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Full text of "Berichte über die Verhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-Historische Classe"

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'  *    » 


OCr  5    1886 


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BERICHTE 


ÜBER  DIE 


VERHANDLUNGEN 


DBR  KÖNIGLICH  SÄCHSISCHEN 


GESELLSCHAFT  DER  WISSENSCHAFTEN 


ZU  LEIPZIG. 


PHILOLOGISCH-HISTORISCHE  CLASSE. 


1886. 


L 


MIT  DREI  TAFELN. 

LEIPZIG 

BEI    S.   HIRZEL. 
1886. 


I 


tm^        PI« 


OCr  5    1886 


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BERICHTE 


Ober  die 


VERHANDLUNGEN 


DER  KÖNIGLICH  SACHSISCHEN 


GESELLSCHAFT  DER  WISSENSCHAFTEN 


ZU  LEIPZIG. 


PHILOLOGISCH-HISTORISCHE  CLASSE. 


1886. 


L 


MIT  DREI  TAFELN, 
t 

LEIPZIG 

BEI    S.   HIRZEL. 
1886. 


'  ViAY   17  1887 


^^BKAr<^ 


/ 


BERICHTE 


ÜBER  DIE 


VERHANDLUNGEN 


DER  KÖNIGLICH  SÄCHSISCHEN 


GESELLSCHAFT  DER  WISSENSCHAFTEN 


zu  LEIPZIG. 


PHILOLOGISCH -HISTORISCHE  CLASSE. 


ACHTUNDDREISSIGSTER  BAND. 


1S86. 


HIT  OBEI  TAFELN. 


LEIPZIG 

BEI  8.  HIRZEL. 


LSoc  ( ']Z(o,  I  \ 


!h'Q,  (OJ.S  '/^^r,  ^'^<>:  ! '^ 


'^''  r* ' 


-ytt  ^'i^' 


INHALT. 


S«it« 

Overbeck,    Über    eloige   Apollonstatuen   berühmter    griechischer 

Ktiastler.    Mit  8  Tafeln 4 

Fleischer,   Studien  über  Dozy's  Supplement  aux  dictionnaires 

arabes,  V 98 

Creizenach,  Studien  zur  Geschichte  der  dramatischen  Poesie  im 

47.    Jahrb.  1 98 

H  a  1 1  s  c  h ,  Über  eine  Sammlung  von   Schollen    zur  Sphärik  des 

Theodosios  u.  s.  w 4  49 

Fleischer,   Studien  über  Dozy's  Supplement  aux  dictionnaires 

arabes,  VI 4  56 

von  der  Gabelen tz,  Über  Hans  Conen  von  der  Gabelentz  .  .  .  247 
Win di seh,  Etymologische  Beiträge 242     \^^. 


/ 


ÜCT  5    1886      ;    ^-^^ 


\ 


>v^ 


SITZUNG  AM  13.  FEBRUAR  1886. 

Herr  Overbeck  las  l/6er  einige  ApoHonstatuen  berühmter 
griechischer  Künstler. 

Von  allen  griechischen  Bildhauern  haben  für  die  Gestaltung 
des  Apollon  und  die  Entwickelung  seines  Idealbildes  nach  ver- 
schiedenen Richtungen,  soviel  wir  ermessen  können,  die  Mit- 
glieder der  sog.  jungem  attischen  Schule  des  4.  Jahrhunderts 
bei  weitem  das  Meiste  und  Beste  gethan.  Die  folgenden  Zeilen 
sollen  sich  mit  drei  ApoHonstatuen  aus  diesem  Kreise  beschäf- 
tigen und  sind  bestimmt,  darzuthun,  daß  wir  eine  dieser 
Statuen ,  welche  man  zu  kennen  vermeinte,  in  der  That  nicht 
kennen,  daß  dagegen  eine  zweite  desselben  Meisters  besser 
nachzuweisen  ist,  als  man  bisher  angenommen  hat  und  daß 
die  Vorstellungen,  welche  man  von  einer  dritten  hatte,  sich 
wesentlich  berichtigen  lassen.  Das  für  die  anzutretende  Be- 
weisführung ndthige  numismatische  Material  hat  mir  die  hilf- 
bereite Freundlichkeit  der  Herren  v.  Sallet  und  Drossel  in 
Berlin ,  Imhoof  in  Winterthur  und  Waldstein  in  Cambridge  in 
die  Hand  gegeben,  denen  auch  hier  noch  ein  Mal  der  herzlichste 
Dank  ausgesprochen  werden  soll. 

I.  Skopas. 

4.   Der  Apollo  Palatinus. 

Bekanntlich  war  nach  Plinius'  Zeugniß ')  das  Tempelbild 
in  dem  von  Augustus  nach  der  Schlacht  bei  Actium  dem  Apollon 
ajf  dem  Palatin  im  Jahre  der  Stadt  726  geweihten  TempeP) 


1)  PliD.  N.  H.  86.  2&  item  (Scopas  fecit)  ApoUinem  Palalinum. 
S)  Vgl.  Becker,  Handb.  d.  rdm.  Alterth.  I.  S.  4 26  f. 

4886.  \ 


von  der  Hand  des  Skopas  und  wahrscheinlich  aus  dem  Neme- 
seion  in  Rhamnus  entführt  ^j.  Über  diese  Statue  steht  Alles 
was  wir  litterarisch  wissen  in  zwei  Versen  des  Propertius^), 
welche  bezeugen  einerseits,  daß  Apollon  in  derselben  als  lang- 
gewandeter  Kitharode  singend  und  folglich  doch  wohl  ohne 
Zweifel  auch  die  Kithara  spielend  dargestellt  war  und  anderer- 
seits, daß  diese  Statue  zwischen  den  Statuen  der  Leto  und  der 
Artemis  stand,  von  welchen  nach  Plinius^  Zeugniß^)  jene  von 
Praxiteles'  Sohne  Rephisodotos,  diese  von  Timotheos  herrührte. 
Daß  diese  Vereinigung  der  drei  Statuen  dem  ursprünglichen 
Aufstellungsorte,  Rhamnus,  angehörte  und  nicht  erst  bei  der 
Verpflanzung  nach  Rom  durch  ein  blosses  Zusammenstellen 
nicht  zusammengehöriger  Werke  gebildet  worden  sei  ist  wahr- 
scheinlich^), und  für  die  hier  zu  behandelnde  Frage  nicht  ohne 
Bedeutung. 

Mehr  als  dies  bieten  uns  litterarische  Quellen  nicht,  so  daß 
die  Frage,  ob  wir  Genaueres  über  die  Statue  feststellen  können 
und  was  dies  sei ,  davon  abhangt,  ob  wir  Nachbildungen  der- 
selben in  erhaltenen  Kunstwerken  nachzuweisen  vermögen. 
Diese  Frage  ist  von  einer  ganzen  Reihe  von  Gelehrten  ^)  bejaht 
worden ,  und  zwar  mit  Verweisung  auf  von  Augu^tus  abwärts 
unter  verschiedenen  Kaisern  geprägte  Münzen,  auf  welchen 
einem  mit  der  Kithara  ausgestatteten  Apollon  die  Beisohrift 
Acttus,  Palatinus  oder  Augustus  gegeben  ist  und  auf  die  an- 
geblich mit  diesen  Münzen  übereinstimmende,  zusammen 
mit  einer  Musenreihe  in  der  Villa  des  Cassius  in  Tivoli  gefun- 


4)  Vgl.  Urlichs,  Skopas  Leben  und  W^erke,  Greifsw.  4  863,  S.  67f, 
Stark,  imPhilol.  21.  S.  421. 

3)  Propert.  II.  81.  15.  Deinde  inter  matremdeus  ipse  interque  soro- 
rem  Pytbius  in  longa  carmina  veste  sonat. 

3)  PÜn.  N.  H.  36.  24.  Romae  eius  (Cephisodoti)  opera  sunt  Latona  in 
Palatii  delubro  etc.  und  82.  Timotbci  manu  Diana  est  Romae  in  Palatio 
Apollinis  delubro. 

4)  Vgl.  Urlichs  a.  a.  0.  S.  68.  Es  darf  wohl  auch  daran  erinnert  wer- 
den ,  dass  Dreivereine  gerade  für  die  Periode  des  Skopas  und  Praxiteles 
überaus  gewöhnlich  waren,  tber  die  megarische  Gruppe  des  Apollon 
zwischen  Leto  und  Artemis  von  Praxiteles  (Paasan.  1.  42,  5)  vgl.  unten 
S.  12,  Anro.  2. 

5)  Soviel  ich  weiss  zuerst  von  0.  Müller,  Handb.  d.  Arch.  d.  Kunst 
§  125,  4,  Denkm.  d.  a.  Kunst  I.  Nr.  141 ,  ihm  folgend  u.  A.  von  Brunn, 
Künstlergesch.  L  S.  819 f.,  Urlichs,  Skopas  S.  69  und  zuletzt  noch,  um  von 
Anderen  zu  schweigen,  Furtwängler  in  Roschers  Mythol.  Lexikon  l.  Sp.  464. 


dene,  bekannte  Statue  des  Apollon  Kitharodos  in  der  Sala  dellf$ 
Muse  des  vaticaniscben  Museums  (Taf.  II,  Nr.  1  ] . 

Hit  dem  Anspruoh  auf  ganz  besondere  Gründlichkeit  bat 
Stephan!  ^]  die  erwähnten ,  soweit,  nöthig  auf  der  beifolgenden 
Tafel  I  in  Lichtdruck  abgebildeten  Mdnzen  behandelt  2) ,  so  daB 
es  geboten  erscheint  seinen  Erörterungen  hauptsHchlich  zu 
folgen.  Dabei  ist  es  jedoch  nicht  meine  Absicht,  in  die  Discus- 
sioD  der  allgemeinen  Behauptungen  des  Petersburger  Gelehrten 
über  das  Verhältniss  der  in  Münzsteropeln  wiedergegebenen 
Kunstwerke  zu  den  Originalen  einzutreten,  in  deren  Zusammen- 
hang er  auch  die  hier  in  Frage  kommenden  Münzen  behandelt, 
denn  das  würde  Stephani  gegenüber  vergebens  und  Anderen 
gegenüber  zum  größten  Theil  überflüssig  sein.  Vielmehr  sollen 
nur  die  erwähnten  Münzen  an  sich  und  in  ihrem  Yerhältniß  zu 
der  gesuchten  Statue  des  Skopas  und  zu  der  erhaltenen  Statue 
im  Vatican  in's  Auge  gefasst  werden. 

Von  diesen  Münzen  nun  behauptet  Stephani  (S.  1 S6) ,  daß 
»d^en  Verfertiger,  wie  der  beigefügte  Name  des  Apollo  Actius, 
Palalinus   und  Augustus^]   vollgültig  beweist,   eben  die 


4)  Im  Compte-rendu  de  la  comm;  Imp.  arch.  de  St.  Pötersb.  pour 
Tann^  4875. 

%)  Sagt  er  doch  S.  426  :  sNumismatiker  von  Fach,  denen  noch  reichere 
Sammlungen  zu  Gebote  stehn,  'werden  ohne  Zweifel  einige  untergeord- 
neteEinzelnheiten  noch  genauer  bestimmen  können.« 

8)  Was  diese  verschiedenen  Beinamen  anlangt  sagt  Stephan!  a.  a.  0. 
Adhi.  4 :  iiDie  Beinamen  Actius  und  Palalinus  scheinen  am  frühesten  im 
-Gebrauche  gewesen,  der  dritte,  Augustus,  d.  h.  Beschützer  des  kaiserlicbßn 
Hauses  erst  später  hinzugetreten  zu  sein«.  Wenn  sich  das  auf  die  Münz- 
beischriften gründet  —  und  ich  wüsste  nicht,  worauf  es  sich  sonst  gründen 
sollte  — ,  so  ist  es  nicht  richtig,  wenigstens  nicht  genau,  vielmehr  steht  die 
Sache  so:  Die  Beischrift  Actius  (ApoHini  Actio,  resp.  abgekürzt  Act.} 
kommt  nur  auf  den  in  den  Jahren  46 — 4  0  v.  u.  Z.  geprägten  Alünzen  des 
Augustus  (Stepb.  S.  427,  Nr.  4 — 8)  vor,  diejenige  Palatinus  nur  auf 
den  im  Jahr  494  geprägten  Münzen  des  Commodus  (Stepb.  S.  4  30 
Nr.  9 — 48)  und  zwar,  wie  schon  hier  bemerkt  werden  möge,  bei  einer  Fi- 
^r,  welche  von  derjenigen  der  Münzen  des  Augustus  sehr  verschieden  ist, 
«ndlich  die  Beischrift  Augustus  auf  den  440^-448  geprägten  Münzen  des 
AntoniDUs  Plus  (Stepb.  S.  428 ,  Nr.  4  u.  5)  und  auf  den  494  u.  495  ge- 
prägten Münzen  des  Septimus  Severus  (Stepb.  S.  484 ,  Nr,  42  u.  44). 
Dass  das  Epitheton  Augustus  den  Apollon  nicht  als  »Beschützer  des  kaiserl. 
Hauses«  bezeichnet ,  sondern  als  »den  hehren,  erhabenen« ,  möge  hier  nur 
beiläufig  «rwafant  werden.  Die  Analogien,  wie  Goncordia  Augnsta,  Felicitas 
Augusta,  Pax  Augusta,  Marti  Augusto  u.  s.  w.  zeigen  dies  deutlich. 

4* 


genannte  Statue  des  Skopas  wiedergeben  woUtena,   eine  Be- 
hauptung ,  welche  noeh  zwei  Mal  in  etwas  verschiedenen  Wor- 
ten wiederholt  und  bekräftigt  wird,  nämlich  S.  432  mit  diesen : 
))daB  ihre  Yerfertiger  uns  grOfitentheils  selbst  durch  beigefügte 
Inschriften  darüber  vollkommene  Gewißheit  gegeben   haben, 
daß  sie  die  genannte  im  palatinischen  Apollotempel  aufbewahrte 
Statue  des  Apollon  im  Sinne  hattent  und  S.  442,  wo  von  der 
»ausdrücklichen  Versicherung«  der  römischen  Münxen  die  Rede 
ist,  Ddaß  sie  die  Palatinische  Cultus-Statue  des  Apollon  wieder- 
geben woliena.  An  der  Absicht  der  rtfmischen  Stempelschneider, 
die  bewußte  Statue  wiederzugeben,  wird  sich  freilich  aus  guten 
Gründen  noch  zweifeln  lassen ;  nehmen  wir  jedoch  eine  solche 
Absicht   nach  Stephanis  Behauptung  einstweilen  einmal  an. 
Nun  lesen  wir  bei  ihm  S.  432  nicht  nur  »daß  die  Verfertiger, 
obwohl  sie  die  im  palat.  Tempel  aufbewahrte  Statue  im  Sinne 
hatten,  doch  ....  gar  nicht  wirkliche  Copien  derselben 
im  strengen  Sinne,  d.h.  in  allem  Wesentlichen  treue  Nach- 
bildungen .  .  .  .  ,  sondern  nur  freie  m.  o.  w.  selbststän- 
digeBearbeitungendes  ihnen  in  jener  Statue  dargebotenen 
G rund- Gedankens  überliefert  habena,  sondern  auch:  »daß 
fast  allen   (den  Münztypenj  ....  eine  deutlich  bewußte 
Absicht  selbstständiger  Geistesthätigkeit  zu  Grunde 
liegt,  welche  gar  nicht  daran  denkt,  eine  genaue  Wie- 
dergabe, sondern  nur  eine  eigene  Bearbeitung  eines 
gegebenen  Themas  dem  Beschauer  darzubieten«,   ferner 
S.  435,  iKlaß  die  übrigen  Münzen  keineswegs  nur  von  den 
Münzen  des  Commodus,  sondern  eben  so  auch  von  einander 
in  den  wesentlichsten  Elementen  abweichen«  und 
endlich  S.  142,  »daß  die  lange  Reihe  der  römischen 
Münzen   ....  gleich   vom   ersten  Anfang    an   und  zu 
gleichen  Zeiten,  so  daß  auch  nicht  etwa  an  verschiedene 
Erneuerungen  des  Gultus-Bildes  in  verschiedenen  Zeiten  ge- 
dacht werden  kann,   in  den  handgreiflichsten  Wider- 
spruch mit  einander,  sogar  in  Bezug  auf  die  wesent- 
lichsten Elemente  der  Composition  sich  befinden. a 
Ja,  wenn  dem  aber  so  ist,  so  sollte  man  doch  meinen,  daß  nach 
der    allerhausbackensten   Logik    zunächst  diejenigen  Münzen 
(Sleph.  Nr.  6  des  Antoninus  Pius ,   Nr.  7  des  Marcus  Aurelius, 
Nr.  8  des  Commodus,  Nr.  13  des  Septimius  Severus),  welche 
»der  Namensbeischrift  entbehren«  oder  welche   »nie 


die  Namensbeisehrift  des  Gottes  hinzufttgens  aus 
der  Stepbaniscben  Liste  bitten  fortbleiben  müssen,  da  ihnen 
dasjenige  feblt,  wodurcb  ihre  Yerfertiger  ihre  Absicht  kondge* 
geben  haben  sollen,  die  Statue  im  palatinischen  Apollotempel 
darzustellen,  wSlhrend  ihnen  nur  die  auf  selbstständiger  Geistes- 
thatigkeit  beruhende  eigene  Bearbeitung  eines  gegebenen  The- 
mas, also  nach  Stephani  die  rein  zufällige  Übereinstimmung 
der  Typen  mit  einer  Anzahl  von  Grundzügen  anderer  Typen  die 
Ehre  der  Aufnahme  in  die  Liste  verschafft  hat,  auf  welche  sie 
keinen  Anspruch  haben ,  da  selbst  diejenigen  Münzen,  welche 
die  entscheidende  Inschrift  tragen,  sich  in  den  handgreiflichsten 
Widersprüchen  zu  einander,  selbst  in  BeireS*  der  wesentlichsten 
Elemente  der  Composition  befinden.  Allein  das  möge  auf  sich 
beruhen  bleiben,  denn  etwas  Anderes  ist  wichtiger  und  be- 
deutsamer. 

Wenn  n9mlich  die  Verschiedenheiten  der  Münztypen  so 
groB  sind,  wie  sie  im  Vorstehenden  mit  Stephan is  eigenen 
Worten  geschildert  wurden ,  wenn  sie  nicht  auf  Einzelnheiten 
in  Attributen  und  sonstigen  Nebendingen  sich  beschranken,  son- 
dern 9Von  einander  in  den  wesentlichsten  Elementen  ab- 
weichen« oder  sich  in  Beziehung  auf  diese  »unter  einander  im 
handgreiflichsten  Widerspruch  befinden«,  wenn  sie  i»gar 
nicht  wirkliche  Copien  der  Statue,  sondern  nur  eine  eigene 
Bearbeitung  eines  gegebenen  Themas  darbieten«,  dann,  ja  dann 
kann  man  logischer  Weise  auch  weder  aus  der  Gesammt- 
beit  dieser  Münzen,  noch  ohne  die  augenscheinlichste  Will- 
ktthr  aus  irgend  einer  oder  aus  einer  Auswahl  der- 
selben einen  Beleg  für  die  Gestalt  der  skopasischen 
Statue  gewinnen.  Und  zwar  eben  so  wenig  für  die  Hand- 
lung oder  Lage ,  in  welcher  der  Gott  dargestellt  war  wie  für 
sein  Gostüm. 

Und  ungefähr  so,  wenngleich  niebt  ganz  so  arg,  wie  Ste- 
phani, den  gerade  von  ihm  verfolgten  Zwecken  gemäß,  die 
Sachlage  geschildert  hat ,  verhält  sie  sich  in  der  That  wie  die 
auf  Tafel  I  zusammengestellten  Münzen^)  beweisen,  welche 


4}  Die  Bezifferung  derselben  ist  die  der  Stephanischen  Liste,  in 
welcher  die  nötbigen  Katalogs- und  Abbildungsanführungen  gegeben  sind, 
welche  ich  hier  nicht  wiederhole.  Die  in  ( )  beigefügte  Zahl  bezieht  sich 
auf  die  Tafel. 


6     

lediglich  darin  übereinstimmen,  daß  sie  den  Gott  als  Musiker 
und  lang  gewandet  darstellen  und  ihm  die  einen  eine  Kithara 
die  anderen  eine  Lyra  in  den  linken  Arm  geben,  wenngleich 
diese  Instrumente  wieder  in  verschiedener  Lage  gehalten 
werden. 

Denn  die  einen  dieser  Typen  zeigen  uns  den  Gott  aus  einer 
in  der  mehr  oder  weniger  gesenkten  rechten  Hand  gehaltenen 
Schale  spendend:  1  (^),  2^)  (2.  3),  4  (5),  5  (6),  7  (7),  8  (8), 
12  [U],  H  (12),  die  anderen  mit  dem  Plektron  in  eben  dieser^ 
aber  durchgehend  tiefer  gesenkten  Hand:  (2),  3  (4),  6,  9  (9), 
10  (10)  (wegen  2  (2.  3)  s.  Anm.  1);  die  einen  geben  ihn  ruhig 
stehend,  und  zwar  bald  auf  dem  rechten:  1  (1),  2  (2.  3),  3  (4), 
12  (11),  14  (12),  bald  auf  dem  linken  Beine:  4  (5),  5  (6),  8  (8), 
andere  lebhafter  bewegt:  6,  9  (9).  Diese  letztere  (auf  einer 
Mtlnze  des  Commodus)  ist  nach  meinem  Urtheil  eine  völlig 
verschiedene  Figur  in  einem  kOi'zern  Chiton,  reohtshin  (vom 
Beschauer)  blickend,  während  die  ganze  übrige  Folge  eine 
linkshin  blickende  Figur  zeigt,  die  Kithara  (oder  Lyra?)  trotz 
der  lebhaften  Bewegung  ziemlich  sinnloser  Weise  auf  einen 
Pfeiler  gestützt.  Auch  hat  sie,  aber,  wie  schon  oben  (S.  3  Note  3) 
bemerkt,  sie  ganz  allein  die  Beischrift  APOL.  PAL  und 
ich  habe  sie  nur  deshalb  aufgenommen,  weil  Stephani  sie  in 
diese  Reihe  einbezogen  hat.  Mit  ihr  stimmt  10  (10)  (ebenfalls 
Commodus)  bis  auf  die  etwas  ruhigere  Haltung  überein«  Reine 
einzige  dieser  Münzen  aber  stellt  uns  Apolion  in 
Übereinstimmung  mit  der  Schilderung  der  pala- 
tinischen  Statue  in  den  Worten  des  Propertius,  car- 
mina  sonans,  d.  h.  singend  und  spielend  dar.  Und 
was  das  Costüm  anlangt  zeigen  uns  die  einen  dieser  Münzen 
den  Gott  in  einem  einfachen,  langen  und  gegürteten  Unter- 
gewande  (Chiton  poderes),  so  1  (1),  also  die  früheste  und  12 
(11)  und  14  (12);  d.h.  diejenigen  beiden  Münzen  (des  Septimius 


1)  Zu  Steph.  2  muss  ich  bemerken;  dass  während  Stephani  sagt,  der 
Gott  halte  in  den  ihm  vorliegenden  Exemplaren  eine  vollkommen  deutliche 
Schale,  das  hier  abgebildete  Exemplar  (2)  ein  roh  geprägter  Aureus  mit 
Imp.  X.  ihm  ein  eben  so  unzweifelhaftes  Plektron  in  die  Hand  giebt,  wäh- 
rend der  Denar  (3}  mit  Imp.  XII.  der  Stephanischen  Beschreibung  ent- 
spricht. Bei  diesem  sonst  vortrefflichen  Exemplar  der  Imhoof  sehen  Samm- 
lung ist  das  am  unteren  Rande  stehende  Wort :  ACT  schlecht  ausgeprägt 
oder  abgegrilTen. 


Sevenis),  welche  auch  in  allen  ttbrigen  Stttcken  mit  Nr.  1  am 
genauesten  übereinstimmen.  Das  Untergewand  aber  ist  in  die- 
sen Httnzen  zugleich  nicht  mit  einem  Cberschlag  (einer  sog. 
Diplois)  versehn.  Andere  geben  dem  Chiton  nicht  allein  sehr 
deutlich  einen  solchen  Überschlag  4  (5),  5  (6),  7  (9),  40  (40), 
sondern  sie  fügen  demselben  eine  auf  der  Brust  gespangte, 
über  den  Rücken  lang  herabfallende  Ghlamys  hinzu  2  (2.  3), 
3  (4),  4  (5),  5  (6),  7  (7)  zweifelhaft  nach  verschiedenen  Abbil- 
dungen, 8  (8),  welche  bald  zu  beiden  Seiten  der  Gestalt  ruhig 
herabhängt  2  (S.  3),  3  (4) ;  bald  in  mehr  oder  weniger  beweg- 
ten Falten  dargestellt  ist  4  (5),  5  (6),  8  (8),  wahi*end  auch  bei 
diesen  Gestalten  der  Überschlag  des  Chiton  gelegentlich  fehlt 
2  (2),  3  (4).  Alles  dieses  ohne  jegliche  Consequenz,  wfihrend 
der  in  dieser  Beziehung  unbestimmte  Ausdruck  des  Propertius, 
der  Gott  sei  »in  longa  vestea  dargestellt  gewesen^  uns  ohne 
Willktthr  keine  Entscheidung  darüber  möglich  macht,  in  welcher 
der  verschiedenen  in  den  Mttnztypen  dargestellten  Trachten  die 
Statue  des  Skopas  gebildet  gewesen  sei.  Folglich  durfte  sich 
am  wenigsten  Stephan!,  wie  er  doch  S.  4  45  thut,  auf  das  Zeug- 
niss  der  Münztypen  und  darauf  berufen,  dass  die  Mehrzahl  der- 
selben den  ApoUon  im  Chiton  und  in  der  langen  Chlamys  dar- 
stellen, um  daraus  abzuleiten,  daB  die  skopasisehe  Statue  eben 
so  gebildet  gewesen  sei.  Denn  daß  die  Worte  des  Propertius 
hier  nichts  entscheiden  können  hat  er  selbst  eingesehn,  was  es 
aber  mit  den  ttbrigen  Kunstwerken  auf  sieh  hat,  auf  welche 
Stepbani  sich  beruft,  um  sowohl  über  die  Handlung  wie  auch 
über  das  Gostttm  der  Statue  im  palatinischen  Tempel  »mit  Zu- 
versicht« zu  entscheiden,  das  wird  jetzt  zu  prüfen  sein. 

Hier  kommt  in  erster  Linie  die  oben  erwShnte  vaticanische 
Statue  (Taf.  II.  Nr.  4)  in  Betracht.  Es  kann  nicht  nachdrück- 
lich genug  ausgesprochen  werden,  weil  das  Gegentheil  mit 
einer  gewissen  Hartnäckigkeit  immer  wiederholt  wird,  dass 
zwischen  dieser  Statue  und  den  eben  besprochenen 
Münzen  durchaus  keinerlei  weitere  Ähnlichkeit  be- 
steht, als  die  ganz  allgemeine,  daB  alle  diese  Figuren  den 
kinggewandeten,  mit  der  Kithara  ausgestatteten  ApoUon  dar- 
stellen. Denn  die  vaticanische  Statue  zeigt  den  Gott  in  der  That, 
was  bei  keiner  einzigen  der  Münzen  der  Fall  ist,  im 
Schwünge  musischer  Begeisterung  und  in  lebhafter  Bewegung 
vorschreitend ,  kitharspielend  und  singend  und  trifft  in  diesem 


8     

letztem  Paokte  mit  dem  «isammen  was  Propertius  von  der  pa* 
latinisehen  Statue  sagt :  earmioa  sonat.  Aber  auch  bezeugter- 
maßen  nur  in  diesem  einen  Punkte,  nicht  auch  in  der 
lebhaften  Bewegung.  Denn  wenn  Slephani  (S.  143}  das  Musi-- 
ciren  des  Gottes  und  seine  lebhafte  Bewegung  als  etwas  gleich- 
sam selbstverständlich  Zusammengehörendes,  die  Bewegung  als 
durch  das  Musiciren  bedingt  behandelt^),  so  werden  einige  der 
demnächst  zu  erwähnenden  Monumente ,  um  von  manchen  an- 
deren zu  schweigen,  welche  hier  angefahrt  werden  könnten, 
zeigen,  dass  er  hierin  gröblich  geirrt  hat.  Ungleich  genauer  aber 
als  mit  den  Worten  des  Propertius,  ja  bis  in  Einzelnheiten  hin- 
ein stimmt  die  vaticanische  Statue  mit  der  Apollofigur  auf 
Mttnzen  Neros  (Taf.  IL  Nr.  2 — 6j  ttberein^) ,  welche  jedoch 
nicht  mit  der  Beischrift  Actius  oder  Palatinus  versehen  sind. 
Schon  hierdurch  wird  die  Verbindung  dieser  Figur  mit  der  pa- 
latinischen  Statue  gelockert;  noch  ungleich  bestimmter  aber 
trennt  beide  das  bündige  ZeugniS  Suetons^),  daß  sie  eine  der 
Statuen  wiedergiebt,  welche  Nero  nach  seiner  griechischen 
Virtuosenfahrt  sich  selbst  in  Rom  errichten  lieB.  DaB  aber 
diese  neronischen  Statuen  irgend  etwas  mit  der  palatinischen 
Apollonstatue  zu  thun  gehabt  haben  wird  nirgends  bezeugt  oder 
auch  nur  angedeutet.  Diesem  Mangel  sucht  Stephani  abzuhelfen, 
indem  er  S.  444  schreibt:  endlich  dürfen  wir  wohl  erwar- 
ten, dass  Nero,  als  er  sich  nicht  nur  während  seiner  be- 
kannten Reise  durch  Griechenland  und  Asien  auf  Mttnzen  von 
Apollonia  (s.  Taf.  IL  Nr.  4.5),  sondern  auch  nach  seiner  Rück- 
kehr nach  Rom  auf  römischen  Münzen  (Taf.  11.  Nr.  2.  3.  6)  als 
ApoUon  Kitharodos  darstellen  Hess,  eben  die  Form  der  im 
Palatinischen  Tempel  ....  als  Gultusbild  verehrten 
Statue  gewählt  haben  wird«.    Fragt  man  aber  nach  den 


i)  Er  sagt:  »Es  kommt  darauf  ao,  sich  zu  vergewissern,  ob  das  Werk 
des  Skopas  dem  Gott  bereits  musicirend  und  demn  ach  in  beweg- 
tem Tanzschritt ....  darstellte«. 

2}  Am  allergenauesten  diejenige  auf  den  römischen  Münzen  Nr.  i  u.  3, 
denn  diejenigen  von  Apollonia  Nr.  4  u.  5  und  auf  der  römischen  Nr.  6  zei- 
gen die  Figur  in  etwas  geringerer  Bewegung. 

3)  Sueton,  Nero  cap.  25.  Sacras  Coronas  in  cubiculis  circum  lectos 
posuit;  Item  statuas  suas  citharoedico  habitu,  qua  nota  etiam  numum  per- 
cussit.  Vgl.  die  bei  Stephani  S.  444.  Notes  angeführte  numismatische 
Litteratur. 


9     

Gründen,  welche  uns  berechtigen  sollen,  dies  zu  »erwarten«, 
so  findet  man  bei  Stephani  keine  andere  Antwort  als  die ,  daß 
Nero  nach  Suetonä  Zeugniß  ^)  »sich  unmittelbar  nach  seiner 
Rückkehr  im  Kitharoden^Costükn«  in  den  palatinischen  Apollo- 
tempel begeben  hat.  Darüber,  daß  hierin  kein  Grund  gefunden 
werden  kann,  aus  dem  man  auf  die  Gestalt  der  neronischen 
Statue  schliessen  kann,  braucht  wohl  kein  Wort  verloren  zu 
werden.  Aber  auch  die  Bemerkung  von  Urlichs  (Skopas  S.  69), 
daß  Nero ,  da  er  als  Kitharode  aufzutreten  sich  vornahm  nach 
Tacitus'  Zeugniß  (Ann.  XIV.  i  4)  sich  auf  das  Beispiel  des  weis- 
sagenden Tempelgottes  (Apollo  Palatinus)  berufen  habe,  ge- 
stattet offenbar  keinen  bündigen  Schluß  auf  die  Gestalt,  in 
welcher  sidi  Nero  statuarisch  nach  Vollendung  seiner  Fahrt  hat 
darstellen  lassen. 

Verbürgt  oder  bezeugt  ist  also  die  Ableitung  der  neto* 
oischen  Statue  und  der  dieselbe  wiedergebenden  MUnzfigur  aus 
der  palatinischen  Statue  nicht.  Allein  als  möglich  muß  man 
sie  dennoch  bezeichnen.  Für  diese  M^iglichkeit  läßt  sich  zu- 
nächst in  die  Wagschäle  werfen,  daß  die  vaticanische  Statue 
ganz  gewiß  nicht  Nero  darstellt,  also  mit  der  von  Sueton  be- 
zeugten und  in  den  Münzstempeln  wiedergegebenen  neronischen 
Statue  nichts  zu  thun  hat,  während  das  bis  in  das  4.  Jahrhun- 
dert hinaufreichende  Alter  des  in  ihr  vertretenen  Typus  durch 
das  früher  Hamilton'sche,  jetzt  Hope^sche  Vasengemälde ^)  (Ta(.  II. 
Nr.  41)  verbürgt  ist^).  Noch  einigermaßen  verstärken  kann 
man  dies  Zeugniß  durch  eine  unter  Augustus  geprägte  Münze 
von  Metropolis  ThessaUae  (Taf.  IL  Nr.  7}^)  und  durch  eine 
unter Gallienus  geprägte  Münze  von  Thessalonike  (Taf.  II.  Nr.  8)*) , 
deren  schreitend  singender  und  spielender Kitharode  demjenigen 
der  neronischen  Münzen  durchaus  entspricht,  während  die 
Wiederkehr  dieser  Figur  an  verschiedenen  Orten  und  zu  ver- 


i)  Suet.  Nero  a.a.O.  dehinc,  diruto  Cjrci maximi  arcu,  per  Velabrum 
forumqae  Palatium  et  Apollinem  petit. 

3)  Tischbein,  .V^ses  d'Haroiiton  lU,  5  (Ausgabe  Neapel  4701  ff.),  Elite 
c^ramographique  II.  65,  Oenkm.  d.  a.  Kunst  II.  Nr.  U9. 

8)  Das  Vasengemäide  b.  Millingen,  V.  de.div.coll.  29,  Elite  cöraro. 
II.  97  bleibt  besser  aus  dem  Spiele. 

4)  Aus  Imhoofs  Sammlung,  vgl.  Catal.  Brit.Mus.  fbessaly  pl.  VII.  8. 

5)  Aua  dem  wiener  Cabinet  a  Catal.  Brit.  Mus.  Macedony  p.  428. 

444. 


10     

schiedenen  Zeiten  die  Wahrscheinlichkeit  größer  macht,  daß  es 
sieh  in  ihr  um  einen  berühmten  statuarischen  Typus  handelt  ^) . 

Und  dennoch  bleibt  die  Frage  berechtigt:  muß  derselbe 
von  Skopas  und  dessen  palatinische  Statue  sein?  ja  steht  dem 
nicht  wenigstens  eine  Erwägung  entgegen?. 

Ich  habe  in  meiner  Gesch.  d.  griech.  Plastik 2)  darauf  auf- 
merksam gemacht,  wie  wenig  die  vaticanische  Apollonstatue 
ihrer  Com  Position  und  Bewegung  nach  geeignet  erscheint,  um 
mit  zwei  anderen  Statuen  gruppirt  oder  zwischen  ihnen,  als 
mit  ihnen  zusammengehörig  aufgestellt  zu  werden,  während 
wir  doch  aus  Properz  wissen,  daß  der  palatinische  ApoUon 
zwischen  den  Statuen  seiner  Mutter  und  seiner  Schwester  auf- 
gestellt war,  welche ,  wie  Urlichs  (Skopas  S.  6^)  ohne  Zweifel 
mit  Recht  gesagt  hat ,  in  Ausdruck  und  Maßen  zu  ihm  gepasst 
haben  müssen,  wie  umgekehrt,  habe  ich  hinzugefügt,  er  zu 
ihnen.  Nun  will  ich  gern  zugestehn,  daß  dieser  Einwand,  so 
schwerwiegend  er  mir  auch  heute  noch,  wie  seit  vielen  Jahren, 
erscheint ,  keine  durchschlagende  und  entscheidende  Kraft  be- 
sitzen würde,  wenn  wir  für  den  singenden  KitharcNlen 
Apollon,  den  die  Worte  des  Properz  üb^  den  Palatinus  des 
Skopas  ein  Mal  für  alle  unausweichlich  bedingen,  auf  den  einen, 
in  der  vaticanischen  Statue,  den  neronischen  Münzen  und  den 
eben  genannten  Denkmälern  gegebenen  Typus  besdiränkt  wä- 
ren. Das  aber  ist  nicht  der  Fall. 

Zunächst  besitzen  wir  auf  delphischen  Münzen,  und  zwar 
autonomen  3)  wie  unter  Hadrian  geprägten  (Taf.  IL  Nr.  10)^} 
eine  sehr  schöne  Figur  eines  in  völliger  Ruhe  dastehenden, 


4)  Die  bekannten,  archaistischen,  sog.  kilharodischen  Anatheme 
(Jahn,  Bilderchroniken  S.  45 ff.)  sind  allerdings  anzweifelhaft  aus  diesem 
Typus  abgeleitet  und  zeigen  dessen  Rahm ,  bleiben  aber  hier  deswegen 
besser  bei  Seite,  weil  sie  den  Gott  nicht  spielend  und  singend,  sondern  mit 
einer  zum  Emj  fange  der  Spende  vorgestreckten  Schale  darstellen.  Ähn- 
liches gilt  von  anderen  Reliefen.  Ganz  in  der  in  der  Statue  und  in  den  Mün- 
zen dargestellten  Handlung  zeigt  den  von  Artemis  und  Leto  begleiteten  Gott 
das  ehemals  albanische  Relief  im  Louvre  b.  Jabn  a.  a.  O«  S.  48,  Fröhner, 
Notice  I.  p.  47. 4«. 

8)  IiaS.  20,  118  S.  47  f. 

8)  Millingen,  Mäd.  gr.  in^d.  pl.  II.  No.  40,  wiederholt  in  den  Denkm. 
d.  a.  Kunst  II«  Nr.  184»  S.  48«. 

4)  Exemplar  in  Gopenhagen,  vgl.  Sestini,  Mus.  Fontana  II.  tav.  IV,  42, 
Mus.  Hedervar.  t.  X.  3.,  Brit.  Mu?.,  Central  Greece  pl.  IV.  4  6. 


—    u    

spielenden  Kitharoden  Apollon,  welche  als  Nachbildung  einer 
Statue  schon  an  sich,  durch  ihre  Composition  und  die  so  gut 
wie  unveränderte  Wiederholung^]  zu  verschiedenen  Zeiten 
wahrscheinlich  wird  und  auch  von  verschiedenen  Seiten  als 
solche  angesprochen  worden  ist.  Ob  man  dabei,  wie  Millingen  ^) 
an  die  Hauptstätue  im  Tempel  au  Delphi ,  oder  wie  Welcker  ^) 
an  eine  »Statue  des  Apollon  Pythios  im  delphischen  Tempel« 
oder  endlich,  wie  Wieseler  (a.  a.  0.] ,  wahrscheinlich  richtiger, 
als  Beide,  an  eine  im  delphischen  Theater,  wo  die  musischen 
Agonen  der  Pythien  abgehalten  wurden,  aufgestellte  Statue 
denkt,  ist  an  sich  von  untergeordneter  Bedeutung. 

Vermehrt  wird  die  Wahrscheinlichkeit,  dafi  es  sich  in  der 
delphischen  Mttnze  um  einen  statuarischen  Typus  handelt ,  da- 
durch ,  daB  dieselbe  Figur  mit  ganz  geringen  Verschiedenheiten 
auf  einer  unter  Augustus  geprägten  thessalischen  Mttnze  (Taf.  II. 
Nr.  9]^)  und  in  dem  schönen,  von  Benndorf^)  herausgegebenen 
Vasenbilde  aus  Lentini  (Taf.  II.  Nr.  \2]  wiederholt  ist,  welches 
Letztere  so  sehr  wie  irgend  eines  statuarischer  Composition 
entspricht.  Auch  den  Apollon  der  Petersburger  Marsyasvase 
Nr.  1795*]  kann  man  füglich  in  diese  Reihe  einbeziehn,  ob* 
gleich  er  ein  wenig  bewegter  ist,  als  der  in  den  obigen  Denk- 
mälern vertretene  Typus.  Aber  auch  unmittelbar  statuarisch  ist 
uns  dieser  Typus  erhalten,  wenigstens  gehört  nach  der  cinKigen 
bekannten  Zeichnung  7]  der  auf  Santorin  gefundene  Torso  mit 
dem  vaticanischen  Apollon  nicht  in  eine  Reihe  ^),  weil  er  den 
Gott  ruhig  stehend,  jener  aber  ihn  lebhaft  bewegt  darstellt. 


4}  Wenn  man  der  Abbildung  trauen  kann  ist  die  Figur  auf  der  von 
Millingen  pubücirten  Münze  um  ein  Geringes  bewegter,  als  diejenige  der 
hier  abgebildeten. 

i)  A.  a.  0.  p.  44  sq  u.  Peint.  de  vases  gr.  p.  49. 

8)  Alte  Denkm.  IL  S.  90. 

4)  Im  Brit.  Mus.  9.  Catal.  Thessaly  p.  6.  72.  pl.  1. 40  u.  4 1. 

5)  Griech.  u.  Sicil.  Vasengemälde  Taf.  40. 

6)  Abgefo.  AnL  du  Bosphore  Cimm^rien  pl.37  und  b.  Michaelis,  Die 
Verurtheilung  des  Marsyas  Taf.  1.  Nr.  4.  Vgl.  auch  Stephani  CR  pour  4  862, 
S.  4  09. 

7)  Clarac.  pi.  498  E.  968  A. 

8)  Wie  es  nach  der  Liste  beijStepfaani  CR.  pour  4872.  S.448  scheinen 
könnte  i  in  der  aber  alle  Typen  wie  Kraut  und  Rüben  durcheinander  ge- 
worfen sind  und  nicht  nur  die  Statue  in  München  (s.  g.  barbenn.  Muse), 
sondern  auch  die  sitzende  Porphyrstatue  in  Neapel  (Bl.  494.  A.  926  C)  mit 
dem  vaticanischen  Apollon  in  eine  Kategorie  gefasst  ist,  was  sich  nur  dann 


12     

Wie  viel  besser  nun  dieser  ruhig  stehende,  spielende 
Ritbarode ,  dessen  Typus  auf  der  delphischen  Mflnse  Wieseler 
(a.  a.  0.)  als  »sicherlich  eine  Nachbildung  einer  berühmten,  dem 
Ideal  des  Skopas  entsprechenden  Statue«  bezeichnet,  sich  zu 
einer  Aufstellung  zwischen  Leto  und  Artemis  eignet,  als  der  in 
heftiger  Bewegung  vorschreitende  vaticanische  Apollon  braucht 
wohl  kaum  genauer  nachgewiesen  zu  werden^).  Und  daß  auf 
ihn  gerade  so  gut  wie  auf  die  vaticanische  Statue  die  Worte  des 
Properz :  »Py thius  in  longa  carmina  veste  sonat«  passen,  wird 
Niemand  in  Abrede  stellen  wollen. 

Nichtsdestoweniger  will  ich  nicht  behaupten,  wir  besässen 
in  diesem  Typus  des  in  ruhigem  Stande  spielenden  Kitharoden 
Apollon  denjenigen  des  Skopas,  denn  ich  weiB  sehr  wohl,  daß, 
so  würdig  diese  schöne  Composition  des  großen  Meisters  ist 
und  so  verwandt  sie  dessen,  wie  unten  gezeigt  werden  soll, 
nachweisbarem  Apollon  Smintheus  sein  mag,  sich  ihr  skopa* 
sischer  Ursprung  nicht  erweisen  laßt.  Was  ich  aber  mit  dieser 
Auseinandersetzung  bezwecke  ist  dieses.  Wenn  erstens  die 
ApoUonfigur  auf  den  Münzen  des  Augustus,Antoninus  Pins  u.  s.  w. 
Taf.  1.  Nr.  4 — 8  u.  4i.  42,  obgleich  eine  Anzahl  derselben  (die- 
jenigen des  Augustus)  die  als  Beweismittel  geltende  Beischrift: 
Actius  (denn  die  Beischrift  Augustus  sagt  nichts  über  das  Ver- 
hältniss  zu  Skopas),  den  Apollon  des  Skopas  nicht  darstellen 
kann,  weil  dem  das  bestimmte  Zeugniss  des  Properz  entgegen- 
steht ,  daB  der  Apollon  des  Skopas  singend  (carmina  sonans) 
dargestellt  war ;  wenn  zweitens  keinerlei  Zeugoiß  dafür  vor- 
liegt ,  daß  der  von  dem  eben  bezeichneten  ganz  bestimmt  zu 
trennende  Typus ^)  des  in  der  That  singenden  Apollon,  wie  er 


würde  rechtfertigen  lassen,  wenn  es  sich  lediglich  um  das  Costüm  han- 
delte, aber  unerträglich  ist,  wo  zugleich  die  Frage  nach  der  Gestaltung  des 
skopasischen  Apollon  erörtert  wird. 

4 )  Nur  beiläufig  möchte  ich  auf  die  Münie  von  Megara  in  Imhoofs 
und  Gardners  Ntimism.  commentary  to  Pausantas  Taf.  A.  No.  40  (Journal 
of  hell,  studies  4  885}  aufmerksam- machen,  -welche  Apollon  Kitharodos 
zwischen  Mutter  und  Schwester  stehend  darstellt,  eine  Gruppirung,  welche 
von  den  genannten  Gelehrten  a.a.O.  p.  7)  auf  die  von  Pausaniasl.  42.5  er- 
wähnten Gruppe  des  Praxiteles  in  Megara  bezogen  worden  ist. 

2)  Es  ist  in  keiner  Weise  zulässig ,  diese  Typen  so  mit  einander  zu 
verquicken  wie  diesFurtwängler  in  Roscber's  Mythol.  Lex.  I.  S.  464  Z.  40  f. 
thut,  indem  er  schreibt:  »Münzen,  besonders  römischer  Zeit,  zeigen  häufig 
denselben  Typus  (des  Apollon  der  Hope'schen  Marsyasvase) ;  doch  varüreo 


13     

in  der  vaticanisdieD  Statue  und  auf  den  neroniachen  Münzen 
Taf.  11.  Nr.  \ — 6  gegeben  ist,  mit  dem  Äpollon  des  Skopas  im 
Zusammenhange  stehen  und  wenn  der  Zurttckftthrung  auf  den- 
selben die  Angabe  des  Properz  entgegensteht,  daß  er  mit  Mut* 
ter  und  Schwester  zusammen  aufgestellt  war;  wenn  sieh  drittens 
neben  dem  Typus  des  in  bewegten  Schritten  singenden  Kitba- 
roden Apollon  ein  anderer  des  in  ruhigem  Stande  musicirenden 
findet,  welcher  in  jeglichem  Betracht  den  Worten  des  Properz 
über  den  Apollon  des  Skopas  eben  so  gut  entspricht  wie  der 
schreitend  musicirende:  so  wird  man  nicht  mehr  mit  derjenigen 
Zuversicht  mit  der  man  es  bisher  gethan  hat,  die  vaticanische 
ApoUonstatue  und  die  ihr  im  Typus  verwandten  Monumente  auf 
den  durch  Augustus  von  Rhamnus  aus  dem  Nemeseion  nach 
Rom  in  den  Tempel  des  Apollo  Palatinus  versetzten  Apollon 
des  Skopas  zurückführen  dürfen.  Mag  dies  ErgebniB  erwünscht, 
oder  mag  es  unerwünscht  sein. 

Für  die  auf  den  Münzen  des  Augustus  u.  s.  w.  dargestellte 
Figur  des  Apollon  aber  wird  sich  möglicherweise  ein  anderes, 
berühmtes  Vorbild  finden  lasisen,  auf  welches  unter  3.  zurück- 
gekommen werden  soll. 

2.  Der  Apollon  Smintheus. 

Auch  das,  was  wir  von  der  skopasischen  Statue  des  Apollon 
Smintheus  im  Smintheion  bei  Chrvse  in  Troas  aus  litterarischer 
Überlieferung  wissen ,  beschränkt  sich  auf  sehr  Weniges  ^]  ja 
eigentlich  auf  die  Angabe  Strabons^),  Skopas  habe  seinen 
Apollon  den  FuB  auf  die  ihm  attributive  Maus  setzen  lassen. 
Daß  dies  nicht  unmittelbar  geschehn  sein  könne ,  sondern  daß 
die  Maus  durch  irgend  einen  festen  Gegenstand  gedeckt  ge* 
wesen  sein  müsse,  in  dem  sich  ein  Loch  befand ,  aus  welchem 
die  Maus  hervorschaute  wird  man  mit  ürlichs ,  der  sich  noch 


sie  ihn  häufig  dahin ,  dass  die  Rechte  eine  Schale  ausgießt«.  Dies  hat  mir 
vor  Jahren  auch  Friedländer  brieflich  in  aller  Bestimmtheit  ausgesprochen, 
s.  m.  Gesch.  d.  gr.  Plast.  IR  S.  4  67  Anm.  28. 

4)  Vgl.  Urlichs,  Skopas  S.  H2  f. 

2y  Strabon  XIII.  p.  604,  m.  Sq.  No.  4  468.  iy  drj  tj  Xqvcji  javxfi  xal 
To  xov  SfAiyd^iiag  j4n6XXniiv6g  iauy  Uqoy  xal  to  cvfAßoXoy^  ro  tfjy  irvfjio- 
trjta  tov  oyofiaTog  aotCoy,  o  fJivs ,  vnoxeiiai  np  nodl  tov  ^oayov,  £x6nä 
(f  ictty  i(fya  tov  Unqiov,  Excerpiert  von  Eustalh.  ad  II.  p.  80.  46,  SQ. 
No.  4  469. 


14     

auf  eine  Glosse  des  Hesychius^)  bezieht,  als  selbstverstündlicfa 
anneboien  dürfen.  Nicht  weniger  wird  man  ihm  zustimmen, 
wenn  er  mit  Verweisung  auf  Strabon  IX.  p.  396 ,  wo  Agora* 
kritos*  marmorne  Numesis  §6avov  genannt  wird ,  ablehnt^  aus 
dem  gleichen ,  hier  gebraudiien  Ausdruck  einen  Schluß  auf 
das  Material  abzuleiten,  als  welches  er  das  dem  Skopas  gewöhn- 
liche, Marmor,  annimmt,  wahrend  man  aus  den  Phrasen  des 
Rbetors  Menandros^],  auf  welche  indessen  kein  entscheidendes 
Gewicht  zu  legen  ist,  auf  Goldelfenbein  schliessen  naüBte. 
Wenn  man  aber  diese  Phrasen  als  solche  betrachtet,  so  darf 
man  sie  auch  nicht  als  Zeugniß  fttr  die  Lorbeerbekränzung  des 
Bildes  benutzen,  so  möglich  an  sich  diese  sein  mag.  Und  somit 
sind  wir  auf  die  Frage  angewiesen ,  ob  sich  aus  den  Apolion 
Smintheus  darstellenden  Münzen  Etwas  für  die  Statue  des 
Skopas  wird  gewinnen  lassen. 

Von  diesen  Münzen  liegen  sowohl  silberne  autonome  (Tetra- 
drachmen) wie  bronzene  Kaisermünzen  von  Alexandria  Troas 
vor.  Die  Tetradrachmen,  von  denen  de  Witte  ^)  eine  kleine  Reihe 
veröffentlicht  hat  und  welche  mit  Jahreszahlzeichen  versehn 
sind,  die,  mit  de  Witte  auf  die  Seleukidenaera  bezogen,  die 
Prägeperiode  von  444  (Prusias  II)  bis  75  (Xikomedes  IV)  v.  u.  Z. 
ergeben  würden,  diese  Münzen  zeigen  ausser  einem  lorbeer- 
bekränzten  ApoUonkopfe  linkshin  (Taf.  III.  No.  4)  auf  dem 
Av.,  auf  dem  Rev.  mit  der  Beischrift  AHOLLONOZ  IMiecoX 
AAEHANAPEON  und  einem  Magistratsnamen  ständig  den  rechts* 
hin  in's  Profil  gewendeten  Gott  mit  dem  Bogen  und  dem 
auf  der  Sehne  liegenden  ffeil  in  der  erhobenen,  mehr  oder 
weniger  vorgestreckten  linken  Hand,  bekleidet  mit  dem  Hiroa* 
tion ,  welches  die  rechte  Schulter  und  den  rechten  Arm  frei  läßt, 
mit  einem  Zipfel  um  den  linken  Vorderarm  und  mit  dem  andern 
über  den  Rücken  herabhangt  und  stets  ausgerüstet  mit  dem 
geschlossenen  Köcher  auf  dem  Rücken.  Das  Haar  hangt  bei 
keinem  der  auf  de  Wittes  Tafel  abgebildeten  Exemplare  soweit 
den  Abbildungen  zu  trauen  ist  auf  die  Schultern  herab,  sondern 


i)  Hesych.  v.  üfiivd^og  Sia  ro  Inl  fAvp»niag  tpacl  [noalj  Jto&if)  ße- 
ßi^xivai. 

8)  Menand.  Rbet.  n.  Sfiiyd^taKov  in  Rbett.  Gr.  ed.  Speogel  III.  p.  445 
SQ.  No  M70. 

3)  Revue  numismatique  N.  S.  111.  (4858)  p.  4.  sqq.  mit  pl.  I,  wo  6 
dieser  Münzen  abgebildet  sind,  eine  siebente  im  Text  p.  27. 


15     

ist  am  Hinterhaupt  in  einen  runden  Wulst  aufgenommen,  ähn*< 
lieh  wie  bei  dem  ApoUon  der  westliehen  Giebelgruppe  von 
Olympia  und  einiger  andern  Monumente.  Hiervon  macht  nur 
das  mttnehner  Exemplar  (Taf.  HL  No.  2) ,  bei  de  Witte  p.  S7 
eine  Ausnahme  i),  denn  hier  hangt  eine  dicke  Locke  auf  die 
Schulter  des  Gottes  herab  und  das  Haar  ist  hinten  in  einen  kur^ 
zen  Zopf  zusammen  gebunden.  Bei  einigen  Exemplaren  (d.  W. 
No.  S  u.  3}  k(mnte  man  nach  den  Abbildungen  glauben,  der 
Gott  trage  eine  Stephane^  doch  wird  dem  in  der  That  nicht  so 
sein.  Beki*änzt  ist  er  sicher  in  keinem  Falle.  Die  rechte  Hand 
ist  in  allen  übrigen  Exemplaren,  der  Handteller  nach  oben,  leer 
abwärts  vorgestreckt,  nur  auf  demjenigen  des  Gabinet  des  m^- 
^ailles  in  Paris  (de  Witte  No.  4}^)  liegt  auf  derselben  eine  Maus, 
was  sich  mehr  oder  weniger  sicher  auf  zwei  Golonialbronzen  ^) 
zu  wiederholen  scheint.  Diese  beiden  Stücke  weichen  im  Übri- 
gen von  allen  anderen  Münzen  am  weitesten  ab ,  da  die  erstere 
den  Gott  nackt ,  und  mit  einer  lang  Über  den  Rtleken  herab* 
hangenden  Chlamys  ausgestattet,  ohne  Bogen  und  Pfeil  in  der 
Linken  und  ohne  Köcher  auf  dem  Rücken,  die  zweite  ihn  vol- 
lends ganz  nackt ,  mit  Bogen  und  Pfeil  in  der  herabhangenden 
Linken,  die  Maus  auf  der  erhobenen  Rechten  darstellt. 

Eine  andere  wichtige  Verschiedenheit  unter  den  Figuren 
der  Tetradrachmen  ist,  daß  während  in  allen  übrigen  Exem- 
plaren (s.  Taf.  111.  No.  4  u.  2)  der  Gott  im,  wenn  auch  versc&ie« 
den  weiten  Ausschritt  (linkes  Standbein)  dargestellt  ist,  er  in 
dem. frühesten  derselben  (s.  de  Witte  p.  50),  \\^lches  aus  der 
Leake'schen  Sammlung  in  diejenige  des  Pitzwilliam  Museum  in 
Cambridge  übergegangen  ist  (Taf.  IIL  No.  3)  ^)  so  gut  wie  voll- 
kommen ruhig,  das  (rechte)  Spielbein  nur  ganz  wenig  hinter 


4]  Anderer  Meinung  ist  Imhoof,  welcher  mir  bei  der  Übersendung 
eines  Exemplars  seiner  Sammlung  (Mon.  gr.  S61.  464)  und  des  mtinchener 
«chrieb :  »X,  mit  zwei  auf  die  Schultern  herabhängenden  Locken,  welche 
wohl  auf  allen  Exemplaren  mehr  oder  weniger  deutlich  zu  erkennen  sind«. 

2)  Mionnet,  Descript  9.  689.  «5. 

3)  4.  Millingen,  Receuil  de  quelques  m^d.  gr.  m6d.  Rome  4849pl.  S. 
No.  20,  darnach  Denkm.  d.  a.  Kunst  II.  No.  485«,  vergl.  Miomet ,  Suppl.  5. 
54  4.  87,  de  Witte  a.  a.  0.  p.  24.  —  2.  Sestini,  Numi  veteres  tab.  7.  No.  44 
«SS  ChoiseuUGeuffier,  Voy.  pitt.  11.  pl.  47.  No.  4  4,  darnach  Denkm.  d.  Kunst 
II.  No.  435i>,  vgl.  Mionnet,  Descript.  2.  644.  406  (unter  Hadrian  geprägt.) 

4)  Nach  einem  Abguss,  welchen  ich  der  Freundlichkeit  Charles  Wald« 
Steins  verdanke. 


16     

dem  Standbein  zurückstehend,  dasteht  und  eine  Schale  in  der 
rechten  Hand  halt.  Der  ruhige  Stand  ist  deswegen  bemerkens- 
werth,  weil  er  sich  zunächst  auf  einer  von  de 'Witte  unter  No.  7 
(p.  27}  mitgetheilten  autonomen  Bronze  des  Cabinet  de  m^dail- 
les  in  Paris  1)  wiederholt,  auf  welcher  dem  im  Übrigen  mit  der 
Figur  auf  den  Tetradrachmen  identisch  dargestellten  Gotte  vcht 
den  FtlBen  eine  Maus  beigegeben  ist. 

Diese  beiden  Mtinzen  aber  führen  weiter  zu  einer  Anzahl 
von  römischen  Colonialmünzen  von  Alexandria  Troas  mit  der 
Beischrift  COL.  AVO.TPOAD2)  hinüber  (Taf.  ill.  No.  5  u.  6)3), 
welche  wiederum  wesentlich  ganz  dieselbe  Figur,  und 
zwar  ebenfalls  im  Profil  nach  rechts  darstellen,  nur  mit  der  Ab- 
weichung, daß  dieselbe,  wie  schon  in  dem  cambridger  Exem- 
plare der  Tetradrachmenreihe,  in  der  rechten  Hand  eine  Schale 
hält  und  der  wichtigem,  daB  sie  mit  noch  etwas  weiter  als  auf 
der  eben  genannten  Tetradraohme  geschlossenen  Füßen,  und 
zwar  auf  einer  ziemlich  hohen  Basis  steht,  was  sie  doch 
wohl  ziemlich  sicher  als  Statue  bezeichnet. 

Auf  anderen  Exemplaren  derselben  Reihe  ^)  ist  diese  Basis 
weggelassen ,  dagegen  ein  vor  dem  Gotte  stehender  Dreifuß  hin- 
zugefügt ,  dem  sich  wiederum  in  anderen  ein  hinter  dem  Gotte 
stehender  Baum  (Cypresse?)  gesellt  (Taf.  III.  No.  7)^]. 

Während  nun  Percy  Gardner  a.  a.  0.  p.  476  sq. ,  wenn- 
gleich mit  einer  gewissen  Zurückhaltung  ^)  in  dem  Typus  der 
von  ihm  publicirten  Colonialmünze  die  Statue  des  Skopas  er- 
kennen machte  und  darlegt,  warum  uns  an  dieser  Annahme  die 
einigermaßen  archaische  Haltung  der  Figur  nicht  irre  zu  machen 
braucht,  hat  Wieseler  ^)  mit  aller  Bestimmtheit  die  Figur  auf  der 
autonomen  Bronzemünze ,  der  vor  den  Füßen  die  Maus  beige- 
geben ist,  als  »eine  Nachbildung  der  berühmten Statue 


4;  Mioonet,  Suppl.  5.  510. 84,  die  Abbildung  wiederholt  Denkm.  d.  a« 
Kunst  II.  No.  435^. 

2,  Mionnet,  Descripl.  2.  648  sq.  Suppl.  5.  512  sq. 

3;  Aus  Immhofs  Sammlung .  mit  dem  Brustbilde  des  Commodus  auf 
dem  Avers. 

4J  Mionnet,  Descr.  a.  a.  0.  No.  401,  ein  Exemplar  abgeb.  bei  Percy 
Garduer,  Types  of  greek  coins  pl.  XV.  No.  23. 

5)  In  Gotha,  der  Abdruck  durch  Imhoof. 

6)  Im  Yerzeichniss  zu  pI.XV.  23  steht  zu  den  Worten:  Apollon 
Smintheus;  statue  by  Scopas  ein  Fragezeichen. 

1]  Im  Text«  zu  den  Denkm.  d.  a.  Kunst  3  s.  189. 


—   It  -^ — 

des  Skopas«  bezeichnet.  Ich  glaube  aber,  das  bisher  Dargelegte 
zusammenfassend,  behaupten  zu  dürfen,  daß  alle  bisher  er- 
wähnten Münzen,  mit  Ausnahme  vielleicht  der  von  Millingen 
veröffentlichten  (S.  45  Note  3.  4]  und  sicher  mit  Ausnahme 
der  unter  Hadrian  geprägten  (S.  45  Note  3.  2),  trotzdem  sie  in 
allerlei  Einzelheiten  von  einander  abweichen,   auf  ein  und 
dasselbe  Vorbild  zurückgehn.    Denn  die  Abweichungen 
bestehn  entweder  in  Zusätzen,  welche  mit  der  Figur  selbst  nichts 
zu  thun  haben  (Dreifuß,  Cypresse,  Maus  vor  den  Fttßen)  bei 
diesen  und  Weglassungen  (Basis)  bei  jenen  Exemplaren  der- 
selben Reihe,  oder  sie  geben  Zusätze^    welche  von  der  einen 
Reihe  in  die  andere  ttbergehn  (Schale  bei  der  cambridger  Tetra- 
drachme und  bei  den  Colonialbronzen]  oder  sie  fallen ,  wie  die 
Bildung   des  Haares  (wenn  diese  Verschiedenheit  zeigt,  vgl. 
S.  45  Note  4)  in  das  Bereich  jener  Freiheit  in  der  Wiedergabe 
einer  Vorlage,  welche  bei  den  alten  Stempelschneidern  allge- 
mein bekannt  ist.     Die  größte  Verschiedenheit  aber,  nämlich 
daß  der  Gott,  und  zwar  grade  auf  den  Tetradrachmen,    den 
frühesten  Prägungen  der  ganzen  Folge,  am  wenigsten  als  Statue, 
vielmehr    als  der  lebendige  Gott  und  dennoch  in  dem  überall 
festgehaltenen  Schema,   der  statuarischen  Haltung  nur  ange-- 
nähert  in  dem  cambridger  Exemplar,  erscheint,  darf  uns  nicht 
Wunder  nehmen,  seitdem  wir  wissen ,  daß  in  athenischen  Re- 
liefen des  4.  Jahrhunderts  Athena  als  lebendige  Göttin,  nicht 
als  Statue   und  dennoch  im  Typus  der  Parthenos  des  Phidias 
dargestellt  ist^).    Man  dachte  sich  an  den  Orten,  wo  berühmte 
Bilder    der  Gottheiten  standen,   diese,    die   lebendigen  Gott-- 
beiten,  nicht  anders,  als  in  der  Gestalt  der  Statuen  und  stellte 
sie  dem  gemäß  dar,  wie  ja  auch  Dio^)  vom  Zeus  des  Phidias 
sagt,  Niemand  der  ihn  kenne,  werde  sich  den  Gott  leicht  anders 
vorstellen.    So  zeigen  auch  die  Tetradrachmen  von  Alexandria 
Troas  Apollon  Smintheus  als  den  lebendigen  Gott  und  dennoch 
in  dem  Typus,  den  Skopas  seiner  Statue  gegeben  hat  und  erst  die 
späte  Periode  gab  diese  Statuen  als  solche  w*ieder  und  das  ist 
denn    auch   auf   den   Colonialbronzen  von   Alexandria  Troas 
geschehn. 


4)  Vgl.  Schöne,  Griech.  Reliefs  aus  athen.  Sammlungen  Sp.  33. 
3)  Dio  Chrysost.  Orat.43.  53  p.  344  Emper,  SQ.  No.  708.  Auch  Schöne 
a.  a.  0.  weist  auf  diese  Stelle  hin. 

4886.  3 


18     

Aber  ich  kann  auch  hier  noch  nicht  Bali  machen,  denn  wir 
sind  mit  den  Mttnzen  dieser  Stadt  noch  nicht  zu  Ende  und  ich 
muß  behaupten,  daß  abermals  dieselbe  Gestalt  des 
Gottes,  welche  wir  in  den  bisher  besprochenen  Münzen  im 
Profil  nach  rechts  abgebildet  gefunden  haben,  auf  anderen  Co- 
lonialmUnzen  derselben  ^)  inderVorderansicht  dargestellt 
sei  (Taf.  HI.  No.  8  u.  9)^].  Zu  dieser  Vorderansichtsdarstellung 
fuhren  diejenigen  Profildarstellungen  (Taf.  111.  No.  5  u.  6)  hin- 
über, welche  dem  auf  einer  Basis  stehenden  Gotte  eine  Schale 
in  die  rechte  Hand  geben  (wie  schon  Taf.  III.  No.  3)  und 
einen  Dreifuß  vor  ihn  stellen  (No.  7).  Dieser  Dreifuß  erscheint 
hier  zur  Seile  des  als  Statue  auf  einer  Basis  stehenden  Gottes 
wieder,  welcher  seine  Schale  in  der  Bechten  über  denselben 
halt,  wahrend  er  seinen  Bogen,  in  No.  9  sogar  nebst  dem  deut- 
lich gebildeten  Pfeil ,  in  der  Linken  hat,  den  geschlossenen  Kö- 
cher (weggelassen  in  No.  8)  auf  dem  Rücken  trägt  und  mit 
demselben,  vom  linken  Vorderarm  herabhängenden,  die  rechte 
Schulter  und  den  Ai*m  frei  lassenden  Himation  bekleidet  ist, 
welches  uns  die  Profildarstellungen  zeigen.  Wenn  ihm  in  No.  8 
anstatt  der  Maus  neben  dem  Dreifuss  ein  Vogel ,  doch  wohl  ein 
Babe,  beigegeben  ist,  so  verschlägt  ein  solcher  Zusatz  nichts, 
hat  er  doch  auch  in  den  Profildarstellungen  nur  ein  Mal  die  Maus 
vor  den  Füßen.  Und  wenn  ihm  in  diesen  Darstellungen  in  der 
Vorderansicht  lange  Locken  auf  die  Schultern  herabhangen, 
welche  in  den  Profildarstellungen  derColonialmünzen  wenigstens 
nicht  sicher  festgestellt  werden  können ,  so  ist  schon  bemerkt, 
daß  diese  sich,  wenn  nicht  auf  allen  Tetradrachmen  (S.  15. 
Note  4),  so  doch  jedenfalls  auf  dem  Exemplar  in  München  wie- 
derfinden. 

Wenn  aber  die ,  soviel  mir  bekannt  bisher  nicht  gemachte 
Beobachtung,  daß  auf  den  Münzen  von  Alexandria  Troas  vom 
2.  Jahrhundert  v.  u.  Z.  bis  tief  hinein  in  die  römische  Kaiser- 
zeit der  Apollon  Smintheus  ausser  in  den  erwähnten  verein«- 
zelten  Ausnahmen  nur  in  einer  und  derselben  Gestalt  erscheint 
und  daß  diese  Gestalt  dadurch,  daß  sie  auf  den  späteren  Mün- 
zen wenigstens  zum  Theil  auf  einer  Basis  steht,  als  von  einer 


4)  Mionnet,  Descript  S.  «46.  416,  Suppl.  5.  648.  436. 

5)  Aus  der  Imhoof scheo  Sammlung ,  beide  mit  dem  Brustbilde  des 
Commodus  auf  dem  Avers. 


19     

Statue  copirt  sich  zu  erkennen  giebt^  so  wird  es  schwerlich  zu 
kühn  sein  ,  dieselbe  mit  größerer  Zuversicht  und  mit  besserer 
Begründung,  als  dies  bisher  geschehn  ist,  indem  man  an  ein- 
zelne Münzen  anknüpfte,  auf  die  Statue  des  Skopas  zurückzu- 
führen, von  der  wir  somit  wenigstens  eine  sichere  Gesammtan- 
schauung  gewinnen,  ohne  diese  freilich  bis  in  alle  Einzelnheiten 
hinein  verfolgen  zu  können. 

Sollte  diese  Gestalt  aber  für  einen  Künstler  wie  Skopas  zu 
gebunden  in  ihrer  Composition  und  Bewegung  erscheinen ,  so 
hat  Percy  Gardner  a.  a.  0.  bereits  in  verständiger  Weise  be- 
merkt ,  daB  dieser  anscheinend  archaische  Zug  bei  einem  streng 
gefassten  Cultusbilde  keinen  ernstlichen  Anstoss  bieten  könne. 
Es  dürfte  hinzuzufügen  sein ,  daß  was  wir  von  der  Anordnung 
der  Gewandung  besonders  in  den  Münzbildern  zu  erkennen  ver- 
niögen ,  welche  den  Gott  in  der  Vorderansicht  geben  (s.  beson- 
ders Taf.  III.  No.  9}  und  welche  eben  hierdurch  einen  sehr 
hohen  Werth  gewinnen,  so  schön,  so  iliessend  und  frei  und  so 
ganz  und  gar  nicht  archaisch  ist,  daß  hierdurch  allein  der  Ge- 
danke an  ein  alterthümliches  Bild  ausgeschlossen  und  der  Hin- 
weis auf  die  Blüthezeit  der  Kunst  gegeben  wird. 

Ob  wir  in  dem  lorbeerbekränzten  Apollonkopfe  auf  dem 
Avers  der  Tetradrachmen  denjenigen  der  skopasischen  Statue  er- 
kennen dürfen  muss  wohl  dahingestellt  bleiben.  Der  Grund, 
welchen  Urlichs  (Skopas  S.  113)  gegen  die  Zurückftthrung  auf 
Skopas  geltend  macht,  dieser  Kopf  entspreche  «genau«  dem- 
jenigen auf  den  chalkidischen  Münzen,  Denkm.  d.  a.  Kunst  I. 
183  u.  184,  auf  deren  Rückseite,  wie  auf  einer  Münze  von  Ha- 
maxitus  (bei  de  Witte  a.  a.  0.  No.  8)  eine  Kithara,  nur  ohne 
die  hier  ersichtlichen  Mäuse  dargestellt  sei,  wiegt  nicht  eben 
schwer;  denn  mit  der  Genauigkeit  dieser  Entsprechung  ist  es 
nicht  weit  her  und  man  kann  verschiedene  andere  Apollonkopfe 
auf  Münzen  nennen ,  welche  im  Typus  ungefähr  eben  so  genau 
übereinstimmen.  Bedeutender  erscheint  schon  der  Umstand, 
dass  der  Avers  der  autonomen  Erzmünze  (de  Witte  No.  7)  einen 
recht  verschiedenen  Apollonkopf  zeigt;  am  meisten  gegen  die 
Zurückführung  auf  Skopas^  Statue  wird  aber  wohl  der  Zweifel 
sprechen,  ob  auf  autonomen  Münzen  aus  immerhin  noch  guter 
KuDstzeit  tlbei*haupt  Götterköpfe  von  StQtu^n  copirt  worden 
sind.  Auf  die  Aussage  des  Rhetors  Menandros  aber,  der  Apollon 

2* 


20     

Sminiheus  sei  mit  Lorbeer  bekränzt  gewesen ,   ist ,  wie  schon 
bemerkt,  schwerlich  etwas  zu  geben. 

n.  Bryaxis. 

3.  Der  daphneYsche  Apollon. 

Bryaxis  hat  unseres  Wissens  ApoIIon  zwei  Mal  dargestellt. 
Von  dem  einen  Werke  des  Meisters,  wegen  dessen  Urheber- 
schaft Clemens  Alexandrinus^)  zwischen  Phidias  und  Skopas 
schwankt,  während  wir  es  wohl  ohne  Bedenken  dem  Letztern 
zuschreiben  dürfen  ^,  einer  Gruppe ,  wie  es  scheint ,  des  Zeus 
und  Apollon  nebst  LOwen  in  Patara  in  Lykien ,  werden  wir  uns 
schwer  eine  bestimmte  Vorstellung  machen  können,  weil  alle 
näheren  Angaben  fehlen ,  es  mtißle  denn  sein ,  daß  wir  uns  fttr 
berechtigt  hielten ,  die  Apollonfigur  auf  einer  unter  Gordianus 
in  Patara  geprägten  Bronzemünze  ']  auf  Bryaxis  zurückzuführen, 
was  wir  schwerlich  sind.  Denn  dieser  Apollon ,  welcher  mit 
vom  Himation  halb  entblößtem  Oberkörper;  den  Bogen  in  der 
gesenkten  Linken  (?)  einen  Lorbeerzweig  in  der  erhobenen 
Rechten  zwischen  dem  von  einer  Schlange  umwundenen  Drei- 
fuß und  dem  Omphalos  dasteht,  auf  dem  ein  Rabe  sitzt,  zeigt 
nicht  allein  keine  Verbindung  mit  Zeus  und  mit  Löwen,  son- 
dem  läßt  sich  in  dieser  Verbindung  und  Umgebung  auch  nicht 
wohl  denken. 

Anders  steht  es  mit  dem  zweiten  Werke,  der  Tempelstatue 
des  Apollon  in  Daphne  bei  Antiochia  ^) ,  einem  kolossalen  Akro- 
lith  ^) ,  wenigstens  wenn  wir  der  Beschreibung  der  Statue  durch 
Libanius^)  Glauben  schenken,  was  nicht  zu  thun  kein  Grund 


A)  dem.  Alex.  Protrept.  IV.  47.  p.  44.  Pott. 

2)  Vgl.  Brunn,  Künstlergescb.  I.  S.  384. 

3)  Abgeb.  b.  Lenormant,  Nouv.  gal.  myth.  p1.  45.  No.  42,  danach 
Denktn.  d.  a.  Kunst  II.  186.  Mir  liegt  durch  Imhoofs  Freundlichkeit  der 
Abguss  eines  im  Handel  befindlichen  Exemplars  vor.  In  einer  Variante 
(in  der  Bibl.  nat.  in  Paris)  fehlt  der  Dreifuß  zur  Linken  des  Gottes. 

4)  Vgl.  O.  Müller»  AntiquiUtes  Antiochenae,  Götting.  4839  p.  47  sqq. 
Stephan!  im  CR.  pour  4  875.  S.  4  46  f. 

5)  S.  Theodoret.  Hist.  eccles.  III.  4  0.  ed.  Vales.,  SQ.  No.  4824. 

6)  Liban.  Orat.  64.  Movi^dia  inl  t^  ir  ^aippff  ra^tov  jinoXXioro^ 
ttX.  Vol.  ill.  p.  834.  Reiske,  SQ.  No.  4322. 


21     

vorliegt.  In  dieser  Beschreibung  wird  hervorgehoben  die  Sanftr^ 
heit  der  Gestalte  die  Phiale  (in  der  einen  Hand),  die  Kithara, 
der  Chiton  poderes  von  Gold ,  den  ein  Gürtel  um  die  Brust  zu* 
sammenschiiesst,  so  daß  die  Falten  zum  Theil  dem  KOrper  nahe 
anliegen,  zum  Theile  freier  hemiederwallen ;  der  Gott,  sagt  der 
Rhetor ,  sei  singend  erschienen  und  aus  der  goldenen  Kyathos 
spendend ,  wofür  er  ein  unsinniges,  aber  längst  berichtigtes  ^) 
Motiv  angiebt.  Nun  zeigen  uns  antiochenische  Münzen ,  welche 
unter  den  beiden  Philippus,  Trebonianus  Gallus  und  Julianus  IL 
geprägt  sind  2)  (s.  Taf.  I.  No.  44  u.  45)  einen  ApoUon,  welcher, 
im  lang  herabfallenden,  gegürteten  Chiton  poderes,  aber  nicht, 
wie  Stephani,  durch  die  mangelhafte  Abbildung  bei  Yaillant- 
Müller  getäuscht,  behauptete,  nur  in  diesem,  sondern  auch  in 
der  lang  hinter  dem  Rücken  herabhangenden  Chlamys  dastehend, 
die  Kithara  im  linken  Arm  hält  und  mit  der  Rechten  aus  einer 
Schale  spendet ,  der  also  ganz  mit  den  Angaben  des  Libanius 
übereinstimmt ,  nur  daß  dieser,  obgleich  er  in  dem  Gürtel  eine 
Einzelnheit  der  Tracht  nennt,  welche  sich  eigentlich  von  selbst 
versteht  und  nur  erwähnt  wird,  um  über  die  Faltenanordnung 
des  Chiton  reden  zu  können,  der  Chlamys  keine  Erwähnung 
thut.  In  dieser  Münzfigur  die  Apollostatue  des  Bryaxis  zu 
erkennen  hat  man  demgemäss  schon  lange  kein  Bedenken 
getragen.  Wir  haben  jedoch  ein  besseres  Mittel  uns  diese 
Statue  und  ihre  Schönheit  wenigstens  einigermassen  zu  ver- 
gegenwärtigen ,  und  zwar  in  der  im  Profil  nach  rechts  dar- 
gestellten Figur  auf  einem  sehr  schönen  Tetradrachmon  Antio- 
cbos'  V.  Epipbanes  (Taf.  I.  No.  43)^).  Dies  Tetradrachmon  aber 
muß  hier  erst  gegen  Stephani  vertheidigt  werden.  Denn  dieser 
bat,  indem  er  aus  dem  Schweigen  des  Libanius  über  die  Chla- 
mys und  der  scheinbaren  Übereinstimmung  der  schlecht  abge- 
bildeten antiochenischen  Kaisermünzen  den  Schluss  zog,   die 


i)  S.  stephani  im  CR.  pour  <873  S.  207  ff.,  4874  S.  457,  465  u.  468. 

2)  Mionnet,  Descr.  5.  209.  494,  p.  240.  497,  p.  248.  540,  p.  244.  54  5, 
Suppl.  8.  4  48. 429.  Eine  derselben  abgeb.  nach  Vaillant,  Num.  aer.  Imp. 
in  Colon,  percussa  T.  11.  p.  226  bei  0.  Müller  a.  a.  0.  tab.  1.  k ,  auch  in 
den  Denkm.  d.  a.  Kunst  I.  220.  h.  Die  auf  Taf.  III.  No.  44  u.  45  abgebilde- 
ten Exemplare  aus  Imhoofs  Sammlung  sind  unter  dem  altern  Philippus 
geprägt,  No.  44  =  Mionn.  Descr.  5.  209.  494,  No.  45  =  5.  244.  515. 

3)  Mionnet,  Descr.  5.  34.  272,  abgeb.  Suppl.  8.  pl.  42.  3.  Meine  Ab- 
bildung nach  einem  vorzüglichen  Exemplar  der  Imboof  sehen  Sammlung. 


22     

Statue  in  Daphne  sei  in  der  Tbat  ohne  Ghlamys,  im  bloBen 
Chiton  dargestellt  gewesen,  das  in  dem  Tetradrachmon  vor- 
liegende mit  den  antiochenischen  Bronzemttnzen  in  der  Thal 
ttbereinstimmende  Zeugniß  für  das  Werk  des  Bryaxis  ablehnen 
zu  sollen  gemeint.  Und  zwar  deswegen,  weil  der  von  den 
Schultern  des  Gottes  herabhangende  lange  Mantel  in  ihr  mit 
unverkennbarer  Deutlichkeit  ausgeprägt  ist.  Dies  ZeugniB, 
welches  ihm  in  seine  Vorstellung  nicht  passte,  suchte  Stephan! 
aber  mit  der  Bemerkung  zu  beseitigen ,  es  sei  deswegen  nicht 
erweislich ,  daB  es  sich  hier  um  eine  Nachbildung  der  Statue 
des  Bryaxis  handele,  weil  die  Münze  sich  nicht  als  in  Antiochia 
geprägt  oder  als  zum  Gebrauche  daselbst  bestimmt  zu  erkennen 
gebe.  Das  Letztere  kann  man  als  vollkommen  gleichgültig  bei 
Seite  lassen;  wo  sonst  aber,  als  in  Antiochia,  der  Hauptstadt 
des  syrischen  Reiches,  die  Münze  geprägt  sein  sollte  möchte 
schwer  zu  sagen  sein.  Für  jeden  Unbefangenen  wird  sie  viel- 
mehr in  ihrer  Obereinstimmung  mit  den  Bronzemünzen  in  allen 
Dingen,  auf  welche  es  ankommt,  als  ein  neues,  werthvolles 
Zeugniss  für  die  Gestalt  des  daphneYschen  Apollon  des  Bryaxis 
gelten  dürfen,  als  ein  um  so  werthvoUeres,  als  ihr  schönes  und 
wohl  erhaltenes  Gepräge  uns  viel  mehr,  als  dies  die  kleinen, 
späten  und  weniger  gut  erhaltenen  Bronzemünzen  vermögen, 
von  der  würdevollen  Schönheit  der  Statue  des  Bryaxis  eine  Vor- 
Stellung  zu  geben  im  Stande  ist. 

Das  ist  aber  nicht  das  einzige  Interesse,  welches  diese 
Münze  bietet.  Ein  vergleichender  Blick  auf  die  Tafel  1.  muB 
Jeden  überzeugen ,  dass  die  Figur  des  Apollon  Kitharodos  auf 
dem  Denar  des  Auguslus  No.  3  mit  derjenigen  auf  der  Münze 
des  Antiochos  Epiphanes  fast  bis  in  alle  Einzelheiten  überein- 
stimmt. Wenn  dem  aber  so  ist  und  wenn  die  Münze  des  An- 
tiochos die  daphneYsche  Statue  des  Bryaxis  wiedergiebt,  so  ent- 
steht die  Frage,  ob  nicht  anstatt  der  skopaischen  Statue,  welche 
man  bisher  verkehrter  Weise  als  das  Vorbild  der  auf  den  Mün- 
zen des  Augustus  und  der  späteren  Kaiser  erscheinenden  Figur 
betrachtet  hat ,  vielmehr  diejenige  des  Bryaxis  dies  Vorbild  ge- 
wesen sei? 

Unmittelbar  schwerlich.  Imhoof  hat  in  einem  Aufsatz  über 
die  Münzen  Akarnaniens  ^)   auf  Münzen  hingewiesen,    welche 


4)  In  der  (wiener)  Numismat.  Zeitscbr.  X  (4878)  S.  36  ff. 


23     

(s.  Taf.  I.  No.  46  u.  47]  einen  rechtshin  ruhig  stehenden  lang- 
gewandeten  Apollon  Kiibarodos  mit  dem  Instrument  im  linken 
Arm  und  einer  in  der  rechten  Hand  vorgestreckten  Schale^) 
darstellen,  neben  welcher,  wie  Imhoof  S.  \  79  bemerkt  hat,  »als 
eine  beinahe  völlig  gleichartige  Darstellung  dasjenige  (Bild) 
des  Apollo-Actius  zu  stellen  ist,  welches  wir  aus  römischen 
Gold-  und  SilbermUnzen  des  Augustus  kennen«.  »Es  ist  möglich 
und  sogar  wahrscheinlich«  setzt  er  hinzu,  odaB  bei  der  Ver- 
fertigung dieser  Statue  der  Künstler  mehr  oder  weniger  an  einen 
bestimmten,  schon  bestehenden  und  als  Apollon  Aktios  allge- 
mein bekannten  Typus,  dessen  Original  sich  im  aktischen  Hei- 
ligthum  befand,  gebunden  war.  Diese  Vermuthung  würde  sich 
zur  Gewißheit  steigern  •  wenn  nachgewiesen  werden  könnte, 
daß  das  akarnanische  Münzbild  als  Copie  des  Cultusbildes  in 
Aktion  aufzufassen  sei.  Da  wir  aber  einstweilen  nicht  wissen, 
welchem  der  vier  Apoliontypen,  die  uns  die  akarnanischen 
Münzen  vorführen,  der  Beiname  der  »Aktischen«  zukommt,  .... 
so  ist  es  besser,  sich  auf  die  obige  Andeutung  zu  beschränken«. 
Ich  bemerke  hierzu  zunächst ,  dass  wenn  Imhoof  bei  der  nach 
dem  Muster  des  »schon  bestehenden  und  als  Apollon  Aktios  be- 
kannten Typus«  verfertigten  Statue  an  diejenige  des  Skopas  ge- 
dacht hat,  dies  nur  auf  Grund  der  bisher  herrschenden  und 
durch  Stephani ,  auf  welchen  Imhoof  sich  beruft,  vergrößerten 
Verwirrung  geschehn  ist«  In  seiner  im  Nemeseion  in  Rhamnus 
aufgestellten  Statue  den  Typus  eines  Apollon  Aktios  im  aktischen 
Heiligthume  zu  wiederholen  konnte  Skopas  nicht  die  aller- 
geringste Veranlassung  haben  und  eine  solche  Anlehnung  ist 
um  so  unwahrscheinlicher,  als  der  in  Frage  stehende  Apollon- 
typus  (wie  die  anderen  drei)  sich  auf  akarnanischen  Münzen  fin- 
det, welche  der  Periode  der  völlig  umgestalteten  Frftgung  etwa 
um  die  Mitte  des  3.  Jahrhunderts  angehören,  »als  nach  dem 
Verluste  der  beiden  wichtigsten  Städte  am  Acheloos  und  dem 
Eintritt  der  Colonialstädte  das  Heiligthum  des  aktischen  Apollon, 
das  im  Gebiete  von  Anaktorion  lag ,  zum  Bundesheiligthum  der 


i)  Wenn  Imhoof  (a.  a.  0.  S.  30  zu  No.  33)  in  der  Beschreibung  dieser 
Figur  zu  der  Schale  in  d^r  R.  ein  Fragezeichen  setzt,  so  wird  w.ohl  die  Yer- 
gleicbung  der  hier  (Taf.  I.  46  u.  4  7}  abgebildeten  Exemplare  hinreichen,  um 
uns  zu  berechtigen,  dies  Fragezeichen  zu  tilgen. 


24    

Akarnanen  geworden  wara  i) .  Daß  vor  dieser  Periode  ein  Cul« 
tusbild  des  Apollon  im  aktischen  Heiligthum  von  so  hervor- 
ragender religiöser  oder  künstlerischer  Bedeutung  gewesen  sei, 
daß  ein  Meister  wie  Skopas  sich  hätte  bewogen  finden  können, 
sieh  für  ein  für  Attika  bestimmtes  Bild  an  diesen  Typus  anzu- 
lehnen ist  durch  nichts  zu  begründen. 

Sehr  anders  steht  die  Sache,  wenn  es  sich  um  die  Nach- 
ahmung des  aktischen  Bildes  nicht  durch  Skopas,  sondern  durch 
einen  für  Augustus  beschäftigten  Künstler  handelt,  dessen 
Statue  in  der  Wiedergabe  auf  den  Münzen  durch  die  Beischrift 
als  Apollo  Actius  bezeichnet  wird,  falls  man  überhaupt  an  eine 
statuarische  Reproduction  in  Rom  und  nicht  etwa  an  eine  Ver- 
setzung des  Bildes  aus  dem  aktischen  Heiligthume  nach  Rom 
denken  will.  Denn  dass  Augustus  glaubte,  seinen  entscheiden- 
den Seesieg  bei  Actium  hauptsächlich  dem  Eingreifen  des 
aktischen  Apollon  zu  verdanken  ist  eine  bekannte  Thatsache^). 
Wenn  man  nun  auf  seinen  Münzen  einen  »Apollo  Actius«  findet, 
welcher  mit  dem  Kitharoden  auf  den  akarnanischen  Münzen 
übereinstimmt,  nicht  aber  irgend  eine  Nachbildung  der  an- 
deren drei  Apollonfiguren  dieser  Münzen  nachzuweisen  vermag, 
wie  kann  man  da  eigentlich  noch  zweifeln ,  daß  es  sich  um  ein 
und  dasselbe  Bild  (im  Originale  oder  in  diesem  und  einer  rö- 
mischen Nachbildung)  handelt  und  daß  eben  dieses  das  Cultus- 
bild  des  Apollon  Aktios  im  aktischen  Bundesheiligthum  ge- 
wesen sei?  Denn  durch  die  Wiederholung  derselben  Figur  auf 
den  akarnanischen  und  den  römischen  Münzen  wird  auch  die 
Annahme,  es  handele  sich  bei  den  ersteren  um  ein  selbststän- 
diges, für  die  Münzen  erfundenes  Gepräge,  nicht  um  die  Nach- 
bildung einer  Statue,  wenn  nicht  ausgeschlossen,  so  doch  gewiß 
unwahrscheinlicher  gemacht.  Daß  Nachbildungen  von  Statuen 
auf  autonomen  Münzen ,  wenngleich  nicht  häufig,  vorkommen 
bedarf  keines  Nachweises  mehr. 

Aber  war  diese  Statue  im  aktischen  Heiligthum  eine  origi- 
nale Schöpfung? 

Das  Motiv  des  Apollon  Kitharodos,  welcher  entweder  die 
Schale  spendend  ausgießt,  oder  sie  zum  Empfange  der  ihm  ein- 


1)  Vgl.  R.  Weil  in  der  (berliner)  Zeitschrift  f.  Numismatik  VII.  (4  879) 

S.  4  26. 

2)  Vgl.  auch  Stephaniim  CR.  pour  1875.  S.  425  f. 


25     

suschenkenden  Spende  vorstreckt,  während  er  sein  Instrument 
im  linken  Arm  halt,  geht,  wie  streng  rotbfigurige  Vasengemälde 
zeigen,  in  das  5.  Jahrhundert  hinauf,  während  dasselbe^  so  viel 
mir  bekannt,  in  schwarzfigurigen  Vasenbildern  nicht  nachzu- 
wei^n  ist.  Man  vergleiche  nur  z.  B.  Gerhard,  Ant.  Bildwerke 
Taf.  9  (Berlin  alt  837,  neu  8206)  58,  Auserl.  Vasenb.  1.  24,  oder, 
um  auch  eine  Profildarstellung  anzufahren  I.  78,  oder  £lite 
cdram.  II.  32^).  Aber  der  Apollon  erscheint  in  diesen  Dar- 
stellungen noch  nicht  in  dem  jttngern  Kitharodencostüm,  d.  h. 
mit  der  um  den  Hals  geknüpften,  über  den  Bücken  lang  herab- 
hangenden Ghlamys ;  der  ihnen  zum  Grunde  liegende  Typus  ist 
also  wenigstens  nicht  das  unmittelbare  Vorbild  der  aktischen 
Statue,  wie  sie  uns  die  akarnanischen  und  die  augustischen 
Münzen  zeigen.  In  diesem  Jüngern  Kitharodencostüm  stellen 
dagegen  die  auf  die  Statue  des  Bryaxis  als  das  älteste  Monu- 
ment dieses  Typus  ^  zurückweisenden  antlocheni sehen  Münzen 
und  das  Tetradrachmon  des  Antiochos  Epiphanes  Apollon  dar. 
Damit  ist  nicht  gesagt  und  soll  nicht  gesagt  werden ,  daß  die 
Statue  des  Bryaxis  in  Daphne  das  Vorbild  derjenigen  des  ak- 
lisohen  Apollon  gewesen  sei.  Und  zwar  deswegen  nicht,  weil 
der  in  Bede  stehende  Typus  auf  den  Münzen  noch  anderer  Orte 
vorkommt,  an  detien  allen  ihn  aus  der  Statue  des  Bryaxis  abzu- 
leiten, mag  es  sich  um  Wiedergabe  von  Statuen,  wie  vielleicht 
in  Argos  (s.  unten)  oder  um  blosse  Münztypen  handeln,  viel  ge- 
wagt sein  würde.  So  zeigen  den  spendenden  Kitharoden  Apollon 
im  Profil  nach  rechts,  wie  das  Tetradrachmon  des  Antiochos, 
der  Denar  des  Augustus  und  die  akarnanischen  Münzen ,  solche 
von  Kolophon  (Taf.  I.  No.  18)  mit  dem  sitzenden  Homer  auf 
dem  Avers;  in  der  Vorderansicht,  wie  die  Münzen  von  Antiochia, 
der  Aureus  des  Augustus  (Taf.  I.  No.  4)  und  die  Münzen  der 
späteren  Kaiser  (Taf.  I.  No.  5—8,  44 ,  42)  solche  von  Athen ») 
und  die  mit  attischen  Typen  übereinstimmenden  von  Imbros  ^), 


i)  Die  von  Stephan!,  GR.  pour  4S73  S.  202  aufgemachte  Liste  ist 
kunstgeschichtlich  zn  nichts  zu  gebrauchen. 

2)  Merkwürdigerweise  stellen  auch  Vasenbilder  des  4.  Jahrhunderts, 
so  viel  ich  weiss,  den  stehenden  Kitharoden  Apollon  nicht  wie  den  musi- 
cirenden,  in  dem  jiingern  Gostüm  dar;  vgl.  z.  B.  Stephani  a.  a.  0.  S.  90 
und  245. 

8)  Beuld,  Les  monnaies  d' Äthanes  p.  S88. 

4)  Mionnet  Descr.  I.  p.  484.  5;  Gat.  Brit.  Mus.  Thrace  p.  212.  9. 


26     

ferner  solche  von  Halikarnass^)  und  von  Argos^j.  Dürften  hier 
die  Typen  der  kleinasiatischen  Münzen  der  Zurttckführung  auf 
die  daphneYsche  Statue  keine  sonderliche  Schwierigkeit  machen 
und  diese  Zurüokfuhrung  bei  den  athenischen  (und  damit  auch 
den  abhängigen  imbrischen)  Typen  sich  damit  rechtfertigen 
lassen,  dass  Bryaxis  ein  athenischer  Künstler  war,  so  wird  man 
doch  kaum  angeben  können,  wie  sich  das  Erscheinen  dieser 
Gestalt  auf  den  argivischen  Münzen  in  ähnlicher  Weise  sollte 
ableiten  lassen.  Was  aber  für  diese  gilt,  das  muß  man  auch 
für  die  akarnanischen  Münzen  und  die  diesen  etwa  zum  Grunde 
liegende  Statue  zugeben. 

Wenn  man  demnach  einstweilen  auch  und  vielleicht  für 
immer  die  Herleitung  des  Typus  des  spendenden  Ritharoden 
Apollon  aus  der  Statue  des  Bryaxis  in  Daphne  dahingestellt 
sein  lassen  muss ,  so  wird  man  doch  hoffentlich  fortan  von  der 
bisher  so  häufig  wiederholten  Vermischung  und  Yerquickung 
dieses  Typus,  wie  ihn  die  Münzen  des  Augustus  und  der  spä- 
teren Kaiser  (Taf.  I)  sowie  die  weiteren  hier  behandelten 
iceigen  mit  demjenigen  des  schreitend  singenden  und  spielen- 
den Kitharoden  der  neronischen  Münzen  und  der  verwandten 
Monumente  (Taf.  11.  1 — 8,  9.  11)  zurückkommen,  womit  schon 
viel  gewonnen  sein  würde.  Vielleicht  überzeugt  man  sich  auch, 
daß  für  den  singenden  und  spielenden  Kitharoden  Apollon  der 
-Typus  des  ruhig  stehenden  (Taf.  11.  No.  9.  10.  12)  von  dem- 
jenigen des  lebhaft  schreitenden  (in  den  eben  genannten  Monu* 
menten]  geschieden  werden  muß,  während  eine  weitere 
Unterscheidung  eines  dritten  Typus,  dessen  nämlich,  in  wel- 
chem Apollon  die  Kithara  im  linken  Arme,  mit  dem  in  der 
rechten  Hand  gesenkten  Plektron  dasteht  und  der  sich  in  einer 
grössern  Anzahl  von  Monumenten  verschiedener  Gattungen  und 
Zelten  nachweisen   läßt,    einer  spätem  Untersuchung  vorbe- 


4)  Imhoof,  Monnaies  grecques  p.  344.  62^. 

2)  Imhoof  u.  Gardner^  Numism.  comment.  to  Pausen.  I.  p.  86.  pl  J.22 
u.  24  (Journal  of  hei),  studies  4885).  Die  Münzen  werden  zu  den  bei  Pau- 
San.  II.  4  9.  8  u.  24.  4  erwähnten  Statuen  des  Apollon  Agyieus  und  Deira- 
diotes  angeführt,  aber  nicht  sie  allein,  sondern  auch  Münzen  mit  einem 
links  (rechts  v.  Beschauer)  blickenden  A.  Kitharodos  mit  dem  Plektron  in 
der  R.  (pl.  J.  No.  28)  und  ein  nackter,  vorschreitender,  nach  dem  Pfeile 
greifender  Apollon  (der  nicht  abgebildet  ist).  Die  Beziehung  dieser  Münz- 
figuren zu  den  Statuen  bleibt  also  ungewiss. 


27     

halten  bleiben  mag ,  da  ich  gegenwärtig  weder  im  Stande  bin 
mit  Sicherheit  aufzuklären,  wie  sich  dieser  auf  den  augu- 
stischen Münzen  Taf.  I.  No.  2  u.  4  erscheinende  Typus  zu  dem- 
jenigen der  Münzen  No.  1  u.  3  verhalte  noch  auch  bisher  unter 
den  Werken  der  berühmten  griechischen  Bildhauer,  um  deren 
einige  es  sich  hier  zunächst  handelte ,  das  Vorbild  aufzufinden 
vermocht  habe. 


SITZUNG  AM  29.  MAI  1886^). 

Herr  Fleischer  legte  das  fünfte  Stück  von  Studien  über  Dozj/s 
SuppUment  aux  dictionnaires  arabes  vor  (s.  diese  Berichte  v.  J. 
4885,  S.  346—410). 


II,  374^  15  —  17.    Wenn  »Jbäil  ^Lä  nichts  bedeutet  als 
»il  6tait  du  district  de  Silves«,  so  ist  auch  das  vorhergehende 

,(f     4r         m        Q  ^  • 

«Jlalt  ^^  »hervorgegangen  aus  Al-Garb«  nur  eine  allgemeine 

Einleitung  jener  näheren  Angabe.  In  der  That  war  Ibn  'Ammär 

(Dozy's  'Abdolwähid,  S.  Ausg.,  S.  vi,  Z.  14)  in  ^^^J^j  einem  zu 
Silves  gehörenden  Dorfe  oder  Städtchen,  geboren,  und  das  noch 
heute  dem  Namen  nach  vorhandene  Silves  liegt  in  der  stldpor- 
tugiesischen  Landschaft  Algarve,  deren  Hauptstadt  es  ehemals 


'O  " 


war.    Aber  in  solcher  Nebeneinanderslellung  sind  ^ioll  und 


o^ 


ftJoftll  nach  Herkunft  und  Sprachgebrauch  sich  wechselseitig  aus- 
schliessende,  auf  verschiedene  Dinge  anwendbare  Gegensätze, 
im  Allgemeinen :  Ort  oder  Zeit  des  Anhebens,  Anfangens  X  Ort 
oder  Zeit  des  Abbrechens,  Aufhörens,  II,  55*  u.  56*;  als  Kunst- 
wörter der  Poetik  insbesondere :  Anfang  und  Ende  einer  Kaslde, 
II,  375%  8  flg.  Im  Anschluss  hieran,  mit  Beziehung  auf  Ibn 
^AmmÄr's  Grösse  als  Dichter,  scheinen  mir  jene  Worte  in  bild- 
licher Weise  auszudrücken,  dass  sein  Leben  in  Al-Garb  be- 
gann und  in  Silves  endete;  ungefähr  wie  wenn  ein  Schönredner 
unserer  Zeit  den  Ort,  wo  ein  grosser  Schauspieler  geboren,  und 
den,  wo  er  gestorben  ist,  mit  Beziehung  auf  dessen  Künstler- 
laufbahn so  bezeichnen  wollte :  Er  betrat  die  Bühne  des  Lebens 

4)  Die  Sitzung  am  8.  Mai  war  aus  dringlichen  Gründen  ausgefallen. 


29     

in  der  Mark  (Brandenburg)  und  verliess  dieselbe  in  Berlin.  — 
Im  eigentlichen  Sinne  freilich  starb  Ibn  'Ammär  in  Sevilla  von 
der  Hand  seines  ehemaligen  fürstlichen  Freundes  und  Wohl- 
thäters,  des  'Abbädiden  MoHamid  ('AbdolwÄhid  S.  i«  Z.  9—1 1 , 
'Abbädiden,  II,  S.  4i9,  Z.  1 — 42),  aber  die  eigentliche  wolken- 
lose Sonnenhöhe  seines  Lebens  war  mit  seiner  Abberufung  von 
der  Statthalterschaft  in  Silves  zur  Übernahme  des  Vezirats  in 
Sevilla  vorbei.  Trotz  aller  äusseren  Grösse  und  manchem  Ein- 
zelerfolg ging  es  von  da  ab  immer  entschiedener  dem  tragischen 
Ende  zu;  s.  die  lebendige  Schilderung  davon  in  Dozy's  Histoire 
des  Musulmans  en  Espagne,  IV,  S.  448 — 188. 


o «. 


II,  375*,  4  u.  7.  Das  durch  dieses  «LLo,  PI.  ^U^^  ausge- 
drückte griechische  Kunstwort,  welches  nach  Moses  ben  Esra 
und  Abulwaltd  ibn  6anäh  den  arabischen  ^^^^  und  lU^,  PI. 

.» oft  '0£ 

s^LuiJ  und  Jü^t,  entspricht,  ist  ohne  Zweifel  ycofifta.  Ein  zu  Rathe 

gezogener  klassischer  Philolog  schrieb  mir  darüber:  »Nirgends, 
weder  bei  den  griechischen,  noch  bei  den  lateinischen  Metrikern 
findet  sich  eine  Notiz  darüber,  dass  gerade  nur  jene  von  Ihnen 
genannten  vier  kurzen  Versfttsse  [die  zwei  Arien  des  \^.kj^:  - 
und  ^%  und  die  drei  Arten  des  JiJj:  ^-,  -^  und  ^v.^^]  xofi- 
fiaTO  genannt  worden  seien ;  wohl  aber  steht  dieses  Wort  über- 
haupt für  die  kürzesten,  nur  zwei  oder  drei  Moren  enthaltenden 
Versfüsse,  im  Gegensatze  zu  denen  mit  vier  Moren,  wie  der 
Dactylus  und  Anapäst,  und  denen  mit  fünf  und  mehr,  wie  der 
Greticus  u.  s.  w.  Wie  nämlich  die  griechischen  und  lateinischen 
Rhetoriker  die  Periode  in  nwla  und  diese  in  no^fiaza  theilten 
(Cicero,  Orator  62,  und  Quintilian  9,  4,  22],  so  theilen  auch  die 
Metriker,  wenigstens  die  lateinischen,  die  Verse  in  cola  und 
commata.  Marius  Victorinus,  Keil,  Gramm,  latini,  Vl^  p.  53, 
sagt  unter  der  Überschrift  de  colis  metrorum:  »Consideranda 
praeterea  in  metris  cola,  quae  latine  membra,  item  comma,  quod 
caesum  a  nobis  proprio  dicitur,  id  est  extrema  et  exigua  pars 

in  metris Quorum  differentia  talis  est :  colon  est  mem- 

brum  quod  ßnitis  constat  pedibus,  comma  autem  in  quo  vel  pars 
pedis  est  [möglicherweise  also  auch  eine  einzelne  Silbe  oder  ein 

einsilbiges  Wort,  wie  im  Arabischen  (Adals  v..aaü>  w^-m^].  Weiter 
unten  p.  54,  46:  ^Ergo  versus,  cum  ea  qua  conjunctus  erat  parte 


30     

dissolviiur,  coIa  eüGcit;  cum  vero  ea  qua  coDJunctus  erat  parte 
absciditur,  particula  quae  divulsa  ex  eo  est  comma  dicitur,  ut  in 
illis  versus  solvatur,  in  liis  caedatur.«  Femer  derselbe  de  metris 
Horat.,  Keil,  p.  184,  9:  9 Colon  est  quaedam  pars  orationis  In- 
tegra pedum  compositione  conjuncta,  cujus  pars  comma  dicitur.« 


« > 


II,  375*,  24  »(j^«f.    In  Hamaker's  /j\>  ist  nur  der  Vocal  un- 

richtig;  denn  nicht  /ä.  ist  das  Gegentheil  von  Jj>,  sondern  /  äj. 
Jenesbedeutet  im  Allgemeinen  gross  sein,  dieses  klein  sein; 

s.  M  unter  J^  S.  rvf  *  drittl.  Z.  und  Lane  unter  JJL>  S.  437« 

und  /  ^^  S.  896^.  Das  J^JL>  im  ersten  Halbverse  Idsst  als  Gegen- 

satz  dazu  im  zweiten  keine  andere  Lesart  zu  als  /jo. 

II,  375*,  36  u.  37  vl«il^  ^b&««  von  einem  Schaohbrete  aus 
Ebenholz:  mit  Elfenbein  ausgelegt ,  marquete  d^ivoire,  nicht 
Dincrustefi, 


11,  376*,  6 — 8.  Die  Bedeutung,  welche  Dozy  dem 
nach  der  angeführten  Stelle  der  Breslauer  T.  u.  E.  Nacht  bei- 
legt, macht  es  zu  einem  Synonym  des  paronomastisch  damit  ver- 
bundenen wA^jü;  II,  138^,  4  u.  5;  von  einer  Bedeutungsver- 
wandtschaft der  Stämme  yjthn  und  ^,hS  aber  ist  nirgends  eine 
Spur  zu  finden.  Es  wiederholt  sich  hier  dieselbe  allgemeine 
Bemerkung  wie  zu  II,  362*,    ii — 7  v.  u.  im  vorigen  Stücke 

dieser  Studien.  Dagegen  ist  v^mü  kurze,  kleine  Schritte  machen, 

serrer  les  pas,  marcher  a  petits  pas,  wovon  y,Jykä  Äjb ,  ein  kurz 

ausschreitendes  Reit- oder  Saumthier,  undv^.!  q^  N.j^t  (Frey- 

tag^s  Meidäni,  11,  S.  296,  Nr.  441),  kleinere  Schritte  machend 
als  ein  (furchtsam  vorgehender)  Hase,  —  so  auch  nach  der  An- 

gäbe  des  E^müs,  dieses  ^ami  komme  von  ÄjtJul  v^Übd,  d.  h. 

L^fM^  /ffi^»  Hiervon,  wie  ^^^^j  ??Orin,  sich  ergehen,  von^^^.Nwuo, 

•fbn,  gehen,  das  frequentative  Medium  v.ÄbÄj,  viel  kleine  Schritte 
machen,  trippeln,  herum  oder  hin  und  her  trippeln,  z.  B.  um 
einen  Ausweg  zu  suchen,  wie  dort  in  der  T.  u.  E.  N.  der  von 


31     

seinem  FlUgelpferde  auf  dem  platten  Dache  eines  Schlosses  ab- 
gestiegene Märchenprinz. 

II,  376®,  3  u.  2  V,  u.  »wftiaiLo  —  Crible  de  soie,  (Tun  tissu 
grossier,  pour  la  farine^  M.a  M's  /äaä^  ist  nicht  »grossiert,  son- 

w  »  ^  0-    f  y 

dern  serr'e,  dense.  Die  ääIäo  oder  iüysu^  eines  solchen  Mehlsiebes 
besteht  nicht  in  der  Dicke  {epaisseur,  I,  837^,  25)  und  Grobheit 
der  sich  kreuzenden  Faden  oder  Haare,  sondern  in  der  Dichtig- 
keit (density)  ihres  Geflechtes  und  der  Kleinheit  ihrer  Durch- 
gangsdffnungen ,  gemäss  der  Bestimmung  dieses  Werkzeugs, 

fein  zu  sieben,  II,  376%  \  —  3.  Auch  Cuche  hat  »^^äLüj  ^tre 
blut^  tr^s-fin  (farine)«.  S.  dazu  besonders  Landberg,  Proverbes 
et  dictons,  I,  S.  125  u.  126. 

II,  377^,  7  V.  u.  »Ä-otaä  legumet  der  Form  nach  Relativ- 


nomen von  fOlp,  PI.  D'^^DIp,  bei  Low,  Aram.  Pflanzennamen, 
Nr.  281 ,  S.  336  u.  337  (Z.  3  yj^ät  Di-uckfehler  st.  ^^1),  trockne 
Uülsenfirttchte,  Samenkörner  von  Kttchenge wachsen,  besonders 
Bohnen,  Erbsen  und  Linsen  verschiedener  Art.  In  dem  Nach- 
träglichen zu  Levy's  chaldaischem  Wörterbuche,  II,  S.  575% 

hielt   ich   das  in  ÄljLLd  Übergegangene  hebräisch -aramäische 

n'^3l3p,  PL  tii^Stap,  und  das  gleichbedeutende  ^yo^y)  des  jerusa- 
lemischen Targum  für  eine  Zusammenziehung  von  n'^)D')i]?,  '^$19'^^, 
Sommerfrüchte,  wie  das  arabische  W^ort  von  Einigen  durch 

s.AAAaIJ ^Ä>',  Sommergrünkraut,  erklärt  wird  (M  lvn\  1). 
Aber  Geiger  in  seiner  jüdischen  Zeitschrift,  6.  Jahrg.  1868,  S.  154 
ersetzte  diese  unhaltbare  Ableitung  durch  die  vom  hebr.-aram. 
'fDp,  klein,  schmal,  dünn,  fein  sein,  wie  trockne  Hülsenfrüchte 
auch  bei  den  Römern  minutae  fruges  hiessen.  S.  dazu  Low 
a.  a.  0.  und  Levy^s  Neuhebr.  Wb.  IV,  S.  285*.  Auch  Hoffmann's 

Bar  Ali  Nr.  3203  übersetzt  j^xp^o  \£^  durch  s^ty^^  (^i^^^ 
vjjJx^t,  wie  dort  steht]  und  fügt  hinzu:  &^t  U^  l/'^-^^^  J^ 


^LbiÜt  l^y^*M^.  |»UJt  ^\y  Dem  jbo?  entspricht  ÄäJü^  s.  Laue 
S.  896».  Cuche  S.  öfK^:  »äUaäJI  les  farinac^s  (pbis,  haricots, 
ffeves),!  AUFarälcd  S.  11.*:  ^\\^  -  äIj^  grains  farineux,  tels 


32 


A    o 


qu6  pois,   föves,  lentilles,  etc.c    Offenbar  sind  X^Äto,  PI.  J^LLd 

und  iUSLbä,  II,  377^  23  flg.  und  368%  7,  nur  verschiedene  For- 
men des  Wortes  mit  derselben,  etwas  anders  gewendeten  Grund- 
bedeutung. 

II,  378*,  18  «qLLlö,  pl.  ^^Li,  cordon,  lacet^j   »iüLLuä 

^an^e,  cordonnet  de  soie,  d^ora.  Über  die  Ableitung  und  bei 
den  Arabern  selbst  schwankende  Aussprache  dieses  Wortes  s.  I, 
447%  1 — 4,  und  die  Anm.  dazu  im  4.  Stück,  dieser  Studien  v. 
J.  4884,  S.  37  Z.  43—48.    Auch  Hartmann,  Sprachführer  S. 

247^:  »Schnur  tltAn,  PI.  yjÄtln,a  Guche,  öft*^:  »^liilä  cordon, 
cordonnet,«  Al-Far^l'd,  IaI**^:  ^^^Cß  _.  ^^LLjj  cordonnet  de  soie, 
etc.  >üÜa^  un  cordonnet. ff  Türkisch  dagegen  stets  wie  bei  an- 
dern  Arabern  qux^  ,  ^aitän. 

II,  380%  20  Ä^Uä'.    oIjüüI  j  sedentairement,  Bc.a   Bocthor 
selbst  giebt  dem  Worte  keinen  Vocal,  und  Dozy  hat  das  Dammah 

hier  und  oben  379%  5,  wahrscheinlich  dem  v>Lit3  der  Wörter- 


«  > 


bücher  entnommen,  in  welchem  Worte  JU»,  wie  in  JLium,  cIju» 
u.  a.,  die  besondere  Form  für  Krankheiten  und  krankhafte  Zu- 

stände  ist.  Schlechthin  als  Infinitiv  aber  statt  öjaÄ^  gehört  ^Ui 
dem  ägyptischen  Arabisch  an,  welches  diese  Form  auch  den  In- 
finitiven anderer  intransitiver  Zeitwörter  giebt.  Dasselbe  ^Ui, 
sitzen,  wohnen,  bleiben,  in  der  Bresl.  T.  u.  E.  N.  I,  tn,  40,  III, 
Mi,  5  u.  6,  r..,  9,  Burckhardt's  Arab.  Spi-üchwörter  Nr.  64, 
Spitta-Bey's  Contes  arabes  modernes  S.  34  Z.  6:  qu'Äd  el^la 

(^!  o\jt!!)^  der  Aufenthalt  im  freien  Felde  (s.  dazu  das  Gloss. 


«-.  >  >  > 


S.  205  Z.  42—44);  olX*^  st.  o^,  schweigen,  Bresl.  T.  u.  E. 
N.  l/vA,  4,  Burckhardt's  Arab.  Sprüchwörter  Nr.  480,  Spitta-Bey's 


-,  > 


Contes  S.  464  Z.  4:  eltazamt  essukät  (oIXmJI  v:;^^«^^]!]  ^  ich  legte 
mir  Stillschweigen  auf  (s.  dazu  das  Gloss.  S.  4  86  Z.  3} ;  ^\.^ 


33 


9     > 


St.  v3y^7  eintreten,  besonders  in  das  Brautgemach,  Bresl.  T.  u. 

E.  N.  I,  i*»!,  4;  ^^^  st.  Oyi^  (wie  die  Galland'sche  Hdschr.  hat), 
brennen,  ebendas.  f.f,  6. 

II,  380%  28—30  »sj^j^d,  gemeinarabisch  »v>^l§a  380%  40 
v.u.  Auch  nach  Seetzen,  Reisen,  I,  S.  381,  heisst  das  junge 
Kamel  in  seinem  vierten  und  fünften  Jahre  »Raäudff,  mit  arab. 
Buchstaben  dort  fehlerhaft  geschrieben  »{joyS(i^. 

II,  380%  32  u.  33.  Doxy  sagt  nicht,  wie  er  aüCo  SJund  ver- 
standen hat.  De  Slane  selbst,  Histoire  des  Berbdres,  III,  S.  376 
Z.  24  u.  25,  übersetzt  die  ganze  Stelle:  »Alors  un  eunuque  se 
rendit  aupr^s  de  la  reine,  ^pouse  du  däfunt  et  filie  du  sultan 
Abou-Ishac«:  sJUi  sJux3  bedeutet  aber  an  und  für  sich  natürlich 
nicht  die  Königin,  sondern  nach  der  von  Freytag  übergangenen 

Erklärung  des  Kämüs  *.  o^l  ^  LPJyüü  B|^l  sJuaäJI,  »seine  (des 
verstorbenen  Königs)  Hausfrau«. 

II,  380%  34—35  »uX^!  HJOJlcff  Bresl.  T.  u.  E.  N.  X,  287,  6, 
statt  J4JÜI  BJu:ld  in  der  entsprechenden  Stelle  der  CaIcuttaer  und 
Bulaker  Ausgabe,  und  in  der  Bresl.  Ausgabe  selbst,  überein- 
stimmend mit  jenen,  I,  213,  1.  Z.,  ist  nach  Dozy  »une  fautetr, 
aber  weder  ein  Druckfehler  ( —  die  dem  Bresl.  Texte  zu  Grunde 
liegende  Gothaische  Handschrift  hat  wirklich  BJö^  — ]  noch  ein 
Sprachfehler,  sondern  eine  andere  Lesart  mit  ahnlichem  Sinn. 
Jenes  cX^t  H<Acb'  ist  ein  Mädchen  mit  vollem ,  straffem,  gleich- 
sam festsitzendem  Busen  ( —  Freytag*s  j>sororiare  primum  inci- 

piens,  de  mammaa  entspricht  nicht  dem  ^Jut  ülPLäjI  i^^JkxIt  q« 
^^yUj  ä^  des  K&müs  — ) ,  dieses  J4J0I  HJü^  ein  Mädchen  mit  rei- 
fendem oder  gereiftem  Busen,  d.  h.  mit  schwellenden  oder  voll 
entwickelten  Brüsten;  s.  H,  U8%  21—23,  150%  3—8,  Lane 
S.  2106%  Z.  12  flg.  V.  u. 

II,  380'^,  9  flg.  V.  u.  »vXjet,  c.  s^  r.,  plus  rapproche  de,  et 

de  lä,  connaissantmieux«,  weiterhin  nconvenant  mieux  d,  s^adap- 
tant  mieux  d«.  Es  liegt  hier  ein  eigenthümlicher  Fall  vor.  In 
dem  angeführten  Artikel  des  Journal  asiatique  ersetzte  Dozy  die 

4  886.  8 


34 

dem  Jui»!  mit  v^  einer  Person  oder  Sache  früher  von  ihm  ge- 
gebene Bedeutung  magis  par  (ei)  durch  »plus  rapproche  de«, 
weil  er  die  weiteren  Bedeutungswendungen  mit  jenem  magü 
par  nicht  vereinigen  konnte.  Aber  seine  Berufung  auf  die  erste 

Bedeutung  von  Jüü»i  bei  Freytag  geht  in  zweifacher  Hinsicht 
fehl:  erstens  ist  jenes  v^.a^mJüI  j^jkäI  nicht  Comparativ  wie  dieses 
yXki\j  sondern  absoluter  Superlativ (s.  meine  Ki.  Schriften,  I,  S.  684 
Z.  20  flg.]  des  im  Allgemeinen  gleichbedeutenden  v^^JÜt 


[ —  der  Kam,  erklart  beide  mit  denselben  Worten:  i.^^wMJÜt  Jujüü) 
wie  u-J^*!  0^^\  ist  jl^il  Jk^t  er  *Q^'  vVjäJ!  — );  zweitens 
liegt  der  Begriff  des  Naheseins  weder  in  dem  Zeitworte 
Jm  an  sich,  noch  in  der  Verbindung  desselben  oder  eines  davon 

abgeleiteten  Nennwortes  mit  u^,  sondern  in  derForro  Ji^  von 
Jujid,  entsprechend  dem  cXxLiu  von  lAcö,  mit  jemand  zu- 
sammen,  ihm  nahe  oder  nächst  sitzend,  wie  yj^.j^A&aa 
^j«JL^  von  ,jnJL>.  Diese  Particip-  und  Adjectivformen  aber 
nehmen  ihr  Gorrelat  nicht  durch  v^,  sondern  im  Genetiv  und, 
wenn  indeterminirl,  durch  J  zu  sich,  wie  Ju;  ^j«.JL>  und  ^j<..JL> 
JuJ,   nicht  uXüjj  ^^;«.JL>^).    Dieses  \^ö>^  Om    erhält  also  seine 


m       •• 


4)  Man  bemerke  hierbei  noch  besonders,  dass  der  Genetiv  ««.^UMjJt 

in  ^-^^-NfcAJi  O^fjtÜ  und  w^-m^-U!  »AäüI  (KÄmüs  und  M),  wie  dies  schon  aus 

> 
dem  doppelten  Artikel  in  der  uneigentlichen  Genetivanziehung  «A^i^jüüf 

u^^M^Jt  hervorgeht,  nicht  der  oben  erwähnte,  sondern  Stellvertreter  des 
Accusativs  der  näheren  Beziehung,  jä-^t,  und  somit  das  logische  Subject 
ist:  lA-JtJ  fcAA^o  o^  =  J^ji  tX;^»  er  ^^:?;*  «^l-J^  CT- 


35     

Bedeutung  nicht  von  jenem    O^  =  cXaIJL«,  sondern  von  Jsxi 


als  Aciivparticip  von  Om  mit  dem  transitiv  machenden  v^  (^L 

ÄjJoüJt):  8^jL»^  =  \j  Jotd,  er  hat  ihn  oder  es  niedergesetzt,  festge- 

setzt,  —  in  verschiedener  Anwendung.  Zunächst  in  persön> 
lieber  Beziehung  und  eigentlichster  Bedeutung :  j  e  m  and  (bei^m 
Ringen,  Kämpfen)  auf  den  Boden  setzen^  dann  tiberhaupt 
unser  volksthUmliches:  einen  unterkriegen,  mit  ihm  fertig 
werden,  ihn  bewältigen  oder  bewältigen  können,  ihm  oder  einer 
Arbeit,  Aufgabe  u.  s.  w.  gewachsen  sein,  es  mit  ihm  oder  mit 
ihr  aufnehmen,  Bocthor's  nsefairefort^  s'engager  ä«,  U,  379*,  8 

u.  7  V.  u.,  M's  äI  \yS  Ji  ^\  &3li?l  äjJü  ^"^is  JüeJ,  bei  Frey  tag 

die  7.  Bedeutung.  Nach  einer  anderen  Seite  hin:  jemand 
oder  etwas  festmachen,  in  der  Bedeutung:  für  jemand 
Sicherheit  gewähren,  bürgen,  und:  etwas  verbürgen,  dafür  Ge- 
währ leisten,  gut  sein,  gut  sagen,  Bocthor's »cau^tonner,  serendre 
caution  pour  quelqu'un,  v^  «AjtStf,  und  »garantir,  se  rendre  ga- 
rant  de,  s^  Jüü«,  II,  379%  7.  v.  u.;  auch  schwächer,  wie  unser 
gewähren  für  bewilligen,  genehmigen,  zulassen,  gutbeissen, 
Bocthor's  »vJ.-Aa4J  <Aje,  passer ,  approuver,  aWouer  wie  depensea, 
II,  379*,  6  u.  5  V.  u.  Die  Grundbedeutung  des  Festsitzens,  Fest- 
liegens,  Feststehens  zeigt  sich  auf  das  verschiedenste  bildlich 
angewendet  in  den  Bedeutungen  des  zum  Substantivum  gewor- 
denen öJu:lS,  II,  380*°-^;  von  derselben  erhält  v  "^^  ^^^^  ^i^ 

Bedeutung  zurechtstellen,  in  die  gehörige  Verfassung  bringen, 
ordentlich  einrichten,  angemessen  gestalten  u.  s.  w.  Ohne  Be- 
ziehung auf  ein  bestimmtes  Correlat  läuft  sie  endlich  in  die  ab- 
stracten  allgemeinen  Begriffe  der  Gewissheit,  Wahrheit  und 
Richtigkeit  aus,  wie  in  »äJwo  cXäü!  ^ii*  ^,  rien  ti'est plus  vraty  L«, 

II,  381%  2  u.  3 ;  »Jüet,  plus  droit,  plus  juste;  plus  conforme  aux 

rögles«  bei  Cuche,  S.  ofr";  Laffal-kimät,  Hf,  i  \  u.  12:  Jyjj*  X^LäjI 

»der  gemeine  Mann  sagt  von  einem  der  in  Erlernung  von  etwas 
sehr  fleissig  ist :  tefattah  (er  thut  sich  auf,  entwickelt  sich],  wie 

3* 


36     

man  sagt:  teharrag  [er  macht  sich  heraus,  bildet  sich);  aber  das 
zweite  ist  bekannter  und  richtiger  als  das  erste«.  —  Aus  dem 
bisher  Gesagten  erklären  sich  alle  von  Dozy  im  Journal  asiatique 
a.  a,  0.  und  hier  im  Supplement  beigebrachten  Beispiele  der 
Verbindung  von  Jüt»  oder  eines  davon  abgeleiteten  Nennwortes 

mit  v^.   Aber  davon  zu  unterscheiden  ist  v>jkj»  mit  ^^  Journal 

asiat.  1869,  S.  150Z.  23  flg.  :^^!  ^t  UTJjLI  ^  ^tyJI«ÄPci«3i, 
von  de  Slane  übersetzt:  «de  ces  (trois)  mondes,  celui  de  Thomme 
est  le  plus  pr^s  de  notre  compr^hension,«  wogegen  der  Sinn  ist: 
»die  am  sichersten  in  unserem  Wahrnehmungsbereiche  Hegende 
von  den  drei  Welten  ist  die  Menschenwelt.«    £benso  tropisch 

Ihn  Jats  vir,  4 :  ^i  ^  I Ju«ä  ^  ^;A«*aÄJl,  wörtlich :  die  Demi- 
nutivbildung sitzt  im  Plural  nicht  fest^);  d.  h.  sie  findet  im 
Plural  nicht  durchgängig  und  gleichmässig  statt  (vgl.  Mufassal 

§  ^Ao  und  dazu  Ibn  Ja'ts) ;  ebendas.  8  u.  9 :  jJü^\  ^  Jüi5?  ^^*I 

(^'o  Jt  Q^,  wörtlich  :  das  dreiconsonantige  Nennwort  silzt  in  der 

Deminutivbildung  fester  als  das  vierkonsonantige,  d.  h.  nimmt 
dieselbe  durchgängiger  und  leichter  an  als  das  vierkonso- 
nantige. 


^ » t>  ^ 


II,  38 1^  28—30.    In  der  Stelle  aus  Edrlsi  ist  äjijüu  ein- 

fach  ss=  cXjüu  als  n.  loci  von  iAjiä,  und  v^  In  xj  vJm,  wie  in  Jüe 

Aj,  das  transitiv  machende,  =  Jj;ü:  »wenn  ein  Mensch  das- 

selbe  (das  beschriebene  Abfuhrungsmittel)  einnimmt,  so  nöthtgt 
es  ihn  sofort,  seinen  Sitz  schleunig,  ohne  Aufschub  und  Aufent- 
halt zu  verlassen ,a  d.  h.  zu  Stuhle  zu  gehen.    Die  Annahme, 

»Jüüu  bedeute  hier  y^aniis^  bout  du  rectum«,  kommt  von  der 
Verkennung  des  äjlX«;^!  i-L. 

II,  381^,  7  V.  u.    Dieselbe  abstracto  Bedeutung  wie  hier, 


4 }  Hier  ist  wX^uü»  nicht  das  oben  besprochene  (-X^it»  =^  lVc^äa,  son- 
dorn  Verstärkung  von  «AcÜ. 


37 


J  &  J 


i>no6/es56,«  urvSterlicher  Stammesadel,  hat  .>Jüü  auch  in  dem 
Verse  bei  Ma^kart,  I,  vi**,  6 : 

II,  382^  10  »<£ä  pie(i^  das  umgekehile  /^«^. 

II,  SSS"*,  4  V.  u.  »Xwpanter«  mit  dem  Artikel  als  a/ co/a  in 
das  Spanische  (Dozy,  Gloss.  des  mots  espagnols  u.  s.  w.,  S.  92] 
und  ohne  denselben  als  coufle,  couffe  und  couffin  in  das  Franzö- 
sische übergegangen. 

II,  383%  14--n  Ajä,  bäume,  asphaltea,  eigentlich^,  eine 

härtere  Nebenform  von  -ä5",  nßS,  Schiffspech.  Das  letztere 
führt  derEämüs  als  acht  arabisch  an,  M  aber,  |aI*o^,  4  u.  3  v.  u., 
sagt :  »Al-kufr  ist  auch  das  Pech  (jJü')  mit  dem  die  Schiffe  be- 

strichen  werden,   oder  es  ist  das  arabisirte  hebräische  y^«. 

Richtig  Yocalisirt  bei  J^küt,  IV,   tr,  4 :  |«.^t  aOuo  slls>  Hj[ä1\  . 


&  > 


-^1^  ;Ää!L.  Aber  die  Magrebinen  sprechen  Jü  und  JtS',  s.  Dozy, 
Gl.  £sp.  S.  31  u.  32  unter  Acafelar. 

II,  383»,  89  »^,  ruche?ia  Payne  Smith's  Angabe  wird  be- 
stätigt durch  Guche:  »j*Ää  ruche  d'abeiiles«;  ebenso  Al-FaräYd, 
mit  dem  PI.  q^j«. 

II,  383%  6—4  V.  u.  ^  in  L^  jÄäJ  ^^  oL>  ist  nicht  usur- 
prendren,  sondern  dasselbe  wie  in  der  folgenden  Stelle  aus  dem 
nämlichen  Werke,  Reiske^s  aufugit.  »Lulu  riss  die  Ringmauern 
dieser  Plätze  nieder,  weil  er  fürchtete,  dass  man  sich  hinein 
flüchten  möchte,«  d.  h.  dass  der  geschlagene  und  fliehende  Feind 
sich  hineinwerfen  und  darin  festsetzen  möchte. 

II,  383^,  45  »jlii,  sorte  de  serpentatj  bereits  von  Bochart  im 
hebr.  TifijJ,  Jes.  34,  15,  als  serpens  jaculus  nachgewiesen;  s. 
Gesen.  Thes.  1226».  Das  deutsche  »Pfeilschlange«  entspricht 
genau  dem  türkischen  qX^.  (j^^  Ok-jilan,  unter  welchem  Na- 
men Seetzen,  III,  S.  471,  eine  ihm  in  der  Nähe  von  Smyrna 
vorgekommene  Schlange  dieser  Art  beschreibt. 


38     

II,  384%  5 — 1  V.  u.  Dozy  lehnt  die  Mitverantwortung  für 
diese  Deutung  ab;  ich  finde  sie  ebenfalls  unzulässig,  überdies 
aber  den  ganzen  Vers  in  seiner  jetzigen  Gestalt  sinnwidrig. 

Verstandlich  wird  er  durch  Umwandlung  von  /  j*)!^^  in  (Jf;'^^ 

und  von  J^\  in  jikSI.    (jjL^,  eine  Wahlstatt,  ein  Schlachtfeld, 

ist  mit  dem  unmittelbar  darauf  Folgenden  schlechthin  unverein- 
bar, und  i^b,  eine  Krankheit,  ein  Leiden,  kann  nicht  selbst  wie 

eine  Person  Jiü)  sein,  d.  h.  an  ji^,  Trockenheit  and  Zusammen- 

geschrumpftheit  der  Haut  leiden.    /  5;!^,  logisches  Subject  mit 

vpj.^Y^,  ein  Irrgläubiger,  ist  ein  vom  ^Lifch,  dem  zum  Abstractum 

gewordenen  iUclX  (dem  griechischen  Kaiser]  gegen  den  Helden 


des  Dichters  gesendeter  Heerführer,  der  im  folgenden  Verse  von 
ihm  besiegt  und  gefangen  genommen  wird:  »Auch  erscheint 
wohl  ein  Irrgläubiger,  dessen  Heereshaufen  vom  Oberhaupte 
des  Unglaubens  abgesandt  ist,  ein  Mann,  der  sich  den  Todes- 
göttinnen als  Zielscheibe  hinstellt,  während  sein  Leiden  die 
Altersschwäche  ist,«  gerade  er  also  zum  Kriege  gegen  den  ge- 
feierten Vorkämpfer  des  Islam  am  wenigsten  taugt. 

II,  384^,  Kh  V.  u.  »«XwUä?  hazt  d*une  colonne^  nach  Payne 
Smith,  ist  im  Gegentheil  xeq)aXlgj  xecpaUdiov,  chapiteauy  Säulen- 
knauf^  Kapital  (nach  der  bei  uns  gewöhnlichen  Aussprache  und 
Schreibart  st.  Kapitell),  capitellum,  capitello. 

II,  385*,  5.  Besonders  auf  »/a  partie  införieure  du  dos«  be- 
zieht sich  liäjl  am  Ende  der  angeführten  Stelle  Ibn  HallikAn^s 
nur  durch  eine  unfeine  Anspielung  im  morgenländischen  Ge- 
schmack; s.  die  von  Dozy  selbst  anerkannte  Berichtigung  von 
de  Slane's  Uebersetzung  im  1.  Stücke  dieser  Studien  v.  J. 
488^,  S.  24  zul,  481»,  42  u.  43. 

II,  385»,  47  j»pers.^^^  Jo«,  Zusammenziehung  von^  v*^? 
noctu  fragrans,  —  so  genannt,  weil  die  Tuberose  in  der  Nacht 
stärker  duftet  als  am  Tage. 

II,  385»,  40  u.  9  V.  u.  flg.  3«Ä>  in  ♦i^äj  v>t^  bei  (jubair  und 

in  dVlib  i§^^,  Abbad.  II,  225,  3,  leitet  Wrightim  Glossar  zu  6ubair 


39    

S.  29  mit  Recht  von  JJ^!  ab:  »mit  einem  Mundvorrathe  der  sie 
(die  Mekkapilger}  aufrecht  erhält,«  und:  »einen  Gnadengehalt 

der  dich  erhält.«  Das  vom  Mmüs  ebenfaUs  wie  J3t  mit  der  Be- 
deutung ö^^  vV«i>  aufgeführte  altarabische,  den  Accusativ  re- 

gierende  JJJ,  Inf.  Ji  (nicht,  wie  bei  Freytag,  Jili),  ist  nach  dem 
tttrk.  tfjüOjj^,  womit  'Asim  Effendi  es  übersetzt,  nur  auf- 
heben und  tragen  im  eigentlichen  Sinne  und  schon  deswegen 
hier  nicht  anwendbar.  Indem  nun  Dozy  für  die  beiden  Stellen 
durch  eine  hier  für  den  allgemeinen  Sinn  gleichgiltige  Ver- 
änderung statt  soutenir  i^suffire^  setzt,  dies  aber  zu  einer  wirk- 

IM      ^ 

liehen  Bedeutung  seines  Jw'i  macht  und  auf  andere  Stellen  über- 
trägt, geräth  er  in  Irrthum.  Wäre  in  der  nächstfolgenden  Stelle 
aus  der  Bresl.  T.  u.  E.  N.,  III,  tt^'v,  3  u.  4,  der  ursprüngliche 
Text  überhaupt  wiederzuerkennen,  so  würde  Dozy'sVermuthung 

«jäLftil  äJLä  ^  ^A4.a^  allerdings,  —  nur  mit  Verwandlung  von 

isX»  in  iöi3\,  —  das  Richtige  treffen;  aber  auch  dann  wäre  der 
Sinn  nicht:  »d  cette  heure  ceux  ä  qui  un  lit  suffit  (qui  ne  de- 
mandent  rien  autre  chose)  se  livrent  au  sommeihj  sondern  wört- 
lich: es  schlafen  ruhig  die,  welche  das  Lager  erhöht,,  d.  h.  die 
welche  auf  weichem  Lager  hoch  gebettet  sind.  Das  wäre  aber 
im  Munde  des  schlichten  Fischers  unpassender  Schwulst;  sein 
unverfälschtes  Gemeinarabisch  hat  uns  die  Galland'sche  Hand- 
schrift erhalten  :  (Jä^5  äIS  q^  ^y*^  vi>^<  tvAP  ^  ^äJu*^^  ^'i : 

rt  denn  die  Fische  sind  zu  dieser  Zeit  durch  den  Wegfall  alles 
Lärms  in  voller  Sicherheit«  und  lassen  sich  daher  leicht  fangen. 

Zu  dem  acht  volksthümlichen  ^J^  —  im  gemeinen  Sprachge- 
brauche etwa  unserem  »Spektakel «  gleichstehend  —  s.  II,  231*, 
\0  flg.;  ^Jf^.sü\  bei  Habicht  ist  verschrieben  aus uS'ijjiit,  der  an- 

«t 

deren  a.  a.  0.  aufgeführten  Form.  —  Ebensowenig  hat  JJj  die 

ihm  beigelegte  Bedeutung  in  der  Dichterstelle  bei  Mal^Lkart,  I, 
536,  21,  sondern  die  gerade  entgegengesetzte :  » Es  tränke  dich, 
o  Berglehne,  der  Thränenstrom  in  reichlichem  Erguss,  und  noch 
zu  wenig  sei  ihm  das,  wenn  der  Regen  ausbleibt,«  d.  h.  dann 
ströme  er  noch  stärker« 


40 


b     o£ 


II,  385^,  -IOmLjj  JJläl«  Verwunderungsverbum,  daher  nicht 

als  Imperativ  der  4.  Form  zu  übersetzen:  r^pensez  que  c*estpeu,* 
sondern,  zusammen  mit  dem  ganzen  Verse:  »Tausend  Gold- 
stücke, —  und  wie  wenig  ist  das  für  einen  Gelehrten  der  sein 
Gesuch  überragt!«  d.  h.  der  weit  mehr  verdient  als  warum  er 
bittet. 


w      >    O 


II,  386%  2  »odiU^t^  a  sehr.  i^iJJix^\^:  »  und  das  Land  Jemen 

bildete  eine  besondere  Statthalterschaft  im  hohen  sultanischen 
(osmanischen)  Herrschaftsbereiche.«    Dozy  hat  sich  durch  den 

Vorgang  von  Rutgers  irre  machen  lassen  ;  ein  ^  L^JIäx^I  » il  les  a 


port^es  dans,  c.-^-d.  incorpor^es  ä«r  giebt  es  nicht.  Erhiittedie 
Stelle,  richtig  geschrieben,  unter  die  von  ihm  selbst  weiterhin 

aufgeführten  zahlreichen  Beispiele  des  Activums  jJiL^l  in  der 

hier  stattfindenden  Bedeutung  setzen  sollen.  S.  besonders  386^, 
17 — 21,  wo  JilÜA-M^t,  ganz  wie  hier,  nur  administrative  Selbst- 
ständigkeit, eigene  Verwaltung ,  keineswegs  politische  Unab- 
hängigkeit ist. 

II,  387%  24—26.   Die  aus  Edrlsl  angeführte  Stelle  beweist 

nichts  für  ein  concretes  jdd,  »comme  coli.,  iptu  nombreuxa]  denn 

nach  Form-  und  Sinnparallelismus  ist  f^\o  in  ^13(>  und  ÄJ3t 

in  xio  zu  verwandeln^  wörtlich :  » in  ihren  Personen  ist  Wenig- 

keit  und  in  ihren  Seelen  Unterwürfigkeit, c  d.  h.  ihre  Kopfzahl 
ist  gering  und  ihre  Sinnesart  sklavisch  unterwürfig. 

387%  43  »Jwj^^t  f\»)i\  les  temps  de  disefte«,  angeblich  also 

=  Äljüt  «M,  sprachlich  unzulässig  und  gegen  den  Sinn  der  an- 

geführten  Stelle,  die  Amari  in  seiner  italienischen  Biblioteca 
arabo-sicula,  I,  S.  77,  Z.  15 — 19,  übersetzt:  »L'abbondanza  6 
quivi  tanto  prodigiosa  che  tutti  i  grossi  iegni,  non  ostante  il  gran 
numero  che  ne  approda,  possono  entro  pochi  giorni  fare  lor  ca- 
richi  con  le  derrate  che  sopravanzano  ne^  mercati.«    Er  giebt 

also  Ju^i  «li^t  richtig  mit  entro  pochi  giorni  wieder,  wenn  er 


41     

auch  das  uniuitlelbar  vorhergehende  L^L^^t  J^'-?^  ^  nicht 
richtig  verstanden  hat.  Sinngetreu  übersetzt  bedeutet  die  Stelle : 
«Es  wird  auf  alle  die  grossen  Schiffe,  welche  dahin  (nach  Gir- 
genti)  kommen,  in  Folge  des  Ueberflusses  der  dort  lagernden 
reichen  Vorräthe  in  wenig  Tagen  mehr  (zur  Rückfracht)  ge- 
schafft als  ihre  mitgebrachten  Ladungen  betrugen«  (wörtlich: 
etwas,  was  über  ihre  Ladungen  hinausgeht}.  Die  Determination 

in  J^^Läj!  Aii\,  an  welcher  Dozy  angestossen  zu  sein  scheint, 
drückt  aus,  dass  das  hier  Berichtete  in  allen  gegebenen  Fallen 
geschehen  ist;  s.  meine  Kl.  Schriften,  I,  S.  457,  Z.  43 — 24. 

II,  387^  26  »JjU  petü?(i  ifuli,  in  der  bezeichneten  Stelle 

Beiwort  der  zur  Ueberfahrt  bereit  gehaltenen  Nachen,  bedeutet, 
dass  diese  die  in  sie  eingeschiffte  Henschenzahl  wirklich  zu 
tragen  vermochten,  stark  und  fest  gebaut  waren. 

II,  387^,  7  V.  u.  »/^^  gro^  bagage,  Bc.a  Kalabalyk, 

arabisch -türkischer  Zwitter:  kalaba,  gewöhnliche  türk.  Aus- 

spräche  von  xJLc,  mit  dem  türkischen  Bildungsanhang  lyk,  von 
einem  dichten  Menschenhaufen  (II,  224*,  47 — 20)  übergetragen 
auf  eine  grosse  Gepäckmasse ;  s.  Zenker  unter  /  äJ  aJLc  S.  649^ 
II,  388*,  3  »ri^rentff  Druckfehler  st.  rirent. 

II,  388%  5  u.  6.  \ySt  bei  Macnaghten,  gemeinarabisch  st. 
VjJä)\;  s.  Landberg,  Proverbes  et  diclons  S.  429,  Z.  4  flg.  Alt- 
arabisch  wäre  allerdings  mit  Dozy  \yjÄ  zu  lesen,  wofür  389*, 
24,  das  gewöhnliche  t^JLlüt  steht.   Zwischen  beiden  ist  jedoch 

ein  feiner  Sinnesunterschied:   während  das  reflexive  Activ 

l^JlÄJl  und  das  statt  dessen  stehende  t^JLä  einfach  bedeuten :  sie 
fielen  (vor  Lachen)  auf  den  Rücken  (indem  sie  sich  selbst  hin- 
warfen oder  vom  Lachen  gleichsam  hinwerfen  Hessen),  drückt 

das  Passiv  LJLä  aus,  dass  sie  von  einem  wirklich  oder  gleich- 
sam mit  Bewusstsein  und  Absicht  wirkenden  Agens,  ohne  innere 
oder  äussere  Mitwirkung  von  ihrer  Seite,  auf  den  Rücken  ge- 
worfen wurden.  Das  Agens  ist  hier  das  Lachen,  anderswo  eine 
himmlische  oder  irdische,  geistige  oder  stoffliche,  innere  oder 


42     

äussere  Kraft.  Ein  solches  Passiv  lässt  sich  oft  sprach-  und 
sinngemäss  durch  unser  unpersönliches  Activ  mil  es  wieder— 

geben,   z.  B.  Sur.  7  V.  K\^\  ^^jjJl>1^ ä^^suJI   ij!^ ,  und  es 

warf  die  Zauberer  anbetend  hin,«  wozu  Baid^wt  sagt: 
» sie  (die  ägyptischen  Zauberer)  werden  dargestellt  als  auf  ihr 
Antlitz  hingeworfen  (nicht  als  sich  selbst  hinwerfend),  um 
bemerklich  zu  machen,  dass  die  Kraft  der  Wahrheit  (in  den 
Wundem  Mosis)  sie  ttberwäUigte  und  zwang,  sich  anbetend 
niederzuwerfen,  so  dass  sie  ihrer  selbst  nicht  mehr  mächtig 
waren.« 


'      o  * 


II,  388»»,  2.  V.  u.  bis  389»,  2.  Daso^*,  unter,  voriL-jm 
ti^iAäif^  zeigt,  dass  diese  beiden  Substantive  nicht  von  mensch- 
lichem Wollen  und  Können,  sondern  von  der  göttlichen  Willens- 
bestim'mung  und  Allmacht  zu  verstehen  sind :  sie  schalteten  und 
walteten  äusserlich  nach  freiem  Belieben,  aber  (gemäss  der 
Lehre  von  der  ewigen  Vorherbestimmung  auch  der  scheinbar 
freien  menschlichen  Handlungen)  unter  der  Herrschaft  und  in 
Abhängigkeit  von  Gottes  Willen  und  Allmacht. 

II,  389»,  3  V.  u.  v^Jü>  bedeutet  nirgends,  auch  nicht  in  der 
hier  angeführten  Stelle,  i^alte'«,  sondern,  wie  gewöhnlich,  Herz 
als  Sitz  des  Verstandes  im  gewöhnlichen  Sinne;  Verstand 
aber  nach  sufischer  Redeweise  ist  höhere  (mystische) 
Einsicht  (Flögers  Kitab  al-ta'rtfAt,  U1  u.  Iav),  woher  die  Sußs 
vorzugsweise  u^^t  vWs'  heissen.  Ein  etwas  vorwitziger  Lehr- 
jUnger  der  Theosophie  klagt  nun  hier  seinem  alten  Meister,  er 
finde  sein  »Herz«  noch  nicht  so,  wie  er  es  gern  haben  möchte: 
worauf  er  die  zurechtweisende  Antwort  erhält:  sich  bin  neun- 
zig Jahr  alt  und  habe  noch  kein  rechtes  »Herz«,  und  du  (Neu- 
ling) möchtest  schon  ein  solches  haben?« 

II,  389*^,  6  u.  5  V.  u.  »(I.  ^}y^  v^^'OOj«.  Die  Aenderung 

ist  unnöthig.  Dozy  selbst  hat  I,  439%  U  flg.  \5^bce/er,  cacher, 

obritera,  Guche  nr»  »ti^Jü*  j^^^Jü*  se  cacher;  s'abriter«,  in  der 
letzteren  Bedeutung  als  gemeinarabisch. 

II,  390»,  23  u.  24  »^  .Lkj  uji«  etwa  zu  übersetzen  mit 
boutargue  fine,   exquise,   oder  mehr  wörtlich,   wenn  man  so 


43 


X)  ^  >    c 


sagen  könnte,   Qeur  de  boutargue.    KdmOis:  juJ  »^^^^  ^}S  v^i 


)    o 


II,  390*,  27—32.    Gegen  die  Verwandlung  dieses  dUlS  ^^s 

in  »dUA5«  habe  ich  das  Bedenken,  dass  die  in  einzelnen  Aus- 

drücken  von  der  Tunesischen  Handschrift  abweichende  Gal- 
land'sche  gerade  hier  ganz  ebenso  liest.  Nach  Landberg's  Pro- 
verbes  et  dictons  S.  1S9,  Z.  8  u.  9  mag  dieses  gemeinarabische 

Q^  v_JL3^s  überhaupt  ein  enges,  vertrautes  oder  geheimes  Zu- 

sammensein  ausdrücken;  in  volksthümlichem  Deutsch:  du 
steckst  mit  dem  Vermögen  unseres  Vaters  zusammen,  oder:  es 
steckt  bei  dir. 

II,  390^  40  »«jLJ«  sehr.  *>I. 

II,  391»,  27—31.  Nach  Herrn 'Aide,  dem  Aegypter  wel- 
cher mir  zu  der  Diss.  de  glossis  Habichtianis  Beitrüge  lieferte, 
ist  t^b'  in  der  angeführten  Stelle  der  T.  u.  E.  N.  »eine  aus 
Mousselinbinden  und  Tüchern  gebildete  straffe  Haube,  auf 
welche  die  Weiber  ihren  Turban  setzen  und  welche  diesem 
selbst  seine  Form  giebt  und  ihn  darin  erhält.  Das  Ganze  heisst 
»'acb^,  K^Aoctt. 

II,  391*,  vorl.  Z.  flg.  In  Betreff  der  Ableitung  des  Wortes 
calibre  von  aequilibrium,  equüibrio,  gebe  ich  meinem  sei.  Freunde 

ganz  Recht  und  bemerke  nur  noch,  dass  das  pers.  vXJiy,  mit 


"9    ' 


anderem  Vocal  der  zweiten  Silbe  \X^\S  und  mit  Abwerfung  des 

letzten  Consonanten  wJL/,  nicht  nur  in  seinen  Bedeutungen, 
sondern  auch  in  seiner  Herkunft  von  xako/tödiov  das  vollkom- 
mene Seitenstück  zum  arab.  ^lä  ist,  wie  dies  Ahmed  Weftk 
ausführlich  darlegt  in  LebgeY  'otm^ni  S.  aaI  Z.  5 — 16. 


^oOo         ^»O  « 


II,  390,  10  V.  u.  Ueber  ULiu  UülÄ  s.  das  dritte  Stück 
dieser  Studien  v.  J.  1884,  S.  13  Z.  17  flg. 

H,  392*,  27  »^^JliaoderwieinLehgeTf^otmAnlS.  aaI  vorl. 
Z.  zu  genauer  Bezeichnung  der  Aussprache  mit  drei  Vocal- 
buchstaben  QtjLJiä,  k  ä  1  b  ä  z  ä  n ,  türkische  Umlautung  des  arab.- 

pers.  Qt  uJÖ,  Falschmünzer. 


44     

II  392%  29  ^(^^  et  /  ^^a  Arabisirung  des  tttrk.  au^as 
mit  Verkürzung  und  Consonantenumstellung.  Seetzen's  Reisen, 
IV,  S.  549  Z.  6  flg.:  d Die  Schildkröte  gilt  den  Morgenländern 
für  eine  grosse  Art  Frosch;  daher  türk.  kaply  baga,  eig.  der 
in  einem  Gehäuse  steckende  Frosch«,  wie  das  deutsche  Schild- 
kröte,  eig.  die  mit  einem  Schilde  versehene  Kröte. 

II,  393%  30.  Die  Verbindung  von  oJüi  mit  v^  einer  Person 
ist  grundsätzlich  unmöglich ;  statt  ..au  war  einfach  aI  mit  Ä^jyiÄi  ^^ 
J^/oUit  zu  schreiben:  »ohne  ihm  (dem  Safe'l}  blindlings  und  in 
allen  Stücken  zu  folgen.« 

II,  393»,  31—37.  Auch  hier  hat  die  Handschrift  der  Rijäd- 

al-nufüs  irregeführt.  Statt  aus  ihrem  »jJLäja  für  jJLä  mit  dem 
Acc.  eine  neue  unbeweisbare  Bedeutung :  »faire  habüuellement 
une  chose«  zu  folgern,  ist  es  zu  dem  unmittelbar  darauf  Folgenden 

zu  ziehen  und  jJLäj  oder  oJLaäj  zu  schreiben:  »O  Wunder  über 
die  Leute!  Da  fallen  sie  über  N.  N.  her,  weil  er  sich  mit  der 
und  der  Handlung  versündigt  hat,  während  es  unter  ihnen  selbst 
den  und  jenen  giebt,  der,  ohne  dass  ihm  jemand  etwas  davon 
nachsagt,  ähnliche  Dinge  auf  sein  Gewissen  lädt.« 

II,  394^,  15  flg.    Der  besprochene  bildliche  Gebrauch  von 

lXJL&o  in  dem  ven  Dozy  angenommenen  Sinne  wird  durch  Sur. 
39  V.  63  und  Sur.  42  V.  10  mit  den  Erklärungen  Zama^sarFs 
und  Baidäwi's  bestätigt.  Zwar  bedeutet  lKaJüIq  an  und  für  sich 
ohne  Zweifel  ebenso  Schlüssel  wie  das  in  derselben  Redens- 


^•B 


art  Abbad.  I,  S.  295  Anm.  209  Z.  1  vorkommende  JoJiSt,  PI. 

des  unmittelbar  aus  y.leidlor,  xi.€idl  gebildeten  JuJLdt ,  aber  die 

Schlüssel  von  etwas  haben  ist  im  eigentlichen  Sinne  soviel  als: 
freien  Zutritt  zu  den  mit  den  Schlüsseln  zu  eröfl'nenden  Räumen, 
Vorräthen,  Schätzen  u.  s.  w.  haben,  daher  uneigentlich :  unbe- 
schränkt über  etwas  verfügen. 

11,  394^  29  »'^jß^  petä  pain^  allerdings  vom  syr.  ^ioiiixxr, 
dieses  aber  von  xoXlvQa. 

II,  395*,  26.    Dozy's  Fragzeichen  hinter  M's  Erklärung  von 


45 


>  o« 


^j^^mmJs  gilt  zunächst  dem  sinDlosen  qv>U!,  wofür  aber  M  selbst 
tyot%  5.  V.  u.  richtig  q3^!  hat,  d.  h.  Qi>X^  ro  ladapov.  Dieses 
^Si  oder  ^,i^,  bei  Freytag  IV,  S.  99*  Z.  20,  ist  von  Dozy  II, 
S.  5S4*  unter  ^^  mit  reichlichen  Quellennachweisen  ausfuhr- 

9  <*"  9    0 

lieh  behandelt ;  ij^^y^AS  selbst  aber  ist  eine  Entstellung  von  (j^^io^i , 

Tdavog^  wie  M  Ui.,  17  das  Wort  neben  (^M^^^iJlä  richtig  schreibt. 
Eine  andere  falsche  Form  hat  das  griechische  Wort  im  türkischen 
Kämüs  unter  qS^\  bekommen,  nämlich  ^JMy*^  xtaaog,  bestätigt 
durch  olxi  ^ y^ v>a J  (jt^^jMÖ  qcXai^  /  ^^^j>d :  »das  zur  Gattung 
£pheu  gehörige  Gewächs,  das  man  luaabg  nennt,«  während  der 
das  Ladanum  erzeugende  Cistusstrauch  von  dem  Epheu  grund- 
verschieden ist. 

II,  395»,  27  flg.    Unter  J^  ist  aus  M  nachzutragen  :  ji^\S , 

galoche,  ^^U!^  ^j}\  ^r  ^'«-^'  ^J^.  «-»^  er  ^-^>  ^^^^  Halbsliefel 

(bottine)  aus  Federharz,  der  den  Schuh  vor  Roth  und  Wasser 
schützt  t.  Bestätigt  durch  Al-FarMd  :  «^j^g  chaussure  en  caou- 
tcbouc.« 

II,  396»,  48  »JsjiÄa,  diese  andere  Form  für  das  gemeinara- 

bische  {joji3  hat  die  Galland'sche  Handschrift  statt  des  letzteren 

in  der  zu  11,  395\  13  angeführten  Stelle  der  Bresl.  T.  u.  E.  N. 

II,  396^,  26  »  JU^!  ^i  Vacier  tndien«.   jjlä  ist  in  dieser  Be- 

deutung  nicht  nachweisbar.  Wie  «^  in  dem  durch  ^  damit  ver- 
bundenen Q^t  #uX  Infinitiv  von  «^  schmieden,  so  ist  ^Ji  In- 

9  *  ^ 
finitiv  von  «id  losbrechen,  in  Beziehung  auf  Mineralien  in  unserer 

Bergmannsspraehe :  fördern,  txiruire^  tirer.  Cuchealsgemeinara- 


o^ 


bisch :  »«JLä  tirer  des  pierres.    «Jüu  carri^re  (de  pierres]«.    Die 

Worte  bei  Ta'^Iibt  bedeuten  also:  Am  besten  ist  ein  Säbel, 
wenn  er  (d.  h.  das  Metall  dazu)  in  Indien  gefbrdert  und  In  Jemen 
geschmiedet  ist. 

II,   397^   44  flg.     Zur  Vervollständigung  dieses  Artikels 
dient  ein  Nachtrag  zu  Levy's  neuhebr.  u.  chald.  Wörterbuch, 


46     

I,  276  u.  277:  »^nilDba,  S.  1»Z.  28,  scheint  durch  Umstellung 
aus  ^^ItD^lba  und  dieses  durch  Erweichung  aus  "^IMbp  entstanden 
zu  sein,  entsprechend  dem  arab.  obJoftid,  das  selbst  wiederum 
eineVerderbniss  von  oli-taäli  d.  h.  (pvkaxri^Qta  ist.  Bresl.  T.  u. 
E.  N.  I,  l*f1,  4  u.  5:  »Sie  (die  Zauberin)  zeichnete  auf  die  Kreis- 
linie Namen  in  kufischer  Schrift  und  olijaaiä.«  FltlgePs  Kata- 
log der  arab.  pers.  u.  ttlrk.  Handschriften  der  Hofbibliothek  zu 
Wien,  2.  Bd.  S.  56r  Z.  16  in  der  Inhaltsangabe  eines  Ab- 
schnittes des  Werkes  ^iSA\  äjIc  über  Zauberei :  oii^Lülüit  J^^^c 
>^ftA^I   »die  Verfertigung  der  sieben  Phylakterientf.    Bist^nfs 


f     ^        ^         ,  ^     fi    mU  f 


Muhlt  al-Muhlt,  IvoP:  b,j<=uJÜ  oU^Aß  oL.hftUII  »KalfatriAt  sind 

Zeichen  der  Zauberer«.  Aber  die  ursprüngliche  Form  oljJaüid 
oder  otjJ;2Ä)L3  hat  H^^t  Halfa's  bibliographisches  Wörterbuch, 
4.  Bd.  S.  463,  Nr.  9189:  ol^^häUJi  jJU,  Flügel:  Doctrina  phy- 

lacteriorum.  Es  sind  dies,  wie  es  da  heisst,  »lange  beschriebene 
Streifen,  auf  denen  Buchstaben  und  Figuren,  d.  h.  Ringe  und 
Kreislinien,  mit  einander  verflochten  sind  und  die,  wie  man 
vorgiebt,  durch  die  ihnen  innewohnende  besondere  Kraft  ge- 
wisse Wirkungen  ausüben.  Nur  einiges  davon  lasst  sich  lesen.« 

II,  397^,  3.  V.  u.  »/äJLä  —  veiller,  Ma.  Wie  das  bei  den 
Neueren  übliche  /^  eigentlich  überhaupt  ist:  sich  ruhelos  hin 
und  her  bewegen,  besonders:  sich  auf  dem  Lager  hin  und  her 
werfen,  nicht  schlafen  können,  so  bedeutet  auch  das  Ultere  /  ä.t, 
womit  M  das  /  öÜ  erklart,  nicht  im  Allgemeinen  i^veilleraj  son- 
dern schlaflos  sein,  als  leidender  Zustand. 

II,  400*,  5 — 40.  Die  gemeinschaftliche  Bedeutung  von 
«U/«,  kIjJU  und  Ä^y«  in  Beziehung  auf  eine  Ziffep  ist  ihre  Rang- 
stufe, d.  h.  die  Werthgrösso,  welche  sie  in  zusammengesetzten 
Zahlen  je  nach  der  von  ihr  eingenommenen  Stelle  unter  den 
Einern,  Zehnern  u.  s.  w.  darstellt;  s.  das  dritte  Stück  dieser 
Studien  v.  J.  1884,  S.  48  zu  II,  47%  7—9.    Nach  M  hat  nun 

auch  fji  diese  allgemeine  Bedeutung,  womit  die  besondere  An- 
wendung auf  den  yidenominateur^^  den  Nenner  eines  Bruches, 
sich  um  so  besser  verträgt,  da  auch  der  Nenner  eines  Bruches, 
als  entweder  zu  den  Einern,  oder  zu  den  Zehnern,  oder  zu  den 


47     

Hunderten  u.  s.  w.  gehörend,  die  bezügliche  Rangstufe  des 
Bruches  angiebt. 

11,  400%  S6  JiK^JLd  sacristie,  Bc.a   In  der  ersten  Ausgabe 

von  Bocthor  steht  richtig  x^JÜ»,  d.  h.  xa^Aä,  Schreibstube,  inso- 

fern  in  der  Sacristei  auch  die  zu  kirchenamtlichen  Aufzeich- 
nungen u.  s.w.  nöthigen  Schreibmaterialien  aufbewahrt  werden. 

II,  401%  44  V.  u.  flg.    Das  hier  angefochtene  Verdopp- 

lungszeichen  in  LP^  wird  gerechtfertigt  durch  die  Anmerkung 
zu  II,  225,  3 — 1  V.  u.  im  vorigen  Stücke  dieser  Studien  v.  J. 
1885,  S.  355. 

II,  401%  22  u.  23.  Golius-Freytag's  'iCh,  weit  entfernt  un- 


9   •• 


richtig  zu  sein,  ist  die  dem  syr.  ]A^\r^  (nicht  >]^a!^uJ  un- 
mittelbar entsprechende  ursprüngliche  Form ,  woneben  die  ge- 
wöhnliche mit  ä  in  der  vierten  Silbe  bald  'L'h,  bald  Kj!^,  bald 


i    9 


Xj^Lä  ausgesprochen  wird.  Das  getadelte  xj^  hat  Wüstenfeld 
vollkommen  gerechtfertigt  zu  JA^üt,  V,  378,  22  u.  23 ;  die  Ver- 
wandlung des  ursprünglichen  Kasrah  in  Dammah  ist  eine  nach 
emphatischen    Consonanten    gewöhnlilche    Yerdumpfung    des 

spitzen  Vocals.  Cucheofl^:  »J.^  ^  KJüL  xt^chambre,  cellule; 

patriarcat,«  ohne  Untei*scheidung  der  beiden  Formen ;  Al-Far^Yd 
hingegen,  111*,  stellt  xJü»  voran  und  giebt  äjSüj  als  gemeinara- 

bisch  mit  dem  Plural  oj^bb.    M  hat  KJüüt  als  xjL«yklt  lu^  Iv..'' 

unter  J^'i;  xi^it  als  ^.Aiu.!ilt  ^^^5L«wQundursprünglich  griechisches 


•     c  J 


Wort  in  der  Bedeutung  von  gO^  {vol^  unter  ^. 

II,   401%  20  »sSä«  sehr.  sSis,  wie  M  wirklich  hat.    Die 

Form  ÄJüe  von  einem  Orte  wo  ein  Erzeugnlss  der  Natur  oder 
der  Kunst  gewonnen,  zubereitet  oder  verkauft  wird,  ist  dieselbe 

'  ^  ^  ^  m. 

wie  in  x>Xc,  x^^bli^,  K^Lau^,  >U;?iy>,  8^U3-;  s.  meine  Kl.  Schrif- 
ten,  I,   249,   20—27.     Diesem  Femininum  H^',   Tiegelei, 


48 

Tiegel  Werkstatt,  entsprichtdasMasculinum^^,  Tiegl  er, 

Tiegelverfertiger,  ^iLft^t  filj^,  welche  von  M  angegebene 

Bedeutung  zu  locelui  qui  früa  401  \  21  hinzuzufügen  ist.  —  Das 
Fehlen  des  zur  Darstellung  der  richtigen  Form  nothwendigen 

Verdopplungszeichens  war  schon  11,  244%  6  v.  u.  bei  oiULs?  char- 
bonnidre«  statt  x<l^  zu  bemerken. 

II,  402%  21   »KJLäS'ff  eigentlich  '»Jji!i,  Infinitiv  von  J^  in 


concreter  Bedeutung,  der  aber  in  der  Gemeinsprache  den  Ae- 
Cent  auf  seine  zweite  Silbe  wirft  und  diese  dadurch  verlangen; 
s.  Spitta-Bey's  Grammatik  S.  234  Z.  14—18.  In  Syrien  erhebt 
sich  dieses  ij  sogar  zum  aij;  s.  Wetzstein  in  Zeilschr.  d.  D.  M. 
G.  Bd.  XI  V.  J.  1857,  S.  507  Anm.  31. 

II,  404%  8—10.    DasoiyuiderBresl.T.u.  E.N.,1,  tfl,  13, 
wofür  Dozy  oL^i  vermuthet,  ist  eine  wunderliche  Entstellung 

des  oLju^  der  Galland'schen  und  einer  ehemals  dem  sei.  Pro- 
fessor Gaussin  de  Perceval  angehörenden  Handschrift.  Diese 
»Trichterchen  der  feinen  Leute  a  sind  eine  der  vielen  Arten 
morgenländischen ,  besonders  ägyptischen  Naschwerks  und 
haben  ihren  Namen,  wie  mir  Herr  'AYde  sagte,  davon,  dass  sie 
von  einer  breiten  oberen  Oeffnung  nach  unten  trichterförmig 
spitz  zulaufen.  Wie  fruchtbar  die  Einbildungskraft  der  morgen- 
ländischen Zuckerbäcker  in  Erfindung  witziger  und  anlockender 
Namen  für  ihre  Waaren  ist,  zeigt  die  ganze  angeführte  Stelle 
der  Bresl.  T.  u.  E.  N.,  deren  Text  nur  leider  an  manchen  Ver- 
derbnissen leidet.  So  steht  auch  unmittelbar  vor  j^l3^^{  oLffA4i 
als  Name  eines  anderen  Gebäckes  das  in  dieser  Verbindung 
sinnlose  y^3  J^^^l)  »Essen  und  Trinken,«  statt  des  artigen 
jCäI^  JJ'  der  obengenannten  beiden  anderen  Handschriften: 
»Iss  und  danke!«  In  der  Calcuttaer  Ausgabe  ebenso,  nur  ohne 
Verbindungspartikel :  j^t  ^}S. 

II,  405*,  1  u.  2.    Als  Medium  des  gemeinarabischen  jIä  — 

Cuche  und  Al-FarÄld:  »i^i  faire  sauter«  —  ist  das  i^jüü  der 
Tunesischen  Handschrift  nicht  verdächtig.    Im  Gegensatze  «ur 


49     

ersten  Form  drückt  die  fünfte  aus,  dass  der  Galan  bei  diesem 
Liebesspiele  die  Dame  wiederholt  mit  Zärtlichkeiten  bestürmte, 
so  zu  sagen  Vdssaülit^  von  salire. 

II,  406^,  13  u.  44.  Der  zweite  Vers,  der  angeblich  gegen 
das  Metrum  ^jLfA7>  sündigt,  ist  vollkommen  richtig,  und  ebenso 

das  mit  g^Uäl,  den  Stielen  der  Weinbeeren ,  ein  Wortspiel  bil- 

dende  cLii  in  ^^LmaJI  cUd  unverdächtig  in  der  Bedeutung  r  i  n 

feine  Spitzen  auslaufende  Finger,  qUj,  wie  es  in  Mac- 

naghtens  Ausgabe  dafür  heisst.  «4i  oder  «4^  lässt  sich  auf  Alles 

anwenden,  was  in  der  Gemeinsprache  g^lS  heisst;  Cuche:  »c^lü 

^!^]y^  Z*  ^^^^}  ^^"^  ^  m^^  s*61^ve  en  c6ne,  en  pointe.« 

II,  409%  25  Hg.   Die  richtige  Ableitung  des  Wortes  ia^, 
i^Jj  von  TtfovwTcldiov,  xowovTtldi,  s.  im  vorigen 

Stücke  dieser  Studien  v.  J.  1885,  S.  394  zu  II,  340%  11  v.  u. 
Mit  derselben  habe  ich  die  zu  Öaw^likl  S.  55  versuchte  Ablei* 
tung  von  nQafißi]  thatsächlich  zurückgenommen. 

II,  410%  1  flg.  Dozy^s  Meinung  wird  bestätigt  durch  den 
Kdmüs:  i^AAoüJt  yajül.«    Die  tenuis  o  geht  durch  den  erwei- 

chenden  Einfluss  der  auf  sie  stossenden  liquida  ^  in  die  media 

«>  über.   Der  Wortstamm  ist  jcä,  die  Quadriliteralform  Joud. 

II,  410^,  11  flg.  Vgl.  die  andre  Schreibart  dieser  Worte 
mit  £  statt  d  II,  229»,  4 — 1  t.  u.  und  die  Anmerkung  dazu  im 
vorigen  Stücke  dieser  Studien  v.  J.  1885,  S.  356  Z.  1—7. 

II,  410%  8  V.  u.  »Ul  J^JUftJU,  so  auch  in  der  ersten  Aus- 
gabe mit  doppeltem  Artikel  st.  Ul  J^JUä. 

II,   411%  9  »ikUäc   magrebinische  Erweichung  von  s^Ui 

oderb^Lid,  einem  Worte,  von  dem  Öawält^t  8.  ()t  drittl.  Z.  nur 

weiss,  dass  es  nicht  ficht  arabisch  ist,  und  das  ZamahiaH,  Mu^ 

kaddimat  al-adab  S.  öl  Z.  5  v.  u.  mit  wLod  ij^t,  Haken  des 

4886.  4 


50     

Fleischers  zum  Aufhängen,  undjj^l  c^^^^j  Fleischhaken,  über- 
setzt; bezeugt  durch  diese  und  die  allgemeine  Bedeutung  Fleisch- 
bank seine  Herkunft  von  dem  ebenso  gebrauchten  carnariumy 
dessen  r  durch  Verdoppelung  des  n  ersetzt  worden  ist.  Hiernach 
ist  die  noch  heutzutage  auch  bei  den  Türken  gewöhnliche  Aus- 
sprache mit  a  der  ersten  Silbe  die  ursprüngliche.   Mit  dem  se- 

mitischen  ö^Um»  hat  das  Wort  nichts  zu  schaffen. 

n,  442^,  23  u.  S4  itsonchevaltombaa^  als  Uebersetzung  von 

K»M^  xj  ciJbAÄj,  übergeht  das  &j;  mit  dessen  Hinzunahme:  sein 
Pferd  warf  ihn  ab,  —  indem  es  entweder  nach  vom  hinstürzte, 
oder  sich  nach  hinten  überschlug. 

II,  413%  12  MxewavQlrjt  sehr,  xevtavfla.  / 

U,  413%  30  »^^^^^t  andere  Form  für  ^^^LbA3  412^  10. 

IT,  414%  4  9/äU3c,  so  vocalisirt  auch  Guche ;  aber  Al-Far^Yd 

nach  der  ursprünglichen  Aussprache  /^'Uä,  428%  8  v.  u.  in  voller 
Schreibart  dargestellt  durch  /  ^'iiyi.   H  bemerkt  ausserdem,  dass 

man  bisweilen  auch  die  Strecke  so  nenne,  welche  ein  Reisender 
in  einem  ganzen  Tage  (bis  zum  Nachtlager)  zurücklegt ,  —  wie 

J^,  II,  662%  22. 

II,  414»,  8  »jJi  (ou  s^]  encens,  olibanoi,  s.i^  495»,  12, 

entstanden  aus  dem  türkischen  vüJUi',  i^Ui^,  Weihrauch,  ge- 
wöhnlich ausgesprochen  günnük;  s.  über  diese  Verwandlung 
von  nl  in  nn  das  dritte  Stück  dieser  Studien  v.  J.  1884,  S.  49 
Z.  1 — 4.  Noch  starker  ist  die  Lautverwandlung  in  dem  türk.- 
pers.  (£f\Ä^,  Gazophylacium  S.  156  unter  Incenso. 

II,  414»,  7  u.  6  V.  u.  »[^  percer  (lance,  öUä)«.   Text  und 

Uebersetzung  der  Verse  Abbad.  I,  396,  10  u.  11,  und  415,  21 
bis  24,  sind  berichtigt  Abbad.  III,  179  vorl.  u.  1.  Z.  und  184, 

18 — 21 ;  nur  xhastae  ne  amplius  perfodiant«  für  Uä  ^y^  ^  ist 
unverändert  geblieben.  Dass  der  Dichter  mit  dieser  Zusammen- 
Stellung  ein  Wort-  und  Sinnspiel  beabsichtigt  und  v^^aaü  nach 


51 


190>      O    »,* 


dem  Parallelismus  mit  Oa  oJü  ^  eine  Wirkung  oder  Eigenschaft 
der  Rohrlanzen  bezeichnet,  hat  Dozy  richtig  erkannt.   Aber  ich 

kann  nicht  zugeben,  dass  ^  als  »quasi«  von  Li  abgeleitet  per- 

cer  bedeute.  Wäre  ein  solches  vb.  denominativum  in  der  e  rsten 
Form  mit  transitiver  Bedeutung  überhaupt  möglich^  so  würde 

es  sicherlich  nicht  ^,  sondern  ^,  also  hier  im  Femininum 

0JL3  lauten,  die  Dreisilbigkeit  ist  aber  durch  das  Versmass  ver- 
bürgt. Wahrscheinlich  hätte  auch  Dozy  Abbad.  I,  445  Anm.  16 
nicht  gesagt:  >In  Lexico  non  commemoratur  huic  loco  apta  ver- 

hi  ^  significatio^a  wenn  nicht  zufällig  bei  Freytag  unter  ^ 


,06 


die  dem  Inf.  ÜÄ  und  dem  Adj.  ^1  zu  Grunde  liegende  Bedeu- 
tung fehlte.    M:  '^Lm^  v^^J^?^  «^1  ^y  Uä  ^  ^jSi\  ^ 

^1  j^  «iy?  ^^A^-   Freilich  im  eigentlichen  Sinne  hat  nur  die 

Nase  und  der  Schnabel  von  Menschen  und  Thieren  diese  Eigen- 
schaft, aber  die  Einbildungskraft  des  Dichters  trägt  sie  über  auf 
die  Lanze  mit  der  scharfen  obern  Spitze,  den  bausehenden  Rohr- 


»  > 


knoten  in  der  Mitte  und  den  -. : ,  der  Eisenspitze  am  untern 
Ende  des  Schaftes.  Ebenso  erscheinen  J>t^l,  die  adlernäsigen 
(Lanzen)  Ma^kart  II,  Hi,  17,  in  Verbindung  mit  ^y^l^Il,  den 
schneidigen  (Säbeln). 


o      oO. 


II,  4U^,  8  u.  7  V.  u.  »^ys  I  (form6  de  ^^l5)  c.  a.  et  II 
dans  le  Yoc.  sous  canon«  ohne  Bedeutungsangabe,  aber  jeden- 

falls  nur  eine  andre  Form  von  ^^  428*,  1.  Z.  npunim,  als  eigen- 

tbümlicher  Ausdruck  der  christlichen  Kirchensprache,  gebildet 
von  Q^iü  in  der  besondern  Bedeutung  kanonische  Busse  oder 

Strafe,  »p^nitence  impos^e  h  qqn.c,  nach  Cuche  und  Al-Far^Yd. 
Beide  geben  ausserdem:  »äJü^  ^^jji  imposer  ä  qqn.  une  p^ni- 

lence  (en  confession).    ^i^'  recevoir  une  p^nilence.    ^J^JÄA 
auquel  on  a  impos^  une  p^nitence.a 

4* 


52    


11,  414*»,  6  V.  u.  »^^  IV  c.  ^ys  5=  ^  L5^'j  suppiger j  si 
Wright  a  bien  corrig6  (Add.  et  corr.)  Maee.  I,  474,  5  (Boul.  = 
texte]«.  Ich  sehe  keinen  genügenden  Grund  zu  der  von  Wright 
in  den  Add.  et  corr.  CIX*  Z.  6  versuchten  Umänderung  des 


Kti  Oi 


durch  die  Bulaker  Ausgabe  bestätigten  ^^J^u  in  ^^jLäj ;  denn  die 

Wiederholung  des  schon  in  dem  ersten  Parallelgliede  stehenden 
Wortes  erklärt  sich  durch  die  Verschiedenheit  des  Vorhergehen- 
den und  Folgenden,  und  das  Fehlen  eines  andern  Beispiels  von 

einem  so  absolut  wie  _c  ir^.  gebrauchten  _£ ic^ mahnt  we- 

nigstens  zur  Vorsicht. 

II,  41 5^,  44  flg.   lieber  den  verschiedenen  Gebrauch  von 

^Lc^,  nach  Cuche  gewöhnlich  ))gouvernante,  femme  qui  a  la 
Charge  de  la  maison;  pourvoyeuse«)  handelt  auch  Lane's  An- 
merkung zum  zweiten  Bande  seiner  Uebersetzung  der  T.  u.  E. 
N.,  S.  224,  no.  35. 

* '  * 
II,  41 6*^,  3  ^xi^  dartrea  u.  s.  w.   Auch  die  erste  Ausgabe 

von  Bocthor  bat  unter  Darire  und  Feu  volage  diese  gemeinara- 

biscbe  Aussprache  statt  der  altern  äj^  und  äI^. 

II,  416%  10^*0^  I  c.  a.  manger,  Macc.  I,  138,  6o  ist  zu 
streichen.    Durch  eine  augenblickliche  Selbsttäuschung  glaubte 

Dozy  die  angeführten  Worte  xAyj  lü^  U  ^t  «JUc^jX»  ^  er«  über- 
setzen zu  müssen :  qui  non  habet  nisi  quod  eo  ipso  die  edat, 
während  sie  bedeuten:  qui  non  habet  nisi  quod  cum  eo  ipso 
alat  (sustentet). 

II,  44  6^,  4  7  flg.  Die  Verbindung  von  ^Üül  mit  ^Jt  einer  Per- 
son, der  man  Folge  leistet  oder  sich  unterwirft,  findet  sich  auch 
Makkari,  I,  1.1,  45,  IH,  8  u.  9,  IH»,  4  v.  u.  Der  Verschiedenheit 
der  Construction  mit  J  und  mit  _!t  könnte  eine  Verschiedenheit 
der  ursprünglichen  Vorstellung  zu  Grunde  liegen;  während 
aI  oLfiit  ohne  Zweifel  bedeutet :  er  gab  sich  ihm  zur  Führung 
hin,  Hess  sich  von  ihm  führen  (meine  Kl.  Sdiriften,  I,  S.  84  Z. 
4  4 — 47),  könnte  a^i  ^Läil  eigentlich  bedeuten:  er  Hess  sich  zu 
ihm  hinfuhren,  nämlich  um  sich  ihm  dienstbar  zu  machen  u.  dgl., 
wobei  ebenso  eine  Person  wie  ein  äusserer  oder  innerer  Be- 


. 53    

weggrund  als  vXJIä  denkbar  ist;  aber  wahrscbeinlioher  ist  ^\ 
hier,  wie  in  andern  Fttllen,  nur  eine  VersUIrkuiig  von  J;  s.  diefi»e 
Sitzungsberichte  v.  J.  1867,  S.  181  u.  182,  und  Kl.  Sehr.  1, 
S.  669  Mitte. 

II,  416^  21  u.  22  »VIII  (SLXsI)  c.  a.  p.  se  laisser  conduire 
par  qiielqu'un« ,  unmöglich ;  tObcSt  ist  rein  activ,  dasselbe  wie 
{Ol§  oder  vielmehr  vermöge  des  reflexiven  Zusatzes  x^^  tO&, 


M  twfy  13  u.  14.  In  der  angeführten  Stelle  des  Moslim-Diwans, 
n,  15,  verkennt  das  Glossar  LXI,  Z.  6  v.  u.  den  Gegensatz 
zwischen  oUil  des  ersten  und  ^LääI  des  zweiten  Halbverses :  »Er 
(der  Gepriesene]  ist  gleich  einem  Wildbach:  stellst  du  dich  ihm 
entgegen,  so  giebst  du  dich,  ihm  folgsam,  seiner  Führung  hin; 
führst  du  ihn  aber  (durch  Theilung  und  Ableitung)  nach  seinen 


y  ^  o.»     ^0^0 


beiden  Seiten  hin,  so  folgt  er  dir.«   Zu  a£^  oJüüt  vgl.  Hamä- 
sah  f.A,  10  u.  11. 


>  ,ot 


II,  417%  19»  jy\  celui  qui  regarde  droit  devant  $oi$.  In  der 
diese  Erklärung  enthaltenden,  im  Gloss.  Mosl.  LXI,  vorl.  Z.  an- 
geführten Stelle  aus  Zamahsari^s  As^s  ist  mit  der  Ausgabe  dieses 


>      o  > 


Werkes,   Cairo  bei  Wahbi,  statt  vJyoj  zu  lesen  m^oj',   d.  h. 

II,  417*^,  14  »peut-6tre  faut-il  prononcer  g^t^«.    Im  Texte 

Reinaud's  steht  ö.ty)  ohne  Vocal  der  ersten  Silbe,  in  seiner  Ueber-- 

Setzung  9C(marr^9j  was  ein  unmögliches  8.1^  oder  B.ly»  voraus- 

setzt.  Das  H.ty»  II,  417^,  11  müsste  nach  der  Formenanalogie  be- 
deuten: etwas  rund  Ausschneidendes,  einen  solchen 
Ausschnitt  von  einem  andern  Gegenstande  Her- 
stellendes; man  braucht  aber  nur  die  von  Reinaud  dem 
Texte  S.  11  und  seiner  Uebersetzung  S.  22  aus  der  Pariser 
Handschrift  No.  579  beigegebene  Zeichnung  anzusehen,  um  sich 


4"  ,'  9 


zu  überzeugen,  dass  mitDozy  8.1^,  runder  oder  halbrun- 
der Ausschnitt,   zu  lesen   ist,    indem  der  so  genannte 


54 . 

Meeresarm  in  sich  selbst  einen  solchen  Ausschnitt  darslelli,  — 
Reinaud:  »une  mer  enferm^e  de  toute  part.c 

II,  417^  19  u.  20  90Ü  la  grammaire  exige  le  pl.  .^^t  au 
lieu  du  sing.  *|^jäJI«,  Adjectiv  zum  pl.  fr.  |»l3yt  ?!^»  —  wider- 
spricht sowohl  der  Grammatik  selbst,  als  den  ebenbier  ange- 
führten Beispielen  dieser  ganz  gewöhnlichen  Verbindung. 

II,  447^,  8  V.  u.  flg.  Die  Nachträge  zu  Levy'schald.  Wörter- 
buch, I,  8.  428»,  desselben  Neuhebr.  Wb.,  II,  S.  309*,  Guche, 


*  ^  > 


öAö*:  »  r»|^  -p  ä.5^  ruche  faite  en  terre  m61ee  de  menues branches 

oü  Ton  conserve  ies  denr^es,«  Al-Farä¥d,  wl^iiylyr  .  i\^  ruche 

faite  de  terre  et  de  rameaux.  ^  Vase oü  Ton  conservelesdenr^es,« 
und  Landberg,   Proverbes  et  dictons,  I,  S.  95  u.  434,  machen 

es  unzweifelhaft^  dass  Burckhardt's  nKawara^  nicht  ^Ijji,  son- 
dern eben  jenes  auch  hier,  II,  S.  497^  behandelte  B^5>^,  der  Plural 
»Kowari«  aber  durch  eine  auch  im  Altarabischen  vorkommende 

Umkehrung  der  beiden  letzten  Buchstaben  aus  jA^  entstan- 
den ist. 

^  »  o  •• 

II,  419%  10  flg.    Zu  diesem  by^y»  sei  bemerkt,  dass  Frey- 
tag die  von  ihm  selbst  III,  454»,  vor  Byo^  aufgeführte  und  er- 

w   <•  O  •> 

klärte  andre  Form  *«yö^  S.  515»  in  einem  Verse  als  »vox  dttbiad 
hinstellt. 

II,  419%  9  u.  8  V.  u.  »Kb^,  chez  le  vulgaire  xb^,  M,  pl. 
Jpyij  bannettej  panier  de  petites  branches,  Bc.«  M  sagt  wörtlich: 

oLäJI  jL^3  ^  I^JUjü.^'  äIUJI^  .  }ijf^\  aDi  äL^I  ,  wonach 
dier  gemeine  Mann  das  Wort  von  den  Datteln  selbst  gebraucht, 

es  dann  aber  nicht  Kby»,  sondern  xb^  ausspricht.  Bestätigt 
wird  dies  durch  Ai-Farä'td:  j»KI?^  grand  panier  dans  lequel  on 
met  les  dattes.    ^  idojä  dattes  en  bloc,  en  p&t^.« 


55 

II,>  420%  18  u.  49.  Die  iiLd  zerfallt  nach  KazwtiU,  I,  rU, 

U  flg.  in  zwei  Arten:  1)  J:iJ^  mU»,  die  Kunst,  die  nähere  oder 
entfernlere  körperliche  und  geistige  Verwandtschaft  zweier 
Menschen  aus  der  Bildung  ihrer  Körpertheile  zu  erkenneUi  2) 

y^l  ^Li,  die  Kunst,  die  verschiedenen  Arten  der  Fusstapfen 
von  Menschen  und  Thieren  zu  unterscheiden. 

II,  420%  25  9/äIS«  lautnachahmender  Name  der  Krähe  und 
des  Rabeq,  gemeinarabisch  statt  /  ^1^.  Hartmann^s  Sprachführer 
S.  2<6^:  »Krähe  \k\,  pL  klkän.t 

II,  420^  8—10.  Nach  der  Erklärung  von  ji^  und  ÄJ^ 
bei  M  ist  statt  i>ent€ksseru  und  »räunir  en  grands  monceauxt  zu 
schreiben :  reunir  en  grosses  boUes  ou  gerbes,  und  statt  i^mon- 
ceau*    ebenso  grosse   botte  ou  gerbe.    Auch   Guohe  tibersetzt 

Ä4i>,  von  Getreide  gebraucht,  durch  gerbe. 


II,  421  \  11  u.  10  V.  u.  Zu  diesem  ^\^  gehört  die  Bemer- 
kaog  in  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  XXXII  v.  J.  1878,  S.  269,  dass  das- 
selbe, wie  in  seiner  allgemeinen  Bedeutung,  so  auch  in  dieser 


^  o  «     \ 


besondern  Anwendung  dem  pers.  hJOj^,  Vocalmusiker,  ent- 

spricht,  im  Gegensatze  zu  sJü; Um,  arab.  jljM,  Instrumental- 

musiker. 

II,  422%  2  ^OyJU  anneau  sur  leqael  tourne  la  bride<i.   Die 

angeführte  Stelle,  Wright  8,  2:  L*^  ^UnJI^^Ju  ^LJÜ!  ^LaäUI 
^i^  giebt  das  Wort  nur  im  Dualis,  weil  das  Gebiss  eines 
Pferdezaums  zur  Befestigung  der  beiden  Zügelriemen  daran 
zwei  Ringe,  auf  jeder  Seite  einen,  hat.  Aber  wie  hängt  dies 
mit  den  andern  bisher  bekannten  Bedeutungen  des  Wortes,  wie 
überhaupt  mit  dem  Begriffskreise  des  Stammes  JiS  zusammen? 
Man  könnte  vermuthen,  dass,  insofern  der  Reiter  durch  stärke- 
res oder  schwächeres  Anziehen  dieser  Ringe  vermittelst  der 
daran  befestigten  Zügelriemen  gleichsam  zu  dem  Pferde 
spricht,  ihm  sagt,  was  es  thun  soll,  sie  davon  Sprech- 
oder Redewerkzeuge  genannt  worden  seien,  ein  dem  pferde- 
liebenden Araber  wohl  zuzutrauender  ^TTOxo^ta/io^,  der  dadurch 


56     

noch  wahrscheinlicher  wird,  dass  es  nicht,  wie  bei  den  Übrigen 
Stücken  des  Pferdezeugs  in  diesem  Verzeichnisse,  Q^yul,  son- 

dem    wie    eine   Eigenschaftsbezeichnung    ohne   den   Artikel 
^^y^  heisst.  Besonders  dieser  Umstand  spricht  auch  gegen  die 

etwaige  Annahme  eines  Schreibfehlers  statt^byU,  Ftthrungs- 

Werkzeuge,  zumal  da  S.  9  Z.  4  der  Singular  mit  dem  Ar- 
tikcl,  öyi^  dasLeitseil,  in  seiner  gewöhnlichen  Bedeutung 

steht. 

II,  423^,  5 — 8.  Ein  »j»IS  c.  q<  5e  niourrir  de«  würde  sich 
aus  der  angeführten  Stelle  nur  dann  ergeben,  wenn  zu  über> 
setzen  wäret  von  einem  einzigen  dieser  Maulbeerbäume  nähren 
sich  so  viel  Seidenwürmer,  wie  sonst  nicht  von  fünfen.  Da 
aber  -jj5^,  wie  dieselbe  Stelle  auch  bei  J^lkiüt,  IV,  i**,  48  u.  4  9 
hat,  nie  Seidenwürmer  bedeutet,  so  ist  der  Sinn:  aus  einem 
einzigen  dieser  Maulbeerbäume  entsteht  (durch  Vermittlung 
der  sich  davon  nährenden  Seidenwürmer)  soviel  Seide,  wie 
u.  s.  w. 

11,  424%  43 — 15.    Wenn  die  Herausgeber  von  Bat.  vi>-«l3j 


Leijt  L^ijLüj  in  Beziehung  auf  Speisereste  übersetzen :  »ces  restes 
servirent  encore  plusieurs  jours,«  so  ist  das  eine  für  den  Ge- 
sammtsinn  gleichgiltige  Verwandlung  des  vom  Texte  gebotenen 
»se  conservörenta  u.  s.w.  in  eine  unmittelbare  Folge  davon; 
aber  ^lät  an  und  für  sich  gewinnt  dadurch  nicht  die  Bedeutung 
i>servir,  6tre  (Tusagedy  sondern  bleibt  dasselbe  9se  conserver,  se 
maintenir,  tenim  wie  sein  Medium  «lÜA^t,  II,  424^,  25.  Zu  voll- 
kommener  Sicherstellung    des   Sinnes    könnte   zu   s:>xb1   ein 


y  o 


sü  |«J  als  Verneinung  hinzukommen:  «sie  hielten  sich,  ohne 

zu  verderben,«  wie  bei  Abulmah^sin,  II,  Ivö,  2  u.  3,  Vi,jJu  ^  zu 

Lolit  (iNjül]  Jö\:  »der  Schnee  hielt  sich  einige  Tage,  ohne  zu 
schmelzen.« 

II,  424'',  48  flg.  Dieses  gemeinarabische  ^üül  gehört  zu  der 


57     

in  meinen  Kl.  Schriften,  I,  S.  84  behandelten  siebenten  Form 
mittelvocaliger  Stamme,  die  man,  wenn  die  entsprechende  erste 

Form  intransitiv  ist,  ebenso  wie  das  vorher  erwähnte  ^m)  dem 

Sinne  nach  von  Am»!  herkommt,   von  der  durch  Wegfall  des 

Bildungs-Hamzah  äusserlich  mit  der  ersten  Form  zusammen- 
fallenden transitiven  vierten  abzuleiten  hat.  In  der  Bedeutung 
se  lever,  sich  erheben,  sich  aufrichten,  steht  ^\sü\  in  der  erst- 
genannten Stelle  der  T.  u.  E.  N.:  /J^^l  ^^^  (»1^  >^or  steht 
auf  (und  geht]  nach  dem  Harktet  ( —  ^ic,  wie  häufig,  st.  ^t 
— ] ;  ahnlich  in  der  zweiten :  m[sm  ^Ut  q«  ^^5<Aj  vi>^<>^  iS^^j  o' 
»wenn  du  siehst,  dass  meine  Hand  aufgerichtet  aus  dem  Wasser 
bervorkommtc;  passivisch,  6tre  enlev6,  aufgehoben,  weggenom- 
men werden,  bei  Landberg,  Proverbes  et  dictons,  I,  S.  16  Z.  15 
und  S.  480  Z.  40—41:  auc  Kj^t  s^^woüüt  \6\  »wenn  das  Wasser 
davon  (von  den  darin  eingeweichten  Oliven)  weggenommen 
wird«,  Landberg:  »si  on  leur  enl^ve  l'eau;«  möglicherweise  in- 
dessen auch  »wenn  das  Wasser  (durch  eine  rein  mechanische 
Ursache)  dayon  hinwegkommtt. 

II,  425",  22  flg.  De  Slane,  Hist.  des  Herberes,  IV,  S.  364 
Anm. ,  sagt  nicht,  warum  oder  in  welcher  Hinsieht  er  seine 
eigene  Uebersetzung  der  angeführten  Stelle  für  unsicher  halt. 
Ich  meinerseits  sehe  keinen  Grund  dazu.  Die  hier  stattfindende, 

1,  236%  25  flg.  angegebene  Bedeutung  dieser  o'il^,  gleichsam 
Tummelplatze,  hergenommen  vom  Wanderleben  der  in  jenen 
Gegenden  früher  herumziehenden  Stamme  und  nach  deren  fester 
Ansiedelung  darin  beibehalten,  wird  durch  Mehrens  Dimisj^l 
ff  t,  5 — 7,  vollkommen  bestätigt.  Was  aber  die  auf  den  ersten 
Blick  vielleicht  auffallige  Verbindung  der  Praeposition  ^  mit 
iU^  betrifft,  so  entspricht  die  ganz  dem  Gebrauche  unseres  in 
bei  Quantitats-  und  Werthangaben,  wie :  ein  Stück  in  der  Grösse 
einer  Faust,  in  der  Lange  einer  Elle,  im  Werthe  von  zwei  Mark. 

So  Kazwlni,  I,  ol,  8:  sjuoy^,  "i  jjic  ^jy»;  H,  ttt,  10:  er  g^ 
^JJS\  f^  ^  B^vXi  jj^yuJüJ ;  AbulmaWsin,  I,  öf,  5:  J^LÜ!  ^^iS 
i^  jmx.  Kju.t  i}^  ^  <^^^^)  ^0  das  Französische  überall  nur 


58     

de  gebraucht:  d'une  grandeur  qui  ne  peut  se  decrire^  de  la  gros-- 
seur  des  oranges^  de  la  longueur  de  quatorze  empans, 

II)  425%  6  V.  u.  »(Türe)  hachisfn  »^  n.  vb.  von  /S.»i.ö  in 
kleine  Stücke  schneiden  oder  hacken,  —  hat  mit  dem  arab. 
K4m3  nichts  gemein  und  stände  daher  besser  als  besonderes  Wort 
unter  ^J. 

11,  4S5^,  \2  »souvent  dans  ie  Coran«  Ist  ein  aus  dem  Index 
meines  Abulfeda  anteislamicus  S.  S58%  3  u.  4,  herttbergenom- 

mener  Irrthum.    ^Lä  kommt  siebenmal  im  Goran  vor,  aber  fiie 

als  y^resurrectionv.  iULö. 

'       •• 

II,   4S6%   6  u.  5  V.  u.    >L4J^<K  nach  ija^  und  «1^^,   mit 

»promptement,  brusquementa  übersetzt,  bezeichnet  als  ^cXiU  o^ 
nicht  eine  Beschaffenheit  oder  Art  und  Weise  jener  Hand* 
lungen,  sondern  einen  durch  sie  herbeizuführenden,  bezie- 
hungsweise herbeigeführten  Zustand  des  Handelnden  selbst: 
er  stand  (sprang)  auf,  um  auf  die  Füsse  zu  kommen,  oder :  so 
dass  er  auf  die  Füsse  kam.  Das  Verhältniss  zwischen  der  Hand- 
lung und  dem  dadurch  vorbereiteten  Zustand  ist  dasselbe  wie 

in  dem  Roranischen  L^  ^^^aJüI^  aJv^  v!>^'  t^i3o{  (Sur.   46 

V.  31):  In  träte  claustra  Gehennae,  perpetuo  in  ea  mansuri  I  Die 
verschiedene  Zeitdauer  des  Zustandes  kommt  dabei  grammatisch 
nicht  in  Betracht. 

11,  426^,  4—2  V.  u.  Ä^lÜ  bedeutet  überdies  die  in  Ztschr.  d. 
D.  M.  G.  VI  V.  J.  4852,  S.  405  Z.  45  flg.,  beschriebene  Art  ver- 
traulicher Briefe  von  eigenthümlichcr  Form^  und  in  neuester 
Zeit  auch  einen  osmanischen  Beichscassenschein ;  Ilartmann^s 
Sprachführer  S.  347*,  Z.  47  u.  48:  »KAjmi,  türkische  Papier- 
geldnote.« 

II,  428%  42.  Dieses  arabisirte  dKaSU^»  convoi^  munüüm, 
provisiont  ist  ein  von  Zenker  S.  724®  und  von  Ahmed  Wefik, 
LehgeT 'otmÄnl  llf,  anerkannter  italienisch -türkischer  Zwitter, 
bei  Hindoglu  und  Zenker  LoL«^,  bei  Ahmed  Wefi^  ^^^9  >oi 
türk.  Kämüs  «^Lii.  Der  Yocal  der  ersten  Silbe  lautet  nach 
Hindoglu  und  Ahmed  Wefl^  nicht  o,  wie  bei  Zenker,  sondern 


59    

u.  —  Gegen  die  von  Zenker  angenommene  Entstehung  dieses 
kumania  aus  compagnia  spricht  erstens  der  Umstand,  dass 
letzteres  Wort  in  der  Bedeutung  von  Handelsgesellschaft  ohne 
Lautveränderung  in  das  Türkische  Übergegangen  ist  (Zenker 
a.  a.  O.),  wiewohl  Ahmed  Weft]^  den  Gebrauch  von  kompania 
(so  ausdrücklich  bei  ihm  mit  o)  statt  des  arabisch -türkischen 

Ä  als  unnütz  (v^>wax:)  verwirft;  zweitens  das  mit  kumania 


«o 


gieiehbedeutende  kumanda,  das  nach  Zenker  ebenfalls  von 
compagnia  herkommt,  mir  aber  vielmehr  auf  die  Entstehung 

beider  aus  coniunitä  hinzuweisen  scheint.    »lA^T«  sagt  der 

türk.  K^mtis  »sind  die  von  Zusammenreisenden,  wie  zu  einer 
Zeche,  gleichmassig  unter  einander  vertheilten  und  aufgebrach- 

ten  Reisekosten,  «^U^,  und  iX^UÄJt  bedeutet  dass  Zusammen- 
reisende die  Reisekosten  gemeinschaftlich  bestreiten,  ^LÄtoJ^. 
t^LiNäiJ^it  iuiLoy>.<    Dagegen  unter  jtOuit :    »bedeutet  dass  Zu- 

sammenreisende  ihre  Bedürfnisse  in  der  Weise  aufbringen,  dass 
ein  jeder  von  ihnen  seinen  bestimmten  Beitrag  dazu  liefert,  was 

man  ^)sJoL«y>  nennt,«  weiterhin  unter  b3l1|^  v>tJuit^  »jUuIt: 

»alle  drei  bedeuten  dass  von  Zusammenreisenden  ein  jeder, 
wie  zu  einer  Zeche,  seinen  Kostenbeitrag  liefert,  3)«JüUd  ^Sy^^ 
eKJbJ.c  Hieraus  hat  sich  zunächst  der  Gebrauch  von  kumania 
für  so  angeschaffte,  und  Weiterhin  im  Allgemeinen  für  Reise - 
mundvorräthe  entwickelt.  Ahmed  Weftk:  »auJU^i»,  aus  dem 
Italienischen,  die  Mundvorräthe,  B^A^'i,  dßr  zu  Schiffe  Reisen- 
den, auch  »Jt^.c  Hindoglu:  »LiU^  koumanya,  viatique,  les 
vivres.c  Derselbe:  »«Jt^  n^vale,  les  frais  de  voyage;  provision, 
munition  de  bouche.a 

n,  428»,  8  V.  u.  »(jIj^«  s.  die  Anm.  zu  H,  4U»,  *. 

II,  428»,  4  V.  u.  »^^«  s.  die  Anm.  zu  II,  4i4^  8  u.  7  v.  u. 


?^*o 


II,  498^,   \  flg.    Nach  seiner  Uebersetzung  von  oyoj  ^ 
U^A^  9^L«{  j^  durch  »jeter  d  Zfm  compagnon  un  cri  qui  est  le 


1 )  So  hier,  mit  ».    S)  So  hier,  ohne  y 


60    

Signal  dn  <Upari^  las  Dozy  die  beiden  letzten  Worte  U^JLo  hJuA  , 
statt  U^JU^  B^Lot:  ein  zwischen  ihnen  beiden  geltendes  Zeichen. 

Abgesehen  von  der  Unzulässigkeit  des  dichterischen  ^^  als 

mlipart^  in  lexikalischer  Prosa,  ist  der  angegebene  Sinn  dadurch 
verbürgt,  dass  Asim  Effendi  die  nämlichen  Worte  des  Känaüs 

unter  der  6.  Form  v^Uj  ebenso  versieht :  vs^UxIt,  von  zwei  Leuten 
gesagt:  sichgegeoseitig  erkennen,  indem  sie  einander  sanifen, 
etwa  so,  dass  sie  einen  zwischen  ihnen  vereinbarten  Schrei 
hinüber  und  herüber  ausstossen.«  Auch  die  folgende  Stelle  lie- 
fert für  das  angebliche  i^donner  le  Signal  du  ddpartti  nur  schein- 
bar einen  Beleg ;  denn  ^^jso  a.  a.  O.  ist  ein  blosser  Druckfehler 
St.  (c^o^:  »also  mach  dich  auf,  o  Weiblc  Leider  habe  ich  ver- 
gessen^ denselben  gehörigen  Ortes  im  Vorworte  zum  M,  Bande 
der  Bresl.  T.  u.  £.  N.  zu  berichtigen. 

11,  428**,  40  *oÄ-^  couj'sier^  canon  ä  la  proue  d'un  navire« 
tUrk.  kowus,  von  ty^^yS  kowmak,  vertreiben,  verjagen,  wie 
das  gleichbedeutende  v'y^l  ^>^  ^^^  Bocthor  von  o^^ 

II,  428*^,  9  u.  8  V.  u.  »IV  0.  Q^  üre  abandonne  para.    In 

dem  angeführten  altarabischen  Verse  habe  ich  ^j3\  von  Orten, 
mit  Q*  von  Personen,  bloss  aus  Nachgiebigkeit  gegen  den  deut- 
schen Sprachgebrauch  mit  von  ihnen  verlassen  werden 
übersetzt,  aber  in  der  Anmerkung  ausdrücklich  gesagt,  es  be- 
deute eigentlich  von  ihnen  leer  werden.   Also  nur  ein  wei- 

leres  Beispiel  zu  dem  L^aa^  L«  q^  si^Jli^  ^t  .tjJI  oy^t  der  Wörter- 
bücher. 

II,  429^  46  »^^^1^«  sehr,  ^^oäl^  i^^^^^]- 

II,  429'',  25  »^^^MwAdJ»«  in  der  ersten  Ausgabe  richtig  ^«^ 

(^lä),  U,  409%  8. 

II,  430*,  27  flg.   In  Beziehung  auf  JuJS',  Sidierung  des 

richtigen  Lesens  von  Geschriebenem,  sagt  »vocalibus  insignivit 

libruma  bei  Golius  und  Freytag  zu  wenig;  Kämüs:  »ujlibüt  Juä 


61     

er  hait  die  Schrift  mit  Zeichen  verseheO)  welche  Verwechselungen 
Terhindern  und  Ungewissheit  (ttber  die  Aussprache)  beseitigen,« 
also  nicht  bloss  mit  Vocalen,  sondern  auch  mit  diakritischen 
Consonantenpunkten  und  andern  Lesezeichen.  Es  ist  demnach 
gleichbedeutend  mit  dem  in  meinen  Kl.  Schriften,  I,  S.  28  Z.  4 

flg.  erklärten  Jol^. 

II,  431%  44  »jf3  nom  d^un  Instrument  demusique,  Casiril, 
528»«.    Wahrscheinlich  Schreib-  oder  Druckfehler  st.  lö,  d.  h. 

ij3,  Freytag  III,  389%  türk.  j^^,  kopuz,  nachMeninskitspe- 

cies  citharae  viliorisc.    Der  türk.  K^mds:  JxXysJt  ist  ein  Name 

für  «>yüt,  d.  h.  das  musikalische  Instrument  welches  tJoj^"^ 
(Laute),  auf  persisch  Jgj^  und  auf  alttUrkisch  jj^  genannt 
wird.« 

II,  432^,  4  »^J5uk^  cuir  ä  repcissern  vom  ttirk.  yjfcjS  kay  s, 

Riemen. 

II,  433,  5  u.  4  V.  u.  Schon  in  Lettre  ä  M.Fleischer  S.247^ 
Z.  34  stimmte  Dozy,  wie  hier,  meiner  Vermuthung  bei,  dass 

Ma^k.  I,  trv,  7  statt  jii  zu  lesen  sei  }^  von  j^'  JB.  Aber  ich 

selbst  zweifle  jetzt  an  ihrer  Richtigkeit  und  glaube  jenes  jii  ^ 
l>^4^L  nach  II,  424%  5  flg.  so  erklären  zu  müssen:  Erkenne  die 

Kümmernisse  nicht  (als  berechtigt)  an,  d.h.  gieb  nicht  zu,  dass 
man  überhaupt  über  etwas,  was  einmal  dahin  ist,  bekümmert 
sein  dürfe,  dai^  wie  gleich  darauf  folgt,  durch  Traurigkeit  nichts 
derartiges  zurückkommt. 

II,  433%  4  V.  u.  «LxÄyf^^JLc,  so  hier  richtig  statt  des  I, 
409%  9  unerklärt  gebliebenen  LÄy^'iL:  »durch  die  Eucharistie  t 
d.  h.  die  demüthige  Theilnahme  am  heil.  AbendmahL 

II,  434%  4  » J^Ju  qui  a  une  descentev,  von  dem  ebenfalls 
hei  Bc.  unter  Descente,  hernie,  stehenden  äLä,  welches  man  nach 
M  tvAf^,  4  5  in  dieser  Bedeutung,  gemäss  seiner  Entstehung  aus 
^Ifj  (s.  das  vorige  Stück  dieser  Studien  S.  395  Z.  4),  besser 

äL»  als  XLI  ausspricht. 


62     

.II,  434%  46—48.  Die  hier  aus  dem  Index  zu  meinem 
Abulfeda  anieisiamicus  herttbergenommeue  Bemerkung  gehört 
einer  Zeit  an,  wo  ich  selbst  noch  in  der  gewöhnlichen  Ansicht 

von  d  als  einer  »Praeposition«  befangen  war.   Von  Auslassung 

einer  0 andern«  Praeposition  nach  ä  kann,  wie  Überhaupt,    so 
auch  in  der  dort  angeführten  Stelle  strenggenommen  nicht  die 

Rede  sein,  sondern  d)  steht  virtuell  im  Adverbial-Accusativ  als 
Stellvertreter  des  absoluten  Infinitivs  vom  vorhergehenden  vb. 

finitum,  vollständig  ausgeführt:  Uas  JüUmo  ^  3-1  «U  ^;,o  q(s 
M^\  8lXP  ^IJCL&I^  iSIiAääI  JLüüI  »es  traten  zwischen  ihnen  an- 
dere Schlachttage  ein,  an  welchen  der  Kampf  nicht  eine  Heftig- 
keit gewann  gleich  der  (Ilefligkeit)  dieser  Tage«.  Das  ist  frei- 
lich arabisch  und  nicht  deutsch,  aber  diese  möglichst  genaue 
Wiedergebung  der  arabischen  Gedankenform  soll  auch  nur  zei- 

gen,  dass  die  angebliche  Unterdrückung  eines  ^  vor  f,\ji\  s<AP 
bloss  eine  aus  unserem  Sprachgebrauche  entstandene  Selbst- 
täuschung ist. 

II,  434**,  1.  Z.  »iuöj.tf  «  b.  Cuche  öy/^tJo^S,  andere  Schreib- 

art  für  äL^^  456%  28. 

II,  435%  49  flg.   Die  von  Vullers  gegebene  Erklärung  des 
JiJii  in  dem  arabisch-persischen  Compositum  i^^^]^  als  einer 

arabischen  Verstümmelung  von  &>t^  ist  aus  iwei  Gründen 
unzulässig.  Erstens  bewahrt  das  Arabische  im  Gegentheil  den 
ursprünglichen  Lautbestand  des  persischen  Wortes  in  dem  drei- 
silbigen jo^l^,  I,  440*,  3  V.  u.,  oder  x:>l^,  Cuche  (ö.^,  wäh- 
rend das  Persische  selbst  die  beiden  ersten  Silben  schon  längst 
in  eine  zusammengezogen  hat;  zweitens  wird  x>|^  nie  so  als 
letzter  Theil  zusammengesetzter  Wörter  in  der  Bedeutung  von 
Vorgesetzter,  Verwalter  u.  dgl.  gebraucht.  Bis  auf  Weiteres 
halte  ich  dieses  JUS  für  breite  arabische  Aussprache  des  pers. 


^JiJ  von  ^JlJ^  ziehen,  beziehen,  herbeischaffen,  und  ^l 
^1/  für  =  ^\jJ'\  ^Slz^j  wörtlich:  Bedttrfnissbezieher. 


63    

H,  435*,  6  V.  u.  i>^3il5«  Druckfehler  st.  (^jh\S'^  wie  Bom- 
bay wirklich  schreibt. 

II,  435%  vorl.  Z.  »^^i'lf  ghusser  (poulejc  unser  laatnach- 
abmeudes  gackern ,  das  erweichte  ^IS,  welches  Guche  öoö^  als 
gemeinarabisch  nach  »O/Äb'f  aufftthrt.  Nebenformen  des  letz- 
tem sind  ausserdem  /ob'  med.  je,  li^  und  ^|^. 

II,  435^,  5  »lii^  atisst«  breite  magrebinische  Aussprache 
des  tUrk.  »J^  g/'ene,  gine. 

II,  435%  15  V.  u.  »n.  d'act.«  sehr.  n.  d^nstr. 

II,  438^,  3  flg.  Das  Jüt^^yt  ^  U«  der  HamAsah  hat  Dozy's 
Scbarlsinn  getauscht.  In  dieser  Hinweisung  darauf,  dass  der 
dreibuchstabige  Stamm  der  dort  angeführten  fünf  Wörter,  im 

Gegensatze  zu  Juc  und  Juc,  Bildungszusätze  hat,  sieht  er  eine 

Erklärung  von  «jCo,  als  bedeute  dieses  etwas  durch  einen 
oder  mehrere  solche  Zusätze  Yergrössertes,  —  gleichbedeu- 

tend  mit  Oui^  oder  «ui  Juj^  — ,  und  macht  es  demnach  zu  einem 

Nomen  »qtii  contient  une  des  lettres  serviles,  »ASt^JU.  Darauf  be- 
merkt er,  zwar  habe  auch  das  Verkleinerungswort  »une  lettre 
servile«,  aber  man  unterscheide  es  eben  durch  den  Namen 

yua«.   Das  Verhältniss  zwischen  den  beiden  Wörtern  wäre  so- 

vir 

nach  folgendes :  .ajC«  ist  jedes  einen  Servilbuchstaben  enthal- 
lende Wort,  mit  Ausnahme  des  Verkleinerungswortes,  das  seiner 

Form  nach  zwar  ebenfalls  ein^^iC«  ist,  aber  nicht  so,  sondern 

m 

yua^  h  ei  sst.  — Es  leuchtet  ein,  dass  ein  solches  Begriflsverhält- 
niss  einen  innern  Widerspruch  enthält.    In  der  That  ist  der 

OT  IN 

Gegensatz  zwischen  jJLq  und  Jüoa  ein  rein  eontradictorischer, 
alle  Nomina  des  Arabischen  umfassender;  jedes  Nomen  ist  ent- 

weder  Juoa  oder  ^jCo :  jenes  das  jkjoA  des  jJit  aus  welchem 
es  gebildet  ist,  dieses  das^^  des  aus  ihm  gebildeten yuo^, 
mag  d^  jjiü  selbst  Servilbuchstaben  haben,  oder  nicht.  Diese 


64     

durchgehende  WecbselbeKiehung  liegt  schon  in  der  erstange- 
führten  Stelle  der  Ham^sah  klar  vor,  und  auch  Dozy  würde  sie 
sofort  erkannt  haben,  wenn  unsere  Schullogik  und  Schulsprache 
etwas  Derartiges  darbdte;  aber  mit  dem  entsprechenden  Be- 
griffe fehlt  uns  auch  das  entsprechende  Wort.  Wir  nennen  do- 
muncula,  Häuschen ,  ein  deminutivum  oder  Verkleinerungs- 
wort von  domus,  Haus,  aber  dieses  nicht  ein  magnificati vum 
oder  VergrOsserungswort  von  jenem,  da  die  ursprüngliche  No- 
minalform  an  und  für  sich  weder  Grösse  noch  Kleinheit  be- 


0^9  o. 


zeichnet,  und  auch  nur  im  Gegensätze  zu  c;a.aaj  heisst  c>uu  ein 

H,  440i>,  2—4  i&ili^  agrafen  das  erweichte  türk.  X5\I^ 
kopöa,  Zenker  74 4 ^  7  flg. 

II,  440^,  5.   ATs  Erklärung  von  J^\Ls  und  )kiJS!A  durch 

^U>^L  juJUIt  »der  Wettkampf  vermittelst  der  Finger«  wird 

bestätigt  durch  Cuche  ölt^:  »K^IXo  ^jäul^  joindre  les  mains;  en 
venir  aox  mainsc  und  AI-Par^Yd  W^:  »lutter  des  mains,  et 
chercher  k  se  toumer  mutuellement  le  bras.«  Aus  Vereinigung 
dieser  beiden  Angaben  geht  hervor,  dass  kibää  das  süddeutsche 
hak  e  In  ist :  jeder  von  zwei  einander  gegenüber  stehenden  oder 
sitzenden  Wettkämpfern  verschränkt  seine  Finger  mit  denen 
des  andern  und  sucht  diesen  mit  Aufwendung  aller  Kraft  aus 
seiner  Stellung  oder  von  seinem  Sitze  zu  sich  herüberzuziehen. 


«         ^ 


II,  444%  47  u.  48  »^X^  (pers.)Aanuncu/iif /l«tia4tcitö«,s. M 

unter  ^^JÜS  Waa^  und   Löw^s  Aram.    Pflanzennamen   S.   258 
No.  499! 


II,  444%  I.  Z.  u.  442*,  4.  AlsReflexivum  von  wJ^,  schrei- 

ben  lehren,  bedeutet  wa^'  im  Allgemeinen  schreiben  lernen, 
insbesondere:   die  Kunst  den  Koran  richtig  zu  schreiben  von 

einem  wü^  oder  Lehrer  derselben  erlernen  und  ausüben. 


..lO^  «>o> 


II,  443»,  4  » \\>^  et  ^iJüsrC^  (pers.)  Vhomme  de  confiance 
du  vizirfiy    eig.  Majordomus,   Hausmeier,  von  iX^,  Haus,  und 


65     

Ij^,  ^5J^,  Herr,  mit  Verwandlung  des  ^  von  Jü'  in  o  wegen 
des  Znsammenstosses  mit  dem  harten  Kehllaut  ^;  doch  auch 

\J^s>J<f  u.  s.  w.  mit  Beibehaltung  der  media,  wie  448^,  20.  Die 
Übrigen  Formen  hier  und  448%  46  u.  47,  sind  Zusammenzie- 
hungen und  Erweichungen  der  ursprünglichen. 

II,  443^,  5  u.  6.   Statt  der  hier  gegebenen  ungenauen  Er- 
klärung von  ^j^^  ül^l  ^2jA^A-m  iui  ^  erscheint  618*,  3 

u.  4,  die  richtige:  »Dteu  fit  faire  les  infidtles  devant  les  musul- 
mans^t  wörtlich:  Gott  schenkte  den  Gläubigen  die  Schulter- 
blätter der  Ungläubigen,  d.  h.  Hess  diese  (fliehend)  jenen  ihre 
Schulterblätter  zukehren. 

II,  444^,  3  u.  2  V.  u.  »En  grammaire  -aa>u  est  indiquer 
combien  deu.   In  der  dazu  angeführten  Stelle  bemerkt  ein  Kri- 


tiker,  der  Dichter  des  Verses  vi^wo^-^f  /ö^l  (:;♦  JJ"  Jos  (I.  tö  Ui)  üUa 

habe  das  fragende  tJU  unrichtig  in  aussagendem  Sinne  ge- 

braucht,  wie  ^,  w^o  die  einheimischen  Sprachgelehrten  es  als 

aussagend,  ,j[;a:>  oder  (^;L^t,  in  der  Bedeutung  von  y^^ ^  viel, 

wir  hingegen  nach  Analogie  unseres  eigenen  Sprachgebrauchs 
als  exclamatives  wie  viel!  aufzufassen  pflegen.  Vielleicht  hat 
dies  auch  Dozy  mit  seinem  nindiqaer  combien  dea  sagen  wollen. 
Der  Vers  bedeutet  demnach ,  in  unserer  Weise  ausgedrückt : 
Was  für  (st.  wie  viel)  Verpflichtungen  hat  sie  also  ihnen  allen 
(oder :  einem  jeden  von  ihnen)  auferlegt  I 

II,  446^,  5  nQui  se  dilate?  voyez  sous  v^hU  stellt  sich  dar 
als  eine  Vermuthung  über  die  ursprüngliche  sinnliche  Bedeu- 

tung  von  yJuSiS^  in  sj^  J^; ,  als  Gegensatz  zu  sjuhi  J^^ , 
wonach  jenes  eigentlich  ein  Mann  wäre,  der  sich  breit  macht 
oder  breit  auflegt.  Aber  wie  \jLfjS  in  materiellem  Sinne  nicht 
dusserlich  breit  oder  ausgebreitet,  sondern  innerlich  dicht  und 
derb,  so  ist  auch  y^JuSS  Jo^.  nach  M's  richtiger  Erklärung  ein 
Mann  von  derben,  groben  Umgangsformen,  im  Gegensatze  zu 

wft-iJ  J^.,  einem  feinen  Manne.  Al-Farötd  W^:  » wft-JkT  6pais; 
dense,  toufl'u ;  grossier  et  incivil  (homme)  .c 

«886.  5 


66 


II,  446%  9  flg.  »ik^S  ik^^  mauvais  accueil;  t^  tc>^h[i:i^\ 
accueiUir  tnalj  faire  mauvaise  mine,  faire  mauvais  visage  ä  qitel^ 

qu^una.  Der  Yermutbung Dozy^s,  dass  dieses  xj^kece  aus  dem 

pers.  ^  ke^  entstaBden  sei,  steht  sowohl  die  Zweisilbigkeit 
des  Wortes  als  auch  das  ^  entgegen.  Einsilbige  persische  Wör- 
ter bleiben  auch  bei  ihrem  Uebergange  in  das  Arabische  ein- 
silbig, uad  warum  sollten  die  Araber  das  ihnen  mit  den  Persem 
gemeinsame  .  in  das  dem  semitischen  Organe  ursprtinglict\^ 

fremde  .  verwandelt  haben?    Das  Wort  ist  das  tflrk.  kece, 

Filz  und  grober  gewalkter  Filzstoff  zu  Zelten ,  Decken ,  Tep- 
pichen, Mützen  u.  s.  w.,  in  Oesterreich  Kotzen  genannt.    Mit 

Anwendung  dieses  Dialektwortes  könnte  man  t^  i^^  durch 
Kotzengesicht  übersetzen,  d.  h.  ein  Gesicht,  so  hart  und 
starr  wie  jener  Stoff.    Eine  ähnliche  bildliche  Uebertraguög 

liegt  in  dem  türkischen  ^^^t^,  sich  filzen^  d.  h.  vor  Kälte  er- 
starren, transir  de  froid. 

»  *  » 
II,  446*,  10  V.  u.  s«Ä^O",  nach  M:  mtourner  le  quartiei^de 

son  soulier  en  dedans^ti  mit  einem  Worte:  Heuler,  gemein- 
deutsch:  ausschlappen.   Das  Gegentheil  davon  ist  \^S^  oder 

i  473^,  2fu.  22.    Cuche:  i>\l<^  a  ^^jtSss^  6culer  ses  sou- 


»oS 


#  o    « 


Hers.  bLssüu?  sjL:5^<i!  6tre  6cule  (souliers) .  Übsvi"  ^^^-ä^o  mar- 
cher  les  souliers  6cuI6s.« 

II,  446^,  18  »  (Jw:5=0')  plätrern,  oder  mit  den  eigenen  Worten 
der  Gl.  Geogr.  T»induxit  lapides  gypsoa,  ist  nach  Cuche  ö*\ö^ 
»mastiquer  les  jointures  des  pierres  d'un  mur«,  also  auch  Mo- 
kaddast  W,  8,  nicht  vom  äussern  Ueberzuge  oder  Anstriche, 
enduit,  sondern  von  der  innem  Verkittung  der  Ziegel  durch  da- 
zwischen gegossenen  Kalk,  wie  man  dies  an  alten  Bauten  auch 
noch  bei  uns  sieht. 

II,  446^,  27  flg.   Ueber  Zusammensetzung  und  Gebrauch 

des  ,y^\S^  verdiente  eine  Abhandlung  des  sprach-  und  sachkun- 
digen Dr.  HiUe  in  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  Bd.  V  v.  J.  1851,  S.  236 
bis  242,  angeführt  zu  werden. 


67 


-  >   o. 


II,  448%  45  u.  16  »Li?j<(  u.  s.  w.  Vgl.  (Jüs^^  443%  4,  und 
die  Anm.  dazu.  Nach  LehgeY  'otm^nt  üf,  4,  und  Uf.,  6 — 43  ist 
die  gewöhnliche  türkische  Rechischreibung  nach  der  heutigen 

Aussprache  L^,  Abstr.  /  ^L^- 

II,  448%  4  V.  u.  >  J^ä^l^«  ungenaue  Schreibart  st.  ^yaJ-^y 

II,  448^,  4  V.  u.  »Vll  devenir  trouble,  Baidhäwi  sur  Sour. 
84,  2  a.    Möglich  ist  diese  Erklärung  durch  Uebergang  der  Be- 


»  ^  «  o 


deutung  von  jJOuj  in  die  von  tiA5u  allerdings,  aber  von  Baid^wl 

selbst  durch  Nachstellung  als  weniger  naheliegend  bezeichnet. 
Der  Verbalstamm  .JJ'  ist  erwachsen  aus  der  Wurzel  \Xi  mit  der 

allgemeinen  Bedeutung  quatere^  percutere,  tundere,  trudere.  Die 

erste  Form  ist  zunächst  transitiv:  i^jvj^  .joCj ^j^,  —  durch 

deren  Nichtaufnahme  aus  den  Originalwörterbttchern  Freytag 
der  ganzen  etymologischen  Entwickelung  ihren  Grund  und  Boden 

entzogen  hat,  — schütten,  stürzen,  giessen,  z.  B.  sUI  .SS 
er  hat  das  Wasser  (aus] geschüttet,   (aus] gegossen,  (herab] ge- 


"    ".O 


stürzt;  daher  in  der  entsprechenden  siebenten  Form  .JüCit,  in- 

trans.  stürzen,  herabstürzen,  zunächst  vom  Wasser  und  andern 
flüssigen  Dingen,  vom  Regen  der  vom  Himmel  herabgiesst,  von 
einem  Sturzbach  u.  dgl.;  dann  von  einem  Stoss-  oder  Raubvogel, 
der  aus  der  Luft  auf  seine  Beute  herabstösst,  herabstürzt,  her- 
abschiesst  (so  in  dem  Verse  bei  Baidäwl  a.  a.  0.:  »der  Falke  er- 
sah Trappen  in  der  Ebene  /a'nA'odara,  da  schoss  er  heraba);  von 
einer  Kriegerschaar,  die  sich  auf  den  Feind  stürzt,  von  einem 
Pferde,  das  in  schnellem  Rennen  dahinstürzt,  effuso  curstt  i^it, 
endlich  von  den  Sternen,  die  am  jüngsten  Tage  vom  Himmel 
herabstürzen:  nach  Baid^wt^s  erster  Erklärung  der  bemerkten 


9   >      9        O  « 


Stelle.   Daher  nun  auch  die  intransitiven  L^Jü"  .«aXj  . Jd 

tt^iAS^,  (jjii^ jJ3<j/jJS  und  ii^jS^  eig.  geschüttelt 

und  gerüttelt  sein,  zunächst  ebenfalls  von  flüssigen  Dingen, 
durch  heftige  Bewegung,  Stossen  u.  dgl.  mit  dem  Bodensatze, 

«jtiAxJt,  gemischt  und  getrübt  sein ;  dann  überhaupt  turhidum, 

5* 


68 

non  limpidum  esse  (Gegen theil  von  Im)  ,  mit  demselben  Bedeu> 
tungsttbergange  wie  in  turbare  (vgl.  deturbare)  und  trttben 
(vgl.  traben,  treiben,  treffen]. 


£> 


II,  452%  16  r^Sa  Druckfehler  st.  «J^,  welche  Aussprache 
für  diesen  ganzen  Artikel  Z.  16—33  gilt. 

II,  453*,  4 — 6.    Nach  der  durch  Landberg's  Proverbes  et 
dictons  S.  8  u.  9  empfangenen  Belehrung  über  den  wirklichen 


««<. 


Gebrauch  des  gemeinarabischen  f^J^,  —  auch  bei  Cuche  oIa*: 
»*fioJy5  ^S  se  contracter;  sengourdir;  se  ratatiner,«  — ziehe 

ich  meine  von  Dozy  wiederholte  Deutung  des  ^^,  Bresl.  T. 
u.  E.  N.  II,  f*\,  9,  zurück,  erkenne  die  Richtigkeit  von  Habichtes 
Erklärung  durch  »krumm,  schief,  ungestaltett  an  und  bereue 
den  noch  sehr  jugendlichen  Ton  des  in  meiner  Diss.  de  glossis 
Habichtianis  S.  55  dagegen  erhobenen  Widerspruchs.  Als  Tran- 

sitivum  bedeutet  ^^J  zusammenschnüren,  knebeln,  Al-FaräYd 


«« * 


W^»garotler,  Her«,  nächst  verwandt  mit  ,jio.y. 

11,  454*,  12 — H.  ^ji,  ^^,  i^jo,  x^Q^Si  nach  seiner  ur- 
sprünglichen Bedeutung  mit  Pfahl  werk,  Wall  oderMauer 
rings  umgebener  Ort,  bezeichnet,  wie  town  [eig.  Zaun]  und 
lOjiO^  (eig.  Umzäunung,  topodumh  umzäunen,  iqpodHH  Pfahl- 
work,  Palissade  ,  an  sich  weder  eine  grosse  noch  eine  kleine 
Suuit;  aber  die  im  alten  Babylonien  liegenden  Orte,  welche  auch 

unter  der  arabischen  Herrschaft  den  aramäischen  Namen  ^y 

mit  einem  davon  regierten  specificirenden  Genetiv  behielten, 
waren  meist  kleinere  Städte  und  Flecken.   J^küt  leitet  das  von 
Dozy  angeführte  Verzeichnlss  derselben  IV,  Toi* — i*ov,  nach  Fest- 
ere 
Stellung  der  Aussprache  von  ^  J'so  ein:  »Nach  meinem  Dafür- 

halten  ist  das  Wort  nicht  acht  arabisch,    sondern  nabatäisch. 

Man  sagt:  o^J'  das  Wasser  und  Anderes,  wie  Rinder  und 
Schafe,  nach  dem  und  dem  Orte  hin,  d.  h.  ich  habe  das  Wasser, 
die  Rinder  und  Schafe  dahin  zusammengeleitel,  zusammenge- 

trieben.  ^  j  wird  von  allerhand  Orten  gebraucht,  die  aber  alle 


69     

in  ir^k  liegen.«  In  der  Einzelaufsöhlung  erscheinen  sie  dann 
iheils  als  ÄJoJu,  Stadt,  theils  als  Jjj,  Ort,  Ortschaft,  theils 

als9v3uL,  Oertchen,  theilsalsÄl^,  Flecken, Marktflecken, 

im  K^müs  auch  als  zuy,  Weiler,  Dorf,   ^i"  schlechthin  ist 

im  tttrk.  KAmüs  derselbe  Ort,   welcher  bei  J6]küt  oIcXju  ^^ 

heisst:  ursprünglich  eine  für  Gewerbbetrieb  und  Handel  be- 
stimmte und  von  einer  entsprechenden  Bevölkerung  bewohnte 
Vorstadt  von  Bagdad,  die  zwar  weiterhin  mit  der  eigentlichen 
Stadt  zusammenwuchs  und  von  andern  Stadtvierteln  einge- 
schlossen wurde ,  später  aber  nach  dem  Verfalle  der  letztem 
wieder  einen  freiliegenden  besondern  Flecken  bildete.  Hiermit 
stimmt  Uberein  Thomas  a  Novaria  S.   297  u.   289:   »Civitas 

I^^JUr^  ii^^s^'.     Civitas  parva  ^op  »jä^aJ!  iucvXt?.« 


II,  454%  9  V.  u.  y^ ^c>yi  Collier  de  filscTor,  Bc.a  Auch  Guche 


«&> 


hat  »^bj^  Collier  (d'or  ou  d'argent)«  als  Wort  fremden  Ursprungs, 
—  wahrscheinlich  Abkürzung  des  pers.  JUj  ^b^,  Halsband. 


-"^.^ 


II,  454\  45  »ti)b^^:f  est  le  pers.  ^licy «.   Nach  dem  allge- 
meinen Formenverhältniss  und  der  ausdrücklichen  Erklärung 


^.r  O«' 


des  Farhangi  Gihdngiri  ist  vielmehr  ^l^yT  die  Arabisirung  von 

<illiJL5   und  dieses  die  ältere  Form  von  ^^iiJy^  und  \jöJ:  1)  Bra- 
tenwender, tourne- breche,  2)  eine  mit  Anwendung  desselben 


hergestellte  Art  gefüllter  Rostbraten,  auch  Q^^y  und  scK^oljy 

genannt. 

II,  454%  24  v^^^öScapot  ou  capote,  Bc.«  vom  pers.  Q^vy  , 
beilfeninski  in  abgekürzter  Form :  ^^^ß  gerdün,  p.  n.  s.  Pi- 
leus.  iV^".«,  nach  seiner  Abstammung:  eine  ringsum  einschlies- 
sende  Kappe,  Kapuze. 

II,  455*,  5 — 3  V.  u.  »qj/^«,  als  Benennung  eines  Bagdadi- 

sehen  Damenkopfputzes,  hergenommen  vom  pers.  qj/^ih  der  von 
Vullers,  II,  81 6*^  angegebenen  Bedeutung. 


70 

II,  455^,  \S — 20.  Beschrieben  und  abgebildet  ist  dieser 
»koorseea  mit  der  dazu  geht^rigen  y>seeneeyeh(t  in  Lane's  Manners 
and  Customs,  1,  175 — 177  der  1.  Ausg. 


^  o». 


II,  456*,  5 — 3  V.  u.  y>'siXM*Sn  verkürzt  aus  dem  bei  VuUers 
fehlenden  pers.  iCijJS,  Meninski,  IV;  S.  46*. 

So 

II,  456*,  5  flg.  »iu^y^rÄ,  vesce  noiret.   lieber  diese  voq 

mir  und  Andern  früher  verkannte,  von  Low,  Aram.  Pflanzen* 
namen  105  u.  106,  228  u.  229  endgiltig  festgestellte  Bedeutung 
des  aus  dem  aram.  ((J'^t^  gebildeten  Wortes  und  seine  wech- 
selnde Aussprache  s.  Weiteres  in  Levy's  Neuhebr.  Wörterbuch, 

I,  434»,  II,  450*  u.  451*,  458*.  Cuche  schreibt  äIL/,  Al-FarÄtd 

So  £  «>  C> 

xJumJ^,  daneben  als  gemeinarabisch  »J^S,  • 

II,  456*,  23  u.  24  »(J^yüb  c>^^  fXie  a  congmtj  s.  das  zweite 
Stück  dieser  Studien  v.  J.  1882,  S.  19  u.  20,  m.  Anm.  21. 

II,  457*,  18  ))y>^^(turc.  v^.^)  golfen.  Wie  ^o//c  aus  xoXtto^, 

so  ist  das  türk.  kürfüz,  gewöhnlich  körfez  ausgesprochen,  aus 
dem  neugriechischen  TLoqrpog  st.  'AokTtog  entstanden.  Ebendaher 
hat  die  Insel  Gorfu  ihren  Namen :  zum  Unterschiede  von  dem 
allgemeinen  x6Qq>og  neugriechisch  xo^tpotg. 

II,  458*,  10  )>(KvQiaii6g)  f^j^^  f^.«  d.  h.  fj  ^fiiga  ^  xv- 
Qiay^rjj  neugriechisch  schlechthin  ^  xvQiaytri,  wie  ital.  la  dorne- 
nica,  von  doroinica  (dies],  wogegen  span.  el  domingo,  franz.  le 
dimanche,  von  dominicus  (dies). 

II,  459*,  11—13  j»^>Cea  Makk.  11,  89,  15,  ein  Denominativ 

von  xxly',  Deckel  eines  Gefässes,  so  genannt  als  etwas  dem  Ge- 
fasse  zur  Ehre,  d.  h.  zur  Zierde,  Gereichendes,  hier  nach  dem 

allgemeinen  Hlliib«,  bedeckt,  zu  näherer  Angabe  der  Art  der 
Bedeckung. 

II,  459*,  13  u.  14  »iUy",  esp^ce  d*6cnture  d6crile  Descr.  de 

TEg.  XI,  507«.  Wie  das  französische  Prachtwerk  in  der  Recht- 
schreibung morgenländischer  Wörter  überhaupt  manches  zu 
wünschen  übrig  lässt,  so  ist  auch  dieses  m^  ein  verschriebenes 


71 


«o 


türk.  My»,  kyrmay  eig.  Gebrochenes,  gebrochene,  eckige  Schrift, 

'  *  - 
wie  das  pers.  jJLmXä,  sikeste,  und  unsere  Fractur;s.Meninski, 

III,  995^. 

II,  459^,  29  u.  30  »(iU!/)  Paveur  sumatureüe  (de  Slane)« 
gehört  zusammen  mit  II,  460%  4  u.  5:  »Chez  les  Soufis,  la  fa- 
culte  de  vctguer  par  le  monde  spirititeLa  Den  beiden  von  Dozy 
angeführten  Textstellen  der  Prol6gom^nes  d^Ebn-Khaldoun  ent^ 
sprechen  in  de  Slane's  Uebersetzung  III,  92,  41,  und  I,  227,  5 
u.  4  V.  u.;  besonders  verdiente  aber  noch  die  Anmerkung  6  zu 

I,  490  der  Uebersetzung  ttber  den  Unterschied  zwischen  x/qG', 

«'  Cr  > 

Heiligen  wunder ,  und  iU.^u^,  Prophetenwunder,  angeführt  zu 

werden. 

II,  460%  17  9^Ji  succin,  ambro  jaunea  Zusammenziehung 

des  pers.  bj^,  wie  y^l^  und  U^l^  II,  434*^,  9  u.  8  v.  u. 

II,  460^,  1 — 3  ))^j**-y^L«y"  (grec,  ^  ce  qu'on  dit),  conjonqtive^ 
membrane  muqueuse  qui  unit  le  globe  de  Toeii  aux  paupi^res«, 
d.  h.  xQSfiaaTrjg,  mit  Ausfall  des  t  statt  ^j»KfX>J^S . 

II,  461*,  28  u.  29  »(w^j5')  gourde^  courge  vide  servant  de 

bouteille,  M«.  M  sagt  im  Allgemeinen:  ^U^  ä^LkÜ  JUc  v.^yC!t 
üUU  cji  ^jAj  wörtlich:  »Kerntb  ist  bei  den  gemeinen  Leuten 
ein  Gefäss  aus  Kürbis  für  das  Wasser;«  Cuche  und  Al-FaräYd: 

»v.^^  courge  vide  et  s^che  dont  on  se  sert  pour  puiser  de 

Teau,«  also  nicht  wie  ein  Flaschenkürbis  zur  Aufbewahrung 
von  Trinkwasser  u.  dgl.  Auch  die  ausMas'üdt  angeführte  Stelle 
weist  deutlich  auf  eine  runde  oder  rundliche  Gestalt  hin.  Im 
Neuhebräischen  heissen  bocken-  oder  napfartige  Gefässe  nach 
der  Lesart  b.  Buxtorf  Sp.  1096  Z.  1  niK33nD,  wahrscheinlich 
ebenfalls  von  xiqvixfj^  x^^e/?ov,  xtqvlßtov d\yi\x\e\ien\  s.  Levy's 
Neuhebr.  Wörterbuch,  II,  457»  "•  ^• 

II,  461^  5  nnS  I  c.  ^  r.,  F.  Hufassal  58,  17«.  Dozy  fasst 
U  nach  v^.  als  Conjunctivpartikel:  »wohl  manchmal  (ge- 


72     

schiebt  es]  dass«u.  s.w.,  in  Widerspruch  mit  Zamahsari  selbst, 
der  mit  diesem  Verse  den  Gebrauch  von  L«  in  der  Bedeutung  des 
indeterminirten   thetischen   Nennwortes  i-^jL  =  Was, 

Etwas,  belegt,  auf  welches  «yCj  mit  Auslassung  des  Object- 

Suffixes  St.  J^S^  sich  zurückbezieht;  s.  Ibn  Ja'ii^  S.  fv*1  Z.  23 
u.  24,  meine  Kl.  Sehr.  I,  S.  420  Z.  42 — 47.   Diese  Auslassung 

hat  Dozy  verleitet,  das  äusserlich  fehlende  Object  von  rtSä  in 

dem  partitiven  oder  erklärenden,  von  Lo  abhängigen  ^^t  ^  zu 

suchen  und  so  dem  « J"  eine  unbeweisbare  Gonstruction  mit  ^ 

zuzuschreiben. 

II,  464^,   45.   Diw.  Mosl.  M  V.  r*  ist  die  Bedeutung  von 

^  *  o  ^  o  _ 

^yjiu*\  nrendre  difforme^  mit  de  Goeje  und  Dozy  nach  Sinn  und 

Zusammenhang  anzuerkennen,  daneben  aber  st.  ^«^4^1  —  wahr- 

scheinlich  Druckfehler  —  zu  schreiben  j«^4^?,  von  ^y 

II,  462^,  46—24.    Ueber  den  Zusammenhang  der  geistigen 

mit  der  sinnlichen  Bedeutung  von  ji'  s.  Levy's  Neuhebr.  W^örter- 

buch,  II,  454 »'»•^-  Auch  Cuche  hat  S.  ovt*^:  »BJt^  o^  ^tre  sec, 

dess6ch^  et  se  contracter.  Avoir  du  d^goüt  pour  ...  ^  Jlc  Js^ 
«üLUn^  serrer,  grincer  les  dents.« 

II,   462\   42  v.  u.   »uxUy«  stärker  arabisirt  jjiljs  II, 
342^,  4  4 . 

II,  463*,  40  »/Äj^  1  amarrer,  attacher^  lier^  Ht.«  In  keinem 
acht  arabisphen  Worte  können  ^  und  /ä  zusammenkommen. 

Wenn  nicht  etwa  in  H^lot^s  Algierischem  Arabisch  berberischer 
Einfluss  anzunehmen  ist,  möchte  ich  dieses  rj^  für  ein  unrich- 
tig gehörtes  und  geschriebenes  /jf^  halten. 

II,   463*,   40  V.  u.   »XlJt«  im  Most,  erklärt   durch   >)^ 

^jLyJü! «,  ist  verschrieben  aus yClJ!.  Man  vergleiche  die  Artikel 


73     

über  ^^\  und  yjt^^^mS^S  bei  Freytag  und  Lane,  um  sich  zu  über- 

zeugen,  dass  die  Glosse  des  Most,  nichts  ist  als  einer  der  zahl- 
reichen Versuche,  die  Frage  nach  Wesen  und  Geschmack  des 

yuM,  nsiD,  dessen  Genuss  Muhammed  Sur.  46  Y.  69  seinen  Glau- 
bigen im  Paradiese  verheisst,  durch  Zusammenstellung  mit  einem 
irdischen  Mischgetränke  zu  beantworten.  S.  Low,  Aram.  Pfl. 
S.  425  Z.  3  flg.,  S.  231  Z.  4  4  u.  L  Z. 

U,  463*,  45—48.   Die  hier  angeführte  Erklärung  des  theo- 

logischen  Schulwortes  w^um^  trifft  nicht  den  eigentlichen  Kern- 
punkt des  bezüglichen  Streites  zwischen  Orthodoxen  und  MoHa- 
zUiten.   Dies  thut  die  andere  bei  M  Utt**,  4  u.  3  v.  u.,  wonach 

v.;a.%mJü!,  die  Aneignung,  bedeutet:  »die  Betheiligung  des 
Könnens  und  Wollens  des  Menschen  an  seinem  (von  Gott)  vor- 
herbestimmten Thun,«  worauf  die  sittliche  Anrechnung,  Ver- 
dienst und  Schuld,  Belohnung  und  Bestrafung  beruhen.  Vgl. 
Baidäwt  zu  Sur.  44  V.  27  (I,  ff,,  47  u.  4  8):  »Mit  solchen  Stellen 
wollen  die  MoHaziliten  ihre  Lehre  beweisen,  dass  der  Mensch  in 
seinen  Handlungen  völlig  frei  und  selbstständig  sei;  aber  es 
liegt  in  ihnen  nichts  was  dies  bewiese;  da  die  Annahme,  dass 
das  Können  des  Menschen  an  seinem  Thun  überhaupt  irgend 
einen  Antheil  hat,  —  und  dies  ist  die  von  unsern  Schulgenossen 
so  genannte  Aneignung  (^^^^.miX!!),  —  hinreicht,  den  wort- 
lichen Sinn  jener  Stellen  mit  der  Wahrheit  in  Uebereinstimmung 
zu  bringen.« 


o  > 


II,  463»»,  25  »ÄAA*r  (pers.  äx^)  marc^.   M's  Angabe,  U«*», 

O  ^  ..0   9 

1 ,  das  (jM  in  v^^,  )Umi  sei  ursprünglich  ein  ^^  wird  schon 


durch  die  weichere  Form  \^^  widerlegt ;  auch  die  Juden  schrei- 
ben nur  »fiWS,  Levy's  Neuhebr.  Wb.  III,  370*  u.  454*.  Der 
persische  Ursprung  des  Wortes  aber  steht  fest  durch  die  ältere 


O    >  )   O    9 


Arabisirung  ^si^,  nicht  .ä^j^,  wie  b.  Freytag  IV,  33*. 

II,  464*,  9  »mUmJ'  (gi^c)  nmrranj  Bc  (Syrie)«  entsprechend 
dem  griech.  xaataria,  lat.  castanea,  ital.  castagna,  franz.  chÄ- 
taigne.  Aber  gewöhnlicher  ist  auch  in  Syrien  die  kürzere  Form 


^  o    « 


74 


,  464%  47,  gr.  Ttaaravor.  Cuche  ovf*:  »iUajm^  cbataigne.« 
Al-FarÄYd  v.t"^:   r^liX^S  chataigne.a    Hartmann,  Sprachführer 

9 

S.  24 :  »Kastanie  ka  stani«  [d.  b.  XJU.1^  nach  nordsyrischer  Aus- 

spräche],  lieber  die  altere  Arabisirung  ^b^o^i»,  J>h.><iü,  Joa^oä  s. 
II,  345%  42  flg. 

II,  464%  46  »ii)üUJ'  I  entraver^  metlre  des  entraves  ä  ud 
cheval«,  türk.  i^JDCx^,  von  i^üJ^j^,  koste k,  Fussfessel, 
arab.  JliCä,  pers.  Jü^L. 

II,  465^,  4  9  (^mJ)  c.  J^  re^ter  devant  une  ville«.  Hiernach 

wäre  q^mo^  in  der  angeführten  Stelle  Zeitaccusativ,  aus  j^uu 
oder  ^.b :  zwei  Tage  lang;  aber  weder  so  noch  anders  con- 

struirt  bedeutet  ^jm.^ schlechthin  bleiben ;  jenes  ^^^a^.  ist  viel- 
mehr Objectsaccusativ,  aj  dy^y  von  y*S  verschwenden, 
vergeuden,  in  Beziehung  auf  Geld  465%  47 — 49  i>dissiperu^ 
hier  auf  die  Zeit  angewendet:  »er  verlor  vor  ihr  (der  von  ihm 
belagerten  Stadt  Sevilla)  zwei  Tage  und  erkannte,  dass  ihre  Be- 
wohner sich  nicht  ergeben  würden. a 

II,  465^,  27  n^tt  vor  &:Ua3-!  ist  zu  tilgen,  da  das  Verbum, 
auch  nach  de  Sacy^s  Uebersetzung,  Äio  von  p^  ist. 

II,  466*,  3  V.  u.  flg.   Die  Erklärung  von  v^^t  11^  durch 

»le  recoin  le  plus  secret  de  la  maisonn  gilt  für  die  ansässigen 
Araber;  bei  den  Beduinen  istyMJül    der  umgebrochen  j^^^«^ 

d.  h.  gefaltet  oder  gerollt  auf  dem  Boden  liegende  unterste 
Rand  der  Zeltdecke  an  den  Seiten  und  dem  Hintertheile  des 
Zeltes.  Um  jemand  unbemerkt  in  das  Zelt  einzulassen,  wurde 
dieser  Rand  von  innen  aufgehoben;  daher  die  Redensart  «i^ 
owjJt  jmS  si  ü  lui  accorda  asile  et  protection ^  466*^,  II,  2  u.  3. 

II,  466^,  4  V.  u.  »j^\  iüLd?«  Die  beiden  Worte,  Seiten- 
stück zu  »Aj^l  •r^<3«,  aurum  obryzum,  bedeuten  demgemäss 
feines,  reines  Silber.   Nach  den  Lehren  der  Alchymie  hat 


75     

jedes  minder  edle  Metall  nicht  nur  die  Fähigkeit,  sondern  auch 
den  Trieb,  durch  Läuterung  auf  die  nächsthöhere  und  so  fort  weiter 
endlich  auf  die  höchste  Stufe,  die  des  Goldes,  zu  gelangen ;  die 
Aufgabe  des  Alchymisten  besteht  nur  darin,  diesen  Läuterungs- 
process  durch  sein  Zuthun  zu  Stande  zu  bringen.  Im  nächsten 
und  eigentlichen  Sinne  ist  demnach  »Elixir- Silber a  dasjenige, 
welches  von  der  nächsttiefern  Stufe,  der  des  Kupfers  (Kazwint, 
I,  M,  5 — 3  V.  u.),  vermittelst  des  »Eiixirsc  auf  die  des  Silbers 
erhoben  worden  ist. 


II,  467%  \h  flg.  d^jmJLL!  w^^,  y*Si\  v^JLo«,  was  einen  guten, 

festen  Bruch,  eine  solche  Bruchstelle  hat,  d.  b.  was  sich  an  der 
Bruchstelle  als  innerlich  gut,  fest,  kernig  oder  gediegen  aus- 
weist ;  von  Dingen  übertragen  auf  Personen,  die  sich  durch  die 
Thai  als  gut  und  tüchtig  bewähren,  was  natürlich  sehr  ver- 
schiedene Beziehungen  zulässt.   Wenn  z.  B.  in  Abü-Tammäm^s 

Diwan  ein  gegen  Andre  sanfter  und  gefälliger  Mann,  ein  ^^ 

woL^I,  für  diese  yJut  v*I£>  ist,  so  heisst  ebenso  ein  rauher 

Krieger  bei  Leuten,  die  er  mit  starker  Hand  vor  Feinden  schützt 
oder  von  ihnen  befreit. 

II,  467^,  5  Ji^yWm.'^  varlope,  plane,  sorte  de  rabot« ,  langer 
Schlicht-  oder  Glatthobel,  dasselbe  was  ^-^^Ja^*^  von  )|.j^aia,  mit 

IM 

Verwandlung  des  p  in  k  wie  in  der  kurzem  Form  tyUi^;  s.  das 
1.  Stück  dieser  Studien  v.  J.  1881  S.  13  Z.  3  u.  2  v.  u. 

II,  468*,  3  j»  jnJC^  II  s^enfuiru,  nach  der  Grundbedeutung 


.   o 


von  ^jtS  und  (jmXm^:  sich  zusammendrücken,  sich  klein  machen, 
sich  ducken,  se  tapir,  wie  ein  Flüchtling,  der  seinen  Verfolgern 
oder  den  nachgesandten  Geschossen  zu  entgehen  sucht.  Hier 
von  flüchtenden  Thieren :  j»  indem  sie  sich  aus  Furcht  vor  ihm 
zusammendrückten,  mit  dem  Kopfe  zwischen  den  Vorder-  und 
mit  dem  Schwänze  zwischen  den  Hinterbeinen .a 

II,  468^,  2  flg.  »ä^.j»S  II  draper,  habiller  une  figure«,  De- 
nominativ  von  »j«^«  oder  »a^mO  «,  d.  h.  nicht  vom  Verbalnomen 


76     

des  arab.  A^,  sondern  vom  tttrk.  ^^^mJ",  Schnitt,  Zuschnitt 

eines  Kleides,  coupe,  taille^  aber  auch  in  allen  hier  aus  Bc  auf- 
gezählten weitern  Anwendungen,  wie  nach  Lehge'i'  'otm^nt  U.v. 
40  u.  A\  »AiA^a  und  das  gleichbedeutende  »^^uja  allgemein- 

hin  für  jjl;?,  ^j  und^jL  gebraucht  werden.  Cuche  als  gemein- 
arabisch  mit  Umkehrung  der  Reihenfolge  der  Bedeutungen : 

^f^^  fa^on,  mani^re;  habit,  habillement;  costume,  livr^e. 
i^L^Uäil  äi^  J^  par  maniäre  de  plaisanterie.« 

II,  469%  7  »^^yu-*r  (pers.)  glaXeul  Bait.  II,  379  a  (AB); 
ie  fä  dans  Bc  est  une  faute ;  cf.  VuUers«.  Im  Gegentheil :  Q^^jLy>»»y 
bei  Baitar  und  VuUers  ist  verschrieben  aus  ^yu^y,  wie  Be 
richtig  hat,  und  das  Wort  nicht  persisch,  sondern  §i(piov,  gla- 
diolus,  syr. .  aa^a);  s.  Levy's  Chald.  Wörterbuch,  II,  570*'»*', 
und  Low,  Aram.  Pfl.  S.  27«  u.  «73. 

II;  469^,  42  flg.  »e^^^,  Cuscutan  erschöpfend  behandelt 
von  Low,  Aram.  Pfl.  S.  230—232. 

II,  470%  6  u.  7  »,x^«  erscheint  a.  a.  0.  ausdrücklich  nur 

als  eine  Yermuthung  Hitzig's  statt  des  urkundlichen  ^^xf. 

II, '470%  16  u.  47  t  ..«Alxci^Xca  dasselbe  was  ...«Jx^^JLo  an  der 

bemerkten  Stelle  in  der  Galland'schen  Handschrift.   Wie  _b.A.? 

und  hJi^  für  3^-^  so  sind  auch  .bi^t  und  Jb^Vf^l  gleichbe- 
deutend für  s'6ter,  sich  hinwegheben,  sich  fortmachen, 

statt  des  altarab.  a^^,  wie  dieses  und  >.,a.ää!  II,  474»,  4 — 3  v.  u., 
eigentlich:  sich  von  einem  Orte  hinwegziehen. 


>   } 


II,  470%  29  »X^t  I^^JiUschr.  XJUiJt  I^^Üt,  von^^^U,  wie 
Bocthor  unter  Combustion  :  nmettre  en  combustion  ^  äa;:äJI  .lj1.(< 

II,  474%  5  »xJiJMjy,  ich  lese  ilü^JI  iJy^ :  er  gab  die 

[bisher  beobachtete)  vorsichtige  Zurück-  und  Geheimhaltung 
auf;  s.  I,  449%  2  flg. 


77     

11,  471%  1.  Z.  j»J^«  nachv.ÄA5ut.  Dozy  selbst  findet  die 
ConstructioQ  sonderbar;  ich  halte  sie  für  unmöglich  und  sehe 
in  diesem  J^  nur  ein  verschriebenes  ^,  —  eine  Verwechslung 

die  gar  nicht  selten  ist. 

II,  472^,  18  flg.  Ueber  (^lü^und  >äJiS  war  besonders  noch 

anzuführen  de  Sacy,  Relation  de  F^gypte  par  Abd-allatif,  S. 
325—327. 


II,  472%  10  V.  u.  »jC^^wJJ^g  sehr,  x^mw^m». 

11,  472*^,  12i>Ä^L^  ceinttire  en  hrocarU  Arabisirung  des 

tttrk.  /^Umä,  ('^^^  Gürtel  im  Allgemeinen;  s.  die  Anm.  zu 
/  öUxS  II,  351*,  2,  im  vorigen  Stück  dieser  Studien. 

-  o   -  -   o   * 

II,  472%  9  V.  u.  i>uäX^  galoHy  Ma.   M  sagt:  U  ^j&NmX^I 
äI  lIujj  JaJtyiJ?  ^jA  8^3  v>^'  J^  -^l^»  ^öd  Ätij^i  ist  nach 


'-   0> 


demselben  ({.vt^,  6  u.  7)  im  Gemeinarabischen  ^j^  ^^^JCi  ^jt^ 
Up^3  O^'  ^^  y:;^^  ^^^^  ^^^  Seide  oder  Baumwolle  u.  dgl. 
gewebte  Borte  (Schnur,   Tresse),  nachzutragen  I,   747*  unter 


*.  O    -'  >  *.  o 


»hjyii  pl.  Jiaitj^.  Guche  als  gemeinarabisch:  »^JiSJi^^  ^jäX^ 


-.  o 


bordure  pliss6e;  piissüre;  draperie.tf  Al-Farä'id:  i>jSiSJiShor- 
dure  d'une  Stoffe,  festons.a 

II,  473%  i^Vj^UiS  (pl.)^«  Zur  Beantwortung  dieser  Frage 
öffnen  sich  zwei  Wege:  das  Wort  ist  entweder  arabisch  oder 
türkisch.    Im  ersten  Falle  bietet  der  E^müs  das  nächstliegende 

nfjJUü\  ^y  its^^  jaIüSSU.  Wenn  auch  natürlich  nicht  unmitiel- 

bar  von  dieser  altarabischen  Singularform,  aber  doch  von  dem 
zu  Grunde  liegenden  vierbuchstabigen  Stamme  gebildet,  wären 

^Ux5^hä  SS  liehe  Leute,  —  ganz  passend  zu  der  betreffenden 

Stelle  in  Sindbad's  sechster  Reise,  wo  er  nach  abenteuerlicher 
Wasserfahrt  durch  eine  dunkle  Höhle  aus  dem  Schlafe  er- 
wachend sich  plötzlich  von  dunkelfarbigen  AAbyssiniem  und 
Indern«  umringt  und  in  einer  ihm  unverstUndlichen  Sprache 


78     

angeredet  findet.   Im  zweiten  Falle  ist  .aaIjS  nur  ein  anders 


.  o  ^ 


geschriebenes  ^Uxd,  PI.  des  arabisirten  türk.  ^*.^,  11,  354\ 
H  V.  u.:  Possen  rei  SS  er,  Schalksnarren,  —  ein  auf  den 
ersten  Blick  allerdings  der  angegebenen  Lage  wenig  angemesse- 
ner Ausdruck,  der  indessen  den  flberraschenden  faschings- 
artigen Eindruck  schildern  könnte,  den  die  wunderlichen  Ge- 
stalten und  Trachten  um  Sindbad  herum  auf  ihn  machten.  Jeden- 
falls liefert  die  Vertauschung  des  /ä  mit  e)  keinen  stichhaltigen 

Einwand  gegen  die  Möglichkeit  dieser  Ableitung.  Da  die  Türken 
den  emphatischen  Laut  des  semitischen  /ä  in  ihrer  eigenen 

Sprache  ebenso  wenig  haben  wie  die  Perser  in  der  ihrigen, 
dasselbe  einfach  wie  die  tenuis  k,  e)  aussprechen  und  das  Schrift- 
zeichen /j  in  türkischen  Wörtern  nur  zur  Bezeichnung  der 

breiten  Vocale  a,  y,  o,  u  vor  und  nach  k  gebrauchen,  so  behal- 
ten die  Araber  in  den  angenommenen  türkischen  Wörtern  diese 
Schreibart  theils  bei,  theils  verwandeln  sie  /j*  in  das  von  ihnen 
gehörte  ^. 


b   f  ,    O    9  •       O 


11,  473»,  6  u.  5  V.  u.  »^^jaJLäj  ,  ^^-i.^«  u.  s.  w.  =  >U^y  11, 
456^,  5  flg.  mit  der  Anmerkung  dazu. 

II,  473^,  27  flg.    Weitere  Beispiele  von  diesem  Gebrauche 
des  Wortes  w^  ^^  ^^i*  Bedeutung  von  ^Ju:,  Ferse,  insofern 


diese  glück-  oder  unglückbringend  ist,  d.h.  durch  Betreten 
eines  Bodens  als  nächste  Ueberleiterin  des  Glückes  oder 
Unglückes  gedacht  wird,  welches  die  Person,  der  sie  angehört, 
einem  Orte  und  seinen  Bewohnern  bringt,  s.  bei  Burckhardt, 
Arabic  Proverbs,   S.  408,  Nr.  409.    Für  besonders  unglück- 


bringend gilt  eine  »runde  Ferse«,  ^^vX«  v^?  ^'  6  v.  u.    So 
schon  Heidani,  T.  U,  S.  738,  No.  ow  v^.^ai>wl  .^Ju  mit  d.  Anm.: 


^  O    f 


^>^AII  ii  vry^.-    (Freytag:  »Rolundum  talum  babensa  sehr.  Ro- 
tundam  caicem.) 


1  )  9      C 


II,  473^,  6  u.  5  V.  u.  Bei  ^J!  s^^  sind  zwei  Bedeutungen 
zu  unterscheiden  :  1.  der  Knotenabsatz  (nodus)  zwischen  je  zwei 


79    

^»j^ii  (iniernodia)  des  Rohrsehaftes  der  Lanze;  2]  »le  talan 
Wune  lancetj  d.  h.  der  unter  ihrer  Eisenspitze  befestigte  Holz- 
würfel, durch  welchen  die  Kraft  des  St03ses  gesichert  und  ver- 
stärkt wird ;  s.  Perron,  Voyage  au  Ouaday  par  le  Scheykh  el- 
Tounsi,  pl.  V  Fig.  27  und  pl.  VI  Fig.  45,  vgl.  mit  S.434  u.743. 


Davon  ^^t  v^>  ^^  ^^^  ^'^  Lanze  mit  einem  solchen  Holzwürfel 


S  ^  9        O  9 


versehen ;  „^a«>C«  ^j  in  Kosegarten's  arab.  Chrestomathie  S.  80 
vorl.  Z.,  nicht  wie  U,  474%  47u.  48:  ulance  faite  d^unjonc  dont 
les  noeuds  sont  forts.v  —  Die  erste  Bedeutung  findet  natürlich 

Statt  in  der  aus  Diw.  Hodz.  angeführten  Stelle,  wo  „^amS^\  in 

coUectivem  Sinne  steht :  s,;,^^«\j!  ^jX^^  cya^  ^^  eine  Lanze  deren 

Rohrschaft  mit  Einschluss  der  Rnotenabsätze  von  unten  bis  oben 
gerade  und  ebenmässig  verlauft,  so  dass,  wie  der  Gommentator 
S.  Ifr  Z.  2  u.  3  erklärt,  ihre  Schwingungen,  wenn  sie  geschüttelt 
wird,  sich  über  ihre  ganze  Länge  erstrecken. 

n,  474^,  46  i>y^g.^^jCiU  chaussure  qui  ne  couvre  pas  le  talorij 


M«.  M  sagt:  ^^^^ajüGI  <JLo  ^  (j<«t«Alt,  Schuh,  der  nicht  bis  an  die 

Knöchel  reicht;  denn  dass  „^.^wid' hier  nicht  a  v^,jic  ist,  sondern 

seine  altarabische  Bedeutung  hat,  sieht  man  aus  dem  Gebrauche 
des  Duals. 

Uy  475%  6  u.  5  V.  u.  Entgegen  diesem  ^constamment  fem.^ 
zeigen  nicht  nur  die  in  meinen  Kl.  Schriften,  I,  S.  262  Z.  4  4 
flg.,  gesammelten  Stellen  späterer  Schriftsteller,  sondern  auch 

zwei  Verse  von  äj»  ,  und  .  ^ix^^L  Mufassal  ivo.  4 ,  und  Kämil  H , 

48,  v^als  Masculinum.  Die  bei  M  UPv*,  8  u.  9  versuchte  Recht- 

fertigung  des  y^^Z^  sjS  der  beiden  altarabischen  Dichter  ist 

nicht  überzeugend;  denn  dass  z.  B.  in  dem  Verse  Ru'bah's  sjS 

nicht  für  den  ganzen  Vorderarm,  lA^U»,  und  deswegen  im 

Masc.  steht,  ergiebt  sich  aus  der  unmittelbaren  Verbindung 
von  N«^ mit  pÜJI  st.  ^ÜJt,  den  Fingerspitzen. 


80 


«o^ 


II,  476^,  U  ȀX^  (turc)a,  nach  M's  Aussprache;  seiner  Her- 

kunft  nach  persisch:  tfjJSoder,  wie  in  LehgeY  otmänt  f.r»,  45, 
iüiyi',  nach  türkischer  Aussprache  küfteoder  köfte,  Hindoglu 
und  Zenker:  Dboulette  de  viande  hach^e;«  LehgeT  'otmAnt  als 
Gattungswort:  i^\^\   ^^JiAjih   ot  q^I;  q^^^  »verschiedene 

aus  Gehacktem  (hachis)  gemachte  Fleischspeisen«. 


«•o. 


•  II,  477»,  7  u.  12  »^«  und  »«^«s.^II,  383%  U— 47 
m.  d.  Anm.  dazu. 

II;  478%  23  u.  24  i^MS^boutoir,  instrumentde  mar^chal  pour 
parer  le   pied  d^un  cheval«,    ist  das  ttlrk.  und  ungar.  kefe, 

tiSy  Bürste,  bes.  Pferdebürste  zum  Giattreiben  der  Haut  nach 
dem  Striegeln;  dann  übergetragen  auf  das  »Wirkeisen a  der 
Hufschmiede  zum  Glätten  des  Hufs. 

H,  479»,  22  u.  23  »iuLft^CJI  J^  U^j»  [kürzer  iüLi^J^y]  un 

devoir  religieux  qui  est  obligcUoire  pour  toute  la  communion  a ,  so 
nämlich,  dass  der  den  Moslemen  in  ihrer  Gesammtheit  obliegen- 
den Verpflichtung  durch  die  Erfüllung  des  betreffenden  Ge- 
botes von  Seiten  eines  Theiles  der  Gesammtheit  in  Stellvertretung 

der  Uebrigen  Genüge  geschieht,  im  Gegensatze  zu^^  u^*^, 

einem  Religionsgebote,  welches  von  jedem  einzelnen  Moslem 

persönlich,  iuUju,  erfüllt  werden  moss.   ÄjÜbüi  ist  die  Hand- 

lung  derjenigen  Moslemen,  welche  durch  Erfüllung  des  Gebotes 
für  die  Uebrigen  genugthun  und  sie  dadurch  von  der  persOn- 

liehen  Verpflichtung  dazu  befreien ;  von  yS\  jc:^  =  ^^L 


II,  479»,  24  u.  25  »il  tua  les  ouvrlers  enmasse.  tous  en- 
semble,  en  totalüeti ,  gewiss  nicht  im  eigentlichen  Sinne ;  denn 
eine  solche  Menschenschlächterei  wäre,  abgesehen  von  ihrer 
Grundlosigkeit,  das  Verkehrteste  gewesen,  was  der  König  in 
einem  Augenblicke  thun  konnte,  wo  zur  Wiederherstellung  der 
Dämme  und  zur  Bekämpfung  der  Wassersnoth  alle  verfügbaren 
Arbeitskräfte  aufgeboten  werden  mussten.  Jedenfalls  hat  dieses 


81     

Jj:i  die  von  Dozy  selbst  II,  308*,  20  flg.  nachgewiesene  Bedeu- 
tung »fatiguer  excessivement^.    In  Uebereinstimmung  hiermit 

lese  ich  auch  statt  KL«b>  in  derselben  Zeile  y«^  =  |^)Cm,  wie 

Koddmah  in  der  von  de  Goeje  unter  dem  Texte  angefahrten 

Parallelstelle  dafür  sagt;  wJLö  aber  —  l.  wJUo  —  ist  nicht  kreu- 
zigen, sondern  statt  Kod^mah's  allgemeinen  «^3  speciell :  quer 

vorziehen,  vorbauen,  wie  I,  840*,  H  v.  u.  flg.  Die  cLLi^,  Be- 
ladz.  S.  292  Z.  3  v.  u.,  sind  in  diesem  Zusammenhange  wahr- 
scheinlich starke,  zum  Verschlusse  kleinerer  Dammbrttche  die- 
nende Lederstücke. 


£> 


II,  480%  vorl.  Z.  In  »Alf,  boulet,  grenade,  biUe<t,  haben  die 


»  >.  Ä» 


Araber  ihr  eigenes  hS,  gemeinsprachlich  B^f  (II,  462%  8j,  mit 
Verwandlung  des  ^  in  J  von  den  Türken  zurückbekommen,  aber 
das  von  diesen  in  »gülle,  güle«  erweichte  Wort  wieder  verhärtet. 

Cuche  als  gemeinarabisch:  i>[^S  ijoya]  JJ^-^  Kb' balle,  boulet.« 
Ebenso  Hartmann,  Sprachführer  S.  217*:  »Kugel,  killi  küh,  pl. 
kilal.«  Al-FaräYd  mit  altern  Wortformen  :  »{iS^'i^)  jJü'  -  KtT, 

halle^  boulet.« 

II,   480",  9  u.  <0  »iü^  dormir  avant  les  priores  du  soir, 
Burton  1,  287«,  allem  Anscheine  nach  verderbt  aus  äJ^JUä. 

II,  481^  19  u.  20  »Kl^semble  avaricea.    Da  dieser  Be- 


o  > 


griff  in  dem  dafür  angeführten  Verse  schon  durch  J^k\Jt  ausge- 
drückt ist,  bedeutet  das  durch  3  damit  verbundene  Jü^bGt  wohl 


s       >> 


allgemein  i^iniquitä,  m^chancete«,  wie  Z.  24  >Lj^,  eig.  Hunde- 
natur,  hündisches  Wesen. 


>  M#> 


II,  482%  K\  »u&^«  pers.  uä^  Ab;  wörtlich  Schädel- 
bedeckung, auch  im  Türk.  gewöhnlich;  Hindoglu  S.  395*: 

ö^^  xVk6116pouch,  calotte,«  Zenker  S.  759*:  »jjijj  Äj/kelle- 
püs,  kleine  Mütze.« 

1886.  6 


82 


i»         9 


II,  48^^  42  n.  13  »(^)  II?  Kämil  455,  5:  >  j  ^^  löü 

^jlJü,  oii  un  autre  man.  a  A5Cj.c  Der  Sinn  bleibt  derselbe,  man 

lese  2io  oder  iJo  oder  in  der  5.  Form  iJu:  denn  iJuf  in  der 

2.  ist  transitiv,  also  hier  ohne  Object  nicht  anwendbar.  Das 
Wort  bedeutet  Grinsen,  eine  mit  Zdhnefletschen  verbundene, 
Schmerz,  Wuth  und  Grimm  oder  Hohn  und  Spott  ausdrückende 
Verzerrung  des  Gesichtes,  in  schwächerem  Grade  auch  von  sar- 
donischem Lächeln.  Im  Kdmil  a.  a.  0.  stellt  ein  Mann  mit  seiner 
Frau  eine  gefährliche  Probe  an;  lich  wollte  wissen,«  erzählt  er 
selbst,  »wie  ich  mit  ihr  daran  wäre:  einmal  also,  da  ich  mich 
eben  von  ihr  abgewandt  hatte  und  aufgestanden  war,  kehrte  ich 
mich  um:  sieh,  da  grinste  sie  hinter  mir  her!«  —  ob  mehr 
grimmig,  oder  mehr  höhnisch,  erfahren  wir  nicht:  jedenfalls 
nicht  liebreich. 

II,  483*,  26— S8.    Herr  'ÄYde,  den  ich  vor  sechzig  Jahren 

in  Paris  nach  der  Bedeutung  von  ^jJ^Co^yü:,  olives  calcin^es. 
fragte,  konnte  mir  nur  sagen,  es  seien  »oHtcs  conBtes  d'aprds 
une  certaine  recette«.  Da  das  eigentliche  Calciniren  oder  Ver- 
kalken in  der  Zersetzung  und  Auflösung  fester  Körper  in  kleine 
pulverartige  Theile  besteht,  so  ist  als  sicher  anzunehmen,  dass 
die  durch  jenen  bi  1dl  i chen  Ausdruck  bezeichnete  Art  des  Ein- 
machens  die  Oliven  in  eine  weiche  Masse  auflöst. 

11,  483*,  8  V.  u.  flg.  Qs,jJS  enlretenir^   fournir  a  la  sub- 
sistance  a ,  » garnir  c/e,  pourvoir  de  tout  ce  qui  est  n^cessaire « 

u.  s.  w.  Mit  den  angegebenen  Bedeutungen  wäre  dieses  ^äJ^ 
gemeinsprachlich  das  gerade  Gegentheil  des  gewöhnlichen  alt- 

wie  neuarabischen  s.Ab',  r>imposer  une  corv^e,  constituer  en  frais  (n 

^  ^ 

u.  s.  w.   Es  ist  aber  in  der  ersten  Form  zu  lesen  \jJS,  Guche 

CA.*:  »(v^U  j=^)  Läi^  s-aif  bien  entrelenir,  bien  soigner,  bien 

nourrir.«  oAt*:  »«^i^bCc  soign^,  bien  entretenu,<r  nicht,  wie  Guche 
will,  durch  eine  beispiellose  Lautverwechselung  aus  s.jdc  ent- 
standen ,  sondern  durch  Umstellung  des  zweiten  und  dritten 


J 


83     

Stammconsonanten  aus  Ji^  »nourrir  qqn.,  avoir  soio  de  lui« 
(Cuche) . 

II,  486*,  47 — 49  ))^D'est  pas  seulement  pl.  de  'iJS,  mais 

8'emploie  aussi  comme  sing,  masc.«^  ein  Rückfall  in  die  von 
Laue  oft  gerügte  Umkehrung  des  richtigen  Verhältnisses  der  ur* 
sprünglichen  männlichen  Gattungs-^ollectivnomina  und  der  dar- 
aus gebildeten  weiblichen  Einheitshomina  auf  s.;  s.  meine  Kl. 

Schr.I,  S.  256— 958,  über^  und  kJU;  besonders  S.  304  zu  de 

Sacy,  I,  386,  48  u.  49. 

II,  486^,  43 — 15.   Der  Gebrauch  des  allgemeinen  |»^  in 

diesem  «^^«Aa^i  hat  nur  insofern  etwas  »Fremdartiges«,  als  es 

für  das  in  solcher  Verbindung  herkömmliche  specielle  w9l  steht: 
il  faisait  ex^cuter  ses  paroles,  d.  h.  ses  ordres. 

II,   486^,  46—24.    Hammer -PurgstalFs  stehende  Ueber- 
Setzung  dieses  M  «JL^ durch  »der  Redner  Gottesa  gab  dem  ^^JS 

die  unbeweisbare  Bedeutung  von  s^^AJas>.    Das  der  richtigen 


9     yi-^a    ^i. 


Erklärung  hier  zu  Grunde  gelegte  koranische  ^^^  aIÜ  fJS  ist 
zwar  streng  genommen  nur:  Gott  redete  zu  Moses ^  —  mög- 
licherweise ohne  Antwort  von  Seiten  des  letztem,  —  aber  die 
überlieferte  Deutung  ergänzt  den  rein  grammatischen  Sinn  und 
macht  aus  Gottes  Reden  zu  Moses  ein  Reden  m  i  t  ihm,  was  durch 

die  Form  von  ^Jt^  selbst  bestätigt  wird.  Denn  ein  von  Joe  ge- 
bildetes  J^oii  giebt  es  überhaupt  nicht,  und  da  ^JL!"  hier  nicht 
das  von  ^herkommende  passive  J^  in  der  Bedeutung  von 
^»^JbC«  =  ^^y^  ist,  so  kann  es  nur  wie  ^j-uJL>  =  jj-JI^  von 

^L:>,  als  gleichbedeutend  mit  dem  activenJIX«  von  ^u,  collo- 

cutus  est,  abgeleitet  w^erden.  Diese  Erweiterung  der  Bedeutung 
von  JL^zu  der  von  ^15"  zeigt  sich  auch  in  der  Erklärung  unsers 


6 


84 


->  >"..  •«.  ...         >.-• 


f^  bei  M  Ul"v*,  3  u.  4 :  wdJi  *«!  *ä^  (»W^'i-  öJ^^^i  ^'  <^^ 


>    >-. 


aÜI  JL^  lö'bi  (5w^}  WO  das  koranische  ^^y^  /üJI  Ji' sogar  umgekehrt 


}      «  5  , 


und  in  j&\  ^^yA  Ai  verwandelt  ist,  wie  zum  Zeichen,  dass 
zwischen  beiden  kein  wesentlicher  Sinnesunterschied  besteht. 

II,  487*,  42  ^Ji^onagre^  si  Ton  peut  se  fier  k  Casiri  I,  4 Sit, 

das  ju^  unserer  Wörterbücher  in  besonderer  Anwendung  auf 
den  Waldesel,  wie  schon  nach  Golius  bei  Meninski  unter  JUi'. 

II,  487*,  2  V.  u.  i>2^^  ist  das  folgende  ÜaI^  in  verkürzter 

Form,  wie  Dozy  selbst  Gl.  Bsp.  246  bemerkt.  Dass  übrigens 
^lÄ^y  in  de  Jong's  Lat^lf  al-ma'ärif  p.  XXXV  nur  ein  Schreib- 
fehler St.  ^L^wti'ist,  erhellt  aus  dem  Artikel  desFarhang-iRashidi 

über  L^w*y.  Als  Aussprache  wird  da  zuerst  \Jsk^  angegeben 
[übereinstimmend  mit  der  Schreibart  Li^u^j,  dann  aber  als 
richtiger  [,^\) :  Liui',  verkürzt  (wftÄ^)  aus  ^|J=U^,  und  dies  zu- 
sammengesetzt aus  ^,  wenig,  und  ^L^,  Wollhaar,  duvet, 

o         *  o        , 

der  Erweichung  von  v]^,  s^L:>.  Yullers  hat  vl^^}  P^l^» 
plush,  napofcloth;  aber  die  auch  im  Türkischen  gewtfhn- 

liehe  neuere  Form  des  Wortes  ist  ^L^.  Bei  der  hohen  Wahr- 
scheinlichkeit des  chinesischen  Ursprunges  von  L^ui^  bleibt  die 
Richtigkeit  der  angegebenen  Zusammensetzung  und  Erklärung 
sehr  zweifelhaft;  aber  soviel  geht  daraus  mit  Gewissheit  hervor, 
dass  der  Gutturalconsonant  zu  Anfang  und  der  Lippenconsonant 
zu  Ende  der  zweiten  Silbe  zum  ursprünglichen  Bestände  des 
persischen  Wortes  gehören .  Den  Wegfall  des  weichen  Schluss- 

b  oder  w  in  Li^u^  zeigt  auch  das  daraus  entstandene  oxytonirte 
russische  Ka.MKa,  Damast. 

II,  488'',  5  n  v^U'«  als  ^^,  2i(3tad  auch  in  das  Aramäische 

übergegangen;  denn  so,  mit  urlangem  a  der  ersten  Silbe,  ist 
bei  Buxtorf  S.  1050  und  bei  Levy  (Neuhebr.  u.  chald.  Wb.  II, 

8.  344^)  zu  schreiben.  Das  pers.  a^UT,  früher ^ÜT,  eine  säuerlich 


85     

pikante,  Appetit  erweckende  und  die  Verdauung  befördernde 

Zukost  y  bedeutet  vermöge  seiner  Herkunft  von  m\S^  oge^ig^ 
eigentlich  im  Allgemeinen  oQexTixov;  und  demgemäss  ist,  nach 

dem  türk.  K^müs  unter  i^>Ai^  derselbe  Name  später  auch  auf 
andre  an  die  Stelle  des  ursprünglichen  hJS  getretene  Dinge, 
wie  in  Essig  eingemachte  Früchte,  Salate  und  Caviar,  überge- 
gangen. In  Hoffmann's  Bar  Ali  S.  \  84  Nr.  4761  ist  i^^ia,  er- 
klärt durch  j^N^LT,  ohne  Zweifel  ein  verschriebenes  lalaii. 
c 

II,  488%  40  V.  u.  D  (JL»y /bnc^)  —  quand  il  s'agit  de  blanc, 

tr^s^lancj  Ju^^j^sajI  jü^a.  Wie  diese  Worte  Ibn  al-Bait^r's 
die  angebliche  Bedeutung  beweisen  sollen,  ist  mir  nicht  klar. 
Nach  dem  Sprachgebrauche  ist  Jl^  ^J^  vielmehr  mattweiss, 
im  Gegensatze  zu  glänzend  weiss,  candidus.    Cuche  oAt*^:  »Ter- 


o^ 


nir,  öter  le  lustre  \^l^\  Jui't;  alt6ration  et  p&leur  du  teint  Ju/ 
t0^4^  \kx!^  sX4^y  Triste,  afflig^;  teme,  mat  iJuiL«.« 


II,  488%  6  V.  u.  »JJlJl«  wohl  JJUt?  Von  dem  völligen 
Uebergange  oder  dem  Umschlagen  einer  Farbe  in  die  andre 
wäre  JJlil  am  rechten  Orte ;  aber  die  angeführte  Stelle  spricht 
doch  wohl  nur  von  der  Annäherung  einer  Farbe  an  die  andre, 
welche  durch  i!  s^yo  und  i\  v3^  ausgedrückt  wird,  —  franz.: 
tirer  sur  — ,  deutsch:  fa  llen  in  — . 


£  E 


II,  490%  <7  »^^l^  (vulg.),  contraction  de  ^1  w,  M«  und, 

wie  es  scheint,  nach  M  auch  Spitta-Bey  in  den  Zusätzen  und 
Verbesserungen  zu  seiner  ägyptisch -arab.  Grammatik  S.  548, 
mit  Zurücknahme  seines  eigenen  »Arämdri,  Aemdn,  pers.-türk. 
qU^«  S.  474,  wo  nur  ^U^in  ^^U^  zu  verwandeln  war.    Denn 

in  der  That  ist  das  auch  in  das  Türkische  übergegangene  pers. 
qUp,  desgleichen,  ebenso,  mit  seiner  verstärkten  Neben- 
form üUP  im  Gemeinarabischen  zu^Ui^und  GUjTgew^orden.  Ein 
Uebergang  der  ihrer  Natur  nach  einen  ganzen  Satz  regierenden 


86     

Gonjunction  ^t  Uy,  O^  ^>  in  das  rectionslose  Adverbium 
^Uiaussi,  encorej  wäre  gegen  alle  Analogie. 


o^  > 


11,  492*,  45  »c>^^,  en  Syrie,  erSj  vesce  noire*^  sehr. 
epeautrCj  Spelt,  Dinkel.   Die  unrichtige  Bedeutungsangabe  ist 

eine  Folge  der  alten  Verwechslung  von  ritSD^  mit  KS'HDns,  jU^  J' 

(Cast.-Mieh.  S.  423  unter  l^jao),  welche  Ltfw,  Aram.  Pfl., 

S.  405  u.  106,  endgiltig  beseitigt  hat;  s.  Levy's  Neuhebr.  Wb. 
II,  S.  450  u.  451. 

II,  492*,  16  »«^JU^,  pl.  ^0^Ul^c,  besprochen  von  deLagarde, 
Ges.  Abhandlungen  S.  61,  zu  dem  daraus  gebildeten  pTISS. 
Nach  Farhang-i  Rashidi,  11,  S.  Iw,  ist^jJ^,  ^^JJS^  .^jo^und 
m^JJS  »ein  grosses  Gefäss  aus  Lehm,  welches  mit  Feld-  und 
Garten  fruchten  angefüllt  wird«;  nach  Burhän-i  gdmi'  ^JJSy 
^^JJS  und  di^jsJS  (so)  »ein  Gefäss,  ähnlich  einem  grossen  bau- 


O     9 


chigen  Kruge  (^,  Kumme)  oder  einer  Truhe  ijÄ^OJuoj ,  das  aus 

Lehm  gemacht  wird  und  in  welches  Feld-  und  GartenfrUchte 
gefüllt  werden.  Die  arabische  Form  davon  ist  ^^OJSm,  Offen- 
bar ist  ^jjS  eine  Abkürzung  des  altem  «fl^Ju/,  und  /j-^jüUd  eine 
andre  Arabisirung  desselben  Wortes,  welcher  eine  mundartliche 
Zerquetschung  des  ersten  id)  in  _  zu  Grunde  liegen  mag.    Der 

türk.K^müs:  n^^JJS,  das  arabisirte ^ Jüo,  ist  ein  wie  eine  kleine 
Yorrathskammer  (q^)  gestaltetes  Behältniss  (xSLÄSL^),  in 
welchem  Gerfithschaften  und  andre  Dinge  aufbewahrt  werden. 
Das  Grundwort  ^sXjS  bedeutet  im  Persischen  ein  zur  Aufbe- 
wahrung von  etwas  aus  Bretern  und  Lehm  in  Form  einer  grossen 
Truhe  (/ ä* Jüwo)  verfertigtes,  durch  SeitenwUnde  geschlossenes 
Gefäss  (Oj^),  tttrk.  §arpunj  petek  und /:oti;ait  genannt.  Dasselbe 
Wort  wird  auch  von  einem  Speiseschranke  (&iL^Lc)  und  von 
einer  Tonne,  einem  Fasse  {j>^)  gebraucht.  In  der  Provinz 
thut  man  in  solche  Behältnisse  Lebensmittel,  Mundvorräthe 
u.  dgl.    Auch  einen  Bienenkorb  nennt  man  so  wegen  seiner 


87     

Aehnlichkeit  mit  einem  kandö.«    (Vgl.  hierzu  die  beiden  ersten 

Bedeutungen  von  »^^,  II,  497"*,  17  flg.)  Nach  arab.  Sprachge- 
brauehe als  Vorrathsraume,  Magazine,  Scheunen  u.  dgl. 

steht  der^Pl.  ^UXJ5  bei  Bar  Ali  S.  18,  Nr.  388  mit  J'ßhs 

(statt  ^t^^t)  und  «IaLJS  <^|j^  zusammen  zur  Erklärung  von 
]^  .o).  Ibn  al-At!r,  IX,  1*1,  7,  gebraucht  ^.JO^von  einem  Be- 
hältnisse  zur  Aufbewahrung  von  Wohlgerüchen,  vLJ?t. 

II,  493*,  6  n^jS  gibeci^re^,  Arabisirung  des  ital.  carnierey 
mit  Verwandlung  von  rn  in  nn. 

II,  493*,  19  lijS  =  ^^  tresor  cache,  tresor  surnaiureU, 
So  indeterminirt  kann  dieser  an  der  Spitze  der  Mystik  stehende 

Grundbegriff  seinem  Wesen  nach  nie  sein;  jÄxil,  qjXJJ,  immer 
mit  dem  Artikel,  ist  das  in  sich  selbst  beschlossene  Eine 
vor  seiner  Entfaltung  zum  Ein  und  All,   der  Urgrund  der 


M  O   ^  O     « 


Gottheit,  —  vollständig  Jj^U^I,  wie  bei  M,  S.  Ufl'^jausKitÄb 

al-taVlfät:  »Der  verborgene  Schatz,  d.h.  das  in  der  über- 
sinnlichen Welt  verborgene,  absolut  einheitliche  höchste  Wesen, 
das  Geheimste  von  allem  Geheimen.«   Diese  absolute  Einheit, 

ÄjcX^^!,  bildet  den  Gegensatz  zu  iÜLX5>!yl,  der  relativen  Ein- 

heit;  jene  ist  nprior  gradus  naturae  divinae,  ejus  involutionem 
comprehendens,  in  quo  nulla  omnino  pluralitas  fuit,  nee  intra 
Deum,  nee  extra«,  diese  »posterior  gradus  naturae  divinae, 
ejus  evolutümem  comprehendens,  in  quo  Dens  in  summa  multi- 
tudine  naturarum  et  rerum  creatarum  sine  essentiae  participe 
aut  virtutum  socio  solus  Dens  est«,  Catal.  libb.  mss.  biblioth. 
Senat.  Lips.  S.  400  u.  401  in  dem  Artikel  über  Kaisari's  Er- 
klärung von  Ibn  al-Fdrid's  mystischer  Wein-Kaf  ide. 

II,  495%  12  0(äU/  (ou  /ÄAd]  oliban,  encens^,  das türk. (^UUi', 
Weihrauch,  gewöhnlich  i^iUlT,  günnük;  s.  oben  zu  II,  414*,  8. 

<  ** "  •         C " ' 

II,  495*,  19  »pers,  ^\  SSS^  sehr.  yiJJSy  wie  auch  bei 


88     

Völlers,  11,  S.  904%  nach  der  richligen  Angabe  aus  F:  vgl.  bei 
demselben  j^,  11,  S.  175^. 

II,  495%  40  V.  u.  BiuJUr  serin*  nämlich  de  Canarie,  Er- 

weichang  von  «u^lü',  Kanarienvogel;  vgl.  11,  493,  4. 


«     9  « 


ll,495%5v.u.  »^2j4^,  n.d'act.  äjL^,  itreUUd,  difforme*.  M  giebt 

als  gemeinarabisch  das  Adj.  ^-«A«XIt  mit  der  Bedeutung  g^JUiJ! 

iL^^AoIt  ^kAAJüt^,  und  fügt  hinzu,  bisweilen  bilde  der  gemeine  Mann 

daraus  auch  ein  Zeitwort  jüL^^^«^.  Da  ich  keinen  natürlichen 
Zusammenhang  zwischen  dieser  und  den  übrigen  Bedeutungen 
des  semitischen  Stammes  ^^^  entdecken  kann,  möchte  ich  eine 

Entlehnung  aus  dem  pers.  ^^,  alt,  annehmen,  ungefähr  wie 

unsere  Kinder  alles,  was  ihnen  missfällt  oder  augenblicklich 
unbehaglich  ist^  alt  nennen. 

II,  497%  3  V.  u.  flg.  Die  von  M  angegebene  Bedeutung  von 
s.b'wird  vollkommen  bestätigt  von  Cuche:  »oLli^^  H.Lycoussin 
rond  sur  lequel  on  dtend  des  feuilles  de  p^te,  pour  les  coller 
aux  parois  du  four.« 

II,  498",  6 — 9.  »3^,  geweze,  Schwätzer,  mit  dem  Abstr. 
ülJsj^,  gewezelik,  Schwatzhaftigkeit,  ist  ein  acht  turanisches, 

mit  dem  semitischen  :^,  n\jS^,  kuz^  kuzej  in  durchaus  keiner 
Verwandtschaft  stehendes  Wort,  daher  auch  zu  etymologischer 
Zusammenstellung  mit  dem  hier  besprochenen  J^j^^t  jj^t  in 
bildlicher  Bedeutung  nicht  geeignet. 

11,  498^,  48  flg.   Zur  naturgeschichtlichen  Bestimmung  der 

«        9 

Lm»^  dient  auch  Rosen^s  Anmerkung  im  4.  Bande  von  Seetzen's 
Reisen,  S.  260  Z.  5  flg.  zur  Erwähnung  dieser  Frucht  im  2. 
Bande  S.  33  Z.  5.  (Seetzen  schreibt  nach  seiner  Weise  »Küssa« 
nur  zur  Bezeichnung  der  scharfen  Aussprache  des  ^  im  Gegen- 

satze  zu  ;,  wogegen  in  Rosen's  »Kusa,  Uo«  die  Länge  des  Vo- 
cals  der  ersten  Silbe  nicht  ausgedrückt  ist).   Rosen  nennt  die 


89     

Küs^  eine  Kttrbisart,  welche  bei  Jerusalem  sowohl  auf  Sehutt- 
abbäDgen  als  auch  auf  dem  festen  Thonboden  der  Felder  viel 
gebaut  werde,  den  dortigen  Sommer  ohne  Bewässerung  ertrüge 
und  deren  gurkenähnliche  Frucht  gelblich  grün,  zart  und  saftig 
sei.  —  Eine  Abhandlung  über  Ackerbau  und  Viehzucht  in  Syrien, 
insbesondere  in  Palästina,  von  Dr.  L.  Anderlind,  in  Zeitschrift 
d.  deutschen  Palästina-Vereins,  IX,  Heft  1  S.  42,  bezeichnet  die 
«Küsä  (engl,  vegetable  marrow)«  als  eine  der  wichtigeren  Blatt- 
früchte Syriens;    sie  stehe  mitteninne  zwischen  Melone  und 


Gurke,  ^L^,  sei  gestaltet  wie  diese,  jedoch  grösser,  grobkörniger 

und  weniger  fein ;  sie  werde  von  den  Einheimischen  nie  roh, 
sondern  stets  gekocht,  und  zwar  oft  mit  Reis,  Hackfleischreis 
u.  s.  w.  gefüllt,  verspeist. 

II,   498^   10  v.  u.  »SüLm^  (J^b  ^)  semelle  int^ieurea 

vom  pers.  aILm^,  Junges  eines  vierfüssigen  Thieres,  besonders 
Kalb;  dann,  wie  franz.  ve au,  gegerbtes  Kalbsleder,  auchKuh- 
und  Ziegenleder,  Corduan,  Sohlenleder,  nach  türkischer  Schreib- 
art imd  Aussprache  jJu^,  kösele^  Zenker  S.  774*.  Vgl.  span. 
vitela,  franz.  v61in,  engl,  vellum,  ebenfalls  von  vi tulus, 
vitulinum. 

II,  498^,  5  V.  u.  Wenn  das  gemeinarabische  (j;;l? wirklich, 

wie  auch  ich  glaube,  aus  ^^yJu^;^  entstanden  ist,  so  stimmt  die 

hier  angegebene  Bedeutung  dieses  persischen  Wortes,  »laborare, 
operam  darCj  studere^^i  vollkommen  mit  der  seines  arabischen 


«  o« 


SprOsslings  überein.  Al-FaräTfd  vl*f*:  » j  Lä^  o^LT  avoirbeau- 

coupd'activit6dans(ses affaires).«  Cuche:  »iü^  OtJiiS  d^ployer 
une  grande  diligence  et  beaucoup  d'activit^  dans  ses  affaires. 

i^ßyf  .  »j^  diligence,  assiduit^  au  travail.   J^^  actif,  tr^s- 

diligent.a  Das  LoJÜt  ^^  JiX  bei  M,  ns'adonner  aux  plaisirs 
[oder  überhaupt  aux  biens  de  ce  monde],  s'y  appliquer  avec 
chaleur,«  ist  demnach  nur  eine  durch  J^  ausgedrückte  Wendung 

der  Bedeutung  nach  der  schlimmen  Seite  des  ij£>jS>  hin. 


90 


^o  .        o    i*.&  ^ 


II,  500*,  4  V.  u.  flg.    M's  Erklärung  von  Uih  ciJiJ^ :  »  sie 

wickelte  ihr  Kind  in  die  äJIs^,  ein  Name  für  ein  Ding  ivie  ein 

Kopfkissen,  in  welches  das  Kind  fest  eingewickelt  wird,«  llisst 
in  Widerspruch  mit  Dozy's  »explication  qui  n'est  pas  bien  claire« 
keinen  Zweifel  darüber,  dass  die  kaufalijah  der  maiUoty  der 
Wickel  oder  das  Wickelbettchen,  kaufalah  das  emmailloter  oder 
Wickeln  unserer  Mütter,  Ammen  und  KinderwUrterinnen  ist. 

II,  500**,  5  V.  u.  »Q^U^  genevrier,  Bc.«  Seetzen's  Reisen, 
1,  S.  446  Z.  5  V.  u.  nKöklÄn  heisst  hier  [auf  und  um  den  Liba- 
non] Wachhoiderbeere«;  S.  167  Z.  6  flg.:  »Der  Wachholder  heisst 
hier  Kocklän;  er  wächst  am  Libanon  häufig;  ich  habe  ihn  aber 
immer  nur  unter  der  Gestalt  eines  niedrigen  Strauches  ange- 
trofi'en.  —  Juniperus  oxycedrus  wächst  baumartig  und  heisst 
auch  Kokl^n.« 

II,  50<*,  i  »j^VII  =  JUi«  d'aprös  M.  Wright,  mais  je  ne 
le  trouve  pas  ä  Tendroit  du  K^mil  qu*il  cite«.  Auch  ich  kann 
die  gesuchte  Stelle  nicht  nachweisen ;  aber  die  sich  bis  auf  ein- 
zelne Worte  erstreckende  Uebereinstimmung  der  von  den  Ori- 
ginalwörterbüchem  gegebenen  Erklärung  der  siebenten  Formen 
von  v3L^  med.  ^  und  J'j  med.  ^  führt  mich,  in  Verbindung  mit 


*  ~u 


der  Unmöglichkeit  eines  jÖÜt  in  dieser  Bedeutung,  auf  die  Ver- 

muthung,  J^  VII  sei  falsch  geschrieben  oder  gelesen  statt 
J^VII. 

II,  504*,  5  u.  6  »jy?  (turc  :i^)  pl.  ^^  isabelle,  de  couleur 
jaune-blanchätre«.  Das  Wort  ist  eine  sprachliche  Merkwürdig- 
keit, insofern  es  an  einem  —  für  mich  bis  jetzt  einzigen  —  Bei- 
spiele zeigt,  wie  einem  türkischen  Farbenadjectiv,  neben  Bei- 
behaltung seiner  ursprünglichen  Form  in  !jy»  oder  lij^  kula, 
II,  420,  22  u.  23,  vom  arabischen  Sprachgeiste  die  den  Farben- 

adjectiven  auf  seinem  eigenen  Gebiete  zugewiesene  Form  Joe!, 

fem.  i^iUs,  aufgenöthigt  wird;  denn  statt  »pl.«  vor  "ijS^  (spr. 

!j^)   ist,   wie  in  der  ersten  Ausgabe  von  Bocthor,  «f^m.«  zu 
schreiben.    Die  Verwandlung  des  rj  in  ^  macht  dabei  keine 


91     

Schwierigkeit;  denn  da  die  Türken,  wie  oben  zu  II,  473,  16 
bemerkt  wurde,  das  ihrem  Organe  fremde  semitische  rj  in  acht 

türkischen  Wörtern  nur  zur  Bezeichnung  der  breiten  Yocal- 
klasse  anwenden,  es  aber  wie  die  tenuis  k  aussprechen,  so  setzen 
die  Araber,  wenn  sie  solche  Wörter  sich  völlig  aneignen  und 
nach  dem  Gehör  schreiben,  geradezu  <i)  statt  /j. 

II,  501»,  26  u.  27.  Ohne  die  in  Gl.  Esp.  381  offen  gelassene 

Frage  über  den  Ursprung  dieses  äJU^  oder  xJU^,  cd6/6,  ab- 
schliessend beantworten  zu  können,  mache  ich  darauf  aufmerk- 
sam, dass  dasselbe  Wort  in  der  nämlichen  Bedeutung  wie  im 
span.  gumena  auch  im  ital.  gomena,  gomonUy  gumina  und  im 
franz.  gumhie  vorliegt,  und  vermuthe  einen  Zusammenhang  mit 

dem  gleichbedeutenden  altarab.  ^j^^  x!U:>. 


II,  501%  11 — 8  v.  u.  Der  scheinbare  logische  Widerspruch 
zwischen  dem  regierenden  unverändert  in  der  dritten  Person 

bleibenden  ^  und  den  davon  regierten  jCo  und  o.^  in  der 

zweiten  und  ersten  Person  verschwindet  durch  die  in  meinen 
Kl.  Schleiften,  I,  S.  765  weiter  ausgeführte  Anerkennung  des 

in  einem  solchen  ^^  als  'iA:Li\  qI/  enthaltenen  QLäJt  rt^\  ^^^ 
Prol.  III,  S.  419  Z.  10,  im  Nachsatze  eines  durch^  eingeleiteten 
hypothetischen  Satzes :  ^  ^f^  \J^  O^^  ^^^  würdest  du  weinen 
und  mich  bemitleiden«,  wörtlich:  »so  würde  es  sein:  du  weinst 
und  bemitleidest  mich«;  S.  423  Z.  1  ein  selbstständiger  Satz : 


o%^  qL^ ^.JLo  —  (st.  sü^-Jiy^  qI^  L^JL«)  —  «in  einen  Schönen 
hatte  ich  mich  verliebt«,  möglichst  wörtlich  :  »in  einen  Schönen 
war  es  dass  ich  mich  verliebt  habe.« 

II,  501%  5  V.  u.  flg.  Der  Zweifel  an  der  Zulässigkeit  seiner 
Erklärung,  welchen  Dozy  durch  den  Vorbehalt  »si  ie  texte  est 
correct«  ausdrückt,  ist  wohl  berechtigt.  Wäre  das,  was  der 
Vater  hier  von  seinen  Töchtern  verlangt,  ein  Sein  oder  We  r  d  e  n ; 

so  würde  ^^Si  sprachrichtig  die  Verwirklichung  seines  Ver- 
langens bezeichnen:  «und  sie  waren  oder  wurden  es,«  »et 
elies  le  furent«;  in  Uebereinstimmung  mit  dem  verlangten 
Thun  aber  könnte  es  nur  wie  in  der  nächsten  Zeile  heissen 


92 


^  tt,  , 


^^^Uis:  iund  sie  Ihaten  es,c  wie  Dozy  selbst  nach  Sinnesnolb- 

wendigkeit,  aber  gegen  Sprachmöglichkeit  Rosegarten's  ^^i^  er- 

klärt,  indem  er  es  »per  ellipsec  bedeuten  lässt  <ä)üv5  ^ijub  ^^^9 
—  was  flbrigens  nicht  »«/  dUt  le  firentt  wäre,  sondern :  et  dies 
le  faisaient.  Während  also  dieser  Erklärungsversuch  unzuläs- 
sig ist,  bleibt  andererseits  eine  Sinneslücke  bestehen,  die  dem 

ganzen  Zusammenhange  nach  durch  das  unmittelbar  auf  s^^>^j^ 
Folgende  ausgefüllt  sein  muss.  »Yielleichtt,  sagt  der  Vater  zu 
seinen  sieben  Töchtern,  »fällt  GamtPs  Auge  auf  irgend  eine  von 
euch,   dann  verheirathe  ich  ihn«.    Hier  bricht  sein  Redefluss 

plötzlich  ab;  es  folgt  das  unverständliche  ^^^  Jis.  Dass  der 
Mann  bei  dem  »dann  verheirathe  ich  ihnc  nur  an  seine 
eigenen  Töchter  gedacht  hat,  ist  nach  allem  Vorhergehenden 
selbstverständlich ;  aber  schwer  begreiflich  ist,  was  ihn  hier  in 
vertraulicher  Besprechung  mit  den  Töchtern  über  den  von  ihnen 
auszuführenden  Angriff  auf  des  Dichters  Herz  abgehalten  haben 
soll,  seinen  Worten  den  natürlichen  persönlichen  Abschluss  zu 

geben.   Dies  wird  erreicht  und  zugleich  das  unmögliche  ^^^ 

beseitigt  durch  Verwandlung  von  ^yö  J^  iß  ^^CäJL,  d.  h.  ^^b: 

»dann  verheirathe  ich  ihn  mit  der  freundlichsten  von  euch«, 
d.  h.  mit  der,  welche  sich  ihm  am  freundlichsten  erweisen 
wird. 


Herr  Zamcke  legte  einen ,  bereits  in  der  Sitzung  vom 
10.  ApriL  zur  Aufnahme  genehmigten  Aufsatz  des  Hrn.  Prof. 
W,  Creizenach  in  Rrakau  druckfertig  vor :  Stttdien  zur  Geschichte 
der  dramcUischefi  Poesie  im  siebzehntenJahrhtmdert.  Erster  Beitrag . 

Der  Verfasser  dieser  Studien,  mit  einer  Geschichte  des 
deutschen  Theaters  im  achtzehnten  Jahrhundert  beschäftigt,  sah 
es  als  eine  besonders  wichtige  Aufgabe  an ,  sich  auch  mit  den 
verworrenen  und  unerfreulichen  Zuständen  vertraut  zu  machen, 
aus  welchen  heraus  sich  die  ersten  Anfänge  eines  besseren  Ge- 
schmacks entwickelt  haben.     Aber  während  hier  eine  bis  in's 
Einzelne  gehende  Untersuchung  eine  unabweisbare  Nothwendig- 
keil  war,  so  verbot  es  doch  das  Ebenmass  der  Darstellung ,  alle 
Ergebnisse  dieser  Vorarbeit  in  das  von  ihm  geplante  Werk  auf- 
zunehmen. Er  bittet  daher  um  die  Erlaubniss,  einzelne  Capitel, 
die  in  der  Gesammtdarstellung  nicht  den  gebührenden  Platz 
finden  könnten,  an  diesem  Orte  zu  gesonderter  Darstellung  zu 
bringen ,  in  der  Hoffnung ,  den  Kennern  auf  dem  Gebiete  der 
Literatur  des  siebzehnten  Jahrhunderts  einen  Dienst  zu  erweisen 
und  ihnen  manche  mühsame  Nachforschung  zu  ersparen.     Da 
dem  Verfasser  an  seinem  Wohnorte  nur  spärliche  literarische 
Hülfsmittel  zu  Gebote  standen,  so  war  er  vielfach  auf  die  gütige 
Unterstützung  auswärtiger  Bibliotheksverwaltungen  angewiesen ; 
für  den  vorliegenden  ersten  Aufsatz  ist  er  namentlich  den  Bi- 
bliotheken zu  Breslau,  Dresden,  Leyden,  Weimar  und  Wien  zu 
Dank  verpflichtet. 

I.  Die  Tragödien  des  Holländers  Jan  Vos  auf  der  deutschen 

Btthne. 

^  Aran  en  Titus. 

Die  Geschichte  der  deutschen  Shakespeare -Bearbeitungen 
im  siebzehnten  Jahrhundert  ist  schon  seit  längerer  Zeit  ein  be- 
vorzugtes Thema  der  Hterar-historischen  Forschung.   Es  wurde 


94     

auch  bei  den  einschlägigen  Untersuchungen  schon  wiederholt 
darauf  hingewiesen ,  dass  eine  gleichzeitige  Berücksichtigung 
der  englischen  Einflüsse  auf  das  holländische  Theater  in  jener 
Epoche  zur  Aufhellung  mancher  schwieriger  Fragen  wesentlich 
beiträgt.  Um  so  mehr  muss  es  auffallen ,  dass  das  Drama ,  von 
dem  ich  auf  den  folgenden  Blättern  handeln  will,  bisher  von 
Seiten  der  Shakespeare- Forscher  so  wenig  Berücksichtigung 
gefunden  hat.  Es  ist  dies  Thomae's  Titus  und  Tomyris,  eine 
Tragödie,  die  auf  einer  holländischen  Bearbeitung  des  Shake- 
speare'schen  Titus  Andronicus  beruht.  Der  einzige,  der,  soviel 
ich  weiss,  bis  jetzt  über  dies  Drama  gehandelt  hat,  ist  Gervinus^], 
der  in  seiner  Characteristik  der  Lobenstein'schen  Tragödien 
darauf  hinweist ,  wie  dieser  Dichter  wieder  in  den  rohen  Ge- 
schmack der  Ayrer'schen  Zeit  zurückgesunken  sei,  »die  den 
Titus  Andronicus  liebte,  einen  Stoff,  der  auch  wieder  hervor- 
gesucht und  (4661)  von  einem  Hieron.  Thomä  aus  Augsburg 
(als  Titus*  und  Tomyris)  anspruchsvoller  behandelt  ward«. 
Da  Thomae  seine  unmittelbare  Quelle  verschweigt ,  so  ist  auch 
Gervinus  auf  dieselbe  nicht  aufmerksam  geworden. 

Das  Exemplar,  welches  mir  vorliegt,  gehört  zu  jenen 
Dramen  der  Gottsched'schen  Sammlung ,  die  später  in  den  Be- 
sitz der  grossherzoglichen  Bibliothek  zu  Weimar  übergingen. 
Es  umfasst  104  Seiten  in  Quart,  vorher  gehen  zwei  ungezählte 
Blätter  mit  Titel,  Widmung  und  Inhaltsangabe. 

Der  vollständige  Titel  lautet :  Titus  und  Tomyris  oder  Traur- 
Spiel,  Beygenahint  Die  Bachbegierige  Eyfersucht.  Aufgesetzt 
von  Hieronymo  Thomae  von  Augstburg.  Gedrukt  zu  Giessen, 
bey  Joseph  Dieterich  Hampeln,  der  Löblichen  Universität  be- 
stellten Buchdruckern.  1664. 

Alsdann  folgt  eine  lateinischeWidmung,  die  an  neun  Personen 
gerichtet  ist,  mit  Ausnahme  des  vorletzten,  eines  Frankfurt  er  Kauf- 
manns Wesenbekh,  sämmtlich  angesehene  Augsburger.  In  dieser 
Widmung  weist  Thomae  zunächst  darauf  hin  ,  welche  Personen 
er  in  seinem  Drama  vorführe :  »Tomyrin  mulierem  ut  fallacissi- 
mam,  ita  crudelissimam ,  cum  amatore  suo  Arane  homine  scele- 
ratissimo.  Ut  et  Octavianum  Principem,  atfas  Optimum;  sed  in 
eo  solum  vituperandum ,  quod  nimium  amori  vesano  feroellae 
nequissimae  indulserit,  cum  Tito  Andronico  Viro  ut  integerrimo, 

1)  Geschichte  der  deutschen  Dichtung,  4.  Aufl.  Bd.  IIT.  S.  486. 


95     

lia  ei  ßdelissimo,  sed  ob  Virtutes  vitiosae  mulierculae  valde 
saspectOy  ejusdemque  circumstrepeniibus  adhortationibus  ab 
Imperatore  abalienato«.  Alsdann  bringt  er  die  obligaten  Dedi- 
cationsphrasen  vor ,  wie  viel  er  der  Gunst  aller  der  genannten 
Manner  verdanke,  wie  wenig  der  Werth  seiner  Gabe  ihren  hohen 
Verdiensten  entspreche ,  aber  sie  rodcbten  das  Werk  doch  aus 
der  Hand  ihres  demüthigen  Clienten  entgegen  nehmen.  »Etenim 
et  Jupiter  exiguum  lac  et  caseum  nonrespuit:  sed  roagis  volunta* 
tem  intuens  pro  grato  suscipit«.  Zum  Schluss  die  gleichfalls 
obligaten  Segenswünsche. 

Man  sieht,  Thomae  äussert  sich  nicht  überfeine  Quelle;  er 
lässt  überhaupt  den  Umstand  gänzlich  unerwähnt,  dass  schon 
andere  Dichter  vor  ihm  dieselbe  Fabel  dramatisirt  hatten.  Das 
Verhältniss  zu  seinen  Vorgängern  ergibt  sich  indess  schon  aus 
der  mit  kindischer  Unbeholfenheit  abgefassten  Inhaltsangabe, 
die  keinen  Zweifel  darüber  lässt,  dass  Thomae  die  im  Jahr  4641 
zuerst  aufgeführte  und  gedruckte  holländische  Tragödie  »Aran 
en  Titus,  of  wraak  en  weer-wraak«  von  Jan  Vos  ^)  benutzt  hat. 

