ihr  zugänglich 
ist,  übermittelt.     Vielleicht  denkt  Tert.  an  Rom.  I  20  xä  yäg 


serwo  folgt.  Aber  daß  er  auch  die  Trias  ratio  sertno  virtus  mit  ihren 
Prädikaten  einem  uns  unbekannten  Griechen,  nicht  Tert.  verdankt, 
diese  Annahme  ist  durch  nichts  nahegelegt.  Der  charakteristische 
Unterschied  von  des  Athenagoras  &so?  .  .  Ttvsv^a  SvvayLig  Xöyog  liegt 
auf  der  Hand. 

1)  vgl.  auch  7..  B.  Theoph.  ad  Autol.  I  3. 


374  Richard  Heinze:  [XVII  2 

äÖQccta  avxov  ocTtb  xxCösojg  icöe^ov  xolg  noir\\ia6iv  voov^isvcc 
xa&oQ&tcci,  rj  xe  di'diog  avtov  dvva^iLg  %cä  dsLÖxrjg:  auch  das 
folgende  stg  tb  slvat  avxovg  avctnoloyrixovg ,  dioxi  yvovxeg 
xbv  %-ebv  ov%  ag  &ebv  sdö^aöav  findet  sogleich  sein  Gegen- 
stück bei  Tert.:  et  haec  est  summa  delicti  nolentium  recognos- 
cere,  quem  ignorare  non  possunt.  Jene  Stelle  des  Römerbriefs 
hat  Tert.  auch  de  an.  18  zur  Stütze  seiner  sensualistischen 
Erkenntnistheorie  verwendet.  Also  wenngleich  Gott  gesehen, 
vorgestellt,  in  der  Größe  seiner  Macht  und  seines  Wesens 
geschätzt  werden  kann,  so  ist  er  doch  unsichtbar,  unfaßbar, 
unschätzbar:  ideo  verus  et  tantus,  der  wahre  Gott,  und  so  groß 
—  wie  er  in  Wahrheit  ist,  müssen  wir  hinzusetzen.  Das  Oxy- 
moron, die  Behauptung,  daß  Gott  videtur,  comprehenditur, 
aestimatur,  bedarf  einer  Auflösung:  ceterum1)  quod  videri 
commimiter,  quod  comprehendi,  quod  aestimari  potest,  minus  est 
et  oculis  quibus  occupatur,  et  manibus  quibus  contaminatur ,  et 
sensibus  quibus  invenitur:  quod  vero  immensum  est,  soli  sibi 
notum.  Es  handelt  sich  bei  Gott  um  kein  Wahrnehmen  'in 
gewöhnlicher  Art':  denn  alles  so  Wahrgenommene  ist  'kleiner' 
als  die  Augen,  Hände  und  Sinne:  auch  dies  wieder  ein  Oxv- 
moron  —  denn  wie  soll  alles  das,  was  z.  B.  von  den  Händen 
berührt  wird,  contaminatur,  'kleiner'  sein  als  die  Hände?2) 
Aber  die  Sinnesorgane  sind  hier  gemeint  als  die  Vertreter 
des  Intellekts,  der  hinter  ihnen  steht,  dem  die  Wahrnehmung 
zufließt:  alles  Körperliche  ist  diesem  Intellekt  untergeordnet. 
Alles  dies  Körperliche  ist  begrenzt  und  daher  durch  die  Sinne 
in  seiner  Totalität  faßbar,  uns  kenntlich :  quod  vero  immensum 
est,  soli  sibi  notum  est:  das  Unbegrenzte,  Unermeßliche  kann 
von  niemanden  als  von  ihm  selbst  erkannt  werden.  Und  nun 
kehrt  Tert.  von  dieser  sentenziösen  Verallgemeinerung  zum 
Gegenstande  der  Betrachtung,  Gott,  zurück:  eben  dies,  seine 


1)  =  aber,  s.  Hoppe,  Syntax  u.  Stil  des  Tert.  (Lpz.  1903)  p.  108. 

2)  Ganz  ähnlich  wie  Tert.  beweist  Tatian  seinen  Satz,  daß  die 
Leiber  der  Dämonen  nur  den  Pneumatikern,  nicht  den  Psychikern 
Bv6vvorcxa  seien,  durch  die  Gnome  xb  yäg  hXaxxov  KccxüX^ipiv  ovy.  i6%vei 
7toi£iG&cci  xov  xQtixxovog  (c.  15,  p.  16,  31  Schw.). 


XVII  2]  Tektullians  Apoloukik  im.  375 

Unermeßlichkeit,  deum  aestimari  facit,  dum  aestimari  non  ca/pit: 
seine  Größe  bewirkt  zugleich  die  Möglichkeit  und  die  Un- 
möglichkeit seiner  Kenntnis:  ita  eum  vis  magnitudinis  et  notum 
hominibus  obicit  et  ignotum.  Diese  letzte  Äußerung,  gleichsam 
das  Resultat  der  Darlegung,  ist  die  klarste,  wenngleich  auch 
sie  noch  ein  Oxymoron  —  man  soll  aus  den  Worten  des 
Schriftstellers  ein  verzweifeltes  Ringen  nach  einer  Formulieruno- 
von  Gottes  Wesen  heraushören  und  einen  Eindruck  von  dem 
für  den  gewöhnliehen  Verstand  Inkommensurablen  in  Gottes 
Wesen  erhalten.  Als  Haupteigenschaft  Gottes  erscheint  seine 
Größe:  von  der  Definition  Gottes  als  summum  magnum  geht 
Tert.  später  in  der  Polemik  gegen  Marcion  aus;  auch  an 
dem  Gedanken,  daß  die  Größe  Gottes  sich  vor  allem  in  ihrer 
Unerkennbarkeit  manifestiert,  hat  er  später  festgehalten: 
reddens  nomen  Uli  (deo)  negas  substantiam  Hominis.  iJ  est 
magnitudinis  quae  deus  dicüur,  non  tantam  eam  agnoscens, 
quantam  si  hon/o  omnifariam  nosse  potuisset,  magnitudo  non 
esset  (adv.  Marc.  II  2).  So  leitet  dieser  Abschnitt  von  der 
Bestimmung  der  göttlichen  Eigenschaften  zur  Erörterung  über 
die  Quellen  seiner  Erkenntnis  in  trefflicher  Weise  über:  der 
Satz,  daß  ein  Nichterkenrienwollen  Gottes,  der  doch  nicht 
unbekannt  bleiben  kann,  sündhaft  ist,  schließt  den  Abschnitt 
und  eröffnet  zugleich  den  folgenden. 

Die  dunkle  Rätselsprache  Tert.s  war  nicht  nach  Minucius'  Sinn; 
aber  für  den  formalen  Reiz  der  wuchtigen  Sätze  war  sein  Ohr  empfäng- 
lich, und  er  hat  versucht,  ihm  mit  größerer  Eleganz  gleichzukommen, 
indem  er  dies  schrieb  (18,  8):  hie  non  eideri  potest:  visu  clarior  est; 
nee  comjyrendi:  tactu purior  est ;  nee  aestimari:  sens;bus  maior  est,  infinitus, 
immensus  et  sali  silri  tantus,  quantus  est,  notus.  nobis  vero  ad  intellectum 
pectus  angustum  est,  et  ideo  sie  eum  digne  aestimamus ,  dum  inaestima- 
bilem  dieimus.  eloquar  quemadmodum  sentio-  magnitudmem  dei  qui  se 
putat  nosse,  minuit.  qui  non  vult  minucre,  non  novit  (18,  8.  9).  E*  i-t 
mir  nicht  recht  begreiflich,  wie  man  aus  diesen  gekünstelten  Sätzen, 
aus  diesen  raffinierten  Antithesen  die  'ergriffene  Sprache  des  Herzens' 
heraushören  konnte;  doch  darüber  will  ich  nicht  streiten.  Unbestreit- 
bar ist,  daß  bei  Min.  das  fehlt,  worauf  bei  Tert.  das  ganze  Gewicht 
liegt,  die  positive  Ergänzung  der  negativen  Bestimmungen  :  auf  das 
inaestimabihm  esse  läuft  alles  hinaus.    Nicht  als  Handhabe  zur  Gottes- 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  29 


376  Richard  Heinze:  [XVII  4—6 

erkenntnis,  lediglich  als  Hindernis  der  Gotteserkenntnis  erscheint  seine 
Größe.  Die  Formulierung  dieses  Gedankens  ist  tadellos,  und  niemand 
würde  aus  Min.  allein  den  engen  Anschluß  an  eine  Vorlage  erraten : 
aber  nun  haben  wir  Tert.  daneben,  und  es  ist  nur  die  Frage,  welche 
Fassung  die  Priorität  hat:  die  inhaltlich  reichere,  die  durchaus  eigne, 
selbsterworbene  Anschauungen  des  Schriftstellers  wiedergibt  und  im 
Zusammenhang  der  umgebenden  Erörterung  fest  eingefügt  steht  —  oder 
die  zwar  formal  abgerundete  aber  inhaltlich  arme,  die  sich  nur  eben 
durch  die  Formulierung  über  den  Gemeinplatz  erhebt.  Die  Auffassung 
wenigstens  ist  ohne  weiteres  von  der  Hand  zu  weisen,  als  sei  Tert.s 
Erörteruug  eine  auf  Mißverständnis  beruhende  'falsche'  Wiedergabe 
der  Minucianischen.1) 

XVII  4—6  Tert.  geht  über  zu  den  Quellen  der  Gotteserkenntnis. 
An  erster  Stelle  Gottes  Werke:  das  ist  immer  für  ihn  der 
wichtigste,  im  Grunde  einzige  Beweis  für  das  Dasein  Gottes 
geblieben:  damit  er  erkannt  werde,  hat  ja  Gott  die  Welt  er- 
schaifen.  Tert.  erspart  sich  hier  näheres  Eingehen:  den  kos- 
mologischen  Gottesbeweis  der  Stoiker  zu  wiederholen,  wie 
das  z.  B.  Minucius  ausführlich  tut,  hält  er  für  überflüssig. 
Er  geht  noch  im  gleichen  Satze  zum  zweiten  Argument,  dem 
'Zeugnis  der  Seele'  über,  die  trotz  ihrer  Gefangenschaft  im 
Körper,  trotz  aller  anderen  schädlichen  Einflüsse,  die  auf  sie 
einwirken.  Augenblicke  der  Gesundheit  und  Klarheit  erlebt, 
und  dann  nicht  die  vielen  namentlich  unterschiedenen  Götter 
der  Heiden,  sondern  den  einen  deus  anruft,  der  im  Himmel, 
nicht  im  Kapitol  thront,  und  den  sie  kennt,  weil  sie  von  ihm 
stammt.  Dies  testimonium  animae  ist  ein  Lieblingsgedanke 
Test.s  geblieben:  er  hat  ihn  in  einer  eigenen  Schrift  ausge- 
führt und  kommt  auch  später  mehrfach  auf  ihn  zurück  (adv. 
Marc.  I  10,  de  an.  41). 

Minucius  beruft  sich  in  ganz  ähnlicher  Art,  zwar  nicht  auf  das 
Zeugnis  der  Seele,  aber  auf  das  vulgus:  cum  ad  caelum  manus  tendunt, 

1)  Gegen  diese  Auffassung  Eberts  hat  sich  schon  Hartel  p.  362fr. 
gewendet,  dessen  eigner  Deutung  der  Tertullianusstelle  ich  freilich  auch 
in  wesentlichem  nicht  beistimme.  Daß  Ebert  den  Tert.  mißverstanden 
hat,  ergibt  sich  aus  seiner  Behauptung  der  'Ungenauigkeit'  des  quod 
immensum  est  soli  sibi  notum  est,  das  anstelle  des  immensus  et  soll 
sibi  tantus  quantus  est  notus  des  Minucius  trete. 


XVII  4—6]  Tertullians  Apologeticim.  377 

nihil  aliud  quam  <>  dcus  dicunt  usf.  (18,  n).  Eben  weil  der  Gedanke 
Tert.s  der  tiefere  und  weitere  ist,  meinte  Ebbst,  ließe  sich  bei  der  An- 
nahme, daß  er  das  Original  sei,  "nicht  erklären,  warum  der  stets  wohl 
überlegende  Min.  vom  Bedeutenderen  zum  Unbedeutenderen  hinab- 
gestiegen sein  solle,  zumal  dem  Philosophen  die  tiefere  Auffassung 
Tertullians  sich  besonders  empfehlen  mußte.'  Ein  Blick  auf  den  Zu- 
sammenhang, in  den  Min.  den  Gedanken  gestellt  hat,  widerlegt  diese 
Behauptung.  Der  Stoiker  bei  Cicero  (de  nat.  deor.  II  4)  beruft  sich 
zum  Erweis  von  der  Götter  Dasein  vor  allem  auf  die  übereinstimmende 
Meinung  aller  Menschen:  etwas  dieser  xotWj  tvvoiu  oder  üucpvzog  hqö- 
Xrjipig  Entsprechendes  will  Min.  für  seinen  christlichen  Gott  ins  Feld 
führen:  quid  quod  omnium  de  isto  habeo  comenmm?  audio  vulgus  .  . 
audio  poetas  .  .  recenseamus  .  .  disciplinam  philosophorum:  also  eine 
aufsteigende  Linie  *),  an  deren  Anfang  natürlich  nicht  das  testimonium 
animae,  wohl  aber  mit  einiger  Berechtigung  dae  vulgus  treten  konnte: 
daher  der  Verzicht  auf  Tert.s  'tieferen'  Gedanken.  Mit  der  Verflachung 
ist  freilich  auch  der  Gedanke  recht  anfechtbar  geworden :  besagt  an 
sich  schon  die  Meinnng  des  vulgus  wenig,  so  konnte  hier  der  Gegner 
mit  Fug  behaupten,  daß  diese  Meinung  überwiegend  die  Vielheit  des 
heidnischen  Götterhimmels,  nicht  den  einen  Christengott  bezeuge: 
darum  stellt  ja  auch  Tert.  sein  testimonium  animae  als  einen  seltenen 
Ausnahmefall  hin,  in  dem  die  wahre  Natur  der  Seele  allen  Hindernissen 
und  Entstellungen  zum  Trotz  hervorbreche:  das  ist  eben,  meine  ich,  die 
ursprüngliche  Form  des  Gedankens,  nicht  die  Vertiefung  eines  fremden 
schief  gedachten.  Auch  Min.  hat  sich  nicht  verhehlt,  wie  bedenklich 
sein  Argument  ist:  er  fügt  ergänzend  und  gleichsam  dem  erwarteten 
Einwand  vorbeugend  hinzu:  et  qui  Iovem  principem  volunt,  falluntur  in 
nomine,  sed  de  una  potestate  consentiunt :  womit  er  gewiß  nicht,  wie 
Ebert  will,  den  fZeus  der  Philosophen,  den  &&bg  y.ar'  ^£o%jjV  meint  — 
denn  die  Philosophen  treten  erst  später,  nach  den  Poeten  auf  den 
Plan  —  sondern  den  Juppiter  des  Volksglaubens,  Iovem  et  domina- 
torem  verum  et  omnia  nutu  regentem  et,  ut  idem  Ennius,  patrem  divum- 
que  hominumque  et  praesentem  ac  praepotentem  deum,  wie  Cicero  an 
der  obengenannten  Stelle  sagt.  Min.  hilft  sich  so  gut  er  es  in  der 
selbstgeschaftenen  Verlegenheit  kann,  indem  er  aus  dem  praepotens 
deus  des  Volksglaubens  die  una  potestas  macht  —  an  die  nun  freilich 
das  vulgus  eben  nicht  glaubt,  auch  wenn  es  Jovem  principem    roll. 


1)  Dieselbe  Reihe,  absteigend  angeordnet',  später  bei  Tert.  XXII 
für  die  Dämonen:  nee  novum  nomen  est:  sciunt  daemonas  philosophi  .  . 
omnes  sciunt  poetae,  etiam  vulgus  indoctum  in  usu  maledicti  frequentat. 
Aber  hier  sollen  diese  Zeugnisse  nicht  die  Existenz  der  Dämonen, 
sondern  nur  non  novum  nomen  esse  beweisen. 

29* 


378  Richard  Heinze:  [XVIII— XX 

XVIII— XX  Vollständigere  und  gründlichere  Erkenntnis  von  Gottes 
Wesen,  Maßnahmen  und  Absichten  —  so  fährt  Tert.  fort  — 
ist  aus  den  Schriften  zu  gewinnen:  die  Propheten,  von  Gott 
inspiriert,  haben  Kunde  von  Vergangenem  und  Zukünftigem 
gegeben;  ihre  hebräisch  geschriebenen  Offenbarungen  sind  auf 
Ptolemaeus'  Geheiß  ins  Griechische  übertragen. 

Auf  die  'Propheten',  d.  i.  die  Schriften  des  alten  Testa- 
ments, beruft  sich  Justin  Apol.  I  3 1  ff.  mit  reichlichen  Zitaten, 
um  die  Wahrheit  des  Glaubens  an  Christus  darzutun,  dessen 
Geburt,  Leben  und  Wirken,  Leiden  und  Sterben  und  Auf- 
erstehung jene  aufs  genaueste  vorhergesagt  hätten,  so  daß 
denn  auch  nicht  an  seiner  gleichfalls  prophezeiten  Wieder- 
kunft (52)  zu  zweifeln  sei.  Tert.  operiert  vorsichtiger  und 
demonstriert  gründlicher.  Nicht  erst  um  die,  den  Heiden  an- 
stößigste, Lehre  von  Christus  zu  stützen,  sondern  schon  vor- 
her, als  Hilfsmittel  zur  Erkenntnis  Gottes,  führt  er  die  Pro- 
pheten ein,  ähnlich  wie  Justin  (31  Anfang)  —  av&QGMOL 
ovv  xvvEq  ev  'IovduCoig  yiyivr\vxai  &sov  TiQocprjTcu,  di'  av  tö 
iZQoq>r)Ti%bv  itv£V[icc  xtX.  —  nur  nachdrücklicher  und  so,  daß 
Gott  dabei  als  Handelnder  in  den  Vordergrund  tritt.  Er  er- 
zählt dann  mit  gelehrtem  Beiwerk  die  Geschichte  der  Septua- 
ginta,  offenbar  um  den  Heiden  einen  Begriff  von  Würde  und 
Wert  dieser  Schriften  beizubringen:  wie  geschickt  die  Er- 
zählung auf  diesen  Zweck  zugeschnitten  ist,  lehrt  am  besten 
ein  Vergleich  mit  der  ganz  naiven  und  nicht  berechnenden 
des  Justin,  der  die  Geschichte  der  Septuaginta  (Apol.  I  31) 
zuerst  und  als  einziger  unter  den  Apologeten  vor  Tert.  be- 
richtet.1) Dieser  ist  in  der  Erzählung  selbst  von  Justin  nicht 
abhängig  —  er  hütet  sich  vor  dem  bösen  Versehen,  den 
König  Herodes  in  die  Sache  hineinzuziehen,  und  weiß  von 
Demetrius  und  Menedemus,  von  denen  Justin  schweigt  (Tert. 
erwähnt  den  Anteil   der    griechischen    Gelehrten   mit   vollem 


1)  Vgl.  die  Zusammenstellung  der  testimonia  in  Wendlands  Aus- 
gabe des  Aristeasbriefes.  Zum  Tertulliantext  bat  Wendland  p.  126 
die  treff liebe  Emendation  librorum  für  libros  ^p.  60,  16  Kauschen)  bei- 
gesteuert. 


XiX.  XX  Tehtuli.ians  Apologeticvm.  379 

Bedacht):  es  scheint,  daß  Tert.,  durch  Justin  auf  die  Sache 
hingeführt1),  sich  aus  Josephus'  Archäologie  näher  unterrichtet 
hat.2)  Verwunderlich  kann  erscheinen,  daß  Tert.,  der  frisch- 
weg behauptet,  daß  die  griechische  Übersetzung  mitsamt  dem 
hebräischen  Original  noch  jetzt  in  der  Bibliothek  des  Sera- 
peums  aufbewahrt  werde,  und  der  darauf  hinweist,  daß  im 
jüdischen  Kultus  die  Schriften  noch  im  Gebrauch  seien,  schweigt 
von  der  Existenz  einer  lateinischen  Übersetzung,  auf  die  der 
lateinisch  Schreibende  seine  Leser,  sollte  man  meinen,  vor 
allem  hätte  hinweisen  müssen  —  vielleicht  unterläßt  er  es 
nur,  weil  diese  vulgäre  Übersetzung  literarisch  nicht  in  Betracht 
kommen  konnte  neben  der  LXX  höchst  vornehmer  Herkunft. 

Über  Justin  hinaus  geht  Tert.  darin,  daß  er,  wie  durch-  XIX.  XX 
weg,  so  auch  hier  den  Beweis  für  seine  Behauptung  liefert: 
die  Autorität  der  Schriften  wird  gewährleistet  erstens  durch 
ihr  Alter,  zweitens  durch  die  Erfüllung,  die  ihre  Prophe- 
zeihungen  bisher  gefunden  haben.  Man  sieht,  das  Fundament 
für  den  Glauben  an  Christus  soll  so  fest  wie  irgend  möglich 
gelegt  werden. 

Die    Chronologie    zunächst.      Sie    fehlt   noch    bei   Justin  XIX 
(der    nur    behauptet,    Moses    sei    älter    als    alle    griechischen 
Schriftsteller,  und  Piaton  habe   aus   ihm   geschöpft,   c.  44,  8; 
54,5;   59,1)    und    Athenagoras;    dagegen   haben   Tatian   und 
Theophilos   sich   lebhaft  um  sie  bemüht.     Tatian   weist  nach 


1)  Einwirkung  der  Fassung  Justina  zeigt  sich  vielleicht  darin, 
daß  Tert.  die  Sendung  der  Schriften  und  der  Übersetzer  gesondert 
berichtet,  wie  —  allein,  soviel  ich  sehe  —  Justin,  der  freilich  beides 
noch  deutlicher  zeitlich  scheidet. 

2)  Die  Notiz  quos  Menedemus  quoque  plülosophus ,  proridcntiae 
vindex,  de  sententiae  communione  (richtig  erklärt  von  Oehler)  suspexit 
stammt  schwerlich  aus  Aristeas  selbst  (201)  —  sonst  hätte  sich  Tert- 
wohl  verständlicher  ausgedrückt  —  sondern  aus  dem  ebenfalls  un- 
klaren Exzerpt  des  Josephus  XII  101  ^uvyiä^ovrog  ö'  avzovg  ov  llovov 
tov  ßaaüswg  &Xla  -Kul  MsvtSrjuov  tov  cpilocöcpov  ngovoia  dioiKtioQ-ai 
itavxu  q>ri6ccvTog,  xai  äia  tovr'  slxög  Kai  tov  Xoyov  dvvcc(iiv  xcu  xäXXog 
rivofiG&at  —  woraus  freilich  niemand  den  wirklichen  Zusammenhang 
erraten  kann. 


380  Richard  Heinze:  [XIX 

(31-  3° — 40 ),  daß  die  'Philosophie  der  Barbaren'  älter  sei 
als  die  griechische  Bildung,  insbesondere  Moses  älter  als 
Homer,  aber  auch  als  die  vorhomerische  Dichtung  (41)1): 
daher  denn  auch,  wie  am  Schluß  bemerkt  wird,  er  mehr 
Glauben  verdient  als  die  Hellenen,  die  aus  ihm  und  seines 
Gleichen  entlehnt  und  das  Entlehnte  verfälscht  haben.  Vom 
Christentum  ist  hierbei  nicht  die  Rede,  nur  implizite  insofern, 
als  es  sich  ja  auf  Moses  und  die  Propheten  stützt.  Worin 
man  dem  Moses  mehr  glauben  solle,  sagt  Tatian  nicht.  Man 
sieht,  er  steht  noch  ganz  nahe  der  jüdischen  Apologetik2), 
der  es  vor  allem  darauf  ankam,  das  Alter  des  jüdischen 
Volkes  und  seiner  Bücher  und  damit  ihre  Ehrwürdigkeit 
gegen  die  Anzweiflungen  der  Hellenen  zu  verfechten,  wie  das 
Josephus  in  seiner  mit  Recht  Ttgbs  r'Ellt]vag,  weniger  gut  xcctcc 
'änlavog  genannten  Schrift  tat  (daß  die  Griechen,  die  Philo- 
sophen vor  allem,  aus  den  jüdischen  Schriften  geschöpft  haben, 
wird  hier  behauptet  [II  168.  257],  spielt  aber  keine  besondere 
Rolle):  der  Unterschied  ist  nur,  daß  es  dem  Tatian  nicht  auf 
ein  Volk,  auch  nicht  eigentlich  auf  die  Schriften,  sondern  auf 
die  in  ihnen  enthaltene  Lehre,  die  Thilosophie'  ankommt. 

Theophilus  widmet,  geschwätzig  und  konfus  wie  immer, 
den  iqovoi  die  letzten  Kapitel  (16 — 30)  seines  dritten  Buches, 
'damit  du',  wie  er  dem  Autolykos  schreibt,  'erkennest,  daß 
unsere  Lehre  (6  xccft'  rtfiag  Xöyog)  nicht  neuen  Ursprungs 
noch  Fabelei  ist,  sondern  älter  und  wahrer  als  alle  Dichter 
und  Schriftsteller,  die  über  Dinge  geschrieben  haben,  von 
denen  sie  nichts  Sicheres  wußten'.  Es  läuft  dann  wesentlich 
auf  eine  Polemik  gegen  heidnische  Ansichten  über  das  Alter 
der  Welt   und   über   die    Sündflut   hinaus3);   doch  wird  auch, 


1)  Dies  ein  nachträglicher  Flicken:  c.  31  war  Homer  ausdrücklich 
als  7ion]Twv  xcci  ioTOQix&v  TtQsaßvtarog  bezeichnet,  und  nur  um  des- 
willen der  Beweis  auf  ihn  gestellt. 

2)  S.  Geffcken   106  fg. 

3)  Resümierend  c.  26  ov  yäg  7tQQY.&iTcu  i}nlv  vXr\  Ttolvloylocg,  all' 
sig  tö  (pa.vSQcboai  ri\v  rüv  %Qovav  äitb  xaraßoXfjg  -KoGfiov  TtoGÖxr\x(x.  kcci 
i).ty^on  rijV  uarccionovlav  y.al  cpXvccQiav  rcov  avy/Qacpioiv  v.tl. 


XIX]  Tl'.RTULMANS    APOLOGETICUM.  381 

mit  ausgiebiger  Benutzung  des  Josephus,  die  Zeit  des  Moses 
und  des  salomonischen  Tempels  bestimmt,  schließlich,  wer 
weiß  wozu,  das  Alter  der  Welt  bis  zum  Tode  des  Kaisers 
Verus  berechnet;  und  da  man  glaubt  am  Ende  zu  sein  (29), 
wiederholt  der  Autor  seine  einleitenden  Sätze  und  gibt,  da 
er  inzwischen  noch  irgendwo  auf  ein  Zitat  aus  Thallus  ge- 
stoßen ist,  eine  neue  Erörterung  über  Moses,  der  älter  sei  als 
alle  Schriftsteller. 

Tert.  hat,  wie  kaum  zu  bezweifeln  ist,  Tatian  sowohl 
wie  Theophilus  gelesen1);  er  hat  zu  der  Prolixität  dieser 
Ausführungen  den  Kopf  geschüttelt,  ein  paar  Daten  heraus- 
genommen, einige  Namen,  wohl  aus  Josephus,  hinzugefügt 
und  ein  kurzes,  kraftvolles  Kapitel  daraus  gemacht,  wie  er 
es  für  seine  Leser  zweckdienlich  fand.  Zunächst  ist  der 
Zweck  selbst  der  ganzen  Ausführung  hier  unzweifelhaft:  das 
Alter  der  Schriften  wird  zur  Stütze  ihrer  Autorität  angeführt, 
weil  sich  Tert.  ja  eben  auf  diese  Schriften  berief,  und  vor 
allem  sich  sogleich  wieder  für  den  Christenglauben  auf  sie 
berufen  wird.  Gerechtfertigt  wird  die  Anführung  des  Alters 
durch  den  Verweis  auf  die  römische  Wertung  der  Zeit  für 
die  Erhöhung  der  Glaubwürdigkeit.2)  Dann  aber  wird  die 
These  in  drei  Sätzen  ausgeführt:  erst  die  allgemeine  Be- 
hauptung, daß  ein  Prophet  schon  die  ganze  heidnische  Kultur, 
ja   selbst   ihre    Götter   an  Alter  übertrifft,   der  Schatzbehälter 


1)  Tatian:  s.  Harnack  TU  1  220  ff.  (gegen  seine  Annahme  einer 
gemeinsamen  Quelle  neben  der  direkten  Benutzung  s.  unten  zu  XL  VI). 
Theophilus:  Otto  in  seiner  Ausgabe  p.  242.  244;  unter  den  übrigen  von 
Otto  zum  Vergleich  herangezogenen  Tertullianstellen  (s.  d.  Register 
p.  360)  ist  keine  für  Abhängigkeit  beweiskräftig. 

2)  Apud  vos  quoque  religionis  est  instar,  fidem  de  tempore  (so  der 
Fuld.,  temporibus  die  übrigen)  adserere,  d.  h.  doch  wohl  Glaubwürdig- 
keit auf  Grund  der  Zeit  in  Anspruch  zu  nehmen,  ist  bei  euch  so  gut 
als  ob  eine  religio  da  wäre,  eine  heilige  Scheu,  m.  a.  W.  antiquissima 
quaeque  apud  vos  quasi  religiosa  sunt:  für  das  römische  veter a  tantum 
et  antiqua  mir  ort,  nicht  bloß  auf  dem  Gebiet  der  historischen  und 
Textkritik,  ganz  bezeichnend,  insbesondere  im  Zeitalter  der  Fronto  und 
Appuleius. 


382  Kichard  Heinze:  [XIX 

des  ganzen  jüdischen  und  demnach  —  wie  Tert.  nicht  vergißt 
hinzuzufügen  —  auch  des  christlichen  Sakraments;  sodann 
ein  Satz  mit  Daten  über  diesen  Propheten,  Moses,  dessen 
Namen  Tert.  bei  den  Heiden  als  bekannt  voraussetzen  kann: 
Klimax  in  vier  Vergleichen:  Inachus,  Danaus,  Priamus, 
Homer1);  endlich:  auch  die  jüngsten  unter  den  Nachfolgern 
des  Moses  sind  noch  älter  als  eure  ersten  Gesetzgeber  und 
Historiker.2)  Auf  Belege  verzichtet  Tert.,  und  um  dies  zu 
rechtfertigen,  läßt  er  die  ungeheure  Weitläufigkeit  eines  aus 
den  Quellen  zu  führenden  Beweises  ahnen,  so  leicht  es  auch 
sei,  ihn  zu  führen:  er  wolle  das  verschieben,  da  er  sich  in 
Kürze  nicht  gründlich,  gründlich  nicht  ohne  lange  Exkurse 
führen  lasse.2)  Tert.  versteht  es  hier,  den  Schein  ausgebreiteter 
Gelehrsamkeit  zu  erwecken,  indem  er  den  Leser  mit  einer 
Flut  von  Namen  überschüttet,  die  er  doch  fast  sämtlich  aus 
zweiter  Hand  hat:  er  weiß  wohl,  daß  das,  was  er  bringt, 
genügt,  um  seine  römischen  Leser  zu  Dank  dafür  zu  ver- 
pflichten, daß  er  ihnen  nicht  mehr  zumutet.3) 

1)  Der  500  Jahre  nach  Trojas  Fall  angesetzt  wird:  unter  den 
zahlreichen  von  Tatian  c.  31  angeführten  Datierungen  wählt  Tert.  die 
iüngste,  habens  quos  sequar:  er  wäre  freilich  in  Verlegenheit  die  Namen 
zu  nennen,  da  Tatian  sich  nur  auf  'andere'  beruft  (p.  32,  12  Schw.). 

2)  Dies  spricht  neben  der  Nennung  des  Thallus  für  die  Benutzung 
des  Theophilus  am  stärksten:  während  Josephus  und  Tatian  über  Moses 
nicht  hinausgehen,  erwähnt  Theoph.  c.  23  auch  die  (ural-v  ngocpfirui, 
deren  jüngster,  Zacharias,  noch  älter  sei  als  die  griechischen  ovyygä^- 
uaxu  und  voiio&ixui. 

3)  Reseranda  antiquissimarum  etiam  gentium  archiva,  Aegyptiorum, 
Clialdaeorum ,  Phoenicum:  Tat.  36  u7toösi^scog  ös  tvsxsv  ^ägwoi  %Qr\Go- 
ucu  XaXdcäotg  <!>oivi!-tv  Aiyvntioig.  Von  den  im  folgenden  Genannten 
fand  Tert,  bei  Tatian  zitiert  Ptolemaeus  Mendesius  (38),  Apion  (38), 
Juba  (bei  Tat.  36,  freilich  nur  als  Zeuge  für  die  Glaubwürdigkeit  des 
Berosus  angeführt),  Berosus  (36);  ferner  bei  Josephus  allein  Demetrios 
von  Phaleron  (c.  Ap.  I  218  sehr  vag:  ov  nolv  xf\g  cdridsiag  dirj[iaQT£ 
sc.  itsgl  tri?  aQ%aiöxr]tog:  das  genügt  für  Tert.),  bei  ihm  und  Theophilus 
den  Manetho  und  Menander  von  Ephesus  (Jos.  I  116,  Theoph.  III  22, 
bei  Tatian  c.  37  üsgyaurivog),  bei  Theophilus  allein  (s.  oben  S.  341,1)  den 
Thallus:  und  gleichfalls  dem  Theophilus,  und  zwar  einer  Flüchtigkeit 
desselben  verdankt  bei  Tert.  wohl  Hieromus  Phoenix,  Tyri  rex,  seinen 


XX]  Tertullians  Apologethtm.  383 

Nach  dem  Altersbeweis  der  Weissagungsbeweis,  zwingend  XX 
nach  Tert.  auch  für  den,  der  das  hohe  Alter  der  Schrift  nicht 
als  bewiesen  anerkennt.  Unter  den  griechischen  Apologeten 
hatte  einzig  Justin  es  gewagt,  den  Heiden  gegenüber  sich  für 
die  spezifisch  christlichen  Glaubenswahrheiten  auf  das  alte 
Testament  zu  berufen:  mit  einer  Fülle  von  Schriftzitaten 
beweist  er,  daß  alles  so  gekommen  ist,  wie  es  geweissagt 
war  (apol.  I  31 — 53).  Diese  Prophezeiungen  auf  Christus  und 
sein  Volk  oder  das  Schicksal  der  Juden  konnte  freilich  Tert. 
hier  nicht  anführen,  selbst  wenn  er  sich  auf  Einzelheiten 
hätte  einlassen  wollen:  er  wollte  den  Beweis  vor  der  Christo- 
logie  geben,  um  diese,  von  allem  Ballast  frei,  in  ihrer  schlichten 
Größe  rein  wirken  zu  lassen;  aber  sie  sollte  doch  vorher  durch 
den  Beweis  eine  feste  Stütze  erhalten,  und  so  konnte  sich 
Tert.  auch  nicht  mit  der  einfachen  Behauptung  von  der  Be- 
währung der  Weissagungen  in  der  Geschichte  begnügen,  wie 
sie  etwa  Theophilus  gibt,  von  dem  Tert.  freilich  auch  hier 
wohl  angeregt  worden  ist,  der  sich  aber  auf  diese  Bewährung 
nur  stützt,  um  einerseits  seinen  Glauben  an  die  Auferstehung 
zu  rechtfertigen  (I  19),  andererseits  den  Bericht  des  Moses 
über  Weltschöpfung,  Sündfiut  usf.  als  glaubwürdig  zu  be- 
kräftigen (II  9),  nicht  aber  auf  die  messianischen  Weissagungen 
eingeht.1)  Tert.  greift  so  weit  aus  wie  möglich:  die  Welt- 
Platz  unter  den  historischen  Autoritäten:  Josephus  hatte  sich  c.  Ap.  I 
106  auf  die  offiziellen  Aufzeichnungen  der  Tyrier  über  das  Judenvolk 
berufen,  aus  denen  sich  das  Jahr  der  Erbauung  des  salomonischen 
Tempels  ergebe;  das  hätten  sie  mit  gutem  Grunde  verzeichnet,  da  ihr 
König  Eigcoftog,  der  Freund  des  Salomon,  dazu  beigesteuert  habe;  es 
sei  auch  noch  der  Briefwechsel  der  beiden  Könige  bei  den  Tyriern 
erhalten.  Darauf  hin  behauptet  Theophilus  1.  c.  der  König  Hieromos 
habe  das  Gründungsjahr  des  Tempels  aufgezeichnet,  und  danach  wieder 
läßt  Tert.  den  Hieromus  als  Zeugen  für  das  Alter  der  jüdischen  Pro- 
pheten auftreten.  Den  Josephus  endlich,  den  Tert.  zuletzt  nennt,  qui 
istos  aut  probat  aut  revincit,  hat  er,  wie  gesagt,  als  einzigen  von  der 
ganzen  Reihe,  wahrscheinlich  selbst  eingesehen. 

1)  Tatian  beruft  sich  nur  ganz  allgemein  für  einen  Punkt  seiner 
Seelen-  und  Unsterblichkeitslehre  auf  die  Propheten  (20),  Athenagoras 
zitiert  sie  für  den  Glauben  an  die  Einheit  Gottes  (Apol.  7.  9). 


384  Richard  Heinze:  [XX 

ereignisse,  elementare  Katastrophen,  Kriege,  Hungersnot  und 
Seuchen1),  Erhöhung  und  Erniedrigung,  Sittenverfall,  Zeichen 
am  Himmel  und  auf  Erden,  das  alles,  wie  wir's  um  uns  ge- 
schehen sehen2),  ist  prophezeit  und  in  de-r  Schrift  vorher 
verzeichnet  gewesen.  Ob  wirklich,  wie  LaGARDE  meinte3), 
Tert.  hier  bestimmte  Ereignisse  seiner  Zeit  im  Auge  hatte, 
und  bestimmte  Beziehungen  auf  Stellen  des  alten  Testaments*? 
Ich  bezweifle  das  stark:  wir  sehen,  was  ihn  zu  seiner  Fassung 
des  Beweises  bewog,  der  freilich  nun  im  Grunde  nicht,  wie 
bei  Justin,  ein  Beweis,  sondern  eine  Behauptung  ist:  die 
Sicherheit  der  Behauptung  hat  mehr  als  einmal  beim  Redner, 
auch  vor  Gericht,  den  Beweis  ersetzt,  und  Tert.  vertraute 
darauf,  daß  seine  gewaltige  Periode,  mit  allen  Künsten  und 
Raffinements  des  Stils  ausgestattet,  weiteste  Aussichten  er- 
öffnend, das  Ohr  und  die  Phantasie  des  Lesers  genugsam  er- 
füllen werde;  und  wenn  er  dann,  wie  Justin  und  Theophilus4), 
aus  dem  Vergangenen  die  feste  Zuversicht  auf  die  Zukunft 
ableitet,  wiederum  in  prachtvoll  anaphorisch  und  antithetisch 

1)  Theoph.  II  9  von  den  Propheten:  slitov  xat  xa.  nsgl  xf\g  xxiaswg 
xov  xöapov  xat  xwv  Xomäv  ünävxcov  xat  yccg  itsol  Xoi^wv  Kai  Xi^iwv  Kai 

7l0X£[lO)V    TtQOStTtOV. 

2)  Diese  Betonung  des  gegenwärtigen  Eintreffens  ist  rhetorisch 
überaus  wirksam:  quidquid  agitur ,  praenuntiabatur ,  quidquid  videtur 
audiebatur,  und  dann:  dum  patimur,  leguntur,  dum  recognoseimus,  pro- 
bantur;  bei  Theophilus  tritt  das  weitaus  nicht  so  stark  hervor. 

3)  Septuagintastudien,  Abh.  d.  Gott.  Ges.  d.  W.  37  (1891)  p.  83. 

4)  Hinc  igitur  apud  nos  futurorum  quoque  fides  tuta  est,  iam 
scilicet  probatorum,  quid  cum  Ulis,  quae  cottidie  probantur,  praedicebantur : 
Theoph.  I  14  .  .  .  marsvco,  afta  Kai  £Ttixv%6>v  Isgalg  ygacpalg  t&v  äylcov 
jrpoqprjrdiv,  01  xat  itQoslnov  diu  Ttvsvfiaxog  &eov  xa  7tgoy£yov6xa  a>  rpöjrra 
yiyovs  xat  tu  iv£6xöaxa  xlvi  xqÖtko  ylvsxai  Kai  xa  iicSQXOj^sva  itoia  xä'gtt 
a7taQXi6d,i]a£x<xi-  a%6dsi^tv  ovv  Xaßcbv  xcav  yivofitvav  Kai  Ttgoavanscpa- 
vri^ivav,  ovv.  ccTtioxa  (es  handelt  sich  um  Auferstehung  und  jüngstes 
Gericht),  und  ganz  ähnlich  II  9.  —  Justin  I  52  insidi]  xoivvv  xa 
yhvoiisva  ijör]  nävxa  airsSsiKWiisv  iiqiv  t)  yevscQ-ui  ngoy.sxriQ'vx&ca 
diä  rcbv  7tQoq>r]xcov,  aväyxr]  Kai  tisqI  x&v  öfioicag  TTQOtpriTsvQ'tvxcov, 
(isXXövrav  dh  ylvsc&ui,  itloxiv  i%siv  mg  itävxcog  ytvr\6o\i£V(üv.  ov  yäg 
xqottov  xa  i'jdr]  ysvöpsva  xat  ayvoov{itva  UTtsßr]  kxX.  Auf  die  gegen- 
wärtigen Erfüllungen  beruft  sich  Justiu  nicht. 


XIX]  Tertullians  Apologeticum.  385 

gebauten  Sätzen,  so  mußte  auch  dies  den  Leser  hinreißen,  wenn 
nicht  überzeugen. 

Ein  eigentümlich  schwieriges  Problem  stellt  das  nur  in  der  Fuldaer  XIX 
Handschrift  erhaltene  und  dort  zu  Anfang  von  XIX  eingeschobene  sog. 
Fragmentum  Fuldense.  Das  Stück  deckt  sich  inhaltlich  im  wesentlichen 
mit  den  Kap.  XIX.  XX.  Lagardks  Annahme  (a.  a.  0.  85),  es  sei  ein  Stück  an- 
der gemeinsamen  Quelle  des  Tert.  und  Min.,  hat  mit  Recht,  soviel  ich  sehe, 
auch  bei  den  Verfechtern  dieser  'gemeinsamen  Quelle'  keinen  Anklang  ge- 
funden: Tert.  hat  ja  gerade  die  Daten  des  Fragm.  großenteils  nicht, 
sondern  andere,  und  auch  im  übrigen  spricht  nichts  für  vortertullianischen 
Ursprung  (den  Wachsmuth  annahm,  Einl.  in  die  alte  Gesch.  155,  2). 
Aber  auch  abgesehen  von  der  Zeit,  kann  das  Stück  nicht  als  f  Fragment 
einer  sonst  nicht  bekannten  lat.  Apologie'  gelten  (Bardenhewer,  Gesch. 
d.  altkirchl.  Lit.  II  355):  die  Beziehungen  zu  Tert.  sind  inhaltlich  wie 
sprachlich  so  nahe,  daß  jene  Apologie  ein  seltsamer  Doppelgänger  zur 
tertullianischen  gewesen  sein  müßte  und  es  höchst  wunderbar  erschiene, 
wenn  sich  ein  Stück  daraus  in  Tert.-Handschriften  gerettet  hätte. 
Endlich  ist  auch  das  Fragm.  kein  nachtertullianischer  'Nachtrag  zur 
Apologie,  um  diese  nicht  ohne  das  notwendige  Rüstzeug  der  Chrono- 
logie zu  lassen'  (Geffcken  286):  denn  erstens  gibt  ja  Tert.  selbst 
Chronologie  fast  ebensoviel  wie  das  Fragm.,  und  zweitens  gibt  das 
Fragm.  viel  mehr  als  Chronologie. 

Es  bleibt  also  nur  die  Annahme,  daß  wir  es  mit  einer  anderen 
Rezension  der  Kap.  XIX.  XX  zu  tun  haben,  und  es  kann  sich  nur 
fragen,  ob  diese  Rezension  von  Tert.s  eigener  Hand  herrührt  oder  nicht. 
Das  erstere  nahmen  Havercajlp  (p.  439  der  Ausg.  von  17 18)  und  Oehler 
(p.  105  der  Sonderausgabe  von  Apol.  und  ad  nat.  1S49)  an,  und  nur 
so  ist  wohl  auch  Harnacks  Bezeichnung  des  Fragm.  als  'ursprünglichen 
Bestandteiles  des  Buches'  (Chronol.  II  266,  1)  zu  verstehen:  denn  daran 
ist  ja  selbstverständlich  nicht  zu  denken,  daß  das  Fragm.  je  neben  der 
anderen  Fassung  im  Texte  gestanden  haben  könne.  Das  Fragm.  würde 
also  die  erste,  der  übrige  Text  von  XIX.  XX  die  zweite  Rezension  dar- 
stellen: unmöglich  könnte  Tert.  umgekehrt  die  Glanzstellen  von  XX 
durch  die  matten  Sätze  des  Fragm.  haben  ersetzen  wollen.  Aber  ich 
glaube  überhaupt  nicht  an  Tert.s  Autorschaft.  Das  Fragm.  greift  mit  der 
Angabe  über  Thaies  dem  Kap.  XLVI  vor,  wo  dieselbe  Geschichte  fast 
mit  denselben  Worten  erzählt  wird,  überhaupt  mit  den  Ausführungen 
über  die  von  den  Heiden  geübte  Plünderung  und  Verfälschung  der  Schrift 
den  Ausführungen  jener  Schlußkapitel,  auch  z.  T.  mit  wörtlichen  Ent- 
sprechungen. x)     Das    ist   ganz  gegen   Tert.s   sonstige   Art,   die  solches 

1)  Gloriae  homines,  si  quid  inrenerunt,  ut  proprium  facerent  adul- 
teraverunt  >-    XLVII  3  homines  gloriae  .  .  si  quid  in  sanctis  offendertmt 


386  Richard  Heinze:  [XIX 

Vorgreifen  konsequent  vermeidet.  Und  ebenso  gegen  Tert.s  Art  ist 
am  Schluß  der  ungeschickt  angeklebte  Ausfall  auf  die  heidnische 
Sibylle,  dessen  Berechtigung,  zumal  an  dieser  Stelle,  gar  nicht  deutlich 
wird,  und  wobei  wiederum  mit  der  Bemerkung  quemadmodum  et  dei 
vestri  seil,  nomen  de  veritate  mentiti  sunt1)  vor  aufgegriffen  wird  der  Er- 
örterung in  c.  XXIII  über  die  Dämonen,  die  pro  deis  agunt  und  deorum 
nominibus  utuntur,  während  Tert.  sonst  bisher  geflissentlich  von  den 
unter  den  Götternamen  verborgenen  Dämonen  geschwiegen  hat.  Inept 
ist  auch  der  Satz  über  Solon.  Der  Stil  endlich  sucht  zwar  Tert.  zu 
imitieren  (insbesondere  der  Satz  ita  omnia  quae  supersunt  inprobata, 
tarn  probata  sunt  nobis,  quia  cum  Ulis  quae  probata  sunt,  tunc  futuris, 
praedicebantur) ,  läßt  aber  die  eigentümlich  tertullianische  Verve  und 
Originalität  gänzlich  vermissen;  im  einzelnen  bezweifle  ich,  ob  die 
Wendungen  Troiano  proelio  ante  est,  consistere  de  im  Sinne  von  f ein- 
treten für'  (während  es  bei  Tert.  sehr  häufig  ' entgegentreten  betreffs' 
heißt),  auetoritas  ad  fidein  suppetit,  idonea  ad  disponendam  fiduciam 
tertullianisch  sind:  doch  kann  ich  da  irren. 

Demnach  bliebe  die  zweite  Alternative :  das  Fragm.  ist  von  fremder 
Hand,  bei  einer  Ausgabe  des  Apol.,  als  Ersatz  für  die  beiden  Kapitel 
eingefügt;  wozu  ich  gleich  bemerke,  daß  der  Fuldensis  auch  sonst,  so 
viel  besser  auch  der  Text  in  ihm  überliefert  ist,  doch  gegenüber 
den  anderen  Hss.  deutliche  Spuren  einer  Überarbeitung  zeigt:  neben 
der  letzten,  fast  zu  knapp  formulierten  Sentenz  von  c.  XXXIV  steht 
der  gleiche  Gedanke  in  deutlicherer,  aber  trivialerer  Fassung;  c.  XLVIÜ  2 
ist  ein  freilich  kaum  verständlicher  aber  gewiß  echt  tertullianischer 
Satz  in  l  durch  eine  weitläufige  Paraphrase  ersetzt. 

Nun  ist  aber  sehr  merkwürdig,  daß  der  Verfasser  unseres  Fragm. 
nicht  nur  Tert.  sondern  auch  dessen  Quelle  Theophilus  gekannt  und 
ihm  näher  gefolgt  ist  als  Tert.  hier,  ja  näher  als  Tert.  überhaupt 
seinen  griechischen  Quellen  im  Apol.  zu  folgen  pflegt.  Bei  Moses, 
dessen  Bedeutung  Tert.  nur  ganz  allgemein  charakterisiert,  erwähnt 
das  Fragm.,  daß  er  die  Weltschöpfung,  Ausbreitung  des  Menschen- 
geschlechts, Sündflut  usf.  erzählt  und  den  Grund  für  die  Chronologie 
gelegt  habe:  die  Dinge  gibt  Theoph.  ausführlich  in  B.  II,  vgl.  auch  III  18; 
sein  Ansatz  auf  etwa  400  (300  ist  in  1  wohl  falsch  überliefert)  Jahre 
vor  Danaus,  etwa  1000  Jahr  vor  dem  trojanischen  Krieg  steht  bei  Tert. 


digestis  .  .  ad  propria   verterunt;  fiducia  quam  praesmnptionem  vocatis 
^   XLIX  1  haec  sunt  quae  in  nobis  solis  praesumptioncs  vocantur. 

1)  Der  Gedanke,  daß  die  heidnische  Sibylle  den  Namen  der  wahren 
christlichen  fälschlich  angenommen  habe,  stammt  aus  Nat.  II  12,  wo 
die  veri  (dei)  vera  vates  den  daemoniorum  vatibus  gegenübersteht; 
vgl.  Geffcken  a.  a.  0. 


XXI]  Tertulliax.s  Apologetioum.  387 

und  bei  Theoph.  III  21,  das  Zitat  des  Thallus  über  Belus  und  Saturn 
nur  bei  Tbeopb.  III  29,  mit  dem  Ansatz  des  Belus  auf  320  Jahre  vor 
Ilions  Fall;  sodann  per  liunc  Moysen  ctiain  lex  proprio,  Judaeis  a  <leo 
missa  est  (vom  Gesetz  ist  sonst  bei  Tert.  gar  nicht  die  Rede)  =  Theoph. 
III  23 :  vor  den  Machen  Krieg  fallen  auch  roc  ygcc^iara  xov  dst'ov 
vofiov  zov  Sia  Mwöicog  i]piv  SsSo(iivov  (vgl.  II  9).  Statt  Tert.s  all- 
gemeiner Bemerkung  über  die  Propheten  nach  Moses  die  genauen', 
daß  der  jüngste  mindestens  gleichzeitig  sei  den  griechischen  Philo- 
sophen und  Gesetzgebern  (aliquantulo  pruecurrit  aut  certe  concurrit 
aetate),  nämlich  Zacharias,  zur  Zeit  des  Cyrus  und  Darius:  so  Theoph. 
III  23,  der  dann  auch,  wie  das  Fragm.,  Solon  als  Zeitgenossen  des 
Zacharias  erwähnt.  Daraus  folgt  nach  dem  Fragm.  die  Abhängigkeit 
der  Griechen  von  den  Propheten  (Tert.  und  Theoph.),  nebst  dem  eigen- 
tümlichen Satz:  de  Sophia  amor  eins  philosophia  vocitatus  est,  de  pro- 
phetia  adfectatio  eins  poetkam  vatitinaüonem  deputavit:  angeregt  wohl 
durch  die  Rolle,  die  Theoph.  die  in  den  Propheten  waltende  ooyia 
Gottes  (II  9)  spielen  läßt;  über  die  Dichter  Theoph.  III  17  zcpccauv 
tccvrovg  anb  dtictg  ngovoiag  usfia&rjyitvai  -/.rl.  Endlich  habetis,  quod 
sciam,  et  vos  Sibyllam:  in  jenem  Zusammenhange  Theoph.  II  9  uXXu 
(irjv  Kai  nccga.  ''EXXtjoiv  SlßvXXoc.  Es  scheint  danach,  daß  jener  Editor 
des  Apol.  Tert.s  Angaben  über  Moses  und  die  Propheten  nicht  aus- 
reichend, die  sonstigen  Ausführungen  dieser  Kapitel  zu  überschwänglich 
fand,  vielleicht  auch  sich  vornahm,  Tert.s  Kapitel  über  das  Verhältnis 
der  heidnischen  Bildung  zum  Christentum,  die  der  eigentlichen  Ver- 
teidigung angehängt  sind,  zu  streichen  und  daher  das  Wichtigste 
daraus  gleich  hier  einzufügen. 

Bei  der  Christologie  Tert.s  ist  zunächst  die  Art  der  XXI 
Einführung  bemerkenswert.  Sie  gibt  sich  nicht  als  eine  an 
sich  notwendige  Ergänzung  der  Aussage  über  den  christlichen 
Glauben:  cwir  verehren  den  einigen  Gott,  den  Schöpfer  des 
Alls'  —  damit  war  das  gesagt,  was  gegenüber  dem  Polytheis- 
mus der  Heiden  die  christliche  Religion  bestimmt.  Dieser  Gott 
ist  auch  der  der  Juden,  und  daher  stützt  sich  das  Christentuni 
auf  das  alte  Testament.  Hieran,  so  fährt  Tert.  fort,  könnten 
Zweifel  erhoben  werden:  wir  unterscheiden  uns  ja  doch  im 
Ritus  wie  im  Namen  von  den  Juden,  geben  selbst  zu,  eine 
junge  Sekte  zu  sein:  so  könnte  man  meinen,  wir  verbergen 
hinter  der  Schutzwand  des  als  Religion  gestatteten  Juden- 
tums  eigene  falsche  Lehren:  d.  h.  wir  verehrten  nicht,  wie 
wir  behaupten,  den  wahren  Gott,  sondern  einen  Menschen:  von 


388  Richard  Heikze:  [XXI 

Christus  als  Menschen,  den  die  Juden  als  solchen  verurteilt 
haben,  weiß  man  ja  allgemein.  'Daher  muß  ich  denn  einiges 
Wenige  über  Christus  als  Gott  sagen'.  Man  sieht:  im  Grunde 
nur  zur  Bestätigung  und  Verteidigung  dessen,  was  Tert.  früher 
als  den  Kern  des  christlichen  Glaubens  genannt  hatte,  und  um 
den  Verdacht  zu  widerlegen,  daß  das  Christentum  mit  dem 
Judentum  eigentlich  gar  nichts  zu  tun  habe,  wird  von  Christus 
gesprochen.  Die  älteren  Apologeten  sind  in  diesem  Punkte 
z.  T.  noch  zurückhaltender:  Theophilus  spricht  bei  Gelegenheit 
der  Weltschöpfung  (II  iof.)  u.  ö.  zwar,  doch  ohne  sich  irgend 
dabei  aufzuhalten,  vom  höyog  Gottes,  den  dieser  aus  sich  er- 
zeugt (vlbg  avtov  II  22),  und  durch  den  er  alles  gemacht 
habe:  niemals  aber  davon,  daß  dieser  Xöyog  in  Christus  Fleisch 
geworden  sei,  ja  überhaupt  niemals  von  Christi  Geburt,  Wirken, 
Tod,  Himmelfahrt  und  Wiederkunft;  er  schweigt  von  der 
Person  Christi,  während  er  immer  und  immer  wieder  von 
Moses  spricht.  Er  läßt  die  Dämonen  nicht  beim  Namen 
Christi,  sondern  bei  dem  des  wahren  Gottes  beschwören  (II  8) 
und  leitet  den  Namen  Xyiöriavög  nicht  von  Christus  ab, 
sondern  ort  %Qi6iLE&a  e'Aaiov  &sov  (I  12);  wo  er  Aussprüche 
Christi  zitiert,  nennt  er  nicht  diesen,  sondern  das  'Evangelium' 
(III  13  f.).  Athenagoras  widmet,  nachdem  er  sehr  ausführ- 
lich vom  einigen  Gott  gesprochen,  das  kurze  10.  Kapitel  dem 
Sohne,  d.  i.  dem  Logos  Gottes,  und  dem  hl.  Geist:  auch  er 
sagt  kein  Wort  von  Christus.  Ebenso  wenig,  um  auch  diesen 
zu  erwähnen,  Tatian,  obwohl  dieser  seine  Lehre  vom  Logos 
als  dem  erstgeborenen  Werk  Gottes  ausführlich  vorträgt 
( c.  5  f.),  und  an  Christus  wenigstens  erinnert  durch  das  zu  Gott 
gesetzte  Apotheton  7t£7iovd-cog  (c.  13  p.  15,  6)  und  die  Zurück- 
weisung des  Spottes  auf  die  Lehre,  daß  'Gott  in  Menschen- 
gestalt geworden  sei  (c.  21,  p.  22,,  6)'.  Einzig  Aristides  und 
Justin  reden  anders:  Aristides  berichtet  in  kurzen  Worten 
die  Tatsachen  von  Christus,  auch  die  Aussendung  der  Jünger; 
Justin  dagegen  spricht  in  größter  Ausführlichkeit  von  den 
auf  Christi  Geburt,  Leiden  und  Wirken  bezüglichen  Prophe- 
zeiungen   und    ihrer  Erfüllung;   bei    ihm  steht    Christi  Leben 


XXI]  Tertullians  Apologeticum.  389 

und  Lehre  durchaus  im  Mittelpunkt  des  Glaubens,  den  er 
rechtfertigt,  während  der  Glaube  an  den  einen  Gott  und 
Schöpfer  des   Alls  fast  beweislos  vorausgesetzt  wird. 

Man  begreift  es  sonach  aus  der  apologetischen  Tradition 
heraus,  daß  auch  bei  Tert.  die  Christologie  nur  sekundär  und 
gleichsam  als  Anhang  zur  Gotteslehre  eingeführt  wird1):  aber 
man  bemerkt  sehr  bald,  daß  im  Widerspruch  zu  dieser  Art 
der  Einführung  das  Mysterium  von  dem  in  Fleischesgestalt 
erschienenen,  gestorbenen  und  auferstandenen  Gott  Christus 
für  Tert.,  ganz  wie  für  Justin,  im  Mittelpunkt  des  Glaubens 
steht:  das  deum  colimus  wird  zum  drum  colimus  per  Chriskim 
XXI  28),  die  Erkenntnis  von  Christi  Gottheit  bewirkt  den 
sittlichen  Wandel  (31),  Christi  Name  bezwingt  die  Dämonen, 
Christi  Wirken  bekehrt  zum  Glauben  an  Gott  (WITT  18), 
Christus  wird  am  jüngsten  Tage  die  Auferstandenen  richten 
(13).  Aber  es  scheint  andererseits  ein  Nachklang  der  Tat- 
sache, daß  das  Bekenntnis  zu  Christus  die  Gläubigen  einst 
weniger  von  den  Heiden,  als  von  den  Juden  schied,  wenn  Tert. 
in  seiner  zusammenhängenden  Erzählung  von  Christus,  die 
er  —  als  einziger  unter  den  Apologeten  —  gibt?  von  Anfang 
bis  zum  Ende  den  Gegensatz  gegen  die  Juden,  das  einst 
auserwählte,  dann  seiner  Sünden  wegen  verstoßene  Volk  Gottes 
hervorkehrt,  das  Christus  und  seine  Anhänger  von  jeher,  wie 
jetzt  noch  bekämpft  hat.  —  Die  Logoslehre  hat  für  den  Apolo- 
geten Tert.,  wieder  im  Gegensatz  zu  den  übrigen,  Bedeutung 
vor  allem  in  bezug  auf  die  Person  Christi:  um  seine  substaxfia 
zu  erklären,   trägt  er  sie  XXI  10 — 14  vor:    ich  habe  auf  die 


1)  Man  begreift  es  auch  in  diesem  Zusammenhange  durchaus, 
warum  Minucius  zwar,  wie  Tatian,  die  Beschuldigung  kurz  zurückweist, 
daß  die  Christen  einen  Menschen  verehrten  (c.  29),  auch  des  Xoyog  mit 
einem  Wort  gedenkt  (c.  18,  7),  im  übrigen  aber  von  Christus  schweigt 
und  alles  Gewicht  seiner  Beweisführung  auf  die  Lehre  vom  einigen  Gott 
und  von  der  Auferstehung  legt  (vgl.  Haknack,  Dogmengesch.  I4  522,  4). 
Ich  brauche  auf  die  zahlreichen,  an  Seltsamkeit  einander  überbietenden 
Versuche,  jenes  Schweigen  zu  erklären  (bis  auf  den  neuesten  von  Elter, 
Prolegomena  zu  Minucius  Felix,  Bonn  1909)  nicht  einzugehen. 


390  Richard  Heinze:    [XXI  24— 31.  XXII.  XXIII 

doomengeschichtliche   Bedeutung   dieser  Lehre,    die   sich   aus 
dem  Apol.  allein  nicht  entwickeln  läßt;  hier  nicht  einzugehen. 

XXI  24 — 31  Zeitgenössische  Berichterstatter  und  Zeugen  des  Erzähl- 
ten, so  fährt  Tert.  fort,  waren  Pilatus. einerseits,  der  im  inneren 
Christ  war  (der  Satz  sed  et  Caesares  ist  Parenthese),  anderer- 
seits die  Jünger  Christi,  die  seine  Lehre  verkündeten  und 
unter  Nero  mit  ihrem  Blute  besiegelten:  echte  festes,  (iccq- 
tvQsg.  Aber  nicht  genug  damit:  als  festes  sollen  die  Götter 
der  Heiden  selbst  auftreten.  Bevor  aber  Tert.  zu  den  Dä- 
monen übergeht,  bekräftigt  er  nochmals  feierlich,  daß  es  wirk- 
lich der  Christenglaube  ist,  den  er  dargelegt  hat:  von  den 
Zweifeln  der  Gegner,  die  da  meinten,  die  Christen  schöben 
wohl  nur  die  Gottesverehrung  vor,  war  ja  Tert.  XXI  1  fg.  aus- 
gangen. Und  auf  die  Frage,  ob  Christus  Mensch  oder  Gott 
sei,  kommt  er  schließlich  auch  wieder  zurück:  war  er  Mensch 
und  lehrte  den  wahren  Gott  verehren,  so  dürften  auch  dagegen 
weder  Juden  noch  Griechen  noch  Römer  etwas  einwenden, 
da  bei  ihnen  das  Gleiche  sich  findet;  was  aber  seine  Gottheit 
betrifft,  so  könnte  er  diese  sich  selbst  zugeschrieben  haben, 
eben  so  wie  Numa  die  Göttin  Egeria  erfunden  hatte:  die  Echt- 
heit seiner  divinitas  wird  also  zu  prüfen  sein,  teils  aus  den 
sittlichen  Wirkungen  des  christlichen  Glaubens,  teils  an  der 
Lehre  von  den  Dämonen,  zu  der  Tert.  nunmehr  übergeht. 

XXII.  XXIII  3.  Tert.  teilt  seine  Auffassung  der  Dämonen,  ihrer  Her- 
kunft, ihres  Wesens  und  Wirkens  in  allem  Wesentlichen  mit 
den  griechischen  Apologeten,  überhaupt  mit  den  Christen  und 
weitgehend  auch  mit  den  Heiden  seiner  Zeit1);  aber  die  Art, 
wie  er  diesen  Glauben  apologetisch  verwertet,  ist  sein  eigen. 
Für  Justin  ist  der  Dämonenglaube,  ein  überaus  wichtiges 
Stück  seiner  Weltanschauung,  apologetisch  von  Bedeutung 
in  folgenden  Punkten:   1.  Die  Christen   sind  ä&sov,   wie  man 


1)  Ich  kann  jetzt  (außer  auf  Geffcken  214  ff.)  verweisen  auf  Pohlenz, 
Vom  Zorne  Gottes  (Gott.  1909)  139  ff.  und  Tambornino,  de  antiquorum 
daemonismo,  Gießen  1909  (=  Religionsgesch.  Vers.  u.  Vorarb.  VII  3). 
Über  den  Kampf  der  Christen  gegen  die  Dämonen  zusammenfassend 
Habnack,  Mission  u.  Ausbreitung  des  Christentums2  (Lpz.  1906)  I  108  ff. 


XXII.  XXIII]  Tektulliaxs  Apologeticum.  391 

ihnen  vorwirft,   nur   in   bezug   auf  die   heidnischen  foot,  die 
aber   in   Wahrheit   gar   keine  Götter,   sondern   böse  Dämonen 
sind,  die  vor  Zeiten  auf  Erden  Freveltaten  begingen  und  jetzt 
noch   unter   den    Namen,   die   sie   sich   selbst   gegeben  haben, 
von   den  Törichten  und  Unsittlichen    verehrt    werden.     Einen 
Beweis  für   diese   Identifikation   gibt  Justin  nicht:   die  Über- 
zeugung  ist   ihm    selbst   so  völlig   in  Fleisch  und  Blut  über- 
gegangen, daß  er  sie  wie  etwas  Selbstverständliches,  das  nur 
ausgesprochen  zu  werden  braucht,  vorträgt  (I  5).     2.  Göttlicher 
Prophezeiungen    kundig,    haben     die    Dämonen    Mythen    und 
Riten  unter  den   Heiden  verbreitet,  die   den  christlichen   ähn- 
lich sind:    so  kann   es    den  Unkundigen   scheinen,    als  bringe 
das  Christentum  nichts  Neues  (I  54 ff.).     3.  Warum  hilft  Gott 
den  Christen  nicht  in  der  Verfolgung?    Weil  diese  Verfolgung 
das  Werk  der    von   Gott    abgefallenen  Engel   und   ihrer  mit 
irdischen  Weibern  gezeugten  Söhne,  der  Dämonen  ist,  die  von 
jeher  alle  nach  Wahrheit  Suchenden  verfolgt  haben,   und  zu 
deren  Niederwerfung  Gottes  Sohn   als  Mensch   auf  die  Welt 
gekommen  ist  —  wie  sich  denn  seine  Macht  über  sie  in  den 
unter  seinem  Namen  vollzogenen  Exorzismen  bewährt;  und  da 
Gott,  wie  den  Menschen,  so  auch  den  Dämonen  Freiheit  des 
Willens    verliehen  hat,    so  läßt  er   sie  gewähren;    sie   werden 
einst  im  ewigen  Feuer  ihre  Sünden  büßen  (II  5  ff.). 

Auch  für  Tatian,  den  ich  mit  anführe,  obwohl  ja  eine 
eigentlich  apologetische  Verwertung  der  Dämonologie  von  vorn 
herein  nicht  bei  ihm  erwartet  werden  kann,  ist  die  Identität 
der  'Götter'  und  der  Dämonen  eine  Tatsache,  die  des  Beweises 
nicht  bedarf:  nachdem  Ursprung  und  Abfall  der  Engel  be- 
schrieben ist,  die  fortan  sterbliche  Dämonen  sind  (c.  7),  wird 
sogleich  von  den  öaCpovsg  (isrä  rot)  fjyov[i£vov  Ai6$  gesprochen 
und  die  Schandtaten  dieser  Dämonen,  d.  h.  der  mythischen 
Götter  aufgezählt  (c.  8).  Aber  eine  weit  größere  Rolle  spielen 
die  Dämonen  in  Tatians  Polemik  einerseits  gegen  die  Astrologie 
—  haben  doch  sie  die  Eif.iaQjxsvrl  'eingeführt',  von  deren 
Herrschaft  sich  allein  die  Christen  befreien,  und  sind  doch 
die  Gestirne  selbst  Dämonen  —  andererseits  gegen  die  Magie,  in 

PhiL-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  ?o 


3Q9  Richard  Heinze:  [XXII.  XXIII 

der  und  durch  welche  die  Dämonen  gleichfalls  über  die 
Menschen  herrschen;  ihr  Ziel  ist  in  allen  Fällen,  die  Menschen- 
seelen zur  vir]  herabzuziehen,  dem  göttlichen  Ttvsv^ia  und  damit 
der  Unsterblichkeit  zu  entfremden.  Dabei  wird  auch  erwähnt, 
daß  die  Dämonen  gelegentlich  in  den  Menschen  fahren  und 
dann  Adyc?  ftsov  dvvccfisag  itXY\xxö\iEvoi  ösöiöreg  anlaGiv 
(c.  16):  Gewicht  wird  darauf  nicht  gelegt.  Bemerkenswert 
aber  ist,  daß  am  Schluß  der  Polemik  gegen  die  Magie,  bei 
der  wesentlich  die  Heilungszauber  behandelt  sind,  ein  Aus- 
spruch des  d'av^uöLcotatog  'Iovörtvog  zitiert  wird  (c.  18  ext. 
p.  20,  16  Schw.),  der  sich  mit  einer  Äußerung  Tert.s  deckt: 
die  Dämonen  verursachen  Krankheiten  und  maßen  sich  dann 
den  Ruhm  der  Heilung  (dt  öveCgav)  an,  die  einfach  dadurch 
bewirkt  ist,  daß  sie  den  erkrankten  Körper  wieder  sich 
selbst  überlassen.  Nach  einer  Vermutung  von  Wilamowitz 
(bei  Schwartz  p.  58)  hätte  hier  Justin  sich  speziell  gegen  Aristi- 
des  und  seine  iyxco^iia  des  heilenden  Gottes  gewendet:  viel- 
leicht wird  das  durch  Tert.  noch  zu  größerer  Wahrscheinlich- 
keit erhoben. 

Bei  Athenagoras  endlich  finden  wir  eine  zusammen- 
hängende, sozusagen  systematische  Dämonologie,  die  der  Ter- 
tullianischen  erheblich  näher  steht  als  die  beiden  besprochenen, 
so  daß  der  Vergleich  gerade  mit  ihr  die  Eigentümlichkeit  der 
Tertullianischen  Taktik  besonders  deutlich  hervortreten  läßt. 
Nachdem  Athenagoras  die  inneren  Widersprüche  der 
griechischen  Theologeme  aufgezeigt  und  somit  die  Göttlichkeit 
der  von  den  Heiden  Verehrten  zurückgewiesen  hat,  geht  er 
dazu  über  (c.  2$)  den  Einwand  zu  widerlegen,  daß  doch 
einige  Idole  wirken,  nützen  und  schaden,  also  doch  wohl 
göttliche  Kraft  bewähren.  Er  beruft  sich  zunächst  auf  das 
Zeugnis  des  Thaies  und  Piaton,  die  von  cGott'  die  'Dämo- 
nen' unterscheiden  und  lehrt  sodann,  daß  der  Dreieinigkeit 
von  Gottvater,  Sohn  und  heiligem  Geist  die  zwar  von  Gott 
geschaffenen,  aber  von  ihm  abgefalleneu,  der  Materie  zuge- 
wandten Kräfte  gegenüberstehen,  der  'Herrscher  der  vhf, 
also  der  Teufel,  die  ihrer  Begier  verfallenen  Engel  und  deren 


XXII.  XXIII]  Tektullians  Apologeticum.  393 

Abkömmlinge,  die  Giganten  oder  Dämonen.    Diese  haben  sich 
die  Namen  Verstorbener  angeeignet  und  verführen  die  schwa- 
chen Menschen  dazu,  deren  Bilder,  die  Idole,  zu  verehren,  da 
es  sie  nach  dem  Opferblut  verlangt.     Daß  diese    angeblichen 
'Götter'  Dämonen  sind,  ergibt  sich  aus  ihren  widernatürlichen 
Kultriten,  vor   allem    der  Selbsverstümmelung:   das  ist  nicht 
Gottes  Sache.    Daß  die  'Wirkenden'  verschieden  sind  von  denen 
denen    die    Bilder    geweiht    sind,    ergibt    sich    deutlich    vor 
allem  daraus,  daß  mancherorts  jüngst  verstorbene  Menschen, 
wie  Alexander,  Proteus  und  Neryllinos,  als  'wirkend ',  Orakel 
und  Heilung  spendend,    verehrt  werden,    während   jene  doch 
gewiß  den  Kranken  nichts  frommen:  hatte  doch  das  Bild  des 
Neryllinos  schon  zu  seinen  Lebzeiten  und  während  er  selbst 
krank  war,  die  Kraft,  die  ühm  jetzt  zugeschrieben  wird.     Die 
Dämonen  machen  sich  die  Schwäche  der  dem  Göttlichen  ent- 
fremdeten, der  Materie  zugekehrten   Seele    zu    nutze,   in    der 
£ldalo[xav£Lg    yctvxuölca    entstanden    sind,    und    erwecken    in 
ihr  von  den  Idolen  aus  die  trügerische  Vorstellung,  daß  sie, 
die  Dämonen,  das  Verdienst  an  dem  haben,  was  in  Wahrheit 
die  unsterbliche  Seele  an    Erkenntnis   der  Zukunft   oder  zur 
Heilung   von   Krankheiten   leistet1)  (c.   27).     Also   auch   hier 
die  freilich   ganz   anders   als  bei  Tatian  (resp.  Justin)  ausge- 
führte Vorstellung,  daß  die  'Wunder'  nicht  von  den  Dämo- 
nen   ausgehen,   sondern   fälschlich   von   ihnen    für    sich  bean- 
sprucht werden2);  nur  die  Erweckung  der  falschen  Vorstellungen 


1)  o'ffa  xaO''  ccbtriv.  u>g  &&ävaxog  ovßcc,  Xoytxwc  »iveizcci  tyv/^  7} 
nQO[ii]vvov6a  xa  fiiXXovxa  7}  dsgant vovaa  xa  ivsGx^ÖTa,  xovxav  xi\v 
fiö£av  xctQiiovvTca  oi  äccipovsg.  Vorher  ist  wohl  zu  schreiben  ixtßaxsv- 
ovxsg  avxwv  xolg  6v6[ia6iv,  cf.  c.  23  p.  141,   13  Gr. 

2)  Das  hat  Geffckbn  p.  210  fg.  219  wie  es  scheint  verkannt.  Sehr 
vorsichtig  sagt  Ath.  c.  23  rö  uhv  yug  .  .  yiyvscd-al  xivag  in'  ovöfiuxi 
sidwXav  ivsgysiag  ovo'  rjfitlg  avxiXtyofisv,  nachher  erst  ungenauer,  er 
habe  erforscht  xtvsg  ol  ivsQyovvxsg  i7iißaxzvovxsg  avx&v  {x&v  tldmXcov) 
6vo\ici6i.  Im  folgenden  heißt  es  tlg  Sa  avxwv  xcel  zgrHiarigeiv  tial  lüa&cu 
voaovvxag  vofil^sxui  und  a  yag  7}  dxcov  Xeyexai  vvv  ivsgysiv,  worauf 
dann  wieder  ungenau  fortgefahren  wird  tvrjgysi  xai.  £wvxog  xai  voßovv- 
xog  NsgvXXivoiK 

30* 


-g^  Richard  Heinze:  [XXII.  XXIII 

in  den  Seelen  schwacher  Menschen,  die  durch  eigene  Schuld 
dafür  prädisponiert  sind,  ist  die  iveQyeicc  der  Dämonen.  Exor- 
zismen erwähnt  Athenagoras  nicht,  ebensowenig  die  Magie. 
Die  Mittelstellung,  die  er  durch  Anerkennung  der  Dämonen 
und  ihrer  Wirkung  auf  die  Seelen,  durch  Aberkennung  aber 
aller  Wunderkraft  einnimmt,  beraubt  seine  apologetische 
Verwertung  der  Dämonologie  ihrer  besten  Kraft:  seine  ver- 
geistigte Lehre  schmeckt  zu  sehr  nach  ausgeklügelter  Theorie, 
um  überzeugend  zu  sein;  ein  Beweis  für  die  Identität  der 
'Götter'  und  der  Dämonen,  an  deren  Existenz  ja  auch  seine 
Gegner  glaubten,  ist  zwar  versucht,  aber  der  Hinweis  auf 
widernatürliche  Riten  einzelner,  insbesondere  orientalischer 
Kulte  dringt  nicht  tief  und  trägt  nicht  weit,  und  die  Pole- 
mik gegen  die  Göttlichkeit  eines  Neryllinos  und  seinesgleichen 
noch  weniger.  — 

Man  glaubt  es  nachzuempfinden,  wie  einem  Tertullian 
alle  diese  Versuche  seiner  Vorgänger,  sich  mit  den  Dämonen 
auseinanderzusetzen,  schwächlich  und  unwirksam  erschienen. 
Behauptungen,  keine  Beweise,  zu  viel  Theorie,  die  nicht  zu 
o-lauben  brauchte  wer  nicht  wollte,  die  vor  allem  den  we- 
nigsten  Lesern  auch  nur  verständlich  war.  Ließ  sich  da 
wirklich  nichts  Handgreiflicheres,  Packenderes,  Sieghafteres 
vorbringen?  Sehen  wir  zu,  was  Tertullian  für  wirksam  hielt. 

Man  hätte  erwarten  können,  daß  Tert.  seine  Ausführungen 
über  die  Dämonen,  die  Namen  und  Bilder  der  göttlich  ver- 
ehrten verstorbenen  Menschen  usurpiert  haben,  angeschlossen 
hätte  an  die  Bestreitung  eben  dieser  Götzenbilder  (XII). 
Tert.  gibt  aber  erst  die  positive  Darstellung  des  christlichen 
Glaubens  und  verspart  sich  die  Dämonologie  bis  zum  Schluß: 
sie  soll  wie  der  stärkste  so  der  letzte  Trumpf  sein,  den  er 
ausspielt,  und  sie  soll  als  sicherster  Beweis  gegen  den  heid- 
nischen, aber  auch  für  den  christlichen  Glauben  das  ganze 
Gebäude  bekrönen.  Daß  die  Erkenntnis  des  dämonischen1' 
Wartens  unmittelbar  auf  die  Anerkennung  der  Gottheit  Christi 
hinführt,  drückt  sich  schon  äußerlich  in  der  Art  aus,  wie  der 
neue   Gegenstand,    ohne   Ankündigung    eines    neuen  Kapitels, 


XXII.  XXIII]  TeRTULLIANS    A  l'OLOGETICU.M  3Q5 

eingeführt  wird:  quaerite  igitur,  si  vera  est  ista  dirinitas  Christi : 
sin  ea  est,  qua  cognita  ad  bonwm  </uis  reformatur,  sequitur,  ut 
falsae  renuntietur,  comperta  inprimis  illa  omni  ratione  quae 
delitiscens  sab  nominibus  et  imaginibus  moHaorum  quihusdam 
signis  et  miraculis  et  oraculis  fidem  divinitatis  operatur:  also 
'Zeichen  und  Wunder  und  Orakel'  werden  nicht  geleugnet, 
aber  als  Wirkungen  einer  verborgenen  ratio  erklärt.  Atque 
adeo  dicimus  esse  substantias  quasdam  spiritales:  "und  wir  be- 
haupten in  der  Tat  das  Vorhandensein  gewisser  geistiger 
Wesen',  und  bezeichnen  sie  mit  denselben  Namen  wie  ihr: 
denn  'Dämonen'  kennen1)  die  Philosophen,  die  Dichter,  ja 
auch  der  ungelehrte  große  Haufe2);  angelos  hat  selbst 
Piaton    nicht    geleugnet3),    und    die    Magier    bezeugen    beide 

i)  sciunt:  über  die  Bedeutung  kennen'  bei  Tert.  s.  (Dehler  I  131 
zu  Apolog.  V. 

2)  etiam  vulgus  indoetum  in  usu  maledicti  frequentat.  Vgl.  de  test. 
an.  3  daemonium  vocas  (zur  Seele  gesagt)  hominem  aut  immunditia 
aut  malitia  aut  quacumque  macula  quam  nos  daemoniis  deputamus  ad 
necessitatem  odii  importunum.  Man  wird  danach  an  der  Verwendung 
von  daemon  oder  daemonium  (denn  duiuöviog  kann  doch  schwerlich 
gemeint  sein)  als  Schimpfwort  nicht  zweifeln  können,  obwohl  ein  an- 
deres Zeugnis  dafür  m.  W.  nicht  existiert.  Für  ausgeschlossen  halte  ich 
die  Annahme,  daß  Tert.  hier  daemonium  für  ein  anderes  Wort  substi- 
tuiert, wie  er  es  nachher  allerdings  tut:  Satanam  denique  U*  omni  ve- 
xatione  et  aspematione  et  detestatione  pronuntias,  quem  nos  dicimus 
malitiae  angelum:  da  ist,  wie  Rigaült  gesehen  hat,  der  Ausruf  malum 
gemeint;  aber  Tert.  deutet  die  Substitution  selbst  an,  wenn  er  fort- 
fährt sentis  igitur  perditorem  tu  tun,  et  licet  nah  illum  novermt  Christia- 
ni  .  .  et  tu  tarnen  eum  nosti  dum  odisti. 

3)  Man  wird  das  zunächst  als  Beleg  für  den  Namen  angelus  auf- 
fassen: dann  hat  freilich  Tert.  geirrt,  denn  die  Gleichsetzung  der  öcä- 
(iovtg  und  äyyeloi  findet  sich  bei  riaton  nicht,  so  wenig  wie  bei  ir- 
gend einem  reingriechischen  Autor.  Wohl  aber  war  die  Sache  aus 
Piatons  Beschreibung  der  Dämonen  im  Symposion  202a  zu  entnehmen: 
Ttäv  xb  öaiuoviov  usxu^v  iöxi  Q-iov  ts  x«i  &vr\xov  .  .  .  £Q{irtv£vov 
xal  diccnoQ&iisvov  fttolg  xa  nag'  uv&QmTtcov  y.cti  av&Qionoig  xa  tcuqu 
ftsebv.  Ein  Irrtum  des  Tert.,  verursacht  wahrscheinlich  durch  die  un- 
genaue Ausdrucksweise  eines  griechischen  Apologeten ,  ist  mir  wahr- 
scheinlicher als  eine  bewußte  'Interpretation'  —  zu  welcher  Annahme 
die  vorsichtige  Ausdrucksweise  non  negavit  verlocken  könnte. 


396  Richard  Heinze:  [XXII.  XXIII 

Namen. l)  Also  streng  genommen  nicht  als  Zeugnisse  für  seine 
Behauptung  der  Existenz,  sondern  nur  als  Belege  für  die 
Namen  führt  Tert.  die  Stimmen  der  Heiden  an:  er  liebt  es 
nicht,  sich  für  die  Wahrheit  seiner  Lehren  auf  heidnische 
Zeugen  zu  berufen,  konstatiert  höchstens  (wie  XXI  10)  eine 
Übereinstimmung  der  Lehren,  anders  als  die  griechischen 
Apologeten,  z.  B.  Athenagoras:  aber  es  ist  klar,  daß  er  in 
Wirklichkeit  in  den  Spuren  seiner  Vorläufer  geht.2) 

Indessen,  wenn  die  Heiden  auch  die  Dämonen  kennen, 
über  ihren  Ursprung  und  ihr  Schicksal  unterrichtet  nur  die 
heilige  Schrift;  eine  ausführliche  Wiedergabe  dieser  Lehre, 
wie  sie  z.  B.  Athenagoras,  mit  viel  philosophischer  Zutat 
verbrämt,  seinen  Lesern  vorsetzt,  scheint  Tert.  überflüssig; 
knapp  und  klar  formuliert  er  die  Hauptpunkte:  Engel,  aus 
eignem  freien  Willen  —  darauf  kommt  ja  viel  an  —  verdor- 
ben, haben  die  noch  schlechteren  Dämonen  erzeugt,  und  Gott 
hat  sie  mit  ihren  Erzeugern  und  ihrem  Oberhaupt  verdammt. 
Daß  diese  Engel  und  Dämonen  geistige  Wesen  sind,  war 
schon  oben  gesagt.  Viel  wichtiger  für  Tert.s  Beweisführung 
als  Erörterungen  über  das  Wesen  der  Dämonen  ist  die 
Kenntnis  ihres  Wirkens:  zu  dieser  operatio  geht  er  jetzt  über. 
Und  zwar  handelt  er  in  strenger  Gedankenfolge  i.  über  den 
Endzweck  ihres  Wirkens.  2.  über  ihre  Maßnahmen:  Schädi- 
gungen des  Menschen  an  Körper  und  Geist,  worunter  die 
wichtigste   die  Erregung   des   Glaubens   an   die  Götter  (dabei 


1)  Ein  Blick  in  die  Zauberpapyri  bestätigt  das;  es  bedurfte  kei- 
ner Erklärung  durcb  einen  besonderen  Beleg,  wie  ibn  Minucius  gibt 
und  Ebert  hier  vermißt.  Ich  komme  auf  die  Stelle  des  Minucius  unten 
zurück. 

2)  Auf  Thaies  und  Piaton  beruft  sich  Athenagoras  (c.  23),  als  auf 
&716  rjjg  cpiXoGocpiug  iidgrvQsg.  Das  Dämonium  des  Sokrates  aber  stellt 
Tert.  als  erster  in  die  Reihe  der  bösen  Dämonen:  die  griechischen 
Apologeten  schweigen  davon,  weil  sie  Sokrates  gerade  als  Gegner  der 
Dämonen  verehren.  Später  haben  Clemens  und  Origenes  den  Mut  ge- 
funden sich  damit  auseinanderzusetzen,  und  das  daijioviov  als  guten 
Geist  in  Anspruch  genommen,  s.  Harnack,  Sokrates  u.  d.  alte  Kirche 
(Berl.  1900)  p.  14. 


XXII  4—7]  Tertullians  Apologbticum.  397 

wird  als  Nebenzweck  die  Ernährung  durch  die  Opfer  erreicht  1, 

3.  über  die  Mittel,  diesen  Glauben  zu  erwecken:  Orakel  und 
Prophezeiungen,     angebliche     Heilungen,     sonstige     Wunder. 

4.  Beweise  dafür,  daß  es  wirklieh  die  Dämonen  sind,  die  diese 
wunderbaren  Wirkungen  ausüben,  daß  also  die  Dämonen  und 
Götter  identisch  sind.  5.  Wichtigster  Beweis  das  eigene  Zeug- 
nis der  Dämonen.  6.  Beweis,  gleichfalls  durch  die  Dämonen 
geliefert,  daß  die  christliche  Religion  die  wahre  ist. 

1.  Operatio  eorum   est  hominis  eversio  —  dieser  monu-    XXII  4— 7 
mentale  Satz  gibt  der  ganzen  Lehre  eine  Grundlage,   die  ihr 

bei  den  älteren  Apologeten  fehlt.  Denn  man  hört  zwar  von 
ihnen  gelegentlich  von  der  Feindschaft  der  Dämonen  gegen 
alle  Guten,  worunter  denn  die  Feindschaft  gegen  die  Christen 
zu  subsumieren  ist,  oder  von  ihrem  Bestreben  die  Menschen 
von  der  Verehrung  des  wahren  Gottes  abzulenken,  oder  von 
ihrem  Bestreben  sich  die  Menschen  zu  unterjochen,  auch 
pflegt  der  Hinweis  auf  ihr  Verlangen  nach  dem  Genuß  der 
Opfer  nicht  zu  fehlen;  aber  prinzipiell  ist  ihr  Wirken  nie 
gefaßt,  und  im  allgemeinen  wird  offenbar  stillschweigend 
alles  was  sie  tun  als  Ausfluß  ihrer  Schlechtigkeit  angenom- 
men. Tert.  sagt  dies  ausdrücklich,  indem  er  fortfährt  sie 
malitia  spiritalis  a  primordio  auspicata  est  in  hominis  exi- 
tium  —  was  freilich  ganz  verständlich  nur  dem  ist,  der  die 
Geschichte  von  der  Schlange  im  Paradies  kennt.  Man  muß 
sich  der  ängstlichen  Vorsicht  erinnern,  mit  der  Athenagoras 
seine  Dämonenlehre  einführt  —  scheut  er  sich  doch  sogar 
davor,  den  Dämonen,  die  den  Kaisern,  seinen  Adressaten,  als 
Götter  gelten,  das  Epitheton  yuvioi  oder  Ttovrjgoi  zu  geben 
—  um  die  ganze  brutale  Wucht  von  Tert.s  Satz  zu  empfin- 
den: 'nicht  eure  Wohltäter,  wie  ihr  meint,  sind  die  'Götter', 
nicht  verdankt  ihnen  die  Menschheit,  wie  ihr  glaubt,  alles 
Gute:  ihr  Werk  ist  des  Menschen  Verderben.' 

2.  Wie  ist  es  den  Dämonen  möglich,  den  Menschen  an 
Körper  und  Geist  zu  schädigen,  noch  dazu  ohne  daß  jemand 
es  bemerkt?  Besser  als  irgendeine  subtile  philosophische  Er- 
klärung, so  meint  Tert.,  ist  ein  anschaulicher  Vergleich.   Als 


398  Kichard  Heinze:  [XXII  8—12 

' Geistern'  eignet  den  Dämonen  so  viel  Feinheit  und  Zartheit, 
daß  sie  leicht  überall  eindringen  können,  ohne  sichtbar  zu 
w erden:  wer  sieht  den  giftigen  Anhauch,  der  Blüten  und 
Früchte  vernichtet  oder  die  Luft  verpestet,  anders  als  in  sei- 
ner Wirkung?1)  —  Wahnsinn,  wilde  Lüste  und  Irrtümer  er- 
zeugen sie  in  der  Welt2):  der  Irrtum,  daß  sie  Götter  seien, 
verschafft  ihnen  zugleich3)  ihr  'Futter',  das  ihnen  gemäß  ist: 
Opferdampf  und  Blut.  Verächtlich  wie  der  Ausdruck  pabula 
ist  das  folgende  adcuratior  pascua:  die  Entfremdung  von  der 
wahren  Gottheit  durch  Zauberkunststücke  ist  die  Weide,  auf 
der  ihr  Futter  wächst. 
XXII 8— 12  3.  Wie  kommen  ihre  Zaubereien  zustande'?  a)  ihre 
Schnelligkeit  ermöglicht  ihnen,  Ereignisse,  die  an  irgendeinem 
Punkt  geschehen,  im  selben  Augenblick  schon  anderswo  zu 
verkünden  (sie  heißen  nicht  umsonst  äyysXot),  wobei  sie  sich 
dann  auch    manchmal   die  Urheberschaft  zuschreiben.     Dabei 


1)  nescio  qaod  aurac  latens  Vitium:  man  vgl.  etwa  die  Schilderung 
des  Lucrez  VI  1090  ff.  Keineswegs  gelten  also  die  Dämonen  als  Ver- 
ursacher  von  Mißwachs  und  Seuche,  wie  in  der  Lehre  der  Platoniker, 
die  Porphyr,  de  abst.  II  37 ff.  wiedergibt,  c.  40  in.  Dort  ist  die  Ten- 
denz die,  den  Dämonen  Schuld  an  allem  für  die  Menschen  Schädlichen 
zu  geben,  die  Göttern  davon  zu  befreien ;  für  Tert.  ist  es  natürlich  Gott 
allein,  der  die  clades  sendet,  XL  fg.  Im  übrigen  gebe  ich  Pohlenz 
(a.  a.  0.  144  fg.)  zu,  daß  die  Lehre  jener  Platoniker  in  Piatonismus 
und  Stoa  nicht  aufgeht;  es  wird  noch  zu  prüfen  sein,  ob,  wie  Pohlenz 
will,  christlicher,  oder  wie  Cumont  vermutet  hat  (Rel.  orient.  184  fg. 
307),  parsischer  Einfluß  vorliegt.  Zu  Tert.  besteht  jedenfalls  keine  nä- 
here Beziehung  als  etwa  zu  Tatian. 

2)  furores,  amentiae  foedae,  caecae  libidines  cum  erroribus  variis: 
damit  wird  ausgeführt,  was  vorher  mit  animae  repentini  et  extraordi- 
narii  per  vim  excessus  angedeutet  war,  hinzugefügt  die  errores,  um  auf 
den  Bilderdienst  überzuleiten.  Unter  jenen  i%6td<ssig  versteht  Tert. 
schwerlich,  wie  die  Platoniker  des  Porphyr,  c.  40,  die  Leidenschaften 
und  Begierden  überhaupt,  sondern  die  Exzesse  der  Leidenschaft,  bei 
denen  auch  die  Griechen  von  Scaiiovccv  oder  xoQvßavTiäv  redeten,  ins- 
besondere wohl  die  durch  Magie  erzeugten. 

3)  Das  ist  Nebenzweck,  ut  et  sibi  pabula  propria  procuret,  nicht 
wie  z.  B.  bei  Athenagoras  c.  25  Hauptzweck,  es  soll  hinter  dem  opc- 
ratio  eorum  est  hominis  eversio  zurücktreten. 


XXII  8—12]  TERTULMAN8   ApOLOGETICTM.  3Q9 

denkt  Tert.  wohl  nicht  an  die  beiden  historischen  Fälle,  die 
er  nachher  erwähnt,  sondern  an  sonstige  Hellseherei:  so  wußte 
Apollonios  in  Ephesos  von  Doniitians  Ermordung  im  Augen- 
blicke, wo  sie  geschah:  oi  fisol  zofaiov  exaöra  diaXsyofiavco 
reo  dvÖQL  <xvt(pciivov  Philostr.  vit.  Ap.  VIII  27.  -  -  b)  sie  schöpfen 
ihr  Wissen  aus  den  Worten  der  jüdischen  Propheten.  Daß 
die  Dämonen  allerlei  Trug  auf  Grund  der  ihnen  bekannten 
messianischen  Weissagungen  angestiftet  haben,  ist  auch  z.  B. 
Justins  Meinung;  Tert.  überträgt  dies  auf  die  Divination.  — 
c)  sie  geben  zweideutige  Orakel:  die  Beispiele  des  Croesus 
und  Pyrrlms  sind  traditionell.  Ad  vocem  Croesus  denkt  Tert. 
auch  an  das  Schildkrötenorakel  (Herod.  I  47),  von  dem  er  aus 
der  gleichen  Herodotstelle,  direkt  oder  indirekt,  Kenntnis 
hatte  und  die  er  nach  a)  erklärt.  —  d)  Wetterprophezeih- 
uug:  den  Dämonen  möglich  de  incolatu  a'eris:  im  Luftraum 
schweben  die  Dämonen  nach  alter  griechischer  wie  christ- 
licher Lehre.  Tert.  denkt,  wie  XXIII  6  zeigt,  an  zeitgenössi- 
schen Brauch.  —  e)  Heilungen:  die  Erklärung,  die  auch 
Justin  (s.  0.)  gegeben  hatte  und  die  Tert.,  sei  es  direkt,  sei 
es  aus  Tatian,  zur  Kenntnis  gelangt  sein  wird.  —  f)  sonstige 
Wunder  aus  römischer  Tradition:  Erscheinung  der  Castores1), 
Wunder  der  Tuccia,  der  Claudia,  des  Domitius  Ahenobarbus. 
In  dieser  Zusammenstellung  sonst  nicht  überliefert.  Eine 
bestimmte  Erklärung  gibt  Tert.  hier  nicht:  er  läßt  es  offen, 
ob  es  sich  hier  um  ingenia,  also  Tricks  wie  bei  den  zwei- 
deutigen Orakeln,  oder  vires  fallaciae  spiritalis  handelt,  die 
nicht  näher  bestimmt  werden.  Zum  Schluß  nochmals  der 
Zweck  aller  dieser  Veranstaltungen:  ut  numina  lapides  crede- 
rentur,  ut  deus  verus  non  quaereretur. 

Das  Resultat  ist  also,  daß  das  Wirken  der  Dämonen  im 
wesentlichen  Trug  ist:  weder  eignet  ihnen  übernatürliches 
Wissen,  noch  üben  sie  irgend  welche  wohltätige  Wirkungen 
aus:  wie  weit  ihre  sonstigen  Wunder  echt  sind,  bleibt  dahin- 

1)  phantasmata  Castorum:  die  Epiphanie  des  Castores  tritt  also 
als  fGeisterscheinung'  auf  gleiche  Stufe  mit  den  im  nächsten  Satze 
genannten  von  den  Magiern  bewirkten  Phantasmata. 


400  Richard  Heinze:  [XXIII  1—3 

gestellt.  Aber  freilich  haben  sie  durch  ihre  spiritalis  sub- 
stantia 1 )  Fähigkeiten,  die  über  die  der  körperlichen  Wesen 
weit  hinausgehen.  Die  Grundlage  dieser  Vorstellungen  und 
manches  einzelne  hat  Tert.  mit  den  griechischen  Apologeten 
gemein:  er  unterscheidet  sich  vor  allem  durch  die  rationa- 
listische Klarheit  und  die  erschöpfende  Durchführung  der  Ge- 
danken. Es  ist  z.  B.  nicht  leicht  zu  sagen,  ob  Tatian,  nicht 
leicht  zu  erkennen,  ob  Athenagoras  an  eine  Weissagungskraft 
der  Dämonen  glaubt  —  ihr  eignes  Schwanken  hindert  offen- 
bar die  volle  Klarheit  des  Ausdrucks;  Tert.  läßt  niemandem 
den  geringsten  Zweifel.  Die  Griechen  beschränken  sich  da- 
rauf,  Mantik  und  Iatrik  zu  besprechen:  Tert.s  Bereich  ist  viel 
umfassender.  Vor  allem  aber:  die  Griechen  kommen,  mit 
Ausnahme  von  Ansätzen  des  Athenagoras,  über  das  Behaupten 
nicht  hinaus:  Tert.  sucht  nach  Beweisen. 
XXIII  1—3  4.  Bisher  nämlich  hat  er  nur  behauptet,  daß  im  Namen 
des  Apollo,  der  Castoren,  der  Vesta  Dämonen  gewirkt  hätten. 
Aber  das  genügt  ihm  nicht.  Die  Magier,  fährt  er  fort,  ver- 
richten mit  Hilfe  der  Dämonen  die  gleichen  Zaubereien  wie 
eure  Götter:  ist  nicht  anzunehmen,  daß  die  Dämonen,  was 
sie  im  Dienste  anderer  leisten,  erst  recht  aus  eigenem  Ent- 
schluß und  im  eigenen  Interesse  tun?  Streng  logisch  müßte 
der  Beweis  so  lauten:  'Das,  was  die  Dämonen  im  Dienst  der 
Magier  tun,  geschieht  außerdem  nur  durch  die  sog.  Götter: 
eine  selbständige  Tätigkeit  der  Dämonen  ist  aber  unbedingt 
anzunehmen,  also  ist  dies  die  Tätigkeit  der  sog.  Götter'.  Ein 
Schluß,  der,  echt  tertullianisch,  auf  einer  Konstruktion  der 
Dämonenpsychologie  ganz  nach  Analogie  der  menschlichen 
basiert:  pro  suo  mgotio  operari  alienae  praestat  negotiationi. 
Eher  läßt  sich  der  zweite  Beweis  hören:  angenommen,  die 
Dämonen  tun  eben  das,  was  eure  Götter  wirklich  tun:  wo 
bleibt  da  der  Vorrang  des  Göttlichen,  das  doch  jeder  anderen 
Kraft   überlegen   sein   muß?     Würdiger    ist   die  Vorstellung, 


1)  Von   der  nv£v\i,ariY.i]  avuTti^ig  der  Dämonen  z.  B.  Tatian  c.  15 
(p.  16,27  Schw.):  das  ist  die  durchgängige  Anschauung. 


XXIII  4—6]  Tertit.lians  Apologeticlm.  401 

daß  die  Dämonen  sich  als  Götter  ausgeben,  als  daß  die  Götter 
den  Dämonen  gleich  stehen.  Denn  den  Unterschied  ihres 
beiderseitigen  Wirkens  nur  im  Ort  zu  suchen,  d.  h.  danach  zu 
urteilen,  ob  etwas  auf  sakralem  oder  profanem  Boden  ge- 
schieht, wäre  docb  ein  Unding.  Ob  Tert.  bei  dem  sacras  turres 
pervolare  an  irgend  einen  wirklich  sakralen  Brauch  denkt,  weiß 
ich  nicht;  daß  das  freie  Schweben  in  der  Luft,  tecta  viciniae 
transüire,  zu  den  magischen  Künsten  gehört,  lehrt  u.  a.  Lukian 
Philops.  13,  wo  man  einen  Hyperboreer  gesehen  hat,  dicc  rov 
aeoog  cp£QO(ievov  rjusQag  oi'tfaj;  vor  allem  wird  man  an  den 
freilich  mißglückten  Flug  des  Magiers  Simon  denken.1)  Von 
dem  folgenden  Paar  von  Beispielen  ist  das  genitalia  vel 
lacertos  prosecare  des  Bellonakults  bekannt2),  das  gulam  pro- 
secare  als  magische  Praktik  mir  unbekannt:  oder  ist  hier  von 
Selbstmord  eines  dcauoviöXriTixog  die  Rede?  Der  Schlußsatz 
rekapituliert  präzis  und  treffend:  compar  exitus  furoris,  et  wna 
ratio  est  instigationis :  ratio  im  selben  Sinne  wie  oben  am 
Schluß  von  XXI  ratio  delitiscens  sub  imaginibus  mortuorum 
gesagt  war. 

5.  Nuu  endlich  der  stärkste  Beweis,  eingeleitet  durch     XXIQ  4—6 
die  Fanfare:  sed  hactenus  verba,  iam  hinc  demonstratio  rei  ipsius. 
Wenn  Tatian  den  Exorzismus  nur  erwähnte,  Justin  darauf  als 
auf  eine  Bewährung  der  Macht  Christi  verwies,  so  wird  er  bei 
Tert.3)  zu  einem  für  die  heidnischen  Götter  niederschmettern- 


1)  S.  Reitzenstein  ,  Hellenist.  Wundererzählungen  125;  Hellenist. 
Mysterienreligionen  70. 

2)  Sen.  fr.  34  üle  viriles  sibi  partes  amputat,  üle  locrrtos  secat  e.  q.  s. 
Athenag.  26  oi  fisv  yccg  ccTCotiyivovGt,  rix.  cdSoict.  oi  tisqI  ttjv  Ptav,  oi  dt 
£yx6ntov6iv  1)  ivtSfivovßtv,  oi  Ttsgl  ttjv  'Äqts(ilv. 

3)  spiritus  üle  tarn  se  daemonem  confitebitur  de  vero  quam  alibi 
deum  de  falso:  wir  erfahren  von  Tert.  de  an.  57,  daß  der  Dämon  auch 
bei  der  Beschwörung  noch  gelegentlich  versucht,  sich  als  Geist  eines 
Verstorbenen  oder  als  Gott  auszugeben,  bis  ihn  der  Exorzist  zwingt, 
sich  als  das  zu  bekennen,  was  er  in  Wahrheit  ist,  d.  h.  als  Dämon. 
Vgl.  Theoph.  ad  Autol.  II  8  oi  Saiuovävrtg  i£oQHi£ovzc:i  xcctcc  rov  ovo- 
ucctos  rov  övrog  &sov  xcä  öuoXoysi  cvzu  ra  nXavcc  TivtvyiaTu  tlvui  6ai- 
{lovig. 


402  Richard  Heinze:  [XXIII  4—6 

den  Zeugnis.  Der  Schriftsteller  fühlt  sich  wieder  als  Redner 
vor  den  praesides:  hie  siib  tribanalibus  vestris  soll  die  Probe 
o-emacht  werden.  Man  stelle  irgendeinen  dai^oviÖArjntog: 
jeder  beliebige  Christ  wird  den  Dämon  zu  dem  Geständnis 
zwingen,  daß  er  wirklich  ein  Dämon  ist,  wenn  er  sich  auch 
sonst  fälschlich  als  Gott  ausgibt.  Man  führe  andererseits 
einen  dsölrjTtrog  vor:  selbst  die  Virgo  Caelestis  und  Aesculap 
werden  sich  als  Dämonen  bekennen,  es  nicht  wagen,  einem  Chri- 
sten gegenüber  zu  lügen:  wo  nicht,  so  sei  der  Christ  dem  Tode 
verfallen.  Das  ist  also,  im  Gegensatz  zu  den  vorhergehenden 
£VT£%voi  mörstg,  ein  Zeugenbeweis1),  oder  besser  noch,  ein 
Eingeständnis  der  Angeklagten  selbst2);  und  statt  zu  berich- 
ten, daß  dies  Eingeständnis  hier  oder  dort  erfolgt  ist,  kleidet 
Tert.  seine  Behauptung  in  die  Form  einer  sponsio,  in  der  er 
das  Leben  des  beschwörenden  Christen  als  Pfand  einsetzt. 
Die  Vorforderung  der  Zeugen  aber  und  die  Erklärung,  die 
Sache  mit  ihrer  Aussage  für  entschieden  ansehen  zu  wollen, 
ist  eine  jtQÖx^öig5)  in  bester  Form,  aus  der  felsenfeste  Zu- 
versicht auf  die  Güte  der  Sache  spricht.  Als  Beispiele  für 
diejenigen,  qui  de  deo  pati  exisümantur ,  nennt  Tert.  die  von 
der  Virgo  Caelestis,  pluviarum  pollicitatrix,  Inspirierten,  an  die 
er  schon  oben  dachte,  als  er  von  den  Dämonen  sprach,  die 
pluvias  repromittunt :  daß  in  der  Tat  die  enthusiastische 
Mantik  im  Kult  der  Caelestis  zu  Karthago  eine  große  Rolle 
spielt,  ist  uns  auch  sonst  bezeugt4);  wir  lernen  hier,  daß  die 
Caelestis,  ihrem  Namen  entsprechend,  sich  insbesondere  auch 


1)  haec  testimonia  deorum  vestrorum  XXIII  18.  ipsorum  testimo- 
niis  quos  deos  creditis  XXV"  1. 

2)  XXIII  4  nisi  se  daemonem  confitebitur,  6  nisi  se  daemonas  con- 
fessi  fuerint,  10  confessio,  17  adversus  semetipsos  confitentes,  XXIV  1 
omnis  ista  confessio. 

3)  Pollux  VIII  62  jtQÖxXtißie  §'  ierl  Xvaig  tfjg  dtxijs  ini  rivi  wqlg- 
Htvw  OQ-Ato  7)  fiagzvQla  rj  ßaöcivcp  7)  aXXa  xivl  xoiovxw. 

4)  Script,  hist.  Aug.  Pert.  4,  2  in  quo  proconsulatu  (Africae)  multas 
seditiones  perpessus  dicitur  vatieinationibus  earum  quae  de  templo  Cae- 
lestis emergunt.  Macrin.  3,  1  vates  Caelestis  apud  Karthaginem,  quae  dea 
repleta  solebat  vera  canere.     S.  Cumont  bei  Pauly-Wiss.  III  1250. 


XXIII  7  — 19]  Tertullians  Apoloukticum.  403 

zur  Wetterprophezeiung  hergab.  Daneben  Aesculap,  der  Heil- 
gott, von  dessen  dämonischem  Trug  gleichfalls  vorher  die 
Rede  war:  für  dessen  iatrische  Mantik  bedarf  es  keiner  Be- 
lege. Merkwürdig  aber  und  m.  W.  sonst  nicht  überliefert  ist 
die  Exorzisierung  von  •frfd/b,;rr<u,  die  Tert.  hier  als  etwas  ganz 
Landläufiges  hinstellt.  Die  Sache  an  sich  bietet  keinen  An- 
stoß: bekanntlich  verleiht  die  Magie  Macht  nicht  nur  über 
niedere  Dämonen,  sondern  auch  über  die  höchsten  Götter,  und 
der  christliche  Exorzist  hat  also  auch  hier  nur  die  Erbschaft 
seiner  heidnischen  Vorgänger  und  Zeitgenossen  angetreten. 

In  der  Folge  behandelt  nun  Tert.  das  Verheißene  als  XXIII  7—10 
geschehen:  aber  er  begnügt  sich  noch  nicht  mit  dem  Zeugnis 
selbst:  noch  gilt  es  seine  unbedingte  Glaubwürdigkeit  zu  er- 
härten  und  die  Folgerungen  daraus  zu  ziehen.  1.  Es  ist  da- 
bei alles  mit  rechten  Dingen  zugegangen:  daß  weder  Zauberei 
noch  irgendein  Betrug  vorliegt,  lehren  euch  die  eigenen  Augen 
und  Ohren.  2.  Einwände  gegen  das  Geständnis  lassen  sich 
nicht  erheben:  wenn  es  Götter  sind,  die  sich  als  Dämonen 
ausgeben,  so  müßten  sie  also  lügen;  und  zwar  uns  zuliebe: 
dann  wären  also  die  Götter  den  Christen,  ihren  Feinden, 
Untertan  —  also  keine  Götter.  3.  Es  gibt  aber  auch  nicht 
etwa  außerdem  noch  wirkliche  Götter:  sonst  würden  die  Dä- 
monen es  nicht  wagen,  sich  anderwärts  als  Götter  auszugeben: 
sie  würden  deren  Zorn  über  den  Mißbrauch  ihrer  Majestät 
fürchten,  da  jene  doch  dann  über  ihnen  stünden.  —  Man 
sieht:  auch  hier  eine  überaus  konkret  denkende  Übertragung 
menschlicher  Verhältnisse  auf  das  Geisterreich.  Schluß:  da 
also  'Götter'  sowohl  wie  'Dämonen'  die  Götter  leugnen,  gibt 
es  nur  eine  Gattung,  eben  die  Dämonen.  Tert.  triumphiert: 
iam  deos  quaerite:  quos  enim  praesumpseratis ,  daemonas  esse 
cognoscitis. 

6.  Aber  selbst  das  genügt  Tert.  noch  nicht:  auch  posi-    XXIII  11 — 19 
tiv  sollen  die  Dämonen  zeugen  für  den  einzigwahren  Gott,  den 
der  Christen,  und  die  christliche  Art,  ihn  zu  verehren,  d.  h.  per 
Christum.  Und  hier  scheint  Tert.s  Kühnheit  noch  größer  als  bei 
seinem  vorigen  Versprechen.  Wenn  Justin  sich  auf  die  Kraft  der 


_^04  Richard  Heinze:  [XXIII  u — 19 

christlichen  Exorzismen  berufen  hatte,  denen  selbst  die  hart- 
näckigsten Dämonen  weichen,  so  erwähnt  dasTert.  zwar  auch1), 
aber  er  legt  doch  auf  diesen  Erfolg  nicht  das  Hauptgewicht. 
Der  aro-lose  Leser  wird  den  Eindruck  haben  —  und  Tert. 
o-eht  darauf  aus,  diesen  Eindruck  zu  erzielen  —  daß  die  Da- 

D 

monen  ganz  ausdrücklich  nicht  nur  Christus  als  den  künftigen 
Weltenrichter,  also  auch  als  Gott  anerkennen,  sondern  auch 
bestehen,  selbst  unsaubere  Geister  und  ihrer  Verdammung 
am  jüngsten  Tage  sicher  zu  sein.  Sieht  man  genauer  zu,  so 
sagt  dies  aber  Tert.  nicht,  sondern  seine  kecke  an  die  Dä- 
monen gerichtete  ironische  Aufforderung  negent  .  .  refutent .  . 
renuant  spricht  nur  die  Gewißheit  aus,  daß  sie  jene  Wahr- 
heiten nicht  leugnen  werden:  es  ist  also  ein  testimonium  ex 
silentio,  auf  das  Tert.  sich  beruft,  und  tatsächlich  reden  auch 
die  zahlreichen  christlichen  Zeugen  des  Exorzismus  niemals 
von  einem  solchen  positiven  Geständnis.2)  Also  der  Exorzist 
bedroht  die  Dämonen  als  unsaubere  Geister  im  Namen  Christi, 
droht  ihnen  mit  dem  jüngsten  Gericht,  und  da  sie  nicht  re- 
monstrieren, ja  sogar  aus  dem  Körper  der  Besessenen  aus- 
fahren —  im  Vorgefühl  des  ewigen  Feuers  — ,  so  geben  sie 
alle  Behauptungen  des  Exorzisten  zu,  zeugen  somit  für  Gott 
und  Christus,  seinen  Sohn.  —  Glaubwürdig  ist,  wie  auch  hier 
wieder  am  Schluß  ausgeführt  wird,  dies  Zeugnis  einmal,  weil 
es  dem  Aussagenden  zur  Unehre  gereicht,  und  sodann,  weil 
es  oft  genug  Bekehrungen  zum  Christentume  veranlaßt:  und 

DD  o 

da  dies  die  Dämonen  wissen,  und  jeder  Abfall  vom  Heiden- 
tum die  Zahl  ihrer  Gefolgsleute  verringert,  die  ihnen  bis  da- 


1)  16  ita  de  contactu  et  afflatu  nostro  .  .  etiam  de  corporibus 
twstro  imperio  excedunt:  gleich  darauf  ist  wieder  vom  verum  de  se 
loqui  der  Dämonen  die  Rede. 

2)  Vgl.  Tambornlnos  Zusammenstellung  p.  27  ff.  Einzig  Cyprian 
sagt  (ad  Demetr.  XV  p.  361  H.) .  .  de  obsessis  corporibus  eiciuntiir,  quando 
eiulantes  et  gementes  voce  humaua  et  potestate  divina  flagella  et  verbera 
sentientes  venturum  iudicnim  confitenl u r :  das  steht  Tert.  nahe,  ist  viel- 
leicht sogar  von  ihm  abhängig;  ein  tatsächliches  und  ausdrückliches 
Geständnis  ist  auch  hier  nicht  gemeint. 


XXVII]  TeRTULLIANS   ApOLOGETICUM.  405 

hin  sogar  Christenblut  darbrachten1),  so  würden  sie,  wenn  sie 
irgend  vor  einem  Christen  lügen  dürften,  gewiß  jenes  Zeugnis 
verweigern.  — 

Tert.  kommt  an  einer  späteren  Stelle  nochmals  auf  den  XXVII 
Kampf  zwischen  Dämonen  und  Christen  zurück,  c.  XXVII, 
wo  er  die  Weigerung  der  Christen,  den  Dämonen  zu  opfern, 
gegen  den  Vorwurf  der  zwecklosen  und  unsinnigen  Ver- 
stocktheit verteidigt:  die  Christen  sollen  doch,  so  wird  ihnen 
geraten,  die  Form  erfüllen,  ohne  damit  ihre  innere  Über- 
zeugung aufzugeben.  Dieser  schlaue  Rat  ist  ebenso  wie  die 
im  Eingang  der  Schrift  befehdete  Unbilligkeit  und  Verkehrt- 
heit des  richterlichen  Verfahrens  Eingebung  der  Dämonen. 
Um  nun  ihren  fortgesetzt  gegen  die  Christen  geführten  Krieg 
mit  seiner  Behauptung,  daß  sie  den  Christen  Untertan  seien, 
zu  vereinigen,  greift  Tert.  wieder  zum  Gleichnis:  die  Dämonen 
benehmen  sich  wie  schlechte  Sklaven,  die,  in  Gegenwart  ihres 
Herrn  ehrerbietig,  ihm  zu  schaden  suchen,  sobald  er  fern  ist.-) 
Der  Prozeß  aber,  bei  dem  es  um  Tod  und  Leben  seht,  ist 
wie  ein  Kampf  gegen  aufständische  zur  Frohnarbeit  Verur- 
teilte: es  kommt  den  Dämonen  darauf  an  uns  aus  unserem 
Glauben  zu  drängen,  und  somit  triumphieren  wir  gerade 
dann  über  sie,  wenn  wir,  statt  uns  auch  nur  äußerlich  zu 
fügen,  verurteilt  werden.  —  Man  sieht,  das  Problem,  das  die 
griechischen  Apologeten  beschäftigt,  warum  denn  Gott  die 
Dämonen  in  ihrer  Befehdung  der  Christen  gewähren  lasse 
(s.  0.  z.  B.  über  Justin)  und  das  sie  mit  Spekulationen  über 
freien  Willen  und  göttliche  Weltpläne  zu  lösen  suchen,  liegt 
Tert.  fern:  an  der  Hand  rein  menschlicher  Verhältnisse  macht 


1)  Colitis  Mos,  quod  sciam,  etiam  de  sangnine  Christianorum :  da- 
bei kann  Tert.  doch  wohl  nur  an  das  sog.  Opfer  eines  bestiarius  fin- 
den Juppiter  Latiaris  denken,  s.  darüber  ob.  S.  328,  1. 

2)  ut  nequam  servi  mepu  nonnumquam  contumaciam  miscent  et 
laedere  gestiunt,  qaos  alias  verentur,  und  wenn  sie  ergriffen  werden 
quos  de  longinquo  obpugnant,  de  proximo  obsecrant:  man  sieht,  wie  die 
Antithesen  unmittelbar  aus  der  Vorstellung  des  Gleichnisses  geflossen 
sind;  es  wird  weiterbin  für  Minucius  daran  zu  erinnern  sein. 


4o6  Richard  Heinze:  [XX VII 

er  sich  und  seinen  Lesern  die  Sachlage  klar  und  beruhigt 
sich  dabei,  daß  es  doch  nur  eine  im  Grunde  ohnmächtige 
Auflehnung  der  unterjochten  Dämonen  gegen  ihre  recht- 
mäßigen Herren  sei,  die  mit  einem  Siege  der  Christen  ende. 
Auch  die  Motive  der  Dämonen  werden  hier  näher  bestimmt 
als  es  oben  geschah:  der  Teufel  ist  noster  ob  divortium  aemu- 
lus  —  unser  Feind,  weil  er  selbst  von  Gott  abgefallen  ist  — 
et  ob  dei  graüam  invidus,  und  die  Dämonen,  die  wissen,  daß 
sie  verurteilt  sind,  suchen,  da  die  Strafe  noch  aufgeschoben 
ist,  sich  zu  trösten,  indem  sie  einstweilen  noch  ihrer  Bosheit 
freien  Lauf  lassen:  wiederum  ein  Versuch,  gemeinmenschliche 
Motive  auf  die  Dämonen  zu  übertragen,  der  bei  den  griechi- 
schen Apologeten  nicht  seinesgleichen  hat.  —  Tert.  hat  diese 
o-anze  Auseinandersetzung  scharf  von  jener  früheren  über  das 
Wirken  der  Dämonen  getrennt:  dort  ist  von  ihrem  Kampf 
gegen  den  Menschen  überhaupt,  hier  von  ihrer  Rebellion 
cresen  die  Christen  die  Rede:  ein  neues  Beispiel  dafür,  wie 
wohl  überlegt  und  konsequent  durchgeführt  die  Disposition  ist. 

Minucius  spricht  c.  26,  7  ff.,  nachdem  er  die  Nichtigkeit  der  Au- 
spizien und  Orakel  dargetan  hat,  über  die  Dämonen,  um  dem  Einwand 
zu  begegnen,  daß  doch  manchmal  solche  Divination  Recht  behalten  hat. 
Charakteristisch  ist  das  von  vornherein  Schwankende  des  Standpunkts. 
Min.  hatte  zunächst  im  Anschluß  an  Cicero  de  div.  II  und  mit  z.  T. 
wörtlicher  Übernahme  seiner  Beispiele,  die  er  teils  aus  eigener  Kennt- 
nis (Regulus,  Mancinus),  teils  aus  anderer  apologetischer  Quelle  (Am- 
phiaraus,  Tiresias)  vermehrt  hat,  den  Divinationsglauben  als  eitel  Irr- 
wahn bekämpft,  und,  gleichfalls  im  wörtlichen  Anschluß  an  Cicero,  für 
die  wenigen  Ausnahmen  auf  die  Möglichkeit  eines  Zufalls  hingewiesen 
dann  stellt  er  neben  diese  rationalistische  Erklärung  eine  total  ver- 
schiedene, ja  widersprechende,  er  bezeichnet  das  Wirken  der  Dämonen 
als  fontem  ipsum  erroris  et  pravitatis,  unde  omnis  caligo  ista  manavit, 
und  läßt  weiterhin  die  Dämonen  bei  allen  Arten  von  Wahrsagung  tätig 
sein,  wobei  er  nur  die  Orakel  als  fdlsis  pluribus  involuta  bezeichnet. 

Die  Darlegung  über  die  Dämonen  selbst  nun  beginnt  mit  einer 
Bestimmung  ihres  Wesens,  wie  bei  Tert. ;  aber  die  Fassung  ist  anders : 
Spiritus  nint  insinceri,  vagi,  a  caelesti  vigore  terrenis  labibus  et  cupi- 
ditatibus  degravati,  und  dann  posteaquam  simplicitatem  substantiae  suae 
onusti  et  immersi  vitiis  perdiderunt.  Darin  ist  die  biblische  Vorstellung, 
wie  sie  Tert.  rein  wiedergibt  —  de  angelis    corruptis   corruptior  gens 


XXII.  XXIIIJ  Teuti  ij.ians  Apoloqbticüm.  407 

daemonum  —  mit  philosophischen  Vorstellungen  vom  Herabsinken  der 
unlauteren  Geister  in  einer  Weise  verschmolzen,  die  wir  ganz  ähnlich 
bei  griechischen  Apologeten  finden1);  aber  wer  nun  danach  erwartet, 
diese  Vorstellungen  auch  ähnlich  verwertet  zu  lindeu,  wie  es  z.  B.  bei 
Athenagoras  und  Tatian  geschieht*),  wird  enttäuscht:  bei  der  Schilde- 
rung des  Wirkens  der  Dämonen  in  c.  27  erinnert  höchstens  das  ziemlich 
unvermittelt  eingefügte  Sätzchen  sie  a  caelo  deorsum  yravant  et  a  deo 
vero  ad  materias  avocant  an  jene  WeflenBbestimmung, 

Zunächst  wird  an  diese  angeschlossen  eine  sehr  allgemein  ge- 
haltene, rhetorisch  sorgfältig  ausgestaltete  Beschreibung  von  Ziel  und 
Tuu  der  Dämonen,  das  darauf  hinausläuft,  die  Menschen  ihnen  gleich- 
zumachen, vor  allem  dem  wahren  Gott  zu  entfremden.  Nun  erst  folgt 
die  Berufung  auf  die  Heiden:  eos  Spiritus  daemonas  esse  poetae  .rinnt, 
philosophi  dissirunt,  Socrates  novit.  Hier  stutzt  man:  handelt  es  sich 
denn  darum,  zu  bestimmen,  was  die  bösen  Geister  sind?  man  würde 
erwarten:  'solche  Geister  sind  auch  euren  Dichtern  usw.  bekannt,  und 
sie  nennen  sie,  wie  wir,  Dämonen'  —  denn  sicher  konnte  sich  Min.  für 
die  itvsvpurcc,  die  er  geschildert  hatte,  schwerlich  auch  nur  mit  einem 
Schein  des  Rechts  auf  die  'Poeten'  oder  Sokrates  berufen  — ,  oder: 
'wir  nennen  diese  Geister  Dämonen,  und  diesen  Namen  kennen  auch 
eure  Dichter  usw.':  aber  Min.  will,  wie  das  Folgende  zeigt,  nach 
Möglichkeit  auch  betreffs  des  Wesens  der  Dämonen  Übereinstimmung 
mit  den  Heiden  feststellen.  So  ist  ein  bedenklicher  Übergang  ent- 
standen: liest  man  den  wörtlich  anklingenden  Satz  Tert.s:  nee  novutn 
nomen  est:  sciunt  daemonas  philosophi  .  .  omnes  stiunt  poetae,  so  sieht 
man,  wie  die  Tertullianische  Ausdrucksweise  den  Gedanken  des  Minu- 
cius  zu  seinem  Schaden  beeinflußt  hat.  Das  Dämouium  des  Sokrates 
bringt  Min.  wie  Tert. ,  der  es  u.  W.  zuerst  in  diesem  Zusammenhange 
verwertet  hatte:  bei  Tert.,  der  die  Äußerung  des  Sokrates  der  Apologie 
ziemlich   genau  wiedergibt  (eine  Entlehnung  aus  Minucius  wäre  schon 


1)  Dem  Athenagoras  sind  die  bösen  Engel  01  iymsaovTEg  xätv 
oi)Qavü>v,  tieqI  xov  Mqk  £%ovzsg  v.a.1  xr\v  yfjv,  ov%4xi  8  ig  xä  VTtEQOvQccvio: 
vTt£Qw.vtycu  dvvänevoi,  und  die  'Seelen  der  Giganten'  01  itsgi  xov  v.öo- 
pov  7tXavm(i8vOL  dalpovEg  (c.  25  in.);  Tatian  12  p.  13,  15  o't  öui^ioveg,  .  . 
ßvfinri^iv  £$  vXng  Xaßövrsg  XTTjffcatsvoi  xs  xb  nvsvfia  anb  ccvxfjg  aocaxoi 
v.ai  Xl%voi  ysyövccoiv.  Clem.  Protr.  IV  55  öaitiovsg,  ßdsXvgcc  övxsg  Kai 
axu&aQTcc  nvsv^.ara,  ngog  Ttdvxcov  öpoXoyovfitvot  yrjivu  xat  SsieaXioc, 
kccxco  ßQLQ-ovra  e.  q.  s.  (cf.  Plat.  Phäd.  81  ed.). 

2)  Athen,  c.  27 :  den  Angriffen  der  Dämonen  ist  zumeist  ausgesetzt 
tyv%i]  iiaXiGxu  xov  vXikov  TtQogXaßovoa  y.o.1  t'niovyv.Qa&HOa  nvtvucvog, 
ov  Ttgög  xa  ovgdvia  xca  xov  xovxcov  tioit]xt]v  aXXä  näxa  itobg  xa  iixiytu. 
ßXsitov6u  .  .  ovkexi  nvsvaa  kcc&ccqov  yivvoiiEvr}.     Vgl.  Tatian  13. 

Phil. -bist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  31 


4o3  Richard  Heinze:  [XXII.  XXIII 

dadurch  hier  ausgeschlossen),  wird  durch  den  boshaften  Zusatz  zu  de- 
hortatorem  (plane,  a  bono)  sozusagen  die  Subjektivität  der  Auffassung 
kenntlich  gemacht;  bei  Min.  steht  das  farblose  qui  ad  nutum  et  arbi- 
trium  adsidentis  sibi  daemonis  vel  declinabat  negotia  vel  petebat1):  es 
bleibt  dem  Leser  überlassen,  das  mit  der  vorhergehenden  Charakteristik 
des  dämonischen  Wirkens  zu  vereinigen,  was  im  Zusammenhange  des 
Dialogs  um  so  autfallender  ist,  als  die  Verherrlichung  des  Sokrates 
durch  Caecilius  (sapientiae  principe»!  13,  1)  zu  einer  Erwiderung  schon 
hier  hätte  reizen  müssen,  während  sie  nun  erst  später  (38,  5  scurra 
Atticus),  mit  Benutzung  einer  ciceronischen  Notiz  (n.  d.  I  93)  erfolgt. 
Man  glaubt  zu  empfinden,  wie  es  Min.  nicht  übers  Herz  bringt,  den 
dem  Dämon  verfallenen  Sokrates,  wie  es  eigentlich  sein  Gedankengang 
forderte,  als  verlorenen  und  verderbten  Menschen  zu  verdammen:  er 
bleibt  auch  hier  in  der  Halbheit  stecken. 

Er  geht  weiter  zu  den  Magiern,  bleibt  aber  nicht  wie  Tert.  bei 
dem  sciunt  daemonas,  sondern  erwähnt  sogleich  hier,  daß  sie  alle  ihre 
Zaubereien  mit  Hilfe  der  Dämonen  verrichten:  dies  Beispiel  für  die 
tatsächliche  Wirkung  der  Dämonen  gehört  streng  genommen  nicht 
hierher,  wo  im  übrigen  bloß  Belege  für  die  Kenntnis  der  Dämonen 
bei  den  Nichtchristen  angeführt  werden:  Tert.  verwertet  die  Unter- 
stützung, die  die  Dämonen  den  Magiern  leihen,  an  anderer  passenderer 
Stelle  (s.  0.  S.  400  fg.).  Min.  hat  diese  hier  gewählt,  weil  er  auf  die  von 
Tert.  dort  gegebene  Gedankenreihe  verzichtet.  Er  bedient  sich  dabei 
zur  Charakteristik  der  magischen  Gaukeleien  der  gesuchten  und  sach- 
lich leeren  Antithese  vel  quae  non  sunt  videri  vel  quae  sunt  non  videri. 
In  cranz  anderem  Zusammenhang-e.  um  seine  Retorsion  betreffs  Kinder- 
mord  und  Inzest  nachträglich  besser  zu  motivieren,  hatte  Tert.  (IX  20) 
gesagt  haec  in  vobis  esse  si  consideraretis,  proinde  in  christianis  non  esse 
perspiceretis.  idem  oculi  renuntiassent  utrwmque.  sed  caecitatis  duae 
species  facile  concurrunt,  ut  qui  non  vident  quae  sunt,  videre  videantur 
quae  non  sunt.  Hier  ist  die  abschließende  Antithese  nur  der  sentenziös 
pointierte  Ausdruck  des  vorher  ausgesprochenen  Gedankens. 

Min.  begnügt  sich  nicht  mit  der  Berufung  auf  die  namenlosen 
magi,  sondern  zitiert  einen  von  ihnen,  den  berühmten  Zauberlehrer  des 
Demokrit,  Ostanes;  der  'O-urdtsvxog,  der  unter  seinem  Namen  ging  und 

1)  In  dieser  Ausdehnung  der  Tätigkeit  des  sokratischen  Dämo- 
niums  auch  auf  das  Zuraten  wirkt  schwerlich  Kenntnis  der  xenophon- 
tischen  Auffassung  (apomn.  IV  3,  12  7tQ06T]^aivoval  601  a  xz  jjpv;  Ttoisiv 
y.u\  a  \ltj  vgl.  ebd.  I  1,  4),  sondern  Min.  führt  einfach  das  tertullianische 
Socrate  ipso  ad  daemonii  arbitrium  exspectantc  aus,  ohne  die  folgende 
Einschränkung  zu  beachten.  Apuleius  hält  an  der  platonischen  Be- 
schränkung durchaus  fest:  c.  17,  ebenso  z.  B.  Maximus  Tyr.  XIV  6. 


XXII.  XXIII |  Tertullians  Apoloi.i.i  k  i  m.  409 

in  dem  er  sieh  als  Archegeten  der  okkulten  Wissenschaft  gab,  hat  in 
den  ersten  nachchristlichen  Jahrhunderten  offenbar  in  großem  Ansehen 
gestanden  und  Minuciua  kann  das  Buch  recht  wohl  selbst  zur  Hand 
genommen  haben1);  ouagefügt  hat  er  das  Zitat  in  diesen  Zusammenhang 
höchstwahrscheinlich  selbst.  Nachdem  man  von  den  Magiern  gelesen 
hat,  daß  die  Dämonen  in  ihnen  und  durch  sie  Zauberei  und  Gaukel- 
spiel verüben,  überrascht  es,  einen  dieser  Magier  als  Verehrer  des 
wahren  Gottes  kennen  zu  lernen  und  von  ihm  zu  hören,  daß  die  Dä- 
monen Feinde  der  Menschheit  sind  —  ganz  abgesehen  davon,  daß  für 
den  nächsten  Zweck  der  Erörterung  die  Ansichten  des  Ustanes  über 
die  anijdi.  die  Gott  dienen  und  die  sein  Wink  und  Blick  erzittern 
macht,  von  geringer  Bedeutung  sind,  insbesondere  da  Min.  vorher  nicht, 
wie  Tert.,  die  angeli  erwähnt  hat.  —  Endlich  nennt  Min.  Plato,  auch 
er,  wie  Tert.,  insofern  fälschlich,  als  er  ihm  die  Kenntnis  der  äyysXoi 
zuschreibt;  und,  Tert.  auch  hier  ergänzend,  mit  einem  richtigen  aber 
sehr  frei  interpretierten  Zitat  aus  dem  Symposion.2) 

Nach  dieser  Zeugenliste  nimmt  Min.  (27)  den  Faden  weder  auf,  den 
er  hatte  fallen  lassen3):  'diese  unsauberen  Geister  verbergen  sich  unter 
den  geweihten  Statuen  und  Bildern  und  erreichen  es  durch  ihren  An- 
hauch (adflatu  suo),  daß  man  ihnen  göttliche  Wirkung  beimißt' 4) :  dieser 

1)  S.  über  das  Buch  des  Ostanes  und  seine  Erwähnungen  in 
der  ethnischen  (zuerst  Plinius  n.  h.)  und  christlichen  Literatur,  ins- 
besondere auch  in  den  Zauberpapyri,  Abt,  die  Apologie  des  Apuleius 
v.  Mad.  u.  d.  antike  Zauberei  (Gießen  1908;  p.  325,  der  die  ältere 
Litteratur  aufzählt,  dazu  Cumont  Mithra  I  (Brux.  1899)  P-  33  und  Cultes 
et  religions  orientales  p.  307. 

2)  Die  platonische  Definition  des  Scäuav  als  iiszugv  &vr\xov  -/.ul 
a&aväxov  wird  unplatonisch  erklärt :  id  est  inter  corpus  et  spiritum  me- 
dium, terreni  ponderis  et  caelestis  levitatis  admixtione  concretam:  das  ist 
natürlich  nicht  von  Min.  erdacht;  vgl.  Apuleius  de  deo  Socr.  9  von  den 
Dämonen:  id  genus  corporum  texta,  quae  negue  tarn  bruta  quam 
terrea  neque  tarn  levia  quam  aetheria,  sed  quodam  modo  utrimque  seiu- 
gata  vel  enim  utrimque  commixta  sint  .  .  habeant  igitur  liaec  daemonum 
corpora  et  modicum  ponderis,  ne  ad  superna  inscendant,  et  aliquid  levi- 
tatis, ne  ad  infema  praeeipitentur.  Min.  kann  den  Apul.  sehr  wohl 
gelesen  haben;  auch  die  Detaillierung  der  dämonischen  Divinations- 
tätigkeit  c.  27,  1  erinnert  an  Apul.  c.  6. 

3)  Leider  ist  der  erste  Satz  von  c.  27  interpoliert,  und  das  Achte 
nicht  so  sicher  herzustellen,  daß  sich  darauf  bauen  ließe. 

4)  Von  diesen  beiden  Kola  —  sub  Statuts  et  imaginibus  conse- 
crutis  deJitiscunt  et  adflatu  suo  auetoritatem  quasi  praesentis  numinis 
consequuutur  —  hat  er  <las  erste  nach  Tert.s  (ratio)  delitiscens  sub  nomi- 

31* 


aio  Richard  Heinze:  fXXII.  XXIII 

adflatus  wird  dann  in  seinen  verschiedenen  Erscheinungsformen  und 
Wirkungen  vorgeführt:  Inspiration  und  Weissagung  mannigfachster 
Art.  Wenn  ihnen  dabei  Min.  zugesteht,  daß  sie  extorum  fibras  ani- 
mant,  avium  volatus  gtibernant,  sortes  regunt  etc.,  also  genau  dasselbe, 
was  nach  Ansicht  des  Heiden  Apuleius  die  Dämonen  im  Dienste  der 
Götter  tun  l),  so  schreibt  er  ihnen  damit  eine  ans  Göttliche  streifende 
Kraft  zu,  die  den  Glauben  an  diese  Prophezeiungen  ganz  gerechtfertigt 
scheinen  lassen  könnte  —  vorausgesetzt,  daß  den  Dämonen  die  Zu- 
kunft bekannt  ist;  und  da  ja  Min.  diese  ganze  Auseinandersetzung  gibt, 
um  das  Eintreffen  von  Prophezeiungen  zu  erklären,  so  steht  er,  scheint 
es,  dem  heidnischen  Glauben  gar  nicht  so  fern:  anders  als  Tert.,  der 
zwar  auch  zugibt,  daß  die  Dämonen  mit  ihren  Wahrsagungen  ge- 
legentlich recht  behalten,  aber  erstens  von  jenen  Künsten  des  fibras 
animare  usf.  nichts  weiß,  und  zweitens  sich  die  Natur  der  Dämonen 
zunutze  macht,  um  ihnen  jedes  übernatürliche  Wissen  um  die  Zukunft 
mit  Entschiedenheit  zu  bestreiten.  Min.  beeilt  sich  denn  auch  einzu- 
lenken, indem  er  die  Orakel  bezeichnet  als  falsis  pluribus  involuta, 
womit  er  nun  wieder  nach  der  anderen  Seite  zu  weit  geht:  nicht  daß 
auch  die  zutreffenden  Orakel  mehr  Falsches  als  Wahres  enthalten, 
sondern  daß  die  Mehrzahl  der  Orakel  falsch,  einige  wenige  richtig 
sind,  erwartet  man  nach  dem  Eingang  der  Erörterung  (26,7)  zu  hören: 
das  geflügelte  Wort  vom  'betrogenen  Betrüger' 2)  paßt  gerade  hier  nicht, 
wo  Min.  die  zutreffenden  Divinationen  erklären  will.  Min.  aber  erklärt 
es  so:  f einerseits  wissen  sie  die  lautere  Wahrheit  nicht;  anderseits  be- 
kennen  sie  die  nicht,   die  sie  wissen,   zu  ihrem  eigenen  Verderben3)': 


nibus  et  imaginibus  mortuorum  (XXI  31)  gebildet,  indem  er  das,  wo- 
mit Tert.  das  Gesamtwirken  der  Dämonen  als  fGötter'  umschrieb,  ins 
Konkrete  umbildete  (für  die  folgende  Ausführung  z.  T.  wenig  glück- 
lich); das  zweite  antwortet  auf  Caeciliüs'  Bemerkung  (templa)  magis 
sunt  augusta  numinibus  incolis  praesentibus  inquilinis  quam  cultus  in- 
signibus  et  muneribus  opulenta  (7,  5). 