Vos'  Tragödie  erregte  bei  ihrem  Erscheinen  ungemeines 
Aufsehen ;  ihre  Bedeutung  in  der  Geschichte  des  holländischen 
Theaters  ist  von  den  einheimischen  Literarhistorikern  schon 
wiederholt  gewürdigt  worden.  Während  bis  dahin  für  die 
Tragödie  der  classicistische  Renaissance-Stil  Hoofts'und  VondeFs 
massgebend  gewesen  war,  trat  hier  ein  Dichter  auf,  der  zwar 
die  äusserlichen  Formen  des  hergebrachten  Tragödienstils  in 
den  Hauptzügen  festhielt,  aber  durch  die  gehäuften  Blut-  und 
Gräuelthaten  in  den  Zuschauem  eine  fieberhafte  Erregung  her- 
vorrief, wie  sie  bis  dahin  auf  der  tragischen  Bühne  seines  Landes 
nicht  erhört  gewesen  war.  So  gewann  er  den  Beifall  der  grossen 
Menge  wie  der  humanistischen  Kritiker,  die  ja  auch  sonst 
wiederholt  kläglich  genug  an  den  Tag  legten ,  wie  wenig  der 
Unterschied  zwischen  wahrer  tragischer  Rührung  und  blosser 
Xervenerschütterung — zwischen  WeinbegeisterungundSchnaps- 
rausch,  um  mich  eines  Goethe'schen  Gleichnisses  zu  bedienen 
—  ihnen  zum  Bewusstsein  gekommen  war. 


4)  Die  Ausgabe,  die  mir  für  meine  Untersuchungen  zu  Gebote  stand, 
ist  gedruckt  »te  Amsteldam ,  By  de  Erfgenaamen  van  Jacob  Lescailje ,  op 
den  Middeldam,  naast  de  Visebmarkt.  4  697«.  Exemplar  in  Weimar.  Für 
den  vorliegenden  Zweck  ist  diese  Ausgabe  jedenfalls  genügend. 


96 


Die  Möglichkeit  einer  Einwirkung  der  Vos'schen  Manier  auf 
den  grössten  deutschen  Tragiker  des  siebzehnten  Jahrhunderts 
ist  bereits  durch  Kollewijn^]  angedeutet  worden.  Gryphius  be- 
fand sich  gerade  im  Jahre  4644  in  Holland  und  es  ist  wohl 
denkbar,  dass  er  mit  durch  Vos'  Erfolg  darauf  gebracht  wurde, 
in  seinen  Dramen  eine  reichere,  spannendere  Handlung  zu  ent- 
falten ,  als  diejenigen  holländischen  Dichter,  die  ihm  sonst  als 
Muster  vorschwebten. 

Wie  Vos  zu  der  Titus-Andronicus-Fabel  gelangte ,  darüber 
gehen  die  Meinungen  der  Holländischen  Literarhistoriker  sehr 
auseinander  wenn  auch  keiner  von  ihnen ,  soweit  mir  be- 
kannt ist,  seine  Ansichten  ausftthriicher  begründet.  Bilderdijk^) , 
der  zuerst  auf  den  Zusammenhang  zwischen  Vos  und  Shake- 
speare aufmerksam  gemacht  hat,  meint,  dass  Vos  das  Shake- 
speare'sche  Drama  direct  benutzte^  vielleicht  aber  habe  ihm  auch 
ein  managers  book  vorgelegen ,  dessen  Kürzungen  und  Ände- 
rungen er  sich  dann  angeschlossen  habe.  Dass  Vos  das  Shake- 
speare'sche  Drama  vielleicht  auch  in  einer  jener  Umarbeitungen 
kennen  gelernt  haben  könnte,  wie  sie  die  wandernden  Eng- 
lischen Schauspieler  für  ihre  Aufführungen  auf  dem  Continent 
zurechtstutzten,  diese  Möglichkeit  hat  Bilderdijk  nicht  in's  Auge 
gefasst,  da  man  sich  überhaupt  zu  seiner  Zeit  mit  den  Wander- 
zügen jener  Comödianten  noch  sehr  wenig  beschäftigte.  Jedoch 
auch  in  neuerer  Zeit  behauptet  ein  so  gründlicher  Kenner  wie 
Löffelt'),  er  habe  sich  überzeugt,  dass  Vos  direct  auf  Shake- 
speare zurückgehe,  die  von  Bilderdijk  hervorgehobenen  Über- 
einstimmungen halt  er  mit  Recht  für  noch  nicht  beweiskräftig, 
da  dieselben  nur  die  Intrigue,  nicht  auch  den  Wortlaut  betreffen. 
Von  einer  genaueren  Ausführung  dieser  gelegentlich  geäusserten 
Behauptung  ist  mir  nichts  bekannt.  Moltzer^)  meint,  dass  aus 
dem  Shakespeare'schen  Drama  ausser  der  bekannten  Bearbei- 
tung, die  in  der  deutschen  Sammlung  englischer  Comödien 
von  4620  gedruckt  ist,  auch  noch  eine  andere  hervorgegangen 
sein  müsse ,  die  in  Holland  aufgeführt  wurde  und  aus  welcher 

1)  Ober  den  Einfluss  des  Holländischen  Dramas  auf  Andreas  Gr^phiuc. 
Amersfoort  und  Heilbronn  o.  J.  [1880]  SS.  8,  82. 

2)  Bydragen  tot  de  toneelpoezy.  Leyden  18i3. 
8)   Vgl.  nederl.  Spectalor.  1870.  S.  293. 

h)  Sbakespeare's  Invioed  op  het  Nederl.  Tooneel  der  17.  eeuw.  Gro- 
ningen 1874.   S.  37. 


97     

alsdann  Vos  den  Stoff  zu  seiner  Tragödie  entnahm;  Worpi} 
schliesst  sich  dieser  Meinung  an.  Dieselbe  bedarf  aber  jeden- 
falls insofern  einer  Modification,  als  die  deutsche  Bearbei- 
tung und  die  vorausgesetzte  hollandische  Bearbeitung  un- 
möglich auf  dem  nämlichen  englischen  Text  beruht  haben 
können.  Denn  wahrend  dem  deutschen  Titus  Andronicus  ohne 
Zweifel  die  in  Henslowes  Tagebuch  zuerst  im  Jahre  1594  er- 
wähnte Fassung  zu  Grunde  lag,  in  welcher  Titus'  Sohn,  der  am 
Schluss  des  Dramas  die  Kaiserwttrde  empfängt,  den  Namen 
Vespasianus  führte <),  heisst  dieser  Sohn  bei  Vos  ebenso  wie 
im  gangbaren  Shakespeare -Text,  nämlich  Lucius;  ebenso 
stimmt  Vos  in  mehreren  andern  Namen,  so  in  dem  des  Kaisers, 
des  Marcus  Andronicus,  des  Aaron  mit  dem  gan^aren  Text 
gegen  die  Englischen  Comödianten  überein.  Auch  sonst  be- 
gegnen wir  bei  Vos  manchen  einzelnen  Shakespeare'schen  Zügen, 
die  in  der  deutschen  Bearbeitung  fehlen,  so  z.  B.  das  verzweifelte 
Lachen  und  das  wahnsinnige  Gebahren  des  Titus  Sh.  Act  HI. 
Sc.  I.  Damit  wäre  freilich  die  Möglichkeit  noch  nicht  ausge- 
schlossen ,  dass  Vos  eine  Bearbeitung  benutzte ,  die  eben  dem 
überlieferten  Shakespeare'schen  Texte  näher  stand,  als  diess  bei 
der  deutschen  Bearbeitung  der  Fall  ist.  Es  finden  sich  aber 
auch  unter  den  von  Vos  allein  beibehaltenen  Stellen  solche  wie 
Sh.  Act.  IV.  Sc.  4,  wie  Lavinia  in  Ovid's  Metamorphosen  die 
Geschichte  von  Thereus  und  Philomela  nachschlägt  und  Sh. 
Act  H.  Sc.  3,  die  Anspielung  auf  Diana  und  Actaeon.  Derartiges 
wird  wohl  schwerlich  aus  einer  Bearbeitung  zum  Gebrauch  der 
wandernden  englischen  Comödianten  stammen, denn  deren  Praxis 
brachte  es  im  Allgemeinen  mit  sich,  dass  solche  für  distinguirte 
Hörer  berechnete  Zierrathe  in  ihren  grob  gezimmerten  Repertoire- 
stücken wegfielen.  Ich  bin  indess  auch  auf  eine  Stelle  aufmerksam 
gew^orden,  in  welcher  das  Vos'sche  Drama  mit  dem  alten  deutschen 
Titus  Andronicus  gegen  die  Shakespeare-Texte  übereinstimmt. 
In  beiden  ersteren  Stücken  ist  nämlich  davon  die  Rede,  dass 
Tamora  aus  Liebe  zu  Aaron  ihren  ersten  Gemahl  ermordet  habe. 
Diess  ist  indess  ein  Zug,  auf  welchen  die  Deutsch- Englischen 
Comödianten  und  Vos  wohl   auch  unabhänigig  von   einander 

1j  Jan  Vos.  Academisch  Proefschrift  etc.  etc.  Groningen  1879.  S.51(T. 

4)  Vgl.  Albert  Cohn,  Shakespeare  in  Germany.  London  1865,  S.CXII. 
Auf  diesen  »Titus  und  Vespanianuf«  gedenke  ich  später  noch  zurück  zu 
koromeD. 

4  886.  7 


98     

geraihen  sein  können.  Auch  der  Einwand,  dass  Vos  kein 
Englisch  verstanden  habe ,  ist  nicht  zwingend ,  er  könnte  sieh 
ebensowohl  wie  andere  holländische  Dichter  bei  ihren  Bearbei- 
tungen ausländischer  Stücke^)  fremder  Hülfe  bedient  haben. 
Als  die  Vos'sche  Tragödie  4658  zum  Zweck  einer  Schniauf- 
ftthrung  vom  Holländischen  in's  Lateinische  ttbersetzt  wurde, 
sagte  Vos,  nun  werde  sein  Titus  auch  bei  fremden  Völkern,  bei 
den  Spaniern,  den  Briten  und  den  Wälschen  Bürger  werden^), 
aber  man  kann  es  dem  eitlen  Manne  wohl  zutrauen,  dass  er  das 
englische  Stück  seinem  eigenen  Meisterwerk  gegenüber  nicht 
für  der  Rede  werth  hielt.  Im  gegenwärtigen  Zusammenhange 
kann  es  indess  meine  Aufgabe  nicht  sein,  die  Frage  nach  den 
Quellen  des  Vos'schen  Dramas  zu  lösen ;  ich  möchte  zunächst 
nur  das  Abhängigkeitsverhällniss  Thomae's  von  Vos  etwas  näher 
beleuchten. 

Vor  allen  Dingen  finden  wir  die  zwei  wichtigsten  Ab- 
weichungen des  holländischen  Dramas  von  seinem  Originale 
auch  im  deutschen  Drama  wieder.  Shakespeare  hatte  die  Ex- 
position zu  sehr  mit  Handlung  überladen :  der  Streit  zwischen 
Saturninus  und  Bassianus  um  die  Kaiserkrone,  dertriumphirende 
Einzug  des  Titus,  die  Opferung  des  Alarbus,  die  Aufstellung 
des  Titus  als  Mitbewerber  um  die  Krone  und  die  Übertragung 
derselben  an  Saturninus,  die  Verlobung  des  Saturninus  mit 
Titus  Tochter  Lavinia,  seine  plötzliche  Liebe  zu  Tamora,  die 
Entfuhrung  der  Lavinia  durch  Bassianus  mit  Hülfe  der  Söhne  des 
Titus,  der  Tod  des  einen  Sohnes  Marcus,  der  von  seioem  eigenen 
Vater  niedergestochen  wird ,  die  Vermählung  des  Kaisers  mit 
Tamora,  seine  Aussöhnung  mit  Bassianus  und  den  Andronikern 
—  das  alles  drängt  sich  an  uns  vorüber  und  lässt  uns  nicht  zu 
Athem  kommen.  Freilich  sind  etwas  complicirte  Voraussetzungen 
nöthig,  wenn  die  wüsten  Greuel  der  folgenden  Acte  auch  nur 
einigermassen  erträglich  werden  sollten.  Vos  war  indess  offen- 
bar bestrebt,  den  verworrenen  Haufen  von  Ereignissen,  den  er 


4)  So  z.  B.  Isaak  Vos  bei  seinen  Dbersetzangen  aus  dem  Spanischen 
s.  u.  S.  i05.    Anm. 

i)   Puntd.  642  vgl.  Worp,  a.  a.  0.  S.  56. 

Myn  Titus  sprak  aan't  Y  Ne6rduiU,  zyn  eerste  taal 
Nu  leert  hem  Tiel  Latfjn,  voor't  oor  der  vreemde  volken 
Zoo  ^'ordt  by  borger  by  de  Spanjaart,  Brit  en  Waal. 
Wie  veer  vermaarl  wil  zijn  vereist  Latijnsche  tolken. 


99     

vorfand,  durch  eine  ruhigere,  klarere,  stilgerechtere  Exposition 
zu  ersetzen.  Bei  ihm  tritt  uns  Saturninus  sogleich  im  unbe- 
strittenen Besitz  der  Kaiserkrone  entgegen,  Titus  Andronicus 
kehrt  siegreich  zurück  und  bringt  die  gefangene  GotenkOnigin, 
Saturnin  erblickt  sie,  wird  sogleich  von  heftiger  Liebe  ergriffen 
und  bietet  ihr  seine  Krone  an.  Sie  weist  den  siegreichen 
Herrscher  zurück.  Da  hört  sie ,  dass  ihr  Geliebter ,  der  tapfere 
Feldherr  Aran  als  Opfer  auf  dem  Altar  des  Mars  bluten  soll; 
sie  entschliesst  sich,  die  Gattin  des  Kaisers  zu  werden,  wenn 
dieser  ihren  Geliebten  verschonen  will ;  trotz  dem  Widerstände 
des  Titus  und  der  Priester  gewährt  der  Kaiser  die  Bitte  und 
gewinnt  die  Hand  Tamora's. 

Diese  vereinfachte  Exposition  finden  wir  auch  im  deutschen 
Drama  wieder;  nur  wird  hier  der  Hass  der  Königin  wieder 
in  etwas  anderer  Weise  motivirt.  Der  Kaiser  —  hier  Octavianus 
genannt  —  klagt  dem  Titus  Andronicus ,  dass  die  Gotenfttrstin 
seine  Liebeswerbungen  nicht  erhören  will;  da  Titus  bald 
sieht,  dass  es  vergeblich  wäre,  ihn  von  seiner  wahnsinnigen 
Leidenschaft  abzubringen,  räth  er  ihm,  er  solle  Aran  an  den 
Opferaltar  des  Mars  führen  lassen  und  ihm  nur  unter  der  Be- 
dingung das  Leben  schenken ,  dass  die  Königin  seine  Liebe  er- 
widere.  Der  Vorschlag  hat  alsdann  den  gewünschten  Erfolg. 

Aus  dieser  Umgestaltung  erklärt  es  sich  auch,  (Jass  bei 
beiden  Aaron  im  weiteren  Verlauf  des  Stückes  noch  mehr  als  bei 
Shakespeare  in  den  Vordergrund  tritt  und  dass  im  Zusammen- 
hang damit  die  Rachepläne  Aarons  und  seiner  Geliebten  nicht 
nur  gegen  die  Androniker,  sondern  auch  gegen  den  Kaiser  ge- 
richtet sind;  nur  sollen  die  Androniker  zuerst  fallen.  Es  zeigt 
sich  dies  sogleich ,  als  in  der  Jagdscene  die  Kaiserin  nach  ihrer 
Vermählung  zum  ersten  Male  wieder  mit  Aaron  zusammentrifft. 
In  beiden  Tragödien  äussert  Aaron  zu  Anfang  dieser  Scene  die 
Besorgniss,  Tamora  sei  ihm  untreu  geworden  und  liebe 
den  Kaiser.  Ebenso  zeigen  sich  Übereinstimmungen  in  der 
Tbyestischen  Gastmahlscene  am  Schluss  des  Dramas.  Bei  Shake- 
speare wird  erst,  nachdem  in  dieser  Scene  fastsämmtliche  Haupt- 
personen vor  unsern  Augen  hingeschlachtet  worden  sind  und 
nachdem  alsdann  des  Titus  Sohn  Lucius  zum  Kaiser  ausgerufen 
ist,  noch  der  Bösewicht  Aaron  hereingeführt  und  zu  einer  grau- 
samen Todesstrafe  verurtheilt,  die  aber  nicht  mehr  vor  unsern 
Augen  vollzogen  wird.    Bei  Vos  dagegen  empfängt  auch  Aaron 


100     

noch  aof  der  Bflhoe  seinen  Lohn;  es  iiiird  veranstaltet,  dass  der 
Fassboden  unter  ihm  zosammenbricht  ond  er  in  eine  grosse 
Feoerflamme  hinabstllrxt ;  Titos  weidet  seinen  Rachedurst  an 
den  Wehklagen  des  Sterbenden.  Der  Tod  des  Aaron  durch  den 
Sturz  in  eine  Feuerflamme  ist  Übrigens,  beiläufig  bemerkt,  wobt 
aus  der  Schlussscene  eines  anderen  aitenglischen  Dramas,  der 
tragedy  of  the  rieh  Jew  of  Malta  von  Marlowe  entlehnt^). 
Ähnlich  wird  bei  Thomae  wahrend  des  Gastmahls  der  Vorhang 
im  Hintergrund  der  Bohne  aufgezogen  und  man  erblickt  Aaron 
von  Flammen  umgeben. 

Thomae  hat  indess  von  seinem  Vorbilde  nicht  nur  den  Gang 
der  Handlung,  sondern  audi  den  Rnnststil  entlehnt,  der  ja  da- 
mals in  Deutschland  bereits  durch  die  Gryphius'schen  Dramen 
eingeführt  war.  Sein  Titus  ist  in  Alexandirinem  gedichtet,  die 
nur  an  wenigen  Stellen,  so  z.  B.  in  der  Rede  des  Titus,  da  ihm 
die  Nachricht  von  der  Hinrichtung  seiner  SOhne  gebracht  wird, 
ebenso  bei  den  Geistererscheinungen  im  letzten  Act ,  bei  den 
Klagerufen  Aarons  im  Feuer  von  kürzeren  Versmassen  unter- 
brochen werden. 

In  den  Chören  iReyen]  waren  bei  Vos  Priester,  Krieger, 
Jungfrauen  aufgetreten,  Thomae  dagegen  führt  uns  an  drei 
Actschiüssen  Allegorien  vor,  wie  solche  durch  Gryphius  —  wohl 
nach  dem  Vorgang  des  Holländers  Hooft  (vgl.  Kollewijn  a.  a.  0. 
S.67f.) —  in  der  deutschen  Tragödie  schon  angewendet  worden 
waren.  Der  Chor  am  Sdiluss  des  ersten  Actes  hat  bei  dem 
Deutschen  einen  ahnlichen  Inhalt  wie  beim  NiederlUnder;  er 
besingt  ein  ewig  wiederkehrendes  Thema  der  Ghorlieder, 
die  alles  überwältigende  Macht  der  Liebe.  Auch  darin  folgt 
Thomae  seinemVorbilde,  dass  ertrotz  derclassicistischen  äusseren 
Form  doch  die  Blut-  und  Greuelthaten  mit  Vorliebe  behandelt, 
ja  sogar  uns  leibhaftig  vorführt,  ein  Umstand,  wegen  dessen 
Gervinus,  wie  wir  bereits  sahen,  ihn  der  literarischen  Gruppe 


1}  Vos  könnte  dies  Stück  durch  die  wandernden  Engländer  kennen 
gelernt  haben;  die  in  Deutschland  herumziehenden  Truppen  hatten  es 
jedenfalls  in  ihrem  Repertoire  (FUrstenau,  Geschichte  der  Musik  und  des 
Theaters  am  Hofe  zu  Dresden.  Bd.  I.  <86l.  S.  97;  vgl.  auch  Teuber,  Ge- 
schichte des  Prager  Theaters.  Th.  I.  1883.  S.  69.)  Die  holländische  Be- 
arbeitung dieses  Stoffes  durch  Gysbert  de  Sille  u.  d.  T.  »de  Joodt  van  Malta, 
ofte  Wraeck  door  Moordt«  ist  nach  Angabe  der  holländischen  Bibliographen 
erst  1645,  also  4  Jahre  nach  Vos'  Aran  en  Titus  erschienen. 


101 

LohensteiQ's  beigesellt  hat.  Namentlich  stellen  Vos  wie  Thomae 
die  grausame  Rache  des  Titus  an  den  gotischen  Prinzen  mit 
allen  widerlichen  Einzelheiten  vor  unsern  Augen  dar. 

Thomae  weicht  indess  auch  in  mannigfacher  Hinsicht  von 
seinem  Vorbilde  ab.  Manche  sehr  äasserliche  Änderungen  er- 
klären sich  dadurch,  dass  er,  ebenso  wie  die  schlesischen 
Dichter  seine  historische  Gelehrsamkeit  in  der  Tragödie  zu  ver- 
wertben  suchte.  FUr  die  gotischen  Fürstensohne  Chiron  (bei 
Vos  Qairo)  und  Demetrius  hat  er  sich  in  der  Geschichte  des 
gotischen  Volkes  nach  andern  Namen  umgesehen ,  den  jüngeren 
nennt  er  Phritigemes,  offenbar  nach  dem  kühnen  westgotischen 
Helden  Fridigern,  dem  alteren  dieser  barbarischen  Wollüstlinge 
hat  er  gar  den  Namen  des  Bibelübersetzers  Ulfilas  beigelegt. 
Der  GotenkOnigin  Tamora  (bei  Vos:  Thamera)  gibt  er  den  ähnlich 
klingenden  Namen  der  Skythenfürstin  Tomyris,  die  ja  in  der 
That  in  ihrer  grausamen  Rachsucht  an  die  Heldin  der  Tragödie 
erinnert  und  auch  bereits  von  den  Sh3kespeare*>Gelehrten  mit 
ihr  in  Zusammenhang  gebracht  worden  ist^}.  Die  Namens- 
änderung war  übrigens  auch  dadurch  nahe  gelegt,  dass  Titus 
bei  Vos  gleich  zu  Beginn  des  Stückes  davon  spricht ,  er  habe 
ausser  mit  den  Goten  auch  mit  den  Skythen,  Russen  und  Finnen 
gekämpft.  Der  gotische  Feldherr,  bei  Shakespeare  Aaron,  heisst 
bei  Thomae  und  Vos  Aran.  Vos  hatte  ihn  gleich  Shakespeare  als 
Mohren  auftreten  lassen  und  dadurch  dieser  Gestalt  ihren  phan- 
tastisch unheimlichen  Character  gewahrt.  Die  Scenen  mit  dem 
schwarzen  Bastardkind,  durchweiche  in  dem  fehlerhaften  Jugend- 
werk der  spätere  Shakespeare  deutlich  hindurchblickt,  sind  bei 
Vos  freilich  nicht  mehr  vorhanden.  Thomae  hat  wohl  gleichfalls 
im  Streben  nach  äusserlicher  historischer  Correctheit,  den  Aaron 
nicht  mehr  als  Mohren  erscheinen  lassen.  Wohl  aus  derselben 
Ursache  heisst  die  Tochter  des  Titus  nicht  mehr  wie  bei  Vos 
Rozelyna,  sondern  Camilla,  bei  andern  Änderungen  in  den  Na- 
men der  auftretenden  Personen,  z.  B.  bei  der  Umänderung  des 
Kaisers  Saturninus  in  einen  Fürsten  Octavianus  ist  kein  rechter 
Grund  abzusehn.  In  der  Vos^schen  Tragödie  ergeht  sich  Aaron 
in  heftigen  Schmähreden  gegen  die  Priester  des  Mars,  welche 
das  Menschenopfer  vollziehen  sollen;  wir  müssen  uns  diese  An- 


V,  Vgl.  Herzberg  in  :  Shakespeare  s  dramatischeW'^erke,  herausgegeben 
durch  die  deutsche  Shakespeare-Gesellschaft.  Bd.  IX.   Berl.  1870.   S.303. 


102     

griffe  jedoch,  wie  Bilderdijk  a.  a.  O.  S.  26;  bereits  hervorgehobeD 
bat,  an  die  Adresse  der  triimiphierenden  Gomaristisclieii  Theo- 
logen gerichtet  denken,  gegen  welche  auch  andere  hollündische 
Dramatiker  jener  Zeit  in  ähnlicher  T^'eise  eine  versteckte  Pole- 
mik fahrten.  Thomae  legt  seinem  Aran  dergleichen  Reden  in 
den  Mund,  jedoch  wohl  ohne  weitere  Hintergedanken. 

Cbrigens  finden  wir  auch  im  Gang  der  Handlung  manche 
Abweichungen  von  Yos;  keine  derselben  ist  jedoch  etwa  durch 
ein  Zurückgreifen  auf  Shakespeare  oder  die  englischen  Gomö- 
dianten  zu  erklären,  wir  haben  es  hier  offenbar  bloss  mit  Er- 
findungen des  Bearbeiters  zu  thun.  Bei  Vos  wird  den  Söhnen 
des  Tittts  ausser  der  Ermordung  des  Bruders  des  Kaisers  auch 
noch  die  Ermordung  ihrer  eigenen  Brttder  aufgebürdet,  die  in- 
dess  in  Wirklichkeit  durch  Aran  selber  aus  dem  Weg  geräumt 
sind;  Thomae  setzt  an  die  Stelle  dieser  Brttder  zwei  Sohne  des 
Kaisers,  wodurch  die  crasse  Unwahrscheinlichkeit  des  darauf 
folgenden  ungerechten  Gerichtsverfahrens  wenigstens  einiger- 
inassen  gemildert  erscheint.  Der  Process  der  unschuldig  ver- 
klagten Androniker  ist  indess  mit  der  ermüdendsten  Weit- 
schweifigkeit behandelt ;  der  Kaiser  entschliesst  sich  erst  nach 
wiederholten  Bitten  der  verführerischen  Tomyris,  das  ungerechte 
Urtheil  vollziehen  zu  lassen.  Die  Scene  bei  Shakespeare  und 
Vos,  wie  die  Kaiserin  nach  ihrem  Stelldichein  mit  Aaron  im 
Walde  von  dem  Bruder  des  Kaisers  und  dessen  Gemahlin  über- 
rascht wird,  fällt  weg,  anstatt  dessen  kommt  der  betrogene 
Ehemann  selbst  dazwischen,  ist  anfangs  natürlich  sehr  ent- 
rüstet (S.  1 7) : 

Wie  Aran  kanstu  dich  verwegen  vnderstehn, 
Dass  du  mit  Tomyre  so  freundlich  darfst  umgehn  ? 
Ist  das  die  Dankbarkeit  dass  wir  dir  nebst  das  Leben, 
Die  Freyheit,  vorig  Ehr  und  Gütter  wider  geben? 
u.  s.  w. 

Tomyris  aber  redet  ihm  zu : 

Ach  nicht  zu  weit,  mein  Schatz,  es  ist  ja  nichts  geschehen 
Dass  sein  und  unser  Ehr  dardurch  wird  jemand  schmähen 

und  weiss  ihn  von  der  völligen  Harmlosigkeit  der  Zusammen- 
kunft zu  überzeugen. 


103     

Diess  ist  zugleich  auch  eine  kleine  Probe  des  Thomae^schen 
Stils.  Er  hat  sich  auch  da,  wo  er  inhaltlich  von  Yos  abhängig 
ist,  doch  in  Bezug  auf  die  Diction  auf  eigene  Fttsse  gestellt. 
Von  der  kräftigen  Roheit  der  Vos' sehen  Sprache  finden  wir  bei 
ihm  nichts  mehr.  Seine  Sprache  kriecht  trivial  und  dUrftig  da- 
hin; von  Zeit  zu  Zeit  wagt  er  einen  lächerlichen  Versuch,  sich 
mit  Hülfe  der  gangbaren  Schulvorschriften  für  den  poetischen 
Stil  zu  einem  höheren  Pathos  emporzuschwingen,  um  alsdann 
gleich  wieder  in  die  frühere  Kümmerlichkeit  zurückzusinken. 
In  noch  weit  geringerem  Masse  als  Lohenstein  hat  er  es  ver- 
mocht, den  Gegensatz  zwischen  natürlicher  Trivialität  und 
künstlichem  Pathos  zu  bemänteln.  Den  Alexandriner  hand- 
habt er  in  ähnlicher  Weise  wie  der  Corneille-Übersetzer  Tobias 
Fleischer  und  andere  untergeordnete  Poeten  jener  Zeit,  die 
dem  Gryphiusschen  Schwung  vergeblich  nachstrebten.  Dabei 
zeigt  er  eine  Eigenthümlichkeit  des  Gryphius'schen  Stils,  die 
bereits  von  Klopp  treffend  hervorgehoben  wurde ,  dass  er 
nämlich  oft  von  einer  Sache  gar  nicht  loskommen  kann,  sie 
unaufhörlich  hin-  und  herwendet,  bis  er  sie  von  allen  Seiten 
erschöpft  hat. 

Goethe  sagte  einmal  im  Gespräch  mit  Oehlenschläger  (vgl. 
dessen  Lebenserinnerungen  II,  42):  »Wenn  ich  einen  Dichter 
rasch  kennen  lernen  will,  so  lese  ich  einen  seiner  Monologe, 
darin  spricht  sich  sein  Geist  sogleich  aus«.  Nach  dieser  treff- 
lichen Vorschrift  wollen  wir  hier  nur  noch  einen  Monolog  des 
Kaisers  im  fünften  Act  herausgreifen.  Wir  finden  da  ein  Motiv 
verwerthet,  das  die  Renaissancedramatiker  aus  der  antiken  Tra- 
gödie entlehnten  und  sehr  häufig  verwertheten,  dass  nämlich 
der  Dichter  den  Verlauf  der  tragischen  Handlung  für  einen  Augen- 
blick unterbricht  und  uns  den  Fürsten  vorführt,  wie  er  im  Selbst^ 
gespräch  die  Last  der  Krone  verwünscht  und  sich  dann  schwer- 
müthig  nach  dem  stillen  Glück  der  Niedriggeborenen  sehnt. 
Eine  Vergleichung,  wie  die  verschiedenen  Dichter  sich  dieses 
Motivs  bemächtigen,  kann  zu  manchen  anziehenden  Betrach- 
tungen Anlass  geben,  wenn  auch  natürlich  Shakespeare  in  der 
berühmten  Scene  im  zweiten  Theile  seines  Heinrich  IV.  alle  an- 
dern hoch  überragt.  Ein  Hinweis  auf  die  betreffende  Scene  in 
unserm  Drama  (S.  94}  wird  am  besten  das  obige  Urtheil  über 
Thomae  bestätigen*  können : 


104 

Ach  überschwere  CroD !  Du  jammerreiches  I^ben, 

Mit  wie  viel  Sorg  und  Angst  ist  diss  dein  Gold  umgeben ; 

Du  drückst  und  bist  doch  leicht,  du  bringest  manche  Noth, 

Ja  gar  nach  langer  Last  den  kummerreichen  Tod. 

Was  hat  uns  doch  vor  Freud  in  diesem  Stand  erquiket  ? 

Wir  wissen  wenig,  seit  wir  diesen  Thron  erbliket. 

0  selig  wer  im  Feld  die  kurtze  Jahr  zubringt, 

Wer  sich  nicht  zu  dem  Gold  des  schweren  Zepters  dringt ! 

Er  sitzt  in  voller  Ruh  und  hört  die  Vögel  singen 

In  dem  begrünten  Wald,  er  kan  mit  Lust  erklingen 

Ein  jhm  beliebtes  Lied.  Bey  Nacht  geht  er  zu  Bett, 

Ynd  schiäfft  mit  seinem  Weib  an  Morgen  um  die  Wett. 

Nicht  einer  traeht  jhm  nach^  er  kan  ja  sicher  gehen, 

Wohin  es  jhm  beliebt,  die  uos  zu  Dienste  stehen 

Stehn  oft  nach  unsrem  Kopf.  Ein  Strauch  bleibt  unverletzt, 

Wann  in  die  hohe  Bäum  des  Donners  Macht  Stral  setzt. 

Diess  mag  zur  Characteristik  unserer  Tragödie  genügen; 
ein  ausfuhrlicheres  Eingehen  auf  dieselbe  würde  sich  höchsteus 
etwa  im  Zusammenhang  einer  umfassenderen  Betrachtung  der 
gesammten  deutschen  Kunsttragödien-Dichtung  im  siebzehnten 
Jahrhundert  verlohnen.  Immerhin  verdient  sie  einige  Beach- 
tung. Denn  wahrend  sonst  die  Einwirkung  der  englischen  Tra- 
gödie des  elisabethischen  Zeitalters  auf  die  Stücke  beschränkt 
blieb,  welche  die  wandernden  Comödianten  ohne  alle  literarischen 
Praetensionen  zum  Zweck  ihrer  Aufführungen  herstellten,  haben 
wir  hier  einen  der  wenigen  Fälle,  wo  diese  Einwirkung  in  das 
Gebiet  der  Literatur  im  eigentlichen  Sinne  des 
Wortes  hineinreicht^).  Es  ist  diess  die  erste,  wenn  auch  mit- 


4 }  Der  erste  Versuch,  die  englische  Kunslform  in  dentsoher  Sprache 
nachzuahmen,  liegt  vor  in  dem  Drama  »Speculum  aistbeticum«  des  Casseler 
Arztes  Johannes  Bhenanus,  dessen  Bedeutung  zuerst  Höpfner  (Refonnbe- 
strebungen  auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Dichtung  des  XVL  und  XVil. 
Jahrhunderts.  Berlin  1866.  4.  $.89  ff.}  richtig  gewürdigt  hat.  Bei  dieser 
Gelegenheit  sei  indess  darauf  hingewiesen,  dass  das  speculum  aislheticom 
keineswegs  ein  Original werlk  ist,  sondern  vielmehr  eine  Übersetzung  des 
englischen  Dramas  »Lingua  or  the  combat  of  the  tongue  and  the  five  senses 
for  superiorily«,  das  gewöhnlich  unter  dem  Namen  Anthony  Brewer's  geht 
und  zuerst  1607  gedruckt  wurde  (Ein  Neudruck  in  Hazittt's  Dodsley  vol.  IX. 
S.  831  fr.)  Die  anmuthige,  geistvolle  Spielerei  mit  den  psychologischen  Schul- 
begrifTen  war  ohne  Zweifel  ursprünglich  für  eine  academische  Zuhörer- 


105     

telbare  Bearbeitung  einer  Sbakespeare'schen  Tragödie  in  Versen ; 
zugleich  ist  diess  der  erste  Fall,  dass  die  deutsche  Nachbildung 
einer  niederländischen  Tragödie  im  Druck  erscheint,  wenn  auch 
die  niederländischen  Kunstprincipien  und  der  niederländische 
Kunststil  natürlich  bereits  eingebtlrgert  waren.  VondeFs  Gibeo- 
niter  wurden  allerdings  schon  4639  von  Andreas  Gryphius  über* 
setzt,  aber  erst  nach  seinem  Tode  (4  664)  von  seinem  Sohne  Cbri- 
stian  herausgegeben  (4698),  nachdem  bereits  466S,  also  ein  Jahr 
nach  dem  deutschen  Titus  Heidenreich's  Hache  zu  Gibeon  »meist 
nach  dem  Holländischen  Jost's  van  Vondel«  in  Prosa  erschienen 
war. 

Eine  Übersetzung  von  i>Aran  en  Tttus«  war  indess  bereits 
vor  Thomae  von  Seiten  Greflinger's  geplant,  denn  wenn  dieser 
in  der  Vorrede  zu  seiner  Übersetzung  des  Cid  von  Corneille 
(4650)  verspricht^  nunmehr  den  vbekläglichen  Zwang« ^  die 
nLaura«  und  den  aAndronicus  mit  dem  Aarona  folgen  zu  lassen, 
so  ist  mit  dem  letzteren  Stücke  doch  wohl  die  Vos'sche  Tragödie 
gemeint^).    Dass  Greflinger  etwa  später  durch  die  Thoroae'sche 


Schaft  besiimnit  (vgl.  Ward,  history  of  £ng]ish  dramaiic  literature.  vol.  II. 
London  4875,  S.  153  fr.].  Die  »Lingua«  hat  auch  sonst  noch  bei  den  auswär- 
tigen Gelehrten  Anklang  gefunden ;  sie  gehört  mit  zu  den  englischen  Dra- 
men, die  im  siehzehnten  Jahrhundert  in's  Holländische  übersetzt  wurden. 
(Lingua :  ofte  strijd  tusschen  de  tong  en  de  vyf  zinnen  om  de  heerschappy. 
gespeelt  op  de  Amsterdamsche  Schouburg.  t'Amsteldam.  4648.)  Als  Über- 
setzer nennt  sich  unter  der  Widmung  Lanbert  van  den  Bosch,  später  Rec- 
tor  in  Dordrecht.  Hier  ist  der  Prolog  in  gereimten  fUnffUssigen  Jamben, 
das  Stück  selbst  in  Prosa  übersetzt.  Auf  die  englische  Vorlage  wurde  be- 
reits von  Löffelt  im  Nederl.  Spectator  4868  S.  464  hingewiesen. 

4 )  Ein  Blick  auf  die  Titel  der  beiden  andern  versprochenen  Stücke 
kann  die  Wahrscheinlichkeit  dieser  Angabe  nur  erhöhen.  Bereits  Tteck  in 
der  Vorrede  zu  seinem  altdeutschen  Theater  hat  bemerkt,  der  »beklägliche 
Zwang«  sei  wohl  mitLope  deVega's  fuerza  lastimosa  identisch.  Das  Drama 
Lope's  war  indess  bereits  4648,  also  zwei  Jahre  vor  GrefKnger's  Vorrede  in 
Amsterdam  in  der  Übersetzung  von  Isaak  Vos  aufgeführt  und  gedruckt  wor- 
den. Vgl.  te  Winkel :  De  invloed  der  Spaansche  letterkunde  op  de  Neder- 
landsche  in  de  zeventiende  eeuw.  Tljdschrift  voor  Nederlandsche  taal-  en 
letterkunde.  Berste  jaargang.  Leiden  4884.  S.  94.  Die  holländische  Über- 
setzung führt  den  Titel  »de  beklagelijke  dwang«,  also  ganz  entsprechend  dem 
Greflinger  sehen  Titel.  Ob  das  Wort  »bekläglich«  auch  sonst  im  deutschen 
Sprachgebrauch  des  47.  Jahrhunderts  eingebürgert  war,  vermag  ich  freilich 
nicht  anzugeben,  im  deutschen  Wörterbuch  fehlt  es.  Möglicherweise  hat 
übrigens  Greflinger  seinen  Vorsatz  doch  ausgeführt  und  seine  Übersetzung 
an  seinem  Aufenthaltsort  Hamburg  den  Schauspielern  übergeben;   4674 


106     

Bearbeitung  von  der  Ausführung  seines  Planes  zurttckgehalteD 
worden  sei,  ist  kaum  anzunehmen ;  er  würde  jedenfalls  seine 
Sache  besser  gemacht  haben. 

Thomae's  Arbeit  wurde  übrigens,  wie  es  scheint,  von  den 
Zeitgenossen  gänzlich  ignorirt ;  auch  von  einer  Aufführung  ist 
mir  nichts  bekannt  geworden.  Die  Nachrichten  über  Aufführun- 
gen des  Titus  Andronicus  durch  deutsche  Schauspieler,  die  wir 
auch  noch  in  der  Zeit  nach  dem  Erscheinen  des  Thomae'schen 
Titus  finden ,  beziehen  sich  ohne  Zweifel  auf  die  Bearbeitung 
der  englischen  Comödianten^). 

In  einem  kurzen  Schlusswofrt  (S.  103)  sagt  der  Verfasser, 
dass  er  »in  dergleichen  Schriften  noch  l£lnger  aufzuwarten  wil- 
lens« sei  und  fügt  dann  hinzu :  »Lebe  wohl,  hochgeehrter  Leser, 
bleibe  mir  gewogen,  und  erwarte  mit  nehstem,  wann  es  Gott 
gönnt:  Den  verführten  Freyherrn,  oder  den  Laster -Spiegel  in 
ungebundner  Redea.  Über  diess  Drama  weiss  ich  nichts  näheres 


haben  Hamburgische  GomödtanleQ  in  Dresden  den  »bekläglichen  Zwang« 
aufgeführt  (vgl.  Fürstenau  a.  a.  0.  S.  844;  »der  beklägliche  Zwerg«,  wie 
dort  steht,  ist  offenbar  ein  Druckfehler).  Das  in  Danzig  1668  aufgeführte 
Drama  »Der  Irrgart  der  Liebe«  stimmt  nach  der  ausführlichen  Inhaltsan- 
gabe eines  Zuschauers  (vgl.  Hagen ,  Geschichte  des  Theaters  in  Preussen. 
Königsberg  4854.  S.  187  ff.)  mit  dem  Lope'schen  Drama  vollständig  überein, 
nur  dass  hier  die  Königstochter  nicht  wie  bei  Lope  und  seinem  holländi- 
schen Obersetzer  Dionysia,  sondern  Rosalinde  heisst.  Greflinger's  »Laura« 
erinnert  an  Lope's  Laura  perseguida,  von  welcher  bereits  4645  eine  hollän- 
dische Übersetzung  im  Druck  erschienen  war  (vgl.  te  Winkel  a.  a.  0.  S.  98  f.). 
Freilich  hatte  bereits  i  637  Rotrou  auf  Grund  von  Lope's  Drama  seine  Laure 
pers^cutöe  erscheinen  lassen.  Greflinger  hat  zwei  Jahre  nachdem  er  diese 
Dramen  in  Aussicht  stellte,  ein  anderes  Drama  Lope's,  den  palacio  confuso 
in  deutscher  Übersetzung  erscheinen  lassen  (Des  hochberühmten  Spanni- 
schen Poeien  Lope  de  Vega  Verwirrter  Hof  oder  König  Carl.  In  eine  unge- 
bundne  Hochdeutsche  Rede  gesetzet  von  Georg  Greflinger.  Hamburg  4  658). 
Auch  diess  Drama  war  bereits  4647  in  holländischer  Sprache  in  Amsterdam 
aufgeführt  worden  nach  einer  Übersetzung  Leonard  de  Fuyter's  (vgl.  te  Win- 
kel S.  95).  In  diesem  Falle  würde  man  also  durch  eine  Vergleichung  zwi- 
schen Lope,  de  Fuyter  und  Greflinger  zu  einem  bestimmten  Ergebniss  dar- 
über gelangen  können,  ob  letzterer  nach  dem  Holländischen  oder  nach  dem 
Spanischen  arbeitete. 

4)  Noch  4  749  wurde  diese  Bearbeitung  von  deutschen  Puppenspielern 
in  Kopenhagen  aufgeführt.  Rahbeck  (Holberg's  udvalgte  Skrifler  VI  S.532f.) 
bringt  auf  Grund  der  Angaben  Riegel's  (Fjerde  Frederiks  Historie)  einige 
characteristische  Details  über  diese  Aufführung.  Danach  waren  jedenfalls 
in  der  Gastmahlscene  gegen  Ende  des  Stückes  die  Eigenthümlichkeiten  der 
Bearbeitung  der  englischen  Comödianten  beibehalten. 


107     

anzugeben;  auch  sonst  habe  ich  mit  den  mir  zu  Gebote  stehen- 
den literarischen  Hülfsmitteln  Über  Thomae's  Leben  und  über  seine 
sonstigen  literarischen  Leistungen  so  gut  wie  gar  nichts  ermit- 
teln können.  Strieder  und  Veith  in  seiner  Bibliotheca  Augustana 
lassen  ihn  gänzlich  unerwähnt.  Auf  der  Giessener  Bibliothek 
befinden  sich  von  ihm,  wie  mir  Braune  freundlichst  mitgetheilt 
hat,  drei  lateinische  Programme  juristischen  Inhalts,  Gissae  1668, 
1670  und  s.  1.  4688;  ausserdem  ein  Bändchen  geistlicher  Ge- 
dichte u.  d.T.  »Teutscher  Gedichte  Frtt-FrUchten,  oder  Sonn  und 
Festtags  Andachten  aus  derselben  Evangelien  aufgesetzt  .... 
von  Hieronymo  Thomae  aus  Augstburg,  LL.  stud.  Giessen  4  672, 
HO  (Jöcher  beschränkt  sich  auf  die  irrthttmliche  Notiz :  Thomas 
[sie]  Hieronymus,  hat  1 662  [sie]  Sonn  <&  Fest-Tags-Andachten  zu 
Giessen  ia  8  herausgehn  lassen) .  In  den  Dedicationen  wird  er 
der  Rechte  Beflissener  genannt.  Zedier  erwähnt  einen 
Job.  Theod.  Hieron.  Thomae,  der  eine  »Defensa  juris  extraord. 
justitia.  Diss.  inaug.  Giessen  4693«  verfasste;  vielleicht  ein 
Sohn  des  Hieronymus.  Weitere  Untersuchungen  über  Thomae 
anzustellen,  würde  sich  kaum  verlohnen,  höchstens  könnte  es 
etwa  von  Iqteresse  sein,  festzustellen,  ob  er  durch  Lectttre  des 
Vos'schen  Werkes  oder  durch  eine  Aufführung,  der  er  in  Hol- 
land beiwohnte  oder  vielleicht  auch  eine  von  holländischen  Go- 
mödianten  in  Deutschland  gegebene  Darstellung  i)  zu  seiner 
.\rbeit  angeregt  wurde. 

II.   Medea. 

Der  Titus  Andronicus  des  holländischen  Dichters  steht  nicht 
wie  der  Shakespeare's  am  Eingang  einer  ruhmvollen  theatrali- 
schen Laufbahn,  in  der  sich  der  Dichter  von  den  Mängeln  und 
Geschmacklosigkeiten  seines  Erstlingswerkes  befreit.  Vos  war 
nach  diesem  ersten  Versuche  mit  sich  selber  vollkommen  zu- 
frieden und  empfand  die  wüste  Rohheit  seiner  Tragödie  um  so 
weniger,  da  der  Bühnenerfolg  noch  lange  Zeit  hindurch  anhielt. 
Der  Dichter  Hess  sich  gerne  als  geniales  Naturkind  bewundem, 
und  die  Art,  wie  er  sich  in  dieser  Rolle  weiter  bewegte,  war 


i )  Die  Wanderungen  der  hoUfindischen  Comddianten  in  Deutschland 
im  siebzehnten  Jahrhundert  verdienen  noch  eine  ausführlichere  Behand- 
lung. 


108     

nicht  frei  von  kluger  Berechnung.  Er  war  sehr  darauf  bedaclit. 
den  einmal  erlangten  Ruf  als  grosser  Tragiker  nicht  wieder  zu 
verscherzen  und  Worp  (a.  a.  O.  S.  64]  ist  gewiss  im  Rechte, 
wenn  er  es  aus  dieser  Rücksicht  erklärt,  dass  Vos  nach  seinem 
ersten  Erfolge  eine  lange  Reihe  von  Jahren  hindurch  gar  nicht 
wieder  als  Tragiker  hervortrat.  Indess  benutzte  er  seine  Stel- 
lung  als  Regent  der  Amsterdamer  Schauburg  (seit  4647),  um 
»Aran  en  Titus«  möglichst  häufig  aufführen  zu  lassen.  Erst  nach 
einer  Unterbrechung  von  24  Jahren  vollendete  er  die  TragOdio 
Medea,  mit  welcher  das  neue  Amsterdamer  Theater  am  26.  Mai 
1665  eröffnet  wurde  ^);  in  der  Vorrede  rühmt  er  sich,  dass  er 
die  Geschichte  der  Medea,  die  schon  von  den  weisen  Griechen, 
den  hochtrabenden  Römern,  den  klugen  Italienern,  den  sinn- 
reichen Spaniern  und  den  artigen  Franzosen  aufs  Theater  ge- 
bracht wurde  —  dass  er  also  diese  Geschichte  in  einer  durchaus 
neuen,  eigenartigen  Weise  dramatisirt  habe.  Seine  Tragödie 
soll  nämlich  zugleich  auch  ein  Ausstattungsstück  sein ;  es  sollte 
der  Reichthum  des  neuen  Theaters  an  prachtvollen  Decorationen 
und  kunstreichen  Maschinerien  sogleidi  bei  der  ersten  Vorstel- 
lung aufs  glänzendste  hervortreten.  Götter  senkep  sich  auf 
Wolken  herab,  Medea  fliegt  mit  ihrem  Drachenwagen  durch  die 
Luft,  steigt  in  die  Unterwelt  hernieder  und  führt  auf  der  Rühne 
die  abenteuerlichsten  Zauberkünste  vor.  Auf  das  alles  wies  der 
Dichter  in  dem  Vorspiel  hin,  das  der  ersten  Aufführung  voran- 
ging ;  dort  heisst  es,  dass  die  Natur  die  Kunst  in  diesen  neuen 
Räumen  beneide,  dass  Griechenland  und  Rom  nichts  ähnliches 
aufzuweisen  hätten.  Der  poetische  Werth  des  Stückes  ist  recht 
gering,  an  die  Stelle  der  excentrischen  Rohheit  des  Erstlings- 
dramas finden  wir  hier  nicht  selten  eine  dürftige  Trivialität, 
die  unter  dem  in  Scene  gesetzten  anspruchsvollen  Apparat  nur 
um  so  unerfreulicher  hervortritt.  Es  mögen  daher  auch  ein  paar 
kurze  Worte  übe^en  Inhalt  genügen. 

Die  Scene  ist  Corinth.  Medea  weiss  sich  von  Jason  ver- 
lassen und  klagt  der  alten  Amme  ihr  Leid.  Sie  dringt  in  den 
Königshof  ein,  die  zwei  Wächter,  die  ihr  den  Eintritt  wehren 


4)  Auch  bei  diesem  Drama  konnte  ich  nur  eine  spätere,  aber  doch 
jedenfalls  für  den  vorliegenden  Zweck  vollkommen  genügende  Ausgabe  be- 
nutzen :  Medea.  Treurspel  door  Jan  Vos.  Met  verscheideno  Kunst  en  Vlieg- 
werken,  nieuwe  Baletten,  Zang  en  Vertooningen.  Nooit  voor  dezen  zo  ver- 
toond.  Te  Amsteldam.  By  de  Erfg.  van  J:  Lescailje . . .  1698.  Met  Privilegie. 


109     

wollen,  verwandelt  sie  in  eine  Säiile  und  einen  Baum.    Jason 
und  Creusa  kommen  in  verliebtem  Gespräch,  Medea  naht  sich 
ihnen,  aber  ihre  Klagen  und  Vorwürfe  werden  ^—  auch  von 
Creusa  —  mit  rohen  Schmähungen  beantwortet.  Indess  erwii^t 
sie  doch  die  Erlaubniss,  ihre  beiden  Kinder  mit  sich  nehmen  zu 
dürfen.  Allein  gelassen,  erklärt  sie,  sich  rächen  zu  wollen;  sie 
fährt  in  die  Unterwelt  hinab,  um  mit  Proserpina  ihren  Räche- 
plan zu  beraihen.    im  zweiten  Act  erscheint  Jason's  erste  ver- 
lassene  Geliebte  Hypsipyle  mit  einem  Heer  von  Lesbischen 
Frauen  vor  den  Mauern  Gorinths,  um  Jason  zu  bekriegen.  Jason 
fahrt  von  der  Stadtmauer  herab  mit  ihr  eine  Unterredung, 
worauf  Hypsipyle  den  Kampf  eröffnet,  trotzdem  dass  Iris  als 
Botin  Juno's  vom  Himmel  herabfährt,  um  ihr  abzurathen.    Die 
Lesbischen  Frauen  werden  denn  auch  in  der  Schlacht  besiegt, 
Hypsipyle  fällt;  ein  Krieger  bringt  ihr  abgeschlagenes  Haupt, 
das  Creusa  mit  ihren  gewöhnlichen  Schimpfreden  empfängt.  Im 
dritten  Act  erscheint  Medea  in  der  Holle,  Charön  lässt  sie  erst 
in  seinen  Nachen  ein,  nachdem  sie  sich  durch  allerlei  Kunst- 
stücke, Verwandlungen  des  Schauplatzes  etc.  als  Zauberin  legi- 
tiffiirt  hat.    Alsdann  erscheint  Hypsipyle  vor  den  Hollenwäch- 
tem,  die  ihr  nach  langer  Verhandlung  den  Eintritt  in's  Elysium 
gestatten,  ihr  aber  auch  die  Erlaubniss  ertheilen,  noch  einmal 
in  die  Oberwelt  zurttdLzukehren,  um  als  Geist  Jason  zu  ängsti- 
gen.    Kurze  Unterredung  zwischen   den   beiden  verlassenen 
Frauen,  worauf  Medea  der  Königin  des  Schattenreiches  ihr  An- 
liegen eröffnet  und  die  Krone  empfängt,  die  durch  ihre  Zauber^ 
kunst  Creusa's  Leib  in  Brand  setzen  soll.    Der  vierte  Act  führt 
uns  in  den  Tempel  zur  Vermählungsfeier  Jason's  mit  Creusa, 
die  mit  Ballet  und  allerlei  Austattungswerk  verbunden  ist.  Die 
Amme  bringt  im  Auftrag  Medea's  die  Krone.    Nun  häufen  sich 
die  Schreckensscenen ,  zuerst  erscheint  Hypsipyle^s  Geist  und 
jagt  den  Bräutigam  in  Entsetzen,  alsdann  geräth  die  Krone  auf 
Greusa's  Haupt  in  Brand,  alles  stiebt  auseinander,  zuletzt  bleibt 
nur  Jason  und  nun  kommt  Medea  mit  ihren  beiden  Kindern  auf 
dem  Drachenwagen,  sie  wirft  die  Kinder  aus  der  Luft  herab 
und  lässt  sie  vor  Jason's  Füssen  zerschmettern.    Dann  verhöhnt 
sie  noch  von  oben  herab  Jason  und  den  wehklagenden  Creon. 
Der  fünfte  Act  spielt  am  Aufenthaltsort  der  seligen  Götter;  Juno 
erscheint  in  einem  Pfauenwagen,  Venus  in  einem  Schwanen- 
wagen ;  Mercur  fliegt  herbei  und  berichtet  ihnen^  was  sich  in 


110     

ConDth  ereigDete.  worauf  Venus  die  Partei  Creosa's,  Juno  die 
Partei  Medea's  erereift.  Sie  betrachten  vom  Himmel  herab  die 
Traoerfeierlichkeiten  f&r  Crensa,  woraof  Jupiter  erscheint  und 
den  Urtheilsspmch  verktlndigt,  dass  er  Medea  eine  längere 
Bnsszeit  auferiegen,  sie  dann  aber  wieder  mit  Jason  versöhnen 
wolle ! 

So  kläglich  diess  Machwerk  ist.  hat  es  doch  auf  die  weitere 
Entwicklung  des  Dramas  in  Holland  einen  Einfluss  ausgettbt, 
der  schon  mehrfach  von  den  niederländischen  Literarhistorikern 
beklagt  wurde.  Viele  untergeordnete  Dichter  benutzten  die  er- 
wachte Liebhaberei  für  luxuriösen  Decorationswechsel  und  aben- 
teuerliche Verwandlungen  und  so  entstand  eine  Masse  von  Tra- 
glklien  »met  Kunst  en  Vliegwerken«.  die  einen  Ersatz  für  die 
Dürftigkeit  dieser  Erzeugnisse  bieten  sollten. 

Auch  diese  Tendenzen  des  holländisdien  Theaters  wirkten 
nach  Deutschland  hinüber  in  der  Zeit,  als  die  Schauspielkunst 
die  Fühlung  mit  der  Literatur  fast  gänzlich  verloren  halte  und 
als  die  Wandertruppen  durch  die  gesteigerte  Concurrenz  ge- 
nöthigt  waren,  einander  in  neuen  und  überraschenden  Effecten 
zu  tiberbieten.  Die  Schauspieler,  von  den  gelehrten  Dichtem  im 
Stich  gelassen,  mussten  sich  ihr  Repertoire  so  gut  es  eben  gehen 
wollte,  zusammenstoppeln  und  indem  sie  dabei  plan-  und 
systemlos  zu  dramatischen  Werken  der  verschiedensten  Nationen 
und  der  verschiedensten  Kunststile  ihre  Zuflucht  nahmen,  ge- 
rietben  sie  auch  auf  das  holländische  Ausstattungsdrama  der 
Vosschen  Manier.  Die  effectvollen  Schaustücke,  die  für  die 
Bühne  der  reichen  Handelsstadt  berechnet  waren,  werden  wohl 
freilich  in  den  Buden  der  Wandertruppen  ärmlich  genug  aus- 
gefallen sein,  dafür  wusste  man  aber  durch  Einfügung  der 
lustigen  Spässe  des  Harlekins,  der  sich  als  Diener  des  Haupt- 
helden einschlich,  einen  neuen  Reiz  hinzuzufügen. 

Das  Musterstück  der  neuen  Gattung,  Vos^  Medea,  ist  uns 
noch  in  einer  solchen  deutschen  Bearbeitung  erhalten.  Ein 
Manuscript  dieser  Bearbeitung  u.  d.  T.  »Die  rasende  Medea  mit 
Arlequin  einem  verzagten  Soldaten«  befindet  sich  unter  No.  4  3  4  89 
in  der  Handschriftensammlung  der  Kaiserlichen  Hofbibliothek  in 
Wien.  Diess  Manuscript  war  ursprünglich  Eigenthum  der  Elen- 
son-Haacke-Hoffniann'schen  Truppe,  die  in  der  Geschichte  des 
deutschen  Theaters ,  in  der  Epoche ,  die  der  Gottsched'schen 
ßühnenreform  voranging,  eine  so  wichtige  Stelle  einnimmt  und 


—   111    — 

aus  welcher  alsdann  die  Neuber^sche  Truppe  ber\'orging.  Die 
Hofbibliothek  besitzt  auch  noch  die  Hanuscripte  von  mehreren 
anderen  Stücken  des  Hoffmann'schen  Repertoires  ^) .  Wiewohl 
die  Wirksamkeit  der  Hoffmann' sehen  Truppe  schon  wiederholt 
besprochen  wurde^  so  hat  man  doch  bis  jetzt  noch  nicht  auf  die 
Bedeutung  dieser  Urkunden  hingewiesen,  durch  welche  wir 
eigentlich  erst  eine  klare  und  exacte  Vorstellung  von  den  BUh- 
nenzuständen  erhalten,  die  der  Gottsched'schen  Reform  unmit- 
telbar vorangingen. 

Mehrere  der  Hefte  sind  mit  iiG[arl]  L[udwig]  Hoffmann 
D.  C.«  oder  »Dir.  Com.«  bezeichnet.  In  den  Personenverzeich- 
nissen  finden  wir  mitunter  hinter  den  einzelnen  Namen  —  oft 
in  schwer  zu  entziffernden  Abkürzungen  -r-  die  Namen  der 
Schauspieler  beigefügt,  denen  die  betreffenden  Rollen  zugetheilt 
waren.    In  der  Medea  finden  wir  im  Verzeichniss  der  »Actoresa 


4)  lob  möchte  hier  im  Vorbeigehn  nur  noch  auf  eines  dieser  Stücice 
hinweisen,  das  gleichfalls  holländischen  Ursprung  verräth.  Es  ist  diess 
No.4  3174  »Die  närrische  Wette  oder  der  geizige  Gerhard«,  das  in  den  Grund- 
zügen der  Intrigue  mit  Lope  de  Vega's  Comödie  »et  mayor  imposible«  über- 
einstimmt. Diese  Comödie  wurde  zuerst  4664  von  Boisrobert  unter  dem 
Titel  i»La  comtesse  de  Pembroc  ou  la  folle  gageure«  in  französischer  Sprache 
und  alsdann  4  674  nach  dem  Französischen  zweimal  in  holllfndischer  Sprache 
bearbeitet,  von  Blasius  u.  d.  T.  »Malle  wedding«,  von  Mitgliedern  der  Ge- 
sellschaft Nil  volentibus  arduum  u.  d.  T.  »Malle  wedding  of  gierige  Geer- 
aardt«.  Vgl.  te  Winkel  a.  a.  0.  S.  406.  Ich  selber  habe  das  holländische 
Stttck  nicht  gesehn,  aber  jedenfalls  findet  sich  Gerhard  als  Name  des 
strengen  Bruders  weder  bei  Lope  noch  bei  Boisrobert,  so  dass  also  die 
deutsche  Bearbeitung  auf  Holland  zurückweist.  Es  gibt  auch  eine  ham- 
burgische Oper  »Das  unmöglichste  Ding«,  die  Gottsched  im  nöthigen  Vor- 
rath  u.  d.  J.  4684  anführt  und  aus  der  in  den  Beiträgen  zur  crit.  Historie  etc. 
Ulf  284  einige  Strophen  mitgetheilt  sind,  jedoch  vermag  ich  mit  den  mir 
jetzt  zu  Gebote  stehenden  Hülfsmitteln  über  die  Provenienz  dieser  Oper 
nichts  näheres  zu  sagen.  Jedenfalls  war  aber  Lope's  Comödie,  diese  »Perle 
der  Weltliteratur«  (Carriere),  in  jener  Zeit  nach  Deutschland  gelangt,  wenn 
sie  auch  auf  dem  langen  Umweg  gewiss  manches  von  ihrem  Glanz  einbüsste. 
Nach  der  Theaterreform  wurde  das  Stück  von  neuem  —  wohl  in  einer  andern 
Bearbeitung  —  auf  die  Bühne  gebracht;  der  Bericht  über  die  Neuber'schen 
AnfTuhrungen  in  den  »Belustigungen  des  Verstandes  und  Witzes«  meldet 
unter  dem  34.  Juli  4744  »ein  neues  lustiges  Stück,  aus  dem  Holländischen 
eines  Ungenannten,  die  närrische  Wette  betitelt«.  Durch  die  hier  und  oben 
S.  4  05  angeführten  Beispiele,  denen  noch  eine  beträchtliche  Zahl  weiterer 
Fälle  hinzugefügt  werden  könnte,  bestätigt  sich  auch,  was  Koberstetn 
(5.  Aufl.  B.  11.  S.  266)  über  die  Vermittlungsrolle  der  Niederlande  ver- 
mothungsweise  äussert. 


112     

von  bekannteren  Namen  Kohlhardt  als  Green,  die  Neuberin 
alsMedea,  die  Ho  ff  mannin  als  Proserpina,  Laurens  —  ver- 
muthlich  Lorenz,  der  Vater  der  Christiane  Friederike  Lorenz, 
die  mitunter  als  Lessing's  Jugendgeliebte  bezeichnet  nvird  —  in 
den  Rollen  des  Jupiter  und  des  Rhadamant,  Nenber  gleich- 
falls in  zwei  untergeordneten  Rollen,  als  Priester  (im  Gefolge 
der  Hypsipyle)  und  als  Minos.  Es  scheint  also,  dass  man  ihn 
schon  damals  nicht  fttr  einen  hervorragenden  Schauspieler  hielt. 
Auf  dem  letzten  Blatt  des  Manuscripts  ist  noch  eine  Rollenver- 
theilung  angegeben:  Kohlhardt  erscheint  hier  vneder  als  Creon, 
ebenso  die  Hoffmannin  wieder  als  Proserpina.  Dagegen  finden 
wir  Laurenz  (wie  er  hier  heisst)  als  Jason  und  die  Neuberin  als 
Hypsipyle;  als  Medea  figurirt  Frl.  Angott.  Beigeklebt  ist  ein 
Zettel  mit  den  Worten :  »Heute  Dinstags  d.  5  Decemb:  in  der 
letzten  Woche  Ihres  agirens  mit  einer  gantz  Neuen,  noch  nie* 
mahls  in  Bresslau  gesehenen  und  mit  Vielen  und  mancherley 
Vorstellungen  aussgezierten  Haupt-  u.  Staatsaction  aufwarten, 
genannt:  Die  rasende  Medea  mit  Arlequin,  einem  verzagten  Sei- 
datenv.  Auf  diese  Worte  folgt  nochmals  das  Personenverzeichniss 
ohne  beigeschriebene  Schauspielernamen.  Hier  ist  die  Amme 
Medea^s,  die  in  der  deutschen  Bearbeitung  den  Namen  Hetina 
führt,  offenbar  wegen  irgend  welcher  unerwarteter  Schwierig- 
keiten in  der  Rollenvertheilung ,  in  einen  Pflegevater  Hetino 
verwandelt. 

Zur  Bestimmung  des  Datums  dieser  Rollenbesetzungen  müs- 
sen einige  Worte  über  die  Geschichte  der  Hoffmann'schen  Truppe 
vorausgeschickt  werden.  Die  Wittwe  Elenson's,  des  ersten  Prin- 
cipals  der  Truppe,  hatte  sich  in  zweiter  Ehe  mit  dem  Harlekin 
Johann  Kaspar  Haacke  vermählt,  welcher  4744  das  sächsische 
Privileg  erhielt.  Haacke  starb  4722  und  nun  wurde  das  Privileg 
durch  Gabinetsbefehl  vom  4  4.  März  4723  auf  seine  Wittwe  Über- 
tragnen. Bald  darauf — das  Datum  vermag  ich  nicht  anzugeben  — 
verheirathete  sich  die  Wittwe  zum  dritten  Male  mit  dem  Schau- 
spieler Karl  Ludwig  Hoffmann.  Sie  starb  bereits  4725,  worauf 
Hoffmann  noch  im  December  desselben  Jahres  durch  Gabinets- 
befehl diis  Privileg  vorläufig  auf  ein  Jahr  erhielt.  Die  Gesell- 
schaft gerieth  jedoch  nun  in  Verwirrung  und  Verfall,  es  hatten 
sich  Schulden  aufgehäuft,  die  nicht  getilgt  werden  konnten,  es 
entstanden  Zerwürfnisse  zwischen  dem  neuen  Principal  und 
seinen  Stiefkindern,  namentlich  mit  der  Tochter  Elenson's,  Su- 


113     

sanna  Katharina  und  deren  Ehemann,  dem  Harlekin  Joseph  Fer- 
dinand Müller.  1726,  während  sich  die  Truppe  in  Hamburg 
aufhielt,  lief  Hofmann  mit  seiner  Magd  davon.  Neuber's  stellten 
sich  an  die  Spitze  der  verlassenen  Schauspieler  und  erlangten 
im  folgenden  Jahre  1727  für  sich  das  sächsische  Privileg;  der 
Harlekin  Mttller  und  seine  Gattin  gaben  jedoch  vor,  sie  hatten 
auf  dieses  Privileg  ältere  erbliche  Rechte,  die  ihnen  das  Neuber- 
sehe  Ehepaar  durch  allerhand  listige  Ränke  verkürzt  hätte; 
unter  anderm  behauptete  Mttller,  Neuber's  hätten  den  früheren 
Principal  Hoffmann  zur  Flucht  mit  jener  Magd  beredet,  indem 
sie  ihm  fälschlich  vorspiegelten,  seine  Stiefkinder  seien  gegen 
dieses  Liebesverhältniss  und  wollten  eine  Heirath  nicht  zu- 
geben^]. Es  ist  bekannt,  wie  sich  der  Streit  zwischen  dem 
Mttller'schen  und  dem  Neuber^schen  Ehepaar  noch  eine  Reihe 
von  Jahren  durch  die  Geschichte  der  reformfreundlichen  und 
reformfeindlichen  dramaturgischen  Bestrebungen  hindurchzieht. 
Jedenfalls  geht  aus  dem  obigen  hervor,  dass  Hoffmann,  der  in 
dem  Manuscript  als  Director  erscheint,  während  des  Zeitraums, 
innerhalb  dessen  er  sich  so  bezeichnen  konnte,  nur  einmal  und 
zwar  mit  der  Wittwe  Haacke  verheirathet  war.  Mit  der  Hoff- 
mannin,  die  in  der  Medea  die  Rolle  der  Proserpina  spielte,  kann 
also  nur  die  ehemalige  Wittwe  Haacke  gemeint  sein.  Es  ergibt 
sich  mithin  für  die  beiden  obigen  Rollenbesetzungen  die  Zeit 
zwischen  dem  März  1723,  wo  die  spätere  Hoffmannin  noch  als 
Wiltwe  erwähnt  wird,  und  dem  December  1725,  wo  Hoffmann 
bereits  als  Wittwer  erscheint.  Wenn  der  beigeklebte  Zettel  aus 
derselben  Zeit  stammt,  wie  die  Rollenvertheilungen,  so  muss  er 
sich  jedenfalls  auf  eine  Aufführung  im  Jahre  1724  beziehen,  in 
welchem  der  5.  December  auf  einen  Dienstag  fiel.  In  der  That 
bat  sich  im  December  dieses  Jahres  die  Hoffmann^sche  Truppe 
in  Breslau  aufgehalten^). 

Vergleicht  man  die  deutsche  Bearbeitung  mit  dem  Original, 
so  ergibt  sich  wenig  von  Bedeutung.  Die  hoUändischen  Verse 
sind  sinngetreu,  zum  Theii  auch  wörtlich  in  deutscher  Prosa 
wiedergegeben.  Mit  Alexandrinern,  wie  sie  sonst  oft  in  den 
Haupt-  und  Staatsactionen  an  Act-  und  Scenenschlüssen  einge- 


1)  Über  alle  diese  Händel  vgl.  Fürstenau  a.  a.  0.  II.  S.  300—813. 

2)  Vgl.  Reden  -  Esbeck ,    Caroline  Neuber   und  ihre  Zeitgenossen. 
Leipzig  4884.   8.54. 

4886.  8 


114     

schoben  werden,  um  den  Sdnaspielem  effiedvolle  »Abgänge« 
xn  TersdialTen,  hat  sich  der  deatscfae  Bearbeiter  in  unserm  Falle 
nicht  allznsehr  angestrengt,  wir  finden  zwei  Reinueilen  am 
Schlnss  des  vierten  Actes  und  ein  paar  banale  Alexandriner  am 
SdilnsB  des  ganzen.  Eine  ausführlichere  Betrachtong  der  Stel- 
len, wo  der  Übersetzer  sich  nicht  genau  an  sein  Original  halt, 
wurde  sich  kaum  verleimen,  dazu  sind  die  Abweichungen  lu 
unbedeutend  und  dazu  ist  auch  der  Werth  des  Originals  wie 
der  Cbersetaung  zu  gering.  Lohnende  Gesichtspunkte  konnten 
sieh  höchstons  etwa  ergeben,  wenn  man  zugleich  auch  andere 
Dramen  des  Hoffa(iann*'schen  Repertoires  mit  ihren  Originalen 
vei^leicht.  Von  einer  Milderung  der  Rohheiten  des  Originals  ist 
nattlrlieh  nieht  die  Rede.  Zur  Characteristik  des  Stils  mögen  in- 
dess  ein  paar  kleine  Proben  aus  Vos  und  aus  der  deutschen  Be- 
arfaeitong  folgen. 

Act  i  Scene  3  sagt  Medea,  als  sie  Jason  mit  Greusa  kommen 
sieht  und  sich  Tomimmt,  ihren  rachgierigen  Hass  nicht  merken 
zu  lassen,  bei  Ves: 

Medea.    knieldj. 

O  schrand're  Teinzen\  pylaar  der  wyste  Staaten 
O  hart  in  gal  deursult,  en  mond  vol  honingraaten ! 
Bestiez  mm  bitt*re  ton?  en  sreef  ze  een  zoote  klank ; 
Maak  dat  ik  Jazon  meek  met  een  Sireene  zank. 

Staat  op) 
Hoe!  is't  geen  lafheid?  neen!  de  w^sheid  komt  my  raaden. 

iLnield 
O  eedle  Dapperfaeid!  gehuld  met  lauwert)laaden 
Die  u  in  \  harrenas  op*t  Dagtooneel  laat  zien 
Vergeef  myn  veinzer\\  de  nood  komt  my  gebien. 

Im  Deutschen:  ."Bl.  5) 

Medea  knvet. 

O  glorwRrdige  HencUerey  Eine  Pyramis  der  Klugheit, 
welcher  Hertz  mit  Galle  durchmensset  auss  Ihrem  Munde  aber 
lauter  Honig  und  Confect  hervoi^iebt!  regiere  meine  Zunge, 
dass  Sie  in  den  obren  des  Printzen  Jasons  lieblicher  alss  eine 
Syrene  klingen  möge [raset;  Nein  die  weissheit  wil  meyne 


115     

ratbgeberin  seyn  (red[ei]  wiederumb  vernttnfftig)  0  edle  Tapfifer« 
keit  die  du  wttrdig  mit  lorbeerblättern  gekröhnt  zu  werden, 
verzeihe  meiner  Heuchlerey  alldieweil  mir  diessesmabl  die  Noth 
die  GeseUe  vorschreibet. 

Oder  Jason's  Worte,  da  ihm  das  Haupt  Hypsipyle's  gebracht 
wird :  Act  2  Scene  7  bei  Vos : 

Zyn  dat  de  lippen,  daar  ik  nektar  uit  kwam  haalen? 
Ik  zie  uw  oogen :  maar  ik  vind  geen  heldVe  straalen. 
De  roos  en  lely  zyn  op  uwe  kaak  verdord. 

Im  Deutschen:  (Bl.  48) 

Sind  dieses  die  Lippen,  auff  welchen  ich  so  viel  nectar 
Küsse  gehohlet?  0  ihr  nunmehro  geschlossene  und  leyder  nicht 
mehr  helleuchtende  äugen  Sterne,  lasset  Ihr  keine  Sonnen  Strah- 
len mehr  von  Euch  schiessen;  die  rosen  und  lilien  sind  auff 
Euren  Wangen  verdorret ! 

Die  Hauptänderung  ist  natürlich  die  Einführung  Harlekins, 
dessen  Rolle  aber  wie  gewöhnlich  in  den  Manuscripten  der 
Haupt-  und  Staatsactionen  nieht  ganz  ausgeschrieben  ist.  Ihm 
ist  ein  grosser  Theil  der  Rolle  des  Hauptmanns  zugefallen,  der 
bei  Vos  den  Jason  begleitet  und  dessen  Worte  nun  dem  Harle- 
kin'schen  Character  entsprechend  umgestaltet  erscheinen.  Wie 
aach  sonst  öfters  in  Stücken,  die  Kämpfe  und  Schlachten  vor- 
führen, erscheint  Harlekin  in  der  Rolle  eines  feigen  Soldaten. 
Versuche,  die  Furcht  zu  verbergen,  Schild  wache  stehn,  FaUen^ 
lassen  der  Waffe ,  unter  lächerlichen  Geberden  davon  laufen, 
diess  sind  die  Situationen,  an  die  er  seine  Lazzi  mit  Vorliebe 
anknüpft.  Ähnliches  finden  wir  auch  m  Haupte  und  Staats- 
actionen wie  Karl  XII.  vor  FriedrichshalP) ,  König  Cyrus^)  und 
anderen.  Im  ganzen  ist  aber  gerade  dieser  Harlekin  wenig  er- 
freulieh ;  er  zeigt  uns,  wie  in  jener  Zeit  des  tiefsten  Verfalls 
alles  Gefühl  für  künstlerisches  Mass  verschwunden  war,  wie 
namentlich  das  Comische  und  das  Tragische  in  der  äusserlicb- 
sten,  rohesten  Weise  mit  einander  verbunden  wurden.  W^enn 
Harlekin  einmal  auf  der  Scene  steht,  so  lässt  er  auch  die  Ver- 

4)  ed.  Lindner.  Dessau  4845. 

2)  ed.  Bngel.  Deutsche  Puppencomödien.  Th.  III.  Oldenburg  4873. 

8* 


116     

treler  der  ernsten  Rollen  keinen  Angenbli«^  in  Rohe ;  niemals 
sind  sie  sicher,  ob  er  nieht  hinter  ihrem  Rücken  dorch  seine 
Lazzi  die  Aofmerksamkeii  von  ihren  verzweifelten  Wathaas- 
brachen  oder  von  ihren  feierlich  bombastischen  Tiraden  ablenkt. 
Noch  schlimmer  musste  es  freilich  sein,  wenn  er  ihnen  direct  io 
die  Rede  fiel,  wenn  er  etwa  im  Gespräch  zwischen  Jason  und 
Hypsipyle  oder  in  Jason's  verzweifelter  Rede  nach  dem  Tode 
der  Kinder  mit  seinen  täppischen,  unfläthigen  Redensarien  da- 
zwischen fuhr.  Wenn  Harlekin  in  der  Unterredung  zwischen 
Jason  und  Hypsipyle  die  Worte  dazwischen  wirft,  man  mttsse 
es  mit  den  Weibern  machen,  wie  mit  den  Kalendern,  alle  Jahr 
eine  neue,  oder  wenn  er,  als  das  Haupt  Hj-psipyle's  hereinge- 
bracht wird  und  Jason  bestürzt  ausruft :  >lst  dieses  Hypsipyle. 
meine  erste  Gemahlina,  darauf  antwortet :  »Nein,  Hypsipyle  ist 
es  nicht,  sondern  ihr  Kopfa,  so  gehört  das  schon  zu  seinen  bes- 
seren Bemerkungen. 

Am  fatalsten  waren  indess  für  Jason  diese  Einmengungen 
jedenfalls  in  der  grossen  Raserei -Scene,  die  wir  hier  wie  auch 
sonst  öfters  in  den  Dramen  des  siebzehnten  Jahrhunderts  gegen 
Ende  der  tragischen  Handlung  finden.  In  diesen  Scenen,  die 
gewöhnlich  auf  die  grosse  Katastrophe  folgen,  erscheint  der 
Schmerz  des  Helden  bis  zum  Wahnsinn  gesteigert,  auf  diesen 
Glanzpunkt  wird  auch  öfters  in  den  Ankttndigungs  -  Zetteln  be- 
sonders hingewiesen  und  man  kann  sich  denken,  wie  bei  dieser 
Gelegenheit,  um  mit  Hamlet  zu  reden,  »solch  ein  handfester, 
haarbuschiger  Geselle  eine  Leidenschaft  in  Fetzen,  in  rechte 
Lumpen  zerriss,  um  sie  den  Gründlingen  im  Parterre  in  die 
Ohren  zu  donnern«.  Hat  ja  doch  auch  Gryphius  in  die  zweite 
Bearbeitung  seines  Trauerspiels  »Ermordete  Majestät  oder  Caro- 
lus  Stuardus«  eine  derartige  Scene  mit  allen  Geschmacklosig- 
keiten der  damaligen  Theaterpraxis  eingeschoben.  Aber  auch 
hier  iässt  Harlekin  in  unserm  Manuscript  die  unfreiwillige  Gomik 
des  Tragöden  nicht  zu  ruhiger  Entfaltung  gelangen.  Das  Ge- 
spräch zwischen  Jason  und  Harlekin  umfasst  die  zehnte  und 
elfte  Scene  des  vierten  Actes ;  als  Probe,  wie  sich  Harlekin  bei 
solchen  Gelegenheiten  eindrängte,  möge  hier  der  Anfang  von 
Scene  40  folgen.  Jason  betrauert  gerade  den  Tod  Creusa's  und 
seiner  beiden  Knaben. 

Arlequin.   Siehe  da,  quomodo  stat,   Herr  Jason,  seyd  doch 
kein  Narr  und  bekümmert  Euch  so  sehr,  komt  last  unss  auss 


117     

diesem  Lande  ziehen,  denn  hier  ist  der  beelzebub  mit  seinen 
7  Geistern  etc. 

Jason.  Ach,  ach  I  meine  Sohne,  so  alhier  auff  die  Erden  ge- 
stttrtzet  haben  auch  zugleich  mein  Hertz  getroffen. 

Arlequin.  Eure  Söhne? ja  wer  weiss  welchem  ehr- 
lichen Mann  solche  gehören. 

Jason.  Dieses  ist  Licaons  Mord  Panquet,  Ihr  habt  zwar 
durch  euren  fall  eure  lenden  gebrochen,  aber  das  brechen  eurer 
beine.  batt  eures  Vaters  heldenmttthiges  Hertz  zerrissen*  Ihr 
schwimmet  in  euren  eigen  bluthe  und  in  meinen  heissen  thrä- 
nen.  also  wird  zum  öfftem  das  obs  ehe  es  reiff  wird,  abge- 
brochen. Medea  hatt  mich  zugleich  mit  Euch  in  das  schwartze 
Erdreich  gesencket,  wo  wein  fliessen  soll,  sehe  ich  gantze  bäche 
vol  thränen  rinnen ;  Ja  ich  möchte  mich  selbst  darin  ersäuffen, 
damit  leh  o  liebste  Kinder  zu  Euch  kähme.  Ach  die  liebe  der 
Eltern  gegen  die  Kinder  ist  so  gross,  dass  sie  auch  die  Gefahr 
des  Todes  nicht  scheuet.  Ich  wii  mein  bluth  mit  dem  eurigen 
vermengen,   wil  sich  erstechen. 

Arlequin.  Haltet  doch  ein  reit  Euch  der  teuffei,  komt  last 
unss  ein  mass  wein  davor  trinken  wer  wolte  sterben. 

Jason.  Du  liebest  anitzo  das  leben,  ich  aber  seuff'ze  nach 
dem  tode. 

Arlequin.  Wer  sich  selbst  ermordet,  der  muss  Erde  und 
Koth  fressen  und  wird  den  Canaglien  den  schlangen  zur  speise. 
Dass  lass  ich  wohl  bleiben. 

Und  in  diesem  Tone  geht  es  weiter.  Der  Name  des  Harle- 
kinschauspielers wird  nicht  genannt,  aber  natürlich  wurde  die 
Rolle  von  Müller,  dem  ständigen  Vertreter  des  Faches  gespielt. 
Er  war  das  einflussreichste  Mitglied  der  Truppe,  der  erbitterte 
Feind  eines  jeden  Schauspielers,  der  nach  etwas  höherem 
strebte,  als  sich  bloss  zur  Folie  für  die  Lazzi  des  Harlekin  ge- 
brauchen zu  lassen.  Auch  als  die  Reformation  des  Theaters 
schon  längst  im  besten  Zuge  war,  als  die  Neuberin  ihm  als  ge- 
fährliche Concurrentin  mit  ihrer  eigenen  Truppe  gegenüberstand 
und  das  bessere  Publicum  sich  mehr  und  mehr  von  den  »mit 
Harlekins  Lustbarkeit  untermengten«  Stücken  abwandte,  ver- 
stand er  sich  nur  sehr  widerwillig  dazu,  auch  einmal  ein  Stück 


118     

der  neuen  Richtung  zuzulassen,  in  welchem  seine  Persönlich- 
keit fiberflüssig  war^). 

Die  Betrachtung  der  Medea  gibt  uns  auch  einen  Begriff  von 
den  Aufgaben,  an  die  ein  Künstler  wie  Kohlhardt  während  des 
grOssten  Theils  seiner  theatralischen  Laufbahn  seine  Kräfte  ver- 
schwenden musste  und  an  welchen  die  Neuberin  in  der  Zeit, 
von  ihrem  zwanzigsten  bis  dreissigsten  Lebensjahre — von  ihrem 
Eintritt  in  den  Schauspielerstand  4747  bis  zur  Aufl^ung  der 
Hoffmann'Schen  Truppe  1 796 — sich  heranbildete  3).  Wir  können 
uns  noch  vorstellen,  mit  welchem  verhaltenen  Zorn  sie  als  Medea 
auf  ihren  Todfeind  in  der  bunten  Jacke  geblickt  haben  mag,  der 
ihr  die  besten  Effecte  zerstörte  und  durch  seine  plumpen  SpSisse 
den  Löwenantheil  des  Beifalls  an  sieh  riss.  Sie  hat  gewiss  mit 
einer  Art  von  ingrimmigem  Behagen  gegen  Ende  des  ersten 
Actes  sich  wenigstens  für  einen  Augenblick  dadurch  Ruhe  ver- 
schafft, dass  sie  in  ihrer  Rolle  als  Zauberin  den  Harlekin  in 
einen  Nachtstuhl  verwandelte  —  ein  auch  in  andern  Haupt-  und 
Staatsaotionen  wiederkehrendes  Effectstück.  Aber  doch  war 
ihr  diese  Rolle  wohl  noch  eine  der  liebsten  ihres  tragischen 
Repertoires.  Im  dritten  Acte  steigt  sie  durch  die  Schauer  der 
Unterwelt  zum  Thron  Proserpina's  hinab ;  dahin  konnte  ihr  doch 
Harlekin  nicht  nachfolgen,  und  hier  konnte  sie  ungestört  ent- 
falten, was  von  dem  tragischen  Pathos  des  effectkundigen  Nieder- 
länders in  den  deutschen  Phrasen  etwa  noch  übrig  war. 

4)  Ein  ergötzliches  Beispiel  findet  sich  in  einem  Briefe  J.  E.  Schle- 
geFs  an  Hagedorn  vom  4. Sept.  4  748.  Vgl.  Hagedom's  Werlce  ed.'  Eschen- 
burg. Th.  V.  Hamburg  4  800.  S.  287.  Hier  erzählt  Schlegel  vom  »Ulysses«, 
einer  Tragödie  des  Leipziger  Mediziners  Ludwig :  »Müller  hat  ihn  zu  der 
Zeit  in  Leipzig  aufgeführt,  da  die  Neuberin  einige  Jahre  nicht  dahin  ge- 
kommen war.  Und  dieses  ist  mit  so  grossem  Zulaufe  geschehen,  dass  nicht 
alle  Zuschauer  haben  Platz  bekommen  können.  Müller  selbst  aber  ist  über 
diesen  grossen  Zulauf  bei  einem  Stücke,  wo  man  seine  harlekinische  Per- 
son entbehren  konnte,  so  böse  geworden,  dass  er  den  Hut  voll  Geld,  den 
er  eingenommen,  aus  Ärgemiss  hin  weggeschmissen,  sogleich  aber  wieder 
aufgehoben  hat«. 

a)  Vgl.  die  Bemerkungen  des  Yerf.'s  in  den  Grenzboten  XLP  S.79f. 


Str.  d.  K.  S.  de»,  d.   Wü». 


m 


Ber.  d.  K.  S.  i7m.  d.  TIVm.   I 


lief.  ti.  K.  s.  Oft,  d.  mis.  issn. 


INHALT. 


S«ite 

Overbeck,  Über  einige  Apollonstatuen  berühmter  griechischer 
Künstler.  Mit  3  Tafeln 1 

Fleischer,  Studien  über  Dozy's  Supplement  aox  dictionnaires 
arabes,  V 28 

Creizenach,  Studien  zur  Geschichte  der  dramatischen  Poesie 
im  17.  Jahrb.,  I 93 


Druck  Ton  Breitkopf  &  H&rt«l  in  Leipzig. 


(    MAY   17  1887 


BERICHTE 


ÜBER  DIE 


VERHANDLUNGEN 


DER  KÖNIGLICH  SÄCHSISCHEN 


GESEILSCHAFT  DER  WISSENSCHAFTEN 


ZU  LEIPZIG. 


PHILOLOGISCH-HISTORISCHE  CLA88E. 


1886. 


IL 


-\ 


^/)  LEIPZIG 

BEI    S.    HIRZEL. 
1887. 


,i\\<0  ri. 


N 


MAY   17  1887 


SITZUNG  AM  1 1.  DECEMBER  1886. 

Herr  Hultsch  las  Über  eine  Sammlung  von  Schölten  zur 
Sphärik  des  Theodosios  und  knüpfte  daran  Eine  Untersuchung 
über  die  Frage,  ob  Autolykos  und  Euklid  als  Schriftsteller  neben 
einander,  oder  der  eine  frühei'  als  der  andere  thätig  gewesen  sind. 

I.  Eine  Sammliing  Ton  Schollen  zur  Sphärik 

des  Theodoslos. 

Herr  Paul  Tanne ry  in  Paris  hatte  die  Güte  mir  im  vori- 
gen Jahre  eine  Abschrift  sämmtlicher  Scholien  zur  Sphärik  des 
Theodosios  zuzusenden,  welche  er  aus  dem  Manuscrit  grec  2342 
der  dortigen  Nationalbibliothek  entnommen  hatte.  Schon  ein  flüch- 
tiger Einblick  in  diese  bisher  noch  unerschlossene  Quelle  lehrte, 
daß  sie  für  die  Erklärung  des  Theodosios  von  großem  Nutzen 
und  vergleichsweise  noch  weit  werthvoller  ist  als  die  vor  kur- 
zem von  mir  veröffentlichte  Scholiensammlung  zu  Autolykos. 
Es  galt  daher  zunächst,  diese  neugewonnenen  Materialien  zu 
sichten ,  an  den  Text  des  Theodosios  anzupassen  und  für  den 
Druck  fertig  zu  machen.  Weiter  ergab  sich  im  Verlaufe  der 
Arbeit,  daß  mit  der  Herausgabe  der  Sammlung  nicht  etwa  ge- 
wartet werden  dürfe,  bis  einmal  der  Text  des  Theodosios  auf 
kritischer  Grundlage  erscheine,  sondern  daß  eine  baldige  Ver- 
öffentlichung im  Interesse  der  Forschung  auf  dem  Gebiete  alter 
Mathematik  wünschenswerth  sei.  Doch  waren  vorher  noch  die 
Handschriften  der  Vaticanischen  Bibliothek  einzusehen,  eine 
Aufgabe,  welcher  sich  Herr  August  Mau  in  Rom  auf  mein 
Ansuchen  unterzogen  hat.  Die  von  ihm  mit  bewährter  Sorgfalt 
ausgeführten  Collationen  sind  mir  vor  wenigen  Tagen  zuge- 
gangen. 

Soweit  die  Sammlung  nach  dem  Pariser  Manuscript  bis 
jetzt  von  mir  redigirt  worden  ist,  enthält  sie  332  Scholien,  von 

4886.  9 


120     

denen  78  zu  dem  ersten  Buche  der  Sphärik,  135  zum  zweiten 
und  \\9  zum  dritten  Buche  gehören.  In  dem  Vaticanus  Graec. 
204^)  ist  im  wesentlichen  dieselbe  Sammlung  enthalten;  nur 
zu  Anfang  fehlen  einige  Schollen  infolge  des  Verlustes  von  zwei 
Blättern,  welche  nachtraglich  von  jüngerer  Hand  ergänzt  sind, 
und  ferner  sind  gegen  Ende  des  I.  Buches  drei  Scholien,  unge- 
wiß aus  welchem  Anlaß,  weggeblieben.  Außerdem  enthält  der 
Codex  etwa  20  kürzere  Scholien  mehr,  als  im  Parisinus  sich 
finden.  In  dem  letzteren  Manuscript  sind  die  Scholien  von  der- 
selben Hand,  welche  den  Text  der  Sphärik  geschrieben  hat, 
und  zwar  theils  mit  rother,  theils  mit  schwarzer  Tinte  am  Bande 
eingetragen.  Mit  Becht  bemerkt  Herr  Tannery,  daß  durch  die 
verschiedenen  Farben  auch  eine  Verschiedenheit  des  Inhalts  be- 
zeichnet wird.  Zuerst  sind  mit  rother  Tinte  zahlreiche  kleinere 
Scholien,  die  meist  nur  die  Verweise  auf  andere  mathemathische 
Lehrsätze  oder  kurze  Winke  zur  Erklärung  enthalten,  am  Bande 
angemerkt  worden,  und  erst  nachher  hat  dieselbe  Hand  mit 
schwarzer  Tinte  eine  anderweite  Sammlung  nachgetragen, 
welche  in  ausführlicherer  Fassung  theils  Ergänzungen  zu  der 
Beweisführung  bei  Theodosios,  theils  Hülfssätze  mit  eigenen 
regelrechten  Beweisen  enthält. 

Da  die  meisten  von  den  Scholien,  die  ich  in  meiner  Aus- 
gabe des  Autolykos  veröffentlicht  habe ,  aus  derselben  Pariser 
Handschrift  geflossen  und  dort  ebenfalls  theils  mit  rother,  theils 
mit  schwarzer  Tinte  eingetragen  sind;  so  drängt  sich  zunächst 
die  Frage  auf,  ob  und  inwieweit  bei  dieser  offenbar  nahe  ver- 
wandten Sammlung  die  Verschiedenheit  der  Farben  auch  auf 
eine  Verschiedenheit  der  Quellen  schließen  lasse. 

Betreffs  der  Scholien  zu  dem  Buche  negl  xivov/.i€vrjg  aq>ai^ag 
läßt  sich  nur  berichten,  daß  zwar  die  kurzen  Citate  von  Lehr- 
sätzen und  andere  gelegentliche  Bandbemerkungen  von  dem 
Schreiber,  gerade  wie  bei  der  Sphärik,  mit  rother  Tinte  ausge- 
führt sind,  außerdem  aber  auch  andere,  längere  Scholien  ebenfalls 
in  rother  Farbe  erscheinen,  denen  ganz  ähnliche,  mit  schwarzer 
Tinte  geschriebene  entsprechen.  So  ist  das  schwarze  Scholien  ly 
zu  vergleichen  mit  den  rothen  cu  und  x,  das  schwarze  xd  mit  dem 
rothen  ^c,  endlich  das  schwarze  Ag  mit  dem  rothen  Ay.  Außerdem 

V,  Einige  Bemerkungen  über  diesen  Codex  theilt  H.  Menge  in  den 
Jahrbüchern  für  class.  Philologie,  hrsg.  von  Fleckeisen,  1886,  S.  183  f.  mit. 


121 

finden  sich  aber  noch  zwei  schwarze  Schollen^  nämlich  xß  und 
XKy  welche  nach  ihrer  Fassung  mit  den  Utilfssätzen  zu  ver- 
gleichen sind,  die  uns  in  den  schwarzen  Scholien  zur  Spharik 
in  größerer  Anzahl  begegnen  werden. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  Büchern  TtsQl  iTvctoXwv  ymI  dv- 
üecjv,  so  zeigt  sich  zunächst,  daß  die  schwarzen  Scholien  nicht 
bloß  in  ihrer  Ausdehnung,  sondern  auch  der  Zahl  nach  die  rothen 
übertreffen.   Wir  geben  zunächst  eine  summarische  Übersicht: 

Rothe  Scholien  Schwarze  Scholien 

(a,  (i.  e — rj.  i.  iß.  id — iC,      ä.  S:  ta.  ly,  z.  xa.  xy.  x^*. 
^""^  \L&,xß.y,ö — xg.y.}irK&,ly,     l—kß.  ks — f.i,  f,iß — fiö.  f/c. 

Buch  |^<J-  /'^-  f^^'  ^5-  y^'  ^^'      i^'^ — ^y-  ve.  v^,  vrj.  | — ^y. 
l^c  .  .   .   (zusammen  27)      ^e,  §'C.  ^rj (37) 

(ß,  y,  g,  C.  -9-,  i.  iß — ig.  a.  3.  €.  rj.  la.  iC.  irj — yß. 

xy.  xd.    A — ?>.ß.  i.ö.    kg.  xe — x^.  ky.  ke.  ktj.  fi.  f.iß. 

*    kL.  kS".  f.ia.  f^iy.  /<€.  firj.  ^id.  fig.  /lu.  f.id:  va — vy. 

V.  vd.  V'.  §ß  —  Sd.  Srj.  V€.  vl — fcr.  Se — -ft 

S^.  .......' .    (32)  ../..'.   .\   .V  ..   .  (37). 

Das  sind  also  zusammen  74  schwarze  gegen  59  rothe. 
Ferner  enthalten  die  schwarzen,  als  die  ausführlicheren,  zu- 
sammen 340  Zeilen ,  die  rothen  dagegen  nur  89  Zeilen,  also 
durchschnittlich  die  schwarzen  4Y2  Zeilen,  die  rothen  V/2 
Zeilen. 

Was  die  Form  der  Abfassung  anlangt,  so  ist  von  vorn- 
herein zu  erwarten,  daß  gewisse  Wendungen,  wie  z.  B.  die 
Anknüpfung  durch  xcr/  oder  yöiQj  beiden  Reihen  gemeinsam  ist. 
Doch  treten  auch  hier  Unterschiede  hervor.  Zwar  der  Anfans; 
mit  xa/  ist  gleichmüßig  auf  je  3  rothe  und  schwarze  Scholien 
vertheilt^);  allein  yc^^  ist  weit  häufiger  bei  den  schwarzen  als 
bei  den  rothen  verwendet.  So  findet  sich  der  Anfang  eTteidrj  yaQ 
roth  nur  einmal 2),  schwarz  dagegen  fünfmal^).  Dazu  kommen 
in  den  schwarzen  Scholien  die  Anfänge  l/rei  yaq  und  ti  yaQ 
oder  iav  y«?^),  welche  in  den  rothen  ganz  fehlen.     Außerdem 


\)  Roth:  I,  e,  II,  iß,  ).ß,  schwarz:  l,  Xß,  II,  x«.  (uO^. 

2)  1,  jfc. 

3)  1,  cT.  ly.  vß,  pC,   H,  e. 

4)  '£nei  y/tQ  I,  rrj.  $ß,  II,  Xy.  f4ß.  ya,  |e,    e«  yaQ  oder  iav  ynQ  1  Xd-, 
yß.  fis.  fir..  I«. 

9* 


122     

findet  sich  yäq  in  den  schwarzen  Scholien  49maU),  in  den 
rothen  nur  8  mal  2) .  Auch  einige  andere  Unterschiede  sind 
hervorzuheben.  Die  Anknüpfung  durch  8i  oAerovv^  kommt  nur 
in  den  schwarzen^),  diejenige  durch  &kka^  wg,  toate^  olov  oder 
durch  das  Relativpronomen  nur  in  den  rothen  Scholien  vor^). 
Ebenfalls  den  rothen  Scholien  aliein  ist  vorbehalten  das  Citat 
eines  Lehrsatzes  mit  irtö  oder  öia^).  Etwa  gleichmäBig  ver- 
theilt  sind  die  Fälle  der  asyndetischen  Anfügung^)  und  die 
Einleitung  eines  Scholions  durch  tovriatL"'). 

Ihrem  Inhalte  nach  sind  die  schwarzen  Scholien  theils  zu 
bezeichnen  als  Erklärungen  einzelner  Worte  oder  Wendungen 
des  Textes,  theils  als  Ergänzungen  und  Ausfüllungen  solcher 
Beweisgründe,  die  im  Text  nur  kurz  angedeutet  sind,  theils 
endlich  alsErläuterungen  und  Zusätze,  welche  zum  VerständniB 
des  Textes  zwar  nicht  unbedingt  nöthig,  aber  doch  wünschens- 
werth  erscheinen  mochten.  Zu  der  letzteren  Kategorie  sind  die 
Scholien  I,  xor,  und  II,  Ae,  und  vielleicht  noch  einige  andere  zu 
rechnen.  Eigentliche  Hülfssätze  sind  von  dieser  Sammlung 
ferngeblieben;  gewiß  lediglich  aus  dem  Grunde,  weil  die 
Erklärer  des  hier  vorliegenden  Werkes  des  Autolykos  alle  ein- 
schlägigen Sätze  bereits  in  anderen  Schriften  verwandten  Inhalts 
vorfanden  ^) . 

Wenden  wir  uns  nun  zu  der  noch  unedirten  Scholien- 


1]  I,  i^.  A.  Xtj»  ya.  |e.  ^C-  l*7i  H,  (f.  17.  la,  x.  xC.  xjj.    x^.  fid,  ye,  yl^, 

2)  I,  iC,  II,  xy.  xcf.  yg.  |y.  ^<f.  Ij;.  |*. 

3)  l'a<pf]y£iaf  d£;^ri^ei^  I,  xa,  dianoqevojbtiyov  dk  avtov  I,  xy,  deixyv- 
Tcu  di  I,  A«,  oif  duQX^'^ff^  ^^  '»  ^^i  yiyBxai  dl  (paysooy  I,  (Ji&,  o}s  dl  xal 
xoito  uEi  tffiai  II,  xc,  tov  ovy  7;Xiov  II,  xe. 

4)  j^XXa  I,  td,  wi*  I,  tß,  x&.  y&.  |c,  II,  fia.  y.  yd,  äate  I,  a,  H,  u, 
oloy  I,  ß,  T]Xti  I,  xc. 

5}  I,  i^.  xd,  fie.  fiC.  IcT,  li,  ^.  &.  fiy.  f4e.  Die  Wendang  diic  ro  mit 
Infinitiv  findet  sich  roth   I,  e.  xr,.  Xd,  II,  e,  schwarz  I,  ye, 

6)  Roth:  I,  c.  j?.  IE.  xß.  Xy.  yg,  II,  y.  C.  id,  X.  Xa.  Xd.  Xg.  Xd-.  f^f^.^ß, 
schwarz:  I,  x.  y.  yy,  II,  «.  «C-  try.  e^.  x^^.  Xe.  Xij.  fd.fÄg,  fn^.  yy.  yd-,  ^. 

7)  Roth;  I,  C-  «^1  IIi  ß'  iy-  tg.  XC,  schwarz:  I,  la,  xC-  Xg,  A^. /<. 
fAy.  fjtd.  |.  ^y,  II,  yß. 

8)  Der  Nachweis  im  einzelnen  findet  sich  in  meiner  Ausgabe  des 
Autolykos.  Über  die  Beziehungen  der  Bücher  ne^l  initoXtay  zu  den  Phä- 
nomena  des  Euklid  wird  in  der  nächstfolgenden  Abhandlung  zu  sprechen 
sein. 


123 

Sammlung  zur  Sphärik ,  so  ist  zunächst  zu  bemerken,  daß  die 
sehr  zahlreichen  rothen  Schollen  nach  Form  und  Inhalt  den 
gleichfarbigen  Scholien  zu  Autolykos  durchaus  ähnlich  sind. 
Die  schwarzen  Scholien,  deren  Zahl  verhältnißmäßig  gering  ist, 
sind  theils  ähnlichen  Inhalts,  wie  diejenigen  zu  den  Büchern 
TtBQi  ijcivolijVj  die  wir  soeben  besprachen ,  theils  stellen  sie 
wirkliche  Hulfssätze  {ki^^i^uara)  dar. 

Von  der  Gesammtzahi  von  332  Scholien,  welche  die  Pariser 
Handschrift  enthält,  sind  nur  29  mit  schwarzer,  alle  übrigen  mit 
rother  Tinte  beigeschrieben.  Auf  Buch  I  kommen  6,  auf  II  7,  auf 
III  4  6  schwarze  Scholien,  welche  ihrem  Inhalte  nach  folgender- 
maßen zu  ordnen  sind. 

1.  Zu  II,  Propos.  21,  p.  45,31  der  Ausgabe  von  Nizze, 
wird  die  6.  Definition  des  XL  Buches  der  Elemente  als  Sqoq 
Tov  la  angeführt,  worauf  das  wörtliche  Citat  aus  Euklid  IniTti- 
dov  yctQ  7tqoQ  kTtlTteöov  yMaig  u.  s.  w.  folgt. 

2.  Zu  den  Worten  I,  2,  p.  3, 1 4 :  xai  avfißalkhco  rcj)  sTtiitidq) 
y.axa  rh  K  arjfteloVj  wird  folgende  Erläuterung  hinzugefügt : 

ov  yhq  &v  etTVOifiev  Sri  fj   ä/cb  tov  0  l/ri  ro   tov 

ABF  i^vyXov  ItcLtcb^ov  *AdO^€Tog  äyofievr]   ItiI  to  J 

avjuelov  TteoBlrai^  Y.al  ^daopvat  ärcb  tov  avTOV  arji^ieiov 

T<J>  avTii)  luLTtidii}  ÖJLfO  eu&siai  TtQog  ÖQ&ag  äveora- 

f.iivai,  finsQ  ixTOTtov. 

3—6.    Zu   I,  21,  p.  18,34  f.   wird    erklärend   bemerkt: 

OL   yag   Jtökot  airvov  ent    Tfjg   TtEQLCpeQsLag   elal   tov  ZAQ 

Tcv^kov,  xofi  elal  xara  diafXETQov  b/,  tCov  deix^ivriov.  Ähnliche, 

jedoch    etwas    ausführlichere    Erläuterungen    finden   sich    zu 

III,  12,  p.  80,  1—3,  und  zu  111,   13,  p.  80,  31   f.    Auch  die 

kurze  Erklärung  zu  tqiQv  ovoojp  TteQupeQsuov  b^oyeviov  äviacov 

III,  9,  p.  73,  4:  i^elLovog  fiiv  Tfjg  KQ^  eldaaovog  de  Tfjg  0iT, 

log  etvxe  de  Tfjg  HQ,  mag  hierher  gerechnet  werden. 

Wichtiger  sind  die  nun  weiter  aufzuführenden  Scholien, 
welche  längere  oder  kürzere  Zwischenglieder,  die  in  der  Beweis- 
führung bei  Theodosios  ausgelassen  sind,  ergänzen. 

7.  Zu  den  W^orlen  I;  21,  p.  18,34:  TeTfxr^a&u)  fj  ZA  ne- 
qifpiqeia  dlxcc  vLaxh  Tb  H  orjfielov  Tb  H  Sga  orjfxelov  TcdXog 
laxl  TOV  ABF  ycdycXov,  fügt  der  Scholiast  einen  vollständigen 
apagogischen  Beweis  hinzu: 

ijtel  yag  b  Z&A  Tbv  ABF  dia  tCjv  Ttöhov  Tiuvei, 
enl  Tfig  TteqKpeqelag  aifTov  eariv  b  Ttökog'  Tfxrid'eiarig 


124     

oifv  vavTrjg  dixcc,  l^l  t^jj  öixoro^iag  iarlv  b  Ttolog, 
el  yccQ  ^if}  To  xara  rr;y  dixoTouiav  arnieidv  kaxiv  b 
Ttokog,  earai  akko  ri  ziov  inrt  rr^g  TteQicpBQEiag  a^- 
fieUov  0  Ttökog.  eario  rb  K'  al  zag  KA  KZ  dviaovg 
TtsQupeQeiag  eTtuevypvovaat  aqa  xal  avTal  &viaol 
eiaiv '  ovr.  eauv  aqa  nöXog  to  K  arjueiop.  bt.ioi(ag  di] 
deixO-r^aEzat  Sri  oude  ereQÖy  tc  arjfieidv  laviv  b  itökog 
7tkt]v  Tou  'Aaza  rrjv  dixoTOfiiav. 

8.  Zu  den  Textesworten  II,  22,  p.  53,33:  xai  a/r  avtCjv 
iaai  TtEQifpiQuai  ä7ceikr^^iuevat  eiaiv  al  NyL  IIA,  ikaTTovg 
^  fjiiiaeiat  ovoat  tvjv  (ikiov,  ist  folgende  bemerkenswerthe  Er- 
gclnzung  beigefügt : 

tjtel  yag  ^uyiaroi  elaiv  ol  31 NS  AN^j  dixcc  TifAvouaiv 
äkkr^?.oug'  r]^uy.vyMov  aqa  lavlv  f]  Nyt  -/.al  fj  avv€xr;g 
avrf]'  fi  aga  fiuiaeia  avrr^g,  rovriariv  fj  dixoTOf-iia^ 
TBTaqrr^uoqiov.  f]  de  NA  ekaaauv  zevaQvriiiOQiov,  htei- 
drj  y.al  6  y.v'/.kog  b  ENZ  ekaaacov  tov  ^tei^ovog*  U 
Ttdkov  de  avTOU'  loave  roAovy.  eaviv  fj  dixoTOfiiatov 
fiuiyvy.kiov  ekaaacov  IcQa  ^  f^f^iiaeia  ^  NA, 

9 — 12.  Ganz  ahnlich  sind  die  Ergänzungen  zu  III,  I,  p. 
57,23  f.  und  p.  58,8  f.,  III,  2,  p.  60,  37—61,  1  ;  III,  12,  p. 
79,31  f. 

13.  Das  unter  7  angeführte  Scholion  setzt  eine  Hülfscon- 
struction  voraus,  welche  nach  den  Worten  des  Scholiasten  leicht 
wieder  hergestellt  werden  kann.  Ausdrücklich  wird  eine  be- 
sondere Gonslruclion  vorgezeichnet  in  dem  Scholion  zu  I,  H, 
p.  46,  47: 

ev  yvy.h)  yaq  iavi  to  AEHZ  TeTqanckevQOV  eav  yao 
Tr^v^JH  öLxa  Tff.uui.iev  y.al  yJvvQot  tiT)  Ttazä  t/jv  dixoro- 
(.liav  ar^fteiii),  6iaazi\i.iaTL  de  b/roTegc')  tCov  J  H  yXrAkov 
yQaifjioueVj  ij^eLyMidta  tuv  E  Z  arjueiiov  diä  to  oQd^ag 
elvat  Tag  TtQog  Tolg  E  Z  arifieiotg  yioviag'  üaze  to 
JEHZ TeTQctitXevQOv  evyvyXt')  eaziv  y.al  oijTiogeaTat 
fj  JEZ  ywvia  Tfj  AHZ  lat],  ev  nT)  autcj)  T(.iijf.iaTL  ovaa 
TU)  JEHZ. 

14.  Zu  der  Beweisführung  III,  5,  p.  65,34  {.:bf.ioiiügdi]dei^O' 
(.lev  i)Ti  'Aal  fj  Q2  Tf^g  OH  ekdaaiov  eariv,  bfioiiog  eiicövzeg,  ist 
folgende  kritische  Bemerkung  hinzugefügt: 

afieiviov  detSig,  lav  buoiiog  Tolg  ävco  eigr^iUvoig  dia 


125     

tCov  A  H  ygaipiof^iev  ^liyiGtov  •A.ir.kov  Ttai,  ajceg  ItzI 

Tov  OKU  ei'QrjTai,  tavta  eXticj^ibv  'Aal  ItvI  rov  NQS- 

45.  Den  Schluß  dieser  Reihe  bildet  die  kritische  Note  zu  I, 

Propos.  22  und  23,  welche  bereits  Dasypodius  veröffentlicht  hat, 

und  auf  welche  Nizze  p.  19  sich  bezieht: 

TÖ  Ttagbv  ^ecuQrj^ia  aal  rb  /«er  adrh  ev  rtat  rtov  ävrt- 
yqätpwv  ovx  evQta'xopTai,  tovto  f.uv  log  oarpiaraToVy 
TO  Sh  fiev  avTO  wg  Tcp    ^'  &€(OQri(,iaTi  raurbv  ov,  rfj 
TtTioaet  8h  f,i6v7j  diafpigov. 
Es  folgen  nun  unter  Nr.  i  6  bis  28  diejenigen  Scholien  der 
Pariser  Handschrift,  welche  im  eigentlichen  Sinne  als  Hülfs- 
Sätze  bezeichnet  werden  können.  Sie  beginnen — mit  einer  ein- 
zigen Ausnahme ,  die  sich  durch  den  Verweis  auf  ein  früheres 
Lemma   erklärt  —   sämmtlich  mit  einer  regelrechten  Propo- 
sition i),  auf  welche  dann  die  Beweisführung  folgt.     Es  wird 
genügen,  lediglich  die  Propositionen  hier  zusammenzustellen. 

i  6.  Kai  &7tb  TOV  J^  cpY]Giv^  kitl  rb  rifipop  kniTtedov  xax^e- 
Tog  fix^^tj  fj  AE.  eQOVfiep  Srt  TtapTwg  Ivrbg  TtlTtrei  rr^g  ygafi- 
ufig.    Scholion  zur  Sphärik  1,  1,  p.  2,10  f. 

17.  ^'Earioaav  yaq  öi/o  STtiTteöa  Ttagälkr^ka  raABF  JEZ^ 
ipl  de  avTwp  rrp  ABF  Ttqbg  öqd'ccg  eario  fj  HQ,  Xiyo)  Stl  yial 
T^  JEZ  earl  Ttqbg  ÖQ&üg.  Zu  II,  1,  p.  21,16  f. 

18.  //£i'/.pvTaL  bfioUog  oVrcog'  savcoGap  yaq  dio  xv'kIoLj  (op 
ai  itqbg  tolg  -/ApTQOig  ycoplac  Xoat  earcoaap  al  B  F'  Xiyco  ütl 
biiola  eorlv  fj  JE  TtSQUpSQeca  xfi  ZH  7teqi(pBqBi(f.  Zu  II,  10, 
p.  28,27  f. 

19.  ^ETtiitedop  yciQ  rb  FJ  eniTtidt^  r^  AB  dq&bp  earo), 
■AOLpri  de  avTOJV  rof-irj  earco  \]  AA^  zal  eilrjrpd-co  ItvI  tov  FA  Itzl- 
Tteöov  Tvxbv  ar]f,ielop  to  E'  Xeyco  ort  ^  a/tb  tov  E  kitl  xb  AB 
iTtiTvedov  xäd-BTog  äyofuprj  inl  r^g  AA  Tteaeirac,  Zu  II,  11, 
p.  29,19—21. 

20.  ^'EaTcoaap  yttq  ovo  Tjiirj^iaTa  'axtaXwp  taa  TaABF  AEZ, 
%al  icTteilrjfpO'ioaav  laac  TiequpeqeiaL  al  AB  AE,  ccTtb  de  tlov 


4)  Nach  dem  übereinstimmenden  Gebrauche  der  griechischen  Mathe- 
mathiker  wird  jedes  Theorem  oder  Problem  zuerst  in  allgemeiner  Form 
ausgesprochen  und  dann  mit  Bezugnahme  auf  die  dazu  gehörige  Figur  und 
unter  Beifügung  der  geometrischen  Buchstaben  wiederholt.  Für  ein  Xrififia 
ist  nur  die  letztere  Formulirung  erforderlich,  wenn  es,  wie  die  obigen, 
unmittelbar  an  eine  andere  Beweisführung  sich  anfügt. 


126     

B  E  %&»Bxoi  al  BH  EG  Uyw  Sri  carj  loüv  fj  fiev  BH  TfjE9, 
fjök^HTfjje.    Zu  II,  41,  p.  29,29— 31. 

21.  ^'Earcüoav  yhq  ovo  fjfiiKvyikca  Xaa  %a  ABF  JEZ,  zai 
arj^eia  bti  avvüv  tcc  B  E,  xat  Si7C  avvüv  xüd'eroi  al  BH  E&, 
xai  earioaav  Ttqöveqov  taai.  kiyco  Sri  xori  fj  AB  rfj  JE  lar^  ia- 
tIv.  Nachdem  dies  bewiesen  worden  ist,  folgt  als  zweiter  Theil: 
Tovvcjv  ovv  TtqocLTtodecxd^ivTiav  xai  %(üv  avvwv  VTtOT^ecfiepcjv 
ioTü)  fj  EQ  T^ad-STog  fieltwv  Tfjg  BH'  Xiyu)  Stc  xai  7ceQiq}eQ€ia 
f}  JAE  fielKwv  iarl  rfjg  AB  TtequpeqBiag,  Zu  II,  21 ,  p.  47.12  f. 

22.  ATtedsl^afiev  ycxq  ev  ri^  ta  rov  ß'  ßißXiov  öiä  %ov  (f 
krjf.if.iaTlov'  eoTL  di  xal  ex  rwv  Y.ec^iBvu)v  q>aveQ6v  (folgt  der 
Beweis).    Zu  III,  3,  p.  62,13. 

23.  ^'EoTiooav  ovo  naQäkkrjkoi  al  NB  AM,  xai  iTce^evX' 
d-iaaav  al  AB  NM,  Laq  de  eoro)  fj  AA  rfj  AB'  kiyw  Sri  xai 
fjAN  ior]  iarl  rfj  AM.  Zu  III,  4,  p.  64,18:  lar]  ÜQa  earl  xai 
T]  NA  Tf]  AM. 

24.  *'EaTU)  yccQ  rb  jtQosiQrj^ivov  fjfiinvxktop  ro  ABFJZE. 
xal  &7teiXri(pd'ioaav  ano  rfig  öiafiSTQOv  taai  al  AK  AE.  '/.al 
fjX^ojoap  TtaQakkrjkoL  al  KB  Ad,  xori  tazta  f]  filv  AKB  yiopia 
d^ela,  fj  de  EKB  äfißkela'  kiyio  hri  f]  JZE  7teQcq)€Q€ia  iiüZm' 
IotI  zfjg  AB  TtBQUpeqBlag.    Zu  III,  4,  p,  64,  22  f. 

25.  ^'Eatoaav  yag  aviooi  yivukoc  ol  ABT  JEZ,  %ai  iatio 
ikäoowp  f)  ABF  Tcvxkogj  xai  eig  avtovg  Sviooi  evd-eiac  fii]  diu 
TÜp  yJpTQiüp  al  AF  JZ,  jiielLWv  de  fj  AF  r^g  JZ'  keycj  Sri 
xal  fj  ANF  7teQt(p€Qeia  rfjg  JSZ  TCSQKpsQeiag  fielKoiv  iauv  ^ 
b^ola.    Zu  III,  6,  p.  68,  1—6. 

26.  Tgidip  ^eyed'CJv  VTtoTLei^ivmp  bfioioyevojp  rufp  AB  T 
JE,  xal  SpTog  fieltopog  rov  AB  rov  F,  rov  de  JE  wg  exv%t, 
diov  ecTü)  evQelp  i.Uyed-og  rov  fikp  AB  ekarrop,  tov  di  T 
^leiCov,  rqf  de  JE  avfifieTQov.    Zu  III,  9,  p.  73,  4 — 6. 

27.  *'Egtü)  TQiyiüpov  aqS-oyioviov  to  ABF,  %ai  Vix^io  ti^ 
fj  AJ'  del^ac  8ti  t]  BF  ngbg  Tr]p  BJ  ^eltova  köyov  exet  ^j^^Q 
^  VTtb  AJB  ycovia  Ttqhg  Trjv  vtvo  AFB.  Zu  III,  11,  p.  78,5 — 8. 

28.  AHMMA.  ^'Earioaav  yaq  naqakkrikoc  vjbvXoi  %a\  \ii' 
ytaroL  ol  EM  ZA  iq)a7tT6fievot  rov  EZ  xara  ra  E  Z  arjfieict^ 
dtic  dk  TOV  Ttokov  rov  H  xai  rov  F  fieyiarog  b  HFN'  kiyco  Sn 
Xof]  eorlv  fj  AN  rfj  NM.  Zu  III,  12,  p.  79,  22—26. 

Endlich  ist  in  diese  Reihe  noch  ein  kürzeres  Lemma  ein- 
geschoben ,  welches  sowohl  in  seiner  Form  von  den  übrigen 
abweicht,   als  auch  seinem  Inhalte  nach  zu  Bedenken  Anlaß 


127     

gibt.  Es  ist  also  wohl  späteren  Ursprungs  als  die  4  3  vorher- 
gehenden Httlfssätze.  Es  lautet,  zugleich  mit  dem  Beweise, 
folgendermaßen: 

29.  "'EaTü)  yixQ  ^  ^P  xfig  PM  fielLwv,  xal  xeio&uf  rfj  M2 
fl  Sul  iar^'  fj  ^M  Hqa  Tf^g  M2  iarl  diTtkfj'  rfjg  üga  klärrovog 
airijg  fi6lC(ov  J)  dmkf}.    Zu  III,  9,  p.  72,  20  f. 


Von  den  unter  Nr.  16  bis  28  aufgeführten  Hulfssätzen  ist 
der  letzte  ausdrücklich  als  kfi^ifxa  überliefert.  Ferner  wird  der 
Satz  Nr.  20  durch  den  Verweis  in  Nr.  22  als  krjfijudtiov  bezeich- 
net, und  dabei  ist  noch  besonders  bemerkenswerth  die  Genauig- 
keit der  Anführung:  iv  rq)  La  tou  ^  ßißklov  dta  tov  ß'i.i]^fia- 
rlov.  Die  ganze  Sammlung  hat  also  wohl  den  Titel  ^ifififiara 
eig  za  Geodociov  Gg>aiQt:ia,  oder  kürzer  elg  tcx  OfpaiQiyM  geführt, 
und  die  einzelnen  Sätze  sind  bezeichnet  worden  als  krjfi^ua  elg  to 
a  (seil.  d^eitjQTj^a)  tov  a  ßißUov  (seil.  tcHv  Qeodoalov  orpai- 
Qixwv)  u.  s.  w.  Waren  zu  einem  Satze  des  Theodosios  mehrere 
Hülfssätze  beigefügt,  so  wurden  sie  als  a,ß'  Ifjfi/xa  und,  wenn 
nöthig,  so  weiter  unterschieden. 

Unzweifelhaft  haben  wir  hier,  wenn  auch  nicht  vollständig, 
dieselbe  Sammlung  vor  uns,  welche  im  4.  Jahrhundert  n.  Chr. 
von  Pappos  benutzt  worden  ist.  In  seiner  Abhandlung  über  die 
isoperimetrischen  Figuren  (Vp.  310,  4)  bemerkt  er  im  Laufe 
einer  Beweisführung :  fj  dh  AK  Trgog  riiv  KM  fieii^ova  ).6yov 
%Xei  fJTV€Q  fj  VTto  AHK  Ttqhg  vrjv  vjtb  MHK {tovto  yicg  Iv  Toig 
eigrct  aq)aiQiiia  ktjfifjiaaiv  diöetxTai),  ein  Gitat,  das  sich 
in  seiner  Fassung  genau  an  den  Wortlaut  in  Scholion  Nr.  27 
anschließt  ^) .  Und  ähnlich  sagt  er  an  einer  späteren  Stelle  des- 
selben Abschnittes  (p.  338,  11):  xai  eiki]cpd'(a  rig  kriqa  neQKpi- 
Q€ia  fj  BH  Tfjg  filv  BZ  iielCiov^  iffi  dh  BZE  IXaaawVj  aifif-U" 
TQog  de  ovaa  rfj  ABT  7reQiuiTQq) ^  tog  eariv  kfj^if.iaacpai- 


4)  Die  Abweichung  in  den  geometrischen  Buchstaben  kommt  nicht 
in  Betracht;  denn  der  griechische  Mathematiker  wählt  die  Reihenfolge  der- 
bleiben  für  jeden  einzelnen  Fall ,  je  nachdem  der  Aufbau  der  beigefügten 
Figur  fortschreitet.  Vgl.  meine  Vorbemerkungen  zu  »Zenodori  commen- 
tarius«  etc.  bei  Pappos  vol.  III  p.  4i89.  —  Über  das  anderweite  Vorkom- 
men des  hier  von  Pappos  citirten  Hülfssatzes  vgl  Vol.  III  p.  4U2f.  4167. 
4  234  f.  meiner  Ausgabe  und  Jahrbücher  f.  class.  Philologie,  herausgeg.  von 
Fleckeisen,  4883  S.  445fT.,  4884  S.  367f. 


12S     

Qi'AÜy^  womit  offenbar  der  Salz  Nr.  26  der  obigen  Übersicht 
bezeichnet  wird.  Noch  an  einer  dritten  Stelle  ist  ein  A^^/<a 
offagQixüv  citirt:  doch  findet  sich  der  hier  bezeichnete  Hüifs- 
salz  nicht  unter  den  Schollen  zu  Theodosios,  wohl  aber  bei 
Pappos  unter  den  Lemmata  zur  Optik  des  Euklid^). 

Sowohl  diese  zuletzt  besprochenen  Scholien,  als  alle  ttbrigen, 
die  zu  derselben  Sammlung  gehören,  haben  selbstverständlich 
zunächst  ihren  groBen  Werth  fttr  die  Erklärung  derSphärik  des 
Theodosios.  Außerdem  bieten  sie  auch  manchen  Beitrag  zur 
kritischen  Behandlunsc  der  Texte  sowohl  dieses  Schriftstellers 
als  des  Euklid,  welcher  letztere  ja  ebenfalls  häufig  citirt  wird. 
Weiter  führte  die  Bearbeitung  der  Sammlung  und  deren  durctt- 
gängige  Vergleichung  mit  dem  Texte  des  Theodosios  zu  neuen 
Beobachtungen  über  jenes  ältere,  aus  dem  4.  Jahrhundert  v.Chr. 
stammende  Lehrbuch  der  Sphärik,  von  welchem  ansehnliche 
Reste  in  der  Theodosischen  Sphärik  eingeschlossen  und  somit 
uns  überliefert  sind .  Endlich  schien  es  auf  Grund  dieser  Er- 
gebnisse  möglich,  die  Frage,  ob  Autolykos  und  Euklid  gleich- 
zeitig neben  einander,  oder  der  eine  früher  als  der  andere,  als 
Schriftsteller  thätig  gewesen  sind,  ihrer  Lösung  näher  zu  führen. 
Dies  ist  von  mir  in  der  nächstfolgenden  Abhandlung  versucht 
worden. 

II.  Autolykos  und  Euklid. 

Die  Elementarlehre  von  den  Linien  auf  der  Kugelober- 
fläche  liegt  bekanntlich  in  zwei  Schriften  des  Alterthums  vor. 
Die  UfpaigiTid  des  Theodosios  von  Tripolis,  welcher  im  ersten 
Jahrhundert  v.  Chr.  lebte,  behandeln  die  Kreise  und  die  Kreis- 
abschnitte auf  der  ruhenden  Kugel;  doch  ist  von  vornherein 
der  Fall  vorgesehen,  dass  diese  Kugel  um  eine  durch  ihr  Gen- 
trum gehende  gerade  Linie,  d.  i.  ihre  Achse,  sich  bewegen  werde. 
Indem  nun  die  Endpunkte  dieser  Geraden,  die  Pole,  auf  der 
Kugeloberfläche  fixirf  werden,  ist  die  sichere  Grundlage  für 
die  Unterscheidung  aller  übrigen  Kreislinien  auf  der  Kugel  ge- 
geben. Welche  Elementarsätze  nun  weiter  sich  entwickeln, 
wenn  die  Kugel  mit  gleichmäßiger  Geschwindigkeit  um  ihre 
Achse  sich  bewegt  und  dabei  von  einer  Ebene,  welche  nicht 


i)  Pappi  collect.  VIII  p.  4  052,  2,  vgl.  mit  V  p.  570,  6  und  571  adn.  1. 


129     

an  der  Bewegung  iheil  nimmt,  geschnitten  wird,  hat  Autolykos 
in  seiner  kleinen  Schrift  Ttegi  '/.ivov(,ievr'g  ofpaiQag  gezeigt. 

Die  Sätze  von  der  rotirenden  Kugel  konnten  natürlich 
nicht  behandelt  werden,  wenn  nicht  die  Lehre  von  der  ruhenden 
Kugel,  wie  wir  sie  bei  Theodosios  finden,  vorher  abgeschlossen 
war,  und  in  der  That  citirt  Autolykos,  dessen  Epoche  gegen 
Ende  des  vierten  Jahrhunderts  v.  Chr.  anzusetzen  ist,  allent- 
halben Sätze  einer  Sphärik,  welche  zu  seiner  Zeit,  d.  i.  drei 
Jahrhunderte  vor  Theodosios,  bereits  vorgelegen  haben  muß. 
Und  da  der  strenge  Gedankengang  mathematischer  Beweisfüh- 
rung, für  weichen  die  Griechen  auch  eine  ganz  bestimmte ,  in 
allen  Epochen  sich  gleich  bleibende  Form  anwendeten ,  es  er- 
möglicht, jene  Sphärik  in  der  Hauptsache  wieder  herzustellen 
und  zu  vergleichen  mit  der  jüngeren  Sphärik,  welche  unter  des 
Theodosios  Namen  überliefert  ist,  so  ergibt  sich,  daß  der  letztere 
nur  der  Herausgeber,  höchstens  der  Überarbeiter  und  Erwei- 
terer eines  um  drei  Jahrhunderte  älteren  Werkes  gewesen  ist. 

Nachdem  dies  schon  früher  festgestellt  worden  ist  *),  tritt 
jetzt  an  uns  die  Aufgabe  heran,  diejenigen  Sätze  der  älteren 
Sphärik  im  einzelnen  nachzuweisen ,  welche  Autolykos,  sei  es 
unmittelbar,  sei  es  mittelbar,  benutzt  hat.  Denn  indem  wir  von 
da  aus  weiter  zurückschließen,  welche  Sätze  der  elementaren 
Geometrie  dem  Verfasser  der  älteren  Sphärik  bereits  als  erwie- 
sen vorlagen ,  werden  wir  eine  Grundlage  gewinnen ,  um  über 
die  schriftstellerischen  Beziehungen  zwischen  Euklid  und  Auto- 
lykos mit  einiger  Sicherheit  zu  urtheilen. 

Wir  führen  zunächst  diejenigen  Sätze  der  älteren  Sphärik 
der  Reihe  nach  auf,  welche  von  Autolykos  nach  ihrem  Wortlaute 
theils  vollständig,  theils  mit  Abkürzungen  wiederholt  werden. 
Hierbei  hat  der  Schriftsteller  nur  ausnahmsweise  die  allge- 
meine Fassung  des  benutzten  Lehrsatzes  beibehalten;  in  der 
Regel  bedieot  er  sich  der  sogenannten  angewandten  Form, 
wobei  zwar  auch  der  Wortlaut  des  benutzten  Lehrsatzes  zu 
Grunde  gelegt,  aber  aus  der  allgemeinen  Fassung  umgewandelt 


i)  Vgl.  Berichte  der  pbilol.-histor.  Classe  der  Leipziger  Gesellscb.  d. 
Wissenscb.  4  885  S.  170  f.,  Jahrbücher  für  Philologie  hcrausgeg.  von  Fleck- 
eisen 1883  S.  415  f.  Die  Untersuchungen  von  Nokk  und  Heiberg  über  die- 
jenige Gestalt  der  älteren  Sphärik,  welche  sich  aus  den  Cilaten  in  Euklid's 
Pb&nomena  ergibt,  werden  weiter  unten  (S.  135  Anm.  1)  angeführt  werden 


130 


wird  zur  passenden  Anwendung  aof  den  einzelnen  vorliegen- 
den Fall  ^. 


Ältere  Sphärik  des  4. 

Jahrhunderts,  cilirt  nach 

der  unter  Theodosios' 

Namen  überlieferten 

Redaclion : 

I,  7: 

litv  ff  Iv  aqaiQ^  y.v'/.Log, 
üich  dl  Tov  y,irrQov  rrg 
OfpaiQag  litl  ro  y.ivTQov 
a&fov  iTtuevxKHj  rig  ev- 
O-eia,  r^  iTti^evxd-eioa  dg- 
^i;  lart  nqog  tov  '/.v/.Xov. 

I,  8: 
luv  ff  iv  OfpaiQff  y.v/J.og, 
dno  de  TOV  yivTQov  Tf^g 
Offaigag  e/r'  avTfjv  KÜd-e- 
Togixx^ff^/Mi  l/.ßkr^x^fj  Itv 
afiffÖTSQa  TU  fiiQr^ .  Irti 
rovgnöKovg  TteaelruL  tov 
y.v/JMv. 


I,  ho: 
luv  Iv  Off'Uiqcf  ^iyiarog 
y.ify.hjg  y.i)vXov  tivu  tCjv 
Iv  rfj  a(pulq(f  diuTibv  7t6- 
liüv  Tfuvf]j  öLya  ts  uvtov 
y.ul  7rQog  ÖQ&ug  Tifivei^]' 


Autolykos 
^TiQi  yuvovuivrg  a<faiQag. 


Propos.  42,  p.  46,  3 — 9:  xai  iTtel 
Iv  affaiqq  y.vyJ.og  larlv  b  FJB. 
an:b  di  tov  xevTQov  Tf^g  atpaigag 
tov  G  Lil  To  yJvTQOv  tov  rJB 
y.vy.lov  IjtiZivy.Tai  ev&eia  ^  ©£ 
^  QE  uQa  ÖQ&fi  loTi  TtQog  tov 
rJB  y.vy.Lov. 

Propos.  4,  p.  4,  47 — 24: 
.  .  .  y.aX  yQaipei  y.v%h>v  iv  Tf^ 
OffaiQif,  ov  xivTQOv  ecTai  to  J 
ar^fieiov,  fj  dk  ix  tov  xivTQov  f;  FJ, 
^qog  dqd-ag  oiaa  tiJ)  AB  ä^ovi. 
y.ai  fpavBQOV  8ti  tcl  A  B  ar^fisia 
Tiokoi  eaovrai  tov  ygatpivrog  xir/- 
/ov,  e7t6tdij7t€Q  äicb  tov  xivTQOV 
Tffi  aipaiQag  xd&sTog  ^xtgi  xal 
Ixßißkr^Tai  fj  AB  %(ag  Tfjg  iui^a- 
velag  Tf^g  0(paLQag, 

Propos.  6,  p.  20,  6—9: 
litel  Iv  a(paiq(f  fieyiOTog  xvxlog 
b  AJT  xvxl.ov  Tiva  twv  iv  rj} 
acpuiq(jc  TOV  ABT  dta  t(x)v  TtöXiav 
Tiiiv€ij  öixcc  TB  avTov  Tefiei  xal 
Ttgog  ÖQ&dg. 


4}  Ober  diese  so  sachgemttße  und  auch  bei  späteren  Mathematikern 
beliebte  Form  des  Citirens  wird  an  anderer  Stelle  ausführlicher  zu  sprechen 
sein. 

4;  So  sind  die  Worte  bei  Theodosios  überliefert ;  allein  am  Schlüsse 
der  Beweisführung  (p.  14,  20  ed.  Nizze)  findet  sich  bei  demselben  die  Wort- 
stellung dixa  16  avxoy  ri/Ltysi  xai  nqos  oQ&af.  Wie  die  Citate  bei  Autoly- 
kos (und  auch  bei  Theodosios  an  mehreren  Stellen)  zeigen,  hat  die  letztere 


131 


Ältere  Spbärik  des  4.  Jahr- 
hunderts nach  der  unter 
Theodosios'  Namen  über- 
lieferten Redaction. 


II,  2: 

Ol  TiBQlxovg  avTOvgTtdkovg 
üyres  sv  afpaiqq  %in(Xoi 
TCUQccXkTjkol  lioip. 


Autolykos 
TtSQi  'Aivov^iivrjg  OfpaiQag. 


Propos.  7,  p.  24,  1 — 4: 

lirel  Iv  a(paiQ<jc  fiiyiarog  xvyckog 
ö  HZQ  xvxkov  Tivtt  TOJv  iv  rfj 
acpalQ(jc  tbv  ABjr  diu  tCqv  tvöIcüp 
u.  s.  w.,  wie  vorher. 

Propos.  5,  p.  16,  5 — 8: 

'/mI  eTtel  b  ABF  Avi^Xog  top  BJFE 
'AV'iXov  öia  Tvjp  Ttöliov  Tif.iV€Ly  diy^a 
TB  avTOV  TSfiei'  fif.iiy.v-Ak top  ÜQa  la~ 
r\v  v/MTBQOv  Tiov  BEF  B^F^). 

Propos.  7,  p.  26,  3 — 5: 

i.rel  b  HZQ  xi^Xog  rovg  AB  FJ 
AFJB  'AVTilovg  ötcc  rCov  Ttökcov 
TifivBi,  vmI  TtQog  ÖQ&ag  avxovg 
TBfiei, 

Propos.  i,  p.  6,  1 — 2: 

ol  dk  TtBQl  Tohg  avTovg  Ttökovg  ov- 
rag  iv  arpaiQijc  rtaQäkkrjkoi  xt)xAoe 


Fassung  in  der  Sphärik  des  4.  Jahrb.  wahrscheinlich  im  Lehrsatze  selbst 
(nicht  bloß  im  Beweise,  wie  bei  Theodosios),  gestanden. 

4)  Von  den  zwei  Folgerungen,  welche  der  links  angeführte  Lehrsatz 
der  Sphärik  enthält,  kommt  hier  nur  die  erstere  zur  Anwendung.  In  einem 
tthnlichen  Falle  citirt  Theodos.  Sphar.  II,  17  p.  41,  28  ganz  angemessen: 
xal  Jixa  aga  avrovs^  Te/4sl,  Daß  Autolykos,  wenn  er  abgekürzt  citiren 
wollte,  das  te  beibehalten  habe,  ist  schwerlich  anzunehmen.  Wahrscheinlich 
ist  die  nach  te  nothwendige  Ergänzung  xal  ngo^  oq&as^  die  ich  in  meiner 
Aasgabe  zwischen  Klammern  beigefügt  habe,  auch  von  Autolykos  mit  an- 
geführt worden ,  obgleich  sie  zu  dem  folgenden  Schluß  r^fiixvxXioy  aqa 
u.  s.  w.  nicht  erforderlich  war. 

2)  Die  hier  überlieferte  Wortstellung  naqaXXriXoi  xvx}.oi  eiai  beruht 
wohl  auf  dem  Versehen  eines  älteren  Abschreibers.  Im  Codex  D  (p.  XXIV 
meiner  Ausgabe,  ad  p.  6,  2]  ist  die  an  sich  wahrscheinlichere  und  bei  Theo* 
dosios  überlieferte  Fassung  xvxXoi  naQaXXrjoi  elaiy,  jedenfalls  durch  Con- 
Jectur,  hergestellt. 


132 


Ältere  Spharik  des  4 .  Jahr- 
hunderts nach  der  unter 
Theodosios*  Namen   über- 
lieferten Redaction. 


Autoivkos 
moi  y.trovuivr^  Offaigag, 


II.  10: 

lay  vjOiv  Iv  Offaiga  Tta- 

QuÜ.r^Loi  y.vyJ.oi.  diu  de 

%Cov  7t6).tjv  avTVJV  luyiOTOi 

y.V'/Xoi  yQaffvjaiv,  al  uiv 

TVJV  7iaQa)JJi.(i}v  y.v/j.ojv 

TTkQiffiQuai  al  iuraSv 

rCov  ueyiaTi'jv  y,vyJAov 

oiioial  iiaiv  u.  s.  w. 


Propos.  2.  p.  8.  3 — 7: 


»  > 


i.Tei  iv  affciiQct  :raQaßJ.r^/.oi  y.v/J.oi 
liaiv  o\  FE  JfZ,  y.al  dia  tvjv:i6}.v)v 


> 


avTVjy  luyiOTOi  y.v/J.ot  yiyQainn* 
voi  elaiv  oi  AFJB  AEZB,  buoia 
aoalariy  \  FE  .leQKffgsia  r^  ^^ 
.reoiffSQÜce, 


II,  43: 

ilcr  vjaiv  Iv  Offaiga  Jta- 
Qa/j.r^'/.oi  y.vyj.oi.y.al  yga- 
if  vjoi  ueyiOTot  z vy.koi  i ro^ 
fiiv  avribv  lffun:r6utvoi. 
rovg  di  loi.rovg  TturoyTeg, 
ai  liiv  rvjv  7tuQa}jJ^}.iov 
y.ify.kiüv  TtiQKfiQuai  al  ne- 
ra^v  tCov  äavu.rrioTiov 
i^nr/.vyMojv  tCjv  fiayiorcjr 
y.v/JMv  (iiiouti  elaiv,  al  de 
u.  s.  w. 


III,  1  : 

elcp  elg  y.vy.Kov  öiaxd^f^  rig 
e vS-ela  eig aviaa  reurovoa 
Tr;i'  y.vy.lor,  y.al  in:*  avrr^g 
Titrjia  y.v/.),ov  üq&ov  i- 
TtiataO^y  ^Jy  fueiZov  rjii- 
y.vyJuov,  diaiqe&f^de  i]  tov 
effeOTWTog  Tui[uaTog  Tte- 
QUfiQua  elg  uvioa,  \  v.rb 
Ti^r  ekaoaova  Ttegicfegeiav 
v/roreivovaa  ei'O-eia  Dm- 


Propos.  8,  p.  30,  40—46: 

1:1  e\  ovv  7TaQdhh^},oi  elotv  y.vy.'loi 
ol  AJ  ZH('J,  /mI  yeygauueroi  ei- 
aiy  y.xjyXoi  iieyiovoi  ol  ABF  JBEV 
erog  uev  avTVJV  eqaTXTüuevoi  tov 
AJ.  TOV  de  HZQ  reiirorreg,  /mI 

elaiy  ueraSv  tvjv  äoviiJtnjjnov  S.m- 

•         —  •  •• 

yv/JJojv  al  JKA  ZH  AE  TreQi" 
q-egeiai,  ouoia  aga  earlv  i\  JKA 
TteQKfeQeia  rf^  ZH  y.al  r^  -^^  '^^' 
QiffeQeia. 


Propos.  6,  p.  20,  4  2—25: 

y.ijyXov  dl]  rivog  TOvABFe/ri  dta- 
Herqov  Tt]g  AF  rufjia  y.vi^kov  oq- 
d^hv  effeOTr/,ev  to  AJF^ya)  /;  tov 
effeOTiüTog  rur^f^iaTog  Ttegitpegeta 
elg  aviaa  Teuverai  y,aTa  rh  J,  z«' 
eOTiv  e'/Moaojv  r;  AJ  (tovvo  yctq 
(favegov)'  i;  aga  AJ  ev&eia  Um- 
XioTt]  lau  TtaoCov  tojp  äno  tov  J 
Ttgbg  Toy  ABF  av/Xov  Tigoosn^T" 
Tovai'jv  ev^euüv    üare   Dmoolov 


133 


Ältere  Sphärik  des  4.  Jahr- 

hundertS;   citirt  nach  der 

unter  Theodosios'  Namen 

überlieferten  Redaetion. 


Autolvkos 
n€Ql  y.ivovf.iivfjg  (jfpaiQag. 


;f/ari;  iari  jcafjGiVTÜv&Tco 
rav  avvov  arjiLielov  TtQog 

Tr]V  ^ulZova  7t€Ql(p€Q€iaV 

%ov  el  <Jpx^S  y.^n^Xov  Tcgoa- 
jitTCTOvaüv  si-S-eiCJv,  xai 
ael  f}  eyyiov  avrfjg  Tfjg 
airvjTeQÖv  iartv  iXdaaiop 
u.  s.  w. 


iarlv  f}  AJ  ei&eia  rijc,'  JA  ev- 
O-elag. 


Propos.  7,  p.  24,  6— U: 

Avxlov  örj  TLvog  rov  ABJF  hrl 
dixiiieTQov  Tfjg  H&  rfifi^ua  xixlov 
6q&ov  ifpiati^-Aev  rb  HZG,  xai  i] 
rov  itpeOTCJTog  rfÄrif.iaTog  tovHZQ 
7C€Qi(piQ€ia  €ig  äviaa  TiT^irjrav  y.a- 
Tct  ToZarifieioVy  ycal  eaviv  eXaaacop 
riZHTtBQKpBQeia'  rjZHixQa  ei&eia 
DMxloTrj  earlv  naaCov  Ttov  ärto  rov 
Zor]f.i€lov  TtQog  rov  ABJrY.i)yXov 
TtQoaitLTtrovaojv  edd-eiwv  'Aal  ij 
%yyLOV  ciga  rfjg  ZH  ekdaacjv  loriv 
ikdaacjy  Sga  eativ  ^  23?  rfjg  ZB. 

Nicht  immer  hat  es  Autolykos  für  erforderlich  gehalten  — 
und  die  späteren  Mathematiker  sind  hierin  seinem  Beispiele 
gefolgt  —  die  anderweit  bewiesenen  Lehrsätze  an  den  Steilen, 
wo  sie  in  den  Gang  der  Beweisführung  eintreten,  ausdrücklich 
zu  citiren.  Die  mathematische  Deduction  ist  eine  streng  ge- 
schlossene. Wenn  also  im  griechischen  Texte  mit  Sga  oder  örj 
eine  Folgerung  gezogen  wird,  ohne  daß  der  Grund  hinzugefügt 
ist,  auf  welchem  diese  Folgerung  beruht;  so  kann  es  für  den 
Kundigen  nicht  zweifelhaft  sein ,  welcher  bereits  erwiesene 
Lehrsatz  hier  stillschweigend  vorausgesetzt  ist.  Es  sind  oben 
(S.  130  f.)  vier  Stellen  nachgewiesen  worden,  an  denen  Autolykos 
dasjenige  Theorem  der  Sphärik,  welches  bei  Theodosios  1,15 
sich  findet,  theils  vollständig,  theils  abgekürzt  citirte;  aber  auch 
in  Propos.  10  p.  36,  13,  wo  mit  den  Worten  rl^ei  dt]  y.al  öuc 
rcjv  rov  ABF  TtöXcov  Tialearai  ÖQ-O'bg  nqog  avröv  zwei 
Folgerungen  neben  einander  gestellt  werden ,  beruht  offenbar 
der  Schluß  xai  earai,  dq^hg  TtQog  avröv  ebenfalls  auf  Sphärik 
I,  15.  Auch  auf  die  aus  dem  II.  Buche  der  Sphärik  oben  (S. 
131  f.)  angeführten  Propositionen  2  und  10  hat  Autolykos  noch 


134     

anderwärts  sich  bezogen^).  Außerdem  sind  von  demselbeD 
Schriftsteller  noch  folgende  Sätze  der  Sphärik  an  denjenigen 
Stellen  benutzt  worden,  die  ich  unter  Verweisung  auf  meine 
Ausgabe  in  Kürze  beifüge: 

I,  def.  5:  7teQiaq:aiQag6p.  20,25 — iß(äli,a7ialiar]  u.s.w.) 
und  Scholion  xg, 

-  -    6:  ebenda  7  p.  22,10;  26,1;  28,13, 

1, 4:  ebenda  1  p.  i,  1 1  [Tcoir^aet  drj  xo^ir^v  tlv-aXov)  u.  Schol.a, 

-  ebenda  2  p.  6,  23  {Tcocr^aat  ät]  {to^ir^y  Iv  rfj  aq>al^<f 

TLVnXov), 
I,  6:  ebenda  12  p.  46,  18  {^uyiazog  &Qa  kaxlv  u.  s.  w.) 

und  Schol.  rt,  vergl.  mit  p.  47  am  Ende, 
I,  11;  ebenda  2  p.  8, 13 — 16  (xai  ItzbI  (xeyiaTÖg  laxivhA- 

T€Qog  u.  s.w.)  u.  Schol.  g,  vergl.  mit  p.  9  adn.  2, 

-  -     7t€Qi  eTtcToXüJv  I,  10  p.  86,   14 — 15  {xal  BTttl  xata 

didfUTQÖv  iazt  rb  H  T(p  ^,  vergl.  mit  p.  87  adn.  8, 

-  -     ebenda  p.  88,  7 — 8,  vergl.  mit  p.  89  adn.  4, 

I,  20:  TtBQi  acpaigag  10  p.  36,  12 — 13  {yeyQarp&w  yciQ  öia 

tCüv  A  d  ar^^elojp  f^ieyiavog  xvxkog  b  A^6]j 

-  -    negl  iTtirokCjv  I,  9  p.  82,  8 — 9  [yeyQÜcp&w  yhq  dia 

Toü  H  (.leyiavog  xöxlog  u.  s.  w.), 

II,  3  :  TtsQi  aifaiQag  6  p.  18,  13 — 15  [(paveqov  drj  Sri .  . . 

b  ABV  y.V'AXog  rCov  AZU  F&K  xvxkwy  itpan- 
TETai)  und  Schol.  za,  vergl.  mit  p.  21  adn.  1, 
II,  5:  ebenda  10  p.  36,  13  (f,'^€t  dri  xal  dia  tCjv  rou  ABT 

TtöXcjv)  und  Schol.  /t?j  und  vß^ 

H,  20:  ebenda  9  p.  34,  1 — 2  [r]  FZ  &qa  TCCQUpiQeia  r\g 

EH  7teQup€Q£lag  fiei^iop  ioTlvtj  b fiola)\x. Schol. fid. 

Noch  ist  zu  erwähnen ,  daß  im  Scholion  fid-  zu  Autolykos 

TreQi  a<paiQag  10  (p.  38,  1)  auf  Sphär.  III,  3,  und  von  Auria 

zu  TtiQi  ijtLxoKbp  1,  10  (p.  87  adn.  8,  p.  89  adn.  4)  auf  Sphär. 

II,  9  Bezug  genommen  wird;  jedoch  läßt  sich  nicht  behaupten, 

daß   Autolykos  an  den  betreffenden  Textesstellen,  mögen  sie 


1)  Die  Anwendung  von  1(,  2  ist  nachgewiesen  in  meiner  Ausgabe  p.  24 
adn.  1  vgl.  mit  Schol.  xa,  ferner  von  II,  10  in  Scholion  Cp.  <0,  25  (der  Fall 
ist  analog  dem  vorher  p.  S,  3—7  behandelten,  über  welchen  oben  S.  4  32  zu 
vergleichen  ist).  Dagegen  ist  mir  nicht  ersichtlich,  weshalb  Auria  an  den 
p.  87  adn.  6  und  p.  80  adn.  5  bezeichneten  Stellen  auf  Sphär.  II,  43  ver- 
weist. 


135    

auch  in  VerbiDdung  mit  den  citirten  Sätzen  der  Sphärik  gesetzt 
werden  können,  eben  diese  Sätze  zur  Beweisführung  benutzt 
habe. 

Wir  begnügen  uns  vielmehr  mit  denjenigen  Sätzen  der 
Sphärik ,  welche  laut  obigem  Nachweis  sicher  von  Autolykos 
angewendet  worden  sind,  und  stellen  dieselben  zunächst  der 
Reihe  nach  zusammen : 

I  def.  5.  6,  propos.  1.  6.  7.  8.  H.  45.  20, 

II  propos.  2.  3.  5.  10.  13.  20, 

III  propos.  I. 

In  der  Beweisführung  zu  diesen  Propositionen  werden 
voraussichtlich  auch  andere  Satze  der  SphUrik  benutzt  worden 
sein.  Gehen  wir  beispielsweise  von  II,  13  aus,  so  laßt  sich 
nachweisen  die  Bezugnahme  auf  I  def.  5,  propos.  15,  II  propos. 
5.  9.  40.  11.  Ferner  werden  in  II,  5  benulzt  I,  11.  20,  II,  4, 
und  wenn  wir  weiter  fragen,  welche  Sätze  wiederum  für  die 
Beweisführung  dieser  letzteren  drei  Propositionen  vorauszusetzen 
sind,  so  begegnen  uns  theils  solche  Sätze,  die  schon  in  obigem 
Verzeichniß  sich  finden,  theils  aber  folgende ,  die  in  dasselbe 
noch  einzufügen  sind:  I,  2.  16.  17.  Indem  wir  so  weiter  von 
jedem  ermittelten  Satz  zurückgehen  auf  die  betreffenden  frü- 
heren Sätze,  sind  wir  berechtigt,  das  obige  Verzeichniß  der 
Definitionen  und  Theoreme,  welche  der  von  Autolykos  benutzten 
Sphärik  angehört  haben,  zu  vervollständigen,  wie  folgt: 

I  def.  1—6,  propos.  1.  2.  6—11.  13—17.  20, 

II  def.,  propos.  2—5.  9—11.  13.  20, 

III  propos.  1. 

Soweit  also  haben  wir  aus  der  jüngeren  unter  Theodosios* 
Namen  überlieferten  Bearbeitung  der  Sphärik  diejenigen  Sätze 
herausgeschält,  welche  dem  Autolykos  vorgelegen,  mithin  einem 
bereits  im  vierten  Jahrhundert  bekannten  Lehrbuche  angehört 
haben.  Nur  beiläufig  erwähnen  wir,  daß  mit  großer  Wahr- 
scheinlichkeit auch  noch  eine  Anzahl  anderer  Sätze  desTheodo- 
sios  vom  ersten  Jahrhundert  v.  Chr.  zurück  auf  das  vierte  Jahr- 
hundert datirt  werden  können  ^];  doch  haben  wir  diese  Spuren 


4 )  Mehrere  Sätze  stehen  zu  den  oben  angeführten  in  so  naber  Bezie- 
hung, daß  sie  schwerlich  späteren  Ursprungs  als  jene  sein  können.  Dazu 
kommt  der  Vergleich  mit  den  Phänomcna  des  Euklid.  Wie  A.  Nokk 
Über  die  Sphärik  des  Theodosius,  Programm  des  Gymnasiums  zu  Bruchsal, 
4847,8.49—22,  und    J.L.  Heiberg  Studien  über  Euklid,  Leipzig  4  882, 

4886.  40 


136     

hier  nicht  länger  zu  verfolgen,  sondern  vielmehr  der  weiteren 
Frage  uns  snzuwenden,  welche  Sätze  der  elementarenGeo- 
metrie,  also  Sätze,  die  uns  als  Bestandtheile  der  Elemente 
Euklids  überliefert  sind,  dem  Verfasser  der  älteren,  dem  vierten 
Jahrhundert  angehörigen  Sphärik  als  schon  erwiesen  vorgelegen 
haben  müssen. 

In  den  Schollen  zur  Sphärik  des  Theodosios ,  welche  einen 
durchaus  sachkundigen  Commentar  zu  diesem  Werke  darstellen, 
wird  allenthalben  auf  Sätze  der  Elemente  Euklids  Bezug  ge- 
nommen. Ja  viele  von  diesen  Sätzen  werden  im  Text  des  Theo- 
dosios in  derselben  Weise,  theils  vollständig,  theiis  abgekürzt, 
citirt,  wie  es  früher  bei  Autolykos  nachgewiesen  worden  ist. 
Nun  könnte  man  sagen,  daß  diese  Beweisstücke  erst  von  Theo- 
dosios aus  den  Elementen  Euklids  eingefügt  worden  sind;  dann 
aber  würde  sofort  die  andere  Frage  sich  aufdrängen ,  welche 
Beweisstücke  in  diesem  Falle,  anstatt  der  von  Theodosios  her- 
rührenden, in  der  älteren  Sphärik  gestanden  haben  mOgen. 
Gewiß  im  wesentlichen  dieselben,  wie  wir  sie  jetzt  noch  in  der 
jüngeren  Sphärik  vorfinden. 

In  der  That  hat  ja  Euklid  die  nach  ihm  benannten  axoix^la 
ebensowenig  selbst  erfunden,  als  Theodosios  die  aq>aiqvKa\  er 
hat  vielmehr  seine  große  Elementargeometrie  aus  verschiedenen, 


S.  43 — klf  nachweisen,  hat  Euklid  in  der  genannten  Schrift  aus  Buch  I  der 
Spbtthk  die  Propositionen  4.  43.  48.  45,  aus  U  Propos.  4.  5.  8.  9.  4  3.  4  5. 
47 — 49.  S2,  aus  in  Propos.  3.  7.  8.  theils  ihrem  Wortlaute  nach  citirt,  theiis 
stillschweigend  angewendet.  Indem  wir  nun  ähnlich,  wie  oben  S.  435  bei 
den  von  Autolykos  citirten  Sätzen,  aus  den  hier  angeführten  Propositionen 
zurückschließen  auf  diejenigen  Stttze,  welche  zur  Beweisführung  erforder- 
lich waren,  so  ergibt  sich,  daß  laut  Euklid  die  altere  Sphärik  minde- 
stens folgende  Stttze  der  unter  Theodosios'  Namen  uns  überlieferten 
Sphärik  enthalten  hat:  a)  die  dem  I.  und  H.  Buche  vorausgeschickten  De- 
finitionen, h)  I  Propos.  4.  2.  6—4  7.  JO.  J4,  c)  II,  4—6.  8—4  3.  4  5.  47—19. 
S4.  22,  d)  III,  4 — 4.  7.  8,  das  sind  in  Summa  7  Definitionen  und  40  Pro- 
positionen. Dazu  kommt  die  nur  von  Autolykos  benutzte  20.  Proposition 
des  II.  Buches  (S.  435).  Da  nun  das  ganze  Werk  des  Theodosios,  abgesehen 
von  den  beiden  letzten  Sätzen  des  I.  Buches,  welche  wahrscheinlich  unächt 
sind  (vergl.  oben  S.  4  25  Nr.  45),  58  Propositionen  enthält,  so  folgern  wir,' 
daß  mindestens  zwei  Drittel,  wahrscheinlich  aber  ein  noch  größerer 
Bruchtheil  der  Sphärik  des  Theodosios  von  diesem  [^Mathematiker  aus 
einem  Lehrbuch  entnommen  worden  sind ,  welches  gegen  Ende  des 
vierten  Jahrhunderts  dem  Autolykos  und  wenig  später  dem  Euklid  vorlag. 


137     

schon  früher  vorhandeDen  Lehrbüchern  zusammengestellt.  Und 
zwar  lagen  ihm  die  Sätze,  deren  Inhalt  er  herübernahm,  ein- 
schHeßlich  der  dazu  gehörigen  Beweise,  der  Hauptsache  nach 
bereits  in  derjenigen  Form  vor,  welche  unter  seinem  Namen 
bis  auf  die  Gegenwart  sich  erhalten  hat.  Seine  Thätigkeit  war 
lediglich  eine  sichtende,  ordnende,  ergänzende,  und  in  diesen 
Beziehungen  zugleich  eine  so  vorzügliche ,  daB  sein  Gesammt* 
werk  in  kürzester  Zeit  alle  früheren  Lehrbücher,  welche  nur 
einzelne  Theiie  der  Elementargeometrie  behandelt  hatten,  in 
Schatten  stellte  und  für  spätere  Geschlechter  in  Vergessenheit 
brachte  ^) . 

Wir  dürfen  also  mit  größter  Wahrscheinlichkeit  annehmen^ 
daß  jedem  Satze  der  euklidischen  Elemente,  welcher  in  den 
oben  (S.  435]  zusammengestellten  Sätzen  der  jüngeren  Sphürik 
angewendet  worden  ist,  in  der  alteren  Sphärik  ein  nach  Inhalt 
und  Form  ähnlicher  Satz  entsprach.  Es  scheint  angemessen 
hierüber  zunächst  im  einzelnen  Rechenschaft  zu  geben. 

-     .     ,  Sätze  der  Elemente  des  Euklid,  welche  in 

Th    !^    •  ^^  den  Beweisen  zu  den  aus  Theodosios  ange- 

Theodosios.  führten  Sätzen  benutzt  worden  sind : 

I,    1,  corolL  12)    .  .  i^  47^X1,  11, 

K    2 III,  1,  XI,  11, 

6 I,17.19.47,llldef.  1,XIdef.3,propos.4 

7 I  def.  10,  propos.  8,  XI,  4, 

9 I,  47, 

10 I,  *.  8, 

11 Idef.  17,  XI,  3, 

13 XI  def.  4, 

14  und  15    ....  XI,  18, 

16  .......   .  I,  4,  IV,  6, 

17  p.  15,20  Nizz.  XI,  2  (nach  dem  Scholiasten  zu  Theodos. 

I,  *7), 

4)  CantorVorlesangen  üher  Geschichte  der  Mathematik  I,S. 235 — 237, 
Heiberg  Studien  üher  Euklid,  S.  29~-86. 

2)  Da  das  zweite  noqiagjia  zu  dieser  Proposition  in  den  Beweisfüh- 
ruDgen  zu  den  Propositionen  2.  6.  43,  welche  ebenfalls  als  Bestandtheile 
der  älteren  Sphärik  nachgewiesen  sind ,  zur  Anwendung  kommt ,  so  ist 
das  erste  noQiff/Ao^  mit  welchem  das  zweite  im  engsten  Zusammenhang 
steht,  bereits  vor  Autolykos  vorhanden  gewesen. 

4  0* 


13S     

Sätze  derElemente  des  Euklid,  weichein 
"^  .  ^  den  Beweisen  za  den  aus Theodosiosange- 

Theodosios:  führten  Sätzen  benuUt  worden  sind: 

II,    2 XI,  1 4, 

II,    3 III,  16  coroll.,  XI  def.  3,  propos.  49, 

II.    9  ...;...  .  lU,  3,  XI  def.  3,  propos.  3.  49, 

II,  40 UI  def.  4  4,  propos.  26.  27,  XI,  40.  46, 

11,41 1,8.47,  in,  26,  XI  def.  3,  propos.  38  vulgo, 

III,  4 1,47,111, 4. 7, XI def. 3,  propos.  38  vulgo. 

Untersuchen  wir  nun  weiter,  welche  allgemeinen  Sätze  vor- 
auszusetzen sind  für  die  hier  angeführten  Definitionen,  und 
welche  anderen  Lehrsätze  erforderlich  waren,  um  die  hier  ver- 
zeichneten Lehrsätze  zu  beweisen,  so  ergibt  sich  eine  stattliehe 
Reihe  von  Elementarsätzen ,  welche  dem  Verfasser  der  älteren 
Sphärik  bereits  vorgelegen  haben  müssen.  Heufzutage  können 
wir  alle  diese  Sätze  nur  nach  der  Überlieferung  in  Euklids 
Elementen  citiren,  aber  wir  sind  zugleich  berechtigt,  sie  sämmt- 
lieh  als  vor  euklidisch  zu  bezeichnen. 

Es  folgt  die  summarische  Übersicht  dieser  Sätze : 
Elem.  I  def.  4  %  9—23, 
air feuert a  4 — 5, 
y.Oivai  eryoiai  4 — 4.  7 — 9, 

propos.  4— 5.7— 20.22— 2i.  26— 29.31— 3L 
44.  46.  472). 

III  def.  4.  2.  6—9.  44, 

propos.  4  cum  coroll.,  3.  5.  7.  !0. 46.  20 — 22. 
24.  26.  27.  34, 

IV  propos.  6, 
XI  def.  3.  4.  8, 

propos,  4—41.  43.  44.  46.  18.  49.  38  vulgo. 

4}  DaB  Definition  4  ihrerseits  auch  Defin.  4—3  voraussetze,  läßt 
sich  zwar  nicht  als  sicher,  aber  doch  als  wahrscheinlich  hinstellen. 

2;  Proposition  47  ist  der  sogenannte  Lehrsatz  des  Kthagoras.  Vergl. 
Bretschneider  Die  Geometrie  vor  EuklidesS.  79—82,  Hankel  Zur  Geschichte 
der  Mathem.  S.  97  f.,  Cantor  Vorlesungen  über  Geschichte  der  Mathem.  I 
S.  452 — 157,  Allman  Greek  Geometry  from  Thaies  to  Euclid,  Hermathena 
vol.  m  (Dublin  4877)  p.  483.  494—4  94.  Die  Frage,  auf  welche  Weise  P^- 
thagoras  diesen  Satz  erwiesen  habe,  ist  vielfach  erörtert  worden.  Wohl  mit 
Recht  weist  Bretschneider  S.  84  f.  darauf  hin,  daB  Proposition  47  nebst 
ihrer  Umkehr  (Prop.  48)  den  Abschluß  des  I.  Buches  der  Elemente  bildet, 
und  vermuthet  daher,  daß  Pytbagoras  zum  Beweise  des  Satzes  keine  an- 


139 

Vergegenwärtigen  wir  uns  jetzt  in  Kürze  den  bisherigen 
Gang  der  Untersuchung.  Gberliefert  sind  uns  aus  dem  ersten 
Jahrhundert  v.  Chr.  die  von  Theodosios  herausgegebene  SphUrik 
und  aus  der  Zeit  gegen  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  das  Buch 
des  Autoiykos  über  die  rotirende  Kugel.  Da  in  dem  letzteren 
Werke  mehrfach  auf  Lehrzätze  Bezug  genommen  wird,  welche 
wir  jetzt  in  der  weit  jtingeren  Sphärik  des  Theodosios  vor- 
finden ,  so  ist  es  möglich  gewesen,  eine  Reihe  von  Sätzen  der 
jüngeren  Sphärik  nachzuweisen  als  entlehnt  aus  jener  schon  im 
vierten  Jahrhundert  bekannten  Sphärik  (S.  429 — 435).  Aus- 
gehend von  diesen  Sätzen  ist  dann  weiter  ermittelt  worden, 
welche  Bestandtheile  der  unter  Euklids  Namen  überlieferten 
Elemente  dem  Verfasser  jener  älteren  Sphärik  mindestens 
bekannt  gewesen,  also  aus  Lehrhüchern  entlehnt  worden  sind, 
welche  der  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts,  wenn  nicht  einer 
noch  früheren  Zeit  angehörten. 

Dies  also  die  ältere  Sphärik  und  die  älteren  Elemente, 
soweit  sie  aus  Au  toly kos  wiederherzustellen  waren.  In  Kürze 
ist  dabei  auch  der  Beziehungen  gedacht  worden,  in  welchen  die 
schriftstellerische  Tbätigkeit  des  Euklid  zu  diesen  älteren 
Werken  gestanden  hat  (S.  435  —  437).  Wenn  somit  nach- 
gewiesen ist,  daß  sowohl  Autolykos  als  Euklid  abhängig  gewe- 
sen sind  von  den  genannten,  dem  vierten  Jahrhundert  ange- 
hörigen  Lehrbüchern,  so  bleibt  noch  drittens  zu  erörtern,  ob 
Autolykos  und  Euklid  ihrer  schriftstellerischen  Wirksamkeit 
nach  einander  gleichzeitig,  oder  ob  der  eine  früher  als  der 
andere  anzusetzen  ist. 

BetreJBFi?  des  Autolykos  liegen  uns  nur  zwei  chronologische 
Notizen  vor,  und  diese  lassen  einen  sehr  weiten  Spielraum. 


derweiten  Mittel  verwendet  habe,  als  die  im  ersten  Buche  enthaltenen, 
Wenn  man  auf  Grund  der  euklidischen  Redaction  prüft,  welche  früheren 
Satze  im  Beweise  zu  Propos.  47  benutzt  worden  sind,  und  weiter  rückwärts 
die  für  diese  letzteren  Sätze  wiederum  vorauszusetzenden  Beweisstücke 
verfolgt,  so  ergibt  sich,  daß  nach  euklidischer  Auffassung,  welche  viel- 
leicht von  derjenigei\  des  Pythagoras  nicht  wesentlich  abwich,  der  pytha*- 
^oreische  Lehrsatz  auf  folgenden  Stücken  des  I.  Buches  der  Elemente  beruht: 

def.  4  (vielleicht  auch  i — 8:  vergl.  vorige  Anm.),  40  (viell.  auch 
9.  M.  14),  49.  24— J8, 

ttiTtjfi,  4,  2.  5,  xo^y,  Ivv,  4 — 8.  7 — 9, 

propos.  4—5.  7—44.  43—46.  48—20.  22.  23.  26.  27.  29.  34.  34. 
44.  46. 


140     

Er  führte  einen  wissenschaftlichen  Streit  über  die  Planeten- 
bahnen gegen  Aristotheros  ^) ,  welcher  unter  den  Lehrern  des 
Dichters  und  Astronomen  Aratos  genannt  wird^).  Aratos  ist 
wahrscheinlich  um  das  Jahr  34  5  geboren ');  aber  da  wir  weder 
wissen,  um  wie  viel  älter  Aristotheros  als  sein  Schüler  Aratos, 
noch  auch  wie  altAutolykos  gewesen  ist,  als  er  gegen  Aristotheros 
schrieb,  so  müssen  wir  uns  zunächst  mit  der  ungefähren  Ver- 
muthung  begnügen,  daß  die  Blüthezeit  des  Autolykos  wahr- 
scheinlicher gegen  Ende  des  vierten,  als  zu  Anfang  des  dritten 
Jahrhunderts  zu  setzen  ist. 

Ebendarauf  führt  auch  eine  andere,  für  unsere  Zwecke  uoi 
ein  wenig  genauere  Tradition.  Der  Akademiker  Arkesilaos  hat 
von  315  bis  241  gelebt  und  ist  um  das  Jahr  300  Schüler  des 
Autolykos  gewesen^).     Setzen  wir  den  Lehrer  mindestens  um 

4)  CWachsmuth  Der  Mathematiker  Aristotheros,  Rheinisches  Mu$.XX, 
1865,  S.  455  f.,  Autolycus  ed.  Hultsch  praef.  p.  VII  f.  (wo  zugleich  der  Nach- 
weis der  einschltfgigen  Litteratur  sich  findet) ,  P.  Tannery  Bulletin  des 
Sciences  math^matlques  (Paris,GauthierVilIars),  X,2,8eptembre  4886,p.495f. 

2]  Aratus  recogn.  loim.  Bekker.  p.  46,  Btoy^a^poi  ed.  A,yfes\^na» 
p.  60, 2i:  eytoi  de  (paai  toy'^Qaxou MyaoBov  naxqos  yeyoyiyai,  j4qi<tio^ 
Qov  de  tiyog  fiad^ficetixov  diuxovaat, 

8)  Die  verschiedenen  Ansichten  über  des  Aratos  Zeitalter  sind  neuer- 
dings von  Fr.  Susemihl  Analecta  Alexandrina  chronologica ,  Ind.  schol. 
Gryphisw.  hib.  4885,zusaaimengestent  und  kritisch  gesichtet  worden.  Nach 
ihm  ist  Aratos  um  315  (nachCouat  zwischen  34  5 — 310,  nach  anderen  später 
bis  zum  J.  300)  geboren.  Zu  Antigenes  Gonatas  kam  er  zuerst  im  J.S76und 
kehrte  im  J.  272  oder  wenig  sp&ter,  nachdem  der  Kdnig  Makedonien  wieder 
in  Besitz  genommen  hatte,  an  dessen  Hof  zurück.  Gestorben  ist  er  Tor 
Antigenes,  also  vor  dem  J.  239  (nach  Couat  zwischen  245 — 240.) 

4)  Arkesilaos  starb  nach  Diog.  Laert.  4,  59.  61  im  4.  Jahr  der  134. 
Olympiade  =  241/40  v.  Chr.,  und  zwar  im  75.  Lebensjahre,  wie  Diog.  4,44 
nach  Hermippos  meldet.  Yergl.  E.  Zeller  Die  Philosophie  der  Griechen  11^, 
1,  S.  846,  III3,  1,  s.  491  f.,  H.  Diels  Chronologische  Untersuchungen, 
Rheinisches  Museum  XXXI,  1876,  S.  46  f.  Die  abweichende  Angabe  über 
die  ((XfiTi  desselben,  welche  Diog.  4,  45  aus  der  Chronik  des  Apollodor  mit- 
theilt und  Diels  a.  a.  0.  durch  Änderung  der  Olympiadenzabl  (ne^l  tvf^ 
l^xrrjy  xai  eixoarr^y  xal  Ixatoarr^y  statt  neql  tr,v  eixomriy  xaX  ixatomiy} 
mit  der  übrigen  Tradition  in  Einklang  zu  setzen  vorschltfgt,  scheint  auf 
einem  irrthümlichen  Synchronismus  zu  beruhen,  incl^m  man  Arkesilaos  zu 
einem  jüngeren  Zeitgenossen  von  Antigonos  I  (Monophthalmos)  machte. 
Aber  alles,  was  bei  Diogenes  4,89 — 42  über  das  Verhalten  des  Arkiselaos 
gegenüber  Antigonos  überliefert  ist,  bezieht  sich  offenbar  auf  Gonatas 
\vgl.  besonders  4, 41 ,  wo  Halkyoneus  als  Sohn  des  Antigonos  genanntwird). 
DieWorte desDiogenes  4,89:^e7ft  xBjrjyüyriyoyov  yavfjiaxifitvnoXX&vnqoC' 
lorioty  xnl  tTnotoXitt  naQaxXr^Tixit  y^atpoyxiay  ahxog  laitonr^aey  bezieht 


141     

ein  Dritteljahrhundert  älter  als  den  Schüler  an — und  es  ist  die 
wirkliche  Altersdifferenz  wohl  eher  größer  als  kleiner  gewesen 
—  so  haben  wir  von  der  BlUthe  des  Arkesilaos,  welche  um 
375  fällt  1),  zurttckzurechnen  auf  das  Jahr  340  als  die  mittlere 
Biathezeit  des  Autolykos. 

J.  G.  Droysen  Geschichte  des  Hellenismus  III-,  4,  S.  4  91  f.  auf  die  See- 
schlacht im  J.  278,  welche,  wie  er  annimmt,  für  Antigonos  günstig  ausge- 
fallen ist.  Die  kmigToXia  naqaxXrjxtxa  sind  also  Gratulationsschretben  oder, 
wie  Cobet  freier  übersetzt,  Uterae  blanditiarum  plenae,  nicht  epistolae  pro 
consolatione  oder  consolatoriae ,  wie  die  Übersetzung  in  den  Ausgaben  von 
Is.  Casaubonus  und  H.  G.  Huebner  lautet,  wahrscheinlich  mit  Bezugnahme 
auf  Memnon  bei  Phot.  Biblioth.  p.  227  a  4,  ed.  Bekk.,  der  die  Niederlage 
des  Antigonos  in  einer  Seeschlacht  erwähnt.  Wie  alt  Arkesllaos  gewesen, 
als  er  den  Autolykos  bOrte,  Ittßt  sich  ziemlich  genau  bestimmen.  Ihre 
gemeinsame  Vaterstadt  war  Pitane ,  und  dort  traten  sie  zuerst  in  Verkehr 
mit  einander.  Dann  reiste  Arkesilaos  mit  Autolykos  nachSardes,  hielt  sich 
später  eine  Zeit  lang  in  Chios  auf  und  ging  von  dort  nach  Athen,  wo  er  zu- 
nächst an  den  Musiker  Xanthos,  dann  an  Theophrast  sich  als  Schüler  an- 
schloß, zuletzt  aber  zu  dem  Akademiker  Krantor  überging  (Diog.  4, 38 — 30. 
43).  Damals  war  Arkesilaos  noch  ratiyicxog  und  wurde  von  Krantor,  der 
ihn  schwärmerisch  liebte  {iQiotix&s  Siaje&sig),  mit  einem  Verse  des  Euri- 
pides  als  »Jungfraua  begrüßt.  Wir  werden  also  die  Zeit,  wo  er  den 
Autolykos  in  Pitane  hörte,  nicht  später  als  in  sein  fünfzehntes  Lebensjahr, 
d.  i.  in  das  J.  300,  versetzen  können. 

4)  Die  aleiandrinischen  Gelehrten  pflegten  für  die  axfiy  eine  be- 
stimmte Altersstufe,  nämlich  das  vierzigste  Lebensjahr,  anzusetzen.  Vergl. 
Tb.  Bergk  Griechische  Literaturgesch.  I  S.  300  f.,  H.  Diels  a.  a.  0.  S.  42  f. 
Hiemach  rechnet  der  letztere  S.  47  Olymp.  4  26,  2  =  275  als  das  mittlere 
Jahr  der  axfi^  des  Arkesilaos.  Die  Vorsteherschaft  der  Akademie  kann  er 
erst  einige  Jahre  später  angetreten  heben.  Denn  Polemo,  welcher  seinem 
Lehrer  Xenokrates  im  J.  84  4  als  Vorsteher  gefolgt  war  (Zeller  II,  4,  S.  844), 
starb  nach  Eusebios  Olymp.  426,  4  »278  (Euseb.  chronic,  ed.  A.  Schoene 
II  p.  420,  vers.  Armen.),  während  die  Überlieferung  bei  Hieronymus 
(ebenda  p.  424)  statt  dessen  Olymp.  427,  8  oder  428,  4  setzt.  Zeller  S.  846 
entscheidet  sich  für  Olymp.  427,  8=270.  Folgen  wir  der  armenischen 
Übersetzung,  so  bleibt  für  Polemo  noch  immer  eine  Amtsdauer  von  44 
Jahren.  Während  dieser  langen  Zeit  haben  dem  Polemo  der  etwa  gleich- 
altrige Krates  und  der  nicht  viel  jüngere  Krantor  zur  Seite  gestanden  (Zeller 
S.  846  f.).  Krantor  ist  vor  Polemo  gestorben ;  der  hochbetagte  Krates  kann 
seinen  Altersgenossen  nicht  allzulange  überlebt  haben.  Wir  werden  also 
von  der  Summe  von  32  Jahren,  welche  ^nisammen  auf  die  Vorsteherscbaf- 
ten  d€«  Krates  und  Arkesilaos  entfallen,  einen  verhältnißmäßig  nur  kleinen 
Theü  dem  Krates  zuschreiben,  so  daß  für  Arkesilaos ,  nach  annähernder 
Schätzung,  eine  Amtsdauer  von  etwa  25  Jahren  bleibt,  mithin  der  Antritt 
des  Scholarchats  ungefähr  in  sein  50.  Lebensjahr  ss  266  v.  Chr.  zu  setzen 
ist.  Allein  auf  der  Höhe  seines  Rufes  als  Lehrer  der  Philosophie  stand  er 
gewiß  schon  früher.     Die  Notizen  bei  Diogenes   4,  39  f.  stellen  außer 


142     

Das  wenige,  was  wir  Ober  Euklids  Zeitalter  wissen .  hat 
bereits  Proklos  in  seiDenn  Kommentar  znm  ersten  Bache  der 
Elemente  Euklids  in  eine  passende  Formel  zusammengefasst^  . 
Euklid  war  jttnger  als  die  unmittelbaren  Schiller  Piatons  (f  347) 
und  älter  als  Archimedes  ,287-S1 2  und  Eratosthenes  (276-1 94, . 
und  seine  Blttthe  ist  etwa  gleichzeitig  mit  der  Regierung  des 
ersten  Ptolemäos  '306-283^,  oder  im  Mittel  um  295  anzusetzen. 

Aus  den  bisher  aufgestellten  Daten  scheint  ohne  weiteres 
hervorzugehen,  daß  Autolykosund  Euklid  Zeitgenossen  gewesen 
sind.  Indeß  ist  zu  bedenken ,  dafi  wir  nur  mit  nnsicheren 
Näherungswertben  rechnen  konnten.  Im  Mittel  haben  wir 
Autolykos  um  anderthalb  Jahrzehnte  vor  Euklid  angesetzt;  die 
wirkliche  Differenz  kann  aber  leicht  eine  gröBere  gewesen  sein. 
Vergleichen  wir  die  Epochen  von  Autolykos  und  Aristotheros 
einerseits  und  diejenigen  ihrer  Schüler  Arkesilaos*  und  Aratos 
andererseits.  Jene  beiden  Lehrer  waren  vermuthlich  um  ein 
Menschenalter  früher  anzusetzen,  als  diese  ihre  Schüler.  Sollen 
wir  nnn  Euklid  gleichaltrig  mit  Autolykos,  oder  zwischen  letzte- 
rem und  Arkesilaos,  oder  endlich  gleichaltrig  mit  Arkesilaos 
ansetzen?  Das  erslere  ist  unwahrscheinlich,  das  zweite  scheint 
durch  die  vorher  ermittelten  Daten  gegeben  zu  sein,  aber  auch 
das  dritte  liegt  nicht  auBer  dem  Bereiche  der  Möglichkeit.  Wir 
setzten  im  obigen  den  Autolykos  annähernd  um  35  Jahre  älter 
als  seinen  Schüler  Arkesilaos  an;  niemand  aber  wird  abläugnen 


Zweifel,  dass  er  zu  seiner  axf*^  gelangt  ist  während  der  Reihe  von  Jahren, 
in  welcher  sein  Freund  Hierokles  die  makedonische  Besatzung  im  Peirtieus 
und  in  Munychia  befehligte,  d.  i.  wtthrend  einer  Periode,  die  vor  278  begon- 
nen und  bald  nach  266  geendigt  hat  (Droysen  Gesch.  des  Hellenismus  III  ^» 
4^  S.  95.  491.. 227),  also  wahrscheinlich  vor  dem  J.  270,  nicht  erst  nach 
demselben.  Damit  stimmt  der  Bericht  bei  Plutarch  (adv.  Coloten  p.  4421 
EF)  über  den  Ruf,  dessen  der  Philosoph  zu  Lebzeilen  Epikurs  (f  270 
sich  erfreute.  Daß  eine  solche  Blüthe  unabhängig  von  der  Vorsteher- 
Schaft  sein  konnte,  lehrt  ein  Vergleich  mit  Krates  und  Krantor.  Der 
letztere,  dem  Horaz  (Epist.  i,  2,  4)  dieselbe  Bedeutung  für  die  Akademie, 
wie  dem  Chrysippos  für  die  Stoa,  zuweist,  ist  zeitlebens  nur  Lehrer  an  der 
Akademie  gewesen.  Auch  Krates,  der  bereits  hochbejahrt  war,  als  sein 
Altersgenosse  Polemo  starb,  hat  lange  vorher  seinen  Ruf  als  Lehrer  der 
Philosophie  begründen  müssen ;  während  der  wenigen  Jahre,  welche  im 
günstigsten  Falle  auf  sein  Scholarchat  gerechnet  werden  können,  wäre  dam 
wahrlich  nicht  die  Zeit  gewesen. 

4 )  Procl.  in  I  Eucl.  elem.  ed.  Friedleinp.  68, 6--20,  Gantor  Vorlesungen 
über  Gesch.  der  Mathem.  I  S.  228  f.,  Heiberg  Studien  über  Euklid  S.  25  f 


143     

wollen,  daB  er,  da  er  einen  Fünfzehnjährigen  unterrichtete,  auch 
merklich Slter  gewesen  sein  kann.  Doch  wie  dem  auch  sei,  jeden- 
falls ist  es  zulässig  zu  sagen,  daß  seine  schriftstellerische 
Thätigkeit  vor  300  v.  Chr.  fiel;  andererseits  aber  steht 
nichts  der  Annahme  entgegen,  daß  Euklid  erst  nach  dem  J.  300 
mit  der  Abfassung  seiner  Werke  begonnen  habe. 

Somit  haben  wir  die  Formel  gefanden,  bei  welcher  wir 
fortan  zu  verbleiben  haben.  Die  Nachrichten  sowohl  über  die 
Lebenszeit  des  Autolykos  als  des  Euklid  sind  so  unsicher  und 
dehnbar,  dass  daraus  allein  nimmermehr  eine  klare  Entschei- 
dung, ob  beide  gleichaltrig  waren  oder  um  wie  viel  der  eine 
älter  war  als  der  andere,  sich  wird  ableiten  lassen.  Aber  die 
noch  erhaltenen  Werke  derselben  werden  uns  vermuthlich  Aus- 
kunft geben,  wer  von  beiden  früher,  wer  Später  geschrieben  hat. 

Bei  dieser  Vergleichung  kommen  von  den  Schriften  Euklids 
zunächst  die  Phänomenain  Betracht. 

Während  Euklid  bei  der  Zusammenstellung  seiner  aTOix^la 
nirgends  einen  AnlaB  hatte,  auf  die  Bücher  des  Autolykos,  welche 
doch  wesentlich  astronomischen  Inhalts  sind,  Bezug  zu  nehmen, 
mußten  für  ihn  in  seinen  Elementen  der  Astronomie,  welche 
er  q)aiv6i,uva  betitelte,  die  Berührungspunkte  mit  Autolykos' 
Schrift  TtBQi  aq>a£Qag  nivovpiivrjg  um  so  zahlreicher  sein. 

Schon  ein  erster  vergleichender  Überblick  läßt  erkennen,  daß 
das  Buch  Tte^l  aq>alQag  älter  sein  muß  als  die  Phänomena,  und 
diese  Wahrnehmung  wird  immer  mehr  bestätigt,  je  näher  man 
auf  den  Inhalt  beider  Werke  eingeht  ^) .  Alle  einschlägigen  Sätze 
des  Autolykos  werden  von  Euklid  benutzt,  ja  zumTheil  wörtlich 
citirt.  Besonders  bemerkenswerth  ist  die  Fassung  der  Worte  in 
Propos.  2  (p.  564  Gregor.):  Src  ^iv  oiv  b  8iht  tcov  Ttöktov  r^g 
Ofpaiqag  TtQhg  rhv  BEF  bqLCovza  dlg  dQ&6$  ioTc,  dideinrai, 
womit  auf  die  40.  Proposition  des  Autolykos  ausdrücklich  Bezug 
genommen  wird  2).  Auch  die  Terminologie  des  Autolykos  behält 
Euklid  im  wesentlichen  bei  und  gestattet  sich  nur  insoweit  Ab- 
weichungen, als  der  besondere  Inhalt  seiner  Schrift  eineVerein- 


4)  Vergl.  Nokk  S.  4  5  and  Heiberg  S.  41—43  der  oben  S.  435  Anm.  4 
citirten  Schrillen. 

2)  NokkS.  45,  Heiberg  S.  41.  Daß  zu  ^ideixiai  etwa  noch  hinzu- 
gefügt wäre  vno  ^IroXvxov  iu  t4>  ^egl  etpai^ag^  darf  niemand  erwarten; 
denn  nirgends  führt  Euklid  die  von  ihm  benutzten  früheren  Autoren  na- 
mentlich an. 


144     

fachuDg  der  von  seinem  Vorgänger  gewählten  Ausdiilckeund  da- 
mit zugleich  eine  kürzere  Fassung  der  Sätze  desselben  ermöglicht. 
DennAutolykos  setzt  ganz  abstract  eine  um  ihre  Achse  sich 
bewegende  Kugel  voraus  und  bildet  demgemäß  die  mathemati- 
schen Kunstausdrttcke.  Während  er  also  jede  Beziehung  auf  die 
scheinbare  Bewegung  der  Himmelskugel  absichtlieh  vermeidet, 
sind  für  Euklid  alle  damit  zusammenhängenden  Erscheinungs- 
formen die  Grundlage  seines  Werkes.  Das  Buch  TteQi  aq>aifag 
kennt  nur  Punkte  [arjfieia)  auf  der  Kugeloberfläche,  keine  Ge- 
stirne [üaTQa)  am  Himmelsgewölbe^);  ebenso  wenig  können 
darin  die  Ausdrücke /i<€(JY}ju/^^ii/(}9  (Meridian),  larj^eQiPÖg  (Aequa- 
tor],  ^ipÖLaTiögj  TQ07ti7coi  erscheinen;  auch  mit  bQitcJV  hat  es, 
wie  wir  sofort  sehen  werden,  seine  besondere  Bewandtniß. 
Euklid  deßnirt  p.  564*  /.lear^fißQirbg  dk  Ttimkog  xakeia&uf  b  dia 
xCiV  Ttokwv  Tf^g  atpaiqag  xal  dq^og  TtQog  %hv  b^iCowa'^  bei 
Autolykos  dagegen  heißt  der  entsprechende  Kreis  lediglich 
6  8ui  rCiv  Ttökiop  rf^g  a<palQag  xvxkog^).  Den  lari^ie^ivög  im 
astronomischen  Sinne  erwähnt  vergleichsweise  der  Scholiast  zu 
Tteql  oipaLqag  Proposition  4,  der  Verfasser  selbst  aber  spricht 
nur  von  einem  fiiyiOTog  xifTikog  nqog  öf^ceg  wp  r(p  S^ovt.  In 
Proposition  i\  wird  streng  mathematisch  und  ohne  Rücksieht 
auf  den  besonderen  Fall  der  Stellung  der  Erdachse  zur  Ekliptik 
bewiesen,  unter  welchen  Bedingungen  ein  zur  Achse  der  Kugel 
schief  stehender  größter  Kreis  in  jedem  Punkte  eines  gewissen 
Bogens  eines  anderen  schiefen  Kreises  sowohl  auf-  als  untergeht. 
Die  Fassung  des  Lehrsatzes  muß,  eben  wegen  der  Allgemeinheit 
der  Voraussetzungen,  eine  ziemlich  umständliche  sein.  Nachdem 
dies  aber  einmal  von  Autolykos  erledigt  worden  ist,  erwächst 
für  Euklid  in  dem  Beweise  zur  7.  Proposition  der  Phänomena 
(p.  570)  der  Vortheil  einer  bedeutenden  Abkürzung,  denn  er 
schließt  einfach  in  folgender  Weise:  Set,  ^ilv  ovv  b  zatp  CtfdLoiV 
AV'Akog  'Aanh  nävta  tütiop  tov  bfi^opvog  top  fiera^v  vwv  tqo- 


\)  Allerdings  bietet  die  Überlieferung  an  einer  Stelle  (p.  34,45} 
(iaiQa,  wo  wir  ar^fAtla  erwarten,  und  kurz  vorher  {p.  84,  18]  vnl^  yf/y  slalt 
vtiIq  joy  boi^ovxa.  Allein  der  im  übrigen  durchaus  consequente  Gebrauch 
des  Schriftstellers  beweist,  daß  wir  hier  spätere  Umbildungen  des  ur- 
sprünglichen Textes  vor  uns  haben.  VergL  die  adnotaiio  eritica  p.  XXXH 
meiner  Ausgabe,  und  den  Index  unter  den  betreffenden  Wörtern. 

3)  UbqI  a(fuiq€ii  Propos.  10.  Vergl.  R.  Wolf  Geschichte  der  Astro- 
nomie S.  14  5,  Heiberg  a.  a.  0.  S.  42  f. 


145     

Ttuwv  uvarikkei  TB  y(.al  dibvei^  (pavsQÖv,  ijtetdrjTteQ  ^ui^öviuv 
eg>67tr€Tai  xvxAwi'  -q  &v  b  öqICiov  eq)d7tTevat.  Hier  ist  in  dem 
Schlußsatze  (hinter  iTtetdrjTteQ)  das  Citat  von  neql  aq)aiQag  1 1 
enthalten,  die  vorhergehenden  Worte  aber  bedeuten,  daß  die 
astronomischen  Begriffe  Zodiacus,  Horizont,  Wendekreise  der 
Reihe  nach  denjenigen  Voraussetzungen  entsprechen,  welche 
Äutolykos  auf  rein  mathematischem  Wege  in  seiner  4  \ .  Propo* 
sition  construirt. 

Nach  diesen  Vorbemerkungen  wird  es  leicht  sein  zu  zeigen, 
wie  aus  dem  Sprachgebrauche  des  Äutolykos  das  W^ort  bqitiov 
zu  der  uns  geläufigen  Bedeutung  sich  entwickelt  hat.  Äutolykos 
gebt  von  der  einfachen  Anschauung  aus,  daß  dem  Beschauer 
einer  Kugeloberflache,  selbstverständlich  unter  Voraussetzung 
der  geeigneten  Entfernung,  nur  die  eine  Hälfte  der  Oberflüche 
sichtbar,  die  andere  aber  unsichtbar  ist.  Von  dem  größten 
Kreise,  welcher  die  sichtbare  Hälfte  von  der  dunklen  Hälfte 
scheidet,  heißt  es:  b^i^Bi  t6  te  q)aveQbv  Tfjg  acpaiqag  tloI  to 
atpavigj  oder  ähnlich  ^j.  Wird  die  Kugel  um  ihre  Achse  gedreht, 
so  bleibt  diese  Kreisebene  unbeweglich,  was  schon  zu  des  Äuto- 
lykos Zeiten  gewiß  in  ganz  ähnlicher  Weise  dargestellt  worden 
ist,  wie  es  noch  heutzutage  an  jedem  Himmelsglobus  zu  sehen 
ist.  In  dem  Buche  neQi  aq>alQag  leitet  sich  nun  hieraus  zu- 
nächst die  participiale  Bezeichnung  ab:  b  bqlC(av  iv  tfj  acpa(Q(f 
ximlog  t6  tb  rpavBqbv  trjg  ocpaiqag  %ai  rb  itpavig;  um  aber 
nicht  immer  diese  umständliche  Redeweise  zu  wiederholen, 
läßt  der  Schriftsteller  nicht  selten  die  aus  dem  Zusammenhang 
sich  ergebenden  Beiftlgungen  weg  und  gebraucht  bgiCfop  allein, 
immer  jedoch  so,  daß  'KixXog  aus  dem  Vorhergehenden  zu 
wiederholen  oder  stillschweigend  hinzu  zu  denken  ist.  Auch  in 
der  Schrift  tvbqI  iniTokwv  xa2  dvoButv  wird  im  wesentlichen  an 
diesem  Gebrauche  festgehalten.  Noch  im  2.  Buch  (p.  142,21) 
finden  wir  die  ursprtin gliche  Form  fast  vollständig  erhalten: 
laxiü  bgl^iov  to  cpavBQOV  xal  rb  äq)avBg  b  AB^  xal  TQonrAol 
fuv  earcjoav  ol  FJ  EZ,  larjfiBQtvbg  dh  b  HQj  b  6k  twp  ZojdUov 
Kvxlog  b  KHAQ,  und  bald  darauf  (p.  MO,  4):  eariü  bQittov  b 
AB  %b  (pavBqbv  xai  to  dtpavhg  rfig  oq)aiqag^  ^([JÖta^bg  de  b  FJ; 
dann  findet  sich  kürzer  bgl^wv  Kvxkog,  endlich  auch  bgiCcov 


\)  Über  diesen  und   die  folgenden  Ausdrücke  gibt  mein  Index  zu 
Äutolykos  unter  oQiCeiy  und  oQiCtoy  den  näheren  Ausweis. 


146     

allein,  letzteres  vielleicht  etwas  häufiger  als  in  dem  Buche  Tte^l 
OffaiQag.  aber  immer  gemäB  dem  dort  beobachteten  Sprach- 
gebrauche.  Dies  ist  um  so  bemerkenswerther,  als  in  der  Schrift 
TtiQi  iTTiToijbv^  Wie  die  oben  angefohrten  Stellen  zeigen,  der  Be- 
griff »Horizont«  lediglich  im  astronomischen  Sinne  vorkommt,  fttr 
jeden  Punkt  der  Erdoberfläche  welche  als  ruhend  zu  denken 
ist)  die  durch  diesen  Punkt  normal  zur  Scheitellinie  gelegte 
Ebene  bezeichnend  ^  .  Dies  hat  Euklid  in  seinen  Phanomena  von 
vornherein  festgestellt,  und  demgemäB  ist  ihm  b^iZtuv  nicht 
mehr  eine  Verbal  form  wie  bei  seinem  Vorgänger,  sondern  eine 
ursprünglich  adjectivische  und  durch  die  stehende  Weglassung 
von  xir/,Xog  substantivisch  gewordene  Form.  Dies  zeigt  sich 
schon  in  der  Definition  p.  564 :  oouuv  de  TialeiaS^to  rb  dt  fjutiv 
iTtiTvedov  IxTtlTtrov  tlg  %ov  y.dauav  xal  &(poQiZov  ro  vitlq  yfg 
oQUßuevor  fjuiatpaiQiov  [seil,  tov  y.öauov),  und  so  wird  der  Aus- 
druck gleichmüfiig  in  der  ganzen  Schrift  gebraucht  2). 

Doch  wir  kehren  zu  des  Autolykos  Buch  über  die  Kugel 
zurück.  Dasselbe  ist  von  Euklid  in  seinen  Phanomena  allent- 
halben, wo  sich  AnlaB  dazu  bot,  benutzt  worden.  Umgekehrt 
läßt  sich  in  dem  Buche  über  die  Kugel  keine  Bezugnahme  auf 
die  Phäoomena  erkennen.  Wollte  man  nun  sagen,  daB,  wie  es 
ein  griechisches  Lehrbuch  der  Sphärik  längst  vor  Theodosios 
gegeben  hat,  ebenso  auch  vor  dem  Buche  des  Autolykos  Tte^i 
arpalqag  vielleicht  eine  andere  ältere  Schrift  ähnlichen  Inhalts 
existirt  habe  und  daß  Euklid  diese  Schrift  benutzt  haben  könne, 
mithin  der  Beweis  für  die  Priorität  des  Autolykos  vor  Euklid 
immer  noch  nicht  erbracht  sei^  so  scheint  es  nicht  schwierig, 
auch  diesen  Einwand  zu  entkräften.  Das  Buch  des  Autolykos 
gehört  seiner  ganzen  Fassung  nach  einer  Periode  der  mathe- 
matischen Litteratur  an ,  welche  um  einen  Schritt  vor  Euklid 
zurückliegt;  der  letztere  dagegen  hat  benutzt,  was  die  Früheren, 
unter  andern  Autolykos,  ihm  boten,  er  hat  in  der  Nomenclatur, 

i;  Der  Unterschied  zwischen  dem  wahren  oder  astronomischen  und 
dem  scheinbaren  Horizont  kommt  für  die  alte  Astronomie  nicht  in  Betracht. 

2)  Daß  auch  im  Sinne  Euklids  bei  o  bgiCtov,  wie  bei  b  ^^(f<crx<><r,  o 
fLBürjfji^Qipog  u.  s.  w.,  jedesmal  xvxXog  zu  suppitren  ist,  bedarf  kaum  be- 
sonderer Erwähnung.  Nach  dem  älteren  Sprachgebrauch  erscheint o  o^i^tay 
xvxXoff  noch  einigemal  zu  Anfang  der  Beweisführungen  (Propos. 
2.  8.  44.  13.  48.  44);  häufiger  fehlt  xvxXog  auch  an  dieser  Stelle  (Propos. 
3 — 7.  9.  40.  45 — 48);  regelmäBig  fehlt  es  in  den  Propositionen  selbst  und 
in  dem  Fortgang  der  Beweisführungen. 


147     . 

in  der  Gruppirung  der  Lehrsätze,  in  der  Abfassung  der  Beweise 
eine  höhere  Stufe  der  mathematischen  Methode  erstiegen.  Hätte 
Autolykos  erst  dann  geschrieben,  als  die  Phänomena  bereits  be- 
kannt geworden  waren,  so  konnte  er  diesen  Fortschritt  nicht 
ignoriren,  oder  er  wtlrde,  wenn  er  es  doch  gethan  hätte  ^  sich 
keinen  Namen  gemacht  haben  mit  einem  solchen,  hinter  der 
Höhe  der  Wissenschaft  zurückgebliebenen  Werke.  Wenn  also 
sein  Buch  tlber  die  Kugel  doch  einen  Namen  sich  erworben  und 
bis  in  die  neuere  Zeit  sich  erhalten  hat,  so  muß  es  in  der 
Gestalt,  wie  es  tiberliefert  ist,  vor  Euklid  geschrieben  und  als 
ältere  Quellenschrift  geschätzt  worden  sein.  Gewiß  hat  auch 
Autolykos  seinerseits  ältere,  ihm  vorliegende  Quellen  benutzt, 
aber  nach  dem  Befund  der  auf  uns  gekommenen  Überlieferung 
ist  sein  Buch  über  die  Kugel,  als  noch  im  vierten  Jahrhundert 
geschrieben  und  der  Epoche  des  Eudoxos  möglichst  nahe 
stehend,  diejenige  Quelle,  über  welche  hinaus  zu  gehen  wir 
keinen  Anlaß  haben. 

Weiter  aber  ist  im  Vorhergehenden  erwiesen  worden,  daß, 
ebenso  wie  das  Buch  über  die  Kugel,  so  auch  die  Schrift  Ttegl 
iTtiTohüv  'Aal  diaewv  deutlich  den  Stempel  der  voreuklidischen 
Epoche  an  sich  trägt.  Mag  hier  auch,  besonders  im  zweiten 
Buche^  manche  spätere  Zuthat  hinzugekommen  sein,  der  Grund- 
stock des  Werkes  ist  sicher  nicht  jünger  als  das  Buch  über  die 
Kugel.  Und  w^enn  doch  in  den  Beweisführungen  über  die  Auf- 
und  Untergänge  zwei  Sätze  benutzt  sind,  deren  Analoga  wir 
heutzutage  in  Euklids  Phänomena  finden,  so  dürfen  wir  deshalb 
nicht  das  ältere  Werk  zu  einem  nacheuklidischen  machen  wol- 
len. Von  des  Eudoxos  mathematischem  und  astronomischem 
Wissen  ist  zwar  nur  eine  spärliche  Überlieferung  auf  uns  ge- 
kommen, aber  dieses  Wenige  reicht  hin  um  außer  Zweifel  zu 
stellen,  daß  die  beiden  Sätze,  welche  wir  jetzt  als  6.  und  41. 
Proposition  der  euklidischen  Phänomena  kennen,  schon  zu 
Eudoxos  Zeit  wohl  bekannt  gewesen  und  wissenschaftlich  er- 
wiesen worden  sind.  Wenn  also  Euklid  hier  eine  ältere  Quelle 
benutzt  hat,  so  stand  dieselbe  auch  dem  Autolykos  offen. 

Wir  haben  nun  nachträglich  noch  die  beireffenden  Stellen 
bei  Autolykos  nachzuweisen.  Jlegl  iTttxolwv  Y,al  dioecov  I,  4 
p.  62,  15  wird  folgender  Satz  als  bereits  erwiesen  citirt:  %al 
Irctl  xct  ItiI  tov  twv  tcpdlcov  '/.vy.lou  SoTQa  rct  xata  dtafie- 
TQOv  ivxa   xara  ovtvyiav  ävariXleL  re  /.al  övpec,  rou   iiqa 


148     

A  d-bvovTog  ro  y,ai:it  diaftiTQov  avt^  to  F  ärariklei  u.  s.  w. 
Mit  nur  unerheblichen  Abänderungen  wird  derselbe  Satz  auch 
I,  6  p.  72,  8  und  42  p.  96,  3  angefahrt  i},  während  an  zwei 
anderen  Stellen  der  Znsatz  rb  Tiara  dui^sTQOv  genügt,  um  die 
Berufung  auf  dasselbe  Theorem  anzudeuten^).  Häufiger  noch 
wird  dasselbe  stillschweigend  als  bereits  anderswo  erwiesen 
vorausgesetzt').  Nach  allem  kann  es  nicht  zweifelhaft  erschei- 
nen, daß  Autolykos  diesen  Satz  in  seiner  Quelle  folgender- 
maßen formulirt  vorfand: 

TU  iitl  Tov  Tcjv  tiffdiuiv  xvaXov  &(jTQa  xa  xariz  äid- 
^€TQ0V  ovTa  xorra  av^vylar  äyazelXet  tb  xal  dvvu. 

während  Euklid,  indem  er  den  Satz  als  6.  Proposition  seiner 
Phänomena  aufnahm,  zu  Anfang  eine  kleine  Abkürzung  eintreten 
ließ  und  eine  weitere  Bestimmung  unmittelbar  hinzufügte: 

TOf  Ircl  TOV  ^(fidiay.ov  nimlov  Sarqa  ra  xaror  dia^u- 
TQov  Svra  xari  avCvyiav  ävaTiXkei  re  xal  dvvei' 
ofioicjg  dk  xal  ra  etvI  tov  iar^fiUQivov, 

Wenn  ferner  Autolykos  II,  1  p.  408,  24  sagt:  Tfjg  yaq  EJ 
7teQt(peQelag  ävarelloiarjg  jj  xaira  dui^etQOV  a^rf}  ^  rHdvvu^ 
Tfjg  öeEJ  dvvovarjg  rj  xara  d cd fiezQov  ivarikkei,  so  reicht  diese 
abgekürzte  Anfuhrung  zwar  nicht  dazu  aus,  das  Theorem  wieder 
herzustellen,  auf  welches,  als  in  einer  älteren  Quelle  vorliegend, 
er  sich  hier  beruft;  aber  wir  dürfen  mit  größter  Wahrschein- 
lichkeit vermuthen,  daß  dasselbe  ähnlich  gelautet  habe,  wie 
in  Euklids  Phänomena  die  4  4.  Proposition:  rov  twv  ^(pdiatv 
'AVAkov  Tiov  Xacüv  T€  xai  äTCsvawlov  7ceQiq)€Q6i(Jjp  Iv  fy  XQ^^I* 
fj  itiqa  ävarilkBi,  fj  kriqa  divet'  Iv  fii  di  fj  ixiqa  dvv€i,  i; 
IreQa  avaxiXXei^), 


4)  Die  Wiederholung  des  Artikels  t«  vor  xaia  ^lafjiexqov  unterbleibt 
p.  72,  9  und  96,  8;  statt  inl  tov  iHv  ((^Sitay  xvxXov  ist  kürzer  int  tov 
Ct^diaxov  gesetzt  p.  96,  3. 

2)  II,  4  2  p.  140,  4  3:  tov  6i  11  livaxi'k'kovxog  ro  xaia  diafABtqov  to  Z 
ffvyeti  und  11,  48  p.  458,  4  8:  ro  ^  it^oy  ttyaiiXXeif  ib  de  xaiit  StafAetQoy 
TO  r  ItjMy  Jvysi. 

8)  I,  4  p.  66,  4  4  und  68,44;  II,  8  p.  430,48;  42  p.  440,6  und  442,24; 
44  p.  446,  9;  45  p.  448,  20;  46  p.  452,  3;   47  p.  454,  7  uod  9. 

4)  Wenn  der  Scholiast  zu  der  obigen  Stelle  des  Autolykos  diä  tov  ly' 
ju}y  (paiyofiiytoy  anmerkt,  so  liegt  entweder  ein  Mißverständniß  oder  der 
Fehler  eines  Abschreibers  vor. 


149     

Wir  haben  nun  ferner  die  Elemente  des  Euklid  mit  den 
Schriften  des  Autolykos  zu  vergleichen.  Daß  der  Zusammen- 
steller  der  OTOix^ta  keinen  Anlaß  hatte,  auf  die  Sätze  des  Au- 
tolykos Bezug  zu  nehmen,  ist  schon  oben  (S.  443}  bemerkt 
worden.  Umgekehrt  finden  wir  bei  dem  letzteren  einige  Lehr- 
sätze theiis  ausdrücklich  citirt,  theils  stillschweigend  benutzt, 
welche  uns  als  Bestandtheile  der  Elemente  Euklids  tiberliefert 
worden  sind. 

Autolykos  schreibt  in  der  7.  Proposition  TtsQi  a(palQag  (p. 
^8,  4 — 7):  YMi  €7rsi  ovo  litiTteda  7raqakhfiXa  ra  AB  TJ  vitö 
Tipog  intTtiöov  tov  Z&  Tefivetaij  al  -Kocvai  Sqa  avrwv  TOfAal 
al  KM  ^N  ev&elai  Ttaq&XXriXoL  elotv.  Dies  ist  gerade  so, 
wie  an  den  früher  besprochenen  Stellen,  wo  die  Benutzung 
einer  älteren  Sphärik  durch  Autolykos  nachzuweisen  war^),  ein 
Citat  in  angewandter  Form,  aus  welchem  sich  das  allgemein 
gefaßte  Theorem,  welches  der  Schriftsteller  benutzt  hat,  fol- 
gendermaßen wieder  herstellen  läßt : 

iav   ovo  BTtiTtBÖa  TtaQdckkrjka  i)7i6    Tivog    iTtcTCidov 
Ti^ivrjrai,  al  xoival  ainüv  ro^ial  Tta^aXkriXoL  elaiv. 

Diesen  Satz  nun  hat  Euklid  wörtlich,  nur  mit  einer  uner- 
heblichen Änderung  in  der  Wortstellung^),  als  16.  Theorem  in 
das  XL  Buch  seiner  Elemente  aufgenommen. 

Auf  einen  Satz  der  elementaren  Lehre  vom  Kreise,  welchen 
wir  jetzt  als  40.  Proposition  des  111.  Buches  bei  Euklid  finden 
nxvxXog  x{fxkov  od  vi/Ävei  nazä  Ttkelova  arj^eia  ^  dio«^  bezieht 
sich  Autolykos  ttcqI  aq>alQag  Propos.  8  (p.  32,  2 — 4)  mit  den 

i)  Oben2>.  429— 4 S8. 

Sj  Statt  vrto  tivos  ininidov,  ^ie  Autolykos  citirt,  ist  bei  Euklid  so- 
>vohl  in  der  Proposition  als  am  Ende  der  Beweisführung  (p.  44, 16  Heiberg) 
ino  Inmi&ov  tivog  ohne  Variante  überliefert.  So  also  hat  Euklid  die 
Worte  gestellt,  während  Autolykos  in  seiner  Quelle  vno  xivog  inmidov 
fand.  Denn  daß  der  Text  des  voreuklidischen  Lehrbuches,  welches  diesen 
Abschnitt  der  axoixBia  behandelt  hat,  in  der  That  so  lautete,  beweisen,  die 
€itate  bei  Theodosios,  welche  aus  der  Sph&rik  des  vierten  Jahrhunderts 
V.  Chr.  unverändert  beibehalten  sind  und  somit  zugleich  die  voreuklidische 
Form  eines  Satzes  der  Elemente  aufbewahrt  haben.  Vergl.  Theodos.  sphaer. 
€d.Nizze  II>  40  p.  28,  48—20;  111,  4  p.  6S,  88—35  und  63,  36—64,  2; 
6  p.  67,  49  fg.;  8  p.  74,  42—44;  44  p. 77,  4  0— 12,  und  den  oben  S. 435 f.  ge- 
gebenen Nachweis,  daB  von  den  hier  aufgeführten  Propositionen  11,  40 
und  III, -4  voreuklidisch  sind.  Nur  einmal,  nämlich  II,  47  p.  44,  4  0—12, 
ist  bei  Theodosic^s  die  euklidische  Wortstellung  vno  intnidov  xivo^ 
überliefert. 


150     

Worten:  sl  yaq  ov/,  £fpaQf.i6aei,  dio  nimkoi  TSfiovaip  äklrjlovg 
xava  Ttkelova  ar^fxeiay  Stccq  eatlv  üronov. 

Wean  ferner  Autolykos  in  Propos.  4  (p.  44,  4),  nachdem  er 
bewiesen  hat,  daß  sowohl  der  Kreis  FJ  als  der  Kreis  AB  nor- 
mal zur  Achse  der  Kugel  sind,  weiter  schließt:  7taQ<iiJifji.og 
äqa  IgtIv  b  FJ  xixkog  r(p  AB  liixXfp,  so  setzt  er  dasselbe 
Theorem  voraus,  welches  bei  Euklid  XI ,  44  lautet :  TtQbg  & 
liciTteda  ^  a^rr/  eid'ua  dq&f]  iariv,  TtaQalXrjXa  earai  tu 
aitlTteda.  Ebenso  beruht  die  Schlußfolgerung  in  Fropos.  7 
(p.  26,  7) :  i'AaTBQog  xGiv  AB  ABAF  xixliov  ÖQMg  iaziv 
Ttqog  xov  HZQ'  xai  f]  xoipi]  liga  zofit]  fj  tCjv  AB  F^BA 
7}  AB  ÖQ&iij  loTiV  TtQhg  top  HZQ  TcmXop,  auf  demjenigen 
Lehrsatz,  welcher  uns  als  49.  Proposition  des  XI.  Buches  der 
Elemente  tiberliefert  ist:  eiip  dio  CTtlTteda  rifiPOPTa  Skkrila 
BTttTtidtfi  xipL  Ttqhg  ÖQ&ag  ^,  xai  fj  TLOipr]  aitwp  TOfiij  r(p  avrtp 
iTtLTtidif  Ttqhg  öq&ag  eavac.  Unmittelbar  darauf  f^hrt  Auto- 
lykos fort  (p.  26,  40):  xai  ngbg  Ttiaag  äga  xicg  oTtzofispag 
avvfjg  Ip  Tf^  HZK&  entnidq)  ÖQ&fj  kaxip  fj  AB.  Dieser 
Schluß  beruht  auf  einem  Satze,  der  uns  zwar  nicht  aberliefert, 
wohl  aber  leicht  durch  Umkehrung  der  3.  Definition  desselben 
Buches  der  Elemente  herzustellen  ist,  wie  folgt:  eap  evx^ela 
TtQhg  BTtiTtedop  ÖQ-d-rj  ^,  xal  Ttqhg  Ttaaag  zag  aTtro^tipag  avrijg 
ei&elag  xai  oijoag  bp  r<J)  BTtucidti}  d^d-icg  Tioisi  ywplag^). 

In  der  Beweisführung  zur  2.  Propos.  tzbqI  acpaiqag  (p.  40, 
3 — 5)  wird  von  der  Ähnlichkeit  zweier  Bogen  desselben 
Kreises  auf  deren  Gleichheit  geschlossen,  mithin  ein  Satz 
von  der  Art  vorausgesetzt,  wie  ihn  der  Scholiastzu  dieser  Stelle, 
der  Sache  nach  richtig,  jedoch  in  einer  Fassung  von  offenbar 
jüngerem  Ursprung,  mittheilt:  alipT(^  avri^  ninkft)  TteqKpi" 
QBiat  Sfioiai  Xaai  bIoL  Besser  im  Ausdruck  und  mehr  im  Geiste 
der  euklidischen  Elemente  heißt  es  in  den  Schollen  zu  The- 
odosios^):  rcc  yaq  Bi^oia  ^  ipbg  ^{fxXov  Spva  fj  8io  Xaiop  %ai 


4)  Auch  in  der  Sphörik  des  Theodosios  wird  mebreremals  auf  diesen 
Satz  Bezug  genominen,  welcher  in  den  Scholienzur  Sphärik  an  zwei  Stellen 
als  ävxiotoqofpri  xov  oqov,  n&n)lich  der  8.  Definition  des  41.  Baches  der 
Elem.,  bezeichnet  wird.  In  dem  obigen  Versuche  einerWiederherstellung  der 
umgekehrten  Definition  ist  anstatt  nouZ  auch  die  Form  novrjoBi  zulassig. 

2)  Jahrbücher  für  Philologie  herausg.  von  Fleckeisen  4888  S.  448  a.E. 
uod  ähnlich  in  der  oben  (S.  4  49  ff.]  besprochenen  Scholiensammlung  das 
Scholion  zu  Theodos.  Sphär.  III  Propos.  48  p«  80,  38. 


151     

loa  iarlv,  nur  wird  durch  die  allgemeioe  Fassung  xhbixoi^a 
eine  Schwierigkeit  umgangen,  auf  welche  wir  jetzt  etwas  näher 
einzugehen  haben. 

Autolykos  spricht,  wie  eben  bemerkt  wurde,  von  Kreis- 
bogen [7CBQiq>iQeiat^\  allein  im  dritten  Buche  des  Euklid,  in 
welchem  wir  zunächst  Auskunft  suchen ,  erscheinen  nirgends 
Sfioiai  TteQKpiQBiai.  sondern  nur  Sfioia  r^i^fiara  xixliopy 
d.  i.  ähnliche  Kreissegmente  (vergl.  III  def.  44,  propos. 
23  und  24).  Deshalb  glaubte  ich  früher^)  auf  Eiern.  VI,  33 
zurückgeben  zu  sollen,  wo  die  Verhältnisse  der  Bogen  gleicher 
Kreise  gleichgesetzt  werden  den  Verhältnissen  der  auf  den  Bo- 
gen stehenden  Winkel  ^j .  Was  von  den  Kreisbogen  überhaupt 
gilt,  mußte  auch  von  ähnlichen  Kreisbogen  gelten;  zu  ähn- 
lichen Kreisbogen  aber  gehören  gleiche  Centri-  oder  Peripherie- 
winkel (Eiern.  III  def.  41);  es  stehen  also  zwei  solche  Winkel  zu 
einander  im  Verhältniß  des  Gleichen  zum  Gleichen.  Also  stehen 
auch  die  ähnlichen  Bogen  zweier  gleichen  Kreise  zu  einander 
im  VerhältniB  des  Gleichen  zum  Gleichen,  d.  h.  sie  sind  ein- 
ander gleich.  Was  aber  von  den  ähnlichen  Bogen  zweier  gleichen 
Kreise  gilt,  das  gilt  auch  von  den  ähnlichen  Bogen  eines  und 
desselben  Kreises^].  Doch  fürchte  ich,  daß  diese  ganze  Schluß- 
folgerung allzu  umständlich  und  eine  einfachere  noch  zu  suchen 
ist.  Die  Schwierigkeit  liegt  selbstverständlich  nicht  in  der 
Sache,  sondern  lediglich  in  der  Form,  wenn  anders  man  an  dem 
Erfordemiß  festhält,  daß  die  Beweise  genau  nach  dem  Wort- 


1)  Autol.  p.  4  4  adn.  4. 

2)  'Ey  Toig  Xaoiff  xvxXois  al  ytayiai  xoy  aitov  l/ovfft  Xoyoy  xais 
nEQiq)eQslatf,  ig)*  iy  ßeß^xteaiy,  lay  te  nQos  tolg  xiytQoig  kay  xe  TtQOf  xalg 
ne^KpeQBiaiS'  ioai  ßeßrjxviat. 

8)  Da  Euklid  III  def.  4  4  nicht  von  ähnlichen  Peripherien,  sondern  von 
mmlichen  Tfiti^ma  xvxXtay  spricht,  so  verwies  ich  zu  Autol.  p.  4  4  adn.  4 
noch  suppletorisch  auf  Eiern.  III,  28.  Denn  aus  I,  4  in  Verbindung  mit  III 
def.  4  geht  hervor,  daß  in  gleichen  Kreisen  die  Sehnen  gleicher  Winkel 
einander  gleich  sind,  und  nach  III,  28  schneiden  diese  Sehnen  gleiche  Pe- 
ripherien ab,  sodaß  nun  auch  die  ähnlichen  T^^^ara,  wie  vorher  die  ähn- 
lichen neQi^iqeiaif  in  diesem  besonderen  Falle  als  einander  gleich  nach- 
gewiesen sind.  —  Anderweit  habe  ich  zu  Autol.  p.  69  adn.  4  die  Schluß- 
folgerang von  der  Ähnlichkeit  der  Peripherien  gleicher  Kreise  auf  deren 
Gleichheit  angedeutet  durch  Bezugnahme  auf  Elem.  III  def.  44  u.  propos. 
16;  doch  war  an  jener  Stelle  anstatt  der  2.  Propos.  von  Autol.  de  sphaera 
vielmehr  die  4 .  Definition  desselben  Buches  heranzuziehen,  wonach  die 
Verweise  auf  Euklid  sich  erledigen. 

4886.  4  4 


152     

laut  der  auf  uns  gekommenen  Überlieferung ,  das  ist  in  diesem 
Falle  genau  nach  den  Elementen  Euklids,  geführt  werden. 
Gegeben  sind,  wie  bereits  erwähnt,  zwei  ähnliche  Bogen 
desselben  Kreises.  Es  wird  nun  zu  schlieBen  sein  und  nöthigen- 
falls  auf  apagogisehem  Wege^)  bewiesen  werden  müssen,  daß 
ähnliche  Bogen  auch  ähnliche  Segmente  voraussetzen. 
-Hiernach  kann  man  wörtlich  auf  Elem.  III  def .  \  4  sich  berufen 
und  dadurch  die  Gleichheit  der  auf  den  gegebenen  ähnlichen 
Bogen  stehenden  Winkel  erweisen.  Dann  ist  einzuschalten,  dafi 
es  keinen  Unterschied  macht,  ob  in  einem  und  demselben  Kreise 
zwei  gleiche  Winkel ,  oder  in  zwei  gleichen  Kreisen  je  einer 
genommen  werden,  und  hieraus  endlich  ist  nach  III,  26  glatt 
auf  die  Gleichheit  der  Peripherien  zu  schlieBen,  deren 
Ähnlichkeit  von  Anfang  herein  gegeben  war.  Diese  ganze  Ar- 
gumentation war  möglicherweise  einst  ^usammengefasst  in  einem 
Hülfssatz,  welcher  denselben  Sinn  hatte  wiedie  oben  (S.  450f.: 
aus  den  Scholien  angeführten  Sätze,  dessen  Wortlaut  aber  nach 
Autolykos  p.  40,3 — 5  und  im  Vergleich  mit  Euklid  Elem.  III,  S7 
folgendermafien  herzustellen  sein  würde:  ir  rolg  Xcoig  xincloig 
al  dfxotai  TteQupi^euxi  Xaai  äkXi^laig  elalv. 

In  der  Beweisftlhrung  zur  42.  Propos«  TttQl  üfpaiQocg  (p. 
44,  7]  hat  Autolykos  den  Diameter  eines  Kreises  ermittelt. 
Diesen  halbirt  er  und  schlieBt  hieraus  unmittelbar,  daß  der  Hal- 
birungspunkt  das  Gentium  des  Kreises  ist.  Für  diesen  Fall 
kann  man  sich  nicht  auf  Elem.  III,  4  utov  do&ivrog  xixXov  to 
TiivxQov  evQBiva  berufen,  da  dort  eine  Gerade  als  Normale  auf 
dem  Halbirungspunkte  einer  beliebigen  Sehne  construirt  wird, 
während  hier  bei  Autolykos  der  Diameter  bereits  gegeben  und 
auf  demselben  das  Centrum  zu  suchen  ist.  Die  durchaus  ele- 
mentare Beweisführung  muB  auf  apagogisehem  Wege  aus  den 
Definitionen  45, 46  und  47  des  ersten  Buches  entwickelt  worden 
sein  2) .  Ein  Analogon  bietet  die  ebenfalls  apagogische  Beweis- 
führung in  Elem.  111,  4. 

Endlich  ist  noch  km*z  zu  erwähnen,  daß  Autolykos  in  der 
Beweisführung  zur  7.  Proposition  (p.  28, 4 — 4)  mit  den  Worten 


4)  Dieser  Weg  ist  sicher  vorgezeichnet  durch  den  analogen  Beweis 
Glem.  III,  23.  Auch  III,  S4  kann  verglichen  vrerden. 

2}  In  der  Ausgabe  des  Autolykos  p.  45  adn.  2,  wo  ich  auf  diese  De- 
finitionen verwiesen  habe,  hat  sich  leider  der  Druckfehler  4  5.  6.  7  statt 
4  5.  4  6.  47.  eingeschlichen. 


153 

fl  imo  ttar  KMQ  ytavla  fj  nklaig  iarlv  kv  fj  ^iuXitai  b  AB 
nimlog  jtQbg  tbv  ABJT  tAnXov  u.  s.  w.  fatfcbst  wahrschein- 
lich auf  denselben  Satz  Bezug  nimmt,  welchen  wir  als  6.  Defi- 
nition vor  dem  XI.  Buche  des  Euklid  finden. 

Soviel  über  die  Lehrsätze  der  elementaren  Geometrie,  welche 
von  Autolykos  theils  ausdrücklich  citirt,  theils,  wie  zu  vermu- 
(hen,  stillschweigend  benutzt  worden  sind.*  Einige  von  diesen 
Sätzen  sind  von  Euklid  in  sein  groBes  Sammelwerk  aufgenom- 
men, andere  aber  wohl  um  deswillen  ausgeschlossen  worden, 
weil  sie  als  Hülfssätze  aus  anderen  Elementarsätzen  sich  zu 
ergeben  schienen  und  ihre  Überlieferung  und  Begründung  dem 
lebendigen  Unterrichte  überlassen  bleiben  sollte. 

Fragen  wir  nun ,  woher  Autolykos  diese  Sätze  entlehnte, 
so  haben  wir  zwischen  einer  älteren  und  einer  jüngeren  Quelle 
zu  unterscheiden. 

Die  jüngere  Quelle  ist  uns  vollständig  erhalten  in  den  Ele- 
menten Euklids ;  von  der  älteren  Quelle  sind  nur  noch  einige 
Spuren  geblieben,  aber  diese  reichen  vollkommen  aus  für  den 
hier  vorliegenden  Zweck.  Nach  den  Citaten  bei  Autolykos  ist 
oben  (S.  135)  eine  Reihe  von  Definitionen  und  Lehrsätzen  zu- 
sammengestellt worden,  welche  einem  bereits  im  vierten  Jahr- 
hundert verbreiteten  Lehrbuch  der  Sphärik  angehört  haben, 
und  es  ist  von  da  aus  weiter  ermittelt  worden,  welche  Sätze  der 
Elementargeometrie  als  damals  schon  bekannt,  mithin  als  vor- 
euklidisch  zu  bezeichnen  sind  (S.  136—438).  Wir  werden 
diese  Reihe,  um  die  Verglelchung  zu  erleichtern,  in  der  nach- 
folgenden Übersicht  A  wiederholen. 

Andervi'eit  haben  wir  oben  Gelegenheit  genommen,  die- 
jenigen Sätze  der  alteren  Sphärik  zusammenzustellen,  welche 
von  Euklid  in  seinen  Phänomena  unmittelbar  oder  mittelbar 
benutzt  worden  sind  (S.  135  Anm.  1).  Um  aber  diese  Sätze 
tu  erweisen,  brauchte  der  Verfasser  der  älteren  Sphärik  eine 
Reihe  von  Elementarsätzen,  die  wir  gegenwärtig  zwar  nur  nach 
ihrer  Fundstätte  bei  Euklid  citiren  können,  die  aber  ebenso 
sicher  als  die  Reihe  unter  A  als  voreuklidisch  zu  betrachten 
sind.  Wir  werden  sie  in  der  nachfolgenden  Übersicht  unter  B 
zusammenstellen. 

Endlich  fügen  wir  unter  C  sowohl  diejenigen  Definitionen, 
Vorbereitungs- und  Lehrsätze  der  Elemente  hinzu,  welche  Auto- 
lykos nach  dem  obigen  Ausweis  (S.  149 — 153)  in  seinen  Schrif- 

-14* 


154 


len  benatit  hat,  als  diejenigeD,  weldie  zum  Beweis  der  ersteren 
erforderlich  waren: 


I   def.  4.  9-23, 
ahrj  flava  1-5, 
xoirai  ewouiih  -4 . , 

7-9.  , 

propos.  4-5. 7-20.; 

22-24.  26-29. 

31-34.  44.  46.! 

47, 

« 

III  def.  4.2.6-9.44, 
propos.  4  cum  co- 

roll.,3.0.7. 40. 1 
46.  20-22.  24.: 
26.27.34, 

IV  propos.  6, 


B 

I   def.  4.  9-23, 
ah f^ flava  4-5,       i 
xo/rai£yroiai4-4.  | 

7-9,  I 

propos.  1-5.7-20. , 

22-24.  26-29.; 

34-34.  t4.  46. 

47, 


I   def.t4.9.40.43-47, 
alrrifia  2, 
TLOival  irroiaii  -4. 

7-9, 
propos.  4  -5. 7-4  { . 

43.  45-47, 


HI  def.  4.2.  6-9.4  4,   III  def.  4.  6-9.  44, 
propos.  4  cum  co-        propos.  4  cum  co- 
roll.,3.5.7.40.i         roll.,  5.  40. 


46.  20-22.  24. 
26-29.  34, 


IV  propos.  6, 


XI  def.  3.  4.  6.  8, 
propos.  4-44.  46. 
48.49.38vulgo. 


24.  26, 


XI  def.  3.  4.  8, 
propos.  4 .  3.  43. 
44.  46.  49. 


XI  def.  3.  4.  8, 
propos.  4-44.4  3. 
44.  46.  48.  49. 
38  vulgo. 

Die  Übersichten  A  und  B  sind  fast  identisch,  und  zwar  steht 
unter  A  kein  Satz,  der  sich  nicht  auch  unter  B  befindet.  Als  Mehr 
enthält  B,  im  Vergleich  mit  A,  nur  III  propos.  28  und  29  und 
XI  def.  6,  propos.  42.  Alles  was  unter  A  und  B  steht,  gehört 
der  voreuklidischen  Epoche  an.  Die  Sätze  unter  C  finden  sich 
alle  bereits  verzeichnet  sowohl  unter  A  als  unter  B  und  sind, 
wenn  auch  minder  zahlreich,  doch  offenbar  in  derselben  Weise 
gruppirt  als  die  Beihe  AB,  welche  aus  der  älteren  Sphärik  er- 
mittelt worden  war.  £s  wird  hiemach  niemand  behaupten 
wollen,  Autolykos  könne  die  oben'  S.  449 — 453  behandelten 
Sätze  aus  keiner  anderen  Quelle  als  den  avoix^ia  des  Euklid 
entnommen  haben;  sondern  es  ist  daneben  eine  andere  ältere 
Quelle  nachgewiesen,  aus  welcher  der  Verfasser  des  von  Auto- 
lykos benutzten  Lehrbuches  der  Sphärik  geschöpft  hat.  Und  daB 
in  der  That  Autolykos  dieselbe  Quelle  benutzt  hat,  daraufweist 


155 

zunächst  die  Ähnlichkeit  der  Gruppirung  unter  G  mit  jener  unter 
AB  hin.  Umgekehrt  aber  würde  nichts  unwahrscheinlicher  sein, 
als  wenn  wir  annehmen  wollten,  daß  Euklid,  dessen  Phäno- 
mena  jedenfalls  das  Buch  des  Autolykos  über  die  Kugel  als 
Quelle  voraussetzen,  seine  Elemente  um  so  viel  früher  heraus- 
gegeben habe,  daß  diese  ihrerseits  die  Quelle  für  Autolykos 
bildeten.  Autolykos  mußte,  um  ein  in  jeder  Beziehung  so  aus- 
gereiftes Werk  wie  das  über  die  Kugel  verfassen  zu  können, 
die  Elemente  der  Geometrie  schon  von  Jugend  an,  jedenfalls 
nicht  später  als  die  Hauptsätze  der  Sphärik,  sich  angeeignet 
haben.  Die  von  ihm  benutzte  Sphärik  aber  ist  älter  gewesen 
als  alle  Werke  Euklids;  also  haben  auch  die  Sammlungen  von 
Elementarsätzen,  aus  welchen  er  schöpfte,  schon  vor  Euklid 
bestanden,  wie  ja  bereits  auf  anderem  Wege  nachgewiesen 
worden  ist. 

Demnach  ist  mit  größter  Wahrscheinlichkeit  anzunehmen, 
daß  die  ganze  schriftstellerische  Thätigkeit  des  Autolykos,  soweit 
wir  davon  Kenntniß  haben,  derjenigen  des  Euklid  voraus- 
gegangen ist. 


156 


Herr  Fleischer  legte  das  sechste  Stück  von  Studien  über 
Oozyts  Supplement  aux  dictionnaires  arabes  vor  (s.  die  Berichte 
von  diesem  Jahre,  S.  28—92) . 


II,  502%  3.   Die  üebersetzung  von  ^j  "^  ^)j^  ^^  ^  u 

LPl^^N^Mt  »je  devais  de  tonte  n^oessit^  entendre  ses  oris«  ist  ge- 
scheitert an  dem  aus  ^  verschriebenen  ^,  Die  Quellen- 
werke erklären  qU>  durch  ^^^  als  gleichbedeutend ;  demnach 
ist  der  Sinn :  «es  war  fttr  mich  keineswegs  eine  leichte  Auf- 
gabe, ihr  Weinen  anzuhorem.  Ausser  dieser  Bedeutungsver- 
wandtschaft verbindet  auch  die  Lautähniichkeit  die   von  den 


c^        o. 


beiden  Stämmen  abgeleiteten  Adjectiva  ^^  ^^^  oder  ^wJ  ^^ 

zu  einem  asyndetischen  Wortpaare  von  der  Gattung  cLöt,  M  UrA*^ 

1.  Z.   und  lin*,  8. 

II ,  502%  25  flg.   Über  die  neuere  Gedichtgattung  ^^^  ^^ 

handelt  Dr.  Gies  ausführlich  in  seiner  Promotionsschrift:  q^äaj'» 


9^0««« 


Xju^i.    Ein  Beitrag   zur  Kenntniss  sieben  neuerer  arabischer 
Versarten,  Leipzig  4879,  S.  53—62. 


^      «V      ^    ^ 


11,  502^,  \ — 4.  Dass    q^'  neben  »sc  moiivoir«,  504^  9, 
auch  ime  pas  se  mouvoirv  bedeute,  ist  an  und  fttr  sich  unglaub- 

lieh.  Wenn  M  Iaöa^,  43  und  4  4,  q^*  durch  vd^*,  sich  be- 
wegen, sich  regen,  erklärt,  so  ist  dies  soviel  als  thätig 
sein,  wirken,    eigentlich:  sich  als  seiend  bethätigen. 

Jenes  praegnante  sich  regen,  — wie  im  Sprttchworte  ÄiC^t 

*  *  * 
iSß^  Sich  regen  bringt  Segen  — ,  liegt  auch  den  meisten  An- 


157     

Wendungen  von  ^'^  Supplement,  I,  STS** und  276*  zu  Grunde. 


—  Hier  aber  entspricht  q^^'  als  Reflexivum  von  q^^  Im  all- 
gemeinsten Sinne  einfach  unserem  sich  bilden:  »Da  blieb 
an  der  Ausgussmttndang  der  Kanne  ein  Tropfen  Wein  zurück, 
der  sich  gebildet  hatte  und  nicht  abgefallen  war«. 

o.  i 

II,  SOS**,  83  »Q^'  — turc,  cuirdevache^  Bca  ^^^,  gön,  im 

Türkischen  überhaupt  Fell,  Leder;  vom  arabischen  ^^  zu' 
trennen. 

II,  bOi^,  25  i>'i^  combat,  Bc.«  gleichbedeutend  mit  dem 

vodBc.  selbst  daneben  gestellten  Äie^,  Treffen,  affaire,  action; 

nach  seiner  Form  n.  vicis  von  \)]^^  ^  q^  guerre,  combat«, 
Guche  S.  oaI^. 


11,  505',  6  u.  5  v.  u.    UoJ^  in  der  angeführten  Stelle 

nicht  subjectiv  -^se  figurer,  se  repräsenteru,  wie  jyaj,  Jud^',  son- 

dem  objectiv  »«e  realiser,  avoir  /teu«,  von  ,^jLfS  ^sfaire  exister, 
faire  avoir  lieun,  i\  u.  40  v.u.,  eigentlich:  auf  eine  gewisseArt 

«  o  ^ 

und  Weise  verwirklichen;  verhttlt  sich  zu  ^Ju^  ähnlich  wie 
Ttouiv  zu  Tcoiög.  Möglichst  wörtlich:  »Die Geister  waren  über 
die  Art  und  Weise  des  Zustandekommens  seines  Glückes  in  Ver- 
wirrung«, d.  h.  niemand  konnte  sich  erklären,  wie  der  Mann 
eigentlich   zu   seinem  Glücke  gekommen  war.     Vgl.   hiermit 

*aÜLXo  evenementsa  505*^,  8  v.  u. 

II,  505^,  7 — 42  »JfiJi   en  pensarU  qttea.  Denken,  sich  vor- 
stellen u.  s.  w.  ist  der  allgemeine  Grundbegriff  der  regierenden 

9 

Zeitwörter  solcher  Sätze,  mag  das  Regierte  einfach  durch  ^\  ^ 

q\  oder  durch  \,JuS  eingeleitet  sein.  Durch  das  letztere  aber 
kommt  zu  dem  dass  ein  so  hinzu,  bezüglich  auf  die  Art  und 
Weise  eines  Seins,  Thuns  oder  Leidens,  oder  auf  einen  dadurch- 

bewirkten  persönlichen  oder  sächlichen  Zustand.   ^Ji^S  w^l  J>) 


158     

vi>.*Ä^,  ich  wundere  mich,  wie  du  geschrieben  hast,  S'OVfiitw 
Sitoßg  yiYQag)ag,    d.  h.  dass  du  so  gut;  oder  so  schlecht  ge- 

schrieben  hast.  Die  von  Dozy  angeführte  erste  Stelle :  m^^^^S 
waPlXj  y,juS  »sie  freute  sich,  wie  er  weggehen  würdet,  d.  h. 
dass  er  sie  so  ganz  nach  ihrem  Wunsch  von  seiner  Gegenwart 
befreien  würde.  Die  dritte:  ^.^uwxj  ^JuS  tüJoJL«  .i«  s^oäLc  aJü» 
Lpx:  Dsein  Herz  entbrannte  vor  Sehnsucht  nach  seiner  Residenz, 
(wenn  er  dachte)  dass  er  so  fern  von  ihr  sein  würde«,  nicht 
nach  S.  552*  unter   w^t :    er  brannte  vor  Verlangen  sie  zu 


verlassen.   Die  zweite  Stelle  aber :  s JUam^q  ^I  %^^  s^iuS  AL«ij , 

ist  einfach  :  er  meldete  ihm,  wie  er  an  seinen  Wohnsitz  zurück- 
gekehrt war. 

II,  Q05^,  42  »bien  au  contraire«  giebt  die  Bedeutung  dieses 
^  sJuS  nur  unvollkommen  wieder.    Es  ist  eine  elliptische  Re- 

densart :  ^JuS  statt  q^v.  v-^  o^^**  ^7^*  ^^^  *  ^^'®  konnte 

das  sein?  wie  wäre  das  möglich?«  in  verneinendem  Sinne,  — 

\yiaS  L^  y^3  ^5  mit  JU^t  ^^  :  »da  er  ja  (im  Gegentheil) 
viele  dieser  Heiligenwunder  selbst  erzählt  hat.« 

n,  507*,  40  »Q^  v^  Q^<^  soll  nach  der  einzigen  da- 
für angeführten  Stelle  bedeuten:  i^qui  me  remplacera  auprts 
dun  tel^^  Aber  die  einheimischen  Sprachgelehrten  selbst 
ergänzen  diese  oft  vorkommende  elliptische  Redensart  rieh- 

tig  durch  ein  das  v  ^^  o^  regierendes  JiJu:  wer  bürgt 
mir  für  den  und  den?  d.  h.  wer  leistet  mir  Gewähr  für  Hab- 
haftwerdung  seiner  Person  oder  für  Erlangung  irgendwelcher 
Ansprüche  auf  sein  Vermdgen,  seine  Dienste  u.  s.  w.,  sei  es  als 
wirkliche  Frage,  sei  es  als  Wunsch,  oder  als  Verneinung  in 
Frageform;  s.  Dieterici's  Mutanabbt,   S.  öL   V.  Iv,  Ibn  al-Atir, 

IX,  S.  n  vorl.  Z.;    ebenso  mit  v  einer  Sache  oder  mit  qIj 

und  folgendem  Imperfect-Conjunctiv,  Ibn  al-Atlr,  X,  S.  w  Z.  2, 
AbulmahAsin,  II,  S.  IIa  Z.  8.  Der  gewissenhafte  Richter  weigert 
sich,  die  Moschee  zu  verlassen  und  nach  Hause  zu  gehen,  mit 
den  Worten :     Wer  steht  mir  dafür ,   dass  ich  die  armen  be- 


159     

drängten  Beschwerdeführer,  wenn  sie  mich  hier  suchen  und 
Dicht  finden ,  jemals  zu  sehen  bekomme  ?  —  Dieselbe  Ellipse 

in  Aussagesätzen,  z,  B.  aj  \^  LI  » ich  mache  mich  anheischig 

ihn  dir  herbeizuschaffen «,  ist  nachgewiesen  in  meinen  Kl.  Sehr. 
I,  S.  758  u.  759  zu  de  Sacy,  II,  473,  §  853. 

I 

II,  507*,  17  flg.  In  derUebersetzung  von  J^ciJü:  t^jeprends 

Dieu  ätämoina  liegt  zugleich  der  Grund  der  Anwendung  des 
Perfectunis  v^^yilc  ^  in  der  Bedeutung  des  Futurums.    Jenes 

^^  aU,  Gotte  bin  ich  schuldig,  Deo  a  me  debetur,  gilt  als 
Schwur,  durch  den  man  sich  zur  Beobachtung  des  folgenden 

Jiik^  '^  verpflichtet;  s.  meine  KL  Sehr.  I,  S.  446,  Z.  44  u.  45. 

II,  507^  48  »^^^4  Nebenform  von  i',L3, 

II,  509%  2    v^Oü^^  »scheint«  nicht  bloss,  sondern  ist  »Le- 

vantin^j  von  JUi^^,  der  breitem,  arabischen  Aussprache  des  als 

\Xiji  zu  den  Persern  und  Türken  gekommenen  italienischen  le^ 
vante,  franz.  levanL  Über  die  vielfachen  Bedeutungsttbergänge 
dieses  Wortes  im  morgenländischen  Sprachgebrauche  s.  Me- 
ninski  und  Zenker  unter  Jü^J .  Man  verwechsle  es  nicht  mit 
dem  ebenfalls  aus  dem  Romanischen  in  die  vorderasiatischen 

Sprachen  gekommenen  tJü^,  M.  f1l*f  *,  26  u.  27,  oder  wA3^^^ 
Zenker  790^,  5,  lavanda^  lavande,  Lavendel. 

II,  509%  4  0  »jJLi^t,  d.  h.    ^jä1>,  für    ^^  ^%    wozu? 

warum?   gewöhnlich  zusammengezogen  in  (ji^J,  561%  1.  Z. 

II,  511%  14  »^LAjt^a,  nach  richtiger  Aussprache  und  Schreib- 
art ^Lu!^ ;  s.  meine  Rl.  Sehr.  I,  S.  35. 

II,  514%  15  flg.  Nach  Cuche  S.  oü^  bedeutet  y^  '^^  ^^' 

meinarabischen  nicht  bloss  »pulpe  d'un  fruit a,  wie  v^,  sondern 
auch  »extr^mit^  d'un  rameau«,  was  durch  die  aus  der  T.  u. 
£.  N.  angefahrte  Stelle  bestätigt  wird.   Vgl.  das  Yb.  nblb  und 


160    

das  Nomen  (Obab,  Ka^ibab  bei  Levy,  Ghald.  Wörterbuch,  I, 
404». 

II,  515*,  3  flg.  Bei  der  AIlgemeiDfaeit  des  Ausdrucks  tJJ^ 

Sauermilchgericht,  können  die  Zuthaten  zu  dem  Grund- 
bestandtheile,  der  säuern  Milch,  natttriich  nach  Geschmack  und 
Gewohnheit  sehr  verschieden  sein,  wie  denn  auch  Gucbe  S.  oll^ 
als  Bedeutung  angiebt:  »meis  fait  en  grande  partie  avec  du  lait 
aigre«. 

II,  54  5\  1.  Z.  »/^U  Druckfehler  st.  /^I ;  s.  ^jU  oben 

II,  224^,  26.  Cuche,  oir,  5  u.  6  »^^^  caisse  d'une  porte,  df  une 

.fen^tre«  als  gemeinarabisch,  d.  h.  von  einer  aus  mehrern  Plan- 
ken zusammengesetzten  grosseren  Thttre :  die  diese  Theile  zu- 
sammenschliessende  Bandeinfassung,  la  moulure,  le  chambranle; 
von  einem  Fenster:  der  Bahmen,  le  chAssis. 

II,   545^,    9  V.  u.     0^«  Erweichung  vod  ^nU.     Guche: 

o(^n1l!  ^^JLbl)  ;;Nil  salir  qqn.  d'ordures.tt 

11,  520^^,  5  V.  u.  flg.     Den  allgemeinen  Sinn  der  Stelle 
drückt  die  Uebersetzung  richtig  aus,  aber  nicht  das  besondere 

syntaktische  Verhaltniss  zwischen  <£)l4w^  KU^^  und  lu  ^jJi^\J  q\ 


o    « 


mit  Auslassung  von  ^  vor  dem  letztern :  »Meine Mutter  nannte 
mich  Fudail,  indem  sie  deinen  Namen  (Fadlj  zu  hoch  hielt,  als 
dass  sie  mir  ihn  beigelegt  hätte,  sondern  sie  brachte  ihn  in  die 


CS     m    u  ^ 

Verkleinerungsform.«   Dieselbe  Weglassung  wie  in  ^\  XaaS  st 


o  S     (• 


Ji  ^£  X2a*    (meine  Kl.  Sehr.  1 ,  407,  21  flg.   u.   430 ,  3  flg.] 
kann  bei  jedem  ähnlichen  Sinnverhaltnisse  stattfinden ;  so  Mat^- 

tari,  I,  ^ö,  U:     ^Lll\^  ^bSl!   L^vX>  fl)^  J  J^  ^ 

»seine  Schönheit  ist  zu  gross,  als  dass  die  Tage  und  Nachte 
ihren  frischen  Glanz  verwischen  könnten«;    ebendas.  v11,  6  : 

^L^amJÜ  »ich  habe  diese  meine  Schrift  von  beschimpfender  Sa-. 


. 161     

tyre  rein  und  zu  hoch  in  Ehren  gehalten,  um  sie  zu  einem 
Tummelplatze  schmSihsUchtiger  Leute  zu  machen«;  Ma^kart,  II, 

fn,  7  :   iAyoyA  ^-j  q!  ^L^  J^I  »ich  ehre  meinen  Becher 

zu  hoch,  um  ihn  jemals  erniedrigt  (weggesetzt)  erscheinen  zu 
lassen«;  »daher a,  fahrt  der  folgende  Halbvers  fort,  »sieht  man 
ihn  immer  in  meiner  oder  meines  Zechbruders  Hand.« 

II,  520^,  16  u.  47.  Die  hier  nachgewiesene  Bedeutung  von 
/ä>jLj,  i>corrigerfi,  entwickelt  sich  wie  bei  dem  synonymen 

^j\iXj  aus  dem  ursprünglichen  wieder  einholen^  wieder  ein- 
bringen, rattraper;  daher  dann  reparer^  remedier,  einen  Scha- 
den wieder  gut  machen,  einem  Uebel  abhelfen. 

II,  524%  3  V.  u.  Nach  der Uebersetzung  »le  glaive  sevissait^ 
scheint  Dozy  ...ä^mJI  ^\  im  Activum  gelesen  zu  haben ;  aber 
wie  s:;a^u^!  im  vorhergehenden   '\^Ut  c^^^^^M^t,  so  ist 


auch  1«^!   im  Passivum  zu  lesen:    »das  Schwert  wurde  mit 

Fleisch  gespeist«,  d.  h.  die  Heerden  wurden  geraubt  und  die 
Heerdenbesitzer  niedergehauen. 

II,  523%  vorl.  Z.   »esp^ce  d'absinthe,  en  allemand  Weiss- 
krautiij  sehr,  espdce  de  choo,  choublanc;  wie  auch  unser  Weiss- 

kraut  gleichbedeutend  ist  mit  Weisskohl.  »sJ-  aber,  tttrk.  lü^, 
ist  das  griech.  Idxcxvov,  PI.  Xdx^^^- 

n,   524^,  9.     Wäre  dieses  oi^tJü  der  Plural  von  »äolJü 
bon  goüt.  saveur,  succulencefVi  so  würde  es  als  Substantiv  mit 

fjMQl\   eine  determinirte  Genetivanziehung  bilden,   wört- 

li  h:  »dieAnnehmlichkeiten  derGeschmäckea  (sit  venia  verbo), 
was  aber  nach  seinem  Coordinationsverhältnisse  zu  dem  vorher- 
gehenden indeterminirten  qU^  grammatisch  und  nach 

seinem  Verhältnisse  zu  (»^^OÜi  als  zweites  Praedicat  davon  lo- 
gisch unmöglich  ist.    Hat  daher  der  Vf.  wirklich  o1i3tJü  ge- 


162 


y     "     T  r 


schrieben,   so  muss  er  ol<3IJü  ausgesprochen  and  dieses  als 

Verstärkung  von  olJ^,  dem  Verbal-Adjecliv  von  JJ  S.  524' 
vorl.  Z.,  mit  rytbit  zu  einer  indeterminirten  Genetivanziehung 

verbunden  haben :  JiDie  verschiedenen  Arten  von  Fleisch  sind 
fett  und  sehr  angenehm  von  Geschmack.«  Wahrscheinlicher  ist 

mir  indessen  eine  Dittographie   statt   otJü ,    vom  Adj.   JC, 

fem.   BJü. 

II,  524^27  »lyuy  (?)  dispute,  quer  eile,  Payne  Smith  1364«. 
Statt  hinter  dieses  Wortungeheuer  ein  Fragezeichen  zu  setzen, 

hatte  Dozy  es  getrost  in  i^lyu^l ,  Inf.  von  ,^yc^t  =  (^X^ »  ver- 
wandeln können.  Ich  habe  mehrmals  bemerkt,  dass  der  Artikel 
durch  Verbindung  des  Alif  an  seinem  unteren  Ende  mit  dem 
etwas  gedrtlckten  Lftm  in  neuern ,  zum  persischen  und  türki- 
schen Schriftzuge  hinneigenden  Handschriften  annäherungsweise 
die  Gestalt  eines  J  annimmt. 

II,  5S5^,  7 — 40.    Zur  Beantwortung  der  hier  gestellten 

c. 

Frage  kommt  neben  der  aus  M  angeführten  Stelle  über  ÄdjUl 
die  andere  desselben  Wörterbuchs  über  ^|^i^t    in   Betracht, 

lin\    42— U:     ^  vJyÄijl  ^KJi  Jj^  iCoui!   JJ^  j\^\ 


^\  j^  aL^^^^  ^"^^  *^  oy^-^  •  y^5  gJ:^'  ^J^  ^j^ 

\}y^\  vii.     Mit  beiden    zu  vergleichen  ist  Cuche  n*t*  :    » ^yi 

\yJiy^  pousser  vers  lebord,  faire  aller  au  bord  (les  boeufs,  lors- 
quHls  labourent  les  terres  qui  vont  en  amphith64tre]«  und  ni^  : 

D  .!^  bord  relev6  rfun  champ  (dans  les  terres  cultivöes  en  gra- 
dins),  parapet,  talus«.   Nimmt  man  dazu  M^s  eigene  Erklärung 

des  in  der  Stelle  über  Ädjiil  von  ihm  gebrauchten  J^l ,  näm- 
lieh :  i^^Ijm  iA>3  ^IwX:>-  otJ  Äsbäil  {jOj'i\  ^y^  J^l,   so  gewinnt 

*  0  *  - 

man,  wie  mir  scheint,  folgendes  Ergebniss :  j]y^^  ist  der  ein 


163     V 

abschüssiges  Ackerfeld  am  untern  Ende  wie  eine  Brustwehr 
umschliessende  Erdaufwurf,  XÄjUt  dagegen  (im  gewöhnlichen 
Spracbgebrauche :  das  Heftpflaster)  die  sich  abdachende  Fläche 

^    w    ^ 

des  Ackerfeldes  selbst ;  davon  die  beiden  Zeitwörter  ^^  und 

/ä  J  für  die  beiden  entgegengesetzten  Richtungen,  welche  der 

PflUger  auf  einem  solchen  Felde  einhält:  das  erste  für  die  Rich- 
tung nach  jenem  Erdaufwurfe,  das  zweite  für  die  nach  dem 
oberen  Ende  hin. 

II,  528^,  5  u.  6   ».«wmJ«  ein  Unwort,  einfach  zu  streichen; 

denn  ^wJL«  in  »a-JL>.  .  ^t  ifuJ.  ^  ^wJU  armS  de  pied  en  cap^ 

ist  nichts  als  einer  der  zahlreichen  Druckfehler  in  den  späteren 
Auflagen  von  Bocthor's  Wörterbuch,  wogegen  die  erste  unter 

Gap  richtig   Am^  hat. 

II,   530^,   23 — 25   »/äAo^ir   nicht  ^inspecteur*^  sondern 

nachAbleitung  und  Inhalt  der  angeführten  Stelle  Grundstück- 
nachbar,  Adjacent:  »Der  Adjacent  unseres  Grundstücks 
wollte  sein  Grundstück  bewässern,  schlief  aber  darüber  ein, 
worauf  das  Wasser  überströmte  und  unser  Grundstück  be- 
wässerte,  a 

11,  534%  h\  u.  i2.   Die  Erklärung,  welche 'M  von  ^L^ 

giebt,  zeigt  s^yc»  in  der  Bedeutung  des  Küchenwortes  fouetter, 
wie  fouetter  la  cr^me,  d.  h.  la  faire  mousser,  deutsch:  zu  Schaum 
schlagen.  • 

II,   530,  9    »JftJbJ  c.  V»  semble  prendre  soin  de«.    Dozy 

halte  nicht  nöthig  sich  so  zweifelnd  auszudrücken ;  yjlhi  mit 
V  eines  Dinges  bedeutet  auch  in  der  angeführten  Stelle,  wie 
gewöhnlich,  es  zart  und  schonend  behandeln:  »er  nahm  von 
diesen  Granatapfelbäumen  ein  Steckreis,  ging  damit  vorsichtig 
um  und  pflanzte  es  in  die  Erde.« 

II,  530,  15 — n  »v^ibJ,  n.  d'act.  wftJ^,  dans  le  Voc.  sous 
malus,  empirer,  devenir  pirej  Ale.  (enpeorar,  enpeorar  la  do- 


'  164     

leneiac,  das  entsprecheDde  CaQsaiivum  sJjW*  .  25  u.  26  ^empi- 

rtTy  rendre  pire^  Voc.t,  das  Reflexi^nin  y^hlj  532*,  29  »em- 

pireTj  devenir  pire,  Voc.t  und  das  AbsCractum  >«äo^,  36 — ^38 
MUUriüratUmy  degradaiion,  Yoc.  .maltcia  =  xJo^,  Ss^b^),  Ale. 
{peoria)ir    haben   ein  Seiteostück   in   dem  gemeinarabischen 

fi^'Jal\  ^  yjüo^  Indisposition,  lagere  maladieo  bei  Cuche  S.*t./. 

Den  Grund  dieser  auffallenden  Bedeutungswendung  finde  ich 
darin,  dass  der  physische  Grundbegriff  der  Dttnne,  tenuitas, 
im  Gegensatze  zum  gewöhnlichen  Entwicklungsgange  in  den 
der  Schwäche  und  weiter  in  den  der  Schlechtigkeit  um- 
geschlagen ist. 

II,  536»,  2—5.    In  ^y^\  ^]^   das  zweite  Wort  nicht 

für  Thränengefässe,  sondern  für  Thränen  selbst  und  so- 
mit die  Genetivanziehung  nach  rhetorisch- dichterischer  Weise 


9     r 


fttr  eine  erklärende  im  Sinne  von  ^s^l^t  q^^^^  »^^  larmes 
brülant€S9  zu  nehmen,  liegt  weniger  nah,  als  die  Erklärung 
durch:  die  brennenden  Ergüsse  derThränengefilsse. 

II,   537*,   5   v.u.     »*jy^«    Druckfehler  in  M  st.  aJ^, 
d.  h.  &JL^,  PI.  von   -^.     Dozy  scheint  es  nach  seiner  Ueber- 


O    9 


Setzung,  ohne  weitere  Bemerkung  darüber,  jü.^  gelesen  und 

dieses  s^^  für  gleichbedeutend  mit  J$^  gehalten  zu  haben; 
aber  eine  solche  Singularform  giebt  es  nicht. 

II,  538*,  26   »j^  (Iure  ^]   minen   stammt  von  layiuy. 

Kluft,  Höhlung;  in  der  angegebenen  technischen  Bedeutung 
aber  ist  das  Wort  als  kayaö^ior,  XayoifAt  von  den  Türken  zu 
den  Griechen  zurückgekommen,  nicht  umgekehrt  nach  LehgeY 
'otmänt  S.  t.lf  zu  Anfang  des  betreffenden  Artikels :  .  ^S  fjkj 

II,  538*,  7 — 5  V.  u.    W^ie  Amalgama  und  amalgami- 
ren,  |«jkLo^  ^^  und  A^y},  Salbenpflaster  (s.  das  2.  Stück 


165     

dieser  Studien  v.  J.  4882,  S.  26  u.  27),  so  kommt  auch  dieses 
v.;,^wA3üb  iUxLe,  vergoldet,  durch  Vermittlung  eines  denomi- 


Dativen  ^  von  ^Akayfia.  Im  Neugriechischen  ist  fidkayfia 
speciell  amalgame  d'or,  mit  Quecksilber  versetztes  Gold ,  ^ta- 
kayfiaTwvw  ich  vergolde,    ^akayfidTiOfia  Vergoldung.     Ein 

Quadriliterum  von  demselben  Stamm  ist  das  folgende  ^-yM. 

II,  540^,25 — 28.  Nach  Beschreibung  der  durch  das  Lauten- 
spiel und  den  Gesang  der  Künstlerin  in  dem  Zuhörerkreise  er- 
zeugten Begeisterung  heisst  es  weiter :    oLAfiUb  y;^^  cxX3>l^ 

jBund  die  Herzen  eroberte  sie  durch  die  Wendungena,  d.  h.  die 
üDmuthigen  Bewegungen  des  Kopfes,  der  Arme  u.  s.  w.,  mit 
denen  sie  ihre  musikalischen  Kunstleistungen  begleitete.  Dies 
im  Hinblick  auf  Dozy^s  »je  ne  sais  pas  bien  comment  il  faut 
traduire.ff 

II,  541^,  43  u.  44.    Hätte  man  in  »qU»^  häbleur«  ein  ara- 

bisches  y^^JJasü9  zu  suchen,  so  wäre  Ht's  Schreibart  allerdings 

»fort  Strange«;  aber  Dozy  selbst  zweifelt  offenbar  an  jener  Ab- 
leitung.   In  derThat  stellt  q^j^^  die  breite  türkische  Aussprache 

lafazan  des  persischen  qij^  dar,  von  qJK  wi^?  vana  verba 
jactare,  Zenker  S.  789^,  Z.  5  u.  6. 

II,  544^,  28 — 31.  Um  das  /JLju  der  Bresl.  Ausg.  richtig 
und  vor  unnöthiger  Verwandlung    in  das  vornehmere   \^JüiL 

Macnaghtens  sicher  zu  stellen,  hat  man  /  ^J^.  zu  schreiben.  Wie 

das Reflexivum  /5i«J,  II,  464**,  5 — 44,  s'accrocher,  sich  an- 
haken, sich  anklammern,  besonders  bedeutet :  mit  Hülfe 
von  Händen  und  Füssen  oder  vermittelst  einer  um  einen  Vor- 
sprung, eine  Ecke  geschlungenen  Wurfleine,  Strickleiter  u.dgl. 

eine  Mauer  ersteigen ,  so  ist  hier  (^l^f  accrocheVy  absolut  ge- 
braucht als  Kunstwort  der  Diebssprache :  ein  solches  Werkzeug 
zu  dem  genannten  Zwecke  anwenden.  Möglichst  getreu  im  Volks- 
tone übersetzt,  würde  die  Stelle  lauten:  nih  der  Mitte  bricht  er 
ein  und  in  der  Höhe  hakt  er  an.4( 


166 


II,  545^,  23  ))*/ÄjlJüe  in  Uebereinstimmung  mit  dem  ur- 
sprünglichen Wortlaute  lucanicum,  neugriech.  lovxAvixoVj 
früher  auch  im  Arabischen  (jiLäi ,  r^lÄl  u.  s.  w.,  männlicher 
Collectivsingular;  später  in  die  Form  und  das  Geschlecht  eines 
gebrochenen  Plurals  übergegangen ,  /  öiLäi  u.  s.  w. ;  s.  Lev^^^s 
Neuhebr.  Wörterbuch,  III,  S.  74 8^.  Z.  27  flg.  zu  K^^?U^3. 

II,  546^  42  u.  43.  Das  elliptische  »^  'i\  J^i^^  U  voilä 
que,  ne  voilä-t-il  pas  quea  bei  Bocthor  ist  gleichbedeutend  mit 
^^t  ouK^  U,  I,  762^,  4  flg.,  und  seine  Entstehung  und  eigent- 
liche Bedeutung  ebenso  zu  erklären ;  s.  das  3.  Stück  dieser  Stu- 
dien V.  J.  4884,  S.  40  u.  44. 

II,   547%   24  u.  25   r>ät^j^  ^t«  dieselbe  Ellipse  wie  in 


^    o 


j^^  ^^ ,  nämlich  igüCftJI  oder  ^^1 ,  I,  560*,  6—2  v.  u. 

II,  547*,  5—2  V.  u.   Während  Cuche  S.  \m^  in  der  Bedeu- 
tung Brecevoir,  saisir  ce  qui  est  jete,  ce  qui  tombe  d'en  hautf 

bloss  die  regelmässig  gebildete  zehnte  Form  £LäLumI  ^^J^t  hat, 

giebt  Bocthor  daneben  auch  die  aus  einer  Vermischung  von 

xLLmI  und  ^JiJLj   entstandene ,   mit  Ausstossung  des  Reflexiv- 


5  ^«  O  w  «  O 


o  aus  ^^^äLümI  synkopirte  Form   ^^^üL^f ,   zu  der  mir  bis  jetzt 

ein  völlig  übereinstimmendes  Seitenstück  fehlt. 

II,  550*,  20  u.  24 .  Die  Bemerkung  in  den  Add.  et  Corr.  zu 

Ma^art,  II,  In,  4  über  das  gut  arabische  Juij  und  seine  Con- 
struction  mit  J  des  Lehrers  ist  weiter  ausgeführt  in  meinen 
Kl.  Sehr.  I,  S.  58,  Z.  9  flg. 

II,  554*,  6  V.  u.   »Q^^ÄiJ  chaloupe  canonnidrey  Bc.t  Ob  in 
der  heutigen  italienischen  Schiffersprache  lancione  diese  oder 


167     

eine  ähnliche  Bedeotung  hat,  weiss  ich  nicht;  da  es  aber  vod 
lancia,  Boot,  Nachen,  ein  Verkleinerungswort  lancetta  giebt, 

SO  ist  jenes  q^^^^  wohl  nichts  anderes  als  ein  ebendaYcm 
gebildetes  Yergrösserungswort :  1  a  n  c  i  o  n  e. 

II,  552*,  2^—23.   Gegen  »w^Ji  c  Ja  brüler  du  ddsir  de 

quüter,(t  s.  oben  die  Anm.  zu  505**,  7 — 42.  Aber  die  dort  an- 
gegebene Bedeutung :  über  Trennung  von  einer  Person  oder 
Sache  —  sie  sei  bevorstehend,  oder  schon  erfolgt  —  brennen- 
den Schmerz,  brennende  Sehnsucht  nach  ihr  empfinden,  kommt 
dem  ikJLäj  ^  V4^'  ^^^^  ^^  ^^^  vorhergehenden  Stelle  der 
der  T.  u.  E.  N.  zu.  Ein  erst  eintretendes  y>s^enflafnmer  d^amour 
poum  ist  schon  durch  das  hier  geschilderte  Verhaltniss  der  bei- 
den Personen  ausgeschlossen. 

II,  553%  9 — 12.   Das  in  dieser  Stelle  vorkommende  ^  ^ 
o^b  ist  oben  in  der  Anm.  zu  507",  40  erklärt. 

II ,  554*,   6  flg.     BsXAit  in  solcher  Yert)indung  ist  gleich 


69         >   i. 


jfl\vü^j  die  vorausbestimmte  Zahl  der  Lebensjahre 
und  Lebenstage,  wie  bei  Baid^wi,  II,  M,  6: 

svXoT  icf^^  '^'  ^y^^    «^Jut   8lX£  J^aXämmo  ^^s^   JjT 

»Jedes  lebende  Wesen  erfüllt  die  bestimmte  Zahl  seiner  Lebens- 
lage und  verschwindet ,  wenn  seine  Lebenszeit  zu  Ende  ist.« 

Dozy's  äaPLuüq  ist  übrigens  das  unzweifeihaft  Richtige,  ob- 

gleich  er  es  selbst,  dem  unverständlichen  äa^^Lu  der  Hand- 
schriften gegenüber,  nur  als  Vermuthung  aufstellt. 

II,  554^,  5  V.  u.   »Aä^U  Druckfehler  st«  Aä3l. 

II,  556*,  6  u.  5  V.  u.  Schon  nach  BistAnt's  eigener  Erklä- 
rung: üpLc,  'Q^^  C+?Uft?  \jkt?  ^p^  'is>^yiAA  Ä3^3  ist  die 
Bedeutung  von  i^^  allgemeiner  als  die  inDozy'sUebersetzung 


ausgedrückte ;  aber  die  neuere  Geschäftssprache  dehnt  den  Be- 

1886.  4S 


.. — -     168     -. — 

griff  des  Wortes  besonders  nach  der  diplomatischen  und  jour- 
ualistischen  Seite  noch  weiter  aus.    Al-FarÄYd  al-durrtjah  vol^ 

als  gemeinarabisch:  »^^-.ic^^  note diplomatique«. Schlechta- 

Wssehrd,  Manuel  terminologique ,  S.  446:  »Exposd,  compte- 
rendu  x^^.     Expose  des  motifs,  ^  ^j4^^iXA  ^.xai>^   vU^^ 

s^:iii  [arab.  iiU=>y^\  ^l^JÜS  'p^UxcCU  x^p^].  S.  230 :  »Me- 
moire, m^morandum,  note,  ik^sp^A  Zenker  S.  790^ :  »K^^  — 
Aufsatz,  Abhandlung,  Artikel  (in  einer  Zeitung) ,  Denkschrift 

u.  dgl. :  <^A^ «  x^.^  jj  ein  offizieller  Artikel.«    So  die  arab. 

Zeitung  v^j^t  Nr.  vaI  Sp.  2 :  lJ^LäJI  ^^t^p  ^^  o^Jüiö  tü^'i 
ein  von  dem  (russischen)  Unterrichtsministerium  ausgegangener 
Artikel. 

II,  558%  vorl.  u.  1.  Z.   i>itre  foum  nach  dem  K&müs  /ä^j, 

erklärt  durch  '^^^  /^,   mit  dem  Adj.  /»^i ;    hiernach   das 

vb.  fin.  nicht  »/^j-i«,  sondern  /Äj-i. 

II,  559**,  9  flg.  »qUjJ,  prison  oü  Von  enferme  les  grands  cri- 
minels  pour  un  certain  nombre  (fannäes  ou  pour  la  vie,  M.«  Mit 
einem  Worte:   les  gaUres,   die  Galeren,   Galerenstrafe.    AI- 

FarÄYd  al-durrljah  S.  vöa*:  »oÜU^  -  o'^  gal^res.  ^y»yi 
mettre  en  gal^res.cc  Da  hiernach  das  Wort  an  sich  nicht  ein  Ge- 
fängniss,  sondern  eine  Strafart  bezeichnet  und  die  Galeren- 
sklaven,  les  gal^riens,  les  for9ats,  der  Natur  der  Sache  nach  zur 
Verrichtung  ihrer  Zwangsarbeiten  in  Seehäfen  gefangen  ge- 
halten werden,  so  ist  der  Bedeutungsttbergang  nicht  so 
»starka,  wie  Dozy  meinte.  Der  LautUbergang  aber  von  Itmäo 
zulümän  entspricht  den  türkischen  Lautgesetzen  und  findet 
sich  z.B.  ebenso  in-düwär,  der  gewöhnlichen  türkischen  Aus- 
sprache des  pers.  dlwÄr,  Mauer. 

II,  561%  2  u.  3.  Diese  Anführung  hätte  unterbleiben  sol- 
len; sie  steht  in  directem  Widerspruch  mit  der  560**,  35  flg. 
aus  derselben  Schrift  beigebrachten  richtigen  Erklärung  von 


169 


II,  56<*,  13.   »J^l  bois  d'a/oÄÄf,   sehr.  ^^1,   wie  I,  35% 

29  u.  30,  wo  das  Wort  richtig  unter  Alif  steht.   Vgl.  Low,  Ara- 
mäische Pflanzennamen,  S.  S95. 

II,  564%  16 — 18.   »mulut«,  PI.  »muluitna,  b.  Ale.  nicht 


c  >  «oC  9     o. 


y^«,  Activparticip  von  v^^  sondern  i^ji^^j  gewunden.  Passiv-* 


» 

'  0 


particip  von  .^^ ,  mit  gemeinarabischer  Verwandlung  des  ur- 
sprünglichen a  der  ersten  Silbe  in  das  demVocale  der  zweiten 
näher  verwandte  u. 

II,  561*,  16  flg.     Cuche,  Itr^-*,   hat  als  gemeinarabisch 

sowohl:    »yi*J  cr6pir,  plÄtrer,  (j*^aJLj  cr6pissure,  ,j«JU  cr6pi, 

plAtr6«,  als  auch  «s'attacher,  se  coUer  äv,  bestätigt  somit  die 
fragliche  zweite  Bedeutung  bei  M  und  führt  zugleich  durch  »se 
coller«  auf  den  beiden  Bedeutungen  zu  Grunde  liegenden  Be- 
griff des  Klobens,  Ankleben s,  in  transitiver  wie  intransiti- 
ver Fassung,  —  denselben,  aus  welchem  die  mannigfachen  Be- 

deutungswendungen  des  aitarabischen  v^^.  v^^  hervorgehen. 


II,  563*,  11  u.  12   »qLJ  bassin  en  mdtal,  cuvette  en  m^taU, 

gehört  dem  Buchstaben  nach  allerdings  hierher  unter  ^^,  ist 
aber  seinem  Ursprünge  nach   die  ausserste  Erweichung   von 

^,  XstlAvti^  II,  545*  u.  546*^,  vermittelt  durch  dieUebergangs- 

fonnen  ^^Sl  und  pers.  ^^,  nach  türkischer  Aussprache  le- 
jen,   lijen,  Zenker  S.  795*. 

11,563*,  21    »qI^  pour  q^^.^U,    vielmehr    für  q^^I  ; 

denn  dass  der  Anfangsconsonant  nicht  der  Artikel  selbst,  son- 
dern nur  ein  von  ihm  zurückgebliebener  bedeutungsloser  Vor- 

schlagslaut  ist,   erhellt  z.  B.  aus  AJu»iy  Bresl.  IV,  378,  3,  — 

eine  Verbindung ,   die  unmöglich  wäre,  wenn  das  Wort  schon 
durch  das  Anfangs-1  determinirt  würde. 

44* 


170 


11,  S63*,   9—6  V.  u.    Das  interrogative  und  relative  U^ 


o  ^ 


von  einer  Person  gebraucht,  steht  nie  fttr  ^,   d.  h.  bezieht 

sich  nie,  wie  dieses,  auf  die  durch  Namen,  Beinamen  oder  Titel 
bezeichnete  Individualität,  sondern,  wie  unser  was  in  was 
ist  er?  und  was  er  ist,  im  Gegensatze  zu  wer  ist  er  (es)t 
und  wer  er  (es)  ist,  auf  innere  und  äussere  Beschatfenheit 
und  amtliche  oder  gesellschaftliche  Stellung.  In  Beziehung  auf 
mehrere  Personen  wird  es  ebenso  gebraucht,  aber  auch  wie 
von  Dingen  zur  Bezeichnung  einer  unterschiedlosenMenge.  Ein 
klassisches  Beispiel  der  letzteren  Beziehung  des  Lo  ist  der  Vers 
bei  Mehren,  Rhetorik  der  Araber^  S.  vt  Z.  8 : 

9  Der  Gefangenschaft  verfallen  die  Weiber,  welche  sie  geheira- 
thet,  der  Ermordung  die  Kinder,  welche  sie  gezeugt,  der  Plün- 
derung die  Schätze,  die  sie  gesammelt,  dem  Feuer  die  Feld* 
fruchte,  die  sie  gebaut  haben.« 

Grammatisch  ebenso  richtig  und  logisch  näher  liegend 
wäre  in  den  beiden  ersten  Satzgliedern  ^ ,  aber  das  gleicher- 
weise für  Personen  wie  für  Dinge  gesetzte  Le  deutet  an,  dass 
beide  den  unbarmherzigen  Siegern  gleich  galten  und  gleich 

schonunglos  behandelt  wurden.  —  Da  im  Allgemeinen  Lc  in 

solchen  Fällen  ebenso  zulässig  ist  wie  ^,  so  wechselt  biswei- 
len in  demselben  Satze  bei  verschiedenen  Schriftstellern  oder 
in  verschiedenen  Handschriften  das  eine  mit  dem  andern  ab;  s. 
de  Goeje,  Fragmenta  historicorum  arabicorum,  11,  S.83,  Z.2  u. 
3.    Und  so  könnte  auch  in  der  von  Dozy,  Abbadiden  HI,  S.  94, 

Z.  2  V.  u.  angeführten  Stelle  1,  S.  306,  Z.  47,  statt  U  jj' 
Äjjö^  Äjjbi    ^  xj  ^ja^„  gesagt  sein  ^!  ^  JJ^  ;  aber  nicht, 

wie  Dozy  meint,  in   aJ{   iul^j»  ^t  ^    JUamS    Uc    »j?^  >   III| 

S.  168,  Z.  4  u.  5,  ^y4ji  statt  Ujc;  denn  recht  verstanden,  zeigt 


171 

schon  die  in  xJsJ»  jA  ^  gegeb«iie  Erklttning  {^-^^  des  L« 

in  vXJUl  Ua»    dass  dieses   in  sächlicher  Bedeutung  steht. 

Dozy's  Übersetzung,  III,  S,  472,  Z.  16  u.  47  :  »nam  iis  destitp- 
tus  qpiibus  bano  illamve  partem  administralionis  (Cordubad)  de- 
mandaverat,  nihil  amplius  agere  poteratc,  macht  aus  dem  er- 

klärenden  ^yo  ein  partilives,   bezieht  JUmI    auf  Ibn  Oahwär 

statt  auf  Al-Mo'tamid  und  »  in  &J)  auf  das  angeblich  für  ^ 
gebrauchte  U^  und  sieht  sich  durch  dieses.  Missverständniss  ge- 


o  ^  o    ^ 


Döthigt,  den)  ^  l^^  eine  praegnante  Bedeutung  beizulegen, 

die  es  nicht  hat.  Möglichst  form-  und  sinngetreu  übersetzt  lau- 
ten die  Worte:  »wegen  seinerUntüohtigkeit  zur  Regierung  und 
Verwaltung  von  Cordova,  welche  er  (AI-Mo'taroid)  ihm  über- 
tragen hatte.a  —  Ebenso  wenig  steht  U  für  ^  i^  der  Abbad. 

111,  S.  94  Z.  5  u.  4  V.  u.  hierher  gezogenen  Stelle  I,  S.  842 
Z.  9,  wo  Dozy   das  Lo   in   dem  dreimaligen  ^    U    früher 

für  Ä.«^jJt  U  hielt  und  daher  die  beiden  Worte  S.  262 
Z.  4 — 6  mit  )iquaindiu  vixerat«  und  »per  totam  vitam«  ttber^ 
setzte.     Nach  seiner  aptttern   Deuiung   wäre    f>^^  U    pro 

^  ^«  ein  von  den  drei  Superlativen  Jc>-S,  ^^^^l  und  «^isi 
regierter  Genetiv:  »der  eifrigste  u.  s.  w.  von  denen,  die  wa- 
ren ft,  d.h.  entweder:  von  allen,  die  jemals  gelebt  haben, 
oder :  von  denen ,  die  damals  lebten ,  oder :  von  allen  Men- 
schen,   wer  sie    auch  sein  mögen.     Nun  ist    qLT  Lo  aller- 

dinge  ein  von  diesen  Superlativen  regierter  Genetiv,  aber  nach 
der  in  meinen  RI.  Schriften ,  I,  S.  475  Z.  15  flg.  gegebenen 
weitern  Ausführung  der  Andeutung  in  .  den  Add«  et  Corr.  zu 
Ma^ari,  II,  XIY%  17  flg.,  ist  das  U  darin  eine  eigenthümlicbe 

Art  des  jü^JuoJt  U  zum  Ausdrucke  des  in  einer  gewissen  Dich- 
tung oder  Beziehung  erreichten  höchsten  Grades  der  durch  den 
regierendenSuperlativ  bezeichneten  Thätigkeit  oder  Eigenschaft. 

iSku^S  j  qIX  U  Oc{»t  bedeutet  demnach,  dass  der  in  allen 
seinen  Bestrebungen  eifrige  Mann  in  den  auf  Erhöhung  seiner 


172     

Stellung  gerichteten  am  eifrigsten  war ;    ebenso  bezeichnen 

*SUw   it  ^\S  Lo  J;  und  ^ßj^\  >  i^i^i^ti!  ^  JS  Ia  ^\ 


die  Erlangung  der  Herrschaft,  9  seines  (irdischen)  Himmels«,  als 
das  höchste  Ziel  seines  Aufstrebens  und  die  Vereinigung  der 
ganzen  iberischen  Halbinsel  unter  seinem  Machtgebote  als  den 
Gegenstand  seines  heissesten  Verlangens. 

11^  563^,.6-r-3  v.u.  zeigt,  dass  Dozy  »com&ten  dec  II,  444^ 
3  u.  2  V.  u.  nicht  j> vielleicht«,  wie  ich  im  vorigen  Stücke  dieser 
Studien  S.  65  Z.  48  schrieb,  sondern  gewiss  in  der  sinn- 
gemässen exciamativen  Bedeutung  gebraucht  hat. 

II,  563^,  9  u.  8  V.  u.  In  der  angeführten  Stelle  BelAdori 
S.  1f  Z.  9  fSli  Lo  Q?  zu  lesen  und  zu  übersetzen:  wenn 
etwas  verloren  ginge,  ist  ebenso  unmöglich,  wie  in  der 

*    ^    ^  m 

einfachen  Aussage  i^U^  Lc,  etwas  ist  verloren  gegangen, 

statt  9^  i^U^  mit  regelmässiger  Stellung  des  indetermi- 
nirten  Verbalsubjectes   nach  dem  Verbum.     Allerdings  ist 

Äj^LitJt  \S^ä  ^  viU^  Lo  der  conditionelle  Vordersatz  zum  Nach- 

>  >  7 
satze  aJ  q^v^U?  J^^^  •    »wenn  etwas  von  jenem  Geliehenen 

verloren  ginge,  so  sollten  die  Abgesandten  dafür  einstehen,« 
aber  das  für  ^t^  i^und  wenn«   gehaltene  ^^  ist    qT^   »und 


w   S 


dassa,   im  Anschluss  an  ^t  J^  in  der  vorhergehenden  Zeile, 

und  Lq  vor  u^JLd>  ist  als  iUbJJt  Lq  an  und  für  sich  si  quid, 
wenn  etwas ;  s.  meine  Kl.  Schriften,  I,  S.  357  Z.  4  4  flg. 

II,  563^,  8 — 6  V.  u.  Auch  in  den  ersten  beiden  hier  aus 
Gl.  Geogr.  S.  354  Z.  4  4 — 44  genommenen  Stellen  finde  ich  , 
nicht  das  indefinite  Substantivum  Lo;  denn  obgleich  dieses 
Was  für  Etwas  als  concreter  Begriff,  =  irgend  ein  Ding, 
die  ursprüngliche  Bedeutung  von  L«  ist,  so  findet  es  sich  doch 
selbst  im  Altarabischen  so  selbstständig  gebraucht  nur  sel- 
ten und  stets  in  Verbindung  mit  einer  nachtretenden  Qualifica- 
tion  (meine  Ki.  Schriften,  I,  S.  706  flg.  zu  de  Sacy  II,  356, 
§  640),  nie  schlechthin  wie  unser  gemeinsprachliches  was  in  : 


173     — 

gieb  mir  was.  Im  Gemeinarabischen  aber,  soweit  es  uns 
sicher  bekannt  ist,  hat  sich  bisher  ein  solches  selbstständiges 
concretes  Lo  noch  weniger  auffinden  lassen,  und  ich  wage  da- 
her die  Yermuthung,  dass  Lo  in  den  betreffenden  beiden  Stellen 

(lo  zu  schreiben  ist  als  kürzerer  Ausdrucl^  für  Af>^  s-Ia  :  in 


der  ersten  v^jXkI  aui  isU  ^ ,  in  der  zweiten   L^  Qffi^/^  Jf4  ^^ 

.  $u ,   entsprechend  dem  Gebrauche  des  pers.  yJ^  in  der  beson- 

deren  Bedeutung  von  ^^  \^)^  ^ß^j  EIhre,  Ansehen  ;  s.  Vul- 

lers,  I,   4^,  5.  Bed.  von  v^i.  In  der  dritten  Stelle,  Z.  14,  schreibe 

man  entweder  91«  ^^,  |J    mit    i-U  in  eigentlicher  Bedeur 

tung,  oder  wie  im  Texte  %^  z^"  (^*  ^^^  kommt  kein  Wasser 
herausa,  oder:  j»so  kommt  nichts  heraus». 

II,  564^,  23  u.  84.   In  meinen  Kl.  Schriften  steht  die  ange^ 
führte  Stelle  Bd.  I,  S.  477—479  zu  de  Sacy  l,  543,  §  4<87. 

II,  564*,  26  u.  27.   Die  Schreibart  Lo  ^iU  bezeichnet  die- 
ses L«  als  ein  dem  ^^  nachtretendes  indeterminirtes  en- 

m  O 

klitisches  U ,  Ä^y^L^t  U ,  im  Widerspruch  mit  der  Function  von 

Q^  als  durch  sich  selbst  determinirtem  allgemeinen 

Stellvertreter  eines  begrifflich  determinirten  mensch- 
lichen Eigennamens.  Es  ist  im  Gegentheil  da3  schon  oft  ver- 
kannte, zuletzt  noch  in  meinen  Kl.  Schriften,  I,  S.479  Z.  5-^4  8 
behandelte  und  von  Dozy  selbst  hier  II,  563^,  5  v.  u.  flg.  er- 
wähnte Äj^Juill  Lo:  et  (fest  Vami  de  Mr.  N,  N.  que  tu  as  o$6 
.  traüer  ainsi? 

II,  564*,  8.    Zu  »^^Lul^Ua  bemerkt  M  S.  MV  Z.4— 6   rieh- 

lig,  dass  es  aus  der  vollen  persischen  Form  ^Li^^U-u  (bei  dem- 
selben  S.  b.*  Z.  9—5  v.  u.)  abgekürzt  ist. 

II,  565*,  23   »iL«  ou  ^^Lo  vulg.  pour  iU   (pl.  iujttun- 


174     

;  richtig  nach  If ,  S.  Üf  t*^  *•,  wie  dieser  selbst  nach  Freytag,  IV, 
S.  445*;  um  so  auffallender,  da  4}  einVerbalstamm  if,  auf  den 
liA  zurückgehen  mttsste,  nicht  vorbanden  ist,  2)  beide  daneben 
das  Wort  richtig  vom  pers.  aJU  ableiten,  3)  unter  A^  dasselbe, 
und  unter  /  öLq  die  andere  Form  /jJU,  ebenso  abgeleitet,  ohne 
Hamzah  schreiben.  Jenes  lU  etwa  durch  den  von  M,  S.  tlft^ 
angegebenen  gebrochenen  Plural  iU  rechtfertigen  zu  wollen, 

Wäre  vergeblich,  da  dieses  lU  nach  aller  Analogie  die  Stelle 

des  regelmässigen  l\yi  eingenommen  hat.  Al-FarftYd  al-duirt- 

jah  S.  vAl^:»Truelle  de  ma^on  ^]y^  ^  iUa.  Die  einheimischen 

Quellen  werke  wissen  von  einem  iU  nichts  und  geben  X\j^  und 

/^U  einstimmig  als  Arablsirungen  des  pers.  &JLo  von  der  Wur- 
zel v3l^i  reiben^  streichen,  derselben,  aus  welcher  unser 
malen,  Maler  erwachsen  ist. 

II,  566^  29—33.    Unter  äIpU  sind  zwei  ihrer  Herkunft 

imd  Bedeutung  nach  grundverschiedene  Wörter  vereinigt :  4) 

ikApLt  vom  arab.   U,  was,  quidditas  der  Scholastiker:  Wesen, 

2]  Xa^Li  vom  pers.  »Lo,  Monat:  monatlicher  Bezug,  dann 
überhaupt  Gehalt,  Besoldung,  Löhnung,  wie  das  gleich- 

bedeutende  ursprünglich  arabische  B^Umw«  (s.  das  S.Stück  die- 
ser Studien  v.  J.  4884,  S.  20  Z.  5  flg.],  aber  nie  allgemeinhin 
»Geldsumme«,  wie  denn  auch  in  der  ersten  Ausgabe  von  Bc. 
unter  nSomme,  quantit^  d^argenta  richtig  nur  «JL^o  steht.   Auch 

Cuche  S.  *tiö*  und  Al-FarÄYd  al-durrljah  S.  vt!^  stellen  »Nature, 
eondition  d'une  chose,  ce  qu'une  chose  est  r^ellement.    Traite- 


175     

ment,  appointements«  unter  iUPu«  zusammen,  aber  AI-FaräYd 
bezeichnet  die  zweite  Bedeutung  als  gemeinarabisch. 

II,  567%  4  »äjU  a  aussi  le  pl.  qaa^,  Gl.  Mosl.«  M,  auf 
den  Gl.  Mosl.  LXVIII  Z.  3  verweist,  schreibt  nicht  nur  richtig 
^J^AA^,  sondern  bezeichnet  auch  das  ^  ausdrücklich  als  ijyj^. 
Vgl.  in  meinen  Kl.  Schriften  I,  S.  338  Z.  13  die  Zusammen- 
Stellung  dieses  ^^y^^  von  Ka^  mit    ^^^aJU»  von   'iXm.  —  Ebenso 

Z.  41  ^i^^aa^«  sehr,  ^^jt^' 

Ily  567%  25.  Der  Infinitiv -yu  gehört  nach  seiner  Form 
(s.  Ibn  Ja'ts  S.  a*^   Z.  41 — 45)  nothwendig  zu  dem  intransitiven 

^,  im  Gegensatze  tu  dem  transitiven  L^  ^,  Gl.  Geogr. 
S.  354   Z.  5  u.  4  V.  u.   Daher  ist  in  der  ebenda  beigebrachten 

Ueberlieferung   nicht    zu   lesen    L^Uct    als  Object,   sondern 

4dUc:l  als  Svbject  von  v£>.5X^ ;  der  Sinn  in  unserer  Weise  aus- 
gedrückt:   »Nie  sah  ich  die  Hälse  der  Männer  so  nach  etwas 

ausgestreckt,  wie  nach  ihm.a    \  J  regiert  oL>-JI  als  Object 

and  verleiht  ihm  die  Fähigkeit,  einen  9^1,  sei  dies  ein  Einzel- 
begriff ,  oder,  wie  hier,  ein  ganzer  Satz  mit  einem  auf  v3L>jJt 
bezüglichen  Pronomen,  dem  LP  in  L^U^t ,  zu  regieren ;  dem- 
nach eigentlich :  »Nie  sah  ich  die  Männer  in  dem  Zustande,  dass 
ihre  Hälse  sich  nach  etwas  ausgestreckt  hätten,  gleich  wie 
nach  ihm.a 

II,  567^,  48  i>facüieux,  plcusantfn  fasst  den  Begriff  von 
»at  —  1.  Kift  —  etwas  zu  eng.  Von  schriftstellerischen  Wer- 
ken gebraucht,  bedeutet  das  Wort  sowohl  Belehrung  als  Unter- 
haltung und  Genuss  gewährend.  So  heisst  bei  IbnHallik&n,  de 
Slane's  Ausg.  S.  v)**f  Z.  2,  der  bekannte  Ibn  Zafar  aus  Sicilien 
*ty»JI  sjLf^l*eui\  vu>L0 ;  'der  Verfasser  der  dann  aufgezählten 


176 

theils  schöngeistigen,  theils  wissenschaftlichen  Werke.    Gresto- 
matia  afäbigo-espanola  von   Lerchundi  und  Simone! ,   S.  402 


)  «  «  m^* 


Z.  2  u.  3,  nennt  Ihn  BaskuwM  Jua^  .  c^.,Ij  n^  lSiL^I.    Mit 


i^üJL  ÄAOd^  oLo^  wird  bei  Jä^üt,   I,   S.  aIo   Z.  5,    die  unter 

^lä^,  IV,  S.  ir  Z.3  flg.,  nachgelieferte  gehaltreiche,  mit  Ver- 
sen untermischte  Geschichte  angekündigt. 

H,  569*,  21  u.  22.    Als  gemeinarabische  Bedeutung  von 

^,  —  merkwürdig  als  Gegensatz  zur  altarabischen,  —  hat  aach 
Guche  S.  *llv*  »humer,  aspirer,  sucera. 


>  ^ 


II,  569*^,  7  u.  8   »^^^Lo«,  ein  Wort  von  unbekannter  Her- 

kunft,  ist  schon  I,  10*^,  14  flg.  unter  y>t  ausführlicher  be- 
handelt. 

II,  574^,  15—47.   Aus  der  angeführten  Stelle  folgt  keio 
Activum  Q^^t  mit  J  oder  dem  Accusativ  (so  dass  J  nach 

^L^^^^!  nur  Jwobüt  iy^äx!  j.iUt  wäre)  »avotr  cfe  Vefficadte  sur, 
sondern  dieses  qL^^^I  ist  seiner  Bedeutung  nach  der  Infinitiv 

des  Passivums  ^^j^s^^t,  erprobt,  bewährt  sein,  und  J,  für, 

vor  ooUJt^  ü^;^^  ^ird  gemeinschaftlich  von  ihm  und  dem 
vorhergehenden  lk>^t  regiert:  D^tre  bon  et  d'une vertu  6prou- 
v6e  pour  le  terroir  et  toutes  les  plantations.« 

II,  572*,  22  flg.  De  Slane's  ^ja^\^  ist  richtig ;  es  bedeu- 
tet: sich  rein  als  Ergebniss  von  etwas  —  hier  von 
der  angestellten  Bora thung —  herausstellen,  ähnlich  dem 
von  Dozy  selbst  II,  570^,  16  u.  17  anerkannten  se  dävelopper 
franchement.  Wäre  seine  Vermuthung  im  Allgemeinen  richtig, 
.so  müsste  sowohl  die  Form  als  die  Gonstruction  des  Zeitwortes 


eine  andere  sein  :  ^L^  j»!  (^  JL«:cäI  oder)  ^jLflÄfib  f»^ 

»und  so  gebar  sie  (ihre  Berathung)  ihnen  die  Gefangensetzung 
Abu  Zijän'sa,  d.  h.  ergab  dieselbe  als  Beschluss. 

II,  572^,  16  u.  17   ȊU?  v-^b'  teneur^  celui  qui  tient  les 


177     

livres,  les  registres,  Bc«.  So  allerdings  schon  in  der  ersten  Aus- 
gabe, aber  mit  einem  offenbaren  Druckfehler  statt  XJL:^,  d.  h. 

II,  573%  44  —  46.  Dieses  9 Ausstrecken  der  Zunge«,  JL« 
qUJÜI,  welches  r>etendre  la  voixa  beim  Amen-Rufen  bedeuten 
soll,  hat  eine  bedenkliche  Aehnlichkeit  mit  dem  stets  in  übler 
Bedeutung  stehenden  9  Lang  werden  a  und  d  Langmacben  der 
Zunge«,  ^^LJÜJ  J^  und   ^UJÜJ  ÄJLfcl;  s.  II,  72»,  8  u.  7  v.  u. 

und  72%  K  Z.,  Ma^ari,  II,  r.r,  46,  wo  statt  v:tjLbt    zu  lesen 

ist  vJjLbI  ^) ,  und  den  Vers  in  der  ersten  Erzählung  der  ersten 
Abtheilung  von  Sa'di's  GulistAn : 

oWenn  der  Mensch  in  Verzweiflung  geräth,  wird  seine  Zunge 
lang,  wie  eine  in  die  Enge  getriebene  Katze  den  Hund  anfällt«, 
d.  h.  er  ergiesst  .sich  rücksichtslos  in  Schmähungen,  schimpft 
und  flucht.  —  Die  von  den  »reingläubigen  Herzen«  auf  die 
»Zungena  ausgeübte  Wirkung  ist  geistiger  Natur:  die  aus 
ihnen  aufsteigenden  Gefühle  u.  Gedanken  führen  der  sich  durch 
die   Zungen   aussprechenden    religiösen    Begeisterung   immer 

neuen  Nahrungsstoff,  BoL« ,  zu^  wie  im  Anfänge  des  Gulistän 
jeder  neue  Athemzug  oL:>  JUl  ist.   Ich  kann  daher  dieVerr 


-•   »  -        -  >■ 


Wandlung  von  Wright^s  Vocalisation  ]J>J<^  in  L^JliJ  nicht  gut- 
heissen. 


i,  f 


II ,   573^,  8  u.  7  V.  u.   BJwo  ist  nicht  schlechthin  ftträve, 
Suspension  d^armesM,  ÄiJ^ ,  sondern  ÄjJ^J!  »Ju^  die  Dauer  des 


i)  Dieser  Berichtigung  in  Add.  et  Corr.  XIX»  hatte  ich  die  Bemerkung 
beigefügt:  »d.h.  du  selbst  hast  dadurch,  dass  du  gerade  am  Sonnabend 
gekommen  bist,  dem  die  Vorztiglichkeit  dieses  Tages  gegen  den  Moslim 
behauptenden  Juden  einen  neuen  Beweis  dafür  geliefert  und  dadurch 
'seine  Zunge  länger*,  d.  h.  seine  Ausfälle  kecker  und  beleidigender  ge- 
macht.« 


178     

WaffenstiUstaDdeSy  die  dafür  anznberauinende  oder  anberaninte 
Frist,  wie  besonders  deaüidi  in  dem  sweiCen  und  vierten  der 
Gl.  Geogr.  6.  99  Z.  42  flg.  dafttr  angeführten  Belegstellen. 

II,  574*,  6.  «^Ua^  4001  N.  Bresl.III,  S.256  Z.  42, Druck- 
fehler St.  «3l«x^l,  welcher  Infinitir,  wie  unser  Trauer,  deuii, 
in  concreter Bedeutung  Trauerkleider  bedeutet;  vollständig, 
wie  hier  und  Jä^üt,  IV,  H.  45,  o\j^]  ^Lß  oder  oVXsl\  v^ •*) 

II,  574%  4  u.  3  y.  u.  ^Article  d^un  trait^,  d'un  oootrat«, 
besonders  auch,  was  in  einem  Supplement  aux  dictionnaires 
arabes  nicht  fiehlen  sollte:  d'un  dictionnaire,  d.  h.  die  ganse 
von  einem  Yerbalstamme  abgeleitete  und  unter  ihn  gestellte 
Wortreihe,  nach  unserem  Sprachgebrauche  oft  geradezu  mit 
Stamm,   Wortstamm   zu   übersetzen.      So    der  türkische 

K^müs  unter  oit  :     ^u^iAS^   ^j^  ^^jk^^j  ^   ^^wuoU    %Xa 

jsXiiyoyA    tSJu^MAj    arabisch:   v^>^l   ^^jtl    äi^^/^   Si\    '^^ 
Jiatl^,   II  der  Wortstamm  madd  ist  (von  den  Spracbbildnem) 

bestimmt  den  Begriff  des  Langaussiehens  und  Streckens  aus- 
zudrücken.« Auch  in  dieser  Bedeutung  hat  das  Wort  im  Plural 


II,  575%  4  4  V.  u.  »,^JL«  II,  pour  JUa  steht  in  Wider- 
spruch mit  der  dazu  angeführten  grammatischen  Regel.  Eben- 
sowenig als  riU,  *)tti3lD  u.  s.  w.  von  einem  Stamme  "DD,  ist 

c^oJb«,  o-mXq  u.  s.  w.  von  ^^ßXA  abzuleiten  und  als  die  zweite 

Form  davon  darzustellen.    Die  dritten  Personen  des  Perfectums 

«-         -  * 

dieser  Verbalklasse ,  Ju,  iJu,  t^jüo  u.  s.  w.,  behalten  stets 
ihre  ursprtlngliche  einfach  synkopirte  Form. 

II,  576*,  6   »^  —  grisAtrea  ist  das  türk.  ^,  mAr,  II, 

623*,  4  8  flg. ;  bei  Meninski  »violaceus,  paona;sjzo c*(pavonaceus); 
bei  Bianchi  » 1  ]  violet.  2)  se  dit  en  g^n^ral  des  couleurs  som- 
bres«;  bei  Hindoglu  »bleu  fonc^c;  bei  Zenker  Bdunkelblau« 
veilchenblau,  purpurfarben,  rostbraun t;   endlich  bei  Vämb6ry. 


4)  jtj^l  im  Texte  von  Jd^üt  ist  berichtigt  V,  S.  367  Z.  4. 


179     

Etymologisches  Wörterbuch,  S.  S06  »osm.  boz,  mor  ss  grau, 
weisslich  (mosmor  ss  ganz  grau)a. 


c  -^  > 


n,  579%  Hu.  45  y>}j>-j4^  Stoffe  rouge  qui  se  fabriquait  k 

Samarcand«.    Die  ausdrückliche  Angabe  der  rothen  Farbe 
als  diesem  Zeuge  eigenthtlmlich  bestätigt  mittelbar  die  Richtig- 


^   O  .    J 


keit  der  Textlesart  J^j«^  bei  Mokaddast,  f^ö,  43,  wenn  dieses 
Wort,  nach  meiner  Yermuthung  ein  Denominatiy,  nicht,  wie- 


o  ,  y 


das  altarabtsche  Jw^-*^^,  von  J^yo,  sondern  mit  Verwandlung 

des  Schluss-n  in   1  von  QL>y«}    rothe  Koralle   (Baidäwt  zu 

Sur«  55  V.  28)  abzuleiten  ist.  Die  Verwandlung  des  n  in  1 
ist  ein  Seitenstück  zu  der  des  r  von  iMaQyaQltrjg  (II,  578^, 
vorl.  Z.)    in   das  1  von  fiagyHliov  j  und  erscheint  auch  in 

«n'>ba'Tt)  neben  btTfi^nü,  Levy,  Chald.  Wörterbuch,  11,  S.  66. 

II,   579^,  4  4  v.  u.    ^f^)^  (adj.)  savant,  Gl.  Geogr.«  aus 

einer  Randbemerkung  zu  Mokaddast,  tfo,  Anm.  b,  in  der  ein 

Leser  sieb  über  das  unklassische  «Uit  statt  der  andern  Lesart 

si^l  als  über  einen  »schändlichen  Fehler«  ereifert,  der  durch- 
aus nicht  von  «^^UJt  -'U^Xt  J^UJt,  d.h.  Mo^addasi  selbst,  her- 

o 

rühren  kOnne.   De  Goeje  sagt  im  Glossar  über  -.t^il:   »epitheton 

viri  docti,  copiosusii,  Dozy  erklärt  es  durch  »savonf«,  also  im 
Allgemeinen  gleichbedeutend  mit  dem  unmittelbar  darauf  fol- 

o 

genden  «t^ ,  einer  Intensivform ,  die,  wenn  nicht  etwa  aus 
dem  gewöhnlichen  *^  verschrieben,  der  ungenannte  Leser 
nach  Analogie  von   .t  j:  auf  eigene  Hand   gebildet  zu  haben 

scheint.    Nach  seiner  Herkunft  von  -y«  ist  übrigens  ^\ji  weder 

ficopiostisü  noch  »savantdj  sondern  alacer,  munter  und  rüstig. 
Sind  auch  dergleichen  epitheta  ornantia  ihrer  Natur  nach  einer 
genauen  Begriffsbestimmung  am  wenigsten  bedürftig,  so  möchte 


180    

ich  doch  eine  Vertauschung  ihrer  ursprünglichen  Bedeutungen 
mit  andern  besonderen  oder  allgemeinen  nicht  empfehlen. 

II,  580^,  47  u.  48  »qL^  <;s)JUfit  ^L««  ein  unsauberes 
Wortspiel,  dessen  Bedeutung  Dozy  richtig  erkannt  hat ;  es  fehlt 
nur  noch  die  Bemerkung ,  dass  der  paederastische  Doppelsinn 

von   qLjjj^  Auf  einer  Nebenbedeutung  von  jyo    oder  dessen 

Verwandlung  in  das  gleichbedeutende  lyQ ,  foramen  podicis,  be- 
ruht. In  Uebereinstimmung  damit  ist  statt  desf^yJui  derBresl. 
Ausgabe,  Z.  48,  »J^y^.  zu  schreiben  :  voluit  eum  sibi  sub- 
stemere. 

II,  584%  26  u.  27.  Nach  den  Quellenwerken  bedeutet 
A^L« ,  das  Abstractum  von  ^jA  =  JuX;];,  nur  BvXm  ,  wogegen 
die  ihm  durch  i^'iLJjA  prcUique,  routine^  zugeschriebene  Bedeu- 
tung  dem  mit  derselben  II,  584^,  1.  Z.  aufgeführten  ä^,L&,  Inf. 

von  (jM'^Lo,  zukommt.  Wahrscheinlich  ist  daher  Z.  27  Ji^ 
*^UII  zu  schreiben,  in  synonymer  Zusammenstellung  mit 
bÜbuJt  ^jiXü,   wie  der  E^müs  auch  die  bezüglichen  beiden 

verba  finita  in  der  Erklärung  von  ^^^U   verbindet :  X^.Ü:  au^^u 

»LiLc^  ^^\\^  «^Lc  LmI^o^. 

II,  582*,  42—44  »iLity»«  in  der  angeführten  Stelle  der 
T.  u.  £.  N.  gehört  nicht  als  »mot  nouveau  form6  de  la  racine 

tjÄ^«  unter  ui^,  sondern  als  Inf.  der  dritten  Form  (Jä!.  unter 

IM     ^ 

(JA,  selbst,  I,  529**^,  wo  auch  die  entsprechende  sechste 
Form  t^G  oder  ^JiJ^'ß  aufgeführt  ist, 

II,  583%  43   »y**Xja  Druckfehler  st.  ^.-jCj,  d.  h.^-lxi. 

II;  583%  23    9y.^Kji^ii  nach  Kosegarten ;  aber  sehr,  v'i^^, 


grasreich.     Der  Commentar  erklärt  damit  die  Function  des 
als  Beschaffenheitswort  mit  Jüb  in  Apposition  stehenden 


181 


gebrochenen  Plurals  c^f ;    s«  meine  Kl.  Schriften,    II ,  S.  34 
Z.  5  flg. 

II,   583^,   8  v.u.    »(jy  clair,  peu  6pais«,   und  584%  6 


o^^ 


D/jf^u  liquide vi^  nach  Cuche  Denominative  von  /jy,  bouillon; 
er  giebt  S.  1)f ^  »clair,  d^lay^,  semblable  au  bouillon a  als  ge- 
meinarabische  Bedeutungen  von  /^jl^- 

II,   584^.   48.    Wahrscheinlich  durch  Verwechselung  mit 
der  pers.  Verkleinerungs-Endung  a;^   soll  das   _.  in  ^^a^U^o 

sein  9  le  Suffixe  qui  indique  le  diminutif.«    Aber  9^  verkürzt 


^0 

sich  nie  in  .  und  konnte  auch  in  seiner  wirklichen  Gestalt 
nicht  dem  Worte  j^Lo,  Fisch,  als  Benennung  eines  Thie- 
res,  zur  Verkleinerung  angehängt  werden;  s.  meine  pers. 
Grammatik,  2.  Aufl.,  S.  99  Z.  17  u.  48.  Das  _  ist  einfach  die 
Arabisirung  der  alleren  Endung  y£  \  s.  das  2.  Stück  dieser 
Studien  v.  J.  4882,  S.  53  Z.  43—45  und  Levy's  Neuhebr.  u. 
chald.  Wb.  III,  S.  320»  Z.  8  flg. 

II,  585*,  vorl.  u.  1.  Z.  lieber  »q5j^  Comus  mascula  L., 
comouiUerdi  s,  das  Nähere  bei  Levy,.  Chald.  Wörterbuch,  II, 
S.  569»-  ^  und  Low,  Aram.  Pflanzennamen,  S.  248  u.  249. 

II,  586'*,  6  u.  5  V.  u.  »-L^i«  nach  Ale.  Plural  von  «.U^,  — 
formell  unmöglich  — ,  ist  der  Plural  von  ^ja,  wie  Js^L^I  der 

o 

von  bX^.  Im  wissenschaftlichen  Sprachgebrauche  bedeuten 
beide  besonders  die  vier  Grund-Humores  der  mittelalterlichen 
Physik ;  nur  ist  Jp  und  dialektisch  jJ^\  (II,  594»,  9)  sel- 
tener als  ^SJa.  In  Dieterici's  IhwAn  al-safä,  S.  Ht,  Z.  8  ist 
JjJl  in  A^.>Li*:>l  -^Wt  v^j^  ^^^  Schreib-  oder  Druckfehler 
statt  dieses  ^U^l* 


184    

in  derBedeutungsentwicklung  entsprechen  ^^U  und  ^^Lm  dem 
hebr.  T[üü  mit  dem  causativen  nOTan,   dem  aram.  KDtS   mit 

TT  T     I      •    '  T     » 

den  causativen  und  reflexiven  ^"otj  und  ^üiat^,  "^P^^  ^^^ 
•^Dttig«;  s.  Levy,  Chald.  Wb.  II,  S.  6\^  u.  52*. '  In  den  Bruch- 
stücken arabischer  Bibelübersetzungen,  welche  der  sei.  v.  Ti- 
schendorf im  Morgenlande  zusammengebracht  hatte ,   fand  ich 


*  -  c 


neben   ^^ljr  auch  ^^^m^  \xnd^^^M^\  in  gleicher  Bedeutung,  z.B. 


w^  O 


Hieb  Cap.  49  V.  20:   L**^i  ^JJb^  (d.  h.  ^^^^^\  ^^^Jd»)   und 

Cap.  46  V.  7  :    ^^^-^m^^  waü  J^PL>  lil.  —  Cuche  S.  *jfA*  :  ^^wUj 

L^l-ij  se  gangrener  (plaiej ;  6tre  pourri,  vermoulu  (bois). 

II,  595**,  25.  In  der  Form  "^i^-^i^^  musmula,  haben  die 
Araber  das  griech.  ]U€a/aAoi/,  fieaTuka,  von  den  Türken  er- 
halten. 

II,  596%  18—20.    Die  »dem^L4^-  %  v^iy  ^la  im  All- 

gemeinen  gegebene  Bedeutung :  »die  Richter  wurden  damals 
nicht  von  einem  Gefolge  zu  Pferde  und  zu  Fuss  begleitete  ist 
unzweifelhaft  richtig ;   aber  es  fehlt  die  Bemerkung ,  dass  zur 

Darstellung   dieses   Sinnes   beide   als   Passiva,    ^^js    und 

_ä^Uj,  zu  lesen  sind. 

II,  596*,  M    r)'i\yi^  trotte,  espace  de  chemin,  voyage,  Bc.« 

ist  zu  streichen.  In  der  1 .  Ausg.  von  Bc  steht  sowohl  unter 
Trotte  als  unter  Voyage  richtig  j]yi^]  s.  I,  801%  1 — 4.    Cuche 

S.  n*1*  als  gemeinarabisch;  hJ^yi^A  voyage,  course«   und  das 


^  c 


denominative )) .  ^^:;:wQ  voyager,  marcher,  cheminer«  ;  vgl.  11. 
597»,  20. 

II,  599*,  9  u.  8  V.  u.    »jc^a^  —  c.  J^  devorer,  Gl.EdrtsU. 
widerlegt  sieh  selbst  durch  die  dafür  angeführte  Stelle  S.fi**,  15: 

xJa  ;^^«a^S  «N^l ,  da  das  von  dem  Drachen  in  Beziehung  auf 
einen  Menschen  gebrauchte  xJLc  ^^^a^^I  mit  dem  ihm  beigeord- 
neten \*ÄAit  nicht  gleichbedeutend  sein  kann.  Auch  die  Her- 
ausgeber übersetzen  S.  51  Z.  2  u.  3  :  » tue  et  devore  quiconque 


185     

S6  präsente  devant  lui  et  ose  l'aUaquer«,  sodass  in  umgekehrter 
Ordnung  »tue«  dem  &JLis  ^c^^  und  ««üxif  dem  »d^vore«  ent- 
spricht. Aber  schlechthin  tödten  kann  das  erste  auch  nicht 
sein;  denn  in  der  zweiten  angeführten  Stelle,  Edrist,  Clim.  I, 
Sect.  7  heisst  es  von  den  Affen :  » einem  Menschen,  der  in  ihre 

Hände  fällt,  spielen  sie  schändlich  mit  ^dlxäd  aJIc  c;AiC3Al  Lm^^ 
Lcy«^«,  wo  das  Jjkd  als  Folge  des  &JLc  ^L^/of   erscheint.    Ich 

vermuthe  hiernach ,  4  ]  dass  dieses ,  in  Uebereinstimmung  mit 
seinen  sonstigen  Gebrauchsweisen,  in  solcher  Verbindung  be- 
deutet :  jemand  so  ttbel  zurichten^  dass  er  davon  sterben  muss. 
2)  dass  in  der  ersten  Stelle  ^  vor  ^^Aa^t  in  ^!  zu  verwan- 
deln ist. 

II,  599^  10  u.  11.  Dozy  sagt,  de  Slane  habe  JoL^  Prol. 
I,  209,  12,  mit  r>relaxation  (des  nerfsja  übersetzt;  aber  eine 
nähere  Yergleichung  der  Uebersetzung,  I,  S.  240  Z.  20  u.  21  : 
«elles  (les  personnes)  ^prouvent^  pour  ainsi  dire,  une  contraction 
et  une  relaxation  (desnerfs)«  mit  der  bezeichneten  Textstelle 

JalxiJJI^  wi^UaÜ^  —  A  i,\y^9\  zeigt,  dass  er  die  beiden  Begriffe  in 
seiner  Uebersetzung  umgestellt  und  dabei  das  Gähnen,  wi^LUit, 
als  eine  besondere  Aeusserung  der  Abspannung  oder  Erschlaf- 
fung,  \iyal\  (s.  K^müs  und  M  unter  w^j  zu  »relaxation  (des 

nerfs)ff  verallgemeinert  hat,  während  er  in  «blo^xil  die  gerade 
entgegengesetzte  A contraction  (des  nerfs}«  zu  finden  glaubte. 

In  dieser  Zusammenstellung  mit  Gähnen  aber  ist  auch  JaluXit 
nur  eine  andere  Aeusserung  körperlicher  oder  geistiger  Ab- 
spannung :    die  Arme  ausstrecken  und  ausdehnen ,    wie  ein 

schläfriger  Mensch,   dasselbe  was  bei  Cuche  S.  *1H**  :  »^gh»')' 

LLaj  etendre  les  bras  en  brillant  a  und  dann,  mit  Verwand- 

long  des  Nebensächlichen  in  die  Hauptsache,  sogar  schlechthin 
n^^öii  bftiUement«.   Vgl.  JaÜuJ  ü,  601%  13  u.  12  v.u. 


II,  599%  11  u.  12.   »^biaiJ«  von  Naturkörpern  ist  weder 
überhaupt  noch  in  der  angeführten  Stelle  n8'äpaissir,<i  sondern 

13* 


N 


186     

devenir  oder  4tre  extensibk,  dilatabley  dehnbar  sein,  sich  in  die 
Länge  ziehen  lassen ,  ohne  zu  reissen.  Dies  setzt  eine  gewisse 
mit  Zähigkeit  verbundene  Dichtigkeit  voraus,  ist  aber  nicht 

diese  selbst.  So  bedeutet  auch  »Jata«^^  ^Lzm  Ä:>^y  «JLi>iv>  j«: 
in  seinem  Innern  ist  eine  weisse,  klebnge  Substanz,  die  sich 

lang  ausziehen  lässt.  J?!^  »lac  camelinum  crassum  acidum- 
que«  ist  kraft  seiner  Herkunft  Milch,  die  sich  in  Fäden  ziehen 

lässt,   SClaJa/o  »aqua  crassa  in  fundo  receptaculi  aquaea,  dicker, 

schlammiger  Bodensatz  des  Wassers,  der  vermöge  seiner  Zähig* 
keit  dieselbe  Behandlung  erträgt. 

II ,  600*,  20—31 .  Nach  den  im  dritten  Stücke  dieser  Stu- 
dien V.  J.  4884,  S.  52   Z.  47  flg.,  beigebrachten  Zeugnissen  ist 

» -  »•  •  — 

dieses   hJxq  nicht  dasselbe  was  Jom,  f^^Qtjnfig,  sondern  eine 

Synkope  von  »j^Ia^. 

II,  603*,  6  V.  u.  »^«,  unrichtig,  von  Freytag  nun  auch 
zu  M  übergegangen,  st.  ^,  neben  «^.  Der  türkische  Kämüs 
giebt  nur  diese  beiden  Formen  :  »jjtli  mit  a  des  Mim  und  ver- 
kürzbarem Alif  (^!)  und  ^^Jt  nach  der  Form  von  Lä>^  (l^:^^ 
d.  h.^^^t]«  ohne  Erwähnung  der  dritten  mit  i  des  Mim  und  ge- 
dehntem Alif,  i-Lstll,  welcher  M  die  Bemerkung  beifügt:   yasi\ 

^^\ ,  die  Verkürzbarkeit  (des  Alif)  ist  allgemeiner  üblich. 
II,  603*,  24    ))v3ljuJt«  sehr.  oUJL. 
II,  605*,  47—19.    Das  ^j.^  der  Bresl.  T.  u.  E.  N.  VII, 

S.  43  Z.  42,  ist  ein  verschriebenes  ^c^**äa,  d.h._^MÜu,  be- 
trübt, bekümmert,  nach  der  im  Gemeinarabischen  und  Tür- 
kischen gewöhnlichen  tropischen  Bedeutung  der  Derivate  von 

L^  ;  s.  oben  II,  347*,  46  flg.  und  Zenker  704*  unter  g^Lo. 

o 

II,  605*,  20  »jj^LiJU«  wahrscheinlich  fii^a  (ra),  eine 
schleimige,  pflaumenähnlicbe  Baumfrucht,  mit  der  aus  dem  Sy- 


187     

rischen  bekannten  neugriechischen  Pluralendung  äs,  Nöldeke's 

Syr. Gramm.  S.  56.  Palgrave^s  jC^Ju  ist  wohl  jenes  fivga  selbst, 

IMT  Bezeichnung  des  Baums  in  einen  weiblichen  Singular  ver- 
wandelt. 

II,  605^,  10  Y.  u.    »lüJÄA   (?  sie)  nique,  signe  de  moquerie; 

de  m^pris,  B.«  Das  vonDozy  in  Frage  gestellte  Woi't  steht  auch 
in  der  ersten  Ausg.  vonBocthor,  nur  mit  Feminin -ä  am  Ende. 

II,  607",  45  »ÄbCo  däesse,  Bc.«  sehr.  jüOLo,  wie  in  der  4. 
Ausg.  unter  dem  Stamme  tä)JU  richtig  steht.  Bocthor  hätte  übri- 
gens besser  gethan ;  den  heidnischen  Begriff ,  wie  Ändere  vor 
ihm  (meine  Kl.  Schriften,  I,  S.  455  u.  456)  ohne  religiöse  oder 

sprachliche  Bedenken  durch  äP^I,  PI.  oLi>^t ,  vollständig  aus- 


zudrücken, statt  ihn  durch  ^uL>  und  KjCLq  nur  zu  streifen. 

11,  608^,  9  flg.   Dieses  d^«  mit  ^  des  Gegenstandes  oder 
Inhaltes  von  etwas  Geschriebenem,  wie  nach  v^>  gehört  mei- 

nes  Erachtens  nicht  unter  ^,  sondern  ist  das  645%  42  v.u. 

unter  jL^  U.  aufgeführte   gemeinarabische  Xo  oder  ^^   statt 

^t,  das,  wie  ital.  dettare,  nicht  bloss  vom  Dictiren  im  ge- 
wöhnlichen Sinne ,  sondern  auch  vom  eigenen  Niederschreiben 
gebraucht  wird  (meine  Kl.  Schriften,  1,  S.  438,  Anm.  4} ;  vgl. 
hiermit  das  645^,  4  u.  2  aus  Ale.  beigebrachte  »mtnuter,  faire 
la  minute  dun  ecrity  noter  a.  Mit  demAccusativ  der  Schrift  eines 
Ändern  steht  es  auch  von  deren  Beproduction  in  einem  Sammel- 
werke, Wright's  KAmil  S.  r.r,  Z.  47:    Up  j  L^jus^  j  L^^Il 

vLÄ)üt-  Alc.'s  j»J,Lq  escritor  que  compone«,  645^20,  zeigt,  dass 
das  spanische  Arabisch  die  erwähnte  Bedeutung  sogar  auf  die 

erste  Form  iLo  übertrug. 

II,  609%  7   »v,;^«  noch  einmal  st.  s;^;  s.  das  dritte  Stück 
dieser  Studien  v.J.  4884,  S.  75,  Z.  4—4. 

II,   609^,   47—20.     ^  ist  nie  gebrochener  Plural  von 


188 


'•  —  > 


»f^,  sondern  Stets  männliches  Gattungs-Gollecttvum ,  Lane^s 
»collective  generic  nouna  und  •quasi-plnral  nouna,  von  wel- 

chem  das  weibliche  Einheitsnomen  s^^  gebildet  wird;  s. 
meine  Kl.  Schriften  I,  256—258  zu  de  Sacy,  I,  346,  §  805. 

II,  6<2**,  7  V.  u.   Mit  n  faire  toumer  Tepee  dans  fairt  wird 

dem  vju^^  «bJL«,  \Jum^\  JaJU-*,  eine  Bedeutung  beigelegt 
ausser  Zusammenhang  mit  den  bezeugten  Anwendungen  des 
Stammes  JaLo.  Sollte  hierbei  vielleicht  unbewusst  der  An- 
klang von  faire  le  moulinet  mitwirkend  gewesen  sein? — Nach 
Analogie  des  hebräischen  und  aramäischen  zhlQ  und  nach  Vor- 
gang des  Arabischen   selbst   im  Gebrauche  der  achten  Form 

J^I£ct  =  (jJli:>f  bedeuten   iJU  und  JoLm  nichts  w*eiter  als 

leicht  und  schnell  herausziehen,  J^,  JJC^t. 

II,  613%  i5  flg.    »^jSa,  drap€  hat  seinen  Namen  von  der 

im  Mittelalter  durch  ihre  Webereien  berühmten  Stadt  Utlc^ 
Amalfi  in  Calabrien;  s.  Bibl.  arabo-sicula  S.  t.  Z.  3  v.u., 
Amari's  Uebersetzung  S.  24  u.  25,  und  Jaubert's  Geographie 
d'Edrisi,  II,  S.  258  Z.  6  flg. 

II,  64 6»,  3  u.  4    jp^,  ^,  ^«,  wie  ^yxi,  Ji    (727\ 
22),   altarab.  jj^,  pers.  ^^.^,   Lall- und  Kosewörter  für  das 

Püppchen   Männchen)  im  Auge,  1ri2:i£i,    ijQi^,  türk.^^xll  ]/ 

(wie  wenn  man  eye-baby  st.  eve-ball  sagte),  pupula^pupilla;  s. 
Levy's  Chald.  Wörterb.  I,  41 9\  7  flg. 

II,  616%   6 — 4  v.u.    Die  hier  angenommene  Auslassung 
von  <^)uy>ü  vor  seinem   iax^J   (meiae  Kl.  Schriften,  I,  S.  412  u. 

413  zu  de  Sacy,  I,  493,  §  1086)  wird  durch  nichts  bestätigt. 
Es  ist  dieses  ^  das  gewöhnliche  erklärende,  im  Anschluss  an 

die  vorhergehenden  lobenden  Praedicate:  »nämlich  ein  Mann« 
U.S. w.  (gleichsam:  bestehend  aus  einem  Manne),  von  welchem 


189 


qLoJÜ  ^  das  Ju^^pJü  ^  bei  den  arabischen  Stilisten   eine 

^  «• 

besondere  Abzweigung  bildet;  s.  Dieterici's  Mutanabbi  und 
Seifuddaula,  S.74 — 76,  Anm.,  und  Mehren's  Rhetorik  der  Ara- 
ber, S.  412. 

II,  646%  4 — 4  V.  u.   Woher  d\  ^,  ^  die  Bedeutung  er- 

halten  haben  soll  ^maudit  seit  le  jour  otc«,  ist  nicht  gesagt, 
möchte  sich  auch  schwerlich  nachweisen  lassen.  Der  Vers  be- 
deutet einfach:  »Von  wegen  des  Tages,  wo  du  mich  zu  lieben 
aufgehört  und  dich  von  mir  abgewandt  hast,  haben  sich  nicht 
einmal  zwei  Ziegen  gestos^en  «,  sprüch wörtlich  von  etwas  Un- 
bedeutendem ,  worüber  kein  vernünftiger  Mensch  sich  ärgert 
oder  ereifert ;  s.  Freytag's  Meid^nt,  II,  S.507,  Spr.  tn. 

II,  646*»,  4 — 3.    In  dem  LiuLc  dieses  Halbverses  findeich 

kein  ns'ü  vous  platte j  sondern  eine  fttr  den  Sinn  entbehrliche, 
aber  dem  arabischen  Sprachgebrauche  entsprechende  Ortsbe- 

Zeichnung,  vollständig  LjCx^  ^:  von  dortherwo  ihr  seid.  Die- 

selbe  Praegnanz  in  entgegengesetzter  Richtung  zeigt  Krehrs 
Buhärt,  I,  ni**,  in  ^^  *iiuJt:    zu  dir  hin,   weg  von  mir!     S. 


Lane  unter  ^?  S.  86*  Z.  45  flg. 

m 

II,  64 6%  4  4  »j:ÜiJI«  in  Gl.  Belädz.  S.  400  Z.  20  verschrie- 
ben st.  i^LäJL ,  wie  in  der  dort  angeführten  Stelle  von  Bat.  III, 
S.  54  Z.  7  richtig  steht. 

II,  647%  44  U.45  »j^^Lu  et  ^Ji^^jJ^  i;to/e^ff  türkische  Um- 
lautung  von  ijy!^ ,  u^^ys  i  ^^^  ^^^  Türken  auch  «UUJU  und 


b«"«-  ^  (/  ^^ 


sagen  stau  aes  pers.  xCmjuj,   arao.   ^s^**sü^,   magrcD. 

__    {II,  649%  47),  Veilchen.    Gazophyl.  1.  pers.  S.  276: 

»Violet   ^JUJu«.    Hindoglou,  Dict.  turc-fran9.  S.  466*:  » jiy^ 
ou  ji^j^,  m6n6vich,  violeta. 


190 


O  9 


U,  64 7\  5  a.  4  v.  u.  »^<  Pbaseolus  Mango  L.  Näheres 
bei  Levv.  Neahebr.  Wörteii>.  III,  S.  305  a.  306 ,  Low,  Aram. 
Pfl.  S.  2*45. 

II,  647*,  3  V.  u.  flg.  In  diesem  Artikel  sind  zwei  grund- 
verschiedene Wörter,  ein  persisches  und  ein  griechisches,  in 
mannichfacher  Umbildung  zusammengeflossen ,  doch  so ,  dass 
die  dem  einen  und  die  dem  andern  anc^ehörisen  Formen  und 
Bedeutungen  sich  noch  scheiden  lassen.   Das  pers.  Urwort  ist 

\2iUjy  eine  becherähnliche  Schale,  Tasse,  coupe.  gobdety   aus  Erz 

oder  Messing,  besonders  eine  dergleichen  mit  einem  kleinen  Loche 
im  Boden,  durch  welches  sie,  auf  das  Wasser  gesetzt,  innerhalb 
einer  bestimmten  Zeit  sich  füllte,  untersank  und  dadurch  den 
Ablauf  dieser  Zeit  anzeigte.  Mit  Uebertragung  des  Namens  für 
das  Messwerkzeug  auf  den  damit  gemessenen  Zeitraum,  —  nicht 
umgekehrt,  wie  es  nach  dem  Artikel  «2^  beiVullers  scheinen 
könnte  — ,  sagte  man :  das  beträgt  K  ^^  {^yi»  «dC^^  <^). 
Gegen  die  erwähnte  unrichtige  Darstellung  des  Verhältnisses 
zwischen  den  beiden  Bedeutungen  spricht  schon  der  Umstand, 
dass  dasselbe  Messwerkzeug  noch  zwei  andere  gleichbedeu- 

tende ,  ebenso  allgemeine  Namen  hat :  ^^^/J^  oder  oJ*^  und 

ytoH.  Nach  den  einheimischen  Lexikographen  diente  diese  ein- 
fache Wasseruhr  den  Indern  und  Persem  besonders  auch  zur 
genauen  Abmessung  des  jedem  Theilhaber  zur  Bewässerung  sei- 
nes Feldes  zukommenden  Betrags  von  einer  natttrlichen  oder 
künstlichen  Wasseransammlung,  durch  Vermittlung  einer  wäh- 
rend einer  bestimmten  Zeit  zum  Abflüsse  des  Wassers  geöffne- 
ten Leitung.  Später  wurde  für  ;^^  sowohl  in  seiner  ursprüng- 
lichen allgemeinen,  als  in  seiner  besondem  Bedeutung  das  da- 
von gebildete  Belativnomen  qI^  üblich,  und  dieses  übertrug 
man  auch  auf  die  weiterhin  an  die  Stelle  der  Wasseruhr,  vdpo- 
axoTtLov^  vdqiovy  xXexpvÖQa,  getretene  Sanduhr,  xXetpdfifiiov. 
sablier,  sable,  unser  altmodisches  Stundenglas.  Ausser- 
dem ist  aber  qIXaj  nach  Lebge'i'  'otm^ni  S.  Ha  durch  eine 
andere  Besonderung  seiner  allgemeinen  Bedeutung  noch  heut- 

zutage  das  pers. -türkische  Kunstwort  für  den  gemeinhin  tJ^, 


191     

Glad,  Glasgefflss,  genanDten  gläsernen  oder  auch  metallenen 
Schröpfkopf,  ventouse.  Ein  vollkommenes  Seitenstllck  zu 
qLxjo  als  Gefäss  schlechthin  und  als  Stundenglas  ist  das  ital. 
ampolletta,  span.  ampollita,  franz.  ampouiette,  eine 
sechs  oder  mehr  Stunden  laufende  Sanduhr,  wie  sie  auf  den 
Seeschiffen  gebräuchlich  ist.   Aus  qÜCü  bildeten  nun  die  Ära- 

her  einerseits  JdJ^j  andererseits  ^Jls^»^  —  durch  den  Sprach- 

gebrauch  so  geschieden,  dass  jenes  Wasser-  oder  Sanduhr, 
dieses  Schale,  Schälchen,  Tasse,  insbesondere  Kaffeetasse 
(Obertasse)  bedeutet,  in  welcher  Bedeutung  es  nicht  nur  bei 
Arabern  und  Türken ,  sondern  auch  bei  den  Persern  selbst  in 

allgemeinem  Gebrauche  ist.    Das  arabisirte  «UCo  aber  wurde 

nach  dem  von  Dozy  angeführten  Zeugnisse  HdgiHalfah's  später- 
hin, mit  völligem  Absehen  von  Stoff,  Form  und  Zusammen- 
Setzung  der  dadurch  eigentlich  bezeichneten  Wasser- und  Sand- 
uhren, auch  auf  andere  Uhren  übergetragen  und  bekam  in  die- 
ser verallgemeinerten  Bedeutung  den  Plural  oUIXo.  H^gl 
Halfah,  II,  69,  führt  als  einen  besondern  Wissenszweig  JLc 
c^LcÜClJ^  auf  und  erklärt  dies  als  die  Kenntniss  der  zur  Be- 
Stimmung  stets  gleichbleibender  Zeittheile  anzuwendenden  ma- 
thematischen Berechnungen, —  technisch  gewendet:  die  Kennt- 
niss von  der  Art  und  Weise  der  Herstellung  solcher  Zeitmesser. 
Der  Endzweck  derselben  sei :  die  Bestimmung  der  richtigen 
Zeiten  für  die  fünf  kanonischen  täglichen  Gebete  und  anderer 
wichtiger  Verrichtungen,  ohne  dazu  den  Stand  und  die  Bewe- 
gung der  Himmelskörper  zu  beobachten.   Er  fährt  dann  so  fort. 

»Eingetheilt  werden  die  oLebCo  4)   in  Sanduhren,  ^ULo . ,  die 

aber  nicht  viel  nützen,  S)  in  Wasseruhren,  s\i\  oUIXu,  von 
denen  es  mehrere  Arten  giebt ,  die  aber  ebenfalls  nicht  viel 

nützen,    3]  in  Drehuhren,    äj.^o  oLcbCü,   mit  Rädern,  von 

denen  die  einen  die  andern  in  drehende  Bewegung  setzen.« 
Zunächst  wohl  diese  weite  Ausdehnung  des  Begriffs  von  ^UJo 
auf  ursprünglich  nicht  dazu  gehörige  Dinge  hat  Dozy  bewogen , 
auch  die  an  der  Spitze  des  Artikels  stehenden,  mit  m  anlauten- 
den Wörter  iüL^U,  xilÄJU—  bei  Ale.  »menqulnaa  — .  ÄJLäJU, 


192     

xJUju,  'iiSJu»  und  XilX«,  die  im  magrebinisch-spanisehen  Ara- 
bisch für  Uhren  aller  Art  gebraucht  werden,  durch  Lautwechsel 
von  ^bCo  abzuleiten,  nicht,  wie  Wright  und  Bargds,  vom  grie- 
chischen iiayyavov  (neugriech.  nayxavov)^  weil  dieses  weder 
Wasseruhr,  noch  eine  andere  Art  von  Uhren  bedeute.  Dagegen 
ist  erstens  in  formeller  Hinsicht  zu  bemerken,  dass  der  ange- 
nommene —  an  sich  leicht  mögliche  —  Uebergang  des  anlau- 
tenden b  von  ^bCjü  in  m  und  die  —  nicht  ungewöhnliche  — 

Verlängerung  eines  Substantivs  durch  Anhängung  eines  aus- 
lautenden a  oder  e  gerade  bei  diesem  Worte  weder  im  Per- 
sischen noch  im  Arabischen  anderweit  vorkommen ,  während 
sich  ftlr  die  verschiedenen  Lautttbergänge  in  den  genannten 
Wörter  als  Abkömmlingen  von  iiayyavov  Analogien  in  Menge 
finden.  Entscheidend  aber  ist  die  begriffliche  Entwicklung 
dieses  Wortes  und  seines  Relativnomens  ^ayyavixov  nach  ihrem 
Uebergange  in  die  vorderasiatischen  Sprachen.    Während  näm- 

lieh  beide,  als  q^^^  und  /^aä^U,  beinahe  ohne  Verände- 
rung ihrer  Form  auch  ihre  Bedeutung  als  kriegerische  Wurf- 
maschinen beibehalten  und  das  erstere  ausserdem  von  einer 
Maschine  zum  Wasserschöpfen  gebraucht  wurde,  bekam  der 
abgektirzte,  zunächst  wohl  der  Pluralform  \iayyava  nachgebil- 
dete Feminin-Singular  xlXlo  die  Bedeutung  von  Maschine 
flberhaupt  (Gazophyl.  1.  pers.  S.  205  unter  Machina:  instra- 
mento),  wurde  und  wird  daher  von  den  verschiedenartigsten 
mechanischen  und  technischen  Werkzeugen  gebraucht ,  welche 
durch  Rollen,  Walzen,  Kloben,  Kurbeln,  Räder,  Spannfedern 
und  andere  mechanische  Mittel  in  Bewegung  gesetzt  werden. 
Ich  glaube  sogar,  dass  Dozy  selbst  auf  die  Meinung  von  Wright 
und  Barg^s  zurückgekommen  sein  würde,  wenn  er  über  das 
als  Derivat  von  \iayyavov  S.  619*»  Z.  40  u.  9  v.  u.  aus  Bocthor 
angeführte  »iüjCu,  presse  pour  exprimer  rhumidM  y  pressoirfi. 
hinaus  einen  Blick  auf  das  Bedeutungsvielerlei  unter  demselben 
Worte  bei  Meninski  und  Zenker  geworfen  hätte.  Da  würde  er 
neben  Presse,  Kelter,  Wäschrolle  oder  Mange,  Mangel,  Schraub- 
stock, Flaschenzug,  Kugelzieher,  Winde  und  Drehorgel  auch 
»Räderwerk,  Uhrwerk«  gefunden  haben.  Zur  Bestätigung  und 
Vervollständigung  dieses  Begriffskreises  gebe  ich  hier  noch  die 


193     

Uebersetzung  des  Artikels  tkX^  in  LehgeY  'otm^nt:  »M en- 
ge ne  aus  dem  ital.  macchina^),  Werkzeug  zum  Pressen; 
Wäschroile,  Mange,  ital.  mangano,  franz.  ccdandre;  Trauben- 
und  Oelpresse,  Kelter ;  Schraubstock  der  Schmiede  und  Tisch- 
ler; verschiedene  mit  Federn  und  Radem  versehene  Werkzeuge; 
Schlüssel  der  Zahnärzte  zum  Zahnausziehen ;  Schnäpper  der 
Wundärzte  zum  Aderlassen. c  So  halte  ich  denn  ftlr  bewiesen, 
dass,  während  das  persisch-arabische  qIXü  ,  «IXo  auch  in  sei- 
ner weitesten  Begrififsausdehnung  nicht  über  den  Begriff  Uhr 
hinausgekommen  ist,  jene  Mannichfaltigkeit  von  Dingen  mit 
Einschluss  der  Uhren  die  Einzelheiten  darstellt,  in  welche  der 
durch  das  griechische  (layYavov  und  seine  morgenländischen 
Abkömmlinge  ausgedrückte  Gesammtbegrifif  Maschine  sich 
erfahrungsmässig  zerlegt  bat. 

11,  619^,  6  V.  u.  »^JU  le  cri  du  jeune  Äne,  1001  N.  Bresl. 
11,57«.  Dozy  hat  übersehen,  dass  dort  überhaupt  nicht  ein 
Esel,  weder  ein  junger  noch  ein  alter,  schreit,  sondern  ein  Dae- 

mon  in  Gestalt  eines  schwarzen  Katers,   o^l  J^ ,  der  sich  bis 

zur  Grösse  eines  ^x^y  \J*^  aufgeblasen  hat,  um  dem  unglück- 
lichen Buckligen  desto  grössere  Angst  einzujagen.   Die  Katzen 

aber  schreien  im  Morgen- wie  im  Abendlande  nicht  ^^,  son- 
dem  ^  oder  LLo,  II,  626^,  17;  daher  W,  !U  und  tC«  mi- 

auen,   miauler,   (ürk.   i'ji^l/»  und   /'jx^lf/>   u.  s.  w.    Diesem 

Naturlaute  entspricht  in  Galland*s  Handschrift  die  Lesart  ^j*^^ 
s^^yyo  1^^  statt  der  Bresl.  j^  jjLe  Jli^  ^^^  r/^^*  Dieses 
s^^  wird  etwa  murmiauh  auszusprechen  sein,  —  ein  durch 
brummenden  Vorlaut  verstärktes,  lang  ausgehaltenes  miau.  Es 
bleibe  jedoch  nicht  unerwähnt,  dass  die  Gemeinsprache  das 
naturgetreue  m   dieses  Wortes  in   n  verwandelt,    indem  sie 

statt  ]y9f  der  zweiten  Form  von  sLo,  sagt  ,^^;  s.  Cuche,  v.«% 


4)  Ein  IiTthum  des  gelehrten  Ahmed  Weft^^,  der  wenigstens  die  Be- 
griffsweite von  mengene  bestätigen  hilft. 


194     

8  T.  o.  und  Sappl.  II,  liO\  25  a.  37.  Daher  kommi  es  wohl, 
dass  Doxy  ebend.  Z.  20  a.  21,  in  Widersprach  mii  U,  619^,  6 
T.  a.  und  mii  Habicht  s  Texte,  aber  mit  Yerweisuog  auf  unsere 
Stelle  angiebt:    »^  le  cri  du  chatc. 


II,  6f9\  5  V.  u.   »J«^  «•  mauvais^  Bc.(Barb.]c  spr.  mk 

minnüs,   zusammengezogen  aus   9^^  juU   ^,  unser:    es  ist 

nichts  an  ihm,  nichts  daran. 

II,  620»,  8  V.  u.   »cyil  ^  bianc  de  baieine,  sperma  ceti, 

Bc.«    In  der  ersten  Ausgabe  von  Bocthor's  WOrterbudi  ist  ^ 
weder  unter  Blanc  noch  unter  Sperma  ceti  vocalisirt,  aber  unter 

Sperme  und  Semence  ^j^  geschrieben,   d.  h.  ^,  die  durch 

Sur.  75  V.  37   gesicherte  und  von  (jrauharl  allein  anerkannte 
Form;  eigentlich  wohl   Ab-  oder  Ausgesondertes,    J^aks 

=  JyK&4.    Das  vom  KAmiis  dem  ^^  als  gleichbedeutend  nach- 

gestellte,   von  Freytag  aber  mit  einem  völlig  unbeglaubigten 
D^«  besonders  aufgeführte    ^    bezeichnet   selbst    Bist^nt 

S.  I**!!*^  Z.  13   als  unsicher  durch  ein  demselben  angehängtes 


II,  620»,  7  V.  u.  flg.    Ueber  die  Herkunft  dieses  iouU  von 

^ovi\  und  seine  verschiedenen  Gebrauchsweisen  handelt  er- 
schöpfend Gildemeister  in  der  Zeitschrift  des  deutschen 
Palaestina-Vereins,  Bd.  IV,  S.  194—199. 

II,  620^,  K    Ä^Ul«  pot^ard,  Cherb.«   Nebenform  des  spao.- 

arab.  ^lL,  I,  120^  6  v.  u. 

II,  624*,  17   »c;.c>^c    1.  vi>^-^;  s.  die  Erklärung  des 
so  berichtigten  Verses  Jä^LÜt,  V,  S.  391   Z.  8— 11.     U  nach 

U>X3  ist  das  II,  563^  5  v.  u.  flg.  besprochene  Äj^Jü^aJl  L#. 


195    

II,  688<>,  42  V.  a.   »^Lj^U  in  deJong's  LatäYf  al-ma'ftrif, 


'O. 


(ir,  14,   ist  das  gewöhnliche  qLj^  oder  qIj^,    syr.  .i^aiD, 

Seuche  und  dadurch  —  nicht  bloss,  nach  den  Wörterbüchern, 
unter  dem  Vieh,  sondern  auch  unter  den  Menschen  —  ver- 
ursachte Sterblichkeit,  Jäküt,  IV,  til,  2  u.  3;  vgl.  622^  5  u.  4 
V.  u.    Cuche,  ffi***,  5,  vocalisirt  das  Wort  in  der  Bedeutung  von 

mortalite  qLj^,   als  sei  es  die  vomE&müs  angeführte,  durch 

o^  erklärte  Infinitivform  Q^i«* ,  das  Gegentheil  von  q|^a>. — 
Aus  dem  Umstände,  dass  Ibn  al-Wardl  in  der  Parallelstelle  die 

andere  Lesart  ,X^t  tLxT  hat,  folgert  de  Jong,  dass  qLj^  eben- 
falls  Pluralform  von  c>wo  sei ;  aber  die  Grammatik  kennt  kei- 
Den  Singular  der  Form  Jokas  mit  einem  Plural  der  Form  q^Ia3. 

II,   623^,   19  flg.    »j^   (turc)  violett  u.  s.  v*r.    Weiteres 

über  diese  schillernde  Farbenbezeichnung  s.  oben  S.  178  flg. 
zu  II,  576^  6. 


o  » 


II,  624%  3    »Bj^  (pers.)  bottet  =  ^\y^i  das  arabisirte 

-   >  -    > 

e)jj^,  ältere  Form  von  nyyA. 

II,   624%  8   v.u.   >v»^wJb  iJiyA  mauvaisa  spr.  muä  taijib, 

-.     « 

zusammengezogen  aus  v^^Ji^^y^  Lc ;  s.  Spitta-Bey,  Gramma- 
tik u.  s.w.  S.  414. 

11,   624%  12  V.  u.   »Ji^t  vulg.  pour  ^t^l,  M.a  Besser, 

zur  Verhütung  von  Missverständnissen,   Lii^t,  da  Ji^t  nicht 
etwa  eine  Vulgärform   für  den  nächstliegenden   gebrochenen 

Plural  von  J^t ,  sondern  die  gemeinarabische  Benennung  der 

Versart  Lij^t  ist,   über  welche  die  Zeitschrift  der  D.  M.  G. 

Bd.  VII  V.  J.  1853  S.  365—373  ausführlich  handelt.    Nicht  er- 
wähnt ist  dort  eine  in  M  t^M*  ^  zu  findende  Sage,  nach  wel- 

eher  )^yA  oder  U]^  der  Name  einer  Dienerin  des  Barmekiden 


196     

(jra^far  gewesen  sein  soll,  die  nach  dessen  Hinrichtung  trotz  dem 
Verbote  des  Chalifen  seinen  Tod  in  der  nach  ihr  benannten 
Versart  betrauert  habe.    In  der  Mehrzahl  nenne  man  solche  Ge- 

dichte  oUi]^,  gemeinhin  J»->^t^,  PI*  von  i]yA\   nach  einer 

andern  Ableitung   und  Erklärung    oLit^,    Partie.  Act.  von 

^ll^,  —  in  welcher  Bedeutung?  ist  nicht  gesagt. 

II,  624°,  3  v.u.    yiyAyA  prunelle  de  Vceih,  s.  oben  die  Anm. 
zu  II,  616%  3  u.  4. 

II,    625%   3     »^wJifi«   spr.  j-sän,  Nebenform  von  ^Läc,  IL 

452'^,  3  V.  u.  flg.,  als  solche,  wenn  auch  nur  in  der  Bedeutung 
^^^uc,  vom  E^müs  aufgeführt.    S.  dazu  im  dritten  Stücke  dieser 

Studien  v.  J.  4884  S.  74  das  zu  ^lic  Bemerkte. 

II,  626%  4  4  v.  u.   Rauwolfs  npachmatz«  ist  mit  &x^o  j^, 
*;^:3^^  gleichbedeutend,  aber  nicht  daraus  verderbt,  sondern 

ursprünglich  ebenfalls  persisch  :  jUxj  in  der  letzten  von  Me- 
ninski  nach  Gastel  angegebenen  Bedeutung :  » sucrus  uvarum 
coctione  inspissatustr,  von  den  Türken  in  jU^,  j^Xj  verwan- 
delt, aber  gemeinhin  i«^  petmez  ausgesprochen,  Zenker  S. 205' 

o 

Z.  7 — 1 1  ;  arab.  ^j»^ ,  raisine, 

n,  629%  23,    )>^«  Druckfehler  st.  ^. 

11,  629^,  15    »jj-JL«  d^cide,  d'un  caract^re  ferme,  resolm^ 

von  stolzem  Gange,  als  Zeichen  des  Charakters,  auf  diesen 
selbst  übergetragen.    Cuche  Iff  **,  4:  »^Lloj  ^u  qui  marche 


»    O  - 


avec  fierte «,  von  »LiL-uij^^  L*Jwo  i    ^\^  marcher  avec  fierte  el 
en  se  balancant«. 

II,  630%  12   »ii^«   Druckfehler  st.  il^. 


197     

II,  630*,  W  V.  u.  »^Jait  j^fiiß  JL^I  ü  leur  fit  donner  a 
manger üi,  wörtlich:  er  wendete  ihnen  die  Küche  (d.  h.  die  Be- 
köstigung aus  seiner  Rüche)  zu,  wie  Abulmahäsin,  T.  I,  rvi 
vorl.  Z.  &JLc  LoAH  ]^U1,  sie  wendeten  ihm  weltliche  Güter 
und  Ehren  zu.  (Die  in  T.  II,  pars  poster.  S.  46  Z.  4  v.u.  vor- 
geschlagene Verwandlung  dieses  I^L«^  in  j^LPI  nehme  ich  hier- 
mit zurück.) 

II ,  630*,  9 — 6  v.  u.  Die  Stelle  erklärt  sich  dadurch,  dass 
J^  JLq  mit  ^fi  überhaupt,  besonders  aber  in  feindlicher  Ab- 

sieht,  vom  Anrücken  und  Losgehen  auf  Orte  und  Menschen, 
auch  in  der  starkem  Bedeutung  von  fondre  sur,  abattre,  assom- 
mer  gebraucht  wird.  Calila  etDimna  S.  1t*  Z.  i ;  Harlrl,  I.Ausg. 
S.  Ha,  Comm.  Z.  4  u.  5,  und  S.  m  Z.  3,   wo  der  Comra.   Z.  9 

das  absolut  gesetzte  JU  des  Textes  durch  aJUsU^t^  ^uic:  v3^ 
erklärt.    Die  hier  stehende  causative  vierte  Form  ist  entweder 

durch  ein  hinzugedachtes Object  wie  X^oül  zu  ergänzen:  »sie 
Hessen    (Truppen)    marschiren   gegen «  —  ,  oder  sie   ist ,   wie 

jJwo,  630*,  14  v.  u.,  nach  neuerer  Weise  intransitiv  gebraucht, 
=  JLc. 

II,  630^,  18  ».äm\  JJLo«  in  dieser  Bedeutung  und  Ver- 
bindung richtig  (J^\,  Lane  S.  1577«  Z.  20—26. 

II,  631*,  7  V.  u.  flg.  Diese  Beschreibung  der  persischen 
Wasserpfeife  ist  berichtigt  in  Landberg's  Proverbes  et  dictons, 
1,  S.  444  u.  445.    Vgl.  dazu  im  dritten  Stücke  dieser  Studien 

V.  J.  1884  S.23  die  Anmerkung  zu  i^i;^,  I,  SIO*',  6  v.  u.  und 
Lane's  Manners  and  Customs,  1.  Ausg.  S.  167  u.  168. 

II,  632*,  14  u.  15.  Zu  den  mit  >üLi,  Ali  nächstverwand- 
ten Lall- und  Kosewörtern,  Lettre  S.  185,  gehören  auch  das  türk. 
&Äj,  nen.e,  nine.  für  Mama  und  Grossmama .  und  das  itai. 
nonna  für  Grossmama. 


t9S     

_  »    ^  ^  ^ 

II.  632*,  3   »w^Äj«  Dach  dem  Yersmasse  und  als  Reim  wort 

zu  schreiben. 

U,  633\  28  u.  29   ig^«   Bassäm  lU,  5r«,  nicht  ■'" 

denn  dies  ist  immer  nur  Prophetie,  nie  »Aou/  raiij/«,  wie  v»Lo , 

tttrk.  ^Si^^yi,^  wofür  Freitag  unrichtig  »prophetta«  giebt. 
Entweder  also  ist  bei  Bassäm  o»i^  zu  schreiben ,  oder  er  hat 

5^ ,  —  wie  o»«Ai  und  ^J ,  Hochland,  Anhöhe,  —  uneigentlieh 
für  0»^  gebraucht. 

II ,  635%  26—29.  Die  Verbindung  von  ^JiJ^  JuHl  mit 
dem  noch  stärkeren  ^^y^ ,  zeigt  deutlich,  dass  Juxit  hier  als 

transitives  Medium  von  Jui  die  in  unsem  Wörterbüchern  feh- 

lende  Bedeutung  hat:  von  sich  hinweg  oder  auf  die  Seite  wer- 
fen, verächtlich  oder  schimpflich  hinwegstossen,  hinwegschaffen 
oder  schaffen  lassen. 

11,  635^  25.  Zu  sp  bemerkt  M  ^t*T^  6  u.  5  v.  u.,  auch 
die  von  den  Europäern  Accent  genannte  Hervorhebung  der 

Tonsilbe  eines  Wortes,  wie  die  von  Jj>  in  J^^  und  von  ^ö 

in  ^^Jü' ,  könne  man  ganz  wohl  durch   s-J  ausdrücken. 

11,  636%  6  ««LJLe  andouille ,  saucisse^  das  türk.  ^Lm«^, 
^Lyc^,  —  auch  ^Lj^^  .Lo^  geschrieben,  aber  mumbär, 
bumbär  ausgesprochen;  Zenker  S.  226®  und  894^ 

11,   636*,  26 — 28   1>^Ji,^^a  arabisirt  aus  dem  von  Ler- 

chundi  beigebrachten,  der  ursprünglichen  persischen  Form 
treuer  gebliebenen   ^sa«^,   —  wahrscheinlich  eine  der  man- 

cherlei  Umlautungen  von  4^.^.Xa  ;  s.  weiter  unten  die  Anmer- 
kung  zu  ..^^J,  II,  655%  9  flg. 


199     


II,  637^  20   »^^«   sehr.  ^jj>  oder  Jo. 


i.9 


II,  638^,  21    9xjJJ^  esp^ce  de  maladie,  qui  excite,  qui  tient 

reveilU^  J.  A.  1853,  I,  344.«  Um  dies  zu  bedeuten,  mttsste  es 
beissen  ^uJU  oder  2uJU.     In  der  Form   &aaJL>o  ,   Aufwachen- 

der,  wäre  das  Wort  eine  Uebertragung  der  Benennung  des 
Kranken  auf  den  krankhaften  Zustand ,   —  schwer  glaublich 

und,  meines  Wissens,  ohne  Beispiel.  Ich  lese  ^uäJU,  Passiv- 
particip  in  der  Bedeutung  des  Infinitivs:  Aufwachen,  in 
praegnantem  Sinne :  leichtes  und  häufiges ,  einen  gesunden, 
stärkenden  Schlaf  unmöglich  machendes  Aufwachen,  —  weni- 


*3.  , 


ger  als  .^,  Schlaflosigkeit. 

II,  638^,  24  9'±^\  uÜJA^di  Druckfehler  st.  :iö*  \^ 
II,  640**,  12  »yJgo  Uiüe  peinte^  M.«  Genauer  nach  M's  Wor- 
ten (Kj^  u^^  3v3  ^^mo):  ein  Gewebe  mit  verschiedenfarbi- 
gen Figuren ;  Guche  *Iö.^  und  Al-FarAtd  aI*^  :  »couverte  de  bro- 
deries,  de  fleurs  (Stoffe) «  ;  also  wohl  überhaupt  buntgemuster- 
tes Zeug,  sei  das  bunte  Muster  eingewebt,  eingestickt  oder  auf- 
gedruckt. 

II,  642*,  8   »jA^^maghribin  pour  ^y^«.     Weiteres  über 


diese  Grasart  und  ihre  anderweiten  Benennungen  giebt  Low, 
Aram.  Pflanzennamen  S.  141  Z.  10  flg. 


^  te   ^  •> 


II,  642^,  3     ^fijfJf^A   nom  d'un  Instrument  ä  vent,  M.<( 


Wörtlich  nach  M  (L^jyojj  wu^  ^  äii):    »ein  Instrument  aus 
Rohr,  auf  dem  man  bläst  a  —  eine  Rohrpfeife.    Cuche  *1o\^  : 

8jA^  O^  jl^  esp^ce  de  sifflet,  sorte  de  flute«.    Al-FarÄTfd 


.o  >  o 


Alt**  bat  bloss:   »B^^l^  esp^ce  de  sifflet«. 

II,  644»,  1    »Qtyii^  ^  les  versets  du  Coran,  Pt-ol.  I,  180, 

4886.  14 


200     

45«.   Die  Yei^leichoDg  der  angeführteii  Textstelle :   ^lybl  p^ 

jubf^  «jL^r^^  ™^  de  Slane's  UeberselzuDg,  I,  205.  20  u.  21 : 
»les  passages  da  Coran,  sonrates  et  versets«,  zeigt  dass  er  nichl 

^f^'t  C^9  sondern  richtig  obt  mit  »versetst,  ^^  dagegen 
mit  9 passages a  übersetzt  hat.  —  letzteres  allerdings  unzatref- 

9   9 

fend ;  denn  ^^  sind  die  langem  und  kurzem,  bald  aus  ein- 
zelnen Versen  und  Versgruppen,  bald  aus  ganzen  Suren  be- 
stehenden Textstücke,  in  welchen  der  Koran  vom  Erzengel  Ga- 
briel dem  Propheten  geoffenbart  worden  sein  soll  (s.  Nöldeke, 
Geschichte  des  Qor&ns,  S.  22  u.  23).  Diese  stückweise  erfolgte 
Offenbarung  des  Korans  steht  nach  den  moslemischen  Lehrern 
in  directem  Gegensatze  zu  der  der  altera  Offenbarungsschriften. 

von  denen  jede  äU:>-,  gleich  als  Ganzes,  geoffenbart  worden 
sei;    s.  Baidäwt  zu  Sur.  3   V.  2,  wo  der  Gegensatz  zwischen 

der  zweiten  Form   in  s^üJCt  JLi  (mit  Beziehung  von  v^U)c( 

auf  den  Koran]  und  der  vierten   in   Jml^'^I^  Htj^^t  Jjjt  jene 

Verschiedenheit  bezeichnen  soll. 

II,  644^  28U.29.   Dozy  giebt  »^J:^  c.  ^  /*re  de«  unter 

der  Bedingung,  dass  er  Abbad.  1,  383,  16  das  aller  Lesezeichen 
bare  au^\j  der  Handschrift  richtig  ä^  gelesen  habe.    Ich  sehe 

mit  ihm  in  dem  Worte  ein  Derivat  vom  Stamme  L^ ,  glaube 

aber  ju^ü  lesen  zu  müssen.   ^^  bezieht  seine  verbürgten 

Bedeutungen  nicht  von  der  ersten,  sondern  alle  von  der  dritten 
Form;  hierzu  kommt  ein,  wenn  auch  nur  äusserlicher,  aber  bei 
einem  Stilisten  wie  'ImAduddtn  nicht  bedeutungsloser  Umstand: 

die  zwischen  K;^>ü  und  den  drei  andern  parallelen  Eigen- 
schaftwdrtern  äIsLo,  ÄlsLb'und  jL^U  stattfindende,  mit  i^ 
aber  wegfallende  Formgleichheit. 

II,  645*,  6 — 8   »vi>;^,  t.  de  gramm.,  reunir  deux  mots  en 


201     

un  seuh,  und  16  u.  47  n)uj^^  liJS  mot  dans  lequel  deux  mots 
sont  reunisn.    Nach  dieser  Erklärung  wären  auch  Zusammen- 

j^jü<mA  und  ^LäJü»  (meine  Kl.  Schrif- 

ten,  I,  S.  163  Z.  22  flg.)  i:iy^^J^  oULT.,  was  aber  nicht  der  Fall 

ist.    Wie  schon  das  als  Beispiel  hinzugefügte    ^^.^^Cm^jx,    Be- 


O  ,         )       ^  o  ^ 


o  ^         >  V  « 


Ziehungsnomen  von  ,j<«w^  «-^}  andeutet,  fehlt  die  nähere  Be- 
stimmung :  avec  suppression  d'une  ou  de  plusieurs  consonnes  de 
Tun  des  deux  mots  ou  de  tous  les  deux.  Dies  entspricht  auch  der 
ursprünglichen  Bedeutung  von  si>^ ,  behauen,  wie  der  tür- 
kische Kämüs  sagt:  »vi^^^t  bedeutet  aus  zwei  Wörtern  eins 
machen,  wie  der  Zimmermann  zwei  Stücke  Holz  behaut  und 

daraus  ein  Stück  herstellt.«     Er  führt  dazu   ausser 


S      ,c 


folgende  Beispiele  an:    ^Juc,  ^^^^^^y^  und  J^',  Beziebungs- 

£    ««      }  o  ••  o  ^  &<c      »o  "•«eye  0»o« 

Domina  von  ^tjJt  Jui:,  (j«^i  ^y>^  und  ^V  |^' ;   /öLi^  und 


s.^«i3^^iUM,  jenes  aus  den  Stämmen  J^^  und  t'oX*o^  dieses  aus 
/j^  und  u^oafi»  zusammengezogen;  ^üü^,  aJLm«o,  'i^Os^^ ^ 
Äl^vM,  ^^bb^  und  Äiijt:>,  Infinitive  von  ly^^  J^«*^  u.  s.w., 
zusammengezogen  aus  Jflj  ^i  h^  \  S^  "^ ,  ^^  i«-^ ,  «Jui^i 


jil,  äU^  ^li^**,  S^JLaJi  J^  [^  und   lätvAi  vi;^!»^.     Die  letz- 


o  « 


ten  Beispiele  zeigen  zugleich,  dass  der  Begriff  des  v^^^  nicht 
auf  zwei  Wörter  beschränkt  ist,  sondern  sich  auch  auf  drei  und 
mehr  erstreckt,  welche  durch  Ausscheidung  und  Zusammen- 
fassung ihrer  Hauptbestandtheile  zu  einem  umgebildet  wer- 
den, mit  gelegentlichen  Verschiedenheiten  in  Auswahl  und  An- 

Ordnung  dieser  Bestandtheile.  So  steht  neben  J^^^s^  ein  gleich- 

1,  ^      »  Q  ,  ^«C'  ^^O-  *»C* 

oeaeutendes  ^^m«,  neben  J*ä«>  ein  ^,J^*^  und  *>ä«5>  (Lane 

14* 


202 


S.  430*),   neben  (jj^  ein  JJi^,    wozu  M  S.  fM*  Z.  9  flg. 
bemerkt,    das    letztere    sei   wegen    der  Gleichförmigkeit  mit 

Jn4^  ,  jjui^  u.  s.  w.  allgemeiner  üblich  als  /^3^,  dieses  aber 


«'O^  ^■my 


richtiger  gebildet,  weil  das  J  von  ^^  dem  /j  von  ö^  vor- 
ausgehe. 

II,  646^,  26  u.  27   ^es  petits  de  Vabeille  a.   Der  Form  nach 

—  »  «-  *  ^ 

ist   J»^  ein  Collectiv-Singular  wie  ^aüj,   tA^^**,  v^  5  jA*^ 

u.  s.  w.  (meine  Kl.  Schriften,  I,  S.  293  u.  294  zu  de  Sacy,  I, 
370,  6  flg.).    Demgemass  haben  Cuche  %f^  und  Al-FarAYd  Ma* 

als  gemeinarabisch :  »  J^x^*  essaim  d^abeilles  <r ;  als  entsprechen- 


*     o  > 


des  Zeitwort  Cuche:  Ji'iX^'  0  J^'  essaimer  (abeilles)«,  und  AI- 
FarÄtd:   »J^t^  J^  produire  un  essaim  (abeilles)«. 

II,  648^,  1 — 4.    Nach  der  von  Dozy  angenommenen  Ver- 

muthung  de  Goeje*s  (Gloss.  LXXII,  3 — 6)  wären  w^i^i  in  Mos- 

lim's Diwan  S.  Hl  vorl.  Z.  soviel  als  *iüül  wd^'  rKiiscou7*s  choi- 

sist,  zu  welchen  das  vorhergehende  Trinken  wohl  die  Geister 
anregen  soll.    Ich  meinerseits  sehe  in  äx^,  nach  des  Commen- 

tators  jxJü!  ^\SJ\   ^^   )U^    m>   wJs^ii ,   eine  Nebenform 

des   v^^dp  unserer  Wörterbücher,    gleichbedeutend   mit    xiyi, 


K»^>.ftr,  gleichsam  Hochtrunk,  d.h.  nach  dem  türkischen  K^- 
müs :  9  das  unter  den  Theilnehmem  an  einem  lustigen  Gelage 
übliche  Austrinken  eines  vollen  Bechers,  wechselseitig  auf  ihre 

eigene  oder  ihrer  Geliebten  Gesundheit.   Man  sagt  wo$\it  süU. 

Auf  persisch  heisst  das  J,bC;üw^a;  s.  VuUers,  I,  S.  930*.   Das 

uj^  in  Muslim's  Verse  ist  das  anfängliche  Trinken  nach  Lust 
und  Belieben  eines  jeden,   das  darauf  folgende  u^i?'  das  ge- 


203     

regelte  Gesundheittrinken  aus  einem  grossen,  von  £inem  zum 
Ändern  gehenden ,  immer  wieder  von  neuem  gefüllten  Becher. 

II,  650^  6u.  7   »iülir-  rac/wre«.    Wo  bedeutet  [>^  ü  a 

racl^  ?     Nach  Zusammenhang  und  Sprachgebrauch    ist    xllir 
JucXsil  inWüstenfeld's  Kazwlnl,  I,  S.239  Z.  6  v.u.  ein  Schreib- 

fehler  st.  JuJl^I  xJL^y,  limaüle  de  fer. 

n,  654^,  28  u.  29   ^t^tjj  =  v^>Jül  se  mettre  en  marchCj 


^o  - 


äiJül  aJ^  v*^^  O^  ^^  si  la  lecon  estbonno;  Gl.Fragm.«  Ich 
sehe  keinen  Grund  zu  dem  im  Glossar  S.  88,  5  u.  6  ausgedrück- 
ten Zweifel  an  der  Richtigkeit  des  Textes  S.  I^vf  1.  Z.,  wo  v«^^ 

einfach  das  Imperfectum  von  ujJü  ist :    d  bevor  er  das  Aufgebot 

I^ÄjJüJl)  zu  diesemFeldzuge  erliessa.    Die  Bedeutung  »se  mettre 

enmarcheQ  kann  s^Jü  nicht  haben,  weil  die  Verbalform  Jje 
überhaupt  unfähig  ist  eine  solche  Thätigkeit  zu  bezeichnen; 
s.  Wright's  Grammar,  2.  Ausg.,  I,  S.  30  §  38. 

II,  654*.  30 — 33.  Ebenso  wenig  wie  in  der  vorigen  Stelle 
Dozy's  Zweifel;  finde  ich  hier  die  Entschiedenheit  gerechtfer- 
tigt, mit  welcher  er  das  &j  \Jias>^  &jJö  für  » sans  doute  altere « 
erklärt.'  Die  Stelle,  sinngetreu  übersetzt,  lautet:  »er  (der 
Räuberhauptmann}  nahm  den  Säbel,  zog  ihn  aus  der  Scheide, 
biess  ihn  brav  einhauen  und  schritt  mit  ihm  vor«,  um  dem  un- 
glücklichen Scheintodten  nun  wirklich  den  Garaus  zu  machen. 

Die  Personification  des  Säbels  in  ajcXJ  ist  acht  arabisch ;  was 
bleibt  also  da  zu  bemängeln  ? 

II,  654%  4  V.  u.    »^jAJa  Druckfehler  st.  ^jmI. 

II,   652%   W  u.  12    »^(JÜU  rebours<i   nicht  ^jJlo,  JL«L» 


o  > 


von  ^vXJ,  sondern  yJU^,  Participium  von  ^tjül,  I,  472*,  14 — 

46,  einer  der  im  fünften  Stücke  dieser  Studien  S.  56  u.  57  zu 
ji'Jül  besprochenen  siebenten  Formen  von  mittelrocaligen  Stäm- 
men. 


204 

II.  658\  17   9i>UÄi«  sehr.  ^JuXi. 

II,  652\  4  v.u.  »JlJü  miilepieds^  scolopendre*  vom  syr. 
P^c  eine  Abkarzung  von   p^  ,  Casl.-Mich.  S.  205  (mit  dem 

Druckfehler  Pp?  ]  und  Low,  Aram.  Pflanzennamen  S.  269  Z.  2 
n.  3,  so  genannt  wegen  seiner  Beweglichkeit. 

II ,  652*,  vorl.  Z.  flg.  Der  Begriff  des  Fremdwortes  JJUc 
aaf  dem  Boden  gezogener  Zauberkreis,  ist  weiterliin 
auf  jeden  ähnlichen  Bannkreis  ausgedehnt  worden.  Kazwlni, 
I,  S.  f^  Z.  22  u.  23 :  «Zieht  man  um  eine  (im  Freien  lagernde; 

Gesellschaft  einen  aus  Pinienholzasche  bestehenden  JtJüU ,  so 
ist  sie  vor  Belästigung  durch  kriechendes  Ungeziefer  gesichert.« 

II,  653*,  3  »y  (^.liij)  se  plaindren,  vielmehr  exprimer 
son  repentir,  nämlich  durch  Worte,  Mienen,  Geberden,  Hand- 
lungen u.  s.  w.,  wie  z.  B.  auch  /'jj^^  das  Aeussern  der 
Sehnsucht  vor    rj\,x^\   voraus  hat.     Die   Erklärung   durch   se 

plaindre  hebt  den  wesentlichen  Unterschied  zwischen  «JUj 
und  <Jl£j  auf,  vermöge  dessen  jenes  nach  dem  Grundbegriffe 
von  fSj  inicht  im  Allgemeinen  bedeutet :  sich  über  etwas  be- 
klagen ,  sondern :   beklagen  und  bedauern  etwas  gethan   oder 

unterlassen   zu   haben.     Auch   «iLoiJü«,    653^,22,    ist   nicht 

schlechthin  »chctgrirm  oder,  wie  bei  Lane  selbst  an  der  bemerk- 
ten Stelle,  Jisorrowc,  sondern  Beue  über  Unterlassung  der 
gehörigen  Verschleierung. 

II,  653*,  25  u.  26  »«jlü  (pl.)  bons  motsa,  eine  Bedeutung, 
die  ich  für  unmöglich  halte.  Das  Beiwort  x^a-i-c  weist  auf  et- 
was ursprünglich  Bäumliches  hin,   wie  K>^Jui    in  j  ^i 


v-öJÜt  ^  is^yJui  ^jajij\A\,   Lane  S.  2012«  Z.  28  flg.,   und 
ich  glaube  wirklich,  dass  dieses  *:>\Xa  aus  ^\Xa  oder  i$N:pU4 


205    

I 

verschrieben  ist,  —  jenes  Verkürzung  von  diesem,  wie  {jOy\jtA 

von   ^jojXMAy   Lane  a.  a.  0.  Z.  21 — 26.     Hiemach  wäre  der 

Sinn:  »Von  artigen  Witzen 'stand  ihm  eine  reiche  FttUe  zu 
Gebote«,   die  ihm  gelegentlich,  nach  Analogie  jener  ä^^aju 

ocXXIt  ^,  wohl  auch  als  f^tJu^t  ^  ä^^OüU  dienten,  d.  h. 

als  Mittel ,  einen  Tropf  oder  Hochmuthsnarren  ohne  Unglimpf 
abzuführen. 

II,  653^  28  »»Jü  vulg.  s=  fJü  ros4e  de  Uauroret,  wie 
hei  Hartmann,  Arab.  Sprachführer,  S.  260^:  »Tau  (der)  nidi 
|syr.],   nide  [ägypt.]«,  also  nicht  unter  den  Yocalstamm  »sJu 

häer,  oppefer«  mit  wurzelhaftem  »,  sondern  unter  das  folgende 
^kXi  zu  stellen. 

U,  654",  18  )>^^5üü  calamü^y  voy.  Abbad.  HI,  439  (sur  I, 
340;  3).<r  Richtig  verwandelt  Dozy  an  der  ersten  Stelle  das  un- 

mögliche   8t<Aj  im  ersten  Halbverse  der  zweiten  in  stJü ,  über- 

sieht  aber,  dass  dieses  Wort  mit  »tju  im  zweiten  Halbverse 
den  nämlichen  paronomastischen  Sinnparallelismus  bildet ,  wie 

dijü  mit  iltcXi  in  Asäs  al-balAgah  unter  ,^500,  Wahbi^s Ausg. 
v.  J.  im,  n,  S.  ^f  Z.  45  :  jJ;U\  ^^  c-  cj)!iAj  ^^OLiaü  ^ 
c^«f)tJü  »wie  oft  haben  deine  Hände  mich  wieder  aufgerichtet 
und  wie  oft  deine  Spenden  mich  neu  belebt  I  <   Ebenso  hier : 

j-y^  er*  *''^-  "^y^  r^    '^^^  <^^  "^^  5;^ 

)Und  hoffe  für  seine  Wiederherstellung  (Wiedereinsetzung  in 
seine  frühepe  Würde]  auf  die  Nachwirkung  seiner  Spenden ; 
denn  wie  manchen  Gebrochenen  haben  seine  Hände  wieder- 
hergestellt I  c 

Die  Deutung  von  ,^^vJü  als  icalamitas,  infortuniuma, — 

wonach  «\Jü  (j^äa  »  Ende  seines  Unglücks «  wäre,  —  geht  aus 

von  einer  missverstandenen  Glosse  zum  77.  Verse  von  Hareth's 
Mo'alla^ah,  Vullers'  Ausg.  sl  43  Z.  4  4,  vgl.  mit  S.  42  Z.  47  flg. 


206     

Allerdings  steht  dieses  Spenden  auch  in  ttblem  Sinne,  wie  AsÄs 
al-bal^gah  a.  a.  0.   Z.  18  :    1^  (,s5ü  ^^^  s;>ujJ    Lo    »meine 

Hand  hat  dir  nichts  Böses  gespendet«,  und  solche  schlimme 
Spenden   sind  auch  die  ^tJüt  in  den  Worten  der  Mo^allal^ah  : 


iiJül  ]^A>  UyJ  LäJLc  ^jmuJ  »unter  dem,  was  sie  (an  euch)  ver- 
brochen haben,  fallen  uns  keine  Spenden  (dazu  gelieferte  Bei- 
trüge) zur  Last.« 

II,  655^,  7   »aUy  cinnamomey  Bc.«    So  schon  in  der  4. 
Ausg.,  und  im  guten  Glauben  an  die  Richtigkeit  des  Wortes  hat 

Dozy  dazu  einen  Stamm  y  aufgestellt,  von  dem  »«>  J  ein  regel- 

recht  gebildetes  ÄLjii  wäre.    Aber  wer  hat  je  von  einem  ara- 

bischen   Verbalstamme    J    und   diesem    oder  einem   andern 

SprOsslinge  desselben  etwas  gehört  oder  gelesen?  Indisch,  per- 
sisch oder  türkisch  ist  ».j  J  auch  nicht,  und  so  wage  ich  die 

Behauptung :  es  ist  überhaupt  nichts  als  ein  alter,  aus  einer 
Ausgabe  in  die  andere  fortgepflanzter  Druckfehler  statt  H^jO, 

ursprünglich  jede  pulverisirte  Substanz,  aromatisches,  culina- 

risches  oder  medicinisches Pulver,  wie  ^.o,  I,  484^,  8  v.u.  flg. 

und  485%  2  flg.;  dann  (Lane  S.  957^»°)  besonders  Pulver  von 
einem  indischen  calamus  aromaticus.  Die  Uebertragung  der 
technischen  Benennung  dieses  Kalmuspulvers  auf  das  dem  ge- 
meinen Manne  bekanntere  Zimmtpulver  war  bei  der  gemeinsa- 
men fremden  Herkunft  beider  sehr  natürlich. 

II,   655%   9  flg.     »^J  ou  (J^uy»    quelques-uns  disent 

o  o  o  * 

f^T^  ^^  iß^j^i  ^^^^  ^S  ^'^^  [^'  ^"^^l  ^3'-^^  sämmtlich  ara- 

w      ^ 

bische  Umlautungen  des  persischen  i^%l^,  wörtlich  Schi  an- 
gengewinde  oder  gewundene  Schlange,    in  Ueberein- 


stimmung  mit  dem  arabischen  x^  bei  Bist^nt,  der  seine  Un- 
bekanntschaft mit  dem  Persischen  auch  hier  wieder  durch  das 


207 


Uit  wJy  Z.  16  als  angebliche,  Bedeutung  von  j^J  verräth. 
Vom   PI.   ^^L^    kommt    das   gemeinarabische  ^^^.Li ,  Ver- 


käufer  solcher  Pfeifenschläuche,  Hartmann's  Sprachführer,  S.  234 
Anm. 


>  9  O 


II,   655*,   47  u.  18   »jj*Juy  portique  devant  une  ^glisev, 

nicht  »une  alt^ration  de  TtoQTiTcog,  la  transcription  de  porticus<ij 
sondern,  wie  Dr.  Siegmund  Fraenkel  in  einem  Briefe  an 
mich,  Breslau  den  20.  Febr.  4884,  bemerkte,  das  arabisirte 
^iQ&Tj^,  viQdrjxag  des  Kirchenhellenistischen  und  Neugrie- 
chischen. 

II,  664%  1.  Z.    »J.^«  Druckfehler  st.  Jc^,  wie  665*, 

40     »ÄJLmJ«    st.     XajmO. 


«  o 


n,    665»,   6  flg.     L^lJu    iÜiJüt   Kj-^l   —  wörtlich:    die 

durch  sich  selbst  (ihren  Gegenstand)  bezeichnende  Beilegung  — , 
ist  die  beliebte  Bedefigur,  einen  ungenannten  Gegenstand  bloss 
durch  die  Natur  des  ihm  Beigelegten  kenntlich  zu  machen ;  wie 
wenn  ein  Dichter  mit  Vermeidung  eines  Gattungs-  oder  Eigen- 
namens bloss  durch  die  einem  Gegenstande  beigelegten  Eigen- 
schaftswi^rter  und  Praedicate  ihn  als  das,  was  er  an  und  für  sich 
ist,  kennzeichnet.  Diese  Gegenstände  können  aber  selbst  wie- 
derum nur  bildliche  Ausdrücke  für  andere  Begriffe  sein,  wie 
die  in  den  von  Dozy  unerklärt  gelassenen  zwei  Bäthselversen, 
Abbad.  I,  S.  309  Z.8  u.  9  und  S.  346  Z.5  u.  6,  auf  jene  Weise 
bezeichneten  Kamele  die  zugesendeten  Verse  bedeuten,  durch 
welche  der  Dichter  von  seinem  hohen  Gönner  neue  Gunstbeweise 
zu  erlangen  hofft  - 

»Da  kommen  sie  zu  ihm,  ohne  einen  andern  Führer  als  das 
Versmass  —  (befrage  es  nuri)  —  gesehen  und  ohne  einen 
andern  Vorsänger  als  die  Dankbarkeit  gehört  zu  haben.  Sie 
ziehen  dahin  mit  dem  Preise  der  (empfangenen  und  ge- 
hofften]  Spenden  auf  ihrem  Kreuze ;  —  so  erwirb  sie  denn 
dir  zum  Gewinn,  Lobpreis  (mit  deinen  Spenden)  erkaufend 
und  (damit)  wohl  fahrend. cc 
Im  ersten  Verse  ist  nach  Sinn  und  Metrum  das  nach  ^«mmu  aus- 
gefallene ^yM*  wieder  herzustellen,  ^^m«^»  selbst  in  ^«m^j  und 


208 


O.  Cr   9 


im  zweiten  Verse  .eJ^  in  icja^iji  zu  verwandeln,  als  dich- 
terische  Synkope  fttr  ^^ja^Si^^  Zostandsaccosativ  mit  Nominal- 
rection.  Die  Worte  LoL^  ^Jt  ^^^  ya^*  ^  enthalten  einen 
J^{ ,  Mehren's  Rhetorik  der  Araber  S.  405.  Der  sich  zunächst 
darbietende ,  den  wirklichen  Sinn  verdeckende  Aftersinn  ist : 

»ohne  etwas  anderes  als  das  Meer  in  Ruhe  (von  kXP]  gesehen 
zn  haben  t.  Auf  dem  Kreuze  tragen  diese  phantastischen  Ka- 
mele die  s^Lft>,  die  Lederbeutel  mit  Versen  zum  Lobe  des 
Gönners,  der  diese  jedoch  durch  neue  Spenden  eigentlich  erst 
erkaufen  soll.  Die  arabischen  Dichter  halten  mit  dergleichen 
Hoffnungen  und  Wünschen  bekanntlich  durchaus  nicht  hinter 
dem  Berge  und  drtlcken  sie  in  einer  W^eise  aus,  deren  Unum- 
wnndenheit  für  unser  Gefühl  der  Unverschämtheit  nahe  oder 
gleich  kommt. 

11,  666%  5  u.  4  v.  u.   «äj^Uno  cocos^e,  ridicule,  Bc«,  mit 
dem  von  Dozy  hinzugefügten  angeblichen  Stamme  ^:wMOy  ist  ein 

Seitenstück  zu  «Uy  mit  dem  Stamme  y  oben  S.  206.     Die  1 . 

Ausg.  von  Bc  hat  richtig  Äi^uJ,  auszusprechen  Xi^uJ,  von 


o  >  y  u» 


^^m^  =  ^s.mmo  ,  gleichbedeutend  mit  Xisu^ft  und  ^^.mm^  590% 
23  u.  34. 

11,  669%  9   »jj-Ji.    wJLäJI  ^„»j^  oublieux Ale.  (olvidadizo, . 

—  Uthargique^  Ale.  (letargico).«  Dass  Alc.'s  »munct«  nicht  auf 

^jmJLo;  sondern  auf  _..mJU  zurückzuführen  ist,  wie  oben  S.  469 


«     o^ 


Z.  4  flg.  »mului«  auf  i^^^  zeigt  der  bei  ihm  nächstfolgende 

Artikel :  »oluidada  cosa  munci  In«.  iyasA  hier  in  seiner  eigent- 
lichen Bedeutung  als  Passivparticip  der  ersten  Form;  in  den 
beiden  ersten  Fallen  aber  nach  bekanntem  spätem  Sprachge- 

brauche  als  Stellvertreter  von  J^jkax,  statt  ^e***^' 

11,669^,16   »,^L3  aw^ewr  ^pwto/atre,  Bc.tt  Bocthor  selbst 


209     

uDter  I^pistolaire  schreibt  ohne  Hamzah  »^^U«  als  gleich- 
bedeutend mit  dem  unmittelbar  darauf  folgenden  »_.mJu4c, — 
ein  Seitenstttck  zu  Alc/s  »^Le  escritor  que  compone«  statt 

^^ ,  II,  6i5^  20  ;  s.  oben  S.  187  Z.  6—4  v.  u. 

II,  669^,  24  flg.   Das  Vollständigere  und  Genauere  über  die 
Bedeutung  des  sprachwissenschaftlichen  Kunstwortes  x^UxjI  als 


^  o 


contradictorischen  Gegentheils  von  j\^s>\  s.  in  Zeitschrift  d.D. 

M.  G.  Bd.  XXXI.  V.  J.  4877,  S.  574  Z.  44  flg. 

II,  669\  8  V.  u.   »ikXJi^   (pers.}  docteuVy  Gl.  Geogr.a  De 

Goeje,  a.  a.  0.  S.  363,  sagt  vorsichtiger  Weise  nur  »titulus  viri 
docti«,  nicht  schlechthin  virdoctus, und  setzt  hinzu:  »Propriam 
vim  non  novi«.  Mokaddast  zählt  das  Wort  als  eine  der  36  Be- 
nennungen auf,  welche  ihm  auf  seinen  Reisen  beigelegt  worden 
seien.     Wie  die  beiden  unmittelbar  darauf  folgenden,   v^  I. 

und  dy^ji  bezeichnet  xä^Uü,  breite  arabische  Aussprache  st. 

aXmJmJ,  ihn  nicht  als  Gelehrten  oder  Lehrer,  sondern  als  Bei* 


senden :  sessor,  vector,  Kamel-  oder  Pferdereiten 

II,  670*,  25—27  »iülij.  Le  pl.  „.^Uj  bulles,  si  la 
ie^on  est  bonne  dans  les  4004  N.  Bresl.  XI,  224  :  etil  ^J  :^t^ 
<n.}i>,^LMi  c;AjiJLb^  ^li  ,5v>>a.  Die  Richtigkeit  der  Lesart  wird 
mittelbar  bestätigt  durch  die  von  Cuche  und  Al-Faräld  al-dur- 

rljah  angegebene   gemeinarabische  Bedeutung   von 

»jaillir«. 


b   -  '  " 


II,  674'*,  1.  Z.  »  JaAi  I,  au  pass.  c.  ^,  Stre  emp^che  den. 
Tornberg's  Uebersetzung  der  dafür  angeführten  Stelle  S.  335 
Z.  44 — 47:  «Alfonsus,  hujus  adventu  audito,  naves  ad  tra- 
jectum  impediendum  ornatas  in  fretum  misit.  Quum  ibi  anco- 
ram  jecissent,  Imperator,  trajectu  dilato,  naves  jussit  omari, 
quae  Christianis  occurrerenta  scheint  Dozy  verleitet  zu  haben, 

JaÄJLS  zu  lesen  und  ihm  eine  unzulässige  Bedeutung  beizu- 


210    

legen.   Das  Riehlige  isl  J:^--*-  »Ohne  Zandern  stellte  darauf 


der  moslemische  Befehlshaber  die  Yorfoereilongen  zur  lieber- 
fahrt  (nach  Spanien   in  Kasr  al— gawäz  (wo  er  mit  seiner  Flotte 


lag)  ein.«  ^   }^f^\  ist  das  Gegentheil  von  J  J 


II,  673^,  26   *^^^^  Xahac  d  prixer ^  Bc.t  so  schon  in  der 
4.  Ausg.  statt  des  richtigen  /rr^  bei  Freytag,  Cuche  und  AI- 


9   ^  1    .^  •»  ^ 


FaräYd  al-dunijah,  wie  «b^^ju« ,  >^y^ ,  /  jy^  ^^^  ^^^  Sub- 
stantiva  derselben  Kategone,    eigentlich  Passivparticipia   der 

Form  J^.   Der  tllrk.  Kämüs  bemerkt  zu  /J[^AS  ausdrücklich, 
dass   Jujüf,  Schnupftabak,  ein  solches  Reizmittel  sei. 

II,  676%  3  V.  u.    Dozy  schweigt  tiber  Mttller's  unverständ- 
liches  |«j^v^.    Ich  halte  es  für  eine  Art  von  Dittographie  statt 

^»^\j  :   »unter  einer Consteilation,  die  ein  der Stemdeutung  Un- 

kundiger  für  glücklich  erklärt  hatte  c ,  —  vielleicht  ein  Seiten- 
hieb des  Erzählers  auf  den  damaligen  Hofastrologen. 

II,  678\  43    »yai   I.  c.   Q«  se  venger  de«  grundsätzlich 
unmögliche  Bedeutung  der  4 .  Form ,   sowohl  im  Activ  als  im 

Passiv;  dafür  sagt  mao  ^y•  IaoIüL     In  der  angeführten  Stelle 


9 


Makkart,  11,  698,  4   ist  zu  lesen  yai:    »Die  Moslemen  sind 

(durch  Gottes  Hülfe)  nicht  eher  von  der  Pein  befreit  worden, 
als  bis  der  Merinide  Ja'küb  (in  Spanien)  einzog. 

U,  678%  44  u.  15   »II.  [ -joi]  c.  a.  p.  porter  du  secours  d, 
Bay&n  I,  Introd.  88,  n.  3  ir  ebenfalls  zu  streichen  und  statt  der 


m    m   ,  f 


verwegenen  Verwandlung   von   ^y.   ^y^yaJ^^   in    LaLLq  ^iS^ 
^  mit  Hinzufügung  eines  einzigen  diakritischen  Punktes  zu 

schreiben    ^y^    ^^^aoä^^    als  zweites  Object  von  j^-^^axf:  »und 
(neben  dem  jüdischen  Obersteuereinnehmer)  bestätigte  er  Steuer- 


211     

beamte  vod  dessen  Gonfessionsverwandten«  ,  nach  Dozy's  eige- 
Dem  Artikel  oyoÄ^,  h  ^30*^,  4  flg.   Auch  die  weiter  angeführte 


Steile  in  Weijers'  Prolegomena  beweist  nichts  ftlr  ein  yal  = 
yaS ;  denn  ^yaxj ,  das  der  Herausgeber  vergeblich  zu  erklären 


^.  ••  *•  •'  > 


sucht,    ist   offenbar  yerschrieben   aus  <d)yaxi :    »nimmer  aber 

werden  wir  dich  den  rechten  Weg  erkennen  lehren  «  —  da,  wie 
der  zweite  Halbvers  hinzufügt,  du  selbst  in  allen  Dingen  durch 
deine  eigene  Klugheit  trefflich  berathen  bist.     Ebenso  wenig 

kann  ich  das  mit  Berufung  auf  ».Lai^i^or,    Abbad.  II,  191,  5 


& 

oS 


V.  u.,  aufgestellte  yaj\  =  yoi  anerkennen;  6.  hat  die  rich- 
tige Lesart  j[M2Xy:i\^,  die  Dozy  selbst,  III,  232,  U,  nachträg- 
lich als  »bona«  bezeichnet. 

II,  678^,  17.    Dozy's  Zweifel  an  ncombattre  quelqu'un«  als 

Bedeutung  von  yoü  ist  ebenso  begründet,  wie  anderseits  diese 
oder  eine  verwandte  Bedeutung  dem  bezüglichen  Worte  durch 
den  Zusammenhang  gesichert.  Nur  ziehe  ich  dem  von  ^yo\^\^ 
sich  weiter  entfernenden  »i:iLXAoLdt^«  das  sowohl  den  Schrift- 
zügen als  der  Bedeutung  nach  näher  stehende  (ä)ujoÜl^   vor: 

»und  ich  will  mich  dir  dann  an  der  dir  selbst  genehmsten Oert- 
lichkeit  zum  Kampfe  stellen.« 

II,  679*,  15  u.  16.  Den  bemerkten  Druckfehler  im  Index 
zu  meinem  Abulfeda  S.  259^  1.  Z.  berichtige  ich  hiermit  dahin, 
dass  statt  38  zu  schreiben  ist  138. 

II ,  680*,  13  V.  u.  flg.  Bei  der  unendlichen  Verschieden- 
heit der  einschlagenden  Fälle  und  Verhältnisse,  besonders  aber 
der  subjectiven  Ansichten  über  das,  was  j» Recht«  ist,  ver- 


^  ^  ^  o 


trägt  der  Begriff  von  ^^  q^  v,..ftAaXit,  »er  hat  sein  Recht 


Dach  dem  E6müs:  sein  volles  Recht  —  von  einem  Andern  ge- 
fordert oder  eingetrieben  « ,  die  mannichfachsten  Abstufungen 
und  Anwendungen  bis  zur  Ertrotzung  des  offenbarsten  objeo- 


212    

tiven  Uorechts.  Wenn  der  rothe  Socialdemokrat  oder  Anar- 
chist die  Abschaffung  der  zu  Recht  bestehenden  Staats-  und 
Gesellschaftsordnung,  Gütertheilung,  Weibergemeinschaft  u. s. 
w.  verlangt,  so  ist  dies  von  seinem  Standpunkte  aus  ein 
oLasäj!  ,  ebenso  wie  von  der  entgegengesetzten  Seite  in  der 
Erzählung  bei  Ta'&libt  das  conservative  Trotzen  eines  arabi- 
schen Volksmannes  auf  Fortbestand  der  frühern  Sitte,  den 
Ghalifen  bloss  mit  seinem  Eigennamen  anzureden,  als  eines  un- 
antastbaren Rechtes  für  jedermann.  Wieder  anders  gewendet 
erscheint  derselbe  Begriff,  mit  J^c  verbunden,  in  der  folgen- 
den Stelle  aus  der  T.  u.  £.  N.  Iblts,  der  Ginnen -Aeheste, 
schenkt  der  in  sein  Luftreich  entrückten  Lautenschlagerin  und 
Sängerin  Tohfah  ein  unschätzbares  Kleinod  mit  den  Worten : 
»Nimm  dies  und  erlange  dadurch  (wenn  du  wieder  auf  der  Erde 
sein  wirst)  den  andern  Sterblichen  gegenüber  die  dir  gebüh- 
rende Stellung«. 

II,  680*,  7  v.  u.  flg.  Die  angeführten  Worte  waren  nicht 
bloss  fürDozy  unverständlich,  sondern  werden  es  fttr  jeden  An- 
dern sein,  solange  ^LAoJLA^f  nicht  in  ^LoaX^^,  Inf.  von  y^juoyLJ^ 
verwandelt  wird;  s.  II,  840%  3  flg.,  wo  aus  M,  S.  rrol*  Z.  12 

u.  13,  nachzutragen  ist  v^uw^Ixi!  ^j^^yLJw  er  Hess  sich  vom 
Arzte  ein  Recept  verschreiben.  Bc  »Ordonnance,  ce  que 
prescrit  un  m6decin,  ^crit  qui  le  contient,  ma^»«.    Guche  vt^v*  : 


(I  ^ 


AÄÄAo^    description ;    prescription ,   ordonnance  d'un  m^decin, 
recette«. 

II,   680*,   vorl.  Z.     r^a  la  hauteur  de  la  moitie  du  mäti<ij 


,  > 


(^j]y^\  oLaoSI  q5^  bedeutet:  nicht  ganz  in  der  angegebe- 
nen Höhe. 

II,  681^,  3  u.  4  »gsAö-o  jj«.  Dozy's  Uebersetzung  »eile 
[la  chair  des  hommes  blancs]  est  indigeste«,  nämlich  nach  der 
Meinung  der  menschenfressenden  Neger,  ist  dem  Sinne  nach 
richtig,  aber  der  Wortlaut  und  die  Grammatik  rechtfertigen 
das  »n'est  pas  mürie«  der  Herren  Defr6mery  und  Sanguinetti. 

da  in  solcher  Verbindung  li  mit  dem  Jussiv  einen  abge- 
schlossenen Werdeprocess  ausdrückt.  Die  Neger  betrach- 
ten die  Hautfarbe  der  Weissen,  im  Gegensatze  zu  ihrer  eigenen. 


213     

als  äusseres  Zeichen  unvollkommen  er  Reife  des  ganzen  Körpers, 
besonders  des  Fleisches,  und  folgern  daraus  dessen  Unverdau- 
lichkeit. 

II,  680,  20   >) -Lai^U  Druckfehler  st.  -Uaitit. 

II,  682\  40  u.  41.  In  dem  Verse,  Moslim's  Diwan  S.  ^t* 
Z.  4,  bedeutet  ^c':aiij\  mit  dem  Objectsaccusativ  dasselbe  wie 
in  den  beiden  andern  im  Glossar  LXXIII  Z.  43  u.  14  angeführ- 
ten Stellen,  S.  *H*  Z.  6  und  S.  t.t  Z.  5,  nämlich  1^1 ,  nicht  das 
Gegentheil  »  a  faxt  disparaitre «,  nach  de  Goeje's  » evanescere  fe- 
citfL.   Der  Dichter  schildert  eine  in  Luftspiegelung  flimmernde 

Wttste;  diese  Luftspiegelung  vergleicht  er  mit  _bLiüt  j^, 
Über  den  Boden  hingebreiteten  feinen  aegyptischen  Linnen- 
geweben,  deren  natürlicher  Glanz  dufch  Waschen  (1.  Jw^aüi 
Statt  J^dMoüt)  erst  recht  zur  Erscheinung  gekommen  ist. 

II,  68S^  4  4.  Das  L^  jJtli  «JucXs>,  womit  M  ^^^1  '^y:Qi 
erklärt,  bedeutet  nicht  9  Instrument  de  marechal  pour  ferrer 
les  chevauxcr,  sondern  Hufeisen  selbst;  Cuche  und  Al-FaräYd 

»fer  ä  cheval«,  woneben  Al-Far^Yd  auch  das  jj^  der  Quellen- 

werke  als  »fer  du  morstr  hat. 

II,  683%  44    »v^^jlft:^«  Druckfehler  st.  ^^^^dsCi. 

II,  683%  7   n0hJ^\  =  dire  J,  li,  Djob.  454,  2  a f.«  nicht 

so  zu  verstehen,  als  hätte  /  öLijüt  an  und  für  sich  diese  beson- 
dere Bedeutung,  sondern  die  Determinirung  durch  den  Artikel 
vertritt,  wie  oft,  die  stärkere  durch  das  pronomen  demonstra- 


p  y 


tivum,  =   /mJüt   tvÄP:  »das  Aussprechen  dieser  Worte«,  näm- 

•k  WM 

lieh  des  unmittelbar  vorhergehenden  «^^  [t  u^^  [>, 
II,  684*',  4    »xfßixv^  s^^**-  V^X*?' 
II,   685%   42.    Die  Annahme,  LLo,  regiert  von  ^laJü,   sei 


214     

hier  =  Lu»,  ist  grundsätzlich  unmöglich.  In  UebereinsUmmung 
mit  jjCiU  j  Jaili  Z.  h9  und  ^\s>  ^  ^t  Z.  24  schreibe 
man  getrost  |JL3  ^^Ju. 

II,  688^^.  Der  Artikel  über  fJaXj\  bedarf  einiger  Nach- 
hülfe, um  die  ungenügenden  Angaben  der  gewöhnlichen  Wörter- 
bücher über  die  intransitive  und  transitive  Bedeutung  dieser 
achten  Form  und  ihr  gegenseitiges  Yerhältniss  zu  ergänzen.    In 

beiden  Fällen  ist   *^l  reflexiv -reciprokes  Medium  und  die 

Verschiedenheit  der  Bedeutung  beruht  nur  auf  der  verschiede- 
nen logisch-syntaktischen  Stellung  des  in  ihm  liegenden  re- 
flexiven Pronomens.  In  der  ersten,  scheinbar  passiven  Be- 
deutung bei  Freytag:   »ordinatus  fuit  et  certa  serie  conjunctus 


L  ^ 


in  filo,  de  margaritist  ist  es  überhaupt  =  xmJ6  Jäij  von 
einem  Dinge  reflexiv:  sich  selbst  ordnen  oder  von  jemand 
ordnen  lassen;  von  zwei  und  mehr  Dingen  oder  denTheilen 
eines  und  desselben  Dinges  reciprok:  sich  geordnet  an  einander 
reihen,  an  einander  schliessen,  oder  reihen,  schliessen  lassen. 
In  der  zweiten,  bei  Freytag  nur  durch  »transfixit  cum  hasta  c, 

a.  p.  et  v^  instr.n  vertretenen  ist  x^fexi^  ==  ^t  ^  »^  Jb^ 
Kmij  ^ ,  andere  Dinge  in  sich,  auf  sich  oder  an  sich  hin  auf- 


reihen oder  an  einander  schliessen,  —  von  einem  Dinge,  wel- 
ches diese  andern  mit  sich  verbindend  durchzieht,  durchdringt, 
oder  sich  unter  ihnen,  als  gemeinschaftlicher  Träger,  hinzieht. 

Das  ^Wi'hAj  das  mit  sich  Verbindende,  ist  dann  zunächst  immer 

dieses  Ding  selbst,  wie  im  ersten  Beispiele  bei  Dozy  iuLi^, 
eine  Kanzelrede,  welche  den  Thronvers,  Sur.  2  V.  256,  Wort 

für  Wort  c^.,»hy^t,  gleichsam  auffädelte,  d.h.  sich  selbst, 


erklärend  und  weiter  ausführend ,  durch  die  einzelnen  Worte 
hindurchzog;  wie  in  eigentlichem  materiellen  Sinne  in  der 
zweiten  aus  Djob.  angeführten  Stelle,  449,  4  4,  ein  Kronleuch- 
ter, dessen  Arme  iUoUt^  K^b^t  ^\jal\  c)^l  si>w«.^l  J^ 
wörtlich :    avaient  enfile  differentes  sortes  de.  fruits  frais  el  se- 


215     

Ms,  d.  h.  an  denen  hin  verschiedenartige  frische  und  trockene 
Südfrüchte  aufgereiht  waren;  wie  ferner  in  der  dritten  Stelle, 

Djob.  452,  20,  runde  kupferne  Schalen,  /j'Ubt :    ^  JSiXi]  lX5 

t.\y^\  ^  L^iÄj  Jmm^  c:»^'  LfJLo  /4^)    »von  denen  eine  jede 

sich  an  drei  (an  ihren  Rändern  befestigte)  Ketten  anschloss, 
welche  sie  (die  Schalen)  in  der  Luft  schwebend  erhielten.«  Auch 
Djob.  493,  S,   wo  Dozy  Wright's  Lesart  ändern  möchte,   ist 

L^to  und   ä;:^  das  Richtige  :  » und  so  umschloss  das  Innere 

der  Grabstatte  (Mohammed's)  sechs  von  den  auf  den  Marmor- 
platten (der  Grabmoschee)  stehenden  Säulen.«  So  auch  beson- 
ders deutlich  Djob.  244,  3:   ^\  L^L^    ^..»fety^i  J3  ^Uj^ 

UjL^I  jS>fj  »und  Gärten  zogen  sich  an  ihren   (der  Wasser- 

laufe  und  Bäche)  beiden  Ufern  bis  zu  ihrem  äussersten  Ende 
bin«.  —  Aber  an  die  Stelle   dieses  sächlichen  ä^j^iUJA    tritt 

auch,  wie  inFreytag's  fJ^  x*£iAit,  ein  persönliches,  wel- 
ches sich  jenes  sächlichen  als  eines  Werkzeugs  bedient,  um  einen 
oder  mehrere  Gegenstände  mit  demselben  aufzufädeln,  an  ein- 
ander zu  stecken,  an-  oder  aufzuspiessen,  wie  wenn  der  Koch 
ein  oder  mehrere  Stücke  Fleisch  an  den  Bratspiess  steckt,  les 
enfile  avec  la  breche,  ^?s^Lj  L^^favy..   Diese  Beispiele  zeigen, 

welch  verschiedenartige  Verhältnisse  und  Beziehungen  dieses 
durch  kein  einzelnes  mir  bekanntes  Wort  unserer  Sprachen  dar- 
stellbare transitive  JSaXi\  in  sich  befasst. 

II,  689%  18  flg.   Meines  Erachtens  bedeutet  L^^tli  L^;^' 

in  der  Stelle  von  de  Sacy's  Chrestomathie  weder  » les  enseignes 
de  marchands  de  caß,  ä  ceux  qui  en  avoient«,  noch  nie  nom  de 
preneurs  de  caß,  qü^on  donnoit  publiquement  ä  ceux  qui  en  fax- 
soientusage^Hj  sondern  mit  dem  bekannten  Lftm  auctoris  wört- 
lich: »seine  (des  Kaffees)  Qualificative  von  seinen  Trinkerna, 
d.  h.  die  von  den  Kaffeetrinkern  zu  Ehren  des  Kaffees  gebilde- 
ten, seine  Eigenschaften  und  Wirkungen  darstellenden  epitheta 
omantia,  von  denen  die  beiden  Lobgedichte  auf  den  Kaffee  bei 
de  Sacy  \% — Hl  eine  Vorstellung  geben. 

1886.  15 


216 


^    ) 


II,  689^,  I.Z.  Aus  dem  Umstände,  dass  Al-Mokaddast  s.^UJt 
durch  das  allgemeine  w^^^JJt  erklärt,  wird  in  Gl.  Geogr.  zu  rasch 
geschlossen,  dass  jenes  Wort  dem  »palaestinensischen  Dialekte  a 
nicht  eigen  sei.  Der  Jerusalemer  Al-Mokaddasi  folgt  hierin  wie 
der  Beiruter  Bist^ni  in  M    Mo,   48,  dem  EAmüs,  und  gerade 


>  ^ 


in  Palaestina  und  Syrien  ist  ».jxü  für  das  vonBerggren,  Guide 
francais-arabe  vulgaire  S.  694^  beschriebene,  vom  Wasser  selbst 
getriebene  Schöpfrad  das  gewöhnliche  Wort,  wogegen  inAegyp- 

ten  dafür   xJ»Lam  üblich  ist;   s.  Berggren  ebenda;   Hartmann, 

Sprachführer  S. 248*:  »Schöpf rad  nä'CirasdA^t/e«.  DieFranken- 
spräche  hat  nä'üra  in  noria  umgebildet;    Cuche  Iaö^:  "^sy^^ 

^acI^  ^  '^y^^^  noria,   roue  a  Irrigation,  roue  hydrauliquet. 

II,  694^,  7  flg.  Nach  dem  Zusammenhange  ist  das  wieder- 
holte  (^  ajuI  ohne  Zweifel  ein  ironisch  gebrauchtes  vb.  admi- 

rativum  =  (^)l*jüI  Lq  :  »o  wie  gütig  bist  du,  junger  Mensch!« 
Der  habsüchtige  Wasserträger,  mit  dem  empfangenen  Gold- 
stücke noch  nicht  zufrieden,  verstärkt  den  Spott  sogar  durch 
Hinzufügung  des  sprüch wörtlichen  »Manche  Leute,  klein  für 
die  Einen,  sind  gross  für  die  Andern «,  d.  h.  für  Andere  magst 
du  ein  Wunder  von  Freigebigkeit  sein,  aber  nicht  für  mich. 

II,  692^,  45 — 47.  Dozy  ersetzt  das  sinnlose  äa3.  in  der 
bezeichneten  Stelle  der  Bresl.  T.  u.  £.  N.  mit  dem  richtigen 

ÄAd. ,  fügt  aber  hinzu,  er  wisse  nicht  recht,  wie  das  dazu  gehö- 
rende Adjectiv  KjtÄxJU   zu  übersetzen  sei.    Der  Verdopplungs- 

stamm  «Joü  hat ,  wie  «j ,  die  Grundbedeutung  hin  und  her- 
schwanken, ohne  Spannung  und  haltlos,  schlapp,  schlaff  sein  ; 
auf  den  Nacken  einer  Schönen  angewendet,  im  guten  Sinne :  bieg- 
und  schmiegsam  sein.    (Vgl.  »moUitia  cervicuma  b.  Cicero.) 

II,  692%  7  u.  6  V.  u.  »öJü  timbale«  erweichte  Aussprache 
von  äJü  740%  27  flg.,  und  dieses  selbst  Verkürzung  von  ».Läi , 
ö^lii  oder  einer  ihrer  Nebenformen,  710^  und  74 1% 


Herr  von  der  Gabelents  sprach   über  seinen  Vater  Hans 
Conon  von  der  Gabelentz  als  Sprachforscher. 

Mein  Vater  ist  bisher  in  fachgenössischen  Kreisen  mehr  als 
Sprachkenner  und  grammatischer  Sprachbeschreiber  denn  als 
wissenschaftlicher  Sprachforscher  anerkannt  worden ;  wie  ich 
meine,  mit  Unrecht  und  doch  mit  einem  gewissen  Scheine  Rech- 
tens. Die  geschichtliche  Bedeutung  eines  Gelehrten  bemisstman 
nach  seinen  Schriften  und  allenfalls  nach  seiner  mündlichen 
Lehre,  und  die  Schriften  sind  in  der  Regel  vollgültige  Zeugen 
für  den  Umfange  die  Höhe  und  Tiefe  seines  Wissens^  Denkens 
und  Strebens.  Es  wird  sich  zeigen,  dass  dies  bei  meinem  ver- 
ewigten Vater  nicht  zutrifft.  Wenn  nun  seine  Persönlichkeit 
auch  in  der  Geschichte  der  Linguistik  ein  Interesse  beanspruchen 
darf,  so  bin  ich  wohl  besser  als  sonst  wer  im  Stande,  diesem 
Interesse  Genüge  zu  thun.  Dies  allein  berechtigt  und  verpflichtet 
mich  eigentlich  eine  Charakteristik  zu  versuchen,  auf  der  von 
vorne  herein  der  Verdacht  der  Voreingenommenheit  ruhen  muss. 
Die  Pflicht  aber,  auf  die  ich  deutete,  gilt  nur  zum  kleinsten 
Theile  dem  Andenken  des  Todten.  Vielmehr  dürfte  es  für  die 
Wissenschaft  von  einigem  Belange  sein  zu  erfahren,  was  ein 
solcher  Mann  ungeschrieben  und  ungedruckt  gelassen,  und  was 
alles  im  Hintergrunde  seiner  veröffentlichten  Arbeiten  ruht. 
Nicht  nur  er,  sondern  auch  diese  Arbeiten  selbst  werden  dann 
richtiger  gewürdigt  werden.  Ich  meinerseits  will  mich  der 
Objectivität  befleissigen,  so  gut  ich  kann,  aber  mit  dem  vollen 
Bewusstsein,  dass  diesmal  der  ernsteste  Wille  der  Aufgabe  nicht 
gewachsen  ist.  Jedenfalls  wird  man  es  billigen,  wenn  ich  die 
wenigen  Fälle,  wo  er  von  Fachgenossen  Angriffe  erfahren,  mög- 
lichst mit  Stillschweigen  übergehe. 

45» 


218     

Man  weiss  längst,  dass  weder  Bopp  die  Vergleichung  der 
grammatischen  Formen  erfunden,  noch  Grimm  die  Gesetz- 
mässigkeit der  Lautverschiebung  zuerst  entdeckt  hat.  Und  doch 
mindert  dies  nichts  an  der  epochemachenden  Bedeutung  der 
Beiden,  nicht  blos,  weil  sie  ihre  Grundsätze  in  grossen,  monu- 
mentalen Werken  entfalteten,  sondern  auch,  weil  sie  diese 
Grundsätze  auf  die  uns  zunächst  angehenden  Sprachen  an- 
wandten. Dass  sie  in  ihren  Werken  Verständlichkeit  mit  voller 
Wissenschaftlichkeit  zu  vereinigen  wussten,  hätte  ihnen  allein 
schon  den  Vorzug  vor  dem  tieferen  aber  oft  dunkelen  ü  umboldt 
gesichert,  —  selbst  in  der  Blttthezeit  unserer  Philosophie.  Das 
war  ein  Grund  mehr,  warum  weitaus  die  meisten  Sprachforscher 
sich  der  Indogermanistik  zuwandten,  während  sich  die  Nach- 
folger Humboldt's  noch  heute  fast  an  den  Fingern  her- 
zählen lassen.  Und  noch  ein  Zweites  kam  hinzu:  Die  Vertiefung 
in  den  Geist  fremdgearteter  Sprachen  setzt  eine  andere,  wie  es 
scheint  seltenere  Begabung  voraus,  als  die  zerlegende  Verglei- 
chung todter  Wortstämme,  Formen  und  Laute.  Wohl  gebietet 
auch  die  Gerechtigkeit  hinzuzufügen,  dass  der  Bücherapparat 
eines  Indogermanisten  leichter  zu  beschaffen  ist,  als  eine  BiblicH 
thek,  die  den  Zwecken  der  allgemeinen  Sprachwissenschaft 
auch  nur  annähernd  genügen  will. 

Noch  manches  Andere  kommt  hinzu:  der  Nimbus,  der  so 
lange  das  Sanskrit  und  seine  Literatur  umgab,  das  Gefühl  ver- 
wandtschaftlicher Anheimelung,  das  uns  beschleicht,  wenn  wir 
in  der  fremden  Hülle  den  heimischen  Kern  wiederfinden,  jene 
im  tiefsten  Gemüthe  wurzelnde  Neugier,  die  zuerst  nach  den 
eigenen  Vorfahren  und  Vettern  fragt.  Kein  Wunder,  dass  diese 
Forschung  zur  bestgepflegten  wurde,  und  dass  die  Männer  von 
B  0  p  p '  s  und  Grimmas  Schule  je  länger  je  mehr  sich  als  aliei- 
nige Inhaber  linguistischer  Wissenschaft  und  Methode  betrach- 
teten und  wohl  meinten  von  ihrem  Standpunkte  aus  die  weite 
Sprachenwelt  zu  beherrschen.  Wollten  andere  bei  ihnen  als 
Genossen  anerkannt  sein,  so  mussten  sie  auf  ihren  Gebieten 
Analoges  erstreben,  Anatomen  und  Atomisten  sein,  wie  es  der 
Zeitgeist  zu  fordern  schien. 

Mein  Vater  ist  den  raschen  Fortschritten  der  Indogerma- 
nistik stets  als  aufmerksamer  Beobachter  gefolgt,  und  er  hat  die 
bedächtige  Sicherheit  ihrer  Forschungsweise  auch  in  seinen 
vergleichenden  Arbeiten  erstrebt.     Dass  er  sie  nicht  immer 


219     

erreicht  hat,  lag  nicht  an  ihm,  sondern  an  der  Sache,  jetzt  an 
der  Dürftigkeit  der  vorhandenen  Httlfsmittel,  jetzt  an  der  Eigen- 
art der  behandelten  Sprachstamme.  Wer  heute  die  Wortver- 
gleichungen  zwischen  dem  Mandschu  und  europäischen  Sprachen 
in  der  Einleitung  zu  seiner  Mandschu  «Grammatik  belächelt, 
möge  sich  daran  erinnern ,  dass  er  die  Arbeit  eines  vierund- 
zwanzig-jährigen  Mannes  vor  sich  hat,  der  nachmals  als  Erster 
Bopp^s  Methode  auf  die  Bantusprachen ,  das  Formosanische 
und  das  Samojedische  anwandte,  der  die  grosse  melanesische 
Sprachenfamilie  entdeckte  und  wissenschaftlich  nachwies. 

Aber  auch  auf  dem  Gebiete  der  allgemeinen  Sprachwissen- 
schaft wird  sein  Streben  und  Rönnen  wohl  von  den  Meisten 
unterschätzt,  und  dies  ist  allerdings  wesentlich  ihm  selbst  zu- 
zuschreiben. Er  liebte  es  mehr,  zu  forschen  als  zu  Schrift- 
stellern, und  wenn  er  schrieb,  so  theilte  er  der  Welt  lieber  die 
erkannten  objectiven  Thatsachen  als  seine  allgemeinen  Urtheile 
und  Folgerungen  mit.  So  gleicht  sein  Wirken  gar  oft  dem  des 
Entdeckungsreisenden,  der  scharf  und  allseitig  beobachtet,  klar 
und  vollständig  berichtet,  aber  die  Ausbeutung  seines  Erwerbes 
Anderen  ttberlässt.  Er  aber  hat  der  Welt  von  seinem  Wissens- 
erwerbe nur  einen  kleinen  Theil  in  Schriften  bekannt  gemacht 
und  in  der  wissenschaftlichen  Welt  geschieht  es  wohl  wie  in 
der  bürgerlichen,  dass  man  das  Vermögen  eines  Mannes  nach 
seinen  Ausgaben  bemisst. 

Die  Eigenart  eines  Gelehrten  wird  man  immer  am  Besten 
aus  der  Ganzheit  seines  Wesens  und  Lebens  begreifen,  zumal 
wo  das  Wesen  so  einheitlich  und  in  sich  selbst  gefestigt  ist, 
wie  hier. 

Man  muss  weit  ausholen,  wenn  man  die  sprachlichen  Nei- 
gungen meines  Vaters  auf  ihre  ersten  Regungen  zurück  verfolgen 
will.  Als  Kind  w^urde  er  einmal  von  seiner  Grossmutter  gefragt, 
was  er  denn  werden  wolle?  Die  Antwort  war :  »Ich  möchte  gern 
alle  Sprachen  lernen  !a  Seine  Schwestern  erinnerten  sich,  wne 
er  als  Knabe  wahrend  ihrer  Spiele  für  sich  gesessen  in's  Studium 
einer  griechischen  Grammatik  vertieft.  Man  mag  vermuthen, 
dass  das  Völker-  und  Sprachengewirr  des  Jahres  4813  in  seiner 
Vaterstadt  die  Phantasie  des  Sechsjährigen  erregt  hatte.  Dann 
muss  man  aber  wenigstens  zugeben,  dass  auf  nicht  viele  Kinder 
jener  Zeit  die  gleichen  Eindrücke  ähnliche  Wirkungen  geübt 
haben.  Dabei  war  er  ganz  anders  angelegt,  als  die  vielsprachigen 


220     

Menschen  gewöhDlichen  Schlages,  die  grossen  und  kleinen  Mezzo- 
fanti.  Solche  pflegen  zungengewandt,  geschmeidigen  Gharao- 
ters,  —  zuweilen  bis  zur  Gharacterlosigkeit,  —  und  bei  aller 
£inpftinglichkeii  geistig  unfruchtbar,  unfähig  zur  durchdringen- 
den Verarbeitung  ihres  Stoffes  zu  sein.  Er  dagegen  war, 
zumal  in  der  Jugend,  von  befangenem,  schüchternem  Wesen, 
wortkarg,  sein  Gehör  zum  Auffassen,  sein  sächsisches  Organ 
zum  Nachbilden  fremder  Laute  wenig  geschickt,  sein  Sinn  immer 
auf  das  Innere  gekehrt.  Fragte  man  ihn,  wie  viele  Sprachen 
er  spräche,  so  pflegte  er  zu  antworten:  »Kaum  eine«.  In  der 
That,  ein  Redner  war  er  auch  in  seiner  Muttersprache  nicht, 
und  zum  flotten  Geplauder  in  andern  Sprachen  fehlte  ihm  nicht 
nur  die  geschmeidige  Zunge,  sondern  auch  die  muntere  Unver- 
frorenheit, die  lieber  zehnmal  fehl  tritt,  als  einmal  inne  hält; 
er  wurde  leicht  befangen  und  Hess  sich  anmerken,  wie  er  nach 
dem  richtigsten  Ausdrucke  suchte.  Wer  ihn  mit  einem  Künstler 
wie  Mezzofanti  vergleicht,  thut  beiden  Theilen  Unrecht. 

Sprachvirtuosen  pflegen  einseitig  zu  sein.  Mein  Vater  da- 
gegen war  sehr  vielseitig,  nach  Beruf  sowohl  wie  nach  Neigung. 
Man  darf  von  voraherein  annehmen ,  dass  seine  verschiedenen 
Strebensrichtungen  und  Begabungen  in  einem  innigen  Zusam- 
menhange standen ,  sowohl  unter  einander  als  auch  mit  seinem 
Temperamente  und  Gharacter. 

Er  selbst  bekannte,  er  sei  von  Hause  aus  Gholeriker.  Die 
heitere,  genussfähige  Ruhe,  der  milde  Humor,  kurz  Alles,  was 
ihn  zu  dem  liebenswürdigen,  Behagen  um  sich  verbreitenden 
Manne  machte,  der  er  nach  Aller  Urtheile  war,  entsprang  einem 
tiefen,  liebevollen  GemUthe,  einem  glücklichen  Familienleben, 
einer  kindlichen  Bescheidenheit,  einem  sinnigen,  freudigen  Ein- 
gehen auf  die  Art  der  Anderen,  bei  dem  unbeugsamsten 
Rechts-  und  Pflichtgefühle.  Wo  dies  Gefühl  verletzt  wurde,  da 
konnte  auch  noch  in  späteren  Jahren  leidenschaftlicher  Zorn  in 
ihm  auflodern.  Sonst  aber  war  ihm  vom  Choleriker  nur  die 
Energie  der  stätigen  Arbeit  und  des  folgerechten,  zielbewussten 
Denkens  geblieben.  Während  er  die  lärmenden  Freuden  eines 
ausgelassenen  Studentenlebens  ^durchkostete ,  fand  er  genug 
Mussestunden  zur  Weiterpflege  seiner  Liebiingsstudien,  und  je 
länger  je  mehr  entschied  sich  sein  Geschmack  für  ein  ruhig  be- 
schauliches Leben  und  eine  zwanglos  heitere  Geselligkeit.  Wo 
er  in's  praktische  Leben  einzugreifen  hatte,  that  er  es  mit  Liebe, 


221     

mit  Nachdruck  und  Geschick;  wo  es  einer  von  ihm  gut  geheisse-^ 
Den  Sache  galt,  war  er  stets  auf  dem  Platze.  Sich  selbst  an  die 
Spitze  zu  stellen,  lag  seiner  Bescheidenheit  fern ;  aber  er  wich 
nicht  aus,  wo  ihn;^das  Vertrauen  der  Übrigen|den  Vorsitz  zuwies. 
So  hat  er  nach  seinem  Austritte  aus  dem  Staatsdienste  Jahre 
lang  vier  bis  fünf  Präsidien  wissenschaftlicher  und  politischer 
Gesellschaften  zugleich  verwaltet^).  Seinen  amtlichen  Schriften 
und  Reden  wird  gründliche  Sachkenntniss,  strenge  Objectivität, 
die  sauberste  Ordnung  und  überzeugende  Klarheit  nachgerühmt, 
und  dasselbe  Lob  haben  sich  bekanntlich  auch  seine  linguisti- 
schen Arbeiten  erworben.  Gedrillt  wird  der  Stil  auf  sächsischen 
Bureaus,  manchmal  werden  ihm  auch  die  Flügel  gestutzt,  ge- 
brochen .  Mein  Vater  wenigstens  klagte  wohl,  dass  er  die  trockene 
Pedanterie  des  amtlichen  Geschäftsstiles  nimmer  überwinden 
könne.  Gesättigtere  Formen,  frischere  Farben,  oft  leidenschaft- 
lichen idealeren  Schwung  zeigt  die  Prosa  seiner  frühren  Jahre, 
der  Jahre,  wo  er  selbst  noch  gern  dichtete. 

Die  Liebe  zur  Poesie  ist  ihm  immer  geblieben.  In  der 
Jugend  hatten  ihn  wohl  nächst  Homer  Schiller,  Walter  Scott  und 
Ossian  am  tiefsten  ergriffen ;  er  genoss  aber  auch  voll  und  vor- 
behaltlos die  kunstvollen  Schönheiten  der  grossen  romanischen 
Dichter  und  die  naturfrische  Mannigfaltigkeit  der  Volkspoesie 
aller  Länder.  Nicht  die  ästhetischen  Vorzüge  allein  waren  es,  die 
ihn  fesselten,  es  waren  auch  die  verschiedenen  Volksgeister  und 
die  Vielfarbigkeit  ihrer  dichterischen  Gewänder.  Frischen 
Humor,  mochte  er  auch  derb  sein  wie  bei  Boccaccio  und  Cer- 
vantes, oder  toll  wie  bei  E.  T.  A.  Hoffmann,  hatte  er  für  sein 
Leben  gern;  wie  hat  er  über  Paul  Lindau's  Harmlose  Briefe  ge- 
lacht 1  Er  selbst  besass  viel  Witz,  aber  mehr  den  Witz  der 
spielend  entdeckten  und  ausgesprochenen  Wahrheit,  als  den- 
jenigen, der  komische  Lebenslagen  erfindet  oder  Lächerlich- 
keiten aufdeckt.  Dieselbe  Gabe  rascher,  oft  überraschender 
Gombinationen  und  Associationen,  die  sich  in  seinem  Witze 
äusserte,  kam  erst  recht  seinen  sprachwissenschaftlichen  For- 
schungen zu  statten. 

Sehr  empfänglich  war  er  für  Naturschönheiten ;  aber  die 
stille  Poesie  der  Einöde  oder  des  weiten  Meeresspiegels  schien 


4]  Die  äusseren  Daten  seines  Lebenslaufes  hier  aufzuzählen,  halte  ich 
nicht  für  nöthig. 


222     

er  weniger  zu  empfinden,  als  die  grossartige  Vielgestaltigkeit 
einer  Gebirgslandschaft  oder  die  heitere  Abwechselung  einer 
Parkanlage.  Derselbe  Sinn  für  Mannigfaltigkeit  und  Eigenartig- 
keit, der  sich  hier  zeigt,  gab  lauch  seinem  sprachwissenschaft- 
lichen Streben  die  Richtung. 

Eine  gewisse  Abneigung  gegen  die  Philosophie  war  ihm 
aus  jener  Zeit  geblieben,  wo  die  Philosophen  vermeinten  Natur 
und  Geschichte  a  priore  gesetzlich  aufbauen  zu  können.  Von 
jenem  plattgeistigen  vervolksthUmelten  Materialismus  aber, 
dessen  trübe  Wellen  ab  und  zu  auch  die  Felder  der  Linguistik 
bespülten,  wurde  er  geradezu  angewidert.  Um  so  höher  schätzte 
er  die  Mathematik  wegen  ihrer  Gewissheit  und  sicheren  Methode. 
Auf  der  Universität  hat  er  Vorlesungen  über  höhere  Lehren 
dieser  Wissenschaft  eifrig  besucht  und  erzählte  noch  später 
gern,  wie  ihn  die  Differential-  und  Integralrechnung  entzückt 
habe.  Ich  glaube,  was  ihn  daran  anzog,  war  die  Verbindung 
der  Mathematik  mit  dem  Prinzipe  der  Allmählichkeit,  des  na- 
türlichen und  geschichtlichen  Werdens.  Sprachwissenschaft- 
liche Vorlesungen  hat  er  nie  besucht,  sondern  ausser  den  er- 
wähnten nur  solche  in  den  aligemeinen  Fächern,  juristische  und 
cameralwissenschaftliche.  Juristischen  Instinkt  und  leidliche 
juristische  Kenntnisse  besass'er;  dem  römischen  Rechte  aber 
konnte  er  den  Verderb,  den  es  in  die  deutschen  Verhältnisse 
gebracht,  nicht  vergeben.  Er  liebte  das  Volksthümliche,  Boden- 
wüchsige,  nicht  nur  im  eigenen  Vaterlande,  sondern  auch  in 
der  Fremde  und  an  Ausländern,  —  und  nächst  der  Sprache 
giebt  es  nichts  Nationaleres,  als  Sitte  und  Recht. 

Mit  den  Fortschritten  der  Länder-  und  Völkerkunde  hielt 
er  sich  immer  möglichst  auf  dem  Laufenden.  Wichtigere  Reise- 
beschreibungen und  Petermann 's  Mittheilungen  kaufte  und 
las  er  regelmässig.  Lebendiger  als  er  es  je  in  seinen  Schriften 
ausgesprochen  hat,  verquickten  sich  in  seinem  Geiste  Wohnsitz, 
Gesittung  und  Charakter  der  Völker  mit  ihren  Sprachen. 

Eine  Art  Gegengewicht  gegen  seine  Sprachstudien  schienen 
seine  historischen  Forschungen  zu  bilden,  denen  er  gleichfalls 
immer  treu  geblieben  ist.  Verbreiteten  jene  sich  fast  über 
alle  Räume  der  bewohnten  Erde,  so  beschränkten  sich  diese 
auf  das  engere  Vaterland.  Seine  zahlreichen  hierher  gehörigen 
Arbeiten  sind  fast  alle  in  den  »Mittheilungen  der  Geschichts- 
und Alterthumsforschenden  Gesellschaft  des  Osterlandes«  ab- 


223     

gedruckt.  Nttchtern,  schmucklos,  fast  wie  amtliche  Referate,  sind 
auch  sie,  aber  auch  sie  sollen  von  einer  Unvoreingenommenheit 
desUrtheils  und  einer  Sicherheit  der  kritischen  und  reconstruc- 
tiven  Gombination  zeugen,  wie  sie,  vielleicht  in  noch  höherem 
Grade,  auch  den  Sprachforscher  auszeichneten.  Die  Entwicke- 
lung  des  Menschengeistes  in  den  Völkern  wie  in  den  Einzelnen 
bildete  recht  eigentlich  den  Brennpunkt  seiner  Interessen. 
Bedeutendere  geschichtliche  und  biographische  Werke  gehörten 
zu  seiner  Lieblingslecture,  und  nun  lag  es  wieder  ganz  in  seiner 
Art,  neben  dem  Grossen  und  Ganzen  auch  manches  Kleine  in's 
Einzelnste  zu  verfolgen.  Ganz  anders,  als  man  es  nach  der 
geschäflsmännischen  Prosa  seiner  Schreibweise  vermuthen  sollte, 
Seelen-  und  lebensvoll  gestaltete  sich  in  seiner  Phantasie  auch 
das  örtlich  und  zeitlich  Entfernte. 

An  dieser  Stelle  muss  ich  auch  einer  Gabe  erwähnen,  die 
nur  zur  Hälfte  dem  Kopfe,  zur  andern  Hälfte  dem  Herzen  an- 
gehört. Ich  meine  sein  glückliches,  verständnissvolles  Eingehen 
auf  das  Fühlen,  Denken  und  Treiben  der  Kinder.  Für  uns  hatte 
er  immer  Zeit,  sein  Zimmer  war  die  zweite  Kinderstube,  und 
ich  wüsste  nicht,  dass  er  es  je  überdrüssig  geworden  wäre, 
wenn  wir  ihn  immer  und  immer  wieder  von  seinem  Stehpulte 
wegriefen,  um  uns  bei  unseren  Spielen  oder  Arbeiten  zu  helfen. 
Soviel  war  Gemüthssache.  Nun  aber  die  Art,  wie  er  es  that: 
sein  ruhiges,  ich  möchte  sagen  unvorgreifliches  Verhalten,  die 
Art,  wie  er  so  ganz  nur  auf  uns  hörte,  mit  uns  dachte  und 
empfand,  wie  er  uns  zu  Willen  war,  so  lange  wir  nichts  Un- 
rechtes begehrten,  und  eben  nur  unseren  Absichten  folgte, 
scheinbar  ohne  lenkend  einzugreifen,  wie  er  andere  Male  selbst 
unserem  Erfindungsvermögen  zu  Hülfe  kam,  Neues  brachte 
und  abwartete,  wie  es  Anklang  finden  würde:  —  das  Alles  ver- 
langt freilich  wohl  auch  ein  selbstlos  liebevolles  Gemüth,  wie 
das  seine,  dann  aber  auch  einen  Verstand,  der  geneigt  und  be- 
fähigt ist,  dem  Menschengeiste  auch  auf  den  untersten  Stufen 
seiner  Entwickelung  und  in  seinen  kindischsten  Regungen  zu 
folgen.  Der  Gedanke,  dass  er  uns  Kindern. ein  Opfer  brachte, 
wenn  er  stundenlang  mit  uns  spielte  oder  plauderte ,  ist  ihm 
wohl  so  wenig  gekommen ,  wie  uns ;  und  im  Grunde  trieb  er 
ja  auch  nichts  Anderes,  wenn  er  sich  in  eine  recht  rohe,  geistes- 
arme Sprache  vertiefte :  hier  wie  dort  die  Freude ,  sich  in  eine 
fremde,  einfach  ärmliche  Geistes  weit  einzuleben. 


224     

Seiner  Vorliebe  fttr^s  Mannigfaltige  entsprach  eine  grosse 
Neigung  zum  Sammeln,  mochte  es  nun  der  eigenen  Bibliothek, 
seinen  linguistischen  und  historischen  Collectaneen ,  oder  den 
Sammlungen  Anderer  gelten.  War  ihm  ein  fader,  interesseloser 
Mensch  in  den  Weg  gekommen,  so  pflegte  er  wohl  zu  sagen: 
»Wenn  der  doch  wenigstens  KorkstOpsel  sammelte  1« 

Was  ich  im  Bisherigen  aus  allen Einzelbestandtheiien  seines 
vielseitigen  Geistes  zusammengesucht  habe,  möchte  vereint 
schon  ohne  weiteres  den  Stoff  zu  einem  recht  tüchtigen  Sprach- 
forscher liefern.  Ob  aber  auch  den  Stoff  zu  einem  solchen  wie 
er  war?  Man  bedenke,  dass  er  nicht  um^etheilt  seiner  Lieblincs- 
Wissenschaft  leben  durfte,  dass  er  es  auch  wohl  nicht  gemocht 
hätte.  Öffentliche  Ämter  und  häusliche  Angelegenheiten  nahmen 
selbst  bei  einem  so  geschäftsgewandten  Manne  viel  Zeit  in  An- 
spruch; er  bedurfte  reichlichen  Schlaf,  gönnte  sich  gerne  körper- 
liche und  gesellige  Erholung  und  that  seinen  übrigen  vielfachen 
wissenschaftlichen  Interessen  nicht  eben  Zwang  an.  So  viel 
Zeit,  als  man  denken  sollte,  haben  ihn  sicher  seine  linguisti- 
schen Arbeiten  nicht  gekostet.  Nach  alledem  muss  ich  anneh- 
men, dass  von  Hause  aus  ein  besonderes,  nicht  näher  zu  bestim- 
mendes Sprachtalent  in  ihm  lag.  Dies  konnte  durch  seine 
sonstigen  reichen  Anlagen  wohl  gefördert,  durch  Übung  wohl 
gesteigert,  aber  weder  durch  jene  noch  durch  diese  ersetzt 
werden. 

Auf  Kinder  üben  sehr  zufällige  Eindrücke  oft  gar  nach- 
haltige Wirkungen.  Mein  Vater  erzählte  gern,  wie  tief  seine 
kindliche  Phantasie  erregt  worden,  als  ihm  sein  Lehrer  in  einem 
Buche  ein  chinesisches  Schriftzeichen  (es  war  das  für  luk,  Hirsch) 
vor^ezei^t.  Auch  das  erzählte  er,  dass  ihn  als  Knaben  und 
Jüngling  Sprachen  mit  eigenen  Schriften  besonders  gelockt. 
Das  Geheimnissvolle  reizte  die  jugendliche  Einbildungskraft: 
Zahlenmagie  und  die  sogenannten  curiösen  Wissenschaften  frü- 
herer Jahrhunderte.  Geheimschriften  erfand  er  selbst  oder  Hess 
sie  von  seinen  Geschwistern  und  Freunden  erfinden,  um  sie 
dann  zu  entziffern.  Die  Methode  dieser  Kunst  hatte  er  schon 
als  Kind  ohne  fremde  Anleitung  entdeckt,  und  seine  Meister- 
schaft darin  gränzte  an's  Wunderbare.  Leichtere  Aufgaben  löste 
und  las  er  fast  vom  Blatte  weg,  und  alte  halbverwischte  Münz- 
und  Steinaufschriften  deutete  er  mit  spielender  Leichtigkeit. 
Mit  gleicher  Virtuosität  löste  er  Räthsel  und   Rebusaufgaben. 


225     

I 

Mit  einem  Worte:  er  war  ein  Genie  in  der  Kunst  scharf- 
sinniger, sicherer  Combination.  Die  Entzifferung  der  Passepa- 
Schrift  nach  einem  gänzlich  verderbten,  in  seinen  Theilen  ver- 
renkten Texte  und  die  endgültige  Wiederherstellung  dieses 
Textes  ist  sein  Verdienst. 

Im  Jahre  1822  erschienen  Abel-Remusat's  El^mens  de 
la  grammaire  cbinoise.  Sein  Freund  Hermann  firockhaus 
hatte  ein  Exemplar  davon  erhalten,  lieh  es  ihm.  Da  vertiefte 
sich  der  kaum  Sechszehnjährige  in  das  Studium  des  Chinesi- 
schen; und  nun  war  es  bezeichnend,  dass  er  für  sich  aus  dem 
Lehrbuche  alle  Beispiele,  aber  von  den  Regeln  nur  die  wenigen 
abschrieb,  die  die  Grundgesetze  des  Sprachbaues  enthalten. 
Im  Gegensatz  zu  den  meisten  anderen  vielsprachlichen  Gelehrten 
bat  er  sein  Lebtag  eine  gewisse  Abneigung  dagegen  empfunden, 
fremde  Sprachen  aus  Grammatiken  zu  erlernen.  Wo  er  gute 
Lehrbücher  vorfand,  wie  bei  Arabisch,  Persisch,  Türkisch, 
Sanskrit,  Malaisch  und  vielen  anderen  Sprachen,  mit  denen  er 
sich  in  seinen  jüngeren  Jahren  beschäftigte,  da  benutzte  er  diese 
Hüifsmittel  wohl,  aber  nur,  um  sich  möglichst  schnell  mit  ihnen 
abzufinden  und  sich  dann  in  die  lebendige  Sprache  selbst,  in 
die  Leetüre  von  Texten  zu  versenken.  Am  liebsten  erlernte  er 
Sprachen  unmittelbar  aus  Texten,  Sprachen ,  für  die  er  selbst 
Grammatik  und  Wörterbuch  schaffen  musste.  An  die  dreissig 
Sprachen  verdanken  ihm  ihre  wissenschaftliche  Bearbeitung 
und  er  bewährte  in  dieser  Art  der  erratbenden  Forschung  die 
gleiche  Meisterschaft,  wie  in  der  verwandten  Dechiffrirkunst. 
Eine  grosse  Reihe  reichhaltiger ,  sauber  geführter  Collectaneen 
bat  er  hinterlassen,  von  denen  nur  ein  kleiner  Theil  zur  literari- 
schen Yerwerthung  gelangt  ist.  Leider  aber  beschränken  sich 
seine  grammatischen  Sammlungen  auf  Rubra  und  mögliebst 
zahlreiche  Slellenangaben  ;  sie  sind  systematische  Register,  die 
das  Ausschreiben  und  Übersetzen  der  Belegstellen  der  letzten 
Ausarbeitung  vorbehalten.  Kein  Wunder,  dass  diese  dann  ein 
sehr  lästiges  Geschäft  war.  Ein  rechter  Genuss  aber  war  es 
zu  beobachten,  wie  er  eine  solche  ihm  ganz  neue  Sprache  in 
Angriff  nahm.  Der  Anfang  war  wohl  meist,  dass  er.  ein  paar 
Seiten  cursorisch  überlas,  halblaut ,  um  auch  das  Ohr  dem  Ge- 
dächtnisse dienstbar  zu  machen.  Dabei  glitten  ab  und  zu  seine 
Blicke  zurück  zu  früher  Gelesenem,  Obereinstimmungen  suchend 
und  entdeckend,  nie  lange  beim  Einzelnen  verweilend.   So  gab 


226     

er  sich  zunächst  möglichst  unbefangen  dem  neuen  Eindracke  hin, 
und  dann  erst  griff  er  zur  Feder,  sammelte,  zerlegte.  Oft  schien  er 
schon  nach  dem  Durchlesen  einer  Seite  eine  Art  Hauptschlüssel 
gefunden  zu  haben,  sich  nach  wenigen  Stunden  in  der  firemden 
Gedankenwelt  heimisch  zu  fühlen.  Aber  sich  selbst  hatte  er  nicht 
leicht  genug  gethan,  ehe  das  ganze  ihm  verfügbare  Textmaterial 
durchgeprüft  war.  Wenn  man  ihn  mit  anderen  Vertretern  der 
allgemeinen  Sprachwissenschaft  vergleichen  will,  so  sollte  man 
das  nicht  vergessen,  dass  fast  alle  seine  Urtheile  auf  dem  siche- 
ren Grunde  des  eigenen  Erlebnisses  beruhen.  Dass  Bibel- 
übersetzungen und  andere  christliche  Religionsschriften  nicht 
immer  das  lautere  Spiegelbild  einer  wildfremden  Sprache  ab* 
geben,  wusste  er  natürlich  so  gut,  wie  nur  irgend  Jemand,  und 
vielen  der  Worterklärungen,  die  er  solchen  Quellen  entlehnte, 
masste  er  nur  bedingten  Werth  bei.  So  mag  er  wohl  manchmal 
mit  »Brodtf  übersetzt  haben,  was  eigentlich  Bananen,  Taro,  Yam, 
Maisbrei,  Reis  oder  die  sonstige  Hauptspeise  eines  Volkes  be- 
deutet. Wo  aber  der  Sprachgeist  in  Frage  stand,  da  dürfte  ihn 
sein  wissenschaftlicher  Takt  kaum  je  verlassen  haben.  Unbe- 
holfenheiten, Zwang,  der  der  Sprache  angethan  war,  empfand 
er  instinktiv  und  es  ist  mir  kein  Fall  bekannt,  wo  er  sich 
durch  die  Fehler  seiner  Quellen  zu  unrichtigen  grammatischen 
Schlussfolgemngen  hätte  verleiten  lassen.  Eine  Bibelüber- 
setzung litt  in  ihrer  ersten  Auflage  an  gewissen  häufig  wieder- 
kehrenden Verstössen  gegen  die  Grammatik ;  die  rügte  er,  und 
sie  wurden  dann  in  der  zweiten  Auflage  seinen  Andeutungen 
entsprechend  beseitigt. 

R^musat's  l^l^mens  sollten  auf  ihn  einen  sehr  nach- 
haltigen Einfluss  üben.  Dieses  Buch  zeichnet  sich  durch  Kürze, 
Klarheit,  ein  dem  gemeinen  Verständnisse  sehr  bequemes  An- 
lehnen an  heimische  Sprachbegriffe  und  doch  unbefangenes 
Eingehen  in  die  Eigenart  der  fremden  Sprache  aus.  Das  gleiche 
Lob  haben  die  grammatischen  Arbeiten  meines  Vaters  geerntet, 
zum  Theile  aber  auch  mit  der  gleichen  Einschränkung,  dass  sie 
den  Sprachgewohnheiten  des  Lernenden  etwas  zu  weit  entgegen- 
kommen. Die  Bequemlichkeit  des  Neulings  verlangt  An- 
knüpfen an  Bekanntes;  die  Voraussetzungslosigkeit  des  For- 
schers erheischt  zunächst  energisches  Abschütteln  alles  Über- 
kommenen. Mein  Vater  nun  wählte  in  seinen  grammatischen 
Arbeiten  den  Standpunkt  des  Lehrers  und  gOnnte  dem  Forscher 


227     

nur  da  das  Wort,  wo  es  sich  um  die  EntscheiduDg  zweifelhafter 
Fragen  handelte.  Von  Neuerungen  in  der  grammatischen  Ter- 
minologie war  er  kein  Freund ;  genug  wenn  der  gebräuchliche 
allgemein  bekannte  Ausdruck  der  lateinischen  oder  griechischen 
Grammatik  die  Funktion  einer  fremdsprachlichen  Form  an- 
nähernd beschrieb,  —  die  besonderen  Ausführungen  thaten 
dann  das  Übrige.  Versieht  doch  auch  z.  B.  ein  deutscher  oder 
griechischer  Genetiv  andere  Funktionen,  als  ein  lateinischer. 
Dagegen  lehnte  er  im  Vorworte  zur  zweiten  Abhandlung  über 
die  Melanesischen  Sprachen  den  Vorwurf  nicht  ab,  »dass  er  bei 
Behandlung  der  einzelnen  Sprachen  noch  immer  etwas  zu 
viel  der  lateinischen  Anordnung  gefolgt  sei«.  (Abh.  d.  E.  S. 
Ges.  d.  Wiss.  Bd.  VII,  I,  S.  III.) 

Von  seinem  Mathematiklehrer  am  Altenburger  Gymnasium 
erzählte  er,  dieser  sei  eigentlich  ein  schwacher  Mathematiker, 
daftlr  aber  ein  um  so  besserer  Lehrer  gewesen ;  dass  er  selbst 
mit  dem  Stoffe  zu  ringen  gehabt,  sei  den  Schülern  zu  Gute  ge- 
kommen. Sein  eigenes  Lehrtalent  entsprang  aus  einer  anderen 
Quelle.  Das  Wissen,  das  er  fast  intuitiv  erworben,  setzte  sich 
schnell  in  ein  zusammenhängendes  Begreifen  um  und  wurde 
dann  leicht  und  begreiflich  dargestellt.  Dass  er  aber  so  geschwind 
auffasste  hatte  noch  eine  andere  V^irkung,  die  sich  gleichfalls 
nicht  verleugnete.  Die  ersten  Schwierigkeiten  der  analytischen 
Arbeiten  waren  schnell  überwunden  und  nun  begann  von  selbst, 
vielleicht  ihm  unbewusst,  das  synthetische  Denken:  er  schuf 
selbst  mit,  kam  seinem  Schriftsteller  ahnend  entgegen.  So 
rückte  in  seinem  Geiste  die  Handhabung  der  Sprache,  das 
synthetische  System  naturgemäss  in  den  Vordergrund,  und  dies 
Diusste  die  Form  seiner  grammatischen  Darstellung  bestimmen. 

Gleichwohl  empfand  er  den  Werth  einer  rein  analytischen 
Grammatik  vollkommen,  und  der  analytische  Gesichtspunkt 
war  auch  bei  ihm  der  erstherrschende,  wenn  er  Sprachen  schil- 
derte. Hierin  nun,  in  der  Sprachschilderung,  war  er  geradezu 
ein  Meister.  Fragte  man  ihn  nach  der  Eigenart  einer  Sprache 
oder  eines  Sprachstammes,  so  wusste  er  in  scharfen,  sicheren 
Zttgen  ein  Bild  zu  entwerfen,  so  lebensvoll  und  warm,  dass  man 
sich  mitten  hinein  in  den  Geist  der  fremden  Sprache  versetzt 
{glaubte.  Dabei  verriethen  seine  Gresten  oft  ebenso  deutlich  wie 
seine  Worte,  dass  er  von  Selbsterlebtem  sprach.     Man  sah,  er 


228     

selbst  stand  nicht  der  Sache  gegenüber,  sondern  mitten  darin. 
Darum  legte  er  nie  den  zufälligen,  muttersprachlichen  Massstab 
an  das  fremde  Idiom,  beurtheiite  es  lediglich  aus  sich  heraus 
und  im  Vergleiche  zu  der  Aufgabe,  die  der  menschlichen  Sprache 
als  Mittel  des  Gedankenausdruckes  gestellt  ist,  zeigte,  von  wel- 
chen Seiten,  mit  welchen  Mitteln  es  diese  Aufgabe  erfasst,  und 
in  welchem  Umfange  es  sie  löst,  llätte  sein  Stil  gleiche  Wärme 
geathmet  wie  seine  Rede,  hätte  er  sich  entschlossen  der  Schrift 
anzuvertrauen,  was  er  bei  solchen  Gelegenheiten  in  leichtem 
Gespräche  kunst-  und  mühelos  hinwarf:  so  besässen  wir  heute 
eine  Reihe  Sprachcharacteristiken,  welche  die  Mehrzahl  der  vor- 
handenen zwar  nicht  an  geistvollen,  weitausschauenden  Be- 
trachtungen, wohl  aber  stellenweise  an  Richtigkeit  und  Gerech- 
tigkeit übertreffen  sollten.  Im  Tadeln,  auch  im  Tadeln  von 
Sprachen,  konnte  Niemand  vorsichtiger  sein  als  er.  Nur  wenige 
Sprachen  habe  ich  ihn  als  roh  bezeichnen  hören,  —  meines  Er- 
innems  waren  mehrere  Negersprachen  wie  das  Akra  und  einige 
melanesische  darunter.  Da  hatte  er  nichts  gefunden,  was 
ihn  anziehen  konnte,  —  Anderen  würde  es  wohl  ähnlich 
gehen.  Ihm  aber  war  es  gegeben  und  wohl  auch  Bedürfniss, 
die  Sprachen  die  ihn  beschäftigten,  zu  geniessen,  wenn  anders 
sie  etwas  Geniessbares  boten.  So  kam  ihm  auch  dabei  sein 
Temperament  zu  Statten.  Wo  sich  geistige  Regsamkeit,  bild- 
nerische Kraft,  reiche,  wennschon  nach  unseren  Begriffen  ein- 
seitige Entfaltung  zeigte,  da  fühlte  er  sich  erwärmt  und  dann 
ging  wohl  das  Kennenlernen  und  das  Liebenlernen  Hand  in 
Hand.  Ich  entsinne  mich, wie  frisch,  fast  entzückt  er  mir  den 
Polysynthetismus  der  einen  oder  der  andern  nordamerikanischen 
Sprache,  das  Gongruenzsystem  der  Bantu ,  die  Conjugation  des 
Türkischen,  die  Casus-  und  Localanschauungen  in  den  finnisch- 
ugrischen  Sprachen,  die  wunderbaren  drei  Passive  und  sonsti- 
gen verbal-nominalen  Gebilde  im  Tagalischen  und  seinen  Ver- 
wandten schilderte,  wie  er  dann  aber  auch  wieder  die  Schatten- 
seiten und  Schwächen  zeigte,  etwa  Eintönigkeit  oder  Armuth 
des  Satzbaues,  geringe  Fähigkeit  der  Abstraction  u.  dgl.  Die 
weitverbreitete  Geringschätzung  gegen  die  verschiedenen  Arten 
des  agglutinirenden  Baues  theilte  er  aber  keineswegs.  Regel- 
mässigkeit, etymologische  Klarheit  und  freie  Bildsamkeit  der 
Formen  gehörten  eher  zu  den  Dingen,  die  er  pries;  und  die 
Schönheiten  unserer  indogermanischen   Sprachen    fand  er  in 


229     

anderen  Stttcken,  als  in  der  Mehrheit  ihrer  Declinationen  und 
Conjugationen,  ihren  Defectiven  und  sonstigen  Unregelmässig- 
keiten. 

Wie  angedeutet,  liebte  er  es  und  verstand  es,  die  Eigen- 
thümlichkeiten  der  Sprachen  mit  Sinnesart  und  Lebensweise 
der  Völker  in  Beziehung  zusetzen;  eineAlgonkinsprache,  mochte 
er  sie  auch  nur  aus  der  Bibelübersetzung  kennen,  schien  seiner 
Phantasie  Lederstrumpfgeschichten  zu  erzählen.  Ich  weiss 
nicht,  ob  er  es  in  dieser  Form  ausgesprochen  hat,  aber  offenbar 
war  es  auch  seine  Überzeugung :  zwei  Dinge  (abgesehen  von 
der  Herkunft)  geben  der  Sprache  ihr  Gepräge,  der  kulturge- 
schichtlich-geographische Standpunkt  eines  Volkes  und  seine 
Geistesart.  Jener  bedingt  die* geistige  Perspective,  vermöge 
deren  gewisse  Dinge  näher  liegen  und  schärfer  unterschieden 
werden,  als  andere;  darum  ist  er  zunächst  entscheidend  für 
das  Stoffliche  der  Sprache.  Die  Geistesart  aber  äussert  sich  in 
der  Art,  wie  die  Vorstellungen  verknüpft  werden,  mithin  in 
der  Sprachform.  Nun  aber  beruht  die  Geistesart  nicht  nur  auf 
innerer  Anlage ,  sondern  auch  wieder  zum  Theile  auf  jenen 
äusseren  Lebensbedingungen;  mithin  müssen  auch  diese  die 
Sprachform  beeinflussen.  Ich  entsinne  mich,  dass  alles  dies 
bei  seinen  Sprachschilderungen  zur  Geltung  kam.  Was  jüngst- 
hin  Byrne  (The  Principles  of  the  Slructure  of  Language)  mit 
Kühnheit  und  Tiefsinn  versucht,  stand  als  Aufgabe  auch  vor 
seiner  Seele;  daneben  aber  stand  ein  bedächtiges:  Non  liquet. 
In  der  Vorrede  zu  seiner  Abhandlung  über  das  Passivum  hat  er 
es  ausgesprochen,  in  dem  Buche  selbst  es  nach  Kräften  ver- 
wirklicht, was  seiner  Meinung  nach  unsre  Zeit  in  der  Richtung 
nach  der  allgemeinen  Grammatik  bin  thun  kann :  untersuchen, 
wie  sich  die  Sprachen  des  Erdballes  den  verschiedenen  gram- 
matischen Kategorien  gegenüber  verhalten,  um  so  den  sprachen- 
bauenden Menschengeist  in  aller  Mannigfaltigkeit  seiner  Äusse- 
rungen kennen  zu  lernen.  An  wie  viele  und  welche  Kategorien 
er  alles  dabei  dachte,  hat  er  meines  Wissens  nie  ausgesprochen, 
sicher  waren  es  aber  ihrer  sehr  viele.  Das  Alles  nun  schliess- 
lich zu  einem  grossen  einheitlichen  Baue  zusammenzufügen,  es 
inductiv  zur  Entdeckung  gemeingültiger  Gesetze  zu  verwerthen: 
das  dachte  er  sich  als  die  Arbeit  späterer  Geschlechter,  —  ich 
glaube  späterer  Jahrhunderte. 

Wie  in  staatlichen  und  kirchlichen,  so  war  er  auch  in 


230     

wissenschaftlidien  Dingen  gemässigt  oonservativ.  Er  hielt 
nicht  starrglänbig  an  der  Autorität  des  Oberlieferten  fest,  ver- 
folgte z.  B.  den  Streit  über  die  Arteneinheit  oder  -Mehrheit  des 
Menschengeschlechtes  mit  nnbefangenem  Interesse.  Neuen  The- 
orien gegenüber  verhielt  er  sich  kritisch,  zweifelnd,  bis  er  sie 
durch  sehr  gute  inductive  Gründe  gestützt  sah.  Als  aber  die 
eben  erst  als  grossartigeHypothese  veröffentlichte  Lehre  D  a  r  wi  n's 
von  geschäftigen,  heissspomigen  Jüngern  schleunigst  popularisirt 
und  wie  ein  neues  Dogma  der  Welt  verkündigt  wurde:  da  war 
ihm  dies  vorlaute  Treiben  in  tiefster  Seele  zuwider.  Und  wie 
nun  gar  die  Kühnsten  das  Alter  des  Menschengeschlechts  nach 
hunderttausenden  von  Jahren  berechnen  wollten,  sammelte  er 
seinerseits  Gegengründe.  Gleichwohl  nahm  er  vielleicht  weniger 
an  der  Sache  Anstoss,  als  an  der  lärmenden  Überhast  mit  der 
sie  betrieben  wurde.  Dass  der  sprachbegabte  Mensch  von 
sprachlosen  Urahnen  abstammen  könne,  war  gegen  seine  wissen- 
schaftliche Überzeugung,  derzufolge  die  gegliederte  menschliche 
Rede  und  die  ihr  zu  Grunde  liegende  Vernunft  nicht  nur  dem 
Grade,  sondern  auch  der  Art  nach  verschieden  wäre  von  der 
sogenannten  Sprache  und  dem  Seelenvermögen  der  Thiere. 
Alle  solche  Fragen  konnten  ihn  lebhaft  beunruhigen ;  denn  die 
Linguistik,  wie  er  sie  auffasste,  musste  von  jeder  Erschütte- 
rung auf  benachbarten  Gebieten  mitberührt  werden,  viel  mehr, 
als  man  es  nach  seinen  Schriften  vermuthen  sollte.  Übrigens 
kaufte  und  las  er  doch  ziemlich  viele  Bücher  über  den  Ursprung 
der  Sprache.  Die  spracherzeugende  Ri*aft  des  Menschen,  die 
physischen  und  psychischen  Vorbedinungen  der  artikulirten 
Rede  interessirten  ihn  aber  mehr,  als  die  gewagten  Versuche, 
den  Urzustand  der  Sprache  zu  erschliessen.  Solche  Versuche  las 
er  etwa  wie  man  Romane  liest,  die  man  wahr  nennt,  wenn  sie 
wahrscheinlich  sind.  Nur  mit  der  atomistischen  Anschauung, 
wonach  die  älteste  menschliche  Rede  aus  ungegliederten  Natur- 
lauten  bestanden  hätte,  konnte  er  sich  nicht  befreunden. 

So  hatte  sich  denn  der  Wunsch  des  Kindes,  alle  Sprachen 
zu  lernen,  mit  den  Jahren  in  ein  wohlerkanntes  wissenschaft- 
liches Ziel  verwandelt.  Mein  Vater  erstrebte  eine  möglichst 
umfassende  und  tiefe  Kenntniss  der  menschlichen  Sprache,  das 
heisst  zunächst  der  verschiedenen  Sprachen  nach  den  drei 
Hauptrichtungen:  ihrer verwandschaftlichen  Zusammengehörig- 
keit (Genealogie),  ihren  geschichtlichen  Veränderungen  in  den 


231     

Lauten,  Formen,  Wörtern  und  Bedeutungen;  und  zuletzt  und 
zuhöchst  galten  sie  ihm  als  die  mannigfaltigen  Äusserungen  des 
meDschlichen  Sprach  Vermögens..  Nun  war  aber  sein  Verhalten 
nach  diesen  drei  Richtungen  hin  verschieden ,  und  der  Gi-und 
dieser  Verschiedenheit  lag  vielleicht  weniger  in  seiner  Begabung 
als  in  seinen  Neigungen.  Er  arbeitete  am  liebsten  auf  unbe- 
bauten Feldern,  da  wo  sein  entdeckungslustiger  Geist  erst  Bahn 
brechen  musste.  Wo  er  Andere  am  Werke  sah,  verhielt  er  sich 
in  der  Regel  beobachtend,  lernend,  aber  nicht  selbstschöpferisch. 
Wohl  nur  zweimal,  imMandschu  und  im  Gotischen,  hat  er  hiervon 
wissentlich  Ausnahmen  gemacht,  und  auch  da  war,  genug  Neues 
zu  schaffen.  Sprachen,  die  er  genügend  bearbeitet  vorfand, 
trieb  er  wohl,  sofern  sie  oder  ihre  Literaturen  einen  Reiz  für 
ihn  hatten,  bedachte  sie  auch  mit  besonderen  Collectaneen, 
aber  ohne  die  Absicht,  sie  neu  zu  beschreiben.  Von  Polemik 
war  er  kein  Freund,  und  Gegenstand,  Inhalt  und  Form  seiner 
Schriften  haben  wohl  nie  zu  heftiger  Kritik  oder  Gegenkritik 
herausgefordert.  Nur  einmal,  als  er  und  sein  Freund  Lobe 
sich  von  Andreas  Uppströro  ungerecht  angegriffen  glaubten, 
Hess  er  sich  auf  einen  wissenschaftlichen  Kampf  ein. 

Die  wissenschaftliche  Feststellung  zweier  grosser  Sprach- 
stämme bleibt  an  seinen  Namen  geknüpft:  er  war  der  erste, 
der  die  längst  von  Anderen  geahnte  Existenz  der  Bantufamilie 
auf  dem  Wege  grammatischer  Vergleichung  bewies,  und  der  die 
verwandtschaftliche  Zusammengehörigkeit  einiger  zwanzig  me- 
lanesischer  Sprachen  darthat.  Von  finnotatarischen  (ural-altai- 
schen]  Sprachen  kannte  er  wohl  die  grosse  Mehrzahl  und  hatte 
zu  ihrer  Vergleichung  reiches  Material  gesammelt.  Da  aber 
Schott,  Castr^n^  Wiedemann,  Schiefner  und  Andere 
sich  diesen  Forschungen  zuwandten,  zog  er  sich  aus  der  Arena 
in  den  Zuschauerraum  zurück  und  trat  nur  noch  einmal  (Ztschr. 
d.  D.  Morgenl.  Ges.  V,  Heft  1)  mit  einer  Arbeit  über  die  samo- 
jedische  Sprache  auf,  deren,  wohl  schon  von  Castr^n  vermuthe- 
ten  Zusammenhang  mit  der  finnischen  Familie  er  durch  eine 
eingehendere  Vergleichung  nachwies.  Ähnlich  hat  er  es  mit 
den  malaio- polynesischen  und  den  Bantusprachen  gehalten. 
Was  er  über  die  ersteren  veröffentlicht,  war  vorwiegend  einzel- 
sprachlicher Art,  die  erste  Dajak- Grammatik  und  die  einzige 
grammatische  Untersuchung  über  das  Favorlang-formosanische. 
Was  ihn  in  jenen  Fällen  bewog  zurückzutreten,  war  nicht  oder 

4886.  4  6 


232     

doch  nicht  allein  Bescheidenheit,  sondern  eine  richtige  Beur- 
tbeilung  der  Sachlage.  Er  sah  sich  fast  ausschliesslich  auf  seine 
Poschwitzer  Privatbibliotbek  angewiesen.  So  gross  aber  diese 
war,  so  konnte  sie  ihm  doch  nicht  die  Mittel  und  Materialieo 
aufwiegen,  die  Anderen  durch  grossartige  Staatsinstitut«  oder 
durch  eigene  an  Ort  und  Stelle  gemachte  Sammlungen  zu  Ge- 
bote standen. 

Wer  gleich  ihm  sich  vorzugsweise  mit  literaturlosen  Spra- 
chen beschäftigt,  dem  bietet  sich  zu  sprächgeschichtlichen  Unter- 
suchungen wohl   manche  Anregung,  aber  wenig  brauchbarer 
Stoff.   Seine  gotischen  Arbeiten  wollten  von  Hause  aus  wesent- 
lich philologisch  sein;  in  ihnen  spielt  die  Sprachvergleichung 
nur  eine  aushelfende  Rolle.     Das  Zend  und  Koptische  Hess  er 
liegen,  als  sich  ihnen  andere  Forscher  mit  reicheren  Httlfsmittein 
widmeten.     Die  Vergleiohung  des  Mandsohu  mit  alterthttmli- 
cheren  tungusischen  Dialekten  endlich  bat  er  erst  kurz  vor 
seinem  Tode  begonnen.     Lautvergleichende  und  etymologische 
Beobachtungen  undVermuthungen  finden  sich  w^ohl  in  allen  seinen 
einzelsprachlichen  Arbeiten,  nur  muss  man  an  sie  nicht  immer 
den   Maßstab   modern  indogermanistischer  Exactheit  anlegen. 
Man  bedenke:  wer  auf  neuen  Pfaden  wandelt  ist  auFs  tastende 
Ausprobiren  angewiesen;  er  kann  vorlaufig  nicht  wissen,  ob 
und  wo  er  etwas  Verwandtes  finden,  welcher  Art  die  Verwandt- 
schaft sein  werde.    Ähnlichkeiten  im  Sprachbaue,  in  Laut  und 
Bedeutung  der  Wörter  bieten  ihm  die  ersten  Fingerzeige.    Die- 
sen wird  er  folgen,  einerlei,  wohin  sie  ihn  weisen ;  jede  Gasse, 
die  sich  ihm  ijffnet,  will  durchstöbert  sein,  auch  wenn  sie  sich 
als  Sackgasse  erweisen  sollte.     Dass  in  einer  jungen  Wissen- 
schaft mit  dogmatischen  Heischesätzen  nichts  anzufangen  sei, 
sagte  meinem  Vater  sein  besonnenes  Urtheil,  bestätigten  ihm 
zum  Überflusse  so  manche  Beispiele  von  Voreiligkeiten,  deren 
er  Zeuge  war.     Er  hatte  vorerst  zweierlei  zu  vermeiden:  ver- 
frühtes Aufstellen  neuer  angeblicher  Sprachfamilien ,  und  vor- 
schnelles Verneinen  von  Möglichkeiten  auf  Grund  apriorisch 
gefasster  schematischer  Anschauungen. 

Vor  diesen  beiden  Fehlern  war  er  durch  den  Umfang  und 
die  Intensität  seines  sprachlichen  Wissens  gesichert.  In  die 
achtzig  Sprachen  der  verschiedensten  Bauarten  und  Stämme 
hatte  er  nach  und  nach  getrieben  und  man  weiss  nun,  was  eine 
Sprache  treiben  bei  ihm  bedeuten  wollte.     Schien  dann  und 


J 


233     

wann  das  Material,  das  er  seinen  Forschungen  zu  Grunde  legte, 
Eum  Verzweifeln  dttrftig,  so  besass  dafür  sein  Geist  die  Gabe, 
»alle  vier  Zipfel  zu  fassen,  wenn  ihm  nur  einer  gereicht  wird a, 
wie  sich  Gonfuoius  ausdrückt.  Diese  Gabe  ist  nur  dann  er- 
klärlich, wenn  man  annimmt,  dass  der  ahnende  Geist  denselben 
Gesetzen  folge,  wie  die  Dinge,  die  er  beurtheilt;  es  scheint 
aber,  als  wären  solche  ahnende  Geister  manchmal  geschickter 
die  Aussendinge  zu  erklaren,  als  sich  selbst.  Dass  auch  das 
Leben  der  Sprachen  von  ewigen  Gesetzen  beherrscht  sein  müsse, 
leugnete  mein  Vater  nicht;  das  aber  leugnete  er,  dass  eine  be- 
schränkte Sprachenkenntniss  genüge,  um  solche  Gesetze  auf- 
zustellen. Hierzu  schien  ihm  auch  sein  eigenes  Wissen  nicht 
auszureichen.  Dafür  hatte  er  die  Erfahrung  gemacht,  dass  man 
in  der  bunten  Sprachenwelt  so  ziemlich  auf  Alles  gefasst  sein 
müsse.  Nil  admirari  hiess  bei  ihm  fast  soviel  wie  nil  negare. 
Was  jenes  Ahnungsvermögen  leistete  waren  nun  freilich  nichts 
anderes,  als  glückliche,  von  den  Thatsachen  bestätigte  Aprioris- 
men;  allein  diese  vollzogen  sich  wohl  in  der  Regel  naiv,  ihm 
unbevnisst.  Gewiss  aber  hatte  er  das  Gegentheil,  trügende 
Ahnungen,  oft  genug  an  sich  erlebt,  und  Gegen  in  stanzen  wider 
die  geistvoll  kühnen  Axiome  so  mancher  sprachwissenschaft- 
lichen Schriftsteller  lagerten  in  den  Schatzkammern  seiner  Er- 
fahrung auf  Vorrath.  So  w^ar  es  denn  weder  Unfähigkeit  noch 
Trägheit,  noch  auch  Schüchternheit,  was  ihn  abhielt,  selbst- 
ständige Theoreme  aufzustellen,  sondern  ein  wohlerwogenes 
Urtheil  über  den  Stand  seiner  Wissenschaft.  Verallgemeine- 
rungen gehören  zu  den  Dingen,  die  man  durch  fleissiges  Lernen 
verlernen  kann. 

Im  Gespräche  war  er  bierin  etwas  ausgiebiger,  äusserte 
sich  aber  auch  da  nur  mit  allem  Vorbehalte,  stellte  mehr  ver- 
suchsweise eine  Meinung  hin.  Von  einem  grossen  Theile  meiner 
sprachphilosophischen  Anschauungen  weiss  ich  nicht,  wieviel 
im  Grunde  mir  selbst  eigen,  wieviel  mir  von  meinem  Vater 
überkommen  ist.  öfter  als  ich  mir  bewusst  bin,  mag  der 
Hauptgedanke  ihm,  die  Ausgestaltung  mir  angehören.  Wir 
haben  zusammen  sehr  viel  von  solchen  Dingen  geredet;  er 
mochte  es  gern,  und  er  hatte  gerade  bei  mir  oft  Gelegenheit, 
unreife  Heischesätze  mit  thatsächlichen  Gegengründen  zu  wider- 
legen. Meine  Ansichten  über  das  Grundgesetz  der  Wortstellung, 
die  ich  nachmals  in  der  Lazarus-Steintharschen  Zeitschrift  ver- 

40* 


234     

öffentlicht,  schienen  ihm  einleuchtend,  ebenso  meine  Theorie 
von  der  Zweitheilung  der  Grammatik  in  ein  analytisches  und 
ein  synthetisches  System. 

Der  Fortschritt  seiner  Studien  von  Sprache  zu  Sprache  war 
wohl  von  einem  allgemeinen  Plane,  zugleich  aber  auch  von 
mancherlei  Zufälligkeiten  bestimmt.  Ich  will  nur  Einzelnes 
hervorheben. 

Als  Gymnasiast  nahm  er  freiwillig  am  hebräischen  Unter- 
richte Theil  und  trieb  für  sich  Arabisch ,  dem  sich  wohl  erst 
später  Türkisch  und  Persisch  anschlössen.  Das  Chinesische, 
das  er  als  Schüler  begonnen,  setzte  er  als  Student  fleissig  fort. 
Bald  aber  ward  es  ihm  klar,  wie  unsicher  dies  Studium  sei,  so 
lange  man  nicht  bessere  Hülfsmittel  besässe,  als  R^musat's 
Grammatik,  G16mona's  Wörterbuch  und  die  Übersetzungen  der 
alten  katholischen  Sendboten.  Die  mandschuischen  Übersetzun- 
gen chinesischer  Werke  dagegen  durften  als  authentisch  gelten; 
allein  erst  galt  es,  deren  Sprache  besser  zu  verstehen,  als  es 
mit  A  m  y  0  t's  grammatischem  Abrisse  und  Wörterbuche  möglich 
war.  Dazu  bot  dem  Göltinger  Studenten  die  dortige  Universi- 
tätsbibliothek die  ersten  Hülfsmittel.  Das  Ergebniss,  die  j^l^mens 
de  la  grammaire  mandchoue,  veröffentlichte  er  erst  nach  seiner 
Heimkehr  von  der  Universität.  Die3  Buch,  jetzt  längst  ver- 
griffen, hat  dem  Fünfundzwanzigjährigen  viel  Lob  eingetragen 
und  zeigt  in  der  That  bei  manchem  Unreifen  und  Irrigen  doch 
schon  jenes  didactische  Geschick,  das  einen  Theil  seiner  Be- 
gabung bildete.  Der  französischen  Sprache  bediente  er  sich, 
weil  sie  damals  noch  fast  für  die  Sprache  der  Siologen  gelten 
konnte;  war  doch  Frankreich  recht  eigentlich  das  Vaterland 
dieser  Wissenschaft.  —  Fast  gleichzeitig  mit  dem  Mandschuischen 
trieb  er  mongolisch  und  magyarisch,  und  die  Verwandtschaft 
dieser  drei  Sprachen  leuchtete  ihm  schnell  ein;  die  finnotatarische 
Sprachenvergleichung  bildete  nun  für  lange  Zeit  sein  Programm. 
Die  wichtigeren  Cultursprachen  Europa's  trieb  er  nebenher, 
mehr  um  ihrer  Literaturen  willen;  sie  alle,  etwa  mit  Ausnahme 
der  slavischen,  las  und  handhabte  er  ohne  Schwierigkeit.  Bald 
übte  auch  die  rasch  erblühte  Indogermanistik  und  Germanistik 
auf  ihn  ihren  Reiz.  Bopp's  und  Pottes  Werke  las  er  mit 
Genuss;  Jacob  Grimm's  grammatisches  Riesenwerk  mochte 
er  wohl  um  seiner  grossartigen  Anlage,  zumal  um  seiner  Laut- 
lehre willen  bewundern ,  stiess  sich  aber  an  das,  was  er  den 


235 

colIectaDeenmäßigeD  Stil  nannte,  und  selbst  an  die  eigenmächtig 
eiDgeftthrte  Orthographie.  Jedenfalls  dürfte  den  hier  empfan- 
genen Anregungen  seine  nachmaligen  gotischen  undZendstudien 
ihren  Ursprung  verdanken.  Zum  Gotischen  führten  ihn  über- 
dies noch  andre  Regungen :  sein  Interesse  am  germanischen 
Alierthume,  die  Mangel  der  [  vorhandenen  Ulfilas-Äusgaben, 
endlich  der  Wunsch,  mit  seinem  treuen  Jugendfreunde,  dem 
Pfarrer  Dr.  Julius  Lobe  in  Rasephas  eine  gemeinschaftliche 
Arbeit  zu  unternehmen.  Seine  gotischen  Collectaneen  sind  im 
Jahre  4834  begonnen;  jahrelang  haben  die  Reiden  an  bestimm- 
ten Wochentagen  in  Poschwitz  zusammen  geforscht  und  berathen, 
ehe  sie  das  Ergebniss  ihrer  Forscherarbeit  in  drei  Quartbänden 
(4836—4846)  der  Welt  vorlegen  konnten. 

Eine  Zeit  lang  fühlte  er  sich  auch  zur  jungen  Ägyptologie 
hingezogen,  studirte  Champollion's  und  seiner  Schüler 
Werke  und  wurde  Zeuge  der  tiefgehenden  Spaltungen,  die  so 
hald  unter  den  Forschern  dieses  Faches  einrissen.  Nun  erblickte 
er  im  Koptischen  den  einzig  sicheren  Ausgangspunkt  für  weiter 
und  tiefer  gehende  Untersuchungen  und  verweilte  längere  Zeit 
bei  dieser  Sprache;  seine  Collectaneen  über  sie  datiren  vom 
Jahre  4  838. 

Von  hier  aus  kehrte  ^er  zunächst  zu  den  finno-tatarischen 
Sprachen  zurück.  Im  I.  Rande  der  Zeitschrift  für  die  Kunde 
des  Morgenlandes  hatte  er  »Einiges  über  die  mongolische  Poesie« 
und  die  Übersetzung  der  »mandschu-mongolischen  Grammatik 
aus  dem  San-hö-pian-lan«,  im  zweiten  die  »Entzifferung  einer 
aitmongolischen  Inschrift«,  einen  Aufsatz  »Über  den  Namen: 
Türken«  und  den  »Versuch  einer  mordwinischen  Grammatik« 
veröffentlicht.  Daran  reihten  sich  nun  weiter  in  Rand  III.: 
sMandschu-sinesische  Grammatik  nach  dem  San-hö-pian-Iam 
und  »Sing-li-tschin-thsiuan ,  die  wahrhafte  Darstellung  der 
Naturphilosophie  (erster  Theil),  aus  demMandschu  übersetzt«, 
—  in  Rand  IV. :  »Vergleichung  der  beiden  tscheremissischen 
Dialekte«.  Kurz  zuvor,  4844,  w^aren  seine  »Grundzüge  der  syr- 
jänischen  Grammatik«  als  besonderes  Ruch  erschienen.  Mittler- 
weile hatte  sich  in  seiner  Ribliothek  schönes  Material  für  die 
Kunde  der  süd-  und  westafrikanischen  Sprachen  zusammenge- 
funden. An  dessen  Durcharbeitung  ging  er  nun,  hat  aber  als 
Frucht  dieser  Forschungen  nur  den  einen  sprachvergleichenden 
Aufsatz  »Über  die  Suahilisprache«,  4847  (Zlschr.  d.  D.  Morgenl. 


236     

Ges.  Bd.  I)  herausgegeben.  Die  folgenden  unruhigen  Jahre 
brachten  auch  in  seine  Studien  eine  Unterbrechung.  Wohl  das 
Erste,  was  er  nach  wiedererlangter  Muße  in  Druck  gab,  war 
eine  vergleichende  Studie  »Über  die  samojedische  Sprache«,  4  851 
(Ztschr.  d.  D.  Morgenl.  Ges.  Bd.  V),  fast  gleichzeitig  lieferte  er 
in  Hoefer's  Zeitschrift  Bd.  III  eine  »kurze  Grammatik  der 
tscherokesischen  Sprache«,  und  bald  darauf,  im  Jahre  485S  er- 
schienen seine  »Beiträge  zur  Sprachenkunde«,  Grammatiken  der 
Dajak-,  Dakota-  und  Kiririsprache ,  letztere  die  Übersetzung 
eines  im  Jahre  4699  gedruckten  portugiesischen  Buches. 

Um  diese  Zeit  gab  er  das  familienweise  Sprachstudium  auf. 
Die  amerikanischen  Sprachen  mit  ihren  wunderbaren  Verbal- 
systemen hatten  schon  längst  ihren  Zauber  auf  ihn  geübt,  und 
die  Verschiedenheiten  des  menschlichen  Sprachbaues  wurden 
je  länger  je  mehr  der  Gegenstand  seines  Forschens.  So  vertiefte 
er  sich  abwechselnd  in  die  Sprachen  der  Rothhäute,  der  schwarzen 
und  braunen  Afrikaner,  dann  wieder  derbraunen  Bewohner  des 
indischen  und  stillen  Oceans,  kurz,  damals,  in  den  fünfziger 
Jahren  machten  eigentlich  seine  Sprachstudien  die  Reise  um  die 
Welt.  Zu  jener  Zeit  reifte  denn  auch  in  ihm  der  Plan,  eine  be- 
stimmte Kategorie  der  Grammatik  nach  Humboldt's  Vorgange 
durch  alle  bekannten  Sprachen  der  Erde  hindurch  zu  verfolgen. 
Der  malaische  Sprachstamm,  zumal  in  seinen  philippinisehen 
Gliedern,  für  deren  Kunde  ihm  mein  lieber,  nun  auch  verstor- 
bener Schwager  Herr  Consul  Richard  von  Carlowitz  in 
Canton  reiche  Materialien  zugeführt  hatte,  mochten  sein  Augen- 
merk auf  das  Passivum  lenken,  dem  er  dann  eine  4860  in  den 
Abhandlungen  der  K.  S.  Ges.  d.  Wiss.  erschienene  sprachver- 
gleichende Untersuchung  widmete.  Diese  berücksichtigt  zwei- 
hundert und  einige  Sprachen,  von  denen  mehrere  noch  unbe- 
arbeitete erst  eigens  für  diesen  Zweck  grammatisch  bearbeitet 
sein  wollten.  Die  Abhandlung  »Über  die  Ibrmosanische  Sprache« 
(Ztschr.  d.  D.  M.  G.  Bd.  XIII),  die  »Grammatik  und  Wörterbuch 
der  Kassia-Sprache«  4  858  (in  den  Sitzungsberichten  der  K.  S. 
Ges.  d.  Wiss.  erschienen),  endlich  der  erste  Theil  der  »Mela- 
nesischen  Sprachen«  (Abh.  d.  K.  S.  Ges.d.  Wiss.  4860)  gehören 
zu  diesen  Vorarbeiten,  sind  wenigstens  deren  Früchte. 

Den  unermüdlichen  Bemühungen  seines  genannten  Schwie- 
gersohnes gelang  es  nun  auch  bald,  ihm  eine  sehr  reiche  Samm- 
lung   mandschuischer   Originaldrucke    zu   verschaffen.      Dies 


237     

fahrte  ihn  zu  der  Sprache  zurück,  an  der  er  sich  seine  ersten 
Sporen  verdient  hatte.  Die  Mflngel  seiner  Jugendarbeit  wurden 
ihm  immer  klarer,  und  die  Jugendliebe  erwachte  von  Neuem, 
Seine  bisherigen  grammatischen  Schriften  hatten  selten  den  Um* 
fang  von  Elementarbachern  überschritten;  jetzt  wollte  er  ein 
philologisch  vollständiges  dabei  nach  »cht  linguistischen  Gesichts- 
punkten ausgeführtes  Lehrgebäude  errichten,  ein  grosses,  end- 
gültiges Werk.  Er  nannte  wohl  das  Mandsohu  eine  in  ihrer 
Entwickelung  unterbrochene  Sprache.  Freier  hatten  sich  die 
verschwisterten  tungusischen  Dialekte  entfaltet,  für  deren  Kunde 
ihm  sein  Freund  Anton  Schief ner  in  St.  Petersburg  schätz- 
bares Material  lieferte,  und  unter  den  Mandschubüchern  seiner 
Sammlung  zeichnete  sich  wenigstens  eines,  die  Übersetzung  des 
berüchtigten  realistischen  Romanos  Ein-p'ing-mei  in  47  Bänden, 
durch  freie,  elegante  Behandlung  der  Sprache  aus.  Dies  und 
noch  eine  Reihe  andrer  hat  er  im  Laufe  seiner  Leetüre  für  den 
eigenen  Gebrauch  übersetzt,  aber  nur  eine  dieser  Arbeiten,  die 
»Geschichte  der  grossen  Liao« ,  von  meinem  Bruder,  stilistisch 
redigirty  ist  1877  als  hinterlassenes  Werk  von  der  Kais.  Russ. 
Akad.  d.  Wissenschaften  herausgegeben  worden.  Fortan  hat 
ihn  mit  längeren  und  kürzeren  Unterbrechungen  das  Mandschu 
beschäftigt  bis  an  sein  Ende.  Hierher  gehörige  Arbeiten  sind 
die  Beiträge  zur  mandschuischen  Conjugationslehre  [Z.  d.  D.  M. 
G.  1864],  die  Ausgabe  der  Sse-schu,  Schu-king,  Schi-king  mit 
Wörterbuch,  2  Bände,  1864  und  noch  zwei  Aufsätze  über  die 
Ausdrücke  für  »sterbena  und  für  »Könnena  im  Mandschu.  Vor 
derendgültigenAbfassungderGrammatikwolltendieCoUectaneen 
ausgearbeitet,  die  gesammelten  Beispiele  ausgeschrieben  und 
übersetzt  sein,  —  ein  zeitraubendes,  lästiges  Geschäft.  Er  ist 
damit  nur  etwa  bis  zur  Hälfte  gediehen,  und  was  er  so  hinter- 
lassen, würde  schon  einen  starken  Quartanten  füllen. 

Mehr  als  man  denken  sollte  hat  meine  Mutter  seine  Studien 
befördert.  Viele  lästige  Schreibereien  und  geschäftliche  Be- 
sprechungen nahm  sie  ihm  ab  um  ihm  für  seine  Wissenschaft 
Müsse  zu  verschaffen,  und  wo  sie  es  konnte,  bereicherte  sie  seine 
schöne  Bibliothek.  Sie  hatte  darin  soviel  Glück  wie  Geschick ; 
viele  der  werthvollsten  Manuscripte  und  Drockwerke  verdankt 
die  Poschwitzer  Sammlung  ihr.  So  machte  sie  im  Jahre  1862 
meinem  Vater  einige  dreissig  mongolische  Originalhandschriften 
aus  Alexander  Castr6n's  Nachlass  zum  Geschenke,  und  das 


238     

führte  ihn  auf  längere  Zeit  zum  Mongolischen  zurück.  Ein  Theil 
der  Bücher  wurde  gelesen,  übersetzt,  in  die  Gollectaneen  ver- 
arbeitet ;  druckfertig  in  seinem  Sinne  ist  aber  davon  nichts  ge- 
worden, denn  mein  Vater  gab  nicht  gern  eine  Oberseztung 
heraus,  ehe  nicht  das  letzte  Fragezeichen  am  Rande  ausgestrichen 
war.  Vom  Mongolischen  aus  gelangte  er  zu  der  Untersuchung 
»Über  die  Sprache  der  Hazaras  und  Aimak«  (Z.  d.  D.  M.  G.  4866  , 
deren  verwandschaftliche  Beziehungen  zum  Mongolischen  er 
nachwies. 

Einen  Förderer  seiner  melanesischen  Studien  hatte  er  an 
seinem  Freunde  Edwin  Norris  in  London.  Nach  dessen  Tode 
ijchien  es  ihm  eine  Pflicht  der  Dankbarkeit,  das  weitere  Material 
das  er  von  ihm  erhalten,  in  einem  zweiten  Theile  der  »Mela- 
nesischen Sprachenc  (Abh.  d.  K.  S.  Ges.  d.  Wiss.  4873)  zu  ver- 
einigen. 

Dies  ist  in  den  wesentlichsten  Zügen  der  Entwicklungsgang 
seiner  linguistischen  Arbeiten,  die  nach  der  Natur  der  Sache 
sehr  oft  auch  philologische  sein  mussten.  Man  wird  zugeben, 
dass  seine  veröffentlichten  Schriften  bei  aller  Vielseitigkeit  und 
Gediegenheit  doch  ein  sehr  unvollkommenes  Bild  liefern  von 
seinem  Streben  und  Können.  Die  Zahl  der  Sprachen,  die  er 
getrieben,  habe  ich  vorhin  auf  etliche  achtzig  angegeben.  Dies 
stützt  sich  einerseits  auf  seine  in  Poschwitz  verwahrten  Gollec- 
taneen, andrerseits  auf  das,  was  er  uns  selbst  gelegentlich  ge- 
sagt, als  wir  ein  Verzeichniss  dieser  Sprachen  aufnehmen  wollten. 
Ausdrücklich  führte  er  dabei  nur  solche  auf,  deren  Kenntniss  er 
an  der  Leclüre  von  Texten  erprobt  hatte.  Ich  will  das  Ver- 
zeichniss hier  nicht  raittheilen,  hebe  aber  hervor,  dass  es  u.  A. 

4  8  uralaltaiscbe.  4  S  malaisch-polynesische,  6  kongo-kaffrische, 

5  indochinesische  und  1  2  amerikanische  Sprachen  aufweist. 

Forschungen  wie  die  seinigen  erforderten  einen  entsprechend 
umfänglichen  Bücherschatz ,  und  die  Poschwitzer  linguistische 
Bibliothek  ist  denn  auch]zu  einer  sehr  ansehnlichen  angewachsen, 
—  qualitativ  fast  noch  mehr  als  quantitativ.  Seinem  lieben 
jüngeren  Freunde,  dem  allverehrten  Reinhold  Rost  und  dem 
unermüdlich  gefälligen  Schiefner  hatte  er,  wie  so  mancher 
Fachgenosse,  dabei  sehr  viel  zu  verdanken.  Mein  Vater  mochte 
lieber  Bücher  verborgen  als  borgen  und  hat  mit  seiner  Frei- 
gebigkeit hierin  viel  Dank  geerntet.    Auch  davon  hat  man  er- 


239    

zählt,  wie  gern  er  jüngeren  Forschern  mit  Rath  und  Auskunft 
behülflich  war. 

Bedeutsam  für  die  Beurtheilungl  eines  Mannes  von  so  aus* 
gesprochenem  Lehrtalente  dürfte  die  Art  sein,  wie  er  meine 
linguistischen  Neigungen  förderte  und  lenkte.    Er  versicherte 
mir  nachmals,  er  habe  nie  diese  Neigung  in  mir  erregt,  und  das 
entsprach  auch  ganz  seiner  sonstigen  Art.    Als  ich  in  meinem 
achten  Jahre  Englisch  lernte,  fragte  ich  ihn  einmal,  ob  nicht  im 
Englischen  immer  th  für  deutsches  d  stünde?    Das  bejahte  er 
natürlich,  und  nun  sagte  er  mir,  was  man  Lautverschiebungen 
nenne;  dann  führte  er  »one,  two,  threea  sächsisch  »eens,  zwee, 
drei«  und  »house,  mouse^  beam,  leaf«,  sächsisch  »Haus,  Maus, 
Boom,  Loob«  an  und  zeigte  mir  daran,  wie  die  Dialekte  doch 
gar  nicht  so  willkürlich  und  verderbt  seien.    Bald  zog  er  auch 
das  Lateinische  herbei,  verglich  dessen  Wörter  und  Formen  mit 
französischen  und  deutschen  und  eröffnete  mir  einen  ersten  Aus- 
blick auf  den   grossen   indogermanischen  Sprachstamm.     Das 
gab  auf  Jahre  Stoff  zu  unseren  Gesprächen.    Zwölf  oder  drei- 
zehn Jahre  alt  mochte  ich  sein,  als  er  mir  erlaubte  Eichhoffs 
Vergleichung  der  Sprachen  von  Europa  und  Indien  zu  lesen,  ein 
Buch  das  ich  halbwegs  verstehen  und  namentlich  recht  gemessen 
konnte.    Etwa  ein  Jahr  später  gab  er  mir  Bo  p  p'  s  vergleichende 
Grammatik  in  die  Hand,  und  ich  habe  wohl  den  grössten  Theil 
davon  mit  Wonne  gelesen.  Eine  eigentliche  Anleitung  zum  Ver- 
ständnisse gab  er  mir  nicht,  eher  dann  und  wann  auf  Befragen 
einzelne  Erläuterungen.     Überhaupt  liess   er  mir  immer   die 
Initiative,  ging  nur  mehr  oder  weniger  auf  meine  Wünsche  und 
Interessen  ein  und  gab  ihnen  höchstens  die  Richtung,  die  ihm 
dienlich  schien.    So  mochte  er  es  gern,  wenn  wir  Geschwister 
einander  und  ihm  selbst  spielweise  Dechiffriraufgaben  stellten, 
und  als  ich  eine  Sprache  nach  seiner  Methode  aus  Texten  zu  er- 
lernen wünschte,  gab  er  mir  die  Genesis  in  Grebo  und  einige 
Anleitung  zur  Anlage  von  Collectaneen,  —  das  Weitere  über- 
liesser  mir.    Später,  etwa  in  meinem  sechszehnten  Jahre,  liess 
er  mich  zu  meiner  Übung  und  Unterhaltung  einige  Seiten  neu- 
seeländische Texte  mit  Übersetzung  lesen  und  darnach  einen 
Abriss  der  Grammatik  verfassen.    Da  ich  Cbinesich  zu  lernen 
wünschte,  schenkte  er  mir  zu  meinem  sechszehnten  Geburtstage 
Remusat^s  l&lemens.    Als  ich  diese  durchgearbeitet  hatte,  gab 
er  mir  St.  Julien 's  Ausgabe  und  Übersetzung  des  Meng-tsi 


240     

zurLectUre,  fast  gleichzeitig  aberauch  dessen  Exercices  pratiques. 
Schottes  Chinesische  Sprachlehre  war  damals  noch  nicht  er- 
schienen, nnd  ich  weiss  nun,  dass  Niemand  mein  Selbststudium 
des  Chinesischen  hätte  methodisch  richtiger  lenken  können.  Er 
selbst  hatte  diese  Sprache  nie  ganz  liegen  lassen,  unterschSitzte 
aber  sein  Wissen  in  ihr,  da  ihm  doch  thatsdchlich  nur  die 
nöthigen  lexikalisdien  Httlfsmittel  mangelten. 

Von  sprachphilosophischen  Büchern  gab  er  mir  Heyse*s 
System  der  Sprachwissenschaft,  dann  Humboldt's  Kawiwerk, 
endlich  SteinthaTs  Charakteristik  der  hauptsächlichsten  Typen 
des  Sprachbaues  in  die  Hand.  Von  anderen  neueren  Bttchern 
über  allgemeine  Sprachwissenschaft  nach  denen  ich  ihn  fragte, 
rieth  er  mir  ab:  »In  derselben  Zeit,  wo  Du  die  lesen  würdest, 
kannslDu  eine  neue  Sprache  lernen,  unddahastDu  mehrdavonU 
Unter  Anderem  empfahl  er  mir  zumal  das  Arabische,  dessen 
innere  Stamm-  und  Formbildungen,  zweierlei  Plurale,  seltsam 
doch  hoch  entwickelte  Syntax  er  mir  wohl  in  seiner  lebendigen 
Weise  schilderte,  aber  zu  den  Dingen  rechnete,  die  man  selbst 
erfahren  haben  müsse.  »Du  wirst  es  vermissen,  wenn  Du  diese 
Sprache  nicht  treibst«,  sagte  er  wohl  zu  mir.  Es  war  das  da- 
mals, als  ich  mich  mit  vergleichender  Syntax  beschäftigte.  Die 
Kuhn-Sehlei  cber'schen  Beiträge  aber  und  die  Lazarus- 
Stein  t  ha  Tsche  Zeitschrift  theilte  er  mir  regelmässig  mit. 

Die  einzige  gemeinschaftliche  Arbeit,  die  wir  unternommen 
haben ,  galt  der  Entzifferung  einer  Niütschi-lnschrift ,  die  er 
sammt  chinesischen,  uigurischen  und  mongolischen  Parallel- 
texten in  photographischer  Aufeahme  aus  China  erhalten  hatte. 
Jeder  dieserTexte  besteht  aus  zw^elTheilen,  einem  transcribirten 
buddhistischen  Gebete  in  Sanskrit  nnd  dann,  in  kleineren  Schrift- 
zeichen, einer  noch  ungelesenen  längeren  Aufzeichnung  in  der 
betreffenden  Sprache.  Der  Sanskrittext  ermöglichte  es,  den 
Lautwerth  der  unbekannten,  willkürlich  erfundenen  complizir- 
tenSylbenzeichen  festzustellen;  der  Inhalt  deskleingeschriebenen 
nur  mittels  des  Vergrösserungsglases  erkennbaren  Schriftstückes 
sollte  zunächst  aus  den  Paralleltexten  thunlichst  festgestellt, 
dann  in  das  Mandschuische  übersetzt  und  darnach  in  dem  ver- 
wandten Niütschi  wiedergefunden  werden,  —  eine  mühsame, 
zeitraubende  Arbeit,  zumal  sie  nur  während  meiner  kurzen  Be- 
suche im  Elternhause  vorgenommen  werden  konnte.  Als  ich 
im  August  4874  auf  vier  Wochen  nach  Lemnitz  kam,  wollten 


r 


241     

wir  diese  Entzifferung  thunlichst  vollenden.    Da  erkrankte  mein 
Vater  und  starb  den  3.  September. 

So  still  war  sein  Gelehrtenleben  verlaufen,  dass  Viele  erst 
aus  den  Nekrologen  in  den  Zeitungen  erfahren  haben^  welchen 
Platz  er  in  der  Wissenschaft  eingenommen ;  und  so  innig  war 
sein  wissenschaftlicher  Verkehi'  mit  mir  gewesen,  dass  ich  erst 
nach  seinem  Tode  bemerkte,  wie  ich  bisher;  ohne  es  zu  ahnen, 
immer  sein  Wissen  zu  dem  meinen  hinzugerechnet,  mir  ein- 
gebildet hatte,  was  er  besässe  brauchte  ich  mir  kaum  erst  zu 
erwerben ;-. —  wieviel  ist  da  noch  zu  erwerben,  aber  wie  leicht 
hat  er  mir  auch  den  Erwerb  gemacht  I  Das  Beste  was  mir  in 
meinem  Fache  gelingen  mag,  ist  mittelbar  immer  sein  Werk. 


Herr  Windisch  legte  vor  Etymologische  Beiträge :  ^) 

1 .  Altir.  ßil  F.  Fest,  ßed  F.  Fest. 

Altir.  feil  wird  nur  von  den  kirchlichen  Festen  gebraucht, 
die  auf  bestimmte  Tage  im  Jahre  angesetzt  sind.  Im  Welsh 
entspricht  gwyl,  PI.  gwyliauy  Fest,  Gramm.  Celt.^  p.  968  (aus 
einem  dem  Taliesin  zugeschriebenen  Gedichte).  In  dem  unter 
dem  Namen  F^lire  bekannten  Heiligenkalender  lautet  der  No- 
minativ immer  feil,  was  auf  eine  Grundform  *veili  oder  *veill 
hinweist.  Die  gelegentlich  vorkommende  Schreibweise  fel^] 
ist  wohl  nur  ungenau  für  feil,  obwohl  ich  für  meine  Etymologie 
einen  Stamm  auf  a  noch  besser  brauchen  könnte,  aber  ein 
solcher  würde  wohl  *fial  im  Nominativ  lauten  müssen.  Ir.  feil 
ist  nämlich  zu  stellen  zu  skr.  velä  F.  Zeitgrenze,  Zeitpunkt. 
Von  feil  ist  abgeleitet  felire  Kalender,  wie  im  Lateinischen  von 
ccdendae  das  entsprechende  calendarium. 

Für  die  Festschmause  und  Festgelage  der  Kämpen  dagegen 
in  den  alten  Sagen  wird  das  Wort  ßed  gebraucht.  Im  Welsh 
entspricht  gwledd,  Gramm.  Gelt. 2  p.  53.  Beide  Wörter  gehen 
auf  eine  Grundform  *vledä  zurück,  in  der  die  Vocalisation  le 
dem  skr.  r  oder  l  entspricht.  Das  davon  abgeleitete  Adjectiv 
fledach  bedeutet  feslivus.  Da  in  diesem  Worte  unverkennbar 
die  Festfreude  ihren  Ausdruck  gefunden  hat;  liegt  es  nahe  an 
die  skr.  W'urzel  vrdh  zu  denken,  die  nicht  nur  »wachsen«, 
sondern  auch  »freudig  erregt  werden«  bedeutet. 


i)^  Einen  ersten  Artikel  dieser  Art  veröffentlichte  ich  in  Kuhn's  Ztschr. 
Band  XXVII.  S.  168  ff.  Ich  bemerke  bei  dieser  Gelegenheit  zu  Artikel^ 
daselbst,  dass  lit.  smakrä  schon  von  Bezzenberger  zu  skr.  QmoQru  gestellt 
worden  >\ar,  Bezz.  Beitr.  II,  S.  4  52. 

2)  Vgl.  fei  Martain,  festum  MarUni,  Sg.  70a  (Gr.  Celt.2  p.  XII). 


243     

2.  Altir.  toi  F.  Wille. 

An  einen  Zusammenhang  mit  lat.  volo,  so  dass  etwa  die 
Partikel  do  vor  *volä  getreten  wäre,  ist  nicht  zu  denken,  wir 
tnüssten  dann  *  töl  erwarten,  wie  aus  der  Verschmelzung  der 
Präpositionen  do  und  for  bekanntlich  tör-j  tuar-  entstanden  ist. 
Vielmehr  geht  ir.  toi  zunächst  auf  eine  Grundform  *tolä  zurück. 
Im  Irischen  ist  ursprüngliches  st  im  Anlaut  stets  durch  t  ver- 
treten. Ergänzen  wir  *tolä  zu  *stoläj  so  ergibt  sich  der  beste 
Zusammenhang  mit  gr.  azdlog  in  der  Bedeutung  von  Zug, 
Antrieb,  z.  B.  in  8xwg  ikd-ouv  ^TtaQTirjriujv  üvdQeg  eire  ldl(fi 
atöXiffäxB  drjiioalfißy  Herod.  V  63.  Das  Verbum  atellio  sen- 
den, rüsten,  nähert  sich  im  Medium  dem  Begriff  des  Wollens, 
z.B.  in  vavrai  atilXovrav  tcivbIv  xw/tag  Eur.  Troad.  \Si. 
Besonders  genau  entspricht  dem.  ir.  toi  das  gr.  -  ovolrj  in  i/rt- 
OTolifl  Auftrag,  Befehl. 

3.  Altir.  trögj  trüag  elend,  unglücklich. 

Der  Geschichtsschreiber  Trogus  Pompeius  stammte  aus 
einer  gallischen  Familie.  Sein  Name  ist  identisch  mit  dem  oben 
genannten  irischen  Adjectiv,  im  Welsh  entspricht  tru,  Gramm« 
Gelt.  ^  p.  144.  Ergänzt  man  auch  hier  im  Anlaut  ein  s,  so 
ergibt  sich  eine  Grundform  *strougos  oder  *streugos,  wie  kotfcög 
oder  wie  levxög  gebildet,  und  diese  stellt  sich  vortrefflich  zu 
dem  homerischep  Verbum  OTQeiyea-d'ai  aufgerieben  werden, 
hinschmachten,  z.  B.  Od.  XII  354. 

ßoijXofjL  Sjta^  rcqog  Tcvfjia  xavii)v  &nh  Svfibv  dkioaai 

4.  Altir.  mrath  n.  Betrug,  Verrath. 

Im  Mittelalter  tritt  dafür  die  Form  brath  ein,  im  Welsh 
entspricht  brad  »treachery«.  Auf  dem  griechischen  Gebiet  ist 
schon  in  den  ältesten  Quellen  anlautendes  mr  zu  ßQ  geworden 
ißQOTÖg),  wenn  ein  Vocal  vorausgeht  ist  das  vermittelnde  ^ßQ 
bewahrt.  Als  Grundform  für  altir.  mrath  ergibt  sich  *mraia-m. 
Ich  vermuthe,  dass  dieses  Wort  zu  gr.  afxaQzdyw  verfehlen, 
fehlen,  Aor.  fjftßQOTe,  afiagrla  Fehler,  Sünde  gehört.  Der 
celtischen  Grundform  *mrata  kommt  am  nächsten  das  afiaQto^ 
in:  ^lav  afiaQToeTtig y   ßovydie,  Ttolov  %Bt7teg  II.   XIII  824. 


244     

Der  Spiritus  asper  io  diesen  griechischen  Wörtern  scheint  un- 
organisch zu  sein,  jedenfalls  hat  ihn  Ij^ßgote  nicht.  Das  erste 
a  von  afj,aQTO'  aber  ist  einer  jener  protbetischen  Vocale  des 
Griechischen,  deren  Natur  immernoch  nicht  ganz  aufgeklairt  ist. 
Ich  glaube,  dass  viele  derselben  nicht  vorgeschlagen,  sondern 
letzter  Rest  einer  vollsten  Wurzelgestalt  sind. 

5.  Ir.  eblim  ich  erziehe. 

Ein  merkwürdiges  Verbum,  dessen  Wurzel  zweisilbig  zu 
sein  scheint.  Ausserdem  PrKsens  sind  Perfect  und  Futur  belegt. 
s.  mein  Wtb.  Das  Präsens  lautete  vielleicht  in  der  Grundform 
*ebalidj  wenn  nSmllch  die  3.  Sg.  eblai  als  eine  Form  der  irischen 
t-Classe  angesehen  werden  darf.  Vielleicht  findet  hier  das  gr. 
itpiXXto  vermehren,  vergrössern,  eine  Anknüpfung. 

6.  Altir.  ret  M.  Sache. 

Nach  dem  Gen.  Sg.  reto  zu  urtheilen  geht  dieses  viel- 
gebrauchte Wort  auf  eine  Grundform  ^rantu-^s  zurück.  Es  ist 
ein  Seitenstück  zu  altir.  ät  M.  Eifer,  Eifersucht,  Gen.  Sg.  eoilt, 
das  den  irischen  Lautgesetzen  entsprechend  vom  ein  j  verloren 
hat,  und  als  dessen  Grundform  *janta^8  anzusetzen  ist.  Das 
Adjectiv  Stmar  eifersüchtig.  Gl.  zu  zelotypus,  hat  schon  Stokes 
Ir.  Gl.  635  mit  dem  gallischen  Eigennamen  lantumarus  identi- 
ficirt,  dessen  erster  Theil  wohl  für  lanto-  steht,  wenn  nicht  auch 
hier  ein  Stamm  auf  u  vorliegt.  Wie  nun  schon  Stokes  dieses 
celiische  ^jantasmiiskr.  yatnas^  Anstrengung,  Eifer,  zusammen- 
gestellt hat  (Bqkz.  Beitr.  XI  HO),  so  entspricht  jenes  oeltische 
*rantus  dem  skr.  ratnam  Habe,  Gut,  Kleinod.  Ir.  r^t  bedeutet 
Sache  im  Allgemeinen,  wie  tat.  res  dem  skr.  rayis  und  räs^ 
Besitz,  Habe,  Kostbarkeit,  gegenüber.  Den  Nasal  inx  Innern  der 
Wurzelsilbe  im  Verein  mit  dem  Latein  gegenüber  einem  n  hinter 
der  Wurzelsilbe  im  Sanskrit  zeigt  das  Irische  auch  in  band 
Fasssohle,  lat.  fundus,  gegenüber  skr.  budhnas^  Grundlage. 

7.  Altir.  cluche  Spiel. 

Dieses  Wort  wird  von  den  Spielen  bei  den  Festen  der  alten 
Iren  gebraucht,  seien  es  Kampfspiele  oder  Spiele  nach  Art  der 
Jongleurs.    Es  entspricht  dem  lat.  ludus  und  Joeus.    Die  vor- 


245     '. 

historische  Grundform  des  Stainines  m\xs8*clocia  gelautet  haben. 
Wir  haben  hier  den  schönsten  Anschluss  an  got.  hlcAjan  lachen 
(altsdchs.  3.  Plur.  Praet.  hlögun,  Hei.).  Lachen,  Scherz,  Spiel 
sind  Vorstellungen,  die  in*  einander  übergehen,  es  sei  nur  an 
das  Verhältniss  von  franz.  jeu  zu  lat.  jocus  erinnert.  Fick 
Wtb.  III  87  stellte  got.  hlahjan  zu  gr.  Klwaaw  und  zu  skr. 
ikark,  karkati  lachen«.  Letzteres  ist  eine  sogenannte  Sräuta- 
Wurzel,  d.  h.  eine  Wurzel,  die  nur  zum  Zwecke  einer  Etymologie 
von  den  Grammatikern  angeführt  wird,  vgl.  Westergaard, 
Rad.  p.  333  ^karka  häse.  Ridere.  karkata^^karka^ahn;  für  kar- 
kaiah  wird  sie  z.  B.  Unädis.  IV  81  angeführt.  Gegen  xZaiaacci, 
das  auch  mit  lat.  ^bct'o  verbunden  wird,  ist  nichts  einzuwenden, 
nur  dass  ir.  cluche  und  got.  hlahjan  auch  der  Bedeutung  nach 
genauer  zusammenstimmen. 

8.  Lat.  lüdus  Spiel. 

« 

Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  meine  Vermuthung  über 
den  Ursprung  von  lat.  lüdos  äussern,  altlat.  loidos,  loedos^  ludos, 
Corssen  P  708.  Fick  WHb.  I  754  stimmt  der  Vermuthung 
Bugge's,  loidere  stehe  für  *loigdere  und  habe  Beziehung  zu  gr. 
ileU^Uy  nicht  unbedingt  zu.  Meines  Wissens  ist  es  noch  nicht 
versucht  worden,  was  herauskommt,  wenn  man  das  anlautende 
l  auf  ursprüngliches  d  zurückführt.  Lat.  levir  entspricht  be- 
kanntlieh dem  skr.  devara,  devar,  und  dieses  haben  die  indi- 
schen Etymologen  von  div,  dlvyati  abgeleitet,  s.  Unädis.  11  100. 
Mit  dieser  Sanskritwurzel ,  die  ein  gewöhnliches  Verbum  für 
»spielen«  ist,  vermag  ich  lat.  ^/oi'dere,  loidos  in  einer  befriedi- 
genden Weise  lautgesetzlich  nicht  zu  vermitteln.  Setzen  wir 
aber  ein  ursprüngliches  *doidos  an,  so  würde  sich  dieses,  wie 
mir  scheint,  sehr  gut  zu  altnord.  teitr  froh,  teiti  F.  Freude,  ahd. 
Zeil  zart,  anmuthig,  angenehm,  stellen  lassen,  denn  das  ger- 
manische Adjectiv  lässt  gleichfalls  einen  Stamm  *daida  oder 
^doido  erschliessen.  Im  ferneren  Hintergrunde  könnte  sehr  wohl 
skr.  didt  glänzen,  scheinen,  stehen,  wozu  Fick  III  445  die 
deutschen  Wörter  stellt. 

9.  Altir.  dar  M.  Tafel,  Brett. 

Die  Zusammenstellung  dieses  Wortes  mit  gr.  x^^^og,  dor. 
tXa(f{kQ  liegt  so  nahe,  dass  sie  gewiss  auch  schon  von  Andern 


246     

vorgenommen  worden  ist,  aber  sie  fehlt  noch  in  Curtius'  Grund- 
Zügen,  ebenso  bei  Stokes,  Beiträge  YlII  351  ff.  Man  muss  auch 
für  das  griechische  Wort  von  der  Bedeutung  j» Täfelchen  a  aus- 
gehen, aber  schon  bei  Homer  ist  es  speciell  das  Loostäfelchen, 
das  Loos,  und  an  diesen)  Begriff  hat  sich  die  inhaltsreiche  Ge- 
schichte dieses  griechischen  Wortes  weiter  angeknüpft.  Das 
Irische  besitzt  in  cUrechj  dem  entlehnten  lat.  dericus  einen 
Abkömmling  von  gr.  ulfjQog,  der  allerdings  nicht  mehr  zu  dem 
einheimischen  Worte  dar  passen  will.  Dieses  bezeichnet  über- 
haupt alles  Flache,  Ebene,  aber  ich  würde  nicht  mit  Stokes, 
Index  zum  Saltair  na  Rann,  dar  geradezu  in  der  Bedeutung 
»a  piain«  ansetzen:  aus  Gompositis  wie  ddr-ma^  (Tafelebene) 
folgt  dies  nicht.  Auch  im  Welsh  bezeichnet  clawr  ursprünglich 
nur  tabula,  s.  Gramm.  Gelt.  2  p.  94.   Stamm  *clära  oder  *düro. 

10.  Ir.  dam  Gefolgschaft,  Schaar. 

Dieses  Wort,  das  Schaar  im  Allgemeinen  bedeutet,  aber 
besonders  von  der  Gefolgschaft  eines  Königs  gebraucht  wird,  ist 
das  einzige  Wort,  das  mit  dem  wichtigen  griechischen  Worte 
öfjfiog,  dorisch  däfiog  verglichen  werden  kann,  wie  auch  Stokes 
gesehen  hat.  Auch  diese  Zusammenstellung  fehlt  noch  in 
Curtius'  Grundzügen.  Stamm  von  dam  ist  *däma  oder  *dämOj 
wie  es  scheint  ursprünglich  Neutrum. 

« 

H.  Ir.  sieg  F.  Speer. 

Grundform  des  Wortes  ist  *slegä,  mit  le  entsprechend  dem 
skr.  r  oder  f.  Unverkennbar  gehört  es  zu  skr.  srj,  srjati 
schleudern. 

12.   Altir.  rand  F.  Theil. 

Welsh  rhan  Theil,  in  den  Luxemburger  Glossen  rannou 
partimonia,  Gr.  Gelt.  ^  1064,  Rev.  Gelt.  I  363.  Zusammenhang 
mit  lat.  rapere  oder  lat.  rädere^  wie  am  letztgenannten  Orte 
vermuthet  wird,  ist  sehr  unwahrscheinlich.  Als  Grundform 
ergibt  sich  *randä  oder  '^'randhä.  Wir  müssen  uns  für  das 
letztere  entscheiden,  denn  das  Wort  gehört  zu  der  vedischen 
Wurzel  randhj  Präs.  randhayati  »überantworten,  ausliefern», 
in  intransitiven  Formen  mit  der  Bedeutung    »in  die  Gewalt 


247     

Jemandes  gerathen«.  Rigv.  1  50,  43  veranschaulicht  den  ge- 
wöhnlichen Gebrauch  derselben :  üd  agäd  aydm  ädityö  vi^vena 
sdhasä  Sdhd  \  dvishdntam  mdhyatii  randhdyan  mö  ahdm  dvishatS 
radham  »Aufgegangen  ist  dieser  Sonnengott  mit  aller  seiner 
Kraft,  den  Feind  mir  überliefernd,  nicht  will  ich  dem  Feinde 
in  die  Hände  gerathena.  Dass  altir.  rand  etymologisch  das  in 
die  Gewalt  gegebene  oder  überantwortete  Stück  bezeichne,  ist 
gewiss  keine  starke  Zumuthung  an  den  Glauben.  Das  Verbum 
rannaim,  ich  theite,  ist  nicht  das  vedische  randhayati,  sondern 
Denominativ  von  ir.  rann. 

y  13.  Altir.  dair  bespringen. 

Auf  dieses  Yerbum  dair  ^inire  vaccam  vel  ovem'  hat  schon 
Stokes,  Beitr.  z.  Vergl.  Sprachf.  VIII  S.  329  aufmerksam  gemacht. 
Der  Infinitiv  findet  sich  im  Täin  b^  Aingen  (im  Gelben  Buch  von 
Lecan) :  iarna  dair  don  Dünn  Chuailngey  nachdem  sie  der  Donn 
Cuailnge  (ein  berühmter  Stier)  besprungen  hatte.  Von  dem- 
selben Stier  heisst  es  im  Buch  von  Leinster,  Facs.  p.  69  a,  lin. 
34:  cöica  samaisce  no  daired  cach  Idij  fünzig  Kühe  pflegte  er 
jeden  Tag  zu  bespringen.  Diese  Form  des  Präs.  sec.  scheint  auf 
ein  Präsens  dairim,  nach  der  III.  Series,  hinzuweisen.  Das 
T-präteritum  dart  findet  sich  im  Täin  bö  Regamna:  con-dor-ro- 
dart  in  Dub  Cuailnge  lim,  so  dass  sie  der  Dub  Cuailnge  durch  mich 
besprang.  Vgl.  auch  bei  O'Glery:  dart  .i.  dair  (das  Länge- 
zeichen ist  wohl  nicht  berechtigt)  gur  dhart  hhoin  .t .  go  n-dearna 
bö  do  dhäirj  so  dass  er  eine  Kuh  bespringen  Hess  (?) .  Wahr- 
scheinlich hängt  auch  die  Bezeichnung  dartaid  für  eine  junge 
Kuh  mit  diesem  Verbum  zusammen.  Stokes  stellte  dasselbe  zu 
gr.  dag&iva},  indem  er  an  den  deutschen  Ausdruck  »beschla- 
fena  erinnert.  Allein  bei  Thieren  wäre  dies  ein  sehr  unpassender 
Ausdruck.  Vielmehr  haben  wir  hier  das  griechische  'S'ÖQWfiai, 
&Q<l}ax(Oj  das  in  gleichem  Sinne  gebraucht  wird,  heranzuziehen, 
nebst  d'OQÖg  und  d-o^ij  (der  männliche  Saame j .  Das  Celtische 
hat  auch  mit  dem  Griechischen  sehr  viele  besondere  Berührungen. 


4886.  17 


Protector  der  Königlich  Sächsischen  Gesellschaft 

der  Wissenschaften 

SEINE  MAJESTÄT  DER  KÖNIG. 


Ehrenmitglied. 

Seine  Excellenz  der  Staatsminister  des  Cultus  und  öffentlichen 
Unterrichts  Carl  Friedrich  von  Gerber. 


Ordentliche  einheimische  Mitglieder  der  philologisch- 
historischen Glasse. 

Geheimer  Hofrath  Friedrich  Zarncke  in  Leipzig,    Secretär  der 
philol.-histor.  Classe  bis  Ende  des  Jahres  4888. 

Professor  Ado^  Ebert  in  Leipzig,  stellvertretender  Secretär  der 
philol.-histor.  Glasse  bis  Ende  des  Jahres  4888. 

Wirkl.  Geheimer  Rath  Otto  Bdhtlingk  in  Leipzig. 

Professor  Berthold  Delbrück  in  Jena. 

Georg  Ebers  in  Leipzig. 

Alfred  Fleckeisen  in  Dresden. 

Geheimer  Rath  Heinrich  Leberecht  Fleischer  in  Leipzig. 

Professor  Hans  Georg  Conon  von  der  Gabelentz  in  Leipzig. 
Gustav  Hartenstein  in  Jena. 

1886. 


II     

Hofrath  Max  Heinze  in  Leipzig. 

Professor  Friedrich  Otto  Hullsch  in  Dresden. 

Oberbibliothekar  Reinhold  Köhler  in  Weimar. 

Geheimer  Hofrath  Christoph  Ludolf  Ehrenfried  Krehl  in  Leipzig. 

Professor  August  Leskien  in  Leipzig. 

Hermann  Lipsius  in  Leipzig. 

Wilhelm  Maurenbrecher  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrath  Johannes  Adolph  Overbeck  in  Leipzig. 

Professor  Friedrich  Ratzel  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrath  Otto  Ribbeck  in  Leipzig. 

[Professor  Erwin  Rohde  in  Leipzig,  gewählt  am  2.  Mai  1886, 

nach  Heidelberg  beinifen  Michaelis  1886.] 
Geheimer  Rath  Wilhelm  Röscher  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrath  Anton  Springer  in  Leipzig. 

Johann  Ernst  Otto  Stobbe  in  Leipzig. 

Georg  Voigt  in  Leipzig. 

Professor  Moritz  Voigt  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrath  Gurt  Wachsmuth  in  Leipzig. 

Professor  Ernst  Windisch  in  Leipzig. 


Frühere  ordentliche  einheimische,  gegenwärtig  auswärtige 
Mitglieder  der  philologisch-historischen  Glasse. 

Professor  Hermann  Alfred  von  Gutschmid  in  Tübingen. 

Theodor  Mommsen  in  Berlin. 

Geheimer  Hofrath  Erwin  Rohde  in  Heidelberg. 
Geheimer  Regierungsrath  Hermann  Sauppe  in  GOttingen. 
Kirchenrath  Eberhard  Schröder  in  Berlin. 


Ordentliche  einheimische   Mitglieder  der  mathematisch- 
physischen Glasse. 

Geheimer  Hofrath  Carl  Ludwig  in  Leipzig,  Secrelär  der  mathem.- 
phys.  Glasse  bis  Ende  des  Jahres  1887.. 

Professor  Adolph  Mayer  in  Leipzig,  stellvertretender  Secretär 
der  mathem.-phys.  Glasse  bis  Ende  des  Jahres  1887. 

Professor  Rudolf  Böhm  in  Leipzigs 

Christian  Wilhelm  Braune  in  Leipzig. 


III    

Professor  Heinrich  Bruns  in  Leipzig. 
Oberbergrath  Hermann  Credne^*  in  Leipzig. 
Oebeimer  Ralh  Moritz  Wilhelm  Drobisch  in  Leipzig. 
Professor  Gustav  Theodor  Pechner  in  Leipzig. 

Paul  Flechsig  in  Leipzig. 

<jeheimer  Rath  Wilhelm  Gottlieb  Hankel  in  Leipzig. 
Professor  Axel  Harnack  in  Dresden. 

Wilhelm  His  in  Leipzig. 

Johann  August  Ludwig  Wilhelm  Knop  in  Leipzig. 

-Geheimer  Hofratb  Rudolph  Leuckart  in  Leipzig. 
Professor  Sophus  Lie  in  Leipzig. 

Carl  Neumann  in  Leipzig. 

Wilhelm  Scheibner  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrath  Aitgust  Schenk  in  Leipzig. 
Geheimer  Ratb  Oskar  Schlömilch  in  Dresden. 
Professor  Johannes  Thomae  in  Jena. 
Gebeimer  Hofratb  August  Töpler  in  Dresden. 

Gustav  Wiedemann  in  Leipzig. 

Professor  Johannes  Wislicenus  in  Leipzig. 

Wilhelm  Wundt  in  Leipzig. 

Geheimer  Ratb  Gustav  Anton  Zeuner  in  Dresden. 
Geheimer  Bergrath  Ferdinand  Zirkel  in  Leipzig. 


Ausserordentliche  Mitglieder  der  niathemalisch-physischea 

Classe. 

Professor  Edmund  Drechsel  in  Leipzig. 


Frühere  ordentliche  einheimische,  gegenwartig  auswärtige 
Mitglieder  der  mathematisch-physischea  Classe. 

Professor  Heinrich  Richard  Baltzer  in  Giessen. 
Geheimer  Hofratb  Carl  Gegenbaur  in  Heidelberg. 
Professor  Felix  Klein  in  Göttingen. 

Adalbert  Krüger  in  KieL 

Ferdinand  Freiherr  von  Richthofen  in  Berlin. 

Geheimer  Hofratb  Wilhelm  Weber  in  Göttingen. 


Verzeichniss 


der  bei  der  Königl.  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissen^ 
Schäften  im  Jahre  1886  eingegangenen  Schriften. 


i .  Von  gelehrten  Gesellschaften,  Universitäten  und  öffentlicbei> 
Behörden  herausgegebene  und  periodische  Schriften. 

Deutschland. 

Abhandlungen  der  Kgl.  Akademie  d.Wissensch.  zu  Berlin.  Aus d.J. 4883. 
Berlin  4  886. 

Sitzungsberichte  der  König).  Preuss.  Akad.  d.  Wisseosch.  zu  Berlin.  1883, 
No.  40—52.  1886,  No.  1—39.  Berlin  1886. 

Politische  Correspondenz  Friedrichs  d.  Gr.  Bd.  14.  Berlin  1886. 

Richter,  Otto,  lieber  antike  Steinmetzzeichen.  45.  Progr.  z.  Winckelmanns- 
feste  der  Arcbaeologi sehen  Gesellschaft  zu  Berlin.  Berlin  1885. 

Hülsen,  Ch.,  Das  Seplizonium  des  Septimius  Severus.  46.  Progr.  z.Winckel- 
mannsfeste  d.  Archaeolog.  Gesellschaft  zu  Berlin.  Berlin  4886. 

Berichte  der  deutschen  chemischen  Gesellschaft  zu  Berlin.  Jahrg.  XVill, 
No.  48.  49.  Jahrg.  XIX,  No.  4  —  47.  Berlin  4885.  86. 

Dobbert,  Ed.,  Die  Kunstgeschichte  als  Wissenschaft  u.  Lehrgegenstand.  Rede 
in  der  Aula  der  Königl.  Technischen  Hochschule  zu  Berlin  am 
24.  März  4  886  g^alten.  Berlin  4  886. 

Jahrbücher  des  Vereins  von  Alterlhumsfreunden  im  Rheinlande.  H.78-8t. 
Bonn  4  884—86. 

Veith,  C.  von,  Das  römische  Köln.  Nebst  einem  Plane  der  röm.  Stadt  Im 
Auftr.  des  Vorstandes  des  Vereins  v.  Alterthumsfr.  im  Rheinl.  ver- 
fassl.  Festprogramm  zu  Winckelmanns  Geburtstagsfeier.  Bonn488S. 

Dreiundsechzigster  Jahresbericht  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterlän- 
dische Cultur.  Enthält  den  Generalbericht  über  die  Arbeiten  and 
Veränderungen  der  Gesellschaft  im  J.  4885.  Breslau  4886.  Nebst 
Ergänzungsheft:  Stenzel,  K.  G.,  Rhizodendron  Oppoliense  Göpp. 
Breslau  4  886. 

Schriften  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Danzig.  N.  F.  Bd.  6,  U.  9- 
Danzig  4886. 

Göppert,  H,  R,,  u.  A,  Menge,  Die  Flora  des  Bernsteins  u.  ihre  Beziehungen 
zur  Flora  der  Tertiörformation  u.  der  Gegenwart.  Fortgesetzt  von 
H.  Conwentz.  Mit  Unterstütz,  d.  Westpreuss.  Provinzial-Landtafzs 
herausg.  von  der  nalurforschenden  Gesellschaft  zu  Danzig.  Bd.  2. 
Danzig  4  886. 


VII      

Förstemann,  E.j  Erläuterungen  zur  Mayahandscbrift  der  Königl.  öflfenU. 
Bibliothek  zu  Dresden.  Herausgeg.  auf  Veranlassung  der  General- 
Direction  der  Königl.  Sammlungen  f.  Kunst  u.  Wissenschaft.  Dresden 

Zeitschrift  des  k.  sächsischen  statistischen  Bureaus.  Aedig.  v.  V«  Böhmert. 
Jahrg.  34  (4885),  H.  4 — K  u.  Beilage:  Zeuner,  G.,  Zur  mathematischen 
Statistik.  Dresden  4  886.  Jahrg.  32  (4886),  Suppiementheft.  Dresden 
4886. 

Jahresbericht  der  Gesellschaft  für  Natur- u.  Heilkunde  in  Dresden.  Sitzungs- 
periode 4  885 — 86.  Dresden  4886. 

Sitzungsberichte  und  Abhandlungen  der  naturwissenschaftl.  Gesellschaft 

Isis  in  Dresden.    Jahrg.  4885.    Jahrg.  4  886,  Jan — Juni.    Dresden 

4886. 
Kgl.  Sächsisches  Polytechnikum  zu  Dresden.  Ergänzung  zumProgramm  f.d. 

Studienjahr  4  885/86,   enthalt,  d.  Verzeichniss  d.  Vorlesungen  f.  d. 

Sommersem.  4886.  —  Programm  f.  d.  Studienjahr,  bez.  Wintersem. 

4886/87. 

Codex  diplomaticus  Saxoniae  Regtae.  Im  Auftrag  des  Königl.  Sachs.  Staats- 
ministeriums heraasg.  von  0.  Posse  u.  H.  Ermisch.  II.  Haupttheil. 
Bd.  4  3  (Urkunden buch  der  Stadt  Freiberg  in  Sachsen.  Herausg.  von 
H.  Ermisch.  Bd.  S).  Leipzig  4  886. 

Sitzungsberichte  der  physikal.-medicinischen  Societät  in  Erlangen.  Heft 
47.  Erlangen  4885. 

Jahresbericht  des  physikalischen  Vereins  zu  Frankfurt  a/M.  f.  d.  Rech- 
nungsjahr 4  884>-85.  Frankfurt  a/M.  4  886. 

Monatliche  Mittheilungen  aus  dem  Gesammtgebiete  der  Naturwissenschaf- 
ten. Organ  des  Naturwissenschaftl.  Vereins  des  Reg.-Bezirks  Frank- 
furt. Hsg.  V.  E.  Huth.  Jahrg.  4,  No.  4.  Frankfurt  a/0.  4886. 

Jahrbuch  für  d.  Berg-  und  Hüttenwesen  im  Königreich  Sachsen  auf  d.  Jahr 
4886.  Freiberg  4886. 

24.  Bericht  der  Oberhessischen  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde. 
Giessen  4886. 

Neues  Lausitzisches  Magazin.  Im  Auftrag  d.  Oberlausitz.  Gesellsch.  d. 
Wissensch.  herausgeg.  von  Prof.  Dr.  Schönwälder.  Bd.  64,  H.  2. 
Görlitz  4885. 

Abhandlungen  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  G ötti  n  ge  n. 
Bd.  32,  aus  d.  J.  4  885.  Göttingen  4885. 

Nachrichten  von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  und  der 
Georg- Augusts-Universität  aus  d.  J.  4885.  Göttingen  4885. 

Bericht  über  die  im  Jahr  4885  den  Herzog].  Sammlungen  zugegangenen 
Geschenke.  Gotha  4886. 

Nova  Acta  Academiae  Carolinae  Leopoldinae  Caesareae  German.  naturae 
curiosorum.  T.  47.  48.  Halis  4885.  86. 

Leopoldina.  Amtl.  Organ  d..  kals.  Leopold! nisch-Carolinisch-deutschenAkad. 
der  Naturforscher.  H.XXI,No.  24— 24.  XXIl.No.  4— 20.  Halle4886. 

Zeitschrift  für  Naturwissenschaften.  Originalabhandlungen  u.  Berichte. 
Hrsg.  vom  Naturwiss.  Verein  f.  Sachsen  und  Thüringen  in  Halle. 
4.  Folge, -Bd.  4,  4885  (d.  ganzen  Reihe  58.  Bd.),  H.  5.  6.  Bd.  5,  4886 
(d.  ganzen  Reihe  59.  Bd.)>  H.  4-~ 3.  Halle  4885.  86. 

Verhandlungen  des  nnturhistor.-medicin.  Vereins  zu  Heidelberg.  N.  F. 
Bd.  8,  H.  5.  Heidelberg  4  886. 


Till     

Festschrift  zur  Feier  des  SOOjäbrigen  Bestehens  der  Ruperto-Carolina 
dargebr.  voo  d.  naturhistor.-medicin.  Verein  zu  Heidelberg    Heidel- 
berg «886. 

Veröffentlichungen  der  Grossberz.  Sternwarte  zu  Karlsruhe.  Hrsg.  von 
W.  Valentiner.  H.  2.  Beobachtungen  am  Meridiankreis.  Karisnihe 
4886. 

Chronik  der  Universität  zu  Kiel  f.  d.  J.  4884/85.    F.  d.  J.  «885/86;  Vcr- 
zeichniss  d.  Vorles.  Winter  «884/85,  Sommer  «885,  Winter  «885/86 
Sommer  «886;  Personal verz.  Sommer  «884,  Winter  «884/83.  BUss, 
Frdr.,  De  Phaethontis  Euripideoe  fragmentis  Claromontanis.    Den '. 
Die  socialen  Zustände  Athens  im  4.  Jhd.  v.  Chr.  Brockhaus,  Friedr,, 
Nikolaus  Falck.  Förster,  Rieh,,  De  Polemonis  Physiognomicis.  Ders.\ 
Die  klassische  Philologie  der  Gegenwart.    Ders.,  Lucian  in  der  Re- 
naissance.   Klostermann,  Äug,,  Die  Gottesfurcht  als  Hauptstück  der 
Weisheit.    WaUz,  Geo.,  Friedrich  Christoph  Dahlmann.    Weyer,  G 
D.  E.y  Heinrich  Ferdinand  Scherk.  —  S9  Dissertationen  v.  J.  «884''85 
78  Dissert.  v.  J.  «885/86.  '     ' 

Ergebnisse  der  Beobachtungsstationen  an  den  deutschen  Küsten  über  die 
physikalischen  Eigenschaften  der  Ostsee  u.  Nordsee  u.  die  Fischerei 
Jahrg.  «885,  H.  «— «t.  Berlin  «886. 

Schriften  der  physikal .-ökonomischen  Gesellschaft  zu  Königsberg.  Jahre 
26  («885).  Königsbeng  «886. 

Vierteljahrsschrift  der  astronom.  Gesellschaft.  Jahrg.  20,  H.  4.  Jahrg.  2« 
H.  «—4.  Leipzig  «886. 

Bomberg,  H,,  Genttherte  Oerter  der  Fixsterne,  von  welchen  in  den  Astronom. 
Nachrichten  Bd.  67  —  ««2  selbständige  Beol>achtungen  angeführt 
sind,  für  die  Epoche  «855  hergeleitet  u.  nach  d.  geraden  Aufsteig, 
geordnet.  Publication  der  astronomischen  Gesellschaft,  XVIII. 
Leipzig  «886. 

Sitzungsberichte  der  Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Leipzig.  Jahrg  «I 
(1884).   «2  ;«885).  Leipzig  «885.  86. 

Zeitschrift  des  Vereins  ftir  Lübeckische  Geschichte  u.  Alterthumskunde 
Bd.  5,  H.  «.  Lübeck  «886. 

Jahresbericht  u.  Abhandlungen  des  Naturwissenschaftl.  Vereins  in  Magde- 
burg. «885.  Magdeburg  « 886. 

Jahresbericht  der  Fürsten-  u.  LandesscbnIe  Meissen  vom  Juli  «885 — Juli 
«886.  Meissen  «886. 

Abhandlungen  der  historischen  Cl.  d.  k.  bayer.  Akad.  d.  Wissensch,  Bd. « 7 
(in  d.  Reihe  d.  Denkschr.  d.  58.  Bd.),  Abth.  3.  München  «886. 

Abhandlungen  d.  philosoph.-philoiog.  CL  der  k.  bayer.  Akad.  d.  Wissensch. 
Bd.  «7  ^in  d.  Reihe  d.  Denkschr.  d.  59.  Bd.),  Abth.  8.  München 
«886. 

Sitzungsberichte  der  mathem.-physikal.  Cl.  der  k.  bayer.  Akad.  d.Wiss. 
EU  München.  Jahrg.  «885,  H.  4.  Jahrg.«886,  H. «.  München «886.  — 
Inhaltsverzeichniss  f.  Jahrg.  «87« — 85.  München  «886. 

Sitzungsberichte  der  philos.-philol.  u.  histor.  Cl.  der  k.  bayer.  Akad.  d. 
Wiss.  zu  München.  Jahrg.  «885,  H.  4.  Jahrg.  «886,  H.  «.  2.  Mün- 
chen «886. —  Inhaltsverzeichniss  f.  Jahrg. «87 «—85.  München  «886. 

Siebenundzwanzigste  Plenarversammlung  der  histor.  Commission  bei  der  k. 
bayer.  Akad.  der  Wissensch.  Bericht  des  Secretariats.  München 
«886. 


IX      

Jahresbericht  der  naturhistorischeD  Gesellschaft  zu  Nürnberg.  4885 
(oebst  AbhaDdlungen,  Bd.  8,  Bogen  3).  Nürnberg  4886. 

Anzeiger  des  Germanischen  Nationalmuseums.  Bd.  4,  H.  2  (Jahrg.  4885). 
—  Mittheilungeo  aus  dem  Germanischen  Museum.  Bd.  4 ,  H.  2 
(Jahrg.  4885).  —  Katalog  der  im  Germanischen  Museum  befindlichen 
Gemälde.  Nürnberg  4885. 

Zeitschrift  der  historischen  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen.  Jahrg.  4, 
H.  8.  4.  Jahrg.  2,  H.  4.  2.  Posen  4  885.  86. 

Publica tionen  des  Astrophysikalischen  Observatoriums  zu  Potsdam. 
Bd.  5.  Potsdam  4886. 

Württembergische  Viertel jahrshefte  für  Landesgeschichte.  Hsg.  v.  d.  Kgl. 
Statist.  Landesamt.  Jahrg.  8  (4885),  H.  4 — 4.  Stuttgart  4885.  86. 

Jahrbücher  des  Nassauschen  Vereins  für  Naturkunde.  Jahrg.  38.  89. 
V^iesbaden4885.  86. 

Sitzungsberichte  der  physikal.-medicin.  Gesellschaft  in  Würzburg. 
Jahrg.  4885.  Würzburg  4888. 

Verbandlungen  der  physikal.-medicin.  Gesellschaft  in  Würzburg.  N.  F. 
Bd.  4  9.  Würzburg  4  886. 


Oesterreich-Üngarn. 

Viestnik  Hrvatskoga  arkeologiikoga  Druitva  [Agram].  Godina  VIII,  Br. 
4—4.    U  Zagrebu  4886. 

•Glasnik  Hrvatskoga  naravoslovnoga  Druitva.  God.  4,  Br.  4 — 3.    U  Zagrebu 
4886. 

Magyar  tndom.  Akad^miai  Almanach,  4886-re.  Budapest  4885. 

A  Magyar  tudom.  Akademie  Emldkbesz6dek.   Köt.  3,  Sz.  4.  2.    Budapest 
4885. 

A  Magyar  tudom.  Akadämia  Ert^sitöje.   Evfoly.  4  9  (4885),  Sz.  4.  2.    Buda- 
pest 4885. 
A  Magyar  tudom.  Akad^mia EvkOnyvei.  Köt.  4 7,  D.  4.2.  Budapest  4888.84. 
Väzlatok  a  Magyar  tudom.  Akadämia  4834—81.  Budapest  4  884. 

Mathematische  u.  naturwiss.  Berichte  aus  Ungarn.    Mit  Unterstützung  der 
Ungar.  Akad.d.  Wissenscb.  herausgeg.  Bd.  2.  3.  Budapest  4884.  85. 

llDgarische  Revue.  Mit  Unterst,  d.  Ungar.  Akad.  d.  Wiss.  herausgeg.  4  885, 
H.  4—7.  Budapest  d.  J. 

Ertekezösek  a  nyelv-6s  sz6p  tudomanyok  köröböl.  Kiadja  a  Magyar  tudom. 
Akadömia.  Köt.  42,  Sz.  4—5.  Budapest  4  884.  85. 

Archaeologiai  £rtesitö.  Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Uj  folyam,  Köt.  4 — 5, 
4.2.  Budapest  4884— 85. 

Mathematikai  €s  termöszettudomänyi  Ertesitö.    Kiadja  a  Magyar  tudom. 
Akad   Köt.  4.  2.  3,  4—5.  Budapest  4  882—85. 

Legtüneti  Eszleletek.   Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Köt.  4.  2.    Budapest 
4866.84. 

Nemzetgazdasägi  6s  Statist.  Evkönyv.  Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.    Ev- 
folyam  4.  2.  Budapest  4883.  84. 

Mathematikai  63  termöszettudomänyi  Közlemönyek.  Kiadja  a  Magyar  tudom. 
Akad.  Köt.  4  8.  49.  Budapest  4  883.  84. 


NyelvtudotDiinyi  Közlem^nyek.  Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Köt.  18, 
Füz.  4— 3.   49,  i.  Budapest  4883.  84. 

Codex  diplomaticus  Hungaricus  Andegavensis.  T.  4.  Budapest  4  884. 

Monumeota  comitialia  regni  Transsylvaniae.  T.  4  0.  Budapest  4884. 

Monumente  Hungariae  juridico-bistorica.  Corpus  statutorum  üungariae 
municipalium.  T^  4.  Budapest  4  885. 

Nyelveml^ktär.  R^gi  magyar  codexek.  Kiadja  a  Magyar  tudotn.  Akad.  Köt. 
4  4.  4i.  Budapest  4884. 

Epistolae  Pauli  lingua  hungarica  donatae.  Budapest  4883. 

Az  Jceresztyensegnec  Fondamentomirol.  4562.  Budapest  4  884. 

Abel,  J.,  A  Bärtfai  sz.-Egyed  temploma  Kdnyvtäränak  tört^nete.  Kiadja  a 
Magyar  tudom.  Akad.  Budapest  4  885. 

Lipp,  K,  A  Keszthelyi  sirmezök.   Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.   Budapest 

4884. 

Marczalif  H.,  Magyarorszäg  törtönete  II.  Jöszef  koräban.  Kiadja  a  Magyar 
tudom.  Akad.  KOt.  2.  Budapest  4  884. 

P^ch,  A.,  Also  Magyarorszäg  bänyamiveles^nek  tört^nete.  Kot.  4^  Kiadja  a 
Magyar  tudom.  Akad.  Budapest  4  884. 

Szahö,  K.,  R6gi  magyar  könyvtär.  Köt.  4.  2.  Budapest  4879.  85. 

Szilägyi,  5.,  Bethlen  Gabor  6s  a  sväd  diplomäczia.  Budapest  4882. 

Ssinnyei,  7.,  Hazai  6s  külföldi  folyöiratok  Magyar  tudomänyos  Repertö- 
riuma.  Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Osztöly  I :  Tört^nelem  6s  se- 
g6dtudomänyai.  Köt.  2,  4.  Budapest  4885. 

V^csey,  T.,  Aemilius  Papinianus  pälyäja.6s  müvei.  Kiadja  a  Magyar  tudom. 
Akad.  Budapest  4  884. 

Personalstand  u.  Ordnung  d.  öflentl.  Vorlesungen  an  der  k.  k.  Franz-Josefe- 
üniversitttt  zuCzernowitz  im  Sommer-Sem.  4886,  Winter-Sem. 
4  886/87. 

Beiträge  zur  Kunde  steiermärkischer  Geschlchtsquellen.  Herausgeg.  vom 
histor.  Vereine  für  Steiermark.  Jahrg.  2f.  Graz  4  886. 

Mittbeilungen  des  histor.  Vereines  für  Steiermark.  Heft  84^  Graz  4  886. 

Abhandlungen  der  k.  böhmischen  Gesellschaft d.  Wissenschaften.  S.Folge» 
Bd.  42,  V.  J.  4883/84.  Jubelband.  Prag  4885. 

Jahresbericht  der  k.  böhmischen  Gesellschaft  d.  Wissenschaften,  von  48S1 
83.  84.  85.  Prag  d.  J. 

Sitzungsberichte  der  k.  böhmischen  Gesellschaft  d.  Wissenschaften.  Jahrg. 
4  882.  83.  84.   Prag  4  883—85. 

Wegner,  G. ,  Generalregister  zu  d.  Schriften  der  k.  böhm.  Gesellschaft  d. 
Wissenschaften  4784  —  1884.  Prag  4884. 

Die  k.  böhmische  Gesellschaft  d,  Wissenschaften  4  784—4  884.  Verzeichniss 
der  Mitglieder.  Prag  4884. 

Kalousek,  /.,  Geschichte  der  k.  böhm.  Gesellschaft  d.  Wissenscb.,  sanimt 
einer  krit.  Uebcrsicht  ihrer  Publikationen  aus  d.  Bereiche  d.  Philo- 
sophie, Geschichte  u.  Philologie.  H.  4.  2.  Präg  4884.  85. 

Studnicka,  F.  J.,  Bericht  über  die  malhemat.  u.  natura  iss.  Publikationen 
der  k.  böhm.  Gesellschaft  d.  Wissensch.  während  ihres  hundert- 
jährigen Bestandes.  H.  4.2.  Prag  4  884.  85. 

Jahresbericht  der  Lese-  und  Redehalle  der  deutschen  Studenten  in  Prag. 
Vereinsj.  4  885/86  (37.  Jahrg.;.  Prag  1886. 


XI      

Magnelisohe  and  -meteorologische  Beobachtungen  an  der  k.  k.  Sternwarte 
zu  Prag  im  J.  4885.  Jahrg.  46.  Prag  4886.  — Astronomische  Beobach- 
toiigen,  entfa.  Originalzeicbnungen  des  Mondea.  Appendix  zum  45. 
Jahrg.  Prag  4  886. 

Personalstand  der  k.  k.  Deutschen  Carl-Ferdinands-*Universitöt  in  Prog  zu 
Anfang  d.  Studienjahres  4  88iS — 87. 

S8.  Jahresbericht  des  Vereins  f.  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen.  Für 
d.  Vereinsjahr  4  884—85.  Prag  4.885. 

Mittheilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen. 
Jahrg.  24,  No.  4 --4.  Prag  4  885.  86. 

Bulletino  di  archeologia  e  storia  dalmata.  Anno  8  (4  885),  No.  4  2.  Anno  & 
(4886),  No.  4— 44.  Spalato4886. 

Almanach  der  kaiserl.  Akad.d.  Wissenschaften  in  Wien.  Jahrg.  35  (4  885). 
36  (4886).  Wien  4  885.  86. 

Anzeiger  der  Kaiser!.  Akad.  d.  Wissensch.  in  Wien.  Math.-phvs.  Gl.  Jahrg. 
22  (4885),  No.  25—27.  Jahrg.  23  (4886),  No.  4—24. 

Archiv  für  Österreich.  Geschichte.  Herausg.  von  der  zur  Pflege  valerlönd. 
Geschichte  aufgestellten  Commission  der  kaiserl.  Akad.  d.Wissensch. 
Bd.  66,  4.  u.  2.  Hälfte.  Bd.  67,  4.  u.  2.  Hälfte.  Bd.  68,  4.  Hfilfte. 
Wien  4  884—86. 

Denkschriften  der  kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch.  Mathem.-naturw.  Gl.  Bd. 
48—50.  Wien  4  884.  85. 

Denkschriften  der  kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch.  Philos^-histor.  Gl.  Bd.  35. 
Wien  4885. 

Fontes  rerum  Austriacarom.  Oesterreich.  Geschichtsquellen,  heraus;;,  von 
der  histor.  Gommission  der  kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch.  Abth.  U. 
Diplomata  et  Acta.  Bd.  44.  Wien  4  885. 

Monumenia  conciliorom  generalium  geculi  XV.  Ediderunt  Gaes.  Academiae 
scientiarum  socii  delegati.  Goncilium  Basileense.  Scriptorum  T.  III, 
P.  4 .  Vindobonae  4  886. 

Feierliche  Sitzung  der  kaiserl.  Akademie  d.  Wissensch.  anlässlich  dos 
25jShrigen  Jubiläums  des  Hohen  Curatoriums  am  4  0.  März  4886. 
Wien  4886. 

Sitzungsberichte  der  kaiserl.  Akad.  d.  Wiss.  Mathem.-naturw.  Gl.  Bd.  89 
(4884),  Abth.  III,  Heft  3—5.  Bd.  90  (4884),  Abth.  I,  Heft  4—5. 
Abth.  II,  Heft  4—5.  Abth.  HI,  Heft  4—6.  Bd.  94  (4885),  Abth.  I, 
Heft  4—5.  Abth.  II,  Heft  4—5.  Abth.  HI,  Heft  4—5.  Bd.  92  (4885), 
Abth.  I,  Heft  4—5.  Abth.  II,  Heft  4— 5.  Abth.  JU,  Heft  i— 5.  Bd.  98 
(48&6),  Abth.  I,  Helft  4—8.  Abth.  II.  Heft  4.  2.  Wien  4884—86.  — 
Register  XI,  zu  Bd.  86-^90.  Wien  4  885. 

Sitzungsberichte  der  kaiserl.  Akad.d.  Wissensch.  Philos.-histor.Gl.  Bd.  4  07 
(4884),  Heft  4.  2.  Bd.  408  (4884),  Heft  4.  2.  Bd.  409  (4885),  Heft  4.  2. 
Bd.  440  (4885),  Heft  4.  2.  Bd.  444  (<885).  Heft  4.2.  Wien  4884—86. 
—  Register  XI,  zu  Bd.  404—4  40.  Wien  4886. 

Mittbeilungen  der  k.  k.  geographischen  Gesellschaft  in  Wien.  4885.  Bd.  28 
(N.-F.  iBd.  48). 'Wien  4885. 

Verhandlungen  der  k.  k.  zoologisch- botanischen  Gesellschaft  in  Wien. 
Jahrg.  4885  (Bd.  85),  II.  Halbjahr.  Jahrg.  4886  (Bd.  36),  I.  y.  IL 
Quartal.  Wien  4886.  —  Geschäftsordnung  der  k.  k/  zool.-botan.  Ge- 
sellschaft in  Wien. 


xn    

Annalen  des  k.  k.  naturbistonschen  Hofmuseums.  Bd.  4,  No.  4^4.  Wieo 
4886. 

Abhandlungen  der  k.  k.  geologiscben  Reichsanstalt.  Bd.  42,  No.  4— 3. 
Wien  4886. 

Jahrbuch  d.  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  Jahrg.  4885  (Bd.  35),  No.  4. 
Jahrg.  4886  (Bd.  36),  No.  4—8.  Wien  4885.  86. 

Verhandlungen  d.  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  Jahrg.  4885,  No.8— 48. 
Jahrg.  4886,  No.  4—42. 

Belgien. 

Annales  de  l'Acad^mie  d^archöologie  de  BeUique.  T.  88  (III.  S^r.  T.  8).  39. 
40.  Anvers  4882—86.  —  Bulletin  (IV.  S6r.  des  Annales),  No.  4—7. 
Anvers  4  885.  86. 

Annales  de  la  Soci6t6  entomologique  de  Belgique.  T.  29,  P.  2.  Braxelles 
4885. 

Extrait  des  Annales  de  la  Soci6td  mödico-chirurgicale  de  Liöge.  T.  24, 
4  885.  Compte-rendu  des  travaux  de  la  Society  pendant  Tannäe  4885, 
par  Schiffers.  Li^ge  4885. 

Dänemark. 

Oversigt  over  det  Kong.  Danske  Videnskabernefi  Selskabs  Forhandlinger  i 
aaret  4885,  No.  8.  4886.  No.  4.  2.  Kjebenhavn  d.  J. 

Det  Kong.  Danske  Videnskabernes  Selskabs  Skrifter.  Naturvid.  og  matbe- 
mat.  Afd.  6.  Rskke.  Bd.  2,  No.  8—4  4.  Bd.  3,  No.  2.  4.  Bd.  4,  No. 
4.2.  Kj0benhavn  4  885.  86. 

Skrifter  fra  Reformationstiden.  No.  2.  Cbrysostomus ,  Oluf,  Lameotatio 
ecclesiae.  Kirkens  klagemaal.  Paa  ny  udg.  af  H.  F.  Rerdam.  Kjebeo- 
havn  4886. 

England. 

Prooeedings.ofthe  Cambridge  Philosophical  Society.  Vol.  5,  P.  5.  Cam- 
bridge 4  886. 

The  scientific  Proceedings  of  the  R. Dublin  Society.  N.Ser.  Vol.  4, P. 7—9. 
Vol.  5,  P.  4.  2.  Dublin  4885.  86. 

The  scientific  Transactions  of  the  R.  Dublin  Society.  Ser.  U.  Vol.  3, 
No.  7—40.  Dublin  4885. 

Journal  of  the  R.  Geological  Society  of  Ireland.  Vol.  46  (N.  Ser.  Vol.  6}, 
P.  III.  4882—84.  Vol.  47,  P.  I.  4  884/88.  London  etc.  4886. 

Astronomical  Observations  made  at  the  R.  Observatory,  Edinburgh. 
Vol.  XV,  for  4  878  to  4  886,  containing  only  the  remainder  of  the  Star 
Catalogue,  Discussion,  and  Ephemeris,  for  4830  to  4890.  By  C. 
Plazzi  Smyth.  Edinburgh  4886. 

Proceedings  of  the  R.  Physical  Society.  Voh  9,  P.  4  (Session  4885—86). 
Edinburgh  4886. 

Proceedings  of  the  R.  Institution  of  Great  Britaln.  Vol.  XI,  P«  2  (No.  79). 
London  4886.  —  List  of  the  members,  4885.  London,  July  4885. 

Catalogue  of  the  Greek  coins  in  the  British  Museum.  WrGthf  W.,  Catalogue 
of  the  Greek  coins  of  Crete  and  the  Aegean  Islands.  Edit.  by  R.  St. 
Poole.  London  4886. 


XIII      

Proceedings  of  tbe  R.  Society  of  London.  Vol.  XXXIX,  No.  140--44.  Vol. 
XU,  No.  142—245.  Vol.  XLI,  No.  246.  47.  London  4886. 

Philosophical  Transactions  of  the  R.  Society  of  London.  For  the  year  4  885. 
Vol.  476,  P.  4.  2.  London  4886.  *-  The  R.  Society,  30.  Nov.  4885 
(List  of  tbe  members). 

Proceedings  of  tbe  London  Matbematical  Society.  Vol.  47,  No.  253—274. 
London  4886. 

Journal  of  tbe  R.  Microscopical  Society,  containing  its  Transactions  and 
Proceedings.  Ser.  IL  VoL  5,  P.  6».  Vol.  6,  P.  4—6.  London  4885.  86. 

Observations  of  the  International  Polar  Expeditions  14882— 83.  Fort  Rae. 
London  48S6. 

Report  on  the  scientific  results  of  the  exploring  voyage  of  H.  M.  S.  Cbal- 
lenger,  4878—76.  Zoology,  Vol.  4  4—4  6.  London  4  886. 

The  Electrician.  A  weekly  Journal  of  theoretic  and  applied  electricity  and 
«hemical  physics.  Vol.  47,  No.  3.  London  4886. 

Memoirs  of  the  Literary  and  Philosophical  Society  of  Manchester. 
111.  Ser.  Vol.  8.  London  4884. 

Proceedings  of  tbe  Literary  and  Philosophical  Society  of  Manchester.  Vol. 
23  iSess.  4883/84).  24  (Sess.  4884/85).  Manchester  4884.  85. 

Frankreich. 

M^moires  de  la  Soci6t6  des  sciences  physiques  et  naturelles  de  Bordeaux. 
III.  Sorte.  T.  2,  Gab.  4.  Avec  Append.  4.  2.  Paris  4884.  85. 

Bulletin  de  la  Sociötö  des  sciences  de  Nan c y  (ancienne  Soci^tä  des  sciences 
naturelles  de  Strasbourg).  Sör.  II.  T.  7,  Fase.  4  8.  Annöe  48  (4885). 
Paris  4  886. 

Travaux  et  M^moires  du  Bureau  international  des  poids  et  inesures,  publ. 
sous  l'autorit^  du  Comit^  international.  T.  5.  Pa  ris  4886. 

Comitä  international  des  poids  et  mesures.  Proc^-verbaux  des  s^ances  de 
4884.  4885.   Paris  4885.  86. 

Journal  de  TEcole  polytechnique,  publ.  p.  le  Conseil  d'instruction  de 
cet  ötablissement.  Cah.  55.  Paris  4  885. 

Catalogue  de  la  Bibliothäque  de  TEcole  polytechnique.  Paris  4884. 

Institut  de  France.  Cinquiäme  centenaire  de  l'üniversitö  de  Heidelberg,  le 
2.  aoüt  4886  (Discours  prononce  p.  M.  Jules  Zeller).  Paris  4  886. 

Mission  scientifique  du  Gap  Hörn,  48S2— 83.  T.  2.  M6t6oroIogie,  par  J. 
Lepbay.  I'aris  4885. 

Bulletin  de  la  Soci6td  mathömatique  de  France.  T.  43,  No.  6.  T.  4  4» 
No.  4—4.  Pari$4885.  86. 

Holland  und  Luxemburg. 

Jaarboek  van  de  Kon.  Akad.  v.  Wetensch.  gevestigd  te  Amsterdam» 
voor  4884. 

Register  op  den  Gatalogus  van  de  Boekerij  der  Kon.  Akad.  v.  Wetensch. 
gevestigd  te  Amsterdam.  Amsterdam  4  885. 

Verhandelingen  d.  Kon.  Akad.  v.  Welenschappen.  Afdeel.  Letterkunde. 
DeelXVi:  Amsterdam  4886.  —  Afdeel.  Natourkunde.  Deel  XXIV. 
Amsterdam  4886. 


xiy    

Verslagon  en  Mededeelingen  der  Kon.  Akad.  v.  Wetensch.  Afdeel.  L«tler- 
kunde.  III.  Reeks^  Deel  S.  Amsterdam  4885.  —  Afdeel.Natuaitande. 
III.  Reeks,  Deel  4.  Amsterdam  4  885. 

Venite  ad  me.  Ad  Vergiltum.  De  Alarico.  Carmioa  in  certamlne  poet.  io- 
dicto  ab  Acad.  Reg.  disciplinarum  Neerlandica  praemio  et  lande 
ornata.  Amstelod.  4885. 

Annales  de  TEcoIe  Polytechnique  de  Delft.  T.  4  (4885),  Livr.  8.  4.  4886, 
Livr.  4.  2.  Leide  4  885.  86. 

Archives  nöerlandaises  des  sciences  exactes  et  naturelles,  publites  pir 
la  Soci6te  HoUandaise  des  sciences  ä  Harlem.  T.  20,  Livr.  4.  o. 
T.  24,  Livr.  4.  Harlem  4  886. 

Liste  alphabötique  de  la  correspondance  de  Cbristiaan  Uuygens,  qui  sera 
publice  p.  la  Sociötö  HoUandaise  des  sciences  ä  Harlem.  Harlem 
4886. 

Archives  du  Mus^e  Teyler.  S6r.  II.  Vol.  2,  P.  8.  4.  Harlem  4885.  86. 

Fondation  Teyler.  Catalogue  de  la  biblioth^ue,  dress6  p.  C.  Ekama.  Livr. 
4—4.  Harlem  4  885.  86. 

Handelingen  en  Mededeelingen  van  de  Maatscbappg  der  Nederlandsche 
Letterkunde  te  Leiden  over  bet  jaar  4885.  Leiden  4885. 

Levensberigten  der  afgestorvene  roedeleden  van  de  Maatschappij  der  Neder- 
landsche Letterkunde  te  Leiden.  Bijlage  tot  de  Handelingen  van  4885. 
Leiden  4  885. 

Nederlandsch  kruidkundig  Archief.  Verslagen  en  Mededeelingen  der 
Nederlandsche  botanische  Vereeniging.  Ser.  IL  Deel-  4 ,  St.  3. 
Nijmegen  4885. 

Aanteekeningen  van  bet  verhandelde  in  de  seclie-vergaderingen  van  bet 
Provinc.  Utrechtsche  Genootschap  van  kunsten  en  weteDSChappeo, 
ter  gelegenheid  van  de  algem.  vergaderingen  gebenden  d.  24.  Juni 
4884;  d.  30.  Juni  4885.  Utrecht  4884.  85. 

Questions  mises  au  concours  par  la  Sociötö  des  arts  et  des  sciences 
dtablieä  Utrecht,  4886. 

Verslag  van  bet  verhandelde  in  de  algem.  vergader.  van  bet  Provinc.  Ut- 
rechtsche Genootschap  van  kunsten  en  wetensch. ,  geboudeo  d. 
30.  Juni  4885.  Utrecht  4885. 

Hubrecht,  A.  A.  W. ,  Proeve  eener  ontwikkelingsgeschiedenis  van  Lineas 
obscurus  Barrois.  Prijsverhandeling  roet  goud  bekroond  en  uitg. 
door  bet  Provinc.  Utrechtsche  Genootschap  v.  kunsten  en  welen- 
scbappen.  UtreQbt4885. 

Bijdragen  en  Mededeelingen  van  bet  Historisch  Genootschap  gevestigd  te 
Utrecht.  Deel  9.  UU'eGht4886. 

Werken  van  bet  Historisch  Genootschap  gevestigd  te  Utrecht.  N.S.  40 — 4S. 
Utrecht  4  885. 

Recueil  des  m^moires  et  des  travaux  publiös  par  la  Sociölö  Botanique  do 
Grand-Duch6  de  Luxembourg.  No.  4  4  (4885 — 86).  Luxembonrg 
4886. 

Italien. 

Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane  ricevute  per  diritto  di  stampa.  4886, 
No.  4—23.  Firenze  4886. 

Bollettino  delle  opere  moderne  straniere  aequistate  dalle  bibUoteche  pub- 
bliche  governative  del  regno  d'Italia.  4886,  No.  4—4^  Roma'4886. 


XV      

Pubblicaziont  del  R.  Istituto  di  studi  superiori  pratjci  e  di  perfezionamentO' 
in  Firenze.  Sezione  di  fiiosofia  e  filologla.  MorosiyG.,  L'iavito  di 
Eadossia  a  Gensepico.  Studio  critico.  Fireoze  4  882.  Scaduto,  Fr,, 
Statd  e  cbiesa  negli  scritti  politici  4  422—1347.  Studio  storico.  Fi- 
renze 4882.  —  Accademia  Orientale.  Nocentinif  L.,  11  primo  sinologo 
P.  Matteo  Ricci.  Firenze  4882. 

3Uemorie  del  R.  Istituto  Loröbardo  di  scienze  e  leltere.  Classe  di  lettere 
e  scienze  mor.  e  pol.  Vol.  4  6  (Ser.  III,  Vol.  7),  Fase.  8.  Milano 
4886. — Classe  di  scienze  matem.  e  natural!.  Vol.  45  (Ser.  111,  Vol. 6), 
Fase.  4.  Milano  4  685. 

Reale  Istituto  Lombarde  di  scienze  e  lettere.  Rendiconti.  Ser.  II,  Vol.  48. 
Milano  4885. 

Memorie  della  R.  Accademia  di  scienze,  lettere  ed  arti  di  Mode  na.  Ser. II. 
Vol.  3.  Modena  4  885. 

Atti  della  Societä  Toscana  di  scienze  naturali  residente  in  Pisa.  Memorie, 
Vol.  7.  Pisa  4886. 

Processi  verbal!  della  Societä  Toscana  di  scienze  naturali  residente  in  Pisa. 
Vol.  5,  adunanza  del  45.  Nov.  4  885,  4  6.  Genn.,  4  4.  Marzo,  2.  Maggie, 
4.  Luglio  4886. 

Annuario  della  R.  Accademia  de'  Lincei.'  4886.  Roma  4886. 

Atti  della  R.  Accademia  de' Lincei.  Serie  III.  Memorie  della  Classe  di  scienze 
fisiche,  matemat.  e  naturali.  Vol.  4  8.  4  9.  Roma  4  884.  —  Memorie 
della  classe  di  scienze  morali,  storicfae  e  filologiche.  Vol.  43.  Roma 
4984.  —  Serie  IV.  Memorie  della  Classe  di  scienze  fisicbe,  matemat. 
e  naturali.  Vol.  2.  Roma  4885.  —  Rendiconti.  Vol.  4,  Fase.  28. 
VoL  2,  Fase.  4 — 4  4.  IL  Sem.,  Fase  4— 9.  Roma  4886. 

Bullettino  dell' Instituto  di  corrispondenza  archeologica  per  l'anno  4885, 
No.  42  [und  Elenco  de'  participanti  alla  fine  dell'  anno  4  885).  Roma 
4883. 

Mittbeilungen  des  Kais.  Deutseben  ArchaeoloRischen  Instituts.    Römische 
Abtbeilan^  (Bullettino  deir  Imp    Istituto  Archeologico  Germaoico. 
.    Sezione  Romana}.  Bd.  4,  H.  4 — 3.  Rom  4  886. 

Alti  della  R.  Accademia  delle  scienze  di  Torino.  Vol.  XXI,  Divp.  4—7. 
Torino  4886. 

•  •  • 

Memorie  della  R.  Accademia  delle  scienze  di  Torino.  Ser.  II,  T.  37. 
Torino  4  886. 

BoUettino  meteorologico  ed  astronomico  dell'  Osservatorio  della  R.  Univer- 
Sita  di  TorioQ..  Anno  20  (4  886)  .■  Parte  meteorologica.  Torino  4886. 

Temi  di  premio  proclamati  dal  R.  Istituto  Veneto  di  scienze,  lettere  ed  arti 
•    nella  solenne  adunanza  del  4  5.  Agosto  4886.  Venezia  4886. 

Russland. 

Bidrag  tili  kännedom  af  Finlands  natur  och  folk,  utg.  af  Fioska  Vetenskaps- 
SocieL  Haftet  43.   Helsingfors  4886. 

Öfverslgt  af  Finska  Veteoskaps-Societetens  Förhandlingar.  XXVII  (4  884—85). 
Helsingfors  4885. 

Exploration  internationale  des  rögions  polaires,  4882/83  et  4883/84.  Expe- 
dition polaire  finlandäise.  T.  L  Mätöorologre.  Observations  faites 
aux  Bte(tions  de  Sodankylä  et  de  KuUala  p.  S.  Lemström  etE.  Biese. 
Helsingfors  4886. 


XTI       

Universitetskija  Izvestija.  God  S5  (4885),  No.  40—42.  God  26  (4886),  No. 
4—9.  Kiev4886.  86. 

Annales  de  robservatoire  de  Moscou,  publ.  p.  Tb.  Bredichin.  IL  S^rie. 
T.  4,  Livr.  4.  Moscou  4886. 

Bulletin  de  la  Sociötd  Impör.  des  Naturalistes  de  Moscou.  T.  60  (Ano^ 
4884),  No.  4.  T.  64  (Ann6e  4885),  No.  8.  4.  T.  6i  (Annöe  4886), 
No.  4—3.  Moscou  4885.  86. 

Nouveaux  .Mömoires  de  la  Soci^tö  Impör.  des  Naturalistes  de  Moscou.  T.XV 
(s=  T.  XXI  de  la  collection),  Livr.  4—3.  Moscou  4884.  85. 

Meteorologiscbe  Beobachtungen,  ausgeführt  am  Meteorol.  Observatonam 
d.  Landwirthschaftlicben  Academie  zu  Moskau  von  B.  E.  Bacbme« 
tiefr.  4885,  3.  Hälfte  (Beilage  z.  Bulletin  de  la  Soc.  Imp.  des  Natural, 
de  Moscou,  T.  64).  Moscou  4886. 

Bulletin  de  l'Acadämie  Imperiale  des  sciences  de  St.-P6tersbourg. 
T.  XXX,  No.  3.  4.  T.  XXXI,  No.  4.  8.  St.-P^tersbourg  4886. 

Mömoires  de  TAcadömie  Imperiale  des  sciences  de  St.-P6tersbourg. 
VILS^rie.  T.38,No.4— 8.  T.84,  No.4— 6.  St. -P^tersbourg  4885.86. 

Repertorium  für  Meteorologie,  hsg.  v.  d.  kais.  Akademie  d.  Wissenscb., 
redig.  v.  H.  Wild.  Bd.  9.  St.  Petersburg  4885. 

Annalen  d.  physikalischen  Centralobservatoriums ,  herausg.  von  H.Wild. 
Jahrg.  4  884,  Th.  4.  S.  St.  Petersburg  4885. 

Acta  Horti  Petropolitani.  T.  8,  Fase.  2.  3.  T.  9,  Fase.  4.  Pelropoli  4883.84. 

Catalogus  systematicus  bibliothecae  Horti  Imper.  bolanici  Petropolitani. 
.    Editio  nova,  cur.  Ferd.  ab  Herder.  Petropoli  4886. 

Jahresbericht  am  25.  Mai  4886  dem  Comitö  der  Nicolai-Hauptstemwarte 
abgestattet  vom  Director  der  Sternwarte.  Aus  d.  Rusa.  übersetzt. 
St.  Petersburg  4  886. 

Trudy  S.-Peterburgskago  Obacestva  estestvoispytatelej.  T.  45,  2.  46,  1.  2. 
St.  Peterburg  4884—85. 

Juridioeskaja  Btbliografija  izdav.  Jurid.  Fakultetom  Imp.  £.  Peterburgskaga 
Universileta.  God  4  (4  884),  No.  2.  8.  God  2  (4  885),  No.  4—6.  S.  Pe- 
terburg 4884.  85. 

Protokoly  zas^danij  soveta  Imperat.  S.-Peterburgskago  Universiteta.  No. 
29—32.  S.  Peterburg  4  884.  85. 

Zapiski  Istoriko-philologiceskago  Fakulteta  Imp.  S.-Peterburgskago  Uni- 
versiteta. aast  45.  St.  Petersburg  4885. 

Eßmov ,  K.  V. ,  Ocerki  po  istorii  drevne-rimskago  rodstva  i  naslMovaoija. 
S.  Peter  bürg  4  885.  —  Eksner,  S,,  Rukovodstvo  k  mikroskop.  izl^o- 
vaniju  zivotnych  tkanej.  S.  Peterburg  4875.  —  MereÜeovsk^,  K,  S., 
Materialy  k  poznaniju  zivotnych  pigmentov.  S.  Peterburg  4888.  — 
Nikolskij,  D. ,  0  vydaci  prestupnikov  po  naialam  meSdunarodnago 
prava.  S.  Peterburg  4884.  —  Timiryaxev,  /.,  Ob  usvoenil  sv^ta  raste- 
niem.  I.  Kritika  i  melod.  S.  Peterburg  4  875.  —  ZHinsk^\  Th,,  0  do- 
rijskom  i  ionijskom  stiljach  v  drevnej  atti^eskoj  komedii.  S.  Peter- 
barg 4  885. 

Correspondenzblatt  des  Naturforscher- Vereins  zu  Riga.  Jahrg.  29.  Riga 
4  886. 

Schweden  und  Norwegen. 

Bergeus  Museum.  Nansen,  Fr.,  Bidrag  til  Myzostomernes  anatomi  og  histo- 
logi.  Bergen  4885. 


XVII      

Forhandlinger  i  Videoskabs-Selskabet  i  Christi ania.  Aar  1885  u.  1885, 
No.  2.  4.  9.  14— -S3.  Cbristiaoia  1886. 

Den  Norske  Nordhavs-Expedition  1876 — 78,  XV.  Zoologi.  Sars,  G.  0., 
Cnistaceall.  XVI.  Zoologi.  Friele,  H.,  Mollusca  II.  Christiania  1886. 

Acta  Universitatis  Lundeosis.  Lunds  UniversitetsÄrs-Skrift.  T.  21  (1884 — 
85),  I— III.  Lund.  d.  J. 

Lands  Üniversitets-Biblioteks  Accessions-Katalog.  4885.  Lund  4886. 

Kongl.  Vitterhets  Historie  och  Antiquitets  Akademieos  Manadsblad.  Arg.  14 
(1885).  Stockholm  1885— 86. 

Entomologisk  Tidskrift,  pä  fOranstaltende  af  Entonoologiska  Föreningen 
i  Stockholm  utg.  af  Jac.  Spängberg.  Irg.  6  (1885),  H.  1 — 4.  Stock- 
holm 4885. 

Tromse  Museums  Aarshefler.  9.  Tromse  1886.  —  Troms«  Museums 
Aarsberetning  for  1885.  Troms0  4886. 

Nova  Acta  Reg.  Societatis  scieotiarum  Upsa Mensis.  Ser.  III.  Vol.  XIII, 
Fase.  1 .  Upsaliae  4  886. 

Bulletin  m^töorologique  mensuel  de  l'Observatoire  de  Tüni versitz  d'Upsal. 
VoL  47  (4885).  Cpsal  4884—85. 

Schweiz. 

Neue  Denkschriften  d.  allgem.  Schweizerischen  Gesellschaft  für  die  ge- 
sammten  Naturwissenschaften.  Bd  29,  Abth.  2.  Basel  1885. 

Beiträge  zur  vaterländ.  Geschichte.  Hrsg.  v.  d.  Historischen  u.  Antiqua- 
rischen Gesellschaft  in  Basel.  N.F.  Bd.  2  (der  ganzen  Reihe  12.  Bd.), 
H.  2.  3.  Basel  1886.  87. 

Mittheilungen  der  Historischen  u.  Antiquarischen  Gesellschaft  zu  Basel. 
N.  F.  Bd.  3  {Burckhardt,  A.,  u.  R,  Wackemagel,  Das  Rathaus  zu 
Basel).  Basel  1886. 

Verhandlungen  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Basel.  Tb.  8,  H.  1. 
Basel  1886. 

Mittheilungen  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Bern  aus  d.  J.  1885, 
H.  2.  (No.  4  419—32).  Bern  1885. 

Jahresbericht  der  naturforschenden  Gesellschaft  Graubündens.  N.  F.  Jahrg. 
29  (Vereinsjahr  1884/85).  Chur4886. 

Vierteljahrsschrift  d.  naturforschenden  Gesellschaft  in  Zürich.  Jahrg.  30. 
31.  Zürich  1885.  86. 

Spanien. 

Discursos  leidos  ante  la  Real  Academia  de  ciencias  morales  y  politicas  en 
la  recepcion  publica  de  A.  Groizard  y  Gömez  de  la  Serna  1885. 
Franc.  Gömez  Salazar  1885.  Franc.  Romero  y  Robledo  1886.  Conde 
deTorreänaz  1886.  Servando  Ruiz  Gömez  1886.  Madrid  1885.  86. 

Real  Academia  de  ciencias  morales  y  politicas.  Ano  de  1886.    Madrid  d.  J. 

Real  Academia  de  ciencias  morales  y  politicas.  Resümen  de  sus  actas  y  dis- 
cursos leidos  en  la  Junta  publ.  27.  die.  1885.  Madrid  1885. 

Reglamento  ititerior  de  la  Real  Academia  de  ciencias  morales  y  politicas. 
Madrid  1885. 

Aller,  D.  E. ,  Las  huelgas  de  los  obreres.  Memoria  premiada  con  accessii 
per  la  R.  Academia  de  ciencias  mor.  y  pol.  Madrid  1886. 

2 


XVIII      

Danvila  y  Colkido,  M.,  El  poder  civil  en  Espana.  Memoria  premiada  por  1» 
R.  Acad.  de  cieoc.  mor.  y  pol.  T.  4 — 5.  Madrid  4  885.  86.  —  Pi- 
zarro,  G.,  EI  Ausenteismo  eo  Espana.  Memoria  premiada  por  h  R. 
Acad.  de  cienc.  mor.  y  pol.  Madrid  4  886. —  Hodriganez,  C,  La  vida 
del  campo.  Memoria  premiada  por  la  R.  Acad.  de  cienc.  mor.  y  poi. 
Madrid  4  886. 

Anales  del  Institute  y  Observatorio  de  roarina  de  San  Fernando,  pabl. 
p.  C.  Pujazon.  Seccion  2.  Observaciones  meteorolögicas.  Ano  4885. 
San  Fernando  4885. 


Nordamerika. 

Proceedings  of  tbe  4  7^^  annual  sessioo  of  the  American  Philological  Asso- 
ciation held  in  New  Haven,  Conn..  July  4885.  Cambridge  4  886. 

Proceedings  of  the  American  Oriental  Socieiy>  at  New  York,  Oct.  4S85 ;  at 
Boston,  May  4886. 

Johns  Hopkins  üniversity  Circulars.  Vol.  5,  No.  43.  45 — 47.  49 — 54.  Vol.  6, 
No.  52.  58.  Baltimore  4885.  86. 

American  Journal  of  Mathematics  pure  and  applied.  Publ.  under  the 
auspices  of  the  Johns  Hopkins  üniversity.  Voi.VUI,  No.  2 — 4.  Vol.  IX, 
No.  4.  Baltimore  4  886. 

Johns  Hopkins  Üniversity  Studies  in  historical  and  political  science. 
IV.  Ser.,.!— 42.  Baltimore  4  886. 

Memoirs  of  tbe  American  Academy  of  arts  and  sciences  [Boston].  N.  S. 
Vol.  4  4  (Centennial  Volume),  P.  8,  N.  2.  3.  P.  4,  No.  4.  Cambridge 
4886. 

Proceedings  of  the  American  Academy  of  arts  and  sciences.  N.  S.  Vol.  XIII 
(WholeSer.  VoI.XXI),  P.  4.  2.  From  May  4  885  to  May  4  886.  Selected 
from  tbe  Records.  Boston  4  886. 

Memoirs  of  the  Boston  Society  of  Natural  History,  Vol.  III,  No.  41 — 43. 
Boston  4  885.  86. 

Proceedings  of  the  Boston  Society  of  Natural  History.  Vol.  XXII,  P.  4  (Od.— 
Dec.  4883).  Vol.  XXUI,  P.  4  (Jan.— March  4884j.  2  {March  4884- 
Febr.  4886).  Boston  4  886. 

Bulletin  of  the  Buffalo  Society  of  Natural  Sciences.  Vol.  V,  No.  4.  Bof- 
falo  4886. 

Bulletin  of  the  Museum  of  comparative  Zoölogy,  at  Harvard  College,  Cam- 
bridge, Mass.  Vol.  XII,  No.  3—6.  XIII,  No.  4.  Cambridge,  Mass. 
4  886. 

Memoirs  of  the  Museum  of  comparative  Zoölogy,  at  Harvard  College.  Cam- 
bridge, Mass.  Vol.  X,  No.  2.  Cambridge,  Mass.  4885. 

Annual  Report  of  the  Curator  of  the  Museum  of  comparative  Zoölogy,  at 
Harvard  College,  Cambridge,  Mass.,  for  4885/86.  Cambridge,  Mass. 
4886. 

Annual  Report  of  the  Geological  Survey  of  Pennsylvania  for  4885.  Witb 
Atlas.  Harrisburg  4886. 

Second  Geological  Survey  of  Pennsylvania.  Grand  Atlas.  Division  I,  4.  II, 
4.  2.  III,  4.  IV,  4.  V,  4.  —  Atlas  Eastern  middle  antbracite  tield. 
P.  4 .  —  Hall,  C.  E.,  Field  noles  in  Delaware  County.  —  White,  J.  f , 
Tbe  geology  of  Huntingdon  County.  —  Second  Report  of  progress  in 
the  anthracite  coal  region.  P?  4.  Harrisburg  4883. 


XIX      

Fublications  of  the  Washburn  Observatory  of  the  University  of  Wisconsin. 
Vol.  3.  4.  Madison  1885.  86. 

Proceedings  and  Transactions  of  the  R.  Society  of  Canada  for  the  year  1884. 
Vol.  2.  Montreal  1885. 

The  Canadian  Kecord  of  science,  incladlng  the  Proceedings  of  the  Nataral 
bistory  Society  of  Montreal  and  replacing  the  Canadian  Naturalist. 
VoL  2,  No.  I-— 4.  Montreal  1886. 

Report  for  the  year  1884 — 85  presented  by  the  board  of  nnanagers  of  the 
Observatory  to  the  President  and  fellows  of  Yale  College.  (New 
Haven1885).  For  the  year  1885—86.  (New  Haven  1886.) 

Annais  of  the  New  York  Academy  of  sciences  (late  Lyceum  of  natural 
history).  Vol.  III,  No.  7—10.  New  York  1884.  85. 

Transactions  of  the  New  York  Academy  of  sciences.  Vol.  III  (1883—84). 
Vol.  V,  No.  2—6.  New  York  1883.  86. 

Bulletin  of  the  American  Geographical  Society.  1882,  No.  6.  1883,  No.  7. 
1884,  No.  5.  1885,  No.  2.  3.  1886,  No.  1.  New  York  1886. 

Proceedings  of  the  Academy  of  natural  sciences  of  Philadelphia.  1886, 
P.  3  (Aug.— Dec).  1886,  P.  1  (Jan.— March).  2  (April— Sept.).  Phila- 
delphia 1885.  86. 

Proceedings  of  the  American  Philosophlcal  Society,  held  at  Philadelphia, 
for  promoting  useful  knowledge.  Vol.  XXII,  No.  120.  Vol.  XXllI, 
No.  121—123.  Philadelphia  1885.  86. 

List  of  surviving  Members  of  the  American  Philosophlcal  Society  at  Phila- 
delphia for  promoting  useful  knowledge.    Presented  March  5,  1886. 

Memoirs  of  the  Peabody  Academy  of  science.  Vol.  2.  Salem,  Mass.  1886. 

18^^  Aonual  Report  of  the  Trustees  of  the  Peabody  Academy  of  sciences. 
Salem  1886. 

Büllelin  of  the  California  Academy  of  sciences.  No.  4.  San  Francisco 
1886. 

Anuario  del  Observatorio  astronömico  nacional  de  Tacubaya,  para  el  afio 
de  1887  (Ano  VlI).  Mexico  1886. 

Proceedings  of  the  Canadian  Institute,  Toronto,  being  a  continuation  of 
the  Canadian  Journal  of  science,  literature  and  history.  III.  Ser. 
Vol.  3,  Fase.  3.  4.  Vol.  4,  Fase.  1.  Toronto  1886. 

Memoirs  of  the  National  Academy  of  sciences.  Vol.  3,  P.1. 1884.  Washing- 
ton 1885. 

National  Academy  of  sciences.  Proceedings.  Vol.  1,  P.  2.  Washington  1884. 

Report  of  the  National  Academy  of  sciences  for  the  year  1S83.  1884. 
Washington  1884.  85. 

Third  Annual  Report  of  the  Bureau  of  Ethnology  to  the  Secretary  of  the 
Smithsonian  Institution.  1881—82.  By  J.  W.  Powell.  Washington 
1884. 

Annual  Report  of  the  ComptroIIer  of  the  Currency  to  the  first  Session  of  the 
forty-ninth  Congress  of  the  U.  S.,  Dec.  1,  1885.  Washington  1885. 

Annual  Report  of  the  Board  of  Regents  of  the  Smithsonian  Institution  for 
the  year  1884.  Washington  1885. 

Astronomical  and  meteorological  Observations  made  during  the  year  1881 
at  the  ü.  S.  Naval  Observatory  (Washington  Astronomical  and 
meteorological  Observations  Vol.  28).  Year  1882  (Wash.  Astron.  and 
met.  Observ.  Vol.  29).  Washington  1883. 

2» 


XX      

Observations  of  minor  planets  with  the  9.6  inch  Equatorial  made  at  the 
ü.  S.  Naval  Observatory,  Washington,  by  E.  Frisby,  4885. 

Observations  of  the  first  contact  of  the  Partial  Solar  Eclipse  of  March  4  5 — 
46,  4  885,  made  at  the  U.  S.  Naval  Observatory,  Washington. 

Programme  of  work  to  be  pursued  at  the  U.  S.  Naval  Observatory  at 
Washington  during  the  year  4885.  4886. 

Report  of  the  Superintendent  of  the  U.  S.  Naval  Observatory  for  the  year 
endtng  June  80,  4885.  Washington  4885. 

Professional  Papers  of  Ihe  Signal  Service,  U.  S.  War  Department.  No.  46. 
48.  Washington  4885. 

Annual  Report  of  ihe  Chief  Signa  1-0 fficer  to  the  Secretary  of  war  for  the 
year  4  884.  Washington  4  884. 

Report  of  the  Superintendent  of  the  U.  S.  Coast  and  Geodetic  Survey, 
showing  the  progress  of  the  work  during  the  fiscal  year  ending  with 
June  4884.  P.  4.  2.  Washington  4885. 

Bulletin  of  the  U.  S.  Geological  Survey.  No.  7-— 29.   Washington  4884—86. 

Monographs  of  the  U.  S.  Geological  Survey.  Vol.  IX.  Washington  4885. 

Fourth  Annual  Report  of  the  U.  S.  Geological  Survey  to  the  Secretary  of 
the  Interior  4882—83,  by  J.W.Powell.  Fiflh  Annual  Report,  4883— 
84.  Washington  4  884.  85. 

U.  S.  Geological  Survey.  Mineral  Resources  of  the  United  States.  Calendar 
years  4  883  and  4  884.  By  Alb.  Williams.  Washington  4  885. 

Report  of  the  International  Polar  Expedition  to  Point  Barrow,  Alaska. 
Washington  4  885. 

Südamerika. 

Annales  de  la  Sociedad  cientifica  Argentina.  T.  24,  Entrega  4 — 6.  T.  22, 
Entr.  4 — 4.  Buenos  Aires  4886. 

Actas  de  la  Academia  nacional  de  ciencias  en  Cördoba.  T.  V,  Entrega  2. 
Buenos  Aires  4884. 

Boletin  de  la  Acadömia  nacional  de  ciencias  de  la  Republica  Argentina. 

T.  VIII,  Entrega  2>-4.  Buenos  Aires  4885. 
Verhandlungen  des  deutschen  wissenschaftlichen  Vereins  zu  Santiago. 

H.  2.  3.  Valparaiso  4886. 

Asien. 

Notulen  van  de  algemeene  en  bestuurs-vergaderingen  van  het  Bataviaasch 
Genootschap  van  kunsten  en  wetenschappen.  Deel  28  (f885),  No. 
2—4.  Deel  24  (4886),  No.  4.  Batavia  4885.  86. 

Tijdschrift  voor  Indische  taal-,  land-  en  volkenkunde,  uitge^.  door  hct 
Bataviaasch  Genootschap  van  kunsten  en  wetenschappen.  Deel  30, 
Afl.  5.  6.  Deel  34,  Afl.  4  en  2  (Eerste  Helft).  Batavia  4  885.  86. 

Nederlandsch-Indisch  Plakaatboek  4602—4844,  door  LH.  van  der  Chijs. 
Uitgeg.  d.  het  Bataviaasch  Genootschap  van  kunsten  en  weten- 
schappen. Deel  2.  3.  Batavia,  's  Hage  4886. 

Natuurkundig  Tijdschrift  voor  Nederlandsch-Indiö,  uitgeg.  d.  de  Kon. 
Natuurkundige Vereeniging  in  Nederlandsch-Indi^.  Deel  45  (VIU.  Ser., 
D.  6).  Batavia  4  886. 


XXI     

Verbeekf  R.  D.  M.,  Krakatau.  P.  II.  Pabl.  p^  ordre  de  son  Exe.  le  Gouver- 
neur-G6n6raI  des  Indes  N^erlandaises.  Batavia  4886.  —  Album, 
coateoant  25  planches  chromolith.  Bruxelles  (1886}.  —  Cartes, 
plans.  Bruxelles  (4886). 

Boletin  de  la  R.  Sociedad  Econömica  de  amigos  del  pais.  Revista  Filipioa 
de  ciencias  y  artes.  Ano  4  (1885),  No.  4.  5.  Manila  4885. 

Journal  of  the  China  Brauch  of  tbe  R.  Asiatic  Society,  for  the  year  4  884. 
N.  Ser.  Vol.  49,  P.  2.  Shanghai  4886. 

Australien. 

Journal  and  Proceedings  of  the  R.  Society  of  New  South  Wales.  Vol.  46 
(4882).  Sydney  4883. 


2.  Einzelne  Schriften. 

Ashburner,  CA.,  The  geology  of  natural  gas  in  Pennsylvania  and  New  York 
(S.A.).  o.  0.  4  885. 

The  product  and  exhaustion  of  the  oil  regions  of  Pennsylvania  and 

New  York  (S.  A.).  o.  0.  4  885. 

Blasius,  W.,  Beiträge  zur  Vogelfauna  von  Celebes.  I.  II  (S.A.).  Budapest 
4  885.  86. 

' Die  Raubvögel  von  Cochabamba  (S.  A.).  Wien  4  884. 

Osteologische  Studien  (Messungs- Metboden    an  Vogel -Skeletten). 

(S.  A.).  o.  0.  4885. 

Ueber  die  neuesten  Ergebnisse  von  H.  Grabowsky's  Forschungen  in 

Süd-Ost-Borneo  (S.  A.).  Naumburg  4  884. 

üeber  einen  vermuthlich  neuen  Vogel  von  Bolivia  (S.  A,).  o.  0.  4884. 

Ueber  einige  Vögel  von  Cochabamba  in  Bolivien  (S.  A.).  o.  0.  4885. 

Ueber  Vogel-Brustbeine  (S.  A.).  o.  0.  4884. 

Borch,  Leopold  Frhr,  i;..  Zur  Absetzung  des  Königs  der  Deutschen.  Inns- 
bruck 4886. 

€asUUo,  A.  del,  y  M.  Bdrcena,  El  hombre  del  Penon.  Noticia  sobre  el  hal- 
lazgo  de  un  hombre  prehistörico  en  el  valle  de  Mexico.  Mexico  4  885. 

Dante  AUghieri,  La  Commedia.  Col  commento  inedito  di  Stefano  Talice  da 
Ricaldone.   Pubbl.  p.  c.  di  F.  Promis  e  di  C.  Negroni.  Torino  4886. 

Darbotix,  G.,  Sur  le  mouvement  d'un  corps  pesant  de  r^volution,  fix6  par 
un  point  de  son  axe  (Extrait  du  Journal.de  mathäm.  pures  et  appli- 
quöes).  Paris  4  885. 

Hermite,  Ch,,  Sur  quelques  applications  des  fonctions  elliptiques.  Fase.  4. 
Paris  4  885. 

Sur  une  application  de  la  th6orie  des  fonctions  doublement  p6rio- 

diques  de  seconde  esp^ce  (Extr.  des  Annales  de  l'Ecole  normale  su- 
pärieure).  Paris  4  885. 

Huergo,  L,  A.,  Examen  de  la  propuesta  y  proyecto  del  puerto  del  Sr.  D. 
Ed.  Madero.  P.  4.  2.  Buenos  Aires  4886. 

Die  neu  entdeckte  Schrift  »Lehre  der  zwölf  Apostel  an  die  Völker«.  Deutsch 
herausg.  u.  in  Kürze  erklärt  v.  G.  Volkmar,  2.  Aufl.  Zürich  4885. 


XXII     

Löffelholz  von  Colberg,  C.  Frhr.,  Die  Drehung  der  Erdkruste.  Eine  neae 
geologisch-astronomiscbe  Hypothese.  München  4886. 

LukaieviCf  Plat.,  Izloienie  glavnych  zakonov  estestvennoj  i  nabljudatelno- 
mikroskopi^eskoj  astronomii  a  takie  astronomiceskoj  meteorologü. 
T.  1.  3.  Kiev  4884.  85. 

Malortiet  Ernst  v.,  Nachtrag  zu  den  Historischen  Nachrichten  der  Familie 
von  Malortie.  4872 — 1886.  Hannover  4886. 

Morse,  E.  S.,  Ancient  and  modern  methods  of  arrow-reiease  (S.  A.).  o.  0. 
4885. 

Mühry,  A,,  Ueber  den  kosmischen  Dualismus  (S.  A.].  Cassel  4886. 

Die  Process-Ordnung  für  Böhmen  v.  23.  Jan.  4753.  Herausg.  von  Jf.  Frir. 

V,  Maashurg.  Wien  4886. 

Polycarpi  Smyrnaei  Epistula  genuina.  Rec.  G.  Volkmar,  Zürich  4885. 

Prusik,  Fr,,  äeskö  glossy  latinsköho  rukopisu  Roudnicköho  z  XV.  stoleti. 
vPraze  (4886). 

Weihrauch,  K,,  Ueber  die  Berechnung  meteorologischer  Jahresmittel  (S.A.). 
Dorpat  4886. 

Ueber  Pendelbewegung  bei  ablenkenden  Kräften,  nebst  Anwendang 

auf  das  Foucault'sche  Pendel  (S.  A.).  München  4886. 

Ueber  die  dynamischen  Centra  des  Rotations-Ellipsoids,  mit  Anwen- 
dung auf  die  Erde  (S.  A.).  Moskau  4886. 

Willems,  P,,  Les  61ections  municipales  ä  Pompäi.  Bruxelles  4  886. 

Winkler,  Clem.,  Mitlheilungen  über  das  Germanium  (S.  A.).   Leipzig  4  886. 


INHALT. 

Beiia 

HuUsch,  Über  eine  Sammlnng  von  Scbolien  znr  Sphärik 
des  TheodosioB  u.  b.  w 119 

Fleischer j  Studien  über  Dozy's   Supplement  aux   diction- 
naires  arabes,  VI 156 

von  der  Qabelentz,  Über  Hans  Conon  von  der  Gabelentz    .  217 

Windisch,  Etyniologiscbe  Beiträge 242 


Drnclc  ron  Breitkopf  k  H&rt«l  in  Leipsig. 


BERICHTE 


1JBBK   DIE 


VERHANDLUNGEN 


DER  KÖNIGLICH  SÄCHSISCHEN 


GESELLSCHAFT  DER  WISSENSCHAFTEN 


zu  LEIPZIG. 


PHILOLOGISCH  -  HISTORISCHE  CLASSE. 


NEUNUNDDREISSIGSTER  BAND 


J887. 


MIT  FÜNF  TAFELN. 


LEIPZIG 

BEI  S.   HIRZEL. 


INHALT. 


Seite 
Creizenach,  Studien  zur  Geschichte  der  dramatischen  Poesie  im 

47.  Jahrhundert.  11 4 

Zarncke,  Weitere  Mittheilungen  über  Christian  Reuter,  den  Ver- 
fasser des  Schelmuffsky 4^ 

Köhler,  Herders  Legenden  »Die  evge  Weisheit«  und  »Der  Friedens- 
stifter« und  ihre  Quellen 105 

Schnippel-Zarncke,   Über  das  Runenschwert  des  Königlichen 

Historischen  Museums  in  Dresden.    Mit  3  Tafeln 4t5 

Fleischer,    Studien   über   Doz>'s   Supplement    aux    dictionnaires 
arabes.  Vn 471 

B  ö h 1 1  i  n g k ,  Bemerkenswerthes aus Rdmdjana,  ed.  Bomb.  Adhj.  I — IV.  24  3 

Ratzel,  Die  geographische  Verbreitung  des  Bogens  und  der  Pfeile 

in  Afrika.    Mit  4  Tafel 233 

Zarncke,  Weitere  Mittheilungen  zu  den  Schriften  Christian  Reuter's  253 

Lipsius,    Nachtrag   zu   den   Bemerkungen   über   die   dramatische 

Choregie.    Mit  4  Tafel 278 

Zarncke,  Zum  Annoliede 283 

Zarncke,  Christian  Reuter  als  Passionsdichter 306 

Wachsmuth,  Neue  Beiträge  zur  Topographie  von  Athen   ....  369 

Fleischer,  Eine  Stimme  aus  dem  Morgenlande  über  Dozy's  Supple- 
ment aux  dictionnaires  arabes 406 

V.  d.  Gabelentz,  Über  das  taoistische  Werk  W6n-tsi 434 

Btthtlingk,  Nachtrag  zu  der  S.  227  fgg.  besprochenen  Inschrift    .  443 


JUN  15  la;/ 


BERICHTE 


ÜBER  DIE 


VERHANDLUNGEN 


DER  KÖNI6UCH  SACHSISCHEN 


GESELLSCHAFT  DER  WISSENSCHAFTEN 


ZU  LEIPZIG. 


PHILOLOGISCH-HISTORISCHE  CLASSE. 


18S7. 


i. 


y  1  V  LEIPZIG 

BEI    S.    HIRZEL. 
1887. 


»    ß 


/  \'UN  15  1837 


SITZUNG  AM  12.  FEBRUAR  1887. 

Herr  Zarncke  legte  den  zweiten  Beitrag  der  Studien  zur  Ge- 
schichte der  dramatischen  Poesie  im  siebzehnten  Jahrhundert  des 
Hrn.  Prof.  W.  Creizenach  in  Krakau  vor.  Vergl.  Jahrg.  1886. 
S.  93  fg. 

IL  Die  Tragödie  »Der  bestrafte  Brudermord  oder  Prinz  Hamlet 
aus  Dänemark«  nnd  ihre  Bedeutung  für  die  Kritik  des  Shake- 

speare^schen  Hamlet. 

Die  erste  ausführlichere  Mittheilung  über  das  deutsche 
Drama,  von  welchem  die  folgenden  Blatter  handeln  sollen, 
stammt  von  dem  Bibliothekar  H.  A.  0.  Reichard  in  Gotha  (4754 
— 4  828) .  Derselbe  hat  im  Jahrgang  4  779  seines  Theaterkalen- 
ders S.  47  ff.  in  einem  Aufsatz  u.  d.T.  »Erster  deutscher  Hamlet, 
im  Auszug«  eine  ausführliche  Inhaltsangabe  nebst  Proben  ver- 
öffentlicht. Er  sagt  bei  dieser  Gelegenheit,  er  habe  den  deutschen 
Hamlet  »aus  Eckhofs  Handschriften  noch  bey  seinen  Lebzeiten 
[Ekhof  starb  in  Gotha  am  4  6.  Juni  4778]  erhalten,  wo  er  mit 
vielen  andern  Manuscripten  des  entferntesten  Zeitalters  unseres 
Schauspiels  verwahrt  lag.«  Weiter  sagt  er:  »Die  Abschrift,  nach 
der  ich  arbeite,  ist  Pretz*)  den  27.  Oktober  4740  unterschrie- 
ben, das  Original  aber  kann  man  füglich  noch  ein  Dutzend  Jahre 
weiter  hinaussetzena. 

Was  inzwischen  aus  der  Handschrift  geworden  ist,  vermag 
ich  nicht  anzugeben.  In  der  herzoglichen  Bibliothek  zu  Gotha 
befindet  sie  sich  nicht;  auch  unter  den  Papieren  Reichard's 
ist  sie  nach  gütiger  Mittheilung  des  Herrn  Majors  von  Goch- 
hausen  in  Gotha,    eines  Enkels  Beichard's,  nicht   mehr   vor- 

4)  Vennath]ich  entweder  Preetz  in  Holstein  oder  Pretzsch  in  der  Pro- 
vinz Sachsen. 

1887.  4 


banden  *j.  Möglicherweise  ist  die  Handschrift  aus  dem  Nachlass 
von  Ekhofs  Schwiegervater  Spiegelberg,  der  in  den  ersten 
Jahrzehnten  des  18.  Jahrhunderts  Prinzipal  einer  wandernden 
Schauspielertruppe  war,  in  den  Besitz  des  Schwiegersohnes  ttber- 
gegangen.  Da  die  Spiegelberg-Denner^sche  Familie  sich  im  Jahre 
4740  als  selbständige  Bande  von  der  Velten'schen  Gesellschaft 
abzweigte,  und  da  die  Handschrift  die  Jahreszahl  4710  trug, 
so  ist  es  sehr  wohl  möglich,  dass  sie  für  die  Bibliothek  der  neu- 
gegrUndeten  Truppe  angefertigt  wurde.  Die  Angabe  Reichards, 
dass  man  das  Original  «fttglich  noch  ein  Dutzend  Jahre  weiter 
hinaussetzen«  könne ,  ist  ohne  jede  nähere  Begründung  vorge- 
tragen ,  und  es  ist  auch ,  wie  sich  aus  dem  Folgenden  ergeben 
wird,  auf  diese  Angabe  weiter  kein  Gewicht  zu  legen.  Übrigens 
hat  es  Reichard  nicht  bei  den  Mittheilungen  im  Theaterkalender 
bewenden  lassen ;  zwei  Jahre  später  hat  er  in  der  von  ihm  her- 
ausgegebenen Zeitschrift  »OUa  potrida«  (4784  Th.  II  S.  48—68) 
das  ganze  zum  Abdruck  gebracht,  ohne  zu  dem,  was  er  früher 
schon  über  die  Provenienz  bemerkt  hatte,  noch  etwas  näheres 
hinzuzufügen.  In  welchen  literarhistorischen  Zusammenhang 
dieser  deutsche  Hamlet  zu  stellen  sei,  darüber  vermochte  Rei- 
chard natürlich  nichts  anzugeben,  er  sagt  bloss  im  Theater- 
kalender:  »Wenn  auch  nicht  die  Mittheilung  solcher  Auszüge 
schon  durch  das  Licht  und  den  Fingerzeig  wichtig  würden,  den 
sie  über  den  Ton,  die  Sitte  und  den  Geschmack  der  Schauspie- 
ler und  des  Publicums  dieser  ersten  theatralischen  Epoche 
durch  die  Schlüsse  verbreiten ,  die  sich  daraus  folgern  lassen ; 
80  würde  mich  doch  schon  der  Gedanke  zu  seiner  Einrückung 
bewogen  haben,  dass  er  nie  willkommener  als  zu  einer  Zeit  sevü 
kann,  wo  Hamlet  in  Deutschland  so  berüchtigt  ist  und  wo  seine 
Gegeneinanderhaltung  mit  der  Schröder'schen  Verdeutschung 
nothwendig  den  Lesern  viel  Vergnügen  verursachen  muss«,  und 
am  Schluss  seiner  Inhaltsangabe  fügt  er  hinzu :  jßo  sah  es  vor 
80  Jahren  mit  dem  Geschmack  der  deutschen  Bahnen  und  der 
deutschen  Parterren  ausi« 

Es  war  in  der  That  zur  Zeit  von  Reichard's  Publicationen 
noch  nicht  möglich,  eine  Erklärung  zu  finden  für  den  uuleug- 


i;  Reichard's  Selbstbiographie,  herausg.  von  Hermann  Uhde,  Slattgart 
4  877,  giebt  gleichfalls  keine  Auskunft. 


baren  Zusammenhang  zwischen  Shakespeare  und  einem  deut- 
schen Drama  aus  dem  Anfang  des  18.  Jahrhunderts,  also  aus 
einer  Epoche,  in  welcher  man  sich  sonst  in  Deutschland  um 
Shakespeare  gar  nicht  kümmerte. 

Eine  richtige  Würdigung  dieser  auffallenden  Thatsache 
konnte  natürlich  erst  eintreten ,  nachdem  sich  in  neuerer  Zeit 
die  Aufmerksamkeit  der  Literarhistoriker  den  Wanderungen  der 
englischen  Comödianten  zu  Ende  des  16.  und  Anfang  des  17. 
Jahrhunderts  zugewendet  hatte.  Alsdann  war  es  leicht  zu  er- 
kennen,  dass  der  deutsche  Hamlet  von  1740  aus  einem  Reper- 
toirestück der  englischen  Comödianten  hervorgegangen  sein 
müsse  und  dass  die  Unterschiede  von  dem  Stil  der  englischen 
Gomödien,  die  im  Jahre  1620  in  deutscher  Bearbeitung  im  Druck 
erschienen,  dadurch  zu  erklären  seieU;  dass  eben  das  Stück  sich 
von  einer  Truppe  zur  andern  fortpflanzte  und  dabei  im  Lauf  ei- 
nes Jahrhunderts  mannigfachen  Umgestaltungen  unterlag.  Dass 
in  der  That  die  englischen  Comödianten  in  Deutschland  einen 
Hamlet  auf  ihrem  Repertoire  hatten,  ergab  sich  aus  einem  hand- 
schriftlichen Yerzeichniss  der  Aufführungen  der  ))Engelender(( 
in  Dresden  im  Jahr  1626.  Dort  heisst  es  u.  a. :  »Junius  24  —  Ist 
eine  Tragoedia  von  Hamlet  einen  printzen  in  Dennemarck  ge- 
spielt worden«*).  Cohn  hat  daher  in  seinem  Werke  »Shakespeare 


1)  Vergl.  Fürsienau,  Gesch.  d.  Musik  und  des  Theaters  in  Dresden, 
Bd.  1,  Dresden  4  861,  S.  96  und  das  unten  citirte  Werk  von  Cohn,  S.  CXV. 
—  Elise  Mentzel  in  ihrer  Geschichte  der  Schauspielkunst  in  Frankfurt  a.  M., 
Frankfurt  a.  M.  1882,  S.  65,  sagt,  dass  Adam  Gottfried  Uhlich  in  einer  AD- 
imndlung  »Über  die  deutsche  Schaubühne«  von  einem  leider  verlorenen  An- 
schlagezettel spreche,  auf  welchem  englische  Comödianten  ungefähr  4  628 
oder  4  630  in  Frankfurt  als  Abschiedsspiel  eine  in  hochdeutscher  Sprache 
gegebene  Vorstellung  des  Hamlet  ohne  Angabe  des  Verfassers  angezeigt 
haben  sollen.  Dieser  Aufsatz  Uhlichs  ist  mir  unbekannt  und  auch  die  Ver- 
fasserin sagt  nichts  darüber,  wo  sie  denselben  gefunden  hat  und  an  welcher 
Stelle  sich  die  Angabe  über  die  Hamlet- Aufführung  befindet.  Ferner  be- 
richtet sie  S.  420  nach  den  Mittheilungen  einer  ungenannten  dritten  Person, 
dass  sich  »noch  vor  4  0  Jahrenn  im  Besitz  eines  inzwischen  verstorbenen 
Sammlers  drei  Theaterzettel  der  bekannten  Velten'schen  Schauspielertruppe 
aas  dem  Jahre  4  686  befunden  hätten.  Einer  dieser  Zettel  habe  die  Ankün- 
digung eines  Dramas:  »Der  bestrafte  Brudermord  oder  Prinz  Hamlet  aus 
Dänemark«  enthalten.  Die  Zettel  aber  seien  nach  dem  Tode  jenes  Samm- 
lers spurlos  verschwunden.  Demnach  wöre  also  der  deutsche  Hamlet  da- 
mals genau  unter  demselben  Titel  und  vermuthlich  auch  in  derselben  Fas- 
sung aufgeführt  worden  wie  er  in  der  Handschrift  von  4  74  0  vorliegt.     E* 

4* 


in  Germanya  *)  dem  deutschen  Hamlet  mit  Recht  eine  ganz  be- 
sondere Beachtung  zu  Theil  werden  lassen;  er  hat  ihn  S.  244  ff. 
zum  Abdruck  gebracht  und  eine  englische  Übersetzung  von  Miss 
Archer  beigefügt.  Ebenso  hat  Furness  in  seinem  grossen  Ya- 
riorum  Hamlet^}  Bd.  H  S.  4SI  ff.  eine  von  ihm  selber  angefer- 
tigte wörtliche  Obersetzung  mitgetheilt.  Prutz  in  seiner  Ge- 
schichte des  deutschen  Theaters  3]  und  Gen^e  in  seiner  Gesdiichte 
der  Shakespeare'schen  Dramen  in  Deutschland  ^)  brachten  aus- 
führliche Mittheilungen  und  Auszüge. 

Durch  alle  diese  Publicationen  wurde  die  Aufmerksamkeit 
der  Shakespeareforscher  auf  unser  Drama  gelenkt  und  man  hat 
schon  mehrmals  versucht ,  die  deutsche  Bearbeitung  zur  Auf- 
hellung der  mancherlei  schwierigen  Punkte  in  der  Geschichte 
und  Kritik  des  Shakespeare'schen  Hamlet  zu  verwerthen.  Es 
ist  bekannt^  dass  die  Quartausgabe  von  4604  —  auf  den  folgen- 
den Blättern  als  B  bezeichnet  —  im  wesentlichen  den  gangba- 
ren Text  des  Hamlet  enthält^},  dass  aber  neben  dieser  Aus- 
gabe in  unserm  Jahrhundert  noch  eine  frühere  Quarte  von  4603 
—  auf  den  folgenden  Blattern  als  A  bezeichnet  —  entdeckt 
wurde,  welche  nicht  nur  im  Wortlaut,  sondern  auch  tbeilweise 
in  der  Beihenfolge  der  Scenen  von  dem  gangbaren  Text  ab- 
weicht, eine  ganze  Scene  enthält,  die  wir  dort  nicht  finden  und 
auch  stellenweise  den  Charakter  der  auftretenden  Personen, 
namentlich  den  Charakter  der  Königin,  in  einem  anderen  Lichte 
erscheinen  lässt.  Der  Sprachausdruck  und  der  Versbau  in  A  ist 
sehr  nachlässig,  die  reflectirenden  Partien  des  Dramas  sind  oft 
bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellt  <^). 

Über  die  Entstehung  von  A  sind  nun  die  verschiedenartig- 


wäre  diess  an  und  für  sich  sehr  wohl  möglich,  aber  auf  eine  so  unbestimmt 
gehaltene  Angabe  dürfen  wir  natürlich  keine  weiteren  Schlüsse  bauen. 

0  London  4  865. 

2}  A  new  variorum  edition  of  Shakespeare  edited  by  U.  H.  Furness. 
vol.  III.  (Hamlet,  vol.  1.)  vol.  IV.  (Hamlet,  vol.  II.)  London  und  Philadel- 
phia 4  879. 

3)  S.  356  fr. 

4)  Leipzig  1870.  S.  445  0. 

5}  Von  den  Unterschieden ,  die  zwischen  B  und  den  Folioausgabeo 
obwalten ,  kann  vorerst  abgesehen  werden ,  sie  werden  an  einer  anderen 
Stelle  dieser  Untersuchung  zur  Sprache  kommen. 

6)  Ich  citire  im  folgenden  A  nach  dem  Abdruck  bei  Furness  Bd.  U 
S.  37  fr.,  B  nach  dem  Griggs'schen  Facsimile.  London  s.  a. 


sten  Ansichten  laut  geworden.  Die  einen  meinen,  dass  zu  der 
Zeit,  als  Shakespeare's  Hamlet  noch  nicht  durch  den  Druck,  son« 
dem  bloss  durch  die  Bühnendarstellung  bekannt  war,  ein  ge- 
winnsüchtiger Buchhändler  sich  auf  betrügerische  Weise  in  den 
Besitz  der  Handschrift  habe  setzen  wollen  und  zu  diesem  Zweck 
einen  oder  mehrere  Handlanger  ins  Theater  geschickt  habe,  um, 
so  gut  es  gehen  wollte,  das  Stück  während  der  Vorstellung 
nachzuschreiben.  Solche  Machinationen  kamen  notorisch  zu 
Shakespeare's  Zeit  in  London  nicht  selten  vor,  zumal  da  die 
Scbauspielergesellschaften  ein  erfolgreiches  Stück  gern  so  lang 
wie  möglich  ungedruckt  Hessen.  Die  Abschreiber  hätten  als- 
dann nach  der  Theatervorstellung  die  Lücken  ihrer  Nieder- 
schrift theils  nach  der  Erinnerung  ergänzt,  theils  von  einem 
untergeordneten  Literaten  durch  willkürliche  Erfindungen  aus- 
füllen lassen.  So  sei  dann  das  Druckmanuscript  von  A  entstan- 
den und  ein  Jahr  früher  erschienen  als  B,  das  »according  to  the 
true  and  perfect  Goppiea  gedruckt  ist.  Die  namhaftesten  Ver- 
treter dieser  Ansicht  sind  in  England  Collier ,  in  Deutschland 
Tycho  Mommsen  und  Tanger,  in  neuerer  Zeit  auch  Delius,  der 
sich  früher  mehrderentgegengesetzten  Ansicht  zugeneigt  hatte  ^) . 
Andere  wieder  wollen  die  Abweichungen  von  A  dadurch  erklä- 
ren, dass  dieser  Ausgabe  eine  frühere  Redaction  zu  Grunde  ge- 
legen habe ,  wenn  auch  dieselbe  im  Druck  arg  verstümmelt  er- 
scheine. Die  Vertreter  dieser  Meinung  weichen  aber  wieder  von 
einander  ab  je  nach  ihrer  Stellung  zu  einer  anderen  Frage ,  die 
für  die  Entstehungsgeschichte  des  Shakespeare'schen  Dramas 
von  Bedeutung  ist.  Noch  ehe  nämlich  Shakespeare^s  Hamlet  in 
der  gangbaren  Fassung  vorlag,  deren  Entstehung  wir  aus  äus- 
seren und  inneren  Gründen  in  die  Zeit  um  1 600 ,  in  Shake- 
speare's reifste  Zeit  verlegen  müssen,  gab  es  schon  auf  der  eng- 


\]  Coliier's  Argumentation  im  Auszug  bei  Furness  11  S.  24.  Momm- 
sen hat  seine  Ansichten  niedergelegt  tn  einer  Besprechung  der  Delius'schen 
Hamlet-Ausgabe  in  den  neuen  Jahrbüchern  für  Philologie/ und  Pädagogik, 
Bd.  7i,  Leipzig  ^  855.  Erster  Artikel  S.  57  ff.  Zweiler  Artikel  S.^  07  ff.  Drit- 
ter Artikel  S.  459 ff.  und  in  einem  Briefe  an  die  Redaction  des  Londoner 
Athenaeums  7.  Febr.  4857,  abgedruckt  bei  Furness  II,  S.25f.  Tanger's  Auf- 
sätze in  »The  new  Shakespeare  Society's  transactions«  1880—82,  S.  4  09  ff., 
und  in  »Anglia.  Zeitschrift  für  englische  Philologie«,  Bd.  IV.  Halle  4  881, 
S.  214  ff.  Delius  hat  seine  frühere  Meinung  im  Vorwort  zu  seinen  Abhand- 
longen über  Shakespeare,  Elberfeld  4  878,  S.  IX,  zurückgenommen. 


6     

lischen  Bühne  eine  Hamlettragödie,  die  zuerst  in  Thomas  Nash's 
Vorrede  zu  Robert  Greene's  Menaphon  —  spätestens  1 589  — 
erwähnt  wird.  Mehrere  Shakespeare-Forscher  behaupten  nun, 
dieser  ältere  Hamlet  sei  von  Shakespeare  in  den  ersten  Jahren 
seiner  dramatischen  Laufbahn  verfasst  worden,  A  sei  aus  dieser 
früheren  Shakespeare'schen  Fassung  hervorgegangen  und  die 
ästhetischen  Mängel  von  A  fänden  zum  grössten  Theil  ihre  Er- 
klärung in  dem  jugendlichen  Alter  des  Verfassers.  Diese  An- 
sicht wurde  vor  allem  durch  Knight  vertreten,  wird  aber  ge- 
genwärtig allgemein  als  unhaltbar  betrachtet  und  ich  glaubte 
auch ,  auf  den  folgenden  Blättern  von  einem  Eingehen  auf  die- 
selbe Abstand  nehmen  zu  dürfen.  Es  wird  sich  indess  zeigen, 
dass  das  Hauptergebniss  meiner  Untersuchung  sieh  auch  mit 
der  Knight'schen  Hypothese  vertragen  würde.  Elze ,  der  übri- 
gens geneigt  ist,  mit  Knight  den  älteren  Hamlet  als  ein  Shake- 
speai-e'sches  Werk  zu  betrachten,  meint,  man  brauche  deshalb 
doch  noch  nicht  zu  glauben ,  dass  A  auf  diesem  älteren  Hamlet 
beruhe,  Shakespeare  habe  vielleicht  sein  Werk  mehrmals  um- 
gearbeitet und  man  könne  nur  soviel  mit  Sicherheit  sagen, 
dass  B  die  letzte  Redaction  repräsentiere,  während  A  Bestand- 
theile  der  vorletzten  enthalte^).  Andere,  wie  z.  B.  Furnivali^  , 
meinen,  dass  das  ältere  Drama  nicht  von  Shakespeare  herrühre, 
dass  Shakespeare  seinen  Hamlet  nicht  früher  als  in  den  ersten 
Jahren  des  17.  Jahrhunderts  gedichtet  und  bald  nach  der  ersten 
Fassung  einer  neuen  Redaction  untei*zogen  habe.  Die  erste  Fas- 
sung sei  in  der  verstümmelten  Raubausgabe  A  von  (603,  die 
zweite  in  der  Ausgabe  B  von  4604  erhalten.  Grant  Wählte ^i 
meint,  der  Söldner  des  räuberischen  Buchhändlers  habe  in  ei- 
ner Aufführung  der  gangbaren  Redaction  des  Shakespeare'schen 
Hamlet  seine  Notizen  zu  Papier  gebracht  und  dann  die  Lücken 


1)  Vgl.  Elze's  Einleitung  zum  Hamlet  in  »Shakespeares  dramatische 
Werke  nach  der  Übersetzung  von  Schlegel  und  Tieck .  .  .  herausg.  durch 
d.  Deutsche  Shakespeare-Gesellschaft«,  Bd.  6,  Berlin  ^869.  Ferner  Shake- 
speare's  tragedy  of  Hamlet  edited  byK.  Elze,  Halle  1882.  Dazu  die  Recension 
von  Tanger  im  Jahrbuch  der  Deutschen  Shakespeare-Gesellschaft,  Bd.  XVIII, 
S.  218flf. 

2]  In  den  Vorworten  zu  den  Griggs'schen  Facsimiles  von  A  und  B. 

8)  Introduction  to  Hamlet,  S.  lOfT.,  abgedruckt  bei  Furness,  U, 
S.  26flf. 


aus  dem  älteren  Hamlet  ergänzt.  Herford  *)  vertritt  die  Ansicht^ 
Shakespeare  habe  um  das  Jabr  4600  seinen  Hamlet  im  Anschlnss 
an  das  altere  Drama  verfasst  —  ähnUeh  wie  z.  B.  sein  Lustspiel 
«The  taming  of  the  shi*ew«  nur  die  Überarbeitung  eines  älteren 
Dramas  ist.  Dieser  Shakespeare'sche  Hamlet  sd  die  Grundlage 
der  unrechtmässigen ,  entstellten  Ausgabe  A ,  während  B  das 
Ergebniss  einer  Umarbeitung  durch  den  Dichter  selber  sei. 

Nun  drängen  sich  aber  noch  weitere  Fragen  auf,  zu  deren 
Lösung  uns  jeder  bestimmte  Anhaltspunkt  fehlt,  die  Frage,  wer 
wohl  sonst  der  Verfasser  jenes  älteren  Hamlet  sein  könne,  wenn 
Dicht  Shakespeare,  und  die  Frage,  wie  viel  Shakespeare  aus 
dem  früheren  Werke  in  seine  Dichtung  ttbernommen  habe.  Nur 
so  viel  geht  aus  den  zeitgenössischen  Anspielungen  mit  Be- 
stimmtheit hervor ,  dass  schon  in  dem  älteren  Drama  der  Geist 
von  Hamlet's  Vater  erschien  und  seinen  Sohn  zur  Rache  auffor- 
derte, ein  Zug,  den  Shakespeare  nur  von  dort  her,  nicht  etwa 
aus  den  Prosaerzählungen  von  Hamlet  entlehnen  konnte.  Meh- 
rere englische  Gelehrte  haben  auf  Sbakespeare's  älteren  Zeit- 
genossen Ryd  als  den  Verfasser  des  ersten  Hamlet  gerathen. 

Von  den  Sbakespeareforsehern  nun ,  welche  das  deutsche 
Drama  (D)  in  die  Discussion  über  die  Hamletfrage  hereingezo- 
gen haben,  sind  mehrere  der  Ansicht,  dass  D  eine  von  den 
deutsch-englischen  Schauspielern  far  ihre  Zwecke  zurechtge- 
stutzte Bearbeitung  des  älteren  Hamlet  sei.  Unter  den  bisherigen 
Vertretern  dieser  Meinung  sind  vor  allem  zu  erwähnen  Bern- 
hardy^),  Latham^)  und  Widgery^).  Alle  drei  schlagen  zur  Be- 
gründung ihrer  Ansicht  denselben  Weg  ein.  Sie  heben  Einzel- 
heilen hervor,  in  welchen  D  von  Shakespeare  abweicht,  und 
suchen  nachzuweisen,  dass  diese  Einzelheiten  im  Geist  und 
Stil  der  dramatischen  Dichter  gehalten  sind,  die  gegen  Ende  der 
80er  Jahre  des  i6.  Jahrhunderts,  als  die  alte  Tragödie  nach 
Nash's  Angabe  schon  existierte,  die  Londoner  Bühne  beherrsch- 


1)  The  First  Quarto  Edition  of  Hamlet,  1603.  Two  Esseys  to  which 
the  Harnessprize  was  awarded  i  880.  I.  By  C.  H.  Herford.  II.  By  W.  H.  Wid- 
gery.  London  1880.  Ähnlich  schon  früher  Clark  u.Wrights.  Fumess  II,  8.32. 

3)  Shakespeare's  Hamlet.  Hamburger  Hterarischkri tische  Blätter, 
<837.  Nr.  49 — 103.  Seine  Argumentation  ist  in  den  Hauptzügen  wieder- 
gegeben bei  Cohn,  a.  a.  0.  S.  CXX. 

3)  Two  dissertations  on  Hamlet.  London  1872. 

4)  S.  0.  Anm.  1.  •  • 


-—     8     

ten.  Latbam  will  in  einer  dieser  abweichenden  Stellen  auch 
eine  Anspielung  auf  ein  Ereigniss  finden,  das  4589  in  England 
die  öffentliche  Meinung  bewegte  (s.  u.  S.  28).  Keiner  von  den 
erwähnten  Gelehrten  hat  jedoch  mit  hinlänglicher  Präcision 
auseinandergesetzt,  wie  er  sich  die  mit  Shakespeare  Überein- 
stimmenden fiestandtheile  von  D  erklärt,  ob  dadurch,  dass 
Shakespeare  das  alles  schon  in  dem  alteren  Hamlet  vorgefun- 
den habe  oder  dadurch,  dass  die  wandernden  Englischen  Co- 
mödianten  auf  dem  Gontinent  sowohl  das  Drama  Shakespeares 
als  auch  das  seines  Vorgängers  auf  ihrem  Repertoire  halten  und 
dass  alsdann  D  durch  Gontamination  aus  beiden  Dramen  en\r 
standen  sei. 

Mehrere  Vertreter  der  erwähnten  Ansicht  werden  dann 
auch  durch  einige  augenfällige  Übereinstimmungen  zwiscben 
D  und  A  zu  der  Meinung  gebracht,  dass  Shakespeare,  wenn  er 
den  älteren  Hamlet  nicht  selbst  verfasste,  ihn  doch  jedenfalls  fttr 
die  erste  Redaction  seines  Dramas  als  Grundlage  benutzte,  dass 
also  die  ältere  Hamlettragödie  nicht  nur  die  Grundlage  von  D, 
sondern  auch  die  Grundlage  derjenigen  Redaction  des  Shake- 
speare^ sehen  Dramas  bilde,  aus  welcher  A  hervorging,  wogegen 
Shakespeare  sich  dann  später  in  der  letzten  vollendeisten  Re- 
daction von  der  älteren  Tragödie  viel  weiter  entfernt  habe.  Dies 
scheint  z.  B.  auch  die  Meinung  von  Furness^)  zu  sein  und  würde 
sich  mit  der  oben  vorgetragenen  Herford'schen  Hypothese  sehr 
wohl  vereinigen  lassen. 

Wieder  andere  halten  es  fttr  das  wahrscheinlichste ,  dass 
A  selber  dem  deutschen  Drama  zu  Grunde  liegt,  so  Elze*)  und 
Koch'). 

Dyce  ^)  meint  gleichfalls,  dass  D  sich  an  keine  andere  Fas- 
sung des  Shakespeare'schen  Textes  so  nahe  anschliesst  wie  an 
A,  da  er  jedoch  in  D  auch  unleugbare  Spuren  von  B  erkennen 
will,  vermuthet  er,  dass  der  deutsche  Bearbeiter  neben  A  auch 
noch  den  gangbaren  Text  benutzt  habe.  Eine  ähnliche  Ansicht 
äussert  auch  Gen6e^),  er  meint,  dass  die  englischen  Gomödian- 


4)  a.  a.  0.  II.  S.  420. 

2)  In  der  oben  citirten  Vorrede  zu  Schlegels Hamletüberseizung  S.U. 

5)  Shakespeare's  dramatische  Werke ,  nach  der  übersetzuqg  von  A. 
W.  Schlegel  etc.  herausg.  v.  M.  Koch.  Bd.  VIII.  Stuttgart  o.  J.  S.  23. 

4)  Citirt  bei  Furness  IL  S.  4  4  6. 

5)  a.  8.0.  S.  497. 


ten  in  Deutschland  in  der  ersten  Zeit  bei  ihren  Aufführungen 
A  lu  Grunde  legten  und  späterhin  einiges  aus  dem  gangbaren 
Text  nach  der  Folio-Ausgabe  einfügten. 

Um  in  diesem  Widerstreit  der  Ansichten  zu  einem  Ergeb- 
niss  zu  gelangen ,  wird  es  sich  empfehlen ,  dass  wir  uns  zu- 
nächst vergegenwärtigen,  inwiefern  D  mit  dem  Shakespeare- 
schen  Drama  übereinstimmt.  Ich  hebe  vorläufig  nur  solche 
Punkte  der  Obereinstimmung  hervor,  in  welchen  auch  A  und  B 
untereinander  keine  Verschiedenheiten  zeigen. 

Act  I.  Die  Schildwachen  am  Schloss  des  Königs  von  Däne- 
mark bemerken  das  Gespenst  des  verstorbenen  Königs,  sie 
setzen  Horatio  von  dieser  Erscheinung  in  Kenntniss  und  Ho- 
ratio  übermittelt  die  Nachricht  dem  Prinzen  Hamlet.  Dieser  er- 
hält darauf  vom  Geiste  in  der  Nacht  Enthüllungen  über  seinen 
Tod,  der  genau  so  wie  bei  Shakespeare  erzählt  wird.  Er  lässt 
darauf  seine  Freunde  schwüren,  sie  sollten  ihm  bei  seinen  wei- 
teren Plänen  behülflich  sein  und  äussert  den  Entschluss,  seinem 
Oheim  »verstellterweise  aufzuwarten«,  bis  er  Gelegenheit  zur 
Rache  finden  werde.  —  Der  König  und  die  Königin  bereden 
Hamlet  in  einer  ceremoniellen  Staatsscene ,  mit  seiner  Trauer 
über  den  Tod  des  Vaters  aufzuhören  und  die  beabsichtigte  Rück- 
kehr an  die  Universität  Wittenberg  zu  unterlassen ;  ausserdem 
gibt  der  König  seine  Zustimmung  zur  Abreise  des  Leonhardus 
(Laertes)  nach  Frankreich. 

Act.  U.  Während  Corarobus  (Polonius)  dem  König  und  der 
Königin  die  Nachricht  von  Hamlets  Tollheit  bringt,  kommt  Ophe- 
lia und  berichtet,  wie  Hamlet  ihr  nachstelle,  Corambus  erklärt 
nun ,  diese  Liebe  sei  offenbar  der  Grund  zu  der  Geistesstörung 
des  Prinzen ,  und  um  den  König  von  der  Richtigkeit  dieser  Be- 
hauptung zu  überzeugen,  veranstaltet  er  sofort  eine  Zusammen- 
kunft Ophelias  mit  Hamlet,  welche  er  mit  dem  König  zusammen 
in  einem  Versteck  belauscht.  Ophelia  leitet  das  Gespräch  ein,  in- 
dem sie  Hamlet  auffordert,  ein  geschenktes  Kleinod  wieder  zu- 
rückzunehmen, Hamlet  erwiedert  ihr  mit  einer  barocken  Rede, 
in  der  er  auseinandersetzt,  wie  die  Mädchen  mit  erborgten  und 
künstlichen  Reizen  die  Männer  berücken.  Alsdann  geht  er  ab, 
der  König  und  Corambus  erscheinen  wieder,  der  König  schenkt 
der  Meinung  des  Corambus  über  die  Tollheit  Hamlets  keinen 
Glauben.  Nach  einem  kurzen  Zwiegespräch  Hamlets  mit  Horatio 
kommtCorambus  wieder  und  meldet  die  Ankunft  der  Comödian- 


— ^     10     

ten.  Bald  darauf  erscheint  der  Comödianten-Prinzipal.  Hamlet 
hat  mit  ihm  eine  längere  Unterredung ,  in  welcher  er  ihn  xu- 
nUcbst  als  alten  Bekannten  begrUsst,  sich  nach  den  Schicksalen 
der  Truppe  erkundigt,  seine  Meinung  über  einzelne  Missstände 
des  Bühnenwesens  äussert  und  sodann  anordnetVaass  die  Co- 
mödianten  noch  an  demselben  Abend  die  Tragödie  jivou  dem 
grossen  König  Pyrroa  auffuhren  sollten ,  in  welcher  ein  Bruder 
den  andern  in  einem  Garten  dadui'ch  ums  Leben  bringt,  dass 
er  ihm  Gift  ins  Ohr  giesst.  Nachdem  der  Prinzipal  sich  enifemt 
hat  y  bleibt  Hamlet  mit  Uoratio  zurück ,  erzählt  diesem  eine  Ge- 
schichte, wie  schon  früher  einmal  durch  eine  Theateraufführung 
ein  verborgenes  Verbrechen  ans  Licht  gekommen  sei  und  bittat 
Horatio,  während  der  Aufführung  den  König  scharf  zu  beobach- 
ten. Hierauf  erscheint  der  König  mit  seinem  Hobtaat,  das 
Schauspiel  im  Schauspiel  beginnt,  bei  der  Vergiftungsscene 
bricht  der  König  plötzlich  auf,  Hamlet  ist  nun  seiner  Sache 
sieher,  und  beschliesst,  wenn  er  den  König  allein  finde,  ihm 
das  Leben  zu  nehmen. 