1)  De  deo  Socr.  6  eorum  de  numero  praediti  curant  singuli  pro- 
inde  ut  est  cuique  tributa  provincia,  vel  somniis  conformandis  vel  eoetis 
(issiculandis  vel  praepetibus  gubernandis  vel  oscimbus  erudiendis  vel 
vatibus  inspirandis;  da  auch  Cyprian  idol.  7,  wo  er  Min.  ausschreibt, 
adflatu  suo  vatum  pectora  inspirant  sagt,  so  wird  das  Verbum  inspirare 
an  unserer  Stelle  nicht  anzutasten  sein. 

2)  nam  et  falluntur  et  fallunt:  über  die  verbreitete  Wendung 
(z.  B.  Philo  de  migr.  15  p.  449  M.  von  Zauberern  ccticct&v  §ohovvt£$ 
Ü7t<xTä>vTui)  s.  Wendland  Rhein.  Mus.  49  (1894)  309. 

3)  (Veritatem)  quam  sciunt,  in  perditionem  sui  non  confitentes: 
Waltzing    erklärt   nach    Analogie    des    bald   Folgenden  nee  utique  in 


XXII.  XXIII]  TERTULLIAM8  Apologeticum.  411 

da6  kann  sich  auf  die  Orakel  nicht  mehr  beziehen,  sondern  nur  auf 
das  Wissen  der  Dämonen  um  den  wahren  <iott  und  ihren  eignen 
Trug:  dadurch,  daß  sie  sich  immer  wieder  gegen  Gott  auflehnen, 
verstricken  sie   sich   immer   mehr  in  Schuld;   es  ist  also  fa  lbe, 

was  Tert  ,  an  sehr  viel  geeigneterer  Stelle,  von  den  rebellierenden 
Dämonen  XXVII  7  sagte:  certi  et  inpan  ei  hoc  magis  perditos. 

Da  sonach  von  Wahrheit  in  den  Orakeln  so  gut  wie  nichts  übrig 
geblieben  ist,  kann  Min.  auch  nicht,  wie  Tert..  ans  «1er  Natur  der 
Dämonen  erklären,  wie  sie  zu  ihrem  Wissen  gelangen:  er  gibt  über- 
haupt nur  für  eine  ivegyua  der  Dämonen  eine  Erklärung:  Bie  dringen 
in  den  Menschenleib  ein  occult>  ut  Spiritus  ■  ■  man  wundert  sich, 
das  erst  hier  gesagt  zu  finden,  während  doch  schon  vorher  von 
ihrem  delitiscerc  sub  Statuts,  inspiran  vates  nsf.  »iie  Kede  war,  wofür 
sich  jene  materialistische  Erklärung,  wenn  wir  sie  einmal  gelten  las-'-n 
wollten,  ebensogut  geben  ließ.  Min.  ist  aber  auch  hier  von  Tert.  ab- 
hängig, der  jene  Erklärung,  ausführlieh  begründet,  an  den  Anfang 
ei  Erörterung  stellte,  wo  er  von  der  Einwirkung  der  Dämonen  auf 
Körper  und  Geist  der  Menschen  sprach  (XXII  4.  5):  man  wird  schwer- 
lich annehmen  wollen,  daß  er  diese  mit  seiner  eignen  materialistischen 
Seelenlehre  eng  zusammenhängende  Theorie  aus  den  vier  Worten  des 
Min.  entwickelt  habe. 

Für  die  Heilwunder  gibt  Minucius  die  gleiche  Erklärung  wie 
Justin  bei  Tatian  und  wie  Tert.,  mit  wörtlichem  Anklang  an  diesen  *)  — 
die  angebliche  Heilung  ist  nur  ein  Aufhören  der  schädlichen  ivigysut 
—  aber  er  nennt  als  Motiv  der  Krankheitserregung  ut  ad  cultwn  sui 
cogant,  ut  nidore  altarium  vel  hostiis  pecudum  saginati  .  .  curasse 
videantur,  bezieht  also  speziell  auf  die  Iatrik  das,  was  Tert.  (XXII  6.  7) 
und  die  Früheren 2)  ganz  allgemein  als  Haupte  oder  Nebenzweck  der 
Verführung  zur  Idololatrie  angegeben  hatten:  dabei  fällt  dann  freilich, 
indem  so  die  Heilung  als  unmittelbare  Folge  der  Opfer  erscheint,  das 
für  die  sakrale  Iatrik  Charakteristische  fort,  die  Träume  (Tat.)  und  die 
seltsamen  Heilmittel  (Tert.),  die  im  Traume  vorgeschrieben  wurden. 

Die  Worte  über  die  geistigen  Erkrankungen,  die  beiden  Arten  des 
Wahnsinnes,    stehen    leider    nicht  ganz  fest:    ich  schreibe  mit  Norden 


turpitudinem  sui  .  .  .  mentiuntur  rihr  Verderben  würde  die  Folge  des 
Bekennens  sein1.  Aber  dort  steht  einem  gedachten  in  Purp,  sui  doqui 
das  in  turp.  s.  mentiri  gegenüber  und  wird  verneint:  hier  können 
nach  Gedanke  und  Wortstellung  die  Worte  in  perd.  swi  nur  den  Er- 
folg des  non  con/iteri  angeben. 

1)  Tert.  post  quae  desinunt  Uod-re  et  curassi  creduntur,  Min.  ut 
.  .  remissis  quae  constrinxerant  curasse  videantur. 

2    z.  B.  Athenag.  26. 


^12  Richard  Heinze:  [XXII.  XXIII 

(Gott.  G.  Anz.  1904  p.  307)  Irinc  (hi  codd.)  sunt  et  furentes  quos  in  publi- 
cum videtis  excurrere,  vates  et  ipsi  absque  templo:  sie  insaniunt,  sie  bacchan- 
tur,  sie  rotantur:  par  et  in  Ulis  instigatio  daemonis,  sed  argumentum  dispar 
furoris.  Also  die  'Besessenen',  die  man  auf  den  Straßen  sieht,  und 
die  allgemein  als  dainoncbvTsg  gelten,  benehmen  sich  ganz  wie  die  vates. 
die,  im  Tempel  einer  Gottheit  inspiriert,  für  h'&toi  gelten  (von  diesen 
war  schon  oben  die  Rede:  inspirant  vatibus):  die  Erregung  durch 
den  Dämon  ist  die  gleiche,  nur  das  'Thema'  sozusagen,  der  'Inhalt'  der 
Raserei  ist  verschieden.  Wir  haben  oben  gesehen,  wie  Tert.  durch 
den  Gang  seiner  Beweise  auf  eben  diese  Gleichstellung  von  dcci[Lovi67,7\nxoi 
und  gvdsoi  geführt  wurde:  er  ging  von  den  'Dämonischen'  aus,  und 
bewies,  daß  es  mit  den  'Enthusastischen'  nicht  anders  stehe,  da  ja 
doch  der  Ort  der  Verzückung  keinen  Unterschied  begründen  könne-,  er- 
schloß durchaus  sachgemäß :  compar  exitus  furoris,  et  una  ratio  est  insti- 
gationis.  Min.  dagegen  setzt  die  Wirkung  der  Dämonen  beim  'Enthu- 
siasmus' des  vates  als  erwiesen  voraus,  and  behauptet  nun,  bei  den 
furentes  liege  die  gleiche  Erscheinung  vor:  man  sieht,  die  Argumen- 
tation ist  umgekehrt,  nicht  zu  ihrem  Vorteil,  denn  es  wird  hier  certius 
ex  incerto  gefolgert.  Auch  hier  ist  ein  tertullianisches  Motiv  schlecht 
und  recht  untergebracht,  weil  Min.  auf  die  tertullianische  Beweisreihe, 
in  der  es  seinen  guten  Platz  hatte,  verzichtet. 

Endlich,  ganz  wie  bei  Tert.  am  Schluß  der  Reihe,  die  römischen 
historischen  'Wunder' :  die  Castores  und  Claudia  bei  beiden,  bei  Tert. 
außerdem  Tuccia  und  Domitius,  bei  Minucius  der  von  Juppiter  ge- 
sandte Traum.  Hier  brauchte  Minucius  den  Tert.  nicht:  Octavius 
greift  auf  die  Rede  des  Cäcilius  zurück,  wo  jene  drei  Wunder  neben 
anderen  angeführt  waren;  zwei  davon  konnte  Minucius  bei  Cicero 
finden1),  die  Traumgeschichte  hat  er  aus  irgendeiner  anderen,  histori- 
schen oder  sonstigen  Quelle  gekannt.  Aber  ein  seltsamer  Mißgriff 
Eberts  war  es,  umgekehrt  aus  dieser  Stelle  die  Priorität  des  Minucius 
zu  folgern,  weil  Tert.s  Worte  phantasmata  Castorum  und  navem  cin- 
gulo  promotam  für  die  meisten  Leser  ein  Rätsel  sein  mußten,  während 
sie  bei  Minucius  in  der  Rede  des  Heiden  erklärt  seien;  hat  ja  doch 
Tert.  in  den  beiden  ihm  eignen,  gewiß  nicht  allgemeiner  bekannten 
Beispielen  sich  eben  so  kurz  ausgedrückt,  einfach  weil  er  —  und  mit 
Recht  —  seinem  Publikum  die  Kenntnis  dieser  Dinge  zutraute:  er 
stellte  hier  nicht  höhere  Anforderungen  als  V  1  mit  seinem  Satze  seit 
M.  Aemilius  de  deo  suo  Alburno. 2) 


1)  wenngleich   er   nicht  ausschließlich  Cicero   dabei  benutzt  hat: 
Wilhelm  p.  7. 

2)  Was  Schwenke  p.  272  zur  Stütze  von  Eberts  Behauptung  vor- 
gebracht   hat,    ist    von    Wilhelm    a.  a.  0.    genügend    zurückgewiesen; 


XXII.  XXIII]  Teutullians  Apologeticum.  i  1  j 

Zum  Schluß  bringt  nun  Minucius  den  Beweis  aus  dem  Exorzis- 
mus, dessen  sorgfältige  Ausgestaltung  bei  Tert.  wir  kennen  lernten. 
Freilich,  da  Minucius  nicht  wie  Tert.  die  ganze  Dämonologie  zum 
Zwecke  des  Nachweises  der  Identität  von  Göttern  und  Dämonen  sowie 
der  Gottheit  Christi  bringt,  sondern  nur  zur  Erklärung  der  zutreffenden 
Orakel,  kann  jener  Schlußbeweis  bei  ihm  nicht  das  gleiche  Gewicht 
haben  wie  bei  Tert.  Schon  die  Einführung  gibt  Anstoß:  haec  omnia 
sciunt  pleraque  pars  restrum  ipsos  doemonas  de  semet  ipsis  conftteri, 
quotiens  a  nobis  .  .  de  corporibus  rxiijuntur.  Haec  omnia?  also  ihr  ganzes 
schädliches  und  trügerisches  Wirken?  Das  geht  noch  weit  über  Tert. 
hinaus,  der  doch  schon,  wie  wir  sahen,  den  Bekenntnissen  der  Dä- 
monen einen  reicheren  Inhalt  gibt  als  irgendeiner  der  Früheren.  Aber 
Min.  meint  hier  auch,  ebensowenig  wie  Tert.  im  zweiten  Teil  seiner 
Beweisführung,  ein  ausdrückliches  Geständnis,  vielmehr  nur  das  im- 
plicite  durch  das  Ausfahren  abgelegte:  das  zeigt  der  Nebensatz  quo- 
tiens .  .  exigiintur,  den  wir  ohne  Kenntnis  Tert.s  freilich  schwerlich 
richtig  verstehen  würden,  zumal  da  Min.  nun  sogleich  zum  wirklichen 
Geständnis  übergeht:  ipse  Saturnus  et  Serapis  et  Iuppiter  et  quidquid 
daemonum  Colitis  victi  dolore  quod  sunt  eloquuntur  seil,  esse  se  daemonas: 
wie  nachher  gesagt  ist.  Also  hier  ist  gar  nicht  erst  wie  bei  Tert.  von 
Beschwörung  der  8aiuovi6%r\itxoi,  sondern  sogleich  von  den  Q-söl^nroi 
die  Rede,  nachher  aber  wieder  von  den  Dämonenbeschwörungen  im 
allgemeinen:  der  scharfe  Unterschied,  den  Tert.  macht,  und  auf  dem 
das  Gewicht  seines  Beweises  ruht,  ist  bei  Minucius  verwischt.  Auch 
seine  Auswahl  von  Göttern  fällt  auf:  Tert.s  Virgo  Caelestis  konnte  er 
freilich,  als  zu  speziell  karthagisch,  nicht  brauchen  und  Aesculap, 
dessen  Gottheit  ja  auch  erst  erworben  ist,  gilt  ihm  wohl  nicht  als 
vollwichtig  genug:  so  nennt  er  die  vornehmsten  Götter,  Saturn,  den 
Ältervater  des  ganzen  Geschlechts  (21,  4),  Serapis,  den  ägyptischen 
Hauptgott,  vielleicht  mit  Rücksicht  auf  die  Szene,  die  den  Anlaß  zur 
Disputation  gegeben  hatte  (2,  4,  doch  s.  auch  21,  12),  und  Juppiter  — 
man  darf  freilich  stark  bezweifeln,  ob  gerade  diese  Götter  bei  den 
Exorzismen  oder  in  den  Vorstellungen  vom  Enthusiasmus  wirklich  eine 
große  Rolle  spielten.1) 

In  Übereinstimmung  mit  Tert.  fährt  Minucius  fort  nee  utique  in 
turpitudinem  sui,  nonnullis  praesertim  vestrum  adsistentibus,  mentiuvtvr : 


s.  auch  Hartel  308  fg.     Eine  Untersuchung  freilich  über  die  Quelle,  aus 
der  Tert.  (indirekt)  geschöpft  habe,  halte  ich  für  aussichtslos. 

1)  Bei  Serapis  könnte  man  an  die  neuerdings  viel  verhandelten 
Y.äxo%m,  insbesondere  des  Serapeums  zu  Memphis  denken,  falls  diese 
in  der  Tat  vom  Serapis  Besessene  sind:  aber  es  ist  wenig  glaublich, 
daß  Min.  davon  Kenntnis  hatte  oder  hier  darauf  anspielen  wollte. 


4i4 


Eichard  Heinze:  [XXIV 


ipsis  testibus  esse  eos  daemonas  credite  fassis,  aber  sofort  stoßen  wir 
wieder  an:  adiurati  enim  per  deum  verum  et  solum  inviti  nviseri^sy 
corporibus  irihorrescunt  et  vel  exiliunt  statim  vel  evanescunt  gradatim 
prout  fides  patientis  adiuvat  aut  gratia  curantis  adspirat.1)  Hier  scheint 
es  ja  wieder,  als  bestehe  das  testimonium  lediglich  darin,  daß  die  Dä- 
monen der  Beschwörung  im  Namen  des  wahren  Gottes  nicht  zu  wider- 
stehen vermögen  und  fliehen.  Man  sieht,  Min.  ist  in  seiner  Abhängig- 
keit von  Tert.  zu  keiner  festen  Position  gelangt.  Konsequent  aber 
bleibt  er  sich  darin,  daß  er  (wie  Theophilus  im  gleichen  Falle)  auch 
hier  es  vermeidet,  Christus  zu  nennen.  Einen  raschen  Übergang  zu 
den  gehässigen  Vorurteilen  der  Heiden  gegen  die  Christen  verschafft 
ihm  sodann  der  Satz  sie  Christianos  de  proximo  fugüant,  quos  longe  in 
coetibus  per  vos  lacessant:  man  mag  sich  den  Ausdruck  raus  nächster 
Nähe  fliehen'  gefallen  lassen,  aber  der  entsprechende  tertullianische 
Satz  (XXVII  6)  quos  de  longinquo  oppugnant,  de  proximo  obsecrant,  wird 
doch  ihm  gegenüber  als  das  Original  erscheinen,  zumal  da  sich  dort 
der  Gedanke  aus  dem  Vergleich  der  rebellierenden  Dämonen  mit  den 
nichtsnutzigen  Sklaven,  die  in  Abwesenheit  des  Herrn  ihn  geschädigt 
haben,  ertappt  aber  Strafe  fürchten,  aufs  ungezwungenste  entwickelt. 
Auch  wird  bei  Min.  das  longe  wieder  sogleich  fast  aufgehoben  durch 
das  inserti  mentibus  imperitorum:  bei  Tert.  geht  das  entsprechende  de 
mentibus  vestris  adversus  nos  proeliatur  jenem  anderen  Satz  so  weit 
voraus,  daß  man  keinen  Widerspruch  empfindet.  rAus  Furcht  vor  den 
Christen'2),  sagt  Min.,  fsäen  die  Dämonen  Haß  gegen  sie  aus:  denn 
natürlich  ist's,  den  zu  hassen,  den  man  fürchtet'.  Daist  einmal  vom 
Haß  der  Heiden,  dann  von  dem  der  Dämonen  die  Rede:  es  sind  zwei 
Gedanken  Tert.s  miteinander  verbunden:  einmal  aus  dem  oben  ange- 
führten Kapitel  (XXVII  5):  (daemones)  ut  nequam  servi  metu  nonnum- 
quam  contumaciam  miscent . .  odium  enim  etiam  (vorher  war  von  andern 
Gründen  des  Hasses  die  Rede)  timor  spirat,  und  anderseits  die  Aus- 
führungen des  Proömiums  über  das  odium  nominis  bei  den  Heiden 
(besonders  I  3.  II  18  fg.),  die  Min.  im  letzten  Satz  kurz  resümiert. 

XXIV--XXVI   III.  Retorsion:  die  vera  inreligiositas  der  Heiden. 

XXIV  Bei  der  Retorsion  handelt  es  sich  nicht  mehr  darum,  zu 

zeigen,  daß  die  Heiden  ihre  Götter  unehrerbietig  behandeln  — 

1)  Dies  letztere  eine  bemerkenswerte,  gewiß  richtige  Angabe,  von 
Minucius  wohl  aus  eigener  Beobachtung  geschöpft. 

2)  Per  timorem,  nicht  'dadurch,  daß  sie  Furcht  erwecken',  wie 
erklärt  wird,  denn  von  einer  Furcht  der  Heiden  vor  den  Christen  kann 
nach  Lage  der  Dinge  hier  nicht  die  Rede  sein. 


XXIV]  Tertullians  Apologeticum.  415 

das  ist  vorher  geschehen;  es  handelt  sich  nunmehr  um  das 
crimen  verae  irweligiositatis:  das  begehen  die  Heiden  1.  wenn, 
wie  soeben  nachgewiesen,  die  von  ihnen  nicht  mir  vernach- 
lässigte, sondern  auch  bekämpfte  Religion  die  wahre  Re- 
ligion ist.  2.  Ja  sie  begehen  es  sogar  —  und  dies  ist  ein 
wichtiger  neuer  Gedanke  —  selbst  wenn  man  ihnen  die  Existenz 
ihrer  Götter  zugeben  wollte:  denn  dann  ist  doch  jedenfalls 
der  allgemeinen  Ansicht  nach  einer  der  höchste  und  mäch- 
tigste1), und  wenn  die  Christen  nur  diesen  verehren  wollen, 
so  muß  man  ihnen  das  gestatten,  muß  ihnen  auch  die  Art 
ihres  Kults  überlassen:  irreligiös  ist  es  auch,  die  Religions- 
freiheit zu  nehmen,  die  darin  besteht,  zu  verehren,  was  man 
will  und  nicht  zu  verehren,  was  man  nicht  will:  in  beiden 
Fällen  wird  die  Gottheit  verletzt,  der  einerseits  der  ihr  zu- 
gedachte Kult  entgeht,  andererseits  ein  unfreiwilliger  Kult, 
den  sie  nicht  wünschen  kann,  erzwungen  wird.  3.  In  der  Tat 
wird  den  Ägyptern  ihr  alberner  Tierkult  gestattet:  jede  rö- 
mische Provinz,  ja  jedes  römische  Municipium  hat  seine  eignen, 
nichtrömischen  Götter:  uns  allein  gestattet  man  nicht  unsere 
eigentümliche  Religion:  fwir  verletzen  die  Römer,  gelten  nicht 
für  Römer,  weil  wir  den  Gott  der  Römer  nicht  verehren. 
Glücklicherweise  ist  es  der  Gott  aller  Menschen,  er,  dem 
wir  alle,  mögen  wir  wollen  oder  nicht,  angehören.     Aber  bei 

1)  Tert.  zitiert  als  Beispiel  für  diese  Meinung  der  plerique  (ut 
Imperium  summae  dominationis  esse  ^>n/e.s'  unuix,  officia  eius  penes  mul- 
tos  velint)  Piaton:  Iovem  magnum  in  caelo  comitatwm  exercitu  describit 
deorum  pariter  et  daemonum:  6  phv  öi]  (ityag  i]yf^ujv  iv  oigava)  Zsvg  .  .  . 
nowxog  noQsvixat,  öiav.o6yumv  neevra  Kai  intfiflov^itvog'  rw  S'  irtsreu  axgaTtcc 
fteäv  xs  nccl  baniovwv  Phaedr.  246  e.  Das  Zitat  verdankt  Tert.  gewiß 
nicht  eigner  Platonlektüre :  auch  Athenagoras  verwendet  es,  wo  er  von 
den  Dämonen  spricht  (c.  23)  und  neben  und  nach  ihm  andere,  Heiden 
und  Christen  (Geffcken  p.  213).  Aber  Tert.  scheint  doch  auch  die 
Fortsetzung  bei  Piaton  zu  kennen:  dem  dia.Y.oo\icbv  nuvxu  xcä  £-Jiiy.£iov- 
(isvog  gegenüber  ist  das  fteüv  ysvog  svdaiiiövtüv  .  .  .  ngätttav  tAaerog 
avx<bv  xb  ccvxov,  was  Tert.  offenbar  als  Andeutung  ihrer  officia  faßt. 
Er  überträgt  diese  officia  gleich  ins  Römisch-zeitgenössische:  itaque  opor- 
tere  et  procuraiites  et  praefectos  et  praesides  pariter  respici,  und  bahnt  sich 
damit  den  Weg  zu  seinem  Vergleich  des  höchsten  Gottes  mit  dem  Kaiser. 


41  6  Richard  Heinze:  [XXIV 

euch  o-estatten  die  Gesetze  alles  beliebige  zu  verehren,  außer 
dem  wahren  Gott  —  als  ob  der,  dem  wir  alle  angehören,  nicht 
erst  recht  der  Gott  der  Römer  wäre.'1)  —  So  unbestreitbar 
Tert.  in  der  Sache  und  von  seinem  Standpunkte  aus  recht 
hat,  so  schwach  ist  hier  seine  Argumentation.  Seine  Manier, 
durch  Gleichnisse  zu  beweisen,  haben  wir  schon  mehrfach 
kennen  gelernt:  wenn  er  hier  den  alleinigen  Anspruch  des 
obersten  Gottes  auf  diesen  Namen  mit  dem  alleinigen  An- 
spruch des  Kaisers  auf  diesen  Titel  bekräftigt,  so  läßt  sich  das 
höchstens  durch  die  —  freilich  nicht  nachweisbare  und  auch 
nicht  einmal  wahrscheinliche  —  Annahme  entschuldigen,  daß  die 
Heiden  selbst  den  Vergleich  der  himmlischen  und  der  irdischen 
Rangordnung  den  Christen  entgegengehalten  haben;  die  Manier 
ferner,  menschliche  Psychologie  ohne  weiteres  auf  das  himm- 
lische Reich  zu  übertragen,  begegnet  uns  wieder  in  dem 
einzigen  Argument,  der  gegen  den  Zwang  zum  Kult  angeführt 
wird:  nemo  se  ab  invito  coli  volet,  ne  liomo  guidem  —  selbst 
für  menschliche  Verhältnisse  eine  überaus  anfechtbare  Behaup- 
tung; der  Verweis  endlich  auf  die  freie  Religionsübung  der 
Tioleig  im  Gegensatz  zum  Verbot  der  christlichen  Religions- 
übung ist  ein  altes  Apologetenerbstück,  das  z.  B.  Athenagoras 
als  trjkccvyeg  TtQoöanov  an  die  Spitze  seiner  Schrift  stellt2): 
Tert.  hat  es  romanisiert,  indem  er  die  Kulte  römischer  Pro- 
vinzen   und   italischer  Munizipien 3)   anstelle   der  griechischen 


i)  Laedimus  Romanos  nee  Romani  Jiabemur,  quia  nee  Romanorum 
deum  colimus.  Tert.  sagt  deum,  nicht,  was  zu  erwarten,  deos,  weil  er 
sogleich  die  Identität  des  Gottes,  der  in  Wahrheit  der  Gott  der 
Römer  ist,  mit  dem  der  Christen  behaupten  will:  bene  quod  omnium 
dem  est,  cuius,  velimus  aut  nolimus,  omnes  sumus:  dem  also  auch  ihr 
angehört:  also  ihr  habt  gar  keinen  Grund  anzunehmen,  daß  wir  euren 
Gott  nicht  verehren.  Sed  apud  vos  quodvis  colere  ins  est  praeter  deum 
verum,  quasi  non  hie  magis  Romanorum  sit,  cuius  omnes  sumus:  über- 
liefert ist  magis  omnium,  was  ich  nicht  verstehe:  von  einem  Gott,  der 
in  geringerem  Grade  omnium  ist,  war  ja  nicht  die  Rede:  magis  Roma- 
norum, mehr  nämlich  als  irgend  ein  nur  römischer  Gott. 

2)  Vgl.  Geffcken   160. 

3)  Aus  Varro,  den  er  bei  der  fast  identischen  Liste  !Xat.  II  8  zitiert. 


XXV]  Tertullians  Apologetictm.  417 

Lokalkulte  setzt,  die  er  in  seiner  apologetischen  Quelle  fand 
—  nur  die  Erwähnung  des  ägyptischen  Tierkults  ist  ihm  mit 
Athenagoras  gemeinsam.  Der  Argumentation  seiner  griechi- 
schen Vorbilder  ist  die  Tert.s  insofern  überlegen,  als  er  nicht 
einfach  den  Sonderkult  der  Christen  anderen  Sonderkulten, 
sondern  den  Kult  des  einzig  wahren  Gottes  denen  der  falschen 
und  als  solchen  bereits  erwiesenen  Götzen  gegenüber  stellt; 
auch  begnügt  er  sich  nicht  damit,  aus  jener  Toleranz  anderen 
TTÖlsig  gegenüber  auch  ein  Recht  der  Christen  auf  Toleranz 
zu  folgern,  sondern  er  kehrt  den  Spieß  um  und  folgert  die 
inreligiositas  der  Römer.  Aber  so  wenig  wie  seine  Vorgänger 
will  er  sehen,  was  doch  der  springende  Punkt  ist,  daß  jene 
Völker  und  Städte  mit  ihrem  Kult  den  Reichskult  nicht 
negierten,  wie  es  die  Christen  tun.  Und  doch  sagt  er  das  im 
Grunde  sogleich  selbst:  fwir  werden  anders  als  jene  behandelt, 
wir  gelten  nicht  als  Römer,  weil  wir  den  römischen  Kult 
nicht  teilen':  es  soll  die  Vorstellung  erweckt  werden,  als 
seien  die  Christen  in  der  gleichen  Lage  wie  jene  Provinzialen: 
und  doch  ist  zwischen  der  Verehrung  nichtrömischer  Götter 
und  der  Nichtverehrung  der  römischen  Götter  ein  o-ewaltiger 
Unterschied,  der  Tert.  schwerlich  entgangen  ist.  Und  die 
Schlußfolgerung  sed  apud  vos  quodvis  edlere  ius  est  praeter 
deum  verum  ist  zwar  rhetorisch  überaus  wirksam,  aber  es 
wird  dabei  nicht  erwähnt,  daß  das  colere  deum  verum  im 
christlichen  Sinne  zugleich  den  Kult  irgend  eines  anderen 
Gottes  ausschließt:  daß  an  sich  die  Römer  gegen  den  Christen- 
gott nichts  eingewandt  haben  würden,  wenn  er  sich  mit  einer 
Stellung  begnügt  hätte,  wie  sie  jeder  andere  Gott  einnahm, 
das  weiß  ja  Tert.  recht  wohl.  Der  zitierte  Satz  ist  nun  zu- 
gleich eine  sehr  effektvolle  Steigerung  des  Vorwurfs  der 
inreligiositas:  das  oppugnare  deum  verum,  von  dem  Tert.  aus- 
ging, ist  sehr  viel  ärger  dadurch,  daß  es  zu  einem  null  um 
deum  oppugnare  nisi  verum  wird. 

Darüber,   was  wahre   und   was   falsche  Gottheit  ist,   will  XXV 
Tert.  nach  dem  früher  Bewiesenen  kein  Wort  mehr  verlieren: 
aber,  quoniam  Romani  nominis  proprie  intercedü  auetoritas,  will 


41 8  Richard  Heinze:  [XXV 

er  eleu  Einwand  erledigen,  daß  die  Römer  die  Weltherrschaft 
pro  merito  religiositatis  diligentissimae  erhalten  haben.  Die 
starke  Betonung  des  nomen  Romanum  am  Schluß  des  vorigen 
Abschnitts  (auch  abgesehen  von  meiner  Konjektur  in  den  letzten 
Worten),  der  Anspruch  der  Römer  auf  Beachtung  gerade  ihrer 
Götter,  leitete  zu  diesem  Einwand  über:  der  Vorwurf  der 
inreligiositas,  so  wenden  sie  ein,  werde  durch  die  Tatsache  ihrer 
Weltherrschaft  widerlegt,  zu  der  ihnen  gerade  das  Gegenteil, 
höchste  religiositas,  verholfen  habe1):  dadurch  eben  beweisen 
die  Götter  ihre  Existenz,  daß  sie  die,  die  ihnen  vor  anderen 
dienen  (officium  faciunt),  auch  vor  anderen  erhöhen.  Das 
Argument  für  die  r  Richtigkeit'  des  römischen  Staatskultes 
ist  gewiß  unendlich  viel  öfter  vorgebracht  worden,  als  wir  es 
nachweisen  können;  in  der  Tat  mußte  sich  ja,  da  der  Staats- 
kult den  einzigen  Zweck  verfolgt,  die  Götter  dem  Wohl  des 
Staats  geneigt  zu  machen,  ohne  weiteres  aus  dem  unaufhalt- 
samen Wachstum  des  Staates  für  jeden  ergeben,  daß  die  ge- 
troffenen religiösen  Maßnahmen  die  richtigen  waren.  In  ganz 
anderem  Sinne,  als  einst  Polybios  (VI  56)  die  ÖeKSidcayiovia 
der  Römer  als  den  Hauptvorzug  des  römischen  TtolCrsv^K  vor 
anderen  bezeichnet  hatte,  ließ  Cicero  seinen  Baibus  de  nat. 
deor.  II  2  fg.  ausführen,  daß  die  Existenz  der  Götter  sich  aus 
der  Geschichte  Rom  erweisen  lasse,  indem  Erfolg  und  Miß- 
erfolg von  der  Beobachtung  und  Vernachlässigung  der  religiösen 
Vorschriften  abgehangen  habe,  und  erwähnt  nebenbei  (3,  8), 
daß  die  Überlegenheit  der  Römer  über  die  fremden  Völker 
religione,  id  est  cultu  deorum  bestehe:  ein  Gedanke,  den  er  einst, 
lange  Jahre  vorher,  im  Senat  ausführlicher  geäußert  hatte.2) 

1)  Den  engen  Zusammenhang  mit  dem  vorigen  Abschnitt  hat 
Ebert  übersehen,  wenn  er  p.  365  (vgl.  345)  diesen  hier  als  ^selbst  der 
Form  nach  ganz  offenbares  Einschiebsel'  bezeichnet  und  p.  353  alle 
engere  Verbindung  mit  dem  Vorhergehenden  leugnet;  freilich  wurde 
ihm  das  Verständnis  etwas  dadurch  erschwert,  daß  er  noch  die  Lesart 
der  geringeren  Handechr.  quoniam  tarnen  Bomani  nomin  is  proprie 
mentio  oecurrit  vor  Augen  hatte. 

2)  De  harusp.  resp.  9,  18  fg. ,  wo  Cicero  zunächst  seinen  hohen 
Respekt    vor    den    religiösen    Einrichtungen    der   Väter  ausdrückt,    in 


XXV  3—9]  Tertüllians  Apologeticum.  419 

Die  echt  römische  Auffassung  freilich,  die  auch  Tert.  zu- 
grunde legt,  daß  die  Größe  Roms  der  Lohn  für  die  den 
Göttern  erwiesenen  officio,  sei,  tritt  deutlicher  z.  B.  bei  Vale 
rius  Max.  I  1,  8  hervor,  der  die  Größe  des  Reiches  aus  dem 
exactissimus  cuUus  caerimoniarum  herleitet.1)  Aber  es  bedarf 
weiter  keiner  Zitate:  dis  tc  minorem  quodgeris,  imperas  konnte 
auch  zu  Tert.s  Zeit  noch  jeder  Römer,  der  am  alten  Glauben 
in  irgend  einer  Form  festhielt,  als  Motto  über  die  Geschichte 
des  Imperium  setzen,  und  es  ist  durchaus  nicht  nötig  an 
zunehmen,  daß  irgend  eine  bestimmte,  literarische  Apologie 
der  römischen  oder  Bekämpfung  der  christlichen  Religion  den 
Tert.  zu  dieser  seiner  Erwiderung  angeregt  habe. 

Seine  Gegenargumentation  ist  diese:  1.  Die  Entlohnung  XXV  3— 9 
für  geleistete  Dienste,  der  Vorrang  vor  anderen  Völkern,  ist 
dem  römischen  Volk  gewiß  von  römischen  Göttern  --im  engeren 
Sinne  —  gewährt  worden?  Sterculus,  Mutunus,  Larentina 
haben  das  imperium  geschaffen?  Die  Annahme  ist  so  lächer- 
lich, daß  sie  in  sich  zusammenfällt;  und  doch  ist  sie  den 
Gegnern  unentbehrlich,  denn  fremde  Götter  werden  doch  ihre 
eignen  Völker  nicht  einem  anderen,  überseeischen,  ausgeliefert 
haben.  Bei  Cybele  wäre  es  noch  denkbar,  daß  sie  in  den 
Römern  die  künftigen  Besieger  der  Griechen,  ihrer  alten 
Feinde  sah,  aber  Juppiter  hätte  gewiß  allen  Grund  gehabt,  sein 
Creta  zum  Haupt  der  Welt  zu  machen,  Creta  —  wo  er  doch  be- 


denen  sich  die  nachträglich  auch  von  den  Philosophen  gelehrte  Über- 
zeugung vom  Dasein  und  Weltregiment  der  Götter  äußere:  eorum 
numine  hoc  tantum  imperium  esse  natum  et  auctum  et  retentum-,  der  Ab- 
schluß: pietate  et  religione  atque  hac  una  sapientia,  qaod  deorum  numine 
omnia  regt  gubemarigue  perspeximus,  omnes  gentes  nationesgue  supe- 
ravimus.  Auf  den  Kult  wird  hier  (absichtlich?)  weniger  Gewicht  ge- 
legt als  auf  die  religiöse  Gesinnung;  anders  als  in  de  nat.  deor.,  wo 
religio  und  cultus  deorum  gleichgesetzt  werden. 

1)  non  mirum  igitur,  si  pro  eo  imperio  augendo  cmtodiendoque 
pertinax  deorum  indulgentia  semper  excubuit,  qiio  tarn  scrupidosa  cum 
parvula  quoque  momenta  religionis  examinari  videntur,  quia  numquam 
remotos  ab  exactissimo  cultn  caerimoniarum  oeülos  habuisse  nostra  civitas 
existimanda  est. 


420  Richard  Heinze:  [XXV  3—9 

graben  liegt.  Und  Juno  hätte  ihr  geliebtes  Karthago  niemals 
freiwillig  den  Römern  ausgeliefert;  aber  sie  vermochte  nichts 
gegen  das  Fatum  —  und  doch  haben  die  Römer  dem  Fatum 
nicht  einmal  so  viel  Ehre  erwiesen  wie  der  Dirne  Larentina, 
der  'römischen'  Göttin.  —  Die  Deduktion  ist  echt  tertullianisch 
scharfsinnig,  spitzfindig,  witzig  und  —  schief.  Ob  der  Apologet, 
der  hier  wieder  einmal  zum  Satiriker  wird,  wirklich  geglaubt 
hat,  irgend  einen  von  denen,  die  es  mit  dem  hier  bestrittenen 
Glauben  ernst  meinten,  durch  solche  Polemik  zu  überzeugen? 
Bestenfalls  doch  nur  den,  der  seine  Prämissen  zugab:  sehen 
wir,  welche  dies  sind. 

Zunächst:  Tert.  unterscheidet  zwei  Klassen  von  Göttern, 
die  Romani  und  die  peregrini;  als  Beispiele  der  ersteren  nennt 
er  Sterculus,  Mutunus  und  Larentina,  als  Beispiele  der  fremden 
Cybele,  Juppiter  und  Juno.  Das  entspricht  nicht  der  zu  Tert.s 
Zeit  gültigen  Einteilung  der  sacra  in  Romano,  und  peregrina1), 
wobei  die  peregrina  die  barbarischen,  in  den  Staatskult  nicht 
rezipierten  waren;  es  entspricht  im  Prinzip  der  älteren,  von 
Verrius  Flaccus  vertretenen  Auffassung2),  wonach  peregrina  alle 
sowohl  aus  dem  stammverwandten  wie  aus  dem  stammfremden 
Auslande  in  Rom  rezipierten  sacra  sind;  nur  daß  auch  unter 
diesem  Gesichtspunkte  Juppiter  und  Juno,  die  ja  dem  ältesten 
römischen  Götterkreise  angehören,  niemals  als f  fremde'  gegolten 
haben.  Entweder  hat  also  Tert.  hier  auf  eigene  Faust  die  römische 
Auffassung  korrigiert,  indem  er  statuierte,  da  Juppiter  in 
Creta  geboren,  Juno  ursprünglich  Roms  Feindin  gewesen  sei, 
so  gehörten  sie  zu  den  di  peregrini  so  gut  wie  Cybele;  oder, 
was  mir  wahrscheinlicher  ist,  weil  es  den  Einfall  erklärt, 
die  vorgebliche  Förderung  Roms  auf  die  sog.  di  Romani  zu 
beschränken,  Tert.  hat  sich  einer  Einteilung  der  Götter  er- 
innert, die  er  Nat.  II  9  vorbrachte:  dort  scheidet  er  einerseits 
communes  (die  die  Römer  mit  allen  anderen  gemein  haben) 
und  propra3),    die   speziell  römischen,  unter  denen   er  auch 

1)  Wissowa,  Religion  der  Römer  79. 

2)  Festus  p.  237.     Wissowa  a.  a.  0.  40. 

3)  Diese  nennt  er  auch  Apol.  X  5 :  per  singulos  decurram,  tot  ac 


XXV  3— 9]  Tektullians  Apologetici  m.  421 

Sterculus,  Mutunus  und  Larentina  aufzählt;  diese  Einteilung 
ist  ihm  aber  identisch  mit  der  anderen  in  adventicii  und 
publici.1)  Durch  diese  (mißverständliche)  Gleichsctzung  mag  er 
sich  also  dazu  berechtigt  geglaubt  haben,  Juno  und  Juppiter,  da 
sie  nicht  prqprii  sind,  zu  den  advetüicü  zu  rechnen,  also  um 
die  Terminologie  des  Apol.  zu  brauchen,  sie  als  peregrini  von 
den  eigentlichen  di  Romani  (den  proprii)  auszuschließen.  Wie 
dem  auch  sein  mag;  soviel  ist  klar,  daß  diese  erste  Voraus- 
setzung seines  Arguments  im  Glauben  der  Körner  selbst,  den 
er  doch  bekämpft,  keinerlei  Stütze  hat. 

Die  Durchführung  aber  wird  ihm  ermöglicht  nur  durch 
eine  zweite  Voraussetzung,  die  uns  nunmehr  bei  ihm  bereits 
vertraut  ist:  die  nämlich,  daß  es  in  den  himmlischen  Kegionen 
genau  so  zugeht  wie  auf  Erden:  daß  also  z.  B.  Juppiter  aus 
Anhänglichkeit  an  sein  Heimatsland  und  im  Banne  süßer 
Kindheitserinnerungen  Creta  den  Ruhm  der  Weltherrschaft 
eher  gegönnt  hätte  als  jeder  anderen  Stadt:  eine  Fiktion,  die 
freilich  jedem  Heiden,  auch  dem  Euhemeristen,  der  an  den 
einst  in  Creta  geborenen  und  dann  dort  begrabenen  Menschen 
Juppiter  glaubte,  völlig  absurd  vorkommen  mußte.  Eher  ließ 
sich  hören,  was  Tert.  von  Juno  sagt:  daß  sie  nur  widerstrebend 
Karthago  den  Römern  preisgegeben  hatte,  war  ja  in  der  Tat 
wenigstens  poetische  Tradition.  —  Auf  ein  paar  satirische 
Einlagen  Tert.s,   die  Kurzsichtigkeit   der  'Göttin'  Cybele,  die 


tantos  .  .  .  Romanos  peregrinos,  captivos  adoptivos  (dies  sind  die  beiden 
von  Fest.  237  geschiedenen  Kategorien  der  peregrini),  proprios  communes 
e.  q.  s. :  daraus  ließe  sich  aber  eine  Gleichsetzung  der  Romani  und 
proprii  einerseits,  der  communes  und  peregrini  andererseits  nicht  ent- 
nehmen. 

1)  Nach  Wissowäs  wahrscheinlicher  Vermutung  (Ges.  Abh.  184) 
hat  Tert.  diese  Bezeichnungen  selbst  eingeführt  anstelle  der  aus  Varro  ihm 
bekannten  novensides  und  indigites,  welche  Einteilung  er  dann  aller- 
dings gänzlich  mißverstanden  hätte.  Es  spricht  aber  dafür,  daß  er 
XXV  10  nach  der  zweiten  Erwähnung  des  Sterculus  sagt  sed  postea 
Romani  cum  indigitamentis  suis.  Uli  bestreitbar  ist  ja,  daß  Tert.  in 
eben  jenem  Kapitel  Varros  tripertita  divisio  der  dei  certi,  incerti  und 
selecti  gröblich  mißverstanden  hat. 


422  Richard  Helnze:  [XXV  10.  n 

Ohnmacht  der  Juno  und  die  Undankbarkeit  der  Römer  gegen 
die  fata  brauche  ich  nicht  einzugehen:  sie  entsprechen  dem 
fast  übermütigen  Ton  des  ganzen  Abschnitts. 
XXV  io.  n  2.  'Eure  Götter  waren  in  ihrer  Mehrzahl  einst  Könige. 
Wenn  also  die  Götter  die  Macht  haben,  die  Herrschaft  zu 
übertragen,  von  wem  haben  denn  dann  sie,  als  sie  selbst 
herrschten,  diese  Gunst  erfahren?  Saturn  und  Juppiter  — 
sie  haben  wohl  einen  Sterculus  verehrt?  Aber  selbst  das 
ist  nicht  möglich:  denn  als  Saturn  und  Juppiter  herrschten, 
gab  es  noch  keine  Römer  und  keine  römischen  indigitamenta 
(diese,  und  damit  die  di  proprii  der  Römer,  sind  ja  erst  von 
den  römischen  Königen  eingeführt).  Und  was  die  Götter 
betrifft,  die  selbst  nicht  Könige  waren,  so  haben  doch  auch 
sie  auf  Erden  unter  der  Herrschaft  von  Königen  gelebt,  die 
noch  nicht  ihre  Verehrer  waren,  da  sie  selbst  noch  nicht 
Götter  waren.  Also,  da  es  Könige  lange  vor  der  Erhebung 
dieser  Verstorbenen  zu  Göttern  gab1),  sind  es  nicht  sie,  die 
die  Herrschaft  verleihen'.2)  —  Man  sieht,  es  handelt  sich  bei 
diesem  Argument  nicht  um  die  Verleihung  der  Herrschaft 
an  ein  Volk,   sondern   an    die  Person   des  Regenten.     Es   ist 

7  O 

also  stillschweigend  die  Voraussetzung  gemacht,  daß  in  bei- 
den Fällen  die  Geber  die  gleichen  sein  müssen;  erleichtert 
und  wohl  auch  herbeigeführt  ist  diese  Voraussetzung  dadurch, 
daß  die  Ausdrücke  Imperium  conferre  und  regnum  dare  auf 
beides  anwendbar  sind.  Zudem  kann  der  Satz  ut  praeter 
ceteros  floreant,  qui  Ulis  officium  praeter  ceteros  faciunt,  gegen 
den  sich  Tert.  wendet,  auf  den  einzelnen  ja  so  gut  wie  auf 
die  Völker  bezogen  werden.  —   Voraussetzung  ist  ferner,  wie 

i)  multo  antequam  isti  dei  inciderentur :  ''pro  insculpere  vel  sta- 
tuis  effingere'1  Oehler  falsch.  Die  von  Oehler  erwähnte  anonyme  Kon- 
jektur indicerentur  ist  annehmbar. 

2)  Der  ganze  Passus  ist  von  Ebekt  gänzlich  mißverstanden  wor- 
den, aber  auch  Hartel  war  in  seiner  Erklärung  S.  352  fg.  nicht  viel 
glücklicher;  er  irrte  u.  a.  darin,  daß  er  annahm,  in  dem  ganzen  Ab- 
satz sei  nur  von  den  di  vernaculi  die  Rede.  Der  richtigen  Auffassung 
ist  Kellner  (Ausgew.  Schriften  des  Sept.  Tert.  übersetzt,  Kempten  1871, 
I  p.  49)  ganz  nahe  gekommen. 


XXV  i2.  13]  Tbrtüllians  Apologeticum.  423 

billig,  daß,  was  ja  früher  (X)  bewiesen  war,  die  Götter  sämt- 
lich einst  Menschen  gewesen  sind;  von  ihrer  Stellung  als 
Menschen  war  dort  nicht  die  Rede,  und  für  seine  jetzige  Be- 
hauptung plures  deos  reifnasse  bedarf  Tert.  keines  Beweises, 
da  er  ja  das  si  qui  non  regnaverunt  daneben  offen  läßt.  In 
der  Tat  gelten  ja  bei  Euhemerus  (Diod.  V  i,  8)  z.  B.  Ura- 
nos,  Kronos,  Zeus  als  Könige,  aber  andererseits  sind  6xquti]yqi 
nai  vavKQ%oi  xccl  ßaövlslg  nach  Plutarch  (de  Is.  et  üsir.  23) 
die  einstigen  Träger  der  Götternamen  zufolge  der  [&qu  üvc- 
ygacpt]:  man  sieht,  daß  Tert.  auch  hier  sich  genau  an  die 
Aussagen  seiner  Gegner  hält.  —  Unter  den  dei  vestri  sind, 
wie  die  Beispiele  Saturn  und  Juppiter  zeigen,  die  gesamten 
di  Romani  im  weiteren,  nicht  wie  im  vorigen  Absatz  im 
engeren  Sinne  zu  verstehen:  trotzdem  ist  an  der  Fiktion  fest- 
gehalten, daß  als  Verleiher  der  Herrschaft  nur  die  di  proprii 
gelten  können,  um  die  komische  Vorstellung  zu  wecken,  daß 
.Juppiter  einem  Sterculus  seine  Herrschaft  verdanke,  Avas  docli 
dann  gleich  durch  den  Hinweis  auf  das  verhältnismäßig  ge- 
ringe Alter  dieses  Sterculus  abgelehnt  wird.  An  sich  ist  die 
Beschränkung  auf  die  di  proprii  hier,  wo  es  sich  um  die 
Herrschaft  von  Nichtrömern  handelt,  durch  nichts  gerecht- 
fertigt. 

3.  rDie  Größe  Roms  kann  nicht  durch  Religiosität  XXV  12.  1; 
erworben  sein,  da  die  Religion  erst  nach  Begründung  des  Im- 
perium oder,  was  es  damals  noch  war,  des  regnum1)  sich  ent- 
wickelt hat.  Denn  wenn  auch  die  abergläubische  peinliche 
Religionsordnimg  (curiositas  superstitiosa)  eine  Erfindung  des 
Numa  ist,  so  gab  es  damals  doch  weder  Götterbilder  noch 
Tempel,  überhaupt  keinen  prunkvollen  Götterkult:  all  das  ist 
erst  von  außen,  durch  Griechen  und  Etrusker  eingeführt 
worden.  Also  ist  die  Größe  Roms  im  Verhältnis  zur  religio 
ein  ante  hoc,  somit  kein  ob  hoc\  —  Die  Tatsachen,  auf  die 
sich  Tert.  hier  stützt,  verdankt  er  Varro;  der  Gebrauch,  den 

1)  Post  im /irrtum  sive  adhuc  regnum:  die  letzten  Worte  heißen 
nicht  'post  ilhtd  tempus  cum  adhuc  reges  Romae  erant',  nach  der  Iv">- 
nigszeit  (Rauschen),  sondern  rnach  Einsetzung  des  regm<m\ 

Phil.-hist.  Klasse  1910.     IUI.  IAH.  32 


424  Richard  Heinze:  [XXV  14—17 

er  davon  macht,  frappiert.  Wie  kann  Tert.  hier  die  religio- 
sitas  gleichsetzen  mit  dem  entwickelten  Kult  seit  der 
Herrschaft  der  Tarquinier?  Daß  es  schon  vorher  eine  religio, 
wenno-leich  eine  frugi  religio  gegeben  habe,  sagt  er  ja  selbst. 
Offenbar  ist  die  Voraussetzung,  daß  das  Wesentliche  an  der 
Relioion,  der  die  jetzigen  Römer  ihre  Größe  zuschreiben,  der 
Bilderdienst  und  zwar  in  seiner  jetzigen  Form  ist:  darum  die 
pointierte  Bezeichnung  jenes  alten  Zustandes:  deus  ipse  nus- 
quam,  Wenn  nun  Tert.  früher  (z.  B.  XIV)  deos  und  simulacra 
streng  zu  scheiden  versucht  hatte,  so  lief  doch  schon  ebenda 
die  Gleichsetzung  beider  mit  unter,  und  in  der  Tat  waren  sie 
ja  im  Kult  identisch.  Bedenklicher  ist  es,  daß  Tert.  schon  in 
jener  alten  Zeit  das  erfüllt  sieht,  worauf  sich  seine  Gegner  be- 
rufen, die  Größe  Roms  (non  ante  religiosi  quam  magni):  er  ver- 
steht darunter  offenbar,  da  er  im  folgenden  sagt  omne  regnum 
bellis  quaeritur,  nicht  die  Königsherrschaft  als  Verfassungs- 
form, sondern  die  Herrschaft  einer  Stadt  über  andere,  die 
Begründung  eines  'Reichs':  wenn,  so  schließt  er,  die  Römer 
ihre  ersten  Erfolge  nicht  der  Religion  verdanken,  so  gilt  das 
Gleiche  für  das  fernere  Wachstum.  Die  Relativität  des  Be- 
griffes magnus  und  die  Willkür  in  der  Bestimmung  des  Be- 
griffs religio  ermöglichen  den  lediglich  rhetorisch  wirksamen 
Schluß  non  ob  hoc  magni  quia  religiosi. 
XXV  14—17  4.  Das  Gegenteil  ist  richtig:  Rom  verdankt  seine  Größe 
der  inreligiositas.  Nämlich:  die  Größe  des  Reiches  beruht 
auf  siegreichen  Kriegen;  dabei  werden  in  den  eroberten  und 
zerstörten  Städten  regelmäßig  auch  die  Tempel,  die  Priester, 
das  heilige  Gut  nicht  verschont,  Kriegsbeute  sind  die  Bilder 
der  'gefangenen'  Götter.  Und  die  sollten  sich  nicht  nur  von 
ihren  Feinden  verehren  lassen,  sondern  ihnen  gar  die  Welt- 
herrschaft zusprechen?  (in  Wahrheit  freilich,  schiebt  Tert. 
ein,  hat  weder  Beleidigung  noch  Kult  etwas  zu  bedeuten:  die 
f  Götter'  empfinden  beides  nicht).  Also,  da  Religions Verletzung 
und  Wachstum  des  Reichs  Hand  in  Hand  gingen,  verdankt 
das  Reich  sein  Wachstum  nicht  der  Religion.  —  Hier  sind, 
ganz  anders  als  in   1 ,   die  'Götter5  als  Einheit  gefaßt,  ja  die 


XXV  17 — XXVI]        Tekti:i.i.ians  Apologeticum.  425 

di  captivi  in  den  Vordergrund  gerückt,  sowie  das,  was  die 
Gegner  selbstverständlich  nur  von  der  römischen  Religion 
behaupteten,  auf  die  'Religion'  im  allgemeinen  bezogen;  ein 
Versuch,  sieh  auf  den  Standpunkt  der  Gegner  einzulassen,  ist 
also  auch  hier  nicht  gemacht,  aber  der  Kult  der  di  captn-i 
advokatorisch  geschickt  ausgenutzt. 

5.  Auch  die,  deren  Reiche  ins  Imperium  Romanum  XXV  17— XXVI 
aufgegangen  sind,  hatten,  als  sie  sie  verloren,  Religionen1)  — 
hätten  also,  das  ist  der  Zwischengedanke,  bis  zu  diesem 
Zeitpunkte  sich  ebenso  gut,  wie  die  Römer  jetzt,  durch  die 
Gnade  ihrer  Götter  emporgehoben  dünken  können.  Sie  sind 
gefallen:  so  wird  also  wohl  die  Herrschaft  verleihen  und 
wieder  nehmen  der  Beherrscher  der  Welt  und  der  Menschen, 
der  vor  aller  Zeit  war,  der  auch  schon,  als  es  noch  keine 
Städte  gab,  über  dem  Menschengeschlecht  war.  Wie  Rom 
und  seine  Herrschaft  älter  ist  als  seine  'Religion'2),  so  hat 
es  vor  dieser  Religion  mit  all  ihren  Priestertümern  andere 
große  Reiche  gegeben3);  und  schließlich,  der  sicherste  Beweis 
dafür,  daß  nicht  die  römische  Religion  die  Herrschaft  ge- 
währleistet, ist  das  einstige  Reich  der  Juden,    der  Verächter 


1)  Dieser  Satz  ist  weder  Abschluß  des  vorigen  Arguments,  noch, 
wie  Eeert  meinte,  ein  selbständiges,  sondern  die  Einleitung  zu  der 
folgenden  Betrachtung  über  die  vices  dominationum  —  zugleich,  wie 
ich  meine,  eine  versteckte  Warnung,  daß  auch  das  Imperium  Ro- 
manum nicht  aeternum  sei. 

2)  .  .  Borna  ante  regnacit  quam  tantus  ambitus  Capitolii  exstrue- 
retur-.  damit  wird  wiederholt,  was  schon  vorher  (zu  3)  gesagt  war:  aber 
dort  war  die  Schlußfolgerung  ergo  non  ob  hoc  magni  quia  religiosi, 
hier  ist  die  durch  die  Einleitung  gegebene  Folgerung:  ergo  itou  dei 
sed  verus  dem  regnum  dedit. 

3)  Aufgezählt  werden,  jedesmal  einem  römischen  Priestertum 
gegenübergestellt,  Babylonier,  Meder,  Ägypter,  Assyrei  und  —  zum 
überraschenden  Schluß,  und  als  Gegenstück  zu  den  Vestalen  —  die 
Amazonen,  also  lauter  große  Reiche  (auch  die  Amazonen  haben  ja 
ihre  Herrschaft  weithin  über  Kleinasien  ausgebreitet),  aber  keineswegs 
'Weltreiche',  oder  auch  nur  die  jedesmal  mächtigsten:  das  sind  ja  auch 
die  Ägypter  nie  gewesen,  noch  weniger  die  Juden,  die  freilich  für 
sich  stehen. 


42  6  Richard  Heinze:  [XXY  17 — XXVI 

aller  eurer  Gottheiten1)  —  deren  Gott  ihr  doch  einst  geehrt 
habt  (euren  eignen  Göttern  zum  Trotz)  —  und  die  ihr  Reich 
nun  auch  verloren  haben,  nur  weil  sie  sich  an  Christus  ver- 
sündigten. —  Also,  nach  der  durch  alle  erdenklichen  Gründe 
Gestützten  Negation  zum  Abschluß  die  Position,  der  Hinweis 
auf  den  wahren  Geber  aller  irdischen  Macht.  Freilich  tritt 
dieser  Wahrheit  dann  nochmals  der  error  der  Gegner  gegen- 
über (quid  erratis?),  aber  was  Tert.  diesem  error  jetzt  vorhält, 
hätte  in  der  früheren  Reihe  von  Argumenten  keine  Stelle 
o-ehabt.  Dort  hätte  der  Gegeneinwand  auf  der  Hand  gele- 
gen:  'die  Überlegenheit  unsrer  Religiosität  zeigt  sich  eben 
darin,  daß  wir  alle  diese  Reiche  überwunden  haben';  hier  ist 
diesem  Einwand  von  vornherein  die  Spitze  abgebrochen  durch 
den  ernsten  Hinweis  auf  die  vices  dominationum  und  darauf, 
daß  allem  zeitlichen  Wechsel  der  eine,  zeitlose  Gott  gegen- 
übersteht. Die  Warnung,  die  hierin  liegt,  wird  verstärkt 
durch  die  letzten  Worte:  wenn  Juda  fiel,  weil  es  gegen 
Christus  sündigte  —  wie  wird  nicht  auch  Rom  fallen,  wenn 
es  fortfährt,  Christus  in  seinen  Anhängern  zu  verfolgen? 
Tert.  spricht  das  nicht  aus;  aber  man  darf  es  genial  nennen, 
wie  er  hier,  am  Schluß  seiner  ganzen  Erörterung  über  die 
laesa  religio,  dem  nationalen  Stolz  auf  das  Imperium  Eomanum 
als  den  vor  aller  Augen  liegenden  Beweis  für  die  Trefflich- 
keit der  römischen  religio  entgegen  hält  die  verschleierte 
Mahnung,  daß  dies  Imperium  Momanum  auch  nur  eine  Gnade 
des  wahren  Gottes  ist  —  und  zwar  eine  widerrufliche  Gnade. 

Minucius  läßt  c.  6  den  Caecilius  eine  ähnliche  These  aufstellen, 
wie  die  hier  von  Tert.  bekämpfte;  freilich  wird  dabei  weniger  Gewicht 
gelegt  auf  das  praeter  ceteros  officia  dis  facere,  vielmehr  aufs  schärfste 
betont  das  religiöse  Verhalten  der  Römer  im  Kriege,  als  dem  Mittel, 
durch  welches  die  Weltherrschaft  errungen  ist:  durch  die  Art  ihrer 
Kriegführung,  ihre  virtus  religiosa,  so  wird  behauptet,  haben  die  Römer 
ihre  Erfolge  verdient;  daß  die  Götter  diese  Erfolge  verliehen  hätten, 
wird  nicht  ausdrücklich  erwähnt.    Dieser  Gedankengang  konnte  jeden- 

1)  despectrix  com  mnnium  isiarum  divinitatum :  also  nicht  nur 
der  di  proprii  Romanorum,  sondern  auch  der  'großen'  Weltgottheiten, 
eines  Juppiter  usf. 


XXV]  Tertullians  Apologeticum.  427 

falls  auB  der  Bemerkung  Ciceros  in  de  nat.  door.  US  —  si  confem 
völumus  nostra  cum  externis,  ceteris  rebus  out  patres  aut  etiam  inferiore* 
reperiemur,  religione,  id  est  cultu  deorum,  multo  superiores  —  nicht 
uhne  weiteres  entwickelt  weiden,  und  noch  weniger  auß  der  bei  Cicero 
vorhergehenden,  daß  die  Erfolge  und  Mißerfolge  der  römischen  Heer 
führer  von  dem  Grad  ihres  Gehorsams  gegen  die  religiones  (d.  h.  Auspi- 
zien usf.)  abgehangen  habe.  Vielmehr  scheint  der  Konzeption  nach 
das  prius  die  Erwiderung  des  Oktavius  zu  sein  und  im  Hinblick  aui 
Bie  inicht  notwendig  nach  ihr)  die  These  so  formuliert,  wie  wii 
lesen. 

Die  Antithese  in  c.  25  geht  zunächst  von  einer  Erweiterung 
These  aus:  ista  supersHtio  Bomanis  dedii  .  .  imperium,  cum  nun  tarn 
vir  tute  quam  religione  et  pietate  pollerent.  und  indem  dann  sofort 
statt  religio  et  pietas  überraschenderweise  der  Begriff  der  iustitia  ein- 
tritt, wird  ausgeführt,  daß  die  Anfänge  Roms  eine  Kette  von  Freveln 
sind:  die  Mörder  und  Schurken  des  'Asyls',  Romulus  der  Brudermörder, 
Raub  fremder  Bräute  und  Eheweiber,  Krieg  mit  deren  Vätern.  Sodann 
Länderraub  und  Städteplünderung,  Vergrößerung  durch  fremde  Ver- 
luste, eigne  Frevel.  Bei  dem  allen  sind  geflissentlich  Beziehungen  auf 
das  eigentliche  Thema  eingestreut,  die  aber  nicht  darüber  hinweg- 
täuschen können,  daß  im  Grunde  hier  die  iniustitia,  nicht  die  inreli- 
giositas  des  alten  Rom  bewiesen  wird :  ich  glaube,  mit  vollem  Recht  hat 
Schwenke  (a.  a.  0.  271)  in  diesen  Ausführungen  einen  Nachklang  der 
(uns  nur  in  Bruchstücken  erhaltenen)  Wiedergabe  des  karneadeischen 
Vortrags  über  die  Ungerechtigkeit  als  staatsförderndes  Prinzip  gesehen, 
die  Cicero  im  3.  Buche  de  re  publica  gegeben  hatte.  Auf  den  Krieg 
freilich  bezieht  sich  ja  fast  alles,  auch  die  Wendung  normt  in  ort/u 
suo  et  seelere  collect/  et  muniti  immanitatis  suae  terrore  erwidert  auf 
des  Gegners  dum  urbem  muniunt  sacrorum  religionibus ,  und  die  Be- 
hauptung exercent  in  armis  virtutem  religiosam  der  These  scheint  so 
allgemein  gefaßt  zu  sein,  um  eine  Erwiderung  in  der  Art  der  vor- 
liegenden einigermaßen  zu  rechtfertigen;  aber  daß  dieser  ganze  erste 
Teil  der  Erwiderung  aus  fremdem  Zusammenhange  herausgenommen 
und  auf  die  inreligiositas  nur  oberflächlich  zugestutzt  ist,  macht  auch 
der  Schlußsatz  mit  seinen  beiden  disparaten  Teilen  klar:  ita  quidquid 
Bomani  tenent,  eolunt,  possident,  audaciae  praeda  est,  und:  templa  om- 
nia  de  manubiis,  id  est  de  ruinis  urbium,  de  spoliix  deorum,  de  1 
sacerdotum:  der  zweite  Teil  stützt  sich  lediglich  auf  eine  beiläufige 
Krwähnung  der  templa  et  ältaria  im  Vorhergehenden. 

Es  folgt  die  eindrucksvoll  antithetisch  formulierte,  sachlich  nicht 
schwer  wiegende  Behauptung:  7;oc  iusultarc  et  inludere  est,  iridis  reli- 
gionibus servire,  captivas  eas  [just  vietorias  adoran  :  nam  adorare  quin 
manu  ceperis,  sacrilegium  est  consecrare,   >>•>,■  numina:  gerichtet  gegei 


428  Richard  Heinze:  [XXV 

den  Satz  des  Caecilius,  daß  es  ein  religiöses  Verdienst  sei,  die  Götter 
der  Besiegten  unter  die  eigenen  aufzunehmen:  an  das  vorher  gesagte 
tempin  omnia  de  manubiis  schließt  die  Behauptung  freilich  nur  dann 
einigermaßen  an,  wenn  man  bei  den  manubiae  an  den  Raub  von  Götter- 
bildern  denkt,  die  dann  in  Rom  zu  Kultbildern  geworden  sind:  klar 
ausgedrückt  ist  das  nicht  —  bei  Tert.  dagegen  steht  unzweideutig  und 
in  bestem  Zusammenhang:  tot  manubiae  quot  manent  aähuc  simulacra 
captivorum  deorum  — ,  und  Octavius  läßt  denn  auch  den  Gedanken  an 
die  Kultübertragung  sogleich  wieder  fallen:  totiens  ergo  Romanis  im- 
piatum  est  quotiem  triumphatum ,  tot  de  diis  spolia  quot  de  gentibus 
[et]  tropam:  igüur  Romani  non  ideo  tanti,  quod  religiosi,  sed  quod  im- 
pune sacrilegi.  Damit  ist  das  Gegenargument  abgeschlossen,  das  sich 
mit  dem  vierten  des  Tert.  völlig  deckt.  Es  ist,  meine  ich,  klar,  daß 
Minucius  zwei  Gedankenreihen  miteinander  zu  verschmelzen  versucht 
hat:  die  (karneadeisch-ciceronische)  von  der  römischen  iniustitia,  und 
die  innerlich  damit  gar  nicht  verwandte  von  der  inreligiositas  der  römi- 
schen Kriege,  die  bei  Tert.  rein  in  sich  abgeschlossen  vorliegt.  Es  ist 
an  sich  wahrscheinlicher,  daß  Minucius  wie  die  erste,  so  auch  die 
zweite  entlehnt  und  in  der  Verschmelzung  seine  Originalität  gesucht 
hat,  als  daß  Tert.  die  zweite  aus  dem  minucianischen  Komplex  rein 
ausgelöst  habe,  ohne  eine  Spur  von  seiner  Kenntnis  der  ersten  zu  ver- 
raten. Es  kommt  aber  hinzu,  daß  Tert.  seinen  Gedanken  sorgfältig 
entwickelt  und  .stufenweis  einführt,  auch  die  Antithese  tot  igüur  sacri- 
legia  Romanorum  quot  tropaea  usf.  vorbereitet  wird  durch  die  Parallelen 
eaedem  strages  moenium  et  temploram,  pares  caedes  civium  et  sacerdotum 
usf.  Diese  caedes  sacerdotum  sind  gewiß  inreligiös,  ihre  Erwähnung  also 
hier  bestens  motiviert,  ja  durch  die  caedes  civium,  die  notwendige  Be- 
gleiterscheinung jeder  Eroberung  einer  Stadt,  wie  von  selbst  gegeben; 
bei  Minucius  darf  man  sich  über  die  Zusammenstellung  de  manubiis, 
id  est  de  ruinis  urbium,  de  spoliis  deorum,  de  caedibus  sacerdotum 
wundern.  Im  letzten  Satze  des  Minucius  tritt,  mit  dem  Wort  impum 
angedeutet,  ein  neues  Motiv  auf:  die  Götter,  denen  so  schwere  Unbill 
widerfahren,  haben  sich  nicht  gerächt;  das  ist  bei  Tert.  ausführlicher 
entwickelt  in  einem  Passus,  der  abschließt  mit  dem  Satz  sed  qui  nihil 
sentiunt,  tarn  impune  laeduntur  quam  frustra  coluntur:  den  Gedanken 
hatte  Tert.  schon  früher,  bei  der  Polemik  gegen  die  Götterbilder  ge- 
bracht: sed  plane  non  sentiunt  has  iniurias  .  .  dei  vestri,  sicut  nee  ob- 
sequia:  er  ist  daran  durch  die  Erwähnung  der  simulacra  captivorum 
deorum  hier  erinnert  worden. 