Act  lU.  Zu  Beginn  finden  wir  den  König  in  einem  Tempel 
vor  dem  Altar  knieend  und  die  Götter  um  Vergebung  seiner 
Sünden  bittend.  Hamlet  tritt  ein  «mit  blossem  Degen a,  er 
schickt  sich  schon  an ,  den  König  zu  durchbohren ,  besinnt  sich 
dann  aber  wieder  anders  und  will  »ihm  sein  Gebet  thun  lassen 
und  vor  diesesmal  von  hier  gehen  und  das  Leben  schenken.  Zur 
andern  Zeit  aber  will  ich  schon  meine  Rache  ausüben^.  Sodann 
finden  wir  die  Königin  mit  Corambus  in  Erwartung  der  An- 
kunft Hamlets.  Corambus  versteckt  sich  hinter  die  Tapete. 
Hamlet  tritt  ein  und  erhebt  gegen  seine  Mutter  heftige  Vorwürfe 
wegen  ihrer  zweiten  Ehe,  indem  er  dal^ei  das  Bild  des  verstor- 
benen und  das  Bild  des  jetzigen  Königs  miteinander  vergleicht. 
Er  ersticht  den  Corambus,  der  sich  hinter  der  Tapete  bemerk- 
lich macht.  Gleich  darauf  erscheint  der  Geist  seines  Vaters, 
nur  dem  Sohne ,  nicht  aber  der  Mutter  sichtbar.  Der  Rest  des 
dritten  Actes  wird  ausgefüllt  durch  zwei  Scenen,  in  denen  die 
wahnsinnige  Ophelia  auftritt,  und  eine  Scene  zwischen  dem 
König ,  Hamlet ,  Horatio  und  zwei  Dienern.  Der  König  ordnet 
an ,  dass  der  Leichnam  des  Corambus  weggebracht  und  begra- 
ben werden  solle  und  eröffnet  seinem  Neffen  den  Entschluss, 
ihn  nach  England  zu  schicken ;  die  zwei  Diener  sollen  ihn  da- 
hin begleiten.   Sodann  nimmt  er  die  Diener  bei  Seite  und  for- 


—   11    — 

dert  sie  auf,  Hamlet  sogleich  nach  der  Ankunft  in  England  zu 
tödten,  i>wo  aber  dieser  Anschlag  nicht  möchte  von  statten  gehn, 
so  nehmet  diesen  Brief  und  bringet  ihn  nebst  dem  Prinzen  an 
aufgeschriebenem  Ort;  derselbige  wird  wohl  dahin  bedacht 
seyn,  dass  er  nimmer  wieder  aus  England  kommen  soll«. 

In  Act  IV  wird  zunächst  in  einer  von  Shakespeare  durchaus 
abweichenden  Art  dargestellt ,  wie  Hamlet  auf  der  Reise  den 
Anschlägen  auf  sein  Leben  entgeht,  sodann  werden  wir  wieder 
nach  Dänemark  geführt,  wohin  Leonhardus  aus  Frankreich  zu- 
rückgekehrt ist,  um  den  Tod  seines  Vaters  zu  rächen.  Nachdem 
der  König  ihm  entdeckt  hat,  dass  sein  Vater  von  Hamlet  ermor- 
det worden  sei ,  kommt  die  Nachricht  von  Hamlets  Rückkehr 
und  der  König  bestimmt  sogieich  den  Leonhardus.  seinen  Feind 
bei  einem  Fechtspiel  mit  einem  untergeschobenen  vergifteten 
Rappier  zu  tödlen.  Gegen  Ende  dieser  Unterredung  erscheint 
wieder  die  wahnsinnige  Ophelia  auf  der  Bühne. 

In  Act  V  berichtet  zunächst  Hamlet  dem  Horatio,  durch 
welche  List  er  glücklich  entkommen  sei,  zu  ihnen  tritt  ein 
Höfling  (in  D  Phantasmo  genannt) ,  um  Hamlet  von  dem  ge- 
planten  Kampfspiel  und  der  Wette  des  Königs  in  Kenntniss  zu 
setzen.  Hamlet  lässt  dem  König  seine  Bereitwilligkeit  erklären, 
aber  sobald  der  Höfling  sich  entfernt  hat,  wird  Hamlet  von  trü- 
ben Ahnungen  befallen«  Trotzdem  befolgt  er  doch  nicht  die 
Mahnung  Horatio's,  die  Theilnahme  am  Kampfspiel  zu  unter- 
lassen. Hierauf  kommt  die  Fechtscene,  in  welcher  ganz  unter 
denselben  Umständen  wie  bei  Shakespeare  die  Königin,  der 
König,  Leonhardus  und  Hamlet  vom  Tode  ereilt  werden. 

Aber  nicht  nur  der  Gang  der  Handlung  in  den  oben  wie- 
dergegebenen Hauptzügen  ist  in  D  derselbe  wie  bei  Shake- 
speare, auch  in  einer  grossen  Anzahl  von  characteristischen 
Einzelheiten  zeigt  sich  Übereinstimmung,  So  ist,  um  nur  einige 
besond^s  augenfällige  Punkte  hervorzuheben,  in  der  nächt- 
lichen Scene  des  ersten  Actes  der  Lärm  des  Gelages  auf  der 
Schlossterrasse  hörbar;  in  der  Schwurscene  lässt  sich  die 
Stimme  des  unsichtbaren  Geistes  vernehmen;  vor  der  Unter- 
redung Hamlets  mit  Ophelia  entfernt  sich  die  Königin ;  Hamlet 
sagt  gegen  Ende  dieser  Unterredung  »Geh  in  ein  Kloster« ;  als 
Corambus  die  Ankunft  der  Comödianten  meldet,  unterbricht 
ihn  Hamlet  mit  der  Erwähnung  des  Schauspielers  Roscius  (Ma- 
rus  Russig)  und  der  Anspielung  auf  Jephtha  und  seine  Tochter ; 


12     

als  der  Hof  zum  Schauspiel  versammelt  ist,  fragt  der  König,  oh 
denn  im  Stttcke  nicht  vielleicht  etwas  ungehöriges  vorkomme 
und  Hamlet  erwiedert,  dass  diejenigen ,  die  ein  gutes  Gewis- 
sen hatten,  ruhig  sein  könnten ;  der  König  unterbricht  die  Vor- 
stellung mit  dem  Ruf  nach  Lichtern ;  Corambus  will  die  Gomö- 
dianten  »tractiren  wie  sie  es  verdienen«;  die  wahnsinnige 
Ophelia  verschenkt  Blumen ;  Hamlet  vor  der  Abreise  nach  Eng- 
land redet  den  König  an  »Mutter«  anstatt  »Yaterc,  weil  ja  doch 
Mann  und  Weib  nur  ein  Leib  seien ;  im  letzten  Act  bringt  er 
den  Höfling  dazu ,  dass  er  es  in  dem  Saale  erst  sehr  heiss  und 
gleich  darauf  wieder  sehr  kalt  findet. 

In  dem  Obigen  sind  nur  solche  Übereinstimmungen  mit 
Shakespeare  berücksichtigt,  in  Bezug  auf  welche  zwischen  A 
und  B  kein  Unterschied  besteht ,  nun  haben  wir  noch  die  Falle 
zu  untersuchen,  wo  uns  Stellen  in  D  begegnen,  die  bloss  in  A 
oder  bloss  in  B  vorhanden  sind.  Ich  will  im  folgenden  alle  von 
mir  bemerkten  Übereinstimmungen  aufzahlen,  von  denjenigen, 
die  nothwendig  auf  einem  Zusammenhang  irgend  welcher  Art 
beruhen  müssen  bis  zu  denjenigen ,  die  auch  rein  zufällig  sein 
könnten  und  also  zu  keinen  weiteren  Schlüssen  berechtigen. 
Natürlich  ist  der  Übergang  von  den  Übereinstimmungen  der 
einen  Art  zu  denen  der  anderen  Art  ein  ganz  allmählicher,  die 
Übereinstimmungen,  bei  welchen  der  zufällige  Charakter  sofort 
erkennbar  ist  und  keinem  Zweifel  unterliegen  kann ,  habe  ich 
mit  einem  *  bezeichnet. 

1.  Übereinstimmungen  zwischen  D  und  A. 

4)  Im  Personen verzeichniss  fällt  es  auf,  dass  wir  in  D  die 
£igenthümlichkeit  wiederfinden,  die  gewöhnlich  als  das  charac- 
teristischste  äusserliche  Merkmal  von  A  hervorgehoben  wird. 
Dort  führt  nämlich  Polonius  den  Namen  Corambis,  in  D  finden 
wir  denselben  Namen  mit  einer  kleinen  Änderung  wieder:  »Co- 
rambus«. Der  Diener  Reynaldo,  der  in  A  Montane  heisst,  kommt 
in  D  nicht  vor. 

5)  In  A  werden  bei  Beginn  von  Act  I  Francisco  und  Ber- 
nardo  nicht  mit  Namen  genannt ;  es  heisst  bloss :  »Enter  two 
centinels«.  In  D  werden  die  beiden  bezeichnet  als :  Erste  und 
zweite  Schildwache.  Über  den  Namen  Francisco  inD.  s.  u.S.36. 

3*)  In  D  I,  5  sagt  der  Geist  zu  Hamlet:  »Also  bin  ich  mei- 


13    

nes  Reichs,  meines  Weibes  und  meines  Lebens  von  diesem 
Tyrannen  beraubte ;  in  A  520 : 

Thus  was  I  sleeping  by  a  brothers  band 

Of  Crown e,  of  Queene,  of  life  of  dignitie 

At  once  depriued. 

Dagegen  in  B  I,  5,  74  : 

Of  life,  of  Growne,  of  Queene  at  once  dispatcht, 

also  in  anderer  Reihenfolge  der  Worte  als  in  D,  wogegen  in  BD 
das  Wort  dignity  fehlt. 

4)  Nachdem  Hamlet  den  Horatio  aufgefordert  hat,  während 
des  Schauspiels  seinen  Oheim  scharf  zu  beobachten ,  erwidert 
Horatio  in  DU,  7:  »Ihro  Durchlaucht,  ich  werde  meinen  Augen 
eine  scharfe  Aufsicht  anbefehlen«,  in  A,4S40  ff. : 

My  lord  mine  eies  shall  still  be  on  his  face, 

And  not  the  smallest  alteration 

Tbat  shall  appeare  in  him,  but  I  shall  note  it. 

In  B  HI,  2,  91  : 

Well  mv  lord 
If  a  steale  ougbt  the  whilst  this  play  is  playing 
And  scape  detected  [detecling],  I  will  pay  the  iheft. 

5)  In  D  II,  8  ruft  Polonius :  »Pagen,  Lakeyen,  brennt  die 
Fackeln  an,  der  König  will  abgehn«.  In  A  4346:  The  king  rises, 
lights,  hoel  in  B  IH,  2,  284 :  Lights,  lights,  lights  (die  Worte: 
»The  king  rises«  sind  hier  der  Ophelia  in  den  Mund  gelegt). 

6*)  In  'A  D  weist  Hamlet  beim  Anblick  des  betenden  Kö- 
nigs ausdrücklich  darauf  hin,  dass  dieser  seinen  Vater  im 
Schlaf  getödtet  habe.  DIU,  2:  er  »hat  ihn  vielleicht  in  seinen 
Sünden  schlafend  nach  der  Hollen  geschickt«.  A  4  426 :  »he  took 
my  fatber  sleeping,  his  sins  brim  füll«,  dagegen  in  B  III,  3,  80: 

A  tooke  my  father  grosly  füll  of  bread, 

Withall  his  crimes  broad  blowne,  as  flush  as  May. 

7]  In  D  III,  4  0  sagt  der  König  zu  Hamlet ,  ehe  er  ihn  nach 
England  entlässt :  »Wir  haben  bei  uns  beschlossen.  Euch  nacher 
England  zu  schicken ,  weil  diese  Krone  nahe  mit  der  unserigen 
befreundet;  als  könnt  Ihr  Euch  eine  Zeit,  weil  eine  gesundere 
Luft  allda ,  in  etwas  refrigiren  und  zu  Eurer  Genesung  besser 
als  hier  gelangen«. 


14     

Ähnlich  sagt  der  König  in  A,  als  er  der  Königin  den  Ent- 
schluss  mittheiit,  Hamlet  nach  England  zn  schicken,  1568: 

Happly  the  aire  and  climate  of  the  Coantr>' 
May  please  him  better  than  his  natiue  home. 

In  B  spricht  der  König  schon  an  einer  früheren  Stelle,  noch 
vordem  Beginn  des  eingelegten  Schauspiels  (Act  111,  Sc.  1)  mit 
Polonius  über  die  Absendung  Hamlets  nach  England  und  fügt 
HI,  4,  479  hinzu: 

Hapiy  the  seas  and  countries  different 
With  variable  obiects,  shall  expell 
This  something  setled  matter  in  his  hart, 

Von  dem  Einfluss  des  Ciimas  ist  hier  nicht  die  Rede. 

8)  In  D  und  A  gibt  der  König  Laertes  den  Gedanken  ein, 
er  solle  im  Kampfspiel  die  stumpfe  Waffe  mit  einer  spitzen  ver- 
tauschen und  diese  spitze  Waffe  mit  Gift  bestreichen ;  in  B 
spricht  der  König  blos  von  der  Unterschiebung  eines  spitzen 
Bappiers  und  Laertes  seinerseits  fügt  hinzu,  er  wolle  die  Waffe 
vergiften. 

9)  In  D  und  A  wird  der  Umstand  erwähnt ,  dass  Hamlet 
auf  seiner  Fahrt  nach  England  durch  widrige  Winde  aufgehalten 
wurde  (D  V.  2  :  »Nun  begab  es  sich,  dass  wir  eines  Tages  con- 
trairenWind  hattena;  A  4754  :  »Being  crossed  by  the  contention 
of  the  Windes«).    In  B  findet  sich  nichts  entsprechendes. 

40)  In  D  V,  3  fertigt  Hamlet  den  Phantasmo,  der  ihm  die 
Aufforderung  zum  Kampfspiel  tiberbringt ,  mit  den  Worten  ab : 
»Phantasmo,  gehe  wieder  hin  zum  Könige  und  sage  ihm,  dass 
ich  ihm  bald  aufwarten  werde«.  In  A  2046  sagt  er:  »Go,  teil 
his  majeslie,  I  wil  attend  him«.  In  B  fehlen  diese  Worte. 

4  4)  Vor  seinem  Tode  sagt  Hamlet  in  D  V,  6:  »Ich  werde 
ganz  matt,  meine  Glieder  werden  schwach  und  meine  Beine 
wollen  nicht  mehr  stehen;  meine  Sprache  vergeht  mir, 
ich  fühle  das  Gift  in  allen  meinen  Gliedern«.    In  A  24  49  : 

0  mv  heart  sinckes  Horatio 
Mine  eyes  haue  lost  their  sight,  my  tongue  his  use. 

Dagegen  in  B  V,  4 ,  364 : 

The  potent  poyson  quite  ore-crowes  my  spirit. 

42)  Widgery  a.  a.  0.  S.  409  macht  darauf  aufmerksam, 
dass  Hamlet  in  D  nicht  nur  den  verstorbenen  Könis^,  sondern 


15     —- 

auch  den  regierenden  König  als  Vater  bezeichnet,  ebenso  rede  er 
den  König  Claudius  in  A  fünfmal  als  »father«  an,  dagegen  in  B 
niemals.  Ich  habe  die  Bezeichnung  des  Stiefvaters  als  Vater  in 
D  dreimal  gefunden  und  zwar  zweimal  in  der  Anrede.  Vor  dem 
Beginn  des  eingelegten  Schauspiels  II,  7  fragt  der  König,  ob  es 
wahr  sei ,  dass  die  Comödianten  Abends  etwas  auffuhren  woll- 
ten, und  Hamlet  erwidert:  »Ja  Herr  Valer,  sie  haben  bei  mir 
angehalten  und  ich  habe  es  ihnen  auch  permittirt«.  Diese  Stelle 
entspricht  keiner  Stelle  in  A  oder  B.  D  III,  10  entschuldigt  sich 
Hamlet  wegen  der  Ermordung  des  Polonius  mit  den  Worten: 
»Es  ist  mir  leid,  Herr  Vetter  und  Vater«.  Auch  in  A  4577  re- 
det Hamlet  in  der  entsprechenden  Scene  den  König  als  Vater 
an,  allerdings  im  Verlaufe  der  in  D  fehlenden  Stelle  vom  Gast- 
mahl der  Würmer.  Ausserdem  sagt  noch  D  I,  6  Hamlet  zu  Ho- 
ratio :  »dir  will  ichs  offenbaren,  w  as  mir  der  Geist  gesagt,  nem- 
lich  dass  mein  Vater  eines  unnattlrlichen  Todes  gestorben. 
Mein  Vater,  der  anjetzo  auch  mein  Vater  ist,  hat  ihn  ermor- 
det«. Das  gesperrt  gedruckte  »mein  Vater«  ist  offenbar  ein  Ver- 
sehen für  »sein  Bruder«. 


II.  Übereinstimmungen  zwischen  D  und  B. 

i)  In  B  I,  4,  8  sagt  Francisco: 

—  t  is  bitter  cold 
And  I  am  sick  at  hart. 

In  D  I,  1  sagt  die  erste  Schildwache:  »Ob  es  gleich  kalt 
ist,  habe  ich  doch  einen  Höllenschweiss  ausgehalten.« 

2)  In  D  1,  5  eröffnet  der  Geist  seine  Enthüllungen  mit  den 
Worten :  »Höre  mich  Hamlet,  denn  die  Zeit  kommt  bald,  dass  ich 
mich  wieder  an  denselben  Ort  begeben  muss ,  wo  ich  herge- 
kommen«. 

Ebenso  sagt  der  Geist  in  B  I,  5,  2: 

My  houre  is  almost  come 
When  I  to  sulphrus  and  tormenting  flames 
Must  render  vp  my  seife. 

Fehlt  in  A. 

3)  Die  Rede,  die  der  König  bei  seinem  ersten  Atiftrelen 
halt,  beginnt  in  D  I,  7:  »Obschon  unseres  Herrn  Bruders  Tod 


16     

noch  in  frischem  Gedächtniss  bey  jedermann  ist  und  uns  gebie- 
tet, alle  Solennitäten  einzustellen,  werden  wir  doch  anjetzo  ge- 
nöthiget,  unsere  schwarze  Trauerkleider  in  Carmoisin,  Purpur 
und  Scharlach  zu  verändern,  weil  nunmehr  meines  seeligen 
Herrn  Bruders  hinterbliei)ene  Wittwe  unsere  liebste  Gemahliu 
worden ;  darum  erzeige  sich  jeder  freudig  und  mache  sich  un- 
serer Lust  theilhaftig«. 

Dem  entsprechend  heisst  es  in  B,  I  2,  4  ff. : 

Though  yet  of  Hamlet  our  deare  brothers  death 

The  memorie  be  greene,  and  that  it  vs  befitted 

To  beare  our  harts  in  griefe,  and  our  whole  Kingdome 

To  be  contracted  in  one  browe  of  woe 

Yet  so  farre  hath  discretion  fought  with  nature, 

That  we  with  wisest  sorrowe  thinke  on  him 

Together  with  remembrance  of  our  seines: 

Therefore  our  sometime  Sister,  now  our  Queene, 

Th'  imperiall  ioyntresse  of  this  warlike  statO; 

Haue  we,  as  twere  with  a  defeated  ioy, 

With  an  auspitious,  and  a  dropping  eye, 

With  mirth  in  funerall,  and  with  dirdge  in  marriage 

In  equall  Scale  weighing  delight  and  dole 

Taken  to  wife.  — 

Diese  ganze  Stelle  fehlt  in  A ,  dort  eröffnet  der  König  die 
Scene  ohne  weitere  Einleitung  sogleich  mit  der  Darlegung  der 
norwegischen  'Angelegenheiten. 

4]  Als  der  König  von  der  Reise  des  Laertes  hört ,  fragt  er 
in  D  I,  7  den  Corambus:  »Ist  es  aber  mit  Eurem  Consens  ge- 
schehen« ,  worauf  alsdann  CoramJ)us  mit  einigen  Wortspielen 
über  »Consens«  antwortet. 

In  B  antwortet  Polonius  I,  2,  58 : 

[He]  Hath  my  Lord,  wroung  from  me  my  slowe  leaue 
By  laboursome  petition,  and  at  last 
Vpon  his  will  I  seald  my  hard  consent, 
I  doe  beseech  you  giue  him  leaue  to  goe. 

In  A  antwortet  Corambis  462: 

He  hath,  my  lord,  wrung  from  me  a  forced  graunt 
And  I  beseech  you  grant  your  Highnesse  leaue. 

5j  Als  Corambus  dem  König  und  der  Königin  ankündigt. 


17     

Ihr  Sohn  sei  wahnsinnig ,  sagt  er  in  D  II,  2 :  »Prinz  Hamlet  ist 
toll,  ja  so  toll  als  der  griechische  Tolleran  jemals  gewesen«. 

König:  Und  warum  ist  er  toll? 

Corambus:  Darum,  dass  er  seinen  Verstand  verloren. 

B  II,  2,  92 :  your  noble  sonne  is  mad  : 

Mad  call  I  it,  for  to  define  true  madnes 
What  ist  but  to  be  nothing  eis  but  mad 

ist  D  ähnlicher  als  A,  wo  es  bloss  heisst  757:  »Gertaine  it  is  that 
hee  is  madde:  mad  let  vs  grant  him  then. 

6)  In  D  II,  6  und  B  II,  2,  623  spricht  Hamlet  in  einem 
Monolog  die  Absicht  aus ,  die  Schauspieler  sollten  etwas  in  der 
Art  wie  die  Ermordung  seines  Vaters  aufführen,  in  A  nicht. 

7)  In  DU,  7  sagt  Hamlet  zu  den  Schauspielern:  »Ich  bin 
ein  grosser  Liebhaber  eurer  Exercitien  und  meine  es  nicht  übel, 
denn  man  kann  in  einem  Spiegel  seine  Flecken  sehen«. 

In  B   m,  2,  23  sagt  er: 

Playing  whose  end  bolh  at  the  first,  and  nowe,  was  and  is, 
to  holde  as  twere  the  Mirrour  vp  to  nature,  to  shew  vertue  her 
feature;  scorne  her  owne  Image  etc. 

In  A  fehlt  der  Vergleich  mit  dem  Spiegel  gänzlich. 

8j  In  D  und  B  wird  das  Ehepaar  im  eingelegten  Schauspiel 
als  König  und  Königin  bezeichnet,  in  A  in  der  einen  Bühnen- 
anweisung (nach  1259]  als  König  und  Königin,  in  der  andern 
(Dach  4273)  als.  Herzog  und  Herzogin. 

9)  Nach  der  plötzlichen  Unterbrechung  des  eingelegten 
Schauspiels  sagt  Hamlet  in  D  III,  8  zu  Horatio:  Sähet  ihr,  wie 
der  König  sich  entfärbte  als  er  das  Spiel  sähe?  Horatio:  Ja, 
Ihro  Durchlaucht,  die  That  ist  gewiss.  Hamlet:  [Er  hat]  Eben 
also  meinen  Vater  getödtet,  wie  ihr  in  diesem  Schauspiel  ge- 
sehn. In  B  in,  2,  298  Ham. :  Did'st  perceiue?  Hör. :  Very  well 
my  Lord.  Ham. :  Vpon  the  talke  of  Ihe  poysning.  Hör. :  I  did 
very  well  note  him.    Fehlt  in  A. 

10)  In  D  III,  6  sagt  Hamlet,  als  der  Geist  im  Gemach  sei- 
ner Mutler  erscheint:  »Ach  werther  Schatten  meines  Vaters, 
stehe  still!  Ach,  ach,  was  ist  dein  Begehren?  Forderst  du 
Rache?  In  B  HI,  4,  103: 

Saue  me  and  houer  ore  me  with  your  wings 

You  heauenly  gards :  what  would  your  gracious  figure? 

4887.  2 


18     

Do  you  not  come  your  iardy  sonne  to  chide, 

Thai  lap'st  in  time  and  passion  lets  goe  by 

Th^  important  acling  of  your  dread  command,  o  say. 

In  A  1502: 

Saue  me,  saue  me  you  gratious 

Powers  aboue,  and  houer  ouer  mee, 

With  your  celestiall  wings. 

Doe  you  not  come  your  tardy  sonne  to  chide, 

That  I  thus  long  haue  let  reuenge  slippe  by? 

i1)  In  D  in,  9  ruft  die  wahnsinnige  Ophelia:  »Siehe  da, 
mein  KtttschcheU;  mein  Kütschchen«,  in  B  IV,  5,  70:  Come  my 
coach;  fehlt  in  A. 

12)  In  D  IV,  5  und  B  IV,  7  wird  die  Nachricht  von  Hamlets 
Rückkehr  während  der  Unterredung  des  Königs  mit  Laertes  ge- 
meldet, in  A  ist  dem  König  dies  Ereigniss  schon  bei  Beginn  der 
Unterredung  bekannt,  1783. 

13)  In  D  VI,  5  sagt  der  König  zu  Leonhardus,  es  sei  schwer, 
Hamlet  etwas  anzuhaben,  »weil  ihm  seine  Frau  Mutter  den 
Rücken  hält  und  ihn  die  Unterthanen  sehr  lieben«.  In  B  IV,  7, 11 
sagt  er  zu  Laertes,  er  habe  aus  zwei  Gründen  Hamlet  geschont. 

The  Queene  his  molher 
Lines  almost  by  his  lookes  etc. 

the  other  motiue 

Why  to  a  publique  count  I  migbt  not  goe 

Is  the  great  loue  the  generali  gender  beare  him  etc. 

Fehlt  in  A. 

14)  In  D  V,  2  und  B  V,  2  erzählt  Hamlet  dem  Horatio,  wie 
er  auf  der  Reise  nach  England  den  Anschlägen  gegen  sein  Le- 
hen entging,  in  A  erfahren  wir  dies  alles  in  einem  Gespräch 
Horatios  mit  der  Königin,  das  in  D  und  B  fehlt.  In  D  und  B 
weist  Hamlet  während  dieses  Gesprächs  mit  Horatio  darauf  hin, 
ciass  er  seine  Rettung  der  göttlichen  Allmacht  verdanke. 

15)  In  D  V,  3  begrüsst  Phantasmo  den  Hamlet  mit  den 
Worten:  »Willkommen  zu  Hause,  Prinz  Hamlet«;  in  B  V,  2,  82 
sagt  Osrik  an  der  entsprechenden  Stelle : 

Your  Lordship  is  right  welcome  backe  to  Denmarke. 

dagegen  der  »Bragart  Gentlemam  in  A  2020 : 

Now  God  saue  thee,  sweete  prince  Hamlet. 


19     

46)  In  D  V,  3  findet  sich  eine  Stelle,  die  vermutblich  mit 
den  bloss  in  B  V,  2,  236  vorkommenden  Worten  »Let  be«  zusam- 
menhängt, darüber  vgl.  u.  S.  42. 

17)  In  D  V,  6  entschuldigt  sich  Hamlet  vor  Beginn  der  Fecht- 
scene  wegen  seiner  mangelhaften  Übung  in  der  Fechtkunst; 
Leonhardus  erwidert  ihm :  »Ich  bin  Ihro  Durchlaucht  Diener, 
Sie  scherzen  nur«.  Ebenso  erwidert  er  B  V,  2,  268:  You  mock 
me,  Sir.   Fehlt  in  A. 

\  8)  Zu  Ende  des  Stückes  ruft  Leonhardus  in  D  V,  6 :  Adieu 
Prinz  Hamlet!  Adieu  Weltl  Ich  sterbe  auch.  Ach  verzeihet  mir, 
Prinz!  und  gibt  dann  seinen  Geist  auf.  Hamlet  sagt  hierauf: 
»Der  Himmel  geleite  deine  Seele  I<r 

In  B  V,  2,  339  sagt  Laertes: 

Exchange  forgiuenesse  with  me  noble  Hamlet 
Mine  and  my  fathers  death  come  not  vppon  thee, 
Nor  thine  on  me  [Laertes  dies] . 

Hamlet:  Heauen  make  thee  free  of  it. 

In  A  21 40  sagt  Laertes : 

Hamlet  before  I  die,  here  take  my  band 

And  withall,  my  loue :  I  doe  forgiue  thee  (Leartes  dies) . 

Hamlet:  And  I  thee. 

19)  In  D  und  B  äussert  Hamlet  vor  seinem  Tode,  dass  er 
sich  den  Fortinbras  (in  DFortempras)  zum  Nachfolgerwünscht; 
in  A  wird  hiervon  nichts  erwähnt. 

Nun  bleibt  uns  noch  übrig,  zu  betrachten,  inwiefern  sich 
D  von  beiden  englischen  Versionen  unterscheidet. 

Es  fehlen  alle  Scenen  im  Hause  des  Polonius ;  die  Scene,  in 
welcher  Ophelia  ihren  Vater  von  Hamlets  Liebeswahnsinn  be- 
richtet, ist  zu  ein  paar  kurzen  Worten  zusammengezogen  und 
an  den  königlichen  Hof  verlegt.  Die  Scenen  auf  der  Schloss- 
terrasse  folgen  im  ersten  Akt  unmittelbar  aufeinander.  Ferner 
fehlt  das  erste  Gespräch  Hamlets  mit  Polonius,  nur  eine  Stelle 
daraus  ist  in  das  vorhergehende  Gespräch  zwischen  Polonius 
und  dem  königlichen  Paare   übergegangen^),    die   Gespräche 


1)  In  A  sind  an  dieser  Steile  die  Scenen  in  nachfolgender  Weise  ge- 
ordnet :  zuerst  das  Gespräch  zwischen  Polonius  und  dem  Königspaare  755  ff. , 
dann  Hamlets  Monolog  und  sein  Gespräch  mit  Ophelia  und  hierauf  erst  das 

3* 


20     

Hamlets  mit  Rosenkranlz  und  Güldenstern ,  ^ie  überhaupt  die 
Rolle  dieser  beiden  vollständig  ausgefallen  ist ,  es  fehlen  voll- 
ständig die  Kircbhofsscenen  des  letzten  Actes,  sowohl  die  Todten- 
gräberscene  als  auch  das  Leichenbegängniss  der  Ophelia.  Im 
ganzen  Stück  fehlen  die  Hinweisungen  auf  die  Kriegspläne  des 
Fortinbras,  Fortinbras  wird  am  Schluss  erwähnt,  ohne  dass  vor- 
her von  ihm  die  Rede  gewesen  wäre.  Von  Horatio's  Selbstmord- 
gedanken gegen  Ende  des  Stücks  ist  nicht  die  Rede. 

Auf  der  andern  Seite  finden  wir  aber  auch  in  D  manches, 
was  in  den  beiden  englischen  Versionen  fehlt. 

D  wird  eröffnet  durch  einen  mit  der  Handlung  nur  lose 
verknüpften  Prolog ,  in  welchem  die  Göttin  der  Nacht  und  die 
drei  Furien  auftreten.  Das  komische  Element  wird  durch  Phan- 
tasmo  vertreten,  der,  wie  aus  dem  Obigen  hervorgeht,  zugleich 
^uch  die  Rolle  Osriks  übernommen  hat  und  den  Ophelia  im 
Wahnsinn  für  ihren  Geliebten  hält.  Ausserdem  ist  er  mit  dem 
Rauern  Jens,  der  an  den  Hof  kommt,  um  seine  Zinsen  zu  bezah- 
len, Träger  einer  komischen  Zwischenhandlung,  die  wie  es 
scheint  nur  zum  geringsten  Theil  in  der  Niederschrift  fixiert  ist; 
dergleichen  war  ja  bei  den  wandernden  Schauspielerlruppen 
gewöhnlich  der  Improvisation  überlassen.  Auch  die  Art,  wie 
Hamlet  auf  der  Reise  nach  England  ums  Leben  gebracht  wer- 
den soll  und  wie  er  entkommt,  ist  eine  völlig  andere.  Zwei 
Randiten  begleiten  Hamlet  im  Auftrag  des  Königs  und  wollen 
ihn  unterwegs  auf  einer  Insel  ermorden.  Sie  legen  von  zwei 
entgegengesetzten  Seiten  her  ihre  Pistolen  auf  ihn  an ,  Hamlet 
sagt ,  er  wolle  nur  noch  erst  seine  Seele  Gott  empfehlen  und 
dann  mit  der  Hand  das  Zeichen  zum  Losdrücken  geben.  In 
demselben  Augenblick,  wo  er  das  Zeichen  gibt,  wirft  er  sich 
aber  rasch  zu  Roden ,  die  beiden  Randiten  feuern  die  Pistolen 
ab  und  erscbiessen  sich  gegenseitig.    Hamlet  durchsucht  ihre 


Gespräch  zwischen  Hamlet  und  Polonius.  Dagegen  folgt  in  B  auf  das  Ge- 
spräch zwischen  Polonius  und  dem  Königspaare  11,2  sogleich  das  Gespräch 
zwischen  Hamlet  und  Polonius  und  erst  sptfter  Hl,  i  Hamlets  Monolog  und 
sein  Gespräch  mit  Ophelia.  Wenn  nun  A  und  D  darin  gegen  B  übereio- 
stimmen,  dass  in  beiden  auf  das  Gespräch  zw^ischen  Polonius  und  dem 
Konigspaar  sogleich  die  Scene  zwischen  Hamlet  und  Ophelia  folgt,  so  kommt 
diese  Übereinstimmung  für  uns  nicht  in  Betracht,  da  ja  das  in  B  vorher- 
gehende, in  A  nachfolgende  Gespräch  zwischen  Hamlet  und  Polonius  in  0 
überhaupt  nicht  vorhanden  ist. 


21     

Kleider  und  findet  auch  noch  einen  »Brief  an  einen  Erzmdrder 
in  England,  wenn  etwa  dieser  Anschlag  möchte  misslingen, 
sollten  sie  mich  nur  dem  überantworten ,  der  würde  mir  schon 
das  Lebenslicht  ausblasen«.  Darauf  spricht  er  die  Absicht  aus, 
wieder  mit  der  Post  zurückzukehren.  Im  fünften  Akt  erzählt  er 
alsdann  dem  Horatio  die  Geschichte  noch  einmal  so,  wie  sie  im 
vorhergehenden  Akt  auf  der  Bühne  dargestellt  wurde.  Ophe- 
lias Tod  wird  erst  unmittelbar  vor  dem  Beginne  des  Kampf- 
spieles gemeldet ,  die  Königin  berichtet  da ,  dass  Ophelia  sich 
von  einem  hohen  Berg  herabgestürzt  habe.  Am  Schiuss  er- 
sticht Hamlet  auch  den  Phantasmo,  weil  dieser  es  war,  der 
den  vergifteten  Wein  und  das  vergiftete  Rappier  herbeigeholt 
hatte. 

Ein  eigenthümlicher  Zusatz  ist  es  auch,  dass  nach  der  Dar- 
stellung in  D  der  König  nach  dem  Tode  seines  Bruders  sich  die 
Herrschaft  über  Dänemark  anmasste  und  Hamlet  die  Krone  von 
Norwegen  überliess.  Überhaupt  tritt  der  Unmuth  Hamlets  dar- 
über, dass  er  aus  der  Herrschaft  über  Dänemark  verdrängt 
wurde,  in  D  weit  entschiedener  hervor  als  bei  Shakespeare. 

Auch  in  einzelnen  Zügen  findet  sich  in  D  manches  stark 
aufgetragene,  geschmacklose,  was  in  A  und  B  fehlt,  wie  z.  B., 
dass  der  Geist  der  Schildwache  auf  der  Terrasse  eine  Ohrfeige 
gibt.  Wo  Hamlet  bei  Shakespeare  vor  Beginn  der  Fechtscene 
von  einer  plötzlichen  Beklemmung  und  von  trüben  Ahnungen 
befallen  wird  (A  8051,  B  V,  S,  284  ff.),  sagt  er  in  D:  »Aber  ach, 
was  bedeutet  dieses?  Mir  fallen  Blutstropfen  aus  der  Nase,  mir 
schüttert  der  ganze  Leib  I  0  wehe,  wie  geschieht  mir!«  und 
fällt  dann  in  Ohnmacht. 

Besondere  Erwähnung  verdienen  zwei  in  das  Drama  ein- 
geschobene Anecdoten.  Bei  Shakespeare  deutet  Hamlet  vor 
der  Veranstaltung  des  eingelegten  Schauspiels  bloss  im  allge- 
meinen darauf  hin ,  er  habe  gehört ,  dass  Verbrecher  oft  durch 
eine  Bühnendarstellung  so  betroffen  wurden,  dass  sie  ihre 
Frevelthaten  eingestanden.  In  D  erzählt  er  an  der  entspre- 
chenden Stelle  ausführlich  dem  Horatio,  wie  sich  einmal  in 
Strassburg  ein  »artiger  Casus«  zugetragen  habe ,  indem  dort 
eine  Frau  ihren  Mann  mit  einem  Schuhpfriemen  ermordet  und 
dann  mit  Hülfe  ihres  Buhlen  unter  der  Thürsdiwelle  begraben 
habe.  Als  sie  dann  neun  Jahre  später  einer  Theatervorstellung 
beiwohnte,  in  welcher  man  »von  dergleichen  Dingen  eine  Tra- 


22     

^ddie  agirtetr,  rief  sie  laut:  »o  weh,  das  trifft  mich,  denn  also 
habe  ich  auch  meinen  unschuldigen  Ehemann  ums  Leben  ge- 
bracht«. Ebenso  erzählt  Hamlet,  um  die  Falschheit  der  Weiber 
zu  erläutern,  der  Ophelia  |die  Geschichte  von  einem  »Kavalier 
in  Anion«,  der  sich  in  eine  Dame  verliebte ,  »welche  anzusehen 
war  wie  die  Göttin  Venusa.  In  der  Brautnacht  aber  nahm  die 
Dame,  ehe  sie  zu  Bette  ging,  erst  ein  künstliches  Aug;e  heraus, 
dann  ein  paar  falsche  Zähne,  dann  wusch  sie  sich  die  Schminke 
ab  und  als  der  Bräutigam  sie  umfangen  wollte,  »erschrak  er,  und 
gedachte,  es  wäre  ein  Gespenst<(. 

Die  Ermordung  des  Polonius  ist  etwas  anders  dargestellt 
als  bei  Shakespeare,  Polonius  veiTäth  sich  dadurch,  dass  er 
hinter  der  Tapete^hustet,  sein  Leichnam  wird  nicht  von  Hamlet 
fortgeschafft,  sondern  bleibt  im  Gemach  der  Königin  Hegen. 

Nach  Hamlets  Gespräch  mit  seiner  Mutter  in  deren  (Gemach 
folgt  in  D  noch  ein  Monolog  der  Mutter ,  in  welchem  diese  sich 
beklagt ,  dass  sie  durch  die  zweite  Ehe  ihrem  Sohn  »die  Krone 
Dännemark  aus  der  Hand  gespielte  »Was  ist  aber  bei  so  ge- 
schehenen Dingen  zu^thun?  nichts,  es  muss  nun  so  bleiben. 
Hätte  mir  der  Pabst  solche  Ehe  nicht  erlaubt :  so  wäre  es  auch 
nimmer  geschehener. 

Die  Namen  des  Königs  und  der  Königin  lauten  nicht  wie 
bei  Shakespeare  Claudius  und  Gertrud,  sondern  Erico  und 
Sigrie. 

Schliesslich  ist  noch  zu  bemerken,  dass  Hamlets  Gespräche 
mit  den  Schauspielern  und  Polonius  über  Theaterwesen  und 
Btthnenkunst  hier  in  einer  von  Shakespeare  durchaus  abwei- 
chenden Gestalt  erscheinen. 

Der  Hauptunterschied  zwischen  D  und  Shakespeare  besteht 
jedoch  nicht  in  den  erwähnten  Auslassungen  und  Zusätzen,  son- 
dern in  dem  völlig  veränderten  Gesammtcharakter.  Shakespea- 
risch  ist  bloss  noch  der  Gang'der  Handlung,  ausserdem  einzelne 
Buhneneffekte  und  einzelne  pointierte  Wendungen  des  Gesprä- 
ches, denen  freilich  in  der  deutschen  Bearbeitung  aller  Geist 
ausgetrieben  scheint.  Von  der  ernsten  Melancholie  Hamlets,  von 
dem  poetischen  Zauber  der  Gestalt  Ophelias,  von  dem  unheinn- 
lichen  Schauer  der  gespenstischen  Nacht  ist  auch  nicht  das  ge- 
ringste mehr  geblieben,  man  sollte  es  nicht  für  möglich  halten, 
dass  das  alles  so  ohne  jede  Spur  zurückzulassen ,  hätte  wegge- 
wischt werden  können.   Namentlich  sind  die  grossen  Monologe 


' 23     

Hamlets  gänzlich  in  Wegfall  gekommen.  Dass  der  unbeholfene 
Sprachausdruck  nirgends  an  Shakespeare  gemahnt,  versteht 
sich  von  selbst.  Es  herrscht  der  theils  geschraubte ,  theils  un- 
fläthige  Ton  der  Haupt-  und  Staatsaktionen,  wie  er  auf  den 
Btthnen  der  deutschen  Wandertruppen  um  das  Jahr  4700  allge- 
mein üblich  war.  Daneben  haben  sich  einzelne  charakteristische 
Wendungen  erhalten,  die  wir  schon  zu  Anfang  des  47.  Jahr- 
hunderts Im  Repertoire  der  englischen  Comödianten  eingebür- 
gert finden,  so  wenn  Leonhardus  mit  dem  Ruf  »adieu  Welt!« 
aus  dem  Leben  scheidet.  Sehr  bezeichnend  sind  auch  die  un- 
beholfenen Wiederholungen,  z.  B.,  dass  zuerst  auf  der  Bühne 
dargestellt  wird,  wie  Hamlet  den  Mördern  entrinnt  und  nachher 
Hamlet  noch  einmal  den  ganzen  Inhalt  der  Scene  im  Gespräch 
mit  Horatio  ausführlich  erzählt  oder  dass  'Hamlet  noch  einmal 
dem  Freunde  das  Geheimniss  berichtet,  das  ihm  kurz  vorher 
der  Geist  auf  der  Bühne  mitgetheiit  hatte.  Wenn  Hamlet,  als 
er  den  König  während  des  Gebets  übeirascht,  zweimal  den 
Degen  zückt  und  wieder  zurückzieht,  so  ist  das  eine  unge- 
schickte Wiederholung,  wie  wir  sie  in  ähnlicher  Weise  in  der 
alten  deutschen  Bearbeitung  des  Titus  Andronicus  Act  II  (Cohn 
S.  4  73  ff.)  wiederfinden.  Dass  durch  die  Zusammenlegung  der 
Scenen  auf  der  Schlossterrasse  die  wohlerwogenen  Absichten 
des  Dichters  vereitelt  werden ,  bedarf  keiner  weiteren  Ausfüh- 
rung. Zu  dem  allen  ist  auch  noch  an  mehreren  Orten  —  offen- 
bar durch  Nachlässigkeit  der  Abschreiber  —  der  Text  vollkom- 
men sinnwidrig,  so  sagt  z.B.  der  König  vor  Beginn  des  Kampf- 
spiels: »Welcher  von  Euch  beyden  die  ersten  drei  Stösse 
bekommen  wird,  der  soll  ein  weiss  neapolitanisch  Pferd  mit 
Sattelzeug  und  allem  Zubehör  gewonnen  haben«. 

Nach  den  obigen  Zusammenstellungen  wird  es  wohl  kaum 
mehr  eines  Wortes  bedürfen ,  um  die  Ansicht  derjenigen  zu- 
rückzuweisen, die  da  meinen,  dass  das  deutsche  Drama  auf  dem 
älteren  Hamlet  beruht.  Denn  falls  dieser  ältere  Hamlet  nicht 
Shakespeare's  Werk  wäre,  hätte  Shakespeare  ein  schamloses 
und  doch  von  keinem  seiner  Zeitgenossen  gerügtes  Plagiat  be- 
gangen; sein  unbekannter  Vorgänger  wäre  einer  der  grössten 
Dichter  gewesen.  Die  ganze  Art,  wie  der  Stoff  in  die  drama- 
tische Kunstform  gebannt  ist,  eine  Fülle  von  Einzelheiten,  die 
von  jeher  von  den  Kritikern  als  Offenbarungen  der  höchsten 
künstlerischen  Weisheit  bewundert  wurden  und  von  Redewen- 


24     ^ 

duDgen,  die  uns  entgegenrufen  »Ich  bin  Shakespeare^s«  *)  wären 
alsdann,  wie  aus  den  entstellten  Trttinmern  in  D  deutlich  her- 
vorgebt,  dem  Anonymus  zuzuschreiben.  Aber  auch  der  Fall  ist 
ausgeschlossen,  dass  etwa  eine  aus  Shakespeare's  Jugendzeit 
stammende  Bearbeitung  zu  Grunde  liegen  könnte ,  da  ja  in  D 
sich  auch  EigenthUmlichkeiten  der  notorisch  aus  Shakespeare's 
reifster  Zeit  stammenden  Fassung  B  vorfinden. 

Nun  könnte  man  sich  freilich  die  Entstehung  von  D  immer 
noch  so  erklären,  dass  die  englischen  Gomödianten  den  älteren 
Hamlet  nach  Deutschland  verpflanzten,  dass  derselbe  einige 
EigenthUmlichkeiten  enthalten  habe,  die  Shakespeare  in  der 
Fassung  A  noch  beibehielt  und  dass  diese  deutsche  Bearbeitung 
des  alteren  Hamlet  alsdann  später  mit  Zusätzen  aus  B  versehen 
wurde.  Diese  Vermuthung  würde  aber  erst  dann  eine  ernst* 
liehe  Berücksichtigung  verdienen,  wenn  es  gelänge  wahrschein- 
lich zu  machen  ,  dass  einiges  von  den  weder  mit  A  noch  mit  B 
stimmenden  Bestandtheilen  in  D  aus  dem  älteren  Hamlet  stam* 
men  könnte. 

Man  hat  sowohl  aus  den  charakteristischen  Auslassungen 
als  auch  aus  den  charakteristischen  Zusätzen  auf  einen  solchen 
Ursprung  von  D  schliessen  zu  dürfen  geglaubt.  Was  die  Aus- 
lassungen betrifft,  so  argumentiert  namentlich  Widgery  gerne 
mit  der  Erwägung,  dass  der  Verfasser  von  D  sich  einzelne 
Schönheiten  der  Shakespeare'schen  Tragödie  nicht  würde  haben 
entgehen  lassen,  wenn  sie  ihm  überhaupt  vorgelegen  hätten. 
Derartige  Auslassungen  beweisen  jedoch  gar  nichts;  sie  gehö- 
ren mit^zur  ständigen  Praxis  der  deutsch-englischen  Gomödian- 
ten, die  alles  das  unbarmherzig  strichen  oder  abkürzten ,  was 
nicht  dem  rein  äusserlichen  Bühneneffekt  diente.  In  ihren  Be- 
arbeitungen der  Geschichten  von  Fortunatus,  von  Doctor  Faust, 
von  Romeo  und  Julia,  vom  Raufmann  von  Venedig,  die  unzwei- 
felhaft auf  Dekker,  Marlowe  und  Shakespeare  zurückgehen, 
schlugen  sie  ganz  dasselbe  Verfahren  ein ,  von  allem  dem,  was 
<lurch  Schönheit  des  dichterischen  Ausdrucks  oder  durch  Ge- 
danken reichtbum  wirkt,  ist  in  diesen  Dramen  ebensowenig  wie 
im  Hamlet  übrig  geblieben.  Julians  Monolog  »hinab  du  flammen- 
hufiges  Gespann«,  Portia's  Rede  von  der  Gnade  sind  ebenso  ver- 
schwunden wie  Hamlets  »Sein  oder  Nicht -Sein«.    Im  übrigen 


4)  Vgl.  Lessing,  hamb.  Dramaturgie  SL  73. 


25     

wurde  ja  das  Verfahren  dieser  deutschen  Bearbeiter  englischer 
Dramen  bereits  oben  kurz  charakterisiert;  um  hier  nur  noch 
ein  Beispiel  vorzuführen ,  wie  wenig  sie  die  Schönheiten  ihrer 
Originale  zu  würdigen  verstanden ,  sei  bloss  auf  die  Stelle  hin- 
gewiesen ,  wo  Hamlet  die  Schauspieler  der  Fürsorge  des  Polo- 
nius  empfiehlt.  Dieser  antwortet  in  D  ganz  ähnlich  wie  bei 
Shakespeare:  )>Ja,  ja,  ich  will  sie  tractieren,  wie  sie  es  verdie- 
nen«. Dagegen  die  in  seiner  Vorlage  unzweifelhaft  vorhandene 
Antwort  Hamlets:  »God's  bodykins,  man,  much  better!  Use 
every  man  after  his  desert  and  who  would  scape  whipping« 
(fast  ebenso  auch  in  Ä)  hat  sich  D  völlig  entgehen  lassen. 

Auch  in  den  charakteristischen  Zusätzen  von  D  zeigt  sich 
nichts,  was  auf  englische  Tradition  hinwiese.  Man  hat  zwar 
wiederholt  behauptet ,  dass  das  Auftreten  der  Nacht  und  der 
Furien  im  Vorspiel  im  Geiste  der  alteren  euglischen  Tragödie 
gehalten  sei;  dass  ebenso  in  Kyd's  spanish  tragedy  die  Göttin 
der  Rache  und  der  Geist  des  Andrea,  in  dem  pseudo-shake- 
speare'schen  Locrine  Ate  als  Prolog  auftreten.  Aber  derartige 
Prologe  sind  bekanntlich  durchaus  kein  bezeichnendes  Merkmal 
der  älteren  englischen  Bühne;  gerade  in  der  Zeit,  in  welcher 
der  deutsche  Hamlet  die  Gestalt  erhielt,  in  welcher  er  gegen- 
wärtig vorliegt,  waren  die  allegorischen  Prologe  auf  der  deut^ 
sehen  Bühne  heimisch,  das  deutsche  Volksschauspiel  vom  Doc- 
tor  Faust  liefert  uns  ein  unzweifelhaftes  Beispiel,  dass  ein 
solcher  Prolog  damals  in  Deutschland  an  ein  altes  englisches 
Stück  angefügt  wurde  ^).  Zudem  macht  der  Hamletprolog  den 
Eindruck ,  als  gehöre  er  ursprünglich  gar  nicht  zu  dem  Stück, 
vor  welchem  er  sich  jetzt  befindet.  Ein  Hinweis  auf  die  Hand- 
lung des  Stücks  findet  sich  bloss  in  den  Worten  der  Nacht: 
j^Diese  Nacht  den  künftigen  Tag  müsst  ihr  mir  beystehn,  denn 
es  ist  der  König  dieses  Reichs  in  Liebe  gegen  seines  Bruders 
Weib  entbrannt,  welchen  er  um  ihrenthalben  ermordet,  um 
sie  und  das  Königreich  zu  bekommen.  Nun  ist  die  Stunde  vor- 
handen, dass  er  sein  Beylager  mit  ihr  hält,  ich  will  meinen 
Mantel  über  sie  decken,  dass  sie  beyde  ihre  Sünden  nicht  sehn 


1)  Vgl.  Creizenach ,  Versuch  einer  Geschichte  des  Volksschauspiels 
vom  Doctor  Faust.  Halle  4  878.  S.  53.  Ein  ähnliches  Vorspiel  auch  in 
Kongehl's  Innocentia,  welche  denselben  Stoff  wie  Shakespeare's  Cymbeline 
behandelt. 


26     

sollen,  derowegen  seyd  bereit,  den  Saamen  der  Uneinigkeit  aus- 
zustreuen ,  mischet  Gift  unter  ihre  Eh*,  und  Eyfersucht  in  ihre 
Herzen«.  Nach  den  letzten  Worten,  die  zu  der  folgenden  Tra- 
gödie durchaus  nicht  passen ,  sollte  es  fast  scheinen,  als  ob  ein 
späterer  deutscher  Bearbeiter  in  das  Vorspiel  eines  anderen 
Stückes  die  auf  König  und  Königin  bezüglichen  Worte  ein- 
geschoben habe,  um  es  auch  für  den  Hamlet  verwenden  zu 
können. 

Auch  die  übrigen  mit  Shakespeare  nicht  übereinslimmen- 
den  Bestandtheile  von  D  sind  ohne  Zweifel  als  spätere  Zusätze 
zu  betrachten.  Dies  zeigt  sich  besonders  deutlich  in  den  völlig 
umgeänderten  Gesprächen  zwischen  Hamlet  und  den  Schau- 
spielern ,  die  durchaus  die  deutschen  Bühnenzustände  in  der 
zweiten  Hälfte  des  siebzehnten  Jahrhunderts  wiederspiegeln*). 
Das  nämliche  gilt  auch  von  dem  Gespräch  zwischen  Hamlet  und 
Corambus  nach  dem  eingelegten  Schauspiel  Act  II,  Scene  9,  wo 
Corambus,  der  den  landläufigen  Vorurtheilen  gegen  die  Schau- 
spieler huldigt,  von  Hamlet  eines  besseren  belehrt  wird.  Der 
Dispens  des  Papstes  wird  wohl  ein  tendenziös  antikatholischer 
Zusatz  sein,  wie  ihn  eine  Truppe,  die  nach  den  Andeutungen 
in  den  erwähnten  Gesprächen  vorzugsweise  Norddeutschland 
bereist  hat,  sich  wohl  erlauben  konnte.  Die  Anecdote  von  dem 
»Kavalier  in  Anion«  wird  in  ähnlicher  Weise  auch  anderwärts 
erzählt,  u.  a.  in  Lope  de  Vega's  Drama  el  mayor  imposible,  das 
nach  mancherlei  Umwegen  sich  auf  das  Repertoire  der  deut- 
schen Wanderschauspieler  verirrte  2).  Die  Geschichte  von  den 
beiden  Banditen,  die  Hamlet  tödten  wollen  und  sich  dabei  ge- 
genseitig erschiessen,  zeigt  ganz  den  marionettenhaften  Charak- 
ter der  Stücke ,  mit  denen  die  englischen  Gomödianten ,  nach- 
dem sie  die  Fühlung  mit  dem  Vaterlande  verloren  hatten ,  ihr 
Repertoire  bereicherten.   Sie  gemahnt  an  den  Stil  der  Samni- 


4)  Ein  characteristischer  Zusatz  findet  sich  nach  der  plötzlichen  Un- 
terbrechung des  Schauspiels  II,  8.  Hamlet  sagt  zu  den  ConiniödianteD: 
»Ob  ihr  zwar  die  Materie  nicht  zum  Ende  gespielt,  und  es  dem  Könige  nicht 
behaget,  so  hat  es  uns  doch  Wohlgefallen.  Horatio  soll  euch  meinetwegen 
contentiren«.  Worauf  dann  die  Gomödianten  noch  um  einen  Reisepass 
bitten. 

5)  Vgl.  Jahrg.  4886.  S.M4  der  vorliegenden  Berichte  und  dazu  Heine, 
Johannes  Veiten.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  deutschen  Theaters  im 
XVII.  Jahrhundert.  Halle  4887  (Doctor-Diss.)  S.  36  f. 


27     

Jung  von  1630,  an  Dramen  wie  »König  MantaIor<r  oder  die  »Tragi 
Gomedia«  ohne  Titel.  Ebenso  wird  es  sich  wohl  auch  bei  der 
Ohrfeige,  die  der  Geist  einer  Schildwache  applicirt,  nur  um 
eine  jener  geschmacklosen  Zuthaten  handeln,  an  denen  die 
Schauspiele  der  englischen  Comödianten  überreich  sind.  Die  Hai- 
lunicationen  und  die  Ohnmacht  Hamlets  vor  Beginn  des  Kampf- 
spiels erinnern  uns  daran,  dass  auch  sonst  die  Helden  der 
Haupt-  und  Staatsaction  es  liebten ,  gegen  Ende  des  Stückes 
ihre  Kunst  in  der  Darstellung  solcher  ekstatischer  und  paralyti- 
scher Zustände  zu  zeigen  ^] .  In  den  comischen  Scenen  finden 
wir  den  zwar  auch  in  anderen  Literaturen  vorkommenden,  aber 
auf  der  deutschen  Bühne  des  ausgehenden  siebzehnten  Jahr- 
hunderts, wie  es  scheint,  ganz  besonders  beliebten  Gegensatz 
zwischen  einem  tölpelhaften  bäurischen  und  einem  etwas  ge- 
wandteren, höfischen  Narren. 

Eine  besondere  Beachtung  verdient  Hamlets  Anecdote  von 
der  Mörderin ,  die  ihr  Verbrechen  während  einer  Theatervor- 
stellung eingesteht.  Shakespeare,  der  an  der  betreffenden 
Stelle  bloss  sagt, 

I  have  heard 

That  guilty  creatures,  sitting  at  a  play 
Have  by  the  very  cunning  of  the  scene 
Been  Struck  so  to  the  soul  that  presently 
They  have  prociaimed  their  malefactions 

hat  ohne  Zweifel  auf  eine  ähnliche  Geschichte  angespielt.  Die 
€ommentaloren  haben  bereits  auf  eine  Begebenheit  hingewie- 
sen, die  in  dem  Drama  »a  waming  for  fair  women«  (vor  4590) 
erzählt  wird  und  die  mit  der  in  D  erzählten  nahe  verwandt  ist. 
Wir  begegnen  ihr  dann  wieder  in  Heywoods  apology  for  actors 
4642,  wo  sich  auch  noch  andere  wunderbare  Beispiele  von  der 
Enthüllung  einer  Frevelthat  im  Theater  finden.  Solche  Ge- 
schichten, die  man  ja  sehr  wohl  in  der  Polemik  gegen  die 
Feinde  der  Bühne  verwenden  konnte,  waren  gewiss  im  Kreise 
der  Schauspieler  und  Theaterfreunde  sehr  beliebt  und  verbrei- 
tet. Zu  der  Annahme,  dass  D  die  Erzählung  aus  dem  alten 
Hamlet  übernommen  habe^  während  Shakespeare  sie  nicht  auf- 
nahm und  sich  bloss  auf  die  flüchtige  Anspielung  beschränkte. 


4}  Vgl.  Jahrg.  4886.  S.  116  dieser  Berichte. 


28     

ist  durchaus  kein  Grund  vorhanden.  Viel  wahrscheinlicher  isl 
eS;  dass  der  täppische  Bearbeiter  es  nicht  bei  der  flttchttgen 
Anspielung  bewenden  lassen  wollte ,  zumal  da  wir  ja  sahen, 
dass  auch  an  einer  anderen  Stelle  in  D  in  die  Rolle  des  Hamlet 
eine  solche  überflüssige  Anecdote  eingeschoben  ist  ^) . 

Nur  an  einer  einzigen  Stelle  in  D  ist  es  bis  jetzt  gelungen, 
den  möglichen  Zusammenhang  mit  dem  filteren  Hamlet  einiger- 
massen  plausibel  zu  machen.  Als  der  König  Act  UI,  Sc.  40  sei- 
nem Stiefsohn  ankündigt,  er  wolle  ihn  nach  England  schicken, 
bemerkt  dieser:  »Ja,  ja  König,  schickt  mich  nur  nach  Portugall, 
auf  dass  ich  nimmer  wieder  komme,  das  ist  das  beste«,  worauf 
dann  der  König  erwidert:  »Nein  nicht  nach  Portugall,  sondern 
nach  England«.  Es  ist  nun  freilich  schwer  zu  begreifen,  was 
mit  dieser  Anspielung  auf  Portugal  gemeint  sein  könnte.  Lath- 
am  glaubt ,  es  habe  sich  hier  ein  Hinweis  auf  die  Expedition 
erhalten,  die  im  Jahre  4589  unter  Führung  Orakels  zur  Unter- 
stützung des  Thronprätendenten  Don  Antonio  nach  Portugal  ab- 
ging, eine  Expedition ,  die  einen  höchst  unglücklichen  Verlauf 
nahm,  indem  von  24  000  Soldaten  bloss  40  000,  und  von  4400 
Edelleuten,  die  sich  angeschlossen  hatten,  bloss  350  in  die  Hei- 
math zurückkehrten.  Diese  Stelle  soll  nun  aus  dem  filteren  Ham- 
let stammen,  der  alsdann  ins  Jahr  1589,  den  fiussersten  termious 
ad  quem  fallen  müsste ,  und  sich  auf  ein  Ereigniss  beziehen, 
das  gerade  damals  das  Londoner  Publicum  beschäftigte.  Das 
Argument  hat  in  der  That  etwas  bestechendes  und  wttrde  un- 
sere volle  Beachtung  verdienen,  wenn  es  zusammen  mit  andern 
Argumenten  aufträte.  In  seiner  Vereinzelung  ist  es  jedoch  nicht 
beweiskräftig  und  vielleicht  würde  es  auch  einem  Geschichts- 
kenner gelingen ,  in  der  Geschichte  des  siebzehnten  Jahrhun- 
derts ein  Ereigniss  zu  finden ,  auf  welches  sich  die  Stelle  in  D 
beziehen  könnte.  Möglicherweise  könnte  man  ein  derartiges 
Kreigniss  aus  der  Zeit  des  holländisch*portugiesischen  Krieges 
nachweisen,  der  sich  in  Folge  der  Annexion  portugiesischer  Co- 
lonien  durch  die  Holländer  zur  Zeit  der  spanischen  Herrschaft 
in  Portugal  (4580—1640)  entspann  und  sich  nach  der  Neube- 


4)  Bereits  Cohn  S.  CXXIII  hat  mit  Recht  bemerkt:  Hhat  the  actors 
who  first  performed  the  German  Hamlet  did  not  rest  satisfied  witb  the  mere 
allusion  as  they  found  it  in  Shakespeare ,  but  related  the  incident  itselk 
Er  macht  darauf  aufmerksam,  dass  wir  in  Strassburg,  wo  die  Geschichte 
in  D  lokalisiert  erscheint,  im  Jahre  4  654  englische  Comödianten  finden. 


29     

grüDdung  des  portugiesischen  Königreichs  noch  bis  zum  Jahre 
4669  hinzog.  In  diesem  Falle  wäre  die  Anspielung  vermuthlich 
von  den  Comddianten  bei  Gelegenheit  einer  ihrer  zahlreichen 
Wanderungen  in  Holland  eingeschoben  worden. 

Vor  allen  Dingen  aber  muss  noch  ein  Umstand  hervorgeho- 
ben werden ,  welcher  aufs  entschiedenste  gegen  einen  directen 
Zusammenhang  zwischen  D  und  dem  älteren  Hamlet  spricht. 
Das  ältere  Drama  beruhte  ohne  jeden  Zweifel  auf  einer  der  pro- 
saischen Erzählungen  von  Hamlet.  Ebenso  hat  Shakespeare 
ohne  Zweifel  einige  von  den  charakteristischen  Zusätzen 
und  Abweichungen  des  älteren  Dramas  übernommen,  so  jeden- 
falls das  Auftreten  des  Geistes.  Wenn  also  auch  Shakespeare 
vielleicht  in  einzelnen  Punkten  auf  die  Prosaquellen  zurUck- 
gegriifen  haben  könnte,  so  darf  man  doch  sagen,  dass  das  ältere 
Drama  die  Zwischenstufe  zwischen  den  Prosaquellen  und  Shake- 
speare bildet.  Wenn  nun  wirklich  D  auf  dem  älteren  Drama 
beruhte,  so  sollte  man  doch  voraussetzen ,  dass  es  in  einigen 
der  Punkte,  wo  es  von  A  und  B  abweicht,  mit  den  Prosaquellen 
übereinstimmt  und  Anklänge  an  die  vor-shakespeare'sche  Ge- 
staltung der  Hamletsage  zeigt.  Diess  ist  aber  keineswegs  der 
Fall.  Widgery  weist  zwar  darauf  hin ,  dass  man  bei  den  Ver- 
sen, mit  denen  Horatio  die  deutsche  Haupt-  und  Staatsaction 
beschliesst : 

sSo  gehts  wenn  ein  Regent  durch  List  zur  Krön  sich  dringet 
Und  durch  Verrätherey  dieselbe  an  sich  bringet 
Derselb  erlebet  nichts,  als  lauter  Spott  und  Hohn 
Denn  wie  die  Arbeit  ist,  so  folget  auch  der  Lohn« 

daran  erinnert  werde,  wie  auch  Belieferest  in  seiner  Darstellung* 
der  Geschichte  Hamlets  wiederholt  Bemerkungen  gegen  die  ver- 
brecherische Herrschsucht  einflicht,  aber  man  braucht  diese 
lederne  Moralisation  durchaus  nicht  mit  Belieferest  zusammen 
zu  bringen,  es  ist  das  eben  nur  eine  von  den  vielen  ^trefflichen, 
pragmatischen  Maximen« ,  die  ja  bekanntlich  zum  Wesen  der 
Haupt-  und  Staatsactionen  gehören  und  die  man  gern  in  Alexan- 
drinerform an  den  ActschlUssen  anbrachte.  Der  Name  des  Kö- 
nigs Erico  anstatt  Claudius  ist  trotz  seinem  nordischen  Klang 
doch  nicht  aus  Saxo  Grammaticus  oder  Belieferest  entlehnt ;  dort 
heisst  der  Usurpator  Fengo.  Ebensowenig  weist  der  Name  der 
Königin  Sigrie  auf  die  Prosaerzählungen  von  Hamlet  zurück,  die 


30     

Königin  beisst  bei  Saxo  Gerutha ,  bei  Belleforest  Geruthe ,  da- 
nach bei  Shakespeare  Gertrud.  Nur  an  einer  der  von  Shake- 
speare abweichenden  Stellen  in  D  habe  ich  etwas  mit  den  Prosa- 
erzählungen übereinstimmendes  gefunden;  in  D  Y,  2  sagt 
Hamlet  zu  seiner  Mutter:  »Weint  Ihr?  Ach  lassts  nur  bleiben, 
es  sind  doch  lauter  Grocodillsthränen«.  Bei  Saxo :  »quid,  inquit. 
inulierum  turpissima,  gravissimi  criminis  dissimulationem  falso 
lamenti  genere  expetistr,  bei  Belleforest:  »Sous  le  fard  d^nn 
pleur  dissimul6,  vous  couvriez  Tacte  le  plus  miserable«*),  — 
ein  völlig  vereinzeltes  Zusammentreffen,  das  ohne  jeden  Zweifel 
auf  blossem  Zufall  beruht. 

Aus  allem  obigen  ergibt  sich,  dass  D  zum  weitaus  grössten 
Theil  auf  Shakespeare  zurückgeht  und  dass  keine  Veranlassung 
vorliegt,  die  nichtshakespeare'schenBestandtheile  aus  einem  an- 
deren altenglischen  Drama  herzuleiten ;  sie  für  etwas  anderes 
zu  halten  als  für  Zusätze,  wie  sie  die  englisch-deutschen  Gomö- 
dianten  auch  sonst  in  ihre  Repertoirestücke  einzufügen  pOegten. 

Wenn  nun  der  Shakespeare' sehe  Ursprung  von  D  sicher 
feststeht,  so  müssen  wir  uns  die  weitere  Frage  vorlegen,  welche 
Fassung  des  shakespeare'schen  Dramas  zu  Grunde  liegt.  Wir 
sahen,  dass  die  Hauptmasse  von  D  aus  Theilen  besteht,  die  so- 
wohl in  A  als  auch  in  B  vorhanden  sind,  dass  einiges  in  D  je- 
doch bloss  mit  A  oder  bloss  mit  B  übereinstimmt.  Es  ist  leicht 
einzusehen ,  dass  demnach  D  nur  auf  zweierlei  Weise  entstan- 
den sein  kann.  Entweder  es  wurden  von  den  wandernden 
Schauspielertruppen  einige  Lesarten  der  einen  Fassung  in  die 
andere  übernommen  oder  das  deutsche  Drama  muss  auf  einer 
Fassung  des  Shakespeare' sehen  Hamlet  beruhen,  in  welcher  so- 
wohl die  in  D  befindlichen  Eigenthümlichkeiten  von  A,  als  aueh 
die  in  D  befindlichen  Eigenthümlichkeiten  von  B  neben  einander 
vorhanden  waren. 

Wer  die  obigen  Zusammenstellungen  (vgl.  S.  4  S  ff.)  betrach- 
tet, muss  die  erstere  Eventualität  im  höchsten  Grade  unwahr- 
scheinlich finden.  Dasjenige,  wodurch  Shakespeare's  Hamlet 
sich  den  Englischen  Comödianten  als  ein  bühnenwirksames,  für 
ihre  Zwecke  brauchbares  Stück  empfehlen  konnte,  war  durch- 
weg in  beiden  Fassungen  in  gleicher  Weise  vorhanden.    Es  ist 


1)  Vgl.  Gericke  und  Mollke,  Shakespeare's  Hamlet-Quellen.    Leipzig 
1884.  S.  XVIi;  LIV. 


31     

schlechterdings  nicht  abzusehen,  wie  Jemand  hätte  auf  den  Ge- 
danken kommen  können ,  die  oben  verzeichneten ,  bloss  in  B 
oder  bloss  in  A  vorkommenden  Stellen  aus  dem  einen  Text 
herauszusuchen  und  in  den  andern  einzufügen.  Dass  die  Ein- 
fügung der  Stellen  aus  A  in  einen  auf  B  beruhenden  Text  vol- 
lends undenkbar  wäre ,  muss  sofort  einleuchten.  Ebenso  un- 
denkbar wäre  auch  das  umgekehrte  Verfahren,  denn  die 
charakteristischen  Vorzüge  von  B  —  der  reine  dichterische 
Sprachausdruck  und  die  unverkürzte  Vollständigkeit  der  philo- 
sophischen Raisonnements  —  konnten  ja  für  die  wandernden 
ComOdianten  gar  nicht  in  Betracht  kommen. 

Als  einfachste  und  befriedigendste  Lösung  der  Schwierig- 
keit ergibt  sich  sonach  die  Annahme,  dass  D  auf  einer  verloren 
gegangenen  Fassung  des  Sbakespeare'schen  Textes  beruht,  in 
welcher  Eigenthümlichkeiten  von  A  und  von  B  vereinigt  waren 
und  welche  wir  als  Y  bezeichnen  wollen.  Diese  Annahme  muss 
um  so  berechtigter  erscheinen,  da  fast  alle  diejenigen,  die  sich 
bisher  mit  der  Hamlet-Text-Frage  beschäftigten,  auch  ganz  ohne 
Rücksicht  auf  D  durch  die  blosse  Betrachtung  von  A  und  B  auf 
ein  solches  Y  als  auf  ein  nothwendiges  Postulat  hingewiesen 
wurden.  Für  die  Erklärung  von  Y  kommen  nun  zwei  Möglich- 
keiten in  Betracht.   Entweder 

4)  Y  ist  die  gemeinsame  Grundlage  von  A  und  von  B.  A 
ist  entstanden  durch  unbefugte  Verunstaltung  von  Y,  B  da- 
durch, dass  der  Dichter  selber  Y  nachträglich  umarbeitete.  Dies 
ist  die  Meinung  derjenigen,  die  an  eine  vor  B  zu  setzende  Re- 
daction  des  Shakespeare'schen  Dramas  glauben.    Oder 

2)  Y  ist  eine  Zwischenstufe  zwischen  B  und  A,  die  Abwei- 
chungen von  B  in  Y  sind  Änderungen ,  die  bei  der  Bühnendar- 
stellung vorgenommen  wurden  und  von  der  Bühnendarstellung 
aus  in  A  übergingen.  Dies  ist  die  Meinung  derjenigen,  die  nur 
an  eine  Redaction  des  Shakespeare^schen  Dramas  glauben. 

Wir  mögen  uns  aber  Y  erklären,  wie  wir  wollen ,  so  viel 
ist  sicher,  dass  es  die  Vorlage  von  A  gewesen  sein  muss.  Es 
ergeben  sich  somit  durch  die  Heranziehung  von  D  für  die  Be- 
urtheilung  von  A  zwei  unumstössliche  Regeln. 

Erste  Regel.  Wo  wir  in  A  und  D  übereinstimmend 
etwas  finden,  was  in  B  anders  gefasst  ist  oder  gänzlich 
fehlt,  kann  die  betreffende  Stelle  in  A  nicht  auf  einem  willkür- 
liehen Zusatz  der  Veranstalter  dieser  Ausgabe  beruhen,  sondern 


32     

muss  auf  Y  zurückgeführt  werden.  Diess  ist  z.  B.  der  Fall  bei 
den  Worten  des  Königs  über  den  günstigen  Einfluss  der  Luft- 
veränderung auf  Hamlets  Melancholie  (s.  o.  S.  43,  No.  7;. 
Ebenso  bei  Hamlets  Worten:  »Go  teil  bis  Majesty,  I  will  attend 
himu  (s.  0.  S.  14,  No.  10).  Natürlich  müssen  dann  auch  solche 
Stellen  von  A  bereits  in  Y  vorhanden  gewesen  sein,  w^elebe  mit 
den  auf  diese  Weise  beglaubigten  Stellen  in  nothwendigem  und 
unauflöslichem  Zusammenbang  stehen.  Wenn  z.  B.  die  Worte 
»Go  teil  bis  majestie,  I  wil  attend  bim«  aus  Y  herzuleiten  sind, 
dann  gilt  dasselbe  natürlich  auch  von  der  Antwort  des  gentle- 
man :  »I  shall  deliuer  your  most  sweet  answer«  und  auch  von  den 
darauffolgenden  Worten :  »Hamlet:  You  may  sir,  none  better  for 
y'  are  spiced,  Else  he  had  a  bad  nose  could  not  smell  a  fooK 
Horatio :  He  will  disclose  himself  without  inquiriea ,  und  wenn 
diese  spöttischen  Bemerkungen  über  den  moschusduftenden 
Narren  auf  Y  zurückgehen ,  so  ist  wohl  dasselbe  der  Fall  mit 
dem  in  B  fehlenden  Ausruf  Hamlets  zu  Beginne  dieser  Unter- 
redung (A  2021] :  foh,  how  the  muske-cod  smelsl« 

Ebenso  wird  durch  D  bewiesen,  dass  Polonius  in  Y  den 
Namen  Corambus  wie  in  D  oder  Gorambis  wie  in  A  führte.  Das 
Erstere  kann  man  wohl  als  das  wahrscheinlichere  bezeichnen, 
da  die  Namensform  Gorambus  auch  an  einer  anderen  Stelle  bei 
Shakespeare  vorkommt^).  Hierdurch  sind  auch  die  wM'ederholt 
unternommenen  vergeblichen  Versuche  erledigt,  den  Gorambis 
in  A  durch  Entstellung  aus  »Polonius«  zu  erklären.  Man  kann 
wohl  vermuthen,  dass  für  die  Namen  Montane  und  Reynaldo 
dasselbe  gilt  wie  für  Polonius  und  Gorambis*). 

Selbstverständlich  gilt  jedoch  die  ausgesprochene  Regel 
nur  für  solche  Fälle,  wo  die  Möglichkeit  ausgeschlossen 
ist,  dass  die  Übereinstimmung  auf  einem  blossen  Zufall  beruht. 
Vorhanden  ist  diese  Möglichkeit  überall  da,  wo  in  AD  überein- 
stimmend etwas  fehlt  oder  kürzer  gefasst  ist  als  in  B.  Denn  in 
diesem  Falle  ist  es  sehr  wohl  denkbar,  dass  A  und  D  unab- 
hängig von  einander  etwas  in  Y  befindliches  ausgelassen  oder 


i)  Alls  well  that  ends  well  Act  IV, Sc.  3,  wo  Parolles  bei  seinem  Ver- 
hör im  florentinischen  Lager  einen  Hauptmann  Corambus  erwähnt. 

2)  Ein  anderer  Namensunlerschied,  Albertus  für  Gonsago  (A  434  2^ 
beruht  allerdings,  wie  Tanger  (Transactionsetc.  S.  177  mit  Recht  bemerkt 
hat,  bloss  auf  einem  Versehen  des  Redactors  von  A. 


33     

in  eine  kürzere  Form  zusammengezogen  haben  könnten.    So  ist 
es  z.  B.  in  A  und  D  der  König,  weicher  im  Gespräch  mit  Laertes 
diesem  den  Gedanken  eingiebt,  die  Klinge  seines  Rappieres  zu 
vergiften  (s.  o.  S.  H,  No.  8).   Wir  finden  hier  nichts  von  der 
ganzen  kunstvollen  Führung  des  Gesprächs  in  B ,  wo  der  König 
in  wohlberechneter  Weise  die  Rachsucht  und  den  Ehrgeiz  des 
Laertes  aufstachelt,  so  dass  schliesslich  dieser  selbst  die  Ver- 
giftung des  Rappiers  vorschlägt.   Daraus  dürfen  wir  aber  noch 
nicht  schliessen,  dass  das  alles  Feinheiten  wären,  die  entweder 
nach  der  ersten  Möglichkeit  von  Shakespeare  erst  nachträglich 
eingefügt  wurden  oder  nach  der  zweiten  Möglichkeit  schon  in 
Y  ausgefallen  waren ;  da  wir  bei  den  Yerfertigem  von  A  und 
I)  die  nämliche  Gleichgültigkeit  gegen  derartige  feinere  Züge 
linden,  wäre  es  sehr  wohl  denkbar,  dass  beide  unabhängig  von 
einander  dem  König  sogleich  den  ganzen  verbrecherischen  Plan 
in  den  Mund  legten,   um  den  Gang  der  Scene  abzukürzen. 
Ebenso  wie  die  A  und  D  gemeinsamen  Auslassungen  und  Ab- 
kürzungen sind  auch  die  gemeinsamen  Änderungen  und  Zusätze 
überall  da  zu  beurtheiien ,  wo  sie  sich  aus  der  eben  berührten 
gemeinsamen  Tendenz  der  Vergröberung  feinerer  Motive  erklä- 
ren lassen.   Diess  trifift  in  dem  folgenden  Falle  zu.   Die  Shake- 
speareforscher, welche  meinen,  dass  A  bloss  durch  Corruption 
aus  dem  Shakespeare' sehen  Texte  entstanden  sei ,  haben  ihren 
Gegnern  wiederholt  und  mit  Recht  vorgehalten ,  dass  die  in  A 
hervortretende  Tendenz,   die  Königin  weniger  schuldbeladen 
erscheinen  zu  lassen,  durchaus  nicht  auf  ursprünglich  vorhan- 
denen, später  aber  wieder  fallen  gelassenen  Intentionen  des 
Dichters  zu  beruhen   brauche,    es   verhalte  sich  vielmehr  so, 
dass  Shakespeare  absichtlich  diesen  Punkt  nicht  präciser  und 
klarer  behandelt  habe   und  dass  die  plane   Deutlichkeit  von 
A  nur   auf  der  Unfähigkeit  beruhe,    in   die  Intentionen  des 
Dichters  einzudringen.    Diese  Erwägung  verliert  natürlich  da- 
durch nichts  von    ihrer  Richtigkeit ,   dass   wir  auch  in  D  Zu- 
salze  finden,    die   zur  Entlastung  der  Königin   dienen    sollen 

vgl.  S.  22). 

Zweite  Regel.  In  allen  Fällen,  wo  B  und  D  gegen  A 
übereinstimmen,  sind  wir  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass  die 
Abweichungen  in  A  lediglich  auf  Nachlässigkeit  oder  Willkür 

der  Veranstalter  dieser  Ausgabe  beruhen. 

Ebenso  wie  die  Übereinstimmungen  zwischen  D  und  A  ein 

1887.  3 


34     

Correcliv  bilden  gegen  diejenigen,  welche  zu  sehr  geneigt  sind, 
die  Eigenthümliehkeiten  von  A  auf  Willkür  und  Entstellung 
zurückzuführen  (vgl.  das  oben  S.  32  über  Polonius  undCoram- 
bis  gesagte),  so  bilden  die  Übereinstimmungen  zwischen  D  und 
B  ein  Gorrectiv  gegen  die,  welche  sich  zu  leicht  zu  der  Annahme 
entschliessen ,  dass  die  Eigenthümliehkeiten  von  A  auf  dessen 
Vorlage  zurückzuführen  seien.  So  fehlen  z.  B.  in  A  die  Worte, 
mit  welchen  der  König  zu  Beginn  von  Act  II,  2  seine  Vermäh- 
lung mit  der  Wittwe  seines  Bruders  verkündigt  (vgl.  S.  46)  und 
Furnivall  hat  hieraus  den  Schluss  gezogen,  dass  diese  Worte 
auch  in  der  Vorlage  von  A  noch  nicht  vorhanden  waren  und  von 
Shakespeare  erst  bei  einer  spätem  Redaction  eingefügt  wurden. 
Dass  diess  unrichtig  ist,  ergibt  sich  durch  Heranziehung  von  D. 
Im  übrigen  würde  es  sich  bei  den  meisten  der  oben  angeführ- 
ten Übereinstimmungen  von  D  und  B  schon  aus  inneren  Grün- 
den ergeben,  dass  die  abweichenden  Lesarten  in  A  auf  Auslas- 
sung oder  Entstellung  beruhen. 

Nur  der  Fall  No.  44  ist  nicht  so  vollständig  klar.  In  D  und 
B  erfahren  wir  Hamlets  wunderbare  Rettung  aus  einem  Ge- 
sprüch  Hamlets  mit  Horatio  ActV,  Sc.  2  (nach  der  Kirchhof scene). 
In  A  wird  dieselbe  Begebenheit  in  einem  Gespräch  zwischen 
Horatio  und  der  Königin  erzählt  und  an  eine  frühere  Stelle  im 
Gange  des  Stückes  verschoben  (474711.);  die  Königin  macht 
dem  Vertrauten  ihres  Sohnes  gegenüber  gar  kein  Hehl  aus  ihrem 
Mitgefühl  für  Hamlet  und  ihrem  Abscheu  gegen  den  Gemahl. 
BegreiHicherweise  handelt  es  sich  hier  um  eine  der  am  meisten 
umstrittenen  Stellen  in  A.  Es  ginge  aber  doch  nicht  an ,  diese 
Scene  auf  die  Autorität  von  D  gestützt  für  einen  willkürlichen 
Zusatz  zu  erklären.  Die  ganze  Geschichte  von  Hamlets  Retlunsz 
erscheint  in  D  in  einer  von  A  und  B  so  völlig  abweichenden 
Gestalt  (s.  o.  S.  20  f.),  dass  es  zu  keinen  weiteren  Schlüssen 
berechtigt,  wenn  wir  in  diesem  gänzlich  unsbakespeurischen 
Bestandtheil  von  D  ein  Gespräch  mit  Horatio  finden,  in  weichem 
die  vorher  auf  der  Bühne  dargestellte  Begebenheit  in  so  unge- 
schickter Weise  noch  einmal  erzählt  wird.  Diese  Überein- 
stimmung von  D  und  B  kann  ebensowenig  in  unserer  Un- 
tersuchung berücksichtigt  werden,  wie  die  gleichfalls  auf 
die  Rettungsgeschichle  bezügliche  Übereinstimmung  hinsicht- 
lich des  conlrären  Windes  zwischen  I)  und  A  (s.  o.  S.  44. 
No.  9). 


35 

Aus  der  grossen  Anzahl  von  Übereinstimmungen  zwischen 
Bund  Y,  die  wir  mit  Hülfe  von  D  constatieren  können,  ge- 
winnen wir  den  Eindruck  y  dass  B  und  Y  sehr  nahe  mit  einan- 
der verwandt  gewesen  sein  müssen. 

Alle  bisher  gewonnenen  Ergebnisse  sind  unabhängig  davon, 
auf  welche  Weise  wir  uns  Y  erklären.  Nun  drangt  sich  uns 
noch  die  Frage  auf,  was  denn  Y  sei ,  ob  die  gemeinschaftliche 
Quelle  von  A  und  B  oder  eine  Zwischenstufe  zwischen  B  und  A. 
Der  einzige  Anhaltspunkt,  den  uns  D  für  die  Beantwortung  die- 
ser Frage  gewährt ,  sind  diejenigen  mit  A  übereinstimmenden 
Stellen ,  bei  welchen  es  keinem  Zweifel  unterliegt,  dass  die 
Übereinstimmung  nicht  auf  einem  blossen  Zufall  beruht,  son- 
dern auf  Y  zurückgeht.  Wir  werden  diese  Stellen  mit  den  ent- 
sprechenden Stellen  in  B  vergleichen  und  uns  dann  in  jedem 
einzelnen  Falle  die  Frage  vorlegen  müssen ,  ob  es  wahrschein- 
licher ist,  dass  Shakespeare  zuerst  so  schrieb ,  wie  in  der  Vor- 
lage von  A  stand,  oder  ob  wir  nicht  vielmehr  den  Eindruck  ge- 
winnen, dass  die  Lesarten  von  B  die  ursprünglicheren  sind  und 
dass  die  Lesarten  von  A  auf  Änderungen  zurückgehen,  die  für 
die  Zwecke  der  Bühnendarstellung  mit  Shakespeare's  Manu- 
script  vorgenommen  wurden. 

Dass  von  den  12  Punkten,  an  welchen  sich  Übereinstim- 
mung von  D  und  A  gezeigt  hat,  No.  3  und  No.  6  nicht  in  Be- 
tracht kommen,  ergiebt  sich  von  selber;  dass  das  nämliche  mit 
No.  8  (Vergiftung  des  Degens]  der  Fall  ist,  wurde  oben  S.  33 
dargethan.  Ebenso  wäre  es  wohl  auch  denkbar,  dass  bei  No.  5 
(die  Worte  des  Polonius  nach  der  Unterbrechung  des  Schau- 
spiels) und  bei  No.  12  [König  Claudius  von  Hamlet  als  »Vater« 
angeredet)  die  Übereinstimmung  auf  einem  blossen  Zufall  be- 
ruhte. No.  9  (der  »conträre  Wind«  bei  Hamlets  Fahrt  nach 
England)  bezieht  sich  auf  einen  Theil  von  D,  welcher  vollstän- 
dig von  Shakespeare  abweicht  und  innerhalb  dessen,  wie  oben 
bereits  auseinandergesetzt  wurde,  uns  weder  die  Übereinstim- 
mungen mit  B,  noch  die  Übereinstimmungen  mit  A  zu  weiteren 
Schlüssen  berechtigen  können.  Auf  die  Übereinstimmung  No.  2 
(dass  wir  in  D  und  A  vor  den  Worten,  die  den  beiden  das 
Stück  eröffnenden  Kriegern  in  den  Mund  gelegt  werden ,  bloss 
die  Bezeichnungen  »erste  Schildwache«  und  »zweite  Schild- 
wache« finden ,  dagegen  in  B  die  Bezeichnungen  Bcrnardo  und 
Francisco)  werden  wir  auch  kein  weiteres  Gewicht  legen  dürfen. 

3» 


36     

Goethe^]  hat  zwar  dem  Umstand,  dass  in  A  die  zwei  Wachen 
bloss  durch  Zahlen  von  einander  unterschieden  sind,  eine  be- 
sondere Bedeutung  beigemessen.  Er  meint,  dass  Shakespeare 
später  erst  diese  untergeordneten  Rollen  den  Schauspielern  zu 
Liebe  durch  Beilegung  bestimmter  Namen  »zu  Ehren  und  Be- 
deutung gebracht«  habe  und  wird  durch  dieses  Verfahren  an 
Schiller  erinnert,  »der  im  Teil  die  Bauerinnen  benamsete  und 
ihnen  einige  Worte  zu  sprechen  gab,  damit  es  annehmbare 
Rollen  würden«.  Dieser  Gedanke,  so  ansprechend  er  auch  sein 
mag,  beruht  doch  auf  einem  Irrthum,  wie  schon  daraus  hervor- 
geht, dass  in  A  10,  11  der  Name Dßarnardoa  im  Text  vorkommt; 
Francisco  wird  allerdings  nur  in  B  1,  1,  6  im  Text  namentlich 
bezeichnet.  Dass  übrigens  der  Name  Francisco  auch  in  Y  vor- 
handen war,  geht  daraus  hervor,  dass  wir  ihm  in  D  wieder  be- 
gegnen, wo  er  allerdings  nicht  dem  wachestehenden  Soldaten, 
sondern  dem  später  auftretenden  Officier  beigelegt  wird,  der  in 
A  B  Marcellus  heisst.  Die  Namenlosigkeit  der  Schildw  achen  in 
D  kann  also  gar  nichts  beweisen,  es  liegt  hier  vielmehr  noch 
eine  neue  Übereinstimmung  von  D  und  B  vor,  da  in  beiden 
Versionen  der  in  A  fehlende  Name  Francisco  vorkommt. 

Es  bleiben  nun  aber  noch  fünf  Fälle  übrig,  in  welchen  die 
Übereinstimmung  von  D  und  A  auf  Y  zurückgehen  muss:  No.  4 
(Corambus) ,  No.  4  (lloratio  will  seinen  Augen  «eine  scharfe 
Aufsicht  anbefehlen a),  No.  7  (günstiger  Einfluss  des  englischen 
Climas  auf  Hamlet),  No.  10  (die  Phrase,  mit  welcher  Hamlet 
den  Höfling  entlässt  und  im  Zusammenhang  damit  die  Spötte- 
leien über  den  parfumirten  Gecken,  vgl.  S.  32),  und  No.11  (die 
Symptome  des  herannahenden  Todes). 

W'as  No.  1  betrifft,  so  vermögen  wir  uns  weder  eine  Vor- 
stellung davon  zu  machen,  was  den  Dichter  veranlasst  haben 
könnte ,  den  in  einer  ersten  Fassung  vorhandenen  Namen  Co- 
rambus in  Polonius  umzuändern ,  noch  auch ,  wie  er  resp.   <lic 


i)  In  seiner  Rcsprcchunf;  des  in  Leipzig  4  825  ersolMcnoncn  Abdrucks  der 
ersten  Quarte  in  »Kunst  und  Alterlhuni«,  Ud.  VI,  Hcftn,  4827  (ed.  Hcinpcl, 
B<l.  XXIX,  S.  746  rr.).  Goetlic  betrachtet  A  als  dieSiLzze  von  B.  «Durch- 
aus l)ewundern  wir  die  Sicherlieit  der  ersten  Arbeit,  Wie  ohne  langes  Be- 
denken, einer  lebendig  leuchtenden  Erfindung  genWiss  l  wie  aus  dem  Steg- 
reif hingegossen  erscheint«.  Freilich  eine  unhaltbare  Er«iJirung,  die  jedoch 
durch  die  Art,  wie  sie  vorgetragen  wird,  Bedeutung  erp«dt  und  wohl  eine 
Krwühnung  in  den  Kurnesssrhen  Zusamnienslellungen  v|prdient  hatte. 

\ 


37     

Schauspieler  dazu  gekommen  sein  mögen,  die  umgekehrte  Än- 
derung vorzunehmen.  In  den  Füllen  No.  4  und  No.  7  sind  die 
Lesarien  von  B  jedenfalls  feiner  und  shakespeare'scher.  In 
No.  i  0  geben  die  Worte :  »Go  teil  his  majestie,  I  vvil  attend  him« 
für  sich  allein  noch  keinen  bestimmten  Anhaltspunkt,  wohl  aber 
die  in  A  untrennbar  von  diesen  Worten  tiberlieferten  Spötte- 
leien über  den  Moschus£;eruch.  Hier  erklärt  man  sich  den  Un- 
terschied  allerdings  am  besten  durch  die  Annahme,  dass  die 
Stelle  in  Y  durch  Abänderung  von  B  entstanden  ist  und  zwar 
auf  folgende  Weise.  Shakespeare  schrieb  ursprünglich  so,  wie 
wir  es  jetzt  in  B  lesen,  dass  zuerst  Osrik  erscheint,  um  den 
Prinzen  von  dem  beabsichtigten  Kampfspiel  zu  unterrichten  und 
dann  ein  Lord  kommt,  welcher  das  Herannahen  des  königlichen 
Hofes  ankündigt.  Nun  ist  es  sehr  wohl  möglich ,  dass  man,  um 
den  Gang  der  Handlung  gegen  Ende  des  Stückes  abzukürzen 
und  um  die  kleine  Rolle  des  Lords  entbehrlich  zu  machen,  die 
beiden  Auftritte  zusammenzog,  so  dass  nunmehr  Osrik  es  zu- 
gleich auch  übernahm,  das  Herannahen  des  Hofes  anzumelden, 
wie  er  diess  wirklich  A  20431!*.  thut.  Bei  dieser  Umarbeitung 
und  Abkürzung  mag  man  dann  auch  auf  den  Gedanken  gerathcn 
sein,  die  Rolle  Osriks  dadurch  wirksamer  zu  gestalten,  dass 
man  ihn,  wie  seinen  geistigen  Bruder,  den  Hofmarschall  Kalb 
»einen  Bisamgeruch  über  das  Parterre  verbreiten«  Hess  und  auch 
einige  darauf  bezügliche  Worte  in  den  Text  einfügte,  wofür 
dann  ein  Theil  der  Betrachtungen  über  die  afl'ectirte  Redeweise 
Osriks  gestrichen  wurde.  Jedenfalls  sieht  dies  Parfümiertsein 
eher  aus  wie  ein  für  die  Bühne  berechneter  Zusatz,  als  wie  eine 
ursprünglich  vorhandene  und  später  fallen  gelassene  Intention 
des  Dichters. 

Dasselbe  wird  auch  mit  No.  1 1  (Todessymplome)  der  Fall 
sein.    Hamlets  letzte  Worte  lauten  in  B  V,  2,  363  : 

Ol  die  Horatio 

The  potent  poyson  quitc  ore-crovves  my  spirit 
l  cannoL  liue  to  heare  the  newcs  from  England 
But  I  doe  prophecic  th'ellection  lights 
On  Forlinbrasse,  he  has  my  dying  voyce, 
So  teil  him,  with  th'occurrants  more  and  Icsse 
Which  haue  solicited,  the  rest  is  silencc. 

lnA2119ff.: 


38     

—  0  my  heart  sinckes  lloraiio 

Mine  cyos  haue  lost  their  sight,  my  tonguc  bis  vso; 
Farewel  Uoratio,  hcauen  receive  my  soule. 

InD: 

Ich  werde  ganz  matt;  meine  Glieder  werden  schwach,  und 
meine  Beine  wollen  nicht  mehr  stehen;  meine  Sprache  ver- 
geht mir ,  ich  fühle  den  Gift  in  allen  meinen  Gliedern.  Doch 
bitte  ich  euch,  lieber  Horatio,  und  bringet  die  Krone  nach 
Norwegen  an  meinen  Vetter  den  Herzog  Forlempras,  damit 
das  Königreich  nicht  in  andere  HUnde  falle.  Ach,  o  wehe,  ich 
sterbe  1 

Dass  der  letzte  Theil  der  Rede,  wie  sie  in  B  steht  (die  Be- 
ziehung auf  Fortinbras)  schon  in  Y  vorhanden  war,  wird  durch 
D  bezeugt,  dass  ferner  aus  dem  ersten  Theil  jedenfalls  die 
Worte  »the  potent  poison  quite  overcrowes  my  spirit«  vorhanden 
waren,  ergiebt  sich  aus  den  Worten  in  D :  »Ich  fühle  den  Gift 
in  allen  meinen  Gliedern«.  Ausserdem  enthielt  jedoch  auch  Y 
etwas  wie  die  Worte  in  A:  »mine  eyes  haue  lost  their  sight.  my 
tongue  his  vse«,  so  dass  die  ersten  Zeilen  vermuthlich  in  Y  ge- 
lautet haben: 

0  I  die  Iloratio 
Mine  eyes  have  lost  their  sight,  my  tongue  his  use 
The  potent  poison  quite  o*ercrows  my  spirit. 
I  cannot  live  to  hear  the  news  from  England 

u.  s.  w.  wie  in  B. 

Nun  ist  es  freilich  etwas  auffallend,  dass  Hamlet  erst  sagt, 
er  habe  den  Gebrauch  seiner  Zunge  verloren  und  nachher  noch 
sechs  volle  Zeilen  redet.  Sollten  wir  da  annehmen,  dass  Shake- 
speare diesen  Vers  in  der  ersten  Fassung  niederschrieb  und 
später  tilgte,  nachdem  er  den  zuerst  übersehenen  W^iderspruch 
bemerkt  hatte?  Wahrscheinlicher  wäre  es  doch  jedenfalls,  dass 
der  Darsteller  des  Hamlet  sich  noch  etwas  in  seine  Holle  ein- 
schob, um  seine  Virtuosität  in  der  Darstellung  des  Todeskampfes 
etwas  ausführlicher  und  mehr  con  amore  zeigen  zu  können. 
No.  40  und  No.  M  sprechen  also  mehr  dafür,  dass  B  die 
/  Grundlage  von  Y  ist  und  ich  muss  auch  bekennen ,  dass  mir 
/   persönlich  diese  Annahme  wahrscheinlicher  vorkommt.  In  die- 
sem Falle  würden  die  Comödianten  Shakespeare's  Drama  in  der 


39     

Fassung  auf  den  Continent  verpflanzt  haben,  in  welcher  es  sich 
auf  den  Brettern  bewährt  hatte.  Indess  genügen  die  vorgebrach- 
ten Thatsachen  doch  noch  nicht,  um  die  Möglichkeit,  dass  Y  die 
Grundlage  von  B  ist,  als  ausgeschlossen  zu  betrachten.  Um  ei- 
ner Lösung  der  Frage  näher  zu  kommen,  mttsste  man  ausser 
den  bereits  betrachteten  Eigenthümlichkeiten  von  A  auch  noch 
diejenigen  ins  Auge  fassen,  deren  ZurUckftthrung  auf  den  Hand- 
langer des  räuberischen  Buchhändlers  Schwierigkeiten  bereitet, 
über  deren  Vorhandensein  oder  Nichtvorhandensein  in  Y  wir 
jedoch  nicht  mit  Hülfe  von  D  entscheiden  können.  Eventuell 
wäre  dann  noch  zu  untersuchen,  inwieweit  die  Änderungen  in 
Y  auf  die  Schauspieler,  in  wie  weit  sie  auf  Shakespeare  selber 
zurückzuführen  seien.  Diess  würde  jedoch  über  die  Grenzen 
der  vorliegenden  Arbeit  hinausgehen ,  die  sich  bloss  mit  dem 
Verhältniss  von  D  zu  Shakespeare  beschäftigt. 

Es  wurde  oben  bemerkt,  dass  keine  Veranlassung  vorliegt, 
die  von  A  und  B  abweichenden  Bestandtheile  von  D  für  etwas 
anderes  zu  halten  als  für  später  hinzugekommene  fremdartige 
Zusätze.  In  den  Theilen ,  welche  sonst  mit  Shakespeare  über- 
einstimmen, finden  sich  aber  doch  einzelne  charakteristische 
kleine  Züge,  die  auf  englische  Tradition  zurückzuweisen  schei- 
nen. Namentlich  gilt  diess  von  den  Bühnenanweisungen,  sowie 
von  solchen  Stellen  des  Dramas,  welche  Rückschlüsse  auf  die 
Inscenierung  gestatten,  vor  allen  Dingen  da,  wo  die  alten  eng- 
lischen Drucke  uns  mit  ihren  scenischen  Andeutungen  im  Stiche 
lassen  und  wir  auf  die  von  Ausgabe  zu  Ausgabe  sich  fortpflan- 
zenden Bemerkungen  der  englischen  Herausgeber  des  18.  Jahr- 
hunderts angewiesen  sind.  In  England  war  bekanntlich  in  dem 
langen  Zeitraum  von  4  642 — 1660  durch  die  Unterdrückungs- 
massregeln der  siegreichen  Puritaner  die  Theatertradition  fast 
gänzlich  unterbrochen ,  während  sich  in  Deutschland  die  Über- 
lieferung von  den  englischen  Comödianten  her  bis  zur  Nieder- 
schrift des  deutschen  Hamlet  1710  stetig  fortpflanzte.  So  ist  es 
z.  B.  auf  der  englischen  Bühne  da  wo  Hamlet  im  Gespräch  mit 
der  Königin  das  Bild  seines  Vaters  mit  dem  seines  Stiefvaters 
vergleicht  (Look  here  upon  this  picture  and  on  this  HI,  4,  53), 
in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  üblich  gewesen,  dass 
man  sich  zweier  Miniaturportraits  bediente;  entweder  holte 
Hamlet  beide  Portraits  aus  seiner  Tasche  hervor,  um  sie  mit 
einander  zu  vergleichen ,  oder  er  zog  bloss  das  Portrait  des  Va- 


40     

ters  heraus  und  entriss  seiner  Mutter  das  Portrait  ihres  zweiten 
Mannes,  das  sie  am  Halse  trug^j.  Stevens  und  Malone  haben 
bereits  die  Meinung  ausgesprochen,  dass  diess  nicht  im  Sinne 
Shakespeare's  sei,  der  an  grosse  Gemälde,  die  an  der  Wand 
hängen  sollten,  gedacht  habe^].  In  D  sagt  Hamlet:  )»Aber  sehet, 
dort  in  jener  Gallerie  hängt  das  Gooterfeit  Eures  ersten  Ehe- 
gemals,  und  da  hängt  das  Conterfcit  des  itzigen:  was  dttnkt 
Euch  wohl,  welches  ist  doch  der  ansehnlichste  unter  ihnen? 
Ist  der  erste  nicht  ein  majestätischer  Herr?«  —  eine  Stelle,  die 
ein  gewichtiges  Zeugniss  für  die  Richtigkeit  der  Stevens-Malone- 
sehen  Ansicht  ablegt. 

Hierher  gehört  auch  eine  Stelle  gegen  Anfang  derselben 
Scene.    Hamlet  sagt  da  zur  Königin  A  \  452  ff. : 

»llow  now  mother,  come  hcre,  sit  dowue,  for  you  shall 
heare  me  speake. 

Queene:   What  wilt  thou  do?  thou  wilt  not  murder  mc, 
helpe :  hoe : 

[Polonius  hinter  dem  Teppich]  Helpe  for  the  Queene. 

InB  HI,  4,  18: 

Hamlet :  Gome,  come  and  sit  you  downe,  you  shaii  not  boudgc 
You  goe  not  tili  1  set  you  up  a  glass 
Whero  you  niay  see  the  onmost  part  of  you. 

Queene:  What  wilt  thou  doe,  thou  will  not  nmrlüer  me. 
Helpe  how. 

Polonius:  What,  how  helpe I« 

Also  Hamlet  hcisst  seine  Mutter  sich  ruhig  niedersetzen 
und  ihn  anhören  und  bloss  aus  dieser  Aufforderung  soll  die 
Mutter  den  Verdacht  schöpfen ,  er  wolle  sie  tödten  ?  Aus  den 
Worten  des  Dichters  tritt  jedenfalls  der  Zusammenhang  nicht 
genügend  hervor.  Gewöhnlich  bleibt  es  dem  Schauspieler  über- 
lassen, durch  den  Ton  seiner  Stimme  und  durch  sein  Geberden- 
spiel das  fehlende  zu  ergänzen.  Tieck  verlangte,  man  müsse 
hinter  Hamlets  Worte  eine  Bühnenanweisung  einschieben ,  wo- 


i)  Über  die  verschiedenen  Arien  der  Inscenierung  und  über  das  Spiel 
der  hervorragendsten  Bühnenkünstler  an  dieser  Stelle  vgl.  Furness  I,  290  ; 
11,251,255. 


41     

nach  Hamlet  die  ThUr  verschliessi  und  dadurch  die  Todesangst 
der  Königin  erregt.    In  D  lautet  die  entsprechende  Stelle : 

Hamlet:  Pfui!  schUmet  Euch.  Ihr  habt  fast  auf  einen  Tag 
Begrübniss  und  Beylager  gehalten.  Aber  still,  sind 
alle  Thüren  vest  verschlossen? 

Königin:  Warum  fragst  du  das? 

[Corambus  hustet  hinter  der  Tapete. 

Es  wäre  sehr  wohl  denkbar ,  dass  die  gesperrt  gedruckten 
Worte  in  einer  alten  Bühnenanweisung  ihren  Ursprung  hätten ; 
jedenfalls  können  sie  zur  Unterstützung  der  Tieck^schen  Ansicht 
herangezogen  werden.  Tieck  hat  sich  freilich  mit  den  Reper- 
toirestücken der  englischen  Comödianten  in  Deutschland  viel 
beschäftigt  und  man  könnte  daher  vcrmuthen,  dass  er  vielleicht 
durch  die  obige  Stelle  auf  seine  Bühnenanweisung  gebracht 
wurde,  aber  er  hätte  alsdann  gewiss  nicht  verfehlt,  diess  aus- 
drücklich zu  betonen. 

Einer  der  Punkte,  die  bisher  für  das  Verständniss  wie  für 
die  Inscenirung  des  Hamlet  die  meisten  Schwierigkeiten  bereitet 
haben,  ist  der  von  Hamlet  und  Laertes  in  der  Hitze  des  Gefechts 
vorgenommene  Waffen  tausch.  B  hat  zu  dieser  Stelle  gar  keine 
Bühnenanweisung,  die  Folio  sagt  bloss  »in  scuffling,  they  change 
rapierscc.  A,  das  ja  aus  Notizen  entstanden  ist,  die  während 
der  Bühnenaufführungen  genommen  wurden  und  aus  dessen 
scenischen  Anweisungen  wir  daher  manches  erfahren,  worüber 
die  anderen  Texte  schweigen,  bemerkt  hier:  They  catch  one 
anothers  Rapiers,  and  both  are  wounded,  Leartes  falls  downe. 
Am  ausführlichsten  wird  der  ganze  Hergang  in  D  beschrieben : 
Laertes  »lässt  das  Rappier  fallen  und  ergreift  den  vergifteten 
Degen,  welcher  parat  lieget 'und  stösst  dem  Prinzen  die  Quarte 
in  den  Arm.  Hamlet  pariret  auf  Leonhardo ,  so  dass  sie  beyde 
die  Gewehre  fallen  lassen.  Sie  laufen  ein  jeder  nach  dem  Ra- 
pier. Hamlet  bekommt  den  vergifteten  Degen  und  sticht  Leon- 
hardus  todt«.  —  Hier  ist  eine  völlig  klare  und  leicht  auszufüh- 
rende Anweisung  für  den  Waflentausch  gegeben.  Nur  ist  nicht 
recht  einzusehen,  warum  Laertes  sich  nicht  gleich  von  vorn 
herein  des  vergifteten  Rappiers  bedient  haben  sollte. 

Ausser  diesen  scenischen  Angaben  wüsste  ich  bloss  noch 
einen  Fall,  wo  eine  in  D  allein  vorkommende  Stelle  zur  Kritik  des 


42     

Shakespearo'schen  Textes  herangezogen  werden  könnle.  In  B  V, 
8,  230  sagt  Hamlet,  nachdem  er  von  einer  schlimmen  Ähnung 
befallen  worden  war  und  Horatio  sich  erboten  hatte,  das  Kampf- 
spiel  rückgängig  zu  machen:  »Not  a  whit,  we  defie  augury, 
there  ^s  a  special!  prouidence  in  the  fall  of  a  Sparrowe.  If  it  be, 
tis  not  to  come,  if  it  be  not  to  come,  it  will  be  now,  if  it  bc 
notnow,  yet  it  well  [will]  come,  the  readines  is  all.  Since  no 
man  of  aught  he  leaues,  knowes  what  ist  to  leaue  betimes, 
let  be«r.  Diess  let  be  fehlt  in  den  Foliosiusgaben  und  viele  Her- 
ausgeber,  u.  a.  Dyce  und  Staun  ton,  haben  es  nicht  in  den  Text 
aufgenommen.  Delius  bemerkt  mit  Recht,  dass  es  keinenfalls 
zu  dem  vorhergehenden  Satz  gehört.  —  In  D  sagt  Horatio  an 
der  entsprechenden  Stelle  V,  3 :  »Ach  der  Himmel  gebe  doch, 
dass  dieses  Omen  nicht  etwas  Böses  bedeuten  möge« ;  darauf 
erwidert  Hamlet :  »So  sey  es,  wie  es  will^  ich  will  dennoch  zu 
Hofe  gehn,  und  sollte  es  auch  mein  Leben  kosten«.  Es  ist  sehr 
wohl  möglich,  dass  wir  den  Satz,  »so  sey  esv  etc.  in  D  als  eine 
deutsche  Umgestaltung  des  nämlichen  Satzes  zu  betrachten  ha* 
ben ,  welcher  in  der  nachlässig  gedruckten  Ausgabe  B  bis  auf 
zwei  Worte  verschwunden  ist. 

Wir  haben  gesehen ,  dass  durch  die  Heranziehung  von  D 
neue  Ergebnisse  für  die  Feststellung  des  Verhältnisses  von  A  zu 
B  gewonnen  werden  können.  Nun  ist  aber  —  was  ich  im  Ver- 
laufe dieser  Abhandlung  geflissentlich  unberücksichtigt  gelassen 
habe  —  B  nicht  die  einzige  Grundlage  des  gangbaren  Textes. 
Die  folgenden  Quartoausgaben ,  eine  von  4605,  eine  von  1641 
und  eine  undatierte  sind  allerdings  nichts  als  neue  Auflagen 
von  B,  die  undatierte  ist  aus  der  von  4614  abgedruckt.  Dage- 
gen bietet  der  Text  der  ersten  Gesammtausgabe  von  Shake- 
speare's  Dramen  in  Folio  (1623)  eine  beträchtliche  Anzahl  von 
bemerkenswerthen  Abweichungen,  wenn  er  auch  ohne  Zweifel 
mit  B  weit  näher  verwandt  ist  als  mit  A.  Wie  die  Discrepanzen 
zwischen  B  und  der  Folio  (Fj  zu  erklären  seien ,  darüber  sind 
die  Meinungen  der  Shakespeareforscher  getheilt,  die  Frage  hat 
auch  dadurch  einen  verwickelten  Charakter  angenommen,  dass 
F  an  einzelnen  Slellen  mit  A  gegen  B  übereinstimmt ,  während 
an  anderen  Stellen  A  und  B  gegen  F  stehen.  Es  sei  indessen 
ausdrücklich  bemerkt,  dass  D  keine  genügenden  Anhaltspunkte 
zur  Entscheidung  der  hieran  sich  anknüpfenden  Streitfragen 
gewährt.   Varianten  von  F  kommen  nur  bei  folgenden  in  D  vor- 


43     

handcnen  Stellen  von  B  in  Betracht.  In  den  Worten  des  Po- 
lonius  (s.  0.  S.  16  No.  4) : 

Ile  hath  my  Lord  wrung  from  me  my  slow  leauc 
By  laboursome  petition  and  at  last 
lipon  bis  will  I  seald  my  hard  consent 
I  do  beseecb  you,  giue  bim  leaue  to  go 

feblen  in  F  die  gesperrt  gedruckten  Worte.  Ebenso  fehlen  in  F 
die  Worte  let  be  (V,  2,  235).  Statt  Hamlets  Worten  »But 
thou  wouldst  not  think  bow  ill  all 's  here  about  my  heari 
beisst  es  in  F  Jibowallherec  etc.  Also  lauter  Fälle,  in  wel- 
chen die  Varianten  in  F  durch  Auslassung  oder  Entstellung  zu 
erklaren  sind.  Ebensowenig  berechtigt  es  zu  weiteren  Schlüs- 
sen, wenn  wir  in  F  beim  ersten  Auftreten  der  wahnsinnigen 
Ophelia  die  Bühnenanweisung  finden:  »Enter  Ophelia  dis- 
tractedc  und  dem  entsprechend  in  D:  »Ofelia  toll«,  wahrend 
in  B  dieser  selbstverständliche  Zusatz  fehlt:  »Enter  Ophelia«. 
Oder  wenn  in  BD,  Act  I  durch  eine  Bühnenanweisung  aus- 
drücklich hervorgehoben  wird ,  dass  der  Lärm  des  Königlichen 
Gastmahls  bis  auf  die  Schlossterrasse  dringt,  während  in  F  eine 
solche  Bühnenanweisung  nicht  vorhanden  ist.  Auch  in  diesem 
Falle  ist  die  Bühnenanweisung  überflüssig,  da  sie  aus  dem 
Texte  leicht  zu  ergänzen  ist.  Sonst  sind  die  einzigen  hier  zu  er- 
wähnenden Varianten,  dass  die  giftige  Substanz,  deren  sich 
der  Mörder  des  alten  Hamlet  bediente,  in  F  Hebenon  und  In  D 
Ebene,  dagegen  in  A  B  llebona  genannt  wird  und  dass  in  F  Hl, 
2,  281  nicht  wie  in  B  bloss  Polonius,  sondern  alle  zugleich  nach 
Lichtern  rufen  (s.  o.  S.  43,  No.  5). 


Herr  Zarncke  legte  einen  Aufsatz  vor :  Weitere  MiUhetlungen 
über  Christian  Reuter^  den  Verfasser  des  Schelmuffsky. 

In  den  Abhandlungen  unserer  Classe  [IX,  5,  457  (I.)  habe 
ich  den  Nachweis  geliefert,  dass  der  Verfasser  des  Schelmuffsky 
ein  Leipziger  Student,  Christian  Reuter  aus  Kutten,  war,  der 
von  unserer  Universität  wegen  seines  dissoluten  Lebenswandels 
wie  wegen  seiner  Schriflstellerei  relegiert  ward.  Im  Sommer 
1 700,  mitten  in  einer  ziemlich  scandalvoilen  Angelegenheit,  aber 
scheinbar  in  wohlgesicherter  Stellung  als  Secretür  des  einfluss- 
reichen Kammerherrn  von  Seyferditz,  verloren  wir  ihn  aus  den 
Augen,  und  alle  Versuche,  seine  Spur  wieder  aufzufinden, 
schlugen  fehl.  Es  lag  nahe  anzunehmen,  dass  er  bald  darauf 
gestorben  sei,  und  man  konnte  glauben,  dass  die  grosse  Produc- 
tivität  und  das  hervorragende  Talent,  das  er  in  den  90er  Jahren 
und  bis  zum  letzten  Augenblicke  seines  Auftretens  bewiesen 
hatte,  durch  einen  frühzeitigen  Tod  in  seiner  Entwicklung  ge- 
hemmt worden  sei ,  dass  er ,  wenn  er  weiter  gelebt  hütto,  sich 
zu  einem  bedeutenden  Schriftsteller  wttrde  ausgebildet  haben. 
Diese  günstige  Voraussetzung  erweist  sich  als  nicht  zutreffend  : 
Chr.  Reuter  hat  weiter  gelebt  und  hat  es  dennoch  zu  einer 
höheren  schriftstellerischen  Redeutung  nicht  gebracht.  Hierüber 
soll  die  nachstehende  Darstellung  orientieren. 

1.  Christian  Renter  redivivns. 

In  dem  im  Januar  1887  ausgegebenen  Katalog  No.  XLVIll 
von  Ludwig  Rosenthafs  Antiquariat  in  München  fand  sich  als 
No.  263  verzeichnet:  »Reuter,  Chr.,  Die  frohlockende  Spree  bei 
hochfeyerl.  Kroenungsfeste  am  18.  Jan.  1703,  in  einer  Schiffer- 


45     

Musik.  Berlin  (4703)«!).  Der  Name,  die  Jahreszahl,  der  Titel, 
der  Ort,  das  Alles  machte  es  mir  auf  den  ersten  Blick  wahr- 
scheinlich, dass  hier  der  verloren  gegangene  Schriftsteller  wie- 
der aufgefunden  sei.  Ich  bestellte  die  Schrift,  hatte  die  Freude, 
die  sauber  mit  Goldschnitt  gezierte  in  meinen  Besitz  zu  bringen 
und  fand  meine  Voraussetzung  bestätigt :  die  frische  Lust,  die 
in  diesen  Versen  waltete ,  war  so  congenial  dem  musikalischen 
Talente  des  Verfassers  der  Harlekinaden  und  der  »Oper«,  dass  an 
der  Identität  nicht  zu  zweifeln  gewesen  wäre ,  auch  wenn  er 
sich  nicht,  wie  schliesslich  in  Leipzig,  so  auch  hier  auf  dem 
Titel,  9Jur.  Utr.  Cand.a  genannt  hätte.  Im  Januar  4703  war  also 
Christian  Reuter  in  Berlin  gewesen. 

Es  galt  nun.  Weiteres  zu  finden,  und  so  war  ich  zunächst 
wieder  auf  die  Unterstützung  hülfreicher  Freunde  angewiesen. 
Da  die  aufgefundene  Schrift  eine  für  den  Hof  berechnete  Ovation 
war ,  so  durfte  ich  vermuthen ,  dass  das  Staatsarchiv  in  Berlin 
vielleicht  Auskunft  bieten  weroie ;  da  Reuter  jetzt  in  Berlin  zu 
dichten  angefangen  hatte,  so  konnte  man  sich  der  Hoffnung  hin- 
geben, auf  der  dortigen  Königl.  Bibliothek  noch  Einiges  von  ihm 
zu  entdecken,  und  da  er  jetzt  so  ganz  in  die  Fusstapfen  des  Ber- 
liner Hofdichters  Joh.  von  Besser  einzutreten  schien  und  die 
Bibliothek  dieses  zu  einem  grossen  Theil  auf  die  Dresdener 
Königl.  Bibliothek  gekommen  war,  so  lag  es  nahe,  auch  dort 
Nachsuchungen  anzustellen.  An  allen  drei  Orten  hatte  ich  be- 
währte Freunde  und  meine  Bitte  an  diese  war  alsbald  von  Er- 
folg gekrönt :  in  wenigen  Tagen  hatte  ich  7  neue  Schriften  Reu- 
ter^s,  die  bis  zum  Jahre  i740  führten,  als  noch  vorhanden  nach- 
gewiesen. Mein  lebhaftester  Dank  gebührt  Herrn  Archivrath 
Professor  Dr.  Max  Lehmann  am  Geheimen  Staatsarchiv  in 
Berlin,  Herrn  Gustos  Dr.  H.  Meisner  an  der  Königl.  Bibliothek 
ebenda,  und  Herrn  Bibliothekar  Professor  Dr.  Schnorr  v.  Ga- 
rolsfeld  in  Dresden.  Auch  Herrn  Archivrath  Dr.  Gross - 
mann  in  Berlin  bin  ich  für  seine  Bemühungen  auf  dem  Königl. 
Hausarchive  zu  Dank  verpflichtet,  und  Herrn  Geh.  Regierungs- 

1)  Ich  habe  hier  so  manchen  Freunden  herzlichen  Dank  auszuspre- 
chen für  die  Liebenswürdigkeit,  mit  der  sie  mich  auf  diese  Notiz,  die  sie 
in  ihrem  vollen  Wcrtho  gewürdigt  halten,  hinwiesen,  besonders  den  Her- 
ren Dr.  Hans  Fischer  in  Leipzig  und  Archivrath  Dr.  Konnecke  in  Mar- 
burg, die  mich  unmittelbar,  nachdem  der  Katalog  erschienen  war,  auf  jenen 
Titel  aufmerksam  machten. 


46     

rath  Dr.  Seh ra der  in  Halle  für  seine  Unterstütxung  bei  der 
wiederaufgenommenen  Frage,  ob  etwa  wirklich,  Reuter's  Wunsch 
gem^iss,  die  bekanntlich  in  Leipzig  vermissten  Acten  nach  Wit- 
tenberg verschickt  worden  seien.  Das  Ergebniss  war  in  diesem 
Fall  ein  negatives. 

Weiteres  über  das  Leben  und  die  Lebensstellung  Reuter's 
festzustellen ,  als  die  neugefundenen  Schriften  uns  gewähren, 
ist  mir  nun  freilich  —  von  6iner  Notiz  abgesehen  —  nicht  ge- 
glückt, und  wieder  wird  er  uns  schliesslich  entschwinden,  ohne 
dass  wir  sein  ferneres  Leben  und  seinen  Tod  zu  constatieren  im 
Stande  sind.  Die  Berliner  Adresskalender,  die  Hr.  Dr.  Meisner 
zu  durchforschen  die  Güte  gehabt  hat,  erwähnen  seiner  bis  in 
die  30er  Jahre  nicht,  er  hat  es  also  in  Berlin  zu  einer  angesehe- 
nen Stellung  nicht  gebracht.  Dass  es  ihm  auch  in  GharloUen- 
burg,  wohin  Manches  zu  weisen  schien,  nicht  gelungen  sei,  hat 
sich  ebenfalls  constatieren  lassen.  Die  dortigen  Kirchenbücher, 
wie  Herr  Küster  Alisch  mir  mitzutheilen  die  Güte  hatte,  ken- 
nen seinen  Namen  nicht,  nur  ein  Johann  Fritz  Reuter  erscheint 
dort  als  verheirathet,  der  mit  dem  unserigen  offenbar  nichts  zu 
schaffen  hat.  Die  Kirchenbücher  sämmtlicher  Berliner  Gemein- 
den aber  —  und  Berlin  besass  in  der  hier  ins  Auge  zu  fassen- 
den Zeit  bereits  mehr  als  ein  Dutzend  —  aufs  Ungewisse  hin 
nach  ihm  durchsuchen  zu  lassen,  dazu  erschien  mir,  ehrlich  ge- 
standen, der  Gegenstand  doch  nicht  wichtig  genug.  Die  Bücher 
der  Domgemeinde,  in  der  wir  ihn  zunächst  zu  suchen  hatten, 
erwähnen  seinen  Tod  nicht.  So  sah  ich  denn  von  weiteren  Nach- 
forschungen ab,  und  begnügte  mich  mit  dem  Erlangten,  das 
uns  nun  das  folgende  Bild  von  dieser  zweiten  Phase  unseres 
Dichters  gewährt. 

Bei  der  wiederkehrenden  Feier  des  Krönungstages  am 
18.  Jan.  1703  war  Reuter  in  Berlin  und  lieferte  zu  diesem  Tage 
ein  Singspiel,  »Die  frohlockende  Spree«,  das  vielleicht 
von  Schiffern  dem  Künigl.  Schloss  gegenüber  auf  Spreekähnen 
aufgeführt  ward.  Er  muss  demnach  wohl  bereits  eine  Zeitlang 
vorher  dort  gewesen  sein.  Mit  seinem  Aufenthalt  in  Dresden 
war  es  also  zu  Ende,  er  hatte  dort,  wie  man  glauben  muss,  ab- 
gewirthschaftet.    Was  hatte  ihn  nach  Berlin  geführt? 

Die  Beantwortung  dieser  Frage  liegt  nahe.  Die  Neigungen 
des  dortigen  Hofes  konnten  ihn  wohl  mit  Hoffnungen  erfüllen. 
Der  Kurfürst  Friedrich  III.,  seit  4701  König  Friedrich  L,  war 


47     

ein  prachtliebender,  den  Motiven  der  Eitelkeit  wohl  zugäng- 
licher Herr,  der  die  Dienste  der  Poesie  und  der  Prosa  in  dieser 
Richtung  recht  gut  zu  schätzen  verstand.  Bei  ihm  hatten  be- 
reits der  Freiherr  von  Cunitz  und  nach  diesem  der  Herr  von  Bes- 
ser als  Hofdichter  eine  angesehene  Stellung  erlangt,  die  Man- 
chen zu  dem  Versuche  reizen  konnte,  Ähnliches  zu  erstreben. 
Noch  günstiger  und  besonders  für  unsern  Reuter  anziehender 
war  die  Neigung  der  gelehrten  und  lebenslustigen  Königin  So- 
phie Charlotte,  der  Freundin  von  Leibniz,  für  Theater  und  Sing- 
spiele. Maskenfeste  ,  carneval istische  Lustbarkeiten  mit  Ballet 
und  Gesang,  sog.  Wirthschaften.  waren  schon  seit  dem  Ende  der 
80er  Jahre  bei  Hofe  beliebt^).  Aus  dem  Gonflict  mit  dem  Hof- 
prediger Cochius  ersehen  wir ,  dass  zu  P6ngsten  4  695  bei  Hofe 
eine  Oper  aufgeführt  wurde ;  in  den  Mai  4  696  fällt  dann  das 
grosse  Ballet  und  Singspiel  von  Joh.  von  Besser :  »Florens  Früh- 
lingsfesU.  Vielleicht  war  jener  Gonflict  mit  die  Veranlassung, 
dass  die  Kurfürstin  ihre  hauptsächliche  Residenz  hinaus  zu  ver- 
legen beschloss  nach  dem  nahen  Lützenburg,  dem  späteren 
Gharlottenburg,  dessen  Schloss  am  12.  Juli  1699  eingeweiht 
ward 2)  und  das  nun  auch  sofort  eine  eigene  Bühne  erhielt.  Hier 
wurde  viel  gespielt,  gesungen  und  musiciert,  in  italienischer 
und  französischer,  dann  auch  in  deutscher  Sprache.  Unter  den 
italienischen  Musikern  trat  nebjen  Bononcino  besonders  hervor 
der  italienische  Pater  undJSIisiklehrer  der  Königin,  Kapell- 
meister Attilio  Ariosti,  jfl^  Freund  und  Lehrer  des  jungen 
Händel  bei  seinem  A^^nthalt  in  Berlin  in  den  90er  Jahren, 
mit  dem  er  später ifj^  London  rivalisierte.  Er  galt  neben  Rick 
und  Bononcino,  ßf^^  später  auch  in  London  war,  als  hervorra- 
gende musikali.<|^g  Grösse.  Benj.  Neukirch  in  der  Trauerrede 
auf  die  KönigiHf'j^ryQ^j  g^gt  von  jenen  dreien:  »welche  nicht  al- 
lein unter  si^  \e\\)Si  sondern  auch  mit  allen  Meistern  in  der 
Welt  um  der/y^^^^g  Jtritten«.  Schon  1699  hätte  er,  wenn  wir 
Varnhagen  Cauen  dürften,  zu  dem  Feste,  das  die  Königm  m 


^^  ^^iä  vvann  in  deutscher  Sprache?  Leider  ist  v.Bcsser's  Gedicht  an 
die  Karfür^^.^  nicht  datiert ,  welches  beginnt: 

^  Noch  hat  die  teutsche  Poesie 

^.  Vor  Dir,  durchlauchtigste  Sophie. 

.  Sich  nimmer  dürfen  sehen  lassen. 

*'  ^^  k  des  Herrn  v.  Besser  Schriften,  hrsg.  von  König  (4732),  S.  664. 

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48     

Lützenburg  bei  Gelegenheit  der  Vermählung  ihres  Schwagers, 
des  Markgrafen  Philipp,  gegeben,  ein  — doch  wohl  italienisches 
—  Schaferspiel  des  Abbate  Mauro  in  Musik  gesetzt  und  allge- 
meine Bewunderung  erzielt^).  Am  34.  Mai  1700  ward  dann  die 
Vermahlung  des  Erbprinzen  von  Ilessen-Cassel  mit  der  Tochter 
des  Königs  vollzogen ,  und  zu  ihrer  Feier  am  ^ .  Juni  in  Berlin 
(auf  dem  dazu  neu  erbauten  Theater  im  Kgl.  Reitstall]  eine 
grosse  italienische  Oper  mit  Ballet  gegeben,  »La  Festa  del  Hy- 
meneo«,  wiederum  der  Text  vom  Abbate  Mauro  und  die  Musik 
von  Attilio  Ariosti*).  Ihr  folgte  am  4.  Juni  in  Oranienburg  das 
Festspiel  v.  Besseres  »Triumph  der  Liebe«,  und  am  6.  Juni  in 
Lützenburg,  ebenfalls  von  Mauro  und  Att.  Ariosti,  »Der  bestrafte 
Hochmuth  des  Schafers  Atis«^).  Am  12.  Juli,  dem  Geburtstage 
des  Kurfürsten,  der  fortan  w-ohl  regelmassig,  wenigstens  Nach- 
mittags, in  Lützenburg  gefeiert  wurde,  ward  jene  bekannte 
grosse  Maskerade  gegeben,  von  der  Leibniz  eine  so  anschauliche 
Schilderung  entworfen  hat^),  die  Darstellung  eines  Jahrmarkt 
tes,  die  fast  wie  das  Vorbild  zu  Goethe's  Jahrmarktsfest  zu  Plun- 
dersweilern erscheint.  An  demselben  Tage  des  folgenden  Jahres 
wurde  Benj.  Neukirch's  »Der  Streit  des  alten  und  neuen  Jahrhun- 
derts« aufgeführt^),  dessen  Componist  nicht  genannt  wird.  Viel- 
leicht war  CS  wiederum  Attilio  Ariosli.  Am  42.  Juli  4  702  s^ing 
zur  Einweihung  des  neuerbauten  Theaters  in  Lützenburg  ein 
grosses  italienisch-französisches  Stück  über  die  Bretter,  »ITrionfi 
di  Parnasso  :  Les  Triomfes  du  Parnasse«,  dessen  Dichter  und 
Componist  nicht  genannt  werden ,  doch  liegt  es  auch  hier  wohl 
am  Nächsten,  auf  Abbate  Mauro  und  Attilio  Ariosti  zu  rathen. 
So  stand  es,  als  Christian  Reuter  in  Berlin  auftrat.    Man 


4)  Varnhagcn  von  Ensc,  Leben  der  Königin  Sophie  Charlotte,  S.  103. 
Aber  ich  finde  diese  Oper  sonst  nicht  erwähnt,  und  was  V.  weiter  von  ihr 
erzählt,  erinnert  in  verdächtiger  Weise  an  das  Fest  in  Lützenburg  am 
6.  Juni  4  700  l)ei  der  Vermählung  der  Tochter  des  Königs.  IJberdies  fand 
die  Vermählung  des  Markgrafen  Philipp  im  Februar  statt,  vo  man  sich 
kaum  in  Lützenburg  vergnügen  konnte,  denn  nach  v.  Besser m  ausdrück- 
licher Angabe  ward  das  Schloss  erst  im  Juli  4  699  eingeweiht. 

2)  Brachvogel,  Gesch.  d.  Kgl.  Theaters  in  Berlin  1,  S.  r.3.  Aber  falsch 
ist,  dass  die  Vermählung  am  26.  Mai  gefeiert  sei. 

3)  Des  Herrn  v.  Besser  Schriften,  S.  665. 

4)  Varnhagen  v.  E.,  a.  a.  0.,  S.  4  06fT. 

5)  Nicht  4  700,  wie  Brachvogela.  a.  0.  angiebt. 


49     

sieht,  die  Versuchung  lag  ntahe  genug,  es  einmal  hier  zu  wagen, 
was  Neukirch  leistete,  konnte  Reuter  sich  wohl  auch  getrauen 
zu  Stande  zu  bringen. 

Noch  eine  besondere  Veranlassung  zu  dieser  Übersiedelung 
aufspüren  zu  wollen,  dazu  liegt  kaum  eine  Nöthigung  vor. 
Sonst  könnte  man  eine  solche  wohl  vermuthen.  Wir  haben  in 
Leipzig  Chr.  Reuter  und  seinen  Kreis  in  Verbindung  mit  dem 
Hause  des  Patriciers  Adrian  Steger  kennen  gelernt  (vgl.  Zaimcke, 
Chr.  R.,  S.  44  Anm.  und  W.  Creizenach  im  Archiv  f.  Littgesch. 
13,  435) ;  wahrscheinlich  fiel  er  den  Häschern  in  die  Hunde,  als 
er  zum  Geburtstage  des  jungen  Steger  sich  im  Juli  4697  ver- 
stohlen in  die  Stadt  gewagt  hatte.  In  diesem  Hause  nun  hatte 
in  der  zweiten  Hälfte  der  70er  Jahre  auch  Joh.  von  Besser  ver- 
kehrt, hier  hatte  er  seine  Kühleweinin,  die  Mttndel  des  Herrn 
Steger,  kennen  gelernt.  Es  wäre  nicht  so  unmöglich,  dass  die 
Stegers  ihn,  als  seine  Verhältnisse  in  Dresden  keine  weitere 
Aussicht  boten,  an  den  alten  Bekannten  ihres  Hauses  —  denn 
die  Frau  war  schon  4688  gestorben  — ,  der  zur  Zeit  in  Berlin 
eine  so  hohe  Stelle  bekleidete,  recommandiert  hätten.  Freilich, 
wie  dem  sei,  kaum  ist  zu  glauben,  dass  er  an  dem  kleinlichen, 
hochgestiegenen  Hofdichter  wirklich  einen  zuverlässigen  Palron 
sollte  gefunden  haben,  zumal  wenn  wir  dessen  Benehmen  gegen 
Neukirch  bedenken,  wie  Gottsched  es  ihm  Schuld  giebt^).  In 
einem  Punkte  steht  jedenfalls  Reuter  Neukirch  voran :  dieser 
hat  den  Herrn  von  Besser  angesungen ,  dazu  hat  sich  Reuter 
nicht  hergegeben,  so  übel  es  ihm  gegangen  sein  mag. 

Ob  das  Singspiel,  das,  soviel  wir  wissen,  Reuter's  erste 

4)  Neukirch's  auserl.  Gedichte,  hrsg.  von  GoUsched,  Regensbarg 
1744,  Vorrede:  »»So  sehr  es  nun  manchen  Wunder  nehmen  wird,  dass  Herr 
von  Besser ,  der  sich  doch  selbst  zuerst  durch  seine  Poesie  bey  Hofe  be- 
liebt gemacht ,  und  hernach  mehr  emporgeschwungen,  einem  andern  ge- 
schickten Dichter  weder  auf  seine  vielfältigen  Briefe  geantwortet,  noch 
sonst  im  geringsten  behülflich  seyn  wollen :  so  sehr  stimmt  dieses  doch 
mit  demjenigen  überein ,  was  mir  theils  mündlich  von  vornehmen  Män- 
nern, die  an  dem  damaligen  Berlinischen  Hofe  gelebt,  erzählet  worden; 
theils  auch  in  diesem  Jahrhunderte  an  anderen  deutschen  Höfen  in  der- 
gleichen Umständen  bekannt  geworden.  Die  sogenannten  Hofpoeten  sind 
auf  nichts  eifriger  bedacht,  als  dass  an  ihren  Höfen  ja  kein  anderer  Dichter 
anwachse  und  das  Haupt  emporhebe.  Sie  helfen  also  andern  Poeten  nicht 
fort,  sondern  ersticken  und  unterdrücken  ihre  Gedichte ,  so  viel  sie  kön- 
nen, wie  Neukirch  solches  zur  Genüge  erfahren  bat«. 

1887.  4 


50     

Leistung  vor  dem  Berliner  Hofe  war,  von  den  Spreeschiffern 
ausging  oder  vom  Hofe  selbst,  ist  wohl  nicht  sicher  zu  entschei- 
den. Man  würde  sonstigen  Vorkommnissen  nach  *)  das  Letztere 
vermuthen  dürfen,  wenn  nicht  Reuter  auf  dem  Titel  (s.  u.)  so 
rein  persönlich  aufträte.  Unmöglich  wäre  es  auch  nicht,  dass 
das  Stück  gar  nicht  zur  Aufführung  gelangt  wäre,  sondern  nur 
eine  Empfehlung  des  Dichters  sein  sollte. 

Anfangs  scheint  es  ihm  über  Erwarten  geglückt  zu  sein.  Als 
am  42.  Juli  wieder,  wie  gewöhnlich,  der  Geburtstag  des  Königs 
in  Lützenburg  bei  der  Königin  gefeiert  ward,  und  diesmal  ganz 
besonders  feierlich  2)  —  denn  am  Vormittag  war  in  Berlin  das 
Standbild  desGro.ssen  Kurfürsten  enthüllt  ^j — ,  da  war  es  Chri- 
stian Reuter,  der  auf  ausdrücklichen  Befehl  der  Königin  für  die 
erst  seit  Jahresfrist  errichtete  Bühne  das  Festspiel  lieferte,  und 
der  beliebteste  Componist  des  Hofes,  Attilio  Ariosli,  hatte  das- 
selbe in  Musik  gesetzt.  Es  war  ein  allegorisches  Drama,  »Mars 


4)  Vgl.  z.  B.  das  Festspiel  zum  Geburtstage  des  Churfürsten  am  42. 
Juli  4  694,  welches  ihm  seine  Gemahlin  »in  ihrem  an  der  Spree  gelegenen 
Lust-Garten  Belvedere«  gab,  in  welchem  »die  Nymphen  von  der  Spree  aus 
ihrem  Gondel-Kahn«  den  Fürsten  ansangen.  Des  Herrn  v.  Besser  Schrif- 
ten, hrsg.  von  König,  4  732,  S.  764  ff. 

2)  Vergl.  des  Andr.  Luppius  Gedicht  zu  diesem  tage  (III,  46)  auf 
dem  Titel,  »Dessen  {des  Königs)  Geburtsfest  von  der  Allerholdseligsten  Kö- 
nigin in  Preussen,  und  Churfürstin  zu  Brandenburg,  Madam,  Madam  So- 
phie Charlotten  Nebest  Dero  Königl.  Ehegemahl  Und  ganlzen  Künigl.  Hause 
in  Ihro  Königl.  Residentz  Luzeburg  mit  grossen  Freuden  und  Frolocken 
auf  das  Herrlichste  celebriret  wurde,  d.  42.  Julii,  Anno  4703«. 

3)  Merkwürdig  ist  der  Widerspruch,  der  sich  in  den  Drucken  jener 
Zeit  in  Betreff  des  Tags  der  Enthüllung  findet.  Der  Druck  des  Spiels  »1 
Trionfi  di  Parnasso«,  das  am  42.  Juli  4  702  aufgeführt  ward,  hat  zumSchluss 
ein  lat.  u.  franz.  Epigramm  auf  das  Reiterstandbild,  und  die  Überschrift 
lautet:  ».  .  aheneus  equest.  colossus  ....  ad  novum  Bcrolini  fontem  a. 
MDCCII  Id.  Jul.  erectus«,  und  ebenso  die  der  franz.  Verse.  Dann  lieferte 
Halma  zum  48.  Jan.  4703  ein  niederländisches  Gedicht:  »Zegepraal  .  .  .  ter 
gelegen  hei  t  van  den  verjaardag  der  Krön  inge  .  .  .  en  t  oprcchten  van'lPraal- 
beeld  tc  Paard  voor  zynen  Heer  Vader  ,  .  .  plechtelyk  geviert  en  opgerecht 
te  Berlyn,  den  48.  van  Loumaand  (Januar),  4703«.  Endlich  zum  4  2.  Juli 
4703  richtet  C.  Ancillon  eine  officiöse  »Epitre  au  roy«,  in  der  es  hcisst:  »Si 
la  Statuö  Equestrc,  que  vötre  Maj.  fait  exposer  auiourd'hyi  h  la  vue  du  pu- 
blic . . .  la  Statue  Equestre,  que  vous  faites  paroitre  pour  la  premi^ro  fois 
ii  ses  yeux«.  Nur  das  letzte  Datum  ist  das  richtige,  die  beiden  ersten  be- 
ruhen auf  voreiligen  Voraussetzungen. 


51     

uud  Irene«  betitelt,  entsprechend  der  kriegerischen  und  doch 
Friede  wünschenden  Gonstellation  jener  Zeit. 

Aber  damit  scheinen  die  Beziehungen  zum  Hofe  wieder  ab- 
zubrechen. Gefiel  das  StUck  nicht?  Schien  es  mit  seiueu  popu- 
lären Weisen  hinter  jenem  feierlich -pompösen  Ausstattungs- 
spiel, das  man  ein  Jahr  vorher  auf  derselben  Bühne  gesehen 
hatte,  zurückzustehen?  Machten  sich  Intriguen  gegen  den  neuen 
Dichter,  der  emporzukommen  drohte,  geltend ,  etwa  von  Besser 
selbst?  Wir  haben  keine  Andeutung  darüber.  Aber  wir  ßnden 
fortan  keine  Spur,  dass  Reuter  wieder  bei  Hofe  verwandt  wor- 
den wäre.  Aus  dem  Jahre  1704  ist  überhaupt  kein  poetisches 
Machwerk  aus  seiner  Feder  auf  uns  gekommen. 

Zum  48.  Januar  4705  gratuliert  er  mit  einem  Foliodruck, 
»Das  glückselige  Brandenburg«,  und  der  Schluss  des- 
selben (s.  u.)  zeigt,  dass  er  noch  zur  Seite  stand :  er  rangiert 
jetzt  unter  den  Bettelpoeten.  Am  4.  Februar  starb  die  Königin, 
auf  die  er  vielleicht  noch  zumeist  Hoffnungen  zu  setzen  berech- 
tigt war.  Zu  ihrer  Beisetzung  am  28.  Juni  lieferte  er  ein  langes 
Trauergedicht,  »Letzter  Zuruf  bei  der  Königl.  Trauer- 
Bahn  ev;  den  er  nicht  bloss  durch  den  Druck  veröffentlichte, 
sondern  auch  in  hocheleganter  Zierschrift  als  Manuscript  beim 
Könige  einreichte.  Zum  Geburlstag  desselben,  am  42.  Juli, 
wandte  er  sich  dann  mit  einem  kurzen  Gedicht,  das  einfach  als 
eine  Bittschrift  anzusehen  ist  und  daher  auch  gar  nicht  im  Druck 
erschien  ,  sondern  nur  handschriftlich  auf  dem  Staatsarchiv  er- 
halten ist,  abermals  an  den  König:  »Die  unter  dem  Leide 
vermischte  Freude«. 

Es  verlaufen  dann  wieder  zwei  Jahre ,  ohne  dass  wir  ein 
Zeugniss  seiner  Poesie  aufzuweisen  vermögen.  Erst  zum  Einzug 
der  dritten  Gemahlin  des  Königs  am  27.  November  lieferte  er  ein 
langes  Gedicht.  Hier  nennt  er  sich  nur  am  Schluss ;  der  Titel 
nimmt  die  Miene  an,  als  ob  das  Gedicht  im  Namen  der  »sämmt- 
lichen  Einwohner  der  ganzen  Stadt  Berlin«  abgefasst  sei.  Masste 
sich  Reuter  selber  diesen  Titel  an,  oder  war  er  wirklich  von 
einer  Autorität  des  städtischen  Gemeinwesens  zur  Abfassung 
dieses  Gedichtes  veranlasst  worden?  Wäre  das  der  Fall,  so  dürfte 
man  daraus  schliessen,  dass  er  ein  bekannter  und  gesuchter 
Dichter  gewesen,  und  weiter,  dass  er  dann  auch  wohl  zu 
Privatfeierlichkeitcn ,  Hochzeiten,  Kindtaufen,  Leichenbegäng- 
nissen u.  s.w.  als  Gelegenheitsdichter  herbeigezogen  worden  sei, 


52 

vielleicht  davon  seinen  Lebensunterhalt  bestritten  habe.  Ob  ihm 
das  Schäferspiel  Miramis  zuzuweisen  ist,  das  zum  42.  Juli 
dieses  Jahres,  aber  wie  es  scheint  nicht  bei  Hofe,  aufgeführt 
ward,  muss  später  erwogen  werden.  So  manches  dafür  zn 
sprechen  scheint,  so  ist  doch  kaum  abzusehen,  warum  er  seinen 
Namen  nicht  sollte  genannt  haben? 

Aus  dem  Jahre  4709  findet  sich  wieder  Nichts.  Das  Letzte, 
was  wir  von  Reuter  haben,  ist  ein  kurzes  Singspiel  zum  42.  Juli 
4740,  »Das  frohlockende  Charlottenburg«,  das  wieder 
die  Miene  annimmt,  als  ob  es  dort  aufgeführt  worden  sei,  frei- 
lich oflbnbar  nicht  bei  Hofe.  Ob  ein  anderer  Kreis  es  bei  Beuter 
bestellt  hatte,  lässt  sich  nicht  sagen :  allerdings  nennt  sich  auch 
hier  der  Dichter  nicht  auf  dem  Titel,  sondern  erst  am  Schlüsse. 
Das  Gedicht  ist  wenig  erquicklich,  da  der  Dichter  mehrfach  be- 
reits früher  Gesagtes  wiederholt,  als  ob  er  am  Ende  seiner  dich- 
terischen ProductiviUit  angelangt  sei. 

Damit  ist  erschöpft,  was  mir  von  Reuter  in  dieser  neuen 
Phase  seiner  Existenz  zu  Händen  gekommen  ist. 

Nur  von  seinem  Privatleben  habe  ich  vielleicht  noch  ein 
Zeugniss,  das  ich  freundlicher  Mittheilung  des  Herrn  Domkttster 
F.  Ambrosy  in  Berlin  verdanke.  Es  heisst  im  Taufbuche  der 
Schlossgemeinde:  »Den  41.  August  4742  Hessen  Christian  Reu- 
ter und  seine  Ehefrau  Maria  Arnsdorffin  ihr  Söhnlein,  welches 
Johann  Friederich  genannt  ward,  in  der  Kirche  durch  Gen.  D. 
E.  Jablonski  taufen.  Die  Pathen  seynd:  4,  Herr  Elias  Richter, 
Materialist;  2,  HerrWendt,  KönigL  Guarde  du  corps ;  3,  Herr 
Friedrich  Witte;  4,  Frau  Maria  Engelhartincr.  Es  ist  ja  freilich 
die  Identität  der  Person  nicht  ganz  sichergestellt,  aber  doch  in 
hohem  Grade  wahrscheinlich ,  und  dann  beweist  die  Stellung 
der  Pathen,  dass  sich  unser  Christian  nur  in  unteren  Kreisen 
bewegte.  Keiner  der  Pathen  findet  sich  in  den  Berliner  Adress- 
kalender aufgenommen ,  auch  die  Familie  der  Frau  erscheint 
nicht  in  demselben.  Man  könnte  sich  aus  dem  Allen  ein  recht 
gedrücktes  Kleinleben  entwerfen,  das  nur  durch  den  Guarde  du 
Corps  in  eine  weitere  Perspective  deutet;  denn  der  war  viel- 
leicht ein  verkommener  Student,  ein  flotter  begabter  munterer 
Bursche,  der,  wie  Reuter,  im  Leben  Schiffbruch  gelitten  hatte. 
Der  taufende  Geistliche,  der  Generalhofprediger  Dan.  Ernst  Ja- 
blonski (4  660 — 4744)  war  übrigens  der  erste  Prediger  Berlins, 
zugleich  ältester  Bischof  der  böhmischen  und  mährischen  Brü- 


53     

der,  der  als  solcher  später,  am  20.  Mai  4737,  den  Grafen  Ludw. 
ZiDzendorf  zum  Ältesten  und  Bischof  jener  Brüdergemeinde 
weihte. 

Damit  verlieren  wir  Reuter  abermals  aus  den  Augen.  Ob 
er  aus  Berlin  verzogen  ist,  wo  nach  dem  Tode  dos  Königs  Frie- 
drich wohl  weniger  als  je  für  ihn  zu  hoffen  war,  oder  ob  er  in 
irgend  einer  der  vielen  Gemeinden  Berlins  gestorben  ist  —  in 
der  Schlossgemoinde  ist  er  es^  wie  schon  erwähnt,  nicht  — , 
darüber  bin  ich  nicht  unterrichtet.  Vielleicht  findet  sich  gele- 
gentlich noch  einmal  eine  spätere  Notiz  über  ihn,  die  man  dann 
dankbar  zu  den  Acten  nehmen  wird ;  auch  finden  sich  auf  un- 
seren Bibliotheken  in  Miscellanbänden  aus  jener  Zeit  vielleicht 
noch  einmal  weitere  Gratuiationsgedichte  von  ihm :  das  Alles 
wird  ohne  hervorragenden  Werth  sein,  denn  das  Eine  steht 
nunmehr  unumstösslich  fest,  jenes  wenn  auch  dissolute,  so  doch 
immerhin  reiche  und  eigenartige  Talent  des  Jünglings  und  jene 
grosse  Productivität  seiner  früheren  Jahre  ist  später  erloschen, 
ein  mahnendes  Beispiel,  dass  auch  eminente  Begabung  nur 
durch  sittlichen  Ernst  zu  wahrhaft  bedeutenden  Leistungen  be- 
fähigt wird. 

Wir  haben  nun  noch  einen  näheren  Blick  auf  seine  Werke 
aus  dieser  Periode  zu  werfen.  Um  aber  für  sie  die  richtige 
Folio  zu  gewinnen,  haben  wir  uns  zunächst  umzusehen  in  dem 
Kreise,  zu  dem  sie  nunmehr  ausnahmslos  gehörten,  in  dem 
Kreise  der  höfischen  Poesie,  der  Devotions-  und  Ovationspocsic 
jener  Zeit. 

2.  Die  Ovations-Poesie  jener  Jahre. 

Wir  sind  im  Begriff  auf  die  unterste  Stufe  der  Poesie  zu 
treten,  da  wo  dieselbe  zum  Handwerke,  zur  Schablonentechnik 
geworden  ist  und  obenein  einem  oft  wenig  ehrenwerthen  Streben 
dient.  Eigene  Neigung  und  Behagen  an  den  hier  zu  beobachten- 
den Erscheinungen  wird  nicht  leicht  Jemanden  diese  Strasse 
führen,  wir  aber  sind  auf  sie  hingewiesen  durch  das  Bedürfniss, 
den  Hintergrund  kennen  zu  lernen,  von  dem  sich  Reuter's  poe- 
tische Thätigkeit  während  seines  Berliner  Aufenthalls  abhebt. 
Nur  durch  einen  Umstand  wird  diese  Übung  der  Poesie  von 
einem  gewissen  allgemeineren  Interesse,  dadurch  dass  sie  damals 
allgemein  hergebrachte  Sitte  war,  so  dass  wohl  die  Hälfte  der 


54     

ganzen  Dichtung  gegen  Ende  des  47.  und  im  Anfang  des 
18.  Jührh.  aus  derartigen  Gelegenheitsgedichten  zu  Hochzeiten, 
Kindtaufen,  Beerdigungen  u.s.  w.  bestand,  besonders  aber  aus 
Devotions- und  Ovations-Gedichten,  die  sich  an  vornehme  Gönner 
oder  solche,  die  es  werden  sollten,  wandten. 

Es  würde  sich  schon  der  Mflhe  verlohnen,  das  Aufkommen 
dieser  Abart  der  Poesie  zu  beobachten  und  ihre  Übung  zu  ver- 
folgen. Es  wtlrde  gelten  festzustellen,  wann  die  ersten  selbst- 
standig  gedruckten  Gratulationsgedichte  sich  nachweisen  lassen, 
und  wie  diese  Sitte  allmählig  weiter  um  sich  gegrififen  hat.  Die 
geringen  mir  zur  Seite  stehenden  bibliothekarischen  HUlfsmittel 
gestatten  mir  nicht,  an  eine  Erledigung  dieses  Themas  zudenken. 
Die  Anfänge  fallen  bereits  der  lateinischen  Poesie  der  humanis- 
tischen Kreise  zu,  die  ihi*e  Kunst  in  alt  überkommenerWeise  .viel- 
fach benutzten  um  sich  Gönner  zu  verschaffen  und  Beweise  ihrer 
Gunst  zu  erlangen ;  an  sie  hat  sich  die  deutsche  Poesie  ange- 
schlossen, als  sie  im  47.  Jahrh.  ebenfalls  zu  einer  gelehrten 
Übung  wurde  und  sich,  wie  man  glaubte,  auf  einen  höheren 
Kothurn  stellte.  Um  die  Zeit,  in  der  wir  uns  hier  bewegen,  um 
den  Beginn  des  48.  Jahrh.,  scheint  sie  auf  ihrem  Höhepunkte 
angekommen  zu  sein.  Um  die  Mitte  des  48.  Jahrh.,  als  unsere 
Dichtung  ihre  Ziele  höher  steckte  und  ihre  Bedeutung  tiefer 
fasste,  ist  sie  allmalig  in  Verfall  gerathen.  Ganz  ausgestorben 
ist  sie  natürlich  nie. 

Vor  mir  liegen  neun  Bände,  sieben  mächtige  Folianten  und 
zwei  von  geringerem  Umfange,  aus  der  Berliner  und  Dresdener 
Bibliothek*),  die  Sammlungen  solcher  Gratulationen  und  Condo- 
lationen  enthalten.  Sie  umfassen  nahezu  600  Stück,  und  doch 
beschränken  sie  sich  auf  das  Preussische  Königshaus  und  auf  die 
Zeit  von  4704 — 4742,  und  doch  sind  sie  offenbar  lange  nicht 
vollzählig;  biszum  Jahre  4  70  5  mag  nicht  viel  Wesentliches  fehlen. 


i)  Ich  bezeichne  sie  mit  I— V,  und  1—*.  Die  ersteren  fünf,  aus  der  Kgl. 
Bibliothek  in  Dresden,  tragen  die  folgenden  Signaturen:  1  =  Ilist.  Boruss. 
50  ;  11  =  ibid.  38 ;  111  =  ibid.  37  ;  IV  =  ibid.  32 ;  V  =  ibid.  65.  Die  vier 
aus  der  Berliner  Kgl.  Bibliotheiv :  4  =  Su  30 ;  2  =  Su  21  ;  3  ==  Su  92 ;  4  = 
Su  4  020.  Mit  einer  zweiten  ZilTer  neben  jener  bezeichne  ich  die  Num- 
mern des  Stücks  innerhalb  des  betrefTenden  Miscellanbandes.  Nur  der 
Band  4  (Su  20)  enthält  Exemplare,  wie  sie  direct  an  den  König  eingesandt 
waren ,  auf  starkem  Pergamentpapier  in  Imperialfolio ,  während  alle  übri- 
gen nur  die  ins  Publicum  gelangten  Exemplare  zweiten  Ranges  bieten. 


55     

dann  ist  noch  einmal  dasJatir  1708  reichlich  vertreten,  aber  die 
Documente  aus  der  Zeit  von  i  705  bis  4  708 ,  und  die  aus  den 
Jahren  nachher  sind  offenbar  in  hohem  Grade  lückenhaft;  man 
müsste  glauben,  dieser  Missbrauch  der  Poesie  habe  bereits  da- 
mals einzuschlafen  begonnen,  wollte  man  das  hier  Erhaltene  fttr 
ein  einigermassen  zutreffendes  Bild  des  wirklich  vorhanden  ge- 
wesenen ansehen.  Man  veranschlagt  die  Summe  schwerlich  zu 
hoch,  wenn  man  die  in  jenen  iSJahren  hervorgetretenen  Erzeug- 
nisse der  Gratulations-  und  Condolations-Poesie,  allein  den  Hof 
betreffend,  auf  etwa  900  bis  1 000  Nummern  beziffert. 

Jene  Gedichte  und  Reden  —  denn  auch  solche  kommen  viel 
vor  —  sind  übrigens  nur  etwa  zur  Hälfte  deutsch.  Ein  sehr 
grosser  Theil  ist  lateinisch  und  man  muss  der  deutschen  Poesie 
die  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen,  dass  sie  auf  diesem  Ge- 
biete ganz  in  dem  Geleise  der  lateinischen  Übung  einherschreitet 
und  ihre  grössten  Geschmacklosiigkeiten  hervorgegangen  sind 
aus  dem  Bestreben,  es  dem  gezierten  Bombast  der  lateinischen 
Verse  nachzuthun.  Drei  preussische  Universitäten,  in  Halle, 
Prankfurt  a/0.  und  Königsberg,  mit  ihren  gelehrten  Professoren 
der  Poesie  und  Eloquenz  gingen  voran ,  doch  betheiligten  sich 
auch  mehrfach  Rostock,  Jena  undGiessen  an  diesen,  dem  preus- 
sischen  KOnigshause  gebrachten  Ovationen,  daneben  manche 
Gymnasien ;  wie  das  Joachimsthalsche  und  das  zum  Grauen 
Kloster  in  Berlin,  die  gelehrten  Schulen  zuLingen,  Hamm,  Duis- 
burg u.  a. ,  endlich  eine  nicht  geringe  Anzahl  von  Geistlichen 
und  von  strebsamen  und  wohl  auch  stipendienbedürftigen  Stu- 
dierenden ,  die  in  zierlichen  lateinischen  Versen  am  Besten  ihr 
Talent  und  die  auf  sie  zu  bauenden  Erwartungen  zur  Anschau- 
ung zu  bringen  hofften.  Auch  niederländische  Gelehrte  von 
Ruf  verschmähten  es  nicht,  lange  Gedichte,  Oden  u.s.w.  auf  den 
König  Friedrich  zu  dichten,  zumal  als  er,  veranlasst  durch  die 
Oranische  Erbschaftsangelegenheit,  persönlich  die  Niederlande 
besuchte.  Diese  Unsumme  heute  zum  Theil  kaum  noch  les- 
barer lateinischer  Poesie  und  Prosa  wollen  wir  hier  bei  Seite 
lassen:  sie  führt  in  andere  Kreise  und  nimmt  eine  andere 
Stellung  im  Geistesleben  der  Zeit  ein  als  die  ihr  entsprechenden 
Leistungen  in  deutscher  Sprache.  Nur  die  studierende  Jugend 
als  Chor  pflegte  ihren  Enthusiasmus  für  den  Festtag,  dem  der 
lateinische  Actus  gegolten  hatte,  bereits  damals  durch  Gesänge 
in  deutscher  Sprache  zum  Ausdruck  zu  bringen. 


56     

Noch  ist  zu  erwähnen,  dass  eine  Anzahl  der  Gedichte, 
Reden  und  Episteln  auch  in  französischer  Sprache,  einige  auch 
io  holländischer  einliefen;  ganz  selten  nur  finden  sich  italie- 
nische, die  bald  ganz  aufzuhören  scheinen,  abgesehen  von  dem 
Vorkommen  dieser  Sprache  in  den  Singspielen. 

Seit  dem  Jahre  1704  waren  es  für  Preussen  zwei  liaupt- 
tage  im  Jahre,  zu  denen  die  Schaar  der  dichtenden  Gratulanten 
sich  rüstete,  die  Wiederkehr  des  Krönungsfestes  am  48.  Januar, 
an  den  sich  zuweilen  noch  der  49.  Januar  als  das  Ordensfest 
der  Ritter  vom  Schwarzen  Adler  anschloss,  und  der  Geburts- 
tag  des  Königs  am  42.  Juli;  schon  in  zweiter  Linie  traten  hin- 
zu der  Namenstag  des  Königs  am  5.  März,  der  Geburtstag  der 
Königin  Sophie  Charlotte  am  34 .  October ,  der  des  Kronprinzen 
am  45.  August,  auch  der  Neujahrstag.  Hiezu  kamen  dann  be- 
sondere Ereignisse,  frohe  und  schmerzliche,  des  Königshauses 
und  des  Landes.  So  der  Tod  des  Königs  Wilhelm  111.  von  Gross- 
britanien  am  49.  März  4702,  der  die  Aussicht  auf  die  oranische 
Erbschaft  eröffnete,  die  Vermählung  des  Markgrafen  Albert 
Friedrich  am  34.  October  4703,  der  Tod  der  Königin  Sophie 
Charlotte  am  4.  Februar  4705,  der  eine  Reihe  weiterer  Gedenk- 
tage hervorrief:  die  Abfuhrung  der  Leiche  aus  Hannover  am 
9.  März,  die  Geleitung  derselben  durch  die  Hauptstädte  der 
Mark,  die  Ankunft  in  Berlin  am  22.  März,  und  die  feierliche 
Beisetzung  in  der  Königsgruft  am  28.  Juni;  in  demselben  Jahre 
der  Tod  der  Tochter  des  Königs,  der  Erbprinzessin  LouiseDoro- 
thea  Sophie  von  Hessen-Cassel,  dann  das  Jubiläum  der  Univer- 
sität Frankfurt  a.  0.  am  26.  und  27.  April  4706,  der  Obergang 
desFUrstenthumsNeufchatelundValengin  an  die  Krone  Preussen 
am  3.  November  4707,  die  Geburt  und  Taufe  eines  Enkels  des 
Königs,  Friedr.  Ludwig,  am  23.  November  (Taufe  ami.December 
4  707) ,  die  schon  vorher  weissagende  Poesien  hervorgerufen 
hatte,  und  eines  andern,  Friedr.  Wilhelm,  am  46.  Aug.  4740 
[Taufe  am  24.  August)  und  der  bald  wieder  erfolgende  Tod  der- 
selben; der  von  glücklichem  Erfolg  begleitete  Besuch  des  Carls- 
bades seitens  des  Königs  im  Frühling  4708,  seine  Abreise  und 
der  Empfang  auf  der  Rückreise,  z.  B.  in  Wettin,  in  Zeitz,  Magde- 
burg, am  Ende  des  Juni,  endlich  die  dritteVermäMung  des  Königs 
mit  der  Prinzessin  Sophie  Louise  von  Mecklenburg,  und  der 
feierliche  Einzug  derselben  in  Berlin  am  27.  November  4708. 

Aber  so  manche  Federn  auch  durch  alle  diese  Ereignisse 


57     

in  Bewegung  gesetzt  wurden,  namentlich  bei  Gelegenheit  des 
Todes  der  Königin  Sophie  Charlotte  und  derWiedervermähtung 
desKönigs  mit  der  mecklenburgischen  Prinzessin,  es  reicht  doch 
alles  nicht  entfernt  hinan  an  die  poetische  Feier  jenes  ihnen 
allen  vorangehenden  Ereignisses,  der  Erhöhung  des  Kurfürsten 
zum  Könige  und  der  Erhebung  seines  Landes  zu  einem  König- 
reiche durch  die  Krönung  in  Königsberg  am  48.  Januar  4701. 
Man  mag  diese  ganze  Gattung  der  Poesie  mit  noch  so  grossem 
Missbehagen  betrachten,  hier  wird  man  doch  mit  ergriffen  von 
der  Einheit  und  Allgemeinheit  der  Empfindung  des  Stolzes,  mit 
der  offenbar  jeder  Bewohner  des  neuen  Königreiches  sich  selbst 
gehoben  fühlte,  üier  schwindet  das  oft  so  peinliche  Gefühl ,  es 
mit  aufgebauschter Servilität  zu  thun  zuhaben,  hier  mischt  sich 
ein  tüchtiges  Mass  energischen  Selbstgefühles  bei ,  und  wenn 
der  »Brennus-Helda,  »der  Fürst  der  Brennena^)  in  immer  neuen 
Variationen  wie  ein  Halbgott  gefeiert  und  zur  aSonneo  des 
Landes  erhoben  wird ,  man  merkt  es ,  diesmal  fühlt  sich  jeder 
selbst  gehoben,  und  ehrt  sich  selbst,  indem  er  den  König  enthu- 
siastisch feiert.  Man  darf  sagen,  jene  allgemeine  Stimmung  eines 
gesteigerten  Selbstgefühls  hat  ihren  künstlerisch  schönsten  Aus- 
druck gefunden  in  der  stolzen  und  kühnen  Haltung  der  Reiter- 
stalue  des  Grossen  Kurfürsten,  die  damals  entstand.  — Schon  bei 
der  Abreise  aus  Berlin  am  47.  December  4  700  beginnen  die 
Ovationen,  wiederholen  sich  bei  der  Durchreise  durch  die 
Uauptorte  des  Landes,  wie  z.  B.  Cüstrin,  beim  Eintreffen  in 
Königsberg  am  29.  December,  womit  sich  derGruss  zum  neuen 
Jahre,  dem  Eintritt  in  ein  neues  Jahrhundert,  zu  verbinden 
pflegt,  dann  der  Tag  der  Krönung,  der  48.  Januar  4704  :  wohl 
an  450  Ovalionsschriften,  lateinisch,  französisch,  holländisch, 
italienisch,  deutsch  haben  mir  vorgelegen.  Es  folgt  die  Abreise 
aus  Königsberg  am  8.  März,  die  Rückkehr  in  die  Mark  am 
47.  März,  die  Durchreise  durch  dieselbe,  die  Ankunft  im  Schlosse 
Schönhausen,  und  dann  in  Oranienburg,  von  wo  aus  die  Vorbe- 
reitungen zum  feierlichen  Einzüge  in  die  nunmehi*  königliche  Re- 
sidenz getroffen  wurden,  endlich  dieser  Einzug  selber  am  6.  Mai. 
Der  Kreis  der  Dichter,  die  zu  diesen  Ereignissen  ihre  Leier 
stimmten,  ist  natürlich  kein  geschlossener.   Manche  Namen  er- 


1]  Diese  damals  zu  Tode  gehetzte  Fiction  beruht  auf  dem  alten  Na- 
men Brennibor  für  Brandenburg. 


58     

scheinen  nur  einmal,  wenn  eine  besondere  locale  Veranlassung 
gegeben  war,  aber  viele  Namen  kommen  auch  wiederholt  vor 
und  es  bildet  sich  aus  ihnen  ein  Kreis  geschSiftsmässiger  oder  doch 
gewohnheitsmässiger  Gratulanten,  bei  denen  jedenfalls  eine  ge- 
meinsame Familienähnlichkeit  nicht  zu  verkennen  ist.  Aber 
eine  übersichtliche  Orientierung  wird  uns  auch  sehr  charakte- 
ristische Verschiedenheiten  kennen  lehren. 

Selbstverständlich  bildet  sich  diese  Dichterschaar  haupt- 
sächlich in  den  beiden  Hauptstädten  des  Reiches,  in  Königsberg 
und  Berlin,  namentlich  in  letzterer  Stadt,  wo  der  Hof  dauernd 
residierte.  Aber  die  mehr  als  zweimonatliche  Anwesenheit  des- 
selben in  Königsberg ,  und  die  dort  vorgenommene  Haupt-  und 
Staatsaction  der  Krönung  hatte  auch  dort,  wo  seit  Simon  Dach 
eine  eigene  gesellige  und  gesellschaftliche  Übung  der  Poesie  Sitte 
geworden  war,  ihre  Früchte  gereift,  deren  manche  sich  auch 
noch  für  die  fernere  Zeit  dauerhaft  erwiesen:  man  setzte  die  an- 
geknüpften Beziehungen  auch  nach  Berlin  hin  fort. 

Ich  scheide  im  Folgenden  nicht  nach  den  verschiedenen 
Ereignissen. 

Wir  wollen  mit  Königsberg  beginnen.  Im  Grunde  sind  die 
dortigen  Gratulanten  alles  solide  Leute,  zum  Theil  höher  ge- 
stellte Beamte,  Professoren,  Geistliche,  kaum  einer  ohne  könig- 
lichen Titel.  Wir  stellen  billig  die  Mitglieder  der  Universität 
voran,  und  unter  ihnen  denjenigen,  der  im  Namen  von  Rector 
und  Senat  den  Pegasus  bestieg,  den  Professor  der  Poesie  und 
Eloquenz  Hieron.  Georg i  (18.  Jan.  470i :  1,  60;  28.  Juni  4705: 
iV,  12;  23. Nov.  1707  :  3,  27;  von  ihm  ist  wahrscheinlich  auch 
das  Gedicht  zu  demselben  Tage  im  Namen  der  philosophischen 
Facultät:  1 ,1 5j ;  es  ist  schon  aller  Ehren  werth,  dass  erdem  könig- 
lichen Paare  und  später  der  Königin  seine  und  der  Universität 
Wünsche  in  deutscher  Sprache  vorzutragen  wusste.  Neben  ihm 
lässt  sich,  doch  nur  dies  eine  Mal,  der  erste  Professor  der  Theologie 
und Ober-Hofprediger,  Bernh.  v.  Sauden  vernehmen  (18.Jan. 
1701: 1,  5);  der  erste  Professor  der  Juristenfacultät,  derKgl.Rath 
und  Praeses  des  Hofhulsgerichtes  Theod.  Pauli  (18.  Jan.  1701 : 
I,  21 ;  28.  Juni  1705:  IV,  10) ;  der  Professor  derMedicin  Georg 
Emmerich  (28.  Nov.  1708:  1,21)  und  der  Professor  der  Mathe- 
matik Dav.  Bläsing  (28. Nov.  1708:  1,22).  Hierhergehörtauch 
der  Hof-  und  Jagd-Rath  in  Preussen,  Jac.  Zetzke,   der  sich 


59     

wenigstens  nach  1704  als  beider  Rechte  Dr.  und  Professor  prä- 
sentirt(Jan.  1704  :  I,  67;  28.  Juni  1705:  IV,  56;  27.  Nov.  1708: 
Y,  21).  Dann  folgen  Mitglieder  des  Oberappeilationsgerichtes, 
zuerst  der  auch  sonst  als  Dichter  bekannte  Kgl.  Hofrath  und 
OAGerichtsrath,  auch  Bürgermeister  der  Altstadt,  Friedrich 
von  Derschau  (1.  März  1701,  wo  der  König  das  Gericht 
besuchte:  I,  50;  8.  März  1701  :  1,  49 ;  18.  Jan.  1703:  1,  2;  23. 
Nov.  1707:  1,  11;  Juni  1708,  bei  der  Rückkehr  des  Königs 
aus  dem  Carlsbade:  III,  19;  27.  Nov.  1708,  zwei  Gedichte: 
I,  25  und  26^),  und  der  ebenfalls  auch  sonst  bekannte  Dich- 
ter, der  schon  hochbetagte OAGerichtsrath  Jac.  Klein,  der  171 1 
starb  (18.  Jan.  1701,  zwei  Gedichte:  I,  65  und  I,  66  =  II,  20; 
18.  Jan.  1703:  11,51  ;  Neujahr  1705:  II,  65;  und  Neujahr  1707: 
2,32;  12.  Juli  1708:  ill,  26);  nach  ihnen  zähle  ich  auf  den 
Königl.  Preussischen  Hofrath  und  Advoc.  fisci  in  Preussen  Carl 
Friedr.  Lau(8.März  1701:  I,  92;  18.  Jan.  1704 :  I,  121  =  1,6; 
18.Jan.  1705:  1,  8;  27.  Nov.  1708:  V,  16;  18.Jan,  1710:  2,51), 
den  Königl.  Rath  und  Kriegs-Kommissar  Chr.  Erasmi  (18.  Jan. 
1702:  I,  72),  den  Königl.  Rath  und  Preussischen  Ober-Secrelär 
Dan.  Ka  1  a  u  [1 8.  Jan.  1 701 :  I,  53),  den  Königl.  Rath  Joach.  Heinr. 
Schrader  (18.  Jan.  1701  :  1,  52),  den  Commissions-Secretär 
Joh.  Erh.  Etmüller  (19.  März  1702:  3,  3;  18.  Jan.  1703:  11, 
49),  endlich  wieder  einen  Dichter  von  Profession,  den  Pegnitz- 
Schäfer,  Raths verwandten  und  Camerarius  der  Stadt  Kneiphoff- 
Königsberg,  Mich.  Kongehl,  der,  desReimens  gewohnt,  allen  An- 
dern vorankam  und  das  königliche  Paar  bereits  bei  seinem  Ein- 
tritt am  29.  Dec.  begrüsste  (29.  Dec.  1700:  I,  46;  18.  Jan.  1701: 
I,  47;  27.  Nov.  1708:  1,  24).  Am  thätigsten  und  rührigsten  be- 
weist sich  der  Not.  Publ.  und  ilofadvocat  Goltl. Aug.  Petz oldt; 
es  sind  uns  9  Stücke  von  ihm  erhalten,  und  es  hat  auch  offen- 
bar mit  seinem  Verhältnisse  zum  Hofe  noch  seine  besondere 
Rewandtniss;  er  fügt  nämlich  seinem  Titel  auch  noch  den  für 
mich  wenig  verständlichen  hinzu:  Cammer-  undReise-Musicus; 
in  Königsberg  scheint  er  geblieben  zu  sein ,  obwohl  er  bereits 
seit  1703  seine  Ovationen  in  Berlin  drucken  Hess  (18.  Jan.  1701: 


4)  Sollte  von  ihm  auch  noch  die  holb  lateinische,  halb  deutsche  Gra- 
tulation zur  Vermahlung  des  Königs  am  28.  Nov.  4  708  sein?  (2,49);  im  Ein- 
gang des  deutschen  Gedichtes  nimmt  der  Verf.  auf  ein  Gedicht  von  sich 
auf  den  glücklichen  Erfolg  der  Carlsbader  Cur  Bezug. 


60     

I,  59;  Neujahr  1703:  II,  47;  19.  Jan.  1703,  zwei  Gedichte:  I, 
116  =  1,  4  und  1,  116a  =  111,  37  =  1,  5;  Neujahr  1705:  2, 
22  =  11,  64;  28.  Juni  1705:  IV,  18  =  4,  10;  Neujahr  1706: 
Hl,  9.  12  =  1,  9;  Neujahr  1708:  1,  16  ;  27.  Nov.  1708:  V,  7). 

Wenn  wir  die  Gelegenheiten  überblicken,  bei  denen  diese 
Dichter  ihre  Verse  reimten ,  so  können  wir  uns  der  Annahme 
kaum  cntschlagen,  dass  sie  noch  weit  öfter  sich  haben  ver- 
nehmen lassen  und  dass  nur  nicht  die  vollständige  Reihe  ihrer 
Gesänge  auf  uns  gekommen  ist.  Und  Gleiches  gilt  vielfach  von 
den  im  Folgenden  aufzuzahlenden. 

Denn  ausser  diesen  in  Amt  und  Wurden  befindlichen  Dich- 
tern begegnen  nun  auch  Namen,  die  dieser  nicht  theilhaft  ge- 
wesen zu  sein  scheinen.  Freilich  der  Herr  Fried  r.  Da  v.  von  Prök , 
der  zum  18.  Jan.  1704  ein  Gratulationsgedicht  in  Diplomform  mit 
sauberem  Kupferstich  erscheinen  Hess,  wird  wohl  zu  den  wohl- 
situierten  gehört  haben  (1, 64).  Aber  wenig  Sicheres  weiss  ich  zu 
sagen  von  dem  Dichter  Johann  Georg  Grüwel,  der  sich  Meso- 
Marchicus  nennt  und  der  auf  den  Tag  der  Krönung,  wobei  er 
persönlich  zugegen  gewesen  zu  sein  scheint,  nicht  weniger  als 
3  Gedichte  abgefasst  hat  (I,  61.  62.  62  bj;  er  war  ein  Stu- 
dierter ,  denn  er  hat  seine  Gedichte  mit  gelehrten  historischen 
Anmerkungen  ausgestattet ,  auch  auf  den  späteren  Einzug  in 
Berlin  eine  stattliche  lateinische  Tabula  gratulatoria  erscheinen 
lassen  (1,  63).  Es  wird  wohl  der  Sohn  des  von  Joh.  Rist  ge- 
krönten Poeta  laureatus  Joh.  Grüwel  sein,  der  Bürgermeister  in 
Kremmen  im  Osthavellande  war  und  den  wir  selber  noch 
kennen  lernen  werden.  Von  diesem  Sohne  sind  auch  sonst  noch 
historische  Werke  bekannt.  Studierte  er  damals  in  Königsberg, 
oder  war  er  dem  Kurfürsten  dorthin  gefolgt,  oder  fingiert  er  nur 
seine  Kenntniss  vomWettervor,  während  und  nach  der  Krönung? 
Sicher  nicht  nach  Königsberg  gehört,  und  war  auch  schwerlich 
bei  dem  Krönungsacte  dort  zugegen,  der  bekannte  Dichter  Benj. 
Neukirch,  den  wir  in  Berlin,  wohin  er  gehörte,  wieder  finden 
werden.  Allerdings  ist  seine  Gratulation  zum  18.  Jan.  1701  in 
Königsberg  gedruckt  (I,  70). 

Auch  zwei  Dichterinnen  betheiligten  sich .  zuerst  die  be- 
kannte Gertraud  Möller  in,  gekrönte  kaiserliche  Poetin  und 
—  als  Mornille  —  Mitglied  des  Pegnitzordens,  und  eine  El.  Der. 
Beyersdorffin,  geb.  Weissin.  Erstere  begrüsst  das  Königs- 
paar und  den  Kronprinzen  bereits  bei  ihrem  Einzüge  am  29.  Dec. 


61     

(I,  55  und  56),  und  dann  zur  Krönung  (I,  54).  Namentlich  das 
letztere  Gedicht  bewegt  sich  in  hoch-dtthyranibischem  Stile,  und 
das  Versmass  desselben,  anapUstische  Tetrameter,  hebt  sich  frisch 
von  der  öden  Eintönigkeit  des  Hexameters  ab^].  Die  letztere  gra- 
tuliert erst  zum  48.  Jan.  4703  (2,  45).  Bei  keiner  von  beiden 
kommt  auch  nur  ein  Anschein  von  Bettelei  vor. 

Der  hauptsächlichste  Druckort  ftlr  sie  alle  war  die  Druckerei 
der  Reusnerisehen  Erben  in  Königsberg;  später  sind  auch 
manche  der  Königsberger  Ovationen  in  Berlin  zum  Druck  ge- 
langt. 

Man  sieht,   Königsbergs  Honoratioren  hatten  sich,   schon 

zur  Krönung,  wacker  angestrengt,  und  Georgi  konnte  mit  Recht 

singen : 

All  sein  Seiten-Spiel  und  Lieder 
Legt  in  tiefster  Demuth  nieder 
Vor  dem  Königlichen  Thron 
Unser  gantze  Helicon. 

Ganz  anders  ist  das  Bild,  das  wir  in  Berlin  ßnden.  Jene 
Betheiiigung  der  höchsten  Beamtenkreise,  die  in  Königsberg 
durch  die  Königskrönung  hervorgerufen  war ,  fehlt  hier  ganz. 
Natürlich  Se.  Excellenz  der  Oberceremonienmeister  Joh.  von 
Besser  nicht;  vornehm  und  mit  der  Miene  »odi  profanum 
vulgusa  bietet  er  seine  Poesien.  Sonst  nur  ein  paar  Geistliche, 
so  Lor.  Gensichen,  der  Prediger  am  Armenhause,  der  die 
Danksagung  für  die  Speisung  der  Armen  abfasste  (so  48.  Jan. 
4705:  3,  48  und  auch  wohl  die  mehrfachen  anonymen  Dankes- 
gedichte im  Namen  der  Armen) ,  und  der  evangelische  Prediger 
J.  Aug.  Drachstedt,  der  bei  der  Übergabe  Neufchatels  an 
Preussen  in  Zug  kap)  (3.  Nov.  4707:  3,  28)  und  nun  auch 
gleich  zur  Entbindung  der  Prinzessin  am  23.  Nov.  und  zum 
Neujahr  4708  gratulierte  (3,  28a;  3,  29).  Dann  der  Pagenhof- 
meister Georg  Reupke^),  der  seine  Herrschaften  mit  Versen 


4)  Anfang: 

Es  lebe  der  König  I  Er  herrsch'  und  regiere 
In  Glück  und  Vergnügung,  in  friedlicher  Ruht 

u.  s.  w. 
2)  Auch  lateinisch  verstand  er  zu  dichten,  und  so  hatte  er  sich  zur 
Krönung  selbst  vernehmen  lassen  (U,  18),  und  ebenso  dichtete  er  bei  der 
Überführung  der  Leiche  der  Königin,  zum  22.  März  4705  (IV,  43);  er  war 
mitlerweile  emeritiert. 


62     

nach  Königsberg  entliess  und  mit  Versen  wieder  empfine; 
(17.  Dec.  1700:  II,  19  und  März  1701 :  11,  19a),  ein  Legations- 
secretür  £.  M.  Plärre,  der  neben  zwei  lateinischen  auch  noch 
mit  zwei  deutschen  Gedichten  die  mecklenburgische  Prinzessin 
Sophie  Louise  feierte  (27.  Nov.  1708:  2,  44  =  V,  10  und  2,  45 
=  V,  11).  Dazu  noch  2  Advokaten:  Chr.  Melch.  Becker 
(31.0ct.  1702:  IV,  62J  und  Joh.  Andr.  Weyde  (12.  Juli  1710: 
2,  52),  und  der  bekannte  vielschreibende  und  phantastische  Dr. 
theol.  Joh.  Wilh.  Petersen,  der  1692  als  Superintendent  in 
Lüneburg  entsetzt  aber  von  Friedrich  aufgenommen  und  unter- 
stützt ward;  er  i-ühmt  die  grossen  Wohlthaten,  die  er  vomKOnig 
empfangen  hatte  und  wünscht  Glück  zur  Geburt  eines  Prinzen 
und  zur  Wiedervermählung  (23.  Nov.  1707:  3,  26  und  27.  Nov. 
1708  :  3,  39  =  V,  13):  ob  er  freilich  damals  in  Berlin  war,  steht 
wohl  dahin.  Sein  eigentlicher  Aufenthaltsort  war  um  jene  Zeit 
Magdeburg.  Auch  in  lateinischen  Gedichten  lässt  er  sich  ver- 
nehmen, zum  27.  Nov.  1708,  und  zur  Geburt  des  späteren  Königs 
Friedr.  IL,  zum  24.  Jan.  1712,  der  einzige,  von  dem  die  mir  vor- 
liegenden Folianten  ein  Gedicht  zu  diesem  Tage  enthalten  (V, 
12  und  2,  58). 

Eine  besondere  Gruppe  für  sich  bilden  einige  musicalischc 
Grössen.  Mir  sind  drei  bekannt  geworden :  Friedr.  Salom.  Kalt- 
schmidt, Gantor  und  Director  Musices  zu  St.  Marien,  Collega  am 
Gymnasium  zum  Grauen  Kloster  (12.  Juli  1705:  11,59);  Joh. 
Hieronym.  Gra  vius,  Director  musices  an  der  reformierten  Kirche 
(27.  Nov.  1708 :  V,25),  auch  als  geistlicher  Dichter  bekannt ;  und 
.loh.  Heinr.  Feetz,  der  sich  1703  »Cam.  Reg.  Musicus  et  J.  U.  C.« 
(das  heisst  doch  wohl  Juris  Utriusque  Gultor),  dann  1704  »Ad- 
vocatus  Camerae  et  Regiae  Capellae  Mqsicus«,  endlich  1705 
»CapelL  Bassista  und  Cammergcrichts-Advocat«  nennt  (12.  Juli 
1703:11,53;  12.  Juli  1704 :  3,  15;  18.  Jan.  1705:  3,  17).  In 
dem  ersten  Gedichte,  als  er  noch  Student  war,  schloss  er  nicht 
ohne  Wink: 

Weil  Dein  gnädig  Angesicht 

Auch  auf  treue  SeufTzer  schauet, 

Und  mir  Gnad  und  Huld  verspricht, 

Worauf  meine  HofTnung  l)auct. 

Bei  dem  folgenden  war  er  wohl  bereits  versorgt. 

Zu  den  noch  im  Stande  der  Bittondon  befindlichen  und 
nicht  ohne  bald  stille  bald  laute  IlofTnungen  dichtenden  gehören 


63    

offenbar  die  Studenten,  die  dem  Fürsten  ihre  Devotion  zu  FUssen 
legen.  So  G.  F.  Reicbnau,  med.  stud.  (42. Juli  1702:  2,  8  und 
42.  Juli  4703:  3,  6),  Fr.  Willich,  med.  stud.  (48.  Jan.  4703: 
2, 43),  Melch.  Theodor  Procop,  th.  stud.  (27.  Nov.  4708:  V,28 
=  V,44),  Mart.Hassen,  jur.  cultor  (48.  Jan.  4704:  2,  24),  Joh. 
Pet.  Jansen,  Leg.  stud.  (Neujahr  4703  :  II,  48;  48.  Jan.  4703  : 
2,  44  =  II,  50;  48.  Jan.  4706:  III,  4  0),  Bened.  Ileinr.  The- 
ring  aus  Colin  an  der  Spree,  SS.  Liter.  Stud.  (48.  Jan.  4704  : 
II,  27),  die  Gebrüder  Chr.  Friedr.  und  Joh.  Gabr.  Kühlen 
(48.  Jan.  4705:  II,  60,  Poesie  und  Verse),  die  Gebrüder  Jobann, 
Christian, Theodor  und  Friedrich  Boltz  (28.  Juni  4705  :  IV,  44), 
von  denen  Theodor  als  Jur.  Utr.  Doctorandus  an  demselben  Tage 
noch  für  sich  condolierl  und  dankend  bittet  (IV,  20) ^  auch  die 
Gebrüder  Carl  Gottl.,  Hans  Beruh,  und  Georg  Heinr.  von  Pel- 
cken  waren  wohl  Studenten.  Ob  C.  Ransieben,  mit  dem 
späteren  Prediger  in  Berlin  zweifelsohne  identisch,  im  Jahre 
4704  (6.  Mai:  1, 405)  noch  Student  oder  bereits  Geistlicher  war, 
niuss  dahingestellt  bleiben.  Bei  allen  diesen  Studierenden  war 
es  gewiss  auf  die  Erlangung  einer  Unterstützung  abgesehen, 
auch  wenn  es  nicht  ausdrücklich  ausgesprochen  wird.  Aber 
nicht  wenige  scheuten  sich  auch  nicht,  ihren  Wunsch  dircct  zu 
erkennen  zu  geben.   So  Fr.  Willich: 

Lass  einen  milden  Strahl  auf  diese  Zeilen  schiessen 
Und  zeige,  dass  bey  Dir  auch  Güte  wohnen  kann. 
Erfreu  an  diesem  Tag  mich  mit  Genaden-BUtzen, 

u.  s.  w. 
und  Hassen : 

Ach,  lass,  mein  König,  nur  mich  Deine  Huld  erbitten  I 
Lass  heut  am  Freudentag  mich  einen  Gnaden-Blick 
Von  Deinem  hohen  Thron  mit  Freuden  überschütten! 

Jansen  legt  dem  Druck  eine  schriftliche  Supplicalion  bei 
(2,  4  4).    Die  Gebrüder  Kühlen  in  der  prosaischen  Vorrede  : 

Das  Opfer,  so  vor  Ew.  Kgl.  Maj.  geheiligtem  Thron  anjelzo  lie- 
get, ist  ein  allerunterthänigstes  Paar  aus  Dero  studierenden  Lan- 
des-Jugend.   Wir  selbst  sind  das  OptTer,  Eurer  Königl.  Maj.  in 

ticfTster  Niedrigkeit  gewiedmet So  werden  Hure  Kgl.  Maj. 

.  .  .  nicht  entstehen,  mit  einem  Gnadenblick  unser  von  Licbes- 
vollen  Blut  wallendos  OpfTer  anzusehen  u.  s.  w. 

Die  Gebrüder  Boltz: 

Und  darum  heften  wir  an  Eures  Grabes  Thürc 
Mit  tiefr  gebeugtem  Knie  jetzt  diese  Bittsclirifl  an: 


64     

Neig)  Grosser  König,  doch  den  Scepter  auf  uns  viere, 
Dass  jeder  Deine  Gnad'  von  uns  geniessen  kann. 

Wir  bitten  keinen  Schatz,  wir  sind  vergnügt  nnit  Brocken. 
Ertheil  uns  nur  die  Ehr  zu  heissen  Deine  Knecht. 

Denn  giebst  Du  uns  auch  schon  nur  kleine  Gnaden-Flocken, 
So  nennen  wir  uns  doch  ein  höchst  beglückt  Geschlecht. 

In  dera  Gedichte  der  Gebrüder  von  Pelcken  sagt  die  »Mam- 
matt  zu  den  Söhnen  : 

Gebt  und  fallt  für  seinen  Thron  in  der  tiefsten  Reverentz, 

Liebe  Kinder,  alle  drey,  alleruntertbänigst  nieder, 
Wünschet  ihm  viel  Glück  und  Heyl,  dass  Sein  Scepter  euch  beglUntz, 

Und  dahcro  ich  mit  Euch  singen  könne  Freuden-Lieder. 

Auch  bei  El.  Dan.  vonKlesch  (87.  Nov.  4708:  V,  47)  ist 
es  wohl  auf  eine  Bettelei  angelegt.   Schluss : 

Seyd  der  Bedrängten  Schutz,  Erlöser  und  Erretter, 
Nehmt  Seegen  bey  Euch  ein  und  Ihcilet  Gnade  aus. 

Nicht  sicher  festzustellen  weiss  ich  Dan.  Joach.  von  Un  ver- 
fährt (27.  Nov.  1708:  V,  19),  Euseb.  von  Brandt  —  vielleicht 
der  Kammerjunker  dieses  Namens,  oder,  was  warscheinlicher 
ist,  der  Vater  desselben,  seit  1695  Wirkl.  Geh.-Rath  —  (6.  Mai 
1701 :  I,  106),  ob  er  identisch  ist  mit  dera  sich  einfach  »Brandt« 
unterzeichnenden  Verfasser  der  Grabschrift  auf  die  Königin  Sophie 
Charlotte  (IV,  36)  weiss  ich  nicht  zu  sagen;  ferner  Fr.  Em.  von 
Proben  (28.  Juni  1705:  IV.  63  =  4,  15),  El.  Marl.  Eyring 
(18.  Jan.  1701  :  I,  57  =  II,  13),  Joh.  Fr.  Huffnagel  (27.  Nov. 
1708:  2,46)  und  Jac.  Herden  (18.  Jan.  1701 :  11,15  und 5. März 
1 702 :  II,  33) .    Der  letztere  bittet : 

Doch  weil  auff  Dein  Altar  zu  schlecht  ist  diese  Kertze, 
So  reich  ihr  Gnaden-Feur,  dann  wird  es  heller  brennen. 
Und  die  Unsterblichkeit  sich  Deine  Mutter  nennen. 

Auch  zwei  Buchhändlern  Hess  es  keine  Ruhe ,  sie  mussten 
sich  ebenfalls  mit  Reimen  hervorthun.  Dereine  war  der  privileg. 
Berliner  Buchdrucker  Joh.  Wessel,  der  sich  zum  12.  Juli  1704 
(2,  18)  und  zum  27.  Nov.1708  (V,  35)  mit  einer  Gratulation  ein- 
stellte. Ob  er  sie  sich  nun  hat  machen  lassen  oder  sie  selbst 
abgefasst  hat,  die  Verse  sind  recht  erträglich,  wenn  auch  hohl. 
Um  so  unglaublicher  ist  die  Leistung  seines  Gollegen  in  Lützen- 
burg,  dem  spateren  Gharlottenburg.  Dasmuss  ein  alberner  Kauz 
gewesen  sein.    Er  hiess  Andreas  Luppius  und  nannte  sich  bei 


65     

seinem  ersten  Auftreten  (12.  Juli  1703:  III,  46)  »privilegirter  Buch- 
händler, Civis  ücademieus  und  Exemptus«,  er  war  also  wohl  durch 
die  Schule  gelaufen  und  bildete  sich  ein,  mindestens  ein  vir 
semidoctus  zu  sein.  Aber  wie  stimmen  dazu  seine  Verse?  Man 
vergleiche!  die  vier  ersten  sollen  Alexandriner  sein: 

Wie  herrlich  ist  nun  bestrahlt  die  Königliche  Hofstatt, 

Von  mehr  als  Sonn  und  Gold,  ja  von  Königlichen  MajesUiten, 
An  Dero  Gnaden-Glantz  man  Lust  und  Freude  hat, 
So  dass  sich  Aug'  und  Hertz  ergötzt  von  allen  Seiten. 
Leuchte  lang,  schönste  Königs-Sonne, 
Bestrahl  uns  fort  mit  Gnad  und  Wonne. 

•   >    «   •    • 

Und  da  ich  selber  soll  nach  meiner  Wenigkeit, 

Allerdurchlauchligste  Königin,  die  grosse  Gnade  rühmen, 
So  Eure  Königliche  Hand  noch  vor  gar  kurtzer  Zeit 
Zn  Lützeburg  mir  erwies,  so  will  mir  ja  geziehmen, 
Dass  ich  in  meinem  gantzen  Leben 
AUerunterthänigst  Dank  mag  geben. 


Indessen  soll  mein  Wunsch  aus  tiefster  Unterthänigkeit 

Zu  Gott  recht  andächtig  steigen, 
Es  lebe  König  Friederich  nebst  der  Königin  noch  lange  Zeit, 
Das  Glück  müsse  sich  nach  Ihrem  Willen  neigen. 
DesKöniglichenKron-Printzen,  der  Herren  Marggraffen  und  Prtncessinnen 
Segne,  o  Gott !  auch  all  Ihr  Beginnen. 

Man  weiss,  dass  an  demselben  Tage  Chr.  Reuter  in  Lfltze- 
burg  ein  Singspiel  aufführen  Hess;  es  könnte  Einem  der  Ge- 
danke durch  den  Kopf  fahren,  Luppius  habe  sich  die  Verse  von 
ihm  machen  lassen  undReuter  habe  sein  Spiel  mit  ihm  getrieben, 
denn  an  die  Verse  des  SchelmufTsky  an  seine  Charmante  erinnert 
diese  Leistung  durchaus.  Um  so  mehr  ist  man  verwundert, 
wenn  man  Hrn.  Andr.  Luppius  schon  in  demselben  Jahre  bei  dem 
Geburtstage  seiner  angeblichen  Gönnerin ,  der  Königin  Sophie 
Charlotte,  sich  wieder  einstellen  sieht  [Sl.October:  III,  45), 
und  er  sich  da  auf  dem  Titel,  ohne  den  Buchhändler  zu  erwähnen, 
bezeichnet  als  »Director  der  Kgl.  Preussischen  und  ChürfUrstl. 
Brandenburg.  Privilegirten  Kunst- Academie  in  derKgl.Residentz 
Lüzeburg«.  Ist  dem  Streber  trotz  seiner  früheren  Verse  etwas 
durchzusetzen  gelungen?  Diesmal  sind  die  Verse  ganz  leidlich, 
er  hat  sie  sich  also  corrigieren  oder  auch  ganz  machen  lassen. 
Zu  Neujahr  erscheint  der  jetzt  Unermüdliche  noch  einmal  (3, 4 1) : 
nun  ist  der  »Director«  etc.  glücklich  wieder  verschwunden,  nur 

1887.  5 


66     

der  »priv.  Buchh.,  Civ.  acad.  undExemplus«  ist  geblieben ;  man 
erkennt  den  eingebildeten  Gecken,  wenn  er  seine  Schrift  unter- 
zeichnet: »Lützeburg,  in  meinem  Museo«.  Unter  den  Versen 
kommen  wieder  wunderbare  Rhythmen  vor  (es  sollen  iambische 
Tetrameter  sein) : 

Wie  soll  ich  doch  dann  danckbar  sein?  Wie  soll  ich  Demuth  gnug  er- 
weisen ? 
Wie  soll  ich  die  Majestät  der  allerschönstcn  Königin  gnugsam  preisen? 

u.  s.  w. 

Fernerhin  aber  scheint  er  die  Königin  nicht  weiter  belästigt 
zu  haben. 

Auf  die  Umwandlung  des  Namens  Lützenburg  in  Charlot- 
tenburg (1705)  haben  wir  ein  Gedicht  von  (G.G.  von)  Meysen- 
bougk*)  (in,  64),  einem  Mitglied  der  Königl.  Societät  d.  W. 

Auch  in  Berlin  gab  es  Dichterinnen.  Wir  finden  drei,  eine 
adliche  und  zwei  bürgerliche.  Jene  hiess  Magdalene  Elisabeth 
von  Röderin,  und  sie  lieferte  zum  42.  Juli  1704  (3, 16)  fUr  die 
Königliche  Tafel  eineMusic,  kurz  und  frisch  geschrieben ;  sie  wird 
wohl  zu  den  Damen  des  Hofes  gehört  haben.  Die  bürgerlichen 
sind  Barbara  Helene  Kopschin,  oder,  wie  sie  sich  auch  nennt, 
j>die  unter  dem  Pegnesischen  Blumen-Orden  so  genandte  Crone« 
—  sie  condolierte  beim  Tode  der  Tochter  des  Königs  im  Jahre 
1705  (2,  26)  — ,  und  Eleonore  Schlüterin  (zum  27.  Nov. 
1708 :  V,  43).  Bei  keiner  dieser  drei  Damen  wird  Grund  zu  dem 
Verdachte  gegeben ,  sie  hätten  mit  ihrer  Poesie  den  Gedanken 
an  eine  Gunstbezeugung  verknüpft. 

Aber  zu  dieser  letzten  Sorte  von  Leuten,  zu  den  dichtenden 
Hungerleidern,  haben  wir  noch  zurückzukehren.  Wir  haben  noch 
zwei  Gruppen  derselben  vorzuführen. 

Die  erste  bilden  solche,  die  aus  religiösen  Gründen  ver- 
folgt waren  und  denen  Friedrich  Schutz  gewahrte,  oder  die  sei- 
nen Schutz  erhofften.  Einen  dieses  Kreises  haben  wir  bereits  in 
dem  Dr.  th.  Petersen  kennen  gelernt.  Auf  zwei  Andere  haben  wir 
noch  einen  Blick  zu  werfen.  Der  eine  ist  der  »Con  versus Mogunt.«, 
jetzt  LL.  C.  (Legum  cultor)  J.  M.  C.  Kusmann,  der  sich,  »nach- 
dem er  in  Ihre  Maj.  Landen  zur  Erkanntniss  der  Wahrheit  und 


4)  Auch  lateinische  Gedichte  sind  von  ihm  vorhanden,  so  zum  12.  Juli 
4709  [III,  %k). 


67     

rechten  Religion  gelanget«,  dem  Schutze  des  Königs  anem* 
pfiehlt.  Was  wir  von  ihm  haben,  ist  ein  Gedicht  ohne  Datum 
(2,  19  =s  HI,  27) ,  aber  auf  dem  Titelblatt  hat  eine  gleichzeitige 
Hand  notiert:  4704.    Hier  wird  natürlich  suppliciert: 

Nun,  Allcrgnudigster,  dieweil  Ich  dieses  weiss, 

So  werff  ich  mich  gebückt  für  Deinem  Throne  nieder, 
Ist  Gnad'  und  Gütigkett  der  Fürsten  Ehr'  und  Proiss, 

So  ist  die  Majestät  der  Armuth  nicht  zuwieder. 
Weil  ich  des  Papstes  Greul  für  Gaukol-Spiel  geschälzt 

Und  nun  das  rechte  Ziel  zur  Sccligkeit  getroffen, 
So  hab'  ich  meinen  Trost  auf  Deine  Maobt  gesetzt, 

Und  vf'iU  von  ihrem  Schutz  mein  Heyl  und  Wohlfahrt  hofTen. 

Der  andere  ist  Joh.  Herrn,  de  Gubreville  »Coloniensis, 
conversus,  olim  eccles.  Rom.  sacerdosa.  Er  lüsst  sich  bereits  zum 
6.  Mai  1701  vernehmen  (I,  108),  dann  wieder  zu  Neujahr  1704 
(3,  4  =  3,  20a)  und  nochmals  zu  Neujahr  1706  (2,  27),  und 
diesmal  —  unglaublich  aber  wahr  —  mit  demselben ,  nur  um- 
gedruckten Gedichte  wie  17041    Natürlich  wird  gebettelt: 

Wer  bey  der  Sonne  sitzt,  der  pflegt  herab  zu  sehn, 
Trifft  mich  Dein  Gnaden-Licht,  so  ist  mir  wohlgcschehn. 

Und: 

Je  höher  Dir  Dein  Gott  den  Königs-Thron  gebaut, 
Je  tieffer  wilst  Du  drum  der  Deinen  Noth  ansehen, 


Ein  hungrichs  Hündchen  weiss  auch  für  ein  Brosamlein 
Des  Herren  Gnad  und  Huld  auCfs  freundlichste  zu  preisen 


Heiss,  grosser  König,  dann  mich  Aennsten  auch  nicht  fort 
Mit  meinem  Lob'  und  Danck  von  Deinem  Throne  jagen 


So  ist  und  bleibt  er  dem  ein  reich  und  sichrer  Port, 
Der  arm  und  elend  ist  aus  Lust  zur  reinen  Lehre. 

Die  zweite  Gruppe  der  dichtenden  Hungerleider  sind  die 
hungerleidenden  Dichter.  Wir  finden  drei  dieser  Art,  freilich 
zu  verschiedenen  Zeiten,  in  Berlin:  Benjam.  Neukirch,  Ilunold 
und  Oelven.  Benj.  Neu  k  i  r  ch  *) ,  der  schon  als  Student  von  Fried- 


4)  Eine  ganz  ergreifende  Schilderung  seiner  Nothlage  und  der  unwür- 
digen Beschäftigung  mit  dieser  Bettel-  und  Devot ionspoesie  giebt  Neukirch 
selbst  in  der  7.  Satire  »Wider  sich  selbstic  Auserl.  Ged.  4  744,  S.  4 45 ff.  Ob 
freilich  der  Schluss,  den  Gottsched  daraus  zieht,  der  richtige  ist,  dass  dies 

5* 


68    

rieh  unterstützt  worden  war,  hatte  bereits  in  den  90er  Jahren 
von  Frankfurt  undHalle  aus  mit  hochstehenden  Beamten  Branden- 
burgs und  mit  Adlichen Verbindung  angeknüpft  und  machte  sich 
schon  Hoffnung  auf  eine  Anstellung,  als  der  König  noch  Kurfürst 
war.  Sein  Gedicht  auf  das  Edict  des  Kurfürsten  gegen  das  Ein- 
fangen derNachtigallen  isteigentlichnichtsalseineeinzigeBettelei: 

Beglückte  Nachtigall!  Wo  bist  du  hin  gestiegen? 
Du  ziehst  nun  ohne  Scheu  in  Friedrich's  Gärten  ein, 
Ich  Aermster  aber  muss  auf  Koth  und  Asche  liegen. 

Und  so  geht  es  fort.    Er  selber  nennt  sein  Gedicht  ein 
Trauerlied : 

Bitt  aber,  Schönste,  nur  für  mein  betrübtes  Leben, 
Und  trag  zu  rechter  Zeit  mich  Deinem  Churfürst  an 


Weil  meine  Poesie  mit  Schimpfe  betteln  geht,  i) 

Dann  hatte  auch  er  sich  zur  Krönung  mit  einem  Gedichte^) 
eingestellt  (1,70).  Die  eigne  Lage  gab  ihm  die  characteristischen 
Worte  an  Homer  in  den  Mund: 

Heute  solltest  du  lebend  seyn, 
Da  die  ungestimmten  Flöten 
So  viel  hungriger  Poeten 
Fast  auf  allen  Gassen  schreyn, 
Und  dennoch  mit  ihrem  Klingen 
Kaum  ein  hartes  Lied  erzwingen. 

Im  Übrigen  hält  er  diesmal  mit  einer  Hinweisung  auf  seine 
persönliche  Lage  zurück.  Ebenso  in  dem  Gedichte  auf  den  Ein- 
zug  des  Königspaares  in  Berlin  (1,407),  wenn  hier  auch  wohl  die 
Schlussworte  eine  Andeutung  enthalten  sollten : 


allein  dem  Preussischon  Hofe  zur  Schande  gereiche,  steht  ^ohl  sehr  dahin. 
Das  Talent  soll  sich  eben  nicht  vor  die  Füsse  werfen. 

4)  Ziemlich  um  dieselbe  Zeit  sang  unser  Dichter  auch  den  König  Frie- 
drich August  I.  von  Polen  an,  mit  dem  Schluss: 

Wird  mich  ein  hoher  Glanz  von  Deiner  Huld  bestrahlen, 
So  werd'  ich  jährlich  Dir  ein  solch'  Gelübde  zahlen. 
Man  sieht,  es  ward  als  ein  Geschäft  angesehen;  der  König  von  Polen  scheint 
aber  nicht  darauf  eingegangen  zu  sein. 

2)  Um  dieselbe  Zeit  scheint  von  ihm  auch  das  anonyme  Gedicht  er- 
schienen zu  sein  (I,  98):  »Schreiben  der  Aurora  an  Seine  Königliche  Maje- 
stät in  Preusseuff.  Auch  das  Plakat-Gedicht  »auf  die  behauptete  Souvcraini- 
tät  von  Neufchalel  und  Valengin«  (III,  4S)  ist  von  ihm. 


69     

Earopa  freuet  sich ; 
üod  biilich :  denn  wer  hofft  nechsl  Gott  jetzt  nicht  auf  Dich  ? 

Auch  das  Gedicht  zum  48.  Jan.  1702  hält  sich  noch  frei. 

Aber  die  erhoffte  Beförderung  liess  noch  immer  auf  sich  warten 

und  so  sah  er  sich  denn  gezwungen,  wiederum  deutlicher  zu 

reden.   Zum  1  S.Jan.  4  703  trat  er  abermals  mit  einer  Gratulation 

hervor  (II,  37)  ,  und  hier  Utsst  der  Schluss  nichls  zu  wünschen 

Obrig : 

.    Der  .Himmel  setze  Dich  zum  Beispiel  aller  Helden ! 
Die  Sonne  Galliens  steh'  wie  der  Monde  bleich, 
Wenn  Fama  Deinen  Sieg  wird  den  Antillen  melden ! 
Wer  aber,  König  denkt  bcy  dieser  Zeit  an  mich? 
Du  hast,  was  ich  gesagt ;  ich  lebe  kümmerlich. 

Und  noch  kräftiger  in  dem  zunächst  darauf  erfolgenden 
Gedichte  auf  die  Enthüllung  der  Reiterstatue  des  Grossen  Kur- 
fürsten (42.  Juli  1703:  III,  32)  am  Ende: 

Wie  kommt  es  denn,  o  Held,  dass,  da  ich  von  Dir  schreibe, 
Ich  unter  tausenden  allein  verlassen  bleibe? 
Gesetzt,  ich  hätte  Nichts  als  Reimen  nur  gelernt, 
Ist  denn  die  Poesie  von  Hofe  nun  entfernt? 


Mein  König,  denk  an  mich,  und  Deine  Macht  zugleich ! 
Hier  ist  ein  schlechter  Vers:  Du  hast  ein  weites  Reich. 
Bin  ich  gleich  nicht  Virgil,  wie  Du  August  auf  Erden, 
So  könnt  ich  es  doch  wohl  bey  Deinen  Thaten  worden. 

Doch  thue,  was  du  wilst.   Ich  ändere  nicht  den  Sinn. 
Ich  liebe  dennoch  Dich,  ob  ich  gleich  elend  bin. 


Versage  mir  das  Brot,  das  von  der  Tafel  fällt. 
Ich  singe  dennoch  fort  Ja  ich  will.  Grosser  Held, 
Solt'  ich  noch  ärmer  sein,  solt'  ich  auch  Hungers  sterben. 
Doch  die  Unsterblichkeit  durch  Deinen  Ruhm  erwerben. 

Und  noch  nach  dem  12.  Dec.  1703  in  dem  Gedicht  auf  die  Ein* 
nähme  Gelderns  heisst  es: 

Herr,  ist  es  denn  wundernswerth? 
Da  ich  gar  Dein  Lob  gesungen, 
Dass  ich  da  mein  Brodt  begehrt, 
Wo  man  mir  mein  Herz  bezwungen  ? 


Warum  muss  des  Glückes  Hafen 
Mir  denn  stets  verschlossen  sein? 


Das  scheint  endlich  geholfen  zu  haben ,  denn  bald  darauf 
erhielt  Neukirch  eine  Anstellung  an  der  neugegrUndeten  Ritter- 


70     — 

Academie  in  Berlin*).  Von  nun  an  hörten  dieBcUelvcrseauf,  und 
es  war  nur  noch  das  ehrenwerthere  Gefühl  der  Dankbarkeit,  das 
den  Dichter  bei  den  wichtigern  Momenten  im  ferneren  Familien- 
leben des  Königs,  bei  der  Beisetzung  der  Königin  Sophie  Charlotte 
(28.  Juni  4705:  IV,  8.  9,  Prosa  und  Verse;  die  Verse  für  sich 
in  neuem  Druck  4,  46),  bei  der  Wiedervermählung  des  Königs 
(28.  Nov.  1708:  V,  45),  und  bei  der  Geburt  des  Prinzen  von 
Oranien  nochmals  an  die  Stufen  des  Thrones  führte ;  auch  sauf 
die  behauptete  Souverainität  von  Neufchatela  (3.  Nov.  4707: 
111,  42)  hat  er  ein  Preisgedicht  gefertigt.  Es  bleiben  aber  alles 
Arbeiten,  die  nach  den  Gesetzen  der  Rhetorik  künstlich  und 
kümmerlich  zusammengerechnet  und  zusammengeklügelt  sind. 

Chr.  Friedr.  Hunold  hatte  4706  in  Folge  liederlichen 
Lebenswandels  und  anzüglicher  Romane  seine  Stellung  in  Ham- 
burg verlassen  müssen,  und  irrte  seitdem  lange  umher,  vergebens 
einen  neuen  zusagenden  Wirkungskreis  suchend,  bis  er  endlich, 
seit  4744,  mit  den  Auschweifungen  seiner  Jugend  gründlich 
brechend ,  an  der  Universität  Halle  einen  solchen  fand.  In  der 
Zwischenzeit  scheint  er  auch  einmal  auf  Berlin  seine  Hoffnung 
gesetzt  zu  haben,  und  er  ergriff  die  Gelegenheit  der  Taufe  des 
jungen,  bald  wieder  verstorbenen  Prinzen  von  Oranien,  um  sich 
allerunterthänigst  zu  empfehlen  (24.  Aug.  4740:  3,  49].  Das 
Gedicht  hat  nichts  Bemerkenswerthes,  doch  ist  es  nicht  in  den 
hergebrachten  Alexandrinern  abgefasst. 

Diesen  beiden  Dichtern  darf  ich  noch  einen  dritten  hinzu- 
fügen, den  Berliner  Rittmeister  Ch.  H.  Oelven,  dessen  Gedichte 
in  der  ersten  Ausgabe  der  v.  Canitz'schen  Nebenstunden  im  An- 
hange zusammen  mit  Gedichten  von  v.  Besser,  Neukirch,  Simon 
Dach  U.A.  veröffentlicht  wurden  (4  702  fg.).  Er  unterzeichnete  sie 
C.H.Oe,  In  3,  22  findet  sich  nun  eine  Weissagung  auf  die  Ge- 
burt eines  Prinzen  vom  29.  Sept.  4707  (am  23.  Nov.  ward  wirk- 
lich ein  Prinz  geboren) ,  deren  Verfasser  sich  R,  Oe.  bezeichnet 
und  auf  sein  Gedicht  in  den  »Poetischen  Neben-Stunden,  Anhang« 
hinweist.  Gewiss  bedeutet  also  R.  Oe.  Rittmeister  Oelven.  Er 
bettelt  wie  sein  College  Neukirch: 

Fehits  aber,  und  dass  man  mich  darum  straffen  muss, 

So  lass  mich,  wenn  du  kannst,  nur  stets  im  Elend  bleiben. 


4)  Anders  Gottsched  in  der  Vorrede  zu  der  Ausgabe  von  Neukirch's 
Gedichten,  4744,  wo  die  Anstellung  erst  in  die  Zeit  nach  4708  gesetxt  wird. 


71     

Ich  sage,  wenn  Du  kannst:  Dein  giltigstes  Gcmütb, 
Das  Ost  und  Westen  längst  durcli  Wollhun  an  sich  zieht, 
Hat,  Preussischer  Trajan,  Dir  hier  das  Lob  erworben, 
Dass  keiner  Deiner  Knecht'  ist  un vergnügt  gestorben  i). 

Sehen  wir  uns  auch  noch  um  nach  den  andern  Städten  des 
Landes.  Zunächst  nach  den  beiden  Universitätsstädten,  Halle 
und  Frankfürt  a.  0. 

Aus  erste rer  Stadt  gratulieren  zum  48.  Jan.  1701  die  beiden 
Grafen  Henckel,  Wentzel  und  Erdmann,  in  deutscher  und 
lateinischer  Rede,  und  mit  deutschen  Gedichten  (1,34—37).  Von 
hier  condoliert  ein  Friedrich  Calenus,  Anhaltischer  Rath,  zum 
Tode  der  Königin  (1.  Febr.  1705:  IV,  49),  und  »Wiewohl  er 
Selbsten  noch  an  Hertz  und  Händen  matt  Von  jüngster  Trauer- 
schrifft«;  sendet  er  bereits  zum  42.  Juli  (HI,  33]  wieder  ein 
grosses  Opus,  lateinisch  und  deutsch,  Epigramme  und  Ana- 
gramme auf  die  Reiterstatue,  den  SchlossbaU;  den  König  u.  s.w.; 
der  Dr.  J.  Utr.  und  Ober-Bornmeister  am  Thal-Gerichte  A.  Th. 
Reich  heim  begrttsst  die  Leiche  der  Königin  bei  ihrer  Ankunft 
in  Berlin  (22.  März  4705  :  IV,  4  =  4,  48).  Aus  Frankfurt  a.O. 
stellt  sich  »ein  Schlesischer  von  Adela,  Gp.  Sieg,  von  Luck, 
zum  48.  Jan.  4703  ein  (2,  44);  schon  zum  Krönungstage  selbst 
hatte  ein  W.  Siegfr.  Ring  gratuliert  (I,  69).  Später  taucht  ein 
Leg.  Stud.  Joh.  Luc.  Th  er  i  n  g  auf,  der  zur  Taufe  des  Prinzen  von 
Oranien  (24.  Aug.  1710:  1,  31)  Glttck  wünscht.  Zu  des  Königs 
Geburtstag,  merkwürdiger  V^eise  am  20.  Juli  1712,  hält  er  eine 
stattliche  lateinische  Rede  (2,  59)  und  dichtet  dazu  eine  »Music«, 
d.  h.  eine  musikalische  Aufführung,  in  der  Arien  und  Recitative 
mit  einander  abwechseln  (2, 59b) .  Keine  einzige  dieser  aus  den 
beiden  Universitätsstädten  herstammenden  Ovationen  enthält 
auch  nur  die  Andeutung  einer  Bettelei. 

Die  übrigen  Städte  des  damaligen  Preussischen  Gebietes 
will  ich  einfach  alphabetisch  vorführen.  Zwischen  dem  Wesen 
dieser  Reimereien  und  dem  der  bisher  vorgeführten  ist  doch 


4]  Die  ChifTre  R,  Oe.  kommt  noch  einmal  vor  (V,  38)  unter  einem  kur- 
zen lateinischen  Plakatgodichte«  zu  dessen  linker  Seite  steht :  »Jo  1  Triumphe ! 
Ups.  transmiss.  per  Chr.  Ludw.  Meyorum  D.«,  und  rechts :  »Carolus  Guiliel- 
mus  a  Mesebug.«  Wie  sollen  wir  diese  3  Namen  auf  das  Gedicht  verthei- 
len,  und  verstand  der  Herr  Rittmeister  wirklich  Latein?  Von  C.  G.  deMey- 
senbougk  findet  sich  ein  lat.  Condolationsgedicht  (zum  22.  März  4  705)  auch 
IV,  87. 


72     

ein  grosser  Unterschied ;  die  Provinzialstädte  stehen  im  Ganzen 
in  Übung  der  Poesie  merkbar  zurück  hinler  den  bisher  ge- 
nannten grösseren  Städten.  DieVcrfasser  mögen  gute  und  ehren- 
werthe  Leute  gewesen  sein,  aber  schlechte  Dichter  waren  es  fast 
ohne  Ausnahme.  Aus  Cottbus  stiftet  der  Archi-Diaconus  M. 
Christ.  Gottschalck  zum  Krönungsfesle  (18.  Jan.  4701 :  il,  6) 
ein  entsetzlich  breites  Gedicht,  reich  mit  Anmerkungen  geziert, 
die  vollaus  Logau's  Spott  hatten  hervorrufen  können.  In  Crev- 
MEN  begegnen  wir  dem  Vater  des  in  Königsberg  aufgetretenen 
Studenten,  dem  Bürgermeister  Joh.  Grüwcln,  der  zum  Tode 
der  Königin  4705  ein  »Trauer-Lihd«  (4,  43)  voll  biederer  Ge- 
schmacklosigkeiten anstimmt: 

Als  der  Winter  schier  verschwand  Als  nunmehr  der  Ackermann 

Und  wich  vor  dem  Lenzen,  Nicht  so  sehr  einheizet, 

Als  das  Vih  die  Sonn'  entfand,  Und  der  Schneh  nicht  hindern  kann 

Die  zu  unsern  Grenzen  Was  zum  Reisen  reizet, 

Trat  heraufwerts,  da  man  baut  Da  die  Venus  tanzen  soll, 

Und  die  Schute  täret,  Wenn  der  Mond  schön  scheinet, 

Die  man  auff  dem  Wasser  schaut  Ist  ein  jeder  TraurcnsvoU 

Wie  sie  schwimmt  und  föliret:  Und  für  Jammer  weinet. 


Alles  Fleisch  vergeht  wie  Heu, 
Was  Mensch  hcisst  muss  sterben 

Strekkebein  schont  kein  Gebäu, 
Alles  muss  verderben. 


In  CüsTRirf  begrüsst  im  December  4700  der  Ortsgeistliche 
M.  Joh.  Hanf  1er  als  »unterthänigster  Diener  und  Vorbitter«  den 
zur  Krönung  sich  begebenden  Fürsten  (I,  43),  ein  anderer  (oder 
ist  es  derselbe?),  der  sich  nur  »ein  getreuer  Diener«  nennt,  feiert 
die  erfolgte  Krönung  (I,  44),  und  ein  G.  H.  Krause  stümpert  zu 
demselben  Anlass  ein  paar  Strophen  mit  Alexandrinern  zurecht 
(1,45).  Ein  Joh.  Krause  (derSohn?)  reimtebensoelendzurWie- 
derkehr  des  Krönungstags  (4 8. Jan.  4702:  4,4).  Aus  Halbbrstadt 
condoliert  ein  Hier.  Erdm.  Yiesemeyer  zum  Tode  der  Königin 
(4.  Febr.  4705:  IV,  47).  Aus  Hamm  gratuliert  der  Pr.  P.  der 
dortigen  »höheren  Schuiena,  der  S.  Th.  Dr.  Nie.  Neu  haus  zur 
Taufe  des  jungen  Prinzen  (4.  Dec.  4707:  3, 24).  Ein  Glückwunsch 
aus  Hayelberg  von  dem  Prediger  G.  D.  Lud  erwalten  in 
Nitzow  verdankt  seine  Entstehung  einpr  besonderen  Veranlas- 
sung. Im  Jahre  4707  hatte  sich  der  König  ein  prachtvolles  Jagd- 


73     

schiff  in  Holland  bauen  lassen,  das  nun  die  Elbe  und  Havel  hinauf- 
geführt werden  sollte.  Aber  bei  Havelberg  war  so  niedriger  Was- 
serstand, dass  es  liegen  bleiben  inussle  und  erst  am  20.  Januar 
gelang  es,  es  weiter  zu  führen.  Hierzu  verfasste  der  genannte 
Geislliche  ein  mit  gelehrten  Anmerkungen  gespicktes  Gedicht 
(3,32):  oder  in  seiner  vorigen  Armuth  reiche  und  seinem  jetzigen 
Keichthum  arme  Havel-Fluss«,  »den  Einheimischen  zum  An- 
denken, den  Auswärtigen  zur  Nachricht  einer  so  merkwürdigen 
Havelbergischen  Aventure  unterthünigst  auch  gltickwünschend 
erwogen«.  Aus  Magdeburg  liegt,  recht  auffallender  Weise,  nur 
ein  einziges  Gratulationsgedicht,  aus  dem  Jahre  1703,  vor  (3,  8), 
vom  Dom-Cantor  Fr.  J.  Hoppe,  »eine  Kirchenmusik«,  Alexan- 
driner in  Strophen  mit  dactylischen  Schlussreimen.  Aus  Star- 
GARDT  i.  P.  liefert  der  erste  Geistliche  des  Ortes,  M.  Mattb.  He- 
ring, Senior  der  Synode,  zur  Krönung  eine  Predigt  und  eine 
Arie,  eine  von  seinem  Sohne  componierte  »Kirchen-  und  Abend- 
Musik«  (1,  9),  und  bei  der  Rückkehr  des  Königspaares  begrüsst 
dasselbe  ein  Dr.  Dan.  C  rüg  er  (März  1704 : 1,93)  in  recht  stüm- 
perhaften, aber  durchaus  ernst  gemeinten  Reimen,  deren  Schluss 

z.  B.  lautet: 

Pferd,  ruf:  Glück  zul  im  Stalle, 
Das  Kind  beut  Vivat  lalle, 
Ihr  Fräulein  schnürt  Euch  schmalle, 
Und  geht  zum  schönen  Balie, 
Werfft  weg  des  Unmuths  Galle 
Und  rufTet  Vivat  alle. 

Noch  geschmackloser  dichtet  ein  Gand.  der  Theol.  Abr.  Bo- 
gesius  zur  dritten  Wiederkehr  des  Tages  (1703:  2,  10),  der 
»die  Königl.  Preussische  und  Brandenburgische  Losung«  »durch 
einen  dreyfachen  Glückwunsch«  ....  »in  unterth^nigster  De- 
votion aemuliren  und  zum  Bescbluss  des  Gottesdienstes  unter 
Pauken  und  Trompeten-Schall  wiederholen  lassen«  »wolte«.  Das 
Gedicht  beginnt : 

Entrüste,  König,  Dich  nicht,  dass  ein  kahler  Knecht 

An  Deinem  Krönungs-Fest  sich  auch  herfür  will  machen. 

Ich  weiss,  mein  Wunsch  ist  kurz,  die  Wollte  fliessen  schlecht, 
So  dass  manch  hoher  Geist  wird  meiner  Einfalt  lachen. 

Doch  u.  s.  w. 

Allein  was  andere  bereits  vor  mir  gethan 

Die  in  dem  Glücks-Revier  des  Spree-Parnassi  leben, 


74 


Desselben  mass  ich  mich  als  meiner  Worte  an, 

Und  will  aulT  ihren  RufT  mein  herlzlichs  Amen  geben. 
Und  zwar  nach  Landes  Art.  ^Denn,  wie  man  hier  erkennt, 

Es  sei  kein  Unterthan,  Getreuer  und  Vasallc, 
Der  auf  Dein  Wohlergehn  ein  donnernd  Stück  abbrennt, 

Es  müsse  denn  gescbehn  so  dass  es  droymal  knalle, 
So  stellt  mein  Feder-Kiel  auch  nur  3  Salven  für, 

Zum  Zcugniss,  dass  Dein  Geist  allein  aufT  den  vertrauet, 
Der  Drey  in  Einem  ist  I 


•  •  •  • 


Zum  Schluss  eine  Bettelei  in  optima  forma : 

Und  wenn  mir  Deine  Gnad  einmal  erscheinen  soll, 
So  sprich  auff  meinen  Wunsch  auch  ein  erhörllchs  Amen ! 

Aus  WiTZKE  bei  Ratenau  gratuliert  zur  Vermahlung  am 
27.  Nov.  1708  (V,  23)  der  Ortsgeistliche  Gottfr.  Zitemann, 
nicht  schlechter  als  sonst  der  Durchschnitt  zu  sein  püegt,  aber 
für  diesen  recht  characteristisch  durch  die  ttble  Wahl  der  Bil- 
der, z.  B. : 

Nun  wird  Dein  Liebes-Gold  in  reiner  Glut  verneuet 
Und  einer  Herzogin  als  trinkbar  Übermacht. 


So  wird  sie  wiederum  Vergnügungszucker  saugen, 
Wenn  sich  Dein  Mund  und  Hertz  an  ihre  Seele  drückt. 

Endlich  stellt  sich  aus  Wbiezen  a/0.  der  Pastor  G.  Etz.  Bö- 
diker*)  bei  der  Beisetzung  der  Königin  am  28.  Juni  1705  ein 
(IV,  48  =  4,  1i):  »Betrachtliches  Grabmahl  einer  unvergleich- 
lichen Königin«.    Für  einen  Geistlichen  weltlich  genug: 

Gott  sie  gesctimücket  hat  mit  ungemeiner  Zier: 

Kein  weisser  Schwanen-Schnee  gicng  ihrer  Anmuth  für, 

Die  Augen  strahleten  mit  überholden  Blicken, 

Ihr  purpurrother  Mund  der  konte  gleich  entzücken, 

Der  Atlas  ihrer  Brust  war  Alabaster  gleich, 

Und  sie  ein  Inbegriff  was  schön  im  gantzen  Reich. 

Ach !  welche  Feder  schreibt  nach  Würden  solche  Gaben? 

Drum  frag'  ich  :  Liegt  hier  nicht  die  Schönheit  selbst  begraben  ? 

Aber  auch  das  Ausland  betheiligte  sich.  Zunächst  auslän- 
dische Universitäten:  Rostock,  Giessen  und  Jena.  Am  48.  Jan. 
1703  hielt  in  Rostock  ein  angesehener  junger  Mann,  Jurist,  aus 


4)  Auch  Predigten  von  ihm  sind  gedruckt,  z.  B.  zum  18.  Jan.  1704, 
und  lateinische  Gedichte  zum  5.  März  4703  [1,  42;  II,  35). 


75     

Stargard  io  Pommern,  Imm.  Rango  (diclus  Guido)  mit  Namen*), 
eine  Rede  auf  Preussens  König,  die  von  Seiten  der  Universität, 
der  Stadt,  der  Professoren  und  Studierenden  mit  ausserordent^ 
ticher  Betheiligung  und  grossem  Applause  gefeiert  ward.  La- 
teinische und  deutsche  Gedichte,  Gesänge  der  Studierenden 
u.  s.  w.  wurden  durch  diese  Gelegenheit  hervorgerufen ;  auch 
Gedichte,  von  J.  D.  Blume  und  M.  A.  Wagner,  auf  den  Red- 
ner, mehrere  von  dem  Prof.  Gasp.  Matth.  Müller  u.  A.  (vergl. 
II,  38 — 46).  Auch  im  Jabr  vorher  scheint  ein  ähnliches  Fest  ge- 
feiert zu  sein,  und  wieder  ein  Jahr  nachher.  Man  muss  sich  da- 
bei erinnern,  dass  Mecklenburg  damals  in  besonders  engem 
Verhältnisse  zu  Preussen  stand,  dem  im  Vertrage  von  4701  die 
Nachfolge  in  Mecklenburg  nach  etwaigem  Aussterben  des  Meck- 
lenburgischen Hauses  zugesprochen  war.  Dennoch  liegt  in  die- 
sem Vorgange,  der  den  eigenen  Landesherrn  ganz  bei  Seite 
Jioss,  etwas  Verwunderliches.  Etwas  von  Strebcrthum  war  wohl 
dabei,  wie  auch  die  Gedichte  durchfühlen  lassen : 

Dein  König  achte  solche  [Feier]  theucr, 

Und  gönn'  Dir  Gnaden  Sonnenschein : 
Dass  ich  von  heute  möge  sehn 

Dein  Glück  in  gutem  Wachs thum  stehn. 

und  ein  anderes  schliesst: 

So  müsse  der  Mercur  ihn  [den  Rango]  auch  mit  Lorbeer  krönen, 
Dieweil  es  Fama  schon  für  Brennens  Adler  bringt. 

Deutlicher  erklärt  sich  ein  drittes : 

Dein  Thun  ist  nicht  umbsonst.   Auf!  fahre  nur  so  fort! 
Dein  König  wird  Dich  so  mit  Adlers  Flügeln  heben, 
Dass  unter  seiner  Crohn  du  kannst  im  Lichte  leben. 

Und  fast  naiv  ein  viertes: 

• 

Wer  klug  ist,  wird  gewiss  das  Unterfangen  preisen, 
Das  ihn  noch  mit  der  Zeit  zum  Ehren-Gipfel  bringt. 

In  GIESSEN  lag  eine  Feier  schon  näher,  da  seit  4700  der  Erb- 
prinz von  Hessen-Cassel  mit  der  Tochter  Friedrichs  vermählt 


4}  Er  hatte  bereits  zum  6.  Mai  1701  mit  einer  lateinischen  Tabula  gra- 
tulatoria  aufgewartet.  Sein  Valcr,  Laurentius  Rango,  war  ein  in  Pom- 
mern hochangesehener  Mann,  Prösident  des  Schöppenstuhls  und  Land- 
syndicus. 


76     

war.  Zur  Feier  der  Wieder verheirathung  des  Königs  (28.  Nov. 
1708)  hielt  dort  G.  E.  Spener  eine  lat.  Rede  (V,  53)  und  da- 
bei wurde  eine  Reihe  von  Arien  abgesungen,  die  er  selber  ver- 
fasst  halte  [V;  33).  Derselbe  hatte  schon  zur  Beisetzung  der 
früheren  Gemahlin  condoliert  (28.  Juni  1705:  IV,  49  =  4,  17). 

In  Jkna  ward  am  15.  März  1701  durch  den  Gonsistorial- 
rath,  Prälaten,  Probst  und  Professor  der  Theologie  Phil.  M  tili  er 
ein  festlicher  Actus  zur  Feier  der  Krönung  abgehalten ,  und  die 
Rede  sammt  einem  latciu.  Programm  und  einem  deutschen  Ge- 
dicht, einer  Kirchenmusik,  herausgegeben  (I,  41  =  li,  8),  und 
als  am  24.  Juni  1708  der  König  bei  seiner  Rückkehr  aus  dem 
Garlsbade Zeitz  berührte,  legte  ihm  der  Universitäts-Gantor  J.  G. 
Koch  in  Jena  ein  mächtiges  Diplom  mit  einem  kleinen  »Madri- 
ga la  zu  Füssen  (1,  18). 

Zu  diesen  Universitätsstädten  tritt  dann  noch  eine  Reihe 
anderer  Städte  des  Deutschen  Reichs.  Aus  Nürnberg  begrüsst 
zum  28.  Nov;  1708  das  neuvermählte  Paar  der  Geheime  Rath 
der  Reichsstadt  Chr.  Fürer  von  Ilaimendorff  auf  Wolkersdorff, 
das  berühmte  und  vielgefeierte  Mitglied  des  Pegnizordens ,  in 
welchem  er  als  »Lilidor  der  erste«  eine  grosse  Rolle  spielte,  mit 
einem  langen  deutschen,  mit  gelehrten  lateinischen  Anmer- 
kungen verbrämten  Gedichte  (1,  28a)',  Zu  demselben  Tage  lie- 
fert Leipzig  zwei  Dichter:  den  SS.  theol.  Cultor  Gottfr.  Grüner 
(V,  26),  dessen  poetische  Regabung  sich  durch  folgende  Verse 
characterisieren  mag : 

Sophiens  Englisch-seyn  hat  Seinen  Wunsch  gestillt, 

Und  bringt  Ihm  wiederuoi  die  lioch-vergnügten  Stunden. 

und  einen  Curländer,  den  stud.  Jur.  Utr.  Joh.  Isenhagen  (V, 
27).  Reide  werden  wohl  vom  KönigQ  unterstützt  worden  sein, 
was  der  zweite  verständlich  andeutet : 

Du  nimmst  Dich  auch  der  Armen  an 

Von  fremdem  Ort  und  Ende. 
Und  diese  Güte  reitzet  mich, 

Den  Staub  von  Deinen  Füssen, 
0  Grosser  König  Friederich, 

Mit  tiefster  Furcht  zu  küssen. 

Auch  Dresden  weist  zwei  Dichter  auf.  Schon  zum  6.  Mai 
1701  gratulierte  ein  Siegm.  Jacobi  (I,  109)  »aus  nachbarlicher 
und  tieffgehorsamster  Pflichtschuldigkeit«.    Darin: 


77 


Nun  kann  Neu-Frankreicb  man  in  Brandenburg  erblicken 
Pariss  wird  in  Berlin  zur  Hauptstadt  auffgericbt, 


So  viel  heut  in  Berlin  und  anderswo  der  Kertzen 

Vor  Ihro  Majestät  In  der  Entzündung  stehn, 
So  viel  Wünsch  kommen  her  von  treu  verpflichten  Herlzen. 


Zur  VermähluDg  i  708  ruft  sich  in  die  Erinnerung  zurück 
ein  »gewesener  Lieutenant«,  Augustus  vonLütiichau^  aus 
dem  Hause  und  Rittergute  Gross-Kmelen  in  Meissen.  Er  hat  nicht 
genug  an  einem,  er  liefert  gleich  zwei  Gedichte,  beide  in  Alexan- 
drinern und  eines  in  Strophen  (2,  47  =  V,  48 ;  2,  48).  Für  die 
Verwendung  des  Anrede-Pronomens  ist  der  Anfang  von  Inter- 
esse; die  Braut  wird  angeredet: 

Durchlauchte,  weil  bey  Ihr  nichts  Irdisches  zu  finden, 
So  tritt  Sie  in  Berlin  als  Preussens  Göttin  ein  i). 

Recht  soldatisch  unbefangen  ist  das  Lob  ihrer  Schönheit: 

Die  Liebe  pflantzt  den  Lentz  mit  Blumen  auf  die  Wangen, 
Der  Augen  Strahlen  sind  des  Sommers  Sonnenschein; 

Man  sieht  auf  Dero  Brust  den  Herbst  mit  Äpfeln  prangen, 
Die  Schnee-gebirgte  Schoss  des  Winters  Bildung  seyn. 

Der  Verfasser  scheint  erblindet  zu  sein,  und  es  läuft  schliesslich 
wohl  auf  ein  Gnadengesuch  hinaus: 

Und  diese  Dürftigkeit  fällt  hier  zu  Ihren  Füssen, 
Und  bittet,  dass  Sie  bleib  mir  armen  Blinden  hold. 

Wir  zählen  noch  von  Westen  nach  Osten  die  übrigen  Städte 
auf,  die  sich  mit  deutschen  Gedichten  empfehlen.  Aus  Qued- 
linburg sendet  der  Diaconus  M.  Dan.  0.  Kegel  sein  Gedicht 
zum  18.  Januar  1702  (II,  32).  Aus  Zeitz  meldet  sich  zum 
4.  Febr.  4705  mit  einem  langen,  zusammengestUmperten  Ge- 
dicht der  Rentsecretür  Joh.  G.  Ba  rt  h  (IV,  42),  und  bei  dersel- 
ben Gelegenheit,  die  auch  den  Jenaer  Universitäts-Canlor  zum 
Dichter  machte,  am  24.  Juni  1708,  ein  Andreas  Pellio  (1,  19). 
Ob  seine  Worte : 

Wirfl  einen  Gnaden-Blick  auf  meine  Niedrigkeit 
eine  Andeutung  sein  sollen,  muss  man  dahingestellt  lassen;  noth- 


1)  Übrigens  war  in  der  Anrede  an  Fürstlichkeiten  damals  bereits  der 
Plural  ganz  gewöhnlich  in  Gebrauch. 


78     

wendig  macht  es  der  Zusammenhang  nicht.  Aus  Zbrbst  gratu- 
liert zum  3.  und  23.  Nov.  1707  (4,  42)  der  Kgl.  Preussische  und 
Fürstlich  Anhaltinische  Hofmedicus  (Archiater)  Joh.  Eberh.  von 
Exter,  aus  Zittau  der  Notar  J.  Gottfr.  Pauli  bei  Gelegenheit 
des  Jubiläums  der  Universität  Frankfurt  a.  0.  (ApriH706 :  2,28); 
zu  demselben  Tage  auch  aus  Birnbaum  der  Med.  Ord.  D.  Barth. 
Tob.  Seibt  (11,  63).  Aas  Breslau  hatte  zum  42.  Juli  1702  der 
Ling.  Orient.  Prof.,  Archidiaconus  und  Senior,  D.  Andr.  Aco- 
luthus  eine  Medaille  beschrieben  und  dabei  auch  deutsche 
Verse  einfliessen  lassen  (1,58).  Endlich  vermeinte  auch  der  Haus- 
wirth  in  Carlsbad,  bei  dem  der  König  im  Jahre  1708  gewohnt 
hatte,  der  Stadtsyndicus  Chr.  Mich.  Nonner,  sich  mit  eignen 
oder  bestellten  Reimen  empfehlen  zu  müssen.  Die  Erfolge  des 
Bades  werden  nur  bescheiden  angeschlagen,  wenn  es  heisst : 

So  ist,  o  Himmel-Glück,  0  König,  Dir  geschehen, 
Den  wir  gesundt«r  noch  als  vor  dem  Bade  sehen. 

Zum  Schluss  natürlich  Bitte  um  Wiederkunft  u.  s.  w. 

Es  erübrigt  noch  der  Gedichte  zu  erwähnen,  die  ohne 
Nennung  des  Verfassers  auftreten ,  abgesehen  von  den  bereits 
oben  ihren  Verfassern  vermuthungsweise  zugewiesenen.  Sie 
haben  durchweg  von  vornherein  einen  angenehmeren  Klang,  da 
ja  bei  ihnen  in  der  Regel  der  Verdacht  der  Bettelei  ausgeschlossen 
ist.  Wir  haben  zwei  Gruppen  zu  unterscheiden,  je  nachdem  die 
Gedichte  trotz  ihrer  Anonymität  im  Namen  ihres  Dichters  auf- 
treten, oder  im  Sinne  grösserer  Kreise  abgefasst  sind. 

Von  ersterer  Art  sind  nur  wenige  vorhanden.  Wir  er- 
wiihnten  bereits  das  Gedicht  eines  »getreuen  Dieners«  in  Cüstrin 
(18.  Jan.  1701:  I,  44);  »ein  Prediger  zu  Colin  a.  Spr.«  theilt 
seine  »zufiilligen  Gedanken«  beim  Einzüge  am  6.  Mai  1701  mit 
(1,410): 

Dein  Knecht,  mein  König,  rühmt  die  Erstling'  hoher  Gnaden, 
Die  Du  von  Deinem  Thron  ihm  zugeworffen  hast. 


Ein  Ungenannter  in  Königsberg  widmet  ein  Gedicht  mit  lat. 
Titel  (REG!)  zum  18.  Jan.  1703  (II,  54);  der  »bekannte  Spree- 
Schaffer  Zepoldo«f  gratuliert  in  einem  langen,  mit  Prosa  unter- 
flochtenen  Schäfergedicht  zum  Neujahr  1704  (3,12);  endlich 
fmden  sich  auf  den  Tod  der  Tochter  des  Königs,  Ende  1705, 
zwei  anonyme  Gedichte  (III,  39  und  III,  41,  dies  letztere  aus 


79 

Cassel),  und  auf  die  WiedervermilhJung  des  Königs  (28.  Nov. 
1708)  ein  Gedicht  des  »Poslilions«  »Extraordinaire  Post-Zeitung 
No.  275«  (V,  6),  welches  die  Theilnahme  der  verschiedenen  Pro- 
vinzen meldet.  Eine  besondere  Stelle  nimmt  ein  handschriftlich 
erhaltenes  Gedicht  (IV,  7)  ein ,  dessen  Anonymität  sich  wohl 
noch  lüften  Kissen  v^ird.  Es  ist  ein  Klaggedicht  auf  den  Tod  der 
Königin  4705,  und  sein  Titel  lautet:  »Die  von  einem  frembden 
Monarchen  beklagte  Königin  der  Preussen«.  Dieser  fremde  Mo- 
narch ist  der  Zar  Peter,  mit  dem  ja  die  Königin  im  Jahr  1697 
bekannt  geworden  war,  und  der  Dichter  sagt  von  sich ,  dass  er 
beauftragt  gewesen  sei,  dem  Zaren  die  Nachrieht  von  dem  Tode 
der  Fürstin  zu  überbringen.  Er  schildert  dann  die  Scene  beim 
Empfang  der  Trauerbotschaft,  die  Klage  und  Trauer  des  Zaren 
und  seines  Sohnes  u.  s.  w.   Anfang: 

So  wie  ein  Donner-Knall,  der  durch  die  Lüfite  rollt, 

Ein  grosses  Thcil  der  Welt  durch  einen  Schlag  erschüttert : 


Grösser  ist  die  Zahl  der  Gedichte,  die  ihren  Verfasser  nicht 
nennen,  weil  sie  im  Namen  eines  weiteren  Kreises  abgefasst 
sind.  Voran  stehen  die  Studenten.  Eine  besondere  Güte  haben 
sich  die  Hallenser  gethan  zum  18.  Jan.  1701.  Die  Studenten- 
schaft hatte  sich  in  kleinere  zusammengehörige  Gruppen  ge~ 
(heilt.  Voran  die  »studirenden  Preussenc  (I,  18] ;  dann  »sämt- 
liche aus  der  alten  Mark((  (1, 1 9) ;  die  aus  der  Mittelmark  gratulierten 
lateinisch  (I,  20),  wie  auch  das  Theologische  Seminar  (I,  S8) ; 
deutsch,  aber  in  Prosa ;  in  Form  einer  Tabula,  »die  sämtlichen 
von  Adel  aus  dem  Uerzogthum  Hinterpommern«  (I,  21);  wieder 
in  Gedichtform  die  »aus  dem  Herzogthum  Minden«  (1,  22) ;  des- 
gleichen die  »aus  der  Graffschafft  Ravensberg«  (I,  23) ;  die  »von 
Adel  aus  der  Graffschafft  Mannsfeld«  (I,  24) ;  die  »sämtlichen  . . . 
Studirende  Ilallenses«  d.  h.  die  aus  der  Stadt  Halle  (I,  25) ;  »die 
samtlichen  Magdeburgischen  Tischgenossen«  (I,  26) ;  die  » frey- 
verpflegte Halberstädtische  Tisch -Compagnie«  (I,  27).  Eine 
solche  Anhäufung  finde  ich  sonst  nicht  wieder.  Die  deutsche 
»Gluckwünschende  Freuden-Ode«,  die  am  18.  Jan.  1702  zu  der 
lateinischen  Rede  des  Freiherm  J.  C.  von  Abschatz  gesungen 
ward  (II,  26) ,  und  die  »Lob-  und  Freuden-Ode«  zum  27.  Nov. 
1708  (V,  22)  gehen  von  der  ganzen  Universität  aus,  vielleicht 
aber  auch  hier  nur  von  den  Studierenden,  wie  dies  der  Fall  war 


80     

in  Frankfurt  a.  0.,  z.  B.  bei  den  beiden  Gedichten  zum  Tage  der 
Krönung  (18.  Jan.  1701  :  I,  32  und  I,  33)  und  bei  der»Freuden- 
Musicft  zum  30.  Aug.  1740  (2,  54b)  zur  Feier  der  am  16.  Aug. 
erfolgten  Geburt  eines  Prinzen.  Die  in  Königsberg  am  28.  Nov. 
1708  auf  dem  Kneiphöfischen  Rathbause  abgesungene  Yocal- 
und  Instrumental-Musik  wird  mit  der  Universität  wohl  nichts 
zu  thun  haben,  und  man  wird  wohl  nicht  fehl  gehen,  wenn  man 
Mich.  Kongehl  (s.o.)  für  ihren  Verfasser  halt.  »Etliche  auf  der 
Burg  Brandenburg  Studirende  von  Adel «  begehen  den  Tag  der 
Durchfuhrung  der  Leiche  der  Königin  (1 8.  MUrz  1 705)  mit  Trauer- 
reden und  Arien  (IV,  22).  In  dem  »Waisenhaus  zu  Glaucha 
an  Halle«  ward  am  18.  Jan.  1701  »eine  Aria  musiciret«,  die 
mit  gelehrten  Anmerkungen  zum  Druck  gelangt  (11,  10a).  Das 
Gymnasium  in  Halle  feierte  den  28.  Nov.  1708  durch  einen 
»Actus  Panegyricus«,  oder,  wie  es  auf  dem  Titel  heisst,  »legete 
seine  allerunterthanigste  Devoir  auf  dem  Thealro  oratorio  an 
den  Tag«,  und  dabei  ward  »eine  anmuthige  Musica  auf- 
geführt (I,  27b).  Am  8.  Januar  des  folgenden  Jahres  liess 
der  Rector  des  Lyceums  in  Stendal,  Es.  Wilhelm  Tapp  er  t, 
seine  »einfältige  Schul- Jugend«  ein  grosses  allegorisches 
Stück  aufführen,  aus  Gesang,  Reden  und  Gedichten  bestehend 
(V,  46);  der  Verfasser  wird  wohl  der  Rector  selbst  gewe- 
sen sein. 

»Die  sämmtliche  Brüderschafil  im  Thal  zu  Halle«  gratuliert 
1705  dem  Könige  »anstatt  des  sonst  gewöhnlichen  Neu -Jahr 
Singens«  mit  einem  stattlich  gedruckten  Gedichte  (I,  7) ;  ähn- 
liche Exemplare  liegen  aus  den  Jahren  1708  (I,  17)  und  1709 
(I,  29)  vor,  so  dass  man  wohl  glauben  darf,  dass  diese  Art  der 
Gratulation  fortan  jährlich  erfolgt  ist ,  und  uns  nur  nicht  von 
allen  Drucken  Exemplare  erhalten  sind.  Die  Worte  »anstatt 
u.  s.  w.«  wiederholen  sich  1708  und  1709.  Für  die  am  18.  Ja- 
nuar jährlich  »gespeisten  Armen  in  Berlin«  wird  regelmässig 
ein  Dankgedicht  abgefasst,  wohl  von  ihrem  Geistlichen,  dem 
schon  oben  erwähnten  Pastor  Gensichen.  Exemplare  solcher 
Gedichte  haben  wir  aus  dem  Jahre  1702  (2,  5  =  II,  28)  und 
1704  (3,  13).  Als  Friedrich  am  26.  Juni  1708,  von  Carlsbad 
heimkehrend,  die  »Magdeburgischen  Bergwercke  um  und  bey 
Wettin«  berührte,  bezeigte  ihm  »die  sämtliche  Knappschaft«  da- 
selbst ihre  »Aufwartung«  durch  ein  Gedicht  (3,  37),  das  sich 
durch  seine  Singbarkeit  auszeichnet.    Anfang : 


81     

Grosser  König,  Dir  zu  Ehren 
Lttsst  die  Knappschaft  aas  Wettin 
Ihr  Glück  auf!  mit  Freuden  hören, 
Da  du  wieder  heim  willst  ziehn. 
Gott  Hess  Deine  Cur  gedeyen. 
Das  rühmt  unser  Bergmanns-Reyhen. 

Das  Gedicht  ist  absichtlich  angefüllt  mit  KunstausdrUcken 
der  Bergleute  (wie  :  Ferch ,  Bruch ,  Schicht ,  Geding ,  Auflass 
u.  s.  w.),  die  dann  in  19  Anmerkungen  erklärt  werden.  Als  der 
König  am  folgenden  Tage  Magdeburg  berührte,  ward  ihm  »zur 
angemessenen  Abend-Zeita  eine  Cantata  zugeeignet  [i ,  20)  und 
die  »Music-Bediente  bey  der  Stadt  Magdeburg«  brachten  ihm 
eine  »kleine  Taffel-Music« ;  dieselbe  ist  nur  handschriftlich  er- 
halten (2,  42],  die  Devotion  geht  sehr  weit,  weiter  jedesfalls  als 

die  Poesie : 

Könnten  wir  mit  unsern  Seelen, 

König,  Dir  zu  Dienste  seyn, 
Tausend  Hessen  sich  aushöhlen, 

Tausend  würde  das  erfreuen, 
Dass  sie  sich  solten  vor  Fried riches  Leben 
Endlich  auch  einmahl  zum  OpfTer  hingeben. 

'  Die  »Bediente  und  Unterthanena  in  Oranienburg  empfingen 
am  21.  März  1701  die  rUckkehrenden  Herrschaften  (1, 400]  ;  die 
lutherischen  Prediger  in  Frankfurt  a/0.  betheiligten  sieb  an  dem 
dortigen  Universitätsjubiläum  am  26.  April  1706  (I,  11)  durch 
ein  »allerunterthanigstes  Opfer«,  »welches  sie  auf  dem  Altar 
entflammter  Hertzen  in  heiliger  Andacht  anzünden  wollen«,  und 
am  12.  Juli  1707  bezeugten  »vier  Freyenwaldische  Brunnen- 
Gäste«  bei  »einem  angestellten  Bai  unter  der  Direction  des 
Herrn  Ober-Bau-Directors,  Herrn  von  Schlüter«  ihre  »unterthä- 
nigste  Devotion«  in  einigen  illuminierten  Sinnbildern,  die  dann 
deutsch  zu  einer  Arie  verarbeitet  wurden  (3,  21). 

Um  mein  Material  zu  erledigen^  doch  auch  schliesslich  zu 
erquicklicher  Abwechselung,  will  ich  hier  noch  eines  Gedichts 
von  56  Strophen  gedenken,  das  ganz  aus  dem  Kreise  der  an- 
dern heraustritt  und  eigentlich  gar  nicht  in  unsere  Miscellan- 
bände  gehörte,  obgleich  es,  wohl  schalkhaft,  die  Miene  an- 
nimmt, ebenfalls  dem  Könige  übergeben  zu  sein.  Es  ist  nur 
handschriftlich  erhalten  (1,  99)  und  führt  den  Titel:  Freudenss 
Bezeugungen  |  Per  Stadt  Bielefeldt  |  Bey  Seiner  Königlichen 
Majestät  I  Von  Preussen Cröhnungs-Tage  |  d.  1 8ien  Januarij  1 1 701 . 

1887.  6 


82     

Der  Text  ist  im  Volkston  voll  humoristischer  Züge.  — »Ein  Neues 
Lied  I  Im  Thon  |  Mein  lieber  Bruder  zürne  nicht«  i).  —  Sollte 
es  noch  nicht  gedruckt  sein,  was  ich  nicht  festzustellen  vermag, 
so  dürfte  es,  schon  aus  localem  Interesse  für  Bielefeld,  aber 
auch  wegen  des  frischen,  munteren,  harmlos  spottenden  Tons, 
der  in  ihm  herrscht,  wohl  verdienen,  veröffentlicht  zu  werden. 
Der  Anfang  lautet : 

Ach  kombt  herbey,  Ihr  Christen  Leut, 
Hört,  wass  ich  Euch  will  sagen  heut, 

Die  Ohren  spitzet  eben. 
Ein  Neues  Lied  hab  ich  gedieht, 
Dergleichen  ihr  gehöret  nicht 

In  Eurem  gantzen  Leben. 

2. 

0,  angenehmes  Bielefeldt, 

Du  bist  die  Zierd  der  gantzen  Welt, 

Ein  Ausszug  aller  Lüste. 
Du  bist  Westphalens  Paradeis, 
Die  andern  Slddt  in  diesem  Kreyss 

Seynd  gegen  Dir  nur  wüste. 


56. 

Kimb  an  diss  Lied,  Gnädiger  Heldt; 
In  Demuth  sich  Dein  Bielefeldt 

Gar  schön  recommandiret. 
Vivat  die  Gute  fromme  Stadt, 
So  lang  auss  Friedrichs  Erben  späht 

Jemand  den  Zepter  führet. 

Um  von  dem  Character  der  Darstellung  eine  Vorstellung  zu 
geben,  will  ich  noch  zwei  Strophen  folgen  lassen : 

9. 

Man  weite  draufT  drey  Stück  Geschütz 
Ziehn  auffden  Marckt,  so  wenig  nütz. 

Damit  zu  geben  Feuer. 
Doch  waren  keine  Räder  da, 
Der  Stadtraht  bey  der  Naass  her  sah, 

Guth  Rath  war  hier  sehr  tbeuer. 


1)  Anfang  eines  Gedichtes  vonCanitz,  Ged.  hrsg.  v.  König  47S7,S.218, 
»in  Knittel-Versen  zart«. 


83     

40. 

Die  Räder  der  Rentb-Meister  hat 
Grossmütig  bergegeben  drat 

Von  seinem  Cammer-Wagen. 
Drauff  wurden  plötzlich  auflf  den  Marck 
Die  Stücke  von  zehn  Kerlen  starck 

Gezogen  und  getragen, 
u.  s.  w. 


Wir  haben  oben  S.  53  diese  ganze  Poesie  als  schablonen- 
haft bezeichnet.  Ein  paar  eingehendere  Bemerkungen  mögen 
deutlich  machen,  in  wie  weit  dies  Urtheil  begründet  ist.  in  wie 
weit  nicht. 

Schon  die  Titel  zeigen  die  Schablone  und  den  gedunsenen 
Geschmack,  zu  dem  jene  Zeit  in  Prosa  und  Poesie  verirrt  war. 
Die  Drucke  sind  fast  stets  in  Grossfolio,  und  es  kam  nun  offen- 
bar darauf  an,  dass  die  Titelseite  möglichst  voll  mit  Schrift  be- 
deckt ward,  wobei  freilich  der  grosse  Druck  der  Namen  und  die 
Beifügung  aller  Titel  und  Würden  in  extenso  schon  ein  tüchtiges 
Stück  Raum  wegnahmen.  Wir  können  der  Hauptsache  nach  drei 
Titelformen,  drei  Typen,  unterscheiden. 

I.  Der  Titel  beginnt  mit  Als  und  Da  und  bildet  einen  ein- 
zigen Satz;  im  Vordersatze,  der  stets  der  lungere  ist,  wird  die 
Veranlassung  ausgedrückt ,  der  Nachsatz  nennt  den  allerunter- 
Ihänigsten  Knecht,  den  Dichter.   Also  z.  B. : 

Als  der*Allerdurchlauchtigste sich in  Königs- 
berg zu  einem  Könige  bOchst-feierlich  krönen  Hess:  Wolte 

[mit  Vorliebe  solte^),  hat  wollen  u.  ä.]  gegen  Se.  K.  Maj 

seine  ailerunterthänigste  Pflicht  [Devotion,  Aufwartung,  Gra- 
tulation u,  ä,]  allergehorsamst  ablegen  [abstatten,  hierdurch 
bezeugen  u.  ä,]  Dero  allerunterthänigster  Knecht 

Zuweilen  wird  der  Titel  der  angesungenen  Fürstlichkeit 
•dem  Satz  mit  Als  vorangeschoben,  z.  B. : 

Sr.  Kgl.  Maj da  Sie  durch  Güstrin  nach in  er- 
wünschtem Flor  reiseten,  solte  aus  unterth.  Devotion  Dero- 
selben  mit  hertzlicber  Andacht  allen  hohen  Segen  mit  auf  den 
Weg  wünschen  Sr.  Kgl.  M unterth.  Diener 

Man  begreift  wie  dies  Formular  in  infinitum  variiert  und  im 
Einzelnen  kunstvoll  noch  weiter  aufgeschwellt  werden  konnte. 

4)  Es  soll  dadurch  wohl  der  innere  Drang  aasgedrUckt  werden. 

6» 


84     

II.  Es  wird  der  Character  der  Schrift  gleich  als  Stichwort 
angedeutet,  an  welches  sich  dann  ein  Relativsatz  zu  schliessen 
pflegt,  z.  B. : 

AllerunterthHnigste  (-r,  -s)  Pflicht  [Pflicht  und  Schuldigkeit , 
Opfer  der  Schuldigkeit,  Aufwartung,  Freuden -BezeiguDg, 
Glücks-Zuruf,  Freuden-Zuruf,  Glückwunsch,  Mitfreude,  De- 
votion, Gratulation,  Demüthigste  Bewillkommnung  u,  ^.], 
Welche  (-n,  -s)  vor  dem  Königl.  Throne  des  Allerdurchlauch- 
tigsten allergehorsamst  abstatten  solte  [hat  leisten  sol- 
len, dargestellet,  zu  Füssen  leget  u.  ä,] 

Selten  einmal  kommt  ein  einfacher  Titel  vor,  wie : 

Triumph- und  Freuden-Lied,  womit  .....  allerunterthanigst 
glückwünschen  wolle 

Zuweilen  wird  auch  hier  die  Erwähnung  der  Majestät  vor- 
weg gesetzt,  also  z.  B. : 

An  Se.  Majestät  in  Pr demüthigst  abgestatteter  Glück- 
Wunsch  .  .  .  von  Sr.  Maj.  .  .  .  unterthänigsten,  Ireugehorsam- 
sten  Diener  und  Knecht 

Natürlich  kann  auch  in  diese  Titel  ein  Satz  mit  als  oder 
d  a  eingeschoben  werden  und  sie  so  noch  zierlicher  aufbauschen. 

III.  a.  Es  wird  der  Inhalt  der  Schrift,  sozusagen  das  Thema 
des  Dichtenden,  als  Titel  vorangesetzt,  in  möglichst  geschraub- 
tem Ausdruck,  auch  hier  in  einen  Satz  eingeflochten  oder  durch 
einen  Relativsatz  aufgenommen,  z.  B. : 

Die  Ursach  der  allgemeinen  Freuden-Bezeugung  bei  dem  hoch- 
ansehnlichen Aufbruch  Sr.  Maj wolle  .  .  .  demü- 
thigst vorstellen  .  .  . 

Die  Weise  Melchisedechs  solte in  tiefster 

Devotion  vorstellen  .  .  . 

Die  freudenvolle  Königliche  Weinlese  hat vorgestel- 

let  .  .  . 

Des  grossen  Brandenburgischen  Saiomons  von  Gott  selbst  ge- 
krönte Weissheit  und  Hoheit ,  welche  in  unterthänigster 
Pflichtschuldigkeit  ....  entwerfen  sollen  .  .  . 

.  Und  in  Form  eines  Reimes : 

Der  edle  Königs-Aar  Bringt  ein  beglücktes  Jahr,  Welches  .  .  . 


85     

Auch  hier  kann  ein  Salz  mit  als  eingeschoben  werden: 

Den  mit  vielem  Segen  gekrönten  Preussischen  Adler  wolle, 
als ,  betrachten  und  vorstellen  .  .  . 

Ich  füge  noch  einige  solcher  Titel  bei : 

Den  göttlich  widerumb  bekrönten  Adler Avolte  .  .  . 

Das  güldene  Kleinod  der  höchstbeglUckten  Preuss.  Krone  .  .  . 
Der  von  der  Tugend  entdeckte  neue  Kgl.  preussische  Ritter- 
Orden  .  .  . 

Der  immer  höhere  Flug  des  brandenburgischen  Adlers  .  .  . 
Die  Glückseligkeit  des  Hauses  Brandenburg  .  .  . 
Das  mit  Cron  und  Scepter  prangende  Preussen  .  .  . 

b.  Besonders  beliebt  sind  Titel,  in  denen  gleich  die  Stim- 
mung der  Thellnehmenden  zum  Ausdruck  kommt,  z.  B. : 

Das  jauchzende  Preussen  dem  AUerdurchlauchtigsten , 

Als  Se.  Kgl.  Maj ,  in  allerunterthUnigster  Pflicht 

und  Treue  fürgebildet  von  .  .  . 

Das  in  Freuden  jauchzende  preussische  Zion  .  .  . 
Das  gesegnete  und  befriedigte  Preussen  wolle,  als ,  vor- 
stellen .  .  . 

Das  glückselige  Berlin  bey  dem  allgemeinen  Frolocken 

in  allerunterthUnigster  Verehrung  vorgestellet  von  .  .  . 
Helden-Freude  der  neuen  Kgl.  preussischen  Ritterschaft  .  .  . 
Frolockendes  Echo,  welches  .  .  . 
Das  bestürzte  Preussen  (beim  Tode  der  Königin  1705)  .  .  . 

IV.  Gegenüber  diesen  Formeln,  von  denen  doch  die  unter 
III  aufgeführten  die  relativ  verständigeren  zu  sein  pflegen,  kom- 
men nur  selten  einfachere  und  natürliche  vor,  wie  z.  B. : 

Bei  derCrönung  der  AUerdurchlauchtigsten hathie- 

roit  seine  tiefste  Devotion  bezeugen  sollen  Ihro  Kgl.  Maj. 
AllerunterthUnigster  Knecht  .  .  . 

Auf  den  höchst-feieriichen  Einzug  Sr.  Kgl.  Maj in  Dero 

Residentz  Berlin  .  .  . 

Das  Königliche  Lob  des  Alierd in  tiefster  Unterthänig- 

keit glückwünschend  besungen  von  .  .  . 

Die  Königliche  Wiege  bei  Geburt  des  Prinzen  von  Or 

in  aller  Unterthänigkeit  besungen  von  ... 


86     

Oder  gar  ganz  einfach : 

Teutschlands  Freude  über  die  angenommene  Würde  seiner 
Majestät  des  Aller  D Königs  in  Preussen,  etc.  etc. 

Es  ist  nun  wohl  erkennbar,  dass  schon  in  den  wenigen  Jah- 
ren, die  wir^hier  übersehen,  eine  Wendung  zum  Bessern  sich 
geltend  macht,  und  in  den  Jahren  1710  und  4712  die  alten  For- 
meln nicht  mehr  so  flott,  wie  ehedem,  im  Gange  sind.  Chr.  Reu- 
ter hat  alle  3  Typen  verwandt  (vgl.  die  Bibliographie),  1  in  No.  6 
(1708),  II  in  No.  4  (1705),  Illa  in  No.  5  (1705),  lllb  in  No.  1 
(1703),  No.  3  (1705)  und  No.  7  1710).  No.  2  (1703)  kommt 
hier  nicht  in  Betracht.  Wir  werden  ihm  das  Lob  zuerkennen 
dürfen,  dass  er  sich  dem  Bombast  dieser  Titelungeheuer  soweit 
es  angänglich  schien,  zu  entziehen  gesucht  hat. 

Nicht  in  gleicherweise  Schablone  ist  die  äussere  Form, 
das  Yersmass.  Allerdings  überwiegt  weitaus  der  Alexandriner^ 
oft  in  langen  bindfadenartig  über  viele  Bogen  hin  sich  fortspin- 
nenden Reimen ;  in  seiner  sechsfüssigen  Länge  wohl  geeignet, 
ein  hohles  und  gedunsenes  Pathos  in  sich  aufzunehmen.  Zu- 
weilen erscheint  er  in  Strophenform  und  manchmal  mit  abwei- 
chendem Bhylhmus  am  Schlüsse  derselben,  namentlich  mit  Dac- 
tylen  oder  Anapästen  in  kürzeren  oder  längeren  Versen.  Aber 
sehr  oft  haben  die  Gedichte  doch  auch  schon  von  dem  Alexan- 
driner ganz  abgesehen.  Dies  ist  namentlich  der  Fall,  wo  das 
Gedicht  sangbar  sein  soll,  und  diese  Sangbarkeit  wird  gerade 
damals  nicht  selten  erstrebt.  Die  sog.  Musiken  waren  damals 
recht  an  der  Tagesordnung,  einfach  »eine  Music«  genannt,  oder 
Kirchen-Musiken,  Tafel-Musiken,  Abend-Musiken,  Nacht-Musi- 
ken, Freude-Musiken,  in  denen  bereits  die  Arien  eine  grosse 
Rolle  spielen.  Besonders  ist  dies  natürlich  der  Fall  in  den 
Singspielen.  Wer  einmal  über  die  Geschichte  der  populären 
Rhythmen  handeln  will ,  der  wird  in  den  von  mir  durchgenom- 
menen Bänden  viel  willkommenes  Material  finden.  Hier  sehe 
ich  davon  ab,  weiter  ins  Einzelne  einzugehen.  Chr.  Reuter  ist 
allen  diesen  Formen  gerecht  geworden.  Er  hat  lange  Alexan- 
drinerreihen gebaut  und  in  seinen  sangbaren  Gedichten  die 
mannigfachsten  Rhythmen  wechseln  lassen. 

Ist  die  Form  so  nicht  ohne  Mannigfaltigkeit,  so  ist  der  In- 
halt wieder  ohne  Hassen  eintönig  und  widerwärtig  schablonen- 
haft. Er  ist  meistens  nur  als  ein  rhetorisch  zusammengerechnetes 


87     

KuDStstück  anzusehen.  Keine  Schmeichelei  ist  grob  genug, 
kein  Vergleich  abgeschmackt  genug,  um  nicht  verwandt  zu  wer- 
den. Alles  ist  ohne  wirkliche  Herzensbetheiligung  und  ohne  in- 
dividuelle Kenntniss  der  Dinge  und  Personen  einfach  schema- 
tisch aufgebaut  und  zusammengebraut.  Friedrich,  der  Fürst  der 
Brennen ,  ist  der  grösste  Held  und  zugleich  der  Fürst  des  Frie- 
dens, er  ist  nur  der  Sonne  zu  vergleichen,  ist  der  Salomo  der 
Gegenwart,  er  war  als  ChurfUrst  ein  König,  jetzt  als  König  ist 
«r  ein  Gott  u'.  s.  w. ;  seine  Gattin  ist  ein  wahres  Wunder  ihrer 
Zeit,  die  Schönheit  selbst,  ihren  Anstand  vermag  keine  Feder 
zu  beschreiben,  sie  ist  zugleich  die  frömmste  Frau,  die  in  ihrem 
Herrn  seligst  entschlafen  ist  u.  s.  w.  Es  widert  an,  ein  organi- 
siertes System  der  Kriecherei  und  des  Servilismus  aufzustellen, 
wie  man  es  aus  den  Gedichten  könnte.  Man  sieht  es,  wie  der 
Dichter  sich  das  Gerüste  zusammen  gegrübelt  und  dann  darüber 
die  Draperie  seiner  Verse  geworfen  hat.  Reuter  hält  hier  eine 
wohlanständige  Mitte,  von  den  ärgsten  Unerträglichkeiten  hat 
er  sich  ganz  fern  gehalten  und  er  hat  sich  zu  keiner  wirklich 
wegwerfenden  Selbsterniedrigung  verstanden.  Das  wird  die 
folgende  Analyse  seiner  Werke  bestätigen. 

Die  hauptsächlichsten  Verleger,  oder  wohl  richtiger  Drucker 
dieser  Gedichte  in  der  Residenz  waren  vor  allen  Ulrich  Lieb- 
pert,  Königl.  Hofbuchdrucker  zu  Colin  a.  d.  Spree,  der  zu 
manchen  Tagen  wohl  ein  Dutzend  und  mehr  prachtvoll  ausge- 
statteter Schriften,  nicht  selten  viele  Bogen  stark,  zu  liefern 
hatte,  so  dass  man  vor  den  Mitteln  seines  Geschäftes  alle  Ach- 
tung bekommen  muss,  dann  Gotthardt  Schlechtiger,  auf 
dem  Friedrichs-Werder,  Joh.  W^essel  und  die  Wittwe  Saal- 
feld, beide  in  Berlin;  letztere  kommt  nur  anfangs  vor.  Nur 
einmal  finde  ich  Joh.  Mich.  Rüdiger  »unter  dem  Berlinischen 
Rathhause«  genannt,  etwas  öfter  Joh.  Lorentz,  beide  eben- 
falls in  Berlin.  Aber  jene  drei  Erstgenannten  hatten  diese 
ganze  Litteratur  hauptsächlich  in  Händen,  und  bei  ihnen  sind 
denn  auch  die  Arbeiten  Chr.  Reuter's  erschienen. 


88 


3.  Christian  Renter's  Werke. 

Wir  haben  auf  den  grossen  Unterschied  aufmerksam  ge- 
macht, der  zwischen  der  Kdnigsberger  und  meist  auch  der 
provinzialen  Ovationspoesie  auf  der  einen  Seite  und  der  haupt- 
städtischen auf  der  andern  sich  geltend  macht.  In  der  letzteren 
treten  die  soliden  Elemente  zurück,  das  Völkchen  der  Streber, 
der  Bettler,  der  fahrenden  Leute  drängt  sich  in  den  Vordergrund. 
In  den  Kreis  dieser  gehörte  auch,  wie  wir  schon  gesehen  haben, 
Chr.  Reuter.  Die  nachstehende  Analyse  seiner  Arbeiten  soll  es 
des  Näheren  darlegen. 

4]    4703  zum  18.  Januar. 

Die  I  Frolockende  Spree  |  Wolte  |  Bey  |  Sr.  Königl.  Majestät 
in  Preussen,  |  Und  |  ChurfUrstlichen  Durchlauchtigkeit  zu  | 
Brandenburg,  etc.  etc.  |  Abermahl  |  Hochfeyerlichen  |  Crö- 
nungs-  I  Feste,  |  Am  18.  Januarii  dieses  1703.  Jahres,  |  In 
einer  lustigen  |  Schiffer-MUSIC,  |  Allerunterthänigst  vorstellen,  | 
Christian  Reuter,  |  Jur.  U.  Candidat.  |  (langer  Strich)  [  Berlin 
auffm  Friderichs- Werder,  gedruckt  bey  Gotlh.  Schlechtigern. 

4  BU.  40.   In  meinem  Besitz. 

»Die  Spree«,  so  beginnt  der  Text,  »Praesentiret  bey  angehen- 
der Nacht  an  der  Königlichen  Burg  eine  lustige  Schiffarth  mit 
einer  Iltuminationa.  Wir  haben  uns  hiernach  den  Schauplatz 
auf  Spreekähnen  gegenüber  dem  Schlosse  zwischen  diesem  und 
der  Burgstrasse  in  der  Nähe  der  KurfUrstenbrttcke  zu  denken. 
Zweifelsohne  war  die  Musik  von  Reuter  selber ;  haben  wir  ihn 
doch  in  Leipzig  eine  ganze  Oper  componieren  sehen.  Der  »Chor 
der  Schiff  leute«  setzt  ein,  und  dies  Lied  zeigt  sogleich  von  Neuem 
das  Talent  seines  Verfassers  für  die  Bedürfnisse  der  Musik,  für 
Sangbarkeit  des  Textes : 

Lustig !  lustig  auff  der  Spree! 
Heute  müssen  wir  uns  freuen, 
Und  zu  Schiffe  Vivat  scbreyen !  i) 

Spielt  der  Himmel  gleich  mit  Schnee, 

Lustig,  lustig  auflf  der  Spree ! 

4)  So  war  der  Leipziger  Ausdruck.  Bei  den  Berliner  Dichtern  meine 
ich  nur  »Vivat  rufen«  gefunden  zuhaben. 


89     

Lustig,  lustig  auff  der  Spree ! 
Unsre  Arbeit,  unsre  Sorgen 
Sparen  wir  bis  auff  den  Morgen, 

Heute  sind  wir  ohne  Web. 

Lustig,  lustig  auff  der  Spree! 

Durch  diesen  Gesang  herbeigelockt,  tritt  Neptun  auf:  »So 
recht,  getreues  Volk ! ff ,  auch  er  wolle  das  Freudenfest  ehren, 
und  er  ruft  den  Nymphen  zu,  sich  einzustellen.  Der  »Chor  der 
Spree-Nymphen«  erscheint : 

Wir  sind  willig  und  bereit 

Allezeit 
Preussens  Könige  zu  dienen. 

Auf  Neptuns  Aufforderung  beginnen  dann  alle  einVivat  auf 

den  König. 

Vivat  König  Friederich! 
Friederich  des  Landes  Vater, 
Unser  Schutz  und  unser  Rather 

Lebe,  und  erfreue  Sich ! 

Vivat  König  Friederich ! 

Der  »Spree-Flusstt  der  ebenfalls  in  Person  auftritt,  wendet 
sich  mit  einer  Solo-Strophe  an  die  Königin,  Neptun  richtet  mit 
einer  solchen  seine  Wünsche  auf  —  nicht  an  —  den  Kron- 
prinzen, worauf  noch  einmal  Alle  gemeinsam  einfallen,  um  zum 
Schlüsse  wieder  den  König  leben  zu  lassen,  doch  mit  Einschluss 
der  Brandenburgischen  Helden : 

Vivat  König  Friederich! 
Friederich  und  Seine  Helden, 
Die  von  Brandenburg  sich  melden, 

Seyen  glücklich  ewiglich  I 

Vivat  König  Friederich ! 

In  dieser  Beschränkung  auf  die  Brandenburgiscben  Helden 
lag  eine  Genugthuung  für  die  Berliner,  denn  die  Königskrönung 
in  Königsberg  hatte  nicht  verfehlt,  einen  Schatten  auf  die 
Stimmung  der  märkischen  Hauptstadt  zu  werfen,  sie  mit  einiger 
Eifersucht  gegen  ihre  preussische  Rivalin  zu  erfüllen.  Man  sieht, 
wie  frisch  Reuter  in  die  Wirklichkeit  hineingrifT,  wie  er  denn 
gleich  in  der  ersten  Strophe  selbst  das  Schneegestöber  jener 
Tage  zu  verwerthen  vvusste.  Auch  noch  an  einer  andern  Stelle 
zeigt  sich  diese  Unmittelbarkeit  seiner  Anschauung.  Wenn  der 
Wunsch  an  die  Königin  lautet : 


90    

Lebe  Preussens  Königin  I 
Lebe  glücklich,  lebe  lange, 
Sey  befreyt  von  Noth  und  Zwange, 

so  möchte  man  auf  den  ersten  Blick  vermuthen ,  es  mit  einem 
erzwungenen  Reime  zu  thun  zu  haben,  also  mit  einer  gedanken- 
losen Phrase.  Aber  das  Gegentheil  ist  der  Fall.  Bekanntlich  war 
die  Königin  Sophie  Charlotte  eine  Feindin  der  Etikette,  sie  liebte 
dieUngebundenheit,  und  hatte  sich  um  deswillen  für  gewöhnlich 
nach  Lützenburg  zurückgezogen  <).  Wer  sich  die  Verhältnisse 
am  Hofe  jener  Zeit  vergegenwärtigt,  der  wird  bekennen,  dass 
diese  naive  Offenheit  fast  eine  Unvorsichtigkeit  genannt  werden 
durfte. 

Für  dieses  und  das  folgende  Musikstück,  wie  für  Nr.  7, 
finden  wir  die  nächste  Anlehnung  in  den  ähnlichen  Gedichten 
Benj.  Neukirch's,  z.  B.  in  dem  »Streit  des  alten  und  neuen 
Jahrhunderts,  bey  dem  Geburtsfeste  Sr.  Kgl.Maj.  inPreussen  etc. 
in  einer  Music  allerunterthänigst  vorgestellet  den  12.  Jul.  4704a 
(N.  Auserlesene  Gedichte,  4744,  S.  240) ;  oder  in  den  Sing- 
spielen »Das  in  einer  Musik  vorgestellte  Früh -Jahr  a  (ebenda 
S.  249),  und  »Der  in  einer  Musik  vorgestellte  Herbst«  (ebenda 
S.  254).  Auch  Neukirch's  »Die  bey  der  Vermählung  Sr.  Königl. 
Hoheit,  des  Preussischen  Kronprinzen  in  einer  Maskerade  vor- 
gestellten vier  Theile  der  Welt«  [ebenda  S.  245)  darf  hier  ange- 
zogen werden.  Auch  in  Anbetracht  der  Länge  vergleichen  sich 
Reuter's  Singspiele  mit  ihnen. 

2)    4703  zum  42.  Juli. 

MARS  und  IRENE  |  Wurde  |  Bey  dem  höchst-glücklich  erlebten  | 
Geburts-Feste  |  Sr.  Königl.  Majest.  |  inPreussen,  |  Am42.Julii 
dieses  4  703  ten  Jahres,  Auf  |  Ihrer  Majestät  der  Königin  |  hohes 
Anordnen,  |  Unter  der  Invention  und  Poesie  |  Christian  Reuters, 
Jur.  U.Studios.  |  Und  in  die  Music  gesetzt  |  Von  |  Attilio  Ariosti,  | 
Maitre  de  Musique  de  Sa  Majeste  la  Reine,  |  In  einem  |  Thea- 
tralischen Auffzuge  allerunterthänigst  vorgestellet  |  zur  |  Lützen- 
burg. I  (lange  Zierlinie)  |  Colin  an  der  Spree,  |  Druckts  Ulrich 
Liebpert,  Königl.  Preussischer  Hof-Buchdrucker. 


4)  Vgl.  die  Worte  in  dem  Briefe  der  Königin  an  die  Pöllnitz  vom  Jahre 
4  702:  que  d'ötiquettes  ä  obscrverl  ce  n'est  pas  que  je  haisse  le  faste,  mais 
je  le  voudrois  ind^pendant  de  la  g^ne. 


91     

4  BD.  fol.  Exemplare  in  Dresden,  Pinissioa,  Tom  IV.  S[o- 
phie]  Ch[arloUe],  Nr.  61 ;  Signatur:  Histor.  Boruss.  58;  und 
in  Berlin,  Vol.  panegyr.  3  in  Frider.  I,  Nr.  9.  Signatur: 
Su22. 

Man  muss  sich  bei  dem  Inhalte  des  Festspiels  erinnern, 
dass  damals  der  spanische  Erbfoigekrieg  zu  wüthen  begonnen 
hatte  und  eine  Anzahl  Preussischer  Regimenter  unter  dem  Be- 
fehl des  Fürsten  von  Dessau  im  Felde  stand  und  bereits  die  Blut- 
taufe empfangen  hatte.  Die  Spannung  war  noch  gesteigert 
worden  durch  die  seit  dem  März  4702  brennend  gewordene  ora** 
nische  Erbschaftsfrage,  die  Preussen  auch  mit  Holland  zu  ver- 
wickeln drohte.  Es  war  diese  Situation  um  so  unerwarteter,  als 
man  Friedrich  mit  Berufung  auf  seinen  Namen  als  einen  Friedens- 
helden xax  eEojfTQV  zu  feiern  gewohnt  war. 

DasStttck,  dessen  eigentliches  Thema  dieWiederherstellung 
des  Friedens  durch  den  König  ist,  wurde  aufgeführt  im  Garten 
des  Charlottenburger  (Lützenburgerj  Schlosses  der  Königin. 
»Der  Schauplatz  ist  ein  Lust- Wald.  Mars  praesentirt  sich  mit 
etlichen  Helden  in  einer  mit  allerhand  Kriegs-Rüstungen  aus- 
gezierten Maschine.  Irene  liegt  im  Walde  unter  einem  Palmen- 
Baum  und  schläft«.  Eine  kriegerische  Arie  beginnt  das  Spiel : 

Auf  zum  Waffen !  auf  zum  Waffen  1 1) 
Mars  will  selbst  zu  Felde  ziehn. 


Kreht  in  Europa  gleich 
Der  Hahn  an  vielen  Eckend), 
So  soll  er  doch  dem  teutschen  Reich 
Kein  Angst-Geschrei  erwecken. 
Auf  zum  Waffen  I  u.  s.  w. 

Darauf  beginnt  der  Kriegslärm,  die  Trommel  wird  gerührt 
und  »Lermen  geblasen«,  auch  werden  »etliche  Stücke  gelöseta. 
Davon  erwacht  Irene  und  ist  erschreckt ,  in  diesen  Friedens- 
Gräntzen  (wieder  eine  Anspielung  auf  den  Namen  des  Königs) 
blutige  Schwerter  glänzen  zu  sehen.    Mars  aber  tröstet  sie,  er 


1)  zum  n  zu  den ;  das  n  hat  sich  dem  folgenden  w  als  m  assimUiert, 
wie  z.  B.  in  empor,  empfinden  u.  ä.  Vielleicht  erklärt  sich  auch  so  die  Re- 
densart der  »ehrlichen  Frau«:  im  Wolken  (vgl.  Zarncke,  Chr.  R.  S.  32 
Anm.  4). 

2)  Von  solchen  Anspielungen  auf  den  französischen  »Hahn«  sind  fast 
alle  auf  die  kriegerischen  Vorgänge  jener  Jahre  bezüglichen  Gedichte  voll. 


92     

werde  die  Friedens-Götlin  in  den  Landen  ihresKönlgs  zu  schützen 

wissen : 

Ich  will  alle  Feinde  schlagen , 
Welche  Dir  zuwider  seyn ; 
Von  den  schweren  Krieges  Plagen 
Soll  Dich  meine  Macht  befreyn. 
Ich  will  alle  Feinde  schlagen 
u.  s.  w. 

Irene  beruhigt  sich,  spricht  in  einer  Arie  ihre  freudige 
Stimmung  aus,  »weil  dieses  Lust-Revier  auf  ewig  soll  ver- 
bleiben hier  Irenens  stete  Ruhe-Banck«.  Nach  einem  weiteren 
Gespräch  mit  Mars  will  dieser  aufbrechen,  es  wird  »zu  Felde 
geblasen«.  Da  hält  ihn  Irene  noch  einen  Augenblick  zurück, 
macht  ihn  auf  das  Geburtsfest  des  Königs  aufmerksam,  »weil 
heute  Preussens  König  die  Anzahl  seiner  Jahre  mehrt«,  und  bittet, 
ihm  auch  einen  Wunsch  zu  weihen.  Es  folgen  abwechselnd 
Soli  und  Chorgesang  mitWünschen  für  Sieg,  Frieden  und  langes 
Leben.    Schliesslich  Tutti  : 

Es  schütze  der  Himmel  die  Crone  von  Preusseo, 

Es  lebe  der  König  Zeit  Lebens  beglückt! 

Das  Freude-Fest,  welches  wir  heute  erblickt, 
Das  müssen  wir  vielmabl  willkommen  noch  heissen. 
Es  schütze  der  Himmel  u.  s.  w. 

Der  Königin  wird  nicht  gedacht,  weil  sie  ja  die  Veran- 
stalterin des  Festes  war. 

Die  Mannigfaltigkeit  der  Rhythmen,  die  unserm  Dichter  sein 
musicalisches  Talent  zur  Verfügung  stellte,  zeigt  sieh  auch  hier 
in  ansprechender  Weise. 

3)   1705  zum  18,  Januar. 


Das  I  Gltlckseelige   Brandenburg, 
Durchlauchtigste ,  Grossmächtigste 


Wolte ,  I  Als  I  Der  Aller- 
Fürst  und  Herr,  ]  Herr,  | 


Herr  Friderich,  |  König  in  Preussen,  |  etc.  etc.  etc.  |  Dero  aber- 


mahl höchst- glücklicherlebtes 


Crönungs-Fest , 


Am  XIIX.  Ja- 


nuarii  1705.  |  hochfeyerlich  celebrireten,  |  Hierdurch  zu  neuer 
Freude  anfmuntern  und  anbey  seine  aller  unterthünigste  Gra-  | 
tulation  folgender  masson  abstatten  |  Christian  Reuter,  Jur.  U. 
Candidat.  |  (lange  Zierleiste)  |  Berlin  aufm  Fridrichswerder, 
druckts  Gotth.  Schlechtiger,  Kön.  priv.  Buchdr. 


93     

2  BU.  fo].    Exemplar  in  Berlin,  Vol.  panegyr.  i  in  Frider. 
I,  Nr.  24.   Signatar:  Su  24. 

Es  sind  Alexandriner,  die  zu  6  Strophen  von  je  4  Versen  mit 
überschlagend  klingendem  und  stumpfem  Reim  gruppiert  sind : 

So  jauchzet  an  der  Spree,  Ihr  Friedrichs  Unterthanen  I 
Beglücktes  BraDdenburg,  sey  diesen  Tag  erfreut ! 

u.  s.  w. 

Die  wenn  auch  gehobene,  doch  einfache  und  phrasenlose 
Sprache  ist  auch  in  diesem  Gedicht  anzuerkennen,  übrigens  er- 
hebt es  sieh  kaum  über  die  Schablone  derartiger  Produkte.  Dass 
der  König  »den  grossen  Gott  zu  seiner  Stütze«  habe ,  wird  ge- 
priesen. Und  zum  Schlüsse  folgt  eine  Hinweisung  auf  des  Dichters 
Armuth,  hier  zum  ersten  Male: 

Und  weil  viel  tausend  Mann  bey  Dir  versorget  sitzen, 
So  hoOt  auf  Deine  Gnad'  auch  ein  getreuer  Knecht. 


4)    1705  zum  28.  Juni,  dem  Tage  der  Beisetzung  der  am 
i .  Februar  in  Hannover  verstorbenen  Königin. 

Letzter  Zuruff  |  Bey  |  Der  Königlichen  Trauer-Bahne,  ^)  |  Der 
Weyland  |  Allerdurchiauchtigslen ,  GrossmHchtigsten  (  Fürstin 
und  Frauen ,  Frauen  |  Sophien  Charlotten ,  Königinn  in 
Preussen,  etc.  |  Als  |  Dero  entseelter  Leichnam  Den  28.  Junii 
1705.  nach  der  Königlichen  GrufTt  gefahren  wurde,  |  Zu  einem 

Von  I  C. 


steten   Denckmahl  |  Allerunterth&nigst   gewidmet 
Reutern.  |  Berlin,  |  Druckts  Johann  Wesse 

6  Bll.  foL,  letzte  Seite  leer.  Exemplar  in  Berlin,  Sammel- 
band i>In  memoriam  Soph.  Charl.  reginaea,  signiert  Su  1020, 
Nr.  8.  Auch  handschriftlich  auf  dem  Berliner  Staatsarchiv 
(Repositur  94.  H.  9.  3.  xxx)  4B11.  lmp.4<>,  mit  Trauerrand,  in 
Silberschrift,  die  Initialen  sowie  einzelne  Worte  des  Textes 
in  Goldschrift,  die  kleinen  Buchstaben  ca.  1  cm  lang,  die 
Initialen  nahezu  2  cm.  Der  Titel  stimmt  auch  in  der  Abthei- 


1)  Nicht  »Bahre«,  vgl.  im  Gedicht:  »Indem,  zumahlen  heot,  auf  Hoher 
Trauer-Bahn  ( :  gedencken  dran)  Sehr  häufig  Zähren  noch  aus  Helden-Augen 
rinnen«.  Auch  sonst  findet  sich  der  Ausdruck  *  Trauerbahn«  in  gleichzei- 
tigen Drucken  noch  mehrmals. 


94     

.  lang  der  Zeilen,  mit  dem  Druck,  nur  fehlt  natürlich  die  An- 
gabe des  Druckers,  dafür  hat  sich  der  Schreiber  genannt:  »C. 
S.  Wolff  pinxit.tt  Für  »gefahren«  heisst  es  »geführeta. 

Es  sind  84  Alexandriner  mit  überschlagenden,  abwechselnd 
stumpfen  und  klingenden  Reimen.  Die  Anfangsbuchstaben  der 
Verse  geben  als  Acrostichon :  »Sophie  Charlotten  ist  der  Trauer- 
Weg  bereitet,  Worauif  sie  diesen  Tag  wird  nach  der  Grufft  be- 
gleitet«.  Strophenabtheilung  findet  sich  nicht.  Anfang: 

So  wird  nun  diesen  Tag  die  Grosse  Königtnn, 

0  Schmertz!  ach  allzufrüh!  zur  schwartzen  Gruft  begleitet? 

In  diesen  auf  den  Kothurn  geschraubten  Langversen  erkennt 
man  denDichter  kaum  wieder.  VonNolh  gedrangt,  scbloss  ersieh 
der  mit  Gelehrsamkeit  und  breiter  Ausführung  von  Trivialitäten 
prunkenden  Schreibweise  seiner  vornehmeren  Zeitgenossen  wohl 
nur  an,  weil  er  glaubte ,  dass  man  es  an  der  Stelle ,  an  die  er 
sich  wandte,  so  verlange.  In  seiner  Leipziger  Zeit  hätte  man 
manche  Versreihe  dieses  Gedichts  für  eitel  Satire  halten  müssen. 
Man  vergleiche : 

Hier  gilt  die  Hoheit  Nichts,  es  stirbt  so  wohl  der  Kayser 

Als  ein  gemeiner  Mann,  Exempel  hat  die  Zeit: 

Rom  zeigt  zum  Denckmahl  noch  viel  Grüffte  grosser  Leichen, 

Liegt  nicht  Augustus  dort  in  Asche  längst  zerstreut? 

Octavia  verwest?  und  andre  mehr  dergleichen  ; 

Trifft  solches,  wie  bekand,  doch  annoch  tilglich  ein. 


Ein  Beispiel  nehmen  wir  an  Friedrichs  Eh-Gemahl, 
Dass  Grosse  Hfiupter  auch  die  Welt  verlassen  müssen. 


Wir  gelten  in  der  Welt  nun  wenig  oder  viel, 

Jung,  Alt,  Reich  oder  Schön  muss  mit  dem  Tode  streiten. 

Nur  selten  ein  frischerer  Ausdruck,  wie : 

Todt,  Du  zertrennest  oft  ein  Königliches  Paar: 
Roth  heute,  morgen  todt,  so  heisset  Deine  Gnade. 


Beständig  bleibet  Nichts  auf  dieser  Kugel  stehen. 


Im  Augenblick  schreibt  sie  der  Tod  zu  seiner  Zahl, 
Es  macht  derselbe  sich  darüber  kein  Gewissen. 

Die  Vergänglichkeit  bleibt  das  nicht  endende  Thema  und 
der  Trost  ^  dass  die  Königin  eine  fromme  Christin  gewesen 


95     

sei,  was  denn  freilich  fttr  die  »philosophische  Königin«  wenig 

zutraf : 

Recht  ritterlich  bezwang  doch  Preussens  Königiao 
Den  allzufrühen  Tod  mit  ihren  Glaubens  WafTen. 


Es  bringt  Dein  Streben  Dir  den  ewigen  Gewinn, 

Thron,  Crone,  Seepter,  Reich,  die  weichen  Himmels-Schtttzen. 

5^    1705  zum  12.  Juli. 

Die  I  unter  dem  |  Leide  |  vermischte  |  Freude,  |  wolle  |  bey 
dem  abermahl  höchst  glücklich  {  erlebten  [  Hohen  Geburths-Feste  | 
Sr.  Königl.  Majestät  in  Preussen  p.  p.  [  am  12.  July  dieses 
1705ten  Jahres,  |  aus  aller  unterthänigster  |  Schuldigkeit  |  er- 
innern I  Christian  Reuter.  |  C.  S.  Wolff  |  pinxit. 

Nur  handschriftlich  auf  dem  Berliner  Staatsarchiv  erhalten 
(Repositur  94.  II.  G.  3.  yyy)  ,  2  BIl.  Imp.  4»,  in  Goldschrift 
auf  blauem  Papier;  auch  hier  die  kleinen  Buchstaben  ca. 
1  cm  lang,  die  Initialen  bis  zu  2  cm. 

Es  sind  nur  9  Alexandriner,  je  3  Verse  durch  gleichen 
stumpfen  Reim  gebunden;  alsAcrostichon  dienen  die  Buchstaben 
FR  (d.  i.  Fridericus  Rex] .  Ich  lasse  das  Ganze  folgen,  es  ist  ein- 
fach ein  Bittgesuch : 

Frolocke  Brandenburg!  Vergiss  das  grosse  Leid, 
Reiss  ietzt  den  Flor  hinweg,  es  hat  die  Frölichkeit 
Für  Deinen  Frioderich  ein  Freuden-Fest  bereit. 
Rühmt,  Preiset  diesen  Tag  den  Herrscher  in  der  Höh ! 
Friedrich,  Dein  Lebens-Schein  hemmt  heute  Schmertz  v.  weh. 
Rufft  Vivat  allzumabi !  an  Pregel,  Elb'  und  Spree, 
Freut  Euch,  der  König  lebt!  Du  grosser  Friederich, 
Regierst  Dein  Reich  durch  Recht,  der  Himmel  schütze  Dich. 
Friedrich,  nechst  Gott,  mein  Trost,  auff  Dich  verlass  ich  mich. 

6)   1708  zum  27.  November,  dem  Tage  des  Einzugs  der  dritten 
Gemahlin  König  Friedrichs,  der  Princess  Sophie  Louise  aus 

Schwerin. 

Als  I  Die  Allerdurchlauchtigste  |  Eäniginn  von  Preussen  etc.  etc. 
Sophia  Louyse,  |  Des  |  Allerdurchlauchtigsten  Grossmächtigsten 
Königes  von  Preussen  |  etc.  etc.  etc.    |   Hertzlich* geliebteste 
dritte  Gemahlinn,  |  Am  27.  November  1708.  |  Dero  Einzug  von 


96     

Schwerin,  |  nach  der  |  Königl.  Residentz-Stadt  Berlin  |  Hdchst* 
erfreulichst  hielten,  |  Selten  Höchst  -  gedachte  Königinn,  |  Aus 
Allerunterthänigster  Pflicht  und  Schuldigkeit  durch  fol-  |  gende 
Reime  be  willkommen :  |  Die  sämtlichen  Einwohner  |  dergantzen 
Stadt  I  Berlin.  |  (langerStrich)|  Berlin,  DrucktsGotthardSchlech- 
tiger,  Königl.  Preussisch.  priviL  Buchdrucker. 

2  Bll.  foi.  Exemplar  in  Dresden,  Prussica  Tom.  V,  S[ophia] 
Lfouise],  Nr.  24.    Signatur:  Bist.  Boruss.  55. 

5  Strophen  von  je  6  Alexandrinern ,  die  ersten  vier  mit 
überschlagenden,  abwechselnd  stumpfen  und  klingenden  Reimen, 
die  beiden  letzten  stumpf  und  auf  einander  reimend.    Anfang  : 

Zeuch,  grosse  Fürstin,  zeuch  in  Friedrichs  Zimmer  ein, 
Der  Preussen  König  heist  Dich  diesen  Tag  WiUlcommen 

u.  s.  w. 

Es  wird  nicht  verschwiegen,  dass  es  bereits  die  dritte  Ge- 
mahlin des  Königs  ist;   die  dritte  Strophe  referiert  ausführlich 

darüber : 

Es  war  Elisabeth  die  allererste  Zier, 
So  Dir,  Grossmächtigster,  vermöblet  ward  auff  Erden, 

Hernach  so  schickte  Gott  Sophie  Scbarlotten  Dir, 
Die  Deiner  Majestät  zu  Tbeile  musste  werden  ; 

Sophie  Louyse  soll  nun  auch  die  Dritte  seyn, 

Die  Dich,  Preisswürdigster  Menarche,  wird  erfreun. 

Man  sieht,  es  ist  Dutzendreimerei.  Nicht  besser  der  Schluss: 

Lebt  König  Friederich  mit  seiner  Königion, 
So  lebet  auch  Berlin  glückseelig  mit  Schwerin. 

Erst  am  Ende  unten  auf  der  Seite  nennt  sich  der  Verfasser : 
C.  Reuter. 

7)    1710  zum  12.  Juli. 

Das  Frolockende  |  Charlottenburg,  |  Bey  dem  |  Höchst -erfreu- 
lichen Hohen  |  Geburts-Feste  ]  Sr.  Königl.  Majestät  in  Preus- 
sen, etc.  etc.  I  Am  12.  Julii  dieses  1710ten  Jahres,  In  einer  | 
Musicalischen  Freuden -Bezeigung  |  Allerunterthänigst  vorge- 
stellet.  I  (lange  Zierleiste)  |  Colin  an  der  Spree,  |  Druckts  Ulrich 

Liebpert,  Königl.  Preuss.  Hof-Buchdr. 

4  Bll.  fol.  Exemplar  in  Berlin,  Vol.  panegyr.  3  in  Frider.  I, 
Nr.  47.  Signatur:  Su  22.   Die  gewöhnliche  Auflage,  obwohl 


97     

derselbe  Satz,  war  auf  etwas  weniger  breitem  Papier  herge- 
stellt und  ihr  Format  ist  nur  i^.  Ein  solches  Exemplar  be- 
findet sich  in  Dresden,  Pi*ussica  Tom  III.  (Frider.  I),  Nr.  49; 
Signatur:  Hist.  Boruss.  37.  —  Die  Ausstattung  ist  ungemein 
sauber  und  stattlich. 

Es  ist  dies  wieder  eine  Art  Singspiel.   Anfang: 

Auf  zum  Jauchzen  I  auf  zur  Freude  I 
Freue  dich  l  mein  Lust-Revier. 

»Charlottenburg«,  tiDle  sämmtlichenEinwohner  in  Charlotten- 
bürg«  und  »Der  Spree-Fluss«  oder  »Die  Spree«  treten  auf  und 
singen  einzeln  und  »Allea  den  König  an.  Die  beiden  Stücke  aus 
dem  Jahre  1703  haben  mehrfach  Ausdrücke  und  Gedanken  her- 
geben müssen ,  eine  Strophe  ist  so  gut  wie  identisch  mit  einer 
d^  oben  angeführten  aus  dem  Erönungsfestspiele : 

Vivat  König  Friederich  t 
Friedrich,  dieser  Lande  Vater, 
Unser  aller  Schutz  und  Rather, 
Lebe  und  erfreue  Sich  I 

Vivat  König  Friederich ! 

Übrigens  hat  man  doch  das  wohlthuende  Gefühl,  dass  der 
Dichter  wieder  mehr  in  seinem  Elemente  ist.  Die  Mannigfaltig- 
keit gutgewählter  Rhythmen  mit  mannigfach  verschränkten  Rei- 
men spricht  an.    So  gleich  der  Anfang : 

Charlottenburg : 
Auf  zum  Jauchzen !  auf  zur  Freude ! 
Freue  Dichl  mein  Lust-Revier; 

Auf,  Ihr  Friedrichs  Unterthanen ! 

Schwinget  heute  Freuden-Fahnen  1 
Lasset  diesen  Tag  mit  mir, 

Preussens  Könige  zu  Ehren, 

Ein  frolockend  Vivat  hören ! 

Denn  heute  ist  der  grosse  Freuden-Tag, 
Der  Tag,  da  Friedrich  ward  zur  Welt  gebohren, 
Den  Gott  zum  Könige  von  Anbegin  erkohren, 

Der  Tag,  da  Stadt  und  Land  frolocken  mag. 

Auch  hier  findet  sich  der  Name  des  Verfassers,  C.  Reuter, 
erst  am  Schlüsse  des  Gedichtes. 


4887. 


98 


[  8)    1708  zum  12.  Juli.   Von  Reuter?  ] 

Die  I  Unbeständig  -  Beständige  |  Spree -Schäferin  |  MIRAMIS,  | 
Wurde  [  Bey  dem  abermahl  Höchst-Glücklich  erlebeten  |  Geburts- 
Feste,  I  Sr.  Königl.Maj.  in  Preussen,  etc.  |  am  12ten  Julii  dieses 
1708. Jahres,  |  In  einem  |  Singe-Spiele  |  allerunlerlhänigstprae- 
sentiret  |  Zu  |  Berlin.  |  (lange  Zierleiste)  |  Gedruckt  bey 

Johann  Wessel. 

12  Bll.  4<>,  24  bez.  Seiten.    Exemplar  in  Dresden,  Prussiea 
Tom.  III  (Frider.  I)  Nr.  17.    Signatur:  Hist.  Boruss.  37. 

Ein  Schäferspiel ,  das  in  mancher  Beziehung  an  Reuter  er- 
innert, und  das  man  versucht  sein  möchte  ihm  zuzuweisen,  oT)- 
wohl  sein  Name  nirgends  angedeutet  ist. 

Der  Inhalt  ist  dieser.  An  der  Spree  lebt  ein  reicher  Schäfer, 
Palaemon,  dessen  einzige  Tochter  Miramis  heisst,  eine  Freundin 
derselben  Lydia.  Palaemon  hat  einen  »getreuen  Schaf-Meister«, 
Floreno,  der,  wie  zu  erwarten,  in  Miramis  verliebt  ist,  sich  auch 
ihrer  Gegenliebe  versichert  halten  darf,  und  vomVater  die  Tochter 
zugesprochen  erhalten  bat.  Da  kommt  Seladon,  »ein  ausländischer 
Schäffera,  und  gewinnt  das  Herz  der  Miramis,  die  sich  Über  ihren 
Treubruch  an  Floreno  durch  die  Behauptung  hinweghilft,  er  habe 
mit  Lydia  ein  Liebesverhältniss.  Dies  Verhältniss  ist  nun  frei- 
lich sehr  einseitiger  Art,  es  besteht  nur  auf  Lydia's  Seite,  Flo- 
reno hat  nicht  an  sie  gedacht,  obwohl  er  sie  zu  fliehen  keinen 
Grund  hat.  Man  begreift,  dass  am  Schlüsse  des  Stückes  Floreno 
und  Lydia  neben  Seladon  und  Miramis  ein  Paar  werden  und 
alle  Dissonanzen  eine  willkommene  Auflösung  finden. 

Aber  die  Handlung  des  Stückes  wird  noch  mannigfaltiger 
durch  die  Einflechtung  eines  Narrenpaares.  Das  ist  Dorido,  »des 
Palaemon  lustiger  Schafknecht a,  und  die  runzlige  Labelle,  »des 
Palaemon  alte  Hauss  Hofe-Meislerin«.  Dorido  ist  der  nur  zum 
Schäfer  umgekleidete  Harlequin  des  Stückes.  Er  ist  heimlich  in 
Lydia  verliebt,  auf  die  ihm  freilich  als  einem  »albernen  Thorenu 
die  Zuschauer  kein  Recht  gewähren ,  während  ihm  die  Labelle 
nachläuft  und  es  nicht  minder  eifrig  betreibt,  als  die  Ursel  mit 
dem  Harlequin  in  Reuter's  Hochzeit  schmaus.     Schliesslich  wird 


99     

auch  hier  der  Possenrelsser ,  nachdem  er  sich  an  einem  Baum 
hat  aufhängen  wollen,  wie  Harlequin  sich  erstechen  wollte,  ge- 
zwungen, die  von  ihm  Verabscheute  zur  Ehe  zu  nehmen.  Diese 
^farrenscenen ,  die  vielfach  genau  die  Situationen  aus  Reuter's 
Stück  wiederholen,  sind  sehr  drastisch,  undinihnen  vermeintman 
Reuter's  Art  und  Weise  Zug  fttr  Zug  wiederzuerkennen.  Einiges 
stimmt  selbst  wörtlich,  nur  ist  Alles  mehr  ins  Manierliche  über- 
tragen, wie  denn  Unfläthereien  und  Prügelscenen  ganz  fehlen. 
Vgl.  z.  B.  Miramis  S.  9  : 

Dorid.  Wie  werd  ich  doch  das  Ding  noch  karten, 
Dass  ich  das  alte  Murmellhier 
Von  mir  loss  werde  mit  Manier! 

mit  den  Worten  im  Hochzeitsschmause 

Harl.  Dass  mich  dieses  Murmelthier 
Bringet  an  das  Licht  herfür. 


In  der  Miramis  S.  33 :  Sonst  steckt  man  dich  ins  tieffste 
Hunde-Loch;  im  Hochzeitsschmause:  Schelm,  du  musst  ins 
Hundeloch.  U.  s.  w.  Auch  andere  Cbereinstimmungen  mit 
<^edichteB  Reuter's  ßnden  statt.  Als  die  Handlung  der  Miramis 
zu  Ende  ist,  tritt  noch  Pales  auf,  »die  Göttin  der  Schäfereien«, 
und  weist  auf  die  Bedeutung  des  Tages  hin  :  »Der  König  Fride- 
rich  Mehrt  heute  seiner  Jahre  Zahk,  womit  man  die  Worte  in 
dem  Spiel  »Mars  und  Irene«  vergleiche  :  »weil  heute  Preussens 
König  die  Anzahl  seiner  Jahre  mehrt«.  Auch  die  Worte  in  Mir. 
S.  24:  »Drum  mUsst  Ihr  .  .  .  meines  Hertzens-Wunsch  mit  mir 
ausschreyn«  möchte  man  für  Reuter  in  Anspruch  nehmen.  Vgl. 
die  Ausdrücke  in  Nr.  \  (zum  48!  Jan.  1703)  und  die  Anm. 

Dazu  kommt  die  ungemeine  Sangbarkeit  des  Textes.  Als 
<iie  Labelle  durchaus  einen  Kuss  von  Dorido  haben  will,  folgt 
<iie  »Aria»  in  Dactvlen: 

Mein  Schätzchen!  mein  Kätzchen!  mein  Mäasschenl  mein  Käutzchen! 

Mein  Schäfchen !  mein  Lämmchen  1  ich  habe  Dich  lieb ; 
So  küsse  mir  immer  mein  freundliches  Schnäutzchen, 

Und  sage  nicht  ferner:  ich  wäre  Dein  Dieb. 
Mein  Schätzchen I  mein  Kätzchen!  u.  s.  w. 

/  * 


100 


Und  später  in  Jamben : 


Du  hast  mein  Hertz  gestohlen, 
Wer  stiehlt,  wird  aufgehänckt ; 

Doch,  wenn  Du  mir  das  Deine 

Nur  giebest  vor  das  Meine, 
So  sey  die  Straffe  Dir  geschenckt. 

Du  hast  mein  Hertz  gestohlen, 
u.  s.  w. 


Und  in  trochäischen  Rhythmen,  als  Dorido  sich  aufhängen 
will: 

Gute  Nacht,  du  liebe  Heerde, 

Schafe,  Schweine,  Kälber,  Küh, 

Gute  Nacht!  du  schönes  Vieh, 
Weil  ichjetzo  sterben  werde; 

Gute  Nacht !  beweinet  mich ! 

Dorido  erhäncket  sich. 


ferner : 


Du  bist  mein,  Und  ich  bin  Dein ; 

Liebes  Schätzgen ! 

Cyper-Kätzgen ! 
Meines  Hertzens  Mondenschein, 
Du  bist  mein,  Und  ich  bin  Dein, 
u.  s.  w. 


4.    Anhang. 

Ich  benutze  die  Gelegenkeit  einige  Nachträge  zu  meiner 
Abhandlung  über  Christian  Reuter  zu  geben. 

1 .  Von  der  »Ehrlichen  Frau«  ist  die  Editio  princeps  durch 
die  Freundlichkeit  des  Hrn.  Dr.  Kant  in  meinen  Resitz  gelangt, 
leider  ohne  das  Titelblatt  und  das  Kupfer,  aber  noch  zusammen- 
hängend mit  den  beiden  Harlequinschmäusen,  die  die  Rerliner 
Ribliothek  allein  erhalten  hat.  Vgl.  meine  Abhandl.  S.  435. 
Der  Druck  enthält,  wie  vermuthet  ward,  die  Signaturen  Ä— (S, 
und  die  Rezifferung  bis  80.  Der  erste  Rogen  schliesst  mit  S.  44,  der 
zweite  beginnt  mit  S.4  7,  ohne  dass  etwas  dazwischen  fehlt.  Offen- 
bar enthielt  der  erste  ausser  dem  Titel  als  letztes  Rlatt  den  Kupfer* 
stich ,  der  vom  Ruchbinder  hier  entfernt  und  neben  den  Titel 
geklebt  ward ,  mit  dem  er  nun  gemeinsam  abgerissen  ist.    Die 


101     

Dedication  und  das  Widmungsgedicht  an  die  Studenten  ist  für 
sich  auf  2  Blätter  gedruckt  und,  mit  der  Signatur  )(  versehen, 
dem  Texte  vorgeklebt,  ein  neuer  Beweis,  dass  die  Dedication 
erst  während  des  Druckes  entstand,  wie  sie  denn  ja  auch  im 
Manuscript  im  8^  vorliegt,  während  das  Format  desselben  sonst 
4<>ist  (vgl.  a.  a.  0.,  S.  132). 

8.  Von  den  beiden  d Schmausen«  habe  ich  einen  neuen, 
wenig  spätem  Druck  o.  0.  und  J.  kennen  gelernt,  den  gegen- 
wärtig Herr  Fr.  Seh ....  in  Berlin  besitzt.  Dieser  ist  durch  einen 
Umstand  von  ganz  besonderem  Interesse.  In  dem  üochzeits- 
schmause  sind  bekanntlich  XVII  £ntr6es  gezählt,  während  nur 
46  vorhanden  sind  (vgl.  a.  a.  0.,S.  436  unter  c.},  indem  IV  fehlt. 
In  dem  erwähnten  aber  stehen  alle  4  7,  und  es  ergiebt  sich,  dass 
das  Sachverhältniss  dieses  ist :  es  fehlt  im  Druck  der  Text  zu 
Entr6e  III  und  die  Ziffer  IV  zu  der  jetzt  unter  III  gerathenen 
Scene.  Die  so  neu  aufgetauchte  Scene  ist  zweifellos  echt,  und 
sie  hat  von  Anfang  an  zu  dem  Stücke  gehört.  Dies  ergiebt  sich 
schlagend,  wenn  man  beachtet,  dass  es  am  Schlüsse  der  Entree  II 
von  Harlequin  heisst :  »(tritt  bei  Seiteja.  In  der  neugefundenen 
Entree  III  steht  er  wirklich  bei  Seite  und  behorcht,  wie  Laven- 
tin  mit  der  von  üarlequin  geliebten  Lisette  ein  Stelldichein  hat, 
während  in  Entree  IV  (jetzt  in  dem  Druck  unter  III]  Harlequin 
und  Ursel  offen  und  allein  auf  der  Bühne  sind.  Auch  beweist 
es  der  komische  Gegensatz.   In  Entr6e  II  schwört  Harlequin: 

Dem  Ersten,  den  ich  seh  bey  meiner  Liebsten  stehn, 

Dem  soll  ein  grimmig  Schwerdt  durch  Leib'  und  Seele  gehn, 

in  der  neugefundenen  Scene  III  passiert  ihm  dies  nun  sofort,  und 
er  muckst  sich  nicht,  sondern  stösst  nur  bei  Seite  eine  Ver- 
wünschung aus. 

Bestätigt  wird  dies  auch  durch  die  Wiener  Handschrift 
43287  (vgl.  a.  a.  0.,  S.  43,  Anm.  2).  Der  dort  handschriftlich 
erhaltene  Hochzeitsschmaus  enthält  richtig  die  47  Entrees,  und 
so  auch  unsere  Scene,  übereinstimmend,  mit  nur  einer  wich- 
tigeren Variante. 

Wie  ist  nun  dies  Vorkommniss  zu  erklären?  Gab  es  doch 
schon  Drucke ,  ehe  der  mit  der  Ehrlichen  Frau  und  mit  dem 
Kindbelterin-Schmaus  zusammenhängende  entstand?  und  liegt 


102     

eine  Fortsetzung  dieser  in  dem  Sch.'schen  Exemplar  vor?  oder 
bemerkte  man  den  Fehler,  und  entstanden  dann  corrigierte  Aus- 
gaben, deren  eine  der  neugefundene  Druck  ist?  Hier  kann  wohl 
nur  ein  glücklicher  Zufall  Entscheidung  bringen.  ^) 

3.  Die  Wiener  Handschrift  43287  enthält  ausser  dem  Hoch- 
zeitsschmause  auch  den  Kindbetterinschmaus.  Während  aber 
jener  mit  dem  Drucke  übereinstimmt,  ist  dieser  ein  ganz  anderes 
Stück,  und  zwar  so,  wie  man  es  eigentlich  erwarten  sollte.  Es 
ist  schon  von  mir  darauf  aufmerksam  gemacht  worden,  dass  die 
beiden  Schmause,  wie  sie  uns  in  den  Drucken  vorliegen,  nicht 
recht  zu  einander  passen.  Denn  im  Hochzeitsschmause  wird 
dem  Harlequin  die  Ursel,  die  er  verabscheut,  aufgedrängt,  und 
doch,  als  sie  dann  zu  früh  in  die  Wochen  kommt,  nimmt  er  es 
auf  sich  und  zahlt  Strafe ,  ohne  dass  irgend  ein  Verdacht  ge- 
äussert wird,  dass  er  nicht  der  Vater  sei.  Auch  ist  der  Hoch- 
zeitsschmaus  in  17  Entrees,  der  Kindbetterinschmaus  in  Acte 
und  Scenen  getheiit.  Beide  Bedenken  entfallen  vollständig  bei 
der  handschriftlich  erhaltenen  Gestalt.  Hier  dreht  sich  Alles  um 
Harlequin  als  Hahnrei,  wie  schon  der  Titel  beweist:  »Harle- 
qvins  |  frühzeitiger  und  unverhofller  |  Kind-TaufiFen-Schmaus«. 
Auch  ist  dies  Stück,  wie  der  Hochzeitsschmaus,  in  17  Entrees 
getheiit.  An  Witz  freilich  steht  es  hinter  dem  gedruckten 
zurück. 

Zum  Abdruck  scheint  dies  Stück  der  Wiener  Handschrift 
gar  nicht  gelangt  zu  sein.  Wie  aber  hat  man  sich  das  Verhält- 
niss  der  Bearbeitungen  zu  denken?  Ward  einfach  der  hand- 
schriftliche Kindtaufenschmaus  durch  den  witzigeren  aber  keinen 
Anschluss  bietenden  verdrängt?  oder  war  etwa  der  gedruckte 
Kindbetterinschmaus  das  zuerst  gedruckte  Stück ,  zu  dem  dann 
der  Hochzeitsschmaus  als  Vorstück  gedichtet  wurde,  wobei  man 
sich  der  reicheren  Fülle  des  Witzes  wegen  über  den  mangelnden 
Anschluss  hinwegsetzte,  und  wurde  dann  zwecks  dieses  An- 
schlusses das  handschriftlich  erhaltene  Stück  hinzugedichtet. 


i)  Das  Vorhandensein  dieser  Scene  (Entr^e  III)  scheint  mit  der  Be- 
nennung »Der  singende  Harleqain«  zusammenzugehören.  Dieser  Name 
kommt  in  der  Wiener  Handschrift  wie  in  dem  Sch/schen  Drucke  vor, 
in  letzlerem  nicht  auf  dem  Haupttitel ,  aber  oberhalb  der  Aufzählung  der 
Personen. 


103     

von  dessen  Abdruck  man  aber  absah,  da  es  sich  mit  dem  bereits 
gedruckt  vorhandenen  nicht  messen  konnte  ?  Man  beachte  auch, 
dass  anfangs  nur  von  6inem  Nachspiel  die  Rede  gewesen  war 
und  dabei  von  Reuter  gesagt  ward,  er  hatte  gedacht,  dass  er 
diese  Comödie  »vermehren  a  wolle.  Vgl.  die  Aussage  von  Bahr 
(a.  a.  0.  S.  153). 

4.  NachHayn,  Biblioth.  Germ.  Erolica  S.  106  wäre  der 
Druck  des  Hochzeitsschmauses  (Haarburg  o.  J.],  den  ich  S.  136 
unter  c  aufführe,  In  Baudissin  bei  Dav.  Richter  um  1705,  und 
nach  eben  demselben  die  beiden  bei  mir  a.  a.  0.. unter  e  und  f 
aufgeftlhrten  Drucke  (Freywaldl  730  u.  1735)  in  Leipzig  bei  Aug. 
Martini  erschienen. 

5.  In  einem  jetzt  von  mir  erworbenen  Exemplar  des  Schel- 
muffsky,  Frankfurt  und  Leipzig  1750,  befinden  sich  die  auf  dem 
Titel  desselben  genannten  beiden  Schauspiele  auch  mit  ihm  zu- 
sammengebunden, doch,  wie  in  den  übrigen  erhaltenen  Exem- 
plaren, selbststSlndig  beziffert,  also  ganz  wie  es  vermuthet 
worden  war. 

6.  Die  beiden  Stellen ,  an  denen  in  der  handschriftlichen 
Chronik  des  Dethlev  Dreyer  der  Name  Schelmuffsky  vorkommt 
(vgl.  meineAbhandlung  S.  31 ,  Anm.  3),  waren  bereits  vonBober- 
tag  in  seiner  Geschichte  des  Romans  II,  2,  S.  151  nachgewiesen. 
Sie  stehen  in  der  Handschrift  S.  260  und  660. 

7.  Über  den  Stammvater  des  Geschlechts  der  Eustachius 
Müller  im  rothen  Löwen  zu  Leipzig  theilt  mir  Herr  Dr.  KirchhofT 
noch  einige  Züge  mit,  die  beweisen,  dass  es  ein  gewaltthätiger 
und  wilder  Geselle  war,  wovon  in  seinem  Geschlechte  noch 
Einiges  nachspuken  mochte.  Im  Kummerbuch  der  Stadt  Leipzig 
vom  Jahr  1561  heisst  es: 

»39  Detzember  hatt  Slachius  Müller  Scbwarczferwerer  zur  strafT 
geben  2  fl.,  das  er  eyn  Meydelleyn  ins  wasser  geworffen«. 

[Unterm  S8.  April  biess  es:  »von  Mertben  Müller  Scbwarcz- 
ferwer  4  0  gl.  6  A,  das  er  Gregor  Scbindeller  in  Arm  gestocben«. 
War  das  derselbe?) 


104     

Und  1563: 

»U.  April,  Eustachius  Müller  Schwarczferber  alhie  ddt.  20  gl« 
darum  das  er  seinen  gesellen  braun  und  blau  geschlagen a. 

Im  Jahr  1564  ist  auch  ihm  einmal  zu  nahe  getreten: 

»WolfT  Mercker  zur  Straff  geben  4  0  gl.,  das  er  Eustachium  den 
Sch^arczferwer  geschmebet«. 


INHALT. 


S«ite 

(hreizenach,  Studien  znr  GeBchicfate  der  dramatischen  Poesie 
im  17.  Jahrhundert.  II 1 

Zarncke,  Weitere  Mittheilungen  über  Christian  Reuter,  den 
Verfasser  des  Schelmuffsky 44 


Druck  von  Breitkopf  ä  H&rtel  in  Leipzig 


•i;A.>  ' 


BERICHTE 


ÜBER  DIK 


VERHANDLUNGEN 


DER  KÖNIGLICH  SÄCHSISCHEN 


CiESELLSC^HAFT  DER  WISSENSCHAFTEN 


ZU  LEIPZIG. 


PHILOLOGISCH-HISTORISCHE  CLA8SE 


1887. 


IL  III. 


HIT  FONF  tafeln. 


'  i  LEIPZIG 

BEI    8     HIRZEL. 
1887. 


\ 


<• 


\ 


ÖFFENTLICHE  GESAMMTSITZUNG 

AM  23.  APRIL  1887 
ZUR  FEIER  DES  GEBURTSTAGES  SR.  MAJESTÄT  DES  KÖNIGS. 


Herr  Zarncke  legte  einen  Aufsatz  des  am  persönlichen 
Erscheinen  verhinderten  Mitglieds,  Herrn  Beinhold  Köhler  in 
Weimar,  vor  über  Herders  Legenden  r>Die  ewge  Weisheik  und 
nDer  Friedensstifter^^  und  ihre  Quellen, 

Weder  Heinrich  Dtintzer,  noch  Carl  Redlich,  noch  Hans 
Lambel  haben  in  ihren  Ausgaben  der  »Legenden«  Herders  die 
Quelle  der  schönen  Legende  »Die  ewge  Weisheit«  nachzu- 
weisen vermocht.  Merkwürdig  ,  dass  keiner  der  drei  Heraus- 
geber durch  den  Titel  der  Legende  und  durch  den  Namen  ihres 
Helden  »Amandus«  an  den  berühmten  Mystiker  Heinrich  Suso 
oder  Seuse,  genannt  Amandus,  den  Verfasser  des  Büchleins  von 
der  ewigen  Weisheit,  erinnert  worden  und  so  darauf  gekom- 
men ist,  in  Susos  Leben  die  Quelle  der  Legende  zu  suchen. 

Bekanntlich  ist  Susos  Leben  von  seiner  geistlichen  Tochter, 
der  Dominikanerin  Elsbeth  Stagel  (Staglin,  Stäglin]  nach  seinen 
eigenen  Mittheilungen  beschrieben  und  dann  von  ihm  selbst 
durchgesehen  und  vervollständigt  worden. 

Man  braucht  nur  flüchtig  irgend  eine  Ausgabe  oder  einen 
Auszug  dieser  Lebensbeschreibung  zu  vergleichen,  und  man 
wird  bald  finden,  dass  Herders  Legende  dem  Leben  Susos  nach- 
gedichtet ist. 

Es  ist  deshalb  sehr  wahrscheinlich,  dass  das  Abhängig- 
keitsverhältnis der  Legende  Herders  von  Susos  Leben  manchen 
Gelehrten  und  Litteraturfreunden  längst  bekannt  ist  oder  ge- 
wesen ist,  ich  kann  jedoch  zur  Zeit  nur  zwei  Belege  für  solches 
Bekanntsein  beibringen.  Am  Schluss  von  Melchior  Diepenbrocks 
Vorbericht  zu  seiner  Erneuerung  von  »Heinrich  Suso's,  genannt 
Amandus,  Leben  und  Schriften«  (zuerst  Regensburg  1829  er- 
schienen) ist  Herders  Legende  abgedruckt,  und  folgende  Worte 

4887.  8 


106     

sind  vorausgeschickt:  »Folgendes  sinnige  Gedicht  auf  Suso, 
von  einem  unserer  ersten  Dichter ,  möge  hier  noch  eine  Stelle 
fmden.oc  Und  Ferdinand  Vetler  theilt  in  seinem  Vortrag  »Ein 
Mystikerpaar  des  vierzehnten  Jahrhunderts.  Schwester  Eis- 
beth  Stagel  in  Töss  und  Vater  Amandus  (Suso)  in  Konstanz« 
(Basel  1882),  S.  30,  eine  längere  Stelle  aus  Herders  Legende 
mit  und  bemerkt  dazu,  so  habe  »Herder,  geschickt  in  jeder 
Hülle  die  Goldkörner  wahrer  Poesie  zu  erkennen,  in  einer  seiner 
schönsten  Legenden,  zum  Theil  mit  den  Worten  unserer  [d.  i. 
der  Susoschen]  Lebensbeschreibung«  die  dem  Suso  gew^ordene 
Erscheinung  der  ewigen  Weisheit  geschildert.  ^ 

Woher  aber  —  so  fragte  ich  mich,  als  ich  vor  einiger  Zeit 
das  Verhültniss  unserer  Legende  zu  Susos  Lebensbeschreibung 
naher  ins  Auge  fasste  —  woher  und  in  welcher  Gestalt  kannte 
Herder  Susos  Leben?  Weder  die  beiden  seltenen  allen  Augs- 
burger Ausgaben  von  Susos  Leben  und  Schriften  (1482  und 
1512),  noch  des  Surius  lateinische  Übersetzung,  noch  Über- 
setzungen in  andere  Sprachen  scheinen  ihm  zu  Gebole  gestan- 
den zu  haben,  denn  weder  er  selbst  —  nach  dem  Auktions- 
katalog seiner  hinterlassenen  Bibliothek')  zu  urtheilen  —  besass 
sie,  noch  fand  er  sie  auf  der  Fürstlichen  Bibliothek  in  Weimar 
vor.  Ich  glaubte  also  nach  einem  ausführlichen  Auszug  oder 
einer  Bearbeitung  von  Susos  Leben  suchen  zu  müssen,  die  Her- 
der benutzt  haben  konnte.  Diepenbrocks  Vorbericht  S.  XII  und 
XXI  brachte  mich  bald  auf  die  richtige  Spur,  indem  ich  durch 
ihn  hingewiesen  wurde  auf  des  Karthäusers  Heinrich  Murer 
»Hei  vetia  Sancta,  seu  Paradisus  sanclorum  Helvetiie  florum; 
D.  i.  Ein  Heyliger  lustiger  Blumen- Garten  vnnd  Paradeisz  der 
Heyligenff,  Lucern  1648.    In  diesem  Buche,  welches  Herder  dem 


4)  Bibliotheca  Herderiana.  Vimarine  1804.  80.  In  dem  der  weimari- 
schen Bibliothek  gehörigen  Exemplar  dieses  Kataloges  sind  die  Preise,  wo- 
für die  einzelnen  Bücher  verkauft  worden  sind,  handschriftlich  einge- 
tragen, und  von  Vulpius  Hand  findet  sich  auf  der  inncrn  Seite  des  vordem 
Einbanddeckels  folgende  interessante  Notiz: 

Die  Preisse,  für  welche  die  Bücher  dieser  Bibliothek  weggegangen 
sind,  dürften  schwerlich  bei  einer  Bücher-Auktion  wieder  vorkommen;  und 
desshalb  ist  sie  merkwürdig.  Die  grössten  Commissionen,  ohne  Proiss- 
kenntnisse, waren  von  der  neuen  Universität  Dorpat  da,  die  für  800  Tbl. 
Bücher  erhielt,  welche  aber  nie  dahin  gekommen,  sondern  mit  dem  Lü- 
becker SchifTe  verunglückt,  und  mit  Mann  und  Maus  untergegangen  sind. 
Notirtd.  «1.  Febr.  4806.  Vs. 


107     

eben  erwähnten  Auktionskataiog  nach  nicht  selbst  besessen 
hat,  welches  ihm  aber  aus  der  weimarischen  Bibliothek  zugäng- 
lich war,  handeln  S.  345 — 46  »Von  dem  Leben,  Wandel  und 
Sterben  des  Gottseligen  und  hocherleuchten  Vaters  Amandi, 
sonsten  Ilenrici  Susonis,  Prediger  Ordens«,  und  hierin  haben 
wir,  wie  die  zahlreichen  wörtlichen  und  fast  wörtlichen  Über- 
einstimmungen und  Anklänge  zweifellos  ergeben,  die  unmittel- 
bare Quelle  von  Herders  »Ewger  Weisheit.« 

Mein  Suchen  in  der  Helvetia  Sancta  ist  aber  noch  durch 
einen  zweiten  Quellenfund  zu  Herders  Legenden  belohnt  wor- 
den :  die  in  der  Helvetia  Sancta  S.  387—404  enthaltene  Lebens- 
beschreibung des  Bruders  Claus  (»Von  dem  wunderbarlichen 
Leben,  Beruf  und  Gottseligen  Sterben  Nicolai  von  FlUe,  Ein- 
sidlers  und  Landmanns  zu  Underwalden ,  den  man  in  das  ge- 
mein nennt  Bruder  Claust)  ist  die  Quelle  der  Legende  »Der 
Friedensstifter.« 

Letztere  Legende  folgt  in  den  »Zerstreuten  Bluttemc,  in 
deren  sechsler  Sammlung  bekanntlieh  die  meisten  Herderschen 
Legenden  zuerst  erschienen  sind^  unmittelbar  auf  die  Legende 
»Die  ewge  Weisheit«,  höchst  wahrscheinlich  weil  Herder  die 
beiden  demselben  Werke  entnommenen  Legenden  auch  nach 
einander  bearbeitet  haben  wird. 

Damit  nun  die  Leser  gleich  selbst  bequem  sehen,  was  Herder 
aus  seinen  Quellen  benutzt  und  wie  er  es  benutzt  hat,  lasse  ich  die 
beiden  Legenden  in  einzelne  Abschnitte  gctheilt  und  hinter  jedem 
Abschnitte  die  benutzten  Stellen  der  Helvetia  Sancta  folgen. 

I.   Die  ewge  Weisheit. 

Von  allem  Schönen  wählt'  Amandu$  sich 
Das  Schönste  nur;  und  also  kam  er  bald 
Vom  Tand'  hinweg  zur  frohen  Einsamkeit. 
Dann  sprach  er  oft,  wenn  er  vom  Weltgeräusch 
5  Zurückkam  in  sich  selbst:  »o  hättest  du 
Nicht  Dies  und  Das  gesehen  und  gehört, 
So  wäre  jetzt  dein  Herz  nicht  so  betrübt.« 

Vgl.  Helv.  Sancta  346,  7— H.i) 
Wann  er  zu  seinen  Mitbrüdern  käme  sich  zn  belustigen ,  müsste  er 
vi]  hören  und  sehen  von  seiner  angenommnen  neuen  Weis  zuleben ,  dass 

4]  Die  Rechtschreibung  der  Helvetia  Sancta  habe  ich  nicht  durchaus 
beibehalten,  ich  habe  sie  vielmehr  in  vielen  Fällen  geregelt  und  verein- 
st 


108 

er  gemeiniglich  mit  betrübtem  und  unruhigem  Herzen  in  seine  Cell  kehrte, 
sprechende  zu  ihm  selber:  Wäresiu  nicht  dahin  gangen,  so  häUestu  das 
nicht  gehört,  noch  das  ander  gesehen^  und  dein  Herz  nicht  betrübt  gemacht. 


EiDst  zeigete  sich  ihm,  was  keine  Zung' 
Aussprechen  kann.    »Ist  Das  nicht  Himmelreich 
10   Und  Wonne?  sprach  er.     Alles  Leiden  mag 
Die  Freude  nicht  verdienen.«  — 

Vgl.  H.  S.  34  6,  4«— 84. 

Als  nun  der  H.  Amandus  mit  solchen  innerlichen  Streiten  und  Be« 
Irübnussen  heftig  beladen  ^ar,  begäbe  es  sich  zu  einer  Zeit,  dass  er  an  5. 
Agnesen  der  H.  Jungfrauen  und  MarlyrinTag,  nach  dem  Mittagessen  allein 
in  dem  Chor  in  den  underen  Stülen  auf  der  rechten  Hand  voller  Kummer 
und  Leiden  stunde,  und  niemands  bei  ihm  wäre,  da  wurde  sein  Seel  ver- 
zucket, sähe  und  hörte  solche  Sachen,  welche  kein  Zung  könnte  aussprechen, 
also  dass  er  hernach  spräche :  Ist  das  nicht  das  Himmelreich ,  so  weiss  ich 
nicht  was  das  Himmelreich  ist,  dann  alles  Leiden  discr  Welt  mag  dise 
Freud  nicht  verdienen.  Dise  Verzückung  wehrete  eine  halbe  oder  ganze 
Stund.  

Ihm  erschien 
Die  Schönheit  alles  Schönen,  in  Gestalt 
Der  c  w  g  e  n  W  e  i  s  h  e  i  t.    Wie  der  Morgenstern 
Trat  sie  hervor  und  ward  zur  Morgenröthe, 

15   Zur  Morgensonne.    Die  Unsterblichkeit 

War  ihre  Krön';  ihr  Kleid  die  Anmuth.    Süss 
Und  Huldreich  sprach  ihr  Mund ;  und  Sie,  sie  war 
Der  Freuden  Freude,  die  Allgnugsamkeit. 

Sie  schien  ihm  nah  und  fern,  von  allem  Hohen 

20  Das  Höchste,  und  von  allem  Innigen 
Das  Innigste,  der  Schöpfung  Meisterinn, 
Die  sie  in  zarter  Milde  streng  regiert. 
Mit  süssester  Gebehrde  sprach  sie:  »Sohn  1 
Gib  mir  dein  Herz.« 

Vgl.  H.  S.  846,  12  v.u.,  347,  9. 

Er  hatte  von  Jugend  auf  ein  liebreich  Herz.  Die  ewige  Weisheit  aber 
vergleichet  sich  in  der  H.  Schrift  einer  Liebhaberin ,  die  sich  schön  zieret, 
schmücket  und  liebreich  redet,  damit  sie  den  Herzen  ihrer  Liebhaber  ge- 
fallen ,  und  die  böse  und  eigensinnige  Liebe  ausreuten  und  underlrucken 
könne.    Sie  zeigt  auch  under  andern,  wie  unbeständig  die  unreine  Liebe, 


facht  und  immer  i  und  u  gesetzt,  wo  jene  dafür  >  oder  y  und  v  oder  w  hat. 
Auch  die  Intcrpunction  habe  ich  öfters  geändert. 


J 


109     

und  hingegen  boscliroibet  sie,  wie  fest  und  nulzlich  die  GölUielio  und  gei&tr* 
liehe  Freundschaft  seie.  Als  nun  der  H.  Amandus  dise  und  andere  der 
ewigen  Weisheit  Bücher  horte  lesen,  gedachte  er,  wie  er  dise  liohe  Lieb- 
liaberin  zu  einer  Gespons  möchte  beiiomiuon,  von  der  er  so  grosso  Wunder 
horte  sagen  und  lesen ,  weil  doch  sein  junges  Gemuht  oho  ein  sonderbare 
Lieb  in  die  Llingo  nicht  möchte  verharren.  Also  gescbabo  es  zu  einer  Zeit, 
da  er  sich  in  der  Weisheit  Bücher  belustigte,  dass  sie  sich  in  einem  Gesicht 
ihme  erzeigte,  sie  schwebcte  hoch  in  einer  Hechten  Wolken,  sie  leuchlele 
als  der  Morgenstern  und  scheineU  als  die  aufstehende  Sonn,  ihr  Oron  war  die 
Ewigkeit  t  ihr  Kleid  die  Seligkeit,  .ihr  Wort  die  Süssigkeit,  ihr  Umbfang  alles 
Lustes  Genugsarnbkeit  und  i'berßuss,  sie  war  weit  und  nahe,  hoch  und  nider, 
sie  war  gegenwärtig  und  doch  verborgen,  sie  Hesse  mit  ihr  umbgehcn  und 
liebkosen,  es  möchte  doch  sie  niemand  begreifen,  sie  erhübe  sich  über  das 
höchste  des  Himmels,  und  berührole  die  Tiefe  des  Abgrunds,  sie  ersprei- 
tete sich  von  einem  End  zu  dem  anderen  gewaUiglich,  und  richtet  aus  alle 
Ding  süssiglich.  Sie  erzeigte  sich  als  ein  weise  Meisterin  lieblich,  und 
Sprache  zu  ihm  miltiglich:  Praebe  tili  cor  tuum  mihi,  gib  mir  dein  Herz 
mein  Kind.  Da  neigeto  sich  der  Vatter  Amand  tief  zu  ihren  Füssen,  und 
dankcte  der  ewigen  Weisheit  aus  seines  Herzens  Grund ,  damit  name  dise 
Erscheinung  ein  End,  und  verliesse  ihne  voller  Trosts. 


»0  drücke  mir  dich  selbst, 
Dich  .selbst  ins  Uerz,  dnss  jeder  Busenschlag 
Es  heb'  und  mich  erinnre,  dass  ich  Dich, 
Nur  Dich  in  Allem  seh.« 


25 


Vgl.  H.  S.  317,  Gap.  3,  1-25. 

Eben  zu  discn  Zeiten  war  ein  übermässige  Peursflamroen  in  des  S. 
Susonis  Herz  angezündet  worden  ,  dass  es  in  der  Göttlichen  Liebe  branne. 
Deswegen  als  dises  Feur  auf  ein  Zeit  stark  zugenommen  hätte,  gienge  er 
in  sein  Cell  an  ein  heimbliche  Statt ,  käme  in  ein  schöne  Betrachtung,  und 
sprach  also :  Ach  ewiger  Gott,  könnte  ich  etwas  anmühtiges  gedenken,  dass 
ein  ewiges  Zeichen  der  Liebe  wöre  zwischen  mir  und  dir,  zu  einem  Ur- 
kund,  dass  ich  deines  und  du  meines  Herzen  ewiger  Schatz  und  Liebe 
wärest,  dass  kein  Vergessenheit  oder  Mensch  nicht  vertilgen  möchte.  In 
disen  innbiünsUgen  Gedanken  entblösste  er  sein  Herz ,  name  einen  Griffel 
in  die  Hand,  sähe  sein  Herz  an  und  spräche:  AUmächtiger  Gott,  verleihe 
mir  in  disem  Tag  Kraft  und  Stärke,  dass  ich  mein  Begierd  möge  vollbringen, 
dann  du,  o  Herr,  must  heut  in  den  Grund  meines  Herzens  begraben  und 
geschmelzt  werden.  Darauf  fienge  er  an  mit  dem  Griffel  den  Namen  Jesus 
mit  solchen  Buchstaben  IHS.  in  das  Fleisch  zustechen  und  einzugraben, 
dass  das  Blut  über  den  Leib  herab  fiele.  Dises  war  ihme  lieblich  anzusehen 
aus  der  feurigen  Liebe,  mit  der  er  entzündet  war,  und  achtele  des  Schmer- 
zens  gar  wenig.  Er  gienge  hernach  also  verwundt  mit  dem  blutigen  Her- 
zen aus  seiner  Gellen  in  die  Kirchen  undcr  das  Crucifix,  so  bei  dem  Pult 
stunde,  kniete  nider  und  sprach:    Ach  mein  Gott  und  Herr ,  meiner  See  1 


110     

und  meines  Herzens  einige  Liebe ,  sihe  an  meines  Herzens  einige  Begierd, 
dann  ich  kann  dich  in  mein  Herz  je  nicht  tiefer  trucken :  0  Herr,  ich  bitte 
dich,  dass  du  es  vollbringest ,  dich  in  den  Grund  meines  Herzens  truckest, 
und  deinen  H.  Namen  in  mich  also  schreibest,  auf  dass  er  aus  meinem 
Herzen  nimmermehr  möge  ausgelöschet  werden.  Es  gienge  aber  der  S. 
Amandus  mit  verwundtem  Leib  und  Herz  vil  Zeit  herumb ,  ehe  die  Wun- 
den iividerumb  zuheilen  woHen,  und  bliben  die  Buchstaben  des  Namen 
Jesus  nach  seinem  Begehren  auf  dem  Herzen ,  und  waren  so  lang  als  ein 
Gleich  des  kleinen  Fingers,  und  so  breit  als  ein  Slrohalm,  und  trüge  den 
Namen  auf  seinem  Herzen  bis  in  das  Grab.  Und  wann  sich  das  Herz  bewegte^ 
so  beu)egte  sich  der  Namen  Jesus  gleichfalls. 


Sie  Hess  ihr  Bild, 
Berührend  ihn,  im  Herzen  ihm  zurück. 
So  oft  der  Morgenstern  erklang,  erklang 
30   Sein  Hymnus :  »Schaut!  Der  Schönen ["^j]  Schönste  kommt! 
Die  Mutter  aller  Gnaden  geht  hervor 
Vom  Aufgang  I  Deiner  hat  mein  Herz  begehrt, 
Auch  schlummernd,  o  du  Liebliche.« 

Er  sprachs. 
Und  kUssete  die  Erde, 

Vgl.  H.  S.  347,  5  V.  u.  —  318,  6. 

Es  hatte  der  H.  Amandus  ein  löbliche  Gewohnheit,  dass  er  nach  der 
Metten  in  ein  Capell  sich  begäbe,  allda  in  seinem  Sessel  ein  kleine  Zeit  zu- 
ruhen,  als  aber  der  Wechter  den  angehenden  Tag  verkündigte,  stunde  er 
auch  auf,  fiele  auf  seine  Knie,  und  grüssete  den  schönen  Morgenstern  die 
zarte  Himmelkönigin  Mariam  und  Mutter  aller  Gnaden,  Als  er  nun  auf  ein 
Zeit  also  in  seiner  Ruhe  sasse ,  hörte  er  etwas  innerlich  so  hell  erklingen  su 
Zeit  des  aufgehenden  Morgensterns ,  dass  sein  Herz  bewegt  war ,  und  sänge 
also:  Stella  Maria  maris  hodie  processit  ad  ortum.  Der  Morgenstern  Maria 
ist  heut  herfür  gegangen.  Dises  Gesang  erschalle  übernatürlich  in  ibroe, 
dass  in  ihme  sein  Gemüht  erfreuet  wurde,  und  die  heissen  Zähem  von 
seinen  Augen  schössen.  Nach  vollendtem  Gebett  grusste  er  auch  die  ewige 
Weisheit  mit  dem  lobreichen  Gebcttlein  Anima  mea  desideravit  te  in  nocle. 
Mein  Seel  hat  dich  in  der  Nacht  begehrt,  mit  einem  Kuss  der  Erden. 


redet'  oft 
35   Mit  seinem  Engel,  der  ihm  sichtbar  dann 
In  schöner  himmlischer  Gestalt  erschien, 
Und  mit  ihm  freundlich  von  den  Fügungen 


[*)  Bei  Redlich  wol  nur  verdruckt:  Der  Schönsten.] 


—    111    — 

Der  ewgcn  Weisheit  sprach.    »Willst  du  Dich  selbst 

Erblicken,  sagt'  er  einst,  schau  herl«  —  Er  sah  : 
40   Ein  Jüngling  lag  im  Arm  der  Liebenden, 

Die  er  im  Herzen  trug.    Wie  seligfroh 

Erkannt'  er  sie!    Es  tönten  himmlische 

Gesänge  um  ihn  her :    »Der  Weisheit  Lust 

Ist  an  den  Menschenkindern  I    Je  und  je 
45   Hab'  ich  geliebet  dich  und  zog  zu  mir 

Aus  Liebe  dich  und  will  dich  zu  mir  ziehn  !«[*]] 

»Wie  du  uns  gerne  hörest,  sprach  zu  ihm 

Sein  Engel;  hören  wir  auch  gerne  Dich, 

Zumal  wenn  du  mit  freudigem  Gemüth 
50   In  Schmerzen  auch  die  ewge  Weisheit  singst. k 

Er  sang;  es  ward  ein  Jubel  um  ihn  her; 

Ein  Chor  der  Seligen  umringt'  ihn.    Seelen, 

Die  er  gekannt  und  nicht  gekannt,  umßngen 

Ihn  liebend,  und  erzählten  traulich  ihm 
55   Ihr  Wohl  und  Weh ;  wie  aus  der  Bitterkeit 

Die  Weisheit  ihnen  stets  das  Süsseste 

Bereitet.    Seine  Mutter  kam  zu  ihm, 

Sein  Vater,  (jetzt  Gestalten  jener  Welt) 

Und  sprachen  ihm  von  ihrer  Prüfungen 
00   Belohnung. 

Vgl.  zu  V.  34—60  11.  S.  318,  10  —  319,  17. 

Es  balle  auch  unser  S.  Vatlor  Amaiidus  vil  liebliche  Gespräch  und 
grosse  Gemeinschaft  mit  seinem  U.  Schutzengel,  dass  er  ihne  oft  sähe,  mit 
ihme  redte,  und  ihne  umbfienge.  Auf  ein  andere  Zeit  als  er  nach  einer 
grossen  Trübsal  geruhet  hatte,  geschähe  es  dass  er  in  einem  Gesicht  von 
den  hinmilischen  Geistern  umbgoben  vfure,  da  begehrte  er  von  einem 
Engel,  dass  er  ihme  zeigte,  wo  und  auf  was  Weis  Gott  ein  verborgne  Woh- 
nung*in  seiner  Seel  hätte,  da  sprach  der  Engel  also  zu  ihme :  Nun  beschaue 
dich  wol,  und  siho  wie  Gott  mit  demer  liebhabenden  Seel  ein  Belustigung 
und  Freud  hat.  Und  als  der  S.  Vatter  seine  Augen  undersich  schlüge,  und 
sein  Seel  ansähe,  fände  er  sein  Seel  so  klar  scheinen,  als  ein  klarer  Chri- 
stall,  und  mitten  in  seinem  Herzen  die  ewige  Weisheit  in  leiblicher  Gestalt 
rühiglich  sitzen,  bei  welcher  sein  Seel  sasse  mit  himmlischer  Benedeiung 
begäbet,  so  die  ewige  Weisheit  mit  ihren  Armen  umbfungen,  und  an  sein 
göttliches  Herz  getruckt  hatte,  und  läge  also  die  Seel  in  den  Armen  Gottes 
verzuckt,  und  süssiglich  rastend. 


[*)  Vgl.  Jercmias  31,  3:   Ich  habe  dich  je  und  je  geliebet,  darum 
habe  ich  dich  zu  mir  gezogen  aus  lauter  Güte.] 


112 

An  S.  Michaelis  und  aller  H.  Englen  Abend,  als  der  H.  Valter  ihtse 
scharpfe  Bussband  gemacht  hUllo  (von  denen  hernach  soU  gesagt  werden), 
hörete  er  in  einer  Nacht  in  dem  Gesicht  ein  engelisch  Gesang,  und  eine 
süsse  himmelische  Stimme ,  darvon  war  er  seines  Leitlens  gelrust.  Da 
sprach  ein  Engel  zu  ihme:  Gleich  wie  du  gei'n  hörest  unser  Gesang  von  der 
Ewigkeit,  also  hören  wir  auch  gern  ron  dir  das  Gesang  von  der  ewigen 
Weisheil,  und  spräche  der  Engel  weiter:  Dises  Gesang  werden  die  ausser- 
wühiten  Heiligen  Gottes  frölich  singen  am  Jüngsten  Tag,  wann  sie  werden 
sehen,  dass  sie  in  der  immerwehrenden  Freud  der  Seligkeit  bcslüliget  scind 
worden.  In  diser  Göttlichen  Betrachtung  hatte  der  H.  Vattcr  vil  Stund  zu- 
gebracht, bis  dass  der  Tag  anbrache,  da  erschine  ihme  ein  Erzengel,  und 
mit  ihme  vil  schone  Jüngling,  sprechend,  dass  sie  weren  von  Himmel  horab 
gesandt  worden,  ihm  ein  Freud  in  seinen  Trübsalen  und  Leiden  zu  machen. 
Deswegen  solle  er  Amandus  sein  Leiden  ausschlagen,  und  mit  ihnen  singen, 
und  einen  himmelischon  Tanz  tanzen,  und  zogen  also  den  S.  Amand  bei 
der  Hand  an  den  Tanz.  Der  Vorsänger  fienge  an  in  schöner  Melodei  das 
fröliche  Gcsänglein  zu  singen:  In  dulci  Jubilo;  von  dem  Chrislkindlein, 
und  als  der  S.  Suso  den  süssen  Namen  Jesu  hörte  erschallen,  da  war 
sein  Herz  und  Sinn  also  mit  Freuden  übergössen,  dass  er  aller  seiner  Trüb- 
sal und  Leiden  vorgase.  Und  war  so  wol  das  Gesang,  als  die  Spruch  und 
Tanz  zierlich,  himmlisch  und  ntt  weltlich  oder  üppig.  Diso  und  derglei- 
chen himmelische  Erscheinungen  und  Tröstungen  begegneten  ihme  in  den 
Zeiten  seiner  Trübsalen,  Creuz  und  Leiden  vil,  daraus  er  allwegen  getrost 
und  eniuickt  wurde.  Es  hatte  aber  der  11.  Vatter  Amandus  vil  Gesichter 
und  OlTenbarungen  Göttlicher  verborgner  Dingen,  wie  es  im  Himmelreich, 
Fegfeur  und  Hölle  stunde  und  zugienge.  Es  erschienen  ihme  auch  vil  Seelen, 
so  von  diser  Welt  abgefordert  worden,  und  ofTenbareten  ihm,  wie  es  umb 
sie  stunde,  warumb  sie  ihr  Pein  hatten  verschuldet,  und  womit  man  ihnen 

helfen  möchte Es  erschiene  ihme  auch  sein  leiblicher 

Vatter  und  zeigte  ihme  an,  wie  er  eine  grosse  und  ei*schröckliche  Pein  im 
Fegfeur  litte,  womit  er  sein  Straf  verdienet  hätte,  und  wie  dass  ihme  zu 
helfen  wäre  mit  seinem  Gebett  und  mit  dem  U.  Messopfer,  hernach  käme 
er  wider  zu  ihme,  und  zeigte  an,  dass  er  jetzt  durch  die  Hilf  seines  Ge- 
bets erlöst,  und  ein  Kind  der  ewigen  Seligkeit  worden.  Sein  H.  Mutter 
die  Saussin  leide  auch  in  ihrem  Leben  vil  Creuz  und  Trübsal,  so  meisten- 
theil  von  ihrem  Ehemann  herkam ,  dann  er  war  ein  weit-  und  sündlicher 
Mensch,  sie  aber  ein  andächtige  Frau,  die  all  ihre  Creuz  und  Leiden  in 
das  bittere  Leiden  ihres  Heilands  Jesu  Christi  befahle,  und  darumb  auch 
Gott  durch  sie  in  disem  Leben  Wunderzeichen  würkete.  Nach  ihrem  Tod 
erschine  sie  ihrem  Sohn  Amand ,  zeigt  ihm  an ,  dass  sie  innerhalb  8  Jahren 
zu  keiner  Mess  gestanden,  und  ihr  ein  Gewohnheit  gemacht,  das  bitter 
Leiden  und  Sterben  under  der  Mess  zu  betrachten,  und  zu  beweinen,  sie 
sagte  ihme  auch,  dass  sie  auf  ein  Zeit  aus  unmässiger  Liebe  gegen  Gott 
erkrankte  und  42  Wochen  lang  zu  Bett  gelegen,  die  Ärzten  aber  als  sie 
solches  vermerkten,  seind  sie  wol  auferbauen  worden.  Sie  gienge  zu  an- 
gehender Fasten  ins  Münster,  da  die  Ablösung  Jesu  des  Herren  von  dem 
Creuz  mit  gcschnitzleten  Bildern  stunde  auf  einem  Altar,  allda  käme  sie  in 
ein  so  tief  und  anmühtige  Betrachtung,  und  Mitleiden  zu  der  Mutter  Maria, 
dass  sie  in  ein  Ohnmacht  fiele.    Als  man  sie  in  ihr  Haus  getragen,  läge  sie 


^ 


113 

still  bis  an  den  tl.  Cliarfreilag,  und  als  man  in  der  Kirchen  den  Passion 
sänge,  slarbe  sie  sciiglich.  Zu  denselben  Zeiten  war  der  ü.  Suso  zu  Colin 
und  studierte,  da  erschiene  sie  ihm  in  einer  Nacht,  sprechend:  Eia  mein 
Kind,  habe  den  allmächtigen  Gott  lieb,  und  vertraue  ihmo  wol,  er  wird 
dich  in  allen  deinen  Widerwärtigkeiten  niematen  verlassen.  Sihe  an  ich 
bin  von  diser  Welt  gescheiden,  und  bin  nicht  todt,  sonder  lobe  in  dem 
ewigen  Leben  und  Freud  vor  Gott.  Nach  disen  Worten  kUsseto  sie  ihn  an 
seinen  Mund,  bcncdeiele  ihn  treulich  und  verschwände.  Suso  aber  Henge 
an  bitterlich  zu  weinen,  und  rufte:  0  mein  getreue  und  heilige  Mutter! 
bitl  für  mich  bei  dem  allmUchtigen  Gott!  und  also  weinend  und  seufzend 
käme  er  wider  zu  ihm  selber.  Dergleichen  Erscheinungen  geschahen  ihme 
von  vilen  Seelen,  durch  deren  Gegenwart  er  ein  besondere  Freud  und  Er- 
gelzligkeit  seiues  strengen  und  mühseligen  Lebens  emplienge. 


Und  sein  Anllilz  glänzte.   Oft 
Sah  man  es  glänzen,  wenn  er  betete^ 
Und  vorm  Altar:    »Aufwärts  die  Herzen!«  sang. 

Vgl.  H.  S.  3<6,  20  V.  u.  —  43  v.  u. 

Auf  ein  Zeit  da  er  zu  Colin  mit  grossem  Eifer  geprediget  hatte,  wäre 
auch  ein  andächtige  Pei*son,  so  sich  nicht  lang  zuvor  zu  Gott  bekehret 
hatte,  zugegen,  welche  mit  den  innerlichen  Augen  des  S.  Vatters  Susonis 
Angesicht  sähe  zu  drei  underschidlichen  Malen  mit  hellem  Schein  gleich 
als  die  Sonn  leuchten,  glänzen,  und  also  klar  scheinen,  dass  er  sich  selber 
darin  sehen  konnte,  dardurcb  war  diser  Mensch  in  seinem  Leiden  wol  ge- 
trost, und  in  dem  heiligen  Leben  gestärkt. 

Vgl.  U.  S.  319,  letzte  Z.  —  320,  3. 

Der  S.  Suso  war  von  seinen  Freunden  gefragt  worden,  in  was  Ge- 
danken er  stunde,  so  er  die  Mess  sänge,  und  vor  der  Präfalion  die  Wort 
Sursum  corda  sagte:  dann  dise  Wort  so  inbrünstig  und  andächtig  aus 
seinem  Mund  herfür  klingleten,  dass  alle  Zuhörer  ein  sonderbare  Andacht 
und  Bewegung  ihres  Herzens  empfunden. 


In  solchen  Sttssigkoiten  schwamm  Amandus, 
Sein  Herz  bewahrend,  strenge  gegen  sich, 

65    Und  überstrenge.    Da  erschien  ihm  einst 

Sein  Engel  wieder:   j>G]aubst  du,  sprach  er  sanft 
Zum  Schlummernden,  indem  du  deinen  Leib 
Mit  Bttssungen  belegest,  dieses  sei 
Das  schwerste  Leiden?  Leiden  andrer  Art 

70   Erwarten  dich.    Schau  her !    Ich  bringe  dir, 


114     

Dem  zailen  Knaben,  Ritlerkleider.    Rüslc 
Dich  tapfer.    Wenn  du  selbst  dich  peinigtest, 
So  höretest  du,  wenn  du  wolltest,  auf. 
Dich  werden  andre  peinigen,  und  nicht 

75   Aufhören,  wenn  du  wünschest.   Bis  hieher 
Empfand  im  Schmerz  dein  innerstes  GcmüCh 
Geheime  SUssigkeit.    Wenn  aber  du 
Im  tiefsten  Schmerze  Rath  und  HülF  und  Trost 
Bei  Menschen  suchest  und  nicht  findest;  Freund 

80   Und  Feind  verfolgen  dich ;  und  wer  dich  schtltzt, 
Wird  selbst  verfolget;  wenn  im  Innern  dann 
Dich  auch  dein  Gott  verlässt;  dann  spricht  zu  dir 
Die  ewge  Weisheit:  »Sohn,  gieb  mir  dein  Herz  Iic 
Auf  diesen  Dornen  blüht  allein  der  Kranz, 

85   Den  deine  Königinn  von  Dir  verlangt. 

Vgl.  H.  S.  328,  Cap.  18,  9  bis  zum  Schluss. 

Nit  lang  hernach,  als  S.  Amand  in  seiner  Gellen  auf  seinem  gewohn- 
lichen Stul  sasse,  und  betrachtete  die  Wort  S.  Job:  Militia  est  vita  hominis 
super  ierram ;  des  Menschen  Leben  auf  diser  Erden  ist  nichts  anders  dann 
ein  Streit  und  Ritterschaft.  In  diser  Betrachtung  sähe  er  geistlicher  Weis 
einen  schönen  Jüngling  gegen  ihme  kommen,  so  ihme  zween  Schuh  und 
andere  schöne  Rittcrskleider  brachte.  Diser  Jüngling  gienge  zum  S.  Suso, 
bekleidete  ihn  darmit  und  spräche :  Starkmühtigor  Ritter,  bishero  warestu 
ein  Fussknecht,  nun  aber  will  Gott,  dass  du  ein  Ritter  werdest.  Der  S. 
Vatter  Suso  besähe  sich  selbsten  in  seinen  ritterlichen  Stiflen  und  Beklei- 
dungen, und  sprach:  0  Gott,  wie  ist  mir  ergangen,  und  was  ist  aus  mir 
worden?  soll  ich  nun  hinfüro  ein  Ritter  sein,  wäre  doch  die  Ruhe  meiner 
Gellen  angenemer,  und  zu  meinem  Lob  nutzlicher,  diewcil  ich  in  einem 
Streit  nit  ein  Ritter  bin  worden.  Per  Jüngling  lachte  und  sprach:  Bis  ohn 
Sorg,  du  wirst  noch  Streits  genug  bekommen,  wer  die  geistliche  Ritter- 
schaft will  unverzagt  und  starkmühtig  führen  ,  der  hat  tüglich  zustreiten, 
so  da  bei  den  weltlichen  Rittern  nicht  geschieht,  dann  ihre  Feind  nicht 
täglich  seind,  wie  bei  den  geistlichen,  welche  die  Welt,  den  Teufel,  und 
das  eigene  Fleisch  zu  bestreiten  haben,  etc.  Du  bildest  nun  dir  selbsten 
ein,  dass  dir  Gott  habe  das  schwere  Joch  deiner  Leibscasteiungen  abge- 
legt, und  dich  von  deinen  grausamen  Banden  erlediget,  und  könnest  jetzt 
deiner  Ruhe  sicherlich  pflegen,  du  solt  aber  wissen,  dass  es  nicht  also  er- 
gehen wird.  Gott  will  dir  deine  Band  nicht  ablegen,  sonder  nur  verän- 
dern, und  schwerer  machen,  als  sie  zuvor  waren.  Ab  disen  Worten  er- 
schräke der  Diener  der  ewigen  Weisheit  übel  und  sagte :  0  Gott,  was  will 
du  aus  mir  machen?  ich  hatte  ein  MofTnung,  mein  Leiden  habe  ein  End, 
so  wird  es  erst  anfangen.  Ach  Herr,  bin  ich  dann  allein  ein  Sünder,  und 
die  ganze  Welt  gerecht,  dass  du  deine  verborgne  Urtheil  also  an  mir  übest? 
MUSS  es  dann  gelitten  sein ,  so  zeige  mir,  o  Herr,  meine  Leiden,  die  ich 


115     

aussiehoD  muss.  I>er  Herr  antwortete  ihm  und  sprach :  Sihe  übersieh  an 
den  Himmel,  und  zehle  die  Sternen  so  du  kanst,  so  wrrst  du  deine  Leiden 
auch  zehlen  mögen,  und  gleich  wie  die  Sternen  Itlein  scheinen  in  den 
Augen  der  Menschen ,  aber  in  dem  Firmament  gross  seind ,  also  werden 
deine  Leiden  von  den  Menschen  l^lein  geachtet  werden,  die  doch  dich  hart 
werden  peinigen.  Also  begehrte  der  Diener  der  ewigen  Weisheit  seine 
Leiden  zuwissen,  die  ihme  doch  Gott  abschlüge  zuoffenbaren,  ausgenom- 
men drei,  damit  er  nicht  verzagte.  Das  erste  Leiden  war:  du  hast  dich 
bishero  selbst  geschlagen  und  gepeiniget,  und  hast  aufgehört  wann  du  hast 
wollen,  und  trügest  auch  ein  Erbärmnus  über  dich,  jetzt  aber  will  ich  dich 
dir  selber  nemmen ,  und  will  dich  ohn  alle  Wehr  den  Frembden  über- 
geben, dass  sie  dich  schlagen  und  umbziehen  werden  nach  ihrem  Willen. 
Das  ander  ist :  wie  wol  du  dich  oft  also  ermartert  hast,  dass  sie  dir  das 
Leben  auch  hätten  mögen  nemmen,  aber  du  bist  mit  Göttlicher  Hilf  also 
umbgeben  gewesen,  dass  solches  Leiden  dir  an  dem  Leben  nichts  gescha- 
det hat,  jetzt  aber  wird  es  geschehen,  dass,  wo  du  Trost  und  Hilf  wirst 
sttchen,  du  die  gröste  Verfolgung  und  Untreu  spühren  must,  und  welche  Men- 
schen dich  beschirmen  wollen,  werden  mit  dir  grosse  und  gleiche  Noht  leiden 
und  in  Verfolgung  gerahten.  Das  dritte  Leiden  ist :  du  bist  auf  diese  Zeit 
gleich  einem  jungen  Kind,  so  in  seiner  Mutter  Schoss  liget,  und  ihre 
BrUsten  sauget,  nemblich  die  Göttliche  Süssigkeit,  himmlische  Tröstungen 
und  Offenbarungen,  dise  Brüste  will  ich  dir  jetzt  nemmen,  und  dich  selber 
lassen  sorgen,  du  wirst  von  Gott  und  allen  Menschen  verlassen  werden,  und 
von  Freunden  und  Feinden  grausamb  verfolget  und  verachtet  werden ,  und 
was  du  anfangen  wirst,  solt  du  nicht  glücklich  verrichten  können.  Als 
nun  der  andächtige  Vatter  Suso  dise  drei  traurige  Zeitung  von  Gott  vcr- 
name,  erschräke  er  sehr,  und  fiele  Crouzweis  auf  die  Erden,  rufte  mit 
weinenden  Augen  zu  Gott  und  hatte  ihn  demühtiglich,  dass  er  dtsen  Kelch 
der  Trübsalen  wolle  von  ihme  hinweg  uemmon,  und  ihn  durch  sein  Gött- 
liche Barmherzigkeit  von  disom  grossen  Jammer  erledigen;  möchte  es 
aber  nicht  sein,  so  geschehe,  nach  Anordnung  der  ewigen  Weisheit,  der 
Wille  Gottes. 


Voll  Schrecken  fuhr  der  Jüngling  auf;  und  bald 
Ward  seines  Engels  Red'  erfüllet.    Schmach 
Und  Hohn,  Verachtung,  Kränkung  jeder  Art, 
Verläumdungen  und  Hass  und  Meid  und  Wunden 

00   Am  zartsten  Herzen  trafen  ihn.    Er  sah 
Kein  Ende  mehr,  und  lerat*  im  Leiden  nur 
Noch  mehr  zu  leiden.    Hülf  und  Rath  und  Trost 
Bei  Menschen  war  verschwunden.   Wer  ihm  half, 
Ward  auch  verfolget,  und  zuletzt  gebrach 

95   Das  Letzte  ihm^  sein  innrer  Trost. 

Da  sprach  er: 
»Sein  Will  geschehe  h  und  gab  sich  zur  Ruh. 


116     

Die  im  V.  87  fT.  angedeuteten  Prüfungeo  und  Leiden  erzählen  Murcr:» 
Cap.  49 — 32.  Zuletzt  bringt  ein  liederliches  und  böses  Weib  den  Aman- 
du8  gar  in  den  Verdacht,  mit  ihr  ein  Kind  gezeugt  zu  haben.  Amandus  l>e- 
ginnt  deshalb  an  Gottes  Barmherzigkeit  und  Gnade  zu  zwcifctn  und  weiss 
vor  Angst  und  Noth  nicht»  was  er  thun  soll,  aber  (S.  340,  Cap.  33,  Z.  1} 
»Letstlicb  gäbe  sich  der  S.  Yattcr  zur  Ruhe  und  gedachte:  Nun  wolan, 
mag  es  nit  änderst  sein,  fial  volunt^s  tuu ,  o  Dens!  In  disen  Gedanken 
sähe  er  im  Geist  sein  geistliche  Tochter  [Anna]  vor  ihm  stehen,  die  ihme, 
als  sie  noch  lebte  in  discr  Welt,  oft  vorgesagt,  dass  er  vi!  leiden  werde, 
aber  Gott  werde  ihn  nit  verlassen,  und  aus  allen  Nöhten  helfen.«  Die 
geistliche  Tocht«r  tröstet  den  Amandus  und  verheisst  ihm  Gottes  iJilfe,  die 
dann  auch  bald  kömmt.  An  Stelle  dieser  Erscheinung  der  geistlichen 
Tochter  Anna  hat  Herder  die  nuu  folgende  Erscheinung  der  ewigen  Weis- 
heit gesetzt. 

Und  plötzlich  stand  vor  ihm  die  Schönste  d<i, 

Sunftglcinzeader,  als  er  sie  je  gesehn. 

Sie  Qocht  aus  vielen  Rosen  einen  Kranz 
100   Für  ihn,  und  er  erkannt'  in  jeder  Rose 

Den  Dorn,  auf  welchem  sie  entsprossen  war. 

»Nimm,  sprach  sie,  ihn;  er  ist  der  Deinige. 

Jetzt  ist  mein  Bild  in  Deinem  Herzen  :  Du 

Gewannest  seihst  es  dir,  bewahr*  es  treu. 
105    Ihr  Menschenherzen  traut!    Von  allem  Schönen 

Die  schönste  Weisheit  wird  durch  Prtlfung  nur.« 

Zu  V.  97—101  vgl.  H.  S.  336,  Cap.  27,  1—9. 

Diso  Gottselige  Tochter  Anna  zeigte  nnder  andern  dem  S.  Vatter  Su- 
soni  auch  an,  dass  sie  auf  ein  Zeit  in  dem  Geist  hätte  gesehen  einen  schönen 
Rosenstock,  mit  rohten  Rosen  wolgeziert,  auf  dem  Stock  aber  stunde  das 
Kindlein  Jesus  mit  einem  Roscnkränzlein,  under  der  Stauden  aber  sähe  sie 
den  S.  Vatter  Amandum  sitzen,  das  Kindlein  brache  vil  Rosen  ah,  und 
warfe  sie  auf  den  Diener  der  ewigen  Weisheit,  und  als  er  mit  Rosen  ganz 
bedeckt  wurd,  fragte  sie  das  Jesusknäblein,  'was  discs  für  ein  Bedeutung 
und  Geheimnus  wäre?  Das  Kindlein  antwortete:  Die  manigfaltigen  Rosen 
bedeuten  mancherlei  Leiden  und  Trübsalen  so  Gott  über  ihn  verhängen 
und  zuschicken  wird,  die  er  freundlich  von  Gott,  und  umb  Gottes  willen 
empfahen  und  leiden  soll. 

Zu  V.  105  vgl.  H.  S.  343,  13—21. 

[Suso]  sähe  die  Mutter  Gottes  Maria  ihr  liebes  Kind  die  ewige  Weis- 
heit an  ihr  Herz  druckend  sitzen,  er  sähe  auch  um  das  Iläupllein  des  Kind- 
leins Jesus,  mit  schönen  und  glanzenden  Buchstaben  geschriben:  ach 
Herzen  traut.  Das  könnte  der  S.  VaUer  wol  lesen  und  verstehen.  Es  sänge 
auch  ihme  ein  engelischer  Jüngling  dises  Gesänglein,  Herzen  tratU,  so  lieb- 


J 


117    ■ 

lieh  vor,  dass  er  sein  Hand  auf  sein  Herz  legte,  das  zuhalten,  damit  es  ihm 
nit  zerspränge,  und  da  er  widerumb  zu  ihm  Selbsten  käme,  fand  er  sein 
gerechte  Hand  ob  seinem  Herzen  ligen. 


Sie  sprach  es,  und  ein  sanfter  Abendglanz 
Umfloss  Amandus  Haupt.   All  seine  Feinde, 
In  Träumen  kamen  die  Verstorbnen  selbst, 

110  Und  flehten  um  Verzeihung  und  Gebet. 
Und  seinen  Freunden  war  der  vielgeprüfte 
Amandus  doppelt  werth.   Jungfraun  und  Fraun, 
(Er  ehrete  in  ihrer  Tugend  stets 
Der  Mutter  Gottes  Gnad'  und  Zucht  und  Huld) 

115   Sie  ehreten  in  ihm  der  Weisheit  Sohn. 

Zu  V.  108—40  vgl.  H.  S.  340,  Cap.  32,  4—24  und  29—33. 

Under  andern  Verfolgern  wäre  auch  ein  hoher  Prälat ,  der  erschine 
dem  S.  Suso  nach  seinem  Tod  und  sprach  ,  dass  ihme  Gott  der  Allmächtig 
sein  Leben  der  Ursachen  verkürzet  und  abgebrochen  habe,  dieweil  er  ihme 
also  unschuldiger  Weis  übel  nachgeredt  hatte,  das  müsste  er  noch  im  Feg- 

feur  büssen Sein  bester  Ordensgesell,  so  ihn  in  seinen  grossen 

NObten  verlassen,  ....  sterbe  bald  hernach,  welcher  als  er  sein  Schuld 
im  Fegfeur  gebüsset  und  bezahlt  hatte,  erschin  er  ihm  in  grosser  Klarheit 
und  güldenen  Kleid,  und  hatte  ihn  umb  Verzeihung,  neigte  sein  Angesicht 
freundlich  gegen  ihme,  und  führe  gen  Himmel. 

Zu  V.448  vgl.  S.3S6,  Cap.  46,  Z.7,  wo  als  Ausspruch  Susos  angeftthrt 
wird :  Es  ist  mein  Gewohnheit,  dass  ich  die  Weiber  gern  verehre  umb  der 
Mutter  Gottes  willen. 


IL  Der  Friedensstifter. 

Dreimal  war  der  kühne  Karl  geschlagen, 
Und  die  Macht  Burgunds  im  Blut  erlegen ; 
Gransee,  Murten,  Nansen  zeugten  ewig, 
Was  der  Tapfre  tlber  ungerechten 
5  Stolz  vermag;  als  sich  die  böse  Zwietracht 
Auch  ins  Herz  der  Tapfern  schlich.   Sie  zankten 
Lieblos  um  des  Sieges  reiche  Beute. 
Fast  schon  theilte  sich  der  Eidgenossen 
Bündniss.   Denn  mit  Frankreichs  Gelde  waren 
10   Frankreichs  Sitten  in  das  Land  gekommen, 
Ueppigkeit  und  Pracht.   Dem  Schweizerbunde 


: 118         

Drohete  Auflösung.   Da  am  lelzten 
Friedenstag'  zu  Stanz  in  Unterwaiden 
Trat  ein  alter  Mann  in  die  Versammlung. 

Vgl.  H.  S.  395  f.  (Cap.  4  4). 

Nachdem  die    acht  alte  Ort  der  Eidgnossschafl  mit  Hilf  Herzog 
Sigmunden  von  Oesterreich   und  Renali  Herzogs  von  Lotbringen   Aono 
4  476  den  grossmtfchtigen  Herzogen  Carlen  von  Burgund  in  dreien  Feld- 
schlachten zu  Gransee,  Murten  und  Nansen  überwunden  und  erlegt :  enl- 
stund  under  ihnen,  den  Eidgnossen,  selbst  nicht  ein  geringe  Uneinigkeil. 
Dann  erstlich  möchten  sie  die  grosse  Beut,  welche  sie  in  gedachtem  Krieg 
erobert,  nicht  mit  Liehe  theilen,   weil  die  Länder  mit  den  Stätten  gleiche 
Portion  haben  wollen ,   die  Statt  aber  ihnen  selbst  mehr  zueigneten  als 
den  Ländern.    Zu  dem  hielten  die  Slätt  Freiburg  und  Solothurn  an,  dass 
sie  zu  Oertern  der  fiidgoossschaft  angenommen  wurden.    Deren  Bitt  zu 
willfahren  waren  Zürich,  Bern  und  Lucern  urbielig  und  geneigt,  aber  die 
Länder  Uri,  Schweilz,  Underwalden,  Zug  und  Glarus  wollen  solches  keines 
wegs  gestatten.     Als  derhnibcn  die  erstgcmciton  5  Stall  gesehen,  dass  sie 
die  Länder  gar  ntt  bereden  mochten,  haben  sie  einen  besonderen  Bond  zu- 
samen  gemacht,  und  Bnrgrecht  mit  einander  aufgericht.    Dessen  waren 
aber  die  Länder  nicht  zufriden,  und  understunden  sich  den  Bund  widerurob 
nbzuschaflen.    Insonderheit  vermeinten  die  von  Uri,  Sehweite  und  Under- 
walden, es  hätten  die  von  Lucern  nicht  Gewalt  einigen  Bund  ohn  ihr  Wissen 
und  Willen  zumachen,  und  ist  diser  Span  auf  vilen  Tagen  gehandlet,  aber 
je  länger  je  griisser  und  ärger  worden.    Über  diss  alles  hatten  die  Eid- 
gnossen  in  demselben  Jahr  von  Königlicher  Majestät  aus  Frankreich  ein 
grosses  Gelt  eingenommen,,  waren  auch  täglich  mehr  erwartend,  wiewol 
nicht  unverdienet.     Mit  solchem  Gelt  aber  schlichen  allgemach  in  die  Eid- 
gnossschaft  frembde  und  unliibliche  Sitten,  als  Pracht,   Cnmässigkeit  etc. 
Dise  Ding  nun  missfielcn  dem  fridsamen  und  demühtigen  Ü.  Clausen ,  der 
sich  auch  in  eigner  Person  (wie  Pcler  Elterlein  bezeuget)  aus  Liebe  gemei- 
nes Yallerlands,  in  die  Sach  gelegt,  und  verschafTcn,  dass  zu  Stanz  in  Un- 
derwalden ein  Tag  gehalten  wurde,  da  dann  erscheinen  sollen  der  8  Orten 
Bollschaflen ,  sampt  der  Freiburger  und  Sololhurner  Legation,  wie  be- 
schehen  auf  Sambslag  vor  S.  Thomas  Tag,  in  dem  December  des  4  481. 
Jahrs.  Bruder  Claus  kam  auch  gen  Stanz  (welcher  Fleck  fast  4  Stund  Wegs 
vom  Ranft  ligt,)  redet  die  Eidgenossen  an,  strafte,  lehrte,  hatte,  vermah- 
ncle  und  warnete  sie  ganz  vätterlich  und  treulich. 


Grad  und  hoch:  sein  Antlitz  blitzte  Schrecken, 
Doch  gemischt  mit  Gtttigkeit  und  Anmuth. 
Lang  sein  Bart,  von  wenig  schlichten  Haaren, 
Zweigespalten ;  auf  dem  braunen  Antlitz 
Glänzt'  ein  Himmlisches.    Gebietend  stand  er 
20   Dürr  und  hager  da,  und  sprach  anrouthig. 
Männlich-langsam : 


119 


Vgl.  H.  S.  404  (Cap.  49). 

Er  war  ein  Mann  gerades  und  geslaltes  Leibs,  doch  dürr,  mager  und 
ausgeschöpft,  allein  von  Haut,  Adern  und  Gebein  zusamen  geschoaucket. 
Sein  Färb  war  braun,  das  Haar  schwarz,  ein  wenig  mit  grauem  vermischt. 
Der  Bart  war  von  wenig  Haaren  nit  gar  lang,  in  9  Theil  gespalten,  die 
Augen  waren  schwarz,  daraus  sein  lieblich  Gesicht  den  Anschauenden 
schier  ein  Schrecken  erweckt.  Die  Adern  .des  Hals  und  der  Ktflen,  so  er 
redte ,  wurden  geachtet  nicht  mit  Blut,  sonder  mit  Luft  erfülleL  Er  ge- 
brauchte sich  eines  einigen  Kleids  oder  Rocks,  einfältig  bis  auf  die  Fersen, 
das  Haupt  und  die  Füss  hielt  er  allwegen  bloss,  er  hatte  ein  männliche 
Stimm  und  langsatne  Hed, 

»Liebe  Eidgenossen, 
Lassei  nicht,  dass  llass  und  Neid  und  Misgunst 
Unter  euch  aufkommen ;  oder  aus  ist 
Euer  Regiment!  —  Auch  zieht  den  Zaun  nicht 

25    Gar  zu  weit  hinaus,  damit  ihr  eures 

Theurervvorbenen  Friedens  lang'  geniesset. 
Eidgenossen,  werdet  nicht  verbunden 
Fremder  Herrschaft,  euch  mit  fremden  Sorgen 
Zu  beladen  und  mit  fremden  Sitten. 

;jo   Werdet  nicht  des  Vaterlands  Verkilufer 
Zu  unredlich-eignem  Nutz.   Beschirmet 
Euch  und  nehmt  Banditen,  Landeslliufer, 
Nicht  zu  Bürgern  auf  und  Landesleuten.  — 
Ohne  schwere  Ursach'  überfallet 

35   Niemand  mit  Gewalt;  doch  angefallen, 
Streitet  kühn.   Und  habet  Gott  vor  Augen 
Im  Gericht,  und  ehret  eure  Priester. 
Folget  ihrer  Lehre,  wenn  sie  selbst  auch 
Ihr  nicht  folgen.    Helles  frisches  Wasser 

40   Trinket  man,  die  Röhre  sei  von  Silber 

Oder  Holz.  —  Und  bleibet  treu  dem  Glauben 
Eurer  Väter  I    Zeiten  werden  kommen, 
Harte  Zeiten,  voll  von  List  und  Aufruhr. 
Hütet  euch,  und  stehet  treu  zusammen, 

45   Treu  dem  Pfad*  und  Fusstapf  unsrer  Väter. 
Alsdann  werdet  ihr  bestehn  I  kein  Anstoss 
Wird  euch  fallen  und  kein  Sturm  erschüttern. 
Seyd  nicht  stolz,  ihr  allen  Orte.   Nehmet 
Solothurn  und  Freiburg  auf  zu  Brüdern : 


120     

50   Denn  das  wird  euch  ntttzoD.«  —  Also  sprach  er^ 
Neigte  sich,  und  ging  aus  der  VersammluDg. 

Vgl.  H.  S.  396  (Cap.  16). 

Die  uberige  Räht  und  Lehren,  so  B.  Claus  den  Eidgnossen  geben, 
werden  in  den  Schriften  M.  Heinrichs  von  Gundelflngen  und  H.  Jofaan 
Salats  glaubwürdig  begriffen,   -wie  folgt.    4.  Liebe  Eidgnossen,   sagt  er, 
Ictsset  nicht  zu,  dass  Uneinigkeit,  Neid,  Hass ,  Missgunst  und  Partheien 
under  ei*ch  außommen  und  wachsen,  sonst  ist  euei*  Ding  und  Regiment  aus, 
2.  Machet  den  Haag  oder  Zaun  der  EydgnossschafTt  nicht  zu  weit ,  damit 
ihr  in  desto  besserer  Ruhe  und  Friden  euer  säur  eroberte  Freiheit  besitzen 
und  gemessen  möget.    3.  Beladet  euch  nicht  mit  frembden  Sachen,  und  ver- 
bindet  euch  nicht  mit  frembder  Herrschaft.    4 .  Verkaufet  das  Vatterland  nicht 
umb  Mieht  und  Gaben,  und  hütet  euch  vor  eignem,  unredlichem  Nutz. 
5.  Beschirmet  euer  Vatterland  und  bleibet  darbe i.   Auch  nemmet  frembde 
Schwerroer  und  Banditen  nicht  an  zu  Bürgern  und  Landleuien.    6.    Ohn 
hochwichtige  Ursachen  soll  ihr  niemand  feindlich  und  mit  Gewalt  überfallen. 
So  man  euch  aber  undertrucken  walte,  alsdann  streitet  dapferlich  für  euer 
Freiheit  und  Vatterland.    7.  Vor  allen  Dingen  aber  habet  Gott  vor  Augen, 
und  haltet  mit  Fleiss  seine  Gebott.     8.  Den  Priestern  erzeiget  gebürliche 
Ehr,  und  gehorchet  ihren  Vermahnungen ,  ob  sie  schon  nit  unsträflich  oder 
auferbäulich  leben:  dann  gleich  wie  ein  frisches  Bronnenwasser  ebenso  gut 
und  wolgeschmack  durch  bleiene  oder  kupfere,  als  durch  silberne  oder  guldine 
Hören  lauft,  also  empfabet  ihr  durch  böse  und  gute  Priester  einerlei  und 
gleiche  Gnad  Gottes,  wofern  ihr  euch  würdiglich  darzu  bereitet.    9.  End- 
lich seind  beständig  im  Glauben  der  lieben  Alten :  dann  es  wird  sich  nach 
meinem  Tod  ein  grosser  Aufruhr  erheben  in  der  Christenheit,  und  alsdann 
hütet  euch,  o  lieben  Kinder,  dass  ihr  durch  Neuerung  und  Listigkeit  nicht 
betrogen  werdet.   Haltet  euch  zusamen,  bleibet  in  dem  Weg  und  Fussstapfen 
unserer  frommen  Voreiteren,    Behaltet  und  bestettiget  es,  was  sie  uns  ge- 
lehrt haben.  Alsdann  mag  euch  weder  Anstöss,  noch  Sturmwind  nichts  scha- 
den, die  doch  gar  stark  nachgehen  werden. 


Alle,  die  den  heiigen  Mann  erkannten, 
Hörten  in  ihm  eines  Engels  Stimme : 
Bruder  Claus  war  es  von  Unterwaiden, 

55   Der  an  seiner  einsamen  Kapelle 

Ohne  Speis'  und  Trank,  (so  spricht  die  Sage) 
Zwanzig  Jahr  gelebt.   Dem  Kind'  und  Jüngling 
War  am  Himmel  oft  ein  Stern  erschienen, 
Der  sein  Herz  ins  Innere  zog.    Er  hatte 

CO   Jederzeit,  auch  ämsig  in  Geschäften, 
Stille  Einkehr  in  sich  selbst  geliebet, 
Zehen  Söhn'  und  Töchter  auferzogen. 


121     

Auch  in  Kriegeszügen  seinem  Lande 

Treu  geholfen;  bis  die  Welt  zu  enge 
05   Für  ihn  ward.    Er  nahm  von  Weib  und  Kindern 

Liebreich  Abschied,  und  mit  ihrem  Segen 

Ging  er  zur  Einöde.    Vielen  Pilgern, 

Die  ihn  suchten,  gab  er  Rath  und  Hülfe. 

Manchen  Sturm  der  Seele,  manche  Unruh, 
70   Senkete  ein  Wort  von  ihm  zur  Ruhe. 

Denn  er  war  von  starkem  Herzen;  mJIchtig- 

Frei,  und  floh  wie  Pest  die  Landsverderber. 

Oft  weissaget'  er,  und  wusst'  der  Seelen 

Innerstes  Geheimniss.   Seines  Lebens 
75   Täglicher  und  hocheinfältger  Spruch  war : 

»Nimm,  o  Gott,  mich  mir;  und  gib  mich  ganz  dir.« 

Zu  V.  55—57  vgl.  H.  S.  394  (Cap.  7). 

[Bruder  Claus  hal]  fürhin  bis  an  sein  End,  ncmblich  zwanzigtlialb 
Jahr  also  verharret,  dass  er  weder  essen  noch  trinken,  noch  leibliche  Nah- 
rung gebraucht  hat. 

Zu  V.  57—59  vgl.  H.  S.  387  (Cap.  4). 

Es  hat  aber  der  barmherzig  Gott  dises  Kind  auch  in  Mutterleib  über- 
natürlicher Weise  erleuchten  und  begnaden  wollen  :  anzuzeigen  was  end- 
lich aus  ihme  werden  wurde.  Dann  er  Nicolaus  zuvor  und  ehe  er  geboren 
ein  solches  Gesicht  gehabt,  nemblich  am  Himmel  sähe  er  einen  Sternen, 
der  an  der  Schöne  andere  Sternen  ubcriraf,  von  welches  Strcimen  die 
ganze  Welt  erleuchtet  war,  welchen  Sternen  er  darnach  in  dem  Leben  oft 
gesehen,  inmassen  dass  er  gemeint,  es  sei  eben  der  Sternen,  den  er  in 
Mutterleib  angcschauet  hätte. 

Zu  V.  59—61  vgl.  H.  S.  388  (Cap.  2). 

[Er  hatte  im  4  6.  Jahr  seines  Alters]  angefangen  die  Versamblungen 
der  Menschen  fast  zufliehen,  und  die  Einsame  zulieben,  doch  name  er 
nichts  unbescheidlichs  für,  er  war  seinen  Eltern  underthan,  und  hälfe 
ihnen  die  Haussorg  mit  Treuen  verwalten. 

Zu  V.  62  vgl.  H.  S.  388  (Cap.  3). 

...  als  unser  Nicolaus  zu  seinen  mannlichen  Jahren  kommen,  er  einer 
ehrlichen  Tochter,  mit  Namen  Dorothea  Weissling  sich  vermählet,  .  .  . 
auch  10  Kinder,  nemblich  5  Sühn  und  5  Töchtern  erzeuget,  ....  welche 
Kinder  er  alle  in  aller  Gott^forcht  und  Frommkeit  auferzogen. 

Zu  V.  63  vgl.  H.  S.  388  (Cap.  3). 

Und  ob  wol  der  S.  Nicolaus  ein  höchster  Liebhaber  des  FVidens  wäre, 
so  hat  er  dannoch  auch  bei  Zeiten  seines  wehrenden  Ehestands,  aus  Geholt 

4887.  .9 


122    

seiner  Oberkeit,  als  ein  Gehorsammer  sich  in  Kriegen,  so  umb  Beschirmung 
willen  des  Vatterlands  und  desselben  Freiheit,  frembden  Feinds  Gewalt  ab- 
zutreiben, fürgenommen,  tapfer  und  redlich  finden  lassen. 

Zu  V.  64—67  vgl.  H.  S.  390  (Gap.  6). 

Dahin,  und  so  ferr  wurde  unser  fromme  Nicolaus  durch  göttliches 
Einsprechen  getriben,  dass  er  vermeinte,  die  Welt  wttre  ihme  nicht  weit 
genug  noch  länger  darinn  zuwohnen.  Derhalben  thMte  er  seiner  lieben  Ge- 
mahel  sein  Vornemmen  kund,  und  zeigt  ihr  an,  er  hätte  ihme  fürgesetzt 
die  schnüde  Welt  gänzlich  zu  verlassen,  und  fortbin  an  einer  füglichen  Statt 

in  einer  Einöde  Gott  allein  zudienen Welches  als  er  oft  und  vi!  von 

seiner  Gemahel  erforderte,  war  sie  endlich  uberredt,  und  gab  ihme,  damit 
sie  ihme  an  dem  Göttlichen  Beruf  nit  verhinderte,  Erlaubnuss  seinem  Vor- 
nemmen nachzukommen.  Derowegen  als  man  zehlt  nach  Christi  unsers 
Herren  Geburt  1467  im  Herbstmonat,  da  der  Nicolaus  fünfzig  und  ein 
halbs  Jahr  alt  war,  verliesse  er  sein  Hausfrau  und  Kinder  sampt  aller 
seiner  Hab. 

Zu  V.  67—72  vgl.  H.  S.  395  (Gap.  U). 

Des  B.  Clausen  Red ,  Geberden  und  Angesicht  war  allzeit  zu  der 
Sanftmuht  und  Gütigkeit  geneigt,  und  erzeigte  auch  in  allen  Dingen  ein 
gleiches  standhaftes  Gemüht.  Es  war  aber  nicht  allen  Bilgern  und  Frembil- 
lingen  zugelassen,  dass  sie  ein  freien  Zugang  zu  ihme  hätten,  dann  wie  er 
auch  selbst  bezeuget,  kamen  etliche  dahin  nicht  zur  Besserung,  sonder 
mehr  aus  Fürwitz  und  Leichtfertigkeit,  nach  der  Phariseer  Art,  dass  sie 
ihn  versuchten.  Darumb  als  er  etliche  also  gesinnet  sähe,  und  innwendig 
erkante,  flöhe  er  sie  fast,  was  aber  die  Gutherzigen,  so  ihn  heimbsuchten 
belanget:  die  Hesse  er  frei  mit  ihme  reden,  grüssete  sie  freundlich,  lehrte 
sie  gütiglich,  und  ehrete  sie  gebürlich.  Und  ob  er  schon  weder  schreiben 
noch  lesen  könnte,  pflegte  er  doch  aus  Göttlicher  Gnad  und  Weisheit,  auch 
mit  den  allergelebrtisten  Leuten  dermassen  zureden,  dass  er  sie  auch  ge- 
nugsamb  berichtete,  und  oft  ihr  Unverstand  in  helmblicheo  Dingen  zuhtlf 
käme. 

Zu  V.  73—74  vgl.  H.  S.  398  fr.,  Cap.  4  7,  überschrieben  -Etliche  Pro- 
pheceyung  und  Miracul  bey  seinen  Lebzeiten.« 

Zu  V.  74—76  vgl.  H.  S.  404  (Cap.  4  9): 

Under  andern  Gebetlen  war  auch  dem  Brnder  Clausen  dieses  gar  ge- 
mein. 0  Gott,  nimb  mich  mir,  und  gib  mich  ganz  zu  eigen  dir.  0  Herr,  gib 
mir  alles,  das  mich  bekehrt  zu  dir.  O  Herr,  nimb  von  mir  alles,  das  mich 
wendet  von  dir. 


Der  war  Bruder  Claus.    Die  Bundsversammlung 
Folgte  sciueni  Rath ;  einmUthig  wurden 
Aufgenommen  Solothurn  und  Freiburg; 
80   Und  so  manche  Rathsversammlung  wünschte 
Bruder  Cla  US  zu  sich  von  Unterwaiden, 


123     

Mit  der  Bärentappe,  die  der  Engel, 
Falls  er  in  den  Himmel  kommen  wollte, 
Ihm  zum  führenden  Panier  gegeben. 

Zu  V.  77—79  vgl.  H.  S.  396  (Cap.  45). 

Welches  auch  ohne  Frucht  und  Nutz  nicht  abgangen.  Dann  an 
demselbigen  Tag  haben  wolgemelte  acht  alte  Ort  sich  nicht  allein  mit 
einander  freundlich  vertragen  und  vergliechen ,  sonder  auch  Freiburg  und 
Solothurn  zu  Oertern  der  Eidgnossschaft  ganz  einhellig) ich  auf-  und  ange- 
nommen. 

Zu  V.  82—84  vgl.  H.  S.  390  (Cap.  5). 

Als  er  [Bruder  Claus]  ferners  auf  ein  Zeit  in  seinen  häuslichen  Ge- 
schäften war,  seind  drei  ehrbare  Männer  in  einer  ehrlichen  Gestalt  und 
guten  Sitten  zu  ihme  kommen,  under  denen  der  erste  anfieng  tugendlich 
zureden  ,  der  Meinung :  Nicolae  wiltu  dich  ganz  ergeben  mit  Scel  und  Leib 
in  unsern  Gewalt?  Er  antwortet  und  sprach:  Ich  ergib  mich  niemand 
andern  dann  dem  Allmächtigen  Gott,  dessen  Diener  ich  nun  lange  Zeit  zu- 
sein begehrt  hab.  Da  wandten  sich  dise  3  Männer  zusamen  mit  frölichem 
lachen,  und  redet  der  erste  widerumb  zu  ihme:  Dieweil  du  dann  dich 
Gott  allein  zugeeignet  hast  ewiglich,  so  verheiss  ich  dir  gewiss,  dass  wann 
du  wirst  vollbracht  und  erlebt  haben  das  sibenzigst  Jahr ,  wird  sich  der 
allergütigst  Gott  erbarmen  über  dein  Arbeit ,  und  dich  erlösen  von  aller 
Widerwärtigkeit,  darumb  ermahne  ich  dich  zu  einer  vesten  Beharrligkeit, 
so  will  ich  dir  geben  einen  Panner  mit  einem  Bärentappen  bezeichnet, 
einem  mächtigen  Kriegsheer  in  das  ewige  Leben  vorzutragen.  Ich  verlasse 
dir  auch  zu  unserer  Gedächtnuss  das  Creuz  zutragen.  Wie  dises  also 
vollendet,  giengen  die  drei  hinweg. 


Vorstehende  Arbeit  war  schon  fast  ganz  fertig,  als  mir 
merkwürdiger  Weise  erst  einfiel,  in  den  vom  Jahre  1792  an 
erhaltenen  Ausleihebtichern  der  Grossherzoglichen  Bibliothek 
nachzusehen,  ob  und  wann  Herder  daraus  die  Helvetia  Sancta 
entliehen  habe.  Da  Redlich  (Herders  sämmtliche  Werke 
XXVIII,  560)  sagt:  »der  Friedensstifter  gehört,  wie  die  Form 
und  die  erhaltene  Handschrift  zeigt,  erst  in  das  Jahr  1796«,  so 
suchte  ich  gleich  unter  letzterem  Jahre ,  und  bald  fand  ich, 
dass  Herder  am  19.  November  Murers  Helvetia  Sancta  entliehen 
hat.  Daraus  geht  also  hervor,  dass  »Die  ewge  Weisheit«  und 
»Der  Friedensstifter«  erst  nach  dem  19.  November  1796  ge- 
dichtet sind. 

Ausser  Murers  Heiligenleben  hat  aber  Herder  an  demselben 
Tage  noch  entliehen  des  Laurentius  Surius  Vitae  Sanctorum, 
Coloniae  Agrippinae  1617 — 18,  (4  Foliobande)  und  des  Jo.  Boni- 

9» 


124     

facius  Bagatta  Admiranda  Orbis  Christiani,  T.  I. — II.,  Veneiiis 
1680,  und  dann  noch  am  28.  Novembor  zwei  Heiligenleben  von 
Antoine  Godeau,  nemlich  La  Vie  de  Saint  Augustin,  Seconde 
Edition,  Paris  1657,  und  La  Vie  de  Saint  Charles  Borrom^e,  Paris 
1684.  Alle  diese  Entleihungen  bezeugen  Herders  damalige 
Beschäftigung  mit  den  Legenden.  Aus  den  beiden  Werken 
Godeaus  hat  Herder  keine  seiner  Legenden  geschöpft,  wol  aber 
dürfte  fttr  manche  in  den  genannten  Werken  von  Surius  und 
Bagatta  die  Quelle  zu  finden  sein.  Ich  überlasse  es  andern  dies 
zu  ermitteln. 


Herr  Zarncke  legte  nach  einigen  einleitenden  Bemerkungen 
einen  Aufsatz  des  Herrn  Dr.  E,  Schnippet  in  Osterode  in  Ost- 
preussen  vor  über  das  Runenschwert  des  Königlichen  Historischen 
Museums  in  Dresden, 

(Vgl.  hierzu  Taf.  I-III.) 

Die  nachfolgende  Abhandlung  verdankt  ihre  Entstehung 
Herrn  Professor  Dr.  Zarncke  in  Leipzig.  Derselbe  erkannte 
nicht  nur  zuerst  das  besondere  und  vielseitige  Interesse ,  das 
sich  an  den  behandelten  Gegenstand  knüpft,  sondern  stellte  mir 
auch  in  uneigennützigster  Liebenswürdigkeit  eine  treffliche, 
von  seinem  Neffen,  Herrn  MaxBölckow,  gefertigte  Kopie  des 
auf  dem  Dresdener  Schwerte  befindlichen  Runenkalenders  zur 
Verfügung,  die  dann  von  mir  der  Erörterung  zu  Grunde  gelegt 
ward.  Er  controlierte  ferner  mit  immer  gleichbleibender  Ge- 
fälligkeit die  Kopie  am  Original,  lieferte  die  unten  folgende  Be- 
schreibung des  letzteren,  überwachte  die  —  vorzüglich  ge- 
lungene —  Lithographie  und  förderte  meine  Arbeit  auch  sonst 
durch  manche  lehrreiche  Bemerkung.  Ihm  gebührt  daher  in 
erster  Linie  mein  herzlichster  und  ergebenster  Dank. 

Ebenso  fühle  ich  mich  aber  auch  gedrungen,  allen  denen, 
die  sonst  meine  Untersuchung  in  der  einen  oder  anderen  Weise 
unterstützt  haben,  an  dieser  Stelle  zu  danken,  sowohl  den  Vor- 
ständen der  ihres  Ortes  erwähnten  Museen,  Waffensammlungcn 
und  Archive ,  wie  nicht  minder  den  öffentlichen  Bibliotheken, 
die  mir  die  erreichbaren  litterarischen  Hilfsmittel  lieferten,  — als 
auch  Privatpersonen,  besonders  Herrn  Rittergutsbesitzer  Th. 
Blell  zu  Gross-Lichterfelde,  der  mir  aus  dem  reichen  Schatze 
seines  Wissens  aufs  freundlichste  manchen  Beitrag  spendete. 

Wenn  ich  öfter,  als  mir  selbst  lieb  ist,  meine  frühere  Ar- 
beit über  den  Oldenburger  Runenkalender  i)  eitlere,  so  Hess  sich 

*)  »t)ber  einen  merkwürdigen  Runenkalender,  sogenannten  Rlmstock 
oder  Primstab,  des  Grossherzoglichen  Museums  zu  Oldenburg  u.  s.  w.« 


126     

dies  doch  kaum  vermeiden,  wenn  ich  nicht  das  dort  Gesagte 
wiederholen  sollte ;  gelegentlich  konnten  auch  einige  nicht  un- 
wesentliche Berichtigungen  zu  jener  ersten  Schrift  gegeben 
werden. 

Es  würde  mich  aufrichtig  freuen,  wenn  vielleicht  durch  die 
Veröffentlichung  der  vorliegenden  Abhandlung  noch  anderes 
Material  zur  Geschichte  dieser  kulturgeschichtlich  so  interessan- 
ten Runenkalender  und  Kalenderschwerter,  insbesondere  aber 
verwandte  Denkmäler  zu  Tage  kämen.  Jede  derartige  Mitthei- 
lung oder  die  Berichtigung  etwaiger,  bei  einem  so  schwierigen 
Stoffe  kaum  ausbleibender  Irrthümer  würde  mich  zu  Dank  ver- 
pflichten, besonders  da  mehrfach  wichtige  Zeitschriften,  Bil- 
derwerke u.  dergl.  mir  nicht  zugänglich  waren,  ich  würde 
nicht  verfehlen,  etwa  sich  ergebende  Nachträge  geeigneten 
Qrtes  bekannt  zu  geben. 

Das  in  seiner  Weise  so  grossartige  und  besonders  an  Denk- 
mälern des  46.  und  17.  Jahrhunderts  so  überaus  reiche  König- 
liche Historische  Museum  zu  Dresden,  das  zu  den  ältesten  und 
zweifelsohne  auch  zu  den  ersten  in  ganz  Europa  gehört,  enthält 
in  dem  sogenannten  Schlachtensaal  unter  Nr.  \9  ein,  wie  sich 
zeigen  wird,  höchst  merkwürdiges  Schwert,  das  als  das  Schwert 
des  bekannten  Wiedertäufers  und  Bauernführers  Thomas  Mün- 
zer bezeichnet  wird,  sich  früher  im  Grünen  Gewölbe  befand, 
aus  einer  Sense  hergestellt  und  auf  der  Klinge  mit  einem  Runen- 
kalender versehen  ist. 

In  der  Litteratur  hat  dasselbe,  soviel  sich  ermitteln  Hess, 
bisher  nur  an  folgenden  Stellen  —  und  immer  nur  ganz  kurz  — 
sachliche  Besprechung  gefunden: 

J.  G.  V.  Quandt,  Das  Historische  Museum  in  Dresden.  Dresden 
1834.  8®,  S.  117ff.,  mit  der  Bemerkung:  »Viele  alte  Zeugnisse 
(die  aber  nicht  angeführt  werden)  sprechen  für  die  Echtheit 
der  Waffe«  —  sonst  ohne  Belang. 
J.  K.  Seidemann,  Thomas  Münzer.  Eine  Biographie.  Dresden 
u.  Leipzig  1842.  8®,  S.  158,  —  kurz,  aber  verständig,  wenn- 
gleich die  allgemeineren  Fragen ,  die  sich  an  die  Waffe  an- 


Oldenburg 1883,  126  Seiten  8^,  ursprünglict^eparatabdruck  aus  den  »Be- 
richten des  Oldenburgiscben  Landesvereins  für  Alterthumskunde« ,  dann 
auch  besonders  erschienen,  ebda,  Verlag  von  G.  Stalling. 


127     

scbliessen,  und  der  Inhalt  des  Runenkalenders  nicht  berührt 
werden. 

F.  A.  Frenzol,  Führer  durch  das  Historische  Museum  zu  Dres- 
den. Leipzig  1850.  8«,  S.  400,  —  der  die  Waffe  als  »wegen 
ihres  hohen  Alters  ausserordentlich  merkwürdig«  bezeichnet. 

G.  Klemm,  Werkzeuge  und  Waffen.  Leipzig  1854.  8»,  S.<46ff., 
—  der  die  Klinge  wegen  der  Runen  »aus  Dänemark  oder  Nor- 
wegen« herstammen  lässt  und  auch  noch  die  unten  zu  er- 
wähnende, jetzt  verloren  gegangene  Scheide  »von  Holzspahn, 
mit  schwarzem  Leder  überzogen,  Mundstück  und  Ortband 
vergoldet«  erwähnt. 

Eine,  allerdings  nur  ganz  dürftige  Abbildung  findet  sich 
bemerkenswerther  Weise  in  der  älteren  Auflage  des  Bilder- 
atlas zum  Conversations-Lexikon,  entworfen  von  J.  G. 
Heck,  Leipzig  (F.  A.  Brockhaus)  1849,  V,  B.  2  (Taf.  107), 
Nr.  60*,  doch  bezieht  sich  der  zugehörige  Text  auf  S.  23  nicht 
speziell  auf  das  abgebildete  Schwert,  sondern  nur  auf  »Sichel- 
schwerter«  im  allgemeinen. 

Eine  wissenschaftliche  Publikation  unserer  Waffe  gibt  es 
nach  freundlicher  Mittheilung  der  Direktion  des  Historischen 
Museums  überhaupt  noch  nicht.  Bei  dem  vielfachen  Interesse 
jedoch,  das  dieses  eigenartige  Schwert  sowohl,  als  der  darauf 
befindliche  Runenkalender  erregt,  schien  eine  genauere  Unter- 
suchung wohl  angezeigt. 

Als  Grundlage  dazu  gibt  Herr  Professor  Dr.  Zarncke  von 
dem  Schwerte  selbst  und  der  beigefügten  lithographischen  Kopie 
die  folgende  Beschreibung : 

Die  Annahme,  dass  das  in  Rede  stehende  Schwert  das  des 
Thomas  Müntzer  sei,  lässt  sich  actenmässig  nur  bis  zum  Jahre 
1838  zurück  verfolgen.  1)  In  dem  in  diesem  Jahre  angefer- 
tigten Inventar  des  Historischen  Museums  ist  es  (Schlachten- 
saal Nr.  1 9)  mit  dem  Vermerk  eingetragen  »Ist  das  Schwort 
Thomas  Müntzer's,  zu  Stolberg  am  Harz  geboren  und  1525  im 
Lager  bei  Mühlhausen  hingerichtet.«  Früher  befand  sich  das 
Schwert  im  Grünen  Gewölbe,  aber  wann,  durch  wen  und 
bei  welcher  Veranlassung  die  Waffe  dorthin  gekommen, 
darüber  hat  sich  bisher  noch  Nichts  ermitteln  lassen.     Ein 


1)  Dies  und  das  Nachstehende  nach  gefälligen  Mitiheilungen  des 
Directors  des  Historischen  Museums  in  Dresden,  Hrn.  Dr.  jur.  A.  Erb- 
stein. 


128     

Bedenken  könnte  der  Glaubwürdigkeit  jener  Tradition  ent- 
gegenzustehen scheinen:  der  messingene,  —  ebenso  wie 
Knopf  und  Kette  vergoldete  — ,  mit  eingeschlagenen  und 
eingravierten  Verzierungen  versehene  Griff  lässt  sich  nicht 
recht  mit  der  Zeit  Mttntzer's  in  Einklang  bringen,  er  scheint 
nach  dem  Vorbilde  türkischer  und  polnischer  Waffen  aus  dem 
17.  Jahrhundert  gearbeitet  zu  sein.  Aber  freilich  wäre  es 
auch  denkbar,  dass,  wie  bei  anderen  Waffen,  z.  B.  bei  dem 
Dolche  des  Gegenkönigs  Rudolf  von  Schwaben,  der  Griff 
später  erneuert  worden  wäre.  Dazu  könnte  auch  stimmen, 
dass  der  Griff  gegenwärtig  für  den  wirklichen  Gebrauch  ver- 
kehrt steht.  Da ,  wie  wir  sehen  werden ,  zu  dem  Schwerte 
eine  wirkliche  Sense  verwandt  worden  ist,  so  liegt  es  am 
nächsten ,  seine  Herstellung  auf  eine  Bauemrevolte  zurück* 
zuführen ,  da  in  diesen  stets  Sensen  zu  Waffen  hergerichtet 
worden  sind,  in  erster  Linie  natürlich  zu  Lanzen.^)  Da 
ferner  in  dem  Zuge  gegen  Müntzer  der  Herzog  Georg  von 
Sachsen  die  Führung  hatte  und  bei  der  Gefangennahme  und 
Hinrichtung  Müntzer's  persönlich  zugegen  war,  und  da  die 
chronologischen  Anknüpfungspunkte,  die  die  Runen  der 
Klinge  gewähren,  ebenfalls  auf  den  Anfang  des  i6.  Jahrhun- 
derts führen ,  so  wird  man  immerhin  jene  Tradition  für  eine 
mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  richtige  erklären  dürfen.  Ob 
die  Unterschrift,  die  Thomas  Müntzer  z.  B.  seinem  Briefe  vom 
9.  Mai  4525  2)  giebt  »Thoraas  müntzer  mit  dem  Schwertbe 
Gydeonisa  irgendwie  mit  diesem  Sensenschwerle  zusammen- 
hängt, mag  dahingestellt  bleiben;  nöthig  ist  eine  solche  An- 
nahme nicht,  da  der  im  Buch  der  Richter  7,  14  u.  20  ge- 
nannte gladius  Gedeonis  eine  symbolische  Bedeutung  hat. 

Gegenwärtig  ist  das  Schwert  ohne  Scheide,  und  dieser 
Umstand  könnte  der  Vermuthung  Vorschub  zu  leisten  schei- 
nen, die  Fassung  als  Schwert  sei  nur  eine  Spielerei,  um  die 
interessante  Sense  der  Waffensammlung  einzuverleiben,  aber 
noch  im  Jahre  1842,  als  Seidemann  sein  Werk  über  Thomas 
Müntzer  schrieb,  war  sie  vorhanden.  S.  158  desselben  heisst 
OS :  »Des  Schwertes  Scheide  ist  von  Holz  und  mit  schwarzem 
Leder  überzogen;  Mundstück,  Orlband  u.  s.  w.  vergoldet.« 
Leider  ist  über  den  Verbleib  derselben  Nichts  zu  ermitteln 


i)  So  besitzt  Herr  Blell  in  Gr.  Lichterfelde,  einer  der  ersten  Kenner 
auf  dem  Gebiete  der  Waflenkunde  und  Besitzer  vielleicht  der  grössten  Pri- 
vatwafTensammlung  auf  dem  Contincnle,  eine  solche  Kriegssense,  die  aus 
einem  der  deutschen  Bauernkriege  U93 — 1525  herstammt.  Die  Sense  ist 
ca.  81  cm  lang  und  an  einem  1,77  m  langen  Holzschafi  befestigt. 

r,  Bei  Seidemann,  Th  M.  Eine  Biographie,  1842,  S.  143. 


1 29 

gewesen.  Seidemann  slellt  a.  u.  0.  Vermuihungcn  auf,  wie 
Mttntzer  in  den  Besitz  der  Klinge  gekommen  sei,  ob  etwa 
durch  Karlstadt,  der  1524 ,  oder  durch  Martin  Reinhard,  der 
4520  in  Dänemark  gewesen  seii  Beides  ist  wenig  wahr- 
scheinlich, viel  glaublicher,  dass,  als  im  Bauernkriege  Sensen, 
die  damals  zu  einem  grossen  Theile  aus  Schweden  nach 
Deutschland  kamen,  zu  Waffen  umgearbeitet  wurden,  eine 
besonders  werthvolle,  die  mit  einem  Runenkalender  ver- 
sehen war ,  zu  einem  Schwerte  ftlr  den  Anführer  verarbeitet 
wurde ,  dessen  mystischer  Geistesrichtung  das  Schwert,  wie 
schon  Seidemann  sagt,  durch  die  Runenzeichen  als  gefeit  er- 
scheinen musste. 

Die  Lange  des  Schwertes  betragt  97  cm,  die  der  Sense 
allein  ca.  82,  am  Griffe  ist  letztere  5,5,  in  der  Mitte  5  cm 
breit  (vgl.  Taf.  II,  A  u.  B).  Die  Schneide  liegt  natürlich,  ent- 
gegengesetzt der  eines  gewöhnlichen  Schwertes,  auf  der 
inneren  Beugung,  der  Rücken  auf  der  äusseren ;  er  ist,  voll- 
ständig entsprechend  dem  Rücken  einer  Sense,  etwa  8  mm 
in  die  Höhe  gebogen ,  so  dass  der  Durchschnitt  die  nach- 
stehende Form  zeigt : 


Auf  beiden  Seiten  der  Sense  ist  ein  Runenkalendor  mit  gül- 
dener Zahl  und  Bezeichnung  der  Festtage  angebracht,  auf 
der  nach  oben  gerichteten  die  Sommerseitc,  und  die  Zeichen 
dieser  sind  graviert  (vgl.  Taf.  I,  A) ,  —  auf  der  nach  unten  ge- 
richteten die  Winterseite ,  und  die  Zeichen  dieser  sind  gra- 
viert und  eingeatzt ,  und  schon  daher  grösser  und  kraftiger : 
auf  der  Sommerseite  die  Hauptreihe  42  mm  hoch,  auf  der 
Winterseite  44  mm  (vgl.  Taf.  I,  B).  Auf  der  Sommerseitc 
(vom  7.  April  bis  8.  Oktober)  befinden  sich  '485,  auf  der 
Winterseite  nur  480  Runen.  Beide  Runenreihen  beginnen 
am  Griffe  und  gehen  von  links  nach  rechts.  Daher  steht 
auf  der  Sommerseite  die  güldene  Zahl  an  der  Schneide ,  au^ 
der  Winterseite  am  Rücken ,  und  wenn  also  die  Sense  zum 
Gebrauch  hergerichtet  war  und  auf  den  Stiel  gestellt  ward, 
so  standen  nur  die  Runen  der  Winterseite  normal  aufrecht 
und  waren  von  links  nach  rechts  gerichtet,  während  die  der 
Sommerseite  auf  dem  Kopfe  standen  und  so  von  rechts  nach 
links   liefen,   ohne  jedoch  rückwärts  geschrieben  zu  sein. 


130     

Auf  dem  aufwärts  gebogenen  Rücken  der  Sense  beßnden 
sich  noch  unmittelbar  am  Griff  die  \  9  Runenziffern  zur  Er- 
füllung der  güldenen  Zahl  und  davor  zwei  Zeichen,  die  zwei- 
felsohne das  Monogramm  des  Verfertigers  der  Sense  sind  (vgl. 
Taf.  II,  C). 

Aus  genauerer  Betrachtung  der  Sense  ergiebt  sich  nun, 
dass  die  Klinge  nicht  nur  zum  Gebrauch  als  Sense  gearbeitet 
worden,  sondern  dass  sie  auch  wirklich  als  solche  in  Ge- 
brauch gewesen  ist.  Da  beim  Mähen  die  untere  Seile  der 
Sense  einen  viel  kräftigeren  Gegendruck  zu  erleiden  bat  als 
die  obere ,  so  sind  schon  um  deswillen  die  Zeichen  auf  der- 
selben grösser  angelegt  und  weit  kräftiger  eingearbeitet  — 
graviert  und  geätzt  — ,  als  auf  der  relativ  weniger  gefährdeten 
Oberseite.  Auch  bemerkt  man ,  dass  die  Fläche  der  Unter- 
seite im  Gebrauche  bereits  mehr  abgenutzt  ist,  als  die  Ober- 
seite. Ferner  zeigen  beide  Seiten  ganz  deutlich,  dass  die 
Sense  vielfach  geschärft  (getengelt)  worden  ist,  zumal  an  der 
Spitze,  die  Ja  am  meisten  der  Abstumpfung  ausgesetzt  ist. 
Hier  ist  durch  das  Tengeln  die  der  Schneide  zunächst  liegende 
Gravierung  theilweise  fast  ganz  abgerieben,  überhaupt  aber 
die  Schneide  durch  vielfaches  Abtengeln,  namentlich  wieder 
nach  der  Spitze  zu ,  der  Zeichenreihe  näher  gerückt ,  als  sie 
anfänglich  gelegen  hat.  Unser  Schwert  ist  also  nicht  als 
Schwert  aus  Scandinavien  gekommen ,  sondern,  nachdem  es 
längere  Zeit  als  Sense  in  friedlichem  Gebrauche  gewesen 
war,  ist  diese  zu  einem  Schwerte  umgearbeitet  worden. 

Ich  füge  noch  einige  Bemerkungen  über  die  Runenzeichen 
und  ihre  Wiedergabe  auf  der  zweiten  Tafel  bei. 

Die  Gravierung,  resp.  Einätzung,  ist  nicht  ohne  Fehler.  So 
sind  auf  der  Sommerseite  beim  29.  Juli  das  Querkreuz  in  der 
Mitte  der  Rune,  beim  9.  August  die  beiden  Querstriche  fort- 
gelassen. Beides  ist  in  der  Lithographie  ergänzt.  Die  zwei 
Runen  für  den  5.  und  6.  October  sind  wiederholt,  und  dies 
ist  auf  der  Kopie  absichtlich  unberichtigt  gelassen.  Auf  der 
Winterseite  fehlt  beim  13.  October  oben  die  Seitenlinie, 
beim  24.  December  fehlen  die  Querstriche,  beim  24.  März 
der  Halbbogen.  Diese  Fehler  sind  in  der  Kopie  berichtigt. 
In  der  Reihe  der  güldenen  Zahl  fehlt  beim  43.  August  der 
Bogen,  am  20.  Februar  das  Dach  der  Rune,  und  am  23.  Mai, 
am  44.  und  27.  October  ist  die  güldene  Zahl  ganz  fortge- 
fallen :  diese  Fehler  sind  berichtigt,  wie  ebenso  auf  dem 
Rücken  der  Sense  der  Fehler,  dass  bei  4  5  das  Zeichen  für  42 
wiederholt  war.  In  der  unteren  Reihe  der  Feste  sind  keine 
Fehler  sicher  zu  beobachten  gewesen;  möglicherweise  sind 


131 

die  Festzeichen  beim  H.  Juni  und  beim  8.  Februar  fehler- 
haft gesetzt  statt  zum  12.  Juni  und  zum  9.  Februar,  wortlber 
Herr  Dr.  Schnippel  noch  weiter  handeln  wird. 

Das  Runenzeicben  für  U  ist  in  der  Hauptrunenreihe  in  der 
Regel  nach  oben  geöffnet;  a1)er  einige  Maie  ist  es,  wie  im 
alten  Futhork,  oben  geschlossen,  so  dass  es  mit  dem  Zeichen 
für  R  zusammenfallt.  Dies  ist  der  Fall  am  10.  Juli,  \7.  Juli, 
7.  August,  9.  Januar,  und  diese  Versehen  sind  beibehallen 
worden ,  weil  sie  offenbar  mit  der  alten  Gestalt  des  Runen- 
zeichens zusammenhängen.  Zuweilen  ist  auch  der  Seiten- 
strich am  U  zu  hoch  angesetzt,  so  dass  das  Zeichen  fttr  U  mit 
dem  für  R  zusammenfällt,  so  am  27.  März  und  3.  April.  Es 
würe  vielleicht  consequenter  gewesen  ,  auch  diese  Fehler  zu 
berichtigen,  aber  ich  habe  sie  stehen  lassen. 

In  der  Reihe  der  güldenen  Zahl  ist  das  U  noch  das  alte, 
nach  unten  geöffnete  Zeichen  (merkwürdiger  Weise  aber  nicht 
bei  der  Zusammenstellung  der  Zahlenzeichen  auf  dem  Rücken 
der  Sense,  vgl.  Taf.  II,  C),  und  darum  ist,  wohl  im  Anschluss 
an  das  Verhältniss,  das  die  beiden  Zeichen  in  der  Haupt- 
runenreihe zu  einander  haben,  die  Rune  für  R,  von  aller 
historischen  Anknüpfung  unabhängig ,  nach  oben  geöffnet, 
und  kaum  von  dem  Zeichen  für  K  zu  unterscheiden.  Nicht 
immer  stimmen  auch  die  übrigen  Zeichen  genau  überein ,  R 
ist  bald  vorwärts,  bald  rückwärts  gezeichnet,  das  Zeichen  für 
F  bald  mit  gerundeten ,  bald  mit  geradlinigen  Querstrichen 
versehen,  die  Seitenlinien  sind  bald  mehr  nach  oben,  bald 
mehr  in  der  Mitte  angebracht,  auch  sonst  wird  einmal  links 
und  rechts  verwechselt ,  es  ist  auch  wohl  einmal  ein  Seiten- 
strich als  Querstrich  durch  den  Hauptbalken  gedrungen.  Auf 
genaue  Wiedergabe  dieser  kleinen  Züge  ist  nichts  gegeben, 
da  einmal  eine  photographische  Herstellung  sich  als  unaus- 
führbar erwies.  Dagegen  ist  unberichtigt  geblieben  der 
Fehler  auf  dem  Rücken  der  Sense  bei  der  Ziffer  8  (Rune  für 
N).  Dies  Zeichen  fällt  hier  ganz  mit  dem  für  40  (Rune  für  A) 
zusammen ,  während  in  der  Reihe  der  güldenen  Zahl  selbst 
für  8  zwei  Querstriche  verwandt  werden  (merkwürdiger- 
weise ganz  gleich  dem  0  in  der  Hauptrunenreihe,  dessen 
Zeichen  in  der  Reihe  der  güldenen  Zahl  die  beiden  Linien 
durch  den  Hauptbalken  hindurch  führt).  Von  dem  alten  Ru- 
nenzeichen weicht  auch  das  Zeichen  für  10  ganz  ab,  aber 
mit  dem  Zeichen  in  der  Reihe  der  güldenen  Zahl  stimmt  es 
überein,  es  ist  also  hier  auf  dem  Rücken  der  Sense  kein 
Fehler. 

Rei  den  Zeichen  für  die  Festtage  ist  der  Zeichner  bemüht 


132 

gewesen,  genaueslcn  Anschluss  an  das  Original  zu  erreichen, 
und  seine  Zeichnung  ist  von  mir  darauf  hin  mit  dem  Original 
verglichen  worden.  Fr.  Z, 


Im  Anschluss  an  diese  Beschreibung  und  mit  Verweis  auf 
die  beigefügten  Tafeln  bemerke  ich  nun  Folgendes. 

Kalenderschwerter  kommen,  seit  man  überhaupt  an 
der  Verzierung  der  Schwenkungen  durch  Schriften  Gefallen 
gefunden  hatte,  d.  h.  gegen  Ende  des  Mittelalters  und  besonders 
im  46.  Jahrhundert,  nicht  ganz  selten  vor.  Sie  sind  fast  aus- 
nahmslos deutschen  Ursprungs,  war  doch  gerade  Deutschland 
das  Ilauptland  der  Waffenschmiedekunst,  wo  letztere,  wie  in 
keinem  anderen  Lande  auch  nur  annähernd  in  gleichem  Grade, 
verbreitet  war  und  die  Anfertigung  von  Rüstungen  und  Pracht- 
waffen in  höchster  Vollendung  betrieben  wurde.  Und  es  sind 
denn  auch  die  allermeisten  als  italienische  oder  spanische  Arbeit 
bezeichneten  Gegenstande  der  Art  in  den  Sammlungen  innerhalb 
wie  ausserhalb  Deutschlands,  wie  die  Fabrikmarken  und  Mono- 
gramme zeigen,  fast  regelmassig  deutsches  Fabrikat,  vergl.  A. 
Demmin,  Die  Kriegswaffen  in  ihrer  historischen  Entwicklung 
(Waffenkunde,  2.  Aufl.),  Leipzig  1886,  8«,  S.  8  ff. 

Die  erwähnten  Schriftenverzierungen  wurden  meist  ein- 
geätzt,  welche  Kunst  in  der  Mitte  des  45.  .Tahrhunderls  er- 
funden und  bekanntlich  besonders  beim  Kupferstich  verwandt 
ward,  doch  wahrscheinlich  vor  der  letzteren  Anwendung  schon 
von  den  »Harnisch machern«  benutzt  worden  war.  Älter  und 
erheblich  seltener  für  den  beregten  Zweck  verwandt  war  das 
Einhauen  und  Eingravieren,  das  andererseits  aber  auch  neben 
dem  Ätzen  fortgeübt  ward  und  sich  schliesslich  länger  in  Ge- 
brauch erhielt  als  das  erstere.  Schon  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
nämlich  wurde  die  durch  das  Ätzen  so  leicht  gemachte  Über- 
treibung solcher  Verzierung  auf  ein  richtiges  Mass  zurückge- 
führt, und  aus  dem  17.  .lahrhundert  finden  sich  denn  auch  nur 
noch  ganz  vereinzelt  Kalenderschwerter. 

Freilich  kann  überhaupt  das  Anbringen  ganzer  Kalender 
auf  Schwertklingen  doch  nur  recht  ausnahmsweise  vorgekom- 
men sein,  vergl.  G.  Klemm,  a.  a.O.,  S.  219,  und  es  haben  sich 
auch,  soweit  eine  Umfrage  ergab,  in  Deutschland  und  Osler- 


133     

reich  in  öffentlichen  Sammlungen  nur  etwa  zwei  Dutzend 
Exemplare  erhalten.  Im  Auslande  scheinen  sie,  wenigstens 
nach  den  Katalogen  der  grössten  Waffenmuseen  und  vielfachen 
Erkundigungen  meinerseits,  abgesehen  von  dem  einen  unten 
angeffihrten  Pariser,  nicht  vorzukommen,  und  es  ist  auch 
nicht  zu  erwarten ,  dass  ausser  den  von  mir  ermittelten,  noch 
gerade  viele  in  anderen,  besonders  Privatsammlungen  sich  fin- 
den sollten. 

Dennoch  haben  diese  Kalenderschwerter  schon  an  und  für 
sich  ein  hohes  kulturhistorisches  Interesse,  und  auch  deshalb 
fOhre  ich  hier  diejenigen  an,  über  die  ich  Nachrichten  erhalten 
konnte. 

Bei  weitem  am  reichsten  an  Kalenderschwertern  ist  das  k. 
Zeughaus  zu  Berlin;  es  enthält  deren  in  seinem  alten  Be- 
stände fünf,  die  Herr  stud.  techn.  R.  Schmidt  für  mich  zu  ver- 
gleichen die  Güte  hatte ,  und  ausserdem  7  oder  8  aus  der  be- 
rühmten Sammlung  des  Prinzen  Karl,  worüber  ich  Herrn  Th. 
Blell  nähere  Nachrichten  verdanke.   Die  ersteren  sind 

i)  Abth.  b  der  Waffensammlung  (abendländ.  Waffen),  i6. 
Jahrhundert,  Nr.  242,  nach  Angabe  des  »Wegweisers«:  »Schwert. 
Der  Griff  mit  aufgelegten  vergoldeten  Verzierungen ;  auf  der 
Klinge  eingegraben  ein  Kalender  zum  (?)  Jahre  4506«  (meiner 
Erinnerung  nach  ist  es  richtiger  ein  immerwährender  juliani- 
scher Kalender  vom  J.  i506)  —  nur  in  lat.  Ziffern.  Nach  Dem- 
min,  a.  a.  0.,  S.  540,  wo  auch  Abbildung  des  Griffes,  ein  »sehr 
merkwürdiges  Stück«;  der  Kalender  »fein  gestochene  Arbeit«. 
Handgriff  und  Parierstange  »mit  Figuren  von  vergoldetem  Kupfer 
gezierte. 

2)  Ebd.  Nr.  542:  »Schwert,  auf  der  Klinge  eingoätzt  ein 
Kalender  (nur  in  Ziffern).    1570— < 600«. 

3)  Ebd.  Nr.  675  (657?):  «zweischneidiges  Schwert  mit  Ka- 
lender« —  ohne  nähere  Angabe. 

4)  Ebd.  Nr.  676:  »Degen,  Parierstange  und  Knauf  aus 
Eisen  geschnitten,  mit  Silber  belegt,  mit  Kalenderklingc,  1570 
—  4620«  —  nur  Ziffern,  Buchsfaben  und  ornamentale  Verzie- 
rungen. 

5)  Ebd.  Nr.  683:  »Schwert.  Parierslange  und  Knauf  in 
Eisen  geschnitten.  Auf  der  Klinge  eingeätzt  ein  Kalender  1570 
— 1600«  —  nur  Ziffern  und  Buchstaben. 

Die  an  zweiter  Stelle  erwähnlen,  zum  Theil  »wahre  Pracht- 


134     

Waffen«  y  sind  nach  dem  HiUrschen  Kataloge  (die  gegenwär- 
tige Nummerierung  liess  sich  leider  infolge  der  mehrfachen  Ver- 
änderung nicht  genau  feststeHen ,  doch  gehören  hierher  sicher 
b,  Nr.  6543.  6858.  7064  —  Schwerter  —  und  Nr.  7354  — 
Silbel): 

1)  Vier  (fünf?)  gerade  zweischneidige  Schwerter,  wovon 
nur  eines  (mit  hochciselierter  Gravierung)  aus  dem  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts,  nämlich  vom  Jahre  1640,  alle  anderen 
aus  dem  Anfange  des  46.  Jahrhunderts,  angeblich  —  doch  sind 
die  betr.  Angaben  wohl  nicht  ganz  genau,  und  die  neue  Auf- 
lage des  »Wegweisers«  spricht  stets  von  i>£inätzung«,  nur  ein- 
mal nennt  sie  den  Kalender  »herausgeätzt«,  bei  Nr.  6858  — 
in  »gehauener  oder  erhabener  Arbeita ,  bez.  »vertieft  graviert«, 
oder  »mit  immerwährendem  Kalender  in  gehauener  (ciselierter) 
Arbeit«; 

2)  drei  leicht  gekrümmte,  einschneidige  Säbel,  zwei  aus 
der  Mitte  des  46.  Jahrhunderts^  darunter  Nr.  7354  vom  J.  4554, 
mit  »deutschem«  Kalender  »in  erhabener  Gravierung«,  der  dritte, 
jedenfalls  merkwürdigste,  »aus  dem  Anfang  des  47.  Jahrhun- 
derts mit  lateinischem  Kalender;  Festtage  in  Gold  geätzt, 
Schrift  erhaben:  wahrscheinlich  polnische  (?)  Arbeit«. 

Sodann  enthalten  die  herzogl.  Sammlungen  auf  der 
Veste  Coburg  nach  freundlicher  Mittheilung  der  Direktion 
zwei  Schwerter  mit  Kalender  auf  der  Klinge  und  einen  dergl. 
Dolch.    »Die  Schwerter  sind  Solinger  Arbeit«. 

Ebenso  finden  sich  zwei  im  k.  bayerischen  National- 
museum zu  München,  nämlich 

4)  I.  Stock,  Saal  III,  Nr.  374:  »Einschneidige  Schwerl- 
klinge  mit  starkem  Rücken  und  breitem  flachen  Hohlschliff  vom 
Jahre  4528.  Auf  der  einen  Seite  ist  ein  vollständiger  Kalender 
eingeätzt  mit  einer  Tabelle  zum  Aufsuchen  der  beweglichen 
Feste  vom  Jahre  4528  bis  4  557;  auf  der  andern  Seite  ist  der 
Triumphzug  des  Kaisers  Maximilian«.^) 

2)  I.  Stock,  Saal  IV,  Nr.  93:  »Ein  Schwert  (wohl  des 
46.  Jahrhunderts),  auf  dessen  Klinge  die  Himmelszeichen  und 
der  vollständige  Kalender  eingeätzt  sind«.  —  Mittheilung  des 
Direktoriums. 


4)  Eine  angebliche  Publikation  dieses  merkwürdigen  Stückes  von 
V.  Hefner-Alteneck  ist  nnir  unzugänglich  geblieben. 


135     

Desgleichen  befinden  sich  einige  Kalenderschwerter  in 
Wien,  und  zwar  in  der  k.  k.  Ambraser  Sammlung  eines, 
der  hochberühmte  Degen  Karls  V,  ein  Meisterwerk  des  Kunst- 
gewerbes (Gruppe  1  —  Waffen  — ,  Saal  6,  Nr.  83).  Es  ist  der- 
selbe ,  dessen  sich  der  Kaiser  auf  dem  Reichstage  zu  Augsburg 
bedient  haben  soll.  »Die  zweischneidige  Klinge  (mit  flacher 
Rippe)  hat  eine  Länge  von  2'  41"  (Wiener  Mass);  unten  sind 
auf  einer  Seite  der  doppelköpfige  kaiserliche  Adler  und  die 
Ruchstaben  K.  K.  auf  beiden  Seiten  der  Krone  in  vergoldeter 
Ätzarbeit  zu  sehen.  Zwei  Dritlheile  der  Klinge  nimmt  beider- 
seits ein  schön  geätzter  Kalender  ein  ;  die  sehr  deutliche  Schrift 
erscheint  blank  auf  schwarzem  Grunde ,  Sonn-  und  Feiertage 
sowie  die  Titel  der  Monate  haben  goldenen  Grund ;  unten  ist 
eine  Tabelle  mit  der  Angabe  der  Epakte ,  des  Numerus  aureus 
und  der  litera  dominica  zur  Rerechnung  auf  10  Jahre.  Gegen 
die  Spitze  zu  liest  man  CAROLVS.  ROMANORVM.  IMPERATOR. 
SEMPER.  VLTRA.  1530.  AMRR0SI9  GEMLICH.  DE.  MONACO») 
und  auf  der  anderen  Seite  den  Wahlspruch  des  Kaisers  SI. 
DEVS  NORISCVM  QVIS  CONTRA  NOS.  QVIS  FORCIOR.  Knopf 
und  Gefäss  sind  mit  sehr  zarter  (aufgelegter)  Goldtausia  ver- 
ziert, der  Griff  mit  feinem  Silber  und  Messingdrahte  umspon- 
nen.a  Vgl.  E.  V.  Sacken,  Die  k.  k.  Ambraser  Sammlung, 
Wien  1855.  8<>,  I,  S.  294,  und  Derselbe,  Die  vorzüglichsten 
Rüstungen  und  Waffen  der  k.  k.  Ambraser  Sammlung  in  Foto- 
grafien, Wien  1862,  letzteres  mir  leider  nicht  zugänglich. 

Ebenso  besitzt  das  k.  k.  Hofwaffenmuseum  im  Ar- 
tilleriearsenal ebendaselbst  zwei, 

1)  Nr.  221  (Saal  I,  Fensterbogen  3):  »Schwert  mit  Kalen- 
derklinge. Der  Griff  (Knopf,  FaustbUgel  und  Stichblatt)  von 
blankem  Eisen,  der  Handgriff  inFlader-  (Ahorn-)  holz  (mit  Rein) 
eingelegt.  Die  gerade  Klinge  ist  flach.  Auf  beiden  Seiten  ist 
der  Kalender  (die  Tage  mit  ihren  Heiligen)  mit  der  Rerechnung 
für  die  beweglichen  Feste  von  1533  bis  einschliesslich  1542. 
Klinge  75  cm  lang.  Litteratur:  Fr.  v.  Leber,  Wiens  kaiserliches 
Zeughaus,  Wien  1846,  H,  S.  253;  W.  Roeheim,  Übersicht  des 
k.  k.  Hofwaffenmuseums,  Wien  1880,  S.  9.«  —  und 

2)  Nr.  1642  (Saal  II,  Fensterbogen  7):  »Schwert  mit  Kalen- 


1)  Ambrosius  Gemlich  von  München  ist  der  WafTenschmied  Karls  V. 
und  Ferdinand  I.,  vgl.  Demmin,  a.  a.  0.,  S.  742. 


136     

derklioge.  Der  Griff,  von  Messiog  mit  schwarzem  Hom  belegt, 
ist  erst  später  der  Klinge  beigegeben  worden.  Die  letztere 
trägt  in  Ätzung  auf  l>eiden  Seiten  einen  Kalender  und  zu  beiden 
Seilen  desselben  eine  Bordüre  mit  den  Wappen  der  deutschen 
Reichsstände  und  -Städte.  47.  Jahrhundert.  Litteratur  wie 
oben«.  ^Obiges  freundliche  Mittheilung  des  k.  k.  Hauptmanns 
llerm  Wendelin  Boeheim,  Gustos  und  Gonservator  der  k.  k. 
Hofwaffensammlung). 

Ein  weiteres  Kalenderschwert  befindet  sieh  dann  in  der 
Laxenburger  Rüstkammer  und  ebenso  ein  Dolch  mit 
breiter  Kalenderklinge  in  der  Waffensammlung  des  Grafen 
Attems  zu  Graz. 

Endlich  enthält  das  Museed 'Artillerie  zu  Paris  unter 
Nr.  482  ein  Kalenderschwert,  angeblich  vom  General  Pappen- 
bcim  in  der  Schlacht  bei  Lülzen  getragen.  (Freundliche  Notiz 
des  k.  k.  Majors  Herrn  Gamillo  Baron  Althaus,  Gonservalors  des 
Heerosmuseums  im  Artillerie-Arsenal  zu  W^ien) . 

Über  einige  wenige  andere,  möglicherweise  im  Auslande 
vorhandene  Schwerter  gleicher  Art  war  Genaueres  nicht  zu  er- 
mitteln. 

Schon  das  vorstehende  Verzeichnis  zeigt,  wie  merkwür- 
dige Waffen  sich  gerade  unter  den  Kalenderschwertem  beßn" 
den ,  und  sehr  lehrreich  in  der  allerverschiedensten  Beziehung 
wäre  in  der  That  die  genauere  vergleichende  Untersuchung 
der  angeführten  Schwerter ,  die  auch  deren  Herkunft  und  Ur- 
sprung sofort  klar  stellen  würde.  Doch  lässt  sich  eine  solche 
nur  bei  genauer  Kopie  der  auf  ihnen  enthaltenen  Kalender  be- 
werkstelligen, die  nach  Lage  der  Sache  sich  kaum  ermöglichen 
lässt,  für  mich  jedenfalls,  wenigstens  gegenwärtig,  gänzlich  un- 
thunlich  war.  In  der  Litteratur  haben  dieselben,  soviel  sich 
ermitteln  Hess,  bisher  eine  zusammenfassende  Behandlung  oder 
auch  nur  eine  eingehendere  Beachtung  nicht  gefunden. 

Soviel  lässt  sich  jedoch  auf  jeden  Fall  schon  aus  der 
obigen  Zusammenstellung  erkennen,  dass  die  Mehrzahl  der- 
selben Prunkwaffen  oder  für  besonders  vornehme  und  hervor- 
ragende Persönlichkeiten  gearbeitet  waren.  Die  ^anze  stab- 
artige Anlage  des  immerwährenden  Kalenders  auf  ihnen  scheint 
aber  auf  eine  gewisse  Verwandtschaft  dieser  —  wie  wir  w^ohl  an- 
nehmen dürfen,  fast  ausnahmslos  deutschen  —  Kai endersch wer- 
ler mit  den  Kalendersläben  des  Nordens  hinzuweisen ,  und  es 


137     ^ 

wäre  deshalb  von  Werth ,  festzustellen ,  ob  auf  ihnen  auch  ge*- 
legentlich  ähnliche  Heiligenattribute  und  Festtagssymbole  wie 
auf  den  Runenkalendern  vorkommen,  bez.  ob  die  betreffen- 
den Ralendarien  selber,  wie  man  nach  der  Anordnung  und 
sonstigen  Beschaffenheit  vermuthen  konnte,  nordische  Einflüsse 
zeigen  —  es  virttrde  dies  eine  hlk^hst  interessante  Perspektive 
auf  mancherlei  kirchliche  und  künstlerische  Kulturzusammen- 
hänge eröffnen  — ,  oder  aber,  ob  man  annehmen  mttsste,  dass 
jene  Anlage  vielleicht  auf  ähnliche  deutsche  Kaienderstäbe  des 
Mittelalters  hinweist ,  von  denen  auch  sonst  die  eine  oder  die 
andere  Spur  sich  erhalten  hat. 

Jedenfalls  aber  ist  nach  den  von  mir  eingezogenen  Nach- 
richten völlig  unzweifelhaft,  dass  von  allen  den  angeführten 
Kalenderschwertern  keines  Runen  oder  auch  nur  die  »runen- 
artigen Hieroglyphen«  enthält,  die  sonst  wohl  auf  Kalendern 
vorkommen  1],  und  zweitens,  dass  keines  von  ihnen  ein 
Sensenschwert  ist. 

Das  Dresdener  Schwert  ist  nun  aber  nach  der  oben 
mitgetheilten  Beschreibung  in  der  That  ein  echtes  Sensen- 
schwort  und  schon  dadurch  höchst  merkwürdig.  Es  be- 
zeichnet jener  Ausdruck,  für  den  sich  auch  bisweilen  un- 
genau die  Bezeichnung  »Sichelschwert«  findet,  sowohl  im  all- 
gemeinen »sensenförmige«,  als  auch  im  engeren  Sinne  die  aus 
wirklichen  Sensen  zu  Waffen  umgewandelten  Schwerter.  Beiden 
gemeinsam  ist  das  ungemein  charakteristische  und  sofort  auf- 
fallende Kennzeichen^  dass  die  Schneide  oder  Schärfe  des 
Schwertes  (vergl.  oben  S.  429)  auf  der  konkaven,  nicht  —  wie 
beim  Säbel  —  auf  der  konvexen  Seite  des  Bogens  liegt,  und 
beide  gehören  zu  den  grössten  Seltenheiten  unserer  Waffen- 
sammlungen. 

Sensenförmig,  doch  nur  etwa  60 — 70  cm  lang,  ist  zunächst 
der  Ya  tag  an,  weshalb  denn  auch  unser  Runenschwert  öfters 
»yataganartigff  genannt  worden  ist.  Derselbe  ist  von  Haus  aus 
dem  türkischen  Reiche  eigenthümlich ,  und  dorther  haben  ihn 
auch  die  benachbarten  Südslaven  angenommen.  Er  dient  da- 
zu —  und  dafür  ist  seine  Form  eigens  bestimmt  — ,  dem  ge- 


il Höchstens  könnten  sich  die  künstlichen  pentadischen  Zahlzeichen 
finden  ,  die  im  Mittelalter  ziemlich  überall  nachweisbar  sind ,  vergl.  z.  B. 
den  Kalender  der  Herrad  von  Landsberg  und  die  englischen  »Glogs«. 

4887,  <0 


138     

fallenen  Feinde  den  Kopf  abzuschneiden  (vgl.  Klemm,  a.  a.  0., 
S*  249  —  und  Fig.  4  auf  der  diesem  Aufsatz  beigegebenen 
Tafel  IH). 

Auffallendei*  Weise  finden  sich  aber  auch  gerade  im  skan- 
dinavischen Norden  schon  in  sehr  alter  Zeit  vereinzelt  ähnliche 
Waffen  mit  demselben  charakteristischen  Merkmal  der  Schneide 
im  inneren  Bogen.  Ich  verdanke  Herrn  Blell  den  Nachweis 
zweier  solcher  Schwertklingen,  die  in  Schweden  gefunden  wor- 
den sind  und  etwa  der  Zeit  von  700 — 4000  n.  Chr.  angehören 
mögen.  Die  eine  findet  sich  abgebildet  bei  Worsaae ,  Nordiske 
Oldsager,  Kopenhagen  1859,  S.  119,  Nr.  496,  wonach  Tafel  IH, 
Fig.  i  eine  Umrisszeichnung  gibt,  die  andere  in  den  M6moires 
de  la  soci^t^  royale  des  antiquaires  du  Nord,  Kopenhagen  1873, 
Ser.  IX,  PI.  5,  Nr.  2  —  auf  Tafel  III,  Fig.  3.«) 

Der  Querdurchschnitt  aller  dieser  »sensenförmigen«  Schwer- 
ter zeigt  jedoch  abweichend  von  dem  oben  S.  1 29  abgebildeten 
eine  RUckenverstUrkung,  die  nach  beiden  Flächen  der  Klinge 
hin  entweder  durch  allmählich  zunehmende  Dicke  der  letz- 
leren oder  durch  einen  doppelseitigen  Rückenansatz  herge- 
stellt ist. 

Dagegen  müssen  als  eigentliche  und  echte  Sensenschwer- 
tcr  oder  als  Sensenschwerter  im  engeren  Sinne  des 
Wortes  solche  angesehen  werden,  die  unter  Benutzung  einer 
wirklichen  Sense  hergestellt  sind  und  demgemüss  auch  gleichen 
oder  ähnlichen  Querdurchschnilt  der  Klinge  zeigen,  wie  er 
a.  a.  0.  von  unserem  Schwerte  gegeben  worden  ist.  Es  ist  von 
vornherein  kein  Grund  vorhanden  zu  bezweifeln,  dass  bei 
Volksbewaffnungen»  insbesondere  bei  Bauernaufständen  neben 
der  Kriegssense  als  Stangenwaffe  gelegentlich,  wenngleich 
immer  nur  vereinzelt,  auch  Schwerler  der  Art  improvisiert  wur- 
den, wie  denn  die  erstere  schon  in  den  französischen  Bauern- 
aufslünden  des  Mittelalters  eine  wichtige  Rolle  spielte:  vcrgi. 
Alwin  Schulz,  Das  höfische  Leben  zui*  Zeit  der  Minnesünger, 
Leipzig  1879 — 80,  &<>,  II,  S.  179,  besonders  Anmerkung  3,  wo- 
bei aber  die  Figur  weder  mit  dem  Texte  noch  mit  den  ange- 


4)  Auch  Rolands  »Durindarda«  auf  der  bekannten  Statue  am  Portal 
des  Domes  von  Verona,  abgeblldcl  u.  a.  in  L^on  Gaulicr's  Ausgabe  der 
CbansondeRoland,7.ed.,  Tours  4880,80,  s.  384,  Fig.  4,  hat,  wie  es  scheint, 
eine  ähnliche  Form,  doch  oine  slarko  Mittelrippe  auf  der  Klinge. 


139    

führten  Stellen  übereinstimmt  und  nicht  die  übliche  langge- 
streckte y  sondern  nur  eine  gewöhnliche  als  Waffe  gebrauchte 
Feldsense  zeigt,  —  Demmin,  a.  a  0.,  S.  630  ff.,  Da  Ganges,  v. 
falx  u.  a.  —  Heermässige  Waffe  freilich  oder  allgemein  üblich 
bei  derartigen  Aufständen  war  das  Sensenschwert  nie  und 
nirgends.^) 

Abgebildet  ßndet  sich  ein  solches  angeblich  bei  ViolIet^Le- 
Duc  (mit  ösenförmigem  Griff),  doch  ohne  dass  ich  diese  Angabe 
controlieren  konnte,  und  dann,  wenn  die  Zeichnung  nicht  ganz 
ungenau  ist,  bei  Deromin,  a.  a.  0.,  S.  536  unter  Nr.  34,  wovon 
auch  Tafel  in,  Fig.  4  eine  Nachbildung  giebt.  Das  letztere  stammt 
wahrscheinlich  aus  Prag ,  obwohl  der  Fundort  nicht  mehr  ge- 
nauer angegeben  werden  kann.  Zwar  ist  der  für  die  nähere 
Bestimmung  so  wichtige  charakteristische  Querdurchscbnitt 
der  Klinge  aus  jener  Abbildung  nicht  ersichtlich,  doch  kann 
die  Waffe  schon  wegen  der  Dimensionen  (95  cm  Länge,  ganz 
aus  einem  Stück)  kein  gewöhnlicher  Säbel,  jedenfalls  kein  Du- 
sack  sein.  Es  ist  dabei  der  Griff,  wie  es  scheint^  durch  Aus- 
schneiden eines  länglichten  Loches  im  Blatt  der  Sensenklinge 
hergestellt,  und  es  mag  dann  auch ,  wie  Demmin  angiebt ,  ein 
Eisen-  oder  hirschledener  Kampf handschuh,  der  bis  zum  Ellen- 
bogen reichte,  zur  Handhabung  benutzt  worden  sein.     Mög- 


4)  Auffallender  Weise  ist  auf  den  zahlreichen  zeitgenössischen  bild- 
lichen Darstellungen  aus  dem  deutschen  Bauernkriege ,  die  mir  bekannt 
geworden  sind ,  die  Kriegssense  nicht  vertreten ,  nur  Dreschflegel ,  Mist- 
gabeln, Morgensterne,  Piken,  gelegentlich  auch  wohl  einmal  eine  ge- 
wöhnliche Feldsense  u.  dgl.,  doch  bewahrt  z.  B.  auch  das  k.  Zeughaus 
SU  Berlin  unter  Nr.  218  u.  228  der  abendländischen  Waffen  Kriegs- 
scnsen  aus  dem  46.  Jahrhundert  auf,  und  nach  den  von  Demmtn  mitge- 
theilten  Verboten  war  auch  in  Deutschland  die  Verwendung  derselben  gar 
nicht  selten.  —  Die  Feldsense  selbst  ist  übrigens  höchst  wahrscheinlich 
oine  germanische  Erfindung  und  bekanntlich  dem  orientalischen  und  klas- 
sischen Alterthum  gänzlich  fremd.  Als  falcastrum  bei  Isidorus  Hlspalen- 
sis..  XX,  4  4,  5,  im  7.  Jahrhundert  zuerst  erwähnt,  kommt  sie  gleichmässig 
und  z.T.  nur  wenig  später  inahd.,  ags.,  as.  und  an.  Sprachdenkmälern  vor. 
Abgebildet  erscheint  sie  wohl  zuerst  in  dem  Manuskript  eines  Kalenders 
aus  dem  Beginn  des  4  4.  Jahrhunderts  in  der  Bibliotheca  Cottoniana  zu  Ox- 
ford (Tiberius,  ß.  V.),  im  Facsimile  bei  Strutt,  Angleterre  ancienne,  Paris 
478^,  k^f  PI.  X,  und  dann  auch  in  Pariser  und  Wolffenbütteler  Handschrif- 
ten, überall  im  Wesentlichen  schon  in  der  gegenwärtigen  Form,  doch  an  der 
zuerst  angeführten  Stelle  nur  zum  Grasmähen  gebraucht,  während  das  Ge- 
treide noch  mit  Sicheln  geschnitten  wird.  Vgl.  auch  Klemm,  a.  a.  0.,  S.  446. 

4  0* 


140     

licherweise  ist  dies  Sensenschwert  hussitischen  Ui'sprungs,  ob- 
wohl Wocel;  Grundzttge  der  böhmischen  Älterthumskunde,  Prag 
1845,  auf  S.  200  ff.  unter  den  Rriegswaffen  der  Hussiien  die 
Kriegssense  sowenig  wie  den  Dusack  aufführt. 

Im  Übrigen  aber  ist,  soviel  eine  Umfrage  bei  allen  einiger* 
massen  bedeutenderen  Waffensammlungen  des  In-  und  Aus- 
landes gelehrt  hat  und  Kenner  wie  Blell,  Herbst  und  Demmin 
bestätigen,  auch  nicht  ein  einziges  wirkliches  Sensen- 
schwert weiter  bisher  bekannt  geworden.  Das  unsrigo  ist 
ausserdem,  wie  schon  die  oben  mitgetheiite  Beschreibung  lehrt, 
abweichend  von  dem  soeben  angeführten,  in  der  Weise  herge- 
stellt, dass  die  hakenförmige  Zunge  der  Sensenklinge  gerade 
gerichtet  und  dann  durch  Belegen  zur  Hülse  des  Griffes  umge- 
staltet worden  ist. 

Mehrfach  ist  nun,  und  zwar  besonders  von  Seidemann, 
a.  a.  0.,  S.  158,  mit  Verweis  auf  Strobers  Miscell.  III,  p.  122, 
der  sich  auf  Tycho  Roth,  de  gladiis  ueterum,  p.  17,  beruft,  aber 
auch  von  Heck,  Demmin  u.  a.  bei  Erwähnung  der  scnsenför- 
migen  Schwerter  auf  den  Dusack^)  hingewiesen  worden  ,  der 
seit  dem  15.  und  besonders  im  16.  Jahrhundert  m<issenhaft 
eiistirto,  aber  jetzt  ebenfalls  nur  noch  äusserst  selten  in 
Waffensammlungen  sich  findet  und  allerdings  bei  ganz  ober- 
flächlicher Betrachtung  bisweilen  sensenförmig  erscheint.  Auch 
hier  verdanke  ich  Herrn  Blell  erschöpfende  und  gründliche  Be- 
lehrung. Danach  ist  jedoch  der  Dusack,  wie  er  besonders  in 
den  alten  Fechtbüchern  sich  sehr  deutlich  erkennen  lässt,  ein 
—  ursprünglich  wohl  böhmischer  —  Säbel,  also  ein  krummes 
Schwert  mit  der  Schneide  an  der  konvexen  Seite,  in  der 
Länge  von  2 — 2Y4  Fuss  (»nicht  länger  als  der  Arm«  Klemm)  mit 
sehr  breitem  Bücken  und  ziemlich  breiter  Klinge ,  Griff  und 
Klinge  aus  einem  Stück  geschmiedet,  ohne  Parierstange  und 
Stichblatt:  im  ganzen  eine  recht  ungeschlachte  Waffe.  Aus 
einer  Sense  war  er  keinesfalls  herzustellen.  Fig.  5  a  b  c  d  auf 
Taf.  III  zeigt  die  ursprüngliche  Form  des  Dusack,  bei  der  denn 
allerdings  eine  Verwechselung  nicht  mehr  möglich  ist,   und 


A)  Der  Name  (vergl.  Schmeller,  Bair.  Wörterb.,  I,  S.  408)  erscheint 
auch  in  den  Formen  Dusak,  Dussak,  Dusäckcn,  Dusligge,  Dusseß,  Dusacken, 
Dosack ,  Disack ,  Dissacken,  Desseckcn ,  Tu  sack,  Tosack,  Tesack  u.  s.  w. 
und  kommt  schon  bei  Hans  Sachs  and  Fischart  mehrfach  vor. 


141     

swar  a  b  c  aus  dem  46.  Jahrhundert  (b  o  vom  Jahre  4570),  d  aas 
dem  Anfang  des  47.  Jahrhunderts  (4642).  Die  Beieiohnung  des 
Dresdener  Schwertes  als  Dusack  ist  also  auf  jeden  Fall  abzu-- 
weisen. 

Die  Handhabung  des  echten  Sensenschwertes  mag  aller- 
dings ebenfalls  ziemlich  unbequem  gewesen  sein.  Seidemann 
glaubt,  dass  dieselbe  bei  dem  vorliegenden  Sehwerte  mehr  auf 
Kopfabschlagen  als  Fechten  berechnet  sei,  und  fiigt  hinsu,  dass 
gerade  dies,  wenn  wirklich  Thomas  MUnzer  das  Schwert  ge- 
führt habe,  ihm  wohl  besonders  mOehte  zugesagt  haben.  Andrer* 
seits  giebt  J.  G.  Heck,  a.  a.  0.,  S.  S3,  an,  dass  man  mit  diesen 
»Sichelschwertema,  wie  er  sie  nennt  und  die  er  auf  Anpassung 
türkischer  Muster  an  die  gerade  deutsche  Klinge  zurttckfahrt, 
»nicht  eigentlich  zuhieb,  sondern  dieselben  im  Schnitte  zog«. 
Man  k(5nnte  jedoch  auch  an  ein  Umsichschlagen  denken,  das 
ein  Herankommen  der  Feinde  verhindern  sollte.  Sicheres  lässt 
sich  hierüber  schon  um  deswillen  nicht  feststellen,  weil  die 
gegenwärtige  Stellung  des  Griffes  wohl  nicht  die  ursprüng- 
liche ist. 

In  Betreff  des  letzteren  bestätigt  nämlich  Alles  die  oben 
S.  488  ausgesprochene  Ansicht  des  Herrn  Director  Dr.  Erb- 
stein ,  dass  derselbe  gar  nicht  ursprünglich  zur  Waffe  gehörte, 
sondern  erst  später  —  im  47.  Jahrhundert  oder  vielleidit  noch 
etwas  später  —  angefügt  und  orientalisierenden  polnischen 
Mustern  nachgebildet  sei.  Gerade  in  Dresden  wurden,  beson- 
ders seit  Kurfürst  Friedrich  August  I.  im  Jahre  4697  Künig  von 
Polen  geworden  war ,  die  polnischen  stark  an  den  Orient  er- 
innernden  und  in  der  That  türkischen ,  bez.  südslavischen  und 
ungarischen  Vorbildern  entnommenen  Formen  bei  Waffen  und 
Rüstungen  vielfach  nachgeahmt  (Klemm,  a.  a.  0.,  S.  853),  und 
mehrfach  finden  sich  polnische  Schwerter  und  Säbel  mit  ganz 
ähnlichen  Griffen :  so  im  k.  Zeughause  in  Berlin ,  im  Dresdener 
Johanneum  selber,  in  der  Sammlung  Btell  auf  Villa  Tüngen  zu 
Gr.  Licfaterfelde  bei  Berlin  u.  s.  w.*) .  Ein  türkisches  oder  über- 
haupt orientalisches  Original  kann  dagegen  der  Griff  nicht  sein. 


i)  Verwandte  arnaatische  (albanesische)  Sttbelgriffo»  die  ebeofaUs 
wie  bei  dem  Dresdener  Schwerte  oft  mit  Kettchen  besetzt  sind,  finden  sich 
abgebildet  bei  Demmin,  a.a.  0.,  S.  550  (aus  dem  Artilleriemuseum  zu  Paris) 
und  564. 


142     

da  die  don  Säbeln  der  Türken  und  benachbarten  slawischen 
Völker  charakteristische  einfache  oder  Doppelswinge  fehlt, 
welche  «der  Waffe  entlang  mit  der  einen  Gabel  das  Heft,  mit 
der  andern  die  Schneide  —  bei  den  einfacheren  nur  die  Schneide 
—  umklammert«  (vgl.  Taf.  Ill,  Fig.  6  :  Doppelswinge  a — c,  ein- 
fache Zwinge  nur  a---b).  Auch  das  Muster  der  Verzierung  lässt 
eher  auf  nichttUrkischen  Ursprung  schliessen.  Dass  der  Griff 
aber  nicht,  wie  die  Klinge,  skandinavischen  Ursprung3  und 
ebensowenig  gleich  alt  ist,  bedarf  kaum  der  besonderen  Er- 
wähnung. Dagegen  dürfte  hervorzuheben  sein ,  dass  er  (nach 
Blell)  höchst  wahrscheinlich  verkehrt  auf  der  Klinge  befestigt 
ist.  Einerseits  muss  nämlich  das  bei  türkischen  und  den  diesen 
nachgebildeten  Säbeln  vielfach  vorkommende  Kettchen  gleich 
dem  Handbügel  unserer  heutigen  Säbel  boi  der  Führung  der 
Waffe  vor  den  Fingern,  und  andrerseits  die  gerade  Seite  des 
Heftes  wie  bei  unseren  Hirschfängern  in  der  Handfläche  zu 
liegen  kommen,  die  Finger  dagegen  in  der  ausgeschweiften 
Seite  ruhn. 

Was  endlich  die  Verzierung  von  Waffen,  bez.  Sensencisen, 
wie  deren  eines  zu  unserem  Sensenschwerte  verarbeitet  worden 
ist,  durch  Runenkalender  angeht,  so  wurde  das  letztere 
im  skandinavischen  Norden,  besonders  aber  in  Schweden  wäh- 
rend des  ausgehenden  Mittelalters  und  auch  noch  im  16.  und 
47.  Jahrhundert  so  populäre  und  durchaus  national  gestaltete 
Hilfsmittel  des  kirchlichen  Kultus  wie  des  praktischen  Lebens 
allerdings  gelegentlich  auch  auf  den  genannten  Gegenständen 
angebracht,  vergl.  Oldenb.  Runenk.,  S.  14.  407.  4  47  und  sonst. 
Doch  kann  dies  schon  an  und  für  sich  hier  nur  sehr  viel  seltener 
als  bei  Stäben  und  den  hölzernen  Geräthen  der  Land-  und  Haus- 
wirthschaft  stattgefunden  haben  und  insbesondere  nur  ganz 
ausnahmsweise  auf  den  eisernen  oder  stählernen  Bestandtbeilen 
von  Waffen  und  Werkzeugen,  wie  denn  überhaupt  nur  äusserst 
selten  metallene  Gegenstände  mit  Runenkalendern  sich  finden. 
Die  ganze  Einrichtung  des  für  Holzstäbe  erdachten  i>Rimstocks« 
oder  »Primstabs«  war  eben  so  sehr  der  alteinheimischen,  von  den 
Bauern  als  eine  Art  von  Hausindustrie  mit  grösster  Leichtigkeit 
und  in  dem  langen  Winter  mit  Eifer  gehandhabten  Kunst- 
übung des  Schnitzens  angepasst,  dass  auch  bei  Waffen  u.  s.  w. 
die  Runenkalender  fast  ausschliesslich  auf  den  hölzernen  oder 
beinernen  Theilen  derselben,  den  Speerschäften,  Schwertschei- 


143     

den,  Stielen  u.  dorgl.  oi.  eiugeschfiitzt  wurden.  Das  Graviren 
und  vollends  das  Ätzen  erforderte  jedenfalls  erheblieli  mehr 
Fertigkeit  und  Zeit,  war  auch  an  sich  schon  schwieriger  und 
namentlich  der  landliehen  Bevölkerung  zweifelsohne  sehr  viel 
weniger  geläufig. 

Für  Schwerter  insbesondere  erklärt  die  Direktion  des  Kon^ 
gelige  Museum  forde  Nordisko  Oldsager  2u  Kopenhagen,  sicher- 
lich eine  der  kompetentesten  Stellen,  denigemäss  auch  ausdrUckr 
lieh,  dass  ihr  überhaupt  keine  Klinge  mit  Runenkalender  bekannt 
sei,  und  in  derXhathat  sich  auch  bei  meinen  weiteren  Nachfor- 
schungen im  Norden  kein  derartiges  Schwert  auffinden  lassen. 

Ebenso  kann  aber  auch  auf  Sensenklingen  daselbst^)  der 
Runenkalender  nur  höchst  selten  eingravirt  gewesen  sein. 
Wenigstens  findet  sich  unter  den  mehr  als  900  Runenkalen- 
dern ,  über  die  ich  Notizen  gesammelt  habe ,  kein  einziger  auf 
einem  derailigen  Eisen ,  und  auch  in  den  grossen  öfi'entlichen 
Museen  hat  sich  ein  solcher  nicht  erhalten.  Selbst  das  Museum 
vaterländischer  Alterthttmer  im  Nationalmuseum  zu  Stockholm 
(Statens  Historiska  Museum  och  Myntkabinettet) .  das  bei  weitem 
die  meisten  Runenkalender  in  sich  aufgenommen  hat,  beertet 
nach  0.  Montelius,  Führer  u.  s.  w.,  übersetzt  von  J.  Mestorf, 
Hamburg  4876,  8^,  S.  146  und  128,  kein  derartiges  Denkmal. 
Wenn  man  nun  auch  zugeben  kann,  dass  die  meisten  etwa  einst 
vorhandenen  so  verzierten  Sensenklingen ,  wenn  sie  als  Werk- 
zeuge nicht  mehr  brauchbar  waren,  eingeschmiedet  sein  mögen, 
auch  leicht  dem  Roste  zum  Raube  fallen  konnten,  so  ist  es  doch 
andrerseits  ebenso  einleuchtend,  dass  Inschriften  gerade  auf 
Gegenständen ,  die  so  sehr  der  Abnutzung  durch  den  Gebrauch 
und  durch  das  Schärfen  (Tengeln)  unterliegen  2) ,  Oberhaupt  nur 
ausnahmsweise  verkommen  mochten.  Werden  doch  auch  bei 
uns  auf  dem  Blatt  der  Sensen  wohl  nur  sehr  selten  längere  Auf- 
schriften sich  finden.  Um  so  wunderbarer  ist  es  und  wohl  nur 
durch  einen  eigenen  Zufall ,  schliesslich  aber  durch  die  Umge- 
staltung zur  Waffe  erklärlich ,  dass  sich  in  unserem  Dresdener 


i)  Dass  insbesondere  Schweden  im  späteren  Mittelalter  einen  sehr 
grossen  Theil  von  Deutschland  mit  Eisenfabrikaten  aller  Art  versorgte, 
lehrt  neuerdings  wieder  C.  Sattler,  Die  Handlungsrechnungen  des  deutschen 
Ordens,  Leipzig  4S87,  an  sehr  vielen  Stellen. 

S)  PrakUsche  Landwirthe  berechnen  die  dorohsohnlttliche  Dauer  eines 
Senseneisens  auf  etwa  4—6  Jahre. 


144     

Schwerte  eine  solche   Sensenklinge    mit    Runenkalender  er- 
halten hat. 

Nach  alledem  lässt  sich  mit  der  ganzen  in  solchen  Dingen 
überhaupt  möglichen  Bestimmtheit  und  in  Obereinstimmung 
jedesmal  mit  den  kompetensten  Kennern  aussprechen,  dass,  so- 
weit bisher  Material  vorliegt,  das  Dresdener  Schwert  in 
mehrfacher  Beziehung  ein  Unicum  ist.  Es  ist  das  ein- 
zige Kalenderschwert  mit  Runenkalender,  es  ist  zweitens  als 
Sensenschwert  das  einzige  seiner  Art,  welches  bis  jetzt 
bekannt  geworden  ist,  und  endlich  ist  auch  die  dazu  verwandte 
Sensenklinge  selber  die  einzige  mit  Runenkalender, 
die  sich  erhalten  hat.^] 

Es  hat  sich  nun  nach  den  obigen  Auseinandersetzungen 
des  Herrn  Prof.  Dr.  Zarncke  allerdings  leider  nicht  feststellen 
lassen,  ob  die  Zurttckführung  unseres  Schwertes  auf  Thomas 
MUnzer  historischen  Anhalt  hat.  Ich  füge  dem  nur  noch  hinzu, 
dass  auch  Anfragen  beim  k.  Hauptstaatsarchiv  in  Dresden  so- 
wie beim  k.  Archiv  zu  Marburg  nach  dem  Verbleib  der  Frank  en- 
htoser  Beute  nur  ein  negatives  Ergebniss  gehabt  haben. 

Demnach  dürften  die  folgenden  Erwägungen  nicht  un- 
nüthig  sein. 

Einerseits  darf  man  sich  nicht  verhehlen,  dass  die  amt- 
liche Tradition  der  Museumsverwaltung  mit  Vorsicht  aufzuneh- 
men ist,  da  leider  das  Verfahren,  alte  Waffen  historischen  Per- 
sonen beizulegen,  früher  in  allen  Waffenmuseen  eine  wahre 
Krankheit  war,  von  der  auch  das  Dresdener  sieh  thatsächlich 
nicht  ganz  hat  freihalten  können  und  von  der  man  erst  in  den 
letzten  Jahren  infolge  kritischer  Untersuchungen  zu  gesunden 
anfängt.  Und  nach  dem  bei  Demmin,  a.  a.  0.,  S.  3  ff.,  geführten 
gründlichen  Nachweis,  wie  zahlreich  auch  in  den  bedeutend- 
sten Museen  die  Fälle  sind,  wo  die  angemerkten  Zeitbestim- 
mungen um  Jahrhunderte  über  die  wahre  Ursprungszeit  hinaus- 
gehen und  einzelne  Waffen  wie  ganze  Rüstungen  der  einen 


1)  Auch  die  infolge  einer  öfTentlichen  im  Litt.  C.  Bl.  erlassenen  An- 
frage eingelaufene  Nachricht,  dass  sich  im  städtischen  Alterthumsmuseum 
zu  Kalmar  in  Schweden  ein  ähnliches  Schwert  befinde,  erwies  sich  als 
irrthümlich.  Wie  mir  der  Vorstand  des  genannten  Museums,  Herr  F.  J. 
Baehrendtz,  mitlheilt,  sind  dort  nur  gewöhnliche  hölzerne  Runenkalender- 
stäbe  in  Schwertform  vorhanden. 


145     

oder  der  anderen  bekannten  Persönlichkeit  ohne  jedes  Recht 
oder  ui'kundliche  Begründung  im  stärksten  Anachronismus  bei* 
gelegt  wurden  und  werden,  hat  man  allerdings  allen  Grund, 
im  höchsten  Grade  skeptisch  gegenüber  derartigen'  Angaben 
sich  zu  verhalten.  Dazu  kommt,  dass  in  diesem  besonderen 
Falle  der  Grund,  aus  welchem  man  —  vorausgesetzt  die  Angabe 
des  Dresdener  Museums  wäre  falsch  —  gerade  auf  Thomas 
Mttnzer  verfallen  konnte ,  so  nahe  liegen  würde :  ein  Sensen- 
schwert konnte  man  eben  nur  einem  Bauernanführer  zuschrei- 
ben und  zwar  dann  am  liebsten  dem  berühmtesten  von  allen ! 
Es  ist  ferner  ja  auch  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  dass 
die  Passung  der  so  absonderlich  verzierten  Sensenklinge  als 
Schwert  nur  durch  eine  capriziöse  Laune  hervorgerufen  wurde, 
wie  eine  solche  ja  in  der  That  so  manche  Gegenstände  des  an 
Kuriositäten  so  reichhaltigen  Grünen  Gewölbes  geschaffen  hat, 
—  und  nicht  minder  beraubt  uns  der  Verlust  der  Scheide,  we- 
nigstens wenn  diese  mit  dem  Schwerte  gleichzeitig  entstanden 
ist,  der  Kriterien  des  Stiles  und  der  Art  der  Arbeit,  ganz  abge- 
sehen davon,  dass  man  ihr  auch  müsste  ansehen  können,  ob  sie 
im  Felde  gebraucht  oder  nur  ein  Luxusgegenstand  war. 

Andererseits  lässt  sich  aber  soviel  wenigstens  historisch 
feststellen,  dass  Münzer  wirklich  sich  darin  gefiel,  Waffen- 
rüstung, z.  Th.  eigener  Art,  zu  tragen^).  Einmal  —  aus  dem  Jahre 
4ÖS4  — wird  berichtet,  dass  er  sich  mit  »Harnisch ,  Eisenhut, 
Krebs  und  Hellepartent  wappnet  (Seidemann,  a.  a.  0.,  S.  4S); 
auf  dem  Titel  der  zu  Mühlhausen  im  gleichen  Jahre  erschienenen 
Schrift:  »Aussgetrückte  emplössung  des  falschen  Glaubens  u.s.w.« 
nennt  er  sich  »Thomas  Muntzer  mit  dem  hammerv,  womit  die 
oben  S.  4S8  von  Herrn  Prof.  Dr.  Zamcke  angefahrte  Briefunter- 
schrift vom  Jahre  i  525  verglichen  werden  mag  und  was  un- 
verständlich ist,  wenn  man  es  nicht  auf  eine  Waffe  oder  dergl. 
bezieht,  —  und  auf  der  Veste  Coburg  wird  unter  Nr.  44  des 
Waffensaales  das  Panzerhemd  Thomas  Münzers  aufbewahrt,  das 
nach  einer  freundlichen  Mittheilung  des  Herrn  Hofrath  Rothbart 
daselbst  aus  dem  alten  Besitz  der  altenburgisch-gothaischen 
Erbschaft   herstammt  und   deshalb,   obwohl  der  urkundliche 

4)  Auf  den  mir  erreichbar  gewesenen  Porträts  Münzers  in  Holzschnitt 
erscheint  er  allerdings  ebenso  wie  auf  den  von  Seidemann,  a.  a.  0.,  S.  4  56  fT., 
angeftihrten  Gemälden  ohne  Waffen,  und  anch  in  der  Schlacht  bei  Franken- 
haasen  selber  erschien  er  wohl  nar  als  einfecher  Praedicant. 


146     

Nachweis  nicht  mehr  zu  liefern  ist,  immerhin  echt  sein  könnte. 
Dass  dann  seine  Rüstung  als  Tropliäe  unter  die  Sieger  verlheilt 
ward,  ist  an  sich  schon  höchst  wahrscheinlich  und  entspricht 
durchaus'der  Sitte  des  ausgehenden  Mittelalters,  vergl.  A.Schuls, 
a.  a.  0.,  11,  S.  262  u.  392.  Gorade  von  Herzog  Georg  dem  Bur- 
tigen  von  Sachsen  aber ,  der  auch  sonst  wichtige  und  interes- 
sante Dokumente  sorgfaltig  aufbewahrte,  wird  ausdrücklich  lie- 
richtet,  dass  er  sogar  »Briefschaften,  die  auf  Münzers  Geschichte 
Bezug  hatten«,  eifrigst  sammelte  (Seidemann,  a.  a.  O.,  S.  89], 
und  so  ist  es  in  der  That  ausserordentlich  naheliegend ,  anzu- 
nehmen, dass  auch  von  Münzers  Rüstung  etwas  nach  Dresden 
kam,  besonders  wenn  man  hinzunimmt,  was  bereits  oben  S.  428 
von  Herrn  Prof.  Dr.  Zarncke  bemerkt  worden  ist. 

Schon  Kurfürst  August  I.  aber  (1553 — 86)  bildete  aus  den 
in  seinem  Hause  vorhandenen  Waffen,  Kunstschätzen  und  Rari- 
täten in  Verbindung  mit  den  von  ihm  selbst  erworbenen  jene 
berühmte  Kunstkammer,  aus  der  später  neben  anderen  Snmm- 
lungen  sowohl  das  Grüne  Gewölbe  als  auch  das  Historische  Mu- 
seum erwachsen  sind.  Auch  die  Kontinuität  der  Erhaltung 
von  so  alten  Erwerbungen  würde  also  an  und  für  sich  durch- 
aus erweislich  sein. 

Da  nun  unser  Schwert,  wie  wir  oben  sahen,  als  solches  wirk- 
lich höchst  wahrscheinlich  aus  einer  Volksbewaffnung  herstammt, 
wo  ja  alles  zu  Waffen  gemacht  zu  werden  pflegt,  da  es  aber 
schwerlich  einem  gemeinen  Mann,  sondern  einem  hervorragen- 
deren Anführer  gehört  haben  wird,  jedenfalls  dem  beginnenden 
16.  Jahrhundert  angehört  (s.  unten)  und,  wie  schon  Seidemann 
hervorhob,  wenn  das  Schwert  echt  ist,  allerdings  Mann  und 
Waffe  vortrefflich  zusamnienpassteu  (vergl.  oben  S.  128  u.  141), 
ja  man  kann  sagen,  die  Waffe  zu  niemand  besser  passte  als  zu 
Münzer,  so  mag  immerhin,  bis  etwa  entscheidendes  urkund- 
liches Material  zu  Tage  tritt,  die  Vermuthung  ausgesprochen 
werden,  zu  der  auch  Herr  Prof.  Dr.  Zarncke  gelangt  ist,  dass 
in  der  That  einst  das  Schwert  mit  den  wunderbai'en  Zeichen 
und  seiner  ungewöhnlichen  Form  zu  dem  Apparate  gehörte, 
durch  den  der  »Prophet«  auf  die  Seelen  der  Menschen  so  ge- 
waltig einzuwirken  vermochte. 


Gehen  wir  nun  auf  den  Inhalt  des  auf  unserem  Seusen- 
schwerte  eingezeichneten  Runenkalenders  näher  ein,  so  ist  ein 


147 

solcher  an  sich  bekanDÜich  nichts  weiter  als  ein  sogen  analer 
immerwährender  julianiscber  Kalender  mit  den  Fest- 
tagssymbolen ,  wie  er  im  Mittelalter  sich  vielfach  auch  in  ge- 
wöhnlichen Ziffern  und  Buchstaben  aufgezeichnet  vorfand. 
Dennoch  war  dieser  immerwährende  Kalender  gerade  im  Nor- 
den höchst  eigenartig  und  mannigfaltig  gestaltet  worden,  und 
der  unsrige  war  mir  bei  Abfassung  meiner  Schrift  über  den 
Oldenburger  Runenkalender,  in  der  ich  über  diese  kulturhisto- 
risch so  lehrreiche,  in  unscheinbarer  Form  bei  näherer  Betrach- 
tung das  geistige  Leben  des  Mittelalters  und  das  charakteristi- 
sche Wesen  der  nordischen  Völker  so  vielfach  wiederspiegelndc 
Denkmälerklasse  a\;ich  im  allgemeinen  gehandelt  habe,  noch 
unbekannt.  Kr  hat  jedoch  ebenfalls  in  mehrfacher  Beziehung 
ein  ganz  besonderes  Interesse. 

Es  enthält  zunächst  das  doppelte  Runenband,  wie  üblich, 
die  in  der  regelmässigen  Reihenfolge  auf  das  ganze  Jahr  vcr- 
theilten  Sonntagsbuchstaben  und  güldenen  Zahlen, 
die  in  ihrer  Vereinigung  —  nachweisbar  erst  etwa  seit  dem 
Anfang  des  12.  Jahrhunderts  (vergl.  H.  Grotefend,  Handbuch 
der  historischen  Chronologie,  Hannover  1872,  4^^,  S.8,  Anm.2) 
—  die  höchst  sinnreich  konstruierte  Grundlage  der  komputisti- 
schen  Wissenschaft  des  späteren  Mittelalters  bilden.  Nach  den 
ersteren  ward  bekanntlich  bestimmt,  auf  welchen  Wochentag 
ein  jedes  Monatsdatum  Gel,  nach  den  letzteren  wurden  die 
Mondphasen,  insbesondere  die  Neumonde  und  damit  auch  das 
Osterfest  sowie  die  übrigen  beweglichen  Feste  für  jedes  ein- 
zelne Jahr  berechnet. 

Nach  Konstituierung  der  nordischen  Kirchenprovinz  (um  die 
Mitte  des  12.  Jahrhundorts)  war  naturgcmäss  auch  die  christ- 
liche Festrechnung,  der  Kirchenkalender,  nach  Skandinavien 
gekommen,  und  etwa  ein  Jahrhundert  nachher,  um  die  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts  (Oldenb.  Runenk.,  S.  30),  wird  demn  die 
Umsetzung  desselben  in  Runenschrift  und  insbesondere  die  Er- 
findung der  Kalenderstäbe  stattgefunden  haben,  die  vielleicht 
an  eine  frühere  gesammtgermanische  Sitte,  Kerbhölzer,  die 
ebenfalls  schon  eine  Art  von  Zeitrechnung  enthielten,  anknüpfte 
(ebd.,  S.  416,  und  R.  Verstegan ,  A  Restitution  of  decayed  in- 
telligence,  London  1634,  kl.  4«,  S.  58). 

Es  wurden  dabei  einfach  —  und  dies  finden  wir  denn  nun 
auch  auf  unserem  Sensenschwerte  —  die  7  ersten  Zeichen  des 


148     

Futhork  an  die  Stelle  der  sieben  ersten  Buchstaben  des  lateini- 
schen Alphabets  gesetzt  und  die  Zahlzeichen  durch  die  Runen  in 
ihrer  feststehenden  Reihenfolge  *) 

r      n       i>       |5       R      K 

F  U  Th  0  R  K 

4  2  3  4  5  6 


^ 

> 

1 

+ 

H 

H 

N 

I 

A 

S 

7 

8 

9 

40 

11 

t 

B 

r 

«P 

A 

T 

B 

L 

M 

R  finale 

12 

13 

u 

15 

16 

wiedergegeben  nur  mit  Hinzufttgung  der  drei  Ergänzungs- 
zeichen, deren  man  für  die  güldene  Zahl  bedurfte, 

1  >K  (D 

(al)  (mm)  (tt) 

47  48  49 

die  denn  auch  wohl  speziell  für  diesen  Zweck  erfunden  und  so 
gut  wie  ausschliesslich  für  denselben  benutzt  wurden.  Als 
Stütze  des  Gedächtnisses,  gewissermassen  als  Schlüssel,  dient 
dann,  seit  man  eine  solche  nöthig  hatte,  nicht  selten  in  einer 
besonderen  Reihe  die  Aufzeichnung  des  Runenalphabetes  in  sei- 
ner normalen  Gestalt,  das  denn  auch  hier,  wie  oben  S.  430  be- 
merkt ist,  auf  dem  Schwertrücken  sich  findet. 

Die  Runen  selber,  die  bekanntlich  überhaupt  auf  diesen 
Kalendern  sich  am  längsten  lebendig  erhielten,  haben  grössten- 
theils  bereits  die  abgeschliffenen  Formen  des  ausgehenden 
Mittelalters,  auch  entbehren  sie  der  charaktervollen  Schönheit, 
die  z.  R.  die  des  Oldenburger  Runenkalenders  zeigen,  der  aller- 
dings viel  später,  aber  unter  Mitwirkung  sachkundiger  Ge- 
lehrter hergestellt  ist. 

Die  einzelnen  Zeichen  hat  bereits  Herr  Prof.  Dr.  Zarncke 
oben  aufs  eingehendste  besprochen  und  dabei  besonders  auch 
auf  die  höchst  auffälligen  (umgekehrten)  Formen  der  U-  und  R- 


4)  Des  Vergleichs  wegen  sind  oben  zagleicb  die  gemeinüblichen  For- 
men der  Runen  gewählt  worden. 


149     

Runo  aufmerksam  gemacht.  Ich  möchte  zur  Ergänzung ,  weil 
es  möglicherweise  ,  wenn  wir  erst  einmal  ein  wirkliches  Cor- 
pus Inscriptionum  Runicarum  haben,  zur  lokalen  Bestimmung 
unseres  Kalenders,  oder  richtiger  wohl  seiner  ursprünglichen 
Vorlage  dienen  kann ,  nur  noch  hervorbeben .  dass  die  F-Rune 
in  der  Reihe  der  Sonntagsbuchstaben  bereits  die  sehr  seltene 
und  spute  Form  b  hat,  völlig  gleich  der  legitimen  Form  des  O, 
welch  letzteres  dafür  —  wie  im  45.  und  46.  Jahrhundert  nicht 
selten  —  als  A  erscheint,  namentlich  aber  auch  auf  die  ganz 
eigenartige  und  völlig  vereinzelte  Form  des  A  (R  finale)  aufmerk- 
sam machen ,  das  oben  links  (einmal ,  auf  dem  Sensenrücken, 
oben  rechts)  mit  schrägem  Seitenstrich  versehen  ist. 

Im  Ganzen  sind  die  Runen  in  der  Reihe  der  güldenen  Zah- 
len, die  mit  dem  Sensenrücken  in  den  einzelnen  Zeichen  meist 
übereinstimmt,  sorgfältiger  und  auch  häufiger  in  der  alten  Form 
nachgebildet,  als  in  der  Reihe  der  Sonntagsbuchstaben.  Bei  der 
letzteren  kehrten  allerdings  dieselben  Charaktere  stets  in  ganz 
kurzen  Entfernungen  wieder,  und  auch  ohne  besondere  Sorgfalt 
der  Zeichnung  konnte  man  dieselbe  völlig  ausreichend  ver- 
werthen.  Die  güldenen  Zahlen  aber  brauchten  nur  so  lange  und 
nur  dann  genau  nachgebildet  zu  werden ,  wenn  man  wirklich 
danach  den  Mondlauf  oder  die  beweglichen  kirchlichen  Feste 
bestimmen  wollte.  In  der  späteren  Zeit,  und  zwar  schon  etwa 
von  der  Mitte  des  46.  Jahrhunderts  an,  wurde  dagegen  gerade 
die  güldene  Zahl  oft  genug  recht  ungenau  wiedergegeben,  soweit 
nicht  gelehrte  Leute  sie  verbesserten  oder  wenigstens  correkt  er- 
hielten. Für  die  Masse  des  Volkes  war  doch  wohl  schon  an  sich 
die  selbständige  Berechnung  der  Mondphasen  zu  kompliciert, 
ausserdem  seit  Aufkommen  der  gedruckten  Kalender  überflüssig 
und  noch  dazu  nach  den  Runenkalendern  auch  ungenau  (seil 
4500 — 4630  umvolle  4  Tage),  während  die  Reihe  der  »Merktagea 
ihr  Interesse  behielt.  So  blieben  denn  sogar  die  güldenen  Zahlen 
nicht  selten  ganz  weg;  wenn  sie  beibehalten  wurden,  scheinen 
sie  sogar  bisweilen  abergläubisch  ausgedeutet  worden  zu  sein. 

Das  Alles  weist  hin  auf  einen  Graveur,  der  selbst  für  die 
genaue  Kalenderberechnung  kein  rechtes  Verständniss  mehr 
besass  —  denn  sonst  hätte  er  eine  strengere  Übereinstimmung, 
bez.  Gleichmässigkeit  der  verschiedenen  Zeichen  herbeigeführt 
— ,  aber  seine  Vorlage,  jedenfalls  einen  Kalenderstab,  nach 
Kräften  mechanisch  nachzubilden  sich  bemühte,  freilich  indem 


150     

dabei  die  kleinen  Flttchtigkeiten  des  Originals  durch  ihn  zu 
deutlichen  Ungleichmässigkeiten  wurden  ^).  Doch  kann  auch 
schon  die  Vorlage  selbst  die  einzelnen  Zeichen  nicht  mehr  scharf 
in  ihrer  Eigenart  unterschieden  haben,  denn  die  Erhaltung  ein* 
zelner  älterer  Formen  neben  den  jüngeren  beweist,  dass  jene 
UngleichmSlssigkeit  nicht  dem  Graveur  aliein  zur  Last  fällt. 
Und  so  kommen  wir  denn  ganz  von  selbst  auf  eine  Zeit,  wo  das 
lebendige  Verständniss  der  Runenschrift  zu  schwinden  begann, 
aber  doch  noch  Gewicht  auf  genaue  Wiedergabe  des  überliefer- 
ten Kalendariums  gelegt  ward,  was  ebenfalls  wieder  auf  das 
Ende  des  45.  oder  den  Anfang  des  46.  Jahrhunderts  zutrlSl. 

Auf  Tafel  II  ist  nun ,  unter  Hinzufügung  der  Monatsdaten 
für  die  einzelnen  Tage,  die  Umsetzung  der  Runen  in  die  all- 
gemein üblichen  Buchstaben  und  Zahlen  gegeben  worden. 
Auch  sind  einzelne  ofiTenbare  Lesefehler  dabei  sogleich  still- 
schweigend berichtigt.  Es  ergibt  sich  sofort,  dass  die  ursprüng- 
liche Berechnung  durchaus  oorrekt  ist  und  z.  B.  mit  der  bei 
Grotefend,  a.  a.  0.,  Tafel  V,  S.  56 — 57  gegebenen  bis  auf  ganz 
geringe  und  unwesentliche  Verschiebungen  übereinstimmt.  Ins- 
besondere findet  sich  überall  richtig  das  einfache  Kriterium, 
dass  jede  nächstfolgende  Zahl  in  der  Reihe  der  güldenen 
Zahlen  um  8  grosser  ist  als  die  vorhergehende,  wobei  nur  zu 
beachten  ist,  dass  nach  \  9  wieder  von  vorn  zu  zählen  begonnen 
wird  2). 


4)  Das  Gleiche  scheint  denn  auch  bei  den  bildlichen  Darstellaogcn 
der  Fall  zu  sein,  vergl.  unten  S.  468,  454  und  zum  4.  Jan.,  S4.  Febr., 
42.  März,  4.  Mai. 

3)  Es  beruht  diese  immer  wiederkehrende  Differenz  von  8  bekannt- 
lich darauf,  dass  im  49Jährigen  Cyklus,  nach  dessen  Verlauf  die  einzelnen 
Mondphasen  immer  wieder  auf  das  gleiche  Monatsdatum  fallen  und  der 
auch  der  Berechnung  der  g.  Z.  zu  Grunde  gelegt  ist,  jedesmal  nach  S  Jahren 
(sa  99  Mondumlttufen  4-  41/2  l'ag)  die  Neumonde,  Vollmonde  u.  s.  w.  nor 
4  V2  Tag  später  fallen  als  8  Jahre  vorher,  also  der  dem  Datum  nach  nächst- 
liegende Neumond  u.  s.  w.  jedesmal  nach  S  Jahren  eintritt,  wo  die  güldene 
Zahl  um  8  weiter  gerückt  ist,  z.  B. 

4873  fg.  Z.  42)  28.  Januar,  27.  Februar,  28.  März,  26.  April,  26.  Mai,  24.  Juni 
4884  (g.Z.  4)80.  -  28.  -  29.  -  28.  -  27.  -  26.  • 
u.  s.  w.  In  dem  nächsten  Jahre  dagegen  rückt  der  entsprechende  Neu- 
mond ,  worauf  mich  Herr  Prof.  Dr.  Zarncke  in  dankenswerthester  Weise 
aufmerksam  machte,  nicht,  wie  Oldenb.  Runcnk,,  S.  47,  falsch  bemerkt 
ist,  um  je  8,  sondern  um  je  etwa  48^/4  Tage  vorwärts,  da  ein  Jahr  = 
48  Mondumtäufen  —  483/^  oder  es  12  Mondumläufen  -h  ^^  Tagen  ist.    Es 


151     

Es  zeigt  sich  ferner,  dass  nach  altgermanischer  Weise  (vgl. 
K.  Weinhold,  Über  die  deutsche  Jahr thei lang,  Kiel  4862,  i^, 
S.  6  ff.)  das  Jahr  in  zwei  Hälften  getheilt  ist  und  die  eine 
Seite  das  Sommer-,  die  andere  das  Winterhalbjahr  enthält  (Prim- 
stavens  Sommerside  und  Vinterside).  Wie  die  genauere  Zählung 
lehrt,  reicht  ersteres  vom  7.  April  bis  zum  8.  Oktober,  letzteres 
vom  9.  Oktober  bis  zum  6.  April.  Gerade  so  kommt  dies  allerdings 
nicht  weiter  vor,  doch  ward  der  Anfang  oft  ziemlich  willkürlich 
gewählt,  und  es  sind  denn  auch  z.  B.  Anfänge  beim  8.  April,  6. 
oder  7.  Oktober  in  der  älteren  Zeit  nicht  selten ,  während  die 
beim  44.  April  und  44.  Oktober  allerdings  das  Regelmässige 
sind  (vgL  Oldenb.  Runenk.,  S.  23). 

Dagegen  beginnen  die  Sonntagsbuchstaben,  nachdem  der 
Dezember  richtig  mitF  (IT),  dem  ersten  Buchstaben  desFuthork, 
gleich  dem  lateinischen  Sonntagsbuchstaben  A,  geschlossen  hat, 
ebenso  richtig  beim  4  .Januar  wiederum  mit  T.  Ebenso  brechen 
die  güldenen  Zahlen  beim  34.  Dezember  ab  (auf  43  mttsste  sonst 
2  folgen),  um  beim  1 .  Januar  wieder  richtig  mit  3  zu  beginnen 
(1  beim  23.  Januar,  a.  a.  0.,  S.  47):  der  Kalender  gehört  also 
seinem  astronomischen  Grundcharakter  nach  noch  durchaus  zu 
den  ältesten,  die  wir  überhaupt  besitzen,  nämlich  in  die  erste 
Klasse  der  unberichtigten  Kalender  alten  Stils,  wie  sie  von  mir 
ebd.  S.  23  genauer  gekennzeichnet  worden  ist.  Er  steht  noch 
völlig  auf  dem  mittelalterlichen  Standpunkt  der  Kalenderbe- 
rechnung, was  bei  den  Runenkalendern  im  allgemeinen  aller- 
dings bis  weit  ins  4  6.  Jahrhundert  hinein  der  Fall  war. 

Die  einzelnen  Monate  sind  noch  nicht  abgetheilt,  was  über- 
haupt auf  älteren  Runenkalendern  nur  selten  geschieht.  Eben- 
sowenig finden  sich  die  Tag-  und  Nachtlängen  <),  die  Thierkreis- 
zeichen,   Ostervollmonde ,    bez.  Epakten,    die  Angaben  über 


muss  demgemKssa.  a.  0.  auch  Z.  4 3  heissen :  28.  Januar,  26.  Februar,  27.  März 
u.  s.  w.   Auf  unserem  Sensenschwerte  steht  deshalb  richtig  z.  B.  bei 

g.  Z.  3  :    4.  Januar,  34.  Januar,     4.  März,  34.  Mfirz,  29.  April,  29.  Mai, 
g.  Z.  4  :  20.       -       48.  Februar,  20.     -      48.  April,  48.  Mai,  46.  Juni, 
u.  s.  w. 

4)  Auf  dem  Oldenburger  Slabc  sind  dieselben  übrigens,  was  ich  bei 
dieser  Gelegenheit  ebenfalls  zu  berichtigen  mir  erlaube,  einer  rreundlichen 
Mittheilung  dos  Herrn  Prof.  Harms  in  Oldenburg  zufolge,  welche  die  Sache 
völlig  klar  stellt,  ebenso  wie  auf  allen  ühnlichen  nicht,  wie  ich  ursprüng- 
lich annahm,  in  Verhältniszahlen,  sondern  direkt  angegeben.  Das  Zeichen  X 
bedeutet  nämlich  Vsi  also  (a.  a.  0.,  S.  43): 


152     

Sonnenauf-  und  Untergang  angemerkt,  die  seit  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts  gelegentlich  erscheinen,  —  noch  auch  die  all- 
gemeinttbliche  Anordnung  der  Sonntagsbuchstaben  zum  SiSjiih- 
rigen  Gyklus,  dem  sogen.  s^Icykl  oder  cyclus  solaris,  wonach 
man  die  Sonntagsbuchstaben  eines  jeden  Jahres  bestimmte 
(Oldenb.  Runenk.,  S.  19.  20).  Letzterer  pflegt  sonst  auf  den 
Runenkalendern  selten  zu  fehlen,  wenigstens  wenn  man  diese 
wirklich  zur  Festberechnung  gebrauchen  wollte  und  seit  man 
nicht  mehr  allgemeiner  darin  bewandert  war.  Ohne  denselben 
konnten  nur  sehr  kundige  Leute  das  immerwährende  Kalenda- 
rium  zu  dem  genannten  Zwecke  benutzen;  fehlt  es,  so  weist 
dies  bei  filteren  und  im  übrigen  genau  gearbeiteten  Exempla- 
ren auf  eine  Zeit  oder  auf  Benutzer  hin,  wo  man  solche  Kunde 
noch  voraussetzen  konnte,  bei  jüngeren  oder  ungenaueren 
darauf^  dass  es  dem  Besteller  oder  Verfertiger  nur  noch  auf 
die  angezeichneten  Merktage  oder  allenfalls  auf  eine  mehr 
schätzungsweise  Mondberechnung  ankam. 

Die  auf  unserem  Sensenschwerte  angemerkten  Festtage 
nun,  d.  h.  natürlich  nur  die  festa  immobilia,  —  ich  hebe  auch 
hier  hervor,  dass  die  Datierung  nach  denselben  wie  überhaupt 
nach  den  Tagen  des  kirchlichen  Kalenders,  insbesondere  aber 
nach  den  lleiligentagen,  in  den  nordischen  Urkunden  ebenfalls 
erst  etwa  ums  Jahr  1240  aufkommt  (Oldenb.  Runenk.,  S.  36, 
Anm.)  —  sind  in  doppelter  Weise  bezeichnet,  einestheils  durch 
sinnbildliche  Zeichen,  die  sogenannten  Festtagssymbole,  die  nach- 
her im  einzelnen  zu  besprechen  sind,  andern theils  je  nach  dem 
Range  der  Feste  als  festum  duplex,  semiduplex  und  Simplex 
durch  grössere  und  kleinere  Kreuze  oder  Halbkreuze. 
Nur  der  23.  April  (St.  Georg)  hat  als  Bezeichnung  einen  einfachen 
Strich,  der  wohl  missverständlich  aus  dem  betr.  Festtagssymbol, 
dem  Speere,  entstanden  ist;  der  14.  September  dagegen  (Kreuz- 


Januar:    Tageslänge    6^/21  Nacbtlttnge  4  772  Stunden 

Februar:  -  9,  -  45 

März:  -  42,  -  42 

April:  -  ^^Va»  "  ^V2        •      u.  8.  w. 

Die  ungenaue  Bezeichnung  des  Sonnenauf-  und  Unterganges  (ebda,  S.  52, 
Mitte)  erklärt  sich  möglicherweise  noch  einfacher  aus  der  Abrundung  der 
Brüche;  die  in  der  Mitte  zwischen  den  betreffenden  Angaben  stehenden 
Runen,  bez.  Sonn  tagsbuch staben  (S.  53,  Z.  6)  bezeichnen  nach  der  authen- 
tischen Erklärung,  die  dem  Schöpflin'schen  Exemplar  beigegeben  war,  den 


153     

erhöhung)  ein  hohes  Doppelkreuz.  Ohne  FesUagskreuz  sind  nur 
die  Merktage  des  14.  April  und  14.  Oktober  (Anfang  des  Som- 
mer- und  Winterha1l)jahrs,  schon  altnordisch  sumarn^tt  und 
vetrnatt:  K.  Weinhold,  a.  a.  0.,  S.  6),  sowie  möglicherweise 
der  6.  Januar  (Epiphaniasfesl),  der  43.  Januar  (Knut;  bez.  Ende 
der  Julfestzeit)  und  27.  Mai  (Beda  Venerabilis),  falls  nümlich  hier 
nicht  das  Kreuz  mit  in  das  sinnbildliche  Zeichen  hineingezogen 
ist.  Die  Halbkreuze  der  geringeren  Feste  sind  sämratlich  nach 
links  gewandt,  d.  h.  der  Folge  der  Tage  entgegengekehrt,  bloss 
beim  i .  August  (Petri  Kettenfeier)  ist  eine  Ausnahme  gemacht 
und  das  Halbkreuz  nach  rechts  gekehrt;  doch  lediglich  um  der 
bequemeren  und  deutlicheren  Zeichnung  willen.  Auch  die 
Grösse  der  Kreuze  scheint  zum  Theil  nur  durch  Raumrttck- 
sichten  bedingt  zu  sein,  wenngleich  der  18.  Mai  (König  Erich), 
der  45.  August  (MariU  Heimsuchung],  4.  November  (Allerhei- 
ligen) und  25.  Dezember  (Weihnachten)  besonders  hohe  Kreuze 
haben. 

Zahlreiche  Feste  sind  dann  ausserdem  noch  mit  einem  Vi- 
gilienzeichen  versehen  (Oldenb.  Runenk.,  S.  34).  Dasselbe 
hat  auf  unserem  Sensensch werte  eine  ziemlich  mannigfal- 
tige Gestalt,  gewöhnlich  —  wie  auf  den  meisten  Runenkalen- 
dern —  die  der  einfachen  oder  doppelten  virgula  /^  oder  /f 
(vergl.  z.B.  den  Runenkalender  bei  0.  Worm,  Fasti  Danici,  ed. 
11.,  Uafniae  4643,  Fol.,  p.  87,  und  Hhnlich  den  der  Leipziger 
»GeseUschaft  zur  Erforschung  vaterländischer  Sprache  und 
Alterthttmera,  den  Stieglitz  publiciert  hat),  —  doch  finden  sich 
auch  andere  Fonnen,  besonders  die  eines  durch  einen  Strich  an 
den  bötreffenden  Tag  herangezogenen  Ovals  mit  einem  Kreuz 
darauf  (  ^  )  —  vielleicht  ursprünglich  Stab  mit  Ring  und 
Kreuz  —  und  vereinzelt  auch  ein  schräger  Strich  mit  zwei 
Punkten  X  oder  ein  gabeiförmiges  Zeichen  y^,  welche  aber 
beide  aus  den  Hauptzeichen  entstanden  sein  mögen,  wenn  die- 
selben auf  der  Vorlage  nicht  mehr  deutlich  zu  erkennen  waren. 


onkorrigirt  aas  dem  älteren  Ehrcnpreussischen  Kalender  herübergcnommO' 
nen  Tag  des  Eintritts  in  das  betreffende  Thierk reiszeichen  nach  der  Haiipt- 
rnnenreihe  der  Sonntagsbuchstaben :  9.  Jan.,  9.  Febr.,  4  0.  .\lärz»  9.  ApriJ, 
10.  Mai,  41.  Juni,  n.  Juli.  12.  Aug.,  12.  Sepl.,  12.  Okt.,  11.  Nov.,  10.  Dez., 
also  nach  allem  Stil,  was  allerdings  nicht  vorauszusehen  war;  vergl.  J. 
J.  Ohcrlln,  Museum  Schoepfl in i,  Tomus  prior,  Argentorali  1773  —  75,  4^, 
p.  155 (f.,  insbesondere  165  fr. 

1887.  11 


154     

So  sind  bezeichnet  der 

19.  Jan.  (B.  Heinrich  von  üpsala)  mit  dem  Zeichen  j^ 

25.    -     (Ap.  Pauli  Bekehrung)      -       -         -  X 

15.  Febr.  (B.  Siegfried  von  Wexiö)  -       -        -  ^ 
24.      -     (Ap.  Matthias)                  ---/=• 

22.  Juni  (10000  Ritter)  -       -        -  /^ 

24,  Juni  (Johannes  der  Taufer)      -       -        -  /P 

25.  Juli  (Ap.  Jakobus)  _       -        -  ^ 

10.  Aug.  (Laurentius)  _  -  -  /<* 
15.  -  (Maria  Himmelfahrt)  -  -  -  /? 
24.  -  (Ap.  Bartholomäus)  -  -  -  ^ 
28.  Okt.  (Ap.  Simon  und  Judas)  -  -  -  /f 

11.  Nov.  (B.  Martin  von  Tours)  -  -  -  ^ 

?  24.    -      (Catharina)  mit  undeutlichem  Zeichen 

30.    -      (Ap.  Andreas)  mit  dem  Zeichen  /^ 

6.  Dez.  (B.  Nicolaus)                     _  -         «         ^ 

8.     -     (Maria  Empfangniss)        -  -        -         /^ 

21.     -     (Ap.  Thomas)                    -  -         -         /T 

?25.     -     (Weihnachten)                  -  -        _         ^ 

also  nicht  gerade  immer  die  allerhöchsten  Feste.  Ohne  VigiHen- 
zeichen  sind  nämlich  dagegen,  soweit  erkennbar,  z.  B.  Neujahr 
oder  Beschneidung  Christi  (I.Jan.),  Epiphaniasfest  (6.  Jan.), 
Maria  Reinigung  oder  Lichtmess  (2.  Febr.),  Maria  Verkündigung 
(25.  März),  Ap.  Philippus  und  Jakobus  (1.  Mai),  der  Pelerpauls- 
tag(29.Juni),  Heimsuchung  Maria  (2.  Juli),  Maria  Geburt  (S.Sepl.) 
und  Allerheiligen  (1.  Nov.).  In  erster  Linie  sind  ersichtlich  die 
Aposteltage,  doch  auch  diese  nicht  ganz  regelmassig,  mit  dem 
Vigilienzcichen  versehen ,  das  bei  denselben  auch  fast  immer 
als  doppelte  virgula  /f  auftritt.  Das  zweite  Hauptzeichen  ^ , 
wozu  ich  auch  das  gabelförmige  hinzurechne,  findet  sich  aus- 
nahmslos bei  Bischöfen,  doch  nicht  bei  allen,  vergi.  den  3.  Febr. 
und  23.  Nov.  (Blasius  und  Clemens  Romanus),  wo  aber  auch 
keine  Bischofsmütze  angezeichnet  ist.  Im  übrigen  lasst  sich 
weder  ein  consequent  befolgtes  Prinzip  erkennen,  noch  eine 
verschiedene  Bedeutung  der  einzelnen  Zeichen  nachweisen.  Es 
wird  hier  wahrscheinlich  ebenfalls  eine  undeutlich  gew^ordene 
oder  ungenaue,  aber  ursprünglich  auf  eine  sehr  sorgfaltige  Be- 
zeichnung zurückgehende  Vorlage  von   dem  Graveur  unserer 


155     

Sense,  so  gut  er  konnte,  nachgebildet  worden  sein  ;  denn  so  er- 
klaren sich  am  beslen  die  vorhandenen  UnregelmSIssigkeiten  bei 
den  Spuren  einstiger  Correktbeit,  — wenngleich  in  den  verschie- 
denen Diöcesen  wie  über  den  Rang  der  einzelnen  Feste,  so  auch 
über  ihre  Vigilien  sehr  verschiedene  Bestimmungen  bestanden. 


Wenn  ich  nun  auf  die  einzelnen  überhaupt  bezeichneten 
Tage  näher  eingehe ^  so  werde  ich  dabei  nur  die  unserem  Sensen- 
sehwerte  eigen thüm liehen  Symbole  und  diejenigen  Festtage 
naher  besprechen,  aus  denen  die  Besonderheit  der  hier  vor- 
liegenden Festordnung  hervorgeht.  Letztere  ist  l)ekanntiich 
nach  Zeit  und  Ort  ganz  ausserordentlich  verschieden  und  stets 
ein  Niederschlag  jahrhundertelanger,  oft  höchst  eigenartiger 
Entwicklung.  Mit  ihr  verband  sich  zudem  nicht  selten  eine 
Fülle  alter  volksthUmlicher  Erinnerungen  sowohl,  als  praktisch 
wissenswerther  Notizen,  so  dass  aus  einem  einzelnen  Kalender 
oft  eine  ganze  Reihe  von  Rücksehlüssen  sich  machen  lassen. 
Die  im  Mittelalter  allgemein  recipierten  Feste  und  Gedenktage 
werde  ich  dagegen  nur  einfach  anführen,  auch  die  standigen 
Sinnbilder  der  nordischen  Kalenderstabe  sollen  mit  ihrer  Be- 
deutung nur  kurz  erwähnt  werden;  für  vollständigere  Belehrung 
darüber  kann  ich  auf  Anlage  C  und  D  meiner  oben  angeführten 
Schrift  verweisen.  Die  lateinischen  Festbezeichnungen  sind  die 
authentischen  des  schwedischen  Kirchen kalenders,  wie  er  sich 
im  spateren  Mittelalter  gestaltet  hatte  und  von  P.  A.  Granberg 
u.  d.  T. :  Nordiskt  Kalendarium  för  Medel-aldern ,  Stockholm 
1848,  8<>,  in  den  von  Adlersparre  herausgegebenen  Handlingar 
rörandc  Skandinaviens  Historia,  Y,  ib.  eod.,  aus  den  auf  der  k. 
Bibliothek  zu  Stockhohn  befindlichen  Originalkolendern  zusam- 
mengestellt ist. 

Angemerkt  sind  aber  auf  dem  Dresdener  Schwerte  die  fol- 
genden Tage,  wobei  ich  der  bequemeren  Übersicht  wegen  dem 
Gange  unseres  Kalenders  folge: 

Januar. 
1.+  mit  dem  üblichen,  ziemlich  schematisch  gezeichneten 
Symbol  eines  rituellen  Messers:  Gircumcisio  Domini,  der 
Neujahrstag  als  Fest  der  Beschneidung  Christi.  Allenfalls 
könnte  man  freilich  in  dem  angeführten  Zeichen  auch  ein 
Trinkhorn  sehen  (vergl.  z.  B.  den  Nürnberger  Stab,  Oldenb. 


156     

RuDenk.,  S.  14)  wie  am  43.  Januar  und  möglicherweise 
auch  am  28.  Dez.,  welch  letzterer  jedoch  ebenfalls  vor- 
wiegend ein  messerartiges  Schwert  zu  führen  pflegt.  Jeden- 
falls wäre  das  Hom  dann  aber  als  kleineres  von  dem  grös- 
seren des  25.  Dez.  und  6.  Jan.  bestimmt  unterschieden. 
Wahrscheinlicher  ist  allerdings,  dass  wiederum  eine  miss- 
verstandene oder  undeutliche  Vorlage  zu  Grunde  liegt. 

6.  +  (?,  s.  oben  S.  153)  mit  Krone,  und  zwar  Königskrone 
(vergl.  zum  25.  März],  und  grossem  Tn'nkhom:  Epiphania 
Domini,  bcz^.  Trium  Regum  (sc.  Festum)  nebst  dem  Zeichen 
der  fortdauernden  Julfestfreude. 

43.  +  mit  grossem  achtstrahligen  Stern  und  umgekehrtem  klei- 
nen Trinkhom :  Octava  Epiph.  Dom.,  auch  Hilarius  et  Remi- 
gius,  bez.  Ganutus  Dux  et  Martyr  Ringstadiensis  (zu  Ring- 
sted auf  Seeland  war  er  begraben),  der  sogenannte  »Zwan- 
zigste Tag«,  nämlich  nach  dem  Weihnachts-  oder  Julfeste. 
zugleich  Ende  der  Festzeit  nach  dem  alten  schwedischen 
Sprichwort :  »Tiugunde  dag  Jul  är  Knut, 

Da  skal  man  dricka  Julen  uti«, 
denn  »da  var  Julen  ganske  forbi,  og  alt  0llet,  ogsaa  det 
sidste,  opdrukket«  (Almindelig  Norsk  Huuskalender  med 
Primstav,  Ghristiania  4  859,  8®,  z.  d.  Tage) ,  wobei  aber  nach  H. 
Hildebrand,  Kongl.  Vitterhets  Historie  och  Antiqvitets Akade- 
miens  Mänadsbiad,  Stockholm  4879,  8<^,  S.  23,  zu  bemerken 
ist,  dass  der  43.  Jan.  keineswegs  von  Alters  her  der  Knuts- 
tag war.  »Dieser  fiel  nämlich  auf  den  7.  Jan.,  wo  der  Herzog 
Knut  Lavard  (4  434)  getödtet  ward  (vergl.  MttUenhoff,  Zeit- 
schr.  f.  D.  A.  42,  335).  Die  Julzeit  hörte  ausser  im  Norden 
gewöhnlich  mit  dem  6.  Jan.  auf,  vielleicht  hat  bei  uns  im 
Zusammenhang  mit  der  Verlegung  des  Schlusses  der  Julzeil 
der  Knutstag  einen  anderen  Platz  erhalten.«  Wir  haben  es 
danach  mit  einer  Kalenderbildung  späterer  Zeit,  d.  h.  hier 
des  ausgehenden  Mittelalters,  zu  thun.  —  Das  umgekehrte 
Trinkhorn  erscheint  dabei  fast  regelmässig,  der  Stern  ist 
sonst  nicht  weiter  belegt,  nur  auf  dem  Griff  des  Nürnberger 
Stabes  ist  er  ganz  ebenso  als  Verzierung  angebracht;  auf 
Hilarius  oder  Remigius  kann  er  nicht  bezogen  werden. 

49.  4-  mit  Vigilienzeichen  davor  (s.  oben  S.  454)  und  mit  zwei- 
zipfeliger Bischofsmütze  (vergl.  den  45.  Febr.,  4  4.  Norv.  und 
6.  Dez.) :  Henricus  Episcopus  Finnorum  Aposlolus,  das  Fest 


157     

eines  der  gefeiertsten  schwedischen  Nationalheiligen,  das 
noch  jetzt  im  katholischen  Proprium  fttr  Schweden  und  Polen 
beibehalten  ist. 
25.  +  mit  Schwert  und  Bogen  (beide  gekreuzt]  sowie  ebeufalls 
mit  Vigilienzeichen  am  vorhergehenden  Tage  (s.  oben  S.  4  54) : 
Gonversio  Pauli.  Die  Zusauimenstellung  der  beiden  Sym- 
bole ist  besonders  auf  den  schwedischen  Runonkalendern 
Üblich,  wobei  das  Schwert  das  bekannte  Attribut  des  Hei- 
ligen, der  Bogen  aber  specifisch  nordisch  und  möglicher- 
weise eine  altheidnisohe  Reminiscenz  ist,  »fordi  Almuen 
troede,  at  den  Paal,  hvis  Minde  da  h0jtideligholdtes,  var  en 
stör  Krigsbelt  og  Bueskytte,  kaldet  Paal  (Povl)  Skyttar 
eller  Paal  med  Bog  Jen,  der  krigede  om  Formiddageo, 
men  holdt  Eftermiddagen  heilig«  (Norsk  Huusk.  z.  d.  T., 
nach  U.  J.  Wille,  Beskrivelse  over  Sillejords  Pmestegield. 
Ki0bonhavn  4786,  8»,  S.  243.),  vergl.  K.  Simrock,  Handbuch 
der  deutschen  Mythologie,  5.  Aufl.,  Bonn  4878,  8^  8.  294. 

Februar. 

2.  +  mit  Nimbus  und  candolabrum  (vergl.  den  Nürnberger 
Stab  a.  a.  0.) :  Purificalio  Mariae,  Liehtmess  (Oldenb.  Runenk., 
S.  68  .u.  96) ,  .wobei  Maria  bisweilen  mit  der  räthselhaften 
fru  Goea  oder  Goeja  zusammengeworfen  ward,  nach  der  der 
ganze  Monat  auch  G0jemaaned  hiess,  s.  H.  Hildebrand,  Anti- 
quarisk  Tidskrift,  4883,  S.  28,  9  u.  37,  8.  9  sowie  Munads- 
blad,  a.  a.  0.,  S.  24;  doch  s.  Worm,  i.  1.,  p.  47. 

3.  +:  Blasius,  Ansgarius. 

8.  -i  :  jedenfalls,  wie  es  oft  vorkommt,  Verwechselung  mit  dem 
folgenden  Tage,  da  der  8.  in  den  nordischen  geschriebenen 
Kalendern  des  Miltelalters  und  ebenso  in  den  Nekrologien 
oder  Obituarien,  Missalien  u.  s.  w.  niemals  bezeichnet  ist. 
während  im  ganzen  Norden  der  9.  als  Tag  der  h.  Apollonia 
virgo  et  martyr  gefeiert  ward,  hier  aber  nicht  angemerkt  ist. 
Man  kann  aus  letzterem  Grunde  auch  nicht  an  die  in  Ur- 
kunden ganz  vereinzelt  erscheinenden  zweifelhaften  Hei- 
ligentage des  h.  Salomon,  der  h.  Gorintha  und  der  Helena 
virgo  denken,  welch  letztere  noch  dazu  in  diesem  Falle  mit 
der  Mutter  Consianlins  d.  Gr.  verwechselt  worden  ist,  die 
in  deutschen  Kalendern  des  Mittelalters  an  diesem  Tage  er- 
scheint (»regi  na  electd«)  Grotefend,  a.  a.  0.,  undOtte,  Handbuch 


158     

d.kirclil.KuDStarchäologie  des  ({.Mittelalters.  5.  Aufl.,  Leipz. 
1883,  80,  I,  S.  575)  und  auch  von  Granberg  angemerkt  ist. 

15.  +  mit  Bischofsmütze,  die  aber  noch  besonders  mit  einem 
Kreuz  verziert  ist,  und  mit  Vigilienzeichcn  davor:  Sigfridus 
Episcopus  etConfessor,  d.  h.  Gedenktag  des  h.  Siegfried  voa 
Wexiö,  der  wie  Heinrich  von  Upsala  zu  den  wicbUgsteo 
Heiligen  Schwedens  gehörte  und  wie  dieser  im  Proprium 
für  Schweden  noch  jetzt  beibehalten  ist. 

22.  +:  Cathedra  Petri  *). 

24.  4-  mit  der  rohen  und  wahrscheinlich  unverstandenen  Zeich- 
nung eines  Fisches,  der  —  besonders  wieder  auf  schwedi- 
schen Stäben  —  an  diesem  Tage  sehr  hdußg  angezeichnet 
wird :  Matthias  Äpostolus  (zugleich  Locus  Dissextilis),  wo- 
bei das  angeführte  Symbol  auf  den  beginnenden  Fischfang 
(nachlleincke  zweifelsohne  den  der  Hechte)  bezogen  ward, 
aber  dahingestellt  bleiben  muss,  ob  nicht  ursprünglich  eine 
andere  Bedeutung  zu  Grunde  lag. 

März. 
12.  Ein  Fähnlein  mit  einbezogenem  Festtagskreuz  (s.oben  S.  ^53 
und  zum  20.  Juli] :  Gregorius  Papa  et  Confessor.  wobei  das 
Symbol  wohl  missverstanden  ist.  Doch  s.  Oldenb.  Runenk., 
S.  97  zum  21.  März  und  S.  98  zum  23.  Apr.,  was  über  die 
alte  Ostergrenze  bemerkt  ist. 

17.  -I  und  Äbtissinnenmütze  (oder  ist  wie  auf  dem  Nürnberger 
Stabe  die  sonst  übliche  Kapelle  gemeint?) :  Gertrudis  virgo, 
d.  h.  Tag  der  h.  Gertrud  von  Nivelles,  noch  jetzt  im  Pro- 
prium für  Schweden. 

18.  Undeutliches  Zeichen^):  wahrscheinlich  Patritius  (Patricius) 
Episcopus  et  Confessor,  d.  h.  Tag  des  h.Patrik,  des  Apostels 
von  Irland,  der  sowohl  am  17.  Jan.  als  auch  am  17.  u.  18. 
März  gefeiert  ward  und  sonst  das  Kleeblatt  oder  zwei 
Schlangen  zum  Attribute  hat  (Otte,  a.  a.  0.,  S.  593).  Doch 
werden  nach  Granberg  in  nordischen  Urkunden  vereinzelt 
auch  ein  h.  Edvardus  und  ein  Alexander  Episcopus  an  diesem 
Tage  erwähnt. 


1)  Vielleicht  deulet  das  schräge  Kreuz  am  Festtagszeich en  die  seila 
episcopalis  an,  wie  es  ähnlich  mehrfach  vorkommt 

i)  Es  scheint  beinahe,  als  wäre  der  beim  S1.  gewöhnlich  angezeich- 
nete Pflug  misSTerslündlicberweise  etwas  zu  weit  nach  links  f;eralhen ! 


159     

2i,  +  mit  Nimbus  (vergl.  H.  Hildebrand,  Mänadsblad,  4875, 
S.  435)  oder  bloss  graphischem  Zeichen:  Benedictus  abbas, 
d.  h.  Fest  des  h.  Benedikt  von  Nursia,  des  berühmten  Abts 
von  Monte  Cassino. 

25.  +  mit  Marienkrone  (dieselbe  ist  durch  einen  Nimbus  regel- 
massig von  den  anderen,  Königs-  und  auch  wohl  Märtyrer- 
kronen, scharf  unterschieden,  vergL  den  2.  Febr.,  S.Juli, 
45.  Aug.,  8.  Sept.  u.  8.  Dez.  gegenüber  dem  6.  Jan.,  4.  Mai, 
48.  Mai,  27.  Mai  und  sogar  dem  25.  Dez.,  der  sonst  ebenfalls 
zu  den  Marienfesten  gerechnet  ward;  auch  der  Nimbus  allein 
ist  nicht  selten  für  Maria  charakteristisch,  z.  B.  auf  dem  von 
Stieglitz  beschriebenen  Leipziger  Stabe,  während  ihr  die 
Krone  als  der  regina  coeli  zukommt):  »Annuncialio  Mariact. 

April. 

44.^)  Ein  grünender  Baum  wie  regelmässig  auf  fast  allen  Bu~ 
nenkalendern :  Tiburtius  et  Valerianus,  als  Beginn  des 
Sommers,  vergl.  oben  S.  454  u.  453,  der  »forste  Sern mardag« 
(Fryksell). 

23.  Einfacher  Strich  oder  Spiess  (vergl.  oben  S.  453):  Georgius 
martyr:  Tag  des  »Ritters«  St.  Georg. 

25.  -I  wie  üblich  mit  dem  rohen  Bilde  eines  Vogels  (vergl.  z.  B. 
den  Nürnberger  Stab,  aber  auch  die  beiden  Leipziger  Ru- 
ncnkalender):  Marcus  Evangelista,  der  in  den  nordischen 
Ländern  allgemein  als  Kuckuks-Marcus  (Gauksmarks,  danach 
auch  die  Zeit  von  Mitte  April  bis  Mitte  Mai  Gaukmaned)  be- 
zeichnet ward.  S.  Oldenb.  Runcnk.,  S.  98  z.  d.  T.^  und 
Mannhardl,  Z.  f.  d.  Mythologie,  111,  S.  209  ff. 

29.  4:  jedenfalls  der  —  auf  den  Runenkalendern  sonst  meines 
Wissens  unbelegtc,  aber  als  solcher  auch  im  schwedischen 
Kirchenkalcnder  feststehende  —  Tag  des  Petrus  martyr,  des 
bekannten  Grossinquisitors  ord.  Praed.,  f  4252  an  dem  ange- 
zeichneten Tage,  kanonisiert  4253,  der  nach  Otte  und  Grote- 
fend  ganz  besonders  von  den  Dominikanern  hochgefeiert 
ward. 

Mai. 
4 .  +  mit  Krone,  deren  Entstehung  hier  mehrdeutig  ist  (ob  miss- 


1)  An  der  abgeriebenen  Stelle  wird  höchstens  der  Tag  des  h.  Ambro- 
Sias  (4.  Apr.)  angemerkt  gewesen  sein. 


160     

verständlich  aus  der  ÄhtissinDenmUtze  hervorgegangeD  ? 
oder  Märtyrerkrooe  ?  oder  allgemeiner  das  in  der  mittelalter- 
lichen Kunst  Übliche  symbolische  Zeichen  der  Vollendung? 
vergl.  den  Nürnberger  Stab  a.  a.  0.,  und  Helmsdörfer, 
Christliche  Kunstsymbolik  und  Ikonographie.  2.  Ausg.,  Prag 
4870,  S%  S.WO  f\\) :  Philippus  et  Jacobus  (sc.  der  jüngere), 
Walburg  (Valburgis)  virgo. 
3.  +  mit  grossem  Kreuz  darüber:  Inventio  Sanctae  Crueis  (sc. 
durch  die  »Kaiserin«  Helena  im  J.  326  oder  327)  und  zu- 
gleich Alexander  Papa  etMartyr,  wovon  hier  oti'enbar  nur 
ersteres  in  Betracht  kommt. 
6.  -f  :  Johannes  ante  Portam  Latinam,  der  »kleine  Johannistag«, 
d.  h.  Gedenklag  seiner  ersten  Marter. 

18.  i-  (verhilltnismüssig  gross,  s.  oben  S.  153]  mit  Krone  und 
Ähre  wie  auch  sonst  auf  schwedischen  Kalendern  (vergl. 
z.  B.  den  Oldenburger  Runenkalender):  EricusRex  et  Martyr, 
Tag  des  genannten  schwedischen  Königs  (11 -iO — 11G0),  des 
gefeiertsten  Patronus  Regni  Sueciae^j,  der  auch  als  solcher 
im  schwedischen  Proprium  erhallen  geblieben  ist. 

27.  einfache  Krone,  möglicherweise  mit  einbezogenem  Fesl- 
lagskreuz:  Beda  (sc.  Venerabilis)  Presbyter,  der  bcrUhmle 
angelsächsische  Kirchenlehrer,  dessen  Tag  hauptsächlich 
nur  in  den  KlösLeru  gefeiert  ward  und  sonst  nicht  bezeich- 
net ist,  auch  wenig  verbreitet  war.  Ober  die  Krone  s.  zum 
25.  März  und  1.  Mai. 

Juni. 

11.+:  Barnabas  Apostolus,  ein  Tag  der  sonst  nicht  gerade  häufig 
belegt  ist.  Es  kann  jedoch  auch  wieder  eine  Verwechselung 
mit  dem  folgenden  Tage,  dem  regelmässig  bezeichneten 
Feste  des  h.  Eskill  oder  Aeschilus  (vergl.  Oldeub.  Runcnk., 
S.  76,  und  unten  zum  6.  Okt.)  vorliegen,  da  sogar  dessen 
Translation  angemerkt  ist. 


1)  Noch  jetzt  gelten  als  solche  ausser  dem  h.  Erich  nach  dem  offi- 
ziellen Missalo  der  katliolischen  Kirche,  die  ja  die  schwedische  Kirclicnpro- 
vinzamUich  noch  fortführt:  Johannes  der  Täufer,  St.  Lorenz(10.  Aug.),Ansßar 
(3.  Febr.),  Siegfried  («5.  Febr.),  Eskill  (48.  Juni  u.  6.  Okt.).  David,  Abt  von 
Snevingen.  Heinrich  von  Upsala  M9.  Jan.),  Botvid  (2S.  Juli),  Helena  (wohl 
die  »vidua  de  Schedwi«),  Birailla  (7.  Okt.),  Catharina  von  Vadstena,  «lii«. 


161     

17.  +:  Botolfus,  d.  b.  Tag  des  h.  Bothulf  (Botulph,  Botulf),  der 
ais  Abt  UDd  Stifter  dos  Klosters  Ikanbo  (auch  ikanboe, 
lyanhoe)  in  Ostangeln  bezeichnet  wird  und  auffallender 
Weise  (ein  Nacbklaog  der  angelsächsischen  Mission  in 
Schweden  I)  in  sUiumtlicben  skandinavischen  Reichen  als 
einer  der  vornehmsten  Heiligen  gefeiert  ward. 

22.  4  mit  kleinem  Yigilienzeichen:  Decem  Milium  Militum,  d.  b. 
Fest  der  40000  Ritter. 

24.  -i-  n)it  Vigilienzeicben  und  dem  sonst  meines  Wissens  hier 
nicht  vorkommenden,  aber  nach  dem  Alm.  Norsk  Uuusk. 
zum  4.  Jan.  sicher  zu  deutenden  Zeichen  der  Sanduhr: 
Nativitas  Johannis  Baplistae,  zugleich  als  Tag  der  Sommer- 
sonnenweode  (Solständet)  und  Mi ttsouimer  betrachtet,  worauf 
wohl  die  gleichgetbeilte  Sanduhr  hinweisen  soll. 

29.  +  mit  roh  angedeutetem  liolzschlUsscl  in  einer  sehr  häufig 
vorkommenden  alten  Form,  der  das  uralte  Attribut  des 
Apostels  Petrus  andeutet,  »womit  er  das  llimmeU'eich  auf- 
schliesstc :  Petrus  et  Paulus  Apostoli. 

Juli. 
2.  +  mit  Marienkrottc  (vergl.  zum  25.  März):  Visitatio  Mariae, 
eines  der  jüngsten  grossen  Kirchenfeste,  s.  Oldenb.  Runenk., 
S.  78.  79;  daneben  regelmässig:  Processus  et  Martinianus. 

40.  +  mit  Sense,  in  die  das  Kreuz  so  einbezogen  ist,  dass  die 
beiden  Arme  rechts  und  links  die  Handhaben  der  Sense  zu 
sein  scheinen:  Canutus  Rex  et  Martyr  Oltoniensis,  d.  h. 
Tag  König  Knut  des  Heiligen  von  Dänemark  (4  086  an  diesem 
Tag  zu  Odensc  ermordet),  der  als  »Sensenknut«  im  ganzen 
Norden  gefeiert  ward ,  aber  auch,  in  das  offizielle  Marty- 
rologium  Romanum  aufgenommen  und  verlegt  auf  den 
49.  Jan.,  sogar  in  dem  durch  das  Tridontiner  Konzil  re- 
vidierten Missale  sich  erhalten  hat.  Uildebrand,  Tidskr., 
a.  a.  0.,  S.  45,  5,  führt  aus  Smäland  das  Sprichwort  an: 
»Canut  kör  bonden  med  lian  ut«,  das  auch  anderwiirls  ähn- 
lich erscheint  und  sich  auf  die  beginnende  Ernte  bezieht. 

20.  "1  mit  Fähnlein:  Margareta  virgo,  d.  h.  Tag  der  b.  Margareta 
von  Antiochien  (vergl.  Oldenb.  Runenk.,  S.  80),  der  beson- 
ders von  den  Cistorziensern,  Karthäusem  und  PrUmonstra- 
tensern  gefeiert  ward.  Das  Symbol  ist  mehrdeutig;  es  kann 
entstanden  sein  aus  dem  Kreuze,    das  die  Heilige  oft  als 


162     

Attribut  hat  (Otte,  a.  a.  0.,  I,  S.  585),  aber  auch  als  Zeitgrenze 
(vergl.  den  12.  März)  den  Beginn  der  Hundstage  andeuten, 
denn  iMargaris  os  canis  est,  caudam  Laurentius  adfert«. 

22.  +  mit  Salbbttchso  in  der  üblichen  spitzen  Form  der  mittel- 
alterlichen Kunst,  die  häufig  auch  in  eine  Nuss  u.  dgl.  umge- 
deutet ward,  und  einbezogenem  Nimbus:  Maria  Magdalena. 

25.  +  mit  Vigilienzeichen  und  einer  Figur,  die  gewöhnlich  als  die 
»liummelpepla«,  d.  h.  HopfenblUthe,  bez.  -frucht,  in  ihrer  her- 
kömmlichen schematischen  Form  angesehen  ward :  Jacobus 
Apostolus,  denn  nach  den  Wetterregeln  der  Bauern  wird  der 
Jakobustag  mit  dem  Hopfenbau  in  der  einen  oder  anderen 
Weise  zusammengebracht,  vergl.  das  schwedische  Sprich- 
wort: »Regndennadagskadarhumlenc,  Hildebrand,  Tisdkr., 
a.  a.  0.,  S.  47,  Nr.  48.  Freilich  ward  das  Zeichen  (ebenfalls 
nach  den  Wetterregeln)  auch  als  NusS;  Eichel  oder  Buchecker 
umgedeutet,  und  letzteres  scheint  hier  noch  am  meisten  an- 
nehmbar (Derselbe,  Mänadsblad,  4879,  S.  454):  ja  es  ist  sogar 
bisweilen  kaum  von  dem  tropfenden  Wasserhute  zu  unter- 
scheiden, der  an  diesem  Tage  ebenfalls  sehr  häufig  vor- 
kommt und  nach  dem  der  Apostel  selber  den  Beinamen 
Vaalhatt  erhalten  hat,  »fordi  ved  den  Tid  kommer  gjerne 
noget  Regn,  og  man  finger  da,  at  Jakob  kommer  og  v(t;der 
(pisser)  Uumlent  Alm.  Norsk  Huusk.  z.  d.  T.  nach  Wille,  S.248. 

28.  +:  Botvid  (auch  Botwidus),  der  ein  berühmter  schwedischer 
Missionar  aus  Södermannland  war  (vergl.  0.  Montelius, 
Sveriges  llistoria,  Stockholm  4 879  ff.,  1,  S.  365),  —  noch 
jetzt  im  schwedischen  Proprium. 

29.  +  mit  gekrümmtem  Messer  wie  z.  B.  auch  auf  dem  Olden- 
burger Stabe:  Olaus  Rex  et  Martyr,  d.  h.  Tag  des  h.  Olaf, 
Königs  von  Norwegen,  wobei  das  aus  dem  Werkzeuge  seines 
angeblichen  MUrtyrerthums,  der  Streitaxt,  entstandene  Messer 
meist  auf  das  Beschneiden  der  Bäume  bezogen  ward,  — eben- 
falls im  schwedischen  Proprium  noch  an  diesem  Tage  erhalten. 

August. 
4.  I-  (vergl.  oben  S.  453):  Vincula  Petri,  Petri  Kettenfeier. 
40.  -f  mit  Vigilienzeichen  und  dem  üblichen  schematisoh  ange- 
deuteten Bilde  eines  Rostes   (mit  undeutlicher  handgriff- 
artiger  Verlängerung,  vergl.  den  Alm.  Norsk  Huusk.  z.  d. 
T.):  Laurentius  Martyr. 


163     

45.  -f  mit  MarienkroDe  und  ebenfalls  mit  Vigilienzeichen :  As- 
sumtio  Mariae. 

S4.  +  mit  Messer  und  Vigilienzeichen :  Bartholemeus  Apostolus 
(»Baro  Bukkekniv«),  wobei  das  Messer  sich  ursprünglich  auf 
die  bekannte  Legende  über  sein  Martyrium  (H.  Alt,  Das 
Kirchenjahr,  Berlin  4860,  S.  87.  88)  bezieht,  aber  auf  das 
Schlachten  der  Böcke  umgedeutet  ward :  Da  bliver  der  god 
Tid  paa  Bukkep0lse  (Alm.  Norsk  Huusk.  z.  d.  T.). 

September. 
8.  +  mit  Marienkronc:  Nativitas  Mariae. 

i  4 .  Doppelkreuz :  Exaltatio  Sanctae  Crucis,  Kreuzerhöhung, 
vergl.  Oldenb.  Runenk.,  S.  83. 

21 .  +  mit  einem  Bock:  MatthaeusEvangelisla  et  Apostolus,  dessen 
Tag  nach  jenem  Zeichen  im  Norden  auch  Buck-Mats-da  ge- 
nannt ward  [Oldenb.  Runenk.,  S.  403),  vielleicht  einer  der 
wenigen  Fälle,  wo  Erinnerungen  an  altheidnische  Fcsle  (hier 
wohl  des  Thor)  in  den  Runenkalendern  sich  erhalten  haben. 

^9.  +  mit  Wagschale  und  Posaune,  wie  in  den  Runenkalendern 
allgemein  üblich:  Michael  Archangelus,  eigentlich  Tag  der 
Dedicatio  S.  Michaelis  Archangeli  (sc.  auf  dem  Monte  Gar- 
gano),  in  der  jetzt  Gothein,  Culturentwicklung  Süditaliens, 
Breslau  4886,  S.  40  f!*.,  so  interessante  langobardische  Ein- 
flüsse nachgewiesen  hat,  —  wobei  die  Wagschale  (»Defuno- 
torum  acliones  trutina  exanimare  putatur«:  Oberlin,  vergl. 
Otte,  a.  a.  0.,  S.  546,  und  z.  B.  Memlings  berühmtes  «Jüng- 
stes  Gericht«  in  der  Marienkirche  zu  Danzig)  auch  auf  die 
Michaelis-Jahrmürkte  umgedeutet  ward  (Alm.  Norsk  Huusk. 
z.  d.  T.).  Die  Posaune  (eigentlich  wohl  überhaupt  die  »Po- 
saune des  Weltgerichts«  oder  die  »Posaune  der  Auferstehung« 
nach  4.  Cor.  45,  22,  4.  Thess.  4,  46  und  Mutth.  24,  34)  ad 
pugnam  coelestem  respicit:  Oberlin. 

Oktober. 
4.  +  mit  Beistrich:  Franciscus  Levita  et  Confessor,  also  Tag 
des  h.  Franciscus  von  Assisi,  Stifters  des  Minoritenordens. 
Der  Beistrich  kann  aus  einem  Vigilienzeichen  entstanden 
sein,  auch  den  Lilienstengel  oder  die  Nagel  der  Stigmatisie- 
rung andeuten,  die  sonst  als  Attribute  des  Heiligen  erschei- 
nen, aber  auch  bloss  graphisches  Zeichen  sein  (vergl.  den 
48,  März). 


164     

6.  +:  Eskillus  £piscopus  et  Martyr,  genauer  die  Translation  des 
h.  Eskill  oder  Aeschiius  (vergl.  den  42.  Juni),  die  wie  auch 
das  Fest  am  letzteren  Tage  noch  jetzt  im  schwedischen  Pro- 
prium am  6.  Okt.  erscheint. 

7.  +:  Birgitta  vidua,  Tag  der  schwedischen  Prinzessin  Birgitta 
[sie,  nicht  wie  auf  Taf.  11  irrthttmlich  gedruckt  ist  Brigitta, 
was  freilich  auch  im  Norden  schon  frtth  ungenau  sich  findet), 
Stifterin  des  Birgittinerordens,  kanonisiert  im  J.  1394 
(Oidenb.  Runenk.,  S.  85),  ein  Fest,  das  wunderlicher  Weise 
sogar  im  revidierten  Missale  Romanum  beibehalten  und  so 
für  die  ganze  katholische  Kirche  verbindlich  ward ,  in  den 
protestanlischen  Kalendern  Schwedens  aber  zum  grössten 
Theil  verschwunden  ist. 

14.  Wie  üblich  mit  der  Andeutung  eines  entlaubten  Baumes  mit 
herabhängenden  Zweigen  im  Gegensatz  zum  44.  April  (Ti- 
burtius) :  Calixtus  (auch  Callistus)  Papa,  dessen  Gedenktag 
geradezu  »Laubabfalls tag«  [vergl.  Hildebrand,  Mänadsblad, 
1879,  S.  453)  oder  »Vinlernatt«  (norw.)  genannt  ward,  vergl. 
obenS.  454  u.  453. 

48.  +:  Lucas  Evangelista. 

21.  +  mit  nimbusartiger  Strahicukrone:  Undccim  Milium  Virgi- 
num,  d.  h.  Tag  der  h.  Ursula  und  ihrer  Begleiterinnen,  wo- 
bei jenes  Zeichen  wohl  wieder  ihr  Miirtyrerthum  andeuten 
soll. 

28.  +  mit  Vigilienzeichen  und  dem  Bilde  einer  Lanzenspitze: 
Simon  et  Judas  Aposloli.  Statt  der  Lanzenspitze  erscheint 
meist  die  ganze  Lanze. 

November. 
4 .  +  wie  üblich  mit  einem  Tafelchon  voller  Grabkreuze:  Festi- 
vitas  Omnium  Sanctorum. 

4  4.  Mit  Vigilienzeichen,  Bischofsmütze  und  dem  Bilde  einer 
Gans:  Martinus  Episcopus,  vergl.  J.  W.-Wolf,  Beiträge  zur 
deutschen  Mythologie,  Göttingen  4852,  1,  S.  47  ff.  Om  den 
dag  heed  det,  »at  Fantcno  i  Kj0bstaden  holde  den  ligesaa 
h0jtidlig  som  Juledagena.  Norsk  Huusk.  z.  d.  T.  nach  Wille. 

23.  i*  mit  Anker:  Clemens  Papa  et  Martyr,  Tag  des  bekannten 
Apostolschülers  Clemens  Romanus.  Über  den  Anker  vergl. 
auch  K.  Simrock,  Handbuch  der  d.  Mythol.,  5.  Aufl.,  S.564, 
der  sich  jedoch  gegenüber  Finn  Magnusens  wunderlicher 


165     

astroDomisoher  Deutung  der  altgermanischen  Mylben,  welche 
dieser  auch  durch  die  Runenkaleoder  tu  stützen  sucht,  nicht 
kritisch  genug  verhält. 

25.  +  mit  Rad,  dem  regelmässigen  Attribute  der  Heiligen,  das 
auch  auf  die  Zeit  des  Spinnens  umgedeutet  ward :  Catha- 
rina  virgo,  Tag  der  h.  Catharina  von  Alexandrien,  der  be- 
rühmtesten unter  den  vielen  Heiligen  ihres  Namens  (vergl. 
das  norweg.  Sprichwort:  «Auf  dem  Spinnrade  spinnt  St. 
Karen  Dochte  für  die  Lichte  zum  Julfestc  und  Mannhardt, 
Götterwelt,  S.3U.  Zingerlc,  S.358,  Germania,  IV,  S.2U). 

30.  +  mitVigilienzcichen  und  —  wie  gewöhnlich  —  mit  schrilg- 
liegendem  Kreuz:  Andreas  Apostolus,  vergl.  Wolf.  a.  a.  0., 
I,  S.  <2<  ff. 

Dezember. 
4.  •%:  Barbara  virgo  et  martyr. 
6.  +  mit  Vigilienzeichen  und  Bischofsmütze :  Nicolaus  Episco- 

pus  et  Martyr.  d.  h.  Tag  des  h.  Nicolaus  von  Bari  (eigentl. 

von  Patera,  bez.  von  Myra,  s.  Oldenb.  Runenk.,  S.  89),  der 

auch  im  Norden  mit  allerlei  Aberglauben  verknüpft  war. 

Vergl.  Wolf,  ebd.,  I,  S.  124  IT. 

8.  +  mit  Vigilienzeichen  und  Marienkrone:  Conceptio  Mariae, 
eines  der  sp^ltesten  Feste  des  Mittelalters:  Oldenb.  Runenk., 
S.  90. 

9.  + :  Anna  mater  Mariae  (doch  ist  der  Tag  meist  auch  zugleich 
dem  h.  Joachim  oder  Jojakim,  dem  Vater  der  Maria,  geweiht), 
eine  Spezialitat  des  nordischen  Kalenders,  wobei  der  Alm. 
Norsk.  Huuskal.  die  Bemerkung  hat:  St.  Annae  Dag  blev 
hos  OS  (d.h.  doch  wohl  den  Skandinaviern  überhaupt)  i  4436 
flyttet  fra  26.  Juli  til  9.  December.  Vergl.  auch  Oldenb. 
Runenk.,  S.  90. 

13.  -I  mit  Scheere,  dem  üblichen  Attribute,  das  vielleicht  ur- 
sprünglich ein  Marterinstrument  sein  sollte:  Lucia  virgo 
[ebd.  S.  106},  deren  Fest  zugleich  nach  dem  alten  Kalender 
als  längste  Nacht  galt. 

21.  +  mit  Vigilienzeichen :  Thomas  Apostolus. 

25.  +  (.sehr  gross)  mit  undeutlichem  Vigilienzeichen  (s.  oben 
S.  154),  Krone  (doch  nicht  Marienkrone,  vergl.  S.  159  zum 
25.  März)  und  Trinkhorn,  dem  regelmässigen  S>mbol  der 


166     

Festfreude:  Nativitas  Domini,  im  ganzen  Norden  als  Julfest 
gefeiert  (vergl.  jedoch  auch  schon  das  goth.  Juleis). 

26.  +:  Stephanus  Protomartyr^  ein  Tag,  an  den  sich  allerlei 
heidnische  Reminiscenzen  anknüpfen:  Wolf,  a.  a.  O.,  I, 
S.  iU. 

27.  +:  Johannes  Evangelista  et  Apostolus. 

28.  i- :  mit  Schwert  oder  kleinerem  Trinkhorn  (beides  ist  gleich 
ttblich,  ersteres  das  ursprüngliche,  vergl.  auch  den  4.  Jan.): 
Sancti Innocentes,  d.h. die  »unschuldigen  Kindlein«  zu  Beth- 
lehem.   

Die  Folgerungen,  die  sich  nun  sofort  aus  diesem  Nachweis 
der  Festordnung  auf  unserem  Sensenschwerte  ergeben,  sind : 

1]  Die  sümnUlichen  nicht  allgemein  recipierten  Heiligen- 
tage: 49.  Jan.  (Bischof  Heinrich  von  Upsala),  15.  Febr.  (Bischof 
Siegfried  von  Wexiö),  10.  Mai  (König  Erich  von  Schweden), 
17.  Juni  (Abt  Botulf),  6.0kl.  (Eskill,  vergl.  den  11.,  bez.  12. 
Juni)  und  7. Okt.  (h.  Birgitta  von  Schweden)  weisen  auf  schwe- 
dischen Ursprung  des  vorliegenden  Runenkalenders,  bez.  sei- 
nes Originales  hin  ^) ,  doch  ohne  dass  für  jetzt  eine  genauere 
Lokalisierung  möglich  wäre.  Ob  Diöcese  Wexiö?  s.  S.  158  zum 
15.  Febr. 

2)  Betreffs  der  wenigen  im  schwedischen  Kirchenkalendcr 
des  späteren  Mittelalters  nicht  regelmässig  oder  doch  nur  selten, 
bez.  sonst  gar  nicht  auftretenden  Heiligenfesle  lässtsich  aus  der 
Anzeichnung  der  Tage  des  h.  Patrik  (18.  März),  des  h.  Benedikt 
von  Nursia  (21.  März),  des  Petrus  Martyr  (29.  April),  des  Beda 
Venerabilis  (27.  Mai),  der  h.Margaretha  von  Antiochien  (20.  Juli) 
und  des  h.  Franziscus  von  Assisi  (4.  Okt.)  vielleicht  auf  einen 
klösterlichen  Ursprung  des  zu  Grunde  liegenden  Kalenda- 
riums  seh  Messen,  der  übrigens  auch  durch  den  ganz  vorwiegend 
kirchlichen  Gesammtcharak  ter  desselben  wahrscheinlich 
wird  (vgl.  unten  S.  168). 


i)  Der  Tag  des  h.  Knut  isl  wie  der  des  h.  Olaf  in  der  Kirche  allge- 
mein recipiert  (vergl.  zum  4  0.  und  29.  Juli),  dagegen  fehlen  alle  norwegi- 
schen und  dänischen  Spezialheiligen,  und  auch  von  isländischem  Ein- 
fluss  findet  sich  keine  Spur.  Die  Mischung  von  römischen ,  nordischen, 
deutschen  und  angelsächsischen  Bestand  Iheilon  in  der  Reihe  der  Feste  selber 
isl  natürlich  in  allem  Wesentlichen  die  gleiche  wie  auf  den  übrigen  Runen- 
kalendern. 


167     

3)  Das  internationale  y  meist  an  die  Legendendichtung  an- 
knüpfende System  der  Heiligenattribute,  das  in  der 
kirchlichen  Kunst  des  späteren  Mittelalters  eine  so  bedeutende 
und  so  hoch  interessante  Rolle  spielt,  in  seinen  Anfangen  auf 
die  altchristliche  Kunst  zurückgeht,  dann  aber  ziemlich  auf 
einmal  um  den  Anfang  des  43.  Jahrhunderts  in  ganz  Mittel-  und 
Südeuropa  ausgebildet  erscheint  (Oldenb.  Runenk.,  S.  44]  und 
auch  nach  dem  skandinavischen  Norden  hin  so  ziemlich  in  sei- 
nem ganzen  Umfange  sich  verbreitete,  —  wird,  wie  nicht 
anders  zu  erwarten,  der  Hauptsache  nach  als  bekannt  voraus- 
gesetzt. Dahingehören,  abgesehen  von  den  Marien-  und  an- 
deren Kronen,  den  Rischofsmützen  und  Gloreolen:  das  Schwert 
des  Paulus,  der  Schlüssel  des  Petrus,  die  Salbbüchse  der  Maria 
Magdalena,  der  Rost  des  h.  Laurentius,  das  Messer  des  h.  Rar- 
tholomäus,  die  Wagschale  des  h.  Michael,  die  Gans  des  h.  Mar- 
tin, der  Anker  des  h.  Clemens,  das  Rad  der  h.  Katharina,  das 
schräge  Kreuz  des  h.  Andreas  und  wahrscheinlich  auch  der  Speer 
des  h.  Georg. 

4)  Daneben  aber  treten  auch  schon  die  wichtigsten  in  den 
Runenkalendern  üblichen  spezifisch  skandinavischen 
Attribute  auf,  bei  denen  freilich  phantasievolle,  poetische 
Erfindung  nicht  erwartet  werden  darf  und  nur  sehr  selten 
heidnische  Erinnerungen  anzunehmen  sind:  der  Rogen  beim 
Schwerte  des  Paulus  (25.  Jan.),  der  Fisch  des  Apostels  Matthias 
(24.  Febr.),   der  Kuckuk  des  Evangelisten  Markus  (25.  Apr.), 

.die  Ährenkrone  des  h.  Erich  (48.  Mai) ,  das  Messer  des  h.  Olaf 
(29.  Juli),  der  Rock  des  Evangelisten  Matthäus  (24.  Sept.),  die 
Lanzenspitze  des  Apostels  Simon  (28.  Okt.),  <]ie  Scheere  der  h. 
Lucia  (43.  Dez.)  und  wahrscheinlich  auch  die  Posaune  bei  der 
Wagschale  des  Erzengels  Michael,  wenigstens  ist  es  mir  nicht 
gelungen,  dieselbe  sonst  als  spezielles  Attribut  desselben  in 
der  Kunst  des  Mittelalters  nachzuweisen.  Hierzu  kommen  dann 
auch  noch  die  Trinkhörner  als  Zeichen  der  Festfreude  (25.  Dez.. 
6.  und  43.  Jan.),  die  Zeichen  der  Jahreszeiten  (44.  April,  24.  Juni, 
25.  Juli,  44.  Okt.),  das  Messer  der  Reschneidung  (4.  Jan.),  der 
Leuchter  des  Lichtmessfestes  (2.  Febr.),  das  Richtschwert  der 
unschuldigen  Kindlein  (28.  Dez.)  u.  dgl.  m. 

5)  Eine  Reziehung  auf  die  Wetterregeln  und  den  sonsti- 
gen Rauernab  er  glauben,  die  in  den  späteren  Runenkalen- 
dern  so  häufig  sich  erkennen  lässt,  andererseits  aber  auch  oft  aus 


168     

JMissversländniss  clor  Zeichen  in  denselben  hervorgegangen  ist^), 
findet  sich  nur  erst  an  einigen  wenigen,  noch  dazu  zweifelhaften 
Stellen,  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  nur  am  25.  Juli  (Jako- 
hus) ;  ebenso  fehlen  die  sonst  so  zahlreichen  auf  die  Beschüfti- 
gungen  der  Haus-  und  Landwirlhschaft  bezüglichen  Vermerke 
fast  g£inz1ich  (s.  zum  4  0.  Juli) ;  nur  einige  Heiligenattribute  und  die 
schon  erwiihnten  Bezeichnungen  der  Jahreszeit  könnten  mittelbar 
auch  auf  derartige  Hausregeln  sich  bezogen  haben,  wie  denn  der 
Fisch  des  Matthäus  auf  den  beginnenden  Fischfang,  das  Messer 
am  Tage  des  h.  Olaf  (29.  Juli)  in  seiner  sehr  bezeichnenden 
Form  auf  das  Beschneiden  der  Büume,  das  Messer  des  h.  Bar- 
tholomäus (24.  Aug.)  auf  das  Schlachten  der  Böcke,  die  Scheere 
der  h.  Lucia  (4  3.  Dez.)  auf  die  Anfertigung  der  Festkleider  u.  s.  w. 
bezogen  zu  werden  pflegte. 

6)  Der  Zeit  nach  fällt  das  Kaien  darin  m  unseres  Schwer- 
tes, d.  h.  die  ursprüngliche,  hier  nur  nachgebildete  Vorlage, 
sicher  nach  4394  (vorgl.  S.  164  zum  7.  Okt.),  wahrscheinlich  aber 


4)  EiRe  höchst  dankenswerthe  ZusammensleUung  derselben  hat  für 
Schweden  H.  Hildebrand  geliefert,  und  zwaru.  d.  T.  »Mörkedagar«  im  Kongl. 
Vittcrhcts  Historie  och  Antiquitels  Akadcmiens  Mänadsblad,  1870,  S.  23  ff. 
nach  den  Resultaten  einer  im  Jahre  1882  auf  k.  Verordnung  bei  der  Land- 
geistlichkeit gehaltenen  Umfrage  —  und  in  der  Antiquarisk  Tidskrift,  4883. 
S.  46  fr.  u.  d.  T.  »Sämling  af  bemärkelsedagar  etc.  rörande  vilderleken«  be- 
sonders auf  Grund  der  weitverbreiteten  Volksbücher  Sibyllae  Spädom  und 
Bondon  Praktika.  Es  ergiebt  sich  daraus  auffallender  Weise,  dass  sehr 
viele  jener  Regeln  der  Jahreszeit  nach  mehr  auf  Süd-  und  Mitteleuropa, 
spezioller  meist  auf  Deutschland  passen,  als  auf  den  Norden,  und  für  viele 
zeigt  Hildebrand  die  oft  wörtliche  Übereinstimmung  mit  den  deutschen 
noch  jetzt  erhaltenen  ausStieffel,  Witterungskunde,  Karlsruhe  4843.  Aach 
von  mir  sind  zahlreiche  Nachweise  der  Art  a.  a.  0.,  S.  96  ff.,  ausR.  Müldener, 
Das  Buch  vom  Wetter,  Bernburg  und  Leipzig  1882,  80,  gegeben  worden,  und 
wahrscheinlich  ist  es ,  dass  die  Übertragung  nach  dem  Norden  namentlich 
durch  das  weitverbreitete  Buch  »Prophetiae  (Vaticinia)  Sibyllae«  vermit>- 
telt  ward ,  wovon  das  angeführte  schwedische  Volksbuch  nur  eine  Über- 
setzuog  ist  und  das  auch  Worm,  Ducangeund  Finn  Magnusen  benutzt  zu  haben 
scheinen.  Ob  ausser  dem  Titel  noch  eine  sonstige  Verwandtschaft  mit  der 
mittelalterlichen  Dichtung  gleiches  Namens  (s.  W.  Wattenbach,  Deutschlands 
Geschichtsquellen,  5.  Aufl.,  Berlin  1886,  80,  II,  S.  208;  W.  Wackemagel, 
Geschichte  der  d.  Litleratur,  2.  Aufl.,  Basel  4879,  §  55,  34 ;  und  Fr.  Vogt 
in  Paul  und  Braune's  Beiträgen,  Bd.  IV) ,  die  noch  im  4  6.  Jahrhundert  als 
Volksbuch  umgestaltet  vielfach  in  Deutschland  verbreitet  war  (K.  Simrock, 
Die  deutschen  Volksbücher,  Bd.  XIII,  Frankfurt  a.  M.  1867,  8»,  S.  443  ff.), 
habe  ich  leider  nicht  feststellen  können.  Die  von  Worm  angeführten  Ge- 
währsmänner Buchlcrus  und  Mantuanus  konnte  ich  nicht  vergleichen. 


169     

sogar  erst  nach  U36  (vergl.  S.  465  zum  9.  De«.)  und  noch  einige 
Decennien  spUter,  da  neu  eingefOhi'le  Feste  immer  erst  allmählich 
auf  den  KalenderslHben  u.  s.  w.  Eingang  fanden.  Andererseits 
kann  das  Kalendarium  aber  auch  nicht  viel  wnah  4500  fallen^ 
einestheils  wegen  der  oben  S.  150 — 4  52  angeführten  Indicien,  die 
sich  aus  der  Beschaffenheit  der  Runenschrift,  der  Behandlung  der 
güldenen  Zahl  und  seinem  astronomischen  Standpunkt  ergaben, 
aber  auch  wegen  des  noch  vorwiegend  kirchb'chen  Gesammteha- 
rakters  und  anderntheils  wegen  des  Fehlens  von  Festen  wie  dem 
4474  eingeftlhrten  Gedenktage  der  h.  Katharina  von  Vadslena 
(S2.  Marx),  deren  Mutter  Birgitta  aufgeführt  ist  und  die  nach 
dem  schwed.  Proprium  doch  sehr  viel  mehr  verehrt  ward,  als 
ich  ursprünglich  annahm,  von  Petri  Stuhlfeier  zu  Rom  (4  8.  Jan.), 
der  Translation  des  h.  Erich  (24.  Jan.),  der  h. Dorothea  (6.  Febr.), 
Apostellheilung  (45.  Juli),  Allerseelen  (2.  Nov.),  der.  h.  Elisabeth 
(49.  Nov.),  Opferung  Maria  (24.  Nov.),  Silvester  (34.  Dez.),  was 
Alles  unser  Kalendarium  den  lllteren  seiner  Art  zugesellt,  — 
und  wegen  der  Abwesenheit  jeder  Spur  einer  Berichtigung  der 
Zeitrechnung,  die  doch  seit  dem  Jahre  4500  sich  in  hohem  Grade 
nötig  machte.  Dazu  kommt  dann  noch  die  geringe  Ausbildung 
der  auf  die  tandwirthschaftlichen  u.  s.  w.  Beschäftigungen  be- 
züglichen Zeichen,  ganz  abgesehen  von  dem  Fehlen  auch  jeg- 
licher Spur  von  protestantischem  Einfluss.  Ich  glaube  daher 
mit  ziemlicher  Bestimmtheit  die  Entstehung  des  Kalendariums 
auf  etwa  4500  ansetzen  zu  dürfen,  während  die  Sense  natür- 
lich schon  wegen  der  Thatsache  der  Verbindung  von  Ätzung  und 
Gravierung  etwas  später,  also  nicht  gerade  lange  vor  dem  Auf- 
treten Thomas  Münzers  entstanden  sein  wird. 

Endlich  7)  geht  aus  der  Existenz  unseres  Sensenschwertes 
selber  hervor,  dass  etwa  seit  Ende  des  Mittelalters,  wie  von  mir 
schon  früher  vermuthet  ward  und  z.B.  auch  aus  der  eigenthüm- 
lichen  Bcschaflfenheit  der  in  Nürnberg  und  Bologna  beßndlichen 
buchartig  zusammengelegten  Exemplare  (a.a.O.,  S.  407  u.  408), 
des  von  G.  E.  von  Moll,  München  4844,  herausgegebenen,  sowie 
der  beiden  von  Worm,  Fasti  Daniel,  S.  96  u.  97,  veröffentlichten 
sich  ergiebt,  Runenkalender  gelegentlich  nach  den  verschie- 
densten Ländern  des  mittleren  und  sogar  südlichen  Europa 
sich  verbreitet  haben  müssen,  sei  es  nun  selbständig,  sei  es, 
wie  hier,  an  Gerlithen  u.  dgl.  Nur  so  erklärt  sich  die  mehr  oder 
weniger  genaue  Nachbildung,  welche  dieselben  dort  in  Bauern- 

4887.  12 


170     

kalendern,  aber  auch  sonst  gefunden  haben  und  die  nicht  Wun- 
der nehmen  kann,  da  auch  bei  nur  oberflächlicher  Bekanntschaft 
die  ausserordentlich  sinnreiche  Erfindung  dieses  chronologischen 
Hilfsmittels  dasselbe  aufs  beste  empfehlen  musste.  Freilich 
machte  dann  die  Buchdruckerkunst  und  in  einer  anderen  Be- 
ziehung die  Reformation  dasselbe  gerade  zu  der  gleichen  Zeit 
überflüssig,  als  es  seiner  höchsten,  überhaupt  erreichten  natür- 
lichen Entwicklungsstufe  nahe  gebracht  war,  und  so  haben 
denn  diese  Kalender  weder  im  Norden,  wo  nur  künstliche,  ge- 
lehrte »Verbesserungen«  erfolgten,  noch  in  den  anderen  Ländern, 
wo  man  sie  kennen  gelernt  hatte,  eine  reichere  volksthümliche 

Ausgestaltung  gefunden,  deren  sie  an  und  für  sich  so  würdig 
waren.  

So  haben  wir  in  unserem  Sensenschwerte,  mag  es  nun  von 
Thomas  Münzer  geführt  worden  sein  oder  nicht,  ein  höchst 
merkwürdiges  Denkmal  der  Vergangenheit  kennen  gelernt.  Es 
ist  ohne  jeden  Zweifel  der  interessanteste  Repräsentant  aus  der 
ganzen  Klasse  der  schon  an  und  für  sich  so  anziehenden  Kalen- 
derschwerter; es  ist  als  Wafl'e  einzig  in  seiner  Art  und  denk- 
würdig durch  seine  Umgestaltung  zu  einer  solchen  aus  eioem 
Werkzeuge  friedlicher  Arbeit ;  es  zeigt  eine  ganz  eigenartige, 
äusserst  seltene  Anbringung  des  Runenkalenders  und  lehrt  uns 
endlich  diesen  selber  in  einer  Entwicklungsstufe  kennen,  die 
wohl  die  lehrreichste  von  allen  ist.  In  der  chronologischen  Be- 
rechnung und  den  angemerkten  Festen,  ebenso  wie  in  den  bild- 
lichen Zeichen,  die  es  enthält,  lässt  es  uns  die  grossen  Kultur- 
zusammenhänge ahnen,  die  im  Mittelalter  durch  die  Organi- 
sation der  Kirche  und  die  Ausbreitung  der  kirchlichen  Kunst 
geschaffen  wurden;  in  zahlreichen  Eigenthümlichkeiten  weist 
es  uns  hin  auf  die  nationale  Eigenart  des  tüchtigen,  Übung  und 
Spiel  des  Scharfsinns  liebenden,  fleissigen,  ernsten  und  ge- 
schickten, doch  auch  derber  Festfreude  nicht  abgeneigten  Nord- 
länders, und  in  den  Runenzeichen  endlich  bewahrt  es  uns 
die  Erinnerung  an  die  germanische  Vorzeit^  in  der  auch  durch 
die  gemeinsamen  Schriftzeichen  die  Gemeinsamkeit  der  gorma- 
nischen Völker  deutlich  bezeugt  ward. 


Berichtigung. 
8.  4  39  Z.  5  u.  6  V.  unten  ist  »London«  statt  Oxford  zu  lesen. 


Herr  Fleischer  legte  das  siebente  Stück  von  Studien  über 
Doztfs  Supplement  aux  dictionnaires  arabes  vor  (s.  die  Berichte 
vom  vorigen  Jahre,  S.  456 — 246). 

11,  676^,  8  u.  7  V.  u.  (Nachtrag  zum  vorigen  Stück.)  xa*j  äJU 


w.^  b  UJ>  Jyai  Ä^t  ^\  ^^^\  JJ^  sr--^  li,  »dazu  («u 
nasth,  Glücksloos,  Glück)  gehört  nach  neuarabischem  Sprach- 
gebrauche das  Jä-naslb- Spiel,  d.  h.  das  Spiel,  bei  wel- 
chem man  sagt :  0  Glück  I  (das  Glück  anruft)  a.  Die  sachliche 
Erklärung  zu  dieser  Wortdefinition  Bist^nfs  liefern  Bekannt- 
machungen arabischer  Zeitungen,  wie  die  folgende  im  zweiten 

Jahrgange  des  Beiruter  Blattes  xl^t,  Nr.  434  vom  5.  Oct.  a.  St., 
17.  Oct.  n.  St.  4874,  letzte  Seite: 


L^^  üy'vi  ^^-^1  ^'^\  l^ 

(*•..  IXsy    (so)    ^.^^^a»m3.^    ÄjLo  c>J>i^   ^    ^^   O*^^ 

Id.  '^J^     ^*     ^r^     cXf>-i3     JJ^     Jt^\     iißm,4S> 


172     

BcknnntmachuDg. 

Wir  bringen  zur  Kcnntniss  des  verehrlichen  Publicums, 
d<nss  die  Ziehung  der  Lotterie  zum  Besten  des  Waisenhauses  in 
Beirut  für  den  auf  den  30.  des  laufenden  Monats  fallenden  Mon- 
tag 2Y,  Uhr  Nachmittag  im  französischen  Generalconsnlate  fest- 
gesetzt worden  ist.  Zu  Gewinnen  darin  ist  nachsiehende  An- 
zahl Loose  bestimmt: 

1  Loos,  das  500  fr.  gewinnt 500  fr. 

2  Loose,  von  denen  jedes  450  fr.  gewinnt    .         30O    i» 
5  Loose,  von  denen  jedes  30  fr.  gewinnt .  450    i» 

4  40  Loose,  von  denen  jedes  45  fr.  gewinnt.    .    .    4650    »» 

Gesammlbotrag,  gebildet  aus  der  Ililffte  dos 

Kaufpreises  der  abgenommenen  Loose    .    .   2600  fr. 

Loose  zum  Vorkaufe  sind  zu  haben  bei  Herrn  Seltm  Ju- 
hanna  Mus^'ld  in  der  Dampfschifffahrts*Factorei  der  Messa^eries 
francaises,  doch  nur  bis  zum  29.  d.  laufenden  Monats. 

46  Oct.  n.  St.  4  874.  Für  das  Verwaltungs-Comil6, 

Selim  Hann^  Mus' ad. 

Das  ßrgebniss  der  Ziehung  in  Nr.  443  vom  5.  Nov.  a.  St.. 
47.  Nov,  n.  St.  des  genannten  Jahres,  letzte  Seite: 

y  a^  ^^  •  '*^/  ^'-  ''>'^^  ^^"^  T^^  "-^  ^''^  ^y^ 

\]  cd.  h.  gregorianisch. 


173 


«jiAc^i  Lc? .  L50.3  r  w*-^  ovii .  föfr  .  m\  5  ti.r  .  rrf 

BekaDntinachung. 
Am  30.  des  vergangenen  Monats  hat  die  Ziehung  der  Loose 
der  zur  Unterstützung  des  Klosters   der    Waisenmädchen    in 
Beirut  veranstalteten  Lotterie  stattgefunden.    Die  gewinnenden 
Nummern  sind  die  nachstehenden: 

Nr.  5436  hat  die  grösste  Summe  im  Betrage  von  500  fr.  ge- 
wonnen. —  Jede  der  beiden  Nummern  13<5  und  4493  hat 
die  nächstfolgende  Summe  im  Betrage  von  150  fr.  gewonnen. 
—  Jede  dor  Nummern  324,  4103,  2494,  4543  und  574  6  hat 
30  fr.  gewonnen.  —  Der  Nummern,  von  denen  jede  45  fr. 
gewonnen  hat,  sind  4  40,  nümlich  folgende  u.  s.  vv. 

Es  ergieht  sich  hieraus,  dass  der  Vocativ  w^-yoi  U  im   Ge- 

nieinarabischen  zu  einem  Compositum  geworden  ist,  mit  dem 


Artikel:  w^^yaiLJt,  die  Lotterie.  Loos  ist^«^,  Fl.  ^»^S; 
Looszettel,  ßillet,  iü^j ,  PI.  (jQ,  ä/Jü',  PI.  /iJo';  Zie- 
hung u--^2^;  gewinnen,  Gewinn,  ^.^   ^..a-^wJ'. 

U,  694^,  44  )>^>Jiil«.     Es  wurde  dazu  schon  JäljLÜLt,  V,  109, 


O  ^  ) 


8  bemerkt:  »vielleicht  ^njüI«.    Ich  füge  hier  hinzu:  oder  ^aäJI, 


t>   « 


Deminutiv  jenes  ^ssit,  das  Rebhuhn,   von  welobcr  Gattung 
die  Wachtel  eine  Art  ist  (Boctbor  unter  C  a  i  1 1  e  und  P  e  r  d  r e  u  u) , 

arabisirt  aus  dem  pers.'  (iLJ  . 

II,  695^,  44  »(Cune  corne<i  Schreib-  oder  Druckfehler  st. 
dun  cor  oder  (Tun  cornet. 


o  ■* 


II,.  695^^  9  V.  u.  y>^;>j}\  ^«i;«  PI.  von  sy^,  zur  Bezeichnung 

der  verschiedenen  Arten  des  so  benannten  Verschönerungs- 
mittels.   In  diesen  Plural  ist  wahrscheinlich  auch  der  angebliche 

Singnlai*  Ajjtl\^  II,  226^,  4  v.  u.  zu  verwandeln. 

4)  Ich    unterdrücke    das    nun    folgende    Vcrzcichniss    dieser    HO 
Nummern. 


174     

11;  696%  13  »quelques-uns  disent  sJUs«  lautet  so  als  würe 
dieses  JJc  eioe  auf  gleicher  Stufe  stehende  Nebenform  von  kXsü 
io  der  angegebenen  Bedeutung;  aber  ohne  Zweifel  ist  cXfti,  das 
mit  dem   Stamme  0J6  nicht  die  geringste  innere   Verwandt- 

Schaft    hat,    bloss    gemeinarabische     Umstellung    des    ur- 

sprunglichen  vAxs,  s.  11,  S83%  5  u.  4  v.  u.,  und  das  vierte 
Stück  dieser  Studien  v.  J.  -1885,  S.  371  und  372. 

11,  700*''  »jjihn.  In  Uebereinstimmung  mit  M  haben  Cuche 

und  Al-FawÄid  al-durrijah  als  Fremdwort:  ».^13  Falle.  Voile 
du  calice.  Liturgie«,  \on ävaq)OQd,  oblatio,  sacra  oblatiob.  LXX, 

Übergetragen  auf  das  Messopfer  (H .  Stephanus) ,  (j.«Oüilt  Q^^yü^  y^i 

wie  M  sagt ;  weiter  auf  die  dabei  gesprochenen  Gebete,  und 
endlich  auf  die  Kelchdecke  oder,  nach  M,  die  Decke  der  heiligen 
Gefüsse  überhaupl. 

11,  701*,  12  u.  13  »,jJuÄj«  vom  Fleische  während  des  Bra- 
tens, nicht  sowohl  »est  expose  au  vent,  ä  Pair«,  als  vielmehr 
s^exhalej   s'evapore  libremeni^   bestätigt  durch    den    Gegensatz 

zwischen  »^jm^suJJ^  «^A  q'  U^  \^y^  ^  (j?*^. »    ^^*®*'    Fleisch 


bratet,  muss  es  frei  ausdünsten  lassen«,  und  -hmu  ^^,  und  es 
nicht  verschlicssen  und  zudecken«. 

11,  701  ^  27  »gorgde  de  fumie  de  tabactu.  M's  Worte  ^^.^1 

»y.    &JU  s-j^io  U  *ä)ui;Ji  ^    bedeuten:    »El-nefes    von   der 

Tabakssorle  Tembek,  —  arabische  Aussprache  Tümbak  und 
TumbAk,  —  (s.  M  Ivt***^,  9  v.  u.,  Cuche  o.^  als  Fremdwort: 

»tiUJu,  espece  de  tabac  propre  ä  ^tre  fume  dans  le  narguille, 

tabac  de  Perse)  ist  soviel  davon,  als  man  zu  einmaligem  Rauchen 
braucht«.  Landberg,  Proverbes  et  Dictons,  1,  70,  2  u.  3 : 
Duöfes  la  portion  de  tabac  ndcessaire  pour  une  fois«  (nämlich, 
wie  447  vorl.  u.  I.  Z.  hinzufügt  »pour  le  narguilet  seulemenlt). 


175     

Die  nähere  Beschreibung  dieser   Wasserpfeife  und  ihres  Ge- 
brauches giebt  Landberg  ebenda  S.  69  u.  70. 


o  , 


II,  703*',  6  flg.  Dozy  hat  dieses  ää^  u^^>  ®i'  zupfte  sich 
am  Kragen  (II,  70^  J.  Z.),  richtig  gedeutet.  Wie  mir  Herr  Gon- 
sul  Wetzstein  einst  in  einem  Gespräche  über  morgenländische 
Geberdensprache  mitthciite,  fasst  der  etwas  Verweigernde  oder 
Ablehnende  zur  Andeutung  davon  den  vordem  Saum  seines 
Kleiderkragens  mit  dem  Daumen  und  Zeigefinger  der  linken 
Hand  und  bewegt  ihn  einigemal  auf  und  ab. 

II,  703^  21—25.  Dozy  s  Uebersetzung  der  Worte  BistAni's 
ist  die  einzige  sprachlich  mögliche,  aber  durch  »s'il  faut  traduire 
ainsi  Ics  paroles  du  M«,  weist  er  selbst  auf  den  Widerspruch 

zwischen  dieser  angeblichen  Bedeutung  des  Inf.  ^j^3äj  und  der 


vorher  H!.  9  v.  u.  angegebenen  des  vb.  fin.  (jaäi  hin:  ^Ji3fti 
^iJ  \jQ9u  wü^o  ^yi^S^  ?^-y^^  ^01^  Farbe  und  gefärbten  Zeugen  : 

abfärben.  Da  nun  diese  letztere  Bedeutung  ebenso  dem  ge- 
sammten  vom   Stamme  (j^^aj   dargestellten  Yorstellungskreise, 

wie  den  Angaben  der  andern  Quellenwerke  entspricht,  diese 
aber,  soweit  sie  mir  zugänglich  sind,  von  jenem  »nicht  abfärben« 
und  »einen  Genich  (andern  Körpern)  nicht  mittheilen«  völlig 
schweigen,  so  wird  zur  Beseitigung  des  bemerkten  contradic- 

torischen  Gegensatzes  das  %  in  ^^«äj  j  ^  einfach  als  Ab- 
schreibefehler herauszuwerfen  sein. 

II,  703**  8  V.  u.  »äaöäJU  esfhce  d*assietie  sur  laquelle  on 

pose  la  pipe  quand  on  fume^Hj  mit  einem  Worte:  cendrier, 
Cuche  1a1*  und  Al-Faräld  al-durrijah  aöI*",  ein  Tellerchen,  wel- 
ches man  beim  Rauchen  der  langen  türkischen  Pfeife  unter  den 
auf  dem  Fussbod6n  ruhenden  Kopf  derselben  legt  zur  Aufnahme 
der  herausfallenden  Asche,  die  zuletzt  ausgeklopft  wird;  s. 
M  riro^,  23  u.  24. 

'    II,  704*,  11  n/onAorda«  Druckfehler  st.  bonbarda  oder  bom- 
barda,  franz.  bombarde. 


176     

II,  704",  28  flg.      Wie  de  Goejc  im  Glossarium   zu   Ibn 

a!-Fakih  S.  XliX  bemerkt,   ist  für  'sbliu  die  Bedeutung  locus 

Wide  naphtha  exlrahitur  nachzutragen,  welche  Frey  tag,  wie 
auch  die  zweite:  »Instrumentuni  aeneum,  cujus  ope  naphtha 
conjicilur,  seil,  tormentum  bellicum<(,  irrlhUmlich  dem  rein  per- 

sönlichen  lAäJ  zugetheilt  hat.  JMitlclbar  wird  allerdings  die  ersl- 


-  o  > 


genannte  Bedeutung  durch  M^s  » JagÄÜ   -r;^<'  Z.  32  u.  33  darge- 
stellt, offenbar  gleichbedeutend  mit  dem  ^UäaJ!  .U.^nÄ^\  ?:f^y^ 

des  Kamüs.  —  Z.  33  » jJJÜI«  Druckfehler  st.  pjJÜt. 

II,  704^  vorl.  Z.  «<Ä3((  und  704^  2  »,^«  sehr,  ^tii  und 
«iJo  ohne  Verdoppelungszeichcn.  Die  Quellenwerke  wissen 
nichts  von  einem  die  Bedeutung  von  %m1  bloss  verstärkenden 

<ü ;  dagegen  ist  dieses  «ü  logisch  nothwendig  in  den  beiden 

folgenden     doppelt     transitiven     Bedeutungen     faire      valoir 
{fructifier)  qqch.  und  interesser  qqn.     So  auch  Cuche  1a|**  als 

gemoinarabisch :    »Uaa^j   «.Äi   faire  rettrer  a  qqn.  de   Tutilite, 
faire  gagner  qrjch.  ä  qqn.,  lui  etre  utile«. 

11,  705%  1—3,  bezieht  sich  auf  Sur.  33  V.  72: 
^.,l    ^^Ls   JU-^l,   'jc^^S^  o|^l   ^   ÄiU^i  Uüjx;  Lil 

II,  706^,  7  V.  u.  (j^^ÄÄj!)  c.  ^  ^ire  renie  pur  son  pere,  sa 
famille,    Gl.  Fragm.«    nach  de   Goeje's  Vocalisation  dort  S.  95 

Z.  2:  ^jjÄÄJb,  als  sei  dieses  mediale  Activura  gleichbedeutend 

mit  dem  vorhergehenden  Passivum  der  ersten  Form,  was  grund- 

sätzlich  unmöglich  ist.  ^^^  mit  Acc.  einer  Person  und  ^  einer 

oder  mehrer  andern  oder  einer  Sache  bedeutet :  jene  dieser  oder 
diesen  Personen  absprechen,  d.  h.  leugnen,  dass  jene  von  dieser 


177     

oder  diesen  abstamme,  eu  iboen  gehöre,  bez.  diese  Sache  von 

ihr  ausgesagt  werden  könne;  »Ui,  von  einem  Vater  in  Beziehung 

auf  einen  Sohn,  schlechthin:  er  hat  ihn  abgeleugnet,  verleugnet, 
statt  xm^  ^  sUi :  er  hat  erklärt,  derselbe  sei  nicht  sein  Sohn. 

_Ä;:i!   aber,  reflexives  Medium  von  _äj,   mit  ^  einer  oder 

mehrer  Personen  oder  einer  Sache:  sich  selbst  davon  lossagen, 
d.  h.  erklären  dass  man  nicht  von  jener  Person  abstamme,  zu 
jenen  Personen  gehöre,  bez.  diese  Sache  als  Attribut  besitze. 

Daher  &JU  ^^,  ^«^  ^^^,  altarabisch:  er  wurde  ihm,  ihnen 

von  Andern  abgesprochen;  nicht  als  dessen  Sohn,  als  deren  Ge- 
schlechtsverwandter anerkannt,  —  nicht  wie  11,  706^,  <3  flg.: 
er  wurde  von  seinem  vermeintlichen  Vater  selbst  nicht  als  sein 
Sohn,  von  seinen  angeblichen  Geschlechtsverwandten  nicht  als 
zu  ihnen  gehörig  anerkannt«  Denn  das  ächte  Arabisch  gebraucht 

^  nicht  wie  die  spätere  Sprache  in  der  Weise  unseres  von 

nach  Passiven  zur  Einführung  des  Activsubjeotes;  s.  meine  Kl. 
Schriften,  1,  S.  81  Z.  7  flg.,  S.  90  Z.  5  flg.,  S.  598  Z.  47  flg. 

.\ÜI  o^j  er  Lf^l;^  CT*  i^*^'  ^^^^  bedeutet:  ich  will  mich  selbst 

von  meiner  Verwandtschaft  mit  dem  Gottgesandten  lossagen, 
d.  h.   diese  Andern  gegentlber  ableugnen,  mich  selbst  dieser 

Ehre  berauben,  —  in  Aussageform,  wogegen  ^j#.L*J!  ^  <i^^ 

u.s.  w.  in  lebhafter  Optativform,  aber  in  demselben  Sinne,  ähn- 
lich den  entsprechenden  Ausdrtlcken  unserer  Volkssprache :  »ich 
will  nicht  selig  werden,  ich  will  verdammt  sein,  soll  mich  das 
Donnerwetter  erschlagen«  u.  dgl.  mit  hinseugefUgter  Bedingung 

zu  kräftiger  Verneinung  gebraucht  werden.    ^  nach  dem  pas- 

siven  Verbalnomen  ^^  hat  dieselbe  Bedeutung  wie  nach  ^^ai, 

wogegen  das  absolut  gesetzte  ^Jl>  ebensowohl  bedeuten 
kann:  von  seinem  Vater  oder  seinen  Geschlechtsverwandten 


178    

verleugnet,  wie:  diesen  von  Andern  abgesprochen,  fttr  unärht, 

beziehungsweise  für  einen  Ü;  jJ^,  einen  Bastard,  erklärt. 


O  >  «so  » 


11,  707*,  8  »^^^äJU  disait-on  ä  Grenade   pour  ^^äJU«,  rich- 


^      o 


tig   für     .ÄJLo,    nach  der  im    vorigen   SlUcke   dieser  Studien 


C  )  *      o 


S.  469  Z.  4  flg.  zu  mulut,  ^y^  st.  ^^a,  gemachten  Bemer- 
kuDg.  Derselbe  Lautwechsel  wird  von  Dozy  selbst  Gl.  Esp.  321, 
4  Qg.  anerkannt  in  mox.1  für.^A:>*.     £benso  bei  Ale.  mokci, 


castrado,  für  ^^*as>  ^    niunci ,    oluidada   cosa,    für    ,^m^.  — 

Dieses  ^c^^»   Tubrigand,   voleurvy    entspricht    nach   seiner  ur- 

sprünglichen  wie  nach  seiner  abgeleiteten  Bedeutung  dem  span. 
bandido,  ital.  bandito,  franz.  bandit. 


II,  707^',  4  4  9Percee<.i   entspricht  als  Bedeutung  von  x. 
nicht  den  folgenden  Worten  Bist^nfs,  die  es  in  einen  Begriff 

zusammenfassen  soll.     Das  Richtige  giebt  Cuche:  »xajü  terrain 
dcfrich6,  di^fonce«  als  gemeinarabisch,    in  Uebereinstimmung 

mit  dem  ebenfalls  als  gemeinarabisch  bezeichneten  »LaIü  i  wJÜ 
d^fricher  une  terre  inculte  (poür  y  planter  des  muriers) ;  defoncer 

un  terrain«,  »wJiÄJt  ötre  döfrich^,  defonce  (terre)«,  und  «vy*^ 

d^friche  (terrain);  defonce  (jardin)«. 


m       y  «"   > 


11,  707^  25  »),...JU>«  Druckfehler  st.  s..*jiAj. 

II,  708*,  5 — 7.  De  Sacy  bemerkte  in  seiner  Reccnsion 
meines  Abulfeda  antcislamicus,  Journal  des  Savans  1832,  in  der 
Handschrift  404  der  Pariser  Königlichen  Bibliothek  fehle  diese 
Stelle,  die  Handschrift  645*  aber  scheine  statt  meines  wp^^ä;!^ 


179     — 

zu  haben  w>uuw3Ajt.  So  ansprechend  nun  auch  Dozy's  Vermuthung 
>k>^JUli  Q^^KwO)   vir  felicis  ingenii  auf  den  ersten  Blick  er- 

scheint,  zumal  da  die  Quellenwerke  diesen  durch  ,jNJui\  ^Xt^ 
erklärten  Ausdruck  unter  xjuJiJüt  besonders  anführen,  so  ziehe 
ich  doch  jenes  u.«juaJÜI  ^^^^yo,  vir  felicis  sortis,  des- 
wegen vor,  weil  es  erstens  nur  die  von  mir  selbst  gesehenen 
Züge  ohne  Zusatz  darstellt  und  sich  an  die  unmittelbar  vor- 
hergehende Erwähnung  des  langen  Lebens  und  der  vielen 
Feldzttge  des  Fürsten  ergänzend  anschliesst,  wogegen  die 
ihm  durch  äaaäjJI  q>*^  beigelegte  Geisteskraft  mit  der  eine 

halbe  Zeile  vorher  von  ihm  gerühmton  ^iy!  x^^^u»  so  ziemlich 
zusammenfällt. 

II,  708%  9.  lieber  die  Rechte  und  Pflichten  des  ^\'Jh\  u^ 

besitzt  die  Leipziger  Stadtbibliothek  in  Nr.  CIX  der  arabischen, 
persischen  und  türkischen  Handschriften  eine  arabische  Abhand- 
lung,  KjüUJt  Jutji  äJLm^,   von   dem  gewöhnlich  j^tOijb  ^^Lä 

genannten  ^;1  ja^I  s-Aam^  O^'  f^^  J^^'  deren  Inhalt  über- 
sichtlich zusammengestellt  ist  in  Catalogus  libb.  mss.  qui  in 
bibliotheca  senatoria  civitatis  Lipsicnsis  asservantur,  S.  392^ 
Z.  16  Og. 

11,  709^,  <6  »yü«  sehr,  öjü  (s^  als  n.  vicis),  wie  in  der 
4.  Ausg.  von  Bc  unter  Nasarde. 


II,  71  i^,  26  »(jM^ÄJU  vertical^  Ht.«  unrichtig  geschrieben  st. 
^yde.  Bocthor's  und  Berggren's  s,.MaXJLo  für  vertical  drückt 
denselben  Begriff  aus,  aber  in  der  Richtung  von  unten  nach 

oben,  wogegen  {j**jSJ^j  eig.  renversej  in  der  Richtung  von  oben 
nach  unten  zu  denken  ist. 

II,  71 3^  21  »iuK&UU  sehr.  ÄÄiäÜ!  von  J3^\,  7.  Form  von 
^jaij  oft  von  Sternschnuppen,  steiles  tombantes,  filantes,  z.  B. 


180     

Ibn  al*-Atlr,  IX,  W,  4  u.  5:  ^^j  ^^   ^^  JoÄil  iU-J^  »AP  j 

aJLo  ykS\  ß.  Vgl.  Dozy*s  eigene  Berichtigung  des  ^j^aJü!  von 
Relske  und  Freytag,  hier  Z.  27—29. 

II,  743**,  5  u.  4  V.  u.  »^j-^L?^i  jj^üxil  la  seance  a  ete  levee, 
Bc  (le  f^  est  une  Taute  d'impression).«   Die  4.  Ausg.  von  Bc  hat 

unter  Lever  und  Seance  bloss  dasActiv:  Lever  lu  seance,  ^J^ 
ijJ^\,  nehen  ^jJLs?!   äj,;  davon  ist  die  Reflexiv-  und  Passiv- 

form  \jas6\j  oben  265*,  20  u.  21,  auch  in  den  arabischen  Zei- 

tuugen  das  gewohnliche  Wort  fUr  diesen  Begriff.  (j;:iäJol,  8.  Form 
von  jksä^t  auf  eine  Vorsammlung,  Gesellschaft  u.  dgl.  ange- 
wendet, würde  nach  dem  Sprachgebrauche  eine  mehr  oder 
minder  durch  innere  Nothwendigkeit  oder  äussern  Zwang  her- 
beigeführte Auflösung  und  Sprengung  derselben  ausdrücken. 
Ich  halte  daher  das  ^i  in  ^j^aÄ^^i  für  richtig,  das  o  aber  fUr  ein*- 
geschoben. 


«■«o 


II,  7U*,  2  u.  3  ))(|jiaft;j!)  s^äoigner,  partir,^  Hoogvliet  90, 

D.  451  i<.  Eine  nähere  Prüfung  dieser  Belegstelle  würde  Doxy 
überzeugt  haben,  dass  sie  mit  ihrer  ganzen  Umgebung .  (Text 
S.  55  Z.  2—5,  üebersetzung  S.  90  Z.  11—15:  »non  detexit« 
u.  s.  w.  bis  »manibus  meis  admovere«)  falsch  gelesen  und  miss- 
verstanden ist.    Die  liauptquelle  de$  Irrthums  ist  der  zu  einem 

Subjectsnominativ  mit  Genetivanziehung,  ^LiJt  «^^b?  gemachte 


1    i 


Zuslands- Verbalsatz  q^oJI  ^^^^^  ^*  55  Z.  3 ;  hieraus  sind  die 


lO   , 


übrigen  Fehler  in  derselben  Zeile :  b^^  st.  x:>»,  lAJuj  st.  ^jmj 


und  «..^uuM  st.  w^A^  entstanden.     Der   Sint>:    »Nie  wird    mir 

die  Vergünstigung  zu  Theil  (wörtlich :  nie  leuchtet  mir  das  Ant^ 
litz),  dich;  den  Gott  kräftigen  möge,  persönlich  zu  sehen,  und 
nie  bietet  sich  mir  der  Anlass,  ein  Sendschreiben  an  dich  zu 
richten,  ohne  dass  ich  zugleich  fühlte,  wie  das  Glück,  nachdem 
es  sich  von  mir  abgcwaudt,  sich  mir  wieder  zuwendet  und  das 


181     

von  ibm  aufgelöste  Freundschafisband  wieder  befestigt,  und 
(ohne  dass  ich)  erkennte,  wie  die  Wunscherftlllung  mir  ihren 
Zttgel  (zum  Erfassen)  zuwirft  und  ihre  lluldgaben  meinen  Hän- 
den (zum  Zugreifen)  nahe  bringt«.  Mit  lloogviiet's  Uebersetzung 
fallen  auch  die  unrichtigen  vier  Anmerkungen  dazu,  449 — 152, 
hinweg. 

II,  71 4^  15  V-  u.  Die  richtige  Erklärung  von  tysi^ji  s. 
im  1.  Stttcke  dieser  Studien  v.  J.  4881,  8.  86  u.  27  (Kl.  Sehr. 
Bd.  II,  S.  496  Z.  5  V.  u.  flg.) 

II,  748^,  5  flg.  »/ öiLÄi«  ursprünglich  /^Läi,  lucanicum,  kov- 

KLCLviTfiov.  lieber  den  Gonsonanten  und  Vocalwechsel  in  diesem 
Worte  s.  das  vorige  Stück  der  Studien  S.  466  zu  II,  548%  2Jl. 

II,  748^,  7  V.  u.  flg.     Wenn   Lane  in  der  angegebenen 

Stelle  der  T.  u.  E.  N.  ^  einmal  mit  auflesen  übersetzt,  so 

erlaubt  er  sich  eine  für  den  Zusammenhang  gleichgültige  Aende- 
rung  des  Wortsinnes,  sagt  aber  damit  keineswegs  dass  »la  signi- 
fication  de  choisir,  p.  c.  des  cailloux,  s^est  modifiee  et  il  faut 
quolquefois  traduire  ce  verbc  par  ramas&ei*v^  als  ob  es  an  solchen 

Stellen  mit  JafiJ   gleichbedeutend   wäre.      Cuche    erklärt     ii 

richtig  durch  »trier,  choisir  Ics  meilleurcs  parties«,  in  beson- 
derer Beziehung  »cueillir  les  figues  les  plus  mores«.  Und  so 
sucht  sich  auch  der  Mann  in  der  T.  u.  E.  N.  unter  den  kleinen 
Kieseln  diejenigen  aus,  welche  ihm  die  geholtreicliAten  zu  sein 
scheinen. 

II,  749^,  3  v.  u.  Dozy  übersetzt  io^)^l  /J^äJI  in  der  4.  Ausg. 

seiner  Recherches  S.  187  Z.  4  4  nach  dem  Sinne  richtig  mit 
»nos  deplorables  discordestr;  noch  treffender  würe  nos  mal- 
heureuses  discordes.  unsere  unglücklichen  Zerwürfnisse,  — 
ganz  wie  Franzosen  und  Deutsche  diese  beiden  Adjective  ge- 
brauchen, ohne  dass  man  vom  sprachwissefvscbaftliaben  Stand- 
punkte aus  sagen  könnte,  das  Passivparticip  sei  gebraucht  »im- 
proprement  dans  la  rime,  au  lieu  du  partic.  actif«,  d.  h.  statt 
unglücklich  machend.     Zu  Grunde  liegt  immer  das  von  den 

Quellenwerken  gegebene  ursprünglich  persönliche  ^-^  ^.^^ 


182     

••  •  •  .  O    •  €,,  C 

w^xJL^  j^  xaXj  *Xj[jo\,  obergetragen  auf  Personen  die  für  sieh 

und  andere  gleichsam  mil  Unglück  behaftet  sind,  und  auf 
dergleichen  Dinge  und  Ereignisse. 

II,  TSO'^,  8  V.  u.  »ad^i  sehr.  ^U>\:  ich  Hess  das  Buch  nicht 

leer  von — ,  d.  h.  Stattetees  aus  mit — .  Vgl.  I,  404^,  12 — 10  v.  u. 

11,  720^,  23  u.  24  ^fSS  \)a  se  construit  aussi  avec  ^, 

epouser,  Badroun  417  des  notes.a  Hat  mich  Dozy  roiss verstanden, 
oder  habe  ich  mich  selbst  geirrt?  Jedenfalls  ist  die  Construclion 


<•  ^  * 


der  ersten  Form^^Jü  mit  ^,  s.  de  Sacy's  Chrestom.  I,  S.  256 — 
258,  auf  die  Stelle  bei  Ibn-Badrün  S.  ot  Z.  6  nicht  anwend- 
bar;  denn  Jot  ^  »lXju  ^^^=OCJu  ^  ist  einfach :  heirathe  (o  Weib) 

nach  ihm  (der  sich   von   dir  geschieden  hal)  keinen   andern ! 

=  \sXsA  nach  der  Lesart  in  C,  aber  mit  der  gewöhnlichen  Ver- 
stärkung der  Allgemeinheit  des  indelerminirten  Objectes  der 

Prohibition  durch  ^;  meine  Kl.  Schriften,  I,  S.  556  u.  557  zu 

de  Sacy,  II,  55,  §  H5.  Die  Möglichkeit  der  angegebenen  Con- 
struction  tritt  analoger  Weise  erst  durch  den  Uebergang  von 


^  in  die  4.  Form  ein:  «^  ^yiu  L^^^j  üt  x^^S  gJo^Eäm.) 
»er  verheiralhete  sie  an  einen  Andern«;  hier  l^sst  sich  denken 


>o  ..      .  oC  >  b 


und  sagen  «uLq  L^^znXj!  =  «JU  L^^;,  weil  sie  durch  diese  Ueber- 

gäbe  ein  Theil  der  auf  alles  rechtliche  Besitzthum  ausge- 
dehnten Persönlichkeit  des  Mannes  wird. 

II,  721%  19,  » JOutf  sehr.  jJo,  Verbalnomen  von  Jüo. 

11,  721*,  22.  Nicht  nur  leichter,  sondern  auch  sinngemässer 
als  Dozy's  Verwandlung  dieses  Jüul  in  yu!   ist  die  in  Jüul 

(cXlCii) :  ich  stelle  dir  frei,  deiner  Wege  zu  gehen,  und  mache 

dir  keine  Schererei. 


183 

II,  721^  27  u.  28  »IcUJ?  c^^Ji  ^j«  eine  der  merkwürdig- 
sten Erscheinungen  im  Neuarahiscbon :  die  Verbindung  von 
tJü    mit  dem  Arlikel,  tJoüt,  in  der  Bedeutung  von  ^^t, 


i.    . ) 


juo^t.  statt  des  altarabischen  \ö^   s£>wu  X.   dans   une  teile 

••         #  ^^  •••  \^ ' 


maison,  in  dem  und  dem  Hause;  meine  Ri.  Sehr.  I,  S.  346  Z.  \ 
flg.  zu  de  Sacy,  I,  434,  K)  flg. 

II.  723»,  43  »le  vulgaire  dit  ^JüU  d.  h.  ^Jüi  st.  ^jJJüi 

zunächst  in  dieser  7.  Form  durch  den  erweichenden  Einfliiss 
der  wurzelhaften  Liquida   n  auf  die  unmittelbar  folgende  Zu- 

satz-Tenuis  t;  weiterhin  unabhängig  davon  in  (j«JO,  nach 
M  rit'v^,  8  u.  7  V.  u.,  gemeinarabisch  sowohl  für  J^iü  als  für 
jj^Jü,  und  in  x**.^^>,  rechute;  s.  I,  454*,  24—26,   und  Cuche 


Ha**  unter  den  als  gemeinarabisch  bezeichneten  lIU  Jüt  ^jn^JuI 

und  jU>Jh>.  Ebenso  erweicht  im  Altarabischen  wurzelhaftes  :, 
j  und  ^  dasselbe  o  in  v3,  Mufassal  lv*l,  6 — 8. 

^  «  b 

II,  724*,  2  u.  3  »idJJLx  pl.  J^LLo  Instrument  pour  couper  le 

tabac  ou  autre  chose,  M,  qui  dit  que  c'est  pers^n  (?)«.  Dozy's 
zweifelnde  Anfrage  beantworte  ich  durch  Verweisung  auf  das 
vorige  Stück  dieser  Studien  S.  490—193  zu  II,  617*,  3  v.  u., 

wonach  >JL^JyQ,  weit  entfernt  persisch  zu  sein,  nichts  ist  als  eine 

der  vielen  Umgestaltungen  des  griech.  iiayyavov  in  der  allge- 
meinen Bedeutung  Maschine. 


-  .  o.  -.  )0  ) 


II,  725"^,  17  u.  18  »jyjuff  Denominativ  von  o^y,  Nimrod: 

sich  verhalten  wie  Nimrod,  der  gewaltige  .Lj>  oder  Empörer 
wider  Gott. 


184 

II,  7S8>>,  2  u.  8  »(j4^)  Sorte  de pots,  Wild  480:  »TOrckische 

»    J 

Erbsen,  nohut  genannta  d.  b.  ^^yS^,  pers.-tUrk.  Kichererbsen, 
poischiches,arah,^%a4^,  I,  322^.  Ist  demnach  zu  streichen. 

II,  729'*,  44  V.  u.  »o^öj«  sehr,  (j^yj,  d.  h.  (jryi.     Was  im 

ersten  Worte  eine  durch  Dank  zu  erwiedernde  Wohlthat,  heisst 
im  zweiten  bildlich  ein  Darlehn :  »Wie  soll  ich  das  Darlehn  ab- 
tragen, das  du  mir  Torgeschossen  hast?« 

II,  730\  9-11  njii^\  M  ^^\  vi.^  (,^a>)   J^«  be- 

deutet  an  und  ftlr  sich  nicht  ȟ  s^assit  au  dernier  rang  de 
tassembleea,  sondern  der  als  einer  der  Letzten  in  den  Versaram- 
lungssaal  eingetretene  Mundir  lehnt  den  Wink  des  Chalifen,  in 
seiner  Nlibe  Platz  zu  nehmen,  mit  den  allgemein  gehaltenen  Wor- 
ten ab:       %    ^\    ^    ^^\    e.^    JO.JI    lX«JÜ    Ui    ^^yfj^\     ^^\      b 

wISJt  ^^^1;«^.,  »Herrscher  der  GlHubigenl  Jodermann  hat  sich 

dahin  zu  setzen,  wohin  er  nach  der  Sitzordnung  kommt  (wört- 
lich: wohin  die  Sitzordnung  ihn  gelangen  lässt)  und  darf  nicht 
über  die  Nacken  (der  vor  ihm  Sitzenden)  hinwegsteigen«.  Dar- 
auf, heisst  OS  weiter,  setze  er  sich  unter  die  Hintersten. 


II,  TSO**,  7  u.  6  V.  u.  «(^4^)  Expose,  Bc  (^crit^^^^)«,  niSm- 

*  0  j  ^  et 

lieh  ,^^^,  substantivisch  gebrauchtes  Passivjrarlicip  von  ^^^\ 
Bericht  erstatten,  faire  im  rapport,  wie  auch  in  der  tttrki* 
sehen  GeschHftssprache  Lpt  Berichterstattung,   Bericht, 

^^^^  Berichterstatter;  s.  Zenker.  —  Dagegen  ist  j^UX^ 

im  folgenden  j^Uii  ^  ?y^)  gebrochener  PI.  von  ,^^4^  in 

der  Bedeutung  von  äJLxs  jcfi-«.  Verbotenes.     Cuche  W* :  »j^^ 

^^U^  ^  d^fendu ;  chose  d^fendue,  illicite«. 


185 


Uo. 


II,  734*,  47  flg.  9fjj  tempiten,  zur  Begründung  und  Er- 

klilrung  dieser  Bedeutung  war  vor  Allem  auf  den  erschöpfenden 
Aufsatz  des  sei.  Lane  in  der  Zeitschrift  der  D.  M.  G.  III  (v.  J. 
4849)  S.  97—99  zu  verweisen. 

II,  734%  7 — 5  V.  u.  Die  hier  angeführte  Toledanische  Ur- 
kunde ist  mit  ihrer  lateinischen  Uebersetzung  abgedruckt  in 
Lerchundi  und  SimoneCs  Creslomatia  ardbigo-espanola,  Granada 
4883,  S.  42  u.  43. 

II,  734%  4—3.  Ich  habe  die  Stelle  mit  dem  unverständ- 
lichen ^,lj  Q^J^^  genau  nach  der  tunesischen  Handschrift  ge- 
geben. Für  die  Richtigkeit  einer  auf  den  Rand  meines  Hand- 
exemplars geschriebenen  Vermuthung  :  -^^  jlS^I  ^y^JLc^  stehe 
ich  nicht  ein;  sie  stützt  sich  indessen  auf  eine  Parallelstelle 
der  T.  u.  E.  deren  ich  mich  deutlich  erinnere,  ohne  c;egenwijrtig 
Band  und  Seite  anführen  zu  können. 

n,  734»,  40  D-aschr.  ^. 

II,  734%  1.  Z.  »/ö-a«  sehr,  /ytßy 

II,  735%  8  u.  7  V.  u.  »jj^l  celui  qui  rend  les  choses  daireSy 

M.a     M's  »L^^t  ^^^A>j  ^ÄJt  ist  sowohl  persönlich,  wie  Dozy 

es  gefasst  hat,  als  sächlich:  ce  qui  rend  les  choses  claires. 
Der  türk.  KAmüs  giebt  als  Beispiel  des  persönlichen  die  Worte 

Sur.  5  V.  48:  ^^^^  \Jd^  ^  adlJ  ^  ^^»1^  ^  mit  Beziehung 


des  .^  auf  Mohammed,  und  fasst  dann  das  sächliche  in  grösster 
Allgemeinheit  als  «Omo  ^lXj?  ^^  Ut^  ^  U/  ^.L^^  (>i'-«^, 
»das  was  das  Wesen  der  Dinge  so,  wie  es  wirklich  ist,  ent- 
hüllt und  erklärt«. 

II,  737^,  23  u.  24  »J^^i  I  dans  le  sens  de  suspendre  aussi  c. 
it,  de  Sacy  Chrest.  II,  in,  5«.  In  meinen  Kl.  Sehr.  I,  674,  4  0 
V.  u.  flg.  ist  nachgewiesen ,   dass  de  Sacy  an  dieser  Stelle  in 

Folge  einer  Missdeutung  von  fu\jo.  das  darauf  bezügliche  c^Jsaj 


L^Jt  unrichtig  übersetzt  hat;  und  J^lj  mit  Acc.  eines  Dinges  und 

1887,  43 


' 186 

i,\  eines  andern  hier  bedeutet :  jenes  wie  einen  umschliessen- 
den  Ring  um  dieses  herumlegen  und  so  daran  befestigen. 

IT,  740^,  20  u.  24  »8^  le  cri  du  chatm,  s.  das  vorige  Stück 
dieser  Studien,  S.  494  Z.  4—4. 

II,  740°,  12  »t^amande«undll|744%6i>j^^c  magrebiniscbe 

Aussprache  st.  ^y,  Collectivsingular  (nicht,  wie  vorl.  u.  1.  Z., 
gebrochener  Plural),  wovon  die  Einheitsform  Äjjy  und  xjI^  ist. 

II,  742*,  48  »ijrLo  o^  6rm  de  plante,  Lane  M.  E.  II,  346.« 

Hat  Lane  selbst  sein  » Oöd  niyäz  c(  irgendwo  auf  den  von  Dozy 
angenommenen,  mit  (joJ  gleichbedeutenden  Stamm  ^ja^  zu- 
rückgeführt V  Mir  ist  davon  nichts  bekannt,  und  eine  Begriffsver- 

> 
bindung  zwischen  i>Pulsschlaga  und  diesem   ^Li  ^>^    möchte 

schwer  nachzuweisen  sein.  Ueberdies  wäre  die  Aussprache  des 
rein  arabischen  (j»  im  Munde  von  Aegyptern  wie  ;  oder  Jb  ge- 
gen alle  Analogie.     Ich  wage  die  Yermuthung,  dass  niydz  das 

auch  im  Türkischen  gewöhnliche  pers.  jLi  Anliegen,   Ge- 

such,  Bitte  ist  und  durch  seine  Verbindung  mit  dem  »grünen 

Zweige  (r,  J^,  diesen  als  eine  Darreichung  zur  Unterstützung 

der  an  den  Empfänger  gerichteten  Bitte  um  ein  Gebet  für  den 
Propheten  bezeichnet. 

II,  742*,  20  9«^  pcUais  (partie  superieure  du  dedans  de 

la  beuche),  M.«     M  giebt   bloss   Äxbüt  J^  ^  <äVi:s9jt  <^l, 

ohne  die  Bedeutung  dieses  \^Jo  näher  zu  bestimmen»  Dass 
man  es  aber  nicht  in  der  ersten  der  von  M  selbst  angegebenen 


o£       i 


beiden  Bedeutungen :  Ji3»b  ^  ^\  J^l  cy^'t  sondern  in  der 
zweiten  :  ^^^^^^^^^t  ^mAILq  vJ^Jb  ^  J^a^*^!  zu  nehmen  hat,  lehren 


187 


Cuche  und  Al-FarAYd  al-duiTtjafa :  dgLJ  _  «^J  mächoire ;  tnan- 

dibulea  als  gemeinarabisch.   Vgl.  die  neuern  Bedeutungen  von 

tä)a^  bei  Lane.  Hartmann's  Sprachführer  227*  giebt  »AanoA«  als 
aegyptisch  schlechthin  fttr  i»Munda  neben  dem  syrischen  tu  mm 

oder  timm  («ij  st.  Ji). 

II,  743^  3  u.  2  V.  u.  Richtig  erklärt  das  LP  in  diesem  L^ 
der  Commentator  bei  de  Sacy,  Chrestom.  II,  391 ,  43  flg.  Denn 
die  Demonstrativp  a  r tikel  LP  kann  nach  den  Denk-  und  Sprach- 


>  o 


gesetzen  bloss  als  Laut  oder  Wort,  U  2ail  oder  Le  'iJS ,  von  ^ 
regiert  sein,  bekommt  aber  durch  diese  Verbindung  nicht  die 

Bedeutung  des  concreten  Pronomens  LPin  L^  =  L^Ia^,  ein 

Solches,  so  etwas.  Für  diese  Verbindung  von  cf)  mit  prono- 
minalen Genetiv-Suffixen  sollte  a.  a.  O.  nicht  Gramm,  ar.  I, 
no.  826  p.  357,  sondern  n«.  4044  u.  4042  p.  472  angeführt  sein  ; 
s.  dazu  meine  Kl.  Sehr.  I,  382,4—385,2. 

Ol 

II,  744*,  44  »q^Lp  pl.  q5>^I  raorüert.  Dieser  Plural  gehört 

nach  den  Bildungsgesetzen  der  gebrochenen  Plurale  formell  zu 
keiner  der  drei  von  den  Qaellenwerken  angegebenen  Singu- 

lare :  q^Lp  (dem  Frey  tag  nechllarlrt  in  de  Sacy's  Anthol.  gramm. 
S.l«, Uebers. 407y  aber irrthümlich ein »ma/e« anhängt;  s.  Morgcnl. 

Forschungen  S.  434  Z.  43),  ^^iP  und  ^^^iP ,  von  welchen  der 

letzte  nach  dem  fttr  alle  drei  geltenden  Plural  ^^[^  der  ur- 

sprüngliche  sein  soll,  sondern  zu  dem  Singular  q^,  II,  774'*, 

4  u.  2.  lieber  die  Herkunft  des  Wortes,  ob  ursprünglich  per- 
sisch, oder  arabisch,  ist  auch  der  türk.  KAmüs  noch  ungewiss; 
er  fügt  zu  dem  von  Firuzabadi  Gesagten  hinzu :  v  Auch  in  unserer 
Sprache  (türk.)  sagt  man  (für  Mörser)  q^LP.  Nach  dem  Com- 
nientar  (des  K^kmüs)  ist  das  Wort  aus  dem  Persischen  arabisirt, 
aber  mehr  für  sich  hat  die  Annahme,  dass  es  zufälligerweise  in 
beiden  Sprachen  gleich  laute«.  Dies  können  wir  natürlich  nicht 
annehmen,  sondern  müssen  das  Wort  für  ursprünglich  persisch 

43* 


188    

halten;  s.  Vuilers  unter  ^^L^.  —  In  dem  oben  aus  de  Sacy's 

Anthol.  graram.  angeführten  Ailikel  ausHarlri's  Durrat  al-gau- 
w6s,  S.  *!•  vorl.  Z.  findet  sich  ein  nach  Thorbeck e's  Ausg.  der 

Durrah  S.  [w  Z.  8  mit  d.  Anm.  S.  47  Z.  7  flg.  in  xXaM  zu  ver- 

wandelndes  &ä^j^.  Zu  diesem  p>i  vom  pers.  JcXi  s.  Dieteriei's 

Mutanabbt  und  Seifuddaula  S.  154  Z.  6  und  S.  155  Anm.  **), 
Arnolds  Mo'aliakat  S.  föv  Z.  6  u.  7,  Har!rrs  MakAmen.  4.  Ausg. 
S.  fvv  Z.  6  m.  d.  Anm.  dazu,  Wright^s  KAmil  S.  ^r  Z.  8  u.  för 
Z.  10. 

11,  744*,  7  V.  u.  »v-^^  pl.  vk^  endroit  oü  le  vent  s&tiffle, 

M«.  Allerdings  ist  v«^  nach  seiner  Form  Ort  des  Wehens, 
nach  dem  Sprachgebrauche  aber  gewöhnlich  Gegend  woher 
und  Richtung  in  welcher  d  er  Wind  weht,  wie  beson- 


j 

^  ^ 


ders  ^bJI  'Uua  die  verschiedenen  Striche  der  Windrose. 

II,  749*,  7.    Die  Verwandlung  von  B^juJ^  in  byaJl  ist  nicht 

nüthig ;  denn  B-sJÜt  bedeutet  besonders  den  ermuthigenden 
Schlachtruf   der    zu   Hülfe    heranrückenden    Kampfgenossen, 

—  hier  Antwort  auf  ^y^t,  den  Hülferuf  der  vom  Feinde  Be- 
drängten. Daher  II,  689^,14  v.u.  allgemeinbin  »secoiir^^  aidet. 

H,  749^  11  flg.    Ich  bezweifle  die  Herkunft  dieses  ^3^ 
vom  Stamme  ^AP,  an  welche  auch  Bist  An  t  nicht  geglaubt  zu 

«r    O  ^ 

haben  scheint,  da  er,  gegen  den  EAmfis,  ^'^y^\  nicht  unter 

^l\P,  sondern    S.  I*r.,*  wie  ein   ursprüngliches  Quadriliterum 

unter  -^^^  stellt.   Das  von  Dozy  aus  Turner  angeführte  nhow- 

dahn  (spr.  haudah)  gebraucht  man  in  Indien  auch  von  dem  be- 
deckten Sitze  auf  dem  Rücken  eines  Elephanten;  s,  das  Aus- 
land, 1851,  No.  24,  S.  100  Sp.  1.     Es  sieht  fast  so  aus,  als  sei 

das  Wort  schon  früh  von  dort  über  Persien  in  der  Form  ^ijo^ 
zu  den  Arabern  gekommen  und  von  ihnen,  wie  gewöhnlich,  in 

.•  o  « 

^^^  verwandelt  worden. 


'    189 

II,  750%  13—45.  Die  von  Weijers  und  Dozy  bei  Valelon 
S.  75  u.  76,  Anm.  7,  für  zwei  verschiedene  Fassungen  eines 
und  desselben  Gedankens  gehaltenen  Ausspruche  haben  nichls 
mit  einander  gemein.  Vielleicht  liegt  diesem  Irrthum  ein  Miss- 
verstcindniss  des  im  Commentar  zu  de  Sacy^s  IlartrI  angeführten 
Verses  zu  Grunde.     Er  ist  zu  lesen  : 

»Und  der  (seinem  Gedankengehalte  nach)  richtigste  Vers,  den 
man  dichten  kann,  ist  einer,  zu  dem,  wenn  man  ihn  vorträgt, 
die  Leute  sagen:  Recht  seit  (wörtlich:  er  hat  wahr  gesprochen.) 

II,  750*,   4  u.  3  v.  u.     Dozy  hat  Recht  gegen  Freytag  in 


o  ^  o  > 


Betreff  des  Parlicips  und  Adjeotivs  ocX;(äwwuo;  aber  bei  Mak^arl, 

I,  153,  3  V.  u.  ist  das  Richtige  ^(A^:;^t  als  ^bCo  ^t :  die  breite 
obero  Flfichc  der  Süule,  auf  welcher  das  Bildwerk  steht. 

II,  750*»,  8  yj^l«  Schreib-  oder  Druckfehler  st.  Jj^li. 


o    >. 


11,  751*,  1—4  »iüji^t  JU<Mst  nach  allen  Umständen  die 

von  den  Unterworfenen  fttr  Bewilligung  des  Friedens  zii  bezah- 
lende Geldsumme;  vgl.  II,  624%  8—11. 


.•o 


II,  751'»,  21  »(^cXÄ^t)  c.  J  ^ou^i;onntrn^    dazu   als    Beleg 

»8--uOüü  y^$'Xi^\  il  soup{'x)n7ia  son  projetHj  mit  zu  starker  Ab- 

schwäcbung  der  Grundbedeutung  von  ^^J^»  welche  statt  soup-- 
ganna  vielmehr  devina  verlangt. 

II,  754%  5  V.  u.  flg.  »q^^^Uäj«  sehr.  ^^^L^  von  ^yj.' 
»sie  laufen  um  die  Wette«. 

II,  754%  11   »olS^^U  sehr,  obj^t ,  eine  neue,  dem  oby? 

« > 
nachgebildete  Pluralform  von  /  äSj  :  »sie  sperren  mit  der  (wechsel- 
seitigen) Verfluchung  ihrer  Altvordern  die  geräumigen  Gassen  « 
d.  h.  indem  sie  sich  in  pöbelhafter  Weise  auf  ofl'ener  Strasse 
mit  einander  zanken,  ziehen  sie  eine  Menge  müssiger  oder  skan- 
dalsttchtiger  Gaffer  herbei,  die  den  öffentlichen  Verkehr  hemmen. 


190 

n,  755^,  i^j  »xA3^iA>o«  b.  Jäl^üt  a.  a.  0.,  von  einer  kraft- 
loseD  alten  Frau,  ist  gut  arabisch  (KAmüs:  KajI3  ^^  x^^AfX^  yyp) 

und  hiernach  die  Verwandlung  in  das  Mj^  des  Voc.  zu  unter- 
lassen. 

II,  756*^,  22  flg.  Dieses  Kopfschtttteln  »seit  en  signe  d*ap- 
probation,  soft  en  signe  de  d6sappi*obation,  de  refuso  ist  natür- 
lich für  dieses  und  jenes  nicht  dasselbe.  Wie  mir  einst  Herr 
Consul  Wetzstein  gesprächsweise  mittheilte,  gilt  unser  ver- 
neinendes und  verweigerndes  KopfschUtteln  nach  rechts  und 
links  im  Morgenlande  gerade  für  das  Gegentheil:  Zustimmung 
und  Bewilligung,  die  Bewegung  des  Kopfes  von  unten  nach 
oben  aber  für  Nichtzuslimmung  und  Verneinung. 


i,  j 


II,  756%  6  u.  2  v.  u.  »ö^tf.  Der  Nachweis  des  Gebrauchs 
von  IttfäiJi  n^^  in  Lettre  ä  M.  Fleischer  S.  41  u.  4S  ist  treflTiieh; 
ich  möchte  aber  &d^  doch  lieber  als  abstractcs  Verbalnomon 
nehmen:  bewirken  dass  ein  Witz  «iü  d.  h.  einschlägt, 
trifft,  wie  der  Hieb  einer  gut  geführten  Klinge  «iü  d.  h.  sitzt. 

II,  757%  26  flg.   Dieses  ^.;ti^  vom  vorhergehenden  pers. 

.L^,  kann  sprachgemäss  weder  ein  arabischer  noch  ein  persi- 
scher Plural  sein,  sondern  ist  nach  Sinn  und  Zusammenhang 
ein  persisches  oder  nach  persischer  Weise  gebildetes  Beschaffen- 
heitswort auf  in,  gleichsam:    sie  sangen   nachtigalliscbes 

(Adj.)  oder  nachtigullisch  (Adv.),  arab.  LaJJU£  ^j^  d.  h. 

«  ^  0   ^  a^. 

II,  757^,  9,  »«j^  I  commencer  le  combat,  Ale.  (ronper  ba- 
tallaja,  sehr,  rompre  le  bataülon  [ennemi],  wie  das  daneben 
stehende  mit  »nahz^m  hazemt  ahzem«  gleichbedeutende  »nefc^^d 
feccdt  efcedf  [yX^,  sX^\)  deutlich  zeigt. 

II,  759^,  19  flg.  Im  dritten  Stücke  dieser  Studien  v.  J. 
1 88i,  S.  68  u.  69,  ist  Weijers  und  Iloogvliet's Uebersetzung  dieses 


191 

Verses  gegeo  Dozy's  Tadel  gerechtfertigt  und  die  seinige  wider- 
logt. Nachträglich  sei  hier  noch  besonders  darauf  hingewiesen, 
dass  die  durch  Sur.  9  V.  129  festgestellte  Üble  Bedeutung  von 

c\>l  ^^^  jjj£  einem  UUJi  ^^^  jjic  x>estimö  par  les  hommes 

les  plus  nobles«  geradezu  widerspricht.  Für  eher  d  ggn.,  cÄ^n 
(ie  9^71.  u.  s.  w.  verlangt  tier  Sprachgebrauch  in  Uebereinstim- 

muDg  mit  II,  434^,  20,  y\s>\  Jüx  jjift. 


OoO^  My«p> 


o    ^o^ 


II,  760^  1.  Z.,u.761»,  K  flg.  v:>v^b>  ist  nicht  aus  Jo  *!*,  Ju  "i 
verderbt,  sondern  eine  durch  Verwandlung  des  sp.  lenis  in  den 
sp.  asper  verstärkte  andere  Form  des  in  Spilta-Bey^s  aegyptisch- 

arab.    Grammatik   S.  174   aufgeführten,    aus  äIJI  verkürzten 

Jt,  nalbatt,  gewiss,  ohne  Zweifel«,  nach  der  Grundbedeutung 

des  Stammes  s^;^  eig.  entschieden,  abgemacht,  decidöment,  das 
aber,  wie  Dozy  ausführt,  gewissermassen  der  positive  Neben- 

ganger  des  negativen  Ju  ^  geworden  ist,  indem  es,  wie  dieses, 

nicht  nur  einen  elliptischen,  selbststUndigen  Satz  bildend  ohne 
Reclion  steht,  sondern  auch  durch  Vermittlung  dör  Gonjunc- 

tionen  ^t  und  U  als  ^^^^^Jum  Verbalsätze  regiert.  Dasjenige 

ff 
^  aber,  welches  in  dem  Beispiele  aus  TantAwi,  762^,  12,  nach 

dem  zur  Verstärkung  verdoppelten  oJl^  statt  eines  solchen  q! 
oder  La  mit  Imperfectum  einen  direclen  Infinitiv  einführt,  ist 
seiner    syntaktischen    Stellung   nach    nicht    ^iJüo^t    ^  wie 

nach  lXj  ^  (eig.  »es  giebt  kein  Weg-  oder  Loskommen  von  — <i), 
sondern    ^^^aaaaJI  ^,  zur  Erklärung  des  in   dem   elliptischen 

c>»Jl^  dem  Sinnenach  enthaltenen  Subjects:  »durchaus  noth- 

wendig  ist  es,  nämlich  die  Sendung  eines  Antwortschrei- 
bensa u.  s.  w. 

II,  762'',  11  9v:;Ad^. «     Man  muss  wohl  an  die  materielle 


192     

Richtigkeit  dieser  auffallenden  Vocalisation  glauben,  da  Voc. 
sie  ausdrücklich  zweimal  giebt:  im  arab.-lat.  Theile  S.  240^ 
mit  nTunc«,  und  im  lat.'-arab.  S.  617  Z.  8  ebenfalls  unter  »Tunc«. 
Sonst  wäre  in*Uebereinstimmung  mit  dem  ebenfalls,  nur  mit 

stärkerer  Verkürzung  aus  v^'i^'t  tj^  zusammengezogenen  /^i^, 
11,  761*,  6  V.  u.  s^i^  zu  vocalisirerf. 

II,  771*,  22 — 24.     Das  aus^'bl  verschriebene  ^tf  und  die 

Uebersetzung  dieser  Stelle  sind  oben  zu  II,  502*,  3  im  Anfange 
des  vorigen  Stückes  dieser  Studien  berichtigt. 

II,  772%  25-^28.    Den  allgemeinen  Sinn  des  Sprüchleins 


i»y 


K3y^  \3y^^  ^^  '^^^  Dozy's  Scharfsinn  richtig  erkannt.      Alt- 

arabisch  91^  ^|^Ij  UXTy  gemeinarabisch  Kull-nä  bi  1-häwä 

säwä,  mit  gleichschwebender  Accentuation  der  ersten  uad 
dritten  Silbe  des  sinnmalenden  Reimpaares,  —  wörtlich:  »wir 
alle  (sind)  an  Kopfleere  (einander)  gleich«  d.  h.  einer  von  uns 
so  unwissend  oder  einsichtslos  wie  der  andere.  Was  bei  uns 
Kopf  heisst,  —  wie  in  Hohlkopf,  Dummkopf,  —  nennt  der 

Aj'aber  bekanntlich  Herz,  «.^Jb  oder  ot^,  wie  Sur.  14  V.  44 

*i]^  j^Just,  »ihre  Herzen  sind  eitel  Leere  (Hohlheit)«;  s.  Bai- 

d^wl  zu  d.  St. 

11,  772*,  6 — 4  V.  u.     Die  Bedeutung  von  iLj^  »profundus 

puteusa  bei  Frey  tag  zu  streichen,  weil  sie  nach  Dozy  im  Kämüs 
nicht  zu  finden  ist,  möchte  ich  widerrathen.  Der  Bearbeiter 
des  türk.  K^müs  muss  sie  in  seinem  Exemplare  gefunden  haben; 

denn   er  giebt   sie   als    einzige   Bedeutung    von     äj^: 

jrS^  ^i>^5  V*^  CT^;^  "^  \s^  ^5^>^'^^  ÄA^  iO^I  »hawljah 
nach  der  Form  von  gantjah  nennt  man  eine  Grube  und  einen 
Brunnen  mit  sehr  tief  liegendem  Boden «. 

II,  774^  11  V.  u.  flg.     Die  aus  Gl.  Manc.  gegebene  Defini- 
tiOQ  von  JuajJ^  zeigt  deutlich,  dass  Dozy's  «par  cons6quent  in- 


193     

digestioni  lauten  soiiie:  par  consequent  dyssenlerie.  —  deutsch: 
Ruhr,  deren  schlimmste  Art  die  asiatische  Brechruhr,  »cAo/era- 


^  o  « 


morbus  ii  ist,  —  »die  böse  ju^aP«,  wie  Dr.  Bilharz  sie  nannte,  als 

er  mir  vor  Jahren  in  Leipzig  die  grässlichen  Erfahrungen  schil- 
derte, die  er  als  Arzt  bei  dem  —  wenigstens  (Ur  ihn  —  ersten 
Auftreten  dieses  Würgengels  in  Aegypten  gemacht  hatte. 

11,  775^,  9  u.  10  »x^^t  iM^l^t  1^  <^oi*ps  Celestes«,  daher 
^•^»L^l  schlechthin  in  besonderem  Sinne  die  sieben  Planeten, 

b.  ÖahrastAnI,  H,  rnP,  8  v.  u.  flg. 

II,  777^,  6  flg.    Die  von  Burkhardt  nach  den  Beduinen  ge- 

gebene  Beschreibung  desy^,  Hyrax  syriacus,  des  Klippdachses, 
ist  durch  spätere  unmittelbare  Beobachtungen  von  Seetzen  u.  A. 
völlig  antiquirt;  s.  Gesenius^  Handwörterbuch  über  das  A.  T., 
10.  Aufl.  unter  1&V. 

11,  778*",  15.    Das  y»^  als  genus  in  der  Definition  von  hypo- 

o 

tenuse  sollte  nicht  unter  J^,  sondern  unter y^  stehen.     Ferner 

hat  die  erste  Ausg.  von  Bc  vor  c>JU^  JwX^  richtig  j :  »in  einem 
Dreieck«;  denn  eJbU  JjCm  x«Jl9  xj^j   J^  »die  Sehne  des  ge- 

raden  Winkels  eines  Dreiecks«  wäre  wegen  des  den  un mittel- 
baren  Anschluss  von  xi^t:  an  v^^JUu«  JjCä  verhindernden  Adj, 
K4JI9  eine  unmögliche  Genetivanziehung. 