Ich  sagte,  das  Gegenargument  sei  mit  den  zitierten  Worten  ab- 
geschlossen: Minucius  freilich  will  diesen  Eindruck  nicht  erwecken, 
sondern  knüpft  an  die  letzten  Worte  impune  sacrilegi  sogleich  eine 
weitere  Gedankenreihe  an,  die  sich  mit  der  Frage  beschäftigt,  welches 


XXV]  TERTÜIiMANS   APOLOiw   r*  UM.  \-   > 

denn  die  Götter  gewesen  sein  sollten,  die  <len  Römern  zum  Sieg  und 
zur  Weltherrschaft    verholten    hätten:    neque    enim    potuerunt    in    ipsis 
bellis  deos  adiutores  habere,  adversus  quos  arma  rapuerunt,  et  <iuos  post 
victoriam    detriumphatos   edlere    coeperunt. l)      Der    Zusammenhang    ist 
dieser:    'die  Götter,   die   ihnen   geholfen   haben,  sind  früher  von  ihnen 
besiegt  und  beraubt  worden,  haben  das  aber  straflos  hingehen  lassen 
i  impune  sacrilegi);  in   den  gegen  sie  gerichteten  Kriegen  selbst  haben 
sie  natürlich   den  Kömern  nicht  geholfen,  sondern  eben  erst  nachher.' 
Recht  verzwickt,   wie  man   sieht:    auch  dem  steht  Tert.8  einfach  und 
wie  von  selbst    sich   entwickelnde   Gedankenreihe  gegenüber:    er  ver- 
quickt   nicht,    wie    Min.,    die    Frage    nach    der    in    den    Kriegen    sich 
äußernden  inreligiositas  (XXV  14—17)  mit  der  anderen  Frage,  welche 
Götter  den  Römern  geholfen  haben  (3 — 9).     Min.  bleibt  nun  bei  dieser 
stehen:   nach   einem  an  sich  geschickten  Einwand  gegen  die  von   ihm 
selbst    erst   bewiesene  Behauptung  des  impune  sacrilegi  ('was  konnten 
die   Götter  für  die  Römer  tun,   gegen   die   sie  ihr  eigenes  Volk  nicht 
hatten  schützen   können?')  geht   er   zu   den   Romanorum    vernaculi   di 
über:    aufgezählt  werden   die  von  Romulus,  Titus  Tatius  und   Tullu- 
Hostilius  eingesetzten,  ferner  Febris  und  die  Dirnen  Larentia  und  Flora 
erwähnt;     sodann    ironisch    geschlossen:    isti    scilicet    adversus    cetei  ■ 
qui    in   gentibus  Coleb  antur ,   Romanorum    Imperium    protuUrunt.     Dazu 
begründend  und  weiterführend:  neque  enim  eos  adversum  suos  homines 
vel   Mars    Thracius  vel  Juppiter  Creticus  .  .  iuverunt.     Damit  wird   in 
etwas  anderer  Fassung  der  Gedanke  von  vorhin  wiederholt  neque  enim 
potuerunt  in  ipsis  bellis  deos  adiutores  habere,  adversus  quos  arma  ra- 
puerunt: wenn  dort  die  Römer  als  Gegner  der  Götter  ins  Auge  gefaßt 
waren,    so   ist    hier   an   das  Verhältnis   der  Götter   zu   ihren    von   den 
Römern  befehdeten  Verehrern  und  Landsleuten  gedacht:   die  Wieder- 
holung erklärt  sich  daraus,  daß  Min.  nun  in  das  Fahrwasser  von  Tert.s 
erstem  Argument  eingelenkt  ist.  soweit  ihm  das  möglich  war:   er  hat 
ja  seine  ganze  These  und  Antithese   auf  die  Kriegführung   der  Römer 
bezogen,  an  die  Tert.  bei  jenem  ersten  Argument  nicht  dachte;   auch 
hier,  bei  der  Aufzählung  der  di  peregrini,  redet  Min.  so,  als  handle  e- 
sich  um  Kriege,  die  die  Römer  gegen  die  Völker  dieser  Götter  geführt 
hätten  (adversus  ceteros  seil,  deos  Iiomanorum  imp.  protulerunt,  und  ad- 
versum suos  homines  .  .  iuverunt  1,   wonach    denn   diese   Götter   zu   den 
vorher  besprochenen,  quos  post  victoriam  colere  coeperunt,  gehört  haben 
müßten:   was  ja   tatsächlich  nicht  zutrifft.     Tert.   schied  sehr  scharf: 
er  spricht   in   seinem   ersten  Argument  nicht  von  einer  Unterstützung 


1)  Hartels  Vorschlag,  das  letzte  Kolon  (sed  quos  .  .)  als  Einwand 
des  Gegners  abzutrennen,  wird  unannehmbar,  wenn  man  sich  den  Zu- 
sammenhang  des  ganzen  Satzes  mit  dem  impune  sacrilegi  klar  macht. 


_j_30  Richard  Heinze:  [XXV 

durch  die  Götter  der  Feinde  im  Kriege,  sondern  von  einer  'Begünsti- 
gung' des  fremden  Landes  vor  dem  heimischen  Boden:  er  weiß  sehr 
wohl,  daß  z.  B.  Cybele  längst  in  Rom  publice  verehrt  wurde,  als  ihre 
Heimat  in  das  Imperium  überging,  und  deshalb  redet  er  auch  bei  ihr 
nur  von  den  Gründen ,  weshalb  sie  sich  das  transferri  gefallen  ließ ; 
er  sagt  nichts  davon,  daß  zu  der  Zeit,  wo  Creta  römisch  wurde,  Jup- 
piter  ein  Feind  der  Römer  war,  sondern  spricht  nur  von  seiner  vor- 
auszusetzenden Anhänglichkeit  an  sein  Heimatland;  und  nur  bei  Juno, 
der  karthagischen  Burggöttin,  ist  von  einem  wirklichen  Gegensatz  zu 
llom  die  Rede.  Ganz  anders  im  vierten  Argument,  wo  wirklich  von 
den  captivi  dei  gesprochen  wird.  Diesen  nicht  spitzfindigen,  sondern 
durchaus  in  der  Sache  begründeten  Unterschied  hat  also  Minucius  ver- 
wischt: soll  man  glauben,  daß  Tert.  das  Richtige  in  ihn  hineinkorri- 
giert habe? 

Und  sehen  wir  uns  endlich  die  beiderseitigen  Beispiele  an:  Tert. 
wählt,  um  die  Nichtigkeit  der  dei  proprii  zum  Bewußtsein  zu  bringen, 
drei  Götter,  deren  sich  jeder  aufgeklärte  Römer  selbst  schämen  könnte ; 
auf  ähnlichem  Niveau  stehen  die  von  Minucius  in  zweiter  Linie  ge- 
nannten, und  es  wird  da  ihre  Unwürdigkeit  stark  betont1),  aber  es 
gehen  voraus  z.  B.  Picus,  Tiberinus,  Consus  etc.  —  freilich  obskur,  aber 
keine  Namen,  die  eine  beschämende  Empfindung  erwecken.  Vor  allem 
aber  hat  die  Nennung  derer,  die  diese  Götter  eingeführt  haben  (oder 
gar,  bei  Febris,  das  Bekenntnis,  daß  er  den  Stifter  nicht  kenne)  hier 
gar  keine  Bedeutung;  es  ist  ein  Stück  übel  angebrachter  Gelehrsam- 
keit, entlehnt  z.  T.  einer,  gewiß  nicht  direkt,  aber  doch  in  letzter  Linie 
auf  Varro  zurückgehende  Liste,  die  z.  B.  Augustin  civ.  d.  IV232)  voll- 

1)  Nur  ist  zu  bemerken,  daß  die  Erhöhung  von  Pavor,  Pattor, 
Febris  zu  Göttern  an  sich  zwar  der  Kritik  sehr  ausgesetzt  ist,  wie  sie 
denn  schon  Cicero  gegen  die  Febris  (n.  d.  III  25,  63),  Seneca  (bei  August. 
c.  d.  VI  10)  gegen  Pavor  und  Pallor  gerichtet  haben;  aber  wenn  sie 
nun  einmal  Gottheiten  sind,  so  ist  es  nicht  glücklich,  gerade  sie  als 
Beispiele  für  die  Ohnmacht  der  vernaculi  zu  wählen. 

2)  S.  die  parallele  Überlieferung  bei  Agahd  a.  a.  0.  65  fr.  Natür- 
lich haben  nach  ihm  auch  hier  Minucius  und  Tertullian  aus  dem 
fauctor  communis'  geschöpft;  aber  es  wird  hier  wieder  recht  deutlich, 
wie  wenig  diese  Hypothese  dazu  beiträgt,  die  Diskrepanzen  beider  Apo- 
logeten zu  erklären;  denn  ist  es  irgend  glaublich,  daß  der  a.  c.  beide 
Listen,  die  des  Tert.  und  die  nach  ganz  anderem  Prinzip  angelegte  des 
Min.  darbot,  und  nun  der  eine  4iese,  der  andere  jene  wählte?  Hat  aber 
einer  von  ihnen  hier  den  a.  c.  verlassen  und  auf  eigene  Faust  eine  Liste 
zusammengestellt,  so  braucht  man  den  a.  c.  gar  nicht  mehr:  dann  konnte 
/..  B.  Minucius'  Vorlage,  die  er  hier  verläßt,  ebenso  gut  Tert.  sein. 


XXV]  Tertullians  Ai'iii.im.i.ihui.  431 

ständiger  gibt,  und  die  Minucius  durch  die  beiden  meretrices1)  erweitert 
hat.  Auch  die  zweite  Liste,  die  der  di  peregrini,  ist  bei  Minucius  um- 
tauglicher  und  umfaßt  u.  a.  auch  die  drei  von  Tert.  genannten  Gott- 
heiten, Mater,  Juppiter,  Juno:  trotzdem  wird  man  bei  näherem  Zusehen 
nicht  diese  kürzere  als  Exzerpt  aus  jener  längeren  ansprechen2),  ina- 
besondere wenn  man  neben  des  Min.  Juno  nunc  Argica,  nunc  Sumia, 
nunc  Poena  die  auf  Virgils  Worte  quam  (Carthaginem)  Juno  fertw  magis 
Omnibus  vmam  posthabita  coluisse  Samo  (Aen.  I  15]  gegründete,  auch 
weiter  auf  Virgil  sich  beziehende  Darlegung  Tert.s  stellt:  so  trefflich 
diese  Anspielungen  seinem  Zwecke  dienen,  so  sinnlos  ist  bei  Minucius 
die  Nennung  dreier  Länder,  die  ja  der  Vorstellung,  daß  jede  Gottheit 
für  die  f Ihren'  zunächst  sorge,  geradewegs  entgegenarbeitet. 

Über  den  bei  Minucius  folgenden  Passus,  der  die  in  den  römischen 
Kulten  waltende  Unsittlichkeit  angreift,  ist  schon  S.  365  fg.  gesprochen: 
hier  korrespondiert  eine  andere  Stelle  Tert.s  (XV),  und  wir  sahen,  daß 
alles  dafür  spricht,  dieser  die  Priorität  zuzuschreiben.  Was  dort  ganz 
allgemein  von  den  Römern  gesagt  war,  hat  Minucius  hier  auf  die  Priester 
bezogen,  um  daran  seine  Bearbeitung  von  Tert.s  fünftem  Argument 
(Gott  als  Spender  der  Macht)  anzuschließen:  daß  Tert,  die  alten  Reiche 
mit  den  einzelnen  römischen  Priestertümern  zusammenstellte,  war  offen- 
bar für  Minucius  die  Anregung  zu  seiner  Komposition.  Er  knüpft  auch 
hier  nicht  ganz  ungezwungen  an:  et  tarnen  mite  eos  de<>  dispensante 
diu  regnu  tenuerunt  Assyrii  Medi  .  . ,  cum  poniifices  et  arvales  .  .  non 
habt  rt  nt,  d.h. :  auch  abgesehen 3 1  von  der  Frage  nach  der  Reinheit  der  den 

1)  Flora  erscheint  als  meretrix  in.  W.  außerdem  nur  noch  bei 
Lactanz  i.  d.  T  20,6,  wo  auf  sie  übertragen  ist  die  Fabel  vom  Testa- 
ment der  Acca  Larentia  und  zwar  mit  dem  Zusatz,  daß  von  den  Zinsen 
dieser  Stiftung  alljährlich  die  Floralia  ausgestattet  würden.  Das  ist 
jedenfalls  eine  ganz  späte,  nichtsnutzige  Erfindung  resp.  Übertragung, 
denn  jeder,  der  sich  um  diese  Dinge  kümmerte,  konnte  wissen,  daß 
der  Kult  der  Flora  zwar  uralt,  die  ludi  Florales  aber  recht  jung  (vom 
,T.  238,  annui  erst  seit  173)  waren.  Aber  bei  der  bekannten  Rolle,  die 
an  den  Floralia  die  meretrices  spielten,  lag  der  Gedanke  nahe,  die 
'Göttin'  zu  einer  Berufsgenossin  der  Acca  zu  machen ,  und  es  ist  mir 
fraglich,  ob  diese  Erfindung  ursprünglich  irgendwelchen  gelehrten  An- 
spruch erhoben  oder  polemische  Tendenz  gehabt  hat. 

2)  S.  schon  Hartel  p.  350  fg. 

3)  et  tarnen,  falsch  aufgefaßt  z.  B.  von  A.  de  Makchi,  Apologisti 
•  1  istiani  (Mail.  1907)  p.  126:  antitesi  che  si  ricollega  al  concetto  prece- 
dente,  del  dominio  otttnuto  dai  Eomani  sul  mundo.  Vgl.  Hermes  33 
(1898)  p.  474;  Domisakt  in  seiner  Ausg.  des  Octavius  mit  Übersetzung 
(!  1881)  p.  127. 


432  Richard  Heixze:  [XXV 

Kult  verwaltenden  Priester:  schon  vor  den  Römern  hat  es  große  Reiche 
ohne  diese  Priester  gegeben  (also  können  nicht  sie  es  sein,  denen  die 
Römer  die  Herrschaft  verdanken).  Ich  bemerke,  daß  bei  Minucins  nur 
an  dieser  einen  Stelle  der  ganzen  Erörterung  das  regna  teuere  —  frei- 
lich mit  dem  Zusatz  diu  —  als  ein  Äquivalent  zu  dem  Weltreich  der 
Römer  auftritt1),  während  wir  bei  Tert.  den  Gedanken  durchgehen 
fanden,  daß  es  auf  das  regnum  an  sich,  auf  den  Anfang  der  Macht, 
genau  so  sehr  wie  auf  ihre  Höhe  ankommt;  ich  bemerke  ferner,  daß 
der  naheliegende  Einwand,  jene  alten  Reiche  seien  ja  eben,  weil  ir- 
religiös, den  Römern  unterlegen,  bei  Tert.  vorher  abgeschwächt  ist, 
bei  Minucius  durch  den  knappen  Zusatz  deo  dispensante  nicht  ebenso: 
endlich,  daß  eben  dieser  Zusatz  hier  vorgreifend  eingeflickt  ist2),  denn 
er  gibt  eine  Behauptung,  die  erst  aus  dem  Satze  diu  regna  tenuerunt 
cum  pontifices  non  haberent  erschlossen  werden  kann  (wie  sie  bei  Tert. 
auch  wirklich  erschlossen  ist),  und  er  ist  so  gut  wie  gar  nicht  vorbe- 
reitet, während  bei  Tert.  das  videte  igitur  ne  ille  regna  dispemet  usf. 
die  gegebene  positive  Erwiderung  ist  auf  den  ironischen  Satz  des  Ein- 
gangs: scilicet  ista  merces  Homa)io  nomini  a  Romanis  deis  praerogatwa 
expensa  est  (3),  der  im  weiteren  Verlauf  durch  ergo  aliorum  est  regnum 
dare  (11)  und  Ulis  Imperium  sine  fine  decernunt  (16,  nach  Yirgils  Impe- 
rium sine  faxe  dedi  Aen.  I  279)  im  Gedächtnis  erhalten  war. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  die  Arbeitsweise  des  Minucius,  indem 
wir  als  erwiesen  annehmen,  daß  er  Tert.  benutzt  hat.  Er  hat  von 
dessen  Argumenten  drei  (1,  4,  5)  im  wesentlichen  reproduziert,  indem 
er  vor  allem  die  Beispielsreihen  mehr  oder  weniger  abänderte,  wozu 
er  nur  in  einem  Falle  sich  in  der  Literatur  nach  Material  umgesehen 
hat;  zwei  andere  Argumente,  die  ihm  wohl  zu  spitzfindig  schienen, 
hat  er  beiseite  gelassen.  Er  hat  damit  verbunden  eine  aus  Cicero 
geschöpfte  Darlegung  über  die  iniustitia  als  fundamentum  regni;  ferner 
aus  einem  anderen  Teile  des  Apologeticum  (XV)  ein  Motiv  entlehnt 
und  etwas  ausgestaltet;  im  übrigen  hat  er  aus  Eignem  hinzugetan  ein 
paar  verbindende  oder  ergänzende  Apercus,  und,  was  ihm  sehr  wesent- 
lich war,  die  Form  des  Ganzen:  statt  der  einfachen  Aneinanderreihung 
von  Argumenten  bei  Tert.,  eine  in  sich  zusammenhängende  Gedanken- 
entwicklung, der  Gesprächsform  gemäß,  in  der  man  einen  Gedanken 
aus  dem  anderen  hervorgehen  läßt,  nicht,  wie  in  der  Rede,  die  in 
sich  abgeschlossenen  Argumente  nebeneinander  setzt.  Diese  ganze 
Komposition   ist  mit  unleugbarem  formalen  Geschick  ausgeführt:   aber 


1)  Denn  daß  Ebert  mit  Unrecht  behauptet,  auch  hier  handele  es 
sich  um  'Weltreiche',  liegt  auf  der  Hand;  s.  Hartel  p.  356. 

2)  Hartel  p.  357.     Auf  Eberts  Bedenken  gegen  Tert.s  Amazone* 
brauche   ich  nach   dem   von  Härtet.  Gesagten   nicht   zurückzukommen. 


XXVII.  XX  VIII  ■  TERTl  L.LIAN8   APOLOGETICT  M.  433 

die  Spuren  der  Entlehnung  und  Zusammenarbeitung  fremder  Gedanken 
haben  sich  doch  nicht  verwischen  lassen. 

Der  Nachweis,  daß  die  Christen  mit  ihrer  Verweigerung  XXVII 
der  Opfer  keine  Religionsverletzung  begehen,  ist  erbracht  und 
von  allen  Seiten  gestützt;  es  ist  gezeigt,  daß  die  Opfer  nicht 
nur  nicht  der  Gottheit,  sondern  widergöttlichen  Mächten  dar- 
gebracht werden:  also  wäre,  wie  Tert.  jetzt  erst,  nach  Wider- 
legung der  Anklage,  mit  Entschiedenheit  hervorhebt,  ein 
solches  Opfer  für  die  Christen  Sünde.  Das  bedarf  noch  der 
Hervorhebung,  um  es  den  Heiden  begreiflich  zu  machen,  daß 
es  den  Christen  nicht  möglich  ist,  ganz  abgesehen  von  ihrer 
religiösen  Überzeugung,  sich  dem  Opfer  als  einer  bloßen 
Formalität  zu  unterziehen:  in  der  Tat  konnte  es  ja,  wie  das 
Beispiel  des  Plinius  zeigt,  einem  römischen  Beamten  als  pure 
Halsstarrigkeit  erscheinen,  wenn  ein  Opfer,  das  doch  schlimm- 
stenfalls nur  dem  Opfernden  nichts  nützte,  trotz  obrigkeit- 
licher Aufforderung  verweigert  wurde.  Tert.  rechtfertigt  diese 
Haltung:  jeder  Christenprozeß  ist  ein  Kampf,  jede  Verurteilung 
der  Christen  ein  Sieg  —  nicht  der  Dämonen,  sondern  der 
Christen. ' 1 

b.   DER  KAISERKÜLT.  XXVIII— XXXV 

Tert.  schafft    sich   damit    den  Übergang   zur   Behandlung'  XXVHI 
der  zweiten  und.  wie  er  hier  behauptet,  schwereren2)  Haupt- 


i)  Über  Einzelheiten  des  Kap.  XXVII  s.  o.  S.  405  fg. 

2)  Insofern  die  maiestas  imperatoris  sogar  augustior  Wortspiel 
mit  Augustus)  ist  als  die  der  Götter:  s.  darüber  oben  S.  334.  Tert. 
schließt  daran  ein  geistreiches  Geplänkel:  an  sich  wäre  es  zwar  recht 
verständig,  den  lebenden  Kaiser  mehr  zu  fürchten  als  den  toten  Gott: 
aber  bei  euch  ist  das  irreligiositas,  weil  nicht  die  Folge  wahrer  Einsicht, 
sondern  der  Furcht  vor  der  gegenwärtigen  sichtbaren  .Macht:  also  ein 
Nachtrag  zu  dem  früher  über  die  Irreligiosität  der  Heiden  Gesagten. 
Schließlich  das  maiore  formidine  dbservatis  wieder  aufnehmend,  citius 
denique  apud  vos  per  omnea  deos  quam  per  wvum  geniv/m  Caesaris 
peieratur:  man  sieht,  wie  der  Vergleich  durch  den  Zusammenhang 
gegeben  ist:  nicht  so  bei  Minucius  29,  5,  wo  er  den  Kaiserkult  (neben- 
bei  bemerkt,    ohne   anzudeuten,   daß    er  den  Christen  zugemutet  wird 


434 


Eichard  Heinze:  [XXVIII 


anschuldigung,  der  Verweigerung  des  Opfers  für  den  Kaiser: 
auch  hierbei  wehren  sich  die  Christen  gegen  eine  Zumutung, 
die  auf  dämonische  Machination  zurückgeht.  Und  zwar  haben 
die  Dämonen  (denen  ja,  versteht  sich;  am  Kaiser  gar  nichts 
Besonderes  gelegen  ist)  mit  teuflischer  Schlauheit  deshalb 
jene  Zumutung  euch  eingegeben,  weil  die  Forderung  eines 
Opfers  schlechthin  als  unbillig,  eines  Opfers  im  Interesse  des 
Opfernden  selbst  sogar  als  töricht  erscheinen  müßte.1)  Man 
wird  aus  der  Fassung  dieses  Satzes  (insbesondere  den  Irrealen 
videretur  und  existimaretur)  zu  schließen  haben,  daß  die  Praxis 
der  Tert.  bekannten  Christenprozesse  in  der  Tat  nicht  ein 
Opfer  schlechthin  (wie  es  z.  B.  im  Prozeß  des  Justin  gefordert 
wird:  övvel&ovrsg  ovv  o^iod-v^ccöbv  &vöar£  xolg  frsolg,  act.  5,4), 
sondern  ein  Opfer  für  den  Kaiser  verlangt  hat,  wie  es  der 
Prokonsul  im  Prozeß  der  Scilitaner,  neben  dem  Eid  beim 
Genius  des  Kaisers,  von  den  Angeklagten  heischt:  iuramus 
per  genium  domini  nostri  imperatoris  et  pro  salute  eins  suppli- 
camus,  quod  et  vos  quoque  facere  debetis  (acta  3). 

Das  Opfer  pro  salute  imperatoris  hatte  Tert.  neben  dem 
Kult  der  römischen  Götter  als  die  summa  causa,  immo  tota 
bezeichnet  (X  1):  die  Verweigerung  dieses  Opfers  steht  auch 
hier  durchaus  in  erster  Linie.  Es  werden  aber  allerdings 
noch  andere  Ehrungen  des  Kaisers  erwähnt,  deren  sich  die 
Christen  weigern:  der  Eid  beim  Genius  des  Kaisers  (XXXII); 
die  Bezeichnung  des  Kaisers  als  Gott  und  Herr  f XXXIII  fg.); 
endlich  die  Feier  der  Kaisergedenktage  (XXXV).  Mit  Absicht, 
wie  es  scheint,  läßt  es  Tert.  im  Unklaren,  inwiefern  auch  diese 
Punkte  für  die  Verurteilung  der  Christen  in  Betracht  kommen. 
Eine    wirkliche   Verteidigung    gibt    er    für    die    beiden    erst- 


verwirft: sie  eorwm  numina  vocant,  ad  imagmes  suppiieant,  genium  id 
est  daemonem  eorwm  (nach  Tert.  XXXII  2)  implorant  (so  dem  Tricolon 
zu  Liebe:  das  iurare  per  genium  wäre  an  sich  besser  am  Platze;  es 
folgt  dann  auch:)  et  est  eis  tutius  per  Jovis  genium  peierare  quam  regis. 
1)  In  den  Ausgaben  ist  verkannt,  daß  die  Sätze  quoniam  autem 
videretur  .  .,  certe  .  .  existimaretur  .  .  .,  formati  estis  .  .  et  imposita  est 
eine  Periode  bilden;  mit  der  Zerteilung  wird  der  Sinn  zerstört. 


XXVIII]  TERTULLIANS    ÄtPOLOGBT»  DM.  435 

genannten  nicht,  sondern  erwähnt  nur  im  Gegensatz  zu  dem, 
worin  sich  ihre  Ehrerbietung  gegenüber  dem  Kaiser  äußert, 
das,  wozu  sie  sich  nicht  verstehen  können:  sie  schwören  beim 
Heil   des   Kaisers  aber   freilich    nicht    bei    seinem    Genius; 

sie  ehren  den  Kaiser  ganz  besonders,  als  den  von  ihrem 
Gotte  eingesetzten,  und  empfehlen  ihn  diesem  ihrem  Gotte 
ganz  besonders  dadurch,  daß  sie  ihn  Gott  unterordnen,  ihn 
also  weder  als  Gott  noch  als  dominus  im  Sinne  von  'Gott" 
bezeichnen  —  wohl  aber  als  dominus  im  gewöhnlichen  Sinne; 
sie  feiern  die  Kaiserfeste  auf  ihre  Art,  nüchtern  und  züchtig, 
nicht  durch  Teilnahme  an  den  wüsten  Ausschweifungen  der 
Heiden,  die  für  den  Kaiser  keine  wirkliche  Ehrung  bedeuten. 
Hier,  bei  dieser  letzten  'Missetat'  der  Christen  (XXXV  5) 
kehren  die  Ausdrücke  maiestas  und  sacri  legitim  wieder,  die 
Tert,  sonst  nur  für  die  Verweigerung  des  Kaiseropfers  brauchte, 
hier  spricht  er  auch  wieder  von  der  Verurteilung  der  Christen 
(0  nos  merito  damnandos  4):  wer  all  dies  arglos  hinnimmt, 
müßte  also  schließen,  daß  auch  die  Nichtbeteiligung  an  den 
sollemnia  imperatorum  strafrechtlich  unter  das  crimen  maies- 
tatis  gezogen  worden  sei,  woran  doch  im  Ernste  nicht  gedacht 
werden  kann:  es  bedarf  gar  nicht  des  Hinweises  darauf,  daß 
in  keinem  Prozeßberichte  etwas  derartiges  erwähnt  wird. 
Andererseits  ist  es  sehr  glaublich,  daß  jene  Nichtbeteiligung 
dazu  beitrug,  beim  Pöbel  die  Christen  in  den  Verdacht  der 
Reichsfeindschaft  zu  setzen,  und  somit  indirekt  zur  Denuntia- 
tion  und  demgemäß  auch  zur  Verurteilung  der  Christen 
führte:  deshalb  erwähnt  es  Tert.,  und  subsumiert  es,  da  er 
nun  einmal  die  Form  der  Gerichtsrede  gewählt  hat,  unter 
einen  kriminalen  Terminus.  Aber  er  stellt  noch  einen 
anderen  Ausdruck  sozusagen  zur  Wahl:  nicht  zwar  bei  der 
Verweigerung  des  Opfers,  aber  nachher  bei  der  Überleitung 
zur  Besprechung  der  Kaiserfeiern  erscheint  zuerst  (XXXV  1) 
das  Schmähwort  publici  hostes,  das  dann  variiert  wird  als 
hostes  prineipum  Romanorum  (5),  schließlich  sich  zu  hostes 
generis  humani  (XXXVII  8)  erweitert.  Der  Schluß,  den  man 
hieraus    gezogen    hat,    daß    der   Christenglaube   strafrechtlich 


4-5  Richard  Heinze:  [XXVIII 

auch  als  Perduellion  gefaßt  worden  sei,  bedarf  kaum  noch 
der  Widerlegung:  es  genügt  der  Hinweis  darauf,  daß  hostis 
publicus  überhaupt  kein  Terminus  des  Strafrechts,  sondern 
des  Staatsrechts  ist:  nicht  ein  Gericht,  sondern  der  Senat 
oder  der  Kaiser1)  entscheidet  darüber,  wer  als  Landesfeind 
anzusehen  ist.2)  Aber  auch  abgesehen  davon,  lehrt  die  Art, 
wie  sich  Tert.  hier  ausdrückt,  klar  genug  (z.  B.  XXXV  10), 
daß  er  Hetzworte,  nicht  Kriminalklagen  im  Auge  hat. 

Es  ergibt  sich  endlich  aus  Tert.s  Ausführungen  mit  Be- 
stimmtheit, daß  ein  wirklicher  Kult  des  lebenden  Kaisers  in 
jenen  Prozessen  den  Christen  nicht  zugemutet  worden  ist, 
nicht  einmal  in  der  halbverhüllenden  Form,  die  Plinius  wählte, 
als  er  das  Bild  des  Trajan  den  Götterbildern  einreihte,  deren 
Verehrung  er  forderte.3)  Gegen  solche  Zumutung  hätte  Tert. 
sich  ganz  anders  gewehrt,  als  es  c.  XXXIII  fg.  geschieht,  wo 
er  es  ablehnt,  den  Kaiser  'Gott  und  Herrn'  zu  nennen  (also 
nicht,  seinem  Bilde  zu  opfern),  ohne  übrigens  anzudeuten, 
daß    dergleichen    prozessual    von    Bedeutung    war4):    zu    der 

i)  So  z.  B.  Septimius  Severus  Albinum  (nach  der  Empörung)  statim 
hostem  iudicavit  (vita  10)  und  Plaut  ianum  .  .  ita  odio  habuit,  ut 
et  hostem  publicum  appellaret,  uach  der  Versöhnung  hi  qui  hostem 
publicum  Plautianum  dixerant  deportati  sunt  (14). 

2)  Salvidienus  Rufus,  den  Oktavian  i.  J.  40  töten  ließ  rag  titi- 
ßovXsvaavxd  oi,  und  von  dem  Dio  48,  33  berichtet,  daß  er  mg  TtoUpiog 
tKtlvov  %al  xov  dijiiov  Ttavrbg  iacpdyr}  ist  gewiß  nicht  im  Perduellions- 
prozeß  verurteilt  worden,  sondern,  wie  Dios  Erzählung  lehrt,  nach 
Erlaß  des  SC.  ultimum,  auf  Verantwortung  der  tresviri  capitales. 

3)  Näher  noch  als  unter  Trajan  (der  ja  auch  in  seiner  Antwort 
an  Plinius  von  dem  eignen  Bilde  ganz  absieht)  lag  solches  natürlich 
unter  Commodus ;  dazu  stimmt  es,  wenn  im  Prozeß  des  Apollonius  der 
praefectus  praetorio  Perennis  zunächst  verlangt  &v6ov  roTg  ftsoig  xal 
%%  sinövi  xov  ccvTOHQoczoQog  KopoSov  (act.  7),  wofür  in  der  zweiten  Ver- 
handlung eintritt  otßsiv  %al  TtQog-Avvslv  rovg  dsovg,  ovg  nävztg  &v&qco- 
Tioi  aißofisv  ■aal  Ttgogawov^isv  (13). 

4)  Nat.  I  17  sagt  Tert.,  es  werde  den  Christen  als  obstinatio  ver- 
dacht, daß  sie  inreligiosi  gegen  die  Kaiser  seien,  neque  imagines  eorum 
(tu)re  propitiando  neque  genios  deierando :  am  Schluß  des  Kapitels, 
wo  die  beiden  Vorwürfe  einzeln  besprochen  werden,  erscheint  der  erste 


XXVIIIJ  Ti. Kiii. i.ians  Apologetioum.  437 

Schmähung  als  Imsf^s  pttblici  trügt  allerdings  auch  diese 
Weigerung  bei  (XXXV  1  ),  die  also  wohl  im  Verkehr  als  Ab- 
weichung von  der  üblichen  Art,  den  Kaiser  zu  bezeichnen, 
mißliebig  auffiel.  Wir  wissen  ja,  daß  auch  vor  Gericht  der- 
gleichen zur  Sprache  kommen  konnte:  aber  Gewicht  ist 
schwerlich  darauf  gelegt  worden.1) 

Das  Fehlen  der  Polemik  gegen  den  eigentlichen  Kaiser- 
kult ist  für  die  Verhältnisse,  unter  denen  das  Apol.  entstand, 
um  so  bezeichnender ,  als  das  Wenige,  was  die  griechischen 
Vorläufer  Tert.s  apologetisch  über  die  religiöse  Stellung  zu 
den  Kaisern  vortragen  oder  andeuten,  sich  ausschließlich  auf 
die  Vergottung  der  Kaiser  bezieht.  Athenagoras  1 30)  und 
Tatian    (11)    erwähnen    überhaupt    nur    in    aller    Kürze    die 


als  non  dicimus  deum  imperatorem,  wie  im  Apol.  Bei  dieser  Formu- 
lierung ist  offenbar  die  Verteidigung  leichter  und  einfacher  als  gegen- 
über der  den  Heiden  geläufigen  Zeremonie  des  imagini  ture  supplicare; 
dabei  hat  das  Bild  des  Kaisers,  der  ja  nicht  offiziell  Gott  ist,  doch 
quasigöttliche  religio,  deren  Anerkennung  der  Christ  nicht  ohne  weiteres 
mit  der  Begründung,  daß  sie  nur  dem  Gott  gebühre,  ablehnen  konnte 
(hat  doch  die  Adoration  des  Kaiserbildes  auch  noch  fortbestanden,  als 
die  Kaiser  Christen  waren).  Immerhin  hätte  sich  Tert.  im  Apol.  der 
Verteidigung  gewiß  nicht  entzogen,  wenn  die  Ablehnung  in  den  Pro- 
zessen von  Bedeutung  gewesen  wäre. 

1)  Beim  Prozeß  der  Scilitaner  sagt  der  Prokonsul  regelmäßig 
dominus  noster  oder  dominus  noster  imperator,  der  Christ  Speratus  er- 
widert ego  Imperium  huius  saeculi  non  cognosco  .  .  cognosco  dominum 
meum  et  imperatorem  regum  et  omnium  gentium ;  wenn  Speratus  sich 
zum  Opfer  für  den  Kaiser  verstanden  hätte,  hätte  der  Prokonsul  gewiß 
nicht  auf  der  Bezeichnung  dominus  bestanden.  Vom  deus  imperator  ist 
gar  nicht  die  Rede.  —  Dem  Polykarp  reden  wohlwollende  Heiden 
zunächst  zu:  vi  yag  xaxöv  iaviv  slnsiv  KvQiog  Kulaug,  nccl  im&veai, 
xal  tu  zovzoig  ä-HÖlov&a,  %al  diecOw&o&at ,  der  Prokonsul  verlangt 
nachher  nur  öuoöov  n)v  KaiöaQog  xv/^v  (act.  8,  2;  9,  2).  Die  Frage 
hat  im  Osten  gewiß  noch  mehr  Bedeutung  gehabt  als  im  Westen;  vgl. 
Deissmann,  Licht  aus  dem  Osten5  263  ff.,  der  u.  a.  daran  erinnert,  daß 
nach  der  Zerstörung  Jerusalems  Juden  als  Märtyrer  gestorben  sind, 
weil  sie  sich  weigerten,  den  Kaiser  rHerrn'  zu  nennen,  da  Gott  allein 
der  Herr  sei:  Joseph,  b.  J.  VII  10.  Da  spielt  allerdings  das  Politische 
eine  weit  wichtigere  liolle  als  bei  den  Christen. 


438  Kichard  Heinze:  [XXIX 

Apotheose  verstorbener  Herrscher,  respektvoll  der  eine,  der 
andere  höhnisch:  Justin  spricht  über  Christi  Lehre  'gebet 
dem  Kaiser  was  des  Kaisers,  und  Gott  was  Gottes  ist',  be- 
teuert der  Christen  Gehorsam  und  Ergebenheit,  lehnt  den 
Kult  mit  dem  einen  Satze  ab:  ftsbv  (isv  fiövov  7rQogxvvovߣi>, 
v^iiv  de  XQog  tä  äXXc.  %cciQovreg  v7ir)Q£rov{i£v  (apol.  I  17); 
und  ähnlich  indirekt  läßt  der  Verfasser  der  acta  Apollonii 
seinen  Helden  die  Aufforderung  zum  Kaiserkult  ablehnen 
(8  fg.),  wobei  aber  wenigstens  dem  Gott,  der  im  Himmel 
waltet,  der  auf  Erden  herrschende  Kaiser,  der  jenem  allein 
seine  Herrschaft  verdanke,  klar  gegenübergestellt  wird.  Einzig 
Theophilus  widmet  dem  Gegenstand  ein  Paar  Sätze  (I  11), 
die  des  Kaisers  Göttlichkeit  entschieden  bestreiten:  er  sei  ein 
Geschöpf  Gottes,  verdiene  geehrt,  aber  nicht  angebetet  zu 
werden  und  habe  auf  den  Namen  Gott  so  wenig  Anspruch, 
wie  irgend  einer  seiner  Untergebenen  auf  den  Namen  ßaöilsvg. 
Daß  dagegen  das  Gebet  für  den  Kaiser  Christenpflicht  sei, 
betont  wie  Justin  und  Apollonius  auch  Theophilus.  —  Man 
sieht:  die  Verweigerung  des  Kaiserkults  spielt  in  den  vor- 
tertullianischen  Apologien  eine  höchst  bescheidene  Rolle, 
schwer  mit  den  Vorstellungen  zu  vereinigen,  die  man  sich 
von  der  Bedeutung  des  Kaiserkults  in  den  Christen- 
verfolgungen zu  machen  pflegt  —  indeß  es  kommt  uns  nicht 
hierauf  an:  genug,  daß  Tert.  für  seine  Behandlung  des  crimen 
maiestatis  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  der  älteren  apolo- 
getischen Literatur  keine  Muster  fand. 
XXIX  Tert.  behandelt   den  Fall   zunächst   ganz   kurz  nach  dem 

Status  iuridicialis:  er  gibt  zu,  nicht  für  den  Kaiser  zu  opfern, 
bestreitet  aber,  daß  dies  Majestätsverletzung  sei:  die  Bezeich- 
nung träfe  zu,  wenn  die  Dämonen  den  Kaisern  Heil  spenden 
könnten;  nun  sind  sie  aber  dazu  nicht  im  stände,  stehen 
überhaupt  nicht  über,  sondern   unter  den  Kaisern1):   also  ist 

1)  Dabei  der  Satz,  von  dem  Tert.  nicht  ahnte,  wie  bald  er  auch 
gegen  den  Kult  der  eignen  Kirche  gerichtet  werden  könnte:  utique 
suas  primo  statuas  et  imagines  et  aedes  tuerentur,  quae,  ut  opinor, 
Caesarum    müites    excubiis  salva   praestcmt;   er  stammt  aus  der   apolo- 


XXX— XXXII]  Tkkk  Li.iv.Ns  Apologetici  m.  439 

es   umgekehrt   eine  Verletzung  der  'Größe'  der  Kaiser,  wenn 
man  sie  rebus  suis  unterordnet. 

Aber  Tert.  bleibt  dabei  nicht  stehen:  er  gibt  eine  positive  XXX 
Widerlegung  des  Vorwurfs,  indem  er  zeigt,  daß  die  Christen 
vielmehr,  indem  sie  für  den  Kaiser  zum  wahren  Gott  beten, 
dem  er  wirklich  unterworfen  ist,  das  Beste  für  ihn  tun,  was 
in  Menschenmacht  steht:  eine  glänzende,  mit  höchster  Leiden- 
schaft und  Kraft  anschaulicher  Darstellung  geschriebene 
Paraphrase  der  schlichten  Behauptung  svx6fisd,a  vjisq  toü 
ßaöiUcog,  wie  sie  die  Griechen  aufstellten:  die  Kontrastbilder 
des  christlichen  Gebets  und  des  heidnischen  Opfers  einerseits, 
des  christlichen  Beters  und  seiner  Verfolger  andererseits  haben 
in  der  gesamten  griechischen  Apologetenliteratur  nicht  ihres 
Gleichen. 

Der  Advokat  weiß,  daß  seine  Behauptung,  so  ein-  XXXI.  XX XU 
drucksvoll  er  sie  auch  vorgetragen  hat.  ohne  Beweis  nicht 
durchschlagen  wird1):  er  beruft  sich  wie  die  Griechen  auf 
Urkunden,  d.  h.  die  heiligen  Bücher,  die  den  Christen  nicht  nur 
für  seine  Feinde,  sondern  auch  ausdrücklich  für  die  Könige 
und  Fürsten  beten  heißen;  er  beweist  aus  der  causa,  daß  die 
Christen  im  eignen  Interesse  das  Heil  der  Kaiser  und  den 
Bestand  des  Reiches  wünschen  müssen;  er  führt  ferner  an, 
daß  die  Christen  ja  auch  bei  der  salus  des  Kaisers  schwören 
und  diese  besonders  hoch  stellen:  er  spielt  als  letzten  Trumpf 
aas,  daß  die   Christen   den   Kaiser,  der  doch  von  ihi-em  Gott 


getischen  Polemik  gegen    die    Götzenbilder:    uftiuutov   xal   tö    vosiv  "/) 
Isysiv  äv&QwTiovg&Ecbv  Eivut  cpvXccxag  Just.  ap.  I  9,  5. 

1)  Adulati  rwnc  sumus  imperatori  et  mentiti  rata  quae  diximus, 
ad  evadendam  scilicet  vim  (so  wenden  die  Gegner  ein).  Plane  proficit 
ista  fallacia  (natürlich  das  mendaeium  der  Christen):  ad  mit  titln  nos 
e)tim  probare  quodeumque  defendimus.  Der  zweite  Satz,  von  Havekcamp 
noch  richtiger  erklärt  als  von  Späteren:  feine  solche  Lüge  würde  nns 
aber  gar  nichts  nützen,  denn  ihr  gestattet  uns  ja  (vor  Gericht)  doch 
nicht  das,  was  wir  zu  unserer  Verteidigung  vorbringen,  zu  beweisen, 
(sondern  begnügt  euch  mit  der  Tatsache,  daß  wir  nicht  für  den  Kaiser 
opfern)'.  Schriftlich  aber  kann  Tert.  den  Beweis  führen:  qv.i  ergo 
putaveris  e.  q.  s. 

Phil.-hiat.  Klasse  1910.     Bd.  LXII.  33 


440  Eichard  Heinze:  [XXXIII.  XXXIV 

eingesetzt  sei,  mit  größerem  Recht  als  den  ihren  in  Anspruch 
nehmen  könnten.1) 
XXXni.  XXXIV  Als  zweites  Verdienst  um  den  Kaiser,  dem  Gebet  zu  Gott 
gleichstehend,   nennt    Tert.    die    Empfehlung    des    Kaisers    an 
Gott,   die   die   Christen  dadurch  bewirken,   daß    sie  ihn  Gott 
unterordnen,  indem  sie  ihn  nicht  Gott  nennen.    Daß  dies  keine 
Verletzung  der  Majestät  ist,  vielmehr   im   eigensten  Interesse 
des  Kaisers    liegt,    dafür   weiß   Tert.    in    größter  Kürze    eine 
Meno-e    von    scharfsinnig   erdachten    Gründen    anzuführen:    in 
der  Form  eines  argumentum  a  minore  ad  maius  —  Augustus, 
imperii  formator,   ne  dominum   quidem  dici  se  volebat  .  .  tanto 
abest  ut   Imperator   deus  debeat  dici  —  wird    dabei    auch  die 
Bezeichnung  als  'Herr'  (s.  o.  S.  436  fg.)  abgelehnt.    Nur  eines 
unter  all  diesen  Argumenten,  der  Vergleich  des  Gegen-Gotts 
mit  einem  Gegen-Kaiser,  fanden  wir  schon  bei  Theophilus.    Es 
ist  Tert.s  vorletztes,   denn  er  steigert  mit  Bedacht:    die  Ver- 
göttlichung des  Kaisers  ist  gefährlich,   da   sie  ihm  den  Zorn 
Gottes  zuziehen  kann;  sie  ist  sogar,  so  schließt  er,  eine  Ver- 
wünschung (maledictum),  denn  sie  deutet  auf  des  Kaisers  Tod, 
nach  welchem  doch  erst  die  Apotheose  eintritt'3):   sehr  merk- 
würdig,  wie   sich   hier   Tert.    als    echter    Advokat,    der    dem 
Gegner    auch    aus    dessen    irrtümlichen    Behauptungen    einen 
Strick  zu  drehen  weiß,  ganz  auf  den  heidnischen  Standpunkt 
stellt  und  —  das  einzige  Mal,  wo  er  die  Apotheose  der  ver- 
storbenen Kaiser  erwähnt  —  sich  ihrer  als  Argument   gegen 
die  Vergöttlichung  des  lebenden  bedient. 


1)  XXXIII  1  quem  necesse  est  suspiciamtis  ut  eum  quem  dominus 
noster  elegit,  zurückblickend  auf  die  Argumente  des  vorigen  Kapitels 
nos  iudicium  dei  respicimus  in  imperatoribus,  qui  gentibus  Mos  praefectt 
e.  q.  s.  Bei  Minucius  29,  5  etiam  principibus  et  regibus  non  ut  magnis 
et  electis  viris,  sicut  fas  est,  sed  ut  deis  turpiter  adulatio  falsa  blanditur 
ist  daraus  ein  Wort  stehen  geblieben,  electis:  von  wem? 

2)  Den  Gedanken  hat  sich  Minucius  21,  10  etwas  umgebogen  zu- 
nutze gemacht:  invitis  his  (sc.  divis  regibus)  denique  hoc  nomen  adscri- 
bitur;  optant  in  homine  perseverare,  fieri  se  deos  metuunt,  etsi  tarn  senes 
nolunt.  Nur  freilich  hat,  was  von  den  lebenden  Kaisern  mit  Recht  ge- 
sagt wurde,  für  die  konsekrierten  Verstorbenen  nicht  eben  so  guten  Sinn. 


XXXV  I — 4]  Tr.KTl  I.LIANS   ÄPOLOGETICUM.  44I 

Vom  Standpunkt  der  Heiden  ausgehend,  die  in  der  XXXV  1—4 
besprochenen  Verweigerung  von  Ehren  einen  Ausdruck  der 
Reichsfeindschaft  sehen,  verknüpft  Tert.  damit  ein  zweites, 
das  für  ihn  selbst  doch  auf  ganz  anderem  Brett  steht,  auch 
mit  dem  religiösen  Verhalten  im  engeren  Sinne  nichts  zu  tun 
hat:  die  Nichtbeteiligung  der  Christen  an  der  öffentlichen 
Begehung  der  Kaiserfeste,  eine  Forderung  ihrer  strengeren 
Sittlichkeit  gegenüber  der  heidnischen  lascivia  und  luxuria1). 
Dieses  Hinüberspielen  der  Frage  vom  politischen  aufs  all- 
gemein Sittliche  ist  recht  geeignet,  die  Absurdität  der  heidni- 
schen Vorwürfe  erkennen  zu  lassen:  darum  werden  auch  hier 
mit  besonderem  Nachdruck  die  kriminellen  Schlagworte  reli- 
gio maiestatis  und  sacrüegium  wiederholt  und  das  politische 
Hetzwort  hostes  principum  Romanorum  herausgeschleudert, 
wozu  auch  hier  zuerst  als  das  negative  Komplement  das  nos 
nokint  Romanos  liaberi  kommt.  Das  ist  denn  die  beste  Ein- 
leitung zu  der  Retorsion,  die  mit  kluger  Berechnung  gerade 
an  die  Frage  der  Kaiserfeste  anknüpft  und  zunächst  nicht  die 

1)  Tert.  stellt  hier  als  allgemein  christlichen  Brauch  hin,  was 
seine  eigene  rigorose,  aber,  wie  de  idol.  15  lehrt,  auch  von  den  kar- 
thagischen Christen  keineswegs  durchweg  akzeptierte  Forderung  war: 
lucent  tabernae  et  ianuae  nostrae,  sagt  er  dort,  plures  iam  inveniai 
ethnicorum  fores  sine  hicernis  et  laureis  quam  Christianorum,  und  zwar, 
wie  sich  aus  dem  Folgenden  ergibt,  sowohl  bei  Götter-  als  bei  Kaiser- 
festen  (vorher  c.  13  von  den  Götterfesten:  munera  commeant,  strenae, 
consecrant  lusus,  convivia  constrepant,  nämlich  bei  den  Christen).  In 
der  Zeit  bis  zur  Abfassung  des  Apol.  war  darin  schwerlich  ein  so  durch- 
greifender Wandel  eingetreten,  daß  die  Zurückhaltung  der  Christen 
bereits  schweres  Ärgernis  erregte.  Tert.  verteidigt  also  den  Zustand, 
den  erwünscht,  nicht  den,  der  besteht;  die  Apologie  zeigt  den  Glaubens- 
genossen, weswegen  und  wie  sie  sich  zu  verteidigen  haben  müßten. 
Auf  die  recht  künstliche  Verknüpfung  der  Illumination  und  Türbe- 
kränzung  mit  der  Idololatrie,  die  Tert.  dort  gibt,  hat  er  hier  verzichtet; 
so  wird  sein  Abscheu  nicht  ganz  begreiflich:  nur  der  Satz  honesta  res 
est  soUmnitatc  publica  exigente  induere  domui  tuae  habitum  alicuius 
novi  lupanaris  ist  aus  idol.  15  ex.  beibehalten,  dort  aber  durch  das 
vorhergehende  si  templis  renuntiasti,  ne  feeeris  templum  ianuam  tuam 
besser  vorbereitet:  auch  diese  Einzelheit  spricht  dafür,  die  Schrift  de 
idol.  vor  das  Apol.  zu  datieren. 

33* 


442  Richard  Heinze:  [XXXV  i — 4 

Heiden  insgesamt,  sondern  die  echtesten  Römer,  die  Römer 
von  Rom  aufs  Korn  nimmt,  vemaculam  Septem  collium  plebem. 
Über  die  Loyalität  des  stadtrömischen  Pöbels  mochten  sich  in 
der  Tat  der  Kaiser  selbst  und  seine  praesides  und  praefecli 
keinerlei  Illusionen  hingeben;  aber  es  kann  scheinen,  als  lege 
Tert.  doch  gar  zu  viel  Gewicht  auf  Pasquille  und  gelegent- 
liche Schnödigkeiten  des  Amphitheaters,  wenn  er  daraus,  und 
aus  der  heimlichen  Sehnsucht  des  Pöbels  nach  den  congiaria 
eines  neuen  Kaisers,  Anlaß  nimmt,  die  Stadtplebs  als  hostes 
principum  zu  denunzieren.  In  der  früheren  Passung  der  Retor- 
sion (Nat.  I  17)  trat  die  Übertreibung  nicht  so  kraß  hervor: 
dort  war  gegen  den  Vorwurf  hostes  populi  zunächst  an  die 
Feinde  Roms  unter  den  nationes,  sodann  an  die  inneren  Feinde, 
die  Verschwörer  und  Cäsarmörder  erinnert:  dann  erst  kam 
die  ipsius  vernaculae  gentis  inreverentia:  si  non  armis,  sattem 
lingua  semper  rehelles  estis.  Das  hat  Tert.  in  der  rhetorisch 
gesteigerten  Bearbeitung  der  ganzen  Stelle,  die  er  im  Apol. 
gab,  an  die  Spitze  gestellt,  um  sich  die  Steigerung  vom  val- 
gus  zu  den  Vornehmen,  vom  Wort  und  Gedanken  zur  Tat 
zu  ermöglichen,  die  dem  Charakter  seiner  Rede  ebenso  gemäß 
ist,  wie  der  sorgfältig  ausgearbeitete  Kontrast  zwischen  dem 
Tun  jener  Empörer  und  ihrer  bis  zur  Empörung  zur  Schau 
getragenen  Loyalität.  Damit  bereitet  sich  Tert.  den  Weg  zu  einer 
glänzenden  antithetischen  Schlußsentenz,  die  in  der  Verall- 
gemeinerung von  Einzeltatsachen  wie  in  der  logischen  Unbe- 
kümmertheit zwar  ihresgleichen  sucht,  aber,  mit  Überzeugung 
vorgetragen,  auf  den  Hörer  wirken  konnte:  non  possumus  et 
Bomani  non  esse  et  hostes  esse,  cum  hostes  reperiantur  qui  Eo- 
mani  habebantur.  Beeinträchtigt  wird  die  Wirkung  dieses 
Schlusses  etwas  durch  einen  mit  eadem  officio,  dependunt  et .  . 
nicht  glücklich  angeflickten  Hinweis  auf  den  von  Heiden,  nie 
von  Christen  geübten  frevelhaften  Brauch,  die  Zukunft  betreffs 
des  Kaisers  zu  erforschen:  die  Annahme  liegt  nahe,  daß  Tert. 
zu  diesem  Zusatz  durch  die  Tagesereignisse  veranlaßt  wurde: 
während  Septimius  Pescennianas  reliquias  persequebatur  und 
dabei  auch  Freunde  als  Attentäter  hinstellte  (post  vindemiam 


XXXVI 2— XXXVII]  Tkrtullians  Apologetiuum.  443 

parricidariim  raccniatiu  supcrstes,  sagt  Tert.,  von  Leuten,  die 
sich  am  eifrigsten  in  Loyalitätsbezeugungen  ergangen  hätten), 
multos  etiam  t/iuisi  Chaldaeos  ant  vates  de  sua  salute  constdu- 
issent  interemit  (vita  15).  Man  wird  überhaupt  nicht  ver- 
kennen, daß  Tert.s  Zweifel  an  der  Loyalität  wie  des  römischen 
populus  so  des  Senats  ganz  im  Sinne  des  Septimius  Seve- 
rus  selbst  sind,  wie  denn  der  Apologet,  fern  jeder  Adulation, 
wie  sie  etwa  Athenagoras  betreibt,  doch  durchaus  bestrebt 
ist,  seine  Verteidigung  jedes  Scheins  von  antikaiserlicher 
Tendenz  zu  entkleiden;  er  deutet  mit  keinem  Worte  an,  daß 
der  Kaiser  selbst  jene  Ehrenbezeugungen  wünscht,  versichert 
wiederholt  das  Gegenteil1):  wir  sahen  ja  auch,  die  ganze 
Verteidigung  ist  so  geführt,  daß  die  Christen  dabei  als  die 
besten  und  um  das  Heil  des  Kaisers  verdientesten  Untertanen 
erscheinen.  Man  denkt  an  die  Kunst,  mit  der  Cicero  einen 
Sestius,  Rabirius,  Milo  als  makellose,  um  das  Gemeinwohl 
hochverdiente  Männer  hinstellt,  gerade  weil  die  Anklage  das 
Gegenteil  behauptet  hatte:  in  dieser  Tradition  steht  Tertullian. 

DIE  STELLUNG  DER  CHRISTEN  ZUR  HEIDNISCHEN      XXXVI— XLV 
GESELLSCHAFT. 

Den  Weg  zur  Darstellung  des  Verhältnisses  der  XXXVI  2—  XXXVII 
Christen  zur  heidnischen  Gesellschaft  bahnt  sich  Tertullian, 
indem  er,  scheinbar  nur  zur  Bekräftigung  des  über  den  Kaiser 
Gesagten,  auf  die  Haltung  der  Christen  gegenüber  ihren  Ver- 
folgern, den  Heiden  insgesamt,  hinweist.  Das  ist  eigentlich  ein 
neues  Kapitel,  aber  Tert.  verdeckt  hier,  und  im  folgenden  noch 
mehrfach,  den  Übergang  nach  Möglichkeit:  seine  Disposition 
ist  ja  eigentlich  erschöpft,  die  Dinge,  die  vor  Gericht  in  Frage 
kamen,  erledigt:  und  doch  hat  er  noch  manches  Vorurteil 
gegen    die    Christen    zu    zerstreuen,    so    gleich    hier    das    der 


1)  XXX  1  pro  staute  hnperatorum  deitm  invocamus  ueternum  .  . 
quem  et  ipsi  imperatores  propitium  sibi  praeter  ceteros  malunt;  sciunt 
(juis  Ulis  dederit  Imperium  e.  q.  s.  XXVIII  3  nee  ipse  se  deum  volet  dici. 
XXXV  3  qui  observemt  diseiplinam  dt-  Caesar  is  respectu,  hi  eam  propter 
Caesarem  deseruni. 


444  Richard  Heinze:  [XXXVHI.  XXXIX 

"Feindschaft  gegen  die  Menschheit'.  So  wird  denn  dieser 
Punkt  und  die  folgenden  möglichst  unauffällig  angereiht. 
'Nicht  in  äußeren  Ergebenheitsbezeugungen,  sondern  in  Sitte 
und  Gesinnung  ruht  die  Pietät  gegen  den  Kaiser:  und  wie 
gegen  ihn,  so  verhalten  wir  uns  gegen  alle  Menschen.  Wir 
hassen  niemanden,  da  wir  selbst  unsere  Feinde  zu  lieben  an- 
gewiesen sind,  und  so  verletzen  wir  auch  niemanden.  Beweis: 
wir  leiden  von  euch  und  dem  Volk,  und  doch  rächen  wir  uns 
weder  i.  heimtückisch  (durch  Brandstiftung  u.  dgl.)  noch 
2.  durch  offenen  Krieg  noch  3.  durch  eine  allgemeine  Aus- 
wanderung, die  das  Reich  veröden  und  euch  der  Feindschaft 
der  Dämonen  schutzlos  preisgeben  würde.  Wir  sind  also, 
wie  nicht  liostes  imperatorum,  so  auch  zwar  hostes  erroris  aber 
nicht  generis  humani.'  Man  weiß,  daß  dies  ein  Schlagwort 
der  Hetzer  gegen  Juden  und  Christen  war1);  kriminell  ist 
natürlich  nie  jemand  unter  diesem  Titel  belangt  worden,  aber 
Tert.  stellt  ihn,  seiner  konsequent  festgehaltenen  Praxis  ge- 
mäß, auf  eine  Stufe  mit  den  übrigen  Beschuldigungen.  Von 
den  anderen  Apologeten  hält  es  keiner  für  nötig,  sich  gegen 
diesen  Vorwurf  zu  wehren. 
XXX VIII.  XXXIX  Bisher  waren  Anschuldigungen  widerlegt,  die  den  ein- 
zelnen Christen  trafen:  als  einzelner  wird  er  ja  des  Mordes  und 
der  Blutschande,  des  sacrilegium  und  der  maiestas  beschuldigt. 
Tert.  wendet  sich  jetzt  zu  dem,  was  man  dem  korporativen 
Verhalten  der  secta  als  solcher  vorwirft;  auch  in  seiner  positiven 
Darlegung  XXXIX  verteidigt  er  nicht  die  individuelle  Moral 
der  Christen,  sondern  die  Reinheit  und  Sittlichkeit  des  Ge- 
meindelebens. Auch  was  dann  folgt,  omnis  popidaris  incom- 
modi  Christianos  esse  in  causa,  richtet  sich  gegen  die  Ge- 
samtheit, und  gegen  den  einzelnen  nur  insofern  er  ihr 
angehört.  Tert.  läßt  den  prinzipiellen  Unterschied  nicht  her- 
vortreten: tatsächlich  wird  ja  die  Sekte  als  Ganzes  zwar  gehaßt 
und  verschrien,  aber  nicht  angeklagt.  Wenn  man,  sagt  Tert., 
auch  nicht  soweit  ging,  die  Christen  der  Staatsfeindschaft  zu 
beschuldigen,  so  hat  man  ihre  Sekte  doch,  in  etwas  milderer 
1)  Harnack  Mission  und  Ausbr.  P  227  fg. 


XXXVIII.  XXXIX]    TertullianS  Apologeticum  445 

Beurteilung,  den  politisch  gefährlichen  und  darum  verbotenen 
Klubs  zugerechnet:  auch  dies  mit   Unrecht1),  denn  sie  haben 


i)  proinde  nee  paulo  letalis  inter  illicitas  factiones  seciam  istam 
deputari  oportebat,  a  qua  nihil  tale  committitur,  quäle  de  inlicitis  factio- 
nibus  praecavctur.  So  der  Fuldensis,  die  übrigen  Fidschi-,  geben  inter 
licitas  factiones,  und  die  neueren  Herausgeber  schließen  sich  ihnen 
durchweg  an:  ich  meine  mit  Unrecht,  denn  i.  gibt  es  bei  dieser  Les- 
art keine  annehmbare  Erklärung  für  das  nee  pa>d<>  lenius,  auch  nicht 
wenn  man  mit  üehler  den  Satz  als  Frage  faßt  ('müßte  hiernach  nicht 
mit  größerer  Milde  diese  Sekte  unter  die  erlaubten  Vereine  gerechnet 
werden'?').  Alle  Versuche  scheitern  sowohl  an  dem  nrc,  für  das  man 
non  erwarten  müßte,  wie  an  dem  paulo.  2.  hat  ja  Tert.  bisher  noch 
gar  nicht  erwähnt,  daß  man  die  Christen  zu  den  factiones  ill 
rechnet,  so  daß  er  dem  gegenüber  nun  hier  die  Anerkennung  als  factio 
licita  fordern  könnte.  Aus  dem  im  letzten  Kapitel  Gesagten  kann  er 
zwar  schon  den  Schluß  ziehen  (proinde),  daß  die  so  friedlich  gesinnten 
Christen  die  öffentliche  Ordnung  nicht  als  factio  illicita  stören  werden, 
aber  er  kann  unmöglich  folgern,  daß  die  Christen  als  'erlaubte  Verbin- 
dung' gelten  müßten.  3.  Schon  das  Wort  factio  beweist,  daß  Tert. 
hier  nicht  von  den  collegia  licita  redet ,  denn  factio  bezeichnet  durch- 
weg eine  'Partei',  die  den  Zwecken  des  öffentlichen  Lebens  dient,  also 
entweder  eine  Zirkuspartei  oder  eine  politische  Koterie,  ganz  überwiegend 
hier  im  übelen  Sinne;  es  kann  demnach  auf  collegia  nur  angewendet 
werden,  wenn  diese  sich  ihren  ursprünglichen  Zwecken  entfremden, 
hetaeriae  werden  (Traian  b.  Plin.  ep.  X  34,  1);  daher  ist  Tert.s  Aus- 
druck XXXIX  1  negotia  christianae  factionis  als  Zitat  zu  fassen  'der 
Gemeinde,  die  ihr  als  factio  bezeichnet';  vgl.  21  cum  probi,  cum  boni 
coeunt,  cum  pii,  cum  casti  congregantur,  non  est  factio  dicenda  .  .  at  e 
contrario  Ulis  nomen  factionis  adeommodandum  est,  qui  in  odium  bono- 
rum et  proborum  conspiraut.  Xiemals  tritt  in  Rechtsquellen  oder  sonsti- 
ger Literatur  oder  Inschriften  ein  konzessionierter  Verein  unter  dem 
Xamen  factio  auf  (vgl.  Liebenam,  Zur  Gesch.  u.  Organis.  d.  römischen 
Vereinswesens,  Lpz.  1890,  p.  163  ff.,  Waltzino.  e't.  hist.  sur  les  corpora- 
tions  profess.  chez  les  Rom.  I  1895  P-  339  ff.  :  licita  factio  wäre  also 
eine  contradictio  in  adiecto.  —  Dagegen  ist  die  Lesart  des  Fuldensis 
sprachlich  tadellos;  nee  'auch  nicht'  steht  für  ne  —  quidem  oft  bei 
Tert.,  wie  unmittelbar  vorher  porro  nee  tanti praesidii  compensationem 
cogitantes;  paulo  lenior  ist  immerhin  die  Bezeichnung  factio  illicita  als 
die  andere  hostes  generis  humani.  Die  "Wiederholung  von  illicitis  factioni- 
bus  im  Folgenden,  die  wohl  den  Anstoß  zur  Änderung  in  den  Hdschr. 
gegeben  hat,  hätte  sich  nur  durch  das  wegen  des  vorhergehenden  hostes 
nicht  ganz  unzweideutige  Pronomen  umgehen  lassen. 


446  Richard  Heinze:  [XXXVIH.  XXXIX 

mit  jenen  Klubs  nichts  gemein;  sie  werden  nie  zu  öffentlichen 
Unruhen  Anlaß  geben,  da  sie  weder  irgendwelche  politische 
Tendenzen  verfolgen1),  noch  auch  an  den  Schauspielen  — 
bekanntlich  den  Stätten  erbitterter  Parteikämpfe  —  teil- 
nehmen: wodurch  sie  ja  sogar  neues,  freilich  unberechtigtes 
Mißfallen  erwecken.2)     Im   vollen   Gegensatz   zu   den   Bestre- 


i)  Politischer  Ehrgeiz  ist  den  Christen  fremd,  nee  ulla  res  magis 
aliena  quam  publica.  Also  völlige  Staatsfremdheit:  Tert.  denkt  gar 
nicht  daran,  sie  abzuleugnen  (wie  Geffcken  Kynika  87  meint:  aber 
Staatsfeindschaft  ist  von  Staatsfremdheit  sehr  verschieden);  de  pall.  5 
bestreitet  er  die  Auffassung  patriae  et  imperio  reique  publicae  vivendum: 
errat  (so  ist  richtig  überliefert,  nicht  erat,  und  das  erklärt  auch  Sal- 
masius  p.  424,  wenngleich  er  versehentlich  erat  im  Text  hat)  olim  ista 
sententia :  nemo  alii  nascitur  moriturus  sibi.  Diese  Begründung  gibt  das 
pallium:  im  Apol.  sagt  Tert.  unam  omnium  rempublicam  agnoseimus, 
mwndum:  das  widerstreitet  nur  scheinbar  dem  Anspruch  Römer  zu  sein, 
den  Tert.  sonst  für  die  Christen  erhebt.     Vgl.  Harnack  a.  a.  0.  210,  1. 

2)  Daß  dies  Fernhalten  von  den  Schauspielen  keineswegs  durch- 
gängig Sitte  der  Christen  war,  zeigt  Tert.  selbst,  der  seine  Schrift  de 
speetaculis  (wahrscheinlich  kurz  vor  dem  Apol.,  s.  u.  459,  1)  geschrieben 
hat,  um  die  laxe  Auffassung  von  Glaubensgenossen  zu  bekämpfen;  er 
konnte  dort  (c.  24)  doch  schon  sagen  hinc  vel  maxime  intellegunt 
(ethnici)  factum  Christianum  de  repudio  speetaculorum ;  itaque  negat  ma- 
nifesto,  qui  per  quod  agnoscitur  tollit.  Natürlich  wird  diese  Fernhaltung 
von  den  Heiden  verübelt,  sowohl  aus  religiösen  Gründen  wie  weil  da- 
rin eine  hochmütige  Absonderung  zu  liegen  schien  (z.  B.  Celsus  bei 
Orig.  VIII  21.  24,  vgl.  VIII  3).  Tert.  dagegen  verwendet  die  Tatsache 
zunächst,  um  einen  anderen  Vorwurf,  den  der  factio,  zu  widerlegen  und 
geht  dann  nur  parenthetisch  auf  die  Beschwerde  der  Heiden  darüber 
ein.  Der  Übergang  dazu,  quo  vos  offendimus  etc.,  ist  recht  unvermittelt: 
es  war  ja  von  diesem  offendere  nicht  die  Rede  und  auch  nach  dem 
Zusammenhange  kein  Eingehen  darauf  zu  erwarten.  Andererseits  zerreißt 
der  in  den  Ausgaben  letzte  Satz  des  Kapitels  sed  lieuit  Epicureis  aliam 
decernere  voluptatis  veritatem,  id  est  animi  aequitatem  den  Zusammenhang 
zwischen  nee  vos  nostra  delectant  und  der  folgenden  Darlegung  dieser 
nostra.  Der  Satz  steht  aber  im  Fuldensis  auch  nicht  an  dieser  Stelle, 
sondern  vor  quo  vos  offendimus,  und  nur  der  Fuld.  hat  das  richtige  aliam 
statt  aliquam  erhalten.  Vielleicht  ist  diese  Stellung  richtig,  und  nach 
xysti  vanitate  demnach  eine  Lücke  anzusetzen,  in  der  etwa  gesagt  war 
'das  wißt  ihr  ja  selbst,  da  ihr  uns  dieses  Fernbleiben  zum  Vorwurf  macht, 
uns  nicht  erlauben  wollt,  selbst  zu  bestimmen,  was  voluptas  sei'. 


XXXVIII.  XXXIX |    Tertüllians  Apologeticum.  447 

bungen  der  verbotenen  factiones  stehen  die  der  christlichen 
sogenannten  factio.1)  Es  folgt  eine  Darstellung  des  christlichen 
Gemeindelebens,  durchsetzt  mit  polemischen  Seitenblicken  auf 
die  heidnische  Sittlichkeit;  Tert.  schließt,  indem  er  auf  die 
Beschuldigung  zurückweist,  von  der  er  ausging:  die  Christen- 
gemeinde hat  mit  dem  nichts  gemein,  weswegen  der  Staut 
die  factiones  verbietet. 

Man  hat  gemeint,  Tertullian  verfolgte  mit  dieser  Aus- 
einandersetzung den  durchaus  praktischen  Zweck,  der  Be- 
hörde den  Nachweis  zu  liefern,  daß  die  christlichen  Gemein- 
den den  gesetzlich  erlaubten  collegia  tenuiorim,  d.  i.  Bestattungs- 
vereinen, nach  Organisation  und  Absicht,  soweit  diese  rechtlich 
in  Betracht  kommen,  entsprächen  und  also  auch  ausdrücklich 
als  collegia  licita  anerkannt  werden  müßten.2)  Dieser  Deutung 
würde  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  von  vornherein  zuzu- 
gestehen sein,  wenn  sich  nachweisen  ließe,  daß  die  karthagische 
Gemeinde  sich  damals  schon  als  Bestattungs verein  konstituiert 
und  als  solcher,  natürlich  ohne  Angabe  des  christlichen  Charak- 
ters, politische  Genehmigung  erlangt  habe.  Indessen  ist  die 
auf  G.  B.  de  Rossi  zurückgehende  Auffassung,  daß  die  christ- 
lichen Gemeinden  sich  unter  der  Flagge  der  collegia  tenuiorum 
konstituiert  hätten,  so  erfolgreich  bestritten  worden3),  daß 
ich  es  mir  ersparen  kann,  auf  diese  in  der  Tat  zum  min- 
desten für  das  Karthago  tertullianischer  Zeit  ganz  unhaltbare 


i)  Der  enge  Zusammenhang  dieser  positiven  Ausführung  mit  der 
unmittelbar  vorhergehenden  negativen  ist  vor  allem  dadurch  klar,  daß 
Tert.  nachher,  am  Schluß  von  XXXIX  und  Anfang  von  XL,  auf  den 
Vorwurf  der  factio  zurückkommt.  Rauschens  Disposition  (p.  4),  die 
XXXIX — XLV  als  Darlegung  der  bona  Christianorum  in  einem  zweiten 
positiven  Teil  dem  ersten  apologetischen  (IV— XXXVIII)  gegenüberstellt, 
scheitert  schon  hieran;  aber  auch  in  XL  ff.  steht  die  Abwehr  der 
Angriffe  durchaus  im  Vordergrund. 

2)  K.  J.  Neumaxx,  Staat  und  Kirche  I  p.  noff. 

3)  R.  Sohm,  Kirchenrecht  I  (Lpz.  1892)  p.  75  Anm.  22;  Waltzing 
1.  1.  I  316  lehnt  die  Annahme  wenigstens  für  Tertüllians  Zeit  ab,  ohne 
sich  über  die  folgende  zu  äußern  (vorher,  noch  im  selben  Werk 
p.  133  f.,  150 f.  hatte  er  de  Rossia  Hypothese  gebilligt). 


448  Richard  Heinze:  [XXXVIII.  XXXIX 

Annahme  zurückzukommen.  Was  Tert.  selbst  betrifft,  so  ist 
auch  hier  bereits  von  anderer  Seite  mit  Recht  hervorgehoben 
worden,  daß  er  zwar  bei  seiner  Schilderung  cals  Seitenstück 
die  collegia,  insbesondere  die  collegia  tenuionim  im  Auge  ge- 
habt habe,  aber  grade  um  zu  zeigen,  daß  die  Eigentümlich- 
keiten des  Kollegienwesens  bei  den  Christen  nicht  zutreffen, 
daß  also  die  römische  Vereinsgesetzgebung  auf  die  Christen- 
o-emeinden  unanwendbar  sei'.1)  Ich  weise  nur  noch  darauf 
besonders  hin,  daß,  während  das  römische  Gesetz  ausdrück- 
lich tenuioribus  (Dig.  27,  42,  1  pr.)  die  Monatsversammlung 
zur  Beitragszahlung  gestattet,  also  die  Angehörigen  höherer 
Gesellschaftsklassen  —  weil  von  diesen  politische  Zettelungen 
eher  zu  erwarten  sind  —  ausschließt,  diese  Beschränkung 
natürlich  bei  den  Christengemeinden  nicht  zutraf2),  sowie 
weiterhin  darauf,  daß  eine  Gemeindeverfassung  —  um  dies 
eigentlich  nicht  zutreffende  Wort  zu  brauchen  —  die  an  die 
Mitglieder  weder  finanzielle  Ansprüche  stellt  (denn  bei  den 
Christen  sind  alle  Beiträge  freiwillig)  noch  den  Mitgliedern 
sämtlich  Gegenleistungen  garantiert  (denn  nur  die  Bedürftigen 


1)  Sohm  a.  a.  0.  Die  Tendenz  von  Tert.s  Schilderung,  den  Ab- 
stand zwischen  den  christlichen  Gemeinden  und  den  heidnischen 
Kollegien  ins  Licht  zu  stellen,  betont  auch  Waltzing  p.  3 1 6  ff.  richtig, 
aber  er  geht  immer  noch  zu  weit  in  der  falschen  Richtung,  wenn  er 
dem  Apologeten  die  Absicht  unterlegt,  für  die  Gemeinden  dieselbe  Dul- 
dung zu  beanspruchen,  die  auch  den  nicht  autorisierten,  aber  tat- 
sächlich harmlosen  Kollegien  von  seiten  der  Regierung  zuteil  wurde. 
Freilich  ist  er  irregeführt  durch  die  falsche  Lesart  inter  licitas  factiones 
(s.  0.  445,  1).  Ich  bemerke  übrigens,  daß  uns  durchaus  kein  Zeugnis  zu 
der  Annahme  berechtigt,  daß  die  römische  Vereinsgesetzgebung  je 
gegen  die  Christen  angewandt  worden  sei;  wenn  einzelne  Gemeinde- 
mitglieder in  Bithynien  sich  nach  Veröffentlichung  von  Trajans  Edikt 
gegen  die  Hetärien  von  den  regelmäßigen  Zusammenkünften  fern  ge- 
halten haben,  so  waren  das  besonders  ängstliche  Leute;  der  Statt- 
halter selbst  hat,  wie  aus  seinem  Bericht  zu  schließen,  nicht  daran 
gedacht,  jene  Vereinigungen  als  Hetärien  zu  unterdrücken  (Plin.  ad 
Trai.  96,  7). 

2)  XXXVH  4  orbem  iam  et  vestra  omnia  implevimus,  urbes  insulas 
castella  municipia  eastra  ipsa   tribus  decurias  palatium  senatum  forum. 


XXXVIII.  XXXIXj     Tertullians  Apologeticum.  449 

werden,  im  Leben  oder  im  Tode,  unterstützt),  aLlem  widerspricht, 
was  wir  sonst  von  der  Organisation  jener  Collegia  erfahren. 
Auch  ist  es  gewiß  nicht  zufällig,  daß  (worauf  schon  SOHM 
hinweist)  Tert.  die  Bezeichnung  cöllegium  durchweg  vermeidet, 
auch  mit  keinem  Worte  andeutet,  daß  die  Gemeinden  zwar 
nicht  als  religiöse  Genossenschaften,  aber  in  anderer  Weise 
sich  der  Organisation  des  heidnischen  Lebens  bedienten:  er 
würde  damit  seiner  durchgehenden  Tendenz,  alles  Christliche 
als  etwas  durchaus  Neues,  vom  heidnischen  Wesen  Abwei- 
chendes darzustellen,  entgegenarbeiten.  Endlich  muß,  gerade 
wer  Tert.s  juristische  Bildung  hoch  anschlägt,  für  ausge- 
schlossen bei  ihm  halten  den  plumpen  Versuch,  des  Verbotes 
des  Christentums  ungeachtet  die  Christengemeinden  als  solche 
unter  die  collegia  licita  aufnehmen  zu  lassen,  selbst  ange- 
nommen, daß  sie  im  übrigen  die  für  diese  geltenden  Bestim- 
mungen erfüllt  hätten. 

Tert.s  Schilderung  berührt  sich  natürlich  in  manchem 
mit  dem,  was  die  griechischen  Apologeten  über  Lebensführung 
und  Gottesdienst  der  Christen  angeben:  zu  vergleichen  wäre 
insbesondere  etwa  Aristides  c.  15  und,  noch  näher  stehend, 
Justin  Apol.  I  61  —  67.  Aber  der  besondere  Gesichtspunkt, 
den  Tert.  hier  im  Auge  hat,  bestimmt  auch,  im  Unterschied 
von  jenen  anderen,  seine  Auswahl:  er  spricht  einmal  nur 
über  das,  was  die  Christengemeinde  als  solche  betrifft1), 
handelt  also  nicht  über  christliche  Sitte  im  allgemeinen;  und 
er  erwähnt  zweitens  nichts,  was  nicht  dem  speziellen  apolo- 
getischen Zweck,  den  er  hier  verfolgt,  diente,  geht  also  nicht, 
wie  z.  B.  Justin,  auf  Einzelheiten  des  Kultus,  Tauf-  und 
Abendmahlsritus  u.  dgi.  ein,  so  wichtig  das  auch  an  sich 
für  den  Christen  selbst  sein  mag.  Behält  man  weiter  im 
Auge,  daß,  wie  Tert.  selbst  angibt,  den  factiones  vor  allem 
vorgeworfen  wurde,  daß  sie  Zwietracht  und  Gewalttat  er- 
zeugen,  überhaupt  die  modestia  publica  beeinträchtigen,    so 


1)  Auch  das  spricht  gegen  die  oben  zurückgewiesene  Disposition 
Häuschens. 


450  Richard  Heinze:  [XXXIX  i — 13 

sieht  man  aufs  klarste,  wie  wohlüberlegt  Tert.  die  bona  chri- 
stianae  factionis  auswählt  und  darstellt. 

XXXEK  1—4  1.  Tendenz  und  Zweck  der  Vereinigung:  daß  beides  rein 
spirituell  ist,  wird  stark  betont;  dadurch ,  daß  termini  der 
Vereinssprache  —  corpus  sumus,  coimus  in  coetum  et  congre- 
gationem  —  angewandt  werden,  tritt  der  Unterschied  zu  den 
Gewöhnlichen  Vereinen  mit  ihren  sehr  irdischen  Tendenzen 
stark  hervor;  der  Gegensatz  zu  den  auf  politische  Zusammen- 
rottung und  gewalttätige  Propaganda  ausgehenden  fadiones 
ist,  daß  die  Christen  quasi  manu  facta  —  die  Kommentare 
geben  für  diesen  Ausdruck  feine  Bande  bilden'  Belege  — 
sich  an  Gott  mit  Gebeten  wenden:  haec  vis  deo  grata.  Und 
gebetet  wird  für  die  Regierenden,  für  Frieden  und  Ruhe  — 
wieder  im  Gegensatz  zum  Treiben  der  fadiones.  Auch  für 
die  Mitglieder  ist  der  Gewinn,  den  sie  erhoffen,  rein  spirituell: 
fiäem  sanctis  vocibus  pascimus  etc. ;  dieses  sanctum  commercium 
(nicht  sonstiger  persönlicher  Vorteile)  verlustig  zu  gehen,  ist 
die  schwerste  Strafe  derer,  die  sich  etwas  zu  schulden  kom- 
men lassen:  nam  et  iudicatur  magno  cum  pondere,  ut  apud 
certos  de  dei  conspedu:  also  strenge  Aufsicht  über  die  Mit- 
glieder, im  Gegensatz  zu  den  in  den  fadiones  geduldeten 
Übeltätern. 

XXXIX  5—13  2.  Organisation:  auch  hier  das  rein  Spirituelle  betont  — 
das  Geld  spielt  keine  Rolle,  weder  bei  der  Bestellung  der  Vor- 
steher (für  deren  Trefflichkeit  alle  Garantien  gegeben  sind: 
probati  quique  seniores),  noch  bei  der  Aufnahme,  noch  weiterhin : 
Mitgliederbeiträge  werden  nur  freiwillig  gezahlt.  Was  dadurch 
zusammenkommt  —  eigentliches  Gemeindevermögen,  arca,  ist 
es  nicht  (si  quod  arcae  genus  est),  vielmehr  quasi  deposita 
pietatis1)  —  wird  nicht  für  Gelage  und  Feste,    sondern    für 


1)  Vgl.  Justin  Apol.  I  67  tö  ovXXsyöpevov  nuQa  reo  Ttgohexäti  aito- 
ri&srca,  xca  avrbg  imxovqsl  ogcpavotg  ts  ■aal  %rjQccig  kccI  zoig  dicc  vöaov 
r\  St  oL%\r\v  cclxLecv  Xentoiiivoig  hcu  xoig  iv  Ssß^iolg  ovöt,  Kai  roig  TtuQsni- 
Ö7]fiOLg  ov6i  £,ivoig,  xul  ccnX&g  7tü6i  tolg  iv  %qsIu  ovat,  xrjdffiwv  ylyvstcci. 
Also  der  Vorsteher  verfügt  über  das  bei  ihm  deponierte  Geld  für  wohl- 
tätige Zwecke  nach  freiem  Ermessen. 


XXXIX  i4—2i]  Tei:i'ii.i.[an>  APOLOGETK  l  m.  451 

wohltätige  Zwecke  verwendet:  also  helfen,  nicht  wie  bei  den 
factiones  schaden,  ist  die  praktische  Seite  der  Tätigkeit;  das 
leitende  Prinzip  nicht  Feindschaft  nach  außen,  sondern  Liebe 
im  Innern:  daher  der  Brudername  (der  wieder  spirituell  be- 
gründet wird:  qui  ununi  spiritum  biberint  sanctitatis)1),  der 
Kommunismus  des  Besitzes  —  aber  nicht  der  Frauen;  bei 
den  Heiden  ist's  umgekehrt. 

3.  Die  gemeinsamen  Mahlzeiten:  auch  sie  auf  die  XXXIX  14—19 
gegenseitige  Liebe  gegründet  —  quid  ergo  mi/rum,  si  tarda 
Caritas  convicatur?  —  daher  auch  aydxr}  dilectio  genannt.  Auch 
sie  ist  zugleich  Wohltätigkeit,  und  der  Verlauf  so  spirituell  wie 
möglich  —  ut  qui  non  tarn  cenam  cenaverint  quam  disciplinam 
— :  nihil  inmodestiae  admittit;  der  Gedanke  an  Gott  be- 
herrscht das  Ganze  vom  Anfang  bis  zum  Ende:  auch  nach- 
her keine  wüsten  Gewalttaten  —  disceditur  non  in  catervas 
caesionwn  nee  in  elasses  discursationum  .  .  sed  in  eandem 
curam  modestiae  et  pudicitiae. 

Tert.  resümiert,  daß  diese  Art  der  Vereinigung  zu  nie-  XXXIX  20.  21 
mandes  Schaden  ist  (in  cuius  perniciem  aliquando  conveninms?), 
wie  die  der  factiones,  daß  die  vereinigten  Christen  genau  die- 
selben sind  wie  die  einzelnen:  also  verdienen  sie  den  Namen 
faebio  nicht,  und  bei  der  Beurteilung  der  Christen  kann  über- 
haupt der  Gesichtspunkt,  daß  sie  eine  Gemeinde  bilden,  ganz 


1)  Bei  der  Imitation  dieser  Stelle  verfallt  Min.,  wie  wir  es  schon 
öfter  fanden,  im  Bestreben,  zu  variieren,  in  eine  seiner  fatalen  Über- 
treibungen. Tert.  sagte  'vide'  inquiunt,  rut  invicem  se  diligemf  —  ipsi 
enim  invicem  oderunt  —  ret  ut  pro  altern tro  mori  sint  parat?  — 
enim  ad.  oeeidendum  alterutrum  paratiores;  danach  Min.  31,  8  vos  .  .  in 
mtdua  odia  saevitis,  nee  fratres  vos  nisi  sanc  ad  parrieidium  recognos- 
citis.  Vorher:  nos  mutuo  amore  diligimus,  quoniam  odisse  non  novi- 
mus:  die  schwache  Begründung  nach  Tert.  XXXVII  1  quem  .  .  habemus 
odisse?;  sodann  nos  fratres  vocamus  ut  unius  dei  parentis  homines: 
warum  nicht  filii  (&sov  xiwia  Rom.  8,  17,  woher  vielleicht  das  fol- 
gende coheredes)?  doch  wohl  weil  Tert.  gesagt  hatte:  wir  ?ind  auch 
eure  Brüder,  als  Söhne  der  Mutter  Natur,  d.  h.  als  Meuschen:  etsi  vos 
partim  homines,  quia  malt  fratres;  dann:  umsomehr  sind  die  Christen 
untereinander  Brüder  qui  unum  patrem  deum  adgnoverint. 


452  Richard  Heinze:  [XL.  XLI 

aus  dem  Spiele  bleiben.1)  Daß  andererseits  die  Gegner  den 
Namen  f actio  verdienen,  die  in  odium  bonorum  et  proborum  con- 
spirant,  diese  Behauptung  ist  natürlich  nicht  im  eigentlichen 
Sinne  zu  nehmen:  die  Gegenanklage  ist  hier  zur  rhetori- 
schen Figur  geworden;  gleichzeitig  dient  sie  dazu,  eine  neue 
Beschuldigung,  die  gegen  die  Christen  erhoben  wird,  einzu- 
führen, ohne  den  Übergang  merklich  zu  betonen. 
XL.  XLI  'Die  Christen  sind  schuld  an  jedem  Unheil,  das  die  Ge- 

samtheit betrifft' :  also  auch  aus  diesem  Grunde  eine  Gefahr 
für  das  gemeine  Wohl.  Die  Beschuldigung  (die  nach  Tert.  im 
Grunde  nur  ein  Vorwand  für  den  Haß  gegen  die  Christen 
ist),  schließt,  wie  man  sieht,  eng  an  die  vorhergehenden  an, 
auch  insofern,  wie  wir  schon  sahen,  als  sie  sich  gegen  die 
Gesamtheit,  nicht  gegen  einzelne  richtet:  nur  daß  die  Christen 
ohne  selbst  etwas  direkt  dazu  zu  tun,  lediglich  dadurch,  daß 
sie  den  Zorn  der  Götter  hervorrufen,  verderblich  wirken.  Es 
ist  das  erstemal,  daß  uns  in  der  Literatur  der  Vorwurf  ent- 
gegentritt, und  es  ist  ohne  weiteres  verständlich,  daß  er  erst 
in  einer  Zeit  erhoben  wurde,  in  der  das  Christentum  eine 
solche  Ausbreitung  erlangt  hatte,  daß  die  Vorstellung,  es 
übe    einen  Einfluß    auf   die   Weltgeschicke    aus,    sich   bilden 

i)  Hoc  sumus  congregati  quod  et  dispersi,  hoc  universi  quod  et 
singuli,  neminem  laedentesy  neminem  contristantes :  damit  wird  auf  die 
Darlegung  zurückgegriffen,  die  Tert.  von  der  Friedfertigkeit  der  singuli 
XXXVII  gegeben  hatte  {quem  habemus  odisse  .  .  quem  possunms  laedere? 
hieß  es  dort),  und  die  Tendenz  der  ganzen  Schilderung  des  Gemeinde- 
lebens aufs  klarste  herausgestellt.  —  Minucius'  Octavius  antwortet  auf 
die  Schmähung  des  Caecilius  homines  deploratae,  inlicitae  ac  desperatae 
factionis  .  .  qui  .  .  plebem  profanae  coniurationis  instituunt,  quae  noc- 
turnis  congregationibus  .  .  foederatur  (8,  3  fg.)  mit  dem  einen  Sätzchen : 
nee  factiosi  sumus,  si  omnes  unum  bonum  sapimus  eadem  congregati 
quiete  qua  singuli  (31,  6,  es  ist  aber  von  der  quies  der  singuli  vorher 
nicht  die  Rede  gewesen):  kein  Zweifel,  meine  ich,  daß  dies  das  Resume, 
nicht  die  Quelle  der  tertullianischen  Ausführung  ist.  Das  unum  bonum 
sapere  hat  übrigens  nichts  mit  dem  ro  avvb  tpQovslv  slg  cclXrjlovg  von 
Rom.  12,  16  usf.  zu  tun,  was  man  dafür  zitiert,  sondern  erklärt  sich 
aus  Apol.  XXXIX  1  corpus  sumus  de  .  .  diseiplinae  unitate  und  9  fratres 
.  .  qui  unum  spiritum  biberint  sanetitatis. 


XL  1—9]  Tertulliahts  Apologeticum.  453 

konnte;  Tert.  scheint  aus  eigner  Erfahrung  zu  sprechen1), 
aber  es  ist  natürlich  recht  wohl  möglich,  daß  schon  damals 
heidnische  Literaten  die  Beschuldigung  erhoben  hatten,  wie 
es  später  nachweislich  der  Fall  gewesen  ist.2')  Jedenfalls 
kennen  wir  vor  Tert.  keine  christliche  Verteidigung  dagegen, 
und  was  Tert.  bringt,  trägt  so  sehr  das  Gepräge  seines 
Geistes,  daß  wir  auch  daraus  auf  eine  ältere  Vorlage  nicht 
schließen  würden. 

1.  Auch  vor  Christi  Ankunft  hatte  die  Welt  und  Rom  XL  1—9 
unter  schweren  Unglücksschlägen  gelitten.  I.  Das  Meer  hat 
Land  und  Leute  verschlungen:  A.  Inseln  a)  des  ägäischen 
Meeres,  b)  Atlantis:  B.  Stücke  des  Festland.-:  so  ist  der 
Meerbusen  von  Korinth  und  die  Meerenge  von  Messina  ent- 
standen. II.  A.  Vom  Himmel  herab  haben  a)  Wasserfluten  die 
ganze  Erde  oder  wenigstens  —  nach  Plato  —  die  niedriger 
gelegenen  Teile  überschwemmt,  b)  ein  Feuerregen  Sodom 
und  Gomorra  vertilgt,  und  B.  in  Italien  selbst  ist  Volsinii 
durch  Blitze,  Pompeji  durch  den  Ausbruch  des  Vulkans  ein- 
geäschert worden.  III.  Hannibal  hat  die  Römer  bei  Cannä 
vernichtet;  die  Gallier  haben  sogar  das  Kapitol  besetzt.  — 
Formal  betrachtet  fällt  ins  Auge  die  symmetrische  Gruppie- 
rung der  Beispiele,  sowie  das  Anordnungsprinzip  innerhalb 
der   beiden    ersten    Gruppen:    Fortschritt   vom    Ferneren    zum 


1)  Aus  eigener  Erfahrung  erzählt  später  Origenes  (comment  ser. 
in  Matth.  39,  t.  4  p.  270  Lomm.,  zitiert  von  Harnack  Miss.  u.  Ausbr. 
I  410,  2),  daß  infolge  von  Erdbeben,  die  man  den  Christen  schuld  gab, 
Verfolgungen  ausgebrochen  sind. 

2)  Vgl.  Geffcken-  62  fg.,  92  fg.  —  Geffcken  glaubt  schon  bei 
Aristides  VIII  6  eine  Abwehr  des  Vorwurfs  zu  finden,  der  uns  hier  be- 
schäftigt; indessen  imputiert  er  wohl  zu  Unrecht  dem  Apologeten  die 
'volle  Überzeugung,  daß  die  Sünde  die  Ursache  alles  Elends  sei' : 
Aristides  behauptet  nur,  der  heidnische  Glaube  an  die  Gewalttaten 
ihrer  Götter  sei  der  Grund,  weshalb  sie  selbst  dergleichen  begingen 
(also  zu  vergleichen  z.  B.  Tert.s  Apol.  LX  16  incesti  qui  magis  quam 
quos  ipse  Iuppiter  doeuit ).  Der  Syrer  hat  das  Original,  wie  sehr  häufig, 
verfälscht,  indem  er  zwischen  jro/U'fioug  und  acpayäg  die  'großen 
Hungersnöte'  einschob. 


aca  Richard  Heixze:  [XL  10— XLI  i 

Näheren,  bis  in  der  dritten  Gruppe  als  letzter  Trumpf  die 
Burg  von  Rom  (freilich  mit  einem  bedenklichen  Schnitzer) 
ausgespielt  wird:  ein  deutlicher  Beweis  dafür,  daß  Tert.  auch 
wenn  er  in  Karthago  schreibt,  doch  immer  Rom  als  das 
die  Interessen  der  Hörer  beherrschende  Zentrum  im  Auge 
behält.  Die  sachlichen  Angaben  scheint  Tert.,  soweit  über- 
haupt eine  bestimmte  Quelle  vorauszusetzen  ist,  Plinius' 
Naturgeschichte  zu  verdanken1):  auch  dies  spricht  dafür,  daß 
das  Gegenargument  nicht  schon  aus  griechischer  Apologetik 

stammt. 

Der  letzte  Satz  leitet  schon  zum  zweiten  Teil  der  Be- 
trachtung über: 
XL  io— XLI  i  2.  All  dies  Unglück  ist  nicht  von  euren  Göttern  gesandt 
worden,  sondern  vom  wahren  Gott,  als  Strafe  für  die  Ver- 
nachlässigung, die  ihm  und  seinem  Willen  von  den  Menschen 
wurde;  sein  Zorn2)  ist  auch  jetzt  noch  der  Anlaß  zu  Un- 
glücksschlägen, die  die  Allgemeinheit  betrafen;  nicht  das 
Christentum    also,    das    vielmehr  dazu  gedient  hat    und  noch 


i)  Die  Kommentare  geben  die  Zitate;  ein  schlimmer  Gedächtnis- 
fehler Tert.s  hat  aus  dem  Auftauchen  der  Inseln  Delos  usf.,  das 
Plinius  berichtet,  ein  Versinken  ins  Meer  gemacht.  Von  Plinius 
konnte  Tert.  außerdem,  und  zwar  aus  demselben  zweiten  Buch,  sowohl 
den  Einbruch  des  korinthischen  und  des  sicilischen  Meeres  wie  die 
Einäscherung  von  Yolsinii  lernen;  die  Schilderung  der  Vegetation 
am  Toten  Meer  hat  er  durch  einen  Zug  aus  Tacitus  (hist.  V  6,  7)  be- 
reichert, der  in  nächster  Umgebung  einer  früher  von  ihm  benutzten 
Stelle  (XVI:  hist.  V  3)  sich  fand;  für  die  Atlantis  und  die  platonische 
Sintflut,  für  Pompeji  und  die  römischen  Niederlagen  bedurfte  es 
keiner  besonderen  Quellen.  —  Einen  Teil  der  Beispiele  hat  Tert. 
später  in  de  pallio  c.  2  wiederholt,  hier  als  Belege  für  den  Wandel 
des  Erdantlitzes;  Beziehungen  zu  Varro  hat  Geffcken  Kynika  94  ff.  in 
diesem  Kapitel,  mit  Unrecht  wie  mir  scheint,  angenommen. 

2)  eunclem  igitur  nunc  quoque  scire  debet  iratum,  quem  et  retro 
semper.  Den  rZorn  Gottes'  erkennt  Tert.  also  jetzt  schon  (vgl.  auch 
die  unzweideutigen  Aussagen  test.  an.  2),  nicht  erst  im  Kampfe  gegen 
Marcion  an:  die  Äußerung  abiit  omnis  felicitas  eius  si  quid  patitur 
umquam  (Nat.  II  6),  die  Pohlenz  dagegen  zitiert  (Vom  Zorne  Gottes  25), 
bezieht  sich  nicht  auf  psychische  7täQ-r}. 


XLI 2 — 6]  Terti'i.i.ianx  Apou >i.i:ticum.  455 

dient,  Gott  gnädiger  zu  stimmen1),  sondern  ihr  seid  schuld, 
die  ihr  ihn  verachtet,  und  er  zürnt,  nicht  die  von  euch  ver- 
ehrten Götter:  die  ja  auch  höchst  unbillig  wären,  wenn  sie 
euch  mit  uns  zusammen  leiden  ließen.  —  Audi  hier  leitet 
dieser  letzte  Satz  zu  einer  neuen  Erwägung  aber. 

3.  Man  wendet  ein,  das  Gleiche  sei  gegen  unseren  Gott  XLI  2—6 
zu  sagen,  wenn  er  um  der  Ungläubigen  willen  auch  seine 
Verehrer  leiden  lasse.  Dabei  verkennt  man  erstens  Gottes 
Absichten,  und  übersieht  zweitens,  daß  wir  in  Wahrheit  gar 
nicht  leiden.  Gott  läßt  bis  zum  jüngsten  Gericht  Gnade  und 
Strenge  gleichmäßig  den  Seinen  wie  den  Ungläubigen  zuteil 
werden,  das  Unglück  uns  zur  Mahnung,  euch  zur  Strafe.") 
Und  wir  leiden  nicht,  weil  wir  an  der  Welt  nicht  hängen, 
haben  auch  andere  Trostgründe  im  Unglück:  daß  die  Schuld 
auf  euch  fällt,  und  daß  Gottes  Weissagungen  sich  sichtbar- 
lich  erfüllen,  was  unseren  Glauben  und  unsere  Hoffnung  be- 
stärkt.  Für  euch  gelten  diese  Gründe  nicht:  gegen  euch  wä- 
ren eure  Götter  undankbar  und  ungerecht,  wenn  sie  euch  um 
unsertwillen  mit  leiden  ließen:  denn,  meint  Tert.,  die  Heiden 
empfinden  ja    das  Unglück   als  Leid.3)     Die  Elemente   dieser 

1)  und  zwar  einerseits  durch  die  neue  Sittlichkeit  (innocentia  sae- 
euli  iniquitates  temperavif),  andererseits  durch  die  christlichen  Für- 
bitten (deprecatorcs  dei  esse  coeperunt).  Das  liegt  weitab  von  der  Auf- 
fassung Melitos,  der  in  seiner  Eingabe  an  Antoninus  Pius  dem  Christen- 
tum einen  —  nicht  näher  definierten  —  günstigen  Einfluß  auf  die 
Entwicklung  des  Imperium  Romanum  zuschrieb  und  daraus  eine  Zu- 
sammengehörigkeit heidnischer  ßaadsicc  und  christlicher  cpiloaocpla 
ableitete  (Euseb.  h.  e.  IV  26,  7).  Solchen  politischen  Utopien  steht  Tert. 
ganz  fern;   literarische  Vorläufer   seiner  Auffassung   kennen   wir   nicht. 

2)  Dies  Argument  entwickelt  dann  Augustin  c.  d.  I  8  ff. 

3)  Eine  heidnische  Replik  dagegen  (ut  unus  atque  alius  vanii  - 
mus  ait)  lernen  wir  Nat.  I  9  kennen:  die  Götter  zürnen  den  Heiden, 
weil  sie  lässig  sind  in  der  Ausrottung  der  Christen.  Das  scheint  Zi- 
tat aus  einer  heidnischen  Polemik  zu  sein;  jedenfalls  lehrt  es,  daß  die 
Kontroverse  schon  vor  Tert.  hin  und  her  behandelt  worden  ist.  Tert. 
erwiedert  darauf  'also  vermögen  eure  Götter  sich  nicht  selbst  zu 
rächen:  ein  Beweis  ihrer  infirmitas  et  mediocritas\  Es  scheint,  daß  die 
mediocritas  dieses  Gegenarguments  Tert.  selbst  zum  Bewußtsein  kam, 
so  daß  er  im  Apol.  vorzog,  die  ganze  Erörterung  wegzulassen. 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  3  | 


456  Richard  Heinze:  [XLII.  XLI1I 

Theodicee  finden  sich  großenteils  schon   hei  Justin,  dem  Be- 
gründer einer  christlich-philosophischen  Theodicee:  allerdings 
hat  dieser  dabei   nicht   die  Übel   der  Welt    im  allgemeinen, 
sondern  die  Übel  der  Christenverfolgung  im  Auge.    Auch  er 
beruft  sich  darauf,  daß  die  Propheten  das  ja  alles  verkündigt 
hätten  (vgl.  II  8  Dial.  35),   daß    die    Christen   nicht  an   der 
Welt  hängen,    vielmehr  nichts  sehnlicher  wünschen,   als  von 
ihr  erlöst  zu  werden  (ap.  I  8);  auch  er  verteidigt  Gott,  indem 
er  die  Schuld  den  Gegnern  zuschiebt  (ap.  I  57);  auch  für  ihn 
steht  es  fest,  daß  Gott  die  endgültige  Abrechnung  mit  gutem 
Bedacht  auf  den  jüngsten  Tag  verschiebe  (und  damit  hat  die 
christliche  Theodicee  einen  großen  Vorsprung  vor  der  stoisch- 
philonischen,  die  sieh   ja  sonst  in  ihren  Versuchen,    das  Lei- 
den der  Guten  zu  rechtfertigen,  unzweideutig  als  Vorläuferin 
der  christlichen  erweist1);  und  wenn  er  die  Verzögerung  da- 
mit erklärt  (ap.  I  28  u.  ö.),   daß  Gott  noch  einigen  Zeit  zur 
Umkehr    geben    wolle,    so    mag    auch    Tert.    diesen    Glauben 
hegen,  hält  es  aber  für  überflüssig,  seinen  Gegnern  diese  ver- 
borgenen Pläne  Gottes  zu  enthüllen,   wie  er  denn  überhaupt 
das  philosophische  Fundament  der  justinischen  Theodicee,  die 
Lehre  von   der  menschlichen  Entscheidungsfreiheit   zwischen 
Gut  und  Böse,  hier  ganz  zurücktreten  läßt,  so  entschieden  er 
auch  in  andern  Schriften  sich  dazu  bekennt.    Bemerkenswert 
ist    weiterhin    auch    hier    wieder,    gerade    im    Gegensatz    zu 
Justin,  die  präzise  Knappheit  seiner  Darlegung,  die  eine  Fülle 
von   Gedanken    in    ein   kurzes   Kapitel   zusammendrängt:    der 
Gegenstand  verträgt  keine  rhetorische  expolitio. 

XLII.  XLIII  Die  Heiden  glauben  also  um  der  Christen  willen  Scha- 
den zu  erleiden  durch  die  von  den  Göttern  gesandten  Strafen; 
sie  klagen  uns  aber,  fährt  Tert.  fort,  auch  noch  in  anderer 
Weise  widerrechtlicher  Schädigung  an:  wir  seien  infruäuosi 
negotiis,  ließen  sie  nichts  verdienen.  Mio  iniuriarum  titulo 
postulamur  —   da    ist    mit    iniuria   natürlich    nicht   'Beleidi- 

1)  Vgl.  "Wesdland,  Philos  Schrift  über  d.  Vorsehung,   Berl.  1892, 
p.  17  ff- 


XLII.  XIJllj  Tertullians  Apologeticum.  157 

gung'  gemeint,  die  zur  actio  irmvrianoit  führte,  sondern  wi- 
derrechtlicher Nachteil',  den  es  in  den  Rechtsbüchern  nicht 
selten  hat;  insbesondere  ist  ja  die  iniuria  zur  Konstituierung 
des  Privatdelikts  erforderlich,  das  als  damnwm  iniuria  unter 
die  lex  Aquilia  fällt,  Im  eine  angebliche  Vermögensschädi- 
gung  handelt  es  sich  auch  im  vorliegenden  Falle;  freilich  mir 
eine  durch  Unterlassung  zugefügte  und  in  Wahrheit  keines- 
wegs widerrechtliche,  so  daß  ein>'  Anklage  darauf  hin  völlig 
ausgeschlossen  ist;  das  weiß  Tert.  sehr  wohl  und  wählt  da- 
her auch  keine  technisch  korrekte  Deliktsbezeichnung;  aber 
er  nähert  sich  doch  so  viel  wie  möglich  der  Gerichtssprache, 
da  er  eben  an  der  Form  der  Gerichtsrede  festhält. 

Tert.  bestreitet  zunächst  die  infruetuositas  im  allgemei- 
nen mit  dem  zweifellos  zutreffenden  Hinweis  auf  die  Beteili- 
gung der  Christen  am  täglichen  Leben,  an  Erwerb  und  Beruf 
der  Heiden:  weist  zweitens  nach,  daß  der  Verzicht  der  Christen 
auf  Teilnahme  an  heidnischen  Festen  und  Festbräuchen  keine 
materielle  Schädigung  bedeute,  da  die  Christen  eben  dasselbe 
brauchen  und  kaufen,  wTie  bei  jenen  Gelegenheiten  die  Heiden, 
nur  bei  anderen  Gelegenheiten  und  z.  T.  zu  anderen  Zwecken; 
betont  drittens,  daß  der  Ausfall,  den  die  Tempeleinkünfte 
durch  die  Christen  erleiden,  abgesehen  von  dem  vielen,  das 
di<  se  zu  wohltätigen  Zwecken  spenden,  reichlich  wett  gemacht 
wird  durch  die  größere  Gewissenhaftigkeit  der  ('bristen  im 
Zahlen  der  sonstigen  Abgaben;  und  räumt  schließlich  ein, 
daß  für  Kuppler,  Bravi,  Wahrsager  die  Christen  freilich 
fruetuosi  sind,  was  aber  in  Wahrheit  magnus  est  fruetus. 
Den  etwaigen  Verlusten  aber,  die  die  Heiden  durch  die 
Christen  erleiden,  stehen  gegenüber  die  großen  Vorteile,  die 
sie  bringen:  abgesehen  vom  Schutz  gegen  die  Dämonen  und 
von  den  wirkungsvollen  Gebeten  sind  die  Christen  der  All- 
gemeinheit deshalb  wertvoll,  weil  niemand  etwas  von  ihnen 
zu  fürchten  hat.  Wir  haben  also  zunächst  (bei  i.  2)  eine 
controversia  di  facto  Mains  conieckiralis):  der  Angeklagte 
leugnet  die  Tat;  haben  sodann  (3)  ein  —  ironisches  —  Ein- 
geständnis der  Tat  mit  Anführung  entschuldigender  On  stä 

34  * 


458  Richard  Heinze:  [XLIV.  XLV 

und  einer  compensatio  —  also  constitutio  iuridicialis  assump- 
tiva;  haben  endlich  (4)  ein  offenes  Zugeständnis  der  Tat,  die 
aber  als  ehrenwert  und  verdienstlich  bezeichnet  wird:  consti- 
tutio iuridicialis  absoluta;  endlich  wird,  da  ja  das  tatsächliche 
damnum  nicht  zu  leugnen  ist,  eine  generale  compensatio  ange- 
führt.   Man  sieht,  Tert.  stellt  sich  auch  hier,  als  rechter  Ad- 
vokat, auf   den  Standpunkt   der  Anklage    und    behandelt    die 
Frage,  bis  auf  die  letzte,  schon  zur  Gegenanklage  überleitende 
compensatio  als  rein  finanzielle;  bei  der  Retorsion  war  das  frei- 
lich nicht  angängig:  sie  entspricht  dem  crimen  weniger  genau 
als  sonst;   auch    hier  ist    sie  nur  Form,    dient    aber    zugleich 
als  Vorwand,  um  den  effektvollen  Schluß  der  eigentlichen  Ver- 
teidigung herbeizuführen. 
XLIV  XLV       Retorsion:  Ihr,  die  praesides,  schädigt  die  Allgemeinheit, 
indem  ihr  so  viele  Unschuldige  als  Christen  verurteilt.    Denn 
unschuldig   sind  wir,   nicht  aus  unseren  Reihen  stammen  die 
Verbrecher,  die  ihr  als  solche  verurteilt.     Ja  somit  sind  nur 
wir  unschuldig  und  müssen  es  sein,  da  wir  es  auf  göttliches 
Geheiß,  nicht  wie  ihr  auf  menschliches  sind;  jenes  stellt  erstens 
höhere  Anforderungen  (sind  doch  auch  eure  Gesetze  nur  ab- 
geleitet daraus)  und   läßt  zweitens    für    den  Übertreter   keine 
Hoffnung    auf   Vermeidung    oder    Kürze    der    Strafe:    Gottes 
Gericht  entgeht  kein  Schuldiger,  und  seine  Strafe  währt  ewig. 
—  Damit  hat  die  eigentliche  Verteidigung  ihr  Ende  erreicht: 
es  ist  gewiß  ein  Triumph  des  Verteidigers,  wenn  es  ihm  ge- 
lingt, nicht  nur  die  gegen  seinen  Klienten  erhobenen  Anklagen 
zu  widerlegen,  sondern  ihn  als  schlechthin  jeder  Schuld  frei, 
ja  als  notwendig  jeder  Schuld  frei  nachzuweisen.  — 

Den  letzten  Vorwurf,  gegen  den  Tert.  die  Christen  ver- 
teidigt, kennen  wir  in  dieser  Form  sonst  nicht.  Er  berührt 
sich  mit  des  Celsus  Anklage,  daß  die  Christen  die  heimischen 
Bräuche  vernachlässigten,  an  Opferfesten  und  Festschmäusen 
nicht  teilnähmen,  Amter  ablehnten;  kurz  der  Anklage  auf 
"Entfremdung  von  der  politisch-religiösen  Ordnung".1)     Diese 


1)  Neumann,  Staat  und  Kirche  I  37. 


XLIV.  XLVJ  Tbrtullians  Apologeticum.  459 

Anklage  und  die  tertullianische  gehen  im  Grunde  auf  die 
gleiche  Empfindung  zurück,  die  Entrüstung  über  den  engen 
Zusammenschluß  der  Christen  untereinander  und  die  damit 
verbundene  Isolierung  von  der  sie  umgebenden  Welt;  nur 
daß  Celsus  die  politische,  Tert.  die  privatrechtliche  Seite  her- 
vorkehrt, vornehmlich  wohl,  weil  die  politische  sich  unter 
keinem  juristischen  Gesichtspunkt  auch  nur  fiktiv  fassen  ließ: 
Schauspiele  zu  besuchen  oder  sich  um  Ämter  zu  bewerben, 
ist  niemand  verpflichtet,  und  wer  es  unterläßt  schädigt  nie- 
manden. Indessen  hat  doch  auch  Tert.s  Formulierung  einen 
realen  Hintergrund:  die  Viehhändler  Bithyniens  werden  sich 
gewiß  über  die  Christen  beschwert  haben,  die  Schuld  daran 
seien,  daß  vict'nnarum  rarissimas  m/jt/or  inveniebatur  (Plin.  ad 
Trai.  96,  10),  und  schon  Demetrius,  der  Goldschmied  von  Ephe- 
sus,  mit  seinen  Beiarbeitern  (Acta  Ap.  19,  24)  hetzte  gegen 
Paulus,  weil  er  von  der  neuen  Lehre  für  seinen  Absatz  fürch- 
tete. Aber  gewiß  ist  nicht  alles,  was  Tert.  vorbringt,  zwang- 
los unter  diesen  Gesichtspunkt  zu  bringen. 

Von  wiederum  anderem  Gesichtspunkt  aus  läßt  Minucius  seinen 
Caecilius  ganz  ähnliche  Vorwürfe  erheben:  die  Christen  sind  töricht, 
sich  ihr  Leben  durch  Verzicht  auf  alle  harmlosen  Freuden  zu  verder- 
ben. Octavius  (c.  38)  entgegnet  dem,  die  Christen  lebten  in  der  Er- 
wartung der  ewigen  Seligkeit;  in  der  Einzelbegründung  berührt  er  sich 
mehrfach  nahe  mit  Tert.:  so  in  der  Polemik  gegen  die  Schauspiele, 
wo  der  Vergleich  von  Tert.s  Ausführung  im  Apol.  mit  dem  in  der 
Schrift  de  spectaculis  lehrreich  ist ]),  und    in  dem  Witz,  mit  dem    die 


1)  merito  malis  voluptatibus  et  pompis  vestris  et  spectaculis  ab- 
stinemus,  quorum  et  de  sacris  originem  novimw  ei  noxia  blandimenta 
damnamus:  Tert.  XXXVIII  4  aegue  spectaculis  vestris  in  tantum  remrn- 
tiamus  in  gucmtum  originibus  eorum  qiias  scimus  de  sv/perstiüone  con~ 
ceptas,  cum  et  ipsis  rebus,  de  quibus  transiguniur ,  praetersumus.  Über 
die  origo  spectaculorum  hat  Tert.  gelehrt  gehandelt  de  spectac.  c.  =;ff. ; 
es  ist  ohne  weiteres  verständlich,  daß  er  auch  hier  den  Grund  mit 
einem  Wort  berührt.  Weniger  leicht  verständlich  wäre  es,  wie  Minu- 
cius ohne  Tert.s  Vorgang  darauf  hätte  kommen  sollen.  Minucius  fährt 
fort:  nam  in  ludis  currulibus  quis  non  horreat  populi  in  se  rixantis 
insaniam?  in  gladiatorüs  homicidii  distiplmam?  in  scenitis  etiam  non 
minor  fr.ror    et    tvrpitudo   prolixior  —  die    folgende  Ausführung    die- 


460  Richard  Heinze:  [XLIV.  XLV 

Bekränzung  der  Häupter  abgelehnt  wird :  hier  läßt  sich,  soviel  ich  sehe, 
kein  Indicium  der  Entlehnung  aufweisen;  aber  wie  sehr  Min.  gewohnt 
ist,  mit  fremdem  Gut  zu  wirtschaften,  zeigen  gleich  die  folgenden  Worte, 
in  denen  er  gegen  die  heidnische  Sitte,  den  Toten  zu  bekränzen,  ein 
altkynisches  Apophthegma,  nicht  eben  glücklich  von  seinem  Standpunkt 
aus,  ins  Feld  führt.1) 

Tert.  benutzt  die  Gegenanklage  an  dieser  Stelle  als  Ge- 
legenheit, um  nach  dem  christlichen  Dogma  (XVII  ff.)  und 
dem  christlichen  Gemeindeleben  (XXXIX  ff.)  als  drittes  die 
christliche  Moral  (XLIV  fg.)  den  Heiden  vor  Augen  zu  führen. 
Einiges  daraus  war  freilich  schon  vorher  in  anderem  Zu- 
sammenhange zur  Sprache  gekommen:  die  Keuschheit  der 
Christen  bei  der  Widerlegung  der  Inzestanklage  (IX  19),  ihre 
Feindesliebe  bei  der  Verteidigung  gegen  den  Vorwurf  der 
Kaiserfeindschaft  (XXXI;  XXXVI fg.),   die   brüderliche   Liebe 

ses  letzten  Punktes    erinnert    in    manchem    an   Tert.  XV;    im    übrigen 
vgl.  dens.  XXXVIII  nach  den    oben    zitierten  Worten:    nihil   est    nöbis 
dictu  visu  auditu  cum  insania  circi,  cum  impudicitia  tlieatri,    cum   atro- 
citate  arenae,  cum  xysti   vanitate.     Das    sind    sozusagen    Überschriften 
für  die  Kapitel,  die  er  in  de  spectac.  den  betreffenden  Gattungen  ge- 
widmet hatte,  z.  B.  cum    furor    interdicitur   nöbis,    ab  omni  spectaculo 
auferimur,  etiam  a  circo,  tibi  proprie  furor  praesidet  c.  16,  über  das 
Theater    als    privatum    consistorium  impudicitiae  c.   17,  über  die   vani 
cursus  et  iaculatus  et  saltus  vaniores  c.  18,  über  die  saevitia,  impietas, 
feritas  des  Amphitheaters  c.  19.    Also  auch  hier  steht  Tert.  mit  seinen 
Worten  des  Apol.  ganz  auf  eigenem  Boden,  und  nichts  spricht  für  An- 
lehnung an  Minucius.     Und  da  es  nicht  wahrscheinlich    ist,   daß  zwei 
christliche  Moralisten  unabhängig    voneinander  darauf  gekommen  wä- 
ren, die  Teilnahme  an  den  Zirkusrennen  mit  Rücksicht  auf  die  insania 
des  Publikums  zu  verbieten,    so  wird  Minucius  auch  hier  Tert.  folgen. 
1)  Nee  mortuos  coronamus.  ego  vos  in  hoc   magis  miror,  quemad- 
modum  tribuatis  aut  sentienti  facem  aut   non    sentienti   coronam:    Ana- 
charsis  iQcozri&tlg   v%6  xivog  x'i  i%tccGaxo  iv  zfi  *El7.ädt  7iuQ(zdo£ov,  sint 
to   xovg   vsxgovg   Y.ais6Q,o:L    uev   cog   &vai6%r\rovg^   cc7tOY.aiBC&oci  8    avroig 
a>s    cd6&uvoiievoig  (Gnom.  Vat.    20  [Wiener  Stud.  IX  186],  Bion   zuge- 
schrieben bei  Laert.  Diog.  IV  48).     Nicht  eben   glücklich  vom   christ- 
lichen Standpunkt,  da  sich  das  Gleiche  gegen  die  christliche  Sitte  des 
Einbalsamierens  hätte    sagen    lassen:    sciant  Sabaci  plures  et  cariores 
suas  merces  christianis  sepeliendis  profligari  quam  deis  fumigandis  Tert. 
XLII  7. 


XLIV.  XLV]  Tekti  i.i.ians  Apologeticim.  461 

untereinander  und  zur  Menschheit  überhaupt  bei  «Irr  Schil- 
derung des  Gemeindelehens  (XXXIX);  aber  hier  erst  tritt  das 
üheraus  starke  Bewußtsein  der  absoluten  iwnocenüa  der  Christen 
als  einer  notwendigen  hervor  —  freilich  gegründet  auf  die 
Voraussetzung,  daß,  wenn  der  Christ  einen  Frevel  begeht,  er 
damit  aufhört  Christ  zu  sein.1)  Analoge  Ausführungen,  ge- 
stützt wie  bei  Tert.  auf  Evangelienworte,  fehlen  bei  keinem 
der  älteren  Apologeten,  ja  werden  von  den  meisten  sogar  weit 
ausführlicher  gegeben.2)  Dabei  finden  sich  auch  die  von  Tert. 
ijeerebenen  Hinweise  auf  die  Überlegenheit  des  göttlichen 
Ursprungs  der  christlichen  Moralgesetze  über  den  mensch- 
lichen der  heidnischen,  sowie  auf  die  Wirkung,  die  bei  den 
Christen  der  Glaube  an  die  ewige  Vergeltung  im  Jenseits 
haben  muß.  Aber  nirgends  ist  mit  so  verblüffender  Sicher- 
heit wie  bei  Tert.  der  Satz  aufgestellt  *nos  sali  innocentes', 
nirgends  auch  so  wie  bei  ihm  der  präzise  Nachweis  versucht 
worden,  daß  dies  so  sein  müsse,  nirgends  jene  beiden  Ge- 
sichtspunkte so  eindrucksvoll  in  einer  Reihe  doppelgliedriger 
antithetisch  pointierter  Argumentationen  ausgeführt3):  das  Ka- 


1)  Nemo  illic  (unter  den  Sträflingen)  christianus  nisi  hoc  tantum, 
aut  si  et  aliud,  iam  non  christianus.  So  auch  z.  B.  Justin  apol.  I 
c.  16,  8  01  6'  c'iv  (tTj  svQioxmvTut  ßiovvxsg  cog  ididec^  yvcooi^ß^oiaccv  pr, 
övxsg  Xqioxiuvoi,  xccv  "/.tycooi   diu  ylmxxrtg  xu  xov  Xqigxov  diddyfiuxa. 

2)  Kurz  und  in  beiläufigen  Sätzen  ohne  zusammenhängende  Dar- 
stellung nur  Tatian.  Die  übrigen:  Aristides  c.  15.  Justin  1  Apol.  be- 
sonders c.  14  —  17,  um  als  Vorbereitung  auf  den  Beweis  für  die  Gott- 
heit Christi  öliyiov  xivcov  T&v  nug'  uvxov  xov  Xqigxov  Siöccyfiäxwr  irti- 
livr}6&f]vcci,  auch  sonst,  z.  B.  c.  12.  Athenagoras  c.  11.  12  zum  Nach- 
weis, daß  die  Christen  nicht  ü&soi  sind,  und  wieder  (mit  Berufung  auf 
den  Glauben  an  die  ewige  Vergeltung)  c.  3 1  ff.  bei  der  Zurückweisung 
von  Inzest  und  Kannibalismus. 

3)  Doppelte  These:  innocentiam  .  .  et  perfecte  norimus  .  .  et  fide- 
liter  eustodimus;  Antithese  vöbis  .  .  tradidit  .  .,  si  imperavit;  inde  nee 
plenae  nee  adeo  timendae  estis  diseiplinae;  etc.  Dann  Ausführung  des 
ersten  Gliedes  der  These  atque  adeo  quid  pleniits  etc.,  des  zweiten:  sed 
qiianta  auetoritas  etc.  Abschluß,  nach  Wiederaufnahme  der  beiden 
Glieder  (et  pro  sapientiae  plenitudine  et  pro  latebrarum  difficultate)  mit 
einem  stolzen  Wort  an  die  praesides:  deum.  non  proconsulem  timentes. 


462  Richard  Helnze:  [XLVI— L 

pitel  ist  eine  in  sich  abgeschlossene  Musterleistung  forensischer 
Rhetorik,  offenbar  mit  besonderer  Sorgfalt  ausgearbeitet,  weil 
es  den  Abschluß  der  eigentlichen  Apologie  überhaupt  bildet. 

Peroratio:  XLVI— L. 

XLVI— L  Diesen  Abschluß    betonen   die   folgenden  Sätze,    die   den 

Beweis  der  'Wahrheit'  als  erbracht  bezeichnen  und  den  Geg- 
ner vor  die   Schranken    fordern:    quis  nos   revincere   audebit, 
non  arte  verborum,  sed  eadem  forma,  qua  probationem  consti- 
tuimus,  de  veritate?     Was  nun  noch  folgt,   gibt  sich   sonach 
als  Epilog:   und   doch  ist  als  Epilog   im   eigentlichen  Sinne, 
wie  wir  sehen  werden,  nur  das  letzte  Kapitel  zu  fassen,   das 
vom  Martyrium  der  Christen  handelt.    Bis  dahin  aber  haben 
wir  noch    eine   an  Gedanken    und  Sentenzen   reiche    Abhand- 
lung vor  uns,  nicht    einmal    einheitlichen  Inhalts;    denn   sie 
enthält  I.  eine  Auseinandersetzung   mit   der  Philosophie,  wo- 
bei   1.  nachgewiesen   wird,    daß    das  Christentum    der   Philo- 
sophie in  jeder  Beziehung  überlegen  ist,  2.  daß  die  heidnischen 
Philosophen  die  Wahrheit  zwar  den  Propheten  zum  Teil  ent- 
lehnt, zugleich  aber  entstellt  haben,   3.  daß   auch   die  christ- 
lichen Häretiker  der  Philosophie  auf  den  Wegen  des  Irrtums 
gefolgt  sind  (XLVI  2— XL VII  10).    II.  Eine  Darstellung  und 
Begründung  der  christlichen  Lehre  von  der  Auferstehung  und 
dem   jüngsten    Gericht   (XL VII   11 — XLIX  4).     Diese  zweite 
Ausführung  ist  zu  der    ersten    zwar    geschickt    in  Beziehung 
gesetzt    dadurch,    daß    die    christliche   Lehre    zu   Anfang   mit 
den  entsprechenden  heidnisch-philosophischen  verglichen,  und 
diese,    als   Machinati on   der   Dämonen,   an   die  Wirkung   der- 
selben Dämonen,  die  sich  in  den  Häresien  äußert,  angeknüpft 
wird,   sowie   dadurch,   daß   Tert.   am   Schluß   wieder   auf  den 
Anfang     des    Ganzen    zurückkommt,     wo    er    von    der    ver- 
schiedenen Behandlung    gesprochen   hatte,    die    Christen   und 
Philosophen  erfuhren.    So  wird  der  Leser  leicht  darüber  hin- 
weggetäuscht,   daß    er    in   Wahrheit    zwei    ganz   selbständige 
Ausführungen    gelesen    hat;    wie    denn    auch    der   eigentliche 
Epilog    sich    schließlich    so    ungezwungen    anreiht,    daß    der 


XLVI 2— i8J  Ti.kti  u.iws  Apologeticum.  463 

Eindruck  der  Einheitlichkeit  des  Ganzen,  den  Tert.  anstrebte, 
erreicht  wird. 

Wir   betrachten   zunächst    die    einzelnen    Teile,    tun    uns 

dann  erst  die  Frage  vorzulegen,  was  Tert.  veranlaßt  hat, 
scheinbar  so  Disparates  am  Schluß  seiner  'Verteidigungsrede' 
zusammenzustellen.  Zunächst  also  die  Abrechnung  mit  der 
Philosophie. 

eDie  Wahrheit  über  unsere  Sekte  dräng!  Bich  freilich  XLVI  2  —  is 
jedem  auf,  Umgang  und  Verkehr  lehren  ihre  Güte  erkennen 'i: 
aber  dann  will  man  ihren  göttlichen  Ursprung  nicht  zugeben, 
sondern  hält  das  Christentum  für  eine  Art  Philosophie;  die 
Philosophen  lehrten  ja  das  Gleiche  wie  die  Christen.  Dann 
müßte  man  uns  wenigstens  auch  so  behandeln  wie  die  Phi- 
losophen, von  denen  man  das  nicht  verlangt,  was  man  uns 
zumutet,  und  die  ungestraft  oder  gar  gelobt  und  belohnt  das  tun, 
weswegen  man  uns  verurteilt.  Aber  die  Verschiedenheit  der 
Behandlung  besteht  insofern  zu  Kecht,  als  die  Philosophen 
eben  in  Wahrheit  nicht  Christen  sind:  sie  glauben  ja  an  die 
Dämonen.  Weder  in  der  Lehre  noch  im  Leben  stehen  sie 
uns  gleich:  sie  wissen  nichts  von  Gott,  und  ihre  Größten 
übten  Laster  aller  Art,  während  die  Christen  rein  sind  oder, 
wenn  sie  sich  vergehen,  von  uns  nicht  mehr  als  Christen 
anerkannt  werden.'  Eine  Kette  schroffer  Antithesen,  die  die 
Begriffe  plrilosophus  und  cliristianus  paraphrasieren,  schließt 
diese  Gedankenreihe  ab:  die  letzten  Antithesen  (yeritatis  intcr- 
polator  et  Integrator  et  expressor,  furator  eins  et  custos)  leiten 
zu  Neuem  über. 

Den  Versuch,  diese  Ausführung  durch  eine  prozessuale 
Notwendigkeit  zu  motivieren,  hat  Tert.  nicht  gemacht.  Für 
die    Rechtsfracre    ist    es    gleichgültig;,    ob    die    Unschuld    der 


1)  Das  steht  in  offenbarem  Widerspruch  zu  den  Sätzen  des  Ein- 
gangs, in  denen  Tert.  immer  wieder  versicherte,  man  wolle  das  Christen- 
tum nicht  kennen  lernen,  um  sich  nicht  von  seiner  Unsträflichkeit 
überzeugen  zu  müssen.  Die  beiden  einander  widerstreitenden  Behaup- 
tungen sind  jede  an  ihrem  Orte  durch  den  augenblicklichen  advoka- 
torischen  Zweck  hervorgerufen. 


464  Richard  Heinze:  [XL VI  2—18 

Christen,  wenn  sie  einmal  zugegeben  wird,  ein  divinum  ne- 
gotium oder  ein  pliilosophiae  genus  ist.  Ganz  überraschend 
kommt  ja  freilich  diese  Auseinandersetzung  nicht:  denn  daß 
die  christliche  Sittenlehre  ein  divinum  negotium  sei,  hatte  Tert. 
unmittelbar  vorher  stark  betont,  wenn  auch  dort  nicht  im 
Gegensatz  zur  Philosophie,  sondern  zu  den  von  Menschen  ge- 
gebenen Gesetzen:  und  so  könnte  das,  was  er  jetzt  bringt,  zur 
Not  als  Beweis  der  vorherigen  Aufstelluno;  selten:  aber  sach- 
lieh  hätte  das  der  Neuheit  des  Gegenstandes  wegen  seine  Be- 
denken, und  formal  hat  Tert.  durch  die  einleitenden  Worte  von 
XL  VI  den  Abschluß  der  eigentlichen  Apologie  stark  markiert. 
Es  muß  ihm  demnach  von  großer  Bedeutung  erschienen  sein, 
das  Christentum  energisch  von  der  Philosophie  zu  scheiden, 
wenn  er  dem  zuliebe  sogar  die  Maske  des  forensischen  Redners 
fallen  läßt.  Wir  werden  nicht  fehlgehn,  wenn  wir  ein  wich- 
tiges Motiv  in  Tert.s  Wunsch  sehen,  gewissen  Halbheiten 
und  Unklarheiten  im  eigenen  christlichen  Lager  entgegenzu- 
treten: nicht  nur  die  Häresien  fußten,  wie  Tert.  schon  da- 
mals glaubte,  in  der  Philosophie  (philosophi  haereticorum  pa- 
triarchae  adv.  Hermog.  8),  sondern  auch  die  griechischen 
Apologeten,  die  ja  Tert.  bei  seiner  Arbeit  dauernd  vor  Augen 
hatte,  nahmen  z.  T.  einen  Standpunkt  ein,  dem  er  entgegen 
zu  treten  für  geraten  hielt.1) 

Daß  Justin  der  'Philosophie'  nicht  schroff  ablehnend 
gegenübersteht,  geht  schon  daraus  hervor,  daß  er  sich  an  die 
Kaiser  mit  Berufung  auf  ihren  Philosophennamen  wendet, 
von  der  'Philosophie'  der  Herrschenden  und  der  Beherrschten 
gleich  Piaton  das  Heil  der  Staaten  erwartet  (Apol.  I  3).  In 
der  Tat  ist  (pilööoyog  ihm  ein  Ehrenname,  den  nicht  alle  ver- 
dienen, die  sich  ihn  zulegen  (ebd.  4,  8):  der  (ptX66otpog 
Crescens,  der  keine  Ehrfurcht  vor  der  Wahrheit  bezeugt,  ist 
vielmehr    ein  (piXödo^og    avrJQ    (II  3,  6),    ein    (piXo^ocpog    xal 

1)  Das  Verhältnis  der  Offenbarung  zur  Philosophie  bei  den  Apo- 
logeten hat  Härnack  Dogmengesch.  I4  504 ff.  so  dargestellt,  daß  ich 
einfach  auf  ihn  verweisen  könnte,  wenn  es  mir  nicht  darauf  ankäme, 
einiges  für  meinen  Zweck  Wichtige  herauszuheben. 


XLVI  2— 18|  Tertulmans  Apologeticum.  465 

(pLlöxofiTiog  (ebd.  1),  und  er  ist  gewiß  geraeint  bei  der  Ab- 
wehr der  voui$6u£voi  (pi/.oöocpoi  (ebd.  9),  die  die  christliche 
Lehre  vom  ewigen  Gericht  als  Geschwätz  verachten,  nur  dazu 
bestimmt  Furcht  zu  machen.  Vor  den  wahren  Philosophen 
dagegen  bezeigt  Justin  hohe  Achtung;  auch  in  ihnen  hat  der 
Xoyog,  wenn  auch  nicht  der  ganze,  gewaltet  und  hat  ihnen 
zu  wahren  Einsichten  verholten  (Apol.  II  7,7;  |S?  ij  IO,  2)> 
die  sich  zum  Teil  mit  den  christlichen  decken  ( 13,  2*,  I  2°,  3), 
vieles  haben  auch  Piaton  und  andere  aus  Moses  und  den 
Propheten  geschöpft  (Apol.  I  44,  8  f.;  54)1);  ja  alle,  die  mit 
dem  köyog  gelebt  haben,  ein  Sokrates,  Heraklit  und  ihres 
Gleichen,  verdienen  den  Namen  Christen  (46,  3  f.).  Die  Wider- 
sprüche, die  sich  bei  ihnen  finden,  zeigen  freilich,  daß  sie 
nicht  im  Besitz  der  vollen  Wahrheit  waren,  die  allein  Christus 
verdankt  wird:  die  christliche  Wahrheit  steht  über  aller 
menschlichen  Philosophie  (II  15,  3).  Obwohl  also  Justin  jene 
Philosophen  als  Christen  vor  Christus  anerkennt,  geht  er 
doch  nicht  soweit,  das  Christentum  geradezu  als  Philosophie 
zu  bezeichnen2):   aber  es  ist  auch  von   einem  strikten  Gegen- 

1)  Auf  das  unausgeglichene  Verhältnis,  in  dem  diese  Annahme 
literarischen  Einflusses  zu  dem  eines  auch  in  den  Heiden  wirkenden 
entQua  löyov  iuyvrov  steht,  weist  Hahxack  511,  1  hin  und  hat  gewiß 
recht,  wenn  er  jene  auf  die  (jüdische)  Tradition,  diese  auf  Justins 
eigene  Konzeption  zurückführt.  Aber  es  verdient  Beachtung,  daß  Justin 
I  44  als  'Entlehnungen'  nicht  schlechthin  alle  wahren  Einsichten  der 
Philosophen  bezeichnet,  sondern  ogol  jtsgl  äQ-avccGucg  ipv%>ie  1)  riuco- 
Qi&v  rwv  u,stcc  davccTov  1)  &sa>Qias  ovgccvlcov  tj  xdv  öftoiW  doyuätcov  .  . 
'icfuöav,  wobei  unter  den  ovqüvlu  z.  B.  die  I  54  besprochene  Welt- 
schöpfung gemeint  ist;  wo  Justin  vom  Wirken  des  Xöyog  redet,  denkt 
er  in  erster  Linie  an  die  sittliche  Lebensführung,  sodann  (z.  B.  I  5  an 
die  Verwerfung  der  heidnischen  Götter  als  Dämonen.  Er  hat  also 
offenbar,  wenn  auch  vielleicht  nicht  mit  völliger  Klarheit,  einen  Unter- 
schied empfunden  zwischen  denjenigen  Wahrheiten,  auf  die  der  Mensch, 
um  es  so  auszudrücken,  von  selbst  kommen  kann,  und  denen,  die  der 
Offenbarung  verdankt  sein  müssen. 

2)  Harxacks  Ausdruck,  daß  Justin  I  5,  4  'Christus  als  den  Sokrates 
der  Barbaren,  das  Christentum  somit  als  eine  sokratische  Lehre  er- 
scheinen läßt'    p.  508)  besagt  doch  wohl  mehr  als  Justin  sagen  wollte: 


466  Richard  Heinze:  [XL VI  2—  J8 

satz  nicht  die  Rede.1)  Im  Dialog  mit  Tryphon  hebt  er, 
der  verschiedenen  Adresse  entsprechend,  weniger  die  Wahr- 
heitsspuren hervor,  die  sich  bei  den  Philosophen  finden,  als 
daß  er  die  Unzulänglichkeit  ihres  Philosophierens  dartut;  aber 
das  Christentum  erscheint  doch  auch  hier  nur  als  das  voll- 
kommene Gelingen  neben  dem  unvollkommenen  Versuch. 
Die  (piXoöocpia  wird  als  [iByiGxov  xxrjjjia  xul  xi\uäxuxov  deä 
anerkannt  (2);  nur  freilich,  jene  Heiden  wissen  nicht,  was 
wirklich  die  Philosophie  ist  und  soll;  sie  glauben  nur  zu 
philosophieren  (35):  die  einzige  wahre  und  förderliche  Philo- 
sophie ist  das  Christentum,  und  in  diesem  Sinne  bezeichnet 
auch  Justin  selbst  sich  als  Philosophen  (8):  als  solcher  lebt 
er  bekanntlich  in  der  christlichen  Tradition  fort.  —  Apologe- 
tischem Zwecke  dient  bei  Justin  die  Berufung  auf  die  Philo- 
sophen auch  direkt:  'wenn  wir',  fragt  er,  'manches  ähnlich 
behaupten  wie  die  bei  euch  geehrten  Dichter  und  Philosophen, 
manches  aber  erhabener,  göttlich,  allein  unter  Anführung  von 
Beweisen,  warum  trifft  uns  dann,  anders  als  alle,  ungerechter 
Haß?'  (I  20,  3;  vgl.  24,  1),  und  gleich  zu  Beginn,  bei  der 
Beschwerde  über  das  Beweisverfahren  gegen  die  Christen, 
weist  er  darauf  hin,  daß  man  die  Versündigungen  der  Philo- 
sophen und  Dichter  gegen  die  Gottheit  oder  Zeus  so  viel 
läßlicher  behandle  als  die  angebliche  a&EÖvrjg  der  Christen. 
Mit  Athen ago ras  steht  es  prinziell  kaum  anders  als  mit 
Justin;  er  bezeichnet  das  Christentum  zwar  nicht  als  Philosophie, 
würde  aber  diese  Bezeichnung  auch  schwerlich  mit  Entrüstung 
ablehnen.  Auch  er  stellt  die  Anfeindungen,  die  heidnische 
Wahrheitssucher,  Sokrates  u.  a.,  erfahren,  ohne  an  ihrer  &QEX7] 
Einbuße  zu  erleiden,  in  Parallele  zu  dem,   was   die  Christen 


es  handelt  sich  an  jener  Stelle  nur  um  die  eine,  allerdings  sehr  wich- 
tige Lehre,  daß  die  c Götter'  in  Wahrheit  böse  Dämonen  seien,  und 
Christus  als  'neuen  Sokrates'  zu  bezeichnen,  wäre  dem  Justin  wohl  als 
Blasphemie  erschienen. 