II,  779^,  8.  Bocthor  sagt  vollständig:  »Hypolhequer,  v.  a., 
donner  pour  hypolheque,  lUc  ^^^^I  ^^  A.  —  /  äS^    I. «  Wenn 

das  Gemeinarabische  wirklich  die  \ .  Form  ty^,  i'^^  a^s  vb.  fin. 

mit  Acc.  der  Sache  und  JU£  der  Person  in  der  Bedeutung  ge- 
braucht: ihr  die  Sache  verpfänden,  durch  Yerschreibuug  als 
Unterpfand  zusichern,   so  geht  es   damit   über  die  äusscrste 

Gränze  der  Sprachanalogie  hinaus,  r^^  ist  eins  der  Zeitwörter, 


194     

dereD  Wesen  in  meinen  Kl.  Schriften,  I,  S.  596  u.  597  als  »zu- 
standliche  Aclivitüt«  bezeichnet  ist.  Wie  das  dort  unter  andern 

aufgezahlte  aJUl,  als  Gogentheil  von  MLi>  (st.  m^),  bedeutet: 

er  war  sicher  vor  ihm,  hatte  ihn  nicht  zu  fürchten,  ^\  man 

war  sicher  vor  ihm 7  hatte  ihn  nicht  zu  fürchten,  qj.^L»  einer 
vor  dem  man  sich  nicht  zu  fürchten  hat,  so  bedeutet  «Jü;^  er  ver- 

licss  sich  fest  auf  ihn,  vertraute  ihm  fest,  /öj^  man  vertraute 


)  o  « 


ihm   fest,   i^y^  zuverlässig,    verlässlich,    Vertrauensmann, 

homme  de  conGance,  homme  sür.  Nur  dieses  Pas^sivpariicip 
kann  analogerweise,  nach  der  schon  im  Altarabischen  einzeln 
vorkommenden,  in  der  spätem  Sprache  trotz  alles  Protestirens 
der  Puristen  (Thorbecke's  Durrat  al-gauwc^s  S.  Ta  Z.  2  flg.,  Mor- 

genl.  Forschungen  S.  157  Z.  7  u.  8)  allgemein  gewordenen  Er- 

Setzung  von  ^jaa  und  ^ma  durch  j^ju^  (meine  Diss.  de  gl.  Hab. 
S.  89  u.  90),   von   einer  Sache  bedeuten:   (durch  Pfandver- 


»      9 


Schreibung)  zugesichert,  sichergestellt,    verpfändet,  st.  tyy^^ 


•*u  , 


wie  b.  Makkart,  I,  W,  1.  Z.    von  einem  Menschen:  ^  (jyy* 
joLh.->  JoLxs>  »fest  gefiingen  in  den  Fallstricken  seiner  (eigenen) 


^  > 


Ü*  o 


Rede«,  st.  z^^- 

11,  780%  21—23.  Die  Angabe,  dass  (jS^I  c.  a.  r.  be- 
deute nconfier  une  chose  ä  quelqu'un«,  ist  geflossen  aus  der 
irrthümlichcn  Beziehung  des  Sufl*.  n  in  B^ä^^JuM^  auf  das  U  m 


y       >   m- 


^^yXi  U.     Aber  dieses  U  ist  nicht  das  concrete  das  was,  son- 

dern  das  abstracto  Jü.JuaXt  U,  wie  es  denn  auch  mit  den  vier 
folgenden  von  ihm  abhängigen  Perfccten  deren  Infinitiv  aus- 
drückt.    Jenes  8  bezieht  sich,  wie  in  b^jJä,   ^Jljts,   jJ^^  &jL*£i 


195 


7     >  .  O  ^  O 


auf  die  Person  des  Botschafters,  und  syÜ^Ä^t  bedeutet :  ils  s'as- 
surärent  de  lui,  d.  h.  de  son  devouement,  de  sa  fid^lile. 

11,  780^  2  »^'ij   DU   0^!,  gamison,    Hbrt.    142«.      Die 
Schreibart  rjit^  ist  eine  aus  unrichtiger  Ableitung  des  acht  tUr- 

kischen  /«ftij^,  (j'jj  von  z^^,  fest,  zuverlässig  sein,  hervorge- 
gangene Arabisirung. 

II,  781*,  12  «'^Ua^^  pierre  ä  fusih  unnöthige  Besonderung 

des  von   den  Quellenwerken   angegebenen   allgemeinen  B.L^, 

d.  h.  nach  der  zweilen  Bedeutung  von  ^^  b.  Freytag:  Sleine 
aus  denen  die  Pferdehufe  Funken  schlagen  (vgl.  Sur.  100  V.  2), 

wie  auch  Lane  S.  413*^  unter  |»L:>  den  Z.  13  angeführten  all- 
arabischen  Schwur  übersetzt :  by  Hirn  who  hds  produced  the 
palm-tree  wüh  its  fruit  from  the  date-stone,  and  fire  from  bro- 
ken  stonesii,     Z.  4  2  v/^\AjuI«  Druckfehler  st.  /äÄjJI. 

II,  781*,  14—20.    Naher  als  Dozy's  Deutung  von^y  jLj\ 

v-jL^t.'SI  Hegt  wohl  nach  dem  gewöhnlichen  Gebrauche  von  v-^w>^^ : 

»Ein  freundliches  Gesicht  ist  das  (erheiternde)  Licht  der  Ndthi- 
gung)<r,  d.  h.  freundliches  Benehmen  eines  Herrn  und  Gebieters 
gegen  seine  Diener  und  Uniergebenen  lässt  ihnen  auferlegte 
Pflichtleistungen  weniger  schwer  erscheinen  und  macht  sie  zu 
deren  Erfüllung  williger. 

U,  784^  26  »L^ff  Druckfehler  st.  L^. 

II,  784*,  27—29.     Indem  Dozy  das  Suffix   L^  in   l^JC^^ty» 
als  Verbalobject  und  x^t^  als  Handlung  des  Fürsten  auf- 

fasst,ist  er  genöthigt,  das  '1\  ^  ^.-^^acl  bedeuten  zu  lassen :  er  sah 
nachsichtig  davon  ab,  ihren  grobkörnigen  Wi(z  mit  einem  glei- 

chen  zu  erwiedern.  Dass  das  allgemeine  v  "^  '^b»  jemandem 
mit  etwas  gegenüber  oder  entgegentreten,  auch  die  besondere 


196     

Aowenduug  auf  repliquer  aqqn.  qqch.  zulässt,  ist  uDEweifel- 

hafl ;  aber  der  Sprachgebrauch  hinsichtlich  ^  ^j^t:nr]  verlangl, 
y^^\y>  als  Handlung  der  Frau  und  LP  als  Verbal subject  auf- 
zufassen :  er  drückte  die  Augen  darüber  zu,  d.  h.  verzieh  nach- 
sichtsvoll, dass  sie  ihm  gegenüber  sich  einen  so  unfeinen  Witz 
erlaubt  hatte. 

II,  788^  19.    Wie  klüji  soviel  ist  als:  i)U»  viJLo-  *J  siLJä, 


»  -    s 


so  erklärt  sich  auch  diese  eigcnthümliche  Bedeutung  von  a^^c^^^ 
aus    dem    unter  IV,  Z.  28 — 30     bemerkten    Gebrauche    von 


o    .^  oi  ^ .,    <i    ^  o£ 


^^^JUxi.5>^t  oder  Uo-io-^i  als  verbindliche  Begrüssung  einer  Per- 
son,  die  man  seit  längerer  Zeit  nicht  gesehen  hat;  eigentlich  = 


II,  790*,  19  »iU>5  chutea  sehr.  ^a:>^,  »casus,  res  accidenso 

Freytag,  IV,  S.  437  Z.  5.  Augenscheinlich  ist  Wright^s  Lesart 
nur  aus  unrichtiger  Vereinigung  der  beiden  diakritischen  Punkte 
entstanden. 


«      o 


II,  790*,  24  »(j?y>^  tard.  tardifui  d.  h.  i^yS>^,  als  Adjec- 
tivum  und  Adverbium  der  Gegensatz  des  ebenfalls  gemeinarabi- 
sehen  ^^cXj,  I,  57*,  13  v.  u.  flg.;  vom  Stamme  y>i,  mit  Ver- 


Wandlung  des  t  in  ^. 

II,  790**,  18  »digestion«  Druckfehler  st.  indigestion. 
II,  794^  vorl.  Z.  »xiUl«  sehr.  XiW. 

II,  792,  9  u.  8  V.   u.  ))Ä«jJ^  M  aJÜ  c^est  un  komme  que 

Dieu  a  en  sa  garde«.  Dies  wäre  *Il!  xjip^  S  j^i  dagegen 
ein  Mensch,  »in  dem  ein  Fideicommiss  Gottes  liegt«,  ist  einer, 
dem  Gott  die  zur  Erfüllung  eines  besonderen  Berufes  erforder- 
lichen Kräfte  wie  ein  anvertrautes  Gut  verliehen  hat. 


197 

H,  792*,  3  V.  u.  flg.  Die  Pluralform  »oLsO^«  beweist, 
(lass  der  Singular  dieses  Wortes  nicht  »cj^«  (I.  cu>yi,  wie  ^j^, 
oy«  u.  dgl.),  sondern  c^j^,  n.  loci  von  cJ^^i,  ist;  denn  als  n. 
loci  von  ci>5  würde  es  seinen  Plural  regelmässig  ^c>\yA  bilden. 

II,  794%  16  u.  17.  qIjjIPCj  h^UäÜ^^^I  bedeutet:  Freund- 
schaft und  Feindschaft  werden  vererbt,  vererben  sich,  se  Irans- 
meltent,  comme  par  succession,  du  p6re  au  fils,  d'une  g^neration 
a  Tautre.  »Se  succedent  l'une  a  Tautrea  wie  nach  »se  succedet^ 
Fun  ä  Cauirea  zu  übersetzen  Wäre,  lässt  die  missverslfindliohe 
Deutung  zu,  dass  abwechselnd  Freundschaft  auf  Feindschaft 
und  diese  auf  jene  folgt,  und  fasst  das  Verbum  nicht  als  Pas- 

sivuin,  qIjj^I^,  sondern  als  Activum,  Qij;[^^,.     Erkliifen  lässt 

sich  dies  allerdings  auch,  indem  vermöge  einer  Prosopopoeie  die 
Freundschaft  und  Feindschaft  des  Sohnes  als  Erbin  der  Freund- 
schaft und  Feindschaft  des  Vaters  u.  s.  f.  gedacht  wird. 


9    >  . 9    J 


II,  795%  1  »cX^«  Druckfehler  st.  ^Xs>\  s,  l  12%  28  u.  29. 

II,  796*,  1.  Z.  »eVestp^/e«schr.  erysipHe  [iQvairteXag]  ebenso 
I,  531%  21,  zu  welcher  Stelle  ich  schon  die  persische  Herkunft 
des  arab.  Wortes  bemerkt  habe,  und  II,  851*,  19. 

II,  796^,  23.  Bei  Gelegenheit  der  wiederholten  Anführung 
dieser  Stelle  aus  Voc.  sei  nachtriiglich  zu  II,  118^,  10—8  v.  u. 

bemerkt,  dass  gedämpftes  Fleisch,  i'jyt-A  a^,  von  Arvieux,  Die 

Sitten  der  Beduinen-Araber  (Ubers.  v.  Rosenmüller]  S.  97,  über- 
einstimmend mit  meiner  dort  angeführten  Erklärung  so  beschrie- 
ben wird:  »Sie  richten  auch  gedämpftes  Rind-  und  Schaffleisch 
zu,  das  sie  in  einem  wohlvcrschlossenen  Topfe  bei  einem  ge- 
linden Feuer  In  seiner  eigenen  Brühe  kochen  lassen«.    Eine  an- 

dere  Benennung  dafür  ist  nach  Beunter  E  tu  v^e:  (^Iuamuo,  I,  629% 
10 — 13.   —    j»-5^t  /ji^^,  Denominativ  von  /j'^,  Blätter,  bedeutet 

nach  Analogie  von  Kd^^,  II,  797**,  16:  Fleisch  durch  starkes 
Kochen  in  bläiterähnlicbe  Theilcben  auflösen* 


*    o^ 


198    

II,  797*,  9  n carte  9  sehr,  cartes. 

II,  798^,  25—27.     Die   genaue  Erklärung  von  xi^y'  als 

Kunstwort  der  Tropenlehre  giebt  Mehren,  Die  Rhetorik  der 
Araber,  S.  405—107. 

0  . 

II,  803*,  25  »t^cXfi  ^Vjt*AO  J  ä  rCadmit  point  cCexctise^ 

ohne  Berücksichtigung  des  Suffixums  J»;  m i i  BerttcksichtiguDi; 
desselben  wäre  nach  Dozy  zu  übersetzen  :  il  ne  me  pei^iit  point 
de    fn^excusei\      Aber    der  Sprachgebrauch    kennt  bloss  ein 

.vXc  ^^^Jvju*o  ^  »es  war  mir  keine  Entschuldigung  gestattet «^ 


mit  .Ja:  als  Subject  und  einfachem  Äcc.  einer  Person  als  Object; 
kein  LiAc  ^^^^^jum^  mit  persönlichem  Subject  und  doppeltem  Äcc. 
einer  andern  Person  und  einer  Sache  als  erstem  und  zweitem 
Object.     Es  wird  daher  zu  lesen   sein   \jl\^  ^^^äiuio  «J    von 


Lumu    cLmI    mit   derselben  Bedeutung    und  Construction   wie 


c 


e  ,  o  , 


^y^,  j^  I,  703*,  2\  flg. 

II,  806*»,  24  UJut  sehr.  l^Ju,  d.  h.  l|Ju,  er  vertreibt. 
II,  807^  10  »^1^^«  sehr.  ^L^^ 

II,  807**,  vorl.  Z.  »Ussi^^«.     Das  L^ss^^^  der  einzigen  mir 

fUr  diesen  Theil  der  Breslauer  Ausgabe  vorliegenden  Hand- 
schrift mussle  selbstverständlich  in  Lp»^^  verwandelt  werden, 

und  da  die  von  Dozy  angenommene  Bedeutung  dieses  ^ji^  mit 

Acc.  einer  Person ^  amusei'  qqn,,  nach  Sinn  und  Zusammen- 
hang feststeht,  so  bleibt  mir  nur  das  eine  Bedenken,  ob  das 
Bresl.  XI,  S.  434  Z.  1  in  derselben  uneigentlichen  Weise  stehende 
und  II,  809*»,  5  v.  u.  eben  so  erklärte  L^-^^  wirklich  jenem  gleich- 
bedeutend ist.     Dafür  zu  sprechen  scheint  der  Umstand,  dass 

*^N^und_^^  mit  Acc.  einer  Sa c hie  beide  schlechthin  für  ^; 


199    

oder  ^y^**s>  gebraucht  werden,  was,  auf  eine  Person  bezogen, 

leicht  in  die  Bedeutung  übergeht :  la  r^galer  de  qqch.,  sie  mit 
etwas  Schönem  erfreuen,  ergötzen. 

II,  808%  7  »-^3«,  als  Plural  von  ^l^^,  ist  eine  völlig  un- 

analoge  Form  st.  a^^  oder  fJ^*> 

II,  808*,  4  5  t>^^fjiyjity  ein  Kunstwort  der  Tropenlehre,  hat 

die  in  Mehren^s  Rhetorik  der  Araber  S.  403  Z.  4  angegebene 

und  S.  475  u.  476  in  ihrem  Zusammenhange  mit  ^Um«  als  weib- 

lichem  Schmuckstück  erklärte  Bedeutung. 

II,  808%  25  »jLä^  =  31^5?  un  pagea  persisch  -  türkisch ; 
s.  das  4.  Stück  dieser  Studien  S.  40  zu  I,  44*,  40  v.  u. 

^  ^  o  ^  o 

II,  840%  4  flg.  T^jsJupyAAJ)  c.  d.  a.  demander  ä  quelqu'un 

de  decrire  une  chose,  M«,  in  Beziehung  auf  einen  Arzt,  eben- 
falls nach  M :  ihn  bitten  eine  Verordnung,  ein  Recept  zu  schrei- 
ben ;  wonach  II,  680*  4  v.  u.  statt  ^UaJwL;^^!,  wie  im  vorigen 
Stücke  S.  242  dazu  bemerkt  wurde,  in  ^^L^jJCwM^t  zu  verwandeln 
ist.  —  Z.  5  flg.  i> decrire  en  detaih  unrichtig;  in  dem  dazu  ange- 

führten  Verse  ist  zu  lesen  ^juoy:LMJi ,  Passiv  der  vorher  angege- 
benen Bedeutung:  »wenn  du  selbst  Augenzeuge  dieses  Kampfes 
warst,  wo  ist  ein  Anderer,  der  zur  Schilderung  desselben  auf- 
zufordern wäre?«  d.  h.  als  negative  Frage:  so  braucht  man 
keinen  Andern  zu  dessen  Schilderung  aufzufordern. 

11,  843,  48—24.     M  sagt  S.  rföv^  Z.  9  flg.  wörtlich:  »xLa 
wird  bei  den  arabischen  Sprachgelehrten  gebraucht  von  einer 


«•  <« 


redundirenden  Partikel,  wie  ^\n  tJu^  xLJb  ,JS^  und  von 

einer  Praeposition  durch  welche  das  Vorbum  und  was  ihm  ähn- 
lich ist  (concretes  und  abstractes  Verbalnomen)  transitiv  wird, 


>  o  «   « 


wie  J  in  ^!JlSJ  ^  süJiio.     Sie  sagen  :  v-i  in  dem  ersten  und  j: 

ff         ^ 

in  dem  zweiten  Beispiele  ist  eine  xLo«.     Der  Unlerscbied,  den 


200 

M  hier  zwischen  der  Stellung  und  Function  der  beiden  Praepo- 
siUonen  macht,  beruht  auf  der  in  meinen  Rl.  Schriften,  I,  S.  499 
Z.  44 — 43  mit  Anm.  2  und  S.  655  Z.  5 — 7  widerlegten  unlogi- 
schen Schulmeinungy  aLl  stehe  in  dieser  Verbindung  statt  des 


7^ 


Subjeclsnominativs  jJJI  und  v  sei  demnach  an  sich  syntaktisch 
überflüssig.  Für  uns  hingegen  ist  es  ebenso  wie  v5  >ii  ^^  v:>JL:>o 
Jjüt  eine  XLo  in  der  Bedeutung  von  regime  verbal,  von  dem 

Verbum  angezogen  als  dessen  Object,  J^jä«,  im  weitesten  Sinne. 

das  bei  unmittelbarer  Transitivität  im  Accusativ,  bei  mittelbarer 
in  dem  von  einer  Praeposition  regierten  Genetiv  steht.  Was  eine 
wirkliche  iLo  in  der  Bedeutung  »redundirende  Partikelc  ist,  lehrt 

Mufassal  S.  If^  Z.2  flg.unddazu  Ibn  JaMsiro  Commentar:  eine  Par- 
tikel, die  sich  an  eine  vorhergehende  so  anschliessl,  dass  sie  deren 
Bedeutung  bloss  verstärkt  oder  auch  ganz  pleonastisch  zu  stehen 

scheint,   wie  ^t  nach  LJ  Sur.  42  V.  96  und  Sur.  29  V.  32; 

s.  zu  der  zweiten  Stelle  Bai^lawt  und  meine  Kl.  Schriften,  I. 
S.  456  Z.  45  flg. 

11,  8<6'',  8  u.  7  V.  u.  Als  »excileru  regiert  «äj^I  sein  Object 


,  ,  oi 


nothwendig  im  Accusativ;  in  &ALs>>t^  ^^  «^f  hingegen  ist 
adL'>t^  Joä  überhaupt  nicht  tLo  in  dem  zu  813,  48—24  erklärten 
Sinne  von  r^'gime  verbal,  sondern  Zustandsbezeichnung  des 

Verbalsubjects :  =  &xL>f^  J^  \1j\S  ^  f^^'»  "^d  das  Verbum 

gleichbedeutend  mit  c^i :  »er  eilte  auf  seinem  Beitthiere (sitzend^ 
vorwärts  t. 


m  9 


II,  817^,  23—26.     Die  Bedeutung  dieses  cUyt  entspricht 

zunächst  dem  Gebrauche  von  mjo^  als  nposer^  ^tahlir  pour  v^ri- 

table,  pour  constant  un  fait«  II,  815^,  43  u.  42  v.  u.  Die  ganze 
Stelle:  »ich  sah  es  zu  Bagdad  in  einer  Abschrift  von  Abü-Bekr 
Ihn  Duraid  mit  Schriftzügen  wie  Ameisenbeine  [bei  uns:  Krähen- 
füssc],  und  auf  den  Seitenrändern  derselben  (der  Abschrift)  die 
Bemerkungen  derer,  welche  festsetzten :  so  und  so«  (ist  zu  lesen) , 


201     

d.  h.  die  Randnoten  der  frühem  Leser  zur  Kntzifierung  des  Ge- 
kritzels. 

II,  823*,   14   V.  u.      Da  der  Verbalstamm  Ac^  in  seinen 
übrigen  Bedeutungsvvendungen   dem  Begriffe   »haine  violente* 

—  Uebersetzung  von  JuJLiJ!  Jübi!  —  fern  bleibt ,  so  scheint 
der  von  M  bemerkte  gemeinarabische  Gebrauch  von  cXc»  in  jener 


o  , 


Bedeutung  auf  einer  Lautabschwächung  von  .i^  oder  ^^  zu  be- 
ruhen. 

II,  823*^,  3 — \  V.  u.     Weder  ^amaa&er  des  richessesa  noch 

«au^ien/^r«  bedeutet  J^  mit  ^  eine  Sache  oder  Thatig- 
keit,  sondern  entspricht  unserem:  sich  ganz  darauf  verlegen, 
sich  ihr  ganz  hingeben,  alle  Kraft  und  Sorgfalt  darauf  verwen- 
den.    Mit  &Jl  iJiip  ^f^^  äjL^->  ^Jj  f^ß  fcJLc   jS^*  giebt  M 


dieselbe  Bedeutung,  nur  in  Beziehung  auf  eine  Person,  der 
und  deren  Dienste  man  sich  ganz  widmet.     Dozy  erkannte  in 

^L^wÄM^^t  Jx.  und  ^uLbL.  Ju^'  J^  nicht  die  äLo  des  Zeitwortes, 
sondern  nahm  beide  als  Zustandsausdruck  von  dessen  Subject: 

=  .LaaJiLw^'^!  J^  USb  U.S.W.  Diese  Verwechselung  der  zwei  ver- 
schiedenen Verhältnisse,  in  welchen  eine  Praeposition  mit  ihrem 
Genetiv  zu  einem  Verbum  oder  Verbainomen  stehen  kann,  hat 
schon  manchen  Irrthum  veranlasst.  In  unsern  Sprachen  findet 
dieselbe  Verschiedenheit  statt;  nur  werden  wir  gewöhnlich  nicht 
darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  z.  B.  in  einem  Satze  wie: 
»das  Kind  spielt  auf  dem  Klavier«  die  Worte  ))auf.dem  Klavier«, 
jenachdem  sie  KLo  oder  JL>  sind.  Verschiedenes  bezeichnen. 

11,  824*^,  12  u.  4  4  V.  u.  /^a9^{   als   theologisches  Schul- 
wort ist  nach   FlUgers  Kilab  al-taSifät  S.  aX  im  Allgemeinen 

diejenige  Handlung  Gottes,  durch  welche  er  das  Thun  des  Men- 
schen mit  dem  von  ihm  (Gott)  Gewollten  in  Uebereinstimmung 
bringt.  Da  nun  aber  der  menschliche  Wille  nach  den  As'ariten 
unfrei,  nach  den  Mo'taziliten  hingegen  frei  ist,  so  ist  auch  die 

1887.  U 


202 


«.  ^> 


von  Gott  als  /  ^9^  auf  denselben  geübte  Einwirkung  nicht  nach 

beiden  eine  und  dieselbe:  nach  den  Mo^taziliten  besteht  der 
tauflk  darin,  dass  Gott  die  Menschen  durch  seine  Ges^mdten  und 
Propheten  zur  Erfüllung  seines  durch  diese  verkündeten  Wil- 
lens auffordert;  nach  den  As  ariten  hingegen  darin,  dass  er  in 
den  Menschen  das  Vermögen  der  Erfüllung  seines  Willens  schafft. 

II,  825^,  4  flg.     Auch  intransitiv  und  überhaupt  reclions- 
los  steht  ^,  ^jj,  wie  ich  später  besonders  oft  in  Lehrgedichten 


••  c« 


gefunden  habe,  von  Worten,  Bedeutungen  u.  dgl.  für  j.?,  j.Lj: 
in  Anwendung    kommen,    vorkommen,    stattfinden. 

Mehren's  Rhetorik,  in  Sujütrs  Versen  S.  ö»  Z.  4^.  <äUj  j  ^j-^J, 

«(der  Gebrauch  eines  Wortes  in  einer  andern  als  seiner  ur- 
sprünglichen, eigentlichen  Bedeutung)  findet  nicht  statt  in  jener 
(der  eigentlichen  Ausdrucksweise)«,  was  in  der  Prosa  KazwInPs 


m         ft  ^   .  m  P- 


S.  V  Z.  2  heisst  iwuö^'L  jlUj  "i  ^y^ö^\  c>\J^\y  Ebenso  bei  Sujütl 
S.  o1  Z.  5  ^  U^3^    bei   Kazwtnl   S.    1*1**  Z.   4    «^^  J^  ;üb, 

»kommt  in. mehrfacher  Weise  vor«;  bei  Sujütl  S.  of  I.  Z.  j  JJj 

^,  ^ÄJI,  bei  Kazwint  S.  W  Z.  5  u.  6  JpviuT  Ji  .j^5  j^b  ^^. 

'    -•    >  .>    «         «  ^ 

»kommt  selten  zur  Wahrnehmung  oder  Beobachtung«. 

II,  834%  5  » ct-aindrea.  So  lüsst  sich  «3^'  natürlich  Oberall 
da  übersetzen,  wo  es  sich  auf  einen  Besorgniss  oder  Angst  er- 
weckenden Gegenstand  bezieht;  aber  an  und  für  sich  ist  es 
immer  nur  im  Allgemeinen,   wie  die  Quellenwerke  erklären, 

s^^^^!  ^.^   Jäxj\,  einem  Ereignisse  entgegensehen,  es  erwarten, 

—  Medium  von  s^^^-iJt   «j^,    etwas   für  sich   eintreten 

lassen,  nicht objectiv,  sondern  subjectiv:  als  bevorstehend  in 
seine  Vorstellung  eintreten  lassen,  aliquid   animo  anticipare. 

Daher  das  i^  n^yJ»  futurum  a  des  Vocabulista,  S.  832*^  Z.  43. 


203     

II,  832^  vorl.  Z.  flg.    De  Sacy's  »^yjäLff  in  der  von  Dozy 
selbst  11.  824**,  3 — 6,  angegebenen  Bedeuliing:  üs  tenaient  une 

Conference  sin*  — ,  ist  ganz  richtig  und  nicht  in  q^aüj  zu  ver- 
wandeln. 

11,  834%   <9     ^j^  J\^  ^  »MyU\  U  uSe  »äL'«3  i  ^y>: 

»er  verfuhr  darin  nach  der  ihm  zur  Gewissheil  gewordenen 
Willensmeinung  des  persischen  Königs  o.     Das  Medium  läöyjJ^ 

ist  =  lidt^  auM^sfix!  »lx=>,  er  hat  es  für  sich  festgestellt. 

II,  837^,  I.  Z.     Mit  >iZ/t;rfT  d«  iHsst  sich  s^  J^^  in  dem 

Verse  838%  1,  und  ähnlichen  Stellen  ganz  gut  übersetzen,  an 
und  für  sich  aber  hat  es  auch  da  die  vorher  Z.  24  flg.  entwickelte 
Bedeutung,  mit  Uebertragung  des  durch  menschliche  Verfügung 

angeordneten    persönlichen    VerhJiUnisses    eines   ^^^=3^    zum 

xi  ^y^=y^  auf  das  naturgesetzliche  Verhültniss  zweier  Dinge  zu 

einander,  von  denen  das  eine  als  Wirkung,  Folge  oder  schliess- 
liche  Bestimmung  unzertrennlich  mit  dem  andern  verbunden 

ist;  richtig  II,  838"*,  10  v.  u.  »J^^s^  c.  ^  inherent  d,  attache  m. 
Das  Sprüchwort  bei  Meid^nt,  I,  19,  erscheint  als  zweite  Vers- 
halfte  bei  AbulmahAsin,  I,  ol*f : 

»Bewahre  deine  Zunge,  indem  du  nicht  redest  und  deswegen 
Ungemach  leidest;  denn  Ungemach  leiden  ist  noth wendige  Folge 
des  Redens«. 

Die  Worte  JXy3  J^'  ^  bilden  einen  Zustandssatz  mit 

zwei  Imperfect- Indicativen.  Dies  zur  Berichtigung  meiner 
Anmerkung  zu  jenem  Verse,  II,  pars  poster.,  S.  59  Z.  4 — 5, 
und  Nachtrag,  S.  408  Z.  5  u.  6. 

II,  838%  26  »^i^D^«  sehr,  '^^ß,  wie  b.  Makkarl  selbst 

richtig  steht,  als  dritte  Person  des  Perfeclums  mit  gedehntem 
Reimvocal,  gemäss  der  strengen  altarabischen  Regel  über  den 


204     

Personengebrauch  nach  ^^^vJjf ;  s.  meine  Kl.  Sehr.,  I^  S.  359  Z.  3 


V.  u.  flg.  und  S.  802  Z.  4  v.  u.  flg.    Bei  seinem  !i^^*  scheint 

Dozy  an  die  in  solcher  Verbindung  bei  uns  und  im  neuem 
Arabisch  gewöhnliche  zweite  Person  gedacht  zu  haben,  die 

aber,  auch  nach  Unterdrückung  des  un metrischen  zweiten  c^, 
als  Jb^3^'  den  Reim  zerstört  haben  würde. 

II,  838*»,  8  V.  u.  »füJI«  sehr,  jjt;  nicht  das  obei)  S.  203 

Z.  ii   V.  u.    vorkommende  i.^,    tribulation,    Ungemach, 

sondern  der  von  Frey  lag,   l,  157^  9  falsch  Jü,  aber  158*,  9 

richtig  Jo  geschriebene  Inßnitiv  von  Jo:   »dieser  nothwendig 

der  Verwesung  verfallende  (zur  Verwesung  bestimmte)  Leib«. 
II,  839^,  9  V.  u.  flg.     Als  ))/a  copulation  charnelle^,  wie  in 

dem  Buchtitel  b.  H^gl  Halfah,  VI,  S.  213  Z.  4,  ist  ji/i\    eine 

^    's 

euphemistische  Ellipse  für -,^t  ^%  sXi\  J!iJy  vollständig  aus- 
gedrückt in  dem  Verse  bei  Ja^üt,  111,  aII*,  7. 

II,  839^,  7  u.  6  und  2  u.  1  v.  u.  i>pour  la  seconde  fois^ 
und  »otra  vezu  zu  streichen.     Durch  »otra  vez«  bezeichnet  Ale. 

das  arabische  Wort  J^*^  als  dem  vorhergehenden  \^j^  (vgl.  II, 
794*^,  5  u.  6)  gleichbedeutend  und  damit  abwechselnd,  wogegen 
Dozy  diese  blosse  Verhältnissangabe  als  einschränkende  Be- 
griffsbestimmung zu  dem  spanischen  Worte    gezogen    hat. 

Hiernach  sind  jJ^  und  Jü^i  schlechthin  »engendrar«,  engetidrer. 
II,  840%  16  u.   17  » jj^  pere;  jj,,  JjLä  parricide,  Voc.  — 

PI.  Q^JJ^  Vactityii  d/engendrer,  Ale.  (engendramiento) «,  räthsel- 


o  o        o 


hafte  Zusammenstellung.      Das  »Jü^  JJlä  patricida«  des  Voc. 
kann  nur  Apposition  sein ;  Mörder.  Kind  (des  Gemordeten),  wo- 


205 


,   ü. 


gegen  das  niichstfolgende  »u^^!  JJId«  die  gewöhnliche  Nominal- 
verbindung des  Infinitivs  mil   dem  Objecte  des  Verhums  ist. 

Wäre  »JJ^«  wirklich  »p^rea  =  JJ!^ ,  wie  könnte  es  zugleich 

jiengendramiento«  als  y»Caction  d'engendrer^  bedeuten  und  in 

dieser  Bedeutung  den  »PI.    qI-xJj«   haben?  —  Ale.  hat  vier 

»engendramiento«  unmittelbar  hinter  einander:  das  erste  mit 

j  » 

ntene9ül  o  taguarrüc«  (JwmJo,  <^j^ji  das  zweite  mit  guälid 
gualidin  (vX!t^.  PI-  q^JüI^);  das  dritte  mit  guild  guilden  (Oü^ 

PI.  Q^iJü^))  das  vierte  mit  uyledo  (äo^^) ;  das  erste  und  vierte 

in  eigentlicher  Bedeutung  alsAbstractuni)  das  zweite  und  dritte 
in  uneigentiicher  Anwendung  als  Goncrelum :  jenes  im  Sinne 
von  engendrador,  dieses  im  Sinne  von  engendrado.     Das  frag- 

liehe  Jü^  ist  mithin  Frey  tags  o  Jü^  Natus«  und  q^Jü^  der  bei  ihm 


•J     .  o 


unter  dem  gleichbedeutenden  «Jui^«  stehende  Plural  »^IjJ^«. 

11,  840^  5  «iuJüt^«  Schreib-  oder  Druckfehler  st.  xtJJ;,. 

II,  841,  24  u.  25.  Hier  fehlt  die  in  Gl.  Fragm.  hinzuge- 
fügte Bemerkung,  dass  «j^l  »desirer  ardemment  la  mort  de  quel- 

.    i 
qu^un«  die  Passivform  «J^i  verlangt. 

II,  843*,  23—26.  j.^!  Ui  will  Dozy  durch  Annahme  zwei  un- 
statthafter Auslassungen  zu  einem  elliptischen  Verwunderungs- 
satze  machen;  es  ist  aber  einfach  ein  negativer  Fragsatz,  — 

zusammengenommen  mit  dem  Vordersätze  jL>l  q!  :  »wenn  er 


gute  Verse  macht,  —  nun  was  ist  angemessener  oder  natürlicher?« 
d.  h.  so  ist  das  nichts  Verwunderliches  oder  besonders  Verdienst- 
liches, weil  seiner  hohen  Bildung  und  Stellung  ganz  entsprechend. 


£>  > 


U,  844^  9  »iJUftj«  sehr.  aUü;  s.  das  4.  Stück  dieser  Stu- 
dien  V.  J.  4885,  S.  377  Z.  8—10. 


206     

II,  B44^  11  V.  u.  »j^>!t  ohne  die  von  M  aufgenommene  Be- 
merkung des  tUrk.  KAmüs,  dass  dieses  Wort  aus  dem  pers.  xi. 
(all  (^3)  entstanden  ist.  Vullers  hat  bloss  die  als  ^^  ebenfalls 
in  das  Arabische  übergegangene  einsilbige  Form  ^^.  Uebrigens 

scheint  das  veraltete  ^^  nicht  »species  üdium,  vel  testudinis 
musicac«,  überhaupt  kein  Saiteninstrument,  sondern  nach  einem 

Zusätze  des  ^^  im  türk.  Kämüs  dasselbe  zu  sein  wie  q^,  d.  h. 
sowohl  Kastagnette,  pers.  SiIj^U^,  als  auch  Becken,  cym- 
bal  e ,  türk.  J; ,  zwei  Bedeutungen,  die  auch  in  ^jo  zusammen- 
kommen; s.  Lane  S.  1734. 

II,  846'*,  3  V.  u.  o(^j)  i^our  exprimer  la  lonange  [comme 

^j^^)«r.     Das  antithetische  Sinnverhältniss  zwischen  der  dafür 

angeführten  Stelle,  847*,  1 ,  und  dem  vorhergehenden  Redegliede 
ergiebt  das  gerade  Gegentheil:  »einer  seiner  originellen  Aus- 
sprüche, die  durch  ihre  Trefflichkeit  ebenso  berühmt  geworden 
sind,  wie  die  Ascetik  durch  Uweis  (den  grossen  Asceten),  und 
jeden  Mitstrebenden  und  Nebenbuhler  von  ihm  nur  zu  Ach  und 


.•   1 


Weh  haben  kommen  lassen  (1.  J^'  st.  J^js^rJ,  ist  folgender,  u.  s.  w. 

II,  847%  15  llg.  Die  Stelle,  welche  Dozy  als  Beleg  dafür 
anführt,  dass  die  von  de  Sacy  über  den  Gebrauch  des  Accusativs 

nach  ii  gegebene  Regel  nicht  immer  beobachtet  werde  :   b^  U 

u\9ü  syot,  ist  ganz  regelrecht,  da  LxLq  einen  Nominalsatz  als  Xäa? 

nach  sich  hat  und  daher  nothwendig  im  Accusativ  steht;   s. 
NArul-tirä,  S.  ^f  u.  Taö,  Wright'sÄrab.  Gramm.  II,  S.  93  Z.  3 Dg. 

II,  847*.  1.  Z,  ».j^Ljjy«!  =^ yys>\  ^  (fiand  ecuyer^  der 
zweiten  Hälfte  nach  persisch,  was  bemerkt  zu  werden  verdiente, 
da  Freytag,  I,  S.  59*  Z.  13  zu^^^i   .-woi  nichts  darüber  sagt. 


207     

II,  847*,  11  V.  u.  »^x^/«.  sehr.  ^jrw.     ^i(j  kommt  zunächst 

vom  tUrk.  ^^^ii,  der  Nebenform  des  aus  r{%fiß  gebildeten  Jü^j 
janko;  s.  LehgcY  otm^nl  S.  tri*f  Z.  \. 

II,  848»,  21  »j^^4-wö  r^j^-"  dasselbe  was  jU*aJI  f^jH  »ni 
tUrk.  K^müs  unter  r^j^'i  ^'  Seetzen's  Reisen,  IV,  (Commeniar} 
S.  286  Z.  4  flg. 

II,  848^  9  V.  u.  »a.a;uJ!  8^s>  könnte  sprachgesetzlich  als 

j».aäJ{    bjo  nur  bedeuten :  die  Perle  des  Waisenkindes,  nicht  die 

(in  ihrer  Art)  einzige  Perle,  SCi-JuJI  hJjüJ,  oder  mit  der  von  Wright 
a.  a.  O.  besprochenen  Wortfügung  x»aäJI  8.v>.  Es  wird  zu  lesen 

sein  aaäJI  s^j  mit  Beziehung  des  Suffixums  aufy:>i)ji:  »und  von 
daher  sind  seine  (dieses  Meeres]   unvergleichlichen  Perlen  ge- 

kommen«.  ^^  ist  an  und  für  sich  männlicher  Gollectivsingular, 

nicht  gebrochener  Plural,  wie  ij,^  (Lane  S.  863**  Z.  48  v.  u.);  vgl. 

J^küt,  IV,  l**fv,  23,  Bibl.  arabo-sicula,  oöa,  2;  aber  vermöge  des 

in  ihm  liegenden  Begriffes  der  Mehrheit,  mU:>-,   erscheint  es 

auch  als  Femininum  (meine  Kl.  Sehr.,  I,  S.  256  u.  257  zu  de  Sacy, 
I,  346,  §  805).  Hieraus  erklärt  sich  der  rasche  und  harte,  in- 
dessen bei  Mokaddasl  nicht  eben  auffallende  Geschlechtswechsel 


II,  849*^,  42  iik>^^«  Druckfehler  st.  «c>^^. 

II,  850^,  4  u.  3  V.  u.  ist  »pucesu  an  die  Stelle  von  »pouxn 
und  dieses  an  die  Stelle  von  jenem  gekommen. 

II,  854*,  4  9  f>^6sipdleft  sehr.   y>erysipdle^;  s.  oben  S.  497 
Z.  47—4  9  zu  ^^yja^jy 

11,  853*,  42  »ioLio  timon  (piöce  d'une  voiture«)  sehr.  iuLij, 
wie  richtig  in  der  4 ,  Ausg.  von  Bc,  d.  h.  äjUmj,  ursprünglich 


208     

fleche  de  boiSy  wie  fläche  unler  anderem  vom  Langbaume  eines 
Wagens  gebraucht  wird. 

11,  854*,  49  »un-un-deuüa  Druckfehler  st.  une-une-deniie. 

II,  854»,  I.  Z.  ))^A£>;^U  sehr.  jJ^y^t,  vollständig  ^^Oss>y>\ 

das  arabisirle  tttrk.-pers.  ^^m^,  gewöhnlich  auch   von  deo 

Türken  cohadär  ausgesprochen;  s.  Zenker  S.  374*,  Z.  I — 4. 
Darunter  ist  hier  natürlich  der  Oberste  der  so  benannten  Ro- 
gicrungs- oder  Polizeibeamten,  der  li.\   .b^jy^-  zu  verstehen; 

s.  Meninski  unter  ^b  ^^i^  und  Socin^s  Arab.  Sprüchwörter  und 

Redensarten  S.  8,   Nr.  412.     (Nachträgliche  Berichtigung  des 

Artikels  .v>j>^,  1,  230*^.)  —  »/iilU«?  nach  seiner  allgemeinen 

Bedeutung  Adjunkt,  ist  hier  nach  seiner  Stellung  als  der 
dritte  vom  Wöli  abwärts:  der  Adjunkt  des  äohadär-aga. 

11,  854°,  46  »^  ^mortii  nach  »^  mors  (=  ^^j4-ö  Asiu, 
Qdmus]^  in  Gl.  BelAdz.,  mit  Verweisung  auf  S.  If1  Z.  45  u.  46: 

^>=^'  CT^  *ii^  o^  u^'^'  **^   ^o^/"  o^  '^^  '^^)    ^- 

^j4-JI  il   x!  tPj^j'  J:^'^-   ^"^^  weder  Zamahsari  noch  Flrüza- 

bädl  giebt  ^-^^ijJt  =  ^^.ty^i  in  der  angenommenen  Bedeutung; 

de  Goeje  folgerte  diese  nur  aus  dem  Zusammenhange,  der  auf 
usque  ad  mortem  zu   führen  schien.      Es  ist  aber  zu  lesen 

^y*Jt  ^(:  zu  Jemen  (der  Stall  halterschaft  von  AI- Abbc\s)  noch 
hinzu;  s.  deSacy,  1,  478,  24—28,  und  meine  Kl.  Sehr.  1,  399. 

11,  855%  20  »LI!,  pour  lo^«,  Makk.  11,  832,  45,  wo  der 
Verskünstler  dem  Metrum  zu  Gefallen  dem  in  einen  weiblichen 
Eigennamen  verwandelten  lateinischen  Monatsnamen  sogar  die 
volle  altarabische  Declination  aufnöthigt,  während  das  vorher- 

gehende  xjIa  sich  mit  der  halben  begnügt:  v,jLb>  äaJu  ^\  jüU. 

Doch  ist  auch  hier  durch  Verwandlung  des  Trennungs-Alif  von 
^1  in  ein  Verbindungs-Alif  s^\Jns>  iLyü  ^1  iüLo  (spr.  mäjätmaw 
möglich;  s.  meine  Kl.  Sehr.  1,S.  38  Z.  1,  und  II,  S.864  Z.6— 44. 


209 


Nachträge. 

I,  so**,  7  V.  u.  »niörki«  b.  Ale.  ist  nicht   ^  ^,  soDdern 

Ducu  dem  im  vorigen  Stücke  S.  169  zu  »mulut«  und  S.  208 
zu  »nmncl«,  in  diesem,  S.  178  zu  »munfi«  Bemerkten  spanisch- 
arabisches Passivparlicip  der  1.  Form  stalt  desselben  von  der 

4.  Form,  ic^r*« 

I,  695^,  16.    Dozy  und  de  Goeje  [s.  das  2.  Stück  dieser 
Studien  v.  .1.  1882,  S.  52  und  53,  Anm.  59)  vermissten  den  Be- 

weis  für  ^y»*l\  in  der  eigentlichen  Bedeutung  die  Höhen,  An- 

höhen.  Es  war  mir  damals  entfallen,  dass  dieser  Beweis  schon 
vorlag  in  der  früheren  Stelle  Makkart,  I,  *11v,  13,  wo  der  Gegen- 
satz zu  .ÜoJi;  die  Niederungen,  dem  von  mir  aus  J>|^^l 

yviederhergestellten  ^y4*^\  der  Bulaker  Ausgabe  jene  indirect 

von  Dozy  selbst,  Lettre  ä  M.  Fl.  S.  102  Z.  3  und  248«  Z.  5  v.  u., 
anerkannte  Bedeutung  sichert. 


^  «'     ^ 


II,  85%  24  u.  25,  bietet  kein  Beispiel  von  ^Ub  in  der  Be- 
deutung von  JÜb;  denn  Dozy's  Luili?  Abbad.  II,  S.  49  vorl.  Z., 
ist  eine  willkürliche  Aenderung  des  handschriftlichen  ^Lb  als 

^        ^        ^ 

Yocativ  St.  ^ü?  L      Die  personißcirten   Schatzbäuser,  o^ 

JUt,  reden  die  verschwenderische  Hand  des  Fürsten  an:  »du 

uns  Gewalt    anthuende!«    Aber,   wie  bei  Makkarl,   II,   fv«,  6, 

konnte  Dozy  durch  dieselbe  Täuschung  unsers  europaischen 
Sprachgefühls,  von  welcher  zur  bemerkten  Stelle  in  den  Sitzungs- 
berichten der  Sachs.  Ges.  d.  Wissensch.  v.  J.  1868,  S.  270 
Z.  1  flg.  (Kl.  Sehr.  H,  S.  304  u.  305)  die  Rede  ist,  sich  nicht 
darein  finden,  dass  der  personificirte,  von  ihm  als  »gebrochener 
Plural«  gedachte  weibliche  Gollectivsingular  von  sich 
auch  im  Singular  spricht. 


210     

II,  522%  vorl.  Z.  Zu  xl^  im  vorigen  Slücke  dieser  Studien 
S.  161  ist  nachzutragen,  dass  Leligei 'otmAnl  S.  UT  Z.  7  — 10 
das  türk.  Wort,  dem  x  i^  laxccvov  entsprechend,  durchgängig 
juL^  schreibt,  gegen  Meninski,  Bianchi,  Hindoglu  U.A.,  welche 
die   gewöhnliche   weichere    türkische   Aussprache   darstellen. 

Uebrigens  ist  a1^  nach  demselben  Werke  gleichbedeutend  mit 

woj',  *-5",  ^,  7CQa[,ißrij  crambe,  von  allen  Arten  Kohl:  ^JL 
sJ^  Kopfkohl,  &Jl^  sy)  Schwarzkohl,  aui-  /^^^  Krauskohl, 
^^tJ^  ^^^^fST  Blumenkohl,  u.  s.  w. 


i  > 


II,  764*,  6  »tXxL^  pl.  Ju^  qui   kabite    un  pays   sterilem. 


w  y 


Statt  \\X^ ,  wie  Dozy  hiernach  an  der  bemerkten  Stelle  lesen 

^  ^  ^ 

will,  verlangt  der  vierfache  Prosareim   tJu^  als  Colleetiv  von 

JütL^  extinctus,  uneigentlich  fttremortuus,  —  einer  der 

in  meinen  Kl.  Sehr.  1,  S.  296  u.  297,  zu  de  Sacy,  1,  370  1.  Z. 
und  371,  1 — 4,  behandelten  männlichen  Gollectivsingulare.    Zu 

ebendenselben   gehört  J^,   von  Zamahsari  als  Colleetiv   von 

*>    *  >     ... , 

J^Lp  und  Nebenform  von  JwoJ^  angeführt  bei  de  Goeje  zu  Diwan 

Moslim  S.  r.XXV  Z.  6  v.  u. 

II,  765%  4  V.  u.  »VII  (von  ^^^)  laisser  couZer,  Abbad.  U, 
49,  dorn.  1.  a  Dozy  übersetzt  dort  das  von  der  rechten  Hand  eines 

Freigebigen  gesagte  ^■♦^äV  dem  Sinne  nach  richtig :  »efHuunt  ex 

ek  dona«,  wörtlich  :  sie  (die  rechte  Hand  selbst)  ergiesst  sich. 
Die  redcxive  Form      »^it^  fehlt  in  unsern  Wörterbüchern;  sie 

entspricht  im  Allgemeinen  den  in  meinen  Kl.  Sehr.  1,  S.  83  u. 
84   besprochenen  siebenten  Formen    der   späteren   Sprache: 

Ubit,  [^y^K  f^'*^^  jLjü!,  /  5!^^^  ^m  nächsten  aber  dem  vom 


"  *  »b  ^  y 

Kämüs  bezeugten  J^^^t,  dem  ^jL^  eines  in  dieser  sinnlichen 


211     

Bedeutung  als  Causntiv  von   ^^  =»  \jc\a   nicht  ttberiteferten 


II,  768*,  24  »•ajl^  troupes  irregulib^es,  M. «  Die  eigenen 

Worte  M's  sind :  'iUSüi\  ^  y^L^t  ^  xc:Uj>  B^t^t.    Die  ReaU 

erklärung  dazu  giebt  Seetzen,  Reisen,  11,  S.  450  Z.  5  v.  u.  flg.: 
»Es  lagen  in  Nazareth  60  bis  70  Reiter,  Mogrebiner  und  Egypter, 
welche  Art  von  Kavallerie  des  Pascha  man  el  Hauäry  nennt. 
Sie  sind  meistentheils  verheirathet,  wohnen  in  besonderen 
Häusern  und  dürfen  den  Einwohnern  nicht  beschwerlich  fallen. 
Sie  leben  bloss  von  ihrem  Solde,  el  Mdnda ,  welcher  täglich  2Y4 
Piaster  betragt,  wovon  der  Reiter  auch  die  Ftttterungskosten 
seines  Pferdes  bestreiten  muss.  Ein  Beirakd^r  oder  Fahnen* 
träger  hat  5  bis  20  gemeine  Kavalleristen  unter  seinem  Befehl, 
woftlr  er  den  Sold  zieht,  obgleich  er  zur  Friedenszeit  von  dieser 
Anzahl  nur  2  bis  8  hält,  so  dass  der  Ueberschuss  des  Soldes 
ihm  zu  Theil  wird«.  —  Hierzu  bemerkt  Herr  Consul  Dr.  Rosen, 
IV,  S.  313  :  »Das  Institut  der  Haw^ri  besteht  noch  jetzt  [4859] 
in  dein  Paschalyk  Akka  ungefähr  so,  wie  Seetzen  es  boschreibt. 
Es  ist  eine  erbliche  berittene  Lcmdgensdarmerie.  Der  Singu- 
laris  ist  ^^^t^,  der  Pluralis  »^^^.  —  Mända  ist  ein  sowohl  im 

Arabischen  als  auch  im  Türkischen  Palästina's  in  der  Bedeutung 
Sold,  Gehalt,  sehr  gebräuchliches  Wort.  Seine  Etymologie  ist 
dunkel.  Nach  der  Aussprache  wäre  zu  schreiben  L^U,  mAnda; 
stalt  des  {jß  ein  s>  zu  setzen,  gilt  für  unorthographisch.    Scheich 

As  ad  leitet  es  ab  von  ^<ai  Lo,  quod  paratum  est«.  —  in  dem 
folgenden  Zusätze  von  mir  selbst  glaube  ich  das  Rechte  getroffen 
zu  haben  :  »Auch  Berggrcn,  Guide  francais-arabe :  Solde,  paye 
du  soldal,  [iOJCQL>]  ^a5U:>,  ot  LoJL«,  v^.^  ^^,  'aUfe,  ou 
aloufe,  pl.  aU'i'f,  mündha,  pl.  ^t,  dj^mkiyyö.  Hätte 
Scheich  As' ad  mit  seiner  Ableitung  Recht,  so  wäre  damit  zu  vcr- 

gleichen  ^^Lo,  pl.  oii->L«,  Begebenheit,  Vorfall,  zusammen- 


gesetzt aus  U  und  ^y>-     Aber  die  Verwandlung  von  ije^  in 

U3J  scheint  mir  gegen  alle  Analogie  zu  Verstössen,  und  ich  möchte 
lieber  die  Vermuthung  wagen,   das  Wort  komme  vom  pers, 


212 


«  o 


»JüLe  iD  der  Bed.  von  «JüL«  ^m^,  sJü'u  ^j^^^,  das  Rück- 
st und  ige,  —  sehr  bezeichnend  für  ein  gewöhnliches  üehel 
asiatischer  Finanzverwaltung.     Die  Verwandlung  des  o  in  das 

emphatische  {je  würde  sich  dadurch  rechtfertigen,  dass  die  wei- 
chern Laute  des  Persischen  bei  der  Arabisirung  überhaupt  gern 
in  härtere  übergehen,  und  hätte  insbesondere  noch  für  sich  die 
Analogie  des  arabischen  >U9^t  Zimmer,  Stube  (s.  Bocthor  unter 

Chambre),  vom  türk.  sJ^i,  oda«. 

11,  824^,  23—28.  Der  von  Dozy  den  angeführten  Worten 
Muhammed^s  gegebene  Sinn,  dass  eine  einzige  gute  Handlung 
eines  Menschen  am  Tage  der  Auferstehung  alle  seine  schlechten 
Handlungen  ungeschehen  machen  werde,  widerspricht  ebenso 

o 

dem  Gebrauche  von  Jk^t,  wie  hauptsächlich  der  wirklieben 

o 

Lehre  des  Korans.    iL^\  ist  hier  ganz  in  Uebereinstimmung  mit 

H,  S.  694**,  Z.  24 — 23,  »/a  bonte  de  Dieu.  sa  misei'icordev,  und 

iXulSI  J^4x:  ^t%4^  das  gesammte  Thun  des  Menschen,  gutes  und 

böses,  nicht,  gegen  den  Wortlaut,  das  letztere  allein.  Diese 
willkürliche  BegrifTsbeschrcinkung  nöthiute  aber  Dozy  w^£^^ 

in  negativer  Bedeutung  zu  nehmen,  während  es  in  der  unmittel- 
bar vorhergehenden  positiven  steht:  »Der  eine  göttliche  Gna- 
denact  wird  am  Tage  der  Auferstehung  alles  Thun  des  Men- 
schen umfassen«,  d.  h.  vermöge  seiner  Gnadenwahl  wird  Gott 
bei^m  jüngsten  Gerichte  alles,  was  der  zum  Paradiese  bestimmte 
Mensch  im  irdischen  Leben  gethan  hat,  mit  Ucbertragung  des 
Bösen  durch  das  Gute,  in  ein  die  ewige  Seligkeit  verdienendes 
Ganzes  zusammenfassen. 


SITZUNG  AM  U.  MAI  1887. 

Herr  0.  BöhtUngk  legte  einen  Aufsatz  vor:  Bemerkenswert 
thes  aws  Rämajuna,  ed.  Bomb.  Adhj.  I — IV. 

Hiatus  zwischen  dem  4.  und  2.  oder  3.  und  4.  P^da, 
den  das  Metrum  nicht  zu  entfernen  gestaltet.  CT  ^i, 
3,  48.  10,  26.  25,  40.  32,  3.  38,  8.  22.  43,  52.  56,  40.  67, 
44.  24.  3,  36,  4.  4,  25,  52.  27,  47.  36,  6.  53,  7.  qi  ^ETT  4,  45, 
34.  48,  44.  49,  42.  58,  44.  3,  44,  74.  42,  26.  4,  49.  28.  43, 
34.  46,  6.  51^  4,  63,  22.  67,  4.  42.  3,  43,  4.  66,  5.  4,  40, 
40.  56,  46.  JBT  3  4,  35,  20.  3,  49,  22.  68,  36.  3^  H  4,  3,  26. 
34,  7.    60,  22.    3,  69,  32.    4,  46,  23,    ^^  4,  3,  29.    4,  44,  9. 

48,  54.  ^\  4,  27,  6.  56,6.  m^i,  25,  44.  48,  47.  3,25,24. 
4,43,22.  qf^TT  4,40,43.  2,32,39.  m\  1,6,5.  3,34,42.  qj  3 
1,35,21.  4,  20,  26  (llfüssigerVers).  3^3(7  1,  45,  7.  ^^1, 
38,  8.  4,  12,  34.  59,  18.  ^3^  1,  44,  23.  64,  18.  ^^4,  46,  7. 
3,44,62.  5  3  4,  24,  8.  ^3R  4,  44,76.  ^^3,34,33.  33^4, 
61,  5.  4,  21,  11.  3  JETT  3,  31,  37.  3  3  4,  55,  20.  3  5R  1,  17, 
5.  ^  35r  1,  40,  9.  45,  41.  52,  23.  67,  24.  4,  62,  6.  Nichlbe- 
obachtung  desSamdhi  an  diesen  Stellen,  ohne  dass  es  das  Metrum 
erforderte,  ist  sehr  hüufig. 

Vom  Metrum  geforderter  Samdhi  an  den  genann- 
ten Stellen.  Eine  verhältnissmässig  seltene  Erscheinung, 
q-f  51  zu  3^  verschmolzen  1,  73,21.  3,46,3.  4,  18,  25.  5C  nach 
7  elidirt  3,  3,  6. 

Wenn,  wie  wir  gesehen  haben,  der  Dichter  vor  keiner  Art 
von  Hiatus  sich  scheut,  muss  es  uns  befremden,  dass  er  an  an- 
deren Steilen  zur  Vermeidung  desselben  ein  nichtssagendes 
f^  einschiebt;  so  z.  B.  2,  50,  42.  3,  64,  59.  70,  5.  4,  1,  7. 
9,  10.   12,  14.  38,  33.  58,   13. 

Dass  der  Hiatus  und  einige  andere  Umstünde  dafür  spre- 


214     

chen,  dass  jeder  Päda  wie  im  Veda  auch  im  Epos  ursprünglich 
selbständig  gewesen  sei ,  habe  ich  schon  in  der  ersten  Auflage 
meiner  Chrestomathie  S.  544  fgg.  vermuthet.    Ob  in  dem  Cloka 

1^  ^J^![^J^(^^lm:  TST:  H<iS^HdUI *.  auch  der  Visarga  in  ^:  zur 
Bestätigung  dieser  Ansicht  angeführt  werden  darf,  wage  ich  nicht 
zu  behaupten,  da  er  in  der  Ausgabe  von  Schlegel  fehlt.  Wenn 
aber  im  Epos  und  in  den  Gesetzbüchern  der  Hiatus  keinen  An- 
stoss  erregte,  so  drängt  sich  uns  die  Frage  auf,  warum  und  wann 
hat  man  ihn  im  Veda  auf  Kosten  des  Metrums  auf  das  allerun- 
geschickteste  entfernt?  Zur  Zeit  des  Rgveda-PrAticäkhja  war 
der  Process  bereits  vollzogen. 

Hiatus  mitten  im  PAda.    35r  35TT  3,  43,  50.    35  3  3,49,4. 
gfl  1,  73,  48.  2,  416,  25  (bis).  3,  73,8.   ^TT  ^  4,24,  7.    lETT  3 

3,  40,  8.    ^  JBTT  4,  8,  5.    ^  ^  4,  47,  34. 

ün regelmässiger  Samdhi.  ?f  und  517,  nach  denen  ein 
H  abgefallen  ist,  verbinden  sich  mit  einem  folgenden  ?(oder?[T 

zu  5(T,    mit  ^   zu  ^,    mit  3  zu  ^.  oUiyHNMrl^*5ll:  4,  9,  47. 

^tl^Hlrl°hHH^H  4,44,24.  »TilHllHHi^H  4,45,43.  Mt^HillßWH 

4,  46,  4.^^qFOTW^I^mq^2,  74,  43.    ^"S7^F^frWl\3,  20. 

42.     rTHn%:^:    3,    69,    44.     3yHMH^H^4,  60,  8.     ^WH 

VlVm:  3,  47,  44.  Hdlr^^lM  4,  49,  24.  HH^NW  2,  54,  8.  3,  43, 
42.  qcl<^fUMfrlWrr2,67,26.  5r^WT^cT\2,87, 45.  c^^WIrh'MH^ 

3,  66,  47.    qTO.7m^:  TSm\  4,  39,  44.  ^qR^  4,  58,  4.    Zu  den 

ö 

beiden  letzten  Beispielen  vgl.  Pänini  6,  4,  434.  Ein  auf  ^J"  zu- 
rückgehendes 5f  verschmilzt  mit  ^  von  ^frT  zu  ^.  «nf^^ufcT  4 , 
24,8.  gi^MlMHH  2,  37,  34.  ^rFmq%%  2,  52,  28.  ^fl^  3, 
60,35.  raTOr3,64,29.  |fUN"^fH  3 ,  69 ,  44.  In  iETiqT 
^^trin  2,  34,  44  undc^lidHl  ^PR  4,  42,  45  ist  wohl  ein  Abfall 
von  JETT  anzunehmen.  Ob  ^^  S^J^UH  4,  35,  7  nur  des  Metrums 
wegen  statt  M^^H'^H  gewählt  wurde,  ist  nicht  zu  entscheiden, 
da  die  bengalische  Recension  gleichfalls  gegen  Panini  *m!^HI«i;l 
tJHlfm  ohne  metrische  Veranlassung  schreibt. 

Metrische  Verlängerung  kurzer  Vocale.  ^fsHH^IH^J 
3,73,42.^rTOk5n:4,42,4.7ra}fH:4,53,42.fir3^^ 


■..  '- 


215     

Metrische  Verkürzung  langer  Vocale.  Hm^  i,  37, 

6.  HMMcj^  2,  8,  26.  ^^^fMUMI^i  2,  404,  8.  Frf?q^TSf  3,  11, 
77.  12,  22. 

Vermischung  der  Nominalstämme  auf  ^  und  H  . 

q^^stattqrarn:  2,112,30.  rawNw  stall  f^rftFnq^3,42,22. 
q^q^slatl  t|i|nn[^3 ,  14,  2.    ^ffüTR^ "statt  c^(lnirq^47  44,  16. 

Ob  auch  tn^^HMltHMlRn^  3,  2,  11  hierher  zu  stellen  ist,  lässt 
sich  nicht  mit  Sicherheit  behaupten,  da  H  auch  als  neu  ange- 

tretenes  Suffix  betrachtet  werden  kann.    3,  73,  20  lesen  wir: 

f^jHMlHiM  cFqpTt  ?:?erfH  ^  Rfrrw  i 

qFn#  iclt^i^m  feft  HltTUMli|»U:  II 
Comm.:  N^tf)  fifn^:  |  MINH<=hHH  II   Er  hatte  hinzufügen  kön- 
nen, dass  auch  der  Nominativ  ein  Archaismus  sei.    Wir  werden 
wohl  nicht  fehl  gehen,  wenn  wir  nach  der  Analogie  von  M^^Ih 

und  J^^LMIhIM  hier  1^f?7^  verbessern. 

Secundärstämme.     Aus  dem  Accus,  ^ituuih  geht  der 

Stamm  "S^m  hervor.  3t?IIUlHiH^  2, 32,  29.  In  der  Ausgabe  von 
Schlegel  lesen  wir  statt  dessen  3?nrt  tT  ^^i^lt.  Feminina  auf  ^ 
haben  eine  Nebenform  auf  ^.   «4<^^i  (ohne  Nolh)  statt  ^(4li|: 

1,63,4.  ignmnnin,  45, 34.   sriaW?  2, 34,  2.  ^rifrarcTFr 

statt  viiri^iriHH  3,  5,  36.  VomMasc.  jcmHM  haben  wir  den  Nomin. 

PI.  %Fn:  4,  30,  40.  In  ^^^|HHM  4, 46, 15  nimmt  der  Comm. 
die  Form  t«f-H(Hi  an.    5FT^  n.   als  Name    einer  mythischen 

Waffe  1,  27,  6  =  JJ^RcTn. 

Unregelmässigkeiten  in  der  Declination.  IrrFH  1, 
2,  12.  70,  36.  2,  101,  11  [^r^J  %  62,  13).  JTT:  Nomin.  PI.  2, 
47,  12.    IM:  Acc.  PI.  2,  32,  40.  3,  14,  28.    J^lft^:  Nomin.  PI. 

2,  91,  18.  %T?t:  desgl.  4,  33,  60.  MM^H H^ :  Acc.  PI.  3,55,12. 
qfTrT^:  Acc.  PI.  2,  39,  36.  4h1mHH^=  ^rft^FWJ,  61,  18.  21. 
m41mmH  =  M^lMmH   2,  105,  42. 

Im  Folgenden  schliessen  sich  meine  Bemerkungen  und  Bei- 
trüge an  die  entsprechenden  Paragraphen  in  Whitney's  Gram- 
matik an. 


r 


2t6 

§  27<,  b.  pj?rr:)  Hl'^inHtHI^UI:  4,  6,  49.  Ein  Nom.  acl. 
auf  ^  mit  dem  Acc.  construirt  finden  wir  ^  ,  37,  45:  MSUrhl 
aT;[nt1g  HSHtT^  MH^H*!^.    Vgl.  meine  Chr.*,  S.  305. 

§  275.   5Era  ff  ?r§ft^fH:  5^  Mfiw<i^lHH^SI,  64,  26. 

§  276.  Accus,  statt  des  Locativs:  ^^cIHH-^MMI  <iyp4HI  frf^f 
>Tq]Sr^2,69, 47.    HH^RT  5mrT\4,66,34.    3BWf^5RW^2,  74,  46. 

§  449.  Unregelmassige  Formen  auf  JSTFft  mit  Weglassung  der 
vorangehenden  Präpositionen:  Jl^rft  2,  32,  8.  3,  43,  4.    IFSfrfT 

4,  26,  48.  ^^  3,  53,  26.  ^iWrft  3,  48,  49.  qi^  2,  40,  44. 
q^?Irft  3,  52,  44.  54,  4.  4,  ^0,  8.  qi^  2,  4,  30.  ^qm  4. 
20,  22.  5nFEFft  3,  46,  9.  72,  26.  T{^  2,  42,  89.  sPTOrfT  2,95, 
46.  Unregelmässige  Formen  auf  35rrft:  SRrfT  2,  8,  43.    42,  57.  3, 

ig  4.  -^  2,  9,  23.  42,  75.  f^Rfrft  3,  42,  32.  f^^  2.  9. 
T740.    JTg^  2,  42,  48.   ^THrft  2,  40,  35.    t^  2,  27,  7. 

§  473.    Hf^H^H^Adv.  2,  42,  46.    ^l4Hrl\lM^2,  64,  72. 

§  476  fgg.  Gegen  Hoitzuiann  (Grammatisches  aus  dem  Ma- 
hdbhärata)  bemerke  ich,  dass  Mahäbh.  ed.  Bomb.  4, 4,247  TH\ 

f^hnfFT**  kein  Compositum  ist.  Mahdbh.  4,  406  liest  die  ed.  Calc. 
wie  schon  M.  Wintcrnilz  in  der  Öslerr.  Monatsschrift  für  den 

Orient,  40.  Jahrg.  S.308  bemerkt  hat,  gfi'^lia  t^lr^(S[liH:  r^i^Wri : 

ist  aber  ein  an  dieser  Stelle  nicht  geduldeter  Fuss.  Die  ed.  Vardh. 

4,  2,  426  liest  richtig  W^HilJ^H^UnidJ^. 

§  485.  ^^^mcT  4,  65,  5  und  q^l^H^4,  65,  6  als  Accu- 
sative.    Vgl.  Gaut.  42,  4  4. 

§486.  ^^^TT^^mf^  4,43,9.  ^fe:  q^M^Himi  4,44,3. 
q%:  ^rar  .r  HcJWmiHM^liUUHj,  45,  34. 

§  494.  Auffallend  ist  die  Verbindung  rt  ^H  im  Sinne  von 
rl^q^rT  in  dem  Verse  qf^T^infe  ^4^  Jlt  3"  ^R  Hld|H^2, 53, 48. 
Der  Accusativ  Hin(H  ist  hier  gar  nicht  am  Platz,  eben  so  weni^ 

der  Singular.  Dtlrfte  man  vielleicht  MIH^h  =  HNI:  als  ur- 
sprüngliche Lesart  vermulhen,  die  zu  dem  oben  erwähnten  Acc, 
PI-  Hifi(:    stimmen    würde?     Die  Schlegersehe  Ausgabe  hal: 


217     

♦ 

§  500.  Eine  Verwechselung  zwischen  dem  substantivi- 
schen ^  und  dem  adjeclivischen  ^  finden  wir  2,  22,  3  M^mA 
Ihüc^HH  ,  2,  52,  83   (77 Schi.;,    f^  MHMHHH  ,  3.3,73  Sr^CT 

^H<IMHIH^,  2,  32,  34  ^  (^  Schlegel  richtig)  ^ifsi^snTW^. 

§  530.  Parasmaipada  und  Atmanepada  wechseln  auf  das 
freieste,  je  nachdem  es  das  Metrum  verlangt. 

S  546.  548.    Statte  und  ITH  linden  wir  sehr  oft.  insbe- 

sondere  im  Futurum,  ^  und  ^.  Fq  =  FI:  <,  U,  47.  28,  13. 
19.  31,  4  (st.  F^:).  33,3.65,19.2,6,22.  54,6.  55,12.  57J2. 
61,26.  63,33.  93,7.9.  111,21.  3,8,5.  10,11.  11,94. 
15,2.  4,51,  3.  56,  13.  57,  16.  65,  11.  q^m^  st.  qü^IR:  2, 17, 
10.  4,  50,  15.  56, 43.  58,  39.  ^  st.  isR:  2,  35,  18.  r|,r|g^jm 
1,40,9.  iJIH^^IH  (neben  JTfqqTFT:)  2,  91,  59.  ?:?m^  2,  40,  22. 
47,11.  83,8.  gfdd'^ÜIH  4,1,122.  ^^^=OTT  2,54,  16.  Vfr^m 
<,45,  17.  ^FnT5r4,  27,  25.  c|rfülH  2,  47,  9  (^rfUIH  gedr.).  33, 

25.  3,  15,  19.  4,  27,  7.  S(M4IM  2,  56,  7.  Bei  Stämmen  auf  ^ 
fallen  demnach  Präsens  undimperativ  zusammen.  Einen  Optativ 
auf  vpp[  statt  q*  haben  wir  in  HTR:  1,45, 16.   Vgl.  Uoltzmann  a. 

a.  0.  zu  §  548. 

§  549.  In  der  2.  PI.  Act.  finden  wir  ^  statt  rT,  d.  i.  Prä- 
sens statt  Imperativ  und  zwar  mit  diesem  altern irend,  obgleich 
^  und  FT  metrisch  gleich  viel  gelten.  1,  39,  13  fgg.  sehen  wir 
ih^g,  Rlhl-c(OT  ,  y^ih^H,  ^rJviJK^H  und  T^FlrT  als  Imperative 
vorwendet.  i^WWSJ  4,  43,  12  und  14  i^RlHrl  in  derselben 
Bedeutung. 

§  570.   Sf^rTlrl^S,  62^4.  T?^^  "J  J^/   -  ■ 

§  578.  Von  der  1 .  Sg.  Act.  habe  ich  mir  nur  '^J^önfni  1 , 2, 41 . 
16,  8.  12.  17.    2,  2,  15.  50,  36.  52,  8.  12.   118,  15  und  i^^ 

2^  18,  23  notirt.  Daneben  aber  auch  das  Präsens  'ti^llH  statt  dos 
Imperativs  1,  18,  52.  33,  14.  66,  3.  2,  7,  34.  Im  Dual  und 
Plural  erscheint  die  erste  Person  häufiger,  so  -^^clH  4,  31.  4. 
H^^m  3,  42,  1.  67,  3.  ^{dHH  1,  27,  26.  Jjr^m  2,  33,  17.  48, 
16.  4,  12,  13.  53,  24.    ^ffq  2,  107,  19.    r^W  1,  45,  6.  2,  52, 

3.   nf^mq  2,  51,  24.    q^F?  4 ,  49,  23.   mir  2,  47,  7.    ^TOFT  1 . 

26,  33.  4,  53,  25.  f^HTim  4,  52,  13.  Eben  so  häufig,  wenn 
nicht  häufiger,   wird  in  diesen  Personen  das  Präsens  statt  des 

1887.  15 


218     

Imperativs  gebraucht ;   z.  B.  2,  46,  24.   47,  8.   50,  28.  78,  45. 

3,  64,  48.  75,  40.  4,  49,  5.  Unter  den  oben  angeführten  Dual- 
und  Pluralformen  sind  aber  der  Form  nach  nur  4i|c||c|  und 
cfi^cdH  mit  Bestimmtheit  dem  Imperativ  zuzusprechen.  wMhrend 
die  übrigen  nach  dem  zu  §  546.  548  Bemerkten  auch  zum  Prä- 
sens gezahlt  werden  könnten.  Vom  Med.  sind  mir  keine  Im- 
perativformen der  4.  Person  begegnet,  wohl  aber  finden  wir  das 

Präsens  auf  MN«?^  und  yiH«t  sehr  häufig  in  der  Bedeutung  des 
Imperativs  verwendet. 

§580.  qr  mit  augmentlosem  Aorist  ist  sehr  häufig;  vgl.  4, 
49,  49.  22,  42.  44,  47.  46,  20.  55,  25.  59,  2.  64,  5.  68,  47. 
70,  35.  73,  34.  34.  76,  46.  2,  9,  27.  40,  32.  42,  44.  24,  48. 
23,  49.  25,  48.  49.  24.  30,  49.  34,  46.  54  (^  zu  lesen).  35. 

8.  25.  40,  5.  42,  6.  9.  52,  45.  58,  23.  63,  50.  64,  36.  68,  8. 
75,24.  27.  29.  36.  46.  85,9.  86,5.  408,2.  3,38,32.  52, 
34.  55,  23.  56,  b,  42.  64,  48.  72,  45.  4,  4,  445.  40,  9.  44,  38. 
42,  36.  45,  24.  25,  45.  66,  47.  Den  Aorist  mit  Augment  zeigen 
qr  — 33JFr:  4,  2,  45.   q?  «F^JTT:  4,  30,  84.  34,  48. 

§  586.   Etwas  ganz  Unerhörtes  ist  das  Augment  in  UrUM-ii 

Absol.  4,  24,  4.  qft^qq^3,  49,  3.  ^^ipm  (=35riHHl^^  Comm.) 

4,  3,  27.  Das  Metrum  gestattet  VjfHM^U ,  MlfM^MH  oder  nftf^MH 
und  51PWTO  zu  lesen. 

§587.  Augmentlose  Formen :  t|<[iM  4,  47,  34.  3,  25,  35. 
JJ^^?TT\4,  60,20.    t:UNMH^2,  44,  48.    i|;^^2,  80,  7.   Wm\ 

3,  44,  "29.    snqfT4,  70,  27.    ^^  3,  72,  3.*^  ^WrT^4,  48,  47^ 

qprH^2,  44,  9.     MlMrllH^4,  52,  44.    I^T^q??  4,  43,  42.    ^OürT 

4,  53,  8.    sr%nT  4,  46,  30.    ^^  4,  37,  25.    4,  64,  7.    SS^rT 
1,4,59.  5i:|rr2,416,4.    imWTFTj.  22,40.    1^Tq?PTj,  37,  26. 
^H(HiM^2,  4,  3.    ^yfHsMHrMT^,  425.    ^R^TSIcTj,  43,  45. 
MrUH!JlHiH^2,  87,  46.  JblHH-Urt  2,  405,  43.    HHj^^HH  3,  24,  34. 

^4M<HH^3,  54,  48.  qftpf?H^4,  23,  20.  g1WH^4,  26,  27. 
qfH5fFTrr4,  37,  49.    J^fWRj^  40,  42.    MMfi^4r^3754,  9.  23. 

?rfM^^tFr^2,  5,  23.    ^iqftqFTrT  3,  28,  24.     3^MI<MH^4,  9,  25. 

MmF^^^HH  4.  39,  20.     qft^^qcT  4,  57,  43.    JGR^I^  2,  7,  42. 


219    

3<{i(m^a,  67,  4.  91,  88.  60.  3rm^4,  75,  34.  «P^f^fT: 
4,  66,  ii.  3q^qqfTj,  18,  44.  5P-WPf?fT^2,  4,  21.  JMHiJh 
(.so  mit  Schi,  zu  lesen)  2,96,8.  fi^^MH  1,50,22.  i^Pl«1H<i^ 
3,  11,  59.   qft^Kqflf^a,  12,  21.   f^«ÄT^4,  50,  9.    qf^q^CT 

.3,  60,  36.  ^^('^IM  4,  16,  27.  UMi^M^^I,  24,  20.  MHI^Mr»  1, 
66,  11.  UHKMH^I,  66,  23.  ?raT^^2,  W,  4.  !?Tnqrr^2,  52,  79. 
R^T^illrT  2,  53,  20.  y^^üfT  4,  61,  15.  ^m\^r\  4,  55,  18. 
VI JHM^Jd  4,19,1.  ^5n^qf^;^4,  38,  1.  5ftq^~2,  54,  4.  Man  be- 
achte, dass  unter  allen  diesen  Formen  nur  zwei  Aoriste  (vi^^i^ihti 
und  UrU'ldlHiH  )  sich  befinden.  Warum  5I^iR  und  j^^M't 
des  Augments  entbehren,  ist  nicht  verständlich. 

§612.    ägrFHstaltsn^  1,  33,  12.   Vgl.  ku  §  684. 
§  6^6.    HHiMin  in  der  Bedeutung  von  HrpHrT  kann  kaum 
richtig  sein. 

§  619.   i^TOT:  statt  ^[^iHfU  2,  96,  4  (Bl.  480,  b). 

§  634 .   WnW\  statt  HHI^lf^f^  3,  47,  22. 

§632.   ^  (2,  19,  4.   3,  13,   17.   4,  7,  14)  ist  nach  gq: 

gebildet,  5cfH%  (2,  23,  41.  3,  31,  43)  nach  gsfH?T.  Unregel- 
müssig  ist  auch  öR^BR  4,  64,  22.   Statt  WUi  2,  52,  38  ist  mit 

Schlegel  Wi\  zu  lesen. 

§  637.   öcm^pirr^(ohne  Augment)  3,  51,  18. 

§639.    qg5nmftstatt3BR5nfPT2,  111,  25. 

§  667.    672,    ^  (1,  27,  15.  2,  53,  21)  ist  nach  ^:  ge- 
bildet.   'BI^J,  75,  25  und^^  (Schi.  ^^)  2,  26,  13  gehen 

auf  ^  zurück,  das  im  Dh^tup^tha  unter  den  Wurzeln  der  er- 
sten Klasse  aufgeführt  wird.  §  672  ist  bei  Whitney  Kl.  1  statt 
Kl.  VI  zu  lesen. 

§  679.    isprm  statt  ÜpH^  3,  46,  30. 

§  684.    T^m  statt  f^m  4,  53,  16.    Vgl.  zu  §  612. 

§  688.    ^M^lMIrt^ statt  UM?>Jlri^1,  4,  3. 

§  692.   ^St^^T^^HFT  3.  Du.  3,  70,  8  ist  wohl  nur  ein  Fehler 
fürqfqp^lfn^. 


220     

§  698.  703.    i^i^Hgl  4,  43,  10  statt  HJ^Hgl  und  i^WHfl 
4  5  statt  f^rf^RfT  haben  sich  nach  ^rirpoffH  oder  HH-^rl  gerichtei. 
§  744.    ^  2,  42,  36  ist  nach  jq:  gebildet. 

§  722.  SRJ  3,  56,  24  statt  ^mf.  Im  DhÄtup.  wird  übrigens 
cRJ  auch  zur  ersten  Klasse  gezogen. 

§  725,  d.  ^PT^^fTFT  4 ,4,4  nach  dem  Comm.  ^I-^WH  .  Schi. 
4 ,  4,  2  hat  richtig  *>li|^lHm  . 

§  745.  fncw^hii  4, 63, 49  ohne  alle  Veranlassung  sUittpIsgrFI: 
H^5hHH  4 ,  50 ,  9  metrisch  gefordert.     Richtig  ^PTJTHöRTOT  i, 

4,  425,  dagegen  >5m5tiiHn  2,  403,  6  gegen  die  Grammatik,  ohne 
dass  das  Metrum  die  Länge  begünstigte. 

§  752.  rPjm  3, 49,4  statt  H^  ,  als  wenn  es  zur  2.  Klasse 
gehörte. 

764.  Von  ^TO  ,  das  im  Dhatup.  nur  unter  den  Wurzeln  der 

4.  Klasse  erscheint,  finden  wir  3,  39,  22  HH^MM  ^    HHI^OM^^ 
wäre  nicht  gegen  das  Metrum  gewesen. 

§  774.  Die  im  Epos  vorkommenden  Formen  mit  dem  Prä- 
scnscharakter  rT  und  mit  activen  Personalendungen,  aber  mit 
passiver  Bedeutung,  habe  ich  stets  als  wirkliche  Passiva  aufge- 
iasst.    Und  dass  ich  Recht  hatte,  dafür  mögen  folgende  Formen 

den  Beweis  abgeben:    V[f^piR\  4,  42,  45.     f^^rft  =  f^pWOTT 

4,6,24.  ^^17rft  =  ^5TPlIi!HT4,62,7.  WUH:  =  MlrüMHW 
4,  4  4,  44.  46.  Hierher  könnte  man  versudiit  sein  auch  ^^^^^ 
3,  49,29  zu  ziehen:  aber  der  Optativ  ist  hier  gar  nicht  amPlaU. 
Die  richtige  Lesart  H^sT^  bat  die  beng.  Recension  3,  55, 4^ 

§790,c.  ^^  2,  34,  60.  Damit  zu  vergleichen  ist 
fspl^rT:  Mahübh.  8,  20,  47  in  allen  drei  Ausgaben,  die  mir  zu 
Gebole  stehen. 

§  794,  e.    jyjtlMrJ:  statt  ^T^:  3,  3,  20. 

§  797,  a.  Die  Perfeciformen  auf  S[  sind  überaus  beliebt, 
offenbar  des  Metrums  wegen.    Ich  habe  mir  die  folgenden  (mit 

Weglassung  der  Präpositionen)   verzeichnet:    r|bhf^m   4,  4,2. 

^w{^  2,  65,  45.  rrmt  ^'  ^^1  ^'  8^'  6-  '^^  '^^^  22.  sr^ 


221     

2,  63,  16.    rlft'ä^ä.SIJ.  80,  3.  5.  9«,  34.  3,  54,  29.  4,26,1. 

45.  3.  9.  ^  \,  57,  U.  ^1^2,63,  16.  ^  2,  55,  U.  63, 
n.  4,  53,  3.  Hfs^2,  «03,  43.  R^2,  409,  H.  rpn^2, 106, 
35.  "^  2,  104,  32.  "^  1,  77,  14.  ^^  i,  65,  13.  66,  29. 
108,  13.  4,22,31.  5^*^«,  104,  21.   51?»^  2,  112,2. 

§  802  fgg.  Den  Gebrauch  des  Partie.  Ferf.  auf  ^  als 
Vcrbum  lin.  beschrüukt  Pänini  3,  %,  408  fg.  in  der  Umgangs- 
sprache auf  Formen  von  ^,  spf  .  m,  auf  3t|ft|5fR  uudi^HI^H. 

2,  62, 20  finden  wir fSR^M  ^^Wpj^H^und  2, 72, 52  q^RSmqf^sIH^ 

In  Jb<B<qtt1?Mg<H    (aber  nicht  als  Verbum  fin.)  2,  19,  35  haben 

wir  das  Partie,  ohne  Reduplication  und  zwar  mit  gegenwärti- 
ger, ja  eigeniiich  zukünftiger  Bedeutung,  und  gegen  alte  Ge- 
wohnheit in  Composition  mit  seinem  Object.  l(f^a|i(||ti|G|MijM 
Hlfi(fyM!iliWc(H  .     Der  Comro.   erklärt  das  Comp,  durch  5rft??} 

§829.   Bierher:  5PM  4,  22,  6.    34,  47.    48,  44.   34.   63, 

3,  2,  3,  34.  47,  24.  63,  2^.  74,  4.  8.  40.  72,  29.  402,  6.  3, 
29,  26:   gjnil^4,  46,  8.   qjj;  2,  94,  43  fgg.  5g^J,  4,  24.  22. 

24,22.  29,21.  62,26,  75,22.  2,25,35.  3,74,  7.  W[^und  3jFr^ 

(miiqr)  4,  22,  42.  24,3.  26.  35,  45.  68,  47.  70,^42.  74 1^3^ 
7.  2,  3,  5.  25,  48.  63,  25.  50.  65,  40.  73,29.  34.  34.  75,3. 
24.   76,  46.    78,  5.   85,  9.    400,  4.    408,  2.    3,  25,  45.    69,  25. 

4,  8,  44.  42,  47.   46,  29.   33,  39.    57,  6.  66,  9.  47.   ^  2,  34, 

46.  86,  5.  4,  25,  45.   ^3fq  2,  23,  29.    ^^  2,  25,  4  9.  "^ 

§  846.   Hioi-her:  «flFR^^u.  s.  w.    4,  4,  44.  84.  2,  45.  23, 

49.  29,  49.  30,  26.  33,  44.  34,22.  37,4.  39,23.  44,25. 
45,  44.  50,  4.  60,  44.  63,  8.  24.  70,  45.  73,  8.  2,  6,  4.  43, 
45.  30,  49.  36,  40.  44,  44.  42,  9.  47,  45.  52,  92.  404.  54, 
9.  45.  36.  59,33.  62,3.  64,36.  77.  74,  44.  405,2.  448, 
34.  3,  7,  22.  47,  2.  34,  36.  63,  20.  4,  4,  424.  34,  34.  37,  22. 
■^:  4,  46,  20.    ig7^ri;^und  3Er^:  2,  36,  44.   46.    '5r5^2,  64, 

47.  «RlrFT^und  35liN:  2,  7,  36.  49,  24.  90,  46.  ^51^2,  44, 
44.  64,  20?  99,  39.  ^:  4,  44,  47.  70,  35.  2,  24,  48.\  56, 
b,  42.   4,  4,  445. 


222      

§856.  Hierher:  ?|#!5Irr^2,  HO,  30.  JT^:  2,  58,23, 
^imm  t,  55,  18.  ^^       ^ 

§878.  Hierher:  «=hl«flfH^,  m^fh^,  ^iTsff:  2,  10,  3S,  «i, 
44.  22,  29.  40,  5.  64,  52.  75,  27.  46.  87,  i9.  VRJ^\,i%. 
54.  2,69,8.  ^I5fir^2,  75,  29.  36.  ^:  1,59,2.  64,6.  ^: 
(§890)  <,  55,  25.  3,  52,  34.  ^:  2,  10,  32.  mirRi:  2,  89,  5. 
g5n«I^2,  40,  47.  63,  22.  «ntrEft?T^2,  107,  3.  Fmt:  2,  42,  6. 
Med.:  ^:  <,  49,  19.  2,  9,  27.  34,  51  (qi  wmST  fW:  w 
lesen).   52,  45.  3,  38,  32.  55,  23.  61,  18.  69,  42  (SKSTf  statt  qai 

zu  lesen).   72,  15.  4,  10,  9^  15,  24.   lfm:  2,  35,  s!  4,  II,  38. 
§898.    Hierher:  ?ro^)?^1,  1,  83.     qiTff^lin   3,  74,  U. 

5nnf^HnT^«,72,27.   mtfi:  4,2,15.  2,  12,  77.  q^:  1,7i,ti. 
5ftft:  2,35,25.  ^tftjj:  2,  68,  8.  W^i  4,12,36.  I^ftw:  2,2o,2r 
§944.  Hierher  nur  ^mfifT  2,  87,  4  6. 

'S 

§  925.    Ich  habe  mir  nur  ^UIHM  notirt. 

§935,  d.  Die  falschen  Formen  JRftenf^  und  J|«^1&ij  s(«U  a 
2,  34,  29.  72,  13.  33.  98,  9.  3,  43,  47.'^^  i^iH^\\i<-  ,U    f    ' 

§  938.   Auf  die  Imperativformen  Fut.  ^fRrar[  ,  HpmiOT 
und  HHlcJ^Uyij^haben  Lassen  (De  Penlap.  S.  88),   Schlegel  (zu 
Bliag.  3,  10)  und  Bopp  [Gr.  1845,  S.  244)  aufmerksam  gemachl. 
Eine  zweite  Stelle  für  >lfifqiin^hal  Holtzmann  a.  a.  O.  nachge- 
wiesen. Betrachten  wir  uns  die  Stellen,  in  denen  diese  Formen 
vorkommen,  genauer.  Mahäbh.  1,  IUI  (=  1,  17,  13  ed.  Boiuk 
und  Vardh.):  qH^^itf  ^  «^rfUMHMH  rTrT : .  Hier  ist  das  Futurum, 
nicht  der  Imp.  am  Platz.  Wenn  der  Comm.  c|fFTOJT  durch  ^fCRJOT 
erkli*rt,  so  kann  dieses  nur  ein  Fehler  der  Ausg.  sein,  da  die 
klassische  Sprache  eine  solche  Form  nicht  kennt.    Die  zweite 
Stelle  MM.  3, 14393  fg.  (=3,  228,  7  fg.  ed.  Bomb.,  227,7fg.  ed. 
Vardh.)  lautet:  öfjTfm  73^:  | 


r  'S 


223     

Hier  sind  Futur,  und  Imperat.  gleichberechtigt.  In  den  beiden 
Uhrigen  Stellen  Bhag.  3, 10  und  Räm.  ed.  Bomb.  1,  27,  27  (ed. 
Schi.  1,  29,  25)  erwartet  man  einen  Imperativ,  kein  Futurum; 
es  ist  jedoch  zu  beachten ,  dass  auch  das  Fut.  nicht  selten  die 
Function  eines  Imper.  hat.  Nun  fragt  es  sich,  ob  das  Epos  wirk- 
lich ein  Imper.  Fut.  entwickelt  hat  und  einen  solchen  zu  ent- 
wickeln dasBedttrfniss  fühlen  konnte.  Haben  wir  nicht  hier,  eben 
so  wie  sonst,  nur  eine  Verwechselung  der  primären  und  secundü- 
rcii  Fersonaleudungen  anzunehmen?  Vgl.  zu  §  546. 548  fg.  Ich  wäre 
geneigt,  mich  für  das  Letztere  zu  entscheiden,  da  das  Epos  die 
schon  vorhandenen  Formen  bunt  durch  einander  mengt  und  mit 
ihnen  nach  der  grössten  WillkUhr  verfahrt.  Stutzig  könnte  uns 
nur  machen,  dass  wir  Räm.  3, 56, 20  SQgar  einen  Optativ  Fut.  an- 

treflen :  ^TH  HT  rlUlH'c^Wl  Sfj^  li^Wf  HÄ«t»H.  Comm. :  ^TfOH  ^^^üiF[^ 

Man  hätte  t|'^llH  erwartet,  aber  wie  sollte  dieses  aus  jenem  ent- 
standen sein  */ 

§968.    105^1161.    Fehlerhaft  Jl^fjq^a,  44,  44.  4,7,8.0^^ 


"^ 


nt 


4  8,    25;    richtig   U^IrjH^  3,    55,    24.     Von  ^,    ^    ken 
Whitney  in  seinem  Wurzelverzeichniss  nur  ^fTpJT  ;    ^M'4if^fiH 
finde  ich  4,  54,   11.   i^Mli4r|H  2,  106,  5  ist  vom  Prüsensslamme 
gebildcl.  ^lfel5iT^2,30,10,  !5rfa^fefgq3,  24,  13  und  ^o|Hlf|rlH^ 
4,56,21  haben  sich  nach  den  Participien  ^rfelrT,  !Hf?Rif3fT  und 
*4c|H  lf{H  gerichtet. 

§  990.  1019.  1051.  1094.  Für  den  Absolutiv  auf  m  und 
7?  habe  ich  folgende  unregel massige  Formen  zu  verzeichnen : 
:5^  1,  27,  1.  48,  9.  2,  15,  1.  52,84.  JFST  3,  69,  5.   1^1,29, 

25.  43,  6.  49,  6.  75,  2.  2,  3,  34.  36,  25.  84,  10.  3^  26,  19, 
51,  21.  27^  54,  C  68,  13.  69,  32.  74,  1^  4,  44,  15.  51,  15. 
52^  14.   g^2,  75,  17.   r?Hri,88,  11.  3,59,3.  26.  4,1,  124. 

5^  1,30,  19.  48,  11.  76,  22.    '^  2,  97,  12.    «I^  4,  30,  14. 

irkr  2,  39,  10.    WIQI  2,  14,  22.    4,  25,  52.  —  qrlFTCT  4,  67, 

16.    5[FT|T  1,  72,  20.    74,  1.  2.    3rFfftr(^  3,  43,  43.  NhI^MI 

3,  30,  is!   fimfüfer  4,  63,  2.   Mqc||cj.tMHI  4,  28,  39.     yi|lMpWI 

1,  67,    17.     MlMimfM(^T    2,    89,   22.     3r^lMp^(MI    2,    72,   23. 

Pl4r^(i4di  4,  30,  22.    R^f^FHI  3,  1,  18.    4,  39,  43.    WwP^^MI 

2,  89,  22.  4,  39,  44.      Mr^HINiMfill  4,  30,  57.    ^l^#mT  3,  32, 


/Wa<'1 


224     

25.  ^IdNiMHI  3,  40,  <8.  42,8.  ^TFrfq^  4,  58,  35.  |^«dp4P<l 
<,  S,  H.  23.  <2,  22.  2,  19,34.  4,38,2.  wfferflim  2,  H5,  18. 
fl^FHw  1,  <6,  24.  MfMTiiMF^I  <,54,  5.  if^iw  4,  57.  33. 
M^WiiMI  1,  n,  27.   73,  10  (M^^rU   <,  13,  41.    18,  5.    24,  1). 

m{4\d( I  2 ,  68,  33.  ^miftoT  4,  30,  24.  —  Von  Wm  lauleC 
der  Absolutiv  3g^^?JTPT  2,  8,  1. 

§  994.  Gegen  Whitney  ist  zu  bemerken,  dass  der  Absolu- 
tiv wohl  gewöhnlich  auf  das  grammatische  Subject  zu  beziehen 
ist,  aber  nur  in  dem  Falle,  wenn  dieses  Subject  als  wirklich 
handelnd  erscheint.  In  jedem  andern  Falle  ist  er  mit  dem  logi- 
schen Subject  zu  verbinden  oder  mit  der  Person ,  die  bei  einer 
Handlung  oder  Erscheinung  der  eigentlich  Handelnde  ist.    In 

dem  Beispiele  rlrT:  5r^I^?im  H  g^NUI  ^tTJ  muss  also  der  Ab- 
solutiv mit  0/4  i^m  verbunden  werden ,  in  fsR  sf  ^T  fUlf^^  °f»^ 
mit  q,  in  yf^rU  ^n^  HNt||M  MrticiH  mit  dem  zu  337^  und 
^rtH  zu  ergänzenden  unbestimmten  Subjecte  »man«.  Demnach 
müssen  wir  an  H(^  in  dem  Cloka  2,  1H,  7  gerechten  Anstoss 

nehmen :  (^nifelTF  ^|c|^UI)  WPFd  MWHI  ^  Hül^VU  HHir*ilrllH  I 
!?!ilWHIMI^idI  sidirniMcl  R^^RFf  \\  DcrComm.:?iq?lT?IT^RTi|fif- 
Fra  H^  HrHdy  Wi  yiUJ.  Wahrscheinlich  ist  HcIT  zu  lesen.  Sehr 

CS.  CN 

auffallend  ist  der  Absolutiv  in  m?IVIIr'«4IM  Pß  5!^  2,  89,  2,  wo 

wir  den  Imperativ  erwartet  hiUten,  den  wir  in  der  Schlcgel- 
schen  Ausgabe  auch  wirklich  antreffen. 

§  995.   Nur  3M^HM^3,  7,  22. 

§  1020.     t4siiM(i    2,    50,    50    nach   dem    Comm.    so    v.  a. 

§  1043.    Cnregolmüssig  sind  die  Participia  3^t^TTH  (!)  3, 
75,  29.    ^IHMH  2,  100,  28.     MrlMH   1,  8,  2.   2,  64,  5S.    118, 

38.  3,55,2.    (RirlMHH   1,18,38).   e^PT^TR  3,44,5.    NMrIHH 

2,83,  26  und  ^4cj>HH  2, 65, 15  sind  falsche  Formen  für  t^if^rlMH 

und  H^cJiMH,  wie  ed.  Schi.  hat. 

§  1081.   Die  Präposition  vom  Vcrbum  getrennt  in:  !^|M'^q| 

^:  5f^| dlijM  ^  slJfr  1,  ?,  29. 


225     

§  1087,  c.  bUMdIMH  2,  78,  <3. 

§  4098,  a.  5F?JrTH^=  «RFCT  in  ^^  ^Wl^ll^H  r!^  H^ 
HHJH:  1,  19,2. 

§  1150,  1  ,  c.    MfHfci^H  vom  Präsensstamme  2,  107,  9. 

yPiM^H   Schi. 

§  4237.  Suffix  m  zum  Überfluss  an  eio  Nonien  abstr.  ge- 
fügt in  Jb4HUMr1l2,  24,  35.  94,  17  und  5«h^dl  {^Ric^^rTT  gedr.) 

4,  60,  18.' 

In  Whitney^s  Wurzel-  und  Verbalformen  können  nachge- 
tragen werden :  Mlt^mtH  4,  54,  16  bei  y  ^TO^,  Pl^l^U  2, 52, 44 
(HSFir  häufiger)  bei  }/  3.  5FR^,  bU^M*i^4,  55,  19  bei  y  1.  HT- 
Anderes  ist  schon  früher  besprochen  worden. 

Nun  mögen  noch  einige  eigenthümliche  Erscheinungen,  die 
ich  bei  Whitney  nicht  unterzubringen  vermag,  hier  in  aller 
Kürze  erwähnt  werden. 

S|^l<jjir1  2,52, 47  wohl  fehlerhaft  für  y^?rUfH  oder  ysf^^ ; 
f^J?mftr  3,  68,  27  sicher  verschrieben  für  f^^^nl^. 

cll^HM^Ü  2,  47,  12  von  Mehreren  gesagt;  m^^  ed. Schi. 

^m^  1,  18,  42  statt  des  Patron.  ^^=^R?. 
Auffallende  Neutra:  VP\m^  '\{\*\\^Jt,  48,  15.  «T^^TRs^T^rftf 
4,  50,  35.  51,  5.  19.  oqjrfH  4,  35,  13.^ 

Verstösse  gegen  die  Congruenz:    I5^^ri|4  ^^^^2,  20,  44 

(^^Tf^ft  Schi.  42),  Bm:)  tHUIMMi^lliiim:  2,  39,  22  (5TORT- 
3nfe^1^rn:  ed.  Schi.),  TO  Rq^^TTrW:  1  ,  65,  29  (fiw^^: 
ed.  Schi.  27),  g^  HrRJrT  2,  25,  25  (ed.  Schi.  23  richtig  ^^), 

^n?TH  —  WT  4,   4,   34   fg.  (ed.   Schi.   30  richtig  ^l^rT  ), 

^  T^  MPlUll^d  ßR^^  HHMIilrTl  1,  31,  4  (nach  dem  Comm.  ist 
^  Parikel;  ich  glaube,  dass  ^  =  FJf:  hier  ungenau  für  F^  = 
T^:  steht),  iliH^Jgj  3,  73,  6.  11,  H5lfiTO«F  44  und  ^  4, 
3,  28,  PI.  statt  Du.  «hlH^^i  gq^^T  fty^T  ^  ^gf^Ti^lrT  2, 
1(),  13  Sg.  statt  Du. 

WWW\  Adj.  2,  72,  20  =  S^lMilM,  wie  die  v.  1.  hat.  RrO^ 
=  ^Tna^  (so  ed.  Schi.)  2,  56,  9.  103,  43  B^  melrisoh  falsch). 
mi  in^er  Bedeutung  Ruder  2,  52,81 ;  vgl.  Cat.  Br.  4,  2,  5,  10, 


226     

Zum  Schliiss  gedenke  ich  noch  zwei  Stellen  ausführlicher 
zu  besprechen.    4,  42,  20  lesen  wir: 

Hierzu  der  Comm. :  ^T^TF^itjT  ^  sHcTHT  ^R  Hrllrf^MI  i  'WT  ^: 
5^HWMl<HJ^[lfTrt^  ^ig^^Wqi^  |  ^  rqr  q^  fepfNl  ^Tf 

7^  ^  ^  Ql7t  >SFg  I  ^ITfTt  »I  f?i^  rjrfrt  c*|W{  m^  ^rU^:  I  ^ 

^^M^IM^lf|HI  HJfl^^fü  4ßlHrm^;  il   In  SchlegePs  Ausg.  4,  43, 

24  lautet  der  erste  PAda:  ^  tf  Tftrirff^;  im  Übrigen  vollkom- 
mene Obereinstimmung.   Dem  Comm.  hat,  wie  ich  glaube,  die 

Lesart  ^  (oder  rpi)  ^  ^  UHr9  vorgelegen.    ^f!r&  fasst  er 

einmal  als  Nomin.  (!)  und  als  Subject  von  ^m,  das  zweite  Mai 
als  Dativ ,  den  er  mit  dem  Folgenden  verbindet.  Es  ist  selbst- 
verständlich nur  von  einem  Wunsch  die  Rede,  und  ^:  ^:  be- 
deutet nicht  »der  andere,  zweite  Wunscha,  sondei*n  »der  grössle, 
sehnlichste  Wunscha.  in  der  beng.  Rec.  4 ,  44  ,  18,  die  einen 
ganz  anderen  Wortlaut  hat,  wird  nur  darum  gebeten ,  dass  die 
Nachkommenschaft  nicht  erlöschen  möge.  Statt  ^l^  wird  dort 
Vim^:  gelesen,  was  dem  Sinne  nach  auf  dasselbe  hinausläuft. 

In  ^  i|Mc^  ^Hrtl  brauchen  wir  nur  einen  Änusv^ra  über  das 
^  zu  setzen,  um  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ältere  und 

vollkommen  befriedigende  Lesart"^  tfj^  ^  ÖHr?)  »ich  bitte 
um  Nachkommenschaft  tt  herzustellen. 

4,  43,  6S1  lautet: 

fTcT:  mm:  Trf%fTT:  ^^^^1  HMlKlHi:  M4iJutMH)|H:  i 

^f|^dS||c|rylHSlllrl5ll5HI:  M«J.fyqi  ^TU^:  U^WU  M 

Diese  Worte  richtet  Sugrlva  an  die  Affen,  nachdem  er  sie  ange- 
trieben hatte.  Alles  aufzubieten  um  die  von  Rävana  geraubte 
Sltd  zu   entdecken.    Schwierigkeit  macht  nur  das  eine  Wort 

^aOTT:.     Der  Comm.    erklärt;    ^;    yiiuil^rfw^  ^  HrraTf:  I 

mfuiPt  ^tHtioiH  ^rU^i  I    Gegen   diese  Erklärung    ist   zunächst 

einzuwenden,  dass  HHU|I:  nur  ^JrHR  (oderHrf)  ^i^m^ti  ^  sein 


C^v         ^  CV  €\ 


227 


kann,  nie  und  nimmer  aber  H^y^H  ?•  Aber  auch  der  auf  diese 

Weise  gewonnene  Sinn   kann   uns  nicht  befriedigen,    in  der 

beng.  Rec.  lauten  c,  d:    MSjiUlfI  iSi^H^  ^aPFIT:  ll^ftmi  HrW^ 

^((^^  H  So  wird  der  Knoten  wohl  zerhauen ,  aber  nicht  ge- 
löst.  HfT^  bedeutet  an  unserer  Stelle  nach  meinem  Dafürhalten 

lodas  Vergangene  im  Gedjichtniss  bewahrendu.  Sugrlva  will  da- 
mit sagen,  dass  die  Affen  nach  vollbrachtem  Werke  den  Ihrigen 
ihre  Erlebnisse  würden  erzählen  können. 


Derselbe  übergab  Bemerkungen  zu  der  im  Jndian  AnÜquaryy 
1887,  S.  63  fgg.  von  F.  KieUiorn  herausgegebenen  und  übersetzten 
Inschrift, 

Ich  bewundere  die  guten  Augen,  die  ausserordentliche  Ge- 
duld und  den  grossen  Scharfsinn  Aller,  die  aus  einem  mehr  oder 
weniger  gelungenen  Abklatsch  einer  indischen  Inschrift  diese 
uns  in  einer  leserlichen  Form  vorftihren,  und  bedaure  nur,  dass 
bisweilen  der  Inhalt  einer  solchen  Inschrift  der  auf  die  Entzif- 
ferung verwandten  Mühe  und  Arbeit  nicht  in  vollem  Maasso  ent- 
spricht. So  verhält  es  sich  z.  h.  mit  der  hier  zu  besprechen- 
den, aus  14  Versen  bestehenden  undatirten  Inschrift,  die  von 
Muräri,  einem  des  Sanskrits  vollkommen  kundigen  Brahmanen 
zur  Verherrlichung  eines  Fürsten  Jakshapclila  verfasst  wurde.  Die 
Restitution  einiger  fehlender  Silben  und  die  Obersetzung  sind 
über  alles  Lob  erhaben.  Nur  an  einigen  wenigen  Stellen  kann 
ich  Kielhorn  nicht  beistimmen,  eben  so  wenig  er  mir.  Wer  von 
uns  Recht  hat^  oder  ob  wir  Beide  Unrecht  haben,  mögen  Andere 
entscheiden. 

Vers  6  lautet : 

MfUiw^dH  »TO^  «RtTT  W^- 

Kielhorn  ttberseUl:  >0n  the  orfo  of  the  regions  and  intermediate 


228     

rcgions,  long  rendered  white  by  bis  bright  fame,  spreading  all 
around,  the  nioon,  by  day  and  by  night,  places  in  abundanceihe 
deer  that  forms  her  own  dark  spot,  in  order  to  make  [that 
Spot]  known  in  the  worlds.«  Dazu  die  Note :  »The  spot  in  the 
inoon  being  rendered  invisible  by  the  lustre  of  the  prince's  ferne, 
the  moon  !s  represented  as  placing  the  deer,  one  of  uhicb  forms 
that  spot,  on  the  earth,  in  order  that  her  spot  may  not  be  aito- 
gether  forgotten«.  Der  Mond  setzt  selbstverständlich,  wie  auch 
Kielhom  annimmt,  das  Reh  auf  die  £rde ;  in  der  Übersetzung 
aber  ist  es  «the  orb  of  the  regions  and  intermediate  regionsf,  wo 

der  Mond  dieses  Wunderwerk  geschehen  iässt.  Der  Loc.  ^öfT 
mit  dem  dazu  Gehörigen  muss  also  anders  aufgefasst  werden 
und  zwar  als  Loc.  absol.  Auch  glaube  ich,  dass  >ic^U|  nicht  »in 
abundance«,  sondern  »von  grosser,  colossaler  Gestalt«  bedeu- 
tet. Wenn  auch  das  Reh  an  und  fttr  sich  nicht  colossal  ist,  so 
ist  es  doch  colossal  im  Vergleich  zum  kaum  sichtbaren  Reh  im 
Monde.  Ich  übersetze  den  ganzen  Vers:  »Da  durch  seinen  (des 
Fürsten]  glänzenden,  nach  allen  Seiten  sich  verbreitenden  Ruhm 
das  ganze  Weltall  seit  lange  blendend  weiss  geworden  ist,  so 
setzt  der  Mond  sein  Zeichen,  das  Reh,  um  es  bei  den  Menschen 
bekannt  zu  machen,  Tag  und  Nacht  in  grosser  Gestalt  hin.« 

Der  dritte  P^da  des  8.  Verses  beginnt  mit  den  Worten 

rTH^Rm  «fii^M^l^a  NsfiwTfT,  was  Kielhom  durch  »when,  under 

the  sway  of  the  Kali-age,  sacrifices  had  ceased  to  be  offered« 
wiedergibt.  Muräri  hat  doch  wohl  ohne  allen  Zweifel  sagen 
wollen:  »beim  Anbruch  des  Kalijuga,  in  welchem  Zeitalter  die 
Opfer  verschwanden«.    Konnte  dieses  aber  wohl  einfacher  als 

durch  ^H^RrlT:  ^if^T^XIHT  1^°  ausgedrückt  werden"?  Wie  sollle 
Muräri  auf  die  andere  gezwungene  und  seinen  Gedanken  nicht 
einmal  wiedergebende  Ausdrucks  weise  verfallen  sein?  Es  wird 
ja  nicht  der  Anfang,  sondern  das  ganze  Kalijuga,  als  dHchcj  ge- 
dacht.    Wir  finden  in  der  Inschrift  auch  h\\kH    statt  ^[^ , 

^m:^:  statt  WH:,  5r#RfT  statt  cRfer,  Tf^  statt  W^  u.s.w. 

Wie  wir  diese  orthographischen  Versehen  nicht  dem  Autor,  son- 
dern dem  Steinmetzen  zuschreiben,  so  werden  wir  wohl  auch 

für  dHshH)  nur  diesen  verantwortlich  machen  dürfen.    Wissen 

wir  doch,  dass  auch  in  griechischen  und  lateinischen  Inschriften 


229     

ähnliche  Versehen  von  Steinmetzen  und  Graveuren  keine  Sel- 
tenheiten sind. 

Der  9.  Vers  berichtet  uns,  dass  der  Liebesgott  alle  seine 
Macht  und  sein  Ansehen  verloren  halle,  und  dass  der  Schöpfer 
beschloss  Jakshap^la  zu  der  Würde  dieses  Gottes  zu  erheben. 
In  der  ersten  Hülfte  werden  die  Gebrechen  des  altgewordenen 
Gottes  aufgezählt  und  zwar  mit  folgenden  Worten : 

[wii]  ^H^HMi  ^{^^^^  Prarar  hüft: 


Kielhorn  übersetzt :  Dconsidering  (dieses  entspricht  dem  folgen- 
den ^f?f)  Ihat  the  god  of  iove ,  scorched  (and)  deprived  of  his 
body,  {had  to  dwell)  within  otherS;  —  that  he  had  been  con- 
quered  by  every  beggar  even,  —  that  his  strength  cousisted  in 
feehle  woman,  —  and  Ihat  he  never  was  long  steady«.  Zu  dem 
eingeklammerten  Worte  wird  bemerkt:  »I  am  very  doublful 
ahout  the  two  aksharas  put  in  brackets;  the  wriling  on  the 
stone  appears  to  be  quite  piain,  yet  I  can  make  out,  with  cer- 
tainty,  only  that  the  upper  portion  of  the  second  akshara  is  %. 
Der  Liebesgott  wurde  allerdings  von  Civa  verbrannt,  warum  er 
jiber  als  solcher  und  in  Folge  dieser  Verbrennung  körperlos  in 
Andern  seinen  Wohnsitz  aufgeschlagen  haben  soll,  ist  mir  nicht 
recht  verständlich.  Auch  ist  dieses  noch  gerade  kein  Zeichen 
seiner  Schwäche ;  überdies  ist  die  Übersetzung  mit  der  Ergän* 
zung  »had  to  dvelU  gar  zu  gewaltsam.  Man  erwartet  doch,  dass 
der  Instr.  M^^-HMI  den  Grund  angebe ,  weshalb  der  Liebesgott 

^7^1  Andern  gegenüber«  dieses  oder  jenes  sei.    Ich  vermuthe 

T]"^.  Der  Liebesgott  ist  seinen  Feinden  gegenüber  frech  wegen 

seiner  Körperlosigkeit  (die  ihn  vor  jeglichem  Gegenhiebe  schützt). 
Den  verschiedenen  Mängeln  des  alten  Liebesgottes  entsprechen 
in  der  zweiten  Hälfte  die  Vorzüge  des  neuen :    der  t^-i^-ri?  — 

^RrarPMrT  ,  dem  q^:  ^N  und  f^RTRöH  Plßfk:  MNUIlfM  (was  für 
einen  Mangel  gilt)  —  SfrlT  I^MIH  ,  dem  ^R^TT^FT:  —  J^ft^ni- 
^MdH:  und  schliesslich  dem  Jbjf^^^^lMl  —  traft  mi  ^. 

Vers  41  lautet: 


230     

Kielhorn  übersetzt :  »Since  the  Lord  of  Fortune,  well  pleased  by 
(his)  unswerving  devotion,  had  been  entered  fond  of  {dwel- 
ling  within)  the  small  hut  of  the  lotus  of  his  heart,  Fortune, 
—  (ever)  growing  with  the  virtuous  {prince  who  was)  worthy 
of  her,  though  she  was  day  by  day  bestowed  (6^  him)  on 
supplicants,  —  playfuily  resorted  with  eagerness  to  him, 
knowing   him   to   be   the   dear  habitation  of  her  own   lord.« 

McUi^^lf|uD(c|{rll  (die  Elision  des  5J  ist  wie  gewöhnlich  im  Ori- 
ginal und  bei  Kielhorn  nicht  bezeichnet]  Hf^:  soll  nach  Kiel- 
horn =  Jb<QUfHt<li(Uli  Hf?rr:  sein,  was  Bhagavadgttik  13,  40  er- 
scheint. 5Iö?jftTnf^T!fh^  kann  nach  meinem  Dafürhalten  nur 
»die  unwandelbare  Hingebung  einer  Frau«  bedeuten,  und 
Jj^  »seine  Freude  habend«  doch  nur  von  Personen  gesagt  wer- 
den.   Ich  bestreite  also  die  Richtigkeit  der  Gleichsetzung  von 

Mc>jiHr4lf(ufl(^|cll    mit  yoyfH^ll^ufi.     Ferner  nehme  ich  sehr 

grossen  Anstoss  daran,   dass  m(9hli^rlH  am  Ende  des  ersten 

Halbverses  mit  dem  am  Ende  des  2.   Ualbverses  stehenden 

flfinn:  construirt  wird,  um  so  mehr,  als  dieses  schon  mitöBPW 

verbunden  ist.  Ich  glaube,  dass  jegliche  Schwierigkeit  gehoben 
und  eine  Pointe  gewonnen  wird ,  wenn  wir  ^rfWT  als  Personf- 

fication  und  M^cfHÜHH^als  neutr.  impers.  (die  Stelle  des  Verbi  fin. 

vertretend)  fassen,  ich  übersetze  demnach:  «Nachdem  der  Gatte 
der  Crt  (Vishnu)  hocherfreut  die  kleine  Hütte  seines  (des  Fürsten) 
Herzlotuses  bezogen  hatte ,  scherzte  die  an  der  Untreue  einer 
Frau  (oqf^Tuf^uDeci)  ihre  Freude  habende  fihakti  darüber,  dass 
die  GrI ,  obgleich  sie  Tag  für  Tag  an  Arme  vergel>en  wurde,  in 
der  reinen,  ihrer  würdigen  Person,  von  Neuem  erstand  und  sich 
gern  an  ihn  (den  Fürsten)  schloss ,  weil  er  die  liebe  Wohnunp 
ihres  Gatten  war.«  Die  Bhakti,  die  personißcirte  auf  Glauben 
beruhende  Liebe  zu  Gott,  hiltte  es  gern  gesehen,  wenn  sie  im 
Herzen  des  frommen  Fürsten  allein  geherrscht  hatte,  musste  es 


231     

aber  erfahren^  dass  Crt,  die  Göttin  des  Reichthums,  trotz  aller 
Geringachtung  von  seiner  Seite  ihm  treu  blieb. 

Zum  Schluss  bemerke  ich ,  dass  die  Vers  5  beginnenden, 
auf  den  Fürsten  zu  beziehenden  Relativpronomina  im  12.  Verse 
ihr  Correlat  H:  finden. 


Va  ria. 
4. 


Im  25.  Bde.  der  Zeilschrift  d.  D.  M.  G.  S.  605  fg.  erstattet 
W.  Pertsch  einen  Berieht  über  eine  Sammlung  indischer  Mün- 
zen. S.  607  finden  wir  auf  dem  Rv.  einer  Kupfermünze  die  In- 
schrift: 

(darunter  ein  Schwert) 

Die  Bedeutung  des  ^  ön^Tf^  ist  Pertsch  nicht  klar.  Gemeint  ist  3 
^jjLf3  ^«^i-^.  Dieses  wohl  aus  dem  Mongolischen  entlehnte  Beiwort 
tapferer  Fürsten  erscheint  im  Sanskrit  gewöhnlich  in  der  Form 
^n^TST-  ^^"^  ""^  ^^"^  vorkommende  —  5(7  —  ist  auf  dasselbe 
Wort  zurückzuführen.  Mit  dieser  meiner  Erklärung  ist  Pertsch 
einverstanden. 

2. 

Der  42.  Spruch  in  der  vortrefTlichen  Ausgabe  der  Subhdshi- 
lävali  von  Peter  Pelerson  undPanditDurgAprasäda  wnVd  auf  S.  623 

unter  denjenigen  Gloka  angeführt,  deren  HIrMMH  den  Heraus- 

gebern  ti^i^^n  sei.    Er  lautet : 

HMWlRH<j[HWHHM-MIUi¥lOHK^I- 

%  s^ifH-M[HrJ|MI^<M(HrlM^iyi^Jm  vT^Pf:  I 
yrU«UJfHHHI  ^Pn  ^  ^  ^  vPt  chH'^'JrMM : 

criH^  5^slMl^MH^uP^l^H  FHän-iit  5Tir^iri :  M 

in  den  Notes  finden  wir  für  y  die  v.  I.  "SlfUm:  und  fol- 
gende Übersetzung:  »Vour  tears  falling  on  my  Shoulder  have  re- 


232     

vealed  lo  me  that  in  sieep  you  have  met,  and  are  seeking  to  win 
forgiveness  of  your  real  heart's  queen  :  yet  you  ask  me  to  give 
you  some  assurance  of  love.  This  is  to  invert  our  parts.«  Der 
Sinn  ist:  »You  should  surely  give,  not  seek,  some  assurance  of 
the  kind  required.«   Ich  vermisse  in  ß  die  Angabe  der  Person, 

auf  die  ^nUrT:  zu  beziehen  ist,  und  nehme  an  ^Elf^  Anstoss.  Alles 
kommt  in  Ordnung,   wenn  wir  >rRP5nH:  statt  >rUJWpT:  leseo: 

HT  und  r:q"  konnten  leicht  mit  einander  verwechselt  werden. 
Ti^  m  ß  und  das  damit  in  Correlation  stehende  ^QrlTT  in  /  kom- 
men in  der  englischen  Übersetzung  gar  nicht  zur  Geltung. 
Meine  Übersetzung  lautet:  »Da  ich  aus  den  Thranen,  die  aus 
deinen  Augenwinkeln  hervorbrachen  und  auf  meine  Schulter  fie- 
len^ ersehen  habe,  dass  du  deine  (wahre)  Geliebte,  zu  deren  An- 
blick du  im  Traume  gelangt  warst,  auf  das  Angelegentlichste  zu 
versöhnen  suchtest,  so  muss  doch  wohl  ich,  o  Hari  (Rrshna),  dich 
trösten.  Welch  eine  verkehrte  Ordnung!  Diese  von  einem  Hir- 
tenmädchen gesprochenen,  Krshna  beschämenden  Worte,  mögen 
dich  behüten.«   Zu  yrUIUI  vgl.  2.  MrUIMH  2)  b). 

3. 
Unklar  ist  den  Herausgebern  auch  Spruch  431. 

Ich  glaube  übersetzen  zu  dürfen  :  »Was  zum  Munde  hinausführt 
ist  Eines;  was  aber  im  Herzen  sich  offenbart,  ist  ein  Anderes. 
Ein  solches  Verfahren  sieht  bei  schlechten  Menschen  oben  «^n 
und  tauscht  Unverständige  wie  eine  Luftspiegelung,  bei  der 
man  Wasser  zu  sehen  wähnt.«  s^rii^^,  nicht  f^rTT^,  bedeutet 
»täuschend«;  ich  vermuthe,  dass  man  V|rll('4i  in  dem  Glauhen, 
dass  Vi  nothwendig  Position  machen  müsse,  durch  Tcfcii^t»  ersetzt 
hat. 


Herr  RcUzel  sprach  über  die  geographische  Verbreitung  des 
Bogens  und  der  Pfeile  in  Afrika.    Mit  einer  Tafel. 

Wenige  Arbeiten  Oskar  Peschels  zeigen  so  schtfn  die 
Eigenihttmlichkeiten  eines  der  feinsten  Geister,  die  die  Ge« 
schichte  der  Geographie  zu  nennen  hat,  wie  der  Vortrag  »Ober 
den  Einfluss  der  Ortsbeschaffenheit  auf  einige  Arten  der  Be- 
waffnung«, welcher  am  S6.  März  4870  vorder  Geographischen 
Gesellschaft  zu  München  gehalten  wurde  ^).  Es  spiegeln  sich 
alle  Richtungen  der  vielseitigen  Geistesarbeit  dieses  Mannes  in 
der  geradezu  spannenden  Abhandlung.  Dieselbe  geht  von 
der  Bedeutung  der  Unterscheidung  bogentragender  und  bogen- 
loser  Völker  des  Stillen  Oceans  fttr  die  Entdeckungsgeschichte 
aus ,  um  den  Grund  des  Fehlens  dieser  Waffen  bei  einigen  von 
diesen  und  bei  Inselvölkem  Westindiens  in  dem  Mangel  grosser 
jagdbarer  Sfiugethiere,  bei  Hirtenvölkern  Afrikas  und  Acker- 
bauern Amerikas  aber  in  dem  Mangel  der  Obung  nachzuweisen, 
welche  gerade  der  Gebrauch  von  Bogen  und  Pfeil  in  besonders 
hohem  Grade  erheischt.  Aus  dem  engen  Zusammenhang  zwi- 
schen Bewaffnungsweise  und  Kulturstufe  schliesst  er,  dass  die 
Bewaffnung  dazu  dienen  könne,  das  Schicksal  von  Bevölke- 
rungen vorauszusagen;  »und  der  Bogen  und  Pfeil  des  Jägers 
erscheint  uns  in  diesem  Sinne  als  ein  Svmbol  fOr  das  sichere 
Erlöschen  einer  Menschenrassec. 

Indem  wir  in  diesem  Vortrage  die  Fülle  des  Wissens,  die 
Tiefe  erd-  und  völkerkundlicher  Einsicht,  welche  so  innig  ver- 
bunden bei  keinem  Geographen  der  Gegenwart  uns  entgegen- 
tritt, den  Gedankenreichthum  und  die  anziehende  und  ge- 
winnende Form  bewundern,  beklemmt  uns  vielleicht  ganz  leise 


1)  Veröffentlicht  im  »Ausland«  4870,  No.  49. 
4887.  46 


234     

das  Gefühl,  in  allzuraschem  Fluge  die  wechselnden  Gruppinin- 
gen  der  Thatsachen  an  uns  vorüberziehen  zu  sehen  und  am 
Schlüsse  fehlt  uns  zur  Befriedigung  wohl  nichts,  als  die  vollo 
Sicherheit ,  dass  die  Verbindungen  von  Ursachen  und  Wirkur- 
gen, welche  uns  aufgewiesen  wurden,  auch  ausserhalb  des 
hellen  Lichtes  dieser  Darlegungen  sich  alle  fest  begründet  er- 
weisen möchten.  Jedenfalls  nehmen  wir  die  Überzeugung  mit, 
dass  ein  hochwichtiges  Problem  hier  aufgerollt  ist  und  dass 
es  sich  verlohnt,  die  Verbreitung  des  Pfeiles  und  Bogens  über 
ein  grösseres  Gebiet  hin  und  genauer  zu  verfolgen,  als  Peschel 
vermc/bhte.  Dieser  Versuch  mag  gleiobzeitig  den  Nutzen  haben, 
zu  zeigen  ,  inwieweit  unsere  Kemitniss  ethnographischer  That- 
sachen seit  damals  sieb  vermehrt  «nd  vielleicht  auob  ver- 
tieft hat,  d.  h.  inwieweit  unsere  Kenatniss  der  geographischen 
Verbreitung  und  zugleich  auch  des  Wesens  und  Zusammen- 
hanges ethnographischer  Erscheinungen  fortgeschritten  ist.  Man 
ruft  heuAzutage  mit  vollem  Recht  nach  Sammlung  des  rasch 
binsohwiadenden  ethnographisohen  Materials,  aber  man  ver- 
gtsst,  dass  ohne  scharfe  Bestimmung  der  Herkunft  der  schein- 
bar kostbarste  Inhalt  unserer  ethnographischen  Museen  wissen- 
schaftlich nur  von  geringem  Werthe  ist*  Denn  wenn  diese 
Waffen  und  Gerdthe  niobt  von  ihrer  geographischen  Herkunft 
sprechen  können,  sind  sie  in  der  Regel  für  die  Wissenschaft 
überhaupt  stumm. 

In  Afrika  fiaden  wir  eine  Anzahl  von  Stämmen ,  welche 
Bogen  und  Pfeil  verschmähen,  so  dass  als  aligemein  afrika- 
nische Waffen  streng  genommen  nur  Speer  und  Messer  bexeicb- 
net  werden  können  und  mit  um  so  grösserem  Rechte,  als  Speere 
verschiedener  Stärke  und  Grösse  als  edlere  Waffen ,  selbst  als 
Werth-  und  Wtirdezeichen  auch  da  geschätzt  und  beaonder$ 
im  Kriege  vorgezogen  werden.,  wo  Bogen  und  Pfeile  als  wohl- 
bekannt gelten  können.  Dieses  Verhältniss,  das  seitens  der 
meisten  Ethnographen  kaum  die  nöüiige  Beachtung  gefunden 
hat,  entging  nicht  dem  Verfasser  der  besten  unter  den  kürzeren 
Darstellungen  afrikanischer  Völkerkunde,  Robert  Hartmann,  der 
in  seinen  »Völkern  Afrikasa  (1879,  S.  146)  den  Speer,  »die 
eigentliche  nationale  Hauptwaffe  des  Afrikaners«  nennt.  Es  sind 
zunächst  die  im  engeren  Sinn  ikls  KaSiern  bezeichneten  Völker, 
welche  SUdostafrika  zwischen  der  Kalnhari,  dem  unteren  Zain- 
besi  und  dem  Grossen  Fischfluss  bewohnen ,  die  auf  Bogen  und 


235 

Pfeil  versiohteD.  Die  eigeniHchen  Kaffern,  die  Zulu,  sowie 
die  Betschuanen,  bis  hinauf  zu  deren  nördlichsten  Ausläu- 
fern y  den  Makalaka  und  den  jetzt  im  Kampfe  mit  den  Marutse 
untergegangenen  Makololo,  führen  diese  Waffen  nicht,  sondern 
kömpfen  bloss  mit  Speer  und  Schild.  Als  Lichtenstein  nach 
Kurunian  kam,  fand  er  zwar  in  der  Htttte  des  Thronerben 
der  Batlapin-Betschuanen  einen  Buschmannbogen  nebst  yoUeni 
Köcher,  der  erbeutet  worden,  und  nun  dazu  bestimmt  war, 
ihren  Hirten  im  Kampfe  mit  den  sehr  bogenkundigen  Busch- 
männern eine  bessere  Waffe  zu  bieten,  als  die  mehr  fttr  offenen 
Angriff  bestimmten  Assagaien;  aber  die  sozusagen  officielle 
Kriegswaffe  blieben  diese  letzteren.  Wenn  also  seitdem  ge- 
legentlich von  den  Betschuanen  Bogen  und  Pfeil  benutzt  ward, 
so  geschah  es  doch  nur  seitens  untergeordneter  Elemente  des 
Volkes  oder  in  Nothwehr^). 

Für  ähnliche  Prozesse  der  Annahme  oder  auch  der  Ab- 
legung dieser  Waffen  liefern  auch  sonst  die  ostafrikanischen  Ge- 
biete, mit  ihren  ausserordentlichen  Verschiebungen  verschie- 
denster Völker  belehrende  Beispiele.  Ganze  Völker,  nicht  un- 
zutreffend vonMaples  als  Zuluaffen  bezeichnet,  legten  Bogen  und 
Pfeil  ab,  um  Speer  und  Schild  zu  ergreifen,  ihre  Verbreitung  vom 
Nyassa  und  der  Delagoa-Bai  bis  Usinsa  hat  wohl  zuerst  Speke  er- 
kannt^. Thomson  sagt,  dass  die  heute  zuluähnlichen  Mahenge 
ursprünglich  weder  Schild  noch  Speer  führten  und  den  be- 
nachbarten Stämmen  glichen,  bis  zu  ihnen  verschlagene  Ma- 
sita vom  Westen  des  Nyassa  sie  ihre  Kriegführung  und  Bewaff- 
nung lehrten.  Derselbe  Reisende  bat  uns  diesen  Prozess  aus 
der  Geschichte  der  Walungu  geschildert,  die  durch  den  aus  der 
Gefangenschaft  der  Watuta  zurückkehrenden  Häuptlingssohn 
Mululami  zur  Annahme  der  Waffen,  Tracht  und  Kriegssitten, 
sowie  des  Namens  der  Watuta  gezwungen  wurden.    Als  aber 

4)  Gustav  Fritscbs  grosses  Werk  über  die  Eingeborenen  Südafrikas 
(4  878),  das  hier  ein  für  allemal  als  wichtigste  Quelle  für  die  südafrika- 
nischen Vorkommnisse  genannt  sei ,  und  die  jüngste  grössere  Arbeit  über 
die  Betschuanen:  C.  R.  Conder,  The  present  condition  ofNative  tribcs 
in  Bechuana  Land  (Journ.  Anthr.  Inst.  XVI  S.  80)  zeigen,  dass  zwischen 
Lichtoflsteins  Beobachtungen  und  der  fast  allgemeinen  Verbreitung  des 
Schiessgewehres  bei  den  Betschuanen  die  Buschmannwaffe,  die  noch  heule 
bei  den  wesUichen  Nachbarn  der  Kalahari-Betscbuanen  in  Gebrauchi  kaum 
weitere  Verbreitung  gefunden  hatte« 

2}  Journal  of  the  Discovery  of  the  Sources  of  the  Nile  1 863,  S.  5. 

46* 


236     

dieser  Reformer  seines  Volkes  gestorben  war ,  kehrte  dies  zu 
seinen  friedlichen  Beschäftigungen  zurück  und  Thomson  er- 
zählt, wie  er  bei  seiner  Reise  durch  Ulungu  noch  in  jeder  Hütte 
den  Schild  aus  Ochsenhaut  wie  eine  Reliquie  aus  früherer  krie- 
gerischer Zeit  gefunden  habe.  Gerade  in  diesem  Gebiete  siebt 
man  vorzügliche  Bogen.  Höre  hebt  den  Bogen  der  Walungu 
und  Wafipa  am  Süd-  und  Südostufer  des  Tanganika  hervor,  da 
er  »zwei  Ellbogen  hat,  anstatt,  wie  gewöhnlich  ,  ein  Kreissec;- 
ment  zu  sein.  Er  ist  mit  Quasten  aus  schwarzem  Haar  ver- 
ziert«^). Giraud  scheint  der  Bogienlosigkeit  der  Zulu  zu  wider- 
sprechen, indem  er  mittheilt,  dass  gleich  den  Bewohnern  von 
Uhehö  und  Kond6  auch  die  Vuakinga  nur  Schild  und  Wurflanze 
tragen  und  hinzu  setzt:  Der  Bogen,  die  charakteristische  Waffe 
der  Zulu,  ist  nicht  bei  den  Vuakinga  zu  finden 2).  Aber  er 
hatte  eben  nur  die  Zulu-Affen  vor  sich. 

Die  Bewaffnung  und  Tracht  der  zuluUhnlichen  Völker  findet 
sich  bei  den  Galla,  Masai^  Dschagga,  Wakuafi,  Waka- 
wirondo,  Somali 3)  wieder,  die  denn  auch  alle  keine  Bogen-, 
sondern  vielmehr  Schild-  und  Speerträger  sind.  In  ihren  Ge- 
bieten sind  aber,  und  dies  verdient  Beachtung,  Bogen  und  Pfeil 
die  Waffen  der  unter  ihnen  wohnenden,  von  ihnen  unterworfe- 
nen und  als  tiefstehend  angesehenen  Stämme  (oder  Kasten) 
der  Midgu,  Wandorobo,  Ariangulo,  die  vielfach  den«  Negern 
näherstehen  als  ihren  hellfarbigeren  Herren ,  darum  doch  aber 
kaum  mit  Hildebrandt  als  »vielleicht  das  letzte  Überbleibset 
einer  afrikanischen  Urbevölkerung«  anzusehen  sind.  Guillain 
hat  das  Verhältniss  treffender  bezeichnet ,  wenn  er  sagt :  Der 
Speer  ist  dann  und  wann  bei  den  Beduinen  niederer  Classe 
durch  den  Bogen  ersetzt*).  Jene  Kriegerstämme  erklären  alle 
Fernwaffen  als  Waffen  der  Feiglinge  und  die  Somai  haben  sich 
eben  aus  diesem  Grunde  lange  Zeit  ablehnend  gegen  Schiess- 
waffen verhalten.     Bogen  und  Pfeil  überlassen  sie  jedoch  den 


4)  Proceedings  R.  Geogr.  Soc.  London  4  882.  S.  21. 

2)  Bull.  Soc.  Göogr.  Paris  4885,  S.  24  8. 

3)  Hildebrandt  in  derZ.  für  Ethnologie  4875,  S.  8  und  4  878.  $.  859  f. 
Fischer  in  den  Mitth.  d.  Geogr.  Gcsellschafl  zu  Hamburg.  4878/79.  S.  20 
und  4882/8S.  S.  67  und  249.  Johnston,  der  Kilimandscharo  4  886.  S.  463 
und  390.    Thomson,  durch  Masailand  4885.  S.  4  32,  378,  424. 

4)  nocumcnt.s  sur  Thist.,  la  göogr.  et  Ic  commerce  de  TAfrique  Orien- 
Uile.  Paris  s.a.  H.  S.  44  7. 


237     

Kindern  zum  Spielen.  Bei  den  Wapokomo  sind  Speer  und 
Bogen,  jener  als  Jagd-  dieser  als  Kriegswaffe  Üblich.  Wakamba 
und  Wäteita  gebrauchen  einen  Bogen ,  dessen  Form  an  den  Bogen 
der  Wanyamwesi  erinnert.  Der  Speer  ist  bei  beiden  selten  und 
dient  nur  hier  und  da  einem  Alten  als  Stütze  und  Zeichen  der 
Würde  1).  Wahrscheinlich  gehört  in  die  Gruppe  der  Bogenver- 
achter  auch  jenes  rinderzüchtende  Volk  der  Dschibbe,  südlich 
vom  oberen  Sobat,  von  dem  Junker  ausdrücklich  berichtet,  dass 
es  Bogen  und  Pfeil  nicht  benutze,  dessen  Frauen  indessen  nach 
Moru-rSitte  Pfropfen  (aus  Elfenbein?)  in  den  Lippen  tragen^}. 
Die.Wahuma,  jenes  von  Ugogo  bis  zum  Austritt  des  Nils 
aus  dein  Ukerewie  nomadisirende  und  staatengründende  Hirten- 
volk ,  sind  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  den  eben  genannten 
Gallavölkera  unmittelbar  anzuschliessen ,  haben  sich  jedoch 
enger  als  sie  mit  den  Negerstämmen  verbunden ,  welche  sie  zu 
mächtigen  Reichen  vereinigten  oder  unter  denen  sie  ihre  ver- 
göngliohen  Lager  aufschlugen.  In  der  That  werden  die  Speere 
auch  als  ihre  Hauptwaffe  bezeichnet  und  daneben  tragen  auch 
sie  den  Schild,  der  die  ovale  Form  des  Zulu-Galla-Masaischil* 
des  bewahrt ,  jedoch  in  dem  waldreichen  Lande  aus  Holz  be- 
steht ,  das  mit  dünnen  Zweigen  einer  Schlingpflanze  überspon- 
nen  ist^).  In  Grants  interessanter  Tabelle  der  ethnographischen 
Merkmale  der  Völker  zwischen  Usaramo  und  Nübien  findet  man 
unter  Bogen  und  Pfeil  bei  Wakoreh,  Wahia,  Waganda,  Wa- 
nyoro,  Wagani,  Madi,  Ghopeh,  Wakidi,  Wamara,  Shillook,  end- 
lich Bagara  Arabs  den  Vermerk  ]>Saw  none«  (vgl.  Journ.  Royal 
Geogr.  Soc.  London  4872,  S.  259)  mit  anderen  Worten:  Grant 
sah  keine  bogentragenden  Völker  nordwärts  von  der  Grenze 
von  Karagwe.  Wir  glauben ,  dass  dies  allerdings  richtig  ist, 
soweit  die  herrschenden  Völker,  also  z.  B.  in  Uganda  die  Wa- 
huma ,  in  Betracht  kommen.  Für  die  unteren  Schichten  trifft 
aber  die  Beobachtung  Grants  nicht  überall  zu.  Felkin  und  Wil- 
son sagen  deutlich :  ausser  den  Speeren  gebrauchen  die  Wa- 
huma  Bogen  und  Pfeile.  Die  ziemlich  grossen  Bogen  sind 
schwer  zu  biegen,  die  Pfeile  ungefähr  3  Fuss  lang,  oft  mit 
furchtbaren  Widerhaken  versehen  und  vergiftet.    Doch  können 


4)  Hildebrandt  in  Z.  f.  Ethnologie  4878.  S.  364. 
9)  Z.  d.  Ges.  f.  Erdkunde  4877.  S.  6. 

3}  S.  die  entsprechende  Äbbildang  eines  Wagand^  bei  Speke  a.  a.  0., 
S.  286.  . 


238     

die  Wafgandii  wegen  ihrer  ausserordenllich  steifen  Bogen  mit 
einem  Pfeil  auf  mehr  als  vierzig  Ellen  sieber  treffen.^)  Grant 
hat  a.a.O.  auch  einige  Bemerkungen  über  Grösse  und  Form 
der  Speere  gegeben ;  der  Kern  derselben  ist  die  Aufstellung, 
dass  die  Waganda  die  grössten  und  schwersten,  die  Watuta  die 
leichtesten  Speere  tragen. 

Unter  den  Negern  des  mittleren  Nilgebietes  sind  die 
Dinka  bogenlos  zu  nennen.  »Fremd  ist  ihnen  der  Gebrauch 
von  Bogen  und  Pfeilen ;  denn  was  einige  Reisende  für  Bogen  ge- 
halten haben;  sind  nur  Schutzwaffen  zum  Pariren  der  Keulen- 
schli)ge<r*^).  Wie  in  vielen  Dingen  sind  auch  in  diesen  die 
Schill uk  den  Dinka  ähnlich.  Beider  Speere  hat  A.  E.  Brehm 
in  seiner  ausführlichen  Schilderung  Charthums  und  seiner  Be- 
wohner 3)  beschrieben  und  hat  auch  auf  die  Art  des  Parierens 
mit  den  Schilden  hingewiesen.  Nur  liegt  die  Vermuthung  nahe, 
dass  er  Nuba  und  Für  mit  in  diese  Beschreibung  hereingezogen 
habe,  weil  er  im  Anschlnss  an  seine  Schilderung  der  Sobilluk 
und  Dinka ,  nachdem  er  vorher  Nuba  und  Für  berührt ,  von 
ihren  voi*trefflich  gearbeiteten  Bogen  und  Pfeilen  spricht.  Pon- 
cet hat  von  den  Nuer  eine  Schilderung  entworfen  4),  der  zu- 
folge ihre  Bewaffnung  die  gleiche  ist ,  wie  die  ihrer  nördlichen 
und  östlichen  Nachbarn.  Nur  lasst  er  sie  mit  den  Stöcken  sich 
schlagen  und  mit  den  Lanzen  parieren.  Er  fügt  hinzu:  »Sie 
ziehen  darum  die  grossen  Lanzen  mit  einem  als  Handschutz 
dienenden  verbreiterten  Griffstück  vor,  um  die  Stösse  ertragen 
zu  können,  die  sie  gerade  an  diese  Stellen  erhalten.  »Merkwür- 
digerweise waren  trotz  dieser  einfachen  Bewaffnung  die  Nuer 
einst  bei  den  Dinka  die  gefürch totsten  Feinde,  wie  sowohl  Pon- 
cet als  Schweinfurth  mittheilen.   Von  den  südlicher  wohnenden 

1)  Uganda  and  the  Egyptian  Sudan  4888,  1,  S.  153. 

2)  Schweinfurth,  Im  Herzen  Afrikas,  4874,1,  466.  Eine  dieser  SchuU- 
waffen  welche  Schweinfurth  abbildet ,  erinnert  stark  an  australische  Holz- 
Schilde,  die  andere  ist  so  ganz  wie  ein  Bogen  konstruiert,  dass  man  den 
Eindruck  gewinnt,  in  dieser  SchutzwaflTe  nur  eine  ihrem  Zweck  entfrem- 
dete Angriffswaffe  vor  sich  zu  haben. 

8)  Z.  f.  Allgemeine  Erdkunde  VI,  4  856,  S.  %M.  Auch  Harnier  bat  die 
langen  Schillukspeere  in  Geogr.  Mitth.  Ergänz.  Heft  II,  S.  4  27  genauer  be- 
schrieben. 

4)  Noticc  g6ogr.  et  dthnolog.  sur  la  region  du  Fleuva  Blanc  et  sur  ses 
habitants  Nouv.  Ann.  des  Voyages.  486S^  IV,  S.  44.  Den  Mangel  der  Bogen 
und  Pfeile  bei  den  Nuer  hebt  auch  Harnier  hervor.  A.  a»  0.,  S.  4  38, 


239     

Verwandten  der  Üinka  beoDtten  die  Bohr,  KHsoh,  Eliab  und 
Tuidseh  bcHsbstens  sielien weise  in  geringem  Masse  den  Bogen; 
ebenso  wie  die  den  Nner  verwiandten  Aldi.  Bezüglioh  det*  Kilsoh 
^pvldersprechen  sieh  die  Angaben  einigenoassen«  Poneel  gibt 
ibnen  Pfeiiei,  Harnier  sagt  Ton  den  Bohr:  »Ihre  Waffen  sind  wie 
bei  den  &itficb  Lanzenund  hölzerne  ILeuletKr  i)  und  Speke^)  biW- 
dei  nur  speer-  und  sohiMiragende  Kitsch  ab,  während  Buohta 
ihnen  wieder  Giftpfeile  zusokreibt^).  Da  dieser  Beobachler 
ihnen  indessen  zugleich  den  schmalen  Pariersohild  der  Dinks 
gibt  j  überwiegt  offenbar  der  Dinkaiypus,  wie  in  ihrem  Äussck 
ren  und  manchen  Gebräuchen,  auch  in  der  Be^waffnung.  Retnb 
Speertrjftger  sind  die-  in  diese  Verwandtschaft  gebörenden 
Agahr'^). 

Im  Lande  Lur^  das  von  den  Gnenssen  des  Giebietes  der 
Madi  sidi  in  unbekannte  Entfernung  südwärts  efstreokt,  sah 
Emiii  Pascha  an  einem  Punkte  am  Westufer  des  Mwutan  Nsige 
nur  Speere,  breitUiogige  Beile  mit  sobarfem^  nach  hinten  yov^ 
spritzenden  Dom,  sowie  Meäser  von  versohiedener  Form^  führt 
aber  später  «uch  vergiftele  Pfeile  mit  auf ^j «  Die  von  Emin 
PaecbanaohgewiesMAe  sprach! icbeÄhnJicfakeit  der  hier  wohnen- 
den SUlnime  mit  den  SoUlluk,  Sehefalü  undScfauli,  dieübri-*- 
gcns  auch  von  des  Schilluk  kundigen  Negern  behauptet  ward, 
läset  so-  wette  Verbreitung  der  ßehiiluk-Dinka^BewaflfQunig  nur 
natürlich  erscheinen.  Abbildungeb  und  gelegentliohe  Angaben 
Sanaiiel  Bakers^)  lassen  scbliessen,  dass  auch  die  Lattuka  sich 
auf  8peer  «nd  Schild  besobränken. 

In  Abessinien  sind  Bogen  und  Pfeil  nur  wenig  im  Ge- 
brauch* Über  dem  maohettaartigen  Säbelmesser ,  das,  wie  ein 
Bestandtheil  der  Nationaltracht,  un vermeidlieh  an  der  rechten 
Uofte  erscheint,  den  weltberühmten  Büffelhautschilden  und 
den  Speeren  sind  Luntenüinten  weit  verbreitet.  Wurfkeulen 
und  Schleudern  finden  auf  der  Jagd  Verwendung.     In  Nubien 


^)  A.  a.  0.,  s.  ^ao. 

ü)  A.  a.  0.,  S.  566. 

8)  Geogr.  Mittb.  1881,  S.  89. 

4)  Googr.  MiUh.  4883,  S.  333,  wo  Emin  PasQha  in  seiner  »Rundreise 
durch  die  Mudirie  Rohl«  sagt:  Pfeile  werden  unter  den  Dinkasiünunen  nur 
von  den  Atöt  gebraucht. 

5)  Geogr.  Mittb.  4884,  S.  51.  und  4  878,  S.  223. 
6]  Der  Albert  Nyanza.  18Q7,  S.  488. 


4)  Nachtigal,  Sahara  und  Sudan  II,  S.  607- 

2}  Dcnham  und  Ciapperton  erwähnen  derselben  bei  dem  festlichen 
Empfang,  den  sie  in  Bilma  fanden.  Bilma  liegt  aber  auf  dem  Grenzstrich 
zwischen  Tibbu  und  Tuareg  und  ist  in  den  letzten  Jahren  in  die  Hände  der 
letzteren  übergegangen.  Behm  sagt  in  seiner  Zusammenstellung  »Das  Land 
und  Volk  derTebu«  vorsichtig:  Ihre  WaflSen  sind  in  den  inneren  Land- 
schaften zwei  bis  vier  leichte  Speere,  eine  6  Fuss  lange  Lanze,  ein  45  bis 
20  Zoll  langer  Dolch  und  ein  Hungamunga  genanntes  Schwert. 

3)  Nachtigal,  Sahara  und  Sudan  I,  S.  45B. 


I 


240     

tritt  das  lange  gerade  arabische  Schwert  zu  den  Sy^  ^-  l^ni^i^ 
Speeren ,  die  bis  zur  Einführung  des  Feuergewehres  zu  zweien 
in  der  Hand  getragen  die  beständigen  Begleiter  jedes  nubischeü 
Mannes  waren,  und  dem  Schild ,  der  einst  gern  aus  GiraffeDfeil 
hergestellt  wurde.  Ähnlich  ist  die  Bewaffnung  in  Da rf ur  und 
Wadai.  Bei.  den  Wadawa  nennt  Mateucci  die  Lanze,  den 
Wurfspiess,  das  Messer,  den  grossen  Dolch  und  setzt  hinzu: 
^die  Reicheren  haben  denn  auch  schon  irgend  eine  Flinte  und 
Revolver  oder  ein  Schwert«.  InBaghirmi  und  Bornusind 
die  Verhältnisse  bez.  der  Bewaffnung  ähnlich.  Den  Kern  der 
Armee  bilden  Panzerreiter  mit  schweren  Speeren  und  langen 
Schwertern,  dazu  kommt  einheimisches  Fussvolk  (in  Borna 
Kanembu)  mit  Schild  und  Speer,  gelegentlich  spombewaffhele 
leichte  Reiter;  aber  die  Pfeilträger  sind  immer  heidnische  Völker 
aus  den  Südtheilen  dieser  Länder.  Von  ihnen  werden  auch 
Wurfpfeile  beschrieben.  Die  Gaberi,  und  zwar  besonders 
jene,  welche  in  Kriegszeiten  auf  Bäumen  wohnen ,  brachten  zu 
Nachtigals  Zeit  in  das  Lager  des  flüchtigen  BaghirmikOnigs  Abu 
Sekkim  Wurfgeschosse  aus  Y2  ^'  langen  Rohrstäben,  an  einem 
Ende  schreibfederartig  zugespitzt,  am  anderen  mit  einem  spin- 
delförmigen Thonklumpen  beschwert  und  verwahrten  dieselben 
in  bastgeflochtenen  Körben  i). 

Die  Wtlste  Sahara  ist  das  Gebiet  des  Speeres  und  Schwer- 
tes, des  Wurfeisens  und  Dolches.  Auch  wo,  wie  bei  den 
Tibbu,  Feuerwaffen  noch  wenig  verbreitet  sind ,  sind  Bogen 
und  Pfeil  nur  als  Seltenheit  zu  finden  ^) ,  während  bei  ihnen 
Speer  und  Wurfeisen  die  Hauptwaffen  bilden.  Nachtigal  nennt 
als  allgemeine  Waffen  der  Teda  von  Tibesti  Lanze,  Wurfspeer, 
Wurfeisen ,  Handdolch  und  Schild.  Das  von  den  Tuareg  kom- 
mende Schwert  ist  »keineswegs  im  Besitz  aller«  ^) .  Diese  Be- 
waffnung kehrt  dann  typisch  bei  den  Ba^le  von  Ennedi  wieder. 


241     

Woher  westlich  fand  Rebifs  in  Dschofra ,  Audschiia  und  Kufra 
Feuergewehre  weit  verbreitet  und  erwähnt  der  Bogen  und  Pfeile 
nichts). 

Die  Waffen  der  Tu a reg  sind  Schwert,  Speer  und  Dolch. 
Feuergewehre  sind  noch  nicht  allgemein  verbreitet.  Bogen  und 
Pfeil  treten  nur  bei  in  den  Bergen  hausenden ,  niedrigstehen- 
den, armen  Stämimen  von  Ahaggar,  die  zu  den  Leibeigenen  ge- 
zählt werden,  auf,  und  dann  bei  den  am  weitesten  nach  Westen 
xeichenden ,  die  diese  Waffen  nach  Mandingo-  und  Haussa*Art 
tragen. 

Bei  älteren  Schriftstellern  erscheinen  die  Gegensätxe  in 
der  Verbreitung  der  zwei  in  diesen  Gebieten  in  Betracht  kom- 
menden Bewaffnungsweisen  noch  nicht  so  sdiarf  zugespitzt, 
wie  in  der  Neuzeit.  •  Makrisi  schildert  die  Bedja,  wie  sie  von 
den  Kamelen  herab  Speere  werfen  und  wie  ihre  Thiere  abge- 
richtet sind,  nach  den  Speeren  zu  laufen,  die  niederfielen  und 
sich  bei  ihnen  niederzulassen,  damit  die  kämpfenden  Kamel- 
reiter dieselben  wieder  ergreifen.  Zugleich  gibt  er  ihnen  aber 
Bogen,  ähnlich  den  arabischen  geformt,  aus  dem  Holze  des 
Siter-  und  Sohöhad-Baumes,  und  vergiftete  Pfeile  2). 

Wir  sehen  nun  von  der  Sttdostspitze  Afrikas  bis  zum 
Nordrande  der  Sahara  eine  Kette  von  Völkern,  welche  Bogen 
und  Pfeil  entweder  ganz  verschmähen  oder  neuerdings  und 
nur  gelegentlich  diese  Waffen  wieder  aufgenommen  haben  oder 
bei  denen  endlich  ihr  Gebrauch  auf  Stämme  beschränkt  ist, 
welche  in  irgend  einer  Art  von  Unterthänigkeit  oder  Leibeigen- 
schaft sich  befinden.  Man  darf  hinzufügen,  dass  überall  wo 
Bogen  und  Pfeil  derart  zurückgedrängt  erscheinen,  der  Wurf- 
spiess,  die  sog.  Assagaie,  an  deren  Stelle  tritt,  und  dass  dieser 
in  der  Regel  vom  Schilde  und  zwar  in  den  weitaus  meisten 
Fällen  vom  Lederschilde  elliptischer  Form  begleitet  wird. 

Die  entgegengesetzten  Erscheinungen  finden  wir  in  den 
meisten  Ländern  des  Westens  dieses  Erdtheils.   Von  den  Busch- 


4)  Geogr.  Mitth.  Ergänzungshefk  II,  S.  36.  Vgl.  ebenda.  S.  59  und  60 
den  Bericht  Mohammed  et  Tunisi's ,  welcher  immer  nur  von  Speeren  bei 
den  Tibbu  Reschade  spricht.  Ferner  Rohlfs  Kufra  1884. 

2}  Übersetzung  bei  Burckhardt  Travels  in  Nubia  4  819.  App.  111, 
S.  508  f.  Dazu  die  Bemerkungen  Von  Heuglins  in  Geogr.  Mitth.  Erg.-Heft 
Nr.  6,  S.  4  4. 


242     

männern,  als  Vorlrelern  der  auagesprochonsten  Pfeillräger  unt«r 
doD  sog.  Zwergvölkern  Afrikas  werden  wir  bei  Erwähnung  die- 
ser Völker  zu  reden  haben.  Was  die  ihnen  nahestehenden 
liotlentotten  anbetrifft,  so  war  bei  ihnen  ein  sehr  einfacher 
Bogen  gebräuchlich ,  der  aus  einem  Stfiok  leichten  Uolses  ge> 
bogen  wurde  und  ausser  Kerben  tum  Einhaken  der  Sehnen 
keine  Bearbeitung  zeigte.  Auf  Bildern  des  47.  Jahrhunderts, 
z.  B.  einem  Kupferstich  Bodenehrs  zu  Meisters  Orieotalischein 
Lustgarten  (Dresden  1699)  trägt  der  Hottentott  einen  Bogen 
von  asiatischer  Form,  was  wohl  nur  künstlerische  Licenz  ist. 
Der  Köcher  scheint  dem  der  Buschmänner  ähnlich  gewesen  zu 
sein^].  Daneben  werden  Wurfspeere  erwähnt ,  welche  auch 
Kolb ,  wiewohl  er  von  Kaffern  nichts  wusste ,  bereits  als  Assa- 
gaien  bezeichnet.  Aber  der  Bogen  war  offenbar  die  Uaupt- 
waffe. 

An  der  Westküste  begegnen  wir,  wenn  wir  das  Gebiet  der 
Hottentotten  und  der  Buschmänner  verlassen,  Völkern  vom 
Stamme  der  Herero,  welche  alle  Bogenträger  sind.  Doch 
kann  man  wohl  nicht  leugnen,  dass  ihre  Hauptwaffen  der 
Speer  und  die  Hand-  und  Wurfkeule  sind.  Immerhin  ist  es 
aber  beachtenswerth ,  dass  sie  Bogen  und  Pfeile  gleichfalls  fast 
stets  mit  sich  führen ,  sie ,  ein  Hirtenvolk  wie  so  aasgeprägt 
kaum  Zulu  und  Betschuanen  es  sind.  Allein  sie  sollen  scblech* 
ten  Gebrauch  davon  machen ,  denn  Andersson  behauptet,  dass 
sie  nur  auf  \0  bis  ii  Schritte  gut  mit  dem  Bogen  schiessen, 
während  sie  auffallenderweise  als  Gewehrschützen  bessere  Lei- 
stungen aufweisen.  Es  scheint  dies  anzudeuten,  dass  die  Kon- 
struktion ihrer  Bogen  nicht  vortrefflich  sei.  Ein  Eiiemplar 
im  Museum  fttr  Völkerkunde  zu  Berlin  ist  aus  einem  ange- 
glätteten und  ungleich  dicken  Baumzweig  mit  locker  ange- 
brachter Verstärkung  der  Wölbung  gefertigt ,  eine  sehr  primi- 
tive Waffe. 

Wie  fast  überall  in  Afrika  sind  dagegen  die  Pfeile  mit 
guten  Eisenspitzen,  vierfiedrig  und  mit  Kerbe  zum  Einsatz 
in  die  Sehne  versehen.  Der  Köcher  ist  ein  kurzer  Ledersack, 
welcher  hauptsächlich  die  Spitzen  der  Pfeile  schützt.  Die 
0  vampo  scheinen  sich  wesentlich  ähnlich  bezüglich  der  Haupt- 


1)  Kolb,  Caput  Bonae  Spei  4749.  Abbildung  in  meiner  Völkerkunde  U 

S.  64. 


243 

wafTen  zu  verhalten.  Der  Bogen  besteht  hier  oft  aus  einem 
Holze,  Mohama,  das  von  Natur  auf  einer  Seite  fladi,  so  dass  es 
für  diesen  Zweck  besonders  geeignet  ist^].  Knochenspitzen  der 
Pfeile  kamen  noch  zu  Galtons  Zeiten  vor.  Die  Köcher  werden 
über  die  rechte  Schulter  und  unter  dem  linken  Arme  getragen. 
Im  mittleren  und  unteren  Zambesi-Gebiet  findet  allmllhlieh  der 
Übergang  von  den  speer-  und  schildtragenden  Betschuanen  zn 
den  innerafrikanischen  BogentrSgern  statt.  Im  Marutse-Mam- 
bundareich  spielt  der  Speer  noch  eine  grosse  Rolle  im  süd* 
liehen  Theil,  während  im  nördlichen  Bogen  und  Pfeile  hervor- 
treten. Dieselben  wurden  von  Serpa  Pinlo^)  angeführt  bei 
den  Luchaze  undAmbuella,  bei  welchen  beiden  indessen  schon 
Penergewehre ,  ebensowie  im  Arsenal  des  Königs  der  Marutse 
gefunden  werden.  Bei  den  Manganja  des  Nyassa-Gebietes 
sind  Bogen  und  Pfeil  neben  schweren  Speeren  ttblich  und  zwar 
kommen  bereits  hier  Giftpfeile  vor,  welche  Livingstone  sowohl 
von  den  Maravi  als  den  Manganja  des  Schire  in  der  Nahe  von 
Momba  erwähnt.  Die  der  letzteren  schildert  Livingstone  als  aus 
drei  Stücken  zusammengesetzt:  einer  eisernen  Spitze  mit  einem, 
manchmal  aber  auch  mit  vielen  Widerhaken,  einem  Stäbchen, 
an  welchem  diese  befestigt  wird  und  welches  mit  Gift  be* 
strichen  wird ;  einem  hohlen  gefiederten  Schafte.  Der  ganze 
Pfeil  ist  4  M.  lang  3).  Von  einer  besonderen  Art  von  Giftpfeilen 
spricht  Livingstone,  die  hölzerne  Pfeilspitzen  hätten,  mit  einem 
eigenen,  nur  für  Menschen  bestimmten  Gifte  bestrichen  und 
sorgfältig  mit  Maisblatt  umwunden  getragen  würden.  Dieselben 
kommen  am  Nyassa  vor.  Einen  nicht  sehr  fein  gearbeiteten 
Pfeil  bildet  er  auch  ab.  Grosse  Bogen  und  Giftpfeile  erwähnt 
Chapman  von  den  Banyai  des  südlichen  Zarabesiufers  und  Li- 
vingstone weist  Bogen  und  Pfeil  auch  den  Babisa  zu. 

Als  Hauptwaffe  der  Angolan-er  bezeichnet  Lopez  neben 
Speeren  Bogen  und  Pfeil.  Tiefer  nach  innen  zu  treten  uns  ähn- 
lich bewaffnet  die  Kai  und  a  entgegen,  die  grössere,  oft  ganz 


4 )  Galton ,  Bericht  eines  Forschers  im  tropischen  Südafrika  D.  (Jb. 
S.  103. 

2)  Von  den  Ganguella  bildet  Serpa  Pinto  Pfeile  von  feinerer  Arbeit 
mit  starker  Fiedening  und  einem  eigenen  Einsatz  für  die  Sehnenkerbe  ab. 
Wanderung  quer  durch  Afrika  18S4,  I,  S.  4  4  9. 

3)  Neue  Missionsreisen  D.  A.  H,  S.  4  7Q. 


244     

eiserne  Wurfspeere,  kleinere  Speere  mit  UoJzschaft  und  eiserner 
Widerbakenspitze ,  Bogen  und  Pfeile  tragen  i).  Neben  Pfeiien 
.  mit  mannigfach  gestalteter  Eisenspitze  treten  auch  solche  mit 
vierkantiger  und  eingekerbter  Holzspitze  auf.  Dass  Vergiftung 
derselben  vorkommt,  scheint  nicht  zweifelhaft,  wenn  auch  das 
angewendete  Gift  nicht  immer  sehr  wirksam  ist.  Im  südiicheo 
Kongo-Gebiet  sind  Völker ,  die  des  Gebrauches  von  Bogen  und 
Pfeil  sich  ganz  entschlagen,  nicht  beobachtet  worden.  Die  aus- 
schliessliche Verwendung  dieser  Waffen,  wie  sie  bei  den  Watna 
(s.  u.  S.  248)  getroffen  wird,  ist  nicht  allgemein,  aber  ein  gänz- 
liches Aufgeben  derselben  in  der  Weise  vieler  Ostafrikaner 
wird  ebensowenig  beobachtet.  Aus  persönlicher  Erkundigung 
bei  Dr.  Ludwig  Wolf  und  Premierleutenant  Richard  Kundt 
schöpfe  ich  die  Überzeugung ,  dass  ein  Zustand  etwa  wie  hei 
den  Njamnjam  hier  vorwaltet,  d.  h.  dass  vielfach  der  Speer  die 
bevorzugte  Waffe  ist,  daneben  aber  Bogen  und  Pfeil  in  weiter 
Verbreitung  auftreten.  Auch  Stanley's  Schilderung  seiner 
Kämpfe  mit  den  Bewohnern  des  oberen  Kongobogens  und  in 
der  äquatorialen  Region,  den  Baswa,  Ituka  und  Gen.  lässl 
den  Eindruck,  dass  die  Hauptwaffe  der  Angreifer  Speere 
waren,  die  aber  gemischt  mit  Pfeilen  auftraten ^j.  Dieser  Zu- 
stand scheint  im  Inneren  bis  zu  den  Südgrenzen  der  grossen 
mohammedanischen  Staaten  des  Sudan  sich  fortzusetzen.  Wir 
erwähnten  bereits  der  Wurfpfeilschtltzen ,  mit  denen  die  skia- 
venjagenden  Baghirmifürsten  südlich  von  ihren  Grenzen  ini 
Kampfe  liegen. 

Unter  den  Nilnegem  sind  echte  Bogen-  und  Pfeilträger 
die  südlichen  Schilluk  oder  Djur,  sowie  die  ihnen  nahever- 
wandten Alwadsch  (Aluadj  Schweinfurths).  Von  den  (Djui' 
liegen  aus  Pethericks  Sammlung  Bogen  und  Pfeile  in  der  Christ) 
CoUection  zu  London,  welche  in  den  ungemein  reich  mit  Wider- 
haken versehenen  Pfeilen ,  in  dem  mit  Eidechsenhaut  umwun- 
denen und  mit  Eidechsenfüssen  an  beiden  Enden  verzierten 
Bogen  ,  sowie  in  dem  mit  Affenfell  umwundenen  Köcher  3)  eine 
grössere  Sorgfalt  der  Arbeit  zeigen  als  bei  vielen  anderen  Stäni- 


4 )  Pogge,  Im  Reich  des  Muata  Jamvo  4  880 ,  wo  S.  238  die  Waffen  in 
der  Reihenfolge  Speer,  Wurfspeer,  Pfoil  genannt  werden. 

2;  Durch  den  dunkeln  Weltthcil  4878,  U,  besonders  S.  490,  264,  S88. 
3)  Abb.  in  meiner  Völkerkunde  1,  S.  544. 


245     

men  diesen  WaflFen  zugewendet  wird.  Südlich  von  den  Djnr 
wohnen  die  Dor,  deren  Pfeile  lang  wie  Wurfspeere,  in  der 
Mriderhakenbesetzten  Klinge  allein  Y3  M.  lang,  und  ebendes- 
halb bei  weitem  nicht  so  gefürchtet  sind,  wie  die  viel  klei- 
neren, angeblich  vergifteten  Pfeile  ihrer  südlichen  Nachbarn  ^j . 
Zu  den  Pfeilschützen  dieser  Gebiete  gehören  weiter  die  Bari, 
die  sprachlich  ihnen  nahe  verwandten  Njambara ,  dann  weiter 
westwärts  die  Mittu^),  die  östlich  von  Makarakä  wohnenden 
Madi,  deren  Schmiede  sowohl  in  Speerklingen  als  Pfeilspitzen 
Hervorragendes  zu  leisten  scheinen.  Bogen  und  Pfeile  der 
Njamnjam  kommen  denen  der  Djur  nahe.  Die  ersteren  kom- 
men in  ganz  einfachen  Formen,  aus  knorrigen  Stäben  unge- 
glattet  gebogen ,  und  auch  in  besserer  Arbeit  mit  zur  Verstär- 
kung umgelegten  Bändern  vor.  Aber  nicht  alle  Theile  dieses 
vielgegliederten  Volkes  machen  gleich  ausgedehnten  Gebrauch 
von  Bogen  und  Pfeil ^j.  Bei  den  Monbuttu  sind  die  Pfeile 
sehr  mannigfaltig  in  den  Klingen.  Der  Schaft  besteht  aus  Rohr 
und  ist  mit  Bananenblatt  oder  Genettfell  beschwingt.  Die 
Bogensehnen  werden,  wie  in  Westafrika,  aus  gespaltenen  spa- 
nischen Rohren  gefertigt,  wie  Heuglin  schon  4861  von  den 
Njamnjam  erfuhr,  und  ein  Stückchen  Holz  schützt  den  Daum 
vor  dem  Rückprall.  Den  Mangballe  des  oberen  Uelle  gibt 
Junker  die  gleichen  Waffen  wie  den  Monbuttu^) ,  mit  denen  sie 
Sprache  und  Sitte  theilen  und  scheint  mit  ihnen  auch  dieA-Bä- 
ra'mbo  und  A-Madi  zu  vergleichen*),  ohne  indessen  bei  die- 
sen letzteren  Bogen  und  Pfeile  anzuführen.  »Auch  sie  fertigen 
die  leichten  grossen  Holzschilde  an ,  führen  ähnlich  den  Mang- 
huttu  Lanzen  und  gekrümmte  Säbelmesser«    sagt   er.     Von 


4]  Erste  Abbildung  eines  Dor-Pfeiles  auf  Heuglins  »Originalkarte  dos 
Westlichen  Theiles  des  Oberen  Nil-Gebietes«.  Geogr.  Mitth.  Erg.-Bd.  III. 

2}  Die  Zierlichkeit  der  Pfeiiscbttfte  aus  Rohr  und  der  eisernen  Pfeil- 
spitzen dieses  Volkes  hebt  Junker  wiederholt  hervor.  Geogr.  Mitth.  4  880, 
S.  85  f. 

3)  Antinori  hörte  von  zwei  Njamnjam -Stämmen,  die  Speere  und 
Schilde  tragen ;  den  einen  nennt  er  Belanda,  den  andern  charakterisiert  er 
als  die  weissen  Njam  (Geogr.  Mitth.  Erg.-Heft  II,  S.  82  f.  Die  Belanda  sind 
bekanntlich  ein  Djurstamm.)  Ähnliches  hat  auch  der  Missionar  Morlang 
aus  derselben  Gegend  von  den  Makärakak,  ofTenbar  den  Makarakä  im 
oberen  Rohl-Gebiet  erfahren.  Ebend.  II,  S.  4  24. 

4)  Geogr.  Mitth.  4  884,  S.  255. 

5)  Ebend.  4883,  S.  287. 


246     

Heuglin  hat  sehr  kunstvoll  gearbeitete  Widerhakenpfeile  von 
den  Kredsch  oder  Darfertit  abgebildet i]  und  vergleicht  sie 
mit  entsprechenden  Arbeiten  der  Njamnjam;  und  Mamo  sagt 
von  den  Makarakä,  sie  hiltten  keine  Pfeile  wie  die  Njarnnjam  -}. 

Die  fortlaufende  Reihe  der  Bogentrager  an  der  Westküste 
Afrikas  wird  zum  ersten  Male  am  Kongo  unterbrochen  ,  wo  I..0- 
pez ,  der  noch  den  Angolanern  Bogen  und  Pfeil  als  Haupiwafle 
neben  dem  Speer  zugewiesen,  den  Kongoanern  Pfeile  zum 
Werfen,  also  Assagaien,  zuschreibt.  Seine  Absicht,  die  aus  der 
etwas  kurzen  Beschreibung  vielleicht  nicht  ganz  klar  hervor- 
gehen könnte,  wird  verständlicher,  wenn  er  jenen  mit  Be- 
wusstsein  die  Bewaffnung  der  menschenfressenden  Anziques 
gogentlberstellt :  »ihr  Wehr  und  Waffen  seind  auf  fein  andere 
Art,  denn  derer  die  vmb  sie  her  wohnen«.  Er  gibt  ihnen  kurze 
Bogen,  die  mit  Schlangenhaut  umwunden  sind  und  deren  Seh- 
nen Grashalme,  kleine  Pfeile,  die  sie  in  der  Hand  tragen, 
kurze  Dolche  in  Scheiden  aus  Schlangenhaut,  und  StreiUixte. 
deren  eiserne  Klinge  kürzer  als  der  Stiel,  vorn  Beil  und  hinten 
Hammer  und  mit  Kupferdraht  an  den  Stiel  befestigt  ist.  Tm 
den  Leib  haben  sie  breite  Lederriemen. 

Auch  heute  liegen  hier  die  Verhältnisse  noch  in  ähnlicher 
Weise  gemischt.  Von  den  Babongo  wurde  Gtlssfeldt  am  Li- 
kungu  u.  a.  auch  berichtet,  sie  hätten  nur  Speere.  Auch  die 
Fan  scheinen,  ehe  bei  ihnen  das  Feuergewehr  sich  verbreit(»t 
hatte,  Speerträger  gewesen  zu  sein,  was  man  schon  daraus 
schliessen  möchte,  dass  sie  bis  heute  Lederschilde  tragen.  Denn 
die  meisten  Speerträger  sind  auch  Schildträger ,  während  die 
PfeilschUtzen  meist  des  Schildes  entbehren.  Die  unvollkommene 
Armbrust  der  Fan  ist  kein  Ersatz  für  den  Bogen  ^j.  An  der 
Loangoküste  ist  das  Feuergewehr  ganz  allgemein  geworden,  aber 
vom  Nyango  sandte  Gttssfeldt  einen  Bogen,  »der  (nach  Bastian 
wegen  seiner  Schwäche  nur  durch  Vergiftung  der  Pfeile  wirk- 
sam sein  kann«^). 

Zöller  sah  bei  den  Fan  weder  Bogen  und  Pfeil  noch  Speere. 


4)  Reise  in  das  Gebiet  des  Weissen  Nil  4  869,  S.  246. 

2)  Reisen  in  den  egyptischen  Äquatorial  -  Provinzen  und  Kordofan 
4878.  S.  434. 

3)  Burton,  Two  trips  to  Gorilla  Land  I,  S.  207. 
k)  Z.  f.  Ethnologie  4876,  S.  244.    Vgl.  auch  Z.  d.  G.  f.  Erdk.  4875, 


S.  4  66. 


247 

sondern  nur  Gewehre  und  kurze  Schwerter.  Da  man  nun  im 
Ogowe-Gebiet  «uf  der  Grenze  der  Verbreitung  der  Steinschloss- 
gewehre überall  nicht  den  Bogen  und  die  Pfeile ,  sondern  den 
Speer  und  den  Schild  trilTt,  wie  dies  zuerst  Oskar  Lenz  von 
den  Mbamba  und  den  östlich  von  ihnen  wohnenden  Um  bete 
gemeldet  hat  i),  so  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  Uhnliche  pfeil- 
verschmähende  Kriegerstämme  auch  weiter  nordwärts  sitzen. 
So  sagt  auch  Buchner  von  den  D  u  a  11  a  am  Kamerun,  Bogen  und 
Pfeil  seien  ihnen  ganz  unbekannt,  aber  als  Prunkwaffe,  die  man 
dann  und  wann  in  ihren  Händen  sehe,  nennt  er  sonderbar 
gestaltete  Äxte  und  Schwerter  oder  grosse  Lanzen.  Er  nimmt 
an,  dass  dieselben  aus  dem  Inneren  kommen^].  Unter  den  Aus- 
fahren aus  dem  Laude  der  Amboser  (Gegend  des  Rio  del  Hey 
und  des  Calabar)  werden  in  älteren  Schilderungen  auch  Wurf- 
speere genannt,  die  von  hier  nach  der  Nordktlste  gingen  ^j .  In 
dem  weiten  Gebiete  zwischen  Niger-  und  Senegalmündung  war 
ursprünglich  der  Bogen  die  vorherrschende  Waffe.  Die  Ursprung-: 
liebe  Bewaffnung  des  hier  herrschenden  Volkes,  der  Fulbe,  be- 
stand aus  Bogen  und  Pfeil  und  sie  sind  es  vielfach  bis  heute.  Erst 
ihre  Staatengründer  schufen  gepanzerte  Reiterachaaren  nach 
nubisohem  und  mittelsudanischem  Muster,  die  mit  Schwert, 
Speer  und  Schild  ausgerüstet  sind.  Wo  diese  Eroberer,  die  aus 
dem  Inneren  vordrängten,  ihre  Macht  nieht  zur  Geltung  brach- 
ten, ist  die  ursprüngliche  Bewaffnung  durch  die.  an  diesen 
handelsreichen  Küsten  früh  begonnene  Einfuhr  der  Steinschloss- 
gewehre umgewandelt  worden.  Wurde  doch  der  britische  Ge- 
sandte Norris  schon  i773  von  den  Wällen  Abomehs  mit  Kanonen 
begrüssti  Doch  lässt  sich  aus  den  ältesten  der  eingehenderen 
Berichtß  Einiges  entnehmen,  was  auf  das  Nebeneinandervor- 
kommen von  Bogen  und  Speer  in  Folge  einer  Art  von  socialer 
Schichtung  hindeutet.  Aus  Wilhelm  Müllers  Beschreibung  des 
Landes  Fetu  erfährt  man,  dass  dort  Krieger  höheren  Ranges  im 
Gürtel  das  Schwert,  in  der  Rechten  drei  oder  vier  Wurfspiesse 
oder  Pfeile  (kleinere  Wurfspeere  oder  Assag^ien?),  in  der  Linken 
den  Schild  trugen.  Die  geringeren  Soldaten  waren  mit  Bogen 
und  Pfeil,  Wurfspeeren  und  Messern  ausgestattet  und  die  Skla- 


i)  Skizzen  aus  Westafrika  1878,  S.  300. 

ä)  Kamerun.  Skizzen  und  Betrachtangen.  4  887,  S.  38. 

3)  Ehrmann,  Gesch.  d.  merkwürdigsten  Reisen  1794.  XU,  3.  U7. 


248     

ven  endlich  folgten  ihren  Herren  mit  Bogen ,  Pfeilen  und  Mes- 
sern '] .  Ein  festlicher  Zug ,  welchen  Dapper  im  Yordergrande 
seines  Prospektes  von  Benin  erscheinen  lässt,  zeigt  das  Gefolge 
des  Königs  von  Benin  mit  Wurfspiessen  und  Schilden  bewaff- 
net; doch  waren  Bogen  und  vergiftete  Pfeile  im  Lande  zu  fin- 
den und  Bosmann  will  in  Aquambo  überhaupt  keine  anderen 
Waffen  gesehen  haben.  In  Senegambien  wurden  von  den  alte- 
ren Reisenden  vergiftete  Pfeile  als  gefttrchtetste  Waffe  der 
Joloßen  und  Mandingo  angegeben,  wobei  die  auch  sonst  in 
Guinea  wiederkehrende  Eigen thümlichkeit,  dass  die  Sehne  aus 
einem  gespaltenen  Rohre  hergestellt  wurde ,  besonders  betont 
wird  2). 

Sehr  lehrreich  ist  das  Vorwiegen  des  Bogens  und  der  Pfeile 
bei  allen  jenen  kleingewachsenen  Jägervölkem  Afrikas,  welche 
als  Zwergvölker  soviel  Aufmerksamkeit  erregt  haben.  Zunächst 
sind  die  Buschmänner,  die  südlichste  Gruppe  dieser  Völker 
als  BogenschütKen  längst  berühmt.  Die  Buschmänner  sind  von 
allen  südafrikanischen  Völkern  dasjenige,  welches  die  grösste 
Sorgfalt  auf  die  Herstellung  der  Pfeile  verwendet  und  fast  aus- 
schliesslich für  Jagd  und  Vertheidigung  auf  dieselben  ange- 
wiesen ist.  Der  bis  zu  4  Y2  M.  hohe  Bogen  ist  oft  so  gross  wie 
sein  Träger,  die  Sehne  ist  aus  thierischen  Fasern  zusammenge- 
dreht, die  Pfeile  bestehen  meistens  aus  einem  leichten  Rohr, 
das  unten  eingekerbt  und  zur  Verhütung  des  Aufspaltens  um- 
wickelt ist.  Zur  Spitze  verwendet  dieses  arme  Volk,  das  vor 
250  Jahren  noch  kein  Eisen  gekannt  zu  haben  scheint,  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  nur  Knochen  und  Holz,  selten  Feuerstein. 

Wenn  wir  in  Vötkerschilderungen  aus  Centralafrika  Angaben 
begegnen,  wie  Serpa  Pinto  sie  von  den  unter  IS^S.  B.  leben- 
den Mucassequere  macht  nln  der  Handhabung  des  Bogens 
sind  sie  sehr  geschickt,  der  Pfeil  ist  ihre  einzige  Waffe«'),  so  sind 
wir  immer  ziemlich  sicher,  uns  einem  sog.  Zwergvolk  gegen- 
überzufinden.  So  sagt  Wissmann  von  den  Batua,  die  östlich 
vom  Lubi  wohnen:  Ihre  Waffen  sind  Bogen  und  Pfeil.  Sie 
haben  wenig  Eisen ,  man  sieht  nur  hier  und  da  eiserne  Pfeil- 

4)  Die  Afrikanische  Landschaft  Fetu  4  673,  S.  434. 

3)  Thomas  Winterbottam  hat  in  seinen  Nachrichten  von  der  Sierm 
Leone-Küste  (D.  A.  4805)  ausführlicher  als  die  meisten  anderen  Reisenden 
von  dm  Waffen  der  Eingeborenen  gesprochen.  VgL  besonders  S.  Sil  f. 

3    Wanderung  quer  durch  Afrika  488t.  I,  S.  S97. 


249     

spitzen  ^] .  Stanleys  Watwa  trSSgt  als  einzige  Waffe  nden  kur- 
zen Bogen  und  winzig  kleine  kaum  fusslange  Rohrpfeile  mit 
scharfen  Spitzen^^).  Du  Ghaillu  betont,  dass  die  Babongo  o^ler 
A  k  koa  Aschangos  vortreffliche  Jäger  seien^).  Rrapfs  Doko,  die 
weit  landeinwärts  von  Morabas  versetzt  wurden^)  sollten  gleich 
ganz  waffenlos  sein.  Dagegen  schildert  uns  Schweinfurth  seine 
Akka  als  echte  Pfeilschtttzen,  welche  ihre  mit  scharfen  Eisen- 
spitzen  und  Widerhaken  bewehrten  und  mit  Eisenband  um- 
wundenen Pfeile  sehr  gut  zu  benutzen  wissen  und  als  Pfeil- 
träger sind  sie  auch  von  den  späteren  Beobachtern  wie  Feikin 
und  Emin  Pascha  geschildert  worden^). 


Wir  haben  den  Thatbestand  der  Verbreitung  von  Bogen 
und  Pfeil  in  raschem  Überblick  zu  schildern  versucht.  Was  er- 
gibt sich  nun  aus  den  sehr  verschiedenartigen  Thatsachen,  die 
zu  berichten  waren? 

In  Afrika  fehlt  der  Bogen  oder  ist  selten  im  Norden  und 
Osten  ;  das  Bogenland  ist  dagegen  der  Westen  von  der  Niger- 
beuge bis  zur  Sttdspitze.  Der  Osten  und  Norden  sind  in  Afrika 
zugleich  die  Gebiete  der  höheren  Kultur  ^  der  asiatischen  Ein- 
wirkungen, der  mächtigsten  Staatenbildungen.  Alle  Völker, 
denen  in  Afrika  die  Rolle  grosser  Staatengründer  zugesprochen 
wird,  benutzen  mit  Ausnahme  der  Fulbe  nicht  vorwiegend  den 
Bogen.  Und  auch  die  Fulbeherrscher  haben  denselben  in  ihren 
militärischen  Organisationen  manchmal  vernachlässigt.  Jenes 
Fehlen  des  Bogens  bei  den  staatengrttndenden  Völkern  hängt 
eng  zusammen  mit  der  Jbatsache,  dass  vorwiegend  die  mili- 
tärische Stärke  es  war,  welche  allen  diesen  Völkern  zu  ihrer 
historischen  Stellung  verhalf.  Die  starken  militärischen  Orga- 
nisationen haben  aber  überall  in  Afrika  Bogen  und  Pfeil  ver- 
nachlässigt, weil  sie  ihr  Vertrauen  auf  Speer  und  Schwert 
setzten.     Wo  die  Europäer  nennenswerthem  Widerstand  orga- 


4)  Mitth.  d.  AfrikanischeD  GeseUecbaft  in  Deutschland  4  8S3,  IV,  S.  46- 

2)  Durch  den  dunklen  Welttheil  1878.  II,  S.  240. 

3)  Die  erste  ausführliche ,  aber  ungläubig  aufgenommene  Nachricht 
über  westafrikanische  Zwergvölker  brachte  Du  Chaillu  in  A  journey  to 
Ashango  Land  4  867,  S.  269  f. 

4)  Reisen  in  Ostafrika  4858. 

5)  Schweinfurths  erste  Nachricht  in  den  Geogr.  Mitth*  4874,  S.  44. 

4887.  4  7 


250     

nistrter  Kriegerhorden  bes^egneten,  wie  in  Nubien  und  imZulo- 
land,  da  haben  sie  es  nicht  mit  Bogenschützen,  sondern  mit 
Speerkämpfem  zu  thun  gehabt.  Die  sociale  Gliederung  kriege- 
rischer Völker  wie  der  Somali  oder  Tuareg  weist  den  dienen- 
den, von  der  Ehre  der  Kriegswafi'en  aasgeschlossenen  Völkern 
Bogen  und  Pfeil  zu  und  es  ist  sehr  bezeichnend ,  dass  die  poli- 
tisch fast  ganz  unorganisirten  kleingewachsenen  Jltgervölker 
von  den  Buschmännern  Südafrikas  bis  zu  den  Akka  des  Uelle- 
gebietes  auss(;hliesslich  Pfeilschützen  sind.  Wo  Bogen  und 
Pfeil  in  Afrika  dominieren,  haben  wir  es  nicht  mit  einem  l>nu- 
stand,  auch  nicht  mit  einem  durch  dieses  Merkmal  angedeuteleJi 
Rassenunterschied,  sondern  nur  mit  der  Thalsache  zu  thun, 
duss  eine  bestimmte  sociale  und  militärische  Organisation  bis 
in  diese  Gebiete  nicht  vorgedrungen  oder  in  denselben  wieder 
in  Verfall  geralhen  ist. 

An  diesem  Punkte  ergiebt  sich  die  Möglichkeit,  aus  den 
Thatsachen  der  geographischen  Verbreitung  einen  Schluss  auf 
geschichtliche  Vorgänge  zu  ziehen,  welche  anders  im  Dunkel 
liegen  bleiben  würden ,  da  nur  in  seltenen  Fällen  die  Sprach- 
vergleichung im  Stande  sein  wird,  auf  dieselben  hinzuführen. 
Allgemeine  Gründe  sind  schon  oft  für  die  engere  Zusammenge- 
hörigkeit der  nord-  und  ostafrikanischen  Völker  über  die  Gren- 
zen der  Sprachunterschiede  hinaus  geltend  gemacht  worden. 
Der  von  Ägyptern ,  Phöniciern ,  Indern ,  später  von  alexandri- 
nischen  Griechen  und  von  Arabern  getragene  Handel  an  der 
Küste  Afrikas,  welcher  den  Verfasser  des  Periplus  des  Erylh- 
räischen  Meeres  im  4 .  Jahrhundert  n.  Chr.  bereits  bis  Pemba 
führte,  und  die  den  Seeweg  nach  Indien  suchenden  Portugiesen 
1498  befähigte,  schon  von  Sofäla  an  ihre  aus  Lissabon  mitge- 
brachten arabischen  Dolmetscher  zu  gebrauchen,  hat  diese  Völ- 
ker einer  Summe  von  unter  sich  ähnlichen  Einwirkungen  aus- 
gesetzt. Die  Westküste  Afrikas  hatte  denselben  nichts  Ähn- 
liches an  die  Seite  zu  stellen.  Aber,  mehr  als  dies,  Ostafrika 
ist  das  Land  der  Viehzucht,  die  in  nahezu  übereinstimmender 
Weise  vom  Nil  bis  zur  Südspitze  des  Erdtheiles  betrieben  wird. 
Die  mit  der  Viehzucht  zusammenhängenden  Gebräuche  wie 
Kaufmann,  Felkin  und  Andere  sie  von  den  Bari  und  Madi  beschrie- 
ben haben,  sind  der  Mehrzahl  nach  dieselben  wie  diejenigen  der 
Zulu  und  ßetschuanen  Südafrikas  und  der  dazwischen  liegen- 
den Galla  und  Wahuma.    In  Westafrika  ist  zwischen  den  Wen- 


251     

dekreisen  die  Viehzucht  entweder  gar  nicht  vorhanden  oder  sie 
ist  vereinzelt  und  ist  jedenfalls  weit  entfernt,  eine  Bolle  za 
spielen  wie  im  Osten.  Hier  bat  sie  nämlich  ttberali,  wo  Boden 
und  Klima  sie  begünstigen  ^  nomadisches  Leben  mit  sich  g»* 
bracht.  Nomaden  sind  aber  hier,  wie  überall  auf  der  Erde 
kriegerische,  erobernde  Völker  und  auch  in  Afrika  sind  die 
Gegensätze  des  nomadischen  Hirten  und  des  Ackerbauers  hUufig 
identisch  mit  denjenigen  des  Herrschers  und  des  Unterworfe«^ 
noD.  Es  sind  die  Hirten,  welche  in  Ostafrika  die  Ackerbauer 
zu  grossen  Staatswesen  von  einer  gewissen  Dauer  zusaminen* 
G^osehweisst  haben.  So  gehen  also  auf  dieser  Seite  Afrikas  die 
grössere  Summe  £lusserer  Einwirkungen,  die  Viehzucht,'  der 
Xomadismus,  die  Staatengründungen  Hand  in  Hand  und  machen 
aus  Ostafrika  etwas  von  Westafrika  tief  und  weit  Verschiede- 
nes. Es  ist  kein  übermllssig  grosses  Gewicht  auf  Abstam- 
umngssagen  zu  legen,  welche  die  Eingeborenen  von  sich  selbst 
beriebten.  Auffallend  ist  es  jedoch  immerhin,  dass  wir  im  Osten 
sehr  viel  von  der  Herkunft  der  Völker  aus  Norden,  Osten,  Süden 
vernehmen,  wahrend  kein  einziges  sich  westliche  Abstammung 
zuscbreibt. 

Wenn  in  der  Westhälfte  Afrikas  südlich  vom  Senegal  nir- 
gends das  System  der  Speere  und  des  Schildes  in  entfernt  so 
ausgedehnter  Weise  zur  Geltung  kommt ,  wie  im  Osten ,  so  er- 
innert doch  eine  ganze  Reihe  von  Vorkommnissen  daran ,  dass 
eine  der  wenigen  verbrieften  Thatsachen  in  der  Geschichte  der 
westafrikanischen  Völker  jenes  verheerende  Vordringen  kriege- 
rischer Horden  der  Dschagga  aus  den  Gebieten  des  oberen  Kongo 
nach  den  Mündungsgegenden  dieses  Stromes  ist  und  dass  in  den 
Traditionen  der  Herrscherhäuser  im  Inneren  Westafrikas  die 
Abstammung  aus  östlicher  gelegenen  Ländern  auffallend  ofl 
wiederkehrt.  Auf  das  Vorkommen  der  charakteristischen  Form 
des  Zuluschildes  am  oberen  Zambesi  haben  wir  als  einen  Be- 
weis westwärts  gerichteter  Wanderung  selbst  kürzlich  die  Auf- 
merksamkeit der  Ethnographen  zu  lenken  gesucht^).  Glauben 
wir  auch  nicht,  in  den  Dschagga  -  Zügen  des  16.  Jahrhunderts 
eine  einzige  in  wenigen  Jahren  sich  vollziehende  Bewegung  osl- 
afrikanischer  Völker  nach  dem  Westen  des  Krdtheiles  erblicken 


4)  Entwurf  einer  neuen  pplitischen  Karle  von  Afrika.  Geo^r.  Milth. 
^885,  S.  446. 

47* 


252     

zu  dürfen,  wie  Merensky  ^)  es  in  einer  sehr  beachienswerthen 
Arbeit  wahrscheinlich  zu  machen  suchte ,  so  sehen  wir  doch  in 
dem  Vorkommen  kriegerischer,  bloss  Speer  und  Schild  tragen- 
der Stamme  im  Westen  das  Ergebniss  von  Anstössen,  deren 
Ausgangspunkt  im  Osten  gelegen  ist.  Und  die  seit  Schwein- 
furth  oft  wiederholte  Bemerkung ,  dass  eine  Zone  ethnographi- 
scher Obereinstimmungen  von  den  Quellen  des  Uelle  bis  zum 
Meerbusen  von  Guinea  sich  erstrecke ,  bedeutet  für  uns  nicht 
eine  vereinzelte  Thatsache.  Wir  glauben  vielmehr  aus  der  Ver- 
breitung der  wichtigsten  Waffen  der  Afrikaner  schliessen  zu 
dürfen,  dass  die  Ethnographie  Westafrikas  überhaupt  nicht  ohne 
die  Voraussetzung  jüngerer  von  Osten  ausgegangener  Einwir- 
kungen zu  verstehen  sei. 

4)  Ueber  die  afrikanische  Völkerwanderung  des  46.  Jahrhunderts.  Z. 
d.  G.  f.  Erdk.  4883,  S.  67. 


Herr  Zarncke  legte  einen  Aufsatz  vor:  Weitere  Mütheilungen 
zu  den  Schrifien  Christian  Heuter^s, 

1.  Der  Herr  Brnder  Graf. 

Seitdem  es  erwiesen  war,  dass  in  den  Weriicn  Christian 
Reuter's  eine  Menge  Anspielungen  auf  Leipziger  Persönlichkeiten 
seiner  Zeit  enthalten  seien,  lag  es  sehr  nahe  zu  vermathen,  dass 
auch  die  zweite  Hauptperson  des  Schelmuffsky ,  der  Herr  Bruder 
Graf,  ein  lebendes  Vorbild  gehabt  habe.  Diese  Vermuthung 
musste  fast  zur  Gewissheit  erhoben  werden  durch  das  in  der 
Wiener  Handschrift  No.  13287  erhaltene  Gedicht:  «Schelm 
Muffsky  Ehren-Gedichte  Aufl'  des  Herrn  Bruder  Graffens  Hoch- 
zeit« (vgl.  meine  Abhandlung  Ober  Christian  Reuter,  S.  13 
Anm.  S),  das  dann  von  W.  Creizenach  in  Schnorr  von  Carolsfeld^s 
Archiv  43,  439  zum  Abdruck  gebracht  worden  ist.  Aber  da  es 
untlatiert  war,  so  bot  es  nicht  ausreichende  Anknüpfungen,  um 
weitere  Nachforschungen  zu  ermöglichen.  Fttr  diese  aber  fand 
sich  ein  Fingerzeig  in  einem  Bflcblein,  auf  das  ich  durch  W. 
Creizenach  aufmerksam  gemacht  ward :  »Wohl-informirter  Poet 
.  .  .  «.  Aufl.  Leipzig  1705,  bei  Fr.  Grosohuffa  (148  S.  kl.  80). 
Der  Verfasser  des  anonym  erschienenen  Büchleins  heisst  Uhse 
und  ward  1711  Rector  des  Gymnasiums  in  Merseburg.  Er  war 
ein  vielschreibender  Polyhistor,  aber  ein  durchaus  solider  Mann, 
der  wohl  ganz  ausserhalb  des  Verdachts  steht,  mit  der  Genossen- 
schaft Christian  Reuter's  und  GrelPs  irgend  eine  Verbindung  ge- 
habt zu  haben,  ist  auch  vielleicht  selber  gar  nicht  als  Dichter  auf- 
getreten. In  jener  kleinen  Taschenpoetik  heisst  es  nun  S.  77 
fg. :  «Also  machte  Anno  1702  auf  den  Tod  des  weitberühmten 
Kauff' Herrn  zu  Leipzig ,  Herrn  Johann  Grafens,  ein  werther 


254 

Freund)  mit  dessen  Erlaubniß  ich  seine  Arbeit  allhier  anfuhren 
werde,  folgenden  Vers-Brief.    Der  Titul  lautet  also: 

Es  soll  I  dieß  wenige  |  Herr  Grafens  Hauß  |  bekommen,  | 
Das  einen  blauen  Stern  |  zum  Zeichen  |  angenommen.« 

Im  Eingange  klagt  dann  der  Dichter  sich  an,  dass  er  noch 
keiner  poetischen  Leistungen  zu  häuslichen  Festen  des  Verstor- 
benen sich  rühmen  könne,  und  fahrt  fort,  das  »hochbetrübte  UauB« 
anredend : 

Ich  hab'  auch  dazumahl  Dein  Glücke  nicht  gepriesen, 

Da  Deiitz  Deinen  Sohn  ^Is  Bräutigam  gesehen. 
Allein,  verzeihe  mir,  ich  will  die  Schuld  bekennen, 

Daß  ich  zu  solcher  Zeit  mein  Amt  nicht  wohl  bedacht: 
Jedennoch  solt  ich  Dir  dieselben  Stücke  nennen, 

Die  mich  mit  viel  Vcrdrvss  suapect  und  grob  gemacht, 
So  würdest  Du  gewiss  mir  ohne  Zwang  verzeihen, 

Und  wie  Dein  edler  Geist  es  sonsten  mit  sich  bringt, 
Bey  aller  meiner  Schuld  noch  Deine  Gunst  verleihen, 

Die  in  so  manches  Hertz  mit  Lust  und  Nutzen  dringt, 
loh' weiß,  Do  bist  versöhnt,  ich  will  die  Feder  brauchen, 

Muß  sie  gleich  ietzt,  wie  sonst,  zu  andrer  Arbeit  geho. 
Es  soll  Dir,  edles  Hauß,  ein  treues  Opfer  rauchen ; 

Mein  gantzes  Leben  soll  zu  Deinen  Diensten  slehn. 
Es  ist,  0  Schmertzens  Wort !  Dein  theures  Haupt  gefallen 

n.  s.  w. 
Naemi  weint  in  Dir,  und  ist  zur  Mara  worden,') 

Die  sonst  mit  ihrem  Muth  Amazonen  gegleicht ; 
Es  ist  dieselbige  nunmehr  im  Wittwen-Orden« 

u.  s.  w. 

Dann  wird  noch  angeführt,  dass  eine  Tochter  und  ^drei  llerren 
Söhne«  den  Verlust  beklagton  u.  s.  w. 

Der  Name,  die  Hocbsseit  des  Sohnes,  auch  das  Zeichen  des 
Uauses  erschienen  sehr  verlockend,  denn  »der  blaue  Stern«  war 
ein  bekanntes  Haus  auf  dem  Neukirchhof,  dem  jetzigen  Matthäi- 
kirchhofe,  wo  ja  auch  Herr  Rieh.  Volcmar  Götze  wohnte  und  wo- 
hin noch  Anderes  aus  Reuter's  Kreis  zu  weisen  schien  (vgl.  Ar- 
chiv i 3,438  Anm.).  Aber  der  erste  Anlauf  missglückte:  der 
blaue  Stern  hatte  niemals  einen  Besitzer  Namens  Graf  oder  Graß* 
gehabt.  £sgaltersteinige  Schwierigkeiten  überwinden, bisessich 


4)  Vgl.  Lib.  Ruth  1,  3  und  20:  Etmortuus  est  Elimelech  maritus  Nae- 
mi:  rcmansitquc  ipsa  cum  tlliis.  Et  ait:  ne  vocetis  me  Naemi  (id  est,  pul- 
chram)  sed  vocate  me  Mara  (id  est,  amaram) ,  quia  amaritudine  valdc 
replevit  me  Omnipotens. 


255     

herausstellte,  dass  io  dorn  obigen  Titel  eine  Ungenau igkeit  ent* 
hallen,  dass  ein  berühmtes  üaus  der  Hainstrasse  (oder  Ueuslrasse) 
gemeint  sei,  der  »goldene  und  blaue^)  Sternt.  Dieses  war  seit 
dem  Jahre  1694  im  Besitze  eines  reichen  Kaufherrn  Johann 
Graff  gewesen,  und  dieser  war  am  7.  Sept.  4702  gestorben. 

Auch  die  Hochzeit  des  Sohnes  war  nachweisbar,  aber  auch 
hier  mischte  sich  zunüchst  wieder  Enttäuschung  in  die  Freude 
des  Findens.  Am  25.  April  4702  ward,  nach  Aussage  des  Kir- 
chenbuches, in  Dolitz,  einem  Gute  nahe  bei  Leipzig,  ein  Sohn 
jenes  obenerwähnten  Johann  Graff  vermahlt;  aber  derselbe  war 
bei  dieser  seiner  Verheirathung  bereits  28  Jahr  alt,  und  da  konnte 
jenes  iioohzeits- Carmen  unmöglich  auf  ihn  gehen,  das  ja  den 
bräutigam  als  einen  kaum  schon  Erwachsenen  behandelte.  Es 
schien,  als  habe  ein  Gaukelbild  irre  geleitet,  und  als  müsse  die 
Untersuchung  die  Flügel  hängen  lassen.  Etwas  kJeinmttthig 
spürte  ich  doch  noch  weiter,  bis  eine  gelegentliche  Notiz  die 
Wahrscheinlichkeit  ei^ab,  dass  jene  Vermählung  bereits  die 
zweite  des  Sohnes  gewesen  sei.  Nun  schien  das  Schlachtfeld 
gewonnen  zu  sein,  und  mit  aufgefrischter  Hoffnung  konnte  man 
zu  dem  oft  wenig  ansprechenden  Geschäft  des  Suchens  und  Acten- 
lesens  zurückkehren. 

loh  will  nun  hier  die  Darstellung  des  Ganges  meiner  Unter- 
suchungen abbrechen  und  statt  dessen  eine  zusammenhängende 
und  positive  Entwicklung  des  von  mir  schliesslich  Festgestellten 
ge)>en,  wie  ich  es  ebenso  in  meiner  Arbeit  über  Christian  Reuter 
gcthan  habe,  auf  die  Gefahr  hin,  dass  auch  diesmal  Dilettanten 
von  der  aufgewendeten  Bemühung  keinen  Begriff  erlangen. 

Am  23.  Mai  4667  meldeten  sich  in  Leipzig  twhi  Brüder  zur 
Aufnahme  in  die  Bürgermatrikel,  Johann  Gräfe  und  Michael  Gräfe, 
joner  »Handelsmann«,  dieser  »Leinwandhändier«.  Leider  ist  der 
Ort,  woher  sie  kamen,  nicht  angegeben  :  der  Platz  ist  offen  ge- 
lassen. Vielleicht  stammten  sie  aus  Böhmen  :  der  Leinwand- 
handel Leipzigs  bezog  vielfach  von  dort  seine  Waaren,  und  dann 
würde  es  hierzu  wohl  passen,  wenn  die  erste  Ausgabe  des  Schel- 
muffsky  den  Herrn  Bruder  einen  »Böhmischen«  Grafen  nennt. 


4)  Die  nahe  liegende  Vermuthang,  dass  vielleicht  das  eine  dieser  Ad- 
jeciiva  erst  von  Johann  Graff  bei  Gelegenheit  des  von  ihm  ausgeführten  Neu- 
baues dem  Hause  beigelegt  wtfre,  triflft  nicht  zu.  Bereits  in  dem  Kauf  vertrage 
vom  S4.  Sept.  1694  führt  es  beide  Namen. 


256     

Beide  waren  in  guten  Verhällnissen;  Johann  noch  in  hclherm  Grade 
als  Michael ;  sie  mussten  eine  tüchtige  Summe  als  Eintrilisgeld 
erlegen,  das  damals  je  nach  den  Vermögensumständen  der  Ein- 
zelnen verschieden  bemessen  ward :  Johann  zahlte  50  ,  Michael 
40  Thaler.  Aus  der  Altersangabe  bei  seiner  Beerdigung  ersehen 
wir,  dass  Johann  um  4635  geboren ,  also  damals  etwa  32  Jahre 
alt  war.  Der  Bruder  Michael  verschwindet  fortan  aus  unserer 
Geschichte. 

Johann  Graff  ^)  aber  fasste  schnell  festen  Fuss  in  Leipzig. 
Bereits  im  folgenden  Jahre ,  am  3.  December  4668,  ^rard  der 
»Ehrsame  und  Ftirnehme«  Herr  Johannes  Graff  mit  der  »Wohler- 
baren und  Tugendreichen«  Jungfer  Regina,  geb.  Wiedemann'^), 
copuliert.  Der  Vater  dieser  war  ein  »Ehrenvester  und  Ftlmeh- 
mer«,  nauch  Wolbekannter«  Handelsmann  in  Leipzig,  Besitzer 
eines  Hauses  in  der  Katharinenstrasse  und  offenbar  in  sehr  guten 
Yermögensverhältnissen ,  Regina  aber  scheint  ein  energisches 
Frauenzimmer  gewesen  zu  sein ,  da  sie  unser  Dichter  oben  mit 
den  Amazonen  verglich :  was  von  ihr  Schriftliches  zu  den  Acten 
gegeben  ist,  zeigt  auch  eine  vollkommen  männliche  Hand.  Jo- 
hann Graff  legte  eine  Gold*  und  Silbermanufactur,  d.  h.  eine 
Gold-  und  Silberspinnerei,  an,  bekam  für  dieselbe  ein  Privile- 
gium, und  erwarb  auf  diese  Weise,  da  die  Liebhaberei  ftti*  Gold- 
stickerei noch  im  Steigen  begriffen  war,  ein  grosses  Vermögen. 
Als  er  1 702,  68  Jahre  alt,  starb,  ward  dasselbe  bei  der  Ausein- 
andersetzung der  Erben  auf  nahezu  300  000  Thaler  taxiert, eine 
in  jener  Zeit  für  einen  Privatmann  enorme  Summe. 

Zunächst  entsprossten  der  Ehe  zwei  Töchter,  Johanna  Su- 
sanna und  Johanna  Regina.  Beide  wui*den  in  hochangesehene 
Patricierfamilien  vermählt ,  die  erstere  mit  Joh.  E.  Kregel,  die 
letztere  mit  Daniel  Winkler  dem  Älteren.  Dann  erst,  am  48. 
August  4674,  ward  ein  Knabe  geboren,  der  in  der  Taufe  den 
Namen  Johannes  Christian  erhielt.    Ihm  sind  später  noch  zwei 


\)  So  wird  der  Name  von  ihm  selbst  fortan  stets  geschrieben,  nur 
von  Fremden  zuweilen  auch  Gräfe,  ein  Beweis,  dass  das  a  lang  gesprochen 
ward. 

2)  Ist  hier  eine  Verbindung  zu  suchen  mit  dem  Weidmann  in  dem 
Gedichte  auf  Stephan  Packbusch?  vgl.  Archiv  13,  438  Str.  24.  Im  Somnier 
4690  ward  immatriculiert  Chr.  Henr.  Weidemann  Lips.,  freilich  gratis,  was 
hier  kaum  passen  dürfte. 


— -     257     

Brüder,  Johann  Gottlob  und  Friedrich  Heinrich,  gefolgt.  Beides 
scheinen  ordentliche  Leute  gewesen  zu  sein,  der  jüngste  ward 
sogar  Doctor  juris;  für  uns  haben  sie  keine  weitere  Bedeutung. 
Unser  Mann  ist  der  Erstgeborne,  Johann  Christian. 
Dass  er  es  ist,  beweist  seine  erste  Vermahlung.  Am  S4.  No- 
vember 4696^  also  zu  der  Zeit  als  die  Erregung  der  Genittther 
von  wegen  des  Schelrouffsl&y  so  ziemlich  auf  ihrer  Höhe  war, 
verheirathete  er  sich  mit  Jungfrau  Elisabeth,  des  Herrn  Joh. 
Jac.  Käsens,  »Ghurfttrstl.  Hochbestallten  Oberpostmeisters  und 
Vornehmen  des  Rathes«  eheleiblicher  Tochter.  Damals  war  er 
eben  9ii  Jahre  alt,  konnte  also  wohl  wegen  seiner  Jugend  den 
Spott  der  Reuterianer  hervorrufen : 

Der  als  ein  junger  Mann 
So  zeitlich  eilen  kann 
Ins  Neste. 

Dis  ist  ein  guter  Sprung, 
Ist  er  gleich  noch  ein  Jung 
u.  s.  w. 

Ferner  passt  offensichtlich  auf  ihn : 

Das  Ding  ist  wohl  bestellt, 
Der  Vater  giebt  das  Geld 
Und  Essen. 

Dann  auch  der  Name  seiner  Gattin  Elisabeth : 

Sein  tausend  Schatz  Lisette 
Die  macht  ihn  schon  zum  Mann. 

Also  ein  Zweifel  ist  nicht  gestattet. 

Auch  dem  »Wein  und  Spiela,  wie  das  Ehren-Gedichte  an- 
deutet, hat  er  zweifelsohne  gefröhnt.  Auch  er  gehörte  zur 
Jeunesse  dorce  und  dem  Charakter  desEustachius  Müller  ist  der 
seinige  wohl  sehr  ähnlich  gewesen,  so  dass  man  sie  wohl  zu- 
sammenwerfen konnte.  Als  der  Vater  am  4  4.  und  26.  April 
1702  sein  Testament  machte,  wurde  Joh.  Christian  in  offensicht- 
lichster Weise  zurückgesetzt,  gewiss  weil  er  bereits  viel 
Geld  in  unverantwortlicher  W^eise  durchgebracht  hatte:  es  ist 
sicherlich  nur  Euphemismus,  wenn  das  Testament  sagt,  er 
habe   für   seine   Reise  und   seine  Ueirath  Viel  vorausbekoui- 


258     

meD^).  Das  oiochle  es  rochiferligcn,  wenn  den  beiden  Brüdern, 
wie  es  geschieht,  bedeutende  Summen  vorausgegeben  werden 
(je  5000  Thaler  i^zu  ihrer  Reise  und  Heyrath-Koslen«) ;  aber  sie 
bekommen  auch  die  beiden  Ilauser  in  der  Hainslrasse  undKatha- 
rinenstrasse,  und  der  Erstgeborne  erhält  nur  das  Recht,  in  einem 
derselben  sich  eine  Wohnung  im  zweiten  Stock  gegen  Erleguog 
von  400  Thaler  jähriidi  wühlen  zu  dürfen.  Und  auch  so  noch 
wird  er  beschränkt,  er  darf  nicht  »variiren«.  Als  sein  Schwie- 
gervater 4  705  starb ,  bestimmte  er  ausdrücklich  ,  dass  dem 
Schwiegersöhne,  der  seine  Frau  schon  frühe  verloren  hatte, 
kein  Capital  in  die  Hände  gegeben  werden  solle,  nur  nach  Be- 
darf sollte  ihm  für  die  Erziehung  seiner  Kinder  das  Nöthige  ver- 
abreicht, das  Uebrige  aber  bis  zur  Majorennilät  derselben  reser- 
viert werden.  Gleich  nach  des  Vaters  Tode  1702  begann  ein 
Process  der  Schwester  gegen  ihn,  weil  er,  der  bis  dahin  allei- 
niger Compagnon  des  Vaters  gewesen  war,  die  Handlung  nichl 
loyal  verwalte.  Auch  von  dem  Gatten  der  zweiten,  mittlerweile 
verstorbenen  Schwester  ward  in  seiner  Eigenschaft  als  Curator 
der  Tochter  ein  Process,  freilich  nicht  gegen  ihn  allein,  ange- 
strengt. Endlich  1708  ward  die  Handlung  auf  kurfUrstliciien 
Befehl  unter  Administration  gestellt,  und  wie  bis  dahin  Joh. 
Christian  gewirthschaftet  hatte,  sehen  wir  daraus,  dass  er  plötz- 
lich in  der  grössten  Geldverlegenheit  sich  befindet.  Er  wendet 
sich,  da  er  sonst  keine  Hülfe  findet,  mit  inständigsten  Bitten  ao 
den  Bruder  seiner  ersten  Frau,  den  jungem  Käse  (Kees),  und 
wünscht  »da  er  zu  seinen  höchsten  Bedürfnissen  und  zur  Abtra- 
gung unterschiedener  Schulden,  einiger  Gelder  benöthiget«,  eine 
abschlägliche  Ausantworiung  eines  Capitals  von  3000  Thaler 
aus  der  Erbschaft  seiner  Kinder.  Nur  auf  hypothekarische  Bürij- 
schaft  der  Mutter  will  sich  der  Schwager  darauf  einlassen,  und 
die  Mutter  muss  nun  Garantien  aufzubringen  suchen ,  um  den 
Sohn  nicht  fallen  zu  lassen.  Und  in  demselben  Jahre,  4709,  ver- 
kauft er  eine  von  seinem  Vater  ererbte  Schuldforderung  von 
4242  Thaler  für  4000  Thaler,  weil  er  wieder  Geld  braucht. 
Einige  Jahre  darauf,  obwohl  die  Geschwister  mittlerweile  ihre 
Mutter  beerbt  hatten,  stellt  er  einen  Wechsel  auf  500  Thaler  aus. 


<)  »§  14  :  Bescheide  und  erinnere  ich  mich,  dass  mein  ältester  Sohn 
mich  ein  großes  sowohl  wegen  seiner  Reise  als  Heyrath  gekostet,  and  er 
also  ein  Ziemliches  voraus  genoßen  .  .  .« 


259     

löst  ihn  aber  nicht  ein,  und  vom  24.  Juni  bis  zum  44.  October 
1747  wird  ihm  eine  W^che  eingelegt,  4  Corporal  und  3  Mann 
stark,  bis  er  am  letstern  Tage  die  zu  649  Thalern  angewachsene 
Summe  in  2  Beuteln  aufs  Rathhaus  sendet.  Und  dies  geschieht 
einem  Manne  gegenüber,  dessen  Vater  ein  Vermögen  von  300000 
Thalern  hinterlassen  hatte  und  dessen  Mutter  Eigenthttmerin 
mehrerer  Häuser  gewesen  war.  Bei  jener  Gelegenheit  erfahren 
wir  auch ,  dass  er  aus  der  Handlung  heraus  war  und  sieh  mit 
der,  offenbar  vergeblichen,  Hoffnung  trug,  noch  wieder  in  die- 
selbe aufgenommen  zu  werden.  Man  sieht,  es  geht  mit  ihm,  wie 
es  mit  Eustachius  Mtlller  gegangen  war,  er  bringt  sein  Vermd- 
£xen  durch  und  sich  selber  um  Credit  und  Achtung.  Freilich, 
ein  so  jähes  Ende  wie  mit  jenem  nahm  es  bei  ihm  nicht;  dazu 
war  das  Vermögen  doch  schliesslich  zu  gross,  der  Halt  an  den 
Leipziger  Verwandten  ein  zu  starker,  und  als  er  am  26.  Juni 
1720,  46  Jahre  alt,  beerdigt  ward,  folgte  ihm,  wie  im  Leichen- 
buche  ausdrücklich  erwähnt  wird,  die  »ganze  Schule«.  Er  starb 
also  immer  noch  als  ein  angesehener  Mann. 

Aus  den  schon  angeführten  Worten  des  väterlichen  Testa- 
mentes sehen  wir,  dass  unser  Johann  Christian  eine  kostspie- 
lige Reise  zu  seiner  Ausbildung^)  gemacht  hatte.  Natürlich  vor 
seiner  ersten  Verheirathung.  Und  da  wir  für  Verlobung,  An- 
bahnung des  Verhältnisses  zu  seiner  Verlobten  u.  s.  w.  doch 
nothwendig  eine  gewisse  Anstandsfrist  ansetzen  müssen,  so  dür- 
fen wir  annehmen,  dass  er  im  Jahre  4695  zurückgekehrt  ist. 
Damit  werden  wir  in  dieselbe  Zeit  gewiesen,  zu  der  Eustachius 
Müller  von  seiner  Reise  heimkehrte,  im  Anfang  October  jenes 
Jahres.  Also  sind  jene  beiden  jungen  Männer  zu  gleicher  Zeit 
auf  Reisen  gewesen.  Auch  zusammen?  wenigstens  theilweisc 
zusammen?  Warum  nicht?  Eustachius  war  gerade  7  Jahre  älter 
als  Johann  Christian^),  sollte  er  vielleicht  gar  als  älterer  Reise- 
begleiter dem  noch  nicht  20  jährigen  jungen  Manne  an  die  Seite 
i^osetzt  sein,  den  man  doch  gewiss  nicht  aliein  reisen  liess?  Der 
Anlass  zu  einer  Rekanntschaft  lag  sogar  sehr  nahe.  Gerade 
gegenüber  dem  rothen  Löwen  ,  dem  Hause  der  Familie  Müller, 


1)  Auch  bei  den  beiden  jüngeren  Brüdern  setzt  das  Testament  vor- 
aus, dass  sie  reisen  würden. 

2)  Eustachius  Mttllor  geboren  am  30.  Aug.  4667,  Job.  Christian  Graff 
am  18.  Aug.  4  674. 


260     

.auch  an  der  Ecke  des  Brtthl  uod  der  Heichsstrasse,  lai^  das 
Haus  des  Stiefbruders  der  Frau  Regina  Graf!',  eines  Daniel  Leh- 
mann, das  später  die  Grafts  erbten  und  in  dem  unser  Joh.  Chri- 
stian gestorben  ist.  Es  ist,  beiläufig  bemerkt,  dasselbe  Haus,  in 
weichem  Theodor  Körner  als  Student  wohnte.  In  diesem  Hause 
des  Onkels  wird  der  junge  Graff  viel  gewesen  sein ,  denn  es 
scheinen  freundschaftliche  Pamilienbeziehungen  gewallet  zu 
haben.  Hier  mag  sich  der  Knabe  mit  dem  älteren  Eustachius 
von  gegenüber  angefreundet  haben,  auch  die  Eltern  mögen  dem 
Letzteren  vertraut  haben ,  von  dem  wir  ja  nicht  anzunehmen 
brauchen,  dasser  auch  in  diesem  Kreise  und  schon  damals  übel 
angesehen  gewesen  sei.  Aber  wie  dem  sein  möge,  die  gemein- 
same Zeit  ihrer  Abwesenheit  macht  immerhin  eine  theilweisc 
Gemeinsamkeit  ihrer  Reise  recht  glaublich. 

Zu  dem  Herrn  Bruder  Grafen  gehört,  wie  zu  den  Evange- 
listen, Aposteln  und  Märtyrern  ihr  Erkennungszeichen,  der 
Schellen-Schlitten.  Schlittenfahrten  waren  damals  in  Leipzig 
eine  Liebhaberei  der  vornehmen  und  der  studentischen  Welt; 
auch  der  Hof,  wenn  er  grade  in  Leipzig  war,  stellte  wohl  solche 
Vergnügungen  an .  Man  maskierte  sich,  man  fuhr  auf  dem  Markte 
Corso  u.  s.  w.  Im  Jahre  1689  und  1690  war  viel  Schnee  gefal- 
len, und  Vogel  in  seinen  Annalen  sagt  bei  Erwähnung  eines 
starken  Schneefalles  frühe  am  9.  November,  »dahero  man  zeit- 
lich auf  den  Schlitten  fahren  kunte«.  Bei  diesen  Schlittenfahrten 
hatte  sich  vielleicht  der  junge  GrafT,  der  verschwenderische  Sohn 
eines  steinreichen  Vaters,  durch  einen  besonders  eleganten 
Schlitten  hervorgethan,  vielleicht  diesen  Sport  auch  mit  beson- 
derem Eifer  betrieben,  vielleicht  selbst  den  Eustachius  aus  dem 
Hause  gegenüber  ein  und  das  andere  Mal  gefahren  u.  s.  w. 
Doch,  man  muss  sich  hüten,  Romane  zu  construieren.  Genug,  dass 
die  Veranlassung  zu  Schilderungen,  wie  sie  der  Schelmuffsky 
bietet,  sehr  nahe  liegt. 

Zur  Charakteristik  des  Bruder  Grafen  gehört  auch,  dass  er 
mit  seinem  Adel  renommiert,  »er  erzehlete  seinen  Gräfl.  Stand 
und  daß  er  aus  einem  uhralten  Geschlechte  herstammete ,  wel- 
ches 32  Ahnen  hätte,  und  sagte  mir  auch,  in  welchem  DorfTe 
seine  Grosse-Mutter  begraben  liege«.  Die  letztere  Angabe  müs- 
sen wir  nun  freilich  auf  sich  beruhen  lassen,  da  die  Leipziger  Bür- 
germatrikel die  Ueimath  der  ankommenden  Graffs  nicht  ange- 
geben hat,   und  bei  jenem  Renommieren  mit  dem  Adelstitel 


261     

klinnten  wir  glauben,  dass  der  Name  Graflf  ausreichend  dazu  her- 
ausfordern mochte^].     Aber  es  scheint  doch  elwas  mehr  daran 
zu  sein.  Denn  im  Jahre  184S  nahm  der  letzte  erstgeborne  Nach- 
komme unsers  Johann  Christian,  Johann  Ferdinand  Graff,  der 
bis  1812  in  Wittenberg  studiert  hatte  und  dann  als  Sous-Lieute- 
uant  in  das  Königl.  Sachs.  Militär  eintrat,  bei  dieser  Gelegen- 
heit den  Namen   »Grafl*  von  Graffenfeld«   an,  und  sein  Bevoll- 
mächtigter,  der  in  Stipendienangelegenheiten  fUr  ihn  mit  dem 
leipziger  Stadtrathe  correspondierte,  theilte  dies  mit,  indem  er 
von  seinem  Mandanten  sagte ,  »der  sich  dermalen  beim  Militär 
engagirt,  und  in  Bezug  auf  das  von  seinen  Vorältern  ererbte 
Adelsdiplom  und  Wappen^)  den  Adel  wieder  hervorgesucht, 
auch  sich  als  Graff  von  GrafTenfeld  beim  Militär  gemeldet  hat, 
und  fernerhin  so  nennen  wird«.     Da  nun  in  der  Zeit  zwischen 
Johann  Christian  und  diesem  Johann  Ferdinand  eine  Nobilitierung 
nicht  statt  gefunden  hatte,  da  man  ferner  doch  kaum  glauben 
kann,  dass  der  Letztere  die  Stirn  gehabt  haben  sollte,  ohne  jeg- 
liche Unterlage  sich  den  Adelstitel  anzumassen ,  der  ihm  von 
der  Militärbehörde  wie  vom  Leipziger  Stadtrath  zugestanden 
ward,   desgleichen  auch  von  Seiten  der  Kirchenbuchftthrung  in 
Wittenberg,  als  er  dort  am  4.  September  1834  als  Königl.  Preus- 
bischer  Premier- Lieutenant  a.  D.  starb,   so  kann  man  gewiss 
jeneAngabenicht  völlig  ignorieren.  Auch  seine  Schwester,  eine 
Pastorin  Beyer,  nannte  sich  i»geb.  Graffv.  Graffenfelda  und  Über- 
trug diesen  Adelstitel  auch  auf  einen  Onkel ,  der  in  Warschau 
ein  höherer  Beamter  war.    Dieser  freilich  machte  von  dem  Adel 
keinen  Gebrauch,  sondern  unterzeichnet  sich  einfach  GrafT.  Die 
Sache  ist  nicht  ganz  klar,  eine  Anrufung  des  Heroldsamtes  und 
Bestätigung  des  wiederaufgenommenen  Adels  durch  dasselbe 
hat  scheinbar  nicht  stattgefunden.   Dennoch  kann  man  die  Mög- 
lichkeit nicht  in  Abrede  stellen ,  dass  sich  wirklich  unter  den 
Graffschen  Familienpapieren  solche  befunden  haben ,  die  von 
früherem  Adel  handelten^),  und  dann  wird  unser  junger  Johann 


i)  Hau  liest  z.  B.  in  den  Acten  ganz  gewöhnlich :  »Joh.  Christ,  und 
Job.  GoUl.  die  Grafen«,  u.  ä. 

2)  Das  Wappen  ist  freilich  dasselbe,  welches  die  Grafts  in  Leipzig 
führten,  ein  Stern  im  Schilde  und  auf  dem  Helm.  ojTenbar  mit  Beziehung 
auf  das  Zeichen  des  Hauses  in  der  Hainstrasse. 

8)  Wohin  die  Papiere  des  Johann  Ferd.  Gmff  geralhen  sind,  Hess  sich 
leider  niobt  festfitellen. 


262     

Christian  es  nicht  unterlassen  haben,  auch  damit  zu  renommieren, 
und  so  hätten  wir  eine  abermalige  Uebereinstimmung  von  Bo- 
man  und  Wirklichkeit  zu  constatieren. 

Mit  jenem  GrafFv.Graffenfeld,  derunverheirathet  geblieben 
war^  stirbt  die  Erstgeburtslinie  unsers  Johann  Christian  aus. 
Der  Zweig  verkümmerte.  Schon  seine  Kinder  fanden  in  Leipzig 
nicht  mehr  ihre  Stelle,  sie  wanderten  aus  nach  Wittenberg : 
hier  war  Johann  Jacob  (geb.  4699  f  4775)  Advocat,  dessen  älte- 
ster Sohn  Carl  Jacob  (f  4  807)  Proviantofficier  und  Steuerein- 
nehmer, und  dessen  Sohn  war  der  erwähnte  Johann  Ferdinand. 
Bei  dem  Tode  dieses  waren  die  Verhältnisse  die  dürftigsten. 
Ais  der  Todtenschein  ausgestellt  ward,  erfolgte  derselbe  »Ar- 
muthswegemr  unentgeltlich  und  ohne  Stempelgebühren.  Die 
schon  erwähnte  Schwester  bewarb  sich  kläglich,  unter  Anrufung 
besonderer  Vermittlung,  um  eine  der  Wittwenunterstülzungen 
von  jährlich  6  Thaler,  diesammt  zwei  Stipendien  für  Studierende 
der  Ahnherr  des  Geschlechtes  einst  in  seinem  Testamente  aus- 
gesetzt hatte.  Von  den  zweitgebornen  Söhnen  leben  noch  Nach- 
kommen, von  denen  die  Collatur  jener  Beneßcien  noch  heute 
ausgeübt  wird,  wackere  Männer,  wie  es  scheint,  aber  der  Reich- 
thum  der  Ahnen  ist  dahin,  und  sicher  war  er  es  bereits  durch 
den  Leichtsinn  unseres  Johann  Christian,  des  Herrn  Bruder 
Grafen  des  Bustachius  Schelmuffsky.  Die  Linien  der  jüngeren 
Bruder  Johann  Christians  sind  längst  ausgestorben. 


2.  Der  lustige  Weinschenke  Johannes. 

Schon  in  meiner  Abhandlung  über  Christian  Reuter  (S. 
424  fg»)  habe  ich  daraufhingewiesen,  dass  der  lustige  Wein- 
schenke Johannes  in  Reuter's  Graf  Ehrenfried  offenbar  eine  aus 
dem  Leben  gegriffene,  damals  in  Leipzig  stadtbekannte  Per- 
sönlichkeit sei.  Ich  wies  dann  darauf  hin  (das.  S.  422),  dass  er 
Diez  geheissen  haben  werde,  der  als  Inhaber  eines  Weinkellers 
in  Götzens  Brief  vom  46.  Juni  4700  §  8  genannt  wird.  Ich  hätte 
noch  hinzufügen  können,  dass  der  Weinkeller,  in  dem  er  wirlh- 
schaflete,  der  berühmte  Auerbach'sche  gewesen  sei.  Dieser  wird 
in  dem  Schreiben Götze^s  vom  49.  Januar  4700  und  in  dem  spöt- 
tischen Briefe  Christian  Reuter's  vom  4  8.  Februar  ausdrücklich 
genannt;  auf  die  an  letzterer  Stelle  erwähnten  Vorgänge  wird 


263     

angespielt  in  dem  Graf  Ehrenfried ,  und  mit  dieser  Anspielung 
wieder  wird  in  dem  ersterwähnten  Schreiben  Götzens  (vom  16. 
Juni]  der  Name  des  Wirtbes  Diez  in  Beziehung  gebracht,  so  dass 
es  also  die  beiden  noch  heute  besuchtesten  Weinkeller  Leipzigs 
waren,  der  Auerbach'sche  und  der  Aeckerlein sehe,  um  die  es 
sich  in  dem  Reuter'schen  Kreise  hauptsächlich  drehte. 

Dass  jene  Verraulhungen  das  Richtige  getroffen  haben,  be- 
weist wiederum  eine  Anführung  in  dem  vorher  angezogenen 
Buche  von  ühse.  Auf  S.  9  handelt  der  »Wohl-informirte  Poet« 
von  den  s.  g.  Inscriptionen ,  die  als  Zwischending  zwischen 
Poesie  undOratorie  cl:»rakterisiert  werden.  »Kurtz  zu  sagen,  so 
müssen  in  den  Inscriptionen  lauter  scharffsinnige  Redens-Arten 
und  die  Zeilen  von  unterschiedener  Länge  seyn,damit  sie  einige 
Figur  machen.«  Die  Arten  der  scharfsinnigen  Redens -Arten 
werden  dann  aufgezählt,  und  darauf  heisst  es:  »Wir  wollen  ein 
einiges  Exempol  auf  den  so  beruffenen  Polter-IIanB  ver- 
fertigen : 

Stehe  stille  1 

Curieuser  Leser, 

Hier  liegt  ein  Mann  begraben, ' 

Den  seine  Untugenden  berühmt  gemacht. 

Er  war  ein  vernünfTUges  Schwein, 

Dos  Bacchi  natürliches  Ebenbild, 

Aller  Leute  Bruder, 

Und  doch  mit  niemanden  befreundet, 

Ward  auch  von  niemanden  zum  Bruder  begehret. 

Er  leerte  die  Gläser, 

Er  fraß  die  Gläser, 

Auch  die  Ecken  an  den  Oefen  waren  vor  seinen  Zühnen  nicht  sicher. 

Er  war  ein  höflicher  Tölpel, 

Der  seine  tumme  Reverence  gegen  iederman  machte. 

Seiner  Profession  nach  war  er  ein  Gastwirth, 

Seine  abentheuerliche  Possen  lockten  mehr  Gäste  an  sich, 

als  alle  Delicatessen. 

Sein  Wohlstand  machte  ihn  zu  einem  Viehe, 

Sein  Unglück  zu  einem  Menschen, 

Sein  Leben  war  ein  Inbegriff  aller  Laster, 

Sein  Tod  hingegen  Lobens^werth  : 

Denn 

Im  Leben  wüste  er  nichts  von  Busse ; 

Allein 
Im  Sterben  wüste  er  dieselbe  wohl  zu  practiciren. 

Dannenhero 
Tadle  sein  Leben, 


264     

Und 
Rühme  seinen  Tod. 

Wie  heisset  aber  dieser  Mann? 

Er  ist  dir  sehr  wobl  bekannt. 

Ob  du  ihn  gleich  nicht  gekennet  hasl : 

In  Leipzig  wohnete  er, 

In  Sachsen  ward  er  in  einer  lustigen  Comcedic  vorgrslellel. 

In  Holland  ward  er  in  KupfTer  gestochen. 

Und  im  Lazareth  vor  Leipzig  starb  er. 

Aus  der  Taufte  her  hieß  er  Johannes, 

Von  seinem  Vater  Tietze, 

Und 

Wegen  seiner  wunderlichen  AüfTühruDg 

Polter-Hanß. 

Man  sieht,  dieUebereinstimmung  ist  vollkommen.  Mit  der 
lustigen  Comödie  ist  natürlich  der  Graf  Ehren fried  gemeint,  mit 
dem  Kupferstich  der  diesem,  vielleicht  auch  der  dem  Schelm ufTsky 
beigegebene  (vgl.  meine  ÄbhandlungS.  138.446],  von  dem  wiralso 
hier  erfahren ,  dass  er  in  Holland  gefertigt  ward.  Worin  sein 
Unglück  bestand,  wird  nicht  gesagt:  wahrscheinlich  doch  in 
der  schweren  Erkrankung,  derentwegen  er  in  das  Lazareth  ge- 
bracht werden  musste.  Dies  Lazareth  war  damals  bereits  am 
Eingange  des  Rosenthals,  das  s.  g.  Jacohshospital.  Acten  des- 
selben aus  jener  Zeit  haben  sich  nicht  erhalten.  Dagegen  wis- 
sen wir  aus  einer  Eintragung  im  Leichenbuche,  dass  er  nicht, 
wie  das  mit  den  im  Lazareth  Gestorbenen  der  Fall  war,auf  dem 
dortigen  Gottesacker  eingescharrt,  sondern  auf  die  öffentliche 
Leipziger  Begriibnissstütte,  den  .lohannisfriedhof,  übergeführt 
ward.  Die  Einzeichnung  im  Leichenbuche  lautet:  »1702.  Son- 
tag  den  31.  X^'-  Gratis,  ein  Mann,  etwa  50  Jahre,  Johan  Dietze. 
Bürger  und  gewesener  W  eiuschencke,  im  Lazareth,  starb  Frei- 
tag [den  29.  December],  wurde  nach  St.  Jobannis  begraben  aufn 
Gottesacker,  sonst  Polter-HanB  genandt.«  Also  starb  er  arm. 
so  dass  nicht  einmal  die  Beerdigungskosten  aus  seinem  Nach- 
lass  bestritten  werden  konnten.  Aber  so  populUr  war  der  Mann, 
dass  man  ihn  dennoch  nicht  beim  Lazareth  beerdigen  Hess,  und 
so  stadtkundig,  dass  selbst  der  sonst  so  nüchterne  und  rein  ge- 
schSiflsmüssig  registrierende  Leichenbuchführer  es  nicht  unter- 
lassen mochte,  seinen  Spitznamen  mit  zu  verewigen. 

Von  seinem  Leben  vermag  ich  nur  noch  ^in  Datum  beizu- 
bringen.  Am  5.  Mai  1676  ward  er  in  die  Bürgermatrikel  einge- 


265     

tragen,  und  wir  erfahren  dabei,  dass  er  aus  Schkeuditz  herüber 
kam.  Der  Eintrag  lautet:  »5.  Mai  4676.  HannB  Dietze,  Wein- 
schenke von  Sekeuditz ,  soll  seine  Eheliche  Geburth  bescheini- 
gen, erleget  vors  Bürger-Recht  20  Thaler.   Juravit.« 

Mit  einem  Wunsche  möchte  ich  schliessen  :  möge  es  nun 
auch  noch  gelingen,  das  Urbild  zum  Graf  Ehrenfried  festzu- 
stellen. Denn  dass  auch  hier  eine  Persönlichkeit  jener  Zeit  vor- 
geschwebt hat,  kann,  nach  dem  was  wir  bisher  haben  nach- 
weisen können,  kaum  noch  einem  Zweifel  unterliegen. 


ä.  Ein  Psendo-Renter? 

In  seinen  lehrreichen  »Studien  zur  Literaturgeschichte  des 
XVIII.  Jahrhunderts«  S.  424  führt  Max  Kawczyüski  aus  dem 
oMaterienkataloge«  der  König].  Bibliothek  zu  Dresden  das  fol- 
gende Werk  an : 

4702.  Hilarius  (Christian  Reuter), 
der  allezeit  lustige  Student,  oder  Prinzen  Fredonius  (lies  Fere- 

donis)  akademischer  Lebenslauf. 

Dieser,  früher  von  mir  nicht  beachtete  Titel  versetzte  mich, 
als  ich  ihn  entdeckte,  in  nicht  geringe  Spannung,  denn  er  stellte 
nicht  nur  ein  neues  Werk  von  Christian  Reuter,  sondern  auch 
eins  von  ganz  besonderem  Interesse  in  Aussicht.  Das  Studen- 
lenleben  war  ja  der  eigentliche  Tummelplatz  der  Reuter'schen 
Muse  gewesen  und  das  Jahr  4702  war  in  der  Aufzählung  seiner 
schriftstellerischen  Leistungen  noch  unbelegt.  Es  war  ein  sehr 
wichtiges  Jahr,  die  Zwischenzeit  zwischen  seiner  Leipziger  und 
seiner  Berliner  Periode.  Auf  meine  Bitte  erhielt  ich  von  der  ge- 
nannten Bibliothek  das  nachstehende  Buch  (Lit.  Germ.  rec.  C. 
397)  zugesandt: 

Der  allezeit  |  Lustige  Studente,  |  Oder  |  Printzens  Fere^ 
donis  jAcademischer  Lebens-  |  Lauft',  |  Worinnen  |  Nicht 
nur  dessen  Wunder-  |  volle  Begebenheiten  ausführlich  | 
bei-ühret,  sondern  auch  ein  und  andere  |  lustige  Actionen. 
so  von  dessen  guten  |  Bekandten  in  unterschiedlichen 
Com-  I  pagnien  ausgeübet  worden,  anmu-  |  thigst  mit  vor- 
gestellet  |  werden;  |  Alles  in  Ilislorischer,  und  mit  |  dem 
Mantel  einer  annehmlichen  Lie-  |  bes-Geschicht  und  Ro- 

4887.  48 


266     

•  maine  bedeck-  |  ten  Wahrheit  beruhende,  |  Aufgesetzt  von 
HILARIO.  I  Nürnberg,  |  In  Verlegung  Johann  Christoph 
Lochners,  Buchhändlers.  4702. 

(Rückseite  des  Titels  leer,  dann  40  unbesifferte  Blätter 
»Vorredea,  darauf  672  bezifferte  Seilen  46«,  die  letzten  beiden 
Seiten  mit  kleinerem  Druck.) 

Aber  die  Spannung  erlahmte  bald.  Ich  fand  ein  breites 
langweiliges  Buch,  und  die  grössten  Zweifel  regten  sich  sogleich, 
ob  dies  Werk  wirklich  von  Christian  Reuter  herrühren  könne. 
Freilich,  so  geflissenlHdi  allad  Loeale  verhüllt  erschien,  in  Leip- 
zig —  hier  Memßs,  Memphis  genannt  —  spielte  die  Handlung. 
S.  256  wird  »das  kleine  Fürsten-Collegiuro«  erwähnt,  S.  324 
*der  rothe  Hahn  in  der  Heu  -  Strasse« ,  wo  die  Kutschen  für  die 
Landpartie  genommen  werden :  das  wird  der  »goidne«  Hahn  in 
der  Hainstrasse  sein,  die  damals  auch  Heustrasse  hiess;  S.  526 
wird  auf  die  bekannten  Esel  des  Thomas-Müllers  angespielt; 
S.  443  ergeht  an  die  Universität  ein  Churfürstlicher  Befehl, 
S.  609  wird  der  Sitz  der  Landesherrschaft  Dresano  genannt ;  ja 
S.  365  fuhrt  der  Wirth  den  Namen  »Polter-Hannß«,  hier  zwar  aus- 
serhalb Leipzigs,  aber  doch  otlenbar  den  soeben  von  uns  be- 
sprochenen lustigen  Weinschenken  copierend :  auch  er  radebrecht 
etwas  französisch  (S.  325,  vgl.  S.  424  meiner  Abhandlung], 
redet  die  Gäste  mit  »Herr  Bruder«  und  mit  dDu«  an  (vergl.  z.  B. 
S.  373)  u.  s.  w.*)  Manches  Andere  stimmt  wenigstens  zu  den 
Leipzigerverhältnissen  ,so  wenn  der  vornehmste  Professor  zugleich 

Generalsuperintendent  genannt  wird  (S.  257),  wenn  der  Wirth 
eines  der  besuchten  Dörfer  »der  Universität  Unterthan«  genannt 
wird,  wenn  an  die  Stadt  gleich  sich  Wälder  anschliessen  u.  ä. 
Auch  die  Anknüpfungen  für  die  geschilderten  Prügeleien  mit 
Bauern  und  Soldaten  finden  sich  in  Vorkommnissen  des  letzten 
Decenniums  in  Leipzig.  Anderes  wird  den  Zeitgenossen  erkenn- 
bar gewesen  sein,  das  für  uns  verdeckt  ist,  z.B.  die  Orte,  welche 
das  Ziel  von  Spazierritten   und  Landpartien  sind,  die  Dörfer 


i)  Der  Held  selber,  der  Prinz  Feredo  von  Casiitien,  ist  höchst  wahr- 
scheinlich der  im  Sommerseinester  4  690  immalriculierte :  lUustrissimus  Co- 
nies  DominusJohannesFridericasComesin  Castell.  Promisit  (d.  h.  es  ward 
ihm  als  Fürstlichem  der  Eid  erlassen).  2  Thir.  {<!.  i.  die  doppelte  Immatri- 
culationsgebUhr  selbst  der  Adligen). 


267     

Priapos,  Nepa,  Parthenope^  Grimmeiidorfy  die  BVeslungt  ftappttsa, 
das  Städlchaii  Münchensiadt  (Merseburg?)  u.  s.  w.  Die  Eoifer- 
nungen  sind  vielleicht  suweilen  absichtlidi  irreführend  falsch 
angegeben,  wie  denn  eine  ängstliche  Scheu,  Besiehungen  zu 
verratben,  mehrfach  hervortritt. 

Das  alles  würde  «uf  Ghristilin  ftenter  wohl  passen:  ge- 
brannte Kinder  scheuen  das  Feuer.  Auch  der  unsaubere,  bor- 
dellmässige  Inhalt  würde  kaum  gegen  seine  Verfasserschaft  ein- 
gewendet werden  dttrfsn.  Auffallender  ist  schon,  dass  gerade 
d^r  Kreis  des  studentischen  Lebens,  dem  Reuter  angehörte,  hier 
ganz  in  der  Ferne  steht,  indem  eigentlich  nur  das  liederliche 
Treiben  der  fürstlichen  und  hochadligen  Rou^s  geschildert  wird, 
zu  denen  doch  Reuter  keine  Reziehungen  gehabt  zu  haben 
scheint.  Auffallend  auch  der  philiströs  moralisierende  Deck- 
mantel ,  der  hier  den  unsaubersten  Erzählungen  übergehängt 
wird,  dessen  heuchlerische  Larve  doch  Reuter  wenig  zu  Ge- 
sichtstebt.  Aber  vollkommen  unmöglich  erscheint  die  Annahme, 
dass  Reuter  der  Verfasser  sei,  wegen  des  Stils  und  der  Darstel- 
lung. Denn  kaum  kann  man  sich  einen  grösseren  Gegensatz 
vorstellen,  als  den  zwischen  Reuter's  frischer,  lebendiger,  kurz- 
angebundener Sprache  und  den  langathmigen ,  zusammenge- 
schachtelten,  halb  lateinisch  gedachten  Perioden  des  Studenten- 
romans, kaum  einen  grösseren  als  den  zwischen  ReuteHs 
packender,  den  Leser  fesselnder  Darstellung  und  der  unglaub- 
lich langweiligen ,  in  endlosen  Monologen  und  Dialogen  ausge- 
sponnenen Erzählung,  die  auch  die  prickelndsten  Schilderungen 
nahezu  unlesbar  macht.  Nirgends  ein  treffender  Witz,  nirgends 
ein  Gedankenblitz,  nirgends  ein  kecker  und  ungewöhnlicher 
Ausdruck !  Man  könnte  den  Studentenroman  so  recht  als  Folie 
verwenden,  um  an  ihm  die  geniale  Sprachgewalt  und  die  geniale 
ErzUhlungskunst  Reuter^s  sich  von  den  Dutzendromanen  seiner 
Zeit  abheben  zu  lassen  und  sie  um  so  mehr  schätzen  zu  lernen. 
Und  nun  dazu  die  unerhörte  Rreile !  Auch  die  späteren  Berliner 
Elaborate  Reuter's  zeichnen  sich  noch  durch  Kürze  und  Bündig- 
keit aus,  wie  ebenso  die  Jugendschriften,  und  dazwischen  sollte 
ein  Roman  mit  ganz  geringfügiger  Handlung  von  672  Seiten  liegen? 
Wäre  das  Werk  wirklich  von  Reuter,  so  müsste  ein  Wandel  mit 
ihm  vorgegangen  sein,  der  psychologisch  wie  philologisch  gleich 
unglaublich  erscheint.  Auch  scheint  sich  der  Verfasser  selber 
den  Mitteldeutschen,  den  Sachsen,  zu  denen  ja  auch  Reuter  ge- 


268     

hörte,  entgegenzustellen ,  wenn  er  S.  438 ,  indem  er  das  Wort 
»Brand«  erklären  will,  sagt:  »durch  den  Brand  verstehe ,  nach 
Sächsischer  I^nd-  und  Bedens-Art,  ein  starckes  Beschmausen 
einer  Gompagnie,  welche  denjenigen,  so  sie  heimsuchet,  in 
grossen  Unkosten  und  Schaden  bringet.« 

Die  Vorrede,  in  der  der  Verfasser  sich  über  sein  Werk  aus- 
spricht, mag  hier  als  Probe  seines  Stils  eine  Stelle  finden.  Sie 
scheint  sein  Buch  als  ein  Erstlingswerk  zu  bezeichnen,  was 
ebenfalls  die  Verfasserschaft  Beuter's  ausschliessen  wttrde : 

Vorrede  An  den  Nach  Standes-Gebühr 
Geehrtesten  und  jederzeit  geneigten  Leser. 

Endlich  erkühnet  sich  mein  allezeit  Lustiger  Studen  te,  als  eine 
Frucht  seichter  Lippen,  aus  seiner  Studier-Stube  sich  hervor 
zu  wagen,  und  auf  den  Schau-Platz  der  Schrifft- edlen  Well 
vorzustellen  :  Der  angenehmen  Hoffnung  und  festen  Zuver- 
sicht lebende;  daß,  ungeachtet  vieler  Theons-Brttder,  welche 
aus  Neid- gefüllten  Augen  nicht  ermangeln  werden,  diese 
Blätter  durch  alle  Praedicamenta  durchzuziehen,  sich  dennoch 
viel  honnette  Gemüther  finden  werden ,  die  sich  dieses  mein 
wohlmeinendes  Unterfangen  bestens  gefallen  lassen  und  aus 
dem  Willen  erkennen  werden.  Denn  ob  ich  mir  zwar  die 
Unwissenheit  nicht  zur  Entschuldigung  nehmen  kan ,  als  ob 
mir  nicht  bekandt  wäre ,  was  vor  ein  gefährliches  Unterneh- 
men es  sey,  sich  der  scrupuleusen  Welt  durch  Schrifllten  xu 
offenbahren,  angesehen  selbige  ohne  diß  mit  so  vielen  ge- 
lehrten Sachen  in  allen  Wissenschafften  dermassen  angefüllet. 
ja  überhäuffet  ist,  daß  fast  keine  Verbesserung  zu  hoffen: 
so  wird  doch  dieser  allezeit  Lustige  Studente  verhoffentlich 
passirt  werden,  wann  er  gantz  gerne  bekennet,  daß  er  eben 
keinen  looum  unter  denen  Gelehrten  und  berühmtesten  Leuten 
dieser  Welt  meritire;  zugleich  aber  bittet,  ihn  mit  dem  TituI 
eines  blossen  unverständigen  Müssig-  und  Wollust- Gängers 
zu  verschonen;  angesehen  er  zwar  nicht  in  Abrede  seyn 
kan,  daß  die  meiste  Zeit  seines  Academischen  Lebens-LauiTes 
und  Studenten-Standes  mit  lächerlichen  Possen  und  allerhand 
lustigen  Actionen  anzufüllen  wäre ,  jedennoch  aber  jederzeit 
dabey  dabin  getrachtet,  daß  er  sich  auch  noch  eines  gerin- 
gen Platzes  unter  Politischen  Staats-Gelehrten  anmassen,  und 
dabey  erweisen  könne,  daß  sowohl  Zeit  als  auch  Geld  nicht 
gar  verlohren  gangen,  sondern  noch  so  vielzur  Danck  barkeit 
hinterlassen,  daß  deren  Verlust  mit  der  Zeit  wieder  reichlich 
ersetzet  werden  künne. 


269     

Ich  erinoere  uiich  aber  ein  und  anderer  EiuwUrffe,  welche 
ich  anzuhören  bemUssiget  worden,  und  absonderlicli  die  Ca- 
tonianische  Meynung,  ob  wären  die  Romainen  schlechter  Dings 
unnütze  Schriften;  dahero  ich  auch  mehr  als  zu  viel  Ursache 
hätte,  mich  dahin  zu  bearbeiten,  dafi  ich  selbige  sogleich 
gründlich  hiemit  widerlegen  mtfgte.  Allein,  weilen  ich  mich 
hierinnen  auf  die  Gütigkeit  des  geneigten  Lesers  verlasse,  als 
will  ich  vor  diBmahl  alles  mit  Stillschweigen  übergehen,  und 
mehr  nicht  berühren,  als  dieses;  dafi,  obwohl  bisweilen  ein 
und  andere  lustige  Action,  welche  eben  so  gar  sehr  nicht  zu 
loben,  mit  eingemischet  worden,  selbiges  doch  nicht  zu  dem 
Ende  geschehen  seye,  als  ob  man  sich  dessen  zu  beliebter 
Nachahmung  bedienen,  sondern  vielmehr  deren  Abscheulich- 
keit daraus  erkennen,  und  also  Anlaß  nehmen  sollte,  sich  vor 
dergleichen  zu  hüten ;  denen  ungegründeten  Hassern  aber 
der  lehrreichen  Romainen,  und  andern  Ubel>gesinnten  rathct 
der  Autor  dieses  allezeit  Lustigen  Studenten  dienstfreundlich, 
dass  sie  dieses  sein  geringfügiges  Werokgen ,  welches  sich 
nur  als  eine  unwürdige  Dienerin  und  AufwArterin  der  heutig 
vortrefflichen  Romainen  aufführet,  beyseits  legen,  und  an 
dessen  statt  ein  nützlicher  Buch  nach  eigener  Caprice  er- 
greiffen  mögten ,  aus  welchem  sie  beweisen  könten :  Dicatur 
in  eo,  quod  non  dictum  sit  prius. 

Den  Innhalt  der  wenigen  Blätter  belangend ,  so  sind  es 
mehrentheils  wahrhaftige  Begebenheiten,  welche  sich  in  die- 
sem  jetzt -verwichenen  Seculo  auf  einer  berühmten  und  allent- 
halben bekandten  Universität  unsers  edlen  Teutschlandes,  zu- 
getragen haben:  Worbey  zugleich  ein  wohlgesinnter  Leser 
die  verderbten  Gewohnheiten  und  Gebräuche,  so  unter  denen 
beliebten  Musen-Söhnen  eingerissen ,  und  wordurch  ein  jun- 
ges Gemüth ,  welches  gleichfalls  des  Academischen  Lebens- 
Wandels  sich  bedienen  soll,  öffters  dermassen  zu  Grunde  ge- 
richtet und  verderbet  wird,  dass  ihme  nachmahls  die  ge- 
wöhnliche Studenten-Hosen  die  Zeit  seines  Lebens  anhangen. 
Und  wie  ich  mich  möglichst  beflissen,  alle  unartige  und  ärger- 
liche Redens-Arten  äusserst  zu  vermeiden,  oder  doch  selbige 
dermassen  zu  umschneiden,  daß  das  zehende  deren  Nach- 
druck nicht  bemercken  wird ,  auch  niemanden  mit  Fleiß  zu 
touchiren,  (es  seye  dann,  daß  sich  jemand  getroffen  finde, 
da  ich  versichere,  es  seye  von  ungefehr  geschehen)  also  ver- 
hoffe, urob  so  viel  eher,  aller  üblen  Meynung  entübriget 
zu  bleiben. 

Des  Styli  und  eingestreuten  Barbarismi  wegen ,  werde  ich 
verhoffentlich  zu  perdonoiren  seyn,  wann  ich  sage,  daß  ich 


270     

hierinnen  den  eigenilichen  find -Zweck  der  Romaineo,  die 
Teutsche  Sprache  zu  erheben,  nicht  so  genau  beobaehlei  habe: 
weil  ich  mich  viel  zu  wenig  erachtet,  unserer  werthen  Mutter- 
Sprache  den  wenigsten  Zierrath  durch  mich  zu  ertheilen :  Zu 
deme  auch  der  Innhalt  sich  mehr  einer  Historischen  ße- 
Schreibung  gleichet :  Dahero  ich  durch  vergebene  Bemtihung 
die  Annuth  meiner  Zunge  nicht  verrathen,  sondern  mich 
durchgehends  einer  leichten  und  gewöhnlichen  Redens-Art 
bedienen  wollen. 

£n  fin ;  Ich  bitte  nochmahls,  diese  Schrillt  nicht  nach  Wür- 
den ,  sondern  nach  dem  wohlgemeinten  Absehen  de  meliori 
zu  judiciren ,  und  mir  durch  geneigtes  Aufnehmen  dieser 
ersten  praesentation  und  Auftritts  meines  allzeit  lustigen  Stu- 
dentens,  fernere  Gelegenheit  geben ;  daB  ich  nächstens  meine 
Danckbarkoit  hie  vor,  so  wohl  durch  dessen  anmuthige  Gon- 
tinuirung,  als  auch  noch  ein  und  andere  Tractätgen  ktthnlich 
darzulegen,  möge  Ursach  haben ;  Denen  übel*-wollenden  Mo- 
mis  und  Zoilis  aber  setze  ich  den  Wahl -Spruch  eines  hohen 
Ordens  wohlbedfiohtig  entgegen :  Honni  seit,  qui  mal  y  pense. 

Vale. 

Der  Yorrede  entsprechend  nennt  sich  der  nun  beginnende 
Roman :  »Des  allzeit  Lustigen  Studenten  Erster  Theiia.  Aber  ein 
zweiter  scheint  nicht  gefolgt  zu  sein. 

Der  Inhalt  ist  der  folgende. 

Feredo,  ein  Prinz  aus  Castilien,  der  sich  aber  nur  für  einen 
Baron  ausgiebt,  befindet  sich  en  grand  seigneur  mit  seinem 
Diener  Sotiero ,  einem  durchtriebenen  Schelmen  ,  in  Memphis 
aufder  Universität.  Letzterer  ist  es,  dem  die  Erzählung  in  den  Mund 
gelegt  wird*).  Den  Hintergrund  der  eigentlichen  Handlung  ge- 
ben die  Vergnügungen  der  vornehmen  Rou6s  ab,  die  allgemeine 
Studentenschaft  spielt  nur  zuweilen  zur  Aushülfe  und  als  Sta- 
tistenchor  mit.  Der  Prinz  wird  von  Freunden  invitiert  auf  enl- 
fernte  Güter,  man  macht  Spazierritte  und  Ausfahrten  von  meh- 
reren Tagen.  Nächtliche  Gelage,  Waldpartien  und  Wasserpar- 
tien, die  wohl  nach  dem  Leben  gezeichnet  sind,  und  deren  Schil- 
derung des  Interessanten  Viel  bietet ,  daneben  Prügeleien  mit 
Bauern,  eine  blutige  Metzelei  mit  Soldaten ,  ein  Studentenauf- 
stand in  der  Universitätsstadt  mit  obligatem  Fenstereinwerfen 


1)  Freilich  erst  —  und  ganz  plötzlich  —  seit  S.  44.    Bis  dahin  wird 
auch  von  Sotiero  in  dritter  Person  erzühlt. 


271     

beim  Rector  Magnificus ,  dem  BUrgoi*meistei-  luul  Siadtrichier ; 
daoeben  NasfUhrungen  dummer  Wirlhe  durch  allerlei  Betrug, 
selbst  Teufelsbesehwörungen  u.  s.  w.,  das  isis  was  uns  in  buo-» 
ten,  nur  viel  zu  breit  ausgemalten  Bildern  vorgeführt  wird. 
Durchgehends  aber  spielen  dabei  die  Hauptrolle  feile  Dirnen^) 
uud  Verführungen  leiebtainniger  Mädeben  oder  Liebesspielo 
mit  »Uahnreimaoherinnenay  die  ganz  geschaftsmttssig  abgothan 
werden,  wahrend  der  Geidge,  bei  Tag  und  bei  Nacht,  wie  auf 
der  »Kampfst&tte«  (dem  Bette).  Man  kommt  aus  der  Atmosphäre 
des  Bordells  nicht  heraus,  und  mit  widerlicher  und  ungras^iöser 
Nacktheit  und  in  steifer  Darstellung  wird  Alles  breit  ausgeführt. 
Ja,  bei  einer  Waldpartie  wird  ein  gemeinsames  Bad  von  Herren 
und  Damen  genommen,  und  in  allen  Einzelheiten  uns  vorge- 
führt. Man  kann  nicht  frecher,  nicht  schmutziger  erzählen,  als 
es  hier  geschieht;  um  »die  Werkstütte  zur  Vermehrung  des 
Menschengeschlechts«  dreht  sich  Alles.  Der  Prinz  aber  betreibt 
den  Sport  als  noble  Passion.  Ein  schon  »probirtesa  Mädchen 
verschmäht  er,  nur  eine  noch  unberührte  Jungfer ,  die  er  sich 
dann  selber  zurecht  stutzt,  darf  ihm  angeboten  werden,  und 
natürlich  widersteht  ihm  von  gewöhnlichem  Schlage  keine. 

Auf  diesem  würdigen  Uintergmnde  entwickelt  sich  nun 
die  seiner  würdige  Romanhandlung.  Die  Wirthin  des  Hauses, 
in  welchem  Feredo  wohnt,  hat  eine  Schwester  Korianna,  ein 
schönes  und  dabei  keusches  und  züchtiges  Mädchen.  Diese  gilt 
es  Zugewinnen,  und  durch  die  schändlichsten  Betrügereien,  und 
nachdem  ihr  der  Prinz  versprochen  hat,  sich  in  morganatischer 
Ehe  ihr  zu  vermählen,  gelingt  es,  sie  auf  seine  Stube  zu  locken 
und  dort  ihm  zu  Willen  zu  bringen.  Selbstverständlich  ist  er 
bald  ihrer  überdrüssig  und  es  gilt  nun,  sich  ihrer  zu  entledigen. 
Zu  dem  Ende  wird  der  folgende  Schurkenstreich  verabredet. 
Man  entführt  die  Korianna,  angeblich,  um  die  morganatische 
Vermählung  zu  vollziehen.  Auf  der  Reise  muss  Sotiero  im  Dun- 
keln im  Gewände  seines  Herrn  sich  der  Schlafenden  nahen  und 
zu  ihr  ins  Bettesteigen.  Im  richtigen  Momente  erscheint  Feredo 
mit  Licht,  thut  empört  über  die  Untreue  seiner  Geliebten,  und 
nachdem  er  anfangs  gedroht,  sie,  die  guter  Hoffnung  ist,  auf  die 


1)  Ein  bemerkenswerther  Enphemismus  ist  es,  das«  man  sich  beim 
Wirthe  ein  Bette  »mit  weichem  Unterkissen«  oder  »ein  angenehmes  Unter- 
beUfi*  bestellt. 


272     

Strasse  hinauszusiossen  und  dorn  vollen  Elend  preis  zu  geben,  er- 
scheint er  dann  grossmüthig  und  verspricht  Verzeihung,  wenn 
Korianna  ihren  mit  Sotiero  begangenen  Ehebruch  durch  eine 
nachfolgende  Ehe  mit  diesem  legalisieren  wolle.  Die  Ärmste, 
die  den  unsauberen  Schurken  verabscheut,  willigt  endlich  jam- 
mernd ein.  Sotiero  wird  Hauptmann  und  eine  tUchtige  Mitgilt 
von  Speciesthalem  soll  als  ein  Pflaster  auf  die  Wunde  der  Betro- 
genen erscheinen ,  wJihrend  der  Prinz  nach  Memphis  zurück- 
kehrt und  »von  dannen  noch  auf  4  andere  Universitäten  reiste. 

Ich  will  hier  noch  den  Anfang  der  Erzählung  hersetzen. 
Sic  beginnt  mit  einem  Monolog  des  Sotiero;  ein  Einfluss  von 
HappeFs  akademischem  Roman  ist  wohl  erkennbar : 

»0  Wunder- volles  GlUckl  wie  pflegst  du  doch  mit  denen 
sterblichen  Engeln  dieser  Erden,  und  flüchtigen  Adams-Kio- 
dern  zu  spielen?  W^ie  beliebet  dir,  solche  bald  durch  deine 
treue  Gefehrtin,  die  edle  Fama,  über  das  gesternte  Rund  tra- 
gen, und  bis  zu  des  Himmels  Zinnen  begleiten  zu  lassen: 
bald  wieder  in  den  untersten  Grund  der  Verachtungs-Höle  zu 
stürtzen ,  und  zu  einem  rechten  Schauspiel  aller  Welt  zu 
machen?  Wie  muB  dieser  bald  durch  deine  Gnade  mit  einer 
reichen  Plutus-Habe  prangen?  Jener  hingegen  von  nichts.  aLs 
eitel  Mangel,  Jammer  und  Noth  zu  sagen  wissen?  Wie  siehel 
dieser  seine  Tafel  mit  denen  delicatesten  Speisen  und  kost- 
barsten Tractamenten  bezieret  vor  sich  stehen?  Da  jener  sich 
nur  von  diesem  reichen  Ueberfluß  sein  Leben  kärglich  zu  er- 
hallen wünschet?  Wie  muß  jene  grobe  Sünden-Haut  mit  de- 
nen prächtigsten  Kleidern ,  edelsten  Kleinodien  und  admira- 
belsten  Geschmeide  behänget  seyn?  und  jener  mit  einem 
zerflickten  und  zerstickten  Bettler -Mantel  zufrieden  leben? 
Diesem  muß  alles  nach  seinem  Wunsch  und  Verlangen  aus- 
schlagen ;  dahingegen  jener  von  allen  seinen  Seuffzern  und 
Thränen-vollen  Jammer-Ach  nicht  eines  erfüllet  siebet.  Und 
was  sage  ich  von  andern ,  da  ich  selbsten  Ursache  über  Ur- 
sache habe?  mich  höchlich  über  dich  zu  beklagen,  und  dein 
unbeständiges  Glückes-Rad  an  meiner  eignen  Person  zu  be- 
scufl'zen  :  Indeme  ich  von  selbigem  bald  in  die  Höhe ,  bald 
wieder  in  den  tieffesten  Abgrund  hinunter  getrieben  worden? 
Bald  mußte  ich  von  dir,  O  betrügliche  und  unbeständige  For- 
tuna, in  die  entlegensten  Oerter  verjaget,  durch  die  gefähr- 
lichsten Wege  getrieben  und  verfolget  werden.  Bald  musten 
meine  Hände  durch  dein  Verhängnus  einen  Blut-gefärbten 
Sebel  ergreifien^  und  mit  selbigem  einem  allgemeinen  Feinde 


273     

Trotz  bieten.  Kaum  hatten  die  Hände  das  blutgierige  kalte 
Eisen  ergriflPen,  so  wurde  meines  Generalen  Hertz  durch  dei- 
nen Antrieb  eines  andern  beredet^  und  dahin  getrieben,  daß 
er  mich  von  der  Soi*te  anderer  Soldaten  weg ,  und  zu  seinem 
Kammer-Diener  annahm.  Alleine  dieses  kunte  dir,  0  spie- 
lende Gottin,  noch  kein  Genügen  leisten,  sondern,  da  ich  kaum 
einige  Freude  und  Vergnügung  über  die  plötzliche  Verände- 
rung meines  mühsamen  und  beschwehrlichen  Standes  ge- 
schöpifet,  und  in  solchem  eine  Weile  zu  verharren  mich  re- 
solviret  hatte,  muBte  ich,  auf  meines  Herrn  Befehle  und  durch 
deine  unbeständige ,  wanckelnde,  aber  doch  dabey  jederzeit 
sehr  schmeichelnde  Gewalt  getrieben,  demblau-geschaumten, 
Schiff-schmetternden  tyrannischen  Meer  mich  übergeben,  auf 
welchem  ich  gantzer  fünff  Jahre  dermassen  herum  getrieben 
und  gestossen  worden ,  daß  zwischen  meinem  Leben  und  dem 
Tode  nur  ein  Daumen  -  dickes  Bret  gewesen,  welches  der- 
massen von  denen  Himmelsteigenden  tyrannischen  Wellen 
allbereit  bestürmet  worden,  daß  ich,  mir  nichts  anderes,  als 
den  erbärmlichsten  Tod  einbildende,  meine  Seele  ihrem 
Schöpfler  gäntzlich  anbefohlen ,  den  Leib  aber  dem  Neptuno 
schon  im  Geist  aufgeopflert  hatte.  Und  würde  ich  gewißlich 
nimmermehr  diesen  unpartheyischen  grausamen  Meeres-Flu- 
then  entronnen  seyn,  wann  Du  mich  nicht  zu  fernem  wun- 
derlichen Glücks -Fällen  aufgehoben,  und  mehrern  Grimm 
an  mir  auszuüben  dir  vorgesetzet  hättest.« 


»Dieses  nun,  meinte  ich,  würde  Dir,  unbarmhertzigc  For- 
tuna! einmahl  genug  seyn ;  Nun  hoffte  ich,  Deiner  grausa- 
men Verfolgungen  erst  ein  gewünschtes  Ende  zu  sehen.  Aber 
0  ungetreues  Glücke  I  0  verhaßte  Stieff-Mutter  aller  Freuden! 
Anfeinderin  der  Lust,  Erweckerin  der  Noth,  0  todtes  Leben ! 
ja  was  sage  ich,  du  lebendiger  Tod  selbstenl  Hast  du  all  dei- 
nen Grimm  über  mich  allein  auszuschütten  beschlossen?  Soll 
ich  alle  Folter  deiner  unbeschreiblichen  Grausamkeit,  aus- 
stehen? Hast  du  mich  zu  deinen  ärgsten  Sciaven  erwählet, 
oder  will  du  nicht  eher  mich  zu  verfolgen  nachlassen ,  biß 
ich  alle  deine  Marter  und  unbarmhertziges  Verfahren  über- 
kommen, meinen  Geist  in  den  erbärmlichsten  Tod  aus  meinem 
Leibe  blase  % 

»Aber  was  rede  ich  unglückseeliger  Sotiero?  Werde  ich 
nicht  den  Zorn  dieser  ohne  dieß  unbarmhertzigen  Göttin  im- 
mer mehr  über  mich  vergrössern?  oder  wohl  gar  verursachen, 
daß  sie  ihr  grausames  Verhängnus  auf  einmahl  im  Grimm 


274     

über  mich  ausschüttet,  und  diesen  Augenblick  zu  Boden 
schJjjl|$et?  Darum  so  besänfftige  dich  mein  Geist,  und  ihr  Lip- 
pen bezähmet  euch.  Trachtet,  wie  ihr  die  harten  Worte,  und 
das  hefiftige  Klagen  über  das  biBhero  verdrieBliche,  getälir- 
liehe,  mtthsame  und  unbarmhertzige  Verfahren  dieser  unbe- 
ständigen Fortuna,  wieder  aussi^hnen,  und  dero  Gnade,  so  sie 
anjetzo  gegen  mich  blicken  lasset,  mir  künfftig  hin  beständig 
erhalten  möget.  Leget  hinfUro  alle  ungleiche  Reden  beyseits, 
und  bcfleissiget  euch  nun  mehro,  nach  ttberstandenem  Unge- 
witterund  grausamen  Unglücks -Stürmen,  die  wieder  auf- 
gehende Freuden-Sonne  und  erwünschte  Freuden-Sirahlcn 
dieser  mächtigen  Glücks -Göttin  mit  tausendfachen  Liebes- 
KUssen  zu  umarmen ,  und  dero  Wunder-vollen  Lauif  und 
Rühmenswürdige  Schick-Saal  mit  unzehlbaren  Lob-Gedichten 
zu  erheben.  Alleine,  was  höre  ich?  Ist  mir  recht,  so  schlägt 
schon  die  Stunde?  Ja  gewiß:  Nun  gehe  Sotiero,  und 
suche  deinen  Herrn,  welcher  Deiner  mit  Schmertzen  er- 
wartet.« 

Also  hatte  eine  geraume  Zeit  Sotiero  (Feredonis,  eines  jun- 
gen Printzen  von  .  •  .  .,  welcher  auf  Universitäten  vorjeizo 
lebte,  und  auf  selbigen  alle  Freude  und  Ergötzlichkeiten,  so 
unter  Studenten  geheget  und  ausgeübet  zu  werden  pflegel, 
zu  geniessen,  alles,  was  nur  einen  jungen  Menschen  vergnü- 
gen, und  den  lieblichen  Früling  seiner  Jahre  versttssen 
könne,  auszuüben,  und  kürtzlich  nicht  die  geringste  Traurig- 
keit sein  frisches  munteres  Hertze  berühren  zu  lassen,  son- 
dern im  steten  Freuden-Leben  zu  beharren,  und,  als  ein  all- 
zeit lustiger  Studentc,  sich  die  Zeit  seines  Academischen 
Lebens  über  aufzuführen,  fest  resolviret  und  vorgesetzet  hatte) 
seine  bißherige  Fata  und  wunderbahre  Glücks-  und  Un- 
glücks-Fälle  bey  sich  selbsten  gantz  alleine  bewundert  und 
erzehlet;  wurde  auch  gewißlich  noch  eine  ziemliche  Anzahl 
seines  unbeständigen ,  zweiffelhafTten  und  hin  und  wieder 
wanckendcn  Glückes,  von  sich  haben  hören  lassen,  wenn  nicht 
der  unversehene  Glockenschlag  seine  Rede  unierbrochen,  und 
ihme  seiner  aufgetragenen  Verrichtungen  erinnert  hätte.  Als 
welchen  nunmehro  ein  Genügen  zu  leisten,  er  von  seinen  ein- 
samen Gedancken  und  höchst-vergnügten  Widerholung  seines 
Wunder -vollen  Lebens- Lauffes,  abzustehen  sich  genöthigel 
findet,  und  seines  Herrn  Studier-Stube  zu  verlassen. 

U.  s.  w. 

Als  Beispiele  für  den  charakteristischen  Einschachtelungs- 

slil,  von  dem  der  Schehnuffsky  nichts  zeigt,  mögen  noch  zwei 
Stellen  folgen. 


275     

S.  336  fg. : 

Mein  PrinU  aber^  welcbeiu  die  andern  jederzeit  das  Prä  ge- 
lassen hatten,  betrachtete  indessen  diese  vorgestellte  Syreoen 
mit  unverwandten  Augen,  erwöge  allein  ihre  Blicke,  überlegte 
ihre  Reden,  besähe  ihre  Farbe,  ob  sie  beständig  oder  verlin- 
derlich  wäre,  observirte  ihre  Minen,  ob  selbige  frech  oder 
erschrocken  und  blöde  wären,  und  über  alles  andere  liefi  er 
seine  scharff-gesinnten  Augen-Paar  genaue  Beobachtung  ihrer 
Lineamenten  an  der  Stirne  und  gantzen  Gesichte  haben,  omb 
daraus  deren  Zustand,  Gemüth  und  Neigung  desto  aecurater 
zu  judiciren,  biß  er  endlich,  naehdeme  er  selbige  sämtlich 
wohl  erforsehet,  (warumen  solches  geschehen,  kan  der  ge- 
neigte Leser,  welcher  vielleicht  in  der  Liebes-Schul  ileissiger 
und  öffter  als  ich  (der  ich  mich  in  dergleichen  Sachen  noch 
vor  ein  Kind  erkennen  muß)  studiret,  Selbsten  bestens  beur- 
thcilen;  Meine  Meynung  und  Phantasie  wäre.  Mein  Printz 
wolte  vielleicht  nach  dem  Grund  und  Fundament  der  Liebe 
sehen,  und  betrachten,  ob  nicht  eine  noch  unbefleckte  Jungfer, 
deren  Krantz  und  Reichthum  ihme  zu  Theil  werden  könte, 
unter  selbigen  za  finden  wäre.  Dann  mit  gemeinen  und  offl 
probirten  Venus- Söldnerinnen  zu  conversiren,  wolte  ihme 
das  teutsohe  Franckreich,  so  gemeiniglich,  und  mit  geringen 
Unkosten,  bey  dergleichen  Unflathsvollen  Schand-Ge&ssen  zu 
beschauen  war,  nicht  verstatten;  so  wolte  ihme  auch  die 
SchärfTe  des  Göttlichen  Gesetzes  nicht  erlauben,  mit  einer  in 
ehelicher  Pflicht  von  dem  Himmel  selbsten  ihrem  eigenen 
Manne  zugethanen  Frauen  einige  Vergnügung  zu  pflegen. 
WeBwegen  er  dann  sich  jeder  Zeit  nach  einer  noch  unbe- 
fleckten unschuldigen  Nymphe  umbgethan,  und  viel  lieber 
den  süssen  Liebes- Streit  gar  entrathen,  als  daß  er  sich  mit 
einer  garstigen  Frantzösin,  oder  Höllen-stürtzenden  Ehebre- 
cherin solte  beflecket  haben.  Weilen  er  nun  aber  ein  und 
andere  gewisse  unbetrügliche  Merkmahle  der  Jungferschafll 
aus  eines  Menschen  Gesichte,  und  absonderlich  aus  denen  Li- 
niamenten  der  Stirne  zu  lesen  wüste,  so  glaube  ich  dahero 
sicher,  daß  dieses  diejenige  Ursach  dieser  scharffen  Unter- 
suchung gewesen  seye)  des  Wirthes  Muhme ,  so  ein  Mädgen 
von  funffzehen  Jahren,  aber  doch  ziemlich  subtilen  Verstände 
und  herrischer  Alacrität,  wie  nichts  weniger  mit  einer  mehr 
als  gemeinen  Schönheit  von  dem  gütigen  Himmel  beschencket 
war,  und  erst  vorgestern  von  ihrem  Vettern ,  so  ein  Becker 
war,  zu  diesen  ihren  Vetter,  um  einiges  Geld  von  ihme  einzu- 
fordern, abgeschicket  worden,  bey  der  Hand  ergrieffen,  und 
neben  sich  an  die  rechte  Seite  setzte. 


219    

S.  505  (es  ist  die  Nacht  nach  den  Orgien  im  Walde) : 
Da  ich  mich  denn  endlich  gleichfalls  nach  einem  Lager  uni> 
sähe,  und  also  die  rasende  Trunkenheit  meines  von  Baccho 
bethörten  Herrns  bey  gar  geringer  Ruhe  und  gleichsam  nur 
halb  schlafTend  bewachte,  biß  endlich  Phoebus,  durch  seiner 
vorgeschickten  Heroldin,  der  Aurorae,  Gold-geförbte  Strahlen, 
meinen  Augen  die  bißherige  Nacht-Fttnstemiß  in  ein  helles 
Tages-Liecht  verwandelte,  und  mich  also  zu  einen  schuldigen 
Morgen-OpfTer  an  mahnte:  Da  ich  denn  sogleich  allen  Schlaff 
denen  verdunckelten  Augen  entzöge,  mich  sogleich  von  mei- 
nem harten  Lager  (welches  die  nechste  und  beste  Banck  war, 
so  mich  zu  meinem  Printzen  (welcher  mit  seinen  übrigen  vor- 
nehmen Herren  Compagnions  und  Mitbrüdern^  wie  auch  lieben 
Mitschwestern ,  deren  eine  halb  entdeckt,  die  andere  gantz 
entblösst,  die  dritte  mit  weit  auseinander  gesperrten  Beinen 
auf  dem  Rücken  daläge,  die  blosse  und  harte  Erde  zu  ihrer 
Liegnstatt  erwehlet  hatten)  am  nechsten  gesellte)  aufmachte, 
und  endlich  die  noch  im  tieffen  Schlaff  liegende  Bacchus- und 
Venus 'Gompagnie  aus  ihren  Sodomitischen  Unflats- vollen 
Schweins-Lager  aufweckte,  meldende,  daß  nunmehr  der  dritte 
Tag,  so  sie  wieder  nach  Memphis  in  ihre  Musaea  führen  solte. 
erschienen  wäre,  mit  Bitte,  zu  befehlen,  was  sie  nunmehro 
haben  weiten ,  ob  man  die  Kutsche  und  Pferde  wieder  zum 
Abmarch  fertig  machen  lassen ,  oder  den  Wirth ,  noch  mehr 
Tractamenten  anbey  zu  schaffen,  anmahnen  solte *:? 

Sollte  es  einem  Leser  glaublich  erscheinen,  dass  die  mit- 
gotheilten  Stellen  vom  Verfasser  des  Schelmuffsky,  der  Ehr- 
lichen Frau,  der  Harlequinaden ,  des  Graf  Ehrenfried  her- 
rührten 1 

Ich  glaube  es  nicht,  und  nehme  vielmehr  an,  dass  ein01)er- 
deutscher  oder  dem  südlichen  Franken  Angehöriger  der  Verfasser 
des  Studentenromans  ist.  Den  Namen  Hilarius  auch  seinerseits 
zu  verwenden,  konnte  ihm  nicht  verwehrt  sein,  wie  ja  auch 
noch  späterhin  Andere  sich  desselben  bedient  haben  (z.  B. 
Bürger),  der  Titel  seines  Buches  musste  ihn  nahe  legen.  Viel- 
leicht mochte  der  Verfasser  auch  noch  seinem  Buche  dadurch 
eine  Empfehlung  mit  auf  den  Weg  zu  geben  glauben,  da  die 
unter  diesem  Namen  damals  ausgegangenen  Werke  (die  Ehrliche 
Frau;  Harlequins  Kindbetterin  -  Schmaus)  sich  gerade  in  der 
Studentenwelt  allgemeinster  Beachtung  erfreuten. 

Noch  erübrigt,  zum  Schlüsse  auf  die  Angabe  des  Dresdner 
»Materienkatalogs«  (d.  i.  Standortskataiogs),  von  der  wir  aus- 


277     

gingen,  zurttckzukommen.  Sie  kann  einen  authentischen  Werth 
nicht  beanspruchen,  da  sie,  wie  Hr.  Geh.  Hofrath  E.  Förstemann 
mir  mitzutheilen  die  Güte  gehabt  hat,  erst  dem  Anfange  der 
60er  Jahre  unseres  Jahrhunderts  angehört,  und  der  Gelehrte,  der 
diesen  Theil  des  Katalogs  ausarbeitete ,  seine  Angabe  aus  Wel- 
ler's  Index  Pseudonymorum  4856  S.  72,  in  welchem  Hilarius 
durch  Christian  Reuter  erklärt  ist  (vgl.  meine  Abhandlung  S.  3 
fg.),  entnehmen  konnte  und  entnommen  haben  wird.  Die  frü- 
heren Kataloge  kennen  sie  noch  nicht. 

Um  möglichst  Alles  zu  erledigen,  will  ich  noch  zwei  unter 
dem  Namen  Hilarius  gehende  Werke  anführen,  die  möglicher- 
weise noch  auf  Reuter  hin  angesehen  werden  könnten.  Metner 
Kenntniss^  haben  sie  sich  bisher  entzogen.   Es  sind: 

Hilarius,  Demaskirter  Fabel-Hanß,  4748. 

— ,  Entlarvter  astronomischer  Polter-Hanß,  4748. 


Herr  Lipsius  lieferte  einen  Nachtrag  su  dm  Bemerkungen 
über  die  dramatische  Choregie,  (Vgl.  Jahrg.  4885,  S.  414  fg.)  Mit 
einer  lithographierten  Tafe]. 

Im  December  4885  habe  ich  der  Klasse  BemerkuBgen  über 
die  dramatische  Choregie  vorgelegt,  welche  vorzugsweise  die 
im  G.  I.  A.  II.  n.  974  zusammengestellten  Reste  eines  Verzeich- 
nisses von  vlKai  JiovvaiayLai  für  unsre  Kenntniss  der  inter- 
essanten Einrichtung  zu  verwerthen  bezweckten.  Von  dieser 
Liste  ist  vor  wenigen  Wochen  ein  weiteres  Bruchstück  auf  der 
Akropolis  zu  Tage  gekommen,  welches  ein  paar  damals  offen  ge- 
bliebene Fragen  zwar  nicht  zur  endgiltigen  Entscheidung,  aber 
doch  einer  solchen  näher  bringt.  Das  Stück  ist  im  Schlussheft 
der  iq)r]ft€Qlg  aqxacoXoyixri  von  4886  veröffentlicht;  ich  theile 
dasselbe  in  der  Anlage  nach  einer  Abschrift  mit,  welche  4ph  der 
Gefälligkeit  von  Dr.  Lolling  verdanke ,  weil  dieselbe  ein  paar 
Buchstaben  mehr  erkennen  lässt. 

Besonderes  Interesse  nimmt  das  neue  Bruchstück  insofern 
in  Anspruch,  als  das  Jahr,  für  welches  es  allein  eine  vollständige 
Liste  der  Sieger  in  den  musischen  Wettkämpfen  der  grossen 
Dionysien  bietet,  das  Jahr  des  Archen  Philokles  ist,  in  welchem 
Aischylos  mit  der  Orestie,  wie  aus  deren  Hypothesis  bekannt, 
den  Sieg  gewann.  Denn  dass  nur  dieser  Sieg  gemeint  sein 
kann,  hat  schon  der  griechische  Herausgeber  aus  dem  in 
jener  Hypothesis  wiederkehrenden  Namen  des  Choregen,  Xe- 
nokles  von  Aphidna ,  entnommen  und  danach  die  sichere 
Ergänzung  des  vorn  verstümmelten  Archontennamens  vor- 
genommen. Neu  ist  ausser  den  Namen  der  siegreichen  Phy- 
len  und  Choregen  in  den  drei  anderen  Wettkämpfen  des  Jah- 
res der  Name  des  Bühnendichters,  welcher  neben  Aischylos 
den  Preis  erlangte^  des  Komikers  Euphronios,  von  dessen  Exi- 


279     

stens  wir  bisher  überhaupt  noch  keine  Kunde  besassen.  Ausser 
der  Liste  des  genannten  Jahres  ist  von  der  des  folgenden,  dessen 
Archon,  wie  wir  nun  erfahren,  Habron  hiess,  während  er  bis 
jetzt  nach  der  fehlerhaften  Ueberlieferung  bei  Diodor  Bion  ge- 
nannt wurde,  der  Anfang  über  die  Siege  im  Knabeq-  und  Mfln- 
neragon  erhalten ;  über  das  vorausgehende  Jahr  lernen  wir  leider 
nichts,  da  nur  die  beiden  letzten  Zeilenenden  noch  auf  dem  Stein- 
stüek  sichtbar  sind.  Das  Angegebene  bildet  den  Inhalt  der  mitt- 
leren von  den  drei  Columnen  des  Bruchstücks ;  von  der  ersten 
sind  nur  die  Enden  von  9  oder  4  0  Zeilen ,  von  der  letzten  die 
ersten  2  —  3  Buchstaben  der  ersten  9  Zeilen  erhalten  —  sehr 

■ 

geringfügige  Reste,  welchen  aber  doch  bei  näherer  Betrachtung 
einiger  Ertrag  sich  abgewinnen  lässt. 

Zunächst  ist  leicht  ersichtlich ,  dass  das  neue  Bruchstück 
auf  dem  Denkmal  seine  Stelle  unter  dem  ältesten  und  wichtig- 
sten von  den  früher  bekannt  gewordenen  Stücken  gehabt  hat 
und  zwar  so,  dass  entweder  die  beiden  ersten  Columnen  des 
neuen  Fragments  eine  freilich  nicht  unmittelbare  Fortsetzung 
der  beiden  Columnen  des  alten  (aj  gebildet  oder,  was  aber  aus 
bald  zu  erkennendem  Grunde  als  minder  wahrscheinlich  zu  be- 
zeichnen ist,  die  erste  Columne  von  jenem  unter  der  zweiten 
von  diesem  gestanden  hat.  Denn  den  neugefundenen  Stein  nicht 
unter,  sondern  neben  Stück  a  zu  setzen  verbietet  sich  darum, 
weil  damit  die  Choregie  des  Perikles  für  den  durch  letzteres  be- 
kannt gewordenenSieg  des  Aischylosin  zu  früheZeithinaufgerückt 
würde,  während  umgekehrt  Columne  4  des  neuen  Stücks  vor 
Columne  4  des  alten  zu  stellen ,  woran  der  griechische  Heraus- 
geber dachte,  deshalb  unzulässig  ist,  weil  bei  diesem  nach 
Köhlers  Zeugniss  der  linke  Rand  des  Steins  (und  zwar  als  Stoss- 
kante  bearbeitet)  erhalten  ist.  Danach  kann  jener  Sieg  des 
Aischylos  nicht  erst  Ol.  BO,  4  ,  sondern  spätestens  Ol.  79,  4 
fallen.  Denn  da  die  Liste  der  Sieger  jedes  Jahres  4  4  Zeilen  be* 
ansprucht,  auf  beiden  Bruchslücken  aber  jede  Jahresliste  der 
ersten  Columne  drei  Zeilen  hüher  als  die  der  zweiten  Columne 
anhebt,  so  muss  jede  Columne  des  Denkmals  mindestens  30 
Zeilen  oder  nahezu  3  Jahreslisten  enthalten  haben ;  um  wenig- 
stens ein  Jahr  hinaufzugehn  zwingt  aber  das  von  dem  Archon- 
tennamen  der  ersten  Columne  einzig  erhaltene  Schluss-y,  denn 
drei  Jahre  vor  Philokles  war  Konon  Archon.  Erwägt  man  aber 
weiter,  dass  das  Denkmal,  mit  dessen  leider  nur  dürftigen  Trum- 


280     

mern  wir  es  zu  ihun  haben,  bestimmt  war  die  Dionysischen 
Siege  von  über  anderthalb  Jahrhunderten  zu  verzeichnen  und 
danach  eine  Zahl  von  nahezu  zweitausend  Zeilen  umfasst  haben 
muss,  so  wird  man  sich  der  Annahme  nicht  entziehen  dttrfen. 
dass  die  Liinge  der  Golumnen  nicht  zu  knapp  bemessen  war  und 
nicht  unter  5S  oder  63  Zeilen  betragen  haben  wird.  Damit  aber 
steigt  die  Wahrscheinlichkeit  der  oben  empfohlenen  Anordnums. 
wonach  die  beiden  ersten  Columnen  des  neuen  Bruchstttcks 
unter  die  beiden  Columnen  des  früher  bekannten  gehören.  Dann 
braucht  man  nur  die  Zahl  von  63  Zeilen  und  einen  grosseren 
Abstand  zwischen  beiden  Stücken  vorauszusetzen,  um  für  den 
frühern  Sieg  des  Aischylos  auf  das  von  Köhler  vermuthele  Jahr 
der  thebanischen  Tetralogie  [Ol.  78,  i]  zu  gelangen,  so  wenig 
auch  die  Möglichkeit  für  ausgeschlossen  gelten  soll,  dass  ein  and- 
rer Sieg  des  Tragikers  verstanden  ist,  deren  er  ja  nach  den  ver- 
einigten Nachrichten  der  parischen  Marmorchronik  und  der  alten 
Biographie  in  den  Jahren  von  Ol.  73,  4  bis  80,  2  nicht  weniger 
als  43  davon  getragen  hat.  Die  in  der  ersten  und  dritten  Co- 
lumne  unsres  Stücks  erwähnten  tragischen  Siege  aber  würden 
annähernd  auf  Ol.  78,  4  und  84,  4  zu  bestimmen  sein.  Leider 
ist  von  dem  Namen  des  Siegers  in  der  ersten  Columne  nur  der 
Endbuchstabe,  von  dem  in  der  dritten  Columne  nur  die  beiden 
Anfangsbuchstaben  erhalten.  Wenn  mir  dennoch  eine  Vermu- 
thung  über  beide  Namen  nicht  bodenlos  erscheint ,  so  darf  ich 
mich  darauf  berufen,  dass  bei  der  grossen  Fruchtbarkeit  gerade 
der  tragischen  Dichter  wir  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  in 
unsrer  Liste  bereits  bekannte  Namen  erwarten  dürfen  ,  ebenso 
wie  z.  B.  in  dem  inschriftlich  uns  aufbewahrten  Yerzeichniss 
dramatischer  Dichter  mit  der  Zahl  ihrer  Siege  (C.L  A.  n.n.977) 
von  den  verstümmelten  Namen  sieben  alterer  Tragiker  nur  zwei 
sich  nicht  auf  sonsther  bekannte  Dichter  ergänzen  lassen.^)  Von 
dem  Namen  des  eben  hier  zwischen  Aischylos  und  Sophokles 
genannten  Polyphrasmon  glaube  ich  in  dem  auf  dem  Stein  noch 
erkennbaren  N  den  letzten  Buchstaben  erhalten,  eine  Vermu- 


i)  £uetes  wird  von  Suidas  und  * EnixaqfJios  als  einer  der  Dichter  ge- 
nannt, die  zu  der  gleichen  Zeit  in  Athen  wie  Kpicharm  in  Syrakus  Stücke 
gaben,  und  ist  danach  für  einen  Komodiendichter  angesehen  worden,  wäh- 
rend V.  Wilamowitz  (Hermes  IX  S.  341)  den  Namen  für  blose  Fiction  er- 
klärte, unglaublich  schon  wegen  seiner  Seltenheit,  an  welcher  Meineke  An- 
stoss  genommen  hatte. 


28t     

thuDg,  die  über  das  Bereich  bioser  Möglichkeil  dadurch  einiger- 
inassen  herausgehoben  wird,  dass  der  fragliche  Name  ein  län- 
gerer gewesen  sein  muss,  wie  die  Stellung  des  folgenden  Worts 
€Ölöaa{ii6)  zu  dem  darüber  stehenden  Bx]oQriy€t  erweist. 
Ebenso  meine  ich  in  der  dritten  Columne  in  den  Buchstaben  KA 
den  Anfang  des  Namens  von  Karkinos  muthmassen  zu  dürfen, 
jenem  Tragiker,  der  uns  durch  die  Angriffe  der  Komödie  auf 
ihn  und  seine  Söhne  bekannt  genug  geworden  ist.  Wenn  einer 
der  letzteren  nach  einer  Stelle  der  Wespen  bereits  vor  deren 
Aufführungsjahr  (Ol.  89,  4)  selbst  als  tragischer  Dichter  aufge- 
treten war,  so  ist  die  Annahme  sicher  nicht  gewagt,  dass  sein 
Vater  Karkinos  schon  sieben  Olympiaden  zuvor  einen  Sieg  ge- 
wonnen hatte. 

Aber  wichtiger  als  solche  Muthmassungen  ist  die  sichere 
Belehrung,  welche  aus  den  unter  jenem  K^  zu  lesenden  Buch- 
staben YJ!  zu  schöpfen  ist.  Sie  lassen  keine  andere  Ergänzung 
als  VTtonQtTTjg  zu  und  bezeugen  somit,  dass  in  dem  fraglichen 
Jahre  der  Wettkampf  der  tragischen  Schauspieler  bereits  be- 
standen hat.  Er  muss  aber  schon  vor  demselben  seinen  Anfang 
genommen  haben  und  zwar  drei  Jahre  früher,  wenn  wir  für  die 
zweite  Columne  des  Steins  genau  die  gleiche  Zeilenzahl  wie  für 
die  erste  voraussetzen  dürfen ;  nur  dann  erklärt  sich,  wie  leicht 
nachzurechnen,  wie  die  nächste  Jahreslisle  der  dritten  Columne 
auf  Zeile  10  beginnt,  während  die  der  zweiten  mit  Zeile  H  ein- 
setzt. In  meinem  früheren  Beitrage  habe  ich  jenen  Agon  für 
Ol.  89,  4  nachgewiesen:  wir  können  jetzt  seine  Eiqsetzung  auf 
Ol.  84  oder  höchstens  das  Ende  der  vorausgehenden  Olympiade 
bestimmen  und  ihn  somit  dreissig  Jahre  weiter  hinauf  verfolgen, 
ein  Ergebniss ,  das  bei  der  früher  hervorgehobenen  Bedeutung 
dieses  Wettkampfs  von  nicht  geringem  Interesse  ist. 

Auch  noch  auf  eine  andere  Frage  lässt  sich  jetzt  eine  be- 
stimmtere Antwort  ertheilen,  als  sie  bislang  möglich  war.  Wenn 
wir  heute  wissen,  dass  die  uns  bruchstückweise  erhaltene  Stein- 
tafel wenigstens  drei  Columnen  enthielt,  so  dürfen  wir  die 
gleiche  Grösse  für  die  Platte  annehmen,  welche,  wie  schon  seit- 
her feststand,  jener  vorausging.  Setzen  wir  aber  auch  nur  zwei 
Columnen  und  eine  Zahl  von  nur  53  Zeilen  in  Rechnui^,  so 
haben  auf  jener  völlig  verlornen  Tafel  mindestens  9  Jahrealisten 
gestanden.  Damit  aber  ist  die  hergebrachte  Ansicht  endgültig 
beseitigt,  welche  als  Epochenjahr  unsrer  Siegerliste  das  Jahr  der 

1887.  ^9 


282     

Einführung  des  Komödien- Wettkfimpfs  betrachtet.  Denn  ersleres 
darf  nach  dem  Gesagten  nicht  später  als  in  die  76.  Ol.  gesetzt 
werden,  in  welche  den  komischen  Agon  hinaufzurttcken  die  be- 
kannten Zeugnisse  der  Aristotelischen  Poetik  nicht  gestatten. 
Dagegen  bestätigt  sich  die  Auflassung,  von  welcher  die  firüher 
vorgeschlagene  Ergänzung  der  leider  sehr  verstümmelten  Ueber- 
schrift  des  Denkmals  ausging ,  dass  die  Listen  mit  dem  Jahn« 
begannen  ,  in  welchem  die  musischen  Wettkämpfe  der  grossen 
Dionysien  eingerichtet  waren.  Dies  Jahr  genau  zu  bestimmen, 
gestattet  auch  der  neue  Fund  noch  nicht;  nur  soviel  lässt  sich 
behaupten ,  dass  es  nicht  erst  das  Jahr  gewesen  sein  kann,  in 
welchem  Aischylos  seine  Persertrilogie  zur  Anfftlhrung  ge- 
bracht hat. 

Das  wichtigste  Ergebniss  meiner  früheren  Ausführungen, 
dass  der  dramatische  Wettkampf  nicht  Sache  der  Phylen ,  son- 
dern der  Choregen  war,^)  ist  meines  Wissens  von  keiner  Seite 
bestritten  worden,  auch  nachdem  es  durch  A.  Müllers  Handbuch 
der  scenischen  Alterthümer  weitere  Verbreitung  gefunden  hat. 
Es  wäre  also  wohl  an  der  Zeit  das  alte  Vorurtheil  nunmehr  auf- 
zugeben und  nicht  zur  Deutung  von  auf  das  Bühnenspiel  bezüg- 
lichen Monumenten  die  siegreiche  Phyle  heranzuziehen,  wie 
jüngst  geschehn  (Hermes  XXII  S.  336). 


4)  Den  gleichen  Satz  hat  auch  A.  Brinck  in  der  fleissigcn  Dissertation 
inscriptiones  graecae  ad  choregiam  pertinentes  (Halle  4886)  p.  90  tt.  ao^ 
dem  Vcrzeichoiss  der  dionysischen  Siege  abgeleitet,  welches  er  p.  165  ff. 
mit  der  Einführung  der  Cboregie  oder  mit  dem  Jahre  508  beginnen  liisst 


Verbesserungen. 
S.  au,    Z.  23    HimUliq^,    S.  129,    Z.  24    lo  dwell,     S.  230,   Z.  * 
"(hmoIIH,  ebend.  Z.  6  rendered  fond,  S.  234,  Z.  4  7  (ji^»*kj). 


TniM. 


Berichte  d.  IC 


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EY4>PONIO^EAIAA^KE  EP 

TPArniAHN 
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AI  CXYAO^  EAIAA^kEN 
E  P  I  A  B  Pn  N0< 

EPEXOHI^PAIA  ilN 
XAPIA^APPYAHrEXOPIS' 
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AE    I   N  OCTPATO^  EXOP 

K  n  M  ni  A  A  N 

PPH  f 


Bepichted.K.S.6e8.d.Wiss.Phil.hist.CI.1887. 


INHALT. 

Seit« 

Kuhler,   Herders  Legenden  ,,Die  ewge  Weisheit'  und  ,Der 
Friedensstifter"  and  ihre  Quellen 105 

Schnippelj  Über  das  Runenschwert  des  Königlichen  Histori- 
schen Museums  in  Dresden.    Mit  3  Tafeln 125 

Fleischer,  Studien  über  Dozy's  Supplement  aux  dictionnaires 
arabes,  VII 17  J 

Biihtlingkf    Bemerkenswerthes    ans    Ramäjana,   ed.  Bomb. 
Adhj.  I— IV ' 213 

Ratzely  Die  geographische  Verbreitung  des  Bogens  und  der 
Pfeile  in  Afrika.    Mit  1  Tafel 233 

Zarncke,  Weitere  Mittheilungen  zu  den  Schriften  Christian 
Reuter'8 253 

Lipsim,  Nachtrag  zu  den  Bemerkungen  über  die  dramatische 
Choregie.    Mit  1  Tafel 278 


Druck  von  Breitkopf  A  HJirt«!  in  Lcipxig. 


BERICHTE 


ÜBER  DIE 


VERHANDLUNGEN 


DER  KÖNIGLICH  SÄCHSISCHEN 


CtESELLSCHAFT  der  WISSENSCHAFTEN 


ZU  LEIPZIG. 


PHILOLOGISCH-HISTORISCflE  CLA8SE. 


1887. 


IV.  V. 


7fS  LEIPZIG 

BEI    8.    HIRZEL 

tS88. 


284     

datiert  —  ward  Opitz  von  der  Pest  hingerafft  (am  20.  August . 
Es  wäre  ihm  also  leichtlich  nicht  möglich  gewesen,  die  etwa  be- 
absichtigte Rücklieferung  der  Handschrift  zu  bewirken,  deren 
Provenienz  schwerlich  einem  Anderenin  Danzig  ausserihm  be- 
kannt war,  und  das  Verschwinden  warum  so  leichter  zu  erklären, 
als  die  Handschrift  des  Anno  nicht  mehr  als  3  bis  4  Doppel- 
blätter betragen  hat,  bei  so  minimalem  Umfange  also  leicht  ver- 
loren gehen  konnte.  Und  wie  mit  dem  Nachlasse  Opitz'ens 
herumgeschleudert  wurde,  wusste  man  aus  Lindner's  Umständ- 
licher Nachricht  [Hirschberg  \  740) . 

Der  erste,  der  gegen  diese  Annahme  auftrat,  war  H.  Hoff- 
mann V.  F.  Er  wies  4830  in  der  Diutiska  I,  254  auf  einen 
Umstand  hin,  den  bereits  1824  v.  d.  Hagen  bemerkt  hatte,  ohne 
daraus  einen  Schluss  zu  ziehen^],  dass  nämlich  die  Handschrift 
des  Williram  unverletzt  sei :  »es  ist  nicht  die  mindeste  Spar 
vorhanden,  dass  aus  diesem  mit  Bhedigers  Wappen  versehenen 
Bande  Blätter  ausgelöset  oder  ausgeschnitten  seien«.  Das  kann 
ich  aus  eigner  Kenntniss  der  Handschrift  auf  das  Bestimmtesle 
bestätigen.  Von  dem  äusseren  Doppelblatt  des  letzten  Qua- 
temio  ist  das  Rückblatt  bis  auf  einen,  etwa  4  cm  breilen  Falz 
abgeschnitten,  und  dieser  Falz  ist  vom  Buchbinder  benutzt,  um 
die  Handschrift  an  den  hinteren  Buchdeckel  anzukleben.  Dar- 
über ist  ein  die  ganze  Deckelfläche  einnehmendes  Papierblalt 
geklebt,  und  dies  in  die  letzte  Pergamentlage  eingefügt,  so  dass 
zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Blatt  dieser  der  Falz  des- 
selben hervortritt.  Alles  ist,  von  einigen  Wurmstichen  abge- 
sehen, unverletzt,  das  Papier  genau  dasselbe  mit  dem  am  vor- 
deren Deckel  und  zu  einigen  Vorsatzblättern  verwandten:  in 
diesem  Einbände  ist  also  der  Anno  nicht  mehr  vorhanden  ge- 
wesen. Da  nun  der  weisspergamentene  Einband  mit  Thomas 
Rhediger's  Wappen  und  Namen  geziert  ist  '-^j ,  so  war  der  Schluss, 
den  nun  Hoff'mann  zog,  recht  einleuchtend  :  »der  Anno  und  die 
Verse  —  vielleicht  deutsehe  ^j  —  von  den  Sacramenten  (s.  oben 

i)  V.  d.  H.,  Denkmale  des  Mittelallcrs,  H  (auch:  Anecdolcun  mediiaevi 
specimen  II),  S.  49. 

2)  Das  Wappen  ist  auf  der  Vorderseite  wie  auf  der  Rücksetie  de^ 
Einbandes  mit  Gold  eingepresst.  Oberhalb  des  Wappens,  doch  noch  inner- 
halb der  ovalen  Einfassung  steht  der  Name :  Thomas  Rediger ^  und  ebenso 
unterhalb  des  Wappens  :  Avec  le  temps, 

3)  Das  ist  wenig  glaublich.  Unter  versus  versteht  das  Mittelalter  la- 
teinische Hexameter,  überdies   ist  beim  Williram  wie  beim   Anno  die 


285     

den  Titel)  sind  wahrscheinlich  schon  ehe  der  Williram  in  Rhe- 
digers  Besitz  kam,  davon  getrennt  gewesen,  —  und  dann  fragl 
es  sich  überhaupt  noch,  ob  Thomas  Rhediger  jemals  beides 
besessen  hat«^).  Jedenfalls,  so  viel  musste  jeder  geneigt  sein 
zuzugeben,  waren,  da  Thomas  Rhediger  am  5.  Januar  4575 
starb,  schon  lange  vor  Opitz  die  beiden  Stücke  nicht  mehr  bei 
einander  gewesen,  also  konnte  aus  der  Benutzung  des  Wiiliram 
nicht  mehr  auf  die  Benutzung  auch  des  Anno  geschlossen  werden . 
Diese  Ansicht  kann  denn  auch  seitdem  als  durchgedrungen 
gelten. 

Freilich;  ein  Stachel  musste  zurückbleiben.  Denn  jene 
obenerwähnten  Gombinationen  lagen  so  eminent  nahe,  dass  man 
sich  wohl  zu  der  prüfenden  Frage  veranlasst  fühlen  durfte,  ob 
denn  der  aus  dem  Einbände  hergenommene  entgegenstehende 
Grund  ein  absolut  entscheidender  sei.  Und  da  muss  ich  mich 
w^undern,  dass  keiner  der  Fachgenossen  bemerkt  zu  haben 
scheint,  dass  unter  jener  Deduction  Hoffmann's  eine  Anmerkung 
steht,  die  dieselbe  vollkommen  wieder  über  den  Haufen  stösst. 
Sie  thut  dies  so  vollständig,  dass  ich  sie  mir  nicht  anders  er- 
klären kann,  als  durch  die  Annahme,  sie  sei  erst  bei  der  Cor- 
reclur  während  des  Druckes  hinzugefügt  worden.  In  ihr  wird 
gesagt,  dass  der  Einband,  um  den  es  sich  doch  allein  gehandelt 
hatte,  Nichts  beweisen  könne,  »denn  viele  Handschrr.  aus  der 
ehemaligen  Dombibliothek,  die  jetzt  seit  4632  in  der  Rhediger- 
sehen  aufbewahrt  werden,  sind  ebenso  eingebunden.«  Das  ist 
wahr,  der  Stempel  befindet  sich  sogar  noch  heute  auf  der  Rhe- 
diger'schen  Bibliothek  und  könnte  auch  heute  noch  zum  Schmuck 
der  Einbanddeckel  verwendet  werden.  Man  ehrte  durch  seine 
fortgesetzte  Benutzung  den  Stifter  der  Bibliothek  und  hielt  den 
Namen  dieser  jedem  Benutzer  gegenwärtig.  Also  der  Einband 
des  Williram  kann  füglich  aus  der  Zeit  nach  4638  stammen, 
d.  h.  die  Handschrift  kann  füglich  zu  Opitz'ens  Zeit  noch  unge- 


deutsche  Sprache  ausdrücklich  durch  theutonice  hervorgehoben.    Also  die 
Versus  de  sacramentis  werden  auch  hier  lateinische  gewesen  sein. 

1)  Wenn  freilich  Hoffmann  dann  fortfährt  »Und  darauf  antworte  ich 
ganz  einfach:  nein,  weil  kein  einziger  schlesischer  Litterator  von  dem 
Verluste  dieser  Hs.  als  einer  Rhedigerschen  etwas  weiss«,  so  verstehe  ich 
diesen  Schluss  nicht.  Es  hätte  doch  nur  durch  besondere  Umstände  ver- 
anlasst sein  können,  wenn  ein  Litterator  überhaupt  des  Verlustes  dieser 
3  oder  4  Blätter  zu  gedenken  Veranlassung  genommen  hätte. 


286     

banden  gewesen  sein,  also  kann  gar  füglich  damals  auch  noch 
der  Anno  mit  dem  Williram  zusammengehangen  haben. 

Um  aber  über  diese  etwas  nebelhafte  Möglichkeit  hinaus- 
zukommen, wandte  ich  mich,  da  nur  eine  zusammenhängende 
Untersuchung  der  Rhediger'schen  Einbände  ein  Resultat  ver- 
sprechen konnte,  an  Herrn  Professor  Markgraf,  den  gegenwärti- 
gen Vorstand  der  Rhediger'schen  Ribliothek,  mit  der  Bitte,  einmal 
im  Interesse  der  Sache  eine  solche  Untersuchung  vorzunehmen. 
Der  genannte  Gelehrte  erklärte  sich  dazu  bereit  und  nach  eini- 
gen Wochen  erhielt  ich  von  ihm  die  nachstehende  Mittheilung: 
»Nach  eingehender  Untersuchung  der  mit  dem  Rhediger'schen 
Wappen  versehenen  Einbände  von  Handschriften  und  Drucken 
bin  ich  zu  der  sicheren  Erkenntnis  gelangt,  dass  diejenige  Art,  zu 
der  die  Handschrift  des  Williram  gehört,  erst  nach  der  Eröff- 
nung der  Bibliothek  im  Jahre  4664  ^)  in  Anwendung  gekommen 
ist.« 

Damit  ist  die  Frage  entschieden.  Zu  Opitz'ens  Zeit  war 
die  Handschrift  noch  ungebunden,  d.  h.  noch  nicht  in  dem 
gegenwärtigen  Einbände,  es  können  und  es  werden  Williram 
und  Anno  damals  noch  bei  einander  gewesen  sein,  uad  jene 
früheren  Combinationen  treten  nun  wieder  voll  in  ihre  Recht« 
ein. 

Auffallend  bleibt  es  nun  imuier,  dass  Opitz  sich  über  seine 
Handschrift  des  Anno  gar  nicht  ausspricht;  es  wird  dies  doppell 
auffallend,  wenn  sie  noch  mit  der  des  Williram,  von  der  er 
ausführlicher  handelt,  zusammenhing.  Wie  nahe  lag  es,  mit 
einem  Worte  diesen  Zusammenhang  anzudeuten.  Es  scheint 
wirklich,  als  habe  er  Grund  gehabt,  die  Provenienz  nicht  zu 
verrathen. 

Da  würdeich  nun  vor  der  Annahme  nicht  zurückschrecken, 
er  habe  die  paar  Blätter  mit  dem  für  ihn  so  interessanten  Ge- 
dichte abgelöst  und  annectiert  2).  Solche  im  Dienste  der  Wissen- 


4)  Bis  dabiD  hatte  die  Bibliothek  unbenutzt  gelogen,  auch  hatten  lange 
Zeit  Differenzen  mit  den  Nachkoniinen  Thomas  Rhediger's  in  Betreff  der- 
selben obgewaltet,  die  erst  4645  zu  einem  Vergleich  führten. 

9)  Ob  der  Anno  auf  dem  letzten  leer  gebliebenen  Blatte  des  Wilüram 
begann  oder  ob  er  eine  Lage  für  sich  ausmachte,  ob  also  Opitz  das  letzte 
Blatt  des  W.  abschneiden  musste  oder  nur  eine  Lage  abldste,  lässt  sich 
natürlich  nicht  mehr  entscheiden.  Doch  halte  ich  Letzteres  für  das  Wahr- 
scheinlichere. 


287     

Schaft  vorgenommene  Entwendungen  haben  zu  allen  Zeiten 
seitens  der  Gelehrtenweit  eine  recht  milde  Beurtheilung  erfah- 
ren; man  nannte  undnenntein  solches  Verfahren  wohl  »retten«. 
So  rettete  Isaac  Vossius  den  Codex  argenteus  aus  Schweden,  so 
haben  noch  zu  unseren  Zeiten  namhafte  Gelehrte  allerlei  wich- 
tige Funde  gerettet.  Man  verzeiht  die  Handlung,  wenn  durch 
sie  der  Wissenschaft  eine  Förderung  gewährt  wird,  die  bei  dem 
früheren  Besitzer  nicht  in  Aussicht  stand.  Ein  Geldeswerth  war 
mit  dem  bischen  Pergament  damals  absolut  nicht  verknüpft. 
Freilich  verrathen  durfte  Opitz  sein  Geheimnis  immerhin  nicht, 
und  darum  schwieg  er  sich  über  seine  Handschrift  aus. 

Das  würde,  wie  gesagt,  Opitzen  in  meinen  Augen  nicht  eben 
herabsetzen.  Aber  ich  habe  doch  auch  noch  einen  anderen  Weg 
versucht,  um  zu  einer  Aufklärung  über  sein  Schweigen  zu  ge- 
langen. Ich  glaube,  der  Weg  hat  nicht  zum  Ziele  geführt,  aber 
ich  will  ihn  darlegen,  schon  damit  Andere  ihn  nicht  ein  zweites 
Mal  zu  betreten  sich  versucht  sehen. 

Hoffmann  spricht  a.  a.  0.  in  der  Anmerkung  mit  wunder- 
lichem Euphemismus  von  den  »vielen  Handschriften  der  ehe- 
maligen Dombibliothek,  die  jetzt  seit  1632  in  der Rhediger^ sehen 
aufbewahrttt  würden.    In  Wirklichkeit  war  der  Vorgang  dieser. 

Im  Herbst  1632  rückten  Arnim  und  Duval  mit  Sachsen 
und  Schweden  in  Schlesien  ein  und  nahmen  den  für  sich  abge- 
schlossenen bischöflichen  Tbeil  der  Stadt  Breslau  (den  Dom  und 
die  Saudinsel),  der  ausserhalb  der  städtischen  Befestigungen 
lag  und  von  den  Kaiserlichen  besetzt  w^ar,  mit  stürmender  Hand. 
Plündernd  durchzogen  die  Soldaten  die  eroberten  Strassen. 
Eine  gleichzeitige  Niederschrift  in  einem  gleich  zu  erwähnenden 
Kataloge  schildert  das  Schicksal  der  Dombibliothek  folgender- 
massen:  »A'ß.  Anno  Christi  1632  die  9.  Septembris  hora  quasi 
octava  matutina  miles  Siieco-Saxonicus  Insulam  D,  Joanni  sacram 
omni  apparatu  plenam  et  insigni  hac  Bihliotheca  decoratam 
hosHliter  occupavit  et  totaliter  spoliavit^.  Von  späterer  Hand 
ist  darunter  gesehrieben :  mnterierunt  298  manusctipti  lihri  in 
membranay  interierunt  218  manuscripti  libri  in  charta,  ablati 
Stint  2213  libi'i  impressia.  W^enn  daher  die  Rhediger*sche  Biblio- 
thek seit  1632  viele  Handschriften  aus  der  ehemaligen  Dombi- 
bliothek »aufbewahrt«,  so  stammen  dieselben  von  den  plündern- 
den Soldaten,  sei  es  direct,  sei  es  indirect,  her;  vielleicht  haben 
die  Nachkommen  des  Gründers,  die  auf  die  Bibliothek  immer 


288     

noch  einen  privaten  Anspruch  erhoben  zu  haben  scheinen,  sie 
angekauft,  vielleicht  sind  sie  auch  durch  andere  Zwischenwege 
und  erst  später  dahin  gelangt^).  Leider  fehlt  es  noch  an  einer 
genauen  Geschichte  dieser  interessanten  Sammlung. 