1)  Nur  den  Sprachgebrauch  hat  Justin  im  Auge,  wenn  er  I  7,  3 
die  hellenischen  'Philosophen'  den  barbarischen  'Christen'  gegenüber- 
stellt. 


XLVI  2— 18|  Tbrtullians  Apologbticum.  467 

erdulden  (31);  er  beruft  sich  ganz  anbefangen  auf  Lehren 
der  Philosophen  für  die  Wahrheit  christlicher  Sätze  |  [6  IMaton 
für  die  Veränderlich koit  der  Materie,  23  Thalea  und  Piaton 
für  die  Existenz  der  Dämonen).  Gewiß  steht  der  l6yog,  die 
Lehre  der  Christen,  die  allein  göttlicher  Herkunfi  ist,  über 
den  anderen,  menschlichen  Xöyot  (9.  1 1  1,  gewiß  ist  die  von 
den  Propheten  offenbarte  Wahrheit  zuverlässiger  als  die  schwan- 
kenden und  vielfach  widerstreitenden  'Meinungen'  der  Philo- 
sophen, die  sie  nur  aus  sich  seihst  'in  einer  Sympathie  mit 
dem  göttlichen  Hauch,  jeder  von  seiner  eigenen  Seele  beweg!  , 
sich  gebildet  haben  (7),  aber  es  ist  doeh  ein  Vergleich  denk- 
bar. Im  apologetischen  Interesse  wird  dieser  Vergleich,  ganz 
ähnlich  wie  bei  Justin,  zwischen  Philosophen  und  Christen 
gezogen,  um  für  diese  die  gleiche  Behandlung  in  An- 
spruch zu  nehmen;  auch  die  Philosophen  würden  ja  nur  um 
etwaiger  Verfehlungen  willen  bestraft,  ohne  daß  der  Name 
Philosophie  dabei  in  Betracht  käme  oder  auf  die  Wissenschaft 
ein  Makel  fiele  (2);  auch  die  Philosophen  sind  nicht  der 
dd'sörrig  beschuldigt  worden,  obwohl  sie,  Piaton  vor  allem 
und  die  Stoa,  einen  Gott,  den  Schöpfer  das  Alls,  bekannten 
(5  f.);  sie  dürfen  über  Gott  reden  und  schreiben  was  sie  wollen, 
während  das  Christentum  gesetzlich  verboten  ist  (7).  "Von 
einer  Feindschaft  gegen  die  Philosophie  oder  ihre  Vertreter 
aUo  keine  Spur1):  sind  doch  auch  die  Herrscher,  an  die  der 
Apologet  sich  wendet,  ecrö  xuörjg  cpiloöcxpCccg  xal  TtatÖsiag 
oQucbfisvoi  (2),  ßaöiXeig  cpiXoöocpot  (ii)- 

Wie  Justin  und  Athenagoras  einerseits,  so  gehören  anderer- 
seits Tatian  und  Theophilus  zusammen.  Bei  Theophilus 
stehen  die  Propheten,  die  Träger  des  göttlichen  Geistes  und 
einzigen  Verkünder  der  lautern  Wahrheit,  gegenüber  den  von 


1)  c.  11  wird  allerdings  die  unfruchtbare  Gelehrsamkeit  der  Dia- 
lektiker, die  ihre  Träger  nicht  bessert,  sondern  zu  Neid  und  Feind- 
seligkeittreibt, dem  zur  Sittlichkeit  führenden  Xöyog  der  Christen  gegen- 
überstellt: aber  da  ist  die  Antithese,  wie  Geffcken  p.  183  richtig 
ausführt,  eigentlich  nicht  'Christ'  und  'Philosoph',  sondern  fEthiker' 
und  f Dialektiker'. 


468  Richard  Heinze:  [XLVI  2—18 

den   Dämonen   inspirierten   (II  8)    Dichtern   und   Philosophen 
der  Griechen,  die  in  ihrer  Sucht  nach  leerem  und  eitlem  Ruhm 
(III  3)   unnützes   und   gottloses   Zeug   geschwatzt   haben,   un- 
aufhörlich  einander   widersprechend,    vergiftend   die,   die   auf 
sie  hörten;  und   das  Gift  der  Irrlehre  überwiegt  auch  da,  wo 
etwas  Wahrheit  beigemischt  ist  (II  12),  die  jene  Leute  unseren 
Propheten    gestohlen   (I  14;   II  37)    und    vorgetragen    haben, 
wenn  es  ihnen  gelang,  ihre  Seele  zeitweilig  den  Dämonen  zu 
entziehen  (II  8).1)    So  verwirft  denn  Theophilus  rag  ylvaQiag 
r&v   iiccrcdnv   (puoööyav  (II  15)    schlechthin:   aber   er   greift 
wenigstens  die  einzelnen  als  Personen  nicht  an.    Diesen  Gipfel 
der   Gehässigkeit   erreicht  Tatian.      Dieser  bringt   gleich   zu 
Anfano-,  um   den   Stolz  der  Griechen  zu  brechen,   einen  dia- 
övQpög  der  alten  Philosophen,  deren  Lebensführung  in  mannig- 
fachster Weise  verdächtigt  wird  (2);  es  folgt  dann  noch   ein 
zweiter   über    die   Widersprüche    zwischen   Lehre    und    Leben 
der   Philosophen,   sowie   über   die  Widersprüche   der  philoso- 
phischen Lehren  untereinander  (25),  zum  Beweis   dafür,  daß 
diese  Philosophie  wertlos  für  den  Autor  sei;  daß  die  'Sophi- 
sten, wie  sie  nun  heißen,  aus  Moses  und  den  Propheten  ge- 
schöpft hatten,   behauptet   auch  Tatian   (40),   aber   nicht  um 
die  Wahrheit,  die  sich  bei  ihnen  findet,  zu  erklären,  sondern 
um  ihre  Absichten   zu  verdächtigen:    sie  haben  versucht,  das 
Gefundene  zu  entstellen,  erstens  um  doch  wenigstens  scheinbar 
etwas  Eigenes  vorzubringen,  zweitens  um  das   was   sie  nicht 
verstanden    durch    ihr    eigenes    Geschwätz    zu   verhüllen   und 
die  Wahrheit  als  Mythologie  um  ihren  Sieg  zu  bringen.    Also 
an  der  hellenischen  Philosophie  bleibt  kein  gutes  Haar;  aber 
Philosophie  ist  die  christliche  Lehre  doch  auch  {ri]v  ij^srsQav 
ipiloöocpiccv  31  u.  ä.),   und   als  6  %ara  ßagßctQOvg  (piloöocpnv 
Tariavög  nimmt  der  Autor  selbstbewußt  Abschied  von  seinen 


1)  ivloti  xtvtg  rrj  rpv%y  iwr^avtsg  ££,  avtcbv  (seil,  räv  doetpoveov) 
slnov  av.ölovdct  rolg  ngocp^raLg,  vgl.  II  37  äv.olovQ-a  i&lnov  rolg  tvqo- 
yrjtcas  xccLiieq  nol'v  fiezaysvsßTSQOi  ysi>6u.bvoi,  Kai  ylsipavteg  xavxec  ix 
vö^ov  y.uI  tütv  TtQO(fr\T(hv.  von  einem  Finden  auch  nur  einer  Teilwahr- 
heit aus  eigener  Kraft  ist  bei  Theophilus  m.  E.  nicht  die  Rede. 


XLVI 2— 18|  Tr.KTi  i.i.ians  Apologeticum.  469 

griechischen  Hörern:  nicht  'Christentum'  und  'Philosophie', 
sondern  'barbarische'  und  'hellenische'  Philosophie  ist  also, 
wenn  man  will,  der  Gegensatz,  der  mit  dem  Gegensatz  von 
offenbarter  Wahrheit  und  menschlichen]  Irrtum  identisch  ist. 
Man  sieht:  gemeinsam  ist  diesen  beiden  Gruppen,  daß 
sie  der  heidnischen  Philosophie  einen  Anteil  an  der  Wahrheit 
zugestehen:  sehr  verschieden  aber  wird  dieser  Anteil  bemessen 
und  gewertet,  und  ebenso  verschieden  erklärt:  endlich  schwankt 
die  Schätzung  der  Persönlichkeiten  zw  isehen  teilnehmender 
Achtung  und  höhnischer  Verachtung.  Tert.  steht  in  allen 
diesen  Differenzen  —  leider  —  Tatian  und  Theophilus  erheb- 
lich näher  als  Athenagoras  und  dustin  l),  obwohl  er  wahrschein- 
lich auch  diesem,  wie  sicher  Tatian,  Anregung  und  Material 
verdankt.  Wir  sahen,  daß  er  sich,  wenn  auch  nur  höchst 
selten,  auf  das  Zeugnis  der  Philosophen  berief,  mehr  um  die 
Übereinstimmung  festzustellen,  als  um  die  eigene  Behauptung 
zu  bekräftigen2);  ein  solches  ad  Simplex  tesümonium  adsumen 

1)  Vgl.  G.  Schelowskv,    der  Apologet  Tert.  in   seinem  Verhältnis 
zur  griech.-röm.  Philos.,  Diss.  Lpz.   1901. 

2)  Mit  ganz  anderem  Nachdruck  hat  Minucius  19,3 — 15  sich  für 
die  Gotteslehre  auf  die  Übereinstimmung  der  Philosophen  untereinander 
und  mit  dem  Christentum  berufen:  ut  quivis  arbitrdur  Christianos 
phüosophos  esse  aut  philosophos  fuisse  iam  timc  fuisse  Christianos;  gleich 
darauf  21,  1,  2  bezeugen  ihm  wieder  Philosophen  die  Natur  der  heid- 
nischen Götter,  26,  9.  12  Existenz  und  Wesen  der  Dämonen,  34,  2  f.  den 
Weltbrand;  wobei  plötzlich  die  Notiz  eingeflochten  wird,  daß  nicht 
die  Christen  den  Philosophen  gefolgt  seien,  sondern  diese  de  divinis 
praedictiontb«*  profetarum  (von  denen  Cäcilius  noch  gar  nichts  gehört 
hat)  xunbram  interpolatae  veritatis  imitati  sint:  damit  wird  die  Polemik 
gegen  die  Seelenwanderungslehre  des  Pythagoras  und  Plato  vorbereitet. 
Aber  noch  nicht  vorbereitet  ist  man  auf  den  wilden  Ausfall  gegen  die 
Philosophen  am  Schluß  (38,  5),  wo  der  scurra  Ätticus  Sokrates  ge- 
scholten, die  Akademiker  gehöhnt,  die  Philosophen  insgesamt  als 
scheinheilige  Sünder  und  eitle  Schwätzer  gebrandmarkt  werden.  Cor- 
mptores,  adulteri,  tyranni  heißen  sie  dem  Minucius;  bei  Tert.  stehen 
die  Namen:  corruptor  ist  Sokrates,  adulter  ist  Speusipp,  tyrannus  ist 
Zenon  (die  Nachricht  von  diesem  ein  Unicuin!  ):  auch  in  diesem  Falle 
tritt,  meine  ich,  Tert.s  Priorität  ganz  unzweideutig  zu  Tage.  —  Ich 
glaube,  Haiina.  k  (Dogmengesch.  I4  522)  tut  dem  Minucius  zu  viel  Ehre 


470  Eich ard  Hemze:  [XLVI  2 — 18 

hat  er  auch  später  (de  an.  2  p.  302  R.-W.)  für  erlaubt  erklärt: 
'muß  man  doch  auch  von  den  Feinden  manchmal  etwas  be- 
zeugen lassen,  wenn  es  den  Feinden  nicht  Nutzen  bringt'.  So- 
mit spricht  er  den  Philosophen  nicht  alle  Wahrheit  ab  (11m 
negabimus  philosophos  aliquando  iuxta  nostra  sensisse  de  an.  ib. 
300):  aber  wir  haben  ja  schon  gesehen,  wie  sehr  er  sie  im 
Falle  des  Sokrates  einscb  rankt,  wie  geflissentlich  er  bestrebt 
ist,  die  Schatten  des  Irrtums  schwarz  daneben  zu  malen.  Es 
verdanken  aber  die  Philosophen  das  Wenige,  was  sie  an 
Wahrheit  besitzen,  den  heiligen  Schriften,  die  sie  bestohlen 
haben  —  aus  Ruhmsucht  und  um  schöne  Worte  darüber  zu 
machen:  sie  sind  nicht  Wahrheitssucher,  wie  bei  Justin  und 
Athenagoras,  sondern  Freunde  des  Irrtums,  und  mit  dem  koyog 
Gottes  haben  sie  nichts  zu  schaffen.  Tert.  kennt  ja  eine  Art 
'natürlicher  Offenbarung',  die  dem  Walten  des  Xöyog  vergleichbar 
ist:  auch  den  Philosophen  gesteht  er  de  an.  2  zu,  daß  der 
ptMicus  sensus  (xotvr]  evvolcc),  quo  animam  deus  dotare  dignatus 
est  ihnen  einiges  entdeckt  haben  könne;  im  Apol.  kennt  er 
diese  Kraft  der  anima  naturaliter  christiana,  wie  wir  sahen, 
auch  (ob.  S.  376),  aber  bei  den  Philosophen  gedenkt  er  ihrer 
nicht.  Und  was  die  Persönlichkeiten  angeht,  so  begnügt  er 
sich  nicht  mit  einer  allgemeinen  Verurteilung,  wie  Theophilus, 
sondern  taucht  tief  im  Schmutz  der  Verleumdung  unter,  wie 
Tatian.  Es  ist  gewiß  nicht  richtig,  diese  seine  bedauerliche 
Haltung  aus  einer  Unterschätzung  der  Philosophie,  oder  ein- 
fach aus  der  'extremen  Art  seines  Charakters'  zu  erklären:  ich 
glaube  eher,  daß  ihr  das  richtige  Bewußtsein  zugrunde  liegt, 
selbst  der  Philosophie  sehr  viel  zu  verdanken,  und  ein  Gefühl 
für  die  Gefahr,  die  dem  Christentum  aus  der  Konkurrenz  der 


an,  wenn  er  festzustellen  sucht,  wie  dieser  es  im  Grunde  gemeint  habe : 
Min.  breitet  zunächst  mit  Behagen  eine  aus  Cicero  billig  erworbene 
Gelehrsamkeit  aus,  und  kompiliert  am  Schluß  den  Tertullian,  froh, 
wenn  es  ihm  gelingt,  einen  eklatanten  Widerspruch  zu  vermeiden.  — 
Auch  die  tüchtige  Arbeit  von  R.  Kühx,  Der  Oktavius  des  M.  F.  etc., 
Lpz.  1882,  nimmt  den  Min.  als  Philosophen  durchweg  zu  ernst;  leider 
war  der  Verf.  noch  in  dem  Glauben  an  Min.'  Priorität  befangen. 


XL  VI  2— s]  Tertullians  Apologeticum.  47 l 

Philosophie  erwächst:  je  gefährlicher  aber  der  Feind,  desto 
weniger  ist  Schonung  angebracht,  und  im  Kriege  sind  alle 
Waffen  recht. 

Tert.  verwendet  zunächst,  wie  Justin,  die  Parallele  mit  XLVI  2—5 
den  Philosophen  apologetisch,  indem  er  für  die  Christen  auch 
rechtliche  Gleichstellung  mit  jenen  verlangt:  das  Argument 
erscheint  bei  ihm  kräftiger  dadurch,  daß  er  den  Vergleich 
nicht  selbst  zieht,  sondern  ihn  den  Gegnern  in  den  Mund 
legt,  also  ein  festeres  Widerlager  gewinnt.  Er  bringt  das 
Argument  mit  trefflicher  Steigerung,  viel  feiner  durchgearbeitet 
als  Justin,  gipfelnd  in  dem  'Kläffen  der  Philosophen  gegen 
die  Kaiser',  und  in  der  scharfen  Antithese  des  statuis  et 
salariis  remunerari  einerseits,  des  ad  bestias  prommtiari 
andererseits.  Aber  dann  plötzlich  wirft  er  das  Argument 
selbst  um:  er  ist  ja  nicht  der  Meinung,  daß  die  Christen  mit 
den  Philosophen  auf  gleichem  Niveau  stehen,  und  somit  ist 
ihre  ungleiche  Behandlung  zwar  eine  Inkonsequenz  der  Gegner, 
aber  an  sich  gerechtfertigt.  Nur  —  und  dies  ist  die  neue 
scharfe  Pointe  —  sind  die  Philosophen  nicht  mehr,  sondern 
weniger  wert  als  die  Christen:  sie  besitzen  das  nicht,  worin 
die  Wahrheit  und  Kraft  des  Christentums  am  deutlichsten 
zutage  tritt,  die  Macht  über  die  Dämonen:  in  dem  sed  merito 
liegt  somit  eine  ungeheure  Ironie. 

Als  Beleg  für  die  Anerkennung  der  Dämonen  'nächst 
den  Göttern'  dient  wie  schon  vorher  (XXII)  Sokrates'  Wort 
si  daemonium  permittat:  er  fühlte  sich  also  als  Knecht  der 
Dämonen.  Und  wenn  er  auch,  im  Besitze  eines  Stückes 
Wahrheit,  leugnete,  daß  es  Götter  gebe  (dies  nach  der  Anklage, 
auf  die  sich  Tert.  auch  weiter  unten  beruft),  so  ließ  er  doch, 
dem  Tode  schon  nahe,  dem  Asklepios  einen  Hahn  schlachten. 
Und  zwar  —  hier  tritt  Tert.s  Gehässigkeit  zuerst  recht 
hervor  —  war  der  Grund  hiervon  die  Ruhmsucht:  Asklepios' 
Vater  Apollo  hatte  Sokrates  für  den  Weisesten  aller  Menschen 
erklärt.  Das  ist,  meint  Tert.,  so  zu  verstehen,  daß  er,  als 
insectator  veritatis,  dem  Sokrates  eben  als  einem  Verfälscher 
der  Wahrheit  gnädig  war,   und  also  den,  der  ihm  selbst  die 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  35 


472  Richard  Heinze:  [XL VI  6—17 

Göttlichkeit  absprach,  pries;  verfälscht  hat  aber  Sokrates  die 
Wahrheit  eben  dadurch,  daß  er  zwar  die  Dämonen  nicht  als 
Götter  gelten  ließ,  aber  doch  als  Dämonen  göttlich  verehrte.1) 
Wenn  also  Tert.  vorher  (X),  den  griechischen  Apologeten 
folgend  die  Verurteilung  des  Sokrates  auf  den  Haß  zurück- 
o-eführt  hatte,  dem  die  Wahrheit  von  jeher  begegnet  (ohne 
doch  ausdrücklich  die  Parallele  zum  Schicksal  der  Christen 
zu  ziehen),  so  tritt  hier  ein  anderes  daneben,  geeignet  den 
Glanz  des  Namens  Sokrates  zu  trüben:  sein  höchster  Triumph, 
das  praeconium  des  Apollo,  war  ein  Lohn  dafür,  daß  er  die 
Wahrheit  verfälscht  hat. 
XI. VI  6—17  Damit  hat  sich  Tert.  den  Übergang  zu  der  allgemeinen 
Charakteristik  der  Philosophen  als  der  Feinde  der  Wahrheit 
o-eschaffen,  der  Wahrheit,  die  sie  aus  Ruhmsucht  verfälschten: 
wenn  Justin  die  <pikodo%Ca  in  Gegensatz  zur  cpiXoöocpCcc  ge- 
stellt und  als  Charakteristikum  falscher  Philosophen  gegeben 
hatte,  überträgt  Tert.  wie  Theophilus  den  Vorwurf  auf  die 
Philosophen  generell,  ohne  Ausnahme.  Somit  weist  er  die 
Gleichstellung  der  Christen  mit  den  Philosophen  sowohl  in 
Lehre  wie  in  Leben  schroff  zurück.  Was  die  Lehre  angeht, 
so  steht  der  Unsicherheit  eines  Thaies2)  und  Piaton  hinsicht- 

1)  Diese  Erklärung  wird  bestätigt  durch  de  an.  1  p.  299  R.-W.: 
sapientissimus  Socrates  secundum  Pythii  quoque  daemonis  suffragium, 
scilicet  negotium  navantis  socio  suo.  In  eignem  Namen  nennt  Tert. 
den  Sokrates  nie  den  Weisesten  der  Hellenen,  geschweige  denn  'weise' 
schlechthin:  ad  nat.  I  4  (sapientem  non  negabitis)  ist  gleichfalls  vom 
Zeugnis  des  Apollo  die  Rede,  und  mit  der  sapientia  nur  die  Leugnung 
der  Götter  gemeint.  Widerspruchsvoll  ist  also  die  Beurteilung  des 
Sokrates  durch  Tert.  nur  insofern,  als  dieser  von  veritas  spricht,  wo  er 
nur  einen  Teil  der  Wahrheit  meint;  und  die  Äußerungen  der  früheren 
Schriften  Apol.  und  Nat.  werden  durch  das  später  in  de  an.  Gesagte 
nicht  widerrufen. 

2)  Tert,  überträgt  versehentlich  auf  Thaies  und  Croesus,  was 
Cicero  de  nat.  deor.  I  60  (und  nach  ihm  Minucius  13)  von  Simonides 
und  Hiero  erzählt:  die  Verwechslung  zeigt,  daß  Tert.  beim  Schreiben 
jedenfalls  hier  keinen  Autor  vor  sich  gehabt,  sondern  aus  dem  Ge- 
dächtnis zitiert  hat;  ob  seine  ursprüngliche  Quelle  Cicero  oder  irgend 
ein  anderer  Bericht  gewesen  ist,  läßt  sich   natürlich   nicht  ausmachen. 


XLVI 6 — 17 1  Tekti  i.i.ians  Apologeticum.  473 

lieh  der  Gottheit  die  sichere  Gotteserkenntnis  jedes  christlichen 
Handwerkers  gegenüber.  Den  Gegensat/,  zwischen  Piatons 
Äußeruno-  und  der  Gewißheit  Christi  betont  auch  Justin  (Apol. 
II  10),  und  rühmt  im  selben  Zusammenhange,  daß  unter  den 
überzeugten  Christen  auch  %si(JOTt%vui  aal  itavtsX&s  iÖtwrca 
zu  finden  seien 1 ),  nicht  nur,  wie  unter  Sokrates'  Anhängern, 
Philosophen  und  Philologen.  Tert.  hat  diese  Stelle  benutzt: 
aber  die  packende  Antithese  zwischen  dem  oplfcx  Christiatms 
und  Plato  hat  er  erst  hinzugefügt  und  damit  dem  Ganzen  zu 
polemischer  Wirkung  verholten.  —  Nach  der  scientia  die 
diseiplina:  den  elenden  Klatsch,  den  Tert.  hier  gegen  die 
Philosophen  zusammenträgt,  hat  er  teils  aus  Tatian  (c.  2)-), 
teils  aus  anderen  ebenso  trüben  Quellen:  es  lohnt  nicht  Ver- 
mutungen darüber  anzustellen,  welche  von  den  handgreiflichen 
Unrichtigkeiten  etwa  auf  seine  eigene  Rechnung  kommen.1) 
In  der  Tendenz  ist  der  Unterschied  zwischen  Tatian  und  Tert. 
der,  daß  der  'Barbar'  einfach  seine  Mißachtung  der  hellenischen 
Philosophen  dokumentieren  will,  die  von  ihren  Volksgenossen 


Wie  aber  gerade  aus  dieser  Stelle  sich  ergeben  soll,  daß  Minueius  den 
Tert.,  nicht  umgekehrt  Tert.  den  Minueius  benutzt  habe  (so  Rausches 
z.  St.),  vermag  ich  nicht  einzusehen. 

1)  Über  die  sonstige  Verbreitung  dieses  Gedankens  Haknack  Miss, 
vi.  Ausbr.  I2  181.  - 

2)  Das  nehmen  die  Interpreten  mit  Recht  an:  die  drei  Geschichten 
von  Aristoteles,  Plato  und  Aristipp  stehen  bei  Tert.  zusammen  wie  bei 
Tatian  (und  zwar  bei  Tert,  am  Schluß  der  Aufzählung,  wobei  die  bia 
dahin  festgehaltene  Form  der  Einführung  (mit  si)  fallen  gelassen 
wird)  und  mit  manchen  nahen  Anklängen  im  einzelnen.  Haknack  hat 
(TU  I  220  fg.)  die  Abhängigkeit  geleugnet  und  eine  gemeinsame  Quelle 
angenommen:  aber  wenn  Tatian  sagt,  daß  Alexander  iiQiOToxs~/.r/.v>< 
neevv  seinen  Freund,  der  ihn  nicht  anbeten  wollte,  mißhandelte,  so 
bezieht  sich  das  aQtßtovsluK&s  nicht  auf  das  (nur  von  Tert.,  nicht  von 
Tat.)  angeführte  Verhalten  des  Aristoteles  gegen  Hermias,  sondern  auf 
die  von  Tat.  gescholtene  Lehre  des  Aristot. :  auaQ-äg .  .  .  xr\v  BvSaiuoviuv 
iv  olg  tiq£ox£to  jt8QiyQc'a!>c:g:  es  geht  ja  gleich  weiter  itdvv  yovv  intlfri-xo 
tolg  xov  öidccGnä/.ov  Öoyitaoiv  .  .  xbv  oixi-iov  neu  Ttävv  cpiXxatov  diuntLfJtov 
rw  SÖqocxi   y.zX. 

3)  Über  Einzelheiten  s.  Geffcken   m,  4. 

,  -  >: 

j5 


474  Richard  Heinze:  [XL VII 

den  Barbaren  gegenüber  als  Stolz  der  Nation  hochgehalten 
werden,  während  Tert.  die  angebliche  Behauptung  seiner 
Gegner  von  der  Ähnlichkeit  zwischen  Christen  und  Philo- 
sophen  widerlegt,  indem  er  jedem  Laster  eines  Philosophen 
eine  christliche  Tugend  gegenüberstellt:  also  was  dort  bloßer 
ÖLaövQuög  war,  wird  beim  Prozeßredner  Tert.  in  der  Form 
einer  rhetorisch  aufgebauten  övyKQiöig  zum  Beweismaterial. 
XLVII  Die  letzte  in   der  Antithesenreihe,   mit  der  dies  Kapitel 

schließt  —  veritatis  interpolator  et  Integrator  et  expressor,  et 
furator  eins  et  custos  —  leitet,  wie  oben  bemerkt,  zu  der 
neuen  Darlegung  über  die  Abhängigkeit  der  Philosophen  von 
den  Propheten  übej :  dies  Dogma  hat  Tert.  unbesehen  von 
den  älteren  Apologeten  übernommen,  die  Absichten  und  Me- 
thoden der  Entlehnung  und  Verfälschung  der  Wahrheit  in 
Anlehnung  an  Tatian  dargestellt:  auch  nach  Tert.  liegt  teils 
absichtliche  Entstellung,  teils  Mißverständnis  der  selbst  von 
den  Juden  mißdeuteten  Prophetenworte  vor.  Daran  schließt 
sich  als  Beleg  für  die  Entstellung  der  Wahrheit  die  Übersicht 
über  die  einander  widersprechenden  dö^cu  tvsqI  &sovx),  fiept 
x6(5[lov,  hsqI  i'vp)g.  Auch  hier  liegt  es  für  die  Gegner  nahe, 
eine  Parallele  zu  ziehen:  die  christlichen  Sekten  mit  den 
Philosophen  zu  vergleichen.  Dem  begegnet  Tert.,  indem  er 
vielmehr  die  Häretiker  als  Fälscher  der  Wahrheit  auf  eine 
Stufe  mit  den  Philosophen  stellt:  eine  ganz  andere  Parallele 
hatte  Justin  gezogen  zwischen  den  Namen  'Philosophen'  und 
'Christen',  die  beide  im  Sprachgebrauch  das  Verschiedenste 
umfaßten  (I  c.  7.  26,  5),  und  vielleicht  hat  eben  dies  Tert. 
zu  seiner  ausdrücklichen  Ablehnung  veranlaßt.  Im  übrigen 
ist    er   darin    mit   Justin   einig,    daß    er   in   den  Häresien   das 


1)  Ganz  ähnlich  in  der  Anlage  und  Tendenz  des  Theophilus 
Exzerpt  (Diels  Rh.  M.  XXX  194  fr*.)  der  do£ca  TttQi  dsov,  wobei 
das  Problem  der  ttqovoux  im  Mittelpunkt  steht.  Vgl.  auch  Tatian  25, 
an  den  sich  dann  Ps.-Justins  cohortatio  und  Herruias'  irrisio  anreihen 
(I)iels  Dox.  262).  Ursprünglich  ist  es  natürlich  ein  Kampfmittel  der 
Skeptiker  gewesen,  die  Dogmatiker  mit  den  Köpfen  gegen  einander  zu 
stoßen:  Sext.  Emp.  Pyrrh.  hyp.  III  3fr. 


XLVIIIJ  Tertullians  Apologbticum.  475 

Werk    der   Dämonen    erblickt,    sowie    darin  . —    und    hier    ist 
Entlehnung   sehr    wahrscheinlich   — ;  daß   er   ihnen   auch    die 
Erfindung  von  Mythen  zuschreibt,  dazu  bestimmt,  die  analogen 
christlichen    Lehren    zu   diskreditieren   (Justin    I  54):    ein  Ge- 
danke, durch  den  er  den  Übergang  zum  zweiten  Stück  dieses 
Schlußteils,  der  Darstellung  und  Verteidigung  der  christlichen 
Eschatologie    gewinnt.      An   Entlehnung  glaube   ich;   Justins 
bei  Tert.  wiederkehrender  Gedanke  (I  54),  die  Dämonen  hätten 
den   Dichtern  z.  B.  die    Mythen   von    den   vielen    Söhnen    des 
Zeus   zu  dem  Zweck   in  den  Mund  gelegt,  damit  man,  wenn 
die  den  Dämonen  bekannte  Prophezeiung  vom  Sohne  Gottes, 
Christus,    eiutreffe,    dies    auch    für    regaroXoyuc    halte   —   der 
Gedanke  an  ein  so  raffiniertes  Vorgehen  der  Dämonen  erscheint 
mir  zu  seltsam,  als  daß  er  von    zweien  unabhängig  gefunden 
sein  sollte:  Tert.  fügt  ihm  zwar  seiner  Gewohnheit  nach  noch 
eine  neue  Pointe  hinzu,  indem  er  die  Behauptung  zur  Alter- 
native  ausbaut:   die   Absicht  sei  gewesen,   daß  man  entweder 
den    Christen   so   wenig   glauben  solle  wie   den  Dichtern  und 
Philosophen,   oder,   daß  man  diesen  lieber  glauben  solle,  um 
nicht   den   Christen   glauben   zu   müssen.     Diese  zweite   Seite 
der  Alternative   ist   durch   Tert.s    ganzen    Gedankengang  nahe 
o-elest:  er  gins  l'a  davon  aus,  daß  man  die  guten  Seiten  des 
Christentums  als  bloßen  Abklatsch  der  philosophischen  Lehren 
auffasse,    und    beruft    sich    nun    im    folgenden    mehrfach    auf 
heidnische    Dogmen,    denen    man    glaube,    während    man    die 
entsprechenden     christlichen    verlache:     aber    nicht    um    die 
Wahrheit  der  christlichen  dadurch  zu  erhärten,  sondern  eben 
nur,  um  die  Inkonsequenz  der  Gegner  festzustellen. 

Nur  kurz  wird  die  Lehre  vom  jüngsten  Gericht,  von  XLVTII 
Hölle  und  Paradies  berührt,  ausführlich  dagegen  auf  die 
Auferstehungslehre  eingegegangen,  bei  der  das  Hauptgewicht 
natürlich  auf  der  ewigen  Vergeltung  liegt.  Die  pythagoreische 
Lehre  von  der  Seelenwanderung  findet  selbst  beim  großen 
Publikum  Glauben1):  die  christliche  Auferstehungslehre  trifft 

1)    Tert.     zitiert     über    Pythagoras"    Lehre    vom    Übergang    der 
Menschenseele    in    Tierleiber    einen  Vers    des  Mimendichters  Laberius; 


470  Richard  Heinze:  [XL VIII 

auf  schroffen  Widerstand.  Das  dient  dann  als  Vorwand,  um 
diese  Lehre  eingehend  zu  begründen:  ich  habe  diese  Argu- 
mentation hier  nicht  dogmengeschichtlich  zu  analysieren. 
Wichtige  Elemente  derselben  fand  Tert.  bei  den  griechischen 
Apologeten  vor,  die  fast  ausnahmslos  die  Auferstehungslehre 
behandeln,  als  ein  christliches  Kerndogma,  das,  wenn  auch 
ungefährlich  und  für  die  Verfolgung  der  Christen  belanglos, 
doch  vor  anderen  geeignet  schien,  die  Christen  als  wunder- 
süchtig und  abergläubisch  zu  diskreditieren,  und  das  anderer- 
seits wegen  der  damit  zusammenhängenden  Lehre  vom  jüngsten 
Gericht  für  die  Propaganda  von  großer  Bedeutung  war.1') 
Wie  Tert.,  verweist  Tatian  c.  6  auf  das  Nichtsein  vor  der 
Geburt  als  Analogon  für  das  Nichtsein  vor  der  Wiedergeburt 
und  betont  wie  Tert.,  daß  es  gleichgültig  für  die  Auferstehung 
sei,  in  welchem  Element  der  Leib  vergangen  sei.2)  Wie  Tert. 
lehrt  Theophilus,  daß  Gott  den  ewigen  Wechsel  von  Ent- 
stehen und  Vergehen  in  der  Natur  als  Zeugnis  für  die  Auf- 
erstehung vor  Augen   stelle.3)      Aber  keiner  der  Apologeten 


Minucius  erwähnt  34,  7  die  gleiche  Lehre  mit  dem  Zusatz  non  philo- 
sophi  sane  studio,  sed  mimi  coiivicio  digna  ista  sententia  est.  'Also 
Tert.  hat  die  Laberiusstelle  aufgestöbert,  Min.  seinem  Satze  die  ge- 
schickte Zuspitzung  gegeben;  weil  es  ihm  auf  die  Antithese  der 
Philosophen  und  Mimen  ankam,  hat  er  die  Eigennamen  fortfallen 
lassen'.     Kroll,  Rh.  M.  60  (1905)  p?  3°9- 

i)    Vgl.    GrEFFCKEN    p.    235.    244. 

2)  kccv  nvQ  ii-cccpccvißr]  \lov  xb  ouoxiov,  i^axaiöQ-üoccv  xt]v  vlrtv  6 
y.döfto^  ■KSxd>Qi]H£'  kccv  iv  Ttorufioig  itav  iv  ftaläöaccig  (xdaTzuvri&ä}  wxv 
V7tb  ftrjQiwv  diaGrtaO&w,  xccfisioig  ivan6y.£iyica  niovoiov  ö^cnörov.  *ai 
ö  php  7tTco%bg  y.u\  ikfttog  ovx  olösv  xa  ano-/.d\ihva.,  &sbg  ds  6  ßaortsvav, 
ors  ßovXexca,  xijv  ogctxrjv  ctvxca  (lövov  V7t6axccaiv  äTtoKccxaaxrjasi  Ttgbg  xo 
<xQ%aiov.  Tert.  XL VIII  9  ubicumque  resolutus  fueris,  quaecumque  te 
materia  destruxerit,  hauserit,  aboleverit,  in  nihilum  prodegerit,  reddet  te. 
Eius  est  nihilum  ipsum,  cuius  et  totum. 

3)  ad  Autol.  I  13  6  {ihv  ovv  fteog  aot  %olXa  xsk^qicc  i%i8dv.vv6iv  dg 
-b  iti6T£vsiv  ccvxoi.  d  yccg  ßovXst,  v.axav6r\Gov  xi]V  xäv  %uiQä>v  v.ai 
i\\i£Q<öv  Kai  vvxxcöv  xslsvxriv,  it&g  %a.\  avxa  xsXsvxä  hccI  avicxuxui,  dann 
Samen  und  Früchte,  dann  Bäume  und  Sträucher:  Ttcog  ovyl  naxa.  ttqÖo- 
ruy^icc    %tov    ('%    atpuvovg    v.cci    ctOQÜxov    -naxa   v.aiQOvg   TTQOtp^QOVßt   xovg 


XLVIII]  Tbrtdllians  Apologeticum.  477 

gibt  eine  bei  aller  Kürze  doch  so  reichhaltige  und  umfassende 
Demonstration  der  Lehre  in  strenger  Disposition:  i.  Über- 
legenheit über  die  Seelen  Wanderungslehre  und  Darstellung  der 
ratio  der  Auferstehung,  auch  des  Fleisches.  2.  Das  Wie. 
3.  Gottes  Fähigkeit  zur  Ausführung  und  Beweis  aus  der 
Natur,  die  im  Menschen  gipfelt.  4.  Die  Stellung  im  Weltplan. 
5.  Der  Zustand  nach  der  Auferstehung.  Auch  im  einzelnen 
ist  der  Vergleich  lehrreich,  um  auch  hier  wieder  die  Über- 
legenheit der  tertullianischen  Dialektik  über  die  seiner 
griechischen  Vorgänger  zu  erkennen:  doch  kann  ich  mir  die 
Durchführung  ersparen. 

Auch  Minucius  läßt  seinen  Octavius  ausführlich  die  Auferstehung 
gegen  des  Caecilius  Angriffe  (c.  n)  verteidigen  (c.  34 fg.).  Ein  Zusam- 
menhang mit  Tert.  ist  auch  hier  unverkennhar;  doch  kompliziert  sich 
die  Frage  dadurch,  daß  Minucius  den  Griechen  in  mancher  Einzelheit 
noch  näher  steht  als  dem  Lateiner x),  und  also  eine  selbständige  Kenntnis 
ihrer  Apologien  auch  hier  anzunehmen  ist.  Der  Vergleich  aber  mit 
Tert.  führt  auch  hier  zu  dem  Resultat  der  Abhängigkeit  des  Minucius. 
Um  dies  vorwegzunehmen:  auch  hier  ist  Tert.s  Auffassung,  weil  in 
energischer  Durcharbeitung  dem  eignen  Denken  assimiliert,  klar  und 
durchaus  einheitlich,  die  des  Minucius,  weil  nur  äußerlich  aufgenom- 
men, widerspruchsvoll  und  schwankend.  Tert.  hält  durchaus  daran  fest, 
daß  der  Mensch  zwischen  Tod  und  Auferstehung  ein  Nichts  ist,  und 
dann  von  Gott  neu  geschaffen  wird.  Tert.  betont  daher  bei  dem  Ver- 
weis auf  die  Zeit  vor  der  Geburt  aufs  stärkste,  stärker  noch  als  Tatian 
u.  a.,  das  esse  de  nihilo  und  nach  der  Auferstehung  das  rursus  esse  de 
nihilo;  bei  dem  Hinweis  auf  die  Erschaffung  der  Welt  —  die  nur  er 
in  diesem  Zusammenhange  bringt  —  die  Erschaffung  aus  dem  Nichts8); 

■KccQTtovg,  .  .  .  xavxcc  Sh  nävxcc  ivsgyst  7}  xov  Q'sov  ooepice,  tig  tu  imdst^ai 
v.a.1  äiä  xovxcov  ort  dvvaxog  iöxiv  o  ftsbg  noifjoai,  rrjv  v.a&oliv.i.r 
ccväcxuaiv  ÜTtdvxcov  ccv&Qmnoiv.     Dann  xcc  iv  ovqccvöj:  Mondwechsel. 

1)  Man  halte  neben  die  soeben  in  den  Anm.  zitierten  Stellen  die 
Sätze  des  Minucius  34,  10  tu  perire  et  deo  credis,  si  quid  oculis  nostris 
hebetibus  subtrahitur?  Corpus  omne  sive  arescit  vn  pulverem  sive  in 
umorem  solcitur  vel  in  cinerem  comprimitur  vel  in  nidorem  tenuatur, 
subducitur  nobis,  sed  deo  elementorum  eustodi  reservatur.  Das  post 
Senium  arbusta  frondeseunt  steht  bei  Min.  wie  bei  Theophilus,  bei  Tert. 
aus  gutem  Grunde  nicht. 

2)  Vgl.  de  resurr,  carnis  c.  1 1  igitur  confide  illum  totum  hoc  ex  ni- 
hilo protulisse,  et  deum  nosti  fidendo  quod  tantum  deus  valeat. 


478  Eichakd  Heinze:  [XLVIII 

bei    der    Parallelisierung    der    Naturvorgänge    das  Vergehen    vor    dem 
Wiedererstehen   in   immer   neuen  Wendungen1);    und    an    den    Schluß 
stellt   er   sehr   entschieden    den  Satz   eius  est  nihilum  ipsum,  cuius  et 
totum.     Es  entspricht  durchaus  der  radikalen  Art  seines  Denkens,  daß 
er  jede  vermittelnde  Vorstellung  —  von  einem  Fortbestehen  des  Leibes 
in  anderer  Gestalt  und  einer  Neuformung  durch  Gott  oder  dgl.  —  ver- 
schmäht und  die  Auferstehung  geradewegs  als  Neuschöpfung  des  früher 
Gewesenen  hinstellt.     Minucius  akzeptiert  dies  z.  T.,  nämlich,  wo  ihm 
der  Gedanke  wirkungsvolle  Antithesen  liefert  —  sicut  de   nihilo  nasci 
licuit,   ita  de  nihilo  Heere  reparari;  aber  die  Vorstellung  ist  ihm  nicht 
lebendig  geworden:  gleich  im  folgenden  wird  der  Übergang  der  Körper- 
materie   in  andere   Stoffe    geschildert   (s.  oben  S.  477,  1),    so    daß  nur 
unserer  Kurzsichtigkeit   die  Fortdauer   des   Körpers   entgeht,    und  bei 
dem  Passus  über  die  Natur  fehlen  die   charakteristischen  Wendungen 
Tert.s,  auch  steht  dort  das  post  Senium  arbnsta  frondeseunt,  wobei  ein 
Absterben  und  Neuwerden  nicht  vorliegt.     Und  in  eben  diesem  Passus 
verrät  ein  Wort,   das   aus  Tert.  stehen  geblieben  ist,   wenn  ich  nicht 
irre,  die  Entlehnung:   Min.  fährt  fort  semina  non  nisi  corrupta  revires- 
eunt*):   wozu  wird  hier  betont,   daß   die  Samenkörner  erst  verderben 
müssen,  um  wieder  zu  grünen?     Bei  Tert.  steht  semina  non  nisi  cor- 
rupta et  dissoluta  feeundius  surgunt:  da  hat  das  non  nisi  seinen  guten 
Grund,   denn  Tert.  will  auf  den   allgemeinen  Satz   hinaus,   an  dessen 
Paradoxie  er  Freude  hat:   omnia  pereundo  servantur,  omnia  de  interitu 
reformantur  —   und  während    allem    anderen   der   Untergang  einziges 
Mittel  zum  neuen  Werden  ist,   soll  beim  Menschen  das  Gegenteil  ein- 
treten? ad  hoc  morieris  ut  pereas?  —  Übrigens  hat  Minucius  die  Ana- 
logie der  Natur  in   origineller  Weise  verwertet:   als  Vorbereitung   auf 
die  Widerlegung  des  gegnerischen  Einwandes  (11,8),   warum   denn  in 
so  vielen  Jahrhunderten  noch  keiner  wieder  auferstanden  sei :  der  Leib 
im  Grabe  ist  wie  der  winterlich  abgestorbene  Baum,  es  gilt  den  'Früh- 
ling' abzuwarten.     Dementsprechend  wird  nun   aber  der  ganze  totto? 
bei  ihm  zum  Gleichnis  (vide  adeo,  quam  in  solacium  nostri  resurrec- 
tionem  futurum  omnis  natura  meditetur),  und  Gott  bleibt  aus  dem  Spiel: 
während  Tert.  und,   wie   die  Übereinstimmung   mit  Theophilus  wahr- 
scheinlich macht,   seine   griechische  Quelle,  von  einer  Absicht  Gottes, 
den  Glauben  an  die  Auferstehung  zu  bestärken,  redeten:   das   konnte 


1)  interfeeta,  decedendo,  defuneto,  fmiuntur ,  consummantur,  cor- 
rupta et  dissoluta  .  .  omnia  pereundo  servantur,  omnia  de  interitu  refor- 
mantur. 

2)  Es  wäre  möglich,  daß  sich  Min.  an  I  Cor.  15,  36  erinnerte:  tu 
(juod  seminas  non  vivificatur,  nisi  prius  moriatur,  aber  die  wörtlichen 
Anklänge  machen  Abhängigkeit  von  Tert.  wahrscheinlicher. 


XLVIII]  Terti  i.i.iaxs  Apologbtk  479 

Minucius  in  seinem  Zusammenhang  nicht  braueben.  —  Der  paradoxe 
Einfall,  daß  die  zweite  Schöpfung  sogar  leichter  sei  als  die  erste,  weil 
eine  Wiederholung  des  schon  einmal  Gewesenen,  sieht  mir  ganz  nach 
tertullianischer  Sophistik  aus1)  —  bei  Älteren  finde  ich  ihn  nicht  — ; 
wenn  Min.  ihn  so  wiedergibt:  difficiliw  esse  id  quod  mm  sit  ineipere 
quam  id  quod  fuerit  itcrare  —  so  verdirbt  er  ihn:  denn  das  qw>d  mm 
sit  gilt  auch  von  dem  Verstorbenen  vor  der  Auferstehung.  —  Daß  Min. 
die  Ewigkeit  der  Hüllenstrafen  so  stark  betont  und  vor  allem  es  glaub- 
lich zu  machen  sucht,  daß  das  Hölleufeuer  die  Leiber  brennt,  ohne  sie 
zu  verzehren  —  der  Blitz  und  das  Feuer  der  Vulkane  dienen  als  Ana- 
logien wie  bei  Tert.  — ,  das  erscheint  durch  Gedankengang  und  Zu- 
sammenhang nicht  so  entschieden  gefordert  wie  bei  Tert.;  Caecilius 
hatte  die  poena  sempiterna  der  Ungerechten  zwar  erwähnt  (11,5),  aber 
auf  das  sempitemum  kein  Gewicht  gelegt,  Tert.  dagegen  betont  stark 
die  ewige  Dauer  des  durch  die  Auferstehung  und  das  jüngste  Gericht 
geschaffenen  Zustandes,  da  dieser  eben  der  strikte  Gegensatz  der  Zeit- 
lichkeit ist;  zudem  stützt  er  sich  für  die  Verschiedenheit  des  arcaiius 
et  publicus  ignis  auf  die  Lehre  der  'Philosophen',  d.  i.  der  Stoa,  und 
knüpft  unmittelbar  daran  (XLIX  1)  wieder  die  Klage  darüber,  wie  ver- 
schieden solche  Dogmen  bei  den  Philosophen  und  bei  den  Christen 
beurteilt  würden.  Im  einzelnen  ist  hier  merkwürdig  die  abweichende 
Beschreibung  der  Blitzwirkung:  qui  de  <nth>  tangitur,  salvus  est,  ut 
nullo  tarn  igni  decincrescat  sagt  Tert.,  ignes  fulminum  corpora  tangunt 
nee  absumutd  Minucius.  Die  von  den  Interpreten  des  Tert.  —  Havke- 
camp,  Okulek,  Rauschex  —  vertretene  Ansicht,  daß  beide  dasselbe 
meinen,  Minucius  den  Tert.  richtig  interpretiert  habe,  ist  keinesfalls 
haltbar;  Tert.  kann  nichts  anderes  gemeint  haben,  als  was  die  Worte 
sagen:  wer  vom  Blitz  getroffen  ist,  dessen  Leib  ist  feuerfest.  Aber  wir 
haben  hier  einen  Fall,  wo  die  richtige  Fassung  nicht  auch  die  origi- 
nale ist:  die  Worte  des  Minucius  sind  zu  klar,  als  daß  auch  ein  flüch- 
tiger Leser  sie  hätte  mißverstehen  können;  andererseits  ist  Tert.s  An- 
gabe als  ungenaue  Reminiszenz  etwa  an  den  Aberglauben,  daß  vom 
Blitz  Getötete  weder  verwesen  noch  von  Tieren  gefressen  werden 
(Plut.  qu.  c.  IV  2,3)  oder  an  den  Brauch,  vom  Blitz  Getötete  nicht  zu 
verbrennen  (Plin.  n.  h.  II  145  hominem  ita  exanimatum  cremari  fas  non 
est)  bei  der  im  Tatsächlichen  oft  recht  flüchtigen  Art  des  Autors  wohl 
begreiflich,  und  begreiflich  auch,  daß  Minucius  daran  Anstoß  nahm 
und  korrigierte.  Der  Vergleich  wird  dadurch  freilich  nicht  besser, 
denn  nach  Tert.s  Vorstellung  hat  der  Blitz  sowohl  zerstörende   als  er- 


1)  Tert.  wiederholt  ihn  de  resurr.  carn.  11  utique  idoneus  est  re- 
l'mre  qui  fecit,  quanto  plus  est  fecisse  quam  refteisse,  initium  dedis*e 
quam   reddidisse;   ita   restitutionem   carnis  faciliorem  credas  institutione. 


480  Eichard  Heinze:  [XLIX  i — 3 

haltende  Kraft,  bei  Minucius'  tangunt  nee  absumunt  ist  die  Analogie 
mit  dem  verzehrenden  und  ersetzenden  Höllenfeuer  geringer.  Aber 
noch  eins:  bei  Tert.  ist  die  Analogie  dadurch  schlagend,  daß  für  ihn 
auch  Blitz  und  vulkanisches  Feuer  iudicio  clei  adparet,  wie  das  Höllen  - 
feuer:  hat  er  doch  oben  XL  8  beides  unter  den  Strafmitteln  Gottes  mit 
genannt1);  bei  Minucius,  der  von  diesen  Dingen  vorher  nicht  geredet 
hat,  bleibt  es  bei  einer  bloß  äußerlichen  Analogie,  die  zudem  beim 
Blitz  nicht  einmal  recht  zutrifft. 2)  Endlich  noch  eine  lexikalische  Be- 
obachtung: erogare  Verzehren,  vernichten'  ist  bei  Tert.  beliebt  (Oehlek 
zu  Scorp.  c.  6),  sonst,  soviel  ich  sehe,  recht  selten:  bei  Minucius  steht 
das  Wort  nur  hier3):  gewiß  verdankt  er  es  der  Tert.-Stelle,  die  er  beim 
Schreiben  vor  Augen  hatte. 

LIX  1—3  Tert.  kommt  auf  den  Vergleich  mit  den  Philosophen  zu- 
rück: fum  derselben  Lehre  wegen  werden  jene  gepriesen,  wir 
verlacht,  ja  gestraft'.  Dabei  ist  doch  die  Lehre,  mag  man 
sie  selbst  nicht  als  wahr  anerkennen,  gewiß  nützlich  und  also 
empfehlenswert,  zum  mindesten  aber  niemandem  schädlich: 
also  verdiente  sie  höchstens  Spott,  aber  nicht  die  harten 
Strafen,  zu  denen  ihr  uns  verurteilt.   Justin  hatte  gesagt,  'wenn 


1)  Deutlich  tritt  diese  Vorstellung  auch  hervor  de  paenit.  12,  eine 
Stelle,  die  zeigt,  wie  fest  die  Vorstellung  bei  Tert.  haftete:  quid  illum 
thesaurum  ignis  aetemi  aestimamus ,  cum  fumariola  quaedam  eius 
tales  flammarum  ictus  suscitent,  ut  proximae  urbes  aut  iam  nullae  ex- 
Stent  aut  idem  sibi  de  die  sperent?  Dissiliunt  superbissimi  montes  ignis 
intrinsecus  fetu,  et  quod  nobis  iudicii  perpetuitatem  probet,  cum  dissili- 
ant,  cum  devorentur,  numquam  tarnen  finiuntur.  quis  haec  supplicia 
interim  montium  non  iudicii  minantis  exemplaria  deputabit?  quis  scin- 
tillas  tales  non  magni  dlicuius  et  inaestimabilis  foci  missilia  quaedam 
et  exercitoria  iacula  consentiet?  Also  das  vulkanische  Feuer  ist  Höllen- 
feuer: diese  These  wird  man  demnach  auch  im  Apol.  nicht  mit  Ebert 
(p.  376)  daraus  erklären,  daß  Tert.  den  Min.  cin  der  Eile'  mißver- 
standen habe. 

2)  Der  Ausdruck  sapiens  ignis,  statt  des  tertullianischen  arcanus, 
zeigt,  daß  Min.  auch  hier  andere  christliche  Quellen  zur  Verfügung 
hat:  Christen  haben  das  cpQoviuov  7tvQ  Heraklits  (Hippol.  IX  10 fr.  123  B. 
63  D.)  und  der  Stoa  (vosgog  %al  cpQovi^ios  Zeno  Dox.  p.  467)  mit  dem 
von  Gott  gesandten  oder  im  Jenseits  brennenden  Feuer  identifiziert: 
s.  die  bei  Bönig  angeführten  Stellen  des  Origenes  und  Clemens  und 
vgl.  Anrich  in  Theolog.  Abh.  f.  Holtzmann  117,  r. 

3)  igves  .  .  flagrant  nee  erogantur,  Tert.  dum  erogat  reparat. 


XLIX  4  —  TjJ  Tbrti  i.i.iaxs  Apologbtioum.  481 

einer  die  Lehre  vom  jüngsten  Gericht  für  unglaubwürdig  und 
und  unmöglich  hält,  so  trifft  der  Irrtum  doch  nur  uns,  keineu 
anderen,  so  lange  wir  kein  Unrecht  durch  die  Tat  begehen' 
(I  8)1),  und  weiterhin,  'wenn  euch  die  christliche  Lehre  Ge- 
schwätz dünkt,  so  verachtet  sie  als  solche,  und  verurteilt  nicht 
zum  Tode  die,  die  kein  Unrecht  tun  (68)'.  Man  sieht  hier 
Tert.s  Pointe  vorbereitet:  aber  so  schroff*  wie  dieser  hatte 
Justin  doch  nicht  zu  behaupten  gewagt,  daß  das  Bekenntnis 
zur  Lehre  von  Auferstehung  und  jüngstem  Gericht  ein  Todes- 
urteil nach  sich  ziehe.  Es  ist,  als  wolle  Tert.  es  durch  diese 
Fiktion  —  anders  kann  man  es  nicht  bezeichnen  —  recht- 
fertigen, daß  er  in  der  Gerichtsrede  so  ausführlich  auf  ein 
kriminell    niemandem   verdächtiges    Dogma   eingegangen    war. 

Und  nun  wieder  kein  Absetzen  und  Neueinsetzen  der  XLIX  4 
letzten  Betrachtung  über  das  Martyrium  der  Christen,  son- 
dern ein  kühner  rascher  Übergang:  'über  solches  ungerechte 
Wüten  triumphiert  nicht  nur  der  blinde  Pöbel,  sondern  auch 
von  euch  suchen  manche,  die  sich  durch  Ungerechtigkeit 
populär  zu  machen  wünschen,  ihren  Ruhm  darin*. 

Der  eigentliche  Epilog,  zu  dem  diese  Schlußbemerkung  XLIX  5  —  L 
überleitet,  hat  als  Grundgedanken  den,  daß  die  Verurteilung 
für  die  Christen  keine  Niederlage,  vielmehr  einen  Sieg  be- 
deute. Zunächst  ist  es  kein  Triumph  der  Gegner:  denn  es 
ist  ja  freier  Wille  der  Christen,  die  sich  durch  den  Abfall 
von  Gott  leicht  der  Verurteilung  entziehen  könnten.  Der  Ein- 
wand liegt  nahe,  daß  sie,  wenn  ihnen  ihr  Wille  geschieht, 
auch  kein  Recht  haben,  darüber  zu  klagen:  Tert.  begegnet 
ihm  mit  einem  rhetorisch  wirksamen,  sachlich  recht  wenig 
beweisenden  Gleichnis2):   auch   der  Soldat   beklagt   sich    über 


1)  Ganz  ähnlich  Athenag.  36. 

2)  Über  die  militia  Christi  genügt  ein  Verweis  auf  Haknack» 
Schrift  dieses  Titels  (Lpz.  1905;  vgl.  dens.  Miss.  u.  Ausbr.  I  348  fg.).  Der 
Vergleich  der  Beschwerden,  die  der  Märtyrer  wie  der  Soldat  zu  tragen 
hat,  war  ad  mart.  3  eingehend  gezogen,  und  er  paßte  dort  wohl  noch 
besser  wie  hier:  dort  werden  die  Kerkersnöte  mit  den  Mühsalen  vor 
dem  Kampf  verglichen,   die   auch  der  tapfere  Soldat  nicht  gern  trägt ; 


482  Richaed  Heinze:  [L 

die  Mühe  des  Kampfes  —  das  ist  für  den  Christen  der  Pro- 
zeß — ,  wünscht  sich  aber  den  Sieg:  so  auch  der  Christ;  da 
aber  'siegen'  heißt  das  erreichen,  wofür  man  stritt,  so  ist 
das  für  den  Märtyrer  der  Tod,  der  ihm  den  Ruhm,  Gott  zu 
gefallen,  und  die  Beute  des  ewigen  Lebens  erwirbt.1)  cSo 
fassen  wir  die  schmählichste  Hinrichtung  als  Triumph.  Auch 
an  dieser  Haltung  nehmt  ihr  Anstoß:  ihr  scheltet  uns  Ver- 
zweifelte und  Verlorene,  ohne  zu  bedenken,  daß  der  gleiche 
Opfermut,  bewiesen  für  geringere  Werte,  als  Gott  und  die 
wahre  Unsterblichkeit  es  ist,  sonst  bei  euch  die  höchste  An- 
erkennung findet.2)  Aber  fahrt  nur  fort,  die  Christen  dem 
Haß  des  Volkes  zu  opfern:  der  Tod  durch  euch  ist  Beweis 
unserer  Unschuld  und  bestes  Werben  für  unsere  Lehre'. 

Um    die   Bedeutung    dieses    triumphierenden   Epilogs    zu 


hier  sollte  es  sich  eigentlich  nur  um  den  Kampf  selbst,  Prozeß  und 
Verurteilung  handeln,  aber  dem  Gleichnis  zu  liebe  sagt  Tert.  cur  qiie- 
rimini  quod  vos  insequamur,  nicht  quod  vos  damnemus. 

1)  Victoria  est  autem  pro  quo  certaveris  obtinere:  es  ist  vorher  ge- 
sagt, daß  das  beim  Soldaten  Ruhm  und  Beute  ist,  nachher,  worin 
beides  für  den  Christen  besteht.  Minucius  eignet  sich  die  Sentenz  37, 1 
an:  vicit  mim  qui  quod  contendit  obtinuit,  aber  man  sieht  nicht  deut- 
lich, was  er  damit  meint.  Im  übrigen  hat  Min.  für  seine  Schilderung 
des  christlichen  Kampfes  zu  Seneca  de  Providentia  gegriffen. 

2)  Tert.  wählt  zunächst,  anknüpfend  an  die  Schmähworte  sar- 
menticii  et  semaxii  drei  Beispiele  von  exusti:  Mucius,  Empedocles, 
Dido,  schließt  daran  zwei  qualvolle  Hinrichtungen  (Regulus,  Anaxarch), 
bringt  endlich  drei  Beispiele  von  standhaft  ertragenen  Foltern;  einen 
Teil  verdankt  er  wohl  einer  Sammlung  von  exempla,  andere  waren  all- 
gemein bekannt.  Minucius  fand  den  Mucius  sowohl  bei  Tert.  wie  auch 
bei  Seneca  de  prov.  3,5,  und  es  ist  hübsch  zu  sehen,  wie  er  die  Ge- 
sichtspunkte der  beiden  verbindet:  das  Beispiel  widerlegt  eigentlich 
bei  ihm  des  Caecilius  Behauptung,  daß  die  Christen  miseri  seien 
(12,  3 fg.):  Christianus  miser  videri  potest,  non  potest  inveniri;  so  hatte 
Seneca  gefragt  in  fei  ix  est  Mucius,  quod  dextra  ignes  hostium  premit? 
Aber  Min.  sagt  vos  ipsi  calamitosos  viros  fertis  ad  caelum,  ut  Mucium 
Scaevolam:  dies  fIn-den-Himmel-heben'  ist  das,  was  Tert.  der  abschätz- 
igen Beurteilung  gegenüberstellt,  die  der  Christen  Todesmut  bei  den 
Heiden  findet.  Den  Ausdruck  hat  Min.  allerdings  gewählt,  um  etwas 
der  von  den  Christen  erhofften  immortalitas  Analoges  anzuführen. 


L]  Tertullians  Apologeticum.  483 

würdigen,  ist  es  nötig,  sich  der  traditionellen  Haltung  des  Ver- 
teidigungsepilogs zu  erinnern:  Tert.  rechnet  darauf,  daß  der 
Hörer  oder  Leser  diesen  Vergleich  anstelle.  Statt  der  sonst 
üblichen  Versuche,  das  Mitleid  der  Richter  zu  erwecken,  hier 
Ausdruck  höchsten,  stolzesten  Selbstbewußtseins;  statt  der  be- 
weglichen Schilderung  der  schlimmen  Polgen,  die  eint'  Ver- 
urteilung haben  würde,  hier  der  Preis  der  Verurteilung  a!> 
eines  ersehnten  Sieges,  dem  ein  köstlicher  Lohn  bestimmt  sei; 
statt  der  Bitte  an  den  Richter,  die  Unschuld  des  Angeklagten 
durch  Freispruch  anzuerkennen,  hier  die  Versicherung,  daß 
die  Verurteilung  den  Beweis  für  die  Unschuld  liefen]  werde^ 
überhaupt  statt  der  rührenden  Bitte  an  die  Richter  um 
Erbarmen  und  Gnade  die  fast  höhnische  Aufforderung,  ihrer 
Grausamkeit  freien  Lauf  zu  lassen  und  damit  dem  Getöteten 
den  größten  Dienst  zu  leisten,  die  Verzeihung  seiner  Sünden 
von  Gott  zu  erwirken. 

Auf  wen  ist  dieser  Epilog  berechnet?  Gewiß  nicht  auf 
die  angeblichen  Adressaten  der  Schrift,  die  praesides,  <> 
oder  doch  wenigstens  nicht  in  ihrer  Eigenschaft  als  Richter. 
Wohl  aber  mußte  jeder  Christ  diese  hochgemuten  Worte 
mit  Begeisterung  lesen  und  sich  dadurch  gestärkt  fühlen 
gegen  die  Schrecken  der  Verfolgung;  und  sodann:  es  war 
nichts  besser  geeignet,  protreptisch  zu  wirken,  als  dieser 
Epilog,  den  das  Feuer  des  Märtyrermuts  durchglüht.  Und 
blicken  wir  von  hier  aus  zurück  auf  die  scheinbar  so  dispa- 
raten Teile  der  peroratio  von  c.  XLVI  ab,  so  werden  wir 
vielleicht  in  der  beabsichtigten  protrep tischen  Wirkung  die 
anfänglich  vermißte  Einheit  finden.  Daß  die  Lehre  von  der 
Auferstehung,  dem  jüngsten  Gericht  und  dem  ewigen  Feuer 
vor  allen  christlichen  Lehren  solcher  Wirkung  fähig  ist,  be- 
darf keines  Beweises;  ganz  naiv  noch  hatte  Aristides  am 
Schlüsse  seiner  'Apologie'  den  heidnischen  Gegnern  geraten, 
von  ihren  Angriffen  abzulassen  und  sich  selbst  zu  bekehren, 
damit  sie  einst  dem  Gericht  und  der  Strafe  entgingen  und 
des  ewigen  Lebens  teilhaftig  würden,  und  Justin  muß  sich 
schon    (ap.  U  9)    gegen    den   Vorwurf  wenden,    die   Christen 


484  Richard  Heinze: 

lehrten  die  ewigen  Strafen,  um  durch  Furcht  Proselyten  zu 
machen.1)  Tert.  hütet  sich  daher  wohl,  seine  Lehre  als  Ver- 
warnung oder  Drohung  vorzutragen,  erfüllt  vielmehr  schein- 
bar, wie  schon  Athenagoras  c.  36,  nur  die  Pflicht  der  Ver- 
teidigung gegen  den  Vorwurf  der  Lächerlichkeit:  er  vertraut 
darauf,  daß  die  durch  eingehende  Argumentation  zur  Gewiß- 
heit erhobene  furchtbare  Aussicht  auf  die  ewigen  Höllenstrafen 
wirken  wird;  nur  in  einem  einzigen  letzten  Sätzchen,  und  in 
ihm  eigentlich  nur  mit  den  zwei  Schlußworten,  klopft  er 
deutlicher  an  das  Gewissen  der  heidnischen  Verfolger:  montes 
nruntur  et  durant:  quid  nocentes  et  dei  hostes? 

Protreptisch  endlich  ist  auch  die  Synkrisis  zwischen 
Christ  und  Philosoph  zu  verstehen,  mit  der  Tert.  seine  pero- 
ratio  beginnt.  Wir  sahen  allerdings,  daß  er  höchstwahr- 
scheinlich auch  seine  eigenen  Glaubensgenossen  im  Auge  hat; 
aber  vornehmlich  denkt  er  doch  an  diejenigen  Heiden,  die  in 
der  Philosophie  einen  Ersatz  für  die  Religion  gefunden  zu  haben 
meinen,  die  vielleicht  bereit  sind,  alles  zuzugeben,  was  vor- 
her gegen  den  heidnischen  Volksglauben  eingewendet  wurde, 
aber  trotzdem  auf  das  Christentum  von  der  Höhe  ihrer  älteren 
und  vornehmeren  Weisheit  verächtlich  herabblicken.  Bei 
Tatian,  den  Tert.,  wie  wir  sahen,  gerade  in  diesem  Abschnitt 
benutzt,  war  ja  die  Bekämpfung  jenes  philosophischen  Hoch- 
muts ein  wichtiges  Hauptstück  seiner  gewiß  in  letzter  Linie 
auch  protreptisch  gemeinten  Schrift;  aber  bei  ihm  ist  die  Pole- 
mik zersplittert  und  versprengt  in  einer  Fülle  von  ordnungslos 
ausgeschütteten  Angriffen  auf  die  gesamte  heidnische  Bildung, 
und  es  kommt  dem  Leser  kaum  zum  Bewußtsein,  was  Tert. 
so  klar  herausarbeitet,  daß  das  Christentum  den  Anspruch 
erhebt,  das  Erbe,  wie  der  heidnischen  Religionen,  so  auch 
der  Philosophie  anzutreten. 

Nicht  als  Jurist,  das  hat  uns  die  Analyse  gelehrt,  sondern 
als    Advokat    hat    Tertullian    sein   Apologeticum    geschrieben. 

1)  Vgl.  Geffcken  96. 


Tertui.i.i  \ns  Apolo»  bticum.  485 

So   wenig-   ist   er   um   juristische    Präzision   und   Sachlichkeit 

bekümmert,  daß  es  schwer  denkbar  erscheint,  er  sei  Rechts- 
gelehrter von  Beruf  gewesen;  so  fest  steht  er  mitten  in  der 
Tradition  römischer  Gerichtsrede,  daß  sich  unabweisbar  die 
Annahme  aufdrängt,  die  Praxis  des  Forums,  nicht  das  Studium 
der  Rhetorik  allein  habe  ihn  gebildet.  Wenn  wir  die  Reden 
Ciceros  öfter  fast  als  die  rhetorische  Theorie  zum  Vergleich 
heranziehen  konnten,  so  hat  das  seinen  guten  (»rund:  auch 
für  Ciceros  Beredsamkeit  ist  in  höherem  Maße,  als  man  <;e- 
meinhin  annimmt,  die  römische  Praxis  neben  der  griechischen 
Theorie  bestimmend  gewesen.  Für  das  Fortleben  dieser  Praxis 
ist  uns  Tert.s  Apologeticum  ein  wichtiger  Zeuge  neben  Apu- 
leius' Apologie:  wichtiger  in  mancher  Hinsicht  noch  als  diese 
weil  mannigfaltiger  und  weniger  durch  'philosophische'  Aspi- 
rationen gefärbt. 

Freilich  war,  wie  wir  sahen,  die  Aufgabe,  die  sich  Tert. 
gestellt  hatte,  eine  Apologie  des  Christentums  als  Gerichts- 
rede zu  formen,  restlos  nicht  zu  lösen:  so  manche  Vorwürfe, 
die  er  nicht  übergehen  wollte,  ließen  sich  nur  scheinbar, 
andere  überhaupt  nicht  als  rechtliche  Klagepunkte  formulieren. 
Aber  der  Geist  der  Verteidigung  ist  durchweg  wirklich  der 
der  forensischen  Apologie ,  mit  allen  seinen  Licht-  und 
Schattenseiten.  Vollständigkeit  der  Verteidigung  ist  das  erste 
Erfordernis;  es  genügt  nicht,  einige  Hauptpunkte  heraus- 
zugreifen, sondern  was  irgend  die  Gegner  vorgebracht  haben, 
verlangt  Widerlegung,  und  das  Ideal  ist,  den  Klienten  nicht 
nur  von  den  Anklagen  reinzuwaschen,  sondern  ihn  als  ge- 
wappnet gegen  jede  mögliche  Anklage,  ja  als  hochverdient 
zu  erweisen.  Die  Vollständigkeit  der  Verteidigung  verschafft 
uns  einen  Überblick  sämtlicher  heidnischer  Gravamina,  so 
lückenlos  wie  ihn  keiner  der  griechischen  Apologeten  gibt. 
Und  Tert.  formuliert  alle  diese  Gravamina  aufs  schärfste:  er 
ist  gewohnt,  vor  Gericht  gegen  bestimmte  Anklagen,  nicht 
gegen  vage  Verdächtigungen  zu  verteidigen,  und  darum  sucht 
er  auch  hier,  nicht  immer  ohne  Willkür,  jedem  Vorwurf  eine 
möglichst    bestimmte   Fassung   zu   geben.     Er   ist   aber  auch 


486  Richard  Heinze: 

gewohnt,  nicht  mit  bloßen  Behauptungen  oder  dem  Bekenntnis 
der  eigenen  Überzeugung,  sondern  mit  Beweisen  zu  fechten, 
und  er  führt  diese  Beweise,  sowohl  gegen  die  Anklagen  der 
Heiden  wie  positiv  für  die  Wahrheit  der  christlichen  Lehre 
und  die  Reinheit  der  christlichen  Sitte,  mit  souveräner  Be- 
herrschung aller  in  der  gerichtlichen  Praxis  bewährten 
Formen.  Er  spricht  nicht,  wie  Justin  oder  Athenagoras,  zu 
einem  als  gütig,  gerecht  und  weise  präsumierten  Kaiser, 
sondern  zu  einem  stark  voreingenommenen,  ja  haßerfüllten 
Richter,  den  es  mit  zwingenden  Argumenten  eines  Besseren 
zu  belehren  gilt:  da  wirken  nur  Verstandesgründe,  oder  besser 
noch  unzweifelhafte  Tatsachen,  erhärtet,  wo  es  angeht,  durch 
Urkunden  oder  Zeugenaussagen.  Die  Gründe  sind  durchweg 
scharfsinnig,  vielfach  überscharfsinnig  erdacht,  und  nicht  wenig 
Sophistisches  läuft  dabei  unter;  oft  genug  steht  die  große 
rhetorische  Wirkung  eines  Arguments  in  umgekehrtem  Ver- 
hältnis zu  seinem  wirklichen  Gewicht,  und  man  empfindet, 
daß  der  Verteidiger  gewohnt  ist,  für  die  rasch  vorüberfließende 
Rede  zu  denken,  die  keine  gründliche  Abwägung  erlaubt,  nicht 
für  die  nachdenkliche  und  nachprüfende  Lektüre,  bei  der  die 
Blender  versagen.  Volle  Sicherheit  gewährt  für  Tert.  nur 
verstandesmäßige  Erkenntnis  oder  unmittelbare  Anschauung: 
das  Unerforschliche  wird  nicht  durch  mystisches  Hindeuten, 
sondern  durch  zur  Auflösung  reizende  Paradoxen  oder  durch 
anschaulichen  Vergleich  dem  Begreifen  zugänglich  gemacht, 
und  auch  Götter  und  Dämonen,  ja  Gott  selbst  muß  es  sich 
gefallen  lassen,  daß  ihr  Tun  auf  rein  menschliche,  nüchterne 
Erwägung  und  Berechnung  zurückgeführt  wird.  Die  Tatsachen, 
deren  er  bedarf,  schöpft  Tert.  mit  Vorliebe  aus  dem  Leben, 
das  ihn  umgibt;  was  er  an  historischen  oder  naturwissenschaft- 
lichen Belegen  braucht,  entnimmt  er  ohne  Nachprüfung,  ja  ohne 
auch  nur  genauer  hinzusehen,  leicht  zugänglichen  Material- 
sammlungen; er  hat  durchaus  keine  gelehrten  Neigungen,  aber 
es  paßt  ihm,  gelegentlich  den  Schein  der  Gelehrsamkeit  zu 
erwecken,  und  er  scheut  sich  nicht,  skrupelloser  darin  als  die 
besseren   unter   den    Griechen,    eilig   erraffte   Notizen   so  dar- 


Tertulmans  Apologet»  i  m.  487 

zubieten,  als  seien  sie  die  Quintessenz  eigener  tiefgründiger 
Forschung. 

Der  Gegner,  der  es  ja  selbst  so  büse  nieint,  hat  keinerlei 
Anspruch  auf  Schonung,  ja  nicht  einmal  auf  unbefangene  und 
gerechte  Würdigung  seines  Standpunktes.  Neben  der  Ver- 
teidigung steht  durchweg  der  leidenschaftliche  Angriff,  uw\ 
dieser  wird  geführt  mit  allen  Waffen  der  Verdächtigung,  des 
Hohnes,  des  satirischen  Witzes,  wie  sie  uns  aus  erbitterten 
Kämpfen  vor  römischen  Gerichten  so  wohl  vertraut  sind: 
gilt  es  doch  nicht,  den  Ankläger  zu  überzeugen  —  eine  Ver- 
ständigung mit  ihm  wird  gar  nicht  versucht  — ,  sondern  den 
Richter,  und  daneben  die  als  noch  indifferent  gedachten 
Zuhörer. 

Aber  das  doccre  allein  genügt  nicht:  das  movere,  ja  auch 
das  delectare  darf  nicht  fehlen.  Tertullian  hütet  sich  wohl, 
das  Pathos  zu  mißbrauchen;  so  unverkennbar  leidenschaftlich 
sein  Temperament  ist,  er  ist  doch  ein  zu  gut  geschulter  Redner, 
um  nicht  die  eigentlich  pathetischen  Töne  für  wenige  Höhe- 
punkte aufzusparen.  Dann  aber  braust  das  Pathos  im  vollen 
Strom,  ergreifend,  ja  erschütternd  —  um  sofort  zu  verstummen, 
sobald  es  seine  Wirkung  getan  hat,  und  wieder  nüchterner 
Schärfe  der  Argumentation  Platz  zu  machen.  Auch  den 
Affekt  braucht  Tert.  als  Mittel,  wie  er  denn  überhaupt,  mag 
er  erörtern  oder  schildern  oder  erzählen,  jeden  Satz,  jedes 
Wort  mit  klügster  Berechnung  dem  jeweiligen  Zwecke  dienst- 
bar macht. 

Das  gesamte  Material  der  Verteidigung  und  Gegenanklage 
ist  im  voraus  sorgfältig  durchdacht  und  bis  in  die  kleinsten 
Einzelteile  zweckmäßig  angeordnet,  um  leichten  Überblick  zu 
ermöglichen,  Wiederholungen  zu  vermeiden,  Steigerung  zu 
erzielen,  Spannung  zu  erwecken;  nirgends  vielleicht  deutlicher 
als  in  der  dispositio  zeigt  sich  Tert.s  Überlegenheit  über  seine 
griechischen  Vorgänger.  Kaum  irgendwann  läßt  er  sich  durch 
momentane  Einfälle  verführen,  von  einem  Gegenstande  mehr 
zu  sagen,  als  gerade  jetzt  erforderlich  ist;  er  kennt  kein 
Divagieren,   und    wenn  er  länger  auf  einem  Punkte  verweilt, 

Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXII.  36 


488  Richakd  Heinze: 

ohne  daß  die  Erörterung  fortschreitet,  so  geschieht  das  nur, 
um  einen  Gedanken  von  allen  Seiten  im  Lichte  funkelnder 
Pointen  vorzuführen:  nichts  delektiert  ja  den  Hörer  seiner 
Zeit  mehr  als  die  feingeschliffene  sententia,  und  in  ihr  ist 
Tert.  Meister.  Wie  trefflich  er  es  im  übrigen  versteht,  durch 
alle  modernen  Kunstmittel  des  Stils  die  verwöhnten  Ohren 
seines  Publikums  zu  befriedigen,  kann  ich  mir  ersparen  aus- 
zuführen: wir  sind  ja  dank  neueren  Untersuchungen  über 
Tertullian  als  Stilisten  hinreichend  aufgeklärt. 

'Tertullian  als  Schriftsteller'  hat  in  knappen  Zügen  Holl1) 
meisterhaft  geschildert;  die  Analyse  des  Apologeticum  hat  ein 
ins  Einzelne  ausgeführtes  Beispiel  zu  dieser  zusammenfassen- 
den Schilderung  gegeben.  Es  hätte  an  sich  fast  jede  andere 
Schrift  Tertullians  ebensogut  dazu  getaugt:  aber  wir  hatten 
beim  Apol.  den  Vorteil,  seine  schriftstellerische  Art  mit  den 
inhaltlich  auf  weite  Strecken  vorbildlichen,  aber  literarisch 
unbeholfenen  Griechen  einerseits,  mit  dem  unselbständigen 
und  gedankenarmen,  aber  literarisch  gewandten  Kompilator 
Minucius  andererseits  kontrastieren  und  so  in  helleres  Licht 
steilen  zu  können;  und  den  weiteren  Vorteil,  daß  das  Apol. 
seiner  Form  nach  der  Gerichtsrede  am  nächsten  steht,  die 
man  als  das  Prototyp  der  tertullianischen  Schriftstellerei 
überhaupt  bezeichnen  darf.  Auch  wo  die  äußere  Form 
wechselt,  ist  der  Typus  der  gleiche:  mag  Tertullian  Zucht 
und  Sitte  predigen  oder  philosophische  Probleme  erörtern 
oder  Häretiker  widerlegen',  er  bleibt,  als  der  er  sich  uns  im 
Apologeticum  gezeigt  hat,  der  geniale  Advokat  der  Sache,  an 
die  er  glaubt. 

1)  Preußische  Jahrb.  88  (1897)  p.  262. 


Tektili.i an-  Apologetk  i  m. 


48g 


Namen-  und  Sachregister. 


amplifieatio  325. 

c  vriv.utr\yoQia  308f. 

Antinous  357. 

Apollonius  312,1.  340,2.  364-436,3- 

438. 
Apuleius  408,  1.  409,2.  410,  1. 
Aristeas  349,  1.  350,  1. 
Aristides   283,1.   —  VIII 6:    453,2. 
Athenagoras   2821'g.    332,1.    372,2. 

392  fg.     466  fg.  u.  pass.  —  c.  3 : 

324,  1.    c.  30:  357,2. 
Auferstehung  475  ff. 
Caelestis  402. 

Cassius  (Severus,  Longinus)  341,  1. 
Christenname  306  fg. 
Christenprozesse  291fr.  3i2fg.  332 ff. 

436  ff. 
Cicero   296 fg.    308 fg.    312.    314 fg. 

325%-    327-    334,2.    347-    4i8fg. 

427-  443- 
coercitio  292,  3. 
collegia  447  ff. 
Cyprian  404,2.  410,  1. 
Dämonen  304.  390 ff. 
di  Romani,  peregrini  etc.  42off. 
Euhemerismus  340 ff.  422 fg. 
Exorzismen  401  ff. 
f actio  445,  i- 
Fama  319. 
Flora  431,  1. 
Fronto  322,  4. 

Gesetze  gegen  die  Christen  292.  312. 
Götter   der  Heiden   337  ff.   —   ihre 

7tä&r]  360  ff. 
Götterbilder  351  ff. 
Häretiker  474. 
hostis  pubUcus  333.    435 fg.  —  ge- 

neris  humani  443 fg. 
ignis  sapiens  480,  2. 
miuria  337.  456fg. 


Inzest  321  ff.  328 fg. 

Josephus  367,  1.  379.  382,3. 

Juppiter  Latiaris  328,  1.  405,  1. 

Justin,  Form  der  Apol.  282.  Vor- 
bild Tert.s:  294.  305.  307.  327. 
329,2.  351,2.  357.  368fg.  378fg. 

438.1.  456.  473ff.  48ofg.  Lehre: 
390  fg.  464  fg.  u.  pass.  —  Ap.  I  29: 
357,2. 

Kaiserfeste  441. 

Kaiserkult  433  ff. 

Kannibalismus  321  ff.  328fg.  33ofg. 

Lactanz  362,  1.  371, 1. 

maiestas  292,2.  332fr.  435. 

Melito  282.  455, 1. 

militcs    in    der    Christenverfolgung 

302,1. 
Minucius  Felix  u.  Tert.  289  u.  pass., 

s.  d.   Stellenverz.   —    griechische 

Quellen   352, 3.    368.   369.  372,2. 

477  fg-  48o,  2. 
Origenes  314,  1. 
Origo  gentis  Rom.  344,  1. 
Ostanes  408  fg. 
Pantomimen  364,  2. 
Perduellion  436. 
Piaton  395,3-  409,2.  415,  1. 
Platoniker    bei    Porphyrios    398,  1. 
Plinius  d.  Ä.  454.  d.  J.  300. 
religio  laesa  334,  2. 
sacrilegium  332  ff.  435. 

Saturn  341  ff. 

I 
Septimius  Severus  442  lg. 

Sokrates  305.  363fg-  396,2.  408,1. 

465.2.  471  fg. 
Tacitus  366 fg.  454,  1. 

Tatian  374,2.  379fg-  381  ff.  473ig- 

u.  pass. 
Tertullian   ad  martyras  481,2.    ad 

nationes  283  a'.  u.  pass.    ad  Sca- 
36* 


49Q 


Richard  Heinze:  Tertullians  Apolog-eticum. 


pulam  287.  de  idololatria  441,  1. 

de  pallio  446,  1.   454,2.  de  spec- 

taculis  446,  2.  459,  1. 
Thallus  341,  1. 
Theophilus  341,  1.  380  fg.  382,2.3. 


383.  384.  386 fg.  388.  438.  468  fg. 

474,  I.  476  u.  pass. 
Trajan  300  fg. 

Varro  344, i-  416,3.  421,1.  423. 
Virgil  320.  361.  431. 


Stellenregister  zu  Minucius  Felix. 


Octavius  c. 

9,5=  326.  330. 

18,7:  372;  8:  375fg-:  ":  376fg. 

21,4:  34i,l;  10:  440,2. 

22,5:  357- 

23:  361  ff.;  9  —  13:  352fg. 

24,2:  359- 

25:  426  ff. 

25,11:  365 fg. 

26,  7 ff.:  406 fg. 

27:  409  fg. 


28,2:  298;  6:  320,  I;  7:  367fg.; 

10  ff. :  370. 
29,5:  433,2.  440,1;  8:  369. 
30,1:  330;  2:  331;  6:  330,1. 
31:  332;   4:  327,  3;   6:  452,  i; 

8:  451,1. 
34 fg.:  477 ff- 
34,7:  475,i- 
37,1:482,1;  3fg.:482,2;  11:459,1; 

12:  364,2. 
38:  459ff-:  5=  469,2. 


Druckfertig  erklärt  20.  I.  1911.] 


49i 


ÖFFENTLICHE  SITZUNG  VOM   10.  NOVEMBER  1910. 

Nach  einer  Ansprache  des  Herrn  Ciiun  als  Vorsitzenden  Sekre- 
tärs (gedruckt  in  der  Wissenschaftlichen  Beilage  der  Leipziger  Zei- 
tung vom  19.  November  1910)  spricht  Herr  Bircu- Hirschfeld 
Worte  zum  Gedächtnis  von  Richard  Wülker. 

Herr  Röscher  hatte  eine  Arbeit  über  Alter,  Ursprung  und  Bedeu- 
tung der  hippokratischen  Schrift  über  die  Siebenzahl  eingeschickt, 
für  die  „Abhandlungen". 


SITZUNG  VOM  17.  DEZEMBER  1910. 

Herr  Heinrici  trägt  vor  über  griechisch -byzantinische  Gesprächs- 
bücher aus  Sammelschriften,  für  die  „Abhandlungen", 

HeiT  Stieda  über  eine  „Zur  Geschichte  des  Tabaksmonopols  in 
Bayern"  betitelte  Arbeit,  für  die  „Abhandlungen", 

Herr  Meister  über  Vorarbeiten  zur  Herausgabe  der  kyprischen  In- 
schriften, für  die  „Berichte", 

Herr  Lipsius  legt  den  ersten  Teil  der  Textgeschichte  der  Biblio- 
theke  des  Patriarchen  Photios  von  Professor  Martini  vor,  für 
die  „Abhandlungen". 

Die  Herren  Windisch  und  Lipsius  werden  für  die  Jahre  1 9 1 1 
und  191 2  von  neuem  zu  Sekretären  gewählt. 


Phil.-hist.  Klasse  1910.    Bd.  LXJU.  37 


493 


Zum  Gedächtnis  an  Richard  Wülker. 

Von 
Adolf  Birch-Hirschfeld. 

Die  Worte  des  Gedächtnisses,  die  wir  an  dieser  Stelle 
einem  ans  unserem  Kreise  geschiedenen  Kollegen  widmen, 
sollen  vor  allem  seiner  wissenschaftlichen  Arbeit  und  Per- 
sönlichkeit gelten,  aber  bevor  wir  diesem  Brauche  folgen, 
dürfen  wir  auch  jener  Eigenschaften  des  Heimgegangenen  ge- 
denken, durch  die  er  uns  als  Freund  und  Kollege  teuer  ge- 
worden und  in  den  Herzen  zahlreicher  Schüler  das  Erbe 
dankbaren  Erinnerns  dauernd  hinterlassen  hat.  Wie  vielen 
gerade  unter  diesen  hat  er  sich  durch  das  lebendige  Wort 
und  die  lebendige  Tat  als  Lehrer  und  Helfer  bewährt!  Der 
Anteil,  den  er  an  seinen  Studenten  nahm,  beschränkte  sich 
ja  nicht  auf  Hörsal  und  Seminarübungen.  Schon  zu  Beginn 
seiner  Lehrtätigkeit  (1878)  hat  er  als  Begründer  des  Ver- 
eins von  Studierenden  neuerer  Philologie,  es  unternommen, 
gleichstrebende  junge  Männer  durch  Anschluß  an  einander 
in  ihrer  wissenschaftlichen  Erziehung  und  ihren  Bildungs- 
zielen zu  fördern,  wie  er  auch  entschieden  sich  ein  großes 
Verdienst  erwarb  in  dem  Bemühen,  durch  den  Verein  der 
Lehrer  der  neuen  Sprachen  das  Band  zwischen  Schule  und 
Universität  und  zwischen  Praxis  uud  Wissenschaft  enger  zu 
knüpfen.  Durch  Vorträge  und  Ansprachen,  Teilnahme  an  Ver- 
sammlungen, oft  in  leitender  Stellung,  hat  W.  in  seiner  ruhigen 
und  bedächtigen  Art  für  die  Interessen  der  neuphilologischen 
Lehrerschaft  an  unseren  höhern  Schulen  vielfältig  gewirkt, 
und  es  ist  ihm  in  reichem  Masse  der  Dank  dafür  ausgesprochen 


37* 


494  Adolf  Birch-Hirschfeld: 

worden,  als  er  im  J.  1905  die  25.  Wiederkehr  des  Tages  seiner 
Ernennung  zum  ordentlichen  Professor  im  Kreise  seiner  Stu- 
denten und  Freunde  gefeiert  hat. 

Viele  seiner  Schüler  und  der  jüngeren  Gelehrten  seines 
Faches  werden  W.  noch  treu  im  Herzen  das  Gedenken  seiner 
wohlwollenden  Hilfsbereitschaft  bewahren;  er  selbst  wird  freilich 
am  wenigsten  daran  gedacht  haben,  daß  er  sich  hierdurch  ein 
Verdienst  erwerben  könnte,  denn  es  war  ihm  natürlich,  hilf- 
reich und  gut  zu  sein,  eher  mochte  er  bei  dieser  Gelegen- 
heit seine  rauhe  Seite  nach  außen  kehren  und  sich  als  bourru 
bienfaisant  zeigen. 

Einem,  der  neu  an  ihn  herantrat,  sich  nicht  gleich  auf- 
schließend, scheinbar  unzugänglich,  zuweilen  schroff  ablehnend, 
war  dies  bei  W.  mitunter  beobachtete  Verhalten  nicht  wie 
das  wohl  vorkommt,  die  Geste  des  Menschen,  der  sein  leeres 
Ich  nach  außen  zu  decken  sucht,  es  war  vielmehr  die  Folge 
einer  gewissen  Schüchternheit  und  selbstbewußten  Bescheiden- 
heit, hinter  die  sich  ein  reiches  Innenleben  einer  durchaus 
lebensfrohen  Natur  verbarg,  die  in  der  glücklichen  Zufrieden- 
heit seines  Hauses  und  im  geselligen  Kreise  von  Schülern  und 
Freunden  in  drolligem  Witz  und  treffendem,  aber  nie  ver- 
letzendem Humor  nur  den  Fernstehenden  überraschend  hervor- 
brach. So  ist  er  seinen  Weg  gegangen,  schlicht  und  gerade, 
des  Glückes  seines  Hauses  und  seiner  Arbeit  froh. 

Richard  Paul  Wülker,  seit  15.  Okt.  1888  Mitglied 
unserer  Gesellschaft,  ist  am  8.  Februar  19 10  durch  den  Tod 
aus  unserem  Kreise  genommen  worden.  Er  war  am  29.  Juli 
1845  in  Frankfurt  a.  M.  als  Sohn  des  Kaufmanns  Philipp  W. 
und  seiner  Gattin  Margarete  geb.  Schott  geboren.  Wenn  W. 
auch  kaum  mehr  als  das  erste  Drittel  seines  reich  gesegneten 
Lebens  in  seiner  Vaterstadt  zugebracht  hat,  so  hat  er  ihr 
doch  immer  eine  treue  Anhänglichkeit  bewahrt,  und  man  darf 
wohl  sagen,  das  in  der  Art,  wie  er  sich  gegenüber  gewissen 
Äußerlichkeiten  des  gesellschaftlichen  Lebens  verhielt,  die  un- 
befangene und  unabhängige  Gesinnung  des  Sohnes  der  ehe- 
maligen freien  Reichsstadt  sich  öfters  an  ihm  äußerte.    Auch 


Zum  Gedächtnis  an  Richard  Wülker.  495 

sein  Verhältnis  zu  dem  größten  Sohne  Frankfurts,  das  ihn 
zu  einem  Mitglied  der  Gemeinde  der  Goetheforscher  gemacht 
hat,  dürfte  noch  in  erster  Linie  aus  dem  Bewußtsein  gemein- 
samer Bodenständigkeit  hervorgegangen  sein. 

Ursprünglich  zum  Kaufmann  bestimmt,  gaben  doch  die 
Eltern  Richard  WüLKEES  Wunsche  nach,  sich  philologischen 
Studien  zu  widmen;  und  so  verließ  er  das  Gymnasium  seiner 
Vaterstadt  im  J.  1867  mit  dem  Reifezeugnis,  um  in  Berlin 
im  2.  Garderegiment  z.  F.  sein  Jahr  als  Einjährig-Freiwilliger 
abzudienen  und  an  der  Universität  Vorlesungen  zu  hören,  u.  a. 
auch  bei  dem  Germanisten  Müllenhoff. 

Ostern  1868  wandte  sich  W.  nach  Leipzig.  Die  Ab- 
sicht, sich  dem  Studium  des  klassischen  Altertums  zu  widmen, 
trat  bei  ihm  damals  zurück,  als  Lehrer  wie  Friedr.  Zarncke, 
Rud.  Hildebrand  und  Adolf  Ebert  in  ihm  ein  lebhaftes 
Interesse  für  die  Wissenchaft  von  den  deutschen  und  den 
roman.  Sprachen  und  Literaturen  erweckten.  Vor  allem  trat 
auch  W.  in  den  engen  Kreis  der  Schüler  unseres  unver- 
geßlichen Friedr.  Zarncke  ein,  dieses  vortrefflichen  Lehrers, 
der  es  nicht  nur  verstand,  zur  wissenschaftlichen  Arbeit  an- 
zuregen und  zu  erziehen,  den  Schüler  auf  eigenen  Wegen 
weiter  zu  führen,  sondern  auch  die  Eigenart  und  Selbständig- 
keit  jedes  Einzelnen    sich    entfalten  zu  lassen. 

Auf  Zarnckes  Veranlassung  ist  W's  Erstlingsschrift  ent- 
standen, durch  die  er  im  Juli  1872  in  Marburg  den  Doktor- 
grad erworben  hat:  Über  des  Pseudoevangelium  Nico- 
demi in  der  abendländischen  Literatur,  eine  Aufgabe,  bei 
deren  Bearbeitung  der  junge  Gelehrte  einen  Einblick  gewinnen 
konnte  in  die  mancherlei  Abhängigkeiten  und  Beziehungen, 
die  zwischen  den  einzelnen  Literaturen  des  Mittelalters  vor- 
handen sind. 

Nachdem  W.  in  dem  1.  Xassauschen  Inf.-Reg.  (Nr.  87) 
beim  Ausbruch  des  Deutsch-Französichen  Krieges  ins  Feld  ge- 
zogen und  an  den  Schlachten  bei  Weißenburg  und  bei  Wörth 
teilgenommen  hatte,  kehrte  er,  von  einer  Verwundung  und 
schwerer   Krankheit    geheilt,    geschmückt    mit    dem    eisernen 


496  Adolf  Birch-Hirschfeld: 

Kreuze,  zu  seinen  Studien  zurück  und  beschäftigte  sich  jetzt 
in  Marburg  unter  Grein  ,  dem  verdienstvollen  Begründer  der 
angels.  Bibliothek  und  unter  Ten  Brink  vornehmlich  mit 
englischer  Philologie  und  folgte  nach  einigem  Schwanken 
schließlich  der  Aufforderung  Friedr.  Zarnckes,  sich  für  dieses 
Fach  an  unserer  Universität   als  Privatdozent   niederzulassen. 

W.'s  Habilitationsschrift  —  Übersicht  über  die  neuangel- 
sächsichen  Sprachdenkmäler  (Paul  u.  Braune,  Beitr.  I.  Bd.) 
—  1873  —  hat  das  Verdienst,  bei  dem  bis  dahin  noch  wenig 
durchforschten  Gebiet  der  Übergangszeit  vom  ags.  zum  niittel- 
engl.  zu  versuchen,  die  sprachlichen  Erscheinungen  dieses 
Zeitalters  zu  beobachten  und  festzustellen. 

Ohne  Unterbrechung,  siebenunddreißig  Jahre  hindurch 
(1873 — 19 10)  ist  von  nun  an  Leipzig  und  seine  Universität 
die  Heimat  W.s  gewesen,  die  Stätte  seiner  Tätigkeit  als  aka- 
demischer Lehrer  und  seines  literarischen  Schaffens  als  Ge- 
lehrter. Wissenschaftliche  Reisen  führten  ihn  inzwischen  nach 
England,  nach  Italien  (Vercelli),  von  wo  aus  er  die  photo- 
graphische Nachbildung  des  angels.  Codex  Vercellensis 
(veröff.  1894)  zurückbrachte  und  damit  die  zuverlässige  text- 
liche Unterlage  für  eine  Anzahl  wichtiger  altengl.  Denkmäler 
allgemein  zugänglich  gemacht  hat. 

Der  Beginn  von  W's  Wirksamkeit  als  akademischer  Lehrer 
fällt  gerade  in  die  Jahre,  in  denen  die  Universität  durch  die 
Anziehungskraft  hervorragender  Forscher  und  Dozenten  und 
die  verständnisvolle  Fürsorge  der  königlichen  Regierung  und 
der  Landesvertretung  sich  in  äußerer  Ausbreitung  und  innerer 
Bedeutung  in  aufsteigender  Linie  bewegte.  Besonderen  An- 
teil an  diesem  Aufschwung  hatten  die  philologischen  Fächer 
und  die  Sprachwissenschaft.  Die  Blüte  der  Germanistik  hatte 
der  damals  noch  jungen  Universitätswissenschaft  der  englischen 
Philologie  günstige  Aussichten  eröffnet,  die  sich  auch  in  unseres 
W.'s  Tätigkeit  als  akademischer  Lehrer  verwirklichen  sollten. 
Diese  Erfolge  brachten  es  mit  sich,  daß  W.  im  J.  1875  zum 
außerordentlichen  Professor  und  fünf  Jahre  später  (1880)  zum 
ersten    Ordinarius    für    englische    Philologie    ernannt    wurde. 


Zum  Gedächtnis  an  Richard  Wülker.  497 

Im  Jahre  1891  fand  endlich  die  längst  als  erforderlich  erkannte 
Begründung  des  englischen  und  romanischen  Seminars  statt, 
von  dessen  englischer  Abteilung  W.  die  Leitung  übernahm. 
W.  war  das  Glück  beschieden,  mit  einer  Anzahl  hervor- 
ragender Gelehrten  wie  Ten  Brink,  Kölbing,  Züpitzä  u.  a. 
gleichsam  mit  dem  ersten  Geschlecht  der  Ordinarien  für  engl. 
Philologie  der  jungen  Wissenschaft  Weg  und  Steg  zu  bahnen, 
ihre  Grundlagen  festzulegen  und  ihre  Berechtigung  auf  ein 
gesondertes  und  selbständiges  Dasein  zu  beweisen. 

In  der  Erfüllung  dieser  Aufgabe  ist  der  Anteil  und  das 
Verdienst  des  von  W.  Geleisteten  nicht  gering  gewesen.  Als 
einer  der  Pfadfinder  der  Anglistik,  hat  er  in  fleißiger  und 
z.  t.  entsagungsvoller  Arbeit  dazu  beigetragen,  den  Teil  jener 
Aufgabe  zu  lösen,  der  im  Sammeln,  Ordnen  und  Herausgeben 
von  Texten  besteht.  Welche  Fülle  von  Material  hat  er,  teils 
selbst,  teils  durch  berufene  Mitarbeiter  der  Forschung  zu- 
gänglich gemacht,  als  er  mit  frischer  Kraft  die  von  Grein 
begründete  Bibliothek  der  Ags.  Poesie  und  Prosa  neu 
zu  bearbeiten  unternahm  und  das  Werk  mit  Hilfe  berufener 
Mitarbeiter  nahezu  in  zwanzigjähriger  unermüdlicher  Tätigkeit 
(1 881  — 1898)  durchführte  (Bibl.  der  ags.  Poesie  von  Grein, 
I.  Bd.  1857,  IL  Bd.  1858,  her.  von  Wülker  1 88 1  —  1 898.  3  Bde.), 
eine  Unternehmimg,  der  sich,  gleichfalls  unter  W's  Leitung  die 
Fortsetzung  von  Greins  Bibl.  angelsächs.  Prosa  (1872 — 1905 
6  Bde.),  angeschlossen  hat. 

Die  im  Laufe  seiner  Tätigkeit  als  akadem.  Lehrer  und 
Herausgeber  sich  immer  mehr  vertiefende  und  ausbreitende 
Kenntnis  der  ältesten  Schriftdenkmäler  der  englischen  Sprache 
ließ  W.  dann  vor  allem  als  berufen  und  befähigt  erschei- 
nen, eine  möglichst  vollständige  Übersicht  zu  geben  so- 
wohl über  das  ganze  Gebiet  des  ags.  Schrifttums  wie  auch 
über  die  dieses  Gebiet  anbauende  Tätigkeit  der  wissenschaft- 
lichen Forschung,  gleichsam  das  Inventar  aufzunehmen  über 
einen  wichtigen  Teil  der  englischen  Sprach-  und  Literatur- 
wissenschaft. So  entstand  W's  „Grundriß  zur  Geschichte  der 
angelsächsichen    Literatur"    (1885),    eine    ungemein    wichtige 


498  Adolf  Birch-Hirschfeld  : 

und    fördersame    Zusammenstellung,    durch    die    auch    die    in 
ihren  Studien  erleichtert  und  vorwärts  gebracht  worden  sind, 
die  an  diesem  Werke  Mängel  hervorzuheben  und  Ausstellungen 
zu  machen    berechtigt   zu    sein   glaubten.     Vollständigkeit  zu 
erzielen  und  Unanfechtbarkeit  seiner  kritischen  Bemerkungen 
zu  beanspruchen,    lag  dem  bescheidenen   und   rechtschaffenen 
Sinne  W's  fern,  und  es  war  recht  in  diesem  Geiste,  wenn  er 
für  die  Beurteilung  seiner  Arbeit   die  Worte  Müllenhoffs 
anführte:  „Durch  neue,  fruchtbare  Untersuchungen  oder  durch 
Eröffnung   neuer  Quellen    und  Gesichtspunkte   sieht    sich  die 
Wissenschaft  nicht  allein    gefördert;   auch    bloße  Übersichten 
ihrer  Ergebnisse  können  ihr  von  Zeit  zu  Zeit  sehr  willkommen 
sein.     Sie   erleichtern  nachstrebenden  Jüngern   den  Weg  und 
gewähren  Fernerstehenden  einen  Einblick,  der  weiterhin  auf 
andern  Gebieten  förderlich   werden  kann."     Doch    dürfte    der 
Wert   dieses  Werkes   nicht   bloß  durch   diese  Worte  gekenn- 
zeichnet   oder   erschöpfend    dargestellt    sein,    denn  W.  hat  in 
diesem  „Grundriß  und  Quellenbuch"  aus  Eigenem  zur  Lösung 
wissenschaftlicher  Fragen  beigetragen,  wie  in  der  Frage  über 
das  Alter  der  Gedichte  von  Durham,  über  die  Anordnung  der 
Werke   Aelfreds,    so  wie    er    auch    hier    als    einer    der  Rufer 
im  Streit  um  den  vielumkämpften  Cynewulf  erscheint. 

Aber  in  diesen  Hauptwerken  erschöpft  sich  nicht  die 
literarische  Tätigkeit  unseres  heimgegangenen  Kollegen  und 
Freundes  im  Dienste  seiner  Wissenschaft;  wie  aus  den  einzelnen 
Beiträgen  in  den  Berichten  unserer  Gesellschaft  zu  ersehen  ist 
(1889,  1893,  1899),  wo  er  z.  B.  die  verrufene  Shakespeare- 
Bacontheorie  einer  sehr  heilsamen  und  treffenden  Kritik  unter- 
zieht, oder  wenn  er  in  dem  Programm  über  die  Arthursage 
in  der  englischen  Literatur  (1896)  die  Geschichte  einer  mittel- 
alterlichen Sagengestalt  über  Spenser  und  Tennyson  durch 
ihre  verschiedenen  Phasen  zeitlicher  Auffassung  bis  in  unsere 
Zeit  hinein  verfolgt  und  darstellt,  oder  uns  in  einem  Vortrage 
(1896)  ein  reizvolles  biographisches  und  literargeschichtliches 
Bild  des  großen  englischen  Humoristen  Dickens  zeichnet. 
Hier  hat  Wülker  denn  auch  den  Weg  gefunden  von  dem  Mittel- 


Zum  Gedächtnis  an  Richard  Wülker.  499 

alter,  dem  eigentlichen  Ausgangspunkt  aller  älteren  Anglisten, 
in  die  neuere  Zeit  und  sich  vorbereitet  und  befähigt  für 
die  Arbeit,  die  seinem  Namen  den  am  weitesten  hallenden 
Klang  verschafft  hat  und  die  den  rühmlichen  Abschluß  seiner 
literargeschichtlichen  Arbeit  in  ihrer  zweiten  Neubearbeitung 
und  Auflage  zu  bilden  bestimmt  war. 

Diese  Geschichte  der  englischen  Literatur  (1896 
u.  2.  Aufl.  1907)  ist  das  Werk  eines  Mannes,  der  zu  dessen 
Bewältigung  ausgerüstet  war  durch  jahrzehntelange  Vertraut- 
heit mit  dem  Gegenstande  seiner  Darstellung,  durch  den  Ein- 
blick, den  er  im  Laufe  vieler  Jahre  erlangt  hatte  in  den  Ent- 
wicklunofso-ansx  des  englischen  Schrifttums  von  seinen  Anfängen 
an  bis  in  die  neue  Zeit  hinein,  und  der  durch  vertiefte  Be- 
trachtung und  Feststellung  von  Einzelproblemen  Beruf  und 
Sicherheit  gewonnen  hatte,  die  bedeutende  Aufgabe  anzu- 
greifen und  zu  erfüllen. 

Die  Art  und  Weise  der  Lösung  war,  unbeschadet  einer 
gediegenen  wissenschaftlichen  Begründung,  mit  bestimmt  durch 
das  Ziel,  das  sich  der  Verf.  des  Buches  gesetzt  hatte,  nämlich 
eine  Geschichte  der  Englischen  Literatur  zu  schreiben,  die 
für  jeden  gebildeten  Leser,  der  dieser  Literatur  ein  Interesse 
entgegenbringt,  eine  Quelle  sicherer  Belehrung  und  geistiger 
Anregung  eröffnen  sollte.  Wir  dürfen  getrost  behaupten,  daß, 
wie  der  Erfolg  gelehrt  hat,  dieses  Ziel  erreicht  worden  ist. 
Sehen  wir  ab  von  der  eben  gekennzeichneten  Bestimmung  des 
Buches,  so  werden  wir  natürlich  auch  finden,  daß  die  Art 
der  Studien  Wülkers  und  besonders  die  ihm  eigene  Behand- 
lungsweise  literargeschichtlicher  Vorwürfe  in  diesem  Werke 
zum  Ausdruck  kommen  mußte;  eine  genaue  Berücksichtigung 
der  bibliographischen  und  lebensgeschichtlichen  Daten  und 
Feststellungen,  eine  auf  guter  und  feiner  Beobachtung  be- 
ruhende Hervorhebung  der  literarischen  Erscheinungen  in 
ihrer  zeitlichen  Aufeinanderfolge,  eine  geschmackvolle  Wider- 
gabe  des  wesentlichen  Inhalts  der  dichterischen,  durch  die 
Schrift  überlieferten  Kundgebungen,  wobei  der  Literarhisto- 
riker  oft   bescheiden   mit   seinem  Urteil   im   Hintergrund  ge- 


500     A.  Birch-Hirschfeld:  Zum  Gedächtnis  an  E.  Wülker. 

blieben  ist  hinter  den  eigenen  Schöpfungen  der  Autoren, 
während  er  durch  zahlreiche  Anführungen  aus  ihren  Werken 
die  Dichter  selbst  zu  Worte  kommen  läßt. 

So  steht  denn  das  aus  emsiger  Arbeit  gewonnene  litera- 
rische Lebenswerk  unseres  Heimgegangenen  vor  uns  für  For- 
scher und  Jünger  voller  Wert  als  wichtiger  Beitrag  zu  dem 
Grundbau  der  englischen  Philologie,  für  alle  Gebildeten  will- 
kommen als  zuverlässiger  Führer,  der  uns  in  die  reichen 
Gemächer  und  die  mannigfachen  Kammern  des  Schatzhauses 
der  englischen  Dichtung  hineinführt. 


Drnckfertig  erklärt  26.  III.  1911.I 


Protektor  der   Königlich  Sächsischen  Gesellschaft  der 

Wissenschaften 

SEINE  MAJESTÄT  DER  KÖNIG. 


Ordi-nt liehe  einheimische   Mitglieder  der  philologisch- 
historischen Klasse. 

Geheimer  Rat   Ernst   Windisch   in   Leipzig,    Sekretin-   der   philol.- 

histor.  Klasse  bis  Ende  des  Jahres   191 2. 
Geheimer    Rat    Hermann    Lipsius    in    Leipzig,     stellvertretender 

Sekretär  der  philol.-histor.  Klasse  bis  Ende  des  Jahres  191 2. 
Geheimer  Hofrat   Erich   B>the  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Adolf  Bin//  Hirschfeld  in  Leipzig. 
Professor  Erich  Brandenburg  in  Leipzig. 
Gebeimer  Hofrat  Friedrich  Karl   Brugmann   in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Karl  Bücher  in  Leipzig. 
Professor  Berthold  Delbrück  in  Jena. 
Professor  August  Fischer  in  Leipzig. 
Geheimer  Rat  Georg  Götz  in  Jena. 

Gebeimer  Rat  Albert   Hauch  in  Leipzig.  % 

Gebeimer  Kirchenrat  Georg  Heinrid  in  Leipzig. 
Professor  Bichard  Heime  in  Leipzig. 
Gebeimer  Hofrat  Rudolf  Hirzel  in  Jena. 
Gebeimer  Hofrat  Albert  Köster  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Karl  Lamprecht  in  Leipzig. 
Gebeimer  Hofrat  August  Leskien  in  Leipzig. 
Studiennit  Bichard  Meister  in  Leipzig. 
Gebeimer  Rat  Ludwig  Mitteis  in  Leipzig. 
Professor  Eugen  Mo;/!:  in  Leipzig. 
Geheimer  Regierungsrat  Joseph    Fartsch   in  Leipzig. 
Gebeimer  Oberschulrat  Hermann   Veter  in    Meißen. 
Geheimer  Hofrat    Wilhelm  Boscher  in  Dresden. 

iqii.  a 


II  Mitglieder-Verzeichnis. 

Geheimer  Hofrat  August  Schmarsow  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrat  Theodor  Schreiber  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrat  Gerhard  Seeliger  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrat  Eduard  Sievers  in  Leipzig. 

Geheimer  Rat  Rudolph  Sohm  in  Leipzig. 

Professor  Georg  Steindorff  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrat    Wilhelm  Stieda  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrat  Frans  Studniczka  in  Leipzig. 

Professor  Hans  Stumme  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrat  Georg  Treu  in  Dresden. 

Geheimer  Hofrat  Johannes  Vollcelt  in  Leipzig. 

Professor  Ulrich   Wilcken  in  Leipzig. 

Professor  Heinrich  Zimmern  in  Leipzig. 


Frühere  ordentliche  einheimische,  gegenwärtig  auswärtige 
Mitglieder  der  philologisch-historischen  Klasse. 

Geheimer  Hofrat  Lujo  Brentano  in  München. 
Geheimer  Regierungsrat  Friedrich  Delitzsch  in  Berlin. 
Geheimer  Hofrat  Friedrich  Kluge  in  Freiburg  i.  B. 
Geheimer  Hofrat  Friedrich  Marx  in  Bonn. 
Geheimer  Hofrat  Erich  MarcJcs  in  Hamburg. 


Ordentliche  einheimische  Mitglieder  der  mathematisch- 
physischen  Klasse. 

Geheimer  Rat  Karl  Chun  in  Leipzig,  Sekretär  der  mathem.-phys. 

Klasse  bis  Ende  des  Jahres  191 1. 
Geheimer  Hofrat  Otto  Holder  in  Leipzig,  stellvertretender  Sekretär 

der  mathem.-phys.  Klasse  bis  Ende  des  Jahres  191 1. 
Geheimer  Hofrat  Ernst  Beckmann  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat   Wilhelm  Biedermann  in  Jena. 
Geheimer  Medizinalrat  Rudolf  Böhm  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Heinrich  Bruns  in  Leipzig. 
Geheimer  Rat  Hermann  Credner  in  Leipzig. 
Professor  Theodor  Des  Coudres  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrat  Oskar  Drude  in  Dresden. 
Dr.  Wilhelm  Feddersen  in  Leipzig. 
Professor  Otto  Fischer  in  Leipzig. 


Mitglieder -Vekzeicuäis.  III 

Geheimer  Rat    Paul  Flechsig  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrat    Wilhelm   Hall  wachs  in   Dresden. 

Geheimer  Hofrat  Arthur  Hantesch   in   Leipzig. 

Geheimer  Rat   Walter  Honpel  in  Dresden. 

Geheimer  Rat  Kuala   Hering  in   Leipzig. 

Geheimer  Hofrat  Ludwig  Knarr  in  Jena. 

Geheimer  Hofrat  Martin    Krause  in  Dresden. 

Professor  Max  Le  Blatte  in  Leipzig. 

Professor  Robert  Luther  in  Dresden. 

Geheimer  Rat  Felix  Marchand  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrat  Ernst  von   Meyer  in  Dresden. 

Geheimer  Rat  Carl  Neu/mann  in  Leipzig. 

Wirklicher  Staatsrat  Arthur  v.  Oettmgen  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrat    Wilhelm   Ostwäld  in  Groß-Bothen. 

Geheimer  Rat    Wilhelm  Pfeffer  in  Leipzig. 

Geheimer  Medizinalrat  Karl  Rabl  in  Leipzig. 

Geheimer  Regierungsrat  Fritz  Rinne  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrat  Karl  Rohn  in  Leipzig. 

Professor  Ernst  Stahl  in  Jena. 

Geheimer  Hofrat  Johannes  Thomae  in  Jena. 

Geheimer  Hofrat  August  Töpler  in  Dresden. 

Geheimer  Hofrat  Otto   Wiener  in  Leipzig. 

Wirklicher  Geheimer  Rat  Exzellenz    Wilhelm  Wundt  in  Leipzig. 


Außerordentliche  Mitglieder  der  mathematisch-physischen 

Klasse. 

Professor  Johannes  Felix  in  Leipzig. 
Professor  Hans  Held  in  Leipzig. 
Professor  Max  Siegfried  in  Leipzig. 
Professor  Hans  Stobbe  in  Leipzig. 


Frühere  ordentliche  einheimische,  gegenwärtig  auswärtige 
Mitglieder  der  mathematisch-physischen  Klasse. 

Professor  Friedrich  Engel  in  Greifswald. 
Geheimer  Regierungsrat  Felix  Klein  in  Göttingen. 
Geheimer  Rat  Ferdinand  Zirkel  in  Bonn. 


IV 


Mitglieder  -  Verzeichnis  . 


Archivar 
Ernst  Robert  Abendroth  in  Leipzig. 


Verstorbene  Mitglieder. 
Ehrenmitglieder. 

Fallcenstein,  Johann  Paul  von,   1882. 

Gerber,  Carl  Friedrich  von,   1891. 

Seydewitz,  Kurt  Damm  Paul  von,   19 10. 

Widersheim,  Karl  August   Wilhelm  Eduard  von,   1865. 


Philologisch-his 

Albrecht,  Eduard,   1876. 
Ammon,  Christoph  Friedrich  von, 

1850. 
Becker,   Wilhelm  Adolf,   1846. 
Berger,  Hugo,  1904. 
Böhtlingk,  Otto,  1904. 
Brockhaus,  Hermann,   1877. 
Bursian,  Conrad,   1883. 
Curtius,  Georg,   1885. 
Droysen,  Johann  Gustav,    1884. 
Ebers,  Georg,   1898. 
Ebert,  Adolf,   1890. 
Fleckeisen,  Alfred,   1899. 
Fleischer,  Heinr.  Leberecht,  1888. 
Flügel,  Gustav,   1870. 
Franke,  Friedrich,   1871. 

Gabelentz,  Hans  Conon  von  der, 
1874. 

Gäbelentz,    Hans    Georg    Conon 
von  der,   1893. 

Gebhardt,  Oscar  von,   1906. 

Geizer,  Heinrich,   1906. 

Gersdorf,   Ernst  Gotthelf,    1874. 

Göttling,  Carl,   1869. 

Gutschmid,  Hermami  Alfred  von, 
1887. 


torische  Klasse. 

Hand,  Gustav,   1878. 

Hand,  Ferdinand,   1851. 

Hartenstein,  Gustav,   1890. 

Hasse,   Friedrich    Christian  Au- 
gust,  1848. 

Haupt,  Moritz,   1874. 

Heinze,  Max,   1909. 

Hermann,  Gottfried,   1848. 

Hultsch,  Friedrich,   1906. 

Jacobs,  Friedrich.   1847. 

Ja7m,  Otto,    1869. 

Janitschek,  Hubert,   1893. 

Köhler,  Reinhold,   1892. 

Krehl,  Ludolf,   1901. 

Lange,  Ludwig,   1885. 

Marquardt,  Carl  Joachim,,  1882. 

Maurenbrecher,    Wilhelm,    1892. 

Miaskoivski,   August  von,   1899. 

Mich  eisen,    Andreas    Ludwig 
Jacob,   1881. 

Mommsen,  Theodor,   1903. 

Nipperdey,  Carl,   1875. 

Noorden,  Carl  von,   1883. 

Ov erbeck,  Johannes  Adolf,   1895. 

Pertsch,    Wilhelm,   1899. 

Peschel,  Oscar  Ferdinand,   1875. 


Mitgldbdeh -Verzeichnis. 


Preller,  Ludwig,   1861. 
Batgel,  Friedrich,  1904. 
Ribbeck.  Otto.   1898. 
Bitschi,  Friedrich  Wilhelm.  1876. 
liohde,  Erwin,    1898. 
Boscher,   Wühelm,   1894. 
Rüge,  Sophus,   1903. 
Sauppe.    IL  nimmt.    1893. 
Schleicher,  August,    1868. 
Schröder,  Eberhard,   1908. 
Seidler,  August,   1851. 
Seyffarth.   Gustav,    1885. 
Socm,  Albert,    1899. 


Springer,  Anton    1891. 
iVr//-/,-.  Cor/   Bernhard,   1879. 
Stobl» .  Johann  Ernst  Otto,  1887 

ZWÄ,    Frirdr'nh.    1867. 
Ukert,    Friedrich  August,   1 85 1 . 
Fo?V//,   Georg,   1891. 
F0//7/,   Moni:.    1905. 
Waehsmuth,   Curt,    1905. 
Wirhsmuih.    Wilhelm,   1866. 
Wächter,  Carl  Georg  von,  1880. 
FPesfermaMw,  Anton,   1869. 
U'/V/At/-,  Jüehard  Raul,    1910. 
Zarncke,  Friedrieh.   1891. 


Mathematisch- physische  Klasse. 

J.&&C,  Jßrwsf,    1905.  j&iop,    Johann   August    Ludwig 
d' Arrest,  Heinrieh.    1875.  Wilhelm,   18.91. 

Baiteer,  Heinrich  Bichard,  1887.  A'of&e,  Hermann,   1884. 

Bezold,  Ludwig  Albert    Wilhelm  Krüger.  Adalbert,   1896. 


wn,    1868. 
Braune,  Christian  Wilhelm,  1892. 
Brahns.   Carl,    1881. 
Carus,  Carl  Gustav,   1869. 
Carus,  Julius  Victor,    1903. 
Cohnhcim,  Julius,   1884. 
Zto'fr»  r<  m<  r .  Johann   Wolfgang, 


Kunze,  Gustav,   185 1. 
Lehmann.    Carl  Gotthelf,    1863. 
Leuckart,  Rudolph,   1898. 
Z/ie,  Sophus,   1899. 
Lindenau,  Bernhard  August  von, 

1854. 
Ludwig,   Carl,   1895. 

Marchand,  Richard  Felix,   1850. 


1849 

Drobisch,  Moritz  Wühelm,  1896.  Mayer,  Adolf,  1908 

Erdmann,  Otto  Rinne,   1869.  Mettenius.  Georg,    1866. 

Fechncr,  Gustav  Theodor,   1887.  Möbius,  August  Ferdinand,  1868. 

Atm7ce,  Otfo,    1879.  Jfitffer,  Wilhelm.    1909. 

Gegcnbaur,  Carl,   1903.  Naumann,  Carl  Friedrich.   1873. 

Geinitz,  Hans  Bruno,    1900.  Ruppig.  Eduard.    1868. 

Hankel,   Wilhelm  Gottlieb,   1899.  j&äcfc,  Ferdinand,   1882. 


Hansen,  Peter  Andreas,   1874. 
HarnacJc.  Axel,   1888. 
i/zs,  Willi  elm.    1904. 
Hofmeister,    Wilhelm.    1877. 
Huschke,  Rudi,   1858. 


Richthof cn,  Ferdinand  v.,   1905 
Scheerer,  TJieodor.   1875. 
Scheibner,   Wilhelm.   1908. 
Schenk,  August,    1891. 
Schieiden,  Matthias  Jacob,  1881 


VI 


Mitglieder -Verzeichnis. 


SchlÖmilch,  Oscar,   1901. 

Schmitt,  Budolf   Wilhelm,   1898. 

Schwägrichen,  Christian  Fried- 
rich,  1853. 

Seebeck,  Ludivig  Friedrich  Wil- 
helm August,   1849. 

Stein,  Samuel  Friedrich  Natha- 
nael  von,   1885. 

Stohmann,  Friedrich,   1897. 

Volkmann,  Alfred  Wilhelm,  1877. 


Weber,  Eduard  Friedrich,  1 8  7 1 . 
Weber,  Ernst  Heinrich,   1878. 
Weber,   Wilhelm,   1891. 
Wiedemann,  Gustav,   1899. 
Winkler,  Clemens,   1904. 
Wislicenus,  Johannes,   1902. 
Zeuner,  Gustav  Anton,   1907. 
Zöllner,  Johann  Carl  Friedrich, 
1882. 


Leipzig,  am  31.  Dezember  1910. 


VII 


Verzeichnis 

der  bei  der  Königl.  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften im  Jahre  1910  eingegangenen  Schriften. 


1 .  Von  gelehrten  Gesellschaften,  Universitäten  und  öffentlichen 
Behörden  herausgegebene  und  periodische  Schriften. 

Deutschland. 

Bericht  über  die  Tätigkeit  der  naturwissenschaftlichen  Gesellschaft  Isis 
zu  Bautzen  i.  d.  J.  1906 — 09.     Bautzen  1910. 

Abhandlungen  der  Königl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin 
Aus  d.  J.  1909.     Berlin  d.  J. 

Sitzungsberichte  der  Königl.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch.  zu  Berlin. 
1909,  No.  40 — 53.     1910,  No.  1 — 39.     ebd. 

Acta  Borussica.  Die  Behördenorganisation  und  die  allgemeine  Staats- 
verwaltung Preußens  im  18.  Jahrb..  Bd.  5,  1.  Hälfte.  Bd.  10.  — 
Das  preußische  Münzwesen.  Münzgeschichtlicher  Teil.  Bd.  3  — 
Die  Getreidehandelspolitik  und  Kriegsmagazinverwaltung  Preußens 
(1750—56).     Bd.  3.     ebd.  1910. 

Politische  Korrespondenz  Friedrichs   des  Großen.     Bd.   34.     ebd.   19 10. 

Trendelenburg,  Ado.,  Die  cpuvxaalca  des  Theon  von  Samos.  70.  Pro- 
gramm zum  Winckelmannsfeste  der  archäologischen  Gesellschaft  zu 
Berlin,     ebd.  19 10. 

Berichte  der  deutschen  chemischen  Gesellschaft  zu  Berlin.  Jahrg.  42, 
No.   19.     Jahrg.  43,  No.  1  — 18.     Berlin  1909.   10. 

Die  Fortschritte  der  Physik  im  J.  1909.  Dargestellt  von  der  Physi- 
kalischen Gesellschaft  zu  Berlin.  Jahrg.  65.  Abt.  1 — 3.  Braun- 
schweig 19 10. 

Verhandlungen  der  deutschen  physikalischen  Gesellschaft.  Jahrg.  11, 
No.  23.  24.    Jahrg.  12,  No.  1 — 22.     Berlin  1909.   10. 

Centralblatt  für  Physiologie.  Unter  Mitwirkung  der  Physiologischen 
Gesellschaft  zu  Berlin  herausgegeben.  Bd.  23  (Jahrg.  1909), 
No.  19 — 26a.  Bd.  24  (Jahrg.  1910),  No.  1  — 18.  —  Bibliographia 
physiologica.  Ser.  III.  Bd.  5.  No.  1— 4.     ebd.  1909.  10. 

Abhandlungen  der  Kgl.  Preuß.  geolog.  Landesanstalt  N.,  F.  H.  56.  58. 
59  (mit  Atlas).  62.  63.  —  Potonie,  H.,  Abbildungen  und  Beschrei- 
bungen fossiler  Pflanzenreste  der  paläozoischen  und  mesozoischen 
Formationen.     Lief.  7.     ebd.  1909.   10. 


VIII  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Jahrbuch  der  Kgl.  Preuß.  geolog.  Landesanstalt  und  Bergakademie  für 
das  Jahr  1906.  Bd.  27.  ebd.  1909.  —  Register  zu  Bd.  1 — 20.  ebd.  19 10. 

Die  Tätigkeit  der  Physikalisch-Technischen  Reichsanstalt  im  Jahre  1909. 

S.-A.     ebd. 
Mathesius,   W.,   Die  Entwickelung  der  Eisenindustrie  in  Deutschland. 

Rede  in  der  Halle  der  Kgl.  Technischen  Hochschule,    ebd.  19 10. 

Bonner  Jahrbücher.  Jahrbücher  des  Vereins  von  Altertumsfreunden  im 
Rheinlande.     H.  118  u.  Beilage.     Bonn  1909. 

Jahresbericht  des  Vereins  für  Naturwissenschaft  zu  Brauns chweig  f. 
d.  Vereinsjahre  1907/08  u.  1908/09.     Braunschweig  19 10. 

Siebenundachtzigster  Jahresbericht  der  Schlesischen  Gesellschaft  für 
vaterländische  Kultur.     1909.    Breslau  1910. 

Schi-iften  der  naturforschenden  Gesellschaft  zu  Dan  zig.  N.  F.  Bd.  13, 
1.  2.     Bd.  14,  1.  2.     Danzig  1905 — 09. 

Deutsches  meteorologisches  Jahrbuch  für  1906U.  1907.  Königreich  Sachsen. 
Dresden  1909.  10. 

Dekaden-Monatsberichte  der  Kgl.  Sachs.  Landes-Wetterwarte.  Jahrg.  12 
(1909).     ebd.  1910. 

Zeitschrift  des  k.  sächsischen  statistischen  Bureaus  Jahrg.  55.  56,  No.  1. 
ebd.  1909.  10.  —  Statistisches  Jahrbuch  f.  d.  Königr.  Sachsen. 
Jahrg.  38.     ebd.  1910. 

Jahresbericht  der  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde  in  Dresden. 
Sitzungsber.  1909/10.    München  19 10. 

Sitzungsberichte  und  Abhandlungen  der  naturwissenschaftlichen  Gesell- 
schaft Isis  in  Dresden.  Jahrg.  1909,  Jul. — Dez.  19 10,  Jan. — Juni. 
Dresden  d.  J. 

Verzeichnis  der  Vorlesungen  und  Übungen  an  der  Kgl.  Sachs.  Tech- 
nischen Hochschule  f.  d.  Sommersem.  1910  u.  Wintersem.  1910/11.  — 
Personalverzeichnis.     Sommersem.  19 10. 

Mitteilungen  der  Pollichia,  eines  naturwissenschaftlichen  Vereins  der 
Rheinpfalz.     No.  25,  Jahrg.  66.     Dürkheim  a.  d.  H.  1910. 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  und  Altertumskunde  von 
Erfurt.     H.  30/31.     Erfurt  1909.  10. 

Sitzungsberichte  der  physikalisch-medizinischen  Sozietät  in  Erlangen. 
H.  41.     Erlangen  19 10. 

Abhandlungen  hrg.  von  der  Senckenbergischen  naturforschenden  Gesell- 
schaft.    Bd.  32.     Frankfurt  a.  M.   1909. 

Bericht  über  die  Senckenbergische  naturforschende  Gesellschaft.  41. 
H.  1.  2.     ebd.  1910. 

Jahresbericht  des  physikalischen  Vereins  zu  Frankfurt  a.  M.  für  d. 
Rechnungsjahr  1908/09.     ebd.  1910. 

Helios.  Organ  des  naturwissenschaftlichen  Vereins  des  Regierungs- 
bezirks Frankfurt  (Oder).     Bd.  26.     Frankfurt  a.  0.    1910. 

Programm  der  Kgl.  Sachs.  Bergakademie  zu  Freiberg  f.  d.  J.  1910/n. 

Jahrbuch  für  das  Berg-  und  Hüttenwesen  im  Königr.  Sachsen  auf  d.  J.  19 10. 
ebd.  1910. 

Verzeichnis  der  Vorlesungen  auf  der  Großherzogl.  Hessischen  Ludwigs- 
Univers.  zu  Gießen.  Sommer  19 10,  "Winter  1910/11;  Personal- 
bestand. Winter  1909/10.   Sommer  1910.  —  Studienplan  für  Mathe- 


Verzeichnis  deb   eingegangenen  Schbiften.  IX 

maiik.  Prüfungsordnung  für  die  Studierenden  der  Pädagogik.  — 
StrcM,  Hans,  Form  und  Punktion  (Festrede).  —  Mittermeier,  II'., 
Kritische  Beiträge  aur  Lehre  von  der  Staatsrechtsschuld.  —  205  Disser- 
tationen a.  d.  J.  1909/10. 

Berieht  der  Oberhessischen  Gesellschaft  für  Natur-  und  Beilkunde. 
N.  F.  mediz.  Abt.  Bd.  5.  Naturw.  Abt,  Bd.  3.  (S.-A.)  1909.  10.  — 
Register  zu  Bd.  1—34  11849 — 1904).    Gießen  mio. 

Neues  Lausitzisches  Magazin  Bd.  86.  Görlitz  1910.  —  Codex  diplo- 
maticus  Lusatiae  superioris.     II J.    H.  6.     ebd.  19 10. 

Abhandlungen  der  Königl.  Gesellschaft  der  "Wissenschaften  zu  Göttingen. 
N.  F.  Philologisch-historische  Klasse.  Bd.  12.  No.  1.  2.  4.  Math.- 
phys.  Klasse.     Bd.  6.    No.  5.  6.     Bd.  7.    No.  4.     Berlin  1909.  10. 

Nachrichten  von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu 
Göttingen.  Math. -plus.  Kl.  1909,  No.  3.  4.  19 10,  No.  1—4.  Philol.- 
hist.  Kl.  1910,  No.  1.  2  u.Beiheft.  —  Geschäftliche  Mitteilungen. 
19 10,  H.  1.     Göttingen  d.  .1. 

Jahresbericht  der  Fürsten-  und  Landesschule  zu  Grimma  über  d. 
Schuljahr  1909/10.     Grimma  19 10. 

Nova  Acta  Academiae  Caes.  Leopoldino-Carol.  Germanicae  natura© 
curiosorum.    T.  90.  91.     Halis  1909. 

Leopoldina.  Amtl.  Org.  d.  Kais.  Leopoldinisch-Carolinisch  deutschen 
Akad.  der  Naturforscher.  H.  45,  No.  12.  H.  46,  No.  1 — n. 
Halle  1909.  10. 

Zeitschrift  für  Naturwissenschaften.  Organ  des  naturwiss.  Vereins  für 
Sachsen  und  Thüringen  (in  Halle).   Bd.  81.   H.  3 — 6.    Stuttgart  19 10. 

Jahresbericht  der  Hamburger  Sternwarte  für  d.  J.  1909.  Hamburg  1910. 

Jahresbericht  der  naturhistorischen  Gesellschaft  zu  Hannover.  58.  59. 
Hannover  19 10. 

Sitzungsberichte  der  Heidelberger  Akademie  der  Wissenschaften. 
Mathein. -naturw.  Kl.  Jahrg.  1909.  Abt.  1 — 6.  Jahrg.  19 10.  Abt.  1 — 24. 
Philos.-histor.  Kl.    Jahrg.  1910.    Abt.  1  — 12.     Heidelberg  d.  J. 

Neue  Heidelberger  Jahrbücher.  Hrg.  vom  hist.-philos.  Verein  zu 
Heidelberg.     Jg.  16,  H.  2.     Heidelberg  19 10. 

Publikationen  des  astrophysikalischen  Instituts  Königstuhl-Heidelberg. 
Bd.  3,  No.  7.  8.      Karlsruhe  o.  J. 

Veröffentlichungen  der  Großherzoglichen  Sternwarte  zu  Heidelberg. 
Bd.  6,  1.  2.     Leipzig  und  Karlsruhe   19 10. 

Verhandlungen  des  naturhist.-medizin.  Vereins  zu  Heidelberg.  N.  F. 
Bd.  10,  H.  3.  4.     Heidelberg  19 10. 

Fridericiana.  Großherz.  Badische  Technische  Hochschule  zu  Karlsruhe. 
Programm  für  1910/11.  —  Festschrift  zur  Feier  des  53.  Geburtstags 
des  Großherzogs  Friedrich  H  —  Feierlichkeit  anläßlich  der  Über- 
gabe des  Rektorats.  —  30  Dissertationen  a.  d.  J.  1909/10.  Karls- 
ruhe 1909. 

Chronik  d.  Universität  zu  Kiel  f.  d.  J.  1909/10.  —  Verzeichnis  der 
Vorlesungen.  Winter  1909/10,  Sommer  1910.  —  Lüthje,  Hugo, 
Über  einige  im  Organismus  wirksame  Kräfte  u.  Erscheinungen 
(Rede).  —  Martins,  Götz,  Leib  und  Seele  (dgl.).  —  134  Disserta- 
tionen a.  d.  J.  1909/10. 


X  Verzeichnis  der  eingegangexen  Schriften. 

Wissenschaftliche  Meeresuntersuchungen,  hrg.  von  der  Kommiss.  f. 
wissensch.  Untersuchung  d.  deutschen  Meere  in  Kiel  und  der 
Biologischen  Anstalt  auf  Helgoland.  Im  Auftrage  des  Königl. 
Minist,  für  Landwirtschaft,  Domänen  usw.  N.  F.  Abteilung  Hel- 
goland.   Bd.  9.    H.  2.     Abt.  Kiel.    Bd.  11.     Kiel  und  Leipzig  1910. 

Publikation  der  Sternwarte  in  Kiel.    12.     Leipzig  19 10. 

Schriften  der  physikalisch-ökonomischen  Gesellschaft  zu  Königsberg. 
Jahrg.  50  (1909).     Königsberg  1910. 

16.  Jahresbericht  des  Instituts  für  rumänische  Sprache.  —  Jon  CreaDgä's 
Harap-Alb.  Hrsg.,  übersetzt  u.  erläutert  von  G.  Weigernd.  Leip- 
zig 1910. 

Das  städtische  Gymnasium  zu  St.  Nikolai  in  Leipzig.  Bericht  über  das 
Schuljahr  1909/10. 

Zeitschrift  des  Vereins  für  Lübeck.  Geschichts-  und  Altertumskunde. 
Bd.  H.H.  3.  Bd.  12.  H.  1.  —  Register  zu  Bd.  1 — 9.  T.  1.  Lübeck  19 10. 

Abhandlungen  und  Berichte  aus  dem  Museum  für  Natur-  und  Heimat- 
kunde zu  Magdeburg.    Bd.  2.    H.  1.    Magdeburg  1909. 

Zeitschrift  des  Vereins  zur  Erforschung  der  rheinischen  Geschichte  und 
Altertümer.     N.  F.    Jahrg.  5.     Mainz  1910. 

Jahresbericht  der  Fürsten-  und  Landesschule  Meißen.  1909/10. 
Meißen  19 10. 

Abhandlungen  der  mathem.-phys.  Kl.  d.  k.  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  Bd.  25, 
Abt.  1 — 3.  Suppl.  Bd.  1,  Abt.  7.  8.  Bd.  3,  Abt.  1.  München  1909.  10. 

Sitzungsberichte  der  mathem.-phys.  Kl.  der  k.  bayer.  Akad.  d.  Wiss. 
zu  München.     1909,  Abt.  15 — 20.    1910,  Abh.  1—4. 

Sitzungsberichte  der  philos.-philol.  u.  histor.  Kl.  der  k.  bayer.  Akad. 
d.  Wiss.  zu  München.     1909,  Abh.  15 — 20.    1910,  Abh.  1.  2. 

51.  Plenarversammlung  der  historischen  Kommission  bei  der  Kgl.  Bayer. 
Akademie  der  Wissenschaften.     Bericht  des  Sekretariats. 

Wolters,  Paul,   Adolf  Furtwängler.     (Gedächtnisrede.)     München  1910. 

Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  für  Morphologie  und  Physiologie  in 
München.    Bd.  25.     ebd.  19 10. 

Deutsches  Museum  für  Meisterwerke  der  Naturwissenschaft  und  Technik. 
Verwaltungs-Bericht  über  das  Geschäftsjahr  1909.     München. 

Anzeiger  des  Germanischen  Nationalmuseums.  Jahrg.  1909.  Hft.  1 — 4. 
—  Mitteilungen.    Jahrg.  1909.     Nürnberg. 