Wie  nun,  rousste  ich  mir  sagen,  wenn  auch  die  Hand- 
schrift des  Williram  und  Anno  der  Dombibliothek  gehört  hätte? 
wenn  vielleicht  schon  durch  die  Soldaten  der  Anno  vom  Willi- 
ram  abgerissen,  jener  an  Opitz,  dieser  an  den  Senator  Michael 
Flandrinius  (von  4632 — 4646  im  Rath)  gelangt  wäre,  von  dem 
Opitz  bekanntlich  die  Handschrift  des  Williram  erhielt?^)  Opitz 
war  während  jener  Ereignisse  in  Breslau,  und  blieb  auch  noch 
eine  Zeitlang  dort,  während  sein  Herr,  der  Burggraf  von  Dohna, 
flüchtete.  Dann  würde  sich  ein  kluges  Schweigen  über  die 
Provenienz  der  Handschrift  ohne  alle  eigennützige  Unterstellun- 
gen vollkommen  erklären. 

Nun  finden  wir  Opitz  wirklich  im  Besitze  von  Pergamenten 
(s.  u.),  die  bei  jener  Plünderung  des  Domcapitels  geraubt  wor- 
den waren,  und  eine  von  alter  Hand  des  H/45.  Jahrhunderts 
herrührende  Niederschrift  auf  dem  Tilelblatte  des  Williram 
schien  ebenfalls  auf  diesen  Weg  zu  weisen.  Es  steht  dort 
neben  anderen  Einzeichnungen,  die  zum  Theil  nur  Federf>roben 
sind,  Ad  cathe  mit  Rasur  dahinter  (wie  es  scheint),  aus  der 
man  noch  einen  übergelegten  r-Strich  herauserkennen  roOcbte. 
Das  konnte  gedeutet  werden :  Ad  cathedrcUem  [ecclesiamj,  zur 
Dombibliothek  gehörig. 

Von  dieser  besitzen  wir  einen  Katalog,  den  Friedrich  Ber- 
ghius  im  Jahre  4615,  also  vor  der  Plünderung,  beendete,  und 
der  sich  gegenwärtig  auf  der  Universitätsbibliothek  in  Breslau 
befindet.    Diesen  erbat  ich  und  fand  in  ihm  gleich  auf  einem 

der  ersten  Blätter  aufgeführt:  In  Reposiiorio  tertio No.  43  : 

Cantica  Canticorum  cum  gloss.  msc,  in  membrana.  Diese  Angabe 
künnte  gar  füglich  eine  Verkürzung  des  langen  Titels  der  Hand- 
schrift: Glose  Willerammi  versifice  et  theutonice  facte  in  Cantica 
Canticorum  sein.    Aber  auffallend  bleibt  do^h  diese  Brachylogie 


4)  Ist  Hoffmann's  Tormin  »seit  1632oBctenixiössig  sicher  zustellen? 

2)  Es  ist  nicht  nöthig  anzunehmen,  dass,  als  Opitz  den  Williram  be- 
nutzte, die  Hs.  bereits  der  Rhediger'schen  Bibliothek  angehörte.  Anderer- 
seits aber  doch  wohl  das  Einfachste;  denn  der  Magistrat  hatte  damals  be- 
reits Ansprüche  auf  dieselbe  und  so  konnte  ein  Senator  ^ohl  die  Benutzung 
gewähren. 


289     

des  sorgfältigen  Gelehrten,  und  vollends  ein  Widerspruch  er- 
hebt sich,  den  ich  nicht  zu  entfernen  vermag.  Als  Format  wird 
angegeben :  in  8^^  magno^  und  das  Format  des  Williram  ist  klein 
Folio,  mindestens  hoch  4  ^.  Auch  führt  keines  der  constatier- 
baren  gedruckten  Bücher,  deren  Format  von  Berghius  ebenso 
bezeichnet  wird,  auf  das  Format  unserer  Handschrift. 

Demnach  muss  ich  gerechte  Bedenken  tragen,  in  jener  Num- 
mer des  Katalogs  unsere  Handschrift  zu  erblicken. 

Nun  heisst  es  freilich  in  demselben  Katalog  noch  gegen 
Ende :  Sunt  praeter ea  hie  alia  quaedam  manu  scripta  j  itemque  im-- 
pressa :  seil  vel  non  ligata  vel  mutilata,  haud  magni  pretii  u.  s.w. 
Darunter  könnte  unsere,  damals  noch  ungebundene  Willi- 
ram-Anno-lIandschrift  zu  suchen  sein.  Aber  dann  müsste  doch 
die  Hinweisung  der  Handschrift  auf  die  Dombibliothek  sicherer 
sein  als  sie  es  ist.  Denn  die  Silben  Ad  cathe  können^  bei  der 
Unsicherheit  der  Rasur,  auch  ergänzt  werden  Ad  cathenam,  und 
dass  Handschriften  wie  diese  an  die  Kette  gelegt  wurden,  zeigt 
eben  jener  Katalog,  der  den  grössten  Theil  der  Pergamenthand- 
scbriften  als  catenaft  bezeichnet.  Auch  finden  sich  auf  dem  Titel- 
blatte des  Williram  mehrere  Schnitte,  die  vielleicht  zur  An- 
legung der  Kette  gedient  haben. 

Ich  möchte  demnach  zu  der  Annahme  zurückkehren,  dass 
Opitz  die  Blätter  mit  dem  Anno  und  den  Versus  de  sacramentis 
von  dem  Williram  abgelöst  und  deshalb  die  Provenienz  dersel- 
ben, verschwiegen  habe.  Aber  in  Breslau,  wo  man  das  volle 
Material  zur  Hand  hat,  könnte  man  die  Frage  immerhin  noch 
einmal  aufnehmen,  ob  vielleicht  am  Ende  doch  der  Williram 
früher  der  Dombibliothek  angehört  hätte.  Sollten  hiefür  Mo- 
mente geltend  gemacht  werden  können,  die  die  Angaben  über 
das  Format  bei  Berghius  aufwögen,  so  träte  die  oben  von  mir  ge- 
äusserte Yermuthung  über  den  Besitzerwerb  seitens  Opitz'ens 
wieder  in  erste  Linie. 


Es  fragte  sich  nun,  ob  ein  Versuch  Aussicht  auf  Erfolg  böte, 
dem  Nachlasse  Opitz^ens  nachzugehen,  um  die  Pergamentblät- 
tor  des  Anno  wieder  aufzufinden.  Dass  mit  dem  Nachlasse  gleich 
nach  dem  Tode  übel  umgegangen  sei,  wissen  wir  jetzt  aus  dem 
Briefe  des  mit  Opitz  befreundeten  Danziger  Buchhändlers 
Andreas  Hünefeld,  der  bald  nach  dem  Ende  des  Dichters  an 


290     

Robert  Roberiin  nach  Königsberg  hierüber  so  schrieb^):  «AlB 
wir  ihn  den  Montag  zur  Erde  bestatteten,  hatt  daB  gesindlein, 
welches  sonst  dazu  deputirt,  dafi  sie  die  SterbhSuser  versie- 
geln sollen,  alle  seine  Kisten  und  Kasten  geöffnet^  mit  Ge- 
walt entzwey  geschlagen  und  spoliiret.  Es  hatte  aber  ein  gut 
freundt  solches  noch  den  Abend  dem  Oeconomo  zu  Marienburg 
zu wiBen gethan, der solchesderObrigkeithochverwiesen,  worauf 
gedachter  Kerl  mit  seinem  Weibe  eingesteckt,  sein  HaoB  mit 
Musquetieren  besetzt,  auch  alles  waB  drin,  versiegelt.« 

Um  von  diesen  Vorgängen  genauere  Kenntniss  zu  erhalten, 
wandte  ich  mich  an  den  Magistrat  der  Stadt  Danzig  mit  der 
Ritte,  im  Archive  nach  den  damals  offenbar  aufgelaufenen  Acten 
recherchieren  zu  lassen.  Wenige  Tage  nachdem  mein  Gesuch 
abgegangen  war,  ward  ich  bereits  durch  eine  Antwort  erfreut, 
welcher  der  derzeitige  Archivar,  Herr  Arcbidiakonus  Beriling, 
den  gewünschten  Auszug  aus  den  Acten  für  mich  beigefügt 
hatte.  Ich  kann  nicht  unterlassen,  für  diese  bereitwillige  Er- 
ledigung meiner  Bitte  meinen  aufrichtigsten  Dank  hier  auch 
öffentlich  auszusprechen.  Ich  lasse  die  interessanten  Mitthei- 
lungen  wörtlich  folgen. 

»Martin  Opitz'ens  Nachlassmasse,  zu  der,  soweit  in  Danzig 
bekannt,  keine  rechten  Erben  vorhanden  waren,  musste,  wie 
alle  »bona  caducaf  von  Beamten  des  Barggrafen,  d.  i.  des  Ver- 
treters der  Königlichen  Rechte,  inventarisiert  und  in  Gewahrsam 
genommen  werden.  Diese  Versiegelung  Hess  der  damalige 
Burggraf,  Hermann  v.  d.  Recke,  zwar  vornehmen,  aber  in  einer 
Willkür,  über  die  auch  sonst  vielfältig  Klagen  laut  wurden, 
nicht  durch  den  burggräfliohen  Notar,  sondern  durch  einen 
Unterbeamten,  Matthias  Fehl  oder  Peel.  Während  dieser  mit  der 
Aufnahme  des  Nachlasses  beschäftigt  war,  tauchte  das  Gerücht 
auf,  Peel  entfremde  viele  Sachen  aus  der  »haereditaet  Opitii«, 
und  kam  auch  zu  den  Ohren  des  Grafen  Gerhard  Doenhoff,  der 
jederzeit  Gönner  und  Beschützer  des  Dichters  gewesen  war. 
Graf  Doenhoff  schrieb  darüber  an  den  Danziser  Rath,  und  dieser 
antwortet  ihm  schon  am  25.  Octbr.  4639,  wie  er  es  auch  dem 
Könige  Wladislaus  IV.  unter  demselben  Datum  meldet,  Peel  sei 
sofort  in  Haft  genommen  und  die  Untersuchung  gegen  ihn  ein> 


1]  Krause,  G.,  Der  frachtbringenden  Gesellschaft  ältester  Ertzschrein. 
Leipzig  1S55,  S.  118. 


291     

geleilet;  alle  in  der.  Wohnung  OpSto'ens  vorgefundenen  Sachen 
seien  inventarisiert  und  in  Verwahrsam  genommen.  Um  die 
Frage  sogleich  zu  erledigen^  ob  aus  Opitz^ens  Nachlass  etwas  fort* 
gekommen  sei,  so  sei  hier  aus  einem  Schreiben  des  Danziger 
Ralhes  an  den  Grafen  Doenhoff  d.  d.  24.  MUrz  4640  angeführt, 
dass  der  pp.  Peel  einer  Unterschlagung  nicht  hat  überführt 
werden  können.  Auch  der  Vater  Martin  Opitz'ens  bat  keine 
Beschuldigung  der  Art  erhoben,  obwohl  er  über  die  Verschleu* 
derung  des  Nachlasses  seines  Sohnes  sich  beklagt,  a 

»  Gegen  Ende  des  Jahres  1 639  hatte  sich  zu  Opitz'ens  Nach- 
lass sein  Vater  (Sebastian  Opitz),  der  4629  nach  Lissa  geflüchtet 
war,  als  Erbe  gemeldet  und  war  zur  Betreibung  seiner  An- 
sprüche mit  seinem  Schwiegei*sohne  nach  Danzig  gekommen. 
Nachdem  er  sich  legitimiert  hatte,  wurde  ihm  der  gesammte  Nach- 
lass, einschliesslich  der  Bibliothek  und  der  Papiere,  ausgeliefert, 
was  im  April  1640  bereits  geschehen  war.  Von  den  Papieren, 
die  sich  in  Opitz'ens  Nachlass  befanden,  hat  der  Vater  eine  An- 
zahl Privilegien  (32  scheinen  es  gewesen  zu  sein),  die  sich  auf 
die  Breslauer  Kirche  bezogen,  auf  Mahnung  des  Danziger  Rathes 
an  einen  Abgesandten  des  Breslauer  Erzbischofs,  des  Prinzen 
Carl  Ferdinand,  ausgeliefert.«  Diese  32  Urkunden  waren  offen- 
bar bei  der  Plünderung  des  Domstiftes  geraubt  und  Opitz  hatte 
sie  an  sich  gebracht. 

Von  dem  so  dem  Vater  ausgebändigten  Nachlasse  ward  ein 
Theii  in  Danzig  versteigert,  wobei  der  Buchhändler  Hünefeld  mit 
thätig  war.  Wir  sind  darüber  untemchtet  durch  einen  Brief 
des  Danziger  Patriciers  Georg  Freute  (auch  Proite  geschrieben) 
an  den  Breslauer  Ad vocaten  Andreas  Sanftieben  vom  40.  Januar 
4642,  den  Lindner  a.  a.  O.  11,  75  mitgetheilt  hat.  Da  LindneWs 
Buch  sehr  selten  ist,  so  will  ich  die  betreffende  Stelle  hersetzen: 
»Worauf  mein  günstiger  Herr  wohlmeinend  vernehmen  wolle, 
daß  nach  des  Herrn  Opitii  tödtlichem  Abgänge  (welches  im 
Augusto  des  4  639.  Jahres  geschehen)  drey  Vierteljahr  verflossen, 
ehe  dann  der  Verkauf  Opitianae  Bibliothecae  ins  Werk  ist  ge- 
richtet worden,  bey  welchem  dann  gegenwärtig  nicht  allein  der 
alte  Opitz  nebenst  seinem  Tochtermann,  sondern  auch  Hünefeld's 
Gesellen  (Handlungsgehülfen),  so  mit  Büchern  handeln  und 
also  sich  gar  wohl  darauf  vorstanden  haben,  davon  einer  der 
principaiste  die  gedachte  Bücher  alle  nach  dem  Catalogo  durch- 
suchet und  hoch  genug  taxirt  gehabt,  da  ich  denn  nebenst  Herrn 


292     

Martino  Ruarto  concurriret,  und  jeder  von  uns  eine  ziemliche 
Anzahl  gutter  Bücher,  darunter  auch  MSSta  (darunter  scheint 
der  Schreiber  aber  nur  Niederschriften  von  Opitz  zu  verstehen) 
gewesen,  über  zweyhundert  Floren  gekauffet,  wiewohl  ich  her- 
nach in  meinem  grosse  Defecte  hier  und  dar  befunden;  und 
hUtten  wir  noch  mehr  davon  kaufen  wollen,  wenn  nicht  der 
Herr  Bartholomaeus  Nigrinus,  damaliger  Pastor  der  Kirchen  all- 
hier  zu  St.  Peter,  der  Tertius  interveniens  gewesen,  welcher 
den  Rest  vorgedachter  Bibliothec  an  sich  gekauffet  hettec  Aber 
nach  Ausweis  des  Katalogs  fehlte  schon  damals  Werlhvolies,  so 
z.  B.  das  theure  Kupferwerk,  die  Columna  Trajani,  das  Opitz 
nach  Angabe  seines  Katalogs  vom  Fürsten  von  Liegnitz  ge- 
schenkt bekommen  halte.  »Welches  Buch,  ob  ich  schon  fleißig 
gesuchet,  und  darnach  gefraget,  habe  ich  es  dennoch  nicht  fin- 
den und  erhalten  können,  daß  es  muß  zuvor  verkauffet,  oder 
aber,  weil  es  in  KupferstUcken  bestanden,  etwa  verrissen  oder 
verworfen  seyn.« 

Eine  Ergänzung  zur  Geschichte  des  Opitzischen  Nachlas- 
ses bietet  dann  noch  »der  gelehrte  und  berühmte  Geschichts- 
kundige  unseres  Landes  (wie  ihn  Lindner  nennt] ,  Herr  Chri- 
stian Ezecbiel,  Pfarrer  zu  Peterwitz«,  in  dem  25.  Stück  von  Gott- 
sched's  Beyträgen  zur  critischen  Historie  der  deutschen  Sprache 
etc.  S.  54  fg.  Hier  werden  besonders  die  Bemühungen  des 
fürstlich  Liegnitzischen  Rathes  B.  W.  Nüssler,  Opitz'ens  älte- 
sten Freundes,  um  den  Nachlass  geschildert.  Es  handelte  sich  um 
das  Manuscript  von  Opitz^ens  Dacia  anliqua,  die  man  als  voll- 
endetes Werk  in  seinem  Nachlass  vermuthete.  Nüssler  ver- 
handelte brieflich  mit  dem  alten  Opitz,  »welcher  dermalen 
noch  zu  Fraustadt  im  Elende  gelebet«.  Am  S2.  September 
1641  endlich,  nachdem  die  Auction  in  Danzig  bereits  gewesen, 
konnte  er  an  Andreas  Sanftleben  schreiben :  »Tandem  navis  ex 
Asia  venit,  et  Senex  noster  Opitius  cum  MStis  filii  (auch  hier 
eigenhändige  Niederschriften  gemeint)  et  literis  tuis  comparuit, 
quem  etiam  laetus  lubcnsque  suscepi  (also  war  in  Danzig  nicht 
Alles  verkauft).  Inveni  in  schedis  istis  haud  pauca,  quibus  in- 
primis  capior .  . .  (aber  die  Dacia  war  nicht  darunter)  . . .  Indicem 
inveni,  qui  fidem  cuivis  facere  poterit,  quantum  thesaurum 
perdiderimus.  Spem  tamen  senex  nonnullam  fecit  illam  Dantisci 
erui  posseu  (daher  denn  der  Brief  Sanflleben's  an  Preute).  Da- 
rauf aber  folgt  die  niederschlagende  Schilderung:  »Et  ille  (der 


293     

Vater)  indignationem  meam  magis  accendit,  ubi  de  generi,  ho- 
minis agrestissimi,  stupiditate  mihi  narravit,  qui  libros  elMSta, 
vestes  et  supellectilem  reliquam  vili  pretio,  in  ipsius  defuncti 
dedecus  et  ignominiam,  peno  quasi  sub  hasta  distraxit  et  vilis- 
simis  etiam  e  fece  civium  et  mercatorum  horouncionibus  ven- 
didit.«  Ausserdem  erscheint  nach  einer  Niederschrift  des  Christian 
Grypbius,  die  Ezechiel  S.  58  zum  Abdruck  bringt,  auch  noch 
ein  Bruder:  »De  Opitio  quaedam  ex  ore  fratris  ejus  uterini,  Se- 
bastian!, accepi,  qui  Ravitii  in  Polonia  sutor  est.«  Dieser  Schuster 
besass  zwei  Söhne,  Sebastian  und  Martin.  Auch  an  ihn  werden 
doch  wohl  noch  Theile  der  Erbschaft  distrahierl  sein,  da  er 
zweifelsohne  neben  dem  Vater  berechtigter  Erbe  war. 

Bei  solcher  Sachlage  würde  es  meines  Erachtens  vollkom- 
men aussichtslos  sein.  Schritte  zur  Wiederauffindung  der  weni- 
gen Pergamentblätter  des  Anno  jetzt  noch  versuchen  zu  wollen. 


2.  So  wir  daz  die  Griechen  hfirin  redin. 

So  citiert  Vs.  32  der  Verfasser  des  Annoliedes  seine  Quelle, 
nachdem  er  auseinandergesetzt,  dass  der  Mensch  aus  zwei 
Welten,  der  irdischen  und  der  geistigen,  gemischt  sei^),  weshalb 


4)  Bei  Opitz  fehlt  nach  Vs.  25  der  Reim  auf  geistin.  Die  Lücke  wird 
scheinbar  ergänzt  durch  die  Handschr.  des  Yuicanius,  und  deren  Les- 
art erschien  um  so  willkommener,  je  leichter  sich  der  Ausfall  in  Opitz'ens 
Handschr.  durch  Abirren  des  Auges  (von  geistin  zu  geistin)  erklärte.  Den- 
noch ist  es  eine  absolute  Unmöglichkeit,  dass  die  Worte  der  Handschr.  des 
Vulcanius: 

Disi  werlt  ist  daz  eine  deil 
25.  Daz  ander  ist  geistin. 

Dannini  lisit  man,  daz  zua  werilte  sin : 

Diu  eine  da  wir  inne  birin, 

Diu  ander  ist  geistin 

so  im  Original  gestanden  haben  könnten.  Ist  schon  diu  eine  da  wir  inne 
Inrin  eine  unnütze  Wiederholung  von  Disi  werlt  in  Vs.  24,  so  ist  die  wört- 
liche Wiederholung  von  Vs.  25  drei  Zeilen  darauf  völlig  unerträglich.  Das 
Annolied  bietet  keine  Anknüpfung  für  eine  so  beleidigende  Annahme.  Die 
Sachlage  ist  nur  so  zu  erklären,  dass  der  gemeinsamen  Vorlage  der  beiden 
nandschriften  der  Reim  auf  Vs.  25  fehlte.  Opitz*ens  Handschr.  liess  die 
Lücke  unergänzt.  Der  Schreiber  der  Handschr.  des  Vulcanius  (oder  bereits 
ein  früherer)  ergänzte  die  Lücke  und  fügte  unnöthiger  Weise,  indem  er 
einmal  im  Zuge  war,  noch  zwei  weitere  Verse  zu,  die  freilich  mehr  gerade- 
brecht als  gedichtet  waren. 


294 

man  ihn  für  eine  dritte  Welt  erklären  müsse.  Wirklich  ßndet 
sich  bei  den  abendländischen  Theologen  eine  solche  Ansicht 
nicht  ausgesprochen.  Freilich  dass  eine  spiritualis  creatura  und 
eine  corporalis  zu  unterscheiden  seien,  dass  der  Mensch  ct'ecUur 
de  spirituali  et  corporali  substanlia,  wird  auch  bei  ihnen  wohl 
gelehrt ;  es  gehört  ja  auch  zu  den  nächstliegenden  Anschauun- 
gen. Aber  ich  finde  den  Ausdruck  mundus  nicht  dabei  ver- 
wandt,  und  ebensowenig  kenne  ich  die  scharf  präcisierte  Gegen- 
überstellung des  Menschen  als  gemischter  dritter  Welt.  Man 
kann  daher  von  vornherein  wohl  vermuthen,  dass  der  Dichter, 
indem  er  dies  ausspriJoht  und  sich  dabei  auf  eine  Quelle  be- 
ruft, in  Betreff  dieser  wohl  unterrichtet  ist. 

Und  das  ist  denn  auch  der  Fall.  Jene  Gliederung  ist  gerade- 
zu eine  der  Grundlagen  der  griechisch-katholischen  Dogmatik. 
Schon  Ongenes  (485 — 254]  hat  den  Gegensatz  der  zwei  Welten, 
der  oberen  geistigen  und  der  unteren  stofflichen,  sehr  bestimmt 
durchgeführt,  und  dem  Menschen  seine  Stellung  als  filzig  und 
ävaxQaaig  beider  angewiesen.  Die  eigentlichen  Gründer  aber 
der  griechischen  Dogmatik  sind  bekanntlich  die  beiden  Kappa- 
docier  aus  dem  Ende  des  4.  Jahrhunderts,  Gregor  von  Nyssa  und 
Gregor  von  Nazianz.  Bei  ihnen  wird  das  Verhältniss  des  Gei- 
stigen zum  Körperlichen,  des  Unsichtbaren  zum  Sichtbaren,  des 
Intelligibeln  zum  Sinnlichen  recht  eigentlich  die  Grundlage 
ihrer  dogmatischen  Reflexionen.  Man  erkennt  die  in  der  Schule 
Plato's  erzeugten  Gedankenrichtungen. 

DerErstere,  über  dessen  hier  in  Frage  stehende  Aufstellun- 
gen wir  eine  Monographie  von  E.  W.  Möller  besitzen  (Gregorii 
Nysseni  doctrina  de  hominis  natura,  Halle  1854),  erzählt,  wie 
Gott  zuerst  die  Welt  der  geistigen  und  unsichtbaren  Mächte  ge- 
schaffen habe :  awrekiaag  yaq  6  xviGzrjg  top  anXovv  xai 
voBQwrarov  riov  aoQazwv  dvvdfiecov  yL6ü(.iov^  darnach  die  W^elt 
der  Materie :  //e^^  ov  xal  rov  vXiymv  x.  t.  A.  De  eo  quid  sit 
adimag.,  Pariser  Ausgabe  von  163811,  22  D.  Vgl.auchDeiisqui 
praeraature  abripiuntur,  ebenda  III,  325  C.  Zuletzt  wird  der 
Mensch  geschaffen  :  rekevxalogTiov'Aara  Trjvzriaiv  u  avd-Qionog, 
gemischt  aus  beiden,  um  eine  Verbindung  der  beiden  getrennten 
Welten  herzustellen  :  l^  IzBQoyevibv  avyKSTCQafievog  rfiv  q>vatv, 
Trjg  9-Elag  re  v.al  voegäg  ovalag  7tQog  rrjv  e'/Marov  ziov  (Troixslior 
avT(T)  avvEQavcad-elaav  ixoiqav  '/MTafux-^^iOfjg  De  lis  qui  prae- 
mature  abripiuntur,  ebd.  111,  325  B.     So  schuf  Gott  aus  ihm 


295     

ein  C(üov  ügneQ  riva  /ir/rf  v  ytoaßov  {wyj^eiftj  rwv  ovo  xoaptwv 
De  60  quid  Sit  ad  imag.  ebd.  II^  88  D.  Man  sieht,  es  fehlt  nur  die 
directe  Bezeiohnung,  dass  der  Mensch  der  r^lrog  xöa^tog  sei : 
der  nöoftog  avyyevrjg  t&v  dito  ytoajitiDr  ist  in  der  That  ein  rgltog 
'Aoatxog. 

Bei  Gregor  von  Nazianz  heisst  es  in  der  Orat.  38,  40,  Pariser 
Ausgabe  von  1778,  I,  S.  669  (vgl.  auch  Orat.  45,  6  u.  7,  ebd. 
S.  849),  nachdem  die  Engel  geschaffen  sind:  ovtcj  ^ilv  ovv  o 
vorjtog  avrdj  vrciartj  xdajiiog  .  .  .  eTtel  dh  ra  Ttquyta  naXibg 
elx^v  avT(T)j  öevreQov  evvoel  xoafiov,  vkiKovy.al  6Qiof.iBvov;  von 
dieser  Well  wird  gerühmt,  wie  herrlich  da  Alles  zusammen- 
passe und  seinen  Weg  gehe,  mit  voller  Regelmässigkeit  (man 
vergleiche  Annolied  38 — 56).  Aber  es  fehlte  noch  die  Verbin- 
dung der  beiden  Welten,  ebenda  4 1  (S.  669) :  ov/tco  de  ^v  ^qa^a 
l^  af^upot€QO)v  j  oidi  reg  jul^ig  tCov  ivavrlwv.  Und  so  enl- 
schliesst  sich  denn  Gott,  den  Menschen  zu  schatten :  xal  tioov 
6v  i^  äfi(p0T€Qi0Vj  äoQdtov  re  Xiyw  xai  bQarfig  g)va6cogj 
drjfiiovQyelj  rhv  avO^QioTtov  .  .  .  ßaatXia  tojv  irtl  yfjgj  ßaac- 
l£Vü(,i6vov  Svü)x}'ev,  Da  Gregor  nun  vorher  schon  zwei  Welten 
genannt  hatte,  so  sollte  man  auch  hier,  wie  bei  dem  Nyssener, 
meinen,  nunmehr  müsse  der  Name  der  dritten  Welt  hervor- 
treten, aber  statt  dessen  bezeichnet  er  den  Menschen,  voll- 
kommen widerspruchsvoll,  abermals  als:  olöv  riva  ^6a(.iov 
dsvrcQov  ^).  Wer  mit  Verstandniss  ihm  gefolgt  ist,  der  muss  sich 
unwillkürlich  zu  der  Correctur  berechtigt  halten  olöv  riva 
KÖafnov  tqItov, 

Aber  diese  in  der  Sache  liegende  Benennung  findet  sich 
nicht.  Das  kommt  daher,  weil  sich  ein  anderer  Gegensatz  gel- 
tend macht,  der  der  grossen  Welt,  in  der  Geistiges  und  Körper- 
liches getrennt  ist,  und  ihr  gegenüber  der  Welt,  in  der  Beides 
vereint  ist,  in  dem  Menschen.  Darum  wird  der  Mensch  yLÖOfiog 
Seixeqog  oder  i'reQog  (nicht  vglrog)  genannt,  noch  gewöhnlicher 
aber,  da  sich  bei  ihm  im  Kleinen  die  Elemente  der  grossen 
Schöpfung  vereinigen,  f^iiviQÖ'^oafiog.  Aber  nach  der  eigenen 
Darstellung  der  beiden  Gregore  war  im  Anschluss  an  den-^öofiog 
voriTÖg  und  den  y.öafiog  vXcxög  die  Bezeichnung  des  xdafiog 


i)  In  der  Wiederholung  Orat.  45,  7  (S.  850)  heisst  es  etsQoy.    Viel- 
leicht die  richtigere  Lesart? 


296     

fiixrög  als  TQifog  nöofiog  auf  der  Hand  liegend  and  konnte  von 
jedem  denkenden  Leser  nnd  HOrer  gewagt  werden. 

Den  tieferen  Gedanken,  der  in  dieser  Darstellung  liegt, 
fasste  Theodorus  von  Mopsuestia  (7  429}  so  zusammen  (Maj. 
Spiciieg.  Rom.  IV,  S.  527):  o  S-ebg  ßovlofuvog  elg  iv  %a  navra 
awfifp^ai  7te7colrfK€  %hv  ävx^QWJtoVy  und  das  war  ein  Zeichen 
seiner  Liebe,  denn  itSTtoirjxe  tov  avd-Qiaitov  äaneg  %c  (piXiag 
Ivixvqov  Toig  icäai,  und  Möller  in  Herzoges  ReaiencyklopädieV^, 
2.  Aufl.,  S.  401  sagt:  »Damit  also  die  gesammte  sichtbare 
irdische  Welt,  dieser  Spiegel  göttlicher  Weisheit  und  Macht, 
nicht  gleichsam  blind  und  von  der  Theilnahme  an  den  göttlichen 
Gütern  ausgeschlossen  sei,  musste  in  ihr  selbst  eine  Verbindung 
ihrer  wesentlichen  Elemente  mit  der  höheren  geistig-göttlichen 
Natur  hervorgebracht  werden,  wodurch  zunächst  das  Göttliche 
wie  durch  einen  Spiegel  in  die  irdische  Welt  hineingestrahlt, 
darnach  das  Irdische,  mit  dem  Göttlichen  emporgehoben,  der 
Vergänglichkeit  entzogen  und  verklärt  werden  könnte.  Diese 
centrale  Bedeutung,  Band  zweier  an  sich  entgegengesetzter 
Welten  zu  sein,  kommt  dem  Mensehen  zu.«  Gass  (Symbolik 
der  griechischen  Kirche,  Berlin  1872)  hat  denn  auch  mit  Recht 
diese  Auffassung  unter  die  symbolischen  Lehren  der  griechischen 
Kirche  aufgenommen.   Vgl.  das.  S.  143  fg. 

In  der  abendländischen  Kirche  ist  jene  Theorie  der  griechi- 
schen Theologen  wohl  anfangs  bei  Ambrosius  und  Uieronymus 
ebenfalls  zu  finden  und  durch  sie  in  gelehrten  theologischen 
Kreisen  bekannt  geworden,  »allein  (so  schreibt  mir  Ad.  Hamack, 
bei  dem  ich  Auskunft  erbeten  hatte)  die  auguslinische  Lehre 
hat  sie  bald  verdrängt.  Jener  griechischen  Vorstellung  liegt 
halbverschleiert  die  Annahme  zu  Grunde,  dass  das  Menschen- 
wesen an  und  für  sich  und  unverlierbar  in  seiner  Consti- 
tution ein  göttliches  Theil,  gleichsam  ein  Stück  &eia  (pvotg, 
besitze.  Augustinus  Lehre  von  der  Sünde,  und  schon  seine 
Schöpfungslehre  und  Psychologie  schloss  diese  Ansicht  aber  aus. 
Somit  drang  der  Mensch  als  Mikrokosmos,  als  'dritte  Schöpfung', 
nicht  in  die  officielle  abendländische  Kirchendogmatik.«  An- 
klänge an  die  griechischen  Vorstellungen  finden  sich  auch  im 
Abendlande,  z.  B.  bei  Ilonorius  Augustodunensis.  Aber  gerade 
dieser  kann  uns  lehren,  wie  unklar  dieselben  waren.  So  er- 
wähnt derselbe  zwar,  dass  der  Mensch  de  spirüuali  et  corporalt 
snbstantia  bestehe,  nennt  ihn  auch  MicrocosmuSj  aber  ganz  schief. 


297     

Die  Frage  lautet:  D.  Unde  corporcUis?  M.  De  quatuor  elementis : 
unde  et  mia'ocosmtis  i.  e.  minor  mundus  dicitur ;  habet  namque 
ex  terra  camem^  ex  aqua  sanguinem,  ex  aere  flatum,  ex  igne 
calorem.  Also  der  Name  »Microcosinus«  wird  hier  allein  auf 
die  untere  materielle  Natur  bezogen,  nicht,  wie  es  die  Griechen 
fassten,  auf  die  Mischung  der  beiden  Elemente  der  grossen 
Welt. 

Aus  welchen  Quellen  nun  entnahm  der  Dichter  des  Anno- 
liedes seine  Kenntniss?  Man  konnte  zunächst  denken  an  das 
grosse  dogmatische  Hauptwerk  der  griechischen  Kirche ,  an  des 
Johannes  Damascenus  (f  760)  ''E^doacg  äxQißijg  rfjg  d^&odd^ov 
TtiaxBwg  (Pariser  Ausgabe  von  Lequin,  47<2,  1,  418  fg.),  die 
im  karolingischen  Zeitalter  auch  im  Abendlande  bekannt  ward. 
Aber  dessen  Ausdrucksweise  stimmt  nicht  zu  der  unseres  Dich- 
ters. Er  nennt  nümlich,  soweit  ich  beobachtet  habe,  die  beiden 
Substanzen,  die  geistige  und  körperliche,  nicht  Welten  (xöa^toi) 
sondern  richtiger  Naturen  [q)vaug)^  befindet  sich  somit  auch  in 
logisch  richtigerem  Zusammenhange  der  Rede,  wenn  er  nun  den 
Menschen  die  zweite  Welt  ['KÖafiov  de'öteQov)  nennt.  Aus  ihm^ 
meine  ich,  würde  der  Ausdruck  einer  »dritten  Welta  sich 
schwerlich  ergeben  haben.  Auch  soll  die  erste  lateinische  lieber- 
Setzung  desselben  erst  unter  Eugen  III.  (1145 — 1153)  entstan- 
den sein.  Musste  aber  unser  Dichter  des  Griechischen  mächtig 
sein,  um  seine  Kenntniss  von  der  griechischen  Auffassung  zu 
gewinnen,  so  konnte  er  sie  auch  direct  aus  den  beiden  Gregoren 
oder  aus  anderen  Werken  griechischer  Theologen  oder  aus 
mündlicher  Belehrung  schöpfen.  Und  ich  möchte  glauben,  dass 
die  Worte  s6  wir  daz  die  Griechen  hörin  redin  hieraufweisen, 
da  sie  uns  den  Dichter  wie  in  Wechselrede  mit  griechischen 
Theologen  vorführen. 

Sollte  er  wirklich  Gelegenheit  gehabt  haben,  Griechen  über 
ihre  Dogmen  sich  aussprechen  zu  hören?  Es  ist  nicht  unmög- 
lich. Denn  an  Verbindungen  mitByzanz  fehlte  es  damals  keines- 
wegs. Anno  selber  schickte  Gesandte  dorthin,  offenbar  während 
er  die  Führung  des  Reiches  in  Händen  hatte,  und  diese  brachten 
ihm  Geschenke  zurück.  Die  Vita  I,  30  (Mon.  G.  H.  Script.  XI) 
sagt  von  ihm :  quod  cum  episiolis  legatos  suos  ad  Graeciae  regem 
direxity  qui  reversi  dominici  ligni  parteni  non  modicam  aliaque 
regalium  donoi^m  insignia,  rege  transmittentß^  ipsipraesentarunt. 
Auch  der  Erzbischof  Gebhard  von  Salzbui'g  (1060 — 1088)  war 


298     

als  Gesandter  des  Deutschen  Kaisers  in  Byzanz  gewesen.  So 
sagt  die  ViU  Gebebardi,  M.  G.  H.,  Scr.  XI,  39,  34:  Rationale 
unum  ex  auro  ei  gemmis  preciosissinm  iniextumj  aureis  catenulü 
dependenSy  pene  viille  marcarum  precio  estimatum,  quod  imperator 
Gredae  funcUUort  nostro  Gebehardo  archiepiscopo ^  dum,  lega- 
tione  Cesaris  illo  functuSy  filium  eitis  baptizaret,  pro  tntmere 
donaverat. 

Sollte  unser  Dichter  eine  solche  Gesandtschaft  nach  Byzanz 
mitgemacht  haben?  Wie  dem  sei,  jedesfalls  zeigt  seine  Kenntniss 
der  griechischen  Lehre  und  die  Weise,  wie  er  citiert,  dass  er 
ein  hochgebildeter  Mann  war,  der  sicherlich  einen  grossen  Theil 
seiner  Zeitgenossen  an  Weite  des  Blickes  übertraf,  und  dass 
wir  ihn  völlig  verkennen  würden,  wenn  wir  ihm  grobe,  d.  h. 
auch  für  seine  Zeit  grobe,  Unwissenheit  zutrauen  und  etwa  gar 
glauben  wollten,  er  habe  seine  Kenntnisse  aus  Schulbüchern 
für  Abcschützen  entnommen. 


3.  Verschiedenes. 

Da  ich  einmal  zum  Annoliede  das  Wort  genommen  habe, 
so  mag  ich  es  mir  nicht  versagen,  auch  über  einige  brennende 
Fragen,  die  vielfach,  und  gerade  neuerdings  wieder  behandelt 
sind,  meine  Ansicht  auszusprechen  —  kurz,  denn  das  Material 
ist  namentlich  durch  Kettner  und  Wilmanns  ausführlich  zu- 
sammengearbeitet ^)  worden  — ,  auf  die  Gefahr  hin,  dass  nieine 
Darlegungen  mehr  als  ein  Pronunciamento  denn  als  eine  wissen- 
schaftliche Begründung  erscheinen  werden.  Ich  befinde  mich 
dadurch  jedesfalls  in  der  willkommenen  Lage,  nicht  auf  Einzel- 
heiten eingehen  zu  müssen^),  was  so  leicht  zu  einem  rechthabe- 
rischen Tone  verleitet. 


h)  Vgl.  Kettner  in  der  Zeitscbr.  f.D.  Philologie  9,  257  fg.  49, 324  fg.. 
und  Wilmanns,  Bcitriige  zur  Gesch.  d.  Öltcrcn  deutschen  Lttteratur, 
Hft.  S,  Bonn  1886. 

2)  Doch  mag  eine  Einzelheil  hier  zu  erwähnen  gestattet  sein.  Im  AL. 
sind  die  Worte  Dan.  7,  7  et  reliqua  pedibtu  suis  concuicans  von  dem  vierlen 
Thiere,  der  bestia  terribiliSf  auf  des  zweite  Thier,  den  ursus,  übertragen. 
Wilmanns  meint,  »der  Dichter  wollte  das  vierte  Wellreich  nicht  so  ab- 
schreckend vorstellen,  weil  es  das  Reich  ist,  dem  er  selbst  angehört.«  Ich 
glaube  doch ,  dass  der  Grund  ein  elofacberer  war.  Schon  Hieronymos 
hatte  das  vierte  Thier  mit  dem  aper  de  siUsa  in  Ps.  79, 1 4  zusammengebracht, 


299     

I.  Zunächst  die  Zeit  der  Entstehung.  Ich  muss  durchaus 
Rettner  beitreten.  Vor  der  Mitte  der  80er  Jahre  kann  die 
Schilderung  des  Wirrwarrs  im  Deutschen  Reiche  (AL.  673 — 694) 
nicht  geschrieben  sein,  denn  erst  auf  di6  Jahre  seit  4080,  eigent^. 
lieh  und  voll  erst  auf  das  Jahr  1084  passen  die  Verse  679 
und  680.  Aber  auch  unmittdbar  darnach  können  sie  nicht 
entstanden  sein,  denn  wer  damals  über  Anno  schrieb,  wusste, 
dass  er  diese  Jahre  nicht  mehr  erlebt  habe.  Jene  Schilderung 
kann  in  einem  Leben  Anno's  erst  aus  einer  Zeit  und  von 
einem  Schriftsteller  herrtlhren,  der  jene  Jahre  bereits  aus  der  ge** 
schicbtlichen  Vogelperspective  anschaute  und  dem  die  einzelnen 
Stadien  derselben  nicht  gegenwärtig  waren.  Da  nun  zu  der  künst- 
lichen Annahme  einer  früheren  Gestalt  der  Vita  Annonismir  kein 
durchschlagender  Grund  vorhanden  zu  sein  scheint  ^  denn  die 
kleine  Abweichung  in  Vs.  839  ist  für  unsem,  durchaus  seine 
Selbständigkeit  wahrenden  Dichter  zu  geringfügig,  um  gegen- 
über der  durchgehenden  sonstigen  Uebereinstimmung  mit  der 
Vita  irgend  ins  Gewicht  zu  fallen  — ,  so  kann  das  Annolied 
erst  in  oder  nach  1405  entstanden  sein,  und  wegen  Vs.  505, 
in  welchem  auch  das  nu  besonders  zu  beachten  ist,  wahrschein- 
lich erst  in  oder  nach  1106.  Einen  terminus  ad  quem  ergiebt 
vielleicht  Vs.  675,  falls  wir  in  der  Vorenthaltung  des  Kaiser- 
oder KOnigstitels  eine  Absicht  vermuthen  dürfen.  Dann  wäre 
das  Gedicht  vor  1111  geschrieben,  in  welchem  Jahre  der  todte 
Kaiser  bekanntlich  aus  dem  Bann  gelost  und  kirchlich  beerdigt 
ward. 

II.  Umgekehrt  trete  ich  in  Betreff  der  Zugehörigkeit  der 
Partie  von  den  vier  Weltmonarchien  durchaus  V^ilmanns  bei, 
gegenüber  denen,  die  darin  eine  Herübemahme  aus  einem 
anderen  Werke,  sei  es  durch  den  Verfasser  selbst,  sei  es  durch 
einen  späteren  Interpolator  i),  erblicken,  ja  ich  meine,  man  könnte 


und  dem  entsprechend  nennt  auch  der  Dichter  des  AL.  dasselbe  ehir. 
Dieses  Thier  aber  kannten  der  Dichter  und  seine  Leser  zu  gut  um  nicht  an 
der  Schilderung  Anstoss  zu  nehmen,  dass  dasselbe  mit  seinen  Füssen  eine 
vernichtende  Wirkung  ausgeübt  habe.  Anders  stand  es  mit  dem  zweiten 
Thier,  dem  Bären ;  dem  war  dies  von  den  Lesern  wohl  zuzutrauen.  Der 
Dichter  erlaubte  sich  also  eine  Uebertragung  und  bewies  auch  dadurch,  wie 
er  seinem  Stoff  mit  Freiheit  gegenüberstehe. 

\)  Diese  letztere,  besonders  durch  Begemann  auf  der  Rostocker 
Philologenversammlung  4  874  vertretene  Ansicht  hat  einen  unleugbaren 
Anhalt  an  der  Schilderung,  die  Bonav.  Vulcanius  von  seiner  Handschrift 

1887.  24 


300    

diesen  von  Hoffmann  von  Fallersleben  einmal  hingeworfenen 
Gedanken^  der  sich  bisher  durchaus  unproductiv  erwiesen  hat, 
nachgerade  zu  den  Todten  legen.  Die  Partie  von  den  vier  Monar- 
chien ist  mit  dem  Ganzen  des  Liedes  aus  einem  Gusse,  zeigt 
denselben    Stil ,  dieselben  Quellen ,   dieselben  Liebhabereien 
und  ist  nach  dem  Geiste  des  Verfassers  auch  wohl  motiviert. 
Freilich  nicht,  wie  Wilmanns  es  darzustellen  versucht,  dessen 
Disposition  mir  viel  zu  schulmeisterlich  —  fast  wie  das  Dik- 
tat zu  einem  Secundaneraufsatze  —  erscheint  und  das  Rich- 
tige nicht  trifil,  denn  auf  einen  Ruhm  der  Stadt  Köln  ist  es  in  die- 
ser Partie  nicht  besonders  abgesehen  ;  wiesolltederauchausdieser 
langen  Darstellung  hervortreten,  an  deren  Schlüsse  erst  in  ein- 
fachster Weise  auf  Köln  zurückgegangen  wird  ?  Es  ergiebt  sich 
der  Excurs  vielmehr  aus  der  Eigenheit  des  Dichters,  der  ein 
systematischer  Kopf  ist,  in  dem  so  etwas  wie  Philosophie  der 
Geschichte  lebendig  ist,  und  der  bemüht  ist,  stets  das  Einzelne 
an  das  Ganze  zu  heften  und  so  zu  begründen.    Wie  er  eine  all- 
gemeine Schilderung  von  Gottes  Weltenplane  voraussendet,  um 
auf  das  Christenthum  und  Änno's  Stellung  in  demselben  zu  ge- 
langen, wie  ihm  hiezu  nicht  einmal  die  nur  halbconsequente 
Dogmatik  des  Occidents  genügt,  sondern  er  zu  der  abgerunde- 
teren Symbolik  der  griechischen  Kirche  greift,  so  wirft  er  auch, 
indem  er  von  der  Stadt  Köln  zu  reden  hat,  eine  Frage  weltge- 
schichtlichen Charakters  hinein,  die  Frage,  wodurch  denn  über- 
haupt Städtegründungen  veranlasst  seien.   Dieser  Gedanke  war 
dem  Mittelalter   schon  vom  Alterthum  her  dahin  beantwortet, 
dass  sie  geschehen  seien,  um  die  Mitmenschen  vergewaltigen  zu 
können.   Erst  als  diese  Vergewaltigung  durch  Ninus  eingetreten 
sei,  sei  auch  von  ihm  der  Städtebau  ausgegangen.   In  derselben. 


entwirft,  nach  der  es  in  der  That  scheinen  möchte,  als  ob  ihr ,  wie  der 
Eingang  (AL.  4 — 18),  so  auch  die  weltliche  Partie  von  447  an  gefehlt  habe. 
Aber  wie  weit  soll  dann  die  Interpolation  gegangen  sein?  Wir  finden 
keine  Stelle,  wo  wir  die  Interpolation  so  könnten  enden  lassen,  dass  für 
das  Nachfolgende  wieder  ein  Anschluss  an  die  Verse  vor  447  gewonnen 
würde.  Man  wird  inonoer  zu  der  Annahme  gezwungen,  dass  der  Interpo- 
lator  nicht  bloss  von  fremdber  eine  Partie  entlehnt  hätte,  sondern  er  mttsste 
immer  noch  eine  Partie,  die  auf  Anno  zurückkehrte  (547  f.),  selbständig 
hinzugesetzt  haben,  und  dadurch  verliert  jene  Vermuthung  alle  Wahr- 
scheinlichkeit.  Für  jeden  Interpolator  lag  überdies  die  Einschiebung  einer 
welllichen  Partie  fern,  für  den  weitumschauenden  Geist  des  Verfassers  des 
AL.  lag  sie  nahe. 


301     

stets  mit  weitem  Blick  das  Ganze  ins  Auge  fassenden  Weise  giebt 
unser  Verfasser,  wo  er  auf  die  Kämpfe  mit  den  Römern  kommt, 
gleich  einen  erschöpfenden  Ueberblick  über  die  Kampfe  Cäsar's 
mit  den  Deutschen,  wie  sie  ihm,  freilich  unhistorisch  genug,  vor- 
schwebten ;  in  gleicher  Weise  erledigt  er,  wo  von  der  trojani- 
schen Abkunft  der  Franken  die  Rede  sein  soll,  gleich  die  sämmt- 
lichen  Gründungen  der  vertriebenen  Trojaner,  und  ebenso  treibt 
ihn  sein  aufis  Ganze  gerichteter  Sinn,  nachdem  er  Kölns  Grün- 
dung erwähnt  hat,  auch  noch  nachträglich  der  übrigen  seiner 
Ansicht  nach  römischen  Städtegründungen  am  Rhein  zu  geden- 
ken. Durch  jenes  Zurückgreifen  auf  den  Ursprung  der  monar- 
chischen Gewalt  bietet  sich  ihm  nun  zugleich  nicht  nur  eine 
neue  Veranlassung,  seinem  systematisierenden  Vollständigkeits- 
triebe Genüge  zu  thun,  indem  er  die  vier  Monarchien  durchgeht, 
sondern  auch  eine  bequeme  Bi*ücke  sich  zu  schlagen  bis  zur 
Gründung  Kölns. 

Nur  Eine  Stelle  —  denn  was  sonst  vorgebracht  ist,  halte 
ich  für  nicht  entscheidend  —  scheint  Bedenken  zu  erregen 
und  auf  ein,  außerhalb  des  Annoliedes  gelegenes  Original  hin- 
zuweisen. Es  sind  dies  die  Verse  AL.  503  fg.,  wo  es  auf  den 
ersten  Blick  scheinen  möchte,  als  gebe  das  Annolied  einen  ent- 
stellten Text  : 

Anno:  Kaiserchronik: 

Meginza  was  du  ein  kastei :        Magenze  ein  stat  gut 
iz  gem^rthe  manig  helit  sneL        Oppenheim  ir  ze  hüte ; 
•  du  worhte  der  helt  snel 

ingegen  Magenze  ein  casteL 

Der  Bericht  der  Kaiserchronik  scheint  den  Vorzug  zu  ver- 
dienen, er  ist  scheinbar  unanfechtbar :  Casiel  liegt  jenseits  des 
Rheins,  und  Oppenheim  konnte  man  vielleicht  als  einen  vorge- 
schobenen Posten  von  Mainz  ansehen;  demnach  scheint  das  Anno- 
lied abgekürzt  und  den  Sinn  verderbt  zu  haben,  zumal  wenn 
wir  ka^stel  auch  hier  auf  die  rechtsrheinische  Befestigung  be- 
ziehen wollen ;  die  Worte  iz  gem^rthe  manig  helit  snel  könnten  gar 
wohl  als  der  Verlegenheilsvers  eines  Überarbeiters  erscheinen. 
Aber  freilich,  der  Vers  ist  nicht  schlimmer  als  Vs.  490,  wo  e§ 
von  Colonia  heisst:  da  wärin  sint  hirrin  maniga,  der  mir  völlig 
ohne  Grund  verdächtigt  zu  werden  scheint ;  und  die  Notiz  über 
Mainz,  wie  sie  das  Annolied  bietet,  entspricht  doch  auch  aus- 
reichend der  Wahrheit,   nur  ist  mit  kastei  nicht  die  Befestigung 

«4* 


302     

gegenaber,  sondern  das  »Caslniiiic  am  linken  Rheinufer  gemeint, 
das  der  Stadt  ihren  besonderen  Charakter  gewährte  ond  sie 
—  mit  klager  strategischer  Berechnung  — zn  yiel  grifeserer  Bedeu- 
tung erhob  als  die  tibrigen  Städte  am  Rhein  besassen.  Anderer- 
seits ist  der  Zusammenträger  der  Kaiserchronik  geneigt  zu 
verbessern.  Er  schreibt  die  Partie  ans  dem  Annoliede  nicht 
einfach  ab,  er  dröselt  sie  so  zn  sagen  wieder  auf  und  bedient 
sich  in  bequemer  Weise  der  einzelnen  Theile  an  den  ihm  fttr 
seinen  Plan  angemessen  erscheinenden  Stellen >^,  auch  Yerball- 
homisierungen  begegnen  ihm  dabei,  so  wenn  er  statt  des  Daniel 
fälschlich  den  Nabuchodonosor  (Kehr.  47,  44=AL.  476)  und 
statt  des  Engels  den  Daniel  (Kehr.  49,  44  =  AL.  260)  einführt. 
Er  könnte  also  auch  hier  gar  wohl  die  ausgeftihrtere  und  abwei- 
chende Schilderung  an  die  Stelle  der  einfacheren  gesetzt  haben, 
und  zur  Evidenz  wir  dies  durch  die  nachstehende  Erwägung. 
In  der  Kaiserchronik  kommt  der  Reim  gut :  hüte  noch  zweimal 
unmittelbar  vor  der  Erwähnung  von  Mainz  vor.  Wir  dürfen 
diese  Stellen  nicht  von  einander  trennen;  wer  die  eine  schrieb, 
schrieb  auch  die  anderen.  Da  heisst  es  nun  in  der  Kaiserchronik 
42,  34  bei  Aufzählung  der  sedelhave: 

Dize  ain  stat  gut, 
Bazparte  der  zehüte; 
Andernach  ain  stat  gütj 
Engilnhaim  der  ze  hüte. 

Also  Deuz,  am  rechten  Rheinufer,  vollkommen*  durch  Köln 


4}  Scboo  Kehr.  3,  2  fg.  ist  aus  AL.  S6d  fg.  entnommen.  In  Kehr.  9, 
1 9  scheint  AL.  279  durch.  —  Beim  Kampfe  Cftsar^s  mit  den  Deutschen  wird 
die  Herübernahme  aus  dem  AL.  deutlicher:  Kehr.  4  0,  4  fg.  =  AL.  285  fg. 
Schwaben);  Kehr.  4  0,  25  fg.  =  AL.  300  fg.  (Baiern);  Kehr.  4  4,  7  fg.  =  AL. 
349  fg.  (Sachsen);  Kehr.  4  4,  35  fg.  s  AL.  845  fg.  (Franken).  Dann  die 
Slädtegründungen  am  Rhein,  in  Kehr,  in  richtiger  historischer  Reihenfolge, 
im  AL.  in  wohl  begründeter  Weise  erst  nachgeholt,  Kehr.  42,  29  fg.  :=  AL. 
ca.  495  fg.  Dann  schiebt  die  Kehr,  die  Geschichte  von  Dulzmar  u.  Signator 
ein.  Es  folgt  Cttsar's  Rückkehr  nach  Rom  und  der  Bürgerkrieg,  Kehr.  4  5, 6  fg. 
a=  AL.  397  fg.  Die  Erwähnung  Aegyptens,  im  AL.  emphatisch  vorweg  ge- 
nommen (433  fg.),  kommt  wieder  in  der  Kehr,  erst  am  historisch  richtigen 
Orte  (4  6,  30).  Mitten  in  die  Schilderung  des  Sieges  Cttsar's  ist  aber  in 
Kehr,  in  unglücklichster  Weise,  und  wohl  nur  durch  Versehen,  AL.  4  75 — ^260 
=  Kehr.  4  7,  4  2 — 49,  4  4  eingeschoben,  unter  Augustus  wird  dann  das  AL. 
noch  einmal  herbeigezogen.  Kehr.  24,  5  =  AL.  485  fg.,  507fg.und  nochmals 
Kehr.  24,  28  fg.  =  AL.  484  fg. 


303     

gedeckt,  und  ihm  zum  Schutze  das  mehr  als  45  Meilen  südlicher 
gelegene  Boppart  I  und  Andernach,  zwischen  jenen  beiden 
Stddten  (!),  und  ihm  zum  Schutze  das  mindestens  4S  Meilen 
südlicher,  in  der  Ndhe  von  Mainz,  und  gar  nicht  am  Rhein  ge- 
legene Ingelheim  I  Man  sieht,  der  Verfasser  weiss  nicht,  was  er 
sagt.  Eine  solche  Verkehrtheit  haben  wir  weder  dem  Verfasser 
des  Annoliedes  zuzutrauen,  noch  brauchen  wir  sie  irgend  einem 
anderen  Originalverfasser  aufzubürden ;  sie  reiht  sich  den  übri- 
gen Verkehrtheiten  an,  die  die  Kaiserchronik  stellenweise  unge- 
niessbar  machen:  es  ist  eine  Sudelei  des  Compilators  oder  lieber- 
arbeiters,  dessen  Localkenntnisse  nördlich  über  Mainz  sich  nicht 
erstreckt  zu  haben  scheinen,  und  somit  haben  wir  keinen  Grund, 
die  Verse  in  dem  Annoliede  für  entstellt,  für  abgeleitet  und 
entlehnt  zu  halten.  Auch  die  Steile,  an  der  sie  im  AL.  stehen, 
ist  nach  der  Disposition  des  Dichters  wohl  begründet.  Denn 
diese  führt  ihn  zunächst  nur  auf  Köln,  und  nur  des  Dichters 
VoUstdndigkeitstrieb  lässt  ihn  dann  auch  noch  auf  die  anderen, 
schon  früheren  Gründungen  einen  Blick  werfen.  Der  Chronist 
bringt  jene  Verse  natürlich  an  anderer,  der  Chronologie  ent- 
sprechender Stelle. 

Muss  ich  so,  in  Übereinstimmung  mit  Wilmanns,  —  nur  in 
anderer  Motivierung  —  die  Ansicht  festhalten,  dass  der  Excurs 
von  den  vier  Monarchien  von  Anfang  an  zum  Annoliede  gehört 
hat  und  von  dem  Dichter  desselben  herrührt,  so  kann  ich  wie- 
der Wilmanns'  Annahme  nicht  beitreten,  dass  die  Entstehung 
des  Annoliedes  und  sein  Plan  in  irgend  einem  Verhältniss  zu 
den  Gesta  Trevirorum  stehe  ^) .  Es  wäre  doch  ein  wunderlicher 
Einfall  gewesen,  ein  kurzes  deutsches  Gedicht  einem  ausführ- 
lichen lateinischen  Prosawerke  als  Concurrenten  zur  Seite  stel- 
len zu  wollen :  die  Kreise  für  beide  schlössen  sich  ja  so  ziemlich 
aus  und  der  Versuch  wäre  überdies  ein  winzig  minimaler  ge- 
wesen. Und  dann,  wo  zeigt  sich  im  Annoliede  ein  Bestreben, 
den  Ruhm  Köln's  im  Gegensatze  zu  Trier  zu  verkünden?  der 
Verfasser  des  Liedes  ist  ganz  harmlos  und  unbefangen,  er  lässt 
Trier  vollkommen  die  Ehre,  verlangt  gar  keine  Präponderanz 
für  Köln,  und  es  könnte  ernsthaft  verstimmen,  wenn  Wilmanns 
den  Vers  54  4  so  ausdeuten  will ;  der,  wenn  auch  oft  überscharf- 


1}  vicn  Wetteifer  mit  der  Gtiscbichte  Triers  und  gestützt  auf  sie,  schuf 
unser  Dichter  sein  Loblied  Kölns.«  S.  53. 


304     

sinnige  Gelelute  ist  doch  Germanist  genug,  um  zu  wissen,  dass 
jene  Worte  das  nicht  bedeuten  können,  was  er  aus  ihnen  her- 
auslesen möchte :  ci  minnen  ist  doch  genau  eine  Uebersetzung 
des  amicitiae  causa  der  Gesta  Treviromm,  und  die  Gesta  Trev. 
wollten  doch  schwerlich  damit  den  Röhiem  eineOberherrsdiafi 
zugestehen.  ^)  Vers  546  aber  ist  ein  zusammenfassender  Sehluss- 
vers,  wie  ihn  der  Dichter  liebt.  Vgl.  AL.  292.  347  fg.  343  fg. 
395  fg.  434.  477  fg.  u.  s.  w. 

Benutzt  aber  hat  der  Verfasser  die  Gesta  Treviromm  höchst 
wahrscheinlich.  Die  älteste  Gestalt  derselben  gehtbiszum  Jahre 
4  404,  und  das  Werk  wird  auch  den  Geistlichen  in  Köln  und 
Umgegend  bald  bekannt  geworden  sein.  Es  stimmt  diese  An- 
nahme sogar  sehr  gut  zu  der  oben  vertheidigten  Ansicht,  dass 
das  Annoiied  zwischen  4  406  und  444  4  entstanden  sei.  Mir 
erscheint  dies  Sachverhältniss  einfacher  zu  sein  als  die  an  sich 
ja  nicht  unmögliche,  aber  auch  durch  nichts  geforderte  An- 
nahme, dass  der  Dichter  des  Liedes  dieselben  Quellen  mit  dem 
Verfasser  der  Gesta  Treviromm  benutzt  habe').  Die  überein- 
stimmenden Stellen  sind  bekanntlich  AL.  397  fg.  =  Gesta  Trev. 
cap.  43  (Seriptores  VIU,  S.  442);  AL.  509  fg.  »Gesta  Trev.  cap. 
45  (Scr.  Vlll,  S.  447).  Möglicherweise  auch  die  Erzählung  von 
Matemus,  Vs.  537  fg.,  die  freilich  ohnedies  in  Köln  ausreichend 
bekannt  gewesen  sein  wird,  und  Vs.  273  =  Gesta  Trev.  2.  Be- 
richt (Scr.  VIII,  S.  446,  24). 

111.  Zu  Vs.  689  fg.  hat  man  bisher  auf  die  Stelle  bei  Justin, 
oder  auf  eine  ähnliche  bei  Lucan  (Phars.  7,  825)  hingewiesen, 
aber  die  wirkliche  Quelle  ist  der  s.  g.  Pindams  Thebanus,  der 
lateinische  Homer.  Hier  heisst  es  in  den  Versen  4  und  5: 
latrantumque  dedit  rostris  exsangues  inhumatis  ossibus  artus; 
dem  entspricht  in  allen  Theilen  das  Deutsche  : 

daz  di  gidouftin  lichamin 
umbigravin  ciworfin  lägin 
ci  äse  den  bellindin 
den  gräwin  walthundin. 


4)  Selbst  Kettner  sagt  (19,  3S2),  im  AL.  stehe  »Köln  an  der  Spitze 
von  5  Städten  im  Rheinlande,  darunter  auch  Triem.  Und  nun  lese  man 
AL.  498 — 515,  und  sage,  ob  auch  nur  eine  Spur  davon  dastehe. 

2)  Wilmanns'  Annahme  einer  älteren  Gestalt  der  Gesta  Treviromm 
muss  ich  auch  hier,  wie  die  gleiche  Annahme  bei  der  Vita  Annonis,  von 
der  Hand  weisen. 


305     

Ob  diese  Bekanntschaft  mit  der  Uebersetzung  eines  griechischen 
Dichters,  den  das  Mittelalter  bekanntlich  sehr  vernachlässigte,  in 
Verbindung  gebracht  werden  darf  mit  den  oben  besprochenen 
Kenntnissen  aus  der  griechischen  Theologie,  mag  dahin  gestellt 
bleiben. 

IV.   Eigen  ist  der  Ausdruck  von  Wilmanns  S.  5^  wenn  er 
Schade's  Ansicht  mit   den  Worten  wiedergiebt:  »das  Gedicht 
könne  nicht  nach  4483   verfasst  sein,   weil  der  Dichter  den 
Leichnam  Anno's  noch  in  Siegburg  wisse«.    Noch  in  Siegburg? 
Glaubt  etwa  Wilmanns  (Schade  sagt  nichts  dahin  Deutendes], 
dass  der  Leichnam  4483  aus  Siegburg  entfernt  worden  s^i? 
Das  wäre  doch   ein   wunderliches   Verfahren  der  Siegburger 
Aebte  und  Mönche  gewesen,  wenn  sie  es  sich  so  viel  Geld, 
Reisen  und   Bemühungen  fast  durch  ein  Jahrhundert  hotten 
kosten  lassen,  um  den  wunderthuenden  Leichnam  ihres  Heiligen, 
des  Hauptschatzes  ihres  Klosters,   los  zu  werden?  Aus  der 
Translatio  konnte  Wilmanns  doch  ersehen,  dass  die  im  Grabe 
noch  gefundenen  Knochen  in  den  Reliquienschrein  aufgenommen 
und  auf  den  Altar  erhoben  wurden,  und  dass  die  Kölner  in 
Menge  nach  Siegburg  wallfahrleten ,  um  den  Heiligen  dort  zu 
verehren.     Eine,  durch  Herrn  Prof.  Lindner  vermittelte  Notiz 
des  Herrn  Dr.  Höhlbaum  belehrt  mich ,  dass  nach  Mittheilung 
des  dortigen  Pfarrers  die  französische  Regierung  die  Reliquien 
bei  Aufhebung  der  Abtei  der  Pfarre  Birk  bei  Siegburg  geschenkt 
habe,  »aber  der  Widerstand  der  Siegburger  sei  so  stark  ge- 
wesen, dass  man  sie  im  Besitze  des  Schatzes  belassen  habe; 
besonders  sei  dies  Ergebniss  durch  die  Siegburgerinnen  herbei- 
geführt, a    Dort  werden  sie  denn  noch  jetzt  aufbewahrt,  und 
zwar  noch   in  dem  alten  Schreine  aus  dem  Jahre  4  483,  den 
Aeg.   Müller    (Siegburg   und   der  Siegkreis,  Siegburg  4859, 
S.  454  fg.)  beschrieben  hat. 

V.  Am  Niederrhein  scheint  der  Verfasser  des  Annoliedes 
nicht  mehr  bekannt  gewesen  zu  sein.  Er  würde  sonst  schwer- 
lich so  naiv  die  Stelle  aus  Vergil  Aen.  3,  349  auf  Xanten  (denn 
das  ist  doch  unter  luzzele  Tröie  zu  verstehen)  haben  übertragen 
können.  Nach  der  Mittheilung  des  Herrn  Rectors  Kniflfler  in 
Xanten  existiert  ein  Bach  gleichen  oder  ähnlichen  Namens  in 
der  Umgebung  dieses  Ortes  nicht. 


Herr  Zamcke  legte  eine  Abhandiuiig  vor  ttber  Christian 
Reuter  als  Passionsdichter. 

Meine  Deulicben  MiUheilungen  über  Christian  Reuter^s  Ber- 
liner Aufenthalt  Hessen  denselben  in  einem  nicht  eben  vortheil* 
haften  Lichte  erscheinen.  Nicht  wenig  freut  es  mich  daher, 
hente  von  einem  Werke  desselben  aus  eben  jener  Zeit  berichten 
zu  können,  das  wohl  geeignet  ist,  seine  moralische  wie  seine 
schriftstellerische  Persönlichkeit  wieder  zu  heben.  Von  Herrn 
Wendelin  Freiherrn  von  Maltzahn  wurde  ich  darauf  aufmerksam 
gemacht,  dass  sich  auf  der  Bibliothek  des  Gymnasiums  zum 
grauen  Kloster  in  Berlin  ein  mir  noch  unbekanntes  Werk  von 
Chr.  Reuter  befinde.  Durch  freundliche  Vermittlung  des  Herrn 
Prof.  Dr.  H.  Bellermann,  ftlr  die  ich  hier  auch  öffentlich  meinen 
Dank  ausspreche,  erlangte  ich  die  Zusendung,  und  gebe  nun 
hier  zunächst  die  bibliographische  Beschreibung : 

Christian  Reuters  |  Paßions-Gedancken,  |  Über  |  Die  Hi- 
storie I  Von  dem  |  Bittern  Leiden  und  Sterben  |  Unsers  | 
HErrn  und  Heylandes  JEsu  |  CHristi,  |  Nach  denen  Text- 
Worten  I  Der  I  Heiligen  Vier  Evangelisten  |  Aufs  kürtzeste  | 
In  Reime  verfasset  und  in  dieMusic  übersetzet,  |Von  Johann 
Theilen,  |  Capell-Meistern.  |  Mit  Königl.  Preußis.  aller- 
gnädigsten  Freyheit.  |  (Zierleiste)  |  BERLIN,  gedruckt  bey 
Johann  Lorentz  4708. 

16  unbezifferte  Bll.  4^,  sign.  9(— ÜD.  Rückseite  des  Titels 
und  des  letzten  Blattes  leer.  -^  Der  Titel  ist  nicht  ganz  klar  ge- 
fasst.  Man  müsste  ihn  zunächst  so  verstehen,  als  ob  Chr.  Reuter's 
Passionsgedanken  von  Joh.  Theile  sowohl  in  Verse  gebracht  wie 
in  Musik  gesetzt  seien.  Das  aber  ergäbe  einen  Unsinn,  denn 
was  nach  Auflösung  und  Entfernung  der  Reime  zurückbleibt, 
ist  lediglich  Heilige  Schinft  und  nicht  besondere  Passionsgedan- 
ken.   Die  etwas  verschrobene  Fassung  ist  wohl  dadurch  veran- 


307     

lasst,  dass  man  auf  dem  das  ganze  Blatt  einnehmenden  Titel 
beide  Namen  zu  ihrem  Rechte  wollte  gelangen  lassen,  ohne  einer 
grössern  Anzahl  von  Zeilen  zu  bedürfen.  Die  Yoranstellung  des 
einfachen  Namen  Reuter's  beweist,  dass  er  eine  damals  in  Ber- 
lin bekannte  Persönlichkeit  war.  Uebrigens  ist  diese  Voranstellung 
dadurch  aufgewogen,  dass  des  Componisten  Name  mit  etwas 
grösseren  Typen  und  gesperrt  gesetzt  ist.  Die  Composition 
selbst  ist  in  dem  Drucke  nicht  enthalten. 

Ehe  ich  an  eine  Beschreibung  und  Erörterung  dieser  Dich- 
tung gehe,  ist  es  nöthig,  dass  wir  uns  über  die  damalige  Behand- 
lung der  Texte  zu  den  Passionsmusiken  orientieren,  die  gerade  in 
jenen  Jahren  in  einer  bedeutungsvollen  Krisis  begrilTen  waren. 
Die  nachstehende  Darlegung  ist  dem  trefflichen,  auch  in  seinen 
Nebenpartien  stets  grundlegenden  Werke  von  Phil.  Spitta  über 
Joh.  Seb.  Bach  nicht  wenig  verpflichtet,  besonders  auch  darum, 
weil  dasselbe  in  den  meisten  Fällen  die  Orte  kennen  lehrte, 
wo  die  für  diese  Erörterung  wichtigsten  Drucke  —  fast  durch* 
weg,  wie  es  scheint,  Unica  —  zu  finden  waren.  Dass  mein 
Gesichtskreis  enger  ist  als  der  Spitta's,  da  mir  die  Renntniss  des 
Musikalischen  abgeht,  kommt  hier  weniger  in  Betracht,  wo  es 
sich  lediglich  um  einen  Text  und  nicht  um  die  Composition  des- 
selben handelt. 


1.  Die  alten  Passionstexie  der  protestantischen  Kirche. 

Überkommeoe  Tradilion.   Vopelius.    Neue  musikalische   Forderungen: 

Heinrieb  Scbütz. 

Das  Absingen  der  Passionstexte  nach  einem  der  vier  Evan- 
gelisten hat  der  protestantische  Gottesdienst  aus  der  früheren 
kirchlichen  Uebung  überkommen  und  vielfach  gerne  übernommen. 
Wohl  begreiflich.  Passt  sich  doch  in  jenen  ergreifenden  Schil- 
derungen, namentlich  in  der  des  Matthäus,  Alles  zusammen, 
was  das  menschliche  Herz  der  christlichen  Religion  an  Trost, 
Hoffnung  und  Kraft  der  Entsagung  verdankt.  Luther  empfahl 
4526  in  seiner  Anweisung  )>Deutsche  Messe  und  Ordnung  des 
Gottesdienstes«  die  Beibehaltung^],  nur  das  Absingen  aller  vier 


4)  »Die  Fasten,  Palmtag  und  Marterwocben  lassen  wir  bleiben;  nicht 
dass  wir  Jemand  zu  fasten  zwingen,  sondern  dass  die  Passion  und  die  Evan— 
gelia,  so  auf  dieselbige  Zeit  geordnet  seind,  bleiben  sollen.«    Es  gebt  hier- 


308     

Texte  schien  ihm  zu  viel  ^) .  Dennoeh  hatte  sich  selbst  letztere 
Sitte  hie  und  da  im  protestantischen  Gebrauch  gehalten,  z.  B. 
in  Merseburg.  Meistens  ward  die  Passion  zweimal  gesungen, 
am  Palmsonntage  nach  Matthäus,  am  Charfreitage  nach  Johannes, 
in  Dresden  dreimal :  am  Sonntag  Judica  nach  Matthäus,  am  Palm- 
sonntage nach  Lucas  und  am  Cha'rfi'eitage  nach  Johannes. 

Auch  das  Absingen  mit  vertheilten  Rollen  ward  über- 
nommen. Ein  Sänger  führte  die  Stimme  des  Evangelisten,  er 
sang  den  erzählenden  Text  des  Evangeliums.  Wo  in  diesem 
Personen  redend  auftraten,  wie  Jesus,  Petrus,  Judas,  Pilatus,  der 
Hohepriester,  die  Mägde  desselben  u.  s.  w.,  wurden  die  Worte 
dieser  von  Andern  gesungen,  meist  mehrere,  je  nach  der  Stimm- 
lage, von  einem  und  demselben  Sänger,  nur  Jesus  war  stets 
eine  Rolle  für  sich.   Bei  den  Chören  betheiligten  sich  alle  Stim- 


aus  freilich  nicht  deutlich  hervor,  ob  L.  an  Ablesen  oder  Singen  denkt. 
Bagenhagen  in  der  Braunschweigischen  Kirchenordnung  von  1528  (hoch- 
deutscher Druck  von  4534,  40)  entfernte  das  Absingen.  Es  heisst  da :  »\ntt 
den  Karfreytag,  des  morgens  umb  siben  vhr,  wenn  die  Schüler  jre  Psalm 
gesungen,  vnd  Leclion  gelesen  haben,  vnd  darzu  ein  Deutscher  Psalm  ge- 
sungen ist  von  der  gemeine,  oder  sonst  allein  deutsch  gesungen,  wo  keine 
Schüler  sind ,  so  soll  ein  predicant  auff  dem  predigstul  auß  einem  Buch 
lesen  deutsch,  vom  anfang  zum  ende,  den  passion  des  Herren,  zusammen 
gebracht  aus  den  vier  Euangelisten.  Er  soll  aber  anfangen  von  dem  das 
geschriben  ist,  wie  der  Herr  ist  auBgegangen  über  den  bach  Kidron  auff 
den  Ölperg,  etc.  vnd  schlechts  lesen  den  Teit  fein  klar,  bescheidenlich  vnd 
verstendig,  biß  auff  die  histori  der  aufferstehung  des  Herren.  Er  mag  wol 
anheben  mit  diesem  tittel :  »Diß  ist  der  Passion,  oder  das  Leiden  vnsers 
Herren  Jhesu  Christi ,  als  die  vier  Euangelisten  das  haben  beschriben«, 
»Da  vDser  Herr  Jhesus  Christus  mit  seinen  Jüngern  nach  dem  Abendtmal  den 
lobgesang  gesprochen  hat,  gieng  er  hinaus,  als  er  pflag  zu  thun,  über  den 
bach  Kidron  an  den  Oelberg,  vnd  seine  Jünger  volgten  jm  nach.  Da  sprach 
er  zu  jhn  :  In  dieser  nacht  werdet  jr  euch  all  ergern  an  mir,  etc.« 

Solchs  ist  dem  volck  mehr  nütz,  denn  da  man  die  Passion  laut  sang, 
vnd  die  Priester  giengen  daruon,  die  Leyen  aber  verstunden  es  nicht.  Vnd 
es  soll  geschehen  in  allen  Pfarren.  Solchs  lesen  aber  wirdt  wol  ein  gute 
stunde  weren.« 

Aus  der  Braunschweiger  Kirchenordnung  ging  diese  Bestimmung 
wörtlich  über  in  die  Hamburger  von  4  5S9 ;  auch  andere  Kirchen  Ordnungen 
Niederdeutschlands  enthalten  dieselbe  Anweisung.  Dass  aber  dennoch  die 
gesungene  Passion  sich  vieler  Orten  auch  im  Protestantismus  erhielt,  dafür 
gibt  oben  die  geschichtliche  Darstellung  hinreichende  Beweise. 

4)  »Doch  nicht  also,  daß  man  das  Hungertuch,  Palmensch ießen, 
Bilde  decken,  und  was  des  Gaukelwerks  mehr  ist,  halte  oder  vier  Passion 
singe,  oder  acht  Stunden  am  Charfreitap:  an  der  Passion  zu  predigen  habe.« 


309     

men,  auch  der  Sänger  des  Jesus;  und  hier  pflegte  wohl  selbst 
die  Rede  der  beiden  falschen  Zeugen  als  vierstimmiger  Chor 
behandelt  zu  werden. 

Dieser  dramatische  Charakter  der  Aufführung  ward  nur 
wenig  berührt,  als  zur  Zeit  der  Blttthe  des  mehrstimmigen  Ge- 
sangs in  Anknüpfung  an  eine  Übung,  die  bereits  bei  den  Jatei- 
nischen  Passionen  in  Gebrauch  gewesen  war,  auch  mehrstimmige 
Compositionen  der  deutschen  Evangelientexte  aufkamen  (zuerst 
i.  J.  4576?},  denn  auch  bei  ihnen  ward  auf  Unterscheidung  der 
verschiedenen  Redenden  durch  verschiedenartige  Beschränkung 
und  Modificierung  des  Chors  Bedacht  genommen,  ganz  abgesehen 
von  jenen  Mittelformen,  in  denen  der  Evangelist  und  Christus 
einstimmig  zu  singen  fortfuhren,  alles  Übrige  mehrstimmig  ge- 
setzt war. 

Bei  beiden  Arten  der  Composition  aber  war  der  Text  ledig- 
lich und  unverändert  der  des  betreffenden  Evangeliums.  Nur 
zu  Anfang  ward  eine  einfache  Formulierung  des  Titels  mit  ab- 
gesungen : 

[Höret]  Das  [bittere]  Leiden  [uDd  Sterben]  unseres  Herren  Jesu 
Christi,  wie  es  uns  beschreibet  der  heilige  Evangeliste  Matthäus  (Mar- 
cus, Lucas,  Johannes)/  oder  atAch:  St.  Matthäus  (etc.)  beschreibet, 
oder :  nach  dem  heiligen  Matthäo  (etc.), 

meist  vom  gesammten  Chor;  und  am  Schlüsse  folgte  ein  an  den 
Erlöser  gerichteter  Dankspruch: 

Dank  sei  dem  Herren,  der  uns  erlöset  hat  durch  sein  Leiden  von 
der  Höllen. 

Freier  ward  dieser  Schluss  in  den  motettenartigen  Composi- 
tionen (z.  B.  von  Joh.  Machold  1593,  und  Christoph  Demantius 
4634)  behandelt,  die  jene  alte  Formel  nicht  verwenden. 

In  der  Zeit  vor  der  Reformation  waren  die  Texte  wohl  nur 
lateinisch  gesungen  worden  und  auch  die  Handschrift  mit  geist- 
lichen Compositionen,  die  der  j»erste  protestantische  Tonsetzerc, 
Joh.  Walther  in  Torgau,  4530  dem  ihm  befreundeten  Luther 
zum  Geschenke  machte,  enthielt  noch  eine  lateinische  Passion  ^]. 
Anders  ward  dies,  als  die  protestantischen  Grundsätze  um  sich 
griffen  und  Luther^s  Bibelübersetzung  die  Möglichkeit  gewahrte, 
sich  auch  hier  der  deutschen  Sprache  zu  bedienen.    Der  eben 


4)  Vgl.  0.  Kade,  Der  neu  aufgefundene  Luther-Codex  vom  Jahre  4530, 
Dresden  o.  J.  (4874),  S.  4i5. 


310     

genannte  Freund  Luther^s  war  es,  der  bereits  in  dem  erwähnten 
Jahre  zwei  deutsche  Passionen,  nach  Matthäus  (fttr  den  Palm- 
sonntag) und  nach  Johannes  (für  Charfreitag),  componiert  hatte  >). 
Von  demselben  Tonkttnstler  existiert  eine  aus  den  Evangelisten 
zusammengesetzte  Passion  aus  dem  Jahre  4  552  ^) .  Im  Jahre  4  559 
schenkte  Caspar  Peschel  jun.  dem  Stadtrath  zu  Meissen  |ein 
Cancional,  das  auch  eine  Hatthäuspassion  enthielt 3).  Die  erste 
gedruckte,  ebenfalls  eine  Matthäuspassion,  von  Clemens  Ste- 
phani,  gewesenem  Cantor  zu  Nürnberg,  erschien  in  Nürnberg 
4570;  »Gantz  lieblich  zu  singen,  in  vnterschiedliche  Personen 
außgeteiletf.  Von  da  an  häuften  sich  die  deutschen  Passionen« 
Ph.  Spitta^  in  dem  genannten  Werke,  II,  S.  307  f.  führt  noch 
Gesangbücher  von  4  573  und  4  587  an,  ferner  die  Matthäuspassion 
von  Melch.  Vulpius  4643,  die  Matthäus- und  Johannespassion 
von  Thom.  Mancinus  46S0,  eine  Lucaspassion  von  Christoph 
Schultz  4653.  Undin  motettenartiger Composition  die  von  Je h. 
Machold  4593,  von  Christoph  Demantius  4634,  und  die 
aus  beiden  Formen  gemischte  Matthäuspassion  von  .Barthol. 
Gese  4588,  sowie  die  Jobannespassion  desselben  4643. 

Auch  in  Leipzig  gehörte,  als  Chr.  Reuter  hier  studierte,  die 
Passion  zum  regelmässigen  Gottesdienst.  Am  Palmsonntage  sang 
der  Archidiaconus  —  doch  wohl  in  der  Rolle  des  Evangelisten  — 
anstatt  des  Evangeliums  vor  dem  hohen  Altare  unter  Mitwirkung 
der  Schüler  die  Passion  deutsch  nach  dem  Evangelisten  Matthäus. 
Auch  am  Charfreitage  trat  an  Stelle  des  gesungenen  Evangeliums- 


1)  Vgl.  0.  Kadc  a.  a.  0.  S.  126  und  127.  Zu  bedauern  ist  es,  dass  die 
dort  gegebenen  Mitthoilungen  über  den  Umfang  so  oberflUchlich  orientieren. 
Dieselben  Passionen  (vollständig?)  finden  sich  dann  nach  Kade's  Angaben 
in  dem  von  ihm  so  genannten  »WalUier's  Canlional«,  Handschrift  v.  J.  1545 
(Bl.  277  und  283). 

2)  Vgl.  R.  Eitner  in  den  Monatsheften  für  Musikgeschichte,  4.  Jahrg., 
1872,  S.  59  f.  der  Beilage.  Auf  dem  Titel  heisst  es:  »durch  die  vier  Evan- 
gelien beschrieben,  in  eine  action  gest^llet«.  Zu  bedauern  ist  auch  hier  der 
Mangel  an  näheren  Angaben  über  den  Text,  ganz  besonders  aber,  dass  aus 
dem  Vorwort  der  Hs.,  »welches  sich  über  die  Feier  der  Passionszeil  aus- 
spricht«. Nichts  mitgetheilt  wird.  Ein  Missvcrständniss,  das  Spitta  ver- 
muthct,  möge  hier  aufgeklärt  werden:  wenn  es  unter  'Discantus'  heisst: 
»die  person  des  hoenpriesters  magde  der  thurhutterin«,  so  ist  nicht  die  Per- 
son des  Hohenpriesters,  sondern  die  der  Magd  desselben  gemeint.  Vgl. 
Job.  18,  17. 

3)  Vgl.  Ambros,  Gesch.  d.  Mus.  3,  416. 


311 

textesdie  Passion,  diesmal  nach  Johannes,  welche  nun  der  unterste 
Diaconus  absang.  »Die  Passionen  nach  Marcus  und  Lucas  fanden 
in  der  Liturgie  keine  Berücksichtigungv.  Der  letzte  Druck  dieser, 
noch  ganz  die  alte  einfache  Weise  beibehaltenden  Passionen 
ist  vielleicht  die  Aufnahme  derselben  sammt  den  zugehörigen 
Noten  in  das  »Neue  Leipziger  Gesangbuch«,  welches  der  Cantor  zu 
St.  Nicolai,  Gottfried  Yopelius  vonZittau,  4 68S  herausgab <] . 
Erst  durch  Consistorialbeschluss  vom  SlO.  März  4766  wurden 
diese  einfachen  alten  choralischen  Passionen  in  Leipzig  abge- 
schafft: die  Diaconen  waren  gemeiniglich  der  Musik  nicht  kun- 
dig gewesen;  die  Verrichtung  war  ihnen  in  Folge  dessen  be- 
schwerlich gefallen;  es  war  ein  »Obelklang«  entstanden,  »auch 
der  Gottesdienst  zwar  verlängert,  aber  zur  Erbauung  wenig  för- 
derlich gemacht  worden«.  Bereits  seit  dem  Jahre  4724  hatte 
eine  modernere  Passionsaufführung  der  alten  Concurrenz  zu 
machen  begonnen,  indem  sie  sich  einen  Platz  in  der  Charfreitags- 
Vesper,  abwechselnd  in  der  Thomas-  und  Nicolaikirche,  erobert 
hatle;  seit  4766  ward  sie  auf  Anregung  des  regierenden  Bürger- 
meisters die  Nachfolgerin  der  alten  im  Vormittagsgottesdienst ; 
doch  vereinfachte  sich  die  Sitte  insofern,  als  fortan  nur  eine  und 
dieselbe  Musik  in  beiden  Kirchen  und  in  jeder  nur  einmal  im 
Jahr  aufgeführt  ward;  in  der  Wahl  des  Tages  wechselten  die 
Kirchen  ab :  führte  die  eine  am  Palmsonntage  auf,  so  die  andere 
am  Gharfreitage,  und  im  folgenden  Jahre  umgekehrt.  Die  Tho- 
maskirche als  Prinzipalkirche  begann  die  Beihe^). 


4)  Die  MatthäuspassioD  steht  S.  4  79 — 287,  die  Jobannespassion  S. 
227 — 263.  Bei  ersterer  ist  es  sehr  auffallend,  dass  die  Titelworte  »Höret 
an  das  Leiden  unsers  Herren  Jesu  Christi,  nach  dem  heiligen  Mattheo«, 
nicht  vom  Chor,  sondern  mit  vom  Evangelisten  gesungen  werden,  und  dass 
ein  Danklied  zum  Schlüsse  ganz  fehlt.  Bei  der  Johannespassion  singt  der 
Chor  nicht  nur  den  Titel :  »Das  Leiden  unsers  Herrn  Jesu  Christi,  wie  es 
St.  Johannes  beschreibet«,  sondern  auch  die  hergebrachte  Danksagung 
(s.  0.)-  Aber  auch  in  Merseburg  sang  der  Evangelist  den  Titel.  In  der 
neuen  Auflage  des  Leipz.  Gesangbuches  von  4  693  fehlen  die  Passionen. 

2)  Vgl.  Acta,  die  veränderte  Einrichtung  des  öffentlichen  Gottes- 
dienstes zu  Palmarum  und  am  Char-Freytagc,  ingleichen  die  Abschaffung 
der  bisherigen  Absingung  der  Passions-Historie  nach  dem  Matthäo  und  Jo- 
hanne in  den  beiden  Hauptkirchen  zu  S.  Thomae  und  Nicolai  in  Leipzig. 
4  766,  (Ephoralarchiv  Ablh.  111,  Absch.  I  B.  No  4  6.  Repos.  Z,  Loc.  45.) 
Dem  Actenstück  beigeheftet  sind  die  Texte  der  in  den  beiden  ersten  Jahren 
zur  Aufführung  gelangten  Passionsmusiken : 

4 .  »Text  zur  Passionsmusik,  welche  auf  hohe  Verordnung  ....  vor 


312     

Als  GhristiaD  Reuter  in  Leipzig  noch  des  Studiums  der  Theo- 
logie sich  befliss,  wird  er  auch  den  Gottesdienst  besucht  haben: 
da  hat  er  nur  jene  alten  choralischen  Passionen  des  Vopelius  zu 
hören  bekommen  und  gewiss  auch  den  Druck  derselben  in  dem 
Gesangbuch  ihres  Componisten  gekannt. 

Aber  längst  bereits  war  der  Boden,  auf  dem  diese  alte 
Übung  beruhte,  unterwühlt,  und  vielleicht  war  Christian  Reuler 
selber  von  Merseburg  her  nicht  mehr  ganz  unberührt  von  der 
neuen  Richtung.  Hatte  schon  das  Eintreten  in  die  motetten- 
artige Gomposition  das  Bedürfniss  nach  reicherer  musikalischer 
Entfaltung  offenbart,  so  suchte  dasselbe  neue  Wege  der  Be- 
friedigung, als  mit  dem  Bekanntwerden  der  italienischen  Musik 
eine  ganz  neue  Epoche  der  musikalischen  Entwicklung  in 
Deutschland  begann,  deren  erste  Symptome  auf  dem  Gebiete 
der  Passionsmusik  wohl  bei  Melchior  Vulpius  (Matthäuspassion 
4613)  und  bei  Christoph  Schultz  (Lucaspassion  4653)  hervor- 
treten. 

Es  ist  beachtenswerth,  dass  wir  fortan  von  Thüringern 
alle  die  Neuerungen  ins  Werk  gesetzt  oder  doch  angeregt  finden, 
die  wir  in  der  weiteren  Geschichte  der  Passionen  zu  verzeich- 
nen haben. 

Jener  Umschwung  geht  von  demselben  Manne  aus,  dem 
wir  auch  die  Composition  der  ersten  deutschen  Oper,  der  Dafne 
von  Martin  Opitz,  4627,  verdanken,  von  Heinrich  Schütz  aus 
Köstritz  (geb.  4585].^)  Derselbe  hatte  seine  musikalische  Aus- 
bildung in  Italien  empfangen,  und  bereits  seine  4623  herausge- 
gebene DHistoria  von  der  Auferstehung  Jesu  Christi«  zeigt  die 


und  nach  der  Predigt  aufgeführet  wird.«  —  Das  Ganze  ist  wesentlich  Cantate. 
Bibelt^xtkommtnurvor:  Jes.  63,4.  Matth.  26,  38.39.  Luc.  22,6.  Matth.a7,5. 
Joh.  4  8,20.  II  Jes.  53,  4.  Matth.  27,  25.  ebda.  27,  38.  Marc.  4  5,  37.  — 
Sonst  nur  Choral,  Arie,  Arioso  und  Rccitativ,  welches  letztere  aber  auch 
durchaus  lyrisch,  keineswegs  erzählend  ist. 

2.  »Die  Leidensgeschichle  unseres  Erlösers  aus  dem  heiligen  Evange- 
listen Lucas  mit  untermischten  Chören,  Liederversen  und  Arien vor 

und  nach  der  Frühpredigt  musikalisch  aufgeführet.«  —  Von  Luc.  22,  39  an 
der  volle  Text  des  Evangelisten  bis  23,  54.  Die  Einrichtung  des  Textes  ent- 
spricht der  Angabe  das  Titels.  Von  dem  alten  Eingangstitel  und  der  allen 
Dankformel  am  Schlüsse  ist  natürlich  Nichts  mehr  vorhanden. 

4)  Vgl.  Heinrich  Schütz.  Sämmtliche  Werke.  Hsgg.v.Ph.Spilta,  LBd. 
Leipzig  4885. 


313     

neue  concertierende  Weise  :  vier  Violen  di  gamba  begleiten  den 
Gesang;  die  Interloquenten  sind  wie  in  der  motettenartigen  Com- 
Position. mehrstimmig  gesetzt  (nur  Cleophas  nicht),  doch  giebt 
der  Componist  es  frei,  nur  eine  Stimme  singen,  die  andere  in- 
strumentieren zu  lassen ;  den  Eindruck  der  Aufführung  räth  er 
noch  dadurch  zu  erhöhen,  dass  von  den  Interloquenten  nur  der 
Sänger  des  Evangelisten  sichtbar  sei.  Uebrigens  ist  der  Text 
einfach  der  der  Evangelien,  anfangs  gemischt,  dann  überwiegend 
nach  Lucas  mit  geringen  Einschiebungen  aus  Marcus  und  Jo- 
hannes. Der  Titel  (sechsstimmig)  ist  ähnlich  den  Passionstiteln : 
»Die  Auferstehung  unsers  Herren  Jesu  Christi,  wie  uns  die  von 
den  vierEvangelistenbeschrieben  wird«;  desgleichen  der  Schluss: 
»Gott  sei  Dank,  der  uns  den  Sieg  gegeben  hat  durch  Jesum 
Christum,  unsern  Herrn.  Victoria«,  der  freilich  in  der  Musik 
überaus  schwungvoll  behandelt  ist.  Man  sieht,  das  Neue  liegt 
hier  wesentlich  im  Musikalischen,  die  Textbebandlung  ändert 
noch  Nichts  an  der  alten  Weise.  Wesentlich  ebenso  steht  es  mit 
den  eigentlichen  Passionen,  die  erst  den  letzten  Lebensjahren 
des  Componisten  angehören  (f  1672).  Er  hat  sicher  ihrer  drei 
geschrieben,  nach  Matthäus,  Lucas  und  Johannes  (diese  letztere 
besitzen  wir  in  doppelter  Gestalt) ,  um  die  Mitte  der  60er  Jahre, 
während  die  Authenticität  der  Marcus-Passion  wohl  mit  Recht 
beanstandet  wird.  In  der  handschriftlichen  Ueberlieferung  fehlt 
alle  Instrumental-Begleitung  und  Kenner  sind  der  Ansicht,  dass 
sie,abweichend  von  der  eben  erwähnten  und  von  manchen  anderen 
ähnlichen  Compositionen  Schütz'ens,  gar  nicht  beabsichtigt  sei, 
dass  er  sich  die  Aufführung  wirklich  in  der  Form  der  alten  chorali- 
sehen  Passionen  gedacht  habe.  Der  Text  der  Evangelien  ist  un- 
verändert, auch  motettenartige  Composition  kommt  hier  bei  den 
Interloquenten  nicht  vor;  die  Titel  sind  gleichmässig  die  ge- 
wöhnlichen einfachen:  »Das  Leiden  unsers  Herrn  Jesu  Christi, 
wie  es  (uns  das)  beschreibet  der  heilige  Evangeliste  Matthäus 
(Lucas ,  Johannes)«.  Aber  die  alte  einfache  Schlussformel  hat 
dem  musikalischen  Bedürfniss  nicht  mehr  genügen  wollen,  wie 
das  ja  bereits  bei  der  motettenartigen  Composition  und  auch  bei 
Christoph  Schultz  der  Fall  gewesen  war.  Alle  drei  Passionen 
schliessen  bei  Schütz  mit  einer  empfindungsvollen  Kirchenlied- 
Strophe,  Matthäus  mit  der  Schlussstrophe  des  Bonnus'schen 
Liedes  »Ach  wir  armen  Sünder«: 


314     

Ehre  sei  Dir,  Gbriste,        der  Du  littest  Noth, 
An  dem  Stamm  des  Kreuzes        für  uns  den  biltern  Tod, 
Und  herrschest  mit  dem  Vater        dort  in  Ewigkeit, 
Hilf  uns  armen  Sündern        zu  der  Seligkeit 
Kyrie  eleison,  Christo  eleison. 

Lucas  mit  der  neunten  Strophe  des  alten  Kirchenliedes 
»Da  Jesus  an  dem  Kreuze  stund«: 

Wer  Gottes  Marter  in  Ehren  hat 
Und  oft  belracht  sein  bittern  Tod, 
Des  will  er  eben  pflegen 
Wohl  hie  auf  Erd  mit  seiner  Gnad 
und  dort  in  dem  ewigen  Leben. 

Johannes  mit  der  Schlussstrophe  des  Liedes  der  Böhmischen 
Brüder  »Christus,  der  uns  selig  macht« : 

0  hilf,  Christe,  Gottes  Sohn 
Durch  dein  bitter  Leiden, 
Dass  wir.  Dir  stets  untertban. 
All  Untugend  meiden, 
Deinen  Tod  und  sein  Ursach 
Fruchtbariich  bedenken, 
Dafür,  wiewohl  arm  und  schwach, 
Dir  Dankopfer  schenken. 

Sollte  die  Marcuspassion  echt  sein,  so  müsste  sie  die  ältere 
sein  (dem  doch  die  Chöre  zu  widersprechen  scheinen),  denn 
es  hat  sich  der  Componist  in  ihr  noch  an  die  alte  Schlussformel 
gehalten.  Durchweg  aber  fehlen  bei  Schütz  noch  ganz  die  lyri- 
schen Einlagen  im  Innern  der  Handlung.  Es  ist  ganz  unhistorisch, 
wenn  man  die  Behauptung  aufgestellt  hat,  die  Passionen  von 
Schütz  hätten  diese  Ergänzung  »zweifellos«  gefunden,  sie  hätten 
sie  gar  nicht  entbehren  können,  es  »verstehe  sich  ganz  von  selbst, 
dass  die  Gemeinde  sich  während  derselben  durch  Choralgesang 
betheiligt  habe«.  Das  ist  ein  Hineintragen  der  späteren  Ent- 
wicklung in  die  Vorgeschichte,  vor  dem  sich  der  Geschicht- 
schreiber zu  hüten  hat.*) 

Da  somit  in  der  Textbehandlung  die  Form  der  Schütze- 
schen Passionen  nicht  nennenswerth  abweicht  von  der  früheren 
choralischen,  so  mag  es  gestattet  sein,  das  Urtheil  eines  Kenners 


4)  Das  Richtige  hat  schon  Chrysander  (4  858),  G.  F.  Händel,  1,  S.  428. 


315 

über  den  abweichenden  Charakter  der  Musik  anzuführen.  »Aber 
nur  äusserlich  betrachtet«,  sagt  Friedrich  Spitla*)  »gleichen  die 
Passionen  von  Schütz  jenen  alten ,  für  uns  antiquirten  Choral- 
passionen. Das  zeigt  sich  zunächst  und  am  deutlichsten  an  den 
Chören.  Da  ßndet  sich  Nichts  mehr  von  der  altkirchlichen  Ein- 
tönigkeit, sondern  überall  die  lebendigste  melodische  und  rhyth- 
mische Bewegung.  Dazu  kommt,  dass  in  gewissen,  später  näher 
zu  bestimmenden  Grenzen  der  Ausdruck  in  den  verschiedenen 
Chören,  den  verschiedenen  Situationen  entsprechend,  ein  höchst 
mannigfaltiger  ist.  Wir  stehen  in  der  That  auf  dem  Boden  der 
neuen,  durch  Schützes  Bemühung  in  Deutschland  von  Italien  aus 
eingeführten  Kunst.  Dasselbe  zeigt  sich  bei  den  Sologesängen, 
die,  zum  Theil  wenigstens,  nur  geschrieben  dem  alten  einför- 
migen Choraltone  gleichen;  in  der  That  bieten  sie  meistens,  wie 
man  richtig  gesagt  hat,  »das  unter  der  Choralmaske  versteckte 
moderne  Recitativa,  das  sich  häufig  zu  einem  wahrhaft  riesigen 
Pathos  erhebt  und  melodisch  so  bewegt  ist,  dass  man  gemeint 
hat^  Schütz  könne  sich  die  Aufführung  gar  nicht  ohne  Begleitung 
gedacht  haben.« 


2.    Die  Erweiterung  des  Evangelientextes  dnreh  eingelegte 

Oesangsstficke. 

Die  Gesangsstücke  Ausdruck  der  Gemeindesiimmung :  Sebastiani,  Theile 
(mit  Ausnahme  einer  Strophe),  Merseburger  Gesangbuch,  Rudolstädter 
Passion.  —  Eindringen  der  Gesangsstücke  in  die  Handlung  selbst:  Funcke. 

Die  nächsten  Spuren  des  durch  das  musikalische  Interesse 
gesteigerten  lyrischen  Elementes  finden  wir  am  nördlichsten 
Gestade  Deutschlands,  in  den  beiden  Seestädten  Königsberg 
und  Lübeck.  Aber  auch  hier  waren  es  Thüringer,  denen  dieser 
Fortschritt  verdankt  wird. 

Im  Jahre  4672  erschien  in  Königsberg  »in  Verlegung  des 
Authorisa,  des  Churfürstl.  Gapellmeisters  Johann  Sebastiani 
aus  Weimar^  eine  Matth^uspassion  mit  »5  singenden  und  6 
spielenden  Stimmen  nebst  dem  Basso  continuo«,  »worinnen  zuEr- 


i)  Die  Passionen  nach  den  vier  Evangelisten  von  H.  Schütz.     Ein 
Beitrag  v.  Fr.  Sp.    Leipzig  4  886,  S.  6. 

4  887.  32 


316     

weckuDg  mehrer  Devotion  unterschiedliche  Verse  aus  denen  ge- 
wöhnlichen Kirchen-Liedern  mit  eingefuhret  und  dem  Text  ao- 
comodiret  worden  a.^)  Die  Dedication  und  die  Anrede  an  den 
Leser  beweisen^  dass  die  Musik  bereits  früher  aufgeführt  worden 
war  und  gefallen  hatte  —  in  Königsberg  wie  anderswo  — ,  es 
dem  Componisten  bisher  nur  an  den  Mitteln  lur  Drucklegung 
gefehlt  habe ;  er  sagt  uns  dann,  er  habe  »  auf  diese  reciiirende 
und  dergleichen  nach  heutiger  Manier  eingerichtete,  auch  mit 
Kirchenliedern  ausgezierte  Goncert-Art«  dieEvangelia  auf  Sonn- 
wie  Festtage  durchs  ganze  Jahr  gesetzet,  und  fordert  Liebhaber 
zum  Verlage  auf.  Ebenso  werden  Anweisungen  für  die  Musik- 
dirigenten  in  Betreff  der  Instrumente  wie  der  Stimmen  gegeben. 
Ein  Gedicht  in  Alexandrinern  von  der  bekannten  Königsberger 
Dichterin  Gertraut  Möllerin  folgt  dieser  Anrede,  sammt  ein  paar 
elenden  Versen  in  trochäischen  Tetrametern  von  einem  Unge- 


4)  Das  Leyden  und  Sler-|ben  unsers  HERRN  und  |  Heylandes  |  Jesu 
Christi,  |  nach  dem  heiligen  Matthaeo.  |  In  eine  recitirende  Har-  |  oioni 
von  5.  singenden  und  6.  spielenden  |  Stimmen,  nebst  dem  Basse  Con- 
tinuo  ge-  |  setzet-,  Worinnen  zu  erweckung  mehrer  Devo-  |  tion  unter- 
schiedliche Verse  aus  denen  ge-|  wohnlichen  Kirchen-Liedern  mit  ein- 
gefuhret, I   und  dem  Texte  accomodiret  werden.  |  von  |  Sr.  Cburfl. 
Durch),  zu  Brandenb.  |  bestalten  Gapell  Meister  in  Preußen,  j  Johanne 
Sebastian!,  Vinarid  Thuringo.  |  {Strich.)  \  Königsberg,  |  Gedruckt  durch 
Friderich  Reusnern,  4  672.  |  In  Verlegung  des  Authoris. 
Mit  Leisteneinfassung,  4®.   Ein  Bogen  von  4  BIL,  sig. )(,  enthillt  ausser 
dem  Titel  die  Dedication  an  den  Churfürsten  Friedrich  Wilhelm,  die  Anrede 
an  den  Leser  und  die  oben  erwähnten  Gedichte.    Die  Stimmen  und  die  In- 
strumente sind  jedes  für  sich  signiert.  In  dem  mir  vorliegenden  Exemplare 
ist  der  Titelbogen  dem  Cantus  beigebunden.     Es  sind  42  Hefte,  ohne  be- 
sonderen Titel,  die  nachstehenden  Überschriften  in  einer  Zeile  oberhalb  der 
Noten  : 

Cantus,  das  Weib  Pilati  und  zwey  Mägde,  6  Bll.,  sig.  A.  B. 
Evangelista.  In  Nomine  JESU  Crucifixi.   4  5  Bll.,  sign.  % — 2).    Letzte 
Seite  leer. 

JESUS,  7  Bll.,  sign.  a.  S. 

Tenor  secundus,  Petrus,  Pilatus,  Caipbas.     4  BI1.  sign. )(. 
Alto.    Judas.     4  Bil.,  sign.  ):(,  letzte  Seite  leer. 
Die  7  Hefte  für  die  Instrumente  sind  die  folgenden :  In  Nomine  JESU, 
Bassus  Continuus  (4  2  BIL);  Violino  primo  (4  Bll.);  Violino  secondo  (4  Bll.}; 
Viola  di  Gamba  6  di  Braccio  Prima  (8  Bll.);   Viola  di  Gamba  ö  di  Braccio 
2da.  (8  Bll.);  desgl.  Terza  (4  Bll.);  Viola  4ta  Bassa  (6  Bll.). 

Exemplnr,  und  zwur  mit  des  Componisten  Autograph,  auf  der  Dniv.- 
Bibl.  in  Königsberg  i.  Pr. 


317     

nanDlen.  Der  Text  für  sich  allein  ward  4  686  abermals  abge- 
druckt. 1)  Ich  beieiohne  die  beiden  Ausgaben  im  Folgenden  durch 
A  und  B.  Wir  ersehen  aus  dem  Titel  von  B,  dass  die  Absingung 
am  Charfreitag  statt  fand. 

Titel:  »Höret  d.  L.u.  St. u.H.  J.  Chr.  nach  d. heil.  Matthaeoa 
und  Schlussgesang:  »D.  s.  d.  H. ,  d.  u.  e.  b.  d.  s.  L.  v.  d.  H.«, 
also  ganz  die  alten  Formeln,  werden  vom  Chor  gesungen.  Dann 
beginnt  der  Text,  vollkommen  ttbereinstimmend  mit  dem  Evang. 
Matth.  26,  1  —27,  66.  Zweimal  trat,  wenigstens  in  der  Schloss- 
kirche, wahrend  des  Absingens  der  »Priester«  vor  den  Altar, 
das  erste  Mal  nach  dem  Schlüsse  des  ersten  Passion  scapitels  (26, 
75)  um  den  Passionstext  Esa.  53 ,  zum  zweiten  Male  nach  Jesu 
Abführung  zur  Kreuzigung,  hinter  27,  34,  um  den  22.  Psalm 
abzulesen. 

Dem  Ganzen  (auch  dem  Titel)  voran  ging  eine  Symphonie, 
und  eine  solche  leitete  auch  den  Beginn  des  zweiten  Passions- 
capitels  (Matth.  27)  ein ;  auch  ward  hinter  26,37,  um  für  Christi 
zagendes  Gebet  die  richtige  Stimmung  zu  erzeugen ,  eine  kurze 
Symphonie  eingeschoben,  und  nach  B  auch  hinter  27, 44 ,  also 
zu  stimmungsvoller  Vorbereitung  auf  Christi  Tod ;  in  A  habeich 
die  letztere  nicht  gefunden. 

Ward  so  musikalisch  auf  Erzeugung  einer  lyrischen  Stimmung 
hingewirkt,  so  diente  demselben  Zwecke,  und  gewiss  nicht  mit. 
geringerem  Erfolge,  die  Einlage  verschiedener,  auf  die  Situation 
wohlberechneter  Strophen,  ja  ganzer  Strophenreihen,  aus  Kirchen- 
liedern. 


4 )  Kunze  Nachricht,  |  Wie  die  |  PASSION  |  am  Char-Freytage  zu 
Schloß,  I  wie  auch  in  denen  dreyen  Städten,  und  |  auf  Churfürstl.  Frey- 
heiten ,  in  einer  |  recitirenden  Harmonie  abge-  |  handelt,  |  Und  |  Nebst 
denen  darin  befindlichen  Liedern  |  gesungen  wird,  |  Der  Gemeine  zum 
besten  I  zusammen  gezogen,  |  Woraus  sie  Selbsten  mit  lesen  und  (singen 
kan.  I  Wobey  mit  angefüget  |  ein  |  Dancksagungs- Liedchen  |  für  das 
bittre  Leyden  und  |  Sterben  |  JESU  CHRISTI.  |  (ZderleisteJ  \  Königsberg,  | 
Gedruckt  bey  den  Reusnerischen  Erben,  |  im  Jahr  4  686. 

46  unbez.  Bll.  8^.,  sign.  91.  Sd.  Rückseite  des  Titels  leer.  Exemplar 
auf  der  Univ.-Bibl.  in  K()nigsberg  i.  Pr. 

Königsberg  bestand  bis  4724  aus  drei  Städten  mit  besonderen  Ma- 
gistraten :  Altstadt,  Löbenicht,  Kneiphof.  Zum  Schlosse,  das  natürlich 
seine  eigene  Gerichtsbarkeit  hatte,  gehörten  fünf  Vorstädte  oder  Freiheiten: 
die  Burgfreiheit ,  Tragheim ,  der  vordere  und  hintere  Rossgarten  und  die 
Neue  Sorge  oder  Königsstadt  und  ein  Theil  von  Sackbeim. 


318     

Es  kommen  an  nicht  weniger  als  zwölf  Stellen  derartige 
Einschiebungen  vor,  sechs  in  jedem  der  beiden  Gapitel.  Hinler 
26, 42,  wo  Christus  auf  seinen  bevorstehenden  Tod  hindeutet: 

0  Welt  ich  muß  dich  lassen, 

hinter  26,29  nach  der  Einsetzung  des  heiligen  Abendmahls: 

GoU  sey  gelobet  und  gebenedeyet, 

hinter  26,36,  wo  Christus  sich  zum  Gebet  entfernt: 

Vater  unser  im  Himmelreich 


Gib,  dass  nicht  bet'  allein  der  Mund, 
Hilf,  dass  es  geh  von  Hertzengrund. 

hinter  26,42,    nach  dem  orgehungsvollen  Gebet  des  Heilandes 

Dein  Will'  gescheh,  Herr  Gott,  zugleich 
Auff  Erden,  wie  im  Himmelreich, 

Gib  uns  Gedult  in  Leidenszeit, 

Gehorsam  seyn  in  Lieb  und  Leid, 


hinter  26,66,  als  das  Todesurtheil  über  Christus  ausgesprochen 
ist: 

0  Lamb  Gottes  unschuldig, 

hinter  26,  75  (des  Petrus  Reue): 

Erbarm  dich  mein,  o  Herre  Gott 

hinter  27,5  (des  Judas  Selbstmord]: 

Führ'  uns,  Herr,  in  Versuchung  nicht, 
Wenn  uns  der  böse  Geist  anficht. 


hinter  27,23 ,  nachdem  der  Chor  gerufen  hat  »Lass  ihn  kreuzigen« : 

0  Lamb  Gottes  unschuldig 
(der  i.  »Vers«,  der  bekanntlich  mit  dem  ersten  übereinstimmt), 

hinter  27,34,  wo  Christus  hinausgeführt  wird : 

0  Lamb  Gottes  unschuldig  (»Vers«  3j, 

hinter  27,44,  wo  Christus  am  Kreuz  geschmäht  wird  (es  werden 
2»yerseff  vorgeschrieben,  und  in  B  auch  zum  Abdruck  gebracht): 

Herr  Jesu  Christ,  wahr  Mensch  und  Gott, 
Der  Du  lidst  Marter,  Angst  und  Spott, 


319 

hinter  87,46,  nachdem  Christus  die  Worte  »Eli,  Eli,  Lama  asab- 
thani«  ausgestossen : 

Herr,  meinen  Geist  befehl  ich  Dir, 

Mein  Gott,  mein  Gott,  weich  nicht  von  mir, 

Nimb  mich  in  Deine  Httnde. 

0  wahrer  Gott,  aus  aller  Noth 

Hilff  mir  am  letzten  Ende, 

hinter  87^50,  als  Christus  verschieden  ist: 

Mit  Fried'  und  Freud  fahr  ich  dahin 


Der  Tod  ist  mein  Schlaff  worden, <) 

endlich  hinter  27,60,  nachdem  Christi  Bestattung  erzählt  ist,  be- 
gnügt sich  der  Componist  nicht  mit  Einern  :»Versea,  sondern 
wünscht  ein  ganzes  Lied  gesungen ,  obwohl  er  in  der  Vorrede 
sich  event.  auch  mit  »einem  Verse«  befriedigt  erklärt: 

0  Traurigi^eit,  o  Herzeleid 
(8  »Verse«,  die  in  B  auch  sämmtlich  in  den  Text  aufgenommen  sind). 

Unsicher  bin  ich  darüber,  ob  diese  eingelegten  Verse  be- 
stimmt gewesen  sind,  von  der  ganzen  Gemeine  gesungen  zu 
werden.  Der  Titel  von  B  bezeugt  ja,  dass  der  Gemeinde  das 
Mitsingen  nicht  verboten  war,  aber  gerade  die  eingelegten  Stro- 
phen sind  durchaus  als  Solostrophen  behandelt,  die  in  A  dem 
^Cantus'  zugewiesen  werden.  Und  in  B  heisst  es  ausdrücklich : 
DÄllhier  singet  ein  Knab  dazwischen  allein«,  und :  »Allhie  (oder  : 
Hier)  singet  der  Knab  allein« ,  auch  wo  schliesslich  8  Strophen 
verlangt  werden :  »Allhier  singet  der  Knab  allein  folgendes  Lied«. 
Oder  wurde  eben  darum  die  leitende  Stimme  allein  zu  hören 
gegeben ,  damit  sich  der  Gesang  der  Gemeinde  ihr  anschliessen 
könne? 

Der  zweite  Sohn  des  sangesreichen  Thüringen,  der  weit  in 
den  Norden  die  neue  Richtung  verpflanzte,  war  der  bekannte 
und  viel  umhergetriebene  Musiker  Joh.  Theile  aus  Naumburg, 
geb.  1646,  der  Schüler  Heinrich  Schütz'ens,  der  4673  Capell- 


4 )  In  B  heisst  es  :  »Hier  in  zwischen  wird  die  Motet  außen  Esaia  87 
V.  4  'Bcce  quomodo  moritur  justus'  (von  Gallus)  gesungen,  oder  anstalt 
dessen :  Mit  Fried  und  Freud  u.  s.  w.«  Also  nicht  Kuhnau  war  der  erste, 
der  diesen  »sinnigen  Einfall«  hatte,  wie  Ph.  Spitta,  J.  S.  Bach  II,  324  meint. 


320     

meister  in  Lübeck  war.  Auch  er  gab  dort  in  dem  genannten 
Jahre  eine  Matthäuspassion  mit  Instrumentalmusik  heraus,  >) 
die  er  seinem  damaligen  Herrn ,  dem  Herzog  Christian  Albrecht 
von  Schleswig,  Goadjutor  des  Stiftes  Lübeck,  und  seiner  Ge- 
mahlin widmete.  Lateinische  und  deutsche  Gedichte,  darunter 
ein  sehr  rühmendes  von  dem  bekannten  Organisten  an  der  Marien- 
kirche, Dieter.  Buxtehude,^]  eröffnen  das  Werk,  daran  schliessen 
sich  Anweisungen  des  Componisten ,  wie  der  Text  auch  <dine 
Instrunientalbegleitung  könne  gesungen  und  wie  an  die  Stelle 


4)  PASSIO,!  Domini Nostri  JEsu  Christi |  sccund um  Evang:  Matthsum,: 
Con  6l  sino  Stroroent:  |  Oder  |  Das  Leiden  und  Sterben  ansers  UErm  | 
JESU  CHRISTI,  I  Nach  dem  H.  Evangelisten  Matthaso ;  |  Gesetzet  |  (mit 
5.  Strom:  in  denen  Rittornellen.  5.  Voc.  zu  den  Chören.  Person :  Christi t 
mit  2  Violdig.  ovor  Bratz:  Persona  Evangelist:  mit  2.  Bratz:  |  und  die 
übrigen  PersonsD  Solo,  &c.  |  Und  ohne  Instrumenten  Musicalisch  abge- 
sungen) I  von  I  Dero  zu  Schleßwtg ,  Holstein ,  Regierenden  Hochfürstl. 
Durchläuchtigkeit  |  Capellmeister  |  Johan  Thoilen  von  Nauenburg.  | 
( Btichdnickerzeichm  des  Mich»  Volck)  \  Lübeck ,  |  In  Verlegung  Michael 
Volcken,  |  Gedruckt  durch  Seel.  Gottfried  Jägers  Erben.  |  (Strich,)  | 
ANNO  M.DC.LXXIII. 

3  Bll.  fol.  sign. )(  u.  )(  )(,  enthaltend  Titel,  Dedication,  Gedichte  und 
Vorrede ;  angeheftet  an  den  Basso  Continuo,  6  Bll.  fol.  sign.  (*),  (**),  (***> 
Dazu  noch  4  weitere  Hefte  für  die  Instrumente;  Viola  de  gamba.  1.,  8  Bll. 
fol.,  sign.  (AMD);  Viola  de  gamba.  2.,  8  Bll.  fol.,  sign,  (a)— (d);  Viola  da 
braccio4.,  3  BU.  fol.,  sign.  A,  B ;  Viola  da  braccio  2.,  3  Bll.  fol.,  sign,  a,  b; 
dann  7  Hefte  für  die  Stimmen:  Evangelista,  8  Bll.  fol., sign. S(—!£);  JESUS. 
Basso., 4  Bll.  fol., sign,  (a),  (B);  Basso [Caiphas,Pilatus],  2B11.  fol.,sign.(9);  Alto 
[Judas]  2  Bll.  fol.,  sign. (a);  Tenore  [Petrus],  2  BU.  fol.  sign.  o;CaQto  4.[Dxor 
Pilati  und  die  Einlagen],  2  Bll.  fol.,  sign.  (A)-,  Canto  2.  [Ancilla  I  a.2],  3  BU. 
fol.,  sign.  A. 

Exemplar  auf  der  Königl.  Univ.-Bibl.  in  Upsala,  von  wo  Herr  Biblio- 
thekar Dr.  Aksel  Andersson  die  grosse  Güte  hatte  es  mir  zuzusenden.  Dass 
ich  auf  dies  Exemplar,  das  einzige,  wie  es  scheint,  welches  sich  erhalten 
hat,  aufmerksam  wurde,  verdanke  ich  Herrn  C.  Stiehl  in  Lübeck,  der 
sich  in  meinem  Interesse  an  hervorragende  Kenner  der  Musikgeschichte 
wandte  und  bei  Herrn  R.  Eitner  die  gewünschte  Auskunft  fand.  hUen 
diesen  Herren  spreche  ich  meinen  herzlichen  Dank  aus. 

2)  i.  Edler  Theile,  soll  ich  bringen        2.  Er,  Geehrter,  wird  gelobet 

Ihm  zu  Ehren  ein  Gedicht?  Von  der  klugbegabten  Welt. 

Gerne!  wolt  es  mir  gelingen,  Ob  gleich  Neidhart  httfltig  tobet, 

Wör'es Seines FreundesPflicht.  Dem,   was  rühmlich  ist,   miß- 

Aber  nein,  ich  muß  aus-  ß»ilt, 

bleiben  Dennoch    muß  sein  Lob  be^ 

Und  Gelehrte  lassen  schrei-  stehen 

ben.  Und  wird  nimmer  untergehen. 


321     

der  von  ihm  »einftiltig  dazu  gesetzten  Ariena  »deutsche  Kirchen- 
Psalmen«  konnten  gesetzt  werden. 

Der  Text  ist  unverändert  der  des  Evangeliums;  wie  bei  Se- 
bastiani ;  auch  der  Titel  ist  der  alte :  »D.  L.  u.  St. uns.  H.  J.  Chr. 
nach  dem  Beil.  Matth.c  Aber  bei  der  Danksagung  hat  die  alte 
Formel  bereits  einem  Liede  von  4  Strophen  zu  4  Versen  Platz 
gemacht,  das  hier  schon  'Aria'  genannt  wird : 

Habe  Danck,  0  Gottes  Sohn 
Für  Dein  Leiden  Spott  and  Hohn 


Beides  wird  vom  Chor  (Tutti)  gesungen.  Ebenso  sind  Stro- 
phen von  Kirchenliedern  eingeschoben,  doch  in  geringerem  Um- 
fange als  bei  Sebastiani;  hatte  dieser  nicht  weniger  als  42 
eingelegt,  so  Theile  eigentlich  nur  3.  Hinter  26,29,  nach  Ein- 
setzung des  heil.  Abendmahls,  zwei  Strophen : 

4.  0  Gottes  Sohn,  Du  Heil  der  Sünder 


2.  Lass  würdig  mich,  0  Gott,  geniessen 
Im  Abendmahl  Dein  Blutvergiessen, 


hii^ter  26,68  (nicht  66,  wie  bei  Sebastiani),  bei  Christi  Ver- 
spottung, eine  Solo-Arie  von  zwei  Strophen : 

4.  Du  dultig  Lam,  0  Gottes  Sohn, 

Ach,  was  Verspeiung.  Spott  und  Hohn 
must  Du  von  tollen  Scharen  dulten 


'%.  Ach,  es  geht  meiner  Seelen  nah, 


bereits  hinter  26,75^  der  Reue  Petri,  die  allerdings  zu  ermahnend 
lyrischer  Einlage  vorzüglich  aufforderte,  wieder  zwei  Strophen, 
offenbar  hier  aber  als  zur  Rolle  des  Petrus  gehörig  angesehen : 


3.  Fürsten  haben  grofi  Belieben 
An  dehm,  was  Er  schreibt  und 

dicht, 
Rühmen  Sein  lobwerthes  Üben, 
Lassen  Ihrer  Gnaden  Licht 
Strahlen  auff  die  schönen 

Sachen, 
Die  Er  künstlich  weiß  zu 

machen. 


4.  Fahre  fort,  berühmt  zu  werden 
Durch  die  Kunst,  berühmter 

Theil, 
Dring  zum  Himmel  von  der 

Erden, 
Dichte  von  dem  Menschen-Heil : 
Christi  Tod  wird  dich  erheben 
Und  das  rechte  Leben  geben. 


322 

i .  Acb,  wo  soll  ich  mich  binweDdeo 
Meine  Notb  zu  übersebn  I 
Wird  GoU  keine  Gnade  senden, 
Ach,  so  isis  mit  mir  geschehn. 
Mein  boß  Gewissen  plaget  mich. 
Daß  ich  geflucht  so  freventlich 
Und  dreymal  meinen  Gott  verlliiignet 

%.  Weint  Ihr  Aagon  Tbränenqnellen, 


hinter  S7,  34,  der  HinausführuDg  Jesu,  zwei  Strophen: 

1 .  Ach  der  Marter,  ach  der  Pein ! 
Muß  man  Jesum  so  verhöhnen? 


2.  Ach  des  Jammers,  ach  der  Notb! 
Ach,  ist  denn  ganz  kein  Verschonen? 


Die  drei  Einlagen  hinter  26,  29.  26,  68.  27,  34  werden  nur 
vomCantol  gesungen;  bei  allen  übrigen  Stimmen  heisst  es:  lacet. 
Ob  auch  hier  die  Gemeinde  mit  einstimmen  sollte,  mit  dieser 
Frage  steht  es  wie  bei  Sebastian! .  Die  Einlage  hinter  26,  75 
wird  vom  Tenor  (Petrus)  gesungen,  also  auch  hiedurch  wie  durch 
den  Inhalt  der  Strophen,  der  Rolle  des  Petrus  zugewiesen. 

Alle  Einlagen  führen,  wie  ebenso  das  Danklied  am  Schlüsse, 
den  Namen  *Aria',  mit  der  Nebenbezeichnung  ^Ganto  Solo',  'Te- 
nore  Solo',  'Tutti\ 

Dem  Titel  voran  ging  auch  hier  eine  Sinfonia  der  Instru- 
mentalmusik, aber  im  weiteren  Verlauf  wiederholt  sie  sich 
nicht.  Man  muss  also  sagen,  dass  das  musikalische  Element 
sich  bei  Theile  weniger  geltend  machte  als  bei  Sebastiani. 

Ungefähr  auf  gleicher  Stufe  mit  Theile's  Verfahren  halten 
sich  die  Einlagen,  wie  das  Merseburger  Passions-Gesangbucb 
von  1709*)   sie   angibt.     Dort  wurden  noch  sämmtliche  vier 

4)  Auserlesene  |  Passions-  |  Gesänge,  |  wie  auch  |  Die  Historie  vom 
blu-  I  tigen  Leiden  und  Sterben  |  unsers  Heylandes  ChrisU  |  JEsu,  | 
and  wie  solche  von  dem  Chor,  |  nach  dem  Matthaeo,  Marco,  |  Luca, 
und  Johanne,  |  abgesungen  wird;  |  Nebst  dem  Kern  |  aller  Passions- 
Gebete  I  und  I  Betrachtung  der  sieben  |  Worte  Christi.  |  Mit  Königl. 
und  Churf.  Sachs.  |  allergnädigsten  priyilegio.  |  {Strich,)  \  Merseburg,  | 
verlegts  Georg  Christ.  Forberger.  |  4709. 

Titeibl.,  dessen  Rückseite  leer,  und  308  bezifferte  Seiten  schmal  80, 
sign.  ?( — 9?.    Exemplar  auf  der  gräflichen  Bibliothek  in  Wernigerode. 


323     

Passiouea  »von  dem  Chor«  »abgesungeot ;  seit  wann  in  der  an- 
gegebenen Weise )  erfahren  wir  nicht;  vielleicht  war  es  eine 
schon  länger  eingeführte  Übung,  die  schon  Christian  Reuter  in 
den  80er  Jahren  mitgesungen  haben  mochte.  Vielleicht  hatte 
aber  auch  Theile  selber  Einfluss  darauf  gehabt,  da  er  im  An- 
fang der  90  er  Jahren  in  Merseburg  angestellt  war.  Ober  die 
Musik  sind  wir  nicht  unterrichtet,  da  das  Gesangbuch  nur  die 
Texte  bietet. 

Wir  wollen  nur  die  Matthäus-Passion  in^s  Auge  fassen.  Der 
Titel  in  alter  Form,  »Höret  d.  L.  uns.  H.  J.  Chr.,  nach  d.  Heil. 
Matth.«,  wird  hier  wie  bei  Vopelius  nicht  vom  Chor,  sondern  von 
dem  Evangelisten  gesungen.  Auch  das  gewöhnliche  Danklied 
fehlt  hier.  Es  trat  an  seine  Stelle  wohl  ein  von  der  ganzen  Ge- 
meinde gesungenes  Passionslied. 

Eingeschoben  sind,  von  ^iner  Ausnahme  abgesehen,  nur 
solche  Lieder,  die  in  dem  Gesangbuche  stehen  und  auf  die  daher 
nur  hingewiesen  wird.  Hier  scheint  es  sicher  zu  sein,  dass  sie 
bestimmt  waren,  von  der  Gemeinde  gesungen  zu  werden;  denn 

es  heisst  im  Texte:  »(Hier wird  gesungen  ausdemLiede 

Pag.  21  )a.  Man  mag  hieraus  zurückschli essen  auf  die  Übung  in 
Königsberg  und  Ltibeck,  wie  andererseits  aus  den  Notenheften 
der  letzteren,  dass  auch  in  Merseburg  eine  Knabenstimme  die 
Führung  des  Gesanges  übernahm.  Die  Einlagen  sind  die  folgen- 
den. Hinter  26,  39,  während  des  Gebets  Christi  auf  dem  Oel- 
berge: 

»Hier  wird  gesungen  aus  dem  Liede,  Jesu  Leiden,  Pein  und  Tod,  der 
2.  3.  und  4.  Verß,  Pag.  24.« 

hinter  26,  49,  dem  Judaskusse: 

»Hier  wird  gesungen  aus  dem  Liede,  Jesu  Leiden,  Pein  und  Tod,  d. 
6.  Verß,  Pag.  24.« 

hinter  26,  75,  Petri  Reue : 

»Hier  wird  aus  dem  Liede,  Jesu  Leiden,  Pein  und  Tod,  gesungen  der 
4  0.  Verß,  Pag.  24.« 

hinter  27,  5,  des  Judas  Tod: 

»Hier  wird  etc.  der  4  4.  Verß,  Pag.  24 .« 

hinter  27,  26,  der  Überlieferung  Christi  zur  Kreuzigung: 
»Hier  wird  gesungen,  Ach  weinet,  seufFtzet  doch,  gants.« 


324     

Das  Lied  steht  S.  63  des  Gesangbuches  und  enthalt  5  Strophen. 
Endlich  hinter  S7,  SO,  als  Christus  verschieden  ist,  werden 
zwei  Strophen  gesungen,  die  nicht  im  Gesangbuch  stehen,  und 
die^aher  in  extenso  mitgetheilt  werden,  aber  ohne  Angabe  einer 
Melodie  : 

i .  0  mein  Herr  iesa  Christ, 
Der  du  so  geduldig  bist 
Für  mich  am  Kreuz  gestorben. 


Amen  zu  aller  Stand 

Sprech  ich  von  Hertzen  Grund. 


Hier  konnte  die  Gemeinde  schwerlich  mitsingen ;  aber  daraus 
auf  ein  Schweigen  auch  bei  den  übrigen  Einlagen  zu  schliessen, 
ist  doch  schwerlich  erlaubt. 

Die  drei  übrigen  Passionen  sind  nicht  nur  ebenfalls  ohne 
Danksagung,  sondern  auch  ohne  Titel.  Vielleicht  ward  der  Titel 
wie  bei  der  Matthäuspassion  vom  Evangelisten  gesungen  und 
brauchte  daher  hier  nicht  wiederholt  zu  werden :  der  Evangelist 
beginnt  sofort  mit  dem  Texte.  Jede  derselben  enthält  fünf  Ein- 
lagen, auch  hier  zuweilen  ganze  Lieder.  Von  selbständigen  Ein- 
lagen, die  sich  nicht  im  Gesangbuche  linden,  kommt  hier  nur 
eine  vor,  die  natürlich  in  extenso  mitgetheilt  wird,  bei  Petri 
Reue,  hinter  Marcus  14,  72  mit  ganz  allgemeinem  Inhalt: 

Herr,  sieh'  nicht  an  die  Sünde  mein, 

Thu  ab  all  Ungerechtiglceit, 

Und  mach'  in  mir  das  Hertze  rein 


Dieselbe  auch  hinter  Lucas  22,  62.  In  der  Johannespassion 
wird  bei  derselben  Gelegenheit  (Ev.  Job.  18,  27)  derselbe  Ge- 
sangbuchsvers wie  in  der  Matthäuspassion  (Ev.  Matth.  26,  75) 
gesungen,  der  10.  Vers  des  Liedes:  Jesu  Leiden,  Noth  und  Pein. 

Hier  mag  gleich  die  Besprechung  einer  Passion  ihre  Stelle 
finden,  die  ebenfalls  Thüringen  angehört  und  auch  schon  einer 
etwas  früheren  Zeit  zugewiesen  werden  darf,  als  die  der  Titel 
nennt,  dieRudolstädter  Passion  von  4688,  denn  es  heisst  auf 
dem  Titel  »wie  solche  in  der  Hocbgräfl.  Schwartzb.  Hof-Gapelle  . . 
pflegt  musiciret  zu  werdent.    Man  hat  es  also  mit  einer  bereits 


325     

zur  Sitte  gewordenen  Aufführung  zu  thun^).  Diese  Passion, 
die  uns  nur  in  einem  Textesabdruck  erhalten  ist  und  von  der 
uns  weder  der  Verfasser  noch  der  Gomponist  genannt  wird,  ist 
ein  sehr  umfängliches  Werk  3] .  DerText  ist  zusammengesetzt  aus 
den  vier  Evangelien,  und  stimmt,  von  geringen  Varianten  al>- 
gesehen,  ganz  zu  der  »Historia  vom  Leiden,  Sterben  und  Be- 
grabniB  Jesu  Christi«,  wie  sie  der  erste  Theil  des  Merseburger 
Gesangbuches  enthält'),  nicht  zu  verwechseln  mit  den  oben  be- 
sprochenen Einzelpassionen,  die  vom  Chor  abgesungen  wurden. 
Die  'Historia^  des  Merseburger  Gesangbuches  war  nur  zum  Lesen 
bestimmt:  war  sie  für  die  Rudolstädter  Hof-Capelle  compo- 
niert  worden?  Merkwürdig  ist  freilich,  dass  keine  Spur  von 
Vertheilung  an  die  einzelnen  Personen  hervortritt,  während  doch 
sonst  die  Texte  dem  Evangelisten  wie  den  verschiedenen  Reden- 
den ihre  Partien  diaiogartig  zuweisen.  Hier  geht  Alles  in  zu- 
sammenhängender Erzählung  fort.  Sollte  dieser  Text  bloss  ge- 
lesen und  sollten  nur  die  Einlagen  gesungen  worden  sein? 
Man  möchte  meinen,  dem  widerspräche  der  Titel,  doch  wird 
weiterhin  noch  eine  Bemerkung  mitgetheilt  werden,  die  dennoch 
hiefUr  sprechen  möchte. 

Auch  die  Eintheilung  lehnt  sich  an  die  der  ^Historia'  an. 
Diese  zerlegt  die  Passionsgeschichle  in  fünf  »Hauptstücke«.  Aus 
diesen  sind  in  Budolstadt,  ganz  opernhaft,  *  Actus'  geworden, 
und  zwar  sechs.  Denn  gegen  Ende  wird  das  lyrische  Element 
der  Einlage  so  überwiegend  und  so  umfangreich,  dass  das  letzte 


4)  Sollte  trotzdem  die  Composition  und  Herrichtung  von  Ph.  Heinr. 
Erlebacb  herrühren,  der  seit  4  683  Capellmeister  in  Budolstadt  war? 

2)  Die  Hochtröstlicbe  Geschieht  |  des  bittern  |  Leidens  und  Sterbens  | 
unsers  Herrn  und  Heilandes  |  Jesu  Christi,  |  Aus  {  denen  4.  Evangelisten 
zusammen  getragen,  |  in  VI.  ACTUS  abgetheilet,  |  und  mit  füglichen 
Arien  und  Liedern  |  hie  und  da  untermenget,  |  Wie  solche  |  in  der  Hoch- 
gräfl.  Schwartzb.  Hof  Cappella  |  zu  Rudolstadt  |  die  H.  MarterWoche 
durch  von  Tag  zu  Tage  |  pflegt  musicirt  zu  werden.  |  {Zierleiste.)  |  Rudol- 
stadt,  I  druckts  Johann  Rudolph  Löwe,  A.C.  MDCLXXXIIX. 

56,  von  k  an  bezifferte  Seiten  40,  sign.  %—®.  Zu  ihnen  zählt  auch 
das  Titelblatt,  dessen  Rückseite  leer  ist. 

Exemplar  auf  der  Bibliothek  des  Fürstlichen  Ministeriums  zu  Sonders- 
hausen, Abth.  Schwarzburgica.  —  Sehr  verbunden  bin  ich  Herrn  Biblio- 
thekar S.  Ziese  für  seine  Bemühungen  bei  Aufsuchung  des  Exemplars. 

3)  Es  wird  wohl  eine  in  Thüringen  allgemein  eingeführte  harmo- 
nistische  Zusammenstellung  gewesen  sein  (von  wem?).  Bediente  sich  ihrer 
vielleicht  bereits  Job.  Walther  im  Jahre  4559? 


326     — 

Hauptsiück  »voD  der  Ausführung  und  Creuzigung  Christi«  id  % 
Actus  hat  zerlegt  werden  müssen.  Der  V.  schliesst  nun  mit 
Christi  Tode,  und  das  Folgendeist  'Actus  VI'  überwiesen,  unter 
dem  Titel :  »Der  im  Grab  verwahrte  Jesus«.  Ähnliche  Titel  haben 
auch  die  übrigen  Actß  (»Von  dem  im  Garten  ängstlichen  Jesu«, 
»Der  von  Pilato  zum  Tode  verurtheilte  Jesus«  etc.),  nur  dem 
ersten  fehlt  ein  solcher;  wie  es  öfter  geht,  hat  hier  der  allge- 
meine Titel  einen  Specialtitel  nicht  aufkommen  lassen. 

Voran  wird  ein  Choral  (eine  Strophe)  gesungen,  an  Stelle, 
wie  es  scheint,  der  Symphonie,  die  wir  mehrfach  den  Anfang 
haben  machen  sehen : 

0  hilff  Christe,  Gottes  Sohn 
Durch  Dein  bitter  Leiden 


Dann  folgt  der  Titel :  »Das  L.  und  St.  Uns.  H.  J.  Chr.  nach 
denen  vier  Evangelisten«.  Ob  er  mitgesungen  ward,  wissen  wir 
nicht;  doch  ist  es  mehr  als  wahrscheinlich,  da  die  Worte  zwischen 
dem  Choral  und  dem  Beginn  des  Textes  stehen.  Am  Beschluss 
des  Ganzen  folgt  in  drei  Strophen  das  Danklied: 


4.  Wir  danken  Dir  für  Deinen  Tod 


9.  0  Gottes  Lamm,  Herr  Jesu  Christ 


3.  Erhalt  für  ihm  (dem  Teufel)  dein  Kirch  und  Wort 


Ausserdem  aber  enthalten  alle  Acte  ihre  besonderen  Eingangs- 
strophen, natürlich  auch  hier  wieder  mit  Ausnahme  des  ersten. 
Sie  werden  ^Aria^  genannt  und  bestehen  meist  aus  geistlichen 
Liedern  von  3,  doch  auch  von  6  Strophen.  Auch  Paul  Gerhardts 
Lied  »Ein  Lämmlein  geht  und  trägt  die  Schuld«  wird  'Aria'  ge- 
heissen.  Desgleichen  hat  jeder  Act  seinen  eigenen*  Beschluss, 
natürlich  mit  Ausnahme  des  letzten,  wo  das  allgemeine  Be- 
schlusslied zugleich  den  besonderen  Act  schliesst.  Auch  sie  be- 
stehen in  der  Begel  aus  geistlichen  Liedern  von  3  bis  5  Strophen, 
und  werden  ebenfalls  Arien  genannt;  doch  kommt  einmal  auch 
nur  eine  Strophe  vor  und  am  Ende  von  Act  IV  heisst  es  noch 
nach  dem  geistlichen  Liede  von  5  Strophen:  »Der  Chor  be- 
schleußt: Erschein  mir  in  dem  Bilde  etc.« 


327 

Man  sieht,  wie  der  Text  umrahmt  wird  von  lyrischen  Ein- 
lagen, die  durchweg  der  Stimmung  der  Gemeinde  Ausdruck 
verleihen.  Ebenso  reichlich  sind  sie  aber  auch  im  Innern  der 
Acte  vorhanden.  Diese  Acte  zerfallen  in  einzelne  Abschnitte, 
die  (wenn  wir  von  den  ersten  Seiten  absehen,  wo  die  Anord- 
nung noch  widerspruchsvoll  ist)  jeder  seine  besondere  Über- 
schrift haben  und  nach  Vorführung  des  Bibeltextes  mit  einem 
geistlichen  Liede  von  einer  oder  mehreren,  einmal  sogar  zwOlf 
Strophen  schliessen,  z.B.: 

Christus  warnet  für  Gegenwehr,  und  heilet  Malcht  Ohr. 
Und  Judas  nahet  sich  zu  Jesu  ihn  zu  küssen 


•    • 


Da  aber  sahen  die  um  Ihn  waren,  was  das  werden  wolte,  sprachen  sie 

zu  Ihno:  Herr,  sollen  wir  mit  dem  Schwert  drein  schlagen? 

bis:  Und  er  rühret  sein  Ohr  an,  und  heilet  ihn. 

4. 
Das  mag  ja  wahre  Liebe  heissen, 

der  wahren  Liebe  höchster  Grad ; 
Den  ärgsten  Feinden  Guts  erweisen 

für  ihre  gröste  Fre veithat. 

2. 
Hilff  Jesu,  wie  ich  von  dir  führe 

Jesus  von  Caipha  zum  Tode  verdammet. 

Da  fraget  Ihn  der  Hohepriester  abermal bis:  Sie  aber  sprachen : 

VV^as  dürffen  wir  weiter  Zeugniß?    Wir  haben's  selbst  gehöret  aus  sei- 
nem Munde. 

So  bist  du  nun  des  Todes  schuldig, 
Du  heiTger  und  gerechter  Gott? 

2. 
Die  Unschuld  soll  nun  schuldig  werden, 
das  Leben  soll  des  Todes  seyn. 

Das  Lied  »0  Lamm  Gottes,  unschuldig«  wird  hier  ebenfalls  in 
seinen  drei  Strophen  an  drei  Stellen  wirkungsvoll  verwandt. 
£benso,  am  Schluss  von  zwei  Abschnitten  hinter  einander: 

a)  Christe,  du  Lamm  Gottes,  der  du  trägst  die  Sund  der  Welt, 

erbarm  dich  unser! 

b)  Christe,  du  Lamm  Gottes,  der  du  trägst  die  Sund  der  Welt, 

gib  uns  deinen  Fried,  Amen. 


328     

Oder  an  anderer  Stelle,  ebenfalls  collectenartig ,  als  Jo- 
hannes die  Mutter  Jesu  zu  sich  nimmt: 

Alle  Wiltben  und  Wäyseo  vertheidige  und  versorge, 

Erhör  uns,  lieber  Herre  Gott. 
Aller  Menschen  dich  erbarme, 

Erhör  uns,  lieber  Herre  Gott^}. 

Hier  drängt  sich  nun  noch  eine  besondere  Beobachtung  auf. 
Nicht  alle  Überschriften  der  Abschnitte  haben,  dem  oben  Ange- 
führten entsprechend,  einen  epischen  Charakter;  sehr  viele 
lauten  anders,  z.  B.  i>Bey  der  Einsetzung  des  H.  Abendmahls«, 
»Aria  tlber  der  Junger  Antwort ....«,  «Auf  die  Hertzens-Angst 
und  blutigen  Schweiss«,  »Als  Jesus  bey  seiner  Verantwortung 
geschlagen  worden«,  »Auf  Pelri  Falk,  »Auf  die  im  Tempel  ge- 
worffene  30  Silberlinge«,  »Bey  dem  ersten  Jesus- Wort  am  Greutz«, 
»Auf  des  Creutzes  Unterschriffl«,  »Auf  den  Tod  Christi«,  »Als 
unter  andern  Wundern  sich  die  Gräber  öffnen«,  »Auf  die  eröff- 
nete Seite«,  »Als  Jesus  begraben«.  Diese  Ueberschriften ,  ob- 
wohl sie  oberhalb  des  prosaischen  Textes  stehen,  sind  doch 
offenbar  nicht  Ueberschriften  zu  diesem,  sondern  zu  den  folgen- 
den Liedstrophen.  Und  so  möchte  man  sich  zu  der  Vermuthung 
gedrangt  sehen,  dass  letztere  den  eigentlichen  Inhalt  ausmachten, 
der  prosaische  Text  nur  als  erklärende  und  motivierende  Ein- 
leitung anzusehen  sei.  Dann  würde  es  auch  sehr  glaublich  sein, 
dass  er  nur  gelesen,  oder  wenn  auch  in  alter  Weise  choraliter 
gesungen,  doch  ohne  Vertheilung  auf  die  verschiedenen  Personen 
vorgetragen  ward. 

Sollte  diese  Möglichkeit  in  Wirklichkeit  stattgefunden  haben, 
so  würde  uns  die  Rudolstädter  Passion  eine  ganz  eigenthümUche 
Lösung  des  Problems  bieten,  das  Ueberwogen  des  musikalisch- 
lyrischen Elementes,  dem  Zeitgeschmack  entsprechend,  zum 
Ausdruck  zu  bringen,  indem  man,  das  Epische  in  seinem  Rechte 
belassend,  aber  auch  einfach  als  episch  behandelnd,  das  Lyrische 


4]  Einmal  möchte  es  scheinen,  als  ob  auch  Prosa  eingeschoben  sei. 
Bei  Judtt  Verralh  heisst  es  »Sieh,  was  der  leid'ge  Geiti  nicht  thut;  das  ist 
ein  Zeichen  vor  dem  Jüngsten  Tag«.  Aber  hier  ist  eine  Lücke,  wie  uns  die 
folgenden  Zeilen,  offenbar  die  zweite  Strophe,  beweisen :  »Wo  bleibt  die 
brüderliche  Lieb?  die  gantze  Welt  ist  voller  Dieb :  Kein  Treu  noch  Glaub' 
ist  in  der  Welt,  ein  jeder  spricht:  Hätt  ich  nur  Geldl  Das  ist  ein  Zeichen 
vor  dem  Jüngsten  Tag.« 


329     

ganz  und  allein  in  die  Stimmung  der  Gemeinde,  wie  das  Epos  sie 
hervorrief,  verlegte,  also  nicht  ein  musikalisch  behandeltes  Epi- 
sches mit  lyrischen  Klangen  durchzog,  sondern  das  Epische  mit 
lyrischem  Geftthlserguss  umrahmte,  umwogte  und  umkleidete, 
und  das  Lyrische  so  zu  einer  zusammenhangenden  selbstän- 
digen Bedeutung  erhob. 

Aber  auf  diesem  Wege  ging  die  Entwicklung  zur  Zeit  nicht 
weiter.  Vielmehr  zeigt  uns  gleich  das  nächste  Werk,  welches 
wir  zu  nennen  haben,  die  ersten  Ansätze  zum  Betreten  eines 
ganz  entgegengesetzten  Weges,  zu  dem  Versuche,  das  lyrische 
Element  immer  mehr  in  die  Handlung  selbst  hineinzulegen  und 
dem  Ausdruck  der  Gemeindestimmung,  die  doch  der  Ausgangs- 
punkt des  lyrischen  Elementes  war,  ihre  Selbständigkeit  voll- 
kommen zu  nehmen. 

Nicht  aus  dem  eigentlichen  Thüringen,  aber  doch  aus  dem 
benachbarten  Erzgebirge,  aus  dem  Städtchen  Nossen,  stammte 
Friedrich  Funcke,  dervon  4664 — 4694Cantorin  Lüneburg 
war  >).  Von  ihm  besitzen  wir  eine  Lucaspassion  ^)  aus  dem  Jahre 
4683,  doch  nur  den  Text.  Auch  Funcke  bietet  noch  den  ein- 
fachen alten  Titel,  der  vom  Chor  gesungen  wird:  »Das  L.  u.  St. 
uns.  H.  J.  Chr.,  naph  dem  heiligen  Evangelisten  Lucao.  Der 
Beschlussgesang  des^Choi*s  aber  ist  auch  hier  frei: 

4 )  Lehrreiche  Mittheilungen  über  ihn  verdanken  wir  dem  Hrn.  Semi- 
naroberlehrer Bode  in  Lüneburg.  Vgl.  die  Blatter  für  Hymnologie  von 
Fischer  u.  Linke,  Altenburg.  Jahrg.  4884  S.  4 35 f.,  4885  S.  95 f.  184  f.,  4886 
S.  60  f. 

%)  Die  I  Geschichte,  |  Von  dem  seligmachenden  |  Leiden  und  Sterben  | 
Unsers  süssesten  Heylandes  |  JEsu  Christi,  |  Von  dem  heiligen  Evan- 
gelisten Luca  im  22  und  1 23  Capitel  seines  Evangelii  auff-  |  gezeichnet,  | 
Aus  heiliger  Göttlicher  SchrifTt  mit  etlichen  |  Zwischen-Sätzen  erweitert, 
in  die  Musik  gesetzet,  und  |  durch  dieselbe  am  Sonntage  Qvinqvagesima, 
an  welchem  die  |  öffentlichen  Predigten  über  das  Leiden  Christi  ange- 
fangen I  werden,  nach  Mittage  vor  der  ersten  Predigt  in  der  |  Haupt- 
Kirchen  zu  St.  Johannis  |  fürgestellet  |  von  |  Friederich  Funcken.  |  (Zier- 
leiste.) I  Lüneburg,  |  Gedruckt  bey  Johann  Stern.  |  (Strich.)  \  ANNO 
MDCLXXXIIL 
8  Bl.  (2  Bogen)  40,  sign.  ?(,  ®.    Exemplar  auf  dem  Rathsarchiv  unter 
den  Acten  de  Cantoribus  Johaunei.    Dass  dieses  Heft,  das  auf  der  Biblio- 
thek des  Johanneum  vermuthet  werden  musste  (vgl.  Programm  des  Johan- 
neum,  Ostern  4  870,  S.  24  Anm.j,  aufgefunden  und  mir  zugänglich  geworden 
ist,  verdanke  ich  den  Bemühungen  des  Hrn.  Oberlehrers  W.  GOrges  in 
Lüneburg. 


330     

0  süsser  Heiland,  Jesu  Christ, 
Der  Du  der  Mittler  wordea  bist, 
Wir  danken  Dir  von  Hertzen, 


Der  Evangelist  beginDt  mit  Luc.  22,  39,  wSihrend  Heinr. 
Schütz  und  die  Merseburger  Passion  sclion  mit  Luc.  %9,  4  ein- 
setzen; man  musste  wohl  auf  Kürzung  Bedacht  nehmen,  da  die 
Aufführung  in  Lüneburg  am  »Nachmittage  vor  der  ersten  Pre- 
digt« stattfand.  Von  da  an  folgt  der  Text  genau  dem  Evange- 
lium. Das  musikalische  Element  macht  sich  schon  äusserlich 
dadurch  geltend,  dass  das  Ganze  in  98  Satze  getheilt  ist,  die  be- 
ziffert sind  (z.  B.  4.  Chorus;  2.  Evangelista;  3.  Jesus;  4.  Bv- 
angel. ;  5.  Jesus  ...  96.  Anette;  97.  Chorus;  98.  Chorus). 
Hier  zählen  auch  blosse  Musikstücke  mit:  7.  Sinfonia  in  Contra- 
puncto  (nach  der  Erscheinung  des  Engels  22,  43) ;  9.  Sinfonia 
(gleich  darauf,  innerhalb  22,  44,  so  dass  das  Gebet  Jesu  beson- 
ders stimmungsvoll  bedacht  ist) ;  70.  Lamento  (nach  23,  34 ,  der 
Rede  Jesu  auf  dem  Wege  zur  Kreuzigung). 

Dann  ist  aber  auch  dieser  Text  mit  Einlagen  durchwoben, 
und  diese  tragen  hier  einen  von  den  früheren  ganz  abweicben- 
den  Charakter.  Bisher  waren  die  Einlagen  der  die  Handlung 
begleitende  Stimmungsausdruck  der  Gemeinde,  nur  in  Theile's 
Lübecker  Passion  war  das  Lied  bei  Petri  Reue  diesem  persönlich 
beigelegt,  nicht  der  Gemeinde,  und  daher  auch  wie  die  sonstige 
Rolle  des  Petrus  dem  Tenor  zugewiesen.  Hier  aber  sind  der 
Stimmungslieder  nur  sehr  wenige.  Merkwürdiger  Weise  hier 
gerade  bei  Petri  Reue,  hinter  22,  62 : 

Bußfertiger  Sünder. 

Mein  Sund  sind  schwer  und  über-gioß, 
Und  reuen  mich  von  Hertzen, 


Herr,  halt  mir  fast, 

Weß  Du  Dich  mir  versprochen  hast  I 

Dann  ist  bei  Jesu  Tode,  hinter  23,  46,  ein  eigenes  aus  8  Strophen 
bestehendes  «Dancklied«  eingefügt : 

Jesu,  meines  Lebens  Leben, 
Jesu,  meines  Todes  Tod, 


Die  ersten  7  Strophen  schliessen  gleichmassig  mit  dem  Refrain 


331     

Ta^seDd,  tausendmal  sey  dir, 
Liebster  Jesu,  Daock  dafür. 

Die  achte  Strophe  aber: 

Vor  dein  Ach  und  tieffe  Pein 
Wil  ich  ewig  danckbar  seyn. 

Und  hinter  23,  53,  der  Bestattung  Jesu,  folgt  eine  *Ariette': 

Lass  mich,  Jesu,  deinen  Tod 
Trösten  in  der  letzten  Noth ; 
Gib,  dass  ich  scheid  fröhlich  ab 
Und  mit  Ruh  geh'  in  mein  Grabl 

Alle  übrigen  Einlagen  aber  sind  Jesus  in  den  Mund  gelegt, 
gehören  also  zur  Handlung.  Sie  bieten  entweder  eine  Ergänzung 
seiner  Worte  aus  einem  andern  Evangelium,  wie  bei  2S,  46,  wo 
nach  Matth.  26,  41  hinzugereimt  ist: 

Willig,  willig  ist  der  Geist, 
Aber  schwach  ist  Fleisch  und  Blut, 
Das  selten  kan  und  thut 
Was  uns  zum  Guten  weist. 

Meist  aber  sind  alttestamentliche  Stellen^  die  man  als  Prophe- 
zeiungen auf  Christus  nahm,  seinen  Reden  in  Reimen  eingefügt. 
So  hinter  22,  48  (bei  Judas  Kuss),  nach  Psalm  41,  10: 

Wilst  du  nun  mit  Füssen  treten 
Den,  der  dich  so  lang  genehrt 

Und  gelehrt? 
Den  du  viel  mal  hast  gehört 
Brünstig  für  dich  beten? 

Zu  22,  51,  während  Jesu  Gefangennehmung,  nach  Psalm  41,  9: 

Dieses  ist  das  Bubenstück, 

Und  böse  Tück, 
Das  sie  über  mich  beschlossen. 

So  noch  an  weiteren  8  Stellen:  hinter  22,  53  im  Anschluss  an 
Ps.  69,  15  ;  hinter  22,  70  nach  Luc.  2,  35  (?)  und  Jesaias  53,  12; 
ganz  frei  eingeschoben,  ohne  Anlehnung  an  biblische  Worte 
Jesu,  hinter  23, 10  nach  Ps.  22,  13. 1 4 ;  ebenso  frei  eingeschoben 
hinter  23,  25  nach  Ps.  69,  3  f.,  mit  Yoranstellung  von  Ps.  69,  2 
in  Prosa;  hinter  23,  31  nach  Jos.  53,  4.  5 ;  wiederum  frei  ein- 
geschoben hinter  23,  34   nach  Ps.  22,  19;  desgleichen  hinter 

4887.  S3 


332     

23,  35  nach  Ps.  23,  S,  mit  Voranstellung  von  Ps.  22,  7  in  Prosa; 

desgleichen  frei  eingeschoben   hinter  23,  37,  da  ja  Lucas  des 

Durstes  Jesu  und  des  bittem  Gallentrankes  nicht  gedenkt,  naob 

Ps.  69,  22: 

Meiner  hat  man  ganz  vergessen, 
Bittre  Gallen  soll  ich  essen, 
Ach  sie  geben  ihrem  Lebens- Fürsten 
Sauren  Essig  in  den  größten  Dürsten. 

Mit  der  Poesie  des  guten  Funcke  war  es  nun  freilieh  nicht 
weit  her:  hoffen  wir,  dass  seine  Musik  um  so  besser  gewesen 
ist.  Die  einfache  Herttbernahme  der  auf  Christus  gedeulelen 
Stellen  des  alten  Testamentes  macht  sich  in  seinem  Munde  mehr- 
fach geschmacklos.  So,  wenn  Christus  vor  Berodes,  umringt 
Von  seinen  Feinden  und  Anklägern,  nach  Psalm  22,  13.  44  in 
die  Worte  ausbricht: 

Mein  Gott,  sei  nicht  fern  von  mir ! 

Große  Farren  haben  mich  umgeben, 

Fette  Ochsen  trachten  itzt  nach  meinem  Leben. 

Wie  grausam  spenrn  sie  auf  die  Rachen  I 

Was  soll  ich  machen? 

Mein  Gott,  ich  klag*  es  Dir, 

Sei  nicht  fern  von  mir ! 

Oder  wenn  er  hinter  23,21  nach  Jes.  53,4.5  klagt: 

Ihr  und  andre  Menschen-Kinder, 

Ihr  freche  Sünder, 

Habt  mir  Müh'  und  Last  gemacht 

Und  in  solche  Noth  gebracht ; 

Ja  durch  eure  Missethalen 

Bin  ich  gar  ans  Creutz  gerathen ! 

Oder  hinter  23,35  in  Anlehnung  an  Ps.  22,8: 

Alle,  alte,  die  mich  sehen 
Und  fürUber  gehen. 
Spotten  mein, 
Sperren  Maul  und  Nasen  aufT, 

Ihre  Köpfe  schütteln  sie  im  Laste i^Sturm. 

0  der  Peint 

\c\\  bin  ein  Wurm. 

Also  mit  dem  Maßstäbe  der  Poesie  gemessen,  ist  die  Leistung 
Friedr.  Foncke's  eine  wenig  bedeutende ,  aber  geschiehtlich  ist 
sie  von  hohem  Interesse  als  das  bis  jetzt  bekannte  älteste  Symptom 
einer  Richtung,  die  wir  fortan  eine  Zeit  lang  herrschen  sehen. 


j 


333 


3.  Die  Yerirrnng  zur  Oper. 

Hunold  (Seebach),  Postel.  —  König. 

Allen  bisherigen  Passionen  war  es  gemeinsam,  dass  der 
evangelische  Text  noch  unangetastet  gelassen  war,  freilich  in 
erstem  Anfange  durch  Theile.  in  weiterem  Umfange  durch  Funcke 
in  nicht  unbedenklicher  Weise  erweitert.  Diese  Richtung,  das 
Passionsdrama  selber  poetisch-musikalisch  zu  modeln,  war  der 
erste  Schritt  auf  der  Bahn  zum  Opernhaften,  das  in  den  letzten 
Decennien  des  4  7. Jahrhunderts  die  musikalischen  Köpfe  zu  be- 
herrschen begann.  Auch  diese  Richtung  findet  ihren  Ausgangs- 
punkt in  ThttringeUi  ihre  consequente  Ausführung  in  Hamburg, 
wo  damals  die  Oper  in  die  erste  Linie  des  geistigen  Interesses 
getreten  war. 

In  Weissenfeis  war  unter  der  dort  residierenden  albertini- 
schen  Nebenlinie  ein  lebhaftes  Interesse  für  Musik  gepflegt 
worden.  Schon  in  den  80er  Jahren  hatte  Johann  Adolph  I.  den 
berühmten,  wegen  seiner  Verdienste  vom  Kaiser  geadelten 
Musiker  Joh.  Philipp  von  Krieger  dorthin  berufen,  der  1672 
eine  Studienreise  nach  Italien  angetreten  hatte,  woer  in  Venedig, 
Bologna,  Rom  und  Neapel  der  Belehrung  der  berühmtesten  ita- 
lienischen Musiker  theilhaft  geworden  war.  Es  war  also  be- 
sonders die  italienische  Musik,  die  in  Weissenfeis  geübt  ward. 
Hier  trafum  das  Jahrl  704  der  hochbegabte,rege  und  der  deutschen 
Poesie  seit  langem  zugewandte  Theologe  Erdm.  Neumeister 
mit  ihm  zusammen,  der  zum  Hofprediger  daselbst  ernannt  worden 
war.  Schon  früher  hatten  die  beiden  MUnner  in  Verbindung 
gestanden ,  und  bereits  seit  1 700  hatte  Neumeister  für  dieWeissen- 
felserHofcapelle  geistliche  Poesien  gedichtet;  nicht  ohneEinfluss 
hierauf  war  wohl  der  Umstand  gewesen ,  dass  Neumeister  sich 
1696  mit  einer  Weissenfelserin  verheirathet  hatte.  Aus  dem 
Verkehr  dieser  beiden  Männer  waren  die  »Geistlichen  Cantaten« 
Neumeister's  erwachsen  ^  die  1705  zusammengestellt  in  Halle 
erschienen.^)  Es  sind  Cantaten  auf  die  säramtlichen  Sonntage 
des  Kirchenjahres  vom  ersten  Advent  an,  und  auf  einige  Fest- 
tage des  .lahres,  gewissermassen  den  lyrisch-elhischen  Gehalt 
des  betr.  Predigttextes  in  Verse  bringend.     Ks  war  eine  ganz 


I)  Ich  benutzte  ein  Exemplar  der  HBinhurger  Stadtbibliothek. 

23' 


334     

neue  Form  protestantischer  Kirchenmusik.  Die  Vorrede  ist  sehr 
instructiv.  Die  Herttbemahme  aus  dem  Italienischen,  die  schon 
der  Titel  zu  erkennen  gab  (denn  »Cantata  ist  ein  itah'anisches 
Wort,  weiches  die  Virtuosen  dieser  Nation  ersonnen«),  wird 
offen  hervorgekehrt  und  die,  namentlich  musikalischen,  Vorzüge 
dieser  Dichtungsform  werden  lebhaft  gerühmt;  auf  Krieger's 
Vorliebe  für  dieselbe  wird  als  durchschlagende  Autorität  Bezug 
genommen.  Dass  man  hier  der  Form  nach  ganz  auf  das  Gebiet 
der  weltlichen  Musik  gerathen  war,  verhehlt  sich  der  Verfasser 
nicht.  »Soll  ich's  kürtzlich  aussprechen ,  so  siehet  eine  Caniala 
nicht  anders  aus,  als  ein  Stück  aus  einer  Opera;  von  Slylo  Reci- 
tativo  und  Arien  zusammengesetzt«.  Dem  daraus  drohenden 
Vorwurf  sucht  er  noch  gegen  Schluss  der  Vorrede  entgegenzu- 
treten: »Doch  hatte  ich  oben  gesagt:  Eine  Cantata  sähe  aus,  wie 
ein  Stück  aus  einer  Opera;  so  dürifte  fast  muthmaBen,  daß 
sich  Mancher  ärgern  möchte,  und  dencken:  Wie  eine  Kirchen- 
Musik  und  Opera  zusammen  stimmten?  Vielleicht,  wie  Christus 
und  Belial?  £twan  wie  Licht  und  Finsternis?  Und  demnach 
hätte  man  lieber,  werden  sie  sprechen,  eine  andere  Arth  erwählen 
sollen.  Wie  wohl  darüber  will  ich  mich  rechtfertigen  lassen, 
wenn  man  mir  erst  beantwortet  hat :  Warum  man  nicht  andere 
Geistliche  Lieder  abschaffet,  welche  mit  Weltlichen  und  manch- 
mal schändlichen  Liedern  eben  einerley  genus  versuum  haben? 
Warumb  man  nicht  die  Instrumenta  musica  zerschlägt,  welche 
heute  sich  in  der  Kirche  hören  lassen,  und  doch  wohl  gestern 
bey  einer  üppigen  W'eltlust  aufwarten  müssen?  Sodann:  Ob 
diese  Arth  Gedichte,  wenn  sie  gleich  ihr  Modell  von  Theatrali- 
schen Versen  abborget;  nicht  dadurch  geheiliget,  indem  dass  sie 
zur  Ehre  Gottes  gewiedmet  wird?« 

Dagegen  war  schwerlich  viel  einzuwenden.  Anders  aber 
stellte  sich  die  Sache,  als  man  die  weitere  Consequenz  zog,  und 
die  Form  der  »Opera«  auch  auf  die  Passionen  anzuwenden  begann. 

Hamburg  war  damals  die  Hochburg  der  deutschen  Oper, 
und  von  W^eissenfels  nach  Hamburg  waren  die  Fäden  bereits  ge- 
sponnen: derComponist,  der  den  damaligen  Höhepunkt  ihrer  Ent- 
wicklungbezeicbnete,Reinh.  Keiser,  stammte  aus  der  Umgegend 
von  Weissenfeis  —  man  sieht,  welch  ein  Füllhorn  musikalischer 
Kräfte  für  ganz  Deutschland  Thüringen  damals  war  —  ,  und  sein 
Freund  Christian  Friedr.  Hunold,  als  Schriftsteller  'Menantes' 
genannt,  war  auf  dem  Gymnasium  in  Weissenfeis  gebildet.    Er 


335     

halte  sich  im  Jahr  1700  Dach  Hamburg  begeben ,  und  dort  war 
es  ihm  bald  gelungen,  sich  einen  literarischen  Wirkungskreis 
zu  gründen ;  auch  Singspiele  und  Operntexte  lieferte  er,  die  natür- 
lich ganz  dem  italienischen  Geschmacke  huldigten,  den  bereits 
Keiser's  Freund  Kusser  dort  eingeführt  hatte.  Die  Beziehungen 
beider  tfänner  zu  Weissenfeis  waren  nicht  erloschen  —  zog  sich 
doch  Keiser  1706  dorthin  zurück  —  und  so  erhielten  sie  alsbald 
auch  von  dem  Erscheinen  derNeumeister'schen  Cantaten  Kennt- 
niss,  dieHunold  jubelnd  begrüsste^)  und  sofort  in  ausgedehnter 
Weise  nachzuahmen  und  zu  benutzen  begann.  Schnell  machte 
er  sich  an's  Werk  und  verwandte  die  neue  Form  für  die  Her- 
stellung einer  Passion.  Keiser  componierte  sie  und  in  der  stillen 
Woche  1705  oder  1706  ward  sie  Montags  und  Mittwochs  zur 
Vesperzeit  aufgeführt,  in  letzterem  Jahre  auch  in  Hunold' s  oTheatr. 
Galanten  und  Geistlichen  Gedichten«  zum  Druck  gebracht.^)  Ob 
die  Gonsequenz,  die  Hunold  aus  Neumeister's  Cantaten  zog,  die 
vollkommen  richtige  war,  darf  man  in  Frage  stellen;  die  geistige 

4)  Die  Vorrede  zu  den  »Theatralischen  Galanten  u.  Geistlichen  Ge- 
dichten von  Menantes,  Hamburg  4  706«  führt  uns  recht  In  das  Fiirund  Wider 
jener  Tage  betreffs  der  Anwendung  der  italienischen  Form  auf  geistliche 
Stoffe  hinein.  »Kluge  und  verständige  Leute,  die  sie  lesen  (Neumeister's  Canta- 
ten) und  dabey  vernehmen,  wie  man  solche  in  der  SchloßliirchezuWeissen- 
fels  und  anderen  Orten  musiciret,  werden  über  die  lobwUrdigste  Anwen- 
dung einer  schönen  Poesie  ein  nicht  geringes  Vergnügen  finden,  und  sich 
wenig  daran  kehren,  wenn  mancher  allesverwirfft,  was  in  geistlichen  Sachen 
nur  einen  Italiänischen  Nahmen  oder  Ubrsprung  führet,  gleichsam  als  ob 
in  den  blossen  Wörtern,  alsCantataund  Oratorio,  eine  solche  Ketzerey  stöke, 
die  den  Innhalt  der  allerreinsten  und  geistreichsten  Sachen  aus  derSchriffl 
vergifften  könnte.«  Dass  auch  Hunold's  Oratorium  viele  Gegner  gefunden 
hatte,  beweist  die  zweite  Vorrede ,  die  er  bei  dem  Druck  der  ersten  noch 
hinzuzufügen  für  nöthig  erachtete.  »Dass  zudem  die  Italiftner  die  aller- 
schönste  Art  erfunden ,  einen  Text  in  der  Musik  beweglich  auszudrücken, 
solches  sagen  ja  alle,  die  diese  Profession  verstehen.« 


Wie  selbiger  |  In  einem  | 
Stillen  Woche,  |  Montags 


2)  Der  Blutige  |  Und  |  Sterbende  |  JESUS, 
ORATORIO]  Musicalisch  gesetzt,  |  Und  in  der 
undMittewochs  zur  [  Vesper-Zeit aufgeführet  worden,  |  Durch  |  Reinhard 
KKisERN,  I  Hochfürstl.  Mecklenburgischen  |  Capell-Mcistern. 

Bildet  den  Anfang  der  zweiten  Hälfte  der  Theatralischen  etc.  Gedichte 
von  Menantes,  Hamburg  4  706,  die  für  sich  signiert  (a — f)  u.  beziffert  (80  S.) 
Ist,  von  der  jedoch  das  Oratorium  nur  bis  S.  33  reicht.  —  Der  erste  Vor- 
bericht S.  5  ist  unterzeichnet 'Menantes',  ein  sich  anschliessender  zweiter 
dagegen  *Ch.  Fr.  Hunold'. 

Ich  benutzte  ein  Exemplar  aus  der  Bibl.  d.  D.Gesellsch.  (449b)aufder 
Sladtbibliothck  in  Leipzig. 


336     

Strömung  Hamburgs,  die  ganz  auf  Theater  und  italienische  Oper 
gerichtet  war,  beherrschte  ihn  offenbar  und  leitete  seine  Schritte. 

Den  Gegensatz  seiner  Arbeit  zu  den  bisherigen  Passionen 
setzt  der  Verfasser  selbst  auseinander.  Er  entschuldigt  sich, 
falls  man  sein  Werk  mangelhaft  finden  solle:  »Zwar  so  man 
diese  Passion  nach  Art  der  andern  einrichten  wollen ,  wttrde 
man  die  Entschuldigung  seiner  Unvollkommenheit  nicht  nöthig 
haben,  weil  man  sodann  durch  den  Evangelisten  und  aus  Büchern 
gezogene  geistliche  Gesänge  sich  helffen  können.  Allein  so  hat 
man  gemeinet,  dieses  Leiden,  welches  wir  ohne  diess  nicht  leb- 
haft gnung  in  unsere  Hertzen  bilden  kOnnen,  bey  dieser  heiligen 
Zeit  nachdrücklicher  vorzustellen,  wenn  man  es  durchaus  in 
Versen  und  sonder  Evangelisten ,  gleichwie  die  Italiänische  so 
genau  nie  Oratorien,  abfasste,  so  dass  alles  auf  einander  aus  sich 
selber  fliesset.  Ein  vortrefflicher  Mann  in  Weissenfels  hat  durch 
seine  herausgegebenen  geistlichen  Cantaten  gewiesen,  wie  unver- 
gleichlich manseine  Poesie  in  der  Schrifft  anwenden  könne  u.s.  w.« 

Ein  ganz  neues  Bild  tritt  hier  vor  uns  hin.  Weder  der  alte 
Eingang,  noch  ein  Danklied  am  Schlüsse,  Nichts  mehr  von  der 
Rolle  des  Evangelisten,  Nichts  üb^haupt  mehr  vom  Evangelien- 
texte.  Wir  finden  einfach  eine  Oper,  die  man  sich  auch  auf  der 
Buhne  aufgeführt  denken  könnte.  Nur  als  Zwischenbemerkung, 
gewissermassen  als  scenische  Anweisung,  werden  noch  einige 
W^orte  aus  dem  Bibeltexte  oder  doch  ein  Anklang  an  sie  ver- 
wandt, wie  z.  B.  »(es  erschien  ihm  aber  ein  Engel  vom  Himmel 
und  stärckete  ihn)«,  oder  »(Und  da  der  Hahn  krähte,  erinnerte 
sich  Petrus  der  Worte  Jesu,  und  ging  hinaus  und  weinte  bitter- 
lich)«, »(Und  zogen  ihn  aus,  und  legten  ihm  einen  Purpur-Mantel 
an,  und  flochten  eine  Krone  von  Dornen)«,  »(Und  da  sie  ihn  ge- 
kreutziget  hatten,  theilten  sie  seine  Kleider  unter  sich,  und 
wurflen  das  Loß  darum)«  u.  s.  w.,  namentlich  gegen  Ende  häu- 
figer. Aber  manche  Anweisungen  sind  auch  ganz  ohne  solche 
Anklänge,  z.  B.  »(Jesus  wird  zum  Hohen-Priester  gefUhret)«, 
»(sie  speyen  ihm  ins  Angesicht)«,  öfter  »(Jesus  schweigt)«,  von 
Pilatus:  »(Nimmt  Wasser  und  wäscht  seine  Hände)«,  »(Siebet 
Jesum  geissein)«,  »(Siehet  Jesum  von  Geissein  annoch  bluten) t, 
»(Siehet  Jesum  creutzigen)«  u.  s.  w.  An  eine  wirkliche  theatra- 
lische Auffuhrung  ist  nun  gewiss  nicht  zu  denken;  jene  Notizen 
innerhalb  des  Oratorientextes  sollten  also  nur  zur  Motivierung 
des  letzleren  dienen  und  sein  Verst<lndniss  erleichtern. 


337     

Die  Personen  sind  natttriicb  die  desEvangeKeniextes,  denen 
zum  Schlüsse  nur  noch  ein  »Chor  der  Weiber  und  Jünger«  hin- 
zugefügt ist.  Daneben  aber  hat  der  Dichter  zwei  weibliche 
Rollen  eingeführt,  einmal  eine  symbolische,  die  Tochter  Zion, 
bei  deren  Worten  meist  Stellea  au«  dem  tiohenliede  Salomonis 
zu  Grunde  liegen ,  und  dann  die  Mutter  des  Herrn,  Maria.  Sie 
vertreten  eig^nClioh  die  Stiriimung  der  Gemetode,  und  oft  könnte 
man  glauben,  es  wirklich  mit  Ghor^esang  odcvr  sclb^  Gemeiiide- 
gesang  zu  thun  zu  haben,  bis  dann  wieder  eine  specielle  Be- 
zeichnung diese  Behauptung  als  unrichtig  erweist.  B^ide  haben 
lange  Cantaten  zu  singen,  z.  B.  die  Tochter  Zion : 

Gantata. 

Aus  dem  Hohen  Liedc  Salomonis  Cap.  6. 

Wo  bleibet  mein  Veriangen? 

Wo  ist  Dein  Fremiä  denn  hingegangen? 

Du  schönstes  Weib,  das  eh  die  Welt  gekannt, 

Wo  hat  Dein  Freund  sich  hingewandt? 

Mein  Freund  ging  hin  in  seinen  (irrten ; 

Mein  Freund  wird  jetzt  der  Rosen  werten. 


A^ia. 
Zions  Frühling  kommt  gegangeHi 
Denn  die  Purpur-Rosen  prangen 
In  dem  Paradiese  schön. 

Doch !  muss  Dein  Freund  mit  Blute  nun  bezahlen, 

Was  Du  mit  Lust  verbrochen  hasti 

Ach  herbes  Weh,  so  mich  umfast! 

Nein,  auf!  mein  Herz,  schau  was  Dich  trösten  kan! 


Weide  Dich 

In  dem  Garten  Deiner  Lust, 

Seeliglich. 

Bau  den  blut-besprUtzten  Neicken, 

Daß  sie  nimmermehr  verwelclcen. 

Einen  Thron  in  Deiner  Brust. 
Zions  Frühling  kommt  gegangen, 
Denn  die  Purpur-Rosen  prangen 
In  dem  Paradiese  schön. 

Ja,  leget  ihm  den  Purpur-Mantel  an, 
Ob  eurer  Thorheit  gleich  entfttlU, 
Daß  ihr  dem  Könige  der  Welt 
Die  Ehre  habt  gethan. 


n 


338 

Der  Dornen  Strauch,  die  dieses  Haapt  verletzen, 

Trftgi  Rosen,  welche  mich  ergötzen ; 

Die  Rose  in  seiner  rechten  Hand 

Wird  Zion  als  das  Scepter  zugewandt. 

Ja,  beuget  euch  und  fallt  zu  dessen  Füssen, 

Vor  dem  ihr  in  dem  Pfuhl  einst  werdet  zittern  müssen. 

Ebenso  mag  eine  Cantate  der  Maria  hier  Platz  änden,  bei 
AbfttbniDg  Jesu  zum  HobeDpriester : 

Gantata. 

Wohin,  mein  Fürst!  mein  Heyland!  ach  wohin? 
Wohin  führt  Gott  verruchter  Menschen-Sinn? 

Arta. 

Fürst  verkiahrter  Engels-Orden, 
Bistu  darum  Mensch  geworden, 

Um  der  Menschen  Spott  zu  seyn? 
Richter  der  und  jener  Erden, 
Solst  du  selbst  gerichtet  werden. 
Gehst  du  so  ein  Urtheil  ein? 
Kein  König  nimmt  der  Sciaven  Ortheil  an, 
Nur  Gott  hats  uns  zu  gute  selbst  gethan. 

Aria. 

Ach,  ungemeine  Liebe, 

Die  Du,  mein  Heyland,  trägst I 
Ach  Schmertz-beseelte  Triebe  I 

Die  Du,  mein  liebster  Sohn,  erregst. 

Der  Mutter  aller  Erden 

Wird  keine  Pflantze  weggerafft. 

So  muß  zugleich  der  Saflft 

Der  Schmertzens-Thrtfnen  Zeuge  werden. 

Hier  leydet  selbst  der  Baum  des  Lebens, 

Mein  Hertze  greiffl  der  BoBbeit  Messer  an : 

Ihr  Thränen  aber  rinnt  vergebens, 

Und  aller  Schmertz  ist  gar  umsonst  gethan. 

Aria. 

Schau,  Scel',  auf  Deine  Sünden, 

Du  bist's,  die  Jesum  greiffen  last, 
Und  Deine  Stricke  binden 

Ihn  zu  der  Marter  fest. 

Ach  I  ungemeine  Liebe, 

Die  Du,  mein  Heyland  trügst. 
Ach,  Schmertz-beseelte  Triebe, 

Die  Du,  mein  liebster  Sohn,  erregst! 


\ 


339     — 

Auch  Duette  zwischen  diesen  beiden  und  Jesus  kommen 
vor.    Zwischen  Jesus  und  der  Tochter  Zion : 

Arla  ä  2. 

Süsser  Trost,  durch  dieses  Leyden, 

„  ^  J  mein  \  .,  .      j      wehrte  Braut       \ 

"»*  \  deiD  /  ^"*^^  \  Liebster  Brftutgam  /  '^'^^  ^^'•*''""'- 

Aus  dem  Schlagen  ins  Gesiebte 

Fallen  lauter  Lebens-Frücbte, 

Die  der  Seelen  Emde  seyn. 
/     Meine  Freundin,  nach  der     \       . 
\  Und  mein  Freund,  nach  dieser/    ®"' 
Wollen  wir  auf  Rosen  weyden. 

Süsser  Trost  u.  s.  w. 
Dann  zwischen  Jesus  und  der  Maria : 

Aria  ä  2. 

/    Schreib  diesen  Trost  in  deine    \ 

\  Der  Trost  schreibt  sich  in  meine  /    ®*  ®* 

I    ch  /  ^^^^^^  "^^^  ^^^  Leide 
An  jene  seeige  Freude. 
/  Da  siehst  du  deinen  \  ^  . 
\  Da  seh  ich  meinen  /  ^°"" 
Zur  Rechten  auf  des  Höchsten  Thron, 
Ja  ewiglich. 

Schreib  diesen  u.  s.  w. 
Auch  ein  Duett  der  beiden  Frauen: 

Aria  k  2. 

Mein  Gott,  es  ist  vollbracht. 
Dein  Leiden  ist  verschwunden, 
Der  Anfang  seeiger  Stunden 
Ist  nun  für  uns  gemacht. 
Beglückte  Sterbens-Nacht  ( 
Mein  Gott,  es  ist  vollbracht. 

Petrus  ist,  vielleicht  seiner  Stimmlage  wegen,  besonders 
reich  musikalisch  ausgestattet.    Bei  der  Gefangennehmung  Jesu : 

Petr.  zu  Judas. 

Verdammte  Mördei^Schaar, 

Die  Du,  Verfluchter,  hast  zu  Dir  genommen. 


340     

Aria. 
Waffuet  euch,  ihr  Himmel, 
Stürlzt  das  Mord -Getümmel 

Der  verfluchten  Welt ! 
Berge,  Meer  und  Flammen^ 
Fallt  auf  sie  zusammen, 

Ehe  Jesus  fttllt. 

Walfnet  euch,  ihr  Himmel  u.  s.  w. 

Eine  grosse  Reue-Gantate  hat  Petrus  dann,  nachdem  er  den 
Herrn  verläugnet: 

Ganiata. 

Aria. 

0  Jammer,  Schrecken,  Angst  und  Weh! 
Ich  schwimm  in  einer  Schmertieos^See. 

Ich  Sünder,  ach,  ich  bin  verloren, 
Ich  habe  Gott  viermahl  verschworen ; 
Der  Fluch,  der  mich  aus  Eden  stieB, 
Hat  ilzo  neue  Kraft  bekommen. 
Und  stO0t  mich  aus  dem  ParadieB, 
In  das  mich  Jesus  aufgenommen. 

Aria. 
0  Jammer  u.  s.  w. 

Doch  führt  der  Fluch  dich  in  die  Wüsten, 

Wo  gifftger  Sünden  Schlangen  nisten» 

So  falle  nun,  weils  Gott  bewust, 

Ihm  wiederum  zu  Fusse, 

Und  schlage  mit  dem  Slab  der  Busse 

An  deine  FelsenBrust    (weil  Petrus  von  Christo  einem 

Felsen  verglichen  worden,  vgl. 

k.  Mos.  cap.  SO.) 
DasseineThrttnen-Fluht  den  Grimm  des  Höchsten  stillt 
Und  Wasser  vor  das  Heyl  der  armen  Seelen  quillt. 

Aria. 
Mein  Jesus,  lass  dich  doch  erweichen, 

Und  ThrSlnen,  die  so  schmertzlich  seyn, 
Dem  Wasser  in  der  Taufe  gleichen, 
So  wird  mein  Kleid  der  Seelen  rein. 
0  Jammer,  Schrecken,  Angst  und  Web, 
Ich  schwimm  in  einer  Schmertzens-See. 

Ganz  frei  ist  ihm  noch  bei  Ghristi  Abführung  undGeisselung 
eine  Partie  zugewiesen,  deren  erste  Hdifte  sehr  anschaulich  das 
wahrend  derselben  Geschehende  uns  vor  Augen  ftthrt: 


341     

(Petrus  stehet  Jesum  ins  Geriehts-Hauß  föbren) 

Wen  bringet  ihr,  verdammte  Sünder? 

Wohin  mit  Ihm? 

Ins  Rieht-  und  Marler-Hauß? 

Wie  kleidet  ihr  da  Jesum  aus? 

Worzu?  WoU  ihr  Gott  nackend  schänden? 

Wornach  greifft  ihr  mit  den  verfluchten  Hönden? 

Nach  Geissein?  Ach!  knns  möglich  seyn! 

Mein  Gott!  warum  pflantzt  deine  Krafft 

Den  Gliedern  die  Bewegung  ein? 

Ja»  hat  der  Herr  die  Menschen  drum  geschafft. 

Daß  sie  zu  seiner  Qual  und  Pein 

Sich  als  ein  böses  Werckzeug  regen? 

Mein  Gott!  warum?  Ach  bloß  um  unsernt  wegen. 

Aria. 
Jesus,  bloß  um  unsernt  wegen 
Wird  dein  bellger  Leib  mit  SeblKgen 
Jämmerlich  verstellt. 
Deine  Wunden,  deine  Beulen 
Sollen  unsre  Narben  heilen, 
Daß  die  Welt 
(Welche  Liebe!)  Gott  gefällt. 

Jesus,  bloß  u.  s.  w. 

Die  Verzweiflung  des  Judiis  wird  geschildert: 

Mein  Meister : wie?  es  träumet  mirl  — 

Mein  Herr,  ja  Gott wie?  ras'  ich  hier?  — 

Wird  selbst  von  mir  verdammet ! 

So  wird  der  Himmel  wohl  vor  mich  verschlossen  seyn. 

Drum  öffne  dich,  du  Grund, 

Der  vor  Verfluchte  flammet, 

Und  schlinge  selbst  den  ärgsten  Höllen-Hand, 

Den  Schaum  verdammter  Juden  ein  I 

Aria. 
Nun  verschlingt,  ihr  Höllen-Schaaren,         * 
Schlingt,  in  welchen  ihr  gefahren. 

Eh'  er  Jesum  bat  gestürtzt. 
Sünden-Strick,  der  meinen  Geist, 
Zur  Gcwissens-Folter  reist, 
Banden,  die  Yerzwcinung  hocken, 
Werdet  (ungeheures  Schrecken  1) 

Durch  den  letzten  Strick  verkürzt. 

Nun  verecfalingt  u.  s.  w. 
Charakteristisch  in  ihrer  Bnitaiitilt  ist  die  Aria  des  Caiphas: 


342     

Bindet  und  führet  ihn  vor  das  Gericht  I 

Schonet  ihn  nicht, 
Welcher  so  viele  Bestriclite  verführt! 

(zn  Jesu) 
Sind  wir  noch  Heuchler?  ja  Ottern  und  Schlangen? 
Ltfsterslu  annoch,  indem  du  gefangen? 

Sclave,  nein  König  I  gib  selber  Bericht, 

Welcherlei  Ehre  dir  itzo  gebührt. 

Bindet  u.  s.  w. 

Schon  diese  Beispiele  zeigen,  wie  vollkommen  frei  vom 
evangelischen  Texte  sich  die  Worte  halten.  Daneben  kommen 
nun  auch  Stellen  vor,  namentlich  im  einfachen  Dialog,  die  ge- 
nauer  dem  Texte  folgen,  aber  sie  sind  gering  an  Zahl.  Zwei 
Beispiele  mögen  sie  charakterisieren:  .Das  Oratorium  beginnt  mit 
einem  Tutti,  dem  Lobgesang  der  Jünger  (Matth.  S6,30),  ganz 
freier  Dichtung  : 

Unendlich  preist  das  Hertze 

Ein  unbegreiflich  Gut ; 
Denn  Gottes  Leib  und  Blut 
Speist  selber  Seel  und  Muht. 

Drum  preiset  unser  Hertze 

Ein  unbegreiflich  Gut. 

Dann  heisst  es  weiter  (die  in  eckige  Klammern  geschlossenen 
Worte  finden  im  evangelischen  Texte  keine  Entsprechung): 

Jesus. 

(Matth.  26,i8)  Was  Ihr  alhier  genossen, 

Wird  nun  vor  euch  am  Greulzes-Stamm  vergossen, 
(das.  30)  Auf  I  lasst  uns  nach  dem  Oehlberg  gehn, 
[Da  werdet  ihr  des  Leydens  Anfang  sehn]. 

Chor  der  Jünger. 
[Wir  sind  betrübt, 
Weil  Jesus  uns  nicht  bessre  Hoffnung  giebt.] 

Jesus, 
(das.  31)  Ja,  ehe  noch  die  Nacht  vergeht, 
So  ärgert  ihr  euch  all*  an  mir, 
Weil  es  geschrieben  steht: 
Man  wird  mich  als  den  Hirten  schlagen, 
So  wird  die  Furcht  die  SchafTe  drauf  vorjagen. 

Petrus, 
(das.  33)  Und  ärgerten  sie  sich  auch  all  an  Dir, 
So  bleibet  doch  mein  Hertze  rein 
Und  an  Beständigkeit  ein  Felsen  oder  Stein. 


343     

Jesus, 
(das.  84)  Und  ^wahrlicb,  eh  die  Nacht 

Noch  ihre  Dunkelheit  vollbracht, 

Ja,  ehe  noch  der  Hahn  wird  krähen.. 

Werd'  ich  mich  schon  von  Dir  dreynial  verl&ugnel  sehen. 

Petrus, 
(das.  85)  Und  wenn  ich  mit  Dir  sterben  mUsle, 

Will  ich  doch,  Herr,  nicht  Dein  Verlüugner  seyn. 

Tutti. 

(ebda.)  Ja  wenn  uns  Todt  und  Erde  küsste, 

Bleibt  unser  Hertz  von  aller  Falschheit  rein. 

Noch  etwas  enger  ist  der  Anschluss  in  Jesu  Rede,  nach- 
dem Petrus  dem  Maichus  das  Ohr  abgehauen  hat: 

Jesus  (zu  Petro). 
(M.  26,58)  Ach!  Stecke  nur  Dein  Schwert  an  seinen  Orth. 
(das.  58)  Wie,  meinst  Du  nicht,  das  dieses  abzuwenden 

Mein  Vater  mir  wohl  Hülffe  könte  senden? 
(das.  54)  Allein,  wie  würde  doch  die  SchrifTt  beslehn? 
Es  muss  also  ergehn. 

(zu  den  Kriegsknechten) 

(das.  55)  Ihr  seyd  zu  mir  mit  Schwerdtern  und  mit  Stangen 

Als  einem  Mörder  ausgegangen, 

Da  ihr  mir  nicht  gewehrt, 

Wenn  ich  im  Tempel  stets  gelehrt, 

Und  mich  daselbst  nicht  habet  greiflen  wollen, 
(das.  56)  Doch  so  hat  sich  die  Schrififl  erfüllen  sollen. 

Doch  genug  der  Mittheilungen  über  dies  poetisch  wenig 
bedeutende  Werk,  das,  wie  man  sieht,  vollkommen  im  Stil  einer 
italienischen  Oper  gehalten  ist.  Im  Anhang  theiit  Hunold 
einige  Arien  mit,  als  Probe  derer,  die  Hr.  Lic.  Postel  für  eine 
Passion  verfertigt  habe.  Er  meint  den  uns  gegenwärtig  sehr 
bekannten  Text  der  Johannespassion,  den  Händel  1704  compo- 
niert  hat.^j  Dieser  aber  bezeichnet  durchaus  keine  Veränderung 
in  der  Entwicklung.  Wir  haben  es  bei  ihm  noch  ganz  mit  der 
alten  Form  zu  thun.  Der  Evangelientext  von  Job.  49,  4 — 42  ist 
unverändert  beibehalten,  und  nur  mit  lyrischen  Strophen  durch- 
webt, die  der  Empfindung  der  Gemeinde  Ausdruck  verleihen. 
iNur  freilich,  diese  sind  nicht  mehr  Strophen  kirchlicher  Lieder, 


i )  Vgl.  G.  F.  HfindersWerke.  Ausgabe  der  Deutschen  Htf  ndelgesellschaft, 
Lief.  IX. 


344     

sondern  frei  erfundene  s.  g.  Arien ;  auch  Duette  finden  sich. 
Solche  lyrische  Einschübe  kommen  vor  hinter  <9,  5.  42.  45.  48. 
22.  24.  28,  in  30  und  hinter  30.  34.  40.  42,  also  im  Ganzen 
zwölf.  Von  den  Arien ,  die  Uunold  für  bedeutend  genug  er- 
achtete, um  sie  zum  Abdruck  zu  bringen,  wollen  wir, schon  des 
Rhythmus  wegen ;  eine  mittheilen.  Hinter  49,5,  als  Jesu  die 
Dornenkrone  aufgesetzt  ist : 

Aria  (Duett). 
Schauet,  mein  Jesus  ist  Rosen  zu  gleichen, 

Welche  den  Purpur  mit  Dornen  umhüllen; 
Seine  Holdseligkeit  trotzet  den  Sträuchen  J) 

Welche  die  Felder  utn  Jericho  füllen. 
Sollen  dann  heilen  die  Wunden  der  Sünden, 
Müssen  uns  eintzig  die  BItttler  verbinden. 

Vielleicht  war  es  für  Postel  günstig ,  da^s  er  noch  unbeirrt 
war  durch  Necimeister's  Cantate. 

Mit  dreister,  nicht  selten  wörtlicher  Benutzung  Hunold's 
verfasste  im  Jahre  ^744,  ohne  seine  Vorlage  zu  nennen,  ein  SS. 
Theol.  Stud.  Johann  Georg  See ba eh  in  Gotha  ein  Oratorium 
»Der  leidende  und  sterbende  Jesus,  der  getOdtete  Fürst  des  Lebens 
und  der  gecreutzigte  Herr  der  Herrlichkeit«. 2)  Das  lyrische 
Element  ist  hier  etwas  gemindert,  die  Maria  tritt  ganz  zurück, 
wahrend  die  Tochter  Zion,  hier  »die  Braut  Christi«  genannt, 
ihre  Rolle  beibehalten  hat.  Duette  kommen  nicht  vor.  Dagegen 
ist  eine  »Stimme  der  Gerechtigkeit«  eingeführt,  und  zum  Schlüsse 
die  ilaadlung  noch  bis  zur  BesLittung  (ortgesetzl.  Componiert 
ist  es  schwerlich  worden .  wenigstens  in  der  Vorrede  hoflt  der 
Verfasser  noch  auf  eineo  christlichen  Musicus,  der  sich  »bemUhete, 
der  Poesie  durch  eine  andächtige  Composition  das  rechte  Leben 
und  die  Seele  zu  geben«.  Der  Verfasser,  ein  Schwiegersohn 
des  Rudolstädter  Capellraeislers  Ph.  H.  Erlebach,  ist  wohl  der- 
selbe, den  Jöcher  als  »Hof-Diaconus  und  geislreichen  Poeten  zu 
Hildburghausen«  aufführt  und  der  nach  ihm  vor  1784  starb.  Das 
von  ihm  begangene  Plagiat  scheint  ihm  bis  jetzt  nicht  vorgerückt 
worden  zu  sein. 

Dagegen  einen  Schritt  weiter  auf  der  durch  Hunold  betre- 


4)  Bei  Hunold:  Streichen. 

i)  Gotha,  bei  Gp.  Reyher,  474  4  ;  8  RH.  u.  64  8.  80.    Exemplar  auf  der 
gräfl.  Bibl.  in  Wernigerode,  Hb.  7:>8. 


345     

ieuen  Baku  tbat  Benjamin  Neakirch,  der  ein  mudikaliscbes 
Drama  »Weinender  Petruse  schrieb,  das  4724  »Zur  Passions- 
Andacht«  herauskamt)  Es  ist  durchaus  freie  Erfindung ,  die 
mit  dem  evangelischen  Texte  Nichts  mehr  zu  thun  hat.  Die 
»siegenden  Personenit  sind:  4.  Petrus;  S.  Judas  Ischarioth; 
3.  PhiHppus;  4.  Zion;  5.  BeKal;  6.  Die  Verzweiflung;  7.  Der 
Glaube;  8.  Maria  Magdalena;  9.  Johannes.  Die  »Chorea:  4.  Chor 
der  Jünger;  t,  Chor  der  Hidiischen  Geister;  3.  Chor  der  Engel 
und  Frommen.  Man  erkennt  schon  hieraus  den  Charakter  der 
Dichtung. 

Die  Handlung  beginnt  nach  der  Verläugnung  des  Herrn, 
doch  ehe  Judas  sich  erhenkt  hat.  In  der  ersten  Ȁhhandlung(c 
lange  Reue-  und  Yerzweiflungs-Cantate  des  Petrus^  zum  Schluss 
in  die  Stig[)mung  der  Hoffnung  Übergehend^  dann  noch  gesteigerte 
Verzweiflung  des  Judas,  darauf  Zwiegespräch  zwischen  beiden; 
Philippus  und  etliche  Jünger  treten  zu  ihnen,  auch  ihr  Zuspruch 
verschlägt  nicht,  Petrus  geht  »betrübt«,  Judas  »voll  Verzweiflung« 
ab.     Die  zweite  Abhandlung  führt  fast  nur  symbolische  Figuren 

1)  AndacbtsUbung  |  Zur  |  Kirchen  Music.  |  In  Cantaten,  Oden,  und  | 
Arien.  |  Nach  denen  Sonn-  und  |  Fest-Tags-Evangelien  |  und  Episteln. 
Welchen  beygefüget  j  Herrn  Benjamin  Neukirchs,  |  Weinender  Petrus 
Zur  Paßions-Andacht.  |  Strich,  \  Fronckfurt  und  Leipzig,  4  724. 

3  unbez.BlI.,  dann447  bez.  Seiten,  darauf  8  unbez.  Bll.  (mit  Register) 
8^.  Dieser  Theil  bezeichnet  sich  als  »Evangelische  Kern-u.  Denck-SprUche«. 
Darauf  beginnt  mit  neuer  Paginierung  (S.  4 — 56)  eine  zweite  Abtheilung,  die 
in  »Cantaten«,«Oden«  u. »Arien« zerfällt.  Letzteresindgezähltvon Ibis XXXV. 
An  sie  schliesst  sirh  in  dem  von  inlr  benutzten  Exemplar  (aus  der  gröfl. 
Bibl.  in  Wernigerode,  Hb.  554)  als  XXXVII  (während  der  Gustos  auf  der 
voraufgehenden  Seite  richtig;  XXXVI  angiebt): 

B.  N.  1  Weinender  |  PETRUS,  |  Singende  Personen  :  |  u.s.w. 
Diese  letzte  Partie  umfasst  4  4  unbezii{)erte  Bltttter,  sign,  im  Anschluss 
an  das  Voraufgehende  E2— F.    Es  fehlt  BJ.  Ei,  wodurch  sich  die  oben  her- 
vortretende Differenz  in  der  Bezifferung  erklärt. 

Sicherlich  ist  dies  nicht  der  erste  Druck.  Die  Angabe  auf  dem  Titel 
behandelt  das  Werk  als  ein  bereits  bekanntes;  auch  wäre  es  47S4  nicht 
mehr  nöthig  gewesen,  die  Apostrophe  an  Kaiser  Joseph  (s.oben)  zu  ändern. 
Es  wird  also  wohl  bereits  4744  im  Einzeldruck  erschienen  sein.  Eine  Aus- 
gabe der  »Andachteübung«,  Frankfurt  4725,  führt  Jördens  auf,  und  zwar  so, 
als  ob  das  ganze  Buch  von  B.  Neukirch  sei.  Daran  ist  nicht  zu  denken.  Die 
»Kern-  u.  Denck-Sprüche«  sind  von  eiAem  Geistlichen ,  der  in  der  Vorrede 
diese  Gedichte,  die  er  bisher  in  seine  Predigten  eingelegt  gehabt  habe,  für 
seine  Gemeinde  bestimmt.  Höchstens  möchte  mit  den  Cantaten  Neukirch's 
Antheil  beginnen  ,  obwohl  auch  dies  nicht  wahrscheinlich  ist,  da  der  Titel 
alsdann  anders  gefasst  sein  müsslc. 


346     

vor.  Z  ton  tritt  auf  in  Trauerkleidern,  verstört  über  Jesu  Tod,  doch 
auf  seine  Auferstehung  hoffend;  Belial  jubelt  ttber  das  Ende  des 
Reiches  Christi;  seine  Dienerin ,  die  Verzweiflung,  warnt  aber 
vor  zu  frühzeitigem  Frohlocken ,  so  lange  sich  Petrus  ihr  noch 
nicht  ergeben  habe  müsse  noch  Hofl'nung  vorhanden  sein;  Petrus 
wird  dann  vom  Glauben  und  der  Verzweiflung  in  die  Mitte  ge- 
nommen, in  zweifelnder  Stimmung  jammert  er  weiter,  aber  als 
die  Höllengeister  jauchzend  heranstttrmen ,  begiebt  er  sich  auf 
die  Seite: 

Du  bist  zu  schwach  und  musst  nur  weichen. 

Die  dritte  Abhandlung  führt  Maria  Magdalena  und  Johannes  auf 
die  Bühne,  erstere  in  Klagen,  letzteren  sie  tröslend.  Zu  ihnen 
trilt  Petrus,  noch  immer  in  der  allen  Stimmung;  aber  die  Hin- 
weisung darauf,  dass  Christus  ja  für  die  Sünden  der  Welt,  also 
auch  für  die  seinigen  gestorben  sei,  richtet  ihn  wieder  auf.  Er 
schlägt  der  Hölle  ein  Schnippchen : 

Rase,  Satan,  rase,  Hölle  I    Petrus  steht  durch  Christi  Blut  I 

Ein  Chor  der  Engel  und  Frommen  beschliesst : 

Freude  1 
Freuet  euch,  ihr  Himmels-Kinder 
über  einen  armen  Sünder, 
Der  von  Hertzen  Busse  thut! 


Freude  I 
Freuet  euch  u.  s.  w. 

Dies  Drama,  in  Acte  (Abhandlungen)  und  Auftritte  getheilt, 
sieht  ganz  so  aus,  als  wäre  es  wirklich  zur  Aufführung  auf  der 
Bühne  bestimmt  gewesen,  was  in  Hamburg  nicht  auffallen  kann, 
wo  ja  »Salomon«,  »Nebucadnezar«  und  »Jerusalems  Zerstörung« 
aufgeführt  worden  sind.  Entstanden  ist  es  zur  Zeit  der  Regie- 
rung Kaiser  Joseph's  I.  (4705  —  4711),  vielleicht  gegen  Ende  der- 
selben, denn  eine  Apostrophe  an  denselben  ist  so  geändert,  dass 
man  sieht,  zwischen  der  Abfassung  und  der  Veröffentlichung 
musste  der  Kaiser  gestorben  sein.  Bei  der  Erwähnung  des 
Joseph  von  Arimathia  heisst  es: 

0  tbeurer  Joseph  t  Deinen  Nahmen 
Hat  wohl  der  Himmel  ausersehn  I 
Es  wird  auch  einst  geschehn, 
Dass,  wo  ja  nicht  von  Deinem  Saamen, 


347     

Dennoch  ein  Held  nach  Deinem  Nahmen, 

Die  Welt  erfreun, 

Und  ja  wohl  kurtze  Zeit,  doch  König  wird  und  Kayser  sein. 

Der  Stil  ist  Doch  durchaus  der  geschwollene  Lohensteinische)  den 
Neukirch  später  ablegte,  und  aus  diesem  Grunde  könnte  man  ge- 
neigt sein,  die  Entstehung  näher  an  das  Jahr  4705  als  an  474  4  zu 
rücken. 

Noch  eine  andere  Entwicklung  der  Passionstexte,  die  eigent- 
lich die  richtige  Foiiführung  und  Anwendung  der  Neumeister- 
sehen  Cantaten  gewesen  wäre,  mag  hier  gestreift  werden,  obwohl 
sie  der  Zeit  nach  nicht  mehr  in  das  von  uns  zu  umspannende 
Gebiet  gehört,  ich  meine  die  völlige  Aufgabe  des  epischen  und 
auch  des  dramatischen  Oehaftes,  um  nur  und  allein  das  Lyrische 
zu  betonen,  also  die  äusserste  Consequenz  des  vielleicht  in  der 
Rudolstädter  Passion  eingeschlagenen  Weges.  So  wird  eigent- 
lich das  Ganze  ^ine  grosse  Cantate,  der  epische  Inhalt  schrumpft 
zusammen  zur  blossen  Motivierung  des  lyrischen.  Dies  ist  wohl 
zuerst  geschehen  durch  Joh.  Ulrich  König  4744  in  dem  Ora- 
torium »Thränen  unter  dem  Kreuze  Jesuc.  Auch  dies  entstand 
in  Hamburg  und  auch  hierzu  hatte  Keiser  die  Composition  ge- 
liefert.^) Hier  ist  Alles  vollkommen  lyrisch  gehalten.  Der  Fort- 
gang der  Handlung  wird  durch  einige  wenige  Notizen  angedeutet, 
wie:  »Jesus  wird  ans  Creutz  geschlagene;  tJesus  wird  am  Creutz 
erhöhet«;  »Um  die  dritte  Stunde«;  »Die  sechste  Stunde«;  »Die 
neunte  Stunde«;  sonst  nur  noch  an  vier  Stellen.  Hie  und  da  durch 
Hinweisung  in  dem  lyrischen  Erguss  einer  der  singenden  Per- 
sonen, wie  z.B.  der  Maria  Cleophas: 

Bin  Übelthäter  selbst  fängt  an 
Und  lästert  den,  so  nichts  gethan. 

Nur  an  drei  Stellen  findet  sich  noch  die  Handlung  in  Gesprächs- 
form vorgeführt.  Bas  ist  der  Fall  einmal  bei  der  Scene  mit  den 
beiden  Schachern : 


4)  Thronen  |  Unter  dem  Creutze  |  JESU,  |  In  einem  ORATORIO,  | 
Montags,  Dienstags  und  Mitt*  |  wochs  zur  Vesper -Zeit  |  In  der  stillen 
Woche  I  Musicalisch  aufgeführt.  |  M.DCC.XI. 
Es  erschien  in  dem  Buche:  »Theatralische,  geistliche,  vermischte  und 
Galante  Gedichte,  Allen  Kennern  und  Liebhabern  der  edlen  Poesie,  zur  Be- 
lustigung ans  Licht  gestellt  von  König.    Hamburg  u.  Leipzig,  bei  Joh. 
v.Wiering,  im  Jahr47U.  406  S.80.  Das genannteOratorium steht S. 307— SiS. 
Ich  benutzte  das  Exemplar  auf  der  Leipziger  Stadtbibliothek  aus  der 
Bibl.  d.  D.  Gesellsch.  376. 

4887.  24 


348     

Der  fromme  SchSdier. 
Cnseliger  Gefährte  meiner  Pe», 
Da  weist,  daft  wir  des  Todes  schuldig  seyo. 
Doch  der,  so  unter  uns  hier  wird  gezeblet, 
Hai  nichl  gefehlet 

(2tt  Jesu) 
Herr,  schliesse  mich  in  Dein  Gedfichtnift  eiu. 
Wo  Du  dereinst  in  Deinem  Reich  wirst  seyn. 

Jesus. 
Fürwahr,  Fürwahr,  ich  sage  Dir, 
Du  kömmst  heut  noch  ins  Paradieß  mit  mir. 

DaDD  die  Worte  Jesu : 

Lass  diese  Sflnde  nicht  auf  ihrem  Haupte  ruh*n, 
Sie  wissen  nicht,  Herr,  was  sie  thuu. 

Und  die  Anbefehlung  seiner  Mutter  au  Johanues : 

Jesus: 
Weib,  weine  nicht,  da  steht  Dein  Sohn. 

Maria  (Aria). 


Jesus. 
Mein  Freund,  sieh  Deine  Mutter  an ! 

S.  Joh. 
Ich  bin  ihr,  auf  Dein  Wort,  stets  zugethan. 

Hierzu  mag  man  auch  noch  die  letzten  Worte  Jesu  rechneD, 
die  in  freier  Wiedergabe  in  den  Text  aufgenommen  sind.  Alles 
Uebrige  ist  GefUhlserguss ,  in  jener  Mischung  von  Arie  und  Re- 
citativ,  die  den  Charakter  der  Gantate  ausmacht.  Auch  das 
Recitativ  ist  durchaus  lyrisch.  Die  TrUger  der  Empfindung  sind 
die  handelnden  Personen  selbst  (einmal  kommt  sogar  ein  Duett 
vor) ,  doch  sprechen  sie  meistens  die  Geftihle  der  Gemeinde  aus. 
Direct  kommt  diese  zum  Ausdruck  als  iChor  der  christlichen 
Kirche«,  und  ihre  Worte  unterscheiden  sich  als  »Choräle  in  ange- 
messener Weise  von  dem  Übrigen.    Solcher  Choräle  sind  sieben : 

4.  Ein  Lümmlein  geht  und  trägt  die  Schuld, 

5.  Wann  mein  Stündlein  vorhanden  ist, 

3.  0  grosse  Lieb,  0  Lieb  ohn  alle  Maasse ! 

4.  In  meines  Hertzens  Wunde, 

5.  So  fahr  ich  hin  zu  Jesu  Christ, 

6.  0  grosse  Noht!  Gott  selbst  liegt  tod ! 

7.  Jesu,  der  Du  wärest  todt. 

Man  sieht,  wie  das  Werk  an  Halbheit  leidet. 


349     

4.  Die  Reaction« 

Brockes  4712.   Christian  Reuter  bereits  4708. 

Jene  Verirrung,  die  die  Passion  zum  musikalischen  Drama, 
zur  Oper,  gemacht  hatte,  musste  eine  Reaction  hervorrufen  und 
bald,  denn  es  widerspricht  dem  Gefühl,  den  Gegenstand  reli- 
giöser Verehrung  zum  Objecte  des  blossen,  wenn  auch  noch  so 
edlen  Ergötzens  herabgezogen  und  ihn  in  eine  Reihe  mit  andern 
Darstellungen  der  Kunst  gestellt  zu  sehen. 

Risher  musste  man  annehmen,  dass  der  bekannte  Ham- 
burger Dichter  und  Rathsherr,  Licentiat  und  Comes  Palatinus, 
R.  H.  Rrockes  der  erste  gewesen  sei,  der  eine  Rückkehr  von 
dieser  Yerirrung  eingeleitet  habe.  Er  liess  im  Jahre  4748  in  sei- 
ner Wohnung  eivue  aus  den  vier  Evangelien  zusammengestellte 
Passion  aufführen ,  deren  Composition  natürlich  wieder  von 
Keiser  war,^)  deren  Text  er  selbst  gearbeitet  hatte.^ 

Hier  ist  zurückgekehrt  zu  der  alten  Form,  freilich  zugleich 
mit  Reibehaltung  der  einmal  Mode  gewordenen  freieren  Dich- 
tung. Die  Rolle  des  Evangelisten  ist  wieder  au^enommen,  aber 
ganz  frei  gestaltet.    Z»  B.  lautet  der  Anfang: 

Evang. :  Als  Jesus  nun  zu  Tische  sasse 

Und  er  das  Ost6r-*Lamm,  das  Bild  von  seinem  Tod, 

Mit  seinen  Jüngern  asse, 

Nahm  er  das  Brodt, 

Und  wie  Er  es»  dem  Hikshsten  dankend,  brach, 

Gab  Er  es  ihnen  hin,  und  sprach : 

Jesus :  Das  ist  mein  Leib.  Kommt,  nehmet,  esset, 
Damit  ihr  meiner  nicht  vergesset! 

Evang. :  Und  bald  hernach 

Nahm  er  den  Kelch,  und  dankte,  gab  ihn  ihnen 
Und  sprach : 

Jesus :  Dies  ist  mein  Leib  im  Neuen  Testament 

u.  s.  w. 

Die  Erzählung  wird  durch  dieses  freie  Verfahren  sehr  verkürzt. 


1)  Das  Gedicht  ist  bekanntlich  oft  componiert,  auch  von  Telemann, 
Händel  (474$),  MatUieson  (4748)  und  von  Sttilzel. 

a)  «4)er  für  die  Sünde  der  Welt  gemarterte  und  sterbende  Jesus,  aus 
den  4  Evangelisten  in  gebundener  Rede  vorgestellet,  und  in  der  stillen 
Woche  in  des  Herrn  Verfassers  Behausung  musicalisch  aufgeführet.  Im 
Jahr  ^742.«  Ich  benulzte  den  Druck,  der  dem  Bethlehemitischen  Kinder- 
m«rd  de88eU>en  Dlokters  (nach  Marino)  angehängt  ist. 

24» 


350    

Auch  die  redenden  Personen  und  die  Chdre  sind  ebenso  behan- 
delt. Als  Beispiel  diene  die  Scene  von  Petri  Verleugnung  des 
Herrn: 

E^ang. :  DieA  sähe  Petrus  ao,  der  drausseii  bey  dem  Feuer 
Sich  heimlich  hingesetzt    lodern  kam  eine  Magd, 
Die,  gleich  sobald  sie  ihn  erblickiei  sagt : 

Magd:  Ich  schwüre  hoch  und  theuer, 

Daß  dieser  auch  von  Jesus  Schaar. 

Petrus:  Wer?  ich? 
Nein,  wahrlich  nein,  du  irrest  dich. 

Evang» :  Nicht  lang  hernach  fing  noch  ein'  ander'  an : 

2.  Magd:  So  viel  ich  mich  erinnern  kann, 

Bist  du  mit  dem,  der  hier  gefangen, 

Viel  umgegangen. 

Drum  wund'r  ich  mich,  daß  du  dich  hieher  wagest. 

Petrus:  Welch  toll  Geschwätz?  ich  weiß  nicht,  was  du  sagest; 
Ich  kenne  wahrlich  seiner  nicht. 

Evang. :  Gleich  drauf  sag't  ihm  ein'  ander^  ins  Gesicht : 

3.  Magd  :  Du  bist  fürwahr  von  seinen  Leuten, 

Und  suchst  umsonst,  dich  weiß  zu  brennen. 
Im  Garten  war'st  du  Ihm  zur  Seiten, 
Auch  gibts  die  Sprache  zu  erkennen. 

Petrus:  Ich  will  versinken  and  vergeben : 
(Arioao)     Mich  stürz  des  Wetters  Blitz  und  Strahl, 
Wenn  ich,  auch  nur  ein  einzigsmehl, 
Hier  diesen  Menschen  sonst  gesehen. 

Evang. :  Drauf  krehele  der  Hahn. 
Sobald  der  beis're  Klang 
Durch  Petrus  Ohren  drang, 


Herübergenommen  istausHunold  die  »Tochter  Ziona,  welche 
die  gesammte  Handlung  mit  ihren  Arien  begleitet  und  die  ge- 
sangliche Hauptrolle  hat,  ferner  die  lyrische  Ausdebnung  der 
Rolle  des  Petrus.  Ausserdem  ist  ein  »Chor  der  glaubigen  Seelen« 
eingeführt,  dem  Anfang  und  £nde,  aber  auch  manche  Partie  in 
der  Mitte  aufällt  (mehrfach  auch:  »Eine  glaubige  Seele«).  Es  ist 
schwer,  den  eigentlichen  Unterschied  zwischen  den  Expectora- 
tionen  der  Tochter'Zion  und  der  gläubigen  Seele  zu  definieren. 
Ausserdem  aber  hat  Brockes  von  König  den  »Choral  der  Christ- 
liehen  Kirche«  angenommen,  wie  sich  denn  der  vornehme  Mäcen 
auch  wohl  noch  sonst  hie  und  da  Anleihen  bei  den  von  ihm  pro- 


351 

legierten  und  bewirtheten  Dichtern  gestattete.  Dieser  Chor,  der 
direct  die  Gemeinde  darstellt  und  nur  bekannte  Kirchenlieder 
singt,  kommt  auffallenderweise  nicht,,  wie  es  doch  bei  König 
der  Fall  ist,  im  Beginne  vor,  der  hier  dem  »Chor  der  gläubigen 
Seelen«  zugewiesen  ist,  währender  doch,  hinter  dem  Ghord. 
gl.  S.,  denBeschluss  macht.  Ist  etwa  hiebei  die  Überlegung  mass- 
gebend gewesen,  dass  die  christliche  Gemeinde  erst  in  Stim- 
mung versetzt  werden  müsse,  ehe  sie  solche  äussern  könne?  Im 
Verlaufe  der  Handlung  kommt  dann  dieser  Chor  mehrfach  vor,  zu- 
eilst bei  Petri  Reue : 

Ach  GoU  und  Herr,  Vs.  1  u.  2. 

bei  Christi  Kreuzigung: 

0  Traurigkeit,  o  Hertzeleid,  Vs.  3. 
bei  Christi  Tode : 

Wann  mein  Stündlein  vorhanden  ist,  Vs.  8. 

und  als  Schlüssle horal: 

Amen,  mein  lieber  etc.,  Vs.  2. 

Ziemlich  genau  dem  Charakter  der  Brockes  sehen  Behand-* 
luog  entspricht  die  Passion  von  Henrici  (Picander)  v.  J.  4725, 
die  Ph.  Spitta  im  Anhange  zu  Job,  S.  Bach,  Bd.  11,  S.  873  heraus- 
gegeben hat.  Auch  hier  ist  der  Text  frei  und  verkürzt  behan- 
delt, ja  noch  kürzer  als  bei  Brockes. 

Diese  Rückkehr  zur  alten  Form  war  ja  zw^r  nur  eine  halbe, 
denn  das  christliche  Gemüth  verlangt  mehr  Ehrerbietung  vor 
der  lapidaren  Einfachheit  und  Grösse  des  Evangelientexte«,  als 
diese  freie,  tändelnde  Bearbeitung  bewies,  aber  immerhin  war 
man  doch  bisher  berechtigt,  den  wackern  Brockes  für  den  Ersten 
zu  halten,  der  sich  dem  Missbrauch,  der  einzureisaen  drohte, 
entgegensetzte.  Nunmehr  aber  wissen  wir,  dass  e3  bereits  vor 
ihm  ein  Anderer  getban  hatte,  wenn  freilich  auch  er  noch  nicht 
in  vollkommener  Weise,  aber  doch  bereits  durdigreifender  als 
Brockes,  eben  unser  Christian  Beuter. 

Dass  Chr.  Reuter  im  Gegensatze  zu  der  Hamburger  Tändelei 
gedichtet  hat,  ergiebt  sich  daraus,  dass  er  Hunold's  Arbeit  offen-« 
bar  kannte.  Der  Ausdruck  auf  dem  Titel  »Paßions-Gedankena^ 
der  dort  nur  wenig  Berechtigung  hat,  scheint  mir  von  Hunokl 
übernommen,  der  seine  Vorrede  mit  den  Worten  schliesst:  nim 
Uebrigen  weiß  man  dem  geehrten  Leser  und  sieh  selber  nichts 


352     

schöDeres,  als  rechtschaffene  PaBions^Gedanken  zu  wanscheD«, 
und  der  seinen  Text  »meine  Geistlichen  Betrachtungen«  nennt . 
Entscheidender  aber  ist,  dass  offenbar  an  einer  Steile  Chr.  Reuter 
dem  Hunold  ein  paar  Worte  nachgeschrieben  hat.  Wenn  dieser 
Christus  zu  Petrus  sagen  lasst: 

Ja,  ehe  noch  der  Hahn  wird  krtthen, 

Werd'  ich  mich  schon  von  dir  dreymal  veriängnet  sehen, 

und  es  bei  Chr.  Reuter  heisst: 

In  dieser  Nacht,  eh'  dafi  der  Hahn  wird  kreben. 

So  werd'  ich  mich  von  dir  dreymal  verleugnet  sehen, 

so  kann  das  doch  nur  durch  Entlehnung  erklärt  werden. 

Natürlich  wird  Reuter  Alles  mit  Johann  Theile  ül>erlegt 
haben  und  dessen  Wunsch  und  Rath  wird  gewiss  für  ihn 
massgebend  gewesen  sein.  Wir  haben  Theile  bereits  einmal  als 
Componisten  einer  Matthäuspassion  kennen  gelernt  —  4673, 
es  war  jetzt  über  dreissig  Jahre  her  — ,  als  er  noch  Capell- 
meister  des  Herzogs  von  Holstein-Gottorp  war.  Seitdem  war 
es  ihm  übel  ergangen.  Sein  Herzog  war  bald  darauf  durch  den 
Krieg  vertrieben  worden,  und  Theile  hatte  mit  nach  Hamburg 
flüchten  müssen ,  wo  er  sich  an  dem  dortigen  Musikleben  be- 
theiligte, schwerlich  aber  in  der  Richtung,  die  dort  immer  mehr 
um  sich  griff.  Im  Jahr  4678  ward  dort  eine  Oper  von  ihm 
»Adam  und  Eva«,  und  1684  ein  Oratorium  »Dfe  Geburt  Christi« 
aufgeführt.  Aber  nicht  lange  nachher  verliess  er  Hamburg 
und  folgte  einem  Rufe  nach  WolfenbOttel;  wo  4685  Rosenmttller 
gestorben  war.  Doch  auch  hier  war  seines  Bleibens  nicht  lange. 
Zwar  ernannte  ihn  der  Herzog  Christian  II.  von  Merseburg 
(4694 — 4695)  zu  seinem  Capellmeister,  aber  bei  dessen  Tode 
war  es  auch  mit  dieser  Anstellung  wieder  vorbei.  Theile  knüpfte 
dann  mit  dem  Wiener  Hofe  Verbindungen  an,  ohne  doch  wohl 
selbst  da  gewesen  zu  sein,  die  zu  recht  ansehnlichen  Geschenken, 
aber  nicht  zu  einer  Anstellung  führten.  Im  Jahr  4704  begab 
auch  er  sich  nach  Berlin,  wohin  der  Ruf  des  prachtliebenden 
und  freigebigen  Königs  und  dessen,  der  Kunst  und  Musik  mit 
Verständniss  zugethaner  Gemahlin  so  viele  Talente  lockte.  Die 
Königin  soll  ihm  auch  eine  Capellmeisterstelle  zugesagt  haben, 
aber  Anfang  4705  starb  sie  und  mit  seinen  Hoffnungen  war  es 
wieder  nichts.  Wie  lange  er  noch  in  Berlin  blieb,  wissen  wir 
nicht.    Später  lebte  er  »als  Capellmeister«,  weldier  Titel  fbm 


853     

natürlich  verblieb,  wieder  in  Merseburg,  —  ob  in  Allste) l'ong, 
weiss  ich  nicht  — ;  schliesslieh  soll  er  4724  in  seinem  79.  Jdhre 
bei  einem  Sohne  in  Naumburg  gestorben  sein.  Reuter  und 
Theiie  konnten  sich  schon  von  Merseburg  her  kennen,  wohin  sich^ 
wie  wir  wissen,  Reuter  von  Leipeig  aus  (>fter  begab.  Sie  wären 
dann  bereits  alte  Rekannte  gewesen,  als  sie  sich  nach  dem  Jahre 
4704  in  Rerlin  wieder  trafen,  sie  beide  in  gleicher  bedrängter 
Lage,  von  gleichen  Wünschen  und  Hoffnungen  in  der  Schwebe 
gehalten,  und  durch  den  Tod  der  Königin  beide  gleich  nieder* 
geschlagen.  Jetst  verbanden  sie  sich  zu  gemeinsamer  Uerstel* 
lung  einer  Passionsmusik,  einer  Matthäuspassion.  Theiie  wird 
seine  alte  einfache,  würdige  Auffassung  der  Passionsmusik  nicht 
aufgegeben  haben,  und  auch  Reuter's  Auffassung  mochte  in  den 
alten  Eindrücken  wureeln,  die  er  in  Merseburg  und  Leipzig 
empfangen  hatte.  Wir  werden  sehen,  dass  wir  das  Leipziger 
Gesangbuch  als  Aushülfe  bei  seiner  Passionsarbeit  annehmen 
dürfen. 

Leider  besitzen  wir  nur  den  Text,  und  alle  Remühungen 
sind  vergebens  gewesen,  der  Composition  habhaft  zu  werden. 
Wir  Bind  also  aliein  auf  Reuter^s  Arbeit  angewiesen. 

Was  diese  hauptsächlich  von  den  alten  Passionstexten  unter- 
scheidet und  worin  auch  Reuter  dem  Zuge  der  Zeit  nachgab, 
war,  dass  Alles  in  Verse,  und  meist  in  Reime  gebracht  ist,  aber 
doch  in  einer  den  Originaltext  möglichst  wenig  schädigenden 
Weise. 

Voran  steht  die  Versifioierung  des  alten  hergebrachten  Ein- 
ganges, der  in  Leipzig  und  Merseburg  lautete :  «Höret  das  Lei- 
den u.  8.  w.a  Die  Umreimung  lautet  einfach  in  Reuter's  pbra- 
senloser  Redeweise : 

Höret  an,  ihr  frommen  Christen, 
Was  die  vier  Evangelisten 

Von  des  Herren  Jesa  Noth 

Und  von  seinem  biitern  Todt 
AufTgezeichnet  und  geschrieben, 
Das  der  Welt  zum  Trost  geblieben. 

In  Leipzig  und  Merseburg  wurden  die  Titelworie  vom  Evange- 
listen gesungen.  Theiie  blieb  hier  bei  dem,  wie  er  es  früher 
gehalten  hatte  und  wie  die  meisten  Gompositionen  es  hielten.,  er 
theilte  die  Worte  dem  Chor  zu. 

Der  Sdhiussgesang  fällt  der  ^Christlichen  Gemeinet  zu,  es 


354     

ist  aber  nicht  der  alte  hergebrachte,  sonderD  derselbe,  mit  dem 
Heinrich  Schütz  seine  Johannes-Passion  schloss : 

0  hilff,  Christe,  Gottes  Sohn  etc. 

Die  Strophe  steht  bei  Vopelius  S.  454 .  Sollte  Reuter  von  dieser 
Passion  in  Leipzig  oder  Dresden  Kenntniss  erlangt  haben?  oder 
Theile?    Möglich  ist  es  immerhin. 

Von  jenen  beiden  Gesängen  eingerahmt  steht  nun  der 
versifioierte  Text  des  Matthäus.  Reuter  folgt  demselben  Wort 
fttr  Wort,  nur  26,43  fehlt,  desgl.  26,24;  26,29;  26,34  zweite 
Hälfte  und  32;  26,50  zweite  Hälfte;  26,56  Schluss;  26,64  Schluss; 
27,8-40;  27,48;  27,35  zweite  Hälfte;  27,43;  27,53  Schluss; 
27,57  Schluss;  27,64;  27,64  in  der  Mitte.  Bei  den  meisten 
liegt  der  Grund  auf  der  Hand  und  beruht  auf  einer  verständigen 
Ueberlegung.  So  fehlen  alle  Hinweisungen  auf  alttestament- 
liehe  Weissagungen ,  auch  manche  schwierige  Andeutungen  in 
Jesu  Reden.  Wenn  27,64  die  Besorgniss  der  Juden  nicht  er- 
wähnt ist,  die  Jünger  möchten  den  Leib  des  Herrn  stehlen,  so 
war  es  gewiss  Zartgefühl  seitens  des  vielleicht  etwas  rationa- 
listisch angehauchten  Verfassers,  der  diese  nicht  unbedenkliche 
Hypothese  gar  nicht  zum  Ausdruck  kommen  Hess.  Auch  Er- 
wähnungen, die  ohne  weitere  Bedeutung  und  Folge  sind,  fehlen, 
so  z.  B.  27,64,  dass  die  beiden  Marien  sich  dem  Grabe  gegen- 
über gesetzt  hätten.  Auch  auf  Ueberlegung  beruht  es  wohl,  dass 
27,48  die  Angabe  fortgelassen  ist,  Pilatus  habe  es  gewusst,  dass 
Christus  nur  aus  Neid  überantwortet  sei.  Dies  nützt  für  den 
Verlauf  der  Handlung  Nichts,  lässt  aber  die  schliessliche  Aus- 
lieferung durch  Pilatus  unbegreiflich  erscheinen.  Auch  dass 
26,67  und  68  ausgelassen  ist,  wo  von  der  rohen  Behandlung 
und  Verhöhnung  Jesu  die  Rede  ist,  erklärt  sich  yvohlj  da  ja  27,30 
dieselbe  Scene  sich  wiederholt,  und  hier  an  der  richtigen  Stelle, 
denn  es  ist  wenig  erklärlich ,  wie  der  noch  nicht  Verurtheiite 
bereits  der  Willkür  der  Umstehenden  sollte  überlassen  gewesen 
sein.  Es  war  gewiss  im  Interesse  der  Gomposition  besser,  jene 
Scene  nur  einmal ,  und  erst  nach  Christi  Verurtheilung  spielen 
zu  lassen.  Auch  kann  man  es  begreifen,  wenn  27,57  die  Be- 
merkung unbenutzt  gelassen  ist,  dass  Joseph  von  Arimathia  ein 
.Jünger  des  Herrn  gewesen  sei;  das  konnte  vielleicht  die  Vorstel- 
lung verwirren.  Auffallend  dagegen  muss  man  es  finden,  dass 
26,  56  die  Angabe  fehlt,  dass  alle  Jünger  von  Jesu  geflohen 
seien,  da  dies  doch  die  traurige  Vereinsamung  des  Heilandes  in 


355     

den  folgenden  Scßneo  so  einfach  wie  ergreifend  andeutet.  •--- 
Ferner  fehlen  häufig  die  Worte  des  Evangelisten ,  die  nur  die 
Rede  eines  der  Interloquenten  einfuhren:  hier  tritt  einfach  der 
Redende  ohne  Weiteres  ein,  so:  26,  10.  23.  25  (hier  fehlt:  Er 
sprach  zu  ihm).  33.  34.  35.  62.  64.  72;  27,5.  22.23  (zweimal). 
Namentlich  geschieht  dies,  wo  Reden  und  Widerreden  auf  ein- 
ander folgen.  Da  die  verschiedenen  Personen  durch  die  verschiede- 
nen Sftngerausreichend  angedeutet  waren,  somachtdermonotone 
Zwischengesang  des  Evangelisten :  )Nlesus  aber  spracht  u.  3.  nur 
einen  si^^renden  und  das  Interesse  hemmenden  Eindruck,  und  der 
Dichter,  da  er  ja  den  Text  des  Evangeliums  doch  einmal  nicht 
wörtlich  beibehielt,  handelte  nur  im  Interesse  der  Sache,  wenn  er 
auch  hier  frei  verfuhr ;  namentlich  z.  B.  das  wilde  Losbrechen  des 
Chores  musste  einen  viel  bedeutenderen  Eindruck  machen,  wenn 
es  ohne  eine  derartige  Einführung  erfolgte. 

Der  Titel  nennt  sich  i^nach  denen  Text-Worten  der  Heiligen 
vier  Evangelisten  in  Reime  verfasset«.  Das  ist  zu  viel  gesagt. 
Der  Text  ist  in  allem  Wesentlichen  einfach  der  des  Matthäus. 
Nur  die  Scene  mit  den  beiden  Schachern  ist  mit  Recht  zu 
bedeutend  erschienen  um  sie  entbehren  zu  können ;  so  ist  denn 
Lucas  23,  39—43  an  die  Stelle  von  Matth.  27, 44  getreten,  oder, 
richtiger,  mit  diesem  Verse  verquickt  worden.  Ferner  ist  Matth. 
26,  47  ergänzt  aus  Luc.  22,  8,  und  zur  Ausführung  von  Martth. 
26,48  ist  Marcus  4  4,4  3  undLucas22,40  benutzt  worden.  Ebenso 
ist  zu  Matth.  26,54  der  Name  des  Simon  Petrus  aus  Johannes 
48,40  entnommen.  Auch  bei  Matth.  27,46  ist  zur  Charakteri- 
stik des  Barrabas  Marcus  45,7  herbeigezogen,  auch  hat  vielleicht 
noch  bei  einer  oder  der  anderen  Stelle  ein  Ausdruck  aus  einem 
d^"  anderen  Evangelien  vorgeschwebt,  im  Ganzen  aber  haben 
wir  einfach  eine  Matthttus-Passion  vor  uns. 

Das  also  w*ar  die  Grundlage  des  Textes.  Wenden  wir  uns 
nun  zu  seiner  Bearbeitung. 

Der  Evangelientext  ist  also  in  Reime  gebracht,  und  ich  will 
nicht  in  Abrede  stellen,  dass  der  Reim  hie  und  da  etwas  Ge- 
zwungenes bekommen  hat  und  der  Dichter  mit  einem  Flickwort 
operiert^  z.  B.  bei  26, 4  8  nach  Lucas  undMarcus:  »folget  ihm  nach, 
und  wo  er  eingehet,  da  sprechet  zu  dem  Hauswirthe«,  wofür  es 
hier  heisst : 

Dem  folget  nach  biß  in  das  Haus, 
Wo  er  gegansen  ein  und  aus. 


^ 356     

oder  weDB  es  bei  26,34  für  die  einfachen  Worte:  »Da  sprach 
Jesus  eil  ihnen«  heisst : 

So  thtft  er  sonder  Fragen 

Za  seinen  Jüngern  dieses  sagen, 

oder  zu  Matth.  27,48: 

[Der]  Nahm  eiDsn  Sohwamm  ood  füllte  ihn  mit  Eftsig, 
Den  steckt  er  auf  ein  Rohr,  und  wollte  unablässig 
Mit  einem  Labsaal  Jesum  noch  bedienen. 

Aber  solche  Stelien  kommen  in  der  Thai  ungemein  seilen 
vor.  Nur  müssen  wir  auf  unserer  Hut  sein ,  für  ein  Flickwort 
zu  halten,  was  nur  uns  als  ein  solches  erscheint,  weil  die  Bedeu- 
tung früher  eine  andere  war  als  jetzt,  z.  B.  Mattb.  S6, 55: 

Und  zu  derselben  Stunde 

Sprach  Jesus  mit  behertztem  Monde, 

oder  27,6 : 

Die  Hohenpriester  sprachen  mit  behertztem  Sinn, 

denn  das  Wort  »beherzt«  hatte  früher  eine  weitere  Verwendung 
als  gegenwärtig.  Vgl.  Grimm,  Deutsches  W.-B.  I,  4340.  Man 
muss,  wenn  man  sich  über  die  ausserordentliche  Schwierigkeit 
der  Aufgabe  einigermassen  klar  geworden  ist,  zugestehen,  dass 
Beuter  derselben  in  vorzüglichem  Grade  sieh  gewachsen  gezeigt 
hat.  Ebenso  ist  die  öftere  Anwendung  des  Pronomens  »derselbe«, 
oderselbige«  nicht  zu  beanstanden ,  das  uns  heute  fremder  ge* 
worden  ist.  Auch  muss  man,  was  das  Metrum  betrifft,  beachten, 
dass  der  Druck  nicht  ganz  oorrect  ist,  z.  B.  in  dem  Verse  »So 
theilten  die  Spötter  und  die  Neider«  ist  zu  schreiben:  Hheileten«, 
eine  Form,  die  damals  völlig  ohne  Anstoss  war.  Ebenso  ist  der 
kurze  Vers  »Den  sie  verlangten«  zu  yndern  in  weriangeten« 
(:  Gefangenen).  Sollte  Beuter's  Passion  einmal  herausgegeben 
werden ,  so  müsste  der  Herausgeber  auf  die  Herstellung  der 
Verse  ein  Augenmerk  haben,  wie  ebenso  auf  die  richtige  gram- 
matische Form  (z.  B.  'ihm'  als  Druckfehler  für  'Ihn'  u.s.  w.). 
Dabei  ist  aber  zu  achten  auf  den  Wechsel  des  Bhythmus,  wovon 
unten  noch  mehr. 

In  vorzüglicher  Weise  hat  der  Verfasser  das  Becitativ  und 
die  gewöhnlichen  Beden  der  Sprechenden  in  einem  ganz  freien 
iambischen  Bhythmus  gedichtet,  in  Zeilen  von  verschiedener 
Länge,  und  die  Beime  bald  einfach  neben  einander,  bald  ver- 


857     

schränkt,  bald  id  einem  Verse  gant  fehlend.  So  bekommt  die 
Rede  etwas  ungemein  Leichtes  und  Natürliches^  sich  ganz  der 
Darslellung  Anschmiegendes.  Sie  ahneU  in  den  frei  gemessenen 
Versen  deniRecitativ  in  Reuter's  Oper^),  aber  sie  ist  ernster  und 
gravitätischer  durch  die  meist  viel  grossere  Länge  der  Verse. 
Besonders  zu  beachten  innerhalb  des  Recitatfvs  sind  noch  die 
halben  Reime,  die  nur  auf  die  letzte  Silbe  mit  e  fallen.  Es  sind 
die  folgenden :  zusammen  :  Aelteat^n  (vgl .  Jobänn^m :  Jerusalem) ; 
Bethanien :  Aussätzigen ;  Aeltesten  :  selbigen ;  dens^lb^n :  creü- 
tzig^n  ;  demselbigen  :  creutziglen ;  Scbädelstätt :  gecreutziget; 
gecreutzigten:  denselbigen ;  Schriftgelehrtön:  A^Itest^n ;  Priester: 
Pharise^r.  Sie  grenzen  nahe  an  Reimlosigkeit  und  tragen  mit 
dazu  bei,  die  Rede  der  Prosa  zu  nähern. 

Ich  stelle  ein  paar  Beispiele  her,  ohne  irgend  wie  auszu- 
wählen: die  tUebtige  Haltung  im  Ganzen  und  die  kleinen  Schwä- 
chen im  Einzelnen,  wie  künstlich  erzielte  Reime  und  Fl  ick  werte, 
halten  sich  durchweg  in  gleicher  Weise  die  Wage.   Anfang: 

EvnDgelist: 
Da  Jesus  nun  auf  Erdeo 
Sein  Tbun  in  allem  wohl  vollbracht 
Und  was  durch  ihn  vollendet  sotllte  werden. 
Sprach  Er  zu  seinen  Jüngern  mit  Bedacht: 

Jesus: 
Euch  wird,  wohl  wissend  seyn. 
Wie  daß  nach  zweyen  Tagen 
Das  Osler-Fest  fällt  ein, 
Und  daß  des  Menschen  Sohn 
Man  fälschlich  wird  verklagen ; 
Verfolgung,  Spott  und  allen  Hohn, 
Ja,  gar  den  Tod  wird  Jesus  leyden  müssen; 
Das  laß  ich  euch  zuletzt,  ihr  meine  Jünger,  wissen. 


\)  Der  eigentliche  Terminus  teefanicus  für  diese  aus  Italien  herüber- 
gekommene Form  des  Reciftativ  war  MMadrigal«.  Die  Vörtheile  dieser 
Form  empfahl  bereits  4  6B8  Caspar  Ziegier  in  seinem  Buche  r  »Von  den  Ma- 
drigalen, einer  schönen  und  zur  Musik  bequemsten  Art  Verse,  wie  sie  nach 
der  Italiäner  Manier  in  unserer  deutsohen  Sprache  auszuarbeiten.  Leipzig, 
1653.«  Er  führt  alle  Freiheiten  dieser  Form  auf,  in  denen  ihr  Wesen  beruhe : 
»weil  ein  Madrigal  so  gar  keinen  Zwang  leiden  kann,  daß  es  auch  zu  mehr- 
malen einer  schlichten  Rede  ähnlicher  als  einem  Pot^mati  sein  will«.  Vgl. 
Ph.  Spitta,  J.  S.  Bach  I,  466fg.  Eigentlfch  hatte  dasselbe  schon  4645  Phil. 
Harsdörfer  angerathen  in  der  Nachrede  zu  Job.  Klaj  Trauerspiel  »Der  Lei- 
dende Christus«.  Ganz  diesevi  Charakter,  und  In  vortrefflicher  Ausführung, 
trägt  Reuter's  Recitativ. 


358     

Evang. 
Da  scblugeo  sieb  zusammen 
Die  Hohenpriester  und  die  Aeltesten 
Des  Volcks,  and  hielten  Ba»h, 
Wie  daß  sie  Jesu  eiaer  Uebelthal 
liit  List  bezeugen  möchten 
Und  Ihn  dadurch  zum  Tode  brfichten : 
Weil  aber  Ostern  nahe  war, 
So  fürchteten  dieselben  auch  Gefahr. 
Dmmb  wolten  sie  dabey 
Auch  sehr  behutsam  gehen, 

Damit  im.  Volke  nicht  ein  Aufruhr  möcht  entstehen. 
Sie  sprachen  unter  sich  mit  folgendem  Geschrey : 


Jesus. 

Geht  nach  der  Stadt  und  stfumt  euch  nicht. 

Alda  wird  euch  ein  Mensch  entgegen  kommen. 

Der  einen  Wasser-Krug  lu  sich  genoromeo; 

Dem  folget  nach  biß  in  das  Hauß» 

Wo  er  gegangen  ein  und  aus. 

Daselbst  so  könnet  ihr  nur  nach  dem  Wirthe  fragen, 

Und  sprecht  zu  ihm  :  »Der  Meister  liißt  Dir  sagen, 

Daß  seine  Zeit  vorhanden  sey ; 

Er  will  bey  Dir  die  Ostern  halten.« 

So  wird  er  alsofort 
I  Euch  weisen  an  denselben  Ort, 

I  Woselbst  ihr  euer  Thun  nach  Wunsche  könnt  verwalten. 

Nach  Christi  Tode  wird  die  Aufregung  der  Natur  wie  folgt  ge- 
i  schildert : 


I 


Evang. 

Und  siehe,  durch  das  göttliche  Geschicke 

Zureiß  des  Tempels  Vorbang  in  zwey  Stücke 

Von  ober  an  bis  unten  aus, 

Der  Erd-Kreiß  der  erbebete. 

Und  was  darauf  nur  lebete 

Kam  an  ein  Zittern  (Nom.),  Furcht  und  Graoß. 

Die  Felsen  die  zerrissen, 

Die  Graber  thttten  sich  auch  auff. 

Viel  Leiber,  welche  Ittngst  vollendet  ihren  LaufT, 

Die  stunden  auff,  sobald  der  Heyland  anfferstanden. 

Und  gingen  jeglicher  aus  seiner  Grabes-Thür 

Auch  wiederumb  herfür. 

Der  Hauptmann  und  die  bey  Ihm  waren 

Und  Jesum  halffen  da  bewahren, 

Als  sie  die  grossen  Wunder  sahen. 

Die  nach  dem  Tode  Jesu  da  geschahen, 

Erschraken  sehr  und  sprachen  unter  sich : 


959     

Der  Söhloss  Iftotet,  nachdem  die  Juden  den  Pilatus  um  die  Haler 
gebeten  haben : 

Bvang. 
Pilatus  sprach  zu  ihnen  : 

Pilatus: 
Ich  will  euch  auch  hierinnen  dienen : 
Da  habet  ihr  die  Hüter. 
Geht  hin,  ihr  sorgenden  GemUther, 
Verwahrt  das  Grab  biß  an  den  dritten  Tag, 
Damit  sich  kein  Betrug  dabey  ereignen  mag. 

Evangelist: 

Sie  gingen  hierauf  nach  des  Grabes  Thür, 

Und  stelleten  allda  die  Hüter  für; 

Zum  Ueberfluß,  daß  nichts  zu  fürchten  solte  seyn, 

Versiegelten  sie  auch  dep  fürgeweltzten  Stein. 

In  dies  iarobische  Recitativ  fügen  sich  nun  die  Reden  mit 
s^ehobenerem  Ausdruck  ein.  Hier  wird  besonders  oft  mit  gutem 
Effect  der  trochaische  Rhythmus  verwandt.    So  rufen  die  Juden : 

Ja  nicht,  ja  nicht  auf  das  Fest  t 

die  Jtlnger: 

H6rr,  bin  ichs  ?  so  sag  es  frey , 
ob  ich  dein  Verräther  sey? 

Jesus,  bei  der  Einsetzung  des  Abendmahls: 

N6hm(,  das  ist  mein  Leib,  und  esset, 
Daß  ihr  meiner  nicht  vergesset. 

Judas  m  den  Krfegsknechten : 

M^rkt  esl  den  ich  werde  küssen, 
D^n  greifft  alle  tapfTer  an. 

Die  zwei  falschen  Zeugen: 


Pilatus : 
und  wieder: 


was  wir  vor  Gerichte  sprechen, 
Das  hat  dieser  Mensch  gesagt. 

Bist  Du  denn  der  Juden  König? 

welchen  unter  diesen  zweyen 
Wolt  ihr  daB  ich  sol  befreyen? 


und  so  öfter.     Resonders  ergreifend  wirken  die  trochHisoben 


860     

T«Uratnd(er.  in  der  Scene,  wh»  PeUus  ala  AohStoger  Jeau  denun* 

eiert  wird.    Man  fUblt,  mit  welchem  Gewicht  sie  auf  ihn  herab- 
drttcken : 

Magd: 
Und  du  wärest  auch  mit  Jesu,     der  von  Nazareth  sich  nennet. 


Die  andere  Magd. 
Dieser  Mensch  war  auch  mit  ieso,    öer  von  Nftzareih  »ich  nennet. 

Chorus  [der  Umstehenden) : 

Wärlich,  du  bist  auch  ein  Freund    von  dem  grofien  UebelthMter; 
Du  magst  läugnen«  wie  da  will,    deine  Sprach  ist  dein  Verrtfther. 

Aber  auch  Daktylen  kommen  vor.  Als  Christus  verurtheilt  ist 
und  die  Krieg^knechte  ihn  verhöhnen,  ruft  der  Chorus  derseU)en 
—  und  man  hört  im  Rhythmus  den  spöttischen  Ton  — ; 

Dtt  König  der  Juden,  aeyi  von  uns  g^grüssei! 

Bedeutungsvoller  hoch  sind  die  strophischen  Elemente  des 
Textes,  die  einen  nicht  geringen  Theil  desselben  ausmachen. 
Sie  gehören ,  von  den  beiden  noch  zu  erwähnenden  Strophen 
der  Christlichen  Gemeinde  abgesehen,  sämmtlich  in  die  Hand- 
lung, haben  also  Arien- Charakter;  doch  ist  zu  beachten,  dass 
der  Name  'Arie',  den  doch  Theile  1673  ganz  unbefangen  ge- 
braucht hatte,  nie  verwandt  wird.  Wir  haben  es  eben  mit 
einem  Trutz-Hamburg  au  Ihiln. 

Die  Strophen  sind  entweder  frei  erfundene  oder  aus  dem 
Gesangbuch  entnommene.  Beide  Arten  gehöreüO  bald  ei^^r  ein- 
zelnen Person,  bald  einem  Chor  an.  Auch  hier  wechselt  iambi- 
scher  und  trochäischer  Rhythmus ;  der  letzlere  wird  mit  Vorliebe 
verwendet,  besonders  wo  eine  trotzige  oder  unwillige  Stim- 
mung zum  Ausdruck  gebracht  wird.  Gleich  Im  Anfange  singt 
Christus  (vgl.  über  diese  Strophe  den  Nachtrag): 

Vergiessen  wird  man  mir  mein  Btot, 

Dazu  mein  Leben  rauben, 
Das  leid'  ich  alles  dir  zu  gut : 

Das  halt  mit  festem  Glauben. 
Den  Tod  verschlingt  das  Leben  mein, 
Mein  Unschuld  trttgt  die  Sttnde  deiik : 

Da  btot  du  seelig  ^^ordea. 

Und  der  Chor  der  Jttager  unwillig  in  Troohüen: 


361     

W6rzu  dienet  dag  Verprassen? 
Hätte  man  verkauffen  lassen 

Dieses  Wasser,  und  das  Geld 
Dafür  Leuten  hingegeben» 
Die  in  grosser  Armuth  leben 

Auf  der  schnöden  Jammer- Welt! 

Und  Judas  herausfordernd  und  brutal : 

SAgt,  was  wollet  ihr  mir  geben? 

So  will  ich  von  Hertzen  gern 

Euch  verrathen  meinen  Herrn, 
Und  mit  Fleiße  dahin  streben. 

Wie  man  ihn  in  einer  Schlinge 

Bald  für  Euch  gefangen  bringe. 

Auch  Jesus  zürnend^  aber  zugleich  tief  ergreifend: 

KOnnt  ihr  denn  nicht  eine  Stunde 

Mit  mir  wachen?  wachet  dochl 
Ruft  zu  Gott  mit  Hertz  und  Munde, 

Damit  kein  beschwertes  Joch 
Eure  Httupter  Überfalle. 
Wachet,  betet  mit  mir  alle ! 

Und  Caiphas,  uninuthig  über  Jesu  Schweigen: 

Ich  beschwere  dich  bey  Gott, 
I>aß  du  uns  die  Wahrheit  ^gest. 
Daß  du  über  uns  nicht  klagest, 

Wenn  dich  treffen  soll  die  Noth. 
Bist  du  Gottes  Sohn,  so  sage 
Mir  Bescheid  auf  meine  Frage  I 

Auch  der  Chor  der  das  Kreuz  Umstehenden: 

Ändern  hat  er  helfen  können. 

Und  sich  selber  hiiflt  er  nicht. 
Ist  ein  König  er  zu  nennen, 

Der  den  Tempel  Gottes  bricht, 
So  kann  er  vom  Creutze  steigen 
Und  letzt  seine  Macht  bezeugen. 

Von  besonderer  Wirkung  in  seiner  Kurze  und  mit  seinen 
halben  Reimen  ist  der  wiederholte  Ruf  des  Chores : 

LAß  dens^lbto 
Cr^utzigön  I 

und  gewiss  wird  der  Componist  es  verstanden  haben,  ihn  durch 
die  Musik  doppelt  wirksam  zu  machen. 

Die  Liederstrophen,  die  sich  sAmmtlich  in  Vopelius  Letp- 


362     

ziger  Gesangbuch  finden,  und  die,  wie  ich  daher  glauben  möchte, 
Reuter  aus  diesem  entlehnt  hat,  sind; 

4 .  bei  Petri  Reue  (im  Leipziger  Gesangbuch  S.  655) : 

Ach  Herr,  mich  armen  Sünder 
Straf  nicht  in  deinem  Zorn 


2.  bei  der  Rekehrung  desSebSchers  (im  Leipziger  Gesang- 
buch S.  918): 

Freu  dich  sehrt  0  meine  Seele, 
Und  vergiß  all  Noth  und  Qual, 

Sie  werden,  trotzdem  es  Kirchenlieder  sind,  ausdrücklich  dem 
Petrus  und  dem  Schacher  in  den  Mund  gelegt,  und  wir  dürfen 
uns  dabei  wohl  erinnern,  dass  Theile  der  erste  war,  der,  und 
zwar  gerade  bei  der  Reue  des  Petrus,  das  lyrische  Element  in 
die  Handlung  selbst  hineintrug. 

Zu  diesen  treten  dann  noch  drei  Kirehenliederstrophen,  die 
der  »Christlichen  Gemeine«  zugewiesen  werden.  Den  Schluss- 
chor habe  ich  schon  erwähnt  (0  hilff,  Christa;  Gottes  Sohn) ;  die 
andern  beiden  werden  angestimmt: 

4 .  bei  Jesu  Tode  (im  Leipziger  Gesangbuch  S.  i  57) : 

0  grosse  Noth,  Gott  selbst  liegt  todt, 
Am  Creutz  ist  er  gestorben 

2.  bei  Jesu  Regräbniss  (Leipziger  Gesangbuch  S,  156): 

0  Traurigkeit  I  0  Hertieleyd ! 

Ist  das  nicht  zu  beklagen  ? 
Gott  des  Vaters  einig  Kind 

Wird  ins  Grab  getragen. 

£s  dtlrfte  aus  der  vorstehenden  Darstellung  zur  Genüge 
hervorgegangen  sein,  dass  Chr.  Reuter^s  Passion  eine  achtungs- 
werthe  und  tüchtige  Leistung  ist,  die  doppelt  bedeutsam  er- 
scheint, wenn  wir  sie,  wie  es  hier  versucht  worden  ist,  in  den 
ihr  zukommenden  historischen  Zusammenhang  rücken. 

Die  Frage  ist  erlaubt,  ob  etwa  Rrockes  Reuter's  Werk  ge- 
kannt habe  und  durch  ihn  auf  einen  andern  Weg,  als  ihn  Hunold 
und  König  eingeschlagen  hatten,  geleitet  worden  sei.  Glaublich 
ist  es  gar  wohl.  Aber  Anklänge  habe  ich  nur  einen  einzigen  ge- 
funden, bei  Einsetzung  des  heiligen  Abendmahls,  wo  Rrockes  sagt: 


363 

Das  ist  mQin  Leib,  kommt,  nehmet,  esset, 
Damit  ihr  meiner  nicht  vergesset. 

Fast  genau  ebenso  hiess  es  bei  Chr.  Reuter: 

Nehmt,  das  ist  mein  Leib,  und  esset, 
DaB  ihr  meiner  nicht  vergesset. 

Ob  er  ausreicht,  um  EutlehDung  anzunehmen,  mag  dahin  gestellt 
bleiben:  die  Frage  ist  für  uns  nicht  von  Wichtigkeit.  Uamdg* 
lieh  wäre  ja  nicht,  dass  die  Worte  aus  Lucas  22,  19  (»solches 
thut  zu  meinem  Gedäcbtnissa]  unabhängig  zu  dem  Reim:  'nicht 
vergesset'  auf  'esset*  geführt  hatten. 

Die  fernere  Entwicklung  der  Passionsdarstellungen  hat  uns 
hier  nicht  zu  beschäftigen.  Die  von  Reuter  eingeschlagene  Re- 
action  ging  ihren  Weg  v^eiter  und  fahrte,  was  allein  das  Rieh- 
tige  und  Würdige  war,  zur  Wiederaufnahme  des  evangelischen. 
Textes  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt.  Zur  Hebung  desselben 
aber  fuhr  man  fort,  und  mit  vollem  Rechte,  das  lyrische  Element, 
mochte  es  nun  der  Handlung  oder  der  Gemeinde  angehören,  frei 
zu  behandeln,  bald  im  Anschluss  an  die  Formen  der  italienischen 
Musik,  bald  an  den  Choralgesang  der  Gemeinde,  i)  Der  Zufall 
hat  gewollt,  dass  der  junge  Händel  bereits  eine  Johannespassion 
in  dieser  Form  componiert  hatte,  ehe  die  Yerirrung  zur  Oper 
eingetreten  war.  Er  hat  dann  bekanntlich  auch  Brockes'  Passion 
in  Musik  gesetzt,  auch  sie  gehörte  wenigstens  bereits  der  Re- 
action  an.  Aber  der  Meister  der  zu  voller  genialer  Abrundung 
gelangten  Passion  ist  Joh.  Seh.  Bach.  Seine  sämmtlichen  Com- 
Positionen  gehören  hieher.^)  —  Eine  zweite,  mehr  nach  vorne 
greifende  Entwicklung  war  die  auf  Grundlage  der  Neumeister- 
schen  Gantaten  sich  vollziehende,  die  das  Episch-dramatische 
vollkommen  abstreifte  und  nur  das  Lyrische  festhielt,  Reste  des 
ersteren  nur  zur  Motivierung  verwandte.  Setzen  wir  uns  über 
volle  Uebereinstimmung  des  Inhaltes  hinweg,  so  dürfen  wir  wohl 
Händel's  Messias  als  die  classische  Leistung  in  dieser  Richtung 


4)  Gegenwärtig  gilt  diese,  lyrische  Umlüeidung  für  so  unerlässlich, 
dass  man  selbst  die  Wiederaufnahme  aiter  Passioaen  mit  solcher  ausstattet, 
so  die  des  Mancious  (Schöberlein  II,  896  f.)  uad  die  von  Heinrich  Schütz 
(von  Verschiedenen  in  verschiedener  Weise). 

5)  Falls  er  nicht  anch  den  Picander'schen  Text  von  4725  componiert 
hat    Vgl.  Ph.  Spitta,  Joh.  Seb.  Bach  H,  S.  SS«. 

4887.  25 


364  

bezeichnen.  Beide  Richtungen  sehen  wir  neben  einander  her- 
gehen. Als  in  Leipzig  im  Jahr  4766  das  alte  Absingen  der  Passion 
im  Vormittagsgottesdienst  abgeschaiSt  und  dafür  wirkliche  Pas- 
sionsmusik  eingeführt  ward,  gehörten  die  beiden  in  den  ersten 
Jahren  aufgeführten  Kirchenmusiken  diesen  beiden  Richtungen 
an :  die  erste,  gleich  1766  zuerst  in  der  Thomaskirche  aufgeführte 
war  eine  Cantate,  mit  nur  wenigen  biblischen  Versen  als  Motiv 
und  zum  Verständniss  der  Musik ;  die  zweite,  4  767  zuerst  in  der 
Nicolaikirche  aufgeführte  war  eine  Lucdspassion  in  der  nun- 
mehr fest  gewonnenen  Gestalt.  Jene  nannte  sich  »PaBion»- 
musik«,  diese  »die  Leidensgeschichte  unseres  Erlösersa. 

Das  zwischen  beiden  liegende  ZwittergeschOpf  aber,  die 
geistliche  Oper,  ist  —  Gottlob  —  nach  einigen  schwäcUichen 
Lebensversuchen  ^)  vollkommen  wiederverschwunden.  An  ihrer 
Verdrängung  gebührt  ein  wesentlicher  Antheil  auch  unserem 
Christian  Reuter. 


Nachtrag. 

Das  Vorstehende  war  bereits  abgesetzt,  als  ich  noch  einen 
neuen  Passionstext  kennen  lernte,  der  zwar  keine  Verschiebung 
des  entworfenen  Entwicklungsganges  bedeutet,  der  aber  inner- 
halb dieser  Entwicklung  eine  interessante  Stelle  einnimmt.  Es 
ist  dies  eine  Matthäuspassion  von  Christian  Clajus,  Cantor 
in   Halberstadt^   vom  Jahre  4693,^]   der  sich  auch  auf  »alten 


4)  Seebach's  Oratorium  von  17U  s.  oben  S.  344.  Im  Jahr  4749 
erschien  noch  6\n  derartiges  Stück  von  Joachim  Beccau,  dessen  Titel 
sehr  charakteristisch  die  Richtung  des  Textes  angiebt:  Heilige  Fastenlast 
oder:  das  Leyden  und  Sterben  unsers  Herrn  Jesu  Christi  u.  s.  w.  In :  Zu- 
lässige Vei'kürzung  müBiger  Stunden.  Hamburg,  4749.  Wgh  Pfa^S|nKU, 
J.  S.  Bach,  11,  325.  Auch  hier  ist  Alles  vollkommen  in  dramatische  Ifand- 
lung  aufgelöst. 

2)  HISTORIA  I  Des  bittern  Leydens  und  Sterbens  j.Ünsers  Erlösers 
und  Heylandes  |  JEsu  Christi,  |  Nach  dem  H.  Evangelisten  Matth^,  | 
Wie  dieselbe  am  heil.  Car-Frey-  |  tage  im  Dom  und  Unserer  liebv 
Frau-  I  en,  wie  auch  in  der  Kirchen  S.  Johannte  am  |  SoiUage  JudiO 
und  Car-Freytage,  mit  |  untermengten  sehOneo  Seuffsem  und  Slofi«- 
Gebethlein,  umb  Erweokung  mehrer  Devo-  |  tion  gMleret,  musicire 
und  abgesun-  |  gen  wird,  |  Auch  mit  44.  seMVnen  Geistreichen  Liederr 
so  wech-  I  sals-weyse  des  Naehmittag&s  tor  und  nach  der  Pre*  |  digt 
im  Dom  bey  des  HErrn  CHristi  Leich«Predigt  |  musieiret  werden,  ver> 


\ 


365     

Gd>rauch«  heruft,  doch  ist  damit  schwerlich  seia  besonderer 
Text,  sondern  nur  die  «Absingong  der  Passion  überhaupt  ge- 
meint. Sein  Text  steht  so  ganz  im  Kreise  der  neuen  italienisch- 
conoertierenden  Musik,  dass  bei  ihm  von  einem  wirklich  »alten 
Gebrauch«  nicht  die  Rede  sein  kann. 

Der  Text  reiht  sich  an  die  Behandlung  durch  Sebastiani 
und  Theile;  die  eingelegten  Strophen  sind,  auch  hier  von  einer 
einzigen  Strophe  abgesehen,  nur  der  Stimmungsausdruck  der 
Gemeinde,  aber  diese  Strophen  sind  in  einer  Fülle  eingelegt, 
dass  dies  Ueberwiegen  des  lyrischen  Elementes  sich  der  Rudol- 
Städter  Passion  von  1688  nähert,  während,  vielleicht  (s.  o.) 
von  dieser  abweichend,  der  Text  zweifelsohne  musikalisch  com- 
poniert  war  und  dramatisch  vorgetragen  ward.  So  fällt  der 
Halberslädter  Passion  immerhin  die  Vertretung  einer  interessan- 
ten Stufe  in  der  Entwicklung  zu. 

Obwohl  uns  die  Noten  der  Composition  nicht  erhalten  sind, 
so  sehen  wir  doch,  wie  bedeutend  das  musikalische  Element 
entwickelt  war.  Jeder  der  beiden  Theile,  in  die  die  Passion 
zerfällt,  entsprechend  den  beiden  Capiteln  des  Evangeliums, 
wird  mit  einer  ^Sonata'  eröfifnet.  Bei  der  ersten  heisst  es  noch 
ausdrücklich:  ^ä  4.  Violett,  d  4.  Violdig.',  was  bei  der  zweiten 
vielleicht  nur  als  nunmehr  selbstverständlich  fortgelassen  ist. 
Auch  bei  dem  Gesänge  wird  die  Instrumentalbegleitung  ange- 


'i 


mehret;  |  Allen  JESUS  liebenden  Hertzen  zu  dienst  |  und  Nutz  herfür 
gegeben,  uodzafinden  |  Bey  |  CHRISTIANO  CLAJO,  |  Cantore  der  Hohen 
Stiffte-Kirchen  |  in  Halberstadt.  |  (Strich.)  \  Gedruckt  im  Jahr  4  693. 
4  unbeziff.  Bogen  8^,  sign.  % — 2).  —  Exemplar  in  der  Bibliothek  d. 
D.  Gesellsch.  4  45  auf  der  Stadtbibliothek  in  Leipzig. 

Dieser  selbe  Druck  erschien  auch  mit  dem  folgenden,  allgemeiner  ge- 
haltenen Titel  (beide  Titel  sind  angeklebt,  obwohl  das  Blatt  zum  ersten 
Bogen  gehört) : 

Leuchtendes  |  Carfreytags  Flämlein,  |  Das  ist:  |  Andächtige  Musi- 
calische Betrachtung  |  Des  bittern  Leydens  |  JEsu  Christi,  |  Nach  dem 
H.  Evangelisten  Matthaeo,  |  mit  untermengeten,  und  zur  Andacht  die- 
nen- I  den  schönen  Seuffzem  und  StoB-Gebetlein ,  |  fdrnehmer  geist- 
reicher Mttnner,  aus  denen  |  gebräuchlichen  Evangelischen  Gesang-  | 
Büchern,  |  Zu  nöthiger  GemüthsErmunterung ,  wann  |  die  Pafiion»- 
Historie  nach  alten  Gebrauch  am  Gar-  |  Freytage  in  denen  Kirchen  ab- 
gesungen I  wird,  I  JESUS  liebenden  Christen  zu  Dienst-  |  und  Nutz  her- 
,  fürgegeben  durch  |  Chhistiakum  Clajuh,  )  Hertzbergensem,  der  hoben 
Stims-Kir-  I  eben  zu  Halberstadt  Cantorem.  J  (Strich.)  |  Im  Jahr  4693. 
Exemplar  in  demselben  Bande  mit  obigem. 

25* 


366    

geben.  So  Utsisst  es:  »MU  i.  Stimm,  und  Viold.c,  bei  Einftlli- 
rang  des  Evangelisten :  »3.  Violdig.«  anddann  noch  einmal :  »mit 
Violdig.«;  desgleichen  bei  Jesus:  »mit  S.  VioLc  u.  s.  w. 

Der  Evangelientext  bietet  nichts  Besonderes,  er  ist  genau 
der  Bibel  entsprechend,  dramatisch  an  den  Evangelisten,  die 
Interloquenten  und  den  Chor  vertheilt.^)  Nur  macht  sich  auch 
hier  das  Musikalische  in  Wiederholungen  geltend.  Bei  den 
Worten  S6,  28 :  »Herr  bin  ichs«  folgen  auf  einander  Ten.  Cant. 
Bass.  Chor.  In  97, 24  wird  »Barrabam«  dreimal  wiederholt,  des- 
gleichen in  27, 23  die  Worte  »Laß  ihn  kreuzigen«  dreimal. 

Wichtiger  sind,  wie  erwähnt,  die  lyrischen  Einlagen.  Sie 
haben  zunächst  den  alten  Titeleingang  und  die  alte  Dankformel 
am  Schlüsse  verdrangt.  Jener  wird  ersetzt  durch  einen  doppel- 
ten Gesang,  den  der  Chor,  nachdem  die  ^Sonata'  beendigt  ist, 
vorträgt,  zuerst  den  Choraivers:  »Herr  Jesu  Christ,  wahr  Mensch 
und  Gott«,  dann  eine  neu  gedichtete  Arie :  »Kommt,  ihr  Gott  er- 
gebnen Hertzencc;  der  »Beschluß«  wird  »mit  4 .  Stimm.«  gesungen : 
»Wir  danken  Dir  von  gantzem  Hertzen ,  0  Jesu,  unser  bester 
Schatz,  Für  Deine  Schmach,  für  Deine  Schmertzen  u.  s.  w.« 

Im  Innern  des  Textes  sind  nicht  weniger  als  53  Strophen 
eingetragen,  nämlich  30  Strophen  im  ersten  Theil  (Matth.  Cap. 
26),  und  23  im  zweiten  (Matth.  Cap.  27).  Die  Einlagen  stehen 
hinter  26,  2.  4.  12.  13;  in  45;  hinter  16.  48.  29.  32.  33.  36. 
39.  41.  42.  44.  49;  in  50;  hinter  50  (2  Strophen).  54.  56.  61  ; 
in  63  (2  Strophen) ;  hinter  66 ;  in  67 ;  hinter  72.  75  (3  Stro- 
phen). II  Hinter  27,  2;  in  3 ;  hinter  5.  14  (2  Strophen).  20.  23. 
25.  26.  30.  32  (2  Strophen,  die  zweite  vom  Chor  gesungen).  34. 
38.  40.  46.  49.  50  (2  Strophen).  54  (2  Strophen).  58.  60.  Bei 
weitaus  der  Mehrzahl  heisst  es  stets :  amit  1 .  Stimm.«,  worunter 
man  doch  wohl  den  Cantus,  die  Stimme  des  »Knaben«,  zu  ver- 
stehen hat,  wie  bei  Sebastian!  in  Königsberg.  Nur  hinter  26,16, 
wo  es  von  Judas  heisst,  dass  er  von  da  an  Gelegenheit  suchte, 
wie  er  den  Herrn  verriethe,  wird  für  das  lyrische  Intermezzo 
angegeben :  »Mit  2.  Cant.  und  Viel.«  Allerdings  weicht  auch 
der  Charakter  dieser  Einlage  dem  Texte  nach  von  den  sonstigen 
ab.    Die  Verse  lauten : 


4)  Es  scheint  fast,  als  sei  die  Zahl  der  Interloquenten  noch  vermehrt, 
indem  die  prophetischen  Citate  ans  dem  alten  Testament  von  besonderen 
Stimmen  vorgetragen  zu  sein  scheinen.  So  wird  in  S7,  9  'Jeremias*  als 
redend  eingeführt,  und  in  27, 85  ein  'Propheta*. 


367  

0  ni6  erhörtes  Bubenstück, 
0  Greul  voo  allen  büsea  Thaten ! 
Der  Jünger  denckt  den  Meister  zu  verrathen. 
Ach»  Jude,  scheue  doch  zurück! 
Doch  nein,  wer  einmahl  ist  zum  Matnmehicken  worden, 
Sucht  stets  Gelegenheit,  die  Frommen  zu  ermorden. 

Die  übrigen  Eiulagen  sind  Choralstrophen,  entweder  bereits  be- 
kannte (»fttrnehmer  geistreicher  Männer,  aus  denen  gebräuch- 
lichen Evangelischen  Gesang-Bttcherna,  wie  der  zweite  Titel 
des  Büchleins  sagt),  hie  und  da  auch  wohl  neu  gemachte.  Bei 
einigen  von  diesen,  nämlich  den  hinter  S6,  36  und  42,  und 
hinter  27,  5  eingeschobenen  lautet  die  Anweisung  abweichend : 
»Mit  I.  Stimm.«;  ist  das  ein  Druckfehler  oder  hat  es  damit  seine 
Richtigkeit?  Die  Entscheidung  muss  ich  den  Musikkennern 
überlassen.  Der  Ausdruck  'Aria'  kommt  nur  Einmal,  bei  der 
zweiten  Eingangsstrophe  vor. 

Alle  diese  Einlagen  sind,  wie  erwähnt,  Ausdruck  der  Ge- 
meindestimmung, nur  eine  Strophe  macht  davon  eine  Aus- 
nahme und  gehört  der  Handlung  an.  Wie  bei  Theile  (Lübeck 
4673)  eine  Strophe  dem  Petrus  in  den  Mund  gelegt  war,  so  hier 
eine  Strophe  Christo,  gleich  die  erste,  hinter  26,  2 : 

Vergiessen  wird  man  mir  mein  Blut, 

Dazu  mein  Leben  rauben, 
Das  leid  ich  alles  dir  zu  gut, 

Das  halt  mit  festem  Glauben  I 
Der  Tod  verschlingt  das  Leben  mein, 
Mein  Unschuld  trägt  die  Sünde  dein, 

Da  bistu  seelig  worden. 

Zu  beachten  ist,  dass  Christian  Reuter  sich  derselben 
Strophe  an  derselben  Stelle  bedient  hat. 

Auch  für  die  Privatandacht,  für  die  Leetüre,  wurde  der 
Passionstext  mit  lyrischen  Strophen  durchsetzt.  So  haben  wir 
eine  »Kurtze  Passions-Andacht«,  die  etwa  gegen  das  Jahr  4700  in 
Schneeberg  von  einem  Ungenannten  herausgegeben  worden  ist.^) 


4)  Kurtze  |  PASSIONS-  |  ANDACHT,  |  V^ie  solche  von  Christlichen 
Hertzen,  nach  der  Anweisung  des  |  Evangelisten  Lucä,  mit  unter- 
mengten I  kurtzen  Seufftzern,  aus  dem  bekand-  |  ten,  und  hier  in  etwas 
verttn  |  derten  Paßions-Lied :  |  Jesu  Leiden,  Pein  u.  Tod.  |  kau  ange- 
stellet  werden.  |  {Ein  aus  Druckzieraten  hergestelltes  Kreuz)  \  SCHNEE- 
BERG, I  Druckts  Heinrich  Fulde. 

2  unbez.  Bogen  80,  sign.  K,  ^. 


368     

Es  ist  die  Lucaspassion ,  die  beiden  Gapitel  22  und  23  voll- 
ständig, dazwisciien  vertheilt  die  Strophen  jenes  Liedes :  «Jesu 
Leiden,  Pein  und  Tod«,  iu  welchem  bekanntlich  die  ganze  Lei- 
densgeschichte durchgegangen  wird.  Aber  der  Herausgeber 
hat  sich  bedeutende  Veränderungen,  Umstellungen  wie  Zusätze 
und  Auslassungen,  gestattet.  Vom  Originaltexte,  der  34  StropheD 
enthält,  haben  nur  die  folgenden  Aufnahme  gefunden  (Zwischen- 
schiebungen  eigener  Strophen  bezeichne  ich  durch  Sternchen) : 
4.******  3.  4.  5.*  6.*  8.  10.  9.******  16.  19.  18.*  21. 
28.  26.  27.  29.  31.  33.  Also  bietet  das  Eingeschobene,  das  33 
Strophen  enthält,  deren  1 5  eigener  Mache.  Selbstverständlich 
kommt  hier  durchweg  nur  die  lyrische  Stimmung  des  Lesenden 
zum  Ausdruck.  —  Ein  Lied  von  6  Strophen  geht  dem  Passions- 
texte voran:  »Jesu,  deine  Paßion,  will  ich  jetzt  bedencken.a 


ÖFFENTLICHE  GESAMMTSITZUNG 

AM  44.  NOVEMBER  4887 
ZUR  FEIER  DES  TODESTAGES  LEIBNIZ'ENS, 


Herr  Wachsmuth  legte  Neue  Beiträge  zur  Topographie  von 
Athen  vor. 

Erste  Serie. 

Bei  meiner  jüngsten  Reise  nach  Griechenland,  die  vor  allen 
Dingen  Athen  selbst  sich  zum  Zielpunkte  nahm,  hatte  ich  nicht 
vornehmlich  die  Absicht,  neue  topographische  Forschungen  an- 
zustellen ,  sondern  vielmehr  die  das  monumentale  Material  ^u 
sammeln  für  die  lange  verfolgte  Aufgabe,  das  Bild  des  städtischen 
Lebens  der  Hellenen  ah  Athen  vorzuführen  etwa  in  der  Art  und 
Weise,  in  der  ich  bei  meiner  Antrittsvorlesung  ^)  versuchte  den 
Peiraieus  als  Muster  eines  hellenischen  Seeplatzes  mit  all  seinem 
reichen  Treiben  und  Leben  zu  zeichnen.  Aber  es  konnte  nicht 
ausbleiben,  dass  ich  die  Gelegenheit  wahrnahm,  alte  und  neue 
topographische  Controversen  an  Ort  und  Stelle  zu  studieren  und 
zu  lernen  was  nur  dort  gelernt  werden  kann.  Ich  gedenke  einige 
der  wichtigsten  dieser  Ergebnisse  in  eingehenderer  Behandlung 
vorzulegen :  wenn  ich  dabei  nicht  durchweg  zu  einer  Änderung 
der  Ansichten  gelangt  bin ,  die  ich  in  früheren  Jahren  zu  be- 
gründen unternahm ,  sondern  öfters  auch  eine  Bestätigung  und 
Verstärkung  schon  längst  ausgesprochener  Ansichten  gefunden 
zu  haben  glaube,  so  wird  man  dies  nicht  für  eigensinnige  Recht- 
haberei halten.  Fehlt  es  doch  auch  wahrlich  nicht  an  Belegen 
dafür,  wie  gern  und  freudig  ich  bereit  war  mich  durch  unbe- 


4)  Seitdem  gedruckt  in  Conrad's  Jahrb.  f.  Nationalökonomie  (N.  F. 
Bd.  XIII)  4886,  S.  88  fT. 


I  ■ 


370     

fangen  aufgenommene  Thaisachen  eines  Besseren  belehren  zu 
lassen. 

I.  Das  Aphrodision  und  der  Kantharoshafen. 

Seit  den  epochemachenden  Abhandlungen  von  Curtius  'de 
portubus  Athenarum'  sowie  von  Ulrichs  'über  das  attische  Empo- 
rium  im  Piraeus^  und  'die  Topographie  der  Häfen  von  Athen',  die 
alle  4842  und  1843  erschienen  i),  hat  man  sich  gewöhnt  die  ver- 
schiedenen Theile  des  grossen  Peiraieushafens  so  zu  bestimmen, 
dass  die  nur  wenig  in  das  Land  eingreifende  Ausbuchtung,  die 
gleich  rechts  von  der  Einfahrt  durch  die  Molen,  also  an  dem 
südlichen  Uferrand  sich  befindet,  als  der  dritte  Kriegshafen  an- 
zusehen und  als  Kav&aQoy  kifi'qv  zu  bezeichnen  sei,  dass  ferner 
der  innere  Theil  des  Hafens  das  Emporion  mit  seinen  ftlnf 
grossen  Hallengebauden  bilde ,  und  dass  zwischen  beiden  das 
Aphrodision  gesucht  werden  müsse.  Und  auch  daran,  dass 
letzteres  am  Ufer  selbst  gelegen  war,  hätte  füglich  nie  gezweifelt 
werden  sollen,  da  dies  von  Pausanias  t  4,  3  ausdrücklich  be- 
zeugt ist  2)  und  indirekt  bestätigt  wird  durch  die  gleich  zu  er- 
wähnende Angabe  des  antiken  Topographen  Menekles,  der  das- 
selbe in  einer  Reihe  mit  den  Schiffswerften  und  den  Hallen- 
anlagen am  Band  des  Hafens  aufführte,  so  dass  für  die  Lage 
dieses  Heiligthumes  in  der  That  kein  anderer  Platz  geeigneter 
erscheinen,  musste,  als  der  Yorsprung  der  die  ebenbezeichnete 
Ausbuchtung  von  dem  Innern  Hafen  scheidet,  auf  welchem  die 
modernen  Quaräntainegebäude  liegen,  wie  ja  Aphrodisia  sich 
oft  auf  Vorgebirgen  finden^.  Und  doch  ist  diese  Annahme  jetzt 
urkundlich  widerlegt  und  damit  die  ganze  Yertheilung  der 
Hafenräume  in  Frage  gestellt. 

Als  man  diesen  Winter  zur  Gewinnung  von  Steinen  eine 

4)  Die  Abhandlungen  von  Ulrichs,  arspiünglich  in  verschiedenen 
Zeitschriften  erschienen,  sind  jetzt  belcaonUieb  in  d.  'Üeiseo  u*  ForschnngeD 
in  GriechenK'  II  S.  456  ff.  u.  484  £  wieder abgedniclct. 

5)  Freilich  meint  Hirsehfeld  in  der  Arcb.  Zeitung  XXXI  S.  4  05  die 
Worte  des  Pausanias  n^os^  t^  ^akaoot]  bedeuteten  aur  'Über  den  Hafen'  (was 
auf  den  grOssten  Theil  der  Peiraieusstadt  zutreffen  würde)  und  sucht  deshalb 
das  Aphrodision  auf  dem  Landrücken  zwischen  Zea^  und  Kantharosh^n 
(vgl.  auch  Ber.  dieser  Ges.  4878  S.  9  f.). 

3)  So  soboD  Dodwell.  Heise  a.  s.  w«  II  S.  2j58  uad  zuletat  wiederMilcb- 
höfer,  erl  Text  zu  den  Karten  v.  AtUka  I  S.  49. 


371 

lange  Strecke  der  wohl  erhaltenen  Fortifieationsmauer  auf  der 
Eeiioneia  abbrach  • —  es  ist  das  ja  leider  auch  jetzt  noch  ein 
sehr  häufiges  Geschick  wohl,  erhaltener  antiker  Steinihauem  in 
Hellas  als  Steinbrüche  zn  dienen  — ,  wurden  auch  zwei  In- 
schriften bkssgelegt ,  die  aus  der  Zeit  des  kononischen  Blauer- 
baus  stammen  und  nur  flttcbtig  und  nnregelmttssig  in  den  Stein 
eingemeisselte  Notizen  über  die  bei  diesem  Bau  vergebenen 
Arbeiten  enthatten.  Die  eine  lautet:  ' 

fi¥}p6g  i$  %0L  xax    rj^ii^ap  U(}ya  Levyeut  ravQ  iUd'ovg 
ayovai  (iLü&og  HPIA,  aidriQuai^  fiuj&og  PhH*. 
Die  andere,  auf  die  es  uns  hier  ankommt,  dagegen  besagt: 

in   EvßovUdcv  aQxovtog  (394/3)  anb  %ov  ^rj^eiov 

xaira  ToUcpQodlacov  htl  de^ia  i^iovvc  jTIHHPAAA 
.  fiiad^oj  (TT^g)  /drjfjtood'ivrig  BouüTto[g  l7tX\  rfi  JCQoaaywyfj 

rvjv  XLd'Wv  2) .  - 
Ddss  diese  Inschriften  sich  auf  den  Wiederaufbau  dei* 
Peiraieusmauern  zur  Zeit  des  korinthischen  Krieges  beziehen, 
ist  ja  durch  die  Datirung  sicher  gestellt;  man  ersieht  aber  aus 
ihnen  beiläufig,  dass  bereits  im  letzten  Monate  des  Archontats- 
Jahres  des  Diopbantos  (Ol.  96,  2)  der  Bau  begonnen,  dass  mithin, 
selbst  angenommen,  dass  das  Archontatsjahr  des  Diopfhantos  erst 
Mitte  Juli  394  v.  Chr.  zu  Ende  ging^),  schon  vor  dem  Seesi^g 
des  Konon  bei  Knidos  die  Athener  den  Entschluss  gefassi  hatten, 
mit  eigenen  Kräften  und  wohl  audb  schon  im  Vertrauen  auf  die 
Unterstützung  der  verbündeten  Böotier^  Argiver  und  Korinther 
wenigstens  die  Ummauerung  des  Peiraieus  wiederzubeginnen. 
Der  Seesieg  des  Konon  hat  dann  nur  die  reichen  Geldmittel  des 
Persers  und  die  Mannschaften  der  persischen  Flotte  in  den  Dienst 
des  nun  auch  gleich  auf  die  Schenkelmauem  ausgedehnten 
Unternehmens  gestellt.    Und  so  ist  denn  jetzt  in  noch  weit 


4)  fiitwnoy  ist  der  Mittelpfeiler  des  offenbar  zweithürigen  Thores  'wie 
i)ei  der  Skeaolhek  des  Pfailon  (s.  Hermes  XVII  S.  570). 

2)  In  Keiug  auf  die  ErgSazung  bemerke  ich,  dass  nach  Boiwtio  eine 
Lücke  und  abgeschabte  Stelle  im  Steine  sich  findet;  Foucart  glaubte  noch 
«fn  A  zu  erkennen  und  las  Boiiintos  tilxf  Tt^oaayntypf  was  mir  auch  durch 
seine  Obersetzung  triebt  versttf ndlicb  geworden  TSt. 

.   a)  So  setzt  Unger  in  Müller's  Handb.  der  Alt.  Wiss.  I  S.  SSV  Ol.  96,  3 
mit  47  Juli  394  an  (nach  attischem  Kalender). 


372     

höherem  Grade  als  bisher  ersichtlich,  dass  in  den  gewifhniichen 
historischen  Ersahlungen  der  Antheil  des  Konon  an  dem  Werk 
viel  KU  einseitig  hervorgehoben  ist.  Obwohl  ja  auch  bisher  schon 
aus  dem  glücklich  geretteten  Zeugniss  des  Philoohoros  wie  ans 
einigen  Inschriften^)  zu  erkennen  war,  dass  der  Staat  der 
Athener  den  Wiederaufbau  damals  ttbemahm  und  an  die  zehn 
Phyien  übertrug,  die  ihrerseits  aus  der  Staatskasse  mit  Geldern 
versehene  Gommissionen  besteilten,  sowie  dass  die  Archonten 
des  Jahres  den  Grundstein  legten  und  des  zum  Andenken  den 
bekannten  'Hermes  am  Pforteben'  weihten,  der  auf  seiner  Basis 
neben  dem  Namen  der  Archonten  die  Inschrift  trog : 

Bei  dem  Beginne  des  Baues  der  Hauer,  sowie  es  befohlen 
Rath  und  Volk  von  Athen,  weiheten  diese  den  Gott. 

Jetzt  sieht  man  aber,  dass  nicht  einmal  die  Anregung  zu  diesem 
Plan  von  Konon  ausgegangen  sein  kann.  Doch  lehren  ja  die 
theils  erst  neuerdings  bekannt  gewordenen  oder  richtig  ver- 
wertheten  Inschriften  mit  den  Rechnungsablagen  der  Teixosvoioi 
(C.  t.  Att,  II  N.  830 — 832],  dass  der  Bau  auch  dann  wenigstens 
noch  drei  Jahre  (bis  391/0  v.  Chr.,  Arcbontatsjahr  des  Philokles) 


4 )  Die  Erzählung  des  Philocboros  steht  Dach  Harpokr.  u.  <JL  W.  ^£^^1^^ 
o  nqos  jj  TivXidi  und  nqoff  tj  nvXidi  *Eq(A^g  im  fünften  Buche  seiner  Atthis, 
d.  h.  in  dem  Theile  seines  Gescbichtswerices,  der  die  kononische  Zeit  be- 
handelte. Die  einfachste  Annahme  ist  also  jedenfalls,  dass  auch  die  Er- 
zählung des  Atthidographen,  die  an  die  Stiftung  des  Hermesbildes  anknüpft, 
eben  in  die  kononische  Zeit  zu  weisen  ist.  Die  Annahme  die  ich  früher  ver- 
treten habe  (Stadt  Athen  1  S.  690  Aon.  %),  dass  Philocboros  bei  der  Erwäh- 
nung der  kononischen  Restauration  dieses  erhaltenen  Denkmals  des  ersten 
Baus  gedacht,  ist  an  sich  nicht  besonders  wahrscheinlich,  und  das  aq^afjieyo^ 
riQmoy  des  Epigrammes  setzt  nicht  mit  Nothwendigkeit  diese  Ummaue- 
rung  des  Peiraieus  als  die  überhaupt  erste  voraus,  sondern  braucht  nur  den 
Beginn  des  jetzigen  Baus  seinem  weiteren  Fortgang  entgegenzustellen.  In 
den  Worten  des  Philocboros  an  der  ersten  Stelle  bei  Harpokr.  01  ^  a^/oki«^ 
taU  (pvXaU  hvid^Bcay^E^fi^v  xtA.  ist  vor  xal^  ^vXaig  jedenfalls  eine  Lücke 
anzunehmen;  ob  sie  mit  Bergk  Rhein.  Mus.  XXXIX  S.  648  Anm.  2  durch 
nhy  oder  mit  Wilamowitz,  aiM  Kydathen  S.  807  Anm.  4 1  durch  xoy  Iletqaia 
TeixiCeiy  a^j^oKTCf'  auszufüllen,  kann  zweifelhaft  sein ;  der  Sinn  Ist  unzwei- 
felhaft und  die  Thfitigkeit  der  Phyien  ja  durch  die  Inschriften  (C.  •'.  AU,  II 
N.  880 — 888;  vgl.  auch  Mitth.  d.  Inst.  III  S.  50  (f.)  genauer  bekannt.  Dass 
ebd.  für  nvXAy«  xov  jiitMoy  mitLeake  n.  thy  is^moy  so  schreiben 
i)ind  das  Thor  der  Peiraieusmauer ,  das  nach  dem  acrv  d.  h.  der  Kapitale 
führte,  zu  verstehen  sei,  habe  ich  neulich  (Jahrb.  L  Nat.  Ökon.  4886  S.  86) 
bereits  angedeutet 


373     

in  Anspruch  nahm^).  Und  wenn  bereits  durch  ein  Belobigungs- 
dekret (C.  t.  Au.  II  N.  461)  die  freiwillige  Beihttife  eines 
Argivers  (Aristomaehos)  bezeugt  war,  so  ist  jetzt  durch  unsere 
zweite  Inschrift  auch  die  Mitwirkung  eines  Böotiers  (Demosthenes) 
urkundlich  besttttigt. 

Was'  lehrt  denn  nun  aber  diese  Hn  siM  aufgefundene  In- 
schrift hinsfchtlioh  des  Aphrodision's?  Foucart^)  glaubte  den 
Platz  genau  bestimmen  zu  kennen,  indem  er  eine  Reihe  un- 
sicherer oder  falscher  Posten  in  die  Rechnung  einsetzte.  Falsch 
ist  vor  allem  die  Auffassung  der  Zahlen  der  Geldsumme  als  An- 
gabe der  Distanz  nach  attischem  Fuss,  nicht  richtig  auch  die  Be- 
rechnung des  attischen  Fusses,  dessen  Grösse  von  0,387  m  jetzt 
durch  Dörpfeld  ttber  jeden  Zweifel  erhoben  ist,  ganz  unsicher 
ferner  die  Bestimmung  des  arj^slov. 

Aber  vornehmlich  halte  ich  daran  fest,  dass  hier  kein  an- 
deres als  das  bekannte  Aphrodision  am  Peiraieushafen  gemeint 
sein  kann ,  da  eben  nur  dieses  so  kurzweg  als  t6  Jiq>Qodlaiop 
bezeichnet  wird. 

Zweimal  noch  wird  'das  Aphrodision'  im  Peiraieus  so 
schlechthin  erwähnt.  Einmal  in  dem  oft  besprochenen,  durch 
die  Scholien  zu  Aristoph.  Frieden  V.  144  erhaltenen  Zeugniss 
des  Periegeten  Men ekles  (Frg.  4  bei  MOUer,  frg.  hist.  Gr.  lY 
S.  450] ,  welches  ich  gleich  vollständig  hersetze ,  weil  es  für 
diese  ganze  Betrachtung  von  fundamentaler  Bedeutung  ist.  Es 
lautet  im  codex  Venetus:  KaXliKQarrjg  ij  Mepe%X^g  kr  %ij^  tjcsqI 
M^rwy  yqaq>uyif  ovvug  *  ^e^ec  di  6  üeiQaievg  kifxivag  TQeig. 
Ttarrag  nXeiOTOvg'  elg  fiiv  katw  6  Ktxr&aQov  kifxijv  nakt/ufievog^ 
er  ip  TOT  yeofQia  i^rJKavTa  (dieses  sicher  verderbte  Wort  lässt 
der  Ravennas  ganz  aus ;  Dindorf  vermuthete  statt  dessen  i^i;- 
O'ArjTo  oder  i§(fiiiod6firi%Oy  Meineke  exerc.  in  Athen.  I  p.  39  i^fjg). 


4)  Irrthümlich  aber  ist  die  ADnahme  die  sich  bei  neueren  Gelehrten 
öfters  findet  (z.  B.  Breitenbach  zu  Xenoph.  Hellen.  IV  8,  40;  Curtius,  Gr. 
Gesch.  IIP  S.  275.  277],  dass  selbst  im  Jahre  378  der  Bau  der  Peiraieus- 
mauern  noch  nicht  vollendet  gewesen  und  erst  damals  infolge  des  miss- 
glückten Handstreiches  des  Sphodrias  die  Hafenstadt  vollständig  ummauert 
worden  sei.  Denn  Xenophon  Hellen.  V  4,  20  und  34  gebraucht  nur  den 
Ausdruck  änvliaTo^  Jjy  (o  Ilstqauvs)  und  invXiaaay  tov  Usigaia ;  man  hatte 
also  nur  die  h()lzemen  Thore  nicht  eingesetzt ,  weil  man  auf  einen  Überfall 
nicht  gefasat  war ;  die  ümmauemng  aber  war  völlig  zu  Ende  geführt. 

2}  Er  gab  die  beiden  Inschriften  kürzlich  im  BüUeÜn  de  Corr.  Hell. 
4  887  S.  4  36  ff.  heraus. 


374     

eltaJigjffoSifftovj  elt»  xincltp  toD  Xi^ivoq  aroalrripte*.  Uodzuni 
Andern  beisst  es  in  einer  kürzlich  gefundenen,  hochlnteressanieii, 
leider slark  yerstOmniehen  athenisehen  I  nsc br i f i  (ajäs römisdier 
Zeit),  welche  Reslaaration8arl>e{ten  an  verschiedenen  Öffent- 
lichen und  heiligen  Anlagen  aufzählt  [^EqmA.  af%.  1884  8.  470 
Z.  45  tfnxT^ag  ^ag  Iv  r^t  fiByaltp  [ki^ipi  otTtb  roh  fiigovg  (?)]  ^) 
rav  TtBQtnJieiOfiipov  toTg  f^etofloig  xal  rr^  Ji<pfodialq9 
xal  ralg  avoetlg  fiixQi  tcöp  Klsld'fttpp. 

Es  ergiebt  sich  aus  diesen  Zeugnissen  gleichmässig ,  dass 
man  unter  'dem  Aphrodision*  im  Peiraieus  ein  an  dem  Ufer  des 
grossen  Petraieushafens  gelegenes  Ifeiligthum  verstand,  also  doch 
sicher  eben  den  von  Pausanias  TtQog  t^  dttk&aaj}  im  Peiraieus 
erwähnten  Tempel  der  Aphrodite.  Freilich  erzfthlt  von  diesem 
Tempel  der  einzige  Zeuge,  der  ihn  erwähnt,  Pausanias  a.  a.  0. 
Folgendes:  TCQog  dh  rfj  ^aXaüoj}  Koptav  ^ttodoftriaep  l4q>QoölTtjg 
hqov^  tqtiiqevg  ^axedaifiovlfap  xare^yaüafÄevog  Ttegl  Krldor 
trjv  iv  %ji  KaQtxfi  XBqQovria(i) .  KviöiOL  yaQ  rtpiuHnv  lAq>QodiT¥pf 
liialiava  xal  acpLai  rqia  iarlv  (statt  des  überlieferten  OfpUfiv 
Ibotiv  ist  nämlich  wie  ich  vermuthe  a(plat  y  iarlv  zu  lesen) 
leQa  Tfjg  &eov'  rb  ^thv  yccQ  a^xatotarov  Jw^hudog^  fieva  di  rb 
^AxQaiag ,  v^dnarov  Si  f/y  Kvidiav  ol  Ttokkalj  Kvliioi  di  ävrot 
xaXovaiv  EiktXouxv.  Das  sieht  ja  nun  allerdings  ganz  so  aus,  als 
ob  eben  erst*  Konon  ein  Heiiigthum  der  Aphrodite  hier  gestiftet 
und  zwar  eben  der  knidischen  zur  Feier  des  Andenkens  an  die 
berühmte  knidieche  Seeschlacht.  Da  nun  diese  selbst  erst  Ende 
Juli  394  fällt  nach  Massgabe  des  Datums  der  Sonnenfinsternids, 
die  kurze  Zeit  darauf  eintrat  und  von  den  Astronomen  auf  den 
H.August  394  berechnet  ist,  ja  nach  der  Erzählung  Xenophon's 
Hellen.  IV  8,  7 — 40  Konon  erst  im  Sommer  393  nach  Athen 
gekommen  sein  kann,  so  ist  es  allerdings  unmöglich,  dass  im 
Laufe  des  Archontenjahres  des  Eubulides,  in  das  unsere  In- 
schrift fällt  und  welches  mit  dem  Juli  393  zu  Ende  geht,  schon 
der  Bau  des  Ronon  vollendet  gewesen  sein  kann.  Deshalb  will 
nun  Foucart  in  der  Inschrift  vielmehr  ein  anderes  Aphrodision, 
(las  des  Themistokles,  bezeichnet  sehen. 


4)  Die  von  mir  eingesetzte  Ergänzung  bleibt  in  ihrem  letzten  Theile 
ja  allerdings  problematitch ;  aber  der  Genitiv  töB  m^ixXBiofiipov  ftthrt  doch 
im  Zusammenhang  mit  ftixQi  tm¥  xA.  nothwendig  auf  eine  Fassung,  die  mit 
der  versuchten  sachlich  sich  deckt. 


375 

Die  einzige  Htterarische  Nachricht  über  dieses  Themisto- 
kleischeAphrodision  findetsich  bei  demScholiasten  zu  Hermogenes 
Ttefl  liewp  Bach  II  Kap.  Tte^l  yXvx.vtt]vog  (in  Walz's  Rhetor. 
Gr.  VI  S.  39S) :  xal  %ä  Ttegi  ttjg  aQiüveQag,  ort  ircl  @Bfttato- 
TcXiovg  TQirj^ovg  kfpavri  xad'etoftivri  •  o-d'ev  Hai  ^era  Trjv  vUrjv 
Ji7taQxov!/kg>QodlTrig  leQOp  lÖQvaaTO  epüeigaul,  wg^A^iAiliviog 
o  ^a^TTTQsißg  iv  rq)  n^ql  ßwfiwv.  Auf  Grund  dieser  Erzählung 
hatte  man  schon  langst  zwei  Aphrodisien  im  Peiraieus  ange- 
nommen, das  Themistokleische  der  Aparchos  und  das  Kononische 
der  Enpioia.  Nun  hat  zwar  bereits  Ulrichs  a.  a.  0.  S.  480 
Anm.  53  mit  Recht  den  unerhörten  Beinamen  der  Aphrodite 
entfernt,  indem  er  si^ii  lAitaqxov  einfach  irtaqxriv  schrieb; 
aber  es  ist  kaum  zulässig  mit  ihm  die  ganze  Erzählung  über  die 
Themistokleische  Stiftung  auf  eine  Verwechselung  der  beiden 
Seehelden  Themistokles  und  Konon  zurückzuführen.  Das  erlaubt 
meines  Erachtens  schon  nicht  die  Autorität  des  alten  athenischen 
Scribeaten  Ammonios ,  der  eine  Monographie  Tteql  ßiafiwv  xor^ 
ioQTwp  schrieb^).  Dazu  kommt  auch  noch  das  leider  gerade  an 
entscheidender  Stelle  verstümmelte  Zeugniss  jener  schon  oben  er> 
wähnten  Restaurationsinschrift,  in  der  Z.  44  mitten  unter  Stiftun- 
gen des  Peiraieus  auch  erwähnt  wird  das  Heiligthum  einer  Göttin, 
8  Id^oato  QefiUfTOTikfjg  nqb  rfig  Tte^l  SaXa^lva  vavfjiaxlag ; 
freilich  ist  von  dem  Namen  der  Göttin,  der  im  Genitiv  stand, 
eben  nur  rjg  erhalten.  Es  scheint  mir  aber  unter  den  obwalten- 
den Verhaltnissen  keine  allzu  kühne  Vermuthung,  dass  dies  die 
letzte  Silbe  von  li(pQo5lrrig  sei ;  denn  wenn  hier  die  Stiftung 
vor,  dort  nach  der  Salaminischen  Schlacht  erfolgt,  so  erledigt 
sich  das  einfach  durch  die  Erwägung ,  dass  das  Gelöbniss  der 
Schlacht  vorausging,  seine  Ausführung  ihr  folgte.  Also  eine  von 
Themistokles  herrührende  heilige  Stiftung  der  Aphrodite  im 
Peiraieus  ist  gewiss  nicht  zu  bezweifeln ,  wenngleich  sie  über 
Hain  und  Altar  nicht  hinausgegangen  zu  sein  braucht  ^j.  Zweifel- 
haft bleibt  nur,  ob  wir  uns  diese  Anlage  räumlich  von  der  ko- 
nonischen  geschieden  denken  müssen  oder  nicht.  Wie  man  aber 
auch  sich  zu  dieser  Frage  stellen  möge,  sicher  ist  in  der  Mauer- 


I)  S.  Meinake,  AwU,  erit,  in  AU^en.  p.  SM. 

%)  Dass  i;erade  nur  ein  Altar  gestiftet  $«i ,  folgt  allerdings  noch  nicht 
mit  Sicherheit  aus  dem  Umstand,  den  Curtius  a.  a.  0.  p.  37  Anm.  4  hervor* 
hob,  dass  die  betreffende  Notiz  in  einer  Schrift  tib^X  ßtafiö^y  (vielmehr  negl 
ßtofjiAy  xttl  koQt&y)  stand. 


376     

bauinschrift  dieselbe  Cultstätte  gemeint,  an  der  Konon  seinen 
Bau  errichtete :  also  bestand  auch  vor  dem  Bau  eines  kononi— 
sehen  Prachttempels  hier  ein  Apbrodision,  mindestens  ein  Hain 
mit  Altar  (wahrscheinlich  also  doch  eben  das  Themistokleiscfae) . 

Der  ganze  Conplex  muss  sich  aber  —  das  wurde  oben  be- 
reits festgestellt  —  bis  an  das  Ufer  erstreckt  haben  und  danach 
kann  nun  —  das  ist  das  Zweite,  was  sich  mit  Bestimmtheit  er- 
giebt  —  keine  Frage  mehr  sein,  dass  das  Aphrodision  in  der 
Nahe  der  in  ihrem  Laufe  ja  feststehenden  Fortificationen  an  dem 
Uferrand  der  Eetioneia  gelegen  habe«  Hier  müssen  also  die 
Franzosen,  die  jetzt  das  Aphrodision  wieder  aufzudecken  suchen, 
vor  allem  ihre  Tastversuche  anstellen. 

Daraus  resultiert  aber  zugleich  drittens,  dass  wir  bisher 
die  Yor  dem  Aphrodision  von  Menekles  u.  a.  0.  erwähnten 
veoifia  nicht,  richtig  aufgefasst  oder  gedeutet  haben.  Denn  die 
feste  Reihenfolge  in  der  gleichmassig  wie  bei  dem  Topographen 
Menekles  nun  auch  in  der  Öfters  erwähnten  Inschrift  a.  a.  O. 
die  vsiiiQia^  das  Aphrodision  und  die  Hallen  des  Emporions  auf- 
treten^ gestatten  nicht  die  Annahme  festzuhalten,  die  sich  bis- 
her von  selbst  empfahl,  dass  unter  den  pediqia  des  Menekles 
die  Schiffshäuser  zu  verstehen  seien,  deren  Reste  an  der  dem 
Aphrodision  entgegengesetzten  Seite  in  dem  bisher  so  genannten 
Kantharoshafen ,  d,  h.  der  südlichen  Ausbuchtung  noch  vor 
einiger  Zeit  zu  erkennen  waren  (sie  sind  auf  dem  alten  Schau- 
bert'schen  Plane  des  Peiraieus  noch  verzeichnet,  jetzt  allerdings 
verschwunden) . 

Wenn  schon  bei  dem  Topographen  das  Springen  von  einem 
Ufer  nach  dem  andern  auffallend  wäre,  so  ist  es  die  Wiederkehr 
dieser  Absonderlichkeit  in  dem  officiellen  Dokument  erst  recht 
und  hier  durch  den  Zusammenhang  geradezu  ausgeschlossen. 
Denn  hier  wird  das  Erstrecken  der  xjnnfsqai  bis  zu  den  xAe^^a 
von  einem  durch  die  genannten  drei  Gattungen  von  Anlagen 
ringsum  besetzten  Raum  aus  angegeben  und  es  muss  erwartet 
werden ,  dass  dabei  die  Aufzählung  der  Anlagen  in  bestimmter 
Abfolge  gegeben  sei.  Das  würde,  wenn  die  bisherige  Deutung 
der  v€(üQta  richtig  wäre ,  aber  nur  dann  der  Fall  sein ,  wenn 
gesagt  würde  Totf  TteQin^leiOfiivov  voig  ffenß^loig  aal  rai^  aroaig 
Tial  rq  jifpqoSialif ,  Dazu  kommt  noch  eins;  diese  tfnmtTQat 
können  k^um  etwas  andres  als  Haine  gewesen  sein;  das  Wort 
ist  zwar  neu ,  muss  aber  doch  als  eine  Variante  zu  tpvxvrJQiov 


377     

gelten,  ttber  welchen  Ausdruck  zu  vergleichen  ist  Athen.  XI 
S.  503*  Nlx4xvdQog  6  Qva%Bi^voq  xaksla&al  g>rjai  tlmiTfiQia 
xol  Tovg  äkaiüdeig  xal  avaxlovg  TOTtovQ.volg  ^eoig  ävecfiivovg 
iv  olg  HoTiv  ava^yv^ai  (abgekürzt  ist  die  Glosse  bei  Hesyob.  u. 
d.  W.  tfßtniTT^Qia  wiederholt).  Dass  nun  ein  Hain  die  ganze  lang- 
gestreckte Küste  der  Eetioneia  von  den  Holen  (xksld'Qa)  bis  zu 
dem  Aphrodision  in  der  Nähe  der  an  das  Ufer  sich  senkenden 
Befestigungsmauer  sich  ausgedehnt  habe ,  ist  an  sich  unglaub- 
lich, und  jedenfalls  sind  die  tpinnT^ai  beim  Zeahafen  offenbar 
nur  unmittelbar  an  den  Molen  selbst  vorhanden^). 

Da  ist  nun  vor  allen  Dingen  zu  betonen ,  dass  der  Begriff 
ve(ü(fia  ja  sich  keineswegs  auf  Schiffshäuser  beschränkt;  er  um- 
schliesst  vielmehr  alle  auf  die  Marine  bezüglichen  Anlagen, 
auch  die  Zeughäuser,  Bauplätze  für  die  Schiffe  u.  s.  w.  Es  ge- 
nügt in  dieser  Beziehung  für  unsern  Zweck  auf  die  Ausführungen 
von  BiH^kh,  Staatsh.  d.  Aih.  III  S.  64  ff.,  zu  verweisen,  obwohl 
dieselben  aus  dem  inzwischen  ganz  neu  oder  genauer  als  bisher 
bekannt  gewordenen  urkundlichen  Material  in  einigen  Punkten 
modifidert,  in  andern  ergänzt  werden  können  oder  müssen.  Es 
liegt  also  keinerlei  Noihigung  vor ,  die  rad^ia  in  dem  grossen 
Peiraieushafen  lediglich  auf  Schiffshäuser  zu  beziehen;  vielmehr 
können  auch  sonstige  Werftanlagen  mit  diesem  Ausdruck  be- 
zeichnet sein. 

Und  solche  in  einiger  Ausdehnung  auf  der  Eetioneiaküste 
anzunehmen  empfiehlt  sich  auch  aus  andern  Gründen.  Erstens 
eignet  sich  dieses  Terrain  sehr  wohl  zu  Schiffsbauplätzen, 
während  solche  bei  dem  Munychiahafen  sich  gar  nicht  finden 
konnten,  auch  der  sog.  Kantharoshafen  muss  mit  seinen  min- 
destens 94  Schiffshäusern  dicht  besetzt  gewesen  sein,  zumal  der 
eine  Grenzstein,  der  den  Ankerplatz  der  für  den  Verkehr  mit 
den  Nachbarorten  bestimmten  Marktschiffe  (TtoQ&fiBla)  bezeich- 
nete, bereits  ein  Stück  innerhalb  dieser  Ausbuchtung  gefunden, 
also  ein  Theil  derselben  dem  gewöhnlichen  Verkehr  offen  ge- 
standen haben  muss.  An  dem  Zeahafen  kann  es  vavTcriyut  wohl 
gegeben  haben,  aber  wenn  man  sich  nach  den  erhaltenen  Resten 
das  Bild  der  o.  200  Schiffshäuser,  die  hier  erriohtet  waren ,  re- 
construiert,  bleibt  sicher  kein  sehr  umfangreicher  Platz  für  die 


^)  '£fp,  ägX'  4SS4  S.  470  Z.  48  ^vxT^«r$'  w  ngog  t[oT\s  y6ii$guH\^  t]ov 


378     

neuzuerbauenden  Schiffe  Obrig.  Dagegen  ist  das  Eetioneiaufer 
mit  seinem  flacheren^  massig  geneigten  <tetHdien  Theil  wohl  ge- 
eignet zu  Schiffsbau  und  Stapedauf.  Ich  darf  anfahren,  dass  auch 
noch  heutigen  Tages  solche  Schiffisbauplatze  hier  angelegt  sind. 
Auch  die  einzigen  hier  noch  sichtbaren  Spuren  des  Alterthums, 
in  dem  Felsen  geebnete  Rampen  und  Steindämme,  stimmen 
durchaus  zu  dieser  Annahme. 

Von  Schiffshausern  finden  sich  dagegen  auf  der  Eetioneia 
keinerlei  Reste,  und  da  hier  am  Rande  jetzt  überall  Steine  ge- 
brochen werden,  hatten  sicher  einige  Überbleibsel  zu  Tage 
treten  müssen.  Aber  wir  wissen  ja,  dass  mehrere  Schiffe  der 
Marine  auch  einfach  auf  das  Land  gezogen  wurden  und  unter 
freiem  Himmel  [vTtal&Qioi)  liegen  blieben:  auch  dafttr  wäre 
hier  geeigneter  Platz. 

Man  kann  noch  hervorheben ,  dass  dem  Getriebe  des  Han- 
delshafens die  Kriegsschiffe  hier  ebenso  entzogen  waren  wie  in 
der  gegenüberliegenden  Bucht  und  insbesondre  dass  zusammen- 
hangende Ansiedelung  auf  der  Eetioneia  ganz  fehlte,  wahrend 
unmittelbar  oberhalb  jener  Bucht  zahlreiche  Reste  von  Hauser- 
gründungen wahrzunehmen  sind. 

Wird  also  der  Annahme,  dass  auf  dem  Eetioneiaufer  in  dem 
eben  naber  dargelegten  Sinne  sich  ausgedehnte  Theile  der 
Werftanlagen.  namentlich  in  dem  mehr  nach  Osten  gelegenen 
Theile  befanden,  nichts  im  Wege  stehen,  manches  dieselbe  em- 
pfehlen, so  wird  nun  eben  durch  diese  Annahme  eine  Deutung 
der  vBioqta  in  dem  grossen  Hafen,  die  Menekles  und  die  Inschrift 
erwähnen,  erm(^glicht,  bei  der  alle  die  oben  geäusserten  Be- 
denken mit  einem  Schlag  wegfallen.  Es  sind  dann  eben  die 
auf  beiden  Ufern ^)  gelegenen  vetogia  (im  sog.  Kantharos  und 
auf  der  Eetioneia),  die  zunächst  den  Molen  lagen,  zuerst  erwähnt, 
dann  wird  das  den  veioQia  auf  der  Eetioneia  benachbarte  Aphro- 
dision  genannt ;  es  folgen  der  Reihe  nach  die  fünf  Hallen ,  die 
bis  zu  den  vedfQia  auf  der  andern  Seite  heranreichen. 

Eine  Anschauung,   die   allmählich  Platz   gegriffen 3),   ist 


4)  Man  könnte  daran  denken,  falls  diese  Annahme  gich  bewahrt,  dass 
in  dem  cormpten  it^^na  des  Menekles  ein  ii  hcatiqt^y  o.  dgl.  stecke. 