Abhandlungen  der  naturhistorischen  Gesellschaft  zu  Nürnberg.  Bd.  8. 
H.  1.     ebd.  1909. 

Mitteilungen  des  Altertumsvereins  zu  Plauen.  20.  Jahresschrift  auf 
d.  J.  19 10  u.  2  Beilagehefte. 

Historische  Monatsblätter  für  die  Provinz  Posen.  Jahrg.  10,  No.  1  — 12. 
Posen  1909. 

Zeitschrift  der  Historischen  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen.  Jahrg.  24. 
ebd.  1909. 

Veröffentlichung  des  Kgl.  Preuß.  Geodätischen  Instituts  (in  Potsdam). 
N.  Folge  No.  41 — 45.     Berlin  1909.   10. 

Centralbureau  der  internationalen  Erdmessung.  Neue  Folge  der  Ver- 
öffentlichungen.    No.  19.  20.     Berlin  19 10. 


Verzeichnis  deb  siHGEOAKaEKES  Schbutten.  XI 

Publikationen  des  Astrophysikalischen  Observatoriums  zu  Potsdam. 
Photograpbiscbe  Himmelskarte.    Bd.  5.     Potsdam   1910. 

Württembergische   Vierteljahrsschrift    für  Landesgeschichte.     Hera 

von  der  Württembergischen  Kommission  f.  Landesgeschichte.  N    F. 
Jahrg.  19  (1910).     Stuttgart  d.  J. 

Tharander  forstliches  Jahrbuch.  Bd.  59,  2.  Bd.  61,  H.  1.  2.  Berlin 
1909.   10. 

Jahrbücher  des  Nassauischen  Vereins  f.  Naturkunde.  Jahrg.  63.  Wies- 
baden 1910. 

Sitzungsberichte  der  physikal.  -  medizin.  Gesellschaft  zu  Würzburg. 
Jahrg.  1908,  No  6.     1909,  No.  1 — 5.     Würzburg  d.  J. 

Verhandlungen  der  physikal. -medizin.  Gesellschaft  zu  Würzburg.  N.  F. 
Bd.  40,  No.  6.  7.     ebd.  19 10. 

Österreich-Ungarn. 

Codex  diplomaticus  Regni  Croatiae,  Dalmatiae  et  Slavoniae.  Vol.  7. 
Zagreb  (Agram)   1909. 

Ljetopis  Jugoslavenske  Akademije  znanosti  i  umjetnosti  (Agram). 
Svez.  24.     1909.     ib.   19 10. 

Monumenta  spectantia  historiam  slavorum  meridionalium.  Vol.  32. 
ib.  1910. 

Rad  Jugoslavenske  Akademije  znanosti  i  umjetnosti.  Kn.  178 — 182. 
ib.  1909.  10. 

ßjecnik  hrvatskoga  ili  srpskoga  jezika.     Izd.  Jngoslav.  Akad.  Svez.  28. 

ib.   1909. 
Vjesnik  kr.  hrvatsko-slavonsko-dalmatinskog  zemaljskog  arkiva.  God.  12. 

Svez.  1.  2.     ib.   1910. 

Zbornik  za  narodni  zivot  i  obicaje  juznih  Slavena.  Kn.  14,  Svez.  2. 
Kn.  15,  Svez.   1.     ib.  1909.  10. 

Zeitschrift  des  Mährischen  Landesmuseums.  Herausg.  von  der  Mäh- 
rischen Museumsgesellschaft  (Deutsche  Sektion.  Bd.  10,  H.  1.2. — 
Casopis  Moravsküho  musea  zemskeho.    Roen.  10.    Brunn  1910. 

Comptes  rendus  des  seances  de  la  3me  reunion  de  la  Commission  per- 
mante  de  TAssociation  internationale  de  Sismologie,  reunie  ä  Zer- 
matt.    Budapest  1910. 

Magyar,  tudom.  Akademiai  Almanach.     19 10.     ib. 

Mathematische  und  naturwissenschaftliche  Berichte  aus  Ungarn.  Mit 
Unterstützung  der  Ungar.  Akad.  d.  Wiss.  herausg.  Bd.  25.  (1907.) 
Leipzig  1909. 

Ertekezesek  a  Bölcseleti  Tudomänyok  Köreböl.  Köt.  3.  Sz.  6.  7.  ib.  1910. 

firtekezesek  a  nyelv-es-szeptudomänyok  Köräböl.  Kiadja  a  Magyar 
tudom.  Akad.     Köt.  21,  Sz.  3 — 7.     Budapest  1909.  10. 

Ertekezesek  a  Tarsadalmi  Tudomänyok  Köreböl.  Köt.  14,  Sz.  3.  4. 
ib.  1909.  10. 

Ertekezesek  a  Törteneti  Tudomänyok  Köreböl.  Köt.  22,  Sz.  4 — 7. 
ib.   1909.  10. 

Archaeologiai  Ertesitö.  A  Magyar,  tudom.  Akad.  arch.  bizottsägänak 
es  av  Orsz.  Re'ge'szeti  s  erub.  Tarsulatnak  Közlönye.  Köt.  29, 
Sz.  3 — 5.     Köt.  30,  Sz.  1.  2.     ib.   1909.  10. 


XII  Verzeichnis  dek  eingegangenen  Schriften. 

Mathematikai  es  termeszettudomänyi  Ertesitö.  Kiadja  a  Magyar  tudom. 

Akad.    Köt.  27,  Füz.  3—5.    Köt.  28,  Füz.  1.  2.    ib.  1909.  10. 
Nyelvtudomany.     Köt.  2,  Füz.  2—4.    Köt.  3,  Füz.  1.     ib.  1908—10. 
Nyelvtudomänyi  Közlemenyek.    Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Köt.  39, 

Füz.  1—4.     ib.  1909. 
Rapport  sur  les  travaux  de  l'Academie  Hongroise  des  sciences  en  1909. 

ib.  19 10. 
Magyarorszägi  nemet  nyelvjäräsok.     Füz.  7.     ib.  1909. 
Magyararszägi  szläv  nyelvjäräsok.     Füz.   1.     ib.   1909. 
Bekefi,  Bemig,  A  käptalani  iskoläk  törtenete  magyarorszägou  1540-ig. 

ib.  1910. 
Blcyer,  Jakob,  Gottsched  hazänkban.     ib.   1909. 
Gyöngyösi,  Istran,  Märsal  Tärsolkodo  Muranyi  Venus,     ib.   1909. 
Hodinka  Anteil,    A   Munkäcsi    görög-katholikus   püspökseig   törtenete. 

ib.  1910. 
Mehely,  Lajos,  Species  generis  Spalax.     ib.   1909. 
Meszirös,  Gyula,  A  esuvas  ösvalläs  emlekei  ib.  1909. 
Badvcmszky,  Bela  es  Zävodsky,  Levcnte,  A  Hederväry-czaläd  okteveltära. 

ib.   1909. 
Serrnones   doininicales   Vet.   XV.     Szäzadool    szärmazo   Mayör    glossfäs 

latin  codex.     Köt.   1.  2.     ib.   1910. 

Szabö  Deszö,  A  magyar  orszäggülesek  törtenete.    2.    ib.  1909- 

K.  K.  Franz- Josefs-Universität  zu  Czernowitz.  Die  feierliche  Inaugu- 
ration des  Rektors  f.  d.  Studienjahr  1909/10.  —  Verzeichnis  der 
Vorlesungen  W.  S.  1909/10.    S.  S.  1910.  —   Personalstand  1909/10. 

Mitteilungen  des  naturhistorischen  Vereins  für  Steiermark.  Bd.  46  (1909), 

H.  1.  2.     Graz  1910. 
Zeitschrift  des  historischen  Vereins  für  Steiermark.     Jahrg.  8,  H.  1.  2. 

ebd.  19 10. 
Zeitschrift  des  Ferdinandeums  für  Tirol  und  Voralberg.    3.  Flge.  H.  53. 

Innsbruck  1909. 

Travaux  de  la  section  numismatique  et  archeologique  du  Musee  national 
de  Transylvanie.    1.    Klausenburg  1909. 

Anzeiger  der  Akademie  d.  Wissenschaften  in  Krakau.     Math.-naturw. 

Cl.  1909,  No.  9—10.     1910,  No.  1—7.     Philol.  Gl.   1909,  No.  7—10. 

1910,  No.  1.  2.     Krakau  d.  J. 
Katalog    literatury    naukowej    polskiej.     T.  9,  3.  4-     ib.   19 10. 
Rocznik  Akademii  uiniejgtnosci  W  Krakowie.     Rok  1908/09.    ib.  1909. 
Rozprawy   Akademii   umiejgtnosci.    —   Wydzial    filologiczny.      Ser    III. 

T.  1.  —  Wydzial.  mat.  przyrod.    Ser.  III.  T.  8.  9.     ib.   1909.   10. 
Sprawozdanie  komisyi  fizyograficznej.    Tom.  43.    ib.  1909. 
Collectanea  ex  Archivio  collegii  juridici.    T.  8,  P.  2.    ib.  1909. 
Corpus  juris  Polonici  Sect.  I.    Vol.  4,  Fase.  1.    ib.  1910. 
Biblioteka  Pisarzöw  Polskich.    No.  55.    ib.  1910. 
Brodfii'tski,  Kazimir,  Nieznane  poezyge,  wyd  z  rekopisow  Alex.  Lucki. 

ib.  1910. 

Antkoicski,  Jan,  Klucz  Brzozowski.     ib.  1910. 


Verzeichnis  deb  eingegangenen  Bchbxften.  XIII 

Tolcarz,   Wactaw,  Galicya.    Lb.  i<>o9. 
Ubior  ludu  Palskiego  Zesz.  2.    ib.  1909 

Carniolia,  Zeitschrift  für  Heimatkunde.  Jahrg.  2,  II.  1 — 4.  N.  F.  1,  1  —  4. 

.Laibach   [90g 
[zvestija  Muzejskega  druStva  za  Kranjsko.    Letnik  19.    VLjubljani  1908. 

Chronik     der    ukrainischen     (ruthenischen)    Sevrenko- Gesellschaft    der 

Wissenschaften.     H.  35 — 37.     Lemberg  1908.  09. 
Sammelschrift  der  mathem -naturw.-ärztl.  Sektion  der  Sevcenko-Gesell- 

schaft.     Bd.  13.    ebd.   1909. 
Kwartalnik    etnograficzny    „Lud".     T.   15,    zesz.  4      T.   16,    sesz.   1.  2. 

W  Lwowie  s.  a. 
Bulletin   de   la  Societe   polonaise  pour  ravancement  des  sciences.     10. 

Lwow  (Leopol)  1909. 

Ceske    Akademie    Cisafe    Frantiska   Josefa.      Almanach.     Rocn.  20.     V 

Praze  1910. 
Biblioteka  Klassikü  feckych  a  firnskych  Cisl.   18.     ib.  19 10. 
Filosofickä  Biblioteka  Rad.  II.     cisl.  2.     ib.   1909. 

Bulletin  international.  Resume  des  travaux  presentes.  Classe  des 
sciences  mathematiques,  naturelles  et  de  la  medecine.  Ann.  14. 
Prague  1909. 

Rozpravy  ceske  Akad.  Tfida  I.  Cisl.  39.— Tfid.  II.  Rocn  18.  Tfid.  III. 
Cisl.  29—32.     ib.  1909.    10. 

Sbirka  Prarnenü  ku  poznani  literärniho  zivota.  Skup.  I,  llada  I,  Cisl.  8. 
K'ada  II,  Cisl.  8.  9.  Skup.  II.  Cisl.  14.  15.  Skup.  III.  Cisl.  7. 
ib.   1909.   10. 

Vi  stnik  cesk.  Akad.     Rocn.   18.     ib.   1909. 

Velenocsli/,  Jos.,  Vseobecnä  Botanika.  Srovnavaci  Morfologie.  Dil  3. 
ib.  1910. 

Rechenschaftsbericht  der  Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissen- 
schaft, Kunst  u.  Literatur  in  Böhmen  i.  J.  1909.     Prag  19 10. 

Archiv  cesky  cili  stare  pisemne  pamätky  Ceske  i  Moravske.  Dil  25. 
V  Praze  19 10. 

Magnetische  und  meteorologische  Beobachtungen  an  der  k.  k.  Stern- 
warte zu  Prag  im  J.  1909.     Jahrg.  70.     ebd.  19 10. 

Mitteilungen    des  Vereins    für   Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen. 

Jahrg.  48,  No.  1 — 4.     ebd.  1909. 
Lotos.    Naturwiss.  Zeitschrift,  hrg.  vom  deutschen  naturw.-mediz.  Verein 

für  Böhmen  „Lotos"  in  Prag.   Bd.  46  (1898).    57  (1909).  N.  F.  Bd.  1, 

No.  4  —  12  (1907). 

Personalstand  der  k.  k.  C.-Ferd. -Universität.     1909/10.     1910/11. 

Verhandlungen  des  Vereins  für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Presburg. 
N.  F.    H.  20   (1909).    Presburg. 

Alrnanach  der  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften.  Jahrg.59.  Wien  1909. 

Anzeiger  der  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften.  Math.-phys.  Kl 
Jahrg.  46.    No.  i — 27.     ebd.  1909. 

Archiv    für    österreichische  Geschichte.     Herausg.   von   der  zur  Pflege 
vaterländ.  Geschichte  aufgestellten  Kommission  der  Kais.  Akad' 
d.  "Wissensch.     Bd.  100,  I.  II.    ebd.  19 10. 


XIV  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Denkschriften  der  Kais.  Akademie  d.  Wissensch.    Philos.-hist.  Kl.  Bd. 

53,  3-    Bd-  54,  t.    ebd.  1910. 
Mitteilungen  der  Erdbeben-Kommission  der  kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch. 

N.  F.    No.  37—39-    ebd.  19 10. 
Sitzungsberichte  der  Kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch.     Math.  - naturw.  Kl. 

Bd.  118  (1909)  I,  No.  7—10.     IIa,  No.  6—10.    IIb,  No.  8—10.    HI, 

No.  3— 10.    Bd.  119  (1910)  I,  No.  1—5.    IIa,  No.  1—4.    Eb,  No.  1—6. 

Hl,  No.  1  —  5.  —  Philos.-histor.  Kl.    Bd.  161,  6.   162,2—6.   163,3—6. 

164,  1 — 4.    165,  1.  3.    166,  2.    ebd.  1908 — 10. 

Abhandlungen  der  k.  k.  zoologisch -botanischen  Gesellschaft  in  Wien. 
Bd.  5.    H.  1—3.  5.    Bd.  6.  H.  1.     ebd.  1910. 

Verhandlungen  der  k.  k.  zoologisch-botanischen  Gesellschaft  in  Wien. 
Bd.  59,  H.  9.  10.    Bd.  60,  H.  1.  4 — 6.     ebd.  1910. 

Verhandlungen  der  Österreich.  Gradmessungs- Kommission.  Protokoll 
über  die  am  5.  Dezember  1908  abgehaltene  Sitzung,     ebd.  1909. 

Annalen  des  k.  k.  naturhistorischen  Hofmuseums  Bd.  23,  No.  3.  4. 
Bd.  24,  No.  1.  2.     Wien  1909.   10. 

Jahrbuch  d.  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  Jahrg.  59  (1909),  H.  3.  4. 
Jahrg.  60  (1910),  H.  1.  2.     ebd. 

Verhandlungen  d.k.k.  geologischen  Reichsanstalt.  Jahrg.  1909,  No.  10 — 18. 
Jahrg.  1910,  No.  1 — 12.     ebd. 

Mitteilungen  der  Sektion  f.  Naturkunde  des  österreichischen  Touristen- 
Club.     Jahrg.  21.     ebd.  1909. 

Publikationen  der  v.  Kufferseken  Sternwarte. 

Ball,  Leo  de,  Theorie  der  astrographischen  Ortsbestimmung.  S.-A. 
ebd.  1909. 

Belgien. 

Academie  Royale  d'archeologie  de  Belgique.  Bulletin.  1909,  No.  3.  4. 
1910,  No.  1 — 3.     Anvers. 

Annuaire  de  1' Academie  R.  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts 
de  Belgique.    1910  (Armee  76).    Bruxelles. 

Academie  Roy.  de  Belgique.  Bulletin  de  la  classe  des  sciences. 
1909,  No.  9 — 12.  1910,  No.  1 — 10.  —  Bulletin  de  la  classe  des  lettres 
et  des  sciences  morales  et  politiques  et  de  la  classe  des  beaux-arts. 
1909,  No.  9 — 12.  1910,  No.  1  — 10.  —  Table  generale.  Ser.  III. 
T.  31 — 36  (1896 — 98).  —  Memoires.  Classe  des  sciences.  Collect. 
in  8°.  Tom.  2,  Fase.  6—8.  Collect,  in  40.  Tom.  2,  Fase.  4.  5-  Tom.  3, 
Fase.  1.  2.  Classe  des  lettres  et  des  sciences  morales  et  politiques. 
Collect,  in  8°.  Tom.  5,  Fase.  2.  Tom.  6,  Fase.  1—3.  Tom.  7. 
Fase.  1 — 3.     Collect,  in  40.     Tom.  5.     ib.  1909.  10. 

Analecta  Bollandiana.     T.  29,  Fase.  1—4.     ib.  1910. 

Annales  de  la  Societe  entomologique  de  Belgique.    Tom.  53.    ib.  1909. 

Bulletin  de   la  Societe  Roy.  de  Botanique  de  Belgique.     Tom.  26 — 39. 

46.    ib.  1887 — 1909. 
Annales   de  la  Societe  Roy.  zoologique  et  malacologique  de  Belgique. 

Tom.  44.     ib.  1909. 

Annales  de  l'Observatoire  Roy.  de  Belgique.  N.  Ser.  Annales  astrono- 
miques.  Tom.  12,  Fase.  1.  —  Physique  du  Globe.  Tom.  4,  Fase.  2. 
ib.  1909. 


Verzeichnis  deb  saun  g  utoeneu  Schrifteh.  XV 

Annuaire   astronomique  de  l'Observatoire  Roy.  d>'   Belgiqne  pour  1910. 

Jaarboek    der    Kon.  Vlaamsche   Academie    voor    taal-    en    lettorkunde. 
1910.     Gent. 

Verslag  en  Mededeelingen  der  Kon.  Vlaamsche  Academie  voor  taal-  en 
letterkunde.     1909,  Nov.  Dez.     1910  Jan.— Okt. 

Brieven  aan  Jan  Frans  Willems,  toegelicht  door  Jan  Bols.    ib.  1909. 
Cock,  A.  en  •!.<.    Tetrlinck,  Brabantsch  Sagenboek.     Deel  1.     ib.  1909. 

Vom  der  Velde,  A.,  De  ambachten  van  de  Timmerlieden  en  de  Schrij- 
werker-  te   lirugge. 

Ders.,  Net  water  in  bet  dagelijkscb  leven.     ib.  1909. 

Bly,  Freute,  Unze  Zerlviscbsloepen.     ib.  19 10. 

Bruyker,  C.  de,  Die  statistische  Methode  in  der  Planktonkunde,  ebd.  1910. 

Fierens,  Alfons,  De  geschiedskundige  vorsprong  van  den  anaat  van 
Portiuiuula.     ib.  19 10. 

Teierlinck,  Is.,  Zuid-Oostvlaandcrsch  Idioticon.     Deel  1.    ib.  1910. 

La  Cellule.  Recueil  de  Cytologie  et  d'histologie  generale.  T.  25, 
Fase.  2.    T.  26,  Fase.  1.  2.     Louvain  1909.  10. 

Bulgarien. 

Godisnik  na  Sofiiskija  Universitet.  Annuaire  de  l'Universite  de  Sofia. 
5  (1908/09)  I.  Faculte  hist.-phil.    H.  Fac.  phys.-math.     Sofia  19 10. 

Dänemark. 

Det  Kong.  Danske  Videnskabernes  Selskabs  Skrifter.  Naturv.  og  math. 
Afd.    7.  Rgekke  Bd.  5,   No.  3.  4.     Kjobeuhavn  1908.  09. 

Fenger,  L.,  Le  Temple  Etrusco-latin  de  Fltalie  centrale.  Publ.  par 
Chr.  Joergensen.    ib.  1909. 

Oversigt  over  det  Kong.  Danske  Videnskabernes  Selskabs  Forhandlinger 
i  aar.  1909,  No.  6.    1910,  No.  1 — 5.    ib. 

Conseil  permanent  international  pour  l'exploration  de  la  mer.  Bulletin 
trimestriel.  Annee  19 10.  P.  1.  —  Publications  de  circonstance. 
No.  48 — 51.  —  Bulletin  statistique  des  peches  maritimes  des  pays 
du  Nord  de  l'Europe.  Vol.  4.  —  Bulletin  hydrographique  pour 
1908/09.  —  Rapport  et  Proces  verbaux  des  reuuions.  Vol.  12. 
Copenhague  1909.   10. 

England. 

Proceedings  of  the  Cambridge  Philosophical  Society.  Vol.  15,  P.  4—6. 
Cambridge  19 10. 

Transactious  of  the  Cambridge  Philosophical  Society.  Vol.  20,  No.  15.  16. 
Vol.  21,  No.  10—14.     ib.  1910. 

Proceedings  of  the  R.  Irish  Academy.  Vol.  28.  Sect.  A,  P.  1—3. 
Sect.  B,  P.  1—8.    Sect.  C,  P.  1  — 12.     Dublin  1910. 

The  scientific  Proceedings  of  the  R.  Dublin  Society.  Vol.  12,  P.  24 — 36. 
ib.  1909.  10. 

Economic  Proceedings  of  the  R.  Dublin  Society.  Vol.  2,  P.  1.  2. 
ib.  1910. 


XVI  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Proceedings  of  the  R.  Society  of  Edinburgh.  Vol.  30,  No.  1—6. 
Edinburgh   19 10. 

Transactions  of  the  R.  Society  of  Edinburgh.    Vol.  47,  P-  *•  2-    R>.  191c 

Proceedings  of  the  R.  Physical  Society:    Vol.  18,  P.  1.  2.    ib.  1 910. 

Transactions  of  the  Edinburgh  Geological  Society.  Vol.  9,  Special  Part, 
ib.  1910. 

Proceedings  and  Transactions  of  the  Liverpool  Biological  Society. 
Vol.  24.     Liverpool  1910. 

Proceedings  of  the  R.  Society  of  London.  Vol.  82—84.  A.  No.  561—576. 
B.  No.  553 — 562.  —  Yearbook  of  the  Royal  Society.  19 10.  —  Re- 
ports to  the  evolution  Committee.    5.    ib.  1909. 

Philosophical  Transactions  of  the  R.  Society  of  London.  Ser.  A.  Vol.  210, 
p   35—415.    Ser.  B.  Vol.  201,  p.  1—226.    ib.  1910. 

Memoirs  of  the  R.  Astronomical  Society.  Vol.  57,  P.  2.  3.  and  Append.II. 

Vol.  59,  P-  4-     ib.  1909. 
Proceedings  of  the  London  Mathematical  Society.  Ser.  H.  Vol.  8,  P.  2 — 4. 

Vol.  9,  P.  1.     ib.  1909.   10. 
Journal  of  the  R.  Microscopical   Society,    containing  its  Transactions 

and  Proceedings.     1910,  No.  1 — 5.     ib. 

Memoirs  and  Proceedings  of  the  Literary  and  Philosophical  Society  of 
Manchester.     Vol.  54,  P.  1—3.     Manchester  1909.   10. 

Report  of  the  Manchester  Museum  Owens  College  for  1909/10.  —  Museum 
Haudbooks:  Marie  Alice  Murray,  The  tomb  of  two  brothers.  — 
Wm.  Hg.  Pearson,  Catalogue  of  the  Hepaticae  of  the  Museum, 
ib.  1910. 

The  Victoria  üniversity  of  Manchester.  Calendar.  1910/11.  —  Lectures 
No.  10.  —  Publications  of  the  üniversity  of  Manchester:  Biological 
Series.  No.  1.  —  Historical  Series.  No.  9.  —  Celtic  Series.  No.  2. 
—  English  Series.    No.  2.     ib.  1910. 


*n' 


Frankreich. 

Annales    des   Facultes    de   Droit    et    des    Lettres    d'Aix.     Droit.   T.  2, 

Nr.  3.  4.     Lettres.  T.  3.    Aix  1908.  09. 
Proces-verbaux  de  la  Societe   des   sciences  physiques  et  naturelles  de 

Bordeaux.     Annee  1908/09.     Paris  et  Bordeaux  1907. 
Memoires  de  la  Societe  des  sciences  physiques  et  naturelles  de  Bordeaux. 

Ser.  VI.    T.  4,  coh.  1.  2.     ib.   1908. 
Bulletin   de   la  Commission  meteorologique  du   depart.    de  la  Gironde 

Annee  1908.    Bordeaux  1909. 
Bulletin  historique  et  scientifique  de  l'Auvergne,  publ.  par  l'Academie 

des    sciences,     belies -lettres    et    arts    de     Clermont-Ferrand. 

Ser.  II.    1909,  1  -3 
Revue  d'Auvergne,  publ.  par  la  Societe  des   amis   de  T Universite   de 

Clermont.    Ann.  26,  1909,  No.  1.  2 
Memoires   de  l'Academie  des  sciences,  belles  lettres  et  arts   de  Lyon. 

Classe  des  sciences  et  lettres.    Ser.  III.  T.  10.    Paris  et  Lyon  1910. 
Academie   des   sciences   et  lettres  de  Montpellier:  Bulletin  mensual. 

1910,  Nr.  1—7.  —  Memoires  de  la  section  des  lettres.    Ser.  II.  T.  5, 


VeHZEICHXIS    DEK    EINGEGANGENEN    SciUilFTEN.  XVII 

No.  2.    Montpellier  1909.  —  Me"moires   de  la  Bection  des  sciences. 

Ser.  IL    T.  4,  No.  1.  2.    ib.  1908.  09. 
Bulletin  des   seances   de  la   societe  des  sciences  de  Nancy.     SeY  111. 

T.  10,  Fase.  1 — 4.    Paris  el   Nancy  1909. 
Institut   de   France.      Annuaire    pour    1910.      Savants    du   jour:    Henri 

Poincare.     Gaston  Darboux,  par  Kniest  Lebon.    Paris  1909.   10. 
Comite  international   des  poids   et  mesures.     Proces  verbaux.     St-r.  II. 

T.  5.    Sess.  de  1909. 
Bulletin  du  Museuni  d'histoire  naturelle.    Anne».'   1909,    No.  7 — 8.     1910, 

No.  1.  2.    ib. 
Annales   de  l'Ecole   normale    suptSrieure.     III.  Ser.     T.  26,    No.  9 — 12. 

T.  27,  No.  1  — 12.     ib.   1909.   10. 

Journal  de  l'Ecole  polytechnique.    Ser.  II.    Cah.  13.     ib.  1909. 
Bulletin  de  la  Societe  mathematique  de  France.  T.  38,  No.  1—3.  ib.  1910. 
Bulletin  de  la  Sociäte-  scientiüque  et  medicale  de  l'Üuest.  T.  18,  No.  1  —  3. 

Rennes  1909. 
Memoire   de  l'Acadeinie  des   sciences,   inscriptions   et  belleo-lettn.-s  de 

Toulouse.    T.  9.    Toulouse  1909. 
Annales   du  midi.     Revue   de  la  France  me'ridionale,   fond£e   sous  les 

auspices  de  l'Universite  de  Toulouse.   Ann.  21.  No.  82  —  84    Ann.  22. 

No.  85.    ib.  1909.  10. 
Annales    de    la  Faculte"    des    sciences    de  Toulouse    pour   les   sciences 

mathematiques   et  les   sciences  physiques.     Se"r.  III.    T.  1,  Fase.  1. 

Paris  et  Toulouse  1909. 
Bulletin  de  la  Commission  meteorologique  du  Department  de  la  Haute 

Garonne.    T.  2,  Fase.  2  (1909).     Toulouse. 

Griechenland. 

Ecole  francaise  d'Athenes.  Bulletin  de  correspondance  hellenique 
[Athen].     Anne"e  31,  4—7.     Ann.  34,   1—7.     Paris  1907.   1910. 

Mitteilungen  des  Kaiserl.  Deutschen  Archäologischen  Instituts.  Athe- 
nische Abteilung.    Bd.  35,  H.  1 — 3.    Athen  19 10. 

k&r\vä.  £vyyQa\HLCi  jrfptodixöv  rf]g  iv  k&ip'alg  'JLinGTr\p,ovix.r}s  ^EtaiQsiag. 
T.  21,  No.  4.     T.  22,  No.  1—4.     ib.   1909.  10. 

Holland. 

Jaarboek  van  de  Kon.  Akad.  v.  Wetenschappen  gevestigd  te  Amsterdam 

voor  1909.     Amsterdam  19 10. 
Verhandelingen  d.  Kon.  Akad.  v.  Wetenschappen.    Afdeel.  Letterkunde. 

IL  Reeks.    Deel  10,  No.  3.   Deel  11,  No.  1—4.    Afdeel.  Naturkunde. 

Sect.  IL     Deel  15,  No.  2.     Deel  16,  No.  1—3.     ib.  1910. 

Verslagen  van  de  gewone  vergaderingen  der  wis-  en  natuurkundige 
afdeeling  der  Kon.  Akad.  v.  Wetenschappen.  Deel  18,  I.  IL 
ib.  1910. 

Programma  certaminis  poetici  ab  Acad.  Reg.  discipl.  Neerlandica  ex 
legato  Hoeuti'tiano  indicti  in  annutn  191 1.  —  Pascoli,  Joh.,  Pom- 
ponia  Graecina.  Carmen  praemio  aureo  oruatum.  Accedunt  4  car- 
mina  laudata.  —  Jos.  Gianmczzi,  De  Siciliae  et  L'ahibriae  excidio. 
Ant.  Faverzani,  Comoedia.    Carmina  magna  laude  ornata.    ib.  19 10. 

1911.  b 


XVIII  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Revue  semestrelle  des  publications  mathematiques.   T.  18,  P.  i.  ib.  19 10. 
Nieuw  Archief  voor  Wiskunde.    Uitg.  door  het  Wiskundig  Genootschap 

te  Amsterdam.    2.  Reeks.    Deel  9,  St.  2.  3.  —  Wiskundige   opgaven. 

Deel  io,  St.  5.  6.    ib.  1910. 
Technische  Hoogeschool  te  Delft.    4  Proefschr.  a.  d.  J    1909/10. 
Arcbives    neerlandaises    des    sciences    exactes    et   naturelles,    publiees 

par  la  Societe  Hollandaise  des  sciences  ä  Harlem.    Ser.  II.    T.  15. 

Livr.  1 — 4.     Harlem  19 10. 
Oeuvres  compl.  de  Christian  Huygens  Publ.  par  la  Societe  hollandaise 

des  sciences.    T.  12.     La  Haye  19 10. 
Archives  du  Musee  Teyler.     Ser.  II.    Vol.   12,  P.  1.    ib.  1910. 
Handelingen  en  mededeelingen  van  de  Maatschappij  der  Nederlandsche 

Letterkunde  te  Leiden  over  het  jaar  1909/10.     Leiden. 
Levensberigten   der  afgestorvene  medeleden  van   de  Maatschappij   der 

Nederlandsche  Letterkunde  te  Leiden.    Bijlage  tot  de  Handelingen 

van  1909/10. 
Tijdschrif  voor  Nederlandsche  taal-en  letterkunde.     Uitgeg.   vanwege 

de  Maatschapp.  d.  Nederl.  Letterkunde.  Deel  28,  Afd.  3.  4.    Deel  29, 

Afd.  1 — 4.     ib.  1909.   10.   —  Grafschriften  en  stat  en  lande.     Gro- 
ningen 19 10. 
Nederlandsch    kruidkundig  Archief,  Verslagen  en  mededeelingen    der 

Nederlandsche  botanische  Vereeniging  [Leiden]  Nijmegen  1908. 
Recueil    des    travaux    botaniques    Neerlandais.     Publ.    par    la    Societe 

botanique  Neerlandaise.    Vol.  7.     Nijmegen  19 10. 
Aanteekeningen  van  het  verhandelde   in   de  sectie-vergaderingen  van 

het  Provinc.  Utrecht  sehe  Genootschap  van  kunsten  en  wetensch., 

ter  gelegenheid  van  de  algem.  vergad.,  gehouden  d.  14.. Tun.  1910. 
Verslag  van    het  verhandelde   in  de   algem.  vergad.  van  het  Provinc. 

Utrechtsche    Genootschap    van    kunsten    en    wetensch.,    gehouden 

d.  14.  Jun.  1910. 
Bidragen   en  Mededeelingen  van  het  Historisch  Genootschap  gevestigd 

te  Utrecht.     Deel  31.     Amsterdam  19 10. 
Werken  van  het  Histor.  Genootschap.  gev.  te  Utrecht.    Ser.  III.     11.24. 

Amsterdam  1909.  10. 
Onderzoekingen  gedaan  in  het  Physiol.   Laboratorium    d.  Utrechtsche 

Hoogeschool.   V.  Reeks.    11.    Utrecht  1910. 


Italien. 

Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane  ricevute  per  diritto  di  stampa. 
No.  108 — 120.    Firenze  1909.   10. 

Rendiconti  e  Memorie  delU  Accademia  di  scienze,  lettere  ed  arti  di 
Acireale.  Ser.  III.  Rendiconti.  Cl.  d.  science.  Vol.  5.  —  Me- 
morie.   Cl.  d.  lettere.    Vol.  6.    Acireale  1909.   10. 

Memoire  della  R.  Accademia  delle  scienze  del'  Istituto  di  Bologna. 
Classe  di  scienze  fisiche.  Ser.  VI.  T.  6  (1908/09).  —  Classe  di  scienze 
morali.  Sezione  di  scienze  giuridiche.  T.  3,  Fase.  1.  2.  Sez.  di 
storico-filologiche  T.  3,  Fase.  12.     Bologna  1909.  10. 

Rendiconto  delle  sessioni  della  R,  Accademia  delle  scienze  del  Istituto 
di  Bologna.  Classe  di  scienze  fisiche.  N.  Ser.  Vol.  13  (1908/09). 
Classe  d.  scienze  morali.     Ser.  I.    Vol.  2,  Fase.  2.    ib.   1909. 


Verzeichnis  dek  eingegangenen  Schbieten.  XIX 

Bollettino  delle  sedute  «U'lla  Accademia  Gioenia  di  scienze  naturali  in 
Catania.    Ser.  II.    Pasc.  10 — 13.    Catania  1909.  10. 

La  Opere  di  (lulileo  Galilei.    Ed.   nationale   sotto  gli   anspicii   di  Sna 

Majrsta  il  Re  d'Italia.     Vol.  20.  Firenze  1909. 

Memoric  del  R.  Istituto  Loinbardo.  Cl.  di  lettere  e  scienze  storiche  e 
morali.  Vol.  22  (Ser.  III,  Vol.  13),  Fase.  1 — 3.  —  Cl.  d.  scienze 
matemat.  e  naturali  Vol.  21  (Ser.  III.  Vol.  12),  Fase.  1 — 4.  Milan 0 
1909.   10. 

R.  Istituto  Lombardo  di  scienze  e  lettere.  Rendiconti.  Ser.  II.  Vol.  42. 
Fase.  16 — 20.    Vol.  43,  Fase.  1  — 16.     Milano  1909.   10. 

Raccolta  Vinciana  presso  l'Archivio  storico  del  comune  di  Milano. 
Fase.  6.    ib.  1910. 

Memorie  della  R.  Accademia  di  scienze,  lettere  ed  arti  in  Modena. 
Ser.  III.  Vol.  8.    Modena  1909. 

Societä  Reale  di  Napoli.  Atti  della  R.  Accad.  di  Archeolog. ,  lett.  e 
belle  arti.  Vol.  25  (1908)  N.  Ser.  Vol.  1.  —  Rendiconto  delle  tor- 
nate  e  dei  lavori  delle  R.  Accad.  d.  Archeol.,  lett.  e  belle  arti. 
N.  S.  Ann.  21.  Append.  22.  23.  —  Atti  della  Reale  Accademia  di 
scienze  morali  e  politiche.  Vol.  38 — 40.  Rendiconto.  Anno  45 — 48 
(1906  —  09).  Rendiconto.  della  R.  Accad.  delle  scienze  fisiche  et 
matematiche.  Ser.  III.  Vol.  15,  Fase.  8 — 12.  Vol.  16,  Fase.  1 — 9. 
e  Suppl.  Napoli  1908 — 10. 

Atti  e  Memorie  della  R.  Accademia  di  scienze,  lettere  ed  arti  in  Padova. 
N.  S.    Vol.  25.    Padova  1909. 

Rendiconti  del  Circolo  matematico  di  Palermo.  T.  29,  Fase.  1—3.  T.  30, 
Fase.  1 — 3.  —  Suppl.  Vol.  4,  No.  3—6.  Vol.  5,  No.  1 — 3.  —  Annuario 
biografico  1910.   Indice  delle  Pubblicazioni  No.  3.   Palermo  1909.  10. 

üniversitä  di  Perugia.  Annali  della  Facoltä  di  Medieina.  Vol.  7, 
Fase.  3 — 4.    Perugia  1909. 

Annali  della  R.  Scuola  normale  superiore  di  Pisa.  Scienze  fisiche  e 
matematiche.    Vol.  n.     Pisa  1910. 

Atti  della  Societä  Toscana  di  scienze  naturali  residente  in  Pisa.  Memorie. 
Vol.  25.  ib.  1909. 

Processi  verbali  della  Societä  Toscana  di  scienze  naturali.  Vol.  18,  No.  5.  6. 
Vol.  19,  No.  1 — 4.     ib.  1909.  10. 

Annali  della  R.  Scuola  superiore  di  Agricoltura  di  Porti ci.  Ser.  II. 
Vol.  7.  8.     Portici  1907.  08. 

Atti  della  R.  Accademia  dei  Lincei.  Ciasse  di  scienze  morali,  storiche 
e  filologiche.  Ser.  V.  Memorie.  Vol  13.  14,  Fase.  1 — 4.  Notizie 
degli  seavi.  Vol.  6,  Fase.  9—12.  Vol.  7,  Fase.  1 — 8.  Rendiconti. 
Vol.  T8  (1909),  Fase.  4 — 12.  Vol.  19  (1910),  Fase.  1—6.  —  Classe  di 
scienze  fisiche,  matematiche  e  naturali.  Ser.  V.  Memorie.  Vol.  7, 
Fase.  11.  12.  Rendiconti.  Vol.  19  (1910)  [I.  Sem.],  Fase.  1 — 12. 
II.  Sem.,  Fase.  1  —  9.  —  Rendiconto  dell'  adunanza  solenne  del 
5.  Giugn.  1910.     Roma  1909.  10. 

Mitteilungen  des  Kais.  Deutschen  Archäologischen  Instituts.  Römische 
Abtheilung  (Bollettino  delF  Imp.  Istituto  Archeologico  Germanico. 
Sezione  Romana).  Bd.  24,  H.  1 — 4.    Bd.  25,  H.  1 — 3.  ebd.  1909.  10. 

Atti  della  R.  Accademia  dei  Fisiocritici  di  Siena.  Ser.  V.  Vol.  1, 
No.  7 — 10.    Vol.  1,  No.  1—6.     Siena  1909.   10. 

b* 


XX  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Atti  della  R.  Accademia  delle  scienze  di  Torino.  Vol.  45,  Disp.  1 — 15. 
Torino  1910.  —  Osservazioni  meteorologiche  (1907).     ib.  1910. 

Memorie  della  R.  Accademia  delle  scienze  di  Torino.  Ser.  II.  T.  60. 
ib.   1910. 

Luxemburg. 

Institut  Grand-Ducal  de  Luxembourg.  Section  des  sciences  naturelles, 
physiques  et  mathematiques.  Archives  trimestrielles.  N.  S.  T.  4,  5, 
Fase.  1.     Luxembourg  1909.   10. 

Portugal. 

Annaes  scientificos  da  Academia  politechnica  do  Porto.  Vol.  5.  No.  2.  3. 
Coimbra  19 10. 

Rumänien. 

ßuletinul  Societätii  de  seiinte  fizice  (Fizica,  Chimia  si  Mineralogia) 
din  Bucuresci-Romänia.    Anul  19,  No.  1 — 6.    Bucuresci  1910. 

Rußland. 

Annales  Academiae  scientiarum  Fennicae.  Ser.  A.  T.  1.  Ser.  B.  T.  1.  2, 
No.  1.     Helsingfors   1909.   10. 

Sitzungsberichte  der  Finnischen  Akademie  der  Wissenschaften.  1908. 
Helsinski  1909. 

Acta  societatis  scientiarum  Fennicae.  T.  37,  No.  2- — 4.  9 — 11.  T.  38, 
No.  1.  3.    T.  39.  40,  No.  1 — 4.     Helsingfors  1909.   10. 

Bidrag  tili  kännedom  af  Finlands  Natur  och  Folk,  utg.  af  Finska 
vetensk.  Soc.  H.  67,  1 — 3.  68,  1.  2      ib.  1908 — 10. 

öfersigt  af  Finska  Vetenskaps-Societetens  Förhandlingar  51.  52.  ebd. 
1909.   10. 

Meteorologisches  Jahrbuch  für  Finland.  Hsg.  von  der  Meteorologischen 
Zentralanstalt.     Bd.  3  (19 10)  u.  Beilage. 

Observations  meteorologiques  publ.  par  l'Institut  meteorologique  central 
de  la  Societe  des  sciences  de  Finlande.     1 899/1 900.     ib.  1909. 

Bulletin  de  la  Societe  physico-mathematique  de  Kasan.  Ser.  II.  T.  16, 
No.  3.    Kasan  1910. 

Ucenyja  zapiski  Imp.  Kasanskago  Universiteta.  T.  76,  No.  n.  12.  T.  77, 
No.  1  — 11.    ib.  1909.  10. 

Universitetskija  Izvgstija.  God  48,  No.  9 — 12.  God  49.  50,  No.  1—9. 
Kiev  1908—10. 

Mitteilungen  der  Ukrainischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften.  Kn.  6.  7. 
ib.  1909.   10. 

Bulletin  de  la  Societe  Imper.  des  Naturalistes  de  Moscou.  Annee  1908, 
No.  3.  4.  1909.     Moscou  d.  J. 

Ucenyja  Zapiski  Imp.  Moskovskago  Universiteta.  Otdel  jurid.Vyp.  34 — 37. 
-  Med.   Fakult.  Vyp.  15.   —   Otd.  estestvenno-istor.    Vyp.  26.  27. 
ib.  1909.  10. 

Bulletin  de  FAcademie  Imperiale  des  sciences  de  St.  Petersbourg. 
Ser.  VI.  T.  4,  No.  1  — 18.  —  Materialy  po  jafetieskomu  jasykosnaniju. 
1910. 


Verzeichnis  der  eingboanoknbn  Sohbiftbn.  XXI 

rMemoires  de  l'Academie  Imperiale  des  sciences  de  St.  Petersbourg.  Claase 
pliysieo-mathematiquc.  Ser.  VIII.  Vol.  18,  No.  14  —  16.  Vol.  23, 
No.  7.  8.  Vol.  24,  No.  2 — 9.  Vol.  26,  No.  1.  Ciasse  historico-philo- 
logique.     Ser.  VIII.  Vol.  8,  No.  13.  14.    Vol.  10,  No.  1.    ib.  1909. 

Comite  geologique.  Bulletins.  28,  1—8.  —  Memoires.  N.  Ser.  No.  40.  51. 
ib.  1909.  10. 

Acta  Horti  Petropolitani.  T.  26,  Fase.  2.  T.  27,  Fase.  3.  T.  28,  Fase.  3. 
'   ib.  1909.  10. 

Swod  Zakonow  Rossijskoj  Imperii.  T.  1,  1.  2.  T.  2.  5.  Prjamych  nalo- 
gach.  Ustav  o  poslinach.  —  T.  (>.  Ustav  tamoz.  —  T  8.  9.  11,  2. 
T.  12,  1.  2.  Polo/..  —  T.  13.  14.  —  Prodol/.fiiie  swoda  zakonow. 
1902,  cast.  1.  2.    1906,  east.  1 — 5.     ib.  1902 — 08. 

Publications  de  l'Observatoire  physique  central  Nicolas.  Ser.  II.  Vol.  7. 
15.     ib.  1910. 

Missions  scientifiques  pour  la  mesure  d'un  arc  de  me"ridien  au  Spitz- 
berg, entreprises  en  1899 — lc>01  sous  ^es  auspices  des  gouvernements 
Russe  et  Suedois.  Mission  Russe.  Tom.  1.  Sect.  II.  B.  1.  Sect.  III. 
D.  1.     ib.  1909. 

ilyzantina  Xronika.     T.  14,  4.  (1907)    15,  1.  (1908).    ib. 

Otcet  Imp.  publ.  Biblioteki  za  1902.  03.    ib.  1910. 

Seismiscbo  Monatsberichte  des  physikalischen  Observatoriums  zuTiflis 
Jahrg.  4  (1903),  No.  7 — 12.  Jahrg.  10  (1909)  No.  4 — 6. 

Beobachtungen  des  Tifliser  Physikalischen  Observatoriums  i.  J.  1899  bis 
1904.     ib.  1909. 

Sprawozdania  z  posiedze'n  Towarzystwa  naukowego  Warszawskiego. 
Rok  3,  Zesz.  5 — 7.  Warszawa  1910. 

Prace  Towarzystwa  naukowego  Warszawskiago.  II.  No.  1—3.  ib.  1909.  10. 

Schweden  und  Norwegen. 

Bergens  Museum.  Aarbog  for  1909,  H.  2.  3.  1910,  H.  1.  2.  —  Aarsberet- 
ning  for  1909.    Bergen. 

Sars,  G.  0.  An  Account  of  the  Crustacea  of  Norway.  Vol.  5,  P.  27 — 30. 
ib.  1909.  10. 

Forhandlinger  i  Videnskabs-Selskabet  i  Christiania.  Aar  1909. 
Christiania  19 10. 

Skrifter  udgivne  af  Videnskabs-Selskabet  i  Christiania.  Math.-naturvid. 
Kl.  1909.    Hist.-filos.  Kl.  1909.    ib.  1910. 

Publication  des  Universitiits- Observatoriums  in  Christiania.  Meridian- 
Beobachtungen  von  Sternen  i.  d.  Zone  65 ° — 700  nördl.  Deklination. 
Von  H.  Geelimiyden  u.  ./.  Fr.  Schroeter.    I.    ib.  1909. 

Eranos.  Acta  philologica  Suecana.  Vol.  9,  Fase.  3.  4.  Vol.  10,  Fase.  1. 
Göteborg  1909.  10.  , 

Lunds  üniversitets  Ärs-Skrift.   N.  Följd.    Afd.  I,  5.  II,  5.  Lund  1909.  10. 

Acta  mathematica.  Hsg.  v.  G.  Mittag-Leffler.  32,  4.  33,  1 — 3.  Stock- 
holm 1909. 

Arkiv  för  botanik,  utg.  af  K.  Svenska  Vetenskaps-Akademien.  Bd.  9,  2 — 4. 
ib.   1910. 

Arkiv  für  kemi,  mineralogi  och  geologi,  utg.  af  K.  Svenska  Vetenskaps- 
Akademien.     Bd.  3,  II.  4.  5.     ib.   19 10. 


XXII  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

Arkiv  för  mathematik,  astronomi  och  fysik,  utg.  af  K.  Svenska  Vetens- 
kaps-Akademien.     Bd.  6,  i.     ib.  1910. 

Arkiv  för  zoologi,  utg.  af  K.  Svenska  Vetenskaps- Akademien.     Bd.  6. 
ib.  1910. 

Kungl.  Svenska  Yetenskaps-Akademiens  Handlingar.    Ny  Följd.    Bd.  45, 
No.  3 — 7.     ib.   1910. 

o 

Kungl.  Svensk.  Vetenskaps  Akademiens  Arsbok  för  19 10.    Bilage  I. 

Les  prix  Nobel  en  1907.     Stockholm  1909. 

Meteorologiska  Jakttagelser  i  Sverige,  utg.  af  Kungl.  Svenska  Vetens- 
kaps Akademien.    Bd.  50.    Bihang  II.  51.     ib.  1908.  09. 

Fornvännens    Meddelanden  frän  Kongl.   Vitterhets  Historie  och  Anti- 
quitets  Akademien.    Arg.  4.     1909. 

Entomologisk  Tidskrift  utg.  af  Entomologiska  Föreningen  i  Stockholm. 
Arg.  30  (1909).     Uppsala. 

Nordiska  Museet  Fataburen.    1909.    H.  1 — 4.     Stockholm. 

Troms0   Museums  Aarshefter  30  (1907).     Troms0  1909.  10.   —    Aars- 
beretning  for  1908. 

Bulletin    mensuel    de    l'Observatoire     meteorologique    de    l'Universite 
d'Upsal.     Vol.  41  (1909).     Upsal. 

Bref  och  skrifvelser  of  och  tili  Carl  von  Linne  med  understöd  af  Svenska 
Staten  utg.  af  Upsala  Universitet.    Afd.  I.   Deel  4.    Stockholm  1910. 

Arbeten  utgifna  med  understöd   af  Vilhelm  Ekmans  Universitetsfund. 
7.  8.     Uppsala,  Leipz.  1909.  10. 

Skrifter  utg.  af  Humanist.    Vetensk.  Soc.    Bd.  12.     ib.  1907 — 09. 

Results   of  the  Swedish  Zoolog.   Expedition  to   Egypt  and  the  White 
Nile.    P.  3.     Uppsala  1909. 

Universitati  Lipsiensi  saecularia  quinta  celebranti  gratulantur  Universi- 
tatis  Upsaliensis  rector  et  senatus.     ib.  1909. 

Till  Kungl.  Vetenskaps  Societeten  i  Uppsala  vid  dess  200-ärs  jubileum 
at  Uppsala  Universitet  19 10. 

Emanueli  Swedenborgii  opera  poetica.     ib.  1910. 

Bulletin  of  the  Geological  Institution  of  the  University  of  Upsal.    Vol. 
9.   10  (No.  17—20).     Index  to  Vol.  1  — 10.     ib.  1910. 

Schweiz. 

Jahresverzeichnis  der  Schweizerischen  Universitäten.  1908.  09,  Basel  1909. 
Verhandlungen   der  Schweizerischen  Naturforschenden  Gesellschaft  zu 
Lausanne,   1909.    T.  1.  2.     Aarau. 

Argovia.   Jahresschrift  der  historischen  Gesellschaft  des  Kantons  Aargau. 
Bd.  33.     Aarau  1909. 

Baseler  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Altertumskunde.     Hrsg.  von  der 
Histor.  u.  Antiquar.  Gesellschaft  in  Basel.    Bd.  9,  H.  2.  Basel  1910. 

Verhandlungen   der  Naturforschenden  Gesellschaft  in  Basel.     Bd.  20, 
H.  3.    Bd.  2i.     ebd.  1910. 

Mitteilungen   der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Bern  a.  d.  J.  1909. 
No.  1701— 1739.     Bern  1910. 

Jahresbericht  der  naturforschenden  Gesellschaft  Graubündens.    Bd.  52. 
Chur  1910. 


Verzeichnis  dbb  eingegangenen  Schriften.  XXIII 

Bulletin  de  l'Institut  national  Genevois.     T.  38.  39.     Geneve  1909. 
Memoires  de  l'Institut  national  Genevois.  T.  20  (1906 — 10).   Geneve  19 10. 

Alemoires  de  la  Societe"  de  physique  et  d'histoire  naturelle  de  Geneve. 
T.  36,  P.  2.  3.     Geneve  19 10. 

Anzeiger  für  Schweizerische  Alterthumskunde.  Hrsg.  vom  Schweizerischen 
Landesmuseum.  N.  F.  Bd.  11,  No.  3.  4.  Bd.  12,  No.  1.  2.  u.  Beilage. 
Zürich  1909.  10. 

Schweizerisches  Landesmuseum.     18.  Jahresbericht  (1909). 

Vierteljahrsschrift  der  Naturforschenden  Gesellschaft  in  Zürich.  Jahrg.  54. 
3.  4-     55,  I-  2.     ebd.  1909.   10. 

Beiträge  zur  geologischen  Karte  der  Schweiz.  N.  F.  Lief.  24.  Spezial- 
karte  27  a/b.    50.  54.  56  a/b.  57.     Erläuterungen  No.  9.  10. 

Serbien. 

Glas  srpske  kralj.  Akademija.  77.  79.  82.  —  Godisnjak.  22  (1908).  — 
Spomenik.  47.  —  Sbornik  za  istor. ,  jezik  etc.  (Istorijski  Sbornik), 
Knj.  5. —  Srpske  Etnografski  Zbornik.  Knj.  12 — 14.  —  Tomiüj,Jov.  N., 
Grad  klis  u  1596  godini  d.  Nikola  Krstidj.  Spomeniaza.  Beograd 
1909.  10.  —  Istorija  n  narodnim  epskim  pesmama  0  Marku  kralevicu. 
—  Istorija  razvitka  Nisavske  doline.  —  Srpska  khizevnost  u  XVIII 
veku.  —  Osnovi  Teorije  ekonomskih  vxednosti  od  Koste  Stojanovica. 
ib.  1909.   10. 

Afrika. 

Transactions  of  the  Koy.  Society  of  South  Africa.  Vol.  1,  P.  2.  Vol.  2, 
P.  i-    Cape  Town  1910. 

Nordamerika. 

Annual  Report  of  the  American  Historical  Association  for  the  year  1908. 
Vol.  1.    "Washington  1909. 

Transactions  and  Poceedings  of  the  American  Philological  Association. 
Vol.  39  (1908).    Boston. 

Journal  of  the  American  Oriental  Society.  Vol.  30,  3.  4.  NewHaven  19 10. 

Bulletin  of  the  Geological  Society  of  America.  Vol.  20.  21,  No.  1 — 3. 
New  York  19 10. 

The  Johns  Hopkins  University  Circular.  1909,  No.  8.  9.  1910,  No.  1 — 4.  7. 
Baltimore. 

American  Journal  of  Mathematics  pure  and  applied.  Publ.  under  the 
auspices  of  the  Johns  Hopkins  University.  Vol.  31,  No.  4.  Vol.  32, 
No.  2.     ib.  1909.  10. 

American  Journal  of  Philology.  Vol.  30,  No.  3.  4.  Vol.  31,  No.  1. 
ib.  1909.  10. 

American  chemical  Journal.  Vol.  42,  No.  2  —  6.  Vol.  43,  No.  1  —  5. 
ib.  1909.  10. 

Maryland  Geological  Survey.    Vol.  7  (1908).  9  (1909).   ib. 

Maryland  Wheater  Service.    Vol.  3.     ib.  1910. 

Proceedings  of  the  Boston  Society  of  natural  history.  Vol.  34,  No.  5 — 8. 
Boston  1909.   10. 


XXIV  Verzeichnis  l>ek  eingegangenen  Schriften. 

Occasional  Papers  of  the  Boston  Society  of  natural  history.     Vol.  7, 

No.  n.    ib.  1909. 
Proceedings   of  the  American  Academy  of  arts  and  sciences.     Vol.  45. 

No.  3—21.    Vol.  46,  No.  1—9.     ib.  1909.   10. 

Bulletin  of  the  Museum  of  comparative  Zoology,  at  Harvard  College, 
Cambridge,  Mass.  Vol.  52,  No.  15—17.  Vol.  54,  No.  1.  Cam- 
bridge, Mass.  19 10. 

Memoirs  of  the  Museum  of  comparative  Zoology,  at  Harvard  College, 
Cambridge,  Mass.  Vol.  34,  No.  3.  Vol.  40,  No.  1.  Vol.  41,  No.  1.  2. 
ib.  1909.  10. 

Annual  Report  of  the  Keeper  of  the  Museum  of  comparative  Zoology, 
at  Harvard  College  to  1908/09.   1909/10.     ib.  1909.  10. 

Field  Columbian  Museum.    Publications.    No.  130.  131.  136—144.    Chi- 
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The  John  Crerar  Library.     Annual  Report.  15  (1909)-     Chicago  1910. 

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the  üniversity  during  the  year  1909. 
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The   Proceedings    and  Transactions    of  the  Nova  Scotian  Institute  of 

Science.     Vol.  12,  P.  1.     Halifax  1909. 
Bulletin    of   the    American   Mathematical    Society.      Ser.  IL      Vol.   16, 

No.  4 — 9.  Vol.  17,  No.  1 — 3.    Lancaster  1907.  —  Annual  Register. 

New  York  19 10.  —  Catalogue  of  the  Library.    19 10. 
Transactions  of  the  American  Mathematical  Society.    Vol.  11,  No.  1 — 4. 

Lancaster  and  New  York  19 10. 
Kansas    üniversity    Quarterly.     Science.     Bulletin.     Vol.  5,    No.  1  — 11. 

Lawrence  1910. 
The  üniversity  Geological  Survey  of  Kansas.    Vol.  9.    Topeta  1908. 
Memorias  de  la  Sociedad  cientifica  „Antonio  Alzateu.  T.  25,  Cuad.  9 — 12. 

T.  27,  Cuad.  5 — -io.     Mexico  1908.  09. 
The  Geological  and  Natural  History  Survey  of  Minnesota.     Report  of 

the  Survey.     ßotanical  Series      8.    Minneapolis  1910. 
Lick    Observatory,    üniversity    of   California.      [Mount    Hamilton.] 

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p.  291 — 466.    Vol.  16,  p.  1 — 245.     New  Haven  1910. 
Report  for  the  years  1905 — 1910,  presented  by  the  Board  of  managers 

of  the  Observatory  of  Yale  üniversity.     ib. 
Transactions  of  the  Astronomical  Observatory  of  Yale  üniversity.  Vol.  2. 

P.  2.     ib.  1910. 

The  New  Haven  Mathematical  Colloquium.  ib.  (Yale  üniversity  Press) 
1910. 

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for  1909.     ib.  19 10. 


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No.  1  —  1 1.     ib.  1909.   10. 

Studies  from  the  Kockefeller  Institute  of  Medical  Researche.     Vol.  10. 
ib.  1910. 

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Norwood  Mass.  1909.   10. 

Oberlin  College.  The  Wilson  Bulletin.  N.  S.  Vol.  21,  No.  2—4.  Vol.  22, 
No.  2.     Oberlin,  Ohio   1909.   10. 

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No.  2.  6.     ib.  1909.  10. 

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Edic.  J,,  A  short  History  of  the  Academy  of  nat.  sciences.    ib.  1910. 
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No.  193—196.    ib.  1909.  10.  —  List  of  the  American  Philosophical 

Society,     ib.  19 10. 

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tific Papers.    N.  S.    No.  4.     1910. 

Missouri  Botanical  Garden.     20  Annual  Report.     St.  Louis  1909. 

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p.  44 — 72.     San  Francisco   1909. 

Transactions  of  the  Kansas  Academy  of  science.  Vol.  22.   Topeka  1909. 

Transactions  of  the  Canadian  Institute.  No.  19  (Vol.  8,  P.  4).  Toronto 
1910. 

University  of  Toronto  Studies:  Review  of  Historical  Publications  rela- 
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No.  86 — 88.  —  Papers  from  the  Physical  Laboratories.  No.  32 — 35. 
—  Biological  Series  No   8.  —  Geological  Series  No.  6.  7.    ib.  19 10. 

The  Journal  of  the  Roy.  Astronomical  Society  of  Canada.  Vol.  4, 
No.  4.     ib.  1910. 

Tuffts  College  Studies.  Scientific  Series.  Vol.  3,  No.  1.  Tuffts  College, 
Mass.  1910. 

Bureau  of  Education.  Report  of  the  Commissioner  of  education  for  the 
year  1909,  II.    Washington  1910. 

Bulletin  of  the  Bureau  of  Standards.     Vol.  6,  No.  1.  2.     ib.  1909. 

Smithsonian  Miscellaneous  Collections.  No.  1869.  1870.  1920.  1922 — 1927. 

1929—1931.    1933 — 1942.    1945.      ib.   1909.   10.   —    Quarterly  lssue 

Vol.  5,  P.  4.     ib.  1910. 

Smithsonian  Institution.  Bureau  of  American  Ethnology.  Bulletin.  38. 
39.  48.  —  Report  of  the  U.  S.  National  Museum  1908/09.  ib.  1909.  10. 

Annual  Report  of  the  Board  of  Regents  of  the  Smithsonian  Institution 
for  1907/08.     ib.  1909. 

Synopsis  of  the  Report  of  the  Superintendent  of  the  U.  S.  Naval  Obser- 
vatory for  1908/09.     ib.  1910. 


XXVI  Verzeichnis  der  eingegangenen  Schriften. 

The  Carnegie  Foundation  for  the  advancement  of  Teaching.  Medical 
Education  in  the  U.  S.  and  Canada.  Bulletin.   No.  4.   New  York  1910. 

Report  of  the  Superintendent  of  the  U.  S.  Coast  and  Geodetic  Survey. 
1908/09. 

Department  of  the  Interior.  U.  S.  Geological  Survey.  Professional 
Papers.  No.  64 — 67.  —  Water  Supply  and  Irrigation  Papers.  No.  205. 
227.  232.  233.  235.  236.  238.  241—245.  248.  249.  252.   ib.  1908.09. 

Bulletin  of  the  U.  S.  Geological  Survey.  No.  386.  389 — 393.  395 — 424. 
428.     ib.  1909.   10. 

Annual  Report  of  the  U.  S.  Geological  Survey  to  the  Secretary  of  the 
Interior.  30.     1908/1909.     ib.  1909. 

Mineral  Resources  of  the  U.  S.  1908.  I.  IL     ib.   1909. 

Südamerika. 

Anales  de  la  Sociedad  cientifica  Argentina.  T.  68,  Entr.  2 — 6.  T.  69. 
Entr.  1 — 4.     Buenos  Aires  1909.   10. 

Congres  scientifique  international  Americain.  Bulletin.  No.  1.  Buenos 
Aires  19 10. 

Boletin  del  Cuerpo  de  Ingenieros  de  minas  del  Peru.  No.  75.  76. 
Lima  1910. 

Anales  del  Museo  nacional  de  Montevideo.  Vol.  7.  Flora  Uruguaya. 
T.  4.  Fase.  2.     Montevideo  1910. 

Boletim  mensal  do  Observatorio  do  Rio  de  Janeiro  de  1908,  Jan.  —  Marco. 
—  Annuario  para  os  annos  do  1909.    Rio  de  Janeiro. 

Observatorio  astronomico  de  Santiago  de  Chile.  Publicationes.  No.  2 
bis  4.    Santiago  19 10. 

Revista  da  Sociedade  scientifica  de  Sao  Paulo.    Vol.  4.    Sao  Paulo  1909. 

Asien. 

Observations  made  at  the  Magnetical  and  meteorological  Observatory 
at  Batavia.  Publ.  by  Order  of  the  Government  of  Netherlands 
India.  Vol.  30  (Batavia)  Vol.  30,  App.  II  (Utrecht).  —  Regenwaar- 
nemingen  in  Neth.  India.  Jaarg.  30  (1908),  Deel  1.2.  —  Erdbeben- 
Bericht.     Batavia. 

Natuurkundige  Tijdschrift  voor  Nederlandsch-Indie ,  uitgeg.  door  de 
kgl.  Natuurkundige  Vereeniging  in  Nederlandsch-Indie.  Deel  69 
Weltevreden,     Amsterdam  iqio. 

Annual  Report  of  the  Board   of  scientific  Advice  for  India.    1908/09. 

Calcutta  1910. 
Memoirs  of  the  lndian  Museum.  Vol.  1,  No.  4.   Vol.  2,  No.  1 — 3.  ib.  190Q. 

Records  of  the  lndian  Museum  (A  Journal  of  lndian  Zoology)  Vol.  3.  4, 
P.  1—3.    Vol.  5,  P.  1.     ib.  1909.  10. 

Ethnographical  Survey  of  India.  Craniological  Data  from  the  lndian 
Museum,     ib.  1909. 

Annandale,  N.  and  Walter  Hörn,  Annotated  List  of  the  Asiatic  Beetles 
in  the  Collection  of  the  lndian  Museum.  P.  1.  —  Echinodermata 
of  the  lndian  Museum.  P.  5.  6.  Asteroidea,  by  Rene  Köhler.  1.  2. 
-  Catalogue  of  the  lndian  Decapod  Crustacea  in  the  Collection 
of  the  lndian  Museum.  P.  1.  Brachyura,  Fase.  1.  —  Illustrations 
of  the  Zoology  of  the  Roy.  lndian  Marine  Survey  Ship  Investigator. 


Verzeichnis  deb  eingegangenen  Scmuiftex.  XXVII 

Mollusca,    P.  6.    Plat.  21—23.  —  Thomson,  J.  .1.  •/.  J.  Simpson  and 

W.  D.  Henderson,  An  Account  of  the  Alcyonarians  collect,  bj   fche 

.  .  .  Investigator.   2.     ib.  1909.   10. 
Memoira    of   the    College    and    Engineering,    Kyoto    Imp.   University. 

Vol.  2,  No.  1  — n.     Kyoto  190«).  10. 
The  Journal  of  the  College  of  science,  Imp.  University,  Japan.    Vol.  27, 

Art.  7—14.     Tokyo   1910. 
Mitteilungen    aus    der   medizinischen   Fakultät   der   Kais.    Japanischen 

Universität.    Bd.  8,  No.  3.    Bd.  9,  No.  1.    ebd.  1909.  10. 
Annotationes  Zoologiae  japonensis.    Vol.  7,  P.  3.    ib.  1910. 
Bulletin  of  the  Imp.  Earthquake  Investigation  Committee.  Vol.  4,  No.  1. 

ib.  191". 

Aust  ralien. 

Report   of  the  12.  Meeting  of  the  Australiam  Association  for  the  ad- 

vancement  of  Science.     Brisbane  19 10. 
Proceedings  of  the  R.  Society  of  Victoria.    N.  S.   Vol.  22,  P.  2.   Vol.  23, 

P.  1.     Melbourne  1910. 
Journal   and  Proceedings   of  the  Royal   Society  of  New  South  Wales. 

Vol.  42.  43,  P.  1.  2.    Sydney  1908.  09. 


2.   Einzelne  Schriften. 

Rarbettc,  Edon.,  Lcs  soinmes  des  piömes  puissances  distinetes  egales  ä 
une  piemo  puissance.  Liege  19 10.  —  Le  dernier  the"orem%  de 
Fermat.     ib.  19 10. 

Cabreiro,  Antonio,  Les  mathematiques  en  Portugal.     Lisbonne  19 10. 

Eijkman,  P.  JH.,  L'internationalisme  medical.     La  Haye  19 10. 

Fritsche,  H.,  Die  säkularen  Änderungen  der  erdmagnetischen  Elemente. 
Riga  19 10. 

Goppehroedcr,  Fricdr.,  Kapillaranalyse,  beruhend  auf  Kapillaritäts-  und 
Adsorptionserscheinungen.    S.-A.     Dresden  1910. 

Guimarües,  Rudolphe,  Les  mathematiques  en  Portugel.  2.  edit.  Co'fmbre 
1909. 

Hoffmann,  M.  K.,  Lexikon  der  anorganischen  Verbindungen.  Bd.  1.  3. 
Leipzig  19 10. 

Leickc,   Wilh.,  Über  die  Entstehung  der  Eiszeiten.    (Hamburg  0.  J.) 

Neubaur,  Hans,  Heinrich  Lanz.  50  Jahre  des  Wirkens  in  Landwirt- 
schaft und  Industrie.     Text-  und  Illustrationsband.    Berlin  0.  J. 

Nijland,  A.  A.,  De  Koma  der  Komeet  van  Halley.  Hemel  en  üampk- 
ring,  Jul.  19 10. 

Bald,  C ,  Bausteine  zu  einer  Theorie  der  Extremitäten  der  Wirbeltiere. 
Teil  1.  Leipzig  19 10.  —  Geschichte  der  Anatomie  an  der  Univer- 
sität Leipzig  (Studien  zur  Geschichte  der  Medizin.  Heft  7).  ebd.  19 10. 

Rudolph,  H.,  Die  mechanische  Erklärung  der  Naturerscheinungen. 
Coblenz  19 10.  —  Ergebnisse  und  fernere  Ziele  der  wissenschaft- 
lichen Drachen-  und  Ballouaufstiege.    S.-A.    Jena  19 10. 

Weiler,  Aug.,  Die  Gleichung  der  gestörten  Ellipse  unter  zweierlei  Ge- 
stillten.   IV.     Karlsruhe  1910. 


AS  Sachsische  Akademie  der 

182  Wissenschaften,   Leipzig. 

S214  Philologisch-Historische 

Bd. 61-62  Klasse 

Berichte  über  die  Ver- 
handlungen 


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