5)  Nur  Perrot  hat  bei  der  Besprechung  von  G.  Hinstin,  de  Piraeo 
Aikenarwn  propugnactUo  (Paris  4877)^  in  Rev.  crit.  4877  11  S.  282  sich  von 
diesem  Fehler  freigehalten,  ist  aber  infolge  der  Verwirrung,  die  er  übrigens 
in  die  topographische  Frage  brachte,  nnbeachtet  geblieben.  Zu  besonderer 


379     

freilich  UDmijglich,  wenn  die  eben  vorgetragene  Auffassung  das 
Richtige  trifft;   darüber  ist  zuletzt  noch  mit  ein  paar  Worten  zu 
sprechen.     Man  glaubt  einen  besonders  von  der  Natur  abge- 
grenzten kleineren  Hafen  innerhalb  des  grossen  annehmen  zu 
müssen,  der  speciell  alsKantharoshafen  bezeichnet  werden 
konnte,  und  meint,  dass  das  eben  der  in  der  südlichen  Aus- 
buchtung gelegene  Kriegshafen  gewesen  sei.    Auch  diese  An- 
schauung rührt  von  Ulrichs  her.  Der  umsichtige  Topograph  hatte 
zwar  ursprünglich  (S.  194  Anm.  46)  es  noch  offen  gelassen,  ob 
nicht  der  ganze  grosse  Hafen  diesen  Namen  geführt,  dann  aber 
(S.  1 79  Anm.  53)  als  er  das  entscheidende Zeugniss  des  Menekles, 
das  ich  oben  anführte,  behandelte,  hier  eine  Lücke  statuiert^) 
und  diese  so  ausgefüllt,  dass  nun  der  Kantharos  allerdings  nur 
als  ein  Theil  des  grossen  Hafens  erschien  (er  las  elg  fikv  (6  fie^ 
yiarog  XifX'qp,  evS-a  iv  de^if  TtQunov)  6  Kavd-aqov  ktyiriv) .  Doch 
ist  das  ja  nichts  als  eine  willkürliche  Änderung  der  Oberliefe- 
rung.   Nimmt  man  aber  die  Worte  so,  wie  sie  da  stehen,  so 
bieten  sie  einen  an  sich  durchaus  verständigen  Sinn.   ^Es  gibt\ 
sagt  Menekles,  'in  der  Hafenstadt  drei  verschliessbare  Häfen. 
Der  eine  ist  der  Kantharoshafen ,  an  dem  die  peufQux,  dann  das 
Aphrodision,  dann  rings  um  den  Hafen  die  fünf  Hallen  liegen'. 
Dies  Nebeneinanderstellen  von  reioQia^  Aphrodision  und  Hallen- 
gebäuden ist  ja  sachlich  durchaus  correct  und  nun  durch  die 
schlagende  Parallele  in  der  öfters  angeführten  Restaurations- 
inschrift direkt  bestätigt.    Und  auch  grammatisch  ist  es  durch- 
aus unbedenklich  zu  sagen  nicht  bloss  kifAi^Pj  iv  (p  ra  vetj^ia^ 
sondern  auch  li^riv,  Iv  ^  ro  !Aq)Qodlator ,  al  azoaly  wie  z.  B. 
Xenophon  Anab.  IV  8,  22  Ttokiv  oixovfxerriv  iv  ttjf  Ei^elvqf 
n6vz((}  und  gar  VI  4,  5  to  ofog  Iv  rtfi  kifiivt  schreibt,  um  den 
am  Ufers  Rand  gelegenen  Berg  zu  bezeichnen.     Was  zwingt 
denn  also  in  dem  ganz  unverdächtigen  Zeugniss  nun  doch  eine 
Verstümmelung  anzunehmen?    Doch  gewiss  nicht  die  Notizen 
der  offiziellen  Übergabeurkunden  der  Werftenaufseher,  in  denen 
neben  einander  stehen  die  Schiffshäuser   ev  Mowix^(f  oder 
Movpixiccaiv ,  die  iv  Ziif  und  die  Iv  Kavd-äqov  kcfiiw:  denn 
den  allgemeinen  Ausdruck  iv  Uei^aui  konnte  man  hier  natttr- 

Freude  gereichte  es  mir  aber,  zu  hören,  dass  Dörpfeld  schon  seit  einiger 
Zeit  den  Namen  Kantharos  für  den  ganzen  grossen  Hafen  gebraucht. 

4)  Ich   selbst  habe  mich  dem  früher  (Stadt  Athen  I  S.  314)  ange- 
schlossen und  sogar  eine  neue  Ergänzung  vorgeschlagen. 

1887.  26 


380     

iich  nicht  brauchen;  die  Bezeichnung  ist  aber  gleich  gut,  mas 
man  unter  Rantharos  sich  den  ganzen  grossen  Hafen  oder  Dur 
einen  Theil  desselben  vorstellen.  Sonst  geht  mit  einer  einzigen 
Ausnahme  alles,  was  wir  in  der  Litteratur  über  den  Kantharos 
finden,  zurück  auf  einen  Vers  in  dem  Aristophanischen  FriedeD 
(V.  4  45) .  Es  hat  dort  der  auf  dem  Mistkäfer  [xaV'd-aQog]  reitende 
Trygaios,  befragt  was  er  thun  wolle  wenn  er  in's  Meer  falle. 
—  natttriich  nur  des  Wortwitzes  halber  —  geantwortet,  er  werde 
als  Schiff  einen  NaxischenKantharos  (eine  kleine  Art  von  Schiffen, 
benutzen,  und  fährt  nun  fort  die  Vieldeutigkeit  des  Wortes 
'AOLv&aQog  auszunutzen,  indem  er  auf  die  weitere  Frage,  welcher 
Hafen  ihn  denn  da  aufnehmen  werde,  den  Bescheid  gibt  kv 
Heiqaul  di^Ttov^  an  Kav^aQov  kifii^v  (^zu  dem  Ende  gibt's  im 
Peiraieus  eine  Käferbucht'j .  Aus  diesen  Wortwitzeleien  ist  Air 
unsere  Frage  freilich  nichts  zu  entnehmen,  und  die  Erklärungen 
der  Grammatiker  zu  dieser  Stelle ,  die  sich  dann  wie  gewöhn- 
lich in  die  späten  Lexika  fortgepflanzt  haben ,  wiederholen  nur 
was  aus  Aristophanes  zu  entnehmen  war.  Die  einzige  Aus- 
nahme aber  bildet  eine  Erwähnung  bei  Plutarch,  Phokion  28, 
wo  erzählt  wird,  dass  ein  Myste,  als  er  gerade  ein  Schweinchen 
im  Kantharoshafen  wusch ,  von  einem  Seeungethtlm  halb  ver- 
schlungen worden  sei.  Man  wird  zugeben,  dass  nicht  bloss  für 
diese  Scene  jeder  beliebige  andere  Theil  des  Hafens  ebenso  gut 
passe  wie  der,  wo  die  Schiffshäuser  der  Marine  lagen ,  sondern 
sogar  das  Benutzen  eines  Kriegshafens  zum  Zweck  einer  solchen 
wenn  auch  immer  gottesdienstlichen  Waschung  an  sich  nicht 
eben  wahrscheinlich  sei. 

Also  nennen  wir  den  ganzen  grossen  Peiraieushafen  einfach 
wieder  Kantharos.  Vielleicht  bestätigt  die  Richtigkeit  dieser 
Auffassung  sogar  der  Name  selbst.  Die  Alten  nennen  den  Hafen 
entweder  Kar&aQov  kifii^v  oder  Kdvd'aQog  kifirjv  (so  Plutarch 
a.  a.  O.  und  Suidas  u.  d.  W.).  Gedeutet  ist  der  Name  im  Alter- 
thum  nicht :  denn  wenn  es  in  einem  Scholion  zu  Aristophanes 
a.  a.  O.  heisst,  der  Hafen  habe  seinen  Namen  von  einem  Heros 
Kantharos,  so  ist  erstens  dieser  Heros  sonst  ganz  unbekannt 
und  seine  Existenz  durch  das  späte  Scholion  keineswegs  ver- 
bürgt; und  zweitens  wäre  er,  wenn  er  wirklich  existiert  hat, 
eben  wie  so  viele  ähnliche  Gestalten,  nicht  ein  wirklicher 
inwvv^g^  sondern  nur  nachträglich  hinzuerfunden.  Ich  kann 
aber  die  Vermuthung  nicht  unterdrücken ,  dass,  wie  mancher 


381     

andere  Hafen,  z.  B.  der  Ktßtotog  kifdriv  (Ladenbucht)  in  Ale- 
xandria oder  der  BavQaxog  Xifiriv  (Frosohbai)  an  dem  innersten 
Winkel  des  Golfe  de  Bomboj  dieser  Kantharos  seinen  Namen  von 
der  Gestalt  erhalten  habe.  Das  würde  freilich  auf  die  bis  jetzt 
so  genannte  flache  Ausbuchtung  durchaus  nicht  zutreffen ;  aber 
womit  Hesse  sich  der  grosse  Peiraieushafen  nebst  seinen  zwei 
Ausbuchtungen  passender  vergleichen  als  mit  dem  zweihenk- 
ligen Trinkgefäss,  das  die  Griechen  eben  nav&aQoq  nannten? 

II.  Kallirrhoe  —  Enneakrnnos. 

Die  Fixirung  der  Kallirrhoe  hat  für  die  geschichtliche  £nt- 
wickelung  der  Stadt  Athen  nicht  minder  grosse  Bedeutung  als 
für  deren  Topographie.  Unser  HauptfUhrer  fttr  die  letztere  ver- 
sagt ja  nun  aber  leider  an  diesem  entscheidenden  Punkte,  da 
er  die  Kallirrhoe  und  die  Gebäude  ihrer  Umgebung  inmitten  der 
Periegese  der  Agora  auf  dem  Kerameikos  erwähnt. 

Pausanias  gibt  —  in  dieser  Überzeugung  hat  keiner  der 
zahlreichen  neuerlichen  Angriffe  auf  die  Autorität  dieses  Perie- 
geten  auch  nur  im  Geringsten  irre  machen  können  —  im  Übrigen 
eine  zusammenhängende  Periegese  der  Stadt,  welche  die  örtliche 
Abfolge  nach  Möglichkeit  festzuhalten  sich  bemüht;  immer  ab- 
gesehen von  solchen  Excursen,  wo  er  an  eine  in  richtiger 
Reihenfolge  besprochene  Stiftung  gleich  die  Erwähnung  einer 
oder  einiger  verwandten  anreiht,  welche  Excurse  ich  kurz  im 
Gegensatz  zu  der  topographischen  Darstellung  antiquarische 
nennen  möchte.  Wenn  er  bei  der  Behandlung  der  einzelnen 
Sehenswürdigkeilen  in  grossem  Umfang  auch  die  ihm  vorlie- 
gende periegetische  Litteratur  (im  weitesten  Sinne  des  Wortes] 
und  Localschriftstellerei  verwerthet,  so  ist  das  begreiflich,  ja  im 
Grunde  nur  natürlich :  wer  der  jetzt  an  eine  ähnliche  Aufgabe 
herantritt  macht  es  denn  eigentlich  anders?  Dass  ihm  dabei 
gelegentlich  seine  Notizen  in  arge  VerwiiTung  gerathen  sind, 
ist  ja  zuzugeben :  nur  bedarf  das  jedes  Mal  eines  speciellen  und 
stricten  Beweises,  auch  jetzt  noch,  nachdem  es  Mode  geworden 
ist,  Pausanias  sehr  verächtlich  zu  behandeln. 

Es  ist  zwar  richtig  —  und  dies  erwiesen  zu  haben  ist  ein 
wirkliches  Verdienst  von  Kalkmann  ^)  — ,   dass  Pausanias  bei 


\]  Kalkmann,  Pausanias  der  Perieget.  Berlin  4 SS6. 

26* 


382     

der  Benutzung  seiner  liUerarischen  Quellen  allerhand  eigenth&m- 
liche  Einkleidungen  gebraucht,  dass  er  insbesondere  einzeloeo 
Leuten^  mit  denen  er  persönlich  zu  yerk^ren  vorgiebt,  die  An- 
sichten in  den  Mund  legt ,  die  er  bei  seinen  Autoren  vorfand. 
Diese  Art,  oder  nach  unserer  Anschauung  diese  Unart,  todtes  ge- 
lehrtes Wissen  in  unmittelbare  Rede  und  Gegenrede  umzusetzen, 
ist  ja  aber  weiten  Kreisen  der  antiken  Compilatoren  eigen: 
schlagende  Parallelen  nach  verschiedenen  Seiten  hin  giebt  z.  B. 
ein  Autor,  den  man  zu  den  eigentlich  rhetorischen  Scribenten 
kaum  rechnen  wird,  Gellius  in  seinen  Noctes  Atticae.  Es  wOrde 
aber  doch  ein  sehr  rascher  Schluss  sein,  wenn  man  nun  wegen 
dieser  'Schwindelmanier',  wie  sie  Kalkmann  nennt,  annähme, 
dass  bei  Pausanias  die  ganze  Einkleidung  seines  Buches  in  die 
Foi*m  einer  Reisebeschreibung  im  Wesentlichen  bloss  fiDgiil 
wurde,  während  nur  ganz  ausnahmsweise  einmal  Autopsie  an- 
zuerkennen sei. 

Dazu  ist  die  Sache  doch  wirklich  nicht  angethan.  Wer  so 
entsetzlich  monoton  und  pedantisch  immer  und  immer  wieder 
beschreibt:  'wenn  man  in  die  Stadt  hineinkommt,  liegt  rechts 
dies,  nicht  weit  davon  jenes,  in  der  Nähe  ein  Drittes,  darflber 
hinaus  ein  Viertes  u.  s.  f.',  der  schreibt  mit  dem  lästigen  Eifer 
eines  Autopten :  um  anmuthige  Belebung  seiner  Darstellung  ist 
es  ihm  mit  diesem  topographischen  Rahmen ,  in  den  das  ganze 
bunte  Gewebe  eingespannt  ist,  wahrlich  nicht  zu  thun ;  ihm  ist 
mindestens  geordnete  Wegeführung  eine  Hauptsache.  Und 
sicher  ist  die  topographische  Autorität  des  Pausanias  fttr  uns 
dadurch  nicht  erschüttert;  dass  man  ihm  Abhängigkeit  von  einer 
älteren  Quelle  nachweist.  Denn ,  um  es  hier  einmal  ganz  bei 
Seite  zu  lassen ,  dass  bei  Kalkmann ,  der  diese  Abhängigkeit 
zuerst  in  grösserem  Zusammenhang  verfolgt  hat,  die  Einzelnacb- 
weise  bestimmter  Quellen  mir  vielfach  nichts  weniger  als  sicher, 
öfters  positiv  verunglückt  zu  sein  scheinen,  so  ist  es  für  uds  ja 
nur  ein  Vortheil,  wenn  wir  statt  des  Pausanias  selbst,  der 
sicher  ein  recht  schwacher  Geist  war,  einen  so  bewährten  Führer 
wie  z.  B.  Polemon,  den  gelehrtesten  aller  Periegeten ,  vor  uns 
haben. 

Wenden  wir  diese  Grundsätze  auf  die  Topographie  von 
Athen  an,  so  liegt  dem  der  behauptet,  dass  die  zusammen- 
hängende Periegese  an  der  Stelle,  wo  P.  der  Kallirrhoe  gedenkt, 
zerrissen  sei,  der  Beweis  ob,  dass  dies  geschehen.    Diesen  Be- 


383 

weis  möchte  ich  in  erster  Linie  durch  eine  strenge  Interpreta- 
tion einer  Stelle  des  Thukydides  führen,  indem  ich  zunächst 
ganz  von  allen  sonstigen  topographischen  Erwägungen  absehe. 
Es  ist  das  keine  andere  Stelle  als  die  klassische  Ausführung  des 
Historikers  über  die  Urzustände  von  Athen,  von  welcher  jede 
Stadtgeschichte  Athens  ausgehen  muss  und  über  die  Jeder,  der 
diesen  Problemen  einmal  näher  getreten  ist,  sich  ein  Urtheil  ge- 
bildet hat,  ohne  dass  es  bisher  gelungen  wäre,  die  wünschens- 
wertbe  Einigung  zu  erzielen. 

Thukydides  U  15,  3  beschreibt  zunächst  lAira  den  Umfang 
der  ältesten  Stadt,  wie  er  nach  seiner  Hypothese  in  ältester, 
das  heisst  Yortheseischer  Zeit  bestanden  hat  (im  Gegensatz  zu 
der  Zeit  nach  Theseus ,  wo  durch  dessen  ^woiyna^og  eine  Ver- 
grösserung  der  Stadt  eintrat),  mit  den  Worten  xb  Ttgo  tovvov 
(das  heisst  Qi^oiatg)  ^  aycQOTtokig  fj  vvv  ovaa  TtoXig  rjv  xal  %  b 

Hier  wäre  nun  vor  allen  Dingen  zu  betonen ,  dass  mit  der 
Bezeichnung  vjtb  Trjv  auLQOTtoXiv  oder  vnb  rf]  aKQOTVokec  die 
Lage  solcher  Stiftungen  angegeben  zu  werden  pflegt,  die  noch 
nicht  in  der  eigentlichen  Unterstadt ,  sondern  noch  am  Abhang 
des  Burghügels  auf  halber  oder  viertel  Höhe  liegen,  wie  Paneion, 
Dionysostheater,  Pelasgikon^).  Dass  auch  Thukydides  diesem 
Sprachgebrauch  folgte  zeigt  sich  gleich  im  Folgenden,  wo  er 
(47,  4)  ib  n^laoyixbv  nalovfisvov  %b  VTtb  ttjv  axqoTioXiv 
erwähnt.  Nach  Thukydides'  Annahme  bildete  also  die  älteste 
Gemeinde  auf  athenischem  Stadtboden  die  Besiedelung  der  Burg- 
höhe und  des  Abhangs  des  Burghügels,  namentlich  seines  süd- 
lichen Abhanges.  Unter  v6%og  aber  ist  in  dieser  älteren  Zeit, 
die  nur  die  vier  Hauptwinde  unterschied  (noch  nicht  acht  oder 
zwölf  wie  die  Späteren),  eben  einfach  Süden  verstanden  und 
bildet  den  direkten  Gegensatz  zum  Norden  {ßoQiag):  vgl.  z.  B. 
Plat.  Krit.  p.  4  42»-^. 

Wie  kam  Thukydides  auf  diese  Hypothese?  Ich  erkenne 
an,  dass  bei  dem  jetzigen  Stand  unserer  Kenntniss  von  dem  Um- 
fang der  alten  Pelasgerveste  und  den  Überresten  der  Pelagischen 
Mauer  es  nahe  liegt  daran  zu  denken,  dass  dem  Historiker  eben 
das  Bild  des  üekayixbv  veixog  vor  der  Seele  gestanden  habe. 


4)  S.  Bötticher  III  SppUbl.  d.  Philol.  S.  295 ;  vgl.  Stadt  Athen  I  S.  299 
und  S.  374  Anm.  4. 


384     

Nichtsdestoweniger  würde  diese  Vorstellung  durchaus  irrig  sein. 
Denn  es  handelt  sich  hier  nicht  um  irgend  welche  dunkele  und 
verwischte  Überlieferungen  (flber  die  Zustande  vor  Theseus  gab 
es  auch  zur  Zeit  des  Thukydides  in  Athen  keine  Tradition), 
sondern  nur  um  eine  von  Thukydides  selbst  ausgesonnene  Hypo- 
these, die  er  eben  im  Folgenden  begründet,  nicht  unter  Hinweis 
auf  eine  Überlieferung,  vielmehr  indem  er  aus  bestimmten  In- 
dicien,  wie  sie  im  Sprachgebrauche,  in  der  Lage  alter  Heilig- 
thümer,  im  relieiösen  Brauch  sich  erhalten  haben,  einen  Schluss 
zieht*) .  Treffend  bemerkt  hierüber  Torstrik  im  Philologus  XXXI 
S.  88  f.  »die  besprochene  Stelle  ist  anziehend  . ..  .wegen  des 
Blicks,  den  sie  uns  in  die  Methode  eröffnet,  die  dieser  über- 
legene Forscher  anwendet.  Der  eben  geschilderte  Grundsatz 
(dass  das  in  vorhistorischen  Zeiten  überhaupt  Gebrauchte  sich 
in  religiösen  und  superstitidsen  Handlungen  der  historischen 
Zeit  erhält)  wird  von  den  heutigen  Alterthumsforschern  und 

Mythologen  täglich  angewendet Da  ist  es  nun  interessant 

zu  sehen,  dass  ein  paar  Jahrtausende  vor  uns  schon  derselbe 
Grundsatz  geübt  worden  und  gar  nicht  als  ob  es  etwas  Beson- 
deres wäre,  mit  der  ganzen  Einfalt  und  Anspruchslosigkeit, 
die  uns  in  der  griechischen  Kunst  und  Wissenschaft  immer  von 
neuem  überrascht  und  rührt.«  Hätte  nun  aber  Thukvdides 
seine  Vorstellung  von  dem  Urathen  gewonnen  durch  einen  Hin- 
blick auf  die  alte  Pelasgerveste,  so  hätte  er  das  eben  kurz  und 
deutlich  gesagt.  Da  er  aber  unter  den  TexfuriQia  dieselbe  mit 
keinem  Worte  erwähnt,  so  hat  er  eben  auch  nicht  an  sie  gedacht. 
Noch  weniger  aber  ist  es  zulässig  anzunehmen,  dass  Thukydides 
sich  dieses  Urathen  seiner  Seits  ummauert  vorgestellt  habe.  Das 
widerspricht  völlig  den  in  den  ersten  Kapiteln  seines  Werkes 
mit  Energie  durchgeführten  und  erläutei*ten  Grundansehau- 
ungen  von  den  ältesten  Zuständen  in  Hellas,  wobei  es  ganz 
gleichgültig  ist,  ob  diese  Anschauungen  historisch  richtig  sind 
oder  nicht:  es  sind  eben  seine  Anschauungen  und  nach  diesen 


1)  Ich  unterlasse  es  deswegen  auch  von  Thukydides  seihst  nicht  an* 
geführte  Momente  hervorzuheben,  von  denen  man  sonst  wohl  glauben 
könnte,  dass  sie  das  Entstehen  dieser  Vorstellung  begünstigt:  wie  die  Thu- 
kydides doch  gewiss  wohlbekannte  Thatsache,  dass  noch  bis  zur  Tyrannen- 
zeit herab  die  Stadt  ihre  Entwickeiung  2u  einem  guten  Theil  nach  Süden 
nahm,  wie  denn  ihre  Rhede  im  Phaleros  lag. 


385 

livaren  die  Hellenen  der  ältesten  Zeit  äveixiOTOi  (1  2,2  und  5,4) 
und  hatten  ag)Qäxrovg  ohdiCBig  (I  6, 4 ) . 

Die  Thatsachen,  auf  denen  er  seine  Hypothesen  über  das 
Urathen  aufbaut,  führt  er  ja  aber  selbst  im  Einzelnen  auf,  und 
sie  müssen  wir  zunächst  eingehender  betrachten.  >  Es  sind  ihrer 
vier:  erstens  die  Lage  uralter  Stiftungen  der  bedeutendsten 
Stadtgötter  auf  der  Burg  [xa  yaq  Uqa  kv  avrfi  vr  axQOTtolic 
^xa  aQxatorara  rfig  re  üokiddogy)  ytal  akkcjv  S'B&p  eavi), 
zweitens  die  Lage  anderer  alter  Heiligthümer,  des  Zeus,  der  Ge, 
des  Dionysos  iv  ki^raig^  des  Pythion,  die  zwar  6^cii  aber  TtQog 
Tovto  To  lAfQog  trjg  Ttokeiog  fialtara  YdQVTai,  drittens  der  aus 
ältester  Zeit  fortgeführte  Gebrauch  des  Wassers  der  Enneakrunos- 
Kallirrhoe,  viertens  der  Name  ^öXe^  (officiell)  nochjetztfür  Akro- 
polis  gebraucht  [xaleirai  de  dia  rrjv  naXaiav  Tavrrj  iiarol%rjaiv 
Tcal  fj  äxQOTtokig  fiixQ^  Tovde  Uti  vn  Id^valiov  Ttökig,  wobei 
Datürüch  ravTj]  wie  überall  durch  den  Zusammenhang  genauer 
bestimmt^)  wird). 

Yon  diesen  vier  Gründen  springt  die  Beweiskraft  zweier 
ohne  Weiteres  in  die  Augen,  die  des  ersten  und  des  vierten: 
beide  beweisen  schlagend  die  Besiedelung  der  Akropolis-Hohe 
in  ältester  Zeit;  für  die  Besiedelung  des  südlichen  Burgabhanges 
beweisen  sie  aber  gar  nichts.  Für  diesen  Theil  der  Hypothese 
müssen   wir  das   rexfirjQiop  also   in    den   an   zweiter  und 


i)  Dass  hier  irgendwo  eine  Lücke  anzunehmen  ist,  darüber  herrscht 
Einverstandniss;  betreffs  der  Ausfüllung  sind  die  Ansichten  sehr  verschie- 
den, Classen  setzte  nach  ^6o>y  i<rn  ein  xal  xie  t^ff  jidn^vas ,  nach  axqo- 
tioIb^  vielmehr  xal  vji  avift  t^s  i  I4^vaias  Wilamowitz  in  Hermes  XXI 
p.  617  (warum  ich  das  für  unrichtig  halte,  ist  unten  gesagt),  ebenda  die 
Worte  T«  aQx«^<x  '^V^  t£  TToUäSog  Stahl,  und  ihm  habe  ich  mich  im  Wesent- 
lichen angeschlossen  ,  da  auch  mir  der  Begriff  des  Alters  der  Heiligthümer 
unerlässiich  scheint  (man  könnte  auch  an  xrig  ta  ji^vas  xal  tov  jJibc  no^ 
XUioswxid  Ähnliches  denken). 

2;  So  bezeichnet  Tff  VT i;  im  Vorhergehenden  (5)  in  den  (von  Classen  ohne 
genügenden  Grund  in  ihrer  Ächtheit  angezweifelten,  freilich  an  sich  ent- 
behrlichen) Worten  t^Qvxai  xal  aXXa  leg«  ravtrj  aQxatd,  wie  eben  wieder 
der  Zusammenhang  lehrt,  die  zuvor  genauer  beschriebene  Gegend  l|(tf  und 
nQbg  tovto  rb  fiiqog  itj^  noXamg.  Es  würde  durchaus  nicht  zulttssig  sein, 
aus  dem  Wiederkehr  desselben  Wortes  nach  kurzem  Zwischenraum  zu 
schliessen,  dass  das  Wort  beide  Male  dasselbe  bedeutet.  Es  ist  beiläufig 
für  die  Art  desThukydides  bezeichnend,  wie  wenig  er  sich  vor  der  Wieder- 
holung desselben  Wortes  in  kürzesten  Abständen  scheut,  wie  z.  B.  eben  an 
unserer  Stelle  drei  Mal  hintereinander  xal  akktoy,  xal  iiXXa,  xal  ig  &XXtt, 


386     

dritter  Stelle  vorgebrachten  Indicien  suchen.  Betrachten  wir 
zunächst  den  zweiten  Beweisgrund:  xor^ tu e^w  n^bg  tovto  %b 
fiiQog  Ttjg  Ttökecjg  fiäklov  idQVTat^  %6  tb  %ovdtjbg  'cov^Okvfirtiov 
xai  üb  TlvS-tov  %al  rb  rfjg  F'qg  xal  Tb  kp  ^IpLvaig  dvovvoov  xt/.. 

Auch  hier  muss  zuvörderst  der  Begriff  der  einzelnen  Worte 
scharf  festgestellt  werden.  Was  sind  %h  e^o»?  entnehmen  wir 
aus  dem  Vorhergehenden  zur  nothwendigen  Ergänzung  itqiz 
xa  aq%aubxa%a^  so  sind  es  die  ältesten  e^ai  gegründeten  Heilig- 
thttmer;  unter  e^cu  kann  aber  nicht  etwa  verstanden  werden 
€^cu  Tf\g  äx^oTtöletog,  so  dass  sie  noch  am  Burgabhang  liegen. 
Wenn  solche  Stiftungen  bezeichnet  werden  sollten ^  so  würde 
Thukydides  eben  einfach  auch  hier  vTvb  xijv  omgÖTcokiv  (oder 
^öXip)  gesagt  haben.  Vielmehr  ist  der  zu  ergänzende  Begriff 
deutlich  durch  das  folgende  tovto  xb  fiiQog  xfjg  nokewg  ge> 
geben  (die  Stiftungen  liegen  zwar  ausserhalb  dieses  Theiles, 
aber  doch  nach  ihm  hin) .  Und  mit  tovxo  xb  fiegog  xrjg  Ttolewg 
kann  schon  an  sich  nicht  blos  die  äxQOTVolig  gemeint  sein,  die 
eben  einfach  än^OTtohg  genannt  worden  wäre,  sondern  es  kann 
nur  der  ganze  hier  bezeichnete  Komplex,  Burghöhe  und  Sttd- 
abhang  des  Burghttgels  zusammen  verstanden  werden:  und  auch 
sachlich  ergiebt  nur  dies  einen  verständigen  Sinn. 

Doch  bevor  wir  das  weiter  verfolgen,  ist  wichtig  festzu- 
stellen,  dass  somit  alte  heilige  Stiftungen  am  Südabhang  des 
BurghUgels  der  heimische  Historiker  an  dieser  Stelle  nicht  an- 
führt, und  doch  wären  sie  für  den  Erweis  des  zweiten  Theiles 
seiner  Hypothese  so  wichtig  gewesen.  Wir  dürfen  also  sagen, 
er  kannte  an  diesem  Südabhang  keine  sehr  alten  Stiftungen ; 
woraus  dann  mit  Nothwendigkeit  weiter  folgt,  es  gab  hier  keine. 
Und  das  ist  für  die  geschicblliche  Entwicklung  dieses  Theiles 
des  Burghügels  ein  sehr  wichtiges  Nebenergebniss ,  das  seine 
volle  Bedeutung  erst  durch  die  jetzt  ermöglichte  genauere  Fest- 
stellung der  Geschichte  des  Pelasgikons  erhält. 

Jene  ausserhalb  des  von  Thukydides  construirlen  Urathens 
gelegenen  Stiflungen  sollen  nun  offenbar  dienen,  den  eben  her- 
vorgehobenen Mangel  zu  ersetzen :  nur  unter  dieser  Voraus- 
setzung begreift  sich  überhaupt  eine  Anführung  derselben;  denn 
dass  sie  die  Besi«delung  der  Burghöhe  nicht  beweisen  können,  ist 
einleuchtend.  Dieser  Supplementairbeweis  für  die  Besiedelung 
des  südlichen  Burgabhanges  hat  aber  —  so  müssen  wir  folgern, 
wenn  wir,  ohne  uns  um  irgend  welche  sonstige  topographische 


387     

Wissenschaft  zu  kümmern,  lediglich  die  eine  Voraussetzung 
machen,  dass  ein  Schriftsteller  wie  Thukydides  genau  weiss 
was  er  schreibt,  man  also  seine  Worte  scharf  nehmen  darf  — 
er  hat  nur  dann  Sinn,  wenn  die  angeführten  Heiligthümer  in  der 
Niederung  lagen,  aber  in  der  Nähe  des  Südabhangs  der  Burg. 
Also  nicht  etwa  im  Südwesten  oder  Westen  in  der  ganzen  Hügel- 
gegend des  Pnyx  (dem  sogen.  Pnyx-Gebirge),  auch  nicht  auf 
dem  Westabhang  des  Burghügels:  denn  in  beiden  Fällen  würde 
ja  der  Schluss  auf  die  Besiedelung  dieser  betreffenden  Gegend 
zu  ziehen  sein.  Dagegen  können  in  der  Niederung,  wo  die 
Äcker  lagen  und  eine  eigentliche  Bewohnung  nicht  eingetreten 
war  (die  Felshügel  waren  sicherer  und  auch  gesunder  zum  Be- 
wohnen] doch  Heiligthümer  gestiftet  sein  und  die  vereinte  Lage 
mehrerer  wird  einen  Schluss  auf  Ansiedelung  in  der  Nähe  ge- 
statten. Wir  können  mithin  nur  im  Süden  oder  Südosten  des 
Burgabhanges  diese  Heiligthümer  voraussetzen;  von  so  be- 
legenen Stiftungen  kann  sehr  wohl  der  Ausdruck  gelten  TtQog 
TOVTO  To  fie^og  Tijg  TtoXswg  idqvtcLc  und  wenn  man  das  vor- 
sichtige f^äXkov  betont;  wird  man  sich  namentlich  für  Südosten 
entscheiden. 

Wenn  wir  nun  aber  hinzunehmen,  dass  im  Südosten,  da, 
wo  später  der  von  Peisistratos  begonnene,  dann  von  Aotiochos 
umgebaute  und  von  Hadrian  vollendete  Prachtbau  des  Olym- 
pischen Zeus  lag,  von  Alters  her  eine  heilige  Stätte  des  Gottes 
sich  befand,  auf  der  schon  Deukalion  einen  Tempel  erbaut 
haben  sollte  (Paus.  I  48,8),  dass  in  dem  von  Hadrian  herge- 
richteten grossen  TteQißolog  des  Gottes  ein  alter  Hain  der  Olym- 
pischen Ge  sich  befand  (Paus.  I  18,7j,  dass  eben  dicht  beim 
Olympieion  auch  das  Pythion  lag  (Paus.  H9,1;  Strab.  IX  p.404), 
so  kann  füglich  nicht  gezweifelt  werden,  dass  Thukydides  eben 
diese  Stiftungen  meint;  auch,  wenn  wir  leider  nicht  in  der 
Lage  sind  das  Heiligthum  des  Dionysos  ir  Al^ivatg  genauer  zu 
fixiren,  für  das  wir  mit  Sicherheit  nur  annehmen  können,  dass 
es' gleichfalls  in  der  Niederung  lag;  denn  auf  athenischen  Fels- 
hügeln giebt  es  keine  Sümpfe. 

Immerhin  behält  die  ganze  Beweisführung  des  Thukydides 
für  uns  noch  etwas  Befremdliches,  so  lange  wir  an  die  Gestalt 
des  Burghügels,  sowie  sie  sich  uns  jetzt  darstellt,  denken.  Hier 
muss  nun  aber  eine  wesentliche  Modification  eintreten. 

Die  jüngsten  Ausgrabungen  auf  der  Akropolis  haben  ja  ge- 


388    

iehrt,  dass  das  Pia  Dum  der  Burg-Oberfl&che,  soweit  man  über- 
haupt von  einem  solchen  reden  darf,  erst  nach  den  Perserkriegen 
hergestellt  worden  ist,  dass  der  Burgfelsen  nach  allen  Seiten 
schon  innerhalb  der  von  Kimon  (und  Perikles)  gezogenen  oberen 
Burgmauer  nach  allen  Seiten  abfiel  und  dass  die  damals  in  den 
inneren  Burgraum  hineingezogenen  Ränder  erst  durch  beträcht- 
liche Aufschüttung  erhöht  werden  mussten  (bei  denen  eben  die 
von  den  Persern  zertrümmerten  Bauten  und  Monumente  als 
Schuttmasse  dienten] .  Insbesondere  zeigt  sich  schon  jetzt  hin- 
länglich  deutlich,  wie  stark  der  ganze  Burgfelsen  nach  Südosten 
geneigt  war,  so  dass  vor  dem  Beginn  der  pelasgischen  Festung 
hier  ein  gutes  Stück  der  südöstlichen  Partie  gar  nicht  mehr  zum 
Burgplateau,  sondern  bereits  zu  dem  Südabhang  gerechnet 
werden  musste.  Und  eben  deswegen  war  es  nöthig,  dass  die 
pelasgische  Fortißcation  schon  etwa  in  der  Mitte  des  Ostrandes 
des  Burghügels  und  noch  zehn  Meter  innerhalb  der  Linie  der 
nachpersischen  Burgmauer  an  den  natürlichen  Felsen  ansetzte, 
um  nun  in  weitem  Bogen  den  Südabhang  des  Burghügels  zu 
umspannen.  Die  letzten  Tage  meiner  Anwesenheit  in  Athen 
wurde  gerade  noch  auf  eine  längere  Strecke  diese  pelasgische 
Mauer  bloss  gelegt;  sie  ist,  wie  ich  erfahre,  südlich  bis  zu  der 
Stelle  verfolgt,  wo  die  Kimonische  Burgmauer  auf  sie  aufsetzt. 
Als  nun  nach  den  Perserkriegen  die  Umgürtung  des  durch  Auf- 
schüttungen erweiterten  Burgplanums  durchgeführt  war,  fiel 
ein  Stück  der  alten  pelasgischen  Festungsmauern,  die  natürlich 
vor  allem  auch  durch  die  persische  Zerstörung  gelitten  haben 
müssen,  noch  innerhalb  des  jetzigen  inneren  Burgraumes,  und 
wurde  hier,  soweit  sie  noch  stand ,  mit  zugeschüttet.  Und  nun 
begann  und  wurde  durch  das  fünfte  und  zum  Theil  noch  vierte 
Jahrhundert  und  wohl  noch  später  fortgesetzt  die  Umgestaltung 
des  Südabhanges  des  Burghügels  durch  die  Beschneidung  der 
Felswände,  wie  sie  die  Anlagen  für  das  Theater,  die  ver- 
schiedenen zum  Asklepieion  gehörigen  Räume  und  Anderes  er- 
heischten. 

In  der  ältesten  Zeit,  wo  noch  keinerlei  künstliche  Eingriffe 
in  die  natürlichen  Verhältnisse  stattgefunden  hatten,  war  aber 
hier  zwischen  Südabbang  und  Burghöhe  ein  unmittelbarer  Zu- 
sammenhang: und  einem  Athener  des  fünften  Jahrhunderts, 
der  sich  um  die  Erforschung  der  ältesten  Zustände  seiner  Vater- 
stadt bemühte,  kann  dies  Verhältniss  nicht  unbekannt  gewesen 


389     

sein.  Wir  haben  also  in  Thukydides'  Urathen  eine  zusammen- 
bringende  Besiedelung  des  Burgfelsens,  der  nach  Norden  im 
^Wesentlichen  steil  abfiel  i),  aber  nach  Südosten  sich  neigte  und 
in  allmählicher  Senkung  zur  Niederung  überging.  Wenn  also 
hier  auf  der  Südostpartie  ein  wie  immer  beschaffener  Aufgang 
zur  Burghohe  vorhanden  war  und  die  Communikation  mit  der 
südlich  gelegenen  Niederung  vermittelte,  so  begreift  es  sich  nun 
völlig,  wie  die  Stiftung  des  Olympieions  und  der  benachbarten 
Heiligthümer  zum  Beweis  der  Besiedelung  des  Sttdabhangs  der 
Burg  von  Thukydides  verwandt  werden  konnte. 

Um  das  bisher  Festgestellte  zusammenzufassen,   so  liegt 
das  Verfahren,  das  Thukydides  anwendet  um  Ergebnisse  für  die 
Erkenntniss  der  Zustände  der  ältesten  athenischen  Gemeinde  zu 
gewinnen,   nun   klar  vor  uns.    Er  findet^   dass  im  officiellen 
Sprachgebrauche  die  Akropolis  noch  zu  seiner  Zeit  Ttölig  heisst : 
also,  schliesst  er,  bildete  diese  einmal  die  Gemeinde.   Diesen 
Schluss  bestätigt  ihm  auch  die  Lage  der  ältesten  Heiligthümer 
der  Hauptgötter  der  Gemeinde  auf  der  Burg.   Die  so  gewonnene 
Vorstellung  steht  dem  grossen  Historiker  auch  in  vollem  Ein- 
klang mit  dem  Bild,  das  er  sich  von  der  ältesten  Periode  der 
hellenischen  Geschichte  entworfen  hat,  zu  welcher  Zeit  er  ein 
fortwährendes  j» bellum  omnium  contra  omnes«  voraussetzt.     In 
solcher  Zeit  mussten  ja  naturgemäss  vor  allem  Berghöhen  zur 
Niederlassung  aufgesucht  werden ,  da  sie  einigen  Schutz  gegen 
plötzlichen  Überfall  gewährten.   Soweit  steht  alles  in  schönstem 
Einklang.     Nun    fällt  aber    dem   überall   das   Faktische    mit 
stt*engster  Gewissenhaftigkeit  prüfenden  Forscher  auf,  dass  eine 
Gruppe  uralter  Stiftungen  in  der  Niederung  südöstlich  des  Burg- 
hügels belegen  ist.    Wie  ist  diese  Thatsache  mit  der  bereits  ge- 
sicherten Vorstellung  von  der  Lage  der  ältesten  Ansiedelung  auf 
athenischem  Stadtboden  in  Zusammenhang  zu  bringen?    Die 
Ansiedelung  sich  bis  dorthin  ausdehnen  zu  lassen,  geht  nicht 
wohl  an;  denn  einmal  würde  der  Umfang  dieser  ältesten  Nieder- 
lassung zu  gross,  und  zum  Andern  ginge  ja  dann  der  durch  die 
Zeitverhällnisse  erforderte  Schutz  der  gesicherten  Lage  auf  er- 
höhtem Terrain  ganz  verloren  (vielmehr  wäre  hier  der  Überfall 
von  den  nahen  Agrahügeln  mit  Leichtigkeit  auszuführen  ge- 


1]  Mit  einer  interessanten  Ausnahme,  über  die  der  zweitnächste  Auf- 
satz handeln  wird. 


1 


390     

wesen) .  Also  darf  nur  aDgenommeD  werden,  dass  diese  Gruppe 
in  der  Nähe  der  ältesten  Polis,  nach  ihr  zu  lag,  mithin  der 
Burghttgelansser  auf  der  Höhe,  namentlich  an  seinem  slld  liehen 
Abhang  besiedelt  war,  womit  zugleich  die  natürlichen  Verhält- 
nisse gat  stimmen,  da  der  steil  abfallende  Nordabhang  von  der 
Burghöhe  fast  ganz  geschieden  war,  dagegen  dieser  Sttdabhang 
ursprünglich  in  allmählicher  Abdachung  nach  der  Niederung 
herunterging,  insbesondere  nach  Südosten  sich  in  einer  Reihe 
von  Absätzen  senkte,  so  dass  auf  Burghöhe  und  diesen  Theiien 
des  Abhangs  eine  zusammenhängende  Niederlassung  ausführbar 
war  und  das  so  erschlossene  Urathen  in  der  That  auch  nach  jener 
Gruppe  hin  sich  wandte,  beziehungsweise  jene  nach  diesem. 

Es  bleibt  das  vierte  Stück,  das  von  der  Enneakrunos 
handelt.  Wir  beginnen  wieder  mit  einer  Exegese  der  fiber- 
lieferten Worte (5),  xal  rf]  ic^iQ^fj  rfj  vvv  fikv  xuiv  %vqQvviMtv  ovrw 
axevaaapviov  ^EvveaicQovp(^  utakovfiivf]^  v6  dk  nakai  q>ar€QMV 
Tütr  Tirjycjp  ovaüv  KakkiQQoi]  wrofiaafiivf]  exeivoi  re  kyyiK 
ovarj  rä  TtXeiaTOv  ä£ia  exQ^övro  xai  vvv  in  anb  rov  aQxaiov 
TtQÖ  re  ya^Lxwv  xai  eg  äkla  twv  hqwv  voiiiCetai  Tirß  vdcm 
XQrjaO-at. 

Hier  ist  zunächst  ixeivoc  für  ixeivi}  schon  von  Bekker  corri- 
girt  und  es  kann  hier  ein  Zeitbegriflf  eben  so  wenig  entbehrt  als 
in  exeivj]  hineingelegt  werden.  Femer  darf  für  nleUfvav  nicht 
mit  Torstrik  a.  a.  0.  S.  86  aus  cod.  B  TtkeiOTa  eingesetzt  werden: 
es  handelt  sich  um  die  bedeutendsten,  nicht  um  die  meisten 
Ceremonien.  Die  Worte  geben  keinen  Gegensatz,  wie  er  durch 
pUv  und  de  zu  bezeichnen  wäre,  sondern  stellen  die  beiden  Ge- 
danken parallel  neben  einander:  sowohl  die  Alten  brauchten 
das  Kall  irrhoe- Wasser  zu  den  wichtigsten  Ceremonien,  als  auch 
heutigen  Tages  noch  ist  es  üblich,  es  zum  Brautbad  und  andern 
heiligen  Handlungen  nach  alter  Sitte  zu  verwenden. 

Es  bestand  also  zur  Zeit  des  Thukydides  der  Brauch,  aiis 
jenem  Quellhause  zu  heiligen  Ceremonien  das  W^asser  zu  holen, 
von  Alters  her  fort:  und  diese  Sitte,  die  er  auch  in  älteste  Zeit 
zurückführt  (getreu  dem  acht  hellenischen  Grundsatz,  Mm  Gottes- 
dienst ändert  sich  nichts^},  soll  ihm  nun  auch  zur  weiteren  Be- 
kräftigung seiner  Hypothese  über  Urathen  dienen.  Wie  ist  das 
möglich?  Das  hinzugefügte  kyyvg  ovaj]  zeigt  den  Weg:  den  da- 
maligen Athenern  lag  die  Quelle  nahe,  und  so  ist  es  gekommen, 
dass  sie  sich  ihres  Wassers  bedienten.    Den  jetzigen  Athenern 


391     

dagegen  —  das  ist  indirect,  aber  mit  Nothwendigkeit  aus  dieser 
Ausfahrung  zu  entnehmen  —  liegt  sie  fern,  und  nur  weil  as  ein 
alter  religiöser  Brauch  ist,  bedienen  sie  sieh  ihrer  xal  vvv  m. 

Machen  wir  uns  den  Gang  der  Combinalion  des  Thukydides 
klar,  so  leuchtet  ein,  dass  die  Benutzung  des  Kallirrhoe-Wassers 
zu  seiner  Zeit  etwas  gehabt  haben  muss,  was  sich  nicht  aus  der 
gegenwärtigen  Gestalt  der  Dinge  erklären  Hess,  vielmehr  be- 
fremdete :  mit  andern  Worten,  sie  muss  von  dem  jetzigen  städti- 
schen Mittelpunkte  weit  entfernt  gelegen  haben.  Und  zwar  ist 
nach  allem,  was  bisher  dargelegt  ist,  eben  so  unzweifelhaft, 
dass  sie,  um  für  die  Hypothese  von  der  Ausdehnung  jenes 
Urathen  beweiskräftig  zu  sein,  eben  wieder  südlich  oder  viel- 
mehr südöstlich  der  Burg  gelegen  haben  muss.  Setzen  wir  den 
anderen  Fall,  die  fragliche  Quelle  habe  etwa  am  Nordwestfuss 
des  Burghügeis  gelegen,  so  würde  Thukydides  nimmermehr  zu 
einem  solchen  Schlüsse  gekommen  sein :  was  war  einfacher, 
als  dass  man  die  nächst  dem  Markte  (oder  gar  auf  dem  Markte 
selbst)  gelegene  Quelle  benutzte?  wie  konnte  man  daraus*  auf 
die  Existenz  einer  uralten  Polis  schliessen ,  die  auf  der  Burg- 
höhe gelegen  sich  nach  Süden  herabsenkte?  Dagegen  lag  sie 
im  Südosten  dem  damaligen  städtischen  Treiben  so  fern  als 
möglich,  da  dies  sich  eben  um  den  Markt  concentrirte  und  um 
die  Strassen,  die  nach  Nordwesten  führten;  war  doch  die  fre- 
quenteste  Vorstadt  ganz  nach  Nordwesten  in  den  äusseren  Kera- 
meikos  vorgeschoben,  und  übrigens  die  Stadtgrenze  weit  nach 
Norden  ausgedehnt.  Jenen  Alten  aber  lag  die  Quelle  nahe,  ins- 
besondere wieder  dann,  wenn  wir  die  oben  eingehender  be- 
sprochene Neigung  des  Burgterrains  nach  Südost  und  die  Zu- 
gänglicbkeit  desselben  an  der  Südostecke  uns  vergegenwärtigen. 

Damit  ist  meines  Erachtens  nun  durch  das  Zeugniss  des 
Thukydides  erstens  ausgeschlossen  die  Möglichkeit  anzunehmen, 
dass  Pausanias  die  Enneakrunos  gelegentlich  seiner  Wande- 
rungen auf  der  Agora  angetroffen  (oder,  wenn  man  lieber  will, 
bei  seiner  Beschreibung  der  Agora  die  £nneaki*unos  in  richtiger 
topographischer  Anreihung  habe  erwähnen  können) .  Zweitens 
aber  sind  wir  für  die  Fixirung  der  Kallirrhoe-Enneakrunos  eben 
so  definitiv  nach  der  südöstlichen  Partie  des  Stadtgebiets,  also 
in  die  Nähe  des  Olympieions  gewiesen.  Nun  setzt  nicht  bloss 
die  Beschreibung  im  Ps.  Platonischen  Axiochos  p.  364  ^  die 
Rallirrhoe  in  die  Nähe  des  Uisos,  sondern  ein  aus  guter  ale- 


392     

xandrinischer  Erudition^)  stammendes  Zeugniss  [Etyin.  Magn.  u. 
d.  W.  ^Ew€a%Qovvog)  sagt  ebenso  ausdrücklich,  dass  die  Ennea- 
krunos  bei  dem  Ilisos  {TtaQa  rbv  ^Iliaaov)  lag. 

Und  eben  nalie  des  Olympieions  befindet  sich  im  eigent- 
lichsten Sinne  des  Wortes  Tragä  tbv  ^Ikiaaov  die  bis  auf  den 
heutigen  Tag  Kallirhoi  genannte  Quelle.  Es  durchsetzt  nämlich 
hier  das  Ilisosbett,  dasselbe  in  grosser  Breite  quer  durchziehend, 
ein  senkrechter  Felsriff,  der  durch  einen  Vorsprung  in  zwei 
ungleiche  Hälften  geschieden  ist:  die  linke  (östliche)  ist  hoher 
und  ihrerseits  wieder  in  zwei  Grotten  gegliedert.  Hier  quoll 
das  Wasser,  das  in  dem  oberen  Ilisosbett  einsickerte,  und  wahr- 
scheinlich auch  das  seiner  Nachbarschaft  3),  in  unterirdischcD 
Stollen  gefasst,  hervor;  gleichwie  bei  dem  sog.  Xowqo  vi]» 
JäfpQodlrrjg  am  Rande  der  Terrasse,  auf  der  das  alte  Korinth 
lag,  das  Quellwasser  aus  engen  Gängen  hervorströmt. 

Der  Name  Kallirhoi  haftet  an  dieser  Gegend  bereits,  als 
zum  ersten  Male  direkte  Kunde  von  Hellas  nach  dem  gebildeten 
Europa  gelangte;  bei  dem  sog.  Wiener  Anonymus  §  7  erscheint 
er  schon;  ja  auch  der  Graeculus,  der  an  den  Rand  des  codex 
Glareanus  des  Photius  einige  geographische  und  sprachliche 
Notizen  beischrieb,  kannte  den  Namen  bereits^),  beziehungs- 

i)  ^EyveaxQovvos '  Kf^tjvr}  ^^^vr^ai  naget  toy  'IXiaaoy,  §  ngait^v 
KaXXt^Qorj  iaxey  (in  den  Worten  nq.  K.  I.  erkennt  Meineke  den  Vers  eines 
Alexandrinischen  Dichters;  das  in  Prosa  ganz  ungebräucbliche  itrxsy  spricht 
entschieden  dafür),  i[(p*  jjs  xa  Xovxqa  tuis  yafxovfiiyatg  fittiaci.  Dann  folgt 
Citat  des  Verses  des  Polyzelos  (Meineke,  Com.  Gr.  II  p.  868).  Aosdrttcklicb 
wird  die  Quelle  dieser  Nachricht  am  Schluss  als  ein  rhetorisches  Lexikon 
bezeichnet,  offenbar  dasselbe,  aus  dem  Harpokrat.  u.  d.  W.  Xovrqotpoqoi 
imd  Genossen  (Phot.  Suid.],  auch  Pollux  III  43  schöpften,  das  auch  das 
Komikercitat  gegeben  haben  muss.  Danach  wird  der  bei  Harpokr.  citirt« 
noXvmitpayof  nsgi  vtgrjy&y  als  gemeinschaftliche  Quelle  gelten  dürfen. 
Dieser  selbst  kann  aber,  wie  schon  längst  vermutbet  ist,  kein  anderer  sein 
als  der  Kallimachier  Philostephanos  aus  Kyrene,  der  in  seiner  ganzen  geo- 
graphisch-antiquarischen Schriftstellerei  ein  getreuer  Schüler  seines 
Meisters  war.  Wir  kommen  also  mit  diesen  Nachrichten  in  den  Kreis  der 
Kallimachischen  Schale  hinein ,  deren  durch  Umfang  und  Tiefe  bewunde- 
rungswerthe  antiquarische  Studien  noch  nicht  wie  sie  es  verdienen  ver- 
folgt und  gewürdigt  sind. 

S)  Der  Lauf  der  zahlreichen  Stollengänge,  deren  Öffnungen  sich  noch 
in  den  Nischen  der  Ostpartie  des  Feisriffes  nachweisen  lassen ,  müsste  ge- 
nauer verfolgt  werden  ,  um  die  Provenienz  der  verschiedenen  Wasserzu- 
flüsse festzustellen. 

8)  Bei  Phot.  u.  d.  W.  Xovtqo^ogog  steht  zu  den  Worten  ix  t$r  rvr  fdi*' 


393     

weise  bezeugt  er,  dass  der  Name  noch  zu  seiner  Zeit  an  dieser 
Stätte  bewahrt  blieb. 

Diese  Rallirrhoe  wurde  von  den  Tyrannen  in  eine  ivpect" 
xQowog  verwandelt,  d.  h.  sie  bauten  ein  Brunnenhaus  mit 
neun  Öffnungen,  aus  denen  das  zusammengefasste  Wasser 
hervorsprudelte.  Denn  fälschlich  bezieht  man  die  xqovvoL  auf 
die  das  Wasser  zuleitenden  Stollen  und  meint  sogar,  wenn  man 
deren  neun  nachweist  (es  waren  faktisch  dereinst  sogar  wohl 
mehr  als  neun],  'damit  die  Identität  dieser  Anlage  mit  der 
Enneakrunos  dargelegt  zu  haben.  Früher  sprudelte  das  Wasser 
eben  q>av€QÜv  TttiyGtv  hervor;  die  Tyrannen  verdeckten  das 
Ganze  und  stellten  durch  ihren  Bau  eine  ivvea-KQovvog  her, 
was  alles  ja  Thukydides  so  deutlich  wie  möglich  sagt,  d.  h.  in 
dem  Bau  waren  neun  wahrscheinlich  künstlerisch  wohlverzierte 
BrunnenOffhungen.  Und  wenn  Kratinos  sich  die  Parodie  erlaubte 

ava^  ^^Ttoklov,  rtjv  Ijttav  rwv  ^eviiaviov 
ytavaxovai  rcrjyal  •  icoder.äycQOVvov  arof-ia, 
^IXiaoog  Iv  cpaQvyyc  rl  av  eiTCoifi  eri] 

so  verstand  er  doch  unter  den  zwölf  xQovvoi  auch  Brunnen- 
mündungen, nicht  Kanäle,  die  er  nach  seinem  Bilde  vielmehr 
ev  cpaqvyyi  gesucht  hätte. 

Freilich  hat  die  Stätte  jetzt  durch  verschiedenartige  Ab- 
bröckelung  sich  sehr  verändert.  Aber  eins  sieht  man  doch  klar, 
dass  ein  Einwand ,  der  gegen  die  Anlage  eines  Brunnenhauses 
an  dieser  Stelle  aus  dem  jetzigen  Zustand  entnommen  werden 
könnte,  nicht  zutrifft.  Jetzt  wird  nämlich  diese  ganze  Stelle, 
sobald  der  llisos  stärker  anschwillt  [nach  Regen,  namentlich  im 
Frühjahr),  von  den  trüben  Fluthen  des  Flusses  in  einem  starken 
Wasserfall  überschwemmt ,  der  den  c.  6  m  hohen  Felsen  her- 
unterstürzt. Im  Alterthum  war  dagegen  Vorkehrung  getroffen 
dies  zu  verhindern.  Es  wurde  nämlich  das  Wasser  des  llisos 
auf  der  rechten  Seite  an  der  Enneakrunosanlage  vorbeigeleitet. 

'£yyeaxQovyov  xaXovfiiyr^i'  XQtjyt^^,  n^oxB^ov  dl  KaXXiQorjg  von  junger,  etwa 
aus  Anfang  des  45.  Jahrhunderts  (s.  Phot.  lex.  p.  4  42  ed.  Lips.  Anm.  2} 
stammender  Hand  itXXa  %al  yvv  aünj  KakXiQoij  xaXeiTai,  Dieselbe  Hand 
bemerkte  zu  der  Gl.  Kid'tnQtay  richtig  to  xuXovfMByoy  Kaqvdijc  (noch  jetzt 
Karydi)  und  zu  der  Gl.  /if^Xaytov  nediov  ähnlich  xo  vvv  Xsyofieyoy  reiXoty- 
toy  (mir  unbekannt),  endlich  zu  der  61.  hno  /LiaXijc  folgendes:  äXXa  xovro 
to  (i^riiAtt  xQf^ytfif^  yavXioi  (doch  wohl  NavnXioif)  xa&oXov  fiaXrjy  Xi* 


394      

Man  sieht  in  dem  westlichen  Theil  des  oben  erwähnten  Fels- 
riffes,  der  hier  schon  an  und  für  sich  niedriger  ist  als  auf  der 
östlichen  Hälfte,  mit  grosser  Sorgfalt  einen  bis  4  m  75  tiefen 
Einschnitt  in  einer  Breite  von  372 — ^  ^  ^^d  in  einer  Länge 
von  33  Schritt  eingehauen  (auf  dem  Blatt  X  des  Atlas  von  Athea 
von  Curtius  und  Kaupert  ist  dieser  Einschnitt  roth  gezeichnet 
und  mit  N.  3  angegeben).  Vom  Ende  dieses  eingeschnittenen 
Felskanals  stürzte  sich  das  Wasser  den  Felsabhang,  der  hier 
noch  4  m  hoch  ist,  in  die  Westbucht  herunter.  Das  alte  Bett 
des  Ilisos  liegt  also  rechts  (westlich)  der  Kallirrhoe  und  in  dieses 
wurde  auch  durch  einen  Kanal ,  der  vom  Olympieion  herläuft, 
dann  plötzlich  in  stumpfen  Winkel  abbiegt,  das  Wasser  dieser 
Gegend  vor  die  Ausbuchtung  geleitet  ^) .  Man  sieht  also  deutlich, 
es  wurde  für  nöthig  gehalten,  die  Osthälfte  vor  dem  Überfluthen 
des  Ilisos  zu  schützen :  warum?  doch  wohl  eben  weil  hier  eine 
Anlage  war,  die  geschützt  werden  musste. 

Nun  hat  man  freilich  Kallirrhoe  und  Enneakrunos  scheiden 
wollen:  zu  Thukydides'  Zeit  sei  der  Name  Kallirrhoe  aus  dem 
Gedächtniss  der  Athener  schon  verschwunden  gewesen  und  nur 
ein  so  gelehrter  Forscher  wie  Thukydides  habe  ihn  noch  ge- 
kannt. In  der  That  geht  hier  alles  auf  die  Worte  des  Thukydides 
zurück,  dessen  Ausdrucksweise  wohl  zu  dieser  Annahme  ver- 
führen konnte:  jene  anderen  Zeugnisse  aus  dem  rhetorischen 
Lexikon  (Ix  rfjg  vvv  fiev^EpveaxQovvov  TcaXovuivrjg  y^QtjyrjQj  rtqo- 
TSQOV  de  KakliQQOTjg  Harpokr.  Phot.)  wiederholen  ja  lediglich 
Thukydides'  Zeugniss.  Aber  der  Historiker  hebt  doch  nur  hervor, 
dass  der  Name  Enneakrunos  erst  durch  den  Bau  des  Peisistratos 
aufgekommen  sei  (wahrscheinlich  im  Hinblick  auf  Herodotos. 
der  VI  137  ganz  naiv  von  Enneakrunos  zur  Zeit  des  Kekrops 
gesprochen  halle),  dass  aber  der  alte  Name  Kallirrhoe  sei.  Und 
dass  er  in  der  That  nicht  ganz  ausser  Gebrauch  gekommen, 
zeigt  ja  doch  schon  die  bereits  von  Löschke  angeführte  Vase  aas 
dem  5.  Jahrb.,  die  die  KaXiQorj  TtQrjprj  darstellt  in  ihrer  Ver- 
wendung zum  lovTQov  vvg.iq>ni6v  (C.  i.  Gr.  III  N.  8036).  Und 
wir  müssen  das  Zeugniss  des  ziemlich  späten  *)  Axiochos  jetzt 


4 )  Auf  der  Karte  bei  Curtius  mit  a  bezeichnet ;  gleich  unterhalb  des 
stumpfen  Winkels  war  über  den  Kanal  eine  Platte  (0^56  m  breit,  4,81  laagj 
gelegt,  fttr  deren  Auflage  der  Felsen  hergerichtet  ist  (die  Ränder  sind  ia 
den  Felsen  eingeschnitten). 

2)  Vgl.  Usener,  Epicurea  p.  LVII. 


395     

gleichfalls  als  UDKweifelhafi  mit  verwenden ;  denn  diese  Kallir- 
rboe  am  Ilisos  von  der  Enneakrunos  am  Uisos  kann  nun  ja  doch 
Niemand  mehr  mit  einem  Schein  der  Probabilität  scheiden 
wollen. 

Also  das  halte  ich  für  ganz  sicher,  dass  Kallirrhoe  und 
Enneakrunos  eins  sind  und  dass  die  Stelle,  an  der  der  Name 
Kallirrhoe  haften  blieb  bis  auf  den  heutigen  Tag,  eben  die 
Enneakrunos  ist,  fttr  die  vulgär  Kallirrhoe  immer  weiter  gesagt 
sein  wird,  welcher  Name  ganz  von  selbst  wieder  allein  hervor- 
trat, als  der  neunmUndige  Bau  verschwunden  war.  Ich  möchte 
aber  meinerseits  nicht  auf  eine  Einzelpolemik  gegen  die  neueren 
Vorschlage  eintreten,  die  gemacht  sind  die  'unglückselige  En- 
neakrunosepisode'  wegzuschaffen;  es  scheint  mir  auch  im  We- 
sentlichen von  Anderen  bereits  das  Nöthige  gesagt  zu  sein,  z.  B. 
Milchhöfer  1)  und  Curtius');  bei  der  jüngsten  Behandlung  dieses 
Problems,  die  mir  bekannt  geworden^)  und  die  eine  Be* 
sprechung  von  anderer  Seite  noch  nicht  erfahren  hat,  kann  ich 
nur  Einem  meine  bewundernde  Anerkennung  nicht  versagen, 
der  stolzen  Zuversicht  mit  der  sie  schliesst,  'die  Enneakrunos- 
episode  dürfte  nun  definitiv  aus  der  Welt  geschafft  sein'. 

III.  Eridanos  und  Eykloboros. 

Dem,  was  im  Rheinischen  Museum  Bd.  XL  S.  469  ff.  über 
Eridanos  und  Ilisos  ausgeführt  ist,  habe  ich  jetzt  nur  eine  wei- 
tere Bestätigung  hinzuzufügen ,  wie  sie  sich  mir  ergeben  hat, 
als  ich  den  Lauf  der  beiden  Flussbette,  um  die  es  sich  hier 
handelt,  des  von  Kaisariani  kommenden  kürzeren  Armes  (dort 
mit  B  bezeichnet)  und  des  von  Norden  kommenden  längeren  (A) 
an  Ort  und  Stelle  verfolgte.  Der  Arm  B  ist  nämlich  seinem  ganzen 
Charakter  nach  durchaus  ähnlich  dem  Bett  des  Ilisos  unterhalb 
des  Zusammenflusses  der  beiden  Arme;  namentlich  ist  das  linke 
Ufer  dieses  Armes  ganz  gleich  dem  des  weiteren  Laufes.  Um- 
gekehrt ist  das  Bett  des  Nordlaufes  A  wesentlich  verschieden 


4)  Bei  Baumeister,  Denkm.  des  Altertb.  I  S.  4S6. 

3)  Hermes  XXI  S.  303;  vgl.  auch  Erdmann  im  'philol.  Anzeiger^  (4885) 
XV  p.  87  ff. 

3)  Von  Wecklein  in  den  Silzungsbr.  der  Münchener  Akad.  48S7  S.  97, 
der  meint,  das  nXijcloy  des  Pausanias  (diese  Wurzel  alles  Übels)  sei  nur 
Wiedergabe  des  iyyvs  bei  Thukydides  II  h  5. 

4887.  37 


396 

von  dem  des  IlisoS;  so  dass  die  Annahme,  dass  dieser  und  nicht 
wie  bisher  vermuthet  wurde  jener  kürzere  der  Eridanos  sei, 
sich  auch  auf  die  Gleichheit  des  geologischen  Charakters  des 
Bettes  stutzen  darf.  Allerdings  ist  im  Laufe  A  das  Wasser  jetzt 
für  gewöhnlich  betrHchtlicher  als  im  Laufe  B;  aber  dass  auch 
dieser  unverUchtlich  anschwellen  kann  zeigt  die  starke  Arrosion 
der  Ufer. 

In  dem  soeben  ausgegebenen  Hefte  (achter  Halbband)  von 
Mttller's  Handbuch  der  kl.  Alt.  Wiss.  (Bd.  HI  S.  295  Anm.  i] 
schlägt  Lolling  eine  neue  Namengebung  vor,  indem  er  hinwirft, 
ob  nicht  der  Bach,  der  die  Nordgrenze  der  jetzigen  Stadt  bildet 
(von  Curtius  KvKloßoQog  getauft)  unter  Eridanos  zu  verstehen 
sei.  Was  für  diese  Vermuthung  spricht,  hebt  Lolling  selbst 
hervor:  die  platonische  Urburg  erhielte  dann  in  ihm  nach  Nor- 
den hin  eine  Uhnliche  Abgrenzung  wie  nach  Süden  im  Uisos. 
Und  wenn  auch  nicht  ganz  unbedeutend ,  so  doch  nicht  an  sieh 
ausschlaggebend  wäre  das  Bedenken,  dass  nach  Pausanias  (I 
49,  5)  der  Eridanos  in  den  llisos  floss,  während  dies  jetzt  ja 
bekanntlich  für  jenen  Bach  im  Nordwesten  der  Stadt  nicht  zu- 
trifft; er  verliert  sich  jetzt  bei  der  Baumschule;  man  könnte  ja 
immerhin  mit  Lolling  den  Ausweg  vorschlagen,  dass  der  Lauf 
dieses  Baches  ursprünglich  weiter  gereioht  und  in  den  Uisos 
eingemündet  haben  könnte.  Auch  ist,  wie  ich  gleich  zeigen 
werde,  das  Einzige,  was  wir  vom  Kvx.i.oß60og  erfahren,  keines- 
wegs dazu  angethan,  um  die  Vermuthung  von  Curtius  betreffs 
dieses  Baches  zu  sichern.  Ich  würde  also,  da  die  von  mir  gegen 
die  gewöhnliche  Benennung  des  oberen  llisosbettes  hervor- 
gehobenen Bedenken  dabei  ihre  Geltung  behalten  und  erledigt 
werden  könnten  ^  meiner  Seits  dem  Vorschlag  Lolling's  gern 
zustimmen,  wenn  nicht  meines  Erachtens  es  unabweislich  wäre 
den  'Eridanos'  im  Nordosten  der  Stadt  zu  suchen.  Einmal  er- 
wähnt Pausanias  (a.  a.  O.)  bei  seiner  Wanderung  in  dieser 
Gegend  und  nicht  bei  der  im  Nordwesten  den  Eridanos,  und 
zum  Andern  zeigt  die  Polemik  des  Gewährsmannes,  dem  Strabon 
IX  S.  397  folgt  (Apollodoros)  ^j,  dass  der  Eridanos  nahe  beim 
Lykeion  floss ;  denn  er  führt  zu  Gunsten  des  von  Kallimachos 
verlachten  alteren  Epikers,  der  die  Jungfrauen  der  Athener 


4)  In  seinem  Commenlar  zum  Homerischen  Scbiffskataloge:  s.  Niese 
Rhein.  Mus  XXXII  S.  275. 


397     

'das  reine  Nass  des  Eridanos'  schöpfen  liess,  an,  dass  noch  zu 
seiner  Zeit  vor  dem  Diocharischen  Thor  nahe  beim 
Lykeion  Quellen  reinen  und  trinkbaren  Wassers  zu  finden 
seien.  Es  wird  also  doch  wohl  bei  der  von  mir  im  Rhein.  Mus. 
a.  a.  0.  vorgeschlagenen  Benennung  sein  Bewenden  haben 
müssen. 

Was  wir  vom  Kykloboros  wissen,  ist  freilich  zu  wenig, 
um  eine  bestimmte  Entscheidung  zu  geben ;  doch  scheint  gerade 
der  Charakter,  der  diesem  FlUsschen  nach  allen  vorhandenen 
Zeugnissen  zukommt,  auf  den  unschuldigen  Wasserlauf,  der 
vom  Lykabettos  herunterkommt  und  in  der  Ebene  sich  verläuft, 
nicht  zuzutreffen.  Er  war  nUmlich  ein  laultosender  Giessbaoh: 
deshalb  vergleicht  Aristophanes  in  den  Rittern  137  die  lärmende 
Stimme  des  Kleon  mit  seinem  Geräusch  [KvKkoßoQov  cpcovijv 
f-X^^)'  ^'i^d  ebenso  sagt  Dikäopolis  in  den  Acbarnern  V.  354 
voD  Kleon's  leidenschaftlichem  Gebahren  mit  einer  kühnen  Neu* 
bildung  xäxvTclofioQei  %a7tXvv£v. 

Noch  an  zwei  andern  Stellen  erwähnt  ihn  Aristophanes. 
Pollux  X  485  Iv  jQafxaGiv  ij  Nwßfif  It/Qiarocpavrjg  (fr.  275  D.) 
/c€Qi  Tov  KvxkoßoQOv  Tov  7toTafiou  kiyujv ' 

o  tf  ig  t6  7tkiv^elov  yevofievog  i§€TQeipe, 
liier  ist  zwar  im  Verse  etwas  nicht  in  Ordnung;  es  muss  aber 
doch  jedenfalls  von  irgend  einer  Überschwemmung  die  Rede 
'  sein ,  bei  der  der  Kykloboros  in  eine  Ziegelei  eingetreten  war. 
Und  fr.  ine.  539 

(^f.ir]P  ö^  €yioye  ')  top  Kv%koß6qov  xaTuvai^ 
woraus  nichts  weiter  mit  Sicherheit  folgt. 

Die  Erklärungen  der  antiken  Grammatiker  zu  der  Stelle 
aus  den  Rittern  ^]  können  ferner  nicht  lediglich  aus  den  Worten 
des  Dichters  selbst  entnommen  sein,  sondern  beruhen  auf 
anderswoher  geschöpfter  Kenntniss.  Die  erste  Erklärung  schil- 
dert den  Kykloboros  zunächst  in  zutreffender  Weise  als  reissen- 
den  Giessbach :  KvxloßoQog  noxa^iog  xiltv  u^-d^rjvalcjv  ovx  äel 
ovöh  diä  TtCLVcbg  qsvjv  äkka  x€tf,iaQQOvg  {(prjaip  ow  xqaxelav 
(pnyyrjv  €X(ov  xaxkd/ieQ  6  TtoTafibg  iiceidäv  ^it]) . 


i )  So  Brunck  für  iyat. 

2)  Suidas  u.  d.  W.  KvxXoßoQo^  ist  eben  daher  geflossen  und  auch 
Hesych  u.  d.  W.  KvxXoßoQo^'  nojafAog'  xit^lg  Sh  x^^Q^^Q^**  fiBta  %p6q>ov 
qiovcay  hat  keinen  andern  Ursprung,  wenn  auch  der  specifisch  zutreffende 
Ausdruck  x^Q^^Q^  nur  hier  gebraucht  ist. 

27» 


398     

An  zweiter  Stelle  steht  noch  eine  eigenthttmliche  Nolii 
a?Mog'  Ttora^idg  t^q  ^VTLurjg  xuiiiqqovg  6  KvxXoßoQog  vni) 
Jlx^rjvaliov  xiaa-d^eLg  (xriv naxotpiovlav ot/f  %ov  KXitavty; ti- 
'/MOB  Tffi  rixi(f  Tov  Ttovafiov),  Curtius  in  den  kurzen  Erläuteniogeo 
zu  Blatt  II  des  'Atlas  von  Athen'  S.  H  aborsetzi  das  ^vondeo 
Athenern  zum  Theil  überdeckt\  Das  kann  jedoch  in 
Xioa&elg  schwerlich  liegen :  das  Wort  bedeutet  ausschliesslicb 
^zugeschüttet',  was  ja  in  dieser  knappen  Fassung  bestimmt«rt 
Deutung  nicht  erlaubt.  Würe  es  ganz  wörtlich  zu  nehmeo. 
so  hätten  die  Athener  (nalttrlich  in  spaterer  Zeit  als  der  de> 
Aristophanes)  das  Bett  des  Giessbaches  ganz  zugeschüttet;  sie 
mUssten  dann  das  Wasser  irgend  wie  aufgefangen  und  entweder 
w  ie  die  Oinaier  das  ihres  Giessbaches  ^)  zur  Berieselung  ihrer 
Ländereien  in  einem  ähnlichen  Kanalsystem  verwerlhet  oder 
vielleicht  in  eine  Leitung  eingeführt  haben;  es  würde  dann 
freilich  wohl  vergebliche  Mühe  sein,  den  Bach  noch  jetzt  zu 
suchen. 

Aber  auch  wenn  wir  dies  letzte  Zeugniss  ganz  ausser  Spiel 
lassen,  bleibt  doch  so  viel  stehen,  dass  wir  es  mit  einem  reissen- 
den  Sturzbach  zu  thun  haben ,  der  nach  starken  Regengüssen 
in  beträchtlicher  Stärke  floss  und  sich  mit  starkem  Rauschen 
weithin  vernehmbar  machte.  Das  wirdjeder  am  einfachsten  von 
einem  Bach  verstehen ,  der  sich  durch  eine  enge  Bergschiach( 
herunterstürzt.  Und  deren  gab  es  ja  in  Attika  mehrere,  z.  B. 
den  von  Oinoe ,  von  dem  deshalb  Bursian  (Geogr.  v.  Griech.  I 
S.  257)  vermuthet,  sein  eigentlicher  Name  sei  Kmikoßoqo^  ge- 
wesen. Auch  das  ist  ja  nur  eine  Möglichkeit.  Aber  an  die  .N^fbc 
des  Baches  bei  Athen  zu  denken  zwingt  allerdings  nichts;  und 
selbst  der  llisos  bei  der  Kallirrhoe  musste,  wenn  er  ange- 
schwollen war,  viel  stärker  lärmen,  als  jener  von  Curtius  für 
den  KvnXoßoQog  in  Anspruch  genommene  Bach.  Aber  specifisrJi 
bezeichnend  konnte  das  Lärmen  überhaupt  nur  bei  starkem  Ge- 
fälle durch  eine  enge  Schlucht  sein. 

Wenn  Curtius  a.  a.  O.  endlich  den  Namen  Kvxloß6^o<; 
selbst  aussagen  lässl,  dass  ^er  den  Stadtboden  kreisförmig  voi' 
zog',  so  würde  dieses  Merkmal  erstens  für  den  llisos  viel  charak- 
teristischer sein  als  für  jenen  Bach ;  und  zweitens  könnte  aucb 
diese  Bedeutung  nur  dann  in  das  W'ort  hineingelegt  werden, 


1)  S.  Stadt  Athen  I  S.  97  Anm.  4. 


399     

wenn  der  Stadtboden  als  Centrum  irgendwie  sonst  angedeutet 
wAre  oder  sicher  stünde.  Sonst  liegt  in  dem  Worte  an  sich  doch 
nichts  als  der  Begriff  des  Vings  um  sich  fressen'  und  der  ist  bei 
einem  wirbelnden,  tosenden  Giessbach  ja  auch  ohne  Weiteres 
verständlich. 

IV.  Der  KSnigspalast  anf  der  Bnrg  und  die  pelasgische 

Maner. 

Die  Akropolis  in  Athen  war  ursprünglich  eine  KOnigsburg, 
wie  andere  in  hellenischen  Landen  auch :  sie  war  zwar  ausge- 
stattet mit  den  ältesten  und  ehrwürdigsten  Heiiigthümem  der 
Schutzgötter  der  Stadt,  aber  in  erster  Linie  eben  befestigter 
Platz,  die  Citadelle  der  Hauptstadt.    Wann  diese  Befestigung 
entstanden,   davon  ist  keine  Kunde   auf  uns  gekommen:  die 
Athener  schrieben  den  Bau  der  Mauer  dem  räthselhaften  Volk 
der  Pelasger  zu,  die  nachher  aus  dem  Lande  getrieben  wurden  ^). 
Die  Benutzung  dieser  Pelasgerveste  lässt  sich  bis  zu  den 
Perserkriegen  nachweisen.  Nicht  bloss  Ende  des  siebenten  Jahr- 
hunderts hatte  sich  Kylon,  um  sich  der  Herrschaft  zu  bemäch- 
tigen, in  Besitz  der  Burg  gesetzt  und  nur  Hunger  und  Wasser- 
mangel erzwang  die  Übergabe^).  Unter  den  Peisistratiden  woirde 
die  Akropolis  wieder  die  Fürstenburg,  in  die  sich  nach  der  Er- 
mordung des  Hipparcbos  Hippias  ganz  zurückzog  und  auf  der 
er  sich  wohl  auch  gegen  die  Spartaner  hatte  halten  können, 
hätten  ihn  nicht  andere  Gründe  zur  Kapitulation  gezwungen^). 
Und  selbst  in  den  Perserkriegen  wurde  die  Burg  nur  durch 
Überrumpelung  genommen^). 

Die  von  den  Persern  zerstörte  Pelasgerveste,  die  zuletzt  als 
Zwingburg  gedient  hatte,  wieder  aufzubauen  widerstrebte  offen- 
bar der  frisch  gestärkten  Demokratie,  der  der  Gedanke  an  aUes 
was  mit  den  Tyrannen  zusammenhing  ein  Gräuel  war.  Man  be- 
schloss  also  die  Citadelle  nicht  in  der  alten  Weise  wiederherzu- 
stellen ;  was  um  so  eher  unterlassen  werden  konnte  als  jetzt  die 
Stadt  in  ihrem  ganzen  Umfang  mit  einer  zeitgemässen  Um- 


4)  Herodot  Vi  4  37 ;  Philochoros  fr.  5  Müll,  im  Schol.  Lucian.  catapl. 
Dion.  Hai.  I  28. 

2)  Thukyd.  I  426. 

3)  Herodot  V  64  f. 

4)  Herodot  VIII  53. 


400 

mauerung  geschützt  war.  Um  so  mehr  trat  der  Gedanke  in  dei 
Vordergrund,  die  ganze  Burg  zu  einem  grossartigen  Mittelpanki 
des  Gottesdienstes  umzuwandeln  und  hier  alle  Pracht  der 
mächtig  aufstrebenden  Künste  zu  Ehren  der  Götter  zu  ent- 
fallen. Um  aber  die  f^ieyakoTCsvQov  aßarov  ayLQOTtoXiv  zu  einen 
UQov  rif.iBvog  (Aristoph.  Lysislr.  482)  umzuschaffen,  war  es  zu- 
nächst nöthig  ein  grösseres  Planum  auf  der  Oberfläche  der  Bar: 
herzustellen :  denn  ein  solches  fehlte  bisher  trotz  der  ersten 
Applanirungsarbeiten  der  Pelasger,  von  denen  der  älteste  Allhi- 
dograph  Kleidemos  *)  spricht.  So  wurde  der  Beschluss  gefassi 
vor  Allem  die  Oberfläche  selbst  nach  allen  Seiten  auszudehnes 
und  überall  an  den  Bändern  Aufschüttungen  zu  machen,  die 
getragen  wurden  von  den  rings  um  diese  Oberfläche  selbst  neu 
angelegten  Mauern.  Zu  diesen  Aufschüttungen  wurden  —  wie 
die  Ausgrabungen  der  letzten  Jahre  uns  bekanntlich  gelehrt 
haben  —  die  Trümmer  der  zerstörten  Tempel,  die  zerschlagenen 
Monumente,  die  beschädigten  Statuen  rücksichtslos  verwandt. 

Diesem  glücklichen  Umstand  verdanken  wir  es  nun,  das5 
wir  uns  jetzt  ein  deutliches  Bild  davon  machen  können,  wie  es 
auf  der  Akropolis  im  6.  Jahrhundert  aussah,  wovon  wir  bis  jelzi 
ja  sogut  wie  gar  nichts  wussten;  denn  das  wenige,  was  wir  zu 
wissen  glaubten,  hat  sich  als  irrig  herausgestellt. 

Aber  die  Überraschungen  hören  nicht  auf:  nicht  bloss  die 
Zeit  des  Selon  und  der  Tyrannen  steigt  vor  unsem  Augen  aus 
den  Trümmern  wieder  auf.  Noch  auf  viel  frühere  Zeiten,  die 
bereits  in  dem  Dämmerschein  oder  völligem  Dunkel  der  Fabeln 
liegen,  fällt  jetzt  ein  heller  Lichtstrahl. 

In  dieser  Beziehung  gerade  ist  der  Sommer  dieses  Jahres 
ergiebiger  gewesen  als  bisher  irgend  eine  andere  Periode  der 
Ausgrabungen  auf  der  Burg  und  zwar  nach  zwei  Seiten.  Erstens 
sind  nun  einige  Beste  des  ältesten  Königspalastes  wieder  auf- 
gedeckt und  zum  Andern  ist  uns  in  sehr  merkwürdiger  und 
ganz  unerwarteter  Weise  eine  Besonderheit  jener  ältesten  (pe- 
lasgischen]  Fortifikation  klar  geworden,  oder  mit  einem  Worte, 
die  alte  Fürstenburg  ist  uns  in  wesentlichen  Theilen  ihrer  An- 
lage wieder  erkennbar  geworden. 

\]  Fr.  22  Müll,  bei  Bekker ,  Ar.  Gr.  I  p.  449,  27  *xal  ^nidtCoy  i/r 
ttxQonoXiy':  sie  werden  wohl  namentlich  die  stärksten  Spitzen  des  zackigen 
Felslerrains  weggeschlagen  und  beim  Erechthcion  einige  Flüchen  herge- 
tcllt  haben. 


401     

£rechtheus  hatte  auf  der  Akropolis  sein  festes  Haus,  das 
bereits  in  der  ältesten  Urkunde  der  griechischen  Litteratur  er- 
wähnt wird :  in  der  Odyssee  heisst  es  tj  79  f.  von  Athene 

Y'/.ero  eg  MaQa&iova  %al  evQvayviav  t^&rjvrjv^ 
dvve  <J*  ^Eqex^og  Tivxtvov  dofxov. 

Das  ist  die  wohlbekannte  aber  zugleich  auch  einzige  litterarische 
Nachricht,  die  uns  über  den  Königspalast  auf  der  Burg  erhalten 
ist.  Dadurch  wurde  ja  freilich  die  Vermuthung  nahe  gelegt, 
dass  an  dem  Nordrand  der  Burg  etwa  in  seiner  Mitte,  auf  dem 
höchsten  Punkte  dieses  Theiles ,  da  wo  später  das  Erechtheion 
sich  befand,  weithin  in  das  Land  sichtbar  der  Königspalast  ge- 
standen haben  möge. 

Und  in  der  That  macht  alles,  w*as  wir  von  dem  soge- 
nannten Erechtheion  in  historischer  Zeit  erfahren,  den  Eindruck, 
dass  wir  uns  hier  auf  einer  von  Alters  her  geheiligten  und  mit 
dem  Königshaus  eng  verbundenen  Stötte  befinden.   Es  war  ja 
hier  der  merkwürdigste  Complex  von  Cultstätten,  die  eben,  weil 
sie  nach  griechischem  Ritus  am  Boden  hafteten  und  nicht  ver- 
rückbar waren,  später  der  Architectur  ein  unendlich  schwieriges 
Problem  boten.    Hier  war  ja  vereint  der  eigentliche  Cul träum 
der  Stadtgöttin  Athene  und  der  Altar  des  Poseidon,  hier  die 
Wunderzeichen  der  beiden  um  den  Besitz  Athens  streitenden 
Nebenbuhler,  der  heilige  Ölbaum  und  die  Salzquelle;  auch 
Ilephästos  hatte  hier  seinen  Dienst.    Hier  wurde  gleichfalls  als 
Hausgeist  die  Schlange  des  Erechtheus  gehegt  und  des  Erech- 
theus-heros  treue  Pflegerin  Pandrosos  verehrt;  hier  zeigte  man 
auch  die  Königsgräber  des  Kekrops  und  Erichthonios. 

Jetzt  sind  nun  nördlich  und  östlich  des  Erechtheions  in 
einem  Terrain,  das  tiefer  liegt  als  der  Tempelboden,  selbst  als 
das  Pflaster  vor  der  Nordseite,  mächtige  Grundmauern  aus 
Burgkalkbruchsteinen  zum  Vorschein  gekommen;  dieselben 
gliedern  sich  in  mehrere  Gemächer  und  es  zeigt  sich,  dass 
Haupttheile  dieses  Gebäudes  dem  Heiligthume  weichen  mussten, 
das  sich  über  ihnen  erhob.  Es  kann  keinem  Zweifei  unter- 
liegen, dass  wir  es  hier  mit  dem  Königspalast  zu  tbun  haben, 
und  nicht  bloss  dies.  Wir  wissen  ja  jetzt  —  und  zwar  durch 
die  glänzenden  Entdeckungen  Dörpfeld's  —  mit  voller  Sicherheit 
und  vielem  Detail,  wie  in  den  ältesten  Zeiten  die  Fürstenpaläste 
gebaut  waren,  und  dürfen  dieselbe  Einrichtung  für  die  athe- 


402     

nischeKOnigsburg  voraussetzen.  Ich  erinnere  kurz  an  die  Haupt- 
thatsachen. 

In  Tiryns  wurde  zuerst  (1884)  der  Palast  eines  Herrschers 
der  Heroenzeit  blossgelegt :  jetzt  stellte  sich  heraus  (Dörpfeld 
selbst  hob  es  sofort  hervor),  dass  auch  auf  der  Pergamos  von 
Troja  bisher  einem  Tempel  zugeschriebene  R^ume  nichts  wareo 
als  Theile  eines  nach  demselben  Bauplan  errichteten  Herrscher- 
hauses.  Und  im  Sommer  1886  deckte  die  archäologische  Ge- 
sellschaft unmittelbar  unter  der  höchsten  Spitze  des  Berges,  auf 
dem  Mykene  liegt,  Reste  auf,  die  wiederum  dieselben  Haupt- 
slUcke  des  Königspalastes  erkennen  liessen. 

Das  Grundschema,  nach  dem  der  Haupttheil  der  alten  Köni^s- 
paläsle  gebaut  wurde,  lässt  sich  am  besten  an  Tiryns  exempli- 
ficiren.  Den  durch  das  Burgthor  und  verschiedene  Propyläen 
Herantretenden  empfängt  auf  der  höchsten  Stelle  der  Burg  ein 
weiter,  offener,  ringsum  von  Säulenhallen  umgebener  Hof,  in 
dem  ein  mächtiger  Altar  errichtet  ist :  das  ist  das  Centrum  des 
ganzen  Palastes.  Von  ihm  führen  zwei  Stufen  in  die  Vorballe, 
dessen  offene  Front  von  zwei  Säulen  getragen  wird.  Grosse 
zweiflügelige  Thüren  verbinden  die  Vorhalle  mit  dem  Vorsaal, 
und  dieser  steht  wiederum  durch  eine  mächtige  ThUr  mit  dem 
geschlossenen  Männersaal  in  Verbindung.  In  dessen  Mitte  er- 
hebt sich  der  Heerd,  von  vier  Säulen  umstanden,  weiche  einen 
Oberbau  tragen,  dessen  Bestimmung  sowohl  war  dem  Bauch 
des  Heerdes  Abzug  zu  bieten  als  Licht  in  den  ziemlich  dunkeio 
Raum  zu  bringen. 

Mit  diesem  Grundschema  steht  —  wie  eben  Dörpfeld  über- 
zeugend ausgeführt  hat  —  die  Homerische  Schilderung  des 
Anaktenhauses  in  bester  Übereinstimmung:  wir  sind  daher  t)e- 
fugt,  die  Homerischen  Bezeichnungen  zu  übertragen,  den  Ho( 
avkfj  zu  nennen,  seinen  Altar  als  den  des  Zeus  Herkeios  an- 
zusehen, die  Vorhalle  als  aXO^ovaa,  den  Vorsaal  als  Ttgödofiog, 
den  Männersaal  als  fiiyoQov  zu  bezeichnen. 

Denselben  Grundriss,  sage  ich,  muss  nun  auch  der  Palast 
der  heroischen  Könige  auf  der  Akropolis  von  Athen  gehabt 
haben.  Dieser  Schluss  wäre  für  mich  an  sich  zwingend.  Zum 
Glück  kann  ich  aber  noch  eine  directe  Bestätigung  dafür  an- 
führen, die  mir  schlagend  erscheint. 

Sieht  man  das  Planum  der  Burg  von  Alhen  an,  so  tritt  uns 
im  Zusammenhang  mit  den  jetzt  aufgefundenen  Resten  folgendes 


i 


403     

Bild  entgegen.  Auch  in  heroischen  Zeiten  war  der  Hauptauf- 
gang  der  Burg  vom  Westen.  Und  zwar  wurde  hier  —  ahnlicl: 
wie  in  Tiryns  —  der  Ankommende,  nachdem  er  das  erste  Burg- 
thor durchschritten y  durch  eine  höchst  coroplicierte  Reihe  ge> 
wundener  Thorgassen  und  Thore  (nicht  weniger  als  neun 
werden  genannt)  >]  geführt.  Hatte  man  sie  überwunden  und 
war  da  angekommen,  wo  die  Perikleischen  Propyläen  ab- 
schliessen,  so  begab  man  sich  auf  leise  ansteigendem  Terrain 
nordöstlich  nach  dem  Kdnigspalast  zu.  Hier  musste  —  nach 
obiger  Analogie  —  das  Erste,  worauf  man  stiess,  der  Hof  mit 
dem  Altar  des  Zeus  Herkeios  sein.  Von  dem  Hof  selbst  ist  ja 
freilich  Nichts  erhalten:  aber  auch  hier  bewies  der  Cultus  seine 
cooservierende  Kraft.  Der  Altar  des  Zeus  Herkeios,  der 
für  jedes  Haus  der  gottesdienstliche  Mittelpunkt  war,  durfte 
nicht  abgebrochen  werden.  Ihn  müssen  wir  erwaiten  an  dieser 
Stelle  auch  spater  noch  zu  finden. 

Und  in  der  Tbat  das  erste  aus  dem  oben  angedeuteten 
Complex  von  Heiligthümem,  die  zum  Erechtheion  gehörten,  auf 
das  man  von  den  Propyläen  herwandernd  stiess,  war  das  Pan* 
drosion ;  und  in  diesem  Pandrosion  befand  sich,  wie  die  beste 
Autorität  Philochoros  (Fr.  146  Müll,  bei  Dionys.  Hai.  de  Di- 
narch.13)  bezeugt,  der  Altar  des  Zeus  Herkeios.  Was  ist  dieser 
Altar  anders,  was  kann  er  anders  sein  als  der  durch  den  un- 
auslöschbaren  Dienst  geweihte  Altar  des  Königspalastes? 

Hier  lag  also  die  avlrj]  an  sie  schlössen  sich  aX%^ovaa,  TtQo- 
dofiog  und  ^iyaqov  an,  die  nun  mit  Sicherheit  unter  den 
Räumen  des  eigentlichen  Erechtheion  angesetzt  werden  müssen. 
Auch  in  dieser  Beziehung  ist  die  Parallele  mit  Tiryns  und  My> 
kene  überraschend;  denn  an  beiden  Orten  wurde  der  alte 
Herrscherpalast  in  historischer  Zeit  von  einem  Tempel  überdeckt. 
Eine  zweite  überraschende  Parallele  zu  Tiryns  und  auch 
Mykene  bietet  der  zweite   Fund  dieses  Sommers  auf  der 


4)  Das  sind  die  oft  besprochenen  lyyia  nvXai  des  Polemon  (Fr.  49  in 
Schoi.  Sopb.  Oed.  Kol.  4S9),  die  ich,  wie  man  weiss,  nie  anders  als  von 
diesem  Hauptaufgang  verstanden  hal>e :  weshalb  ich  die  Sache  jetzt  für 
ganz  sicher  halte,  kann  nur  eine  zusammenhängende  Besprechung  des  Pc- 
iBSgikon  nach  den  uns  jetzt  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  zeigen,  die  Ich 
jetzt  nicht  geben  will,  um  so  weniger  als  ich  von  den  bevorstehenden  Aus- 
grabungen auf  der  Burg  wie  am  SUdabhange  des  Burghügels  auch  für  diese 
Frage  noch  weitere  Aufschlüsse  erhoffe. 


404 

athenischen  Akropolis,  der  zugleich  wieder  eine  fundamenUle 
Anschauung;  die  wir  über  die  Burg  uns  aus  dem  späteren  Be- 
stand gebildet  hatten,  tlber  den  Haufen  wirft,  die  Ansicht,  für 
die  Pausanias'  (I,  S2,4)  Worte  die  klassische  Fassung  bieten: 
ig  Tijv  aKgoTtoXir  iariv  € a 0 ö 0 g  ^ila' kreqav  de  ov  Ttaqi- 
Xerat  rcaaa  Artoronog  ovaa. 

Bereits  die  ältesten  Burgbauer,  die  wir  in  Tiryns  und  My- 
kene  thätig  sehen,  hatten  begriffen,  dass  eine  Grundbedinguns 
der  Wehrhaftigkeit  fester  Plätze,  wie  es  Adler  einmal  ausge- 
drfickt  hat,  ein  Minimum  von  Thoren  und  Pforten  sei.  So  finden 
wir  in  Tiryns  und  Mykene  je  nur  ein  Hauptthor,  das  die  fahr- 
bare Strasse  aufnimmt,  mit  allen  Mitteln,  die  damals  zu  Ge- 
bote standen,  verwahrt,  an  einer  ganz  abgewandten  Steile  aber 
in  sehr  charakteristischer  Weise  an  beiden  Plätzen  noch  ein 
Nebenthor,  das  nur  Fussgängern  diente. 

Während  in  Tiryns,  das  auch  hier  wieder  das  instructivste 
Beispiel  bietet,  der  für  Wagen  und  Pferde  passierbare  Haupl- 
zugang  im  Osten  lag,  befand  sich  jener  Nebenaufgang  im  Westen. 
Gleich  hinter  dem  Königspalast  führt  hier  eine  Treppe  von  dem 
Oberbau  nach  der  sogenannten  Mittelburg,  dann  geht  der  Weg 
durch  die  Burgmauer,  hier  durch  einen  gewaltigen  viereckigen 
Thurm  gedeckt  und  sich  plötzlich  wendend,  eine  ziemlich  steile 
und  schmale  Treppe  den  Burgabhang  so  rasch  als  möglich 
hinunter,  immer  an  den  Fels  und  die  Burgmauer  angeschmiegt 
und  ausserdem  geschützt  durch  einen  halbrunden  Vorbau,  der 
aus  den  colossalsten  Werkstücken  gefügt  ist.  Man  konnte  so 
bei  Belagerungen  auf  kürzestem  Wege  von  dem  Hinterhofe  des 
Palastes  an  den  Abhang  des  Hügels  und  in  die  Niederung  ge- 
langen, sei  es,  dass  es  sich  um  einen  plötzlichen  Ausfall,  sei  es, 
dass  es  sich  um  ein  unerwartetes  Durchschlagen  der  flüchten- 
den Mannschaft  handelte.  Dass  der  Weg  daneben  auch  für  ge- 
wöhnliche Zeiten  praktischen  Zwecken  gedient  hat,  scheint  un- 
abweisbar, wenn  wir  sie  auch  nicht  errathen  können. 

In  Mykene  sehen  wir,  dass  bei  der  verwandten  Anlage  dieser 
praktische  Zweck  im  Wasserholen  bestand.  Denn  auch  hier, 
wo  der  eine  Hauptzugang  durch  das  »Löwenthor«  gesperrt  war 
befand  sich  im  Nordosten  ein  solches  kleines  Nebenthor,  von 
dem  aus  man  nächsten  Weges  nach  der  Hauptquelle  des  Ge- 
bietes gelangte.  Auch  dieses  Thor  war  sowohl  an  einer  Stelle 
angelegt,  wo  eine  Felsenrundung  natürlichen  Schutz  bot,  und 


405     

zugleich  durch  einen  Flankierungsthurm  und  eine  besondere 
Thorgasse  vorzüglich  gedeckt. 

Gerade  solcher  abseits  gelegene  Nebenaufgang  wie  inTiryns 
hat  sich  nun  jetzt  in  Athen  gefunden.  Dicht  Ostlich  vom  Erech- 
theion,  wir  dürfen  also  jetzt  sagen,  gleich  hinter  dem  Königs- 
palast,  senkt  sich  das  Terrain  zu  einer  Mulde,  die  in  nordöstlicher 
Richtung  den  Burgberg  herunterläuft.  Als  diese  (unmittelbar 
südlich  des  modernen,  »Tholos«  genannten  Gebäudes  sich  hin- 
ziehende) Felsspalte,  die  ganz  mit  vorpersischen  Trümmern  aus- 
gefüllt war.  aufgeräumt  wurde,  zeigte  sich  eine  schmale  Treppe, 
aus  demselben  Material  wie  die  Grundmauern  des  Palastes  ge- 
baut, die  unter  der  Perikleischen  Burgmauer  weiter  läuft,  da  wo 
sie  plötzlich  sich  senkt,  südlich  durch  einen  viereckigen  Thurm 
beherrscht.  Es  ist  abzuwarten,  dass  Ausgrabungen  ausserhalb 
der  jetzigen  Burgmauer  den  unteren  Lauf  feststellen  (meine 
Nachrichten  reichen  bis  zum  4 .  October).  Schon  jetzt  ahnt  man, 
dass  sie  in  der  Höhle  münden  wird,  die  auf  dem  Kaupertschen 
Plan  der  Akropolis  bei  Jahn-Michaelis  mit  60  bezeichnet  ist  und 
von  der  Raupert  bereits  vermuthete,  dass  von  hier  ein  Aufgang 
zur  Burg  möglich  war. 

Auch  dieser  Punkt  ist  ausserordentlich  geschickt  gewählt; 
der  jäh  abfallende  Felsspalt,  der  bedeutende  Felsvorsprung 
westlich  dieses  Zuganges  vereinen  sich  mit  künstlicher  Forti- 
fication  zu  sicherster  Deckung.  Auch  hier  führt  dieser  Neben- 
weg dicht  hinter  dem  Rönigspalaste  abseits  von  dem  Haupt- 
zugang rasch  in  die  Niederung.  Auch  hier  ist  wie  die  Anlage 
so  ihre  Bestimmung  mit  der  von  Tiryns  unzweifelhaft  identisch. 

So  beginnen  wir  Blicke  zu  thun  hinter  den  Vorhang,  der 
die  ältesten  Zeiten  griechischer  Entwickelung  bereits  den 
Hellenen  verdeckte,  als  sie  anfingen  ihre  Erinnerungen  litte- 
ransch  aufzuzeichnen.  Gewisse  Grundzüge  einer  meisterhaft 
ausgebildeten  Baukunst  kehren  an  den  verschiedensten  Orten 
in  Hellas  und  selbst  jenseits  des  ägäischen  Meeres  wieder: 
Culturzusammenhänge  fangen  an  sich  uns  au&uthun,  an  die 
die  Alten  selbst  keine  Erinnerung  mehr  bewahrt  hatten. 


Herr  Fleischer  legte  vor :  Eine  Stimme  aus  dem  Morgenlande 
über  Doztfs  Supplement  aux  dictionnaires  arabes. 

War  Goethe  bei  dem  : 

»Orient  und  Occident 
Sind  nicht  mehr  zu  trennen« 

der  ganzen  Inhaltsfttde  dieser  Worte  sich  schon  bewusst?  Ich 
glaube  kaum;  —  zur  Beantwortung  dieser  Frage  mit  einem 
zweifellosen  Ja  müssten  wohl  selbst  s  e  i  n  e  m  ahnungSTollen  Tief- 
blicke noch  mehr  und  andere  Thatsachen  vorgelegen  haben. 
Aber  als  ächter  vates  hat  er  damit  ein  vaticinium  ausge- 
sprochen ,  an  dessen  vollständiger  Erfüllung  unsere  Gegenwart 
immer  mächtiger  arbeitet,  nicht  mehr  bloss  durch  Menschen- 
und  Waaren verkehr,  sondern  auch  durch  Austausch  geistiger 
Güter,  welcher  sich  in  weiterer  Entwicklung  sogar  schon  zu 
wissenschaftlichem  Wettkampfe  zuspitzt.  Dass  der  unter  dem 
8.  Januar  4886  erlassene  Aufruf  Sr.  Majestät  Oskar  II.,  KOntgs 
von  Schweden  und  Norwegen  zur  Bearbeitung  der  zwei  von  Ihm 
gestellten  Preisaufgaben :  Geschichte  der  semitischen  Sprachen, 
und :  Darstellung  des  Gulturzustandes  der  Araber  vor  Moham- 
med ,  durch  Zeitungen  oder  Briefe  rasch  bis  nach  Bagdad  vor- 
dringen und  dort  einen  mohammedanischen  Gelehrten  zur  Mit- 
bewerbung  anregen  werde,  —  wer  hätte  das  für  möglich  ge- 
halten? Und  doch:  das  Wunder  ist  geschehen!  Jetzt  schon, 
noch  ehe  von  christlich-europäischer  Seite  ein  einziger  Mitbe- 
werber aufgetreten  ist,  liegt  vor  den  Preisrichtern  ein  stattlicher, 
starker  Grossoctavband  zur  Lösung  der  zweiten  Aufgabe ,  der 
Darstellung  des  Gulturzustandes  der  Araber  vor  Mohammed  von 


dem  Verfasser,   j^j^IlXxJI  ^^^)i\  ^j^  .>^*^  JuaJI  ,  ( —  nach 
dem  Ehrentitel  el  Seijid  angeblich  aus  Mohammeds  Geschlecht — ) 


407     

durchgängig  mit  eigener  Hand  in  schönem,  kräftigem  und  deut- 
lichem Neshi  geschrieben.  Nach  vorausgeschickter  Inhalts- 
angabe, einer  Ansprache  {\^[hs>)  an  den  König  und  einer 
zweiten  an  die  Preisrichter,  behandelt  er  seinen  Gegenstand  in 

einer  Einleitung  (jUJüu)  und  siebzehn  liauptstUcken  (v!>^'}  ^^^ 
mehr  oder  weniger  Abschnitten  {6yai) .  Als  mohammedanischer 
Schulgelehrler  steht  er  mit  der  Annahme  allgemeiner  Gültigkeit 
und  Glaubwürdigkeit  der  einheimischen  geschichtlichen  lieber- 
lieferung  noch  ganz  auf  morgenlandischem  Standpunkte,  und 
wir  Europäer  werden  uns  voraussichtlich  bei  weitern  Unter- 
handlungen mit  unsern  asiatischen  Fachgenossen  über  die  Noth- 
wendigkeit  historischer  Kritik  noch  zu  verständigen  haben; 
jedenfalls  aber  verdient  Herrn  Mahmüd's  Preisschrift  als  das 
erste  derartige  Erzeugniss  internationaler  Literatur  und  als  wohl 
geordnete  und  eingetheilte  Zusammenstellung  des  von  den  altern 
arabischen  Schriftstellern  zur  Lösung  der  betreffenden  Frage  ge- 
lieferten Materials  hohe  Achtung  und  eingehende  Würdigung. 
Eine  weniger  hervorragende,  aber  doch  gattungs verwandte 
Erscheinung  bildet  den  Gegenstand  dieses  Vortrags.   Es  ist  eine 
Recension  über  Dozy's  Supplement  aux  dictionnaires  arabes  von 
Ibrahim  alJ&zigl  in  fünf  Nummern  dervon  ihmmitDr.Bes^rahZal- 
zal  und  Dr.  Haiti  Sa^^dah  in  Beirut  herausgegebenen,  leider  schon 
mit  dem  ersten  Jahrgange  4884  und  1885  wieder  erloschenen  all- 
gemeinen wissenschaftlichen  Monatsschrift  »Der  Arzte  (wv^^aLÜ). 

Eine  Neuigkeit  im  eigentlichen  Sinne,  wie  das  vorgenannte 
Werk,  ist  diese  Recension  übrigens  schon  deswegen  nicht,  weil 
Herr  Ibr^htm  als  Kritiker  eineseuropäischenArabisteo  wenigstens 
zwei  Vorganger  hat:  seinen  eigenen  Vater  Ndstf  in  der  von  Prof. 
A.  Mehren  mit  lateinischer  Ueberselzung  und  Anmerkung  heraus- 
gegebenen Epistola  critica  ad  de  Sacyum  über  dessen  Ausgabe 
von  Hartrt's  Mak^men  und  »ScheYkh  Mouhammed  Tantawy«  in 
den  »Observations  sur  la  traduction  de  quelques  vers  arabes« 
in  de  Sacy's  Grammaire  arabe,  aus  den  M^langes  Asiatiques 
der  St.  Petersburger  Akademie  der  Wissenschaften  vollständig 
aufgenommen  in  meine  Beiträge  zur  arabischen  Sprachkunde 
(Kleinere  Schriften,  Band  1).  Graf  Carlo  von  Landberg  hatte  die 
Gute  mir  die  genannte  Monatsschrift  zuzuschicken  und  mich 
auf  jene  Recension  aufmerksam  zu  machen.  Da  ich  selbst  das 
Dozy^sche  Werk  in  den  sieben  Stücken  der  Dozy-Studien  in 


408 

unsern  Sitzungsberichten  kritisch  behandelt  hatte,  so  war  die 
Sache  für  mich  natürlich  von  doppeltem  Interesse,  zumal  da 
Herrn  Ibr^him's  grundsätzliche  Stellung  zu  Dozy  im  Gegensalze 
zu  der  meinigen  steht :  er  ein  Gegner  der  von  Dozy  vertretenen 
und  durchgeführten  Erweiterung  des  Begriffes  arabische  Sprache, 
ich  ein  Anhänger  derselben,  was  von  vornherein  eine  bemerk- 
bare und  auch  wirklich  durch  die  Entstehung  bestätigte  Ver- 
schiedenheit in  Auffassung  und  Erklärung  mancher  Einzelheiten 
erwarten  Hess. 

Im  Allgemeinen  hat  sich  die  Kritik,  wie  morgenländische 
Gelehrte  sie  an  einander  üben,  nie  gerade  durch  Höflichkeil 
ausgezeichnet ,  und  ältere  Zeiten  weisen  darin  sogar  wahre 
Muster  von  Grobheit  auf;  später  ist  sie  theilweise  darch  cod- 
fessionelle  Gegensätze  verbittert  worden.  Wenigstens  dieser 
letzte  Einfluss  fällt  hier  ganz  hinweg,  da  Herr  Ibr^htm  ebenfalls 
dem  christlichen  Bekenntnisse  angehört,  und  wenn  auch  der 
etwas  empfindliche,  leicht  reizbare  Dozy,  w^enn  er  die  Recension 
erlebt  hätte,  stellenweise  mit  ihrem  Tone  ziemlich  unzufrieden 
gewesen  sein  möchte .  so  ist  derselbe  doch  im  Ganzen  ein  ge- 
mässigter, ja  sie  tönt  zuletzt  sogar  in  reinen  Wohlklang  aus,  in- 
dem Herr  Ibrähtm  seinen  Landsleuten  den  auf  dieses  Werk  ver- 
wendeten unermüdlichen  Fleiss  Dozy's  als  Muster  für  ähnliche 
nun  von  ihnen  zu  erwartende  Leistungen  aufstellt. 

Das  folgende  ist  eine,  soweit  die  Urverschiedenbeit  des 
Arabischen  und  Deutschen  es  gestattet ,  Sinn  und  Hallung  des 
Originals  genau  wiedergebende,  nichts  abschwächende  und 
nichts  verstärkende  Uebersetzung  der  Recension. 


liSupplement  caix  dictionnaires  arabesu.^)  von  dem  rühmlich 
bekannten  ^j  Dozy,  einem  der  Leidener  Orientalisten ,  ein  aus^ 
führliches,  über  4700  Folioseiten  starkes  Werk,  in  welchem  er 
alle  von  ihm  in  den  altarabischen  Wörterbüchern  nicht  ge- 
fundenen, aber  in  den  Schriftwerken  der  Neueren  (^>>J^1)  und 


J)  Vorhergeht  die  arab.  Uebersetzung:    i^j*i^   oL4*:?\jtii  »S^, 
2}  .^uXJI     wvaI?»    Wörtlich :  wohlberufen,  bicn  rcaomm^. 


409     

im  Genieioarabischen  Aegyptens,  Syriens  und  Nordwestafrika's 
vorkommenden  Wörter  niedergelegt  hat.  Nachdem  er,  wie  er 
in  der  Vorrede  des  Buches  sagt ,  länger  als  dreissig  Jahre  mehr 
als  vierhundert  Bände  geschichtlicher ,  lexikalischer  und  ara- 
bisch-humanistischer Werke  durchgelesen  hatte,  stellte  er  in 
acht  Jahren  die  aufgezeichneten  Zusätze  zusammen  und  brachte 
sie  in  Ordnung ;  er  hat  demnach  im  Ganzen  auf  die  Abfassung 
dieses  Werkes  unverdrossen  und  unermüdlich  ^)  gegen  vierzig 
Jahre  verwendet,  ohne  in  allem  diesen  einen  Lohn  noch  Gewinn 
zu  suchen ,  ausser  die  Verwirklichung  der  seinem  Geiste  vor- 
schwebenden Idee,  und  dazu  angetrieben  durch  sein  Bestreben 
dieses  wichtige  Werk  zustande  zu  bringen  nnd  das  hohe  unver- 
gängliche Verdienst  zu  erwerben,  nämlich  dieses  :  die  nach  den 
Zeiten  der  rein  arabisch  sprechenden  älteren  Araber  aufge- 
kommenen neueren  Wörter  und  die  vielen  neuen  bei  ihnen  noch 
nicht  vorkommenden  Gebrauchsweisen  des  von  ihnen  festge- 
stellten Sprachmaterials  und  manche  in  jenen  Schriften  ent- 
haltenen dunklen  Ausdrücke  zu  erklären,  mit  anderen  Worten: 
die  Lücke  auszufüllen,  welche  die  nur  das  Reinarabische 
pflegenden  arabischen  Schriftsteller  gelassen  haben,  indem  sie 
sich  von  allen  sprachlichen  Neuerungen  fernhielten  und  es  ver- 
schmähten Abweichungen  vom  ächten  Sprachgebrauch  Vorschub 
zu  leisten  und  sie  in  ihre  Schriften  aufzunehmen ,  diese  Lücke, 
sage  ich,  auszufüllen,  um  dadurch  zu  einer  Fixirung  der  unge- 
wöhnlichen Erscheinungen  der  gesammten  Sprache,  der  neueren 
sowohl  als  der  alten,  und  zu  einer  Darstellung  aller  ihrer  Aus- 
drucksformen zu  gelangen. 

Es  ist  dies  bei  Gott!  ^j  eine  Leistung,  im  Danke  für  welche 
selbst  die  arabisch  Sprechenden  hinter  den  Arabislen  nicht 
zurückbleiben  dürfen;  denn  abgesehen  von  der  dadurch  er- 
leichterten Aufhellung  des  in  jenen  Schriftwerken  Räthsel- 
haften  und  Dunkein,  gewinnt  der  welcher  es  studirt  die  Kennt- 
niss  von  vielen  neueren  Erscheinungen  in  Wissenschaften, 
Künsten,  Gebräuchen,  Kleidertrachten,  Gefässen,  Gerätbschaften 
u.  s.  w.    von   denen   die  Wörterbücher  noch  nichts   wissen, 


1)  1x^3  y>0^,  |J^   Lib   L^   jb   jj   iu^  o^*^;^  er  1« 

Das  gedruckte  »xjLia  slatl  Jb  hatte  bereits  Graf  von  Landberg  berichtigt. 

2)  /Jh=^Jl  j**^J  ®'8-  so  wahr  Gott  lebl! 


410     

während  man  andrerseits  zur  Befriedigung  zeitgenössischer  Be- 
dürfnisse genöthigt  ist,  den  erweiterten  Sprachgebrauch  aufzu- 
nehmen. Der  Lieferung  des  Beweises  hierfür  überhebt  uns 
lange  unmittelbare  Erfahrung,  die  bestandige  Wiederholung 
hierher  gehöriger  Falle  in  der'  Sprachpraxis  und  die  Mühe 
welche  die  Behandlung  der  Ausdrucksform  einen  Jeden  kostet, 
der  etwas  aus  europaischen  und  amerikanischen  Schriften 
arabisch  zu  übersetzen  sucht  oder  selbst  über  zeitgenössische 
Gegenstände  und  Angelegenheiten  zu  sprechen  unternimmt. 
Wir  haben  nun ,  trotz  der  uns  kurz  zugemessenen  Müsse  und 
der  sich  drangenden  Geschäfte,  dieses  Werk  durchgesehen, 
seinen  Inhalt  Seite  für  Seite  so  weit  es  uns  möglich  war  unter- 
sucht und  gefunden  dass  es  viele  lehrreiche  Einzelheiten  und 
ausgezeichnete,  unsrer  Sprache  zum  Nutzen  gereichende  Be- 
merkungen enthalt ,  die  verdienen^  dass  das  Werk  selbst  des- 
wegen in  die  Reihe  der  edelsten  Literaturschatze  gestellt  und 
sein  Verfasser  so  lange  noch  ein  Araber  das  Aäd  (qt)  ausspricht, 
selig  gepriesen  werde.  Doch  haben  wir  in  dem  was  wir  da- 
von gelesen  haben,  hie  und  da  Stellen  gefunden  zu  denen  das 
und  jenes  zu  bemerken  ist ;  wir  wollen  daher  hier  einige  der- 
selben besprechen,  nicht  um  Fehler  aufzustechen  und  zu  tadeln, 
noch  um  das  Verdienst  dieses  Mannes  herabzusetzen  und  seine 
Gelehrsamkeit  als  übel  angewendet  darzustellen,  sondern  um 
das  Recht  der  Kritik  zu  wahren,  durch  welche,  als  eine  Haupt- 
stütze der  Wissenschaft  in  unserem  Zeitalter,  das  Schlechte  von 
dem  Guten  geschieden  und  das  Aechte  durch  klaren  Beweis  als 
solches  hingestellt  wird. 

Und  finden  wir  denn :  bei  aller  Tüchtigkeit  des  Forschens,  bei 
allerHöhedesStrebens,beiallerAnsdaucr  im  Beobachten  und  Auf- 
zeichnen cntbehrteder  Mann  das  beste  Mittel  zum  Verstandniss  der 
arabischen  Sprache,  sowohl  der  klassischen  als  der  modernen,  in- 
dem er  unsrer  Meinung  nach  nie  eines  der  arabisch-sprechenden 
Lander,  wieAegypten  oderSyrien,  bereist  und  nurmitwenigAra- 
bernmündlichverkehrt,  sondern  dieSprache  lediglich  ausBücbern 
gelernt  hatte,  mit  Hülfe  von  Leuten  unter  seinen  Volksgenossen 
die  Orientalisten  genannt  werden  ^j .  Vielleicht  auch  hatte  er 
^  -  i 

mit  Verweisung  auf  das  dem  letzten  Worte  entsprechende  m  Orientalistes« 
in  einer  Anmerkung  unter  dem  Texte. 


411     

mündlich  mit  einigen  unter  diesen  verkehrt,  welche  in  den 
arabisch-sprechenden  Ländern   gereist  waren  und  von  ihnen 
einige  gemeinarabische  Wörter  gelernt,  dergleichen  sie  in  ihren 
Notizbüchern   aufzeichnen,   in  der  Meinung  damit  etwas  be- 
deutendes gewonnen  zu  haben.     Wenn  aber  Jemand  in  Bezie- 
hung  auf  die  arabische  Sprache  eine  so  hohe  und  schwierige  Auf- 
gabe bis  zu  einem  solchen  Grade  bewältigen  will,  dass  er  den 
Gedanken  in  sich  aufkommen  lassen  könnte,  er  werde  noch  die 
volle  Herrschaft  über  die  Sprache  erlangen :  so  muss  er  sich  zu- 
erst noth wendig  ganz  in  die  Sprache  einleben,  dieselbe  den  sie 
Sprechenden  ablernen,  in  ihrem  Lande  solange  herum  wandern 
und  sich  aufhalten,  bis   er  ihre  Sprache  gründlich  versteht 
und  vor  Fehlgriffen  sicher  ist ,  wenn  er  als  ein  unter  sie  auf« 
genommener  Auswärtiger  arabisch  spricht.     Ohne  Zweifel  ist 
dies  der  bedeutendste  an  dem  Verfasser  dieses  Werkes  auszu- 
stellende Mangel,  zugleich  der  Grund  der  Yergeblicbkeit  eines 
Theiles  seiner  Mühe  und  Anstrengung,  indem  man  oft  bemerkt, 
wie  er  über  eine  Sache  auf  eine  Weise  spricht,   dass  seine 
Worte  grosse  Mühe  und  lange  Ueberlegung  verrathen ,  die  sie 
ihn  gekostet  haben,  während  das  ganze  Ergebniss  grundlos  ist. 
Oft  ist  auch  die  Sache  selbst  klar  und  offenbar,  nur  der  Umstand, 
dass  er  ein  Fremder  ist  und  mit  den  Leuten,  denen  die  Sache 
selbst  angehört,  nie  persönlich  umgegangen  ist,  hat  ihn  nicht 
zur  Erkenntniss  derselben  gelangen  lassen.     Wie  nahe  lag  es 
ihm  da  sein  eigenes  ürtheil  durch  das  einiger  andrer  Sprachge- 
lehrten  zu  ergänzen,  die  ihm  zum  Richtigen  verhelfen  und  die 
auf  das  Suchen  und  Forschen  verwendete  schwere  Mühe  erspart 
hätten  I     Aber   sich    darüber  auszusprechen  war   nicht  mehr 
möglich;    so   ist  das  Buch  seinen  Weg  fortgegangen  und  das 
darüber  zu  Sagende  ist  jetzt  nachzuliefern. 

Der  erste  ihn, treffende  Tadel  ist  der,  dass  er  in  diesem 
Buche  alles,  was  er  mit  arabischen  Buchstaben  geschrieben  sah, 
zusammengeworfen  hat,  ohne  weder  Sprachwidriges  noch  Falsch- 
geschriebenes in  Betracht  zu  ziehen ,  ohne  gemeine  und  fehler- 
hafte Ausdrücke  auszunehmen  und  selbst  ohne  nur  einmal  etwas 
darüber  zu  bemerken,  damit  der  solche  Dinge  Entlehnende  be- 
stimmt wisse ,  wie  es  damit  steht.  So  führt  er  z.  B.  ein  in 
Bocthor's  Wörterbuch ,  ein  im  Geschichtswerke  Ibn  Haldün's 
und  ein  in  Ibn  6ubeir  vorkommendes  Wort  in  gleicher  Weise 
an,    während  man  weiss,    dass   Bocthor  die  Redeweise  von 

4887.  28 


412     

Aegypten,  Syrien,  Magrib  und  Tunis  heranzog  und  aus  dem 
Munde  von  Eseltreibern ,  Berbern ,  Lotterbuben  und  anderem 
Uaschtschgesindel  zu  seiner  Zeit  gangbare  Worte  entlehnte, 
obgleidi  diese  Menschenklasse  bekanntlich  eine  Sprache  reden, 
die  allen  andern  Klassen  widerlich  und  keineswegs  geeignet  ist, 
sich  ihrer  bei  Unterredung  über  ernste  Gegenstande  und  über- 
haupt im  Gespräche  mit  andern  Personen  zu  bedienen,  weil 
diese  grOsstentheils  in  obscünen  Ausdrücken  und  niedrigen 
Idiotismen  besteht,  von  denen  die  meisten  auch  der  allgemein 
bekannten  fehlerhaften  Volkssprache  angehören.  Auch  hat  er 
wohl  das  und  jenes  Wort  auf  eigne  Hand  gebildet ,  um  die  Be- 
deutungen gewisser  französischer  Wörter  auszudrilcken ,  wo 
dann  der  von  ihm  gebrauchte  Ausdruck  von  der  arabischen 
Redeweise  weit  abweicht  und  sich  dem  Verstfindniss  der 
arabisdi  Sprechenden  völlig  entzieht.     So  giebt  er,   nämlich 

Boethor,  als  arabische  üeberselzung  von  »adeptee  ->Jf  ^%  J^:>b: 

dies  aber  ist  ein  Ausdruck  den  man  in  allen  seinen  Bestand- 
theiien  einem  Ai'aber  mehrmals  zu  hören  geben  könnte ,  ohne 
ihm  die  Bedeutung,  die  Boethor  damit  ausdrücken  wollte,  be- 
i;reifiich  zu  machen.     So  übersetzt  er  ascensionnel  mit  (^Ujy, 

d^iroque  mit    ^^^sfjJL^',    ^tymologiste   mit    |»^üüt    J^L    vJ^^c: 

während  doch  zwischen   ,»^IX!t  und  JL^!  [wie  B.  hätte  schrei- 

ben  sollen]  ein  Unterschied  ist.  Manchmal  verkehrt  er,  statt 
zu  übersetzen ,  den  Sinn  eines  Wortes  in  das  Gegentheil ;  so 
soll  öterniser  auf  arabisch  heissen  Ji^l  ^It  *bt ,  während  doch 

i5;^^  wie  aus  seiner  Ableitung  erhellt,  die  anfangslose  Ewig- 
keit ist.  So  drückt  er  sich  also  so  aus,  wie  wenn  jemand  sagte: 
Erhöhe  ihn  Gott  recht  tiefl  Und  in  dieselbe  Kategorie  stelle 
man  unzählige  andere  verfehlte  Ausdrücke  und  W*orte,  mit 
denen  er,  weil  ihm  das  rechte  Wort  nicht  gegenwärtig  ^var, 
blossen  Bedeutung  darzustellen  suchte  oder  französische  Wörter 
buchstäblich  übersetzen  zu  müssen  glaubte,  wodurch  aber  seine 
Phrase  sich  in  ihrer  ganzen  Haltung  als  französisch  darstellt, 
nur  dass  er  sie  in  ein  von  seiner  Muttersprache  entldbntes  Ge- 
wand gekleidet  hat.  Da  giebt  es  ferner  andere  Schriften,  nach- 
lässig hingeworfene  Sammlungen  von  Wörtern  der  gemeinsten 
Volkssprache;  noch  dazu  arg  entstellt  durch  Abschreibefehler, 


413     

sind  einige  von  ihnen  bekannt  unter  dem  Namen  vocabulaires ; 
diese  stecken  noch  mehr  voll  Fehler  als  Bocthor's  Wörterbuch 
und  einen  grossen  Tfaeil  ihres  Inhaltes  bilden  ausser  Gebrauch 
gesetzte  Wörter ,  die  einst  in  Spanien  üblich  waren,  aber  zum 

eigentlichen  Arabischen  gar  nicht  gehören,  wie  Jüyl  und 
/  ÄiÄj  für  Q^^ ,  nackt,  ^j^^^t  für  s^j  in  der  Bedeutung  von 
X4kJ»  Schmaus,  g-JaiUjW  für  v-^w^svc  ^t  wunderbare  Sache, 
um  jemand  herum  für :  er  förderte  und  unterstützte  ihn ; 


^  &<>< 


Jsjt^^j  für  ^c^,  er  war  rathlos;   ^>.a>  er  schlug  seine  Backen, 

für :    er  schlug  ihn  darauf  (gab  ihm  Maulschellen) ;  ^^ju  von 

Tauben  für    SJc,    girren   (roucouler);     ^l<^^  für  i^Lpj  und 

^j^Ji',  Verschmitztheit  und  Verstandesfeinheit ;   (jäjU  (ji.lS  für: 

mit  Reis  gekochtes  Fleisch ;  ^9^  für  wJUj  ,  Fuchs ;  tJ^j^S 
für  ein  Gewächs,  vielleicht  die  Kresse ;  j^\  für  eine  Sämerei 
von  der  man  nicht  weiss  was  sie  ist;   v^y>  für  «^tJuo  Tinte; 

wJU^   für  ^uJr,  Wachtel;   Jj^^j  für  (jks^^il  ^^jaLL^  Regen- 

Würmer;  Ji^^^jS^  für  Oj,  Hagel,  und  ähnliche  Wörter  mehr, 
theils  frei  gebildet,  von  denen  kein  Wurzelwort  bekannt  ist, 
theils  verderbt  aus  Wörtern  der  Sprachen  von  Fremden,  die  zu 
jener  Zeit  mit  den  Arabern  verkehrten.  Wir  glauben  nur  nicht 
dass  sie  noch  heutzutage  bei  irgend  jemand  in  Gebrauch  sind, 
es  müsste  sich  denn  etwas  davon  als  Seltenheit  im  Munde  un- 
bekannter Magrebiner  oder  Tunesen  erhalten  haben.  Andere 
Wörter  sind  aus  gut  arabischen  verderbt  oder  als  Neubildungen 

davon  abgeleitet,  wie  äIoä  für  ^ii^A^  Kamm;  y^-^vU;;;  für 
»Lä^  Lippen;  »^-^^  von  einem  Manne  für  ^,^y>,  kühn,  eigent- 
lieh  Ä/öi->  ^3;  «jis».  und  q^;^^  d.  h.  q^J^  Schnecke, 
Muschel;  jXcol,  d.  h.  Jjü'  er  strauchelte  und  stolperte;  (joh'» 
in  der  Bed.  von  jj^^tan  tauchen;   id)tju;^  q«  d.  h.  (i<<IJ  ^^^«^  q^ 

28* 


414 


von  damals;   _>^  d.  h.  _>^l,   ein  Wort  zum  Antreiben; 

desgleichen  jLJlLu  für  .J;,  Leibgürtel;  A(,.*5>*  für  «*>K  n>th: 

x/t«uyft3-  für  J^j,  scheinbar  so  genannt,  weil  die  Hand  fUof 
Finger  hat ;  daher  auch  der  Ausdruck  einiger  unsrer  gemeinen 

Leute  ;j«^**^,  d.  h.  lege  Deine  fünf  in  meine.*)  Zu  dem  Sonder- 
barsten  aber  was  er  aus  diesen  Wörterverzeichnissen  genommen 

«  o  ^  « 

hat  gehört  swcsj   für  ö^^,    wovon   er  auch   eine  andre,   noch 

übler  lautende  Schreibart   H^  mit    ximt    s\^\    beibringt. 

Was  die  heutzutage  bekannten  gemeinsprachlichen  Ausdrücke 
und  vorzüglich  die  völlig  verwerflichen  darunter  betrifft ,  wie 

:a^^  2a^^  \J^^  Alftc  o'^^j^  ^^  y^^  J^^-^,  -^j- 
jji^y,  Jaj^,  ^  d.  h.  ^Jl^\j^\j  und  «li,  ^jJ»,  ^,,^^!  ^^^ 

und  ähnliche,  so  sind  diese  in  so  grosser  Anzahl  da,  dass 
wenn  man  dieses  Buch  genau  darauf  ansähe,  man  finden  würde, 
dass  der  grösste  Theil  davon  aus  dergleichen  von  der  gebildeten 
Sprache  nicht  aufgenommenen  Ausdrücken  besteht,  hinsichtlich 
derer  es  für  uns  unverständlich  ist,  was  sich  der  Verfasser  als 
Grund  ihrer  Aufnahme  gedacht  hat^).  Ueber  den  Grand,  wei- 
chen der  Verfasser  für  ihre  Aufnahme  zu  haben  slaubte,  sind 
wir  im  Dunkeln  und  es  ist  uns  nicht  klar  geworden,  zu  welchem 
Zwecke  der  Verfasser  so  eifrig  dahinter  her  ist,  sie  zu  sammeln 
und  in  diesem  werth vollen  Buche  unterzubringen.  Denn  wenn 
die  Absicht  dabei  war,  diese  Wörter  dem  Grundbestande  der 
Sprache  anzuschliessen,  so  dass  nun  auch  die  Begierungs- 
beamten und  Schriftsteller  ihren  Federn  erlauben  dürften  davon 
Gebrauch  zu  machen,  so  gränzt  dieser  unverständige  Anspruch 
an  Ungereimtheit;  die  geringste  Folge  davon  wäre  die  Nieder- 
reissung   der  Eckpfeiler  der  Sprache,    die  Entstellung  ihrer 

h)  Dazu  Landberg:    In  Aegyplen,    2u«wwcLi>,  er  ass  mit  ihm  mittels 

seiner  fünf  Finger.  In  Oberaegypten  x.»*«»^  d.  h.  er  schlug  ihn  mit  der 
flachen  Hand. 

2)  Hierzu  Landberg:  Wir  hingegen  keineswegs;  denn  die  Wichtig- 
keit der  Aufnahme  dieser  von  der  klassischen  Sprache  Eurückgewiesenep 
Wörter  ist  für  uns  selbstverständlich. 


415     

Schönheit  und  die  Vermehrung  ihrer  Worte  bis  zu  einem  Grade, 
der  weit  ttber  die  Grenzen  des  menschlichen '  Gedächtnisses 
hinausginge ,  und  zwar  unnöthiger  und  unnützer  Weise.  Ist 
die  Absicht  aber  die,  die  Schriften  der  Neueren  oder  die  Sprache 
des  gemeinen  Mannes  verstehen  zu  helfen:  nun  so  sind  jene 
aus  Bocthor's  Wörterbuch  und  seinesgleichen  aufgenommenen 
Ausdrücke  nicht  in  die  genannten  Schriften  eingedrungen,  und 
von  dem  aus  den  alten  Vocabularien  Aufgenommenen  ist  heut- 
zutage kaum  noch  etwas  in  Gebrauch.  So  bliebe  als  Zweck 
übrig ,  dass  dieses  Buch  die  Stelle  eines  alle  von  den  Arabern 
jemals  gebrauchten,  in  den  rein  arabischen  Schriften  aber  nicht 
vorkommenden  Ausdrücke  enthaltenden  geschichtlichen  Sam- 
melwerkes einnehmen,  aber  keine  Belehrung  über  den  wirk- 
lichen Sprachgebrauch  bezwecken  solle.  Aber  auch  bei  dieser 
Betrachtungsweise  ist  das  geschichtliche  Interesse  nur  unvoll- 
kommen gewahrt,  denn  es  hütte  auf  die  verschiedenen  Wort- 
gattungen  aufmerksam  machen  und  auch  das  Neugebildete  und 
Gemeinsprachliche,  das  Arabische  und  Arabisirte,  das  Ge- 
bräuchliche und  ausser  Gebrauch  gekommene  bezeichnen  sollen. 
Dazu  genügt  es  nicht  als  Beleg  zu  einem  Worte  die  Schrift  an- 
zugeben, aus  welcher  es  entlehnt  ist,  denn  ungeachtet  z.  B. 
Bocthor,  wie  wir  oben  gesagt  haben,  auf  gemeinarabische 
Wörter  ordentlich  versessen  ist;  und  gerade  recht  unanständige 
mit  Vorliebe  aufführt,  so  nimmt  er  doch  oft  auch  ein  neuge- 
bildetes Wort  aus  dem  Sprachgebrauche  der  tüchtigsten  neueren 
Prosaisten  und  ausgezeichnetsten  Dichter  und  darunter  be- 
sonders wissenschaftliche  W^örter,  wie  Kunstausdrücke  der 
Himmelskunde ,  der  Geometrie  und  anderer  W^issenschaften ; 
dasselbe  gilt  von  vielen  anderen  Schriftstellern  aus  denen  er 
Wörter  genommen  hat,  und  in  deren  Sprache  man  Gutes  und 
Schlechtes  neben  einander  findet  (wörtlich,  in  deren  Sprache 
man  reines  trinkbares  und  fauliges  untrinkbares  findet,  man 
auf  Sand  und  feste  Erde  tritt).  Im  Allgemeinen  stellt  sich 
dieses  W' erk  dar  als  Sammelpunkt  der  Extreme  und  Zusammen- 
fiuss  des  Zweifelhaften ;  aber  wie  viel  näher  lag  es  ihm .  ein 
Werk  zu  begründen  und  anzubahnen,  welches  sich  im  An- 
schluss  daran  die  Aufgabe  gestellt  hätte ,  eine  der  genannten 
Richtungen  entschieden  durchzuführen  ohne  das  Richtige  darin 
durch  das  Unrichtige  zu  entwerthen  und  das  darin  enthaltene 
Nützliche  nicht  zum  Theil  unbrauchbar  zu  machen. 


416     

Die  in  diesem  Werke  aogeftthriea  Wörter  sind  grOssten- 
theils  ohne  Vocal-  und  andere  Lesezeichen,  ein  die  Nützlichkeit 
des  Buches  bedeutend  verringernder  Mangel.  Der  Verbsser 
bat  auch  selbst  in  seinem  Vorworte  daraufhingewiesen  und  be- 
kannt, die  Erfüllung  dieser  Aufgabe  sei  ihm  nicht  möglich  ge- 
wesen. Die  Aufgabe  eines  zuverlässigen  Berichterstatters  sei 
die  Wiedergabe  des  von  ihm  Aufgefundenen ,  so  vrie  es  eben 
beschaffen  sei;  deswegen  gebe  er  oft  ein  von  ihm  aufgefun- 
denes verderbtes  Wort  in  derselben  Gestalt  wieder  und  über- 
lasse die  Berichtigung  desselben  dem  Leser.  Bei^iele  dieser 
Anführungsweise  sind  folgende :  ^)   das  Wort  SJul  so  ohne  alle 

Bezeichnung  der  Aussprache,  nimmt  er  aus  Bocthor  als  arabische 
Uebersetzung  von  idiot  herüber,  ohne  etwas  hinzuzufügen.  Das 
ist  ein  äusserst  seltsames  Wort,  von  dem  wir  nicht  wissen  wie 
es  wirklich  heissen  soll ,  wenn  es  nicht  etwa  aus  &L^  (albern  > 
was  jenes  franz.  Wort  bedeutet,  verderbt  ist.  Dazu  gehört 
ferner  das  was  er  unter  dem  Artikel  ^3\  sagt:   »(pl.)  semhie 

tatouage«  d.  h.  ein  Plural,   scheint  Tätowirung   (*-%!   zu  be- 

m 

deuten.     Dazu  die  Worte  eines  Ungenannten :  »3  S^^^  x>^;> 

iuiu^J    y>^    JL    xs^jtt^   q!j^!    ;ji3*j    l;?->3<»  (abessiniscben 

Ursprungs:  in  ihrem  Gesichte  solche  ^jt,  wie  bekanntlich  im 

Gesichte  der  Abessinierin] .  Das  ist  ein  offenbarer  Schreibfehler, 
wie  man  auch  die  Berichtigung  desselben  bei  Betrachtung  der 
Stelle  durch  das  geringste  Nachdenken  von  selbst  auffindet. 
Die  Worte   müssen  ursprünglich  gelautet  haben:    »l^i^*,    3 


iUi..jj<^JI  y>-^  J  '^^j^^  J^"^^  {J^=^y  '^  ihrem  Gesichte  sind 
solche  j\^\  [Zeichen,  Zeichnungen)  wie  bekanntlich  im  Gesichte 

der  Abessinier«.  Durch  Schreibfehler  ist  aber  das  ^LS1  der  Ur- 
schrift in  qj?,  wie  das  iLiL*^5  derselben  mit  Zusatz  des  Re- 
lativ-,^ in  Äj^^Ai^Jl  übergegangen,  —  das  letzlere  im  Wider- 
spruch mit  dem  Sinne,  der  sich  beim  ersten  Blick  auf  die  Stelle 

4)  In   der  1.  Ausg.  von  Bocthor,  Paris  4828,  steht:    »Idiot,  e,  adj. 
Stapide.    scXjU   aLL   ajvX»-.    in**r.« 


417     

dem  Leser  als  selbstverständlich  aufdrängt,  da  mit  diesem 
Worte  ('xJ^:svJt)  ja  unverkennbar  das  ganze  Volk  als  Gattung 

gemeint  ist  (die  aber  ^..iilXA^t  heisst) .     Zu  dieser  Kategorie  ge- 

hört  ferner  bei  ihm:  »bj^«  was  er  mit  otribut,  impc^t«  (arab. 
— L3-  oder  'tL^yo)  erklärt.   Das  Wort  aber  bedeutet  nichts  der- 

artiges,  vielleicht  soll  es  heissen  ^^  oder  '^\^^  (etwas  zu 
entrichtendes,  abzuführendes)';  ferner  »A^M^y^jU  in  der  Be- 
deutung von  ßyj-]  (die  Seide)  aus  Boctfaor  herfibergenommen, 

aber  wie  es  scheint  in  der  dem  Verfasser  (Dozy)  vorliegenden 
Ausgabe  verdruckt,  wogegen  in  der  zu  Paris  im  J.  4864  ge- 
druckten Ausgabe  (richtig)   a-^mj^^I  steht. ^)    Nachher  bringt  er 

auch  dieses  j^^wo^^Jt  und  erklärt  es  mit  »soie  m^lee  de  coton«. 

Obgleich  aber  die  bezüglichen  Worte  eines  europäischen  Schrift- 
stellers (des  Engländers  Burton)  diese  Uebersetzung  verlangen, 
widerspricht  sie  doch  der  unter  den  arabisch  Sprechenden  all- 
gemein gebräuchlichen  Bedeutung  (Seide  schlechthin,  nach  dem 

Persischen  *^-j^).    Ferner  unter  dem  Artikel  (jVjy:    \^j^> 

.Luv>  SAA  y^L  y^y^^a  (NowaiH,  Espagne  470).  Diese 
Worte  sind  offenbar  zum  Theil  verderbt :  /J^^  lässt  sich  nicht 
rechtfertigen;    es  muss  durchaus  mit  Verbindung  der  beiden 

/Ä  heissen  t'j^^  was  die  regelmässige  Wortform  des  Bein- 
arabischen ist;  eine  etwaige  Berufung  darauf,  dass  es,  so  wie 
es  eben  in  der  Handschrift  steht  (sprachlich  richtig  oder  un- 
richtig)  wiedergegeben  sei,  ist  daher  ungültig.  Ferner  sagt 
weder   ein   rein-   noch  ein  gemeinsprechender  Araber    >^L 

.LuJ  'jUa  (für  tausend  hundert  Dinare);  das  Richtige  ist  hundert 
vor  tausend  zu  setzen.     Dazu  kommt,  dass  der  Verfasser  die 

angeführte  Stelle  als  Beleg  für  »r^i^a  gegeben ,  aber  sie  nur 
durch  »traduire  qqn.  en  justice«  übersetzt  hat,  was  die  schon 


i)  Und  so  auch  in  der  4.  Ausg.  v.  J.  4  838.    Es  ist  demoach  Dozy's 
*AjM.jt  einfach  zu  streichen. 


41S     

ib  tlen  arabiäebeo  WörterbOcherD  aiifegcbeiie  BedeaUms  ist: 
eä  baue  daher  keioeD  Zweck,  sie  hier  so  wiederiK>leii.*  Aber 
solche  Worte  wie  dieses  stehen  noch  viele  andere  in  dem  Werke, 
die  der  Verfasser  aufgenommen  bat,  wiewohl  sie  klar  and  deat- 

lich  in  den  arabischen  W^drterbücfaem  stehen,  wie  z.  B. 


in  der  Bedeaiung  von    .^*'    ä^,^'.  der  dessen  Meinansen  das 

Bechte  treffen .  sieh  besldtisen :  er  hat  dasselbe  aafsefohrt  od>1 
mit  einer  Stelle  ans  den  Mak^men  Hariri's  belebst,  obgleich  ^ 
in  (jrauharl's  Sah^  steht:  im  Kamüs  allerdinss  ist  nur  in  ud- 


«     &   9 


genügender  Weise  davon  die  Rede.     Ebenso  » ^^ 
^S^  JoJUi.«  jagement  sain  et  solide:  » jiÄ>i>^w*i  fttr_ 
h^^tX'*"  das  Werkzeus  womit  das  Getreide  ausaekömt  wird 
f^.AüJ,    waJ«   mit    ..^^    eines    Gegenstandes,     und 


«>juJU   alle    diese  Ausdrücke  stehen   im  KAmüs.     Auch  «-«^ 

'  •  «* 

1^    •«    mit    der  Scbärfung    des    zweiten   Consonanteo    in 

beiden .  hat  er  als  ausschliesslich  in  Versen  gebraucht  darne- 
stellt,  während  sie  die  allgemeinen  Dialektformen  des  Stam- 
mes  Hamdän  sind,  wie  die  Schriftsteller  über  die  Formen- 

lehre    ausdrücklich   angeben.      Ferner:    jix-«JLj.«,    was  er 

nicht    erklärt,    während    es    im   Kamüs    unter   \^^  so  an- 

gegeben  ist:  (ein  Teufelskerl)  y^ö  u*^^  ^^  y^  ^Jb^  Jo*,. 

Äjb^    s>L^x..*mJL'    JJü  (in  der  im  J.  4289  in  Cairo  gedruckten 

Ausgabe  [des  Kiimüs^  aber  steht  &JLt.  mit  dem  Kesr  des  Pro- 

nominalsufßxeS;  was  ein  Fehler  ist)  d.h.  9Si  Ju^,  wie  man  (in 

lobendem  Sinne)  sagt  u5ü  v^l  >(;    dann   hat  man  daraus  ein 
sich  als  nur  ein  Wort  darstellendes  Compositum  gemacht,  und 

endlich  zur  Bedeutungsverstärkung,  wie  bei  K^b  statt  sb. 


1 )  Graf  von  Landberg  bemerkt  zu  Dozy's  Rechtfertigung :  »  Aber  nicht 
aufgenommen  in  die  Europäisch-arabischen  Wörterbücher«. 


419 


G- 


ein  9-  angehängt.     Damit  steht  in  Verbindung,  dass  er  un- 
nöthigerweise  auch  die  regelmässig  abgeleiteten  Wörter  auf- 

nimmt,  wie  ^^^-^u»  und|K>JU,  ^vXäi  und  y»!  Comparative  von 


^  o  > 


is^iAi  und  ^^2£>,    das  letztere  in  der  Bedeutung  von    oy^; 

desgl.  ,1^,  Relativnomen  von  J^  als  term.  techn.  der  Geo- 
graphen und  Astronomen,  während  er  das  Wort  J^  selbst  in 
dieser  Bedeutung,  dessen  Aufnahme  doch  näher  lag  und  dem 

Zwecke  seines  Werkes  mehr  entsprach,  auslässt,  ebenso  ^^J^ 

als  Qualificativ  eines  Pferdes,  obgleich  es  nichts  anderes  be- 
deutet als:  zuNegd  gehörig  (daher  stammend  u.  s.  w.);  ferner, 

dass  die  Araber  sagen  ».li  'i^c.  (geringe  Gabe}  mit  Bezeich- 
nung des  Adjectiv-femininums  durch  ein  angehängtes  ö  ,  was 
doch  ganz  regelmässig  ist,  da   .ji  zu  der  Wortklasse  wie  v^..oud 

(fem.  xaäas),  nicht  zu  der  wie  jcXc  (fem.  ebenfalls  JlXc)  ge- 
hört. Nach  Analogie  dieser  Fälle  von  unnöthigerweise  aufge- 
nommenen Wörtern  hat  man  auch  alle  ähnlichen  zu  beurtheilen. 

Häufig  geht  er  fehl  in  Bezug  auf  rein  lexikalische  Fragen, 
indem  er  ohne  gehörige  Sachkenntniss  dieses  fUr  falsch,  jenes 

für  richtig  erklärt ,  wie  es  ihm  im  Artikel   .Uü  begegnet.     In 

der  Hauptsache  sagt  er  da  folgendes:  Dieses  Wort  steht  in 
Wtislenfeld's  Ausgabe  von  IbnHallik^n's  biographischem  Werke 
in  der  Pluralform  qU^is.  Diesen  PI.  aber  halte  ich  für  ver- 
werflich; nach  meiner  Meinung  muss  es  oLLbJs  heissen,  wie 
in  der  Bulaker  Ausgabe  u.  s.  w.    Aber  beide  sind  irrthümlich; 

das  Richtige  ist  oUai»   mit  zwei  Dammah,  PI.  von  J^ä,  dem 

PI.  von  ^liä;    o^Ltiä,  ist,  wie  man  im  Tag  al  ^arüs  bemerkt 

findet,  gemeinarabisch.  Etwas  ähnliches  ist  ihm  in  dem  Artikel 
vi;^-   begegnet,  wo  er  ^^LjLXsit  mit  a  des  zweiten  Stammcon- 

sonanten  schreibt,  und  sagt :  »Dies  ist,  wie  Lane  bestätigt,  so- 
wohl Singular  als  Plural«,  wozu  er  dann  die  Worte  eines  ün- 


420 


genaDnten  anführt:  »w^^  ,«^>-^t  :j^y  dyui  fLi>Ji  ^ü» 
qLS'lX^U,  und  weiter  sagt:  »De  Sacy  und  de  Slane  Tocalisiren 

an  dieser  Stelle  qL^cN^I  mit  Kesr  (des  -,  und  Siikün  des  j); 

ich  aber  halte  QLj;LXi!^t  mit  ä  des  zweiten  StammconsonaDteü 

fUr  richtiger,  weil  nach  dem  vorher  gesagten  diese  Form  gleich- 
massig  für  den  Singular  und  Plural  gebraucht  wird«  u.  s.  w. 
Das  Richtige  ist  nämlich  gerade  das  Gegentheil  von  dem  was  er 

da  sagt.     Gleichmassig   als  Sg.  und  PI.  braucht  man  ^I^J^ 

mit  Kesr  des  h,  denn  erstens  kommt  es  vor  als  Infinitiv  von  der- 
selben  Form  wie  qU^  ,  dann  aber  auch  als  Plural  von  v^^x> 

mit  zwei  a,  wie  qIoJ^   PI.  von    cXJ^;     qL^cX^   aber   ist  nur 

Infinitiv^   denn  der  Plural  hat  überhaupt  nie  die  Form  q^« 

indessen  ist  hierbei  zu  bemerken,  dass  beide  Lesarten  sich 
sprachlich  rechtfertigen  lassen,  indem  der  Infinitiv  eine  ße- 
griffsgattung  darstellt,  und  demnach,  wie  alle  übrigen  Gat- 
tungsDomina  sowohl  den  Singular  als  den  Plural  unter  sich  be- 
greift. —  Etwas  Sonderbares  ist  ihm  in  dieser  Hinsicht  auch  in- 
sofern begegnet,  als  er  gegen  Lane  tadelnd  bemerkt,  derselbe 
habe    ^Jü^b^j  ääju^!  durch    äI    Is^l^  erklart.     Er  sa^t:  »Er 

(Lane)  hat  diese  Erklärung  buchstäblich  von  den  arabischea 
Schriftstellern  herübergenommen;  aber  sie  ist  zur  Darstellung 
der  Bedeutung  dieses  Ausdruckes  unzureichend«;  er  selbst 
nimmt  dazu  die  darauf  bezügliche  Stelle  eines  der  oben  er- 
wähnten Wörterverzeichnisse  zu  Hülfe,  nämlich  dasjenige,  wel- 
ches er  mit  der  Abkürzung  »Voc« —  d.i.Vocabulaire*)  bezeichnet: 
die  angebliche  Hülfe  besteht  darin,  dass  dieser  Ausdruck  in  dem 

genannten  Voc.  unter  dem  Worte  j«jü  (ja,  so  ist  es)  angeführt 

sei,  und  demnach  Zustimmung  und  Annahme  ausdrückt,  so 
dass  die  Bedeutung  von    jOC:>L<^    b^     o^iJUMt  sei ,   ich  sagte 

zu  ihm:   »Ja«,  d.  h.  ich  bewillige  dir  das,  um  was  du  mich  er- 


^)  Nicht  so,  sondern,  Vocabulista;  s.  Dozy's  Pröface  S.  X  und  Liste 
des  auteurs  citös.    Explication  des  abr^viations  S.  XXVIIlb    Z.  U  n.  <5. 


421     

suchst.  (Bis  hierher  nicht  der  Wortlaut  aber  der  Sinn  der 
Worte  des  Verfassers).  Das  ist  aber  eine  sonderbare  Deutung, 
die  nie  einem  Araber  oder  Niohtaraber  eingefallen  ist  und  die 
auch  weder  ein  Gelehrter  noch  ein  Laie  annehmen  kann.  Aber 
noch  sonderbarer  ist,  dass  er  denSpracheigentbümern,  zu  denen 
er  sich  in  Betreff  der  Spracbkenntniss  doch  nur  so  verhalt,  wie 
wir  oben  gezeigt  haben,  Fehler  nachweisen  zu  wollen  wagt, 
und  dass  er,  noch  mehr,  gegen  ihre  Gelehrten  ein  solches  Buch 
zu  Hdlfe  nimmt ,  von  dem  schon  früher  die  Rede  gewesen  ist, 
so  dass  es  nicht  nöthig  ist,  seine  Charakterisirung  hier  zu 
wiederholen.  Aber  doch  noch  sonderbarer  als  dieses  alles  ist 
es  dass  Dozy  selbst  in  der  Vorrede  seines  Werkes,  da  wo  er  zur 
Angabe  der  bekanntesten  Bücher  kommt,  auf  die  er  sich  in 
seinen  Entlehnungen  gestützt  habe,  unter  ihnen  dieses  Buch  als 
eins  von  unbekanntem  Verfasser  und  Zeitalter  nennt ;  wonach 
wir  nicht  wissen ,  wie  es  ihm  moralisch  möglich  gewesen  ist, 
sich  demselben  bei  den  Entlehnungen  daraus  so  vertrauensvoll 
hinzugeben,  ja,  damit  noch  nicht  genug,  das  Buch  sogar  als  Auto- 
rität denvertrauenswürdigsten  und  zuverlässigsten  Gelehrten  ent- 
gegenzustellen. Die  Worte  mit  denen  Lane  den  genannten  Aus- 
druck erklärt  sind  dieselben  wie  in6auharrs$ahäh  und  beinahe 
die  nämlichen  wie  im  E^müs.  Mögen  die  Verständigen  hiernach 
urtheiienl      Ebenso  beschuldigt  er  unter  dem  Artikel  ^^^ 

Tebrizt,  den  Commentator  der  Gedichtsammlung  Ham^sah ,  in 

den  Worten  wA^iAJb    l-^^^JLb    tu  »Jasil\  0»:^^^  (ich  habe  das 

1 
Silber  vergoldet)  eine  falsche  Erklärung  gegeben  zu  haben,  in- 

dem  er  im  Sinne  unsres  xjL:>^  Liui^  ^L^t    sagt    »der    Gom- 

mentator  hat  falsch  gehört  und  falsch  verstanden,   denn  das 

Verbum   ist  nicht   .^   sondern    ,^\^  und  dessen  Bedeutung 

nicht:  er  hat  das  Silber  vergoldet,  sondern  :  er  hat  es  gereinigt 
und  geläutert«.  Das  hat  er  genommen  aus  einem  Buche  über 
die  Geschichte  der  'Abb^diden  von  einem  Schriftsteller  dessen 
Namen  er  nicht  angiebt.  Nun  steht  zwar  keines  von  beiden 
Wörtern  in  den  uns  vorliegenden  Wörterbüchern,  aber  einem 
Manne  wie  Tebrlzl  darf  man  einen  andern  nur  unter  der  Be- 
dingung entgegenstellen,  dass  dieser  zu  den  grössten  und  an- 
erkanntesten Sprachautoritäten  gehört.  Ferner  bestehtzwischen 


1 


422     

^  (eig.  bedecken,  überziehen)  und  'iLiasu\  &^^',   dem  Silber 

einen  täuschenden  Ueberzug  geben,  offenbar  SinDesverwandt- 
schaft,  und  es  ist  daher  nicht  verwunderlich,  dass  er  (Tebrizi 
in  dem  Exemplare  irgend  eines  Wörterbuchs  diesen  Ausdruck 
vorgefunden  hat.  Aber  auch  angenommen,  dass  ,^f*  anderswo 
nicht  in  dieser  Bedeutung  vorkomme,  so  ist  doch  wenigstens 

die  Bestätigung  des  angeblichen  y5^  durch  einen  zuverldssigeo 
Gewährsmann  zu  verlangen.  Ist  diese  nicht  zu  beschaffen,  so 
heisst  dies  nichts  anders  als  einellngewissheit  durch  eine  andere 
bestätigen  wollen. 

V^on  derselben  Art  ist,  was  er  über  das  aus  dem  Muhit  al 


Muhit  angeführte  gemeinarabiscbe  «aj  %^,  vom  Hühnerge- 
schrei (Gackern)  sagt:    »Er  (der  Verfasser  des  M.  al  M.)  meint 

die  ursprüngliche  Form  davon  sei  Jbu'  (komm!)  was  aber  sehr 
unwahrscheinlich  isla  u.  s.  w.  Dies  ist  ein  rein  willktthrlicber 
und  bloss  muthmasslicher  Ausspruch.    Hätte  er  unsre  gemeinen 

Leute  jemals  sagen  hören:  »Ljü*  La^«  d.  h.  SImH  JLju*,  so  würde 

er  die  Angabe  des  M.  al  M.  nicht  so  unwahrscheinlich  gefunden 
haben ,  da  bü  sich  von  La^u  nur  durch  den  Zusatz  des  ^  zur 
Dehnung  des  Vocals  unterscheidet,  ausserdem  dass  jenes  j*j 

zur  richtigen  Wiedergabe  der  Art  wie  unsre  gemeinen  Leute 
es  aussprechen  am  Ende  mit  einem  Alif  zu  schreiben  ist :  Im*. 

Sonderbarerweise  hat  er  unter  Jljü  und  ^iLjü  das  daraus  ab- 
gekürzte Lxj  und^^^'  nicht  angegeben ,  obgleich  er  sonst  solche 
W  örter  so  eifrig  zusammenstellt,  und  beide  im  M.  al  M.  stehen. 
Willkührlich  verfahrt  er  bisweilen  in  der  Bedeutungsan- 
gabe  mancher  Wörter,  z.  B.  in  der  Stelle  aus  Ibn  Batütab.  ^vo 
dieser  als  von  Berbern  gehört  folgendes  anführt.  »Sie  (die 
Neger)  sagen  der  Genuss  des  Fleisches  eines  weissen  Menschen 
sei  schädlich,  weil  er  nicht  reif,  der  Neger  hingegen  nach  ihrer 
Meinung  ein  wirklich  reifer  Mensch  sei«.  Nach  Anführung  der 
französischen  Uebersetzung  dieser  Worte,  in  ihrer,  sich  von 
selbst  aufdrängenden,   natürlichen  Bedeutung  sagt  er  darauf 


423     

9 

zurückkommend,  er  möchte  ^^^Aiai  lieber  durch  «.«^  (verdaulich 

sein)  erklären,  so  dass  der  Sinn  wäre:  » das  Fleisch  des  Weissen 
ist  schädlich ,  weil  es  unverdaulich,  dahingegen  das  des  Negers 
nach  ihrer  Meinung  das  wirklich  verdauliche  ista.  Welch  un- 
wahrscheinliche Erklärung!  Die  Aerzte  drücken  den  Begriff 
von  j^xQ^  bisweilen  durch  ,a^^  aus;   aber  das  ist  ein  ihrem 

Sprachgebrauch  eigenthümlicher  wissenschaftlicher  Ausdruck, 
der  weder  mit  der  ursprünglichen  Bedeutung  etwas  zu  schaffen 
hat,  noch  im  Sinne  der  an  jener  Stelle  Sprechenden  liegt;  diese 
wollen  damit  nur  sagen ,  das  Fleisch  des  Weissen  sei  roh ,  weil 
sie  keine  Einwirkung  des  Sonnenbrandes  auf  ihn  wahrnehmen, 
das  der  Schwarzen  hingegen  reif  (gar),  weil  die  Sonne  auf  das- 
selbe offenbar  ebenso  eingewirkt  habe,  wie  das  Feuer  auf  die 
seinem  Anhauche  ausgesetzten  Gegenstände. 

Etwas  derselben  Art  ist  ihm  in  dem  Artikel  cl^A>  in  der 

Erklärung  von  vii^SiA^t  in  dem  Ausdrucke  c;jt^Aj>!Jt  v^^^-U?  be- 
gegnet, worin  es  heisst:  der  und  der  »yoJI  viilcK^l  J^  q^ 
und  wenn  Ibn  al  Attr  sagt  a.am!jI(  vi^tJo!^  /  ^J^^  i^^j^J  ^^^Y 
meint  c:;tcX.>^{  stehe  hier  überall  in  der  Bedeutung  von  ÄJL:5:uiJI 

la  police,  und  übersetzt  die  Worte  Ibn  al  Atir's  so,  als  sei  da- 
mit gemeint :  der  Polizeimeister  über  die  Strasse  nach  Mekkah 
während  der  Dauer  der  Wallfahrtsceremonien  daselbst.  Dem 
wesentlichen  Sinne  nach  liegt  dies  allerdings  nicht  weit  vom 
Richtigen  ab,  aber  am  natürlichsten  und  w^ahrscheinlichsten 
sind  mit  ii;!cXj>!i!  die  Verbrechen  (j^Jty^t)  und  die  vorkom- 
menden Missethaten  (otXUt)  gemeint.     Es  ist  dies  eins  der 

Wörter  welche  in  den  klassischen  Wörterbüchern,  mit  einer 
dieser  nahekommenden  Bedeutung  stehen ;  das  Abweichen  da- 
von zu  dieser  Deutung  ist  somit  nichts  anders  als  ein  der 
Sprache  angethaner  Zwang.     Derselben  Art  ist  seine  folgende 

Erklärung  von  cxX>  durch  apprenti,   celui  qui  apprend  *un 

metier,  die  er  aus  folgenden  Worten  Hatib's  gefolgert  hat.  »Die 
Wohlhabenheit  ist  in  ihrer  Stadt  allgemein,  sogar  in  den  Werk- 
stätten ,  wo  die  dort  betriebenen  Gewerbszweige  viele  vij!vAs>l 
vereinigen,  wie  die  der  Stiefelmacher  u.  dergl.cf  Er  erklärt 
also  vi^^iAp*!  hier  durch  Handwerkerlehrlinge ,  was  sich  aller- 


424     

dings  aus  dem  ZusammeDbange  ergiebt,  obne  dass  jedocb  diese 
Bedeutung  im  geringsteu  in  dem  Worte  selbst  läge,  sondern 
cl^lJo^l  sind  eben  nur,  wie  es  in  den  (klass.)  Wörterbttchern 

heisst,  ^^y^Jt  j^liudjt,   die  jungen  Burschen,    und  dies  >vill 

Hattb  ausdrücken.  In  demselben  Artikel  führt  er  folgende 
Worte  eines  andern  Schriftstellers  an,  v^Jb>  c:jtjLs»t  fcJLc  JU;:J, 

er  brachte  die  vi>tvXs>5  von  Haleb  zum  Aufruhr  gegen  ihn,  er- 
klärt da  dasselbe  Wort  durch  les  gens  du  bas  peuple  und  zeiht 
Quatrem^re  eines  Fehlers,  dass  dieser  o!jL>yi  hier  durcji  les 
jeunes  gens  erklärt  habe,  aber  das  Bichtige  ist  was  Quatremere 
sagt,  als  die  richtige  sich  von  selbst  darbietende  Bedeutung  des 
Wortes,  neben  welcher  seine  Deutung  sich  offenbar  als  un- 
nöthig  darstellt. 

Wenn  man  das  ganze  Buch  aufmerksam  durchgeht,  findet 
man  eine  verwunderlich  grosse  Anzahl  dieser  unbegründeten 
Vermuthungen.  Man  sieht  wie  der  Verfasser  bald,  indem  er 
sich  mit  der  Erklärung  der  Wörter  abmüht,  ihnen  trotz 
des  Vorhandenseins  klarer  Bestimmungen,  willkührlicbe  Be- 
deutungen beilegt,  bald  sich  soweit  gehen  lässt,  Schriftsteller 
ohne  alle  Autorität  für  das  Aechtarabische  zu  citieren  und  ihnen 
Angaben  zu  entnehmen,  welche  für  jeden  der  die  geringste  Be- 
kanntschaft mit  dem  Aechtara bischen  hat,  offenbar  falsch  sind. 
So  in  seiner  Erklärung  von  UjS  ^j^  durch  se  lever  prompte- 

ment,  brusquement ;  der  Ausdruck  enthält  nichts  woraus  diese 
Bedeutung  genommen  werden  könnte,  sondern  gehört  zu  dem 

sogenannten  HJ^j^  o^  (dem  bloss  verstärkenden  Zustands- 
ausdruck) wiedies  in  denSchriften  der  Grammatikerausdrücklich 

festgestellt  ist.  Ferner  in  seiner  Erklärung  von  -^^^  jy> 
durch  desarmer,  öter  les  armes,  die  Waffen  abnehmen  und  die 
damit  Versehenen  waffenlos  machen.     Diese  Bedeutung  ist  in 

solcher  Verbindung  unnatürlich ;  ^^  hat  in  derselben  nur  die 
Bedeutung  von  ß^  und  steht  ursprünglich  vom  Schwerte,  wel- 
ches  8A4X  Q^  ^y?V.  entblösst  aus  seiner  Scheide  gezogen  wird: 
weiterhin  gebraucht  man  das  Wort  aber  auch  in  freierer  Weise 


425     

und  die  von  Dozy  angegebene  Bedeutung  giebt  z.  B.  den  Sinn 

von  -^l^t  Q*  ?Oy>  er  entkleidete,  beraubte  ihn  der  Waffen, 
nahm  sie  ihm  ab.  Etwas  ähnliches  thut  er  bei  der  Erklärung 
der  Worte  des  Abulfarag:   ,L^  aäLäj  äjL.^  q^^  ^Ji^  ä-JI  V^ 

»jJlma  /cX»3«  [II,  366»»,  9—7  v.  u.],  wo  er  jlaä  durch  f^ 
und  (joLfiAjf,  injurier,  outrager,  erklärt.  Aber  diese  Bedeu- 
tung steht  durchaus  in  keinem  OriginalwOrterbuch ,  auch  wird 
sie  weder  vom  acht*-  noch  vom  gemeinarabischen  Spracbge- 

brauch  unterstützt.  Es  ist  mit  «lad  gemeint  (k>^t  J^a>  «Li 
ÄLoJt  3^  das  Band  der  Freundschaft  oder  des  freundschaftlichen 
Verkehrs  «erreissen,  wie  in  dem  nachher  [II,  367*,  6—8,]  von 

ihm  selbst  als  Beleg  angeführten  Ausspruch  Mohammeds,    ^^ 

vi5Ui^  ^^«4^  s-ft£^3  u5oJ3d  ^j% ,  0  Knüpfe  wieder  an  mit  einem  der 

sich  von  dir  getrennt  hat,  und  sprich  von  Schuld  frei  einen  der 
dir  Unrecht  gelhan  hat«,  wo  er  dasselbe  Wort  durch  rompre 
Tamitie  ou  le  commerce  avec  qqn.  erklärt.  Zu  derselben  Kate- 
gorie gehört  seine  Erklärung  von  iLyo^j>^t  durch  r^gles  d^une 

langue ,  entlehnt  aus  Bocthor  in  dessen  Erklärung  von  Gram- 
maire.  Aber  das  ist  eine  der  subjectiv-willkührlichsten  Er- 
klärungen Bocthor^s  und  man  hat  nie  etwas  derartiges  gehört 
ausser  bezüglich  des  Wortes  Kämüs,  welches  der  gemeine  Mann 
schlechthin  von  jedem  Originalwörterbuch  gebraucht.  Nun 
taugt  aber  bekanntlich  nicht  alles  was  ein  Einzelner  sagt  ohne 
Nachdenken  und  kritische  Prüfung  zu  weiterer  Anführung  und 
zur  Anwendung  als  Beleg ;  sonst  virttrde  ja  auch  die  Anführung 
von  Sprachfehlern ,  Wortverdrehungen ,  falscher  Consonanten- 
aussprache  und  unrichtigem  Näsein  zulässig  sein  und  dadurch 
die  Sprache  selbst  verderbt  werden.  Einen  lexikalischen  Miss- 
griff hat  er  femer  begangen  in  seinen  Worten  über  ^1,  wo  er 

angiebt,  es  komme  vor  in  der  Bedeutung  von  |»y>  ^    9  certaine- 

mentff  [I,  32*,  9  flg.;]  und  als  Beispiel  davon  al  Fahrfs  Worte 
anführt:   ^y>^l  (.s5U^  oUb  '%^  ^^um'  ^  ^t,  ebendahin  die 


426 


-     9 


Worte  eines  Andern  zieht :  5^^  &a9  /  öaj  J  qÜCo  vJdL^  .^o  \3\^ 
(^.^3    ^t  cLjMyjt  Q«  und  ebenso  das  (^j^\  tj^  ^^  l§H^^  !^^>^ 

.y^.  eines  gemeinarabischen,  aegyptischen  Dichters  [loin  de 

moi  Tamourl  certainement  Tamoür  blesse].  Alles  dies  be- 
ruht auf  Verwechselung  verschiedener  Dinge  und  gnindloser 
Vermuthung  (ääjL^).    AI  Fahri's  Worte  sind  in  späterer  Ueber- 

lieferung  oder  schon  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  mit  einem 
Sprachfehler  behaftet;  der  richtige  Ausdruck  ist:    My^y^\    ^! 

^->y5  «5Ua^  oLw  ^I^  «wenn  du  dich  weghebest — ;  wo  nicht, 

steche  ich  dir  auch  das  andere  Auge  aus«,))  d.  h.  wenn  du  dich 
weghebest,  so  gehe  in  Frieden,  SCcXxJL  oder  ein  sinnver- 
wandtes Wort ;  wenn  aber  nicht,  so  u.s.  w.  Diese  Satzbildung 
ist  im  guten  Arabisch  sehr  häufig  und  der  Belege  dafür  giebt  es 
unzählige.     Ein  Dichter  sagt : 

»Ich  spreche  zu  ihm:   Brich  auf!     Verweile  niebt 
länger  bei  uns!  — 
Wo  nicht,  so  sei  wenigstens  innerlich  und  äusser- 
lich  ein  ächter  Moslim«. 

y^^  ^1  ist  soviel  als  üLP  ^!  ^]  somit  dient  'S\  hier  zum 
Ausdruck  der  Beschränkung  (.-Aa-:5:üJ).  Endlich  das  »9l 
r  r^'^J^^^^  ist  aus  einem  in  der  Sprache  der  gemeinen  Leute 
gedichteten  Liede,  bei  welchen  oft  "^l  in   der  Bedeutung  des 

satzeinleitenden  ^1  (<>U>L;:aä^:j1  ^I  s.  Lane  unter  ^t  Seite  76^ 
Z.  5  f]g.)  steht  und  demnach  aus  diesem  verderbt  ist.    Sie  sagen 

z.  B.  ^i  ^JJ^  Ji  o^  ^t  und  ^iLs  ii  ^yo!  St  und  Ü\ 
Jilc  J^.  Q^  und  nach  Analogie  dieser  Beispiele  sind  ähnliche 


i)  Richtig  erklärt  und  mit  Beispielen   belegt  schon   in   de  Sacy's 
Gramm,  arabe.  II  §  876  S.  484—486. 

2)  S.  meine  Klein.  Schriften  I.  S.  504  Z.  42  flg.  zu  de  Sacy  I,  558, 
45  flg. 


427     

Ausdrücke  zu  beurtheilen  ^) .  Betrachtet  man  diese  Beispiele 
eins  nach  dem  andern,  so  gehören  sie  alle  zu  den  Gebrauchs- 

weisen  von  ^t,  welches  ursprünglich ,  wie  die  Lehrer  der 
Syntax  bemerken ,  eine  Bestätigung,  /^^ä^^,  ausdrückt,  wo- 
nach der  Sprachgebrauch  des  gemeinen  Mannes,  allerdings  mit 

Verwechselung  von  ^t  und  ^{  dem  der  ächten  Araber  getreu 

a 

geblieben  ist. 

Etwas  Aehnliches  ist  ihm  bei  der  Besprechung  des  gemein- 

arabischen  9(^5Jua  begegnet.   Er  sagt  darüber  im  Wesentlichen 

die  ursprüngliche  Form  dieses  Ausdruckes  sei  J^t  ^\  ^  uVj  ^ ; 
man  habe  dann  das  J  vor  dem  Pronominalsuffix  weggelassen, 

und  so  sei  daraus  ^^500  ^  geworden ,   dann  weiter  das  ^  und 

das  ^y  vor  einem  Nomen  [JjüJt  er  «^  «Aj  ^]  und  dasselbe  mit 

^t  vor  einem  Verbum,  so  dass  man  schliesslich  z.  B.  ^^,\  ^Jo 
[st.  -.«^.t  qI  ^  ^  (Aj  ^]  gesagt  habe.     Hierzu  rechnet  er  dann 

das  gewöhnliche  »Ju  JJ'  ^y^  [de  toute  necessit^],  denn  ju  ge- 
hört nach  seiner  Angabe  zu  den  BestätigungswOrtem  u.  s.  w. 
In  Wahrheit  ist  aber  die  richtige  Form  des  gemeinarabischen 

^^Jü  und  sJu:    (^^   und  s^   welches   so   gebraucht   rein 

arabisch  und  allgemein  bekannt  ist;  später  hat  man  durch 
Wortverkürzung  (Synkope)  das  ^  weggelassen  und  ^Ju  ge* 

sagt.  Das  gewöhnliche  vXj  JJ^  ^r  ^^^^  ^^^  ^'^  offenbarer  Fehler, 
in  welchen  man  dadurch  verfiel  dass  man  die  Bedeutung  dieses 

Ju  nicht  mehr  kannte.  Die  Form  dieses  Ausdruckes  ist  ^y 
Ju  jac  »unvermeidlich,  unausbleiblich«,   wie  manche  Leute 


4)  S.  Tratte  de  la  langue  arabe  vulgaire  par  le  Scheikh  Mohammed 
Ayyad  el-Tantawy  S.  73  Z.  48  ^^a^  ^I  v^  JIS  »  U  m'a  dit  que  je  devais 


absolament  Tamener  «. 

4887.  29 


428 


auch  den  Fehler  begehen  in  sagen:  gyt  ^  >|f  ju^j  ^  statt 
3^  ^1  juu:  Li,  indem  sie  die  ^dnrcfa  "SS  ansgedrackle]  Beschrän- 
kung gleichsam  nodi  verstärken  wollen,  wodurch  aber  die  Be- 
deutung g^en  ihre  Absieht  in  das  gerade  Gegentheil  des  ur- 
sprttnglichen  Ausdruckes  umschlägt. 

Sonderbarerweise  stellt  er  dergleich^i  subjective  Ter- 
muthungen  ohne  Rücksicht  auf;  dagegen  stossen  ihm  fiber  klare, 
unzweifelhafte  Dinge  Zweifel  auf;    so  wird  er  bei  dem  aus  Boc- 

thor  genommenen  i^j=>^  ä^^  ^  bedenklich  und  fragt  dann,  ob 

dies  vielleicht  eine  Entstellung  von  LJj  sei?  Dasselbe  ist  der 
Fall  wo  er  die  Worte  eines  Anderen  auflührt:  Jq^oL^JI   ^i^. 

^'S\^  ,^yj^'^  y^^b;,l^  J^{  ^  Ji-o«  [11,  S.  196»  Z.7 — 5  v.  u/. 
da  hat  er  die  Bedeutung  von  ^-«ajl;!  nicht  verstanden  und  sagt: 
»semble  signifier  personnellementc;  dies  ist  ja  aber  durch  die 
Erklärung  von  q^H^I  in  den  Originalwörterbttdiem  bestätigt 

und  dieser  Zweifel  somit  unstatthaft.  Offenbar  hat  er  daher 
die  Bedeutung  dem  Zusammenhange,  nicht  dem  Worte  selbst 
entnommen,  wie  in  ähnlichen  frdheren  Fällen.  Häufig  vermischt 
er  in  der  Angabe  von  Wortformen  unnberlegt  verschiedenes, 
wie  wenn  er  sagt,  »^kX1\  i3j^^^  <fJsü\  C5^*  beide  Formen  nadi 
Bocthor.  Er  bezieht  somit  die  dreiconsonantige  (erste)  Form 
ausschliesslich  auf  das  Herz ,  die  vermehrte  (vierte)  aber  auf 
das  Blut;  aber  beide  bedeuten  ein  und  dasselbe,  und  diese 
Unterscheidung  hat  keinen  andern  Gi*und  als  die  Untd)eriegt- 
heit  Bocthor's,  der  im  ersten  Beispiel  die  in  der  gemeinen 
Sprachweise  fibliche  Form  angiebt,  in  dem  zweiten  aber  die 
hocharabische  aufstellt.  Denn  der  gemeine  Mann  sagt  nicht 
f  Äj^t,  wiewohl  in  dem  abwechselnden  Gebrauch  der  einen  wie 
der  andern  Form  an  und  ftlr  sich  nichts  Ungewöhnliches  liegt. 
Bisweilen  versieht  er  sich  in  Aufstellung  der  Wortstämme,  so 

setzt  er  \^K^^h*ai\  in  der  Bedeutung  von  ^^jX^\  t-^^^^^f  A^ 

räumlich  und  zeitlich  ebenmässig  Fortlaufende,  Zusammen' 
hängende,   unter  einen  Artikel  w-.J?od,  macht  das  Wort  xo 

einem  selbständigen  Stamme,  während  das  Richtige  gewesen 


429 

wäre,  es  zusammen  mit  den  von  ihm  unter  dem  Wortstamme 
V9O'  aufgeführten  Bedeutungen  der  achten  Form  zu  stellen. 

Dann  und  wann  begeht  er  Sprach-  und  Formfehler  in  der 

Vocalisation,  wie  wenn  er  sagt  »äLU  jJ-^'^  «Ic^^jXä!  «  mit  dem 

Aecusativ  der  beiden  Nennwörter;  er  scheint  ^^X^!  für  transitiv 
zu  halten  und  übersetzt:  »satisfairesavengeance«.  Ebenso  sagter 

nachhen>X4ld  ^^Xä^U  mit  dem  Aecusativ  von  wJld,  übersetzt  aber 

^tre  satisfait,  widerspricht  also  in  seiner  Vocalisation  seiner  Ueber- 
setzung.  Diehierauf  folgenden  Worte  eines  Dichters  führt  er  so  an : 

)>Ju5üt  ^«>|>d  ^y^:iJit\  cX3«  mit  Bezeichnung  des  \XkS  als  No- 

minativ;  dadurch  ist  aber  wunderlicherweise  doch  nicht  auf 
die  Intransivität  des  Zeitwortes  aufmerksam  gemacht  worden. 

Ebendahin  gehört  dass  er  Kj^ß  schreibt  slatt  lh^LL^,  da  das 

Wort  türkisch,  aus  ^,  ein,  und  o^Ub,  Stein,  zusammengesetzt 

ist ;  ferner  dass  er  unter  dem  Stamme  q(^^  schreibt :  ^^öo\ 

y^i,%4J^  ^^^  mitPamm  des  Nun,  was  er  dann  auch  eine  Zeile  wei- 
terhin wiederholt,  wahrend  es  doch  nachdem  in  den  Grundlehren 

der  Formenlehre  Festgestellten  richtig  v;>w4i     heisst,   obgleich 

das  Wort  ein  ^    zum  Mittelconsonanten  hat;    ferner,   dass  er 

■• 
unter  (j^». ,  wo  er  bei  Anführung  der  Dichterstelle  ^^^^  J^ 

«•  •• 

ääJl^  H^^  A'^  d^s  ^  '^^  ÄÄJ^  mitFath  vocalisirt,  und  dann 

meint,  es  müsse  dieses  Wort  ein  Passivparticip  sein,  ohne  weiter 
etwas  hinzuzufügen ,  das  ist  eine  wunderliche ,  in  keiner  Weise 
zurechtfertigende  und  von  den  OriginalwOrterbüchern  nicht 
unterstützte  Behauptung;   denn  das  Wort  ist  ohne  Widerrede 

immer  intransitiv  [also  ääJl^  zu  lesen]. 

Im  Gegensatze  hierzu  findet  man  in  dem  Buche,  wenn  man  es 
genau  einsieht,  schöne  Bemerkungen  von  treffender  Richtigkeit, 
feine  Berichtigungen  der  früheren  Schriftsteller  dieses  Faches, 
wie  sie  liur  von  umfassender  Belesenheit  ausgehen  können.  So 
wenn  er  gegen  Lane's  Uebersetzung  der  Worte  eines  Schrift- 

29* 


»  ^ 


-/ 
y  , 


430 


siellers  ^h:uS\  ^  Jaj  ^i  ^^^^^  ^^  ^  ^|;  lP^*  *^^  *^^^ 
stellang  macht .  >  Lane  übersetzt  9JJ»S\  i^  ^2u  ^  gieidibe- 
deutend  mit  jüC^Jl  U^;  dies  ist  aber  nicht  richtig;  deno 
j3ÄJt  hat  die  Bedeutung  von  y^gjJt ;  wenn  er  es  fibersetzt  hätte 

\a^\  Lt  ÄLLä«   ^,  so  wäre  es  sinnentsprechender  gewesen  f. 

Das  ist  eine  ausgezeichnet  scharfsinnige  Bemerkung,  wenn  auch 
beide  Uebersetzungen  im  Ganzen  ein  und  dasselbe  ausdrücken, 
indem  Dozy  die  eigentliche  und  wesentliche  Bedeutung  des 

o 

Wortes  bestimmt;  denn  die  Formen  Jms  und  ^^  sind  aner- 

kanntermassen  oft  gleichbedeutend,  wie  Jjo»  und    J^j^  :   «^ 

und  \.>A^;  J^Xc  und  J^aXc  und  ebenso  Jai  und  ^J^   wie  io 

den  Originalwörterbüchem  zu  finden  ist.  Ebenso  wenn  er 
gegen  die  von  einem  Andern  unter  einem  der  früher  erwähnten 

Wortstämme    gegebene    üeberselzung    von    »»q^  ^f^^    ^ 

gleichbedeutend  mit  s^äa^J!  jy>  tadelnd  bemerkt  »das  ist 
falsch;  das  Richtige  ist:  er  schickte  gegen  ihn  eine  ikXjy>  d.  i. 
eine  Abtheilung  Reiterei  in  Uebereinstimmung  mit  der  Angabe 
Freytag^sc  Damit  hat  es  seine  Richtigkeit,  wiewohl  der  Aus- 
druck hier,  da  die  W^eglassung  des  Objectes  etwas  Hartes  bat, 
an  und  für  sich  nicht  zu  empfehlen  ist,  wozu  noch  kommt,  dass 

man  in  diesem  Sinne  eigentlich  aJLc  cy>  sagt  und  aI  jy>  sieb 

nur  durch  künstliche  Deutung  [il  detacha  un  corps  de  la 
cavalerie  pour  lui,  c*est-ä-dire  pour  le  combatlre]  rechtfertigen 
lässt.  So  femer,  wenn  er  gegen  Freytag*s  Erklärung  von 
^aL^wLm.1  als  gleichbedeutend  mit  v..&i:>  bemerkt :  »In  dieserBe- 


deutung  sagt  man  .^j^J^cz^  in  Passivform,  wie  ^ob    s^j^J^^, 

er  ist  zum  Chalifen  ernannt  worden  u.  s.  wa. 

Ausserdem  macht  er  richtige  Bemerkungen  über  viele 
Wörter  der  späteren  und  Gemeinsprache,  sowie  zur  Auf- 
klärung ihrer  ursprünglichen  Bedeutungen   und  der  Gegen- 


431     - — 

Stände  von  denen  sie  hergenommen  sind,   durch  eigene  Auf- 
findung oder  durch  Anlehnung  an  Andere,  —  Bemerkungen 
welche  eindringende  Ueberlegung  und  reiche  Sachkenntniss  be- 
weisen. Ueberhaupt,  wenn  ihm  bei  diesem  Werke  nur  das  Ver- 
dienst zukäme,  dass  er  darin  Dinge  zusammengestellt  hat,  wie 
vor  ihm  kein  Anderer,  und  dass  er  sich  deswegen  die  Mühe  ge- 
geben hat  hunderte  von  Büchern  durchzulesen ,  in  Verbindung 
mit  seiner  umfassenden  Kenntniss  einer  solchen  Summe  von  alt- 
arabischer   Sprachgelehrsamkeit,   ohne  dabei   im  Verkehr  zu 
stehen  mit  den  Eigenthümern  dieser  Sprache  und  ohne  mit  den 
gelehrten    und    schöngeistigen   Vertretern  derselben   Bespre- 
chungen zu  halten,  so  würde  das  für  ihn  ein  Verdienst  bilden, 
welches  lautes  Zeugniss  ablegte  für  seinen  Kenntnissreichthum 
und  die  Grösse  und  Kraft  seines  Scharfsinnes.    Und  hierin  thut 
es  ihm  keinen  Abbruch,  dass  er  aus  Uebereilung  sich  in  der 
Feststellung  einiger  Punkte  der  alten  Sprache  und  einiger  ihr 
an  gehörigen  Bedeutungen  geirrt  hat;    denn  das  gehört  zu  den 
Dingen  von  denen  nun  einmal  kein  Sterblicher  frei  ist,  und  er 
hat  hinsichtlich  dieses  Umstandes  jeden  arabischen  und  nicht- 
arabischen Gelehrten ,  der  überhaupt  geschriftstellert  hat  zum 
Vorgänger.    Freilich  hat  er  an  dieser  grossen  Anstrengung  und 
ausdauernden  Mühewaltung  im  Dienste  der  altarabischen  Sprache 
selbst  nicht  genug,  da  sein  Hauptstreben  auf  die  Gemeinsprache 
und  die  aus  den  fremdländischen  Sprachen  überhaupt  in  die- 
selbe eingeflossenen  Bestandtheile  gerichtet  war  und  er  dabei 
doch   von    dem    späterarabischen    nur    einen   im   Verhältniss 
zu  dem  was  die  Erzeugnisse  der  neueren  Schriftsteller  ent- 
halten unbedeutenden  Theil  behandelt  hat.     Zu  verwundem  ist 
dass  er  aus  den  Diw^iinen  späterer  arabischer  Dichter,  wie  aus 
dem   des  Mutanabbt^    Ibn  H^nl,  ihrer  Zeitgenossen  und  der 
später  lebenden  nichts  beigebracht  hat  ebensowenig  aus  vielen 
allgemein  bekannten  schöngeistigen  Schriften,  wie  den  RasMl 
des  Hamadänt,  Howaresmt  und  den  Angehörigen  dieser  ganzen 
Klasse  von  Schriftstellern,   welche  sich  das  Altarabische  kraft 
ihrer  Kenntniss  seiner  Innern  Bildungs-  und  Ableitungsgesetze 
in  freierer  Weise  fortbildeten  und  aus  seinem  unerschöpflichen 
Ocean  wahrhafte  Perlen  hervorholten,  indem  sie  dieselben  mit 
Auswahl  auf  den  Faden  schriftstellerischer  Verwerthung  auf- 
reihten und  sie  zu  Halsschmuck  ihrer  W^erke  verwandten.  Diese 
Schriften  verdienten  ohne  Zweifel  die  Entlehnung  aus  ihnen 


432     

mehr  als  die  Tausend  und  eine  Nacht  und  Aehnliches.  Auch 
hat  er  nichts  entlehnt  aus  dem  JiJiiüt  s^\aü  (der  Befriediguo^ 
des  Durstigen]  von  Haffägi,  obgleich  dieses  Werk  zu  demselben 
Zwecke  angelegt  ist  wie  das  unsers  Schriftstellers  und  dies  in 
vorzüglicherer  Weise  leistet  als  das  Mu'arrab  von  GawällkJ.  das 
Wörterbuch  Bocthor's  und  Freytag's  und  ihnen  ähnliche.  Daiu 
kommt,  dass  er  auch  aus  denjenigen  Schriften,  die  er  über- 
haupt benutzt  hat,  wie  z.  B.  das  Geschichtswerk  Ihn  Haldön  s. 
nicht  vollständig  genug  entlehnt  hat,  denn  er  hat  darin  vor- 
kommende Wörter  übersehen,  so  unter  Anderen  das  Wort 
ÄjtcXP  (Göttliche  Rechtleitung)  in  der  Bedeutung  von :  der  deo 

ig 
Thieren  von  Gott  anerschaffene  Instinkt ,  das  Wort  (j«Jü  ;sich 

civilisieren)  im  Gegensatze  zu   ^Ji.s>y:>:l\    (in  Rohheit  versinken 

oder  bleiben),  das  Wort  K^  für  die  in  der  Seele  festge- 
wurzelte Beschaffenheit  [^  e^ts],  das  Wort  «jt^  (eig.  Ver- 
theilungen)  für  v-o^yto  Geldauflagen,  die  siebente  Form  j^' 

als  der  ersten  Form  _Jo  entsprechende  Passivform,  ^j^  ^^ 
(in  den  Handschriften  ,Äsliu  was  aber  falsch  ist)   d.  h.  ^^as- 

ser  in  welchem  Schnee  aufgelöst  worden  ist,  ^^jjJiX^^  '^^ 

Nachrichten-Ueberlieferer,   |»^J^  in  der  Bedeutung  von  Ju^, 

Herr ,  und  andere  Wörter,  deren  in  den  altarabischen  Wörter- 
büchern keine  Erwähnung  geschieht.  Dies  alles  zusammeoge- 
nommen  gehört  unzweifelhaft  zu  den  Unvollkommenheiten  wei- 
che in  seinem  Werke  eine  grosse  Lücke  zurückgelassen  haben 
und  machen  nöthig  dasselbe  eingehend  zu  kritisieren  und  neu  zu 
behandeln  zur  Verbesserung  des  Irrigen  darin  und  zum  Nachtrage 
des  darin  Fehlenden.  Bei  alledem  leugnen  wir  nicht  dass  darin 
eine  Menge  lehrreicher  Dinge  enthalten  sind  zu  denen  wir  ohne 
dasselbe  zu  gelangen  nicht  im  Stande  gewesen  wären,  weil  uns 
die  meisten  der  Schriften  aus  denen  er  entlehnt  hat  nicht  zu- 
gänglich sind.  Und  vielleicht  ist  der  grösste  Nutzen  den  ein 
Araber  daraus  ziehen  kann  der,  dass  er  sich  dadurch  ange- 
trieben fühlt  sein  Besti'eben  darauf  zu  richten,  ihm  nachzu- 
folgen in  der  Unternehmung  eines  ebenso  ausgezeichneten 
Werkes,  zu  einer  Zeit  wo  die  schriftstellerische  Laufbahn  sich 


433     

• 

auch  bei  uns  weit  geöffnet  hat  und  wo  wir  selbst  lebhaft  das 
Bedtlrfniss  eines  Werkes  empfinden,  dessen  wir  uns  bei  der 
Behandlung  des  Äechtarabischen  bedienen  können  und  welches 
uns  vieler  Mtthe  überhebt  in  der  Anschaffung  neuerer  Werke 
zu  welchen  wir  nur  mit  äusserster  Anstrengung  gelangen  können. 
Möge  Gott  gnädig  sein  einem  Menschen  der  das  Rechte  weiss 
und  danach  handelt.  Den  Lohn  der  so  Handelnden  aber  lässt 
Gott  nicht  verloren  gehend. 


In  der  Fortsetzung  meiner  Kleinern  Schriften  behalte  ich 
mir  vor,  auf  mehrere  in  dieser  Recension  besprochene  Punkte 
lexikalischer  und  grammatikalischer  Natur  zurückzukommen 
und  dabei  zum  Theil  Dozy^s  Auffassung  derselben  zu  recht- 
fertigen. 


SITZUNG  AM  10.  DECEMBER  1887. 

Herr  v.  d.  Gabelentz  handelte  über  das  taoistische  Werk  W^n-tsT. 

Die  gegenwärtige  Mittheilung  kann  nur  eine  vorläufige  sein. 
Vor  anderthalb  Monaten  erhielt  ich  aus  China  ein  in  jüngster  Zeit 
unter  dem  Namen  Rf-sip-rf  tsi*,  die  zweiundzwanzig  Meister, 
veröffentlichtes  Sammelwerk  in  83  Heften ,  darunter  ein  Werk 
in  zwei  Heften  betitelt:  W^n-tst  tsuän-ngi,  etwa  s.  v.  a.  W^n- 
tsT  mit  Excursen  oder  Glossen. 

Das  Werk  ist  in  folgende  zwölf  Bücher  getheilt : 
I.  Logos-Urquell. 

II.  Wesen- Wahrheit. 

III.  Die  zehn  Dinge,  an  denen  (der  heilige  Mensch)  festhält. 

IV.  SachgemSsse  Worte, 
y.  Logos  und  Tugend. 

VI.  Höhere  Tugend. 

VII.  Das  Verborgene  klar  [?  w^i-ming  bedeutet  sonst  den 
Glanz  des  Mondes] . 

VIH.  Spontaneität. 
IX.  Niedere  Tugend. 
X.  Höhere  Humanität. 
XI.  Höhere  Rechtlichkeit. 

XII.  Höhere  Sitte. 

Über  den  Verfasser  und  das  Alter  des  Buches  sind  die  Nach- 
richten und  Meinungen  unsicher.  Wir  wissen  nicht,  wer  und  was 
jener  W^n-tsf  war ,  der  hier  als  ein  unmittelbarer  Schüler  des 
Laöts?  im  Gespräche  mit  ihm  eingeführt  wird.  Und  ebenso  schwebt 
die  Ächtheitsfrage  im  Dunkel.  Wäre  das  Buch  acht,  so  besässen 
wir  in  ihm  nächst  dem  Taö-tek-king  das  Zweitälteste  Denkmal 
des  Taoismus ,  Aussprüche  des  alten  Meisters  selbst ,  viel  um- 
fangreicher als  das  Buch,  das  er  eigenhändig  verfasst  haben  soll. 
Nach  A.  Wylie,  Notes  on  Chinese  Literature  p.  175,  steht  soviel 
fest,  dass  das  Buch  schon  vor  der  Zeit  der  T'ang-Dynastie,  7.  Jahrh. 
n.  Chr. ,  bekannt  war.    In  der  Einleitung  zu  den  Sip-tsT  6nde 


— -     435     

ich  die  Ndchricht,  dass  unter  Kaiser  Yuen-tsung,  743—756,  Lao- 
tsY,  Wen-tsY,  6uang-tsY  und  Liet-tsY  als  (taoistische)  Classiker 
galten.     Sollten  die  bibliographischen  Nachrichten  nicht  noch 
weiter  zurttckftthren,  so  läge  darin  immer  noch  kein  zwingender 
Grund  zu  ungünstigen  Schlussfolgerungen.   Denn  erstens  ist  im 
^^'       Mittelreiche  der  Fall  gar  nicht  unerhört,  dass  alte  Bttcher  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  mit  verschiedenen  Aufschriften  versehen,  wohl 
U         auch  von  den  Herausgebern  nach  Büchern  und  Capiteln  ver- 
schiedentlich eingetheilt  werden.  Und  zweitens  waren  es  immer 
nur  wenige  Werke  der  taoistischen  Literatur,  die  wegen  ihrer 
wahrhaft  künstlerischen  Schönheiten  auch  ausserhalb  der  Secte 
Beachtung  fanden.    Reichten  die  stilistischen  Vorzüge  unseres 
Schriftstellers  an  die  des  Lao-tsY,  Liet-tsTf ,  Cuang-tsY,  Han-fei-tsY, 
Hot-kuan-tsY  heran,  so  wäre  das  Stillschweigen  der  Literarhisto- 
riker viel  bedenklicher.   So  lege  ich  auch  darauf  wenig  Gewicht, 
dass  SsTf-ma  Ts*ien,  der  Verfasser  des  SsY-ki,  die  Stelle  des  Wen-tsT, 
die  von  des  Lao-tst  Vorbildung  redet,  B.  VI  Bl.  2a,  nicht  benutzt 
hat.   Erwähnen  soll  er  den  Wen-tsl'  als  einen  Zeitgenossen  des 
Gonfucius  (Vorrede  zum  Wen-tsY  Bl.  4  a),  ich  habe  aber  die  be- 
treffende Stelle  nicht  finden  können.    Auffälliger  war  es  mir, 
ihn  von  den  Gommentatoren  des  Lao-tsY,  soweit  sie  mir  zugäng- 
lich sind,  kaum  oitirt  zu  finden.    Europäische  Erklärer  hätten 
einem  solchen  Ohrenzeugen,  wenn  sie  seinem  Zeugnisse  trauten, 
das  erste  Wort  gegönnt,  jede  seiner  Parallelstellen  ausgenutzt. 
In  der  chinesischen  Philologenschule  aber  gilt  dies  nicht  für  un- 
erlässlich:  Wort-  und  Sacherklärungen,  zumal  geschichtliche, 
Paraphrasen  des  Textes,  wohl  auch  homiletische  Ergüsse  pflegen 
die  Anmerkungen  zu  füllen. 

Wie  die  Dinge  liegen,  sind  wir  auf  die  Erwägung  mehrinnerer 
Merkmale  angewiesen,  und  einiges  hierher  gehörige  soll  im  fol- 
genden besprochen  werden. 

4)  Dass  Lao-tsY  eigentliche  Schüler  gehabt  hätte,  ist  sonst 
nirgends  belegt.  Er  war  bekanntlich  bis  in  sein  Alter  Reichs- 
archivar am  Hofe  der  Tscheu-Kaiser,  als  solcher  voraussichtlich 
ein  genauer  Kenner  der  vaterländischen  Geschichte  und  Ein- 
richtungen. Den  zunehmenden  Verfall  der  kaiserlichen  Macht, 
der  Reichseinheit  und  der  ganzen  chinesischen  Gesittung  konnte 
Niemand  besser  beobachten  als  er.  Hemmen  konnte  er  ihn  aber 
auch  nicht;  sich  vorzudrängen,  um  selbst  einzugreifen  hätte  weder 
seiner  Neigung  noch  seiner  Überzeugung  entsprochen ;  ein  be- 


436     

scbaalicbes  Leben  zwischen  seinen  Bttchern  und  Acten  mochte 
ihm  immer  noch  am  Ersten  zusagen,  Hess  es  ihm  doch  wenig- 
stens Masse  zur  Ausgestaltung  seiner  Philosophie.  Endlich  wurde 
ihm  sei  es  sein  Amt ,  sei  es  der  Aufenthalt  in  der  Residenz  an- 
erträglich;  er  wanderte  aus  gen  Westen,  machte  unterwegs  noch 
einen  Aufenthalt  bei  einem  Grenzbeamten,  schrieb  für  diesen  die 
Summe  seiner  philosophischen  Anschauungen  auf,  jenes  kleine, 
tiefsinnige  Buch,  das  man  später  den  Kanon  vom  Logos  und  der 
Tugend  (Taö-tek-king;  genannt  hat,  —  wanderte  dann  weiter 
und  ist  verschollen.  Man  hat  ihn  einen  verborgenen  Weisen  ge- 
nannt ,  und  in  der  That  ist  das  lAene  qui  latuü  bene  vixih  ganz 
im  Sinne  seiner  Philosophie.  Ein  Hehl  aber  hat  er  seiner  An- 
schauungen nicht  gemacht.  Wir  wissen  von  seiner  Unterredung 
mit  dem  jungen  Confucius,  und  wie  dann  einmal  des  Letzteren 
Schttler  fragten:  Einer  behaupte,  man  solle  übelthaten  mit  Wohl- 
thaten  vergelten;  was  davon  zu  halten  sei?  Der  dies  behauptete, 
war  eben  Lao-tsY.  Auch  war  ja  das  Lehrwesen  im  damaligen 
China  das  denkbar  freieste.  Ein  Mann  genoss  als  Gelehrter  oder 
Denker  Ansehen;  man  wandte  sich  an  ihn  um  Aaskunft,  schloss 
sich  ihm  an  und  trat  als  sein  Schttler  in  eine  Art  freier  Glientel 
zu  ihm.  Es  wäre  fast  zu  verwundem,  wenn  der  tiefsinnige 
Staatshistoriker  und  Mystiker  nicht  auch  Schttler  in  diesem  Sinne 
des  Wortes  gehabt  hätte. 

2)  Gesetzt,  Wen-tslf  war  einer  dieser  Schttler,  so  wollen  wir 
mit  der  Überlieferung  annehmen,  dass  er  ein  Zeitgenosse  des 
Confucius,  also  an  Jahren  viel  jttnger  als  sein  Meister  gewesen 
sei.  Dann  ist  weiter  anzunehmen,  dass  des  Letzteren  Aus- 
spruche, wie  sie  von  dem  Schttler  ttberliefert  wurden,  nach  In- 
halt und  Form  enge  Verwandtschaft  mit  dem  Tao-tek-king  zeigen. 
Nur  die  systematische  Anordnung  dieses  Buches  mochte  späteren 
Datums  sein,  die  belehrenden  Gespräche  werden  sich  in  freierem 
Gange  bewegt,  gewiss  auch  allerhand  Dinge  erörtert  haben,  die 
in  dem  kleinen  Buche  kaum  im  Vorttbergehen  gestreift  sind.  So- 
weit ich  sehe,  triflft  Alles  dies  zu.  Ist  das  Buch  acht,  so  darf  man 
sagen:  Der  Schttler  hat  den  Sinn  und  die  Ausdrucksweisen  des 
Lehrers  gut  aufgefasst,  aber  sehr  oft  den  Gesprächston  in  eine 
etwas  schwülstige  Rhetorik  umgesetzt.  Dann  ist  es  eben  nicht 
der  Stil,  aber  immerhin  doch  die  Terminologie  des  Meisters. 
Nichts  aber  spricht  dafttr,  dass  dem  Schriftsteller  das  Tao-tek- 
king  vorgelegen  habe,  sonst  wttrde  an  den  betreffenden  Stellen 


437 

seine  Abhängip^keit  von  einer  solchen  Vorlage  viel  deutlicher  zu 
Tage  treten ;  und  wenn  er  im  Einzelnen  die  Gedanken  des  Lehrers 
richtig  wiedergeben  mag ,  so  scheint  ihm  doch  nicht  immer  ihr 
innerer  Zusammenhang  klar  geworden  zu  sein. 

3)  Was  wir  oft  und  tief  durchdacht  haben  pflegt  wohl  mit 
der  Zeit  feste,  sprachliche  Formen  anzunehmen,  die  wir  dann  in 
Reden  und  Schriften  wiederholen,  so  oft  wir  auf  den  Gegenstand 
kommen,  und  die,  scharf  ausgeprägt  wie  sie  sind,  sich  dann  auch 
unsern  Hörern  einprägen.  Es  sind  Aussprüche  von  besonderer 
Kraft,  an  denen  man  nichts  mehr  zu  bessern  weiss.  Sie  können 
innerhalb  der  Schule  sprichwörtlichen  Werth  erlangen;  ob  sie 
ihn  wirklich  erlangt  haben ,  vermag  nur  der  Erfolg  zu  lehren. 
Das  Tao-tek-king  ist  reich  an  solchen  Kernsprüchen ,  und  wir 
dürfen  uns  nicht  wundern ,  wenn  wir  deren  viele  bei  Wen-tsTf 
wörtlich  wiederfinden. 

4)  Lao-tsY  und  seine  Nachfolger,  schon  früher  der  Staats- 
und Rechtsphilosoph  Kuan-tsY  (f  645  v.  Chr.),  lieben  es,  citaten- 
weise  ihren  Schriften  Reimsprüche  einzuflechten,  deren  Ursprung 
wir  nicht  mehr  kennen.  Diese  Verse  tragen  ein  gewisses,  ihnen 
gemeinsames  sprachliches  Gepräge,  und  man  darf  annehmen,  dass 
sie  Reste  einer  alten  lehrgedichtlichen  Literatur  sind.  Auch  solche 
Yerse  führte  Wen-ts'i  gern  an,  und  auch  dies  mag  auf  Erinnerung 
an  den  mündlichen  Verkehr  mit  seinem  Lehrer  beruhen. 

5)  Die  taoistischen  Schriftsteller  haben  frühzeitig  Geschmack 

daran  gefunden,  Lao-tsY  und  Confucius  als  Vertreter  zweier  phi* 

losophischen  Richtungen  im  Zwiegespräche  aufzuführen.  Jenem, 

dem  Mystiker,  dem  nichts  zu  hoch  und  nichts  zu  tief  ist,  fällt 

dabei  die  Rolle  des  Faust  zu,  Confucius  spielt  den  Wagner,  über 

den  man  sich  schliesslich  wundert : 

Wie  nur  dem  Kopf  nicht  aUe  Hoffnung  schwindet, 
Der  immerfort  an  schalem  Zeuge  klebt. 

Das  Mittel  ist  so  wirksam  und  bei  der  Vorliebe  der  Chinesen 
für  die  dialogische  Form  so  naheliegend,  dass  man  wohl  darauf 
gefasst  sein  könnte,  es  auch  hier  angewandt  zu  sehen.  Es  ist  so 
wohlfeil,  den  Gegner  zum  Hanswurste  zuzustutzen ,  nur  ist  die 
Operation  am  Cadaver  bequemer  auszuführen ,  als  am  Leben- 
den, der  sich  wehren  könnte.  Und  dann  setzt  es  doch  voraus 
dass  man  den  Gegner  schon  als  solchen  kenne  und  beachte. 
Wen-ts'i'  führt  wohl  (Buch  I,  B).  46)  den  Confucius  gelegentlich 
ein,  aber  nur  als  einen  Frager,  dem  der  Meister  Antwort  ertheilt. 


438     

Mao  wird  an  die  zwei  kurzen  Gespräche  in  SsY-kt,  Buch  LXIII 
und  in  den  »Hausgesprächen«,  Kung-tsY  kia-iu,  Gap.  XI  erinnert. 
Der  Grundton  ist  überall  derselbe :  dem  schaffensdurstigen  jungen 
Manne  wird  gerathen ,  sich  in  sich  selbst  zurückzuziehen ;  aber 
zu  einem  Streite,  zu  Ausfäliigkeiten  kommt  es  nicht.  Im  Weiteren 
widmet  der  Verfasser,  soviel  ich  sehe,  dem  Confucius,  nicht  ein- 
mal  eine  namenlose  Polemik,  ja  gelegentlich  iSsst  er  den  Lao-tsi 
Dinge  sagen,  gegen  die  ein  Confucianer  nicht  viel  einwenden 
könnte.  So  z.  B.  Buch  XI,  Bl.  3a:  »Die  Regierung  der  Staaten 
hat  ewige  Prinzipien,  und  dem  Volke  zu  nützen  ist  das  Grund- 
princip ;  Verwaltung  und  Erziehung  haben  ihre  Norm ,  und  zu 
den  Handlungen  anzuleiten  ist  das  Motiva.  Dann  freilich  fährt 
er  fort :  »Wenn  man  des  Volkes  Nutzen  förderte,  brauchte  man 
nicht  das  Alterthum  zum  Vorbilde  zu  nehmen ;  wenn  man  für  die 
Geschäfte  sorgte,  brauchte  man  nicht  die  Volkssitten  zu  über- 
wachen. Daher  der  heilige  Mensch  lässt  sich  die  Gesetze  im  Ein- 
klänge mit  der  Zeit  ändern,  die  Gebräuche  im  Einklänge  mit  der 
Volkssitte  wechseln.  Kleidung  und  Gera the  richten  sich  ein  Jedes 
nach  seiner  Bestimmung ,  Gesetze  und  Vorschriften  halten  sich 
an  das  jeweilig  Angemessene.  Darum  ist  eine  Abweichung  vom 
Alten  noch  nicht  (gleich)  zu  verwerfen  und  aus  der  Überwa- 
chung der  Volkssitten  noch  nicht  viel  Wesens  zu  machen.  Der 
alten  Könige  Bücher  vorzulesen  ist  nicht  soviel  werth  wie  ihre 
Reden  zu  hören ;  ihre  Reden  zu  hören,  ist  nicht  soviel  werth  w^ie 
erfassen,  warum  sie  reden.  Wer  erfasst  warum  sie  reden,  redet 
was  man  nicht  zu  reden  vermag.  Darum  der  Logos^  kann  er  be- 
sprochen werden,  ist  nicht  der  ewige  Logos,  der  Name,  kann  er 
genannt  werden,  ist  nicht  der  ewige  Name«.  —  Man  sieht,  jetzt 
ist  der  Verfasser  wieder  ganz  im  Fahrwasser  seines  Meisters, 
wenn  er  auch  nicht  eben  sehr  sicher  Gours  einhält.  Wenn  ein 
Schüler  sich  ehrlich  bemüht  aus  dem  Gedächtnisse  die  Aussprüche 
eines  Meisters  niederzuschreiben,  dessen  Gedankenflug  für  ihn  zu 
hoch  war,  so  mag  wohl  das  Ergebniss  ähnlich  ausfallen.  Ein  selb- 
ständiger Kopf  aber  hätte  hier  Veranlassung  zu  einem  Angriffe 
auf  die  Confucianer  gehabt,  wenn  anders  sie  ihm  schon  als  geg- 
nerische Macht  bekannt  waren. 

6)  An  der  Sprache  des  Buches  habe  ich  kein  Merkmal  einer 
späteren  Entstehung  wahrnehmen  können.  Die  Darstellungsform 
ist,  abweichend  von  der  Art  der  meisten  Philosophen  jener  Zeil, 
nicht  dialogisch.    Aussprüche  des  Lao-tsY  werden  eingeführt  mit 


439     

der  stehenden  Formel:  »Lao-tsY  spracha.  Etwa  ein  dutzendmal 
geht  einleitend  voraus:  »Wen-tsY  fragte  . .  .a  Dann  knüpft  sieh 
aber  an  des  Meisters  Antwort  kein  Wechselgespräch;  man  sieht, 
dass  es  dem  Verfasser  nicht  um  den  Verlauf,  sondern  nur  um 
den  Inhalt  und  das  Ergebniss  der  belehrenden  Besprechung  zu 
thun  ist.  Auch  Nachrichten  über  Lao-tsl  werden  gelegentlich 
eingeflochten  (Buch  VI,  BI.  2a).  Einmal  ist  ein  Fürst,  Fing- 
wÄng,  der  Frager,  und  Wen-tsü  giebt  die  Antwort  (V,  9b) .  Jener 
Name  ist  unter  den  Lehnsfürsten  der  fraglichen  Zeit  mehrfach 
vertreten ,  giebt  daher  ^  so  zusatzlos  wie  er  dasteht,  keinen  An- 
halt zu  weiteren  geschichtlichen  Schlüssen.  Der  Satzbau  ist  von 
alterthümlicher  Kürze,  und  ob  gewisse  Ungleichheiten  im  Stile 
der  verschiedenen  Abschnitte  nothwendig  auf  spätere  Einschal- 
tungen schliessen  lassen,  wage  ich  wenigstens  noch  nicht  zu 
entscheiden.  Ein  Fälscher  aus  der  nachclassischen  Zeit  würde 
sich  voraussichtlich  an  classische  Stilmuster  gehalten  haben,  in 
erster  Reihe  natürlich  an  Lao-tsY  selbst.  Hier  aber  empfängt 
man  eher  den  Eindruck,  dass  der  Verfasser  seines  Meisters  Reden, 
soweit  er  sie  wörtlich  behalten ,  möglichst  wörtlich  niederge- 
schrieben ,  im  Übrigen  aber  frei  stilisirt  habe.  Der  Erfolg  hing 
dann  davon  ab ,  wie  weit  er  seinen  Gegenstand  durchdrungen 
hatte,  und  wie  tief  er  von  diesem  durchdrungen  war.  Zuweilen 
schwingt  er  sich  zu  wahrer  Schönheit  und  Grösse  empor,  so 
gleich  zu  Anfange ,  wo  er  fast  in  der  Begeisterung  eines  Psal- 
misten  redet : 

t>Lao-tsY  sprach:  Es  giebt  ein  Wesen  unbestimmt  beschaffen, 
früher  als  Himmel  und  Erde  lebend ,  ein  Gebilde  ohne  Gestalt, 
gar  verborgen  und  dunkel,  schweigend  und  still,  regungslos 
und  gleichgültig ;  man  vernimmt  nicht  seinen  Ton.  Ich  habe  ihm 
nothgedrungen  (oder  zwangsweise?)  einen  Namen  gegeben,  es 
als  Logos  bezeichnet. 

Dieser  Logos  ist  in  seiner  Höhe  unermesslich,  in  seiner  Tiefe 
unergründlich ;  er  bedeckt  und  umhüllt  Himmel  und  Erde,  ist 
begabt  mit  Gestaltlosigkeit,  fliesst  quellend  hervor,  schwillt  an 
ohne  überzuströmen.  Durch  Trübung  beruhigt  er,  ernst  und 
klar  ausseiet  er  sich  ^) . 


1)  Die  Antithese  und  das  damit  beabsichtigte  scheinbare  Paradoxon 
waren  in  der  Übersetzung  nicht  genügend  zuzuspitzen.  Man  denke  an  das 
Wasser,  das  unagekehrt  in  der  Ruhe  sich  klärt,  in  der  Bewegung  sich  trübt. 


440     

Er  ist  unerschöpflich ;  für  ihn  giebt  es  weder  Morgen  noch 
Abend;  zeigt  er  sich,  so  ist  es  (scheinbar)  nicht  mehr  als  eine 
Hand  voll.  Gebunden  vermag  er  sich  auszudehnen,  verdunkelt 
vermag  er  zu  leuchten,  in  Milde  vermag  er  fest  zu  sein.  £r  ent- 
hält das  Yim,  giebt  von  sich  das  Yang  und  stellt  auf  die  drei 
Leuchten  (Sonne,  Mond  und  Sterne) .  Die  Berge  sind  durch  ihn 
hoch,  die  Tiefwasser  durch  ihn  tief,  die  Vierfttssler  laufen  kraft 
seiner ,  die  Vögel  fliegen  kraft  seiner,  das  Wild  wandert  kraft 
seiner,  der  Phönix  flattert  kraft  seiner,  der  Sterne  Lauf  vollzieht 
sich  durch  ihn.  Durch  Vergehen  gewinnt  er  Bestand,  durch 
Niedrigkeit  Würde,  durch  ZurtLcktreten  den  Vortritt. 

Vor  Alters  die  drei  Erhabenen  (mythischen  Kaiser :  Fuk-hi 
Schin-nüng  und  Hoang-ti)  besassen  das  Logos  Ganzheit.    Sie 
standen  in  der  rechten  Mitte,  mit  den  Geistern  gemeinsam  ver- 
wandelten sie  sich,  wandelten  umher  um  überall  Ruhe  zu  schaffen. 
So  vermochten  sie  denn  wie  der  Himmel  zu  kreisen,  wie  die  Erde 
festzustehen,  wie  Räder  umzulaufen  ohne  Stockung,  wie  W^asser 
dahinzugleiten  ohne  Stillestand,  mit  der  Aussenwelt  gemeinsam 
aufzuhören  und  anzufangen  (sich  im  Einklänge  zu  halten),  wie 
Windsich  zu  erbeben,  wie  Wolken  sich  auszudehnen,  wie  Donner 
zu  dröhnen ,  wie  Regen  sich  niederzulassen.    Ein  einheitliches 
Wechselwirken  ohne  Unterlass.    Was  geschnitzt  und  geglättet 
f=  verkünstelt)  war  kehrte  zum  Urzustände  zurück.   Ohne  za 
thuen  thatig,  waren  sie  im  Einklänge  mit  Leben  und  Tod ;  ohne 
zu  thuen  redend ,  drangen  sie  hindurch  zur  Tugend,  Ruhe  und 
Zufriedenheit;  ohne  Bemühen  gelangten  sie  zur  Harmonie.   So 
viele  Verschiedenheiten  sie  hatten^  schickten  sie  sich  in's  Leben, 
wahrten  den  Einklang  mit  Yim  und  Yang ,  hielten  sich  gemäss 
den  vier  Jahreszeiten  und  in  Übereinstimmung  mit  den  fünf  Ele- 
menten.   Sie  tränkten  Gräser  und  Bäume ,  durchdrangen  Erze 
und  Steine.   Vögel  und  Vierfüssler  waren  stark  und  gross,  Ge- 
fieder und  Behaarung  waren  glänzend  und  weich.    Der  Vögel 
Eier  verdarben  nicht,  der  Vierfüssler  Leibesfrüchte  kamen  nicht 
um.   Kein  Vater  hatte  das  Elend  des  Sohnes  zu  beklagen ,  kein 
älterer  Bruder  den  Verlust  des  jüngeren  zu  beweinen.   Die  Un- 
mündigen verwaisten  nicht ,  die  Ehefrauen  verwittweten  nicht. 
Regenbogen  (=  falscher  Schein?)  wurde  nicht  gesehen ,  Raub 
und  Deube  nicht  geübt.    Das  war  die  Wirkung  der  bewahrten 
Tugend. 

Der  himmlisch  ewige  Logos  erzeugt  die  Wesen  und  besitzt 


441     

sie  nicht,  bewirkt  Wandel  und  herrscht  doch  nicht.  Alle  Wesen 
leben  abhängig  von  ihm,  keines  weiss  es  ihm  Dank;  sie  sterben 
abhängig  von  ihm,  keines  vermag  ihn  zu  hassen.  Er  sammelt 
an  und  häufet  auf  und  wird  doch  nicht  reicher;  er  vertheilt 
Wohlthaten,  spendet  Gaben  und  wird  doch  nicht  ärmer. 

Wie  plötzlich,  wie  unsUtI  unmöglich  ihn  darzustellen  I 
Wie  unstät,  wie  plötzlich  I  wie  unbeschränkt  er  wirkt! 
Wie  tief,  wie  dunkel I  wie  gestaltlos  er  wechselt! 
Wie  wirksam,  wie  erfolgreich  I  nicht  miissig  sich  regend  I 
Wie  er  je  nach  Hörte  oder  Weichheit  sich  zu-  und  aufrollt  I 
Wie  er  je  nach  Yim  oder  Yang  nieder-  und  aufschaut!« 

7)  Im  Tao-tek-king  werden  von  Lao-tsY  nur  ausnahmsweise 
Gegenstände  der  Naturphilosophie  und  die  dualistischen  Kate- 
gorien der  landläufigen  Metaphysik  berührt  (so  in  capp.  XLII 
und  LXXYIII).  Im  Wen-tsY  ist  von  diesen  Dingen  sehr  häufig 
die  Rede,  was  an  sich  nicht  befremden  kann.  Ob  aber  der  In- 
halt immer  in  die  Zeit  und  in  des  Lao-tsY  Lehre  passe,  wird  noch 
besonderer  Prüfung  bedürfen.  Die  Stelle  Buch  YIII,  48a,  wo 
von  Confucius  und  dem  noch  jüngeren  Mek-tsY  die  Rede  ist,  und 
gewiss  noch  manche  andere  wird  man  ohne  Weiteres  wegstrei- 
chen. Verdächtig  sind  mir  auch  solche  Stellen,  wo  dem  Lao-tsY 
Aussprüche  über  den  »edeln  Menschen«,  kiün-tsT,  in  den  Mund 
gelegt  werden.  Die  Herausgeber  selbst  betrachten  das  I.,  X.  und 
XII.  Buch  als  verdächtig;  mir  leuchtet  noch  nicht  ein,  warum? 
Den  von  mir  in  der  Übersetzung  mitgetheilten  Abschnitt  würde 
wohl  Jeder  vermissen,  und  zwingende  Gründe,  ihn  einem  An- 
deren als  dem  Verfasser  der  für  acht  geltenden  Bücher  zuzu- 
schreiben, liegen  meines  Erachtens  nicht  vor.  Zudem  wäre  doch 
auch  an  die  Möglichkeit  zu  denken ,  dass  das  Buch  zum  Theile 
von  Wen-tsY  selbst,  zu  anderen  Theilen  auf  Grund  seiner  Reden 
von  seinen  Schülern  oder  Freunden  niedergeschrieben  sei.  End- 
lich beruht  jener  Abstrich  lediglich  darauf,  dass  jene  Bücher  nicht 
mit  glossirt  sind;  der  Glossator  aberlebte  im  Zeitalter  der  Sung- 
Dynastie,  ungefähr  anderthalb  Jahrtausende  nach  dem  vermeint- 
lichen Verfasser  (vgl.  die  Bemerkungen  am  Schlüsse  des  Inhalts- 
verzeichnisses). 

8)  Lao-tsi  ist  bekanntlich  einer  von  den  Schriftstellern,  zu 
deren  Verständniss  Sprachkenntniss  allein  sehr  wenig  nützt. 
Der  Mystiker  verlangt  zu  seiner  Deutung  einen  verwandten  Geist, 
der  ihm  ahnend  entgegenkomme.   So  wird  nun  auch  das  Urtheil 


442     

über  den  Wen-ts¥  nur  zum  kleinsten  Theile  von  philologischen 
Erwägungen  abhängen.  Man  wird  sich  immer  wieder  zu  fragen 
haben:  Ist  es  wahrscheinlich,  dass  der  alte  Meister  so  gelehrt, 
dass  ihn  der  Schüler  so  verstanden ,  vielleicht  missverstanden 
habe?  Eins  aber  scheint  mir  schon  jetzt  unbestreitbar:  kurzer 
Hand  abweisen  darf  man  diesen  Schriftsteller  nicht;  künftig 
wird  sich  die  Lao-tsY-Forschung  sehr  ernstlich  mit  ihm  zu  be- 
schäftigen, vielleicht  sich  endgültig  mit  ihm  abzufinden,  viel- 
leicht auch  ihn  mit  hohem  Gewinne  zu  verwerthen  haben.  Sehr 
nahe  liegt  hier  das  Beispiel  der  sogenannten  Hausgespi^che  des 
Gonfucius,  K'üng-tsT  kiä-iu.  Mit  denen  steht  es  eigentlich  noch 
schlimmer.  Man  nimmt  an ,  dass  ein  Buch  dieses  Namens  vor 
der  Zeit  der  Bücherverbrennung  vorhanden  gewesen,  dann  ver- 
loren gegangen  und  endlich,  vielleicht  im  3.  Jahriiunderte  unsrer 
Zeitrechnung  aus  alten  schriftlichen  und  mündlichen  Überliefe^ 
rungen  neu  zusammengefügt  worden  sei.  Vom  Inhalte  aber  ist 
ein  grosser  Theil  so  ganz  im  Sinne  und  in  der  Art  des  Gonfucius, 
dass  man  insoweit  an  der  geschichtlichen  Wahrheit  jener  Über- 
lieferungen gar  nicht  zweifeln  mag  und  die  Hausgespräche  gern 
und  getrost  zu  Hülfe  nimmt ,  wo  es  gilt ,  ein  lebenswahres  Bild 
des  Gonfucius  zu  gewinnen.  Mindestens  gleiche  Beachtung,  aber 
auch  gleiche  Vorsicht  verlangt  unser  Schriftsteller. 


Nachtrag 
zu  der  S.  227  fgg.  besprochenen  Inschrift. 

In  Vers  6,  y  hatten  Kielhorn  und  ich  F«Fr  als  Adjectiv  ge- 
fasst  und  mit  dem  folgenden  ^mi^-H  verbunden.  Erst  durch  die 
sogleich  mitzutheilende  ganz  neue  Auffassung  Hermann  Jacobi's 
kam  ich  auf  den  Gedanken  in  Tm^  das  Pronomen  substantivum 

»sich((  zu  sehen  und  in  Folge  dessen  den  Vers  so  zu  übersetzen : 
»Da  durch  seinen  (des  Fürsten)  glänzenden,  nach  allen  Seiten  sich 
verbreitenden  Ruhm  das  ganze  Firmament  seit  lange  blendend 
vreiss  geworden  ist,  so  setzt  der  Mond,  um  sich  bei  den  Men- 
schen bekannt  zu  machen,  sein  Zeichen,  das  Reh,  Tag  und 
Nacht  in  grosser  Gestalt  hin«.  Der  Dichter  will  nach  meiner 
Meinung  sagen,  dass  durch  das  Licht,  welches  der  Ruhm  des 
Fürsten  verbreitet  hat,  der  Mond  seit  lange  unsichtbar  gewesen 
sei  und  schliesslich,  um  bei  den  Menschen  seine  ehemalige 
Existenz  einigermaassen  in  Erinnerung  zu  bringen,  sein  Zeichen, 
das  Reh,  in  Gestalt  eines  wirklichen  Rehes  erscheinen  lasse  und 
zwar  nicht  wMe  früher,  nur  bei  Nacht  und  auch  dann  nur  vor- 
übergehend, sondern  Tag  und  Nacht,  d.  i.  stets.  Dieses  wird 
dadurch  ermöglicht,  dass  der  Ruhm  des  Fürsten  die  Nacht  zum 
Tage  macht. 

Jacobi's  Uebersetzung  lautet:  »Auf  der  Scheibe  der  Haupt- 
und  Neben-Himmelsgegenden,  welche  seit  langem  durch  des 
Fürsten  leuchtenden,  überall  hingelangenden  Ruhm  weiss  ge- 
worden ist,  ruft  der  Mond,  um  (ausser  des  Fürsten  Ruhm)  auch 
sich  noch  im  Andenken  der  Menschen  zu  erhalten,  Tag  und 
Nacht  einen  riesigen  Gazellenflecken  hervor«.  Hierzu  folgende 
Erläuterung:  »Der  Ruhm  überstrahlt  den  Mond,  der  sich  in 
Folse  dessen  als  schwarzer  Flecken  auf  der  weissen  Scheibe  des 
Universums  projicirt ;  daraus  dass  dieser  Flecken  als  T^tHTS"  be- 
zeichnet wird,  geht  hervor,  dass  die  Scheibe  des  Universums 

4887.  30 


444     

als  Mond  zu  betrachten  ista.  Eine  nicht  weniger  phantastische 
Vorstellung  findet  Jacobi  in  folgendem  Verse  des  Gaudavaba : 

Obgleich  ich  mich  mit  dieser  neuen  Auffassung  nicht  ganz 
befreunden  kann,  so  halte  ich  sie  doch  für  sinnreich  und  der 
Beachtung  wohl  werth. 

In  Vers  9.  a  hatte  ich  tfCT  vermuthet,  das  mir  einen  bessern 
Sinn  als  "STSJ  zu  ergeben  schien.  Cappeller  schlägt  statt  dessen 

tc<^i  »eingedrungen  (in  Andere)«  vor  und  verweist  auf  HilHsi, 
^c^Tf  u.  s.  w.     Ohne  Zweifel  noch  passender.     Eben  so  gut 

wäre  fwSlj  welches  vielleicht  den  deutlichen,  aber,  wie  Kiel- 
horn  bemerkt,  doch  nicht  mit  Sicherheit  zu  bestimmenden  Zügen 
näher  liegt. 

Zu  Vers  ^  i  hat  mir  ein  guter  Freund  auch  einige  Ver- 
muthungen  mitgetheilt,  die  ich  aber  nicht  zu  billigen  vermag  ; 
jedoch  bin  ich  der  Meinung,  dass  auch  mit  der  Annahme  von 
S^ftrnfpjm  H^üT  ein  guter  Sinn  zu  erzielen  wäre.  Vielleicht 
hat  der  Autor  eine  Zweideutigkeit  beabsichtigt.  Auch  möchte 
ich  noch  bemerken,  dass  MJ^chlPiHH  vielleicht  in  näherer  Be- 
ziehung zu  IfllM^i"  steht,  und  dass  der  Scherz  der  Bhakti  durch 
die  Stimmung  des  Gottes  (Hyld)  veranlasst  worden  ist* 

0.  Böhtlingk. 


t  •  ••  < 


Drnck  ron  Broitkopf  &  H&rtel  in  Leipzig. 


Protector  der  Königlich  Sächsischen  Gesellschaft 

der  Wissenschaften 

SEINE  MAJESTÄT  DER  KÖNIG. 


Ehrenmitglied. 

Seine  Excellenz  der  Staatsminister  des  Gultus  und  öffentlichen 
Unterrichts  Carl  Friedlich  von  Gerber. 


Ordentliche  einheimische  Mitglieder  der  philologisch- 
historischen Classe. 

Geheimer  Hofrath  Friedrich  Zarncke  in  Leipzig,  Secretär  der 
philol.-histor.  Classe  bis  Ende  des  Jahres  1888. 

Professor  Adolf  Ebert  in  Leipzig,  stellvertretender  Secretär  der 
philol.-histor.  Classe  bis  Ende  des  Jahres  1888. 

Geheimer  Rath  Otto  Böhtlingk  in  Leipzig. 

Professor  Berthold  Delbrück  in  Jena. 

Georg  Ebers  in  Leipzig. 

Alfred  Fleckeisen  in  Dresden. 

Geheimer  Rath  Heinrich  Leberecht  Fleischer  in  Leipzig. 
Professor  Hans  Georg  Conon  von  der  Gabelentz  In  Leipzig. 
Geheimer  Hofrath  Gustav  Hartenstein  in  Jena. 

4887. 


II     

Hofrath  Maoc  Heinze  in  Leipzig. 

Professor  Friedrich  Otto  Hultsch  in  Dresden. 

Oberbibliothekar  Reinhold  Köhler  in  Weimar. 

Geheimer  Hofrath  Christoph  Ludolf  Ehrenfried  Krehl  in  Leipzig. 

Professor  August  Leskien  in  Leipzig. 

Hermann  Lipsius  in  Leipzig. 

Wilhelm  Maurenbrecher  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrath  Johannes  Adolph  Overbeck  in  Leipzig. 
Professor  Friedrich  Ratzel  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrath  Otto  Ribbeck  in  Leipzig. 
Geheimer  Rath  Wilhelm  Röscher  in  Leipzig. 
Geheimer  Hofrath  Anton  Springer  in  Leipzig. 

Georg  Voigt  in  Leipzig. 

Professor  Moritz  Voigt  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrath  Curt  Wachsmuth  in  Leipzig. 

Professor  Ernst  Windisch  in  Leipzig. 


Frühere  ordentliche  einheimische,  gegenwärtig  auswärtige 
Mitglieder  der  philologisch-historischen  Classe. 

Professor  Theodor  Mommsen  in  Berlin. 
Geheimer  Hofrath  Erwin  Rohde  in  Heidelberg. 
Geheimer  Regierungsrath  Hermann  Sauppe  in  Göttingen. 
Kirchenrath  Eberhard  Schrader  in  Berlin. 


Ordentliche  einheimische   Mitglieder   der  mathematisch- 
physischen Classe. 

Geheimer  Hofrath  Carl  Ludwig  in  Leipzig,  Secretär  der  mathem.- 
phys.  Classe  bis  Ende  des  Jahres  4889. 

Professor  Adolph  Mayer  in  Leipzig,  stellvertretender  Secretür 
der  mathem.-phys.  Classe  bis  £nde  des  Jahres  1889. 

Professor  Rudolf  Böhm  in  Leipzig. 

Gebeimer  Medicinalrath  Christian  Wilhelm  Braune  in  Leipzig. 

Professor  Heinrich  Bruns  in  Leipzig. 

Oberbergrath  Hermann  Credner  in  Leipzig. 

Geheimer  Rath  Moritz  Wilhelm  Drobisch  in  Leipzig. 


III    

Geheimer  Hofrath  Uans  Bruno  Geinüz  in  Dresden. 

Professor  Paul  Flechsig  in  Leipzig. 

Geheimer  Rath  Wilhelm  Gottlieb  Hankel  in  Leipzig. 

Professor  Axel  Harnack  in  Dresden. 

Geheimer  Medicinalrath  Wilhelm  His  in  Leipzig. 

Professor  Johann  August  Ludwig  Wilhelm  Kiwp  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrath  Rudolph  Leuckart  in  Leipzig. 

Professor  Sophus  Lie  in  Leipzig. 

Ca7'l  Neumann  in  Leipzig. 

Wilhelm  Ostwald  in  Leipzig. 

Wilhelm  Pfeffer  in  Leipzig. 

Wilhelm  Scheibner  in  Leipzig. 

Geheimer  Hofrath  August  Schenk  in  Leipzig. 
Geheimer  Ralh  Oskar  Schlömilch  in  Dresden. 
Hofrath  Rudolf  Wilhelm  Schmitt  in  Dresden. 
Professor  Johannes  Thomae  in  Jena. 
Geheimer  Hofrath  August  Töpler  in  Dresden. 

Gustav  Wiedemann  in  Leipzig. 

Professor  Johannes  Wislicenus  in  Leipzig. 

Wilhelm  Wundt  in  Leipzig. 

Geheimer  Rath  Gustav  Anton  Zeuner  in  Dresden. 
Geheimer  Öergrath  Ferdinand  Zirkel  in  Leipzig. 


Ausserordentliche  Mitglieder  der  mathematisch-physischen 

Classe. 

Professor  Edmund  Drechsel  in  Leipzig. 


Frühere  ordentliche  einheimische,  gegenwärtig  auswärtige 
Mitglieder  der  mathematisch-physischen  Classe. 

Geheimer  Hofrath  Carl  Gegenbaur  in  Heidelberg. 
Professor  Felix  Klein  in  Göttingen. 

Adalbert  Krüger  in  Kiel. 

Ferdinand  Freiherr  von  Richthofen  in  Berlin. 

Geheimer  Hofrath   Wilhelm  Weber  in  Göttingen. 


IV 


Archivar: 

Oberbibliothekar  Joseph  Heinrich  Gustav  Ernst  Fürstemann   in 
Leipzig. 


Verstorbene  Mitglieder. 
Ehrenmitglieder. 

Johann  Paul  von  Falkenstein  1882. 

Karl  August  Wilhelm  Eduard  von  Wietersheim  1865. 

Philologisch'historische  Glasse. 


Eduard  Albrecht  4876. 
Christoph  Friedrich  vo7i  Aynmon 

4850. 
Wilhelm  Adolf  Becker  4  846. 
Hermann  Brockhaus  4877. 
Conrad  Bursian  4883. 
Georg  Curtius  4885. 
Johann  Gustav  Droysen  4884. 
Gustav  Flügel  4870. 
Friedrich  Franke  4874. 
Hans  Conon  von  der  Gabelentz 

4874. 
Ernst  Gotthelf  Gersdorf  4874. 
Carl  Göttling  4869. 
Hermann  Alfred  von  Gutschmid 

4887. 
Gustav  Hänel  4878. 
Ferdinand  Hand  4854. 
Friedrich      Christian      August 

Hasse  4848. 
Moritz  Haupt  4874. 
Gottfried  Hermann  4848. 


Friedrich  Jacobs  4847. 

Otto  Jahn  4869. 

Ludwig  Lange  4885. 

Carl  Joachim  Marquardt  4882. 

Andreas  Ludwig  Jacob  Michelsen 

4884. 
Carl  Nipperdey  4875. 
Carl  von  Noorden  4883. 
Oscar  Ferdinand  Peschel  4875. 
Ludwig  Preller  4864. 
Friedrich  Wilhelm  Rüschl  4876. 
^ii(/uj;/  Schleicher  4868. 
August  Seidler  4854. 
Gustav  Seyffarth  4885. 
CaW  Bernhard  Stark  4879. 
/oÄann  ^Fm«/  Otto  Sto6te  4887. 
Friedrich  Tuch  4867. 
Friedrich  August  Ukei^t   4854. 
Wilhelm  Wachsmuth  4866. 
CarZ  Georj  von  Wächter  4880. 
iln/on  We5/e?'fW07jn  4869. 


Mathematisch-physische  Classe. 

Heinrich  d^ Arrest  4875.  Ludwig    Albert    Wilhelm    von 

Heinrich  Richard  Baltzer  iS8T.  Bezold  4868. 


Carl  Bruhns  1881. 
Carl  Gustav  Carus  1869. 
Julius  Cohnheim  1884. 
Johann    Wolfgang     Döbereiner 

1849. 
Otto  Linne  Erdmann  1869. 
Gustav  Theodor  Fechner  1887. 
Otto  Funke  1879. 
Peter  Andreas  Hansen  1874. 
Wilhelm  Hofmeister  1877. 
Emil  Huschke  1858. 
Hermann  Kolbe  1884. 
Gustav  Kunze  1851. 
Carl  Gotthelf  Lehmann  1863. 
Bernhard  August  von  Lindenau 

1854. 
Richard  Felix  Marchand  1850. 
Georg  Mettenius  1866. 


August  Ferdinand  Möbius  1 868. 

Carl  Friedrich  Naumann  1 873 . 

Eduard  Pöppig  1868. 

Ferdinand  Reich  1882. 

Theodor  Scheerer  1875. 

Matthias  Jacob  Schieiden  1 881 . 

Christian  Friedrich  Schwägri- 
chen  1853. 

Ludwig  Friedrich  Wilhelm  Au- 
gust Seebeck  1849. 

Samuel  Friedrich  Nathanael  von 
Stein  1885. 

Alfred  Wilhelm  Volkmann  1877. 

Eduard  Friedrich  Weber  1 871 . 

jErw«^  Heinrich   Weber  1878. 

Johann  Carl  Friedrich  Zöllner 
1882. 


Leipzig,  am -31.  December  <887. 


Verzeichniss 

der  bei  der  Königi.  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften im  Jahre  1887  eingegangenen  Schriften. 


4 .  Von  gelehrten  Gesellschaften,  Universitäten  und  öffentlichen 
Behörden  herausgegebene  und  periodische  Schriften. 

Deutschland. 

AbbandluDgen  der  Kgl.  Akademie  d.Wissensch.  zu  Berlin.  Aus  d.J.  1886. 

Berlin  4  887. 
Sitzungsberichte  der  Königi.  Preuss.  Akad.  d.  Wissensch.  zu  Berlin.  4S86, 

No.  40—53.  4887,  No.  4—39.  Berlin  4887. 

Die  Venus-Durchgänge  4874  und  4882.  Bericht  über  die  deutschen  Beob- 
achtungen. Im  Auftrage  der  Commission  für  die  Beobachtung  des 
Venus-Durchgangs  bsg.  v.  A.  Auwers.  Bd.  4.  Berlin  4887. 

Puchsteifiy  OttOy  Das  ionische  Capitell.  47.  Progr.  z.  Winckelmannsfeste  der 
Archaeologischen  Gesellschaft  zu  Berlin.  Berlin  4887. 

Berichte  der  deutschen  chemischen  Gesellschaft  zu  Berlin.  Jahrg.  Xl\, 
No.  48.  49.  Jahrg.  XX,  No.  4  —  47.  Berlin  4886.  87. 

Rüdorff,  Frdr.y  Die  Fortschritte  der  Chemie  in  den  letzten  fünfundzwanzig 
Jahren.  Rede  in  der  Aula  der  Königi.  Technischen  Hochschale  zu 
Berlin  am  24.Mfirz  4887  gehalten.  Berlin  4887. 

Die  Fortschritte  der  Physik  im  J.  4  879  (Jahrg.  35),  Abth.  4—3.  Dargestellt 
von  d.  Physikalischen  Gesellschaft  zu  Berlin.  Im  J.  4884  (Jahrg.  37,, 
Abth.  4—3.  Berlin  4885—87. 

Verhandlungen  der  Physikalischen  Gesellschaft  zu  Berlin  im  Jahre  4886 
(Jahrg.  5).  Berlin  4  887. 

Centralblatt  für  Physiologie.  Unter  Mitwirkung  der  Physiologischen  Gesell- 
schaft zu  Berlin  herausgegeben.  Bd.  4  (4887),  No.  4 — 20.  Berlin  d.  J. 

Verhandlungen  der  Physiologischen  Gesellschaft  zu  Berlin.  Jahrg.  4886/87. 
No.  4— 48.  Jahrg.  4  887/88,  Nr.  4— 3.    Berlin  4  887. 

Jahrbuch  der  Kgl.  Preuss.  geologischen  Landesanstalt  und  Bergakademie  zu 
Berlin  f.  d.  J.  4885.  Berlin  4886. 

Abhandlungen  zur  geolog.  Specialkarte  von  Preussen  und  den  Thüringischen 
Staaten.  Bd.  VII,  H.  3.  4.  VIII,  H.  2.  Nebst  Atlas  zu  VII,  4.  VIII,  2. 
Berlin  4  887. 

Societatum  Litterae.  Verzeichniss  der  in  den  Publicationen  der  Akademien 
u.  Vereine  aller  Länder  erscheinenden  Einzelarbeiten  auf  d.  Gebiete 
der  Naturwissenschaften.  Hsg.  v.  E.  Huth.  Jahrg.  4887  u.  4887,  No.  4. 
Berlin  4887. 


VII       

Jahrbücher  des  Vereins  von  Alterlhumsfreunden  im  Rbeiolande.  H.  82.  83. 
Bonn  4886.  87. 

3.  Jahresbericht  des  Vereins  für  Naturwissenschaften  zu  Braunschweig 
f.  d.  Vereinsjahre  4884/82  u.  4882/83.  4.  Jahresbericht  f.  d.  Vereins- 
jahre 4  883/84  bis  4885/86.  Braunschweig  4  883.  87. 

Vierundsechzigster  Jahresbericht  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterlän- 
dische Cultur.  Enthält  den  Generalbericht  über  die  Arbeiten  und 
Veränderungen  der  Gesellschaft  im  J.  4886.  Breslau  4887.  Nebst 
Ergänzungsheft :  Zach.  Allerts  Tagebuch  aus  dem  J.  4  627.  Herausg. 
V.  Jul.  Krebs.  Breslau  4  887. 

Jahrbuch  des  Königl.  Sachs,  meteorologischen  Institutes.  Jahrg.  3  (4  885). 
Jahrg.  4  (4886),  Lief.  4,  Abth.  4.2.    Chemnitz  4  886.  87. 

Resultate  der  meteorolog.  Beobachtungen  angestellt  auf  der  Sternwarte 
Leipzig  im  J.  4  884.  Veröffentlicht  von  der  Direktion  des  Kgl.  Sachs, 
meteorolog.  Institutes  in  Chemnitz  (Sep.-A.).   Im  J.  4885  (Sep.-A.). 

Schriften  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Danzig.  N.F.  Bd.  6,  H.  4. 

Danzig  4887. 
Zeitschrift  des  k.  sächsischen  statistischen  Bureaus.    Redig.  v.  V.  Bühmert. 

Jahrg.  32  (4886),  H.  4—4.  Jahrg.  33  (4887),  Supplementheft.  Dresden 

4886.  87. 

Jahresbericht  der  Gesellschaft  für  Natur- u.  Heilkunde  in  Dresden.  Sitzungs- 
periode 4886—87.  Dresden  4887. 

Sitzungsberichte  und  Abhandlungen  der  naturwissenschaftl,  Gesellschaft 
Isis  in  Dresden.  Jahrg.  4886,  Juli— Dec.  Jahrg.  4887,  Jan. — Juni. 
Dresden  4  887. 

Kgl.  Sächsisches  Polytechnikum  zu  Dresden.  Ergänzung  zum  Programm  f.d. 
Studienjahr  4886/87,  enthalt,  d.  Verzeichniss  d.  Vorlesungen  f.  d. 
Sommersem.  4887.  —  Programm  f.  d.  Studienjahr,  bez.  Wintersem. 
4  887/88. 

Mittheilungen  des  Vereins  f.  d.  Geschichte  u.  Alterthumskunde  zu  Erfurt. 
H.  4  3.  Erfurt  4887. 

Sitzungsberichte  der  physikal.-medicinischen  Societät  in  Erlangen.  H.  48. 
Erlangen  4886. 

Jahresbericht  des  physikalischen  Vereins  zu  Frankfurt  a/M.  f.  d.  Rech- 
nungsjahr 4  885 — 86.  Frankfurt  a/M.  4887. 

Jahrbuch  für  d.  Berg-  und  Hüttenwesen  im  Königreich  Sachsen  auf  d.  Jahr 

4887.  Th.  4.  3.  Freiberg'4887. 

25.  Bericht  der  Oberhessischen  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde. 
Giessen  4887. 

Neues  Lausitzisches  Magazin.  Im  Auftrag  d.  Oberlausitz.  Gesellsch.  d. 
V^issensch.  herausgeg.  von  Prof.  Dr.  Schönwälder.  Bd.  62,  H.  4.  2. 
Bd.  63,  H.  4.  Görlitz  4886.  87. 

Abhandlungen  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  G ötti  n  ge  n. 
Bd.  38,  aus  d.  J.  4886.  Göttingen  4886. 

Nachrichten  von  der  König!.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  und  der 
Georg-Augusts-Universitäteusd.  J.  4  886.  Göttingen  4886. 

Bericht  über  die  im  Jahr  4886  den  Herzogl.  Saromiangen  zugegangenen 
Geschenke.   Gotha  4887. 

Leopoldina.  Amtl.  Organ  d.  kais.  Leopoldinisch-Carolinisch-deutschen  Akad. 
der  Naturforscher.    H.XXII,  No.  24— 24.  XXIII,  No.  3-r-20.    Halle 

4887. 


Till     

Abhandlongen  der  Naturforschen den  Gesellschaft  zu  Halle.    Bd.  46,  H.  4. 

Halle  4  886. 

Bericht  über  die  Sitzungen  der  Naturforschenden  Gesellschaft  za  Halle  im 
J.  4  885.  86.    Halle  4885.  86. 

Zeitschrift  für  Naturwissenschaften.  Originalabbandlungen  u.  Berichte. 
Hrsg.  vom  Naturwiss.  Verein  f.  Sachsen  und  Thüringen  in  Halle. 
4.  Folge  Bd.  5,  4886  (d.  ganzen  Reihe  59.  Bd.],  H.4--6.  Bd.  6,  4887 
(d.  ganzen  Reihe  60.  Bd.),  H.  4—4.    Halle  4886.  87. 

Verhandlungen  des  naturhistor.-medicin.  Vereins  zu  Heidelberg.  N.  F. 
Bd.  4,  H.  4.   Heidelberg  4  887. 

Chronik  der  Universität  zu  Kiel  f.  d.  J.  4  886/87;  Verzeichniss  d.  Vorlas. 
Winter  4  886^87,  Sommer  4  887;  Bloss,  Frdr.,  Naturaltsmus  u.  Mate- 
rialismus in  Griechenland  zu  Piatons  Zeit.  Hensen,  Vict.,  Die  Natur- 
wissenschaft im  Universitätsverband.  Eudocci  ars  astronomica  qaalis 
in  Charta  aegyptiaca  superest  denuo  edita  a  Frdr.  Blass.  Volbehr, 
Frdr,,  Professoren  und  Docenten  derChristian-AIbrechts-l'niversitat 
zu  Kiel  4  665 — 4  887  (Beilage  zur  Chronik). —  43  Dissertationen  vom 
J.  4  886/87. 

Ergebnisse  der  Beobachtungsstationen  an  den  deutschen  Küsten  über  die 
physikalischen  Eigenschaften  der  Ostsee  u.  Nordsee  u.  die  Fischerei. 
Jahrg.  4886,  H.  4-~4S.  Berlin  4887. 

Fünfter  Bericht  der  Commission  zur  wissenschaftl.  Untersuchung  der  deut- 
schen Meere  in  Kiel  f.  d.  Jahre  4  88i— 86.  Jahrg.  4  2 — 46.  Berlin  4  887. 

Schriften  der  physikal.-ökonomischen  Gesellschaft  zu  Königsberg.  Jahrg. 
27  (4886).  Königsberg  4  887. 

Vierteljahrsschrift  der  astronom.  Gesellschaft.  Jahrg.  22,  H.  4—3.  Leip- 
zig 4887. 

Zeitschrift  des  Vereins  für  Lübeckische  Geschichte  u.  Alterthumskunde. 
Bd.  6,  H.  4.  2.    Lübeck  4886.  87. 

Jahresbericht  u.  Abhandlungen  des  Naturwissenschaftl.  Vereins  in  Ma  gde- 
bürg.  4886.   Magdeburg  4  887. 

Jahresbericht  der  Fürsten-  u.  Landesschule  Meissen  vom  Juli  4886  —  Juli 
4  887.  Meissen  4887. 

Abhandlungen  der  mathem.-physikal.  Ci.  d.  k.  bayer.  Akad.  d.  Wissenscfa. 
Bd.  4  5  (in  d.  Reihe  d.  Denkschr.  d.  58.  Bd.),  Abth.  3.  Bd.  46  (in  d. 
Reihe  d.  Denkschr.  d.  56.  Bd.),  Abth.  4.    München  4886.  87. 

Sitzungsberichte  der  mathem.-physikal.  Cl.  der  k.  bayer.  Akad.  d.  Wiss. 
zu  München.  Jahrg.  4  886,  H.  2.  3.  Jahrg.  4  887,  H.  4.  2.  München 
4  886.  87. 

Sitzungsberichte  der  philos.-philol.  u.  histor.  Cl.  der  k.  bayer.  Akad.  d. 
Wiss.  zu  München.  Jahrg.  4  886,  H.  3.  4.  Jahrg.  4887,  Bd.  I,  H.  4—3. 
Bd.  II,  H.  4.  2.    München  4  886.  87. 

Hertivig,  R,,  Gedächtnisrede  auf  Carl  Theodor  v.  Siebold,  gehalten  in  der 
ötTentl.  Sitzung  der  k.  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  zur  Feier  ihres  427.  Stif« 
tungstages  am  19.  März  4886.  München  4  886. 

Bauernfeind,  C.  M,  v.,  Gedächtnisrede  auf  Joseph  v.  Fraunhofer  zur  Feier 
seines  4  00.  Geburtstages.  München  4  887. 

Giesebrecht,  TV.  r.,  Gedächtnisrede  auf  Leopold  v.  Ranke,  gehalten  in  der 
ölTentl.  Sitzung  der  k.  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  zur  Feier  ihres  428.  Stif- 
tungstages am  28.  März  4  887.  München  4  887. 


IX      

Achtundzwanzigste  Plenarversaromlung  der  histor.  Comroission  bei  der  k. 
bayer.  Akad.  d.  Wissensch.  Bericht  des  Secretariats.  München  4887. 

Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  f.  Morphologie  u.  Physiologie  in  MUnchen. 
Jahrg.  2  (4886),  H.  4—3.  München  4  886.  87. 

44.  Jahresbericht  des  Westfälischen  Prozinzial -Vereins  f.  Wissenschaft  u. 
Kunst  für  4885.   Münster  4886. 

Jahresbericht  der  naturhistorischen  Gesellschaft  zu  Nürnberg.  4886 
(nebst  Abhandlungen,  Bd.  8,  Bogen  4.5).  Nürnberg  4887. 

Anzeiger  des  Germanischen  Nationalmuseums.  Bd.  4,  H.  3  (Jahrg.  4  886). 
—  Mittheilungen  aus  dem  Germanischen  Museum.  Bd.  4 ,  H.  3 
;  Jahrg.  4886).  —  Katalog  der  im  Germanischen  Museum  befindlichen 
Kartenspiele  u.  Spielkarten.  Nürnberg  4886. 

Zeitschrift  der  historischen  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen.  Jahrg.  2, 
H.  8.  4.  Posen  4886.  87. 

Jahresbericht  des  Vereins  für  Erdkunde  zu  Stettin.  4886.  Stettin  4887. 

Wurttembergische  Vierteljahrshefte  für  Landesgeschichte.  Hsg.  v.  d.  Kgl. 
Statist.  Landesamt.   Jahrg.  9  (4886),  H.  4—4.   Stuttgart  4886.  87. 

Zuwachs  der  Grossherzogl.  Bibliothek  zu  Weimar  i.  d.  J.  4885  u.  48S6. 
Weimar  4  887. 

Jahrbücher  des  Nassauschen  Vereins  für  Naturkunde.  Jahrg.  40.  Wies- 
baden 4887. 

Sitzungsberichte  der  physikal.-medicin.  Gesellschaft  in  Würzburg. 
Jahrg.  4886.  Würzburg  4  886. 

Verhandlungen  der  physikal.-medicin.  Gesellschaft  in  Würzburg.  N.  F. 
Bd.  20.  Würzburg  4  887. 

Oesterreich-Ungarn. 

Rad  Jugoslavenske  Akademije  znanosti  i  umjetnosti  [Agram].  Knjiga 
82—84.    ü  Zagrebu  4886.  87. 

Viestnik  Hrvatskoga  arkeologickoga  Drul^tva.  Godina  IX,  Br.  4 — 4.  U  Za- 
grebu  4  887. 

Magyar  tudom.  Akad^miai  Almanach,  4  886-ra.  4887-re.  Budapest 
4  885.  86. 

A  Magyar  tudom.  Akad6mia  Emlökbeszödek.  Köt.  3,  Sz.  3 — 10.  4,  4 — 5. 
Budapest  4885—87. 

A  Magyar  tudom.  Akademia  Ertösitoje.  Evfoly.  4  9  (4  883),  Sz.  3—6.  20  (4886), 
4—7.  24  (4887),  4— 3.    Budapest  4  885— 87. 

A  Magyar  tudom.  Akademia  Evkönyvei.  Köt.  4 7,  D.  3.  4.  Budapest  4885. 86. 

Mathematische  u.  naturwiss.  Berichte  aus  Ungarn.  Mit  Unterstützung  der 
Ungar.  Akad.  d.  Wissensch.  herausgeg.  Bd.  3.  4.  Budapest  4885.  86. 

Ethnologische  Mittheilungen  aus  Ungarn.  Hsg.  v.  A.  Herrmann.  Jahrg.  4 
(4  887),  H.  4.    Budapest  4887. 

Ungarische  Revue.  Mit  Unterst,  d.  Ungar.  Akad.  d.  Wiss.  herausgeg.  4885, 
H.  8—40.  4886  (Jahrg.  6),  H.  4—40.  4887,  4—7.   Budapest  d.  J. 

Irodalnmtört^neti  Eml6kek.  Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Kötet  4 .  Buda- 
pest 4886. 

Ertekezäsek  a  mathematikai  tudomänyok  köräböl.  Köt.  4  4,  Sz.  4  0.  Köt.  42, 
Sz.  4— H.  Köt.  4  3,  Sz.  4.  2.  Budapest  4  885—87. 


Ert«kez6sek  a  nyelv-  ^s  szöptudomanyok  köröböl.  Kiadja  a  Magyar  tudom. 
Akad^mia.  Köt.  42,  Sz.  6—42.  Köt.48,  Sz.  4—4  2.  Budapest  4885.  86. 

Ertekez6sek  a  termäszetiudomänyok  kör^böl.  Köt.  44,  Sz.  9.  K6t.  43. 
Sz.  4—49.  Köt.  46,  Sz.  4—6.  Köt.  47,  Sz.  4.  Budapest  488&— 87. 

Arcbaeologiai  frtesitö.  Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Uj  folyam,  KOt.  3, 
3—5.  Köt.  6,  4—5.  Köt.  7,  4.  2.   Budapest  4885.  86. 

Mathematikai  6s  term^szettudomänyi  Ertesitö.  Kiadja  a  Magyar  tudom. 
Akad.  Köt.  3,  6—9.  h,  4—9.  5,  4—5.   Budapest  4885—87. 

Archaeologiai  Közlem^nyek.  Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Köt.  44  (Ij 
folyam  Köt.  4  4).  4  5.   Budapest  488e. 

Mathematikai  6s  termöszettudomdnyi  Közlem^nyek.  Kiadja  a  Mag>'ar  tudom. 
Akad.  Köt.  20.  24,  4—5.   Budapest  4885. 

Nvelvtudomänyi  Közlem6nyek.  Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Köt.  49, 
2.  3.  20,  4.  2.  Budapest  4885.  86. 

Codex  diplomaticus  Hungaricus  Andegavensis.  T.  5.  Budapest  4887. 

Historiae  Hungaricae  Fontes  domestici.  Vol.  4.  Chronica  roinora.  Au8picii$ 

et  sumptibus  Acad.  scient.  Hung.   Budapest  4885. 

Monumenta  comitialia  rcgni  Hungariae.  T.  9  (4598—4  604).  Budapest  4885. 

Monumenta  comitialia  regni  Transsylvaniae.  T.  4  4.  Budapest  4886. 

Nyclveml6ktär.  R6gi  magyar  codexek.  Kiadja  a  Magyar  tudom.  Akad.  Köt. 
43.  Budapest  4886. 

R6gi  magyar  költök  Tara.  Kötet  5  (XVI.  szäzadbeli  magyar  költök  müvei. 
Kötet  4).  Budapest  4  886. 

Balassa,  Josse f,  A  phonctica  elemei,  különös  tekinteltel  a  magyar  nyelvre. 
Budapest  4  886. 

Csoma,  Sandor  Körösi^  Dolgozatai.  Összegyüjtötte  Duka  Tivadar.  Kiadja  a 
Magyar  tudom.  Akad.  Budapest  4  885. 

Üankö,  Jozsef,  A  Franczia  könyvdisz  a  rcnaissance  korban.  Budapest  4886. 

Feßrpataky,  Z..,  A  kiräiyi  kanczelMria  az  Arpädok  koräban.  Budapest  4885. 

,  Magyarorszägi  vörosok  r6gi  sz^madaskönyvei.  Budapest  4885. 

Hellebrant,  Arpädf  Catalogus  libroinim  saeculo  XV  impressorum  quotquot 
in  bibliotheca  Acad.  litt.  Hungar.  asservantur.  Budapestini  4  886. 

Jpolyif  Arnold,  Rimay  Jänos  ällamiratai  äs  Ieve1ez6se.  A  Magyar  tudom. 
Akad.  törtänelmi  bizottsägänak  megbizäsäböl.  Budapest  4887. 

König,  Gyula,  A  mösodrendii  6s  k6tfüggetlen  vältozöt  tartalmazö  parcziAÜs 
difTerencziälegyenletek  elm6lete.   Budapest  4885. 

Majläth,  B6la,  A  Szönyi  b6ke  okmänytura.  Budapest  4885. 

Mihalkovics,  Gdza,  Agerinczes  ällatok  kivälasztöäs  ivarszerveinek  fejl6döse. 
Budapest  4885. 

Munkdcsif  Bern,,  Votjäk  nepkölt6szeti  hagyomdnyok.  Kiadja  a  Magyar 
tudom.  Akad.  Budapest  4  887. 

Sydry,  Alb.  Bdrö,  A  heraldika  vez6rfonala.  Budapest  4886. 

(iväry,  L.,  Diplomatarium  relationum  Gabrielis  Bethlen  cum  Venetorum 
republica.  Budapest  4886. 

Szädeczky,  L.,  Bäthory  Istvän  lengyel  kirälylyö  välasstäsa.  4574 — 76.  A 
Magyar  tudom.  Akad.  tört6nelmi  bizottsäga  megbizilsäböl.  Budapest 
4  887. 

Szenlkldray,  J.,  A  Dunai  hajöhadak  törtänete.  Budapest  4886. 


XI      

Szilägyi,  Sdndor,  A  Linsi  b^ke  okiratUra.  Budapest  1885. 

Thaly,  A'.,  A  szökesi  Gröf  Bercs^nyi  csaläd.  452S— -4885.  Kötet  4.  S.  Buda- 
pest 4885.  87. 

Feb'c5,  A,  Magyarorszägi  lörök  kinostäri  defterek.  Kötet  4.   Budapest  4886. 

Wlassics,  Gyula,  A  bünkisärlet  äs  bevägzett  büncselekmäny.  Kötet  4.  2. 
Budapest  4885.  87. 

Verzeichnis  d.  öffentl.  Vorlesungen  an  der  k.  k.  Franz-Josefs*Universittft  zu 
Czernowitz  im  Sommer-Sem.  4  887,  Winter-Sem.  4887/88.  — 
Uebersicbt  der  akad.  Behörden,  Winter-Sem.  4887/88. 

Beiträge  zur  Kunde  steiermärkischer  Geschichtsquelien.  Herausgeg.  vom 
histor.  Vereine  für  Steiermark.  Jahrg.  22.   Graz  4887. 

Mittbeilungen  des  histor.  Vereines  für  Steiermark.  Heft  35.  Graz  4  887. 

Zeitschrift  des  Ferdinandeums  für  Tirol  u.  Vorarlberg.  3.  Folge.  Heft  30. 
Innsbruck  4886. 

Berichte  des  nalurwiss.- medizinischen  Vereines  in  Innsbruck.  Jahrg.  4  5 
(4  884/85  u.  4  885/86).  Innsbruck  4  886. 

Revue  aus  dem  Inhalte  der  Medicin.  Abiheilung  des  »Orvos-termäszettu- 
domdnyi  Ertesitö«  (Medicin.- naturxv'iss.  Mitlheilungen).  Organ  der 
medicin. -naturwiss.  Scction  des  Siebenbürgischen  Museumvereins. 
Bd.  9  (4887),  H.  4.  2.  Klausenburg  4887.  —  Revue  aus  d.  Inhalte 
der  Natungviss.  Abtheilung.  Bd.  9  (4887),  H.  4.  2.  Klausenburg  4  887. 

Abhandlungen  der  mathem. -naturwiss.  Gl.  der  k.  böhmischen  Gesellschaft 
d.  Wissenschaften.  7.  Folge,  Bd.  4.  Prag  4  886.  —  Abhandlungen 
der  Classe  f.  Philos.,  Geschichte  u.  Philologie.  7.  Folge,  Bd.  4.  Praj; 
4  886. 

Jahresbericht  der  k.  böhmischen  Gesellschaft  d.  Wisse o Schäften,  erstattet 
am  46.  Jan.  4  886;  45.  Jan.  4887.    Prag  4886.  87. 

Sitzungsberichte  der  k.  böhmischen  Gesellschaft  d.  Wissensch.  Mathem.- 
naturw.  Gl.  Jahrg.  1885.  86.  Prag  4  886.  87.  —  Philos.-hist.-philol. 
Gl.   Jahrg.  4  885.  86.    Prag  4886.  87. 

Regesta  diplomatica  nee  non  epistolaria  Bohemiae  et  Moraviae.  Opera  Jos. 
Emier.  P.  III  (4344—33),  Vol.  4—5.  P.  IV  (4333  —  46),  Vol.  4  — 5 
(Sumptibus  R.  scientiarum  Societatis  Bobemiae).   Pragae  4  884—86. 

Jahresbericht  der  Lese-  und  Redehalle  der  deutschen  Studenten  in  Prag. 
Vereinsj.  4886/87  (38.  Jahrg.).  Prag  4887. 

Magnetische  und  meteorologische  Beobachtungen  an  der  k.  k.  Sternwarte 
zu  Prag  im  J.  4886.   Jahrg.  47.  Prag  4  887. 

Personalstand  der  k.  k.  Deutschen  Carl-Ferdinands-Universität  in  Prag  zu 
Anfang  d.  Studienjahres  4887 — 88. 

Mittheilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen. 
Jahrg.  25,  No.  4—4.  Prag  4886.  87. 

Lotos.  Jahrbuch  f.  Naturwissenschaft.  Im  Auftrag  des  Vereines  »Lotos« 
herausg.  N.  F.  Bd.  7.  8  (der  ganzen  Reihe  Bd.  35.  36).  Prag  4  887.  88. 

Verhandlungen  des  Vereins  f.  Natur- u.  Heilkunde  zu  Presburg.  N.  F. 
Heft  5  (Jahrg.  4  881-83).  6  (Jahrg.  4884—86).   Presburg  4  884.  87. 

Bulletino  di  archeologia  e  storia  dalmata.  Anno  9  (4886),  No.  42.  Anno  10 
(4887),  No.  4—9.  44.    Spalalo  4886.  87. 

Anzeiger  der  Kaiserl.  Akad.  d.  Wissenschaften  in  Wien.  Matb.-pbys.  Gl. 
Jahrg.  23  (4  886),  No.  25—27.   Jahrg.  24  (1887),  No.  4—25. 


XII      

Archiv  für  Österreich.  Geschichte.  Herausg.  von  der  zur  Pflege  vaterländ. 
Geschichte  aufgestellten  Commission  der  kaiserl.  Akad.  d.Wissenscb. 
Bd.  68,  2.  Hälfte.    Bd.  69,  4.  u.  2.  Httlfte.   Bd.  70.   Wien  4  887. 

Denkschriften  der  kaiserK  Akad.  d.  Wtssensch.  Mathem.-natar^'.  CI.  Bd. 
54.  52.  Wien  4886.  87. 

Denkschriften  der  kaiserl.  Akad.  d.  WIssensch.  Philos.-histor.  Gl.  Register 
(II)  zu  den  Bänden  45—35.  Wien  4886. 

Sitzungsberichte  der  kaiserl.  Akad.  d.  Wiss.  Mathem.-naturu-.  CI.  Bd.  93 
(4  886),  Abth.  I,  Heft  4.  5.  Abth.  II,  Heft  3—5.  Abth.  Hl.  Heft  4—5. 
Bd.  94  (4886).  Abth.  I,  Heft  4—5.  Abth.  II,  Heft  4—5.  Abth.  III, 
Heft  4—5.   Bd.  95  (4887),  Abth.  II,  Heft  4.  2.   Wien  4886.  87. 

Sitzungsberichte  der  kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch.  Pbilos.-histor.CI.  Bd.  4  42 
(4  886),  Heft  4.2.  Bd.  143  (4  886),  Heft  4.  2.  Bd.  444  (48S7,,  Heft  4. 
Wien  4  886.  87. 

Mittheilungen  der  k.  k.  geographischen  Gesellschaft  in  Wien.  4886.  Bd.  29 
(N.  F.  Bd.  49).  Wien  4886. 

Verhandlungen  der  k.  k.  zoologisch- botanischen  Gesellschaft  in  Wien. 
4886,  III.  u.  IV.  Quartal.    4  887.- 1.  u.  II.  Quartal.   Wien  4  886.  87. 

Annalen  des  k.  k.  naturhistorischen  Hofmuseums.  Bd.  2,  No.  4 — 4«  W^ien 
4887. 

Abhandlungen  der  k.  Je.  geologischen  Reichsanstalt.  Bd.  42,  No.  4.  W^ien 
4886. 

Jahrbuch  d.  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  Jahrg.  4  886  (Bd.  36),  H.  4. 
Wien  4  886. 

Verhandlungen  d.  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  Jahrg.  4886,  No.  4  3 — 48. 
Jahrg.  4887,  No.  4. 

Belgien. 

Annales  de  l'Acadömie  d'arch^ologie  de  Belgique.  T.  44  (IV.  S^r.  T.  4). 
Anvers  4885.  —  Bulletin  (IV.  Sör.  des  Annales),  No.  8.  9.  Anvers 
4886.  .       . 

Annuaire  de  TAcad^mie  R.  des  sciences ,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de 
Belgique.   4886  (Annöe  52).   4  887  (Ann^e  53).   Bruxelles  d.  J. 

Bulletins  de  l'Acadämie  R.  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de 
Belgique.  Annöe  55  (4  885),  III.  S^r.  T.  9.  4  0.  Ann^e  56  (4  886), 
III.  S6r.  T.  44.  42.   Ann6e  57  (4887),  IH.  S6r.  T.  43.  Bruxelles  d.  J. 

Catalogue  des  livres  de  la  bibliotb^ue  de  l'Acad.  des  sciences,  des  lettres 
et  des  beaux-arts  de  Belgique.   P.  I.  II,  4.  2.   Bruxelles  4  881.  83.  87. 

Mömoires  couronn^s  et  autres  Mömoires  p.  p.  l'Acad.  R.  des  sciences,  des 
lettres  et  des  beaux-arts  de  Belgique.  Collection  in-S®.  T.  37 — 39. 
Bruxelles  4  886. 

M^moires  couronn^s  et  M^moires  des  savants  (^trangers  p.  p.  l'Acad.  R.  des 
sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de  Belgique.  T.  47.  48.  Bru- 
xelles 4886. 

M^moires  de  l'Acad.  R.  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arls  de  Belgi- 
que. T.  46.  Bruxelles  4886. 

Acad.  R.  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de  Belgique.  Notices 
biographtques  et  bibliographiques.  4886.   Bruxelles  4887. 

Annales  de  la  Sociöt^  entomologique  de  Belgique.   T.  80.   Bruxelles  4886. 


X,III       

Dänemark. 

Oversigt  over  det  Kong.  Danske  Videnskabernes  Selskabs  Forhandlinger  i 
aaret  1886,  No.  3.  4  887.  No.  1.  Kjabenhavn  d.  J. 

Det  KoDg.  Danske  Videnskabernes  Selskabs  Skrifter.  Naturvid.  og  mathe- 
mat.  Afd.  6.  Rskke.   Bd.  4,  No.  8.   Kjebenhavn  1887. 

Regesta  diplomatica  historiae  Danicae,  cura  Societatis  Keg.  scient.  Danicae. 
Ser.  II.  T.  1,  Fase.  5.  Kjebenhavn  1886. 

England. 

Proceedings  of  the  Cambridge  Philosophical  Society.  Vol.  5,  P.  6.  Vol.  6, 
P.  1.  3.    Cambridge  1886.  87. 

Transactions  of  the  Cambridge  Philosophical  Society.  Vol.  14,  P.  2.  Cam- 
bridge 1887. 

Royal  Irish  Academy.  Cunningham  Memotrs.  No.  2.  3.   Dublin  1886. 

Proceedings  of  the  R.  Irish  Academy.  Ser.  II.  Vol.  2  (Polite  Hterature  and 
antiquities),  Nr.  6.  7.  Vol.  4  (Science),  No.  1—5.   Dublin  1884—86. 

R.  Irish  Academy.  Todd  Lecture  Series.  Vol.  2,  P.  1.   Dublin  1885. 

The  Transactions  of  the  R.  Irish  Academy.  Vol.  27  (Polite  Hterature  and 
antiquities),  P.  6—8.  Vol.  28  (Science),  P.  14—25.   Dublin  1883—86. 

The  scientific  Proceedings  of  the  R.  Dublin  Society.  N.  Ser.  Vol.  3,  P.  3—6. 
Dublin  1886.  87. 

The  scientific  Transactions  of  the  R.  Dublin  Society.  Ser.  II.  Vol.  3, 
No.  11  —  13.  Dublin  1886.  87. 

Journal  of  the  R.  Geological  Society  of  Ireland.  Vol.  18  (N.  Ser.  Vol.  8), 
P.  1.  2.    Dublin  1886.  87. 

Proceedings  of  the  R.  Institution  of  Great  Britain.    Vol.  XI,  P.  3  (No.  80). 

XII,  P.  1  (No.  81).   London  1887.  —  List  of  the  members,  1886. 

1887.    London  d.  J. 
Proceedings  of  the  R.  Society  of  London.    Vol.  XLI,  No.  248 — 250.   Vol. 

Xm,  No.  251—257.   Vol.  XLIII,  No.  258.  259.  London  1886.  87. 

Philosophical  Transactions  of  the  B.  Society  of  London.  For  the  year  1886. 
Vol.  177,  P.  1.  2.  London  1886.  87.  —  The  R.  Society,  30.  Nov.  1886 
(List  of  the  members). 

Proceedings  of  the  London  Mathematical  Society.  Vol.  17,  No.  272 — 279. 
Vol.  18,  Nr.  280—300.   London  1887. 

Journal  of  the  R.  Microscopical  Society,  containing  its  Transactions  and 
Proceedings.  Ser.  II.  Vol.  6  (1886),  P.  6».  1887,  P.  1—6.  London  1887. 

Report  on  the  scientific  results  of  the  exploring  voyage  of  H.  M.  S.  Chal- 
lenger,  1873—76.  Zoology,  Vol.  17.  18,  P.  I.  II  and  Plates.  19.  20.  21, 
Textand  Plates.  22.  —  Botany  Vol.  2.  London  1886.  87. 

Frankreich. 

Mämoires  de  l'Acadämie  des  sciences,  helles -lettres  et  arts  de  Lyon. 
Classe  des  lettres.  Vol.  23.   Paris,  Lyon  1885 — 86. 

GuigttCf  M.-C,  Cartulaire  Lyonnais.  T.  1.  Documents  ant^rieurs  ä  l'annäe 
1255  (Collection  de  documents  in^dits  pour  servir  ä  l'histoire  du 
Lyonnais,  p.  p.  les  soins  de  l'Acad.  des  sciences,  belles-lettres  et  arts 
de  Lyon).   Lyon  1885. 


XIV     

Annales  de  la  Soci^t^  Linnäenne  de  Lyon.  Nouv.  S6r.  T.  29,  Fase.  8,  Plan- 
ches  4^4.  T.  30.  81.  Lyon  4884.  85. 

Acad^mie  des  sciences  et  lettres  de  Montpellier.  M^moires  de  la  section 
des  lettres.  T.  7,  Fase.  3  (Ann^e  1885/86}.  —  Mömoires  de  la  sectioa 
de  m6d^cine.  T.  6,  Fase.  4  (Ann^e  4885/86).    Montpellier  4886. 

Bulletin  de  la  Soci^t^  des  sciences  de  Nan c  y  (ancienne  Soci6t^  des  sciences 
naturelles  de  Strasbourg) .  S6r.  11.  T.  8,  Fase.  49.  Ann6e  49  (4886). 
Paris  4  886. 

Comitö  international  des  poids  et  mesures.  Proc^s-verbaui  des  s^ances  de 
4886.    Paris  4887. 

Journal  de  TEcole  poly techoique ,  publ.  p.  le  Conseil  d' Instruction  de 
cet  ötablissemeot.  Cah.  56.  Paris  4886. 

Mission  scientifique  du  Cap  Hörn,  4889 — 83.  T.  3.  Magn^tisroe  terrestre. 
Paris  4  886. 

Bulletin  de  la  Soci6tä  matbömatique  de  France.  T.  4  4,  No.  5.  T.  4  5, 
No.  4—6.  Paris  4  886.  87. 

Holland  und  Luxemburg. 

Jaarboek  van  de  Kon.  Akad.  v.  Wetensch.  gevestigd  te  Amsterdam, 
voor  4  885. 

Verhandelingen  d.  Kon.  Akad.  v.  Weteoschappen.  Afdeel.  Natuurkunde. 
DeelXXV.  Amsterdam  4887. 

Verslagen  en  Mededeelingen  der  Kon.  Akad.  v.  Wetensch.  Afdeel.  Letter- 
kunde. III.Reeks,  Deel  3.  Amsterdam  4887.  —  Afdeel. Natuurkunde. 
III.Reeks,  Deel  2.  Amsterdam  4  886. 

Judas  Machabaeus.  Nupta  ad  amicam.  Carmina  in  certamine  poet.  in- 
dicto  ab  Acad.  Reg.  disciplinarum  Neerlandica  praemio  et  lande 
ornata.  Amstelod.  4  886. 

Bijdragen  tot  de  Dierkunde,  nitg.  door  het  Genootschap  »Natura  artis  ma- 
gistra«  te  Amsterdam.   Afiev.  4  3.   Amsterdam  4886. 

Annales  de  l'Ecole  Polytechnique  de  Delft.  T.  2,  Livr.  3. 4.  T.  3,  Livr.  4 — 3. 
Leide  4  886.  87. 

Archives  n^erlandaises  des  sciences  exactes  et  naturelles,  publikes  par 
la  Soci4t6  HoUandaise  des  sciences  ä  Harlem.  T.  24,  Livr.  2 — 5. 
T.  22,  Livr.  4—3.    Harlem  4  886.  87. 

Programme  van  de  Hollandsche  Maatschappij  der  wetenschappen  te  Haar- 
lem  voor  het  jaar  4  884.  85.  —  Naamlijsl  van  directeuren  en  leden 
van  de  HoU.  Maatscb.  d.  wetenschappen  te  Haarlem.   24.  mei  4885. 

Natuurkundige  Verhandelingen  van  de  Hollandsche  Maatschappij  der  weten- 
schappen. in.  Verzameling.  Deel  4,  St.  3.  4.  Deel  5,  St.  4.  Haarlem 
4883.  87. 

Archives  du  Mus^e  Teyler.  S6r.  II.  Vol.  3,  P.  4.   Harlem  4887. 

Foodation  Teyler.  Catalogue  de  la  biblioth^que,  dress^  p.  C.  Ekama.  Livr. 
6.  6.  Harlem  4  886. 

Handelingen  en  Mededeelingen  van  de  Maatschappij  der  Nederlandsche 
Letterkunde  te  Leiden  over  het  jaar  4886.  Leiden  4886. 

Levensberigten  der  afgestorvene  medeleden  van  de  Maatschappij  der  Neder- 
landsche Letterkunde  te  Leiden.  Bijlage  tot  de  Handelingen  van  4886. 
Leiden  4  886. 


XV      

Nederlandsch  kruidkundig  Archief.  Verslagen  en  Mededeelingen  der 
Nederlandsche  botanische  Vereeniging.  Ser.  11.  Deal  5,  St.  4. 
Nijmegen  i887. 

Aanteekeningen  van  het  verhandelde  in  de  sectie-vergaderingen  van  hat 
Provinc.  Utrechtsche  Genootschap  van  kunsten  en  wetenscbappen, 
ter  geiegenheid  van  de  algem.  vergaderingen  gehouden  d.  28.  Sept. 
1886.   Utrecht  4886. 

Questions  mises  au  concours  par  la  Sociätö  des  arts  et  des  sciences 
^tablie  ä  Utrecht,  4  887. 

Verslag  van  het  verhandelde  in  de  algem.  vergader.  van  het  Provinc.  Ut- 
rechtsche Genootschap  van  kunsten  en  wetensch. ,  gehouden  d. 
28.  Sept.  4  886.  Utrecht  4886. 

Fränkel,  Sigm.,  Die  arana&ischen  Fremdwörter  Im  Arabischen.  Eine 
von  »het  Provinz.  Utrechtsche  Genootschap  van  kunsten  en  weten- 
scbappen«  gekrönte  Preisschrift.  Leiden  4886. 

Bijdragen  en  Mededeelingen  van  het  Historisch  Genootschap  gevestigd  te 
Utrecht.  Deel  4  0.  Utrecht  4  887. 

Werken  van  het  Historisch  Genootschap  gevestigd  te  Utrecht.  N.  Ser.  43 — 45. 
Utrecht  4886.87. 

Onderzoekingen  gedaan  in  het  Physiol.  Laboratorium  der  Utrechtsche 
Hoogeschool.  Uitgeg.  door  Donders  en  Engelmano.  111.  Reeks. 
Deel  X,  St.  2.  Utrecht  4  887. 

Pnblications  de  l'Institut  R.  Grand-Ducal  de  Luxembourg.  Section  des 
sciences  naturelles.  T.  20«  Luxembourg  4  886. 

Oservations  möt^orologiques,  faites  ä  Luxembourg  p.  F.  Reuter.  Vol.  3.  4. 
Luxembourg  4  887. 

Italien. 

Bollettino  delle  pubblicazioni  italiane  ricevute  per  diritto  di  stampa.  4886, 
No.  24  e  Indici  S.  4—4  55.   4  887,  No.  25—47.   Firenze  4886.  87. 

Bollettino  delle  opere  moderne  straniere  acquistate  dalle  biblioteche  pub- 
bliche governative  del  regno  d'Italia.  Vol.  4  (4886),  No.  5.  6  e  In- 
dice.  Vol.  2   (4887),  No.   4—3.  Roma  4886.  87. 

Novi  Commentarii  Academiae  scientiarium  Instituti  Bononiensls.  T.  4—4  0. 
Bononiae  4834 — 49,  und  Indices  generales  In  Nov.  Comment. 
Bononiae  4  855.  —  Memorie  dell'Accademia  delle  scienze  dell'Isti- 
tulo  di  Bologna.  T.  4 — 12.  Bologna  4  850 — 64,  und  Indici  generali. 
Bologna  4864.  —  Seiie  ü.  T.  4—40.  Bologna  4862—70  und  Indici 
generali.  Bologna  4874.  —  Serie  HL  T.  4—40.  Bologna  4874—79, 
und  Indici  generali.  Bologna  4880.  —  Ser.  IV.  T.  4—7.  Bologna 
4880—86. 

Galvani,  Luigi,  Opere  edite  e  inedite.  Raccolte  e  pubbl.  p.  cora  dell'Acca- 
demia delle  scienze  delHstituto  di  Bologna.  Bologna  4844.  Nebst 
Aggiunta.  Bologna  4842. 

Giudice,  Franc,  del,  Universalitä  dei  mezzi  di  previdenza,  difesa,  e  salvezza 
per  le  calamitä  degl'  incendi.  Opera  premiata  daU'Accademia  delle 
scienze  deli'lstituto  di  Bologna.  Bologna  4  848. 

Della  instituzione  de'  pompieri  per  grandi  cillä  e  terre  minori.   Opera 

premiata  daU'Accademia  delle  scienze  deiristituto  di  Bologna.  Bo- 
logna 4  852. 


XVI       

Pubblicazioni  del  R.  Istituto  di  studi  superiori  pratici  e  di  perfeziooamento 
in  Fi  reo  ze.  Sezione  di  filosofia  e  filologia.  Hondoni,  G.,  I  piüanticbi 
frammenti  del  Costituto  Fiorentino.  Firenze  4  882.  Del  Vecchio,  A.^ 
Le  seconde  nozze  del  conjuge  superstite.  Studio  storico.  Fireoze  1885. 
—  Sezione  di  roedicina  e  chirurgia  e  Scuola  di  farmacia.  Archivio 
della  Scuola  d'anatomia  patologica,  diretto  da  G.  Pellizari.  Vol.  II. 
Firenze  4  883.  Filippi^  A.,  Esegesi  medico  legale  sul  Methodns  tesli- 
ficandi  di  G.  B.  Codroncbi.  Firenze  4883.  —  Sezione  di  scienze  fisicbe 
e  nalurali.  Luciani^  L.,  Ltnee  generali  della  fisiologia  del  cervelletto. 
Prima  memoria.  Firenze  4  884.  Röitit  A.,  Osservazioni  continue  della 
elettricitä  atmosferica.  Firenze  4  884. 

Reale  Istituto  Lombardo  di  scienze  e  lettere.  Rendiconti.  Ser.  II,  Vol.  49. 
Milano  4886. 

Memorie  della  R.  Accademia  di  scienze,  lettere  ed  arti  di  Mode  na.  Ser.  I. 
T.  20,  P.  3.  Ser.  II.  Vol.  4.  Modena  4  882.  86. 

Annali  della  R.  Scuola  normale  superiore  di  Pisa.  Della  Serie  Vol.  8  (Scienze 
fisicbe  e  natural!,  Vol.  4).  Pisa  4  887. 

Atti  della  Societä  Toscana  di  scienze  naturali  residente  in  Pisa.  Memorie, 
Vol.  8,  Fase.  4.  2.  Pisa  4886.  87. 

Processi  verbali  della  Societä  Toscana  di  scienze  naturali  residente  in  Pisa. 
Vol.  5,  adunanza  del  4  4.  Nov.  4886,  9.  Genn..  4  3.  Marzo,  8.  Haggio, 
3.  Luglio  4  887. 

Atti  della  R.  Accademia  de'Lincei.  Serie IV.  Memorie  della Classe  di  scienze 
fisicbe,  matemat.  e  naturali.  Vol.  4,  Roma  4  885.  —  Memorie  detla 
classe  di  scienze  morali,  storiche  e  filologicbe.  Vol.  4.2,  P.  2  fNo- 
tizie  degli  scavi,  4  886,  Genn.  —  Dicembre  e  Indice  topografico,. 
Roma  4885.  86.  —Rendiconti.  Vol.  2,  II.  Sem.,  Fase.  40—42.  Vol. 
3,  I.  Sem.,  Fase.  4 — 4  3.  II.  Sem.,  Fase.  4 — 5.  Roma  4  886.  87. 

Mittbeilungen  des  Kais.  Deutseben  Arcbaeologiscben  Instituts.  Römische 
Abtbeilung  (Bullettino  delF  Imp.  Istituto  Arcbeologico  Germaoico. 
Sezione  Romana).  Bd.  4,  H.  4.  Bd.  2.  H.  4—3.  Rom  4  886.  87. 

Atti  della  R.  Accademia  delle  scienze  di  Torin o.  Vol.  XXII,  Disp.  4 — 4  3. 
Torino  4  887. 

Bollettino  meteorologico  ed  astronomico  deir  Osservatorio  della  R.  üniver- 
Sita  di  Torino.  Anno  24  (4  886).  Parte  meteorologica.  Torino  4887. 

Atti  del  R.  Istituto  Veneto  di  scienze,  lettere  ed  arti.  T.  8,  Disp.  40.  T.  4, 
Disp.  4—4  0  e  Appendice.  T.  5,  Disp.  4.  Venezia  4  884/85—1886/87. 

Russland. 

Meteorologiscbe  Beobacbtungen  angestellt  in  Dorpat.  Bd.  5,  S.  4  —  64 
(Dorpat4886.  87). 

Weihra%tchj  K.,  Zwanzigjährige  Mittelwertbe  aus  den  meteorologischen  Be- 
obacbtungen 4  866 — 4  885  für  Dorpat.  Ergänzungsheft  zum  4.  Bande 
der  Dorpater  meteorolog.  Beobacbtungen.  Dorpat  4  887. 

Beriebt  über  die  Ergebnisse  der  Beobachtungen  an  den  Regenstationen  der 
Kaiserlichen  livländ.  gemeinnützigen  u.  Ökonom.  Societät  f.  d.  J.  4  885. 
Dorpat  4886. 

Bidrag  tili  kännedom  af  Finlands  natur  och  foik,  utg.  af  Finska  Vetenskaps- 
Societ.  Haftet  44.   Helsingfors  4887. 


WII      

ObservatioDR  publikes  par  riostttut  mötäorologiqae  central  de  la  Soci6t6  des 
sciences  de  Finlande.  Vol.  1,  Livr.  4  (Observations  mötöorol.  faites 
ä  Helsingfors  en  4882).  Vol.  2,  Livr.  1  (Observat.  mätöorol.  faites  k 
Helsingfors  en  4883).  Helsingfors  4886. 

Exploration  internationale  des  r6gions  polaires,  4888/83  et  4883/84.  Expe- 
dition polaire  finlandaise.  T.  II.  Observations  faites  aux  stations  de 
Sodankylä  et  de  Kultala  p.  S.  Lemström  et  £.  Biese.  Helsingfors 
4887.* 

Universitetskija  Izvestija.  God  26  (1886),  No.  4  0— 42.  God  27  (4887),  No. 
4—9.  Kiev4886.  87. 

Bulletin  de  la  Sociätö  Imp^r.  des  Naturalistös  deMoscou.  T.  62  (Annäe 
4886),  No.  4.    T.  63   (Ann6e  4887),  No.  4—8.  Moscou  4887. 

Meteorologische  Beobachtungen,  ausgeführt  am  Meteorol.  Observatorium 
d.  Landwirthschaftlichen  Akademie  zu  Moskau  von  A:  A.  Fad^i^fT. 
4886,  2.  H&lfte  (Beilage  z.  Bulletin  de  la  Soc.  Imp.  des  Natural,  de 
Moscou,  T.  62).  Moscou  4887. 

Bulletin  de  TAcadömie  Imperiale  des  sciences  de  St.-Pdtersbourg. 
T.  XXXI,  No.  3.  4.  T.  XXXII,  No.  4.  St.-P6tersbourg  4886.  87. 

M^moires  de  TAcadömie  Imperiale  des  sciences  de  St.-Pötersbourg. 
VII.  S6rie.  T.  34,  No.  7—4  3.  T.  33,  No.  4—7.  St.-P6tersbourg  4  886. 87. 

Repertorium  für  Meteorologie,  hsg.  v.  d.  kais.  Akademie  d.  Wissensch., 
redig.  v.  H.  Wild.  Bd.  4  0.  St.  Petersburg  4887.  —Supplementband  2 
{Rykatschew,  M.,  Über  den  Aufgang  und  Zugang  der  Gewässer  des 
Russischen  Reichs).  3  {Wahlen,  E.,  Wahre  Tagesmittel  u.  tägliche 
Variation  d.  Temperatur  an  48  Stationen  des  Russischen  Reichs). 
4  [Leyst,  E.,  Katalog  d.  meteorolog.  Beobachtungen  in  Russland  und 
Finnland).  St.  Petersburg  4887. 

Annalen  d.  physikalischen  Centralobservatoriums ;  herausg.  vonH.  Wild. 
Jahrg.  4886,  Th.  4.-2.  Jahrg.  4886,  Th.  4.   St.  Petersburg  4886.  87. 

Acta  Horti  Petropolitani.  T.  9,  Fase.  2.  Petropoli  4886. 

Trudy  S.-Peterburgskago  Obscestva  estestvoispytatelej.  T.  47,  4.  St.  Peter- 
burg 4886. 

Juridiceskaja  Bibliografija  izdav.  Judd.  Fakultetom  Imp.  S.  Peterburgskago 
üniversiteta.  God  3  (4886),  No.  7—9.  S.Pelerburg  4886.  87. 

Protokoly  zasidanij  soveta  Imperat.  S.-Peterburgskago  Üniversiteta.    No. 

33—35.  S.  Peterburg  4886.  87. 
Wedenski,  N.,  Über  die  Beziehungen  zwischen  Reizung  und  Erregung  im 

Tetanus.  S.  Peterburg  4  886. 

Sazonovic,  Pesni  o  d^vu§ke-voin&  i  byliny  o  stavre  Godinovice.  Varsaval  886. 

Correspondenzblatt  des  Naturforscher- Vereins  zu  Riga.    Jahrg.  30.   Riga 

4887. 
Magnetische  Beobachtungen  des  Tifliser  Physikal.  Observatoriums  in  den 

Jahren  4884—85,  hsg.  v.  J.  Mielberg.  Tiflis  4887. 

Meteorologische  Beobachtungen  des  Tifliser  Physikal.  Observatoriums  im 
J.  4  885,  hsg.  V.  J.  Mielberg.  Tiflis  4886. 

Schweden  und  Norwegen. 

Sveriges  offentliga  Bibliotek  Stockholm,  Upsala,  Lund.  Accessions-Katalog. 

4    (4  886).  Stockholm  4887. 
Forhandlinger  ved  de  Skandinaviske  Naturforskeres  43^«  Mode  i  Christi- 

ania  7.-42.  Juli  4886.  Christiania  4887. 

2 


XYIII      

Forhandlinger  i  Videnskabs-Selskabet  i  Christi  an ia.  Aar  4886.  Christi- 
ania  4887. 

Caspariy  C.  P.,  Eine  Augustin  fälschlich  beigelegte  Homtlia  de  sacrtlegiis 
(Hsg.  von  der  Gesellschaft  d.  Wissensch.  zu  ChristiaDia).  Christi- 
ania  4886. 

Lieblein,  /.,  Handel  und  Schiffahrt  auf  dem  Rothen  Meere  in  alten  Zeiten. 
Nach  ägyptischen  Quellen  (Hsg.  von  der  Gesellschaft  d.  Wissensch. 
zu  Christiania).  Christiania  4886. 

Publication  der  Norweg.  Commission  d.  Europäischen  Gradmessung.  Geo- 
dätische Arbeiten  H.  5.  Christiania  4887. 

Ddgivet  af  den  Norske  Gradmaalingskommission.  Vandstandsobservationer 
Hefte  4.  Christiania  4887. 

Schübeier,  F.  C,  Viridarium  Norvegicum.  Norges  Vaextrige.  Bd.  4,  H.  2 
og  Bd.  S,  H.  4 .  Udgivet  som  Univ.-Progr.  for  andet  Semester  1 886. 
Christiania  4  886. 

Agricola,  Joann,,  Apophthegmata  nonnuUa.  Nunc  primum  edid.  Lud.  Daae 
(Programme  academ.  quo  inclytae  Universität!  Heidelbergensi  inier 
saecularia  sollemnia  gratulatur  Univ.  Regi  Christianensis) .  Christi- 
aniae  4886. 

Drachmann,  A.  B,,  Catuls  digtning  belyst  i  forhold  til  den  tidligere  grseske 
og  latinske  litteratur.  Kj0benhavn  4  887.  Guderne  hos  Vergil.  KJ0- 
benhavn  4887. 

Stenersen,  L.  B,,  Catuls  digtning  oplyst  i  dens  sammenhasng  med  den  tid- 
ligere graßske  og  latinske  literatur.  Kristiania  4887.  Udsigt  over  den 
romerske  Satires  forskjellige  arter.  Kristiania  4887. 

Den  Norske  Nordhavs-Expedition  4876 — 78.  XVII.  Zoologi.  DanieUsen, 
D,  C,  Alcyonida.  XVIII.  A.  B.  Mohn,  H.,  Nordhavets  dybder,  tem- 
peratur  og  stremninger.  Christiania  4  887. 

Acta  Universitatis Lundensis.  Lunds  Universitets  Ars-Skrift.  T.  22  (4885 — 
86),  I.  II.  Lund  4886.  87. 

Kongl.  Vitterhets  Historie  och  Antiquitets  Akademiens  Manadsblad.  Arg.  45 
(4886).  Stockholm  4886— 87. 

Antiquarisk  Tidskrift  för  Sverige  utg.  af  Kongl.  Vitterhets  Historie  och  An- 
tiquitets Akademien  genom  Bror  Emil  Hildebrand.  Delen  9,  4.  i. 
4  0,  4.2.  Stockholm  4887. 

Entomologisk  Tidskrift,  pä  föranstaltende  af  Entomologiska  Föreningen 
i  Stockholm  utg.  af  Jac.  Spängberg.  Arg.  7  (4  886),  H.  4 — 4.  Stock- 
holm 4886. 

Troms0  Museums  Aarshefter.  40.  Tromsd  4887.  —  Troms«  Museums 
Aarsberetning  for  4886.  Troms0  4887. 

Nova  Acta  Reg.  Societatis  scientiamm  Upsa Mensis.  Ser.  III.  Vol.  XIII, 
Fase.  2.  Upsaliae  4887. 

Bulletin  mensuel  de  TObservatoire  m^t^orologique  de  TUniversit^  d'Cpsal. 
Vol.  48  (4  886).  üpsal  4886—87. 

Schweiz. 

Verhandlungen  der  Schweizerischen  Naturforschenden  Gesellschaft  in  Locle 
44. — 43.  Aug.  4  885.  68.  Jahresversammlung.  Jahresbericht 4884/85. 
Neuenburg  4886.  —  Verhandlungen  in  Genf  40. — 42.  Aug.  4886.  69. 
Jahresversammlung.  Jahresbericht  4  886/86.  Genf  4886. 


XIX    

Compte-rendu  des  travaux  prösentös  ä  la  68.  sessioa  de  la  Social^  Helv.  des 
sciences  naturelles  r^unie  ä  Locle  41.— 43.  aoüt  4885  (Archives  des 
Sciences  phys.  et  naturelles,  Sept.  4885).  Gen^ve  4885.  —  Compte- 
rendu  des  travaux  pr6s.  ä  la  69.  Session  ä  Gen^ve  40. — 42.  aoüt  4886 
(Arch.  d.  sc.  phys.  et  nat.,  Sept.-Oct.  4886).  Gen^ve  4886. 

Basler  Chroniken.  Herausgeg.  von  der  Historischen  u.  Antiquarischen  Ge- 
sellschaft in  Basel.   Bd.  3.  Hsg.  durch  W.  Vischer.   Leipzig  4887. 

Verhandlungen  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Basel.  Th.  8,  H.  2. 
Basel  4887. 

Mittheilungen  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Bern  aus  d.  J.  4885, 
H.  3  (No.  4  433—42).    Aus  d.  J.  4  886  [No.  44  48—68).    Bern  4886.  87. 

Jahresbericht  der  naturforschenden  Gesellschaft  Graubündens.  N.  F.  Jahrg. 
30  (Vereinsjahr  4  885/86).  C hur  4  887. 

Viertel  Jahrsschrift  d.  naturforschenden  Gesellschaft  in  Zürich.  Jahrg.  82, 
H.  4.  Zürich  4887. 

Spanien. 

Discursos  leidos  ante  la  Real  Academia  de  ciencias  morales  y  politicas  en 
la  recepcion  publica  de  Franc.  Silvela  4887.  Eug.  Montero  Bios 
4887.  Madrid  4887. 

Real  Academia  de  ciencias  morales  y  politicas.  Aüo  de  4887.  Madrid  4887. 

Real  Academia  de  ciencias  morales  y  politicas.  Programa  para  los  concur- 
sos  ordinarios  de  4888  y  4889.  Madrid  4  887. 

Vanvila  y  CoUado,  M.,  El  poder  civil  en  Espana.  Memoria  premiada  por  la 
R.  Acad.  de  cienc.  mor.  y  pol.  T.  6.  Madrid  4  887.  —  Soler  y 
Arqu^s,  Carlos,  Ideal  de  la  familia.  Memoria  premiada  por  la  R. 
Acad.  de  cienc.  mor.  y  pol.  Madrid  4887. 


Nordamerika. 

Transactions  of  Ihe  American  Philological  Association.  Vol.  47  (4886).  Boston 
4  887. 

Proceedings  of  the  American  Oriental  Society,  at  New  Haven,  Oct.  4886; 
at  Boston,  May  4  887. 

Johns  Hopkins  University  Circulars.  Vol.  6,  No.  54 — 59.  Baltimore 
4  886.  87. 

Eleventh  Annual  Report  of  the  President  of  the  Johns  Hopkins  University, 
4886.  Baltimore  4886. 

American  Journal  of  Mathematics  pure  and  applied.  Publ.  under  the 
auspices  of  the  Johns  Hopkins  University.  Vol.  IX,  No.  2 — 4.  Vol.  X, 
No.  4.  Baltimore  4887. 

Johns  Hopkins  University  Studies  in  historical  and  political  science. 
V.  Ser.,  1—4.  7—44.  Baltimore  4887. 

Memoirs  of  the  American  Academy  of  arts  and  sciences  [Boston].  Vol.  2, 
P.  4,  No.  5.  Vol.  4  4  (Centennial  Volume),  P.  4,  N.  5.  Boston 
4877.  86. 

Proceedings  of  the  American  Academy  of  arts  and  sciences.  N.  S.  Vol.  XIV 
(WholeSer.  Vol. XXII),  P.  4.  2.  From  May4886  to  May  4887.  Selected 
from  the  Records.  Boston  4  887. 

2* 


Bulletin  of  the  Buffalo  Society  of  Natural  History.  Vol.  Y,  No.  2.  Buf- 
falo  4886. 

Bulletin  of  the  Museum  of  comparative  Zodiogy,  at  Harvard  College,  Cam- 
bridge, Mass.  Vol.  XIII,  No.  S— 5.  Cambridge,  Mass.  4886.  87. 

Memoirs  of  the  Museum  of  comparative  Zoölogy,  at  Harvard  College,  Cam- 
bridge, Mass.  Voi.  XVI,  No.  4.  9.  Cambridge,  Mass.  4887. 

Annual  Report  of  the  Curator  of  the  Museum  of  comparative  Zoölogy,  at 
Harvard  College,  Cambridge,  Mass.,  for  4886/87.  Cambridge,  Mass. 

4887. 

Annals  of  the  Astronomicai  Observatory  of  Harvard  College.  Vol.  47.  Cano- 
bridge,  Mass.  4  887. 

Pttblications  of  the  Washburn  Observatory  of  the  üniversity  of  Wisconsin. 
Vol.  5.  Madison  4887.. 

Memorias  de  la  Sociedad  cientifica  »Antonio  Alzate«.  T.  4,  Cuad.  4 — 4. 
Mexico  4887. 

The  geological  and  natural  history  Survey  of  .Minnesota.  The  43. 4  4.  annual 
Report,  for  the  year  4884.  4885.  Minneapolis  (St.  Paul)  4885.  86. 

Proceedings  and  Transactions  of  the  R.Society  of  Canada  for  the  year  4885. 
Vol.  3.  Montreal  4886.  For  the  year  4886.  Vol.  4.   Montreal  4887. 

The  Canadian  Record  of  science,  including  the  Proceedings  of  the  Natural 
history  Society  of  Montreal  and  replaciog  the  Canadian  Naturalist. 
Vol.  2,  No.  5.  6.  Montreal  4887. 

Transactions  of  the  Connecticut  Academy  of  arts  and  sciences.  Vol.  7,  P.  4 . 
New  Haven  4886. 

Transactions  of  the  Astronomicai  Observatory  of  Yale  Üniversity.  Vol.  4, 
P.  4.   New  Haven  4  887. 

Annals  of  the  New  York  Academy  of  sciences  (late  Lyceum  of  natura! 
history).  Vol.  III,  No.  44.  42.  Vol.  IV,  No.  4.8.  New  York  4  885.  87. 

Transactions  of  the  New  York  Academy  of  sciences.  Vol.  IV.  V,  No.  4. 
7.  8.  New  York  4885—87. 

Bulletin  of  the  American  Geographlcal  Society.  4  885,  No.  4.  5.  4886,  No. 
2—5.  Vol.  4»  (4887),  No.  4—3.  New  York  4886.  87. 

Proceedings  of  the  Academy  of  natural  sciences  of  Philadelphia.  4886, 
P.  8  (Oct.— Dec).  4887,  P.  4  (Jan.— AprU),  2  (April— Aug.).  Phila- 
delphia 4887. 

Transactions  of  the  Wagner  Free  Institute  of  science  of  Philadelphia.  Vol.  4. 
Philadelphia  4887. 

Proceedings  of  the  American  Philosophical  Society,  held  at  Philadelphia, 
for  promoting  useful  knowledge.  Vol.  XXIII,  No.  424.  Vol.  XXIV, 
No.  4  25.  Philadelphia  4886.  87. 

The  Transactions  of  the  Academy  of  science  of  St.  Louis.  Vol.  4,  No.  4. 
St.  Louis  4  886. 

Peabody  Academy  of  science.   4  9^  Report  of  the  Trustees.  Salem,  Mass. 

4  887. 
Bulletin  of  the  California  Academy  of  sciences.    Vol.  2,   No.  5 — 7.  San 

Francisco  4886.  87. 

Kosmos.  An  eclectic  monthly  Journal  of  natura,  science  and  art.  Vol.  4 , 
No.  4.  2.  San  Francisco  4887. 

Anuario  del  Observatorio  astronömico  nacional  de  Tacubaya,  para  el  aiio 
de  4888  (Ano  VIII).  Mexico  4887. 


XXI       

Proceedings  of  the  Canadian  Institute,  Torouto,  beiog  a  contlnuatioD  of 
the  Canadian  Joamal  of  science ,  literature  and  history.  III.  Ser. 
Vol.  4,  Fase.  2.  Vol.  5,  Fase.  4.  Toronto  4887. 

Memoirsof  the  National  Academy  of  sciences.  Vol.  8,  P.  2.  Washington 
4886. 

Circulars  of  information  and  Bulletins  of  the  Bnreau  of  Education  for  4885. 
4687,  No.  4.  8.  Washington  4886.  87. 

Fonrth  Annual  Report  of  the  Bureau  of  Ethnology  to  the  Secretary  of  the 
Smithsonian  Institution.  4882—88.  By  J.  W.  Powell.  Washington 
4886. 

Report  of  the  Commissioner  of  Agrtculture  Cor  the  year  4885.  Washington 
4885. 

Report  of  the  Commissioner  of  Education  for  the  year  4884 — 85.  Washing- 
ton 4  886. 

Smithsonian  Mlscellaneous  Collections.  Vol.  28 — SO.  Washington  4887. 

Annual  Report  of  the  Board  of  Regents  of  the  Smithsonian  Institution  for 
the  year  4884,  P.  11.  For  the  year  4885,  P.  I.  Washington  4885.  86. 

Annual  Report  of  the  Chief  Signal-Officer  to  the  Secretary  of  war  for  the 
year  4  885,  P.  I.  II.  Washington  4  885. 

Report  of  the  Superintendent  of  the  U.  S.  Coast  and  Geodetic  Survey, 
showing  the  progress  of  the  work  during  the  fiscal  year  endiog  with 
June  4885.  P.  I  (Text).  II  (Sketches).  Washington  4886. 

Bulletin  of  the  ü.  S.  Geological  Survey.  No.  S0-~d9.  Washington  4886.87. 

Monographs  of  the  U.  S.  Geological  Survey.  Vol.  X.  XI.  Washington  4  885. 86. 

Sixth  Annual  Report  of  the  U.  S.  Geological  Survey  to  the  Secretary  of 
the  Interior  4  884—85,  by  J.  W.  Powell.  Washington  4885. 

U.  S.  Geological  Survey.  Mineral  Resources  of  the  United  States.  Calendar 
year  4  885.  Washington  4886. 

Südamerika. 

Anales  de  la  Sociedad  cientifica  Argentina.  T.  22,  Entrega  5.  6.  T.  23, 
Entr.  4—6.  T.  24,  Entr.  4.    Buenos  Aires  4887. 

Actas  de  la  Academia  nacional  de  ciencias  en  Cördoba.  T.  V,  Entrega  3. 
Buenos  Aires  4886. 

Boletin  de  la  Academia  nacional  de  ciencias  de  la  Republica  Argentina. 
T.  IX,  Entrega  4—4.  Buenos  Aires  4886. 

Archivos  do  Moseu  Nacional  doRiode  Janeiro.  Vol.  6.  Rio  de  Janeiro 
4885. 

Verhandlungen  des  deutschen  wissenschaftlichen  Vereins  zu  Santiago. 
H.  4.  Valparaiso  4  886. 

Asien. 

Notulen  van  de  algemeene  en  bestuurs-vergaderingen  van  het  Bataviaasch 
Genootschap  van  kunsten  en  wetenschappen.  Deel  24  (4886),  No. 
2—4.  Deel  25  (4887),  No.  4—8.  Batavia  4886.  87. 

Tijdschrift  voor  Indische  taal-,  land-  en  volkenkuode,  uitgeg.  door  het 
Bataviaasch  Genootschap  van  kunsten  en  wetenschappen.  Deel  34, 
Afl.  2  (Vervolg).  3—6.  Deel  32,  AO.  4.  Batavia  4886.  87. 


XXII     

Chijs,  /.  A.  van  der,  Calalogus  der  Numismatische  Verzameling  van  hei  Ba- 
taviaasch  Geoootscbap  van  kunsten  en  wetenschappen.  Derde  dmk. 
Batavia/s  Hage  4886. 

—  De  vestiging  van  het  nederlandsch  gezag  over  de  Banda  -  EUandea 
4  599 — 4621.  Uitgeg.  door  het.Batav.  Genootscb.  van  kunsten  en 
wetensch.  Batavia  4886. 

Dagh -Register,  gehouden  int  Casteel  Batavia  vant  passerende  daer  ter 
plaetse  als  over  geheel  Nederlandts-India  anno  4640 — 44.  Uitgeg. 
door  het  Batav.  Genootscl}.  van  kunsten  en  wetensch.,  met  mede- 
werking  van  de  Nederlandsch-Indische  Regeering  en  onder  toexicht 
van  J.  A.  van  der  Cbijs.  Batavia,  's  Hage  4887. 

Groeneveldt,  W.  P.,  Catalogus  der  Archaeologische  Verzameling  van  bet 
Batav.  Genootsch.  van  kunsten  en  wetenschappen.  Batavia  4887. 

Nederlandsch-Indisch  Plakaatboek  4602 — 4844,  door  J.  H.  van  der  Cbijs. 
Uitgeg.  d.  het  Bataviaasch  Genootschap  van  kunsten  en  weten- 
schappen. Deel  4.  Batavia,  's  Hage  4887. 

Realia.  Register  op  de  generale  resolutiän  van  het  Kasteel  Batavia  4632 — 
4  805.  Uitgeg.  d.  het  Batav.  Genootsch.  van  kunsten  en  wetenschap- 
pen. Deel  3.  *s  Hage,  Batavia  4886. 

Observations  made  at  the  Magnetical  and  Meteorological  Observatory  at  Ba- 
tavia. Publ.  by  Order  of  the  Government  of  Netherlands  India.  Vol. 
6,  Suppl.  Vol.  7.  Batavia  4886. 

Natuurkundige  Tijdschrift  voor  Nederlandsch-IndiS,  uitgeg.  d.  de  Kon. 
NatuurkundigeVereeniging  inNederlandsch-Indiö.  Deel46(VllI.Ser., 
D.  7).  Batavia  4  887. 

Photographie  du  Volcan  Krakatau.  Avec  texte  par  R.  D.  M.  Verbeek.  Buiten- 
zorg  4886. 

Cotes ,  E,  C,  and  C.  Swinhoe ,  A  Catalogue  of  the  Moths  of  India.  P.  I. 
Sphinges.  Calcutta  (India  Mnseum)  4887. 

Journal  of  the  China  Brauch  of  the  R.  Asiatic  Society.  N.  Ser.  Vol.  24, 
(4886),  No.  3—6.  Shanghai  4887. 

Imperial  University  of  Japan  (Teikoku  Daigaku).  The  Calendar  for  the  year 
4  886/87.  Tokyo  4886. 

Journal  of  the  College  of  science,  Imperial  University,  Japan.  Vol.  4,  P. 
4—4.  Tokyo  4886.  87. 

Mittheilungen  aus  der  Medicinischen  Facultät  der  Kais.  Japanischen  Uni- 
versität. Bd.  4,  No.  4.  Tokyo  4  887. 

Australien. 

Journal  and  Proceedings  of  the  R.  Society  of  New  South  Wales.  Vol.  49 
(4885).  Sydney  4886. 

Technological,  Industrie  1  and  sanitary  Museum,  Sydney.  Report  of  the 
Committee  of  management  for  4  886.  Sydney  o.  J. 


XXIII 


2.  Einzelne  Schriften. 

AsIUmrner,  CA.,  The  geologic  distribution  of  natural  gas  in  the  United 
States,  o.  0.  4886. 

The  geologic  relations  of  the  Nanticoke  disaster.  o.  0.  1887. 

Ctt/tn,  Stewart,  China  in  America.   A  study  in  the  iife  of  the  Chinese  in  the 
Eastern  cities  of  the  United  States.  Philadelphia  4887. 

Engelkardt,  B.  d\  Observations  astronomiques  faites  dans  son  observatoire 
äDresde.  P.  4.  Dresde  4886. 

Esperanto,  Internationale  Sprache.    Vorrede  u.  vollständiges  Lehrbuch. 
Warschau  4887. 

Löwenberg,  B.,  Contribution  au  traitement  du  Coryza.  Paris  4884. 

Travaux  originaux  communiquös  au  troisi^me  Congr^s  otologique 

international  (Bäle,  Sept.  4884).  Bdle  4885. 

Loomis,  Elias,  Contributions  to  meteorology.  Chapter  II.  Revised  edition. 
New  Haven  4  887. 

Saint'Lager,  Histoire  des  Herbiers.  Paris  4  885. 

Recherches  historiques  sur  les  mots  »Plantes  mäles«  et  »Plantes  fe- 

melles«.  Paris  4884. 

Seydler,  A.,   Untersuchungen  über  verschiedene  mögliche  Formen  des 
Kraftgesetzes  zwischen  Massentheilchen  (S.  A.).  Prag  4887. 

Teige,  Jos.,  Blätter  aus  der  altböhmischen  Genealogie.   Wien  4887. 

Weihrauch,  K,,  Einfluss  des  Widerstandes  auf  die  Pendelbewegung  bei  ab- 
lenkenden Kräften,   mit  Anwendung  auf  das  Foucault'sche  Pendel 

(S.  A.).  4887. 

Wernicke,  Alex.,  Die  Grundlage  der  Euklidischen  Geometrie  des  Maasses 
(Prgr.).  Braunschweig  4887. 

Winkler,  Clem.,  Mittheilungen  über  das  Germanium  (S.  A.).  Leipzig  4887. 


Druck  von  Breitkopf  &  H&rtel  in  Leipzig. 


INHALT. 

Zarnc/Ut  Zum  Annoliede 283 

Zarncke,  GhriBtian  Reuter  als  Pasaionsdichier 306 

Waehsmuth,  Neue  Beitrage  zur  Topographie  von  Athen.   .  369 

Fleischer,  Eine  Stimme  aus  dem  Morgenlande  über  Dozy's 
Supplement  aux  dictionnaires  arabes 406 

c.  d.  Gahelentz,  Über  das  taoistische  Werk  Wön-tai.    .    .    .434 

Böhtlingk,  Nachtrag  zu  der  S.  227  fgg.  besprochenen  Inschrift  443 


Druck  von  Breitkopf  k  Härtel  in  L4>ipzi{c. 


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20Ä  019  98^  *°^  . 


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